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ZEITSCHRIFT
FÜR
ETHNOLOGIE
Organ der Berliner Gesellschaft
for
Anthropologie, Ethnologie nnd Urgeschichte.
unter Mitwirkmig des zeitigen Vonitzenden derselben,
B. Virchow
h«nuitgeseb«n von
A# Ilastlaii und R« Hsurtmanii«
Vierter Jahrgang. (r^ (> i 1872. — Sapplemeni
ßerlia.
Verlag von Wiegandt und Uempel.
ZEITSCHRIFT
FÜR
ETHNOLOGIE.
Organ der Berliner Gesellschaft
far
Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Unter Mitwirkung des zeitigen Vorsitzenden derselben,
B. Virchow
benafg«g«ben von
A. Basllaii nnd H. Bbirtiiiaiiii.
Vierter Band.
1872.
Mit ICS litlioiKrapliirteii Tafeln.
Berlio.
Verlag von Wiegandt und Hempel.
Inhalt
8tlt«
Baitian« A^ Die Stelhmn: des Kaukasus innerhalb der geschichtlichen Yölkerbewegongen 1
BÜmologie und yergleichende Lin^stik 137. 211
Die Yerehrung der Himmelskörper 859
Bayern, Fr., Die Auflfirrabongen der alten Qr&ber bei Mzchet CTaf. X — XII) 168. 331. 868.
Hello 7 EspiDOsa, Geschichtliche, geographische und statistische Bemerkungen über
Puerto Rico. Aus dem spanischen Manuscript übersetzt Ton Dr. E. ▼. Märten s 36
Ernat, A., Notizen über die ürbewohner der ehemaligen ProTinz Santa-Marta in Neu-
Qranada 190
Ueber die Sprache der Cumanagotos S93
Zu Nieolaus Federmann's erster Reise in Venezuela (1530 — 1531) 357
F riedlaend er, J, Funde römischer Münzen im nordöstlichen Deutschland 168
Hartmann, R , Einiges über Pfiüilbauten, namentlich der Schweiz, sowie über noch einige
andere, die Alterthumskunde betrelTende Gegenstände. lY 88
Tafel V. und VI. (Chimpanse), nebst Erklärung •....'.. 19«
Jellinghaus, Th., Die Sage der Munda-Kolhs in Ostindien über die Vernichtung 'der
überilSüthigen Asurs durch Singbonga*s (Gottes) Sohn 857
Joan PopoT und die Wila. Bulgarisches VolksUed 888
SüdslaTiache Erzfthlungen 889
Kaukasische Photographien (Taf. I -~ II) 44
Koner, W., Uebersicht der Literatur für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte im
Jahre 1871 105
Härtens, £ t., Ueber yerschiedene Verwendungen von Gonchylien 31
Nissle, Carl, BeitrSge zur Kenntniss des Chimpanse 801
Ploss, H., Die Glückshaube und der Nabelschnurrest; ihre Bedeutung im Volksglauben . 186
BathschlSge für anthropologische Untersuchungen auf Expeditionen der Marine .... 335
Riedel, J. G. F., Nord-Selebesche Pfahlbauten 193
Virchow, R., Ueber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie. Eine Antwort an
Hm. de Quatrefages • . . 300
Wetzstein, Zwei arabische Amulette 43
und Bücherschau 44. 129. 198. 349. 380. 388.
Verhandlungen der Berliner Gesellschaft for Anthropologie, Ethnologie und Uiigeschichte.
(Ein speöeUeB Inbaltsverzeichniss der Verhandlungen befindet sich am Schlüsse derselben.)
!▼
Veneiehiiias der TafBln.
Taf. I und II. KaokaBiubewohner, nach Photographien.
Taf. m. Aino*B und deren Vorrathshaus, nach Photographien und einer Handzeichnung
des Hnu Gaertner (vgl. Sitzungsber. S. 37, Anm.).
Taf. IV. Idole von Puerto Rico.
Ta£. y. Der $ Ghimpanse Molly des Berliner Aquarinma, nach Photographien.
Tal VI. Kopf des 9 Mbaam, Rai\ja oder Mandjanuna, nach Aquarellzeichnungen von
R. Hartmann.
Taf. Vn. Schidel von Dondts (vgl. Sitzungsberichte S. 72).
Tni. ym und IX. Das Gehirn des Hikrocephalen Mottej (ygl. Sitzungsberichte S. 193).
Taf. X, XI und Xn. Alterthumer aus Mzchei Erkl&rung im Aufsatze von Fr. Bayern.
Taf. Xni. Altperuanisches Grabgeflbw.
Tal XIV. Abbildungen von einer alten Arbeitsstätte für Stein&xte bei Hohenstein in
Schwannsen (Holstein).
Taf. XV. Geometrische Zeichnungen des Schädels von Kay Lykke (Fig. 1 ~ 6), sowie des
Daches (Fig. I und la) und des Ausgusses (Fig. II und IIa) des Neanderthal-Schädels.
Linguistische Ergebnisse
einer Reise nach Centralafrika.
'^0^0*^^>^>^>^^^^^S^^S^^
Von
Dr. G. SdiweinfürtlL
Berlin.
Verlag Ton Wiegandt & Hempel.
1873.
Die Stellmig des Kaukasus innerhalb der geschicht-
lichen Volkerbewegungen.
•
Die ethnischen Bildungsprocesse, die Vdlkergestaltangen und die sie cha-
rakterisirenden Eigenthümlichkeiten, können nur aus ihrer geographischen üm-
gebimg nnd den historischen Constellationen desjenigen Landes verstanden
werden, auf dem sie verlaufen. Ein jeder Organismus steht in nothwendiger
Wechselwirkung mit seinem Milieu^), d. h. dem physikalischen EUma im wei-
testen Sinne, und bei dem Menschengeschlecht tritt ausserdem der psychische
Horizont hinzu, um die äussersten der Peripherielinien in dieser Monde am-
bumte abzuschliessen. Die Abhängigkeit vom Eüma darf nicht in dem Sinne
primärer Schöpfung au%e£Eisst werden, da eine solche aus den Relativbezie-
hongen des Denkens überall ausgeschlossen bleiben muss. Wir haben Neu-
bildong im Anorganischen, d. h. eine selbständig unabhängige Schopfiing aus
neaer Anordnung der Molecüle, und die Chemie vermag deshalb hier in der
Analyse überall das Warum des Werdens nachzuweisen, aber eben nur in
seinen Relationen, da der Weg zum Absoluten durch die Grenzlinie der
Grundstoffe abgeschnitten ist Im Organischen bildet jeder Typus ein solches
Fondamental-Element, das als solches nicht weiter zersetzt, also auch nicht
im statu nascenti beobachtet werden kann', das jedoch in mancherlei Modifi-
cationen variiren und sich daraus ursächlich erklären lassen mag. Die hier
als bedingend aus den [Jmgebungsverhältnissen hinzutretenden Agentien con-
stitoiren die Causae efficientes des jedesmaligen Falles, und können deshalb
vich allein Gegenstand exact naturwissenschaftlicher Forschung werden, wäh-
^^ aber den Ursprung aufgebaute Hypothesen, ehe noch Facta die Materia-
lien lur Construction einer dahin leitenden Brücke geliefert haben, in die
Hiiopelkammer alchymistischer Träumereien über Metallumwandlungen oder
die Schöpfung aus dem Nichts zu verweisen sind.
Z«iuehrill für Bthnologi«, Jitargaag 1872. j^
2 Die Stenung dej Kaukasiis innerhalb der gesehicbtlichen Yölkerbeweigfangen.
Wie in jeder botanischen oder zoologischen Provinz, wird anch in jeder
anthropologischen (ohne sich mit jenen so wenig, wie sie anter einander,
genau zu decken) ein für dieselbe typisches Product zu Tage treten. Im
deutlich kosmopolitischen Menschen ist bei der durchgängig als fruchtbar be-
wiesenen Paarungsmöglichkeit (wenn auch mit je nach den Affinitäten mehr
oder weniger beschränkter Fortpflanzung) ein einheitlicher Zusammenhang
festzuhalten, und die dem heimischen E^ima überall angearteten') Rassen
werden, wenn in ein fremdes versetzt, gleichmässig entsprechende Abwand-
lungen erfahren, aber nie direct den Typus als solchen in einen zweiten über-
führen können, also nicht etwa den Europäer in Afrika zum Neger, diesen
zu jenem in Europa machen. Eine leichte Variation, die durch kurzdaaem-
des Verweilen in einem andern, oder auch längeres in einem nicht viel ver-
schiedenen Clima hervorgerufen ist, wird bei Rückkehr in das ursprüngliche
in die diesem entsprechende Physiognomie zurückschlagen (wie es sich bei
den Spielarten der Hausthiere zeigt); ein bereits fest ausgeprägter Typus da-
gegen, in dem seine Constituenten eben durch ein starkes Band der Affini^
zusammengeknüpft sind, wird allen Zersetzungen widerstehen. Im Genaueren
kann hier, wie überall in den Naturwissenschaften, nur das Thatsächliche
entscheiden. Die starke Verwandtschaft des Ozygen und Natrium liess lange
das Natron als Grundstoff aufge&sst werden, bis das Experiment die Ansich-
ten darüber änderte. Obwohl das Klima also nie den Europäer in einen
Neger oder Indiana transformiren könnte, mag es ihm doch den Aoadruck
des Creolen geben, des Yankee (in der Union), des Currency (in Australien)
XL s. w., und dieser mit jeder weiteren Generation deutlicher hervortreten, bis
ein neu acclimadsirtes Gleichgewicht gewonnen ist.
Während jedoch im Anorganischen die Elementargebilde*) durch eine
scharfe Linie als unveränderlich markirt werden, vermag der organische Ty-
pus der ihm innewohnenden Constanz verlustig gehen, in Folge der bei ihm
auf die Vereinigung geschlechtlicher Trennung basirten Fortpflanzung, so dass
die in ein fremdes Klima versetzte Rasse je nach ihrer Mischung mit der
einheimischen (auf mütterlicher oder väterlicher Seite) und respectiver Supe-
riorität in den Typus dieser fallen, ihren eigenen bewahren oder einen aus
Wechselwirkung beider neu hervorgerufenen erzeugen mi^.
Um die von der Geschichte in den verschiedenen Perioden vorgeführten
Völkergruppirungen zu studiren, bedarf es vor Allem einer deutlichen Ansicht
der Landkarte, auf der sie sich bewegen. Die Hydrographie und Urographie
ist für Ableitung der Herkunft noch vor der Philologie zu studiren, weil in
den Flüssen und Bergen stabilere Zeugen bietend, als sie bei dialectischen
Schwankungen Vocabularien zu gewähren vermögen. Für die Geschichte
unseres Europa, das mit der Asiens von jeher verknüpft war, giebt es kein
wichtigeres Terrain, als das auf der Grenzscheide dieser beiden Continente
gesetzte Gebirge des Caucasus mit seinen ins caspische und pontische Meer
abströmenden Flüssen. Diejenigen Territorien, die die Fähigkeit zur Eni-
Die SteDimg des Kankasas innerhalb der geschichtlichen Volkerbewegangen. 3
Wicklung eines innerfich geschlossenen Volkslebens in sich tragen, sind von
der Natnr dentlich Torgezeichnet, und dem Auge des Geographen ebenso nn-
verkennbar, wie dem des Historikers, der anf sie beständig seine Züge in
gleichen Wirbelkreisnngen znrückgef&hrt sieht Es liegt klar za Tage, weshalb
die drei mittelländischen Halbinseln, weshalb später Gallien, Britannien, Scan-
dinavien ihre Namen in alle historischen Perioden mit leicht lesbarer Schrift
eingetragen haben, während der Osten Europas von jeher ein bnntes Getüm-
mel von Stammesbezeichnnngen bot, deren Abkunft zu lösen dem Historiker
eine ebenso schwierige Aufgabe bot, wie ihre Localisirung dem Geographen.
kfd den weiten Flächen Ost-Europas (yom Ural bis zum baltischen, vom
Cancaffüs bis zum weissen Meere) waren wenige Ansatzpunkte zum ethnischen
Staatenbau geboten, in Kiew oder Nowgorod mochten sich kleine Centren
bildoi, von Moskau, Gnesen oder Wilna aus eine politische Macht domi-
mren, aber im Allgemeinen waren den Wanderern erst Ruhepunkte 'geboten,
wenn sie im Westen auf den transylvanischen Vorsprung, auf den Balkan im
Sfiden, auf scandinavische Felsen im Norden stiessen, oder sich an denen
des Tatra-Gebirges und der Liptauer Alpen brachen, wogegen vom karpa-
thisehen Hochland auf der Grenze Ungarns mit Schlesien und Galizien breite
Thalstrassen herabf&hrten. Wie an das Siebenbdrgische Gebirge an der obe-
ren Theiss stösst der Earpathenzug an das östliche Elbgebirgsland mit Su-
deten, Riesengebirge und Lausitzergebirge, wodurch der Uebergang naoh
Mitteldeutscbland und den dort zuerst dauernder sesshaft getroffenen Yolks-
stammen angebahnt wird. Die hier (nach Plinius^ Bemerkung) in Germanen
ober||[ehenden Sarmaten erfüllen nun den Osten mit dem unbestimmten Klang
iiires Namens, anfangs neben dem scythischen, bis dieser ganz Tor ihm ver-
vehte. Welche Yerwirrung die Verwendung dieser unbestimmt generalisiren-
den Titulaturen hervorgerufen hat, ist allzu bekannt, und bei dem heftigen
Streit über Mongolen, Türken, Slaven, Medier, Finnen vergass man ganz die
völlige Incongruenz dieser Grössen und ihre rein fictitiven Werthe, die noch
niemals ethnologisch fixirt sind.
Es handelt sich zunächst um die Localitäten, von denen her Völker zu
erwarten stehen, und dann um den jedesmal eigenthümlichen Typus mit den
möglicherweise eingetretenen Variationen.
Der flache Abfall Asiens nach Norden bietet in seiner topographischen
Gleichartigkeit wenig Anlass zu ethnischen Verschiedenheiten und hat in
Folge seiner Unwirthlichkeit jeden Aufschwung des Volkslebens bis zu histo-
rischer Bedeutung niedergehalten. Erst südlich von der Confluenz der ganz
oder zum Theil vom Ural gespeisten Flüsse (der Tura, Tobol, Pyshma u. s. w.)
^ den Irtisch, sowie am oberen Laufe dieses beginnt in der besonders bo-
^«ö8ch fixirbaren geographischen Provinz West-Sibiriens einige Gliederung,
<lie sich ebenso in den historischen Geschicken dieses Gebietes bemerkbar
njacht. Im Ganzen waltet indessen auch hier die Steppen-Region vor, und
Jas Deltalaad des Ozus und Jaxartes, das (gleich dem des Euphrats und
4 Die Sfellimg des Kaukasos innerlialb der geecliichtliclieü Volkm-beweigfaiigen.
Tigris, des Hoangho und Jantsekiang) Cultorstädte hütet, ist ganz Yon der-
selben umbrandet, bis sich ihre Wellen an der Bergterrasse Khorassans und
Afghanistans brechen, sowie an der Meridiankette des Bulut-tag oder (der
Plateau -Auffassung nach) dem transversalen Wall des Alai, wodurch der
Osten und Westen Asiens in zwei geschichtliche Hälfben geschieden wird.
Von den parallelen Querländem^) des Ostens lässt sich das nördliche (mit der
westlichen Fortsetzung im Thianschan Pe-lu) als Heimath der Mongolen, das
südliche als die der Türken aufEeissen, unter Beherzigung der nöthigen Gau-
telen bei Anwendung dieses Namens auf Turkmanen, Truchmen, Uiguren,
Seldschukken, Osmanen u. s. w. Soll in ähnlicher Weise auch fär jene west-
lichen Nomaden ein comprehensiver Name aufgestellt werden, so mag man
den der Kirgisen oder Eaisaken (Eirgis-Kaisaken) wählen, gemischt oder
benachbart mit türkischen und mongolischen Zersplitterungen, mit uzbekischen
Kreuz ungsformen und anderen tatarischen Bildungen.
Die mongolische Physiognomie^) ist die breitknochig platte, die türkische
eine durch Yerjängerung weniger flache, die kirgisische aufgedunsen plump.
Ihnen gegenüber steht die kaukasische oder arisch -semitische mit schärfer
eingeschnittenen Zügen, wie es schon durch ihren vorwiegenden Charakter
als Culturvölker bedingt wird. Bei solchen muss sich stets die grössere Man-
nigfaltigkeit des geistigen Lebens in ihrer Physiognomie spiegeln, und um-
gekehrt kann länger dauernde Isolirung unter gedrückten Verhältnissen auch
sie mit dem stumpfen Ausdruck des Wilden stempeln, wie sich an den Ir-
ländem von Connaught (17. Jahrh.) zeigte.
Der kirgisische Typus, als ein widerstandlos weicher, wird immer leicht
durch den festeren Stempel der Mongolen oder Türken umgeprägt, oder auch
durch den der schon gemischten Uzbegen, wie überhaupt die in den Städten
siedelnden Kirgiseti (gleich Kiptschaken und Kalmüken) den Namen der Uz-
begen adoptiren (s. Vambery). Geschichtlich haben deshalb die Kirgisen
wenig nachhaltig eingegriffen und auch die neuerdings durch die kleine Horde
(Ustjurt-Kasagi) nach Nadir's Abzug in Chiwa begründete Herrschaft wurde
bald durch Mohamed Emin Inag (aus dem uzbegischen Stamme der Kungrat
oder Konrad) gestürzt.
Betrachten wir die Einzugsthore nach Europa, so ö&et sich als das wei-
teste das am Nordrande des Caspi, wo die Berge des Ural in die Ebene aus-
laufen und der Weg zur Wolga führt, deren Ufer jetzt die den Kirgisen zwi-
schen geschobenen Kalmükken nomadisiren sehen. Die Nordspitze des Ural
endet in unwirthliche Wildniss, dagegen gestattet die mittlere Depression einen
der Kama folgenden Zugang, von ugrischer Umgebung begleitet. Von hier
mochten also finnische Völker, über uralo-caspischer Schwelle kirgisische oder
deren Verwandte Europa betreten.
Die bereits erwähnte Thatsache, dass die im Osten heimischen Kalmük-
ken (oder Mongolen) im Westen jenseits der Kirgisen wohnen, liefert ein
Beispiel zu den yielfachen Verschiebungen, die hier die Verhältnisse compli-
Die StaUoiig d«B Kaükastu innerhalb der geschichtlichen Völkerbewegongen. 5
dren. Tflrken sowohl wie Mongolen sind zu wiederholten Malen für occi-
dentalische Zage aufgebrochen, ond bei beiden ist ein erstes Hervortreten
ans ihren Sitzen bereits von geschichtlichem Lichte beleuchtet, bei deA Tür-
ken, als die Seldschnkken mit den Arabern in Berührung kamen, bei den
Mongolen, als Djingiskhan seine Eroberungen begann, so dass diese genauer
analysirbaren Fälle auch zu Aufschlüssen für früheie benutzt werden können,
die im mythischen Nebel begraben liegen. Nach Süden hin werden die Kir-
ghis-Kaisaken durch die Erhebung Manf^schlak's begrenzt gegen die Turk-
menen, die Toranier dem iranischen Kreise gegenüber, innerhalb welches die
Nachriditen der Classiker (von Aria und Ariana) in vielfach gebrochenen
Gestateongen spielen, als Uiyat, Lnren und Kurden, als Aimak (mit Hesareh,
Dsdionsidi, Firuskahi, Teimoni), als Ausläufer nach Afghanistan*) nnd Be-
lntschistan. Diese grösstentheils durch den Gebirgskranz vom Elburz bis
Hindaknsch nmschlossenen, und wie einst in persischen Parthern, so jetzt
in den Kadjaren (bei Asterabad) die Wacht gegen turanische Torkmanen lie-
fernden Stämme waren von der nordöstlichen Strasse nach Europa abgeschnit-
ten, nnd hätten überhaupt nie Veranlassung haben können, die Richtung nach
den Steppen einzuschlagen und so auf ungeheuren Umwegen neae Steppen
aufzusuchen. Wenn aus der von Ptol. zu Cerman') (der Germanoi) gerech-
neten Wüste die Arii (Plin.) oder (b. Strabo) Areias, die Sagartii (b. Herod.)
oder Stämme der Paropamisaden nach Europa gelangten, so konnte es nur
dorch die Pässe des Kaukasus geschehen, die auch von den Daher, Mardi
oder (s. Steph.) Amardi, Cadusier (mit Gelae), Witii, Anariacae u. s. w.
benutzbar blieben. So lange die eisernen Thore nicht geschlossen waren,
fokrten die Pforten*) des Kaukasus direct aus Medien an die mäotischen
Ufer des Pontus, und obwohl jeder kräftige König, der die Throne Armeniens,
6eor)(iens oder Persiens bestieg, diese FallthOr zu schliessen suchte, so wurde
sie doch stets periodisch wieder durchbrochen, zuletzt wahrscheinlich (in der
Richtung von Süden nach Norden) durch die Chasaren, da bald nachher Kos-
roes seine Mauer baute, die, wenn auch nicht intact gehalten, doch nicht
wieder gänzlich zu Boden geworfen wurde. Seit jener Zeit wälzen sich nur
torkisch-mongolische Stänune heran (wie Hunnen, Avaren, Petschenegen, Ku-
tanen), oder etwa von Nordosten her finnische (wie die Bulgaren).
Der Gebirgsstock des Kaukasus bildete gewöhnlich ein Standquartier, in
dem sich die dort gesammelten Stämme kräftigen konnten, um als Suoni (zu
Strabo's Zeit) über das umliegende Flachland zu herrschen, oder als tscher-
kessische Kaisaken im Mittelalter. Der natürliche kürzeste Handelsweg, der
von Indien über das kaspische Meer f&hrt, setzte die zahlreichen Caravanen
der (von Strabo) auf nördliche Verwandte bezogenen Aorsen und Siraken in
Bewegung oder später der Alanen, dann der Ultziagiri (neben den Saviri),
der den nowgorodischen Pelzhandel kreuzenden Hunuguri u. s. w., und hatten
schon zu Herodot's Zeit den buntscheckigen Markt von Dioscurias hervor-
genifen.
6 Die Stellung des Kaukasus innerhalb der geschichtlichen Volkerbewegungen.
An jenen von griechischen Colonien omsäumten Gestaden massten sich
demnach die verschiedenartigsten Elemente zusammenfinden, die anter dem
Namen scythische generalisirt, türkische, mongolische, kirgisische Rassen-
Eigenthümlichkeiten deckten, während dem sarmatischen Nebenzweig iranische
Zuthaten nicht fremd waren, und der Localverkehr die mit dem Hochgebirg
verknüpfenden Bande wenigstens bis zum cimmerischen Bosporus hin straffer
erhalten mochte.
Einmal angelangt in den Steppen zwischen Don und Dnepr (Dniestr
und Pruth), dem grossen Rendez-vous sarmatisch-scythischer Nomaden, sahen
diese zwei Wege vor sich (die beiden natürlichen Handelsstrassen, denen
auch der Handel der pontischen Griechen gefolgt sein muss), einmal zur
Weichsel (etwa mit der seitlichen Abbiegung, der noch als letzte die Avaren
folgten, ehe ein deutsches Reich erstarkte), oder zweitens zur Duna und
(da sich auf dem einförmigen Wege keine Verführung zum Bleiben bot) direct
zur Mündung, wo eine Ueberfahrt nach Scandinavien^) ermöglicht war. Die-
ster in entgegengesetzten Richtungen mehrfach durchmessene Weg lässt sich —
deutlicher als in dem Mythen-Nebel, der die Äsen der Asagarta oder Sagar-
tier in Aspurg deckte oder in dem, gothische und herulische Züge umfangen-
den Halbdunkel — in der warägischen Besetzung Russlands erkennen, sowie
noch in dem Feldzuge Carl XH., der von Stockholm zum Pruth führte.
Obwohl sich der Kaukasus als Bergland in verschiedene Erhebungen
abstuft, so sind die bewohnba;ren Niveaudifferenzen doch nicht bedeutend
genug, um darnach die Bevölkerung (wie etwa in Peru) zu zertheilen, und
auch der Ackerbauer der Thäler hat sich von dem wandernden Hirten nur
wenig entfernt, so dass in der Hauptsache ein durchschnittlich einheitlicher
Typus für den Kaukasus als anthropologische Provinz beansprucht werden
kann. Ob Gleichheit oder Verschiedenheit, hängt allerdings hier, wie überall,
von dem angelegten Maassstabe ab. üebereinstimmende Gleichheit gilt für
den Kaukasus in Gegenüberstellung sonstiger Haupttypen der Umgebung,
aber innerhalb dieses einheitlichen Zusammenhanges hebt sich eine immer
grössere Menge von Nuancen in vielerlei Schattirungen hervor, je tiefer die
Detailkenntniss in die entlegensten Bergwinkel eindringt.
Zu Herodot's Zeit lag die Präponderanz in den Scythen, die vom Osten
Asiens eingewandert waren, und die Sarmaten, in denen (wie den Sigynnen)
medische Einträufelung vermuthet wurde, galten als gewaltsam weggeführte
Golonisten jener (b. Diod.). Dass aber derselbe Boden seit den Zeiten der
Abier schon vielfache Umwälzungen erfahren hatte, zeigte, wie das Verschwin-
den der Cimmerier, der vorgeschobene Posten der Geten, und ähnliche Er-
schütterungen zur Zeit der mithridatischen Kriege liessen die kaukasischen
Elemente ausströmen, die sich als Vorläufer der Völkerwanderung bemerklich
machen. In dieser treten neben den Völkerbünden, die im Verständniss des
gemeinsamen Interesses abgeschlossen wurden, und ritterlichen Abentheurem,
die sich für Erreichung eines bestimmten Zweckes organisirten, häufig auch
Die SteUanf dw Kaukasus innerhalb der geschichtlichen Yölkerbew^gungen. 7
die biaher, als onterwoifene, nameiilosen Völker auf, wenn 8ie sich, wie an
der Donaa, gegen die jadzygischen Herren erhoben, oder in den Bagaudae-
Banden der Slaven und Anten die umgebenden Länder in Schrecken setzten.
Wie früher der der Zychen (Sygen) und Eerketeu, oder später der der Kai-
saken, übertrug sich auch der Name der Anten oder (im Derbend-Name)
Dscholi-Ajid auf die Tscherkessen (Adyche) oder Antiche (nach Schera-
Bekmursin-Nognow). ,,Helden und vornehme Fuhrer hiessen Nart, welches
Wort ans Nar-Ant (Nar oder Auge) verkürzt ist.^
Die Tscherkessen kämpften in Panzerrüstung mit Schwert und Spiess,
wie die Normannen mit ihrer Streitaxt (die ebenso den Massageten zukommt)
imd die Cadusier, während der Gebranch der Pfeile hervorgehoben wird bei
Sagailiem, Boxolanen, Jazygen, aber auch bei den Gothen und den von
ilmeo abgeleiteten Parthem, den gefurchteten Bogenschützen Asiens (wie die
Xatriya Indien's). In nordischen Ländern wird Bogen und Pfeil nur für
Zwecke der Jagd erwähnt Die SchifSahrten der Waräger die Wolga hinab
ins Gaspische Meer, sowie der Vikinger längs der Küste der Ost- und Nord-
see schlössen den Gebrauch der Pferde aus, die damals vielleicht in Scan-
dinavien ebenso selten waren, wie die deshalb mit besonderer Heiligkeit be-
trachteten Rinder. Der rege Verkehr, der eine Zeit lang zwischen Byzanz
und Scandinavien, wie die dortigen Fupde bezeugen, bestand, schloss sich
an den orientalischen Handel an, der noch zur Zeit der italienischen Colo-
nien seinen Weg zum Theil über die Erimm nahm (im gothischen Chazarien).
Pannonien war von jeher das Land der Herren, unter jenem von den Sach-
WD (in Pana Witekind) bis zu den Siaposch und Qpin-kafir in Bamian (oder
Wunistan) in ihren Göttemamen (Pulis-panu, Adsak-panu, Matika-panu u. s. w.)
bekanntem Titel der Bane, die freilich häufig ihren Dienern weichen mussten,
wie (387 p. d.) die zu den Yictohalen flüchtenden Sarmatae Liberi vor den
Servi. Gleichzeitig mit Samo (f 658 p. d.) warfen (nnter Euwrat) die Bul-
garen das ihnen (den als Nachfolger der Hunnen in deren Fusstapfen gefolgr
ten Eroberem) vom Chakan (630 p. d.) auferlegte Joch der Obern oder Ava-
ren wieder ab (s. Leg. St. Dem.), aber^das von Euwrat stammende Geschlecht
der Chane wurde ausgerottet, als sich das Volk in nationaler Reaction erhob,
om (762 p. d.) aus seiner Mitte (den Slaven) Teletz zum Führer zu wählen.
Die Leitung ging wahrscheinlich, wie stets in derartigen Rassenkämpfen, von
dem Bastardgeschlecht creolischer Mestizen aus, enifuysvreg fieza Bovlyd-
{uov Kai Idßaqiov xai ttSv IniTidiv ei^vixiur. Amerika liefert hierfür Beweise
fortwährend in seinen republikanischen ^Revolutionen und ebenso Afrika. Die
Fnibe, die 1534 p. d. in Fouta-Toro das Reich der Siratik begründeten, wur-
den von der angewachsenen Mischrasse *^Jder Torados vertrieben und flüchte-
ten als Sissilbes nach Galam, wo ihnen die Niederlassung in Bondu ermög-
Ucbt wurde, so dass hier die rothen Fulbc den schwarzen zu weichen hatten,
wie die rothen Caraiben in St Yincent ihren schwarzen Sprossen. Die Fulbe in
Foniar^allon würden wahrscheinlich (selbst nach der Errichtung der Almamy-
g Die Stellniig des Eaukasas innerhalb der f^MchichÜiehen Volkerbewe^nf^.
Würde) ein ähnliches Schicksal erfahren haben, wenn sie nicht den mit Skla-
vinnen gezeugten Kindern rechtliche Gleichstellung mit den Herren gewährt
hätten, und in dem durch Danfodio's Eroberungen gegründeten Staate gehen
die Herrscher rasch in ihren civilisirten Unterthanen auf, wie bei Verfall des
Römerreiches die Germanen in den von ihnen besetzten Provinzen. Die im
Anschluss an die weissen Sultane Ghanata's (s. Ahmed Baba) über die Serra-
koleh (seit dem Zusammenschluss der Ssenhadja unter dem Banner der AI-
moraviden) herrschenden Berber wurden (1204 p. d.) durch die einheimischen
Susus gestürzt, und noch schwärzer fiurbte sich die gebietende Dynastie, als
die Mandingo Melle's (1260 p. d.) die Oberhand gewannen. Mit Askia oder
Sikkia wurde im Sonrhay- Reich die Eönigsfamilie fremden Ursprungs durch
eine autochthon am Niger wurzelnde ersetzt, und in Bomu bestieg mit Abd-
el-Djelil (f 1220 p. d.) der erste Neger den Thron, auf dem bis dahin die
Nachkommen (rother) Himjariten gesessen haben sollten. In anderen Thei-
len Afrikas führten die Erhebungen gegen die Franken oder Freien (wie sich
Malinke, Fantih, Amazirgh u. s. f. nennen) zu Sklavenkriegen, wie im Alter-
thum.
Gehen wir von den wandelnden Bildungen der Nomaden-Völker auf das
jedesmalige Centrum der grossten Schwere als Mittelpunkt der Ausbreitung
zurück, so wird sich ein solches (wie bereits bemerkt) für die Mongolen im
Osten nördlich von den Ausläufern des Thianschan und für die Türken im
Süden derselben finden. Von hier aus waren sie, so oft durch die Erstar-
kung China's ein Einbruch in diese reiche Beute versprechenden Cultursitze
verschlossen war, nach Westen hingewiesen, und dort finden sich nun über-
all die zerstreuten Trümmer, die bei ihren verschiedenen Durchzügen zurück-
geblieben sind. Im Mawarannahr erscheinend, kommen die Mongolen aus
dem Thianschan Pe-lu, die Türken aus dem Thianschan Nau-lu, und während
die letzteren sich häufig in südlichen Bergpässen Fortgang erzwangen, von
Chorassan zum Kaukasus, vom Hindukusch nach Indien weiterwanderten,
bewahrten jene vorwiegend eine nördlichere Richtung bis zu der noch jetzt
von Ealmükken umschwärmten Wolga, obwohl auch ihre Geschichte Staaten-
gründungen in Persien verzeichnet und die Hesareh noch im Typus (wenn
auch nicht mehr in der Sprache) frühere Anwesenheit an A%hanistans Gren-
zen bezeugen.
Auf diese beiden Quellen lässt sich die Hauptmasse der Nomadenstämme
Asiens zurückfuhren, die turkmenischen mit ihren Vorposten bis Syrien und
pontischer Küste E^einasiens oder osmanischer Umwandlung einerseits und
andererseits uszbögische oder burätische, und die in den für Weide geeig-
neten oder durch Verwüstungen in Weide verwandelten Flächen des irani-
schen Culturlandes streifenden Reiter schliessen daraus entnommene Elemente
ein, obwohl ihnen ausserdem der ursprüngliche Kern des alten Ariana zu
Grunde liegt, der (neben den unter den Ansiedlem zersprengten und deshalb
selbstständiger Kräftigung entbehrenden Ilijat) für sie am meisten charakte-
Die SiBlhiiig des Kaukasus innerhalb der gesebichtlicben Volkerbewegungen. 9
ristisch (als auf dem weitesten Areal) in Sejestan hervortritt oder heutzutage
(anter den Tschihar-Aimak) in den (nach Ehanikof) den Tadjik^*) ähnelnden
Dschemschids am Mnrgab, während die im Laufe der Geschichte (besonders
bei den zur Schutzwehr herangezogenen Markmännern) in einander über-
gefahrten Phasen in den Nnancirungen der Meder, Daher, Parther, Ephtha-
liter spielen, oder in den östlichen Eushan (Pahl-Shahasdan oder Bactriens), die
ein westliches Bergland (Daghestan als Gopistan oder Eohistan) der Luren
oder Bakthiari (in Susiana) wiederholen.
Innerhalb der so auf doppelten Zufluss aus Osten mit südlicher Einmün-
dung auf den asiatischen Heerweg nach Europa eingeleiteten Strömungen hat
sieb nun ein unabhängiger neuer Wirbel gebildet, wo das den Continent in
seine Geschichtsh&Iften scheidende Meridiangebirge in der Seen -Region, an
deo Srizen der Bumten, endet und so beim Mangel der nördlichen Parallel-
kette des Ostens hier im Westen das mittlere Asien in das polare überfliesst.
Indem aus den Zwischenländem des Tobol und Irtisch, die (gleich denen des
Oxns und Jaxartes) zu Terschiedenen Epochen") (bis auf Tjumen) historische
Gründungen haben entstehen sehen, ein Herabdringen'') von dem hier gebo-
tenen Ansatzpunkte aus Statt haben konnte, zeichnete sich der kirgisische
(kaisakische) Typus von dem mongolischen und türkischen in deutlicher um-
schriebenen Zügen ab, als die sonstigen Uebergangsstufen nach Neugestal-
tung strebender Mischungen, und füllte das Terrain jenseits des Aral bis zum
Pamir, während er durch die Erhebung Mangischlak vom türkischen getrennt
mtrde und nördlich vom Caspi mit dem mongolischen durch einander lief.
Die asiatischen Cultursitze, die den Gang der Geschichte bedingen und
(leghalb die durch denselben bedingten Nomaden in engeren oder weiteren
Kreisongen an sich fesseln mussten, sind geographisch angezeigt und für den
Osten in chinesischen Chroniken yerzeichnet, für den Westen in den unsri-
gen. Balkh, als Eingangsthor nach der indischen Halbinsel*^) (mit mythischer
Stadtepracht) und Archipelago (dem in sich abgeschlossenen Südtheil des
Continentes), Bochara und Samarkand in ihrem Mesopotamien (dem Baby-
lons und Ninivehs entsprechend), Persepolis und Arm^r auf dominirenden
Hochlanden, Kabul, Herat, Merw, Mesched und Nischapur, dann (von dem
balbinselartig gegliederten Arabien und seiner südlichen Blüthe abgesehen)
alle die Häfen, die an den Küsten Kleinasiens hellenische, an denen Syriens
phönizische Cultur spiegeln.
Für den Eintritt nach Europa stand das Völkerthor am Nordufer des
caspischen Meeres offen. Spärlicher floss der Seitenstrom durch die mittlere
Abdachung des Ural, nur in Folge gewaltsamer Revolutionen liessen sich die
Pforten des Kaukasus sprengen, und das am Bosporus früh erwachende Ge-
tdiichtsleben yertrocknete dort die Einträufelung, die Mysier in Moesier oder
omgekehrt verwandelt haben sollte, und die die vor der argolischen Coloni-
sation zu Emathea in Macedonien herrschenden Päonier (teucrischen Ursprungs)
10 Die Stellung des Kaukasus innerhalb der geschichtlichen Volkerbewegungen.
mit den jenseits von Theiss und Donau wiedergefundenen Pannoniem yer-
knüpften (unter Zuziehung der Dardaner).
Auch in Europa stimmen die der Geographie zu entnehmenden Lehren
mit denen überein, die die Geschichte thatsächlich gewährt. Was in deut-
lich historischen Zeiten (an der Wolga bei ihrer Vereinigung mit der den
Ural erweiternden Kama, an der angenäherten Wasserverbindung mit dem
Don, an der zur Siedelung einladenden Mündung) bulgarisches Kasan, mon-
golisches Serai (Serder), chasarisches Atol oder Balangiar (auf der Stätte des
späteren Astrachan) zeigen, muss sich vielfach schon firüher in Perioden wie-
derholt haben, bei denen die Zerrissenheit der dunklen Nachrichten die Ver-
einigung zu einem klaren Bilde erschwert. Der nachmalige Schwerpunkt des
russischen Reiches konnte erst dann gewonnen werden, wann in Kiew (das
in seiner günstigen Lage begünstigende Reize von reich besetzter Küste em-
pfing) und im nordischen Nowgorod Stützpunkte geboten waren, um die in
Moskau gekreuzten Pläne zu festigen. Früher dehnten sich dort die mit
Androphagen schreckenden Wüsten (b. Herodot), von Rhoxolanen mit lleer-
den durchwandert (b. Strabo), von Hamoxobier oder Ejuigli, wie die Gallier
Ilium's (216 a. d.) auf Karren fahrend (im Tabord der Kosaken) oder (nach
Jemandes) von Acatziren, bis sich von gegenüber liegenden Küsten her ein
eigenes Volksleben gekräftigt, um vom baltischen Meere die Anregungen des
pontischen zu beantworten.
Hier zwischen Don und Dniepr (bis zum Dniestr und der Ebene Bad-
zak) breitete sich der grosse Tummelplatz der Völker, die vom Norden herab
oder über die mittlere und untere Wolga hereingezogen waren, und ihnen
mischten sich dann diejenigen bei, die von den Hochgebirgen des Kaukasus
ab- und zufiutheten. Als solche erscheinen den Scythen gegenüber die Sau-
romaten, dann die Aorsen und Siraken, in weiterer Ausdehnung die Alanen.
Sie alle haben ihren Rückhalt am Kaukasus, ob sich, wie bei den Chasaren,
die Durchbräche chronologisch fixiren lassen, ob ein zeitweises Auf- und Ab-
schwellen Statt findet, wie zwischen zychischen Tscherkessen und kosaki-
schen Kaisaken in der Vielfiftchheit ihrer Namensdeckungen. Die scythische
Verallgemeinerung bildet das Gros der östlichen Völker, wie der ihnen fol-
genden Sarmaten, bei denen die medischen Elemente in den speciellen
Fällen durch Analyse abzuscheiden sind. Die Zuthaten der ugrischen Vol-
ker vom Ural her markiren sich besonders seit den Bulgaren in kenntlicher
Weise.
Der Anhaltspunkt, auf den sich die skolotische Macht am Dniepr (und
Gerrhus an der Fähre des mit seinen Brüdern von den Chasaren hergeföhr-
ten Kii bei Borytschew's Auffahrt) stützte, wurde später auch von den Pet-
schenegen (von den Kosaken als Scarbnica Woyskawa) benutzt, und der
Name der Peuciner knüpfte sich an die Insel Pence, die den Triballem als
Zufluchtsort gedient
Diese hatten vom südlichen Ufer der Donau die Geten verdrängt, ein
Die Stellang des Kaukasus innerhalb der ji^escbichtlichen Volkerbewe^ngen. H
Volk, das jetzt auch auf dem nördlichen Ufer seines früheren Aufenthaltes
wegen, als zu den Thraciern gehörig bezeichnet, aber ethnologisch**'^) (b. He-
rodot) ausdrücklich von diesem getrennt wird, und die Vorhut der östlichen
Wandenrölker bildet, deren äusserste Pioniere als Sigynnen in den Theiss-
and Donau- Ebenen streifen. Die Geten waren an der unteren Donau allen
Wechseliallen ihres offenen Landes ausgesetzt, besonders auf dem celtischen
Beatezag (225 a. d.) bedrängt und wahrscheinlich schon damals Ton diesen
Erbauern eines byzantinischen Thule mit den nordischen Verwandtschafts-
neigungen durchtränkt, die besonders rege auftraten, als nach dem Siege über
Domitian die Nachkommen Gapt^s als Anses gefeiert wurden. Jedenfalls er*
warben die Geten in ihren Kämpfen mit den Gelten (und vielleicht durch
direde Betheiligung dieser, wie in der Bewa£fnnng der Japoden am Mens
Albias) kriegerische Organisation, die dann zur Vernichtung der Skordisker
and Gründung des gotischen Staates in einem durch Theiss, Donau und trän-
sjlvanischen Bergen wohlgesicherten Lande führte. Die seit den Zeiten der
frommen Abier in den Geten liegenden und durch Zamolxis' Lehren auf den
fernen Osten deutenden Gulturkeime, die schon früh unter den Figuren thra-
cischer Sänger manch werthvoUe Gaben in hellenischer Vorzeit geboten, mö-
gen in der Hauptstadt des Boerebistes (ein würdiger Nachfolger des philo-
sophischen Dromichates) aus der Pflege des Dicaneus zu jener reichen Lite-
ratur aufgewachsen sein, die der ravennatische Anonymus benutzte. Das
Meiste wird zu Grunde gegangen sein, als die Dacier oder (nach Eust.) Daer
von den (sarmatischen) Jazygen in die Berge getrieben wurden, denn das
(b. Jomandes) sarmatische Reich des Decebalus in Sarmizegethusa scheint
Dnr ein entstelltes Nachspiel des früheren gewesen zu sein, und die Gothen
selbst erscheinen dann in ihrer eigentlichen Form erst wieder in der Nähe
der ursprünglichen Sitze bei den Kämpfen mit Decius in den Sümpfen des
Ister oder (nach Zosimus) des Tanais (251 p. d.). Den metanastischen Ja-
zygen gelang es zuerst, sich dauernder (bis zum einheimischen Aufstand der
Limigantes) auf dem sonst nur unbestimmt pannonisch gefärbten Boden zwi-
schen Donau und Theiss zu halten, und über diesen Fleck der Erde sind die
wilden Stürme der Völkerwanderung wilder dahingefegt, als über irgend einen
andern, da er nicht nur (wie die Nachbarländer) am Ein- und Austritt der
Donau (bei Pressburg und Belgrad), sondern auch (bei den Theisquellen)
von Norden her geöffnet ist, in 'der Lücke der Earpathen östlich der Tatra,
wo Poprad und Dunajez zur Weichsel, Waag und Gran zur Donau abflies-
sen, sowie längs des im Thal der Marc aus Siebenbürgen niederführenden
W^es. Die Jazygen berühren die Quaden, die schon in die germanische
Geschichtsentwicklung hineingehören, und so endet hier die Betrachtung des
mmittelbar in historischen Zeiten ausgeübten Einflusses der asiatischen Wan-
derungen, abgesehen von den auf nördlichen Steppen der Polänen aus jaz-
wingischen oder gudischen Beimengungen schillernden Abzweigungen, die
12 Die Stellung des Kaukasus innerhalb der geschichtlichen Volkerbewegungen.
an den Halibo-Eästen aus dem Ostland als Aestyer hervortreten and als
Asiens Äsen weiterziehen.
In Asien ist es besonders von Bedeutung, die Beziehungen der Noma-
denstämme zum persischen Reich zu studiren, da von diesem (als Nachfol-
ger der älteren Weltmonarchie) die Geschicke der f&r Europa wichtigeren
Hälfte seines Nachbarcontinentes regiert wurden, und so der alte Kampf
zwischen Iran und Turan sich beständig durch Nachzuckungen im Westen
bemerklich gemacht hat
In Asien ist der Culturboden durchgehends Yon Steppenstrichen durch-
setzt, wodurch sich das Nomadenleben überall zwischen die Ansiedelungen
einschiebt und dadurch die Geschichtsthätigkeit beständig in Athem erhält
Ein Reitervolk ist an sich auf das Kriegs- oder Räuberhandwerk hingewie-
sen, und obwohl es unter dem Zwange kräftiger^Gesetze das Aussehen fried-
licher Hirten*') annehmen mag, wird es doch immer leicht durch die lockenda
Beute der Civilisationsguter zu thätlichen Eingriffen verführt werden, wenn
kein entschiedener W^iderstand zu fürchten ist. Es ist deshalb leicht erklär-
lich, weshalb wir in der Mehrzahl der Fälle Reiterdynastien die asiatischen
Throne besteigen sehen. Es mag dann und wann eine nationale Reaction
Statt haben, wie unter den Sassaniden und Seffiden in Persien, unter den
Ming in China, aber häufiger werden Mandjuren, Toba, Kadjaren, Seldschuk-
ken und Tataren mit allen ihren Verwandten das Scepter schwingen (und
dann wieder die Aufgabe des seldschukkischen Sultan Sandjar zu erfüllen
haben, in Bekämpfung ihrer beim Nomadenleben verharrenden Stamm-
genossen).
Trotz aller historischen WechselfUle zeigt Persien gegenwärtig eine eth-
nische Physiognomie, die bei gleichem Milieu der unter den Achämeniden ent-
worfenen (mutatis mutandis) entspricht, und neben den Ansässigen (Tasch-
tah-Kapa) die Wandrer zeigt, als Sahra-nischin (Feldbewohner) und in der
Uebergangsstufe die Schehr-nischin (Städter), wie die (von Timur) nach Achal
(gegen die Salor) versetzten Tekke in Tekke Aachalnischin (nomadisirende
Ackerbauer) und Tekke gum nischin (Unstäte) zerfallen. Und nicht nur bei
den Uiyatstämmen, sondern auch bei den Turaniem der Grenze bekundet sich
das Anziehungsgesetz, die in Iran Weilenden zu iranisiren, besonders bei
gleichzeitiger Paarung (wie unter den Göklen). Die Gründung des medischen
Reichs, mit dem die Geschichte Asiens dem semitischen Bereiche ferner ge-
rückt wurde, führt die ursprüngliche Benennung noch auf die Arier Ariana's,
die als Ariaspae (Zariaspae oder Arimaspae) oder Agriaspae Drangiana be-
wohnten, als die edlen Euergetes Sedjestan^s, und sich Cyrus bei Kabul
als Aswaken entgegenstellten. Die Erhebung der Perser unter Cyrus ging in
der Hauptsache von den Pasagarden aus, zu denen die Achämeniden gehör-
ten, wahrscheinlich besonders unterstützt von den (b. Steph.) an die Küste
von Asterabad gesetzten (durch die Parther nach Mazenderan getriebenen)
Sagartiem oder Asagarta, die in der Satrapie neben Bergstämmen (kurdische
Die Stelhing des Kaukasos innerhalb der geschichtlichen Yölkerbewegnngen. 13
Thamanäer, bakthiarische Utier u. 8. w.) stehen, aber auch neben den Saran-
giem'*) (Sarancae mit Asii bei Bactriens Eroberung) in Drangiana und von
Dadus zu den Medern oder Parthem (s. Rawlinson) gerechnet werden, wäh-
rend Ktesias die gegen den medischen König Astibara empörten Parther die
Sacae zu Hülfe rufen lässt. Das nach der macedonischen Eroberung aufge-
richtete Reich der Parther trug einen verschiedenen Charakter, denn während
die Regierung der von dem Epos an Feridun und die Heldenkaiser der Vor-
zeit angeschlossenen Achämeniden im Volke wurzelte, war die der Parther
eine verhasste und unwillig getragene, weshalb Ardeschir (s. Agathangelos)
bei seiner patriotischen Ansprache auch die assyrischen Erinnerungen der
Peraer (wie sie ebenso Xerxes theuer waren) wach rief. Die Parther sind
ongefibr da zu placiren, wo jetzt die der königlichen Familie verwandten
Ea^aren als Hüter an die Grenze gesetzt sind, aber über ihre weitere Her-
kunft, ob aus Dahae (b. Strabo), ob ex regiono Europae (b. Q. Curtius), ob
ans Balkh*^) (b. Mos. Chor.) hat sich vielfache Discussion erhoben. Einen
Zusammenhang mit den Dahern — besonders seit dem (b. Josephus) als König
der Medier bezeichneten Artaban oder Ardevan, der (nach Tacitus) bei den
Dahern erzogen wurde, bei Ersetzung der Ashkanier durch die Ashganier
hervortretend — zeigt die geographische Lage, mit Balkh die Gleichzeitigkeit
der bactrischeu^^) Erbebung unter Theodotes oder Deodates mit der parthi-
schen (250 a. d.) und das Naheliegende europäischer Beziehungen beweisen
die damaligen Ereignisse, die (278 a. d.) Gallier (unter Leonorius und Luto-
riiis) nach Bithynien geworfen hatten, sowie die Umwälzungen, die unter De-
placirung der Scythen durch Sarmaten zur Gründung pontischer Reiche und
später zu arsacidischen*") Königen der Alanen und Massageten führten. Go-
thische Söldner dienten in den Heeren der Ptolemaer und der Feldzug Pto-
lemäos' Euergetes bis Babylon, der (nach Appian) mit dem parthischen Auf-
sUmd gleichzeitig war, mochte die Sage von parthischen Colonisten des Se-
aostris erneuen, während Jemandes die parthischen Verbannten (b. Justin.)
auf zurückgebliebene Gothen aus dem Heer des Tanausis bezieht, die nach
dem Feldzug gegen Vesovis dem medischen Verbündeten Soranus Hülfe ge-
bracht
Als Kern der Parther werden die Pamer oder Apamer genannt, neben
den Xanthoi und Pissuri. Die letzteren wären, beim Mangel sonstiger Ana-
logien, jener weit verbreiteten Namensfonn anzuschliessen, die von hämischen
Bessoi und illyrischen Pissini (b. Polyb.) durch Westgothen bis zu petzinaki-
schen Bessi und Bisseni (türkische Bisurmanen) führt (in Pessinus der Se-
bastenoi Tolistobogigai wiederholt). In Xanthoi (Scandoi oder Ascandoi in
Xanthus) liegt das den Grriechen aus Thessalien (der Thetalier) bekannte
Blonde, das die Vorläufer der (schwedischen) Ruotsi oder Russen den Ala-
nen in den Roxolanen anschliesst. Wenn Pamer dem Parther entspricht, so
ergäbe sich das Gemeinsame im (iranischen'*) Bar (Par) oder Var, jenem (hun-
nisch) als Land (der Var-Cbouniten in avarischem Hunnivar der bulgarischen
14 Die Stellung des Kaukasus innerhalb der gascliiclitlichen Yolkerbewegungefl.
Antivar) erklärten Wort, das in germanischen Stammen auf Wehr (and Grenz-
wacht) zuräckgeföhrt ist ans W. vaijan (s. Zeuss) bei Chatuarii, Angrivarii,
Bractuarii, Baiovarii, Ansivarii, TsvTovnaQoi^ Bardi oder Longobardi und
Barthen, Vidivarii als Waringar, Rumveriar oder Romovarii u. s. w.) und (in
Armenien) bei der Satrapie Pame (s. Emine) im parthischen Barthevian (zu
Narses Zeit) wiederkehrt. Die Beschreibung des scythischen Einfalls in Me-
dien und der Herrschaft aber Asien gleicht bei Herodot mehr einem Beute-
zuge, wie ihn nordische Warägerbanden (oder die den Medem freundlich
gesinnten Gothen) zu unternehmen pflegten, als der Eroberung eines dafür aas-
ziehenden Volkes, und die Anknüpfung durch Kriege mit den Massageten ist
nur eine lose, da zwei Versionen der Stammessage auf einheimische Entste-
hung (mit Beihülfe der griechischen Factoristen) deuten. Jenseits des Panti
capes berührten sich die ackerbauenden Scythen mit den wandernden, deren
es der Natur des Bodens nach dort stets bedarf und deren Affinitäten aof
die östliche Fortsetzung der Steppen nach Asien hinweisen konnten, aber
die Königlichen Herren am Gerrhus^), die in diesen alten Sitzen der Cim-
merier hyperboräische Bor (oder Buri) und Borysthenes-Sagen bewahren moch-
ten, waren (nach Herodot's Bemerkung) von den Unterjochten völlig verschie-
den (wie auch von den Melanchlaeni). Die Verallgemeinerungskraft des an
den der Sacae angeschlossenen Namens hat in der Völkerwanderung die ver-
schiedensten Nationalitäten gedeckt, und erhielt sich auch bei finnischen
Tschuden, die damals, wie später, zum Tributzahlen verurtheilt sein werden.
Medien erstreckte sich (nach Herodot) bis gegen Georgien hin und war nur
durch die Iberer oder Saspirier von Kolchis getrennt. Die Wanderstämme im
medischen Reich werden deshalb vorzugsweise das Gepräge kurdischer Jelali
getragen haben, und beim Eintritt in den Kaukasus das för diese Bergregion
charakteristische, mit dem sie dann als Medorum soboles (b. Plinius) in den
pontischen Steppen auftreten. Besonders auffällig erschienen sie jenseits des
Kaukasus wegen der zu den Amazonen -Mährchen führenden Selbstständig-
keit) des weiblichen Geschlechts, wie sich solche bei den Hesarah (den Ber-
bern von Shehri-Berber) und Aimak findet und in Tibet mit d^ auch in
Parthien erwähnten Polyandrie verknüpft ist. An den Namen Sarmaten'*),
auf armenischer Unterlage ruhend, schliesst sich die fürstliche Herkunft von
Hermes, die von Thracien bis Germanien wiederholt wird und sich in dem
(agathyrsischen) Gebrauche der Gelonen mit Dionysos, dem nach Indien wei-
senden Säuglingsgotte, verknüpft. Die Handelsverbindungen der EUndu mit
den Sindem bei Pbanagoria wurden von den Aorsen'^) und dann von den
bis zum Ganges wandernden Alanen (s. Amm. Marc.) vermittelt (wie später
durch Brahmanen in Astrachan).
Die Massageten, auf welche die Geten (durch das Zwischenglied der
Tyrangeten) zurückfuhren, würden ihrer geographischen Lage nach zn den
Wandervölkem des östlichen Caspi gehört haben, die als Ausläufer des ari-
anischen (oder des arischen innerhalb des arianischen), wenn nicht an sich
bw SteÜuiif das Kaukasus innerhalb' der geschiclitlichen Volkerbewegtmgen. 15
inoiBok, leidit iranisirt'*) werden mochten and die parthische Modification
zeigen, wie jetzt die (von Aga Mohammed placirten) Eadjar oder (entfernter)
die Gokle. Mit welchen Vorgängen die gotische Bewegung nach Europa
znsunmenking, ist (als vorgeschichtlichen Zeiten angehorig) nicht überliefert,
immerhin müsste sie jedoch die ethnologisch zwischen liegenden Sitze der kir-
gisischen (kaisakiachen) Provinz durchbrochen haben. Diese, als die Europa
nächste, gab dort deshalb auch die scythische Generalisation des Namens für
die Wanderrölker im Allgemeinen, und die speciell im Westen erscheinen-
den Skoloten waren (nach der natürlichen Lagerung) von den Massageten
im Osten gediftngt (s. Herodot), wo die Yölkerreihe bei Aristeas weiter zu-
TQckEahit auf Issedones (auf später als Yueitschi erscheinende Völker) nnd
Anmaspen, die (serischen) Grenzwächter (sinischer) Hyperboräer. Der phy-
sische Habitus der Scythen (d. h. der zwischen eingebornen Georgioi oder
Ackerbaaem auf den Triften umherziehenden Hirten) entspricht (b. Hippo-
bates) am meisten dem heutigen der Kirgisen, und unter ihnen fand sich
dami eine Herrenklasse, die schon damals auf den zu allen geschichtlichen
Zeilen (bis ins 18. Jahrb.) zwischen Scandinavien und Pontus Statt haben-
den Verkehr (friedlicher oder feindlicher Art) hinweist
Das arische Element in den Massageten liesse sich noch nicht als ein
specifisch modisches in ihren europäischen Aussendlingen bezeichnen, da die
Tremrang vor die Gründung des Reiches von Ekbatana fallen würde. Es
»chliesst sich vielmehr an die zur Zeit der bactrischen Herrschaft alter Pesh-
^klier vom Paropamisus (mit bereits indischer Färbung im Hindukush) nach
Korden gerichteten Bewegungen, wie sie neuerdings die Dschemschidi (jetzt
am Mn^iaab) bis an den Oxus geführt hatten (s. Vambery).
Während der Blüthe des persischen Reiches erhielten kräftige Könige
(in Bezwingung der Turanier) den politischen Status quo, als aber nach
Alezander's Tode die in die Daner der Moulouk-al-thewaif gehörigen Zerrüt-
tungen der mittelasiatischen Staats Verhältnisse eintraten, konnte der Durch-
gang durch die schlecht bewachten Pässe des Kaukasus zu verschiedenen
Malen erzwungen werden, und so erschienen in den pontischen Steppen die
sanoatischen Horden mit Jazygen, Roxolanen, dann Aorsen und Siraken oder
(als Suoveni zwischen Oka und Wolga) die Alanen, deren Typus im Beson-
deren als modischer aufgefasst wurde.
Bis dahin war Europa vom Mongolischen und (von tuscischem Reflex,
Mich im lelegischen Altes, abgesehen) in der Hauptsache ebenso von dem spe-
ciell Türkischen unberührt geblieben, da während der Thronstreitigkeiten mit
der Tschen-Dynastie China für die östlichen Nomaden eine leichtere und
Daher liegende Beute darbot. Als ihnen dagegen mit der Vollendung der
grossen Mauer unter Schihoangti (3. Jahrhund. a. d.) dieses Plünderungsfeld
^werer zugänglich wurde, begann das Drängen nach V^esten, in Folge des-
sen zunächst die Indoskythen nach Kabul und Indien geworfen wurden, und
dann die Hiumen die Wolga überschritten. In mächtiger Türken -Dynastie
16 I>ie Stellung des Kaukasus innerhalb der geschichtlichen Yolkerbew^gongsa.
tlironten die Chane der Thokia (die die Pseudo-AYaren Yon sich auBstieBsen)
am goldenen Altai, and mit den durch arabische Verbreitung des Islam in
Transoxiana au%ewilhlten Gährungen wurden die Seldschukken hei^erufen,
denen (auf den Wegen der schwarzen und weissen Hammel) die Osmanen
bis nach Iconium^^ und dann an den Bosporus folgten.
Die am Rande der Wüste lebenden Bechuanas und Nama werden im
Kampfe mit ihren Stammesgenossen bestandig als zeitweis unterliegender
Theil von den Stärkeren hineingeschoben, und bilden dort (wo weder Acker-
bau noch Viehzucht Beschäftigung gewähren kann) das Waffenhandwerk, an
das sie sich im letzten Widerstände mehr und mehr gewöhnen mussten, am
so vorwiegender (besonders für Jagd) aus, so dass sie dann leicht wieder den
Umwohnenden als räuberische Obiqua (gleich den San) ge&hrlich werden, oder
als die Soldtruppen der Tamaha in Dienste der Ovambo-Konige treten. Aehn-
liehe Verhältnisse treten vielfach im Hegemonien-Wechsel der Völkerwande-
rung auf, und auch (wie später bei den an Fällen geschützten und dort auf
Raub vigilirenden Zaporowem) bei den Nordmännem, die ebenfalls als Pira-
ten schwärmten oder in fremde Kriegsdienste traten in Folge von Heimath-
losigkeit und Enterbung, die in diesem Falle nicht nur durch Rival-Kämpfe,
sondern auch durch die den ältesten Sohn begünstigenden Gesetze des Lan-
des bedingt sein mochte.
Als erster Jaga kam der gegen seinen Lehnsherrn im Innern aufstän-
dische Colazingo in die Länder Angola's und wurde von den schon oft durch
die Raubzüge der (bis Congo erobernden) Jagas in Schrecken gesetzten Be-
wohnern als Herrscher anerkannt, damit er sie schütze. Ihm folgten Gongo
und Calunga, so dass sich die drei Dynastien Colaxingo, Gongo und Calunga
gründeten, wie die Rurik's und seiner Brüder unter den Slaven Russlands, und
gleich dem Fell-Tribut, den die Chazaren erhoben, lassen sich die Matabele
von den Makalaka Katzenschwänze (Moschi) steuern.
Das Fürstenthum Tmutarakan fiel (XII. Jahrh.) durch (tscherkessische)
Kossogen und deren Beziehungen mit Russland erneuten sich (1552) in den
Krim-Kriegen. A. B.
(Fortsetzung folgt.)
Anmerkun|gen.
0 Die Einwirkung des Milieu auf den Menschen wird nicht durch das Klima als solches
bedingt, sondern durch den, in Wechselbeziehung desselben mit dem Boden, fixirten Charakter
des bewohnten Landes. Unter denselben Temperaturgraden mögen zwei gänzlich verschiedene
Stamme als Nachbarn neben einander leben, je nachdem die Umgebung des einen ein wohl-
bewässertes, zum Ackerbau fähiges Land bietet oder eine verbrannte Wüste, die wenn nicht für
Jagd allein, nur noch far Viehzucht geeignet ist So wandern mongolenähnliche Horden zwi-
schen den Feldern und Städten der (arisch erscheinenden) Tajik, und so steht neben dem Hot-
tentotten der vielfach abweichende Buschmann, der alle die aus Bechuanen, KafTem, Khoi-
Khoin entnommenen Mischungen (seiner Dialect- Verschiedenheiten) gleichartig nach dem Typus
seiner anthropologischen Provinz modificirend umgestaltet. Bei Verwechselung dieses benach-
barten Milieu findet immer leicht diejenige Acclimatisation statt, die bei den in ein völlig frem-
Die Stellung des Kaukasus iimerbalb der geschichtlichen VölkerbewegungeiL 17
des Elima Eintretenden meist nur precäre Lebensfristnng herstellt, und da diese den Agentien
des Makrokosmos drohende Gefohr rasch überwunden wird, eigentlich gar nicht zu bestehen ist,
gelingt es dem tfenschen bald sich wieder in Harmonie zu seiner Umgebung zu setzen, d. h.
den von der anthropologischen Pre^inz geforderten Typus anzunehmen, und die auf neuem
Boden veränderte Lebensweise ruft bald die Veränderung des physischen Habitus hervor, wie
sich sogar auf demselben Boden zwischen den einzebien Klassenstofen der gleichen Gesellschaft
leigt
*) Der Organismus des Negers, in Reduction der Wärme erzeugenden Athmungsfunction
und entsprechender Vennehrung der vicarirenden Leberthätigkeit (mit Pigmentausscheidung in
dem mit dem Intestinaltract in Beaction stehenden Hauptapparat) ist deutlich auf Wärme- Ver-
minderung angelegt und ruft jene kühle Oberfläche hervor, die den üppigen Orientalen zur Be-
Norzugung der Negerinnen seines Harems während der Sommermonate veranlasst Bei dem
IS&kimo ist umgekehrt der Athmungsprocess ein so reger, dass die von ihm ausströmende Hitze
dan Europäer (nach Granz) lästig^ und drückend wird. Das frische arterielle Blut, das so in
nscben Schlägen das Hirn des Polarbewohners durchströmt, macht ihn trotz seiner traurigen
Umgehosg zu einem fröhlich aufgeweckten Völkchen, während der Tropenländer, durch dickes
v^räes Bhit in geistiger Entwicklung gehemmt , in der herrlichsten Natur melancholisch dahin
bröla hoü und oft die schönsten Stellen Indiens zum Selbstmorde aussucht oder selbst in den
TiDißü seine amerikanische Schwermuth nicht abzuschütteln vermag. Dass bei so durchgehender
Verschiedenheit der Lebensbedingungen und der für richtige Erfüllung derselben eingerichteten '
CoDstitution das bereits ausgewachsene Individuum sich nie mehr einem neuen Medium mit vöUiger
ifflfflunität wird acclimatisiren können, ist an sich klar. Glückliches Ueberstehen der kritischen
Knnkbeit mag Möglichkeit der Fortezistenz (obwohl nicht in voller Gteeundheit) gewähren, und
(üe Nachkommen werden sich insoweit dem Klima anarten, um eine eigene Creolenrasse zu bil-
^ (wie in Westindien , in Neuseeland und Australien, als Petits Blancs in Bourbon u. s. wOi
(der aber, bei gleichzeitiger Paarung mit den Eingebomen, allmählig in diese übergehen, wenn
sich nicht, wi« bei Caiusos, Papuas, Eabugl u. s. w. ein neuer Typus bildet
*) Währemd im Anorganischen die Individualität gewissermassen ausserhalb der Zeit besteht,
^ im Augenblick der Geburt, nachdem der Kristall angeschossen, auch schon der Verftdl be-
90At, lebt das organische Individuum in der Zeit, in der es sich entwickelt, und auch über
^ £inzehiexistenz hinaus in der Verallgemeinerung durch die Gleichartiges zeugende Fort-
A^ioznng fort. Bei der in den höheren Thierklassen hervortretenden Geschlechtstheilung kann
^ Product des Kindes weder genau mit dem Vater, noch mit der tf utter identisch sein, son-
(iem muss, um beiden gerecht zu werden (je nach den präponderirenden Anziehungen der einen
^ anderen Seite), ein nach den Gesichtspunkten der zwei Seiten indifferentes Dritte herstel-
«&• Bei einer in fremde Umgebung versetzten Rasse wird dann die Mischung mit der einhei-
iDttchen jede Generation weiter zur Verähnlichung mit dieser (durch fortgehende Substitution
<ier abnehmenden Aequivalente durch die ununterbrochen einquellenden) hinüberführen.
*) There Stretch out two great arms of habitable country embracing between them the
iopracticable Desert of Gobi (or the Takla-Man of the Toorks). These two tracts of habitable
'^^trj run along the bases of the Northern and the Southern ranges of the mountains Thian-
»kaa and Kuenhin (Shaw).
*) Der Schädel der Turkomanen ist länglich, die runde Kopfform der Kirgisen zugespitzt.
^ Oezbegen heissen Jogum- kelle (Dickschädel) Das Gesicht der Karakalpaken ist flach (s.
Vambery). The inhabitants of Eastem Toorkistnn are far from being pure Tatars. Gompared
«ith the nomadic Kirghiz and even with the more civilized and mixed tribe of Oozbeks, the
Ben (tf Tarkand have a decidedly Aryan look (s. Shaw).
*) Die A^^ianen (Aschganen) oder (in Indien) Patau (Parthan) stammen von den vor Ar-
^icachir geflüchteten Parthem, die (nach Ferdusi) nach Indien zogen oder (nach dem Nasekh-
Attewarykh) nach dem Hedjaz (s. Gobineau). Zu Hasudi's Zeit hatte sich die Religion des
Hiott ma im Königreich Koushifii erhalten.
0 Nach d«n Tartaren waren die (nach den Kalmükken) von den Brahminen stammenden
'^ciüiehen vor undenklichen Zeiten in ihre Länder nordwärts aus der persischen Provinz Ker-
Ott gezogen (s. Zwick). Fehr fut nomm^ Koreisch, Gauth est connu sous le nom de Saufa.
La famille de Gauth jouissait du privilege de faire passer les pelerins ä la sortie d' Arafat
ZtitaclirUt far Ethaolosie, Jahrgaog lS7i. 2
lg Die SteHong dei Kankasiis innerhalb der gesehkhtliohen Volkerbewegrungen.
(Eichhorn). Expeditionem perseqnens (Asaadns, res Jemaneneis) Jathrippam (Medinam) Ingres-
sns est Ibi tribus Ansiorum et Ghazrahiorom congregatae, negotium patraelis ei exponunt,
ejusque improbas oppressiones. Eis auditis Judaeos crimine liberat (s. Schaltens), und wird
durch die jüdischen Gelehrten fon der Zerstörung der Kaaba abgehalten (nach Nowairi).
") Pharasmanes (König von Iberien) öffnete (in Verbindung mit den Alanen) die P&sse des
Kaukasus den ihm verbündeten Sarmaten, während die mit dem parthischen König Artaban
verbündeten Sarmaten die Pässe am caspischen Meer nur in der Winterzeit hatten passiren
können (s. Saint -Martin). Vagharsh besiegte die (unter Venaseb Sourab) durch das Thor von
Djor einbrechenden Khazaren und Pasil (Basileioi oder Berzilier).
*) Die bei Einwanderung der germanischeu Völker (über Russland) nach Dänemark (in nörd-
licher Abzweigung) ziehenden Gothen siedelten an den Küsten Scandinaviens bis nach Gotland. .
Die Svearn Hessen sich (im Eisenalter) in Manheim (Upland) nieder und die ihnen folgenden
Normänner begaben sich auf dem nördlichen Wege nach Norw^en (s. Worsaae). Den schwe-
dischen Forschem ist es neuerdings gelungen, aus den ungarischen Funden Vergleichungspunkte
festzustellen, die bald ein überraschendes Licht auf manche bisher in dichter Finstemiss ver-
laufene Völkerstrasse werfen müssen.
10) The tradition regarding the Toonganees Is that they are of nuxed race, bred between
the Tatars invaders and Chinese women (s. Shaw). The Taranchees are also settlers, bat of
much more recent date (in Zungaria).
H) ]>ie Araber (die die Perser als A^jem bezeichnen) heissen Da^jig (Tadjik oder Barbaren).
Die Tazy (bei den Armeniern) donnent le nom de Dadjik k tous lee peuplee qui professent la
religion musulmane (Langlois). Nach Saint-Martin wurde Bactrien bei den Chinesen als Ta-hia
(Di^a) bezeichnet. Die im Westen an der Stelle büinerlich gesitteter Tadjik stehenden Tat
schliesst ihr Name an (barbarische) Tataren. Die Vachanes in Badakshan (mit der Hauptstadt
Feizabad) haben (nach Vambery) den iranischen Typus unter den Tadjik am meisten bewahrt
1'^ Les Tatars pr^tendent, que les Chinois (Kara-Kitaiens) habiterent anciennement les bords
de rirtish vers sa source, mais que, pieusement effrayes du bmit que le vent occasionnait dans
les forets, regard^ comme les retraites sacrto du destin, ils s*^loignerent de ce s^jour d*alarme.
Nachdem die Ariconier (am Witsogda) den Pelzhandel der Samojeden bis zum Obi erforscht,
kamen die Russen (von Tataren und Samojeden geführt) zu den Tingoesiem am Jenisei (zur
Zeit des Grossfürsten Boris), dann zum Fluss Pisida von Osten kommend, »sie höreten wol ein
gross Gethön übers Wasser und hielten gewiss dafür, dass es der Klang were von Glocken* (an
den Grenzen Cathai's). Die Nowgoroder hatten das Gehämmer der Schmelzvölker gehört
^') II y a trois sortes d'Ostiais. Les premiers occupent les deux rives de Tlrtich et de
rob, ä leurs parties införieures, et dependent des provinces de Tobolsk, de B^^zov et de Sam-
ghant (se donnant le nom de Ghondi-Ghoui ou d'habitans des bords de la ri viere de Kouda),
originaires de la Permie (leur langue diffiirant pea du premier et du tchoude, mais ressemblant
plus particulierement au boghoulitche). La seconde espece d^Gstiaks est compos^ de toutes les
peuplades qui sont en possession des rives de l'Ob, en le remontant depuis la ville de Sour-
ghout jusqu'ä celle de Narim et aux embouchures des rivieres de Ket et de Tom (leur langue
se rapprochant beaucoup de Tidiome samoiade, ainsi que les dialectes des Kamaches de Kras-
noiarsk). La troisieme division d'Ostiaks est etablie dans la province de Jeniss^isk, pres du
fleuve auquel cette province doit son nom et s'^tend le long du Haut-Ket (leur langue ayant de
la conformitö avec celle ^e quelque tribus dans la province de Krasnoiarsk, savoir, celle des
Ärins ou Ariniens, des Kotoves, des Kaibales et des Assanes). Juchtiak (Ostiak) exprime (en
tatare) un ^tranger (homme grosier) ou fugitif (s. Stollenwerck).
1*) Les Khattis (une des tribus djate« entre le Tchenab et Ravi) sont identique de Katheens
(xa»aiot) IV. siede a.d.. Die türkischen Cha-tho (unter Tibet) werden (als Tagazgaz) zu den
Uiguren gerechnet Dans Chere-eddin le nom de Djeteh s'applique k Fancien royaome des Oui-
ghours (avec les villes de Hami et Tourfan), au pays de Euashgär et k la Dzoungarie actuelle
au pied de TAltai (formant avec le Maouaran-nahar en Transoxane et le pays de Kharizm le
royaume de Tchagatai). Sous les Khans de Djeteh Thistorien de Timour d^signe les rois du
Tchagatai, mais aussi des villes et des pays, attribues nominalement an Dj^t^h. Pour Cheref-
eddin, Djeteh et Mongolistan sont des termes synonymes, ä cause de Vorigine mongole des Khans
de Tchagatai, issus de Tchingiz-Khan (s. Vivien de St Martin). Die Länder der Mongolen und
Die SteUimg des Kaukasus innerhalb der geschichtlichen Volkerbewegungen. 19
der Djeta werden (b. Ebn-Arabshah) zusammengenannt (s. Quatremere). Das Land Djeteh er-
streckte sich bis Khatai (am Zafar-Nameh). Fischer nennt Tschat in Sibirien. Neben den Jat
var das untere Sindh (nach Ebn Haiikal) von Hajd und Bodha bewohnt Nach Matuanlin re-
sidirte der Fürst der kleinen Tuetchi in Fou-Ieou-cha (Poticha oder Peshawer). Unter Tanschi-
chai (150 p. d.) eroberten die Ssanbier (der östlichen Mongolei) bis Tomsk, und ihr in die Häu-
ser Hnshun und Toba zerfsiUendes Reich (235 p. d.) wurde (555 p. d ) durch die Tulga oder
Tahiiii (aus dem Stamm Aschina) gestürzt, worin der unter den Streitigkeiten bei Tobo-Ghan's
Tode (581 p. d.) als Oberherr anerkannte Abo-Chan (der Abaer [Avaren]) von Mochö-Chan Tschu-
löcho (588 p. d.) besiegt und in chinesische (Gefangenschaft geschickt wurde. Die den Hermini-
i-Uonen oder Türken (am Altai) unterthänigen Avaren (am Jaxartes) herrschten über die nörd-
licbeo Ogcrr (in Baschkirien), vor denen die Stämme der Yar und Ghunni oder Yarchowiten
(als blBche Avaren) nach Westen flohen und durch die Alanen nach Eonstantinopel gefuhrt
vQidsn (457 p. d ) , die Saviren besiegend (558 p. d.). Bei Harignola ist Armalek Hauptstadt
dtt mediBehen Chanaf s.
^ IGt Ausschluss der Grestonaeer (bei denen die Frauen um die Ehre des Begrabenwer-
dens mit dem Gatten stritten), der Trauser und Geten kennzeichneten sich die Thracier (b. He-
fodot), indem sie ihre Kinder in die Sklaverei verkauften, ihren Mädchen (nicht aber den Frauen)
ft^häi Hessen and Mussiggang für ehrenhaft hielten neben Räuberei, alles Gebräuche, die (als
besonders für Tscherkessen charakteristisch) den alanischen Repräsentanten der Albanier ent-
>l>reelMii würden. Die Taulantii, Nachbarn der Parthini , in Illyrien , verstanden die Bereitung
d« Meth aus Honig (nach Aristoteles).
") Die Felatah oder Fouta (<^ot^A) spielen im Westen Afrika's die Rolle der mit den //«<-
imatirfu (pelasgischen Philistern) in Beziehung gesetzten Hirtenvölker (die Agazi in Abyssi-
°Mn), die weil die sonst entbehrten Luxusartikel der Milch und des Käses bringend, von den
ackerbtuenden Negern gern gesehen und als temporäre Nachbarn der Dorfer unverletzt gehalten
werden, die die Rinder der Könige (wie in Bussa und Wowa) weiden mögen und die einstim-
mig ihres liebenswürdigen und ehrenwerthen Gharakters wegen von den Reisenden belobt wer-
den, durch Landers in Yoruba ebenso, wie durch Gaillie in Wasselen. Haben sie sich aber all-
^^ mit Hin- und Herwanderungen während der Sorglosigkeit , wie sie in Katxmga und an
uderen Negerhöfen herrschte, in den schwarzen Königreichen angehäuft, dann war mit poli-
tadter Einigung die Usurpirung der Macht von selbst gegeben, und dann verwandelten sich
in Gang der EreigniBse die friedlichen Hirten in jene wilden Horden, die Nuffe von Rabba aus
verwüsten, und die so vielfach die Ufer des Senegal in Schrecken gesetzt haben.
") In Bactrianis autem rebus, ut a Diodato rege constitutum Imperium est, deinde quo re-
pQgnante Scythicae gentes Sarancae et Asiani Bactra occupavere et Sogdianos (Trog. Pomp.).
'^ Arsaces herrschte über die Parther zu Pahl-Aravadin im Lande der Kouschan (nach
Mir A {MS Catina). Arsaces, Sohn des Königs der Thetalier (Parther) zu Pahl-Schahaadan im
I^e der Konschan (nach Pseudo- Agathangos). Einer alten Prophezeiung Zoroaster's wegen
verkürzten die Sassaniden die Ghronologie der Arsaciden (nach Masudi), so dass in der Folge-
i^ der Grofiskönige schwer lösliche Schwierigkeiten verschürzt wurden.
**) Wie Eucratides von Bactrien wurde Antalcides (von Kabul) und Antimaches (von Dran-
P>Di) durch Mithridates L (den partMschen Arsaciden) unterworfen (136 a. d.}. Die griechisch-
inlischen Könige (als Yasallen der Arsaciden) erlagen den (126 a. d.) in Sogdiana erscheinen-
^ Scythen. Azes, Nachfolger des Scythen Kadaphes, der das griechische Königreich in Indien
(unter Hermes) eroberte (120 a. d), war Yasall der Arsaciden und sein Sohn Azilises wurde
von Vicramaditja besiegt, bis die Indier wieder durch die Tocharen unter Khieou-tsieou hi
^ semem Sohn Tenkaotjeng (20 p. d.) unterworfen wurden. Bei den seit Yologeses I. von
^ Amdden abhängigen Tocharem folgte auf Kadphises (bis zum Ganges herrschend) die Dy-
nastie des Kanerkes, bis (mit Erhebung der Sa&saniden) die Herrscher von Kanudj unabhängig
*vdea (226 p. d.;. Mithridates, der Eroberer Bactra's (b. Mos. Ghor.), drang (nach Diodor) in
^^^^ ein. Nach Besiegung der bactrischen Griechen (129 a. d) tödteten die Scythen den
pvtlnaehen König Phraates U., der sie (von Antiochus Sidetes bedrängt) zu Hülfe gerufen, aber
Auszahlung des Soldes weigerte (126 a. d.). Nach Syncellos fungirte Arsaces (nebst seinem
Bruder Tiridatas) als seleucidischer Satrap des macedonischen Statthalters Agathocles {tna(»/rj^
20 Di® Stelliiiig des Kaukasus innerhalb der geschichtlichen Volkerbewegongen.
^ Gonst Porph. leitete seine Familie von den (armenischen) Arsaciden (auf deren Medaillen
der Doppeladler erscheint). Nach Faustus greift der arsacidische König Sanesan (mit Alanen,
Hunnen und Massageten) vom Norden des Kaukasus her seinen Verwandten (Gosroes IL von
Armenien) an. Die sich in Persien gegen Alexander's Nachfolger erhebenden Parther heissen
(bei Abulfaradj) Armenier, und die Armenier bezeichneten die aus Persien gekommenen Arsa-
ciden (von Balkh oder Bactra her) aU Balhavouni oder Pehlewane, wie der parthische Feldherr
(in Modjmel al tewarikh) Pahlawani Djehan (Asbied oder Thakatir) genannt wird.
'0 Plinius nennt Varini unter Yardili, Ptolem. Aoa{)nui^ Entstellung aus AZa{tvoi (nach
Zeuss) oder Ouuqvoi und Ovigowoif sowie (an der Weichselquelle) Avagtjyoif Aßagiroi, Theo-
derich setzte einen Warnen über die Sueven in Spanien. Die zu den Wamern zurückkehrenden
Heruler zogen mit diesen gegen die Dänen. Polybius setzt Warner und Franken an den Rhein.
Wami von Childebert besiegt (595). Angeln und Weriner werden in Thüringer begriffen. In
das Land der abgezogenen Sachsen treten Nordschwaben (Norsavi) an der Elbe. La tribu ap-
pelee Mordva (Merdian) a conserve la racine la plus pure de Merd (merthe, mourde), en Koumi-
tfourd ou Merdi de la Kama (Duchinski), wie in Sarmatien. Nach Schafarik waren die Tyssa-
geten Vorfahren der Wes, Hera und Mouroma. Die Endung were (fer) ist (s. Bertram) eine
äusserst häufige in ganz Esth- und esthmschem Livland.
'') Während die Zaporowischen Kosaken von dem Inselgewirr ihrer Kriegsschatzkammer
(Scarbnica Woyskawa) aus den Dniepr herabfuhren, um die Küsten Anatoliens zu plündern, bre-
chen von den Ebenen Budziack aus die Tataren (unter dem Khan der Krimm) verheerend in
Podolien und Ukraine ein und kämpften auf dem Rückzug mit fliehend abgeschossenen Pfeilen
(s. Le Vasseur). Beim Durchziehen Ihres Gebietes Behüteten sich die Kosaken in Wagenburgen
oder Tabord (1640). Wie die Boers während der Kriege mit Dinga in befestigten Laagem vor-
rückten, so die Jaga auf ihren Streifeügen in Angola (nach Vorschriften romischer Kri^kunst).
'^ In Parthia multae mulieres unum habent virum (Recogn. Clem.). Bei den Yetha, deren
Fürst in Patiyan (Badakshan) oder Fatinan residirte, heiratheten die Brüder eine Frau, wie die
(im Süden des Dekkhan den Nairs benachbarten) Pandu. Die Zaporowischen Kosaken haben
keine Weiber, sondern sind ein zusammengelaufenes Volk von allerhand Nationen und zum
Theil solche Leute, die um Uebelthaten haben flüchtig werden müssen (Maximilian von Wür-
temberg). Bei den Kosaken werben, wider die (Gewohnheit aller Nationen, die Mädchen um
die Jünglinge (Le Vasseur) 1640.
^) Seit Armenag tritt die vom Patriarchen Haik hergenommene Bezeichnung Haiasdanier
für die Armenier zurück, noch später in den Haiatheliten oder Ephthaliten nachklingend und
schon früh in dem der Achaier, aus dem vielfach von den westlichen Küsten des Pontus an
den östlichen wiederhallendem Echo herausgehört Dans la plupart des Pouranes les Bhodjas
descendent de Haihaia, une des grandes tribus des Tadava (dans le Mahabharata). Selon Tod
une tribu radjpoute des Baghelakhand porte encore le nom de Haihaia (Vivien de St. Martin).
Die (von Procop) bei Gorgo angesetzten Ephthaliten (Idalagan) oder (nach Priscus) OSyyoi xi-
^tt^iMai in Hunnia oder Tzinitza (b. Kosmas) heissen (b. Laz. Parb.) Koushan (Kushank) als
Thedalatzi in Tbedalia (b. Vartan). Die (über rothhaarige und blauäugige Chagass herrschenden)
Haohiui hiessen früher Dili (s. Hyacioth). Vartan zog (nach Vartabed) gegen Engir Idaghagan
(das italische Land) oder Thessalien (Thedalien). Matthias rechnet Parthien unter die Erobe-
rungen der Gallier, die die Creten unterworfen hatten.
^) Die Aorsi und Siraci (Siraceni oder Saraceni), die in den scythischen Sarmaten begrif-
fen, als axfivirai xal ynoQyoi lebten, standen im Bunde mit Phamaces und wurden auf Han-
delszügen (die die Aorsi seit Unterstützung des bosporischen Königs Cotys bis zu den befreim-
deten Römern ausdehnten) weit durch das südliche Asien geführt, wo damals die (später von
Chazaren adoptirte) Religion der vor Nebukadnezzar geflüchteten Juden in Jathrippa oder Me-
dina durch die Tobba (s Schultens) nach Indien geführt wurde, zu den schwarzen Juden Go-
chin's, dessen letzter Fürst sich (gleich dem Jainistischen) nach Arabien zurückzog. Die Hera-
klius (625 p. d.) gegen die Perser unterstützenden Chasaren, vor den Saviren (die die Urogen
oder Waragunder vertrieben) zurückgewichen (463 p. d.), besiegen die Ungarn (680 p. d.) und
erobern die Krimm oder Ghazaria (mit Livadia) als weisse Ungarn, während aus Libadia (ein
herulisches Helleuien) oder (litthauisch) ta Ahßai^a die Ungarn ausziehen, deren König Lebe-
dias (aus dem Stamm der Kavareii) Arpad (Sohn des Almus) im Auftrage des Ghagan (dem,
üeber yerschiedene Verwendungeii yon Conchylien. 21
b. Geogr. Arm., die Königin oder Chatun aus dem Volk der Barzilier beigfesellt ist) auf den
Schäd erheben liees (nach chazarischer Sitte). Die beim Einfall in Armenien (in Verbindung
mit Siraken) als weisse Ungarn (Akatziren) erscheinenden Ghazaren waren (nach Theophanes)
Ton den innersten Ge^nden Berziliens (königlicher Scythen) gekommen, wo Gobineau in Besila
Strabos BaaUttop Tdnri findet. Nach Thunmann waren die Barsilier oder (nach Mos. Chor.)
BasOier ein Stamm der Usen oder Rumänen.
*) Wie die Alanen eine Uebergangsform von Vorläufern der Hunnen zu (gothischen) Ala-
mannen bildeten, so beginnt (nach Vambery) die tatarische Physiognomie bei denjenigen turk-
maziiscben Clan zu yerschwinden, die durch ihre Alamane CTschapao oder Raubzüge) reichlicher
persische Sklaven bei sich einfahren. Ebenso iranisiren sich die weiter zwischen den festen
Anaedelungen Torlorenen Zigeunerhorden, aber Omamferenni nnyin kronkron, ein (mamferenni)
Ansiedler wird nicht rein (kein Eingebomer), wie es im Odschi-Sprichwort heisst. Die bis Fer-
nh ausgebreiteten Teimuni heissen (bei den Afghanen) ParsiTan, als persisch Redende (s. Vam-
bery), nnd ebenso haben die (mongolischen) Eesareh die persische Sprache angenommen. Die
(chmtheken) Alanen oder (nach den Chinesen) Asu bildeten die Stärke im Heere des Kaam
TOD (Ji&balek (naeb Marignola).
^ Während der Eroberungen Tschingis-Khan's (1220 p. d.) flüchteten die Türken unter
SoÜaan (Vater des Dundar und Enthogral) zu den westlichen Turkmanen unter den Schutz
iladin DI., des seldschukkischen Sultans Ton Iconium. Osman oder Othman (Sohn Enthogrul*s)
machte sieh Ton den Seldschukken unabhängig (1281 p. d.}. Turcas se appellari molesUssime
ferunt CTatari), probrique id loco ducunt, sed Besurmanos quasi gentem electam se nominari
gandent (Guagn.).
üeber verschiedene Verwendungen von Conchylien.
Von Dr. E. v. Martens.
(Vortrag, gehalten in der Berliner anthropologischen (Gesellschaft am 9. December 1871.)
Die Weichtheile der Schalthiere als Nahrung zu benützen, ist dem Men-
schen mit sehr vielen Thierarten aus verschiedenen Klassen gemein; furBe-
Dützung der festen Schalen als nützliches Werkzeug finden wir ein Vorbild
M8 der Thierwelt in den Einsiedlerkrebsen, welche dieselben als schützendes
Haas mit sich herumschleppen; als für das Auge ge&lliger Schmuck werden
Sckneckenschalen auch von den neuholländischen Atlasvögeln (^Ptilorhynchus)
in ihre Laubengänge getragen. Diese dreierlei Zwecke: Nahrung, Werkzeug
and Schmuck, sind es denn auch hauptsächlich, zu welchen Schalthiere bei
Völkern der verschiedensten Culturstufen mehr oder weniger massenweise
gesammelt und benützt, beziehungsweise verarbeitet werden; namentlich bie-
^ die beiden letzteren eine grosse Mannichfaltigkeit mehr oder weniger
origineller und erfinderischer Einfälle, die gegebene Form oder andere Eigen-
schaften für menschliche Zwecke zu benützen. Dennoch nehmen mit fort-
schreitender Cultur derlei Verwendungen mehr ab als zu, und manche An-
wendungen, wovon wir noch Beispiele in unseren Museen aufbewahren,
22 Ueber yerachiedene Verwendungen von Conchylien.
mögen dem Aussterben nahe oder schon ausgestorben sein. Denn wenn
einerseits jede Erfindung eines Werkzeuges oder auch eines Schmuckes ein
Fortschritt in der Cultur, eine Entfernung vom thierischen Zustand gewesen
ist, so ist es eben für die niedrigeren Culturstufen bezeichnend, sich an das
Nächste zu halten, die freilebenden Thiere und Pflanzen als Nahrung, ihre
Theile mit relativ geringer Umarbeitung als Werkzeuge und Schmuck zu be-
nutzen. Die ferneren Fortschritte der Cultur fuh];ßn aber dahin, nicht das
Nächstliegende, sondern das Zweckmässigste auch mit wohl grosserer, aber
doch mehr vertheilter MQhe zu benützen und die Form der Werkzeuge nicht
aus dem Gegebenen möglichst passend auszuwählen, sondern ganz neu zu
schaffen. Die Schalthiere, die für die Feuerländer das hauptsächlichste Nah-
rungsmittel bilden, weichen, wie das Wildpret der einstigen Germanen und
Rothhäute, mit fortschreitender Civilisation mehr und mehr dem Getreide und
dem Zuchtvieh; und wenn auch in neuester Zeit bei uns das Bestreben,
Fische und Muscheln wieder mehr unter die allgemeinen Nahrungsmittel ein-
zuführen, hervortritt, so ist dasselbe doch unzertrennlich mit dem zweiten
verbunden, das bisherige System des einfachen Kaub&nges mit dem einer
berechnenden Bewirthschaftung und Züchtung zu vertauschen, d. h. die Nah-
rungsthiere nicht zu nehmen, wie und wo man sie findet, sondern sie selbst
zu erziehen. Ebenso ist es einerseits erfinderisch und andererseits offenbar
minder roh, eine Muschel als Löffel oder Messer zu gebrauchen, wie die
Hottentotten und Feuerländer es machen, als mit den Händen die Speisen
zu zerreissen und zu Munde zu führen, aber eine weitere Stufe der Cultur
formt sich diese Werkzeuge selbst aus Holz oder Metall, statt die gegebenen
Formen der Conchylien dazu zu benützen. In ähnlicher Weise sind glän-
zende Schnecken und Perlmutterstückchen, irgendwie angereiht, der nächst-
liegende Schmuck 'für minder civilisirte Völker, während Gold schon mehr
Zubereitung erfordert, aber dann auch jede nur gewünschte Form annimmt;
das Tragen von Perlen in den Ohren ist eigentlich noch ein Stück aus der
Urzeit, wo dergleichen Schmuck nicht nur im Ohrläppchen, sondern auch in
der Nasenscheidewand getragen wurde. Aehnlich ist das Yerhältniss zwi-
schen dem Purpursafb, der sofort bei der rohesten Zerquetschung der betref-
fenden Thiere zum Vorschein kommt, aber trotz aller Mühe nie recht dauer-
haft gemacht werden konnte, und den Anilinfarben, welche die heutige Che-
mie aus den unscheinbarsten Stoffen darzustellen weiss.
Es ist in dem folgenden Aufsatz mein Bestreben, die mannichfaltigen
Verwendungen von Conchylien bei verschiedenen Völkern, soweit sie mir
bekannt geworden, zusammenzustellen nnd zwar einerseits die verwendeten
Conchylien- Arten soweit möglich genau zu bestimmen, als auch die geogra-
phische Verbreitung der einzelnen Gebrauchsarten und die Zeiten, aus denen
wir Nachrichten darüber haben, anzugeben, soweit dieses überhaupt aus den mir
'bekannten conchyliologischen und geographischen Werken zu entnehmen war.
Leider geben die neueren systematischen Werke über Conchylien nur wenig
üeber Yenchiedeoe Verwendmigan Yon Conchylien. 23
AodeatuBgen aber derlei practische Verwendungen und die Reisebeschreibun-
gen bezeichnen in der Regel die Arten zu ungenügend für den Gonchyliolo-
gen; es war daher eine Hauptaufgabe, aber auch Hauptschwierigkeit, beide
10 UebereinstimmuDg zu briogen; ich konnte sie auch nur theilweise losen,
theils durch eigene Erfahrung auf meinen Reisen in Ostasien, theils durch
die Stücke im ethnographischen „Eabinet^ des hiesigen Kunstmuseums, de-
ren genauere Betrachtung mir Prof. Bastian auf das Entgegenkommendste
erffl5ghchte. Daher wollte ich mich auch anfanglich auf die in Ostasien und
Polpesien üblichen Yerwendongen beschranken, von denen ich die Stücke
selbst gesehen ; aber die Mittheilungen, welche ich hierüber in der December-
sitiong der Berliner Gesellschaft ftr Anthropologie unter Vorzeigung einzel-
ner Beispiele machte, verschal mir sofort so zahlreiche einschlägige An-
giben, namentlich von den Herren Bastian, A.Braun, ▼. Brandt, F. Jagor
ofld £. Friedel, sowie später von Dr. Dohrn und Dr. Hensel, dass ich mich
eot0chlo88, diese geographische Beschränkung fallen zu lassen. Uebrigens
wurden absichtlich das weitläufige Kapitel der als Nahrung benützten Mollus-
ken kürzer behandelt, und die seit jeher so vielfach behandelten, Purpur und
Perlen, nur ganz kurz berührt, um für die Verwendungen zu Werkzeugen
und als Schmuck Raum zu gewinnen,. Von älterer Literatur war mir haupt-
Mchlich nützlich:
G. E. Rumph, D'amboinsche Rariteitkamer, Amsterdam 1705, fol. V,
der conchyliologische Theil übersetzt von Chemnitz, Wien 1766. Die
reichste vielbenützte Quelle für Niederländisch Indien.
PhiL Bonanni, Museum Eircherianum, Rom 1709, 4., wovon mir na-
mentlich die spätere Folio-Ausgabe von Battarra 1773 zur Hand war, die
übrigens den Text der ersten vollständig wiedergiebt. Dieses Werk ent-
hält manches hierher Gehörige aus Brasilien nach SamniJungen der Jesuiten.
Fr. Chr. Lesser, Testaeotheologia, Leipzig 1744, 8., eine hierin ziem-
lich reichhaltige Gompilation.
Martini und Chemnitz, Conchylien-Cabinet, Nürnberg 1769 — 1793.
11 Quartbände.
Aus der neueren conchyliologischen Literatur ist fast nur
G. Johnston's Einleitung in die Conchyliologie, übersetzt und vermehrt
von Bronn, Stuttgart 1853, 8.
ZQ n^omen; auch Woodward's manual of moUusea hat mir einige erwünschte
Angaben geliefert. Für die ältere geographische Literatur ist mir die
Allgemeine Historie der Reisen zu Wasser und zu Lande. Leipzig
1747—1774. 21 Quartbände,
namentlich durch ihr ausführliches alphabetisches Generalregister nützlich
geworden; von der neueren habe ich hauptsächlich die Werke über die eng-
lischen, franzosischen und russischen Erdumsegelungen für den vorliegenden
Zweck durchsucht, konnte aber selbstverständlich von den so zahlreichen
sonstigen Reiseberichten oder beschreibenden Werken über einzelne Länder
24 üeber Tenchiedene Yerwendnniiieii tob GonebyHen.
nnr gelegentlich und mehr znf&llig das eine oder andere darauf durchblättern,
so dass ich mir der Unyollständigkeit der folgenden Zusammenstellung durch-
aus bewusst bin; immerhin dürfte aber auch eine noch so mangelhafte Ueber-
sicht der so sehr verschiedenartigen Yerwendnngen mit einzelnen bestimmten
Beispielen yon einigem Interesse sein.
Es ist in manchen Fällen überraschend, wie die Benützung ähnlicher
Conchylien zu demselben speciellen Zwecke sich in. weit entlegenen Ländern
wiederholt. In einzelnen Fällen mag ein Volk den Gebrauch von dem an-
dern gelernt und angenommen haben, wie z. B. die Eauri als Münze, in sehr
vielen aber dürfte es wahrscheinlicher sein, dass die Menschen an verschie-
denen Orten unabhängig von einander auf den entsprechenden Einfall gekom-
men sind, da die Form der betreffenden Conchylien denselben oft sehr nahe
legt, z. B. die Benützung als Toller oder Löffel, sowie auch die Färbung
vieler leicht die Aufmerksamkeit auf sich zieht, und ihre Haltbarkeit gegen
Nässe und gegen massige Gewalt die Verwendung als practisch bewährt
Die nächstliegende materiellste Verwendung der Schalthiere ist diejenige
zur Nahrung und diese ist bei den Eüstenvölkem aller Erdtheile verbrei-
tet, in Grönland und Feuerland, den Mittelmeerländern, Japan und Nordwest-
amerika, Ost- und Westindien u. s. w. In der Regel sind es hauptsächlich
die niedrigeren Klassen der Bevölkerung, für welche diese Nahrung von Wich-
tigkeit ist, aber es finden sich auch aristokratische Luxusartikel darunter,
wie in Europa die Auster. Aus dem indischen Archipel erzählt Rumph, dass
die Eingebomen von dem grossen Turbo marmoratus „viel Wesens als Speise
machen und die Könige von Buton (südöstlich von Celebes) sich diese Kost
allein zueignen, weshalb ihre Unterthanen ihnen alle diese Schnecken brin-
gen müssen.^ Es ist allerdings auch ein königlicher grosser Bissen, denn
das Lumen der Mfi<idung dieser Art beträgt bis 90 Millimeter.
In den meisten Ländern werden die zweischaligen Muscheln den ein-
schaligen Schnecken als Speise vorgezogen; es mag sein, dass je geringer
die Ortsbewegung, desto zarter das Fleisch; gelten ja doch die festsitzenden
Austern und die eingekerkerten Pholaden als besonders wohlschmeckend.
Dabei herrschen übrigens auch mancherlei Eigenthümlichkeiten oder Launen,
namentlich bei den gebildeteren Völkern, während fär andere mehr oder we-
niger alle Schalthiere essbar sind. So wird in Holland die Miesmuschel,
Mytüus edulia^ massenhaft auf den Markt gebracht und verzehrt, in England
schon weniger geschätzt und in Nordamerika so ziemlich ganz verschmäht,
obwohl die amerikanische conchyliologisch sich nicht wohl als Art von der
europäischen scharf unterscheiden lässt, und umgekehrt wird Mya arenaria
in Europa wenig beachtet, gar nicht oder nur von den ärmeren Klassen,
z. B. auf den Hebriden, gegessen, aber in Nordamerika als Speise geschätzt;
sie heisst dort vorzugsweise „clam^ und es wurde sogar der Versuch gemacht,
die amerikanische in Europa zu acclimatisiren , obgleich hier noch weniger
als bei MytUua merkliche Unterschiede vorhanden sind. In Singapore wird
Ueber verschiedene Verwendungen von Gonchylien. 25
eine besondere Art der Miesmuschel, die grünbraim statt blaaschwarz ist,
Myttlus viridü L. ^ smaragdinus Lam, häufig zu Markte gebracht. Die Vor-
liebe ftr Austern haben die Engländer nach Nordamerika und Neuholland
übergesiedelt, so dass dort nun die einheimischen Arten, in Amerika die
lan^streckte Ostrea Virginiana und in Australien die runde 0. mordax und
purpurea eine Rolle spielen; Japan und Nord-China besitzen eine sehr grosse
^) 0' gigoB Thunberg^ die aber weniger geschätzt wird, so dass ich meine
Exemplare am Strand statt auf dem Fischmarkt suchen musste, und ebenso
macht man sich im indischen Archipel wenig aus den zahlreichen Austern,
die dort selbst ^auf Bäumen wachsen^ , d. h. auf den in's Seewasser eintau-
cbenden, herabhängenden Zweigen und Wurzeltrieben der Manglebänme.
EbeoBO wurden die Messerscheiden, Solen^ von den Alten und werden heute
noch Ton den Italienern geschätzt, dagegen im indischen Archipel nicht be-
eiltet, höchstens von den Chinesen eingesalzen, doch auch so als hart und
QOTerdaolich bezeichnet (Rumph S. 149, deutsch S. 142). Doch werden ver-
wandte Arten von minder abweichender Form in den verschiedensten Län-
dern gern gegessen, so SolecurtuB strigilatus in Italien, Cultellus javanicus in
Singapore, Novaculina constricta in Shanghai und die grosse Stliqua patula
(Dizon) in Nordwest-Amerika. Namentlich sind aber die Herzmuscheln und
die Venusmascheln fftst überall, wo sie in Menge vorkommen, als Speise be-
liebt; zu ersteren gehört z. B. das cockle der Engländer (etymdlogisch =» co-
qoille, eonchylium, nicht Cochlea), die clica der Spanier, die capa tonda der
Venezianer, alles Cardium edule^ während ich in Japan C Japonicum häufig
Kof dem Fischmarkte fand; unter letzteren ist namentlich die Gattung Tapes
sb überall beliebt hervorzuheben, so 7. dectissattis mit seinen Verwandten
e^Müy aureus und geographicua als päourde oder palourde in Südfrankreich,
als Yöngola (conchula) in Neapel und als capparozolo in Venedig bekannt,
und ebenso in Japan T. aemidecussatus DesK^ äsari genannt, auf den Philip-
pinen 71 variegatus Sow,^ beide dem europäischen decussatus conchyliologisch
äneserst nahe; ans anderen Abtheilungen der Vennsmuscheln nenne ich noch
die ,Pfeffermuschel". peverazza der Venetianer, Venus gallina^ die runde Cy-
äina Sinensis ^ auf allen chinesischen Märkten häufig, und die bunte ham&n-
gori der Japaner, Cytherea petechialis^ diejenige Muschel, welche mir in Japan
am häufigsten zu Gesicht gekommen.
Grossere einschalige Conchylien dienen zwar in sehr vielen Ländern,
wenn sie häufig sind, auch als menschliche Nahrung, doch in der Regel we-
nig geschätzt und nur von den niedrigeren Klassen benützt, so namentlich
Bacciniden and Muriciden, wie z. B. Buccinum vndatum in Nordfrankreich
und England, hier aber wie sein Verwandter Fusus (^Neptunea) antiquus viel
mehr noch als Köder für Seefische verwerthet, Murex trunculus und branda-
^, an den Mittelmeerküsten, sconciglio reale in Neapel, bullo maschio und
femina in Venedig, garusa und garusola in Triest genannt, Purpurea haema--
ttonuiy sakenm der Neger am Senegal, Concholepas Peruviana^ einst in eure-
26 Ueber Torscbiedene Verwendangen toh Conchylien.
päischeD Sammlangen selten nnd hochgeschätzt, in Chile. Auf einem chine-
sischen Markte anweit Hongkong fand ich einige wenige Exemplare der auch
noch so ziemlich seltenen Pirula tuba als Esswaare feilgeboten. Vorzüglich
aber fiel mir in Japan die grössere Anzahl einschaliger Conchylien auf dem
Fischmarkte auf, so dass sie, wenn auch nicht gerade an Stück- oder Arten-
zahl, aber sehr entschieden an Masse die Muscheln überwiegen; es waren
vor Altem das Hiesen-Meerohr, Ilaliotü gigantea, „awabi^, schon in Ernsen-
stein's Reise und sehr oft auf japanischen Bildern abgebildet (auch in Neu-
seeland ist eine ähnliche grosse Halioiü^ H, L-u^ beliebtes Nahrungsmittel
und wird von den englischen Colonisten deshalb mutton-fish, Hammelfleiscb-
Fisch, genannt, und auf Tasmanien war die ähnliche H. na£V09a ein Haupt-
nahrungsmittel der früheren Bewohner); femer eine Riesen -Purpurschnecke,
Rapana bezoar var. Thomasi^ „akai^, und eine grosse Perlmutter Schnecke,
Turbo cornutiis var. JaponicuSy „sasai^, während von den häufiger zu Markte
kommenden Muschelarten nur eine, Lutraria. mojcima^ eine ähnliche Grösse
erreicht. Schüsselschnecken oder Patellen, welche in verschiedenen Gegen-
den der Mittelmeerküsten von den ärmeren Klassen viel gegessen werden
und von denen ich auch auf Madeira ganze Haufen leerer Schalen vor den
Bauernhütten angehäuft fand, sah ich in Japan, China und dem indischen
Archipel nirgends als Nahrung von Menschen benützt, obwohl in letzterem
eine grosse Art, Patella testudifuiria^ nicht selten ist, bei der es sich wohl
lohnen würde.
Oft und an verschiedenen Orten, in Italien ebensowohl als in Indien,
wo schon der alte Rumph (S. 114) es betont, wird als Regel au%estellt,
dass die von aussen schönen, bunten und glänzenden Conchylien nicht zum
Essen taugen, öfters sogar schädlich seien; dieselbe Vorschrift hörte ich
mehrfach innerhalb und ausserhalb des indischen Archipels einschärfen, und
in der That werden die schönen Cypraea^ Conu9^ Voluta^ Mitra^ Tei^ebra^ Oliva
und Natka nicht gegessen; es gilt aber doch mehr nur fär die Schnecken,
als für die Muscheln, von denen gerade manche bunte und glänzende, wie
die schon erwähnte Cyiherea petechtalü und die Gattung Danax an vielen
Orten als Speise sehr beliebt sind; im Wesentlichen kommt es wohl darauf
hinaus, dass die fleischfressenden Schnecken der Eorallenrifie und des reinen
Sandffrundes mit Recht oder Unrecht gemieden werden, um so mehr als auch
einige davon mit ihrem Rüssel direct verwunden können (Conus^ Afürd)^ da-
gegen die Schnecken der Ufersteine (Litorina, manche Trochus) und der
Flussmündungen ((Jerühium^ Pirend), welche sich mehr von Pflanzen oder
vielleicht mikroskopischen Thierchen nähren, vielfach gesucht werden, sowohl
in Europa, z. B. Lü. litorea in England *), mehrere TrocAw*-Arten in Italien,
7V. colubnnus in Madeira, als auch in Indien. Auch bei den Muscheln sind
^) Litorina litorea wird in England und Nordfrankreich viel gegessen; sie bildete das ge-
wohnliche Frühstück des bekannten Gonchyliensammlers Hugh Cuming.
üeber Terschiedene Verwendangen von Goncfaylien. 27
im Allgemeinen überall die Bewohner des Schlammgrundes und des Brack-
wassers mehr geschätzt Zu diesen gehören die schon oben genannten Sole-
curtuSy Novaailina^ Cultellus und Cyclina.
Auch von Austern und Miesmuscheln werden diejenigen oft besonders
geschätzt, welche in schwächer gesalzenem Wasser gezogen werden, so die
Tom Arsenal in Venedig, vom Lago di Fusaro bei Neapel und vom Marc
piccolo in Trient (G. v. Martens, Italien, Bd. II. S. 441. 442); solche Austern
sind wohl auch die Ituroaifucx des Aristoteles.
Unter allen Völkerstämmen dürften gegenwärtig die Feuerländer diejeni-
gen sein, bei welchen Conchylien die wichtigste Rolle als Nahrungsmittel
spielen; es sind hauptsächlich die dort häufigen und grossen Patella-Avten^
P. Magellantca und deaurata^ welche sie an den Steinen und Felsen des Ge-
stades finden und mittelst eines Steines zertrümmern, um sich ihrer zu be-
nichtigen. Auch die früheren Einwohner der atlantischen Küsten Amerikas
scheinen viel Muscheln verzehrt zu haben; von den jetzt ausgestorbenen Be-
wohnern der Antillen werden ausdrucklich Muscheln und Wurzeln als eine
Hauptnahrung angeführt (Petrus Martyr, in der Allgemeinen Historie der
Reisen, Bd. XIII S. '^32); in Brasilien findet man an der Küste stellenweise
ganze Hügel von Muschelschalen als Koste der Mahlzeiten der Ureinwohner,
mit Grebüsch und selbst mit Bäumen bewachsen (Lact India occident. 1633,
S. 575; vgl. die von Lyell besprochenen Dämme am Santosfluss bei St Paul,
Alter des Menschen S. 25). Bekannt sind ähnliche Anhäufungen an der Küste
des nordamerikanischen Staates Georgia, in denen Pfeilspitzen, Aexte und
indianische Töpfe als directe Zeugen ihrer Bildung gefunden werden. Diese
'ohren uns unmittelbar zu den noch bekannteren „Kjökkenmöddinger^ in
Jutland und Seeland, welche von Conchylien hauptsächlich folgende enthal-
ten: Ostrea edtUüj Cardium edule^ Mytütis edulü und Litorina Ittarea] schon
die Namen der drei ersteren zeigen, dass es auch gegenwärtig noch vielfach
von den Europäern gegessene Arten sind. Im Gebiet des indischen Oceans
&Dd Dr. J. Stoliczka auf den Andamanen- Inseln derartige Koste, bestehend
MS Trochus Niloticus, Pterocera^ Turbo articulatus^ Murex adustiis und ver-
8cl}iedenen Arten von Nerita (alles noch jetzt lebende indische Arten), ve>
mischt mit Schweinsknochen, Topfscherben und Steinwerkzeugen (Proceed.
As. Soc. Bengal, Januar 1870).
Landschnecken habe ich in Ostasien nie zur Nahrung des Menschen
benatzt gesehen, obwohl Helia; pelionvphala in Japan, cicatricoea im südlichen
China, Nanina cUtHna auf Amboina u. s. w. häufig und gross genug sein wür-
den; auch aus anderen aussereuropäischen Erdtheilen sind mir wenige Notizen
hierüber erinnerlich. Dagegen spielen sie in Südeuropa einschliesslich der
asiatischen and afiikanischen Küstenländer des Mittelmeeres eine nicht un-
bedentende Rolle als Nahrungsmittel des Volkes; es sind hauptsächlich Arten
AQS der Gruppe der Helix pomcUia und H. vermiculata^ in Spanien nament^
lieh fi. Al&nensü und lactecu, in Griechenland H, Codrin^toniy in Syrien S. spi^
28 Ueber verschiedene Verwendungen von Conchylien.
riplana und Verwandte; in Italien wird von der kleineren hauptsächlich H.
Piaana^ in der Provence H, aperta als wohlschmeckend geschätzt. In Süd-
und West-Frankreich wird H, adspersa in grosser Anzahl verspeist, in Süd-
deutschland bildet H, pomatia einen Handelsartikel und dieselbe ist wahr-
scheinlich durch die Mönche, denen sie als Fastenspeise diente, bis nach
Norddeutschland und in die russischen Ostseeprovinzen verbreitet worden, da
sie sich hier auffällig vorzugsweise in der Umgebung früherer Klöster findet.
Schon die alten Bömer haben viel Landschnecken gegessen — man findet bei
Yarro und Plinius mehrerlei, selbst aus Dalmatien und Afrika, ihrem Ge-
schmack nach classificirt — und die romanischen Colonisten haben diese ihre
Lieblinge auch auf manche überseeische Punkte eben des Essens wegen ver-
pflanzt, so einige Arten nach Madeira und den kanarischen Inseln, Helix lao-
tea nach Montevideo u. s. w.
Mit den Süsswassermollusken ist es gerade umgekehrt. Li Japan
und China werden kleinere (Tyr^na- Arten, auf den Philippinen und Molukken
Melanien und Neritinen, die in Menge gesellig in den Bächen vorkommen,
gegessen. In Europa wüsste ich nicht, dass eine unserer grösseren Süss-
wasserschnecken, wie Limnaea stagnalis^ Planorbis comeus oder Paludina vivi-
para irgendwo von Menschen gegessen wird, obwohl sie häufig genug sind;
auch die noch grösseren Süsswassermuscheln , ünio und Anodonta^ werden
nur in wenigen Gegenden gegessen, z. B. in Westflandem (Ann. soc. malac.
fielg. V. 1870 p. 33), in der Gironde (Gassies) und am Fuciner-See in Unter-
italien (del Re), während sie in Deutschland, z. B. am unteren Main, nur
den Schweinen zum Futter gegeben werden.
Eine andere Benützung der Masse der Conchylien an sich ist die, Kalk
daraus zu brennen, was an verschiedenen steinarmen Küsten nicht nur Euro-
pa's, sondern auch Westafrika's und Indien' s, Brasilien s und Peru's geschieht;
die Art ist dabei selbstverständlich gleichgültig, sie mnss nur in Menge am
Strande zu finden sein.
Einigermassen damit verwandt ist die Benutzung zum Beschütten der
Strassen statt des Eaeses, was ebensowohl in Holland, als in Japan (nach
mündlicher Mittheilung des Hm. von Brandt) geschieht; in Holland vorzugs-
weise mit Mactra aolida^ doch auch mit anderen Arten (vgl. E. Friedel im
7. Circular des deutschen Fischerei- Vereins für 1871, S. 23. 24).
Zum Beschweren der Netze wird auf den Philippinen nach Eamel
(Philosoph. Transact. 1707) eine kleine Art von Ereiselschnecken, dort lisbit
genannt, verwendet, in Ostasien überhaupt dient auch Cypraea annulus zu
demselben Zweck (Woodward) und an Netzen im hiesigen ethnographischen
Museum aus Nordaustralien finde ich Area granosa und Tnda>cna crocea dazu
benützt. Dr. R. Hensel sah im südlichen Brasilien sehr allgemein massig
grosse Seeschnecken benützt, um die dort allgemein üblichen Schiebfenster
offen zu halten, und zwar in verschiedener Weite, je nachdem die Schnecke
der Quere oder der Länge nach eingeschoben wurde.
Üeber verschiedene Verwendungen von Gonchylien. 29
Die bis jetzt erwähnten Verwendungen von Gonchylien betrafen haupt-
sächlich deren Materie in physikalischer oder chemischer Beziehung, nämlich
die organischen Bestandtheile der Weichtheile, den Kalkgehalt der Schalen,
ihr Volumen und Gewicht. Eine zweite gewissermassen höhere Reihe von
Verwendungen bezieht sich wesentlich auf die Form der Gonchylien, es ist
das die Benutzung zu Werkzeugen, Hausgeräthe verschiedener Art. Das
Nächstliegende hievon ist, die concaven Muschelhälften als Gefässe zu ver-
wenden, zum Schöpfen, Aus- und Eingiessen u. dgl.; schon das deutsche
Wort Schale bezeugt diese Benützung in seiner übertragenen Bedeutung:
Maschelschale, Trinkschale, Porzellanschale, Glasschale, ja „kalte Schale^
(vom Gefass auf den Inhalt übergegangen). Die Schalen (shells), welche
Mftcpherson bei den Festen der ossianischen Helden die Runde machen lässt,
(«the joy of the shells went round ^ oder auch „we sat that night in Selma
roand die strength of the shell") sollen Kammmuscheln sein, Pecten maxirnua
ood opercularüy welche noch vor kurzer Zeit auf den Hebriden als Trinkge-
iasse in Gebrauch waren (Johnston S. 62). In einigen Gegenden Frankreichs
soll man die grossen flachen Schalen von Anodonta zum Abrahmen der Afilch
benützen (Argenville conchyliologie 1757), wie einst in Rom zum Abschöpfen
des Oels (Gate de re rust. 13 und 66). Die Verwendung der Flussmuscheln,
Unio pictorum^ tumidus und Ba(avii8 für Wasserfarben ist bekannt; in der con-
chyUologischen Literatur lässt sich diese Verwendung bis zum Beginn der
neueren Zeit (Rondelet 1554) zurückverfolgen; wie weit sie schon im Mittel-
alter bestand, darüber wäre die Literatur der Kunstgeschichte zu befragen.
Als Gefass überhaupt wurden Muschelschalen mehrfach schon in klassischen
Aiterthum gebraucht, wir finden solche bei Horaz als Salbenbüchse, „funde
capacibus unguenta de conchis^, od. II. 7, 22, 23 und als Salzbüchse, „sit
mibi mensa tripes et — concha salis puri et toga quae defendere frigus —
qoamvis crassa, queat^ sat. I., 3, 14, an letztere Stelle offenbar als kenn-
zeichnend fur^ eine einfache, nicht luxuriöse Hauseinrichtung und damit
stimmt es zusammen, dass die Franziskaner, welche ja unter den Mönchs-
orden mehr den niedem Stand repräsentiren , im vorigen Jahrhundert (nach
Bonanni), vielleicht auch jetzt noch hie und da, die allerdings hübsche Schale
Ton llaliotvi tuberculata als Salzge&ss benützen. In späti*ömischen medizini-
schen Becepten kommt sogar concha als ungefähres Mass vor, wie heut zu
Tage Esslöffel, ein Beweis für die häufige Verwendung derselben zu solchen
Zwecken.
Von ausländischen Beispielen mögen einige wenige genügen. Eolbe
fuhrt von den Hottentotten an, dass sie Muschelschalen (ohne Stiel) als Ess-
loffel gebrauchen, theils solche eigens desshalb aufbewahrend, theils in Er-
Buuglong derselben die nächste beste Muschel sich am Strande aufnehmend.
(Beschreib, d. Vorg. d. guten Hofln., 1719, deutsche Uebers. S. 456 u. 492).
Dasselbe berichtet G. Marcgrav, f 1644, von den Eingebomen Brasiliens:
^cochlearium loco inserviunt ipsis digiti mauus vel mytuli aut aliae conchae^
30 Ueber verschiedene Verwendungen von Gonchylien.
(hist nat. Brasil. 1648, p. 272, hier wie in dem Abdruck bei Piso 1658
steht cochlearum, offenbar Schreibfehler, da nur cochlear Löffel, nicht Cochlea
Schnecke, gemeint sein kann. Unter den Mytuli sind wohl die grossen
Anodonten der brasilischen Flüsse zu vermuthen). In China sah ich auf
dem Markte zu Shanghai die Schale einer grössern Fl^issmuschel, Barbala
plicata (auch Dipaats genannt) von den Verkäufern zum Ausgeben und unge-
fähren Messen von trockenem Reis und Hülsenfrüchten verwandt. Auf den
Philippinen wird die Schale einer grossen Seeschnecke, Cyrnfnum cidum^ als
Bratpfanne sowie als Weihwasserbecken gebraucht (Bonanni Mus. Kircher.
ed. Batt4Jirra IL S. 60) wie ja auch in Europa die Austern nicht nur in ihrer
eigenen Schale aufgetragen werden, sondern zuweilen besonders raffinirt in
der schöneren Eammmuschel, Pecten maxiinua oder Jacobaeus^ die für diesen
Zweck als „Coquillenschalen^ bezeichnet werden. Aut Timor fand ich bei
Kupang die zahlreich am Strand und auch etwas weiter landeinwärts umher-
liegenden Riesenmuscheln, Tridacna^ von den Einwohnern sorgfaltig aufge-
stellt und mit Meerwasser gefüllt, um durch dessen Verdunstung etwas Salz
zu gewinnen. Dieselbe Muschelart, von der z. B. im hiesigen zoologischen
Museum ein Exemplar von 0,83 Meter Breite befindlich ist, dient bekanntlich
auch, von Seefahrern nach Europa gebracht, in manchen Kirchen als Tauf-
becken oder Weihwasserbecken, so z. B. zwei Stück in der Kirche S. Sul-
pice zu Paris, die von der Republik Venedig dem König Franz I. geschenkt
worden (Davila catal rais. I. p. 368), daher ihre Benennung b^nitier bei den
französischen Conchyliologen, von (eau) b^nite, Weihwasser.
Ein Schritt weiter ist es, wenn die Conchylienschalen erst noch einer
Bearbeit^g unterliegen, um als Löffel oder Gefäss zu dienen; das einfachste
hiervon ist, denselben einen Stiel anzufügen; so fand ich in japanesischen
Kaufläden zu Yokohama je eine Schale von Pecten laqueatus und Japonicu»^
welche durch Anbringung eines flachen Stiels aus Holz zu Löffeln umge-
wandelt waren; schon Kämpfer erwähnt eben derselben unter dem Namen
Kisa. Ein weiterer Schritt ist es, Stücke aus einer grossem Gonchylien-
schale auszuschneiden, um sie als Löffel zu gebrauchen ; so fand ich in Siam
Stücke des Turbu marmoi'atus zierlich ausgeschnitten und von ihrer äussern
Schichte bis auf das Perlmutter eutblösst als Löffel; der etwas unsymme-
trische, eigentlich spirale Verlauf einer schwachen Kante auf denselben ver-
räth dem Conchylienkcnner sofort ihren Ursprung. Auch von Nautilus pom-
piliua werden auf den Molukken sowie auf Timor von den Eingebornen
ähnliche Perlmutterlöffel für Reis geschnitten, (Rumph S. 61 und L. Vaillant
in den Ann. sc. nat. 1868), welche aber dem ganzen Bau dieser Art gemäss
streng symmetrisch sind. In den holländischen Familien auf Amboina und
Java sah ich Vorlegelöffel aus Stücken des Cymbivm melo^ glänzend isabell-
gelb mit einzelnen dunkelbraunen Flecken, mit einer Handhabe aus Hom
oder Holz versehen, häufig für den gekochten Reis benützt, habe auch solche
von Surabnya mitgebracht Für all diese Verwendungen haben die Conchy-
Ueber Terschiedene Verwendungen von Conchylien. 31
üensehalen mit Porzellan, Glas und Silber die gute Eigenschaft gemein, dass
sie weder durch Nässe noch Fett leiden, sondern von beiden sich ganz leicht
und vollständig reinigen lassen. Nur etwas stärkere Säuren greifen sie an;
schon der saure Limonensaft, den die Eingebornen ihrem Reis oft zusetzen,
macht die oberste Schichte der eben erwähnten aus Nautilus gemachten perl-
matterartigen Löffel matt und weisslich, so dass sie mit Seife oder Lauge
wieder glänzend gescheuert werden müssen (Rumph ebendas.)- Hier dürfte
daran erinnert werden, dass das lateinische Wort cochlear, Löffel, das im
italienischen cucchiajo und im französischen cuiller fortlebt, offenbar von
codilea, Schnecke, (nicht concha, Muschel) abgeleitet ist und also eine ahn-
^che Verwendung von Schneckenschalen zu Löffeln bei den ältesten Italienern
hezeogt, wovon die Cochleae in oleario usu (bei Plinius XXXII, 11, 147
(vgl Cato de re rust. 66 „concha^) ein Ueberbleibsel gewesen sein dürften.
Li Japan sah ich ferner die schöne Haltotü gigantea in mehr als einer
Weise zu Geftssen benützt, allerdings nicht gerade in allgemeinem Gebrauch,
sondern nur als Curiosität oder gewissermassen Kunstwerk, so eine Schale,
innen mit dem natürlichen Perlmutterglanz, aussen mit schwarzem Lack
überzogen, der auch die normalen Löcher zu verstopfen diente, und mit drei
kurzen Füsschen aus Holz versehen; ferner eine Flasche aus zwei Schalen
dieser Schnecken, welche durch Lack fest verkittet sind, mit künstlichem
Halse; die ungleichen Kanten derselben, zwei stumpfe, der Schneckenschale
selbst zukommend, und zwei schärfere, durch die Aneinanderfügung entstan-
den, bezeugen die Zusammensetzung dieser Flasche. Li ähnlicher Weise
W ich ebenfalls in Japan auch die Schalen einer Schildkröte, Emys Japo-
"'Wi, zu Taschen benützt, indem sie quer durchgesägt und durch laufende
^hnfire verbunden, die natürlichen Oeffnungen aber mit Lack verschlossen
worden waren. Bekannt ist die Benützung der Cypraea tigrü in früherer
Zeit zu Tabaksdosen, indem die eine Seite der Mündungslippe zu einem be-
weglichen Deckel umgewandelt wurde.
Aber nicht nur als Löffel, auch als Messer werden Conchylien schalen
von verschiedenen Yölkerschafben benützt. Herr F. Jagor sah auf Luzon,
<iM6 die Eingebomen in Ermanglung von Sicheln sich einer Süsswasser-
laoschel, wahrscheinlich Änodonta purpurea VaL^ bedienten, um mittelst ihres
ziemlich scharfen Randes die Reisähren abzuknicken. Auf den Marianen,
welche mit den Philippinen in historischer Zeit stets in Verkehr gewesen,
wird nach Freycinet eine ganz andere Conchylie, Pterocra lamfm^ zu dem-
selben Zwecke verwandt (voy. de TUranie, atlas histerique pl. 79. fig. 12, 13).
Aof Neuseeland bedient man sich einer Muschel (ich konnte nicht erfahren,
welcher), um die Fasern von Phoi^mium tenax von dem unbrauchbaren
I^tteacbym zu trennen, und man sagt, es habe noch keine Maschine erfunden
werden können, welche ebenso passend hierfür sei. Auch in Amerika finden
wir ähnliche Verwendungen: Charles Harcot berichtete aus Virginien, dass
die früheren Eingebomen mittelst Muscheln sowohl erst die Rinde, als nach-
32 Ueber verschiedene Verwendun^n von Goncbylien.
her die verkohlte Oberfläche von den Baumstämmen abschaben, aas welchen
sie durch Ausbrennen ihre Boote verfertigten (Lesser Testaerotheologie
S. 839). Laet erwähnt, dass ebenfalls in Virginien die Eingebornen sich
einen Theil ihres Haupthaars von den Weibern mittelst gewisser Muscheln
abscheeren Hessen (India occident. 1633, S. 375) und ferner, von den Wilden
Brasiliens, dass sie Muscheln sowohl als Löffel, wie als Messer benutzen;
seine Worte „musculi .... concava parte argentei coloris" (ebenda S. 575)
lassen hierin die grossen Anodonten des Amazonenstroms, An. anserina Sput.
u. A., vermuthen. Selbst aus der Magellanstrasse erwähnt einer der ersten
Seefahrer, welcher sie besucht, Sobald van Weert 1598, dass eine gefangene
Feuerländerin einen Vogel mit „Muschelschalen'^ regelrecht aufgeschnitten
und ausgeweidet habe ' (allg. Hist A Reisen XII, S. 15); vielleicht war
dieses die dort so häufige Patella Magellanica. Endlich werden auch zum
Tätowiren in Taheite und Neuseeland schneidende Werkzeuge aus Perlmutter-
muscheln neben solchen aus Yogelknochen verwandt (Cooku. ethnogr. Mus. 366).
Verwandt und ebenso originell ist die Verwendung von Conchylien-
schalen als Hacke, wovon zwei Beispiele in dem hiesigen ethnographischen
Museum unter Australien Nr. 269 und 424 vorhanden sind, in dem ersten
ist ein scharfrandiges Stück der dickschaligen Terebra maculata L., in dem
zweiten ein solches einer Riesenmuschel, TfHdacna crocea derartig schief-
winklich an einem hölzernen Stock befestigt, dass der Zweck als Hacke zu
dienen, nicht zweifelhaft sein kann; das erstere soll aus Neuguinea sein,
das zweite stammt von Forster s Erdumseglung unter Capitain Cook. Auch
L. Vaillant erwähnt einer Axt (hache) aus einem Schalenstück von Tridacna,
das von der Insel Ualan, Karolinen, stammt. (Ann. sc. nat 1868). Auch
hierzu finden wir Seitenstücke in Amerika: Laet. Ind. occid. S. 342 spricht
von Muscheln, welche die Eingebornen von Nicaragua, an einen Stock ge-
bunden, zur Bearbeitung des Bodens benützten: „conchae oblongae quas
barbari stipiti alligare eisque terram subigere solebant^.
Als Eneipzangen zum Ausreissen der Barthaare werden zweischalige
gut schliessende Muscheln gebraucht, so auf den Freundschaftsinseln (Cook),
in Neuseeland (Taylor), in Brasilien (Bonanni) und ebendahin möchte ich
auch die Angabe bei Fabricius fauua grönlandica 1780, S. 418 verstehen,
dass die Eskimo in Grönland die Miesmuschel, Mytilus edulisy als Rasier-
werkzeug „rasorium^ benützen.
Auch die Benützung als Angelhaken lässt sich hier anschliessen, wie-
wohl dabei neben der Konsistenz der Schalen, welche das Festhalten ermög-
licht, auch der Perlmutterglanz eine Rolle spielt, der den Fischen von weitem
ins Auge fallt und den Silberglanz anderer Fische nachahmt, daher vielleicht
einen Köder erspart. Denn es sind hauptsächlich perlmutterglänzende Schalen,
aus denen Angelhaken geschnitten werden, so in Polynesien, z. B. Taiti aus
der eigentlichen (schwarzrandigen) Perlenmuschel, MeUagrina margariiifer<i^
iu Neuseeland aus der noch schöner glänzenden HaHotü Irvty wie verschie-
Ueber yerschiedene Verwendimgen yon Gonchylien. 33
dene Reisebeschreibungen erwähnen und mehrere Stücke im hiesigen ethno-
graphischen Musenm Nr. 162, 163, 175, 177, 557 und 559 bezeugen; in der
Aassteliong der von der Novara-Expedition mitgebrachten Gegenstande be-
fanden sich „Fischangeln ans Seemuscheln'', leider ohne Angabe der Axt,
von der Insel Punipet (Nr. 364).
Ein ebenso besonderer als weit verbreiteter Gebrauch ist deijenige als
Trompete. Es ist nur Eine Gattung von Seeschnecken meines Wissens,
das Tritonshom, Trtfonium Cuv, (^Murex Trüonvt L.), wovon mehrere unter
sich recht ähnliche Arten derart benützt werden, im Mittelmeer Tr. nodifermn
Law., in Indien und Polynesien T7\ variegatum Lam,^ in Japan Tr. Sauliae
Ktftf, Zu diesem Behuf wird die obere Spitze abgebrochen und die so ent-
stehende Oeffnung dient als Mundstück der Trompete, während die viel weitere
Mondnog dem erweiterten Ende der Trompete entspricht. Es giebt einen zwar
dampf klingenden, aber weithin hörbaren Ton. Am Mittelmeer scheint der
Gebraach wahrscheinlich uralt zu sein , das lateinische Buccinum , das
wohl eher von bucca. Backe, als von bubus canere, dem Rindvieh blasen,
herzuleiten ist, bezeichnet eben diese Schnecke und ich habe schon früher
(Jahreshefte des Vereins f. Naturkunde in Württemberg, XVI. 1860. S. 215)
gewagt, auch die Bezeichnung des Herolds bei den Griechen seit Homer,
'^V"^i auf diese Schnecke zurückzufuhren, da dasselbe Wort noch bei Ari-
stoteles eine grosse Seeschnecke, wahrscheinlich eben unser Tritonium^ be-
zeichnet; der Herold konnte seinen Namen daher erhalten, dass er mit einer
solchen Trompete Stille gebot oder zur Aufmerksamkeit für seine Verkündi-
gung mahnte, wie unsere städtischen Ausrufer durch eine Klingel. Die Nach-
richten bei den alten griechischen und romischen Schriftstellern hierüber sind
nicht allzu zahlreich, doch derart, dass es stets als allbekannte Sache erscheint,
ZQ den ältesten unter den Griechen, die es erwähnen, gehört Theokrit (idyll.
tL Dioscuri, Vers 75 — 77), unter den lateinischen Properz (eleg. IV, 1, 13), beide
versetzen die Sitte in das heroische Zeitalter als Alarmsignal. Noch in
unserer Zeit sollen die Feldarbeiter in manchen Gegenden Südfrankreichs,
und die Fischer in Elba und Sicilien diese Schnecke gebrauchen, um sich
ZQsammen zu rufen oder auch bei Nebelwetter Kunde von einander zu geben.
Aach von alten und neuen Künstlern ist sie vielfach in Gemälden oder pla-
stisch dargestellt worden, oft freilich ziemlich entstellt, so dass man sich kaum
^inen Triton ohne dieses sein Blashom denken kann. Aber auch an den
Küsten des indischen Oceans ist derselbe Gebrauch alt, wir finden ihn schon
in älteren indischen Gedichten (Mahawansa und Rajavali, Tennent, Ceylon I.
S. 47) erwähnt, Rumph kennt denselben Gebrauch bei den Alfuren von Ce-
T3un, Finsch bei den Papuas an der dem indischen Archipel zugewandten
Seite von Neuguinea, und die neueren Erdumsegler von Cook an fanden ihn
aaf den Inseln der Südsee bis Neuseeland verbreitet, bald bei Feindseligkeiten
als Signal zum Angriff, bald bei religiösen Feierlichkeiten. So ist !ZV. vaine--
iiafuui als Trompete der Eingebornen abgebildet aus Taheite bei Ellis, poly-
Z«ttiehrift för Bthnologi«, Jahrgang 1872. 3
34 Ueber verschiedene Yerwendiingen toh GonchylietL
nesian researches I. S. 284, von den Radack-Inseln bei Choris, voyage pitto-
resque, pl. 2 fig. 5, von den Karolinen bei Lütken, Reise des Schiffes Senia-
vine Taf. 30 und Freycinet voy. de Türanie, atlas bist. pl. 58 fig. 7, von den
Marianen erwähnt in der letztgenannten Reisebeschreibung, Bd. 11 S. 4S9.
Kamel (Philosoph. Transact. 1707) sagt von den Philippinen: Buccinum est
cubitale quo Indus ad indicandum periculum Inimici, Ignis aut Mortis Amici
ulitur. Der von ihm angeführte tagalische Name desselben, budiong, druckt
den Ton einigermassen aus. Das hiesige ethnographische Museum besitzt Exem-
plare desselben von Tahite und dei^ Fidji-Inseln (No. 145 — 148); eines, nicht
näher bekannter Herkunft (No. 146), zeigt nicht die Spitze abgebrochen, son-
dern eine seitliche mit einem hölzernen Mundstück versehene Oefihung; ebenso
zubereitete Trompetenschnecken sah F. Jagor auf den Philippinen, und sie
können zur Erläuterung der Angabe bei Rumph dienen, dass die Alfuren in
die mittlere Windung (nicht an der Spitze) ein Loch machen; der Raum der
oberen Windungen wird dadurch Resonanzboden. In Yokohama fand ich in
Kaufläden Exemplare von Tritonium Sauliae^ und Hr. v. Brandt, preussischer
Consul in Japan, bestätigt mir den Gebrauch dieser Schnecke als Trompete
bei gottesdienstlichen Feierlichkeiten. An den Küsten Neuhollands lebt eine
sehr ähnliche Art, Tritonium Austräte Lam,, in Westindien wieder eine ähn-
liche, Tr. nobile Conrad = mai^morcUum Adams = commutatum Dunker. Aus
Neuholland konnte ich keine Angabe einer Verwendung als Trompete auffin-
den, fiir Westindien dagegen wenigstens die eine bei Oldendorp, Geschichte
der Mission der evangelischen Brüder auf St Thomas, Barby 1777, Theil I.
S. 146, dass die Neger auf den Zuckerplantagen dieselbe als Blashorn gebrau-
chen, ebenso regelmässig des Morgens zum Signal für den Beginn der tag-
lichen Arbeit, wie in ausserordentlichen Fällen als Alarmsignal bei Brand,
Krawall u. dgl. Oldendorp betrachtet aber den ebenso grossen, doch viel
schwereren Strombus gigas als die in der Regel hierzu dienende Schnecke
und nennt das Tritonium nur nebenbei in zweiter Reihe. Uebrigens scheint
dieser Gebrauch doch nicht erst von den Europäern oder Negern in Amerika
eingeführt zu sein, denn Georg Marcgrav fand ihn schon um 1640 bei den
Eingebornen Brasiliens; er sagt davon in seiner hinterlassenen Naturgeschichte
und Yölkerbeschreibuug Brasiliens (S. 278 oder 19 je nach den Ausgaben):
Tubas faciunt ex ossibus humanis quas vocant Canguenca . . . ., (habent)
alias tubas grandes factas ex conchis quas Guatu-pigna9u vocant et ipsas
tubas Nhumbu-ghua^u.^ Leider ist in dem naturgeschichtlichen Theil dieses
W^erkes gar nicht von Conchylien die Rede, so dass wir nicht ersehen, welche
Art gemeint sei. Daneben lernen wir aber auch daraus, dass, wo „Trompeten"
bei eingebornen brasilischen Völkerschaften erwähnt werden, wir keineswegs
ohne Weiteres an die Trompetenschnecke denken dürfen, um so weniger, wenn
von binnenländischen weit vom Meere entfernten Stämmen die Rede ist,
wie z. B in PohVs Reise.
Aber auch kleinere Couchylienschalen wussten die Griechen musikalisch
Ueber Terschiedene Verwendungen von Gonchylien. 35
zu yerwerthen; ich kenne darüber freilich nur die Eine Stelle bei Athenaeus
(um 155 nach Chr.) deipnosoph. 111. 31, 86: ,,der Grammatiker Aristophanes
sagt, dass die Kinder, indem sie Patellenschalen {Xendöag) in den Mund
nehmen, auf denselben flöten und spielen, wie auch bei uns die Bettelkinder
auf den sogenannten Tellinen, daher auch der Possendichter Sopatros in
eineiii seiner Stücke sagt :
Aber halt! denn plötzlich erreicht mein Ohr
Der TeUine voller melodischer Ton.^
Yennuthlich war die Mechanik dieser Musik dieselbe, wie wenn heut
zu Tage der Jäger auf einem Stückchen Birkenrinde die Stimme der Reh-
gais nachahmt oder der schwäbische Weingärtnerbursche auf einem zusam-
mengehiteten Rebenblatt „blüttelt^. Bei Tarent sollen die Knaben auch auf
langgezogenen Schraubenschnecken (Cerithiam^ Tun^llaf) zu pfeifen yer-
s^en (Bonanni Mus. Kircher. ed. Batarra 11., S. 97) vielleicht wie an
onem hohlen Schlüssel
Anderweitige musikalische Verwendungen yon Conchylien sind noch
folgende: als K!astagnetten sowohl am rothen Meer zu Kosser und zwar hier
die Schalen von Lucina tigerina^ (EQanzinger Zeitschr. für Erdkunde 1871
^ _ _
S. 70) sowie auch auf den Inseln des stillen Oceans, z. B. auf Taheite die
beiden Schalen der Perlmuttermuschel (Parkinson Journal of a voyage to the
Soath seas, London 1783, S. 24). Weit roher ist es, Conchylienschalen in
einem Korb oder hohlen Kürbis als Klapper zu benützen, wie es von den
Reichen Widuh und Ashanti in Westafrika erzählt wird (allgemeine Historie
i Reisen Land IV, S. 323 und Bowdich mission to Ashantee 1819, S. 364).
Das allereinfachste ist endUch die Muscheln an Schnüren in den Thüreu auf-
zuhängen und durch den Wind aneinanderschlagen zu lassen, wie es Petrus
Martyr von den Eingebornen S. Marthas (Neu-Granada?) berichtet.
Als Fensterscheibe wird in China und auf den Philippinen Placuna
plücenta benutzt, eine scheibenförmige, durchscheinend dünne, weissliche
Meermuschel von ungefähr 80 Millimeter Länge und Breite; schon von den
Conchyliologen des vorigen Jahrhunderts wird dieses mehrfach erwähnt, ich
selbst and Hr. von Brandt sahen solche Fenster in und um Shanghaij, z. B.
im dortigen Theegarten, Hr. F. Jagor auf Luzon, von wo auch Pater Kamel
in der Philosoph. Transact. 1707 diesen Gebrauch schon erwähnt. In China
glaube ich auch viereckig geschnittene in einer Werkstatt gesehen zu haben,
aof Luzon werden sie nach Jagor rund gelassen und in Holz gefasst; sie er-
iimem an die kleinen in Blech gefassten Glasscheiben, welche in Deutsch-
^d auf den Dörfern noch hier und da üblich sind.
Plinius berichtet, dass in Aegypten eine Muschel zum Glätten des aus
Papyrus verfertigten Papiers benützt werde: „scabritia laevigatur deute con-
<^ve, sed caducae literae fiunt^, lib. XHI cap. 12 § 81. Die Zoologen des
16. Jahrhunderts berichten denselben Gebrauch aus Aegypten, übrigens für
Leinwand und von einer Porzellanschnecke, höchst wahrscheinlich der im
36 Bemerknsgen über Paerto Rico.
rothen Meer häufigen Cypraea pantheiHna\ so Belon, der selbst im Orient
reiste, in seiner bist des poissons 1551 unter concha Venerea: „bis Rubri
maris incolae magno labore in acervos coUectis, ingentem quaestum ab iis
qui Memphim (Kairo) incolunt facere solent. His enim Aeayptii sua Untea
glutine imbuta laevigare atque expolire consueverunf In seiner Reisebeschrei-
bung selbst erzählt er, bei Tor 20 damit beladene Kameele fi;esehen zu haben.
Rondelet, de piscibus 1554, schreibt dasselbe Verfahren den Italienern und
'Griechen (in Aegypten?) zu: „eadem Itali atque Graeci ho die Chartas laevi-
gant"; sie dienten auch zum Plätten der Maria-Stuart-Krägen in Frankreich
selbst: (ea) mulieres nostrae omamenta quaedam sua linea, in amylo aqua
multa diluto Iota (empois^s), deinde exsiccata poliunt adeo ut splendeant (eben-
derselbe). Die von Plinius genannte concha kann um so eher dieselbe Cypraea
sein, als von Laien sehr häufig die Porzellanschnecken ihrer Form wegen
Muscheln und nicht Schnecken genannt werden. Neuere Zeugnisse für das
Fortbestehen einer solchen Benützung sind mir keine anderen bekannt, als
dass Rumph aus dem indischen Archipel bemerkt, die grösseren Cypraeen
würden daselbst auf malayisch sipo-bilalo, Glatt -Conchylien, genannt, weil
jnan damit Leinwand, Papier u. dgl. glätten kann (amb. rar. S. 113, deutsch
S. 90). (Schluss folgt)
Geschichtliche, geographische nnd statistische Bemer-
kungen über Pnerto Rico.
Von Herrn Bello y Espinosa,
aus dem spanischen Manuskript übersetzt Yon Dr. £. yon Martens.
Geschichte.
Die Insel Puerto Rico (spanisch: reicher Hafen), ehemals Borriquen ge-
nannt, wurde von Christoph Columbus auf seiner zweiten Reise nach West-
indien inv November 1493 entdeckt. Man vermuthet, er sei an der Käste
von Agua und zwar nahe bei Aguadilla an 's Land gekommen. Einige Jahre
später, nämlich 1510, gründete der Hauptmann Juan Ponce die. erste Stadt,
Namens Caparra, auf dieser Insel. Diese wurde aber sehr bald ihrer schlech-
ten Lage wegen aufgegeben und ist jetzt nur noch unter dem Namen Puerto
viejo (alter Hafen) bekannt. Im folgenden Jahre 1511 gründete derselbe
J. Ponce, unterdessen zum Gouverneur der Insel ernannt, die Hauptstadt
S. Juan Bautista (Johannes der Täufer), auf einer kleinen Halbinsel oder
vielmehr Insel angesichts der ersten Niederlassung und durch eine schöne
Meeresbucht davon getrennt.
Die Eingebomen der Insel gehorchten damals einem Oberhaupte, dessen
Würde erblich war und von welchem verschiedene andere Häupter (Eaziken)
in den verschiedenen Gegenden derselben abhängig waren. Sie hatten Götzen-
Bemerknngeii aber Puerto Rico. 37
bilder; doch scheint ihre Religion die zwei entgegengesetzten Prinzipien,
einen gaten und einen bösen Geist, anerkannt zu haben. Ihre Waffen waren
Bogen und Pfeile und die „macana^, eine Art Beil aus Stein. Die Männer
beschäftigten sich mit Jagd nnd Fischfang; der Landban blieb den Weibern
aberlassen und bestand hauptsächlich in der Cultar von Knollen, wie Bata-
ten, Ignamen oder Yams (Dioscorea) u. s. w. Der Tradition zafolge fand
man damals Goldkömer und einige werthvoUe Steine im Sand des Flusses
Anano (?) und in den vom Yunque de Luquillo herabkommenden Gewässern.
Die Besitznahme der Insel, welche bei der Ankunft der Spanier von
dem in der Gegend von Aguada residirenden Kaziken Agueinaba beherrscht
^nirde, stiess von Anfang an auf keine ernstlichen Schwierigkeiten von Sei-
ten der Eingebomen. Aber unzufrieden mit den neuen Massregeln des Gou-
reniears, erbittert durch einige Gewaltthätigkeiten seiner Soldaten und durch
ein tragisches Ereigniss darüber au%eklärt, dass die Spanier nicht, wie sie
zoerst geglaubt, unsterblich seien, erhoben sie sich noch in demselben Jahre
] 511 in Waffen gegen ihre neuen Herren und lieferten ihnen blutige Gefechte,
bis sie endlich auf der Ebene von Yagueca, heutzutage Anasco (District Sa-
baneta) vollständig geschlagen und for immer unter die Herrschaft der Spa-
nier gebracht wurden. Von da an begann die eingebome Rasse reissend
schnell zu verschwinden; dieselbe kann aber überhaupt nicht sehr zahlreich
gewesen sein und es wird von Manchen für einen offenbaren Irrthum gehal-
toi, dass sie überhaupt 600,000 Seelen betragen habe. Gegenwärtig findet
sich kein Ueberbleibsel dieser Rasse mehr vor; nur trifft man einzelne Indi-
vidaen, welche nach Haar und Hautfarbe Abkömmlinge von ursprünglichen
Eingebomen (Indios) und Negern zu sein scheinen.
Die Insel blieb von den Angriffen der Feinde Spaniens nicht verschont;
schon am Ende desselben 16. Jahrhunderts wurde die Hauptstadt zweimal
geplündert, erst 1595 von dem berühmten Fr. Drake, dann 1598 von dem
Grafen von Cumberland. Nicht so glücklich war 1615 der Holländer Bal-
doin Heinrich, denn obgleich er sich des Platzes bemächtigt hatte, wurde er
doch beim Sturm auf das Castell del Mono geschlagen und getödtet, in wel-
ches sich die damalige kleine Garnison geflüchtet hatte. 1678 versuchten die
Engländer einen neuen Angriff unter ihrem Anführer, dem Grafen Estreu (?);
aber ein heftiger Sturm zerschmetterte ihre Schiffe an der Küste und machte
damit das ganze Unternehmen scheitern. Endlich belagerte 1797 ein zahl-
reiches Geschwader derselben Nation unter dem Befehl Abercrombie's die
Hauptstadt nnd setzte seine Mannschaft, an der playa de cangrejos (Elrabben-
Gestade) an's Land; aber damals war schon das Gestade von S. Juan durch
^einreichende Befestigungen vor einem Handstreiche gesichert und nach drei-
tägiger Belagerung schifften sich die Engländer, nicht ohne beträchtliche Yer-
Iwte, wieder ein.
Einige andere Küstenpunkte waren zu verschiedenen Zeiten der Schau«
platz ähnlicher Feindseligkeiten, doch ohne allen Erfolg. Das am meisten
38 Bemerkungen über Pnerto Bico«
bemerkenswerthe Ereigaiss darunter ist dasjenige, welches 1702 zu Areceto
stattfand,* hier kamen zwei englische Schiffe an und landeten ihre Mannschaft,
welche aber von dem unverzagten Hauptmann Corr^a an der Spitze einer
Anzahl berittener Milizen vollständig geschlagen wurde.
Lage, Umfang und Höhe.
Die Insel Puerto Rico liegt in 18 ** nördl. Br. und in 60** westl. L. von
Cadix; sie bildet eine Art Viereck, von 30 Leguas Länge in der Richtung
von Osten nach Westen bei 12 Leguas Breite uod einer Oberfläche von 330
Quadrat-Leguas. Sie wird ihrer Länge nach von einer Gebirgskette durch-
zogen, welche im Osten mit dem Vorgebirge S. Juan beginnt, dann die Sierra
de Luquillo bildet, wo sich der höchste Gipfel der Insel, Nameus el Yunque,
1330 spanische Ellen (varas, etwa 1100 Meter) über die Meeresfläcfae erhebt,
und dann sich gegen Süden als Sierra de Cayey seukt, deren Aeste unter
verschiedenen Benennungen an der Westküste endigen; einer der höchsten
unter denselben ist derjenige, welcher Tetas del Cerro Gerale oder Montero
genannt wird und im Bezirke von S. German Uegt.
Klima.
Regen ist sehr häufig und heftig, namentlich zur Zeit der grossen Hitze,
nämlich von Mitte Mai bis September. In der Jahreszeit, welche dem Win-
ter in Europa entspricht, ist die Hitze gemässigt und das Wetter ruhig (apa-
cible). Im Sommer treten heftige Regengüsse und starke Wirbelwinde (tor-
nadas) in der Regel von Mittag bis 3 oder 4 Uhr Nachmittags ein; einige
Stunden darauf zertheilen sich die Wolken wie eine Theaterdecoration und
bieten eine herrliche (admirable), obwohl kurze Dämmerung, in der sich Gold-
farbe, Violet, Purpur und Blau prächtig mischen. Eine helle und kühle Nacht
mit klarem Sternenhimmel folgt in der Regel einem solchen durch Hitze und
Regen unangenehmen Tage. Sehr selten regnet und donnert es bei Nacht.
Ost- und Nordostwinde herrschen bis Ende des Octobers, dann beginnen
die Nordwinde. Die ersteren bringen grossen Wasserreichthum, und letztere
die Herbstregen. Jedoch der südliche Theil der Insel pflegt, da er den Süd-
winden ausgesetzt ist, von grosser Trockenheit heimgesucht zu werden, zum
grossen Nachtheil für den Ackerbau.
Der hunderttheilige Thermometer zeigt gewöhnlich um Mittag 31^ C. (un-
gefähr 25*^ R. oder 88° F.) und sinkt in der Nacht auf 27° C. An den kühl-
sten Morgen des Winters pflegt er auf 21° C. zu stehen, einige Male, doch
sehr selten, bis auf 16° C. herab. Doch muss dazu bemerkt werden, dass
ausnahmsweise an einzelnen Tagen die Temperatur um einige Grade die ge-
nannten Grenzen überschreitet und dass sie im höher gelegenen Innern der
Insel kühler ist, so dass man in einzelnen Nächten eine ziemlich intensive
Kälte empfindet; doch giebt es nirgends Schnee und auch der Hagel ist sehr
selten.
Banerkm^en über Paerto Rico. 39
Iah habe den Thermometer nie über 94^ F. gesehen, und diese Höhe
nur einmal an einem angewöhnlich heissen Tage.
Culturpflanzen.
Der grosse Regenüberfluss onterhält eine Unzahl (infinidad) beständiger
Wasserläafe, welche ungefähr 50 in das Meer einmündende Flusse (rios) bil-
den nebst einer Menge von Zuflüssen und Bächen, quebradas (eigentlich Spal-
ten) genannt, die man bei jedem Schritte antriflt. Das Terrain ist im All-
gemeinen bergig mit einer kräftigen und immei^rünen Vegetation; übrigens
finden sich nahe der Küste weite Ebenen, bajuras, auf denen Zuckerrohr
gebaut wird. Kaffee wird in den höheren Gegenden gezogen, im natürlichen
Schatten der Berge oder in dem eigens dazu gepflanzter Bäume, wie des
(hami (Inpa laurinea)^ der Guava (Inga vera)^ des Bucare (^ErythHna bucare\
der Maga {TTiespesia grandiflord) u. s. w. Neben diesen zwei Ausfuhrartikeln,
welche den Keichthum der Insel bilden, baut man noch Tabak und Baum-
wolle Ton guter Qualität. Die Landesfrüchte, welche auf der Insel selbst
consamirt werden und deshalb als „menores^ (kleinere) bezeichnet werden,
sind: die Banane, platano, welche unreif gebraten (azado) das eigentliche
Brod der Einwohner ist, Reis und Mais, kleine Bohnen, Gaudures (Cajanus)
und andere Hülsenfrüchte, von Erdfrüchten die Ignamen (oder Yams, Dios-
corea), die yautias (?) und andere Knollen oder Wurzeln, als Obst die Ana-
nas, pinha genannt, süsse Pomeranzen, die sogenannte Mispel (^Achras 8apota\
<ler Caimito {Chryaophyllum)^ der Mango (^Mangi/erd)^ der Mamey (^Mammaea\
die Goanavana (^Anond) und der Aguacate (Pereea)^ eine kleine Ananas,
Zockerhut, paz de azucar, genannt, die Guayaven (^Psidium), welche sehr
ii^ofig sind und Tor der Reife namentlich zu Eingemachtem (dalces) verwen-
det werden.
Krankheiten.
Das heisse und feuchte Klima disponirt im Allgemeinen zu Dysenterie
iu)d zu Fiebern aller Art, namentlich Wechselfiebem, auf welche häufig hart-
Diclnge Leberleiden folgen. Das gelbe Fieber, vomito, kommt zuweilen an
der Küste vor, aber meist nur in einzelnen Fällen; nur in der Hauptstadt
fasst es in einigen Jahren {&r die Zeit der grossen Hitze festen Fnss und
richtet unter den aus Europa neu Angekommenen bedeutende Verheerungen
^ Wesentlich trägt dazu die Nähe der Stranddickichte bei, welche Man-
glares (von Mangle, Rhizophora) genannt werden; dieselben umgeben rings
die Bucht, und aus ihren stagnirenden, erhitzten und verdorbenen Gewässern
erhebt sich ein ekelhafter, unerträglicher Gestank.
Volkscharakter.
Die Landbewohner oder Gibaros, welche den wahren Landestypus bil-
den, verrathen in vielen Punkten ihren andalusischen Ursprung; sie lieben
40 Bemerkungen nber Pnerto Rico.
eine scharfisinnige und gewandte Unterhaltimg (son conversadores agados y
listos), sind massig im Essen and Trinken, aber frei in ihren Sitten bezüg-
lich des andern Geschlechts. Femer sind sie äusserst gastfrei, und wenn
im Hause eines wohlhabenden Arbeiters (labrador) es dem Reisenden nicht
an gutem Essen und gutem Lager mangelt, so fehlt in der Hütte des armen
wenigstens nicht der '„chinchorro'^ zum Ausruhen, eine ,Jigaera" schwarzen
Kaffees, eine gebratene Banane und der gute Wille. Dagegen sind sie wenig
zur Arbeit geneigt, woza ihre geringere Elräftigkeit und die Macht des Kli-
mas yiel beiträgt, welches letztere einerseits die Eörperkraft schwächt und
andererseits die Bedür&isse sehr vermindert. Ohne viel Ehrgeiz und wenig
auf die Zukunft bedacht, besorgen sie ihr Vermögen mit Gleichgültigkeit,
und zufrieden mit dem Heute, bekümmern sie sich wenig um das, was der
nächste Tag bringen kann, ein Fehler, den gewisse unredliche Handelsleute
auf beklagenswerthe Art ausbeuten.
Städte und politische Eintheilung.
Beinahe in dieselbe Zeit, als die Hauptstadt gegründet wurde, in den
Anfang des 16. Jahrhunderts, fallt auch die Gründung der Städte Aguada
und S. German, dann folgte die von Coaino in der Mitte des 17.; im Laufe
des 18. wurden 34, im gegenwärtigen Jahrhundert 28 Dörfer gegründet ein-
schliesslich von Isabel H. auf der nahen Insel Viequez. Im Ganzen sind
107 Ortschaften vorhanden, welche in acht militärische Bezirke, departamen-
tos, eingetheilt sind, wie folgt:
S. Juan Bautista (St. Johannes der Täufer), die Hauptstadt, im Jahr
1866 mit 18,000 Seelen. — 1. Departamento Bayamon: Ortschaften: Toa-
alta, Toa-baja, Eorado, Naranjito, Yega-alta, Vega-baja, Gorozal Guaynaba,
Rio-piedras, Trujillo-alto, Trujillo-bajo, Bio-grande, Loiza, Cangrejos. 79,000 S.
— 2. Depart. Areciba, Stadt, Hatillo, Camuy, Quebradillas, Utuado, Morö-
vis, Ciales-yellanati. 91,000 S. — 3. Depart. Aguadilla, Stadt, Isabela,
Moca, Aguada, Biacon, Pepuio, Lares oder S. Sebastian. 88,000 S. — 4. De-
part. Mayaguez, Stadt, Anaico, Caborojo, S. German (Stadt), Sabana-grande,
las Manas. 78,000 S. — 5. Depart. Po nee, Stadt, Barros, Adjuntas, Jauco,
Guayanilla Penuelas, Juana, Diaz, S. Isabel de Coamo, Villa de Coamo, Aibo-
nito und Barranquitas. 62,000 S. — 6. Depart. Humacao, Naguabo, Ceiba,
Fajardo, Luquillo, Piedras, Pasillas, Maunabo und Yabucoa. 110,000 S. —
7. Depart. Guayama; Ortschaften Hato-grande, Juncos, Gurabo, Caguas,
Aguas-buenas, Sabana del Palmar, Cidra, Cayey y Salinas. 115,000 S. —
8. Depart. Insel Yiequez, einzige Ortschaft Isabel 2a. 5000 S.
Einwohnerzahl.
Die Bevölkerung der Insel scheint nach den offiziellen Angaben rasch
zuzunehmen. Im Jahre 1830 überstieg dieselbe nicht 319,000 Seelen, dagegen
betrag sie:
Bemerinmuieii über Puerto Rico.
41
Weisse .
Farbige .
Zasammen
1846.
220,045
227^869
447,914
1866.
341,649
304,713
646,3r.2.
Nach dieser letzten Zählung betrag die Anzahl der Männer 3H3,026 und
die der Weiber 313,230. Die Anzahl der Sklaven war 18(J6 42,227 and hatte
1868 auf 38,000, 1870 auf 32,000 abgenommen.
Der Gang der Bevölkerung war im Jahre 1866 der folgende:
Gebarten. Todesfälle.
Weisse .... 12,400 8042
Farbige, Freie . 13,073 9953
„ Sklaven 1549 1272 _
Zusammen. . .27,022 19,267.
Ich glaube übrigens nicht, dass diese Tabellen genau sein können, da
io allen Höfen (haciendas) die Anzahl der Sklaven abnimmt und ihre Todes-
fille die Geborten um 5—10 Prozent übertreffen.
Classification nach dem Alter:
Bis za einem Jahre
1—7 Jahre
7—15
15—20
20—25
25—30
30—40
40—60
50—60
60-70
70—80
80—85
85—90
90—95
95—100
über 100
Summa
30,701
103,255
94,274
66,719
73,515
68,462
75,654
55,978
35,579
20,626
9,547
4,990
3,198 ■
2,096
1,539
229
646,362.
(Einige Notizen über die Thiere dieser Insel von demselben Verfttsser finden sich in der
Z<it«chrift: .Der Zoologische Garten*, Novemb. 1871, S. 34«.)
42 2wei arabische Amulette.
Zwei arabische Amulette/)
Von Dr. Wetzstein.
I.
Ein kleineres, älteres, mehr abgenutztes, sorgfaltiger geschriebenes, mit
rothen Initialen und dergl. Vocalzeichen versehenes lautet in der Ueber-
setzung:
Ich empfehle meine Person Gott, dem Gewaltigen, der erhaben ist über
Allem, was die Abgötterer ihm beigesellen. Er ist der alleinige Gott, der
Schöpfer und Weltbildner, dem die 99 Attribute der Göttlichkeit zukommen.
Was in dem Himmel und auf der Erde ist, betet ihn an und er ist der All-
mächtige und Allweise (Koran, Sure 59, V. 23. 24).
Zu ihm flehe ich gegen alles Unheil, was ausgeht von dem sehenden
Auge, von der sprechenden Zunge, von dem lauschenden Ohr, von den ge-
waltthätigen Händen und gehenden Füssen, von dem übelwollenden Herzen
und den arglistigen Gesinnungen.
Und ich nehme meine Zuflucht zu ihm, dem Allbarmherzigen, dem Gotte
des Schaffens und Gebietens; gelobt sei Gott, der Herr der Aeonen. Rufet
euren Herrn an in Demuth und im Verborgenen, denn er liebt die sich Ueber-
hebenden nicht. Und richtet kein Unheil auf der Erde an, nachdem sie so
wohl geordnet ist, und ruft ihn an in Furcht und Hofihung; ja die Barmher-
zigkeit Gottes ist nahe den Guthandelnden (Koran, Sure 52, V. 53. 54).
Und ich suche Schutz bei dem, ausser welchem es keinen Gott giebt,
gegen jeden starken, Widerstand leistenden Gegner und gegen jeden rebel-
lischen Satan im Stehen und Sitzen und Gehen und Schlafen und Wachen.
Und ich suche Schutz bei Gott, der uns den Forkän (d. h. den Koran)
geoffenbart hat — —
(Der Schlnss ist abgerissen.)
n.
•
Während das vorhergehende Amulett noch mit Koranstellen Wunder thun
will, so gehört das zweite vollends in die Kategorie des gemeinsten Hocus-
pocus, in welchem die Magrebiner Meister sind. In allen Reisebeschreibun-
gen über Aegypten, Syrien und die Türkei lesen wir, wie diese Länder von
vagabundirenden Magrebinem, namentlich Algierern, durchzogen werden,
welche ganze Packete Amulette von der Art dieses zweiten mit sich fUiren
und das Stück für wenige Dreier an die Landleute und den Plebs der Städte
verkaufen. Man trägt sie gewöhnlich in Ledersäckchen am Halse.
0 Von Turcos getragen, während des letzten Feldzuges.
Zwei arabische Amulette. 43
Der vorliegende Zettel enthält zweierlei:
1. auf der einen Seite das eigentliche Amulett in den beiden viereckigen
Zeichnungen ;
a) das längere Viereck trägt in seinen Winkeln die Worte: „Sein ist
die Herrschalt und sein das Recht. ^ Um die Aussenseiten stehen Attribute
Gottes, darunter 6 mal das Wort: „0 Ewiger". Das verschobene Quadrat
im Innern hat an seinen Seiten 4mal wiederholt das Wort: „Eesfa dl" (ein
fingirter Engelname). Die mittleren Worte sind: „Lasst Euch, ihr Erzengel,
den Schutz der todtlichen Stellen des Körpers empfohlen sein."
b) Das kürzere Viereck bildet seine vier Seiten aus der Verlängerung
der Worte: „Sein ist die Herrschaft und sein das Recht." Aussen herum
laufen die ViTörter: „O Hochgelobter, o Allheiliger, o Herr! Ihr Engel und
du, 0 heiliger Geist!" (Letzterer ist bei den Muselmännern der Engel Ga-
bnel.) Das verschobene Quadrat im Innern hat an seinen Seiten das 4 mal
wiederholte Wort „Ozra^l" (was den Todesengel bedeutet). Die mittelsten
Worte sind: „Lasst Euch, ihr Strablengeister, des Körpers Schönheit empfoh-
len sein!"
2. Auf der anderen Seite steht die Erklärung über Herstellung und An-
wendung des Amuletts. Aus der Fassung, Diction und Orthographie dieser
Erklämng sieht man, dass der Schreiber ein sehr ungebildeter Mensch war.
Sie lautet in der üebersetzung:
Wer da will, dass das umstehende Amulett wirksam sei, der schreibe es
an einem Sonntag auf gelbes Papier, Montags auf ein hellblaues, Dienstags
aof ein rothes. Mittwochs und Donnerstags auf ein dunkelblaues, Freitags auf
ein weisses und Sonnabends auf ein Blatt, welches zwischen hell- und dun-
kelblau die Mitte hält. Darauf beräuchere er diese Blätter mit einem aus
Styrax, Arsenik, Vitriol, Indigo und Mastix gemischten Räucherwerk, lege
dann die einzelnen Papierchen übereinander und bringe sie bei einem Kauf-
oder Verkaufsgeschäft unter der Kopfbedeckung oberhalb der Stirn an. Will
man um die Hand eines Weibes anhalten, so nehme man die Papiere in die
rechte Hand und drücke sie recht stark. Hat man so den Heirathsantrag
beendigt, erhält man auf der Stelle die Einwilligung. Will man Blut stillen,
80 stecke man sie in ein rothes Schilfröhrchen und hänge sie in fliessendes
Wasser. Auch muss man 7 Tage hinter einander immer nach Beendigung
eines jeden der täglichen 5 Gebete die Aztme (d. h. die Geisterbeschwörung)
über diese Papiere aussprechen. Dann ist das Amulett mit Gottes Zulassung
probat Und lass dir, o Inhaber desselben, ja kein von dem hier gegebenen
abweichendes Verfahren, weder ein complicirteres, noch ein einfacheres, auf-
schwatzen. Soll es gegen Krankheiten schützen, so lege es in ein kupfernes
Gefäss und vergrabe dieses beim Feuerheerd, und spreche 7 Tage lang die
Beschwörung darüber, dann ist's probat. Es liesse sich dieser kurzen Mit*
theilnng noch Vieles über die Erfolge dieses Amuletts hinzufügen. Die Be-
Bchwörongsformel aber, die fär alle 7 Tage dieselbe bleibt, lautet also: ,,Im
44 Hiscellen und Bücherachan.
Namen des Allbarmherzigen! Es segne Gott unsem Herrn Mnhammed and
seine Familie und Gefährten mit reichem Glück! Ich beschwöre Each, ihr
Engel, ihr geistigen Wesen, die ihr yor vielen Engeln bevorzugt seid: Bei
der Wahrheit des Namens Gottes, welcher Macht über Euch hat, — sei mir
zu Willen Rafa^l, du Gefahrte auf dem Lebenswege, bei der Wahrheit des
Ah! Ah! Und du, o Grabriel, du Mann der Starke, bei der Wahrheit des
Sam, Sam! Und du, o Sumsomel
(Schluss abgerissen.)
Von den kaukasischen Tafeln (aus Aufaahmen russischer Stahsofficiere) gehört die Frauen-
gruppe den Tschetschenzen, die Männergruppe den Thushi an (s. Sitzungsbericht v. 15. Juli).
Miscellen nnd Büchersohaiu
Bo wring: Eastem Experiences. London 1871.
The Marasu Vokkaligaru (of the Vokkaligaru or agriculturers) haye the custom of ampu-
tating the first Joint of the ring-finger of their daughters in honour of their deity [wie in Austra-
lien, Süd-Afrika u. s. w.] Tlie shepherd caste (Kurubaru) worship the god Birappa (dem die
Kokosnüsse auf dem kahlen Schädel des Priesters zerbrochen werden). In respect to religious
tenets most Brahmans belong to one or other of the three schools, namely Smarta (foHowing
Sringiri Swami, the successor of Shankarachari), Madwa (revering the high priests at Narsipur
in the Hasan district, and Sosile in Mysore), and Sri Vaishnava (of Ramanujachari). To the
Bedars (representing the former rulers of the country) belonged many of the Palegars or petty
barous, who after the fall of the Vijayanagar dynasty, carved out for themseWes independent
principalities (swept away by Haidar Ali and Tippu). Aus der Zeit der Belal* oder Haisal-
Fürsten (YIU. Jahrh. p. d.) in Hasan haben sich die Jains (mit dem Tempel Sravan Helgul) er-
halten. In the denser forests (of Mysore) are the Kurubas (small in stature, like most wild
tribes), coDsisting of the Betta or Hill Kurubas and the Jenu or honey coUecting Kurubas
(very shy, like the Soligas at the Bilirangam hüls). B.
Shaw: Visits to High Tatary, Yarkand and Kashgar. London 1871.
The Wakhanees partake of the characteristics of the Badakshan, having also some of them
light hazel-coloured eyes, as have also the Sarikolees (seen at Kashghar). The more westem
Sokpo (Kalmaks) including those of Zilm are pure Boodhists, being called by the Lhassa people
Nang-pa (of our faith), while the Eastem Sokpo are called chee-pa (of other faith). The Kalka
Sokpo worship a Grand Lama, called Yezun-Dampa. Der Verfasser giebt zugleich Nachrichten
über Hayward, seinen zeitweiligen Reisegefährten, der bei der Erforschung des Pamir zum Opfer
gefallen ist B.
Von Waitz' Anthropologie der Naturvölker ist so eben die letzte Fortsetzung (2 H&lfte
des VI. Bandes) erschienen und werden wir auf diese fleissige und sorgfaltige Arbeit Dr. Ger-
land's, die das grosse Werk würdig abschliesst, des Weiteren zurückkommen. B.
Der VI. und VII. Jahresbericht des Vereins für Erdkunde in Dresden (1S70) enthält (neben
den Mittheilungen der Sitzungsberichte): Hahn, Th., Beiträge zur Kunde der Hottentotten;
Miscellen und Bächerschao. 45
Beckier, das Ifnrray- oder Darling -Gebiet; Wuttke, H., zur Geschichte der Erdkunde in der
letzten Hälfte des Mittelalters (die Karten der seefahrenden Völker Südeuropa's bis zum ersten
Druck der Erdbeschreibung des Ptolemäos). Die Eartenbeilagen finden sich im Nachtrag, der
auch .Abendroth, R., die Colonie am Pozuzu in ihren physischen, ökonomischen und politischen
Yerbältnissen* enthält. B.
Quatrefages: La Race Prussienne. Paris 1871.
Es giebt Bücher, die so sehr den Stempel geistiger Unzurechnungsfähigkeit zur Schau
trai^ii, dass man sie lieber stillschweigend bei Seite legt, um sich nicht der Thorheit auszu-
setzen, aber fixe Ideen zu streiten. Unsere lieben Nachbarn von jeaseit des Rhein haben seit
den letzten Monaten die Welt mit einer reichlichen Zahl solcher Tollhausproducte überschüttet.
Der Ton dieser Schriften zeigt, wie tief die krankhafte Verstimmung bei ihnen Platz gegriffen
b&t, und lässt befürchten, dass einer dieser gewaltsamen Paroxysmen eine unheilbare Destruction
der Hirnfimctionen herbeiführen könne. Es wäre in der That bedauerlich , wenn ein so nütz-
Hckes Vilglied in der europäischen Völkerfamilie, wie es die Franzosen bilden, delirirend zu
Grunde gehen sollte. Sie haben uns die besten Friseure, Tanzmeister und Köche gegeben, sie
wvea ein manierliches, artiges und gespassiges Volk, sie haben auch an den Wissenschaften
ikh^ mitgeholfen, und in manchen Branchen derselben, besonders in der systematischen und
sckiitttischen Verarbeitung ihrer eigenen, und mehr noch fremder, Erfindungen vielfach nach
allgemeiner (und immer nach ihrer eigenen) Ansicht den ersten Rang eingenommen. Die Schat-
tenseiten brauchten ihrem Nationalcharakter so wenig, wie den übrigen Nationen die ihrigen,
zum anssergewöhnlichen Vorwurf gemacht zu werden, aber leider dunkeln sie in der letzten
Zdt 80 bedenklich nach, dass eine tiefe Geistesnacht für das einst so reich begabte Volk im
Anzüge scheint. Für den Augenblick wird kaum Jemand daran denken, Verantwortung für ihre
Worte nnd Handlungen zu fordern, denn ein Blick auf den Absagebrief) der Societe m^dico-
*) Ein solches Gewirr von Verdrehungen, Entstellungen und Unwahrheiten, wie es sich im
Inhalte dieses Schreibens zusammenknäuelt, wäre schwer erklärlich, w€|pn es sich nicht eben
aof die Phrasen reducirte, die geradezu zum Lebensbedürfniss geworden zu sein scheinen. Die
Aozte gehören im Allgfemeinen zu den nüchternen Klassen der Gesellschaft, und wenn selbst
aas ihrer Mitte ein solches Machwerk hervorgehen konnte, muss man in der That für die psy-
cliäche Gesundheit des Volkes bange werden. Wer in diesen schäumenden Wuth ausbrächen
Oberhaupt Einzelnheiten zu unterscheiden sucht, wird Mühe haben zu erkennen, worauf sich die
Vorwürfe beziehen sollen. Dass deutsche Aerzte, die für Ambulanzen nach einem französischen
Orte gekommen, als Spione hätten handeln können, heisst der französischen Naivetät viel zu-
semuthet, wenn sie in ihnen nicht die Angehörigen einer feindlichen Armee erkannte. Ein
Pa^ot würde schon wissen, wie ihre Fragen, wenn sie dieselben überhaupt in strategischer
Hinsicht stellten, zu beantworten gewesen wären. Sollte ihnen aber französische Schwatzhaftig-
keit indiscrete Mittheilungen gemacht haben, so ist es andererseits ein starkes Stück, dass sie
bei einlaufender Contre- Ordre ihren Vorgesetzten den Gehorsam verweigern sollten, und sich
gebunden halten, in einem Orte zu verbleiben, wo man ihnen mit oder ohne ihren Willen Allerlei
»ugeplaudert. Das ist eine so verfeinerte Auffassung der Ehre, dass es den Mitgliedern der
Societe nur anzurathen ist, den französischen Offizieren, die trotz gegebenen Ehrenwortes aus
der Kriegsgefangenschaft entflohen, darüber Vorlesungen zu halten. Dass es vorgekommen sein
nag (wir wissen indess keineswegs, ob es ist , dass Aerzte auf einem Feldzuge ihre bereits ver-
(»rauchten oder beschädigten Instrumente, mit denen sie deutsche und französische Verwundete
bebandelten, durch bessere vertauschten, ist Etwas, wogegen wahrscheinlich der Eigenthümer
selbst, der sie sich wieder ersetzen konnte, Nichts eingewandt haben würde, da der Erfolg
mancber Operation, und also Menschenleben, davon abhängen konnten, und dass femer im
Kriege Fälle eintreten mögen, wo auf Requisitionen unn^eigerlich bestanden wenlen muss,
ob das Pferd einem Arzt oder Nicht -Arzt gehört, liegt in der traurigen Ratio belli, die die
Franzosen ihrerseits bei deutschen Kriegen gründlich zu verstehen gezeigt haben. Das letzte
Beispiel, wo ein deutscher Arzt sich Manuscripte eines französischen angeeignet haben soll, ist
^ solches, das leicht zu verifi^en sein würde, da es sich um eine nach Datum und Ort be-
bnnte Thatsache zu handeln scheint Ob diese Papiere dadurch vielleicht der Zerstörung ent-
pugen sind, wird sich dabei aufklären. Im andern Fall ist es bekannt genug, wie widerrecht-
äche Aneignung fremder Geistesarbeit in Deutschland angesehen wird. Das ganze wüste Ge-
schrei käme also schliesslich auf eine einzige einigermassen verständliche Anklage zurück, die
^\n einzelnes Individuum angeben würde, und da sie in Betreff desselben leicht festgestellt wer-
<^en kann, nicht dieses gewaltigen Apparats von Anschuldigungen, die gegen einen ganzen
^tantl gerichtet sind, bedurft hätte. Ein genügendes Zeugniss für Deutschlands Militärärzte,
46 Miscellen und Bächerschau.
pratique, auf die Yertheidigungsreden Lachaud's und die wiederholte Freisprechung überwiese-
ner und geständiger Mörder oder andere Aeu?serungen der Tagesmeinung genügt zu zeigen,
dass es sich hier um pathologische Störungen handelt, denen Mitleid gebührt, aber kein Zorui
wenn nicht etwa Menschenleben in Frage kommen, und ihre Rettung aus den Händen der Ua-
niakalischen. Anfälle mögen die Zwangsjacke erfordern, in den Intervallen derselben scheinen
die Kranken aber wenig geßihrlich, da sie sich wie grosse Band er ') geberden, oder vielmehr wie
ganz kleine, deren Menschenverstand um so kleiner zusammenschrumpft, je grösser und bomba-
stischer ihre Phrasen sich aufblähen. Phrasen, d. h. Worte ohne inneren Sinn, bilden das
Ganze im heutigen Qallimaihias^ und mit Phrasen lässt sich nicht räsonniren. Das Interesse
an solch gallig vergifteten Schaugerichten kann nur ein psychiatrisches sein, und obwohl man
sich oftmals eines Grauens nicht erwehren kann, diese ohnmächtig verbissene Wuth, diese durch
die Anklagen der Selbstschuld gesteigerte Gewissensangst vor sich zu sehen, obwohl es trübe
stimmt, auf die Gefahren in unheilschwangerer Zukunft hinzublicken, so ist der Totaleindruck
doch mehr ein komischer, wenn man sich ihm auf Feldern hingeben kann, die sich auf Seiten-
wegen von der Politik entfernen und nicht zu thatsächlichen Verwicklungen führen werden.
Solch' einen Beitrag zur komischen Tagesliteratur hat der gelehrte Akademiker und
Professor der Anthropologie Herr de Quatrefages geliefert, und kein Bedenken getragen, seinen
wissenschaftlichen Ruf auf den Altar des Vaterlandes niederzulegen, um dieses und sich selbst
lächerlich zu machen. £ine derartige Schrift eines berühmten und im Uebrigen mit Recht ge-
achteten Gelehrten, der die Wissenschaft durch manches Ergebniss streng durchdachter Arbei-
ten bereichert hatte, zeigt am Schlagendsten, wie schwer der französische Intellect bereits ge-
troifen und in seinem Denkvermögen beeinträchtigt ist.
In einem aus der Revue des deux mondes besonders abgedruckten Artikel wird die Stellung
besprochen, die den Preussen vom ethnologischen Standpunkte aus anzuweisen sein würde, und
damit die dem Belagerungsheer von Paris als Special-Hass ausgelegte Beschiessung des Museums
verknüpft, in dessen Räumen die anthropologischen Vorlesungen gehalten werden. Die Resul-
tate seiner anatomischen, philologischen, historischen Untersuchungen lehren dem akademischen
Anthropologen Folgendes:
Die Preussen (dans les deux Prusses, la Pomeranie, le ßraudebourg) sind Finne -Slaven,
mit Beimischung germanischen und französischen Blutes in den höheren Klassen, sowie den
Bürgern einzelner Städte.
Durch den Anschluss an Preussen haben sich die Deutschen in die Macht der Finno-Slaven
gegeben und ihre Laster angenommen.
In dem plötzlichen Beginn des Bombardements von Paris erkennt man den Slaven, der
Bomben den vergifteten Pfeilen substituirte, die er aus dem Hinterhalt abzuschiessen ge-
wohnt war.
Die Beschiessung des Museums war auf Vernichtung der beneideten Sammlungen gerichtet,
imd aus dem Frankreich gezeigten Hass verräth sich der Finne, der durch eine gehässige Natur
charakterisirt wird.
Endresultat: Die Preussen sind Slaven, sind Finnen, sind hinterlistig-tückische Barbaren.')
Ob eher Congreve'sche Raketen (keine deutsche Erfindung) oder die Mitrailleuse (eine fran-
zösische Erfindung in Nachahmung verpönter Kettenkugeln) als ein Analogen zu vergifteten
die keine weiteren Entlastungen in den aussergewöhnlichen Verhältnissen des Kriegszustandes
zu suchen brauchen, wenn ein zwölfmonatliches Suchen nach Verdächtigungen nichto Substan-
tielleres vorzubringen weiss, als imbeciles Geschwätzt Noch verschleimter rasselt die Expecto-
ration der Academie von Lyon.
') Knabenhaft kindischer kann ein Benehmen nicht erdacht werden, als wie es die fran-
zösischen Anthropologen auf dem Internationalen Congresse zu Bologna dem als Vertreter der
deutschen Gesellschaften dort anwesenden Professor Virchow zeigten, einer wissenschaftlichen
Grösse, der sich in der Gelehrtenwelt nur wenig Ebenbürtige an die Seite stellen. Was hat
denn die Wissenschaft mit politischen Fragen zu thun? Und wenn man hier nicht zu trennen
versteht, wozu dann internationale Congresse oder weshalb besucht man sie dennoch? Die in
Antwerpen anwesenden Geographen zeigten einen besseren Tact.
') Hinterlist und Verrath wohnt bei Polybius und Livius bekanntlich im Westen, von den
Blaven durch den Typus rechtschaffener Ehrlichkeit getrennt. Wo die Finnen, das «glückliche
Volk ohne Geschichte**, alle die Verbrechen, die ihnen zur Last gelegt werden, eigentlich be-
gangen haben, ist von der Geschichtschreibung nicht gut zu beantworten.
Hisoellen and Bncherschau. 47
Pfeilen Kabahsaen sei, bleibe den Fachmännern überlassen. Der Gebranch vergifteter Kugeln
wurde den Franzosen schon lG72*)'in Mastrich Yorgeworfen.
In Frankreicb predigt man oflenknndig und ohne Errotben la haine, den Hass. In Deutsch-
land irnrde derartiges das moralische Gefähl nie erlauben. Man mochte dort von Erbitterung
und Verbitterung reden, aber der Franzosen-Hass galt nur im tadelnden Sinne. Rohere Volker
kennen und kannten die Rache (auch Deutschland in den Freiheitsliedern 1813), aber der Hass
ist jetzt zuerst zum nationalen Stichwort gemacht Hätten wir nicht einen ethnologischen Wi-
derwillen gegen jene leichtfertigen Recriminationen , mit denen man auf das Unbedenklichste
dem Charakter einer ganzen Nation Makel anzuheften bereit ist, so würden wir aus gar man-
chen Schilderungen der Franzosen*) durch ihre eigenen Landsleute reiches Capital schlagen können.
Worauf kommen schliesslich alle die Schmähungen hinaus, mit denen es bei der Grossen
Nation zum guten Ton gehört, uns zu überhäufen?
Wff sind auf das Gewaltsamste in einen Krieg hineingedrängt worden, gegen den wir uns
in jeder Weise sträubten , an dessen Möglichkeit selbst noch im letzten Augenblicke Niemand
(jUnbea weder konnte noch wollte, bis mit der Unterbrechung des diplomatischen Verkehrs jede
weitere HofEiiung schwand. Dann freilich, als die Sache nicht länger zu bezweifeln blieb, dann
erhob sich Deutschland einig als Ein Mann und hat genugsam bewiesen, dass sein anfängliches
Znidem nicht Furcht, sondern Friedensliebe war. Dass diese jetzt seit Jahrhunderten nach jedes-
mal^ franzosischem Belieben aufgezwungenen Kriege endlich einmal Garantien gegen künf-
t^ StöTun^n des Friedens benöthigten, rechtfertigt sich am directesten durch die zunehmen-
den Beweise, dass es nicht die im Laufe der Ereignisse gestürzte Regierung, oder doch nicht
diese allein, sondern eben das Volk im Grossen und Ganzen war, das für den Krieg tobte und
das wahnsinnige Geschrei nach Berlin erhob. Es wirkt übelerregend, dieses l&ppische Gewäsch
so gierig Terschlungen zu sehen, das während des Krieges gegen Deutschland ausgespieen wurde.
Sogar unsere germanischen Vettern in England und Skandinavien, denen sonst ihr kühler und
Temnnftiger Kopf auf dem rechten Fleck zu sitzen pflegt, konnten sich ihn eine Zeitlang so sehr
von den celtischen Rodomontaden verdrehen lassen, um in ihren Blättern wiederzukäuen, dass
die deutschen Artilleristen mit besonderer Vorliebe die besten Bomben') auf alte Weiber richteten
oder auf Säuglinge und Sieche in ihren Betten. Ein etwas kostspieliges und ziemlich fades Ver-
eno^n^), zumal sie auch mit den besten Operngläsern sich schwerlich an dem Schauspiel ihrer
Id Qualen verendenden Schlachtopfer weiden konnten. Die seitdem gegen die Invasion gehäuf-
ten Anklagen zeugen von der Leichtfertigkeit französischer Phantasie, die längst vergass, dass sie
^Ibst diese Horden (die zur Sühne für sündhaft vergossenes Blut nach altem Wehrgelds-Grund-
satz mit Milliarden zu vergolden waren) herbeibeschworen und dass es (wie aus eigener Ver-
f^ngenheit zu lernen) mit der Givilisation im Kriege eine eigene Sache ist Die Barbarei
Hefrt nicht so sehr in der Kriegführung (wo zu oft momentane Rücksichten alles Andere über-
berrachen müssen), sondern in dem Kriege überhaupt, also bei dem Urheber desselben, und es
ist bereits die Frage mehrfach aufgeworfen, ob nicht der Krieg sich als der gelindeste beweisen
') Das gehört zu alten Geschichten, aber auch Quatrefages wärmt solche auf (S. 7).
*) Les paysans continuent ä regarder tout ce qui n'est pas, comme eux, paysan, sous le
Deme aspect quo les hommes de la plus lointaine antiquite consideraient Tetranger! A la ve-
rite, ils ne le tuent pas, gräce k terreur, meme singuliere et mysterieuse, que leur inspirent
des lois quHls n'ont point faites, mais ils les haissent franchement. Auch bei uns ist nicht
jeder Bauer (sowenig, wie jeder Mensch überhaupt) ein Engel, aber für solche Charakteristik liegt
kein Grund vor.
^ Par depit, sans doute, de ne pouvoir prendre Paris, ils se sont appliques k tirer avec
one preference marquee sur la Pitie, sur le Val-de-Grace, sur Thöpital des Enfants (L'Union
medicale S. 708, No. 96, 1871, Nov.), sehr abgeschwächte Ausdrücke gegen die während des
Kiiefres gebrauchten.
*) mrr Quatrefages erklärt grossmüthig genug, nicht mit der Ansicht übereinzustimmen,
^ die Preussen aus reiner Grausamkeitslust auf Kranke und Verwundete geschossen. Man
bleibt am Besten dabei stehen, in einem Kriege, in dem die Intelligenz entschieden haben soll,
dem Sieger nicht solche Bomirtheit zuzutrauen, dass er seine Mumtion für Nebenpersonen ver-
sehwendet, oder absichtlich Sammlungen, wie in Strassburg, niedergeschossen, die jetzt mit
«hwerem Gelde wieder aufzubauen sind. Und wenn er Gelüste verspürt hätte für die von
•*^t^Cloud, von Sevres, von Paris, wer hätte ihn verhindert, sie zu nehmen, als Revanche für
frühere Plüuderungeu ?
48 Misoellen und BucherschaiL
würde, der am nachdrücklichsten und rücksichtslosesten') geführt wird, weil dann am rasche*
sten beendet (statt Verlängerung auf 30 Jahre und mehr). Die humane Weise, mit der der
letzte Kriegt geleitet wurde, wird Jeder zu schätzen wissen, der die riesenhaften') Anstrengun-
gen der deutschen Verpflegungs-Commissionen überdenkt, und die schweren Lasten, die das be-
siegte Volk zu tragen gehabt haben würde, wenn man sie ganz auf seine Schultern gewälzt
hätte>; Gerechtfertigt wäre dies genugsam gewesen, sowohl aus früherem Kriegsgebrauch ^), als
Yor Allem aus dem offen proklamirten Grundsatz des Kampfes bis zum Messer. Auf französi-
scher Seite wurde mit jeder Art Messer und Stilett, mit bella intemecina, guerre k outrance
gedroht, aber der Gegner sollte nur das Recht haben, mit Glaceehandschuhen anzufassen. Üass,
wenn eine Million Individuen aller Klassen und Stande sich von Deutschland über Frankreich
verbreitete, nicht für jede einzelne Persönlichkeit moralisch einzustehen war, wird kein ünpar-
theiischer auffallig finden, und ebensowenig wird er bezweifeln, dass eine Million Franzosen in
Deutschland ganz anders gehaust haben würde. Jene schon vor dem Kriege erlassene Procla-
mation, mit Drohungen gegen das schwächere Geschlecht*), zeigt genugsam, was von ihnen zu
erwarten stand. Wenn beklagenswerthe Excesse in einem am Schlachttage zerstörten Dorf wirklich
in der zum Vorwurf gemachten Ausdehnung begangen sein sollten, was sie erwiesenermassen uicfat
sind, so würden selbst sie, als in der Wuth und Aufregung des Kampfes verübt, ihre Entschul-
digung zulassen. Was z. B. sind sie gegen jene mit kaltem Blut ersonnenen Gräuel, als franzö-
sische O^iereO ihren Mannschaften Reiser herbeizutragen befahlen, um die Greise, Weiber
und Kinder des uoglücklichen Stammes Ouled Riah in ihren Zufluchtshöhlen durch Rauch zu
0 „Fortan, welchen Rang sie auch in den Armeen, welchen Posten sie auch in der Ver-
waltung bekleidet haben mögen, wird das Kriegsgesetz in seiner vollen Strenge auf die Führer
dieser Art Briganten angewendet werden^, proclamirte Bazaine, als er den Präfectea Chaves
mit fünf seiner Offiziere erschiessen Hess (1S()4).
^ Le marechal Bugeaud (portant partout le fer, la flamme, la devastation) ne foisait que
renouveler le Systeme de guerre applique par Metellus (Nettement). Das geschah freilich gegen
Ungläubige, aber aus eben diesen hat man doch die Regimenter der Turcos formirt, um sie auf
Deutschland loszulassen.
') Ebenso unverantwortlich sind die gegen Deutschland gerichteten Anklagen wegen unzu-
reichender Verpflegung der Kriegsgefangenen, während angesichts der Schwierigkeiten, eine
solche Zahl unerwarteter Gäste im harten Winter zu verpflegen, Bewunderungswürdiges gesche-
hen ist, wie es englische und auch französische Berichterstatter damals genugsam anerkannten.
*) Wie würde es Deutschland gegangen sein, wenn die Franzosen seinen Boden zum Kriegs-
theater hätten machen können, denn beim Mangel der Proviantvorbereitungen in der Rhein-
Armee, c*est k peine si nous etions assures du lendemain, gesteht Quesnoy.
^*) Während des Jahres 1812 hatte die Provinz Ostpreussen 333,632 Mann zu verpflegen.
Die Zahl der zu stellenden Pferde betrug für Ostpreussen täglich 18,000 Stück (s. Gebauer).
In den Leiden Danzigs (1807 — 14) berechnet Liech den Verlust schon aih Ende des ersten Jah-
res für diese Stadt auf 20,000,000 Thaler.
*) Was bei den eigentlichen Wilden als Keim eines völkerrechtlichen Znstandes angesehen
werden kann, beschränkt sich im Kriege auf Schonung der Weiber und Kinder (s. FaUati).
Diese auch den Wilden bekannten Elementarprinzipien des Völkerrechts setzte Frankreich schon
damals aus den Augen, als es auf der Höhe seiner Givillsation stand, im goldnen Zeitalter
Louis' XIV. Unter General-Lieutenant Wrangel (Bruder des Feldmarschalls) begingen die Füh-
rer und Soldaten unerhörte Ausschweifungen auf Anreizung des französischen Gesandten Vitrius
(s. De la Pierre) 1675 in der Ukermark. «Und sollte kein Pinsel sattsam abmalen, noch weniger
einige Feder genugsam ausdrücken können, die jämmerliche Misshandlung und tausendfältige
Schmach, die sie erdacht und ausgeübt, dass billich vor aller Welt diese schändliche Nation
derwegen zu verpfuyen ist (in Beschreibung der durch die Franzosen verwüsteten Dörfer Bodec -
grave und Swammerdamm). Bei allen diesen Tyrannisirungen, so allerhand Alter und Geschlecht
fühlen musste, hatten es die Weibspersonen am allerschlimmsten'' (1672), schreibt Bosch und
giebt auf S. 129 — 152 eine detailUrte Beschreibung (mit Namen, Ort und Zeit bei jedem Falle)
von Bestialitäten, die sich |etzt kaum andeuten Hessen, aber damals von den Soldaten des Gros-
sen Königs thatsächlich oreubt ^nirden.
^) Le colonel Pdlissier est arrete par les Ouled -Riah, qui se refugient dans leurs grottes.
Apres les avoir en vain fait sommer de se rendre (ne pouvant les forcer dans ces grottes, ni
les laisser sans un danger sur ses derrieres), il fait allumer devant Touverture de grands feus.
Cinq Cents personnes, hommes, femmes, enfants, perissent dans cette circonstance, action ter-
rible, qui arrive auz dernieres limites de droit de guerre (1845). D'apres la loi terrible qui
regit cette chose qu*on appelle la guerre, on a le droit de faire k Tennemi le mal necessaire.
L'humanite en gemit, mais comme eile gemit de la guerre et de tous les malheurs qu'elle en-
traine ä sa suite.
lOscellen and BuchenchaiL 49
entklen? Die Yerimmgen Binzelner dürfen nimmer der Gesammtheit zum Vorwurf gemacht
werden, als Oiigan der Nation kann höchstens die zeitweilige Regierang aaftreten, und in den
Froclamationen der deutschen Regierung in Frankreich wird kaum der Partheihass Anstössiges
fiaden können, wahrend die Geschichte längst jene Edicte gebrandmarkt hat, in denen die fran-
zösisehe Regierung während der Kriege in Deutschland die Sprache der Mordbrenner^} und
Stnssenr&nber redete.
0 Sa Majeste tous recommande de faire bien ruiner tous les lieuz que vous quitterez, tant
sor U haateur du Neckar que sur le bas, schreibt LouTois an Montclar (Dec. 1688), als Cham-
lay den Gedanken «de Fincendie du Palatinat* gefasst Le moyen d'empecher que les habitants
de Manheiffi ne s'y retablissent, c'est apres les avoir avertis de ne le point faire, de faire tuer
tous ceux que l*on trouvera Touloir y faire ouelque habitation, schreibt Louvois (Mai 1689).
Loavois ayait donne l'ordre de raser les fortincations de Haguenau, de Saveme et de Mont-
bäiard (167-1). Ordre fdt donn^ aussi de devaster tout le pays situ^ entre le Rhin et la Sarre
et tonte la vailee de la Sarre jusqu'ä la MoseUe. Le baron de Montclar , chaige de cette exe-
cution, le fit pendant Thiver avec une extreme rigueur (Rousset). «Vous pouvez compter que
rien (hi tont n'est rest^ du süperbe chäteau de Heidelberg. II y avait, hier k midi, outre le
etoteu, ooatre cent trente deux maisons brulees, le feu y ^toit encore" (schreibt le comte du
Tose an LouTois). Je ne doute pas que M. Fintendant ne yous rende compte des meubles
qiü se sont trouves dans le chäteau, que je lui ai £ut remettre. «Von den Franzosen wurden
«2/ Befehl des Königs alle haltbaren Orte, wie Heidelberg, Oifenburg, Mannheim erst in Brand
festeckt und gesprengt, obwohl die Brandschatzung richtig gezahlt ward (1672).* Zweibrücken
foeben vielen anderen Städten) wurde (1677) niedergebrannt, und bei Eröfihung der Gruft der
Pftlz^en wurde Ton den Soldaten mit den Leichnamen .schimpflicher Muthwille getrieben*'
(IfflhoO- »Fast in der ganzen Pfalz, Markgrafschaft Baden, Speyergau und Hundsrnck blieb keia
gemauerter Ort übrig* (1684). Les cavaliers, grenadiers et dragons, qui ont trayaüle ä la des-
truetion desdites yilles (Spire, Worms et Oppenheim), ont tant bu de vin que cela leur a fait
fuxt mille dterdres. Oes troupes et surtout les grenadiers ont fait un gros butin dans la yille
de Worms ayant trouT^, en d^molissant les maisons, quantit^ de meubles, nippes, habits jusqu'ä
de I argent monnaye, qui etait cache ou en terre ou en des doubles caveaux, schreibt Delafond
an LouYois (Jury). ,M. de Montclar m'a fait dire d'avoir re^u de la cour Fordre de raser tous
les chlteanx et lieux, ierm^ dans ma pauvre comte, qui ne sont d'aucune im|X>rtance et que
Ton pourrait prendre Sans conp ferir et, pour ainsi dire, avec des pommes cuites", schreibt
\3o./aiL 1677) die (Gräfin von Hanau an Louvois (sich auf die Frankreich geleisteten Dienste
bcrofend), und im Februar: .Toutes mes terres sont ruines de fond en combloi plüsieurs milles
Htiments y sont brdles et abattus par les armees de Sa Majeste.* M. de Duras stellt vor: «que
la destraction des villes de Spiro et Worms pouvait faire un tres-mauvais effet dans le monde
poBr la reputation et la gloire du roi, et lui attirer Findignation et Faversion publique*, aber
im Mai schreibt er (nach empfaagenen Befehl) an Louvois: Je vous avais mande, Monsieur, que
je ne ferais mettre le feu que mercredi, j'ai ordonne qu'on le mit mardi, parce que toutes
choses sont quasi en etat pour cela et j'ai mit partir tous les ordres il y a deux heures. Gati-
nat's Verwüstungen in Savoyen (1690) wurden auf Louvois' Befehl ausgeführt und unter Bona-
parte wurde (1796) die Plünderung Italiens regularisirt (wie bei Ijanfrey zu lesen). If there is
any mbject on wMch a Frenchman ought for ever to keep silence, it is that of the manner in
wMch Ms countrymen used, not their victory, but their liberal propagandism during the First
Bepablic, to rob the nations among whom they preached their gospel of ''Liberty, Equality,
Fratmiity**. The very first chapters in M. Lanfrey's Life of Napoleon, or those in the third
volome of MH. Erckmann-Chatrian's Memoires d'un Paysan, ought to satisfy the generality even
oCFrench readers with respect to the sayings and doings of that hero whose statue has by the
isadmen of the Commune been made to roll in the mud of the Place Vendöme. The French
nwted the Sardinian and Austrian armies in the name of the Universal Republic. They came
to eonquer Italy for the benefit of the Italians; they calied upon the people to join the brother-
bood of emancipated nations, and Oisalpine, Gispadane, and other Republics rose at their bid-
din^; wherever they appeared. It was right, in their opinion, that toey should be paid, and
most amply they paid themselves. Sardinia and Austna had to purchase peace at a tremen-
dous price; while öenoa, Parma, Modena, Tuscany, and other minor States were hardly less
seTerely mulcted for their neutraUty. But the conquering hero had Italian blood in bis veins
— not in his heart — and he knew where lay the real wealth of Italy. When the Duke of
Pvma's treasory was ransacked to the last farthing, the tum came for the Gorreg^rios in the
I^val Aeademy. Worse luck was in störe for Modena, whose people had, by their rebellion
^nast the last Prince of the House of Este, hastened the occupation of their Duchy by the
i&^ader. At every step in the Roma^na the work of French devastation went on. Private col-
ieetioiis shared tne fieite of public guleries. Ghurches were treated with as little ceremony as
Pilaees. There was not a picture, not a statue, not a book, not a manuscript, not an antique,
Qot a monument of any price that escaped the rapacitv of the Commissioners of the French
Directory. Bonaparte had conceived the idea of making Paris the museum of the world. The
very bronze boraes of St Mark had to come down from their lofty Station in front of the Ba-
Zciuchrifl für Etbuulogi«, Jftbrguig lh73. j
50 Miscellen und Büchendiaa.
Auf welche Basis fahren im Gnmde die französischen Anklagen gegen Deutschland zuräck?
Preussen (das man von Deutschland trennen zu können meint, während eben alle deutschen
Stämme zum Aufbau Preussens beigetragen haben), Preussen wird von der grossen Nation
jenseits des Rheins als Eroberungsstaat verschrieen. Die Kriege Friedrich des Grossen (der sich
in seinem kleinen Lande gegen Oestreich, Frankreich und Russland zugleich zu wehren hatte)
waren doch schwerlich Erobei^ingskriege zu nennen, da es ihm hart genug an's Leben ging.
Die Theilung Polens war ein diplomatischer Act, von dem alles Recht oder Unrecht nicht von
Preussen allein zu tragen ist. Im laufenden Jahrhundert können als Eroberungskriege') nur
die des ersten Napoleon') gelten, der die Feldzäge Ludwig XIY. repetirte und seine Pläne
wieder aufnahm. Frankreich allein besass die innerliche Einheit und Kraft zu solchen Unter-
nehmungen, Deutschland war von jeher zu uneinig und zerrissen, um an Eroberungskriege den-
ken zu können, und jetzt, wo es zuletzt die Kraft erlangt hat, ist mit ihr auch das Verstiiid-
niss gekonunen, dass Friede besser sei als Krieg. Auch der Blödeste muss erkennen, dass die
Grarantie des europäischen Friedens durch Deutschland gegeben ist, durch seine noch immer
etwas unbehülfliche Masse,*) die vom Centrum aus das Ganze stetigen wird, während eine fran-
zösische Hegemonie die Nachbarländer beständig in revolutionären Parozysmen von Hitze und
Kälte halten wird. Diese Verhältnisse sind ad nauseam erörtert, und wird man hoffentlich nicht
länger darauf zurückzukommen haben, seit der französische Unterhändler selbst aus unseres
deutschen Staatsmannes Worten seine Friedensliebe bezeugt hat.
Die Möglichkeit des letzten Krieges und vor Allem das entsetzliche Nachspiel an dem ver-
meintlichen Mittelpunkt der Cultur hat genugsam bewiesen, wie hohl und nichtig es mit der-
selben noch bestellt ist. Die Missionäre erzählen uns von den Polynesischen Inseln, auf denen
ein Gau den andern bekämpft, wenn er ihm zu blähend und glücklich scheint Man verwun-
dert sich ob solcher Wildheit und schickt christliche Lehrer zur Besserung. War das Beneh-
men jener an der Spitze der Civilisation marschirenden Nation um einen Deut verschieden
von dem unmündiger Naturvölker? Preussen ist allerdings seit dem vorigen Jahrhundert im
Wachsthum begriffen. Vom Fluss der geschichtlichen Bewegung ergriffen, muss es sich aus-
breiten und erstarken. Seine ßlüthe erregt den Neid des Nachbars, und der furchtbare Kri^
entbrennt, in dem Hunderttausende hingeschlachtet werden.
Nach solchen Erfahrungen in der That könnte man an der Civilisation verzweifeln. Doch
hängt diese nicht von Frankreich ab, wie jedes Auge leicht durchschaut, das sich nicht von
romanisch-celtischem Wortschwall hat umnebeln lassen, denn längst schon ist der germanische
Stamm Europa's der Träger kosmopolitischer Cultur (in England, Scandinavien und Deutschland).
silica, and were sent to Paris. The church itself would undoubtedly have followed had there
been a Canadian engineer at band to put it upon wheels. Such are the „monuments of French
genius** (aus den Times).
*) Dass die Preussen in einem nur ungern begonnenen Kriege, in dem es sich auf keiner Seite
um Eroberungen handelte, eine Schlacht gewannen, konnten sie doch eigentlich kaum helfen.
,Um Gott (Herr Nachbar), zürnet nicht", dass sie dies Versehen begingen. Im dänischen Kriege
wurden allerlei Animositäten aufgeregt, die man bei der nahen Verwandtschaft zwischen Deut-
schen und Dänen besser hätte ruhen lassen. Das Endresultat konnte unmöglich beide Seiten
gleichmässig befriedigeD, da es sich um zweifielhafte Grenzprovinzen handelte, bei denen niemals
möglich ist, eine unbedingt richtige und beiden Partheien genügende Scheidelinie zu ziehen.
*) Wie die amerikanische Zeitschrift Nation von den Franzosen sagt: Zweimal in diesem Jahr-
hundert haben sie alle Hülfsquellen ihres herrlichen Landes, die absolute Verfügung über ihre
Armee, ihre Marine und ihr ganzes Erziehnngswesen den Händen eines militärischen Abenteurers
überliefert, ohne eine andere Bedingung ausser der, von Zeit zu Zeit Streit mit irgend einem an-
deren Lande zu suchen und sich nicht besiegen zu lassen — in anderen Worten, einen christ-
lichen Staat gerade so zu gebrauchen, wie ein Räuberhauptmann seine Bande.
^ Besser als durch künstliches Balancement stellt sich das Gleichgewicht durch vorwie-
gende Schwere her, wenn in dieser ein Streben nach Beharrlichkeit und organischem Fortschritt
waltet, wie im Staatskörper Preussens. Jetzt freilich hat sein Banner, weil es sein musste, ein
Wilhelm der Eroberer gefuhrt, aber sein Symbol ist das des Friedens, wie im Namen so vieler
seiner Könige bedeutungsvoll angezeigt. Der französische Nationalgeist ist das Ferment im alten
Europa, der weniger durch Schöpfung eigener, als durch Verarbeitung fremder Ideen (wie des
durch englischen Freiheitssiim in Amerika erweckten Republikanismus während der Revolution)
Stagnation verhindert und zu Neubildungen anregt, und insofern haben die Franzosen nicht ganx
Unrecht, sich ein Hauptverdienst am moidernen Fortschritt zuzuschreiben. Solch ein unruhiges
Element ist jedoch am Wenigsten zum dominirenden Vorherrschen geschickt. Ein wenig Sauer-
teig aufgemischt thut gut, a^r allzuviel macht den ganzen Teig sauer und faul.
Miscelien und Bnchenchau. 51
Geben wir indessen auf die Argfornentationen des wunderbaren Büchleins ein, das die ganze
Gelehrsamkeit anthropologischer Zukunftswissenscbaft der sonst landläufigen znfagt, und so an
Ißbaltsfalle die dickleibigen Folianten unseres Mittelalter übertrifft, die mit dem ersten Schöpfongs-
tai?e Adam's beginnen, die Geschichte von Noah ab durch jüdische Propheten und Konige,
•lurch römische und griechische Kaiser auf ein paar Dutzend Seiten absolviren und dann auf
den resp. Franken oder Sachsen kommen, der sich auf dem Boden der Specialbeschreibung nieder-
a^t. Jetzt fassen wir solche Dinge ganz anders an, wir begnügen uns nicht länger mit lumpigen
•■^00 Jährldn, uns ist die Rechnung mit Milliarden geläufig, denn sie zahlen und bezahlen sich
ybliesslich ja ebenso leicht, und der Pariser Professor beginnt den Aufbau des heutigen Berliners
mit dem quatemären Urmenschen, ja er greift selbst zurück auf die geologischen Schichtungen
•ier Tertiärzeit, in der Thomme vivait en France et en Galifomie (S. 40). Ob dieser Torweltlichste
äiler Menschen sich selbst zu fressen pflegte, darüber sind die Acten noch nicht geschlossen.
Iq verschiedenen seiner Nachfolger, wüsten Troglodyten auf französischem Boden, haben die ein-
^dmiscben Anthropologen indess anthropophagische Gelüste mit Sicherheit constatirt, und sie
nnko nicht ohne Bekümmerniss dieses für die an der Spitze der Civilisation glorificirende
Nation nicht unbedenkliche Zeugniss ausgestellt haben, wie denn auch in der Commune von
Pvis ein entsetzlicher Rückschlag in die alte Barbarei zu Tage trat. Interessanterweise lässt
sk!i auch in diesem Falle der Atavismus bis in Einzelnheiten verfolgen, indem die Nachkom-
oeo desselben Höhlenmenschen, der uns alle die haarigen Mammuth und Elephanten in Europa
3D^^brt zu haben scheint, nach 31,871 Jahren (nach gemässigtster Chronologie) gezwungen
mden. die Elephanten des Museums im Ragout zu verspeisen. Vielleicht gehörte dies indess
m Nemesis divina (S. 105).
Da der Verfasser sich hierüber nicht weiter auslässt, wollen wir mit ihm zum quatemären
Menschen zurückkehren, les peres de nos Blancs allophyles, d, h. der Finnen und was daran hängt
Der quatemäre Mensch hat zunächst, wie uns der Pariser Gelehrte auseinandersetzt, die
ä')nderbare Liebhaberei, sich in zwei Erscheinungsweisen zu zeigen, nämlich 1) gross und 2) klein.
Welch' dritte Form*) ausserdem überhaupt noch möglich ist, erläutert Hr. Quatrefages ebenso-
venig, wie die Craniologen, die, nachdem sie erst die Länge und Breite zum Eintheilungsprin-
ip ^macht haben, nun zu ihrer Ueberraschung überall Dolichocephalen und Brachycephalen
^Meo. rielleicht sogar noch Mittelköpfe, so dass hier also tertium datur.
In der Zahl der bis jetzt registrirten Knochen mag vielleicht Einer auf je 1000 der Millio-
fifl) Jahre kommen, :iber dennoch ist es dem bewundemswerthen Scharfblick der französischen
IflÜiropoiogen gelungen, die ganze Rasse nicht nur zu reconstniiren, sondern sie durch alle
Wechselfaile der Eiszeit, der Land- und Meer- Veränderungen und andere Fährlichkeiten hindurch
^'iiieklich bis in die historische Zeit des Finnenthums zu führen. Es hat etwas gewissermassen
Irririrendes zu sehen, dass unter geschichtlicher Beleuchtung schon wenige Jahrhunderte die gross-
tc& Verheerungen anrichten unter Rassen, die im anthropologischen Vordunkel der Urgeschichte
för Tausende und Zehntauseude Ton Jahren auf das präciseste, durch Tasterzirkel und Bftnd-
loass controlirt, zusammengehalten waren. Tief eingeweiht in die Symbole des anthropologischen
Hysterienbundes , zeigt uns Hr. Quatrefages, wie die quatemären Krüppel^, dieses unselige
^iiinengeschlecht (das schon seit länger alle uigeschichtlichen Sünden zu tragen hat), in den
Uteni der weissen Allophylen, den Boden Frankreichs, als er sich mit milder werdendem Klima
verschönte, auf nordöstlicher Auswanderung verliess, weil es sich unzweifelhaft unwürdig fühlte,
^ belle France zu bewohnen (denn bei der kosmopolitischen Natur des Menschen und seiner
Modificationsfahigkeit könnte das Milieu nicht, wie bei Thieren und Pflanzen, zum Motor ge-
uoDimen werden).
') Was in einem normalen Durchschnitt als Gross oder Klein zu bezeichnen ist, wird sich
i^h den Elementarprinzipien eines logischen Denkens doch nicht wohl eher feststellen lassen,
^ U» ein Ueberblick über die anthropologischen Constituenten des Menschengeschlechts gewon-
')«n ist, und bis jetzt war kaum ein Femblick möglich. Dass besonders bei den geschichtlich
J**e^n Völkern Europas in Folge ihrer Gliedemugen die vielfachsten Schattirungen in der
nasseren Erscheinunj^ zu Tage treten müssen, hätte sich aus Polynesien, Indien, Haoussa und
^n*ieren günstig sitmrten Beobachtungsfeldem schon damals entnehmen lassen können, als sich
Milne-Bdward» trotz seines scharfen Beobachtungstalentes durch die in der Correspondenz mit
roierry erweckten Theorien irre führen Hess.
*) Ais deren Blutsverwandte ein scharfsichtiger Franzose auch die pommerschen Hünen
erkannt hat. , ^
4
52 lÜBceUen und Bächenchao.
Der quaternäre MenBch Europa^s war ein Finne, wie es von Pruner-Bey neaerdings (1870)
auis Neue bestätigt wird. Was ein Finne ist, weiss bis jetzt kein Mensch, also am Wenigsten
der Menschen kennen lernende Anthropologe und auch kein Ethnologe, der das Wissen im natur-
wissenschaftlichen Sinne fasst, und seine Wissenschaft erst zu begründen hat. Der einiige, der
etwas davon hätte wissen können, wäre Sjögren gewesen, da er allein dieses Arbeitsfeld mit ge-
nügender Gründlichkeit bebaut hat, und ihm mag es gegangen sein wie HegeFs Lieblingsscbüler,
dass er genug verstand, um misszu verstehen. Was mit quatemären Schichtungen eigentlicb
gemeint sein soll, darüber herrschen bei den Bedächtigeren unter den Geologen noch gar man-
cherlei Bedenken, und ob nun einige hie und da, im reinen Zufall und in Ermangelung je.ler
chronologischen Gontrole abgefundene Fossilien ohne Weiteres für die Repräsentanten ein«
ganzen Gontinentes, in einer imaginär fizirten Epoche au&ufassen seien, das bleibt dem gesun-
den oder dem mehr weniger wirren Urtheil eines Jeden überlassen. Die Anlagen zum logischen
Denken sind eben von Natur verschieden. Man hat bei Solutr6 (Glos du Ghantier) und anderswo
Schädelformen aufgefunden, für die sich Aehnlichkeiten bei einigen unter dem GesammtDamen
Finnen zusammengefassten Yolkem zeigen, und obwohl sich trotz Retzius' Bemühungen bis jetzt
kein finnischer Normaltypus fiziren lässt, war es angezeigt und rathsam, die scheinbaren oder
wirklichen Analogien vorläufig einzuregistriren. Wer nun aber aus solch abgerissenen Fetzen eiligst
.eine vorgeschichtliche YölkerkarteO Europas zusammennähen und dieselbe mit dem hier völlig
inhaltslosen Worte Abstammung phrasenhaft umbrämen will, der mag sich selbst mit diesem
harlekinsartigen Lumpengewande, wenn er es liebt, behängen, nicht aber die Anthropologie als
solche compromittiren. Wollten wir indess schliesslich sämmtliche Machtsprüche der französi-
schen Anthropologen im vollen Glauben acceptiren, so ergäbe sich daraus immer nur, dass auf
französischem Boden finnische Vorfahren gelebt haben, nicht aber auf deutschem, denn in
jenem hat man soweit ihre Spuren gefunden, in diesem keine.
Die am Ende der Eiszeit aus dem Paradiese der europäischen Mittelländer (alias Frank-
reich) verbannten Finnen zogen sich dans les äpres soUtudes du bassin de la Baltique (ein poe-
tischer Ausdruck für das märkische Sandfass und die Heimath geräucherter Gänsebrüste), wo sie
unbelästigt verweilten jusqu*au moment, ou le flot des Slaves d^borda jusque chez eux. Diese
Entdeckung nimmt Hr. Quatrefages als sein besonderes Verdienst in Anspruch gegenüber der
früheren Theorie, der zufolge die Finnen vom Nordosten gekommen. Les langues slaves depos-
sMerent les langues finnoises, und obwohl sich in den fraglichen Localitäten das litthauiscbe
findet, so «bestätigt^ doch die Linguistik les conclusions d^jä justifiees par r4tude des carac-
teres physiques, denn Thunmann, dont Malte-Brun «parait* adopter les idto, sCroit*" avoir trouve
de nombreuses traces de Finnois, wenn auch Adelung a conteste quelques-uns de ces resultats.
Die Gitate sind vorwiegend aus Malte-Brun, der Schleicher noch nicht kennen konnte, so dass dessen
Arbeit nicht angeführt wird, und die Linguistik «montre dans les divers dialectes litbuaniens des
langues entierement slaves melangees seulement de quelques mots gothiques*, während sie um-
gekehrt dem Litthauischen eine selbstständige SteUung vindicirt hat Dass das Altpreussische nur
ein Dialect des Litthauischen sei, dieser langue aryenne, qui se rapproche le plus du sanscrit,
wird zugestanden, aber es wurde geredet von einer population m^lang^ de g^ants et des nains^
oder (von der aOzag^ration* abgesehen) von Grossen und Kleinen (vermuthUch auch von einer
Mischbevölkerung Dicker und Dünner, Hässlicher und Hübscher).')
>) Ro^t de Belloguet zieht Anschluss an die Berber vor. Die lappischen Zeugnisse der
Kjökkenmoddings würden den scandinavischen (Germanen gefiLrlich werden können , wenn sie in
Verwicklungen mit Frankreich gerathen sollten.
*) Für unsem Autor sind die Zweige die Finnen (indem er die anthropologischen Repri-
sentanten derselben stets mit einem unt^timmt vor seinem Geist schwebenden Bilde der Lap-
pen, wie sie Nilsson in schwedischer Urgeschichte finden wollte, oder Samojeden zu verwechseln
scheint), denn sie können nicht entstehen aus der Union de deux races grandes, wie (jermanen
und Slaven. Die Slaven, in denen der gewissenhafte Ethnologe eine verwickelte Riesenaufgabe
sieht, deren Lösung ihm gestellt, aber bisher durch seine Arl^iten kaum oberflächlich gestreift
ist, sind dem französischen Akademiker so geläufig, dass er über die Wenden in Kärnthen und
andere slavische ^Zweignationen*" unbehinclert fortläuft Sie fehlen auch nicht (im Anschluss
an unterirdische Sagen von slavischer Vorbevölkerung) in der „Nationalite allemaude*, die ,le
Pangermanisme" den Gothen allerdings nie hat unterordnen wollen (S. 17), weil er sich erst
aus ihnen zusammen aufbauen konnte.
*) Grenzbegriffe bildende Gegensätze finden sich natürlich überall, und solche Scheidungen
nach Eztremeu können doch erst bei Aulstellung eines Normaldurcbschuittes einen Sinn beao-
Hiscenen und Bvchenehaii. 53
Ab Prototyp der kleiiien Rasse werden die Letten aniJB(estellt, einen Dialect der ^^lanj^es
siftfes* redend, aber angehorig^ den «Races finnoises".
Sn sornme, des Finnois, pnis des SlaTes plns ou moins pars, plus ou moins melanges, tels
ont et6, JQ8qii*aii milien du Xu. siecle, les seols el^ments ethnologriqnes dans toute la region
compffise de rEsthonie an Mocklembonif^, so ist die Schlnssf61g[erang , zu der der mit der Ter-
tttiepoebe beginnende Veifuser gelangt, ehe er sich zu der Behandlung der prenssischen Er-
oberung wendet, unter der Heirschaft des deutschen Ordens wurden deutsche Golonisten be-
sonders in die Städte berufen, »les campagnes restaient abandonn^ k la race slayo-finnoise.*
Das mit Brandenburg Tereinigte Land wurde dann civilisirt durch die Refagies, es findet sich
aber augenbücUich noch im Mittelalter »au d^pit d'un vemis de ciTilisation emprunte surtout
i la France.*
Kb darf nicht Torsucht werden, die ethnologischen Probleme des ostlichen Europa, die so ver-
sehiedenartige Beantwortung erfahren haben, einer cursorischen Behandlung zu unterziehen, da hier
veder Zeit noch Ort dafür ist, und bleiben wir deshalb dabei stehen, unsere Antwort an Hm.
dcQQsMages zu richten, der als älteste Bewohner in das baltische Preussen Finnen setzt
(was ür Leute das nun immer auch sein mögen). Das reimt sich nach seiner Ansicht am
besten mit quatemären Hypothesen. Auf diesem Ton der Kritik noch wenig beaufsichtigten
Tenain ha^n manche Lieblingshypothesen zu Steckenpferden gedient, und die meistbekannten
saä aerlicher und sorgfUtiger aufgeputzt, als der nach dem Geschmack seiner troglodytischen
Forfidiren plump geschnitzte Knüppel , auf dem der gallische Akademiker umherhnpft und sei-
nen anthrc^logischen Ruf zu bedenklichem Falle bringen wird. Ohne uns indess mit diesen
Kinderspielzeugen autmhalten, werden wir uns an die thatsäch liehen üeberlieferungen halten,
die auch in-ihren kläglichsten Brocken immer verhältnissmässig substantiellere Nahrung liefern,
tls nur iilusoriseh hingemalte Speisen.
Gerade das für finnische') Yerwandtschaft gefährlichste, weil östlichste, Terrain, das alte
Preoasen, lässt sich am leichtesten identificiren, als der Findungsort des Bernsteins*) (Qlessum),
der aosserdem nur in geringen Mengen von der holsteinischen Küste und umliegenden Inseln
exportirt werden konnte. Pytheas (ob er nun die Ostsee erreicht hat, oder, wie man neuerdings
vorzieht, nur den Nordseestrand) nennt neben dem bemsteinreichen Abalus die Guttoner (ein
fennanisches Volk), mit den Teutonen (der Insel Godanonia im sinn Oodano bei Mola) handelnd,
Piiidas (aus der Zeit des Mithridates) Osericta (OsiUa oder Oesel) oder Osenland (riks), und wie
(fiese Bezeichnung weist der durch Pannonien geführte Handel auf das samländische Bemstein-
iiiid, während der westlichen Ausfuhr die Elbe dienen konnte. Bei Tacitus tritt zuerst der
Name der Fenni (als thyssagetischer Jagdvölker) in Feningia (bei Plinius) auf, und obwohl sich
die Gdehrten über die Bedeutung desselben und seine Beziehung zu dem der Suomi noch sehr
veni^ geeinigt haben, steht doch jedenfalls soviel fest, dass die unter ihm begriffenen Stämme
nicht innerhalb der Grenzen des jetzigen Preussen wohnen konnten, da die Bemsteinküste von
Stammen der (eisenarmen)') Aestyer (Aestuorum gentes) occupirt war: bis zu den Aestyem reicht
Sprüchen. Die Anthropologie kann von ihnen (sowie von Breite und Län^ der Schädel) nur
<Unn Gebrauch machen, wenn es sich um die real in ihrer (}esammtmasse überschaubaren Yol-
ker^^ppen der Etimologie handelt, aber doch wahrlich nicht bei der Vorgeschichte einer ideal
m eoDstroirenden Paläontologie, wenn die Induction sich selbst treu bleiben will.
0 Aufjenem weiten Durchzugsterrain während der Yölkerwanderun^, in den Ländern an
<Mer und Weichsel, sind eine Menge von Neugestaltungsprozessen nach einander hervorgetreten,
iber was man in geschichtlicher 2^it als Finnen zu bezeichnen pflegt, hat dabei eine se£r unter-
geordnete oder vielmehr sar keine Rolle gespielt, und der urgeschichtliche Finne ist einjranz
«ideres Denkproducty den Kein naturwissenscnaftlich logischer Denker in so incongruenter Weise
>Qfnuschen wird. Bei Entstehung der prenssischen Nationalität, die ganz in historischen Zeiten,
toid zwar sehr jungen, verlaufen ist, handelt es sich nicht um jene schöpferischen Machtsprüche
tier Urgeschichte, denen 1000 JiJire wie ein Tag sind, sondern um ein sorgföltiges und ein-
ladendes Quellenstudium, das der kaum geborenen Anthropologie noch jahrelange Arbeiten
*Qferli^gen wird, ehe sie sich auch nur zu einem vorläufigen Ürtheil berechtigt fühlen kann.
^ The Aestier were the occupants of the present Coast of Prussia and Gourland, as is evi-
dent by what Tacitus says about their gathering amber (Ph. Smith), als besonderer Stamm (2^uss).
*) Terram non fierro, sed ligno procindunt (die Samogitier). Currus leves absque ullo ferri
nüiusterio conficiunt (Ghiagn.). Die Preussen hatten zu ihrer Wehre und Waffen anders nicht,
54 Miscellen and BächfinGiiaii.
TacituB* Auffassung von den Germanen, jenseits beginnt er zu zweifeln, und auch die Nationalität
der Aestyer ist ihm schon nicht mehr ganz klar. Diese OestHchen weisen aber nicht etwa nach
Osten, den tschudisch-finnischen , auch nicht seitlich, den damalig venedischen Landern, son-
dern nach Westen, da neben ihren suevischen Sitten iingua Britannicae propria, so dass also
fdr die Aehnlichkeiten zwischen Bretagner und Litthauer (nach Duchinski) oder den finnischen
Elementen Armorika's (in Quatrefages' Hypothese) vorausgesorgt schont. Auch Schafarik findet
Parallelen zwischen Ostsee- Völkern und Galliern, in Wenden und Yeneti, Leten und Litiani,
wie sich die (von Cuverius auf Istaevonen bezogenen) Aestyer in den Ostyaiai reflectirt hätteu.
Alberich sieht Galli Senones in den Semgalliem. Bei Procop heisst Jätland (mit dem Laude
bis zur Elbe) Brittia (Saxonia antiqua der Britannier bei An. Rav.)? und den Masuren graut
noch heute (trotz polnischer Beimischung) vor Hasenbraten (nach Toeppen), wie Cäsar s Briten.
Als die Dänen (970 p. d.)i die Gründer Jomsburg's (saeyarborg eins mikla ok ramin gjörv»)
Huter Haquin, dem Flotten verbrenner, ein unter Kanut (Konung i Semland) erneutes Reich in
Samland (wie früher ein pommersches in Reidgothaland bis zu Heidrich's Tode) gegründet (935
p. d.), oder als die Gothen in der Weichselmündung (jothiscanzia (als den Hafen für Scho-
nen) gebaut (s. Jemandes) und nach Ulmerugien zogen (wie im Guta-Lagh die Gotländer Yon
Dagaithi, Aistland gegenüber, die Dyna hinauf), wurde der Name der Ostmannen (wie hollän-
dische Friesen bei den Engländern hiessen und 1684 Osterlings die Preussen) weiter nach Osten
vorgeschoben, über Hestia oder Estia hinweg, dem Antheil Dag's in Frotho's IL Reich. Eystlant
steht (neben Kurlant, Kyrialant, Finland) unter den Eroberungen, in denen der Schwedenkönig
Erik Wäderhatt Erdwälle errichtet (860 p. d.) und Starkathr stammte ex Suecia orientali oder
Esthland. Olaf unternahm siegreiche Feldznge gegen die Kuronen (SM;, im Hafen der damals
zwischen Kurland un^Lifland bis an die Küste (.beim Baabit-See) vorgeschobenen Semgaller lan-
dend. Totam Pruciam, Semigalliam et tenram Oarelurum subjugaverunt (912 p. d.) die Dänen
(Ann. Ryens). Nach Einhard waren alle Inseln an der Ostsee von Sueonen besetzt und die
dem Eibofoike oder den Rootsi-rahwas verwandten Strandschweden an esthniseher Küste gelten
Manchen als Zurückgebliebene, statt (wie Kunik will) als Einwanderer. Ebenso heisst es bald
von den Esthen, dass sie nach Igaun-Sema (das Land der Vertriebenen) aus dem Süden ge-
kommen, die (auch von Oesel hergeleiteten) Liven (s. Borgen), welche bei Salis in Livland ver-
schwinden, an sandiger Küste unter den vordringenden Litthauern, sowie die (durch Krewit-
schen veränderten) Krewinger bei Bauske zurücklassend, bald dass sie vom Peipus-See (wo sich
um den Kääpa-Bach die esthnischen Riesen-Monumente der Kalewi-poia-sängid gruppiren) aus
dem Osten (wo der Dörptische Dialect dem Finnischen näher steht, als der Revarsche) über die
(in Livland bis südlich von Walck zurückgedrängten) Letten (multas injurias sustinentes a Li-
vonibus et Estonibus) hergefallen. Et erant Livones et Letthi cibus et esca Letthorum (.Heinr.
Lett.). Livonis eandem ac Lituanis assignandam esse originem (Hermelinus) arguit. Kruse setzt
die Verbreitung der Letten westlich 'und südlich von Lifland in die Gründungszeit Jurjew*s
(Dorpafs) durch Jaroslaw (1030). Nach Stiftung des Bisthums UesküU (1186) schützten sich
die Liven bis zu ihrem Rückfall ins Heidenthum unter den bremischen Burgen gegen Seingal-
len (und Litthauer). Wendi (a Wyudo repulsi, qui est fluvius Curoniae) fugerunt ad Letthones
(Letthos). Wie der slavische Name (gleich gotischen und dacischen) mit Sklaven, verknüpft«
sich der der Letten oder Laeti leicht mit den Lassen, » welche unsere Vorfahren auff gewisse
Vergleichung haben sitzen lassen, da sie die landt bezwungen hatten", während die (die Wäl-
der ausrodenden) Letten als Latweeschi oder Lietuwniki (s. Merkel) erklärt werden. Die nörd-
lich von der Düna wohnenden Letten nennen ihr Land Vid-Semme nach (litthauischem) Witt-
land der Vidivarier an der Weichsel, von wo Videwut oder Witibot (Gebieter der Witeii) aus-
gezogen und der den Preussen Gesetze gebende Bruteno, während von den (einst gemeinsam
mit den Saliern Gesetze empfangenden) Sachsen (777 p. d.) ein Theil vor Carl M. nach Osten
geflüchtet sein soll (s. Lelewel) in das durch Hertnid's Eroberungen bis Nowgorod ausgedehnte
Yilkinaland oder derWilzen, und Hugo^Botyrus (Bructerus) ex Saxonia natus huc devenit (Bo-
denn eine lange Holzkeule, so ferne voll Bley gegossen (Lucas David). Frequens fustium usus
(Tac.). Sie verwunderten sich über die Krä^iter essenden Ordensritter (und erkannten daraus
ihren Untergang, wie die Indianer Hiawathas an den Körneressem) , während den Finnen vic-
tui herba. Die Lieder der Finnen feiern ihre Schmiedekünstler.
IBscellen nnd BücherscbaiL 55
rnssiB petentibos principem). In Dänemark oder Withesleth (Ebene der Witen) wurzelte der
SUfflm, ans dem das Edelgeschlecht der, oft dem Beruf der Wikinger oder (nach Ad. Br.) As-
comanneD fblf^nden Withinger (Wytinger) erwachsen (s .Voigt), deren Nachkommen 70m Hoch-
iseister Dietrich von Altenlmig als preussisches Dienstvolk längs der Grenzen angesiedelt wur-
den. Terra Sambia (1343) Weydelant vocabatur. Wie in der SchJachtitsch der Ljächen ava-
riscbe Znthat yermnthet ist, lässt sich (nach Narbutt) am linken Ufer der Pielassa and Eotra
noch die Nachkommenschaft der Jazwingi erkennen, diyersa prorsns a Slayis et Litthuanis lin-
ena utentes (Cromers), seit die Jazygen sich (nach Dio) freien Verkehr mit den Rhoxolanen er-
kimpft hatten (in denen Hnller anf Lemono880w*8 Rath die Vorfohren der Rassen zu erkennen
für f[at &nd), als Guden (auch im Sinne der Godos in Spanien und Peru gebraucht) bei den
Litthauem am frischen Haff (oder als Krewos bei den liyländischen). Zu Alfred's Zeit schlürften
xm die Vornehmen unter den Preussen oder (nach Aeneas SyWius) Ulmigariem Pferdemilch,
die ebenso an Batu*8 Hofe (nach Rubruquis) den Grossen allein erlaubt war Die Armen trän-
ten (mch Wulfstan) Heth, den Priscus (neben dem Eamus) unter den Hunnen kennen lernte.
Pnflieiii habent pro potu medinem seu lac equarum (Dusburg). Durch Einfuhrung des Biers
ward« (nach Christian) die vorher milde Natur milchessender Preussen (gleich frommen Abiem)
in jrmaune Wildheit verkehrt. Acerque (jlelonus cum fugit in Rhodopem atque in deserta Gfe-
tannn tiinkt Buttermilch und Pferdeblut (b. Virgil). Bogovaxoi fJt^XQ^ ''^^ *Ptntt(wy ogioty
besst es bei Ptol.) und als Borussen (von Russ) oder Borowzy (Bor oder Wald des Borysthenes)
wird das weisse Volk der Baltikkoi (Balagardh sida^s) mit den Herulem oder (litth.) (Krilus
jnria oder Wald) identificirt, die als Sümpfe (gleich den Suomi der Finnen oder Pen) bewoh-
nende Ehiri Samaiten's (Niederland im Gegensatz zu Auxiote oder Oberland) in hellenischen
Anklini^n seit seythischer Verwüstung (b. Syncellus) gefeiert werden, während italischer Ursini
oder Colonna sich das bereits von Palemon (und Libo, den Cromer zum Vor&hren der Levo-
nen macht, aus Marios' oder aus Berengar's Zeit) besuchte Litthauen rühmt und Bithynier im
i^a<^gang nach dem durch Devones für Prusias erforschten Preussen ziehen. Die bei Plinius
jenseits der Weichsel zwischen Sarmaten nnd Veneder (ins Land der Aestyer oder Esthen, wo
Wolfstan den Elbing oder Ilfing entspringen lässt) fallenden Sciren (Sciro vero et Sadagarii et
<tteri Alanorom b. Jemandes) sind unter Odoacer, genere Rugus (Turcilingorum rez) mit den
Henüern verbanden, diesen ächtesten Söhnen Thule's, denen Theoderich M. patrio sermone schrieb,
vücef^en Lazios ihr als lettisch erkanntes Vaterunser den Werulem aneignen wollte (und Pia-
^Km wieder in der gothischen Kirchengeschichte, die Philipp IV. an Siegmund HL gesendet,
<iie deutschen Beziehungen vermisst, sowie in den Grabschriften bei Telga). Während sie römi-
sehe Provinzen verwüsteten, erhoben ihre Gesandten in Konstantinopel Geldsummen für den
Dienst als Foederati (s. Zenss) nnd ihr Verschwinden aus der Geschichte mit dem Rückzug
dnitb in ZxXttßijywy f^yrj ist ungefähr gleichzeitig mit dem der Münzfunde in Scandinavien.
Von Finnen wird hier nichts' erwähnt, sie fehlen auch (dem Wortlaut nach) in Ermanrich's
VoUurtafel (mit Thiudos oder Tschuden, Vasina oder Wes, Mordens oder Mordwa, Scremniscans
oder Tscberemissen) und treten (abgesehen von lappischen Skridefinnen und Terfinnen Scandi-
unens oder den Kwänen, als Finni mitissimi, wie Liven an scandinavische Levonen^) ange-
irhloaaen werden) eist mit Adam Br. auf, oder deutlicher bei Nestor (am Waranger-Meer: Lja-
cbove i Prusi i Gziud, also mit deutlichster Scheidung der drei Stämme;. Das innerhalb der
jetzigen Volkerfiamilie Europa's als specifisch finnisch zu bezeichnende Element kommt erst mit
den ngrischen Beweirungen zu durchwirkender (Geltung, die besonders von den (damals als
^ Plage der Christenheit betrachteten) Bulgaren*) (in den Fusstapfen der Hunnen folgend)
«in^leitet werden, und finnische Wildheit soll von Wäinimöinen oder (bei Wirolaiset) Wan-
D^Brannes, gleich einem zweiten Orpheus, durch Musik gezähmt sein, die Lust ästhischer
^tten, die von früh bis spät ihr fröhliches Lied ertönen lassen, „mit einem unüberwind-
lichen Hang zur Poesie begabt*", nach Hippel's Worten, während man die Esthen oder
0 Sunt antem re vera Hliviones Gothico sermone pronunciantur Livones (Stemhielm) und
Utham geht weiter von Lib auf Lap (oder Lappen).
*) Von den Ismaeiiten (Turkmeni , Polowtzer u. s. w. einbegreifend) werden (b. Nikon) als
Kinder Loth's die (den Pelze verhandelnden Vissu benachbarten) Bulgaren, die (b. Ebn Haukai)
über Basehkuien herrschen, unterschieden.
56 HificeUen und Bnchiersclun,
Ha-Rahwas, wie Kruse*) von diesen Helanehlaenen*) bemerkt, fost nie singen hört. Mit
ihnen haben die über den Spirdingsee gesetzten *Pivyoi (b. PtoL), die von den Römern (unter
Yolusian) mit Qalindem (des geionischen Helden Gelion, der die Litthaner von den Andropba-
gen befreite) und Yandalen (252 p. d.) unter den Grenzbestürmem bekämpft werden, eben so
wenig directes zu thun, wie die von Bentham für Phönicier erklarten Fenier neben den Leath-
mannie oder (nach Ledwich) Letten, the famous Fianna Eirinn unter einem Fingal oder (nach
Armstrong) Fiugalian (giant-warrior), und auf Fenius zurückfahrend, qui primus litterarum Ggha-
miarum inventor habetur. Die Gorranier oder Gorraniaid (der Triaden) gelten als (skandina-
vische) Nordländer am baltischen Meer und der Ruf der Kureten (Saxo Gr.) in Gurland (vestita
monachico induti) war bis zu den Hispanis et Graecis gedrungen (s. Ad. Br.), früher zum Reiche
der Sueonen gehörig (Vita S. Ang.). In insula Gurland equi optimi (Ad. Br.). Saint - Martin
lässt die Guren (Kor oder pellis) oder (nach Bulgarin) Korionis (Krieger) von geflüchteten Ala-
nen stammen (aussi bien que les Esthoniens, die mit sächsischen Piraten unter Ghlothar die
franzosische Küste verwüsten) und Kuridach beherrschte die Agazziren, als die hunnische Hülfe
in Anspruch genommen wurde. Als Nachbarn der Karbones wohnten die Ossen in Kurland,
und die Yandalen (mit dem Fürstenstamm der Assi) wurden von den Longobarden in Scoringa
oder (nach Pierson) Gurland bekämpft Das Yorgebirge Rubeas (Ruba oder Grenze) trennte vom
amalchischen Meer (Morimarussa) das chronische, worin der Ghrcmus (Kiemen oder Memel) mün-
dete. Gruber leitet Korsar von Kurre-Saar und die Kuren im Süden entsprechen nördlich von
den Hamalaiset den Kareliern oder Goralli, die durch Kiralaiset wieder mit Girilen und Hiren
assoniren können.
Die Lisel Gsericta (Osenland) heisst (bei den Finnen) Gurresaar oder Kuren-Insel und Keura-
land ne peut etre que le Gotentin ou une partie du Gotentin (Dupont). Dass ein derartig ver-
wendeter Name die verschiedensten Bedeutungen zu decken vermag, ist an sich klar, und wenn
gegenwärtig jenseits der Curländischen Grenze auch auf preussischer Seite am kurischen Haff
kurisch geredet wird, so versteht man darunter (bei dialectischer Scheidung vom Littbauischen)
das Lettische, wie (nach Prätorius) an einem Theil der samländischen*) Küste (XYI. Jahrhund.}
kurisch geredet wurde. Das kurische Haif (seit Gründung Memels durch den Lief- oder Kur-
ländiBchen Ritterorden) hiess früher Rusna (Hartknoch) Curhmd vel Gyrland (Gyrorum vel
Scyrorum) nuncupata Kaurland a Kaura, planitiem denotante (Hermelinus). Wie weit für Kur-
land eine finnische Vorbevölkerung angenommen werden darf, bedürfte sehr umständlicher Er-
örterungen, jedenfalls genügt es nicht, auf wechselnde Deutungen aus geographischen Namen
zu verweisen, oder auf die Eintheilung in Kiligunden. Thunmann selbst, der Finnen bis an die
Deime verfolgen will, erklärt Gund (Kunn als genus oder vulva bei Notker) aus dem Skandi-
navischen (als Yolk) und nach Schafarik findet sich die gleiche Endung bei Tschuden und
Kelten (auch bei Türken in Gentralasien und in Senegambien als .cunda ou demeure*"). Was
die erste Silbe betrifft, so könnte sie einen zum Etymologisiren (Geneigten ebensowohl in
Griechischen auf Eintheilung nach Tausenden (statt Hunderter oder CJenteni) zurückführen (im
vandalischen /i^f «','/"'), oder* bei noch regerer Phantasie auf die Hügelstämme Indiens.
Den Charakter friedlicher Aestyer (und ihrer nach irischer Sitte) Harfen spielender Sänger
(wie in Esthland die wanna laulumees, deren letzter 1813 verstarb), tragen die Letten, die, als
sie nördlich von der Düna angetroffen wurden, durch esthnische Liven zu leiden hatten. Die
ihnen verwandten Semigalli (Nachbarn der Samogitier) wurden durch die aus den Sitzen der,
Pityus und Trapezunt (b. Zosimus) erobernden, Borani, die (nach Gregor) mit den Gothen Klein-
asien verwüsteten, von den Pryjpet- Sümpfen hervorschwärmenden Jaczwingi (alaniscbe Jazy-
gen oder Yassen, deren letzte Spuren Pauly im District Kobrine findet) kriegerisch organisirt,
wie sich später die Litthauer am heiligen Feuer (Znitch) unter Ringgold (Mendog*8 Yoigänger)
^) Les chants des Lettens, d'une melancolie particuliere, sont monotones comme leur pays
(Pauly) Les chants populaires attestent (chez les Esthoniens) un gout vif et chaleureux pour
les beauz spectacles oe la nature. Also in umgekehrter Fassung.
^ Omnes fere Lituani et Samogitae, Livones ab vestitu viü cinericio communiter utuntur
(Guagn.). Nach Schott ist die finnische Hypothese in Europa's Yorgeschichte ganz unbegründet.
>) Wie Klein (1653) erkannte Prätonus die Abhängigkeit des Preussischen (des Dialectes
in Samland und Natangen) vom Litthauischen, aber jenseits des Pregel trat aus dem Culmer-
land der wendische Eiimuss hervor.
lÜBoelleii und Bächerschan. 57
xBSuuDfiDSchloasen, und dadurch stellte sich dem finnischen Herabdrängen ein Damm entgegen,
aas dem bald aggressiv vorgeschritten wurde. Das erste Auftreten der Kuren zeigt eine nach Ab-
w«HuDg sueonischer Herrschaft durch wendischen Einfluss (in Wyndau) unter lettischen Misch-
stüDineD (bei finnischer Grenzberöhrung) gezeitigt Bildung, in der die religiöse Färbung aus
Wenden und Litthauen der (bis ins XVL Jahrh. als Bockheiligend berüchtigten) Sudauer oder
der (an die Metempsychose ^übenden) Jadzwingen (Pollezianer) entlehnt ist, von denen Wide-
wiit oder (nach Stella) Blotterua (Bienenkonig) seine Priesten (s. Toppen) beruien hatte.
Nach norwegischen Skandinaviern deuten die zu den Tamnehken (im (Gegensatz zu Raden
oder Seelbuiger) gerechneten (s. Einhorn) kurischen Könige (mit Analogien in Böhmen), und
auch in Preussen, wo die Adligen (nach Lucas David) Kunigs genannt wurden, heissen die
Hinptlinge (b. Dosburg) reguli (wie afrikanische Kings). Lelewel unterscheidet die Rikis, als
prauasche Häuptlinge, von Utthauischen oder Kunigas. In jeder Burg (burh) des EsthenUm-
des wohnte (nach Wulfttan) ein König (cyning). Jenseits der preussischen Grenze bezeich-
net min mit Kuren überhaupt die Fischer, da diese sich selbst Letwiskis nennenden Kuran
(Knnnd) auf der karischen Nehrung auf die Fischerei (seit fortgehender Versandung) angewie-
sen Bod. Bei solcher Bevölkerung ist aber am wenigsten an einen alten Stamm zu denken. Die
Verpieätang des zu den Regalien des Ordens gehörigen Fischereirechtes war Sache des Tress-
las oder Schatzmeisters, der Erlaubnissscheine oder Kentelbriefe ausgab und (3oncurrenz an-
n^ Seit der Mitte des XY. Jahrh. werden auch Fischer-Golonien (Sümen oder Zühmen) er-
vaitnt (li48 p- d.), und von damals sollen sich die Fischerdörfer Kranz -Kuren, Neu-, Gross-,
Kiein-Koran (s. Gebauer) herachreiben (also zu einer Zeit, wo selbst Thunmann die bis 12d9 prä-
serrirten Finnen, in Gurfand und anderswo, nicht goutirt haben würde. Da man das Land bis zum
Memel früher von Lief Und her zu erobern dachte, war es von dem päpstlichen Legaten Wilhelm
der Diocese Kurland (s. Toppen) zugewiesen, und wenn bei der Einigung mit dem deutschen Orden
(1338 p. d.) Kuren innerhalb dessen Grenzen verblieben wären, so könnten sich diese nur dialectisch
TOB den übrigen Litthanem unterschieden haben <ohne Beziehung auf die alten Kuren, von deren
NationaBtät überhaupt keine Feststellung gemacht ist). Daneben finden sich die unter ihrem
Binpthng Kantegarde nach dem sudanischen Winkel verpflanzten Sudauer, als die Bewohner des
Samlandes in Tertheidigung ihres Götterhaines untergegangen waren. Sudovitae generosi sicut
wbüitate morum alios praecedebant ita divitiis et potentia ezcedebant (Dusbui^g). Hospitibus
nis omnem humanitatem, quam possunt, ostendunt (die Preussen). Amm. Marc, schildert die
irimphäer zwiachen Chronus und Bissula gerecht und gastlich. Esti (b. Jörn.) pacatum homi-
inuB genus omnina Sembi vel Pruzzi homines humanissimi (Ad. Br.). Das klingt anders, als die
gehisaigB Schilderung, die Hr. (Jnatrefages von den Finnen entwirft Er wird sie jetzt wohl selbst
venehhicken müssen, da die Anwesenheit der Finnen in Frankreich durch ihn selbst unwider-
legllich klar nachgewiesen ist, während unsererseits ebenso bestimmt bewiesen werden kann, dass
nie ein Finne innerhalb der Grenzen des gegenwärtig politisch umgrenzten Preussens gewohnt
bat £s thut uns das im Interesse der Finnen selber, diesen armen Stiefkindern der Anthro-
pologen (schon seit Catharina's II. Ukasen) von Herzen leid, da sie der kosmopolitische Sinn der
Deutschen wahrscheinlich ganz brüderlich bei sich aufgenommen haben würde, während man
^ anderswo überall los zu werden sucht Das geht nun aber einmal nicht. Die Franzosen
sind f^hozßnmaeh inficirt, wie mit einer Trichinenkrankheit im Blut Hören wir Chraf Gobineau
darüber. Der «contact immMiaf" der Finnen (nämli<*>h der »race servile*, die sich in Frankreich
vorfand) übte auf die Franzosen «une influence d^letere*". On en retrouve les preuves evidentes.
^ altfranzösische Hang zu Menschenopfern (auch bei Neufrwizosen nicht ganz ausgestorben)
ist den Finnen zu verdanken, dass die*^ Franzosen eine Neigung zur Gefrlissigkeit und Trunk-
sucht zeigen (ä se gorgar de viandes et de liqueurs spiritueuses), daran ist Niemand Schuld,
als nur die Finnen. Und eine solche Verwandtschaft hat Hr. Quatreiages uns aufbürden wol-
len. Wir danken schön, und bitten ihn, sie selbst zu behalten. Auch im Physischen macht
sich der finnische Einfluss unter den Franzosen deutlich kennbar. Gobineau sah eine Münze,
«dont la jEace porte une figure marquee du type le plus laid, le plus vulgaire, le plus commun
Lmteetzlich!), et dans lequel Tinfluence finnique est impossible ä meconnutre* (diese greulichen
Finnen). ,Nos rues et nos boutiques sont remplies (o weh!) aujourd*hui de ce genre de phy-
tionomies." La pauvre France 1 Da steht es mit uns doch etwas besser. Ja, sogar die Sprache
ist völhg durchwühlt mit finnischen Miasmen. ^Les idiomes celtiques" waren dadurch so ent.
58 Hiscelldii und Bvchersehaa.
stellt, dass erst nach vieler Muhe Ropp und Pott die von Prichard angere^i^te Verwandtschaft
zu den indogermanischen Sprachen zur Erkenntniss zu bringen vermochten. Ohne diese deutsche
Aufopferung, den rel tischen Augiasstall auszumisten, wurden wir am Ende heutzutage Jean
Potage unter die Blancs allophyles gestellt haben. Das möchte ihm nun wohl nicht schmecken.
Doch hat er sich diese finnische Suppe selber eingehrockt.
Bei uns ist dabei keine Gefahr. Den Ruhm der litthauischen Sprache zu singen, der näch-
sten Schwestev des Sanscrit, bleil)e den Philologen überlassen, und neben den Litthauem, zu
denen die alten Preussen gehörten, fanden sich auf dem Boden des künftigen Preussens nur
Slaven. Die Franzosen haben sich aber vielfachst den Slaven (besonders den polnischen, un-
seren nächsten Nachbarn) so sympathisch bewiesen, dase wir wegen dieser Verwandtschaft von
ihnen keine Vorwürfe zu fürchten brauchten, wenn sie existiren sollte. Auch herl)eTigte Frank-
reich selbst eine slavische Bevölkerung, wie Gobineau auseinandersetäst , in den Veneten, aber
,les Slaves de la Gaule conservaient un rang assez digne und sans donc songer k deshonorer
gratuitement leur memoire^, geht er sogleich zu den Finnen über, um ihnen Vorwürfe zu machen
wegen aller der Schändlichkeiten, die sich im erhabenen Volkscharakter der Franzosen finden.
Da wir also gegen finnische^) Ansteckung völlig gesichert sind, und der schwache Procentsatz
dersellien, der unter verdünnender Abdestillirung im Lettischen verblieben sein könnte, darum
immer noch nicht den preussischen Zweig des Litthauischen l)eröhrt haben würde, können wei-
tere Untersuchungen hierüber erspart werden. In der deutschen Nationalität Preussens rechnen
ohnedem alle diese Elemente für Nichts.
Der ethnische Charakter eines Landes, der sich als neues Product nach stattgehabter Ein-
wanderung ausbilden wird, hängt durchaus von den jedesmaligen Local Verhältnissen ab, 90 dass
hierfür keine allgemeinen Regeln gelten können, sondern die Detail-Untersuchung der speciellen
Fälle allein eine Entscheidung zu geben hat. Wie bei allen den bisher einseitig in nur ein-
maliger Entwickelung und deshalb ohne genügende Beleuchtung behandelten Geschichtsfiragen,
gewährt auch hier ein vergleichender Ueberblick über den Globus die ergänzende Aufklärung.
Die Chinesen haben von den alten Cultursitzen ihres Deltalandes sich äl>er die umliegenden
Theile Asiens verbreitet, und den dortigen Gegenden den für sie charakteristischen Typus auf-
gedruckt, in Kanssu und Sui-tschuan sowohl, wie neuerdings (nach Palladius) in der Mandschu-
rei. Wo sie bei der maritimen Auswandenmg in snccessiv kleinen Mengen sich den malayschen
Stämmen des Archipelago einträufeln, ergiebt sich je nach dem numerischen Verhältniss und
dem Bildungsgrad der betretenen Küsten ein verschiedenes Resultat, indem der fremde Einwan-
derer bald verschwindet, bald sich fast rein erhält oder eine neue Mischrasse zeugt Die Mon-
golen und Tungusen, die zu wiederholten Zeiten in China eindrangen, erlagen stets trotz ihrer
politischen Superiorität einem an Zahl weit überwiegenden und in der CiviHsation sie über-
ragenden Volke. Die verschiedentlichen Wandlungen der arischen Zuwanderer in Indien zeich-
nen sich auf einer ethnographischen Karte dieser Halbinsel deutlich ab, und die durch die Be-
geisterung für den Islam über weite Strecken geführten Araber erscheinen in verschiedenem
Gewände, je nachdem wir sie auf den Culturstatten Syriens und Mesopotamiens ins Auge fas-
sen, oder auf den for das Hirtenleben geeigneten Stellen der Berberei, wo theils eines seibst-
ständigen Haltes entbehrende Kabylen sich in die Gebirge ^ehen und an den Berührungspunk-
ten arabisirt werden, theils die Araber sich berberisiren. Die wichtigsten Fingerzeige för die
>) Nach Quatrefages finden sich die finnischen Elemente der grossen Nation gerade in den
aus sprachlicher Rucksicht früher als ächteste Celten betrachteten Bretagnern. Die Völker-
chemie hat in Gallien noch viel zu thun , mit Sicherheit hat sie bis jetzt nur Eins nachgewie-
sen, eine gewisse Verwandtschaft des französischen Blutes und des afrikanischen, die sicn (wie
Hr Quatrefages sehr wohl weiss, obwohl er es verschweigt) in den Beobachtungen Russ\ Labaf s.
Nott's (den Beispielen der Portugiesen in Indien verglichen mit den Engländern, auf Jamaica)
u. s. w. thatsächlich constatiren lässt, während das Gerede über qu&temäre Finnen und AUophyien
bis jetzt einzig und allein auf Conjectural Verbindungen ruht, die jeden Augenblick eine entgegen-
gesetzte Deutung finden mögen. Geschickte Lesarten möchten auch die französische Wahlver-
wandtschaft mit dem Negerblut zu einer sehr ehrenvollen machen, wenn Egyptens älteste Oul-
tur auf autochthone Gfnmdlage zurückgeführt wird, und ebenso stolz mögen die Finnen sein,
sich durch die Mougolen mit den Chinesen zu verbinden und den Vorfahren des Confucius.
Empfindsame Gemüther, denen der Neger zu stark riecht, oder der chinesische Zopf zu steif
steckt, mögen sich dann im gemeinsamen Stammbaum vom Afienvater her trösten, an dessen pa-
triarchaüBchem Busen Neger und Chinesen, Finnen und Celten in brüderlicher Eintracht bei-
sammen mhen.
MiseeU«!! und BäebertchAU. 59
Gesetdiehkeit der hier Statt habenden Bildungsprocesse gewährt das bunte Staatengemälde Sene-
trafflMeius, die Reihe der Gescbicbtsweehsel in den verschiedenen Abtheilungen der Westküste,
Yoraba mit den Ausläufern mittelafrikaniscber Cultur, die an Abyssinien lehnenden See-Re
j^onen des Ostens, die sehen froh die Rückwirkung Egyptens spürenden Länder des oberen
Nils, das den Zügen der Kaffer- und Zulustämme geöffnete Gebiet, die Eroberungen der Bunda-
Völker und überhaupt fast jeder historisch bewegte Flecken in dem grossen Continente Afrika's
dt sich hier überall der in unserer Geschichte der Culturvölker verwickelte und oft genug gänz-
lich verdeckte Gang der Entwicklungsprocesse durchsichtig und deutlich in hundertfältigen
Wandlungen vor dem Beschauer abspiegelt, ^und so jede wünschbare Zahl von Analogien
and Yeigleichungen bietet, um die bei der gegenwärtig nur auf ein einmaliges Geschehen be-
schränkten Untersuchung so häufig in völligem Dunkel verbleibenden Vorgänge der wichtigsten
unserer Geschichtsepochen aufinihellen. Auch Amerika's Urgeschichte in B^!;ründung der mexi-
ka&iichen Gultorstaaten durch nördliche Wandervölker oder in jenen vielgestaltigen Mischungen,
die sieh im Süden an die Namen der Guaranis und Tupis knüpfen, gewährt der Belehrungen
ps vide, nnd ebenso seine europäische Colonisation. Während die in den dicht bevölkerten
linder-Gomplexen Mexiko's und Peru's siedelnden Gonquistadores den Gharaktertypus der vor-
gefuhienen Bevölkerung nur wenig umgewandelt haben, während sie die beim Mangel selbst-
stiodiger Gultur nachgiebigeren Bewohner der La-Plata-Länder und Brasiliens in neue Formen
m»üj die die spanischen und portugiesischen Züge oft als überwiegende durchscheinen lassen,
beiahften sie auf den Antillen, wo die Indianer rasch zu Grunde gingen, das blaue Blut der
Mos, zwar nicht in seinem europäischen Bilde, sondern der Veränderung der geogra-
phischen Provinz gemäss, unter dem der Greolen, und ebenso rief der Anglosachse auf
d«m Boden der rasch vor ihm verschwindenden Indianer den Typus des Tankee, im
Westen als Galifomier hervor, wie den des Gurrency in Australien ') Ohne hier auf Einzeln-
beiten einzugehen , deren systematische Behandlung die in der Massenhaftigkeit ihrer Probleme
ubeia erdrückende Hauptaufgabe der (für Lösung derselben erst jetzt erstarkenden) Bthno-
lofn« zu bilden haben wird, sei nur auf die Beispiele der Völkerwanderung aufimerksam
i^macht, die, weil dem Mittagsstande der Geschichtssonne näher gerückt, schärfer zu sich-
ten sind, als die am frühen Geschichtsmorgen Europas (und zum Theil von mythischem
N«bel umhüllt) abgelaufenen. In Italien haben sich die Germanen trotz mehrjahrhundert-
jabriger Herrschaft fast spurlos aufgelöst, in Spanien hat sich gothisches Blut noch in ein-
zeineu Adelsgescblechtern bewahrt, in Frankreich schieden sich die Eroberer lange von den
loterjochten ab, und noch bis zur Zeit Ludwig d'Outremere's war deutsch die Sprache des
Hofes, doch niusste schon früh der rauhe Franke (der Franchiman jenseits der Loire) dem
römischen Provinzialen erliegen, und in dem heutigen Schlussproducte überwiegt wieder der
von Cäsar geschilderte Nationalcharakter der Gallier, obwohl nicht ohne einige Zuthat von
den (jermanea, die noch bei Montesquieu not peres heissen. In England dagegen kam das
jiferiBanische Element zur vollen Geltung, und die durch römische Besetzung zwar aufgewühl-
ten, aher nicht geeinigten, vielmehr in Stammesstreitigkeiten verharrenden Briten fühlten ihre
Widerstandsfähigkeit bald gebrochen und suchten in schwerer zugänghchen Bergen eine letzte
Zuflucht Die entsprechende Analogie hierzu bietet die germanische Besitznahme des Ostens,
^ sieh die Slaven aus Vorpommern nach Hinterpommern (bis nach Bomholm 1 Pi i p. d.), aus
Niederaehlesien nach Oberschlesien zogen. Es kann nicht daran gedacht werden, bei dieser
^>^afigen Gelegenheit die Discussionen über slavische Einwanderung und germanische Vor-
bevölkerung zu erneuern oder auf jenen labyrinthischen Irrgängen zu folgen, in denen erst
'^hifarik, V. Wersebe, Voigt, Zeuss, MüUenhoff, Ilroysen, Riedel u. A. hier und da ein
leitendes Fädlein') anzuknüpfen vermochten, denn der Charakter der deutschen Golonisa-
*) Auf Java sind es ungünstige ümgebungsverhältnisse , die bei Bildung des Liplap aus
^ HoUändem mitwirken, und bei dänischen Blanni in Grönland ist bereits Mischung einge-
treten. Die i^eschichtlirhen Beispiele aus Tataren, Türken, Ungarn u. s. w sind bekaimt.
') In glucklicher Unwissenheit über alle diese Autoritäten und der von ihnen an^re^n
Zweifel urtheilt das Pariser Kind mit einer Sicherheit, die beneidenswerth wäre, wenn sie lucht
etvas theuer zu stehen kommen und wahrscheinlich eine Insolvenz-Erklärung benöthigen würde,
vorausgesetzt, dass in so alten Tagen die Weisheitszähne überhaupt noch zum Durchbruch
v)mmen werden.
60 Mifle«l]«ii und BnehenehftiL
tion bleibt derselbe, ob das SlaTenthnm durch die Elbe begrenzt, ob Boch darüber hin-
aus auf sporadischen Inseln bis Fulda, Bamberg, Taunus oder, wenn man will, bis in Franh-
reich hinein, verfolgt wird, da on s'^tonne qu'il y ait eu des Slaves dans les Gaules et des
Gaulois en Pologne (Duchinski). Die Folgen der deutschen Einwanderung nach Osten liegen
in deutlichen Schriftzeichen vor uns aufgeschlagen, ihr Gharakterzug gleicht nicht dem Product,
das nach spanischer Eroberung in Peru und Mexiko übrig blieb, durch gothische in Spanien,
durch longobardische in Italien, dulrch fränkische in Gallien, sondern es stellt sich vielmehr auf
jene andere Linie, in der wir Yankee in Nordamerika, Currency in Australien, Angloeachsen
in England finden, und dieses letzte Beispiel liegt am Nächsten, da der nach jenseits der Oder
und Weichsel auswandernde Deutsche im Allgemeinen innerhalb eines gleichartigen Milieu verblieb,
und also selbst nicht die endogenischen Einwirkungen^) erfuhr, wie sie die in der westlichen oder
südlichen Hemisphäre verschiedene Umgebung ausübte. Da es sich nicht um den sehroffen
Gegensatz zwei verschiedener Menschenrassen handelte, wie zwischen Indianern oder australischen
Wilden und Indogermaneu, sondern um Berührung zwei arisch verwandter, konnte die Nieder-
lassung der Deutschen unter den Slaven nicht ohne einige Absorption aus den letzteren Tor
sich gehen, so wenig wie Anglosachsen sich von jeder britischen Zuthat frei gehalten haben,
aber das Schlussresultat war nach dem Gentrum überwiegender Schwere tingirt, das in beiden
Fällen auf Seite der Germanen lag, und bei der Germamsirung der Slavenländer noch weit
mehr, als bei der Grossbritanniens , da an den Küsten dieser Insel die Einwanderer nur spar-
sam und in getrennten Zwischenräumen landeten, während der nach Osten vordringende Deutsche
beständig in unmittelbarer und ununterbrochener Berührung mit dem Gros seiner Landsleizte
blieb, so dass der Strom, nachdem einmal eingeleitet, unaufhaltsam weiter quellend vorwärts
dringen und ebenso unaufhaltsam als unerbittlich die schwächere Rasse nach dem Gesetz des
Stärkeren, dem Stmggle for existence, vor sich herschieben musste. Der grosseren Ifasse
nach wurden die Slaven vollständig von dem Boden fortgefegt, wenn die DentBchen dort ihre
Städte und Buigen erbauten, und fränkisches oder flämisches Recht polnisches oder pommer-
sches verdrängte, wenn Albrecht der Bär aus dem Westen Colonisten berief, Heinrich der Lowe
das Land der Obotriten an seine Krieger vertheilte, die pommerschen Herzoge (1190) aus Sach-
sen, Braunschweig, Westphalen, die Anhaltmer (1250 — 1390) aus Holland, Baiem, Rheinlanden
nach der Ukermark, die regio pene deserta (b. Schwerin) in unam Saxonum coloniam (1196)
verwandelt wurde, Markgraf Wiprecht Anbauer aus Franken verschrieb, das Gistercienserkloster
zu Leubus (1178) homines juris gallid et theutonici ansiedelt u. s.w. Die Worte der Chro-
nisten sind darin nicht misszuverstehen: Slavi unaquaque protriti atque propulsi sunt et vene-
runt de finibus Oceani populi fortes et innumerabiles et obtinuerunt terminos Slavos (Helmold).
Slavis expulsis (Albert v. Stade), pellens inde Slavos (Eccard), sensim deficientibus Slavis voca-
vit de Reno accolas. Kanzow bemerkt von den Wenden, .das sie gantz und gar umgekommen
sint und darum Feinden ire Land gönnen mussten*". Seit Pribislaw (f 117g) verminderten sich
die Slaven so rasch, dass sie schon gegen Ende des XIII. Jahrh. bis auf sehr geringe Reste in
Mecklenburg zusammengeschmol^n waren (Bolle). Es kann nicht in unserer Absicht liegen, diese
ohnedem hinlänglich bekannten Gitate zu vermehren oder hier in die vielerlei Gontroversen ein-
zugehen, die sie hervorgerufen haben. Es steht jedenfalls fest, dass schon früh eine nationale Anti-
pathie zwischen Deutschen und Slaven erwachte, und dass diese vor Allem ethnische Mischungen (in
grösserer Ausdehnung) zwischen beiden Stämmen verhindert hat, während solche sonst bei ihrer
Verwandtschaft innerhalb derselben Völkerfamilie nicht hätten ausbleiben können. Die (sklavischen)
Slaven fielen früh in Verachtung, als Servis oder Servitier, als Rohrwinder, die in die Sumpfdörfier
zurückgestossen, sich kümmerlich von Fischfang nähren mussten (wie die von den Batoanga
unterdrückten Bayeye als Bakoba am Ngami) und Markgrave Albrecht to Brandenborch (s. Abel)
«wolde de Rorwenden nich mer liden in dem Lande**, wie auch Konrad, Markgraf von Meissen,
eine Ausrottung der Slaven zugeschrieben wird. Aus den Städten wurden die Wenden in die
Vorstädte verwiesen, von den Zünften blieben sie ausgeschlossen , neben dem wendischen Dorf
0 Uebrigens sind Hm. Quatrefages die hier geltenden Gesetze aus seinen anthropologischen
Studien ganz wohl bekannt, da er sich selbst an verschiedenen Stellen seiner Schriften zu ihnen
bekennt, und wird sein jetziges Verkennen derselben besser seiner Unwissenheit in europäischer
Specialgeschichte zuzuschreiben sein, als absichtlicher Entstellung.
Ifueellen und Bfichersehao. 61
btote neb cm deatsehes, um die Berährong zn yenneiden, und jedem Tiro in der Ethnologie
steht eiDe bdiebige Menge von Beispielen zu Gebote , die beweisen , wie schwer ähnliche Vor-
artheile za öberwinden sind und wie durchgreifend sie Zwisehenheirathen verhindern , so dass
im Kampfe um die Existenz das Loos des Schwächeren unabweislich besiegelt ist Dass die
Slaten den Germanen gegenüber die Schwächeren waren, bedarf keiner weitläufigen Auseinan-
dersetzimg. Nicht etwa weil den Slaven eine Inferiorität zukäme, mit Germanen yerglichen,
denn solche insidiöse Yergleichungen sollten überhaupt yermieden werden, und jene Schmähun-
gen ganzer Völkerstämme , wie sie Slaven, binnen, freilich auch Gelten und andere Ohamiten
(iSetris d'aTanee dans leur destin^e et dans leur sang), zu häufig erfahren haben, seheinen ebenso
abgeschmackt als nutzlos. Dass die Slawen den Germanen gegenüber auch die Stärkeren sein
können, zeigen neben deutschen PolonisiriiDgen andere Beispiele genug, aber in diesem Falle,
um den es sich hier allein handelt, dem der deutschen Colonisirung in den Marken, waren die
SUiren auf das Entschiedenste und ganz unwiderleglich die Schwächeren, wie auch de facto
der unterliegende Theil. Nicht nur standen sie bei ihrer weiten Entfernung yon dem Mittel-
punkte iBttelländischer Gultur in dieser den Germanen nach, nicht nur im Mangel politischer
Einigug, sondern auch in Folge ihrer heidnischen Religion, die durch den hoffnungslosen Wider-
siiDd fcgen das Tom Geschick zum Siege prädestinirt3 Ghristenthum den Untergang ihrer Yer-
eto nur beschleunigte. Wie rasch ein solcher, wenn einmal eingeleitet, zum destructiven
Ende fahrt, davon haben wir noch heute der Beispiele genug, in Delawaren und andern Algonkien,
in Tasmani«r, More-ore, Hottentotten, Damop und hundert anderen Repräsentanten bestimmter
Menschheitsförmen, die »yersunken und yergessen*^ sein werden, wenn die Ethnologie noch län-
ger Tersäumt, die letzten Augenblicke der Möglichkeit, die sich (wenigstens bei einigen noch)
fnr ihre Erforschung bietet, zu benutzen. Das Vergehen der unterliegenden Rasse wird vor
Alkm besehleoiiigt (wie es Sproat bei den Aht vor sich sah) durch den deprimirenden Ein-
drack, sich als unterliegenden Theil zu wissen, mehr als körperliche Entbehrungen bricht der
Seeknschmerz, die gleichgültige Apathie, die einreisst, wenn die Weisen und Greise ihre Weis-
bat durch eine höhere vernichtet, ihre bisher mit demüthiger Verehrung entgegengenommenen
Aussprüche verlacht sehen, wenn der Muth des Kriegers sich umsonst gegen bessere Bewaffiiung
nd überlegene Schlachtenkunst erschöpft, wenn die geweihten Symbole der Religion verhöhnt
«erden, wenn der übermüthige Fremde schmähend die Bande der Sitte und des heiligen Gfe-
imiches verletzt, das stille Glück im Kreise der Familie zerstört, die Schutzwehr der Gesetze
niederwirft und in den Staub tritt was bisher gegolten, um ein vielleicht stattlicheres Gebäude
n&nfnhren, aber ein unbehaglich ödes, in das sich neu einzuwohnen dem geistig Gebrochenen
und Gedemüthigten die Lebenslust fehlt. So gehen Naturvölker zu Grunde, so überall eine
xbräehere Rasse vor der stärkeren, so verschwanden vor den Deutschen die Slaven, und rascher
noch als diese (denen der Anschluss an stammverwandte Staaten einen gewissen Rückhalt ge-
wihrte) die Preussen*), deren Vernichtung schon nicht mehr aufzuhalten war, als mit Men-
dog nnd Gedhimin ein litthauisches Reich erstarkte, das unter den Jagelionen Litthauer und
SlftTcn verband. Gleich den Indianern verschwanden die Preussen wie der Schnee vor der am
Horizont emporsteigenden Sonne der Geschichte, und die Altpreussen nannten sich nach einem
Volke (bemerkt Berghaus), «das gänzlich von der Erde verschwunden ist*. Von den eigent-
lichen Al^reussen lassen sich keine unvermischte Nachkommen mehr nachweisen (Jüngst).
»Hit dem Falle der Burgen scheint der Letzte der heidnischen Preussen geftillen zu sein*
ond die Erinnerung an sie schuf die Pilosen oder wilden Männer, die im WaJde bei Drengfiirt
(<460) gesehen wurden, oder die Underhördschkes (in Samland). Auch von den in den letzten
Stadien der Naturvölker mehrfach beobachteten Symptomen des lethalen Ausgangs, Kindertöd-
tusg, Frauenenthaltung, Fruchtabtreibung u. s. w., erzählt uns die Cfeschichte (oder wenigstens
^ Sage) bei den Preussen*) (einzeln auch bei Slaven). Die systematisch reg^irte Verwaltung
^ (hdens machte einige Theile des Landes völlig deutsch, deutscher als Deutschland, wie man
0 In hac regione (Sudauia) praecipui nobiies et proceres totius Prussiae priscorum tem-
pore sedes suas hal>ebant, nnnc autem paludibus et sylvis maximis obsitus scatet, nee ullum
vestigium tarn insignis et nobilis regionis remanet, praeter Septem pagos, quos coloni possident
(1584). Nadrauen wurde (propter infidelitatem incolanim) völlig verwüstet und Nicnts blieb
übrig, als casae et tnguria in quibus piscatores habitant. Die Slaven galten (1043) als Unvolk
;otiiiod).
*) Der die alten Preussen oder Pnitzi den Naturvölkern parallelisirende Culturgrad geht
62 MiBcellen und Büeherschaa.
gesagt hat, während litthanische ProTlnzen (gleich einem celÜBChen Irland in Groesbritannien)
innerhalb der Grenzen des Staates begriffen blieben (139,428 fiinw. b. Boeckh), wie später pol-
nische oder (gleich Masuren) polonisirte. Auch hier beschränkt sich die Möglichkeit der Mischung
auf ein Minimum, und dieses Minimum, wo Yorhanden, wurde ein preussisch-litthauisches sein.
»Mit dem Aussterben der altpreussischen Sprache ging in ^^amland auch die besondere Volks-
eigenthümlichkeit (der Litthauer; verloren, und deutsche Bildung, (Gewohnheit und Sitte durch-
drangen allmählig die ganze Masse des Volkes** (▼. Lengerke). The present Ctermans are Prus-
sians in the same way that an Englishman is a Briton, that is not at all (Latham). Wie ge-
sagt, es ist gerade der Ostpreusse, der sich seines Deutschthnms rühmt, und mit Recht. „Noch
heute ist Preussen vorzugsweise ein deutsches Land", bemerkt Mendelssohn, und: «Die Erobe-
rung Preussens wurde eine christlich-deutsche Nationalsache, wie die Ejeuzzüge nach Palästina
eine europäische*', denn die Ordensritter gehörten allen deutschen Ländern an, wie später die
von ihnen berufenen Golonisten. Hierin eben liegt Preussens *) Beruf, Deutschlands Geschicke zu
leiten, weil sich auf seinem Boden alle deutschen Stämme auüs Neue geeinigt, und unter Ab-
schleifung der Stammeseigenthümlichkeiten ein ausgleichendes Deutschthum hergestellt haben.
Auf dem durch kostbares Blut, im Taumel religiöser Begeisterung, bei dem die Geschichte
ihr moralisches Urtheil zu suspendiren pflegt, gewonnenen Grund und Boden erbaute sich der
Deutsche ein neues Vaterhaus, das er frei von manchen der Fesseln, die ihn im alten behin-
dert hatten, mit verjüngtem Muthe bezog, wie jetzt der Emigrant in den westlichen Wäldern der
Union oder der, russischer Leibeigenschaft ledige, Bauer in Sibirien, wo schon das Aussehen der
Dörfer seine Superioritat bekundet Es war ein starkes und gewaltiges Geschlecht, das so auf
den immer weiter vorgeschobenen Marken des deutschen Vaterlandes erwuchs, ein Greschlecht,
dessen Väter schrittweis in blutigen Kämpfen das Qebiet errungen, das ihre Söhne, die Waffen in
der Hand, zu schützen und zu erweitem hatten. Preussen heisst ein Kriegerstaat, und es ward
in der That unter den Weihen mächtigster Kämpfe geboren, Preussen ist ein Kriegerstaat
und wird es bleiben, so lange es noch die Marken des Ostens und besonders die des Westens
gegen unnütze Störenfriede zu schützen gilt Mariomannos oportet duram habere patientiam et
prodigos esse sanguinis sui. Als solche Markmannen Deutschlands sind die Preussen von der
Geschichte grossgezogen. Vocantur autem usitato more Marcomanni gentes undique collectae
quae Marcam incolunt Sunt autem in terra Slavorum Marcae quam plures, quorum non infima
nostra Wagirensis est provincia habens viros fortes et exercitatos proeliis tam Danorum quam
Slavorum (Helmold). Heutzutage sind es nicht Dänen und Slaven, gegen welche die Grenzen
zu schützen sind, sondern (Gallier, und auch diesen gegenüber haben die preussischen Markmannen
ihre Pflicht erfüllt, als würdige Nachkommen der so vielfach mit den Ostseeprovinzen identifi-
oirten Gothen, qui adeo fuerunt laudati, ut dudum Martem apud eos fui^se dicant exortum (s
Jemandes). Aber nicht belobt des Kriegsmuthes wegen allein, denn „lä oü Telement germanique
n'a Jamals penetre, il n'y a pas de civilisation'' (Gobineau). Le melange des tribus germaniques
avec les races de rancien monde, cette union de groupes m&les k un si haut degre avec des
races et des debris des races consommes dans les d^tritus d'anciennes idees a cree notre civili-
sation Die Germanen^ scheinen Frankreich veredelt zu haben, denn „les esclaves, les vaiucus
aus ihren die Mokisso wiederholenden Gelübden, ihrem Priesterkönigthum und vielen anderen
Einzelnheiten hervor. Die XVIL Jahrh. aussterbende Sprache war schon nicht mehr das acht
Preussische.
0 Gleichzeitig mit dem völligen Uebergang des Volkes zur christlichen Lehre sind auch
deutsche Cultur, Sprache, Recht und Sitten so gründlich eingebürgert, dass bis zur Ausmün-
dung der Memel in Stadt und Land deutsches Volksthum herrscht, nur in dem bemerkenswer-
then scharf ausgeprägten Charakter, dass sämmtliche deutsche Gaue ihre gemeinschaftliche Hülfe
dazu hergegeben und einen Theil ihrer Bewohner als Ansiedler im neuen deutschen Vaterlande
zurückgelassen haben, mithin der Baier wie der Franke, der Schwabe wie der Westphale und
Sachse, der Rheinländer wie der Tyroler theilweise seine Geschlechter, seinen Dialect, seine
Industrie und Lebensweise in den einzelnen Landschaften Preussens, mit vorherrschendem Ein-
fluss auf noch jetzt nachgebliebene Zustände finden werden (Schubert) 1863.
') Die durch das Edict von Nantes Vertriebenen waren in Preussen in jeder Weise i^ill-
kommen. Sie haben äusserst wohlthätig gewirkt und es wird stets als eine sehr verständig
Massregel des grossen Kurfürsten anerkannt werden, ihnen seine Staaten geöffnet zu haben. Sie
kamen aus einem Lande, das durch den Schutz des Friedens, da die Kriege ausserhalb sei-
ner Grenzen geführt waren, einen verhaltnissmässig hohen Grad des Wohlstandes erlangt hatte;
sie waren also ein Gewinn für die durch mehr als dreissigjährige wilde Kämpfe verheerten
Miscellw und Bäeberaehixi. 63
eliei les Galks , ce funnt les Finnes*, und das daraus gezeugte Product scxbilderten die Römer
als Taniloquum Geltae genus, und trotz der infirmitas Gallorum (s. Caesar) als sich beständig
io YftDos tomultos (s. Livius) erschöpfend. „Les Gennains nous ont donne Tesprit de Iit)erte,
de ia iiberte teile que nous la conce^ons et Ja connaissons aujourd'hui** v.Guizot). Wie franzö-
sische Literaten sich nicht scheuen, offen den Hass zu predigen, das gehässigste aller Gefühle,
so wagt es Quatreüages , innerhalb der civilisirten Voliierfamilie Europas das Wort des Rassen-
kimp/e» auszusprechen. Einen solchen im nationalen Sinne zu schüren , ist indess vergeblich,
da er zunächst in socialen Partheizwecken zum Ausbruch kommen wird, und besonders Frank-
reich bedroht, wie schon das traurige Nachspiel zum letzten Kriege gezeigt hat C'est un abime
aa-dessus duquel la ciTÜisation est suspendue, et les eaux profondes et immobiles dormant au
fond du goufire, se montreront, quelque jour, irresistibiement dissoWants (Gobineau).
Nach den traurigen Scenen, die sich 1871 vor den entsetzten Augen Europa*s in Paris ab-
sfiielten, und bei den Orgien keines Barbarenstammes, sondern nur in den Gräueln der ersten
BcTobition ihres Gleichen finden, nach diesen Jammerscenen ist wohl die bescheidene Frage
erltttbt, wo die französische Givilisation eigentlich zu soeben sei. Entre Paris et le reste du
territare il y a un abime et auz portes meme de la capitale commence une natiou toute autre,
qi» celJe qui est dans les murs. Dass innerhalb dieser Mauern nicht der Hort der Givilisation
f^AüH wird, davon haben wir zwei Monate hindurch Gelegenheit gehabt, uns durch tagliches
ZeitoDgslesen zu überzeugen; also vielleicht ausserhalb? Eh bien, ä Theure qu'il est, dans nötre
pip qui se vante de marcher ä la tete du monde civilise, pres du tiers des conscrits ne savent
meme pas lire! 30^0 des conjoints sont incapables de signer leur nom, ()0,000 enfants restent
prives de tonte instruction, so äussert sich nach ministeriellen Documenten E. Cadet (1870).
Um von Deutschland und anderen Ländern Europas zu geschweigen, braucht nur darauf
und wDSt gelegten Gefilde der Mark , wo sie die im Sturmw^etter der Schlachten untergegangen
im Künste rascher wieder herstellten, als es sonst geschehen sein würde. Alle die geschickten
Fert^keiten der kleinen Industrie, wodurch sich die Franzosen von jeher ausgezeichnet haben,
staoaen ihnen zu Gebote und Preussen hat daraus mancherlei Vorthisile gezogen. Dass sie aber
irgendwie auf den Gang der Cultur im Grossen und Ganzen hätten einwirken können oder ein-
sevirkt hätten, ist durch Nichts bewiesen und überhaupt nicht denkbar. Im Gegentheil ist ihr
Kinflnss häufig genug als ein schädlicher*) hingestellt, da sie weniger die Givilisation, als eine
Verfeinerung oder vielmehr Ueberfeineruug brachten. Wir haben manche berühmte Namen, die
üiTiHL Stammbaum auf die Colonie zurückmhren, indess verhältnissmässig eigentlich weniger, als
ffl&n erwartet, und sie zeigen sich in ihren Schriften als deutsche Gelehrte, nicht als franzö-
sische.**) Irgend ein durchgreifender Einfluss aus Frankreich, ausser der Tünche, die eine
Zeitlang die elegante Gesellschaftsklasse übenog, fehlt völlig, und die zerstreuten Einwanderer
koDDteo um so weniger die Preussen zu Franzosen machen, da sie umgekehrt sehr rasch zu
Deutschen wurden. Die Physiognomie der preussischen Cultur ist eine völlig deutsche, oder
veun sie überhaupt etwas Spectfisches zeigt, so hat man dies in östlichen Beziehungen zu den
Hlaven gesucht (vne kürzlich wieder F. Müller) und in Charakterzügen finden wollen, die den
senden Gegensatz zu französischer Leichtfertigkeit und Beweglichkeit bilden. Der im Anfang
ti«r neuen Zeit hervortreibende Schoss unserer Civilisation wurzelt überhaupt auf deutschem
luDii zugleich auf englischem, also überhaupt germanischem) Boden, wo die mächtigsten Be-
weger der Wissenschaft, die Erfinder und Reformatoren geboren sind, wie die Entdecker (und
Könstler) auf italienischem oder spaniseh-portugiesischem. Niemand versteht besser, als die Fran-
zosen, aus Wenig oder Nichts Etwas zu machen (Reeder) und es zeigt sich sowohl in ihrer Herr-
schaft tlurch wechselnde Moden, wie in der Romanliteratur der Leihbibliotheken. Es ist lächerlich
m der europäischen Yölkerfamilie eifersüchtig um den Vorrang zu streiten. Unter den civilisirten
Nationen herrscht ein give and take, gegenseitige Entlehnung und Mittheihing, wodurch das
^i^s&mmtresttitat nur gewaltiger gefördert wird. Sollte es jedoch einmal beliebt sein, die par-
ticularen Verdienste der einzelnen Länder abzuwägen, so würde Deutschland seinen westlichen
<^^er auf diesem (jebiete noch weit weniger (Kler wenigstens eben so wenig zu fürchten
h^ü, als wie auf dem der rohen Kraft.
*) SoQS le regne brillant de Louis XIV tont avait pris en France aoe forme plus Elegante et plus polte.
^a refogito formte k cette 6cole de boo gont en propagerent les pratiques en AUemagne (Weiss). Es ist nicht
\«lmgnen, dass dardi die Refngite (ans Frankreii^) Ackerbau, Handlung, Künste, Fabriken, Manufacturei und
'^vtarrei im All|^meinen gewonnen haben, wiewoht manche Stimmen geneigt sind, über die Termeintlieb üblen
^[«tfea, die dies« Flüchtlinge veranlasst haben, sich mit Bitterkeit aussnsprechen (de la Pierre). Allerdings haben
4ie Tadler maocheriei für sich, Jedoch wollen wir Jene Refugiis, die unseren Vorfahren einigen Unterricht gaben,
>s i<s«r Kanst das Leben anssnaieren , nicht au sehr tadeln (F. Hörn).
**) Andere haben im Jüdischen ein selbststindlges Cultnrelement erkennen wollen, aber was bei einseitiger
^'^nthtaag einen anaehnllchen Flussarm simnliren mag, verliert sieh im Wellengekr&usel, wenn die gaote Strömung
ii<>eneba«t wird.
64 Miscelleii und BüehenehaiL
hingedeutet zu werden, wie tief Frankreich in dieser HinBicht unter Birma und Siam steht
oder selbst anderen Ländern, die man lange zu lialbwilden zu rechnen liebte. Aufrichtigere
unter den französischen Schriftstellern erkennen indess die Wildheit ihres Volkes auch bereit-
willigst an. ,Et encore si nos populations rurales n*etaient que grossieres et ignorantes, on
pourrait se pr^occuper mediocrement de cette Separation (et se consoler), mais il en est de ces
masses absolument comme de certains sauvages.*
Die Civilisation liegt also nicht in Paris*), sie kann doch aber ebensowenig bei dieser
Landbevölkerung gesucht werden, von der es heisst, dass sie nicht nur nichts lernt, sondern
sogar ,un point d'honneur* darin sucht, das in Folge von Staatsanordnungen wider Willen Ge-
lernte zu yergessen („oublier ce qu'il y a appris"). Nur in den nordwestlichen Proyinzen findet
sich eine bessere Schulbildung. «On remarquera que ces populations tiennent de beaucoup plus
pres que toutes lee autres k la race germanique" (Gobineau). Wo solche Thatsachen reden,
sind die Hyperbel des Hm. de Quatre&ges doch etwas gar zu luftig.
Genug indess der wechselsweisen Anschuldigungen. Wir waren auch hier nur die Verthei-
diger, und wenn es sich mitunter, um erfolgreich in der Defensive bleiben zu können, nöthig
zeigte, selbst zu Angriffen überzugehen, geschah es ungern. Doch da man den edlen Stammbaum
unseres Volkes anzutasten wagte, musste solchem Frevel entgegengetreten werden. Die Vorwurfe '),
die im bitteren Partheienstreit zwei L&nder gegen einander schleudern, dürfen am Wenigsten den
Blick des Anthropologen verdunkeln, der die Entwicklung der Menschheit in allen ihren Volks-
stämmen zu überblicken hat, und der im französischen eine ihre vollendetsten Bildungen findet, die
er ebenso hochachten und schätzen wird, wie in ihr einen Gelehrten, dessen Werke (von dem
hier besprochenen abgesehen) die gemeinsame Wissenschaft in vielfältiger Weise gefördert haben.
Ein Land, zu dessen Bürgern (um in dem uns nächsten Kreise zu bleiben) Männer wie Ber-
trand, Becquerel, Brogniart, Renan, Vivien de St Martin, Malte-Brun, Broca, Roug^, Martin,
Edwards, Berthelot, Mignet, Duveyrier, Garnier, Boussingault, Littrö u. s* w. zählen,
wird stets die vollste Hochachtung für sich in Anspruch nehmen und erzwingen. Wir hoffen
zuversichtlich auf baldige Regeneration der Franken, dieses tapferen und ritterlichen Volkes,
das so oft auf den Schlachtfeldern der Christenheit die siegreiche Vorhut geführt, auf die Regene-
ration einer Nation, deren durch Verstandesschärfe ebenso bewundemswerthen, wie durch Ge-
müthstiefe liebenswürdigen Gelehrten fast jedes Fach der Bibliotheken keine geringe Zahl ihrer
werthvollsten Kleinodien verdankt. Fieri solet^ ui vtri fortes, etiam si ferro mter se cofnminus
decertarint tarnen ühtd contenüonü odium simul cum ipsa pugna armUque ponant (Cicero).
Vor Allem den Anthropologen und Ethnologen ziemt es, in «dem bittem Streit nationaler Diffe-
renzen sich nicht vom Strome mit fortreissen . zu lassen, sondern über den Partheien zu halten,
um den Anforderungen ihrer grossen Au%abe gerecht zu werden, die die Völker Europas über
die Zeiten der Barbarei, über die an diese erinnernden Kriege hinauszufahren hat, die bald in
den Segnungen eines dauernden Friedens mit ihrer Lösung die der humanischen Probleme zu
finden befähigt sein möge. B.
Figoier: Les races humaines. Paris 1872.
Quatrefsges' Hallucination, in den Preussen Finno-Slaven zu sehen, in deren Abhängigkeit die
Deutschen oder Germanen gefallen seien, wird bereits als schulgemässes Dogma adoptirt B.
*) Von schlagenderer Lronie konnte die aufgeblähte Civilisation an der Seine nicht getroffen
werden,* als in jenem erst weni^ Jahre alten Factum, dass ein auf Kosten der Regierung (also
doch unter Concurrenz zu nationaler Vertretung autorisirter Persönlichkeiten) mit kaiserlicher
Pracht herausgegebenes Mysterienwerk titanischer Vorzeit von dem ersten deutschen Schulmei-
ster, dw es zu Gesicht bekam, sogleich erkannt wurde für das, was es war, nämlich das Schmier-
buch eines seiner teutonischen Schuliungen. Und wie steht es um die Urtheüsfähigkeit der
französischen Unsterblichen seit ChasW Controverse mit England, sowie seinen Indiscretionen
aus dem Briefwechsel Cleopatra's und ihrer Liebhaber?
') Der härteste, der jüngsthin gegen uns ausgesprochen wurde, ist der, über einen gefalle-
nen Feind zu triumphiren (in Folge von Massre^eln, die durch die Corruption des Rechtssinns
leider unumgänglich geworden waren). Nichts liegt dem deutschen Nationalgeist femer, als ein
solches Grefünl der Schadenfreude, und es wäre schlecht an^^bracht gegen einen Feind, der
selbst in seiner Vergangenheit so viele Triumphe einzure^stnren hatte und sich ihrer mit ge-
rechtem Stolze freuen mag. Hieronymus lehrt freilich, wie theuer es die Galler zu zahlen hat-
ten, ne quis extaret in ea gente quae incensam a se Romam urbem gloriaretur (b. Florus).
Heber verschiedene Verwendungen von Conchylien.
Von Dr. £. y. Martens.
(Forinte, gehalten in der Berliner anthropologischen Qesellschaft am 9. Deoember 1871.) -
(Schlnsa.)
Eine weitere Yerwendimg einiger Conchylienarten ist diejenige als Geld,
zwar aoch noch eine practische, aber doch nicht mehr auf ihren wirldichen
Eigenschaften beruhend, sondern auf einer willkürlichen conventionellen Idee
ober ihren 'Werth und Termuthlich ans der Benützung derselben Gonchylien
als Schmuck hervorgegangen; denn alle als Geld benützten Gonchylien wei^
den in derselben Foim auch als Schmuck verwandt, wie umgekehrt unsere
leicken Bauern zuweilen Münzen als Kockknöpfe tragen. Am bekanntesten
and Terbreitetsten in dieser Beziehung sind zwei unter sich nahe verwandte
Alten von Porzellanschnecken, Cypra$a maneta und 6'. ann^lus L.'), Eituri
(cowry oder cowree) haupts&chlich von den Engländern, Buji oder Bugi öfter
Ton den Portugiesen genannt, boli auf den Maldiven, bia in Siam (malayisch
Muschel überhaupt), sigay auf den Philippinen, arabisch wadaa oder wadaat.
Die genannten Schnecken sind im ganzen indischen Archipel nicht sel-
ten und wurden — werden wohl auch jetzt noch — hauptsächlich auf den
Haldi?en') und den Sulu- Inseln massenweise gesammelt und in den Handel
^bracht, unter der holländischen Herrschaft auch auf Ceylon. Doch habe
ick während meines Aufenthaltes in Ostasien von Ceylon bis Japan und Ti-
mor sie nur in Einem Lande wirklich als Münze in Gebrauch gefunden und
zwar in Siam, wo ich mir solches Kleingeld selbst auf dem Markte eintauschte,
am kleinsre Einkäufe zu machen, es war ausschliesslich Cypraea annulus,
tber in Stacken von sehr verschiedener Grosse und Erhaltung, ihr Werth
0 Ogpraea ccaaica L. hat damit nichts zu thnn und erhielt ntur durch Missyerständniss
ihren Namen. In Asien scheint mehr C. anmdw, in Afrika haupts&chlich C. moneta zn
gelten.
*) Schon vom arabischen Schriftsteller Ebn Beithar, f IS'^S zu Damaskus, werden gerade
die Maldiven als Fnndplatz genannt, was später vom Reiseuden Pyrard 1602, der die Kauris
^ BAchtbnm dieser Inseln nennt, bestätigt wurde.
Z«itMhrift ekt BÜMolofie, Jahrgang 1879. 5
66 üeber verschiedene Yerwendtuigen Ton Cimchylien.
ein sehr geringer, 800—1200 Stfick (die Angaben yon Pallegoix, Bovring and
die Erfahrangen auf unserer Expedition ergeben einen gewissen Spielraum)
gleich der kleinsten Silbermunze, dem faang der Siamesen, welcher selbst
gleich 3|- Silbergroschen ist, so dass 20 — 30 Eaoris auf einen prenssischen
Pfennig kommen; Bo wring sagt, sie würden an der Küste selbst gesammelt,
ich glaabe aber von Eanfleaten in Bangkok sie auch unter den Einfuhrarti-
keln einbegri£fen gehört zu haben. In Bengalen scheinen sie seit langer Zeit
als kleine Münze zu gelten and ans Indien scheint auch die Benennung Eauri
za stammen; nach einer freundlichen Mittheilung yon Pro! Weber kommen
sie in der indischen Literatur im Pankatantra, ferner bei Blankara und Dan-
din vor, so dass sich ihr Gebrauch als kleine Münze bis ins 6. Jahrhundert
n. Chr. zurückverfolgen lässt; die gewöhnliche Bezeichnung im Sanskrit ist
kaparda, kapardika, woraus im Dialect der Mahratten kavari geworden, dem
offenbar das englische cowry oder cowree, kauri gesprochen, entnommen ist.
Noch in der Mitte des yorigen Jahrhunderts rechnete man in Englisch-Indien
2400 — 2560 Eauris auf 1 Rupie, also etwa 10 gleich 1 preuss. Pfennig; in
unserer Zeit aber sind sie durch yermehrte Einfuhr werthloser geworden, so
dass erst 6500 eine Rupie machen, also etwa 26 einen Pfennig (Prinsep, Indian
anüquities, 1858, Anhang S. 93), mithin nngefthr übereinstimmend mit ihrem
Werth in Siam. Femer gelten sie durch den grössten Theil des tropischen
Afrikas yon der Ost- zur Westküste und dieses scheint, da diese Schneckeu
im atlantischen Ocean nicht yorkommen,^) ein interessantes Zeugniss für
einen seit lange bestehenden Binnenverkehr in diesem Welttheil zu sein.
Denn schon die portugiesischen Entdecker fanden diese Münze an der West-
küste in Gebrauch, z. B. Cadamosto 1455 bei den Mauren am Senegal; Piga-
fetta giebt in einer 1598 erschienenen Beschreibung yon Kongo den dortigen
1) Alle die früheren Anj^ben in conchyliologischen Werken, dass Ogpraea anmüuM oder
mtmeta auch im atlantischen Ocean oder gar im Mittelmeer lebe, haben sich nicht bestätigt
und scheinen nur davon herzurühren, dass die Schalen als Handelsartikel an den betreifenden
Küsten leicht zu bekommen sind und daher auch den Conchyliensammlem in die Hände kom-
men. Etwas bedenklich lautet allerdings die scheinbar so positive Angabe in der allg. Hisl d.
Reisen, V. S. 18, dass die Muscheln, welche man statt des Geldes braucht, bei Loanda in Menge
gefangen werden und dem dortigen Statthalter des Königs von Kongo ein beträchtliches Ein-
kommen verschaffen; diese Muscheln werden daselbst zimbi oder simbo, auch lumache genannt
Der Artikel' beruht auf dem Bericht des Portugiesen E. Lopez, der 157g Kongo bereiste, und
auf der Compilation Dapper's; Lopez' Bericht wurde von Pigafetta in ziemlicher Unordnung
italienisch herausgegeben (vgl Bd. IV. S. 513 — 515 und 440); hieraus erklärt sich das oben-
genannte lumache, das der regelmässige Plural des italienischen lumaca (limax), Schnecke, in
der Regel Landsebnecke, ist. Einige Widerspräche in Betreff derselben finden sich noch auf
S. 32 und :i3 des V. Bandes: sie sollen nach Lopez in Angola selbst nicht als Geld gedient
haben, nach Angelo (1666) von Kongo kommen und nach einem andern nach Kongo ausgeführt
werden. Es ist mir wahrscheinlich, dass hier verschiedene Conchylien \mter demselben Namen
zusammengeworfen sind : die Kauris, Cypraea moneta und annulus, die zur See eingeführt wor-
den, vielleicht auch Marginella monilis, welche durch Binnenhandel von Ostahrika kommt und
in vielen Ländern als Schmuck dient, und endlich vielleicht auch die gleich zu erwähnende
Landschnecke, Ackatina.
üeber yenchiedene Yerwendiingen Ton Oonchylien. 67
Weith za 3500 Stück auf eine „Pistoletfce^ an, was, die portugiesische Pistole,
deren es sehr yerschiedene gab, zu 12000 Reis gerechnet, ungefähr zwei Stück
auf einen preassiscben Pfennig ausmachen würde. Ziemlich damit überein-
stimmend setzt ein neuerer Bericht aus einer andern Gegend der westafrikar
nischen Küste (Bowdich, über das Königreich Ashanti auf der Goldküste,
1819) 25,600 Stück (in Schnüren zu je 40) gleich einer Unze oder 4 Pfund
Sterling, also ungefähr 2^ Stück gleich einem preussischen Pfennig. Ebenso
übereinstimmend berichtet Lukas um 1789, dass in Kaschna am Südende der
Ton Fezzan durch die Wüste nach Mittelafrika führenden Karawanenstrasse
iit Kauris die hauptsächliche Münze sind und 2500 auf ein fezzanisches
Ifitbl gleich 3 Tblr. 9 Gr. , also etwa 2 auf 1 Pfennig gehen ; sie werden
TonFeaan eingef&hrt (Magazin merkw. Reisebeschreibungen, Y. 1791, S. 343
und 3til). Schon dieser relativ weit höhere Werth, den unsere Schnecken
in Afrika im Vergleich zu dem in Ostindien geltenden haben, zeigt, dass sie
dort nicht zu Hanse sind, sondern erst durch den Handel hingebracht wor-
den; and in der That erscheinen sie auch in der Waarenliste von Bowdich
DQT ab Einfuhrartikel. Der europäische Handel hat sich denn auch dieses
Artikels bemächtigt: uns Manila wurden nach Bowring im Jahre 1858 2938
Pikol dieser Schnecken ausgef&hrt, ungefähr {i davon direct nach England,
▼0 nach einer andern Angabe in Liverpool allein 1848 sechzig Tonnen dar
Ton eingeführt wurden (Woodward, manual of mell p. 121). Früher, als die
Holländer Ceylon besassen, war Amsterdam der Hauptmarkt für dieselben;
es worden daselbst z. B. im Jahre 1689 192,951, im Jahre 1721 317,613
Pfond eingeführt und noch 1780 133,229 Pfand verkauft (Johnston, übers, v.
Bronn, S. 61); noch früher war es Venedig, wie aus der Angabe Cadamosto's
(1455) erhellt, dass diese „Muscheln^ aus der Levante nach Venedig ge-
brackt wurden. Vielleicht war selbst schon Niniveh ein Markt für dieselben,
denn in den Ruinen bei Nimrud wurde unsere Cypraea annulua von Layard
gefbnden (Woodward ebenda), möglicherweise war sie aber auch nur als
Schmuck dahin gekommen.
An der westafrikanischen Küste macht nach Dr. Welwitsch der Fluss
Kuanza in Angola die Südgränze ihrer Geltung aus und von da herrscht bis
ZOT Walfischbai eine andere Art von „Muschelgeld*^ , nämlich die quirandas
de Dongo, Schnüre, an denen kleine Schalenstückchen grosser Landschnecken,
AckatiiUL monetaria und balteata^ dicht gedrängt aufgereiht sind; dieselben
werden im Binnenland von fienguela, im „district des Seiles^ fabrizirt und
ZQ Tausenden nach den Handelsplätzen der Küste, Loanda und Benguela, ge-
bracht; sechs solche Schnüre, je anderthalb Fuss lang, gelten 1000 — 4000
K«i8, d.h. SVs — 14 Francs, indem auch hier der Cours bedeutend wechselt
(Welwitsch, voyages en Angola, moUusqu. terr. et fluv. par A. Morelet, Paris,
wo aoi Ta£ 8 Fig. 4 eine solche Schnur abgebildet ist).
Auch in Nordamerika fanden die Europäer bei verschiedenen Stämmen
schon Conchylien als Geld benutzt vor. Am bekanntesten ist das „Wam-
68 üeber yenchiedene VerwendtiiiKen y<m Conchylien.
pum^ der Ureinwohner an der Ostküste, dessen Gebraach jetzt wohl ganz
erloschen ist; es bestand aus künstlich zarecht geschnittenen und angereih-
ten Stückchen der Schale einer grösseren Mnschel, Venus mercenafna L.^ die
grösstentheils weiss, aber an ihrem hinteren Ende intensiv violett ist; dieses
lieferte das purpurne Wampnm, weisses wurde auch ans einer ganz anderen
grossen Schnecke, Pirula carica und canaliculata^ verfertigt, hatte aber nur
des halben Werth des purpurnen. Ein älterer Berichterstatter meldet darüber
in einer Beschreibung von Virginien (aUg. Historie der Reisen Bd. XVI 1758
S. 577): „Vor der Ankunft der Engländer hatten die Indianer in Virginien
eine Art von Münze, die sowohl zu ihrem Putze, als zu ihrer Handlung
diente. Es waren vier Arten von zusammengereihten Muschelschalen, die sie
Peak, Kuntis, Roenokes nannten. Die Peaks waren verschiedene Theile von
einerlei Muschelschale [vermuthlich Ventis mercenaria]^ glatt und in kleine
Cylinder gebildet, welche unseren kleinen Glasperlen ziemlich gleich kommen,
aber nicht so durchsichtig und nicht so zerbrechlich sind. Es gab deren
braune [violette?] und weisse. Sie waren ein Drittel eines Zolls lang und
ungefähr drei Linien im Durchmesser. Die Runtis waren eiförmig und glatt
wie die Peaks. Die Roenokes waren nur kleine Stücke von der Petaukel-
muschel, deren Rander sehr rauh bleiben. [Dieses kann nicht Venus sein,
da deren Ränder glatt sind; Pectunculus war bei den vorlinnäschen Conchj-
liologen eine ziemlich allgemeine Bezeichnung für gerippte Muscheln, namentr
lieh auch für die jetzige Gattung CardUum^ ^owie kleinere Pecten^ gerippte
^rca-Arten u. s. w.] Als diese Wilden von den Engländern gelernt hatten,
ihr Pelzwerk höher zu schätzen, so schien ihre alte Neigung zu den Muschel-
schalen ein wenig zu erkalten. Indessen nahmen sie solche doch noch im
Handel, vornehmlich den braunen Peak, den sie Peak Wampon nennen und
welcher der theuerste ist. Die engländischen Eaufleute schätzen die Ruthe
achtzehn Stüber, und die weissen neun Stüber.^ Ein Sch&ler Linn^'s, Peter
Ealm, der 1747 in Pennsylvanien und Canada reiste, berichtet, dass zu sei-
ner Zeit die Rothhäute schon sehr von der Verfertigung des Wampums ab-
gekommen seien, da sie von den Engländern mit aus Porzellan nachgeahmten
im Tausch gegen Pelzwerk reichlich versehen worden [auch, weil sie
mehr und mehr von der Küste zurückgedrängt wurden]; nach Kalmus Mit-
theilungen benannte Linn^ die Art mercenaria^ indem er hinzufugte: Pensyl-
vaniae incolis olim instar nummi. Einige weitere Details giebt Binney in
der zweiten Ausgabe von Gould's Report on the Invertebrata of Massachus-
setts S. 134: hiernach wurde die Muschel in den dortigen einheimischen Spra-
chen in der Mehrzahl po-quahang genannt, was mehrfach entstellt z. B. als
quahog oder poquan noch heute auch bei den neuen Bewohnern europäischer
Abstammung als Name für diese Muschel gUt; er giebt den früheren conven-
tioneilen Werth einer Wampumschnur zu fünf englischen Schillingen an und
bestätigt, dass das purpurne den doppelten Werth des weissen hatte. Catliu
sab noch welche als Seltenheit bei einzelnen Häuptlingen und bemerkt, dass
Deber Tarschiadene Verwendmigen von CoBchylien. 69
jetzt aach aus Sasswassermuscheln solche gemacht wurden. (Am. Indiana
I. 1841. S. 223).
An der Nordwestküste Amerikas von Sitka bis Vancouver gilt wieder
eine ganz andere Conchylie als Münze, nämlich eine weisse, ziemlich glatte
Art der sogenannten Elephantenz&hne, Denialium pretiosulk Nuttall^ kaum zu
unterscheiden vom europäischen D, entalü, Sie wurde von den Eingebomen
mittelst eines Rechens aus schlammigem Grunde gefischt und der Länge nach
— die Schale ist schon von Natur an beiden Enden durchbohrt — aufgereiht.
Lord (Proceed. Zool. Soc. London 1864 p. 136) giebt an, dass 25 Stück,
wenn sie zusammen die Länge von sechs Fuss hätten, soyiel wie ein Sklave
oder 30 Pfd. Sterling gegolten hätten, was sehr viel scheint, kleinere selbst-
Terstlndlich weniger. Allmälig seien sie aber durch die Zahlungsanweisun-
gen der europäischen Pelzhandel- Compagnien ausser Gebrauch gekommen.
Dehrigena findet man auch noch am Oregonstrom in alten Gräbern diese
Deotalien neben menschlichen Gebeinen und Feuerstein -Werkzeugen; sie
'ordea also dem Todten als werthvoUes Eigenthum mit in's Grab gegeben.
Steama hat im American naturalist, IIL 1869, einen längeren Aufsatz
aber die als Geld benutzten Gonchylien veröfEentlicht, worin er ausser den
schon genannten auch noch eine Muschel, Saxidomus grandis^ in der Fär-
bang und Dicke der Wampummuschel nicht unähnlich, für Califomien, und
zwei kleine Meerschnecken, Lüorina obeaa und Nerüa polütL^ für einige Liseln
Polynesiens in dieser Beziehung aufzählt
An die Verwendung zu Geld lässt sich diejenige zu Spielen, zu religiö-
sen Feierlickkeiten, als Amulet u. dgl. anschliessen , indem auch bei all die-
sen die Idee, welche mehr oder weniger willkürlich an das bestimmte Stück
uigeknüpft wird, das Wesentliche ist Seit dem vorigen Jahrhundert wird
in onserer Literatur die chinesische Spielmuschel genannt, Venus oder
Cytherea lusaria Chemn.y aus der nächsten Verwandtschaft der von Chinesen
oad Japanern gegessenen C, meretrix. Die Aussenfläche derselben ist meist
weiss, mit Tereinzelten braunen Flecken, die Innenseite im natürlichen Zu-
s^d ebenfalla weiss, aber an den in unseren Sammlungen befindlichen Ex-
esplaren meist mit lebhaften Farben bemalt, und zwar die zwei zu einander
gehörigen Hälften desselben Muschelindividuums in übereinstimmender Weise.
Nach der einen Angabe soll nun das Spiel darin bestehen, dass viele halbe
^)<^en unter einander gemischt werden und derjenige gewinnt, welcher in
gleicher Zeit mehr zusammengehörige Paare zusammenfindet (Kämpfer, Japan, I.
S- 140); es wäre demnach ein Wettkampf in rascher Uebersicht und Augen*
0M88, allerdings wesentlich erleichtert durch die entsprechende Bemalung.
Roaiph und nach ihm Chemnitz, welche aber beide nie in dem Lande waren,
▼o die Spielmnschel gebraucht wird, dachten sich die Sache anders, als eine
Alt Loos- oder Hazardspiel, es würden die Muscheln zusammengepasst und
geschlossen, so dass von der inneren Bemalung nichts zu sehen, zur Wahl
vorgelegt und die Bemalung des gewählten Stücks entschiede über Gewinn
70 Ueber Terschiedene Verwendungen Ton Gonehylien.
oder Verlust oder gebe auch nur an, was der Beireffende zu leisten hat. In
neuester Zeit hat aber A. Adams, der selbst in Japan und dem nördlichen
China gewesen, die erste dieser beiden Darstellungen bestätigt (Annais and
mag. of nat bist. 1869, III. p. 229). In Widah dienen die Eaurischnecken
zu einer Art Hazklhdspiel, wobei es darauf ankommt, ob sie aus der Hand
geworfen mit der Ober- oder Unterseite aufzuliegen kommen, ähnlich wie die
Kinder in manchen Gegenden Deutschlands mit halbirten Bohnen spielen
(Allg. Hist. d. Reisen IV. S. 321). Aehnlich mag auch ihr Gebrauch als
Würfel bei den früheren Bewohnern Hindostans gewesen sein, welche nach
Prof. Weber's Mittheilung deren fünf dazu gebrauchten, während bei den
Negern in Widah sechs die gewöhnliche Zahl ist; die unpaare Anzahl hat
den Yortheil, dass dabei stets eine Mehrzahl auf den Rücken oder auf den
Bauch zu fallen kommt, also einfach auf Gewinn oder Verlust, Ja oder Nein
gespielt werden kann, während die gerade Zahl einen indifferenten Fall mög-
lich macht, also complicirtere Spielregeln erfordert.
In Vorderindien hat seit langer Zeit eine grosse weisse Meerschnecke,
Turbinella rapa, eine gewisse Bedeutung für feierliche Ceremonien und
als Amulet; man nennt sie dort Tsjanko, oder wie die Engländer schreiben,
chank, ein mit dem lateinischen concha etymologisch identischer Name. Aus-
führliche Nachrichten über dieselbe, nach den Mittheilungen des Missionars
D. König in Tranquebar, finden wir in Chemnitz, Conchylien-Cabinet, Band
IX. 1786. 8.39 — 51, übrigens mit der Nebenbemerkung, dass die Fischerei
gegen früher sehr abgenommen habe. Hiemach wird das Aufsuchen dersel-
ben durch Taucher in der südlichen Hälfte der Küste von Koromandel im
Grossen betrieben und ist ein vom Landesherm, dem Nabob von Kamatik,
theuer verpachtetes Regal; der dreijährige Pacht betrug z. B. einmal 7000
Pagoden = 3500 dänische Reichsthaler. Stücke gewöhnlicher Grösse werden
meist zersägt, um Arm- und Fingerringe daraus zu machen, welche gegen
böse Geister, Schlangenbiss u. s. w. schützen sollen; diese Ringe vererben
sich nicht, sondern die der Todten werden in^s Wasser geworfen, daher stets
wieder neue Zufuhr erforderlich. Besonderen Werth legt man auf ungewöhn-
lich grosse und namentlich auf die auch bei dieser wie bei anderen Schnecken-
arten als Seltenheiten (1 unter 1 Million) vorkommenden verkehrt gewunde-
nen Exemplare; man nennt es den König der Tsjankoschnecken; der glück-
liche Taucher erhält eine Belohnung von 20 Reichsthalem, und alle seine
Genossen helfen ihm dieselbe in den nächsten Tagen mit Essen und Trinken
durchbringen, der Generalpächter aber ist bei Todesstrafe verpflichtet, das
Stück an den Landesherm abzuliefern, der sie selbst, öfters mit Gold be-
schlagen, wieder zu diplomatischen Geschenken verwendet, und so oder durch
Verheimlichung sind auch einige in die europäischen Sammlungen gekommen.
Lassen (indische Alterthumskunde, I. S. 194) und Tennent (Ceylon, Bd. I.
S. 20. 446 und 471, Bd. H. S. 556) geben manche historische Notizen über
diese Schnecke, wobei nur zu bedauern, dass sie dieselbe nicht deutlich
Ueber Tenohiedene Verweadmigen von Gonchylien. 71
genng Yon dem als Trompete benutzten Tritonshorn unterscheiden (oder sollte
etwa auch ansere TurbineUa als Trompete benutzt worden sein? — was ich
kaom glauben möchte, da ich nie ein Stück mit Mundstück in Sammlungen
gefunden); jedenfalls zu Turbinella gehört die Notiz, dass ein König von
Ceylon eine verkehrt gewundene Tsjankoschnecke dem König Asoka von
Magadba in Hindostan, einem Zeitgenossen Alexanders des Grossen, geschickt
habe, woraus das hohe Alter dieser Werthschätzung erhellt. In der Erzäh-
iong, welche Aelian de nat. an. XV, 8 von dem PerlenÜEing zu Perimuda in
Indien giebt, dürfte er wohl die Tsjankoschnecke mit der Perlenmuschel yer-
wechselt haben, denn die Vergleichung mit grossen Seeschnecken y,Strombu8^
pust nur auf jene, und die Sage von dem Könige (der linksgewundenen), um
den neb die andern in Unzahl versammeln, erwähnt Dr. König ebenso; die
Peiienmuschel dagegen hat keine Ortsbewegung. Tennent berichtet als eine
bebzmte Thatsaohe, dass alle nördlich von Manaar gefundenen ein kürzeres
tbeheres Gewinde haben, als die südlich davon erhaltenen; vielleicht sind
entere Turbinella napus Lam.^ letztere die eigentliche rapa Lam, und dem-
nach beide an sich sehr ähnliche Arten in gleichem Gebrauch. Das Berliner
zoologische Museum besitzt ein Exemplar von T. rapa^ auf dessen Oberfläche
kottsdich verschiedene Ornamente ausgeschnitzt sind und dessen innerer Raum
dnrcb Beseitigung der Scheidewände der Windungen vergrössert ist, so dass
es sich als Gefiss für Flüssigkeiten eignet; nur darf man es gefüllt nicht aus
der Hand legen, wie manche Trinkhörner, da es in Folge seiner starken Wöl-
bong auf einer Ebene nicht ruht, sondern leicht rollt Verschiedene ältere
Gonchyliologen, z. B. Chemnitz 1. c. und Davila, catalogue des curiosites de
li nature et de Tart, Paris 1767, S. 163 erwähnen ebenso bearbeiteter Stücke
dieser Art in den europäischen Sammlungen. Prof. Bastian theilt mir mit,
gegenwärtig sei die Verwendung dieser Schnecken in Indien wesentlich die,
dass der König jedes Geschenk, das er irgend Jemandem giebt, durch Auf-
giessen von etwas Wasser aus dieser Schnecke gleichsam ratifizire und be-
siegle.
Bekannt ist der Kunstgriff der Chinesen zu Ningpo, kleine Buddhabilder
zvischen Mantel und Schale lebender Süsswassermuscheln (ßarbala pliccUa)
za bringen und dieselben dadurch mit Perlmuttermasse überziehen zu lassen
(Siebold, Zeitschr. f. wissensch. Zool. 1857). Die Neger in einzelnen Gegen-
den Westafirikas pflegen, wie andere Gegenstände auch grössere Landschnecken,
Achatinoy als Fetische aufzubewahren und zu verehren; Chemnitz erzählt das
TOQ AduUina bicarinata auf der Prinzeninsel, sie werde über den Thüren der
Hütten aufbewahrt, aber auch für gute Bezahlung an die Europäer abgegeben,
^d Dr. EL Dohm, der vor wenigen Jahren die Prinzeninsel besuchte, bestä-
tigte mir im Wesentlichen dasselbe. Nach Amerika gebracht, haben solche Neger
ihre Verehrung auf die dortigen grössten Binnenschnecken, die Ampullarien,
übertragen; so wenigstens ist die Angabe von Favanne 'zu erklären, dass Amr-
P^tUaria urceus als ,|Manitu^ verehrt werden solle, bei welcher Angabe
72 üeber Tenehiedene Verwendungon ^nm CoochylieiL
freüich Rothh&ute und Neger, sowie Schnecken aus dem Orinoko und dem
Mississippi untereinander geworfen zu sein scheinen. Eine Schlammschnecke,
Ampullaria globosa^ dient den Siwayerehrem in Indien als Gefass, um ans
dem Ganges Schlamm zu schöpfen, den sie den Leichen in den Mond legen
(Bastian). Als eines der zahlreichen Amalete gegen den ,,bösen Blick^ gilt im
Orient auch eine Schnur von Wadaa (Cypraea moneta oder Margtnella momliaf).
Eine gewisse religiöse Beziehung hat auch bei uns in firfiheren Jahr-
hunderten die Pilgermuschel oder Jakobsmuschel gehabt; es soll nämlich,
zuerst am Wallfahrtsort S. Jago (Jakob) di Compostella im spanischen Gra-
lizien, die Sitte aufgekommen sein, dass die Pilger als Wahrzeichen ihrer
Anwesenheit eine grosse Kamm -Muschel yon dort in ihre Heimath mitge-
nommen, diese daher den Namen Pilgermuschel oder Jakobsmuschel erhalten
und überhaupt ein conyentioneller Schmuck an Hut oder Mantel der Pilger
geworden sei. Die an den Elisten Galiziens vorkommende Art ist Peeten
maasimm L; Name und Gebrauch wurde aber auch auf die sehr ähnliche
Art des Mittelmeers übertragen, welche daher auch jetzt noch im System
Pecten JacobcietiSj an mehreren Orten Italiens „heilige Muschel ^'f capa santa
oder (schon bei Rondelet 1554) Muschel dea heiligen Jakob, capa di San
Giacomo, conca di San Jagolo, heisst. Dieselbe Muschel diente auch schon
der antiken Kunst als Vorbild zu verschiedenen Ornamenten und ist von da
auch in die neuere Malerei als Modell des Wagens für Neptun und Venus
übergegangen.
Auch eine Symbolik, aber keineswegs eine fromme, ist es, wenn die
nordamerikanischen Rothhaute ihren Bundesgenossen eine Muschel, wie es
scheint, gerade die Wampummuschel, Venus mercenarict^ zusandten, als Auf-
forderung zu einem gemeinsamen Feldzug, es soll nämlich eine Eünladang
sein, daraus das Blut der gemeinschaftlich zu erschlagenden Feinde zu trinken
(Charlevoix 1744 in der allg. Hist. d. Reisen, Bd. XYIL S. 48) oder wenn
„die Dirnen der niederdeutschen Seestädte^ eine Seeschnecke, den glühenden
Ofen, CoBsü rufa^ „an ihre Fenster stellen als Aushängeschild ihres Gewer-
bes^ (Oken, allg. Naturgeschichte V. S. 482), vielleicht derselben Form-
ähnlichkeit wegen, welche auch schon die alten Griechen veranlasste, Por-
zellanschnecken, vermuthlich die ihnen aus dem rothen Meer bekannte Cyprc^ea
pantherina^ im Tempel der Aphrodite zu Enidos aufzustellen (Plinius TY^
25, 41).
In Spanien wird der Blendling (Albino) einer dort gemeinen Landschnecke,
Helix lactea^ als Sicherungsmittel gegen Blitzschlag betrachtet (Rossmässler,
Iconographie, Band III, Heft 1).
Im indischen Archipel knüpfen sich an einige andere Conchylien mehr
oder weniger abergläubische Meinungen, die sich zum Theil aus der Lebens-
art derselben erklären. Der sogenannte Papier-Nautilus, Arffonauta L., soll
Glück bedeuten, vermuthlich weil er nur bei ruhigem Wetter auf der Ober-
fläche des Meeres sieh sehen lässt, wie die meisten anderen pelagischen
Ueber Temhiedene Yerwendongen Ton Gonchylien. 73
TUere, so dau umgekehrt sein Niedersinken schon bei den Alten als Un-
^äcksseichen galt (Pliniiis IX, 30, §• 49 y,id enirn constat^). Die Eingebornen
von Amboina und den benachbarten Inseln halten nach Rumphs Angabe (S. 64,
deotseh S. 13) es far ein Glück, ihn zu finden, bewahren die Schale unter
ibren Kostbarkeiten auf und die Frauen tragen sie bei feierlichen Tänzen in
der Hand. Mir selbst wurde nach meiner Ankunft auf der Insel Batjan
(Molnkken) eine kleine Schale yon ArffonatUa hiana mit offenbarem Wichtig-
thnn als Geschenk gegeben, wahrscheinlich um mir Glück zu wünschen und
noch wahrscheinlicher in der Hoffiiung auf ein werthvolleres Gegengeschenk.
Der alte Rnmph erzählt femer, dass die malayischen Soldaten und Händel-
sQcker eine Schale von Trüanium lampas bei sich tragen, weil sie sich dadurch
{or luniberwindlich halten, die Schale müsse aber bestimmte Kennzeichen in
der fitfbnng und der Stellung ihrer Höcker haben , so dass es nahe liegt, bei
etviiger Niederlage die Schuld auf die Unächtheit des Amnlets zu werfen;
nogiieherweise ist die Aehnlichkeit mit dem als Kriegstrompete dienenden
Tritonshom bei Entstehung dieses Aberglaubens im Spiel gewesen. £in
anderer sonderbarer Gebrauch, den derselbe Rumph berichtet, bezieht sich
aof Lüarma pagodu9\ diese Meerschnecke lebt, wie unsere europäischen
Idtorinen, in der Regel über Wasser, nur yom Aufepritzen der Wellen benetzt
and kann daher im Trocknen längere Zeit am Leben bleiben; die Malayen
legen nun eine lebende Schnecke dieser Art in ihre Kleiderkisten und glauben,
dass sie, so lange die Kiste nicht yon fremder Hand berührt werde, ihre ge-
vämUche Zeit am Leben bliebe, ihrer Meinung nach ein YoUes Jahr, dass
sie aber sofort sterbe, wenn ein Dieb an die Kiste komme; möglicherweise
inag sie allerdings länger ihr Leben fristen, wenn sie ganz ungestört bleibt,
als wenn sie öfter berührt und hin und her geworfen wird; jedenfalls ist der
Nutzen sehr gering, da nur der begangene Diebstahl, nicht der Dieb, ange-
zeigt wird.
Rän ehern mittelst der hornigen Deckel yon Murex^ Purpura^ Faaciolor
fM, THtonium^ Strambus und auch AmpuUaria ist im Orient yon Kosser
(Klonzinger) bis AmboTna (Rumph, hoU. S. 87, deutsch 48) und Luzon
(Kamel) gebräuchlich, zu abergläubischen und auch quacksalberischen Zwecken,
*nrd auch schon yon alten Schriftstellern z. B. Dioscorides erwähnt; auch
<la8 Schecheleth der Bibel (2. Mos. 30. 34), in Luthers Uebersetzung Bal-
sam, wird auf solche Scbneckendeckel gedeutet Anderweitige medicinische
Verwendungen yon Schalthieren dürfen wir hier als gar zu mannichfalti^ und
grösstentheils ganz abgekommen übergehen.
Nach all diesen wirklich oder scheinbar nützlichen Verwendungen bleibt
iH)ch die Kategorie des Schmuckes übrig, wobei die Conchylien nur wegen
^T Schönheit, um dem Auge Anderer einen angenehmen Anblick zu ge-
währen, in Anwendung kommen. Diese Kategorie enthält yiele und yielerlei
Falle und steht kaum deijenigen der Verwendung zur Nahrung an allgemeiner
Verbreitung nach. Wir finden in den yerschiedensten Gegenden der Erde
74 Ueber Tenchiedene yerweiLduninen von Gonehylien.
solche zu Arm- und Halsbändern benatzt, leider jedoch läset sich in der
Kegel aus den Reisebescbrcibongen nicht erkennen, welche Gattung and Art
von Concbylien es ist, die daza dient; in den speziell concbyliologischen
Werken, namentlich den neueren, sind derartige Notizen aber selten. Durch
die entgegenkommende GeföUigkeit Prof. Bastians ist es mir möglich gewesen,
in dem ethnographischen Eabinet des hiesigen Kunstmuseums manchen Auf-
schluss hierüber, wie auch über andere Gegenstände dieser Mittheilung zu
gewinnen; andere konnte ich aus eigener Er&hrung oder durch im hiesigen
zoologischen Museum befindliche Stücke näher bestimmen; hiemach lassen
sich für die einzelnen Länder folgende Conchylienarten als zu diesem Zwecke
verwandt erkennen:
In Venedig, wurden und werden — man sieht sie jetzt wieder an
Berliner Schaufenstern als „venetianische Muschel-bracelets^ — die Schalen des
in den Lagunen sehr häufigen kleinen Trochus Adriaticus Phil.,, durch
Scheidewasser ihrer oberflächlichen Schicht bis auf das Perlmatter beraubt,
zu Armbändern zusammengefügt, öfters in Verbindung mit Glasperlen.
Dalmatien. Die Mädchen der Morlacken besetzen ihre Mützen manch-
mal mit ausländischen kleinen Conchylien; ein Hauptvorzug dieser Mützen
besteht darin, dass sie das Auge durch die Verschiedenheit ihrer Zierrathen
an sich heften und bei geringster Bewegung des Kopfes zu rauschen anfiangen;
daher finden kleine Ketten und Figuren von Silber oder Messing, falsche
Steine, Schneckchen u. dgl. hier ihren Platz. (Fortis Reise in Dalmatien,
ans dem Italienischen B, IL 1776 S. 104). Unter den ausländischen sind
vielleicht die gleich zu erwähnende Margineüa monüia und Ctfpraea tnoneia
zu verstehen.
Afrika. Die am häufigsten in dieser Art verwandte Schnecke dürfte
die kleine längliche glatte schneeweisse Marginella moniliß sein, welche
schon von Linne ihren Artoamen deshalb erhalten hat, y,unde armiUae^ nto^
nilia^; sie wird von Negern und Negerinnen an Schnüren um Hals, Arm
und Knöchel getragen, scheint aber durch den Binnenhandel durch den gan-
zen Kontinent verbreitet *); das Berliner zoologische Museum hat Exemplare
') Sonderbarer Weise ist man über das wahre Vaterland dieser in den conchyliologischen
Sammlungen häufigen Art nicht ganz im Reinen. Linne nannte China als solches, ebenso
noch der Nordamerikaner Jay in seinem Conchylienkatalog und damit stimmt einigermaassen,
dass sich in dem hiesigen ethnographischen Husenm Nr. 13, sowohl in der Schnecke selbst als
in der Art der Anwendung, je zu drei zusammen, mit dem des zoologischen Museums überein-
stimmend, unter den Schmucksachen von den Sandwich-Inseln befindet Dagegen gilt seit
Lamarck 1822 Senegambien als Vaterland dieser Art, doch ist mir keine spezielle Angabe
bekannt, dass irgend ein Naturforscher oder sonst Reisender sie dort oder an irgend einem
Punkt der Westküste gefunden habe. Wohl aber erwähnt Adanson in seiner Gonchyliologie
des Senegals von einer anderen ähnlichen Art, Marginella tritieea Lam.^ dass sie an der dor-
tigen Küste häufig sei und von den Negern angefadelt zu Arm- und Halsbändern benutzt werde.
Aber schon Forskai gibt von dieser Schnecke an, dass sie von der Insel Gameran im rot he n
Meer nach Kairo gebracht werde „colligata in monilia et ÜEUsciculos pendulos (festons) pulcher-
rimos* und Petit hat eine kaum von mom/ts yerschiedene Art« die er if. Terveriana nennt,
Ueber Yenchiedene Verwendtmgen von Gonchylien. 75
derselben mit einem k&nstlichen Loch versehen, also offenbar aas einer Kette
oder doch dazu bestimmt, direkt sowohl aus Alexandrien durch Ehrenberg,
als Tom Cap dorch Krebs erhalten; femer befindet sich daselbst ein Strang,
an welchem je drei Stück derselben in gleicher Höhe nebeneinander befestigt
sind, ohne nähere Angabe der Herkunft, mit der Bezeichnung Wadaat; diese
arabische Benennung, welche wir schon oben für die Kauri. kennen lernten,
finden wir schon bei Rumph und in etwas abweichender Form Wadaha, bei
Gesner €le aquatäibw 15Ö8 S. 338; doch durfte die Angabe Rumph' s,
{amboin rar. S. 117), dass „die Araber^ die Halsbänder ihrer Hunde damit
veizieren, bei der bekannten Verachtung der Mohamedaner gegen diese Thiere
etwas misstraaisch aufzunehmen sein; dagegen werden sie wie auch Cypraea
ouM^ zur Verzierung des Pferdegeschirrs, namentlich der Zügel, im Orient
nicbt selten angewandt; in Persien sollen die Kauri darnach khur-mohnu,
Pferdemnscheln, genannt werden (Prinsep): Nach Dr. Klunzinger wird am
rotten Meer, namentlich in Kosser, auch noch eine andere Schnecke ähnlicher
Grosse, die gelbliche schwarzgebänderte Engina mendiearia^ gesammelt und
cPDtnerweise nach dem Sudan geschickt, wo sie zu Halsbändern benützt wird
and auch Greldwerth hat (Zeitschr. d. Gesellsch. für Erdkunde 1871 S. 70).
Die schon ala Geld erwähnten Schnüre aus Schalenstückchen der Achatina
monetaria dienen nach Welwitsch den Negerinnen in Angola und Benguela
ebeo£ills sls Schmuck, indem sie solche um den Hals oder anch um den
Leib tragen, zuweilen 20 — 30 Pfund; übrigens ist dieser Schmuck nur bei
Verheiratheten Sitte.
Indischer Archipel Eine der Nas8a nei-iiea des Mittelmeers ähnliche
Deine Schnecke, N. callosa A. Ad.y fand ich bei den Dajakem im obern
Eapuasgebiet (Bomeo) zwar nicht als Hals- oder Armband, aber doch an
Messingrillgen angereiht an den Ohren, sowohl von Männern als Weibern
getragen. Ganz ähnliche sind als Verzierung eines Stirnbandes aus BaJi in
der hiesigen ethnographischen Sammlung No. I. C. 1193 und Davila erwähnt
in der That ein Halsband aus solchen Schnecken: j,un collier dont les In-
diomes se parent, &it de petits Buceins dont le rebronssement des levres
seiend insqu'ä la clavicule*' (catal. rais. 1767 Bd. L S. 139). Wieder die-
selbe findet sich an der Schürze einer Tänzerin von den Sandwichinseln,
(c^oL Kabinet Nr. 9). Cypraea annulus^ die Kauri-Porzellanschnecke, findet
sich als Verzierung in Mehrzahl an verschiedenen J^leidungsstücken der hie-
sigen ethnographischen Sammlung, so z. B. Nr. 1193 von Bali, ganze Ketten
von Cypraea tnoneta Nr. 508 selbst an einem Tragkorb ans Bomeo, Nr. 86.
^«n Sokotora beschrieben, Jeum. Gonch. II. 1851, Taf. 2, Fig. 2. Da Horch die richtige Be-
Stimmung Yon Forskal's Art bestätigt, so scheint ihr Vorkommen im rothen Meer sicher und
l^bt es nur zweifelhaft, ob ihre Verbreitung sich auch noch in den indischen und grosseu
Oeean erstreckt. Ihre Häufigkeit in den Sammlungen ohne Kenntniss des Vaterlands erkl&rt
sich daraus, dass sie eine Zeit lang in Europa, wie wohl noch jetzt im Orient, in den Apotheken
ZQ haben war und anch eine weisse Schminke daraus gemacht wurde (Klein, method. ostracol.
I7d3 p. 84 und Martini, Conchylien-Gabinet Band II. 1773 S. lOS).
76 üeber Tereehiedene Verwendaiig;eii Ton Oonchylieo.
Polynesien. Halsbänder aas kleinen Schnecken werden in Tielen
Reisebeschreibongen erwähnt und auch abgebildet, so von den Freundschafts-
und Gesellschafksinseln schon bei Cook, von letzteren, Tonga, auch bei d'Ur-
ville voyage de TAstrolabe, IV. p 285, von den Fidji-lnsehi ebenda, alias
bist. pl. 90 fig. 6., (ein Cerithium?), von den Radack-Inseln bei Ghoris voy.
pittoresque, dritte Tafel, Fig. 2—5 (mehrere Arten, aber wenig kenntlich),
von Neu-Irland bei Duperey voy. de la Coquille, atlas bist pl. 20 fig. 14— IB.
Schon durch Cook's Reise kamen Originale davon in europäische Sammlangen,
denn in Baron von Zom's Verzeichniss „südländischer Conchylien" (Abhandl.
d. Danziger naturf. Gesellsch. 1778), welches die conchylioiogischen Resul-
tate von Cooks erster und zweiter Reise giebt, finden wir eine dunkelgefarbte
Halsbandschnecke von den Freundschaftsinseln ; Chemnitz erhielt dieselbe
aus London als tabby necklace-shell und erklärt tabby als Name eines ge-
wässerten Seidenzeugs, womit die Farbe Aehnlichkeit habe. Das ethnogpra-
phische Eubinet des hiesigen Kunstmuseums enthält aus frfihem Bestfinden,
wo sie als „Halsschmuck des Frauenzimmers der Insel Eaonwe^ bezeichnet
waren, Nr. 140, 141 und 144, Stränge von kleinen weissen und schwarzen
abwechselnd aneinandergereihten Schneckenschalen; die «ireissen sind scheiben-
förmig ausgeschnittene Stücke, wahrscheinlich von einer gethürmten Schale,
aber nicht sicher zu erkennen, die schwärzlichen sind vollständig und schei-
nen mir dieselbe Art zu sein, welche Pease als Planaxia abbreviatus aus
Tahite erst 1865 beschrieben hat. Die Insel Eaouwe gehört zu den Freund-
schaftsinseln und kommt schon in Cook's Reisen unter dem Namen Middel-
burg vor; da auch die Farbe übereinstimmt, so dürfte die damals gebrauchte
Art sehr wahrscheinlich dieselbe sein. Die genannte Sammlung enthält ferner
unter Nr. 504 und 1154 Halsbänder aus aneinandergereihten Schalen von
Stronibua ßotndus^ leider ohne nähere Angabe der Herkunft, doch ohne Zweifel
auch aus Polynesien; die genannte Art ist sowohl im indischen als im stillen
Ocean zu Haus, aus letzterem z. B. von den Gesellschafts-, Cook-, Samoa-,
Fidji- und Pelew- Inseln bekannt.
Auch auf den Sandwich-Inseln trugen die Eingebomen schon zur
Zeit ihrer Entdeckung Hals- und Armbänder von Schnecken. Der Verfasser
von Dixon's und Portlock's Reise um die Welt 1785 — 1788, einer der ersten,
welche nach Cook diese Inselgruppe besuchten, berichtet (Uebersetzung von
G. Forster S. 309, 310): .„Bei den Sandwich-Eilanden gibt es auch unzählige
Arten von kleineren Conchylien, aus welchen die Eingebornen Hals- und
Armbänder, nebst anderen Zierrathen verfertigen. An einem dieser Hals-
bänder war eine ganz besondere Art, welcher ich den Namen der gelbgespitz-
ten Schnecke zu geben mir die Freiheit nehme; eine Abbildung derselben
sieht man auf einem der beigefügten Kupfer.^ Chemnitz, Conchylien-Cabinet
Bd. XI 1295 S. 278 sagt von ebenderselben: „Die Einwohner pflegen diese
Schnecken als einen Schmuck am Halse, an den Ohren, an der Nase^) zu
^) Dieses Trafi;eii von ganzen Conchylien in der Nasenscheidewand ist insofern von Interesse,
üeber Yenchiedene Yerwendnngeii yon Gbnehylien. 77
tragen, daher fast alle Exemplare, die nach Europa kommen, ein Loch in
der Schale haben.*' Es ist dieses AchaHnella lugubris Chemn., die älteste
bekannte Art einer den Sandwichinseln eigenthümlichen Landschneckengattung,
von der man jetzt über 200 Arten unterscheidet, die meisten bunt gezeichnet,
mit donkeln Bändern auf weisslichem, gelbem, röthlichem oder auch grünem
Grande, viele auf Bäumen lebend. Aber auch Seeschnecken wurden oder werden
zu Armbändern benutzt; in der schon yiel&ch genannten ethnographischen
Sammlung finden sich solche aus den Sandwichinseln von Columbella mar^
morata Grray Nr. 41 und von Margineüa monüü^ Nr. 13, andere aus Netnta
räiaJata Sew. Noch andere Halsbänder aus Mikronesien im hiesigen Mu-
semn sind abwechselnd aus schwarzbraunen und weissen kleinen Scheiben
zusammengesetzt, die erstem aus Eokosnussschalen, die letztern die oberen
Stöcke eines kleinen gekrönten Conus.
Nordamerika. Sowohl die Schnüre mit Dentalium pretiosum an der
Nordwestküste, als diejenigen mit Stückchen der Venus mercenaria an der
Ostküste, haben neben dem Geldwerth auch als Schmuck der Eingebornen
gedient Eine Abbildung der ersteren als Ohrenschmuck aus Alaschka findet
sich in LangsdorfTs Reise um die Welt, Band U, Taf. 11, Fig. 4 und 5; in
Bezog auf letztere mögen hier noch zwei Stellen aus Laet's descriptio Lidiae
ocddentalis 1633 angeführt werden: S. 49 von den Attigovautanen, einer aus-
gestorbenen Völkerschaft am Ghamplainsee in Neu England nach den Berichten
des französischen Gouverneurs, von welchem dieser See den Namen hat, dass
die Weiber sich mit künstlich aneinander gereihten Conchylien schmücken und
Dsmentlich die Mädchen sich damit überladen , „um den jungen Männern zu
geCedlen^, ^o auch S. 48 die Abbildung eines mit solchen Wampumketten an
Hals, Brust, Leib und Beinen überladenen Mädchens gegeben ist: und femer
S 84 bei Beschreibung von Newport's Besuch beim virginischen Häuptling
Pawhattan, welcher auf ein mit Wampum nach der Landessitte geschmücktes
Lederkissen sich lehnte: pulvinari coriaceo, margaritis et conchyliis, gen tili
indastria adomato innixus (um 1607). Denselben Schmuck finden wir in
liongfellow's den indianischen Traditionen entnommenem Gedicht Hiawatha
bei dessen Hochzeitsfest (Gesang XI):
Und die Hochzeitsgäste kamen,
Angethan mit reichsten Kleidern,
Pelzgewanden, Wampumgurteln u. s. w.
sowie:
Hatt' er an ein Hemd von Rehhaut,
Ganz durchwirkt Yon Wampumperlen.
^ die Nasenringe anderer Völker an die des Büffels erinnern und glauben machen konnten,
n wi eigentlich die Andeutung einer Kette , das Symbol der Unterwerfung unter einen frem-
den Willen, wie rielleicht auch der Trauring am Finger. Aber die so getragenen Conchylien
weiKQ darauf bin, dass Nasen- und Ohrenringe yon Anfang an nur als Schmuck gemeint sind ;
^m Trauring kann man fragen, ob er auch ursprünglich nur Schmuck sei oder vielleicht auch
^n Siegelring bedeute, die Gattin also als Hausherrin beglaubige, wobei auch das beidersei-
ts« Wechseln der Ringe als Symbol g^nseitigen Vertrauens und Verburgens bedeutsam wurde.
78 Ueber yersehiedene Verwendimgen Ton Gonchylien.
Tropisches Amerika. Derselbe Laet berichtet von Nea-Galizien,
dem heutigen Staat Xalisco an der mexikanischen Westküste, S. 281 , dass
die Eingebomen grüne SteincheD und hübsche Gonchylien um Arme und
Beine als Schmuck binden. Der Jesuit Th. Bonanni beschreibt im Museum
Kirchen anum (ed. Batarra Bd. I S. 215): ein Halsband (monüe)^ Schmuck der
Mädchen der brasilischen Völkerschaft Ejriri (diesen Namen finde ich an-
derswo nicht), aus Knochen und Muschelschalen, die mit vieler Mühe und
mittelst eines Messers zu gleichen länglichen Stückchen (aequalea lineolm)
verarbeitet sind. Auch Pohl, Reisen im Innern Brasiliens 1833 S. 192 spricht
von Halsbändern aus Muschelschalen an Schnüren bei den Apinages am
Maranhon. Welche Arten von Gonchylien es seien, die so benutzt werden
mögen, darüber kenne ich nur zwei Andeutungen; 1) dass Davila catal. rais.
p. 114 (1767) aus seiner Conchyliensammlung Armbänder von Bmchstückai
der Elsterschnecke, Trochus pica^ beschreibt, nebst Gürteln der Wilden aas
cylindrischen, hohlen, violetten und weissen Conchylienstückchen , zwar ohne
Angabe der Herkunft, aber die genannte Art ist eine westindische, und
2) dass, worauf Dr. Dohm mich aufinerksam machte, eine jetzt noch in den
Sammlungen seltene Landschnecke, Clausilia Karatemana ^ aus dem Binnen-
land von Venezuela, stets mit einem künstlichen Loch an der der Mund-
öffiiung entgegengesetzten Seite versehen, also wahrscheinlich aus Halsbän-
dern oder sonstigem Schmuck der Eingebomen entnommen ist.
Feuerland und Magellan Strasse. Schon den ersten Seefahrern,
welche diese Strasse passirten, z. B. Sebald van Weert 1599, fielen die
Halsbänder aus Schneckefnschalen bei den Eingebomen auf, und ebenso er-
wähnt solcher auch Garcie de Nodal 1618 vom Staaten-Eiland; Sloane gibt
im zweiten Band seines bekannten Werkes voyage to the islands Madeira,
Barbadoes etc. 1727, Taf. XI Fig. 18 die Abbildung eines solchen Schnecken-
halsbandes aus dem Feuerland, mit der Bemerkung, dass die Schnur dazu
aus Robbendärmen gemacht sei; während der französischen Besitznahme der
Maluinen oder Falklandinseln 1764 — 1767 wurden mehrmals kleinere Expedi-
tionen nach dem Innern der Magellanstrasse gemacht, um daselbst Holz za
holen, da sowohl auf den genannten Liseln als am Eingange der Strasse der
heftigen Winde wegen keine grössere Bäume vorhanden sind, und dabei gele-
gentlich auch solche Schneckenhalsbänder von den Bewohnern bei Cap
St Anna an der Nordseite der Strasse eingetauscht (Pernetty voy. aux isles
Malouines II S. 113, 126 und 130); hiernach hat Favanne in der dritten ver-
mehrten Ausgabe von Argen ville's Conchyliologie 1780 Bd. II S. 117 die
Schnecke beschrieben unter dem Namen „grain de chapelet des Sauvages de
la Terre de Feu**, Rosenkranzperle der Wilden von Feuerland, und sagt
darüber: ^sie sammeln dieselbe in Menge, um daraus Halsbänder, Gürtel,
Armbänder und eine Art von Rosenkränzen zu machen. Nachdem sie nahe
am Mündungsrande ein Loch gemacht haben, fädeln sie dieselben in grosser
Anzahl ein und machen davon eine Art Gewebe, dem sie mehr oder weniger
üaber YMBeMedene Yerwendaiigeii yon OcmchylieiL 79
Breite je nach seiner Bestimmimg geben.'' Kapitän Cook beeachte anf feiner
ersten Erdomseglang 1769 die Südostküste des Feaerlands; Parkinson, der
die Expedition als Maler mitmachte, rühmt die Eleganz der dort erhaltenen
Schneckenhalsbänder und bildet dieselben auch ab in seiner eigenen Reise-
beschreibong: Journal of a Toyage to the South Seas, London 1783 Seite 7,
Taf. 26 Fig. 14; hiemach sind die Schnüre, an welchen sie aufgereiht sind,
aus Gras geflochten, „very ingenuuosly plaited with a kind of grass^. Aber
obwohl die betreffende Schnecke schon um diese Zeit in die europäischen
Sammlungen gekommen ist, findet man doch in den späteren systematischen
V^erken keine Spur davon; den genannten Abbildungen und Beschreibungen
xofolf^e scheint es ein kleiner Trochus zu sein. Ich finde nun im hiesigen
zoolo^hen Museum leider ohne Fundortsangabe drei durch eine Schnur aus
zattnifflengedrehter und eingetrockneter, thierischer Membran aneinanderge-
reüite Stücke einer ihrer oberflächlichen Schicht beraubten, daher ganz perl-
amtterglänzenden kleinen Trochusart, welche in Form und Grosse mit Trochus
(Margariia) molacetts King übereinstimmt, der selbst in der Magellanstrasse
lebt, and so glaube ich diese Art als die der Halsbänder der Feuerländer an-
sprechen zu dürfen.
Auch in vorhistorischen Zeiten dürften Conchylien in ähnlicher Weise
alä Schmuck benutzt worden sein, wie z. B. die durchbohrten Stücke von
Cardtum zeigen, „als ob sie in ein Halsband wären zusammengefügt gewe-
sen', welche man in der Höhle von Auriguac (Haute-Garonne) neben Men-
schen- und Mammuthsknochen gefunden hat (Lartet in Ann. sc. nat. s^rie 4,
BiXV S. 182 Taf. 11 Fig. 11) und ebenso in der Höhle von Bize, Dep.,
Aade, Seemnscheln, die als Schmuck gedient hatten neben Menschen- und
Bennthierknochen (Troyon Thomme fossil 1867 p. 85). Auch auf deutschem
Boden sind in den Gräberfeldern von Hinkelstein bei Monsheim sowohl durch-
bohrte scheibenförmige als andere berlockenförmige Stücke ans einer perl-
matterartigeo Muschel (vielleicht einer Flussmuschel, Unio) gefunden worden,
8. Archiv für Anthropologie Bd. HI, S. 106, Taf. U, Fig. 8 und 10.
Während aber diese kleineren Conchylien oder Conchylienstücke nnr in
Mehrzahl vereinigt als Schmuck dienen können, werden andere grössere
U2ch einzeln zu gleichem Zwecke getragen; hierher die Angabe bei Johnston
(S 60), dass es auf den Freundschaftsinseln ein Zeichen der höchsten Würde
sei, die Orangen-Porzellanschnecke, Cyfyiaea aurantiuniy zu tragen; femer die
von Cook's Reise stammende Notiz, dass „die Damen der freundschaftlichen
Inseln^ eine Eischnecke, Ovula torlilü^ „in den Ohren tragen^ (Chemnitz im
Natarforscher XIX 1783, S. 202), ebenso Bulitnus miltockilus auf den Salo-
i&ODsinseln (Brazier in Proc. zooi. Soc. London 1869, p. 162). Diese Schnecken
sieht man daher in den europäischen Sammlungen öfter mit einem kleinen
I'och, zum Durchziehen der Schnur. In einer Gegend Neuguineas tragen die
Weiber eine grosse Seeschnecke, Cymbivm diadetna^ als einziges Kleidungs-
80 üeber Teraehiedeiie Yerwendiingäi von üoathjßuL
stück zur Bedeckung ihrer Blosse (Finsch Nenguinea S. 59), andere glocken-
förmige Stücke eines Conus (briefliche Mitth. desselben).
Andere werden erst noch weiter künstlich zurecht gemacht, um als
Schmuck benutzt zu werden. Das verbreitetste Beispiel davon sind die O hr-
ringe aus Schneckenschalen. Der Tsjanko in Vorderindien wurde schon er-
wähnt In Bomeo traf ich bei den Dayakem des Batu-lubar-Gebirges weisse
Armringe an, welche aus dem oberen Theil eines Conus miUepunctatus aus-
gesägt waren, schon Rumph erwähnt ebenderselben aus Bomeo, und zwar
der Landschaft Landas (vermuthlich Landak im Kapuasgebiet weiter abwärts);
feiner erfahren wir durch ihn, dass auf Amboina und den umliegenden Inseln
zu seiner Zeit aus dem kleineren Conus marmoreus Fingerringe gemacht
wurden, „welche nicht nur die inländischen, sondern auch unsere Frauen*'
(d. h. die holländischen) trugen. „Die Verfertigung^, fährt er fort, „ist sehr
mühsam und geschieht fast ohne Werkzeuge; man schleift den obersten Theil
der Schnecke auf einem rauhen Stein ab, bis das Lumen der Windungen
blossgelegt ist, schlägt den unteren Theil mit Steinen ab oder sägt ihn mit
einer feinen Feile los und schleift das Uebrige vollends zu einem Ringe zu-
recht; jedes Stück gibt nicht mehr als zwei Ringe^ (eigentlich nur Einen
geschlossenen Ring, da zu dessen Continuität das obere Ende der Mund-
ö&uDg, die Einfügung des Aussenrandes an die nächstobere Windung
nöthig ist; jeder zweite Ring aus demselben. Stück muss eine der schmalen
MundöffiiuDg entsprechende Lücke zeigen, die aber künstlich ausgefüllt wer-
den mag). Zuweilen werden an dem sonst weissen Ringe einige Flecken aus
dem schwarzen Netzwerk der äusseren Schichte gelassen, so dass es aus-
sieht, wie die Einfassung eines Steines, oder es wird die an sich glatte
Fläche künstlich zu allerhand Figuren ausgeschnitzt. Auch aus der grösseren
Cassis ru/uy „glühender Ofen^ von den Sammlern genannt, werden bunte Arm-
ringe von den Malayen verfertigt (Rumph amboinsche rariteitkamer S. 103,
105 und 80, deutsche üebersetzung S. 38). Femer aus der Riesenmuschel,
welche zu so vielen Zwecken dient und aus der die Alfnren im nördlichen Ce-
lebes sich Armringe machen, indem sie die harten Schalen durch ein an
einen Stock gebundenes Stück Porzellan anbohren und schliesslich mit Bam-
bus poliren (Rumph S. 133, deutsch S. 119). Aehnliche Arm- und Bein-
ringe sind in Neuguinea bei den Männern gebräuchlich (Finsch S. 68, 90, 95
und 120). Auch in Südamerika treffen wir dieselbe Verwendung grösserer
Conchylien zu Arm- und Beinringen; so erwähnt Bonanni unter den brasi-
lianischen Merkwürdigkeiten der Sammlung des Jesuiten Äthan. Kircher Arm-
ringe aus Muschelschalen ^armillae ex integra ostrearum testa fabrefactae^,
welche die brasilianischen Mädchen von Jugend an bei Tag und Nacht tra-
gen, ohne sie abzulegen, so dass sie "bei den Erwachsenen, von beiden Seiten
etwas überwachsen, gar nicht mehr abgenommen werden können. Dasselbe
war auch mit ledernen Beinringen bei den Weibern der Earaiben der Fall.
Volle Scheiben aus Conchylien gefertigt und als Schmuck verwendet,
üeber verschiedene Verwendungen von Gonchylien. 81
finde ich zweierlei in der hiesigen ethnographischen Sammlnng, No. 148,
das obere Stück des genannten Conus miüepunctatus als Ohrpflock aus den
Marquesas-Inseln, and No. 506 den glattgeschliffenen Deckel von Turbo mar-
mofotua als Schlnssstück eines Halsbandes, aus Polynesien überhaupt
Femer werden grössere Conchylien als Zierrath nicht nur am mensch-
lichen Körper selbst, sondern an verschiedenen Geräthen angebracht
Frühere Conchyliologen erwähnen öfters der grossen Porzellanschnecke,
Cypraea tigris^ am Schlüsselbunde der Hausfrauen in Europa. In Bomeo
erhielt ich von den Dayakem zu Batu lubang eine grössere seltene Land-
schnecke, Nanina Brookei^ mit einem künstlichen Loch nahe der Mündung-,
ebenso durchlöcherte Exemplare existiren auch sonst in europäischen Samm-
lungen und die Erklärung hierfür giebt mir eine mündliche Mittheilung Dr.
Dokn^ wonach ein Naturalienhändler einmal aus Bomeo einen Sonnen-
schinn erhielt, dessen Rand ringsum mit Schneckenschaleh dieser Art be-
iumgen war. Li der hiesigen ethnographischen Sammlung finden sich merk-
Fordige hauptsächlich aus Schildpatt bestehende Stücke, wahrscheinlich
Magken für feierliche Aufzüge darstellend und wahrscheinlich aus der Torres-
stnisse stammend (Nr. 656), woran neben Perlmutterschalen verschiedene
andere Conchylien angebracht sind, wie Ovula ovum und tortüia^ HaliotU
asinina und Natica mamäla-y wenn die Herkunft dieser Stücke nicht ander-
weitig zu erkennen wäre, so konnte man schon aus der Combination dieser
theils im indischen, theils im tropischen Theil des stillen Oceans hauptsäch-
sachlich einheimischen Arten ungefähr auf eine Lokalität am üebergange
beider in einander schliessen. Ovula tortilü als Schmuck der Boote (pirogues)
wird auch von Dumont d'Urville voy. de TAstrolabe HI, S. 52, von Tonga-
tabn, Freundschaftsinseln, gemeldet. Besonders hervorzuheben ist aber die
Verwendung der nahe verwandten grösseren Ooula ovum zum Schmuck der
schmalen Schilde der Alfuren, d. h. der nicht muhamedanisirten Binnenbe-
völkerong der östlichen Hälfte des niederländisch-indischen Archipels. Rumph
erwähnt sie in dieser Beziehung von den AUuren auf Ceram, und nennt die
Schnecke selbst bia saloakko, nach der Benennung dieser Schilde; v. d. Hart,
reize rondom het Eiland Celebes, 1853, bildet solche Schilde der Alfuren
^on Tabunku an der Ostküste von Celebes ab und ich selbst begegnete 1863
bei Lamahalla auf der Insel Adenare (bei Flores) einem Alfuren, der einen
Spiess und einen mit dieser Schnecke gezierten Schild trug. Ein gleicher
Schild von der Insel Gueb^ ist in Freycinets Voy. de TUranie Atl. pl. 40,
% 10 abgebildet; ein ähnlicher Schild, woran sowohl Stücke von Ovula
<^<^itni, als auch von der gefleckten Cypraea tigris angebracht sind, befindet
sieh in der hiesigen ethnographischen Sammlung Nr. 415; an andern Stücken
derselben Samndung, 663 und 664, sind aber statt dieser Conchylien Stücke
von wirklichem Porzellan angebracht. Die schneeweissen Schneckenschalen
nehmen sich auf dem schwarzen Gnmde des Schildes sehr hübsch aus, sind
ftber doch vielleicht nicht allein zum Schmuck angebracht, denn ihre glatte,
Ztiuehnik fiur Ethnolosi«, Jahrgang 1872. ^
82 Ueber verachiedene Verwendongen von Conchylien.
gewölbte], starke Schale mag wie die Buckel mancher andern Schilde die
feindlichen Hiebe leichter abgleiten lassen. Es steht damit in Beziehung,
dass ein förmliches Panzerhemd, aas dieser Schneckenschale {Ovula ocitm)
zusammengesetzt, aus Bomeo, wie mir Herr Dr. Dohm mündlich mittheiite,
im Museum zu Leiden sich befindet, und dieses stimmt wieder damit zu-
sammen, dass auch die Nordamerikaner auf den Gedanken gekommen zu
sein scheinen, ihre Wampumschnure nicht nur zum Schmuck, sondern auch
als Panzer zu benutzen; wenigstens liegt dieser Gedanke in folgender Stelle
von Longfellow's Hiawatha, (IX. Gesang).
„Finster anzusehn und schrecklich,
Wampum an Yom Kopf zu Fusse,
Tragend alle seine Waffen.
und die Pfeile Hiawatha*8
Prallten ab Tom Semd yon Wampum;
Machtlos auf das Hemd Ton Wampum
Fielen seine mächtigen Streiche,
Fiel der Streich der schweren Kriegskeur;
Felsen brach sie auseinander,
Brach entzwei doch nicht die Maschen
Jenes Zauberhemds am Wampum.''
Yon dieser kriegerischen Bedeutung der genannten Ovula rührt es aach
wohl her, dass bei den Alfuren in Ceram, wie Rumph erzählt, „Niemand
diese Schnecken am Hals oder im Haarzopf tragen darf, als die Yorfechter
und wer schon einige Köpfe sich geholt haf Rumph sah femer bei den
Amboinesen Stücke der Riesenmuschel von Java, als die Hand schützender
Korb für die Schwerter benutzt. (S. 115, 116 u. 129). In Westafrika tragen
die Krieger im Königreich Ashanti „rothe Muscheln^ an Gürtel und Taschen
(Bowdich mission te Ashantee 1869, S. 213), wahrscheinlich dieselbe schar-
lachrothe Spondylus-Arty welche im hiesigen Museum an einem Schwerte aus
Westafrika angebracht ist Im ethnologischen Museum sind ferner amerika-
nische Kriegskeulen, mit MargineUa prunum besetzt, wahrscheinlich aus
Yenezuela.
Die Einfassung von Gartenbeeten mit dem grossen westindischen Strom-
bu8 ffigaa ist bekannt und namentlich hier in Berlin vielfach zu sehen.
Stücke ächter Perlmutter, d. h. der Schale der Perlenmuschel, Meleagiina^
finden sich als Zierrath so häufig an verschiedenen Gerätben aus Indien
und Polynesien, dass die einzelnen sich der Aufzählung entziehen; in Japan,
wo die Perienmuschel nicht vorkommt, dient dagegen die Schale des grossen
Meerohrs, Haliotü giganteay vielfach ihres schönen Perlmutterglanzes wegen
zu eingelegter Arbeit.
Bekannt ist es ferner, dass einzelne grössere Schneckenschalen, nament-
lich perlmutterartige, mehr oder weniger verarbeitet, als Schau- und Prunk-
stücke dienen, so namentlich die Schalen von Nautüua pompilius^ bis auf die
Üeber Yerschiedene Yerwendungen Ton Gonchylien. 83
Perimntterschicht entblösst und mit verschiedenen Figuren bemalt, was eben-
sowohl in Ostindien (Romph, S. 61) als in Holland geschah, wie der Cha-
rakter der Zeichnungen unzweideutig zeigt. In Indien gebraucht man zum
Wegbeizen der obersten, weiss und braun gefärbten Schalenschicht gahrenden
Reis oder auch Essig, in Europa nimmt man gewöhnlich das energischer
wirkende Scheidewasser. Auch die Schale des grossen Turbo marmoratua
wird in ähnlicher Weise bis auf die Perlmutterschicht blossgelegt als Schau-
stück verwandt (Rumph S. 70 und Bonanni Mus. Kirch. Nr. 9 : „inter pretiosa
vasa anreosque caSices supra principum mensas ob ejus venustatem repo-
nitor.^ 1709). Im spanischen Amerika wurde nach eben demselben das
grosse, aber nicht perlmutterglänzende Dolium ringens Wood oder hxtilabre
Kien, mit Silber und Gold geschmückt als Zierde der Altäre verwandt: „solet
ab Indis Americanis foliata pictura argento auroque mixta decorari ad
mensas et Altaria exomandu.^ (Ebenda Nr. 22).
Eine eigenthumliche künstlerische Verwendung 'der Gonchylien ist es
endlich, aus ihnen durch passende Zusammenstellung Bilder und andere
Gegenstände zu machen. In Japan habe ich verschiedene derartige Darstel-
lungen gesehen und gekauft, theils auf eine Fläche befestigt, wie ein Relief,
iheils ganz frei aufgebaut; die violette Süiqua pulchella dient in denselben
ebenso treffend dazu das Kleid einer Japanesischen Dame als den Flügel
eines Kranichs zusammen zu setzen, rosenfarbene TeUinen bilden das Grefieder
eines Hahns, weisse Lucinen Baumblüthe, und Seeigelstacheln Stöcke und
Stiele von Sonnenschirmen, Schnabel und Füsse des Kranichs u. s. w. Auch
in Europa wurden und werden vielleicht noch in Nonnenklöstern dergleichen
Arbeiten ausgeführt, (Bonanni , Davila u. s. w.) wie auch die in den moder-
nen Seebädern (Havre, Ostende, Scheveningen) feilgebotenen Schachteln,
Nahkissen, Briefbeschwerer u. dgl. mit aufgeleimten Muscheln nicht selten
in der Anordnung von rosenfarbnen Tellinen oder weissen Lucinen zu hun-
dertblättrigen Rosen Anläufe zu solchen bildnerischen Produktionen zeigen,
während in der Regel sie sich mit Aufkleben in willkürlicher mosaikartiger
Ordnung oder genialer Unordnung begnügen, ebenso wie schon zu Rumph's
Zeiten im indischen Archipel die Bewohner des östlichen Theils von Gerara
Qod Ton Goram ihre geflochtenen Kästchen mit kleinen Nassa-Arten ver-
zierten, daher die systematische Benennung Nassa arcularia^ Kästchenschnecke,
nach dem nuJayischen bia totombo.
Auch die Cameen aus Muschelschalen dürften hier erwähnt werden,
i)ei denen die verschiedenfarbigen Schichten künstlerisch zur Gewinnung
eines erhabenen Bildes auf andersfarbigem Grunde benützt werden; haupt-
^Uich wird und wurde dazu in Italien Pectunculua piloms verwendet, der
weisse Bilder auf rothbraunem Grunde gibt; gegenwärtig dient auch der vor-
tun erwähnte Strombtis gigas vielfach dazu, der eine rosenfarbne innere Schicht
hat und sonst weisslich ist; in Hamburg werden niedliche Schnitzereien aus
<iem8elben feilgeboten, aber ziemlich theuer. Woodward, manual moll. p. 105,
6*
84 Ueber verscbiedene Verwendungen ton Gonchjlien.
giebt an, dass er samentlich von den Bahamainseln in Menge zu diesem
Behufe, Gameen und Porzellanwerk, eingeführt wurde, im Jahre 1850 allein
300,000 Stück nach Liverpool.
Perlen nnd Purpur sind so bekannte und vielbesprochene Artikel, dass
wir hier mit wenigen Worten darüber hinweggehen dürfen. Die Perlen
haben seit dem Alterthum sich mehr oder weniger in Werth nnd GeM'auch
erhalten; Perlenbänder und Perlen an Ohrringen sind auch in unserer Civi-
lisation noch ein Nachklang aus jenen Gulturstufen , wo die Weiber man-
cherlei und grössere Conchylien an Hals, Armen, Beinen,' Ohren und Nasen
trugen. Die neueste ausführliche Monographie über die Perlen, sowohl aus
den tropischen Meeren (^Meleagrina margaritifera)^ als aus den europäischen
Flüssen {Unio margarüifer) ^ ist diejenige von Prof. Möbius: die echten
Perlen, ein Beitrag zur Luxus-, Handels- und Naturgeschichte, Hamburg
1858, 4. (auch in den Abhandlungen aus dem Gebiete der Naturwissen-
schaften, von dem naturwissenschaftlichen Verein in Hamburg herausgegeben).
Vor mehreren Jahren (1859) hatte ich Gelegenheit, in einem grossem Lon-
doner Handlungshause die verschiedenen Sorten von Perlmutterschalen aus
verschiedenen Gegenden neben einander in grösserer Anzahl zu sehen; es
waren hauptsächlich folgende:
1) Aus Manila die beste Sorte, gross und rein, weiss und stark glän-
zend, die Aussenfläche der Schale dagegen sehr angegriffen. Diese kommen
wohl eigentlich von den Sulu-Laseln nur über Manila nach Europa, vergl
Möbius S. 35.
2) Aus der Südsee, über Neuholland und über Gbile eingeführt, die
schwärzliche Sorte, am Rande und in den tieferen Schichten &8t schwarz.
3) Aus Bombay, über Alexandrien eingeführt, massig grosse und reine,
verhältnissmässig dünnere Schalen, bläulich weiss, am Rande gelblich, die
Aussenfläche besser erhalten, schuppig.
4) Aus Panama die schlechteste Sorte, matt und klein, aber dick. Aus-
senseite stark von Bohrmuscheln angegriffen.
Die systematischen Oonchyliologen haben bis jetzt noch in der Regel all
diese Sorten als Eine Art unter dem gemeinschaftlichen Namen Meleagrina
oder Amcifla margartti/efa behandelt, nur Reeve, conchologia iconica, unter-
scheidet mehrere, vielleicht zu viele Arten; seine A. margarüifera fig. I7
leider ohne bestimmte Fundortsangabe, ist die schwarzrandige, also wohl aus
der Südsee; seine A, barbafa^ fig. 8, von Panama ist die vierte der obigen
Sorten. Möbius, S. 42, schreibt die Perlen des westindischen Meeres der
A. tfquamulosa Lam, 7.\k, Auch Mytilus^ IHnna, Tridacria geben zuweilen
Perlen, doch mindec glänzende und daher ziemlich werthlose, IHnna braune,
Tridacna weisse, entsprechend ihrer eigenen Farbe. Femer finden sich im
Schlossband von Tridactia öfters verkalkte Stückchen, welche im indischen
Archipel als Amulette geschätzt werden. (Rumph S. 128).
Ueber den Purpur, dessen Anwendung mit der Kultur des Altertbuiiis
Ueber yerscliiedeiie Verwendungen fon Conchylien 85
Terfallen und später namentlich dnrch die Entdeckung der Cochenille ersetzt
worden ist, hat bald nach dem Wiedererwachen der Naturwissenschaften,
I61(), ein vornehmer Römer, Fabius Columna (Colonna) einen „tractatus''
geschrieben, der noch heute lesenswerth ist und neben ausfuhrlichen philolo-
^schen Erörterungen auch werthyoUe eigene Beobachtungen über die leben-
den Thiere mehrerer Conchylienarten enthält; die neueste, hauptsächlich das
Anatomische und Chemische behandelnde Arbeit ist das von Lacaze Duthiers
1860 Ton der Pariser Akademie veröffentlichte Memoire sur la Ponrpre«
Ueber die Arten der Pnrpurschnecke war man firüher unklar und uneinig,
aber durch die Auffindung von Resten der Purpurfabriken in Tarent (von
Si£8 Reise 1793), im alten Lakonien (Boblaye in der Expedition en Mor^e
1833) und in den Trümmern von Tyrus (Wilde in Ann. and mag. of nat.
bist 1839) ist nunmehr festgestellt, dass es die beiden im Mittelmeer so
häflfigen Morexarten, M. brandat^ü und M. trunctdu« L. gewesen sind.
Pa^chal Amatius verfolgt in einer sehr ausführlichen Abhandlung über den
Porpor (zweite Ausgabe des Museum Eircherianum durch Batarra, Band II,
1782), die Anwendung desselben von den mythischen Zeiten bis in die
letzten Jahre des byzantinischen Reichs, wo noch 1440 Purpurhüte und
Porporschleppen als üblich genannt werden, während 14 Jahre nach dessen
Untergang (also 1467) Papst Paul der II. die Scharlachgewänder für sich
und die Kardinäle eingeführt habe, die allerdings eine Nachahmung des
Parpurs waren. Etwas weniger bekannt dürfte sein, dass im spanischen
Amerika, nämlich an der Westküste von Nicoya bis Guayaquil, Purpur&rberei
BbBch war, siehe Ulloa's physicalische und historische Nachrichten von
AjBerika, deutsche Uebersetzung von Dieze, Bd. U, 1781, S. 427, sowie in
der allg. Historie der Reisen IX, S. 138, Argen ville conchyliologie, erste
AoBgabe, 1742, S. 181 ; die dazu benutzte Art scheint Purpura patula oder
l*eriica der heutigen Conchyliologen zu sein ; es wurden hauptsächlich Baum-
wollenfaden damit gef&rbt, die dann zu verschiedenem Putz verwandt wurden.
Es scheint, dass die Alten auch direkt die Farbe irgend einer Muschel-
schale zum Malen benutzt haben, denn Aristoteles sagt in seiner Thierge-
sdUchte, y. 15, am Ende, nachdem er vorher ausführlicher von der Purpur-
sebnecke, sinQ(fvQa, gesprochen. „Die Auster (oacQ^or') aber, welche die
Maler braachen, ist überaus dick und der Farbstoff (ayi^og) entsteht von
aussen an der Schale; man findet sie besonders an der Küste von Earien.^
^ ist mir kein weiteres direktes Zeugniss einer solchen Verwendung be-
kannt und auch die Muschelart lässt sich nicht wohl errathen, um so weniger
als nicht einmal die Farbe spezifizirt ist. Die späteren Ausleger des sechs-
zehnten Jahrhunderts haben diese Stelle willkürlich auf ausländische intensiv
rotbe Muscheln gedeutet, namentlich einen pomeranzenrothen Spondylus und
i^ korallenrothen westindischen Pecten nodosus.
Die sogenannte Seide oder der B y s s u s , der Steckmuschel, Pinna nobilü L.,
wird noch heutzutage in Tarent, Reggio, Cagliari und einigen wenigen an-
86
lieber Yersehiedene Verweudungen yon Conchylien.
deren Orten zu Handschuhen und Strümpfen verarbeitet, es scheint aber
überall mehr Gariositat als ernstliche Industrie zu sein; y. Salis (Reise in
verschiedenen Provinzen des Königreichs Neapel, Zürich 1793) giebt einige
nähere Details über die Zubereitung und berichtet, dass „ein paar Weiber-
handschuh an Ort und Stelle (in Tarent) 16 neapolitanische Carlins oder
3 Gulden 10 Kreuzer Reichsgeld kostet^ Es soll schon von Tertullian
(f 220 n. Chr.) erwähnt werden, in der eigentlich klassischen Literatur des
Alterthums finde ich aber keine Spur davon, byssus ist in derselben nur
eine feine, ausländische, dem Luxus dienende Art von Leinwand oder Baum-
wollenzeug ohne Beziehung auf die Muschel, und die Lautähnlichkeit mit
aßvaaog und ßifxf'og^ Meerestiefe, scheint eine zufallige zu sein.
Uebersicht der angefahrten Verwendungen.
Nahrung S. 24, Meermuscheln 24, Meer-
schnecken 25, Landschnecken 27,
Süsswassermollusken 28.
Kalkbrennen. Beschütten d. Strassen 28.
Netzbeschwerer, Schiebfenstersteller28.
Gefasse, Trinkschalen, Löffel u. dgl. 29.
Messer 31, Hacke, Bartzange, Angel-
haken 32, Lampe, Beil 87.
Trompete 33, Pfeifen und Klappern 35.
Fensterscheiben 35.
Glätten von Papier und >Tuch 35.
Geld 65.
Spiele 69.
Ceremoniell, Symbolik und Aberglau-
ben: Tsjanko 70, Buddhabilder 71,
Fetische 71, Pilgermuschel 72, Venus-
porcellane 72, Glückszeichen, Amu-
lett f&r Krieger, Diebstahlsanzeiger,
Räucherwerk 73.
Schmuck: Hals-, Arm- und Beinketteo
74, einzelne Stücke als Körper-
schmuck 79, Ohr-, Finger- u. Arm-
ringe 80, Zierrathen für Hausgeräthe
und Waffen «1, Panzerhemd 82, Perl-
mutterschmuck 83, Prunkstücke auf
Tisch u. Altar 83, Perlen 84, Purpur
85, Farbstoff aus einer Muschelschale
86, Byssus der Steckmuschel 87.
Uebermcht der angeftthrten Conchylienarten.
Cephalopoda.
Argonauta 72, 73.
Nautilus 30, 32.
Gastropoda.
Gtenobranchia.
Conus 77, 80, millepunctatus und mar-
moreus 80, 81.
Terebra maculata 32.
Murex 73, brandaris und trunculus 25,
85, adustus 27.
Purpura 73, patula und Persica 85.
Rapana bezoar 26.
Concholepas Pemviana 25.
Fusus (Neptunea) antiqua 25, 87.
Buccinum undatum 25.
Nassa 75, arcularia 83.
Pirula tuba 26, carica u. canaliculata 68.
Fasciolaria 73.
Turbinella rapa 70, napus 71.
Engina mendicaria 75.
Columbella 77.
Cymbium diadema 80, melo 30, cisium 30.
Marginella moniUs 72, 74, 77, 66, pru-
num 82.
Cassis rufa 72, 80.
Dolium ringens 83.
Tritonium 33, 73, lampas 73.
lieber Terschiedene Venrendnngen Ton Conchylien.
87
Cypraea tigris 81 , pantherina 35, 72,
aarantiom 79, annnlos and moneta 65,
•28, 70, 72, 74, 75, 76.
Ovola oYom und iortilis 79, 81, 82.
Natica mammilla 81.
Strombus 73, gigas 34, 82, 83, floridas 76.
Pterocera 27, lambis 31.
Cerithium 26, 35, 76
Pianaxis abbreviatos 76.
Tarritella 35.
Piwoa 26.
Melania 28.
Litorina 26, litorea 26, 27, pagodas 73,
obesa 69.
Ampollaria 73, orceus 72, globosu 72.
Rhipi doglossa.
Nerita polita 69, reticulata 77.
Neritina 28.
Torbo marmoratos 24, 30, 81, 83, cor-
natos 26, ariiculatus 27.
Trochus 26, Niloticus 27, Adriaticus 74,
violaceas 69, pica 78.
Haliotia gigantea 26, 31, 82, Iris 26, 32,
Daevo8a26, tuberciilata30, asininaSl.
Cyclobranchia.
Pateila 26, 35, deaurata und Magella-
nica 27, 32.
Pnlmonata.
Nanina Brookei 81, ovum 87.
Helix, yerschiedene Arten 27, 72.
Balimog miltochilus 79.
Achatina bicarinata 71, monetaria und
balteata 67.
Achatmella lugubris 77. ,
Claosilia Earsteniana 78.
Solenoconchae.
Dcntalium pretiosum 69, 77.
Bivalvia.
Ostrea 24, 25, 27.
Placuna placenta 35.
Pecten mazimus und Jacobaeus 29, 30,
72, laqueatus und Japonicus 29, 30.
Spondylus 82, 85.
Meleagrina margaritifera 84, 32, 35,
82, 87.
Pinna 84, 85, 86.
Area granosa 28.
Pectunculus 83.
Mytilus eduUs 24, 27, 32, 84, viridis 25.
Anodonta 28, 29, purpurea 31, anse-
rina 31.
Barbala 30, 71.
Unio 28, 29, 79, margaritifer 84.
Tridacna 30, 32, 80, 84, 87.
Cardium 79, ednle25,27, Japonicum25.
Lncina tigrina 35, lactea 83.
Cyrena 28.
Gyclina Sinensis 25.
Cytherea petechialis 25, 26, lusoria 69.
Venus mercenaria 68, 72, 77, 82, gal-
lina 25.
Tapes, verschiedene Arten 25.
Sazidomus grandis 69.
Mactra solida 28.
Lutraria mazima 26.
Donaz 26.
Tellina 35, 83.
Solen 25.
Solecutus strigilatus 25, 27.
Novaculina constricta 25, 27.
Cultellus javanicus 25, 27.
Siliqua patula 25, pulchella 83.
Mya arenaria 24.
Pholas 24.
Nachschrift. Ich kann nicht umhin hier noch der Verwendung als Lampe zu gedenken,
▼eiche oben bd den Geßssen hätte erwähnt werden sollen. Als solche diente früher im nörd-
iKhen Schottland die Schale Yon Fimu onHqmiSy an Schnüren aufgehängt, so dass der Mun-
dnogskaoal die Dille bildete, (Johnston mit Abbildung) und jetzt noch auf den Philippinen
'^«ma ooim (Jagor). Gapitän Keate ftmd auf den Pelew-Inseln 17S3 auch Messer aus P^rl-
matternratchaLD und Beile aus Stucken der Biesenmuachel.
gg Eini^ über Pbhibanten.
Einiges über Pfahlbauten, namentlich der Schweiz,
sowie über noch einige andere, die Alterthnmsknnde
Europas betreffende Gegenstände')*
Von Robert Hartmann.
n.
(Fortsetzung.)')
Die Hauskatze gehört der Pfahlbaofauna noch nicht an. Dieselbe
ist erst weit später nach Europa gelangt^). In den älteren Resten finden
sich nur Enochenfiragmente unserer Wildkatze, welche sich in Deutsch-
land noch zerstreut im Harz, Thüringerwalde, in Schlesien und in den öster-
reichisch-bayerischen Gebirgen aufhält*) im schweizer Jura und in den schwei-
zer Alpen jedoch gegenwärtig zu den nicht sehr häufigen Thieren zählt
Nach Fatio's Mittheilungen sollen im Canton Tessin nur noch mehr oder
minder stark verwilderte Hauskatzen Torkommen. Die Neigung des
letzteren Thieres zu verwildern, ist in allen Gegenden der Erde sehr stark
In Nordostafirika geschieht dies sogar mit den daselbst domesticirten Exemplaren
der Felis tnaniculctta Rttepp. Die dort noch heut fortdauernde Zähmung letzterer
Art ist eine durchaus unbestreitbare Thatsache, von der sich jeder Reisende
überzeugen kann, welcher überhaupt zn beobachten versteht und welcher
nicht absichtlich seine Augen vor den schlagendsten Thatsachen verschliesst
Ueberhaupt ist wohl kaum ein Gebiet auf der Erde so sehr geeignet, den
Wahn specifisch gottgesandter Hausthiere zu zerstören als der Sudan.
Um dies zu bestätigen, darf man nur einen offenen, durch Orthodoxie
nicht weiter vernagelten Kopf haben. Bekannt ist übrigens auch die Nei-
gung der Wildkatzen, sich mit Hauskatzen zu paaren und mit diesen Ba-
') Hinsichtlich der Bären mochte ich hier noch erwähnen, dass sich in dem sehr interessan-
ten zoologischen Mnseum zu Bern ein Alpen bär unter der Bezeichnung „ürsus fuscu»*" he-
findet, Yon schmutzig-weissgelblicher Farbe ) dessen Glieder dunkler sind, allmählich braun, an
den Füssen sogar schwärzlich-rothbraun werden. Diejenigen, welchen es an comparativem osteo-
logischem Material in Bezug auf Ür9us spelaeus und ürsus (trctoe gebricht, werden gut thtin,
einmal die (in der Stellung freilich etwas Terfehlte) Abbildung des „cräne du fameaux Martin,
ours des Alpes mort au jardin des plantes en 1824" auf T. 43 zu Vimont IVaite de Phreno-
logie mit der Abbildung irgend eines Hohienbärenschädels (z. B. in Schmerling^s Reeherches
sur les ossemens fossiles T. IX, XI) zu Tergleichen. An dem Yimont'schen Schädel bemerkt
man eine sehr tiefe Nasen- Stirn -Einsattlung, gewaltige Jochbögen, eine hohe lange
Criita Bagittalü u. s. Ww
*) Vergl. Jahrgang 1871, S. 219 ff.
*) Vergl. Hartmann in Zeitschr. t aegyptische Alterthumskunde, 1864. Annalen der Land-
wirthschaft, Bd. XLIU, S. 287.
^) Das anatomische Museum zu Berlin erhielt neuerdings sehr schöne Exemplare von Wild-
katzen aus dem Thüringer walde (Tabarz), vom Harze, aus Lieyland u. s. w.
Einiges über Pfahlbauten. 89
•
starde zu. erzeugen. Die allgemeine von Fatio gegebene Beschreibung sol-
cber Abkömmlinge, ihrer „grande taille, proportions et pelage fourre da Chat
saavage, avec one livr^e moyenne et souvent tachöe de blanc'', stimmt mit
demjenigen überein, was ich bei thüringer, schlesischen und oberbayrischen
Forstleuten über solche Bastardirungen eingesammelt habe. Weisse Meli-
rong und Fleckung findet sich übrigens auch bei den aus der Vermischung
der wilden und domesticirten Felis maniculata hervorgegangenen wiederum
firachtffaren Katzen. Ich habe Letzteres so recht schlagend an den auf erwähnte
Weise entstandenen Hauskatzen in Dar-Monassir in Nubien und in Dar-Seru
im Sennar beobachten können.
Die meisten der unter den Pfahlbauresten aufgefundenen Knochen rühren
ohne Zweifel von menschlichen Gastmählern, Hundefrass und vom Küchen-
gebraach her. Man hat sie zur Gewinnung des Markes zerschlagen.
Muicke in den festländischen Umgebungen aufgefundene mögen freilich auch
Reste von Hänbereien wilder Fleischfresser sein. Bekanntlich findet
man gewaltige Knochenablagerungen in den diluvialen Höhlen, welche schon
vor Jahren von Manchen als hauptsächlich von der sogenannten Höhlen-
hyäne herrührend, angesehen wurden. In der That finden sich in solchen
Höhlen angemein viele Reste dieses letzteren Thieres im Verein mit den-
jenigen von noch anderen Raubthieren, femer von nicht fleischfressenden
Säogethieren und von Produkten eines urthümlichen menschlichen Kunst-
leisses.
Unsere wilden Fleischfresser sind nun sehr häufig nicht im Stande ihre
Beate sogleich am Orte der Ergreifung zu verzehren. Sie schleppen dieselbe
alsdann erst an sichere Plätze, nach Schluchten, Höhlen, unter überhängende
Felsen, ins Gebüsch, in Erdlöcher u. s. w. Die gewaltig entwickelte Muskel-
kraft der Kinnladen, des Genickes und der Gliedmassen beföhigt die Raub-
thiere viele im Verhältniss zu ihrer Körperbeschaffenheit sehr schwere
Gegenstände weit weg zu tragen. Auch die gestreiften, braunen und gefleck-
ten Hyänen sind dies im Stande. Der Löwe, der Puma, der Königs-
tiger, der Leopard u. a. grosse Katzen tragen ihren Raub an die Zufluchts-
stätte, theilen ihn mit den Mitgliedern ihrer Familie oder verzehren ihn in
aller Gemächlichkeit für sich^). Selbst Freund Petz schleppt seine Beute
fort, wenn er sich am Orte der Ergreifuug nicht sicher ffthlt und zwar oft
recht schwere auf weite Strecken. An den gestreiften und den gefleck-
ten Hyänen beobachtete ich im Allgemeinen Folgendes: Sie fressen Gegen-
stände geringeren Umfanges und leichter Zerstörbarkeit mit der vollen wilden
*) Auch Marder und Füchse thun dies. Aus einer jedenfalls von letztgenannten Raub-
thieren besuehten Höhle über Arnstadt erhielt ich sehr zahlreiche z. Th. stark zerbissene Kno-
«^en (und &hne) von Maulwürfen, Spitzmäusen, Hasen, Wassermäusen, Feldmäusen und von
Vögein. Dabei fanden sich Reste von Füchsen selbst Bei der Vereinzelung der Knochen
)u)imte hier an Raubvogel-i:towölle nicht gedacht werden. Denn letztere, wahre Fundgruben
für den Osteologen, haften ballenweise zusammen und sind weniger zerstört (zerbissen) als die
^on Singethieien eingetragenen.
90 Eini^ aber Pfahlbauten.
Gier ihres Geschlechtes möglichst gleich an Ort und Stelle. Wenn die
Hyänen auf die Kadaver gefallener oder erlegter Thiere stossen, wie Elephan-
ten, Antilopen, Rinder, Pferde u. dergl., so zernagen sie am Platze soviel,
als sie zu bewältigen im Stande sind. Sie beissen dann ganze Stucke mit
Haut und Knochen ab, schleppen diese ein wenig beiseite, lösen die Weich-
theile mit Geschick los und zerkäuen gleich den Hunden starke Röhrenkno-
hen an ihren Mittelstücken, mehr aber noch an ihren Endstücken, platte Kno-
chen, z. B. Schulterblatt und Becken, zerkauen sie an den dickeren Stellen,
dicke Knochen, wie diejenigen der Fusswurzel, Wirbelknochen u. s. w. an
ihren schwächeren Hervorragungen. Niemals aber verschleppen die Hyänen
Stücke von Knochen, die sie ander Stätte des Auffindens zerbeissen
können, nach Höhlen und Felsenspalten. Nur so habe ich es sehr
häufig beobachtet und so hat es übrigens bereits Knox dargestellt 0- Bei
Okmeh in Nubien lagen die von den dort wenig beunruhigten Hyänen be-
nagten Knochen der Kameele, Esel, Rinder, Schafe und Ziegen zu Dutzenden
in der Ebene umher , waren aber nicht zu den in den Spalten der dortigen
wild zerklüfteten Gneissfelsen befindlichen Schlupfwinkeln dieser Thiere empor-
gezerrt worden. Am Fusse der Ruine von Kerman (Nubien) ÜBUid ich wohl
Ezcremente von Hyänen, aber keine von ihnen zusammengeschleppten
Knochen.
Sowie sich aber diese äusserst schlauen und scheuen Thiere stark
beunruhigt fühlen, so tragen sie wohl ihre Beute in Sicherheit, z.B. wenn
sie aus Lagerstellen oder festen Niederlassungen Vieh rauben. Sie thun dies
ferner, sobald sie in der Wuth ihres Hungers irgendwo schwer zerstörbare
Gegenstände, z. B. Ledersachen u. dgl. stehlen, die sie dann mehr oder minder
weit wegschleppen, um in Sicherheit daran kauen zu können.
Die in Höhlen vorgefundenen, eine stattgehabte Benagung verrathenden
Ejiochen werden demnach seltener von Hyänen herrühren (selbst wenn Reste
derselben an Ort und Stelle iaufbreten), als vielmehr von anderen Raub-
thieren.
Die Höhlenhyäne der Diluvialzeit verfuhr, wie W. Buckland in sehr
überzeugender Weise dargethan, beim Zermalmen von Knochen ganz so wie
unsere heutigen „Entweiherinnen der Grüfte.^'). Wie sollte es auch bei so
übereinstimmendem Zahnbau anders gewesen sein? Die Usur der Zahne
zeigt sich bei alten Individuen der H. striata^ brunnea und crocuta genau so,
wie bei H, spelaea. Es ist immer dieselbe gleichmässige Schmelz- und Zahn-
bein im Querschnitt und Schrägschnitt zeigende Abnutzung der Kronen. Ich
habe hierauf noch neuerlich schöne alte Schädel der gestreiften und gefleckten
und der Höhlenhyäne untersucht.
Man hat bekanntlich auch Excremente der Höhlenhyäne angefunden,
0 Memoirs of the Wemerian Society 1833, IV., p. 383^-385.
^ Reliquiae dilu^ianae. London 1823, S. 37 Anm., T. 33, Fig. 1 — 8.
Einiges über Pfahlbauten. 91
welche denen unserer heat lebenden Arten an Gestalt und Zusammcnsetzang
nahe kommen. Buckland hat derartige Faeces aus der Eirkdalehöhle be-
schrieben'). Longuemar stellte dergleichen aus einer Loubeauhöhle dar')
a. s. w. a s. w.
Malcolmson hat nun in der Umgegend von Haidarabad einen von tiefen
Spalten durchzogenen Granitberg geschildert, in welchem sich Tschitah's
{iyncalunis jubatm) und Hyänen aufhalten sollten. Eine dieser Höhlenspal-
ten enthielt Stalagmiten, die Wände waren an manchen Stellen, namentlich
am Eingange, wahrscheinlich durch aus- und einstreifende Thiere wie polirt.
In der Höhle fanden sich viele Knochen, grössere Thierschädel, meist zer-
trümmert, von hinten zerbrochen, die Excremente der Hyäne enthielten noch
kenntBche Rippenstücke u. a. Ejiochen. Dabei lagen Gewölle von Geiern
und Sperbern u. a. m.*).
Nach von Beurmann's Erzählung wohnen gefleckte Hyänen in den Ta-
mariskenwaldungen am Ehor-el-Gasch , gestreifte dagegen in den Schluchten
und Höhlen der Berge Eassala und Mogren- Beiderlei Arten streifen von da
aus Nachts in die Strassen der Stadt Eassala*).
0 «It mnst already appear probable, firom the facts abo^e described, particiilarly from the
romminnted State and apparently gnawed condition of the bones, that the ca^e of Kirkdale
was, dnring a long succession of years, inbabited as a den by hyaenas, and that they dragged
into its recesses, the other animal bodies whose remains are found mixed indiscriminately with
their own, this conjectnre is considered almost certainly the discovery I made, of many small
yis of the solide calcareons ezcrement of an animal that had fed on bonos , resembling the
ssbstance known in the old Hateria Medica by the name of Album Graecum ; its extemal form
is that of a sphere, irregularly compressed, as in the faeces of sheep, and varying from half
IQ inch to an inch and half in diameter; its colour is yellowish white, its fracture is usually
earth and compact, resembling steatite, and sometimes granulär, when compact, it is intersper-
Kd with small eellular cayities, and in some of the baUs there are undigested minute frag-
ments of the enamel of teeth. It was at first sight recognised by the keeper of the Menagerie
at Exeter Ghangä, as resembling, both in form aud appearance, the faeces of the spotted or
Cape hyaena, which he stated to be greades of bonos beyond all other beasts under his care.
This information I owe to Dr. Wol^iston, who has also made analysis of the substances under
(üseossion and finds it to be composed of the ingredients that might be expected in iaecal
Battor derived from bonos, Yiz. phosphate of lime, carbonate of lime, and a Tory small pro-
p(^on of the triple phosphate of ammonia and magnesia, it retains no animal matter, and
its originally earthy nature and afißnity to bone will account for its perfect State of preserra-
tioD.* ,1 haTo one ball of this substance that is in great part in^ested with a thin circular
case or crust of Stalagmite. This must have been formed round it whilst it lay loose and ex-
posed to the dripping of water in the bottom of the caye, before the introduction of the mud."
L. c p. 20 und Anm. Auch Falconer und Andere haben yersteinerten Hyänenkoth beobachtet
^ A. de Longuemar. Caveme ä grands camassiers du Loubeau: HortiUet Hateriaux etc.
4 Ann., p. S4.
*) Es kann hier nur H. striata gemeint sein. Bronn und Leonhard: neues Jahrbuch fär
lineralogie, Geologie u. s. w. Jahrgang 1835, S. 123. Bronn Handbuch der Geschichte der Na-
tur. Stuttgart 1^43. II, S. 455. Die Angabe, dass sich in den Excrementen dieser Thiere
Rippenstücke und andere Knochen gefunden, erscheint mir doch sonderbar. In dem von mir
ontersaehten Kothe der H, striata und £2. crocuta fond ich niemals ein einziges Knochenstück.
Vidleieht war das oben betreffende Individuum in seiner Verdauung gestört gewesen?
*) YergL auch Petermann Mittheilungen, Jahig. 1S63, S. 107,
92 Emiges aber P&hlbautea.
Gegenüber den Ham&m Sejjidna-Soliman, den Schwefelquellen Ton
Okmeh (Nnbien) occupirt die gestreifte Hyäne die z. Th. recht tiefen Rnnsen
und Höhlangen der grossartigen Gneissfelsen a. s. w. (Vergl. S. 90).
Es kann demnach keinem Zweifel nnterliegen, dass auch unsere' heutigen
Hyänen Felshöhlen und Höhlenspalten zum Aufenthalt wählen und
dass sie daselbst in manchen nicht eben häufigen Fällen überflussige Knochen
zurücklassen. Die grosse diluviale Hyäne scheint nun nach neueren Un-
tersuchungen so wenig artlich von unserer H. crocuta getrennt werden zu
dürfen') als Urms q>elaeu8 von Ursus arctos^ als Felis spelaea von F. leo.
Jene, die Höhlenhyäne, ist Zeitgenossin gewesen des Mammont, der
Rhinoceros (Rhinoceroa HchorfUnm, R, hendtoethus) des Flusspferdes (flippopo-
tamus major) des Höhlenhirsches (ßtrongyloceros spelaeui)^ von Buckland' s,
Guettard's Hirsch, vom Renihier, dem Scheiche (Cervua eurycervs)^ vom
Löwen, Bären, Wolf, Fuchs, Hasen, der Wassermaus, noch vielen anderen
Thieren und endlich auch vom Menschen. Letzterer mochte eben so sehr oder
noch schwerer von der Zudringlichkeit, von der Raubsucht des damals viel-
leicht grösser und stärker sich entwickelnden, einen erfolgreicheren Kampf
um sein Dasein f&brenden Thieres gelitten haben, als noch heut der Men-
saner, der KAuori, der Moschuana! Auch in der Heimath dieser Stamme
kommt die Hyäne noch in Gemeinschaft mit vielen heutigen bis in die
Diluvialzeit hineinragenden Thierformen vor.
Neben der Hyäne haben sicherlich noch mehr Löwen und Bären zur
Anhäufung von Knochen in den Höhlen beigetragen. Der Löwe nährt sich
nur von Fleisch, nicht von Knochen, welche letztere er, gleich den anderen
grossen Katzenarten, nur zerbeisst, gewöhnlich Behufs Zerkleinerung der
Beute, ferner wenn sie ihn hindern, zu anderen tieferliegenden Weichtheilen
zu gelangen. Die Hyäne macht aus den Knochen mehr ein directes Nah-
rungsmittel, sie geht ja auch an die Zerstörung von wochenalten, schon von
der Wüstensonne gebleichten und von solchen frischeren Knochenresten,
welche Löwen und Panther von ihren Mahlzeiten übrig lassen. Man
wird die Zahnkronen bei den mehr Muskeln, Häute und andere Weich-
theile kauenden Felis apelaea und F. leo daher niemals so stark ab-
genutzt finden, als bei der die härtesten Knochengebilde zermalmenden
0 Z. B.: ^Die lebende H. crocufa [weicht nicht erheblich von der Höhlenhyäne ab u.8.v.*
(Qiebei Odontographie, S. 23). «Son analogne {sc, H, »pelaea) dans la nature actuelle est
THyene tachet^e (ti. crocuta) des parties centrales et anstrales de TAirique.* (Gervais Re-
cherches etc. Paris 1867, p. 102). ,The Spelaean Hyaena, so abundant in the caverns of
France and Germany, we consider to be a variety merely of the H. crocuta or spotted Hyaena
of South Africa. The two marked varieties in Britain are var*. a) H. intermedia of M. de
Serres, and var. ß) IL Perrieri of M. M. Croizet and Jobert They are in our opinion, mere
varieties, as in a large series that has passed throngh our hands a gradation is evident from
the typical to the more unusual forms.*' (British pleistocene Mammalia, Part. I, p. XXJ.)
Ich selbst stimme, auf eigene neuere Untersuchungen mich stützend, oben daiigelegten Ansichten
bei. Sp&ter an anderen Orten hierüber ein Näheres.
Einiges über PfiilillMtafen. 93
Bi/aena spelaea and ihren lebenden Verwandten. Selbst in Beschaffenheit
der Excremente that sich jene oben erörterte Verschiedenheit kund. Wäh-
rend in den von mir untersuchten rundlich-ovalen, weissen Kothballen von
erdigem Brach der Hyaena atrtata^) und H. croeuta^ die mikroskopische
Analyse nichts ergab als unzählige jener Exystalle von kohlensaurem
Kalk, welche die Trommelstock-, Bisknit-, Eugelhaufenform gewisser Harn-
sedimente darboten, fand ich in (allerdings nur aus Thiergärten stammenden')
Excrementen der Löwen, Tiger und Leoparden Trümmer quergestreifter
Maskehl, Reste von reifem Bindegewebe, elastischem Gewebe, von Binde-
substanzhäaten. Scherbchen von Hyalinknorpel, epitheliale Zellentrammer und
iormlosen Detritus, überhaupt Reste fast ausschliesslicher Fleischnahrung,
zu deren Erkennung natürlicherweise erst eine genaue mikroskopische Analyse
Terhelfea komite.
Aach Bären fressen, wie bereits erwähnt worden, gelegentlich Fleisch.
Sie gehen an lebende Thiere und an Aeser. In den Alpen, Pyrenäen, Kar-
pathen, im Balkan u. s. w. wird so manches Stück Rind, manches Schaf,
manche Ziege ihre Beute. Kadaver erlegter und gefallener Säugethiere
werden von ihnen angefressen. Sie schleppen auch Beute in die Höhlen
nnd hissen Knochenreste hier liegen. Ein fleischfressender Bär verzehrt
mehr Knochen als ein Löwe. Dass nun der Höhlenbär ein grossentheils
fleisch- und knochenfressendes Thier gewesen, ist aus Mancherlei mit Wahr-
scheinlichkeit zu entnehmen^).
Sind denn aber die in den Höhlen entdeckten Knochen alle daselbst als
Kcste von Thierfrass niedergelegt oder haben sie z. Th. auch auf andere
Weise ihren Weg in die Höhlen gefunden? Behufs Erörterung dieser Frage
moss ich hier auf eine schon öfters besprochene Sache noch einmal eingehen.
Manche haben Ersteres als feststehende Regel angenommen, sie haben, wie
Gervais treffend bemerkt, die Höhlen als die Speisekammern der
wilden Thiere betrachtet. Neben den Knochen verzehrter Thiere hat man
nan bekanntlich zahlreiche Reste der Verzehrer selbst gefunden. Nicht
venige derselben mögen hier an Ort und Stelle ihren endlichen Tod geftm-
den haben. Die Kadaver einzelner Individuen sind vielleicht z. Th. von
') Za Okmeh und Kerman in Nubien.
^ Kngesandt durch Dr. Schweinfiirth von Hellet-Kakah am weissen Nil nach Verzehning
^oü Knochen des ßo$ cafer.
*) Die übliche Fütterung der grossen Felinen in zoologischen Gärten und Menagerien mit
Fkiseh (meiat Yon Pferden) entspricht übrigens den Bedingungen der Nahningsweise dieser
Thiere im Freien. Bekanntlich hat Steenstrup die genialen Versuche unternommen, aus der
Art und Weise, wie Fleischfresser Knochen anfressen, diejenigen Tbiergattungen zu bestimmen,
vttche in den alten Lagerstätten genagt haben ^).
*) Vergl Jahrgang 1871, S. 229.
') Et Blik Natur-og Oldforskningens Forstudier til Bervarelsen af Sporgsmaalet ow Menner-
i^erlaegtena tidligste Optraeden i Europa. Forste Afrint. Kopenhagen 1863. ßuckland hatte
früher ähnliche Versuche besprochen und von gefleckten Hyänen angenagte Knochen abge-
bildet. (ReHquiae etc. Tab. 23, Fig. 1—8).
94 Einiges über P&hlbaaten.
Ihresgleichen zernagt worden^). Familien höhlenbewohnender Raabthiere
konnten durch eine plötzliche üeberschwemmung in der Wohnhöhle ersäuft
oder von herabbrechenden Felsstücken erschlagen werden. Sie konnten da-
selbst ihren Tod durch andere Thieje oder durch Menschen finden. Es
konnte dies Alles selbstverständlich nur solche Geschöpfe betreffen, welche
einer und derselben Art angehören. Wo Reste von Bären, Hyänen,
Löwen u.' s. w. zusammen in Höhlen gefunden sind, da konnten diese doch
nicht gleichzeitig eines ruhigen Todes verstorben sein, denn an ein Zusam-
menleben solcher Bestien in einem einzigen verhältnissmässig nur engen
Räume kann doch, wie bereits C. Vogt in seinem Lehrbuche der Geologie
mit hinreichender Genauigkeit ausgeführt hat, nimmermehr die Rede sein.
Wenn also Reste so verschiedener absolut nicht zusammengehörender Thiere
in denselben Höhlen vorkommen, so muss man dabei mehrerlei Möglichkeiten
in's Auge fassen. Denn einmal können verschiedenen Thierspecies ange-
hörende Individuen nacheinander in einer Höhle gewohnt haben und nach-
einander daselbst zu Grunde gegangen sein. Femer können gewisse Indi-
viduen einer Art die Kadaver irgend wie zu Grunde gegangener anderer
Raubthiere in die Höhlen geßchleppt oder sie daselbst gefunden und sogar
erst dann verzehrt haben. Menschen können erlegte Löwen ^, Bären u. s. v.
als z. Th. auch essbare Jagdbeute in die Höhlen getragen haben. Endlich
sind noch stattgehabte Fluthen in Betracht zu ziehen, welche Massen tod
Thierkadavem und Thierknochen umhergeschwemmt und auch in Höhlen ab-
geführt haben, wo sie niedergesunken, resp. verfault sind. Ja manche schon
abgelagert gewesene Thierreste können in Folge noch späterer Fluthungen
ihre Lagerstätte gewechselt haben. In Flussanschwemmungen findet eine Abla-
gerung von organischen Resten noch heute statt. Ich bin z. B. fest davon
überzeugt, dass an den steter Auswaschung unterliegenden Krümmungen,
welche Atbarah, blauer Nil, Raad, Dindir, Sobat, Zambezi und andere afrika-
nische Flüsse beschreiben, Jahr für Jahr solche Menschen- und Thierleiber,
die von Krokodilen und Fischen nicht verzehrt werden oder dass wenigstens
die Knochen derselben nach ihrer Benagung, in den an den Krümmungen
entstehenden Löchern abgesetzt werden. Wie Vieles der Art mögen die Mün-
*) Buckland bemerkt: .It seems therefore in the highest degree probable, that the mangied
relicts of hundreds of hyaenas that lie indiscriminately scattered and equally broken with tbe
bones of other animals in the cave of Kirkdale were reduced to this State by the agency of
the snr^iving individuals of their own species.* Dass Hyänen die Knochen von Gefallenen
ihresfi^leichen anfressen, ist sehr wahrscheinlich. Dass sie sich von Hunger getrieben gegenseitig
tödteten, um sich alsdann zu fressen, erscheint mir dagegen sehr unwahrscheinlich. Mir ist
nur bekannt geworden, dass diese Thiere, gleich den Wölfen, ihre verwundeten und getodteteu
Kameraden fressen, wie solches auch schon der von Buckland citirte, sehr zuverlässige Afrilft'
reisende Browne angiebt
*) Ich bemerke hierbei, dass der Löwe in Afrika sehr gern gegessen wird. Löwenfleiscii
war nach Dr. Schreibers, mir von Barth bestätigten Mittheilungen in den lS30ger und 40ger
Jahren in Tripolitanien, zu Demah und Benghasi, ein nicht so seltener Marktartikel. Die»
Thier geht in die Cyrenaica und in die cultivirteren Gebiete des eigentlichen Tripolitanien.
Einiges über Pfahlbauten. 95
dangsallavien des MiBsissIppi, Orenoco, AmazoDas, La Plata, Ganges, Yan-
tsekiang u. s. w. decken! Für Menschen- wie Thierleichen sorgen hier religiöse
Opfer, Justiz, Krieg, Ueberschwemmungen, Unglücksfalle in Fahrzeugen oder
dorch Krokodile, Krankheit, Jagd u. s. w. Uebrigens hat Russegger im Allu-
TJam der Uferbänke des blauen Nil wirklich Menschenknochen gefunden.
Von stattfindenden Ablagerungen der Muscheln, Schnecken, Schwämme,
hsecten in solchen Gregenden will ich gamicht erst reden.
Andemtheils können, wie denn auch dies schon von manchen Seiten
herrorgehoben worden, Thierkörper, Ejiochen u. dgl. von oben in Felsspalten
gestürzt sein, welche mit Hohlen in Verbindung stehen oder ehemals ge-
standen haben, und zwar nach mancherlei deutlichen Anzeigen.
Jedenfidls muss, bei Untersuchungen des Bodens von Knochenhöhlen,
an aOe die erwähnten Möglichkeiten und auch daran gedacht werden, dass
Menschen bereits eine Umänderung der ursprünglichen Ortsverhältnisse voll-
zogen haben könnten. Des alten wackeren Bronn Warnung, bei solcherlei
Untereuchmigen nur ja gehörig aufzupassen und nicht gleich mit Hypo-
thesen darauf loszugehen, sollte doch allgemeine Beherzigung finden*).
Diese Warnung kommt selbst da in Betracht, wo es sich darum handelt, die
Anwesenheit von Producten menschlichen Kunstfleisses in derartigen Lager-
statten zu erklären. Auch diese können in Höhlen lange nach dem Absterben
der Thiere geschleppt oder geschwemmt worden sein. Wie mancher Schmuck,
Pfeil, Speer, wie manches Wurfeisen mag mit und ohne seine Besitzer in
die Fluthen beider Nile und ihrer Zuflüsse gefallen und im Alluvium der-
selben begraben sein. Was dürften die Auswaschungen an den Felsen der
Katarakten dereinst für (nicht durch Ozydirung u. s. w. gänzlich zerstörte)
Gegenstände, als (wenig oder gamicht legirte) Schmuckgegenstände von
Gold, solche von Elfenbein, Jaspis, Achat, Bernstein, Glas u. s. w. darbieten,
wenn sie je einmal dem Menschenauge zugänglich werden sollten! Wie
manche Generation von den ältesten Nobaden und ihren phaxaoni sehen Be-
drängern bis auf die heutigen Bascha's und Bey's würde sich da vertreten
finden! Seid nur recht vorsichtig bei Aufstellung von Hypothesen über Schätzung
des Alters der Menschen und ihrer Zusammengehörigkeit mit untergegange-
nen Thierformen aus solchen Befanden, sobald dabei nicht Mancherlei zu-
sammenstimmt!
Mancher Leser möchte vielleicht die Nothwendigkeit dieser
Tom Hauptthema meines Artikels abschweifenden Betrachtung
anzweifeln. Indessen hielt ich dieselbe dennoch für zeit- und
sachgemäss. Gestehe ich auch, dass ausreichende Logik dies
Alles für selbstverständlich halten musste, so wage ich doch
aber zu behaupten, dass eine so häufig zu beobachtende Kritik-
losigkeit, eine so häufig sich breit machende Blague in den jetzt
*) Vergl. a. o. a. 0. II, S. 518.
96 Emiges ober I^ialilbftitton.
zur Mode gewordenen „prähiBtorischen^ Forschangen immer
wieder von Neuem dazu auffordern, Vorsicht in der Taxirung
der aufgedeckten Funde zu üben, immer wieder an jene und an
gewisse andere nicht zu umgehende Dinge zu erinnern!
Kehren wir i^unmehr wieder zu den thieri sehen Resten der
schweizer Pfahlbauten zurück. Ruetimeyer schliesst aus dem seltenen
Vorkommen von Ucberbleibseln der Murinen in jenen, dass deren Insassen
von Mäuseplagen ziemlich frei gewesen sein müssten. Man hatte hier bisher
noch keine Knochen der Hausratte, ja selbst nur der Hausmaus au%e-
funden*). Ob nun die bei Wismar zu Tage geforderten in der That zur Haus-
ratte gehörenden Knochen auch wirklich alt (oder recent) gewesen,
erscheint unsicher. In den Pfahlbauten der March fehlten dergleichen^).
Bei den alten Aegyptem war eine der Hausratte identische oder ihr doch
wenigstens sehr nahe stehende Form (Aft^ aleaandHnus seu tectorum) be-
kannt^). In Europa aber tritt die Hausratte {Mus Rattus) erst seit dem
frühen Mittelalter auf. Nach Lisch kommt der Name Ratte schon in einer
St. Graller Handschrif); vor, auch macht derselbe Forscher auf GrafTs althoch-
deutschen Sprachschatz^) aufmerksam. Jeitteles glaubt sogar die Angaben
über „Glires^ Gregorys von Tours (6. Jahrhundert) auf das Vorkommen un-
seres Thieres im alten Paris beziehen zu dürfen*). Sichergestellt ist eine
E2rwähnung dieses Thieres durch Albertus Magnus'). Gessner bildet die
Hausratte in seinem Thierbuche als y,Mus domeaticua major, grosse Hanssmauss,
so gemeinklich Ratt genennt wirt^ sehr hübsch ab, sagt aber weiter nichts
über ihre Herstammung. Später ist bekanntlich eine neue Art hinzugetreten,
eine zur Zeit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus den Türkmän- und
Kirghisensteppen nach Europa herübergedrungene, nämlich die sich allmählich
siegreich über den Erdball verbreitende Wanderratte (M decumantts).
Die alten Aegypter hatten die noch jetzt bei ihren Nachkommen verbrei-
teten Stachelmäuse (Acomys cairinus et dimidiatus) zu Hausgenossinnen ^).
Die Hausmaus (^Mus musculus) tritt bereits unter den pleistocenen Säuge-
*) Man hat in Gibraltar's KDOchenhohlen Reste von Mub Rattius zusammen mit denen von
Nashörnern, Pferden, Wildschweinen, Hirschen, Dammhirschen, Rindern, Ziegen, Hasen, Kanin-
chen, Leoparden, Servalen, Hyänen, Füchsen, Bären gefunden. Palaeontological memoirs
II, p. 556. Sollte dies etwa M. alexandrinus gewesen sein? S. oben weiterhin.
"*) L. H. Jeitteles im vierten Prof^ramm der niederöster. Landes - Ober - Realschule zu
St Polten. 1867. S. 32.
*) Abgebildet in den Gräbern zu Heni-Hassan. Yergl. R. Hartmann: Versuch einer syste-
matischen Aufzählung der von den alten Aegyptern bildlich dargestellten Thiere u. s. w. Zeit-
schrift für aegypt. Sprach- und Alterthumskunde, 1364, S. 21.
4) U, S. 470. Ich citire die betreffende Stelle: „Rato, Ratte, Ratze, angelsächsisch Raet,
nord. Rotta, altniederd. Ratta' u. s. w.
*) A. o. a. 0. S. 31.
^) ,£st autem magnum (genus muris) quod nos rat tum vocamus.*" De animal. libr. XXII,
f. 1»2.
^) Vergl. Aristoteles Hist. auim. G, 30.
aber P&hlbftnten. 97
tkieren Grossbritanniens auf ^). Sie war auch Zeit- und Haasgenossin der
Griechen, wie der Römer.
Die Haaskatze scheint in Earopa aber erst dann Eingang gefanden
ZQ haben, als man der taglich mehr um sich greifenden Marinenplage gegen-
über in ihr einen energischeren, schlaaeren Verfolger and doch zngleich ein
mehr an die Zacht der Menschen sich gewöhnendes Haasthier erkannte, als
das Yordem zu solchem Zwecke gezähmte Wiesel and das Frett (libysche
Wiesel) abgaben.
Wie angemein stark haben sich nan die Mäase and Ratten aach in der
Schweiz verbreitet. Die Haasratte, in Deatschland nar noch aaf ganz
venige Oertlichkeiten beschränkt'), sonst aber gänzlich von der Wander-
ratte lerdrängt, ist in Helvetiens Gantonen noch fast überall zaHaase, wo-
g^eo die erst seit 1809 eingedrangene Wanderratte hier nar selten vor-
kommt').
Fatio hat als (Yielleicht) nene Species eine in den Tabaksvorräthen der
Fabrik von Paschlav and in dortigen Privathäasem heramwirthschaftende
and nistende Form (^Mua Poschiavinus) beschrieben. Unser Verfasser hält
es far möglich, dass das Thier zngleich mit Tabaksballen hier eingefohrt
worden sei. Es bleibt natürlicherweise nan erst naher festznstellen, ob wir
es hier nicht doch nur mit einer gewisse Constanz bewährenden Variirang
unserer Haasmaas za than haben, entstanden etwa anter Einwirkang einer
Teranderten Lebensweise? Die von Fatio angegebenen Unterschiede erscheinen
mir nicht dnrchschlagend za sein, am mit ihrer Hülfe eine Artentrennnng
roD der Haasmaas begründen za können. Aach ansere Haasmaas
Tariirt bedeatend je nach ihrem Standort. Zahl and Gestalt der
Gaomenfalten möchte ich nimmermehr far charakteristische Merkmale beson-
derer Arten halten, denn diese Gebilde wechseln bei den verschiedensten
Thiei^ttongen gar za sehr. Ich selbst habe bei gewiegten and intelligenten,
niit dem Tal^^kshandel sich befassenden Geschäftslenten Erkundignngen über
oben beregten Gegenstand eingezogen. Man hat von mehreren Seiten ver-
sichert, dass ansere gemeine (berliner) Haasmaas zwar im Tabak heram-
wühle and sich darin Nester baae, dass sie aber die Blätter nicht selbst
fresse. Dagegen nagten ansere Thiere die Deckblätter von Cigarren an,
welche mit einem ans Stärke and aas Cichorienmehl bestehenden Kleister
zasammengeklebt würden, and zwar wahrscheinlich dieses Kleisters wegen.
Sie verdürben bei solcher Arbeit manchmal Tausende von den theaersten
Präparaten. Ein Bremenser Grosshändler machte die Mittheilung, die Hans-
mäose hätten in seinem in Kellern untergebrachten Lager von Rohtabaken
wohl aas Mangel an anderer Nahrung wirklich die noch unverarbeitete
*) Brit pleistocene Mammalia, I, p. XXXYL
*) Ve^l. Jeitteles a. o. a. 0. S. 24 ff.
•) Tscbudi Thierleben, 8. 131, Rütimeyer Untersuchungen, Fauna, S. 24, Fatio faune,
p. 192.
Ztiimhrift für Bthnotogie, Jahrgang 1872. «j
98 Einiges aber Pfahlbauten.
Wnare angegriffen und Theile derselben verzehrt. Nach Allem dem scheint
es mir doch, als müsse man mit Aufstellung einer specifischen Tabaksmaas
sehr vorsichtig sein und vorläufig nur von einer lokalen Varietät der pasch-
laver Hausmaus sprechen, welche Tabake benagt. Uebrigens hat in dieser
Eünsicht Fatio seine eigenen Bedenken nicht zurückgehalten, (p. 207, 209).
Der aus diluvialen Zeitläuften in unsere Epoche hereinragende Biber
war auch häufiger Bewohner der Schweiz zur Pfahlbatizeit. Ruetimeyer
untersuchte (seiner Meinung nach) sehr grosse der letzteren angehörende
Biberknochen, so einen Femur aus Wauwyl von 115 Mm. Länge ')• D&s
Thier scheint seit Anfang dieses Jahrhunderts aus der Schweiz verschwanden
zu sein"). In Deutschland früher nicht selten, findet es sich hier selbst in
unseren Tagen noch an einigen wenigen Stellen, so z. B. im Salzburgischen
an der Salzach und Saale, an der Mulde u. s. w."*), häufiger aber in Skandi-
navien, in Galizien und russisch Polen, in Russland ^). Er kommt hier
überall nur noch in wenigen Exemplaren vor, wogegen er sich in Westasien
und Nordamerika bekanntlich zu individuenreichen Colonien vereinigt.
In Nordasien scheint sein Vorkommen sehr beschränkt zu sein (Schrenk,
Radde).
Ruetimeyer giebt an, er habe nicht allein Verschiedenheiten zwischen
dem Gebisse «Iter und neuer Individuen, sondern auch nur anter neuen
Specimina (nach Darstellungen von Cuvier, Giebel, Eaup, Jaeger, Owen) ge-
funden. Auch ich habe an Biberresten von Pfahlbauten und an reoenten
Verschiedenheiten (d. L individuelle, nicht Alters-) in der Faltenbildang der
Zähne (namentlich an Mol. sup. IV) beobachtet, wie dergleichen solche
Zoologen in Verwunderung setzen müssten, die ein so sehr grosses Gewicht
auf jene Theile legen.
Zu den häufigsten Thierresten der schweizer Pfahlbauperiode gehören
diejenigen des gemeinen europäischen Hirsches (Cervus elaphus). Diese
Reste rühren z. Th. von Exemplaren sehr riesiger Grössenverhältnisse ^) her,
') Ich selbst habe nur zwei Biberfemum von 95 Millim. (junges Individuum) und von 120
Millim. Länge (erwachsenes Individnum) untersuchen können.
^ Nach Fatio war er bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Schweiz nicht
selten. Verf. hielt Angaben über sein Vorkommen 1804 in Luzem, in Wallis bis 1820 für
mehr als zweifelhaft. L. c, p. 172.
^ Yergl. Fitzinger im zoolog. Qarten 1866, S. 74, 367, 401.
^) Albertus Magnus beschreibt ihn recht gut. Conrad Gessner sagt im Thierbnch (deutsch
von Cünrat Forer, Zürich MDLXIIl) p. XXI: „Die Ar, Beuss, Lymmat im Schweytzerland,
auch die Byrss umb Basel hat deren vil, Hispanien vast bei allen Wassern, wie Strabo sagt , in
Italien, da der Paw ins Meer läufFL Die Marne in Frankreych zeuget sie auch gut. Preüsseu,
Reüssen, Moscoviten, Samogithia hat ihro vil; an der Thonaw, Reyn, Nicker, und anderen
Wassern wo sy still lauffen in lättigem grund, da findt man auch vil. In Ponte, so die
Törkey, von wägen dass erst daselbst der Türkensitz gewesen, oder Natolja gimannt wirdt,
sind die Biber on zal, dafür sie auch Pontischehund genannt werden.'' Dieser Angabe ist eine
recht gute Holzschnittdarstellung unseres Thieres beigefügt
*; Vergl. Ruetimeyer Untersuchungen S. 23.
Billiges über PfBLhliMuteiL 99
welche denen des nordamerikanischen Elch- oder Wapiti-Hirsches (Cervus
canadensis) kaom nachgestanden. Hiervon konnte ich mich dorchVergleichongen*)
selbst überzeugen. Cervva elapkus and C, canadenns unterscheiden sich ana-
tomisch nur wenig von einander. Beide Thierformen bieten der Forschung
ein interessantes Problem, indem an ihnen zu untersuchen, zu entscheiden
bliebe, ob Cervus elaphus der Pfahlbauperiode als mit C\ canadensis identisch
anzosehen und ob yielleicht unser kleinerer C. elaphus etwa nur als veiv
kümmerter Epigone des Pfahlbauhirsches zu betrachten sei. Der Wapiti
würde freilich selbst dann noch immer als Vertreter einer geographischen
Varietät anzuführen sein. Ich meinestheils habe über zu geringes Mate-
rial hinsichtlich des Wapiti zu gebieten und kann daher eine solche Yer-
^eichimg vor der Hand nicht durchfuhren. Man würde behufs einer solchen
daä is verschiedenen Museen, Schlössern und Forsthäusem zerstreuete Ma-
terial von C. elaphus soviel als thunlich hinzuziehen und auch die an
maoehen Orten Deutschlands, Frankreichs u. s. w. gefundenen alten Hirsch-
reste berficksichtigen müssen. Unter letzteren zeigen sich zuweilen Ueber-
bleibsel ganz gewaltiger Exemplare. Nordasien bildet jedenfiBlls ein
Gebiet, in welchem sich viel zur Entscheidung dieser Frage (und ähnlicher)
thon lasst Nach Pallas, E versmann, Middendor£P und Schrenck') ist der
sibirische Hirsch im Vergleiche zum europäischen von grösserem Wüchse.
Kadde beweist nun, dass der sibirische EUrsch zwar im ^Ulgemeinen grösser
aU der europäische werde, dass sich diese beträchtlichere Grösse aber nicht
constant zeige') Auch diluviale Ablagerungen in Russland machen uns
m riesenhaften Hirschresten bekannt Gervais führt an, dass die in Frank-
reich au%edeckten Hirschreste der quatemären Lager einer Basse oder Art
von grosser Gestalt, ähnlich dem Wapiti, angehörten 0- Femer hat man in
^en Terramara-Lagem der Emilia Beste einer die jetzige an Grösse über-
treffenden „Abart des Edelhirsches^ gefunden, welche zwischen dem heutigen
und dem Cervus ntegaceros steht. „Sowohl der Stamm, als die Sprossen sind
ftm oberen Theile des Geweihes abgeplattet^)." Beim Wapiti ist die Ab-
plattong meist nur geringfügig, Stamm und Sprossen sind hier vielmehr vor-
kerrechend walzig, indessen sind doch Fälle von comubus subpalmaüs selbst
^ diesem Thiere bekannt geworden.
Hoffentlich werden wir mit der Zeit eine gute Zahl sogenannter Species
von Hirschen der älteren Erdbildungen sowohl wie auch der Jetztzeit aus
dem Systeme wieder verschwinden sehen. Zoologen und Paläontologen
worden gut thun, der unter ihnen nicht gar selten herrschenden Unsitte, aus
') Namentlich bei Oeleg^enheit der pariser Weltausstellong.
*) A. 0. a. 0., S. 171.
") A. 0. a. 0^ S. 286.
*) Rechercb. aar ranciennete de Thomme etc., p. 101.
^) Die Terramara-La(|rer der Emilia Yon L. Pigorini und P. Strobel. Separatabdnick aus
^en MittbeüuDgen der antiquar. Gesellschaft in Zürich. Band XIV, Heft 6, S. 9.
100 Einiges über P&hlbftuten
beliebigen alten gewisse Eigenthümlichkeiten darbietenden Knochen ohne
Weiteres neue Species zu machen, möglichst zu beschranken. Derartige
Funde liessen sich auffuhren und charakterisiren , ohne dass man der Jagd
nach Namengebung auf zügellose Weise zu fröhnen hätte. Die Forschung
hat sehr oflb die üble Nacharbeit, solche Aeosserungen eines allzu grossen
Eifers, auch wohl der Gelehrteneitelkeit, erst wieder ausmerzen zu müssen,
um reinere Bahnen zu gewinnen. Es kann überdies nicht häufig und nicht
dringend genug dazu au%emantert werden, die Knochenfiinde genauer mit
denen schon bekannter älterer und noch lebender Thiere zu vergleichen, als
dies so häufig aus purer Bequemlichkeit oder aus Eitelkeit geschieht!
Bekanntlich ist der Hirsch in der Schweiz jetzt höchst selten geworden.
Man nimmt an, dass nur zuweilen noch Individuen aus Deutschland hin-
übertreten').
Das Reh der Pfahlbauten und Terramare unterschied sich in Nichts
vom jetzt lebenden. Eine Anzahl von mir untersuchter quatemärcr Rehreste
aus deutschen Fundstätten boten ebenfalls nichts Besonderes dar. Ab-
weichungen in der Geweihbildung werden sowohl bei alten als auch bei
jetzigen Rehresten beobachtet Man hat sich auch hier vor unnöthigem Ar-
tenmachen in Acht zu nehmen.
Das Rennthier*) ist in den schweizer Pfahlbauten nicht aufjgefunden
worden. Und doch war dies Geschöpf ein so häufiger Bewohner der Schweiz
zur Eiszeit. Es ist aber mit dem Aufhören der letzteren verschwunden.
In dieser Zeitschrift ist häufiger Gelegenheit genommen worden, auf die in-
teressantesten Rennthierfimde innerhalb Deutschlands u. s. w. hinzuweisen').
Auch aus Italien erhält man jetzt sichere Nachweise vom früheren Vorkommen
unseres Thieres.
Bekanntlich hat man zu der ältesten Zeit Europas eine ungemein ausge-
dehnte Verwendung von den verschiedensten Theilen des Hirsches, Rehes
und Rennthieres gemacht. Man erinnere sich nur der unzähligen , z. B. zu
Robenhausen und auch anderwärts aufgedeckten Stücke von zu den mannigfal-
tigsten Zwecken bearbeiteten Hirschgeweihen. Die Benutzung so vieler
Theile des Edelhirsches schon in jenen alten Zeiten hat nun für uns wenig
Befremdliches, da wir noch heut einen ausgedehnten Gebrauch von „Hirsch-
^) Ruetimeyer schreibt übrigens dem Hirsche für Deutschland einen zu beschränkten Ver-
breitungsbezirk zu. Ich erinnere u. A. nur an die thüringer, grimnitzer, letzlinger, an die
oppelner, plesser und trachenberger Forsten!
*) Zur Orthographie des Namens dieses Thieres. Das Rennthier heisst im Schwedischen
Ren. Das $ heisst in dieser Sprache Renhjort (Renhirsch), das $ Renke, Rennkuh. Ren-
bröms oder Renfluga ist der das Thier quälende Oestrus; Renkoll, Rennfleisch. Renmossa ist
Cladonia rangiferina. Rensteck, Rennbraten. Rentunga, Rennzunge, ein grosser Leckerbissen in
Skandinavien.
^ Yergl. u. A diese Zeitschrift Jahrgang 1870, S. 211. In der Schweiz hat man neuer-
dings Versuche gemacht, das Rennthier wieder zu acciimatisiren , freilich mit eben so geringem
Erfolge, als dies mit den Wapitihirschen in fürstlich -plesss'chen Revieren (Oberschlesien) ge-
schehen konnte.
Binigpes aber Pfiihlbaiilen. 101
honi'^ a. 8. w. machen und da der Hirscli doch ein nicht ganz seltener Be-
wohner unserer Gegenden ist. Fremder berührt nns in dieser EGnsicht
schon das unseren Landschaften entrückte Rennthier. Verehrer der ver-
gleichenden Methode in der Palðnologie halte ich es für orts- and zeit-
gemäss, hier über die höchst mannigfaltige Verwendung des Rennthierleibes
bei noch heut lebenden Urvölkem nach den Mittheilungen eines der besten
Schiifisteller über den hohen Norden, nämlich R. King's, zu berichten.
King zufolge machen die O-djib-way-, Kupfer-, Hundsrippen- und Hasen-
Indianer aus dem Geweihe des „Garibou^ ihre Fischharpunen ^) und Angeln.
Bevor sie noch von den Händlern mit Eisen versorgt wurden, bereiteten sie
dvsQs ihre Eismeissel und eine Anzahl noch anderer Geräthe. Mit den der
Ltmire nach gespaltenen Schienbeinen schaben sie die Haare von den Häuten.
Diese werden vorher wiederholt befeuchtet und eingerieben und. mit dem
Gelurn des Thieres beschmiert, bis sie eine weiche, schwammige Beschaffen-
Ireit erhalten. Dann werden dieselben über einem mit mulmigem Holze an-
gemachten Feaer eingeräuchert, von einem eigenthümlichen Gerüche durch-
drangen und können sie nunmehr in der Nässe nicht mehr hart werden.
Aq8 den also gegerbten Häuten bereitet man Winterkleider und sechzig bis
siebenzig derselben zusammengenäht geben ein zur Wohnung einer grossen
Familie taugliches Zelt ab. Die ungegerbten, von den Haaren befreieten
Häute werden zu Riemen zerschnitten und werden hieraus Wildschlingen,
Bogensehnen, Netzleinen, kurz alle Arten Seilerwerk, bereitet. Aus den
feinen Riemen verfertigt man Fischnetze und Schneeschuhe, aus den Sehnen
der yielbäuchigen Rückenmuskeln macht man feinen und höchst vorzüglichen
Nähzwirn. Selbst der Speisebrei aus dem Magen wird benutzt. Derselbe
^ von den sogenannten „Yoyageurs^ nach vorherigem Stehenlassen und
Gären genossen. Das Blut wird zu schmackhaften und nahrhaften Suppen
verkocht Das Knochenmark setzt man den feinen Sorten von Pem-i-kan,
Hiflchongen von Dörrfleisch und Fett, hinzu. Auch bedient man sich des
Markes zum Einsalben des Haares und der Gesichtshaut*).
Aehnlich mag es sich auch bei den alten Zeitgenossen des Renn in
Hitteleoropa verhalten haben, welche doch unter ähnlichen Bedingungen, wie
jene von Eing citirten Amerikaner, gelebt haben müssen.
Die schweizer und deutschen Pfahlbauten enthalten unzweifelhafte Elen-
deste. Dies Thier ist nach den weitgehenden Untersuchungen J. F. von
Brandt' s*) während der vorigen Jahrhunderte noch in verschiedenen Ge-
genden Mitteleuropas erlegt worden, erscheint aber zur Zeit als gänzlich
') VergL diese Zeitschr. Jahiigang 1870, S. 214.
^ NarratiTe of & journey to the shores of the arctic Ooean in 1833 , 1834 a. 1835. 2 ^ol.
I'O&doQ 1836.
*) Beitii^ lur Natorgeschichte des Elens in den «Memoire« de rAcademie imper. des
««•Deas* zu 8t Petenhnig 1870, 8. 63.
102 BiBiges über Pfahlbanteii.
nach Norden und Nordosten gedrängt Aus der Schweiz kann es erst seit
der spateren Zeit der römischen Republik vertrieben sein. Ueber die sonstige
Geschichte dieses Thieres, auch über die (von mir übrigens niemals be-
zweifelte) Identität des amerikanischen Moose-Deer oder Orignal mit dem
europäischen und sibirischen Elen enthalten Brandt's „Beiträge'^ein so reich-
haltiges Material, dass wir hier darüber hinweggehen können.
Ruetimeyer war geneigt, gewisse glatte Geweihfiragmente vom Bieler
See und aus Meilen fiir dem Damhirsche angehörende zu halten'). Unser
Yer£Eisser giebt aber selbst zu, dass die Sache noch unsicher sei. Andere
läugnen das Vorkommen von alten Damhirschresten in der Schweiz»). Dies
Thier stammt sehr wahrscheinlich nur aus den wärmeren Mittelmeergebieten^
namentlich aus Nordafirika, wo es sich in Tunesien und Tripolitanien noch
gegenwärtig frei und wild vorfindet'), femer auch wohl aus Westasien. Es
erscheint unter den assyrischen Skulpturen«). Man glaubt die Zeiten zu
kennen, während welcher der Damhirsch nach Nordeuropa eingeführt wurde.
In Deutschland rechnet man hierfür das 16. Jahrhundert. F. Aug. Wagner
giebt freilich an, er habe unter den Ueberbleibseln menschlichen Daseins
aus sechzehn Burgwällen und aus 1022 Grabhügeln an der schwarzen Elster
neben Stein-, Knochen- und Bronzesachen nicht allein solche von Elens,
Rehen und Rothhirschen, sondern auch solche von Damhirschen vorge-
funden. Das von diesem Forscher Taf. Y, Fig. 8 abgebildete Geweih von
1 Elle 3^ Zoll Länge und 10 Zoll Kronenumfang ist jedenfalls dasjenige
eines Elen. Es wird nun bemerkt: „Zu verschiedenen Malen hatten wir
bei den Grabungen in diesem Tempel („Opferheerd^ zwischen Schlieben und
Malitsckendorf) Bruchstücke von Geweihen gefunden, die mehr als Dam-
hirschgeweih verriethen; da indess noch nie ein gauzesr Stück zusammenge-
bracht wurde, auch immer wieder wirkliche Fragmente von Damhirschgehörn
die Sache verdächtig machten, so stand es jetzt erst nur als Yermuthung
fest, dass hier mitunter auch Elenthiere als Opfer gefallen waren^ ^). Wagner
bleibt uns leider den Beweis dafür, dass er wirkliche Dammhirschreste vor
sich gehabt, schuldig. In wieweit H. O. Lenz' Angaben, dass in des Mönches
Ekkehard von St. Gallen um 1000 n. Chr. geschriebenem Liber benedic-
tionum, der Damhirsch als jagdbares Wild genannt, dass femer nach G. Landau
weisse Damhirsche in alten Schriften (von wann?) als in Thüringen und in
Hessen nicht selten angeführt werden, inwieweit diese Angaben ihre Begrün-
dung finden, vermag ich nicht zu entscheiden. Auch R. Owen hatte sich
1) Untersuchungen S. 28, 30. Fauna S; 68.
^ Z. B. Fatio p. 388.
*) Yergl.iR. Hartmann in Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdk. Bd. III, S. 252.
^) Gervais hält Guvier^s Gervus somonensis für eine grosse Varietät von G. Dama. Rech,
p. 7f), 101. Zoologie et Paläontologie Fran^. p. 145.
^) Aegypten in Dentschland. Leipzig 1835, S. 34.
Biniges fib6r P&hlbauten. 108
gegen das urspranglich fossile Vorkommen des Damwildes in England, wohl
aber für dessen Einfiihrang aus Afrika, ausgesprochen 0*
Reste von Gemse und Steinbock sind in den schweizer Pfahlbauten
bis jetzt nur erst sehr wenige gefunden worden und zwar, wie Ruetimeyer
(wohl mit Recht) Yermuthet*), deshalb selten, weil sie von den Bewohnern
des Tieflandes nur ausnahmsweise von den schwerzugänglichen Alpen herab-
geholt worden.
Knochen vom Wisent (^Btson europa^us) und ür (Boa primigenius) sind
sehr häufig. Durch Messikommer bekam ich sehr schöne Reste beider Thiere
in die Hände, auch den Gipsabguss eines mächtigen Homzapfen. Ueber
genannte Bosarten, sowie über ihr in die geschichtliche Zeit hineinragendes
Yoikommen bei uns ist schon Vielerlei geschrieben worden*). Hier nur
noch einige erläuternde Bemerkungen. Der Wisent findet sich jetzt noch in
der ^Bielowiczka Puszta,^ Gouvernement Grodno, und an wenigen Stellen
des Kaukasus, nirgend mehr zahlreich. Dass die Aiten Wisent und Ur genau
zu unterscheiden gewusst, lässt sich leicht erkennen. Caesar's Angabe von
riesigen Uri (magnüudine patäo in/ra elephantos) des hercynischen Waldes
kann doch nur auf Bos primigenius bezogen werden, nicht aber, wie jetzt
noch Einzelne wollen, auf Bison europaeus. In der Forer^schen Ausgabe
ron C. Gessner's Thierbuch^) werden folgende Bosarten abgebildet: 1) Auf
Blatt CXXV der „Wisentstier, Bison veterum^^ unverkennbare, ganz leidliche
Darstellung des Wisent, welche sich auch bei Herberstain (1556) findet').
Darüber steht in letzterem Werke: y^Bisons sum^ Pokmis Suber^ Germanin
Biaont; ignari üri nomen dedercmtJ^ 2) Blatt CXXVI der „wysse Schottische
Wysentstier, Bison albus scoticus,^ „mit einem halss Haar wie ein Löuw, sonst
den heimschen Ochsen ganz ähnlich,^ jedenfalls eins von jenen Thieren,
welche noch jetzt wild in den schottischen Parks leben. 3) Das. und Blatt
CXXYH, Kopf und drei Ansichten eines Schädels vonn „Munistier oder
Moenestier^, Bos primigenius. 4) Blatt CXXYII, Auwerochs oder Uristier,
Orus veterum^ ein mächtiges braunes, unserem Hausrind ähnliches Thier.
Dasselbe ist von Herberstain ebenfalls abgebildet worden und zwar mit der
Ueberschriflb: j^ürus sum^ Polonis Tur, Germanis Aurochs i ignari Bisontis
nomen dederant,^ 5) Wisent, Blatt CXXYIH, welchen ein hinter einem
Baome sich bergender Jäger mit der Lanze tödtet.
Herberstain lässt sich p. 110 in folgender Weise über den Ur aus:
^Vros sola Masovia Lithuaniae cötermina habet: quos ibi patrio nomine Thur
f^oeant^ nos Germani proprie Vrox dicimus. Sunt enim ueri boues syluestres^
>) Brit fo88. Hamm. p. 488.
^ Fauna S. 67.
^ Vergl. die literatorai^beD bei Ruetimeyer, Fauna 8. 70 Anm. Ferner bei Viennot
im Bulletin de la Sod^ti d'acclimatation de Paris 1869.
«) Znrkh MDLXin.
*) Bwom HoBcotiticaram eommentarij. Basileae, p. 112.
104 Einiges ober PMlbanteiL
rdhü a domeatids bobus distantesj nisi quod omnes nigri 8unt^ & ductutn quen-
dam instar lineae ex alba miatum per d^rsum habent, Non est magna horü
copia: sunt^ pagi certi^ quibus cura 4r custodia eorum incunMt: nee ferh aliier
quam in uiuarijs quibusdä seruantur. Atiscentur uaccis domesticisj sed non
sine nota. Nam in armentum postea^ perinde aiq^ infames^ ä eaeteris uris non
admittütur: ^ qui ex eius modi mixtione nascuntur uituli^ non sunt totales,
Sigismundus Augustus rex apud se oratori donauis exenteratum unufn, quem
uenatares eiectum de armento femininum cö/ecerant: recisa tarnen peUe^ quae
frantem tegit, quod non temerd factum esse credidi: quanqud cur id fieri eoleret^
per incogitantiam quandam non sum percontatus. Hoc certum est^ in precio
haberi cingulos ex uri corio factos 4r persuasum est uulgOy horum praecinctu
partum promoueri. Atf9 hoc nomine regina Bona^ Sigismundi Augusti mater^
dum hoc genus cingulos mihi dono cbsdit: quorum alterum serenissima Doniina
mea Romanorum Regina^ sibi ä me donatum^ clementi animo accepitJ^.
Herberstain mass also diese Aare oder Tore wirklich gesehen haben.
Der von ihm gegebene Holzschnitt ist zwar mit alterthümlicher Derbheit, aber
doch auch wieder mit solcher Correctheit gezeichnet, dass man hoffen and
vermathen möchte, unser wackerer Verfasser habe ihn nach einer Original-
aufiiahme des Ur anfertigen lassen. Neben Herberstain haben nun noch
L. David, E. Stella, Schneeberger, Bonarus, mehrere polnische Autoren, haben
neuerdings a. y. A. D. Low und J. F. v. Brandt auf das Ueberzeugendste
dargethan, dass der Auer oder Ur, Tur, noch bis vor wenigen Jahrhunderten
in Europa gelebt habe und als grosses, viel Fleisch gewährendes Jagdthier
allmählich den Nachstellungen des Menschen erlegen sei.
Bekanntlich betrachten Viele als lebenden in Farbe und Habitus etwas
veränderten Nachkommen des Ur's den wilden Ochsen der schottischen
Parke, von welchen uns Sir Edwin Landseer's Meisterhand *) neuerdings eine
mehr malerische als pedantisch-profilirte, trotzdem jedoch höchst instruc-
tive Gruppe vorfahrte. H. v. Nathusius neigt sich zu der Ansicht, in diesem
schottischen Wildvieh nur ein verwildertes Hausrind zu sehen'). Es ist
hier das Für und Wieder nur schwierig abzuwägen. Die für die Verwilde-
rung eines ursprünglich zahmen Thieres beigebrachten Argumente scheinen
mir übrigens nicht stichhaltig genug zu sein, um die andererseits aufgestellte
Behauptang, „Chillingham-Cattle^ möge ein Nachkomme des stammhal-
tenden Ur sein, gänzlich zu entkräften*). Ruetimeyer f&hrt mit Recht an,
dass die von ihm an Schädeln des schottischen Wildviehes wahrgenommenen
I) ,Wüd Ghillingham cattle,* im gelungensten Kupferstich grossesten Formates vielfach
begehrt. Sollte auf photographischem Wege auch dem minder Bemittelten zugänglich gemacht
werden.
^ In Ruetimeyer's Versuch einer natürlichen Geschichte des Rindes. II. Abth. S. H^*
Man findet hier ein erschöpfendes Material über die Geschichte des „Ghillingham-Gattle.*
^ Vergl. die ausgezeichnete Darstellung des Sachverhaltes in Gh. Darwin: Das Yariiren,
deutsch, I, S. 105 ff.
deberaeht der Literatur for Anthropolofifie, Bthnolofifie und ürgpeschichte im J. 1871. 105
EigenthümlichkeiteD , wie ähnliche an den Soiochen „nicht wilder Thiere^
beobachtet werden, ein Produkt der He gang jenes schonen stattlichen
Wiederkäuers sein durften'). Ich behalte mir vor, auf dieses interessante
Gebiet später hier und an noch anderen Orten ausfuhrlicher zurückzukommen.
(Fortsetzung folgt)
üebepsicht
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Beschreibung der im Kreise Telsch des GoaTemement Kowno belegenen Tensha-Gr&ber Ali-
gemeines Eigebniss der Beschreibung der Tensha- Gräber. Zugehörigkeit und Alter der
Tensha- Gräber. Uebersicht der in Litauen und Nachbarschaft überhaupt bekannten heid-
nischen Gräber, nach Bestattungsweise und allgemeiner mineralischer Natur der in densel-
ben Torkommenden Kunstprodncte. Ueber den metallischen Inhalt litauischer und benach-
barter heidnischer Gräber. Die nichtmetallischen Kunstprodncte heidnischer Gräber Litauens
und der Nachbarschaft Uebersicht der vorzugsweise aus heidnischen Gräbern Rnssisch-
Litauens, Weissrusslands und einiger benachbarten Gegenden stammenden Gegenstände
der Bekleidung, Bewaffiiung und Haushaltung, nebst angeknüpften Vergleichen und Fol-
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MiicaUeii imd Bücbenehm. 129
Miscellen nnd
Die Sagen toh den wilden Menschen in SfidtiroL Die laterator betreffend die Sagen,
Mythen, Mäichen und Bräuche yon Tiral ist in den letzten t^O Jahren eine recht stattliche ge-
wurden. Vgl. Zingerle: Tirols Volksdichtungen und Oebiftuche (Innsbr. 1861), Sitten, Bräuche
und Meinungen des Tiroler Volks (1857) und Sagen, Härchen und Gebräuche aus Tirol (Innsbr.
1858). — J. N. V. Alpenburg: Mythen und Sagen Tirols (Zürich 1861). — Zingerle: Tirol,
der Schauplatz der deutschen Heldensage (Wiener Wochenschrift, Jahrg. 1864). — Staffier:
Tirol nam. Bd. IL — Schneller: Märchen und Sagen aus WälschtiroL
Interessant sind ethnologisch und völkerpsychologisch die tirolischen Märchen und Sagen
Laders deshalb, weil sich im Lande südlich von Botzen drei Volksmassen, die rhätoroma-
nisebe UrbeTÖIkerung, die in sehr früher Zeit eingewanderten Deutschen und die Italiener durch-
Bod gbereinander schieben und ihre Sagen, Märchen und Bräuche zum TheÜ in höchst wunder-
saaer Weise wechselweis vertauschen. Die italienische Bevölkerung mit dem ihr anklebenden
Skepticismus ist den alten Erinnerungen feind, die Deutsehen mit ihrer Vorliebe für das Alt-
lt«i]ßebrachte sind ihr unverständlich und gerade dieser Zug des deutschen (Jemnthslebens erregt
ihr Anstois, so dass ihr die Deutschen als barbarisch, noch in einem halbwilden Zustand be-
engen Torkommen. Da nun leider der Verwälschungsprocess des deutschen Südtirols seit An-
^ dieses Jahrhunderts schnelle Fortschritte bis auf die letzten Jahre» wo die Deutschen end-
lich Widerstand zu leisten beginnen, gemacht hat, so geht von den alten Traditionen Stück
uf Stück verloren. Doch erkennt man anch im italienischen Munde und Qewande den deut-
i-'hen Ursprung, die Spuren der nordischen Heldensage etc. immerhin noch deutlich.^)
Merkwördig ist es, auch in Wälschtirol die Vonteilnng eines wilden Urvolks an vielen
Urten dnrchklingen zu hören. Staffier (Tirol IL S. 294) theilt mit, es sei eine sehr verbreitete
Volksgage, dass in den Wäldern und Felsenhöhlen der (iegend des Kreuskofels ein Geschlecht
H« vikien Menschen gehaust habe Die Enneberger nennen die Männer derselben Salvang
lind die Weiber Gannes. Unstät, ohne Gesittung und fast ohne Sprache, nur von erleg-
tem Wild und Kräutern sich nährend, streiften die Männer in den höchsten Bergregionen herum,
utd nur bei der strengsten Kälte und vom heftigsten Hunger angetrieben suchten sie Menschen-
Wohnungen. Hier wärmten sie sich am Feuer, nahmen die Gabe, um die sie nie baten, ent-
fernten sich dann hastig und beleidigten Niemand. Muthwillige Neckereien hingegen brachten
sie in Wuth. Sie liebten leidenschaftlich Schafe und trieben sie öfters Nachts auf die Weide.
Zur Kenntniss dieser Wilden bringt Dr. Ludwig von Hörmann interessante Notizen in:
•Mythologische Beiträge aus Wälschtirol mit einem Anhange wälschtürolischer Sprichwörter.*"
- In Fassa gab es einst wilde Leute; die Männer Messen Salvegr (sg. — ang), die Weiber
Bregostane (äg. — a). Sie sahen aus wie grosse Affen, waren stark, haarig und
batten lange Nägel an den behaarten Fingern. Meist lebten sie getrennt, oft aber
auch verbunden mit einander in Häusern, von denen man noch Uebeneste antrifft Man f&rch-
tete sich sehr vor ihnen, weil sie gerne Kinder abtauschten. Deshalb trifft man noch jetzt an
äiteren Häusern dortiger Gegend nur kleine runde Fenster, die sich bequem mit einem Schub-
i*^ achüessen lassen.
Bei den Moccheni in der Valsugana, die zum Theil noch einen alterthümlichen deutschen
I^ect reden, hat sich noch der Name Bilmon (wilder Mann) erhalten, entsprechend dem roma-
aischen Salvaog (Süvanus — Waldmensch).
) VeigL fi. Fried el: Die cimbrischen Gemeinden und die deutschen Elemente in Vene-
ueu und WälschtiroL Sonntagsbeilagen der Voss. Zeit, Beriin, Nov u. Dec. 1862 und Jan.
\m, Toselbst ich diese Verhältnisse des Näheren erörtert habe.
ZciueHrift fit Bthaologie, Jahrgaog 1872. ^
130 Miflcellen und Büchenehan.
Ein Maim auf der Alpa Oiumella kochte sich Mittags Polenta. Da kam eine Bregoetana
und sagte: «Vorwärts, ich muss doch fressen 1* — Der Mann bat sie zu warten, bis er mit
Kochen fertig. Sie langte aber immer mit ihren langen Fingern in die Polenta. Endlich
brachte er sie mit List hinaus und verriegelte die Thür. Nun kamen alle übrigen Bregostane
zusammen, umstanden heulend die Hütte und langten mit ihren Fingern oben hinein. Der
Mann aber schnitt sie ihnen ab; sie waren yoII goldener Ringe Darauf liefen sie fort. Tags
. darauf sah man von den anderen Sennhütten, wie die Bregostane mit ihren mittlerweile gehol-
ten Männern die Hütte anschürten. (So erscheinen, um zur Yergieichung ein Bild aus dem
hohen Norden heranzuziehen, imBeowuIfdiein Sümpfen und Seen wohnenden wilden Men-
schen. Der schlimmste von ihnen, Grendel, überfällt die dänischen Niederlassungen und schleppt
Menschen fort, deren Blut getrunken, deren Knochen gespalten werden, um das Mark zu schlur-
fen. Auch hier erscheinen die Weiber besonders bösartig, die Mutter Qrendel's, durch allerhand
Zauberkünste gefeit, ist mit gewöhnlichen Schwertern nicht zu yerwunden, sie schleppt des-
gleichen Menschen fort Beide, Mutter und Sohn, bedienen sich der Fingernägel als Krallen,
mit denen sie schrecklich verwunden.)
Ein Bilmon nahm einem Bauern sein Kind fort Der Vater warf ihm ein Holzscheit
nach. Der Bilmon liess das Kind fallen, frass das Holz und rief: Ist das mager!
Ein wilder Mann kehrte bei einem Jäger ein, mit welchem er einen gebratenen Hasen
ass. Zum Dank wollte er dem Jäger die Kunst lehren, aus dem schlechtesten Alpenkäse Wachs
zu machen, wenn er keine Lüge spräche. Der Jäger ging auf den Handel ein. Da fragte ihn
der wilde Mann, ob er vom Hasen etwas zurückgehalten habe? — Nichts 1 sagte der Jager.
Hierauf befahl der wilde Mann dem Jäger, alle Beine auf einen Teller zu legen und das Fell
zu bringen. Als das geschehen war, breitete er das Hasenfell über die Beine — und siehe, der
Hase sprang lebendig vom Tische zur Thür hinaus in's Feld, aber — an einem Fnsse hinkend.
Da schrie der Bilmon zornig: »Du hast mich angelogen, bist nicht werth das Geheimniss zu
wissen!* — Der Jäger aber hatte beim Abtragen der Beine eins zurückbehalten, um ein Vogel-
pfeifchen daraus zu machen.
(Bei Besprechung eines Opferbrauchs [des jüdischen Passah, vgl. Sitz.-Ber. der BerL Ges.
für AnthropoL S. 56 ff] hat Prof. Lazarus auf ähnliche Beziehungen in nordischen Sagen hin-
gewiesen, in welche die letzt angeführte Sage vom hinkenden Hasen sich ebenfalls hineinfugt
Eine nahe verwandte Sage erzählt Schneller in seinen Märchen S. 207 vom Beatrik [Bemdietrich],
der den geschlachteten Bock wieder lebendig macht Bezüglich der mythologischen Seite dieser
Sage vgl. Simrock, Myth. § 80 und Mannhardt, Myth. S. 57, bez. der wilden Männer Simrock,
Myth. § 120—122). K. Friede!.
FerguBSon: Rüde Stone Monuments in all coontries, their ages and nses.
London 1872.
Ein höchst zeitgemässes Buch, das unzweifelhaft eine Menge der hohlen Qedankenspähne
ausfegen wird, mit denen sich unsere anthropologische Atmosphäre bestäubt hat Der Verfasser
fasst die Behandlung der Stein -Monumente beim rechten Ende an, indem er von den bereits
historisch bekannten auf ihr Gebiet überzugehen sucht und so aus beharrlicher Schürfung
manch* werthvolle Entdeckung zu Tage fordert, während das frühere Bestreben, diese .Denkmäler
in undeutliche Yoigeschichte hinauszuschieben, damit auch von vornherein alles deutliche Sehen
ausschloss. Diese schon seit lange nothwendige Arbeit kritischen Aufräumens hätte in keine
gescldckteren Hände fallen können, als in die Fergusson's, des eminenten Ver&ssers der History
of Architecture und Handbook of Architecture, dessen Scharfblick auf diesem Felde schon so
manches Neue erschaut hat und seinen Aussprüchen durch die ihm zu Gebote stehenden Hülfs-
mittel der Yergieichung ihre richtige Begründung zu geben weiss. Es war schon verschiedent-
lich darauf hingedeutet, dass das anthropologische Studium auf diesen Weg einzulenken haben
würde (s. Zeitschr. f. Bthnol. 1869, Heft VI, S. 471), aber unser englischer Ck)llege lässt es nicht
bei Andeutungen bewenden, sondern legt ohne Verzug Hand an*s Werk. Und er hat auch gleich
in diesem ersten Anlauf ein hübsches Stück Aiheii gefordert Ausser gegen die französischen An-
thropologen richtet sich die Polemik gelegentlich auch gegen die Dänen, doch bleibt diesen
wenigstens immer das Verdienst, dass wenn sie auch auf einigen Abtheilungen der Forschungs-
felder fehl gegangen sind, doch die erste Urbarmachung derselben überhaupt nur ihnen zu ver-
danken ist. B.
Misoelkn und BfielwiMhMi. 131
Masters: At Home witfa the Patagonians. London 1871.
Em wahrer Leckerbissen für den ethnologischen Leser. In einem zwölfmonatlichen Auf-
enthalt unter den Pehuelches, mit ihnen als mit ihres Gleichen umherwandemd , hat der Ver-
toer auf seinen Zögen von Santa Cruz in's Land der Arancaner und dann nach Patagonien
am Rio Negro einen tieferen Blick in .das Leben und Treiben der Naturvölker gethan, als es
der Majorität selbst der Fachreisenden zu gewinnen möglich ist, und er entrollt uns seine An-
schauungen in lebensToUen Bildern, die zugleich durch eine Reihe trefflicher Illustrationen ge-
ziert sind. Den geographischen Gewinn dieser Reise durch Gegenden, die nie zuTor für solche
Zwecke besucht waren, zeigt die beigegebene Karte. B.
J. B. Meyer: Philosophische Zeitfiragen. Bonn 1870.
Zeitfragen zeitentsprecbend, in entsprechender Weise besprochen. Die Kapitel »Kraft und
Stoff', „Seele und Leib'' erörtern die Differenzen mit dem Materialismus, die »Entstehung der
Arten*, ,Thier und Mensch* Darwin*sche Streitfiragen, und «der Wüle und seine Freiheit* ähn-
lich Tenrandte. Besonders lesenswerth ist das Capitel: »Religion und Philosophie in unserer
Zdt*, worin die Gründe der gegenwärtig so veischiedenartig zerrissenen Weltanschauung erwo-
^ Verden. Im Gegensatz zu dem »jedem Menschengeist an sich verständlichen Gottesglauben*
bedarf es für die »Anhänger eines Offenbarungsgkiubens* einer viel weiteren Vermittlung, in-
düD sie die gottliche Verkündigung der Wahrheit erst durch eine yiele Jahrhunderte alte Tra-
dition emp&ngen und zur Prüfung dieser Tradition mannigfochster sprachlicher und geschicht-
firher Kenntnisse bedürfen. »Wer auf diesem Boden als Christ einen wohl begründeten Glau-
ben haben will, muss hebräisch und griechisch genug verstehen, um selber prüfen zu können,
was deon in Wahrheit die Bibel Gott reden und verkünden lässt, und überdies noch andere
Kenntnisse mancherlei Art besitzen, um beurtheilen zu können, ob denn auch die Schriften,
welche die Ueberlieferung der göttlichen Botschaft tragen, als Beweisstücke angesehen werden
därfen oder nicht, ob sie echten Ursprungs sind oder nicht Das Alles sind Vorbedingungen
des Glaubens, die kein Laie erfüllen kann. Folgerichtig muss bei dieser Glaubensauffassung
<Üe kundige Wissenschaft der Priester und Gelehrten allein als bewusster Träger und Verkün-
diger dieses Glaubens angesehen werden.* Bei der vorhergehenden Brörterung über das Wesen
lier Religion und die Grundlagen des religiösen Glaubens wird nur auf die Ansichten der Phi-
ioBophen darüber Bücksicht genommen, während es gerade bei solchen Problemen angezeigt
bleibt, in der Geschichte des Menschengeschlechts auf der breiten Basis des thatsächlich Gegebe-
nen die realen Beweisstücke zu sammeln, wie sie sich besonders in durchsichtigster und leicht
verständlichster Weise bei den einfBchen Naturvölkern zeigen, um dann aus controlUrter Ver-
elochung ihrer Differenzen das aU|nemein gültige Gesetz abzuleiten. Auch das Capitel: »Die
Zokimft der Seele* würde durch solche Methode an Reichthum und Tiefe gewonnen haben, da
^ch for die darin besprochene Vorstellung von der Seelenwanderung eine Fülle der mannigfid-
tigrten Anschauungen bietet B.
Fischer, J. C: Die Freiheit des menschlichen Willens. Leipzig 1871.
Dass das Buch »nicht die dunkle Sprache der Wissenschaft, sondern die gemeinverständ-
liche Sprache des Lebens* führen will, tun ein bestehendes Vorurthei} (den Glauben an den
Nen Willen) zu widerlegen, ist ein empfehlenswerther Vorsatz, da dadurch Missverständnisse
beseitigt werden möchten, ohne neue zu erzeugen. Wer jedoch wissenschaftliche Probleme in
(gemeinverständlicher Darlegung populär zu machen beabsichtigt, hat zunächst die Pflicht, ehe
er als Lehrer auftritt , dieselben auf dem Felde der jedesmaligen Wissenschaft nach den stren-
i^n Ansprüchen dieser zu bemeistem und im siegreichen Kampfe sein eigen zu machen, wo-
Kef^n aus den Worten dieses Volksaufklärers hervorgeht, dass er selbst s«ne üeberzeugung
nur dilettantisch gewonnen hat, und sie deshalb auch nur in dilettantischer Weise wiederzugeben
vermag, also mit allen JNachtheilen, die ein derartig oberflächliches Popularisiren mit sich bringt
Trägt aber der Verfasser bereits auf dem von ihm beanspruchten Gebiete, dem der Philosophie,
^oen Dilettantismus zur Schau, der über seine Befähigung zu ernstlicher Beschäftigung mit
derselben mannigfache Bedenken erregt, so tritt sein leichtfertiges Gerede um so schlagender
und zurückstoesender zu Tage, wenn er in das Bereich der Naturwissenschaften hinübergreift,
und aas ihren Besoltaten, von denen er kaum die elementaren Prinzipien zu verstehen scheint,
132 liifloelleii und Böohenehaii.
Argamente entnimmt, die in einer (hoffentlich mehr unwissentlichen, als absichtlichen) Entstel-
lung zu Stutzen seines Räsonnemonts dienen sollen. Weil die Physiologen den philosophischen
«Tummelplatz abentheuemder Speculationen* (in den Beziehungen des Gehirns zu seinen Func-
tionen, den Gedanken) vermeiden, zögert Herr Fischer nicht, «dieses Ausweichen einer Charak-
terschwäche, einer Art Feigheit zuzuschreiben*. Die- «Herren Professoren (der Physiologie) ge-
berden sich meist, als ginge sie dieses yerhältiiiss'(des Gehirns zu seinen Functionen, den Gle-
danken) eigentlich gar nichts an — und doch ist das Denken die Function eines körperlichen
Gigans — theils schleichen sie sich an den bezüglichen Capiteln ihrer Bücher scheu von dau-
nen, die Sache den Psychologen überlassend, theils endlich helfen sie sich mit einigen diplo-
matischen Bedewendungen über den kitzligen Punkt hinweg, der sie in Gonflict mit ihren Be-
hörden bringen könnte, die in ihrem privilegirten Unverstände den Materialismus als gefilhrlich
proscribiren." Anderswo (S. U7) werden die Ȋngstiichen deutschen Physiologen* betitelt als
«schwachheizige Staatsdienerseelen, die sich mit allen möglichen Besenren umgeben, um nicht
in den Geruch des vom Staate verpönten Materialismus zu kommen.*' Eine derartige scham-
lose Sprache wagt der deutschen Naturforschung gegenüber ein völliger Ignorant in derselben
zu führen und er rettet sich dann unter den Schutz des englischen Physiologen Maudsley, als
dessen Prq)het er eine ähnliche Verwirrung in den Köpfen seiner Landsleute hervorzumfen
sucht, wie in den Dichtungen einer klop%eistigen Physik salbadernde Zoologen durch spe-
culativ pfuschende Yerzwmng der von Darwin angeregten Untersuchungen, die dann auch
in England die bisher vorsichtig eingehaltenen Grenzen überschritten und bis ad absur-
dum weiteigeführt wurden, weil ihre Vertreter sich mit dem im Heimathslande der Philo-
sophie gezoUten Beifall berauschten. Englische Gonsequenz ist immer leicht geneigt, in der
einmal eingeschlagenen Richtung weiter vorwärts zu gehen und auch über den bereits
gebahnten Weg hinaus, etwas in den Jungle einzudringen. Es sind dadurch schon oft-
mals neue Perspectiven eröffnet worden und wenn ein Forscher von Maudsley's gründlicher
Sachkenntniss sich veranlasst findet, Vermuthungen über den Znsammenhang der Vorstellungs-
th&tigkeit mit desi Ganglienzellen der grauen Bindenschicht auszusprechen, so kann dies inner-
halb der physiologischen Kreise keinen Schaden thun, da das Augenmerk dadurch auf bestimmte
Gesichtspunkte hingerichtet wird und unrichtige Nebenschlüsse sich im Laufe der Beobachton-
gen durch gegenseitige Gontrolle rasch rectificiren werden- Wenn es aber jetzt ein Phrasenheld
unternimmt, abgerissene Fetzen aus dem Entwickelungsgange der Physiologie mit hohlen Pro-
ductionen des eigenen (jehims herauszuputzen und dem Publikum als neue Lehre zu verkünden,
die sich auf die Ergebnisse der Naturvrissensohaften stütze, so wird sich diese wahrscheinlich
solche auf ihren Credit hin ausgestellte Wechsel höflichst verbitten, denn sie findet eben ihre
Stärke darin, keinen Schritt über die Marken des als sicher thatsächlich Erkannten hinaosEu-
gehen. Was in dem vorliegenden Buche über Natomothwendigkeit und Abhängigkeit des Psy-
chischen von Köiperzuständen gesalbadert vnrd, lernt jeder physiologische Tiro mit deo^ ABC
seiner Wissenschaft, und die Physiologie sieht auch bereits einen deutlichen Weg vor sich, der
sie zur weiteren Entscheidung darüber führen wird, wie weit in Willensäusseruugen das Epithet
der Freiheit verwendet werden darf, wenn wir dieses Wort überhaupt in den relativen Beziehun-
gen des Denkens bewahren wollen. Unser Verfesser, der mit den Naturwissenschaften ,in die
Laube zu gehen" wünscht (S. 84), eilt rascher vorwärts zur Elatastrophe, denn die Liebe befln-
gelt den eilenden Fuss. MiÜeidslos wird auf S. 351 dem entsetzten Leser die Kunde gebracht:
«Dem Glauben an die Freiheit des Willens ist der Todesstoss versetzt*', und mit einer Entwei-
hung von Luther's edlem Wort schliesst das komödiantenhafte Buch. B.
Grisebach: Die Vegetation der Erde, nach ihrer klimatischen Anordnung.
Ein Abriss der vergleichenden Geographie der Pflanzen. Bd. 1. 2. Leipzig 1872.
In diesem Werke liegt die Arbeit eines Lebens vor, die Lebensarbeit eines Mannes, der
unter den mitlebenden Botanikeift zu den leitenden Grössen zählt, und der, indem er hier die
Gesammt-Besultate seiner Forschungen zusammenfasst , der nächsten Generation die Wegerich-
tungen angedeutet hat, die der Gang der Wissenschaft für weitere Forschungen einzuschlagen
hat. Ein derartiges Buch entzieht sich der Besprechung. Wir stehen vor einer Fülle der sorg-
samsten Untersuchungen auf allen Gebieten der vergleichenden Botanik, vor einer fast uuöber-
sehbaren Masse der Materialien, deren Ansanunlung und Sichtuilg der Verfasser 30 Jahre wid-
IfisceDen und Bnchenchsa. 133
Mte, und die es aach dem Leser einige Jahre kosten wird, in ihren Grundzügen und in ihrer
Ihgweite zu bemeistem. Hit diesen beiden Bänden ist die Basis gelegt zu einer vergleichen-
den Botanik im naturwissenschaftlichen Sinne. In Humboldfs geistreichen Conceptionen lag
die Vorschau dessen, was Schouw hier und da mit glücklichem Griff yersuchte, was De Gan-
doUe mneiiialb des Systems durchführte, was jetzt Grisebach vollendet hat, auf geographischer
Unterlage. Längst war ein solches Werk erwünscht und dringend benöthigt In den Yeiglei-
chungen liegt der methodische Fortgang unserer Studien gesichert Als erste der vergleichen-
den WissMisehaften bedurfte die Botanik ihrer umfassenden Durchbildxmg, ihrer thatsächlichen
Begründung. Sie hat eine solche mit dem vorliegenden Buche erlangt Bald wird hoffentlich
die vergleichende Zoologie, für die schon manche Vorarbeiten existiren, nachfolgen und dann
kann auch die veigfeichende Menschenkunde nicht zurückbleiben. Für die Anzeige genügt die
Bemerkung, dass das Buch, obwohl auf vorangangenen Veröffentlichungen in einigen Theilen basi-
rend, doch in der jetzigen Form der Zusammenfassung neu ist im weitesten Sinne des Wortes, und
dadorch auch dem Leser, der schon früher den Specialuntersuchungen des Verfassers gefolgt
ist, eine Menge neuer und unerwarteter Gesichtspunkte eröffiicn wird, deren weitere Verarbei-
tung zn erwarten steht »Eine solche vergleichende Darstellung der Vegetation aller Erdtheile
ond Linder ist noch niemals versucht worden", heisst es in der Vorrede, und hier haben wir
einen der wenigen Fälle, in denen in der That die vollste Berechtigung vorliegt, einen solchen
Satz loszusprechen. B.
Grrasse: Sagenbuch des Preussischen Staats. Glogau 1868 — 1871.
ThL L umfasst: Sagen der HohenzoUem, die Marken, Provinz Sachsen und Thüringen, den
Hart, Weetphalen. ThI. II. umfasst: die Rheinprovinz, Sohlesiett und Niederlausitz, Pommern,
West- and Os^reussen, die HohenzoUemschen Lande, Frankfurt und Umgegend, Nassau, Hessen,
Hannover, Schleswig-Holstein. B.
Dapont! L'homme pendaat les äges de la Pierre dans les environs de
Düumisnr-Meuse. Broxelle» 1871.
Les ooquilles fossiles (provenant du gite tertiaire de Gonrtagnon pres de Reims et de
tA^on pras de Versailles) dienten zum Schmuck (und sind in derselben Weise durchb<^rt,
lie es sich z. B. in Südamerika findet). Les Mongoloides (du trou de Ghaleux) battaient le
briqoet sur un rognon de pyrite au moyen d'un silex. Ils en detachaient ainsi de tres-menues
parcelles, qni s'enflammaient ä Faire. B.
Barton : Zanzibar. Yol. I. & Tl. London 1872.
Zusammengehalten mit den reichen Gaben, die man sonst von diesem ausgezeichneten
Beobachter') gewohnt ist, eher dürftig seinem Inhalt nach im Verhältniss zum Umfang, vielleicht
dadnreh veranlasst, dass in Folge von allerlei Zwischen^len das im Jahre 1860 bereits fertige
Kaaoscnpt erat jetzt die Buchform annehmen konnte. Doch enthält es auch so noch des Inter-
eannten und Belehrenden genug. B.
Eraas: Der heilige Nagel in der Domkirche zu Trier. Trier 1868.
Wollte man den Fuss in der Mitte durchbohren, so traf man auf den mittelsten der füni
Mittelfossknochen (oesa metacarpis), der sich mit dem Nagel nicht durchstossen Hess, aber ein
I>oppdnagel drang rechts und links hindurch. Wie die heilige Brigitta (nach der ein Schien-
bein über das andere gelegt und die so über einander geschlagenen Füsse mit zwei N&geln an's
*' Gegenüber der schwankenden Gesinnung, die sich neuerdings fast allzuoft in England
(selbst in anthropolc^schen Kreisen) manifestirte, gewährt es besondere Befriedigung, von einem
» tiefen Menschen- und Volkerkenner aus der Mitte des uns nahe verwandten Brudervolkes die
folgenden Worte aussprechen zu hören: Throughout the history of the XIX. Century there is
Dothing more striking, than the change which the last decade has worked in Europe, than the
rise of the mighty power which in a month crushed the annies of France and which tore from
ber gide the provinces of Alsace and Lorraine. By an Englishman who loves bis country, no-
thing can be more enthusiastically welcomed, than this accession of power to a kindred people,
connected with us by language, by religion and by all the ties, which bind nation to nation.
U pr^ves that the north is still the fecund mother of heroes.
134 Miacellen und Büchenchaii.
Kreuz geheftet wurden), schaute die ehrwürdige Anna Elatharina von Emmerich das Leiden:
^Sie knebelten den linken Fuss ebenso gewaltig mit Stricken über den rechten nieder und durch-
bohrten ihn am Riste, weil er zum Annageln nicht fest genug auf dem rechten Fusse ruhte,
mit einem feinen, glattförroigeren Stifte, als die Nägel der Hände waren, es war wie ein Vor-
bohrer mit einem Pfriem. Nun aber ergriffen sie den schrecklichsten, riel längeren Nagel und
trieben ihu mit grosser Anstrengung durch den verwundeten Rist des linken und durch den
des unten ruhenden rechten Fusses krachend hindurch in das Loch des Standklotzes und durch
diesen in den Kreuzesstamm hinein. Ich habe am Kreuze, von der Seite sehend, den einen
Nagel durch beide Füsse gehen sehen. Das Annageln der Fusse war grausamer als Alles, durch
Ausdehnung des ganzen Leibes Ich zählte an 36 Hammerschläge unter dem Wehklagen des
armen Erlösers, das mir so süss und rein klang." Der Nägel, mit denen Jesus an's Kreuz
geschlagen wurde, waren vier (nach Paleotti), aber der heiligen Nägel, die Gegenstände der
Verehrung der Gläubigen bilden, gab es mehrere, da auch der Kreuzesbalken mit Nägeln
befestigt waren, der Sitzblock Csedile) oder die Fussbank u. s w. Nach Lorinns waren die
Nägel rund, aber die heiligen Nägel von Trier und Rom haben eine viereckige Gestalt, der
des Escurial einen runden Kopf, ausgeschweift. Von den einigen 30 heiligen Nägeln gilt
der von Mailand (nach Fontanini) als der im Reitzeug des byzantinischen Kaisers (um
ihm den bösen Geist zu vertreiben) eingeschlossen gewesene, den in der eisernen Krone
hatte Constantin im Helm getragen. Das erste positive Zeugniss för das Vorhandensein
eines heiligen Nagels zu Trier giebt die (1054—1071 abgefasste) Vita S. Agridi. Auf
die heissen Zähren des seligen Gerhard lösten sich für ihn einige Partikel von der Spitze
des Nagels ab (wie der nach Ceylon zu sendende Zweig des Bo-Baums). Nach dem Weihbischof
J. Essen ist es der wahrhaftige Nagel Jesu Christi, der durch seinen rechten heiligen Fuss (^
schlagen ist, wie dieses der Teufel aus einem besessenen Menschen bezeugt hat (S. 163). Vor
der französischen Occupation (1792) geflüchtet und eine Zeitlang auf Ehrenbreitstein bewahrt,
gelangte die Reliquie nach Prag, wurde aber nach einer zwischen dem Domkapitel und Forst
Mettemich (1839 — 1844) geführten Correspondenz heimlich (bis zu Mettemich*6 Tode) zurnck-
gegeben. Am Mittwoch 29. April 1863 virurden die Gläubigen durch die erste Exposition des
Nagels überrascht — Erbauliche Aufklärungen über mancherlei Einzehiheiten, die uns sonst ent-
zogen wären, gewähren die Offenbarungen Katharina Emmerich's (f 1826). So über die Em-
pföngniss: ,Da die heilige Jungfrau gesprochen: «Mir geschehe nach Deinem Wort!" sah ich
jene geflügelte Erscheinung des heiligen (Geistes, aber nicht ganz so, wie sie gewöhnlich in Ge-
stalt einer Taube abgebildet wird. Das Haupt war wie ein Menschenantlitz und es breitete
sich Licht gleich Flügeln zur Seite der Gestalt, aus deren Brust und Händen ich drei Licht-
ergüsse nieder zur rechten Seite der heiligen Jungfrau strömen und mitten in ihr vereinigen
sah. Die Jungfrau ward mit dem Eindringen dieses Lichtes zu ihrer Rechten von dieser Seite
aus ganz durchleuchtet und wie durchsichtig* („die Menschgestalt des verheissenen Erlösers in
sich als kleine menschliche Lichtgestalt mit allen Gliedern bis in die Fingerchen ausgebildet
erkennend*). Katharina von Emmerich .wird unterrichtet, warum der Erlöser neun Monate im Mut-
terleibe verweilen und als Kind geboren werden wollte*, aber sie vermag dies nicht mehr klar
mitzutheilen. Es bleibt das einigermassen bedauerlich, da sich manche Aufklärungen über idio-
synkrasische Geschmacksrichtungen hätten anknüpfen lassen. Mit der buddhistischen Version
desselben Vorganges werden mancherlei Uebereinstimmungen angetroffen, indess* auch Differen-
zen, deren hauptsächlichste darin liegt, dass im Buddhismus eine für weitere Wiedergeburt zum
Himmel entrückte Seele früherer Menschlichkeit sich mit dem in der Brautnacht durch die Kö-
nigin Maya empfangenen Embryo vereinigt, wie es nach der Lehre der Metempsychose immer
bei jedem natürlichen Zeugungsact in solcher oder ähnlicher Weise geschehen muss, wogegen
im Christenthum der Schöpfergott der Erde und des Himmels sich für neun Monate in einem noch
durch keine decidua gepolsterten Uterus einquartiert Jene vom Tushita-Himmel herabsteigende Seele
Gautama's kommt in der buddhistischen Legende treuherzig hereingetrampelt in der Gestalt eines
weissen Elephanten, der dreischlächtige Gott der Christen dagegen fahrt, wie wir oben gesehen
haben, in der Form eines Menschenvogels (vielleicht in Semiramis- Verkleidung) in die Erkorene
ein. Alaunpaya fingiren sich die Buddhisten als mit gekreuzten Beinen im lotusgleichen Mut-
terleibe sitzend. Dagegen spricht unsere Katharina von Kreuzung der Arme und erzählt: Unter
der Brust sah ich einen Lichtraum etwa in der Gestalt eines Kelches, und in diesem die (te-
MuBcellen und Bächencbau. 135
stilt eines leuchtenden Kindes sich entwiokehi nnd ijrösser werden*, von Maria redend, die
durch Katharina, nachdem der zu Anna niederdringende Lichtglanz ,sich neben ihrem Lager
in der Gestalt eines leuchtenden Jüngiings*" zusammengezogen, dann bald darauf bereits unter
ihrem Henen aufwachsend gesehen wurde. Als 17 Wochen und 2 Tage nach dem Empföng-
nüs der heiligen Jungfrau verflossen, bemerkte Katharina den Moment, an welchem das Kind
Xvia zum eisten Male unter ihrem Herzen sich bewegte'' und yemahm, dass ,die heilige Jung-
frau 5 Tage früher als andere Eonder beseelt und 13 Tage eher geboren wurde*. Bei der Ge-
burt »hörte ich das Kind, weinen*. Ach, Herzchen "ttein, wie traurig das war, für dich und
für aus Alk, eine so weinerliche Drillingsmutter. Zoroaster, der Manichaer, lachte bekanntlich,
alä ihm AehnÜches passirte, beim Austritt aus der Vagina. Worüber der ungläubige Hund
voll] gelacht haben mag? da diese Dinge doch ernstlich genug sein sollten. Ob rielleicht
über das Folgende: ,Am 27. November sah Anna Katharina ein sehr rührendes Bild in
^ Krippenhöhle. Joseph und Maria standen bei der Krippe und schauten das Jesukind
mit grosser Innigkeit an. Da warf sich der Esel (solch' ein Esel) plötzlich auf die Knie
onl drückte den Kopf ganz dicht an den Boden nieder. Maria und Joseph weinten.*' «Joseph
verkaufte, ehe er Betlehem verliess, seinem Vetter die junge Eselin, die er ihm am 30. Nov.
Tcrp&ndet hatte*, und Katharina Emmerich legt Nachdruck darauf, dass sie immer der Ansicht
Scittcn, .die Eselin, auf welcher Jesus am Palmsonntag nach Jerusalem einritt, stamme von
diesea Thiere ab.* Nicht so rasch, mein Kind, solche Thatsachen mnssten grundlich eruirt
werdeD, die man darüber aburtheilt, denn Ansichten genügen nicht bei Genealogienreihen, die
oiu tos der Historie in die Zoologie und an Darwin's Hand wer weiss wohin fähren könnten.
Buddkistische Transmigrationslehre würde hier einfach die Moral der Jataka gezogen haben,
daiiä jene schmählicherweise an einem Sabbath verschacherte Eselin Anna Katharina gewesen,
die im Umlauf der Zeitläufte nach 1800 Jahren als Klosterfrau zu Emmerich wiedergeboren
wurde. B.
£wald: Die Lehre vom Worte Gottes. Leipzig 1^71.
Während »die Brahmanischen und Zarathustrischen heiligen Schriften rein priesterlichen
l'rspnmgs sind* . so „könnte man die Buddhistischen heiligen Schriften mit denen des Neuen
Testaments vergleichen.* B.
Rive: Die Unfehlbarkeit des Papstes. Paderborn 1870.
,Die Unfehlbarkeit ist zunächst ein mit der Vernunft in vollem Einklang stehendes Privi-
KgiiuD des Primats. Ihrem Wesen nach besteht sie ja in jenem Beistand des heiligen Geistes,
^ den Papst vor jedem Irrthum bewahrt, so oft er eine Entscheidung in Glaubens- und Sit-
tenlehre för die ganze Kirche erlässt Was ist darin unvernünftig?* Nichts, weder für den
Neger noch für den Indianer, und auch nicht für den SpirituaUsten des 1 9. Jahrhunderts, wenn
^ seine tischklopfenden Geister canonisirt. B.
Forsyth: The Highlands of Gentral-India. London 1871.
In dem Lay of Saint Lingo wird die Erzeugung der Koitor oder Ghonds aus einem Ge-
K'hwür an der Hand des Gottes Karte Subal (Mahadeo's Sohn) erzählt [eiue vom indischen Ar-
i'hipelago bis zum westindischen unter Modificationen wiederholte Schöpfungs weise der ersten
Memtchen]. B.
Simonin: L'homme am^ricain. Paris 1870.
l>er Verfi&sser unterscheidet: 1) Le type fossile ou primitif, reconnu en tant de points,
Mtamment en Californie, dans un terrain dUuvien, recouvert de couches de laves. 2) Le type
intermediaire (de flndien qui a bat! les mounds, repandus dans k vallee du Mississippi etc.).
3^ Le type moderne ou Tlndien aciuel. B.
Watterich: Die Germanen des Rheins. Leipzig 1872.
Die Gegend von Münster (Mimigernaford 820 p. d.), der Anfang des Marsenlandes vom
Soden ber, ergiebt sich als die Stätte des Bundesheil igthums der Tanfana. B.
136 Miscellen und BächenchaiL
Scherzer: Fachmäimische Berichte der Ostasiatischen Expedition. Wien
1872. Nach Boller steht das Japanische zu dem ural-altaiischen Sprachstamm in einem entfern-
teren verwandtschaftlichen Yerhältniss und schliesst sich zunächst an das Mandschu und das
Mongolische an. Im Anhang findet sich von Exner: .Die Werkzeuge des Schreiners in Gtiiiia
und Japan **; von Bucker: «Die Kunstgewerbe der Ostasiaten*. B.
Zinzow: Yineta und Palnatoke. Stettin 1870.
Palnatoke (b. Saxo) vertraut sich fjkvd dem Kullenfels) dem schwachen Holzstnck (fustis)
an, die Schlittschuhe (Skidal Oendrur) bezeichnend, indem er die glatten Holzbretter (asseres
oblongi et antrorsum sublevati) unter die Füsse bindet (s. Zinzow). Eziguo se fusti credidit,
lubrlcasque plantis tabulas adaptando rapidum in praeceps yehiculum egit. B.
De BauYoir: Yoyage round the world, Yol l u. II, London 1870.
A black man (at Cape York) took two sticks of white wood with green patches on them.
He planed the surface of one of them with a bone (fastened to a handle) and cut the otber to
a point. Supporting one end of the first against a tree and the other end agaiust his own
ehest, he twisted the point of the second against the polished wood, and tiuned it so quickly
round that it went in like a gimlet. The rapidity of the friction in the small hole thus formed
produced a slight smoke (und Feuer). B.
Holm: Geschichte Siciliens im Alterthom. Leipzig, Engclmann, 1870.
Cap. rv handelt über die Ureinwohner, Gap. V über die Phönizier und Elymer, Gap. VI
über die Spuren der ältesten Bewohner Siciliens. B.
Yillot: Etades alg^riennes. (Revue de la Soc. Arch^ol. de Constantine,
Yol. 14, 1870.
Les Mozabites (dans les montagnes du Mzab) composent une franc - ma^nnerie commer-
ciale tr^s-bien organisee (suivant les preceptes de Tassassin d'Ali), wie die Egbo am Alt-
Galabar. _ B.
Mercier: Etade sur la Confr^rie des Ehoaans de Sidi Abd-el-Kader-el-
Djilani. (Recueil de la Soc. Arch^ol. de Constantine, Yol. 13, 1869)
La secte de Sidi Abd-el-Kader-el-Djilani doit son uom au marabout Sidi Abd-el-Eader,
natif de Djilan (f 1165 p. d.}. G'est ä Bagdad qu*est le siege de la secte, laquelle fait remou-
ter son origine k Ali (et derive du Soufis). En Algerie Sidi Abd-el-Kader est le patron des
pauvres et des affliges. Le Khalifa envoie son mot d'ordre dans tont le monde musulman, h
ses mokaddem au cheikh (possedant un cachet et le droit de nommer des nekibs ou yicaires).
Les khouans (freres) se r^unissent en assemblee presidee par le cheikh, qui confere louerd (cer*
tificat d'admission) au n^ophyte, apres differeutes scenes mystiques et un interrogatoire. B.
Yiaje de esploracion de la Goleta Covadonga, Memoria de Marina, 1871,
Santjago de Chile.
Los jesuitas en el siglo pasado obligaron a la mayoria de los Ghonos a intemarse en Chi-
loe (i algunas de las islas del golfo del Gorcovado). Todos los restos i testijios de esta raza
ya hau casi desaparecido (a manos de los brutales hacheros). En varias de las cuevas el practico
en tiempos pasados encontrö momias acondicionadas en ataudes de certezas de cipr^ en forma
de huevos. B.
Im Journal Asiatique, VI. Ser., 17, 1871, findet sich von Emile Senart: Kacc&yanappa-
karanam, Grammaire p&lie de Kaccäyana, sutras et commentaire (avec une traduction), haupt-
sächlich auf Grimblot*s Textur gegründet B.
Errata (Heft L).
S. 49 Z. 34 t. 0. 1. ruinees statt ruines.
S. 51 Z. 4 V. u. 1. Williams statt Milne.
S. 54 Z. 8 V. 0. 1. Ostiaioi statt Ostyaiai.
S. 5ö Z. 3 V. u. 1. Polowzer statt Polowtzer.
Ethnologie nnd vergleichende Linguistik.
Der Terschiedene Totaleffect der klimatischen Agentien in A£rika und
Amerika zeigt sich durch einen nach den ethno- geographischen Provinzen
sasammengefassten Charakter jedes dieser Continente bedingt. Afirika ist ein
Wüsteniand, das auch in seinen frachtbar angebauten nnd selbst in den mit
appigem Pflanzenwtjchs wuchernden Theilen die trockene Luft bewahrt, die
überall in der Wüste mit dem Gef&hl der Leichtigkeit und des Behagens
dorchdringt (solange nicht die sonstigen Entbehrungen dieser öden Gegen-
den deprimirend wirken). Der afrikanische Sinn ist ein um so leichterer,
vdil die Nator durch einen umständlichen Reduction sapparat in den Haut-
geweben Yorgesorgt hat, so dass genügender Kohlenstoff dort oder durch die
Leber ausgeschieden wird, um trotz der (bei Trockenheit) sauerstofireichen
Lnft^) den Yerbrennungsprocess und somit die Temperatur niedrig zu er-
hiten. In Amerika hat das feuchte, dunstige Klima, das die Lunge nur
schwer völlig gereinigtes Blut gewinnen lässt, das Resultat einer gedrückten
ßemüthsstinimung, zumal die gelbe oder rothbraune Haut keine derart aus-
l^ichenden Functionen auszuüben vermag, wie die schwarze des Negers
mit ihrem Bete Malpighi.
Die in China durch den Ton festgestellte Selbstständigkeit der Laute
0 Die dönne Luft hochgelegener Berggegenden erfordert eine angestrengte Aussprache. Die
Verschiedenheit der Sprechorgane in Betreff der Rassen -£igenthiimlichkeiten sind noch nicht
genügend nntersncht. Doch soll bei ausgesprochenem Prognathismus oft das f (strepitus labia-
lU) tu fehlen scheinen. .Die lispelnde Aussprache der Herero folgt ans ihrem Nationalzeichen,
^ im Herausschlagen der unteren Yorderz&hne und Feilen der oberen besteht" (H. Hahn).
fBergloft macht die Laute scharf und rauh , das flache Land weich und blöd. Auf den Alpen
herrschen Diphthongen und Aspiraten, auf dem flachen Lande wenige und dnnne Vokale, unter
den Cooionanten Mediae und Tenues vor* (Püahler). Die physiologische Prüfung der einzelnen
wie in den verschiedenen Sprachen und Dialecten kann viele Fragen der vergleichenden Sprach*
^"^^ anfkären (Valentin). Brückner erklärt mit dem Kymographion den Rhythmus der Verse
»w der Physiologie.
UtMkiilk fir Bthaologl«, Jahjgaag 187S. 10
138 Ethnologfie und yergleichende Linguistik.
fuhrt in Mongolien, wo solche Bestimmtheit fehlt, zum Aoeinanderreihen
der agglutinirenden Sprachen, in denen sich die Worte onselbstständiger an
einander lehnen, nnd obwohl sie noch immer wieder in die componirenden
Einzelnheiten anslösbar sind, doch mitunter schon in der Yocid-Assonanz sich
der Flexion annähern.
Den nachgiebig weichen Sprachen der Polynesier ^), die noch mehr, wie
die monosyllabischen, des zusammenhaltenden Tones entbehren, fehlt selbst
das Bedürfniss turanischer Agglutination, so dass ihre Reden sich dem Lallen
nähern würden, wenn nicht durch melodischen Gleichklang geeint.
Die Vollendung der Flexionssprachen liegt in ihrer durchgehend gesetz-
lichen und dennoch beweglichen Gliederung, so dass jeder Satztheil sowohl
unabhängig für sich zu verwenden, als wie, je nach gewünschter Weise,
anderen einzufügen ist Dabei können jedoch innerhalb dieser gemeinsamen
Klasse so strenge Scheidungen Statt haben, wie sie die mit Artikeln und
Hülfszeitworten operirenden Sprachen von den den Stamm abwandelnden
trennen, obwohl beide wieder einander von der ihnen jedesmal eigenthüm-
liehen Yerfahrungsweise Einiges mitgetheilt haben.
Handelt es sich um die Bedeutung der Linguistik f&r die Ethnologie, so
ist zunächst der hohe Werth, den dieselbe für das psychologische Stadium
der Menschenrassen besitzt, von der Bedeutung zn unterscheiden, die ihr für
EintheiluDg derselben beigelegt werden könnte. Sie vermag unzweifelhaft
schätzbare Hülfe für dieselbe zu leisten, ebenso wie die Schädelkunde für den
physischen Habitus, aber beide, Philologie sowohl wie Graniologie, können
nur zur Herstellung eines künstlichen Systems dienen. Bei den Graniologen
kann darüber auch kein Bedenken walten. Um ein natürliches System zu
begründen, müsste das gesammte Skelet in allen seinen Theilen berücksich-
tigt werden, und wenn man trotzdem gewöhnlich den Schädel allein oder
doch vorwiegend in's Auge fasst, so liegt das in äusseren Gründen leichterer
Gewinnung und Beobachtung an demselben, weswegen es mit Recht vorzu-
ziehen bleibt, ein künstliches System mit allen nöthigen, und hier möglichen,
Gautelen zu entwerfen, als ein natürliches anzustreben, das unvollkommen
bleiben müsste, und so, als mit sich selbst (und seinen vor Allem Vollstän-
digkeit verlangenden Vorbedingungen) in Widerspruch, hinter dem Nothbehelf
eines künstlichen Systems zurückstehen bleibt. Bei den von philologischer Seite
versuchten Eintheilungen lag der Fehler darin, dass man in der Sprache allein
schon das Mittel für Abrunduug eines natürlichen Systems zu besitzen glaubte,
indem sich in der Sprache der Kern der gesammten Geistesthätigkeit spie-
geln sollte, während dieses nur für wenige Stadien der Naturvölker gelten
kann, in welchen das Denken noch ganz innerhalb der Sprache schaffb, wäh-
rend auf fortgeschrittenen Stufen nicht mehr in der Sprache gedacht wird,
>) Im Gegensatz zum Polynesischen, wo alle Süben in einen (der yorwaltenden) Yocale
enden müssen, im AustraUschen the most striking peculiarity in the alphabet is the paucitj of
vowel rounds (s. Haie).
Bthiudoglei uad reigleicliende Un^^tiL 139
sondern nur mit derselben und durch dieselbe, unter ihrer Verwendung als
Werkzeug, um auch Ideen auszudrücken, deren Fülle und Mannigfaltigkeit
längst die Möglichkeit phonetischer oder grammatischer Neu Schöpfungen über-
schritten hat Dieser unrichtige Standpunkt hatte den weiteren Fehler der
gradoirenden Abschätzung der Sprachen gegeneinander zur Folge, indem man
sich oftmals veranlasst sah, die einfachen Sprachen als die niedersten anzu-
sehen, während es gerade umgekehrt als der Vorzug eines zum Hülfismittel
für andere Zwecke dienenden Werkzeuges anzusehen sein würde, wenn die-
ses mit einfachen Mitteln dasselbe schaSl, wozu es bei anderen eines com-
plicirten Apparates bedarf. Ob der hohe Ruhm, der den Flexionssprachen
gezollt wird, gerade in der Vollendung ihrer Form zu suchen sei, möchte
allerlei Bedenken zulassen, da die allzuoft unlogische Geschlechtstheilung,
£e nicht immer rationelle Trennung von Casus und Präpositionsrerhältnissen
und ihre accumulirende Verbindung, die bald unnöthige, bald, wenn nöthig,
nufigehde Verbindung der Pronomina mit schon vom Verbum ausgedrückten
PronominalYerhältnissen und viele andere Unregelmässigkeiten die gramma-
tischen Verhältnisse weit verworrener machen, als in der durchsichtigen Ein-
ächheit so mancher Natursprache, die bei ihrer geschichtlichen Abgeschlos-
senheit und deshalb Ungestörtheit solche leichter zu bewahren vermochte.
Der Ruhm der Flexionssprachen scheint der hohen Geisteskraft der Völker,
<lie sie geschaffen, zu gebühren, indem diese Geschichtsvölker, obwohl durch
die historische Bewegung und daraus folgende Mischungen in den Wirrwarr
eines Patois hineingezogen, sich dennoch in Folge ihrer hohen Begabung aus
diesem Gestrüpp wieder empor zu arbeiten wussten, und eine Verhältnisse
Blässig so vollendete Sprache zu Wege brachten, wie die, deren sie sich jetzt
bedienen.
Die vergleichende Philologie, wie sie durch Bopp's Vorgang auf dem
Felde der indogermanischen Sprachforschung festgestellt worden, ist ein sehr
verschiedenes Ding von der ethnologischen Philologie oder, wenn man will,
der vergleichenden Linguistik und ohne das Uebersehen dieser radicalen Ver-
schiedenheiten würde manche der eingetretenen Controversen erspart sein,
lehnhch verhält es sich mit der vergleichenden Mythologie, die innerhalb
des Indogermanischen die Beziehung des iranischen Jima und arischen Jama,
des Nabänazdista und Näbhän^dishtha, des Vivanghvat und Vivasvat, der Diw
ond der Deva u« s. w. hergestellt, oder auch die indischen Anknüpfungen mit
Zeos, Prometheus, Dionysos u. s. w. herausgedeutet hat, und denjenigen Ver-
gleichongen, in denen die Ethnologie nicht nur auf historisch gegebenen
Grundlagen stattgehabtes Geschehene aufspürt, sondern in der Gleichartigkeit
psychologischer Denkgesetze aus gleichen Ursachen gleiche Wirkungen folgert
ond die primitiven Gedankenelemente herauszuheben sucht, also bei deutlich
geschichtlichen Uebertragungen ihre Arbeit gewöhnlich als schon beendet an-
sehen muss. In derselben Weise hat die vergleichende Linguistik das allgemein
Menschliche psychologischen Schaffehs auch in den Sprachgesetzen abzuklä-
10*
140 Etimologie und Yeti^Ieicliende langiiutik.
ren, und kann sich nur in historisch umschriebenen oder durch die geogra-
phischen Configurationen als zusammengehörig angedeuteten Gruppinmgen
derjenigen Forschungsmethode annähern, die f&r die vergleichende Philologie
im Indogermanischen bereits zur vollen Geltung gekommen ist.
Die Sprache ist der lauiUche Ausdruck des Gedankens und, indem seine
Gesetze spiegelnd, der psychologischen Logik. Der Geist drängt zu phone-
tischem Schaffen und verkörpert seine Vorstellungen in den Worten oder
deren Verbindungen, die er anfangs unermüdlich zu häufen fortfiUirt, in dem
Maasse, als sein Anschauungskreis sich erweitert. Bald tritt indessen der
Moment ein, wo die Unmöglichkeit erkannt wird, die ihm innewohnende Un-
endlichkeit psychischer Schöpfungs&higkeiten noch weiter durch Gleichklänge
zu decken, und dann wird die Sprache, firüher der Zweck des Denkens and
sein unmittelbarer Abdruck, in die Stellung eines Mittels zurückgedrängt
durch welches und in welchem der Geistesdrang zum Ausdruck gelangt.
Weiterhin wird somit die Sprache nicht mehr direct von der Logik als sol-
cher (den Regeln logischer Vemünftigkeit), sondern von der Grammatik^}
regiert. Schon das primäre Streben der Logik (des logischen Princips der
Psychologie) wird sich in einer Mannigfaltigkeit grammatischer Formen er-
füllen, die in verschiedenen Richtungen und Gestalten fortwachsen, je nach
dem als Wurzel dienenden Ansatz, der im Menschen nach seinem physio-
logischen Racentypus und dem diesen wieder bedingenden Milieu spontan
gekeimt hat«
Gleich dem Wald-Lidianer Amerikas wird der ostasiatische Nomade auf
seinen öden Steppen zum langsam bedächtigen Reden neigen, und so, wie
jener den Polysynthetismus, die Agglutination herstellen, die sich seinem
passiven Temperamente nach durch Euphonie (gleich der Alliteration der
Neger) in der Assonanz (wenigstens zum Theil) beherrschen lässt, während
der männliche Charakter des Lidianers, besonders im Norden Amerikas, jene
rhetorischen Meisterwerke schafft, in denen der logische Zusammenhang vor-
wiegend dominirt.
In der ruhigen Umgebung der polynesischen Inseln harmonirt das melo-
dische Branden des Meeres und das Aeolstönen der durch Palmgipfel säu-
selnden Brisen mit dem weichen Gerede des Bewohners, während eine eng
zusammengedrängte Bevölkerung, die schnatternde in Chinas Dörfern und
Städten, in kurz abgerissenen Worten und Sentenzen spricht, die bei Bevor-
zugung der Vocale die Tonscheidungen nöthig machte. Dagegen disponiren
Berggegenden, wo man sich oft aus weiter Feme (ohne möglich rasche An-
^) Die grammatischen Formen sind nnr Formen einer gewissen Stufe des Denkens, nämlich
der ersten Stufe, Sprechen ist nur ein gewisses Denken (Steinthal). Der Hauptthell der Gram-
matik der ältesten Sprachen ist die Formenlehre, während es bei den neueren die Syntax ist,
die nur die Art und Weise lehrt, wie sich der Geist der Sprache bedient, somit eigenÜich nicht
mehr zur Grammatik im engeren Sinne gehört, die es mit den yf^ttfi^nia, nicht mit der Satz-
bildung zu thun hat (s. Schleicher).
Ethnologie und Toigleichende Linguistik. 141
DÜierang) schon erblickt , zum lauten und scharfen Sprechen, und ^wird das-
selbe, am in solcher Weite die Deutlichkeit nicht zu beeinträchtigen, beson-
ders das feste Consonanten- Gerüste des Wortes favorisiren, das besser die
Markinmg jedes Lautes erlaubt, als ineinander verschwimmende Yocale.
Spracheintheilungen , die auf Charakter-Eigenthümlichkeit des Baues ba-
siren, operiren mit Resultaten, deren Entstehung erst nachzuspüren ist, und
wenii als Ansatz dafür der innere Sprachsinn genommen wird, beginnt man
mit einer ihrem bestimmten Werthe nach unbekannten Grösse, deren Ver-
wendung in den weiteren Rechnungen diese selbst überall nur hypothetisch
macht und in um so zweifelhaftere Conjecturen überführt, je femer man fort-
schreitet
Um einen festen Ausgangspunkt der Betrachtung zu gewinnen, wird es
ndiMai sein, den Boden der physiologischen Sprachbildung, soweit sie sinn-
lich rentändlich ist, als erste Grundlage zu nehmen und von dort aus nach
deo rerschiedenen Richtungen hin fort zu exploriren. Obwohl dies schein-
bar nur äusserliche Merkmale geben würde, so sind es doch eben deutlich
erkennbare Aeasserlichkeiten, die die beste Controle für theoretische Ent-
wickelongen abgeben, und die prästabilirte Harmonie, die bei allen in der
Natu* begründeten Beziehungen zwischen äusserer Form und innerem Gesetz
besteht und bestehen muss, wird es ermöglichen, von jenem zu diesem hin-
übenuffthren and dieses aus jenem zu erklfiren.
Die Laute der Sprachbildung scheiden sich, wie physiologisch erkenn-
bar nnd practisch in den verschiedenen Alphabeten dargelegt, in zwei Haupt-
Uaaaen, in die Yocale und die Consonanten, in die mehr oder weniger ge-
sungenen Töne und das in scharfer Markirung gesprochene Gerüst derselben.
Die Yocale bezeichnen das Sinnliche, Empfindsame, Gemüthliche, Phan-
tastiflche, Affecüöse, während die Consonanten i&ehr das Intellectuelle , Be-
grif liehe, Yerstandesm&ssige, Geistige abbilden, bemerkt Merkel. „Ein Yooal
ist jeder tönende Luftstrom, der durch die Mundhöhle aUein hindurch und
nnn Munde hinausgeführt wird, ohne dass auf diesem Wege seine Tonalität
dorck ein accessorisches Schallphänomen in den Hintergrund gestellt würde.^
ScUaffe, passive Yölker reden deshalb mehr in vocalischen Tonsprachen, um
sich jede unnöthige Arbeit zu ersparen, wogegen energische, thatkräftige den
jedesmal durch bestimmte Willensausfuhrungen zu formirenden Consonanten
in bevorzugender Weise zufügen. Da indess das melodisch Harmonirende
in den Vocalhöhen liegt, werden mit ästhetischem Kunstsinn begabte Yölker
diesen immer einen entsprechenden Einfluss bewahren, und sich von dem
Versinken in krächzend harte Consonantenhäufungen fem zu halten wissen.
«Sein Atom oder Punkt des Eehlraums und Mundkanals bleibt fOr die Con-
sonantenbildung unbenutzt", und jeder der hierzu beitragenden Muskeln ist
durch bestinunte (wenn auch bald unbewusst werdende) Willensacte in Be-
legung zu setzen, wogegen die Yocalbildung in anmittelbarem Zusammenhang
142 Ethnologie und Terf^leichende Linguistik.
mit der gleichmässig fortgehenden Respirationsbewegung steht, die zum gros-
sen Theil auf unwillkürlicher Reflexthätigkeit beruht.
Als erste Scheidung würden sich so die Sprachen in Vocal* und Con-
sonantensprachen trennen lassen, mit einer dritten Classe, in der Yocale und
Consonanten in eine (erst theoretisch analysirbare und in ihre Constituenten
wieder aufzulösende) Silbe verschmelzen, also etwa Silbensprachen.
Als prägnanter Repräsentant der Vocalsprachen dienen die monosyllabi^
sehen, für die consonantischen die semitischen, und zwischen ihnen steht das
Gros der übrigen, aus deren primärem Niveau aber die Flezionssprachen, als
in ihrer organischen Gliederung eine höhere Entwickelung (in Folge compli-
cirter Durchdringungen) bekundend, zunächst abzuscheiden wären, wie sich
auch in den Consonantensprachen Stufengrade vom roheren Aramäischen bis
zum Hebräischen, oder in den einsilbigen Tonsprachen, wenn man will, vom
Siamesischen zum Chinesischen annehmen liessen. Die Silbensprachen, die
oratorische Einheit von Consonant und Vocal darstellend, trennen sich nun
in zwei durch die Natur der Sache gegebene Abtheilungen, in solche, bei
denen die Hinneigung zum Consonantischen, und solche, in denen die zum
Yocalischen überwiegt.
Der Yocalismus überwiegt in den malayo-polynesischen Sprachen (wäh-
rend die australischen wieder sich mit einem Minimum der Yocale begnügen),
und dann in den turanischen, bei denen die Assonanz (yne im Finnischen)
bis zur bildsamen Flexion fortschreiten kann.
Consonantische Häufungen zeigen die amerikanischen Sprachen, und in
den afrikanischen fuhrt das Dominiren der Consonanten bis zu der den Satz-
bau beherrschenden Alliteration.
Aus dem so phonetisch bestimmten Charakter der Sprachen erklären sich
sogleich eine Menge ihrer grammatischen Eigentbümlichkeiten. Bei den Ton-
sprachen ist a priori jede lautliche Abwandlung unmöglich. Das Wesen jedes
Wortes beruht in dem genau fixirten Ton, und da eine Abwandlung dieses
nothwendig jenes zerstören muss, kann sie fast nie innerhalb der Modificationen
der Wortbildung benutzt werden, sondern nur für Neubildung von Wörtern
selbst innerhalb der Sprache.
In den Consonantensprachen ist jede Yerbindung der Yocale mit dem
starren Consonanten gerüst ein Belebungsact desselben. Yocale und Conso-
nanten stehen sich schroff (gewissermassen feindlich, aber im Widerstreit
schöpferisch producirend) gegenüber, wie Leben und Tod, Kraft und Stoff.
Sie sind nicht an das vertraute und alltägliche Zusammenleben gewöhnt^ wie
in den Silbensprachen, wo sie sich deshalb auch spielerisch zu allerlei leich-
ten Biegungen und Uebergängen hergeben. Im Semitischen ist die Yerbin-
dung der Yocale mit den Consonanten der Wurzel jedesmal eine Katastrophe,
ein Schöpfungsact, neue Worte hervorrufend, oder innerhalb des Yerbums die
neuen Bedeutungen des Causativen, Conativen, Intensiven u. s. w., wahrend
die schon durch Pronomina vorherbesorgten Bezeichnungen nebensächlicher
Ethnologi« und ▼eits)eioh«nd6 Linguistik. 148
behandelt werden. Eine ähnliche Mannigfaltigkeit ans dem Stamm gebildeter
VerbaUbrmen findet sich im Mexicanischen unter den amerikanischen Spra-
chen ebensowohl, wie in Afirika beim Bantu, dann bei den Duaila, Bari,
flsussa, Tamanaka, Quechua u. s. w. Im Malayischen geschehen ähnliche
Formbildungen meist durch Präfixe, auch (besonders im Tagalischen) durch
Infigirungen, als welche noch die im Finnischen eingeschobenen Consonanten
angesehen werden könnten.
Die Uebereinstimmung zwischen der polysynthetischen Constraction der
amerikanischen Sprachen und der turanischen Agglutination tritt so vielfach
za Tage, dass beide auch manchmal in dieselbe Sprachfamilie gesetzt sind.
Bei jedem losen Aneinanderreihen nicht selbstständig gegliederter Worte ist
die inversale Gonstruction, worin das Abhängige dem Regierenden vorangeht,
durch den ordnenden Ueberblick gefordert Die amerikanischen Sprachen
bedtxen indess festere Formelemente, als die nachgiebig weichen der ural-
aluischen Grruppe, und sie können deshalb durch Verwendung von nur re-
piäaentirenden Zeichen für das ganze Wort bis zur Incorporation fortschreiten.
Assimilirende Corporation wird, wie in afrikanischer Alliteration, auch
durch toranischo Assonanz hergestellt^ indem der Yocal des Stanunwortes den
der SafBxe mit sich in Einklang bringt, aber erst, wenn dieser modificirend
auf jenes selbst zurückwirkt, wird die unlösliche Einheit der JPlexion ge-
wonnen.
Der Suffixbildung des Maadschn, die (wie im Mokscha und sonst) zum
Debergang in Infigirung^) neigt, steht die malayische Präfixbildung gegen-
über, neben der sich indess noch oft (auch gleichzeitig) Suffixe (im Austra-
lischen wieder vorwaltend) finden (und mitunter Infixe). Präfixe haben eine
oitschieden isolirende Wirkung, wogegen Suffixe zum Verschmelzen tendiren,
and so müssen jene im Nebeneinander der malayisch-polynesischen Sprach-
weiae (die am nächsten an monosyllabische anlehnt) überwiegen, diese da-
gegen bei der ineinander arbeitenden Agglutination, die bis zur Flexion hin-
anatrebt
Wenn man physiologisch die Klasse der consonantischen und vocalischen
Sprachen onterscheiden, und aus den hierdurch gegebenen Eigenthümlichkei-
^ auch tiefer ') begründete, die davon abhängen, erklären könnte, so würde
doch durch die äusserlichcn Lautverhältnisse das eigentliche Innere des Sprach-
sinnes nicht berührt werden können, wenn die Formen, in denen er unter
den Völkern hervortritt, die ihnen häufig beigelegte Grundverschiedenheit be-
0 Die malayiache Infigirung ist eine flexionsähnliche Stammabwandlung und entspricht in
öcr Wirkung auf Conaonante dem yocaliachen Abl^t, wie er auch im Finnischen angen&hert
wild.
") Der Laut wird gerade durch die inneren, die Sprache in ihrer Erzeugung yorbereitenden
Menregoiigen zu Euphonie und Rhythmus hingeleitet werden, in beiden ein Gegengewicht
MBU das blosse klingelnde Silbengetön finden, und durch sie einen neuen Pfad entdecken, auf
dem, warn eigentlieh der Gedanke dem Laute die Seele einhaucht, dieser ihm wieder aus seiner
K&tor ein begeiatemdea Prindp zuruckgiebt (W. t. Humboldt).
144 EtIi]iolo||(J6 und ywgMtAmäe Linguistik.
sässen, während wieder, nach Andern, die Sprachen sich in allen wesentlichen
Dingen gleichen, und nur in einem Punkte, in dem dem „Zu&U Spiehpaum
gestattet'' ist, abweichen in dem Zusammentreffen des Lauts mit dem Begriff.
Für ethnolo^sche Eintheilung käme zunächst der genetische Znsammenhang
der Sprachen in Betracht, und die oft nach völliger Entstellung der physi-
schen Racencharaktere deutlich und verständlich erhaltenen Sprachzeugnisse
gewähren in einer Menge geschichtlicher Epochen die werthvoUsten Auf-
schlüsse über die Beziehungen der verschiedenen Völker zu einander, den
gegenseitigen Gulturgrad, in dem sie sich damals fanden, ihre politische Stel-
lung zu einander, ihre commerziellen Beziehungen nach aussen, die Lehren
einheimischer oder aus der Feme verpflanzter Civilisation. Ueber dieses und
Aehnliches ist der Ethnologie das Sprachstudium von höchster Wichtigkeit,
und auf diesem Felde hat dasselbe auch bereits durch die besonders in der
Lado-Europäischen Familie verwandte Vergleichungsmethode die reichste Ernte
gehalten. Sobald wir indess aus dem Rahmen thatsächlicher Anschauungen
hinaus in aprioristische Constructionen über Sprachverwandtschaft eintreten,
verfallen wir in den Wirbel wüster Begriffslosigkeit, der alle Speoulationen
über einen unbegreiflichen Anfang verschlingt und verschlingen muss. Die
lose Unbestimmtheit, in der der Begriff der Verwandtschaft verwendet zu wer-
den ^pflegt, macht bis zur Feststellung jenes auch jede vorläufige Klärung ÜMt
unmöglich.
Die Sprache bildet sich als der linguistische Horizont der Gruppe, ge-
schaffen von Individualitäten, deren Idiosynkrasien indessen, als unter gleich-
artigem Medium lebend, nur eine beschränkte Variationsperipherie besitzen and
deshalb leicht in ausgleichender Einförmigkeit verschwimmen. Dass der Ein-
druck des Aussendinges und des dadurch im Worte hervorgerufenen Gedan-
kens im Grossen und Ganzen bei allen Menschen derselbe sein muss, folgt
aus der Zusammengehörigkeit der Menschheit von selbst. Im Kleinen aber
sind der Schwankungsmöglichkeiten so viele, wie sich Individualitäten zählen,
und es ist leicht erklärlich, weshalb die verschiedenen Gruppen, die immer
aus einem jedesmaligen Durchschnitt von Individualitäten das Facit ziehen,
in Specialitäten genau (oder auch nur entfernt) übereinstimmen. Der Wort-
bildungsmöglichkeiten sind zwar nicht unzählige (da sie sich aus dem Alpha-
bet berechnen lassen), aber eine grosse Zahl^), und ebenso ist die der gram-
matischen Verbindungsmöglichkeiten, um ähnliche Verhaltnisse auszudrücken,
eine grosse. Da man jetzt vorzugsweise in diesen, wie firüher in jenen, den
Schwerpunkt der Eintheilung sucht, ist es jedenfEdls eine unumgängliche Vor-
bedingung, sich ^rst über den Umfing des Ganzen, auf den die Eintheiloog
angewandt werden soll, einen wenigstens ungefähren Ueberblick zu verschaf-
^) Bei der nur innerhalb einer umzogenen Peripherie auf bestimmtem Yariationskreis be-
schränkten Lautf&higkeit kehrt uuter gegebenen Umständen die Sprachbildung aus Terschiedenen
Seiten auf gleiche und ähnliche Formen zurück, wie sich in den sanskritisohen Analogien des
litthauiflchen zeigt.
Ethnologie nnd Tergleichende Lincfiiistik. 145
•
fen, und dieser kann nicht, wie es bisher so häufig versucht ist, aus der
Logik heransdiscntirt werden, sondern er muss sich auf thatsächliche An-
schauung des Realen gründen, durch Aneinander -Reihung aller derjenigen
grammatikalischen Verhältnisse, die in den soweit zugänglichen Sprachen
Oberhaupt Torkommen und zur Verwendung gelangen. Daraus wird dann leicht
hervortreten, was hier, wie in allen Processen der Psychologie, als durch-
gehend allgemein Menschliches für sich auszuscheiden ist, und bei den ver-
bleibenden Rückstanden ergiebt sich in diesem Reflex eine um eo höhere Be-
deatong für diejenigen Analogien, die auch dann noch vorhanden sind.
Als individuelles Product unterliegen die Wortbildungen solchen Schwan-
kungen, die wir zuiälllge nennen, weil sie, obwohl ebenfalls ihrem letzten
Grande nach im Gesetzlichen wurzelnd, dieses doch weniger augenfällig zur
Schia tragen, und in der Sprache der Gruppe, als dem Gesammt-Facit der
dieselbe constituirenden Individuen, werden die schrofPsten Excentricitäten
gegenseitig abgestossen, so dass wieder ein gesetzlicher Anstrich hergestellt
wird. Immer aber bleibt viel von individueller Action abhängig, wenn diese
mit fiberwiegender Schwere das Niveau nach sich nivellirt, und während man
oDs^Ti Schriftsprachen nachrühmte, dass selbst Kaiser sie vergeblich zu än-
dern versucht, vermochte das, bei den Abiponen, jedes alte Weib oder neh-
men die Naturvölker noch immer leicht die sprachlichen Manieren eines un-
ter ihnen Angesehenen an. Innerhalb der geschlossenen Sprache muss der-
artige Umgestaltung auf Nebensächliches beschränkt bleiben, lässt man nun
iber analoge Agentien auch in einem hypothetischen Beginn wirken, so mag
der erste Anstoss bald nach rechts, bald nach links gegangen sein, und kann
es nicht überraschen, in Australien nebeneinander wohnende Stämme die ver-
schiedensten Dialecte reden (oft auch diese Verschiedenheit absichtlich kräf-
tigen) zu hören, oder auf zusammengehörigem Terrain (wie in Ultra -Indien)
hier Präfix-^), dort Suffixbildung vorwalten zu sehen.
Sobald eine Sprache eine Charakter-Eigenthümlichkeit festgestellt hat,
st^bt sie naturgemäss dabei zu verharren, und es bedarf dann erst eines
Cencarses verschiedener Ursächlichkeiten, deren Studium dadurch um so in-
stnictiver wird, um Abweichungen zu veranlassen oder Weiterentwickelung
anzuregen«
Die eaphonische Elassen-Eintheilung der Bantu-Sprachen') bildet gleich-
0 Indem im Hottentottischen an die Stelle der Präfixe die Bildung von Suffixen getreten
ist, nniaite die in den Banta-Sprachen dominirende Alliteration am Anfang des Wortes verloren
{gelten, und aus dem Verfall derselben blieb bei Yocalen nnd Gutturalen im Anlaut das Schnal-
KD übrig. Die Stellung der Wort- und Satz-Klemente wird dadurch zur entgegengesetzten (wie
ziischen Birmanisch und Siamesischi aber in uingekehrter Weise). Von den Tarahumar bemerkt
Xellechea: Per lo regulär los Indios truncan las ultimas finales y tambien en el principio de
termino 6 diccion omiten algunas letras o silabas, que solo las indican con cierto tono, fuerzas
ö dejos que no son ficUes el escribirse y solo la practica lo ensenara. Aehnliches wird ton
SttmiBfli an der Mpongwe-Köste gesagt
>) Tbongfa the signs of concord are not ao frequenüy repeated (in the Hottentot-langoage)
146 Ethnoloi^e und Tei^leicheiide Linnfoistik.
•
sam ein phonetisches Seitenstück zu der bildlichen in den ScfalQssehi chine-
sischer Schrift, und in den indochinesischen Zahladjectiven hat sich Manches
von der gruppen weisen Anordnung erhalten, wie sie H. Hahn in den Men-
schen, Bäume, Thiere, Werkzeuge u. s. w. umfassenden Classen ^) des Herero
nachweist, mit dem Eindruck des Vollständigen, Guten, Paarweisen u. s. w.
(nach Rath). Während indess bei der chinesischen Schriftbildung eine phi-
losophische Generali sation Statt gehabt hat, wie für den damaligen Augen-
blick das Verständniss logisch sein mochte, aber der freien Fortentwickelung
des Gedankens vielerlei Fesseln anlegen musste, liegt bei den südlichen Ne-
gersprachen (und auch bei den W^olof) das leitend') Bedingende in dem (asso-
nirenden oder alliterativen) Wohllaut, der Gleiches mit gleichem Klange färbte
und durch das Regierende auch alles Folgende (in Präfixen oder Suffixen)
bestimmte. Der Hawaier mag (nach Andrews) einzig der Euphonie') wegen
Buchstaben in der Mitte der Worte einfügen (pauhia statt pauia, makaalia
statt makauia). Die als Princip der Eintheiiung geltenden Gresichtspunkte
konnten mannigfaltige sein, und wie die Singular- und Pluralformen in ver-
schiedene Klassen gestellt wurden, so leicht auch die (sonst im nothwendi-
gen'Fall durch Zusätze kenntlichen) Geschlechtsdifferenzen ^) in der belebten
Natur, während anfangs die durchgreifendste Scheidung, wie sie im Keckos
(nach der Bedingung durch das Subject) auch die Verba (s. Tschudi) zeigen,
lebende Wesen (in der später dem Masculinum verbleibenden Form) leblosen
(im Neutrum) entgegensetzte, und das Weibliche, wie im Semitischen
(s. E. Meier) spätere Schöpfung war. In der (nie ohne fremde Einmengon-
gen stattfindenden) Geschichtsentwicklung der Sprachen wurden die bisheri-
gen Schranken der Gruppen -Eintheiiung ^) um so rascher niedergeworfen,
weil sie nicht nur der fremden Auffassung vielfach willkürlich schienen, son-
as in the Bantu-lanj^ages, it is evident, that its nature is the same, viz: that it contists in
the identity of the pronouns (or pronominal elements) with the derivative particles, which, how-
ever, in Hottentot are suffixed, not prefixed, as in the Bantu (s. Bleek).
^) The grammatical rules (of the Ghipewyans) are (according to Pharonx) distinctiy defined,
certain tenninations or prefixes being applied to words in ciasses, or to the sense in which
they were to be used, as for instance, things animate or inanimate, natural or artificial.
•) Die Quantität der Vocale kommt bei den Gesetzen der Vocalhannonie nicht weiter in
Betracht (im Jakutischen). In einem russischen Wort, wo (vom jakutischen Standpunkt aus)
harte und weiche Yocale durcheinanderstehen, musste der Jakute erst den Qrundton finden, ob
nämlich die harten Yocale oder die weichen vorwalten. War dieser Qrundton einmal gefunden,
so ergaben sich die anderen Veränderungen von selbst (BöhÜingk).
') The laoguage of the Mosquitos is not only devoid of harsh gutturals, but appears to be
euphonic in many of its etymological permutations (Henderson) aus afrikanischen Elementen in
Amerika.
*) In der Genusbezeichnung lassen sich zwei Perioden annehmen, eine, so wie sie im Se-
mitischen und Aegyptischen sich erhalten hat, wo nur der Gegensatz des Agens und Recipiens
festgehalten ist, und eine zweite in den arischen Sprachen ausgeprägte, wo das Recipiens in
ein belebtes und unbelebtes sich schied, in ein Femininum und Neutrum (s. F. Müller).
*) The three divisions (in the Herrerö prefixes) may be said to correspond to the three
kingdoms in nature, the first (guttural or palatal) to the.animal, the second Qabial) to the ve-
getable, and the third (lingual) to the mineral kmgdom (F. W. Kolbe).
Ethnologie and vergleichende Linguistik. 147
dem weil überhaupt der mit dem Eintritt in eine höhere Caltarepoche zu
oeaem Aufschwung sich erhebende Geist alle hindernden Banden abzustreifen
strebte, um sich der Sprache nur als (gleich dem Englischen) möglichst ein-
fach construirten Werkzeugs zum Aufrichten seiner Denkgebäude zu bedienen.
Am zähesten erhielt sich die Geschlechtstheilung , weil augenscheinlich und
anrerkennbar in der (belebten) Natur selbst begründet, und dem gewohn*
heitsmftssigen Schlendrian des (überall inwohnenden) Beharrungsstrebens ge
mäss verfiel man (in Anwendung der im belebten Reiche geforderten Bezie-
hungen auch auf unbelebte) auf la bizarrerie de notre langue qui divise ca-
pricieasement et en döpit de la raison, en masculins et en feminins, tous les
noms, meme ceux des ^tres inorganis^s ou purement m^taphysiques (Roger).
Marsden rechnet es dem Malayischen zum Verdienst, sich von solcher „Ab-
surdität^ (die Andern poetisch scheint) frei gehalten zu haben und sie fehlt
der finniscben Sprache. Im Hottentottischen bezeichnet (nach Erönlein) das
Männliche im Allgemeinen das Grössere und Höhere, das Weibliche das
Kleine und Kürzere, aber (nach Wallmann) hängt es vielfach von dem Er-
messen dea Redners ab, das Geschlecht zu bestimmen, und wie wechselnd
die Wahl desselben für eine Menge Wörter unserer eigenen Sprache gewesen
ist, lehren noch die Bucher des vorigen Jahrhunderts. Sexuelle Gegensätze
wiirden erleichtert, wenn sich überhaupt schon die Frauen (wie bei den Eaf-
fir) in manchem Worte verschieden von den Männern auszudrücken hatten,
oder (wie bei den Dajak) der Gebrauch der Synonyma^) für Männer und
Fnuien (s. Hardeland) variirte. In Massachusetts werden (nach Eliot) Pflan-
zen zur unbelebten, in Delaware (nach Heckewelder) zur belebten Natur ge-
rechnet. Im Mixteca mangelt (wie im Englischen) die Geschlechtsbezeich-
Dong der Nomen, nicht aber der Pronomen, so dass dieses oft zur Bestim-
mong jenes im Satze dienen kann. Im Mixe finden sich Bezeichnungen für
Verwandtschaftsgrade, die „las mujeres unicamente usan^.
Im Mame (oder Zahlohpakap^ bay la particnla prepositiva e, cuando se trata de seres ani-
mados (fär den Plural), para los manimados no hay si^no. Im Tarasco hat Belebtes 5 Casus,
Unbelebtes nur einen (nach Lagunas) neben dem Nominativ. Im Massachusett ist og (woske-
tomp, man, wosketompaog, men) the animate form or declension (des Plural), ash (hussun, stone,
bossunash) the inanimate form (s. Eliot). Im Dayak wird das Pronomen der dritten Person nur
fnr Belebtes verwandt, für Unbelebtes dagegen das Demonstrativum ta (s. v. d. Gabelen tz). In
den Substantiven der Bari (nach Mittermtzner) ist lo Zeichen des Männlichen, na des Weib-
lichen (aach für Adjective, lobot und nabot, fett) und im Haussa wird im Genitiv na (mascu-
Hnisch) und ta (femininisch) verwandt. Die Unterscheidungen für transitive und intransitive
Verba sind (im Haussa; nur wenig entwickelt (Eiwo, to tend a herd und to graze). The per-
nussiTe or concessive Mood (im Haussa) must be rendered by „use to** or pflegen (in German).
Das Präfix des Substantiv regulirt (im Herero) euphonisch das von ihm im Genitiv abhän-
gige (omn karere na muhona, Knecht des Häuptlings, ovaharere va muhona, Knechte des Haupt-
Üiigs TL s. w.)» sowie das folgende Adjectiv (omuhona omu-nene, grosser Häuptling), während das
pridicativ gebrauchte Adjectiv (wie 0. Schulz jedes Verbum in Adjectiv und Copula auflösen
^} Am Marqnesas la beautA du jeune homme s'exprime par »poea*, la beaute d'une fiamme
pv .pootQ*. Pnrotau (ä Tahiti) d^igae la beaute en g^n^ral (Ganasin).
148 Ethnologie und Teiigleicheiide Lingmstik«
will) im Zulu nur die letzte Silbe des Inflex (nach Golenso) wiederholt, uln-to Inkuhi, das Ding
ist gross (während ulu-to olu-koln, da» grosse Ding, aba-ntu aba-kulu, das grosse Volk).
In manchen Fällen konnte das Pridfix zunächst nur eine znr Verstärkung (wie im Hawai
und sonst häufig) verwandte Doppelung') des für die Glasse deutlichsten Repräsentanten gewe-
sen sein (wie omu von omuti oder Baum in der Pflanzenklasse der Hererö), und diese Sübe
dann allen übrigen gleichfalls zugefügt sein, als Steigerung in quantitativer oder extensiTor Rück-
sicht (s. Pott) zur Ganzheit Dazu mag dann (wie auf Hawaii) ein 0 Emphatic is. Andrews)
treten.
Im Huaxtecischen stellen die Präfixe der Poesessirpronomina (u, a, eu) eine Assonanz her,
nana utahjal, tata atahjal, jaja intahjal, huahua yatahjal oder (im Imperfect) huahua huatah-
jalitz. Durchgreifender bildet sich der Einklang im Mame. Para el uso de los yarioe pronom-
bres se atiende k la primera yocal de la palabra con que se juntan, pues siempre se nsan en
composicion, haciendo de modo que corresponda la del pronombre, 7 asi, si la primera Tocal del
nombre es a, usarä yua, na, ka, si es e usare ke etc. y. g. con akum, trabajo, dir^ kakum,
nuestro trabajo, con chu, madre, nuchu (mi madre), con banil, bondad, nabanil (mi bondad),
con kuxomai (mocedad), kukuxomal (mi mocedad). Eliot zeigt im Massachusett die Lautande-
rungen der Affixe, haying respect to Euphonie. Im Herero (b. H. Hahn) gehören
zur Klasse der Nominal-Präfixe o-Mu (Plur. o-Va) nur menschliche Wesen.
n 9 n n 0-M (Plur. O'Mi) Baumarten und Pflanzen.
n m n . E (Plur. o-Ms), auszeichnonde oder auffallende Gegenstande (im
Plur. paarweise).
. • , , o-ki (Plur. 0 Vi), Gausatives und Neutrales bezeichnend, Werk-
zeuge, (kscbirre u. s. w. (im Plur. Abatracta).
« « • V 0 (Plur. o-Zo), Thiergattungen, Früchte u. s. w.
« » « , o-Ru ^lur. o-Tu), Zeit, Zahl. Länge u. s. w.
• • » 9 o-ka (Plur. o-U), Diminutiva.
» » « , o-U (Plur o-Mau), Abstracta.
, o-ku (Plur. o-Ma) die durch Infinitiy-Präfiz in Nont. Terwaadil-
ten Verb.
o-Po,
o-ko,
o-Mo
Omu-karere ua muhona, Knecht des ffiuptlings.
Qya^karere ya muhona, Knechte » .
E-horo ra muhona, Milchgefäss des Häuptlings.
Oma-horo oa muhona, Milchgefasse , «
Oki-huporo ka muhona, Spaten des Häuptlings.
Oyi-hupuro via muhona, Spaten , ,
Die Adjective nehmen das Präfix des Substantivs an.
Omu-hono omu-nene, grosser Häuptling.
Oki-hupuro oki-nene, grosser Spaten.
Bei Indada, Inkazana und Indhlu (Mann, Mädchen, Haus) gebrauchen die Kafforn dasselbe
Pronom (er, sie, es), weil sie alle gleiches Präfix haben (yona). Je nach der Klasse wird der
Plural gebildet
Um-ntu (Mann), aba-ntu (Plur.),
Bi-zwi (Wort), ama-zwi .
Im-azi (Kuh), izim-azi .
Isi-tya (Korb), izi-tya «
U-bambo (Rippe), izim-bambo (Plur.)
üm-ti (Baum), imi-ti (Plur.).
In der ersten Declinationsklasse beginnen die Nomina (im Bunda) mit m (im Singul.) nnd
a (im Plur.).
0 Mona (Sohn), co Ana (Sohne),
0 Mugattn (Frau), co A^ttu (Frauen).
0 Some reduplicates have apparently a duality of number, when instead of repeating the
verbs in fall , the second syllaole or a letter of the second syllable is commonly dropped (in
Tahiti), as horo (run), hohoro, when two persons rus together, hoo (barter) hohoo, wnen two
Eersons do so etc. The greatest number however of the reduplicates have no mark of number,
ut denote a repetition of the action, horoi (wash), horoihoroi, wash repeatedly, paran (speak),
paraparau (converae repeatedly), panuraa (converBe together)»
Eümologfie und Tergleichende Lm^stik. 149
lo der zweiten mit n (Sing.) und ji (Plur.):
0 Nganga (Priester), co Jingangfa (Priester),
0 Neanna (Herr), co Jing^anna (Herren),
0 Ndandu (Verwandter), co Jindandu (Verwandte).
In der dritten mit q (Sing) und i (Plur.):
0 (iuiansu (Kind), co Jansu (Kinder),
0 Quiteque (Glotze), co Iteque (Qötzen).
In der yierten niit r (Sing.) und m (Plur.):
0 Bitui (Ohr), co Matui (Ohren),
0 Ricango (Reise), co Macanga (Reisen).
Der Artikel ist:
0, ja (Sing.), co, ja, cua (Plur.).
In der Sprache ton Cacongo (und Loango) giebt es 13 Artikel, 7 für den Singular (i, bu,
ii, ku, ki, u, ku), und 6 für den Plural (i, ba, bi, ma, nu, zi). Ein jeder dieser Artikel hat
äne eigene Klasse von Substantiven, mit denen er nur allein verbunden werden kann. Der
Artikel von Ba (Bett) ist ki (Sing.) und bi (Plur.). Einige Substantiva haben ihre Artikel vor
fich (Ki'Dla, Kröte), andere hinter sich (Leze-ki, Bedienter). Der Artikel Li steht vor dem
Sabctantiv nicht anders, als wenn es im Nominativ vorkommt, und folgt in allen übrigen Casus.
Der Mkel Ma gehört zum Genitiv Plur. und geht dem Subst stets vorher cProyart) 1777.
Uteprefix ba (to the verbal root) shows, that the action is done by cutting and sawing.
t»bo,, , , „ ,, •»»■ shooting.
>«ka,, »9 » f, » »»9» striking.
» » n» » *
. . pa , ,
' • y* » »
mDaootah.
„ .»,..» pressure or with the fbot
» « »«»•«» pushing or rubbing.
3 y « » ]» n » with the mouth.
, , » n » n causative or effective.
Ksa, separate
ba-ksa, cut in two with a knife (as a stick)
boksa, shoot off
kaksa, cut with an axe
naksa, break off with the foot
paksa, break off with the band
yaksa, bite off
yuksa, break off (s. Riggs).
En Wolof. pour donner un sens complet au nom, on emploie la pr^position ou, mais alors
l'irticle determinatif, suit le second nom ou le substantif et s'accorde avec lui, soit par la con-
mme de Varticle, soit pour la voyelle determinative. Si le second substantif est un nom propre,
Tartiele determinatif prend alors la consonne qu'exige le premier nom commune, quoiqu'il se
oette toajoois k la snite du demier nom.
Koer
OU
boure-bi Qa maison
du roi)
9
9
, -bae
»
n
9 -ba
0
»
9 -bou
Bay
OU
dhome-dhie (le
pere
de TenSuit)
»
9
. -dhiae
•
9
, -dhia
*
9
„ -dhiou
L'article s^accordant avec le second substantif (au Heu de gi et bi), mais s*accordant avec
le Premier nom , 8*11 agit d*accorder un nom commun , avec un nom propre. Dhiabaer ou Per
dhie, la femme de Pieire.
L'adjeetif se place ä la suite du substantif, entre eux se trouve toujours le «qui* relati^
«zprime en Wotof par la voyelle de Tarticle ou, jointe ä la consonne initiale de Tarticle, con-
fatmement aux regles euph.
Baye bou bakhe, un bon pere (pere qui bon),
Baye bou bakhe bou, le bon pere,
Ciaelaime gou magaet, vieux chameau,
(hielaime gou magaet ga, le vieux chameau.
La plupart des noms wolofs commen^ant par b, e, j, 1, o, p, r et t prennent ba, by, bou
pov «rticle, ceux qui commencent par a, d veulent dhia, dhy, dhiou, ceux en g, k prennent
150 Ethnologie imd veigleichende Linguistik.
fP^ fP^Ji gou, ceux en ne: la, ly, lou, ceux en m: ma, my, mou, ceuz en s fönt sa, sy, son
et ceux en f, t, y veulent les articles va, Ty, tou (Dard).
La consonne initiale de Tarticle determinatif est generalement fixee par celle qui commence
le substantif (en Woloff).
Les noms commen^ant par
B forment leur article determinatif par B, baye (pere), baye-bae, le pere,
D, Nd, Dhi — ' Dhi: Dabae (lionX dabae-dhiae,
F, W, Y — W: faes (cheval), fties-wae,
G, K — Gae: göre (homme), gore-gae,
L — W ou Bi: lael (case), lael-wae,
M, Mb, Mp — M: Mag (grand), mag-mae,
N — W: nathie (soleil), nathie-wae,
Nd, Nt — Mae: ndadhie (assembl^), ndadhie-mae,
P — B ou W : Per (mollet), Per bae,
R — W: Rabae (tisserand^, Rabae-wae,
S — S: Saefaerae (feu), saefaerae-sae,
Th ou Th — W ou B: tabe (bouton), tabe-wae,
Kh — W ou B: kbathie (chien), khathie-bae,
Ng — W ou M: Ngo«pe (foin), Ngo^e-wae,
Gn — W, M, Dhi, B, G : Gnam (nouniture), gnam-wae,
A, Ae — DM: Alael (fortune), alael-dhiae,
0, Ou — W: Opae (maladie), opae-wae.
La consonne de Tarticle du pluriel est toujours y (k lexception de subst. sit, qui prend
gnae), baye-gae, les peres (s. Boilat). II n'y a qu'un genre commun.
La Toyelle de l'article est susceptible de quatre formations, suiTant Fetat d'^loignement ou
de rapprochement (ae, a, i, ou).
baye-bae (reloignement simple),
baye-ba (tres-eloigne),
baye-bi (sous les yeux),
baye-bou (proche).
baye-bi-le, ce pere (present),
, -bou-le (proches),
9 -bae-Ie (eloign^),
, -ba-le (tres-eloignes),
„ -yi-le, ces peres,
, -you-le,
„ -yae-le,
n -ya-le.
Ihre Aufgabe muss die Sprache zunächst in dreierlei Bestimmungen fin-
den, indem sie die im Worte abgekürzte Beschreibung oder den Gesammt-
eindruck des Objects zu geben hat, die Verhältnisse desselben im Raum (das
Wo, Woher und Wohin) und zu der Zeit. Indem nun aber der Sprecher
seiner eigenen Auffassung als Object eine subjectivische Färbung gegeben
und eine solche gleichfalls in die vom Hörer (des in der Wechselbeziehung der
Rede mit in das eigene Yerständuiss Gezogenen) mit einlaufen wird, so ge-
winnen die Pronomina^) (zunächst der beiden ersten Personen) ihre, das (aus
Adjectiven oder Substantiven hervorgehende) Yerbum belebende Bedeutung.
Am üppigsten quillt die Schöpfungsthätigkeit in der zweiten Person, während
das Ich etwas monumental aufzutreten pflegt, und die Form des indifferenten
Dritten sich abflacht oder ganz auf den Infinitiv zurücksinkt Im Mokscha
ist die dritte Person Sing. Praes. überhaupt identisch mit dem Part Praee.
0 Im Australischen, dem (nach F. Müller) das eigentlich Charakteristische des Verbnms
abgeht, vollziehen sich die Abwandlungen in den Pronom., die auch in höher entwickelten
Sprachen als primäre Elemente betrachtet werden. In der Kindersprache dagegen fehlen Pro-
nomina bei Verwendung des Namens.
Ethnologie und Tergleichende Linguistik. 151
and bildet dort das Nomen factoris (s. Ahlquist). Mitanter kann das Pro-
Domen selbst conjngirt werden (owau akn la no hol an, owau, I ied to him,
that is: I said to him I had), wenn es nicht (wie im Mexikanischen) eine
bereits mit dem Verbum sabstantiyam (del verbo ehua, qae significa ser 6
astar) Terbondene Form zeigt, oder es genügt die unmittelbare Verbindung
des Pronomen mit SubstanÜTum oder Adjectivum, die dann bei feinerer Aus-
bildung der Sprache sich zu verbalen Formen gliedern (rede von Rede,
rechte von recht u. s. w.). Das Eechua bildet Yerba auch aus Adverbien
(hinany, ich mache es so, von hina, oder so) durch blosse Verbindung mit
Yerbalflexionen oder durch suffigirte Verbalpartikel (s. Tschudi). Substan-
üves (and adjectives) and also adverbs (in the Delaware) assume the cha-
racter of verbs (Daponceau). Adjective folgen meist als appositionell oder
irerden, wenn voranstehend, durch etwas dem Relativpronom Aehnliches ver-
banden, während die völlige Ausbildung dieses Redetheils, dessen Schwierig-
keiten W. y. Humboldt entwickelt hat, nur einem vollendeten Sprachsinn
ugehören kann. Die Möglichkeit, Adjective zu verbalisiren, hängt von ihrer
fiedentong selbst ab und ob diese transitorisch (weissen von weiss) oder in-
transitorisch (tollen von toll) wiedergegeben werden soll, meist unter Abwan-
delangen (kürzen von kurz) oder durch Vor- oder Nachsilben (verschönen
oder beschönigen Ton schön). Ein selbst (auf mancherlei Umwegen vielleicht)
ans einem Verbum gebildetes Adjectiv (wie bös von beissen) kann nicht
wieder direct verbialisch flüssig gemacht werden, obwohl in Zusanunensetzun-
gen, wie bös machen, bös werden u. s. w.
Im MaUjischen werden SubstantiTe aus Adjectiven und Verben durch Vor- und Nachsilben
S^bildet (g. Maisden), Yon rendah, niedrig, ka-rendah-an (rendah-an), Niedrigkeit, Ton lari, lau-
^ ka-lari-an, Lauf (Flacht), von tidor, schlafen, per-tidor-an , Schlafstelle, von tiouri, rauben,
^üoii-an, Räuber, TOn dapat, erlangen, pen-dapat, Erlangong. Im Delaware wurden die Adjec-
tive (oAch Zeisberger) durch Yerba ersetzt. Im Qrönländischen (s. Kleinschmidt) bilden sich
die Redewörter aus den Stämmen durch Zufögung des (einem australischen ähnlichen) Ausbil-
dufigszQsatzes yok (pok).
Los Yerbales se forman del presente de indicatiTO, anteponiendo sa 6 sasi, t. g. de yoai-
bind! (yo bebe), sasihi (bebida) im Mizteco (nach Reyes), aber si se hace relacion de comida
P*sada, dicen sanisasi, que es preterito (y si es futura sakasi), so dass sich die Congrueni der
Conjugation auch im Substantiv bewahrt, ob nun dieses oder das Verbum als Ausgangspunkt
S^itommen wird. £n el Mezicano (Nahuatl 6 Azteca) hay tantos verbales cuantos verbos (Al-
^^^',. Die Maypurer machen aus den Nachsetzungspartikeln gleichlautende Nomina (nach (li-
)ij). Im Massachusett waantamoonk is wisdom, take away onk and then it may be formed
i^oonantsm, I am wise (EUot).
Im Hawaiischen tt»ere is no verb that expresses the idea of existence or of being (s. An-
drevs). He mai nul loa mamua aku nei, he mei ahulau (a very great sickness before this
^«1 a sickness, pestilence), there was a very great sickness before this time, a sickness like
^ pestilence, und dienen dazu noch Affirmationspartikel (wie le). So auf den Marquesas (s.
^'^ottin) e enata au (je suis un homme). Haben und besitzanzeigende Verba werden (in Ha-
tiii) dxirch Genitive umgangen, verpflichtende durch den Dativ u. s. w. Im Malagesischen wird
du Verbnm sein (s. Kessler) nur unpersönlich verwandt (misy, susy, hisy, there is, was, will
^)- Im Australischen bilden sich Sätze ohne jedes Verbum, wie im TarildewaUin der Narrin-
ycsi (s. Tapün): Ak an angk pinyatowe tyilge aldamb (Here me to suggar rice for it), give me
^WU" fot my rice, Kok in oura (put it here), nun hier nöthig.
152 Ethnologie und TOf^leichende lingiiistiL
Im Gherokee wird das im Ghippeway (nach Dencke) t5I% fehlende Yerbun subatantiTiim
im Präsens und Imperfectum (nach Buthrick) nicht gebraucht, und treten statt dessen Aeiule-
ningen am Beginne des Wortes ein, das folgen sollte, wie tse ski yn, I am a man, Ton a ski 711,
man. Im Gnarani finden sich pronominale Zufägungen, ce, nde (ce marangata, I good, nde
marangatu, thou good), und im Tamanacan ist uoccili (esse) im Prfisens nicht gebräuchlich (s.
Gilij). Im Chilenischen dient gen als substantives Yerbum, das aber nicht nur für ser, sondern
auch für estar, haber, teuer, nacer (s. Febres) stehen kann. Daraus gehen auch die (nach Ma-
lina) mit grosser Leichtigkeit gebildeten Abstracta hervor. In the language of the Province of
Ghiquitos ,the yerb Substantive is wholly wanting* (s. Pickering). Im Kechua hat das Yerbam
substantivum (ca) »die Bedeutung von sein und haben* ; in der ersteren wird es in der dritten
Person Singularis, wenn es als selbstständiges Yerbum dasteht, nicht ausgedrückt, sondern durch
den blossen Infinitiv m oder mi, welcher dem Nomen oder dessen Suffix verbunden wird, ge-
geben. Ist es jedoch Auxiliar- Yerbum, so wird diese Person in ihrer vollen Form gebraucht'
(Tschudi). No hay verbo Substantive (en el Huaxteco), aber mitunter se usa el pronombre per-
sonal coi\jugado en pretärito, aggregindole la terminacion itz, y asi nanaitz, tataitz, jajaitz signi-
fican yo ftd, tu fuiste, a quel fae (Pimentel). Im Mame (nach Reynoso) no hay propio sum,
es, fui, suplenle con el pronombre primitive ain, aia, ahu, en la persona y nümero que quieren.
Yom Tepehuan bemerkt Rinaldini : Guando se quiera significar por el verbo ser (a) cosa defimta,
no se usa del dicho verbo, mas solo se anade al nombre esta terminacion joru ö joro. They
have no verb Substantive in all the language (of the Mohegans), expressing the same by one
word, which is a verb neuter, viz.; nemannouwoo, he is a man (Edwards). Im Mokscha wird
das Yerbum ulän (ich bin), das im Präsens gewöhnlich Futur-Bedeutung hat, selten im Präsens
und Präteritum als Gopula gebraucht, indem sich die Sprache besonderer Yerbalendungen be-
dient, die an das Prädicat des Satzes gefügt werden (s. Ahiquist), wie mazian, ich bin schön,
maziat, du bist schön, oder maziil, er war schön, mazüleda, ihr wäret schön u. s. w. Als Hüifi-
Terbum dient eravi (man muss, es ist nöthig), karman (noisen im Esthnischen und Wotischen),
anfangen (wie ähnlich in mexikanischen Sprachen und sonst). Im Kaigaid (s. Radioff) wird dss
Yerbum substantivum (sein) als Copula nicht besonders bezeichnet. Im DuaUa erhält das Yer-
bum subst euphonische Zusätze to harmonize with thei nouns. Das Yey (jMch £oeUe) has two
yerbs Substantive (be and bere) and two auxlliary verbs (we and were), be and we are positive,
bere and were negative (to be not and may not). Im Jenissei-Ostjäkischen bilden sich durch
Prädicatsuffixe: eaktadi, ich bin gut (eaktagu, du bist gut u. s. w.), abdi, ich bin Yater, kindi,
ich bin hier u. s w. Auch an einzelne Gasus-Endungen können Prädicat- Affixe treten: xuskei
(im Zelt)^ xuskeidi, ich bin im Zelt (xuskeigu, xuskeidu u. s.w.), xusfian (ohne Zelt), xusfandi,
ich bin ohne Zelt. Dann, indem man sich des Ausdrucks Fembannan dijadax, ich lebe als
Tunguse, Sirannan dijadax, ich lebe als Russe (bei den Tungusen, bei den Russen) bedient,
können an diese Dativform mittelst des Suffixes die Prädicatsuffixe treten, Fembannantedi , ich
bin wie ein Tunguse (Fembannantegu u. s w.). Ebenso amnantedi von am (Mutter) u. s. w.
(s. Gastren). •
•
Die Stabilität, mit der sich das Semitische gleichartig erhält, beruht auf
der unmittelbaren Bedingung der Bedeutung durch die Tocalischen Abwand-
lungen innerhalb der drei-consonantischen Wurzeln, so dass, da das Gerast
dieser, als solche, nicht ändern kann, die Laute jener (um ihren Sinn nicht
zu verlieren) aber nicht ändern dürlen, dialectische Schwankungen hier ebenso
geringen Spielraum haben, wie in den monosyllabischen Tonsprachen. Das Se-
mitische wiederholt in den Consonantensprachen die in den vocalischen Ton-
sprachen einsilbige Starrheit. Die vocalische Aussprache tritt zum Conso-
nantenbau, um ihn zu beleben, und um die (im Monosyllabismus von der
Tonhöhe abhängige) Bedeutung zu verleihen, hindert aber dadurch weitere
Abwandlung, weil jede Veränderung ihr eigenes Werk zerstören wiirde. Erst
in der Sylbensprache, in innerlicher Verschmelzung und gegenseitiger Durch-
Ethnologie und vergleichende Ling^tik. 153
dringong von Vocal and Consonant gewinnt sich za Flexionen verwendbare
Bfldsamkeit des Wortes.
Die Sprechweise mit Verben wird neben der Frage ^) (die den Ansatz
zu Soffigirong der Pronominalzeichen giebt) besonders im Imperativ zur Ver-
wendmig kommen, weshalb (im Mohegan) the second person singolar of the
imperative seems to be the most simple of any of the forms of their verbs
and im Dualla werden die Verba gar keine personliche Aenderong zeigen,
except the second person of the imperative mood, which snffixes ni to the
Stern (Saker). Dagegen fehlt noch lange die Auffassung des Verbums als solchen,
die nicht, gleich der des Nomen, einen concreten Sinn hat und deshalb nicht
in den Sinn des Indianers kommen wird. They can neither say to love, nor
1 love, thou lovest etc. Bat they can say I love thee, thou givest him etc.
£& ist ebenso natürlich, dass ihnen das einfache Wort für Vater fehlt , denn
dieses bleibt immer eine (allerdings bei einiger Anleitung rasch gewonnene)
Abstnction von mein Vater, deinen Vater u. s. w., unter welcher Grestalt
diese Persönlichkeit allein erscheint. Mit Gliedmaassen verhält es sich ähn-
lich (nnisk, meine, knisk, deine, unisk, seine Hand), wogegen Thiere, Bäume
0. 8. w. so yielfetch ohne bestimmten Besitz gesehen, v dass sie auch leicht
obne solchen gedacht werden.
Die einfachste Form der Tempora-Bildung geschieht durch adverbialische
Zusätze, wie (im Mohikanischen) wnukuwoh (ndiotuwohpoh oder ndiotuwoh,
gestern noch fechten) und (ndiotuwauch wupkoh) wupkauch ndiotuwoh (mor-
gen noch fechten). The Variation of wupkoh to wupkauch denotes the fiiture
teose, and this Variation is in the word to-morrow (not in the verb fight).
Im Delaware (nach Duponceau) the sign of the future is afBxed to the adverb.
Später treten die Bestimmungen durch „kommen von^ oder „konmien fiir^,
»wollen",') „sollen", „vollendet haben", „beendet" u. s. w. hinzu, wofür sich
bald aus der einen, bald aus der andern unter den Sprachen auf der Erde
die entsprechendsten Belege gewinnen lassen. Das Jenissei-Osljäkische zeigt
ein Präsens (auch Futurum) und ein Präteritum, aber ursprünglich (bemerkt
Castr^n) scheint die Sprache nur ein einziges Tempus gehabt zu haben, das
nach dem jedesmaligen Begriff des Zeitwortes entweder die gegenwärtige,
vergangene oder zukünftige Zeit ausdrückte. Auch im indoeuropäischen
^pnchstamm deuten die Beziehungen zwischen wissen und sehen auf Aehn-
liches.
Neben der Conjugation, die bei Zufügung der Pronomina überflüssig ge-
*) If the Ghippewäh often speaks in a dubitative, plaintiTe or interrogatiye Toice, it is be-
^vne he ofton doabts, complains and seeks knowledge by interrogation (the Yoices are not dif-
ferent moods, but merely yariations of the same mood).
*) Le Premier des hitairs (dans la langue d'Or), exprime par Tauxiliaire a voi (vouloir) avec
I infinitif du Terbe conjngae, indique un effet de la volonte, Je second, exprime par o avec le
rabjoncüf, indique au contraire que la chose k faire ne depend pas absolnment de la personne
qu la £nt (YaiUant), imitant le will et le shall des Anglais.
Zciuekiift Ar Bthnologie, Jahrfsng 1879. n
154 Ethnologie und vergleicheiide LingnistiL
macht werden kann (obwoU sich oft tautologisch daneben erhaltend), findet
sich jene andere Abwandlung des Yerbalbegriffes, die in das Wesen dessel-
ben eindringend, eine Menge neaer Anschauungen in treffender Ausdracks-
weise schafft durch Erweiterung oder Umfarbung des Sinnes in Yerba deri-
vata und im Semitischen grammatische Durchbildung erhalten hat Spuren
zeigt sowohl das Lateinische, in den Verba frequentativa (rogitare, cursare),
desiderativa (esurio, parturio), diminutiva (cantillare, scribiUare), inchoative
(calesco, languesco), wie das Deutsche ^ (fallen und fallen, dringen und drän-
gen, wiegen und wägen, schwimmen und schwemmen, rechten und richten,
liegen. und legen, oft unter veränderter Conjugation bei Umformung der sob-
jectiven Form in die objective mit transitiver Bedeutung).
Im Dnalla the yerb forms ßve dlstinct classes (conjogations), radicale, causatire, indefinite,
reciprocal, relative ;im Activ bola, bolise, bolino, bolane, bolana, und im Passiv bolabe, boli-
sehe, bolabeno, bolanebe, bolabena), die sich durch Suffixe aus der Wurzelform bilden, welche
selbst (in jedem Tempus) has a form for that which is complete, and for that irhich is pro-
gressing, and also that which is indefinite (kwala, makwala, kwalino im Pr&sens). Die persön-
liche Conjugation lässt dagegen das Yerbum völlig unverändert, da die Pronomina vor dasselbe
treten. Im Semitischen, das eine vollendete (besonders fär die Vergangenheit) gebrauchte Zeit
und eine unvollendete (des Futurums) unterscheidet, wandelt sich katala (er tödtete), als kattala
(gewaltsam tödtete), quatala (zu tödten yersuchte), in katala (tödtete sich selbst), aktala (liess
tödten) u. s. w. Im Quiche sind die Verba de cuatro classes, activos, absolutes (los actitos,
cuyo complemento se calla) pasivos y neutros (primera pasiva: bak; segunda pasiva: bakatah,
primer absolnto: bakou; segnndo absolute: bakon; primer neutro: bake, segundo neutro: biker
u. s. w. und de cada uno de estos derivados resultan otros biderivados). Agregando k los nentroe
primitives 6 derivados la terminacion izah resultan compulsivos (del segundo pasivo termiuado en tah
salen, entre otros derivados, algunos verbos de sign^cacion compulsiva). Hay verbos deponen-
tes, es decir, los cuales en su forma son pasivos y en su significacion activos. Tiene el idioma
>f erbos plurales y son los que significan muchedumbre y se forman de los neutros monosilabos
y pasivos (Pimentel). Noch in vielen anderen Sprachen Afrikas und Amerikas lebt eine Fülle
der Formenbildung, gegen welche die eintönige und oft theilweis überflüssige Personen-Glonjnga-
tion der Flexionssprachen sehr vorblaset erscheint.
Das Lateinische kommt (wie auch in seiner Wortstellung) diesen plastischen Formgestal-
tungen noch am nächsten, mehr noch als das Griechische, obwohl sie auch diesem nicht gani
fehlen (in fAtHvajuoy aitvtt^to, Ttknvntnto u. dgl. m.), und könnte die schematischeu Endungen,
wenn sich Bedürfniss gezeigt hätte, überall verwenden, während das Deuteche Schwierigkeiten
bietet, Diminutive wie liebeln, Inchoative wie liebsten u. s. w. zu bilden (jäcken von jagen freq.
u. A. m. dialectisch).
Neben den Verba frequentativa (iteri, gehen, iteptari, oft gehen) haben die Tamanaker vie-
lerlei Verba composita, bald mit der Gomposition (potiri) am Ende (jenepotiri, oft wieder an-
8ehen\ bald in der Mitte (jemepori, zu essen geben, jenepori, anschauen machen). Ma bedeu-
tet Wirkung, ga hinwegnehmen, ta etwas reden, und so (von jepelmari, fruchtbar machen)
anec-pe jeje nepelmai, wer hat den Baum fruchtbar gemacht?
anec-pe jeje nepelgai, wer hat dem Baum die Früchte genommen?
ciongaie-pe jeje nepetai, wie ist der Baum fruchtbar geworden?
Mit ipiri (wollen) bildet sich jeneripiri, sehen woUen, mit re (tenecci, sehen) teneod-re,
^) Die meisten der (deutschen) Intensiva sind von starken Verben gebildet (s. Gtorland).
Nach Tobler ist (in Bildung der Intensitiva) ein Gefühl von Lautsymbolik als mitwirkend anzu-
erkennen, „aber nicht als einzige und wesentliche Ursache, nicht als ein Trieb zu unmittelbarer
Erzeugung jener Formen, sondern nur zu nachfolgender Ausdeutung und Verwendung derselbeo,
nachdem sie auf anderem Wege einmal entstanden waren.*
Etimolog^e und Tergleichende Lingnlstik. 155
znrkksehen u. s. w. Jaeiura, Brod essen, Jemeri, Früchte essen, J&neij, Fleisch essen. Das Pr&-
m indicatiyi ist zweierlei, Präterita sind Tier.
Tenei, ich sah,
Tenejac-ne, ich habe gesehen (seit 2 — 3 Wochen),
Teneine, ich habe gesehen (seit 2 — 3 Monaten),
Tenererimjacne, ich habe gesehen (tot längst vergangner Zeit).
Der Futiira sind dreierlei (s. Gilii).
Vom Haussa bemerkt Schon: From simple or primitive forms of the Verb other verbs are
derived, by the addition of certain particles or verbal formative syllables to the root of the first
fonn (dividing the verb into Radicsd, Relative, Reflective and Causative). Mit dem Suffix da
bildet sieh ans saiy (buy) saida (seil, verkaufen), mit yesda: sayesda (seil off), mit sie (dem
bebruBchen Hiphil entsprechend) aus tsie (essen) tsiesie (füttern), mit as aus suba (to pour out)
nbas (to gush out). Frequentative and intensitive verbs are formed by a repetition of the verb
or by a reduplication of the first syllable und ähnlich wird (nach Mitterrutzner) die Redupli-
bdon un Bari. Auch hier kann, wie im Haussa, die einfache Verbal wurzel für das Substan-
tiviuD stehen, ?nrd aber dann wieder durch eine grosse Zahl von Affixen variirt.
In der Kaffersprache bildet das Verbum von tanda (to love)
tandela (to love for) in the relative form,
tandisa (cause to love) in the causative form,
tandeka (to become loved) in the subjective form,
tandana (to love one another) in the reciprocal form.
Um Compound derivative forms are derived from the simple deriTatives, by inflecting the
fioftl Towel of their several roots, wie (teta)
tetela (rel.) tetelela, tetelisa, teteleka, tetelana,
tetisa (caus.) tetisela, tetisisa, tetiseka, tetisana,
teteka (subj.) tetekela, tetekisa, tetekeka, tetekana,
tetana (recip ) tetanela, tetanisa, tetaneka, tetanana,
ziteta (refl.) zitetela, zitetisa, ziteteka, zitetana.
Reduplication giebt frequentative Bedeutung (teta, to speak, tetateta, to tattle). Another
'item-) form is derived by adding kala to the root (bona, to see, bonakala, to become seen),
uotber by lala (fumba, to heap, fumbalala, to be in a heap). Some verbs with the termina-
tioQs aka, ala, ata, ika, oka, uka and ula become aclive and sometimes causative by changing
tbose terminations (s. Appleyard). Durch ulula and uluka verbs brauch out in two stems, one
of vhich in the intensitive of the root (and mostly active), whilst the other is a neuter form
^ta, lick, kotulula, scrape up, kotuluka, be scraped up). Some verbs of the derivative forms,
■hieb terminate in ela and eka, become active, causative or intensitive by changing those ter-
nuiutions into eza (omelela, to be streng, omeleza, to strenghten etc.).
£n Mandchou on a outre la voix active et passive encore des formes negatives, factitives,
determinees, inchoatives, r^iproques, collectives, frequentatives etc., toutes d^rivees d'une meme
ncine (v. d. Gabelentz). Das Australische unterscheidet (mit all) eine Determinativform (bei
^ vor den Augen vorgehenden Handlung) und (bei einer sich abwickelnden) eine Gontinua-
ÜTferm (mit alili). ^
Im Monivriniflchen bilden sich
intransitive Yerba mit g (u. s. w.) valgan sinken (valan, giessen),
bctitiva mit ft (u. s. w.\ praftan, fällen (pran, fallen),
media mit v, naivan, erscheinen (näyan, sehen),
freqaentatiTa mit s, pisän, viel (oft) kochen (plan, kochen),
iierativa mit ksn, sukunaksnan, sich wiederholt beugen (sukunan, sich beugen),
iaehoativa mit kst, säräkstan, erkranken (särädan, krank sein).
Sme Art Diminntiv-Frequentativa wird durch nd gebildet (wie porendan, kauen, von poran,
^^^isMi), Verba momentanea durch d, vne yordan, einmal werfen, von yoran, werfen (s. Ahl-
qiust).
Im Malagasy (der Kouas auf Madagascar) werden Intransitiva mit mi (mitony, to preach),
'fnosithra mit ma (manoratsa, to write) gebildet (s. Kessler), und dann maha (potential form),
oasapi, mampa (causative), mifan, mifampi (reciprocal), mifampan, mifampifan (causative reci-
pmal). Mitory aho (I preach), nitory aho (I preached), hitory aho (I shall preach) etc. Im
MaU^ischea wird das Präsens durch lagi (noch) determinirt, das Präteritum durch sudah oder
11 •
156 Ethziologie und Togleichende LingolBtik.
telah (ab^than, ?orbei), das Futoram durch onau (wollen), nanti (sollen), im Dayak das Prita-
ritum durch Dari (bereits), das Futurum durch handak (wollen). Im Tagala dringen die Infixe
in das Innere des Yerbums. In den polynesischen Sprachen wird das Passivum durch ange-
hängte Partikeln gebildet, die aber so lose mit den Yerbaltheilen zosammenh&ngen, dass in
einigen Dialecten zwischen beiden ein anderer Redetheil (z. B. ein Ad?erbium) eingeschoben
werden kann (s. ¥. Müller). Als Affirmativpartikel findet sich kua oder (Im ICaori) ka.
In den der £we-Sprache eigenthümlichen Klassen von Formen (von ICodusformen und Tem-
pusformen verschieden) wird gebildet durch das
Präfix ga die Form des Iterativ (yi, gehen, gayi, wieder gehen),
„ wa , , 9 Gonsecutiv (wayi, sich aufmachen zu gehen),
die Affixe le-ge die Form des Intentionalis (le-yi-ge, beabsichtigen zu gehen),
. , le-me • . » Gontinuativ (yi, gehen, leyim in andauernder Thätigkeit),
Beduplication die Form des Frequentativ (bobo, dodo).
Jede dieser Formen hat dann wieder entsprechend den Modusformen bestimmte Tempus-
formen entwickelt (s. Schlegel).
The dative form of verbs is made by prefixing or inserting prepositions meaning to and
for (in Dacotah). When the action is done to another, the prepositiou ki is prefixed or in-
serted, as kaga (to make any thing), kicaga (to make to one), wowapi kicaga (writing to him,
he made or he wrote him a letter). When the thing is done for another kici is used, as won
api kicicaga (writing for him he made or he wrote a letter for him). In some verbs ki pre-
fixed conveys the idea that the action takes effect on the middle of the object, as baksa, to cut
in two (with a knife, as a stick), kibaksa, to cut in two in the middle (s. Biggs).
Sopa, aimer,
Sop4, aimer tendrement,
Soponte, s'aimer mutuellement,
Sopou, s^aimer soi-mime,
Soplo, faire aimer,
Sopi, aller aimer,
Sopati, aimer de nouveau,
Sopeti, n*aimer jamais,
Sopadi, aimer peu,
Sopou, ne pas aimer,
Sopatou, ne plus aimer,
Sopesopa, aimer toujours,
Sopekat, celui ou celle, qui aime,
Sopukage, le lieu ou Ton aime,
Sopaley, compagnon d^amour,
Sopema, Taction d'aimer,
Sopaye, Tamour,
Sopite, le reste de Famiti^,
Nohiopema, ce que Ton peut aimer.
im Woloff
que 10]
(Dard).
Im Australischen findet sich ein Reflexiv mit lan (pun-ki-lan, sich selbst schlagen) und
ein Reciprocal mit lean (pun-ki-lean, sich gegenseitig schlagen) neben dem Passiv, das sich Tom
Activ (puntan-pah, schlagen ich) durch die verschiedene Pronominalform (puntan-tia, schlagen
mich) unterscheidet Im Grönländischen hat das Reflexiv (tokupok, er tödtet sich) passivische
Bedeutung, tokupok, er ist todt, getodtet (tokupä, er todtet ihn). Im Mordwinischen nimmt ein
transitives Verbum, wenn mit einem Object stehend, besondere Flexions-Endnngen (palasamak,
du küssest mich, palatä, ich küsse dich, palasa, ich küsse ihn, palasak, palasi u. s. w.) an, die
(nach Ahlquist) als Verschmelzungen der Flexions- Endungen und der Personal -Pronomina als
Objecto anzusehen sind. Die in Medialform (als Reflexive) gebildeten Verba (palavan, ich werde
geküsst) haben die Bedeutung von Potentialen. Im Eechua wird bei der personlichen Object-
(Konjugation (der Transicionen) das persönliche Object des transitiven Zeitwortes mit dem Yer-
bum innigst verbunden, so dass die Handlung mit der handelnden in beiden Personen nur durch
«ine Yerbalform ausdrückt werden (s. Tschudi), apayki, ich trage dich, apasunki, er trägt dich,
«pahuanky, du trägst mich, apahuan, er trägt dich. Als Subject können alle drei Personen
«uftreten, als Object bei der Verschmelzung jedoch nur die erste oder zweite, indem die dritte
«ine regehnässige Verbalconstmction verlangt
Ethnologie und yergleichende Lmgoistik. 157
Sala, arbeiten,
Sa] IIa, die Arbeit erleichtern,
Salisia, mit Jemand arbeiten,
Salisila, zu Jemandes Yortheil arbeiten,
Sazia, Jemand in der Arbeit helfen,
Salangfa, Ton der Gewohnheit des Arbeitens sein,
Salisionia, für einander arbeiten,
Salangana, zur Arbeit f^eschickt sein,
in der Sprache tou Cacongo (Proyart).
I-Lia, ich habe gegessen (seit unbestimmter Zeit),
I-Lili, — , einiger „
la-Liä, — , langer .
la-Lia, — „ sehr langer „
Im Mordwinischen bildet sich das DesideratiT mit iksile (salksilen, ich wollte kommen).
Im Wiradurei bildet das Verbum als Zeiten (s. Haie):
Bumara, I strike (Present),
Bumalawana, I am just now striking (Instant Present),
Bume, I Struck (Past aorist),
Bumalawani, I was just now striking (Instant post),
Bumalguain, I have Struck (preterite).
Bumalawan, I ha^e just Struck (Instant preterite),
Bumalgunan, I Struck long ago (Remote past),
Bumalnarin, I Struck this moming (Hodiemal past),
Bumalgurani, I Struck yesterday ^Hestemal past),
Bumaleini, I had Struck (Plusquamperfect),
Bumalgiri, I shall soon strike (Proximate Aiture),
Bumalawagiri, I shall immediately strike (Instant fnture),
Bumalnarigiri, I shall hereafter strike (Remote future),
Bumalnariawaffiri, I shall strike to-morrow (Grastinal fnture),
Bumegiri, I shall have Struck (Future preterite).
Each mode or form may be varied through all these tenses).
Das Verbum (im Kumilarai) unterscheidet:
buntan, I strike (acti?e transitiTe form),
bunkilin, I am striking (definite or participial),
bunkililin, I am continually striking (continuative),
bunkileun, I Struck myself (reflective),
bunkilan, we strike one another (reciprocal),
buwü, I would strike (optatiTe),
bunteakunkoa, lest I should strike (deprecatory),
bunteakunun, I wiU strike again (iterative),
buwa, strike (imperatiTe),
bunkiliko, in order to strike (infinitive),
dann suppositive (bumpaba, if I had Struck).
Die erste der persönlichen Object-Conjngationen (Transicionen) wird
^vch Anhangnng von y gebildet, wobei die erste Person die handelnde (als
Sobject), die zweite die leidende (als Object) ist (apayki, ich trage dich,
apartayki, ich trog dich, apaskeyki, ich werde dich tragen). Bei der zwei-
^ (mit sa) ist die dritte Person handelnd, die zweite leidend (apasonki, er
^ dich, apasorcanki, er trag dich u. s. w.). In der dritten (mit haa) ist
^e zweite Person handelnd, die erste leidend (apahuanki, du trfigst mich,
apahnarcanki, du hast mich getragen), und ähnlich in der vierten, wo die
<^tte Person handelt, die zweite leidet (s. Tschadi). Im Grönländischen ist
(nach Eleinschmidt) ein Snbject ohne Object andenkbar. Im Nama können
^^ PersonalafiBxe dem demonstrativen Stamm ba (wie diese dem Yerbo) an-
gehängt werden, wie miba (mi, sagen), als mibal, ihm sagen, mibasi (ihr),
mibazi (dir) , mibain (ihnen) n. s. w. (s. Wallmann). Im Zulu (s. Colenso)
^vd das Pronomen im Accasatiy zwischen Yerbam and zagehörigem Pronom
S^tzt (oft mit Wiederholung der emphatischen Form), wie (m, als Accosa-
158 Ethnologie and ▼ergleiche&de LingaiAtik.
tivfonn tod am vor Verben, die mit einem Consonanten beginnen) ba-m-sabe
yena, they him frightened, bim (yena) nach französischer Consimctionsweise.
In der kolarischen Sprache sind Infigirungen häufig. Im Hawaiischen kann
ein zom Verbum hinzutretendes Wort mit in die Participialform (aus prä-
figirtem e und suffigirtem ana) eingeschlossen werden, wie E kukulu hale
ana ia (he is a build-house*ing). Das Verbum wird negirt, indem die Nega-
tion als Hauptwort betrachtet wird, wozu das Verbum im Stamm gef> wird
(im Mokscha) und im Conditional verschmilzt das Verbum mit der Negation
zu einem einzigen Wortstamm, der die Flexionsendungen wie in der affirma-
tiven Conjugation annimmt, z. B. saftärän, wenn ich nicht komme, saftarän,
wenn ich nicht gekommen wäre (s. Ahlquist).
Die Veränderungen, besonders am Verbum, geschehen durch Verknüpfung
von Präfixen, Suffixen oder Infixen an den Stamm, und die Infixe können
dann mit den übrigen A£Gxen verschmelzen und an ihren weiteren Umwand-
lungen Theil nehmen, oder (wenn, wie in den peruanischen Transicionen,
auf Objectiv- Verhältnisse bezüglich) ihre Selbstständigkeit bewahren, während
sie sonst als der eine Theil in der Verbindung der Pronomina und des Ver-
bum substantivum von den hier geltenden Regeln abhängen, wenn nicht schon
vorher als letzteres in Ersterem absorbirt, wie im Mexikanischen nehoatl
von ne (ich) und ehua (ich bin). Im Türkischen liesse sich das dem Stamm
angehängte r (er, ar) als Abwandlung betrachten, für weitere Gonjugadon
mit dem Verbum substantivum (szeo-er-im, ich liebe, von im, ich bin, szeo-
er-szin, du liebst, von szin, du bist n. s. w.) und im Passivum wird dann
weiter il infigirt (szev-il-ir-im, ich werde geliebt). Im Wolof verändert sich
in der Verbindung des Demonstrativ-Pronom mit dem Substantiv der infigirte
Artikel, wie auch für sich (baye-bi-le, baye-ban-le, baye-bae-le, baye-ba-le).
Wie im Mordwinischen findet sich in der finnisch-ugrischen (xruppe
(dem Magyarischen, Ostjäkischen und Wogulischen) der ural-altaischen Spra-
chen „eine Verschmelzung des Subjects und Objects mit dem Verbum^, wie
sie in „einigen amerikanischen Sprachen vorzukommen scheint^, indem, wenn
ein transitives Verbum mit einem Object steht, mag dies nun ein Personal-
Pronomen oder ein anderes Wort sein, das Verbum andere Flexions-Endan-
gen als die der unbestimmten Conjugation annimmt, welche Endungen als
Verschmelzungen der Flexions-Endungen und die Personal-Pronomina als Ob-
jecte angesehen werden müssen (s. Ahlquist).
Wie die (in den polynesischen Sprachen losen) Präfixe in dem Malay-
idchen den Stamm durch das ihm verbundene Formelement zu modificiren
vermögen, steht von den Agglutinationssprachen das Finnische (und das Sa-
mojedische) den Flexionssprachen (zu denen das Finnische von Kellgren auch
bereits gerechnet wird) am nächsten, gleichsam ein Uebergangsglied zu den-
selben bildend (nach Caströn), und gerade diese Völker waren unter den ural-
altaüschen am meisten grenznachbarlichem Einfluss ausgesetzt im Westen,
wie monosyllabischer Berührung im Osten die (dieser sich zuneigende) Mand-
• Sthnotogitt nnd irergldehende LingniStiL 159
6cha-Spraclie. Das Wesen der Agglatmation macht es aber leicht erklärlich,
wie vielsprachiges DurcheinaDderreden in Folge fremdartiger Mischung bald
dahin tendiren musste, den ihnen eigenthümlichen Charakter der Adhäsion
(durch festeren Anschlass der in ihren feineren Nüancirongen bald nicht län-
ger verständlichen nnd so keines selbststäodigen Fortbestandes mehr fähigen
Redepartikel an das Stammwort) in den der Cohäsion überzufahren, und so
bei gleichzeitiger Fortbildung der Vocal- Assonanz eine beginnende Flexion
herzustellen.
Bei statthabender Verbindung vermag die Wurzel das Suffix^) zu influen-
ciren, oicht aber dieses auf jene zurückzuwirken, und von der doppelten Form
dea So£5xes (in schweren und leichten Vocalen) tritt jedesmal diejenige auf,
die dem Vocal der Wurzel (oder der letzten Silbe in derselben) entspricht,
ime babarlar-nm-daw, von unseren Vätern (baba oder Vater) und dede-ler-
in-den, von unseren Grossvätem (dedeh, der Grossvater) im Türkischen. Im
Cogvischen steigert var-tok (ihr erwartet) seine Einschlüsse bis var-at-andat-
tirtok, ihr werdet erwartet worden sein (b. Hofimann). Als eine aus der
Agglutination heraus im Fortschritt der Entwicklung begriffene Sprachen-
grappe (s. Boltz) gelten dann die Indianersprachen Amerikas.
Die polysynthetischen Sprachen Amerikas vereinigen die Worte nach
Abkürzung derselben zu vertretenden Zeichen wieder in zusammengesetzte
Wortganzen oder zu einem Satzwort, vrie im Chinesischen die an sich un-
idbstständigen (oder logisch nicht bestimmten) Wurzeln nur in ihrer Bezie-
lumg zu bestimmten Verhältnissen innerhalb fest formulirter Redeglieder (als
Constitnenteii derselben) verwandt werden. Wie manche Sprachen nicht den
ibstracten Verbalansdruck, sondern nur das Verbum in seinem jedesmaligen
Objectiv-*Verhältniss kennen, und £&r dasselbe immer einen ganz neuen Laut
schaffen mögen, so gilt auch im Chinesischen das Verbum nur in diesem ob-
jectivischen Verh<niss, wird aber, weil auf die zu Grunde liegende Wurzel
ledadrbar, anverändert verwandt, indem sich die Veränderung und daraus
folgende Modification des Begriffs in dem hinzutretenden Objecto ausdrückt,
so dass der Charakter des Analytischen gerade die Synthese hervorrufi;.
Die Ordnung, in welcher die Anhänge in mehrfach zusammengesetzten Wörtern (mit beweg-
fiehea Anhangstämmen an den Urstamm) auf einander folgen, beruht darauf, dass jeder Anhang
(breh den vor ihm stehenden Theil des Wortes ergänzt wird oder sich auf diesen bezieht (im
^ifÖDJandischen). Die Anhängung selbst geschieht immer so, dass Stamm an Stamm gehängt
vird, also wenn das Stammwort ein Redewort ist, so fallt der Ausbildungsznsatz ohne Weite-
^ ve^. Femer hat jeder Anhang seine eigenthönüiche Wirkung auf die Endung des Stamm-
wortes, die in den aUermdsten Fällen einige Veränderung erfährt (Kleinschmidt).
Kasnersariigssarsingtidluinamarpok (kasuTok, er ist mäde), man hat durchaus keine Aus-
nihestelle gefanden, omingitdluinasayat (omigpa, er geht), du sollst durchaus nicht zu ihm
gehen, tassarpagssuit (tassa, da ist's), da kommt der ganze Haufe, aulisautigssarsiniarpunga, ich
^he mir das zu einer lischschnnr Ctehörige zu Tersehaffen, umiarssualiarpok, er fährt zum
*) hn TelQgu werden Wurzelbestand theile von Vocalen nachfolgender Suffixe afficirt, puli
Cn^) pfüa-hi (im Flur.) in progressiver Vocalharmonie (statt retrograder der ural-altaüschen
S]ffaelien), aber noch nicht bis zum WurzelTOcal selbst
160 Ethnologie und yergleichende Linguistik.
Schiffe- Aus dem Delaware giebt Dnponceau: Nmatschi (heimgehend), I am going to thehoiue»
tpisquihilleu, the time approaches, pachsenummen, to divido (something) equally u. s. w.
Vollständige Incorporation zeigen (im Mixteco) palabras que se intercalan en otros, como
de yosinindi (yo s^) y de mani (cosa preciada) yosinimanindi (yo amo 6 estimo], fester zuum-
mengeschlossen, als das Hawaiische (b. Andrews) e kukulu hale ana ia (he is a bnild honse infö
und ähnlich dem Marne, wo kie (nuestro) ki-etlebil-e , nuestr. costumbre (etlebil) oder idehu
(aqnello) ki-kuxomal-hn, Ia mocedad (knxomal) de aquellos das aufgenommene Wort verschlin-
gen. Im Totanaco cuando el accusativo estä en Singular, no hay signo, que le indique (ik pax
kiy Dios, yo amo i Dies) Cuando el paccente eeti en plural su nota es Ia particula ka inter
calada en el verbo entre este y Ia particula conjugativa, ik-ka-paxkiy chixkohuin, yo amo a loi
hombres (s. Pimentel). Im Tarasco bildet sich aus hi (ich) kini, aus thunguini (dich) zusam-
mengezogen, und phampzcahaca (liebe) hikiniphampzcahaca, ich liebe dich.
Dass die auch im Deutschen in bedeutender Länge möglichen Zusammen-
setzungen nur selten eigentliche Satzbildungen, wie sie in amerikanischen
Sprachen vorkommen, zeigen, beruht auf der Constructionsweise, die, da sie
das Yerbum voranstellt, des für die Regierung eines Gfanzen, in dem jedes
Folgende vom Vorangehenden abhängig ist, am Ende nothwendigen und es
von dort zusammenhaltenden Abschlusses entbehrt, wogegen das Sanskrit
ganze Sätze in Wort -Einheiten wiedergiebt. Dagegen findet sich auch im
Deutschen, wie es Eleinschmidt im Grönländischen bemerkt, Abwerfung der
beweglichen Endungen mit Beibehaltung des Stammes, wie in Eiein-Einder-
Bewahr- Anstalt (statt kleine Eonder), oder Sparkassenbuch n. dgl. m. The
siz nations Compound their words without end (Colden) und ein von Heyse
gegebenes Beispiel : „ Umzugskostenbeitragsauszahlungsbeschleunigongsbitte-
erinnerungswiederholungsgesuch'^ zeigt, was man sagen kann, wenn auch nicht
soll nach dem Consensus der Gebildeten, auf dem auch Quinctilian in seinen
grammatischen Regeln fusst. Auch Incorporation von Pronomina ist möglich:
Dein-Dich-von-Herzen-liebender , Insichselbst-verschlossen , mit-sich-selbst-
kämpfen, obwohl gerade hier das polysynthetische Ineinanderfliessen durch
Reduction der Pronomina auf sie nur andeutende Zeichen wegfallt, da in un-
seren Sprachen die so häufig für sich als regierende Subjecte und regierte
Objecte oder ganz isolirt verwandten Pronomina zu selbstständig geworden
sind, um nicht ihrer Degradirung zu andeutenden Zeichen zu widerstehen.
Wir können zwar« sagen: ich langweile mich, schon nicht mehr*): ich Zeit-
vertreibe mir, wohl dagegen zeitvertreibend, wie überhaupt eine Annäherung
zum componirten Wortsatz immer nur participialisch möglich ist, eine bei uns
seltene Construction, wogegen sie in allen den das V^erbum substantivum ent-
behrenden Sprachen die eigentliche und oft die einzige ist. Die romanischen
Dialecte gleichen ihrem klassischen Vorbilde in dem Ans -Ende- Setzen des
prädicativen Verbums in Bezug auf die Pronomina, die so nach einer Art
Infigirung in die Mitte fallen, wogegen die germanischen trotz ihrer (obwohl
entfernteren) Verwandtschaft das pronominale Subject mit dem Verbum (das
in seiner eigenen Form die Person nicht deutlich genug ausspricht) unzer-
1) Dagegen der Engländer schon I break&sted, statt I broke fast.
Bfhnologfie und yergleioliende Ling^niBtik. 161
trennt zasammenhalten müssen, woraas (wegen Yoransetzimg des Snbjects)
ron selbst folgt, dass das Verbnm dem regierten Object auch bei pronomi-
nalen Repr&sentirangen desselben vorangeht. Die Möglichkeit zn Incorpora-
bonen fehlt indess auch \inserer Sprache nicht, sie drücken aber etwas Sen-
tenziöses (oder Feierliches) aus, weshalb besonders im Amtsstyl verwandt,
and werden im raschen Redeflass ebenso sehr vermieden werden, wie in dem
forschend und suchend seine Sätze aus dem vorher absichtlich möglichst zer-
stnckten Baumaterial der Worte in der dem jedesmaligen Zweck entsprechend-
sten Weise construirenden Denken. Granz natürlich entspricht dagegen solche
Redeweise dem im Norden und Süden als vorwiegend melancholisch erkann-
ten Volkscharakter des Indianers in Amerika, und der tage- oder wochenlang
einsame W&lder durchschweifende Jäger hat dort eben Zeit und Müsse, sich
in seinem Geist alle die künstlich in einander geschlungenen Sentenzen zu-
rechtenlegen, die er dann beim Wigwamfeuer langsam und feierlich zur Aeus-
Kroog bringt.
Ganz anders dagegen der tändelnde und tänzelnde Neger, der leichten
'^inns den Floss der Zeit zu beschleunigen sucht, um nicht von ihren Sorgen
geqo< zu werden, und der deshalb stets recitativisch zu sprechen scheint,
oder an der Ostktlste (nach Livingstone) in jenen Weisen, die auch wir in
tröhiichen Standen trällern, und dann von ihnen Assonanz, oder früher auch
Alliteration, verlangen, wie sie in den meisten Sprachen Afrikas jeden Rede-
utz auch an Werkeltagen kennzeichnet.
Von den Oceaniem wieder sprechen besonders die linguistisch Abgeschie-
deneren im primitiven Lallen der Kinder, bei welchem es nur auf rudimen-
täre Wortzusammensetzungen ankommt, um den Sinn errathen zu lassen,
obe noch das Bedürfniss einer strengeren Trennung und Fixirung der Rede-
tbeile zu fohlen, wie es später dem logischen Denken zur Nothwendigkeit
vird. Zuerst tritt organische Belebung in den zahlreichen Abwandlungen der
Pronomina^) (bei den Australiern) hervor. Sind die Sprachen ansässiger
*/ Die personlichen Pronomina (auf Annatom) haben besondere Formen för Snbjects-,
Objects- nnd Possessiv-Casus (Nom. , Acc. , Gen.) neben Possessivsuffizen , einen vieiibchen Nu-
iKnis (Sing., Dual., Trial., Plnr.), und an ihnen allen kommen die Tempora nnd Modi des Yer-
^ zum Anfidruck. Ausserdem unterscheidet noch das Pronomen der ersten Person einen Dual,
Triil und Plural, einen InclusiTas und Exclusivus. Es finden sich so
7 Pronomina der ersten Person,
4,9 zweiten ,
4 , , dritten ,
<ad Ton diesen 15 Pronomina hat jedes folgende Formen:
NominatiT, Accnsativ, Possessiv, Possessivsuffix, Präsens, Präteritum, Futurum, Optativ,
CoDjunctiT, Hypotheticns, Concessiv.
Auf Erromanga werden Dual und Trial durch Anhängung der betreifenden Zahlwörter aus
dem Plural gebildet
Auf MaUikolo Ist der Plural eine Vierzahl (aus vatz, vier, gebildet.
Sing,
Ainyiik, ich, nyak, mich, unyak, mein (-k, als Suffix).
£k (ek asaig, ich sage), ekisi (ekis asaig, ich sagte), ekpa (ekpu asaig» ich werde sagen),
162 Funde römiBclMr Mäusen im nerdöetliclien Deatachlaad.
Caltnrvölker in Folge des Dnrcheinanderredens allerlei fremder Dialecte un-
ter Herausbildung einer Lingua geral vollständig zersetzt und schliesslich in
einen regellosen Jargon aufgelöst, dann beginnt mit dem Aufblühen der Gi-
vilisatioa das schöpferische Werk der Grammatik (oder der in ihrer Form
redenden Logik), die sie unter Festsetzung leitender Regeln in neue Formen
überführt. Bei linguistischer Eintheilung dürfen deshalb die Flezionsspradien
nicht auf eine Reihe mit den Natursprachen abgeurtheilt werden, da ihre durch
Multiplication der Potenzirung gewonnenen Grrössen erst wieder durch Be-
duction auf die richtigen Verh<nisswerthe zu den Elementargrössen zurück-
zuführen sind, um entsprechende Congruenzen zu erhalten. A. B.
(Fortsetzung folgt.)
Fnnde römischer Mttnzen im nordöstlichen Dentsch-
land.
Yen Dr. J. Friedlaender, Director des E. Münzkabinets.
Der Wunsch Virchow's, die im nordöstlichen Deutschland vorgekomme-
nen Funde römischer Münzen zusammengestellt zu sehen, veranlasste mich
das bereits handschriftlich vorhandene Yerzeichniss der aus Funden stammen-
den antiken Münzen des E. Münzkabinets und die in meinem Aufsatz über
ekmu (ekmu asaig, ich mochte sagen), eki (eki asaig, dass ich 'sage, ich sage in GoncL), eku
(eku wit asaig, wenn ich sage), inki asaig, ich dürfte sagen.
Dual incl : akaijau (N.), caijaü (Acc ). ijau (Poss.).
intou (Präs.), intus (Prät), intnpu (Fut.), intomu (Opt).
Dua] excL: aijmnrau (Nom.), cumran (Acc), umrau (Poss.),
ecru (Präs.)) ecnis (Prat), ecrupu (Fat).
Trial incL: akataij (Nom.), cataij (Acc). .
Trial ezcL: aijumtaij (Nom.).
Plnr. incl: akaija (Nom.), caija, nja, inta (Präs.), intis (Präi), intapis (Fut.).
Plnr. excl.: aijama (Nom.), cama, nnyama, ecra (Präs.), ecris (Pr&i), ecrupu (Fat).
Zweite Person:
Sing. : aiek (Nom.) a. s. w. na (Prfts ), as (Pr&t.), napa (Fat) u. s. w.
Dritte Person:
Sing.: aien (Nom.) a. s. w. et (Pr&s.), is (Prät.), etpis (Fat) u. s. w.
Dual: arau (Nom.) a. s. w.
Trial: ahtaij (Nom.) o. s. w.
Plar.: ara (Nom.) u. s w.
Das Passiyum wird durch eine impersonelle Pronominalform Tertreten. Pr&s. eh (er), Prit
eh man, Fut utipa (eh ago, man thut, es geschieht), uhpu asaig, man wird sagen, es wird ge*
sagt werden (aal Annatom). Era asaig, sie sagen (s. y. d. OabelentE.)
Vimd« romiBcher Münzen im nardoetlichen Deutschlftod. 163
den Fand von Niemegk gegebene Reihe von Nachrichten zn vereinigen, und
dann, mit Benutzung des Tortrefflicben und wichtigen Werkes von Wiberg
(Einfluss der klassischen Völker auf den Norden durch den Handelsverkehr,
aas dem Schwedischen von J. Mestorf, Hamburg 1867) die gewünschte Liste
aii£E asteilen. Auch wurden auf einer grossen Landkarte alle Fundorte, nach-
dem ihre genaue Lage nicht ohne weitläuftige Bemühungen sorgfältig fest-
gestellt war, farbig bezeichnet, so dass diese Karte jetzt ein übersichtliches
Bild aller Fundorte in diesen Ländern gewährt, und da sie auch die jetzigen
Städte enthält — welche auf der zu kleinen Wiberg' sehen Karte fehlen —
80 kann man sich auf ihr leicht zurechtfinden. Diese Karte und die zu ihr
gehörigen Nachrichten über mehr als 160 Funde befinden sich im Münz-
kabinet zur Ansicht und Benutzung bereit. Jede fernere Nachricht wird mit
Dank benutzt werden; ohne Zweifel enthalten die Zeitschriften der histori-
schen Vereine viele noch nicht benutzte Nachrichten.
Resultate der Karte sind, dass die Bemsteinküste ihrer ganzen Ausdeh-
nung nach mit Fundorten besäet erscheint, und dass die Strassenzüge von
Süden nach dem baltischen Meer die Flussthäler entlang fähren, auf beiden
Ufern, in grosser Breite. Einzelne Anhäufungen von Fundorten um einige
grossere Städte, wie Berlin und Görlitz, erklären sich vielleicht einfach da-
durch, daas die Landleute in der Nähe solcher Hauptorte den Werth antiker
Gegenstände besser kennend, sie zu verwerthen suchen und deshalb zu Tage
bringen.
Aus den zur Erklärung der Landkarte gesanmielten Nachrichten folgen
liier nur die, wie ich glaube, noch nicht bekannten und einige, welche Be-
richtigungea enthalten. Die Zeichen N M M bedeuten bekanntlich Gold
Silber Bronze.
Provinz Preussen.
Adlich Liebenau bei Pelplin, Kr. Marien werder, zwischen Pelplin und der
WeichseL N des Placidius Yalentinianus IJI. Ln K. Münzkabinet
Klein Tromp südlich von Braunsberg. Wiederholte. Funde von zahlreichen
N des 4. und 5. Jahrhunderts im sogenannten Goldberg. Siehe J. Fried-
laender, Münzen der Ostgothen, Ejjileitung. Noch 1860 gelangte ein S
der Aelia Pulcheria von dorther in das K. Münzkabinet.
Skandau südlich von Gerdauen. 32 Münzen, nämlich 21 Denare und 11
Grossbronzen (Sestertien). Die JR reichen von Traian bis Gommodus,
die M von Antoninus Pius bis Severus Alezander. Die Münzen lagen,
wie es scheint, in einer Urne. J. Friedlaender, Berliner Blätter für Münz-
kunde V. 325.
Maszanno, Dominium bei Schwetz in Westpreussen. N von Leo I., 1862
gefunden, war im K. Münzkabinet vorgelegt.
Bresin bei Putzig in Westpreussen. 150 N von Anastasius, Marcianus»
Zeno, Leo, Theodosius H. und BasiliscuB. Jahrbücher der Preussischen
164 Funde romischer Monzen im nordosüichea Deatsehknd.
Monarchie, 1799, IL 298. Die meisten Stücke, ^^ waren von Anasta^
sias.
Fischhausen in Samland. 1 M von Neapolis in Campanien, 1708 gefun-
den, Th. Sig. Bayer, Opnscnla S. 492; die Münze wird irrig für eine
von Rhodus gehalten, s. Bock, Naturgeschichte von Preussen, II. S. 613.
Wiberg fuhrt sie in der zweiten Ausgabe S. 27 Nr. XXIII und XXIV
irrig zwei Mal an, ein Mal als Neapolis, das zweite Mal als Rhodns.
Preussisch Görlitz, Er. Osterode, zwischen Osterode und Löban. 1134
Denare von Nero bis Septimius Severus, 1740 gefunden. Die Münzen
und ein handschriftliches Verzeichniss befinden sich im E. Münzkabinet
Das Verzeichniss von Lilienthal in Erläutertes Preussen V. 125 ist un-
genau, und Yossberg's Angabe in seiner Geschichte der Prenssischen
Münzen und Siegel irrig.
Neu gut bei Schöneck, Er. Berent, Westpreussen. M des L. Veras. Numis-
matischer Anzeiger, Hannover, 1869, Nr. 12 S. 91, wo jedoch irrig L.
Aelius genannt wird. Die Münze befindet sich im Besitz des Herrn Dr.
von Sallet, Directorial- Assistent des E. Münzkabinets.
Provinz Posen.
Schubin. Uralte griechische Münzen, von Levezow 1833 publicirt, allein
der Fundort ist nicht beglaubigt, s. J. Friedlaender in Berliner Blätter f&r
Münzkunde, V. 150.
Obersitz ko (Obrzycko). In dem Funde, welchen ich im Jahre 1844 publi-
cirt habe, befand sich unter Münzen des 10. Jahrhunderts ein Denar des
Antoninus Pius und ein Bruchstück eines Denars von Theodosius dem
Grossen. Auch in dem Funde von Ea wallen (s. Schlesien) fand sich
eine einzelne römische Silbermünze. Da im Mittelalter das Silber ge-
wogen ward, konnten auch römische Denare noch in Umlauf sein.
Slupy bei Schubin und Opoczki und Opoki im Er. Inowraclaw dicht an
der polnischen Grenze. Diese Gegenden sind nach Aassage des Herrn
Eaufmann Michael Levy, eines Münzsammlers in Inowraclaw, Fundstät-
ten römischer Münzen, meistens M^ M kommen selten vor. In den Ber-
liner Blättern IV. 147 habe ich ^sammengestellt , was mir darüber be-
kannt ist. Auch ein schöner grosser Goldmedaillon des Gonstans, Soh-
nes Constantins des Grossen, welcher a. a. 0. Tafel 46 abgebildet ist,
stammt aus der Gegend von Opoki.
Gonski östlich von Inowraclaw, Esp. Ostrowo. 1 M des Augustns, 1871
gefunden, 1 M des Antoninus Pius, 1 M des Commodus. Im E. Münz-
kabinet.
Mianowice dicht bei Eempen unweit der schlesischen Grenze, im Schild-
berger Ereise. 1 M Traian, im E. Münzkabinet.
Eobelnice, Esp. Ghelmce, bei Inowraclaw. 1 M Domitian, welcher 1871
im E. Münzkabinet vorgelegt^wurde. .
Funde nnuBeher MAnzen im nordöBÜichen Deatschluid. 165
Schlesien und Oberlausitz.
Hennersdorf, Esp. Eöltschen, nördlich vo^ Reichenbach in Schlesien. N
Valentiniana I., im E. Monzkabinet
Poischwitz südlich bei Jauer. N des Probus, im E. Munzkabinet.
Gaffron bei Mittelwalde (Medzibor), nördlich von Polnisch Wartenberg.
2 & der Republik, zahlreiche M von Augustus bis Gallienus, 1 M (As)
des Antoninus Pias, welche alle bei dem genannten Orte gefunden wor-
den, sind von Herrn von Fabiankowski in P. Wartenberg im E. Munz-
kabinet vorgelegt worden. Auch bei P. Wartenberg selbst ist ein Denar
der Faustina iunior gefunden worden.
Kawallen, westlich unweit von Trebnitz. In einem Funde von Münzen bis
zum Jahre 1010 war ein M des Traian. J. Friedlaender im 11. Bericht
des Vereins für das Museum schlesischer Alterthümer, 1869.
Zwischen Trachenberg und Pakosz, an der Grenze der Provinz Posen.
2 & von Hadrian und von Antoninus (Pius). E. Wunster, die Schnitsch,
eme Station des alten Handels, Liegnitz 1827, S. 105.
Glogau. Ln Jahre 1830 wurden bei der Regulirung der alten Oder und
dem Bau des Brückenkopfs mehrere römische Münzen gefunden, dar-
unter M, von Yespasian bis Gommodus. Mittheilung des Hrn. Rechts-
anwalt Gottwald in Sprottau.
Gahran. 1 M Claudius, um 1840 im Guhrauer Ejreise ausgepflügt. Die-
selbe Mittheilnng.
Liegnitz. 1 M von Gyme in Aeolis, halbes Pferd Rs. Giessgefiss, ist
nach Mittheilung des Ebm. Dr. v. Sailet gefunden worden, allein derselbe
halt die Nachricht nicht f&r völlig beglaubigt
Schlesien. 5 keltische Goldmünzen, den böhmischen gleich, nach einer
alten nicht zu bezweifelnden Nachricht in Schlesien gefunden, lieber
den Goldreichthum und die Goldprägung in Bayern (und in Oberitalien)
8. Berliner Blätter für Münzkunde, HI. 169.
Diehsa südlich unweit Niesky. 1 M unter Antoninus Pius von den ver^
bündeten Städten Cyzicus und Ephesus geprägt, 1819 gefunden, und 1
& des Galba, 1820 gefunden. A. v. Sailet im Neuen Lausitzischen Ma-
gazin, Band 43, 1866, S. 51 u. 52.
Targau bei Rengersdorf nördlich von Görlitz. 1 M des Antoninus Pius«
. Ebenda S. 52.
Obernenndorf zwischen Görlitz und Rothenburg. 1 M des Marc Aurel.
Ebenda.
Scbnellforthel in der Görlitzer Haide. 1 M der Julia Domna. Ebenda
S.53.
]gg Funde römischer Münzen im nordoetliehea Dentsehknd.
Görlitz. 1 JE des MaximiDos, vor fünf und zwanzig Jahren in der Stadt
beim Grundgraben gefunden. Ebenda S. 53.
Eönigshayn bei Görlitz. 1 M des Trebonianas Gallus Ebenda S. 54.
Provinz Pommern.
Sterbenin bei Ossecken bei Lauenburg. 1 S des Honorius, „der einzig
übrige einer nicht unbeträchtlichen Anzald von Soliden welche unfern
der Ostseeküste im Jahre 1864 ausgepflügt worden waren^, lag im E.
Münzkabinet vor.
Birkow, Er. Stolpe. Silberne byzantinische Münzen mit sasanidischen zu-
sanunen gefunden. Im E. Münzkabinet
Rügen. 1 griechische M von Berytus (Beirut) weiblicher Eopf mit Mauer-
krone, Rs. Neptun im Viergespann von Seepferden, ist mit arabischen
M zusammen gefunden worden. Diese Nachricht ist Hrn. Dr. v. Sallet
in Rügen mitgetheilt worden, allein er hält sie nicht für sicher. Die
Münze ist in seinem Besitz.
Provinz Brandenburg und Niederlausitz.
Niemegk im Zauch -Beizig' sehen Ereise. 74 M^ davon 29 der Republik,
2 des Brutus, 19 des M. Antonius, 24 aus der Zeit von Aogustus bis
zu Hadrian. Siehe J. Friedlaender, der Fund von Niemegk, in den Mar-
kischen Forschungen, Bd. Yü. Daselbst wird eine Nachricht von 1728
erwähnt, dass dort zuweilen romische Münzen ausgepflügt worden sind.
Auch werden zahlreiche andere Funde aus dieser Gegend beigebracht
Buchow-^arpzow unweit Potsdam. 5 J& von Vespasian, Traian, Fau-
stina sen., M. Aurel, in einem Torfstich gefunden. Berliner Blätter für
Münzkunde, V. 325. Wahrscheinlich betrifft die Angabe von Schlick-
eysen ebenda IV. 300 die identischen Münzen, und ist ungenau.
Lieberose. 1 N des Vespasian, im E. Münzkabinet
Briesen, Esp. Oderin, östlich von Baruth, Er. Luckau, Niederlausitz. l M
des Traian, vor 1738 gefunden. A. v. Sallet in Neues Lausitzisches Ma-
gazin, Bd. 43 S. 52.
Amtitz zwischen Guben und Sommerfeld. 3 M von Hadrian, Faustina, Ela-
gabal, und eine Scarabäen-Gemme. Ebenda.
Neuen Zauche östlich von Lübben. 1 M des Antoninus Pius. Ebenda.
Zielenzig, Er. Sternberg. 1 M des Antoninus Pius, 1866 gefunden. Ber-
liner Blätter für Münzkunde, IV. 86.
Berlin, Beim Bau der Artillerie-Werkstätten neben der Marschalls-Brücke
ward um 1820 im Schlamm des Spree-Ufers ein M des L. Verus gefun-
den, welcher sich im E. Münzkabinet befindet
Lichtenberg bei Berlin. Die kleine Bronzefigur, welche hier gefunden and
von Levezow als Juppiter Lnperator publicirt worden ist, befindet sich
im E. Museum.
Funde ramiselier Mausen im nordSsflielien Dentschland. 167
ßrahlow, östlich Ton Landsberg an der Warthe. 1 M des Johannes Zi-
misces. Nach einer Nachricht beim E. Münzkabinet.
Biesenbroh nördlich bei Angermünde. 2 N Jastinians (Solidi), im E. Münz-
kabinet
Beizig. Eine keltische N im E. Münzkabinet, doch beruht diese Nachricht
nur aof der Aussage des Verkäufer^.
Raadnitz südöstlich von Beeskow. 3 M der Republik und 1 M des M.
Aurel, im E. Münzkabinet. Doch scheint auch diese Nachricht nicht
ganz sicher zu sein. *
Nitzow nördlich von Havelberg, unweit Glöwen. 2 M von Antoninus Pius
und Gordianus HI., in der Sammlung des Hm. v. Rauch in Berlin.
Cöpenick bei Berlin. 1 M des Victorinus mit Alterthümem aus der Stein-
zeit gefunden. Mittheilung des Stadtrichters Friedel an Herrn Stadt-
gerichtsrath Dannenberg, welcher die Münze gesehen hat.
Provinz Sachsen.
SalzwedeL A des Augustus und M des C. und L. Caesar, der letztere
Denar ist barbarisch. Im E. Münzkabinet. ,
StendaL M des Galba und N des Theodosius II., letztere barbarische
Nachahmung. Im E. Münzkabinet.
Saune bei Stendal. Barbarische Nachahmung einer M der Crispina, im E.
Münzkabinet
Arneburg. Solidus von Leo I. Im E. Münzkabinet.
Keuschberg bei Merseburg. N Alexanders des Grossen, mit einem Schwert
oder Beil angehauen, im E. Münzkabinet. Auf diesen Feldern schlug
im Jahre 933 Heinrich I. die Ungarn, einer von diesen mochte das Gold-
stück aus seiner Heimath mitgebracht haben.
Weissensee in Thüringen. 200 M von Vespasian bis zu Gommodus und
Crispina, 1836 gefunden. Numismatische Zeitung, 1854, S. 193.
Eönigrelch Sachsen.
Herwigsdorf bei Löbau. 1 M der Gens Titia. Neues Lausitzisches Ma-
gazin, Bd. 43 S. 51.
Dresden. Im Walde auf dem rechten Eibufer in der N&he Von Neustadt-
Dresden ist nach glaubwürdiger Mittheilung eine der kleinen schriftlosen
& von Gaithago oder Panormus gefunden worden, auf der Ys. der Eopf
der Demeter, auf der Eus. ein stehendes Pferd; den Abdruck habe ich
gesehen.
Mecklenburg.
Mecklenburg. 1 N des Geta und 1 N Justinians, in „Mecklenburg^ ge-
fanden, ohne weitere Angabe, befinden sich im EL Münzkabinet.
Bossow bei Grevismühlen. 1 M des Antoninus Pius. Wiberg S. 112 fuhrt
168 Aoflgrabungen der alten Gr&ber bei Mschet.
diesen Denar zwei Mal au^ ein Mal unter Bössow, das zweite Mal unter
Grevismühlen.
Schleswig-Holstein-Laue üb arg.
Sandesneben im Amt Steinhorst, Lauenburg. 1 M Gordianas III. Dieser
Denar wird bei Wiberg S. 111 ein .Mal anter Sandesneben, das zweite
Mal anter Steinhorst aafgefUirt.
Provinz Hannover.
Bentwisch, Amt Neuhaus an der Oste, Landdrostei Stade. 7 JR von Yes-
pasian bis Commodus, 1868 gefanden, im E. Münzkabinet, s. Berliner
Blätter fQr Münzkunde, IV. 94. Bei Neuhaas selbst sind 460 M von
Nero bis M. Aurel, darunter ein lycischer Denar Traians gefanden wor-
den, s. Numismatische Zeitung, 1851, Nr. 20.
Ansgrabnngen der alten Gräber bei Mzchet
Von Fr. Bayne.
Durch den Ghaus^ebau zwischen Tiflis und Mzchet wurden schon ror
mehreren Jahren Steinkastengraber bei Diyom und am rechten Euru-Ufer bei
Mzchet aufgedeckt, leider, ohne untersucht zu werden, auch zerstört
Im yergangenen Herbste kam ich von meiner sehr erfolgreichen Reise
der Halbinseln Eertsch und Taman, sowie des Küstenstriches zwischen dem
Kuban und dem Thale Tekos, reich beladen zurück; die zahlreichen, gröss-
tentheils firisch aus- und durchgegrabenen Tumuli im Stavropoler Gebiete and
ganz besonders am rechten Kuban-Ufer, zwischen Protschni-Okop und Eka-
terinodae, dann diejenigen auf der Halbinsel Taman und die schon früher
ausgegrabenen Tumuli bei Kertsch wirkten so sehr auf mich, dass ich es
nicht unterlassen konnte, neben meinen geognostischen Stadien aach etwas
Archäologie zu treiben, wobei ich die alten Topfscherben und Küchenabfiüle
besonders berücksichtigte, für welche Reste besonders Taman und Jenikale
klassisch erscheinen; zugleich yeryoUstandigte ich durch Ankauf alter Mün-
zen meine schon ziemlich reichhaltige Münzsammlung.
Auf meiner Heimreise nun fand ich wieder die von mir schon halb rer-
gesseuen Steinkasten bei Mzchet und Diyom. Ohne Instrumente bei der
Hand zu haben, musste ich, bei Diyom, mit den Fingern arbeiten, so lange,
bis es mir gelang, ein kleines Bronzestückchen zu erhalten, wodurch ich zu
Anagrabungfen der alten Gräber bei Hzchet, 169
der Ueberseagang kam, dass diese Gräber einer firüheren als der christlichen
Zeit aDgehörig sich erweisen würden, wenn dieselben genauer untersucht
werden soUten.
In Tiflis angekommen, bemühte ich mich, bei einigen Bekannten darauf
hinzuwirken, dass der hohen Regierung das Erscheinen dieser Grräber in
Grusien bekannt gemacht werde, welche dann sicher auch es nicht zulassen
würde, dass diese Monumente, ohne untersucht zu werden, zerstört würden;
leider aber fiand ich so wenig Interesse bei meinen Bekannten, dass ich selbst
die Sache wieder fallen liess. In Folge dieses Missglückens meines Wun-
sches schrieb ich einen Artikel über die im Kaukasus von mir beobachteten
Alterthümer, hoffend, dass vielleicht dadurch die AuiBoaerksamkeit der Oelehr-
ten erweckt werde und das brachliegende Feld, die Archäologie des Kauka-
sus, wieder in Benutzung zu nehmen sich entscfaliessen werde. Ich übergab
diesen Artikel Hm. von SeidUtz, welcher es in seine im September erschie-
nene „ Sammlung von Nachrichten über den Kaukasus^, Bd. 1. au&ehmen
vollte. Hr. von Seidlitz nun hat eine wenig abgekürzte Uebersetzung von
meinem Artikel unter dem Titel „Ueber alte Bauten im Kaukasus^ mit zwei
Tafeb, im ersten Bande 1871. publicirt und wobei auf Taf. I. Fig. 3 einen
Steinkasten-Durchschnitt ich gab.
Im Frühjahre dieses Jahres begleitete ich den Hm. Geheimrath Tsche-
laieff auf sein bei Duschet gelegenes Landgut , ron wo aus ich eine Excur-
sion zu der Troglodyten-Colonie auf den Hohen des rechten Aragoi-Ufergebie-
ks imtemahm; hier fand ich ebenfalls ähnliche Steinkästen wie bei Mzchet
and Diyom. Sie unterscheiden sich aber von diesen darin, dass die Seiten-
wände aus grossen Rollsteinen, mit Mörtel cementirt, gemacht sind, während
jene des Kuragebietes aus Steinplatten bestehen. Ein Durchschnitt eines
dieser Steinkasten ist auf Taf. U der erwähnten „Sammlung etc.^ bei Herrn
^idlitz in der 5. Figur gegeben, sowie auch der interessante, an die Sicilia-
ner Nurhagen erinnernde Thurm auf dem Gute des Hm. Tschelaieff auf Taf. I.
Pig. 4—5 gegeben ist Auf der Rückreise mit dem Hm. Tschelaieff nach
Tiflid bemerkte ich eine lange Reihe au%edeckter Steinkasten auf der Ebene
Ton Samtbawro, welche durch die Arbeiten der neuen Chaussee eben frei-
gelegt wurden. Gebeine wurden soeben über Bord geworfen, die am Schutte
des Chauss^erandes herabrollten auf den Weg, welchen wir fuhren. Mit Weh-
matb wendete ich mich an den Herrn Geheimrath, ihm die Reihe der alten
Gräber zeigend und ihn bittend, doch dazu zu wirken, dass die hohe Regie-
rong Massregeln treffe, dies interessante Leichenfeld, bevor noch alles zer-
stört werde, untersuchen zu lassen.
Herr Tschelaieff, den ich schon seit vielen Jahren als einen jener Män-
&er kannte, die sich am meisten für die Kenntniss ihres Vaterlandes inter-
i'ssiren, hielt gewissenhaft sein Yersprechen, welches er mir gab, alles auf-
zubieten, dieses Feld vor gänzlichem Zerstören zu retten. Er war der Erste,
welcher Sr. Exe. dem Herrn Staatssecretair Baron Nikolai, Chef der Civil-
Zetuckrifl far Bthnologle, Jahrging 1872. ^2
170 Atifigfrabtmgen der alten Gräber bei Mzchet.
▼erwalttmg im Eaakasns, die Sache vorlegte, in Folge dessen Se. Exe. der
Herr Baron aach gleich Herrn von Seidlitz beorderte, das Leichenfeld za re-
cognosciren und darüber Bericht zu erstatten.
Hr. Ton Seidlitz bat mich und den Hm. Dr. jur. PfaS^ ihn nach Mzchet
zu begleiten, was wir Beide auch thaten. Im Mzchet nnn untersachten wir
ein Grab und fanden Thränenfläschchen und einige Bronzesachen, sowie
Trümmer einer Perle von Malachyt. Nachdem wir die Reihe der Gräber
durchgemustert und einige grosse Ziegel von zerstörten Gräbern aa^nom-
men, kehrten wir um, um auch etwas die Ebene, wo diese Graber aufgedeckt
waren, zu durchforschen und wo ich noch zahlreiche Steinkästen bemerkte,
die nicht zerstört waren. Auch die Wände an der Chaussee selbst bis Mzchet
und zur Brücke untersuchte ich und faud nicht allein ganz ähnliche Topf-
scherbenhaufen, wie sie Eertsch, Jenikale und Taman besitzen, sondern ich
entdeckte auch einen geschliffenen Onyx, der zu dem bekannten Latrospiel
der Römer gebraucht wurde. Alles, was wir bei dieser Untersuchung fanden,
liess ahnen, dass wir hier mit einem Leichenfelde zu thun haben, welches
einer vorchristlichen Periode angehöre und die eng mit dem Griechenthum
der kaukasischen Küste zusammen zu hängen schien.
Herr von Seidlitz stattete seinen Bericht an den Herrn Geheimrath Ba-
ron Nikolai ab, und Se. Exe. beorderte Hm. von Seidlitz, mit mir die Saobe
des Ausgrabens zu verhandeln. Es wurden fünfhundert Rubel bestimmt, diese
ersten Versuchsarbeiten zu machen; ich erhielt das Geld und ging sogleich
an die Arbeit, gerüstet mit den dazu nötbigen Instrumenten. Dies war Mitte
Juli. Ich fand daher, dass seit April, meiner ersten Reise durch Mzchet^
schon bei 800 Gräber durch den Bau der Chaussee haben zerstört werden
müssen; es blieb daher nichts mehr übrig, als die noch unberührten Stellen
des Leichenfeldes zu durchforschen.
Da bei Mzchet, ausser den alten christlichen Kirchen keine Spur von
Ruinen zu finden ist, so zweifelten alle Forschangsreisenden an der Wahr-
heit der einstigen Grösse der alten Königsstadt Grusiens. Steven, der 1840
reiste, sagt es selbst mit Bestimmtheit, dass Mzchet nie ein ansehnlicher Ort
gewesen sei und glaubt, dass die damaligen Einwohner, die er fand, in den-
selben Erdhöhlen oder Saklis wohnen, welche ihre Vorfahren, die Bürger de«
alten Mzchet, bewohnt haben. Dubois de Montpereux glaubt, es seien Holz-
gebäude gewesen, ähnlich den Bauten Mingreliens; und so wurde jeder Rei-
sende in seiner Hoffnung getäuscht, die alten Ziegelbauten Strabo^s zu sehen.
Der Chaussöebau nun hat einen lehrreichen Durchschnitt gegeben, ist aber
ebenfalls nur auf einige ganz einfache Baureste gestossen, ähnlich denen,
welche man auf der Strecke von Tiflis bis Mzchet hin und wieder beobach-
tet und die nichts Anderes sind, als Grrandmauem von Rollsteinen gebaut
und roh cementirt. Das wichtigste, was der Chausöebau aufschloss, sind die
alten Gräber, die uns nun auch zugleich eine Einsicht über Land und Leute
jener Epoche gestatten.
Auagrabmigeii der alten Gi&ber bei Mzcbet. 171
Das grosse Leichenfeld bei Mzchet nimmt die ganze Ebene ein, die zwi-
schen den beiden Schlnchten liegt, welche einerseits das Kloster Samthawro
Tom Dorfe Mzchet, andererseits die Borg Bevrisziche, auf der Drei-West-
Esrte des Stabes aber Natzchora genannt, vom Eiloster Samthawro trennen.
Es ist dies die kleine Ebene am rechten Aragoi-Ufer, zwischen Mzchet und
der Barg Beyrisziche, die bis zum Fasse der Berge im Südwesten ron der
Chaussee ans sich aasdehnt Es ist daher dieselbe Ebene, aaf welcher aach
das Kloster steht, und deshalb aach von mir die Samthawro-Ebene hier ge-
nannt wird. Diese Ebene, Ton der nördlichen Klosterwand aas gerechnet,
hat ongef&hr 1500 Schritt Länge, und ist, vom Rande der Hagel aus, an
deren Foas schon die Gräber beginnen, bis zur Ghauss^ hinab, ungefähr
500 Schritt breit.
Die neue Chaussee durchschneidet jetzt die ganze Länge dieser Ebene.
Dt» Brücken, die eine an der südlichen Schlucht, die andere an der nörd-
liebeo Schlacht, die dritte in der Mitte der Ebene bei einer kleinen Regen-
sehlncht beaseichnen nun die ganze Länge des alten Leichenfeldes von Ziza-
nun, der alten Hauptstadt Grusiens, welche Strabo Seusamara nannte, die
jedoch nicht am rechten Aragoi- and linken Kura-Ufer, sondern am link^i
Aragoi-Ufer lag and von welcher Stadt die Reste in dem heutigen kleinen
Doife Zizamuri zu finden sind. Seusamara scheint seinen Namen vom Grötzen-
bilde Süden erhalten za haben, der Götze aber ist jünger als Zizamuri, ebenso
wie Armasi, das Strabo Armosica, Plinins Harmastis nennt, von Armas gleich
Ormazd abgeleitet ist, nach mir aber von Ares.
Eine Vorstadt von Zizamuri lag am rechten Ufer des Aragos, die damals
schon Samthawro geheissen zu haben scheint und die nicht zu yerweohseln
ist mit der später begründeten Vorstadt am linken Kura^Ufer^ welche Strabo
Sarschin nennt Samthawra oder Samzawra scheint der Sitz einer Priester-
kaate gewesen zu sein, und ein Oberpriester-Hierophant, an einem Tempel,
der sehr wahrscheinlich an derselben Stelle stand, wo heute das Erlöster steht,
•einen Sitz hatte. Ich ahne hier einen Zusammenhang zwischen der phdiii-
QBchen Schule und der iberischen, worauf ich die Herren Archäologen auf-
merksam zu machen wünschte. Es ist bekannt, dass der Lehrer des phöni-
zitchen Schriftstellers Sanchuniathon ein Fürst Gideon war, dass dieser Gri-
deon, ein Priester Jovo's (=" Jao » Jehova), als solcher den Namen EUeronbal,
mit dem Beinamen Jerubaal führte (siehe A. H. Dömer, Dr. Jakob Matter's
kritische Greschichte des Onosticismus, Heilbronn 1844, pag. 155 — 156 des
1. Bandes; ebenso Porphyrius, Judic. 8, 29. 35). In Mzchet nun lebt heute
noch eine FürstenfiBunilie, die Gideon oder auch Gideonuw sich nennt. Der
Oiiton Ton Mzchet hängt innig mit dieser und einer anderen Familie von
Mzchet zusammen, was ahnen lässt, dass die Familie Gideon einer früheren
Priesterkaste oder Familie angehörte, und es wäre daher nicht zu verwundern,
in Hieronbal einen Dekanos oder Hierophant, d. i. Oberpriester von Sam-
thawro zu finden, dessen Wohnung, wie heute noch, hier stand.
12*
172 Ausgrabtuigen der alten Gi&ber bei Mzchet
Diese Vorstadt Samthawro oder Samzavnro scheiiit durch eine Brücke
über den Aragoi mit der Matterstadt Zizamuri-Seasamora verbunden gewesen
za sein und diese Bracke an der Barg Bevrisziche gestanden za haben.
Die ganze Ebene von Samthawro lasst keine Spar alter H&nserbaaten
erkennen, ausser einem Opferphitze wahrscheinlich, etwas oberhalb der mitt-
leren Brücke aof der Chaussee, sowie einem Oebäade in der Mitte des gros-
sen Leichenfeldes, dessen rohe Glrandmaaern ich bei dem Aasgraben eines
Eanales zwischen den Gräbern aufdeckte and im Schatte desselben eine
grosse und mehrere kleine Glasschlacken entdeckte, weshalb ich geneigt bin,
dies Gebäude für eine Glasfabrik anzusehen, in welcher die Thrftnenfläsch-
'chen fabrizirt vnirden, die man in den Gräbern von Samthawro findet. Wenn
daher diese Vorstadt bewohnt war, so standen die Häuser sicher in dem heu-
tigen Mzchet und am rechten Ufer des Aragoi, wo man Jetzt Weingärten sieht,
also nördlich oder nordöstlich vom Wege und der jetzt neu angelegten Ghaus-
8^. Das eigentliche Leichenfeld, also westlich von der Chausste, ist von
jeher nur von Leichen bewohnt gewesen, und wie schon angedeutet, ein
Orakel- oder Heidentempel sehr wahrscheinlich dort gestanden hat, wo heute
das Kloster Samthawro steht; da aber dieser Tempel zerstört wurde und auf
seine Stelle das Kloster kam, wird es schwer werden, je diese meine Hypo<
these bestätigen zu können. Dass man aber an den jetzigen Klostermauern
und wie man mir erzählte, im Klosterhofe alte Gräber findet und gefunden
wurden, habe ich mich selbst überzeugt
Durch den Ghauss^ebau wurden fünf Reihen dieser Steinkästen zerstört
Diese Steinkästen stehen nebeneinander reihenweise und ich zählte ungefähr
60 Kästen in einer Reihe. An dieser Stelle nun sind über 300 Gräber an-
durchforscht verloren gegangen. Durch Erdgrabnngen, die Ghauss^e aufzu-
füllen, wurde die Ebene an mehreren Stellen angegriffen, und überall stiess
man auf Steinkästen, die dicht aneinander standen, und ich glaube mich nicht
zu irren, wenn ich die Zahl der für die Wissenschaft verloren gegangenen
Gräber allein bei Mzchet auf 800 annehme, ohne die vielen Gräber am rech-
ten KurarUfer gegenüber Mzchet, der Ebene von Armasi, und die zwischen
Mzchet und Tifiis in Betracht zu ziehen, welche durch Ghaussee* und Elisen-
bahnbauten zerstört werden mussten. Was bei dieser Begebenheit zu ver-
wundern und dabei zu bedauern, ist, dass sich unter den vielen Tausenden
von Menschen, welche bei diesen Bauten und Erdarbeiten betheiligt und be-
schäftigt waren, sich auch kein Einziger gefunden hat, der Interesse für die
Sache gezeigt hätte, und auch das Mindeste für die Kenntniss des von ihnen
durchwühlten Bodens zu retten, geschweige der Behörde, der Regierung von
dem Auftreten dieser Gräber Kenntniss zu geben, die dann gewiss dafür ge-
sorgt hätte, nicht die Ghräber zu retten, denn der Verkehr erheischt gute
Strassen, und um diese zu haben, muss alles weggeräumt werden, was hin-
derlich ist Die Gräber haben das Ihrige gethan, haben ihre Zeit durchge-
macht und es ist daher kein Verlust, wenn sie von der Erde verschwinden,
Aoflgrabiingen der alten Grftber bei Mxdiet 173
ebenfidls wie ihr Inhalt zu Erde oder za Nichts wurde; es fimden sich aber
io diesen Gräbern Gegenstände, die, wenn sie sorgfältig gesammelt worden
wären, ein grosses Licht verbreiten konnten über Volk und Geschichte des-
selben, welchem diese Steinkasten angehörten; sondern die Regierung hatte
diese Sachen zu retten gesacht, ebenso wie manches Grab, als Monnment
einer früheren Epoche.
Unmittelbar an der Ghaassfe, wo sich die lange Reihe der aufgedeckten
Steinkasten befindet, machte ich einen ersten Ansgrabnngsversach; ich liess
toerst einen Kanal ziehen, der mit dem Wege parallel lief. ^Der Kanal von
i Fass Breite und 2—3 Fass Tiefe hatte 8 Faden L&nge , wobei ich auf 4
Steinkasten kam, die aufgedeckt and darchsncht wurden. Zwei Kanäle, welche
perpendicolar auf diesen ersten Kanal hinliefen, ergaben jeder 9 Steinkasten,
zwischen welchen ich aach einen kleinen Kasten, ein Kindergrab aufdeckte.
Bade Kanäle liefen auf eine» Haufen cementirten und nicht cementirten Gte-
röDes, ganz verschieden von dem diese Ebene zusammensetzenden Geroll-
boden, in welchen diese Steinkasten gebaut wurden. Um zu erfahren, was
(lieeer theils cementirte Boden ergebe, liess ich einen Kanal von Nord nach
Sfid and zwei kleinere Kan&le, von West nach Ost auf den ersteren laufend,
ziehen; es ergab sich, dass hier die roh gebauten Grundmauern eines Ge-
bftades waren, das^ da ich alte Glasschlacken hier entdeckte, sehr wahrschein-
lich eine Glasfiabrik sein dürfte; nur bleibt dabei die Frage unbeantwortet,
TOD wo diese Fabrik den zum Glasschmelzen nöthigen Quarzsand bezogen,
denn bei Mzchet finde ich keinen, ausser sie haben den thonigen molassen
Sandstein zur Glasmacherei benutzt, der als Platten für die Steinkasten in
Anwendung kam und der unweit der Ebene hier ansteht Dies Gebäude
total auszugraben und gut zu untersuchen, könnte manches Interessante dar-
bieten, was dem nächsten Sommer vorbehalten bleibt.
Nachdem ich diese Stellen durchforscht hatte, machte ich mich an den
nördlichen Rand der Ebene, an der grossen Schlucht, welche die Ebene von
der Borg Bevrisziche trennt. Hier entdeckte ich mehrere Ziegelplatten- and
Dachziegelplatten -Kasten, welche zwischen und einmal unter einem Stein-
b«ten sich fanden. Femer entdeckte ich einen Steinkasten von ganz eigen-
thnmlicher und von allen bis jetzt und später beobachteten Formen abwei-
chender Baaart, die ich weiter unten als Sarkophage beschreiben werde.
Geendigt mit dem Nordrande, begann ich, den Saum des Stranchwaldes,
d. i. den Rand der Ebene am Fasse der Hügelreihe zu untersuchen und
schritt hier in zwei Reihen vorwärts, bis ungefähr an die Mauern des Klosters.
Nachdem ich auf dem grossen Leichenfelde von Samthawro geendigt
hatte, untersuchte ich das Leichenfeld der Vorstadt Sarschin, welches auf
den Hügeln des linken Kura- Ufers, zwischen Mzchet und der Brücke über
den Kor liegt, woselbst ich auch meine Arbeiten für dies Jahr beendigte.
Wührend dieser Arbeiten hatte ich auch einige Versuchsarbeiten bei Ko-
donani, 3 Werst westlich von Mzchet, und im Thale des sogenannten alten
174 Avsgnbimgeii dm alten Qriber bei Miebii
Annasi gemacht, die beide aber bis jetzt resnltatloe sind und l&ngere Zeit
erfordern, um zu einem nutzbringenden Resultate zu gelangen. Grewiss ist
es aber jetzt, dass ebenso Sarchin, Eodomani, Axmasi und die ganze Um-
gebung von Mzchet und Zizamuri reich an diesen alten Begr&bnissplatzen
sind und dieselben sich an beiden Seiten des Knrflusses bis Tiflis hinab ver-
folgen lassen.
Bei Eodomani sind mehrere alte Kapellen, aus den ersten Jahrhunderten
des Ghristenthums in Grusien stammend; vor allen diesen Kapellen findet
man einen Kuwschin (Amphora für Wem) in die Erde eingegraben. Einen
dieser Kuwschine liess ich ausgraben und nach Mzchet hinunter transporti-
ren. Ein an einen Venus- oder Astartetempel erinnerndes Gebäude, ohne
Eingang und mit eingeschlagener Kuppel, liess ich ausräumen, hoffend, am
Grunde etwas zu finden; es ergab sich aber^ dass dies ein Kombehälter war
eines früheren reichen Gutsbesitzers. Alte gomauerte Weinkelter and tot
ihnen in die Erde eingegrabene Kuwschins sind mehrere bei Kodomani za
sehen, und es scheint, dass diese Hochebene in früherer Zeit zu Landsitzen
der Einwohner von Mzchet gedient hat, wo diese reiche Weingärten besas-
sen, die aber durch das Ausrotten des Waldes, durch welches diese Hoch-
ebene des Wassers und der Quellen beraubt wurde, mit. der Zeit eingingen.
Zwei Wasserleitungen von Kodomani brachten frisches Quellwasser in das
wasserlose Mzchet im Alterthume; diese sind nun ebenfalls flür Mzchet eine
Mythe geworden. Doch brachte ich von- dieser Wasserleitung Ziegel f&r das
kaukasische Museum nach Tiflis.
Armasi liegt in einer kesself&nnigen , von hohen Bergen eingeschlosse-
nen Schlucht, die mit einer engen Spalte, durch welche die Wasser des Ar-
masizkuli ablaufen, zum rechten Kura-Ufer mündet Ich fand hier drei alte
und schöne Kirchenruinen, mit den Baulichkeiten der einst dort hausenden
Priesterschaft, lieber der einen Kirchenthür ist eine Inschrift, eine zweite
Inschrift liegt als Sitz in der Earche, in welcher die Hirten eich am Feuer
wärmen, welches sie mitten in der Kapelle oder Kirche sich anmachen. Hier
fand ich den Boden au%ewühlt und sah eine kreisrunde Oeffiiung, die wahr-
scheinlich in einen Kellerraum führt, aber mit grossen Steinen verschüttet ist.
Diese Eirchenräume müssten genau durchforscht werden, denn sonst sind die
Hirten fertig, dieselben zu durchwühlen. Der Götze Ormusd soll auf einem
kegelförmigen Berge in diesem Kessel gestanden haben; ich konnte densel-
ben aber aus Mangel an Zeit nicht aufsuchen.
Eine Judenstadt, von welcher die Einwohner von Mzchet viel zu erzäh-
len wissen, soll auf den Höhen von Bevrisziche gestanden haben. Eine £z-
cursion, die ich ohne Führer auf diese Berge machte, missglückte, denn ich
fand die Stelle nicht; aber an den nordöstlichen Abhängen fand ich Spuren
alter Wohnungen im Walde, und es ist zu hoffen, bei längerem Aufenthalte
in Mzchet auch die Judenstadt zu finden.
Das alte Seusamara konnte ich diesmal nicht besuchen. Hier ist der
Anfigrabangen der alten Gräber bei Uzchet. 175
Ort, auch der UDannelimlichkeiten zu erwähnen, die sich bei den Ausgrabun-
gen in Grrosien entwickehi: es sind dies die Prätensionen der Boden- und
Landeigenthümer, welche sich ihrer Schätze nicht beraubt wissen wollen, da-
her jede Art von Hindernissen aufzufinden verstehen , damit das Feld ihnen
nicht angegriffen werde. Es bleibt hier nicht nur bei Drohungen, sondern
diese Leute sind bereit, sogar Angriffe auf die Pierson und die Arbeiter zu
machen. Einige Bauern von Mzchet wollten mir das Graben auf dem Lei-
chenfelde verbieten, ein anderer kam mit Grobheiten auf mich zu, wie ich
mich unterstehen könne, auf seinem Lande einen Kuwschin auszugraben.
Alle diese Anfalle geschahen vor dem Dorfschulzen selbst und dieser liess
mich allein die Sache mit seinen Leuten ausfechten. Ja, die Herren Guts-
besitzer, wie sie sich nennen und Fürsten sein sollen, machten mir die Be-
merkung, dass das Land hier ihnen angehöre. Glucklicherweise sind meine
Xusgrabungen nicht an solchen Stellen vorgekommen, wo diese Herren An-
spräche machen konnten. Sicher hätte ich hier nicht arbeiten können. So-
4
gv ein Geistlicher von Mzchet, auf dessen Ackerboden bei Sarschin ich
einige Gräber öffiien liess, war unzufrieden über diese Arbeit und ich musste
die Grräber wieder zuschütten lassen , damit ich Ruhe hatte. Diesem abzu-
helfen ist, will man hier im Lande archäologische Forschungen machen, eine
der wichtigsten Fragen. Es musste ein Circular, mit dem Befehle, keine
Hindemisse in den Weg zu legen, im ganzen Lande publicirt werden, worin
gesagt sein mQsste, dass Alles, was in der Erde sich findet, dem Lande und
nicht dem Gutsbesitzer gehört; sind reiche Schätze gefunden bei Ausgrabun-
gen, so kann der Gutsbesitzer dafür Entschädigung erhalten.
Ein anderer, noch gewichtigerer Grund der Unannehmlichkeiten ist der
Aberglaube des Volkes. Diesen zu bekämpfen, ist sehr schwer; sogar die
Geistlichkeit kann hier nicht viel thun. Fanatisch wird sich jeder Grusiner
dagegen stemmen, einen Kuwschin auszugraben, weil er der Meinung ist, dass
er schon bei dem ersten Hiebe mit dem Grabscheit in die Erde todt nieder-
&ülen wird, und daher musste ich selbst zuerst einige Hiebe in die Erde,
▼or meinen revoltirenden Arbeitern, und darauf mein Diener einen Kanal um
den ganzen Weinkrug machen, bevor sich endlich einer der Arbeiter ent-
8chlo6s anzugreifen, dem dann langsam die Uebrigen folgten und die Arbeit
sp&ter unter Jubel beendigten. Noch fanatischer sind die Gebirgsvölker, wo
man Gefahr läuft, sein Leben zu verlieren, sollte man ein Grab bei ihnen
öSben; und doch, wenn Schätze vermuthet werden, werden diese Gräber von
Einzelnen, ebenso bei Mzchet, als in Digurien, Ossetien u. s. w. selbst in
äefer Nacht aufgegraben und beraubt. Die Einwohner von Mzchet sind so
9ehr geübt im Durchforschen der Gräber, dass man dieselben bei solchen
Arbeiten kaum bewachen kann; denn sowie sein forschendes Auge einen
werÜivoUen Gegenstand findet, ist derselbe auch gleich unter seiner Tschocha
(^ck) verschwunden; daher ist es nöthig, streng darauf zu sehen, dass, so-
^e die Henschenreste unter dem Schutte ans Tageslicht kommen, sogleich
176 Attsgrabungen der alten Gräber bei Mschet.
die Arbeiter aas dem Grabe za entfernen und den Rest im Grabe selbst zu
untersuchen; diese Arbeit ist freilich keine angenehme, aber doch die sicherste,
um seine Untersuchungen belohnt zu sehen. Jedes begonnene Grab muss
an demselben Tage auch beendigt werden; denn bleibt das Untersuchen des-
selben für den anderen Tag, so kann man sicher sein, nichts mehr zu finden,
weil die Arbeiter in der Nacht dasselbe aussuchen.
Die Gräber von Samthawra, welche ich hier zu studiren Gelegenheit
hatte, sind theils die alljüdischen Akeldamen, das sind Steinkästen, von den
Hebräern Akeldam genannt, ein Name, der sich bis heute in Grusien erhal-
ten hat und daher den semitischen Ursprung dieser Gräber bekundet. Die
Grusier benennen aber alle alten Gräber Akeldama, gleichviel ob es Stein-
kasten oder Backsteinkasten sind, und sich von den christlichen Gräbern
unterscheiden. Dieser Unterschied ist der, dass die Wände des Grabes und
seine Decke aus Steinplatten oder Ziegelplatten bestehen, während das christ-
liche Grab die Naturwände der Erde, in welcher der Sarg steht, besitzt. Es
scheint aber, dass diese Steinkästen bis in das in Georgien eingeführte Ghri-
stenthum in Anwendung waren, obgleich ich nur an einem einzigen Orte eine
Leiche fand, die an christlichen Ritus erinnert; die Leiche aber scheint spä-
ter in einen ausgeraubten Steinkasten gekommen zu sein, dem die Decke
fehlte und in welchem die Leiche auf den alten Grabschutt und nicht unter
diesen, wie in den anderen Steinkästen gelegt wurde. Der Schädel dieser
Leiche ist auch gut erhalten und total von den Schädeln der anderen Akel-
damen verschieden, indem er kurzköpfig ist und dabei eine giebelf5rmig zu-
sammengewachsene Stirnbeinnaht erkennen lässt Der Schädel ist jetzt im
kaukasischen Museum in Tiflis aufgestellt.
Die Ziegelplattenkasten, das sind Akeldamen aus Ziegel- und Dachziegel-
platten gemacht, gehören zwar derselben Epoche an wie die Steinkasten, sind
aber doch die jüngeren Gräber auf dem Leichenfelde, obgleich ich eins die-
ser Ziegelgräber unter einem Steinkasten fand; es dürfte hieraus zu schlies-
sen sein, dass Ziegelkasten und Steinkasten einer und derselben Familie an-
gehörte, wobei wahrscheinlich die Mutter oder die Frau zuerst starb und in
den Ziegelkasten kam, später aber der Mann oder Sohn seinen Kasten auf
den Ziegelkasten aufgesetzt bekam. Eine Eanderleiche in einem kleinen Stein-
kasten neben oder besser an den Füssen des grösseren Steinkastens scheint
ebenfalls dieser Familie angehört zu haben.
Die in den Gräbern gefundenen Sachen sind fast ganz dieselben, gleich-
viel ob Stein- oder Ziegelkasten, letztere aber sind die seltensten und reich-
sten. Die bei Mzchet beobachteten Gräber erscheinen in folgenden charak-
teristischen Kastenformen und Baumaterialien:
1. Steinkasten. Es sind dies die typischen hebräischen oder jüdischen
Akeldame, welche bei Mzchet in zwei verschiedenen Grössen auftreten, wo-
bei die Kinderkasten zur zweiten Abtheilung zu zählen sind; demnach ha-
ben wir
Ansgralmniireii der alten Gr&ber bei Mzchet. 177
a. grosse Steioplattenkasten. Dies sind 8 — 9 Fass lange, 5 Fnss breite,
'^ Fnss tiefe Kasten , aus ein and oft fast anderthalb Fnss dicken Sand-
steinplatten zusammengesetzt, wobei häufig jede Wand des Kastens nnd auch
die Decke, welche gewöhnlich die dickste Platte ist, ans einer einzigen Platte
bestehen; häufig aber findet man die beiden Seitenwände und die Decke aus
zwei oder auch drei aneinander gestellten kleinen Platten zusammengesetzt,
während die Kopf» und die Fnsswand, d. h. die Schmalwände jedesmal aus
einer einzigen Platte gemacht wurden. In seltenen Fällen findet man auch
den Boden aas Steinplatten gebildet und dann gewöhnlich aus zwei oder drei
kleinen Platten bestehen. Der Steinkasten ist an der einen Schmalwand,
dem Ostende des Kastens schmaler als am oberen oder Westende und bildet
daher gewissermassen ein Trapez; jedoch scheint dies nicht Regel gewesen
zu sein, obgleich die meisten Kästen auf dem Leichenfelde von Samthawra
i^ese Form erkennen lassen, denn man findet oft auch Kasten, die ein reines
Panllelepiped bilden, wieder andere, welche im Westen, also am Kopfe des
Kastens schmaler als am Fasse sind.
Die Richtung aller Kasten oder Gräber von Samthawro ist Ost- West;
doch aach hier ist der Gompass nicht strict beobachtet worden. Ist der Bo-
den mit Steinplatten belegt, was selten vorkommt, so wurde dieser mit feinem
Sande bestreut; gewöhnlich aber findet man in den Steinkasten den reinen
Kiesboden, in welchem das Grab angelegt wurde. Denn die ganze Ebene
von Samthawra ist aus einem mächtigen Gerölllager gebildet, was sehr wahr-
dcheinlich auch die Ursache sein konnte, da dieser Boden nicht oder schwer
^»«vbeitet werden konnte, dass das Feld von Samthawro zum Leichenfelde
aosgeaacht wurde.
An der Deckplatte findet man gewöhnlich, in der Mitte des westlichen
Heiles der Decke, zwei Fuss vom Rande ein kopfgrosses Loch. Bei den
Dolmen von Schabsugien, das ist an der Küste des schwarzen Meeres und
im Innern dieses Landtheiles, dann an den Obergräbem von Ossetien, Cha-
"^en and Kistien ist dies Loch an der vorderen Wand angebracht; eiu ähn-
liches Loch findet man auch an den muselmännischen Gräbern. Dieses Loch
«iiente entweder zu den, in früheren Zeiten von den Zauberern und Magiern
^gewandten Zaubereien und Todtenbeschwörungen, welche bei gewissen Ora-
keln nöthig waren, oder es diente dazu, den Todten Spenden ins Grab zu
legen, wie dies in Ossetien beobachtet wurde, wo man dem Verstorbenen
nach Jahresfrist durch das Loch, wie man es auf den Tafeln im Sbomik des
Bni. Seidlitz bei meinem dort gegebenen Artikel sehen kann, einen Fisch
^cr ein Schafherz ins Grab giebt, darauf das Loch mit einem Stein zudecken
^11 (was meiner Ansicht nach in Ossetien nicht gut angeht). Das Grab wird
t>€i den Ossetiem nicht vrieder berührt Was den Fisch anbelangt, scheint
der Beobachter dieses Factums die Sache nicht selbst gesehen zu haben,
i^ondcm nur vom Hörensagen zu kennen. Diese Spende dürfte eine symbo-
lische Bedeutung haben. Es ist bekannt, dass der Fisch bei den Alten das
178 AugnbiiiigAii der alten Gr&ber bei Mzehet
Symbol des Wassers — das Symbol der Fische im Thierkreise, demnach
kalendarische Bedeatung hatte; dann aber war er auch das Symbol der Fort-
pflanzung und der Fruchtbarkeit, hatte also auch eine erotische Bedeutung.
Ich bin der Ansicht, dass es diese letztere ist, welche bei dem ins Grab ge-
legten Fische angenommen werden mnss, denn auch in den Ghr&bern von
Samthawra fand sich der Fisch, aber hier als Fischkopf; nirgends liess Bich
ein Skelet desselben finden, und daher glaube ich, dass, wenn wahr, auch in
Ossetien nur ein Kopf ins Grab gelegt wird, und dieser Gebrauch ein uralter
im Kaukasus ist. Da nun neben dem Fischkopfe noch zahlreiche Gegen-
stände und Talismans, welche dieselbe symbolische Bedeutung haben, wie:
Fortpflanzung und Fruchtbarkeit, so scheint mir, dass dieser Gebrauch,
Fischköpfe ins Grab zu legen, im Gülte der hiesigen Völker zu suchen ist,
worüber weiter unten mehr die Rede sein wird. Zu bemerken ist noch, dass
diese Fischköpfe, sovrie Katzen nie mit den Leichen zusaaunen liegen, son-
dern stets oben auf dem die Leichen bedeckenden Schutte, ein Beweis, dass
sie später ins Grab kamen, und daher es auch möglich sein kann, dass sich
in Ossetien dieser Gebrauch bis heute erhalten hat, wie so viele andere Ge-
bräuche des Alterthums auch in Grusien. •
b. Kleine Steinkasten oder Steinplattenkasten. Diese Akeldamen sind
ganz ähnlich den grossen Steinkasten, sind aber weder so tief^ noch so breit
als jene. Die Seitenwände und die Decke bestehen selten aus ganzen Stein-
platten, gewöhnlich aus zwei, — die Decke auch aus drei kleinen Sandstein-
platten. Dabei ist der Sandstein auch von einer geringeren Sorte, weich
und bröcklig; sehr selten ist der Boden des Kastens mit Platten bedeckt
Diese Steinkasten sind diejenigen, in denen am meisten gefanden wird,
während in den grossen, ausser den Thränenfläschchen und Todtenmantel-
fibeln, sogenannten lleftschnallen, fast nie etwas Anderes gefanden wird; be-
sonders ist es der Frauenschmuck, welchen man in diesen kleineren Stein-
kästen findet.
Zu diesen kleinen Steinkasten sind auch die Kindergräber zu stellen,
die, ofl nicht länger als 3 Fuss bei 1 Fuss Breite, zu beobachten sind.
In den grossen Steinkasten findet man stets mehr als 3 Leichen, oft ^
Leichen, in den kleineren selten mehr als 3 Leichen, häufig aber auch noi
eine Leiche. Die grossen Steinkasten sind daher meiner Ansicht nach Staats-
opfem gewidmet gewesen, während in den kleineren Steinkasten zur Hauptr
leiche ein bis zwei Menschenopfer beigesetzt wurden.
2. Steinkasten in Form von Sarkophagen^ sehr wahrscheinlich die
altgriechischen nanxfKfcr.fHj:] denn es ist nicht gesagt, ob ein Sarkophag ein
Monolith, ein Sarg oder ein aus mehreren Steinen oder Ziegelplatten zusam-
mengesetzter Kasten sein muss. Ich nenne daher dies von mir entdeckte
und untersuchte Grabmonument Sarkophag, aus dem Grande, weil dasselbe
die Form eines Sarges hat, worauf zwei Steinplatten ein von zwei Seiten
steil ab&llendes Dach, die Decke bilden. Der Kasten selbst ist ebenso ge-
Av^grftbmigtB der alten Ghrftber bei Msoliei 179
bildet, wie die übrigen Steiakaaten dieses Leichenfeldes, nur mit dem Unter-
scliiede, dass hier die Scfamalwände über den Rand der Langwfinde bei drei
FoBS herrorragen; dieser obere Theil der Schmalwände ist von beiden Seiten
6chr&g abgeschnitten, so dass ein Dreieck entstand, auf welchem dann die
beiden Deckplatten, welche auf den Langw&nden, durch Mörtel befestigt,
aafntzen, fest aufliegen können. Die Deckplatten reichen über den Rand
der pyramidenförmigen Schmalwände, fast 1 Fuss lang, hinaus, und so stellt
der Sarkophag ein langes, schmales Häuschen vor.
Der Sarkophag ist innen 8 Fuss lang, 4^ Fuss breit und in der Mitte
7 Fuss hoch, während an den Seiten die Seiten wände nur 4 Fuss Höhe
haben. Aussen ist der Sarkophag 9 Fuss lang. An der Decke ist am Gie-
bel im Westen der Lage des Grabes das charakteristische Loch ebenfedls
mgebraeht gewesen, welches auch hier, wie bei allen anderen Akeldamen,
mit ^em grossen Steine bedeckt war.
hk habe dieses Grab und einige andere bemerkenswerthe Gräber vor
der Hand offen gelassen, damit dieselben auch von Andern und besonders
roD Archäologen studirt werden können, und es wäre zu wünschen, nicht
allein diese Gräber, sondern das ganze Leichenfeld von Samthawra vom wei-
teren Verderben und besonders vor der Habsucht der Mzcheter Einwohner
n retten.
3. Ziegelplattenkasten. Es sind dies Gräber aus grösseren und
Uemeren Platten von gebranntem Thon, sogenannten Ziegeln zusammenge-
stellt, die ich mit den römischen, Area lateri bezeichnend, vergleichen möchte.
Auch diese Grräber oder Kasten erscheinen in zwei Ziegelgrössen.
a. Segelplattenkasten aus grossen Platten gebaut Es sind dies Platten
TOD 1 Zoll Dicke bei 2^ Fuss im Geviert, also ebenso hoch wie br<Bit. Diese
quadratischen Ziegelplatten wurden von den Griechen A/,iv'Pog^ von den Rö-
non aber Later genannt, wobei für die grösseren die Benennung nlivHoc:
linudoQov =r Later pentadoron in Anwendung war.^) Diese selben Ziegel-
platten habe ich auch an der Küste des schwarzen Meeres bei Otschimschiri
t^bichtet, weshalb ich der Ansicht bin, dass diese von den Griechen in
Zizamuri oder dem alten Sarschin bereitet wurden, denn eingeführt sind sie
nicht, indem der Thon zu diesen Ziegelplatten derselbe ist, der heute noch
in Mzchet für Töpferarbeit verwendet wird.
Aach diese Ziegelplattenkasten, die ebenfalls von den Grusinem Akel-
<lttiia genannt werden, sind im Westen breiter als im Osten, aber auch bei
^i^mn fand ich oft das Gegentheil. 3^ dieser Ziegelplatten bilden, an jeder
Wgwand, diese Seiten wände, indem sie auf die Kanten gestellt wurden, je
zu einer Platte wurde zu den beiden Schmalwänden (Kopf- und Fusswände)
ebenfalls auf die Ejmten gestellt, genommen. Die Decke und der Boden be-
standen Wenfalls aus je 3^ Platten und waren flachgelegt, so dass ein Pa-
nllelepiped aus 12 ganzen und 4 halben Platten bestand, welches, wie ge-
^ Ch^mel, Dicticnm. des antiqoit^ rom. et greeques, Paris, F. Didot, 1861. a. ▼. later.
180 Au8f(rmbuDgen der alten Griiber bei Mschei
sagt, in seltenen Fällen ein kaum erkennbares Trapez bildete. Der Boden
dieser Ziegelplattenkasten ist gei^öhnlich mit feinem Sande bestreat worden.
Diese Ziegelplattenkasten haben so viele Aehnlichkeit mit den schmalen,
sogenannten Tataren-Gräbern von Eertscb, dass man geneigt ist, aach diese
auf Samthawra erscheinenden Kasten den Griechen ziusaschreiben. Die Sel-
tenheit dieser Gräber und das selten zu beurtheilende Skelet machen es
schwierig, das Volk zu unterscheiden, fQr welches diese Gräber gemacht wor-
den sind. Dies seltene Auftreten aber, dann ein Metallspiegel, ähnlich wie
man sie in Eertsch findet, und noch mehr ein Medaillon von Onyx mit grie-
chischer Inschrift, mit dem Spiegel zusammen gefunden, dürf^ den sicher-
sten Beweis geben, dass diese Ziegelplattenkasten den Griechen angehorten,
die in Zizamuri oder Mzchetos angesiedelt waren. Die griechische Inschrift
auf dem Medaillon ist der Name des Besitzers desselben, der Icarins oder
HXAPICI sich nannte. Das Ghrab aber scheint ein Frauengrab gewesen zu
sein, und wahrscheinlich die Tochter oder die Frau von diesem Ikaros war!
Doch scheint der Gebrauch oder die Anwendung dieser Ziegelplattenkasien
auch bei den Iberiern in Mode gekommen zu sein, denn man findet in eini-
gen dieser Gräber ganz dieselben Sachen wie in den Steinkasten, so z. B.
die charakteristische Chlamysfibula = Leichenmantelschnalle oder Heftnadel.
b. Ziegelplattenkasten, kleine, aus Platten von 1^ Fuss im Geviert, die-
selben, welche die Griechen nl/iv^oc rarQadoQov^ die Römer Later teiradoron
nannten. Diese Gräber sind ganz ähnlich wie die grossen Ziegelplattenkasten
gebaut, nur sind sie kleiner und wurden sehr wahrscheinlich fbr junge Leute
und Kinder gebaut, denn ich fand Kasten von kaum 3 Fuss Länge.
4. Dachziegelplattenkasten. Sie könnten als Area teguli bezeich-
net werden, und erscheinen ebenfalls in zwei verschiedenen Dachziegelgros-
sen, nämlich:
a. grosse Dachziegelplattenkasten. Diese sind aus Dachziegeln gebaut,
von Ziegeln, welche ein Trapez bilden, nämlich oben breiter als unten, deren
beide Seitenränder mit erhabenen Rändern besetzt sind, demnach Schöpfschau-
fel-ähnlich erscheinen. Die Griechen nannten sie xe(>crju^g, die Römer Te-
gula, sind daher ganz verschieden von den jetzt hier häufig angewendeten,
aber auch schon in Zizamuri bekannt gewesenen Hohlziegeln, der xaXvntf]Q
der Griechen und imbrez der Römer.
Die beiden unteren Theile der Seitenwände dieser Dachziegeln sind, bei
3 Zoll Länge, eingekerbt, so dass die breite obere Fläche des einen Dach-
ziegels genau auf die schmale untere Fläche des andern eingepasst werden
kann. Der Dachziegel ist 2 Fuss lang, der obere oder" breite Theil 1|- Fuss
breit, der untere oder schmale Theil H Fuss breit.
Diese Dachziegel sind auch später, in den ersten Jahrhunderten des
Christenthums in Mzchet wahrscheinlich fabricirt worden; sie unterscheiden
sich aber von den alten darin, dass sie kleiner als die später zu beschrei-
benden kleinen Dachziegel sind und ausser dem unteren Kerb am Seiten-
Ansgrabmigeii der alten Gräber bei Mzchet. 181
nudei dieser Band noch mit einem, nach aussen greifenden, erhabenen Wulst
rersehoi ist and h&ofig mit einer grünen Glasur bedeckt worden. Diese Zie-
gel findet man an den alten christlichen Kirchen in Armasi, dem früheren
Kloster Armasi, welches in einem Kesselthal, von hohen Felswänden umge-
ben, bis 5 Werst westlich von Mzchet am rechten Kura- Ufergebiet liegt und
wohin sich, wie die grusinische Chronik sagt, die Turanier ansiedelten, welche
TonCyrus verfolgt waren; daher nicht zu verwechseln ist mit dem alten Ar-
masi, welches Strabo als Mzchet gegenüber liegend, angiebt, und ich in einer
Schlucht, die etwas unterhalb Mzchet, 3 Werst ungefähr unterhalb der Kura-
brücke liegt und reich an Troglodyten-Höhlen ist, zu erkennen glaube, alles
spricht hier für diese Ansicht
Vier solcher grossen Dachziegel wvden auf den Rücken gelegt, mit dem
erbbenen Rande nach oben, und bildeten so den Boden des Kastens, worauf
von jeder Seite wieder je vier Ziegel, auf den breiten Seitenrand gestellt,
dieser nach aussen stehend, angesetzt wurden. Kopf- und Fusswand bestand
ftna einem Dachziegel, ebenfisdls mit dem erhabenen Rand nach aussen , die
Weite, obere Seite nach unten gestellt; vier dieser Dachziegelplatten, mit
dem Seitenrande nach innen, bildeten die Decke; der Boden wurde mit fei-
nem Sande bestreut
In einem dieser Dachziegelplattenkasten fand ich kleine Töpfe, und den
Kasten selbst Süd-Nord gerichtet; in einem andern Kasten dieser Art den
Schädel der Leiche mit Asche und Holzkohle bedeckt, und das Ganze die-
ses Aschenhaufens mit einem Bruchstücke eines Dachziegels bedeckt Diese
Gräber sind ebenso wie die Ziegelplattenkasten oft mit Mörtel cementirt wor-
^ besonders an den Seitenkanten lässt sich oft der Mörtel erkennen. Kin-
^Icrkasien werden auch von diesen grösseren Dachziegeln gefunden, ich fand
^en aolchen Kasten von zwei Dachziegell&ngen.
b. Dachziegelplattenkasten, kleine, ähnlich den grossen gebaut^ aber aus
Ueineren Dachziegeln. Diese Ziegelplatten, ganz von derselben Form wie
^ grossen Dachziegel, sind um ein Drittel kleiner, und die Gräber scheinen
^ för junge Leute und Kinder in Anwendung gewesen zu sein; wenigstens
Ittbe ich nur Aehnliches beobachtet und keine grosse Leiche und grosses
Gnb gefunden. Das bei den Steinkasten beobachtete Loch an der Decke
^^ ich weder bei den Ziegelplatten noch bei den Dachziegelplatten gefun-
den, es scheint entweder bei diesen nicht angewendet gewesen zu sein oder
statt des Loches zum Behufe der später ins Grab gebrachten Spende die
Kop&iegel an der Decke gehoben wurden.
Alle hier nun bezeichneten Gräber oder Akeldamen sind unterirdisch,
d. i. in der Erde angelegt, daher gänzlich verschieden von den Dolmen an
der schwarzen Meeresküste und den Obergräbern in der Gentralkette des
gi^oeaen Kaukasus; daher müssen auch diese Akeldamen, wenngleich oft meh-
rere Leichen in einem Kasten sich finden lassen, nicht als Familiengräber
^^i^ehen werden, vrie dies der Fall ist am Kaukasus. In einem Familien-
182 Anflfprabiuigeii der alten Gr&ber yoo Miehet.
grabe werden die Leichen, eine nach der andern, nach ihrem Ableben bei-
gesetzt und dabei die älteren Leichen ehrfurchtsvoll geschont und unberührt
gelassen. Dort, wo Särge sind, wie bei den Christen, werden diese Särge
neben-, und später, wenn sich der Raum gefüllt, aufeinander gesetzt Bei
den Kisten oder Eistinem am Nordabhange des Kaukasus sollen die Leicben
ganz bekleidet und bewaffnet, als machten sie eine Reise, mit dem Fibsman-
tel umhängt, einer neben den andern gestellt, im Grabe oder besser in der
Todtenkammer stehen, alle an die Wände angelehnt. In den Akeldamen fon
Mzchet sind alle Leichen, die man in einem Grabe findet, zugleich in den
Kasten oder das Grab gekommen und zugleich mit den Schollen des ausge-
räumten Grabes bedeckt worden, und es wäre gänzlich unmöglich gewesen,
später eine zweite Leiche in dasselbe Grab zu bringen, ohne die erstbegra-
benen gänzlich auszugraben und somit ihre Ruhe zu stören; schon die Tod-
tenscheu, die wir Menschen besitzen, lässt sogar bei den rohesten Völkern
an ein solches Verfahren, die Todten auszugraben, nicht denken. Obgleich
nun die Leichen auf Samthawro wie durcheinander geworfen erscheinen, so
ist das Durcheinander dieser Leichen nicht auf ein späteres Nachfolgen fos
Verwandten in dasselbe Grab, sondern auf eine im Lande hellsehende Sitte.
dem Verstorbenen ein oder auch mehrere Menschenopfer zu bringen, zu be-
ziehen. Um zu diesem Schlüsse zu kommen, muss man das ganze VeriuÜt-
niss, wie es sich Einem bei dem Ausgraben dieser Leichen darbietet, ine
Auge fassen, nur dann wird man überzeugt, dass hier eine schauderhafte
Sitte herrschte, nämlich die: dass nicht allein fär jeden Gestorbenen, und
dies scheint auch bei den Frauen angewendet worden zu sein, Menschenopfer
gebracht wurden^ sondern auch das ganze Volk hat jährlich ein oder mehrere
Male seinem Götzen ein grosses Menschenopfer gebracht. Dass dabei viele
Kinder geopfert wurden, lässt sich auch nachweisen. Das Durcheinander von
Menschengebeinen, Rollsteinen und Schutt in den Gräbern Ton Mzchet ist
derart, dass es oft ganz unmöglich ist, die Zahl der in einem Akeldam lie-
genden Leichen, geschweige denn die Lage derselben genau angeben zu kön-
nen; viele Schädel scheinen nur theilweise in die Gräber gekommen zu sein,
Kinderschädel scheinen häufig ohne Gerippe im Grabe zu liegen, und diese
Kinderschädel nur in Bruchstücken ins Grab gekommen zu sein; ja, ich fand
in einem kleinen Grabe, wo sicher nur eine einzige kleine Kinderleiche lie-
gen konnte, nicht weniger als zwei kleine Bruchstücke Ton Tibien und eis
Stückchen der kleinen Hirnschale. Solche Verhältnisse nun erschweren selirl
das Urtheil über diese Leichen , die ungeheuren Geröllmassen, dieser Schoir
ter mit Erde und Sand gemengt, mit Rollsteinen oft von Kopfgrösse, dsns
2—3 Fuss grosse Blöcke von Sandsteinplatten, welche, wie gesagt, gewöhn-
lich auf den Köpfen der Leichen liegen, 4labei der grosse Zeitraom diesei
Gräber, in welchem alles Organische und Vegetabilische durch die sich ge-
bildet habende Kohlensäure, von eindringendem Meteorwasser entstanden,
ebensogut zerstört wurde, wie die in den Gräbern sich b^mdenden MetsU-
Ansf^bnngen ^6r alten Gräber bei Mzchet. 183
Sachen; selbst die GeröUe wurden mit einer Kruste kohlensauren Kalks stück-
weise übeTEOgen, an vielen Stellen aber auch mit den um sie liegenden Kno-
chen wie mit Mörtel verkittet; ja, diese Kohlensäure arbeitete dermassen in
diesen Or&bem, dass nicht allein das Eisen in Rost, die Bronze in kohlen-
saures Kupfer und das Silber in kohlensaures Silberoxyd umgewandelt wurde,
sondern auch die echten ceylonischen Perlen in kohlensauren Kalk, Türkis
wahrscheinlich und andere Gesteine in Speckstein, Granaten aber in Braun-
eisen umgewandelt wurden, und dort, wo Erze in Berührung mit Knochen
wwen, sich auch Phosphorsäure bildete, welche die Erze ebenfalls zerstörte,
das Eisen in Eisenpecherz und Bronze und Silber in phosphorhaltige Oxyde
umänderte, wodurch besonders das Silber silber- bis röthlichgrau und sehr
bröckh'g wurde; sogar das Gold, besonders in Berührung mit dem Eisen, ist
^hwarz geworden und mit einer dicken Kruste von Eisenrost bedeckt. Bei
dicaen Verhältnissen ist es auch begreiflich, dass es schwer wird, einen
gsnaeo G^egenstand aus dem Schutte zu erhalten, besonders aber einen gan-
ten Knochen, die total bröcklig wurden und schon bei dem Anrühren zer-
Ulen. Will man einen Schädel z. B., der aus dem Schutte hervorleuchtet,
mit der grössten Behutsamkeit aus diesem Schutte herausheben, jeden Stein
▼orsichtig hebt, den Staub und Sand weg bläst und hat es so weit gebracht,
dass der ganz freigelegte Schädel unterminirt ist, so findet man, dass Schä-
delknochen fehlen, dass von einer Kinnlade keine Spur ist, die man bei wei-
^m Naclisuchen oft einige Fuss vom Schädel entfernt an einer anderen
"Stelle findet; will man nun diesen Schädel heben, so findet man, dass er voll
gefallt ist mit Erde und Rollsteinen, deren Schwere auf die Schädelknochen
^kt und den Schädel, sowie er von der Stelle gerührt wird, auseinander
(iHlckt Dabei liegen oft mehrere Schädel bei einander; ebenso findet man
nehrere Leichen, wie übereinander zusammengedrückt und so durcheinander
liegend, als seien sie lebendig ins Grab gekommen und hier zu Tode gestei-
nigt worden; auch finden sich stets die grössten Rollsteine und der grösste
Htofen dieser Rollsteine um die Leichen, besonders aber um und über den
^Idefai, und der Untersucher wird, je mehr er solcher Akeldamen öffiiet,
desto mehr in der Ansicht bestärkt, dass diese Leichen im Grabe gesteinigt
vorden, und nachdem sie mit diesen Rollsteinen bedeckt waren, um sich nicht
wieder zu erheben, noch für jeden Menschen auf die SteUe, wo dessen Kopf
'^1 ein grosser Block geworfen, der jetzt das sicherste Zeichen ist, wo man
^e Köpfe zu suchen hat und auch angiebt, wie viele grosse Leichen in einem
^^e liegen. Da die Kinderköpfe stets zwischen den grossen Köpfen liegen,
^inen diese keinen Kopfstein erhalten zu haben, der sich aber findet auf
<fen Köpfen der kleinen Leichen in den Kindergräbem.
In den ganz grossen Steinkasten, wo man gewöhnlich 3 bis 6 Leichen
findet, sind es stets nur die Chlamyfibeln und Thränenfläschchen, welche auf
^•athawro stets von Glas gemacht erscheinen, die daher auch durch die
grossen GeroUmaesen fast stets zerstört wurden. Dies nun bestätigt auch
184 Aiugnbungen der alten Gr&ber bei Mzcbet.
meine Ansiclit, dass in diesen grossen Steinkasten Menschen liegen, welche
das Volk seinen Götzen opferte, wie oben schon gesagt, ein- oder zweimal
im Jahre. Denn in allen andern Gräbern finden sich auch neben dieser nie
fehlenden Chl&mysfibula stets auch Schmucksachen und ofit sehr reiche, was
andeutet, dass hier eine gestorbene und nicht eine geopferte Person die
Schmucksachen mit ins Grab bekam. Da aber auch bei diesen mit Schmack-
Sachen beladenen Leichen stets mehrere und besonders Einderleichen siel
finden, neben den Schmucksachen aber auch ganz ordinäre Gegenstände,
neben silbernen, mit Gemmen besetzten Siegelringen und silbernen, mit ech-
ten Perlen besetzten Chlamysfibeln auch solche Fibeln von Eisen und roh
gearbeitet, neben goldenen, mit Perlen besetzten Ohrgehängen und theorem
Goldschmuck ganz rohe Ohrringe von Bronze und Aehnliches viel findet, ist
es evident, dass auch diese wohlhabenderen Leute Kinder und Sklaven 9ii
Opfer mit ins Grab bekamen.
Selten findet man nur eine Leiche in einem Akeldam, häufiger sind ein-
zelne Leichen in den aus Ziegelplatten und Dachziegelplatten bereiteten Kasteo
zu finden ; aber auch hier gelang es mir, neben einer Frau zwei Kinder (beide
scheinen Mädchen gewesen zu sein) zu finden, was mich schliessen lässt
entweder, dass auch die Griechen bei Mzcbet den Gebrauch angenommeQ
haben, Kinder den Todten zu opfern, oder dass die Iberier sich eben&Us
der Ziegelkasten als letzte Ruhestätte bedienten.
Zwei Leichen, neben denen ebenfalls ein Kind beigelegt, sind auch sel-
ten , drei Leichen aber scheint eihe Regel gewesen zu sein , in .ein Grab zn
bringen. Ich fand deren mit zwei grossen Leichen und einem Kinde, andiere
mit zwei Kindern und einer grossen Leiche; diese sind am häufigsten. Vier
Leichen sind ebenfalls nicht selten, wobei ich zwei Grosse und zwei Kinder
oder auch drei Grosse und ein Kind beobachtete. Li einem Grabe beobach-
tete ich im Westen, also auf der Kopfseite zwei grosse Leichen und ein Kin'
und in der östlichen Ecke noch einen Schädel eines grossen Menschen. lo
einem Frauengrabe, mit reichem Goldschmuck, lagen dicht am Schädel der
mit Schmuck begrabenen Frau zwei kleine Eanderschädel, von jeder Seite
einer; am Ostende, also gegenüber der Gruppe von drei Schädeln, lag eine
grosse Leiche mit Bronzeohrringen, also ebenfalls eine Frauenleiche. Man
findet von diesen, leider gänzlich zertrümmerten Kinderschädeln oft so kleise
Schädelchen, dass man behaupten könnte, sie seien noch nicht geboren ge-
wesen; oft erinnerte ich mich an die, in alten Zeiten im Gange gewesene
Eingeweideschau, dem Wahrsagen durch Eingeweide, was noch in der römi-
schen Ejiiserzeit, wo man schwangeren Frauen den Leib aufschnitt, ebenso
wie den neugebomen Kindern, um die Zukunft zu erfahren, Sitte war. Dies
Wahrsagen durch Eingeweide der Thiere und Menschen hiess Haruspiciam
oder auch Extispicium. Die Griechen, Syrer und Juden hatten Todtenorakel,
die Griechen brachten Trankopfer, während die Syrer kleine Kinder todtet^'R:
denen sie den Hals umdrehten, darauf den Kopf abschnitten, den sie ein*
Ansfi^lmnj^eii der alten Gr&ber bei Mseliet 185
»Izten und embalsamirten ku* diesem Zwecke; bei den Juden wurden dem
JehoTah (Demiurg) Kinder, besondei^ Mädchen geweiht Nach der grusini-
schen Chronik^) scha£fte Phamawas das Essen von Menschenfleisch ab, und
nur die den .Grötssen Geopferten erlaubte er zu verspeisen. Auch lesen wir
daselbst, dass die Thargamosier, als sie den Nimrod (König Belus) geschla-
fen, dem Gotte der Schlachten dankten; dieser Gott aber war der jüdische
Jehova Zebaotb, auf welchen wir später noch zurückkommen werden.
In den ganz grossen Steinkasten findet man stets mehr als yier Leichen,
(gewöhnlich sechs; doch scheint mir in manchen dieser Akeldame die Zahl
der Leichen noch grösser zu sein. In dem einen dieser grossen Kasten fand
ich zwei Leichen grosser Personen an der südlichen Langwand, etwas ober-
balb der Mitte, daher im Westen, zwei andere grosse Leichen {innden sich,
^genüber den ersteren, an der nördlichen Langwand und zwei Kinderleichen
an der Kopf- oder Westwand. In einem andern fand ich, ebenso yertheilt,
eine ^rrosse Leiche an der Südwand, eine andere an der Nordwand und vier
Knder an der Westwand. In einem dritten aber fand ich nur GeröUe und
keine Spnr von einer Leiche; ich liess daher den hier beobachteten Stein-
plattenboden heben, und fand unter ihm ein älteres Grab mit drei grossen
Leichen. Was war nun im oberen Grabe? Ich konnte es nicht finden. Und
das untere Grab griff auch nur bis zur Hälfte des oberen, wobei die Decke
des unteren den Boden des oberen Kastens auf die Hälfte bildete, während
die andere Hälfte des oberen Kastens keinen Platten-, sondern den reinen
Kiesboden hatte. Im Sarkophage lagen drei grosse Leichen, ohne Kind, aber
ebenfalls nichts Anderes als die Fibeln der Todtenmäntel bergend und zwei
Thranenfläschchen.
Viele der Schädel in den Akeldamen von Samthawro findet man gans
unten am Boden des Kastens, oft in den Ecken der Seitenwände, selbst un-
ter diesen liegend, eingezwängt; andere Schädel liegen einige Zoll bis selbst
einen Fuss hoch schon auf Gerollen und Schutt, nicht aber über der ganzen
^hnttmasse, mit welcher die Leichen bedeckt wurden, sondern im Schutte
se)b.<vt. Die meisten Leichen scheinen sitzend ins Grab gesetzt zu sein, wo-
^ör anch das häufige Erscheinen der Schädel mit dem Gesichte nach unten
spricht; andere Leichen scheinen im Grabe gestanden zu haben, aber durch
den Dmck, welchen die aui sie geworfenen schweren Schuttmassen yerur-
*^hten, zusammengebrochen zu sein. Das Gesicht der Schädel ist, wie schon
?e<iagt, in den meisten Fällen nach unten gekehrt, was auf eine sitzende Stel-
lung deutet; ein einziges Mal fand ich das Gesicht nach oben gerichtet In
den Ziegelgräbem sind die Leichen liegend oder halbsitzend, hier findet man
eewühnlich die Hände dem Körper anliegend; selten und nur einmal fand ich
das Ahnliche in einem Steinkasten, wo nur eine Leiche lag. In den Stein-
i(ast«n, besonders den ganz grossen, findet man die Arme theils gestützt auf
*) DuboiB de Montperra, Kap. IX.
Z*il*ckrift Ar «thaotogie, Jabrfang 187S. 13
186 Die Glückshaube und der NabelsehnimreBt
dem Boden, als wollten sie sich vor dem üm&Uen stfttcen; andere Arme
findet man in die Hohe gehoben, derart, als wollten sie den aaf sie gewor-
fenen Stein Yon ihrem Sch&del abwehren, manchmal sieht man die Arme und
HSnde hinter dem Schädel, oft anch liegt das Gesicht aof den Armen. Ein-
mal fand ich die Hände am Gesichte eines Schädels; gewöhnlich aber findet
man die Hände and Beine nebeneinander anf dem Boden, oft über- and
dorcheinander and sehr weit vom Schädel; häafig anch erscheinen die Ge-
beine mehrerer Leichen so dorch- and übereinander, dass man unmöglich die
Skelete za den daza gehörigen Schädeln beobachten nnd anterscheiden kann.
Manche Leichen scheinen bei dem Znschütten amgeftdlen za sein, wodurch
ihre Schädel, statt an den Wänden, mitten im Grabe oder unterhalb der Mitte,
im östlichen Theile des Ghrabes an den Wänden liegen. Alles dies non sagt
deutlich, dass es mit Sicherheit nicht angegeben werden kann, ob die Leichen
im Grabe sassen oder standen; sicher ist, dass sie nicht gelegen haben in
den meisten Fällen.
(Fortsetsong folgt)
Die Glttckshanbe nnd der Nabelsclmnrrest;
ihre Bedentung im Volksglanben.
Von Dr. H. Ploss in Leipzig.
An gewisse Vorgänge bei der Geburt knüpft sich ein merkwürdiger Aber-
glaube, welcher weityerbreitet im Volke, namentlich unter den der Gebären-
den beistehenden Fraaen fortlebt. Jeder Praktiker weiss, dass es den Wei-
bern als eine glückliche Vorbedeutung erscheint, wenn die Eihäute nicht zer-
reissen, sondern wie eine Kappe den geborenen Kopf überziehen. Das Liter-
essante dabei ist die auffidlende Uebereinstimmung, in welcher die yerschie-
denartigsten Völker an diesen Gegenstand die abergläubische Vorstellung
knüpfen. Das Glück des Kindes hängt nach dieser Vorstellung Ton der
Glückshaube oder vom Nabelschnurrest ab, beide gewinnen die Bedeutong
eines Amulets und werden in eine gewisse Beziehung zu Rechtshändeln und
zu Krankheits&llen gebracht.
Der Glaube an die „Glückshaube^ ist sehr alt und war schon den Rö-
mern geläufig; dieselben erwähnen auch, dass die Glückshaube den Advoka-
ten verkauft wurde (Bartholinus, De puerp. veter. führt S. 111 Aelius Lam-
pridius in Diadumeno an: „Solent deinde pueri pileo insigniri naturali, quod
obstetrices rapiunt et advocatis credulis vendunt, siquidem causidid hoc juvari
Die Oluckshaube nnd der NabetochnnrreBt lg7
dicuntnr^). Und schon die alten Deutschen hielten die Kinder, welche nm
ihr Häuptlein eine Haut gewunden mit auf die Welt brachten, för Glücks-
kinder; die Haut selbst hiess und heisst noch jetzt in Deutschland „Weh-
matteriiäublein^; sie wurde ehemals sorgsam aufgehoben oder in Band genäht
and dem Kinde umgehängt Das geschieht noch jetzt in der bairischen Ober-
pfalz und an anderen Orten. In Königsberg giebt man dem Kinde das
«Hemd^ oder den ,,Schleier^, welchen es mit auf die Welt brachte, auch zur
Taufe mit Anderwärts nennt man das Ding ,,Westerhäubchen". Bei den
Sorben heisst es „Koschillitza'', Hemdlein, und ein mit einer solchen Haube
geborenes Eond nennen sie „VidoTit^. Fischart nennt die Haube „Kinder-
pelglin^. Bei den Isländern f&hrt sie den Namen Fylgia und sie wähnen, in
ihr habe der Schutzgeist oder ein Theil der Seele des Kindes seinen Sitz;
die Hebammen hüten sich, sie zu schädigen und graben sie unter der Schwelle
ein, über welche die Mutter gehen muss; wer diese Haut sorglos wegwirft
oder verbrennt, entzieht dem Kinde seinen Schutzgeist. Ein solcher Schutz-
geist heisst Fylgia, weil er dem Menschen folgt, zuweilen Foryngia, der ihm
roraosgeht. Selbstverständlich zog dies Alles die Aufmerksamkeit des gross-
ten Forschers auf dem Gebiet altdeutscher Sage, Jakob Grimm, in hohem
Grade auf sich (Deutsche Mythol., 2. Ausg., H. 1 844 pag. 828). Allein immer-
hin ist das Räthsel noch nicht gelöst, warum man wie im alten Rom so auch
noch jetzt in einigen Ländern Europas der Glückshaube eine so besondere
Zauberkraft auf die advocatorische Praxis zugeschrieben hat Der oben-
genannte Kopenhagener Professor Bartholin berichtet, dass zu seiner Zeit um
1750 die dänischen Hebammen den Nengebomen die Glückshaube abzogen
ond dieselbe an Advocaten verkauften, welche durch sie bei ihren Vertheidi-
gongen grosses Glück zu haben hofften. So wird auch in England von Sei-
ten der Hebammen ein eigener Handel mit dem Glückshäubchen getrieben,
^ogar in öffentlichen Anzeigen der „Times* werden solche zu kaufen gesucht
(Erin 6, Abth. 2, p. 448). Auch hier meinte man, wie in Dänemark, dass
der Besitz eines „Gaul* Beredtsamkeit verschaffe. „Der ist mit einem Gaul
(Glückshäubchen) geboren^, sagt der Ire vom Glücklichen. Und wie sich
über England das Spridiwort: „to be bom with a Gaul* verbreitet hat ftr
^Glfick haben^ oder „ein Sonntagskind sein*, so gilt diese Redensart nun
auch in Nordamerika, denn da meint man, dass der Gaul^gegen Schiffbruch
nod alles Unglück schützt (Frank Leslie's Illastr. Newspaper, Octob. 1870).
Dass die mit Glückshaube Geborenen glücklich sind, glaubt man femer in
Böhmen (Grohmann pag. 106) und in Ungarn (Gsaplovics H. p. 804). In der
^kweiz wird der mit Glückshaube geborene Knabe meist ein „berühmter
^^^ (Rochholz, Allemann. Kinderlieder und Kindersp. 1857 p. 280). Bei
den WaQonen in der Gegend von Lüttich heisst die Glückshaube Hamelette
(A. Hock, Groyances et Rem^des popul. etc., Li4ge 1871), wie es scheint,
fin DimiQQtivum von Harne, altnordisch Hamr (Haut); von Hamr stammt
auch das altnordische Hamtngja, d. i. Glück, Schutzgeist (Liebrecht, Gott,
13 •
188 Die QldckBhaube und der Nabelschnurrest.
«
gel. Anz. 1871. 35. 1390). Grondgagnage denkt in seinem Dictionn. %m.
bei Hamelette an Amulet, doch wohl nach Liebrecbt mit Unrecht. In Belgien
meint man, dass das Kind glücklich wird, wenn man die Gluckshaube auf
das Feld begräbt, dagegen unglücklich, wenn sie in's Feuer oder in den Eoth
geworfen wird. In Hessen entwenden die Hebammen gern die Glückshaube,
um sie ihren eigenen Kindern zu geben. In Oldenburg trägt der junge Bursch,
um Glück bei den Mädchen zu haben, seine Glückshaube bei sich; dasselbe
thut man dort bei der Stellung zum Militärdienst, wo es gilt, sich frei zu
losen.
Von eben so grosser und tiefer Bedeutung erscheint vielen Völkern der
Rest der Nabelschnur, welcher am Nabel des Kindes hängen bleibt, bis er
getrocknet abfällt. Der vom Kinde abgefallene Nabelstrang wird bei den
Maoris auf Neuseeland in die Muschel gelegt, mit welcher man ihn durch-
schnitten hatte und die man dann mit demselben auf das Wasser eines Stro-
mes legt. Wenn die Muschel mit ihrem Inhalt auf dem Wasser schwimmt,
so bedeutet dies Glück für das Kind; wenn sie untersinkt, das Gegentheil
frühen Tod u. s. w. (Hooker in Joum. of the ethnol. Soc. 1869. 72). Vielen
Völkern gilt das getrocknete Nabelstrang -Stück als Amulet, namentlich in
Asien. Die Alfurus auf Celebes heben es sorgfältig auf (F. W. Diederich);
bei den Soongaren wird die getrocknete Nabelschnur namentlich von einer
männlichen Erstgeburt geschätzt und in Rechtshändeln für nutzbar gehalten
(G. Klemm); ebenso betrachten die Kalmücken den Nabelschnurrest als Amu-
let in Rechtshändeln (R. Krebel, Volksmedicin etc. p. 56). Vielleicht gelangte
der Aberglaube, dass die Nabelschnur einer männlichen Erstgeburt als Amu-
let getragen bei Rechtshändeln nutzt und hieb- und schussfest macht, durch
die Mongolen nach China (v. Martins, Abhandl. über Geburtsh., Freib. 1820,
p. 30). — Die alten Peruaner im Ynka-Reiche hoben den Nabelschnurrest
für andere Zwecke auf; sie legten ihm nehmlich die Bedeutung eines Heil-
mittels bei und Hessen das Kind daran saugen, wenn es etwa erkrankte
(Baumgarten, Allgem. Gesch. d. Völker u. Länder v. Amerika, II. p. 199).
Dieselbe Meinung findet sich in Europa wieder z. B. in Memel, wo man ehe-
mals den Nabelschnurrest getrocknet aufbewahrte und dem Kinde, wenn es
einmal an Krämpfen litt, pulverisirt eingab (Mittheil. d. Prof. Hildebrand in
Königsberg). So heisst es auch in Brugger's Receptier-Handb.: „Heb de»
Kindes Nabelgertlein wohl auf; bekommt es einmal Anmal oder Flecken, so
leg selbiges Näbeli in Feldwickenwasser und leg's täglich drei mal zum Trock-
nen aufs Anmal alsolange, als es war, da das neugebome Kind die Flecken
emp&ngen hatte*' (Rochholz 1. c). In Schwaben sagt man: Wenn man einen
Kindesnabel in einen goldenen oder silbernen Fingerring fassen lässt und am
linken Goldfinger trägt, so hilft das gegen das Grimmen; auch glaubt man
dort, dass das Pulver von einem abgefallenen Kindesnabel eingegeben gegen
„Kindesgichter" hilft (M. R. Bück, Medic. Volksglauben etc. ans Schwaben,
Ravensburg 1865,56). — Eine besondere Bedeutung legt der Aberglaube den
Die GlitckBhanbe und der Nabeischnarrest. 189
im Nabelschnarreste befindlichen Knoten des zur Unterbindung benutzten
Bändchens bei. Wenn nämlich in Königsberg das Kind, dem man auch den
Nabelschnurrest zur Taufe mitgiebt, ein paar Jahre alt und im Stande ist,
einen SuDoten aufzuknüpfen, so muss es den Knoten an der aufbewahrten
Nabelschnur auflösen, dann soll es Geschick zu aller Arbeit bekommen (Prof.
Hildebrand). Ebenso hebt man auch im Frankenwalde den Nabelschnurrest
auf, bis das Kind 7 Jahre alt ist; wenn dasselbe dann den Ejioten des Bänd-
chens selber aufknüpft, so meint man, dass es reich wird. Manche Mütter
im Frankenwalde stecken den Nabelschnurrest in die Tasche, in der Absicht,
denselben beim ersten Kirchgange oder sonst unversehens zu verlieren, um
üebel abzuwenden (Flügel, Volksmedicin etc. p. 49). In der Schweiz heisst
es: Bewahrt man einem Kinde die Nabelschnur bis in sein siebentes Jahr
and giebt sie ihm dann zum Zerschneiden, so bekommt es eine grosse Fer-
tigkeit in Handarbeiten und wird sonst geschickt (Rochholz, Allemann. Kin-
derfied. u. Elindersp. p. 280). In der bairischen Rheinpfalz wird der Nabel-
schnurrest in Leinwand eingewickelt und später, wenn das Kind ein Knabe
war, verhackt, bei einem Mädchen verstochen, damit jener ein tüchtiger Ge-
schäftsmann, dieses eine geschickte Näherin werde (Landes- und Yolksk. der
bairischen Rheinpfalz, München 1867, p. 346). Damit das Kind leicht lesen
lerne, lässt man es in Oldenburg das A in der Fibel durch das Loch der
Nabelschnur anschauen. Damit es leicht zahne, legt man ihm in Franken
einen Hasenkopf mit recht starken Zähnen unter das Kopfkissen und dazu
die getrocknete Nabelschnur. Um sich hieb- und schussfest zu machen, näht
man sich in Hessen ein Stückchen Nabelschnur in die Kleider; — und schon
Fischart (Grargantua cap. 39) sagt von den Soldaten, welche feldflüchtig ihr
Leben zu retten suchten: „Etliche zogen ihre Kinderpelglin herf&r, meinten
aUo dem Teuffei zu entfliehen.**
Ich glaube kaum nöthig zu haben, auf die Bedeutung hinzuweisen, welche
im Volksmunde vielfältig dem Nabel beigelegt worden ist; hier galt es nur
zu zeigen, wie bedeutend die Uebereinstimmung ist unter den Völkern hin-
sichtlich ihrer Vorstellung von der Wirkung und dem Einflüsse der hinfälli-
gen, nur dem Fötalleben wichtigen Organtheile auf das Leben der Menschen.
Der Erhaltung jenCT Theile und ihrer weiteren Verwerthung schreibt man, da
sie zur Entstehung und Entwickelung eines Menschen mitwirkten, eine Kraft
zu, die zauberhaft Schutz vor Oefahr, glückliches Schicksal und gutes Ge
schick an die Person zu fesseln vermag.
190 Notizen über die Urbewohner der ehemaligen Provinz Santa Harta in Neu-Granada.
Notizen ttber die Urbewohner der ehemaligen Provinz
Santa Marta in Nen-Granada.
Von Dr. A. Ernst in Caracas.
Bei den sehr spärlichen Nachrichten, die Waitz (Anthrop. III. 365 sqq.)
▼on den Urbewohnem des genannten Districts giebt, dürfte eine weitere Aasr
fohrong des Gegenstandes nicht ohne Interesse sein. Die nachfolgenden Mit-
theilnngen entnehme ich ans einem sehr selten gewordenen, wie es scheint,
Waitz unbekannt gebliebenen Werk, nämlich: La Perla de la Amörica, Pro-
vinda de Santa Marta, reconocida, observada, y expuesta en discursos histo-
ricos por el Sacerdote Don Antonio Julian. Madrid 1787. XXX und 280 pp.
in 4to.
Zu der Zeit des Verfassers existirten im Gebiete von Santa Marta nur
noch sechs Indianerstamme, die Chimilas, Gnajiros, Motilones, Coyaymas,
Aruacos und Tupes, von denen die drei ersten die bedeutenderen waren.
Der*mächtige und starke Stamm der Tayronas war bereits verschwan-
den. Sie bewohnten die Berge und das Thal von Tayrona, und hatten Minen
von edlen Metallen und kostbaren Steinen. Nach Piedrahita sind unter den
letzteren Porphyre und geäderter Marmor (mirmoles jaspeados de piedras de
hijada, de sangre, y de rinones) zu verstehen. Wegen dieses Mineralreich-
thums nannten die Spanier das Gebiet später Castilla de oro. Die Tayrona«
verstanden die Kunst, die Erze auszuschmelzen und die Metalle zu bearbei-
ten, wie auch ihr Name anzudeuten scheint, der nach Herrera soviel wie
fragua oder Schmiede bedeuten soll. Ihre Hauptortschafb hiess Pocigueyra,
die stark befestigt war. Andere Ortschaften waren Mongay, Aguaringua, Sy-
nanguey und Origueca. Diese Namen sind vielleicht die einzigen Reste der
Sprache des Stammes und gestatten kaum einen Schluss auf ihre ethnogra-
phische Verwandtschaft; dennoch scheint es mir, als wenn caraibische An-
klänge in ihnen hörbar wären.
Die Aruacos und Tupes bewohnten zu den Zeiten Julian's die Sierra
Nevada. Die ersteren verliessen meistens alle das Gebirge, um den Verfol-
gungen der Spanier zu entfliehen, und es ist allerdings seltsam genug, dass
wir an der Mündung des Orinoco wieder den Namen der Arrawaken antreffen.
Die Zurückgebliebenen lebten nach Julian in zwei Dörfern und waren Chri-
sten, doch klagte ihr Priester über gelegentliche Rückftdle zum Götzendienst,
bei welchen Gelegenheiten sie einen mit edlen Steinen und goldenen Ketten
geschmückten AfPenkiefer anbeteten („una quijada de mono, bien adomada
y aireada de joyas y cadenas de oro^). Julian sah einige dieser Indianer
Notiun über die Urbewohner der ehemaligen ProTinz Santa Marta in Neu-Granada. 191
and erw&hnt ihre Tracht de tieira fria, weil sie in der Nähe der Schneeregion
wolmten. Sie gingen barfoss, hatten langes Haar und waren Yon ziemlich
dunkler Haatfiirbe (»mas que trigaeno^). Ihr Charakter wird als friedfertig,
ihre Intelligenz als sehr gering geschildert Sie ezistiren übrigens heut noch;
denn Karsten erwähnt sie bei Gelegenheit der Beschreibung seiner Metteniusa
edolis (Flora Colnmb. I, tab. 39), die er beim Dorf San Miguel in der Sierra
Nevada entdeckte (2000 Meter Seehöhe), und von der er angiebt, dass ihre
bitteren Samenkeme ein nicht unwichtiges Nahrungsmittel für die Argnaco-
Indianer sind.
Sehr abgesondert hielten sich die Tupes, so dass sie Julian die Ein-
siedler des Gebirges nennt. Nach dem Bericht zweier Jesuiten -Missionare,
die 1721 durch das Gebiet des Stammes zogen, sind die Tupes ein friedliches
Völkchen, das angeblich 21,000 Hütten zählte, eine Zahl, die sicherlich nber-
tnd>en ist.
Die Ghimilas waren ein kriegerischer und räuberischer Stamm, der das
Reisen auf dem unteren Magdalenenstrom bedeutend erschwerte. Ihre Anzahl
war gering und betrug kaum 200 Familien; doch durchzogen sie ein bedeu-
tendes Grebiet. Sie bemalten den Körper mit Onoto, dem rothen Farbestoff
der Bisa orellana, und hatten Pfeile, die ungefähr 4 Fuss lang waren (por
lo menos cinco palmos) und entweder mit eisernen oder hölzernen Spitzen
▼ersehen waren; doch hatten einige auch einen zugeschärften Fischknochen.
Sie waren gewöhnlich nicht yergiftet, und das benutzte Pfeilgift muss sehr
krmloser Art gewesen sein, da Wasser ab sicheres Gegenmittel galt Die
Cliimilas beraubten einmal den Zug eines geistlichen Würdenträgers, und
^ee, selbst die Altargefässe, fiel in ihre Hände. Bald darauf griffen diesel-
ben Indianer andere Reisende mit Pfeilen an, deren Spitze aus dem Silber
fieser Geräthe gefertigt war.
Von gleicher Wildheit waren die Motilones. Sie bewohnten das Ge^
biet zwischen den Flüssen Catatumbo und Zulia bis in die Nähe der Städte
Cncata, Ocana und Tamalameque. Versuche zu ihrer Unterjochung scheiter-
ten theils an dem Ungeschick der Leiter, theils an den für die Indianer über-
108 günstigen Terrainverhältnissen.
Mit besonderer Umständlichkeit handelt Julian von den Guagiros (so
schreibt er den Namen). Ich verweise hier auf meine Arbeit über diesen
Stamm in der December-Nummer dieser Zeitschrift (1870). Folgendes ist aus
der oben genannten Quelle nachzutragen. Zunächst will ich anmerken, dass
Waitz wie mir scheint ohne Grund an der Identität des Hayo-Brauches mit
der Goca zweifelt (Anthrop. der Naturvölker m, 366). In Venezuela wach-
^ zahlreiche Arten der Gattung Erythrozylon, und selbst dicht bei Caracas
^ E. hondense HBK., das der echten Cocapflanze sehr ähnlich ist, nicht
selten. Alle diese Arten heissen noch heute bei dem Volke Hayo und wer-
den dnrch Zusätze von einander unterschieden (Hayo blanco = E. cassinoi-
dee, PL &L.; Hayo Colorado = E. ovatum, Cav.; Hayo de davo « E. squa-
192 Noiben über die ürbewohner der ehemaligen Provinz Santa Marta in Neu-Granada.
matam, Vahl). Es ist demnach wohl kein Zweifel, dass der Hayo der Goa-
jiros auch ein £rythroxylon war, vielleicht selbst E. hondense. Julian be-
schreibt also die Kleidung der Männer: Ueber einer Art baumwollenen, kur-
zen Hemdes, welches sie Chamarreta nennen, tragen sie auf der rechten
Schulter einen bunten Mantel aus Baumwollenstoff, der bis auf die Knie
reicht, bis zu denen auch die gleichfalls baumwollenen Beinkleider hinabgehen.
An einer Seite tragen sie ein Säckchen mit Hayo-Blättem, während am Gür-
tel der Poporo hängt, ein kleines kugeliges Gefass aus der Frucht der Cres-
centia cucurbitina, welches fein gemahlenen Muschelkalk enthält Von Zeit
zu Zeit steckt der Goajiro eine Portion Blätter in seinen Mund, um sie zu
kauen und dann den Speichel niederzuschlucken. Nachdem dies geschehen,
nimmt er mittelst eines Stäbchens ein wenig Kalk aus dem Poporo, um sich
die durch den Hayosaft grün gewordenen Lippenränder weiss zu färben. Zu
Julian's Zeiten baute man den ELayo nur noch in den beiden Dörfern Molino
und Villanueva, wohin die Goajiros kamen, um die Blätter gegen Perlen ein-
zutauschen. Heut kennen wenigstens die zu Venezuela gerechneten Goajiros
nichts mehr von diesem Gebrauche.
Ohne genauer auf die Sprache der Goajiros einzugehen, beschreibt sie
Julian als wohllautend und kräftig (sonoro y terso); sie hat nach ihm keine
schwer auszusprechenden Gonsonantenverbindungen und macht keine seit-
samen Verdrehungen des Mundes und der Nase beim Sprechen nothwendig.
Ihre Aussprache ist demnach einfach, sie ist reich an Vocalen, hat kurze and
leichte Endungen und ihre Wörter haben selten mehr als drei Silben. Julian
berichtet von einem Goajiro- Wörterbuch, das in seinem Besitz war, das er
aber später einem befreundeten Arzte und Mitgliede der schwedischen Aka-
demie gab. Dies war ohne Zweifel Don Jose Gelestino Mdtis, der Freund
Linn^'s, und da nach einer Angabe in Plaza, Hist. de la Nueva Granada
dieses Wörterbuch in Schweden sein soll, würde es sich der Mühe verlohnen,
dass in der Bibliothek der schwed. Akademie der Wissenschaften in Upsala
einmal darnach gesucht würde. Julian erinnerte sich nur eines einzigen Goa-
jiro-Wortes, als er sein Werk abfasste: nape, Vater, wogegen die von mir
benutzten Quellen dafür tata geben; wahrscheinlich ist das erstgenannte Wort
im geistlichen Sinne zu fassen.
Der grösste Theil von Julian's Mittheilungen über die Goajiros beschränkt
sich leider nur auf die Erzählung misslungener Bekehrungsversuche und die
Darlegung eines nach seiner Ansicht besseren Planes zur Unterwerfung der
Indianer.
Nord-Selebesche PMilbauten. . 193
Nopd-Selebesche Pfahlbanten.
Von AbsiMtent-Resident J. G. F. Riedel in Gorantalo.
(Hierzu 3 Holzschnitte.)
Mr. Diunont d'ürville hat in seinem bekannten Werk: „Voyage de TAstro-
lake*" da8 Eine und Andere aufgezeichnet über die Pfahlbewohner von Nord-
Selebe», welche» die Aufmerksamkeit der Fachmänner manchmal nach sich
zofi;. Diese Mittheilungen sind indessen sehr unvollständig. Ich beabsich-
tige deshalb zunächst, darüber die nachfolgenden Data bekannt zu machen.
Auf Nord-Selebes waren unter den Aborigines eigentliche Pfahlbewohner
niemals vorgekommen. Die Traditionen und alte Geschichte geben darüber
wenigstens keinen Aufschlnss. Die Toundanos oder Toun Singais, welche
vorW den Landsee bewohnten, waren Menschen von fremdem Ursprünge,
welche zwischen 1100 und 1200 a. d. auf der Ostküste von den Minahasa
anf den Strand gesetzt waren. Anfanglich bewohnten sie den Strand gegen
den bei der jetzigen Negeri* Atep, aber durch die Strandräuber von Djailolo
mehr als einmal angegriffen, removirten sie nach dem Gebiet von dem Toun-
Sea-Stamme. Dort begründeten sie unter Anführung ihrer Erzväter Sumual
Qod Rotulung die Aufenthaltsorte, Lumian und Lumambok genannt. Da die
Tonn Sea's ihnen indessen als Sklaven begegneten, trennten sie sich nach-
her von diesem Stamme ab. Sie begaben sich weiter südwärts auf das nord-
liche Ufer defl grossen Minahasa-Landsees, welcher dadurch den Namen des
Sees von Toondano bekam, und baten die Tounsea'schen Häuptlinge dort zu
vohnen, weil sie kein Land hatten. Nachdem die Toun Singais, in Folge
anderer Traditionen zu den älteren Meerbewohnern von dem Indonesischen
Archipel, wie die jetzigen Badjos, welche überall noch auf dem Meere um-
Wrsireifen, gehören, ist es wohl annehmlich, dass sie nicht zuwider hatten,
^of dem See za wohnen. Die Häuser, welche die alten Toun Singais be-
wohnten und die auf Dammerde und Torflagern standen, waren süffisant von
Hoiz, die P&hle von Pahudia und anderen tüchtigen Holzarten, gebaut, fer-
ner mit Sagu-Blättem und Gumutu, den hornartigen Fibern der Areng-Palme
gedeckt. Ich habe noch überbleibende Säulen von 3 Fuss rheinl. Durchmes-
^ gesehen. Die Hänser hatten eine durchschnittliche Länge von 65 Fase
uid eine Breite von 35 Fuss rheinl. und werden mit geringen Abweichungen
durch zwanzig bis vierzig Gesinde bewohnt Um den Ueberfidl von Feinden
abzohaiten, waren diese Häuser hoch, etwa bis 20 Fuss rheinL, über dem
Wasserspiegel gebaut. Die Treppe von Holz, wo die Tritte ansgehanen wa-
ren oder von zwei Bambus mit Querlatten verfertigt, in der Mitte des Foss-
bodens angebrachti stand gewöhnlich frei auf einer Art Debarcadere und ward
Nord-Selebescbfl PfkhlUnten.
196 Nord-Selebesche Pfablbanten.
des Nachts ins Haus genominen. Weil die Toiin Singais den Tonn Seas die
Abgabe, welche aas in der Sonne getrockneten Fischen, Ophicephalus Stria-
tus, bestand, nicht schicklich bezahlten, und die Tonn Singab oft ein gewisses
Recht über das Land sich anmassten, entstand zwischen ihnen mancher Streit,
wobei die Toun Singais aber beinahe immer die Oberhand behielten. Mit
den Toum Buluhs später in Berührung gekommen, vermischten sie sich theilg
mit diesen, und gingen die Seeufer südlich bewohnen. Wegen ihrer Rastr
losigkeit und ihres Uebermuthes werden die Toun Singais in der Minahasa
geschont. Bei ihrer Ankunft traten sie bereits als gute, tüchtige Zimmerleaie
und Schmiede auf, obgleich sie sich übrigenftdls mit Fischfang und Jagd
nährten. In 1658 widerstanden die Toun Singais den Niederländern; doch
wurden sie durch den Admiral Simon Cos in 1(>60 gebändigt und in 1711
ganz unter die niederländisch-ostindische Compagnie gebracht. Mit den Ta-
sikelas, Castilianem, welche die Töchter des Landes zu ihren Frauen nah-
men, lebten die Toun Singais in freundschaftlichem Yerh<niss. ^ Ein Auf-
stand im Anfange dieses Jahrhunderts ausgebrochen, wurde in 1809 gestillt.
Zu dieser Zeit wurden die .Häuser der Toun Singais aaf dem See verbrannt
und den Bewohnern mit Einwilligung des Toun-Sea-Stammes befohlen, aui
den festen Boden ihre Wohnsitze zu stellen. Nach 1830 wurden die Heiden-
stämme von Toun Singal, welche einer Art Necrotheismus oder Manenver-
ehruDg von Toumbuluh'schem Ursprünge nachfolgten, zum Ghristenthume be-
kehrt und ist diese neue Lehre bei ihnen prädominirend.
Aus den hier oben gegebenen Nachrichten ist es wohl unzweifelhaft,
das» die Toundanos oder Toun Singais primitiv keine Pfahlbewohner waren,
aber wegen Mangel an Boden genöthigt waren, einige Jahrhunderte auf dem
See in der Minahasa ihre Häuser zu bauen. Mit Ausnahme der Badjos,
welche aus demselben Grunde jetzt noch an dem Ufer der grossen Flüsse
und auf Sandbänken, welche bei der Fluth unter dem Wasser stehen, ihre
zeitlichen Wohnungen machen, trifft man auf Nord-Selebes keine PfEÜübewoh-
ner an.
Die hier mitgehende Zeichnung habe ich mit der Hülfe einiger Alten vor
längerer Zeit verfertigt.
') Diese Zusaminenschmelzung wird jetzt noch bestätigt durch den sudeuropaischen Typus,
welcher bei dem Toun SiDgal'schen Adel vorkommt
Nord-SelebMcb« PTafaltAuten.
]9S Miscellen nnd Böcherschau.
Erklänmg zn den Tafeln V nnd VI.
Die Direction des Bertiner Aquarium hat sich das Verdienst erworben, Ton dem in diesem
Institute gehaltenen und uniän^t rerstorbenen $ Ohimpanse durch die Herren Luisse & Witte
hierseihst Photographien anfertigen, sowie die Gypsbüste und die Extremitäten des merkwürdi-
gen Thieres über dem Cadaver abformen zu lassen. Der Redaction dieser Zeitschrift wurde
gütigst gestattet, die Photographien auf Taf. V . im lithographischen Wege zu reproduciren.')
Taf. II. zeigt das Portrait des centralafrikanischen Hba'am-Ghimpanse ($ adult.) Ton
vom und von der Seite. Das Thier erscheint durch kleinere Ohren und durch eine starker
prognathe Schnauze charakterisirt, wie auch ein Vergleich mit Taf. V. erkennen ISsst. Es sind
diese beiden Köpfe nach einem 1867 auf der Pariser Weltausstellung befindlich gewesenen, ge-
genwärtig im städtischen Museum zu Genua aufgestellten Balge und mehr noch nach einem
sonst wohl erhaltenen, durch Prof. Johannes Duemichen der Berliner Anatomie geschenkten,
mit Kopf und Extremitätenknochen versehenen Balge In Wasserfarben ausgeführt worden. So*
lange wir noch keine nach dem Leben aufgenommenen Darstellungen des Mba'am besitzen,
mögen diese Portraits und die von Issel nach dem Genueser Exemplare publicirte Abbildung')
genügen, ein ungefähres Bild dieses Affen zu gewähren. Eine anatomische Beschreibung des
Mba'am wird, soweit das darüber vorhandene Material ausreicht, von mir demnächst im Archiv
für Anatomie und Physiologie von G. B. Reichert und E. Du Bois-Reymond veröffentlicht werden.
R. Hartmann.
Miscellen nnd Bttehersohau.
Wolff: Mohamedanische Eschatologie. Leipzig 1872.
Nach den Mohamedanem trinken die Paradiesbewohner am Sabbath das Wasser, am Sonn-
tag den Honig, am Montag die Milch und am Dienstag den Wein, den die Ströme ihnen dar-
bieten. Wenn sie nun diesen getrunken, werden sie berauscht und in solchem Zustande flie-
gen sie dann 1000 Jahre umher, bis sie zu einem grossen Berge von stark duftendem Moschus
gelangen. Unter diesem fliesst der Salsabil hervor und sie trinken; dies geschieht am Mitt-
woch. Dann fliegen sie wieder 1000 Jahre umher, bis sie zu einem hoch emporragenden Pa-
laste kommen, in welchem hohe Ruhebetten, aufgestellte Pokale und wohlgeordnete Kissen sich
befinden. Sie setzen sich auf die Ruhebetten und es wird ihnen ein Ingwer- Wein herabgesandt
und sie trinken; dies geschieht am Donnerstag. Dann lässt man aus einem weissen Gewölk,
welches aus der Macht des Ewiglebenden geschaffen worden, tausend Jahre hindurch Pracht-
gewänder und eben so lange Edelsteine auf sie hemiederströmen, und zwar sind mit jedem Edel-
steine schwarzäugige Paradiesesjungfrauen vereint Hierauf fliegen sie noch tausend Jahre um-
her, bis sie zu einem richtigen Wohnsitz gelangen. Dies ist am Freitag. Sie setzen sich nun
an den Tisch der Ewigkeit und es wird ihnen reiner, mit dem Siegel von Moschus versiegelter
Wein vorgesetzt, und sie trinken. ** Im Katzenjammer nach dieser Moschusbowle fangen sie
dann wieder, wie es scheint, mit dem Wasser des Sabbaths an, und so die Reihe um. , Unsere
Leiber wird Qott so leicht und gelenk machen, dass wir wie Funken in die Höhe gehoben wer-
den, oder wie Sonnen am Himmel gehen werden, dass wir in einem Moment hier unten auf der
Erde oder droben im Himmel sein werden.* Doch sind im Himmel „alle uns in Aussicht ge-
stellten Oenüsse (Schooss Abraham's, Liegen zu Tische, Hochzeitsmahl) geistiger Art* nach Os-
wald's Eschatologie, der dagegen für die Hölle geneigt ist, „der Behauptung des Dogmatiken^
Perrone beizupflichten: ignem infemi corporeum esse, nemo vere catholicus negaverit^. Dass
ausser dem Höllenfeuer „die verschiedensten Arten körperlicher Züchtigungen dort anzutreffen
seien* (S. 78), „scheint allerdings der göttlichen Weisheit angemessen* (1869). B.
') Die sehr schönen Original -Photographien, welche, sowie die Büste, dem wissenschaft-
lichen Publikum hiermit dringend empfohlen werden, sind zu sehr massigen Preisen veu der
IMrection des Berliner Aquarium zu beziehen.
') Annali del Mus^o civico di Storia Naturale di Genova. Dicembre 1870.
MisoeHen und Bflcherachau. 199
Chantre: Les Palafittes on Gonstractions lacastres du Lac de Paladru
(Station des Grands-Roseaux) pris Voiron (Isfere). Grenoble 1871.
Auf dem Boden der nach der Leg;ende dort Yersonkenen Stadt Ars. B.
Specht^ V.: Geschichte der Waffen. Cassel u. Leipzig 1870. In 4 Bdn.
Der erste Band be^rreift: Allgemeine Einleitung und vorgeschichtliche Zeit oder das Stein-,
Bronxe- und Eisenalter, mit 580 Abbildungen auf XVIII Tafeln. Neben erläuternden leber-
sicfaten gewahrt die Benutzung der älteren Literatur mannigfache Erklärungen. B.
Martin, H.: Etndes d' Archäologie celtique. Paris 1872.
Neben den wälischen, irländischen, bretonischen, skandinavischen und ähnlichen Themata
bespricht das erste Kapitel „les races brunes et les races blondes*'. Der Verfasser erörtert unter
den drei Systemen besonders das Williams Edward's, das (in Verbindung mit Thierry entwickelt)
durch P^er weiter gefuhrt wurde, und zeigt sich in einem Zusatz zu seiner 1861 geschriebe-
nen Abhandelung geneigt, der Ansicht Roget de Belloguef s über die lignrische Frage Zugeständ-
nisse zu machen. B.
Ploss: Ueber die Lage nnd Stellung der Frau während der Gebart bei
Tenckiedeneii Völkern. Leipzig 1872.
Eine vei^leichende Zusammenstellung aus dem reichen Material, das von Dr. Ploss auf
den gynaikologischen Felde angesammelt ist, und aus dem derselbe bereits mehrere Monogra-
pkiea veröffentiicht hat. Sechs Holzschnitte sind dem Text eingedruckt: Geburtslager der Sia-
oflnn, Geburt des Kaisers Titns (nach einem antiken Deckengemälde), Geburtsscene nach Gralio
Soouo, altägyptische TöpfBrscheibe, Geburtsstnhl nach Bösslin, Geburtsstellung der Perserin.
B.
Markham: A Memoir on the Lidian Sorvey. London 1871.
Sin Ehrendenkmal der englischen Thätigkeit in Indien, begreifend die marine, trigonome-
trieal, topogTaphical, geological, meteorological, archaeological (S. 170) surveys u. s. w., mit Ein-
ücbhas der prehistoric remains (S. 182): In 1820 Mr. Babington described the Kodey Kulis or
Pandoo Koolies of Malabar, dann (1832) Harkness die Caums in den Neilgherries , sowie femer
CaB|[reve, Newbold, Meadows Taylor, Sir Bartle Frere, Tnle, Boswell, sowie Ausgrabungen durch
dk Archaeological Society in Nagpore. Und früher (S. 165) in 1864 Mssrs. King and Foote
discovered chiselled stone implements spread widely over the country west and north of the
tmm of Madras, all of the rüder type and made of the semi-vitreous quartzites from the Cud-
dapah rocks. In 1864 Ball fbund a chipped implement in the Iherria coal field, and Theobald
fonnd othen in Burmah. A chipped stone weapon of hard close grained quartzite was found
near Neemuch by Medlicott and in 1868 the Madras implements were traced up to the banks
of tlie Kistnah. B.
Gkimier, J.: La Nouvelle Cal^donie.
Un deftrat gen^nü des Neo-CalMoniens, c*est d'avour les jambes un peu greles relative-
ment au buste, et les moUets places plus haut que les nötres. On remarquera aussi que, seit
babitade, soit Constitution anatomiqile, ils prennent ä chaque instant des poses qui nous fati-
fnienient horriblement. Ainsi ils s'assoient sur leurs talons des journöes entieres, lorsqulis
iBontent sur un cocotier et qu'ils se reposent en ronte, ils prennent sans efforts des positions
viKjaelles chez nous un acrobate seul pourrait atteindre. II en est de meme dans la natation,
oä ils se jouent dans Tean avec une facilite teile qu'ils semblent posseder une pesanteur spe-
ie beaneoup moins grande que la nötre. B.
Garnier, J.: Oc^anie. Paris 1871.
Comme les N^-GalMoniens, les naturels de Loyalty ne se fönt jamais rien passer de la
nain ä la main, ils jettent k vos pieds les objets, qne vous leur demandez , im tison enflamm^
<^t b senle chose qu'ils vous mettent directement dans la main [da die reinigende Kraft des
Feuers Ansteckung verhindert]. Als die Neu-Galedonier befragt wurden, d'oü leur venait cette
200 Mincellen und BiiebersohaiL
affection de la poitrine qni les tuait, tous se 8ont accordes k dire que c*etaient les blaues qiii
TaTaient introdoite [wie die Chunchns der Andes, die deshalb keinen Europäer ihre Hütten be-
treten lassen]. ' B.
Bumouf, E.: La Science des religions. Paria 1872.
A quinze ou seize ans le Semite est parfait, son intellif^nce a tout le deTeloppement
qu'elle peut acquerir. Depuis ce moment, le jeune homme ne fait plus de progres, et pendaiit
le reste de son existence sa vie intellectuelle s'entretient sur ee fonds primitif, auquel il ne peut
rien ajouter. II y a en Egypte, en Palestine, sur les cotes de la Her rouge et ailleurs des bomme$
fort Wen constitues, dont le developpement intellectuel s'arrete avant Tage de dix ans. Au Caire
(dans Tetablissement cree aux frais du vice-roi) les freres de la doctrine chretienne donnent
rinstmction k des Musulmans, k des Grecs, k des Juifs et k des catholiques. Les eleyes arabes
y sont d^abord classes quant k Tintelligence avant les Francs, mais ne tardent pas k etre de-
passes par ces demiers. A Beyrouth, oü se rencontrent aussi des enfants de plusieurs rares,
les maitres observent que chez les Semites le progres, qui est tres- rapide dans les premieres
annees, s'arrete k Tage de huit ans, des lors ces eleves n'apprennent plus rien. De semblables
observations ont ete faites ä Alexandrie chez les freres, k Gbazir chez les jesuites, k Antoun
chez les Lazaristes, & Jerusalem, k Alep, k Smyme et dans beaucoup d'autres etablissements
(1868). B.
Harcourt: TheHimalayan districts, Eooloo, Lahoul and Spiti. London 1871.
1t is a matter of custom that no grass in Lahoul should be cut with anything, but a
wooden or hom sickle, tili a certain day has been pronounced, a goat is then killed and after
that an iron Instrument may be used (in tbe Loong paichos creed). B.
Pirazzi: Stimmen des Mittelalters wider die Papst« und ihr weltliches
Reich. Leipzig 1872.
Eine zeitgemässe Erinnerung an die Proteste, die die erblichen Schäden des Papstthtims
I>ereit8 im Mittelalter hervorriefen, sei es in der kemhaften Sprache Daite's oder in den poe-
tischen Ergüssen Petrarca's. Im Besonderen wird die Zeit Rienzfs betrachtet, auf die der Ver-
fasser durch Ausarbeitung seines Trauerspiels «Rienzi" hingeführt war. B.
In der Pubblicazione del Circolo Geografico Italiano, Anno 1872, Secondo Bimestre (Torino)
findet sich aus der Feder des Prof. V. Ruscalla eine sachkundige Besprechung der französischen
Urtheile über die ethnologischen') Elemente unseres Volkes. Es heisst am Schluss (im Hinweis
auf die Kritik im Yorigen Heft) : QU etnologi tedeschi vedranuo che gl' itatiani pugnano seco loro
nei campi della scienza pel trionfo della vera dottrina, come pugnarono del pari per la causa
della respettiva indipendenza e integritä nazionale. B.
*) Wenn ein Recensent (Nature, 135, Vol. 6) in der Besprechung der ,Race pnissienne''
(Zeitscbr. IV, 1) persönlichen Aerger (der beim Mangel persönlicher Beziehungen nicht vorliegen
kann) und Nationalhass ausgesprochen findet, so muss er nur wenig mit den Ausdrücken be-
kannt sein, in denen die französischen Angriffe gegen Deutschland längere Zeit hindurch gerichtet
waren. Ihnen gegenüber wäre es am angemessensten zu schweigen, wie es ein Jahr lang geschah,
und dass internationale Streitereien nicht in ethnologisch^ Zeitschriften gehören, wird am Ende
des Artikels ausdrücklich hervorgehoben. Das Schweigen durfte leider nicht fortgesetzt werden,
wenn, wie Figuier's beigesetztes Buch zeigt, Quatrefages* patriotische Phantasien als Dogmen
in ethnologiscne Lehrbücher recipirt werden, wenn derselbe Gegenstand vor anthropologischen
Oedellschaften in Frankreich zur Verhandlung kommt und auch von den englischen vielfach der
französische Gesichtspunkt adoptirt wird. Vveiteres Schweigen wäre dann stillschweigendes Auf-
geben der Vertheidigung, und wenn auf Schmähungen überhaupt zu antworten war, konnte es
nicht wohl mit Höflichkeiten geschehen, sondern höchstens, statt mit gleichen Schmähungen,
mit Spott; da handgreifliche Unwissenheit, die ein sonst verständiger Grelehrter an ^en Tag legt,
um die wissenschaftliche Forschung auf falsche Bahnen zu leiten, verdientermassen gerügt wer-
den muss. Die Engländer vergessen zu oft in dem jetzigen Streit, dass die Dentfichen als An-
gegriffene gezwungen sind zur Vertheidigung, und sie am wenigsten würden es geduldig an-
hören, wenn man ihre Nationalität erniedrigte und verdächtigte. Im lebrigen werden wir,
wenn keine neuen Provocationen ireboten werden, gerne zufrieden sein, diese Katzbalgereien
ruhen zu lassen und wir erkennen es gerne an, dass nach einigen neueren Anzeichen unsere
westlicheu Nachbarn zu einer ruhigeren Auffassung zurückkehren.
Beiträge zur Kenntniss der sogei
pomorphen Affen.
MoUy, der Chimpanse des Berliner Aquariums.
Von Dr. Carl Nissle.
Za Ende des ersten Monats d. J. verendete im Berliner Aquarium ein
Ckimpanse, i^elcher bei seinen Lebzeiten sich za viele Freunde und Gönner
erworben, zu viele Forscher und Beobachter zu fesseln gewusst hatte, als
<ltts sein Tod nicht über die Grenzen der nächsten Umgebung hinaus auch
in weiteren Ejreisen — ich möchte es fast nennen — Theilnahme hätte finden
doQen. Der Aquariums- Chimpanse war der erste lebende seiner Art in der
deutschen Hauptstadt und bei dem Interesse, das die Darwin- STogt'schen Hy-
pothesen in allen Schichten der Gesellschaft erweckt hatten, war es wohl nur
natürlich, dass der erste Vertreter des Anthropomorphismus in Berlin allge-
meinste Beachtung fand. Versteht die Krone aller thierischen Begabung dann
noch, wie im vorliegenden Falle, durch hervorragende Anlagen das wach-
gerufene Interesse nicht nur zu erhalten, sondern von Tag zu Tag zu meh-
ren ond zu steigern, ist bei vorurtheilsfreier Beobachtung Laie und Forscher
gleichmassig zu dem Geständniss gezwungen, dass — wesentlich vielleicht in
Folge eines unausgesetzten Umganges mit Menschen — das ursprungliche
Zerrbild des Menschen auch in geistiger Entwickelung seinem Vorbilde fast
sichtlich nacheifert und stetig näher kommt, dann ist eine aasfuhrlichere Be-
sprechung in einer Fachzeitschrift wohl am Platze, um so eher, als wahrheits-
getreue Schilderungen der menschenähnlichsten Affen bis jetzt noch nicht im
Ceberfiuss vorhanden sind.
Bei abscheulichem Wetter am Gründonnerstag des Jahres 1870 hatte die
vom Tbierbändler Hagenbeck in Hamburg gekaufte, ca 2 Jahre alte MoUy
Zcittchrift fir Sthiiologi«> Jahrguig 187S. |^
202 Beitr&ge zur KenntniM der sogenaimten anthropomorphen Alte.
Ghimpanse unter des Aquarium -Fottermeisters Seidel schätzender und pfle-
gender Obhut die beschwerliche Reise von Hamburg her zurückgelegt trnd
ihren Einzug in das Berliner Aquarium gehalten. Molly war krank, recht
krank bei ihrer Ankunft; bedenklicher Eiatarrh, Besorgniss erregender HoBten,
YoUständige Theilnahmlosigkeit und Abgespanntheit, trübe Augen, welke Haut
an den abgemagerten Händen, ohne Widerstands- oder Beactionsyersuch ia
jeder Lage ausharrend, welche ZufaU oder Absicht über sie verhfingte — s«
war ihr erstes Debüt vor dem damaligen zweiten Director des Berliner Aqua-
riums — was Wunder daher, wenn dieser statt freundlichen Willkommens
den leidenden Fremdling anfuhr: dass selbst der verlockend billige Preis für
so'n Beest noch yiel zu theuer wäre! Das war wohl richtig, MoUy machte
in der That den Eindruck einer beurlaubten Leiche, die, völlig fremd unter
den Lebenden, unverkennbares Verlangen nach der Grabesruhe bekundet
Den ganzen Tag während der Fahrt hatte sie nur zwei Mal Aeusserongen
spontaner Willeusthätigkeit gegeben, das erste Mal beim Passiren der meck-
lenburgischen Grenze, und das zweite Mal, als sie vom Hamburger Bahnhoi
bis zum Aquarium in einer Droschke zweiter Elasse über Berliner Strasseo-
pflaster gefahren wurde! Wer hätte hieraus aber auch nur mit einem Scheia
von Recht den Schluss auf noch innewohnende Lebenslust und Kraft ziehen
wollen? Wer kann wissen, ob nicht selbst schon völlig Todte bei den ge*
nannten Fatalitäten sich zu entschiedenstem Protest aufraffen?
Der Abgespanntheit und Theilnahmlosigkeit conform war fast gänzlich«
Appetitmangel; die duftendsten Früchte, das zarteste Backwerk, die ver-
lockendsten Getränke wurden kaum eines Blickes gewürdigt und Alle, die
das Thier in diesem Zustande sahen, stimmten in dem wehmüthigen Gestand«
niss überein, dass nicht nur seine Tage, sondern dass seine Stunden gezähll
sein dürften. Solche Hoffiiungslosigkeit spornte Meister Seidel zu um sc
sorgföltigerer Pflege an. Molly, welche mit ihm dasselbe Zimmer bewohnt^
wurde oft genug Nachts von ihm in das eigene Bett herübergenommen, venl
er erhöhte Bettwärme zweckentsprechender und dem kranken Thiere heil
samer erachtete. Sonst erfreute sich Molly auch eines eigenen Federbettlagerä
dass sie von Anfang rein und unbeschmutzt erhielt^ ohne dass sie dazu An
leitung bekommen hätte. Es verdient dies wohl hervorgehoben zn werden
einmal mit Rücksicht darauf, dass Molly so ziemlich direct aus der HeimatI
Südwestafrika via London und Hamburg nach Berlin übergesiedelt und unter
wegs wohl schwerlich dazu angehalten war, das eigene Lager nicht zu be
schmutzen, und femer mit Rücksicht auf den leidenden Zustand, in welchei
doch selbst reinlich gewohnte Thiere den früheren Ordnungssinn nur zu ol
vernachlässigen. Dass in der gereichten Nahrung mit der sabtilsten Aas
wähl verfahren wurde, braucht hiemach kaum besonders betont zu werdet
Gegen einen von der Reise mitgebrachten, in der Stärke sich ziemlich gleic
bleibenden Husten wurde eine Lakritzenlösung gegeben und der Aosfluss aa
der Nase stets sorgfältig entfernt, gegen welche Procedor Molly niemals Ud
BtitrSge zur KeimtniBS der sogenannten anthropomorphen Affen. 203
willen oder Abneigosg zeigte, wie ich es sonst doch anfänglich bei anderen
Chimpansen dorchgehends beobachtet habe.
Ein 80 klägliches Wesen konnte natürlich nicht zur Schau gestellt wer-
den and längere Zeit hindurch drängte der in gleicher Bedenklichkeit ver-
harrende Zustand immer von Neuem die Frage auf, ob es überhaupt möglich
sein werde, in diesem Chimpanse den durch mehrfietche Zeitungsnachrichten
schon darauf aufmerksam gewordenen Bewohnern der Hauptstadt den ersten
lebenden anthropomorphen Affen vorzuführen. Sein Pfleger yerlor den Muth
nicht, und wirklich sollten seine mühevollen Bestrebungen von Erfolg gekrönt
sein. In dem, tropische Wärme athmenden Yolierenraum des Aquariums war
inzwischen ein eigener Käfig hergerichtet, die afrikanische Waldmännin auf-
zunehmen und bald wurde der Versuch gewagt, wenn auch Anfangs täglich
QQT auf kurze Zeit, das in Berlin bis dahin lebend noch nie gesehene Thier
&aszuj8tellen. Indessen die Temperatur, in welcher die farbenprächtig gefie-
derte Welt der Tropen sichtliches Wohlbehagen zeigt, genügte der leidenden
MoIIy nicht; der Husten trat stärker auf, Abspannung und Kraftlosigkeit
mehrten sich, fieberähnliche Zu&Ue stellten sich ein, und es blieb nichts
übrig, ab das Thier den Blicken des Publikums wieder zu entziehen und
durch besondere Heizanlagen und Absperrung des Käfigs mittelst Glasschei-
l)en diesen fiir jeden wünschenswerth erscheinenden Wärmegrad herzurichten.
Nachdem dies geschehen und die nun comfortabel eingerichtete Wohnung
vom Chimpanse wieder bezogen war, trat bald sichtliche Besserung im Ge-
sundheitszustand ein. Das Fieber wich, der Husten liess nach, das Auge
vorde klarer, eine gleichmässigere, erhöhtere Wärme war auch an den Ex-
tremitäten bemerkUch und Molly's ganzes Wesen ging aus der bisherigen
Gleichgültigkeit in stets sich steigernde Antheilnahme für ihre Umgebung
über. Das Thier war bald ein völlig anderes denn bisher geworden und ent-
wickelte eine Gemüths- und Benehmensart, die mit jedem Tage mehr vom
thierischen Charakter verlor. Zeigte MoUy zu Anfang, als mit dem Wohl-
befinden regere Fresslust sich einstellte, die ungestüme Hast, mit der jedes
^er auf die ihm gezeigte Nahrung loszustürmen pflegt, so hatte sie sich
bald, und man darf dreist behaupten, ohne specielle Anleitung daran gewöhnt,
ruhig und ohne ein Zeichen von Ungeduld zu warten, bis beispielsweise erst
Jie Schale von der Apfelsine entfernt war und die einzelnen Stücke ihr ge-
reicht wurden. Ich will hierbei ausdrücklich bemerken, dass von dem, was
man bei Pferden, Hunden u. s. w. unter Abrichtung versteht, bei MoUy nie
etwas augewendet worden ist. Es war, als verstände sie die Worte ihres
Pflegers Seidel und befolge sie, auch ohne dass das darin Geforderte ihr frü-
W schon bekannt gewesen. Als gleich auffallend verdient hervorgehoben
20 werden, dass MoUy das Gefühl, etwas nicht recht gemacht zu haben,
selUt dann zu haben schien, wenn sie für eine gleiche Unthat noch nie be-
Htrafi war* So kam es, dass Strafen so zu sagen gar nicht nöthig waren,
denn die sofort über das Vergehen bethätigte Reue, das ausdrucksvoll bittende
14»
204 BeifTfige zur Eenntnifls der flogensanten anthropomorplien AlfeiL
Auge und die, unter Begleitung der den GhimpanBen eigenthümlichen Laute
flehentlich entgegengestreckten Hände ^hätten selbst die ärgerlichste Erregt-
heit in verzeihende Rührung nmstimmen müssen. Es ist hiernach wohl selbst-
verständlich, dass vom Futtermeister Seidel ein Blick genügte, um das kluge
Thier zu Bestimmtem za veranlassen oder von Begonnenem abzubringen, ^e
denn überhaupt das Yerhältniss des Pfleglings zum Pfleger an Innig- uod
Herzlichkeit jede Vorstellung übertra£ Unzweifelhaft hat die aufopfernde
Wartung während der Ejrankheit die Hauptgrundlage dafür gelegt, immerhin
aber wird eine gleich rührende, gegenseitige Anhänglichkeit zum zweiten
Male nicht so leicht wiedergefunden werden. Was Seidel's gastronomische
Kenntnisse als für Molly passend oder erwünscht auftreiben konnten, das
wurde sofort herbeigeschafft und da Molly durchaus nicht gesonnen war, in
knappen Ereis der heimathlichen Naturkost zu verweilen, da sie vielmehr
sehr bald entschiedene Vorliebe für civilisirtere Kochkunst zeigte, so brauch-
ten, mit Ausschluss natürlich dessen, was Affendiät durchaus vorschrieb, dem
Speise- und Trankzettel keine engen Grenzen gezogen werden. Also nicht
nur Früchte, Wurzeln u. s. w. aller Arten gegen den Hunger und nicht allein
Wasser und Milch gegen den Durst: aus dem Waldmenschen der Flussthälei
und Küstenstriche Guinea's war ein verwöhnter europäischer Feinschmecker
geworden, dem sein Glas Rothwein zu Braten und Compot ebenso mundete,
als er sich Abends, nachdem er des Tages Last und Mühe, d. L das An-
staunen von so und so viel Hunderten von Besuchern ertragen hatte, seiae
Tasse Thee schmecken Uess. Dabei sass er so verständig neben seinem
Herrn auf dem Sopha, nahm so manierlich den Oberkopf der Tasse beim
Henkel, näherte so vorsichtig — ob der Inhalt auch nicht zu heiss sei —
die spitz vorgestreckten Lippen dem Rand des Gefasses und schlürfte end-
lich so zierlich und mit so sichtbarem^Wohlbehagen — den Gef&ssrand zwi-
schen den Lippen haltend — den duftenden Pecco ein, dass keine mensch-
liche Gesellschaft sich seiner als Gbkst hätte schämen brauchen. Und hatte
er das Gereichte verzehrt, so setzte er mit sicherer Hand das benutzte (je-
fäss auf den Tisch zurück und die in ihrer ganzen Treue, in ihrem bittenden
Ausdruck unnachahmlichen Laute: Oh! oh! oh! oh! bekundeten, dass eine
erneuerte Auflage ihm willkommen sein würde. Den Kaffee genoss Molly in
menschenüblicher Regelmässigkeit und sollte mal eine extraordinäre Libation
der Lohn für ausserordentliche Verdienste sein, dann war — Glühwein die
Panacee, bei welcher unser Affenfräulein den Schmerz über ihren ledigen
Stand vergessen konnte. Bei ihren Lieblingsgerichten vergass Molly die Welt
um sich her; dann zürnte sie aber auch jeder Störung, die ihr bereitet wurde
und hatte sie gar die Ueberzeugung, dass ihr das Mahl, an dem sie sich
labte, entwendet werden sollte, so verstand sie nachdrücklichst das Eigen-
thumsrecht geltend zu machen, und die sonst so Sanftmüthige konnte zur
gehörigen Xantippe werden. Ich habe selbst aus solcher, übrigens von ihr
miss verstandenen Veranlassung eine Lection bekommen , darch die sie mir
BeitrSge zur Kenninlas der sogenannten anthropomorphen Affen. 205
nur zn deatUch bewies , dass die menschlich gefonnten Nägel ihrer Hände
aacb ganz menschlich kratzen können. Gleich wie MoUy dankbar für erwie-
sene Wohlthaten war, so hielt sie auch mit ihrem Missfallen nicht zurück,
wenn sie dazu Grund zu haben glaubte. Beweise hierfür habe ich in unzäh-
ligen Beobachtungen vielfach gesammelt. Als lehrreichster Belag mag gelten,
was ich hier sachgetreu erzählen will Den Chimpanse zu futtern, war dem
PubUkom verboten; das Verbot wurde aber nicht so streng beobachtet, als
nöthig, and Molly war stets gern bereit, durch das Gitter Dargereichtes sich
anneignen. Sie mochte wohl schon öfter mit jener bekannten Spielerei ge-
foppt sein, die man vor Affenkäfigen ja fisist stets zu sehen Gelegenheit hat
und die darauf hinausläuft, sich an dem enttäuschten Gesicht des Affen zu
ergötzen über die Schlussentdeckung, dass das unverdrossen entfaltete Papier
Veine Nass, keinen Leckerbissen oder dergl., dass es eben Nichts enthält.
Molly mochte diese betrübende Erfahrung schon wiederholt gemacht haben
und kemeswegs mehr gesonnen sein, sie furder ungestraft hingehen zu lassen
~ kiQz, als einmal wieder nach sorgsamer Papierentwirrung und Entwicke-
long sich eben Nichts entwickelt hatte und der freundliche Geber mit unver-
boUener Schadenfreude seinen geistreichen Einfall belachte, verabfolgte ihm
der angeärgerte Affe mit so rapider Schnelligkeit durch das Gitter langend
eine Ohrfeige, dass der erschrockensten Yerblufflheit unvertilgbare Spuren
an Stelle der stillvergnügten Behaglichkeit getreten waren. Im Nu war MoUy
D^ dieser Heldenthat in das Innere des Käfigs zurück' und die bedeutungs-
voll herausgestossenen Oh! oh! oh! oh! schienen dem bestraften Naseweis
rerdeutlichen zu sollen, dass er so wohlfeile Spässe sich mit jedem andern
Affea, aber nicht mit seinem nächsten Verwandten aus dem Thierreich er-
Wben dürfe.
Sonst war Molly's Charakter entschieden gutmüthig und versöhnlich, gern
ZQ Spiel angelegt und in diesem unermüdlich, ohne jemals auszuarten. Ausser
^ den Personen, die er aus wiederholtem persönlichen Verkehr bald genau
tennen gelernt hatte, zeigte der seltsame Affe eine ganz besondere Vorliebe
ior Kinder und verfuhr hierbei mit bemerkenswerther Auswahl. Von zwei
^&ben z. B., Brüdern, die sich stets gleich bemüht hatten, seine Zuneigung
^ gewinnen, bevorzugte er den einen so anfiiallend, dass er den andern, der
"UQ nie etwas zu Leide gethiEm, mit nachdrücklichster Bestimmtheit aus sei-
nem Käfig herausdrängte. Seinen Lieblingen wusste er nicht genug Zärtlich-
Keiten zu erweisen. Gern kletterte er an ihnen empor und umklammerte sie
^ innig, wie der Mensch einen alten, lieben Freund nur umarmen kann;
nod lieber aber spielte er mit Gross und Klein Greifen, stets so, dass er
die Aufforderung dazu ergehen liess. Und diese war auch vom Blödesten
nicht misszuverstehen. Er zerrte so lange an der erfassten Hand, bis man
liun folgte; dann liess er los und eilte davon, und trabte der begehrte Spiel-
Kamerad nicht hinterdrein, so kehrte Molly zurück, das Ziehen und Zerren
begann von Neuem, bis man sie endlich verstanden und nun ihr folgte, um
206 Beitrage rar Kenntniss der BQgenaimten anthropomorphen Affen.
sie zu greifen. Jetzt war Molly voll in ihrem Element: unter nicht zu ver-
kennendem Lachen — dieselben entschiedenen Lachtöne stiess sie aus, wenn
man sie in den Hüften kitzelte — trabte der kleine Ausbund auf drei oder
vier Händen (selten auf^ zweien) im Zickzack hin und her, geflissentlich dar-
auf bedacht, sich nicht greifen zu lassen. War dies docl^ geschehen, so
machte sie sich auch schnell wieder los, die Vorstellung begicnn Ton Neuem.
nun wohl auch mit der Erweiterung des Versteckenspielens, wozu das sol-
chen Scenen naturgemäss mit freudigstem Literesse folgende Publikum ohne
Auswahl des Ranges und Geschlechts herhalten musste. Sah Molly sich
schliesslich doch einmal in die Enge getrieben, dann blieb ihr ja immer noch
eine Bettung: auf den Beinen hoch angerichtet und mit den Händen in e^
götzlicher Ungeschicklichkeit durch die Luft balandrend, eilte sie ihrem Sei-
del zu, um an seinem Habe von den jgehabten Strapazen zu rohen« Von
langer Dauer pflegte derartige Buhe freilich nicht zu sein; war in dem Affen
erst einmal das Unterhaltungsbedörfniss erwacht — und streng genommen
schlummerte es nie — dann war es keineswegs schnell befriedigt, und hatte
ihn Seidel erst aus seinem Käfig herausgenommen, so gehörten geschickte
Manöver dazu, ihn wieder da hinein zurückzubringen. Die Anhänglichkeit
dieses Affen zum Menschen war wohl hervorragender, als sie sonst Ghim-
pansen eigen zu sein pflegt. Es gehörte kein Ueberredungsversuch dazu,
dass er sich von irgend Jemand — vorausgesetzt, dass er fr^er nichts Böses
von diesem erduldet, zugefügte Kränkungen vergass er so leicht nicht — anf
den Arm nehmen liess; er war dagegen nicht zu bewegen, auch nur kurze
Zeit auf einem belaubten Baume auszuhalten, auf welchen wir ihn wiederholt
gesetzt hatten. Dies ist um so bemerkenswerther, als nach Savage die Nester
der Chimpansen in ihrer Heimath sich auf Bäumen 20 bis 30 Fusa über dem
Erdboden befinden und hiemach doch also der Aufenthalt auf Bäumen von
ihnen bevorzugt wird. Der Aquariums -Chimpanse ist wiederholt in G^ärteo
frei herumgelaufen, nie fiel es ihm ein, einen Baum zu besteigen, oder, wie
zahme Affen sonst im Gefahl völliger Freiheit wohl zu thun pflegen, sich au»
dem Staube zu machen. Die Nähe des Menschen war ihm Bedüifriiss in
erster Linie und nirgends schien er glücklicher und zufriedener, als auf den
Armen seines Pflegers. Seine Liebe zum Menschen hat ihn sogar einige
Male, wenn ihn im Käfig Langeweile plagte, vermocht, durch die Decke aof
den Futterboden zu entwischen und den dort beschäftigten Aquariumsbeamten
durch das freudigste Oh! oh! oh! aus voller Kehle zu zeigen, dass ihre Ge-
sellschaft ihm höchlichst angenehm sei und dass nun Spiel und Scherz nie-
der beginnen könne.
Li Ermangelung menschlicher Gesellschaft vergnügte sich Molly mit einem
Kaninchen, das ihr als Spielkamerad zugetheilt war. Auch gegen dieses
zeigte sie dasselbe liebenswürdige Benehmen. Es ist wohl vorgekommen,
dass der dreist gewordene Nager von dem f&r den Chimpanse in den Käfig
gethanen Obst u. s. w. zu naschen sich unterfing und da&r von diesem am
Beitrage zur Kenntniss der Bogenannteii anthropomorphen Affen. 207
Ohr gezaust oder mit Rippenpaffen bedacht wurde; sonst aber herrschte das
freundschaftlichste EinYemehmen zwischen beiden, und niemals machte MoUy
das Recht des Starkem in so boshafter Weise geltend, als der Chimpanse
des zoologischen Gartens gegen den kleinen Javaner Affen, der ihm zur Un-
lerbaltang beigegeben war und der diese Aufopferung oft genug mit bluten-
den Wanden büssen musste. G«r drollig nahm es sich aus, wenn Molly
ihrem Stubengenossen so lange zusetzte, bis dieser endlich auf das beabsich*
tigte Greifenspiel einging — hier hat nie das Kaninchen angefangen — oder
venn Molly die unvermeidliche wollene Decke, die selbst beim Klettern nicht
losgelassen wurde, dem arglos träumenden Kaninchen plötzlich überwarf und
diesen Schelmenstreich mehrmals hintereinander wiederholte, so oft der ein-
gebaute Spielkamerad dem unfreiwilligen Gefangniss entschlüpft war. Sonst
wichen Zu- oder Abneigungen gegen andere Thiere eigenthümlich ab von
ayadeien Beobachtungen: War Molly aus Versehen grauen Papagaien zu nahe'
gekommen und diese darob in ein herz- und ohrzerreissendes Geplärre aus-
gebrochen, so wurde schleunigst das Weite gesucht, während ich andere Chim-
paosen yoUstandig gleichgiltig gegen das Zetern des Psittacus erithacus sah.
Dagegen machte auf Molly selbst in nächster Nähe gar keinen Eindruck der
Anblick von Schlangen und Lurchen, bei dem doch Affen sonst Furcht und
Entsetzen in grösster Erregtheit zu zeigen pflegen. War endlich Molly ganz
allein in ihrem Käfig, war Freund Seidel weder mit Leckerbissen noch mit
üebkosungen bereit, die Langeweile zu kürzen, konnte weder mit Besuchern
Qock mit dem Kaninchen Greifen oder Verstecken gespielt werden, dann sass
Mifl8 Molly wohl mitunter träumerisch und in Gedanken versunken da, als
wenn Sehnsucht nach ihrer schonen Heimath sie beschlichen, als blicke sie
i&it Tollendeter Geringschätzung auf das entartete Menschengeschlecht, das
vor ihrem Käfig yielleicht eben darüber einig geworden war, sich für die
ScUossfolgernngen aus den Darwin-Yogt' sehen Entwickelungen ganz entschie-
den zu bedanken — lange litt sie es aber nicht in so gedankenvoller Unthä-
tigkeit, und empor ging's am Gitter oder am Tum- und Klettergerüst ihres
Käfigs, und nun folgte eine oft stundenlange Vorstellung in der hohem Tum-
konst mit immer neuen Abwechselungen und inuner verzwickteren Saltomor-
^es nnd Ueberschlagungen, bis schliesslich förmliche Ermattung der ver-
legenen Zimmergymnastik ein Ende machte.
Ziehen wir nach diesem Allem ein Hauptresum^ auf Molly's Temperament,
(^luffakter und Begabung, so sind die Bezeichnungen sanft, gutmüthig und
liebenswürdig, klug, überlegend und berechnend mit zahllosen eclatanten Ueber-
^^gongea der ausgebildetsten Thierentwickelungsstnfen gewiss nicht optimistisch.
^ möge sich nur nochmals vergegenwärtigen, was ich oben schon hervor-
hob, dass das geschilderte Naturel wohl im dauernden Umgang mit Menschen,
aber ohne irgend welche Abrichtung sich aus sich selbst heraus
entwickelt hatte. Fast täglich überraschte Molly mit neuen Eigenschaften,
zu denen ihr nicht die geringste Anleitung zu Theil geworden war, in steter
208 Beitrage zur Kenntniss der sogenannten anthropomorphen Affen.
Progression wuchsen Charaktergüte, AufiFassungsvermSgen und Fähigkeiten,
und wer die MoUy in jenen Momenten gesehen, wenn prägnanteste Lebhaf-
tigkeit in . Gesichtsausdruck und Geberden zugleich die inneren Regungen
und Stimmungen wiedergeben sollte, dem war es, als müsste jeden Augen-
blick die fehlende Sprache hinzutreten, als müssten die unarticuhrten Oh!
oh! oh! jeden Augenblick in verständliche, wohlgegliederte Worte übertragen
werden. In der Nuancirung dieser bei allen Gelegenheiten ausgestossenen
Laute besass MoUy eine achtungswerthe Fertigkeit: in der ganzen Stufen-
folge vom hellsten Sopran bis zum tiefsten Bass, vom AUegro prestissimo bis
zum Adagio sostenuto habe ich so ziemlich keine Ton- oder Tactart vermisst
und jede Variation entsprach selbstverständlich einer besonderen Gefuhlswal-
lung. Der Schrei, den der Leitchimpanse einer Heerde bei drohender Gefahr
ausstossen und der dem Angstruf eines in Todesgefahr schwebenden Men-
schen ähneln soll, konnte von Molly nie gehört werden, da sie selbstverständ-
lich während ihrer Gefangenschaft niemals in der dazu nöthigen Gefahr
schwebte. Dagegen geizte sie nicht, besonders während mehrmals eintreten-
der Unpässlichkeit, mit einem gellenden Kreischen, das sie gewöhnlich dann
hören liess, wenn nach ihrer Meinung die Zeit der Erlösung aus dem Käfig
gekommen war, die Zeit also, um welche Seidel sie allabendlich in seine Pri-
vatwohnung mitnahm. Die pünktliche Innehaltung dieses Zeitpunktes be-
trachtete Molly als eine so heilige, gegen sie zu erfüllende Pflicht, dass sie
in mass- und schrankenlosester Aufgeregtheit in ihrem Käfig herumtobte, un-
ter kreischendem Geschrei den Boden stampfte, gegen das Gitter schlug n. s. w.^
wenn Seidel um diese Zeit etwa gar am Käfig vorüberging, ohne seinen Pfleg-
ling herauszunehmen. Das Thier machte dann vollständig den Eindruck eines
ungezogenen Kindes, dem sein Willen nicht geschehen ist, und liess sich
alsdann auch nicht eher beruhigen, als bis es am Halse seines Pflegers hing.
Dieser Eigensinn hatte sich aber erst entwickelt nach öfteren vorübergehen-
den körperlichen Indispositionen und war auch stets während dieser am hef-
tigsten. Körperliches Leiden konnte man auch dreist annehmen, wenn Molly
aus anderer Veranlassung als der genannten in Erregung gerieth, also, wie
es in letzter Zeit ab und zu mal vorkam, wenn ihr irgend etwas, woran sie
gewöhnt war, nicht gleich gewährt oder wohl gar versagt wurde; dann aber
genügte stets ein strafender Blick oder ein ernstes Wort, um aus dem Saa-
lus sofort wieder einen Paulus zu machen, und mit bittend vorgestreckten
Händen bekannte Molly in ihrer kläglichsten Sprachweise ein rührendes pa-
ter peccavi!
Von absonderlichen Eigenthümlichkeiten verdient hervorgehoben zu we^
den, dass Molly niemals ein Zimmer quer durchschritt, sondern stets an den
Wänden entlang oder von einem Möbel zum andern tastend und greifend sich
fortbewegte. Ging der Affe wirklich einmal, was sehr selten vorkam, direct
ohne Seitenabweichung auf ein Ziel los — das dann schon ein verlockender
liieblingsbissen oder ein süss duftender Trunk sein musste — so geschah
Beitrage zur Kenntniss der sogenannten anthropomorphen Affsn. 209
dies mit so affenartiger Geschwindigkeit, dass man deutlich merken konnte,
wie anangenehm ihm solche geraden Wege sind. Ich habe die gleiche Vor-
liebe für Annäherangen auf Umwegen bei keinem Chimpanse sonst beobach-
tet; wenn auch andere gern eine Stütze suchen, gegen welche sie die Yor-
derhande lehnen können, so geschieht es doch nicht mit so fast ausnahms«
loBer Beharrlichkeit, wie bei der MoUy; es schien ihr selbst nicht zu beha-
gen, wenn sie von Jemand an einer Hand geführt wurde, wenigstens suchte
sie auch hierfOr regelmässig bald irgend eine Veränderung. Der Gang auf
den Hinterhänden allein scheint aber allen Chimpansen höchst unbequem
ZQ sein; durch Dressur würden sie jeden&lls auch hierin dem menschlichen
Vorbild näher gebracht werden können, von Natur aus neigen sie aber und
langt auch ihr Körperbau so wenig dafi&r, dass ich die Angaben derer, welche
Ctumpansen abgebrochene Baumäste benutzen sahen in der Art, wie wir
Stocke n. s. w. im Kampf zum Schlagen benutzen, für phantasiebeschwingte
Uebertreibnngen halte. Ein frei aufrechtstehender, nirgend unterstützter Chim-
panse würde bei dem geringen und unsichem Halt, welchen die wesentlich
nor mit den Aussenseiten den Boden berührenden Füsse gewähren, schon
das Gleichgewicht verlieren, wenn er zum Schlage mit einem Stock oder
dergl. nur ausholen wollte; wollte er aber den Schlag ausfuhren und wohl
gar wuchtig und fählbar, so läge der Chimpanse jedenfalls weit eher am Bo-
den als sein Gegner.
Ich habe oben schon beiläufig erwähnt, dass MoUy einige Male von vor-
übergehender Unpässlichkeit befallen wurde; Katarrh, Schnupfen u. s. w. trat
mitunter sogar so intensiv auf, dass sie „das Zimmer hüten^ musste und sich
dem Publikum nicht zeigen konnte. Erhöhte gleichmässige Wärme, einige
Tage Ruhe, sorgfaltig gewählte Nahrung und vielleicht etwas lösende Arznei,
die dem Gesöff beigemischt wurde, weil Molly entschiedene Abneigung gegen
Medieamoite zeigte, reichten dann gewöhnlich hin, um das in solchen Zeiten
süll and traurig gewordene Thier wieder zur früheren Munterkeit gelangen
^ lassen. Man kann der MoUy in der That das rühmliche Zeugniss aus-
stellen, dass sie nur bei sichtlich angreifendem und erschöpfendem Leiden
den Kopf hängen Hess, und auch dann brach immer wieder ihr frohes Tem-
perament durch — es war fast, als wenn sie sich häufig zu Schalks- und
Schelmenstreichen Gewalt anthat, um gleich hinterher erschöpft zusammen
zn sinken. Es ist so oft darüber gestritten worden, ob Thiere simuliren —
^ser Chimpanse simulirte entschieden, er heuchelte Gesundheit, um nur nicht
allein im Zimmer und ohne Unterhaltung eingeschlossen zu bleiben.
Doch das ultra posse nemo obligatur gilt auch von Chimpansen; aus
dem sonst vorübergehenden Katarrh wurde ein ernsteres Lungenleiden und
aach Molly musste sich for die Reise zur grossen Chimpansenarmee vorbe-
reiten. Die Berichte über die letzten Stündlein gefangener Chimpansen mel-
den übereinstimmend, dass der Eindruck, den sie dann gewähren, ein über-
ans erbannnngswürdiger sei — so kläglich hatte ich ihn mir doch nicht vor-
210 Beitrage zur Kenntiuss der sogenannten anthropomorphen Affen.
gestellt, als er mir hier geboten wurde. Das Auge hülfeflehend, die Hände
entweder gegen die webe Brust gepresst oder bittend vorgestreckt und dabei
ein unsäglich jammenrolles Ob! oh! oh! matt und in Pausen herrorgestossen,
das war der Grruss gegen Jeden, der sich dem armen Thiere in den letzten
Wochen nahte, von Jedem heischte es Linderung. So still und ei^ben, so
gleichsam mit dem Bewusstsein einer unheilbaren Krankheit leidet kein an-
deres Thier. MoUy war unsäglich elend, als sie im Aquarium eintraf, Nie-
mand hätte einen Pfifferling um ihr Leben verwettet, jeden Tag glaubte man
das Ende gekommen — wie ganz anders aber war ihr Wesen damals gegen
jetzt, wo es in der That mit ihr zu Ende ging. Wer Molly's Benehmen in
diesen beiden Krankheitsperioden gegen einander abwägt, könnte wohl za
dem Schlüsse kommen, dass sie in der letzten ein Vorgefühl ihres Todes ge-
habt habe. Li der Krankheit bei der Ankunft war dem Thiere Alles gleich-
giltig, was rundherum vorging oder was mit ihm geschah, vollendetste Apa-
thie ohne Spur von Reaction; in der letzten Krankheit dagegen zu Jedem
die unverkennbare, flehentliche Bitte um Hülfe, eine immer wieder durch-
brechende Lebenslust — der Contrast war bemerkenswerth eigenthümlich.
Es kam noch Folgendes hinzu, das nicht minder Beachtung verdient. Ueber
dem Kehlkopf hatte sich nach Abcedirung der Cervicaldrüsen eine Eitersen-
kung gebildet, die geöffnet werden musste, um der Gehhx vorzubeugen, dass
der Eiter die Luftröhre dorchfressen und dem armen Schelm ein jähes Ende
bereiten könnte. Molly duldete den Schnitt nicht nur, ohne im Geringsten
zu zucken, sie gestattete nicht nur mit gleicher Ruhe die sorgfaltigste Ent-
fernung des Eiters, sondern ertrug auch Tag für Tag das erneute Unter-
suchen, das wiederholte Reinigen der Wunde, ja sie hielt dem behandebden
Arzte, so oft er sich ihr nahte, schon aus freien Stücken die wunde Stelle
mit zurückgelegtem Kopfe entgegen — kurz, sie gewährte überall den Ein-
druck des Geheiltseinwollens um jeden Preis.
Eine so ausserordentliche Begabung eines Chimpansen mag meine ein-
gehende Schilderung rechtfertigen. Die Aufzählung angelernter Kunststück-
chen, eindressirter Abrichtungen u. s. w., wie sie z. B. vom Buffon' sehen Chim-
panse mitgetheilt werden, mögen unterhaltend sein, zur Beurtheilung der Spe-
cies Troglodytes niger bieten sie wenig, wissenschaftlich haben sie gar kei-
nen Werth. Der Beachtung nicht unwerth dürfte hingegen eine obiective
treue Darstellung von Charakter, Temperament, Lebensweise, Sitten, Gewohn-
heiten u. s. w. des dem Menschen nächststehenden Thiered sein, wenn dieses
sich in stetem Verkehr mit Menschen, aber ohne jegliche Abrichtung oder
Methode entwickelt hat. Und hierfür kann geeigneteres Material unmöglich,
gleich geeignetes so bald nicht wieder gewonnen werden, als an der geschil-
derten Molly, wie sie fast zwei Jahre unter Dr. Brehm's Aufsicht im Berliner
Aquarium gehalten wurde. Wenn so die lebende Molly unsere Kenntniss der
anthropomorphen Affen in mancher Beziehung schon bereichert und erweitert
Sthnologi« und ?ei|^leiehend6 Lingiiistik. 211
hit, 80 ist die wissenschaftliche Ausbeate von und ans dem Cadaver wohl
epochemachend. Mag darüber Prof. Hartmann uns' belehren!
Ethnologie und yei^leichende Linguistik.
(Fortsetzang.)
Das späte Hervortreten der Adjective, die Eldwards den Mohikanern
guu abspricht, beruht in der überall wiederkehrenden Tendenz der Sprache,
jede an einem Gegenstande unterscheidbare Eigenschaft als för den besonde-
ren Fall eigenthümlich mit einem besonderen Wort durch Modification des Sub-
stantivs (oder with the verb as in the Latin sapio, frigeo etc.) auszudrücken,
and demnach jedes grössere oder kleinere, weisse, rothbunte, kurzhaarige,
junge, alte Rind Ar sich zu bezeichnen, so dass für gross, klein, alt u. s. w.
in isolirter Form zunächst kein Bedürfiiiss vorliegt oder dieses durch geniti-
Tische Verbindung ersetzt werden kann. In Massachusett wird Moosketomp
ab ein schwarzer Mann gegeben, Menuhkoshketomp, ein stärket Mann, Me-
Dohkekont, ein starkes Bein u. s. w. (s. Eliot). Wuskigawan, ein neues Haus,
Woskutaeney, eine neue Stadt, Wuskhaxen, neue Schuhe u. s. w. Im Mok-
scha tritt die Genitiv-Bezeichnung besonders zur Ausdrücknng des Stoffes
an die Stelle des Adjectiv, wie ksnin (eisern) von ksni, kevin (steinern) von
ke? u. s. w. (s, Ahlquist). Im Eottischen wird die unbestimmte oder prädi-
catiTe Form des Adjectivs aus der bestimmten oder attributiven gebildet
(s. Gastr^n), wie sie auch im Jenissei-Ostjäkischen eine abgeleitete ist (by-
dam von byt im imzbakischen Dialect). Im Bari bilden sich Compositions-
Adjective^) (s. Mitterrutzner) mit ko (mit), ko-kure, durstig (mit Durst).
Alle Fürwörter, Beiwörter, Hauptwörter, alle Eigemiamen und überhaupt aUe Wörter kön-
nen conji]giTt>) werden (in Paraguay) mit der
Zusatssilbe quet, die halbverigangene Zeit bedeutend, mit dem
Wort nalliacata, die Yeiig;axigene Zeit bedeutend, mit dem
Wort nalliacou, die längstreti^gene Zeit bedeutend, mit der
Silbe 0, die Zukunft bedeutend, mit dem
Wort zogdi, den Optaüy bedeutend.
Ajim, ich,
Ajimquet, ich war es,
Ajimquem, ich pflege es zu sein,
— nalliacata, ich bin es gewescD,
— nalliacou, ich war es gewesen,
Ajimo, ich werde es sein»
Nozogdi ajimquet, wemi ich es wäre,
(Baucke).
212 Ethnolope und Teig:leicheDde Linguistik.
In der Sprache der Hontagnes werden die AdjecÜTe') conjngirt (Le Jenne), wie tabiscaa
assini ^der Stein ist kalt), tabiBoaban (war kalt), catatabischan (wird kalt sein).
Gilij spricht yon einer Declination der Adverbien oder anderer Partikel
im Tamanacan, und im Mohikanischen wird das Futurum-Zeichen dem Ad-
verbium oder einem anderen Worte der Sentenz zugefugt (s, Pickering), wie
ähnlich im Delawarischen (nach Duponceau). Im Hawaiischen werden die
„Adverbs of place" (s. Andrews) declinirt, wie laila (there), o laila (ka laila)
im Genitiv (of there, therefore, then), no laila im Dativ (for there, for that,
wherefore), i laila im Accus, (there, that place) u. s. w. Von den Deutungs-
wurzeln (im Grönländischen) werden (nach Eleinschmidt) nur die durch an-
gehängte Appositionen gebildeten Beziehungsformen (casus) derselben ge-
braucht, mane (hier), manga (von hier), mauna (hier durch), maunga (hier
her), tassane (da), tassanga (von da), tassuna, tassunga, ikane (dort), ikanga,
ikuna, ikunga. Dann in Bildung persöiilicher Deutewörter (mit na) mana,
dieser, ivna (von ik oder iv), jener, die weiter (wie Nennwörter) abgewan-
delt werden (ivna, ivssi, ivssuma, ivssumane u. s. w.). Dem Nomen wird
für den Subjectiv p (nunap von nuna oder Land), für die Zweiheit k (nunak),
für die Mehrheit t (nunat) angehängt Im Hottentottischen tritt zum mascu-
linischen k (khoip, gup) ku im Plur. (khoiku). Die e-Suf&xe (neben den
a-Su£fixen) treffen (im Grönländischen) auch far die übrigen Personen die
Unterscheidungen^), die das Lateinische für die dritte zwischen ejus und
suus festhält.
Im Mokscha wird das Negationswort flectirt (wie überhaupt in den finnischen Sprachen)
und das Yerbum tritt nur als Stamm auf, der keine Veränderungen erleidet, ausser im Adjec-
tiv (s. Ahlquist). Im Aorist (des Bari) erscheint als Negationspartikel ko (ako), im DnratiT
(reduplicirtes Futur Präsens) ti (s. Mitterrutzner).
Um die Frage nach der Beschaffenheit eines Gegenstandes auszudrücken, besitzt das Tana
ein besonderes Yerbum (mahua, wie ist?), das die verschiedenen Personalpräfixe annimmt:
mahua, wie ist er? (obiectiTisch),
rahua, — (subjectivisch),
sahua, wie sind wir?
tuohua, wie sind sie?
Wenn der Essiyus oder Casus in na (on tuomari-na, er ist als Richter) Yom Partieipimn
in va vorkommt, und noch ein Pronominalsuffix hinzutritt, so ist damit eine Verstellung oder
Erheuchelung ausgedrückt, olin itkevänäni, ich war wie am Weinen oder stellte mich weinend
(im Finnischen).
From Bez Boga (without God) by adding an adjective suffix, the Russian gets the adjec-
tive Bezbozhnui*) (godless).
Alle wahren Präpositionen^) haben das gemein, dass sie ursprünglich
Raumanschauungen bezeichnen, und unterscheiden sich darin, dass diese An-
schauungen yerschieden sind (Wüllner).
Die Präpositionen (mit den Casus der Sprache zu demselben Behufe
dienend) „drücken keine Begriffe aus, sondern Anschauungen^ (bemerkt
Wüllner), und sie bilden sich direct aus den Substantiven*) (im Siamesischen
*) Sprachvergleichende Studien S. 145.
fithnologie und rergkichende longiuBtik. 213
aoch auB den Verben) in vielen Sprachen, wie im Ibo (s. Schon) hinten von
Aza (Bücken), in von Ime (das Innere), zwischen von Ekiti (Mitte), vorne
Ton Ihn (Gesicht), oben von Ein (Spitze), onten von Okpora (der Boden).
Im Mixteco (s. Pimentel) nun (rostro 6 cara) vale por en, jonto, ante, contra,
sata (espalda) por tras6 detras, chisi (barriga) por debajo (snbter). Im Qniche
bildet sich die Präposition chicah (arriba) aus chin (in) und cah (Himmel),
ramal von ri (el) und umal (por). Die meisten Po^tpositionen sind im Mord-
winischen wie in den übrigen finnischen Sprachen Beuge&lle von noch vor-
handenen Substantiven (Ahlquist). Im Grönländischen ziehen die Ortspr&po-
ddonen durch Suffixe und Appositionen die zu bestimmenden Pronomen in
sich hinein, wie atane (at, das Untere), unter ihm (in seinem Unteren), tu-
Qongoe (tnno, das Hintere), hinter dir. Als abhängige Casus im Grönlän-
diflchen (durch Anhängung von Appositionen gebildet) unterscheidet Elein-
«chmidt den Localis, Ablativ, Yialis, Terminalis, Modalis, wie auch Edwards
TOD den neu-englischen Indianer-Sprachen bemerkt: they have very few pre-
poffltions, and those are rarely used, but in composition. ^).
Die Sabstantiva werden in belebte und unbelebte getheilt (im Eechua).
Eine Scheidung nach Geschlecht findet nur in Verbindung mit Substantiven,
die das physische Geschlecht anzeigen, statt ^) (s. Tschudi).
Bei lebendigen Wesen ergiebt sich das Geschlecht von selbst (männlich
oder weiblich), wenn unbekannt, wird von Communis ') geredet (im Hotten-
tottiflchen). Bei leblosen Gegenständen werden grosse und hervorstehende
männlich aufgefasst, kleinere und niedrigere (breitere) weiblich (Krönlein).
Im Nama ist Alles, was mit einer gewissen Eminenz auftritt, männlich,
was nicht, weiblich, und hat sich in vielen Fällen durch consensus omnium
ein bestimmtes Geschlecht gebildet, während es in anderen von dem Ermes-
sen des Redenden abhängt (s. Wallmann).
Bei Thieren nennen die Neger (auf Hayti) den Hahn papa poule, die
Henne mama poule, auch sagen sie papa cochon, mama boeuf (s. Ritter). Es
hat sich das aus der Negersprache erhalten, in Folge sinnlich schärferer Auf-
fassung, die immer genau die Einzelnheiten ^^) (me auch z.B. die verschie-
denen Altersstufen desselben Thieres) unterscheiden will, und so auf männ-
liches oder weibliches Geschlecht Rücksicht nimmt, statt sich nur mit Huhn
zu begnügen. In einzelnen Fällen haben wir (wie in dem vorliegenden) be-
sondere Namen fOr beide Seiten, sonst aber setzen wir zwar den geschlechts-
bestimmenden Artikel, aber des Artikels, nicht des Geschlechts wegen.
Unter den Dayak heisst (nach Hardeland) bakena (balinga) schon ^ i) bei
Uännem, bahalap schön bei Frauen.
Im Grönländischen wird der Dual für ausdr&ckliche Bezeichnung der
Zw^eit verwandt, nicht dagegen (oder doch seltener), wenn sich solche von
selbst versteht (wie bei doppelten GUedmassen). Ein Boot (mit Leuten darin),
ein Yogelpfeil (weil zusammengesetzt) bilden Mehrheiten (s. E^leinschmidt).
Martin unterscheidet im Tonga einen vierfeichen Dual, wir schlagen, da und
214 Ethnologie und yei^leichende Lmgnisiik.
ich, er und ich), ihr schlaget (da und er, sie beide), wie im Arischen die
Pronominal-Elemente masi (wir) und tasi (ihr) in ma-si (ich and du) und
ta-si (er and da) zersetzt werden.
In der Colambia-Sprache wird der Plaral^') darch Redaplication (oft
mit Yocalanderang) gebildet.
Der Indianer, der im Cherokee (s. Batfarick) ein Dutzend Worte hat fur
waschen (den Kopf, eine« Andern Hände, das Kind, im Flass a. s. w.) oder
(im Orinoko) for essen (Früchte, Fleisch, Brod n. s. w.), könnte ebenso er-
staant sein, von einem mit Bach and Griffel vor ihm sitzenden Europäer
bald za hören, dass er schreibt, bald dass er zeichnet, malt, rechnet a. s. w.,
oder der seine Ochsen nach ihren Eigenschaften besonders bezeichnende
Eaffir würde erst lernen müssen, warum ein Gefiuis jetzt Kanne, dann Schüs-
sel, Topf, Terrine u. s. w. heisst.
Ausser den gewöhnlichen Benennungen von grossen und kleinen Hunden, Haushund,
Windhund, Pudel u. s. w. haben die Mandjuren noch Ausdrucke^*) nach den Eltern, Haai«n,
Eigenschaften u. s. w. (nach Gerbillot).
Taiha, Hund mit Haaren an den Ohren und dickem, langem Schwanz.
Tolo, Hund mit dicker Schnauze und Schwanz, grossen Ohren, hangenden Lefzen,
und seine Mischung mit gemeiner Hündin, als Peseri.
Tourb^, Hund mit zwei gelben Haarflecken über den Augenbrauen.
Gouri, Hund mit Flecken (wie Leopard).
Palta, Hund mit Flecken an der Schnauze.
TschaJsou, Hund mit weissem HaJs.
Kalia, Hund mit Haaren auf dem Kopf.
Tchikiri, Hund mit Augapfel halb weiss, halb blau.
Gapari, Hund mit kurzen Beinen, dickem Leib, aufrechtem Kopf.
Niaha, junger Hund bis zu 7 Monat
Nouquere, junger Hund bis zu 11 Monat.
Indagou, Hund.
Nieguen, Hündin n. s. w.
Neben den Stammformen der eigentlichen Zahlwörter bestehen (im Grön-
ländischen) fiir 2, 3, 4, 5 und 10 noch andere, deren Mehrheitsformen ge-
braucht werden, am die mehrfache Mehrheit aaszadrüclcen, wenn nämlich die
als Einheiten gezählten Gegenstände selbst Mehrheiten sind (s. Eleinschmidt),
wie atat sisamait, 4 (sisamak) Trappen Seehunde, wie ähnlich in der Zäbl-
methode^^) derMalayen (und Indochinesen) kouda (Schwänze), Thiere (tdted
de betail), oder boah, bidii, keping, poutiouk u. s. w., die ihnen entsprechen-
den Gegenstände (s. Marsden).
Das zu den feinsten Theilen der Satzgliedernng gehörige Relativ-Pro-
nom^'), das (nach W. t. Humboldt) den einen Satz zu einem blossen Be-
Schaffenheitsausdruck eines Nomens des andern macht, fehlt im Moheganischen
(nach Edwards), wurde im Kechua (nach Torres Rubio) durch Participien
ersetzt, im Maipuri durch die Partikel ri und im Tamanacan (Orinoko's)
durch die Partikel manecci (s. Gilij).
In amerikanischen Sprachen werden neben Nominatiy und AccasatiT die
Pronominal-Affixe wiederholt, wie im Muhhekaneew (s. Edwards) John uduhw-
honuw Peterun (John he loves Peter), wie bei ans Aehnliches yorkommen
mag, des Nachdruckes wegen: Gleich das erste Buch in meiner Liste, dafl
Btfanologie imd yergleichende Linguistik. 215
tMi; der Maxm, der kam nnd sagte mir (in populärer Sprechweise). Daraus
leitet sich leicht der Uebergang zum relaÜTen Zwischensatze ein: der Mann,
der kam, sagte mir, nnd dieser nun als Ganzes betrachtete Zwischensatz er-
laubt wegen Nachsetzong des Verbums auch eine Art incorporatiye Zwischen-
{ugong der Pronomina (der zu mir kam, der mich sah) , wie sie sonst nicht
im Deutschen, wohl aber in romanischen Sprachen (in klassischen dagegen
wegen Auslassung des der deutlichen Verbalform wegen unnöthigen Pronoms
weniger aufiKllig) Statt hat.
Exclusirer und inclusiyer Plural der Pronomina wird (wie in Australiens
Sprachen) bei den Chiquitos (Saggio) unterschieden. Und so im Tamanacan
(jnnma-japotoi, unsere Herrschaft bei Anreden Fremden gegenüber, capotoi-
chemo, unsere Herrschaft der Unsrigen allein, capotoi, unsere Herrschaft,
des Sprechers und eines Zweiten im Dual) oder im Kechua. Das Franzö-
sieche unterscheidet mit nous autres. Im Madagassischen unterscheidet das
persönliche Pronomen ^^) (in wir, ihr) einen exclasiven (izahay, anay) und
inclosiTen (isika, antsika) Plural (s. Kessler).
Im Grrönländischen findet keine andere Bezeichnung der Person statt, als
durch Su£Bxe und (nach Kleinschmidt) könnten die Stamme der ersten und
zweiten Person*') (uTanga, ivdlit) mit den Deutwörtem uv (hier) und ik
(dort) wurzelverwandt sein. Die drei Personen (im Melanesischen) haben
besondere Formen*^) für den Singularis, Dualis und (doppelten) Pluralis
(mit Trialis). Die erste Person unterscheidet ausserdem in der Mehrzahl
(Doalis, Trialis, Pluralis), ob der Angeredete mit eingeschlossen ist oder
nicht, so dass diese drei Zahlen eine doppelte Form (einen Inclusivus und
Exclusivus) haben. Wie Kinder sich An&ngs bei ihren Namen nennen, so
bedurfte es nicht im ersten Beginn der Pronomina, aber doch schon sehr
bald, und indem dieser Redetheil dann zuerst eine Art überflussiger Weiter-
bildnng erhielt, wurde er zu jener Bedeutung erweitert, die sich im Austra-
lischen zeigt nnd auch im Indogermanischen die Pronomina als Frühestes
erscheinen lässt Eine besondere Scheidung f&r das Personliche findet sich
(nach Gilij) im Orinoco, wo unyemünftige Thiere mit Zahlbestimmungen (zwei
drei oder viele Tiger) versehen werden, statt mit dem Pluralzeichen, das da-
gegen bei leblosen Dingen (mata, Feld, matac-ne, Felder) wiederkehrt.
Die Telugu theilen die Nomina in die Classe der höheren Wesen (als
vernünftige) oder Mahadvacakamulu (Menschen, Götter, Halbgötter, Geister
Q. 8. w.) und der niederen Kaste (der unvernünftigen und todten) oder Ama-
badTacakamulu (Thiere, anbelebte Dinge, subjective Vorstellungen u. s. w.).
Die Pluralform ist bei diesen beiden Kasten verschieden. „Jedes transitive
Verbmn kann je nach dem Substantivum ein belebtes oder unbelebtes sein.^
Nor bei belebten Yerba^') ist eine persönliche Object-Conjugation möglich
(s. Tschudi): Mein Bruder verbirgt dich, huaukey pacasunki, mein Haus ver-
birgt dich, huasiy camta pacanmi (im Kechua). Der schaffende Sprachgeist
(bei eintretender Rohheit und Naturfrische wieder lebendig) mag ganz neue
216 Ethiio](^ und iraij^eichfiDde laoguistik.
Formen (wie im Modiia incertitadinis) ansetzen, wie (dialect): When he come
home, he kind o* feit somethin hard in his boots (he feit a kind of feeling).
Die Redaplication bezeichnet im malayischen Verbam Frequentatiya (pala-
pala, wiederholt fragen von pala, fragend), Intenslya (kala-kalatta, stark beis-
sen, von kalatta, beissen), Limitativa (dama-dama, ein wenig betasten, von
dama, betasten), Simultanea (im Polynesischen). Caasativa'^) werden durcli
ein Präfix (faka) gebildet (auf Tonga).
Wenn ein transitives Yerbnm mit einem Object steht, so nimmt (im
Mordwinischen) das Yerbom andere Flezions-Endongen, als die der imbe-
stimmten Conjngation, an (Ahlqoist). Solche Verschmelzong des Subjecte
und Objects mit dem Yerbnm kommt (wie in amerikanischen Sprachen) noch
in der finnisch-ugrischen Gruppe (des Magyarischen, Os^äkischen und Wo-
guiischen) vor. Ein X^eü der uralisch-finnischen Sprachen gestattet selbst
Yerbindung des subjectiy-f^ wörtlichen Anhanges mit einem objectiv-furwört-
lichen, also das Object vertretenden, eine Yerbindung, die öfter wahre Yer-
schmelzung wird, so dass man nur einen ein£Ebchen Anhang zu sehen glaubt
und die Bestandtheile schwer unterscheidet (s. Schott). „Am Grossarügsten
entwickelt findet sich das System der verbundenen subjectiv-objectiven An-
hänge in der Sprache der Eskimo und anderen nordamerikanischen.^ Indem
das regierende und das regierte Pronom, das Subject- und Object-Pronom
dem Yerbum verbunden und diesem theils durch eigene Beugungssilben,
theils durch suffigirte Pronomina incorporirt werden, entsteht (in den ameri-
kanischeu Sprachen) die Coujugation der Transicionen oder (nach Tschodi)
persönlichen Object-Conjugation. Die Transicionen, in denen die voraber-
gehende Einwirkung des Agens auf sein Object durch ein einziges Wort aas-
gedruckt ist, finden sich, wie in den übrigen Sprachen Amerikas, auch im
Choctaw (und im Hebräischen'^). „Worteinheit wird zunächst dadurch e^
reicht, dass zwei ursprünglich selbstständige Wörter unter einen Hauptton
gestellt) werden^ (BöhÜingk) im Yak. Während die italienische Sprache
dem musikalischen Klange und dem Wohllaute'^) die Bedeutung opfert und
daher auch Consonanten, die ihr hart und rauh klingeti, ohne Weiteres auf-
löst, hält die deutsche Sprache selbst auf Kosten des Wohllautes das Pria-
cip der geistigen Regsamkeit fest (Wedewer).
Wie in monosyllabischen Sprachen sind im Othomi die Redetheile
wenig geschieden. Na nho nho ye na nho he nho (la bondad del voaron es
buena y le esta bien) enthält nho als Substantiv, Adjectiv, Yerbum und Ad-
verbium. Das Pronom der ersten Person (nuga) wird nga gesprochen, aber
meist durch Höflichkeitsausdrücke ersetzt (wie in Siam). Im Zapoteca, das
(nach Cordova) die Ton-Unterscheidungen des Othomi (bei Najera) tbeilt,
erscheint: la particulala (in ihren Bedeutungen) als „nombre, conjuncion co-
pulativa, disyunctiva, formando nombres comparativos y adverbios, particaU
de pluscuamperfecto^. Im Dinka sind Wurzel und Wort oft identisch, indem
erstere als Yerb, Substantiv, Adjectiv, selbst als Präposition gebraucht wird
Sthnologie und Yergleioheiuk Linguistik. 217
(nach Mitterratzner). Das melodi^rche Tongesetz der Hebung und Senkung
der Stiininen greift nicht nur in Form und Wohllaut, sondern selbst in den
begrifflichen Inhalt'^) der Sprache ein (im Ewe). Der Geist des Redenden,
der Inhalt des Gedankens prägt sich in entsprechenden Modificationen des
Stammes aus, welche ihrerseits wieder begleitet werden durch entsprechende
Actionen, Geberden und Körperbewegungen (Schlegel). Die Bachapins ver-
wenden den Ruf heia für Personen und die Verlängerung richtet sich nach
dem Abstände des Gerufenen (s. Burchell), heia, heela, heeela, he-e-ela, wie
die Siamesen in solcher Weise die Demonstratiy-Pronomina unterscheiden
and ihre Onomatopoetica'^) finden sich ausser anderen Sprachen auch im
Eechoa, wie von chacacaca (Geräusch des Kochens), manca (der Topf) cha-
cacaca. Die Bewohner der Tredeci Communi (östlich von der Etsch) heissen
spottweis Mocheni, weil sie sich im Reden des Wortes mochen oder, machen
als eines HtÜfiB- und Flickwortes (thun) bedienen (Bergmann). So verwen-
den die kosmopolitischen Dialecte des Englischen bei jeder Gelegenheit to
fflike (mamook im Chinock-Jargon), auch im Neger-Englisch (no mekie a
^sie ioe goo na doro, lass ihn nicht für Ausgehen anfiragen). In die „Neder-
doitsche Taal in Zuid-A£rica^ ist das vielverwendete Maskie übergegangen:
Masid is ik ziek, ik wil niet huis blij nie (Ghanguion) me no care. Im
Walachischen bezeichnet Makar (wenigstens) meinethalben. Die niedrigen
Klassen in Ganada verwechseln t und k (mokier, moiki^ statt mutier, moiti^),
wie die Sandwich-Insulaner, obwohl, wie M. Müller bemerkt, kein anderes
Consonantenpaar so streng geschieden ist (in Siam indess dasselbe Statt hat).
Die Marmaroser und Ugoczer Russinen weben häufig das Wörtchen Lisse
(kanm) ihren Reden ein und werden dafür Lissaki genannt, die Beregher
^d Unghvarer thun dasselbe mit der Partikel Lern (nur) als Lemaki, die
^laguraner (Ruthenen an der Magura in der Zips) sagen co statt co (was)
^i heissen daher Copaki (s. Czoemig). Die so (und svo) statt 60 (was)
sagenden Sotaken im Zempliner Comitate bilden ein Mittelglied zwischen
Rnthenen, Polen und Slovaken. Die Macedo-Walachen haben den Namen
Zinzan von der eigenthümlichen Aussprache des c (tsch) wie z erhalten. Die
%enart des Leipziger Dialects beruht (nach Merkel) zunächst auf einem
gewissen Ungeschick und einer sich daraus ergebenden Bequemlichkeit oder
l^iigheit der Sprachorgane, namentlich der Zunge. Jeder Dialect hat gewis-
sennassen eine eigenthümliche Physiognomie der Sprachwerkzeage (nachVa-
leotin). Im 8. Jahrh. fingen die oberteutschen Mundarten an, für die Tennis
tun In- und Anslaot'*) z zu gebrauchen, welcher Lautwechsel (von Mone)
^ galKsch anerkannt wird. Die Kehllaute sind in der hochdeutschen Sprache
so eigenthümlich ausgebildet wie im Keltischen.
Aehnlich den siamesischen Zusammensetzungen geht bei den Mosquito-
Indianem, wie (nach Wiedemann) bei den Tscheremissen, der Begriff des
Bnngens (to bring) aus der Verbindung von Nehmen und Kommen (to take-
come) hervor (s. Pott), und im Othomi oder Hia-hiu se forma de dos ideas
ZciUckiift Ar BtiBologI«, Jalirgaag 1871 ^0
218 Ethnologie und vergleichende Lingoistik.
simples la tercera que se basca, como de o (recordar) y pho (conocer) se
ha compaesto el verbo ophö, escribir (s. N&jera), hiadi (Sonne) ans iia
(Licht) und di (hervorbringen), yohmi (falsch) ans yo (zwei) nnd hmi (Ge-
sicht), meti (Bettler) aus me (entbehrend) und ti (Reichthum). Im Chinook-
Jargon ^^) (s. Gibbs) bildete sich mamook nanitsch (to show) aus xnake
(mamook), look (nanitsch), wie ähnlich im Chinesisch-Englischen. In der
(dem Socotra ähnlichen) Sprache auf den Curia-Muria-Inseln (an der arabi-
schen Küste) verlangen einige Worte so sonderbare Gesichtsverzerrongen,**)
wie es Fresnel bei Ekhili fand, dass die Aussprache fSEbr einen Fremden un-
möglich bleibt (s. Hulton). Die Abgeschiedenheit**) (auf ackerbauenden
Flecken im Walde) lässt die Sprache bis zu einem Familieninstitut verarmen,
wie bei den Indio do mato oder Caa-pora zwischen Bio negro (an dessen
Ufern in mehr als hundert GKrias man kauderwälscht) und dem Orinoco,
während das jagende (oder fischende) Umhertreiben, obwohl die Familien-
bande lockernd, die Horde enger zusammenschUesst (s. v. Martins). Der
Unterschied zwischen der Sart-tili oder Stadtsprache (der Sarten) und der
Ozbeg-tiU oder Sprache der Ozbegen (auf dem Lande) besteht (in Chiwa) u
der fremdartigen Betonung und dem Grebrauche firemder*^) (besonders per-
sischer) Wörter und Bedensarten (s. Vambery). „In Fredegar's Sprache sind
alle Flexionsendungen vorhanden, werden aber nur noch aus Convenienz ge-
braucht, da das Gefühl f&r ihre Bedeutung sich ganzUch verloren hat; das
Volk wirft in solchem Falle die Endungen'^) ab und bildet neue, nur wer
gelehrt erscheinen will, braucht sie noch, ohne aber ihre Bedeutung zu ken-
nen. Eausler vergleicht diese Schreibart mit schriftlichen Aufsätzen, die
Einer aus der niederen Klasse in der Sprache der Gebildeten, welcher er
nicht recht mächtig ist, niedergeschrieben hat^ (Wattenbach). Da auf Mon-
taigne's Schloss Alles latinisirte ' '), um Michel die Erlernung der Sprachei
zu erleichtem, erhielten sich noch bis in späte Zeit lateinisch gemodelte!
Redensarten in den umliegenden Dörfern. — DasGothische giebt die imTe^
hältniss zum Sanskrit bereits verkürzten Formen des Lateinischen als ligam,
ligith, ligand, und die (hier in Nachbarschaft mit den Griechen durch bischöf
liehen Einfluss gestützte) Herrschaft der Grammatik wurde weiter redacirt
im Anglosächsischen (we licgath, ge licgath, hi licgath), und schliesslich io
its fnrthest possible limits, by Casting off the sufßxes altogether (I lie etc)^
indess: we lie is not less unambiguous than lagamasi, it is in £ACt a compo^
sition of equivalent Clements in another mode (Whitney). The populace (oi
Southern Europe) got their latin rather firom the army and its fbllowers, tb<
colonists and low officials, than from educated Romans and the works ol
great authors. „Die Gonstruction ist englisch^ (WuUschlägel) im Nege^
Englisch (aus Englisch, Holländisch, Portugiesisch, Französisch, Deutsch und
Neger- Worten) afrikanischer Neger in Amerika. Die Sprache der alten Preus^
sen, wie sie in ihren Ueberresten und besonders im Katechismus von 1561
vorliegt, steht auf dem Punkt«, sämmtliche Gasusendungen zu verlieren. Si<
BfliBolpeiie uad Tei]gi«iGheiide LmgoiBtik. 219
gebraucht die charakteristiBcheii Endungen des Genitiy und Dativ fast nur
noch, wenn kein anderes Mittel vorhanden ist, den Casus als solchen kennt-
lich zu machen. Ist aber ein solches Mittel vorhanden, steht z. B. vor einem
Nomen der Artikel ^^) oder ein bestimmendes Pronomen oder eine Präposi-
tion, so verwendet der Preusse bereits fast durchgehends für das Nomen, des-
sen Stellung im Satze nun genügend definirt ist, die leicht verhallende Accu-
satiyendung auf n, ns. Ebenso erhält, wenn mehrere Wörter in demselben
Casus neben einander coordinirt stehen, nur das erste die concrete und cha-
rakteristische Casusendung, die folgenden aber werden mit der Endung n, ns
ZQgefogt, weil nun über den Casus kein Zweifel mehr obwaltet (Nesselmann).
Bei Worten, die bestandig in bestimmten Zusammensetzungen gebraucht
werden, kann die einfache Fprm so ungewöhnlich werden, wie in anderen
Sprachen das Thema ^^) oder die Wurzel, weshalb Edwards meinte, dass im
Mohhekaneev^ neben nogh (mein Vater), kogh (dein Vater) u. s. w. das ur-
sprüngliche ogh (Vater) nicht existire, obwohl Roger Williams in den neu-
engliachen Dialecten osh (neben nosh und kosh) auffuhrt. Aehnlich verhält
68 sich in aastraUschen und (nach v. d. Gabelentz) melanesischen Sprachen
mit Körpertheilen. ^ *) Erleichtert wird solche Zertrennung bei Uebemahme
von Fremdwörtern. Eine Aufforderung, die Oedia anzuhören, würde von Man-
chem nicht verstanden werden, der gerne zur Tragödie oder Komödie folgt.
Die bei den amerikanischen Incorporationen gebrauchten Abkürzungen be-
sitzen ioDuner nur in dem jedesmaligen Zusammenhange ihr Verstandniss. Das
Präfix ka (der Ugalachmut) oder (nach Holmberg) kha (der Thlinkit) für
Korpertheile and Verwandtschafbsnamen ist (nach RadlofP) auf Mensch (Mann)
zorückzufuhren. A. B.
(Fortsetzung folgt.)
Anmerkungen.
') Älmost every adjective and Terb has its own peculiar adverb to express its quality (im
Ywuba).
TLe tree is yery high, iggi ga fiofio (iggi, Baum, ga, hoch).
The bird flies high, eiye fo tiantan (eiye, Vogel, fo, fliegen).
This doth is yery yellow, aso yi' pon rokiroki.
The scarlet is yery red, ododo pipa roro.
The glass is very dazzling, awojijin ndan maranmaran.
The Word fiofio can only apply to tbe idea of height (as very), and tbat, too, only when the
^ubjeet of which height is predicated, is connected with the ground and Stands upon it, for
vhen the idea of height implies distance from the ground and Separation from it, another dis-
tinctiTe adverb (tiantian) mnst be employed. So too, the adverb rokiroki can only be nsed of
i yellow oolovr, altbongh the word itself does not mean yellow, and roro only of red, or at
Inst daik colour (a. Crowther). Der Genitiv (schon semer Anlage nach im Alt-Indischen eine
Adjeetirbildiuig) wkd (in den neu-indischen Sprachen) gleich dem Adjectiv der Motion unter-
zogen (jF. Mnll«r). ka (N. sing, masc.), ki (fem.), ke (für obliquen Casus Sing, und Plur. des
Mttc) im Urdu, wie Baja-ka-beta (des Königs Sohn), Raja-ke-bete-ko (dem Sohn des Königs),
H*jark».bet» (die Söhne das Käiigs)» Baji-ld-beti (die Tochter des Königs), Raja-ki-betiya (die
Töchter des Königs).
^ Die HnroneQ coigugiren Substantive (nach Brebeuf).
Jatacan, mein Bruder. ^
Oniatacan, wir sind Bruder (verbrüdert).
Oniatacanehen, wir waren Brüder; ib*
220 Ethnologie und Torgleiolieiida lioguiatik.
nnd ebenso:
Oaon, alt
Agaon, er ist alt
Agaonc, er war alt
Agaonha, er wird alt (altert).
Adverbs, whose significations will admit of it, are declined in the same way as nonss (im
Australischen).
won, where (Nom.)?
wontakat, of wbat place (Oen. masc.),
wontakaleen, of what place (Gen. femOi
wontakolan, to what place, whither (DatiT),
wantarin, toward what place (Acc),
wonnun, what place (Ablat),
wontatinto, at what place (Ablat),
wontahinin, from whence (Ablat),
wontakoa, tiirough what pli^
(im Kamilarai).
taga, where, what place (Nom.)>
tagu, of what place (Cten.),
taganiur|ro, toward what place,
tagala, in what place (Ablat),
tadila, from whence (Ablat).
„Sometimes » verb, or part of a sentence, is treated as a nonn, and takes a possessiTe pronoun
before it, instead of a nominatiYe, as ,i na ona tawa mboki ra", becanse he cooid not find
hem (for bis not finding them), ,yaka na neitou Takan dondonutaki ra", as we forgiye theiQ
(like our forgiving them)*, im Fijeean.
>) The Mohegans have no adjectives, ezpressing those qnalities by yerb neater (wnissoo,
he is beautifol, pehtuhqnissoo, he is tali).
Pehtuhquisseet, the man, who is tall (as Partidple),
Pehtuhquisseecheek, the tall men (Plur.).
Proper adjectives can scareely be said to ezist in the Handingo language (s. Maehrair). Das
Welsch besitzt ausser den drei üblichen Vei^leichungsstufen noch eine vierte, den sogenannten
Equal (s. Pott). „Rncksichtlich des Grades einer an ihnen befindlichen Eigenschaft bei Un-
gleichheit desselben ist sowohl ein Drüber, als Drunter (gleichsam Minorat!?), mit Bezug auf
deren Nullpunkt, aber auch ein Grad der Gleichheit möglich. " In den Dravida-Sprachen bleibt
das Adjectiv unverändert (F. Müller); Steigerung findet nicht Statt, dieser Process ist hier ein
organischer Vorgang (wie in vielen anderen Sprachen). When case-signs are attached to a root,
or when, without the addition of case-signs, it is used as the nominative of a verb, it is re-
garded as a neun, the same root becomes a verb without any internal change or fonnatiTe ad-
dition, when the signs of tense and the pronouns or theu* terminal fragments are suffixed to it
(8. Caldwell) im Dravida. Von den Adverbien (im £we) wird
Legbe nur von Länge und Höhe gebraucht (edso tsu legbe, er ist sehr lang),
dehe nur von Dicke (tigo lolo dehe, das sehr dicke Fass),
wluwluwlu (zart) nur bei Regen, Thau, Mehl u. s. w.,
lililili (fein) nur bei (Geruch,
gbogbogbo (sachte) nur beim Anklopfen,
brambrambram (ganz) nur von Farben (avo dzie br., ganz gelbes Kleid),
kankankan von glänzenden Dingen,
nenenen von scmmmemden Dingen u. s. w. (s. Schlegel)
(also onomapoetisch nicht nur nach der Auffassung des Ohres, sondern auch der übrigen Sinne).
*) Lo mas curioso que presenta el mixteco, ist die Verbindung der Verba mit Adverbien.
A noiyon did za, como 6 en que manera se le quita iyon, y de las tres silabas restantes na se
pone al principio del verbo, y didza entre el verbo y el pronombre, 6 solo despues del rerbo,
si no hay pronombre, v. g nayokachindidzando (como ö en qne manera dices?), nanikaouendidza
(en que manera se hizo) oder von dzonda ani (solamente) dzoyonikandi, Solamente estoy (ich
alleinige). The incorporated prepositions are suffixed to nouns, prefixed to or inserted into
verbs, and prefixed to adverbs (im Dacota). The preposition i is prefixed to a class of adTerbs
giving them the force of prepositions. In these cases it expresses relation to w connexion with
the preceding noun, as tehan (far), itehan (£ar from any time or place), heyata (behind), iheyata
(back of something) (s. Biggs).
Ethnologie irnd Toigloiehende lisfoistik. 221
*) 1 new soffix appended to this makas & nomi Bezbozhnik (a godless penon or atheist),
tbe noon giTM birth to a denommatiTe verb Bezbozhnichat (to be an atheist), from this yerb
apin eome a nnmber of deriTativeB, giving to the verbal idea the fonn of adjective, a gent,
ict, and 80 on, the abstract is Bezbozhnicheatwo (the condition of being an atheist), while once
more a new Terb is made from this abstract, namely Bezbozhnichestwowat, to be in the con-
dition of being a godless penon.
Tonnte, toat-lt-llieare (daos le sens du fdtur),
Orainsy — ( » » » • pa»e) (en Ronchy).
L'idTerbe patoia joncqneB (jouxte on jnxta) a son yerbe ajoncqner, s'ajoncqner, se poster, s'as-
seoir contra oa dessos.
*) Aza, back, as preposition: behind,
Ime, the inside, — into,
Ekiti, the midst, — between,
Ihn, fi^e, — before,
£hi, the top, — upon,
Oki>nni, the bottom, under,
im Ibo (s. Schon).
Tsogi, look fdr, from tso (seek), ga (go),
Knga, to say go,
Paja, go to cairy,
Doiga, aocompany (foUow go),
Budm to
carry down, from bu (to carry), da (to fidl),
Loda, descend (go down),
Zidan, to send down,
Daba, sit down (ba, to aim at),
(3aba, depart from,
Tsoba, to chase (tao, to diiTO),
Fepo, to pass ont, from fe (to paas), pn (Separation),
D^)n, fall from (da, M),
Kapo, speak ont (ka, speak),
Tsnpn, dziye away (tsn, driye),
Gapn, go ont,
Sapn, wash ont (sa, wash),
Dsnta, inqnire (dsa, ask),
Badata, come down.
0 So Stent Ahlqnist Hur das dnrch pr&podtionelle Suffixe declinlrte Nomen Qm Hokscha)
nf LocatiT, Latiy, Inessiy, Blatiy, Blatiy, Prolatiy, Pr&dicatiy, Garitiy, Ck>mparatiy (neben No-
omatiy, Geniüy, Datiy, Ablatiy). (Tastr^n (in der Sprache der Jenissei-Ostjäken) Nominativ,
Genitiv (AcenaatiT), Dativ, Locativ, Ablativ, Instmctiv oder (im Eottischen) (imitativ, Pro-
«cativ, Caiitiv. Im Anstraliachen finden sich die Casnsformen als Nominativ (prftdicativ und
nibjeethr), Dativ, Adessiv, Genitiv, Accnsativ, Ablativ, Abessiv, Social, Ck>mmorativ. Die sub-
jective Noniinativform (koreko, der Xann) tritt statt der pr&dicativen (koro, ein Mann) ein, wo
das Nomen ata wirkend daigestellt wird.
Eon (Bücken), anf,
Lom (Seite), neben,
Nom (Kopf), wo»
im Dinka (luttenmtzner).
nma, der Eop( Nominativ,
umaeta, den Eop( Accnsativ,
umap, des Kopfes, (Genitiv,
nmpak, den Kopf, Dativ,
umamam, zum Eop( Dlativ,
nmapi, im Kop( Inessiv,
nmamanta, vom Kopf, Adventiv,
umahoan, mit dem Kopf, Effectiv,
(im Kechua).
Der Caans infinitivns (indefinitos) kann ebensowohl das Subject, wie das Object anzeigen, thnt
dies aber stets mit dem Nebenbegriff des Partiellen, Unbestimmten (s. Euren). (Semnthsbewe-
gungen oder (beföhle anzeigende Verba - haben ihr Object ausschliesslich im Indefinit, indem
gkiehsam der tumß an dem (kgenstand hitfst oder liebt (nicht den (Gegenstand).
222 SUmolog^ie «ad yngMeheade Lingmtftik.
^) Für beseelte Dinge endet der Plural in g (ojeeg, flieces, TOn ojee),
j, nicht beseelte - n (iskodain» Feuer, von iskodai), im Chippeway.
, — — all (achsinaJl, Steine, von achsin),
, beseelte — ak (tipasak, Gevögel, yon tipas).
The Indians vary their expressions, when speaking of a thing that has life and one that hu
uot, for the latter (instead of the word old) they use terms, which convey the idea, that the
thing has lasted long, that it has been nsed, wem out etc. (Eeckewelder).
^ Im Walachischen wird das fehlende Neutrum nöthigenfalls durch das Femininum Yertre-
ten (Sulzer), im Deutschen dem Masculinnm näher stehend. Bei antwortenden Beziehungen
wird (im Walachischen) für Männlich (und Neutrum) die Bezeichnung des bestimmten Artikels,
für Weiblich die des unbestimmten gesetzt.
*^ Der Odji-Sprache fehlt ein Gattungsbegriff für die Antilope, wogegen die Arten unter-
schieden werden, wie Sansan (röthlich mit weissen Querstreifen), aberre, adoa, kwadu, tyo (Riis).
1') As mulheres (dos Guaycurus) explicao-se quasi sempre differentemente dos homens (Vas-
concellos), wie in der Doppelsprache der Garaiben. Die Gonjugation der Frauen unterscheidet
sich (bei den Wyandot) durch das Fehlen des Buchstaben h (von der der Männer), nach dem
lex clementiae in lingua ejus (Brebeuf). Die Frauen sagen Gtema (ich sterbe), Aguina (ein
Mann), die Männer Aleo (ich sterbe), Hulegre (ein Mann) in verschiedener Sprache (bei den
Guaycurus).
^*) The plural of nouns is formed by adding the termination pee to the Singular. If this
ends in pee, the termination pee is added to the verb or adjective. The plural of yerbs appears
to be formed in the same manner. Sometimes a whole sentence being in the Singular number,
the termination pee is added to the last word, whether verb, pronoun or adjective, makes tbe
whole sentence plural (Gallotin). Für den Ausdruck der Gesammtheit der Indifferenz wieder-
holt der Nogaier das Wort (das zweite Mal mit einem m beginnend): koi (Schaf), koi moi (die
Schafe der Heerde), kasan (Kessel), kasan masan (Kessel als Kuchengeräth). Fängt das Wort
mit einem m an, wird ein anderer Buchstal)e gebraucht: mal (Vieh oder Vermögen), mal bal
(die ganze Habe) u. s. w. (Schlatter). If the nominatives have different prefizes and their signi-
iication admits of it, they are sometimes classed together as persons or things. In the former
caso, the verb concords with bona, the personal pronoun corresponding to abantu, and in the
latter, with gona, the personal pronoun corresponding to izinto (in the Kaffer language). Babe
ze (bona) bababini, indoda nomfazi wayo: And they were both naked, the man and his wife.
Izulu nomblaba zizele (zona) bubungewalisa buka Tizo: Heaven and earth are füll of the glory
of God (s. Appleyard). In Bantu (aba-&na b-ami, aba-kuln ba tanda, my large boys, they love,
izin-komo z-ami izin-kulu zi tanda, my large cows, they love) is produced a kind of alUterative
congruence, like the rhyming one often sees in Latin, as vir«o, optim-o, mazim-o, femin-ae,
optim-ae, maxim-ae (Whitney). The inflection, which designates the plural of nouns, yaries
according to the class to which the noun belongs (in the North-American). According to the
dialect or different language, it is og, aig or ak for the animate, ain, ash or all for fhe inani-
mate gender, but the vocal sound, which precedes the eharacteiiatic oonsonant varies, according
to euphony or usage (Gallatin). The nouns may be much varied by additional terminations of
a diminutive (rsoak), augmentative (nguoak), odious (piluk) agreeable sigmfication and two of
those are sometimes united, as pilurksoak, both diminutive and derogative (im Eskimo).
'') The flexibility of the several parts of speech has enabled the Indian (the Ghepeways,
Delaware etc.) almost at wül to create new words, perfectly intelligible to the hearer for eyery
new object or idea (Gallatin). There are (in the Indian archipelago) two names for each of the
metals, but not one for the whole class. There cxist no word for animal. The genera are but
indifferently expressed, but for the individuals there is superfluity, five names for a dog^ six
for a bog, seven for a horse (Grawfurd). The variouB poetures and modifications, in which the
human body can be placed, are described copiously, there being with the Javanese 10 ways of
Standing and 20 of writting, each with its distinct appellation. Gumrot means the noise of a
door, on his hinges, while gumret and gumrit mean the same thing, each in a lesser degree.
Diss haben auch die Seren (in Sonora) vor allen andern Sprachen gemein, dass sie das Wört-
lein nicht oder nein niemals brauchen, sondern statt derselben sich laugbarer Wörtern bedienen
(Gfilg), während die angräntzenden Völker solche Nein-Wörtlein ewig im Munde haben uad dero-
wegen Pimas, das ist die Neiner oder Nichtler benahmet werden.
Sthnologi« und yeii^lttcheikda Lingiiistik. 223
'*) By UM nniiMiratiTe anxiliaries (in Japanese) objeets are divided into classes (8. Brown).
EI adjectivo gae (grande) no se uaa en todos los modos castellanos, porque esta lengfaa habla
eon tanta distincia que segnn foere la cosa le apliea el nombre, 7 asi este qne se apliea a per-
MHuu, anünales y cosas que tienen cuerpo y son gniesas, que en las demas cosas se ha de
coDiiderar la iongitud, anchura, angostura etc. y asi de una mesa grande no se dice que sino
goeka, que denota ser ancha y larga, easi en cuadro. Guepa denota ser la cosa ancha pero
h^ (im Opata), Las particulas tepora, tzara y reyura usanse cuando se habla de Yivientes
en toda especie y de arboles. Porque hablandose de generös y de cosas anchas se explican
eoa las particulas vedara, davena y tzara, la particula revura usan hablando de pajaros (Lom-
bardo). El adjectivo numeral tiene muchos derivados (en maya), la terminacion ac sirve para
contar canoas, barcas, casas, balach para rayas, ban para montones, cot para quadrupedos.
coee para roUos 0 ruedas, cul para matas, arbustos, chiic por heridas, chuy para racimos, sar-
tas, tal p^ seres racionales (Sprach vergleichende Studien S. 222). The Zulus count with their
fingen» b^ginning with the litüe finger (of the left), stretching out each (and beginning with
tbe thomb of the other).
6 = tatisi tupa (take the thumb),
7 = kombile, point (with the forefinger),
8 = ukulu (the great) or
hliya nga-bo-bili (leaye by two),
9 = hliya nga-lohi-ne (leave by one).
Bei 40 (auf Hawai) gebraucht man iato von Tapastücken, taau von Fischen, tanaha allgemein.
Bei Besitzanzeigung hay diferentes particulas (im Hatlatzinca oder Pirinda), ob es sich um casas
numimadns, cosa propia de persona, nombres que significan accion, animales irracionales, nom-
bns verbales, nombres de parentesco handelt, behinta (ensenanza), nitu-behinta (mi ensedanza),
inbeta-behinta (la ensenanza de nos otros dos), inbotu-behinta (las ensenanza de nos otros mu-
choe), tzini (perro), nite-tzini (mi perro), iDbete-tzini (el perro de nos otros dos), inbo-tzini (el
perro de nos otros muchos).
Atausek (1), taldlimäk (5),
arfinek atausek (1 an der zweiten Hand oder 6), kulek (10),
arkanek atausek (1 am ersten Fuss oder 1 1),
afersanek atausek (1 am zweiten Ftiss oder 16),
inuk navdlugo (ein ganzer Mensch zu Ende oder 20),
inup aipagssaa (ein Mensch mit dem Geehrte oder 40),
inup pingajugsaa (Mensch in der Dreizahl oder 60) im Grönländischen.
^ The neun tokoro, the place or the place where, is us^ as a Substitute for the relative
proDoun (in Japanese). Thus the act of doing is szru koto, the person who does szru hto and
tliat which a man does is hto noszru to koro (s. S. R. Brown).
'*) The first personal pronoun has four numbers, the Singular, dual, plural and plural com-
prehensive. The others only the three first (Tickeil) in der Ho-Sprache. In Bezug auf die Yer-
binduDg der Personalpronomina mit der Wurzel zur Bildung der Yerbalflexion stehen die semi-
tischen Sprachen der gemeinsamen arisch-semitischen Ursprache noch näher als die indo-euro-
päischen (B. y. Baumer).
ani, ich,
api, du,
serei, er,
niape, wir,
pinape, ihr,
seserei, sie,
anta simat, ich habe gewusst,
apta ,
sereta ,
niapta „
anto , ich werde wissen,
apto 9
sereto ,
niapto n
Wird im Pr&l die erste Silbe des Yerbum verdoppelt, so werden die Pronomina einfach aus-
godräckt, wie (mumuhat von mnhat, todten) ani mumuhat, ich habe getödtet (in der Sprache
der Pirnas). Bach personal pronoun in the Singular number has three distinct forms, which
224 Ethnologie und ireigleiehMide IdogniBtik.
cannot be used indiscriminately» but the appropriateness of whieh depends exclusiyely Qpon the
vowel soimd of the verb, with which they are in construction. That vowel aound affiBots the
vowel of the pronoun, altering it so, as to make it of the Barne kind or qvantity (Crowther) im
Toruba:
Gloee vowels o, e, i, T, n, a,
Open « 0, e, a, a.
ni (Verbum), emi (ich), iwo (dn), on (er), ki (neg.)i
ko, se , mo , 0 , o , ko ,
ko, fe , mo V 0 , o , ko ,
(Yocalic Enphony System) im Toruba.
In the Houssa langnage the vowel, which serves as an auxiliary to the Terb varies according
to the Towel-soond of the pronoun (Crowther).
'^ In Susoo the second person singular (thou) and the third person ploral (they) are the
same (Etang), wie in der deutschen Höflichkeitssprache diese für jene gebraucht wird. Hay
verbos singulares y plurales, es decir que se aplican k una sola cosa 6 a muchas, Yariando de
forma, v. g. muk, morirae uno, ko, morirse muchos, guek, caer uno, tao, caer muchos (im Opata),
und im Cahita: sime ir uno, saka, ir muchos (s. Pimentel).
^^ Es ergeben sich so 15 persönliche Fürwörter,
7 für eiste,
4 . zweite,
4 9 dritte Person.
au (ich).
kedaru (ich und du) 1 jv,
keirau (ich und er) j ^^
kedatou (ich, er und du) 1 m^^i
kedatou (ich und zwei er, er und sie) |
keda (ich und sie, du auch) 1 pi
keimami (ich und sie) |
Der Trialis wird für die Dreizahl gebraucht oder geringe Hehrzahl, höchstens bis fünf (v. d. (ra-
belentz).
^*) Wenn ein Yerbum transitirum die Handlung auf einen unbelebten Gegenstand richtet,
so wird die gewöhnliche einfache Conjugation gebraucht, bezieht sie sich aber auf einen leben-
den, so tritt das persönliche Fürwort mit in die Construction und verlangt also Object-Conjn
gation (s. Tschndi).
Rumictam apan, er tr^t den Stein.
Apahuanmi, er trfigt mich (statt no^tam apan)
im Kechua.
Das Object oder die leidende Person bestimmt die Zahl des Yerbum.
Qa-lung-i-ha, I am tying it
Tsi-ya-lunff-i-ha, I am tyin^ hinu
Ka-lung-i-ha, I am tying him (implying an Intention that he shall hear).
Tu-lung-i-ha, he is tying him ( — the person tied shall hear).
Ka-lung-i-ha, he is tying him ( — the person tying shall hear).
Te-ga-tsi-ya-lung-i-ha, I am tying them (each separatoly).
Ghi-tsi-ya-lune-hia, I am tying them (those persons) together.
Wi-ga-lung-i-ne-sti, I am tying (a distant object).
Ni-ga-lunff'i-he-sti, I 9hall by that time be tying.
Wi-ni-ga^ung-i-he-sti, — (a distant object).
Qa-lung-i-hung-gi, he was tying it (implying that the Speaker was an eyewitness).
(ia-lung-i-he-i, — ( — not an eyewitness).
Ga-lung-i-he-i, I was tying it (implying that I was unconscious, as in sleep).
Ga-lung-li-si-ha, I am tying over again (for the purpose of tying better).
(}a-iung-n-sa-ni-hi-ha, I am Coming to tie it over again.
Ga-lung'li-sa-ne-ga, I am ^oins —
Ga-lung-Ii-taw-ha, I am tying here and there (going about tying).
Ga-Iung'Sti-ha, I am tying with it.
Ga-iung-sta-ni-hi^ha, I am Coming to tie with it.
(}a-Iung-sti-saw-ta-ni-hi-ha, I am Coming to tie over again with it.
Ga-lung-sti-saw-ta-ne-ga, I am goinf to tie over again with it
Ga-lung-sti-sa-ni-tew-k^, I am going to tie over again here and there with it
im Gherokee (nach Worcester).
^ Indepoident of causative, reflected and reciprocal verbal forms, the foUowing arefound:
Ethnologie und teigleichende Linguistik. 225
,He 18 QMd, continues, intends, is about, is finishing, is at ]iberty to do a certain aci' I see
far off, near, one I know etc. ,It rains* hard , by showers, steadily. The action is, has been,
or may be done, ill, better, in a different manner, quickly attentiyely, rarely, probably, jointly,
repeatedly etc. with Tarious other modifications expressive of doubt, likeness, denial, various
dflgTMS of assertion etc. (in den Indianersprachen). Determinativ -Partikel bezeichnen den Ort
der HandhiDg (nei, nah, na, fem). Snf&xe bezeichnen die Richtung der Handlung (im Polynes.)
mal, gegen erste Person,
ata, . zweite »
ane, , dritte ,
ae, hinauf,
ifo hinunter.
Die Prifixe bezeichnen die Qualität der Handlung (Affirmation oder Negation), Temporal-
imd Modal-Partikel , Personal-Partikel (F. Müller). A great number of derived verbs is formed
by adding to the primitive verb certain terminations which pervade every mood and tense
and modify the sense of the primitive. Such as arau (he is used to), karpok (he begins
to), uarpok (he continues to), saerpok (he ceases to), narpok (he does nothing but to), tarpok
(be intends to), jekpok (he was on the point to) im Eskimo Die Formative (in den hebräischen
Verben) sind Wurzeln in verbaler Auflassung mit der allgemeinen Bedeutung machen, thun,
titiben, üben u. s. w. (nach Wüllner). Jäcker (jackem), als Nebenform von jagen. In Samoan
tbe ansative (like Hiphil) is formed by prefixing fae, the reciprocal (Hithpael) by pre&dng fe
aod affixing ni, continued action by prefixing tau or by reduplication. The affix aina denotes
infearity of action (Piel). Verbs signifying ,to ahound in" are formed from the neun by add-
iog a. The prefix ga expresses equality or companionship (Pratt). Dau, as a prefix to verbs,
has tbe sense of intensity, frequency or continuance (in Fiji), vaka is prefixed to nouns, adjec-
faVes and verbs, generally implying similitude or causation, vei retains more or less of its pri-
mitiTe sense of plurality, when prefixed to verbs as well as nouns (Hazlewood). Derivatives
ve formed from all the five classes, but the first by the addition of a vowel or syllable. Some
verbe of the second and fourth form, with a vowel, almost the only passive voice known in the
Efik language, which has also a reflexive effect, like the Qreek middle voice or Hebrew Hith-
f*il Re added makes the sense reversive (Waddell). Mit Gei the Suosoos can say:
A gei she ra fala, he is done with workiiuf,
A nu banta gei she ra fala, he has been done with working,
A nn sei she ra fisla, he had been done with working,
A nu Santa gei she ra fala, he had been done with working
(in a remoter period).
An inserted particle (nU) denotes the passive voice, but the personal pronoun instead of being
u in our languages in the nominative, is in the Ghoctaw in the objective case. Instead of
^Tiog'- «I (Am) tied* tullokchille, they say: ,me (am) tied' suttullokche (s. Gallatin). The same
principle is found in the passive form of Latin deponent (neuter) verbs. Das Futurum der ro-
vuuuBcben Sprachen ist aus dem Infinitiv und dem ihm folgenden Indicativ Präsens von habere
herroigegangen. Die romanische Mundart des Sardinischen setzt aber (s. Diez; das Hülfsverbum
habere nicht hinter den Infinitiv, sondern davor (hapu cantai, als Fut. von cantai, statt cantar-
b^u). Auf Bauro (der Salomonsinsel) kommt ha (machen) als Präfix vor mit intransitiver oder
cansativer Bedeutung, wie ihamarewa, erleuchten (marewa, Licht), hagorohia, wollen, gern haben
(goro, gut), hauwetewete, stärken (wetewete, stark).
'0 Alle durch Formative gebildeten Gonjugationen (Hophal, Hiphil, Hithpael u. s. w.) kön-
nen Denominativa sein (nach Wüllner), mitunter auch kal (Piel ist als Intensivum zu fassen).
The two pronouns in the nomioative and objective ease always procede the root of the verb,
letving no doubt, that the reflections of person, number and case are those of the pronoun and
oot at all of the verb (in the transitions of the Cherokee). The name «transitions* is given
(by the spanish Grammarians) to those Compound conjugations, in which the verb is combined
not only with the acting pronoun, but also with that in the objective case (as in the Hebrew)
in American languages.
Ndellowe, ich sage,
Ktellowe, du sagst,
Wtellowen, er sagt,
Ndelloweneen, wir sagen,
226 Ethsologi« und Tevgleicliende LiDgnistik.
Ktellowehhimo, ihr sagt,
Wdellowenewo, sie sagen
(im Delawarischen).
Ktellel, ich sage dir,
Ndellan, — ihm, '
Ktellohumo, ich sage euch«
Ndellawak, — ihnen,
Kelli, dn sagst mir,
Ktellan, — ihm u. s. w.
Ktellennep, ich habe dir gesagt,
Ndelluk, er sagt mir,
Ktellolc, er sagt dir,
Etellenneen, wir sagen dir,
NdeUaneen, — ihm,
Lnknnep, er sagte mir,
Ktellgunep, — dir
(s. Zeisberger).
The Choctaw say: love-I-thee in one word, instead of ,1 loye thee' in three words, und das
System der Transitionen findet sich gewissermassen in den französischen Pronominalyerbindun-
gen mit den Verben, nnr hier nicht festgeschlossen, sondern immer wieder in die einzelnen
Elemente auflösbar. In der Sprache wird (nach Fritsch) eine Thätigkeit entweder mit dem
Merkmal der NichtvoUendung, des Werdens (durch Präsens, Futurum, Imperfectum) oder der
Vollendung, des Gewordenseins (durch Perfect, Plusquamperfect, Fut exact) ausgedrückt Prä-
sens und Imperfectum werden (nach Kühner) zuweilen zur Bezeichnung des Vorhabens, der Ab-
sicht, des Wollens zu einer Thätigkeit, des Conatus rei faciendae gebraucht. Nach Tobler fin-
det sich Beides nebeneinander, theils temporale Verwendung ursprünglicher Modi, theOs um-
gekehrt temporale Bezeichnung modaler Verhältnisse. Die grossen Zeiträume (Vergangenheit
und Zukunft) werden (im Türkischen) wie mit einem Zerlegmesser in kleinere Theile zerschnit-
ten (s. Goldenthal).
'*) C*est Taccent qui organise les langues et qui les fait viyre comme d*une yie qui leur
est propre, mais c*est lui aussi qui, en attirant k la syllable principale tonte la force vitale du
mot, finit par Tuser, par Tatrophier, par le dosorganiser (Benloew) Die griechischen Accent-
zeichen gebrauchte zuerst Aristophanes Byzantinus (200 a. d«), und Aelius Herodianus (200 p. d.)
bildete die Accentlehre besonders aus (im Auszuge durch Arkadius). The Aht cannot break up
the sentence. Nuk - amayhamma (I want some water) into its component word or roots, con-
sidering it one word (s. Sproat). Apit chanehellewak, they have a contrary wind (nach Howse)
im Cree,
Aulisariartos asuarpok, er eilt^ auszugehen, um zu fischen (im Glrönländificheii),
aulisarpok, fischen (er),
peartoipok, ausgehen zu thun (er),
pinnemorpok, sich beeilen (er).
Iduanclolavin, ich wünsche nicht, mit ihm zu speisen (im Chilenischen),
In, ich speise,
duan, ich wünsche,
clo, mit,
la, nicht,
▼i, ihm.
Lasset uns beide wieder zurück von einem Dorf zum andern fahren, giebt der Nadraw mit einem
Wort: atsikiemininkiwa. Wi-ni-taw-ti-ge-gi-na-li-skaw-lung-ta-naw-ne-li-ti-se-sti, they will by
that time have nearly finished granting (faTOurs) from a distance to thee and me (b. Gallatin)
in the Cberokee. A trace of the incorporative type (in the insertion among the Tsrbal forms
of an objective as well as a subjecti^e pronominal ending) is found in one of the Ugrian dia-
lects of the Scythian family, the Hungarian (s. Whitney) and in the Basque.
'') The Chief characteristic of the euphonic concord (s. Boyce) is, that all the grammatical
Tariations of form are effected by means of prefizes, which evolve a r^ular and unifonn System
of alliteration. Mähet (Sawet or Sravasti) may be only the usual rhyming addition» of which
the Hindus are so fond, as in ulta-pulta or topsy-turvy, which is Said to be the trae meaning
of Sahet-Mahet in allusion to the utter min of the whole place (Gunningham). Leathan re
leathan, is caol re caol (breit zu breit und schmal zu schmal) gilt als Regel für dampfe und
helle Vocale im Gälischen (wie im Finnischen). Das Präfix pen (peng, pem, pe) Tei&adert sich
Ethnolof^e und Y^iglekhende Lin^isük. 227
(im Dayak) nach dem Anfangsbucbstaben des Stammwortes oder brinfift bei diesem eine eupho-
nisebe Yeränderung hervor (t. d. Gabelen tz). Ri wird zuweilen der Zierlichkeit wegen an Fra
g«n angehängt (soderi icotö, warum hat er gestohlen?}. Ro ist ebenMs ein Partikel der Zier-
lichkeit (im Kiriri). De (mit Accent) ist Zeichen der Frage (Gabelentz). No solo deberia haber
las letras que representasen los sonidos, sino tambien los signos de los tonos (nach Najera),
he, el cielo, he, fingir, he, el monte, muy, el corazon, muy la indale, muy afecto, nho, bueno,
bermoso, apto, justo, perfecto, urbano (im Othomai). Hay muchos Yocablos (o el Zapoteco)
que con solo la diferencia ö mudanza del accento 6 una asperacion en el modo de pronunciar
protrayendo la toz o acortandola significan distintas cosas (Gordova).
do, liegen, H^le, aosgehen lassen,
dö, saj^, stampfen, Süffel, Torbeigehen, Grenze, Volk,
do, düster sein, zusammenfügen, zunehmen, dick werden,
dp, arbeiten, wechseln, schlafen,
do, hereinbrechen, überschwemmen, rösten, Schnabel, Hunger, Krankheit, Hinken
bei den Eweern (s. Schlegel) mit vielen Zusammensetzungen. Nach Walünann unterscheidet
man tiefen, mittleren und hohen Ton (im Namaqua).' A certain word in Koranna, if pronoun-
eed m a loud key, means handkerchief, the same word, threp notes lower, means the spot, and
feof Dotes lower still, it Stands for the adjective dark (Mackenzie).
^ de, gehen, d^, schlagen,
ko, helle sein, ko, glänzen,
wu, Fischangel, wn, Blut (im Ewe).
Um Sqsoo langaage consists of short words, yet they may he compounded so, as to make very
kttj? ones (tonkgashulimashukung). So lange der Sinn für Unterscheidung der Redetheile we-
nig ausgebildet ist, mögen die ursprünglich kurzen Worte nach Art der amerikanischen viel-
fach verbunden werden, ausser in der eigentlichen Tonsprache, wo der für jedes Wort festge-
steQte Ton di« Verbindung, die ihn im Accent verschwinden lassen würde, hindert. Nachdem
aber grammatische Regeln die Sprache einmal in bestimmte Wortganzen zerschnitten haben^
können diese, so klein sie auch sind, nicht vrieder unerkannt mit den obigen zusammenwachsen,
sondern sich nur nach bestinmiten Regeln verbinden. The words adopted from the several lan-
^uges, were those most easily uttered by all (in the Ghinook Jargon). Grammatical forms
were reduced to their simplest expression, and variations in mood and tenses conveyed only
by adverbs and the context (Gibbs).
") Le hanneton se nommant Bruant, ce mot est une onomatop^e exprimant le bruissement
<nie produit cette sorte de coleoptere (on en a fait le verbe bruenner ou precher). Au demeu-
rant ce mot de Bruant est une maniere de participe present du bruire, bruissant, bruyant,
bruant. Bmenner c*est occuper son esprit ä des choses qui n'en valent pas la peine (Breton)
im Pat<rä (von Rouchy). Yainlaiwarou (vilain laid loup garou) en Artois Racailler (expression
de mepris) est le Baca (des Hdbreux) en Patois. Golloqui, parier simul (Breton) XIV. siecle.
**) Die Veränderung des Anlauts macht es der celtischen Sprache zum Gesetz, den Anlaut
immer zu echreiben, auch wenn er in der Aussprache verschwindet, weil ohne diese Beibehaltung
der Buchstaben die groeste Verwirrung im Sinne entstehen würde (Mone). Die Sabiner sprachen
(nach Qnintifian) das f der Romer (die früher selbst trafo und vefo, statt traho und veho gesagt
hatten) wie h aus. Im Rumänischen steht hiera für fera, prihana für profana. Und so im Spa-
nisdien. Im Dravjdischen kann das Wort (und eine auf eine geschlossene folgende Silbe) nur mit
Stummlauten beginnen. Omnes autem Ori^tis gentes in gutture linguam et verba collidunt, sicut
Hebraei et Syri. Omnes Hediterraneae gentes in palato sermones feriunt, sicut Graeci et Asiani.
Omnes Oecidentis gentes verba in dentibus frangunt, sicut Itali et Hispani (Isid). In all the
(polynesian) Islands there is a great want of discrimination between some of the gutturals or
palatals, lingnals, dentals and labials, the sounds formed by each organ usually being con-
founded (s. Dwight). Da den Huronen die Labialen fehlen, sagen sie (trotz aller Versuche):
ouon statt bon,
rils » fils,
caonsieur monsieur (s. La Hontan).
Das Telugu und Kannadi schliessen immer in Vocalen, das Tamil auch mit 1, r. Gonsonanten-
gnippen im Anlaut werd^ nicht geduldet. Fremdworter werden entsprechend umgestellt (im
Tamil):
228 Etiinologie und Terg^leiehende LingfuistiL
pralaya (Anflösuimr) zu Pindayam,
Prana (Leben) zu Piranam,
Agni (Feuer) zu aUdni,
Satru (Feind) zu satturu.
Indem wai (Wasser) tabu war (am See Rotorua), fand Üieffenbach dort noni (för Wasser) und
der Ort liiess Noni-kerri (statt Wai-kerri), ebenso tami für kai (essen). Mewe ami ese, ich rieche
was man Ton der Salbe hört (was Yon der Salbe ausgeht und deshalb waluf(enommen wird),
I hear smell (bei den Eweem).
") To form the present time, the Creole prefixes the particle ca to whateTer pari of the
original French verb may have been adopted into the dialect as an InfinitiTe. In the N^gro-
English precisely the same is done with the particle da (s. Thomas). The generai stmcture of
the Negro-English (among the dutch colony in Surinam) is English and very many words are
of English origio, but those superadded with new ideas taken from the Dutch (s. Ludwig). The
slaves of the Portuguese Jews (in Surinam) adopted in an imperfect manner the language of
their masters, speaking a broken Portugußse, as Djoe tongo or Jew's language (at present only
spoken by the Saramacans on the Upper Surinam, one trihe of the free Bush-Negroes).
^) The Ibos never speak wittr their Ups only, eye and ear, band and foot and erery nerre
of the body contribute their part to illustrate the sound issuing from the mouth, and hence it
is also, that the very tone of the voice, the raising and sinking and other modulations thereo^
are of great importance (s. Schon). Wben a party of natives, who had been conversing in their
own tongue, were joined by a foreigner, with whom it was necessary to speak in the Jargon
(in Oregon): the countenances which before had been grave, stolid and ineoLpressiTe, were in-
stantly lighted up with animation, the low, monotonous tone became lirely and modulated,
every feature was actiTe, the head, the arms and the whole body was in motion, and eiery
took and gesture became instinct with meaning. One who knew merely the object of the dis-
course might often haye comprehended, from this source alone, the generai puiport oi the oon-
versation (Haie). Der Taubstumme lernte ^die lingua rustica (754) in Paris (geheilt dnrch
St. Qerman\ Les sauvages (en Oregon) se communiquent les nouvelles (lorsque leurs camps
sont ^loignes les uns des autres) souvent par des feux qu^ils allument, la diversit^ de la con-
leur des flanmies caus6e par la difference des combustibles employ^, indiqoe que les nouvell«
sont bonnes ou mauvaises (Rossi).
'^ Die bei den Bauern gross gewordenen Leute (Ingeboegten) scheinen fast ohne Gedanken
zu sein, während die Bassuti fast alle schnell und gut begreifen, und Merensky schreibt diflse
Gedankenlosigkeit dem Umstände zu, dass sie so zu sagen keine Sprache haben, indem das
platte BauemhoUändisch, in dem sie von nichts weiter sprechen, als allein von Vieh, Wagen,
Kleidern, Töpfen, die ärmste Sprache ist, die sich wohl denken lässt (1867). The laoguages
(of the American Indians) are deficient in generic terms or those representing classes of objects.
Very few possess words equivalent to ,tree*', ,bird', ^fish*' etc. though names will be found
for every particular species, as each kind of oak and pine, of duck or salmon, and of certain
animals, such as deer, there will be found, besides the specific name, black or white tailed
deers (as the case might be), separate words signifying duck, doe and fawn. In n^gard, to part
of the body in many languages, there is no one word for arm or leg, but separate ones for
the Upper arm and that below the elbow, for the thigh and that part below the knee. Even
of the hands and feet, there are often no name# embracing the whole. So too the words
.leaf", „bark" are represented by distinct names, according to their character, as broad and
needle-sfaaped leaves, the woody and fibrous barks. Sheath and pocket-knives and the varions
forms of canoes have in like manner each their specific names (Gibbs). Ich setze mich der
Hut auf der Kopf (im Düsseldorfer Dialect) ohne Flexionen.
^) Du melange de deux langues se forma une sorte de grec bätard (nach der Eroberung
1205 p. d.) et du melange des Francs avec les femmes du pays naquit une race mixte (les
Gasmulins). Les lois donn^es par les Yenetiens ä Gandie mentionnent comme diflfi&rents le Vas-
mulo, Latino, Blaco, (hiego (Buchen). Le prdsent se fait connaitre de deux maniires, ou bien
en ajoutant simplement Tun des pronoms au radical, ou bien au moyen du verbe etre suivi da
mot na, qui si^iifle dans et au radical, ainsi pour dire j^^ris, on emploie cette toumure «moi
Ethnologie und vergkichende Linguistik. 229
ecm' an moi est dans ^ri qui ^uivaut h »je suis h öcrire*, le passe se d^igne avec la par-
tkok ia (d^ji), mis avant ou apres le radical, ta, placÄ devant marque un temps futur, va
(apres) fonne FimparfEdt, enfin ta pr^dant et va suivant le radical indiquent le mode condi-
tioDDel (dans la langue creole portugaise dans la Guinee). Un de ces Papels-manjaga, que Ton
ippefle Partugais (au poste fran^ de Seyou) disait: moi fiure ou moi est na faire (je fais),
moi ja fiure (^ai fait), moi feire va (je fiusais:, moi ta fiure (je ferai), moi ta faire va (je ferais),
adaptant le mecanisme de la langue cr^le portugais (Bocand^).
'') Für das Subject wird yerhältnissmässig selten ein casus obliquus gesetzt, geschieht es
aber, 80 tritt wie ffir alle casus obliqui der Accusatiy ein .im sermo plebejus), für den Nomi-
natiT (amionas, majorem, aliquas causas, epistulas) statt des GenitiY (majorem); statt des Dativ
(bca), statt des Ablativ (Incendium, donum). Die ursprünglichen Aceusativendungen erleiden
BBo aber in Folge der Lautwandlungen selbst wieder .Veränderungen, theils solche, welche noch
immer den Accusativ deutlich erkennen lassen, theils solche, bei denen dies nicht mehr der
M ist (Sickel). Primus igitur fuit quidam senex Donatus apud Trojam, quem ferunt mille
viii«e amios. Hie quum ad Romulum (der westgothische König Eurich nach Fleury), a quo
condita est Koma urb« (Toulouse), venisset, scholam construens, problemata proponebat, schreibt
IVL Jahrh. p. d.) Virgilius (Maro vocatus, qoia in eo antiqui ^aronis Spiritus redivivit), als
Schäfer des asiatischen Viiigü (Schüler des trojanischen Virgü). Ex quibus est iUud Aeneae
Mithridatici belli historiam, dass der Phrygier Blastus (der fränkische Herzog BUdastes) aus
mm nördlichen Yaterlande nach Rom (Toulouse) gekommen (584 p. d.). Les douz latinites
de Firgile TAsiatique separaissent chez Tauteur irlandais de Tecrit, intituli: Paroles de l'Occi-
dot (Hisperica famina). Rien n*y manque, ni les constructions renversees, ni les racines
pwqnes d^figur^es, par une d&inence latine, ni les termes foig^s de toute piece, ni aucun des
procedes qu*imaginerent les grammairiens pour d^rober les perles auz porceauz (s. Ozanam).
En comparant U lettre d*Aldhelm (et de plusieurs autres) aux passages du Virgile de Toulouse,
te Hi^ca famina d'Atton de Vemil, on s'assure qu ü ne s*agit point d'un accident litt^raire,
mais d*une ecole et d'une tradition. Carl M., Alcuin, Angilbert nannten sich David, Flaccus,
Homer.
") Auf dem Concil von Macon wurde entschieden, dass der Schrift gemäss homo beiderlei
Geschlechts sei (hie homo, haec homo), und so im Griechischen ä»'ifo<onos (o oder fi). In den
Intthriften der Katakomben wird virgo für Jungfrau oder Jüngling gebraucht. On the intro-
dnction of a new article, which the Ahts have not seen before, a discussion takes places about
a proper name for it, and some person of good judgment in such matters is appointed to settle
ti» name. Each tribe has one or two of these nomenclators (s. Sproat). In der Creolensprache
im portugiesischen (3uinea haben die Selbstwörter keine Endung mehr, um die Zahl zu unter-
scheiden (nach Bocande). Die grammatische Structur des Altpreussischen zeigt eine eigenthüm-
Hche Mischung von neuen und alten Formen, von alten Formeni welche obsolet und von neuen,
welche naturalisirt wurden, und in unbestimmten, aus fluctuirender Structur und Aussprache
weht geschriebener Wörter, was die Annäherung von anderen Sprachen sehr begünstigte (von
Bohlen), besonders bekannt aus den Katechismen des 16. Jahrb., als die Ende des 17. Jahrh.
Töffig aussterbende Sprache sich bereits im üebergangszustand befand). „Während das Litthau-
ische die ursprünglichen Formen (als abgeschlossen) bewahrt hat, ist das Lettische (unter zahl-
reichen Aufioahmen von deutschen Worten) so abstract geworden, wie das Englische (mit man-
gelhaften Inflexionen).» Der Gebrauch der preussischen Sprache wurde 1309 durch den Gross-
meister verboten. The oldest compositions in Dutch are very similar to the Low-German (Platt-
deutsch). The first specimen of the dutch language is taken from a translation of the Psalms
(?J00 p. d ). In the XIII. Century, because of the flourishing State of the Flemings, and the
«aiB of their writers to observe great purity in their diction, and to express correctly the gen-
dcr and inflection of words, this improved form of the dutch language was denominated Fle-
Btth (Bosworth). La langue qu'on parlait dans le milieu de llsle (de Hayti), ^tait la plus esti-
niee, on la regardait meme en quelque fa^on comme une langue sacree et eile avait cours dans
W autres provinces (Charlevoix).
'') On trouve un t^moignage evident de Tintroduction de Tarticle ille ou illa tronque et
d%ure dans les Litanies ^crites vers Tan 780, au diocese de Soissons (s. Bast). Die ausgebü-
230 Ethnologie und teiig^leichende lingoistik.
dete Gonjngation im Othomi gehört nicht «al general uso de todos los natiyos'' an, sino i la
major energia con que hablan los cultos (nach Neye), und esoe indios cultos (wie Najera be-
merkt) son los que llamamos ladinos 6 latinoe, y es sabido en nuestro pais, que con ese epi-
teto se designaba k los que mejor sabian et espagnol y mas spectaban las costumbres y leu-
guaje de la nacion conquistadora. Kantemir uud Peter Major befolgten eine lateinische Gon-
struction in ihren Büchern, die dadurch den Rumänen schwer verständlich werden (s. Vaillant).
In Turanian languages, which haye received a literary cultivation, as Finnish, Tivkish and
Hungarian, forms oecur, wbich are comipted into something very much like inflection (s. H.
MuUer). The Gauls adopted the Qreek genitive (as appears by their coins). They likewise
made their adjectives declinable, foUowing the Hellenic terminations (in Sequanos etc.). They
adopted at a later period Latin inflexions of nouns and adjectiTes throughout their yarious
cases (as is shown in the coin of Gisiambos Cattos). Gunobeline introduced both the genitiTe
and ablative (s. Poete). In the poems of Taliesin and Aneurin the latin terminations are not
found. Le premier soin etait de crto des mots, on empnmtait k la langue grecque des ra-
eines, dont on modifiait la dissidence, on disait charaxare, pour ecrire, de Thronos (Tröne) on
faisait thore (le roi qui s'y asaied). D*autres fois on se contentait de supprimer des lettres oti
de les d^placer, le common des hommes disait her! (hier), les savants disaient rhei (con ponr
apud, salion pour ante, cyron pour contra). £n second lieu, on recourait auz artifices de T^cri-
ture (scinderatio phonorum). Troisiömement on bouleversait la grammaire, en donnant aux noms
d'autres cas, auz yerbs d'autres temps et d*autres modes. Les grammairiens n'avaient garde
d'user des d^linaisons, qu'ils faisaient iep4ter aux ^liers, Us avaient doctus doctii, sanctos
sanctii. Leurs conjugaisons enrichissaient la grammaire: Navlgare pontum ne remplissait point
l'oreiUe, quand on ayait la passion de rharmonie imitatiye, on disait k Tinfinitif. Nayigabere
pontum (Yiig. Mar. 6. Jahrh. p. d. (s. Ozanam). Mai croit trouyer chez le rheteur Fronto les
Premiers traces du langage myst^rieux adopte par les grammairiens de Toulouse. Edelwald
(Schüler Aldhelm*s) schrieb in der Sprache der Eingeweihten (die aus den Geheimschulen von
Toulouse zu den Irl&ndem übergegangen, den Anglosachsen mitgetheilt ward), ebenso ßonifaciua
und der Irländer Clemens (am Hofe C&rYs M.).
**) Gleich den polynesischen kennen die malayischen Sprachen keine Wurzeln, sondern
Stämme oder Wurzel-Variationen (Friedrich Müller). Les racines sont en philologie ce que les
Corps simples sont en chimie (Renan), und wie hier, können yiele ihrer starken Affinität wegen
nie allein bestehen.
^) Los nombres de todas las partes del cuerpo principian pour una letra determinada (en
el idioma moxo). A estas palabras (escritas en el diccionario) se encuentra unido un pronombre
poseeiyo (el pronombre posesiyo nu, mi, el mio), cosa que debe ezistir tambien entre otras tri-
bus (Orbigny). Im Guarany yersieht besonders dann das Possessiypronom die Function des
Artikels, wenn man sich das mit dem Nennwort Bezeichnete als organisch mit einem Ganzen
zusammenhängenden Theil (wie Körpertheile) zu denken yermag (W. Schultz). Nach der all-
gemeinen Weise der amerikanischen Sprachen werden (in den dem Athapaskischen yerwandten
Apachen-Sprachen) den Substantiyen der Verwandtschaft und der Körpertheile (mit einer klei-
nen Erweiterung dieser Begriffe) Pronomina possessiva praefixa beigegeben, die so sehr mit ihneu
yerwachsen sind, dass die Substantiya meist yon ihnen nicht abzulösen und einfach zu geben
sind (Buschmann).
Ubawo, mein Vater, .
ügihlo, dein „
Ügise, sein »
Uma, meine Mutter,
Unj^oko, deine ,
Unisia, seine „
im Eaffir (Appleyard).
Va, mein Vater,
Ur, dein .
Un, sein ,
Va-da, unser „
Ur-duen, euer ^
Un-duen, ihr «
Ansj^lmiigen der »Iten Gr&ber bei Mzchet 231
Ma, meine Mutter,
Kor, deine ,
Mann, seine „
Ma-da, unBere ,,
Mor-dnn, eure ,
Mann-den, ihre »
(in der Denka^prache).
Im Dialect der Ardennen läuft das Pronomen mit dem Nomen zusammen:
M'per, mon pere,
S'per, son pere.
Souis for je suis im französischen Patois Nous avons en Fran^ais, outre quantite de mots, que
le penple enternd, mais qu'il n'emploie jamais, nos «imparfaits du subjonctif'', qui appartiennent
bifiQ ä la hingue cultiTee, que la grammaire impose, mais que Toreille du peuple rejette et dout
Tosage dans la conyersation familiäre, meme entre gens eduqu^, n'est pas exempt de quelque
affutation d^plaisante (s. Cournot). Many words formerly employed (since 1806) have become
in gieat measure obsolete, white others have been locaUy introduced (1863) in tbe Ghinook-
Jargon (Gibbs).
Ausgrabungen der alten Gräber bei Mzchet.
Von Fr. Bayern.*)
(Fortsetzung.)
Nachdem die Leichen mit Rollsteinen und Schutt bedeckt waren, worden,
wie schon oben gesagt, dorthin, wo man die Schädel liegen glaubte, grosse
Blöcke gelegt, welche nun ungeföhr die Stelle angeben, wo man diese Köpfe
ond wie yiele zu suchen hat. Häufig aber trifft es sich, dass der Block an
eine ganz andere Stelle kam, und es ist daher vergebens, hier nach dem
Schädel zu suchen. Wenn man aber mit Vorsicht die Schuttmassen in der
Nahe dieser Blöcke durchsucht, findet sich auch der, wie gesagt, stets zer-
störte Schädel, oder der Schädel an der einen Seite des Blockes, während
die zertrümmerte Kinnlade an der anderen Seite desselben liegt Einmal fand
ich einen Schädel, der aussah, als sei er gekocht gewesen; er war schnee-
weiss ond haftete an der feuchten Lippe, wie ein fossiler Knochen. Wenn
die Leichen nicht ganz mit Schutt bedeckt sind, findet man gleich unter den
Blöcken die Schädel. In den kleinen Akeldamen und den Ziegelkasten sind
diese Blöcke ebenfalls zu finden, selbst bei Kindern, hier aber häufig auch
nur Bmchst&cke Ton Ziegeln, die ich selbst in den Steinkasten fand.
Ais sich später der Schutt im Grabe setzte, blieb ein leerer Raum in
*) Im vorigen Heft ist irrthümlioh Bayne geseUt
232 Ansgrabimgeii der alten Gr&ber bei Mzchet
demselben zurück, der oft 2 Fuss tief von der Decke aus ist. Hierher flüch-
teten sich sehr wahrscheinlich später Eidechsen, Schlangen, SchildkröteD,
diese ganz besonders zahlreich, in manchen Gräbern bis 15 and 20 Stuck;
dann Marder, Haselmäuse und Feldmäuse. Es hatten sich sehr wahrschein-
lich diese Thiere in den oft nicht ganz hermetisch schliessenden Ecken der
Steinkasten Eingang zu verschaffen gewusst, der aufgekratzte Schutt jedoch
scheint nachgesnnken zu sein und die OefEuung verstopft und so die Thiere,
wie die Maus in der Mausefalle, sich selbst gefangen und begraben zu haben,
denn in der Dunkelheit konnten sie die Stelle nicht finden, welche ihnen
zum Eingang gedient hatte, die Wände wieder waren zu fest und liessen sich
nicht aufscharren; die Schildkröte besonders konnte an den Wänden sich
nicht mehr hinaufziehen, und selbst wenn die gemachte Oefinung sich nicht
verstopfte, dieselbe nicht wieder erreichen. Daher nun findet man in diesen
Akeldamen, dem Schutte aufliegend, zahlreiche Knochen von Thieren, die,
wie gesagt, sehr wahrscheinlich sich selbst ihr Grab bereiteten, und nicht
von den Menschen in dasselbe gelegt wurden. Einmal fand ich auch Reste
von einem Schakal. Ausser diesen zufallig in die Steinkästen gekommenen
Thieren, denn in den Ziegelkästen findet man die Thierreste nicht, finden
sich oben auf dem Schutte in manchen Steinkästen, ob zuföUig oder nicht,
Skelete von Katzen und Köpfe von Fischen. In einem Steinkasten ftuid ich
drei Katzen, in einigen andern zwei und in mehreren andern eine Katze.
Fischköpfe, stets ohne Skelet, findet man häufiger als Katzen. Es ist nicht
anzunehmen, dass die Katzen selbst sich in diese Gräber eingearbeitet haben,
und obgleich die Katzen, ebenso wie die Fischottern, Fische verzehren, ist
doch nicht anzunehmen, dass diese Thiere die Fische aus dem Aragoi sich
geholt und hier, ausser dem Kopfe, den ganzen Fisch verzehrten. Dazu
kommen Fischköpfe in Steinkästen vor, wo keine Spur von einer ICatze sich
fand. Diese einzelnen Fischköpfe nun und die 2 oder 3 Katzen in einem
Grabe dürften hinreichend sein, anzunehmen, dass dieselben den Yerstorbe-
nen von ihren Verwandten als letztes Zeichen ihrer Liebe, sehr wahrschein-
lich nach Verlauf von einem Jahre, wie dies noch bei den Osseten der Fall
sein soll, ins Grab gelegt wurden; diese beiden^Thiere dürften daher ein
zum Culte der damaligen Völker gehörendes symbolisches Zeichen sein, wie
deren wir weiterhin noch viele andere finden werden, die ebenso wie der
Fisch auf Fruchtbarkeit und Fortpflanzung deuten.
Gehen wir zu den in den Gräbern von Mzchet aufgefundenen Gegen-
ständen über, so finden wir sehr werthvolle Datas, die uns die Kultur-
geschichte und Handelsverbindungen ebensogut, wie den Kultus und die re*
ligiösen und Volksgebräuche dieser Völker, welche auf Samthawro ihre letzte
Ruhestätte fanden, kundgeben und kennzeichnen. Wir erhalten unter andern
einen Blick auf die theils bei den Kindern, theils bei den Alten Sitte gewe-
senen Spiele, und einen grossen Einblick auf den Kultus.
Oben schon erwähnte ich eines aus Onyx geschnittenen Steines, des
Auflgrabungen der alten Graber bei Mzchet 233
Pioris des Damenspiels, oder des von den Römern als Ludas latrunculorum
bezeichneten Spiels; den Stein dazu nannten sie Latro, die Griechen lazQig,
Es ist ein Spiel, das heute noch im ganzen Orient gespielt wird, sehr wahr*
scbeinlich in Asien erfanden wurde und von hier aus nach Westen, Grie-
chenland and Rom, einwanderte. Dieser Fund ist schon darum interessant,
dass das Spiel schon seit mehr denn 2000 Jahren gespielt wird, abgesehen
davon, dass damals schon bei diesem Spiele grosser Luxus getrieben wurde,
denn die Steine von Onyx dürften damals nicht billig gewesen sein und be-
sonders in der Grösse (^ Zoll hoch, 8 Linien an* der unteren Fläche breit
tmd fingerhutförmig geschlifiPen), als derjenige, welcher jetzt im kaukasischen
Museum von mir aufgestellt zu sehen ist in Tiflis, und von der V^orstadt
Sarschin in Mzchet stammt
Ein anderes Spiel ist folgendes: In den Akeldamen von Samthawro,
dott, wo neben den grossen Leichen auch Kiader zu beobachten sind, findet
man häufig, sowie auch in manchen Rindergräbern, Knochen, die den Todten
sieht als Speise beigelegt sein können. Es sind dies die* kleinen Knöchel
yon Schafen, sogenannte Astragalus; grössere Knöchel von Kälbern; Fuss-
gelenke von Ochsen oder Kühen und grosse Pferdezähne. Alle diese ge-
nannten Knochen halte ich für Spielsachen von Kindern. Die Phalangen =
Fussgelenke von dem Rinde stellen kleine Männchen vor; die russischen
Knaben nennen sie Babki, d. i. Mutterchen oder auch Puppchen. Dies Kno-
cheospiel wird heute meistens nur von Dori^ungen gespielt. Die Taluskno-
chen, die sogenannten Knöchel aber, von den Griechen nai(}dy(dnc^ von den
Körnern Astragalus genannt, sind dieselben Knochen, welche man im Kau-
kasus unter dem Namen Kotschi bei allen Knaben finden kann. Beide Spiele
&Qn scheinen ebenfalls aus dem Oriente zu stammen und von hier sich bis
iiach Italien verbreitet zu haben, besonders das Knöchelspiel, schon im Alter-
ihnm als Ludus astragalorum bekannt. Im Herculestempel bei der Klero-
mantie, das ist Wahrsagen durch Würfel, die aus den Knöcheln der geopfer-
ten Thiere bereitet, das ist numerirt, wurden, gebraucht, ist ein Spiel, das
man heute noch von Persien bis tief nach Ungarn hinein verfolgen kann,
und scheint in Zizamuri damals schon das Lieblingsspiel der Kinder gewesen
ZQ sein. Ob diese Knochen auch zum Wahrsagen in dem von mir auf Sam-
thawro geahnten Herculestempel, also zur Kleromantie benutzt wurden, kann
ich nicht wissen; soviel aber ist gewiss, dass, diese Knochen an zwei Flä-
chen abgeschliffen wurden,, damit sie fester ständen, wie dies bei den von
nur im Museum aufgestellten Knöcheln aus den Akeldamen von Samthawro
za sehen ist. Dies nun beweist deutlich, dass diese Knochen zum Spiele
gedient haben, und da sie sich stets bei Kinderleichen finden, dieselben den
gestorbenen und mehr noch den geopferten Kindern von ihren Angehörigen
mit ins Grab gegeben wurden, damit* sie in einem besseren Jenseits weiter
spielen können. Dies erinnert an Jakob, der seineu Lieblingssohn opfern
^MUcMli fir BtkAoJogie, JahrfaBg 1872, iQ
234 Ausgrrabnni^n der alten Gräber von Mzchet.
wollte, und es scheint auch, dass stets diese armen kleinen Wesen, welche
man schlachtete, die Lieblinge der Eltern gewesen waren, welchen sie die
Lieblingssachen mit ins Grab gaben, nachdem sie geschlachtet waren — bar-
barische Menschengefühle! Die Eltern der Jungfrau Philinnion, die in Hypata
starb, waren viel gefühlvoller, als sie alle Gegenstände, die diese im Leben
besonders liebte, ihr ins Grab mitgaben, wie uns Phlegon von Tralles C. I.
erzählt. 0
Zu einem ähnlichen Enochenspiele scheinen auch die grossen Pferde-
zähne zu gehören, die man manchmal in den Akeldamen von Samthawro fin-
det, denn ich glaube nicht, dass diese sich als symbolisches Zeichen in den
Gräbern finden sollten.
Ich sprach vorhin von dem Wahrsagen durch Knöchel der geopferten
Thiere und meiner sich täglich mehr bestärkenden Ansicht, dass an der Stelle,
wo jetzt das Kloster Samthawro steht, einst ein Tempel oder Orakel und
zwar ein ähnliches wie das von Delphi, nämlich ein Herkulcstempel, gestan-
den hat. Diese Ansicht wird dadurch bestärkt, dass vor dem jetzigen Klo-
ster ein mächtiger Haufen gebrannter Knochen in der Erde zu sehen ist. Die
Knochen gehören dem Rind, dem Schaf und der Ziege an, sind alle zerklei-
nert und zerstückelt und es ist daher nicht zu zweifeln, dass diese Knochen
von geopferten Thieren stammen, welche hier auch verspeist wurden und sehr
wahrscheinlich in einem immer brennenden Feuer total verbrannt, liegen blie-
ben, wobei sich der Aschen- und Knochenhaofen täglich vergrösserte, so dass
er jetzt mehr als eine Quadratklafter gross ist, folglich viele Jahre hindurch
sich hier ansammeln musste. Nicht weit nun von diesem Knochenhaufen
wurde ein zweiter Haufen, aber aus reiner Asche bestehend, aufgedeckt
Diese Asche war und ist noch angefüllt mit Obsidiansplittem und Obsidian-
knoUen, die, wie man sieht, als Rollstücke eingeführt und hier zum Gebrauche
abgesplittert wurden. Diese Obsidiansplitter nun wurden nach dem alten
Gesetze, wo es, wie bei den Juden, hiess: „Das Opferthier darf nicht mit
einem Schneidewerkzeuge aus Metall, sondern einem aus Stein geschlachtet
werden^, zu Opfermessem verwendet, wie ich deren schon seit vielen Jahren
vielorts in Grusien finde. Unmittelbar an diesem Aschenhaufen wurden auch
Grundmauern eines Gebäudes gefunden und darin sechs Töpfe, welche ich
fär Blut- oder Opfergefasse ansehe, und einige Stücke, die ich erhalten konnte,
im Museum unter diesem Namen aufstellte.
Dass wir nun hier mit einem Opferplatze zu thun haben, ist zu wahr-
scheinlich, und dass die geopferten und daher zum Speisen fertig gebratenen
Thiere auf der Ebene vor dem Tempel verzehrt wurden, und die Knochen
in das, vielleicht immer brennende Feuer vor dem Tempel geworfen wurden,
lässt sich aus dem ganzen hier Gesagten schliessen.
») Siehe Dr. G. Ä. Rom berg, Die Wissenschaften im 19. Jahrhundert, Bd. II, S: U3, —
pr. Gras 6; Naturphilosophie.
Aus^abungen der alten Graber bei Mzchet. 235
Die Leichen hatten, wie wir gesehen haben, keinen Sarg; diesen ersetzte
der Sandstein- oder Ziegelsteinkasten. Bekleidet scheinen die Leichen, aus-
genommen vielleicht die Frauen, nicht gewesen zu sein, denn sonst hätte sich
doch irgend eine Spur entweder dieser Kleider selbst oder der Gegenstande,
mit welchen die Kleider geziert waren, vorgefunden. Weder Gürtel noch
Knöpfe noch Borten oder sonst was ähnliches zum Kleide Gehörendes habe
ich gefanden; das Einzige, was man findet, sind die Mantelfibeln = Chlamys-
fibeln, wie ich den Todtenmantel und seine Heftnadel heisse. Die Leichen
waren daher mit einem Todtenmantel bekleidet (Kinder vielleicht gar nicht).
Dieser Todtenmantel scheint, nach einigen Abdrücken auf dem Roste der
Fibek zu urtheilen, aus^grobem, gewebtem Zeuge bestanden zu haben, wenig-
stens bei jeaen Leichen, die sich in den grossen Akeldamen befinden. Dass
sehr wahrscbeinlich bei wohlhabenden Leuten und besonders bei Frauen,
denn in ihren Gräbern fand ich ebenfalls mit Perlen geschmückte Chlamys-
fibelo, auch feineres Zeug gewesen sein mag, ist nicht unwahrscheinlich, da
es sich erweist, dass hier in Zizamuri grosser Luxus herrschte.
Dieser Leichenmantel erinnert sehr an die zu den jüdischen Osterfeier-
tagen veranstalteten Ceromonien, an den Purpurmantel und die Domenkrone!
and diese grossen Gräber, da sie auch jüdischen Ursprungs wahrscheinlich
sind, da sie in Judaea im Gebrauche waren, dürften ganz dieselben sein,
welche man auf Golgatha hatte, es scheint daher auch Samthawro das Gol-
gatha von Zizamuri gewesen zu sein!
Ob diese Chlamysfibel nur für den Todtenmantel, die Yestis funebris,
bestimmt war, oder im allgemeinen Gebrauche bei den Iberiem auch sonst
war, läset sich nicht mit Bestimmtheit angeben; die Form aber dieser Fibel
aos den Gräbern bei Mzchet ist stets dieselbe, wobei nur einige Verzierun-
gen bin und wieder zu beobachten sind. Das Ganze bildet einen Dolch mit
einem Griff, an welchem ein Querstück, der sogenannte garde de Tepee, an-
gebracht ist, und dieser Griff ist das eigentliche symbolische Zeichen und
das richtige Merkmal der Fibel, denn es bildet derselbe ein Kreuz. Dasselbe
. Kreuz, welches schon im uralten Mythos bedeutsam ist; ein f ist das Zeichen
dieses sogenannten Henkelkreuzes, welches das Symbol Amons oder der Quelle
des göttlichen Lebens ist, das auch die Gnostiker annahmen. Es ist dies
der Hammer Hephästos (=y.ulkans) und die Runne des Thorhammers. Nach
Matters (Gnosticismus) dürfte dieses Zeichen die Rolle des Schweigens spie-
len bei den von den Gnostikem aufgebauten Templerorden. Auch bei Sam-
thawro spielt dieser Hephästoshammer eine mächtige RoUe des Schweigens
Ar ewig, es ist daher diese Fibel zu charakteristisch, als dass bloss Zufall
dieselbe zu allen Leichenmänteln geführt habe, und sich neben ihr keine
rinzige andere Form findet. Wir finden im Dictionnaire des antiquit^s etc. etc.
pag. 304 bei Ch^ruel unter dem Namen von Graphium diese Fibel genau
dargestellt und mir will scheinen, dass hier ein Irrthum vorliegt, dass dies
16*
236 Ausgrabungen der alten Gräber bei Hzchet
als Graphium bezeichnete Instrament nicht zum Schreiben auf Wachstafeln
gedient habe, sondern ebenfalls zu dem Zwecke, wie wir sie auf bem Tha-
wro finden, also als Chlamysfibel^ obgleich die Nadel dieser Fibel, ziemlich
stark und spitz, wohl auch zum Schreiben dienen konnte. Der Dolch ist
nun, wie gesagt, immer derselben Form, immer sind die drei Köpfe vorhan-
den und nur der äussere Bogen, welcher die Nadel verdeckt und auch unten
ächliesst, variirt häufig. Die meisten dieser Fibeln sind von Eisen, andere
von Eisen mit Bronzeköpfen, andere ganz von Bronze, wieder andere von
Bronze mit Perlen, einige fand ich auch von Silber; keine aber von
Gold!
Ein anderer, den Kultus der Iberier bekundender interessanter Gegen-
stand ist das in den Akeldameu und überhaupt in allen Gräbern von Mzchet
zu findende Thränenfläschcheu. Diese Flaschen sind von Glas gemacht und
erscheinen in vielen Formen. Diese Formen aber stellen verschiedene Keulen
dar, wobei man Keulen sieht, die den Stock oder Handgriff zugleich vorstellen,
andere Keulen aber, denen dieser Handgriff fehlt, weil dieselben auf einen
Handgriff aufgesetzt wurden. Die Keule wurde von den Griechen Qonalov
und auch xoQvvr]^ von den Römern aber Clava genannt. Man findet nun von
*
diesen keulförmigen Thränenfläschchen Phiolen in Form der Herkuleskeule
theils mit, theils ohne Knoten, diese Knoten erscheinen hier als durch tiefe
Rinnen oder Kanäle getrennte. Längs wulste, unge&hr ähnlich der Keule der
Figur bei Claviger in ChörueFs Dict. pag. 164, theils aber sind diese Phiole
glatt und erweitern sich langsam nach unten, um mit einer Art Wulst mit
einem Knoten oder kugel- bis bimformigen Kolben zu endigen. Diese Art
Thränenfläschchen triffi; man von 1| Zoll bis 5 Zoll Länge und an der wei-
testen Stelle, welche hier im Knoten zu suchen ist, 5 bis 8 Linien im Durch-
messer. Die Oeffnungen sind bei allen Thränenfläschchen 4 bis 6 Linien
weit Andere Thränenfläschchen mit längerem Halse, der aber nie über
2 Zoll lang wird, haben als Knopf dieser Keulform den Kolben bildend, ge-
wöhnlich eine birnförmige Blase, von 1 bis 1^, selten bis 2} ZoU grösstem
Durchmesser, welcher gewöhnlich in der Mitte der Blase, häufig aber auch
am unteren Theile derselben, zu finden ist Diese Phiolen können angestellt
werden. Diese Art Thränenfläschchen sind im verkleinerten Massstabe, un-
gefähr den Kochfläschcheu der Chemiker ähnlich. Aehnliche Fläschchen fin-
det man, die so aussehen, als sei der lange Hals, als noch die Glasmasse
weich war, in die untere Blase eingesunken, diese Keule nun erhielt einen
scheibenförmigen Kopf dadurch, und wenn ähnliche Keulen als Waffe gedient
haben sollten, so war diese Waffe eine furchtbare.
Die kurzhalsigen Thränenfläschchen stellen stets nur den Kealkopf dar,
der als Wafle auf einen Handgriff gesetzt wurde. Man findet deren in Kugel-
form, Birnform und als lange Cylinder mit kurzem aussen umgestülpten Halse.
£s sind dies gewöhnlich die weitesten Phiolen, in welche viele Pl&ssigkeit
Augfrabungen dar alten Gräber bei Mzchet. 237
gebracht werden konnte, sie werden aber nie länger als 2\ Zoll, bei einem
Dorclimesser an der weitesten Stelle, welche hier theils in der Mitte, theils
etwas unterhalb der Mitte zu finden ist, von 1^ Zoll. Unter diesen sehr
ioteressanten knrzhalsigen Thränenfläschchen, die ebenfalls, wie die erst er-
wähnten langhalsigen, sozusagen Cylinderkeulen, nur in seltenen Fällen auf-
gestellt werden können, da der Fuss derselben zu bauchig ist, findet man
eine Bimform mit grossen stumpfen Stacheln; es ist dies die furchtbare
Stachelkeule des sich am wilden Männermord ergötzenden Ares (Mars), des
Zöglings eines Priapus, auf welchen wir später konunen werden, der auf der
Flucht vor Typhon (der Quelle alles Bösen) nach Aegypten sich in einen
Fisch verwandelte, um verborgen zu bleiben (sollte der Fischkopf in den
Gräbern der Iberier hier nicht Bezug auf Ares haben?); welchem die Scy-
then jedesmal den hundertsten Mann der Gefangenen opferten, welchen die
Juden unter dem Namen Jehova Zebaoth kannten und dessen Bekleidung,
die Chlamys, die Iberier ihren Todten und zu Opfernden mit ins Grab
geben. —
Es ist wahrhaft zu verwundem, dass sich auch keine einzige Waffe in
den Crräbem von Samthawro bis jetzt gefunden hat Da doch Alles dafür
spricht, dass der Eriegsgott bei den Iberiem in hohen Ehren stand.
Diese Thränenfläschchen nun die, wie gesagt, alle die Eeule vorstellen,
sind mit dem Henkelkreuze der Chlamysfibel die wichtigsten Gegenstande,
welche uns den Kultus der Iberier andeuten, denn Beide liegen in den Grä-
bern als Sjrmbole ihres Kultes.
Wollen wir nun übergehen auf die andern Gegenstände, die ich in den
Gräbern bei Mzchet fand, und mit dem Holze beginnen! Gegenstände von
Holz und Holz Aberhaupt sind ein seltenes Erscheinen in diesen Gräbern, ein
einziges Mal gelang es mir, ein Bruchstück eines Holzgegenstandes zu fin-
den, es war dies eine Stecknadel, mit dem Köpfchen, wobei aber die Spitze
der Nadel abgebrochen ist und daher die Hälfte dieser Stecknadel fehlt; der
kugeUge Kopf der Nadel ist mit kleinen Ringen verziert, die eingeschnitten
oder eingravirt sind, der Kopf ist 3 Linien dick, während die Nadel nur
2 Linien Dicke besitzt. Die Stecknadel scheint als Haarnadel gedient zu
haben. —
Bearbeitete Knochen, ausser den oben erwähnten Knöcheln, fand ich
zweimal, anch dies waren nur Nadeln derselben Dicke, wie die Holzsteck-
^el, ob es aber Haar- oder Nähnadeln sind, ist nicht zu bestimmen; sie
^d aus Rindsknochen gemacht worden.
Eisen erscheint sehr häufig und fast in jedem Grrabe, leider aber stets
▼errostet und der Gegenstand oft dadurch ganz unkenntlich. Die Chlamys-
fibeln erscheinen meistens von Eisen, man findet aber neben diesen auch
Haar- und Stecknadeln. Die Fibeln haben Köpfe von Bronze und ceyloni-
schen Perlen, die Nadeln oben besitzen als Köpfe Bronze, Gold, wahrschein-
lich auch Silber, dann Edelsteine und Halbedelsteine, ceylonische Perlen,
2 38 Ans^abmigen der alten Graber bei Uzchet
rothe Korallen, Glas nnd Mastik oder eine noch zu bestimmende künstliche
Masse. Dann findet man von Eisen gefertigte Armspangen, Fingerringe,
Ohrringe und verschiedene Bruchstacke, die entweder von Schwertern oder
von Schilden stammen. Einmal gelang es mir, einen Schwertgriff zu finden,
und dieser lag nicht im Grabe, sondern in der Erde über dem Grabe, ist
daher sehr wahrscheinlich neuem Datums. Auch einen Nagel mit dünnem,
scheibenförmigen Köpfchen, unsem Stiften nicht unähnlich, gelang es mir,
und zwar in einem Steinkasten zu finden.
Bronze ist das Hauptmaterial, aus welchem die meisten Gegenstande ge-
macht sind, die man in den Gräbern von Mzchet oder besser Samthawro
findet, und da die Bronze weniger angegriffen ist, als das Eisen, auch die
Gegenstände besser erhalten sind, die aus ihr gemacht wurden. Auch hier
sind es die Chlamysfibeln, welche als die grössten Gegenstände von Bronze
nebst Armspangen auftreten, sonst aber sind es wieder die oft 5 bis 6 Zoll
langen Haarnadeln mit den schon bei dem Eisen erwähnten Köpfen von Edel-
steinen und dergleichen. Dasselbe ist der Fall mit den kleineren Stecknadeln,
auch hier sind Gold, Edelsteine und ächte Perlen zu Köpfen benutzt. Ohr-
ringe und Ohrgehänge, wobei das Stalagma (Gehängsei) aus ceylonischen Per-
len und Rubinen oder andern Steinen gebildet ist; Fingerringe von Bronze,
theils als Siegelringe mit Gemmen, sind auch gefunden, das Interessanteste
aber ist ein Schlösschen, wahrscheinlich von einem Gürtel, ähnlich einem
Schlosse an den heutigen Brieftaschen und Portefeuilles, dann kleine Glöck-
chen in Form der Cymbeln (xv/^ßakov)^ die sehr wahrscheinlich als Gehangsei
an Ohrringen dienten. Ein Deckel von einem kleinen Gefass, wahrscheinhch
einem Riechfläschchen, fand sich auch von Bronze in einem Ziegelkasten mit
den kleinen Cymbeln zusammen; und Nähnadeln habe ich ebenfalls zwei
Stück von Bronce gefertigt gefunden.
Ein Metallspiegel mit einem Medaillon, welches schon bei den Ziegel-
gräbern besprochen wurde und weiterhin wieder besprochen werden soll,
fand sich mit den beiden Bronzeglöckchen und andern Gegenständen in einem
Ziegelgrab, und das Ganze deutet hier an, dass dies Grab griechisch und
nicht iberisch war, demnach einem andern Volke angehörte, das zwischen
den Iberiern lebte. Der Spiegel ist eine dünne Scheibe von 3 Zoll Durch-
messer und war von beiden Seiten polirt.
Gold ist häufiger wie Silber, wahrscheinlich, weil das Silber mehr zer-
stört wurde. Von Silber fand ich Chlamysfibeln, Ohr- und Fingerringe, diese
theils mit Rubinen, theils aber auch als Siegelringe mit Gemmen besetzt
Nadeln fand ich keine; Gold erscheint stets nur als Schmucksachen, wie Ohr-
ringe und Ohrgehänge, diese mit dem Stala^mium von ceylonischen Perlen und
Edelsteinen, wie Smaragd und Pyrop, zusammengesetzt Gehängsei scheinen auch
die ganz aus Gold gemachten Dianahömer zu sein, die in Mode gewesen zu
sein scheinen, denn ich fand sie in zwei verschiedenen Gräbern; zu einem
Diademe können sie nicht gehören, da sie dazu zu klein sind, wohl aber
Ausgrabungen der alten Gräber bei Mzchet. 239
können sie als Ohrringe benutzt gewesen sein, da die beiden spitzen Hörner
die Mondsichel darstellend, glatt, stampf und dabei nahe zusammengedrückt
$ind, so dass sie sich im Ohre halten können. Damen-Fingerringe von Gold
erscheinen als sehr gute Arbeiten, die heute nicht besser gemacht werden
können. Einen solchen Bing fand ich, in welchem ein kleiner Stein gefasst
war, der aber nicht gefunden werden konnte; Halbkugeln von Gold mit einer
Oese zum Annähen fanden sich in zwei Gräbern, mit ihnen auch Rosetten
Ton Goldfolie auf Mastik, ebenfalls mit Oesen versehen, aber hier von Bronze
gemacht, dabei ein Schloss von Gold, welches einen Kopf mit Hals eines
Ungeheuers darstellt, einige Knöpfe von Glasscheiben roth und grün und
blau gefärbten Glases, in Gold gefasst mit Oesen von Gold bildeten den
Halsschmuck einer Dame, wobei an dem Ungeheuer, das als Schloss diente,
zwei kleine Goldketten angebracht waren, die jede einen verschiedenen Ge-
g^tand trugen. Der eine dieser Gegenstände ist ein Pyrop in Gold gefasst,
and eine nicht bekannte Figur darstellend, der andere aber ein Herz aus
rotbem Glase, ebenfalls in Gold gefasst. Gehängsei, ein Trifolium bildend,
welches mit einem Kei^ oder eine Schnur darstellend, umwunden ist, gehören
aach diesem Goldschmucke an. Einen ähnlichen Goldschmuck, aber nur aus
Knöpfen von in Gold gefassten, gefärbten Glasscheiben, Enöpfchen von ganz
ans Gold bestehenden Halbkugeln, wobei so kleine Eügelchen sind, die kaum
die Grösse eines Hanfkorns erreichen, dann statt des Kopfes eines Unge-
heuers als Schloss hier eine Rosette von Gold mit einem Kubin besetzt, be-
stehend, fand ich in einem andern Grabe. Knöpfe auf Steck- und Haar^
nadeln findet man ebenfalls von Gold und sogar ganze Nadeln, die jedoch
änsserlich mit Eisenrost bedeckt sind und nur im Bruch ganz im Innern das
Grold erkennen lassen.
Aus dem Mineralreiche findet man Smaragde, BeryÜe, diese als Aqua-
aiuin, Hyacinthe, Pyrope (sehr viele), Granat (selten), Onyx, Sardonjrz,
Cameol, Chalcedon, Achat und Jaspis, Opal (selten), Lazurstein, Gagat
(=6i6chik), Schwefel, Malachit, Speckstein und Thoneisenstein, die meisten
dieser Körper wurden zu Haar- und Stecknadelköpfen verwendet, und so
findet man unter Andern Aquamarine von 8 Linien Höhe, bei 5 Linien gröss-
tem Durchmesser, in Eiform, so auch Pyrope von 6 Linien Höhe, 5 Linien
Breite, 3 Linien Dicke in Linsenform, 8 Linien hohe Sardonyxe in Bimform,
stets durchbohrt, als Haarnadelknöpfe. Die meisten Rubinen oder Pyrope
sind als Ringsteine verwendet gewesen, man findet 'sie aber auch als durch-
bohrte Perlen theils an Haar- und Stecknadeln, theils auch als Halsperlen,
Onyxe, Cameole sind zu Ringsteinen, besonders Gemmen, verarbeitet worden,
dor Lazurstein zu Haamadelköpfen und zu Gemmen. Hyacinthe sind roh,
aber durchbohrt zu Halsperlen verwendet worden, ebenso Markasit-Krystalle,
welche an. zwei Ecken durchbohrt sind, um sie am Halse als Perlen zu be-
natzen. Die Steinkohle oder besser Braunkohle, als Gagat wurde zu Perlen
verarbeitet, so der Schwefel, Malachit und Lazurstein. Opal u^d Acb»t dieu«
210 Ansgrabimgen der alten Gr&ber bei Mschei
ten za Haarnadelknöpfen, wie man es am Ende im Verzeichniss der im Ma-
seam zu Tiflis aufgestellten Sachen sehen kann.
Das Thierreich lieferte ausser den schon früher besprochenen Knochen
und Enochengeräthen auch seinen Theil zu Schmucksachen, so Perlmatter,
ceylonische Perlen und rothe Korallen.
Glassachen sind ausser den Thränenfläschchen mir noch zahlreiche Perlen
und Korallen (das ist lange Glasröhren als Perlen benutzt), dann facettirte Per^
len und bimförmige Glastropfen, diese als Gehängsei an Ohrringen vielleicht ge-
dient, dann auch zu Köpfen von Haar- und Stecknadeln, verschiedenartig geformte
Perlen, sowie Platten oder kleine Scheiben zu Knöpfen, stets in Gold gefasst,
aus den Gräbern gesammelt worden. Das Glas ist bei diesen Gegenständen
stets gefärbt, besonders indigo bis himmelblau, verschieden grün, bei den
Knöpfen auch verschieden roth. Die Farben, besonders das schöne Blau,
lassen nichts zu wünschen übrig und können heute nicht besser gemacht
werden. Der interessanteste Gegenstand von Glas ist der dünne Hals eines
leider zerbrochenen Riechfläschchens, dieser Hals kaum von der Dicke eines
der dünnsten Federkiele, von welchem leider das Fläschchen oder der Kol-
ben nicht t\x finden war. Dieser Hals hat ungefähr 8 Linien Länge, ist
cylindrisch, oben mit einem lippenartigen Rande versehen, der die Mund-
ö&ung bildet. Diese Oeffiiung ist kaum so gross, dass eine starke Nähnadel
durchgezogen werden kann, ähnlich wie die Quecksilberröhren von Thermo-
metern. Das Ganze ist gebildet aus sehr feinen übereinanda: gewundenen
Glasfäden von dunkelblauer Farbe und sieht daher aus ungefähr wie ein da-
mascirtes Flintenrohr, welches noch nicht glatt geschliffen ist.
Künstliche Producte sind noch zu nennen der schwarze Mastik, der als
Unterlage bei den Rosetten von Gold diente, um die Broncaise ansubringen,
ebenso ein bräunlich-gelber Mastik, vielleicht zu demselben Zwecke bei Gold-
sachen angewendet, wie der schwarze Mastik. Dann sind noch kleine Brod-
eben von 10 Linien Durchmesser und 4 Linien Dicke, in Scheibenform on-
gefahr und durchbohrt, die wahrscheinlich vergoldet oder mit Goldfolie über-
zogen waren und als Haamadelköpfe dienten. Diese Brödchen sind braun,
sehr zerklüftet und lassen eine specksteinartige Masse erkennen, die ich wei-
ter nicht beschreiben kann, da nur eine chemische Analyse Sicheres darüber
sagen wird; so finden sich auch Perlen und sogenannte Korallen aus ähn-
lichen Massen, diese aber halte ich für umgewandelte Steinarten.
Noch sind die Töpferarbeiten zu besprechen, die theils in den Gräbern,
theils im Culturboden der alten Vorstadt Sarschin gefunden wurden und der^
selben Periode angehören dürften, in welche die Gräber zu setzen sind. Diese
Töpferarbeiten lassen keine hohe Kunst wie jene von Kertsch erkennen, weil
sie roh und ohne Form und Geschmack gemacht sind. Li einem von Süden
nach Norden gerichteten Dachziegelplattengrabe fand ich zwei kleine, bau-
chige Töpfchen mit Henkeln, in einem Steinkasten bei Sarschin ebenfalls
zwei Töpfchen, ganz anders geformt als die erstgenannten. Diese letzteren
Ansgrabtmgen der alten Graber bei Hzchet. 241
haben mehr die Emgform und sind noch kleiner als die des Ziegelgrabes,
oämlich 2} Zoll hoch, bei 2 Zoll Durchmesser an dem unteren, bauchigen
Tfaeile. Die Töpfchen alle sind roh, gelb.
Die Blutvasen sind aus mehr sandigem, gebranntem Thon gefertigt, sehr
stark, in Form des römischen Dolium, ohne Henkel, ungefähr 1 Fuss hoch,
bei eiaem Durchmesser von ebenfalls 1 Fuss an der breitesten Stelle, die
etwas oberhalb der Mitte ist. Die eine dieser Yasen ist schmutzig braun,
die andere äusserlich schwarz, halb glasirt, und beide sind mit rohen Yer-
zierongen und Reifen gezeichnet Beide Vasen fand man unter dem Schutte
des Gebäudes, welches ich fbr einen Opferaltar glaube halten zu dürfen und
bei welchem sich der grosse Aschenhaufen mit den Obsidiansplittem findet,
am Leichenfelde von Samthawro, der jünger als die Gräber des Leichenfel-
des ist und dem Feuercultus anzugehören scheint, nicht dem alten Sonnen-
coltas.
Im Schatte des alten Sarschin findet man zahlreiche Topfischerben, aber
Dielits Ganzes. Ich sammelte hier einige Bruchstücke auf, die mir geeignet
whienen, die Formen der einst gebrauchten Gegenstände, deren Verzierun-
gen and Glasuren studiren zu können. Ein Stück ist ein Bruchstück von
einem dicken, flachen Teller^ halb und etwas weiss glasirt; ein anderes Stück
ist sehr wahrscheinlich ein Schüsselchen gewesen für ganz kleine Kinder,
ähnlich unge&hr den kleinen Eaffeeschalen des Orients; Bruchstücke von
Sdiüsseln, weiss glasirt mit grünen Binden, und wieder grün glasirt mit
einer Art Bronze oder Vergoldung wahrscheinlich geziert gewesen, von wel-
cher noch Spuren vorhanden sind. Dann Bruchstücke von Schüsseln mit
angebrachten Löchern zum Ausschütten des Wassers^ sowie verschiedene
Brachstücke von Amphoren und Krügen, alles rohe und einfache Arbeit.
Es ist zu ahnen, dass sowohl die Farbe, als auch die verschiedenen
hier aufgezählten Steinarten selbst symbolische Bedeutungen bei den Iberiem
ebenso gut als bei den Griechen, Römern und den morgenländischen Völkern
hatten. Die Drachen- oder Ungeheuerköpfe an dem Goldschmuck und den
dabei gefundenen Ajmspangen von Bronze, den dazu gefügten Herzen, die
Itnbine und die blau, grün und roth gefärbten Glasknöpfe dieses Schmuckes,
sammt den beiden grossen Haarnadeln mit den Aquamarinen, und jene bei-
den mit den grossen Rubinen (Pyropen), ein Gehängsei mit einem grossen
Sardonyx und noch viele andere Gegenstände, die alle in einem und dem-
selben Grabe gefunden sind, wie die Artemishömer von Gold und die Ohr-
gehänge mit Stalagmium etc. etc. lassen deutlich eine ganze Blumensprache
erkennen, die es sich lohnen würde zu enträthseln und die wahrscheinlich
ebensoviel sagen würde wie manche Inschrift. Dass die vielen Pyrope sym-
bolisch sind, ist gewiss, und es ist bekannt, dass dieselben dem Sonnengotte
geheiligt waren, sogar bei den Juden fuhren zwei Pforten von Rubin zu dem
unteren Paradiese der Rabbinen.
Wenn nun der Hammer des Hephästos, durch die Chlamysfibel, die Keule
242 Ausgrabunfifen der alten Graber bei Hzchet.
Ares und Herkules, durch die Thränenfluschchen sich als deutliche Symbole
erweisen, wie noch mehr ist dies der Fall mit den Gemmen, deren ich leider
nur fünf Stuck auffinden konnte, die aber doch hinreichen, die Kette des
Ganzen zu schliessen.
Die erste Gemme ist das schon mehrmals besprochene Medaillon aas
dem Ziegelgrabe; es ist ein Onyx in Bronze gefasst, fuhrt auf der einen Seite
eine Yictoria, nach rechts gekehrt; die Victoria trägt in der Rechten einen
langhalsigen, unten löfTelförmig aussehenden Gegenstand, der sehr an die alte
Guitare, die griechische xtitai}a erinnert. Durch Oxydation des Steines
splitterte die oxydirte Haut an einigen Stellen ab und daher ist diese Figur
nicht deutlich zu erkennen. In der Linken trägt die Yictoria auf der Schlü-
ter einen Palmzweig; sie ist umgurtet mit einem Schwerte, was andeuten
dürfte, dass sie zum Gefolge der Pallas oder des Ares (Mars) gehört. Auf
der andern Seite ist der griechische Name des Inhabers dieses Medaillons
oder vielleicht der Frau oder Tochter desselben. Dieser Name nun ist HXAPIEI,
also von Icarus oder von Ischariot Ich halte diese Gemme für grie-
chisch, obgleich es nicht gesagt ist, dass, weil die Inschrift griechisch ist,
dieselbe auch einem Griechen angehören muss; denn es ist bekannt, dass
nach des Macedoniers Alexander Feldzügen viele Völker die griechische
Sprache als Schriftsprache angenommen haben, manche Völker sogar früher
noch. Syrer und Parther waren keine Griechen, und doch fuhren ihre Mün-
zen und Denkmäler griechische Schrift. Es konnten daher auch die Iberier
zu Ason's Zeiten und selbst früher diese Schrift angenommen haben, die erst
Phamuwas zu verdrängen anfing, nachdem Ason getödtet war (also 247 v. Chr.^;
diese Gemme aber dürfte allein schon das hohe Alter des Leichenfeldes von
Samthawro bekunden, die sogar an einem Orte gefunden wurde, welcher als
der jüngste des Leichenfeldes bezeichnet werden kann, nämlich am Bande
der nördlichen Schlucht, unweit der Burg Bevrisziche. Die Victoria dürfte
ebenfalls andeuten, dass die Leiche, welche sie mit ins Grab bekam, einem
griechischen und sehr wahrscheinlich einem Athenienser Krieger angehörte.
Die Gemme wurde, wie schon gesagt, mit einem Metallspiegel und griechi-
schen Cymbeln gefunden, Gegenstände, die sich in keinem Steinkasten fanden.
Eine 'K weite Gemme, ebenfalls wie das Medaillon ein Onyx, ebenfalls
wie dieses ein Intaglio, d. i. vertieft geschnitten, so wie alle bei Mzchet von
mir gefundenen Gemmen, zeigt ans den Priapus sitzend, in seiner ganzen
Uniform, ähnlich dem 26. Regimente der Zulu- Armee, der Garde du Corps
des EafTernhäuptling Goza'-)) T^^ch. rechts gekehrt darstellt, in der Linken
trägt er einen Adlerflügel (?), die Rechte hängt nachlässig herunter. £r sitzt
auf einem konischen Felsen (?), wahrscheinlich demselben, worauf ihn Astarte,
seine Mutter, nach der Geburt aussetzte. Der Onyx ist in Silber als Siegel-
0 Siehe Dubois de Montpereoz 1. c.
*) Siehe Globiis, Bd. XX. No. 11. & 166. Sept 1871, von Karl Andree.
Ausgrabungen der alten Graber bei Hzchet. 243
ring gefasst Priapas war der Protector des Gai^Dbaues, der Erzieher von
Ares, and ist das Symbol der zeugenden Kraft and der Fortpflanzang.
Die dritte Gemme ist ein Lazurstein, leider schon angegriffen, als Siegel-
ring in Silber gefasst. Auf der Gemme finden wir einen Esel, nach rechts
gekehrt. Der Esel symbolisirt, ebenso wie Priapas, die Zeagung und die
zeugende Kraft, sowie die Fortpflanzung.
Die vierte Gemme ist ein Onyx, in Silber gefasst als Siegelring, und
lässt uns einen Hasen erkennen; der Hase war bei den Alten das Symbol
der Aofrichtigkeit, der Liebe und der Fortpflanzung.
Diese drei, die zeugende Ejraft und die Fortpflanzung symbolisirenden
Gemmen trog ein einziger Iberier und stammen sie aus einem Steingrab-
Akeldam.
Die fünfte und letzte Gemme, die ich aus den Akeldamen von Sam-
tkawro erhielt, ist ein kleiner Onyx, in Silber gefasst und f&hrt zwei Korn-
ähren, die wohl mehr ein assyrisches oder semitisches, als griechisches Sym-
bol sein dürften, daher wenig mit Ceres Zusammenhang haben können.
Priapas, Esel und Hase, zugleich mit dem Fischkopfe in den Gräbern,
alles Zeagung, Fruchtbarkeit symbolisirend, dann die Katze, das Symbol des
Lichtes und des Lebens, gleich der Sonne, Symbole, die auf reinen Sabäis-
mod, den Sonnencult und die Lichtlehre der alten Parsen hindeuten, lassen
ahnen, dass die Iberier auch diesem Cultus ergeben waren, der vielleicht
durch syrische oder besser assyrische und griechische Tendenzen verunrei-
nigt war. Da wir aber weder die Geschichte, noch den Mythos der Iberier
dieser Zeit genaa kennen, ist es nöthig, einen Vergleich zu ziehen mit dem,
was wir bei Mzchet fanden, und den Mythen, Gülten und Leichengebräuchen
anderer Volker; vielleicht ist dies der sicherste Weg zu einem richtigen
Schiasse fiber das Volk und seinen Colt, sowie über die Zeit, mit welcher
wir Bekanntschaft machten.
Ich werde daher zuerst alle die Gottheiten der AJten durchnehmen, deren
Sparen ich glaube bei Mzchet gefunden zu haben und somit zuerst mit
dem Erfinder der Künste und Spiele Hermes beginnen.
Hermes ist der griechische Name eines mythologischen Wesens der alten
Aegyptier, in seinem Wesen identisch mit Thot, Vermittler zwischen den
Göttern and Menschen, daher das Symbol der ägyptischen Priester, die sich
ebenÜBkUs Vermittler zwischen ihren Göttern und ihrem Volke nannten. Er
ist Gesetzgeber und Erfinder aller Künste, wozu nicht nothwendig Feuer
gehörte, daher der Künste, Wissenschaften, Spiele u. a. m., die orientalischen
Magier, Theosophen, Alchemisten gaben ihm später den Namen Trismegistos;
das ist der dreimal Grossei Ob die Priesterkaste von Iberien, und dass es
eine solche geb, geht schon daraus hervor, dass Sormags, der Sohn and
Nachfolger des grusinischen Königs Phumadsch, der dem Feuerdienste erge-
ben war, Magier kommen liess, denen er einen Wohnort anwies, der später
Moghphtbi (ein Wort, was sich auf Phtfaa«Thore bezieht, die eine Modification
244 Ausp^abmiKen der alten Gr&ber bei Mzchei
von Phtha (das schaffende * and zeagende Princip ist. Phtha selbst ist in
seiner wichtigsten Modification, der Sokuri, die Haaptkraft in der Natur,
schaffendes und heryorbringendes Feuer, es ist dies der Hephäsots der Grie-
chen und spielt als Genius Ur, das ist Feuergeist eine grosse Rolle in meh-
reren andern Lehren) hiess, und der sehr wahrscheinlich am Rechten, das
ist südlichem Rande der grossen Schlucht zu suchen ist, wo jetzt die Häuser
der Fürsten Gideonow in Mzchet stehen, und seit dieser Zeit hier an der
Schlucht, welche die Ebene von Samthawro von Mzchet trennt, gestanden
zu haben scheinen (sieh' oben Hieronbal!), ob daher diese Priester sich eben-
falls als Vermittler zwischen den Göttern und den Iberiem ausgeben, was
sehr wahrscheinlich ist, lässt sich noch nicht behaupten. Das Wort Mogh«
phthi ist aber sehr wahrscheinlich bei Dubois de Montp^reuz nicht richtig
aufgefasst, denn dieses Wort Phtha bedeutet wie Baal nichts Anders als
Gott, daher den iberischen Gott Thu, den That, Thot, Thoyth oder Thath
der Aegyptier und Thaut der Syrer, demnach Hermes der zweite der Aegyp-
ter, der Gott des Mondes. In den alten Mythen aber liegt eine solche Ver-
wickelung vor, dass es sich schwer aus ihr herauszufinden ist, denn Vulkan-
Hephästos wird eben so gut wie Hercules mit Hermes vereint und verwech-
selt und eben so auch Mars-Ares. Denn gehen wir über zu Hephastos, so
finden wir denselben als Gott des Feuers und den Erfinder aller Künste, die
Feuer zu ihren Arbeiten benöthigen, bezeichnet daher als Gott der Schmiede
den Thubal-Eain oder den Meister der Erze, von Moses bezeichnet (L Moses
IV, 19—22.) den Gott der Chalyben Homers. Identisch mit Hephastos aber
ist auch der Vater der Sonne Pbre, der aegyptische Phtha der dvvafiig
Amons, auch Phtha Harpocrates genannt, der Demiurg Knuphis, in der schon
oben erwähnten Form von Sokari, welchen besonders das Henkelkreoz sym-
bolisirt. Die Seelen wurden nach dem Tode dem Sokari (in einer andern
Form, wie oben gesagt, als Phtha-Thore gegeben) geweihet. Bei den Juden
wurden dem Jehowa (Demiurg) IGnder, bsonders Madchen geweihet. Thot,
Thu, Baal, Heph&stos und Hermes scheinen sich daher im Phtha zu ver-
einigen. —
Die Worte Mogh, im zusammengesetzten Worte Moghphthi and Sam-,
im Worte Sam-tha-wro dürften in der assyrischen Sprache vielleicht ihre Er-
klärung finden, mit welcher die altgrusinische Sprache verwandt zu sein
scheint! Das Wort phthi, tha ist Thot oder Thu. Das Wort Baal, bal, bei
ist soviel wie Gott. Thubal, wie das iberische Volk im Alterthum hiess, ist
daher nichts Anderes, als Kinder oder Völker des Gottes Thot oder Thu.
Thubal-Eain dürfte daher heissen Meister des Feuergottes Thu! Baal ist
phönicischy Bei babylonisch, demnach semitischen Ursprungs. Die Baaitia
der Phönicier als Syzygos von Baal, ist die Astarte der Syrier, die Mylita,
diese als Mondgöttin der Assyrer, welche jedenfalls als Syzygos von Hermes
dem zweiten der Aegypter betrachtet wurde, ist ebenfalls semitischen Ur-
sprungs zu betrachten, weshalb ich auch geneigt bin, die Iberier mit
AuBgraboBgen der alten Oräber bei Hschet 245
nahe yerwandt, wenn nicht identisch mit Assyriern za halten, und da es be-
kaimt i^t, dass die Geschichte der Armenier innig mit der Geschichte der
Grasier yerschmilzt, so glaabe ich dass die von Fr. Spiegel in seiner erauischen
Alterthomskunde, I. Band, pag. 365 (1871) angenommene Ansicht, dass die
Armenier eranischer Abkunft seien, nicht die Eichtige ist. Ich meines Theils
halte eben so gut die Armenier, wohlbedacht des alten Armeniens, wo noch
wenig das Volk gemischt war, und die alten Iberier, jetzt Grusiner, für reine
Semiten !
Der phönicische Baaldienst and der des Hercules scheinen identisch zu
sein, denn die Sagen und die Verehrung des Herkules sind dem des Baal-
dienstes am verwandtesten. Daher will ich übergehen auf das, was wir von
Herkules wissen und was ich Verwandtes mit ihm am Kaukasus finde.
Herkules, die Gottheit, welche den Kreislauf des Jahres, des LebenSi
aoVie die Wiedergeburt und die Auferstehung bezeichnete, ist durch die in
den Akeldamen von Samthawro gefundenen keulförmigen Thränenfläschchen,
ab im Kulte der Thubals, das ist der alten Iberier, hervorragenden Gottheit,
Leiter der Schicksale und Führer des Menschen, bei den Iberiern festgestellt;
onter welchem Namen er von denselben verehrt wurde, müssen aber tiefere For-
schoDgen nachweisen. Der Name Herkules als Herakli ist heute noch im
Gange und besonders in der grusinischen Königsfamilie angenommen gewesen.
Ob aber von Herkules abzuleiten, ist eine andere Frage. Die Beziehungen
Herkules zam Kaukasus finden sich in einigen Sagen, wozu die Sage vom
Gürtel der Amazonen-Königin Hippolyte gehört, den Herkules der Tochter
des Eurystlieus, Admete, brachte (ob Eurystheus nicht gleichbedeutend ist
mit Eristawi (Volkshaupt) I). Die Befireiung Prometheus vom Kaukasus
scheint sich auf ein Naturphänomen im Kaukasus zu beziehen, wobei die
Deakalionische Sage Folge davon war. Meinen geologischen Untersuchungen
im Kaokasas zufolge liesse sich das massenhafte Erscheinen von Bimsteinen
an der kaukasischen Küste und theils auch auf der Halbinsel Kertsch, sowie
einiger anderer acht vulkanischer Producte in der Bucht von Semez, bei
Novo-Rossisk leicht dahin erklären, dass in Folge einer unterseeischen Erup-
tion zwischen der Halbinsel Taman und Shelindschik, sehr wahrscheinlich
eine grosse Landessenkung bei Nowo-Rossisk, wobei sich die Semezbucht
bildete, stattüeuid, in Folge deren das schwarze Meer eine fürchterliche Fluth-
welle nach der Ostküste sendete, die den Durchbruch und mithin die Deuka-
lionische Fluth verursachte. Das häufige Auftreten von Bimsteinstücken
in den alten Gräbern von Kertsch, die man falschlich als zum Metallspiegel-
potzen angiebt, dürfte darauf hindeuten, dass diese Bimsteinstücke als An-
dren an die grosse Katastrophe und dadurch auch als Kultusgegenstand
in die Gräber kamen; denn das Auftreten dieser Bimsteine und ganz neuer
Laven, diese in der Bai des Semez selbst; lässt schliesen, dass sie sehr
jung sind und dass die Eruption geschah, als schon Menschen die Küsten
des schwarzen Meeres bewohnten! Der Feuerkultus durfte daher früher
246 Aiisgrabungren der alten Qr&ber bei Hzchet
auf ähnliche Phaenomene im caspischen Meere und im indischen Oceane als
auf die sogenannten ewigen Feuer eines einzigen Ortes, wie Baku gewöhnlich
angenommen ist, zu beziehen sein und die Häufigkeit solcher Feuerphaeno-
mene in den Meeren und an den Küsten der alten Welt, während der Kind-
heit des Menschengeschlechtes, grösser gewesen sein, als sie es war in der
geschichtlichen Periode; denn dass bei Baku in den An&ngen unserer
neuen Periode, also in der Zeit, wo schon Menschen die Erde bewohnt
haben müssen, ebenfalls Feuerphaenomene im Meere, oder ganz nahe dessel-
ben, auf dem Lande selbst aber an einer Stelle, die voll mit den jetzt noch
lebenden Muscheln war, folglich unmittelbar am Strande stattgefunden hatte,
dürfte eine Glasmasse, ein hyaliner Obsidian, gefüllt mit ConchyUen, die aber
ganz verbrannt sind, den ich von Baku erhielt und der am Strande selbst
gefunden wurde, darthuen.
Der ägyptische Herkules heisstSem^), ein Wort, das möglicherweise nur zu-
fallig in der gerusinischen Sprache wieder zu erkennen ist, ebenso wie die an-
dere Benennung desselben Herkules-Som, in der Benennung einer durch Erz-
reichthum bekannten Provinz des südlichen Kaukasus, nämlich Som-chetien, in
welcher Provinz schon vor uralten Zeiten das Erz gewonnen wurde, ebenso
gut wie in der Provinz Alybe-Albania? der heutigen Provinz Sandocha.
Eine dritte Benennung dieses Herkules ist Dschom, welche Benennung in
dem Badeorte Bordschom (wahsscheinlich Herculesbäder oder Eisen- oder
warme Bäder zu verstehen!) sich wiederfindet; er hiess aber auch Chom,
Dschem (-Dschemschid? der Perser) und Dson (was sich sehr leicht mit
dem deutschen Worte Sonne vereinigen liesse!). Es war dieser Herkules
ein Sohn von Phre, das ist die Sonne und ist daher ein Product des Sonnen-
laufes durch die zwölf himmlischen Zeichen! =r (Matters, Gnosticismusl)
der phönicische Herkules ist der Melkartlios, dessen Mutter die Asteria ^ar,
das heisst der Sternhimmel, es steht daher Melkarthos ebenfalls in innigem
Zusammenhange mit dem Thierkreise, woher es auch kommen mag, dass er
häufig mit Mars identificirt wird. Bei den Römern war eine dem Herkules
ähnliche Gottheit zweiten Ranges, die man Sancus nannte und zur Klasse
der Heroen oder Halbgötter zählte, daher als Semi homo oder auch nur
Semo bezeichnete. Der persische Sandes, vielleicht auch Dschemschid, ist
ebenfalls mit dem griechischen Herkules identisch und so auch der indische
Dorsanes.
Dem Herkules zunächst und vielleicht mit ihm selbst identificirt, finde
ich bei Zizamuri den Mars verehrt. Dieser Kriegsgott, von Priapus erzogen,
war der griechische Ares und ist identisch mit dem jüdischen Jehova Ze-
baoth, der von den Gnostikern unter dem Bilde eines Esels angebetet
wurde. —
Es ist bekannt, dass sich Ares am Männermorde ergötzte, weshalb ihn
^) Semo = oberer; kwemo - unterer — in zahllosen Dorf benennnngen Grusiens.
Ansgfrabangen der alten Ghraber bei Hzchet. 247
Pallas Athena hasste, die Scythen, welche besonders Ares verehrten, opferten
ihm unter dem Symbole eines Schwertes, das man auf einen Haufen Reis-
hok steckte, Pferde and Menschen, und zwar den hundertsten Mann der
Gefangenen! Auf der Flucht von Typhon, wie oben erwälmt, verwandelte
sich Ares in einen Fisch. Ares scheint den Namen der Stadt Armasi gege-
ben zu haben, und von seiner Tochter Harmonia, Plinius die Stadt, Har-
mastis^Armasi, genannt zu haben. Von Ares dürfkie auch Aragus, Ardon,
ArguD, Arat, Armenia, Arsaces, Arschak und viele andere Namen abgeleitet
sein; sogar Samthawro, auch Samz-awro genannt, liesse sich von ihm ab-
leiten ? — Unter dem Namen Ares wurde auch oft der römische Bacchus
verstanden, und da Dionysus ebenfalls die KoUe des Baals im Alterthum
übernehmen musste, lässt sich hier wieder eine Verschmelzung verschiedener
Disciplinen in ein System erkennen, Emanationen einer und derselben Gott-
heit Baal !
Astarte war der sjrrische Name der griechischen Aphrodite, der römi-
schen Venus, und die Syzygos Baals der Pbönicier, denn sie stand als weib-
liches Wesen diesem zur Seite, daher sie von den Phöniciem Baaltis genannt
vurde, während dieselbe bei den Assyriern Melita (Mondgöttin) hiess. Ihr
Hauptcultus war daher in Babylon, Assyrien und Syrien; sogar bei den
Jaden besonders zur Zeit Salamons, war sie verehrt und durfte in dieser
Form Baaltis rein semitischen Kult andeuten. Die zahlreichen Buzushaine
.im südlichen Kaukasus, dürften die Myrthe, die ihr geweihet war, ersetzen
Qod die Stellen andeuten, n?o diese Tempel der Astarte standen: die Mehr-
zahl der Funde in den Gräbern, welche Zeugung und Fortpflanzung symbo-
iisiren, lassen schliessen, dass im südlichen Kaukasus wenigstens und über-
haupt bei dem grusinischen Völkerstamme, der Astartekultus, oder besser der
Sukus der Baaltis, nicht allein bekannt war, sondern auch einer der Haupt-
knlte, vor Einfährung des zoroastrischen Dualismus, mit dessen Ormuzd und
Ahriman, und dass die grösste Zahl der Gräber bei Mzchet dieser Periode
anzugehören scheinen.
Dionysus der Griechen, Bacchus, Liber und Jacchus der Römer dürfte
ebenfalls zum Kulte der früheren Iberier gehört haben, von welchem sich
heute noch Nachklänge, besonders im Hochgebirge des Kaukasus, bei den
Tusdieten (ein grusinischer Stamm!), bei den Pschaven, Ghevsaren^ Osseten
nnd den an den Kaukasus angrenzenden Ghrusiem, wie Karthaliner und Ka-
cfaetiner finden, Gebräuche, die frappant, wie Oel aus dem Wasser, aus den
christlichen Gebräuchen sich unterscheiden lassen, ich erinnere nur an das
Springen auf dem Weinschlauch am Tage der Askolien, dem zweiten Tage
des Bacchusfestes, welches in K^chetien besonders zu finden ist, hier aber
auf Ochsen und Büffelschläuchen (Burduk), während in Imeretien es Ziegen-
schläuche sind, die von den Römern als Uteruncus bezeichnet wurden, die
Perser nannten Dionysus-Mithra, dieser Mythra stellte wenigstens den Dio-
nysus der Griechen vor. Der ägyptische Sonnengott Osiris ist ebenfalls
248 Ausefrabiifigen der alten Or&ber bei Hzchet
identisch mit Dionysus. In Persien aber wurde dem Mithra, ebenso wie in
Aegypten dem Osiris Stiere (Apis der Aegypter) , während dem Bacchus» und
Dionysus der Bock, der Panther, die Elster, aber ganz besonders der Wein-
stock, geheiligt Der Dithyrambus ist heute noch der Gesang des grusini-
schen Stammes, besonders der Mingrelier, und somit ist auch anzunehmen,
dass diese Gottheit den Iberiem keine fremde war.
Da Bacchus, Dionysus, Priapus und Osiris häufig mit dem Gotte der
Schamlosigkeit und der Schwelgerei, dem Phallus, verwechselt wurde, Pria-
pus aber durch die bezeichnete Gemme, als im Kultus der Iberier angenommen,
dargetban ist, bleibt noch Phallus zu besprechen. Die Palme war im Oriente
das Symbol des Phallus, der Bock aber jener des Dionysus, und da ich die
schon oben erwähnte Console mit den beiden zur Palme springenden Böcken
bei Mzchet fand, wäre auch anzunehmen, dass die Phallophoriden (Feste, die
zu Ehren des Bacchus und der Pallas Athene gefeiert wurden!) in Zizamuri
bekannt waren, und vielleicht diese Console einem Bacchustempel angehörte.
Es ist bekannt, dass die Iberier die Sonne, den Mond und die fänf Pla^
neten anbeteten; sehr wahrscheinlich kannten sie daher auch Urania der
Griechen, die Tiphe der Aegyptier; wie dieselbe aber bei den Iberiem hiess,
muss noch nachgeforscht werden, ebenso wie die Sonne und die übrigen Ge-
stirne, welche sie anbeteten. Meine Ansicht ist die, dass in dem Kulte der
alten Iberier, bevor noch die Lehre Zoroasters hier Eingang fand, sehr Vieles
mit dem Kulte des alten Aegyptens gemein ist und auch die Benennungen
der Gottheiten sich bei genauen Prüfungen bei beiden Völkern ideptificiren
dürften, die aber später durch andere Völkersprachen theils verändert, theils
verdrängt wurden. Helios der Griechen, der später auch Titan und Hyperion ge-
nannt wurde, ist der römische Sol und scheint mit dem ägyptischen Amon
(das Pleuroma der Gnostiker) in eine Periode zu fallen. Es ist bekannt, dass
die aegyptische Theosophie drei Emanationen feststellten, diese drei Reihen
von Gottheiten wurden eingetheilt in erste Ogdoas, die paarweise von dem
unbekannten Vater (dem Baal der Phönicier, Jehova der Juden) ausfloss, es
waren deren acht, unter denen die Sonne-Ammon die Hauptgottheit war.
Aus der Ogdoas floss die zweite Emanation, die Dodekas, deren zwöli
waren, wobei die Sonne Phre zu suchen ist und die schon in die Periode
zu fjEdlen scheint, wo Apollon mit Helios, in der Mythe zu verschmelzen be-
ginnt. Die dritte Emanation entströmte aus der Dodekas und hiess Dekas,
aus zehn bestehend, oder auch aus 365 Geistern; zu diesen Letzten, gehört
Osiris, aus welchem wieder Horus sich entwickelte, der identisch ist mit
Apollon. Es sind daher Amon, Phre, Osiris und Horus, die Sonne der
Aegypter, nicht als vier Jahreszeiten zu betrachten, durch sie aber werden
sehr wahrscheinlich vier geschichtliche Epochen gegeben sein!
(Schluss folgt)
MketUoi «ad BfickMilMa. 949
Miscellen nnd Bttoherschau«
Die antlffopologiflolie litantor hat üoh dwttk eine neue ZdtKfailft beieiehert, durch die
lier Mal jihiüeh enehemende Eeme d^Anthropelogie, den« Bedeutung geiiiig;8aiB in dem Namen
ihm Herausgeben, Herr Paul Broea, anagedrfickt liest Auch zeigt bereits der erste Aiühel:
Beeherehes war Findioe nasal (par M. Paul Bioca), welch* gediegene Beiträge zu emttrten ste-
beo. Daran echliesst sich Ton A. de Quatrefiftges: Stades sur lea MincafKiei (ndt einer Gmppe
denelben nach photognq^hischen Aufnahmen) und Ton M. E. T. Hamy : Recherches sur les pro-
portions du braa et de Tavant-bras auz difftrents ügss de la Tie. Weiter folgen: Beyue critique
(Sur les alterations seniles du cräne par H. Samuel Pozzi und La linguistique et la theorie de
Darwin par M. Abel Hovelacque), Revue des Joumaux (Reyue italienne, anglaise, allemand^,
Reme des liTxes, Eztraits et Analyses, N^crologie, Bulletin bibliographique. Die Revue alle-
nsDde hat seitens Hm. Nepveu's die gütige Nachsicht, auch die junge anthropoh)gi8cfae Gesell-
mM Ton Berlin zu berücksichtigen, obwohl dieselbe durch ihre Gelehnamkeit nicht gerade zu
gliiixeD scheint (1& jeune soci4te d'anthropologie de Berlin, qui ne brflle pas, semble-t-il, par
fMHion). Dieselbe z&hlt zwar in ihrer Hitgliederliste aus den die Anthropologie fördernden
ffBlfnn8senscla.alten ein Dutzend Namen oder mehr, die sich schon damals, als Hr. Nepveu in
(len Hörten eines derselben sich in dem Kreise dankbar gestimmter Schiler fend, eines ge-
lefartcn Weltmlims erfineuten, die sich aber vielleicht in anthropologischen Fragen all* dieser Gelehr-
samkeit entaussem, um in einer jungen Gesellschaft selbst auch jungendlich und forschungslustig
ZQ werden. Bs scheint sich dies indess bei allen tmthropologischen Geseflschaften zu wieder-
liolen. Allzu Hefe Schulweisheit wird in keiner derselben gesprochen, und kann es nichf, weil
eben die Anthropologen noch keine Schule bilden, sondern erst eine solche begründen wollen und
ia der Zwischenzeit oft versuchsweise umhertasten müssen. Wir zweifeln deshalb nicht, dass,
veon Jemand die Terhandbrngen der Berliner Gesellschaft darnach durchsuchen wollte, man-
cbeilei Punkte gefunden werden mochten, die nicht übermfissig nach strenger Gelehrsamkeit
tthmeeken, aber wir sind ebenso gewiss, dass es eine zwar höchst undankbare, aber jedenfalls
iaasent leichte Auij^be w^ire, ihnen zum Wenigsten gleich viele Parallelstellen aus franzosi-
Mben und engUschen Verhandlungen an die Seite zu setzen. Wer indess eine solche Au%abe
ibcnehmen wollte, müsste eine glücklichere Hand haben, als Hr. Nepveu, der gerade ein für
leine eigene Gelehrsamkeit sehr ungiflckHches Beweisstück heransgetappt hat, nhnlich die in der
BwHserQewllsdiaft gefiflogenen Disoasiionen über die Negrito-Fragei Wer dieas letztere im ethne-
logiach-wiseenschaftlichen Sinne für ,l&ngst entschieden' (r^hie depuis hmgtemps} halt» und
«Is Beweis dafür nur den Halbromaa de la Gironniere*s anzufahren weiss, nut dem wird die wissen-
MhaftUdte KthnolQgie nicht grosse Lust fahlen Weiteres zu veitandeln. aLängst entschiedene" Fragen
giebt es in der ganzen Ethnologie kaum eine einzige» wie es «ich bei dieser ^^^S^ii' Wissen-
schaft von selbst versteht, und die verwickelten Probleme des indischen Archipelago und um-
liegender Gebiete sind, ehe die jetsige Methode zur Geltung kam, durch die früheren Unter-
soefaungen darüber mehr in Verwirrung gebracht, als auf^geklärt. Wenn Hr. Nepveu darüber
nieht der Berliner Gesellschaft, die neues Material zu verarbeiten suchte glauben will, so consultire
^t was im Anschluss an deren Verhandhingen in der von ihm dtirten Sitzung von Barnard Davis,
denen Autorit&t sich nicht auf England beschränkt, oder von semem Landsmann Vivien de St.
Vartin, der Gelehrtesten und Geehrtesten Einer auf diesen Forschungsfeldem, gesagt worden ist,
^ er fuge Broca*s eigene Bemerkung hinzu auf S. 23 der Bevue critique: Gette raoe des negritos
at encore peu connue. Auch A. de Quatrefa^es verspricht in seiner Studie, deren Fortsetzung in
Aoasicht s}eht, ,Ia race n^grito en g^neral' zu behandehi, und es wird sich dann zeigen, wie
vcit das craniologische Material, das sich bereits seit 1889 im Museum befindet, zu einer end-
gültigen Entscheidung beföhigt
Stände nicht Paul Broca*s Name als Herausgeber auf dem Titel der Revue, und hätte uns
lieht derselbe bereits durch den meisterhaften Eingangsartikel bescheskt, so würde auch hier
vialkieht Lust verspürt werden können, sie anzuzeigen als eine Zeitschrift, qui ne brille pas^
MtMIttift fir SduMlofU, Jahrgang 187S. 17
250 IDMillaii und BächMsdiaa.
semble-t-il, par F^dition. Das Bulletin bibliographique lässt (S. 177) einen Beisenden Hach-
tigal in Asien auf den Stamm der Tibbu stossen nnd bei demselben ausserdem noch Notizen
über thibetanische Völker sammeln (d^tails ethoographiques sur les peuples du Thibet), ja
auf der nächsten Seite (S. 178) bringt es uns wunderbare Kunde Ton einem mit dem afrikani-
schen Reisenden Nachtigal gleichnamigen Gelehrten, der ebenfalls in Asien verirrt, nach Thibet
ger&th, um dort auch seinerseits, zu seiner wahrscheinlich nicht minderer als unserer Ueber-
raschung, mit einem Doppelg&nger afrikanischer Tibbu zusammenzutreffen.*) Vor solcher Ge-
lehrsamkeit müssen wir allerdings schweigen, und alle übrigen Mitgliedsr der Berliner Gesell-
schaft, so jung sie auch sein mögen, weiden, das glauben wir versichem zu können, ebenfalls
Terstammen. Solche Nebensachen Terkummem uns jedoch nicht die Freude, mit der wir
willkommene Zeitschrift begrnssen. B.
Coamot: Consid^rations sur la marche des id^es et des 6venements dans
les temps modernes. Vol. I & 11. Paris 1872.
Si los phenomenes de la Tie intellectuelle, que la psychologie empiriqne a la pretentioD
de decrire scientifiquement, doivent etre reputes d'un ordre bien plus relev^ que ceux de la
vie animale et organique, il £aut aussi reconnutre qu'en raison memo de la superiorite des
fonctions auxquelles ils se rattachent, et de la perfection toute singuliere, qu'Us supposent dans
certains dätails de Torganisme, ou simplement parce que le grand artisan Ta ainsi voulu, ils
rele?ent de caräcteres bien moins fondamentauz, bien moins constants, bien plus particuliers,
bien plus fugaces que ceux qui constituent et separent profond^ment les types organiques. Non-
seulement Tobservation que le psycholoque ferait ou croirait fEÜre sur lui-meme (Observation
sujette d'ailleurs k taut de difficultes et d'objections) serait depourvue de valeur scientifique
taut qu'on n'aurait pas des moyens d*etablir que chacun peut la r^p^ter identiquement sur lui-
mfimcy mais encore, ce point ätabli, eile serait insuffisante pour fonder une science «de rhonune",
comme etre intelligent et moral, si eile portait sur des caräcteres capables de se modifier d'une
maniere sensible avec le temps, par Teffet de causes historiques, et sans Tinfluence d*un milieu
social, qui de aon cöte subirait des variations sensibles pendant que la science s'elabore. L'idee
de donner, ind^pendamment de Tethnologie et de l'histoire, une sorte de characteristique .de
Thomme" intellectuel et moral, comme d'un type invariable et universel, pourrait devenir dans
ce cas une idee radicalement fausse, capable d'entruner les plus graves erreurs en speculation
et en pratique. B.
Senart: Eaccäyaoa et la litt^ratore grammaticale du Päli. Premiere partie:
Grammaire Pfilie de Eaciäyana, satras et commentaire (avec une traduction
et des notes). Paris 1871.
Besondere Ausgabe der im Journal Asiatique erschienenen Abhandlungen, und durchaas
selbstständig bearbeitet, nicht (wie jim früheren Hefte irrig stand) auf Texten Grimblot^s basi-
rend, obwohl sich auch Handschriften dieses unter den benutzton fanden. B.
Menzel: Religion und Staatsidee (herausgeg. von H. Wutke). Leipzig 1872.
Wenn der hartnäckigste Yertheidiger der unbedingten Inspiration einräumen müsse, dass
an mehreren Stellen der Schrift ersichtliche Fehler, namentlich falsche Zahlen durch Yersehen
der Abschreiber in den Text gekommen sind, was ist von ihrem Standpunkt auf die Frage zu
antworten, warum die Unfehlbarkeit, die sie den Schreibern zueignen, sich nicht auch auf die
Abschreiber erstreckt und der Geist Gottes, der die Person nicht ansieht, die Letzteren nicht
ebensogut als die Brsteren vor Versehen bewahrt hat. B.
0 Im Uebrigen ist diese bibliographische Uebersicht, obwohl nicht vollständig, doch fleissig
zusammengestellt, und da Hr. Dureau selbst um etwaige Berichtigungen bittot, machen wir ihn
aufmerksam u. A. auf die Cayapo-, nicht Capayo- ^Indiens Cipayes) Indianer, die nach Asien
Ctzt sind (S. 177), wogegen Anderson's Reise nach Musardu unter Amerika (S. 180), die Phi-
inen, die einmal unter Amerika, einmal untor Ooeanien stehen, auf les trouvaillea d'ürDem
{^. 'l90) u. t. w.
Poole: Queen Charlotte Islands. London 1872.
The-daugbter of the chief Skilly-gatts had balf her body tattowed with representatioiis of
cJüefe, flslies, birds and bearts. A halibut laid open with the face of the chief of her tribe
driwn on the tail, would protect her and her kin from drownin|if at sea, wie anch im polynesi-
sehen Tattoo der taUsmanische Sehnts einfliessi B.
Sherring: The Bhar tribe (commiinicated by C. Hörne). Joomal of the
R. As. Society, 1871 (V, 2).
The Bhar rlj or dominion inclnded the whole of Eastem Oudh. Erery great work or
EDcient reljc there is attribnted either to the Dotü or the Bhars (according to EIHot). The
preMnt inhabitants of Azimgarh haye a tradition, that their conntry in the time of Ram, with
wbose kingdom Ayodhya it was formerly connected, was occupied by Rajbhars and Asors.
Die Sagen der Mnnda-Khol sprechen von der früheren Herrschaft der Asnras. B.
Schmid, A«: Der christliche AJtar. Regensbnrg, New-York, Gincinnati
1871. JDie Ehrfurcht yor den Leibern der HeQi||;en war früher so gross, dass selbst der Staub
lon ihren S&rgen fiiesammelt wurde und die Berührung für ein ausserordentliches Glück, die
VeTonehmiig für ein strafwürdiges Verbrechen galt; bei solcher Ehrfurcht aber str&ubte sich
dis christliche Gefühl längere Zeit, die Heiligenbilder zu theilen. Um nun auch Reliquien ?on
tbeoren Heiligen zu haben, legte man Tücher (brandea) in eine Pyxis, brachte sie mit dem Leibe
des betreffenden Heiligen in Berührung und hinterlegte diese Tücher als Unterpfuid an den
iltären. Diese Brandea konnten um so mehr Reliquien gleich gehalten und in Altaren recon-
dirt Verden, als ihnen oftmals dieselbe Wunderkraft innewohnte, wie dem heiligen Leibe selbst
Ans ähnlichem Grunde wird es auch Niemand tadeln, wenn ein Presbyter Aredius in einen zu
coDsecrirenden Altar blos ein Gefass einschloss, das bei den Reliquien, des heiligen Julian mit
Wasser gefüllt worden war und dessen Wasser sich in wohlriechenden Balsam yerwandelt hatte*
(nach Greg. T.}. Auch „profane Reliquien" aus dem Heidenthum wurden miteingescbloesen,
«um damit anzudeuten , dass derjenige , welcher zur Rechten des Vaters und auf dem Altäre
sich opfert, bis Alles zu seinen Füssen liegt, bereits über das Heidenthum den- Sieg davon ge«
tragen*. So in der chiesa di San Pietro in bosso, in der Kirche St Hicbael beim Vatikan,
m Boppard u. s. w. B.
Eyans: The ancient stone implements, weapons and Ornaments of Great
Britain. London 1872.
Die Autorität des Verfassers wird dieses Werk den Anthropologen als Musterwerk empfeh-
len, und auch die verständige und ausführliche Beschreibung, sowie die sorgfldtige Genauigkeit
der Uiustrationen berechtigen es dazu, als solches gebraucht zu werden« Hinsichtlich der Sera-
per« (S. 2S6) oder (bei Lartet) GrattcMrs wird geschlossen, that a oertain portion of these in-
gtnunents and more especially those of regulär shape and those of large size were destined to
He ttsed as scrapers in the process of dressing hide and for other purposes, that others again,
and cbiefiy those of moderate size with bruised and battered edges, were used at one period
▼ith iron pyrites and at a snbsequent date with iron and steel for the production of fire, and
tome others, again, have had their ends trimmed into shape, so as to render them symmetrica!
i*n form or to enable them to be conyeniently handled or hafked. Bin verbreiteter Gebrauch
dieser Schraper war auch far die Reinigung der geftrbten Haut, wie jeder Patagonier z. B.
wiche führt Das Ethnologische Museum in Berlin besitzt einen aus einem Glasstück verfertig-
ten der Pehuelches, der gleich dem der Eskimo (S. 28S) beÜBStigt ist. B.
Butler: The Great Lone Land, a narrative of travel and adventure in
die North- West of America. London 1872.
Dogs in the Hudson bay territories haul in Tarious ways. The Esquimaux in the far
North nm their dogs »breast The natives of Labrador and along the shores of Hudson Bay
hameH their dogs by many separate lines in a kind of band or pack, while in the Saskatche-
wan and Mackenzie River territories the dogs are put one after the other, in tandem fashion.
Cada aaeion tiene su manera particular de remar, los Itonamas yan sentados y'reman oon
17*
2SSt WNeDift «ad Biekeneks«.
miicha precipitation, los Gaynrafas, tunMen sentsito, ramaa imnadtummto pen «m faerxa,
«D taoto qoB bw Bannt m mantie&cn de pi^ como pai» dar major impolskn it los ran«
(d'Orhjgny). a
Henne: Gnadenschatz der Kirche. Paderborn 1871.
,E8 ist der Ablass keine blosse Schenkung, sondem ▼ielmehr eine Ansgleichnng, eine Be-
gnadigung oder Freisprechnng anf Grund fremder Genngthnrangsrerdienste." Üeber örtfichen,
sachlichen Ablass, eine Verrechnung auf die Bussen s. S. 41, sowie über die von 100 Jahre auf
86 reducirten Jubilften 8. 43. B.
Clenziouy da: De la Poterie^Gauloise. Etüde snr !a coUeciion Gharvet
Paris 1872.
U 7 a en France quantitä de fillages qui se nomment la Poterie. La plupart scmt encon
occup^ par des fa^nneurs d'argile et dans quelques -pns memo, on fabrique maintenant des
yases semblables k cenx que noua trouvoos dans les tombes de Cologne et de Champagne.
Fjg. 140 zeigt: Vase en twre gnse eraqnelee (avec intention)» vari^tö champenoise, eimetierei
de la Marne. B.
Ring: Tombs celtiqnes de l'Alsace. Starassboorg 1870.
Die Skelette in feuchter Localit&t gelagerter Gritber waren völlig verschwunden. B.
Loiseleur: La doetrine secr&te des Templiers. Paris & Orleans 1872.
Les Templiers reconnaissaient tout ansemble un dieu bon, incommucable k Fhomme et par
cons^quent, sans reprtontation symbolique, et un dieu mauvais auquel ils donnaient les tndts
d^une Idole d*aspect effrojable, worüber Abbildungen beigefügt sind. B.
Morelet: Travels in Central-America (from ihe French by Mm. Sqoier).
London 187L
Erst neuerdings veroffentiiehte Beschreibung einer im Jahrs 1847 unternommenen BeiBe
nach dem See von Petan, dem Rfiekzugsort der Itsaes vcm Maympan (Binleitung und Anmer-
kungsn von S. G. Squier). B.
Beadle: Life in Utah, Philadelphia, Ghicago, Gincinnati, St Loois, Ata*
lanta 1870.
As it was with Abel and Abraham, so it will be again. The day will soon come,
when brothers and sisters will marry. Should n*t I prefer my own blood to any other? Don't
I love my own blood best? aigumentirte ein .prominent Hormon* (S. 369), auf religiöse Tradi-
tionen gestützt, die Jeder nach seiner Weisheit oder Tollheit auslegt, wihrend die Anthropolo-
gie die bisher nur instinetartig anerkannten Moral-Lehren xom verstladigen Bewusstsein brin-
gen wird, indem sie dieselben auf die Basis natuigemisser Biehtigkeit stütxt B.
Henne-Am Rhyn: Coliurgeschichte der neuesten Zeit Leipzig 1872.
Zu Loretto gebrauchte auf der Beise Papst Gregor XYL mit seinen B^leitem in drei
Tagen einzig und allein for Eis 3840 Franken. Als daselbst der Fvpst an Unverdaulichkeit
litt, trug man bei nachtlicher Procession mit Faekehi, bef^itet von Bischöfen, Garabinieri und
Nobelgardisten seine Betttücher herum*. B.
Hertz: Deatsche Sagen im Elsass. Stattgart 1872.
Die Fenn (les fayes) sind keltisch, ihre Heimath ist Frankreich, wo sie noch in Aller
Munde. In Deutschland wurden sie zuerst ums Jahr 1200 durch die unter französischem Ein-
Hubs stehenden höfischen Dichter der Bitterzeit, Wolfram von Eschenbach, Uhrich von Zuik-
hoven, Qottfried von Strassburg eingeführt Das mittelhochdeutsche Wort war feie (oder feine).
B.
Im El Gomereio (Lima, 29. Jan. 1872) findet sich von J. M. Ghavez und R. EstreUa eine
Beschreibung der Beschifiung des Uivbamba bis Iquitos durch Gteneral Ortis (vom 27. Mai bis
S. Juni X%n). &
IBieellfiii und Bfiohenehan. 253
Jaaneaa: ICanael pratique de langae cambodgieime. Paris 1870.
hn Gunbodgiennes pr^tendent, que les Bakä descendent de la race de Pre^m, ce nom de
Pnem etiat celni d*im de leur ancetres qni aurait re^u ponr lui et ses descendants le priyilege
eidonf de garder Vipie sacr^e (Prta Khan) en r^ompense de Services rendus k un roi de
Khmer, nomme Prea Yey Sand& (^. Yölkfir des östlichen Asien, Bd lY, 308 u. a. 0.). B.
Harkham : Abstract of the Reports of the Sorreys and other geographica!
Operations in India for ISTO--?!. London 1872.
Im Ainehlni» an das .Memdr of Indian Sorreys* hat Hr. Maitham dnrch diese jähr-
lichen Siginznngen ein sehr verdienstrolles Werk unternommen, da es bisher in Europa oft
schwierig war, die wissenschaftlichen Fortschritte in Indien zu verfolgen. In der 9. Abtheilung
wild die oMdelle Entscheidung in dem Streit des »phoaetic System* Gikhorisfs (oder Davy's)
md dem ,scientiic System* Joned* (oder Halhed*s) besprochen. The diacritieal maits are omit-
ted in Mr. Hunter*8 plan and a oertain freedom is allowed in spelling names, which have be-
coine Cumliar to the public or have become historical in an unscientific form. He divides such
uoM in two classes. Some such as Galcutta, Bombay, Lucknow are to renain unaltered.
Oth« are to be brought a little nearer to the piteh of scientific aoeuracy, withont losing their
popnlir identity. Thus Dinapore, the correct form of which is sdd to be Danapur, is to be
IKupor. (^wnpore, which should be Kanhpur, is to be Gawnpur. Oude, which should be
iTidh, is to be Oudh. The (3oTemment must, Mr. Hunter submits, eonsider, not what is best,
kt what is to be practicable. He attempts to get rid of accents as much as poesible, but at
the lame time he attempts to show the true pronunciation at a glanoe. B.
Morin: Saliens et Ripoaires. Paris 1872.
La nom de Bipuaires fut donn^ aux Francs transrhdnans de tonte trlbu, qui vinrent k la
mite da CMkm, U finit memo par remplacer les noms particuHers de chacune d*elles. Lee
Kiimaires devinrent les auziliaires de TEmpire au memo titre que les Saliens. B.
Philippi: Elementos de Botanica para el oso de los estudiantes de Me-
didna i Fannada en Chile. Santiago 1869.
Der erste Theil behandelt die allgemeine Botanik, der zweite die Botanica especial (mit
boonderer Berücksiehtagung der in Chile cnltivirten und einheimischen Pflanzen). Zugefagt
sad Nooenes gensrales de Geografia botanica. B.
HCLbsdunann: Ein zoroastrisches Lied (Gap. 30 des Jasna), mit Rück-
sicht auf die Tradition übersetzt und erkl&rt Manchen 1872.
Der Gegensatz des Aiha (als Wahrheit) oder das eigentlich böse Prinzip ist die Druj, die
Löge, die man bekämpfen soll. Dem Yohumano steht entgegen Akemmano, die schlechte Qe-
linnung, und wie von der Wohnung des Yohumano und Asha die Bede ist, so wird auch die
der Dmj und des Adshtemmano (Akemmano) erw&hnt. Als Feind der Ton Ahura geschaifenen
Wesen wird Aeshma, der seinem Namen nach, (Her oder Zorn, wohl die verderbliche Leiden-
Khift repriaentirt, genannt (In der Menschenwelt steht dem Asehava, als Frommen oder Ql&u-
l>^n, dw Dregvao als Böser oder Götzendiener gegenüber.) B.
Die AnthropologiBehe (iesellschaft von Wien hat den ersten Band ihrer reichhaltigen Ver-
haadlungen als Jahrgang veröffentlicht B.
Archivio per FAntropologia e la Etnologia (organo della Societk Italiana di Antropologia
e dl Etnologia), pubblicato per Dr. F. Hantegazza e Dr. F. Finzi (Firenze 1871). I, 4. CKglioli:
1 Taimainaal (eont e fine), Rosa: Ricerche di Arebeologia Preistorica nella Yalle della Yibrata
DftU* Abruzzo Teramano (L*etk della pietra), Notizie, Bibliografia. B.
The Phoenix, edited by Bev. J. Summers, U, 21, London 1872, enthält Beitrage von Mor-
gtt« Aaton, Howwth, Hodgson, Edkins. B.
254
Emiiu
Errata.
Die deutsche Bearbeitung^ der Abhandlun|( des Hm. Assistent-Residenten Riedel enth<,
obwohl von dem Uebersetzer selbst revidirt, so viele Abweichungen vom Text, dass es als nö-
thig erkannt wurde, zum Gebrauch des Lesers die folgende Liste anfertigen zu lassen.
Heft IV,
S. 255 Z. 4 V. u. einzuschalten : im Norden. S.
— - 2 — (Anm.) lies jetzt statt dann.
256 -24 — lies Yon statt an.
— - 6 — - brach — sprach.
257 -11 V. 0. - henrortretendsten — ken-
nenswerthe.
— -17 V. u. - schwarzen Thonerde und.
— .\\ — - Flussschlamm — Flnss-
kiesei.
— - 4 — - bis jetzt imbewohnt.
— - 1 — - vielleicht— wahrscheinlich.
— - 2 — (Anm.) lies verwitterte — ver-
irrte.
258 - 2 V. 0. lies der See — das Meer.
— -12 — - See — Moor.
— -17 — - Ansehen — Fortkommen.
— -19 — - feine Art — feine Erde.
— -13 V. u. - Bächlein — Becken.
259 - 8 ~ - schmutzig — sehr.
— - 1 — (Anm.) lies Abzweigung —
Verdeckung (tango-Zweig).
260 - 7 V. o. lies Im SO. Musson sind die
N&chte sehr kalt
— -11 — - unregelmässig — r^l*
massig
— - 9 V u - zu diesem Zweck — für
diese Abthellung.
261 -17 V. 0. - Holzsorten — Hauptsorten.
— - 1 2 V. u. - und hauptsächlich zwi-
schen.
— - 9 — - Zucht — Thoil.
262 - 2 V. 0. - Säugethiere - Zu^thiere.
— -20 V. iL - Yortheil — Antheil.
— — — - Anregungen — Ansprache.
— -19 — - verlieren — verlassen.
— -15 - - Häupter — Häuser.
— - 9 — - und un Verhältniss zu dem
Lande.
263 - 1 1 V. 0. - von ausserhalb her — und
ältereAbkunffc ausweisen.
— -23 — - Existenz - Bestand.
— -34 — - Nachkommen — Abkom-
men.
— - 7 V. u. - gebüsst — befohlen.
264 - 8 V. 0. - streng zu hindern — in
Gang zu bringen.
— - 15 — - geschont — in Furcht ge-
setzt.
— -18 — - indem sie ihre Kampong
(Dorfer) zum Asyl anboten und die Bevöl-
kerung zum passiven Widerstand aufstachel-
ten, selbst darin mit That und Rath voran-
gehend.
— Z. 30 V. 0. lies zusammenhäuften — auf-
hielten.
1871.
264 Z. 7 V. u. lies in Folge frühzeitig auf-
geregter Geschlechtstha-
tiji^eit.
265 - U V. 0. • etwas statt jetzt
— -24 — - gesellschafüiche — wissen-
schaftliche.
— -2*i V. u. - falls die Europäer diese
zum Guten benutzen.
— - 7 — - Regierung wird sowohl die
Häupter als die Adligen aUmählig zwingen,
ihre für den socialen Fortschritt verderb-
lichen Angewohnheiten und Sitten aufzu-
geben.
366 Z. 1 V. o. lies sich nicht mit
— - 4 — - gesellschaftliche — wissen-
schaftliche.
— -13 — • residirten — waren ange-
siedelt
— -26 — - die (Hassil) Steuern -
Belastung mit Steuern.
— -28 — - verschiedener Art, wie Sic-
gelrechte.
— -25 V u. • einen oder mehrere Oa-
pitäne.
— -15 - - Widerstreben — (Gegen-
stand.
— -17 — - geiwisse — sichern.
— - 6 — - falls Ordnung und Sicher-
heit der Bevölkerung zu Theil geworden
und der Landban verständig ausgedehnt ist
267 - 1 V. 0. - fest geregelt — in der Re-
gel beschränkt
— - 2 — - oder — von.
— - 3 — - Gfartenarbeit — Zaun werk.
— - 7 — - der zehnte.
— -11 — - für Haus- und Wacht-
dienste.
— - 1 1 — - übrigen — obigen.
— -30 — lies Hühner — Eier.
— — — - auf Verlangen — für ihren
Bedarf.
268 - 1 V. o. - Reichsedlen — Reichs-
genossen.
— . 2 — • präsidirt — ausgesucht
— - 4 — - Gerichtshof — Rechtscol-
legii.
— .7 — . mit Berücksichtigung des
neuen (Gesetzes.
— . g _ . Unter dem Reiobagericbt
stehen alle.
— - 9 — - Verwaltung existirt Aus-
serdem.
— -11 — - nach den bestehenden Ver-
ordnungen.
Errata.
255
S. 268 Z. 4 ▼. u. (Anm.) lies Beschikldng, zu
Diensten.
369 - 3 T. 0. lies bepflanzen — verbrauchen.
— - 4 — - weil das Ueberflttssige ihm.
— - 6 — - jetit — dann.
— - 8 — - Wie oben erwähnt
— - 15 — - bebauten — Yeräusserten.
— -18 — - nach seinen Kräften zu
bebauen.
— -22 — - bis jetzt
— -25 — - in gleicher Weise, wie
wenn.
— - 5 ▼. TL - nur — kaum.
— - 1 — - in der Sprache des Lan-
des binte genannt
S. 970 Z. 7 ▼. 0.
- besteht — jedoch.
— - 8 —
- durch zu pflanzen — durch-
zutheilen.
— -17 —
- bebauten — verkauften.
— -22 —
- die Pflanzen.
— - 17 V. u.
- oder — dieser.
— —
- abgegeben — ausgesucht
271 - 6 ▼. 0.
- Teke — Seke.
— -14 —
- einander — jede andere.
— -21 —
- obwohl — hoewel.
- -28 —
- bemerkenswerth — natür-
Uch.
- -30 ~
- bis jetzt
Unter Ellen smd überall Paien zu verstehen.
S.337 Z.26V. 0. Ues
- -31 — -
- • 1 V. u, -
^ -24 V. o. -
- -20 T. u. -
- -21 — -
- -18.17-
339 -17 -
- -11 —
- -10 —
- - 9 —
- - 1 —
340 -11 ▼. O.
HeftV.
essbaren — etlichen. S. 344Z.21 v. o. lies Zeit ohne bestimmte euro-
- -18 —
- -25 —
- -27 —
- -30 —
—
-31 —
—
-33 —
—
-33 —
341
- 3 —
—
-23 T. u.
~
-19 —
-17 —
—
•12 -
342
• 4 V. u.
343
- l V. 0.
- -18 —
344
2 V. u.
3 V. 0.
Süsswasser — Seewasser.
am liebsten — dann und
wann.
Gewerbe — Fleiss.
Während - Seit
die Einführung der neuen
Minze bekumt zu ma-
chen.
ausgeführt — ein^fuhrt.
weitgehende — weiter um
sich greifende.
Das feste - Die grösston.
Sterbefall — Gestorbenen.
Yermöeen - Rasig,
da und soigen für ihre
Bedürfnisse durch den
Ackerbau.
da sie ihrer eigenen Un-
kenntniss wegen das Be-
dürfiiiss danach fühlen.
Verkehr — Anregung.
irrsinnige — kranke.
werden die daran Leiden-
den mit einigor Rück-
sicht behandelt.
Unter Aufsicht des Platz-
arztes.
sechs — seine.
Impfong ~ Pocken.
jetzt — dann.
Fürstin — Fürston.
weil — so dass.
ohne sein Wissen die Län-
der Boalemo und Saosoe
sowie die Toehia-Inseln
zu bekriegen.
trafen — l^fiuiden
anf Befehl — durch den
letzton.
oder — der.
in Folge des Kopfeschnel-
lens.
Compagnie in Temato zu
bitten, einen Vertreter
der Compagnie nach Ho-
lontalo.
Zweck — Nutzen.
ai^bjBStanden war -> zu
Hülfe gekommen.
versprach — verpflichtete.
— -23 -
— -34 -
— - 14 V. u.
- -33.34-
346
348
34
12
p&ische Au&icht geblie-
ben.
an« Sein Nachfolger war
de Grraal Kurze.
und nach ihm kam sein
Sohn an die Regierung.
Widerspenstigkeit — Ver-
gehen oder versehen.
— - 2 — einzuigen: einen von ihnen
aus Stein angefertigton Penis. Bald darauf
wurde derselbe durch einen Rattan-Korb
ersetzt und als Biato oder Sangkoli be-
zeichnet
345 -26 V. 0. lies bald auf Befehl — so
schnell wie möglich.
Häuptlinge zum Fürsten
aa^näan.
ältere — andere.
ein Fort zu Kwandang zu
bauen
sich gegen seinen Sohn
schlecnt benommen hatte.
weil — durch welche.
Anstellung — Verhaftung.
Niederlassung — Festung.
Reichsgrossen - Reichs-
genossen.
Steuern einzuziehen —
Rechtssachen durchzu-
führen.
Er wurde durch Gambier
verfolgt
abgesetzt — hinausge-
schoben.
furchtbarer — obgedach-
ter.
stark» — jedoch schwach.
wurde abgewiesen — als
er abwesend gewesen war.
wohnte er der Fürsten-
tochtor von Mongondooe
bei.
weil er sich schämte nach
Mongondooe zurückzu-
kehren.
Während — Seit
sich bei ihm an diesem
Ort niederlassen zn dür-
fen.
gekauft — eingeräumt.
- -21 —
- -29 -
- -34 —
- -30 —
- -44 —
- -46 —
— - 2 V. u.
347 - 8 V. 0.
— -11 —
— -20 —
— -37 —
— -17.18 v.u.
— - 7 —
- 6 V. 0.
-17 —
— -19 —
256
Emd».
HeftVL
S. 397 Z.38 ▼. Q. lies gedr&ngt statt bestochen. S. 402 Anm. 9 ftUt weg.
-16
•15
-19
- 7
— - 6 -
398 - 5 ▼. 0.
— - 8 —
— -16 —
— -19 -
— -26 —
— -31 —
4
- 6 —
-!(► —
-27 —
-28 -
- 9 T. IL
- -10 —
Tom —
— innere —
400
- 6 -
. 4 —
- 8 ▼. 0.
-14 —
aufr Neue — seinem Neffen,
betrachtet ^ eingetragen.
Verhalten > Yerhuidlting.
Yersiedlnng — Yeitom-
menheit
auf Befehl des —
Letzten.
Oeldsteuer — Belastung
in Geld.
Mähe — Mohe.
ein gewisser — froher.
Verbühing ^ Bnthindnngi
angefeindet — bestochen,
besiegen — erschlagen.
399 - 4 >. 0. - später wieder — di£egen.
deKoning ~ desißnigs.
W&hraid — Seit
Umg&nge
W&nde.
ffeschnitzten > geklopften.
Familien — Hausbewohner
als Gesinde,
unter dem Boden — neben
der Flur.
Familien —Hausbewohner.
Stock > Stoff.
Schachteln — Schr&nken.
för ffeistige Beschäftigun-
gen nat er kein Bedurmiss.
Mi der Arbeit ^ in die-
sem Treiben.
Wochen hinter einander —
dann und wann.
Hirsche — Schaafe.
oder — und.
Ton Tabak in dazu gefer-
tigteAiengblätter gerollt.
Piflingdose oder Buchse,
meistens — grosstentheils.
TerUndem — veranlassen.
der Kunstoperation dem-
jenigen, der sich ihr un-
terwirft
gefeilt — gefnUt
späteren — letzteren,
und — in.
soviel Umstände und Auf-
wand.
Leute ~ Anzahl,
um, wie man zu sagen
pflegt, ihre Haltung wimr-
nmehmen.
eine oder mehrerePersonen.
vor der Geburt - denGe-
burtsrerhältnissen ge-
mäss,
nur pro forma — der Form
^mAss.
spater. Dabei sagen.
es ist ffut, dass Sie sich
die Mühe geben, nochmus zukommen; wir
hatten es erwartet
402 Z. 3 V. u. lies übergeben statt zur Ver-
ffigung gestellt.
— - 6 — (Anm.) lies anständigere —
strengere.
— -23 —
— -31 —
~ -21 ▼• u.
— -20 —
— -14 —
401
402
-10 —
-11 V. o.
-17 V. u.
- 9 —
- 8 —
- 4 —
- 3 V. 0.
-13 —
-14
-19
-24
-26
— -27 —
— -32 —
— -33 -
- - 6 -
- 6 —
- 9 -
-14 —
-20 V. u.
- 3 —
— - 9 —
404 -20 T. 0.
^ -31 -
— -19 ▼. u.
-18 —
-16 —
-14 —
- 9 —
- 5 —
-30 -
-29 -
405
- -26 —
- -23 —
403 2L 4 T. 0. lies den dabei Interesiirten -
mit den nothweodigeii
Geremonien.
erkämpft (das Mädchen) -
ersucht
nachdem er Geld gegeben.
Hosenband — Brachband.
Erscheinen — Yenchvin-
den.
Entbindung — Befalliin((.
bis — zur Zeit und in dv
Weüe,
Yerfenlung — Yenritto-
rung.
Trauer — Reue.
Am 40. und 100. Tag»,
beim Beginn des Feldbus.
Ausübung — Ausbeate.
Bearbeitung — Ernte,
eine halbe Kalapa-HnlK.
dsff — kann.
Baisbau - Beiagefilde.
(}arten — Zaun,
zu viel, um zu nennen,
und zu verwirrt
der daran geknüpften Bt
deutunff.
Träume, oei denen es aid
uin Empfangen von Geld handelt mid da
Aufgehen der Sonne u s. w.
~ -21 V. u. - ai4gefandene schriftUcbe
Bestimmungen.
MitgUeder - Leute
Eidesabnahme - Eidesinf-
leffung.
gesellschaftliche - wImd-
schaftliche.
irrsinnig — kranke,
welcher junge Mädchen irr*
sinnig machen mU.
Zeitpunktee der Pubertii
wonn zwei Personen ihre
Waden gesenseitig n-
sammenschbgen.
siehende - beständige
Hauptes und der Angese-
henen allein.
Ausführung — Einfiihmng
gebraucht — besitzt
untrennbar — nicht sehr
verschieden.
Umgänge, die Stützen ani
Yersöhniuigsmittel Vcr-
^onerungsmittd.
mit der Autticht über
auf Reisen — voUer Bä^
in jedem Hanse.^
verirrte — verwirrte,
jetzt '- «i^*«^!*^
Büffelfett - KapaunfeU.
Die das küi^ftifp Leben
betreffenden BeffrüTe sind durch eme aicbt
besonders glückliche Yermiachung ^n^l'
streitender Ueen mohammedaniacbeii und tÜ-
foeroeschen Ursprungs düster und vervirrt
— -16 —
— - 7 —
— . 3 -
406
407
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V. 0. -
408 -
1
1
V, u.
V. 0.
- 3
- 5
- 6
-10
-11
-15
26
Me Sage der MnndaKolhs in Ostindien ttberdie
Vernichtniig der ttbermüthigen Asurs durch
Singbonga's (Gottes) Sohn.')
Yom Missionar Th. Jellinghaus.
Johari! (Hindi -Wort far Gruss). O Gott, König des Himmels, welcher
da der Milch gleichend aufgehst und der dicken Milch gleichend nntergehst
Der Himmel ist glühend uod die £rde bedeckt mit Staube. Nach Osten,
Westen, Norden, Süden, nach allen vier Richtungen blickst du hin. Du bist
Zusammen geronnen gleich der Sahne und der dicken Milch. Deine Brust
gleicht dem Steine, deine Arme sind wie Bananenbäume, dein Schnurrbart
ist wie Sabai (ein Strauch, der in grossen Büscheln aus der Erde hervor-
schiesst), deine Zähne gleichen dem Meissel, deine Zunge gleicht der Basula
(eine Art Beil, Deissel), dein Mund ist wie die Londra (eine aus Bambus-
stäbchen gemachte, trompetenartige Röhre, welche in ganz kleine Wasserfalle
gesetzt wird, um die herunterkommenden Fische aufzufangen), dein Haupt
^) Zum besseren Verständniss mancher Sachen in dieser Sage siehe den Aufsatz: «Sagen,
Sitten und Gebrauche der Munda-Kolhe in Ghota Nagpore*" in dieser Zeitschrift, 1S71, Heft Y.
und VI. Ueber die Asurs wäre noch vorauszuschicken, dass in Chota Nagpore vor den Munda-
Kolbs oder mit ihnen zusammen ein in Eisenarbeit sehr erfahrenes und auch sonst auf einer
höheren Gulturstufe stehendes Volk gelebt haben muss. Denn man findet in Chota Nagpore
an vielen Orten zerstreut, zum Theil in jetzt mehr verwilderten Gegenden, Ruinen von schloss-
tftigen Gebäuden und schon gemauerten Teichen aus sehr festen und fein gearbeiteten Back-
steinen, und in der Nähe dieser Ruinen oft noch Geräthschaften von Kupfer, auch werth volle
Schmucksachen von Gold und Silber, Metalle, die von den Kolhs wohl nie in irgend bedeuten-
dem Werthe beses^n worden sind. Seine Todten hat dies Volk verbrannt und dann fast ganz
wie die Mnnda-Kolhs in irdenen Töpfen die Asche begraben. Es ist dies ein Zeichen, dass dies
Volk wohl nicht der eigentlichen brahmanistischen Hindureligion angehört haben kann. In den
Gräbern linden sich ziemlich gerundete und ziemlich dicke Kupfermünzen von der Grösse eines
Vierpfennigstucks. Auf der einen Seite des Bildes steht eine wohlgezeichneie menschliche
Figur mit einem bis an die Kniee reichenden Kleide.
Ztiteehrift fiir Bthaologi«, jAhrgug 187S. ^0
258 Sag^e der Munda-Kolhs in Ostindien.
wie die Dimni (ein sehr grosser Eorb, welcher zum Aufbewahren von Reis-
vorräthen gebraucht wird), deine Nase ist wie der Elephantenrüssel, dein
Haar gleicht dem Schwanzbüschel eines Waldbüffels, deine Ohren sind wie
zwei Schuppen, deine Augen wie die eines Adlers, dein Stuhl ist von Golde,
dein Fussschemel von Silber, in ihm sitzt du und stehst auf! O Gott, ich
rufe dich an, ich schreie zu dir, — wie du mir's gelehrt, so rufe ich! Wenn
du auf dem Wege gehst oder hin und her wandelst, so kehre wieder und
höre meine Bitte!
(Diese betende Einleitung zur ganzen Geschichte oder Anrufung und
Lobpreisung Singbonga's, um in der nun weiter geschilderten Noth Hülfe zu
erlangen, wird von vielen Erzählern ausgelassen und wurde dem Schreiber
dieses erst später bekannt. Ob sie ursprünglich oder aus Hinduquelleo,
müsste eine genauere Forschung entscheiden.)
Zwölf Brüder Asur, dreizehn Brüder Götter (Bara bhai Asurko, tera bhai
Devta ko, diese Einleitung geschieht stehend mit diesen Hindizahlen und
Hindi Wörtern) gingen nach dem Berge, um Eisenstein zu holen, und nach
dem Walde, um Holz zu holen, um aus Stein Eisen und aus Holz Kohle
zu machen. In einundachtzig (ekassi) Hochebenen und dreiundachtzig (tir-
assi) Tiefebenen traten sie sieben Tage Tags hindurch und sieben Tage auch
Nachts hindurch die Blasebälge; Eisen machten sie. Eisen aasen sie, die
Eisenspäne tranken sie wie Reiswasser, die Eisenstücke waren für sie Zu-
kost, Eisen assen sie. Eisen machten sie.
Sie nun sprachen: Wir sind die Berg-Bonga, mr sind die Tiefen-Bongn,
wir sind Singbonga (= Gott). Vor wem sollten wir uns furchten?
Da wurden die armen Menschen im Leibe hungrig und durstig, die
Vögel und das Gefieder jammerten, das hohe Gras wurde verbrannt, alles
Wild des Waldes klagte vor Durst nach Wasser, allen prallte die Hitze ins
Angesicht, sieben grosse Teiche trockneten aus, die Ziehkuh glühte, das an-
gebundene Pferd wurde heiss, alle schrieen bei Tag und Nacht zu Singbonga,
um Hülfe rufend und ihn anflehend.
Singbonga selbst wurde heiss, sein Goldstuhl und Silberschemel, auf dem
er sitzt, glühte bei Tag und Nacht. Durch das Zittern der Erde und das
Wanken des Himmels entstand Nebel und Sturm.
Da sprach Singbonga in seinem Herzen: Alle meine Geschöpfe empfin-
den täglich Schmerzen und schreien täglich zu mir. Da rief Singbonga ein
Paar Vögel, den Dhingchua maru (ein Vogel mit gabelförmigem Schwanz)
und den Kherketa jagu und sagte zu den beiden: „Die zwölf Brüder Asur
und dreizehn Brüder Deota (Götter) blasen deü Blasebalg inmierzu. Saget
ihnen nun: Wenn ihr des Tages blaset, so blaset nicht bei Nacht, und wenn
ihr des Nachts blaset, so blaset nicht bei Tage. Ich bin heiss, alle Vögel
und Gc'fieder, Ameisen, Insecten, alle Thierarten, die Menschenkinder (manoa
hon) klagen bei Tag und Nacht." Darauf sagten Dhingchua naru und Kher-
keta-jagu zu Singbonga: Nun, Herr, du sendest uns, Yfir nun beide gehend
Bngt der Mnnda-Kolhs in Ostindien. 259
werden wir gehen, aber auf dem Wege, was sollen wir essen? Darauf sagte
den beiden Singbonga: Was nan sorget ihr? Auf dem Wege habe ich each
riele Speise bereitet, alle Heuschrecken und Schmetterlinge und Insecten, die
ihr auf dem Wege findet, die esset. Da gingen sie hin. Auf dem Wege
sprachen sie untereinander: Hier schon fühlen wir die Hitze so sehr, wie
werden wir zu ihnen kommen können? Doch nach Rede und Gegenrede sag-
ten sie: Was können wir gegen das Gebot unseres Herrn thun, wir müssen
in ihre N&he gehen.
An der Stelle, wo die Asurs die Blasebälge bliesen, liessen sie sich nie-
der und sprachen zu ihnen: Nun, Freunde, wenn wir beide euch ein Wort
sagen, werdet ihr es gern haben oder nicht? (Sukua chi ka, werdet ihr lustig
sein oder nicht?)
Die Asur sagten: Wohlan sprecht, wer hat euch gesandt? — Nicht doch,
ihr seid yiele, ^r beide sind allein; werdet ihr uns schlagen, werden wir es
nicht sagen. — Nun wie, wir werden euch beide nicht schlagen; wohlan.
Darauf sprachen die beiden zu ihnen : Im Himmel Singbonga lässt durch
ans sagen: Alle Vögel und Gefieder, alle Menschenkinder, alle lebenden
Wesen sind sehr voll Schmerz, sie alle schreien Singbonga klagend, hülfe-
nrfend an; darum hat Singbonga uns beide gesandt, um euch zu sagen: wenn
ihr des Tages blaset, so blaset nicht bei Nacht, wenn ihr bei Nacht blaset,
so blaset nicht bei Tage, denn alles weint und alle^ seufzt.
Die Asurs aber sprachen : Was! Vor wem sollten wir uns furchten? Wir
sind Singbonga, wir sind die Berg-Bonga, wir sind die Tiefen-Bonga, wir
snnd die grosse Deota (dies bedeutet entweder eine grosse Gottheit oder, wie
nir auch erklärt wurde, den obersten der bösen Geister, also dasselbe, was
Mabadeo » Siva in der indischen Zauberei). Wenn vrir Singbonga fassen wer-
den, an dem Tage wollen wir ihn wie das Dassain-Opferböcklein behandeln.
Wohlan, ergreifet die Zange und die Axt!
So sprachen sie und ergriffen sie mit der Zange und schlugen sie mit
der Axt und bewarfen sie mit rother Erde und Kohlen. Als die Beiden
schrieen und jammerten, bogen sie dem Dhingchua den Schwanz gabelförmig
anfleinander, dem Eherketa schlugen sie auf den Kopf und bogeu ihm mit
der Zange den Schnabel krumm und sagten zu ihnen: Singbonga gilt uns
wie das Dassain-Opferböcklein; feuisen wir ihn, so wollen wir ihn essen, so
wollen wir ihn Terarbeiten.
Die Beiden nun kamen schreiend und kll^;end zu Singbonga und spra-
chen: 0 Herr (gomke), was hast du uns angethan? So haben sie uns mit
der Zange greifend, mit der Axt schlagend zugerichtet! Dir lassen sie sagen:
am Tage des Fassens woUen wir ihn essen und verarbeiten! Wir sind Sing-
bonga, wir sind die grosse Deota, vor wem sollten wir uns furchten? haben
«ie gesagt
260 Sago dor MundarEolhs in Ostindien.
■
Darauf sprach Singbonga: Seid nicht kleines Muthes, eines Tages werde
ich dafür Vergeltung nehmen.
Darauf rief er ein anderes Paar, lipi susari and kaua bhandari (lipi ist
ein lerchenartiger Vogel, welcher von den Eolhs susari, d.h. W&rterin ge-
nannt wird, weil er Singbonga's Sohne wie eine Wärterin vorspiele; kaua ist
die Krähe, welche wegen ihres Sammeleifers bhandari, d. h. Haashalter ge-
nannt wird). Die Beiden nun kamen und spracheh: Warum, Herr, hast da
uns gerufen? Singbonga sprach: Die Asurs haben nicht gehorcht, alle Men-
schen, alle Vögel, alle Wesen schreien und jammern and sind heiss, sie alle
rufen mich an. Saget es ihnen noch einmal.
Darauf gingen lipi susari und kaua bhandari and stiegen herab bei den
Asurs. Sie sprachen nun zu ihnen: Nun, Freunde, wenn wir euch ein Wort
sagen, werdet ihr lustig dazu sein oder nicht? — Nun wohlan, sprecht ihr
beide, wer hat euch beide geschickt? Wohlan, saget! — Nicht, Freunde;
wenn ihr uns beide schlagen werdet, werden wir es nicht sagen. — Nor zu,
wir werden euch beide nicht schlagen. — Daraufsprachen sie: Nun, Freunde,
wenn ihr in der Nacht blaset, so nicht bei Tage, wenn ihr bei Tage blaset,
so nicht bei Nacht. Im Himmel wird Singbonga heiss, alle Wesen auf dem
Hochlande und hohen Bergfelde schreien und jammern, alle rufen Singbonga
an. Darum, wenn ihr bei Tage blaset, so nicht bei Nacht. — Da schrieen
die Asurs: Was da! Wir sind Singbonga, wir sind die grosse Deota, unsere
Brust ist wie Stein, udsere Oberarme wie Bananenbftume. Vor wem sollten
wir uns farchten? Wohlan, ergreifet die Zange and die Axt! — Darauf er-
griffen sie die lipi susari und rieben sie mit rother Erde, den kaaa bhandan
bestrichen sie mit Kohle, daher wurde er schwarz. Darauf flohen sie rufend
und schreiend zu Singbonga. Da fragte sie Singbonga: Was ist, lipi susan,
kaua bhandari? Ihr ruft und schreiet! Sie sprachen: O Herr, sie gehorchen
nicht; uns haben sie so zugerichtet, mit der Zange greifend, mit der Axt
schlagend; diese Zeichen sind uns geblieben. Dir lassen sie sagen: Wenn
wir Singbonga fassen, wollen wir ihn zerreissen, essen und verarbeiten.
Da rief Singbonga ein anderes Paar, den sona didi und rapa didi (den
Goldgeier und Silbergeier, ersterer gelb, der andere weisslich am Halse), und
sagte zu ihnen: Gehet ihr noch einmal und sprechet zu ihnen: Treibet nicht
Uebermuth, im Himmel Singbonga wird heiss, alle Wesen schreien, ich bin
des Schreiens und Jammerns überdrüssig. Sie beide sprachen: Gehend nun
werden wir gehen, aber was sollen wir auf dem Wege essen? — Nun, für
alles Gestorbene gebe ich euch ein scharfes Gefühl und Verstand, von ferne
werdet ihr es sehen und essen, wohlan, gehet! — Wohlan, Herr, wir beide
gehen, in deiner Kraft und Stärke gehen wir. — Nun zu, gehet ihr beide;
ich habe es gesagt, werdet ihr es da nicht können?
Die beiden gingen hin zu ihnen und Hessen sich auf dem Ast eines
Baumes nieder und der Ast krümmte sich zur Erde. Als sie so herunter-
gestiegen, sagten sie zu ihnen: Wenn wir euch ein Wort sagen, werdet ibr
Sage der MundarKoIbs in Ostindien. 261
€8 zufrieden sein oder nicht? Um zu reden, sind wir gekommen. Werdet ihr
es nan befolgen oder nicht? Seht, sprachen sona didi und rupa didi, hat
euch nicht im Himmel Singbonga sehr oft das Wort (= Befehl) geschickt
und ihr habt nicht gehorcht. Im Himmel Singbonga, der auf dem goldenen
StttU and silbernen Schemel sitzt, wird heiss, alle grosse und kleine Wesen
schreien und jammern, die marua-Frucht, die enga-baba (Mutter Reis), alles
Gras und Gesträuch wird verbrannt und versengt, alle Wesen schreien und
jammem bei Tag und Nacht. Singbonga hat ein Gebot euch geschickt, ihr
aber habt nicht gehorcht ^Am Tage blaset, bei Nacht nicht !^ hat er euch
sagen lassen, ihr habt nicht gehorcht. Mit diesem Worte sendet er uns:
Wenn ihr bei Tage blaset, so nicht bei Nacht! —
Uns dies Wort zu sagen, seid ihr gekommen! Euer Wort wissen wir.
Wir sind Singbonga, wir sind die Bergbonga. Wohlan, ei^eifet die Zange
und rapfet sie! Da fassten sie die beiden am Ohr und rissen die Haut her-
aus. Daher fing das Ohr an zu wackeln und hing als ein Läppchen her-
unter. Darauf flohen sie beide fort, schreiend und jammernd. Sie kamen zu
Singbonga. Dieser sprach zu den beiden: Was ist da geschehen? — So wie
da siehst, o Herr, ist uns geschehen. Sieh, o Herr, unser Ohr und Hals
sind geschwollen und blutig.
Da sprach Singbonga: Nun werde ich selbst gehen!
(Die nun kommende Geschichte der Annahme der Aussatzhaut von Sei-
tea Singbonga's Sohne wird in den Einzelheiten etwas verschieden erzählt;
nach Einigen wird zuvor ein Engel oder Gottesbote auf die Erde gesandt,
um Alles zu verkünden; von den mehr hinduisirten Mundas wird sogar er-
2äUt, wie Singbonga sich vorher mit seiner Frau berathschlagt. Es ist dies
letztere wohl späterer Zusatz, denn ich habe sonst nicht auffinden können,
dass die MoBda-Eolhs dem Singbonga eine Frau zuschreiben.)
Da stieg Singbonga, Menschengestalt annehmend, vom Himmel und liess
sich m dem Lande der Asurs nieder Dort hackte der £üiecht des alten
Lntkom und der alten Frau Lutkum im Reisfelde. ^ Er war voller Aussatz
ond Wanden und seine Wunden rochen und stanken. Da sagte zu ihm Sing-
^nga: Gieb her, lass mich einmal hacken! Nicht, Bruder, sprach der Knecht,
siehst du mich nicht, das Holz der Hacke ist ganz voll Blut, vielleicht wirst
da angesteckt. Daraufsprach Singbonga: Gieb her, ich werde hacken; wenn
ich nicht richtig hacke, so zeige es mir an! und er fing an zu hacken. Da
^>gte er den kasra-kora toro-kora (kasra bedeutet Aussatz, Krätze, kora
Knabe, toro Wunde, also: der Aus s atz junge. Wundenjunge), wenn ich dich
gesnnd mache, wirst du es anzeigen? — Nein, ich werde es nicht anzeigen,
ich habe so viel Schmerz. Da schlug Singbonga den kasra-kora toro-kora
^t nnd £asste ihn beim Schopf und schwenkte ihn so lange im Kreise, bis
die Aassatzhaut sich ablöste. Darauf machte er ihn sogleich wieder leben-
^g- Da ging der Knabe wieder zu Vater und Mutter und sprach : Nun bin
ich gesttnd, warum sollte ich wieder zu meinem Herrn Lutkum gehen?
262 ^^^ ^^^ Mundu-Koihs in OstindieiL
Daraaf stieg Singbonga, die Haat mit wegnehmend, in den Himmel.
Daselbst gab er seinem „sira hon^ Menschengestalt, zog ihm die AassatKbaat
an und schickte ihn auf die Erde hinab. (Sira bedeutet einziger Sohn im
Unterschiede von sida hon, erstgeborner Sohn; von diesem einzigen oder ein-
gebomen Sohne Singbonga's erzählen die Monda-Eolhs unter anderm aach,
dass er auf Singbonga's Dickbein = Schooss sitze; oft wird er auch „miadge
sira hon'', einziger [miad = 1] eingeborner Sohn genannt.)
Der Aussatzjunge Wundenjunge stellte sich nun hin an eine Quelle,
aus der die Frauen der Asurs schöpften; da vertrocknete die Quelle. Eine
alte Frau kam, um Wasser zu schöpfen. Diese sprach zu ihm: Was hast
du an der Quelle gemacht, immer sprudelte sie und kam Wasser heraus, heute
gar nichts. Er sprach zu ihr: 0 alte Frau (burria, gewöhnliche, an sich
durchaus nicht beschimpfende Anrede an ältere Frauen), ich habe nichts ge*
than, ich habe auf dem Wege aus den Ochsenfusstapfen Wasser getrunken,
du beschuldigst mich ohne Ghrund. Nicht, Knabe, sprach sie, du hast dies
gethan. Da sprach er zu ihr: Rufe Singbonga an, so wird gleich Wasser
herauskommen. Da rief die alte Frau Singbonga an. Sofort sprudelte is^
Wasser und es fand keinen Platz in der Quelle. Als sie nun geschöpft, giBg
sie nach Haus. Im Hause fragten sie: Was hast du so lange gemacht? Sie
sprach: Nicht doch. Freunde, heut war ein Mensch (manoa) bei der Quelle
und das Wasser vertrocknet, daher die Verzögerung. Da sagte er zu mir
und zeigte mir an: Rufe zu Singbonga. Und ich rief an, da kam Wasser
heraus und ich ging fort.
Nun wurde der Aussatzjunge Wundenjunge ganz voller Wunden und
Eiter. Er ging zu dem Dorfe, kam nahe den Häusern der Asurs und ging
fragend herum: Freunde, wollt ihr einen Knecht anstellen oder nicht? Ick
will die Schweine und die Hühner hüten und wegscheuchen, dass sie nichts
verderben.
So ging der Aussatzjunge herum, er verscheuchte mit einem Surusing-
Zweige die Fliegen von den Wunden und roch und stank. Die Fliegen um-
schwirrten, umflogen, verfolgten ihn von allen Seiten. Wo der Knabe sie
fragte, da sagten sie: Geh weg, der kasra kora toro kora riecht und stinkt
Wir haben keine Hühner und Schweine, welche du abwehren könntest D&
ging er weiter zu den Mundas, diese hatten Knechte und Mägde schon an-
genommen. (Es ist also die Anschauung der Sage, dass die Asurs mit den
Munda-Kolhs zusammen im Lande gelebt.) Da fragte er sie: Wie, ihr Munda-
leute, wollt ihr mich als Knecht annehmen? Ich vrill die Hühner, die Schweine,
die Ziegen weiden. Sie sagten zu ihm: Wir nicht, wir haben Knechte und
Mägde angenommen. Was wirst du arbeiten? Die Fliegen umschwirren, um-
fliegen, verfolgen dich von allen Seiten, von Aussatz und von Wunden riechst
du und stinkst du. Geh, geh weiter. — Da ging er weiter und wo er hin-
ging, da wurden sie voll Ekel und Abscheu. Da gelangte er zu den Asurs
und sprach: 0 ihr zwölf Brüder Asur, dreizehn Brüder Deota^ wollt ihr mich
r
Sage der Munda-Kollis in Ostindien. 263
zum Knecht aonehmen? Um einen Dienst bettelnd irre ich herum, wollt ihr
mich annehmen oder nicht? Ich will die Hühner, Schweine und Ziegen hüten.
Sie worden voller Ekel und Abscheu und sagten : Wir nicht, wir nicht; wir her-
ben Kinder (zu solcher Arbeit), so viel wie ein Berg voll von Stroh und Spreu.
Geh fort, du riechst sehr und stinkst sehr. Doch gehe zum alten Lutkum
and der alten Frau Lutkum! Da ging er, indem ihn die Fliegen umsch wirr-
ten, and setzte sich an die Wand des Hauses des alten Lutkum und der
alten Lutkum seufzend und weinend. Da kamen die Alten heraus: 0 weh,
0 weh, welches Kind seufzt da und weint da? (Sie waren beide unfruchtbar.)
Wir haben kein Kind, wer weinet an der Wand unseres Hauses? Wohlan,
laMt uns sehen. Da gingen sie und fanden ihn und sprachen zu ihm: Geh
fort, da wirst hier vielleicht sterben, de^e Eltern und Brüderschaft werden
uns dann mit Worten anfahren, geh du fort. Da sprach er: Ich habe keine
Eltern und Brüderschaft, die nach mir fragen könnten. Da brachten sie einen
(schemelartigen) Stuhl von Papra-Holz heraus und eine Matte und setzten
iim daxanf, wuschen ihm die Wunden rein und rieben ihn mit Sarson-Oel. ' )
Danmf führten sie ihn hinein und sagten zu ihm: Nun, kasra köra, was willst
iü för uns arbeiten?! In unserem Hause ist keine Speise, wir sterben vor
Hanger, wir nehmen dich nicht an, geh du weiter, was solltest du für uns
arbeiten, du wirst auch nicht arbeiten können, wir holen Kohle und Eisen-
stein. Davon werden wir ernährt. Da sprach er. zu ihnen: Ich will die
Hahner hüten. Gebet mir nur etwas Reiswasser und aus dem Abfall berei-
teten Brodkachen. Da sprachen sie: Wohlan denn, bleibe! und sie nahmen
ihn in Dienst. Sie gaben ihm Reiswasser und Brodkuchen und gingen , um
aof den schon geemteten Feldern Aehren zu sammeln. Da ging der kasra
koni und nahm den Brodknchen und H&hnereier, um mit den Knaben der
A«ar zu spielen (eine Art BaUspiel). Da sagten die Asur-Söhne: SteUe dei-
nen Brodkachen und deine Eier auf, wir woUen sie mit unseren eisernen
Kageln schon zerschlagen. Aber sie konnten es nicht. Da sagte kasra kora:
Nan steUt ihr eure eisernen Kugeln auf. Sie thaten es. Da schlug der kasra
lora mit seinen Eiern die eisernen Kugeln entzwei.
Da sprachen die Asur-Knaben: Warte, kasra kora, wir werden dich an-
zeigen, die H&hner haben aUen Reis aufgegessen. Sie hatten wirkUch allen
Reis angegessen, nur eii^ Korn war geblieben. Dies hob kasra kora auf und
sprach: So wahr ich Singbongas Sohn bin, soll von diesem einen Korn das
ganze Haus voUgefuUt und übervoU werden. Er legte das Korn in einen
irdenen Top^ da wurden alle Töpfe und das ganze Haus voll von Reis. Da
luunen der alte und die alte Lutkum wieder und die Asursöhne sprachen zu
ihnen: Enren Reis haben aUes die Hühner aufgegessen, kasra kora hat mit
Brod und Eiern Ball gespielt; so zeigten sie an. Da sprachen die beiden
Alten: Wir sammeln mit Schmerz und Muhe Korn für Korn, du hast aUes
0 Sanon-Oel = Sinapis dichotoma.
2B4 Sage der Mnnda-Kolhs in Ostindien.
die Hühner fressen lassen. Darauf kasra kora sprach: Meine liebe Gross-
mutier und Grossvater, ich habe es nicht aui&essen lassen. Sieh, der Reis-
b ehälter ist voll, die Wanne ist voll, sehet, ist es so oder nicht? Da sahen
sie und siehe, der Reisbehälter war voll, das Haus voll, die Matten voll zur
Ueberfalle. Da sagten sie: Was hast da gemacht, wen hast du bestohlen,
wo hast du Raub verübt? Er antwortete: Nicht, Grossmutter und Gross vater,
ich habe niemanden bestohlen, es ist von selbst gewachsen, fraget alle. Da
gingen sie fragend umher: Hat der Aussatgunge Wundenjunge jemanden
bestohlen oder nicht? Sie sprachen alle: Nein!
Da gingen sie nach Haus und bereiteten Reis. Da sie nun Reis assen,
sprachen sie zum kasra kora: Diesen Reis iss» Da sprach er: Nun, Gross*
mutter und Grossvater, esset; decket mich in dem Schweinetroge zu. Da
deckten sie ihn in dem Schweinetroge zu xtnd legten sich schlafen und früh,
als es Morgen wurde, standen sie wieder auf.
Dieser Erzählungen von kasra kora's Wundem und drolligen Thaten
sind noch manche und sie werden in Nebensachen abweichend erzählt So
unter andern, *dass er, als er bei Lutkum in Dienst gewesen, des Nachts hin-
ausgegangen, seine Aussatzhaut abgezogen und in himndischem, glänzenden
Leibe allerlei wunderbare Dinge gethan. Die obengenannte Version der Sage,
welche in den mehr hinduisirten Gegenden erzählt wird, spricht wie die
Hindureligion von dem Aussatzjungen als einer Menschwerdung Gottes selbst
und nicht seines Sohnes, wenigstens bleibt das unklar. Einige fogen hier
noch ganz wie in den Hindubüchem hinzu, dass er in der Nacht zu seiner
Frau gegangen, um zu baden, mit ihr zu essen* und der Liebe „Spiel'' zu
treiben. Die echte Muuda-Eolh-Sage aber weiss davon nichts. Wir erzählen
nun das Folgende, wenn auch an die Erzählungsart der Eolhs anschliessend,
so doch der Kürze wegen in etwas weniger wiederholender Erzählungsweise.
Da kasra kora gekommen war, um die Asurs zu bestrafen und umzu-
bringen, so suchte er nun Gelegenheit. Darum bewirkte er, dass in dem
Schmelzofen ihnen kein Eisen mehr gerieth. In dieser Noth gingen sie zu
Zauberern, diese aber konnten ihnen nicht helfen. Da nahmen sie unter An-
rufung des Singbonga etwas Reis und brachten ihn zu kasra kora, dass er
denselben des Abends unter seinen Kopf nehme. >)
Aber kasra kora wollte das nicht und sagte: Ich bin krätzig und stinke,
*) Auch jetzt haben die Mnnda- Eolhs noch die Sitte, dass, wenn jemand krank ist oder
sich ein Unglücksfall begeben hat, sie etwas Reis nehmen und ihn auf den Kopf des Kranken
legen, indem sie, die Hände zusammenlegend, auf einem Beine stehend den Singbonga oder
Bonga bitten, doch den Urheber des Unglücks anzuzeigen. Diesen Reis nehmen sie dann and
bringen ihn dem Zauberer, damit er auch in der Nacht darauf schlafe; dann soll Singbonga
oder ein Bonga, d. h. ein böser Geist (das ist oft im Unklaren), kommen und die schuldige
Person anzeigen. Im grossen und ganzen ist sonst die Meinung der Koihs, dass der Dorfpriester
der Diener Singbongas und der bösen Bongas sei, der Zauberer aber nur Diener des grossen
bösen Bonga (Teufel) und der bösen Bongas, also reiner Teufelsdiener sei. cf. 333 — 336, J. 1871.
Sage der Mimda-Kolhs in Ostiiidien. 265
wer wird in der Nacht zu mir kommen, am mir etwas anzuzeigen? Doch
als sie drängten, nahm er den Reis an. Den andern Morgen fragten sie ihn
neugierig, was er im Traum gesehen habe. Er sagte: Brüder, was ich euch
sage, werdet ihr auch dadurch erzürnet werden? Sie antworteten: Nein,
irarain sollten wir darüber erzürnet werden. Da befiJil er ihnen, dass sie
einen Büffelochsen und ein Schaf opfern sollten. Doch als dies geschehen,
geriedt ihnen doch das Eisen nicht. Da kamen sie wieder zu kasra kora
nnd fragten, was sie thun sollten. Er sprach: Gehet hin, suchet einen Men-
schen und opfert ihn beim Schmelzofen. Sie erwiderten: Du sagst, wir sol-
len einen Menschen opfern; wo sollen vor einen bekommen?
Da machten sich zwei Äsurs auf, um einen Menschen zum Opfer zu
suchen. Als sie nun in ein Dorf kamen, wurden sie von den Bewohnern
gefragt: Wen suchet ihr? — Einen Menschen. — Wozu? — Unser Schmelz-
ofen bringt kein Eisen mehr, dagegen sollen wir einen Menschen opfern.
Da worden sie zornig und sprachen: Wir haben nicht mal zur Arbeit Leute
genug und ihr wollt noch einen von uns opfern! Darauf fielen sie alle ver-
eint über die beiden her und schlugen sie dergestalt blutig, dass sie kaum
das Leben rettend nach Hause entrannen. Da kamen alle Asur zu kasra
lora und erzählten, wie schlimm es den beiden ergangen; zum Schluss sag-
ten sie: Es hilft nichts, wir müssen einen von unseren Söhnen opfern. Er
aber sprach: Das sollt ihr nicht thun; opfert mich, ich habe weder Vater
noch Matter. Aber, sagten die Asurs, deine V^erwandten werden kommen
und Rache und Vergeltung für dich fordern. Erst als er ihnen versicherte,
dsss er keine Verwandten habe, gingen sie auf seinen Vorschlag ein und
fragten, ob sie sonst noch was dazu thun müssten. Er antwortete: Suchet
zwei Jungfrauen aus, dass sie fasten und sich dann des Morgens baden und
reine Kleider anziehen. Dann sollen sie aufgeweichten Reis stampfen und
ZQ einem Teige kneten. Aus diesem Teige sollen sie einen Schmelzofen mit
zwei Rohren (um die Blasebälge mit dem Ofen zu verbinden) machen. Alles
Wasser dazu sollen sie in neuen reinen Gefassen bringen. Dazu bringet eine
weisse Ziege, ein weisses Huhn und einEi zum Opfer, cf. S. 334. 1871. Ich werde
in den Ofen gehen, dann macht den Ofen zu und fanget an, mit den Blase-
bälgen das Feuer zu blasen. Wenn dann der Ofen sehr heiss geworden, dann
nehmet einige Mangoblätter (Mangifera indica) und Hesablätter (Ficus reli-
giosa), machet sie nass und besprengt den Ofen, so wird er gleich erkalten.
Daon stieg er hinein, Hess den Ofen zumachen und die Blasebälge treten.
Als aber nun alles nach Vorschrift geschehen, der Ofen sehr heiss geworden,
wieder abgekühlt und geöfihet worden war, siehe da, was geschah — kasra
kora kam lebendig heraus, aber verwandelt wie aus Nacht in Tag. Er war
rein von Eratze, hatte schöne Kleider an, strahlte am ganzen Leibe und war
am ganzen Leibe mit goldenem und silbernem Geschmeide behangen. Da
fragten die Asurs: Woher hast du all das Gold bekommen? Er sprach: Es
war noch viel mehr da, aber ich war allein und konnte nicht mehr mitbrin-
266 Sage der Munda-Kolhs in Ostindien.
gen; wäret ihr dagewesen, ihr hattet sehr viel mitnehmen können. Sie spra-
chen goldgierig: Wie sollen wir das machen? Er sprach: Machet Holzkohlen
und stosst sie zu Staub; dann bauet aus Erde einen grossen, grossen Schmelz-
ofen und zwei Rohren zum Blasen. Dann gehet alle hinein und lasst ihn
von euren Frauen mit Teig aus Kohlenstaub zumachen. Die Asurs machten
alles eilig fertig und kamen zu ihm und sprachen: Herr, wir haben alles zu-
bereitet! Da gab er den Frauen den Befehl, sie sollten darauf achten, dass
alles, was männlich ist, hineingehe, um das yiele Gold zu holen. Als Alle
hineingegangen, wurde noch gesucht nach den kleinen Knaben. Ein kleiner
Knabe war unter einer Wanne versteckt, er wurde gefunden und hinem-
gethao. Die obengenannten Geier kamen auch und suchten alle männlichen
Asurs auf.
Darauf wurde der Ofen zugemacht und nun mussten die Asor- Frauen
7 Tage und 7 Nächte die Blasebälge treten.
Nach einer Weile fingen die drinnen vor Hitze an zu schreien. Da
fragten die Frauen: Warum schreien unsere Männer? Kasra kora sprach:
Sie zanken sich über dem vielen Golde; tretet nur zu, so ^erhalten sie immer
mehr. Als sie nun weiter bliesen, fing das Blut aus dem Ofen zu laufen an.
Die Frauen sagten: 0 Herr, das sieht ja so roth aus wie Blut, was ist das?
Er sprach: Sie essen drin Pan (die Blätter von Piper betel, welche bekannt-
lich mit verschiedenartigen scharfen Sachen gekaut werden und einen reihen
Mund und rothen Speichel verursachen), tretet nur weiter! So verbrannten
sie Alle.
Darauf sprach Kasra kora: Nehmet Wasser und besprenget mit nassen
Feigenblättern den Ofen, dass er kalt werde. Als er kalt geworden, befahl
er ihn zu ö&en. Aber was femden sie? Alle Asurs waren verbrannt, sie
fonden nur Kohlen von den Knochen.
Da schrieen und jammerten die Asur-Frauen: Nun sind alle unsere Män-
ner todt, wie sollen wir nun unseren Lebensunterhalt finden, wer wird uns
versorgen? Da sprach Kasra kora: Wie viel Mal hat Singbonga zu euren
Männern die Yögel gesandt, sie aber gehorchten nicht, dafür sind sie bestraft.
Als er nun anfing, gen Himmel aufzusteigen, fiassten ihn die Frauen bei den
Kleidern fest und sprachen: Unsere Männer haben Böses gethan und du hast
sie getödtet, aber wie sollen wir jetzt leben? Er sprach: Ich will sorgen,
dass die Leute für euch sorgen und opfern werden. Da nahm er die Frauen
und schleuderte sie fort, die einen in die Berge, dort wurden sie Beiigbongas,
die andern in die Flüsse, dort wurden sie Flussbongas, die andern in die
Teiche, dort wurden sie Teichbongas, die andern auf die Wege, dort wurden
sie Wegebongas. Daher ist das Land Chota Nagpore so voll von Bongas,
welche die Leute plagen. Singbonga aber bestimmte, dass die Mundas durch
den Dor^riester in den Dorfsamas, den Opferwäldchen ihnen opfern und
ihnen Nahrung geben sollten und auch, dass die Bongas sich durch solches
Opfer besänftigen lassen sollen.
Sage der Munda-Kolhs in Ostindiea. 267
Darauf stieg Singbonga's einziger Sohn in den Himmel und erzählte, wie
er nach Singbongas Willen die Asurs bestraft and vernichtet, ihre Frauen
aber za Bongas gemacht und den Opferdienst durch die Dorfpriester in den
Sarnas eingesetzt Darauf schickte Singbonga einen Boten auf die Erde, um
za sehen, wie es nun stände, und siehe, es war alles in Ordnung, jeder hatte
Ruhe und Frieden. Der Bote lehrte nun den Menschen die Schmiedearbeit
and andere nützliche Handwerke, welche noch bis auf diese Zeit von den
Menschen erlernt und betrieben werden.
Der Monda-Eolh, welcher mir diese Geschichte zuerst erzählte, sagte zu
mir, als ich ihn an einem anderen Tage bat, sie noch einmal ausführlich zu
erzählen: Herr, ich habe noch etwas ausgelassen, aber ich scheue mich, dir
das zu erzählen. Erst auf vieles Drängen und Yersichem, dass er mich doch
M viel kenne, dass ich ihm nie etwas übel nehmen würde, wenn er etwas
Gutes oder Böses aus den Yolkssagen erzähle, theilte er mit, die Munda-
Kolhs erzählten sich noch Folgendes: Ein ganz kleines Enäblein vom Asur-
geschlecht sei nicht mit verbrannt worden. Ais es nachher noch gefunden
worden, habe Easra kora den Befehl gegeben, das Kind in ein Fell zu nähen
and auf den Fiuss zu legen. Da sei es nun den Fluss hinunter ans Land
geschwommen und von einer Tigerin gesängt worden. Andere sagen, eine
Königin habe es beim Baden gefunden und zu sich genommen und sehr wohl
erzogen. Von diesem Knäblein stammten die Angreji (Engländer, was dort
ziemlich gleichbedeutend ist mit Europäer) ab, darum seien sie auch so klug,
80 stark und kühn in allen Dingen, wie ehemals die Asurs, hätten gar keine
Furcht vor den Bongas und die Bongas thäten ihnen kein Leid an.
Dies zeigt, vne die bildende Sage noch immer im Weiterdichten bei ihnen
ist, denn erst seit 100 Jahren sind die £olhs mit den Engländern bekannt.
Was allgemeines Bekanntsein dieser Sage betrifft, so ist sie Männern und
Frauen jung und alt so wohl bekannt, dass man sie wohl eine Nationalsage
der Mnnda-Kolhs nennen darf, die uns in das religiöse und gesellige Leben
and Denken dieses Volkes unmittelbar hineinfuhrt Wie sehr die Sage Ge-
meingut der Kolhs und wie tief sie in ihr religiöses Denken verwoben ist,
dafiir war mir ein merkwürdiges Zeichen, dass christliche Kolhs dieselbe in
ihren Unterredungen mit heidnischen Kolhs als Beweis dafür brauchten, dass
Gott die Sünde und die Verächter seines Wortes und seiner Befehle strafe.
268 Ausgrabungen der alten Gräber bei Mzchet.
Ansgrabnngen der alten Gräber bei Mzebet
Von Fr. Bayern. .
(Schluss.)
Artemis, die Mondgöttin Lnna oder Phöbe, anch Diana auf Erden und
Hecate in der Unterwelt genannt, in gewissen Fällen auch Lucina und als
Beschützerin der Wege, als Trivia, wie Hermes bezeichnet, war die Mutter
der Medea, Circe und Helena, spielt daher in der Mythe eine grosse BoUe
in Colchis. Als Lucina scheint sie mit der ägyptischen Jovan (Ilithyia)
identisch zu sein, ebenso wie die Göttin Bubastis der Aegypter, als Syzygos
Yon Hermes des Zweiten. Da Artemis in Eolchien eine so grosse Rolle
spielt, so ist auch anzunehmen, dass sie den Iberiem nicht fremd war, und
so wird es auch mit Jupiter, Satumus und anderen von den Griechen, ihren
Nachbarn der Fall sein!
Wie wir nun gesehen, so haben die griechischen Gottheiten ebenso in
Aegypten, Syrien, Judea, Assyrien, Babylon, Alt-Persien und so auch Indien
ihre Stellvertreter gehabt, es ist daher schwer, es noch genau heraus zu
finden, mit welchen Völkern die Mythologie der Iberier am verwandtesten ist,
dass aber Iberien eine obgleich nicht selbstständige Mythologie hatte, bewei-
sen uns die gefundenen Gegenstände auf Samthawro, das Henkelkreoz ist
jedenfalls aegyptisch, während die Thränenfläschchen zum Theil assyrisch,
zum Theil helenisch erscheinen.
Ausser den Formen der Gegenstände, die man in den Gräbern findet,
haben häufig auch die Materiale, aus welchen diese Gegenstände gefertigt wur-
den und selbst die Farben dieser Gegenstände und der Materialien symbolische
Bedeutung, wir wollen daher die Symbolik, ebensogut der Farben wie der Mate*
riale, durchmustern, die sich in den Gegenständen, die auf Samthawro gefanden
wurden, uns darbieten, um sie mit dem Glauben und den Sitten anderer Vol-
ker vergleichen zu können, damit wir die Aehnlichkeit im Glauben und den
Sitten der alten Iberier mit einem und mit welchen dieser Völker finden.
In der Farbensymbolik sind es nur die HauptÜEu-ben , die massgebend
sein können, ebenso wie in der Blumensymbolik der Geruch das eigentliche
Symbol der Blume ist; da auch bei den Blumen sicher häufig auch die Farbe
in Betracht gezogen sein wird, was besonders in der orientalischen Blonien-
sprache dargethan ist, so werden sicherlich auch Farbennüancen bei den
Alten eine Bedeutung gehabt haben, denn rosaroth, hyacinthroth und blut-
und feuerrotb kännen unmöglich unter der einen Farbe roth verallgemeinert
Ausgrabungen der alten Gr&ber bei Machet 269
worden sein! Weiss, sagt ans die Symbolik, ist das Symbol des Lichtes,
der Lichtgötter und in Folge dessen auch die Farbe der Priesterkaste dieser
Gottheiten. Wir finden diese Farbe in den Gregenstanden von Silber und in
den weissen ceylonischen Perlen. Die Ghlamysfiebeln von Silber dürften
daher einer Leiche aus der Priesterkaste angehören, wobei die mit Perlen
besetzte einem Tomehmem Priester, wenn nicht einer Frau zuzuschreiben
wäre, denn dass die Priester auch sterben müssen, und wenn sie auch die
grössten Magiker sind, ist jetzt eine bekannte Thatsache.
Schwarz, die Farbe des aegyptischen Typhon, des persischen Ahriman,
des jüdischen Belial und des Satans der Gnostiker, ist das Symbol der Dun-
kelheit, der Nachtgottheiten und, wie schon gesagt, des bösen Princips Ahri-
mans und seiner Gef&hrten, der Dews. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die
schwarzen Halsperlen und Korallen aus Steinkohlen (Eischir!) gefertigt, als
Symbol zu betrachten sind, mehr Wahrscheinlichkeit liegt in den schwarz-
glasirten Opferwasen, aber auch diese als Symbol anzunehmen, ist gewagt.
Gelb ist das Symbol der Sonne bei den Alten, demnach die Farbe
Amons, Phre, Osiris, Helios und der übrigen als Sonne bezeichneten Götter;
gelb ist aach das Symbol des Lichtes und der göttlichen Weisheit, eine
Vereinigung von weiss (Silber) und roth (Symbol der Liebe), welches die
gelbe Farbe bildet; Gold ist daher als die gelbe Farbe zu betrachten und
anter ihm yersteht man dieselbe Bedeutung, wie unter der Farbe gelb. Gold
fand sich in den Gräbern nur als Frauenschmuck, und obgleich einige For-
men, wie der Drachenkopf, der sich vielleicht mit der Schlange Uraeus, das
Sinnbild der königlichen Macht, welche Amon geheiligt war, wenn er unter
dem Namen Chnubis erscheint, was sehr wahrscheinlich der ELnuphis (Stra-
bo's) und Kneph (Eusebius') das nruiia^ die Quelle aller Macht auf Erden ist,
▼ergleichen liess, ebenso die Rosetten von Gold, die als Rose dem ApoUon,
der Aphrodite, Harpocrates und Dionysus geheiliget waren, als Symbole
könnten betrachtet werden, so ist es doch nicht wahrscheinlich, dass hier das
Gold oder die gelbe Farbe das Symbol sein sollte, wohl aber hin und wieder
die aus dem Golde bereiteten Figuren, welche später zu besprechen sind.
Schwefelgelb, das Symbol der Schuld, findet sich als Perlen von
gediegenem Schwefel und von Glas.
Saffrangelb, Symbol der Morgenröthe, fand sich als Glasperle.
Grün, die Farbe Neptuns, Poseidons, der Aphrodite, Yesta und anderer
aegyptischer, syrischer und indischer Gottheiten, ist das Symbol des Wassers
und der Wassergötter. Diese Farbe finden wir als Smaragd, Aquamarin,
PorphyrtufF und als Glasperlen. Die Symbolik der Edelsteine werde ich wei-
terhin berühren, hier sei nur gesagt, dass der Aquamarin wahrscheinlich auch
als Farbensymbol dienen konnte und darauf hindeuten könnte, dass die Inha-
berin dieser mit Haarnadeln von Aquamarin und Rubin gezierten Dame aus
fremdem Lande stammen und über das Meer nach Iberien gekommen sein
konnte !
270 Auignlnmgeii der alten Gräber bei Michet.
Blaa, die Farbe Jupiters, der Urania and der ägyptischen Tiphe, ist
das Symbol dieser Gottheiten und besonders aber der LofL Diese Farbe
fand sich als Lazarstein einige Male, so wie in zahlreichen Glasperlen.
Roth ist das Symbol des Feuers, der Heiligung und der Wiedergebart,
so wie als
Rosa das der Liebe und des Todes ist, aber ebenfalls auch der Wieder-
geburt. Die rothe Farbe ist eine der häufigsten, die sich in den Gräbern
von Samthawro fand, theils als Korallen, theils als Edelsteine und theils als
Glas, es scheint aber, wenn symbolisch, diese Symbolik in den Edelsteinen
gesucht werden zu müssen und blos die Rubinfarbe der Rubine und des Glases
den Sonnengott zu symbolisiren. Die Edelsteine sind es, welche am misten
symbolische Verwendung fanden, doch ist es gewiss nicht der Edelstein allein,
der in Betracht gezogen wurde, sondern stets war die Farbe desselben das We-
sentliche, das ist die Grundidee des Symbols. Viele Steine wurden auch als
Talismane gegen Ejrankheiten oder auch gegen Schutz von bösen Geistern
getragen, es ist daher nebst der Symbolik auch die prophetische Bedeutung
zu berücksichtigen, besonders weil sie im innigen Zusammenhange mit der,
dieser Periode von Mzchet, aus welcher dieselben stammen, angehörenden
Zauberei und Magie nothwendig stehen dürften. Wir finden unter Andern
bei den Juden den Oberpriester an den drei hohen Festtagen des Jahres,
wenn er aus dem Heiligthum trat, einen Diamanten tragen, der ein sicherer
Prophet der Zukunft war, denn, war der Diamant weiss wie Schnee, so ver-
kündete er ein glückliches Ereigniss, war er blutroth, so drohte Krieg, war
er schwarz, so hatte man allgemeine Trauer zu bef&rchten. Der Diamant ist
das Bild der Beständigkeit, der luraft, der Unschuld und aller Tagenden. Ist
auf einem Diamanten Mars oder Herkules unter einem günstigen Aspect
und unter dem Planeten Mars eingegraben worden, so soll der Besitzer des*
selben vor allen Freunden sicher sein. Dass manche Götterstatuen Augen
aus Diamant und Rubine, in Indien besonders, erhielten, ist bekannt. In
Mzchet gelang es mir aber nicht, Diamanten zu finden, obgleich sich schliessen
lässt, dass da, wo zahlreiche indische Edelsteine in Mode waren, auch der
Diamant nicht unbekannt war.
Smaragd bildete den Boden des Palastes, des Sonnengottes Helios, der
ganz aus Pyropen (Rubine) bestand, ausser dem Boden! Der Smaragd wurde
als sympathetisches Mittel angewendet gegen yerschiedene Krankheiten. Im
Gürtel des Zodiacus stellt er den Schützen vor. Als Smaragd fand ich ihn
nur Einmal, smaragdgrüne Halbedelsteine als Haamadelknöpfe einige Mal.
" Beryll, Symbol des Wassers und der Meeresgötter, war heilbringend,
besonders bei Leberschmerzen angewendet; er diente aber aach als Amulet,
bei Eheleuten, um die gegenseitige Zuneigung zu erhalten. Als Zodiacal*
zeichen stellte er den Löwen vor. Zwei grosse Berylle, als Aquamir, wurden
als Haamadelknöpfe gefunden.
Amgrabimgen d«r tlten Qt&ber bei Mscliftt 371
Chrysopras ist sagenstärkend, macht heiter und fröhlich; im Zodiacus
stellt er die Zwillinge yor. Er fand sich als Haamadelknopf.
Saphir ist die Farbe des Himmels, denselben Göttern geweihet wie die
blaue Farbe; er ist ebenfalls heilbringend. Fand sich aber bis noch nicht
mit Bestimmtheit; im Zodiacus ist es der Wassermann. Zweifelhaft ist aach
Türkis bei Samthawro nachzuweisen, es scheint, als ob die blaue Farbe sich
in den Ghribem zersetzt habe, denn Gesteine, die sich als Türkis und so
auch als Saphir erklären liessen, finden sich in eine gelbe Specksteinmasse
umgewandelt. Der Türkis wurde von den persischen Königen getragen, damit
sie Yor Mord gesichert seien. Ebensowenig fand sich der Heliotrop, der
als Amnlet die Kraft zum Weissagen gab.
Hyacinth ist bei den Juden das Symbol des Bösen, des Irrthums
and der Falschheit, als Farbe; als Stein aber hatte er bei den Alten trefi*-
licbe Eigenschaften, dann ist er am Halse getragen (und in dieser Form, als
durchbohrter roher Stein, zu Halsperlen dienend, fand er sich in mehreren
Stucken in einem Grabe), war er ein Schutz gegen die Pest, er stärkt das
Herz, schützt vor Blitz, vermehrt den Reichthum, die Klugheit und die Ehre;
er ist das Symbol des wahrhaften Glaubens, vertilgt die Gluth der Leiden-
schaften und triumphirt über dieselben. Im Zodiacus stellte er den Stier vor.
Karneol und Onyx scheinen bei den Alten unter einem Namen bekannt
gewesen zu sein, beide fanden sich bei Mzchet, sogar auch der Sardonyz,
dieser im Zodiacus den Scorpion, and der Karneol, die Waage vorstellend.
Der Onyx besonders ist heilbringend, und wurde als Amulet oder Talisman
gegen Nachtgespenster getragen. Bei kleinen Kindern vermehrte er den
^peichelfluss. Jaspis, im Zodiacus die Fische vorstellend, fand sich auch.
Karfankel, der Alten Carbunculus, das ist .rother Granat, war der Ceres
geweihet, &nd sich einige Male, so auch Achat, Schwefel und Kohle,
sowie auch Thoneisenstein, der sehr heilbringend war, und Opal, dieser
besonders gegen die Pest schützend. Der häufigste Stein aber ist der Rubin
oder Pyropus bei Samthawro. Er ist das Symbol des Glückes. Er war
das Sinnbild des Sonnengottes Helios. Er verbannt die Traurigkeit und
unterdrückt die Wollust, vertreibt die bösen Geister, oder besser die bösen
Gedanken; verändert er die Farbe, so ist es ein böses Zeichen und erhält
er wieder seine Farbe, ist alles Unglück vorbei. Er widersteht dem Gifte
und schützt gegen Pest. Wie schon erwähnt, führen zwei Pforten von Ru-
bine zu dem unteren Paradiese der Rabbinen.
Mit welchem Kulte die hier angefahrten Steinarten, wenn überhaupt von
einem Kulte hier die Rede sein kann, zu vereinigen sind, und mit welchen
Volksgebränchen sie am meisten Aehnlichkeit erkennen lassen, steht nicht in
meiner Macht zu beurtheilen, da ich zu wenig vertraut bin mit all diesen
Gebräuchen verschiedener, besonders der orientalischen Völker, auch scheint
mir, ist noch zu wenig bekannt die Sprache, mit welcher diese Steine einst
ZQ den Völkern sprachen, und diese Hieroglyphen müssen noch entzi£fert
272 Anigralraiigen der alten Gr&ber M ICzehet
werden. Der Mythas hat uns mehr mit der Symbolik des Pflanzenreiches
bekannt gemacht, leider aber läset sich bei alten Gräbern wenig in dieser zu
finden hoffen, es bleiben daher ebenfalls nur die Gegenstande zn besprechen,
die sicher als Pflanzenformen, aus Metall und Stein nachgebildet, sich dar-
bieten, und deren sind bei Mzchet ebenfalls wenige gefunden worden. In
Stein, rothem Onyx, sind zwei Fmchtahren oder Kornähren, das Sinnbild der
Ceres nnd Symbole des Ueberflusses, gefunden. Die schon mehnnal erwähnte
Console niit der Palme, zu welcher zwei Steinböcke springen, dürfte durch
diese Palme das Symbol des Phallus ausgedrückt sein, sie war ein Schmuck
der Stiftshütte bei den Juden und zeigte den Jahrescyclus an, und war bei
den Alten ein Lebensbaum. Gehängsei von Gold, drei Blätter oder ein Tri-
folium darstellend, welches mit einer Binde reifenartig umwunden ist, Ge-
hangsei an einem Goldschmucke bildend, halte ich ebenfalls für Palmblätter.
Die Rose war dem Dionysus, der Aphrodite, dem Apollo, dem Harpo-
krates und noch andern Göttern geheiligt, sie war der Atribut des Todes,
bei den Aegyptem galt sie als Symbol der Wiedergeburt In Gold als Hals-
schmuck fanden sich Rosetten mit und ohne Rubine in der Mitte, ob symbo-
lisch, ist noch eine Frage.
Granatapfel; sehr grosse Bronzhaamadeln, 4 Stück, hatten als Köpfe
rotbe Korallen in Form von Granatäpfeln, sehr gut gearbeitet, sammt der Krone
derselben. Der Granatapfel ist das Symbol der Fruchtbarkeit und stand im
Dienste der Juno und der Proserpina. Dem jüdischen Priestertham diente
er als Zeichen der Einheit und findet sich bei ihm als Verzierung im Heilig-
thum und am Erleide des Hohenpriesters.
Die Köpfe der Haarnadeln scheinen lauter Früchte vorzustellen, so z. B.
der Aquamarin in Form von Aepfeln oder Citronen, doch ist über diese For-
men noch eine genauere Prüfung nöthig und müssen daher übergangen wer-
den. Aufinerksam aber ist zu machen auf das Erscheinen eines Symbols der
Fruchtbarkeit im Granatapfel, welcher sich an die Kette der schon erwähn-
ten ähnlichen Symbole sehr schön anreiht und den Cultus der Iberier cba
rakterisirt, denn er ist wie diese ein Zeichen des Sabäismus.
Dr. Grase sagt in seiner „Symbolik der Thiere^, dass diejenigen Thicre,
welche man gewissen Gottheiten opferte, die letzteren selbst repräsentirteu.
Dies geht schon daraus hervor, dass man aus ihrem Blute und den Einge-
weiclon wahrsagte und ihr Blut und Fleisch verzehrte. Dies mag seine
Richtigkeit haben, jedoch bin ich der Ansicht, dass auch diejenigen Thiere,
welche man auf Gemmen findet, in den meisten Fällen, ebenso wie diejeni-
gen, deien Knochenreste man in den Gräbern findet, sich auf gewisse Gott-
heiten beziehen und diese repräsentirten. Der Hase von Aphrodisia ist nicht
allein das Wappen dieser Stadt, sondern stellt auch zugleich die Protectonn
derselben, die Göttin Aphrodite dar, und dies durfte auch der Fall sein bei
meiner Gommc auf Karneol oder Onyx (welcher das Feuer oder die rothe
Farbe symbolisirt, d. i. die Wiedergeburt), den Hasen führend, der daher
AuBgrabuDgen der alten (Mber bd Mzchet. 273
ebensogut die Aphrodite (oder hier Astarte), also das Symbol der Zeugung,
als auch das der Liebe und Fortpflanzung, was der Hase symbolisirt, dar-
stellt Aehnlich liesse sich auch erklären der Esel auf der blauen Gemme,
d. i. auf dem Lazurstein; ähnlich der Bock auf der Console, dessen Ejiochen,
mit Schaf und Rind zusammen, im Enochenhaufen auf Samthawro häufig sind.
Dasselbe ist auch bei den Fischköpfen und den Pferdezähnen (diese die Sonne,
das Wasser und den Tod andeutend), sowie mit den Katzen, dem Symbole
des Lichtes und des Lebens, aller Thierreste, welche in den Gräbern gefun-
den wurden, anzunehmen.
Dass Zauberei und Mantik auch auf Samthawro getrieben worden, dürfte
aas den Sagen des Argonautenzuges, der Medea und ihrer Mutter Hekate
heryorgehen; der Baalcultus mit seiner Baaltis, daher Ares und Astarte,
scheint eben durch die Zauberei und Wahrsagerei sich erhalten zu haben
und erst durch die Magik verdrängt worden zu sein. Iberien und Eolchis
varen im Alterthum bekannt als die Länder, welche grosse Zauberer hervor-
braehten; es scheinen aber diese sich in den Sagen Griechenlands zu ver^
lieren Herkules ist als Zauberer bezeichnet und hatte in Delphi einen Tem-
pel, in welchem die Zukunft befragt wurde. Ein ähnliches Orakel dürfte auch
aaf Samthawro gestanden haben, welches später die Priester durch persische
Magier ersetzt sah, deren Oberpriester vielleicht einst der Oberpriester des
Baaldienstes war, welchen aber die Macht der Verhältnisse zwang, sich mit
den Magiern Fersiens zu vereinigen, diese in Schutz nehmend, sich die Ober-
gewalt wieder sicherte. Diese Persönlichkeit dürfte dieselbe sein (welche als
Hieronbäl oder Jcrubaal der Lehrer eines Sanchuniaton ward), dessen Nach-
kommen sich möglicherweise in der heute noch lebenden Familie Gideonow
wiederfinden lassen.
Dass Thiere, wie Rinder, Ziegen und Schafe auf Samthawro geopfert
worden, ist sicher und durch den Haufen gebrannter Knochen erwiesen; ob
aber diese Thiere zum Wahrsagen dienten oder ob aus deren Eingeweiden
gewahrsagt wurde, darüber haben wir keine bestimmten Nachrichten; sehr
wahrscheinlich aber fand es Statt; denn die Geschichte sagt aus, dass sie in
Kleinasien ihre Heimath hatten. Wenn daher in Eleinasien durch Thieropfer
und Eingeweideschan gewahrsagt wurde, dürfte Iberien sicher auch demsel-
ben zugethan gewesen sein. Jedenfalls brachte Thurgamos aus Babylon nebst
der Nekromantie (Wahrsagen durch Menschenopfer) und dem Sonnencult auch
die Anthropophagie (Menschenfiresserei) und mit ihr auch das Wahrsagen
durch Menscheneingeweide mit. Ob mit der Mantik auch die Astrologie ver-
eint war, welche besonders bei den Chaldäem getrieben wurde, muss noch
erforscht werden. Da die Thieropfer, wie der grosse Enochenhaufen beweist,
in dem glücklicherweise keine Menschenknochen zu finden sind, gebrannt
worden, ist auch zu schliessen, dass auch die Empyromantie (Wahrsagen
durch die Flamme) hat getrieben werden können. Durch die in den Akel-
damen gefundenen Eiiochenwarfel, den Knöcheln (AstragaU), die ebenfalU
Miackrilt f%x Btluologie, Jahrgmag 1878. |q
f
274 AnagrabmgoD der alten Griber bei Mzcbet
zum Wahrsagen benutzt wurden, iet anzunehmen, dass auch in Zizamori
Wahrsagen durch Würfel-Eleromantie bekannt war. Diese wurde besonders
im Herkulestempel zu Delphi getrieben. Zu diesen Loosorakeln sind auch
häufig kleine Stäbchen verwendet; es waren besonders die Alanen und Scy-
then, welche durch diese halbgeschälten Stäbchen die Zukunft befragten, and
sie soUen noch bei den Tataren im Gebrauch sein. Diese Art Loosorakel
nannten die Griechen iictfiöo^taiteia. Ich habe aber weder in Mzchet, noch
bei den kaukasischen Völkern, wo bekanntlich auch Tataren leben, etwas
Aehnliches gefunden.
Der Gebrauch, an den Gräbern ein Loch offen zu lassen, ist ein sehr
alter; er findet sich im Kaukasus schon bei den Dolmen und ist heute noch
an muselmännischen Gräbern in Gebrauch. Es wäre daher von Interesse,
darüber Studien zu machen, denn es scheint mir, er steht in innigem Zusam-
menhange mit der Nekromantie. Die Juden beschworen Geister durch einen
Todtenkopf, was Moses verbot. Xerzes liess den gläsernen Sarg Nimrod's
(Bolus), des Begründers des assyrischen Reiches, öffnen, um die Zukunft zu
befragen; es hatte daher dieser Sarg kein Loch, was mir aufi&ilt, weil ich
gerade in Assyrien den Ursprung der Iberier suche und dieses Yolkes Grä-
ber sich. durch das Loch an der Decke zu charakterisiren scheinen. Gehört
das Loch am Grabe zum Cultos oder ist es nur der Gebrauch eines eigenen
und einzigen Volksstammes, ist es semitischen oder arischen Ursprungs oder
Landessitte bei mehreren, sogar verschiedenen Yölkerstämmen und welches war
der Zweck desselben, das sind Studien von hohem Interesse und Fragen,
die noch zu lösen sind.
Die Griechen legten dem Todten einen Obolus unter die Zunge, um dem
Charon die Ueberfahrt aus der Oberwelt in die Unterwelt bezahlen zu kön-
nen, ich fand aber weder in den Steinkasten, noch in den Ziegelkaaten, die
ich doch für griechisch halte, Spuren von Geld. Es scheinen die Iberier wie
die Hermionier gedacht zu haben, dass sie der Unterwelt näher sind und die
Sache zu Fuss abmachen können, denn der E^aukasier ist ein geübter Fuss-
gänger, nicht aber der Armenier am Araz.
Die Sitte, den Verstorbenen ihre Lieblingssachen mit ins Ghrab zu geben,
wie dies bei den Griechen der Fall war, ist[, wie oben schon gesagt, auch
von den Iberiem angenommen gewesen.
Ob bei Leichenfesten oder Leichenfeiern etwas Aehnliches, wie die ne-
meischen Spiele in Griechenland, auch auf Samthawro stattfand, ist noch nicht
bekannt Bei den Tscherkessen oder wenigstens in dem Lande, das sie be-
wohnten, findet man alle alten Gräber mit Baum-* und Strauchbouquets be-
pflanzt; ich will aber nicht behaupten, dass bei dem Anpflanzen dieser B&ume
und Sträucher etwas Allegorisches gefunden werden könnte, oder darin, dass
nur gewisse und keine anderen Gewächse za den Gräbern verwendet wurden.
Die Schlingpflanzen sind besonders die Periploca graeca (die europäische
Schlinge), Smilax aspera (die stachelblättrige wilde Sassaparille), dann wilde
Axi^grabiuigeii der^alten Qr&ber bei Hzchet 275
Rosen, Ligaster «nd andere Straucher, nnd von Bäumen gewöhnlich Aepfel
Qod Birnen za finden. An anderen Orten, besonders im Kubangebiete, und
hier nur, wie mir scheint, am rechten Ufer wurden die alten Gräber mit gros-
sen Erdhaufen bedeckt; es sind dies die bekannten Tomuli = Eurgan. Die
scjthischen Gräber wahrscheinlich sind es, welche man im Terekgebiete fin-
det, die mit grösseren Steingeröllhaufen bedeckt wurden. Nichts Aehnliches
findet man auf Samthawro, und es scheint daher, dass, nachdem der Stein-
oder Ziegelplattenkasten mit der Deckplatte bedeckt war, die 3 — 5 Fuss unter
dem Niveau des Feldes zu liegen kam, die Erde hier geebnet wurde, um jede
Spar eines Grabes zu verwischen, was leider viel dazu beitrug, die Gräber
zu zerstören, denn später wurde das Feld als Ackerfeld benutzl und viele
Deckplatten daher entfernt, wie es heute noch geschieht.
Der Typus der in den Akeldamen von Samthawro gefundenen Iberier
int ein sehr einförmiger. Der Schädel ist ein Langschädel (dolichocephal),
er erscheint gewissermassen lang eiförmig und schmal , das Hinterhaupt ist
besonders stark und knonrig; manche Frauenschädel scheinen von Jugend aui
eine gewisse Pressung erlitten zu haben, wobei sich das Stirnbein über der
nicht sehr hohen Stirn eindrückte und ist daher mit einer ziemlich breiten
Qaerfiirche gekennzeichnet. Das Nasenbein ist ziemlich hervorragend. Die
Kauwerkzeuge sind stark entwickelt, die Zähne fast durchgängig gesund.
Anomalien fand ich noch an einem Frauenkopfe: das linke Schläfenbein ganz
verschoben, so dass es fast um ^ Zoll höher lag, als das rechte. Die meisten
alten Menschenschädel haben eine nicht zugewachsene Stimnaht, dabei stark
abgenutzte und abgeschliffene Zähne, was erkennen lässt, dass der Bandwurm
und andere Eingeweidewürmer hier herrschten. An vielen Schädeln bemerkt
man stark hervorragende Augenbrauenknochen, an anderen, besonders Frauen-
schadeln, die sich auch durch dünnere Ejiochen von den Männerschädeln
unterscheiden, ist kaum eine Spur von Erhöhung über den Augen zu finden.
Die Race ist schön zu nennen und dürfte semitisch sein; ich halte sie für
nahe verwandt mit den Assyrem, mit deren Geschichte und Galt des hier be-
schriebenen Iberiers Cult und Geschichte innig verschmolzen zu sein scheint.
Da ich mit Bestimmtheit annehme, dass in den grossen Akeldamen vom
Volke geopferte Leichen liegen, ebenso wie diejenigen in den kleineren Akel-
damen von der Familie beigesetzte Opfer sind, und da unter den Schädeln
sich keine Racenverschiedenheit erkennen lässt, ist es nicht anzunehmen, dass
fremde Yölker als Gefangene oder Sklaven zu diesen Opfern dienten, sondern
<ia88 diese Opfer, wie es auch bei den Kindern durch die ihnen ins Grab
mitgegebenen Lieblingssachen erwiesen ist, dem Volksstamme selbst angehör-
^, welcher diese Menschenopfer brachte; es scheinen daher auch nicht eigent-
liche Verbrecher dieses Stanomies zu sein, und der Prunk, der bei diesen
Opfern sich bekundet, wie ich oben angab, dass zwei Leichen an der einen
Wand, zwei Leichen an der andern und vier oder zwei Kinder an der dritten
oder der Eopfwand ihren Platz bekamen, was demnach andeutet, dass hier
ir
276 Alugraimngen der alten Gr&ber bei Hzehei
mit einer grossen Feierlichkeit zu Werke gegangen wurde; alles dies deutet
darauf hin, dass wenigstens die älteren Menschen sich freiwillig diesem Opfer-
tode weihten, und alles lässt ahnen, dass sie, nachdem sie sich im Grabe ihre
Ruhestatte selbst gewählt hatten, durch Steinigen den Tod erhielten.
Nach Allem, was uns die Untersuchung der Gräber von Mzchet lehrte
sollte man glauben, dass hier ein sehr kriegerisches Volk lebte, welchem so-
gar die Symbole des Kriegsgottes Ares und des Helden und Gottes Herkules
mit ins Grab folgen mussten. Wir finden aber auch durch die zahlreichen
werthvollen Gegenstände, die den Leichen mitgegeben wurden, einen grossen
Luxus, grosse Wohlhabenheit und Spuren ausgebreiteten Handels. Die Per-
len, Rubine und anderen Edelsteine stammen von Ceylon, Iberien stand daher
in Verbindung mit Indien. Berylle, Smaragde und Gold dürfiben von Sibirien
hierher gekommen sein, aber Hindostan und Indien scheinen mehr Wahr-
scheinlichkeit fiir sich zu haben, ebenso wie der Lazurstein. als Yaterland
Thibet haben dürfte. Die rothen Korallen sind ebenfalls indisch, können aber
auch aus dem rothen Meere, wie der Smaragd aus Aegypten stammen. Der
Metallspiegel ist griechisches Erzeugniss.
Landeserzeugnisse sind die Ziegel, die Töpferarbeiten und sehr wahr-
scheinlich auch das Glas und die Fibeln; damit wäre auch das Bearbeiten
von Gold, Silber, Bronze, Eisen, Holz und Knochen landesüblich oder hei-
misch zu nennen. Dass der Kaukasus Gold, Silber, Kupfer und Eisen hat,
ist bekannt, ebenso, dass in dieser Zeit der Blüthe des Landes Bergwerke
waren und die Erze bearbeitet wurden. Die Pretiosen scheinen schon fertig
von Indien oder Babylon hierher gekommen zu sein, während nur einfache
Bronze- und Eisenarbeiten hier im Lande gefertigt wurden, ausgenommen die
Siegelringe, die meistens von Silber gemacht sind, weshalb auch anzunehmen
ist, dass alles hier gefundene Silber kaukasisch und sehr wahrscheinlich sogar
iberisch ist Das mag auch die Ursache sein, dass sich keine Chlamysfibel
von Gold findet. Der Malachit dürfte ebenfalls kaukasisch und sehr wahr-
scheinlich pschavisch sein. Interessant ist der sicher kaukasische Markasit,
der als unbearbeiteter Krystall an beiden Seiten fein durchbohrt wurde und
uns erkennen lässt, dass das Stein- und Metallbohren schon im Lande be-
kannt war, ja, dass auöh Steine bearbeitet werden konnten, dürfte der inter-
essante Nachweis darthun, dass die heute noch bearbeitete Steinkohle von
Tquibuli schon vor mehr denn 2C00 Jahren die Halsperlen lieferte, welche
sich so häufig in den Akeldamen finden und die von den jetzt noch in Tqui-
buli verfertigten Perlen in nichts Anderem verschieden sind, als im Alter,
wodurch Tquibuli als einer der ältesten Orte im Lande erscheint, der auch
die wenigste Umgestaltung erlitten hat; denn dasselbe Volk, welches die Kohle
bearbeitete vor Tausenden von Jahren, lebt heute noch an demselben Orte
und treibt heute noch dieselbe Industrie.
Nach Allem nun ergiebt sich, dass das Leichenfeld von Samthawro un-
gefähr im 10. Jahrhundert v. Chr. angelegt, und bis zum Einfalle der Scythen
Ausgrabungen der alten Gr&ber bei Mzchet. 277
ins Land, wahrscheinlicfa noch 100— 200 Jahre später, als Leichenfeld benutzt
würde im Sinne des alten Cultus, nämlich Yolksmenschenopfer und particulare
Menschenopfer auf das Leichenfeld zu bringen. Zwischen den Königen yon
Gmsien Durdsuk und Samae scheinen diese Opfer aufjgehört zu haben und
mithin auch das Leichenfeld weniger benutzt worden zu sein. Die Chronik
Ton Grasien sagt: „Sie hörten auf, ihre Todten zu begraben und verzehrten
sie.^ Wie dem nun sein mag, ist schwer zu entscheiden. Die fremden Grie-
chen benutzten nun das Leichenfeld, indem sie auf demselben ihre Ziegel-
platten- und Dachziegelgräber anlegten. Einzelne Familien scheinen aber dem
alten Cultus treu geblieben zu sein, indem sie während der Griechenherrschaft
ilire Akeldamen, wie es ihre Väter thaten, auf Samthawro bauten und ebenso
aoch die zum Cultus gehörenden Menschen-, besonders Einderopfer mit ins
Grab dem Verstorbenen beisetzten. Sehr wahrscheinlich ist es auch, dass
einige Familien, vielleicht verwandt mit den in Mzchet lebenden Griechen,
za ihren Rahestätten diese Ziegelgräber zu benutzen begannen. Es scheint
aoch, dass in dieser wirrenreichen Periode Zizamuri sich gänzlich von Mzchet
trennte und ersteres in Verfall kam, während Mzchet sich kaum erheben
konnte. In dieser Periode scheint auch die Benennung Mzchet allgemein
angenommen worden zu sein und nicht früher, und so allmählich der alte
Name von Zizamuri oder Seusamara in Vergessenheit gekommen zu sein.
Durch die Trennung nun von Zizamuri kamen auch die Leichen dieses Ortes
nicht mehr über den Aragoi, und Mzchet selbst scheint in dieser Periode
Üieils die Hügel bei Sarschin, welches nun mit Mzchet sich vereinigte, be-
natzt, theils seine Todten verbrannt oder, wie die Chronik sagt, aufgespeist
za haben. Durch Einf&hrmig des Feuercultus, wahrscheinlich unter Phurnu-
was, den aach die Chronik als denjenigen angiebt, welcher den Götzen Or-
mozd bei Armasi und den Götzen Saden bei Zizamuri aufstellte, dürfte auch
das Begraben von Leichen auf Samthawro gänzlich aufgehört haben, und der
alte, zerstörte Tempel den durch Shamudech berufenen Magiern zu ihrem
Wohnsitze oder zu ihrem Feuerdienste übergeben worden sein, wodurch der
alte Name Samthawro auf kurze Zeit in Moghphthi umgeändert wurde.
Um diese Zeit muss das Leichenfeld als solches schon längst vergessen
gewesen sein; es scheint aber, dass es gerade in diese Periode üilen muss,
wo der grosse Aschenhaufen und das grosse Ejiochenlager auf Samthawro
kam, die daher vom Leichenfelde ganz unabhängig wären und einem neuen
Coltus angehören, wenigstens der Aschenhaufen.
Aehnliche Gräber, wie sie bei Mzchet erscheinen, finden sich nun an
mehreren Orten im südlichen Kaukasus, scheinen aber nur an das Eurabeoken
gebunden zu sein; doch ist nicht unwahrscheinlich, dass man sie bei allen
grosinischen Stämmen finden würde, wenn darauf Untersuchungen gemacht
werden sollten. Als sicher und von mir* selbst beobachtet sind sie im obe-
ren Aragoi-Thale zu bezeichnen, doch sollen Samchetien und Eachetien die«
selben Gräber aufweisen.
278 Ausgrabungen der altea Graber bei Hzchet.
Wenn man aber von einer Bronzeperiode, in welche die Gräber von
Samchetien neuerdings gesetzt worden sein sollen, bei diesen Steinkästen
spricht, halte ich dies für köpf leere Phantasien, denn, da an sich Gold, Sil-
ber, Bronze und Eisen und vieles Andere mehr findet, ist nicht von Urperioden
und dergleichen zu sprechen. Ich bin der Ansicht, dass diese Stein-, Bronze -
und Eisenperioden zu vielen Irrthümern führen, daher ich lieber diese Ein-
theilung in Stein, Knochen, Glas und geschichtliche Periode umändern würde,
wobei letztere als alte, mittel und neue Geschichtsperiode anzunehmen sei.
Denn dass in unzugänglichen Gebirgen und, betrachtet man die alte Welt alleine,
im alten, waldigen Norddeutschland, noch Stein und Elnochen als Werkzeuge
dienen konnten, während im hoch vorgeschrittenen Asien schon Gold und
Edelsteine in Mode waren, ist nicht unschwer anzunehmen. Die Gräber von
Samchetien stammen von alten Dorf-Bewohnern, welche weniger mit Luxus-
gegenständen umgeben waren, daher auch für die Geschichte eines Landes
ähnliche Gräber nicht und nirgend massgebend sein können. Die Bedüi&isse
des Landmannes sind anspruchsloser als des Städtebewohners, der Verkehr
auf den Dörfern auf Null herab gesetzt. Man vrird daher bei den Dorfgrabem
auch nur einige der Hauptgebräuche des Volkes studiren können, nichts aber,
was Kultur, Handel und die Geschichte betrifil bei diesen Gräbern kennen
lernen. Bei alle dem ist es immer von grossem Werthe, auch die Sitten
und Gebräuche der, von fremden Einfluss weniger berührten, Bauern kennen
zu lernen, die in derselben Zeit lebten, als die Städte ihres Landes blühten,
wie dies der Fall war bei den, dies Jahr in Grusien erforschten Gräbern von
Mzchet und der Lorierhochebene, die aus ein und derselben Periode stammen,
aber nicht zu demselben Culte gehören, denn die Gräber von Samchetien
lieferten, nebst rohen Bronze- und Eisensachen, zahlreiche Töpfe und kleine
irdene Kochgeschirre, nichts aber von Thränenfläschchen und Chlamysfibeln,
während bei Mzchet nur in zwei Gräbern, einem Steinkasten und einem
Ziegelkasten, kleine Töpfchen, und die ganz verschieden von denen von
Samchetien, das ist der Lorierhochebene, zu finden waren. Wie aber dort
die Gräber beschaffen sind, weiss ich nicht, weil ich sie selbst nicht sah, und
die Berichte darüber dunkel sind!
Zum Schlüsse möge nun noch das Verzeichniss folgen von den Sachen,
die bei Mzchet und in den Gräbern gesammelt wurden und im kaukasischen
Museum zu Tiflis angestellt sind.
Verzeichniss der im Jahre 1871 Juli und August gesammelten
und dem kaukasischen Museum übergebenen Alterthümer von
Mzchet.
1. Nadel von Knochen, Bruchstück.
2. Stecknadeln von Holz, die Eine mit eingeschnitztto Figuren an der
Nadel und am Köpfchen.
3. Bruchstücke von Eisen, wahrscheinlich von einem Schwerte, 6 Stüok.
Ausgrabungen der alten Qr&ber bei Hzchei 279
4. Handgriff Yon EUen, yon einem Schwerte.
5. Perlen aus einer eigenthümlichen Teig- oder Speoksteinthonmasse ge-
fertigt, aie scheinen gefiurbt gewesen zn sein, sind aber jetzt röthlich
gelb, verbleicht ; 3 Stück.
6. Stecknadel von Eisen, mit einer Knochenperle als Kop£
7. Haarnadeln von Eisen, denen die Köpfe theils abgeüallen, theils in
Rost fibergegangen sind; die vorhandenen Köpfe scheinen Granaten
gewesen zu sein, die in Brauneisen (Rost) übergingen; 5 Stück.
8. Haamadelkopf aus Granat wahrscheinlich, der in Brauneisen über-
9. Fingerringe von Eisen; 3 Stück.
10. Aimspange wahrscheinlich, wenn nicht Ohrring, von Eisen.
11. Doppelring, eiserner, der wahrscheinlich als Armspange diente.
12. Bruchstücke einer eisernen Armspange.
13. Eine Eisenröhre, welche wahrscheinlich an einem Stocke einst fest
sass.
14. Sieben ozydirte Glasperlen.
15. Ein Metallspiegel.
16. Ghlamysfibeln von Eisen, verschieden geformt An der einen der ver-
rosteten Fibeln ist der Abdruck des Zeuges zu erkennen, mit welchem
die Leiche bekleidet war; 4 Stück.
17. Ghlamysfibeln wie 16; 5 Stück.
18. Ein Stückchen Mosaik aus roüier Glasschlacke gefertigt, einen kleinen
Würfel bildend.
19. Glasbruchstücke von prachtvoller blauer Farbe; 2 Stück.
20. Lazursteinbruchstück.
21. Grüne Glasschlacke.
22. Ein Hals eines gläsernen Riechfläschchens, aus Glasfäden gefertigt
und blau gefirbt
23. N&hnadeln von Bronze; 2 Stück.
24. Haarnadeln von Bronze; 4 Stück.
25. Eine, in kohlensauren Kalk zersetzte, ächte Perle von der Grösse einer
grossen Erbse.
26. Eine, in Zersetzung begriffene, lange, durchbohrte Röhre von Bernstein,
ab Kopf einer Haarnadel, sehr wahrscheinlich, verwendet gewesen.
27. Eine geschliffene, durchbohrte Tafel von, wahrscheinlich zersetztem,
Smaragd, grün.
28. Eine dunkle Rubinperle, mit ihr zusammen ist ein
29. Bruchstück einer Perle von Perlmutter, geschnitten oder gedrechselt?
30. Brachfitück von Perlmutter. '
31. Eine birnenförmige Perle, wahrscheinlich von zersetzter Harzmasse,
wenn nicht Bimstein; als Kopf einer Haarnadel gedient.
32. Bruchstück einer eisernen Chlamysfibel mit Köpfchen von Bronze.
280 Ausgrabungen der alten Gr&ber bei Mzchei
33 Schloss, wahrscheiDÜch Ton einem Gürtel, von Bronze.
34. Schlossbruchstück einer Chlamysfibel von Bronze.
35. Deckel, wahrscheinlich von einem Riechfläschchen ,- der Deckel ist von
Bronze.
36. Bronzestückchen, wahrscheinlich vom Halse eines Riechflftschchens,
den Ring bildend; 2 Stück.
37. Ein Stück Silberdraht, zum Theil ozydiri
38. Stecknadeln von Bronze; 7 Stück.
39. Eine geschnittene, sogenannte Koralle von Stein kohlengagat; diese als
Perle darchbohrte Koralle bildet eine quadratische kurze Säule, deren
Ecken abgestumpft und deren Seitenflächen mit eingeschnittenen Krei-
sen verziert sind.
40. Eine ganz ähnliche Gagatperle wie 39, nur sind hier die Flächen glatt,
also ohne Verzierungen, und die Ecken nur auf dem einen Ende ab-
gestumpft.
41. Verschieden grosse kugelige Perlen von Gagat; 30 Stück.
42. ELaamadel von Bronze mit einer grossen Perle von rother Koralle in
Form eines Granatapfels; 2 Stück.
43. Haarnadel von Bronze mit grosser, durchbohrter Rubinlinse, worauf
eine ceylonische Perle sitzt, als Kopf der Nadel; die Rubine sind
6 Linien hoch und 4} Linien breit; 2 Stück.
44. Dieselbe Haarnadel mit Granatfrucht von Koralle, wie 42 und mit die-
sen aus einem Steinkasten stammend; 2 Stück.
45. Stecknadel von Bronze.
46. Haarnadel mit einem grossen, durchbohrten Lazurstein in Bimform als
Kopf.
47. Haarnadel mit langem konischem Kopf, Bronze.
48. Haarnadel von Bronze, mit einem apfelformigen , durchbohrten Beryll-
Aquamarin als Kopf; der Beryll ist mit einer Rosette von Gold ge-
krönt; 2 Stück, wobei die Berylle 8 Linien hoch und 6 Linien breit sind.
49. Ein Haamadelkopf von Gold auf einer eisernen Nadel sitzend; 2 Stück.
50. Stecknadel von Bronze, mit einer ceylonischen Perle als Kopf.
51. Gehänsel von Bronze, als Haarfibel benutzt, mit einen Glaskopf, wo-
rauf eine ächte Perle sitzt.
52. Haarnadel von Bronze, mit einer ceylonischen Perle als Kopf.
53. Haarnadel von Bronze, mit einen durchbohrten Tropfen von durch-
scheinendem Onyx oder rothem Chalcedon als Kopf; 9 Linien hoch.
54. Haarnadel von Bronze, mit einem Cylinder von Lazurstein als Kopf;
7 Linien hoch.
55. Smaragdgrüne, durchbohrte und abgestumpfte sechsseitige Doppel-
pyramide von 6 Linien Höhe; dies ist ein Stein von besonderem In-
teresse, es ist eine Versteinerung, eine so genannte Agacicia, die in
Diopsid wahrscheinlich überging.
Auagrabungen der alten Gr&ber bei Mzchet 281
56. Glasp^le von prachtvoller himmelblauer Farbe mit Perlmutterglanz,
gross, doppelpyramidenförmig; Kopf einer Haarnadel?
57. Durchbohrte Zirkonkrystalle, Hyacinth ; 7 Stück.
58. Eine grosse Perle von Leberopal, wahrscheinlich als Haamadelkopf
gedient.
59. Eine Rabinperle als Kopf einer goldenen Haarnadel, die abgebrochen
mid mit Rost bedeckt ist
60. Ein Haarnadelkopf von Gold.
61. Eine angeschliffene durchbohrte Hyacinthperle von branner Farbe.
B2. Eine geschliffene und facettirte, durchbohrte Granatperle, sogenannter
GarbuDCulus, roth.
63. Ein 12 Linien hohes, 10 Linien breites und 4 Linien dickes, durch-
bohrtes Brödchen, welches aus einer eigenthOmlichen Teig- oder Ma-
stikmasse bereitet wurde, wahrscheinlich mit Goldfolie überzogen war
und als Kopf einer Haarnadel gedient hat.
64. Perlen von gelben Opal; 11 Stück.
65. Eine Perle von Achat, lang, ap£elformig.
66. Ein Halsschmuck von Gold, wobei
a) Kopf und Hals eines drachenartigen Ungeheuers mit kurzen, run-
den Ohren. An der Kehle oder besser Gurgel sind zwei Gold-
kettchen angebracht, von jeder Seite unter der Kinnlade eins.
Das eine Kettchen trägt einen in Gold gefassten Rubin, das an-
dere aber führt ein in Gold geÜEisstes Herz, aus einer feinen,
rothen Glasplatte geschnitten. An der Lippe des Ungeheuers ist
ein Henkel angebracht, woran ebenfalls etwas gehangt werden
konnte.
b) Zwei Kopfe von feinen Glasscheiben, in Gold gefasst, mit Oesen
von Gold zum Annähen; die eine Glasscheibe ist roth, die andere
blau gefärbt.
c) Vierzehn Rosetten von Goldfolio, auf schwarzen Mastik gepresst.
Unten fährt der Mastik Oesen von Bronze zum Annähen, die
Rosetten dienten daher als Knöpfe.
d) Sechszehn kleine Halbkugeln, im Linem mit einer Oese zum An-
nähen, ganz von Gold und als Knöpfe gedient.
e) Sechs Trefel oder Trifolium, es aind drei zungenformige Blätter,
die wie in einer mit Reifen umwundenen Yase stehen, an welchen
eine kleine Oese ist, woran eine kleine Röhre, sogenannte Ko-
ralle, hängt, die dazu diente, einen Zwimfaden durchzuziehen.
Das Ganze eines solchen Trifoliums, von Gold^ bildet daher ein
Gehängsei, deren ich 6 Stück fand.
<>7. Armspangen von Bronze mit Schlangenköpfen; 2 Stück.
68. Ein Fingerring aus Karneol geschnitten, mit einer glatten Platte oben.
Dieser Ring ist ähnlich den heute wieder in Mode gekommenen Stein-
282 Au^abtmf^n der alten Gräber bei Mzchet
ringen, and zeigt wie weit die Steinschneider jener Zeiten schon
waren.
69. Ein Fingerring von Gold, sehr gnt und künstlich gearbeitet, er trag
einen Edelstein, der aber verloren ging.
70. Ohrringe von Gold; 2 Stück.
71. Ohrgehänge von Gold mit Gehängsei (Stalagma) von ceylonischen Per-
len, blauen Glasperlen und rothen Earneolperlen zusammengesetzt
2 Stück.
72. Ein Medaillon von Onyx in Bronze gefasst, trägt auf der einen Seite
eine Victoria, umgürtet mit einem Schwerte, nach rechts gekehrt, in
der Linken einen Palmenzweig auf der Achsel tragend, in der Rech-
ten eine Gyther? haltend. Auf Revers ist HX API EI zu lesen.
Alles ist vertieft eingeschnitten.
73. Mondhömer mit einer Perltraube äusserlich, in der Mitte besetzt, die
ein Köpfchen bildet, die Spitzen der Homer gegen einander gebogen,
daher wahrscheinlich als Ohrringe gedient haben müssen, ganz von
Gold; 2 Stück.
74. Ohrgehänge mit dem Gehängsei von Gold, das Gehängsei ist aus ächten
ceylonischen Perlen gebildet, die mit einem Smaragd gekrönt sind und
eine Traube bilden, der Smaragd sitzt an einer Rosette von Gold,
welche als Köpfchen am Ohrringe sitzt und zum Befestigen des Sta-
lagmas diente.
75. Zwei Stück Ohrgehänge von Gold, ganz ähnlich wie 74, aber reicher
an ceylonischen Perlen.
76. Fingerring von Silber mit einem geschliffenen, nach oben zugespitzten
Rubin besetzt.
77. Fingerring von Silber mit einer geschliffenen Rubintafel besetzt
78. Ghlamysfibel von Silber in Form eines Graphiums, ähnlich den Fibeln
16 und 17; 2 Stück.
79. Ghlamysfibel von Bronze, ähnlich 78, aber hier sind statt der Köpf-
chen ächte Perlen, die Köpfchen bildend, angebracht
80. Silberfingerring mit einem Rubin.
81. Silberfingerring mit einem Rubin.
82. Ohrgehänge? in Form von Mondhömern, ähnlich 73, ebenfiills von Gold.
83. Ohrring, glatter, von Gold.
84. Ein Halsschmuck von Gold, anbei
a) Eine Rosette von Gold mit einem Rubin besetzt, wahrscheinlich
zum Schlosse gehörend.
b) Röhren von Gold, sogenannte Korallen, verschieden geformt, wahr-
scheinlich zum Schlosse dienend; 2 Stück.
c) Zwei Halbcylinder in Form von Reifen, ganz ähnlich dem Halse
des Ungeheuers bei 66 a, wahrscheinlich zum Schlosse gehörend,
von Gold.
Aiugreban^n der alteu Gräber bei Hzchet. 283
d) Zehn Knopfe von Gold mit Glasscheiben, gefSrbten Gläsern, be-
setzt, ähnlich denen yon 66b, aber mit Doppelösen besetzt; ver-
schieden farbig.
e) Ein Bjiopf von Gold in Scheibenform mit zwei Oesen, kleiner als
die Glasknöpfe bei d.
f) Sechs Halbkugelknöpfe von Gold, ähnlich 66 d.
g) Vier sehr kleine Halbkugelknöpfe mit Oesen, ähnlich wie f, aber
i der Grösse besitzend.
85. Ohrringe von Bronze, glatt, einfach; 3 Stuck.
86. Chlamysfibeln von Bronze, ähnlich 16, 17 und 78; 4 Stück.
87 und 88. Glöckchen-Cymbalum von Bronze; 2 Stück.
89. Ein durchbohrter, l^ZoU langer Ächatcylinder, der wahrscheinlich an
einem Rosenkranz das Ende bildete.
90. Ohrring mit Geflechtknopf, von Bronze.
91. Fingerring von Silber mit einer Gemme, ein Onyx, worauf ein Hase
eingeschnitten ist, Siegelring.
^. Siegelring von Silber, aus Silberdraht geflochten, mit einer Gemme von
Onyx, worauf Priapus sitzend, auf einem konischen Stein, nach rechts
gekehrt, in der Linken einen Adlerflügel? haltend.
93. Fingerring von Silber, dem die Gemme oder der Edelstein fehlt
94. Siegelring von Silber mit einer Gemme von Lazurstein, darauf ein
Esel eingeschnitten.
95. Fingerring mit einer Gemme von Onyx, darauf zwei Kornähren, Silber.
96. Durchbohrter, cyUndrischer Glastropfen, grosser (leider nur ein Bruch-
stück), wahrscheinlich am Ende eines Rosenkranzes gewesen. Dieser
Cylinder und jener 89 fanden sich in einem Grabe und gehören daher
einer Leiche an, welchen Zweck sie aber haben konnten ist schwer
zu errathen; beide Cylinder sind in der Mitte bauchig.
97. Blaue Glasperlen, 23 Stück, wovon 16 Stück kugelig und 7 Stück läng-
lich und dabei facettirt geschliffen sind.
98. Verschiedene Perlen, 24 Stück, wobei 3 Stück von Schwefel, 1 Stück
Smaragd, 1 Stück ceylonische Perle und 19 Stück verschieden gefärbte
und geformte Glasperlen, das Ganze von mir auf einen Faden gereiht,
zu finden sind.
99. Markasit- (Eisenkies) Krystalle, an zwei Ecken fein durchbohrt, zum
Halsschmucke gedient; 4 Stück.
Töpferarbeit.
100. Eine Blutvase ^ Simpuvium, von gebranntem Thone, aussen schwarz,
aber roh glasirt und mit einfachen, rohen Verzierungen versehen. Die
Vase scheint als Urne gedient zu haben, es fand sich aber- ausser
Erde und kleinen Rollsteinen nichts in ihr. In der Nähe des grossen
Aschenhaufens gefunden. Die Vase hat keinen Henkel.
284 Aiugrabiuigen der alten Gr&ber bei IfsBchet
101. Ein Töpfchen von gebranntem Thone, mit einem Henkel, wahrschein-
lich ein Milchtopfchen, Sinum lactis, aus einem Dachziegelkasten.
102. Ein ähnliches Töpfchen wie 101 und mit ihm zusammen gefunden, das
Töpfchen aber ist kleiner und roh verziert
103. Ein kleines Töpfchen, ähnlich, aber anders geformt als 101 und 102,
leider zertrümmert, mit rohen Verzierungen. Aus einem Steinkasten
bei Sarschin.
104. Bruchstück eines kleinen ähnlichen Töpfcheus wie 101, aber mit brei-
terem Rande, der für einen Deckel bestimmt war. Aus dem Schutte
von Sarschin.
105. Bruchstück eines kleinen Schüsselchens oder Töpfchens (Patina oder
OUulaP), wahrscheinlich für Einderbrei bestimmt gewesen. Schuttr
boden von Sarschin.
106. Scherben eines grossen Topfes mit Yerzierungen roher Art Ans dem
Schutte von Sarschin.
107. Tellerbruchstück = Discus aus gebranntem Thone mit einer groben,
schlechten, weissen Glasur. Sarschin.
108. Bruchstück einer Schüssel = Patma = Isxapt^^ ein Name, der aus der
griechischen Sprache zu der grusinischen überging, denn auch die
Ghrusier nennen die Schüssel Lechani, von gebranntem Thone, innen
weiss glasirt. Sarschin.
109. Bruchstück einer Pfanne = Patera, innen grünlich glasirt, mit schwar-
zen Reifen verziert und scheint stellenweise bronzirt gewesen zu sein.
Thongeschirr. Sarschin.
110. Bruchstücke einer grossem Opferschale von gebranntem Thone =■ Sim-
puvium, mit Verzierungen auf der äussern, mit roher schwarzer Glasur
bedeckten Seite, mit 100 zusammen am Aschenhaufen gefunden.
Sculpturen.
111. Eine Console von groben sandigen Kalkstein, wahrscheinlich über einer
Hausthüre gestanden. Die Console ist mit zwei Steinböcken, welche
an eine Palme springen, geziert, die Arbeit roh. In der Erde gefun-
den bei Sarschin.
112. Bruchstück von einer Sculptur auf blauem Thonporphyrtuff, gefunden
bei Eodomani, wahrscheinlich nicht sehr alt und, aus einer christlichen
Kirche stammend.
Ziegelarbeiten.
113. Backsteine = Ziegeln = Lydias von der alten Wasserleitung stammend
bei Kodomani. Es sind hier zwei Ziegel durch Mörtel verkittet.
114. Wasserröhre = Thonröhre = Fistula, von derselben Wasserleitung wie
113 von Kodomani.
Alugrabimgen der alten Gitber bei Mzehet 285
115. Grosse Ziegelplatte = Later coctilis pentadoron = 7rkit»Tng TTBvtadoQov.
Ans ihnen sind die Ziegelplattenkasten gebaut Bei Samthawro.
116. Kleine Ziegelplatte = Later tetradoron; 2 Stück.
117. Grosser Dachziegel = Tegola - xe^afiogy aus welchen die Dachziegel-
kasten gebaut wurden.
118. Kleine Dachziegel, f&r kleine Kasten verwendet
119. Kleine Dachziegel, aus den ersten Jahrhunderten des Christenthums
in Grusien, von einer Kirche von Armasi stammend.
1'20. Dachziegel mit dem Deckcylinder — Hohlziegel ein einziges Stück bil-
dend. Ein Bruchstück von Armasi.
121. Bruchstück eines Dachziegels, das als Kopfdecke eines Kindes, in
einem Kindergrabe, diente, und unter welchem Asche und Holzkohle
auf dem Kopfe des Kindes lag. Aus einem Dachziegelkasten.
Opfergeräth.
122. Ohsidiansplitter, die als Opfermesser angewendet gewesen waren und
jetzt in grosser Menge am Aschenhaufen vorkommen; 20 Stück.
Spielsachen.
123. Ein Damenspielstein = Pion - Latro = laiQic: von Onyx; er diente
zum Spiele Ludus latrunculorum , was ähnlich ist wie unser Damen-t
spiel. Sarschin.
124. Phalangen vom Kind, die Babki der russischen Knaben, als Kinder-
spielzeug den Kindern mit in's Grab gegeben ; 3 Stück.
125 Kniescheibe oder Knöchel = Talus =» aacQdya?MCy Spielzeug der Kin-
der und zum Wahrsagen benutzt; aus einem Steingrabe. Es ist ein
Kalbsknöchel !
126. Knöchel von Schafen, der gewöhnliche Astragalus, den auch die Römer
zum Spiele benutzten und der als Würfel auch zum Wahrsagen diente.
Aus den Ghr&bem wo Kinder lagen, Spielzeug derselben; 6 Stück.
127. Pferdezahne; obgleich ich kein Spiel kenne, zu welchem jetzt Pferde -
oder andere grosse Zähne verwendet werden, lässt mich doch das Er-
scheinen dieser Zähne in den Steinkasten von Samthawro glauben,
dass sie von den Kindern der alten Iberier ebenso zum Spiele ver-
wendet wurden, als die Astragali, weshalb ich dieselben auch bei den
Spielsachen lasse; 5 Stück.
Speisereste.
128. Schaf knochen, aus den Gräbern; 2 Stück.
129. Rindszähne; 3 Stück.
130. Bruchstück einer Kinnlade mit einem Backenzahn, von einem Ferkel.
Ich stelle diese drei Nummern zu den Speiseresten, da es
wirklich solche sind, ob dieselben aber den Leichen in's Grab
286 Auagfabnnges der alten Gr&ber bti Maehet
als Speise mitgegeben sind, ist za unwahrscheinlich. Meine An-
sicht ist, dass diese schon auf und in der Erde, wahrscheinlich
von Thieren verschleppt, lagen, und bei dem Zudecken des Grabos
mit in dasselbe kamen.
Symbolische Zeichen.
131. Fischschädel, Forelle wahrscheinlich; es sind Schmalköpfe.
132. Hauskatze, aus mehreren Gräbern, wobei Schädel und verschiedene
andere Knochen, besonders Wirbel- und Gelen kknochen, sind; drei
Schachteln voll.
Man findet stets mehr als eine Katze in den Gräbern, ge-
wöhnlich 2 und 3 Stück.
Zufällig in die Gräber gekommene Thiere.
133. Schädel und andere Ejiochen vom Tschakal, aus einem Steingrabe.
134. Nager verschiedener Arten. Wahrscheinlich auch Marder und Haselmaas.
2 Schachteln voll.
135. Maus, mehrere Exemplare von Feldmäusen.
136. Schildkröte, die gewöhnliche Testudo ibeni, Eichw., in den meisten
Steinkasten zu finden, stets mehrere, oft auch bis 15 und mehr Exem-
plare in einem Kasten.
Menschenreste.
137. Schädel der alten Iberier; 4 Stück.
138. Schädel eines Kaukasiers, aber nicht Iberiers, jedoch nach christlichem
Ritus begraben. Es scheint entweder ein Verbrecher oder ein Ermor-
detem gewesen zu sein, weil er in eineii Kasten der alten Heiden ge-
legt wurde.
139. Kinderknochen von Iberiem, aus den Steinkasten.
140. Becken und Obergelenk der Leiche aus dem Sarkophage.
141. Thränenfläschchen verschiedener Formen, aber stets die Keule vorstel-
lend r 26 Stück.
142. Glasschlacke, grosse, gefunden in dem Schutte des Gebäudes auf dem
Leichenfelde.
143. Rubinperlen, aus den Gräbern = 66 f ; 2 Stück.
144. Blaue Glasperlen, aus den Gräbern = 66 g; 2 Stück.
145. Schwarze Glaskorallen, aus den Gräbern = 84h; 2 Stück.
146. Blaue Glasperlen, aus den Gräbern = 84i; 1 Stück.
AuBgrabungen der alten Gr&ber bei Mzcbet. 287
•
Die Resultate^), welche sich durch die Untersuchongen bei Mzchet ergaben,
waren nun imge&hr folgend^:
1. Das Leichenfeld von Samthawro tragt Akeldame der Iberier und Ziegel-
kasten der Griechen, die theils auch von Iberiern benutzt wurden.
2 Die Iberier sind die Thubal der heiligen Schrift, daher Anhanger des
Gottes Thu (weil Baal Gott heisst). Thu aber ist gleichbedeutend mit
dem ägyptischen Toth und dem syrischen Tanut. Die Iberier aber sind
die heutigen Grusiner und scheinen mit den Assyriern nahe verwandt
za sein, wären folglich semitischer Rasse.
3. Die Iberier verehrten die Sonne, Mond und die fünf Planeten, was auch
die grusinische Chronik sagt und die Funde bei Mzchet bestätigen.
4. Das Leichenfeld von Samthawro stammt aus dieser Periode des Sabäis-
mas und endigte mit der Einführung des Feuerdienstes.
5. Zizamuri ist das alte Seusamora, von ihm sind die Leichen auf Sam-
thawro gekommen. Durch den Einfall der Scyten wurde es zerstört,
folglich mit ihm auch die Brücke über den Aragoi. Seit dieser Zeit ver-
fiel Zizamuri und Mzchet fing an sich zu erheben. Mzchet benutzte
das Leichenfeld von Samthawro nicht und Zizamuri begrub von dieser
Zeit seine Leichen auf dem linken Aragoiufer, wo die Stadt stand.
H. Der Baaldienst = Sabäismus erheischte Menschenopfer, diese wurden auf
Samthawro gebracht Es waren Volks- und Familienopfer, die gebracht
wurden. Die Opfer waren unschuldige Kinder und ältere Menschen,
welche Letztere sich selbst zum Opfertode weiheten; die Geopferten da-
her alle desselben Stammes, Iberier.
7. Ein Orakel, ähnlich dem von Delphi, stand sehr wahrscheinlich auf
Samthawro, und die Baalpriester scheinen die ersten Einwohner von
Mzchet gewesen zu sein, während Volk und Regierung Zizamuri be*
wohnte.
8. Die Magier erhielten die Plätze und Wohnungen der Baalpriester und
es ist sehr wahrscheinlich, dass einer dieser Letzteren Hieronbal (= Gi-
deon^ .war, dessen Nachkomme vielleicht zu den Magiern überging um
die Obergewalt nicht zu verlieren. Ein späterer Nachkomme dürfte auch
eine Rolle bei der Einführung des Christenthums in Mzchet gespielt ha-
ben, von dessen Nachkommen sich die Gideonow ableiten.
9. Der Eüiochenhaufen auf Samthawro scheint der Periode des Sabäismus
und der Aschenhaufen der Periode des Feuercultus anzugehören.
10. Das Leichenfeld dürfte daher in die Periode zu stellen sein, die zwischen
dem 10« und dem 2. Jahrhundert v. J. Ch. liegt, folglich an 800 Jahre
benutzt gewesen sein.
*) Wir lassen die Resultate ohne Veränderung folgen» da wir diese dankensverthen Mit-
theiluDgen nicht ohne Zustimmung des Verfassers zu kürzen wünschen. Der ethnologische
l^ser wird leicht unterscheiden, wo es sich um beobachtete Thatsachen und wo um subjective
Ansichten handelt Die Red.
288
Joan PopoT und die Wila.
11. Der Sabäismus ist erwiesen durch die zahlreichen Funde der Symbole
der Zeugung, Fortpflanzung und der Yermehrung. Die einzige Spur vom
Feuerdienst ist der Aschenhaufen mit den Obsidiansplittem.
12. Die Geopferten im Grabe scheinen gesteinigt zu sein.
Der Reichthum und Handel von Zizamuri, die Steinkohlenindastrie von
Tquibuli, die Spiele und die Entdeckung des alten Ärmasi, gegenüber der
Mündung des Aragoi, sind ebenfalls wichtige Momente.
Tiflis, 4. November 1871.
(Die beifolgenden Tafeln, No. IX und X, geben die hauptsächlichsten der erwähuteD Funde.)
Joan Popov und die Wila/)
Bulgarisches Volkslied.
(Hacedonien.)
Wollt einst ansziehn Joan Popov,
Ansziebn einst am Ostermorgen,
Osterraorgen, am zu pflügen.
Halben Wegs war er gezogen,
Da trat vor ihn bin die Wila,
Hin die Wila, Fee der Oede;
„Kehr' zurück, Freund Joan Popov,
Ziehe nicht am Ostermorgen,
Ostermorgen, aas zum Pflügen!^
Wacker ihr erwiedert Joan:
„Weiche, weiche, Fee der Oede!
Sonst steig ich Dir ab von meinem.
Ab von meinem raschen Rosse
Und erfasse Dich an Deinen,
Dich an Deinen blonden Haaren,
Binde dann dem raseben Rosse,
Raschen Rosse, an den Schweif Dich,
Schleife Dich wie eine Egge."
Drob ergrimmt die Fee der Oede,
Und sie löst die blonden Haare,
Seinem Rosse sie ein Bein stellt,
Will sein schwarzes Aage trinken!
Zornig wird drob Joan Popov,
Dass er fasst der Oede Wila,
Dass er sie erfasst an ihren,
Fasst an ihren blonden Haaren,
Bindet dann dem raschen Rosse,
Raschen Rosse, an den Schweif sie,
Schleift sie fort wie eiae Egge,
Schleppt sie bis zu seinem Hanse.
Fernher ruft er seiner Mutter:
„Komm' heraas, Du liebe Matten
Denn ich bringe eine Schnar Dir,
Eine Schnur vom Feengescb lochte!
Dass sie Dich im Hausstand ablös',
Festgewand dem Vater wasche,
Meinem Bruder kämm' die Locken
und der Schwester Zöpfe flechte!^
Ihren rechten Fittig scbliesst er,
Scbliesst er in die bunte Truhe.
Also blieb sie dort drei Jahre
Und gebar ein Kind, ein Knäblein!
Und sie lad den Pathen ehrsam,
Dass er ihr das Rindlein taufe;
Auch erschien des Pathen Gattin.
Und es sprach des Pathen Gattin:
„Jungvermählte, Fee der Oede!
Solltest etwas für uns tanzen.
Tanzen nach der Wilen Weisel*
Und es sprach die Fee der Oede:
„Herzlich gern, geehrte Pathin,
Her nur geb' mir Joan Popov,
Her geb' er den rechten Fittig,
Denn nur also kann ich tanzen."^
„Ach Du Wila, Jungvermählte,
Nimmer trau' ich. Du entrinnst mir!^
Und es sprach die Fee der Oede:
„Ei Du Wackrer, Joan Popov,
Ist Dir angst, dass ich entrinne,
So verschliesst die kleinen Thoren,
*) Von befreundeter Hand nebst den folgenden Erzählungen aus Belgrad ziigegangen.
SödslaYische Erzählungen.
289
Kleinen Thüren und die grossen.
Also werd' ich vor each tanzen!^ —
Man verschloss die kleinen *Tbrireo,
Kleinen Thüren und die grossen,
Und er that ihr auf den Fittig.
Wie sie non den Reigen anfföhrt,
Flog sie auf bis in den Ranchfang.
Rief ihr zn die Schwiegermutter:
„Jungvermählte, Fee der Oede,
Tnser Kind vi^eint, will gewiegt sein,
Will gewiegt sein, will gestillt sein.**
Und es sprach die Fee der Oede:
9 Wenn anhebt das Rind zu weinen,
Kind zu weinen, will gestillt sein,
Lass es dranssen unterem Vordach;
Werde feinen Thau drauf thauen,
Vferde säugen meinen Knaben.
Wenn anhebt das Kind zu weinen,
Kind zu weinen, will gewiegt sein,
Lass es nur in seinem Bettchen;
Fächeln werd' ich sanfte Winde,
Werde wiegen meinen Knaben.'^
Uess die Schwiegrin so sich täuschen.
Als anhub das Kind zu weinen,
Kind zu weinen, wollt gewiegt sein,
Liess sie es auf seinem Bettchen; —
Doch nicht fächelt sanften Wind sie,
Niederstieg die Fee der Oede,
Und sie nahm zu sich das Knäblein,
Und empfahl sich dann dem Joan:
„Ei Du Wackrer, Joan Popov,
Was ist Dir denn eingefallen,
Dass Du eine Fee der Oede,
Fee der Oede, wolltest lieben!*^
Sttdslayische Erzählungen.
•
Zu den charakteristischen Erzeugnissen des Volksgeistes gehören neben
Liedern and Sprichwörtern die kürzeren, meistens scherzhafi;en Erzählungen,
die Schwanke, welche in den durch höhere Bildung noch nicht ihrer Eigen-
thomlichkeit beraubten Kreisen der Gesellschaft entstehen und dann durch
mandliche Ueberlieferong verbreitet und der Nachwelt aufbewahrt werden.
Im Allgemeinen findet diese Art der Redeschöpfung nicht die gleiche Beach-
tung seitens der wissenschafUichen Forschung wie das Sprichwort und das
Mährchen, wofür ja auch die in jenem sich kundthuende Lebensweisheit und
das gelegentliche Hinabreichen dieses in die Tiefen des menschlichen Ge-
fühls hinreichenden Grund abgeben. Auch ist es sicher leichter, Sprich-
worter, Mäbrchen und Lieder zu sammeln, auf deren Besitz die Besten des
Volks stolz zu sein pflegen, als Anecdoten, welche, nur die Lachlust zu er-
regen bestimmt, in ihrer Heimath von der ernsten Wissenschaft als werthlos
bei Seite geschoben werden, so dass man sie meistens in Tavernen und im
Umgang mit den tiefem Schichten der Bevölkerung — oft sogar aus einer
FüUe von Spreu und Schmutz — zusammenlesen muss. Dazu fehlt Vielen
die Lust; aber auch diese vorausgesetzt, ist hier der gute Wille nicht aus-
reichend; es gehört eine besondere Begabung des gebildeten Forschers dazu,
im Verkehr mit den naturwüchsigen Bevölkerungstheilen, auf die er sein
Zeitaehiift Ar Bthnologi«, Jahrgang 1871 20
290 SädfllaviBche Era&hliuigeiL
Augenmerk zu liebten bat, sich seines höheren Standpunktes zu entäassem
und sich auf einen Fuss der Gleichheit zu stellen, der zur Bewahrung der
vertraulichen Unbefangenheit nothwendig ist. Auch vermag nicht ein Jeder
das Yolksthümliche rein aufzufassen und unverfälscht vdederzugeben. Um
so mehr verdienen die Männer unsre Anerkennung, welche sich mit Geschick
und Erfolg jener Arbeit unterziehen. Namentlich wo sie ihre Sammlungen
unter Halbbarbaren oder doch solchen Völkern anstellen, deren Gesittung,
Lebensanschauung und nationale Entwickelung auf von den unsrigen ver-
schiedenen Grundlagen ruht, eröfihen sie einen Schatz von Aufschlüssen über
das Volksleben, welchen der Anthropolog und der Ethnograph wohl zu war-
digen haben.
Dass die Balkanhalbinsel, die Heimath der Vampyre und Wilen, auch
eine Fundstatte scherzhafter Anecdoten sei, wusste man längst aus türkischen
Sammelwerken, wie den Erzählungen von Chodja Nusr-ed-Din Elfendi, deren
Inhalt, wenn auch zum Theil von Anatolien herübergekommen, doch der eu-
ropäischen Türkei ein bedeutendes Contingent entlehnt hat Vor Kurzem ist
uns eine ungeahnte Fülle in den Erzählungen einer der von den Türken
unterworfenen Nationen, und zwar der westlichen Serben, erschlossen worden.
Ein unterrichteter und patriotischer Bocchese Wuk Wrcewic, früher Secretair
des Fürsten Danilo von Montenegro, dann österreichischer Gubernialbeamter
in Dalmatien und endlich österreichischer Consul in der Herzegowina, bat
als Hauptmitarbeiter des berühmten serbischen Gelehrten Wuk Earazic an
seinen verschiedenen Wohnplätzen und bei Bereisnng der jugoslavischen
Länder, während er Sagen, Heldenliedern und SprichY^örtem für seines Freun-
des Publikationen nachforschte, nicht verschmäht, auch die zu seiner Eennt-
niss kommenden kurzen Erzählungen und Schwanke au&unotiren und eine
reiche Sammlung anzulegen, welche auf Kosten der Serbischen Gelehrten-
Gesellschaft zu Belgrad i. J. 1 868 unter dem Titel Srpske narodne Pripovjetke,
skupio Wuk Wrcewic herausgegeben worden ist. Wrcewic besass das volle
Verständniss seiner Aufgabe und mit unendlichem Fleisse hat er die sich ihm
bietenden Gelegenheiten, selbe zu lösen, benutzt. Auch ist ihm dies in einer
allen billigen Ansprüchen genügenden Weise gelungen. Da er es sich zur
Pflicht machte, seine Erzählungen ganz so wiederzugeben, wie sie ihm vor-
getragen wurden, so bekommen wir aus seinem Werke eine Idee von dem
eigentlichen Volksdialect, wie er, mit Provinzialismen in Aussprache und
grammatischer Form, mit türkischen Wörtern, ja sogar mit — selten richtig
aufgefassten — türkischen Phrasen gespickt, in den westlichen und südwest-
lichen Grenzländem des Serbenthums gang und gäbe ist. Dass keine Schule
hier der Form das geringste Gepräge aufgedrückt, sieht man leicht; jedocii
ist der Ausdruck oft kernig und gut. Es kömmt offenbar jenen Redegebildeu
zu statten, dass die sociale Schicht, der sie ihren Ursprung verdanken, in
der Türkei so ziemlich von dem Begriff der Nationalität gedeckt wird, so
dass auch die geistige Aristokratie eines von Natur begabten, aber unter dem
Südslayische Erz&hlnngen. 291
Druck der Fremdherrschaft verkommenen Volks sich an der Abfassung be-
theiligt. Viel wichtiger freilich als die Form ist der Inhalt, sowohl was die
persönlichen Objecte der Erzählungen, wie auch die von ihnen gemachten
Aussagen, selbstredend eine grobe Satire, anbetriffl^. Wir finden da neben
der zänkischen Alten, dem läppischen Ehecandidaten , der treulosen Frau,
dem gierigen P&fiPen, dem überlistenden und gelegentlich selber überlisteten
Teufel, den einfaltigen Bauern und anderen der Yolksphantasie überall nahe
liegenden Gegenständen, vorzugsweise den Türken, und zwar in verschiedenen
Lebensstellungen, namentlich als Gutsherrn, als Eadhi (Richter), als Chodja
(Moscheenlehrer), als Yezir und gar, wenn auch sagenhaft verschwommen,
als Sultan. Nicht minder den Zigeuner, welchem als Muhammedaner häufig
türkische Wörter und Redensarten in den Mund gelegt werden und den eben-
soviel Verachtung triffi:, wie den Türken Hass. Aber auch den catholischen
Frater, den Propheten des Islam, Muhammed, personificirte Festtage, christ-
liche Heilige u. s. w. In den Charakteren ist eine grosse Gleichmässigkeit;
einen uneigennützigen mit den geringsten Anflug von ChristUchkeit versehe-
nen Popen kennt unser Buch ebensowenig, wie einen humanen, d. h. nicht
nach besten Kräften die Christen schindenden Türken, oder einen dem Elend,
der Unwissenheit und Graunerei entrückten Zigeuner, so oft auch diese drei
in den Erzählungen vorkommen. Das wechselseitige Verhältniss der ver-
schiedenen demente der bosnischen Bevölkerung zu einander findet eine oft
drastische Beleuchtung, und wenn dieselbe nichts weniger als schmeichelhaft
ist, wenn die Anecdoten für alle Classen der dortigen Gesellschaft einen
äusserst niedrigen Standpunkt der Moral voraussetzen, so können wir nur
sagen, dass leider diese Züge aus dem wirklichen Leben geschöpft sind.
Indem ich in Folgendem einige der Erzählungen, und zwar, mich an das
Princip des Sammlers haltend, in möglichst wortgetreuer, nicht weiter aus-
geachmückter Uebersetzung mittheile, glaube ich noch eine Bemerkung vor-
aufschicken zu müssen. Wrcewic bespricht in seiner Einleitung das Lächer-
liche und bemerkt mit Recht, Manches lasse den Leser kah, was, richtig
gesprochen, auf den Hörer von unbeschreiblicher Wirkung sei. Dass An-
deres nur für eine gewisse Entwickelungssphäre lächerlich sei, ist ihm, so
scheint es, entgangen.
1. Die Zigeunerfamlilie.
Es wärmte sich einmal im Winter am Feuer eine Zigeunerfamilie. Die
Haasfirau sagte: „Hätten wir nur zu dem Mehl, das wir nicht haben, etwas
Butter, dann liehen wir uns im Dorfe eine Pfanne aus und bereiteten einen
herrlichen Kuchen.^ Ein Zigeunerchen sagte: „Ich würde ihn zum Backen-
ofen tragen,* — und ein Anderes: „Ich aber, Mutter, würde ihn so essen,"
— wobei es eine Handbewegung machte, als ob es etwas vor sich griffe.
Als der Zigeuner, sein Vater, das sah, gab er ihm eine Ohrfeige «lit den
Worten: „Langsam, Taugenichts! willst Du Alles verschlingen?" —
20»
292 Südslayische Erzählungen.
2. Das Zigeanerkind bei der Bäuerin.')
Ein Zigeunerkind kam zu einer christlichen Wittwe in's Haus und bat,
da es hungrig war, um etwas Brod. Sie gab ihm, dann aber bat das Kind
um etwas Käse, und die Frau gab wieder, aber sehr wenig. Als das Zigeu-
nerchen den Käse verzehrt hatte und ihm nur noch Brod blieb, bat es am
etwas Milchsuppe, die es zum Brode essen wolle. Die Frau wurde Terdriess-
lich über das viele Fordern und sagte ärgerlich: y^Aber, mein Kind, Du ver-
langst zuviel; Brod und Milchsuppe gebe ich Dir nicht Aber sag' was Du
willst, entweder Brod oder Milch." Das Zigeunerchen sagte: „Meine schöne
Frau! am liebsten möchte ich einbrocken."
3. Der Zigeuner und der heilige Geist.
Ein Zigeuner kam zu einem Dorf-Aeltesten, den er bat, ihm 50 Ra
Waizen bis zum Herbste zu leihen. „Gern," sagte der Bauer, „und wenn
Du willst, gleich morgen, wenn Du im Stande bist, Dich zu bekreuzen mit
den Worten: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes —
Amen." „Wahrhaftig," sagte der Zigeuner, „ich will bis morgen nichts than
als Kreuze schlagen, um es zu lernen, und so komme ich morgen um den
Waizen." Er erschien auch den folgenden Morgen und sagte, er habe es
gelernt. „Nun, so lass einmal höreu!" sagte der Dorf-Aelteste. — „Im Na-
men des Vaters und des heiligen Geistes. Amen." — „Aber wo bleibt der
8ohn? was überspringst Du den?" — »Der wartet mit dem Sack vor dem
Hofe!" —
4. Der Zigeuner und die Collecte des Pfarrers.
In einem Dorfe Hess ein Zigeuner sich taufen, nahm ein Weib and blieb
im Hause der Schwiegereltern. Einige Zeit darauf kam der Pope in das
Dorf um die Jahrescollecte einzusammeln und als er die Wohnung jenes Zi-
geuners trat, fragte ihn dieser: „Wieviel, Pop, beträgt die Collecte im Jahr
für jedes Haus?" „Acht Piaster im Jahr, mein lieber Sohn," antwortete der
Pope. Der Zigeuner nahm darauf ein Geldstuck heraus und gab es dem
Popen: „Hier hast Du anderthalb Piaster." Der Pop wunderte sich und
sprach: „Aber wo sind die übrigen sechseinhalb Piaster?" „Ich habe mich
erst vor Kurzem taufen lassen," antwortete der Zigeuner, „es wird ein Mo-
nat und ein halber Tag sein, sonach kommt Dir für dies Jahr nicht mehr zu.""
5. Weihnacht und der Zigeuner.
Ein Zigeuner diente bei einem reichen Christen. Derselbe unterhielt
sich am Tage vor Allerheiligen mit seinen Leuten am Feuer und sagte;
„Morgen, Burschen, wohl bekomm's uns, dann ist Allerheiligen und noch da-
*) Im Text firiscbtjanka, Christin; Christ, Bauer und Wallache sind in den Erzählung«*))
identische Begriffe.
Ueber die Sprache der Cumanagotos. 293
za Sonntag.^ Der Zigeimer, der dies horte, sagte: ,, Wahrhaftig, Herr, wenn
morgen Allerheiligen ist, dann ist sicher auch mein Mohammed dabei, und
80 rnnss ich morgen meinen Heiligen feiern, wie ihr die Eurigen.^ Wenige
Tage darauf kam Weihnacht und der Hauswirth feierte das Fest, wie eben
Weihnacht gefeiert wird. Der Zigeuner aber fragte den Hauswirth: „Sage
mir doch, Herr, um Gottes willen, was ist das heut für ein wüthend grosser
Heiliger?** „Weihnacht, du Taugenichts, der grösste Heilige im Jahre," ant-
wortete der Herr. »Das," antwortete der Zigeuner, „kann ich bei Gott nicht
glaaben; es wird wohl ein kleiner sein; wäre er gross und gut, da würde. er
mit allen Heiligen zusammen sein. Gewiss hat er etwas begangen, 'dass sie
um ?on sich gejagt." ß.
Ueber die Sprache der Cnmanagotos.
Von Dr. A. Ernst
in Gar&cas.
Die Comanagotos, ein unzweifelhaft caraibischer Stamm (Waitz, Anthro-
pologie der Naturvölker, HI. 360. 361), wohnte ehedem im nördlichen Vene-
zuela zwischen Cuman4 und Caracas. Sie sind heute völlig verschwunden,
und ihre Sprache ist verschollen.
Die nachfolgenden Notizen über letztere schöpfe ich aus Fray Diego de
Tapia, Confessonario (sie!), en lengua cumanagota; y de otras naciones de
indios de la Provincia de Cumand, con unas advertencias previas al Con-
fessonario para los confessores. Das von mir benutzte Exemplar dieses sel-
tenen Werkes befindet sich in der Biblioteca National in Caracas, hat aber
kein Titelblatt; das königliche Diplom ist vom 20. Februar 1723, die geist-
liche Aprobacion von 1721. £s ist ein ziemlich dicker, paginirter Duodez-
band, der indess am Ende defect ist
Ausserdem existiren noch die folgenden Quellenschriften für das Cuma-
nagoto:
I. Fray Matias Ruiz Blanco (aus Estepa in Andalusien, Franciscaner-
mönch) schrieb zwischen 1683 und 1690
1. Principios y reglas de la lengua Ctmianagota, con un Diccionario
de ella.
2. Advertencias y notas al arte Cumanagoto.
3. Doctrina cristiana y su esplicacion en lengua Cumanagota, con
un tesoro de nombres y v^rbos en ella.
4. Conversion de Piritü, sus incrementos, ritos, y cosas particulares
294
Ueber die Sprache der Gumanagotos.
de este pais, con im directorio para instroir a los indios en los
cosas eseociales de la religion cristiana.
Keine dieser Schriften, deren Titel ich nach Caulin (p. 388) gebe, ist
mir zugänglich gewesen.
U. Caulin, Fray Antonio, Historia corografica natural y evang^lica de
la Nueva Andalucia, Provincias de Cumana, Nue^a Barcelona, Guayana y
vertientes del rio Orinoco. Originalausgabe Madrid 1779. Neuer Abdruck
(ohne die Charte) Caracas 1841. 8^ 448 Seiten. Enthält viele Cunianagoto-
Wörter.
Glossarium Latino-Cumanagotanum.
Aegrotus, tiapche, turopehe.
alius, aut6 (an hisp. otro?).
amicus, nnpunque.
amo, ipune.
animal, ekn^, eneque, ekine.
annus, chirque.
ante, capon.
antea, olim, penä.
audi (imp.), erak, etak.
auris, ipanar.
bis, azaquemter.
bonus, pokmane.
bufo, pororo.
, , r masc. ipuitque.
caelebs, { . . .
l fem. luyepum.
canis, perro (hisp.).
capreolus, coche.
Caput, pucutpue.
caro, came (hisp.)
cinis« huorimno.
coelum, capue.
in coelo, capiau (capue-yau).
ad coelum, capiaca (capue-aca).
coluber, ocoipe.
contentus, pucurquene.
convalescere, apopuir.
corbicula, camayu.
crinis, puriar, puyar.
cum (praep.), yaquer.
cur, potai.
decem, emia.
dens, tierque.
die, cake.
dies, chichi.
nonnulli dies, monhuacom.
distanter, camareque.
dominus, yezem (plur. yezamo).
domus, pataca.
domi, patau (pata[ca]-yau).
duo, azaque.
ebrius, inezpe.
ecce, mö mana (sing.).
m6 mateu (plur.),
ego, uro.
equus, cavare (hisp. caballo).
et, yaquer (cfr. cum),
etiam, parfe (er^, irfe).
ex, tai.
fecit, niyi, nie.
{raus, nempuzmar.
fames, arimte.
filius, timner.
filum, chipata.
flagellum, macuareque.
forsitan, at^r.
fortis, teipe.
frater, apiri.
frater mens, urepiri.
für, emenet (plur. emenettom).
furtum facere, menemempapaica.
fustis, equizca.
gallina, garina (hisp. gallina).
habeo, huaze.
habui, huezeripaze.
üeber die Sprache der Comanagotos.
295
non haboi, huezeri-papra-paze.
haboisti, ahaezaerpar.
non haboimus, amna mezuerpan.
hie (pron.), eni, meze.
hie (ad?.), entere.
Hispanns, tipocam.
jam non, qnene (?).
ignis, buapoto.
ignominiom, charachim.
ille, mneque.
imber, conopo.
Indus, choto.
infans, micu.
infemas, apoto-yem-pataca (= domus
ignis).
iniinicQS, cotodo.
iostar, tiche (ex. gr. ocoipe tiche, co-*
labri instar).
intelligo, huetaze.
intelligis? metanca?
intra, yahuan.
ipee, paere.
JQcnndas, tupocre.
labor, ayatavenepcar.
laceito, hnaima.
lectas („hamaca^), etaete.
liberi, yomcatpor.
lingaa, nun.
magnns, miaze.
malos, curepoin.
mandatnm, nanontopo.
mane, coc6.
manas, chemiar.
niare, paragoa.
maritos, ihoarator.
mater, achan, azan.
melior, pokme.
fflendaciam, potazpe.
menaia, nnno.
mons, yuchaL
morbus, yapnep.
moT8, huapikne.
morior, ayakpuir.
mulier, huericha.
multus, copoi.
multies, copoyemter.
nares, chonaptar.
neco, equeppe.
non, pepra, papra, pepuin.
nonnunquam, tevimacom.
noster, amna.
nox, cozpai.
nudius tertius, monbuare.
nunc, chahuanä.
oculus, yenur.
omnis, temere.
08 (oris), imtarpar.
panis „cazave^ dictus, cakcha.
parens, ayeemar (plur. ayeemartom).
parens tuus, ayeenai^ca.
parentes tui, ayeemar-tom-ca.
partes sexuales mulieris, yacaratar.
parum, pichaca.
parvus, pichaca.
passus, iptar.
pater, papuer.
paucus, pichaca.
pauci dies, pichaca chichi.
peccator, timachiquem.
peccatum, amachir.
peccatis suis (abl. instr.). tima-
chirque.
pollutio, mazarcan.
post, menuitpurpe.
potio, huocu.
praeteritus, penatoro.
primus, capodato.
prope, chepra.
puella^ epim, totaquem.
pullus, emeerat
punctum, potur.
quantus, otua.
quatuor, yuzpe.
quinque, petpe.
quomodo, etcamd.
quotieS) otuaimuer.
296
üeber die Sprach« der Gumaiugotos.
rationalis, tahaarono.
res, ivechir.
sagitta, prea (plur. preucom).
scio, ayahui.
secimdas, chacon.
secaris, aza (hiep. hacha).
semel, tivinmä.
servus, macunirpe.
sic^ ina.
sine, pepra.
sol, chichi (cfir. dies).
soror, amacar.
Stella, chirqni.
strix, araviri.
stultus, chercui.
siim, üT^ hnaze (?).
es, amuere-
est, manat
sunt, matea.
erat, mnekö, zezet.
erant, muquiam.
tener, jojote.
tergam, chepiar.
terra, mono.
testudo, cnrami.
tres, ozorvao.
tristitia, panapamne.
tu, a, ca, canan..
tanc, muenianca.
ubera malieris, matir.
yenenum, quipcan.
yeneficus, piazpe (sacerdos).
yerbnin, maimor.
yerba sua, imaimor.
yers, qaane.
yester, ayahuan.
yidua, paetpueca.
yir^ haarato (plor. huaratom).
anus, tiyin.
yolo (yelle), yahaanque.
Qsque, ponatiche.
at, neca.
yulpes, iboroco.
nzor, ipachir.
Einige Thier- und Pflanzennamen.
Batatas edolis, Chois.
Bradypus tridactylas, L.
Gercolabes prehensilis,
Gercoleptes caudiyolyulus, 111.
Citmllus yulgaris. Sehr,
Coelogenys paca,
Cucurbitae spec.
Goratella americana, L.
Dasyprocta agati,
Dasypns spec. yar.
Didelphys yirginianns, L.
Dioscoreae sp.
Felis discolor, L.
Felis onfa, L.
Felis spec.
Felis concolor, L.
Gramen altom ad tectorum
constmctionem inseryiens
chaco.
curbapzu.
inicra.
guerichi.
patia.
tim^nn.
hollama.
curataquiche.
acori.
cachicamo.
mapcha.
mapuey, piricha.
cozeico.
ekere.
teepötuo (Tigre sabanero Venezola-
nomm).*
cunaguaro.
mataraco.
üeber die Sprache der Oamanagotos.
297
Gailielmia speciosa, Mart.
pirichu
Heliconiae sp.
pariri.
Htura crepitans, L.
egueri.
Hydrocharas Capybarus, L.
chignire.
Machaeriam acaminatam,
ÜBE.
aguaria.
Manihot ntilissiina,
quichere.
var. dulcis,
cachite.
Saccus ^yare^ dictus,
catara.
Melicocca bijnga,
muco.
var. oli-
vaeformis,
cuspiritu.
Mephitis sp.
mapurichi.
Musa paradisiaca, L.
curatane (hisp. platano)
Myceies seniculas, Kohl.
araguato
Myopotamas Goypus, L.
cavare-poca. .
Passiflora quadrangalaris, L.
paicurucu.
Sciorns aestaans, L.
chectucätu.
Spondias lutea, L.
marapa.
Tapirus americanus, L.
anta.
Tecoma spectabilis, Plauch.
aravenei.
pentaphyllam , DG.
parica.
Xylopia frutescens, DG.
guarichi.
Zea Mais, L.
chocori.
Einige Sprachproben
aus dem citirten Werjce des Fray Diego de Tapia.
1. Gebet, Seite 283.
Amuere Dios, amna-yezem; pokmene maze, pokmene ayechir potai.
Da bist Gott, unser Herr; sehr gut gewesen, sehr gat du sein wegen,
apoue haaze; apune huechir potai, ure machir huezmenaze. Ure
dich lieben ich bin; dich lieben zu sein wegen, meine Sünden ich verabscheae. Meinem
yahuan-paeque panapamiaze, ayanipcapar potai ure machirque anam-
Innern in Traurigkeit ich bin, dich beleidigen wegen meiner Sünden dich oicht
amnar, potai yaquer, panapamiaze yahuanpueque. Huezerepcachim imazta-
Terehit, wegen und, Traurigkeit ich bin Innern im. Künftig (?) ich sündige
pra huechim timiadt. Ure machir temere, tiyin onamupra huequere-
nicht ich werde wiederum. Meine Sünden alle, eine Verschweigen sieht ich werdet
machim patre confesomya. Pokmere avechir potai, kupocak. Ure
sagen demYater Beichtiger.' Gut ich werde sein wegen, vergieb mir. Hein
yahnan maimur apaeque mana ure kupocachim.
nneres "Wort ? ist: mir ich werde verziehen.
298 üeber die Sprache der CumanagotOB.
Zusammenhängende Uebertragang.
Dich Gott, onseren Herrn, weil du sehr gnädig gewesen bist and sehr
^ädig sein wirst, liebe ich; weil ich dich lieben werde, Terabschene ich
meine Sünden. In meinem Innern bin ich traurig, dass ich dich durch meme
Sünden beleidigt und dich nicht verehrt habe; ich bin traurig in meinem In-
nern. Künftig werde ich nicht wieder sündigen. Alle meine Sünden werde
ich ohne Verschweigen dem Beichtvater sagen. Weil ich gut sein will, ver-
zeihe mir. Mein Inneres sagt mir, dass ich Verzeihung erhalten habe.
2. Das Gleichniss vom Pharisäer und Zollner.
Tapia S. 268, 259.
Pena azaque chotocom rezaropueque muentapteke iglesia taca: tivin
Vor Alters zwei Männer beten zu gingen (?) Kirche nach: einer
Fariseo zezet, chacono Publicano zezet. Mueki Fariseo rezaropueque
Pharisäer war, andere Zöllner war. ? Pharisäer beteo zu
ivechiriau: pokmane ure, inchapke Dios nya. Imaztapuin ur^, inchapke,
? Gut ich, sagte er Gott zu. Sündigen nicht ich, sagte er,
huachike mana uro machir, imachipra huaze ur^. Autocom curepnom
keine ist meine' Sünde, Sünden ohne bin ich« Andere Boae
necapra huaze ur6; emenettom necapra huaze uro, autocom pachirtom y&paez-
wie nicht bin ich; Diebe wie nicht bin ich, andere Sünder ?
neyam necapra huaze ur^, tahuaniquiam necapra huaze Qr6. Meze publicano
? wie nicht bin ich, ? wie nicht bin ich. Dieser Zöllner
curepuin necapra ur6; pokmane ur^. Muenineca nicai mueke fiiriseo. Auto-
böse wie nicht ich; gut ich. Dies wie sagte (?) jener Pharisäer. An-
pere inchapke mueke publicano: Choto curepuin ur^, inchapke, timachirquein
ders sprach jener Zöllner: Mann böse ich, sagte er, Sünder
ur6; , copoi mana ure machir. Eneque ur^, capiacamä Dios vezcher
ich; viele sind meine Sünden. Thier ich, nach dem Himmel Gott ?
tacamä, ur^ pezaktazepte? Amuere ure yezem, Dios, kupocak, pokmene
? ich ? Du bist mein Herr, Gott, vergieb mir, gut
avechir potai, ure timachiquem apuequc atinimke. Mueni necachapke
ich sein wegen, meinen Sünden mit Mitleid habe. Dies wie sprach
mueke pubicano. Timachir yequeremar potai, ipune nechi Dios, nupocai
jener Zöllner. Seine Sünden bekennen weil, lieben ? Gott, ihmvenieb
yaquer.
und.
Aus den mitgetheilten Proben scheinen folgende grammatische Verhält-
nisse hervorzugehen:
1. Der Plural der Substantive wird mit den Endungen tom, om oder
com gebildet, z.B. preu, preucom, Pfeil; choto, chotom, Mann.
2. Diese Pluralendung fallt weg, wenn die Mehrheit durch ein Zahlwort
Ueber die Sprache der GumanagotoB. 299
schon aasgedrückt wird, z. B. temere chichi, alle Tage; copoi chichi,
viele Tage; azaque chichi, z^ei Tage.
3. Der Genitiv wird durch die Constraction bezeichnet, das regierte
Substantiv steht nämlich vor dem regierenden, z. B. Dios nanontopo,
die Gebote Gottes; ivoroquiam mucunirpe, des Dämons Sclave.
4. Der Dativ wird durch enklitisches nia bezeichnet, z. B. confessornia,
dem Beichtiger.
5. Präpositionen stehen hinter dem von ihnen regierten Worte: apapuer
yaque, mit dem Vater; cozpai ponaüche, bis zur Nacht
6. Die Negative pra, epra, epuin werden gleichfedls enklitisch gebraucht
oder auch eingeschoben, z. B. arimte-pra, ohne Hunger; atavenepca-
pra, ohne Arbeit; yapnep-epra, ohne Krankheit.
7. Zahlworter: tivin (1), azaque (2), ozorvao (3), yuzpe (4), petpe (5),
emia (10).
8. Das Possessi vpronom wird angehängt, z. B. ayeemar-ca, dein Ver-
wandter; ayemar-tom-ca, deine Verwandten.
Das Cumanagoto hat viele Verwandtschaft mit der Sprache der Chaymar-
Indianer, über welche bekanntlich Humboldt in der Relation historique seines
grossen amerikanischen Reisewerkes sehr interessante Mittheilungen macht.
Sicherlich sind beide nahe verwandte Dialecte des gemeinsamen caraibischen
Sprachstammes.
Ich moss schliesslich noch bemerken, dass ich die den Sprachproben
antergelegte Uebersetzung nicht als in allen Fällen vollkommen genau be-
trachte, wenngleich sie es wohl meist sein wird. Andererseits sind selbst die
Proben durchaus nicht volksthümlich, und da sie einem den Indianern ganz
and gar fremden Anschauungskreise angehören, der den Ureinwohnern der
Denen Welt gewaltsam octroyirt wurde, so vnrd sich sicherlich manches sprach-
lich Unwahre in ihnen vorfinden. Immerhin ftielt ich es für der Mühe werth,
dem untergegangenen Stamme der Gumanagotos durch die vorstehenden Mit-
theilongen aus einem schon sehr seltenen Buche ein unscheinbares Denkmal
ZQ setzen.
300 Ueber die Methode der wissenscliaftliclieii Anthropologie.
lieber die Methode der wissenschaftlichen
Anthropologie.
Eine Antwort an Herrn de Qaatrefages
von Rudolf Virchow.
In der Sitzung der Berliner anthropologisclien Gesellschaft vom 10. Fe-
bruar d. J. veranstaltete ich, unter Vorlegung zahlreicher Schädel, eine Ver-
gleichung finnischer und esthnischer Schädel mit alten Gräberschädeln des
nordöstlichen Deutschlands (Zeitschr. für Ethnologie 1872, Bd. lY, Heft HI).
Die nächste Veranlassung zu meinem Vortrage gab der bekannte Artikel des
Herrn de Quatrefages über die Race prussienne in der R^vue des deu
mondes 1871, T. 91, p. 647, der später, in zum Theil veränderter Gestalt, als
besonderes Buch anter demselben Titel erschienen ist
Die zahlreichen historischen und ethnologischen Irrthümer dieses Artikels
hatte schon Herr Bastian in eingehender Weise dargelegt (Zeitschr. für Eth-
nologie 1872, Bd. IV, S. 45). Es blieb daher überwiegend die im engeren Sinne
anthropologische Seite und hier besonders die craniologische Abtheilung zu er-
örtern, und ich that dies am so lieber, als hier zugleich eine Frage von ganz
allgemeinem und weit über das momentane Interesse des Streites hinaas lie-
gendem Werthe zu erwägen war, nehmlich die Frage nach der Persistenz ur-
alter, aus prähistorischer Zeit in die Gegenwart herüberreichender Bestand-
theile der Bevölkerung in den modernen Nationen Europas, — eine Frage,
die, beiläufig gesagt, weder Herr de Quatrefages, noch sein nächster Vor-
gänger, Herr Pruner-Bey, zuerst angeregt haben.
Ehe indess Herr de Quatrefages von meinem Vortrage Eenntniss er-
hielt, behandelte er sein Thema von Neuem in etwas veränderter Gestalt
In einer seiner Vorlesungen im Mus^am d'histoire naturelle de Paris, für
welche er eigentlich ein anderes Programm aufgestellt hatte ^), kam er auf die
Race prussienne zurück, indem er ausdrücklich den Grund verschwieg, warum
er so hartnäckig dasselbe Thema variirte (Rövue scientifique 1872, 13. Juillet,
No. 2).
Vielleicht lässt sich der Grund vermuthen. Die frühere Darstellung hatte
keinen wissenschaftlichen Zweck, sondern einen politischen. Sie sollte den
nichtpreussischen Deutschen zeigen, dass zwischen ihnen und den Preassen
eine grosse Kluft bestehe, dass die Preassen keine Deutschen seien und dass
^} Au lieu d'aborder des aujourd'hui les sujets annonces par les programmes du Museain,
je Tais Tous parier de mes le^ons de Tannee derniere.
üeber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie. 301
die deutsche Einheit anf einem „anthropologischen Irrtham^ beruhe^). Wie
eine moderne Cassandra phrophezeite er, dass die Deutschen diesen Irrthom
erst begreifen würden, wenn es zu spät wäre. Trotzdem scheint er sich einen
grösseren Eindruck versprochen zu haben. Es war ihm daher sehr peinlich,
dass Herr M ante gazza in freimüthiger Weise seine Methode als Chauvinis-
iDus bezeichnete. Es war ihm offenbar noch peinlicher, dass in Deutschland
trotz aller Warnungen der Gedanke der Reichseinheit seit dem Friedens-
schlüsse nur immer stärkere Fortschritte machte. N'est-ce pas en se faisant
passer pour allemande que la Prusse a enchainä TAllemagne, lui a souffl^e
ses passions de tout genre, et la conduit on ne sait oü? fragt er, und nur
aiD so bestimmter betont er am Schlüsse den Satz: Au point de vue anthro-
pologique, la pr^sence des äements slaves et finnois s^pare profond^ment la
Prasse et TAllemagne proprement dite.
Ich habe diesen Vortrag des Herrn de Quatrefages im letzten
Augast auf der General versammluug der deutschen anthropologischen Gesell-
schaft zu Stuttgart, in einem ganz überwiegend aus süddeutschen oder, um
mit ihm zu reden, wahrhaft deutschen Mitgliedern bestehenden Kreise, zur
Sprache gebracht und gezeigt, dass es eine ganz leere Behauptung ist, mit
der jener Vortrag endigt : „die Männer der Wissenschaft, die ohne vorgefasste
Meinung sich nur an das Studium der Thatsachen hielten, würden sich
(ruh oder spät seinen Schlnssfolgerungen anschliessen." Kein „eigentlicher''
Deutscher hat mir widersprochen, als ich behauptete, Herr de Quatrefages
habe überhaupt keine Thatsachen beigebracht; im Gegentheil, die Versamm-
lang sprach laut ihren Beifall aus.
Da mein Vortrag in den stenographischen Berichten der Generalversamm-
loDg bald erscheinen wird, so kann ich hier darauf verweisen. Auch ver-
zichte ich gern auf die politische Discussion. Wohin würde die europäische
Politik fahren, wenn die Staatenbildung auf Grund längst verschollener
SUmmeseigenthümlichkeiten vor sich gehen sollte? Was würde gerade aus
Frankreich werden, wenn die Franken und die Burgunder, die Gelten und
die Basken, die Römer und die Ligurer in's Feld geführt würden? Würde
die Schweiz nur einen Tag erhalten werden können? Würde Grossbritannien
nicht sofort in seine Elemente aufgelöst werden? Herr de Quatrefages
weiss das auch recht gut, denn als er am 21. Sept. 1871 sein Buch über die
Race prussienne der anthropologischen Gesellschaft zu Paris überreichte, sagte
er: Toute r^partition politique fond^e sur Tethnologie conduit imm^diatement k
labsurde (Bull, de la soc. anthrop., Sir. IT, T. VI, p. 183). Begreift denn
aber der gelehrte Professor der Anthropologie nicht, dass die deutsche Ein-
^) La Prusse est ethnologiquement distincte des peuples qu*elle commande aujourd'bui sons
pretexte d'one pretendue comiiii}naute de race ; ses instmcts ne sont pas les leurs. La veritable
Allemagne comprendra, sentira un jour qu'ii y a dans mes paroles tout autre chose que le
ressentiment d*mi vsincu; mais il sera trop tard: eile expiera cruellement la faute qu*elle a com-
miw en faisant reposer son avenir siu* une errenr anthropologique.
302 Ueber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie.
heit ebensowenig auf Ethnologie gegr&ndet ist, wie die französische? dasssie
ein so grosses geistiges and materielles Bedarfhiss war, dass unsere Nation
jedes Opfer dafür nicht bloss zu bringen bereit war, sondern dass sie es
auch, als die Zeit gekommen war, ohne Zögern in reichstem Maasse gebracbt
hat? Die Anthropologie hat damit nicht das Mindeste zu schaffen.
Aber wohl hat die Anthropologie sich darüber klar zu werden, ob die
Methode des Herrn de Quatrefages eine wissenschaftliche Methode ist,
und ob sie in der gelehrten Welt zugelassen werden darf. Und das war der
Punkt, auf den ich schon in meinem ersten Vortrage, freilich mit grosser
Schonung, die Aufmerksamkeit hingelenkt hatte.
Die R^vue scientifique hat diesen Vortrag kürzlich in einer Uebersetzung
wiedergegeben (No. 14, 5. October). Die Redaktion hat die Güte gehabt, mir
einen Correkturbogen zu schicken. Ich war so in der Lage, einen Irrtham
des Uebersetzers zu berichtigen. In meinem Vortrage hatte ich Herrn Prn-
ner-Bey „einen, uns freilich seit Langem abtrünnig gewordenen Landsmann'^
genannt. Der Uebersetzer hatte dies wiedergegeben durch die Worte un
de nos compatriotes, deserteur depuis long-temps. In der Correktur hatte
ich das Wort deserteur ersetzt durch dänaturalise, und so lautet auch der
veröffentlichte Text. Gleichzeitig hatte aber die Redaktion auch einen Cor-
rekturabzug an Herrn de Quatrefages geschickt und dieser bringt nuo
mit Wohlgefallen zu verschiedenen Malen und in Cursivschrift den deserteur
an. Meine Aufklärung wird wohl das Befremden derer, welche diese schein-
bar ganz unmotivirte Beleidigung lasen, in etwas mildem.
An einer anderen Stelle hatte ich bei der Revision Mängel der Ueber-
setzung übersehen und Herr de Quatrefages zieht daraus mit grosser Ge-
schicklichkeit Vortheil. Er sagt, und gewiss mit Recht, es sei ein scheinbarer
Widerspruch, wenn ich von den Verschiedenheiten^ welche die Esthen-Schädel
darbieten, einmal sage, sie seien grandes, ein anderes Mal peu considerables
und ein drittes Mal, sie seien trop considerables pour que j'ai pu ätablir
le type esthonien. In Wirklichkeit habe ich etwas ganz Anderes gesagt:
1) An der Stelle, wo dfe Uebersetzung lautet: Les cranes presentect
entre eux de grandes diff^rences, heisst es im Text: „die Schädel
bieten unter sich manche Verschiedenheiten dar^, also plusieurs
diff^rences.
2) Mes differences sont peu considerables. Hier steht: Meine Differenzen
sind nicht sehr gross (gegenüber den von Herrn de Quatrefages
gefrindenen). Dies stimmt also ziemlich genau.
3) II est vrai que les rapports que j'ai constat^s me donnent moins
d'assurance pour etablir le type esthonien que pour etablir le type
iinnois; les matöriaux me manquent et les cranes pr^sentent
entre eux des differences trop considerables. Diese Stelle ist
ganz ungenau wiedergegeben. Sie lautet ursprünglich: „Allerdingj»
sind die von mir gefundenen Verhältnisse für die Bestimmung des
Ueber die Method« der wissenschaftlichen Anthropologie. 303
esthnischen Typus weniger sicher, als die für denr eigentlich finni-
schen, weil das Material ein weniger zuverlässiges ist und die
einzelnen Schädel unter sich zu viele Verschiedenheiten darbieten*,
also pr^sentent trop de dififörences.
Damit ist der scheinbare Widerspruch wohl gehoben und ich kann mich
mit der in derselben Nummer der R^vue scientifique enthaltenen Entgegnung
des Herrn de Quatrefages beschäftigen. Ich beginne mit dem Schlüsse.
Mein Gegner lässt mich einen Vorwurf, der nur gegen seine Person hätte
gerichtet werden sollen, an das Institut de France, ja an die französische
Wissenschaft im Allgemeinen richten; er spricht von einer Phrase der Miss-
achtong oder wenigstens der Herabsetzung (phrase de mäpris ou au moins
de dedain), welche ich ausgesprochen hätte und wie man sie seit dem
Kriege von diesseits des Rheines zu hören gewohnt sei. Er fragt, wie
seine fehlerhafte Methode den Werth der Arbeiten seiner CoUegen, der
Chemiker und Mathematiker, oder die Autorität der Bulletins und M^moires
der anthropologischen Gesellschaft schmälern könne, und er sagt endlich:
fisp^rons que le moment viendra ou nos confireres d'AUemagne comprendront
qoe ces fii^ons d'agir et de parier ne sont pas seulement odieuses, mais
qo elles ont aassi un cötä parfiedtement absurde et ridicule.
Und welches war diese odiöse, absurde und ridiküle Phrase? Mein
Vortrag scfaloss mit den Worten: „Wenn ich mich dem gegenüber (d. h.
dem Verfahren des Herrn de Quatrefages gegenüber) darauf beschränkt
habe, nur Thatsächliches zu berichten, so ist es nicht bloss geschehen, um
die deutsche Methode der französischen gegenüber zu kennzeich-
nen, sondern auch, um unserer eigenen Forschung die weiteren Wege zu
ebnen.^ Dass es sich hier nur um die Methode in der Anthropologie
bandelte, lag doch wohl offen zu Tage. Es mag dialektisch ganz richtig
sein, die Chemiker und Mathematiker, ja das ganze Institut de France als
beleidigt hinzustellen, aber hoffentlich werden die CoUegen des Herrn de
Qaatrefagee im Institut auch ohne meine Erklärung, aus dem einfachen Zu-
sammenhange meines Vortrages, ersehen , dass ich mit Vorbedacht an keiner
Stelle des letzteren das Gebiet der Anthropologie verlassen habe. Was die
Society d'anthropologie betrifft, so haben, soweit ich ersehen kann, alle die-
jenigen Mitglieder, welche über die Race prussienne gesprochen haben, selbst
der kritische Herr Lagneau, sich Herrn de Quatrefages angeschlossen,
und es war in der That doppelt schmerzlich für mich, dass gerade das her-
vorragende Mitglied, welches einstmals den Vorgänger des Herrn de Quatre-
fages, Herrn Pruner-Bey und dessen Theorie esthonienne, so siegreich
bekämpfte, Herr Broca, geschwiegen hat Selbst als er in seiner neuen
R^vue d'anthropologique (1872, 1, p. 163) die patriotische Haltung des Herrn de
Quatrefages gegen Herrn Mantegazza vertheidigt, verliert Herr Broca
kein Wort darüber, ob er nunmehr das für wahr halte, was er ehedem so anhal-
tend and so scharf zurückgewiesen hat, oder ob er noch immer der Meinung
304 Ueber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie.
ist, dass die Thi^orie estbonienne ein Himgespinnst ist. Wie kann man sich
da wnndem, dass die kleinen Anthropologen, wie Herr Figaier, die neue
Weisheit wie eine 0£fenbarung anstaunen und weiterverbreiten!
So lange die Methode des Herrn de Quatrefages in Frankreich unbe-
stritten bleibt, so lange er selbst daran festhält und seine Landsleate ihm
nicht widersprechen , so lange wird doch nichts übrig bleiben, als diese Me-
thode für die in Frankreich anerkannte oder kurzweg für die französi-
sche zu halten. Immer selbstverstanden in der Anthropologie. Ich bin dabei
weit entfernt davon, diese Bezeichnung als eine phrase de m^pris ou de de-
dain gebrauchen zu wollen. Im Gegentheil, ich bedauere es aufrichtig, d&ss
Gelehrte so sehr von der politischen Leidenschaft ergriffen werden können,
dass sie, statt ruhig zu untersuchen, zu messen und zu vergleichen, ohne
alle Auswahl aus der Literatur und dem taglichen Gespräche, aus der ober-
flächlichsten Betrachtung der Menschen die unzuverlässigsten Angaben zasam-
menraffen, um nur ein Resultat zu erreichen, welches ihrer eigenen und der
Leidenschaft der Massen schmeichelt Erst macht man die Preussen zu
Finnen und dann häuft man auf die Finnen eine Blumenlese der schlechtesten
Eigenschaften, ohne dass man auch nur einen einzigen ernsten Yersuch macht,
das eine oder das andere zu beweisen.
Unsere CoUegen jenseits der Yogesen mögen indess nicht vergessen, dasä
unsere Geduld stark gemissbraucht wird und dass sie ihre Grenzen hat
Unter dem Präsidium des Herrn de Quatrefages sass vor kaum 4 Wochen
in Bordeaux die neugegründete Association franpaise pour Tavancement des
sciences, ein Nachbild unserer nun 50 Jahre alten Naturforscher- Versammlung.
Man sagte das freilich nicht, sondern man bezog sich nur auf die British
association, welche bekanntlich und nach dem ausdrücklichen Zeugnisse ihres
Gründers, Brewster, nach dem Vorbilde der deutschen Naturforscher -Ver-
sammlung in's Leben gerufen ist. In der Ero&ungssitzung sagte der Gene-
ral-Sekretair Herr Cornu, der statutenmässig Bericht erstattete, also im
Namen des Bureaus sprach, wörtlich Folgendes:
Nous aurions voulu, par esprit de conciliation et d'apaisement, com-
prendre dans notre cordial appel des noms jadis v^nörös appartcnant ä
un pays dont nous croyions avoir m^ritö la Sympathie en retour du re-
spect que la science franpaise leur avait courtoisement t^moign^ en toute
occasion: nous n'en avons pas eu le courage.
Parmi les deceptions que les tristes öv^nements nous ont apportees,
Tane des plus am^res pour les savants fran^ais a &t& de voir que, de
toutes les excitations prof^r^es contre la France, les plus haineuses et
les plus acham^es ont ^t^ froidement ^laboräes par des professeurs des
Universit^s allemandes. Nons n'avons pas ä qualifier cette manike de
comprendre la solidarit^ des nations dans les r^gions s^reines de la
science: en nous abstenant d'inviter les savants d'AUemagne, nous n'avons
ob^i a aucun sentiment de haine ou d'amour-propre blesse; nous avons
üeber die Methode der vissensehaftlichea Anthropolog|ie. 805
simplement pensä que, dans cet ^tat des esprits, notre oeuvre nationale
n'avait aacun appoi ä esp^rer de la . science allemande> qoi n'a pas
m^me daign^ rester indiffi^rente quand il ^tait de son honnenr d'dtre aa
moins impartiale.
So sage man doch, was die deutsche Wissenschaft verbrochen hat?
wo und in welcher Weise bei uns die Wissenschaft gemissbraucht wor-
den ist za politischen Zwecken? Aber man verlange nicht, dass die Ge-
lehrten in einem Kriege ihres Volkes unparteiisch sein soUen. Ist man
denn in Frankreich so naiv, zu glauben, man könne uns den Krieg erklären,
einen Krieg, der mit dem wüsten Geschrei A Berlin! begann,' und bei dem
auch der „indifferenteste^ französische Gelehrte es als selbstverständlich an-
sah, dass uns das linke Rbeinufer abgenommen und Preussen zerschlagen
würde, und wir deutschen Gelehrten würden indifferent zusehen, wie die glor-
reiche Nation das vollbrächte? Nein, unsere Universitäten waren stets Pflanz-
schulen des sittlichen Ernstes und der männlichen Tüchtigkeit, und wir Pro-
fessoren haben allerdings, was Herr de Quatrefages nicht recht zu begrei-
fen scheint, immer die Pflicht gepredigt, dass jeder Mann mit seiner f;anzen
Existenz für das Vaterland eintreten müsse. Mein Gegner sagt ironisch von
der allgemeinen Wehrpflicht, wo „die Repräsentanten des Fortschrittes jeder
Art, die Fabrikanten und die Dichter, die Künstler und die Gelehrten^ mit
allen Anderen in die Schlacht gefuhrt werden: on comprendra ce que sont la
gaerre et la civilisat^on r^trouv^es par la race prussienne (R^vue p. 669).
Ja, die Wiederentdeckung der allgemeinen Wehrpflicht nach unserer Nieder-
lage Tom Jahre 1806 ist unser Stolz, und zur Erweckung dieses Gefühls ha-
ben die Universitäten viel beigetragen. Die allgemeine Wehrpflicht ist
auch eine der Bürgschafken des Friedens. Hätte Frankreich schon 1869 die-
^Ibe gehabt, hätte nicht bloss der Künstler und der Gelehrte, sondern auch
der Sohn des Ministers und des Senators an der Seite des Proletariers dem
Feinde entgegen ziehen müssen, vielleicht wäre das grosse Unglück abge-
wend^ worden. Unser war die Schuld nicht Ich persönlich, ich habe vor
ond während des Krieges allen meinen Einfluss daran gesetzt, versöhnlich zu
wirken oder, wo dies nicht möglich war, wenigstens zu sorgen, dass die Ge-
fühle des Gegners geschont würden. Ich habe dies im Landtage, in der
Stadtverordneten -Versammlung, in Privatzusammenkünflten, in der Presse ge-
than. Habe ich Dank davon gehabt? Schon in Bologna habe ich es erfah-
re welche Art von Höflichkeit wir selbst auf dem neutralen internationalen
Boden von Franzosen zu erwarten haben; in Brüssel habe ich einen Wieder-
tolongscurs durchgemacht. Die officielle Erklärung von Bordeaux hatte da-
ner für mich wenig Ueberraschcndes. Immerhin bildet sie einen Fortschritt
IQ dem internationalen Höflichkeits-Codex. Es ist nun den deutschen Ge-
lehrten überhaupt der Stuhl vor die Thür gesetzt, und wir können nur froh
sein, dass uns dabei die Geschichte von den pendules nicht noch von Neuem
angdiäogt worden ist
Zeiiaekrift IQr Ethnologie, Jahrgang 1879. ^^
306 Ueber die Methode der wissenBchaftlichen Anthropologie.
Ich hoffe, dass die deutschen Gelehrten trotz dieses ofiSciellen Aktes
fortfahren werden, die Wissenschaft anparteiisch zu lehren, und ich meiner-
seits will, um jede nnnöthige Erweiterung des Streites abzuschneiden, fortan
nur noch von der Methode des Herrn de Quatrefages und nicht mehr
von der französischen Methode sprechen. Vielleicht wird es mir jedoch nicht
verdacht werden, wenn ich gelegentlich auch der Methode des Herrn Röchet
oder irgend eines anderen „Anthropologen" gedenke.
Mein Hauptangriff gegen die Methode des Herrn de Quatrefages be-
stand darin, dass ich ihm vorwarf, keine thatsächlichen Beweise für seine
Behauptungen beigebracht und keine Untersuchungen angestellt zu haben.
Bis jetzt war man in der Anthropologie gewöhnt, unter den physischen Merk-
malen der Racen die craniologischen als die hauptsächlichsten zu behandeh,
weil der Kopf und speciell der Schädel, der Träger des Gehirns, den vo^
nehmlichsten Theil des Körpers darstellt. Ganz besonders schien mir die
craniologische Untersuchung nöthig, wenn es sich um den quatemären Men-
schen und seine Descendenz handelt, denn von demselben ist nichts, als
im besten Falle Knochen, übrig geblieben; meist haben wir nichts weiter von
ihm zur Untersuchung, als einen Schädel oder gar nur ein Scfaädelstfick.
Von solchen Schädeln war ja Herr Pruner-Bey ausgegangen. Ohne die
prähistorischen Schädel wäre die Esthen- oder Finnen-Theorie wahrscheinlich
nie entstanden.
Schädel aber muss man messen und die gefundenen Zahlen mftssen ver-
glichen werden mit den Zahlen, welche andere Schädel geliefert haben. Da-
her habe ich Finnen- und Esthen -Schädel gesammelt, gemessen und ver-
glichen; ich habe sodann die gefundenen Zahlen, vorläufig wenigstens in
ihren Hauptergebnissen, veröffentlicht. Das Gesichts-Skelet habe ich dabei
nicht vergessen.
Meiner Meinung nach hätte Herr de Quatrefages dasselbe ihun sollen.
Er hätte sowohl die prähistorischen Schädel^ die er for finnische oder estb-
nische hält, als auch die unzweifelhaft finnischen und esthnisohen, die ihm
zugänglich sind, zusammenstellen sollen. Oder, noch besser, er hätte den
Typus des Finnen- oder Esthen-Schädels ermitteln und dann nach-
sehen sollen, ob die quatemären Schädel in denselben hineinpassen. Hen
Broca hat dies, wenigstens bis zu einem gewissen Maasse, getban und die
Nichtconformität beider Reihen behauptet. Wäre es nicht natürlich gewesen,
dass Herr de Quatrefages den würdigen Generalsecretair der Societ^
d'anthropologie widerlegt hätte? Statt dessen schweigt er über dessen ab-
weichende Meinung und behauptet ohne Angabe von Gründen das Gegen-
theil. Und Herr Broca schweigt auch.
Herr de Quatrefages behauptet weiter, die Descendenz des quatemä-
ren Menschen habe sich, und zwar ganz besonders im „eigentlichen^ Preusseo
d. h. Brandenburg, Pommern und beiden Preussen, bis jetzt erhalten, tst
dies richtig so sollte man erwarten, dass sich Gräber- oder Moorschädel
Ueber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie. 307
finden müssten, welche dem finnischen oder esthnischen Typus entsprächen,
denn der Zwischenraum zwischen der Quatemärzeit und der Gegenwart ist
ein gar zu langer. Ich habe mir daher die Mühe genommen, die mir zugäng-
lichen Schädel dieser Art durchzumessen und zu berechnen; mein Ergebniss
war ein for Herrn de Quatrefages ungünstiges. Was thut er nun? Misst
er auch? beweisst er mir, dass ich schlecht gemessen oder gerechnet habe?
0 nein, er beschränkt sich darauf zu sagen, dass unter den von mir gemes-
senen Schädeln viele brachycephale (die er mesaticephal = orthocephal nennt)
sind und dass sie sich daher den esthnischen nähern. Dabei passirt ihm
Doch das Missverständniss, dass er meine, bloss auf den Fundort bezügliche
i^emerkong über den Schädel von Dömitz „man könnte glauben, er sei ein
finnischer oder esthnischer^ für den Ausdruck meiner Meinung hält.
Um zu erkennen, ob ein prähistorischer Höhlen-, Moor- oder Gräber-
schädel ein esthnischer ist, muss man doch zunächst wissen, welches eigent-
lich der esthnische Typus ist Ich hatte erklärt, dass bei der geringen Zahl
der bisher zugänglichen Esthenschädel und bei der Verschiedenheit derselben
es mir nicht möglich gewesen sei, einen bestimmten Typus festzustellen.
Nor die von der Brachycephalie der eigentlichen Finnen erheblich zur Ortho-
cephalie herabsinkende und zugleich verhältnissmässig niedrige Form schien
mir charakteristisch. Herr de Quatrefages gesteht zu, dass auch er einen
bestimmten Esthentypus nicht kenne, aber er macht dann sofort einen neuen
und zwar höchst verzweifelten Schritt, indem er auf Ghrund der drei Schädel,
welche er besitzt, die Existenz zweier Untertypen (deux sous-types) be-
hauptet,
Es ist mir vollständig unverständlich, wie man auf diese Weise zu irgend
welchen Ergebnissen kommen soll. Und doch geht der stets gewandte Mann,
dieser Odysseus unter den Craniologen, noch einen Schritt weiter. Er sagt:
Or, il serait tr^s-possible que, Ik comme ailleurs, des äv^n^ments politiques
ou sociaux aient amen^ des changements de laugage, et fait confondre avec
la veritable race finnoise des populations anthropologiquement diffä^entes.
Möglich ist das. Aber, wenn man nicht weiss, was wirklich finnisch ist und
was nicht, so kann man auch keine Beweisführung antreten, dass. etwas fin-
nisch ist
Elines der in neuerer Zeit sehr activen Mitglieder der Soci^t^ dWthro«
pologie, Herr Röchet, den Herr de Quatrefages sowohl als Anthropologen,
als auch als Künstler sehr lobt, hat, dieser Schlussfolgerung entsprechend,
oline Weiteres über die Craniologie, ja über die Osteologie als Grundwissen-
schaft der Anthropologie den Stab gebrochen. In einem Vortrage über den
Type prussien, den er am 6. Juli 1871 gehalten hat, sagt er ganz naiv: Les
hüAtB ost^logiques sont peu de chose si elles se boment aux os, sans les
revetir, quand il est possible, de parties moUes et de tout Tappareil physio-
nomique (Bulletins S^r. II, T. VI, p. 76). Armer quatemärer Mensch! Du
wirst danach unerkannt bleiben! Denn auch Herr de Quatrefages setzt sich
21*
308 Ueber die Methode der wiflsenschaftHchen Anthropologie.
über die Schädel bald hinweg. Er glaubt bewiesen za haben, dass bei der
Ereujzang der Racen ein Mischling den Schädel der einen und das Gesicht
der anderen Race, also z. B. derselbe Mensch den Schädel eines Gothen und
das Gesicht eines Esthen haben könne. Man sieht, die Schwierigkeiten häa-
fen sich, und das Bedürfhiss, irgend einen sicheren Anhalt zn finden, wächst.
Wo ist der reine Esthe, dessen Typus sich seit der Quatemärzeit in der
Continuität zahlloser Generationen unverändert erhalten hat? Denn diese Un-
veränderlichkeit ist die Voraussetzung der Theorie des Herrn de Quatre-
f ages. Ihm wird jetzt selbst bange vor den sich häufenden Schwierigkeiten.
Darum sieht er sich veranlasst, eine „wichtige Bemerkung^ (une remarqae
importante) zu machen. Ich lasse ihn mit seinen eigenen Worten sprechen:
C'est k Tensemble de la race etnon ä tel ou tel groupe secondaire
de cette race que s'applique tout ce que j'ai dit. So habe er auch das Wort
finnois in einem „sehr allgemeinen Sinne^ gebraucht.
Woran sind denn nun die Finnen in diesem „sehr allgemeinen'' Sinne
zu erkennen? Ich bitte Herrn de Quatrefages um Verzeihung, wenn das,
was ich jetzt anführe, lächerlich oder absurd klingt. Aber es ist mir nicht
möglich gewesen, aus seinen Auseinandersetzungen etwas Anderes zu ersehen,
als dass die Finnen eine kleine Race darstellen, und dass daher alle kleben
Leute finnischer Abkunft sein müssen, vorausgesetzt, dass sie nicht dolicho-
cephal sind. Letzteres ist freilich auch wieder zweifelhaft, da es nach Herrn
Kopernicki am Ural auch dolichocephale Finnenstämme giebt. Halten wir
uns also an die Statur (taille). Mit der kleinen Statur dürften nach manchen
Aeusserungen des Herrn de Quatrefages zugleich ein schwächlicher Körper-
bau, schwarzes Haar, dunkle Augen und dunkle Hautfarbe zusammenhängen.
Wo man diese Merkmale findet, da hat man die allophylen Finnen im Ge*
gensatze der grossen, starken, blonden, blauäugigen und hellfarbigen Arjer.
Ich kann es mir nicht versagen, zu erwähnen, dass Herr Röchet, der
von meinem Gegner als grosse Autorität bezeichnet wird, sowohl die Statur
als die Farbe sehr geringschätzig behandelt, und dass Herr de Quatrefages
daher von dieser Seite schatzlos dasteht. Seine Position ist überdies dadurch
sehr geschwächt, dass er genöthigt ist, unter den Höhlenmenschen nach dem
Funde von Cro-Magnon auch eine grosse Race, eine Race von Riesen zu-
zulassen. Er nimmt an, dass diese grosse Race sich neben die kleine,
schon früher vorhandene, gesetzt (juxtapos^e) habe. Welche der lebenden
Bevölkerungen davon abstamme, sagt er jedoch nicht; er behauptet nur,
dass beide Typen, der grosse und der kleine, fortbestehen und zwei Quellen
für die jetzigen Bevölkerungen bilden. Jedoch setzt er sehr vorsichtig hinzu:
ils constituent deux souches distinctes des populations actuelles pour qui*
conque accepte avec moi la survivance des races quaternaires.
Ich unterbreche hier für einen Augenblick meine Darstellung, um zu
fragen, ob dies eine wissenschaftliche Methode ist? Man kann doch nicht
damit anfangen, die Fortdauer der qoatemären Racen, an der Stelle, wo
üeber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie. 309
sie sich in qaaternärer Zeit befanden, bis jetzt, voraaszusetzen.
Das sollte bewiesen werden. Denn dass überhaupt die jetzigen Menschen
ron Menschen der Quaternärzeit stammen, darüber streiten wir nicht. Nie-
mand nimmt an, dass, wenn in der Quaternärzeit schon Menschen existirten,
nachher noch wieder neue Menschen entstanden oder geschaffen worden sind.
Nor das ist streitig, ob während der ungemessenen Zeiträume, welche seit
der Qaatemärzeit verflossen sind, dieselbe Race mit denselben typi-
schen Eigenschaften denselben Boden bewohnt hat und ob sie
noch gegenwärtig erkennbar ist^ Daher ist es nothwendig, dass, wenn
Jemand glauben soll, die Nachkommen der grossen Race von'Cro-Magnon
existiren noch heute, man ihm nachweisen muss, wo diese Race ist und wie
sie sich zu den bekannten Racen verhält.
Sonderbarerweise sind es nun aber gerade die Schädel von Cro-Magnon
(les Ejzies), aber welche der Streit zwischen den Herren Broca und Pru-
ner-fiey ausbrach. Bis zu ihrer Entdeckung erklärte Herr Pruner-Bey
die prähistorischen Höhlenschädel für finnisch; die Schädel von Cro-Magnon
fttssten dazu nicht, und so wurden sie für esthnisch ausgegeben. Zu die-
ser Zeit und auf diesem Wege entstand die Theorie esthonienne.
Aber die Leute von Cro-Magnon gehörten zur grossen Race und die Esthen
gehören nach Herrn deQuatrefages zu der kleinen Race. Ist darin ir-
ß;end ein Yerstandniss? ist das wissenschaftliche Methode? Herr deQuatre-
fages folgt Herrn Pruner-Bey, er acceptirt dessen esthnische Theorie,
aber gerade die Leute von Cro-Magnon, welche Herrn Pruner-Bey zur
Erfindung der Theorie esthonienne Veranlassung gaben, wirft er aus der
esthnischen, ja, wie es scheint, aus der finnischen Race heraus!
Es ist hier vielleicht der Ort, an das zu erinnern, was seiner Zeit in
der Soci^t^ d'anthropologie über Herrn Pruner-Bey gesagt wurde. Denn
dieselben Worte lassen sich, nur noch viel mehr zutreffend, auf seinen Adep-
ten, Herrn de Quatrefages anwenden. In der Sitzung vom 4. Juni 1868
s«0e Herr Broca (Bullet, de la Soc. d'anthr. S^r. H, T. IH, p. 432): Notre
coll^ae a une imagination pleine de ressources et n est jamais a court d'hypo-
theses lorsqu'il rencontre un fait qui ne s^accorde pas parfaitement avec ses
theories. H a, sur les habitants pr^historiques de TEurope, des opinions qui
se soot trouvdes plusieurs fois aux prises avec les rösaltats de Tobservation,
mais qu'il a tonjours su maintenir ä Taide d'interpr^tations ingenieuses.
^nd m der Sitzung vom 18. Juni 1868 (ibid. p. 457) erklärte Herr Broca in
Bezug auf Herrn Pruner-Bey: Yoici en qtioi nos m^thodes diff%rent: Je
sabordonne les theories aux faits, et mon savant colligue subordonne les fiiits
&Q2 ih^ries. Je constate les faits par eux*m6mes, et s'ils renversent une opi-
nion qae j*avais jusqu' alors arr€t^e, cette opinion, je Vabandonne ou je la
modifie suivant les ezigences de Tobservation. M. Pruner-Bey au contraire,
est tellement sür de ses doctrines qu'il domine enii^ement les faits, qu'il les
s
310 üeber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie.
supprime ou les modifie syst^matiquement suivant les ezigences de la
th^orie. Wer erkennt in dieser Schilderung nicht Herrn de Qaatrefages?
Hören wir, was ein anderes Mitglied der Soci^t^ d'anthropologie erklarte.
In der Sitzung vom 16. Juli 1868 sagte Herr Bertillon (ibid. p. 557): Je
Yous demande messieurs, si, au lieu du cr^e entier de ces vieuz g^ants des
Eyzies, on n'e&t eu qu' un fragment de cette face large et osseuse, M. Pmner-
Bey eüt-il h^sit^, sa provenance de Tage du renne ^tant connue, a d^clarer
que le firagment relevait d'un cräne brachyc^phale? J'ai suivi depuis plusi-
eurs ann^es avec one grande attention les diagnoses de cette sorte ei fami-
lieres ä notre coU^gue, et je crois pouvoir afiBrmer que la plupart des osse-
ments qu'il a attribu^s ä des brachyc^phales, pour la plus grande gloire de
la th^orie, offi*aient des caract^res moins probants que ceux des ossements
de la face du cräne des Eyzies. C'est au moyen de ces interpr^tations ofii-
cieuses que la throne des ancfitres exclusivement brachyc^phales s^est efiForcee
de sumager auz hypog^es contrariants qui surgissent de toutes parts.
So war die Meinung 1868 in der Soci^t^ d^anthropologie. Herr de
Quatrefages schwieg damals, obwohl ein Theil der Rede des Herrn Broca
ihn ganz persönlich anging (ibid. p. 469) ; er nahm an der ziemlich unange-
nehmen Debatte keinen Antheil. Alle Welt hielt die Theorie esthonienne ei
mongoloide fär gerichtet Erst nach dem Kriege erinnert sich Herr de
Quatrefages ihrer, und als sei gar nichts passirt, taucht er mit den brachy-
cephalen Vor&hren wieder auf. Statt der Leute von Cro-Magnon, die we-
gen ihrer Dolichocephalie von Herrn Pruner-Bey als Esthen ange-
sprochen wurden (Bullet, de la soc. d'anthrop. 1. c. p. 421), nimmt er die
Leute von Fuiiboz oder einer anderen quatemären Höhle, welche brachy-
cephal sind. Und jetzt ist es Herr Broca, der schweigt! — Das Alles
mag sehr patriotisch sein, nur wissenschaftlich ist es nicht
Nachdem ich in meinem ersten Vortrage an diese unangenehmen Vor-
gange des Jahres 1868 erinnert hatte, so kann mein Gegner natürlich nicht
umhin, auch seinerseits der Riesen von Cro-Magnon und der Debatte in der
Sociätö d^anthropologie zu gedenken. Er sagt darüber: Cette d^couverte, et
les controverses qu'elle a souleyöes entre MM. Broca et Pruner-Bey, ne poa-
vaient pas faire que les petits hommes de Belgique eussent pour ancStres
ces hommes de grande taille. Zunächst könnte man fragen, warum nicht?
Ist es etwa absurd, die Möglichkeit zuzulassen, dass aus einer grossen Race
im Laufe vieler Jahrtausende, unter sehr veräniJerten Verhältnissen, eine kleine
hervorgehe? Aber zugestanden, dass die Leute von Cro-Magnon und die
von Furfooz zwei verschiedenen Racen angehörten, woraus folgert denn Herr
de Quatrefages, dass die von Furfooz Finnen waren, wie die gegenwärtigen
Preussen es nach seiner Behauptung sind?
Hier stossen wir nun auf eine psychologisch höchst charakteristische
Thatsache. Herr de Quatrefages, der nicht gern untersucht, benutzt zu
seinen Vorträgen eine kleine Zahl leicht zugänglicher Handbücher. Elr drückt
üeber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie. 311
das folgendermaassen aus: Dans la recherche des ^l^ments fondamentaux de
la race prnssienne, j'ai r^8um6 les faits principaux qae des hommes comme
Canto, Malie-Briin, Prichard ont emprunt^, soit aux voyageurs, soit aäx histo-
riens et aux ^crivains de la Prasse eile m6me. Les ans et les antres ont-
flg rev^? (R^Yue scientif. 1872, No. 13, p. 318). Dass diese Aatoren zum
Theil wirklich geträumt haben, namentlich in Betreff der linguistischen Frage,
werden wir bald sehen« Aber viel lebhafter hat freilich Herr de Quatre-
fages geträumt Es ist immer etwas Missliches, aus zweiter oder gar dritter
Hand zu citiren, zumal wenn es sich um ^l^ments fondamentaux han-
delt Daf&r liefert unser Autor ein sehr ergötzliches Beispiel
Schon in seinem ersten Artikel erzählt er (R^yue des deux mondes, T.
91, p. 655):' Un ancien Yoyageur allemand, racontant ce qu'il a vu, dit
que la population de la Pmsse proprement dite est compos6e de g^ants et de
nains. Dazu steht in der Anmerkung: Herberstein, cito par Prichard, t. HL
Von da an bildet Herb er stein durchweg die Grundlage der Argumentation.
In der Yorlesung von diesem Sommer trug Herr de Quatrefages schon
kein Bedenken mehr, die Zwerge Herberstein's f&r Finnen, die Riesen für
Slaven and Gothen zu erklären (R^vue scientif. 1872, No. 2, p. 28) und in
«einer Replik gegen mich sagt er : Permettez - moi d'employer ici les ejq)res-
siona d'Herberstein. Le g^ant des Eyzies ne saurait Stre le pere des nains
d'Esthonie ou de Courlande. Geux-ci ont pour ancStre le petit honlime
de la Lesse, et sont les fr^es des nains de la Prusse (R^vue scientif.
1872, No. 14, p. 319). Meint man in Wahrheit nicht zu träuiäen oder einen
Träumenden zu hören?
Herr de Quatrefages beschäftigt sich nunmehr seit fiist zwei Jahren
bfit aoschliesslich damit, seine Geschichte von der Race prussienne zu wieder-
holen. Dabei ist es ihm, wie es scheint, nicht ein einziges Mal eingefallen,
sich das Buch von Herb er st ein anzusehen. Ist das nicht charakteristisch?
Sigismund Freiherr zu Herberstein war zweimal als Gesandter des „römi-
schen^ E[aisers in Moscau. Er machte seine Reisen über Erakau u. s. w.
Später schrieb er darüber ein ganz interessantes Buch: Rerum moscoviti-
canun Gommentarij, welches 1556 in Basel gedruckt wurde. Darin steht vie-
lea, was er gesehen und erlebt, und fast noch mehr, was er sich hatte er-
zähle n las s en. Die in Frage stehende Stelle bezieht sich übrigens keineswegs
auf das eigentliche Preussen, wie Herr de Quatrefages meint, auch nicht
aof das uneigentliche Preussen, sondern auf Samogitien. Es heisst nehmlich
p. 113: In Samogithia hoc inprimis admirandum occurrit, quod cum eins regio-
nis homines procera utplurimum statura sint, filios tamen alios corporis
mi^tudine excellentes, aUos perpusillos ac plane nanos, ueluti uicissitudine
qoadam, procreare solent^). Der Freiherr zu Herberstein war ebenso-
^) Dar denisclie Uebersetaer, Heinr. Pantaleon, giebt diese Stelle fol^ndermaassen :
Man hat akh in disem land fomemlich zu verwundern, wefl die leuth gemeinlich lang ond
312 üeber die Methode der wisseiuchafUicben Anthropologie.
wenig persönlicli in Samogiiien, wie in Prenssen: wer ihm die (jeschichte
aufgebunden hat, ist nicht zu ersehen. Aber versteht Herr de Quatrefages
diese OHginalstelle? Die Bewohner von Samogitien wären danach gemein-
hin (utplurimum) von langer Statur, und der deutsche Uebersetzer, Panta-
leon, sagt in seiner Zusammenstellung von verschiedenen Zeugnissen über
diese Länder (S.. CCXI) von dem Lande Samogitien ausdrücklich: „Die Leat
darinnen seind lang und gerad, aber doch grober und unartiger Sitte."
Wie es nun kam, dass die Frauen dieser langen Männer abwechselnd
grosse und zwerghafte Kinder gebaren, würde schwer zu erklären sein, ^enn
es wahr wäre. Aber glaubt denn Herr de Quatrefages diese Schnurre
wirklich ? Li diesem Falle empfehle ich ihm die gleich darauf folgende Ge-
schichte, dass die Leute in Samogitien als Hausgötter Schlangen verehrten,
welche vier kurze Füsse, wie die Eidechsen, auch einen schwarzen, feisten
Leib haben und über drei Zwerchhand hoch werden. Vielleicht kann
er uns den Namen dieses Riesenmolches nennen? Jeden&Us hat Herber-
stein nicht gesagt, dass die Bevölkerung in Samogitien halb aus Riesen and
halb aus Zwergen bestehe, sondern nur, dass abwechselnd grosse und zwerg-
hafte Kinder geboren werden. Wo die letzteren und ob sie zwerghaft blie-
ben oder ob sie später gleichfedls eine lange Statur erreichten, ist nirgend ge-
sagt. Glaubt jedoch Herr de Quatrefages, dass alle klein gebomen Leute
auch klein blieben und noch jetzt bleiben , so hätte es sich doch wohl ver-
lohnt, einmal in Samogitien nachzufragen, ob die Sache richtig ist
Nehmen wir nun einmal an, dass die Sache sich bestätigte, was wurde
daraus für Preussen folgen? Ist denn Samogitien Preussen? und selbst, wenn
es preussisch wäre, würde dies irgend etwas f&r die finnische oder eathnische
Frage bedeuten? Samogitien liegt innerhalb des grossen Gebietes von Lit-
thauen, von dem allerdings ein kleiner Theil zu unserer jetzigen Provinz
Ostpreussen gekommen ist Herr de Quatrefages meint nun, dass die
Litthauer zum Theil und die Letten ganz Finnen sind. Er sagt: Le Slave
conqu^rant a impos6 sa langue au Finnois. J'ai d^jä cit6 ' les Lettens,
enti^ement Finnois par leurs traits physiques , et qui n'en parlent pas moins
une langue slave tellement caract^ris^e qu'elle a donn^ son nom a tont un
groupe de dialectes voisins, — les Lithuaniens oü Ton distingue les deux
types physiques, tandis que la langue est essentiellement äryenne et celle
mdme qui se rapproche le plus du sanscrit. Man staunt über dieses Chaos
von Behauptungen, wenn man die Einzelheiten analysirt Also die Letten
sprechen slavisch? Schleicher, der treffliche Kenner gerade dieser Spra-
chen, sagt: „Das Lettische ist die Volkssprache von Kurland und dem grosse^
ren Theile von Livland, dessen Süden und Südosten diesem Sprachgebiete
eines starken leib sind, das sy doch mehrtheil zweyerley kinder auch hsi eins vmb das ander
geb&ren, nenüich etliche gross und stark, die andern gar klein wie die gezwergen (Moscouiter
wunderbare Historien. Basel 1567. S. CXXVI),
Ueber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie. 313
angehört, bis jenseits der Dana, ausserdem noch auf der kurischen Nehrung.
Das Lettische verhält sich zum Litthauischen wie das Italieni-
sche zum Latein" (Die Sprachen Europas. Bonn 1850. S. 192). Eine
andere Unterabtheilung des Litthauischen ist nach Schleicher das Schamai-
tische, eben in dem an die preussische Grenze stossenden, russischen Ge-
biete, in Samogitien; eine dritte das Altpreussische, welches seit dem Ende
des 17. Jahrhunderts ausgestorben ist. Wenn Herr de Quatrefages sagt:
ToQs les linguistes Tattestent, cette langue des vieux Prusczi, le Borussien,
^t une langue slave tr^s-voisine des dialectes parl^s en Courlande et en
Lironie (R^vue scientif. No. 2, p. 33), so beruht seine Darstellung wohl auf
demselben Miss Verständnisse, das wir vorher zu rügen hatten. Zu seiner
loformation ziehe ich deshalb noch folgende Stelle aus dem Werke von
Schleicher aus: „Die lettische Sprachfamilie enthält vor Allem jene Sprache,
welche nicht nur ihres alterthümlichen, wohl erhaltenen Baues wegen ohne
Zweifel als die älteste des ganzes Paares angesehen werden muss, sondern
welche unter den jetzt lebenden indogermanischen Sprachen uber-
baapt die älteste, für den Sprachforscher wichtigste ist, nämlich
das eigentliche Littauisch oder das Preussisch-Littauische (a.
a. 0. S. 188).
Herr de Quatrefages (La race prusslenne p. 49) legt einen besonderen
Werth darauf, dass Thunmann in der lettischen Sprache Spuren des Finni-
schen gefunden habe. An sich kann es nicht aufiallig erscheinen, wenn be-
nachbarte Völker sich gegenseitig einige Worte entlehnen, und ich darf wohl
Dor daran erinnern, dass auch das Französische es nicht verschmäht hat,
deutsche Worte in sich au&unehmen. Ich erinnere an die Bezeichnung der
Himmelsgegenden (Nord, Sud, Est, Ouest) und an naturwissenschaftliche
Gegenstände (aurox, loess, tourbe). Zahlreiche andere Beispiele liessen sich
leicht zusammenstellen. Indes ist es wohl nutzlicher, eine Stelle aus Pott
(De linguamm letücarum cum vicinis nexu commentatio. Halis 1841, p. 3)
anzuführen, der von Thunmann sagt: Mitto nunc Fennica, quae in Letticis
lingois invenisse sibi visus est, vocabula, quippe quae et pauca sint numero
et intimis linguae fibris levius infixa, quam ut prae solo commercio extemo
pennixtionem potius comprobare valeant Letticae atque Fennicae stirpis popu-
lonun. Alle eigentlichen Sprachforscher stimmen darin überein, das Lettische
ond somit auch das Litthauische und Altpreussische den flektirenden Spra-
chen zuzurechnen und von den agglutinativen, also den finnischen Sprachen
ZQ trennen.
Eine gewisse Verwandtschaft besteht allerdings zwischen den lettischen
ond den slavischen Sprachen, so dass manche neueren Autoren die Letten
im weiteren Sinne, einschliesslich der Litthauer und der Altpreussen, zu den
Slaven stellen. Ich citire A. Maury (La tenre et Thomme, Paris 1857,
P- 495) und d'Omalius d'Halloy (Les races humaines. Brux. et Paris 1869
314 Ueber die Methode der wisseiischafUichen Anthropologie.
p. 31). Ebenso besteht eine Beziehung zwischen den lettischen und den ger-
manischen Sprachen, indess erklärt Schleicher (a. a. O. S. 187) ausdrück-
lich, dass Differenzen genug vorhanden sind, um das Lettische ebenso Ton
dem Germanischen, wie von dem, ihm näher verwandten Slavischen za
trennen.
Es liegt daher auf der Hand, dass die ganze Reihe von Argumentationen,
welche Herr de Quatrefages aut die vorausgesetzte Allophylie der Alt-
preussen, der Litthauer und Samaiten (Schamaiten), und endlich der Letten
aufbaut, von vornherein hinfallig ist. Li der That erklären sie sich nur aas
dem Umstände, dass die von ihm benutzte Literatur antiquirt ist Vielmehr
können wir als Thatsache hinstellen, dass schon im Beginn der für
diese Gegenden historischen Zeit zwischen Weichsel und Düna
indogermanische Stämme sassen.
Es bleibt unserem Gegner dann freilich immer noch die spasshafte Ge-
schichte des Freiherm zu Herberstein von den Riesen und Zwergen, die
Herr de Quatrefages unermüdlich nach Ostpreussen versetzt Die Zwerge
sollen Finnen oder genauer Esthen sein. Es wird daher an der Zeit sein,
zu fragen, ob die Finnen wirklich so kleine Menschen oder gar Zwerge sind,
wie sie für die Begründung der race prussienne hingestellt werden. Leider
steht mir über diesen Gegenstand nur unvollständiges Material za Gebot;
vielleicht kann ich dies später ergänzen. Wenigstens habe ich mich sowohl
nach Helsingfors als nach Dorpat um genauere Nachrichten gewendet
Li den früheren Beschreibungen Finlands findet sich übereinstimmend
angegeben, dass die Finnen von dunkler Farbe, starken Gliedern und festem
Gang seien (F. Rühs, Finland und seine Bewohner, Leipz. 1809, S. 294;
Müller, der ugrische Yolksstamm, I, S. 488; Rein, Statistische Darstellung
des Grossfürstenthums Finland, Helsingfors 1839, S. 20). Genauer spricht
darüber Frans P. von Enorring (Gamle Finland, Abo 1833, I, p. 32): SS
finner man i Suojärvi, i Salmis längs med kusten af Ladoga, i Wiborgs Socken,
Säckjärvi, Wederlax ISngt, resligt och stärkt folk; längs med Waoksens
stränder ett l&igt och svagere folk, med spädare ansigtsbildning; i Luomaki,
i trakter af Saimen, i Raiseli, Hütola och Pyhäjärvi af medelväxt med foi^
tryckt uselt utseende; i Ruokolax, Parikkala, Uguniemi, Rnskeala och Suista-
mo af ovanligt liten väzt, Ukasom af Lapsk Ursprung med ett blekgult nästan
utsvultet utseende. Daraus geht also hervor, dass nur in wenigen Distrikten,
wo schon lappische Abstammung besteht, ein ungewöhnlich kleiner Wochs
erkennbar ist, während in einem grossen Theil des Landes die Bevölkerung
gross (längt), hoch (resligt) und stark, in einem anderen gross G^8^) ^^^'
schwächer, mit zarterer Gesichtsbildung, in einem dritten mittelgross (medel-
växt) und von verkümmertem, armseligem Aussehen ist. Wenn Herr de
Quatrefages nachweisen kann, dass dieser verkümmerte, offenbar durch
Armuth und Klima zurückgekommene Theil des Volkes die eigentlich typische
Ueber die Methode der wissensehafUichen Anthropologie. 315
Eorperbildung des Finnen zeigt, so wäre das freilich sehr merkw&rdig, aber
es wurde für unsere Frage sehr wenig bedeuten, wie meine Schadelunter*
SQchangen gelehrt haben.
Was die Esthen angeht, so beruft man sich in Frankreich vielfach auf
die Autorität von Hu eck, der gewiss ein zuverlässiger Schriftsteller ist.
Was sagt derselbe? Forma corporis Estonum, ut caeterarum gentium Fenni-
carom, neque pulchra, neque robusta appellari potest. Etsi hie illic, ubi de-
mentioribus dominis et largiore victu frununtur, excelsiore corporis statura
gaadenty tarnen aliis locis gravi angaria vexati et parco victu misere nutriti
solitam corporis humani altitudinem omnino non attingunt (A. Hueck, De
craniis Estonum, Dorpat 1838, p. 6). Lässt sich daraus etwas in Bezug auf
esthnischen Typus schliessen? Wo die Leute gut genährt werden, erfreuen
m sich einer hohen Statur (excelsiore statura); wo sie im Elend leben, blei-
ben sie unter der Norm. Ist das in Frankreich nicht auch so? Indess giebt
es doch auch andere Zeugen. Bertram (Wagien, Dorpat 1868, S. 75) sagt:
,Die Esthen sind über mittlerer Statur; athletische Gestalten entwickeln
sich häufig bei besseren Nahrungsverhältnissen.^ Femer: „der Esthe ist von
aasserordentlicher Arbeitsfihigkeit, und wenn er wiU, unermädlich; in
der Aufr^ong entwickelt er Riesenkräfte.'^ Es scheint mir daraus hervor-
zugehen, dass der Beweis von dem kleinen Typus der Esthen erst erbracht
werden soll. Nimmt man dazu, dass nach Herrn Bertram die Esthen meist
blond sind, — er setzt hinzu: „doch giebt es einige mit grobem schwarzem
Haar„ — so wird Jedermann zugestehen müssen, dass die von Herrn de
Quatrefages geforderte kleine und womöglich dunkle Race in Esthland
schwer zu Sachen sein möchte.
Indess, wie ich schon sagte, für die Frage, ob die Preussen Esthen seien,
ist es sehr gleichgiltig, ob die Esthen klein oder gross sind. Dass es in
Preussen kleine und grosse Leute giebt, ist unzweifelhaft. Unser Land ver-
hält sich in dieser Beziehung wie alle europäischen Länder, vielleicht jedoch
mit dem Unterscliiede, dass wir mehr grosse Leute besitzen, als die Mehrzahl
der übrigen europäischen Länder und namentlich als Frankreich. Die Re«
cmtirungslisten geben darüber leicht Aufschluss, und wenn Herr de Qnatre-
fages darüber discutiren will, so stehe ich ihm gern mit Zahlen zu Gebote.
Seine Beweisführung leidet hier an einer schweren Petitio principii. Er
setzt voraus, dass jene kleine, brachycephale und brünette Race nur in Nord-
deutschland örtlich von der Elbe zu finden sei. Aber sie findet sich, wie
Herr Ecker for Baden und Herr Holder für Württemberg zahlenmässig
dargelegt haben, auch in Süddeutschland. Ja, man könnte ohne Weiteres die
Debatte über die Schweiz und Norditalien, ja über Frankreich und Belgien
ausdehnen. Ob diese Leute hier eingewandert oder ursprünglich sind, ist
eine weiter zu untersuchende Sache. Li Belgien ist es mir bei Gelegenheit
des letzten Gongresses gelungen, zu zeigen, dass die Troglodyten des Lesse-
^^i^ grosse üebereiifltiiBfnung mit Flamändern der jetzigen Zeit darbieten.
316 Ueber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie.
Herr de Quatrefages betrachtet dies als ein Zugestandniss. Mir ist es
recht, wenn sein (jremüth durch diese Äoffassung beruhigt wird. Nur soll er
nicht weiter schliessen, dass ich deshalb die Leute von Furfooz für mongoloid
und die heutigen Flamänder für Derivate der Finnen erkläre. Davor mass
♦
ich mich entschieden verwahren. Mit zwei Schädeln, die noch dazu unter-
einander so verschieden sind, wie die von Furfooz, lässt sich keine Ethnolo-
gie machen.
Herr de Quatrefages hat freilich noch eine andere Beweisführung.
Er giebt sich die Miene, ein grosser Geschichtskundiger zu sein. Er spricht
viel von der deutschen Colonisation in Livland, Curland und Esthland, gleich-
sam als ob diese Länder irgend etwas mit Preussen zu thun hatten. Er
kommt weiterhin auf Ostpreussen und den deutschen Orden, und er stellt
sich vor, dass dieser Orden auch das ganze spätere Königreich Preussen mit
dem Schwerte erobert habe. Er möge mir verzeihen, wenn ich sage, dass
diese Art von Geschichtsschreibung, diese stete Verwechselung der kleinen
Provinz Preussen und des grossen Königreichs Preussen, wenn nicht komisch,
so doch wenigstens nicht eines Akademikers würdig ist. Sollte man denn
auf den französischen Schulen nicht lernen, wann die Geschichte des Landes
über der Elbe beginnt? Herr de Quatrefages sagt mit grosser Seelenruhe:
En somme, des Finnois et des Slaves plus ou moins purs, plus oa moins
m^lang^s, tels ont ^t^ jusquau milieu du XU. si&cle les seuls ^l^ments ethno-
logiques dans toute la r^gion comprise de TEsthonie au Mecklemboorg (R^vue
des deux mondes, p. 656. La race prussienne, p. 53). Zur Zeit Carls des
Grossen fand jedoch schon ein häufiger Verkehr über die Elbe hinaus statt, und
bereits am Ende des IL Jahrhunderts wurde von Adam von Bremen die erste
gelehrte Geschichte des Landes geschrieben. Damals sassen westlich von
den Letten und Preussen, welche eine breite Scheidewand gegen die Esthen
und Finnen bildeten, slavische Stämme ohne irgend welche erkennbare Bei-
mischung finnischer Elemente.
Herr de Quatrefages stellt sich so an, als ob wir heutigen Preussen
diese slavische Vorzeit unseres Landes läugnen wollten. Verstände er die
deutsche Sprache, so würde ich ihn auf die grosse Reihe der gelehrten Ar-
beiten, anfangend von Giesebrecht^s Wendischen Geschichten, auf die
zahllosen Abhandlungen in den Gesellschaftsschriften der mecklenburgischen,
pommerschen, märkischen und schlesischen Geschichts- und Alterthumsver-
eine verweisen, welche zu einem grossen Theile mit Untersuchungen über
die slavische Vorzeit gefüllt sind. Vielleicht wird es Herrn de Qaatre-
fages interessiren zu erfahren, was er bis jetzt uicht einmal zu ahnen scheint,
dass die Slaven auch ganz Sachsen, einen beträchtlichen Theil von Hannover
und ein gutes Stück von Franken im vollen Besitz hatten. Wir kennen die
einzelnen slavischen Stämme sehr genau, welche die verschiedenen Gegenden
dieses grossen Landgebietes bewohnten.
Lange, ehe an den deutschen Orden gedacht wurde» begann die Geima-
üeber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie. 817
msirang des Landes. Aber auch hier wieder tauscht sich Hrrr de Quatre-
fsges, wenn er annimmt, es habe überall so blatiger Kämpfe bedurft, wie in
Alt-Preassen, um die Germanisirung herbeizufahren. Allerdings wurden von
den deutschen Kaisern blutige und lange Kämpfe auf dem Gebiet zwischen
Elbe und Oder geführt, aber wenigstens in zwei grossen Ländern, in Pom-
mern und in Schlesien, geschah die Germanisirung in durchaus friedlicher
Weise im Gefolge der Christanisirung. Daher erklärt es sich, dass beide
Länder unter einheimischen slavischen Fürstengeschlechtem blieben bis zu
deren verhältnissmässig spätem Aussterben.
Gleichviel aber, ob gewaltsam oder freiwillig, die Germanisirung des
Landes vollzog sich mit grosser Schnelligkeit im Laufe weniger Jahrhunderte.
Dies ist manchen deutschen Schrifistcllem, z. B. in neuester Zeit Herrn
Freytag, so au£&llig vorgekommen, dass sie daraus auf ein Sitzenbleiben
grosser Reste, nicht einer finnischen,'*, sondern einer germanischen Bevölkerung
geschlossen haben. Und Herr de Quatrefages ist ja historisch damit ein-
verstanden, dass vor den Slaven germanische Stämme in diesen Gegenden
gesessen haben. Vorläufig indess ist auch das eine ofiene Frage, ob und
wie viel Germanisches nach der Völkerwanderung im Lande geblieben war.
Sicher dagegen ist, dass ein mächtiger Strom friedlicher Einwanderer aus
Mittel- und Westdeutschland, selbst von den Küsten der Nordsee, und sogar
aas Flandern sich in das Land ergoss, und dass in unwiderstehlicher Weise
Sprache und Sitte, Recht und VerfiMsung, Boden und Gewässer durch die
Einwanderer umgestaltet wurden. Die absolute Unfähigkeit der französischen
Nation zur Colonisation erschwert gewiss jedem Franzosen das Verständniss
solcher Vorgänge sehr. Wenn Herr de Quatrefages jedoch sich daran er-
innern will, welches Contingent Deutschland in neuerer Zeit zur Bevölkerung
Nordamerikas geliefert hat, — ein so grosses, dass ein amerikanischer Diplo-
mat vor einigen Jahren, in einer Tischrede fireilich, jedoch nicht ohne ernsten
Hintergrund, die Vereinigten Staaten als die dritte deutsche Grossmacht be-
zeichnete, — so wird er sich vielleicht auch eine Idee davon machen können,
wie die Colonisation des 11., 12, und 13. Jahrhunderts vor sich gegangen ist.
Er macht ein grosses Aufheben von der französischen „Colonie^, wie sie
noch jetzt in Berlin heisst, jenen unglücklichen Söhnen Frankreichs, welche
das Edikt von Nantes vertrieb und welche bei uns eine neue Heimath fan-
den. Er datirt von ihnen die Cultur des bis dahin barbarischen Preussens.
Aber auch sie sind germonisirt, sie haben nicht nur die Sprache gewechselt,
andern sie haben auch Sitte und Anschauung geändert, und in dem eben
beendigten Kriege haben sie treu und unverrückt zu Deutschland gestanden.
Sie sind germanisirt, wie die zahllosen Juden, welche wir zu einem beträcht-
lichen Theile aus Polen und Russland aufnehmen, und von denen wir nie in
Abrede gestellt haben, dass auch sie ein mächtiges Ferment der fortschreiten-
den Goltur für uns geworden sind.
Sollen wir nun^ wenn wir unseren Staat aufbauen, jeden Einzelnen fra<
318 Ueber die Methode der wissenschaftlichen Anthropologie.
gen, wes Stammes er ist? welcher Race er angehört? Nein, Herr de Quatre-
fages, solche Politik machen wir nicht. Das moderne Deatschland ist niclit
mehr das alte Germanien. Es ist glücklicherweise nicht einmal mehr das
alte heilige römische Reich deutscher Nation, und daher braucht man sich in
Frankreich nicht zu fürchten, dass wir wieder Neigujig zur. Aufrichtung
eines Universalstaates bekommen werden. Welches Verkennen aller Verlmlt-
nisse, wenn Herr de Quatrefages seine Abhandlung mit der Behauptung 1
beginnt: L*Allemagne entiere s'est lev^e au nom du pangermanisme; eile veut
r^gner sur les races latines, et, yoyant dans la France Texpression la plus
^lev^e de ces races, eile s'est ru^e sur notre patrie (Revue des deux mon-
des p. 647)! Kommt hier nicht neben der äussersten Verblendung der thö*
richteste Hochmuth zum Ausdruck! Weshalb sind denn die Franzosen eine
lateinische Race? etwa der Abstammung nach? Hat nicht jede preussiscke
Provinz dasselbe, ja ein grösseres Anrecht darauf, seine Bevölkerung zur
deutschen Race zu rechnen, wie Frankreich sich zu den lateinischen Racen
zahlt? In allen unseren Provinzen spricht man doch deutsch und nicht preus-
sisch; in Frankreich aber spricht man französisch und nicht lateinisch. Was
in aller Welt aber giebt den Franzosen gar das Recht, sich als die höchste
unter den lateinischen Racen zu betrachten? Der Umstand, dass ihre alteo
Könige sie mit List und Gewalt aus dem Zustande der Kleinstaaterei zur
Einheit geführt haben, woran das Volk als solches doch gewiss ganz unschul-
dig war, hat allein jene ruhmvolle Machtstellung herbeigeführt, welche so
vielen der späteren Franzosen den Kopf verdreht hat. Die unselige Gloire!
Als Träger der Cultur darf denn doch wolil das italienische Volk sich
ebenbürtig, zum Mindesten ebenbürtig neben das französische stellen. In den
Zeiten seiner höchsten politischen Zerisscnheit hat es nie aufgehört, die Ent-
Wickelung der Menschheit im edelsten Sinne zu .fordern, und jetzt, wo es
aus eigener, recht eigentlich aus dem Volke hervorgegangener Initiative die
Einheit erlangt hat, jetzt hat es sofort den höchsten Kampf aufgenommen^
den gegen die weltliche Macht der Kirche. Während das Frankreich, welches
seine Wiedergeburt sucht, sich in die Arme des Jesuitismus wirft, während die
Wunder von Lourdes und La Salette die erstaunte Welt belehren, dass für grosse
Theile Frankreichs die Cultur eine blosse Maske ist, wagt man noch zu behaup-
ten, dass die französische Race die höchste unter den lateinischen Racen sei!
Wir haben ein altes Sprächwort: Hochmuth kommt vor dem Falle. Möchten
doch wenigstens die französischen Gelehrten aufhören, die alten hochmüthigen
Phrasen immer wieder aufzuwärmen. Diese Phrasen sind, um mit Herrn de
Quatrefages zu sprechen, non seulement odieuses, mais elles ont aussi
un cöt^ parfaitement absurde et ridicule. Was Frankreich noth thut, ist
Selbsterkenntuiss und Arbeit, und wenn diese Arbeit überall verständig und
methodisch darchgeführt wird, so dürfte auch die Zeit nicht mehr so fem sein,
wo wir uns untereinander verständigen können. Die französische Anthropo-
logie vor allen anderen Wissenschaften sollte sich an das Wort des Herrn
üeber die Methode der wissenschaftliebeii Anthropologie. 319
Bertillon halten: dis qu'il s'agit des formes, c'est le nombre et la mesnre
qai sont leg indispensables caract^ristiques de la yerit^ scientifique, et non les
phrases et les impressions (Ballet, de la soc. d'anthr., 1. c, p. 561).
Zam Schlüsse bemerke ich noch anf ein Postscriptam des Herrn de
Quatrefages in der lUTae scientif. No. 14 p. 320, dass meine Untersuchun-
gen über die Negritos der Philippinen ergeben haben, dass dieselben brachy-
cephal sind. Seine Frage war also überflüssig.
Es hatte einen Augenblick den 'Anschein, als sollte der Streit wegen der
preussischen Race auch auf englischen Boden verpflanzt werden. Nach einer
Notiz der Daily News, welche in viele politische Zeitungen übergegangen
ist, sollte Dr. Charnock vor der British association zu Brighton eine Rede
gehalten haben, in welcher er nicht nur Herrn de Quatrefages zugestimmt,
soodem ihn bei Weitem überboten habe. Es wird daher wichtig sein und
008 yiellcicht weiterer Streitigkeiten überheben, wenn ich einen an mich ge-
richteten Brief des Herrn Hyde Clarke hier mittheile:
32 St. Georges Square S. W.
17. Sept. 1872.
Herr Virchow
Dear Sir and CoUeague,
I regret that the short time I was at Brüssels did not allow me the op-
portunity of conversing with you.
This I do the mere, as I fear the remarks I made at the congress, may
without my knowledge or intentions have been supposed to have reference to
political discussions.
Such I can assure you was not the case and I trust that the account I
have fumished, of my observations for the Comptes ßendus of the Congress
and for the Soci^t^ pour Tanthropologie de Paris may be sufBcient to show
the real facta and to justify my intentions.
I feel in some degree an auxiety in the subject there was an infortunate
incident occured in connexion with the Anthropological Section of the British
Association at Brighton. Among the papers ofiered was one by Dr. Charnock,
on the Racial Characteristics of the Prussians. This was naturally supposed
to have some scientific bearing and the title was permitted to be bome on
the Programme, while the paper would have been duly ezamined before
being read.
It so happened that it was not read, but to our real surprise there
appeared in the Daily News an account of the paper stated to have been
f^, and which was not only of an unscientific character, but containing
gross abuse of the Prussians.
On this circumstance Coming to the knowledge of the Committee a
820 HiBcellen und BöeherBchan.
unanimous request was made to the President Col. Lane Fox, to take the
necessary measures, when he publicly denoanced and repadiated the paper,
so alleged to have been read and its injurious ezpressions. This was received
with applause by the large audience.
It is to be regretted this denial did not meet with the publicity it
merits.
Your 8 faithfully
Hyde Clarke.
Nachschrift
Herr Professor Hjelt in Helsingfors beantwortet meine Frage wegen der
Grösse der Finnen unter dem 27. nnd HO. Oktober d. J. dahin, dass bis jetzt
eine genaue Erforschung dieses Gegenstandes überhaupt nicht stattgefunden
habe. Im Allgemeinen seien die Finnen ein rüstiges, sehr kräftiges, star-
kes Volk. Eigentliche Messungen seien augenblicklich nur yon den Mann-
schaften des in Helsingfors gamisonirenden Scharfschützen-Bataillons zu haben.
Dasselbe (übrigens das einzige bewaffiiete Corps im Lande) zählt 807 Mann;
die durchschnittliche Grösse der Leute ist 171,3 Centim. Da in Finland keine
Militairpflicht besteht, so werden die Leute im ganzen Lande geworben und
das Bataillon könne daher als Ausdruck der physischen Beschaffenheit des
Volkes recht wohl gelten.
Miscellen nnd Bttcherschau.
Neumayer, G., Dr.: Die Erforschung des Süd-Polar-Gebietes (Separat-
abzug aus der Zeitschrift für Erdkunde).
Der Verfasser entwickelt seine reiflich und tief durchdachten Pläne zur Srforsohimg des
Süd-Polar-Gebietes, ein Problem, das in langjährigen Beschäftigungen in seine Lebensaufgaben
übergegangen ist und dessen hohe Bedeutung dem Leser bald vor Augen tritt. Beigegeben ist
eine von R. Kiepert gezeichnete „Südpolarkarte nach dem gegenwärtigen Standpunkt des geogra-
phischen und physikalischen Wissens". B.
Edward B. Taylor's neuestes Buch (Primitive Culture), dessen wir in
einem früheren Hefte erwähnten , ist gegenwärtig in deutscher Uebersetzung
erschienen unter dem Titel: Die Anfange der Cultar, Untersuchungen über
die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitten,
I. und II. Bd. Leipzig, Winter's Verlagsbuchhandlung, 1873.
Da dieses Werk, als der erste Versuch zu einer systematischen Behandlung des wichtig-
sten Zweiges der Ethnologie, sich voraussichtlich bald in der Hand eines jeden Ethnologen fin-
den wird, scheint es kaum nothig, nochmals auf seine Bedeutung zurückzukommen. Die Ueber-
setzer (J, W. Sprengel und Fr. Poske) haben unter Mitwirkung des Verfassers gearbeitet ß.
MiseeUen und Büchenchau. 321
Shaw, Robert: Beise nach der Hohen Tartarei, Tarkand und Kachgar
und Rockreise über den Eorakorum-Pas8, übersetzt von J. E. A. Martin.
Jena 1872.
Kein wichtigeres Schauspiel fesselt gegenwärtig die Augen der Geographen , als die £nt-
deefcnngen des mittleren Asien, wohin die Russen von Norden, die Engl&nder aus Süden her
Tordringen. Unter den Expeditionen der letzteren ist es besonders Shaw*s erste Reise, die viel-
foehe Besprechungen angeregt hat und die jetzt hier in deutscher Uebersetzung vorliegt. Da
es sich um bisher unbetretene und fast unbekannte Länder handelt, war in Shaw's erstem Be-
richte Vieles von mehrseitigem Interesse. Ethnologische Hittheilungen enthalten besonders das
zweite Capitel (die Stämme Turkestans und der Tartarei) , das dritte, das neunzehnte u. s w.
Dem Aufenthalt in Tarkand sind drei, dem in Eachgar vier Capitel gewidmet. Neben 2 Kar-
ten sind 14 Illustrationen zugefügt. B.
Toang: Special Report on Immigration. Washington 1872.
Prior to the year 1820 no of&cial records were kept of the influx of foreign population (to
the States). The population of the Golonies at the commencement of the revolutionary war
bas generally been estimated at 3000000, and it is probable, that as many as one third of these
Iren bom on the other side of the Atlantic, while the parents of a large portion of the re-
maisder were among the early immigrants. During the war the influx was in great part su-
speoded, but at its terminations the tide of immigration resumed its flow with increased acti-
uty. The number of allen passengers, who arrived between the years 1790 ^ 1820 has been
flfitizDated at 226000, to which may be added 25000 arriving between the years 1776— 1790.
Since the enactment of the passengeract of March 2,1818, die Gesammtzahl der Immigranten er-
giebt sich (vom 1. Oct 1819 bis zum 31. Dec. 1870) als 7,553,865, worunter 2,267,500 Deutsche.
B.
Gompte -Rendu du Comit^ Statistique du Gaucase. St Petersbourg 1872.
In der Bevllkerung des Qouvemment von Baku findet sich überall ein Ueberwiegen des
minnKchen Geschlechtes Nous trouvons la plus grande des proportion numerique pour les
öeax sezes chez les Tatares, Tates et Talychiens, Isra^lites et Armeniens et la moindre chez
les Rosses et chez les petites peuplades montagnardes. B.
Journal of the American Oriental Society, X. 1. New Haven 1872.
Yocabulary of the Ponape-dialect, Letters from Sir W. Jones, Grammar of the Eurdish
Uoguage of the Hakari-district , Manuscript of the Atharva-yeda-Präti9äkhya, Karen inscription
plate, Pali-langoage, Glacial action on the flank of Mt Lebanon, Sinaitie and Yatican manu-
scripts of the Bible, Proceedings etc. B.
Bulletins de la Sociötö d'Anthropologie de Paris. YI. 2. Ser. (2 fasci-
cole). Aout et September 1871. Paris 1871
bringen in der Septembersitzuog die Zusammensetzung der nCk>mmission8 permanents pour les
uffitraetions anthropologiques*, aus deren Arbeiten bereits einige nützliche Veröffentlichungen her-
vorgegangen sind. B.
The Cape Monthly Magazine, Oct. 1872 (edited by Prof. Noble). Cape
Town 1872
Hnicht (S. 298 — 233) das Gape-English. B.
Ifalte-Brim: Rapport sar le concoars au prix annuel poar la decouverte
la plus importante en Geographie (Extrait da balletin de la Geographie).
Paris 1872.
Die goldene Medaille ist Hrn. Alfred Qrandidier zuerkannt far seine Erforschung Hadagascars.
B.
Ztltoehrift lü Bthnologle, Jahrgang 1873. 22
322 Hiscellen und Bucherschan.
Davan: Rech^cbes historiqnes et statistiques Bor Auxerre, Bes monnments
et 868 environs. Paris 1871.
Quelques tombeauz (des anciens Gaulois) cintoennent des ossements plus ou moins conserres
Selon la profondeur de la fosse et la nature du terrain. Dans quelques autres, on Toit nn
squelette humaiue et des annures qui se reduisent en poussiere au contact de Fair. Daus la
plus grand nombre, il ne reste plus aucuns d^bris de Torganisation humaine, si ce seit nn
peu de terre ou de poussiere. B.
Abel: Ueber den Begriff der Liebe in einigen alten und neuen Sprachen
(Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, Heft 158 — 159).
Berlin 1872.
Eine mit feiner Auffassung geschriebene Abhandlung, um aus den Worten der Liebe ,den
Werth der Sprache als einer wahren Selbstscbilderung der Völker zu erläutern*. B.
Kosegger: Sittenbilder aus dem steirischen Oberlande. Graz 1870.
Dem Todten wird eine Wachskerze in die Hand gegeben und Feuerschwamm dazu, damit
er am Tage der Auferstehung sogleich Licht zur Hand habe und sofort seine Freunde und An-
verwandten aufsuchen kann. B.
In der Weise der British association for the ayancement of science, die nach dem Vor-
bilde der Gesellschaft der Naturforscher und Aerzte entstand, ist in Frankreich eine Association
fran^aise pour Tavancement de science zusammengetreten, die in diesem Jahre (im September)
ihre erste Sitzung in Bordeaux gehalten hat imd durch eine Rede de Quatrefages^ eröffnet wurde
(s. Revue scientifique, II, 11). Ausführliche Mittheilungen über die Sectionssitzungen (und Be-
schreibung Bordeaux durch den Herausgeber, Em. Aglave) enthalten die No. 1?, 13, U, und
die letztere zugleich eine Uebersetzung des in der Anthropologischen Gesellschaft zu Berlin
(10. Februar 1872) von deren Vorsitzenden, Hrn. Virchow, gehaltenen Vortrages.
In seiner Antwort 0 stellt Herr de Quatrefages eine ausfuhrliche Besprechung des angeregten
Themas in Aussicht, und hoffen wir auf ein baldiges Erscheinen derselben, da es in hohem
Grade wnnschenswerth ist, diesen Gfegenstand vielseitig und Yon verschiedenen Seiten her be-
leuchtet zu sehen. Die Racenfrage bei den Culturvölkem Europas bildet das bedeutungsvollste
Problem der Anthropologie, dasjenige, das in das nationale Leben der Völker und die ererbten
Güter, worauf es sich .gründet, tief eingreifen muss, aber eben deshalb auch dasjenige, dem man
sich vor Allem vorsichtig und behutsam annähern muss, nach den der inductiven Methode in
den Naturwissenschaften heiligen Grundsätzen des graduellen Fortschreitens vom Ein&cben zum
Zusammengesetzen. Zum Unterschiede von der rasch zu Allgemeinheiten aufsteigenden und von
ihnen herab deducirenden Speculation ist es das Kennzeichen der Induction nur schrittweise
vorwärtszugehen und nie eine höhere Stufe zu ersteigen, so lange nicht die vorhergehende ge-
sichert und nach allen Seiten hin festgelegt ist. Die ethnische Anthropologie bildet die jüngst«
in der Reihe der Wissenschaften, wie es nach dem natürlichen Entwickelungsgange derselben
nicht anders sein kann, ihre wissenschaftliche Behandlung datirt kaum viel über 1 — 2 Decennien
hinaus und sie muss sich also bewusst bleiben, noch in den ersten und elementarsten Anßngen
zu stehen. Durch zuföllig gegebene Verhältnisse hat selbst dieser kurze Zeitraum noch nicht
im vollen Maasse ausgenutzt werden können Die tüchtigsten Kräfte haben sich bisher vorzugs-
weise der urgeschichtlichen Anthropologie zugewandt, die sich zur Ethnologie verhält, wie die
Paläontologie zur Zoologie. Während sich nun die paläontologischen Entdeckungen sogleich und
direct verwerthen liessen, wie sie nacheinander an das Licht traten, da die Zoologie bereits als
fertiges System dastand, und es sich nur um Einfügung der aus der Urgeschichte ausserdem
erläuternden Facta handelte, hatten die Anthropologen (bei der andauernden Vernachlässigung
der Ethnologie und der Fülle des in ihr der Beobachtung Yorliegenden Materials) nur die dis-
jecta membra der fossilen Zeugen zur Behandlung, die räumlich und zeitlich jeder sicheren
Fixirung entbehrend, bald in geologischen, l>ald in historischen Hypothesen schwankten, und statt
eines Lehrgebäudes, das sich auf die realen Bausteine der Induction hätte stützen sollen, wie-
^) Ueber diese selbst hat Prof. Virchow in diesem Heft bereits Alles Nothige gesagt, so
dass wir darauf nicht weiter zurückzukommen brauchen.
Miscellen und Bnchenchso. 323
dflr nur WoIkenschlöBser luftiger Specalation zu liefern yermochte. Die Anthropologie wird zur
inerkeimniig des vitalen Prinzips in der Naturwissenschaft, zur Anerkennung der inductiyen
Forscfaungsmethode zurückzukehren haben, sie wird Yor der Glassificirung undeutlich yerwischter
TramiDer aus nebliger Urgeschichte die lebendig yor Augen stehenden Bilder der ethnischen Kreise
in stodiren haben, und sie wird in diesen, nach dem in allen Naturwissenschaften ausgespro-
chenen Mandat, mit Untersuchung der einfachsten Verhältnisse beginnen müssen, ehe sie sich
an die Terwickelten wagt Die rührige Thätigkeit, die sich den urgeschichtlichen Forschungen
zuzuwenden beginnt, ist gerade wegen dieses noch unyollkommenen Zustandes derselben eine
um so erfreulichere und nothwendige, sie wird sich jedoch zunächst der Hauptsache nach auf
genaue Einregistrirung der Funde zu beschränken haben, bis dann mit der Zeit unter genügen-
der Anhänfang derselben das leitende Gesetz von selbst henrortritt. jDurch yorschnell und früh-
uitig subjectiye Hineintragung desselben wird die richtige Perspective verrückt und der an-
thropologische Arbeiter in seinen Richtungen irre geführt. Ihm muss stets die Erinnerung ge-
genwärtig sein, dass er sich erst an den ersten Meilenzeigem einer langen Strasse befindet, auf
einer vieljährigen Reise, die ihn schliesslich auch zu den europäischen Culturyölkem führen mag,
dass es aber in Betreff derselben unmöglich ist, „k tenir compte de tous les renseignements
(tue pouTaient foumier Thistoire aussi bien que la g^ographie, la linguistique aussi bien que
Fosteologie'^ auf 66 ^ weitläuftig gedruckte Seiten eines Octay-Büchleins.
Hiermit kommen wir auf den Punkt, worüber wir mit Hrn. de Quatrefages zu rechten
haben nnd worüber wir gerne mit ihm zu einem deutlichen Yerständniss gelangen möchten, um
die ahthropologische Wissenschaft von zweijähriger Aufmischung mit Partheienhass wieder zu
befreien und zu reinigen.
Aus der von Hrn. de Quatrefages den Ansichten Virchow's entgegengestellten Erwiderung
lisst sich eine weitere Gontroverse dieser yorgeschichtlichen Schädelfrage voraussehen, und wenn
fle Ton zwei Gelehrten solcher Bedeutung (und an ihrer Seite wahrscheinlich von anderen Mit-
gÜedem der Pariser und Berliner Gesellschaft) in Angriff genommen werden wird, läast sich,
venu jemals, auf allmälige Aufklärung dieses wichtigen und schwierigen Problemes hoffen. Es
väre also zu beklagen und der Reinheit der wissenschaftlichen Resultate, die zu erwarten sind,
im Wege stehend, wenn die Unpartheiligkeit der Forschung beständig getrübt werden würde
dnrch Zurückbeziehung auf Tagesansichten, die unter dem Eindrucke leidenschaftlicher Erregung
formnlirt sind.
Als wir die Race prussienne zuerst in der Revue des deux mondes erscheinen sahen, lag
VIS nichts femer, als diese die momentane Tagesströmung spiegelnden Ergüsse ernsthaft zu
uhmen oder gar an eine Widerlegung zu denken, und als die inzwischen veröffentlichte Sepa-
ntansgabe in der Sitzung der Anthropologischen Gesellschaft Berlins erwähnt wurde, bildete die
Kenntnissnahmß von derselben nur ein heiteres Intermezzo in den Arbeiten des At>end8. Aber oft
vird das Unglaubliche wahr. Nach Jahresfrist berief man sich überall auf die Race prussienne
^s einer wissenschaftlichen Autorität, und Viele, denen de Quatrefages wissenschaftliche Schrif-
ten nnzngänglich gewesen sein würden, waren stolz darauf, einen oberflächlichen Abhub bemei-
stem zu können, um fortan auf die Worte des Meisters zu schwören. Da allerdings schien es
Seboteo, ein Veto einzulegen, und je höher der Name des Verfassers in der wissenschaftlichen
Weit stand, desto schwerer wog in unseren Augen seine Schuld, die Wissenschaft für Parthei-
zwecke gefälscht zu haben, desto schärfer musste also die Erwiederung gehalten sein. Wenn
dieselbe mehrfach sich genöthigt sah, aus dem anthropologischen Gebiete auf das politische über-
zustreifen, so folgte sie darin nur den Bewegungen des Gegners, tun durch den Vertheidigungs-
piftn alle angegriffenen Positionen gleichzeitig zu schützen. Alles das geschah sehr ungern,
iber nothgedrungen , und es ist uns nicht recht begreiflich , wie (nach einigen Aensserungen)
derartige Erörterungen nicht in anthropologische Zeitschriften gehört hätten. Wohin gehörten
sie denn (ausser etwa in den Kladderadatsch}? Ein anthropologischer Gelehrter erörtert eine
anthropologische Frage mit ungehörigen, aber desto bedenklicheren Ausfallen gegen Deutschland,
französisehe Schriftsteller adoptiren die Ansichten in anthropologischen Handbüchern, dänische
0 Capitel I — IX (S. 11 — 77)* in La race prussienne par A. de Quatrefages, denn die
äbrigea Zutbaten dieses Pamphlets von 107 Seiten beweisen nur, dass die erste Zeile der Intro-
dQcUon eine jener Entschuldigungen enthält, durch welche man sich selbst anklagt
22*
324 Mwcelldn und Bfichenchau.
übersetzen sie fdr ihr antkropologfisches Publikum, englische erörtern sie in anthropologischen
Gesellschaften, — aber die anthropologischen Organe in Deutschland hatten zu schweigen, wie es
beisst. Eine etwas erstaunliche Zumuthung. Wir glauben unsererseits, dass so lange ein Kriegs-
austand herrscht, jeder da für die Vertheidignng einzustehen hat, wo ihm ein Poston zugewiesen
ist, aber wir hoffen zugleich, dass dieser für die Wissenschaft unnatürliche Kriegszustand bald
vieder einem Frieden in den internationalen Beziehungen wird Platz gemacht haben.
Dass Hr. de Quatrefages als pa^otischer Franzose la race prusienne schrieb, lässt sich
Terzeihen, und wir verstehen es auch recht wohl, dass damals noch im frischen Gefähl über-
standener Leiden seine Vaterlandsliebe einen weniger würdigen und ruhigen Ausdruck fand, als
in 'der kürzlich vor der Association fran^aise grhaltenen Rede, La Science et la Patrie. Dass
jedoch dieses politische Tagesblatt in der anthropologischen Literatur eine maassgebende Stel-
lung gewinne, dass es in anthropologischen Werken citirt, von anthropologischen und geogra-
phischen Gesellschaften discutirt werde, dagegen legen wir nochmals energischen Protest ein,
und wenn in der zur Yertheidigung erzwungenen Gegenerklärung harte Ausdrucke ') gegen den
Verfasser (der gerade bei seiner in der Wissenschaft anerkannten Autorität um so behutsamer
im Ziehen maassgebender Schlussfolgerungen hätte sein sollen) oder gegen französische Institute^)
gefallen sein mögen, so sind solche Angriffe doch weniger vermessen, als wenn einer ganzen
Nation schmachvolle Beschuldigungen in's Gesicht geschleudert werden. Ist Hr. de Quatiefages
damit einverstanden, so mag die Race prussienne und die ganze Polemik, die sich daran knüpft,
vergessen und ausgemerzt sein. Trennen wir unseren Ghaiukter als Patrioten und Anthropolo-
gen und vermeiden wir fortan Gitationen aus oberflächlich und hastig entworfenen Flugsclrriften,
welche niemals überzeugen und oftmals erbittern, welche verharrschende Wunden immer wieder
aufreissen werden. Dass die betreffenden Untersuchungen mit objectiver Ruhe geführt werden, ist
allzu gewichtig für die von der europäischen Ethnologie der Anthropologie gestellten Fragen , als
dass wir im Hinblick auf die zu erreichenden Ziele nicht gerne bereit sein würden, persönlich«
Missstimmunff zu unterdrücken. Da es complicirte Aufgaben zu lösen giebt, kann keine Unter-
stützung erwünschter sein, als die der anthropologischen Schule von Paris, der ältesten der be-
stehenden und reich an Namen, denen vielfache Belehrung zu verdanken und die schuldige An-
erkennung stets gerne gezollt ist Mögen hier aufs Neue zwei Rivalen um den Preis wissen-
schaftlicher Verdienste mit einander streiten, aber wie es der Wissenschaft geziemt, sine ira et
sine studio, und vor Allem ohne vorgeüasste Meinungen. B.
Wir haben eine traurige Pflicht zu erfüllen, indem wir unseren Lesern den Tod des Hm.
Prof. Finzi anzeigen, eines thätigen und trotz seiner Jugend bereits hochverdienten Mitart>elteTB
auf dem Felde der Ethnologie, Mitredacteur (neben Prof. Mantegazza) des Archivio per TAntro-
pologia e la Etnologia (Firenze). B.
*) Ebenso spricht Hr. Comu, Secretair der französischen Association, von den gehässigen
Aeusserungen deutscher Professoren (aber doch wohl nur während des auch in den nationalen
Sympathien und Antipathien flammenden Krieges, als eine Zurückweisung gehässiger Angriffe,
so oft auf einem groben Klotz ein grosser Keil gehörte). Wenn, worüber de Quatrefages sich
beklagt, auch das Institut de France in Mitleidenschatt gezoeen wurde, so ^chah es wahr-
scheinlich meistens nicht deshalb, weil er selbst ein Mitglied dieser Akademie ist, sondern wol
man auf sie, als an der Spitze der Bildungsanstalten, ^i Besprechung und vergleichender Ab-
wägung derselden immer leicht und fast unwillkührlich zurückgeführt wurde. Die wissenschaft-
liche Bedeutung des Instituts wird weiter nicht angefochten werden durch Vorwürfe, die ebenso
gut oder ebenso schlecht begründet sein mochten, als die, wodurch sie hervorgeniÜDn waren,
aber Leute, denen, wie den deutschen Naturforschem in Gesammtheit, in's Gesicht gesagt ist,
dass sie aus purem Hass und Neid die Sammlungen der Museums hätten zusammenschiessen
wollen (S. 95 la race prussienne' kann man es wohl nicht übelnehmen, wenn sie die Ausdrucke
der Entgegnung nicht allzu zart abwägen. Lassen wir also fürderhin diese Kindereien, in denen
wir uns gegenseitig nicht viel oder (wenn man will) gleich viel vorzuwerfen haben. Vielehe
Zeitschrift Hr. de Quatrefages (S. 320 Revue scientifique) im Auge hat, ist nicht ausgedruckt
und für uns auch unerheblich. Vielleicht ist es ihm indess von Interesse zu erfahren, dass \m
mehreren wissenschaftlichen Zeitschriften von Deutschland die Redaction ohne „Salair* gefuhrt
wird, nur aus Liebe zur Sache. Anonyme Artikel sind bei Persönlichkeiten möglichst zu ver-
meiden, und ist der volle Namen durch Zeichen ersetzt, muss sich genügende Aufklärung
in des Zeitschrift selbst finden (wie in der gegenwärtigen, z. B. Heft 6, I).
Rathschläge für anthropologische Untersuchungen
auf Expeditionen der Marine.
Anf Veranlassung des Chefs .der Kaiserlich Deutschen Admiralität aus-
gearbeitet von der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie
und Urgeschichte.
An das Kaiserliche Marine -Ministerium.
Berlin, am 18. Juli 1872.
Einem hohen Marine- Ministerium gestattet sich die unterzeichnete Ge-
sellschaft ganz gehorsamst das Folgende vorzutragen:
Die weiten Seefahrten, die das Entdeckungsalter einleiteten und den
Blick über die Gesammtfläche des Globus erweiterten, legten den ersten
Grand für die inductiven Forschungsweisen, die jetzt mit Hülfe der Ver-
gleichungen das naturwissenschaftliche System auszubauen bemüht sind. Da
diese letzteren ihre Materialien aus allen Theilen der Erde aufzusammeln haben,
finden sie sich zunächst auf die Reisen hingewies3n, auf Reisen zu Lande
und zu Wasser. Vornehmlich sind es die alle Meere durchkreuzenden,
an den entlegendsten Küsten landenden Schiffe der Marine, welche
die werth vollste Unterstützung gewähren können, da sich auf ihnen
in den Aerzten nicht nur, sondern in den Offizieren überhaupt Männer
von wissenschaftlicher Durchbildung finden , die alle benöthigten Fähigkeiten
znr Förderung der gewünschten Zwecke besitzen und gewiss aus eigenem
Interesse gerne dazu bereit sein werden. Während die Ausführung zoologischer,
botanischer, mineralogischer und geologischer Sammlungen immer gewisse
Fachstudien voraussetzt, liegt die Betreibung der Ethnologie und An-
thropologie, obwohl durch mcdicinische Kenntnisse im Besonderen erleichtert,
dem AUgemeinen nach doch im Bereiche jedes Gebildeten, und gerade diese
beiden Wissenszweige bedürfen am meisten der Ergänzung, da sie bisher
fast gänzlich vernachlässigt waren und erst im jetzigen Zeitmoment zur
2cit«dizift fftr Etlmologie, Jahrgang 1872. 90
826
vollen Geltung gekommen sind, einem Zeitmoment, das wegen der erleichterten
Gommunicationswege ein günstiges genannt werden kann, das aber auch
das letzte ist, da eben • wegen dieser erleichterten Communicationen nnd des
absorbirenden Vordringens der Civilisationseinflüsse die primitiven Typen,
deren Fixirung verlangt wird, im raschen Verschwinden begriffen sind.
So oft an den von Schiffen berührten Häfen ein zeitweiliger Aufenthalt
gemacht wird, würden sich die Offiziere und zunächst, wie bereits erwähnt,
die Aerzte grosse Verdienste erwerben können, wenn sie in ihrer Mussezeit
die ethnologischen und anthropologischen Gesichtspunkt« ^ im Auge behalten
wollten, durch Beschreibung der dort angetroffenen Racen, dem physischen
Habitus und der psychischen Eigenthümlichkeit nach, durch Erwerbung von
Schädeln und Skeleteu, so oft sich solche möglich zeigt, durch Abbildungen
oder Photographien, durch Zeichnungen der Wohnstätten oder Anfertigung von
Modellen derselben, durch Auskunft über die mythologischen Vorstellungen
und Rechtsinstitutionen, durch Niederschreibung der Wortverzeichnisse, durch
Beachtung der in der Industrie oder zur Nahrung verwendeten Naturgegen-
stände aus den Pflanzen-, Thier- und Steinreich, durch Sammlung der ge-
brauchten Geräthe und Waffen, der Kleidung, des Schmucks, der Cultusgegen-
stände u. A. m.
Die wissenschaftliche Verarbeitung der in solcher Weise angestellten
Sammlungen wird die hiesige Anthropologische Gesellschaft (die Gesellschaft für
Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte) zu übernehmen gern bereit
sein. Indem sich in ihrem Kreise bereits ein Mittelpunkt für das Zusammen-
wirken der verschiedenen Fachmänner hergestellt hat, wird sie am besten
im Stande sein, die Untersuchungen nach allen einschlägigen Richtungen hin
zu fördern. Sollte es sich als angemessen zeigen, dieser Gesellschaft im Falle
besonderer Expeditionen eine vorherige Notiz darüber zugehen zu lassen, so
würde sich dieselbe beeilen, speciellere Instructionen darüber einzusenden, was
auf dieser besonderen Reise vorzugsweise zum Gegenstande der Beobach-
tungen zu machen wäre.
Die Gesellschaft bittet., diese unmaassgeblichen Vorschläge einer hohen Er-
wägung unterbreiten zu dürfen, in der Ueberzeugung, dass wisseuschaft-
lichen Zwecken eine Berücksichtigung geschenkt werden wird, so weit sich
ihre Förderung mit sonst getroffenen Bestimmungen vereinigen lassen sollte.
Ehrerbietigst
Der Vorstand.
VIrchow. Bastian. Braun. Hartmann. Fritsch. Kuhn. Deegen.
827
Berlin, den 19. Augnst 1872.
Euer Hochwohlgeboren bestätige ich ergebenst den Empfang des geföUi-
gen Schreibens vom 18. v. Mts., welches in Folge meiner Abwesenheit von
Berlin etwas spät in meine Hände gelangte, und beehre mich zu erwidern,
dass ich gern bereit bin, die Bemühungen der Gesellschaft für Ethnologie u. s. w.
in jeder mir möglichen Weise zu unterstützen.
Ich werde die Offiziere und Aerzte der Marine von den Wünschen der Ge-
sellschaft in Eenntniss setzen und bezweifle nicht, dass sie denselben bereit-
willigst entgegenkommen werden. Es wird mir dabei zu grosser Genug-
thuung gereichen, wenn dadurch einerseits dem Personal der Marine Anre-
gung zu interessanter, wissenschaftlicher Beschäftigung gegeben und anderer-
seits der Gegenstand der Forschungen der Gesellschaft etwas gefördert würde.
Ich werde nicht ermangeln, Euer Hochwohlgeboren von dem bevor-
stehenden Abgang besondere Ausbeute versprechender Expeditionen zu
benachrichtigen, kann aber augenblicklich für die nächste Zeit noch nichts
Bestimmtes hierüber mittheilen.
In Euer Hochwohlgeboren Schreiben sind bereits einige Punkte ange-
geben, auf welche sich die anzustellenden Ermittelungen und Aufzeichnungen,
sowie Sammlungen im Allgemeinen zu erstrecken haben würden. Ich halte
es aber doch im Interesse der Sache für wünschen werth, dass den auf
Reisen befindlichen Schiffen, zur besseren Information, Fragebogen, welche
die Details enthalten, und die etwa für gewisse zusammengehörige Regionen
aufgestellt sind, übersendet werden.
Die Gegenden, welche gegenwärtig noch am häufigsten von den Offi-
zieren unserer Marine besucht werden, sind:
„die Ostasiatischen Gewässer und die Inselgruppen des stillen Meeres
(wiewohl letztere weniger)" und „die Nordküste Südamerika's, die
Ostküste Central-Amerika's und die Westindischen Inseln.**
Euer Hochwohlgeboren würden mich durch üebersendung solcher oben
erwähnter Fragebogen für die beiden genannten Regionen, sowie event. für
»die Gegend der Donaumündung und der europäischen Türkei,** und durch
Bezeichnung derjenigen literarischen Werke, welche am geeignetsten sind,
den Offizieren die Vorkenntnisse zu den Forschungen zu geben und das
Interesse an denselben zu wecken, zu Dank verpflichten.
23*
328
Um die Wünsche der Gesellschaft den Marinekreisen bekannt zu geben,
werde ich den, die allgemeinen Gesichtspunkte enthaltenden Theil des gefälli-
gen Schreibens vom 18. v. Mts., in einem kurzen Artikel durch das Beiheft
des Marine -Verordnungs- Blattes, welches allen Offizieren und Aerzten der
Marine zu Händen kommt, veröffentlichen lassen.
Der Chef der Admiralität
V. Stosch.
An
den Vorstand der Gesellficbaft
für Ethnologie, Anthropologie und Urgeschichte,
zu Händen des Professors und Directors
des pathologischen Instituts, Ritter
Herrn Dr. Virchow
Hochwohlgcboren
A. 3842. Iir. hier.
Vorschläge der BerKner anthropologischen
Gesellschaft.
A. Ethnographie.
Ethnographische Untersuchungen, soweit sie ein psychologisches Ein-
dringen in den Gedankengang fremder Stämme bedingen, werden sich auf
maritimen Expeditionen nur in sehr beschränktem Maasse anstellen lassen,
da der Aufenthalt an den Eüstenplätzen gewöhnlich ein zu kurzer ist, und
dann gerade dort die Bewohner ihre natürlichen Dispositionen unter künst-
lich angelegten Masken zu verdecken pflegen. Nutzbar für die Wissenschaft
kann auch hier das Verweilen gemacht werden, wenn man sich bemüht,
solche Gegenstände zu sammeln, wie sie die ethnographischen Museen zur
Erreichung ihrer Zwecke bedürfen.
Dazu gehören :
I.Kleidungsstücke (von einheimischer Manufactur) besonders ge-
musterte, unter Beifügung des Rohstoffes, der Stadien der Verarbei-
tung, der dabei gebrauchten Werkzeuge, Beschreibung des Ver-
fahrens, Verwendung und Art der Farbestoffe etc.
2. Schmuckgegenstände und die Materialien, aus denen sie gefertigt sind,
oder wenn dieses, weil aus edlen Metallen oder Steinen, zu kostspielig,
Abzeichnung der Omamentirung, ebenso etwaiger Tättowirung, Durch-
löcherung von Körpertheilen , Bemalung derselben; am Kopf, Nase,
Ohren, Zähnen geübter Entstellungen.
3. Hausgeräthe aus Thon (ob gedreht, mit der Hand gefertigt oder in
einem Geflecht) oder Holz, wenn leicht und transportabel, sonst Modelle
dieser und der Häuser (aus Stein, Holz, Lehm, je nach der Natur
des Landes geboten), oder Zeichnungen, um den architektonischen
Styl wiederzugeben.
4. Das Bett (Matten, Decken, Nacken- und Kopfkissen etc.)
S.Waffen zum Kriegsgebrauch (defensiv und offensiv) und Schmuck-
oder Etikette- Waffen.
330
6. Geräthe zur Jagd mit Beschreibung des Gebrauchs (Lanze, Wurf-
stock, Bogen, Pfeile etc.).
7. Geräthe zum Fischfang (Angeln, Netze, Reusen, Pfeile, Speere etc.).
8. Geräthe zum Ackerbau (Beschreibung der Gebräuche beim Feldbau,
4
beim Säen, der Ernte etc.).
9. Die bei der Viehzucht gebrauchten Geräthe, Schuppen, Lhasso,
Glocken etc. mit Geräthschaften zur Butter- und Käsebereitung,
10. Handwerkszeuge in Reihen.
11. Heilige Gegenstände, für den Cultus verwandt, Embleme und Sym-
bole, Götzen und Götzenbilder, Fetische, Amulete, Talismane,
Zeichen des Priesterranges, der Würden etc.
12. Musikinstrumente.
13. Figürliche Bilderzeichen zur Verzierung oder im Uebergang zur Schrift,
wo sie sich immer angebracht finden, entweder mit dem sie tragen-
den Gegenstande oder abgeklatscht (durch gebürstetes Papier oder
durch schwarzgefärbto Wachsbälle).
14. Aushülfen für Rechnungen, wo vorhanden, geschürzte Knoten, ge-
kerbte Stäbe etc.
Solche Erwerbungen sind meist durch einfache Austauschobjecte euro-
päischer Manufactur zu bewerkstelligen, und zur Wiedererstattung etwaiger
Kosten wird die anthropologische Gesellschaft, soweit die Sammlungen der-
selben nicht auf die betreffenden Gegenstände ausgedehnt sind, deren Er-
werbung für ethnologische Museen, zunächst ihre Aufnahme in das Berliner,
zu vermitteln suchen.
Die an den Küsten wohnenden Völker sind, weil vielfach besucht^ dem
grösseren Theile nach in Bezug auf ihre ethnologischen Verhältnisse bekannt.
Sollten aber in dem bunten Gemisch der Hafenplätze Individuen aus dem In-
nern des Landes, als Sclaven, Gefangene, Händler oder sonst dort hingekom-
men, angetroffen werden, so lassen sich unter Anderem folgende Fragen stellen:
Welchen Namen giebt sich der Stamm selbst?
Was bedeutet derselbe in der eigenen Sprache?
Wie heisst er bei seinen Nachbarn?
In welcher Sprache verkehrt er mit denselben?
Wie ist die Verfassung (patriarchalisch, republicanisch , theocratisch,
monarchisch etc.)?
Welche Rangunterschiede bestehen ? (etwaige Kastenscheidungen.)
Bilden die Handwerker eine besondere Classe (wandernd oder ansässig?)
Welche Verkehrsmittel gelten (Austauschartikel, Handelswege)?
Weitere Auskunft ist dann zu suchen :
lieber Gebräuche bei Kriegs- und Friedensschluss (Gesandtschaftsrecht,
Erwählung des Heerführers).
üeber Gebräuche bei der Geburt (Haltung der Mutter, Lösung der
Nabelschnur).
üeber Gebräuche beim Wochenbett (Betheiligung des Mannes).
331
üeber Gebräuche bei Namengebung (Säugungszeit, Durchbruch der
Zähne etc.)-
üeber Gebräuche bei Eintritt der Pubertät (Zeit des Eintritts u. s. w
Prüfungen, etwaiges Beschneiden, Excision u. s. w.).
üeber Gebräuche bei Eheschliessung (Kauf der Braut, Dienst des
Bräutigams, Raub).
üeber Gebräuche b^i Krankheiten (Arzneimittel, priesterliche Beschwö-
rungen).
üeber Gebräuche beim Begräbniss, durchschnittliche Lebensdauer, haupt-
sächliche Todesursachen u. s. w.
üeber die Form der Gräber (etwaige Zubereitung der Leiche, Begraben,
Verbrennen u. s. w.).
üeber das Familienleben (väterliche Gewalt u. s. w.).
üeber die socialen Verhältnisse (Sittlichkeit, Gastrecht etc.).
üeber die Stellung der Frau (Verheirathung in oder ausserhalb des
Stammes. Monogamie, Polygamie, Polyandrie).
üeber das Ansehen der Alten.
üeber die bestehenden Gesetze (und auf wen zurückgeführt?).
üeber die herrschende Sitten und Gebräuche.
üeber das Erbwesen (weiblicher oder männlicher Linie).
üeber die Form der Eidesabiegung.
üeber die Sclaverei und Schuldsclaverei.
üeber Gewicht und Maass.
üeber die Zeichen des Eigenthums und Symbole der Besitzergreifung.
üeber die Anlegung der Dörfer, Befestigungsweisen u. s. w.
üeber die Getränke (Fluss-, Brunnen-, Regenwasser, gekocht oder ge-
mischt).
üeber die Nahrung (Zubereitung derselben, Esszeiten u. s. w.).
üeber Art, Dauer und Wechsel der Moden.
üeber das Beleuchtungsmaterial (Erneuerung, Methoden des Feuer-
machens.)
üeber die Zeiten des Schlafes (der Nachtstunden, Mittags etc.)
üeber die Haltung von Hausthieren (Züchtung oder Abrichtung der-
selben, Entstellung der Homer, Melken der Kühe, Scheeren der Schafe).
üeber die verwendeten Narcotica (in Getränken, Speisen, Rauchen,
Schnupfen, Kauen.)
üeber Spiele und Tänze (oder Volksfeste).
üeber die Transportmittel zu Lande.
üeber die Befahrungsweise der Binnwi- und Küstengewässer.
üeber die Beschaffung und Verarbeitung der Metalle.
üeber die Werkzeuge und deren Verwendung beim Baumfällen oder bei
Herrichtung des Stammes. Bei Darstellung der gebrauchten Geräthe und
Schmucksachen ^ind, besonders unter den aus Stein, Muscheln oder Knochen
die Verfahrungsweisen stets möglichst genau zu beschreiben.
332
Bei Gelegenheit zu längeren Gesprächen können Vocabularien^) gesammelt
werden, zunächst in den Bezeichnungen der Naturgegenstände, der Eörper-
theile, der Verwandtschaftsgrade, der Religionsbegriffe, dann der hauptsäch-
lichsten Verba und Adjectiva, sowie kurzer Phrasen (um Verwendung der
Präpositionen zu zeigen) in fragender, befehlender, erzählender Form. Dabei
sind die Bangunterschiede zu beachten, in der Anrede und Bezeichnungs-
weise, sowie die Sprachweise der Kinder.
Wenn möglich, ist eine Schätzung der Bevölkerung zu gewinnen, der
durchschnittlichen Kinderzahl, das Verhältniss der Geschlechter.
Bei Bezeichnung der Monate muss zugleich auf die meteorologischen
Verhältnisse des jedesmaligen Klima Rücksicht genommen werden, bei der
Bezeichnung der Sternbilder auf die daran geknüpften Mythen, namentlich
auf die über die Sonne und den Mond erzählten, die bei Finsternissen und
im Gewitter geläufigen, die Heilighaltung sogenannter Donnersteine u. s. w.
Erkundigung über vorhandene Traditionen und die Art ihrer Fortpflanzung
sind mehr bei herbeigeführter Gelegenheit herauszuhören als herauszufragen,
wie überhaupt die Fragen nie als leitende gestellt werden dürfen. Wieder-
gabe von Fabeln, Sprichwörtern, Volksliedern wird ursprünglichen Sinn und
Fassung am besten bewahren, wenn scheinbar unabsichtlich belauscht.
Bei stattgehabter Kreuzung sind die daraus hervorgegangenen Mischungen
im Gegensatze zu den ursprünglichen Stämmen zu charakterisireu.
Bei Darstellung des Religionssystems ist der Einfluss desselben auf die
individuelle Moral, die gesellschaftlichen Beziehungen und das politische
Leben, sowie der Einfluss der Priesterkaste auf die Individuen und den
Staat zu beachten. Bei den verschiedenen Formen des Irrsinns (oder Idio-
tismus) ist der Zusammenhang mit religiöser Schwärmerei in Betracht zu
ziehen.
Neben der Statur, Kopfbildung, Physiognomie, Verhältniss der Extremi-
täten zum Rumpf, Farbe, der sauft oder rauh anzufühlenden Haut an be-
deckten Körpertheilen, der Augen, der (strafl'en, harten, weichen, lockigen,
kräuselnden, welligen, buschigen) Haare, der Zahl und Abschleifung der
Zähne, dem Verhältniss zwischen Brust und Bauch, der Stellung des
Unterkiefers und des Kinns, ist die gewöhnlichst angenommene Körper-
stellung zu beachten: die Haltung der Arme, das Setzen der Füsse beim
Gehen, die im Schlafen bevorzugten Lagen u. s. w. Ferner die Schrittweise,
die Art des Laufes, des Sprunges, des Schwimmens, der bei der Rede
gebrauchten Gesten, der Figuren des Tanzes u. s. w. Zugleich muss
dem Mienenspiel Aufmerksamkeit geschenkt werden: welche Kopf-, JJals-
oder Schulterbewegungen drücken Bejahung oder Verneinung aus, wie markirt
sich Verachtung, Ueberraschung, Freude? welcher Art ist die durch Weinen
oder Lachen hervorgerufene Zügeverzerrung? welche Hand- oder Fingerbewe-
*) Bei Wörterverzeichnissen ist es geeignet, dem bereits von Koelle in der Poly-
glotta Africana (Comparative Vocabulary London 1854) niedergelegten Schema zu folgen.
333
guDgen dienen zum Winken oder Abwehren? wie weit werden die Ohren
bewegt, ist die Kopfhaut verschiebbar, durchdringt das Erröthen die Haut,
siod beim Gruss die Hände betheiligt (im Druck), die Lippen (im Küssen),
die Nasen (im Reiben)? findet Athemeinziehung oder Bespeiung statt? ist
ein specifischer Greruch bemerkbar? Wie schliesst der Mund?
Werden die Nägel kurz oder lang getragen, (vielleicht in einer Scheide),
werden sie (und wie oft) absichtlich beschnitten, und was geschieht mit
den Abfällen? welche Werkzeuge dienen zum Abscheeren und Glätten der
Haare, zum Kratzen des (oft oder unter bestimmten Verhältnissen mit den
Händen nicht zu berührenden) Kopfes, zur Reinhaltung und zum Stochern der
Zahne? sind Vorrichtungen im Gebrauch, den Auswurf des Speichels aufzu-
nehmen und vielleicht zu verbergen? tritt die Musculatur stark an den
Kaonoiaskela hervor? ist das Trinken mehr schlürfend oder schluckend,
wird der Bar^ gepflegt oder ausgerupft, wie auch die Augenwimpern und
die Haare an anderen Körpertheilen, zeigt sich Blinzeln der Augen in Folge
des Sonnenlichtes oder Schneeglanzes (und finden sich Vorrichtungen zum
Schutz in Gebrauch), kommt Nachtblindheit vor? bis zu welcher Entfernung
Schemen Gegenstände erkannt zu werden? richten sich die Ohren beim
Lauschen oder wird der Kopf gewendet, schnüffelt die Nase, welche Art von
Gerüchen scheinen beliebt, wird das Süsse, Salzige, Herbe, Bittere oder
Saure beim Geschmack bevorzugt, welche Farben werden für Zusammen-
stellungen gewählt, sind Blau und Grün nnterschieden und mit welchen Be-
zeichnongeii?
Welches ist (bei Reitervölkern) der Sitz zu Pferde, welche Aufzäumung,
Sattlung und Leitung, auf welcher Seite wird aufgestiegen, welches ist die
häufigste Gangart der Beitthiere, welche Laute dienen zum Antreiben oder
Zurückhalten, welche zum Locken der Hunde, wie werden (von den Hirten)
die Heerden getrieben und in der Zusammenhaltung bewacht, wie in der
Vollständigkeit controlirt, ob nach Zahl oder nach Aussehen, wie wird nach
den verschiedenen Jahreszeiten darüber disponirt, und wie ändert in diesen
überhaupt die Lebensweise des Stammes? —
In Westindien ist die eingeborne Bevölkerung *) der Antillen schon
bald nach der spanischen Entdeckung untergegangen, und nur mitunter
finden sich, besonders auf Hayti und Porto-Rico, Zeugen ihrer früheren An-
vesenhdt in Steinfiguren der Zemes oder Sculpturen in Höhlenwänden.
Auf St. Vincent, wo sich die Caraiben länger hielten, sind vielfach Stein-
werkzeuge gefunden worden, und würden diese sowohl, wie etwaige Schädel
der Urbevölkerung sehr erwünscht sein.
') Du Tertre Histoire generale des Antiiles.
Brown: Uistory of St Domingo.
334
Bei Photographien der auf den Inseln bestehenden Mischrassen sind
die Vorfahren väterlicher- und mütterlicherseits möglichst weit zurückzu-
zählen. Auf St. Domingo lässt sich in den Industrieerzeugnissen abgele-
gener Ansiedelungen mitunter ein Rückschlag in den afrikanischen Typus
beobachten und in dem sich herausbildenden Jargon ist es angezeigt, Proben
von verschiedenen Oertlichkeiten aufzunehmen.
Erwünscht sindNachforschungennach dem zu Toussaint L'Ouverture's
Zeit noch im dominicanischen Theile Hayti's verwildert vorkommenden l^nde
und nach dem verwilderten Schweine der „Momes" von Hayti anzustellen.
Es wäre' gut, Zeichnungen, Schädel oder gar Photographien solcher ver-
wilderten Hausthiere zu gewinnen.
In Südamerika lassen sich in dem Hafen Santa Manta mitunter Alter-
thümer erlangen, die aus dem früher auf dem Hochlande von Bogota blühen-
den Staat der Muyscas herabgebracht werden. In Venezuela kann Maracaibo
Gelegenheit geben, mit den Goajiros-Indianer zusammenzutreffen, Angostura
für die Guyana's.
Von den verschiedenen Indianerstämmen Guyana's ') kommen die Warrau
und Arowaken am meisten mit den Küsten in Berührung. An der Küste
Brasiliens 2) wäre eine nähere Untersuchung der Muschelanhäufungen, wie
sie sich z. B. am Flusse Itajahi finden, erwünscht. Aehnliche kommen an
der Küste Patagonien's^) vor und tritt dort die Möglichkeit hinzu, bei Befah-
rung der Magellanstrasse an den Feuerländern Beobachtungen anzustellen.
Die verwilderten Rinder der Maluincn und die Hunde der Pescheräh's, wie
der Patagonier, auch die Pferde der Patagonier empfehlen sich zur genauen
Untersuchung. Schädel dieser Thiere wären höchst interressant. Längs
der Westküste ist Cobija für Ansammlung der in der Wüste Atacama ge-
fundenen Alterthümer, für die aus den Hochländern stammenden von perua-
nischen*) Häfen besonders Arica, Islay und Payta geeignet, sowie Callao
durch seine Nachbarschaft zu der Vieles absorbirenden Hauptstadt.
In den Häfen Gentralamerika's sind häufig Alterthümer der dort mit der
spanischen Eroberung untergegangenen Culturen zu erwerben und in den Pro-
ducten vielfacher Mischung aus den schon seit toltekischer und aztekischer
Zeit veränderten Indianer- Rassen mit Negern oder Caraiben bietet sich ein
reiches Feld des Studiums. Wird an der Küste von Central-Amerika z. B.
Panama, Nicoyo oder sonst eine Meerschnecke zum Rothfärben der Wolle
benutzt, so ist wo möglich diese Schnecke mitzubringen.
In den ostasiatischen Gewässern sind besonders die Inseln des indischen
Archipelago noch vielfacher Aufklärung bedürftig, und so oft sicB in den
») Scbomburgk's Reisen in Guyana.
2) Üeber die einzelnen Stämme: von Martins, die Ethnographie Brasiliens.
3) Muster: A Home with the Patagonians.
*) Tschudi: Reisen in Peru.
335
Hafenstädten Individuen aus Stämmen des Innern antreflfen sollten, wären
methodisch aufgenommene Photographien (streng en Face und Profil) sehr
willkommen, in Sumatra ^ der Orang Kubu, Redjang, Lampong, Korinchi,
Batta, auch der Atchinesen und Menangkabauer, sowie der benachbarten Nyas-
Insulaner, in Java der Bewohner des Tenger Gebirges und der Sundanesen,
in Borneo^) der verschiedenen Dayak-Stämme (der Hügel-Dayak, auch der
Sen-Dayak an der Küste), dann der Kayan (mit Abzeichnungen der Tätto-
winuig), Orang Milanoes, Orang Tedong, Meri, Murut oder Idaan, femer auf
Celebes der Turajos u. s. w. Neben der Verstellbarkeit der grossen Zehen
ist in Borneo auf die auch dort erwähnte Sechsfingrigkeit zu achten, sowie
auf haarige Familien (wie in Slam).
Auf Gilolo, und den Molukken überhaupt, wären die verschiedenen Mi-
schungen mit ihren Special-Bezeichnungen zu beschreiben, besonders die zu
einem dunkeln und kraushaarigen Typus sich neigenden, bis zu den Papuas
Seu Guinea's, der umliegenden Inseln und der Torres-Strasse, Auf der
Halbinsel Malacca würde ein besonderes Augenmerk auf die Semang zu
richten sein, im Staate Quedah (auch bei Tringanu), nnd ausserdem mögen
die Verschiedenheiten der Malayen berücksichtigt werden, der Orang Badjus,
der Orang Laut, der Lanun und übrigen Piraten, sowie die Bewohner von
Banka-Billiton, Lombok, Madura, Bali und den Sulu-Inseln. Auf den Phi-
lippinen werden Spuren der als Negritos oder Aetas bezeichneten Rasse im
Norden Lnzons auch auf anderen der Inseln zerstreut angegeben, worüber
(ihre üebergänge in Igorroten und andere Stämme sich geeigneten Orts
Erkundigungen einziehen und womöglich Photographien erhalten lassen könnten.
Wäre es möglich, von einigen der Volksstämme zugleich Schädel oder, wenn
nicht ganze Skelete, so doch Becken, sowie Haare zurückzubringen, so würde
der wissenschaftliche Gewinn ein sehr hoher sein. Besonders wünschenswerth
wären Schädel eingeborener Stämme Sumatra's (auch bei Palembang gefun-
dener), der Andamanen, Papua's etc.
In den Häfen China's^) von Hongkong bis Tientsin dürften nur
selten Vertreter der eingebornen Stämme (wie im Süden der Miautsi
und ihrer Verwandten, im Innern) angetroffen werden, doch bieten
sich noch immer Beobachtungen an den Chinesen selbst (die Compression
der Füsse, Nagelpflege). Für Amoy fehlen noch genauere Zeichnungen der
Pagoden und verfallenen Grabmäler auf den Inseln der Bucht. Schädel und
Zeichnungen oder Photographieen des Ongti - Schaafes in China sind will-
kommen. Femer sind Nachrichten darüber einzuziehen, ob das Werfen von zwei
*) Juugbuhn: Die BattalSndcr.
^ Earic: The eastcrn Seas.
Low: Sarawak.
Spencer St. John: Life in tlic forests of tlie Far-East.
') De Courcy: L'empire du Milieu.
Williams: Tbc middle Kiugdom.
336
oder mehr Lämmern wirklich vorkommt, ob und in welchem Grade diese
Fruchtbarkeit auch bei Bastarden des Ongti-Schafes mit anderen Rassen sich
forterbt.
Sollten die Häfen der Mandschurei, die Insel Sachalin mit den gegenüber-
liegenden Küsten, oder vor Allem Korea besucht werden, so ist jede Aus-
kunft über die dort angetroffenen Volkstypen, und womöglich ihre bildliche
Darstellung erwünscht In der Victoriabucht, der Bai Peter's des Grossen
sind Steinwerkzeuge der alten Bewohner leicht zu erwerben. Im Amur-
gebiet sind die dortigen Bewohner, Giljäken, Orotschonen u. s. w. zu beachten,
ferner die neueingewanderten Mandsy und deren Verhältnisse. Dort mögen
zugleich die koreanischen Kolonistendörfer besucht werden.
Gelegenheit zu vielfachen Beobachtungen bietet die InselJesso mit den
von den Japanern zurückgedrängten Ainos, dann Formosa und die seltener
besuchten Loochoo-Inseln '). Ferner bilden die Küsten und Inseln der Behring-
Strasse, sowie die Länder des nordwestlichen Amerika 2) ein noch vielfacher
Aufschlüsse harrendes Gebiet.
In Oceanien ^) sind mehrere der abgelegenen Inselgruppen Melanesiens fast
noch ganz unbekannt und ist überall eine möglichst eingehende Beschreibung
der äusseren Erscheinung, der Hautfarbe, der Haarbeschaffenheit, des vielfach
buschartigen Wachsens des Kopfhaars und der Schädelbildung erwünscht, ebenso
der durch Standesunterschiede hervorgerufenen Verschiedenheiten, wie sie auch
in Polynesien und Mikronesien hervortreten. Von den auf Tinian , Manga-
reva, Pitcairn-lsland, Wahu und verschiedenen der übrigen Inseln bemerkten
Alterthümern werden Sammlungen oder Zeichnungen werthvoU sein, ebenso
von den auf Samoa den Freundschaftsinsulanern zugeschriebenen Befestigun-
gen und Strassenbauten.
Ueber das verwilderte Schwein auf Samoa ist Auskunft erwünscht und
ob auf Inseln Polynesiens (in Mikronesien auf den Carolinen) besondere
Muscheln als Werthzeichen oder Geld benutzt werden. Womöglich sind
diese Muscheln mitzubringen.
Auf dem Festlande Australiens sind an den Küsten, besonders bei den
nördlichen Stämmen, die durch die Beziehungen zu den Papuas hervorgerufenen
Modificationen ins Auge zu fassen, die Stammes-Eintheilung derselben, die
Geltung der Kobong, ihre dialectischen Verschiedenheiten et-c.
Sollte (nach zugegangener Mittheilung) auch Liberia*) an der afrika-
*) B eich er: Voyage of IT. M. S. Samarang.
2) Hoinibcrg: Ethnologische Skizzen über die Völker des russischen Amerika.
3) Ellis: Poiynesian researches.
Mein icke: Die Südseevölker.
Fi n seh: Neu Guinea.
Erskine: The islands of the Western Pacific.
Keate: Account of the Peiew-islands.
*) VVilkcson: History of Liberia.
Koelle: Narrati ve of an Expedition into the Vey country.
L
337
nischen Küste besucht werden, so wäre, neben den Dey, Bessy, n. s. w.
sowie den Mandingo des Hochlandes, welche die Küste für Handelszwecke
besuchen, ein besonderes Augenmerk auf die Vey und die gegenwärtige Ver-
wendung ihres selbständig erfundenen Alphabets zu richten.
Interessant würden die zum Feileu der Zähne verwandten Werkzeuge,
sowie bei Gesichtseinschnitten die dafür gebrauchten Messer und Farbe-
stoffe sein.
B. Prähistorische Forschungen.
An den zahlreichsten Punkten der Erdoberfläche finden sich Spuren des
Menschen aus vorgeschichtlicher Zeit.
Die ältesten dieser Spuren fallen schon dem Gebiete der Paläontologie
anheim, insofern in der Erde, sei es in Torfmooren, sei es in Sinter-
iagen oder gar Schwemmschichten, und im Wasser, namentlich im Boden
von Seen und Flüssen, üeberreste der menschlichen Kunstfertigkeit oder
der Mahlzeiten des Menschen oder endlich Knochen, Schädel, ja ganze Ske-
lete gefanden werden. Meist wird diese Art von Funden sich der Kenntniss
der Marine -Offiziere entziehen, indess bestehen an vielen Orten kleinere
oder grössere Sammlungen von Kaufleuten oder Privaten, welche gerne ab-
gegeben werden, wenn die Zusage gegeben wird, sie vaterländischen Samm-
langen einzuverleiben . Auch bringt der Zufall es mit sich , dass bei Wege-
bauten, nach grossen Wasserfluthen oder Erdrevolutionen solche Gegenstände
gerade zu einer Zeit zu Tage kommen, wo europäische Schilfe sich in der
Nähe befinden.
Ungleich häufiger sind die einer späteren, wenngleich immer noch vor-
historischen Zeit angehörigen Üeberreste. Dahin gehören namentlich:
a) alte Höhlenwohnungen;
b) alte Küchenanhäufungen (Kjökkenmöddinger, Paraderos der Pa-
tagonier, Muschelberge Brasiliens und der Andamanen);
c) alte Ansiedlungen an Bergen und in Ebenen; -
d) alte Befestigungen, namentlich Erd- und Mauerwälle, Mauern ohne
Mörtel etc.:
e) alte Opferplätze;
f ) alte Gräber.
Von allen diesen Arten ist es sehr wünschenswerth, genaue Beschreibungen,
Abbildungen und wenn möglich Photographien zu haben. Ist Zeit zur ge-
naueren Cntersuchung, so ist Alles zu sammeln, was über die Zeit der Anlage
oder Entstehung, über die Art des Lebens jener Bevölkerungen und über
die Menschenrasse Aufschluss geben kann. Proben des Bodens oder Ge-
838
Steines, Thier- und Menschenknochen, Thongeräthe (wenn auch nur Scherben),
Metalle (selbst in unscheinbaren Stücken), geschlagene oder bearbeitete Steine
müssen sorgfältig gesammelt und bewahrt werden.
Von hervorragendem Interesse sind die früher bewohnten oder benutzten
Höhlen, welche an zahlreichen Küstengegenden z.B. Brasilien, Westindien,
den Philippinen vorkommen. In einigen sind Leichen mit allerlei Beigaben
beigesetzt oder begraben; in andern haben die Leute gelebt und es mi
üeberreste ihrer Geräthe und ihrer Nahrung zurückgeblieben. Um letztere zu
finden, muss der Boden oft bis zu grösserer Tiefe aufgegraben worden. Ge-
schieht dies, so muss genau festgestellt w^erden, in welcher Tiefe, in welchen
Erdschichten und in welcher Reihenfolge die Funde gemacht werden.
Manche Höhlen sind nur von Thieren, sei es vorweltlicher, sei es noch
lebender Art, bewohnt oder besucht worden, und man findet die Knochen
derselben. Auch hier knüpft sich ein grosses Interesse daran, diese Knochen
recht vollständig zu besitzen.
Auch in den alten Befestigungen, Wohn- und Küchenplätzen, Muschel-
bergen u. s. w\ muss, wenn möglich, nachgegraben werden, um die Tiefe und
Beschaffenheit der Culturschichten zu ergründen.
Bei den alten Gräbern ist sowohl die äussere Form und Einrichtung,
als namentlich die innere Gestaltung möglichst genau festzustellen. Finden
sich Skelettheile vor, so ist deren Stellung und gegenseitiges Verhältniss
zu verzeichnen, namentlich auch die Lage der Beigaben in Beziehung zn
den einzelnen Körpertheilen wohl ins Auge zu fassen.
Es ist endlich darauf zu achten, dass an vielen Orten z. B. in Japan,
Celebes und andern ostasiatischen, sowie polynesischen Inseln alte Steingeräthe,
namentlich Steinbeile, nocli gegenwärtig im Besitze der Einwohner vor-
kommen und von ihnen zu erwerben sind.
839
C. Anthropologie im engeren Sinne.
•
Wie schon im ethnographischen Theile (A) ausgeführt, werden die Marine-
Offiziere und Aerzte allerdings selten in die Lage kommen, wenig bekannte
Völker zu sehen. Indess sind doch die physischen Eigenthümlichkeiten auch
der Küstenvölker noch keineswegs so genau untersucht, dass es nicht mög-
lich wäre, hier w^eitcre Forschungen anzustellen.
Das Gemisch der Rassen an den Donaumündungen ist so gross, dass es
allerdings einer sehr vorsichtigen Beobachtung bedürfen wird, um nicht in
Irrthümer zu verfallen. Slavische und rumänische Elemente, Griechen, Zi-
geuner und Juden werden sich jedoch leicht sondern lassen und verdienen
ein genaues Studium. Ganz besonders gilt dies von den einzelnen Stäm-
men der Südslaven (Bulgaren, Serben etc.) , welche keineswegs genau genug
beschrieben sind. Namentlich Schädel derselben wären sehr erwünscht.
In Ostasien sind es namentlich die schwarzen oder sehr dunkeln Rassen,
welche eine besondere Aufmerksamkeit erheischen. Im Norden von Japan
die Ainos (behaarte Kurilen), auf den. Philippinen die Negritos (Agtas), auf
den Nicobaren die Mincopies, weiter südlich die Papuas und endlich die
Australneger. Die Beziehung und Verwandtschaft dieser einzelnen Stämme
unter einander, ihre Wohnsitze, ihre physische Beschaffenheit, ihre Sitten
and Lebensweise sollten überall weiter studirt und für jede Localität be-
sonders fixirt werden. Zeichnungen, Photographien, Schädel,* ganze Skelete,
Messungen, Haare werden je nach der sich bietenden Gelegenheit erbeten.
Vorzüglich ist der genauen Feststellung der Hautfarbe (Kinder, Männer,
Weiber, Alte, Neugeborne) und der Beschaffenheit der Haare (lang oder
kurz? glatt? gelockt? kraus? in Büscheln (tufts, touflfes) stehend?) die sorg-
fältigste Beachtung zu schenken. Wiederholte Besuche der verschiedenen
Abschnitte der Küste Nen-Guinea's wären für die Erforschung der höchst
verwickelten Völker- und Culturverhältnisse Melanesiens dringend wünschens-
werth.
An den meisten Orten bewohnen die schwarzen Rassen das Innere der
Inseln, Wo dies nicht der Fall ist, machen wir besonders darauf auf-
merksam, dass auch die Bergvölker des Innern wenig gekannt und meist von
[grösserer Wichtigkeit sind, als die Küstenstämme, welche weit mehr ge-
mischt sind. Jenen stehen nur die Bewohner der sehr isolirten und wenig
zugänglichen Inseln gleich, deren Kenntniss allerdings auch noch sehr empfind-
liche Lücken hat.
340
Die Aerzte der Marine werden sich leicht schon vor der Abreise aus der
Heimath die nöthigen Instructionen verschaffen können und wir verweisen im
Voraus auf die von der deutschen anthropologischen Gesellschaft angekündigten
und gegenwärtig in der Bearbeitung begriffenen Vorschriften zur Schädel-
und Körpermessung. Vorläufig empfehlen wir folgende Messungen:
1. Aufrechte Höhe vom Scheitel bis zur Sohle.
2. Kopfhöhe vom Scheitel bis zum Bann.
3. Stimhöhe vom behaarten Theile des Gesichtes bis zur Nasenwurzel.
4. Nasenhöhe von der Wurzel bis zum Ansatz der Scheidewand.
5. Von der Nasenscheidewand bis zur Mundspalte.
6. Von der Mundspalte bis zum Kinn.
7. Grösste Länge des Kopfes von der hervorragendsten Stelle des
Hinterhauptes bis zur Nasenwurzel.
8. Grösste Breite des Kopfes (unter, zuweilen zwischen den Scheitel-
höckern).
9. Horizontaler Kopfumfang, gemessen über die hervorragendste Stelle
am Hinterhaupte und den Schläfen, jedoch oberhalb der Augenbrauenbögen.
10. Kopfbogen, von einer äusseren Gehöröffnung über die Kopfwölbung
hinweg zur anderen gemessen.
11. Jochbreite (zwischen den am meisten hervorragenden Stellen der
Jochbögen).
12. Entfernung der Nasenwurzel von dem äusseren Gehörgange.
13. Entfernung des Ansatzes der Nasenscheidewand von da.
14. Entfernung des vordersten Lippenrandes von dem äusseren Ge-
hörgange.
15. Halslänge vom.
16. Rumpf länge.
17. Brustumfang dicht oberhalb der Brustwarzen.
18. Taillenumfang (über der Crista oss. ilium).
19. Beckenumfang um die oberen Darmbeinstachel gemessen.
20. Schulterbreite hinten.
21. Abstand der Brustwarzen von einander.
22. Oberarmlänge bis zur Ellenbeuge.
23. Unterarmlänge.
24. Handlänge bis zur Spitze des Mittelfingers.
25. Oberschenkellänge.
26. Unterschenkellänge.
27. Länge des Fussrückens
28. Länge der Fusssohle
beides bis zur Spitze der zweiten Zehe.
Diese Maasse können (mit Ausnahme von No. 2, 7, 8, 10, 12 — 14)
mit einem nach dem metrischen Systeme eingetheilten Bandmaasse genom-
men werden. Statt des einfachen Bandmaasses wird noch besser ein Stahl-
maass angewendet, welches nicht dehnbar ist und daher constantere Re-
341
saltate liefert. Man hat solche in Kapseln mit einem Apparat znm Selbstanf-
wickeln. Für dieMaasseNo. 2, 7, 8, 10, 12 — HisteinTastercirkel ^) zu benutzen.
Ausser den Messungen, welche wo möglich an Männern und Frauen
ZQ veranstalten sind, ist jedesmal eine Beschreibung anzufertigen, worin
sowohl der Gesammteindruck (ob Lang- oder Kurzschädel? Ortho- oder
Propathismus ? gross oder klein? stark oder schwach? u. s. w.), als auch
eine genauere Angabe über einzelne Theile aufzunehmen wäre. Dazu em*
pfiehlt sich eine Liste mit folgenden Rubriken :
Nationalität.
1 . Geschlecht.
2. Alter.
3. Scbädelform
a) Breite (lang, kurz),
b) Höhe (hoch, niedrig).
4. Kieferstellung (orthognath, prognath)
5. Körperform.
Höhe.
Stärke.
6. Farbe der Haut, Lippen, Nägel, Haare, Iris, Bindehaut des Aug-
apfels (des „Weissen im Auge"). Beschaffenheit der Haare am Kopf
und an den anderen Körpertheilen.
7. Angaben über Ohr, Nase, Mund, Brust, Bauch, äussere Genitalien,
Gesäss, Bildung der Hände, Waden, Füsse.
Um die Hautfarbe näher zu charakterisiren, empfiehlt sich die Anle-
gung einer Farbenscala mittelst Wasserfarben. Der Beobachter sucht
die von ihm am häufigsten beobachtete Hautfarbe eines Stammes in Aus-
dehnung von etwa drei Centim. Länge und zwei Centim. Höhe auf Papier
ZQ malen. Nachdem dies geschehen ist, hält er eine Probe an die ver-
schiedenen Theile der Körperoberfläche des betreffenden Individuums und ver-
zeichnet diejenige Stelle, mit der die gemalte Farbe am meisten überein-
stimmt. Haarproben sind in Papierabschnitte zu wickeln und mit genauer
Aufschrift zu vorsehen. Besondere Aufmerksamkeit ist auf den Inseln
des stillen Oceans der Verbreitung der sogenannten Büschel-Haare zu
schenken.
Künstliche Verunstaltungen des Kopfes (bei Kindern), der Zähne (Feilen,
Färben, Ausbrechen), der äusseren Genitalien (Beschneidung, Vemähung),
der Haut (Narben, Tättowimng) sind genau zu beschreiben und die Art der
angewendeten Operation, sowie die Zeit derselben und etwaige besondere
Gebräuche, welche dabei in Anwendung kommen, zu bemerken.
Hinsichtlich des Gesichtsausdruckes der beobachteten Individuen dürften
') Der Tastcrcirkel kana ein geburtsbülflicher Gompas d'epaissear sein. Jedenfalls
wäre es gut, die Entfernungen der Branchen mit einem Maassstabe, selbst nur mit einem
Bandmaasse zu messen.
ZdtKWn ttx Ethnologie, Jahrgug 1872. 24
842
noch die folgenden, von Herrn Ch. Darwin ') angegebenen Gesichtspunkte zu
berücksichtigen sein, welche in die für die österreichische k. k. Mission nach
Ostasien ausgefertigten Instructionen aufgenommen sind:
1. Wird das Erstaunen durch weites Oeffnen der Augen und des
Mundes ausgedrückt, so wie durch Hinaufziehen der Augenbrauen?
2. Gibt sich Schamgefühl durch Erröthen kund, sobald die Hautfarbe
dies zu sehen erlaubt? und insbesondere, wie weit hinab reicht das Roth-
werden des Körpers?
3. Runzelt der Entrüstete oder Trotzige die Stirne, hält er Kopf und
Körper aufrecht, die Schultern viereckig und ballt er die Fäuste?
4. Ist bei demjenigen, der in tiefes Nachdenken versunken ist oder
der eine Räthselfrage zu lösen sucht, ein Runzeln der Stirn oder der Haut
unter den Augenlidern wahrzunehmen?
5. Werden, we^in Jemand missmuthig ist, die Mundwinkel herabge-
drückt und die inneren Augenbrauenwinkel durch jenen Muskel emporge-
zogen, den die Franzosen den „Schmerzmuskel" nennen? Bei diesem Zustand
stellt sich die Augenbraue etwas schräg mit einer kleinen Anschwellung
am inneren Ende und die Stirn wird in ihrer Mittel-Partie transversal ge-
runzelt, aber nicht in ihrer ganzen Breite, wie wenn die Augenbrauen ganz
hinaufgezogen werden.
6. Funkeln die Augen beim Gefühl des Wohlbehagens, wobei die Haut
ringsherum und darunter ein wenig gerunzelt und die Mundwinkel ein wenig
zurückgezogen werden?
7. Wird, wenn Jemand einen Anderen anf&hrt oder verhöhnt, der
Winkel der Oberlippe oberhalb des Hunds- oder Augenzahns an der Seite,
die dem Gegner gegenübersteht, hinaufgezogen?
8. Lässt sich der Ausdraek der Hartnäckigkeit oder Verstocktheit er-
kennen, der hauptsächlich im festen Zusammenschliessen des Mundes, Herab-
ziehen der Augenbrauen und leichtem Stirnrunzeln besteht?
9. Aeussert sich Verachtung durch leichtes Vorschieben der Lippen
und durch Hinaufziehen der Nase in Begleitung einer leichten Exspiration?
10. Zeigt sich das Gefühl des Ekels durch Herabziehen der Unter-
lippe, leichtes Aufheben der Oberlippe mit plötzlicher Exspiration? (eine
Art von beginnendem Erbrechen oder als ob man Etwas aus dem Monde
speien würde?)
11. Gibt sich der höchste Grad der Furcht in derselben W^eise kund,
wie bei Europäern?
12. Wird das Lachen jemals bis zu der Höhe gesteigert, bei der es
Thränen in die Augen bringt?
13. Zuckt man die Achseln, wendet man die Ellbogen nach innen,
breitet man die Hände nach aussen und öiFnet man die Handflächen, unter
*) Vergl. das neue Werk von Darwin: The expression of the emotions in man and
animals. Lond. 1872.
343
HinanfiEiehen der Brauen, wenn mau andeuten will, daas man Etwas nicht
m hindern oder selbst nicht zu thnn vermag?
U. Lassen Kinder, wenn sie mürrisch sind, den Mond hängen oder
schieben sie die Lippen beträchtlicli vor?
15. L&sst sich der Ausdruck der Schuld, der List oder der Eifersucht
erkennen?
IG. Gilt ein leiser Pfiff als ein Wink, Stillschweigen zu beobachten?
IT. Wird der Eopf in verticaler Richtung zum Zeichen der Bejahung
nud in lateraler zum Zeichen der Verneinung geschüttelt?
Die Beobachter würden gut thun, sich der leichteren Uebersicht wegen
Tabellen zur Eintragung der Maasso etc. etwa nach beifolgendem Schema
anzulegen. Die K^o. 1—2? correspondiren mit den auf S. 16 angegebenen
einzelnen Maassen.
iillllillilllf
344
D. Pathologie.
Die Geographie der Krankheiten ist nicht bloss für die Erforschung der
Natur mancher pathologischer Prozesse von entschiedener Wichtigkeit, sondern
sie bildet auch einen Gegenstand von dem höchsten praktischen Interesse für
Kriegs- und Handelsmarine. Wir erinnern in dieser Beziehung nur an die
vielen Erkrankungen, welche theils an den Boden, theils an das Klima ge-
knüpft sind.
Für uns hat specielleres Interesse die Kenntniss derjenigen Krankheits-
prozesse, für deren Fortpflanzung erbliche üebertragungen nachweisbar sind.
Wenn schon an manchen Orten gewisse Körperformen den Eindruck krank-
hafter Bildungen machen (z. B. die Fettauswüchse der Hottentotten), so
nehmen an anderen gewisse erbliche Krankheiten von constitutioueller Natur
eine solche Bedeutung an, dass sie die ernsteste Aufmerksamkeit verdienen.
Unter letzteren steht obenan der Aussatz (Lepra, Leprosy, Elephantiasis
Graecorum).
Schon auf dem internationalen statistischen Gongresse zu London 1860
Hess Prof. Virchow eine Fragetabelle mittheilen, welche er zuerst in seinem
Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie veröffentlicht hatte.
Zahlreiche Einzelbeiträge kamen ihm von den verschiedensten Seiten zu und
sind ebendaselbst (Band XXII — XXVII) gedruckt worden. Die englische
Regierung veranlasste besondere Aufnahmen in allen Golonien, deren Ergebniss
in besonderen Blaubüchern ^) mitgetheilt ist. Indess sind damit die Unter-
suchungen über die Natur der Lepra nicht abgeschlossen und wir geben daher
hier nochmals das erwähnte Frage-Schema wieder;
A. Die Leproserien f Aussatzhäuser).
1. Wo giebt es Leproserien? wie alt sind sie? wieviel Kranke nehmen
sie auf? welche Bedingungen bestehen für die Aufnahme, welche
Ordnung für das Hauswesen der Anstalten?
2. Wo gab es früher Leproserien? wann wurden sie gegründet? wie
gross waren sie? welche Statuten hatten sie? wann wurden sie um-
gewandelt oder aufgehoben?
B. Der Aussatz.
1. Wo giebt es Aussatz (Lepra Arabum, Elephantiasis Graeco-
rum, Spedalskhed)?
2. Wo gab es früher Aussatz? und wann ist er zuerst und wann zu-
letzt erwähnt?
3. Welche Formen von Aussatz sind beobachtet worden? (Lepra tu-
berculosa, anaesthetica, mutilans, articulorum? Mor-
phaea?) Kennt man bestimmte Beziehungen der Morphaea zu den
anderen Formen der Lepra?
>) Report on Leprosy by the Royal College of Physicians. London 1867. Ck)rre8poa-
dance relating to the Discovery of an alleged eure of Leprosy. London 1871.
345
4. Findet sich die Krankheit endemisch oder sporadisch? Bemerkt man
eine Zunahme oder Abnahme derselben in Beziehung auf die Zahl
der Erkrankungen?
5. Welche Ursachen schuldigt man an?
a) Erblichkeit?
b) Contagion?
c) Klima? (^uft- und Bodenfeuchtigkeit?)
d) Nahrung? (F^tt? Fische? gesalzene? welche Art von Fischen?)
6. Kennt man eine Therapie der Lepra?
7. Bestehen besondere Gesetze über die Leprösen? Absperrung? Ehe-
Verbote ?
8. Giebt es literarische, private oder officielle Berichte über die
Krankheit?
In China und Japan, an der östlichen und westlichen Küste von Süd-
amerika, auf Madeira, den Azoren und den westindischen Inseln, am Cap etc.
ist noch jetzt der Aussatz zu finden und es giebt zahlreiche Einrichtungen
und Anstalten für die Erkrankten.
E. Linguistik.
Wenn nicht zufälligerweise unter den Marine-Offizieren sich jemand be-
finden sollte, der besondere Sprachkenntnisse besitzt, so wird es kaum mög-
lich sein, irgend welche Erwartungen auf selbständige Forschungen seitens
derselben zu hegen oder solche Forschungen anzuregen. Wortverzeichnisse
anzulegen, kann einen gewissen Werth haben, und es ist in dieser Be-
ziehung schon unter A. Einiges gesagt. Indess wäre es weit mehr vorzuziehen,
wenn die Herren Marine-Offiziere ihre Aufmerksamkeit darauf richten wollten,
schon fertige, sei es geschriebene, sei es gedruckte Vocabularien zu erwerben
nnd mitzubringen. Ganz besonders gilt dies von den polynesischen Inseln,
wo zahlreiche Missionsanstalten befindlich sind. Die Drucksachen dieser
Anstalten sind für uns sehr schwer zugänglich, da oft nicht einmal deren
Titel in Europa bekannt werden. Der Catalog von Trübner in London
(American and Oriental Record. 7 Bände), giebt eine gewisse Uebersicht
solcher Publicationen, indess ist er keineswegs vollständig, und wenn ein
Exemplar desselben der Expedition mitgegeben würde, so Hesse sich leicht
controliren, was nicht notirt und daher nicht bloss selten, sondern bisher un-
bekannt ist.
Von sehr viel geringerem W^erthe sind die von Missionären besorgten
Ceberaetzungen biblischer Schriften in fremde Sprachen. Alles, was ur-
sprünglich in der Muttersprache ausgedrückt ist, und wenn es noch so klein
ist, besitzt eine grössere Bedeutung. Daher wären Sammlungen von Sprich-
wörtern in der Ursprache , sowie von Liedern, wie sie bei den mannichfachsten
346
Ereignissen des Lebens, namentlich bei Begräbnissen gesungen werden, sehr
zu empfehlen. Hat das Volk Fabeln oder Erzählungen in feststehender Form,
so wären diese zu fixiren. Ist dies Alles nicht zu finden, so schreibe man
Gespräche auf oder zufallige Erzählungen, natürlich mit einer Uebersetzung
derselben in eine bekannte Sprache.
Endlich ist daran zu erinnern, dass, wo Lieder gesammelt werden, auch
die Melodie derselben musikalisch niedergeschrieben werden sollte.
F. Geographie und Statistik.
Aufgaben rein geographischer Art werden sich, gegenüber den bereits
so ausgedehnten Resultaten der Aufnahmen europäischer Seemächte, nament-
lich der britischen Admiralität, für die in Rede stehenden Expeditionen der
Deutschen Marine nur ausnahmsweise und in beschränktem Umfange ergeben.
Im grossen Ocean bildet das südöstliche Ende von Neu-Guinea das längste
bisher noch unerforschte einem grosseren Landgebiete angehörige Küsten-
stück, dessen vollständige Recognoscirung eine empfindliche Lücke unserer
Karten ausfüllen würde, falls dies nicht bereits durch eine von der nieder-
ländischen Regierung vor einigen Jahren beabsichtigte Expedition in der
Zwischenzeit ausgeführt sein sollte, worüber hier nichts bekannt ist, in Batavia
aber sichere Nachrieht zu erhalten sein wird.
Ferner gehört der grosse Archipel der Salomons- Inseln nicht allein
hinsichtlich der Beschaflfenheit des Landes und seiner Bewohner noch zu
den unbekanntesten Theilen Oceaniens, sondern nicht einmal die ein-
heimischen Namen der einzelnen Inseln (welche auf den Karten gewöhnlich
noch durchaus die ihnen von den Entdeckern beigelegten Benennungen
führen) sind bis jetzt dem grösseren Thoile nach bekannt, namentlich fehlen
uns die der drei grossen Inseln Yzabel, Choiseul und Bougainville. Schon
die Ermittelung der einhcimisclien Synonymen für dieselben, sowie für
Espiritu - Santo , die Hauptinsel der Neu -Ilebriden- Gruppe, wäre eine Be-
reicherung der Erdkunde.
Wenn Erforschung des Innern weniger bekannter Länder, abgesehen
von einzelnen weniger umfangreichen Inseln, wo ein nicht allzu kurzer
Aufenthalt dies gestattet, ausserhalb der Zwecke einer See - Expedition
liegt, so wird sich doch öfters Gelegenheit ergeben, zuverlässige Nachrichten
in jener Hinsicht von ständig oder vorübergehend angesiedelten Europäern
oder Amerikanern (namentlich Missionaren und Kaufleuten) einzuziehen,
resp. durch Copien bereits ausgearbeiteter Beri(Jite und Kartenskizzen zu
erwerben; wo dergleichen neueren Datums bereits durch den Druck publicirt
s>"d (vielfach in Australien, auf einzelnen der Inseln des grossen Oceans), wird
emi3 Anschaffung dieser Drucksachen, die oft erst spät, noch öfter gar nicht
auf anderen Wegen nach Europa gelangen^ dringend empfohlen. Namentlich
347
dürfte auf diesem Wege unsere höchst mangelhafte, nur auf fast ein Jahr-
hundert alte Berichte und Karten gestützte Kenntniss der grossen Insel
Hayti vielleicht um ein erhebliches vervollständigt werden; alles was in
geographischer, geologischer, ethnographischer ^ naturwissenschaftlicher Be-
ziehung im Laufe dieses Jahrhunderts in Port-au-Pnnce und St. Domingo
gedruckt sein sollte, wird unseren öfTentlicheu Sammlungen, die nichts
derartiges besitzen, höchst willkommen seinJ)
In den griechischen Gewässern würde namentlich eine Vervollständigung
der von dem britischen Survey begonnenen Sondirungen wüuschenswerth
sein, um zu einer möglichst vollständigen Kenntniss des Meeresbodens, zu-
nächst des Aegeischen und Marmara Meeres zu gelangen. Ferner wären in
derselben Region mit leichter Mühe einzelne Lücken im archäologisch-
geographischen Interesse auszufüllen, namentlich in den südöstlichen Golfen
des Archipelagus (Südwestküste Kleinasiens). Die englischen Karten, sowohl
die der Adnuralität (Archipelago, sh. 6) als in noch höherem Moasse die auf
Grund derselben von Newton vervollständigten, seinem Werke überHalicar-
nassus beigegebenen Karten, zeigen an den Golfen von Kos, Giova und Syme
eiae grosse Zahl namenlos gelassener Orte und Ruinenstätten, deren Namen,
vorzüglicli die von den griechischen Inselbewohnern (auf Kos und Syme)
gebrauchten ein nicht geringes Interesse haben, insofern darunter wohl,
ebenso wie unter der Nomenclatur der Inseln, Spuren von Namen des Alter-
thoms erhalten sein können.^) Schon eine Constatirung dieser Namen, am
besten durch einen schriftkundigen Einheimischen griechisch geschrieben,
nicht weniger ihre türkischen Synonymen und die Namen der von Türken
bewohnten Ortschaften an diesen Küsten würden dankenswerth sein.
Eine ähnliche Vervollständigung in topographischer Beziehung verdienen
die nördlichen Küsten des ägeischen Meeres (Archipelago, sheets 3 und 4),
namentlich die für die alte Geschichte überaus wichtige, aber bis jetzt von
neueren topographischen Forschungen fast unberührt gebliebene chal ei-
dische Halbinsel zwischen den Meerbusen von Saloniki und Orphani;
auch von den drei kleinen südlich daran sich schliessenden Halbinseln ist
aar die östliche, die des Berges Athos (Hagion Oros) ausreichend durchforscht,
die mittlere und westliche, mit einem Dutzend altgriechischsr Städte, die
vermuthlich durchweg wenigstens kenntliche Spuren zurückgelassen haben
werden, noch so gut wie unbekannt ; bei der geringen Arealausdehnung dieser
') Auch in Guayaquil, wenn es berührt wird, wäre nachzufragen, ob seit Villavicencio's
Arbeiten nichts Neueres über die Republik Ecuador veröffentlicht worden ist.
^ Z. B. zwischen Gap Alupo, gegenüber Rhodos, und dem Golf von Makri, in der
Umgebung der Buchten, welche jetzt unter den Nanieo Marmaras und Karaghatsch be-
kannt sind, geben die italiSnischen Seekarten des 15. und 16. Jahrhunderts folgende Namen
von Küstenpunkten, die alle in der an dieser Stelle auffallend dürftigen neuen englischen
Seekarte fehlen, woraus nicht folgt, dass sie wirklich durchaus verschwunden sind: Messi
Marfitan oder Malfitan, Anconitan, Traquia, Fisco (das alte Physcus) Larosa, Lavia, Prepia
Metireme.
348
Halbinsel würde selbst eine Durchforschung und Skizzirung des Innern wenig
Zeit wegnehmen und bei einem nicht allzu kurzen Aufenthalt eines der
K. SchiflFe in Saloniki sehr leicht auszuführen sein. Ebenso dringend
empfohlen wird die Bereisung der grösseren Halbinsel, namentlich der West-
küste (von Saloniki bis zum Isthmus von Eassandra) mit ihren 8 oder 9
grösstentheils unmittelbar an der Küste gelegenen antiken Städten, und
wenn es irgend die Zeit erlaubt, auch eine Bereisung des Innern, Besuch
des noch von keinem europäischen Berichterstatter berührten Hauptortes
Poligyro (oder Poliero, nicht einmal die richtige Schreibart dieses Namens
ist bis jetzt constatirt), Besteigung und Messung der bedeutenderen Höhen-
punkte; endlich als sehr wichtig, die kaum mehr als 3 — 4 Tage bean-
spruchende Querroute von Saloniki bis zum östlichen Golf durch das Thal
der Beschik-Seen und zurück (beide Hauptwege im Norden und Süden
der Seen).
Weiter östlich gehört der Küstenstrich von der Bucht Burugjöl bis zur
Maritza- Mündung bei seinem grossen historischen Interesse (Zug des Xerxes,
Peloponnesischer Krieg) zu den allerunbekanntesten, da er auch auf der englischen
Karte (sh. 4) nur sehr vag und unvollständig dargestellt ist, sowohl hinsichtlich
der bewohnten oder zerstörten Küstenorte, als der Flussthäler, deren die Alten
hier eine viel grössere Zahl nennen, als die Karte angiebt; von dem im
Alterthum hier oft genannten Küstensee Ismaris müsste sich, wenn er
selbst völlig ausgetrocknet sein sollte, in der Nähevon Maronia doch noch
die Spur nachweisen lassen. Eine Landreis« auf dieser Küstenstrecke, auch
nur auf die 8 deutschen Meilen zwischen dem Burugjöl und Makri beschränkt,
mit Skizzirung der topographischen Verhältnisse und der Ruinenstätten,
würde gewiss ein reichhaltiges und zum Verständniss der alten Geschichte
wichtiges Material zu Tage fördern.
Es ist endlich daran zu erinnern, dass alles statistische Material über
Bevölkerungs- und Stcrblichkeits- Verhältnisse, namentlich über die Verthei-
lung und Ausbreitung der einzelnen Rassen und Stämme recht sorgfältig
gesammelt werden sollte. Von besonderem Interesse sind diejenigen Zahlen,
welche sich auf Einwanderung, Acclimatisation und Colonisation beziehen,
sei es, dass sie ganze Gebiete, oder nur einzelne Küstenstriche betreflfen.
349
G. Botanik. '
Die Wünsche der botaDischen Mitglieder der anthropologischen Geseli-
schaft erstrecken sich hauptsächlich auf HerbeischaflFung solcher Gegenstände
aus dem Pflanzenreiche, welche in irgend welcher Weise vom Menschen be-
natzt werden; an solchen Gegenständen ist das hiesige botanische Museum
noch sehr arm und wird daher jeder derartige Beitrag mit grösstem DanivO
eDtgegengenommen werden.
Es sind hier zu nennen in erster Reihe Nahrungsmittel, und zwar
Früchte (die gewöhnlichen tropischen Früchte, theils trocken, theils in Gly-
cerin') oder Alkohol sehr erwünscht), Getreide-Arten und sonstige Saamen,
Waizeln und Knollen, wie sie zu Markt gebracht werden.
Arzneimittel der verschiedensten Art, namentlich solche der Einge-
bornen, auch Zaubermittel oder beim Cultus benutzte Gewächse.
Faser-, Geflecht- und Farbestoffe.
Nutzhölzer.
Von allen diesen Gegenständen werden instructive Proben, womöglich
mit Angabe der einheimischen Namen und — sehr dankenswerth — mit
Beigabe der Pflanze, von welchen sie kommen, gewünscht.
Als eine Specialität von Ost- Asien sind die essbaren See-Tang-
Arten in den jSford-Japanischen Gewässern zu erwähnen, von denen Exem-
plare sehr wichtig wären.
Die Dircction des Königlichen botanischen Museams in Berlin benutzt diese Gelegen-
öeit, um einige andere Desiderate, die zwar nicht auf Anthropologie, wohl aber, z. Th.
wenigstens, auf Hydrographie Bezug haben, den Mitgliedern der Expeditionen ans Herz
w legen.
In erster Reihe bittet dieselbe, auf Meergewächse zu achten und dieselben an
Diöglichst vielen Stellen und in so zahlteichen Arten als möglich zu sammeln. Die geo-
graphische Verbreitung derselben ist noch keineswegs vollständig bekannt und dürfte für
ilvdrographie manche wichtige Schiussfolgerungen ergeben. In hohem Maasse gilt das von
den schwimmenden Seetang^- (Sargaco-) Anhäufungen, namentlich im südlichen Indi-
schen Ocean. Die grosse Mehrzahl dieser Gewächse gehört zu den Kryptogamen (Algen);
gewisse Tbiergruppen (Polypen, bes. Bryozen), welche in der Regel mit den Algen ver-
gesellschaftet vorkommen und ihnen äusserlich z. Th. nicht unähnlich sind, brauchen
nicht ängstlich gesondert zu werden, da das botanische Museum die wissenschaftliche
Verwerthung derselben vermitteln würde. Wohl aber verdienen eine besondere Aufmerk-
samkeit die Meer-Phanerogamen (Seegräser), über welche die in 3ExempI. beifolgende
Abhandlung des Dr. Ascherson genauere Andentungen giebt. Diese Gewächse sind selbst
in rein botanischer, mehr noch in geographischer Hinsicht unvollkommen bekannt; be-
0 3 Theile Glycerin, 1 Theil Wasser, einige Tropfen Essigsäure und ein wenig reinen
Alkohol
350
•
soDdcrs wlcbtig wäre iu dieser Richtung die ExploratioD der afrikanischen, südamo-
rikanischen und chinesischen Küsten, von welchen wenig oder nichts bekannt Ist,
sowie des indischen Archipels und der Gewässer um die Südsce-Inseln, wo eine
besonders reiche Ausbeute zu erwarten ist.
Endlich verdienen auch die durch mikroskopische Pflanzengebilde (Seebluthe,
Sfigespahnsee) verursachten Trübungen des Meeres besondere Beachtung.
Was Laudpflanzcn betrifft, so werden natürlich alle Sammlungen dankbar ange-
nommen werden; doch sind es einige Punkte, welche besondere Aufmerksamkeit vcrdiencc:
so gehört die europäische Türkei noch zu den am wenigsten erforschten Ländern der
£rde ; die Flora der Donaumündungen kann als fast unbekannt gelten. Die W es t k ü stc
A.frika*s und die Inselgruppen Polynesiens sind in unserem Museum noch wenig
vertreten.
Für die Zubereitung und Aufbewahrung der erwähnten Gegenstände werden folgende
Andeutungen genügen: Alle Gegenstände sind möglichst sorgfältig mit specieller Fund-
ortsangabe und Datum zu etikettiren. Das Trocknen der Pflanzen geschieht zwischeo
Löschpapier. Jede Pflanze wird in einen Bogen dünneren Löschpapier»' möglichst ausge-
breitet, und diese Bogen abwechselnd mit (zweckmässig gehefteten) Zwischenlag eu von
4—6 Bogen stärkeren Löschpapiers aufgeschichtet. Das Ganze wird durch Zusammcu-
schnüren oder sonst einem starken Drack unterworfen und die feuchten Zwischonlagco
etwa täglich durch trockene ersetzt, was so lange fortgesetzt wird, bis alle Pflanzen völlig
trocken sind. Diese trockenen Zwischenlagen sind vor dem Wechsehi zweckmässig in der
Sonne oder an der Maschine zu erwärmen, nicht aber die eingelegten Pflanzen
selbst. Farrenkräuter und Gräser zu sammeln, empflehlt sich besonders, weil sie sehr
leicht zu trocknen sind und besonderes Interesse besitzen. Alle trocknen Gegenstände
sind auf dem Transport vor Feuchtigkeit zu bewahren.
Saftige Früchte, Blüthen, welche durch's Trocknen unkenntlich werden wurden, (solche
Gegenstände würden in ihrer frichen Beschaffenheit durch farbige Abbildungen zu fiiiren
sein), zartere Seegewächse und kleine Proben der grösseren, namentlich der
Stammspitzen, sowie Blatt- und Stengelstücke und Blüthen und Früchte der
Seegräser sind in Spiritus aufzubewahren, desgl. mikroskopische Organismen, welche die
Sceblüthe bewirken. Grössere Algen werden zweckmässig nicht gepresst, sondern aa
der Luft getrocknet.
Schliesslich noch die selbstverständliche Versicherung, dass das botanische Museum
haare Auslagen, die in seinem Interesse gemacht worden, ersetzen wird.
A. Braun. P. Ascherson.
351
H. Zoologie.
Es wäre von grossem Interesse, über das Vorkommen und die Lebens-
weise der menschenähnlichen oder anthropoiden Affen (Chimpanse,
Gorilla, Orang-Utan) Nachrichten einzuziehen. Schädel, Skelete oder selbst
Dar einzelne Skelettheile , besonders Hand- und Fussskelote , wären zn sam-
meln. Böte sieh die Gelegenheit dar, Köpfe oder Extremitäten dieser Thiere
mit Haut und Haar in Alkohol zu legen, so wäre dies um so erwünschter.
Unausgetragene Junge (Foetus) vom Orang-Utan, sowie Schädel alter
männlicher Chimpanses sind ein bedeutendes Desiderat.
Auf die Erforschung der Hausthiere, als: Hunde, Katzen, Pferde
Esel, Schweine, Rinder, Ziegen, Schaafe etc. ist besonderes Gewicht
zu legen.
Es sind Beschreibungen des äussereren Habitus dieser Thiere zu ent-
werfen und Nachrichten über ihr Variiren, ihre Züchtung, Fruchtbarkeit, die
Ertragsfälligkeit des Milchviehes, die etwaige Fortpflanzung von Diffbr-
mitäten einzuziehen.
Die muthmaassliche Abstammung der auf stammlich begrenzten Oertlich-
keiten, z. B. Inseln gehaltenen Hausthiere ist möglichst zu ergründen. Schädel
nad Skelete derselben sind zu erwerben. Von besonderer Wichtigkeit sind
diese Untersuchungen in Bezug auf entlegene Inselgruppen, um festzustellen,
bis zu welchem Maasse hier Hausthierrasseu verwildern.
Schädel der Hausratten lassen sich überall mit Leichtigkeit beschaffen.
Der Grad der Variabilität dieses Thieres unter verschiedenen Klimaten wäre
ein der Untersuchung sehr würdiges Thema.
NB. Jeder Thierschädel ist mit einer Notiz über den Fundort und das
Geschlecht zu versehen.
Die Schädel werden in heissen Klimaten nothdürftig von ihrem Fleische
entblösst, das Gehirn wird mit einem gebogenen Aste in der Hirnhöhle selbst
zerstossen und zerquetscht und so viel wie möglich mit Wasser und Asche
herausgespült'.
Darauf werden einige nasse Bogen Pflanzenpapier um den Schädel
geschlagen und das Ganze in der Sonne getrocknet. Ist kein Lösch-
papier zur Hand, so kann man auch die Schädel mit Asche, Sand oder
Erde bestreuen und so in der Sonne trocknen. Eine Umhüllung mit Pflanzen-
papier schützt zugleich vor dem Verlust von Zähnen, dem zu leichten Ab-
brechen von Knochenvorsprüngen etc.
352
I. Photographie.
Man hat zu unterscheiden zwischen physiognomischen Aufnahmen
und ethnographischen. Die Grundprincipien, nach Avelchen beide Arten
von Aufnahmen anzufertigen sind, müssen getrennt werden.
I. Physiognomische Aufnahmen
sollen die physische Beschaffenheit der Völker darstellen, soweit die Pho-
tographie dies zu leisten vermag, und zwar in solcher Weise, dass eine
durchgehende Vergleichung der Aufnahmen unter sich, sowie mit denen
anderer Arbeiter möglich ist. Es wird zu diesem Zwecke praktisch sein,
Darstellungen von Portraits (A) und ganzer Figuren (B) zu trennen.
A.
1. Bei Portraits sollten stets gerade Proiectionen*) gewählt werden.
Wo es irgend thunlich, stets Vorder- und Seitenansicht des-
selben Kopfes.
2. Das Streben, hierbei einen malerischen Effect zu erzielen, ist ver-
werflich, da es die Verhältnisse leicht entstellt. Kopf und Brust
sei nach Möglichkeit entblösst; die Beleuchtung einüau^h und
klar, um die umrisse recht deutlich hervortreten zu lassen. Zu
diesem Zwecke wird es sich auch empfehlen, einen weissen oder
wenigstens recht hellen Hintergrund zu wählen.
3. Die Aufnahmen müssen in bestimmter Grösse ausgeführt werden.
Es ist wünschenswerth, nicht unter Vs iiat. Grösse zu gehen, da
sonst die einzelnen Verhältnisse des Gesichtes nicht mehr messbar
erscheinen.
4. Vermag der Photograph eine oder die andere Dimension des Gesichtes,
welche im Bilde leicht zu identificiren ist, mittelst eines Taster-
cirkels (Baudeloque's Comp, d'epaiss.) in Natura zu messen, so
wird dies den Werth der Arbeit erhöhen. Kann dies nicht ge-
schehen, so ist ein Bandmaaas als Loth neben dem Modell auf-
zuhängen.
B.
a. Ganze Figuren müssen ebenfalls möglichst .entblösst aufge-
nommen werden.
b. Gerade, aufrechte Haltung des Körpers, auch hier Vorder-
und Seitenansicht. Doch ist hierbei die Seitenansicht nicht in
in gleichem Masse unerlässlich, wie bei den Portraits.
c. Bestimmte Grösse hierbei ist noch wichtiger, der Massstab darf
aber viel geringer sein. Erforderlichen Falles bis V20 nat. Grösse.
Anlehnen oder in die Hand geben eines auch im Bilde kenntlichen
Messstockes ist zu empfehlen ; ein Arm aber wenigstens muss in
^) Um gerade Projectionen zu erzielen, ist es selbstverständlich nothwendig, auch die
Kamera horizontal zu stellen und die Visirscheibe senkrecht zu belassen.
358
seiner natürlichen^ gerade herabhängenden Haltung verbleiben. Der
Messstock soll so genau als möglich in die mittlere Transversal-
eoene der Figur gebracht werden, um die gleiche perspectivische
Verkürzung zu zeigen, und muss senkrecht gehalten werden. Da
dies schwierig ist, so kann auch hier ausserdem oder allein ein
Bandmaass als Loth neben der Figur so aufgehängt werden, dass es
in die mittlere Ebene des Bildes fällt.
Projiciren der Figur auf einen eingetheilten Hintergrund ist
wegen der Verkürzung nicht empfehlenswerth. Soll diese Methode
doch angewendet werden, so muss der Photograph durch genaue
Vergleichung feststellen, welche Correction bei der angewandten
Entfernung der Figur vom Hintergrunde die Eintheilung nöthig hat.
d. Zur Verringerung der perspectivischen Verkürzung sind sowohl bei
der Aufnahme von ganzen Figuren, als von Portraits nur Objective
zu benutzen, deren Oeffnungswinkel kein übermässig
grosser ist. Es würde also ungeeignet sein, die Augenlinse oder
das Pantoscop zu wählen; schnell arbeitende Doubleobjective
wären vorzuziehen. Hat man hinreichendes Licht, oder gestatten es
die Umstände, längere Exposition anzuwenden, so kann man wegen
der correcteren Zeichnung mit Vortheil auch das Aplanat oder
üniversaltriplet anwenden; doch darf man alsdann nur den mitt-
leren Theil des Gesichtsfeldes benutzen, wo trotz des verhältniss-
mässig grossen Oeffnungs winkeis die seitliche perspectivische Ver-
schiebung noch nicht so merklich ist.
U. Ethnographische Aufnahmen.
Bei ethnographischen Aufnahmen bleibt der künstlerischen Neigung des
Photographen ein grösseres Feld.
Solche Bilder können im Character sehr verschieden sein und doch
brauchbar erscheinen.
Besondere Rücksicht verdient dabei: Das Kostüm der Personen, be-
liebte Haltung und Stellung des Körpers, Waffen und Geräthe
nebst Bildern, welche die Art und Weise des Gebrauchs erkennen lassen,
Wohnungen, Städte, Dörfer, Strombilder, Scenen des öffent-
lichen und privaten Lebens, Hausthiere, welche characteristisch
erseheinen.
Für alle Aufnahmen ist es erwünscht, das zur Verwendung gekommene
Objectiv, die Brennseite desselben, die Erhebung über den Fernpankt des
Stativs, sowie die Entfernung vom Gegenstand wenigstens annähernd genau
festzustellen.
354
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Zeitschrift für allgemeine Erdkunde und deren Fortsetzung: Zeitschrift der
Gesellschaft für Erdkunde. (Berlin.)
Petermanns Geographische Mittheilungen.
Le Tour du Monde. Paris.
Globus. Hildburghausen und Gotha.
Our Ocean Highways. London.
Von Weltumsegelungen wird aufmerksam gemacht auf die amtlichen Publi-
cationen der Preussischen Expedition nach Ostasien und auf die von
Mitgliedern (Werner, Friedel, Wichura, Maren und Spiess) der-
selben veröffentlichten Reiseberichte.
Von der Reise der österreichischen Fregatte Novara 1857 — 59 sind zu be-
rücksichtigen, ausser den drei beschreibenden Theilen, der linguistische
Theil von F. Müller 1867; der ethnographische Theil von F. Müller
1868; die Körpermessungen von Weissbach 1867.
Wilkens, Narrati ve of the United States Exploring Expedition during tlie
Years 1838-42. Philadelphia 1845.
Meyen, Reise um die Erde, ausgeführt auf dem K. Preuss. Schiffe Prinzess
Louise 1830—32. Berlin 1834-35.
Du Petit-Thouars, Voyage autour du monde sur le fregate la Venus
1830—39. Paris 1741 ff.
Dumont d'Urville, Voyage de decouvertes autour du monde 1820-29.
Paris 1832 ff.
.Der Vorstand der Berliner Gesellschaft für Anthropologie,
Ethnologie und Urgeschichte:
Virchow. Bastian. Alex. Braun. Hartmann. M. Kuhn. Fritsch. Deegen.
Unter Mitwirkung der Herren:
A. Kuhn. Steinthal. Kiepert. Martha. Neumayer. Ascherson. v. Martens. Stolze.
Zu Nicolais Fedenoann's erster Reise in VenezoeUu 357
Zn Nicolans Federmann's erster Reise in Venezuela
(1630 — 1531).
Von A. Ernst
in G&racas.
Bekanntlich ist die Originalausgabe von N. Federmann's Indianischer
Historie (Hagenan 1557) eine grosse Seltenheit geworden, so dass der von
dem Stattgarter Litterarischen Verein 1859 veranstaltete Abdrnck allen For-
scliem über Amerikas ältere Geschichte sehr willkommen sein musste, wenn-
gleich die 1838 von Henri Temanx heransgegebene französische Uebersetzung
(ÜD ersten Theile der Yoyages relations et m^moires originanx ponr servir ä
riiktoire de la d^couverte de TAmerique) schon einigen Ersatz bot.
Es erscheint seltsam, dass dieses ersten Zuges Federmann's in keiner
einzigen der Specialgeschichten Venezuelas Erwähnung gethan wird. Fray
Simon (Noticias historiales de las Conquistas de Tierra firme en las Indias
Occidentales, Cuenca, 1626) spricht nicht von ihr, und steht sein Bericht
über Alfinger's Ausgang im Widerspruch zu Herrera (in den sogenannten
Decaden), so wie auch mit der bei Federmann (S. 16 der Stuttgarter Aus-
gabe) erwähnten Rückkehr des Statthalters nach Coro. J. de Oviedo j
Banos (Historia de la Conquista y Poblacion de la Provincia de Venezuela,
Madrid 1723, und neuer Abdruck Caracas 1824) folgt Fray Simon blindlings
und copirt ihn sogar oft wörtlich, und der moderne Historiker Venezuelas
Baralt (Resumen de la Historia de Venezuela, desde el descubrimiento de
8Q territorio per los Castellanos en el siglo XV hasta el ano de 1797, Paris
1841) kennt nichts als die beiden genannten Quellen.
Unter solchen Umstanden war mir das genaue Studium des Federmann-
sclien Berichtes im höchsten Grade interessant, da in ihm das älteste ge-
druckte Document über die Erforschung des Landes vorliegt, in dem ich seit
Jahren wohnhaft bin. Wenngleich ich keinen erheblichen Zweifel an seiner
Echtheit hatte, so machte mich doch das Schweigen des der Zeit der ersten
Conquistadores so nahe stehenden Fray Simon ein wenig stutzig.
Es ist mir aber neuerdings gelungen, ein gleich altes Zeugniss für Feder-
iQann's ersten Zag aufzufinden. Derselbe wird nämlich im zweiten Theile
der Varones ilustres de Indias von Jnan Castellanos sehr genau beschrieben
und bildet den Gegenstand des zweiten Gepanges der sogenannten ersten
Elegie (Elegia I Canto H).
Juan Castellanos wurde angeblich in der jetzt neugranadischen Tunja
geboren, nahm an vielen Eroberungszügen Theil, trat später in den geist-
Zeiueliiift fikr Sthuologl«, JahrfUf 187S. 25
358 Zu Nicolftus Federmann's erster Reise in Venezuela.
liehen Stand and starb als Praebendado oder Chorherr in seiner Vaterstadt.
Weitere Nachrichten aber ihn sind nicht bekannt Er schrieb anter dem an-
gegebenen Titel eine Art Reimchronik in Octaven, die immer eine seltene
Sprachfertigkeit and oft genag dichterische Begabang des Verfassers beknn-
den. Der erste Theil erschien 1589 in Madrid; alle drei Theile worden im
vierten Bande der von D. Baenaventura Carlos Aribaa edirten Biblioteca de
Aatores Espanoles (Madrid, 1850) herausgegeben; doch enthält die dürftige
Vorrede leider nicht die geringste Angabe über die Handschriften, welche
betreffs des zweiten and dritten Theils benatzt worden sind.
Die unseren Gegenstand betreffende Stelle beginnt in der zwanzigsten
Octave, wo berichtet wird, dass Alfinger sich zur Heilung seines Fiebers
nach Santo Domingo begab und Federmann als seinen Stellvertreter in Coro
zurückliess, unter der Bedingung, dass derselbe nichts von Bedeutung vor-
nehmen sollte:
»
„Con prometer cumplir su cumplimiento.
Sin hacer de la costa mudamiento^ (oct 23).
Kaum ist Alfinger fort, so überredet Federmann die Seinen zu einem Erobe-
rungs- und Entdeckungszuge, indem er die Krankheit des Statthalters als
unzweifelhaft tödtlich schildert und ihnen vorhält
„ que ningun premio merece
El hombre que se esta siempre dormido;
Pues el honor, valor, riqueza ciencia,
Se ganan con la buena diligencia^ (oct. 25).
Die Haupttheilnehmer am Zuge werden in Oct. 36 erwähnt; unter ihnen
ist der auch bei Fray Simon genannte Mönch Vicente Requejada, von dem
Juan Castellanos die Beschreibung der Expedition erhielt:
„El padre fray Vicente Requejada,
Y H me diö relacion desta jornada" (oct. 36).
Das ist also wahrscheinlich der von Federmann (S. 80) genannte „Notario
Scribano publice, so auch in diser reiss mit gezogen.^
Nach Castellanos hatten sie nur zehn Pferde (oct 38), während Feder-
mann (S. 17) von „sechszehen zu ross" redet. In Oct. 39 wird die Ankunft
in Barraquicimeto (heut Barquisimeto) erwähnt (S. 37 in Federmann); in
Oct, 42 wird der Flecken Hacarigna genannt, den Federmann S. 49 beschreibt;
dann gedenkt Castellanos des Fleckens Hitibana (Federmann Itabana) und
beschreibt den üebergang eines Flusses (Federmann S. 62) und den darauf
folgenden Kampf mit feindlichen Stämmen (Oct. 52 — 66, Federmann S. 63).
In dieser Weise werden mehrere Vorfalle des Zuges von dem Verfasser der
„Elegia'' behandelt, die sich mehr oder weniger genau bei Federmann wieder-
finden, bis endlich in Oct. 120 das Ende der Reise und die Ankunft in Coro
also berichtet wird:
„Por abril de quinientos y mas treinta
Con mil j un auo mas de los que sigo,
Die Verehning der Himmelskörper. 359
Lleg6 la dicha gente macilenta
T el dicho Fedriman avonde digo;
Donde micer Ambrosio representa
Ser digno Fedriman de gran castigo,
El caal era venido sano y baeno,
Annque desta pasion el pecho Ueno.
Hizole laego cargo vel esceso,
T con prisiones estendiö sa sana;
Cerrö para sentencia 8a proceso,
La caal fu^ destierro para Espana;
AI fin 61 pareciö preso y opreso
Ante los grandes de la gran compana,
Donde le dejaremos por agora,
Pnes para tratar d^l vernÄ^) su hora."
Es ist leicht begreiflich, dass Federmann seinem eigenen Berichte die-
sen Schlass nicht giebt; doch geht aas späteren Ereignissen hervor, dass
Gastellanos i^vahrscheinlich richtig erzählt.
Bei einer späteren Gelegenheit will ich versuchen, die Reiseroute Feder-
mami's topographisch festzustellen, was mir heute wegen mangelnder Auskunft
über einige der in seinem Berichte genannten Oertlichkeiten nur theilweis
möglich wäre. Damit hängt dann eine genauere Eenntniss von der Yerthei-
lang und den Wohnsitzen vieler damals vorhandener Indianerstämme zusam-
men, während anderweitige ethnographische Belehrung nurin höchst geringem
Maasse aas unserer Quelle zu gewinnen ist.
Die Verehrung der Himmelskörper.
Die Gleichm&ssigkeit der regelmässig wiederkehrenden Naturerscheinun-
gen erschlafik die Aufmerksamkeit des Naturmenschen und erwirbt erst in
dem höheren Stadium eines abstracten Denkens die ihnen adäquate Bewun-
derung, so dass dann zuerst der Sonnenumlauf und die Revolutionen des
Sternenhimmels ihre eifrigen Beobachter finden. Im Yolksglauben spielen
Sonne and Mond eher eine halbkomische Rolle, und der Mutterwitz moquirt
sich über sie, wie jener Inca, der den einförmigen Gang der Sonne einem am
^ Für TiendrJu
25
360 ^® Terehrung der HimmelBkörper.
Seile geleiteten Thiere vei^leicht, nnd wie anf den Fiji-Inseln Reisende Schlin-
gen aufstellen, nm den Untergang der Sonne bis zur Beendigung ihres Tage-
werkes zu yerzögem, in Nachahmung Maui's auf Neuseeland und iDdiani-
scher Mythen. Auf hochgelegenen Gebirgsebenen indess, wo der wohlthätige
Einfluss der erwärmenden Sonne in dem scharfen Temperaturwechsel, Tag
zu Nacht, am ehesten bemerklich wird, bildet sich früh ein eigentlicher
Cultus des Sonnengottes heraus, und wurde ihm schon in Peru, sowohl vAt
in Persien, als Wohlthäter der Menschheit gezollt. In polaren Gegenden
mochte sich die Sonne (in Baiwe) den Lappen zur Alles 'durchdringenden
Lebenswärme gestalten, aber ihr besonderer Dienst wurde nur angeregt, wenD
nach längerem Verschwinden der Sonnenball wieder aus der Dunkelheit des
Winters hervortrat, so bei den Ghichimeken an ihren nordlichen Sitzen and
in dem Yulfest der Scandinayier. In tropischen Ländern erweckte er die
schreckensYollen Vorahnungen eines Weltenbrandes, wenn er in der Sommer-
mitte als Glühgott am blauen Himmel hiug und in verzehrender Dürre die
Erde austrocknete; dann mochten ihm die gottlosen Ataramanten fluchen,
mochten übermüthige Citli (in Teotihuacan) ihre Pfeile auf ihn abschiessen^
aber fromme Völker (besonders in dem nur durch künstliche Bewässerung
fruchtbaren Mesopotamien) brachten dann ihre theuersten Opfer dem Hern
oder Baal, verbrannten Menschen oder geliebte Kinder unc^ warfen auch bei
den Thargelien lebende Thiere in das Feuer des Scheiterhaufens. Die Tän-
schung überall in der Mythologie einen Sonnendienst wiederfinden zu müssen,
die in Dupuis' l'origine des cultes gipfelte, beruht auf der stets von den Prie-
stern eingeleiteten Verbindung der Göttergestalten mit den periodischen Um-
läufen des Calenders, die selbst im Christenthum noch jetzt bei den Heiligen
ausgeführt wird, ohne dass diese an sich in irgend welch anderer Beziehung zu
den Phasen der Tages- oder Nachtgestirne stehen, als wie sie künstlich mit
ihren Namen zur Popularisirung derselben verknüpft ist. Zwischen Sonnen-
und Feuerdienst ^) findet sich häufig eine naheliegende Wechselbeziehang.
*) AJs die im Osten (nach dem Feueropfer eines Menschen) aufgehende Sonne, der die
Thiere (die sich verwettet hatten) geopfert wurden, den Tod aller Helden (der Ghichimeken;
verlangte, schoss Citli seine Pfeile auf sie ab, wurde aber vom dritten selbst durchbohrt, und
dann starben die Helden durch die Hand des Tapfersten, des Xolotb, der sich zuletzt selbst
opfert. — Die Sonne wurde mit dem Monde von den Anziko's Monsors angebetet. — Michu
oder Atahokan, der Grosse Qeisi der Irokesen (als grosser Hase) heisst Tharanhi conagon (der
den Himmel umarmt) oder Harakouannentakton (der die Sonne anbindet). — Zu Toulouse fand
sich ein Tempel der Sonne. — Alexander M. opfert der Sonne, dem Monde, der Erde. — Bei den
Qochiemies (in California) empfehlen die Alten, an heissen Tagen hervorzukommen und die
Sonne zu verehren, da sonst auf der Jagd kein Wild erbeutet werden würde. — Die Tartaren
östlich vom Imaus brachten die Erstlinge der Nahrung der Sonne, dem Licht, dem Feuer, der
Erde. — Ausser der Erde (Mon-Kalzin) und dem Wasser (Wu-Immar) verehrten die Wotjaken
die Sonne (als Sitz der grossen Gottheit). — Die Tschuwaschen opferten der Sonne im Anfang
des Frühligs (bei der Saat), dem Monde in jedem Neumond. ~ In Verehrung des Sonne kehrten
sich die Indier tanzend nach Morgen (Lucian) — Sonne und Mond wurden auf Sumatra verehrt
— In Thessalien wurden der Sonne heilige Raben unterhalten. — Nach Epicharmus (Schüler des
fythagoras) waren Sonne, Mond, Gestirne, Erde, Wasser und Feuer Götter. Oipheiu ersti^
Die Yerehnmg der Himmelskoiper. 361
Eine eigentliche SonnenTerehrung tritt somit (ausser iu den Polar-Gegenden)
nur aaf hochgelegenen Tafellandern hervor, wo die mit Erscheinung des Tag*
gestimes erhöhte Temperatur im Gegensatz zu den kalten Nächten jeden
Morgen dankbar empfunden wird, und bei der Nahe zum Aequator (in der
sich solche Hochplateaus, um bewohnbar zu sein, immer befinden müssen)
zugleich das ganze Jahr fortdauert, also nicht jene verwickelten Systeme
eines während des langen Jahrlaufes ^) sterbenden und wieder auferstehenden.
Gottes erfordert, wie sie in den Mysterien ihre Ausbildung fanden. Bei den
Natarrölkem wird dagegen die Hoffiiung des Fortlebens an den in kürzeren
Epochen erfolgenden Mondeswechsel geknüpft, indem sie in der regelmässigen
Rückkehr nach dem Verschwinden die Garantien der eigenen Unsterblichkeit
zu finden glauben.
Dem See Contici entsteigend und die Urwohner bei Tihuanuco vereinigend,
fiehnf Viracocha die (zueist den Titicaca-See bescheinende) Sonne, dann
Mond und Sterne (nach Cuzco ziehend). Als nach Untergang der vierten
Sonne die Heroen den Menschen durch Sichinsfeuerstürzen die Verwandlung
in die Sonne verhiessen, ging Nanahuatzin zur Unterwelt (um als Sonne auf-
zQsteigen). Bei den Earaiben gingen Sonne und Mond aus zwei Höhlen
iierror, die Erde befiruchtend. Die Peruaner sahen im Golde von der Sonne ^)
geweinte Thranen. Nach Plinius wurde das Goldschmelzen von Sol, Sohn
des Oceanus, erfunden (als egyptischer König bei Diodor). Die Utavais in
Kanada halten die Sonne für einen Mann, aber erhabenerer Art, als die mensch-
liche (Garver). Die ältesten Söhne Eolchiens hielten Helios für ihren Stamm-
tifrlich einen erhabenen Ort, die Erscheinung der Sonne, als grössten Gott, zu erwarten. —
Aj^memnon opfert (bei Homer) der Sonne und Erde. — Im Oedipus (des Sophokles) ruft der
Chor die Sonne, als Oberhaupt der Götter, an. — Tempel der Sonne, des Mondes, der Venus
terden im alten Byzanz erwähnt. — Tatius errichtete in Rom Tempel der Sonne, dem Mond,
dem Saturn, Licht und Feuer. -> Die Accitaner in Spanien hatten der Sonne als Mars eine Statue
errichtet mit strahlendem Haupt — Nach Alkm&on in Krotona hatten die Götter ihren Sitz in
der Sonne, dem Monde und anderen Gestirnen. — Bei den Persem lenkt der Engel Chur die
>^ime.
*) Während Herakles in seinen zwölf Arbeiten das Umkreisen der Sonne durch die zwölf
Zeichen repr&sentirte, war im Dionysius, wie in den Mythen Ton Osiris, die Wiederauferstehung des
gestorbenen Gottes, symbolisirt. — Als die Fluth kam (nach den Koloschen) flog der Bruder
Chethl (Donner oder Blitz) nach Südwest, seiner Schwester Aghischanukhu (das unterirdische
Weib), die in den (erloschenen) CSrater des Berges Edgecomb bei Sitka stieg, versprechend, dass
sie ihn, obwohl nicht sehen, doch hören werde. Und so kommt er jährlich nach Sitka geflogen,
lN)imer ist das Geräusch seiner Flügel, Blitz der Glanz seiner Augen (s. Holmberg). — Nach
den Mönnitarris ist der Donner das Flügelgeräusch des grossen Vogels, der auch den Regen ver-
anseht; der Blitz entsteht, wenn der Vogel umherblickt und sucht.
^ Die Residenz des Suryas oder Mihiras (als Lakap&las) liegt südwestlich in Wiwaswati
oder Bhaswati mit dem Juwelenpalast Manimandapas, der in seiner Abwesenheit durch Nirritis
oder Nairritas gehütet wird. — Tschandras oder Indus (Somas oder Widhus) heisst Atridrigdschas
oder Atrinetraprasutas, weil aus einem Blitz entstanden, den Atris (zu den zehn Rischis gehörig)
&^ seinen Augen auf die Milchstrasse schleuderte. — Das Yulfest wurde bei Wiederkehr der
Sonne gefeiert — Der Geburtstag des Mithras, in einer Grotte geboren, wxirde (in Rom) den
Achten tot den Calenden des Januar gefeiert (als natalis inricti).
362 I^ie VerehruDf^; der Himmelskörper.
yater. Die egyptischen Könige stammten von der Sonne (wie die indischen).
Yaiswawata, als Abkömmling der Sonne, gab Gesetze. Die Inkas wurden
als Sonnenkinder verehrt (von Manco Capae nnd Mama Oella stammend).
Nach den Manjacicuem (in Paraguay) wurde das ohne Mann von einem
Weibe geborene Kind (nach vielen Wundem) in die Luft erhoben alsSonne^).
Die Erde ruht (nach den Koloschen) als Platte auf einem Pfeiler, den die
menschenliebende Äghischanukhu (das unterirdische Weib) beschützt, dass
die Erde nicht in's Wasser falle. Wenn die bösen Gottheiten, um die Men-
schen zu vernichten, mit ihr um den Besitz dieses Pfeilers streiten, so er-
zittert die Erde. In dem (erloschenen) Krater des Edgecombe (bei Sitka)
haust (nach den Koloschen) der Vogel Khunnakhateth, der, wenn er mit je-
dem Fusse einen Wallfisch gepackt hat, und sich in die Lüfte erhebt, durch
das Schlagen seiner Flügel den Donner und durch das Sprühen seiner Augen
den Blitz hervorbringt (gleich dem Riesenvogel der Athapasken). Die böse
Gottheit Maboja (der Karaiben) giebt Sonne und Mond Kinderblut zu trinken
(de la Borde). Die Brasilier strecken bei Verehrung des Mondes die Hände
empor (Spix), wunderbar rufend. Am Orinoco wurden die Felsen Cameri und
Ken als Sonne und Mond verehrt Bei den Rothhäuten hat der böse Geist
den Sitz im Monde, als Mutter des grossen Geistes (in Louisiana). Die
Wyandot versetzen die Grossmutter des Bösen (der den guten Bruder ge-
tödtet) in den weiblichen Mond. Bei den Botocuden ist der Mond böse
(Denis). Nach der Erde schuf Loguo (erster Mensch) den Mond (bei den
Karaiben). Persina war bei den Aethiopem Priesterin des Mondes und der
König, ihr Gemahl, Priester der Sonne. Bei den Arabern war der Stamm
Hamiaz der Sonne geweiht, der Stamm Cenneh dem Mond, der Stamm Asad
dem Merkur, der Stamm Kais dem Sirius u. s. w. Sonne und Mond kamen
aus der Erde bei Ife oder aus einer Höhle (nach den Karaiben). Das ohne
Weib geborene Kind stieg in die Luft als Sonne (bei den Monjacicuem).
Auf der anfangs glatten und dunkelen Erde schuf Pupperimbul die Sonne
und versetzte die damaligen Menschen als Sterne an den Himmel, um auf
0 Das persische Fest Chorsare bei den Scythen (s. Plinius) führt auf die Sonne in Khosroes,
wie Chormizdas. — Bei den Geten, dem mächtigsten Stamm der Thraker (bei Herodot), war
Zamobüs mit einem Bärenfell bekleidet (Salmon bei den Thraciem als Doros). — L'expressioD
San-Kouang (les trois clartes) designe le soleil, la lune et les etoiles. Ils äclairent le monde
par r ordre du maitre du ciel et r^pandent en tous lienx leur lumiere bien faisante. G'est leur
manquer de respect que de les montrer brusquement du doigt (nach Thai-Chang). — In einer
Dürre wurde dem Gouverneur Tsengkong durch einen Traum eröffnet, einen Alten, der mit einem
Schirm erscheinen würde, zum Beten für Regen (der erfolgen würde) anzuhalten, da seine über-
natürliche Kraft in dem Schirm läge, mit dem er sich während seiner 80 Jahre immer beim
Verrichten der Bedürfiiisse bedeckt habe, um die drei Helligkeiten nicht zu beleidigen (Stanislas
Julien). — Die Odjibways warnen ihre Kinder mit den Fingern nach den Mond zu zeigen, der
sie abbeissen würde, und nach deutschem Volksglauben fault der nach den Sternen zeigende
(und die Engel todtstechende) Finger ab. — Die heiligsten Gegenstände für die Crows (Gorbeaux
oder Apsahrukä) sind die Sonne, der Mond und der Taback. Abergläubische Furcht besteht
vor einer weissen Bisonkuh, und beim Antreffen einer solchen wird sie getödtet, um sie als
Gabe für die Sonne unberührt liegen zu lassen (Neuwied).
Die VerehruBg der Himmelskörper. 363
ihre Nachkommen einzuwirken (in Anstralien). Die Blemmyer opferten der
Sonne Kinder, die Floridaner Erstgeborene. Die Aucas spritzten Blat gegen
die Sonne. Bei den Chibchas wurde der Guesa (vaterloser Knabe) der Sonne
geopfert. Dem Sonnengott (Tonatiks) war eine Säule geweiht auf den An-
tillen (und in Bogota), wie der Obelisk zu Heliopolis oder (in Amerika) zu
Quito (und zu Kanarak in Orissa). Die (in Japan) in eine Höhle verborgene
Sonne wurde (bei den Koloschen) aus einem Kasten durch Ischl entlassen
oder ans dem Gefangniss in Litthauen. Die Sonne ^) (Baiwe) bildet den Ur-
quell des Lebens (bei den Lappen), aus der Zaubertrommel der Samojeden, als
Delatscha bei den Tungusen. Houjou (bei den Karaiben) wohnt im Hujukhu
(Sonnenhaus). Li Akkra wurde (nach Römer) die aufgehende Sonne verehrt.
In Dahomey gilt die Sonne als höchstes Wesen (nach Omboni). In Ife, wo
(ab Sitz der Götter) die ersten Menschen geschaffen wurden, kamen Sonne
tmd Mond aus der Erde, worin sie begraben waren, immer wieder hervor
(nach den Yorubas), aus Höhlen in den Andes. Bei den Huronen be-
zeichnete Areskowi Sonne und Himmel. Der Sonnentempel in Meran war
voo den Heiden an der Stelle gebaut, wo die Sonne aufgeht (Ziugerle). Dem
Helios sind im Westen die Sonnenheerden Thrinakiens geweiht (Ahn kolchi-
scher Könige). Li Latium fand sich der Quell der Sonne und bei den Troglo-
dyten (und in einem Tiegel des Ammon). Nach dem egyptischen Priester Char
remon waren keine anderen Götter anzuerkennen als die der sichtbaren Welt,
wie Sonne, Mond, Sterne des Thierkreisses. Die Syrer opferten Menschen
der Sonne. Die Insel Nasala (und der Fels Bagia) war der Sonne heilig
(bei den Ichthyophagen). Melkarth war bei den Phöniziern als Sonne ver-
ehrt und Herkules Astrochyton (mit Stemenmantel bekleidet) als Sonne (bei
Nonnus). Massinissa dankt der Sonne für Ankunft; Scipio's. Im cartha-
gischen Vertrag mit Philipp von Macedonien wurden Sonne ^), Mond, Erde,
') Die Sonne gilt als Schopfer bei den Nadowessiem, als Grosser Geist bei den Greeks, er-
hält Tabacksopfer in Virginien, wird bedient von Sonnenjungfrauen unter den Mamaconas in
Peru, mit heiligen Heerden (von Helios) versehen. — In Singbonga verehren die Kol die Sonne.
- Weil Zeus bei Vertheilung der Länder der Erde unter den Göttern den Helios vergessen
hatte, erhielt dieser nachtraglich Rhodus, welches unter dem Meere verborgen gewesen war, und
weil die Ureinwohner der Insel bei dem ersten Opfer, das sie der Athene brachten, sich mit
Feuer zu versehen versäumt hatten, stifteten sie ein feuerloses Opfer und gewannen dadurch
die Gunst der Göttin in solchem Grade, dass dieselbe ihnen die mannigfaltigsten Kunstfertigkeiten
terlieh (s. L. Schmidt), während Zeus durch einen Goldregen seine Huld ausdrückte (bei Pindar).
*) Darius (vor dem Kampf mit Alexander) ruft Sonne, Mars und heiliges Feuer an. — Selene
und Helioe sind Kinder des Hyperion und der Thia (seiner Schwester) mit den Titanen (sowie
dei Eos). — Aureliam familiam ex Sabinis oriundam a Sole dictam putant, quod ei publice a
poptilo Romano datns sit locus, in quo sacra facerent Soli qui ex hoc Auseli dicebantur (Pauli).
- iiQiosy fiQ, Sonne, Hundsstern (aeifjaony brennen, leuchten, ailag, Glanz, ocili}Ki}, Mond).
- Goth. sauil, Sonne, altn. söl, lith. saule, Worte, die wie svar (sur oder glänzen als Wur-
zel) der Himmel (surya oder Sonne im Sanscrit und hvare im Zend), mit der kürzesten
Form als at^j (bei Siudas). EUrj neben alea oder Sonnen wärme (ßtJia bei Hesychius und yeXa)»
Zu den Formen mit r gehört Apollo Soranus und der Name des Berges Soracte (Sauracte bei
GatoX Die nordischen Sprachen haben nur 1 (s. Curtius). — A Bouligneuz, quand on veut se
364 Die Verehnmn; der Himmelskörper.
Flüsse, Wiesen und Gewässer zu Zeugen angerufen. Die Sonne wurde in
TenerifFe yerehrt. Die arabische Stadt Atra war der Sonne heilig, und so
die Mesched Eschams (Moschee der Sonne) als Tempel des Baal in Baby-
lon. Die Ansikar oder Azinguer (unter dem grossen Makoko) halten die
Sonne für ihren grössten Gott und ehrten sie in Gestalt eines Mannes, eben
wie nach ihr den Mond in Gestalt einer Frau (Dapper). Von Gott Minjamii
und seiner Frau Sempulu (Eltern von Sonne und Mond) wurden Menschen
und Thiere (bei Schöpfung der Erde) aus Sternen gemacht (auf Bomeo). Die
Pari (in Ost-Bomeo) verehren die weibliche Sonne ^ ), den männlichen Mond
und die Constellation Baruga (Petrus' Stab) als Kinder. Als noch Alles fin-
ster war, verwahrte der Mann seine mit Vogel (Kun oder Colibri) behängte
Frau in einer Eäste und tödtete die Söhne seiner Schwester (Eitschuginsi
oder Wallfischtochter) durch Einspunden von Baty (einstämmigen Böten),
bis diese auf der Klippe einen Stein verschluckend und aus dem Zugwasser
der Wallfische trinkend, den El gebar, der mit Bogen und Pfeil Vögel (zum
Fcderkleid für seine Mutter) und dann den Himmelsvogel (Kozgatuli mit
Eisenschnabel) tödtete (sowie die Ente, mit deren Balg seine Mutter auf dem
Wasser schwamm). Durch den Mann (dessen Frau er in der Kiste ihre V^-
gel hatte fortfliegen lassen) beim Fischfang in das Meer gestürzt, kam er auf
guerir d*mie fievre, on forme avec de la paille une espece de soleil a siz rayons, on le porte sur
une eminence et Ton s'agenouille deyant (Monnier). — Die Guanchen schworen bei Echeyde
(den feurigen Ofen) und Magec (der Sonne). — Guayota (der böse (Genius) wohnte im Yakan.
— Am Charsamstagabend begiebt sich (in Schlesien) eine Procession auf einen Hügel, um das drei-
malige Sonnenhoppen (Sonnenhnpfen) der Sonne am Ostersonntag (aus Freude) zu sehen. — In
Niederosterreich werden die Sonnenwendefeuer auf einem Kreuzweg angezündet — In Weih-
nacht reitet (in Gopfiitz) der Sunawendfeuermon von einem Markstein der Freiheit des Dorfes
zum anderen (Vemaleken)* — Am Funkentag (oder ersten Sonntag nach Aschermittwoch) werden
in Oberschwaben feurige Scheiben in der Luft geschwungen. — Helios schiffte Nachts in einen
Kessel Q^ßrj.) auf dem Oceanos nach der Stelle des Aufgangs zurück. — Arun führt den sieben-
spännigen Wagen des Surya. — In Persien wurde Hithra, Erster der 28 Ized (nach den sechs
Amschaspand) mit der Sonne identificirt — In Nicaragua sah Squier die Sonne als gefiederte
Schlange in Felsmalerei. — Der Sonnengott Tonatiuh zerhaut bei den Mexicanem die bunt-
gestreifte Waldschiange. — Teotl wurde in Tezcuco als Sonne verehrt. - Die Natchez feierten
das Fest des neuen Feuers zu Ehren der Sonne. — Bilder der Sonne (Tonatiuh) und des Mon-
des (Ufezli) in Teotihuacan (und in (}uito). — - Sonnensäule der Muscnas. — Die Peruaner ver-
ehrten die Sonne (Indi oder Intip) als Scheibe. — Sonnendienst bei den Apalachiten und Cofa-
chiqui. — Inca Roca stellte (nach Hlatici-Yiracocha) den Sonnendienst wieder her (Hontesinos).
— In Udayapur, Hauptstadt von Merwar, wird Surya (Ahn des Raja) verehrt (nach Tod).
0 Unter den niederen Göttern, die allen Naturgegenständen vorstehen, wurde in Aneiteum
Sonne und Mond als Ehepaar verehrt mit ihrer Tochter Sina (s. Murray). — In Samoa heisst
der Mond Sina. — Vishnu erscheint (in den Vedas) mit der Sonne verbunden. — In den Phi-
lippinen opferten die Priesterhexen (Holgo) der (neben dem Mond verehrten) Sonne ein Schwein.
— The Gentiles (in Bomeo) worship the Sunne and Moone, esteemig the one Male and the otfier
Female, him the father, this the mother of the Stars (Purchas). ~ Wie der iberische Endovellic,
der gallische Belenus, der nordische Abellion wurde bei den Gonvenae die Sonne als Aereda,
Heliougmoni und Teotani verehrt (s. Castillon), sowie Astarte, als Mond, in den Pyrenäen. -
Die Piekan richten Lobgesänge an die Sonne (Natohs) oder den Herrn des Lebens (Nenwied). —
The Tschuktzki in their solemn engagements invoke the Sun to guarantec their perform&nce
(Popow; 1711 (Burney),
Die VerebniDg der Himmelskörper. 365
dem Meeresgrund zarückgegangen und flog bei der Fluth mit dem Balg des
Eazgatoli an den Himmel, wo er bis zum Verlaufen der Wasser hängen blieb,
and dann auf Seegras herabgefallen den Saamen der Riesentanne (zum Boot-
bau) oder Tschaga von den Charlotteninseln brachte, und nach Osten ge-
heod, todte Jünglinge (indem er ihre Nase mit Mädchenhaaren rieb) belebte.
Im Hanse des fern wohnenden Mannes liess er sich durch dessen Tochter im
Wasser als Strohhalm verschlucken, und so als zweiten El wiedergeboren
werden, dreimal, um jedesmal die in Kisten angeschlossenen Sonne, Mond
and Sterne (als Spielzeug erhaltend) für die Menschen in Freiheit zu setzen.
Nach Wettstreit mit Eanuk (Vorfahr des Wolfstammes), der ihn (in Gestalt
des weissen Raben) schwarz räucherte, zog sich El auf die Quellberge des
Nas-Flusses zurück (nach den Eoloschen). Der Schöpfer, als Krähe, holte
die Sonne aus dem Kasten des starken Tshingit, der sie (von der Insel Japan)
gestohlen, und setzte sie so hoch an den Himmel, dass sie nicht wieder ge-
raubt werden konnte (worauf die Tshingit oder Kaloshier sich vermehrten).
König Kana (nach Hawaii) unternimmt einen Kriegszug, um von dem Son-
Denverfertiger Kahoa-alii die im Kriege verlorene Sonne wieder zu erobern
(Jarves). „AUe Morgen früh kommt der Landesfürst (der Natscher am Missi-
sippi) zur Hausthür (nach Osten) heraus und grüsst seinen erstgeborenen
Bnider, das ist die Sonn^), mit lauter heulender Stimm etliche mal nachein-
ander, so bald derselbe sich auf dem Horizonte blicken lässt. Hienächst
nimmt er eine grosse Tabuck Pfeiffen ins Maul und opfert ihm die erstem
drei Manier voll Rauchs, demnach schlägt er bejde Hand über sein Kopf
zasammen und schwingt sich von Aufgang halbrechts herum nach Nieder-
gang, damit er ihm die rechte Strasse weise, welche derselbe sich diesen Tag
halten soll" (Petit), 1730. Auf Timur wohnt der Gott üse nenu in der Sonne,
der Gott Patuhan in der Erde. Beim Opfern besprengen die Priester (To-
bor) die Erde mit Blut. In den heiligen Osirisliedern wird der in den Ar-
men des Helios Verborgene angerufen (nach Plutarch). Die Lappen verehren
Baiwe oder die Sonne als die Urheberin alles dessen, was gezeugt und ge-
boren wird, welche ihre Rennthiere erwärmt und deren Jungen Wachsthum
und Zunahme gewährt. Mit Wiederkehr der Sonne wird auch der Tag wie-
der erlangt (nach Schefier). In dem (von Flammen umgebenen) Sweixtix
oder Zuicz (mit Strahlenhaupt) verehrten die Slawen das Sonnenlicht. Die
Massageten opferten der Sonne Pferde. Caesar nennt Solem, Vulcanum et
Lanam -) als Götter der Germanen. Die Digniten (in Paraguay) opfern Vogel-
0 As the king t)f Tahiti (oflfended by the Hawaians) deprived them of the sun [Pohjola
Wirtbin], lea^ng the land in darkness [Mexico], Kana walked through the sea to Tahiti, where
Kahooarii ^who made the sun) resided, and, haviug obtained the sun, retumed, fixing it in the
heavens (s. Eilis).
*) A colony of Sun-worshippers continues to keep alive the sacred fire in a grove (at Jajpur)
1872. — Penelope (Amea) ins Meer geworfen wurde von den Penolopen genannten Vögeln
(Enten) ans Land gebracht. Heraclitus uaturam illam diyinam res omnes amplectentem et
permeantem, cujus participatione et inspiratione omnis hominum cognitio atque intelligentia
366 Die Verehrung der Himmelskörper.
federn. Die Ottowah opferten der Sonne als Bruder oder Schwester. Die Mo-
luchen verehrten die Sonne') als Gebor des Guten (nach Dobrizhoffer). Die
Samojeden bildeten die Sonne auf ihren Zaubertrommeln als Viereck, yon dessen
vier Ecken ein Weg oder Zügel (baiyye labikie) ausging, um den Einfluss ') der
efficeretur, rnt{u ,ta yocayit (Neuhäuser) Die von Zeus bestimmte Anordnung der Dinge, die
yon den Sterblichen nicht geändert werden kann, nennt Aeschylos lav /l(oq aQ/nQ^iar,
Praecipit (Zaleucus, Locrorum legislator) ei, quem forte malus genius {StufAtov vaxoc) ad injo-
riam faciendam illicere tentet, ut ad deorum aras et sapientium yirorum institutiones confogiat
omnique modo ab injustis actionibus cayeat (Stobaeus). — Lycurgus weihte die Athene als
Augengöttin COtfOnl^nii oder Vnnküte) am Naos zu Sparta, weil ihr Schutz ihm das einzige noch
übrige Auge gerettet Sophokles ruft Apollo als atuTrjQ an, in Bezug auf die Pest Im Worte lluufif
(als Apollo) liegt der Begriff des Schiagens, als der Austreibung der Krankheiten durch Schläge
(Pauofka) wie bei Besessenen. -— Dem jukagirischen Puguwdanleza (Sonnenältester oder Häupt-
ling) für Kaiser (s. Maydell) entspricht in Tschuktschischen (bei Raisky) Tnrkerem oder Sonnoi-
herr (Schiefher). — Uätte Meschia dem Ormuzd, dem Mithra, dem Tashter, als der Mensch rein
geschaffen war, Jzechneh, so würde die unsterbliche Seele sogleich zum Aufenthalt der Seligen
gelangt sein (nach dem Zendayesta), aber Ahriman stellte sich ihnen an Ormuzd Statt als
Schupfer yor, und die ihm glaubende Seele sündigte. Dann begannen Meschia und Meshiana
Speise zu sich zu nehmen, und als sie auf der Jagd eine Ziege antrafen, tranken sie (auf Ahrimans
Verführung) yon der Milch, die ihrem Körper übel that, wie sie auch die yon den Diws gebrach*
ten Früchte assen, bis die Ized sie belehrten, mit einem Säbel aus dem Baume Konar Feuer zu
schlagen und an ihm einen sich darstellenden Widder weisser Farbe zu kochen, um ihn in Thei-
lung mit den Ized (deren Antheil durch den Vogel Kherkas fortgetragen wurde) zu yerzehren.
— Auch in der Genesis stellt der Hirtenstand, obwohl Thiere zur Nahrung tödtend, die heilige
Seite des Menschengeschlechtes yor, den bösen Ackerbauern gegenüber, während die indischen
Frommen nur Baumfrüchte gemessen. — During the whole haryest month (ritio-puja or season
worship) each Sunday brings round weekly solemnities in honour of the bright god. fivery
yillage household prepares a tray coyered with earth, into which rice seeds are dropped. Little
darthenware cups containing pure water are placed upon it, and on Sunday, the family priest
goes through a few simple rites, pouring a iibation of fresh water upon the tray and inyokio);
the sun (in Manbhum and the westem borders of Bankura) The low castes do not break fast
tili they catch a clear yiew of the deity, and in cloudy weather haye sometimes to remain a
day without food (Hunter). The Brahmans daily repeat a prayer to the sun alter bathing (in
Orissa und Bengal). — Freya secouant son lit de plumes est deyenue Notre-dam&-aux-Neiges
et Sainte Gertrude profite encore ä Niyelles du chariot de Nerthus (Vanderkindere).
0 Nullus dominos solem ant lunam yocet (Eligius). ~ Nach Gesner wurde der Mond von
den alten Deutschen als Hermon yerehrt (Herr Mond). — Die Edda zählt Sol unter den AsinoeD
auf, als Schwester des Mani. — Der Titanide Helios (Sohn des Hyperion und der Thia) führt
einen Wagen yon Osten nach Westen, im goldenen Kahn zurückschiffend (in Rhodos yerehrt).
— Le dieu Belin etait quelquefois represente ayec des cornes, figurant deux rayons de la lu-
miere (Monnier). — Nach Hermogenes war Christus in der Sonne eingekÖrpert.
'0 Sonnendienst herrschte in Cumana und Panama. — Die Greeks yerehrten den Grossen Geist
als Sonne. - Die Nado wessier hielten die Sonne für den Schöpfer. — In der Bildersprache der
Odjibwas bezeichnete die Sonne den (Crossen Geist. — Bei den Lenape boten die Frauen die
Kinder der aufgehenden Sonne dar. - Der Sonnengott war Hofgott, Pachacamae Volksgott in
Peru. — Die mexicanischen Helden des Sonnenhauses begleiteten die Sonne unter Gesängen und
Tänzen bis zur Höhe des Mittags, wo ihnen die in der Entbindung gestorbenen Frauen begeg-
neten (nach yier Jahren in Wolken der Kolibri des Paradieses yerwandelt). — Die Sonuenjung-
frauen (unter Aufsicht der Mamaconas oder Matronen) galten (im KJoster yon Cuzco) für G^
mahlinnen der Sonne und wurden nach sechs Jahren an Curacas yerheirathet. Die Nadowessier
boten der Sonne die Friedenspfeife an. — In Virginien erhält die Sonne Tabacksopfer. — In
Florida wurde zu Ehren der Oberhäupter (als Sonnensobnen) die erstgeborenen Knaben geopfert
— Karakainy, der den Ackerbau lehrte, führte bei den Apalachiten den Sonnendienst ein.
Die Verehrunii; der Himmelskörper. 367
Sonne über die ganze Welt anzudeuten. Nach Georgi verehrten die Tungusen
die Sonne (Delatscha oder Tirgani) in Form eines läi^glichen Menschenantlitzes,
alsBoga (der höchste Gott), den Mond in Form eines Halbkreises und die Sterne
als blechringe [phönizische Steine]. Der Tartarenstamm der Earagass opfert
der Sonne (die, wie das ganze Firmament, angebetet wurde) den Kopf oder
Herz des Bären oder Rothwildes (Georgi). Wegen Verehrung der Sonne ist
es den heidnischen Tartaren verboten, nach Sonnenuntergang zu arbeiten
[wenn der Hirte nicht sieht]. Nach Grimm war es charakteristisch für mon-
golische und germanische Völker, bei der Sonne, dem Monde und den Sternen
Nachfrage anzustellen über verborgene Dinge. Als. Lemminkäinens Mutter
(bei den Finnen) nach ihrem verschwundenen Sohne fragt, giebt der Mond
eine unbestimmte Antwort, die Sonne dagegen genaue Nachricht. Die Sabäer
verbrannten lebendige Thiere in den Festen der Göttin Beltha oder Baaltis
(dem Monde). Die Semang (in den Bergen Jeres bei Quedah und auf dem
Hochland Tringanu) verehren die Sonne. Auf Fiji, wo der Zimmermann
Rokova in einem Doppel-Canoe aus der Fluth gerettet wurde, schafit der
Gott Owe (im Mond) den Menschen, während der Gott Ndenges in der
Jfchlange lebt (Hunt). Als der Riesen vogel, zum Meere niedersteigend, die
Erde geschaffen, bildete er alle Menschen, ausser den vom Hunde stammen-
den Chepewyanem, die ihn durch Fortnahme des geheiligten Pferdes erzürn-
ten, und dann aus dem Lande des bösen Volkes über feuchte Seen mit Inseln
im fortdaaemden Winter nach dem Copper-Mine-River wanderten (Macken-
zie). Ein Stein-Canoe führt die Seelen in das Todtenland (nach den Chepe-
wyanem). In der Wiedergeburt zeigt sich ein mit Zähnen geborenes Kind
als die Einkörperung eines alten Gestorbenen. Die Sonne *) war Auge des
Ahoromazdas, als Demiurgos (als rechtes), bei den Egyptern, Odin, der
ein Auge in Mimers-Brunnen barg, als Hreggmimirs als [Regengiesser] am
Himmel
Nachdem der junge Held Maui von seinen Abentheuem in der Unter-
veit zurückgekommen (mit dem zauberischen Kinnbacken seiner Urahnin
Huri-rangfr-whenua), überredete er seine älteren Brüder, aus Flachsstricken
eine Schlinge zu knoten (um die Sonne wegen der kurzen Tage zu lang-
samerem Gange zu zwingen, damit die Leute länger für ihren Unterhalt ar-
beiten könnten) und reiste dann durch die Wüste in Nachtmärschen (bei
Tage verborgen liegend, um nicht von der Sonne gesehen zu werden) bis
ZQm Rande des Platzes, wo die Sonne aufgeht. Dort bauten die Brüder
0 The idol Kinich-kakme (fashioned like the sun with the beak of a bird) descended to
Hurn the offered sacrifice at midday, as the Vacamayu (bright-fathered parrot) descend in its
flight (at Itzamftl in Central- Amerika). — Die Sonne ist neben dem Kreuze (mit dem Monde) in
menschlicher Gestalt klagend dargestellt auf den Eggersteinen. - Die Thessalieriunen zogen
«iurch ihre Zaubereien den Mond herab (nach Plutarch). — Das heilige Mondhom wurde im
Dienst der Cybele gebraucht (und bei Mondfinsternissen im Erzklaug geblasen). — Die Mandongo
nehmen zu ihren Fetischen gern etwas, was Tom Donner berührt worden (Oldendorf).
368 Die Yerehnmg der EQmmelskorper.
einen Wall, die Schlinge festzuknoten, und als die Sonne emportaachte,
Feuer über Berge und Wälder sprühend, gerieth ihr Eopf in die Schlinge,
die die versteckten Brüder rasch zuzogen, trotz des wüthenden Umherüahrens
des Ungeheuers. Maui stürzte dann mit seiner Zauberwaffe hervor, und „ach
(heisst es im nationalen Gesänge), die Sonne schreit laut, sie brüllt. Maui
versetzt ihr schreckliche Hiebe, er haut sie wund, fest halten die Brüder, bis
sie zuletzt entlassen wird, vom Blutverlust geschwächt, so dass sie nur lang-
sam und zitternd ihren Weg entlang kriecht. Damals war es, dass die Men-
schen den zweiten Namen der Sonne lernten,' denn sie verrieth ihn in der
Angst der Schmerzen, rufend: „Was that ich den Menschen, dass sie mich
schlagen.? Wisst ihr, was ihr begehrt? Warum denn wollt ihr Tamanui-te-
Ra tödten?" So hörte man ihren zweiten Namen. Die Brüder liessen sie
dann laufen. Ach, kläglich und jämmerlich war es anzusehen, o Tamanoi-
te-Ra, wie du auf deinem Pfade entlang wanktest.^ Als das Sommermacher
genannte Thier sich (um die Vögel und warmen Jahreszeiten herauszulassen)
mit Hülfe eines Manitu in den Himn^el begab, wurde es von den Himmels-
bewohuern erschossen und zeigt sich jetzt mit dem Pfeil im Schwanz am
Himmel (Schoolcraft) bei den Indianern. Auf Samoa band der Haaserbauer
die Sonne mit einer Schlinge aus den Ranken der Itu-Pflanze. Mani-atalanga,
jüngster Sohn des Königs Atalanga(nach dem Epos Mo'olelo), suchte die Sonne
an den Strahlen zu fangen, um die Inseln zu vereinigen (auf Hawais) in ein Land.
Auf Erromango kann man die Sonne langsamer gehen lassen (Williams und Cal-
vert). Der Sohn Mangamangai's (auf Samoa) fing die Sonne (seinen Vater) in
einer Rankenschlinge, damit er langsamer gehe und die Matten Zeit hätten, zu
trocknen. In tatarischer Heldensage fangt der vater- und mutterlose Knabe
den wie die Sonne glänzenden Wolf in einer Schlinge. Auf der Flucht vor
den seine Vorfahren tödtenden Thieren fangt der Zwergknabe der Ojibwais
mit der aus den Haaren seiner Schwester gemachten Schlinge die Sonne (die
ihm seinen Doppelfeder-Rock verbrannt hatte), bis auf Berathung der Thiere
die Blindmaus den Regenbogen (Kug-e-been-gwa-kwa) hinauf kroch, um die
Fäden durchzubeissen (und mit der Befireiung das Licht zurückzugeben),
aber dabei durch die Hitze in diminutiver Form zusammenschrumpfi. Nach
den Hundsrippen-Indianem fing der aus der Fluth gerettete Chapewee die
Sonne in einer Schlinge. Bei den Karen hat Taywan seinen Streit mit der
Sonne auszufechten (s. Mason). Reisende (den Einbruch der Nacht fürGhtend)^
legen einen Stein an den ersten Baum am Wege, damit die Sonne nicht zu
rasch niedergeht (in Yucatan) oder blasen ausgerissene Augenbrauen gegen
dieselbe (s. CogoUudo). Als auf Apia (in Samoa) der Held sein Steinhaus
wegen des schnellen Ganges der Sonne nicht fertig bringen konnte und die
von ihm in einen Kahn gestellten Schlingen zerrissen, erhielt er von Ita
einen aus Ranken gedrehten Strick, der sie festhielt (Walpole). Als der
Priester Maui auf Tahiti einen Marae baute, band er die Sonne mit ihren
Strahlen an einen Baum, dass sie nicht zu früh untergehe (Forster). Mahoui
Die Verehrung der Himmelskörper. 369
regelt auf der von ihm gefischten Insel (wegen allzu langer Dunkelheit und
numgelnder Reife der Früchte) den Lauf der Sonne, so dass Ta^ und Nacht
gleich sind (Moerenhout). Der für die Priester arbeitende Halbgott Maui (in
Tahiti) fesselt die Sonne mit Cocosnussfasern, damit er bei ihrem langsameren
fertig wird (Bennet). Aus den überflüssigen ^) Strahlen von Yaishnava's Glanz
bildete Yiswakarma die göttlichen Waffen (nach der Vishna Purana). Nach
der Matsju Pnrana verkürzte') Yiswakarma die Sonne überall, die Füsse ausge-
Dommeu. Wie die Deutschen stellen Litthauer und Araber den Mond männ-
lich, die Sonne weiblich vor. Den Slaven ist der Mond männlich, der Stern
weiblich, die Sonne neutral. Bei den Phrygiem ward der Mond männlich
gedacht, als Lunus (deus Lunus). Die bärtige Venus in Cypros heisst
0 Surya wird als allwissend angerufen (in den Yeda). — Im Blumenreich Sicilien wurde
ProMipina geraubt, und bei den Frauen blieb (nach Strabo) Blumensammeln und Kränzewuiden
übM, 80 dass es schimpflich war, an Feststagen gekaufte Kränze zu tragen. — Hades (auch
'^%) bezeichnete den Unsichtbaren oder (als x^^n^ ^^^ x^^^^^*'^) ^^^ Allumfassenden. —
DieShilnkh verehren Bäume oder unbehauene aufrechte Steine, wie die Maen-hirion der alten
Britteo (s. Prichard). — M'kuafi do not bury, but they put their dead in the bush for the
tild beasts to eat (s. Pickering). — Now priest Jackal is the priest of all the beasts of the
forest, knowing a great many charms (according to Bomu-fables) s. Kölle — Towards the Bodes
tbe Bornu king, on being installed, first shoots the arrows (s. Kolle). — In Kaievala hängt
Wäinämoinen ein Bärenhaupt in den Gipfel einer Fichte. — Die Gottheit des Meeres hat (bei
den Finnen) in einem bunten Stein auf dem Meeresgrunde ihren Sitz. — Kimmo weilt in einem
Stein (bei den Finnen). — The tenth or last of the heavens (tua or celestial strata) was called
(by the Tahitians) Terai haamama no tane, as perpetual darkness. The people of Borabora had
beard the hissing of the sun (Ra or Mahana) falling in the sea. - The prophet Maui sized the
sun and bound the rays to the marai, tili he had finished his ten>ple. — The moon (according to
the Tahitians) was a beautiful country, in which the Ava grew. — Da die dreizehn Monate der Ta-
bitier das Jahr überschreiten, Hessen sie zuweilen den dem Mai oder July entsprechenden ans-
eilen — Zur Zeitrechnung dienten den Tahitiern die üi oder Generationen. — Adoraban sola-
mmte a la Luna y dezian, que ella sola bastaba en el mundo, sin que huviesse Sol (die Pan-
cbes). ~ The rainbow is called kainge from their supposing it to be caused by the Supreme
B«ing making water (Eainyam-in) in Australien (Meyer). — The god Koanohiakala (the eye-ball
of tbe San) and Kuahairo lead (on Hawai) the departed spirits of the Chiefs, to the heavens and
^rwards retumed with them to the earth, where they accompanied the tnovements and watched
oTer the destinies of their suryiyors (Ellis). — Ils ont aussi des croissans fait d'os bien unis,
lequeis ils nomment ya^i, du nom de la lune (Lery) in Brasilien — Der Gottheit der Morgen-
röthe (Gitrnj Buh) brannte ein ewiges Feuer (auf dem Schlau-Berge in Böhmen). - Ove (the
ni^er of all men) is supposed to reside in the moon (in Fiji). The next god, Ndengei, is
enshrined, in the form of a serpent, in a cave in the district of Nakauvandra, in Viti Levu
(jodging the souls). In the month (of November) Yula i Ratumaimbulu the god Ratumaimbulu
%>meä from Bulu (the world of spirits) to make the bread-fruit and other fruit-trees blossem aud
)ie]d fruit (bathed by the priests before leaving agaiu).
') Le privilege de voir (executant le pelerinage ä jeun) trois soleils se lever ä la fois sur
la cote Beline (de la cime de Poupet pres de Salins) ne s'obtient qu une fois dans la vie. II y
a personne , qui certifient avoir ete temoins d*un pareil miracle. — A Boche (departement de
1 ^n) les bergers pretendent, qu'ä certaines epoques de Tannee on voit lever trois soleils lorsqu'en
se tenant ä jeun et en ätat de gräce sur un rocber (dominant la route de Lyon ä Geneves), on
8e toume vers la montagne, situee ä l'autre cöte du precipice (Moniiier). — Some distauce from
the cbief town of the Lakembans is a small hill with a plot of short reeds on the top, many of
which uae to be tied together by travellers to prevent the sun from setting before they reached
tlie joumeys end (Mani) (Williams).
370 1^0 Yerehrang der Himmelskörper.
Aphroditos^) (bei Aristophanes). In Florida wurde der Vogel Tonazolis als
Boten der Sonne yerehrt. Die wegen verweigerten Sonnendiensses aus Flo-
rida von den Apalachiten vertriebenen Cofachiten zogen (als Earaiben) über
die Antillen nach Südamerika. Die Garrowe (unter Buneah oder Häuptlinge]
am Gebirgspass Baunjaun verehren die Sonne und den Mond, indem der
Priester Waizenkörner in's Wasser fallen lässt, und (in abwechselnder Nen-
nung von Sonne und Mond) bei einem Hinabfallenden die Verehrung be-
stimmt (Elliot). Das unterhalb des Polarcirkels gelegene Küstenland wurde
(bei den Lappen) von den Sonnensöhnen (Peiven-pameh) oder Tagessöhnen
bewohnt (auf der Sonnenseite oder Peivepele), das oberhalb liegende Polar-
land oder Manopele (Mond- oder Nachtseite) wurde von den Mondsöhnen
bewohnt (nach Fjellner). Nach dem lappischen Liede von den Sonnenkindem
(Peiven manah) hatten der Sonne und des Mondes Töchter (Neitah) wilde
Kennthiere gefangen und gezähmt.' Als die Mondtochter diese schlachtete,
musste sie zum Monde hinauf, wohin auch der verschlagene Askovity zar
Strafe für seine Schelmenstreiche entrückt war. Die Sonnentochter, die
sich eine Bennthierheerde erzog, wurde Stammmutter der Sonnensöhne, von
denen das Geschlecht der Eallan Pameh oder Heldensöhne (die die Schnee-
schuhe erfanden und Elenn zähmten) stammte, in den Himmel versetzt
Orion '^) (Aarons Stab) hiess Kalla parneh, der Jäger mit dem Bogen (der
grosse Bär) das Elenn im Stembilde Cassiopeia jagend. Am Anfang des
neuen Cyclus wurde (bei den Muyscas) der Guesa (Irrende) oder Quihica
(Thür) aus einem Dorfe (San Juan de los Llanos), nachdem er (im Sonnen-
tempel zu Sogamozo auferzogen) die Wanderungsplätze Bochica's durchzogen
(von 10 — 15 Jahren) an der Sonnensäule von den Pfeilen der Xeques
(maskirten Priestern) zum Opfer erschossen. Die Slaven verehrten die Sonne
als Sweixtlx oder Znicz, den Mond als Zeitgott (Zisllog), die Fetu den Nea-
mond (Müller), den Tscherkessen den Vollmond (Bell), als Mama-Quilla in
Peru (Citlalicue oder Mutter des Menschengeschlechtes in Mexico). Auf den
Antillen war der Mond, als Mutter des Grossen Geistes, die Erdgöttin Jemao.
') Yenerem igitur almam adorans, siye femina sive mas est, ita uti alma noctUuca est
(Laevinus). — Der mächtige Gott Venus (Calvus). — Vereinigung der Geschlechter im Mondgoti
(nach Servius). — Dem Mond opferten Männer in Frauenkleider und Frauen in Männerkieideni.
weil sie für Mann und Frau zugleich gehalten wurde (Philochoros). — Nach Hermes war Aphro-
dite oben mfiiiDlich, unten weiblich. — Bärtige Aphrodite bei Pamphyliem (heilige Kümmemi|^
mit Bart). — The Hill-Dyaks regulate their agriculteral seasons by the motions of the heavenly
bodies, particularly the Pleiades (Sakara), and to the several stars, in which they bestow the
attributes of gods (Low). — Mawi zum Felsen der Insel Ika-Na-Mawi (Eahinomawi) segelnd, zog«
als mit dem Kinnbacken der von Hina geborenen Kinder, Matariki (Morgenstern) und Rereahiahi
(Abendstem) fischend, durch den ersteren Neuseeland aus dem Wasser (Servant). — Die Sonne
wurde zu Thymbre in Troas als Apollo verehrt. — If a person i« killed by lightning, the Kaffers
say, that God (dhlanga) has been amongst them (Thompson). They sometimes imagine th:it a
spirit (shuluga) resides in a particular ox and propitiate it by prayers, when going on their hnn-
ting expeditions.
^ Bei den Finnen heisst Orion das Schwert Wäinämoinen's (Wäinämoinen miekka) oder
Die YerehniBg der Himmelskörper. 371
Der Mond mit seinem erzeugenden und befruchtenden Liebte, glauben die
Egypter, sei der Fortpflanzung der Thiere wie dem Pflanzenwuchs gunstig,
die Sonne aber mit ihrem un gemilderten Feuer erhitze ausdörrend Thiere und
Pflanzen, einen Theil der Erde durch ihre Gluth unbewohnbar machend und
ofk auch den Mond überwältigend. Darum nennen die Aegypter den Typhon
immer Seth (das Herrschende und Bezwingende), fabebid, dass Herakles in
der Sonne sitze und mit herumkreise, Hermes aber in dem Monde, denn die
Wirkungen des Mondes gleichen den Werken des Verstandes und der Weis-
heit, wogegen die der Sonne durch Schläge mit Gewalt und Kraft vollbracht
zu werden scheinen" (nach Plutarch). Die Egypter setzen die Kraft des Osi-
ris in den Mond und sagen, dass Isis als Prinzip des Werdens ihm beiwohne
[Sakti], deshalb nennen sie die Mondgöttin Selene, die Mutter der Welt, und
legen ihr eine mannweibliche Natur bei. Von Helios erfüllt und befruchtet
entsende und yerstreue sie selbst wieder in den Luftkreis die Anfange des
Werdens (Plutarch). Der Mond wird im Vollmond verfinstert, wenn die
Sonne gerade gegenüber steht und der Erdschatten einsinkt, wie Osiris in
den Sarg. Beim Neumond verdeckt er wieder die Sonne, aber nicht ganz, so
wenig wie Isis den Typhon. Die Watjas bitten den neuen Mond, ihnen
Kraft zu geben (nach Oldendorp). Heitsi-Eibib, der aus dem Osten kam,
schaut *) aUnächtlich (als Mond) auf sein Volk herab (bei den Hottentotten).
Die Gumuri (bei Fez und Errif) galten für Anbeter des Mondes (nach Host).
Sonne und Mond (Kinder des Mundilfori) sind (in Italien) Kinder der
Talia. Der Speck der Sonne wird (nach den Namaqua) von den auf SchifiFen
fahrenden Leuten Abends (durch Zauber herabgezogen) abgeschnitten und sie
dann durch Fusstritte fortgestossen. In dem Dorfe bei Hamburg wird die Sonne
durch Werfen von Taschenmessern herabgezogen und (in Abfallen) Sterne
geschnitzt. Die den Mond verfolgende Sonne macht ihn kleiner (nach den
Kaffem). Der Mond vermindert seinen Kopf, indem er bei Kopfschmerz die
Hand dorthin legt. Zielbog (der Zeitgott) hatte als Mondgott die Arme in
Form eines Halbmondes erhoben (bei den Wenden). Die Neger in Fetu
begrüssen den Neumond mit Dankgebeten und in die Höhe springend (nach
Müller), wie die Mandingo (Mungo Park). Aus Achtung für den Mond lie-
ben die Tscherkessen, ihre Versammlungen im Mondschein zu halten und
betrachten eine Mondfiusterniss als böses Vorzeichen (Bell). Die Titanin
Selene (Tochter des Hyperion und der Thia) wurde später mit Artemis
identificirt. Tschandra (oder Soma) bevorzugte (unter den 27 Töchtern des
Wäinämöisen wütate oder Wäinamoinen*8 Sense (s. Schiefer). - Die Awaren nennen den grossen
Bär Calkal (Sieb), die Milchstrasse Acimux (Kuhpfad).
*) Die Sonne verrath den Mord des Juden durch den Bauern (der darüber lachend, von
seiner Frau ausgefragt wird) in Possenheim (Panzer). — Sonnenkäfer (Marienkäfer oder Herrgotts-
tkiercben) dürfen nicht getödtet werden (in Schlesien) — Sonntagskinder, die zwischen 11 bis
12 Uhr geboren sind , können jeden Sonntag um dieselbe Zeit in einer blühenden Fliederlaube
Bister sehen.
372 1^0 Verehrung der Himmelskörper.
•
Dakscha) Rohini. Die Mondgöttin Jemao (die Mütter des grossen Geistes)
wurde als Erdgöttin verehrt (auf den Antillen). Mit Tonatrictli oder Tona-
tioh (als Sonne) wnrde der Mond von den Mexikanern als Tona oder MezU
yerehrt. Citlalicue (im Himmel des Mondes oder Citlali wohnend) oder die
Mondfrau (als Mutter des Menschengeschlechtes) war (in Mexico) mit Cit-
lalatonak (der Sonne) vermählt. Im Mond (loh oder Jah) sitzend, kreist
Hermes (bei den Egyptem) herum, vom Cynocephalos vertreten, in Folge des
Monatsflusses der Aeflinn (s. Parthey). Das Anrauchen der Zauberer (in
Brasilien) schützt die Kinder gegen die vom Mond rührenden Krankheiten.
Wenn der Mond (bei' den Botocuden) auf die Erde fallt, kommen viele Men-
schen um. Bochica (nach Lehren des Ackerbaues) verw^delte (nach der
XJeberschwemmung des Rio Bogato oder Funzha) sein böses Weib Huythaca
in den Mond und zog sich als Idacauza zurück. Die lunarische Göttergestalt
(Men oder Ma) wurde in Komana verehrt. Selene war die schwächere Schwe-
ster des Helios. Mondtempel standen auf dem aventinischen Berge. Die
Saracenen verehrten den Mond als Cabar (gross). In den Tempeln der
Sonne und des Mondes in Peking übt sich verschiedener Cult. Die Tartaren
verehrten die Sonne als Vater des Mondes, der sein Licht erborgte.
Die Mondflecken sind (in Indien) der von Gott Chandas getragene
Hase oder (nach den Mongolen) der von Buddha wegen Selbstopfemng
dahin versetzte Hase, nach den Grönländern Spuren der Finger Malinas
auf dem Rennthierpelz des Anninga. Die Wasser schöpfenden Kinder Bil
und Huiki werden (nach nordischer Sage) vom Monde weggenommen. Der
am Sonntag Waldfrevel übende Holzdieb sitzt (nach deutschem Volks-
glauben) im Monde (Kohlstauden stehlend, Mist bereitend, als Besenbinder
Reiser bindend), ein Gemüsedieb (in Holland), ein Dornbuschträger (in
England); Isaac (mit Holzbündel), Cain (mit Dornbusch), Thränen der Ma-
ria Magdalena. Nach krainischer Sage heisst der Mann im Monde Kothar
und macht ihn durch Wassergiessen wachsen. Die Neger sehen im Monde
einen Mann, der die Trommel schlägt (Bosman). Bei den Paria (in Guiana)
hielt man die Flecken für einen Mann, der wegen begangener Blutschande
mit seiner Schwester gefangen sitze. Als der Neuseeländer Rona sich Nachts
beim Wasserschöpfen den Fuss vertrat und den Mond auf sich zukommen
sah, klammerte er sich angstvoll an einen Baum, wurde aber mit demselben
in den Mond gerissen. In Landau zeigt man den Mann im Monde mit den
gestohlenen Kebenhäsel unter dem Arm, dass die Kinder nicht in die Wein-
berge gehen. Die Spinnerin im Monde spinnt die Marienfadchen oder Som-
merseide (in Salzwedel). Beim Besprechen der Warzen und Würmer wird
der Mond angesehen. Im zunehmenden Mond wird gepflanzt, das Bauholz
geschlagen, im abnehmenden werden die Stuben geweisst (im deutschen
Volksglauben). Hochzeiten sind im zunehmenden Monde zu feiern, Krbsen
und Buchwaizen sind im abnehmenden Monde zu pflanzen, sonst blühen sie
zu lange. Chandras (Gott des Mondes) trägt einen Hasen (sasa) in Indien
Die Yerehnuig der Himmelakörper. S73
im Mond oder Sasin (Sasanka oder Hasenfleck). Bogdo dschagdschamoni,
der sich für einen Hungernden in einen Hasen yerwandelte, wurde Ton Chur-
mosia in den Mond yersetzt (bei den Mongolen). Malina oder Ajura (die
Sonne) schwärzte den weissen Rennthierpelz ihres Braders^) Anningait oder
Anningasina, des yerfolgenden Mondes (nach den Grönländern). Nach den
Rappinem steht im Monde ^) ein Schmidt mit Amboss und Hammer (Schwartz).
Bei der Gebart eines jeden Menschen wird ein neuer Stern an den Himmel
gesetzt^ glänzt der Stern schön, so wird er reich, wenn er nicht glänzt arm.
Stirbt ein Mensch, so ftllt sein Stern vom Himmel, als Stemputzen (Panzer)
in Kempten. In Tunkin werden die sieben Planeten als Idole yerehrt. In
Lakonien waren sieben Säulen den Planeten errichtet. Die Gonstellationen
Nesta oder der Adler, Aijuk oder die Ziege, Yagutho oder die Plejaden und
Snvafaa (Alhauwaa) oder der Schlangenträger hatten ihre Bilder bei den Sa-
bäem. Anazimander betrachtete die Gestirne ') als eben so viele Götter. Alle
lummlischen Körper sollen ehedem €hrönländer oder Thiere gewesen sein, die
durch besondere Fatalitäten hinaufgefahren und nach Verschiedenheit ihrer
Speise blass oder roth glänzen. Die Chaldäer nehmen an, dass yon den
Wandelsternen, welche sie Geburtsgötter nennen, zwei wohlthätig sind,
2vei übelwollend, die übrigen von mittlerer und unentschiedener Natur (Plu-
tarch). Ohmahanck-Numakchi, der (geschwänzte) Herr des Lebens wohnt
(bei den Mandan) in der Sonne (s. Neuwied), wie im Mond die Alte, die
nie stirbt (mit den Flecken als Kröte). „Die Tartaren bilden sich gänzlich
*) So] sinni Hana (Sonne, Gefährte des Mondes). — So], Yolcanus und Luna von den
Germanen yerehrt (bei Caesar). ~ Von den Wolfen verfolgt Sköll die Sonne, Hati (Managamar
^T Mondhund) den Mond. — Shischi (Verschlingen der Sonne) und Ineshi (Verschlingen des
Kondes) sind die Finsternisse bei den Chinesen. — Die Kinder Bil und Hiuki den Eimer
S«egr an der Stange Simol (um ans dem Brunnen Byrgir Wasser zu schöpfen) tragend, wurden
Tom Monde angenommen.
') Die Peruaner brachten dem Monde (Mama Quilla) Gelübde. — Die Haytier Terehrten
die Sonne (Tonatik) und den Mond (Tona). — Der Grosse Geist (der die Indianer seine Gross-
söhne nennt) heisst Grosssohn des Mondes. — Bei den Abiponen ist der Mond böse (Denis). —
Das Mädchen Chuldl gebar (bei den Los Angelos Indianern) durch den Blitz l)efruchtet, den
bei der Geburt sprechenden Sohn, der alle Weisen wiederlegte und, weil er nach dreien Tagen
wieder auferstehen wollte, verbrannt wurde. — Als die Sonne in Pferdegestalt (die Aswins und
Revanta zu zeugen) sich mit dem Weibe vereinigte, «Viswakarman placed the luminary on bis
lathe, to grind off of bis effulgence and in this manner reduced it" (Wilson).
^ Ausser Sonne und Mond hatten bei den Sabäem Saturn, Jupiter, Mars, Venus und
Mercur ihre Tempel. — Chantho meint Wunsch (im Pali) und Phra-Chonto oder Phra Chan
- Der Mond hat seinen Namen erhalten, weil die die neue Welt bevölkernden (Geschöpfe als
<iie Sonne zum ersten Mal unterging sein Licht wünschten , und dann (als des Wunsches Kind)
den Mond aufsteigen sahen. — Die 27 Gonstellationen oder Siamesen sind Asuni (Pferd), Pha-
nuu (Dreifuss), Katika (Hühnchen), Rohini (Fisch), Mikhasira (Hirschkopf). Athara (Schildkröte),
Bunaphasu (Schiff), Pusala (Krebs), Asibesa (Vogel), Makha (Affe), Buphaphalakhuni (Stier), Adu-
daraphalakhuni (Kuh), Hatti (Elephantenkopf), Chitara (Tiger), Savasadi (Schlange), Visakha
(Böffelkopf), Anuratha (Pfau), Xettha (Ziege), Mula (Katze), Buphaphasafaha (Löwenkönig). Uda-
tarasafaha (Löwenkönigin), Savana (Einsiedler), Thanitha (Reich thum, Sakhaphisaxa (Riese),
Huphaphatha (Rhinoceros), Udadaraphatha (weibliches Rhinoceros), Revadi (Gerste).
t«it«ekzili Ib KUuiologie, Jahigaag 1872. 26
374 ^'^^ Verehmng der Himmelskörper.
ein, der oberste Lama sei dergestalt unsterblich, dass er sich erneuere wie
der Mond" (Avril). Die Seelen der Zauberer schweben um den Mond, der
Gemeinen durch die Fluren (bei den Gnaycurus). Die Guatos verehren die
Gipfel der Serra dos Dourados. Auf der Insel Wollin (Julin) wurde die
Sonne besonders iii der Gestalt eines Kopfes, das Gesicht mit Strahlen und
auf der Brust ein Rad verehrt. Das bei der Wiederkehr der Sonne dem
Odin oder Frejo gefeierte Fest wurde von dem Rad am Sonnenwagen das
Juel- oder Jolfest genannt Auf die Borsten des dem Frejo gem&steten
Schweines wurden am Vorabend (am Hofe des Königs) die H&nde gelegt,
zum Gelübde, und nach Opfern des Juel-Schweines hielt man Opfer-Güle
mit Trinken und Schmausen unter Backen des Ringelbrotes (s. Berlepscb).
Das vom Mond zu den Menschen gesendete Insect mit seiner Nachricht („Wie
ich sterbe und sterbend lebe, so sollt auch ihr sterben und sterbend leben^) wurde
vom Hasen überholt, der den Menschen als Nachricht des Mondes verkündete:
„Wie ich sterbe und sterbend umkomme, so sollt auch ihr sterben and gänzlich
umkommen^. Der darüber erzürnte Mond schlug dem Hasen seine gespaltete
Nase und dieser zerkrazte das Gesicht des Mondes (in den Flecken). Seit-
dem essen die Nama-Hottentotten das Fleisch des Hasen (ausser Knaben
vor der Mannbarkeit) nicht (s. Hahn). Gurikhaisib, der erste Mensch, der
mit seiner Mutter im Lande der Hottentotten wolinte, lebte in Freundschaft
mit den Thieren und gewann ihnen im Würfelspiel alle Perlen ab. Die
Fussspuren des Einzigen-Menschen finden sich auf der Felsplatte von Hoa-
chanas. Umkulunku (der erste Mensch) schickt das Chamäleon als Boten
der Unsterblichkeit, und dann mit entgegengesetzter Bestimmung den schnel-
leren Salamander (bei den Zulus). Im Streite zweier Götter wollte der
Mond (Ra Yula), dass die Menschen im Tode verschwinden und gleich ihm
wieder erscheinen sollte, wogegen die Ratte (Ra Kalavo) bestimmte, dass der
Mensch sterben sollte, wie die Ratte, und so wurde es entsehieden (auf den
Fiji). Das vom Mond mit der Nachricht des Lebens zum Menschen geschickte
Insect übcriiess seine Botschaft dem schnelleren Hasen, der das Sterben Te^
kündete und deshalb mit einem Stück Holz vom zornigen Mond die Nase
gespalten erhielt (s. Kröulein) bei den Hottentotten. Der (nach den Nama-
qua) mit der Botschaft des Lebens vom Mond geschickte Hase verkündet
das Sterben und hatte deshalb durch den zornigen Mond mit einem Stock
die Nase gespalten (s. Knudsen). Der mit der Botschaft des Lebens ') vom
') Bei dem Wahka-Sinhiish (Korn-Medicin-Fest) rufen die Frauen (der Handan) die Alte,
die nie stirbt, an, indem sie im Frühjahr die Wasservogel, die Schwäne, Gänse und £ntea als
Symbole der Feldfruchte schickt, wobei die wilde Gans den Mais, der Schwan den Kdrbiss, die
Ente die Bohnen bedeutet (s. Neuwied). — The Dahomeans worship to the sun, which (beyood
the reach of adoration) delegates a portion of bis divine essence to objects animate er inanimate,
believed to be present spiritually in certain graves or cavems and supposed to reside visibly in
clay idols or certain beasts, as the snake (Saboi or Daboi), the chameleon, the urubus etc. E&cb
fetish has its own lacos or sorcerer (Yaldez). — The rite of sepulture is denied to all wbo are
not cousidered as the chief members of the family (buried under their bed with libations and
J
Die Verehnuig der Hunmelakörper. 375
Mond zur Erde geschickte Hase (in Südafrika) gab die Botschaft des Ster-
bens gab, and kratzte dem Mond, der ihm mit einer Axt die Nase spaltete,
die Flecken in's Gesicht (PriesÜey). Der mit der Botschaft^) des Lebens ge-
sandte Hase verkündete das Sterben (s. Alexander) und die alten Namaquas
Termeiden deshalb aas Hass, sein Fleisch zu essen. Nach den Mintiras hatte
die Somie so viele Sander wie der Mond (in den Sternen), da aber die
Menschen die Hitze nicht ertragen konnten, beschlossen beide, ihre Bender
zu verschlingen, wie es die Sonne that, wogegen der Mond die seinen ver-
barg and erst bei Nacht aasbrachte, dafür aber von der Sonne verfolgt wird,
die ihn (bei den Ho) in zwei Theile haat Um die in den Ecclipsen') ster-
bende Sonne bei der Wiederbelebang zu unterstützen, stecken die Odjibway
ofieiings to the idol Liba or guardian angel) in Dahomey. — Die Ghond verehren zwei Holz-
^Hfskr der Sonne und des Mondes. — So oft der Nenmond sich zeigt, rufen die Loanger (unter
HiDdeklatschen niederkniend): Möchte ich mein Leben so emenem, wie dn erneuert wirst
(lenUa).
0 Le Seigneor (disent les Bassoutos) enyoya jadis ce message anxhommes: .Oh hommesl
TOQs mourrez, mais tous Tessnsciterez." Le delegne (le lezard gris) fat lent k remplir sa mission
et QU elre mechant (le cameleon) se h&ta de le devancer pour venir crier anx hommes: ,Le
Seigneor dit: Yons mourrez et vous mourrez pour tonjonrs." Lorsqne le vrai messager arriva,
OD ne Toulat pas Fecouter et on lui r^pondit partout: ,La premiere parole est la premiere, la
seconde n*est rien" (s. Gasalis). — Die Nama-Hottentotten (ausser noch nicht mannbaren Kna-
ben) essen kein Fleisch des Hasen, der das Insect mit falscher Botschaft des Mondes überholte.
*) La lune des loups. — NuUus, si quando luna obscuratur, Tociferare praesumat (Eligius).
— Vinco luna — Glamoribus aut auzilio splendorem lunae deficientis reataurare (Burchard). — In
der Predigt de defectu lunae (de lunae defectione) verbot G. Maximus von Turin dem laboranti
lunae durch Schreien zu helfen. — Die Römer schlugen bei Ecclipsen eherne Greßisse zusammen.
— In Indien schlägt der Dämon Rahu Sonne und Mond, in Ghina ein Drache bei der Solis
deroratio (Shischi) und Lunae deyoratio (Jueschi). — Wubur sijat (daemon comedit) bei den
TKhuwascLen. — Sonne oder ^ond wird gefressen (bei den Esthen). — Bei den Litthauem fallt
der Dämon Tiknis den Sonnenwagen an. — Der durch die Sonne und besonders durch den
Mond den Göttern yerrathene Arachos verfolgt sie aus Rache (bei den Mongolen). — Sollte es
den als Löwen und Schlangen (unter Manco Gapac) erschienenen Gometen gelingen, den Mond
(gegen den die Quechuas deshalb Pfeile abschössen) zu verschlingen, so würden alle Werkzeugp
der Hanner in Löwen und Schlangen, die der Weiber in Vipern, die Werkzeuge des Webens in
Löiren und Tieger verwandelt werden. — Die Karaiben tanzen lärmend bei Finsternissen, dass
die böse Maboja nicht den Mond verschlinge. — Mon dieu, qu'elle est souffrante hörte Monnier
in Frankreich während einer Mondfinstemiss die seufzenden Bauern sagen, wogegen bei deren
Uebeigang sich alle erleichtert fühlten. — Laboranti succurrere lunae (Juveral). — In Peru
glaubte man den verfinsterten Mond krank und peitschte die ihm beliebten Hunde, damit er
aus Mitgefühl aus seiner Lethargie erwache. >- Bei den Maori besucht Rupe seine Vorfahren
im Himmel. — Nach Philochorus waren Erde, Himmel und Sonne die Vorfahren. — Die £dee-
yahs in Fernando Po verehren Rupi als höchstes Wesen (nach Allen). — Als erster Menschen-
sammler nach der Fluth wird der kölsche Merops, des Hyas Sohn, erwähnt. — IloXtn fÄtoontjy
tif(^gu7itoy (Homer) als Meropen auf Kos [koische (}ewänder vom indischen Meru], als Autochthonen.
— Merop als Aethiopenkönig und König von Rhymdakos. - Herakles bekämpfte die Meropen
auf Kos. — Anadyomene in Kos. — Tahmiurasp (Gründer von Merv) wird von Urupi herge-
leitet. - Sol et luna fratres sunt et habent patrem minorem, nomine Rahu. Olim a fratribus
percnssus, adhuc servat animum vindictae et identidem exit e regione gigaütum et aperit os
suum immane esputans solem aut lunam ad vorandum palatium eorum quando transibunt, sed
cum arripuerit solem ant lunam, non valet retinere diu propter velocem cursum illorum, si non
(iimitteret illa palatia, diffrangerent caput moustri. Sic explicantur eclipses. — Der Milesier
26 •
376 ^'^ Yerehrang der Hunmelakoiper.
Eohlen auf ihre Pfeispitzen und schiessen sie zun neuen Anzünden des Lick-
tes nach dem Himmel empor (Jones). Nach den Mataguyos (im Ghaco) wer-
den die Ecclipsen durch einen grossen Vogel verursacht, der mit ausgebrei-
teten Flügeln herabsteigend, das verfinsterte Gestirn vorübergehend tödtet
(d'Orbigny). Bei Mondfinsternissen schlagen die Grönländern (auf den Haas-
dächem) auf Easten und Kessel (Cranz). Die afirikanischen Mauren schlagen
Kupfergeräth aneinander. Die Araukaner halten Finsternisse für den Tod
des Mondes. In Gumana waren bei Ecclipsen die Eheleute Sonne und Mond
in einem Zank verwundet Bei Sonnenfinsternissen suchte man durch Selbstr
Verstümmelung die Sonne zu bewegen, ihr Licht wieder zu geben (in Süd-
amerika). Nach den Peruanern hielt die Sonne bei Ecclipsen ihr Angesicht
aus Zorn verborgen. Um den betäubten Mond zu erwecken wurden Hunde
geprügelt. Bei den Gelten suchte ein Riese den Mond zu verschlingen.
Hraban (f 856) hörte das Volk bei Fulda lärmen, um dem kranken Mond
beizustehen. Von den Wölfen fahrt Sköll hioter der Sonne, Hati (Mnna
garmr oder Mondhund) hinter dem Monde her. Oro (Sohn Taaroa's) süeg
mit seinen Schwestern (Teouri und Oaaoa) durch den Regenbogen (AnooA-
noua) auf die Erde nieder (auf Tahiti), und so Bochica nach der Fluth. Der
niedrigste Himmel (des Regenbogens) ist im Herbst der Erde am nächsten
und wird dann von dem jungen Angekok besucht. Auf den Garolinen stieg
der Jüngling Ulefat, um ein himmlischer Geist zu werden, auf der empor-
wirbelnden Rauchsäule^) eines angezündeten Feuers auf, von seinem gött-
lichen Vater ^), der ihn mit irdischer Frau gezeugt, empfangen. Hält die
Thaies sagte die Soxmenfinsterniss unter König Xlyattes TorauB. — Bei einer Sonnenfinstemiss strei-
ten Sonne und Mond (in Bayern). Wenn die Sonne unterliegt, kommt der jüngste Tag. — Der
Yon Herakles aus der Unterwelt hervorgezogene Cerberos wurde durch die Sonne in die Gift-
pflanze Aconit yerwandelt. — Damit der Mond (der St&rkere im Streit) nicht Herr werde über
die Sonne , fallen die Bauern im Böhmerwald auf die Knie und beten zum Ofen gewendet (s.
Mannhart) bei Finstemiss. — Die Sonnenfinstemiss heisst (in Mexico) Tonatiuh qualo (das Ge-
gessenwerden der Sonne).
^) Den Negritos gilt der zum Himmel aus der Flamme au&teigende Dampf als Medium der
Vereinigung zwischen Himmel und Erde (Michelis). — Alle Menschen gingen Ton Guam aus,
wo sich die Nachkommen des ersten Menschen (in Stein yerwandelt) zerstreuten und die Sprache
änderte. — Pantan (in der Leere lebend) liess beim Tode seiner Schwester aus Brust und
Schultern den Himmel und die Erde, aus den Augen Sonne und Mond, aus den Brauen den
Regenbogen fertigen. >- An inscription of the fourth or fifth Century designates the Budhisüc
king who excavated the cave, as the worshipper of the sun (in OrissaX — A son of Yishnu (as
Krishna) having accidentally looked on one of his fathers nymphs in her bath, was stricken
with leprosy (in Orissa), but cured by the diyine rays of the sun and raised a temple of
the sun (at Kanarak), the Hindus believing that a leper, who with a Single mind worships tbe
bright deity, will be healed of his infirmity (Hunter) [Singbonga der Kolh]. — Der eine Familie
gründende Sohn erhält (bei den Heroro) Ton dem Vater von dem Feuer der Hütte (durch die
Tochter gehütet).
') Der Sonnensohn Piumin befreit Johnjlut von der Herrschaft der wilden Thiere, die von
den Menschen Tribut erhielten. — Une Klipse annonce que la lune est descendue du firmameut
et qu^elle se promene incognito et en tapinois sur la terre. Ces excursions de la lune sont
pleins de dangers pour la race humaine. Le m^hant Aninga (frere de Molina) se gUsse dans
les huttes, derobe les aliments et tue les gens qui ne sont pas sur ieurs gardes. Les bonunes
Die yerahrang der Himmelskörper. 377
Sonne den Regen allzu lange zurück, wird sie von den zornigen Sternen ge-
steioigt (Gordon) aof den Neu-Hebriden. Ein (gespenstiger) Halbmond (ord-
luurmani oder Mond der Nome Urdher) weist aof ein kommendes Sterben
(Eyrbyggja Saga). Jeder der Monatstage des nach dem Aufgehen der Pleja-
den getheilten Jahres in Tahiti fahrte einen besonderen Namen (an einen
Gott geknüpft). Wenn eine Sternschnuppe fallt, so stirbt ' in dem Augenblick
ein Mensch (in Oldenburg). Jeder Faden der Werpeja (Spinnerin) endet in
einen Stern, der beim Tode abreist (nach den Litthauem). Aus der Wasser^
probe des Oben-Schwimmens wurde der zur Zeit einer Verfinsterung des Mon-
des durch Rahu von Yasodhara geborene Rahula als Sohn des Sakya-thub-
pa (der seit sechs Jahren der Welt entsagt hatte) erkannt.
Die Plejaden sind zum Himmel gestiegene Frauen, die (während sie Wurzeln
groben) von ihren Männern um die gejagten Kaninchen betrogen wurden, ausser
der jangsten, deren Gemahl deshalb mit derselben Schilimaschine zum Himmel
in den Tauras stieg (in Califomien). In Hinterindien heissen die Plejaden die
Henne mit den Küchlein. Die Töchter des Atlas und der Pleione wurden (von
der Liebe des Orion verfolgt) in das Siebengestim der Plejaden versetzt, in
dem aber nur sechs Sterne heller hervoracheinen, da solche Liebesumgang mit
Göttern gehabt haben, während Merope sich schämt, in Sisyphus von Ephyra
oder Corinth, Vater des Glaucus (Vater des Bellorophon), einen Sterblichen
geheirathet zu haben« Venus heisst Ghosca (Langhaar) in Peru. Nach Jor^
Dandes waren den Gothen ausser Planeten und fiimmelszeichen 344 Sterne
(die von Anfang nai u Untergang rennen) bekannt (zur Zeit des Dicenaeus).
Nach den Peruanern hatte jede Thiergattung ein Lidividuum ihresgleichen
anter den Sternen am Himmel Nach den Turucares werden Thiere in die
Gestirne versetzt (als Zodiacus). Thiere finden sich im Gyclus der Kirgisen. Die
nomische Bedeutung des Thierkreises wird in Hinterindien verwerthet. Die
Erscheinung der Plejaden (Gnougnou gnougnou) zeigt den Bambaras die S&-
zeit an. Der grosse Bär heisst Gniamou-dolo (Stern des Eameels ^)% Gassio-
peya Faali-dolo. Der Morgenstern ist ein abgeschiedener Mönitarri (Wied).
numtent alors sur le toit de leur caae et au moyen d'instruments bniyants de toute sorte, ila
foQt an infema] tapage, qui force le yagabond de rentrer chez loi. Qaand il y a une Klipse
<le soleil, c^est au tour des hommes k rester Caches , tandis que les femmes mordent les chiens
*nx oreiUes. 8i les chiens crient, c'est une preuve, que la nature n^approche pas encore de sa
fin (Edmond).
0 Das Fest der Kollyridianeriunen, die (nach Epiphanins) der Jun^rau Maria auf einen
nerndrifjren Stuhlwagen Kuchen darbrachten, war ein heidnisches Erntefest (s. Alt). —
Apollo erscheint bei den Hinyem yorzuglich als Heerdengott tOUbert). ^ Yeshl (bei den Kolo-
schen) Terwandelt durch das Scheinen der Sonne die Menschen in Thiere. — Nach den Kitab-
^ firist (987) trug der Sonnengott Aditja (in Indien) einen feuerrothen Edelstein, die Chandrabh-
^ta Terehrten in Ghandragupta den vom Mond beschützten Edelstein. — Galchaquinos jugis
PeniTiae Regibus olim paruisse docent multa victae gentis monumenta (s. del Techo). Solem
pro primario Numine, pro secundariis Deis tonitrum et fnlgur colunt Acerris lapidum (Majo-
nun monumenta) saus est honor (arbores plumis omatas passlm adorant). ~ Als die Eathedral-
tohe zur Himmelfahrt Mariae in Moscau vom Metropoliten Gferontius eingeweiht wurde, machte
otta dem Metropoliten beim Qrossfoisten den Vorwurf, dass er in der Einweihung bei der Pr<h
378 1^0 Yerehrang der Himmelskörper.
Der Stern Venus ist (nach den Earaiben) Gattin des Mondes (bald auf die-
ser, bald auf jener Seite stehend). Von den Earaiben wurde der HänpÜmg
Rakumon in einen Stern verwandelt, ebenso Sawaku (der Blitz und Donner
erzeugt), Achinaon (Gott des Regens und Windes), Courumon (der Meergott
der Stürme). Nach den Digniten (in Südamerika)* werden die Seelen in
Sterne (bei den Häuptlingen in Kometen) verwandelt. Die Tapuyas singen
und tanzen beim Erblicken des grossen Bären (in Südamerika). Im Tempel
der Venus in Mexico wurden Menschen geopfert. Nach den Califomiem sind
Sonne, Mond, Morgen- und Abendstem Männer und Weiber, die Nachts im
Meere zurückschwimmen. Die Pawnees opferten dem Morgenstern vor dem
Anbau der Felder. Drei in einem Kahn reisende Brüder bilden eine Stemgruppe
bei den Indianern (Schooleraft). Der grosse Bär oder Bärin (Okuari) wird
von drei Jungen verfolgt (die drei Sterne des Schwanzes) bei den Indianern
(das Siebengestim heisst der Tänzer oder die Tänzerin), die Milchstrasse ist
der Pfad der Geister. Der Gürtel des Orion heisst Whacka oder Ganot (m
Neuseeland). Die PIejaden sind sieben Neuseeländer, mit einem Auge er-
scheinend. Das Sternbild des Ankers kommt Nachts und geht Morgends un-
ter. Als Heckotoro (Gott der Thränen und Sorgen) sein gesuchtes Weib
nach langem Irren fand, wurde er in dem zusammengebundenen Canoe in das
Sternbild Ranghec versetzt Bei den Finnen heisst Orion das Schwert Wiar
namoinen oder die Sichel (Wianamöinen wikate). Die Planeten sind (nach
den Grönländern) Weiber, die sich besuchen und zanken, die schiessenden
Sterne sind Seelen, die vom Himmel zum Besuch in die Holle reisen, der
grosse Bär heisst Takto (Rennthier),. das Siebengestirn EeUukturset (einen
Bären hetzende Hunde), die Zwillinge Eillak kuttuk (des Himmels Brustbein),
der Orionsgürtel Sicklut oder der Verwilderte (auf dem Seehundsfang Ver-
irrte werde dorthin gesetzt). Nachts steht Axcturus am Himmel im Ejreise
der Götter, bei Tage aber wandelt er unter den Menschen, und auch andere
Gestirne fallen Nachts auf die Erde, um Jupiter Bericht zu geben von den
Thaten der Menschen (Plautus).
Die Patagonier sehen in den Sternbildern^) Indianer die Strausse jagen, mit de-
ren Federn die Milchstrasse bestreut ist Nach Witukind ist die Milchstrasse von
dem Helden Hering benannt. Die Milchstrasse heisst (bei den Walachen) Trqan-
cession mit den Kreuzen nicht nach dem Laufe der Sonne gegangen sei (1479 p. G). — Nach
dem Rostowschen Bischof Bassian und dem Tschudowschen Archimandrit Qennadius war die
Osterprocession um den Tempel «ein Bild der Auferstehung Christi, als der wahren Sonne (s.
Philaret).
0 Ainsi que les Patagons, les Tobas dans le Ghaco, ont une Systeme (d'apres Gueyara).
La croix du Sod est une autruche (Amnic), les etoiles qui l'entourent (Apiogo), sont des chieos,
les autres planetes, les unes des p^nelopes (Bagada), les autres des tatous (Natumnac), des pe-
drix (Nagalo). La lune (Adago) est un homme, le soleil (Gdazoa) sa compagne, qui tomba du
ciel Un Mbocobi (ou Toba) le releya et le pla^, oü il est, mais il tomba une seconde fois ei
incendia tous les forets, les Mbocobis (se sauTant) se changeant en Qabiais et en Gaimans. Un
homme et une flamme leur brula le visage et Us furent chang^ en singe (d'Orbigny).
Die Verehmng der Himmelskörper. 379
olai (Weg Trajans). Die Bassutos nennen die Milchstrasse den Weg der Götter.
Iring erschlag seinen Herrn Inninfried (König der Thüringer) and bahnte sich
(yon Dietrich, König der Franken, verwiesen) seinen Weg, wie es die Milchstrasse
zeigt (nach Witukind und Corvey), als Ermingetrete in England (Irminstraza).
In Rinteln heisst die Milchstrasse der Mühlenweg. Bei den Indianern (Nord-
amerikas) ist die Milchstrasse der Pfad der Seelen. Von den Sternbildern ^)
wird Lyra, als Urcnchillay (buntes Schaaf ) von den Hirten verehrt (in Peru).
Das Sternbild Gatischillay Urcichullay stellte Schaaf and Bock dar. Die
Waldbewohner verehrten das Sternbild Chuquichinchay oder Tiger (zum
Schatz gegen wilde Thiere) und Acochinchay, das Sternbild Machacaay (im
Bild einer Schlange) schützte gegen Schlangen. Die Plejaden sind eine
Henne mit sieben Küchlein (im deutschen Volksglauben). Die Sterne waren
früher Menschen, Seethiere oder Fische (nach den Grönländern). Die blassen
ewen Nieren, die rochen Leber. Dzawindanda (dessen von den Herrschern
?oo Toltitlan-Tamazolac stammender Ahnherr die ihn brennende Sonne durch
Pfeilschüsse zum Verbergen hinter das Gebirge gezwungen) schuf (durch
0 In dem indianischen Kriegagesang ist (zur Verserinnerung) der Krieger mit Flägeln ge-
ukfanet, um anzuzeigen, dass er gewandt und schnellfossig ist (Schooleraft). — Dupaix fand
auf der Grenze von Quauhnahuac (der Ort des Adlers oder Ouernavaca) einen Adler eingehauen.
— Die Thierfiguren an hohen Felswänden (am Orinoco) waren (nach den Indianern) zur Zeit
des grossen Wassers von den Vätern eingehauen (Humboldt). — Landkarten mit erhabenen
Linien im alten Peru (Bivero und Tschudi). — Animas suorum post mortem ezistimant in
stalbs cimyerti, eo splendiores, quo in Yita faere aut gradu aut facinoribus insi^es (del Techo)
die (}alcliaquinL — La plupart des Bertats adressent leurs hommages et leurs priores ä la
hine, quelques -uns fönt du soleil Tobjet special de leur culte, et ne regardent la lune que son
filB (sur ce point partageant Topinion des (lallahs). Mais \a lune est le plus g^neralement
sdoree, pareeque sa douce lumiere leur parait bien prefärable au feux brulans du soleil (Cail-
had), — Zair-el-Abidin in den Ruinen zwischen Darfur und Wadai. — Les noirs adorent le
soleil et croyent que les ames sont immortelles et qu* apres la mort du corps, elles vont loger
aTec le soleil memo, et sur tous autres les habitans du royaume de Benin tiennent cette super-
itition (XYL Jahrh.) — The Tinniinyaranna or Orion (son of the star Pamakkoyerli) is consi-
dered (by the natives of Adelaide) as a group of youths, who hunt kangaroos, emus and other
Rzme on the great celestial piain (womma), while the mangkamangkarranna dig roots et, which
are around them (s. TeicheUnann). — The star Pama indicates autumn. — The natives of
Adelaide believe the milky way a woldliparri Qarge riyer), und in den dunkelen Flecken der
Sonne wohnt Tura. — Die (nicht Ton Menschen gemachten) Götzenbilder des Mondes (auf Ero-
manga) are in the form of the new moon and the füll moon, the latter being like a ring to go
on tbe ann (s. Gtordon) in den Neu-Hebriden. — The people of Bokki (south-west of Sennaar) are
«onhippers of the sun, which planet they consider it as profane to look at (1822). — A la
fete de la Chandeleur (en Mouthier) un rayon du soleil (passant par un trou de la röche supe-
rieore) eclaire le haute de Faignille et la fait ressembler & un cieiige allume (Monnier). — An
Festtagen fiel das Sonnenlicht auf die Lippen des Serapis (Sonnenkuss in Guzco) und in Jüter-
bog der erste Strahl des Morgens (j^tro). — Tempel der Atome der Sonne auf der Insel Munaz
(Ancan). — Allumer un beau ou construire un ba, c'est construire et allmner un tas de buches
oa de branchage, sur un des points, les plus apparents du territoire en Thonneur du soleil ou
solstice de Tet^ (dans le Haut -Jura). — Der Sonnen tempel der Sabäer war (nach Mohammed
Ali Taleb) Tiereckig (goldgelb), der des Mondes funfecldg und silbern (Norberg). — Als die
Sonne ihren Lauf anhielt und sie die Wasser des Sees Theomi austrocknete, wurden nur die
nach dem Sonnentempel Olaymi Geretteten übriggelassen. — Den Apalachiten und Natchez war
die Sonne Sitz der Tapferen. — Sonnentempel in Japan (auf den Ursprung zurückgehend).
380 ^'^ Yerehrung der Himmelskörper.
»
Ausschütten eines Erdsackes bei Tilantongo) Eriegsheere, am (als Atonaltzin
oder Wassersonne) den Mixtequen zu unterwerfen (von Montezuma I. besiegt).
Der Abendstern heisst (an der Goldküste) Eekye oder Kekyepevarre, als
Heirathslustiger (verlobt mit dem Monde, dem er nachlauft). Die Seelen
steigen die Milchstrasse ^) auf (bei den Odschi). Bei den (von den Gharlotten-
inseln ausgewanderten) Eaiganen (südlich von den Koloschen) erscheinen
die Seelen der im Kampfe Gefallenen (Tahiti) den Ueberlebenden im Nord-
licht (sa-hattei oder erschlagene Leute) während die natürlich Sterbenden in
der Erde zurückbleiben (s. RadlofiP). Bei den Eaiganen müssen Heirathen in
ein anderes Geschlecht erfolgen (zwischen Raben- uod Wolfsstamm). Unter
den schwarzen Tartaren (Mongolen) gehörten die Uijangckat zu den Stammen
Ckian und Neguz (während die Urjangckut-Fescheh oder Wald-Ürjangckuten
innerhalb der Grenzen Burckudschin Tugrums nicht zu dem Stamm der Mon-
golen gehörten). Die Uijangckut, die an dem Schmelzen in Ergeneh-Gknn
Theil genommen haben wollten, pflegten ein vom BUtz erschlagenes Thier
nicht zu berühren und beim Gewitter auf Blitz und Donner zu schimpfen, um
durch ihr Geschrei den Donner zum Stillschweigen zu bringen, wahrend die
anderen Mongolen l¥ährend des Donners, der durch ein drachenähnUches
Thier hervorgebracht wurde, sich furchtsam in den Häusern hielten. Nach
1) The milky way ib called Rapeupeu (the fabulous road) by the Arancanians. — Pleja-
den, Tapa (Rehkopf), Ursus major, Wabaha (Wagen für Kranke und Verwundete auf dem
Marsche), Venus, mekakatunguls (grosser Stern), Milchstrasse, Wahconda-o-jnnga (Pferd des
Herrn des Lebens) bei den Omahaw. — Die Milchstrasse heisst Wale onnald ci abonaha (der
Pfad für die Trager des weissen Lehms), Jupiter heisst Wiwa kalimero (der glänzende StenX
Venus Warakama bei den Arowaken, die das Sternbild der Schlange (Gamudi) kennen« — Die
Arecunas nennen den Comet Wataima (Stemengeist), die Wapisianer ebenso Gapishi. die Macu-
sis die Feuerwolke (Capoeseima) , die Woe inopsa (die das Licht rückwerfende Sonne). — Das
Sternbild des grossen Bären heisst der Elephant (bei den Fulan). — Ealoo, a god (faUing star)
in Fiji. — Before the birth of Heaven and Barth there existed only an immense silence in
Illimitable Space, an immeasurable void in endless silence (according to the Tauists). — Der
Ssungari und untere Amur heisst (bei den Mandschn) Ssungari-Ula (der Milchstrassenfluss). —
— Siektnt oder Zerstreute (als verirrte Grönländer) heissen die drei Sterne im Gürtel des
Orion, Tugto (Rennthier) oder Asselluit (Harpunenholz) der grosse Bär, Eellukturset (Himde mit
dem Bären) der Stier, Nennerroak (der den Wettsängem leuchtet) heisst Aldebaran, Nelleraglek
(mit dem Bärenpelz) Sirius. — Mars is called Gxunba (fat), Saturn Wuzgui (a Utile bird), the
milky way Worambul (a water course with a groTC, abounding in food, flowers, fruit), to which
the souls of the good ascend (by the Gingi-tribe). The southem cross is called Zieu (a shrab),
the dark space at the foot gao-ergi (emu), the bright stars pointing (Gentauri) Murrai (cocka*
toos), the Magellan clouds buralga (companions), Ganopus Wumba (stupid or deaf), Antares
Guddar (lizard), the bright stars in the tail of the Scorpion Gigeriga (green parrots), the dark
Space near Scorpio Wurrawilburu (demon) , the line of stars between the Northern Grown and
Scorpio Mundewur (notches cut in a spiral form on the trunk of a tree for climbing up), the
Chief Star in Peacock Murgu (night cuckoo), Gorona Bundar (Gangaroo), Fomalhaut Qam (Iguaiia),
Spica virginis Gurie (crested parrot), the Pleiades Worrul (bee's nest) or (at Burburgate) Din-
dima (woman, and the Hyades Giwir or man), Arcturus Guembila or Guebilla (bright red).
The Northern Grown (at Buburgate) is called Wollai (eagle*s camp or nest), when this constella-
tion is about due north on the meridian. Altair (chief star in Aquila) rises and is called Mol*
lion-ga (an eagle In action), it is springing up to watch the nest. Shortly afterwards her more
niajestu mate, Vega, Springs up, ad is also called Mullion-ga (s. Bidley),
Die Yerehmiig der Himmelskörper. 381
Erdmann pflegt der gemeine Mann unter den Tartaren Rasslands derb aai
Domier and Blitz za schimpfen ') und ebenso hoffen die Einwohner in Bussa
in ģrika dadurch (s. Heinzelmann) bei Mondfinsternissen die Sonne zu ver-
scheuchen, die den Mond verfolgt Die Einwohner der Insel Ualan bewaShen
sich mit Flinten and Steinen, um die entfesselten Geister der Todten in die
Flacht za treiben. Der vom Windgott Aeolus stammende Salmoneus (erst
mit AIcidice , dann mit Sidero vermählt) ahmte in Salmone den Blitz nach.
Die Abchasen nahen sich vom Blitz erschlagenem Vieh nur tanzend. Numa
Pompilios lockte den Blitz herab nach etruskischer Weise. Unter den schwarzen
Tartaren oder Mongolen war die von dem nach Ergereh Eun entflohenen
Paare stammende Völkerschafk der Ckonckurat, die sich von Bestui zerrin
oder Goldgef&ss ableiteten, über die Essen der übrigen Völker vor der Be-
ralhimg ausgezogen, und die anderen Mongolen, die sie wegen dieses frühe-
ren Aasziehens hassten, schrieben den unter den Ckunckurat häufigen Fuss-
srz dem Einherschreiten über die Kohlen^) zu. Auf enge Localität
"} Im Tempel des Herakles zu Lendus (auf Rhodus) wurde der Gottesdienst mit Schimpf-
reden abprehalten.
^ Die Hirpiae genannten Familien der (sabinischen) Falisci (Aequi Falisci) am Berge So-
ncte der etruskischen Golonie Feronia («/^^r>cu»'<i<) gingen mit blossen Füssen (zu Ehren der
Göttin Feronia) über Kohlen. — Die vom Wolfe (Hirpns) stammenden Hirpini (ßeneyentoms)
vurden mitonter zu den Samniten (sabinischen Stammes) gerechnet. — Mars wurde von den
Körnern (durch Romnlus und Remus von der Wölfin stammend) als Lupercus verehrt. — Ein-
heimiscbe Völker haben das yerehrte Feuer auf dem Altar brennen und theilen (wie die Griechen)
es auch ausziehenden Golonien mit. Bei vielfach wandernden Stämmen dagegen vrird das lästige
MitSöhren des Feuei? (wie bei den Damap) bei Möglichkeit leichterer Erzeugung (durch das aus
China erhaltene Feuerzeug, das jeder Mongole am Gürtel führt) bald aufhören und sich vielleicht
Qn Hinblick auf die (Gefährlichkeit eines möglichen Steppenbrandes) sogar im Gegentheil das
Verbot der Mittheilung des Feuers (wie am Amur) herausbilden, so dass der Auszug bei den
Berathtuigen erat nach yölligem Erlöschen des Feuers Statt haben darf, wie die Mongolen auch
uf Reisen an dem Lagerplatze verweilen, bis alles Feuer spontan erlöscht ist, da sie es bei der
£Iementenverehrung nicht auslöschen dürfen. — Die mit der Wolfsmanifestation zusammenhän-
gende Flucht (von Kian und Neghuz; nach dem Engpasse Kun (auf üighur, Türken und^Mon-
(!olen bezüglich) giebt Anlass zu dem Stammnamen der Kian. — Die Eisen- oder ßerggruben-
^'carbeitang findet sich bei den Türken oder Tukiu, als ünterthanen der Jeujan, und auch bei
den Mongolen im Zustande ihrer Unterdrücker. — Die im Stammlande des Baikal (als Wasser-
mongolen) sitzenden Mongolen (zu den Ühuan, Sianpi und Kian-kuen gehörig) leiten sich von
den Kian in dem Engpasse Kun ab, während die von Tur (dem Türken) unterworfenen Mon-
golen, als Uighur und Bede zu den nomadisirenden Türken gehörend, späterhin Tartaren
(schwarze im Gegensatz zu den weissen) genannt werden. Die Kirgisen sind Nachkommen
der Kiankuen ^welche Herstammung sich später die Mongolen vindicirten). Das Eisenschmelzeji
oder -Khndeden bezieht sich auf die Altai. Aus den Ün-Uighur gingen die Hunnen (ütrur-
Wren, Hunoguren) hervor. Aus den Tuckuz-Üighur (Hiongnu) gingen^ die Tungusen hervor
Ans den üghuz-üighur gingen die Ghizghiz oder Ckirkiz (Kiliki) hervor. Die den nörd-
lichen Sianpi entlaufenen Türken (Tukiu) waren anfangs ünterthanen der Jeujan. Die (den
Siänpi verwandten) Uhuan waren aus dem (III. Jahrh ) von den Huiugnu besetzten Juotschi
«nd Tnnghu hervorgegangen. Unter dem Stamm Nirun der Mongolen (schwarze Tartaren)
hieesen die von Wolf und Wölfin abstammenden Dschines (Dschineh) Neguz. Bei den von
Assen» (Wolf) stammenden Türken, die (VIII. Jabrh. p. C) den Hoei-hu erlagen, begab sich
der Chan jährlich in die Höhle seiner Vorfahren (Ergeneh Kun), um das Andenken der Wolfs-
erzeogung zu feiern. In Dschingiskhan's Familie erhält sich das Schmiedefest. Von den in
382 Die Yerehnmg der HimmelBkorper.
beschräDkie Stamme, die sieb dort als Herren fühlen, werden (ebenso wie
unumschränkte Tyrannen) auch herrisch gegen den Himmel auftreten (beson-
ders also in Inseln und Bergthalern), während Völker, die auf Wanderangen
über der Erde schon mächtige Feinde angetroffen haben, desto mehr von der
Macht des Ueberirdischen durchdrungen sein werden.
Ursprünglich lagen Erde und Himmel dicht aufeinander, sie hielten sich am-
schlössen, wie Uranos und Gaea, Kinder zeugend, die, um Luft zu gewinnen,
ihre Eltern (Papa und Rangi der Maori) aus einander drängten. Anfangs mussten
in Afrikadie Menschen noch gebückt gehen, dann hob sich der Himmel zar
Manneslänge, aber noch stiessen die Frauen daran mit ihren Mörserkeulen beim
Kockosstossen, bis auf ihre Bitten ein Mann den Himmel noch höher hinauf-
stiess, und dann flog er so weit zurück, dass er die Gebete nicht länger er-
hören kann. Der von der Taro-Pflanze etwas gehobene Himmel, an den die
Menschen noch mit den Köpfen stiessen, wurde durch einen Mann fiir einen
Wassertrunk von einer Frau emporgeschoben (auf Samoa). Himmel and
Erde^) aufeinanderliegend wurden durch die Pflanze Dracontum polyphyllom
getrennt und der Gott Ru schiebt den Himmel weiter in die Höhe (auf Ta-
hiti) oder (auf Rarotonga) ihn erst zur Höhe der Tevay pflanze, dann des
Feigenbaums, dann bis zu den Bergspitzen, dann bis oben (als Himmelsheber]
schiebend (als Libellen unterstützt hatten, die Banden zu lösen). Als Maai
das Seeungeheuer (Tintenfisch) tödtete, flog der zurückgehaltene Himmel nach
oben (auf Raiatea). Ehe der früher nähere Himmel sich zurückzog, theilte
er Weisheitslehren mit (in Akwapim). Als Tane-mahuta (der Gott der Wäl-
der) die Eltern Rangi und Papa (Himmel und Erde) auseinander gerissen,
zürnte der nicht einverstandene Tawhiri-ma-tea und bekämpft« seine Brüder,
bis durch Tu-matawenga (der Gott der Menschen) besiegt, der seine ihn
nicht unterstützenden Brüder deshalb als Nahrung verbrauchte, unter passen-
den Incantantionen für Tane-mahuta (Gott der Bäume), Tangaroa (Gott der
Fische), Rongo-ma-tane (Gott der süssen Kartoffeln und Culturpflanzen),
ihreo Thtuin durch einen Wolf befruchteten Töchtern des Tschen-yu (König) der Hiongnu wur-
den die Vorfahren der Kaotsche (am Baika]) geboren. Von den niedergemetzelten Vorfahren der
Tukier oder Türken blieb nur ein Knabe übrig, der mit einer Wölfin Assena und seine nean
Brüder zeugte. Von den Brüdern des Khapampu (Fürst der aus dem Königreich So stammen-
den Türken oder Takiu) herrschte der Ton einer Wölfin stammende Ytschenüschuaitu (Vater des
Assena). Die Tataren genannten Türken gehörten zu den von den (vom Wolfe hergeleiteten)
Juelschi stammenden Sianpi und Uhuan. Die Vorfahren der Mongolen (schwarze Tataien) waren
aus der Vermischung eines himmelblauen Wolfes (Burte-tschino) und einer weissen Hirschkuh
(Goa-Mural) hervorgegangen. ~ Mit den Namen Lycus, Lycaen, Lycurgus, Lyceus, Lycorus,
Lycomedes verknüpfen sich vielfach genealogische Ableitungen (wie Singha-Dynastien in Indien
des Südens), besonders bei Völkern, die aus dem Dunkel der Wälder hervortreten, und sich dann
ihrer Heimath erinnern. — Dschudschi erhielt den Beinamen Ckessar (redender Wolf) oder Löwe
(wie Kesar im Sanscrit).
1) Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde (Joachim und Anna) und mii Maria wurde es
Licht (in der Paraphrase der Geschichte Marias nach dem alten Testament). — Nach PhÜo
Herennius hiess Ovitarot früher 'EnCyttoq^ trennte sich jedoch von seiner Gattin r^ und wurde
dann von seinen eigenen Kindern befehdet.
Die Yerehrimg der Himmelskörper. 383
Haamia-tikitiki (der Fairen- and wilden Esspflanzen). Seine ansierblichen
Nachkommen Termehrten sich bis zur letzten Generation in Mani-taha, dessen
Kinder sterblich warden, weil Manitikiti die Gottheit Hinenaitepo getauscht
hatte (s. Grey). Den wegen der Ewigkeit nie alternden Himmel bezeichne-
ten die Aegypter (nach Platarch) als Herz über einer Raachpfanne. Die
Hexicaner beteten zum Herzen des Himmels. Dem Zeus auf Berghöhen
opfernd, riefen die Perser das Himmelsgewölbe an, und ausser den Opfern
für Sonne, Mond, Erde, Feuer, Wasser und Winden hatten sie von den As-
8yrem die Urania (Mylitta oder Alitta) oder Mitra angenommen. Den ersten
der glühenden Steine weihten die Lenape dem Walsit Manitu (Geist des
Himmels), die anderen der Sonne, Mond, Erde, Feuer, Wasser, Haus, Mais
nnd den yier Weltgegenden. Bei den Delawaren folgt der Sonnengott auf
den obersten Himmelsgott. Bei den Mingos ist Michabu Gott des Himmels
(ids grosser Geist), Tharonhiouagon (Tarenyawagon) oder Hiawatha (Halter
Himmels, der den Himmel auf allen Seiten befestigt) genannt Oki (bei
Haronen) wohnt im Himmel (Areskowi). Bei den Irokesen bezeichnet
Garoüchia den Himmel und den Herrn des Himmels (Sironhiata bei den Hu-
rooen). Kiwasa der Virginier wohnt im Himmel. In Florida wurde als
Schopfer Aguar verehrt, im Himmel wohnend, woher das Wasser und aUes
Gate kommt (Nunez). Die Torubas glauben an Olorun, als den Herrn des
Himmels (Tucker) und die Yebus beten (nach d^Aveyzac) zu dem unsichtbaren
Weltschöpfer, als König des EUmmels. Bei den Bonny und bei den Makuas
(in Ostafrika) dient dasselbe Wort für Gott, Himmel und Wolken. Die Od-
scliis (Ashanti) nennen das höchste Wesen mit demselben Namen wie den
Himmel (Riis). — . Als Schöpfer verehren die GaUas den Himmel *) oder
Wak, der den ersten Menschen (Walal) aus Thon bildete und mit einer
Seele begabte. Als an einem Festtage ein Portugiese in der Stadt des
Jniteve einen Ochsen geschlachtet, musste derselbe (wegen des Verbre-
chens gegen Molungo) unberührt bleiben, bis der Musimo (Heilige) des
Tages käme, ihn zu verzehren (nach Santos). Statt dem Molungo im Him-
mel wird der Regen dem mit den Geistern der Vorfahren communiciren-
den Joiteve zugeschrieben. Nachdem Tamoi (der Alte vom Himmel) dem
Grossvater der Guarini den Ackerbau gelehrt, entschwand er zum Himmel.
Nach der Schöpfung stieg der ältere Geist zum Himmel, während der jün-
gere, auf der Erde bleibende, aus der Erde Söhne bildete und sie bei Tage
unterrichtete, während sie bei Nacht von der herabkommenden Mondgöttih
behatet wurden. Als der Vater die Söhne vernachlässigte, weil er mit der
Mondgöttin zu liebeln angefangen, entschwand er zuletzt ganz zur Sorge
seiner Söhne, die aber ihren Schmerz erleichtert fühlen, als die Nacht durch
^} The Apaches aknowledf^e as Supreme Being Tastaritanne (Commander of heaven). — Die
Chiueftca yerehrten den Himmel als Tien, von Shan^ durchdrungen. — Unter dem Tanja
(Sohn des Himmels) verehrten die Hiongnu den Himmel. — Auf Yeso wird der Himmel ange-
betet
384 Die Yerehrong der Himmelskörper.
Strahlen des Morgens verscheucht wurde, und sie zugleich einen Säugling
als Unterpfand des Vaters vor der Thor der Hütte fanden. Bei Nacht staeg
dann der Vollmond am Himmel empor.
Bei der Verehrung des Himmels durch seinen fürstlichen Sohn, war
in frühester Anschauung der Sonnengott, der in ewig unveränderlichem Ge-
setze mit dem Stemenheer sich um die Erde wälzt, der alknächtige Re-
gierer alles physischen und organischen Lebens, in dessen wohlgeord-
nete Herrschaft zuerst die Drachenbahn der unregelmässig bewegten Pla-
neten eine Störung zu bringen anfingen. Indem der emporwachsende
Geist des Menschen, der, wie der zweifelnde Inca, in dem Zwang des Nsr
turgesetzes die Freiheit vermisste, über den astronomischen Kosmos hin-
ausstrebte, so mussten die metaphistischen Gottheiten geschaffen werden, die
jenseits der Himmelsfeste thronen, und der Mensch, der ^ese umsonst io
Olymp erstürmenden Thurmbauten zu zertrümmern gesucht hatte, zerbrach sie
subjectiy, aber für ihn ebenso erfolgreich, in dem Kalender. Durch das krie-
gerisch bunte Spiel des Maya wurde in den Schalttagen, die Merkur dem
Monde abgewonnen, Osiris geboren und der Herr des Alls trat hervor an das
Licht. — Die Mexicaner nannten die fünf Schalttage Nemontemi (nutzlose),
weil an ihnen nicht gearbeitet wurde (s. Cabrera), wie sie Hermes erspielte.
Die Maori rechnen von dem Monat des Pflanzens bis zu dem des ErndteoB
nicht die übrig bleibende Zeit. Prometheus raubt das Feuer vom Sonnen-
wagen (nach Aeschylos) und aus Hephästos Schmiede auf Lenmos« Qaetz-
caluatl schüttelt das Feuer aus seinen Sohlen in Tula. Paivan paika gewinnt^)
für ^ainämoinen das vom Hecht verschluckte Feuer. Talangi bringt Feaer
0 Die Sioux erhalten das vom Panther hervorgeschlagene Feuer. -- Zur Bewahrung dei
durch Reibung erzeugten Feuers lassen es die Andamanen in einen ausgehöhlten Baxun (der als
Ofen dient) unter der Asche fortschwelen. - The 11 ohaves (on the Colorado) carry a finebrand in the
hand in cold weather (Sitgreaves). - Neuntägige Feuerlöschung fand sich auf Lenmoe (wahrend
der Enagismata), bis das Schiff mit neuem Feuer aus Delos ankam. — Erlöschung des Yestafeuers
im Februar (ersten März). — Feuerlöschung beim Raymi-Fest (Perus) im Winter. — Feuerlöschung
am Ende des Gyclus in Mexico. - Feuerlöschung beim Erntefest (der Greek) ~ Feuerlöschung
am Ende jeder Rat ha (in Irland). — Feuerlöschung bei den Irokesen. — Feuerlöschung «m
Ostersonntag (in Kärnthen). — Das Feuer wird auf dem Ueerde, für die Künste (Kultus des
Hephästos auf Lemnos), als Symbol der Zerstörung (und Erneuerung) verehrt. — Das beilige
Feuer von Delos wurde von Wittwen bedient (der Hestia). — Colonien nahmen Feuer der
Hestia aus dem Prytaneion mit (in Athen). - Dem Moloch (Baal) Hess man die Kinder durch
Feuer gehen, statt des Feueropfers (wie dem Saturn in Karthago). — Beim Fest der Vulcana-
lien wurden Fische im Feuer geopfert. — Streit des Feuers und Wassers in Aegypten. — Rei-
nigung durch Feuer (Mütter mit Säuglinge durch Feuer schreitend in Indien). — Feuerstroo
Dinur (im Thalmud), Fegefeuer, Leichenverbrennung. Bei der Feuerprobe (in Ordalien) spielt
das Trageisen. - Die Feuererzeugung geschieht durch Einrinnung (stumpf gespitzter Stock
auf Holzatnck hin und her geschoben) in Polynesien (Holz von Hibiscus tiliaceus in Tahiti ge-
braucht). Quirlung (stumpf gespitzter Stock auf Holzunterlage gedreht) in Kamtschatka, Ceylon
(Veddahs), Eskimo, Indianer, Central-Amerika, West-Indien, Süd-Amerika, Süd-Afrika, Quanchei
(der Ganarien), Mexico (Hieroglyphen), Indien (Buttern). — Die Gauchos drücken den elastischen
Stock zum Drehen gegen die Brust — Die Grönländer drehen an einer Spindel. -- Die Sioux
drehen mit einer Bogensehne (wie im alten Egypten). — Die Irokesen drehen mit dem Zug-
Die Verehmng der Hunmelskorper. 385
TOD der anterweltUchen Frau Mafuike (nach Duke-York-Insel), Hiro von See-
reisen (Tahiti), Tawhaki vom Himmel (Maui von der ürahnin). Die Zwillings-
sterne warfen Feuer herab (in Tasmanien). Bei den Karen stiehlt ein Vogel
von Muchaki Feuersgluth. Das Nothfeuer bei Viehseuchen wurde (nach
Reiske) durch Bohren (in Deutschland) erhalten (XVII. Jahrh.) in Hannover
(1828). Wildfire (gebohrtes Feuer) in England bei krankem Vieh (182()).
Nach Brand musste (in England) in der Ostemacht alles Feuer verlöscht
und neu geweihtes vom katholischen Priester geholt werden (aus dem Steine
geschlagen). Die Gapitularien Carlomans verbieten Mos sacrilegos ignes,
qaod niedfyr vocant (VHI. Jahrh.)- Für das Johannisfeuer wurde (1593) das
Nodfore von Holz gesägt (s. Grimm). Aus Reiben eines Ahornstabes auf
Birkenholz erzeugen die Russen (am Feste Florus und Laurus) lebendiges^)
Feuer, um die durchgeführten Pferde zu reinigen (Le Roy). Nach Price
wurde (auf den Fidschi) Thon an der Aussenfläche einer Fruchtschaale ge-
formt (durch Harzanstrich wasserdicht). In alten Oefen des Missisippi-Thals
zum Brenn^i von Thongeschirren findet man noch die Eürbiss- Rinden, wor-
äber sie modeUirt waren (nach Squier und Davis). Nach dem Prinz Maxi-
milian von Wied wurden aus grauem Thon gefertigte Gefasse (am Wabash-
fiiver) in einem Tuche oder »Korbe geformt. Auf den Freundschaftsinseln
wurden Thongeiässe zum Formen in Flechtwerk eingeschlossen. Nach Wilson
wurden die alten britischen Urnen durch Umgebung eines Flechtwerkes von
Binsen oder Stricken geformt (in Woll nach Frerch). Die Hundsrippen-In-
dianer fertigten (nach Mackenzie) ihre Töpfe aus so dicht ve^ochtenen Wur-
zeln, dass sie Wasser hielten, um mit hcissen Steinen zu kochen. Die Eam-
schadalen gebrauchten Holztröge zum Kochen (Kracheninnikow). Nach Thom-
son legten die Neuseeländer heisse Steine in das Wasser von Holzgefassen.
beisei (wie auf Samoa). — Reibung (zweier Hoizer) in Patagonien. — Schlagen zweier kiesel-
baltiger Bambustncke (Bomeo, Sumatra). — Schlagen von Feuerstein mit Eisen-Pyrite (in Feuer-
tod)- — Schlagen von Feuerstein mit Stahl. — Brennspiegel bei den Griechen (Aristophanes).
BreoBspiegel bei den Römer (Plinius). — Brennspiegel zur Erneuerung des vestaiischen Feuers
(nach Plutarch) oder durch Reibung (nach Festus). ~ Brennspiegel beim Raymi-Fest (der Sonne)
in Peru). — Die Australier tragen glimmenden Holzbrand mit sich hemm. — Die Tyrier lernten
»las Feuer aus Reibung zweier Baumstämme im Wind. — Die Kinder von Genos und Genea
([^Lo6, Pur, Phlox) fanden die Feucrverfertigiing durch das Zusammeureiben von Uolzstäckeu. —
Kei den Chinesen lernt Suy-jin die Feuererzeugung durch einen das Holz des Baumes pickenden
^ogel (des Feuervogels). — Picus hackt das Feuer aus einen Baum. — Das Nothfeuer (unter
Erlöschung der Herdfeuer) wird aus Holz gedreht (zur Viehheilung) oder (zum Freudenfeuer auf
Jobannes) gesägt (1593). — Vor Protrimpos brannte ein heiliges Feuer bei den Preussen. —
Feoerweihung fand Statt bei den Chaldäern, Phrygiern, Lypieni, Medern, Scy then, Cappadociem,
Ethiopiem. — Hiarbas (bei den Atlantiquem) baute Feueraltäre. — Feuerverehrung fand
^ch im Tempel des Jupiter in Ammon. — Pyraeen im Tempel des Hercules in Spanien. —
I^jraeen im Tempel der Venus von Erycina. — Stetes Feuer wurde bei den Ojibway unter-
baltea (und den Daman). — „Die Brasilier sind nicht gerne ohne Feuer (das sie aus zwei Holz-
>ten drehen), weil sie den (bösen) Aynjang fürchten. *"
') Auf Timor (mit den Tobor als Priester), wo der Gott Use nenu in der Sonne, Patuhan
in der Erde wohnt, wird in dem Tempel des Pamalie von alten Frauen ein stetes Feuer unter-
kalten.
886 Die Verohnmg dor fiimmdskorper.
Nach Linn^ (1732) ward das finnische Getränk Lura durch glühende Steine
bereitet. Kessel von zusammengenähter Rinde bei den Ostjäken (Ysbrant
Ides). Kessel von Tannenrinde (der hoch über das Feuer gehängt wurde,
ohne von den Flammen erreicht zu werden, am Unijah oder Peace-River des
Felsengebirges (nach Mackenzie). Die Gauchos kochen das getodtete Thier
mit den Knochen, wie die Scj^en (bei Herodot). Erman sah (zum Kochen
des Blutes) den Wanst des geschlachteten Thieres als Geschirr brauchen, wie
die Rennthier-Koriaken (nach Krachenninnikow). Hautkessel unter den Es-
kimo (Frobischer). Die Bewohner der Hebriden kochen das Fleisch mit
Wasser im Wanste oder in der Haut des geschlachteten Thieres (Buchanaa).
In den Palmenspathen werden in Südamerika Speisen gekocht (Spix und Mar-
tins). Die Dayaken gebrauchen gespaltenen Bambus i) zum Kochen. Die Es-
kimo verfertigten feuerbeständige Geschirre aus LapisoUaris (Topfslein).
GonneviUe (1503) sah in Südindien mit Thon beschmierte Holzge&sse zom
Kochen (Goguet). Nach Hall (1605) kochten die Grönländer in GefiEuseii)
deren Boden aus Stein^ die Seiten aus Wallfischflossen bestanden. In Una-
laschka sah Cook Steingefasse mit Seiten wänden von Thon. Die Asinais')}
die das Feuer durch Erstlinge in dem Schopfer (Niacaddi) verehrten, glaub-
ten, dass im Anfang der Welt die Erde mit riesenhaften und schreckhaften
^) Die Andamanen halten Feuer glimmend in hohlen Bäumen, in denen sie braten. —
Nach Moffat braten die Afrikaner in ausgeräumten Ameisenhügeln. — Unterirdische Oefen finden
auf den Südsee-Inseln, Madagascar, Ganarien, Sardinien (bei den Beduinen, in Amerika), Austra-
lien. — Hölzerne Roste in Brasilien (Jean de Lery). — Nach der Tradition der Sioux oder Da-
cotah (bei Schooleraft) pflegten ihre Väter das Wild in seiner eigenen Haut zu kochen, die sie
auf vier in den Boden geflanzte Pföhle legten (und Wasser, Fleisch und heisse Steine hinzu-
thaten). — Die Assinaboins deckten ein Loch mit der Haut aus und erhitzten das Wasser durch
Steine (Catlin), bis sie von den Mandan Töpfe erhielten aus Thon. Nach Herodot kochte der
scythische Ochse sich selbst — CharloYoix spricht von Holzkesseln der Indianer (bis zur Ein-
führung von Eisen).
^ Nachdem sie die Körper verlassen, ziehen die Seelen (der Asinais) gegen Westen und
erheben sich von da in den Himmel, um von dem grossen Capitän Caddiaco nach der Wohnung
des Todes im Süden beschieden zu werden (wo sie in dem Zustande verweilten, wie der Tod
sie überrascht hatte). Diejenigen, die auf Erden keinen guten Lebenswandel geführt, gingen in
das Haus des Teufels (Teiino), der ihnen Qualen bereitete. — Der grosse Capitain (Gaddi oder
Anjo) wohnte im Himmel (bei den Asinais). — Im Anfang der Welt lebte (nach den Asinais}
ein einziges Weib, mit zwei Töchtern, von denen die Schwangere von dem gehörnten Riesen
(Cadaia, Teufel oder Dämon) gefressen wurde, während die Jungfrau entfloh, und aus dem Kochen
des zurückgelassenen Blutes ein Kind hervorgehen sah, das rasch zum Manne anwuchs. Hit
Bogen und Pfoile versehen, schoss dieser so lange auf den Riesen (aus der Entfernung), bis er
verschwand, und erhob sich dann mit Grossmutier und Tante in den Gachao Ago genannten
Himmel, von wo er als oberste Gottheit die Welt regiert. — Die Apaches haben keine Achtung
vor dem Alter und selbst der tapferste Krieger, wenn er nicht mehr tauglich ist \md seine
Kräfte verliert, wird von seinen Verwandten verhöhnt. — Nach Abulgazi erlaubte Dschani Be;
seinen schwarzen Frauen Schmalz in's Feuer zu giessen, um aus dem Züngeln der Flamme zu
errathen, ob sie von einem Knaben oder einem Mädchen entbunden würden, ein (nach Vamberg'
noch in Mittelasien prakticirter Gebrauch (wie Bleigiessen am Weihnachtsabend über Heiratb
entscheidet"). — Als man dem Ai3chimandriten Plonysius vorwarf, ,dass er nicht bekenne, das
der heilige Geist im Feuer sei*, misshandelte ihn das Volk (in Moskau), weil er das Feuer tiuä
der Welt schaffen wolle (u;i9).
tHe Yerehnmg der Himmriskorper. 387
Geistern bevölkert gewesen, so dass ihre Vorfahren sich (um den Verfolgun-
gen derselben zu entgehen) in Bären, Gojotes und andere Thiere [Götter der
Aegypter] verwandelt hätten, von denen sie abstammten. „Der Tempelhüter
(der Natscher) legt von Zeit zu Zeit zwey oder drey Scheiten an, jedoch nur
bey dem Ende, und schiebt sie nach. Sie dörffen nicht über, sondern nebst
einander liegen, womit die helle Flamm ^) verhütet wird* (Petit) 1730. Das
Feoer auf dem Altar wurde als Repräsentant der Sonne am Himmel verehrt.
Ä. B.
Miscellen nnd Bttcherschan.
Die Bücheranzeige des vorigen Heftes bringt im Titel selbst zwei Versehen, die, obwohl
sie der Leser selbst schon berichtigt haben wird, doch nicht übergangen werden dürfen, Tylor^s
mehrfach in dieser Zeitschrift genannter Name ist, wie es demselben an verschiedenen Orten
passirte, in Taylor verändert worden , nnd unter den üebersetzem Hr. Spengel , ebenfalls aus
früheren Heften bekannt, in Sprenger. Eine ausführlichere Besprechung des Werkes wird näch-
stens folgen.
In den in diesem Hefte mitgetheilten Rathschlägen für die Kaiserl. Marine sind vorzugs-
weise nur die allgemeineren Verhältnisse zunächst berücksichtigt, woran sich dann für beson-
dere Fälle eine eingehendere Betrachtung der jedesmaligen (Gesichtspunkte wird anknüpfen lassen.
Abschnitt B und D wurde besonders von Hm. Virchow behandelt, Abschnitt C von Hm. Hart-
Dann, wie auch Abschnitt I (in Verbindung mit Hrn. Fritsch), Abschnitt G von Hm. Braun
ond Ascherson, Abschnitt H von Hm. v. Härtens, Abschnitt F von Hm. H. Kiepert, Abschnitt E
Ton Hrn. Kuhn und Steinthal, Abschnitt K von Hm. Koner, Abschnitt A von Hm. Bastian,
ond aoitserdem nahmen die sonst unterzeichneten Herren an der Abfassung Theil.
Darwin: Expression of the Emotions in man and animals. London, 1872.
Diesem letzten Werke Darwin's verdanken wir wieder eine werthvolle Bereicherang der
Literatur, eine in der hohen Begabung dieses Naturforschers geschriebene Abhandlung, die
sich, gleich denen seiner übrigen Werke, auf eine lange Reihe schatfer Beobachtungen stützt.
Wenn der Verfasser freilich sich dahin ausspricht, dass durch dieselbe die Descendenztheorie
') Gegen Feuer werden Qebäude in Whydah mit dem Zo Vodun- Strick umbunden, die
Thär wird vertheidigt durch die Vo-siva (Strick mit Calabasse, als Kopf). An der Thür steht
<ler Legba-gbau (Topf), der Abends und Morgens mit Mais und Aal für die Aasgeier gefüllt
«ird (neben der Thonfigur des Legba). — Die (ungeiährliche) Danhgbwe-Schlange wird in den
Fetischhäusern gezähmt — In pagan times in Scotland it was the custom every autumn
(afterwords Hallow-eve) to extinguish all the fires (rekindled by the holy fire of the Draides).
— A certain composition was prepared by the priests which they delivered to the king, with
a strict injunction to bum it daily in a consecrated fire-pot within the palace. On no account
was the fire to become extinct in consequence of neglect, for so long as the sacred flame should
continue to destroy the composition, the king, it was alleged, would not fall to triumph over
Ins enemies (Beecham) in Ashantie. — Der Ohitome verkaufte die Kohlen des ewigen Feuers
seiner Uütteu.
888 MiBceUen und Bnchenchau.
eine fernere Bestätigung erhalte, obgleich i^auch confinnation was hardly needed,* so möchten wir
umgekehrt sagen, dass diese dadurch eine fernere Widerlegung erhalten, wenn es deren über-
haupt noch bedurft haben sollte.
£s möge diese Gelegenheit benutzt werden, einige Worte aber die Behandlungsweise der
Gefühle in ihrem physiognomischen Ausdrucke beizufögen.
Man wird bei den Gefühlsausdrücken zunächst zwei Klassen zu unterscheiden haben, ein-
mal die allgemeinen, gleichsam instinktmässig, gleichartigen, und dann die nur auf höheren
Oulturgraden Yorkommenden, um hier Bedürfnisse zu decken, die den Naturstämmen (wie in der
Sprache die abstrakten Wortbegriffe) fehlen. Davon zu unterscheiden wären die omiTenlioneU
an bestimmte Bedeutung geknüpften Gesten, die als solche vielfoch von einander yerschieden
und selbst entgegengesetzt erscheinen hönnen.
In der Mimik, wenn ihr freies Spiel gelassen wird, drückt sich die jedesmalige 8timmu&g
ab, ein Seelenzustand, der von dem einen oder anderen der dnnkelen Gefühle yorwaltend dureb-
wogt wird. Je mehr sich die Gefahle zur deutlichen Anschauung eines festen Gedankens klino,
desto mehr verlieren sie ihre unmittelbare Macht über dio Reflezactionen, bis dann wieder der
Gedanke als Wille die Bewegung des ihm zusagenden Maskeis bedingt, and solche Bewegung
pflegt durch collateral erregte die ursprünglich beabsichtigte Isolirung fast immer zu verlieren.
Bei einfacher Ausstreckung des Armes mögen nur die Extensoren in Thätigkeit sein, ist aber
dabei zugleich ein Gewicht emporzubalten, so werden sich auch andere Muskelparthien anspan-
nen, um die Anstrengung zu erleichtem.
In der Gemeinstimmung spielen an der Oberfläche des Gefühlsmeers auf- und niedertauchende
Gedankenreflexe, aus denen sich ein dominirender Leitgedanke entwickelt, der seine natürliche
Gompensation in der entsprechenden Bewegung sucht.
Nehmen wir einen leidenschaftlich Erregten, dem plötzlich eine Niederträchtigkeit klar
wird, wodurch ihn ein besonders bevorzugter Diener betrogen hat, oder ein von einem vermeint-
lichen Freunde bei dem Gegenstande seiner Wahl hintergangener Liebhaber. Sein Zorn lodert
auf, ein Zorn, der seine Gnindfärbung von dem Schnauben nach Rache, der Denkrichtung auf
Strafe erhält. Im gleichen Augenblicke tritt die Ursache der Erbitterung ihm vor die Augen
und der Geist antwortet auf den Eindruck solchen Augenbildes durch Niederschmettern des
Originals mit der Faust. Dann folgt Aufathmung und Erleichterung, und der Gedankengang
wird bald ein ruhigerer, in den Zusammenhang der Angelegenheit zerlegend eindringend, vielleicht
die zugefügte Schuld als eine noch schwere erkennend, vielleicht auch andererseits bereaeod, zu
einer allzu raschen That fortgerissen worden zu sein.
In solchem Falle wird das Mienenspiel ein beschränktes geblieben sein. Da es darauf an-
kam, einen heftigen Schlag zu führen, so werden allerdings alle die Gesichtsmuskeln in Mit-
leidenschaft gezogen sein, die gewöhnlich an heftigen Anstrengungen Theil nehmen, also im Zn-
sammenpressen die Lippen, im Contrahiren der Stirn sich zeigen, und ausserdem werden die
Atigen dem feindlichen Object das Feuer der Wuth entgegensprühen. Dies ganze Schauspiel
ist jedoch (bei dem hier gewählten Beispiel) ein rasch vorübergehendes, weil sich im Moment
der Entstehung auch ausgleichend.
Anders dagegen, wenn der innere Dranf^ nicht zu unmittelbarer Erfüllung gelangt, wenn
die Ueberlegiing zugelt; dann wogen die Gefühlswellen des Innern fort und in ihrer Spiegehing
malt sich auf dem Gesicht der Ausdruck des Zorns.
Je nach der Veranlassung des Zorns, je nach der Person, auf die er sich richtet, und je
nach dem Zwick, der erreicht werden soll, wechselt die Ausdrucksweise, die ohnedem v(m Idio-
synkrasien der Individualität abhängt Beim Aerger, wo der Betroffene sich mehr passiv ver-
hält, tritt in der Physiognomie ein den Schmerzempflndungen zukommender Zng hinzu, beim
Zorn verschwindet dieser schmerzliche Ton in dem nach Genugthuung dringenden Gesammt-
ausdruck, in der Wuth steht die Activität an der Schwelle der Ausführung. Will der Zornige
den Antworten des Angeredeten gleichsam zuvorkommen, so bleibt der Mund halbgeöffiiet, soll
dagegen der Blick in prüfender Drohung hingerichtet werden, so participiren mehr die den
Augen benachbarten Theile des Gesichtes an Herstellung des Gesammtausdruckes, in fester De-
termination knirschen die Zähne, bei Combination mit Vernichtung wird durch die Nase aos-
geathmet u. s. w.
Der Totalcharakter des Zorns ist eine Anspannung verschiedener MuskelparthieeDi gleich-
MisceUen und Bäch«rachaiL 389
m als Vorbereiton^ zu einer gewaltsamen That, während die Freude z. B. sich in allgemeiner
Bebxatioii und passiver Hingebung an die das Qehim durchschwebenden Frobsinnsbilder mani-
^t'rt, im Gegensatz zu dem durch trübe Bilder beschwerten Kummer, der sie gern unterdrücken
wüde, um so von seiner Belastung befreit zu werden.
Der fesseUos dem Zuge der Freude Folgende wird dem geliebten Object entgegeneilen, in
leine Arme stürzen, oder doch den wohlthuend zurückwirkenden Contact herstellen, sei es durch
UmfBSsen, sei es durch Berührung der Lippen, der Nasen oder wie sonst conventioneil In
solchem Falle wird der Ausdruck der Physiognomie ein weit einförmiger sein, als wenn der den
OD^hinderten Ausbruch der Freude durch irgend welche Rücksichten Mässigende seine freudigen
Smpfindungen im Mienenspiel allein zum Ausdruck bringt. Da in der Freude kein Gedanke
zu Ausführung einer bestimmten Handlung dominirt, da keine Veränderung des bestehenden
Zustandes angestrebt wird, sondern im Gegentheil völliges Aufgehen in das Angenehme des Be-
itebenden, so wird bei der Abwesenheit jeder Muskelspannung und eines durch den Willen be-
tn^nichten Verbrauches, auch das Blut desto lebhafter bis in die feinsten Verzweigungen des
CtpiJlametzes circuliren, das Gefühl im Gesammteindruck ein belebendes sein.
Der fröhliche Ausdruck führt zu dem lächelnden hinüber, der das Gesicht gleichsam aus-
idtet und die Respiration ebenso erleichtert, wie sie durch den phyaiogDomischen Ausdruck
do Kummers erlangsamt wird, Ein plötzlich einfallender Gregenstand des Schreckens kann die
Bopiration momentan ganz suspendiren, wogegen ein komischer das Lachen zum Ausbruch
briogt, wodurch das respiratorische Reflexsjstem die Störungen zu reguliren sucht, die bei der
allzu onmotivirten des bewussten Gedankenganges auf den aus diesen verbindenden Fäden weiter
Teriaufen sind. Im Weinen trägt der gepresste Gesichtsausdruck zur Entleerung der Thränen-
drasen bei, was je nach Gewohnheit mehr oder minder leicht Statt hat. Das Studium des
Physiognomie- Ausdruckes als Spiegelbild einer Seelenstimmung, die (in ethnischen Elreisen habi-
taell geworden) die Nationalphysiognomie bedingt, muss ihren Ausgangspunkt vom Menschen
sehmen, da sie sich nur hier in der Vielfachheit ihrer Erscheinungen übersehen lässt, und nach
Umgrenzung des Ganzen zwar auch die bei Thieren angestellten Beobachtungen gehörigen Ortes
eüiordnen darf, nicht dagegen aus diesen allzu zerstreuten Bruchstücken aufgebaut werden kann.
Der Schöpfungsplan verwirklicht seine Gedanken, wie in den anderen Reichen der Natur, so im
tbierischen, an dessen Spitze der Mensch steht, aber die ideal erkennbare Stufenreihe der Ent-
wickelung darf nicht in krass-mechanischer Weise mit Abstammungen, die sich selbst die Peri-
pherien der Species gezogen haben, confundirt werden. Die Gylinder- oder Ankeruhren stellen
öch als vollkommener dar, verglichen mit den Spindeluhren, oder zu Gewichts-, Wasser- und an-
deren Uhren. Dennoch würde auch bei ihrer höchsten Vollendung die Spindeluhr stets eine
solche bleiben und zur Schöpfung der Cylinderuhr bedurfte es erst des neuen Gedankens, der
1720 Graham's Gehirn entsprang. Wollten wir also den Uhren eine Fortpflanzungsföhigkeit
vindieiren, wie sie in der organischen Wesenheit implicite eingeschlossen liegt, so würde Spin-
dehihren Spindeiuhren, ob vollkommen oder unvollkommen, Cylinderuhren Gylinderuhren zeugen
(keine aber aus sich das von einem Barlow oder einem Quare und Tompion zugefügte Repetir-
werk selbstständig entwickeln), und ein Uebergangszustand um so mehr ausgeschlossen sein,
weil eine zwischen der Spindel- und Gylinder-Gonstruction in zweifelnder Halbheit schwankende
Uhr wahrscheinlich von ihrem Eigenthümer längst als nutzlos weggeworfen sein würde, ehe sie
noch Zeit hätte weiter zu jungen. Dass ohnedem die Reduction auf die an sich todte Eins
tms in der Unendlichkeit unserer Weltanschauung keine Einüsichheit oder gar Einheit schafft,
sollte sich jedem Denkenden von selbst verstehen.
Auf den durch Tangaloa aus dem Meere aufgefischten Fels kommt seine Tochter in Q^
stslt einer Schnepfe herab und scharrt aus dem Moder angeschwemmter Blätter Würmer hervor,
die sich dann zu höheren Thieren bis zum Menschen entwickeln. So betrachtet eine polynesi-
Khe Schöpfungsmythe die Evolution. Die Schwierigkeit der unserigen liegt in dem Anfang,
denn so weit wir immer die Entstehung der Erde oder des Sonnensystems zurückrücken mögen,
CS fehlt uns stets der (Gegensatz zur Wechselwirkung, dass aus der Zweiheit die Vielheit her-
vorgehe. Die Induction würde also ihren eigenen Principien untreu werden, wenn sie durch
hypothetische Zuthat den in der Sache selbst liegenden Mangel verdecken wollte, und es geht
uns deshalb auch die Berechtigung ab, die Entwickelung des organischen Lebens in seiner Ge-
Ztlttekrift fir Bthaologi», Jahigang 1873. 27
390 Miseellefi und BöcheraebaiL
sammtheit, von einem einfachen Anfang an, zu setzen, obwohl die Mögliehkeit aolches Nach-
weises in den besonderen Kreisen überall, schon der analytischen Gonstmction wegen, faitxa-
zuhalten ist. unsere Welt berührt auf der einen Seite die Unendlichkeit des Alls, auf der lo-
deren die im Bewusstsein supponirte Eins, und wenn die Erstere in unserer Gedankenreihe Tielleicht
ann&hemd erreicht, aber nicht erschöpft werden kann, muss uns bei Letzterer gegenwärtig blei-
ben, dass, wenn solch subjectiver Beschrankung objective Gültigkeit supponirt werden soll, der
Denkfehler sich verdoppelt. B.
Garrett: Classical dictionary of India^ Madras 1871.
Ein weil mangelndes, längst erwünschtes Handbuch, das freilich die Bedürfnisse noch lan^
nicht ersetzt. B.
Braun, Evon: Die Stadt Altenbnrg in den Jahren 1350 — 1525. Alten-
bnrg 1872.
Die Bauern im altenburgischen Ostkreise sind als üeberreste eines Zweiges anzusehen,
der ,von dem slawischen Yolksstamm unter dem Namen der Sorben-Wenden nach den Jahren
500 und 600 sich in das jetzige Sachsen und seine Umgebungen verpflanzte, dann aber unter-
jocht, veijagt, verfolgt oder germanisirt wurde und, ausser den Bauern im oldenbuigischen Ost-
kreise, nur noch in Ueberbleibseln in Böhmen, besonders aber in den Wenden in der Ober-
und Nieder-Lausitz anzutreffen ist, bei denen man viele Aehnliehkeiten mit den altenbuigischen
Bauern in Sitten und Gebräuchen findet (S. 163). B.
Morelet: Reisen in Central -Amerika. In deutscher Bearbeitong von Dr.
H. Hertz. Jena 1873.
In mancher Hinsicht wäre es willkommen, das obige Buch in den deutschen Leserkreis
eingeführt zu sehen, denn obwohl es aus der ursprünglichen Beschränkung auf Privatcirculation
später auch allgemein zugänglich gemacht und auf Squler s Veranlassung in englischer Ceber-
Setzung veröffentlicht wurde, blieb es doch verbal tnissmässig unbekannt. In dem Lüeratuner-
zeichniss von Wappäus' grossartigem encyclopädischem Handbuch fehlt es freilich nicht, wohl
aber in vielen Bibliotheken. Gegen die Bearbeitungsweise der Uebersetzung Hesse sich Verschie-
denes einwenden, immer aber fährt sie den Leser, dem andere Wege dahin nicht zugänglich
sind, nach den wenig bekannten Gegenden zwischen Tucatan und Guatemala, nach den roman-
zenhaften Inselstadt Peten-Itza's , nach den Grenzstrichen jener Indianerstämme an den oberen
l^ebenflnssen des Usumasinta, die dem deutlichen Sehen noch so ferne geruckt sind, dass sieh
in ihren Verstecken einige Unabhängigkeit bewahrende Dorfgemeinden armer Lacandones durch
die Phantasie in Wunderstädte verwandeln Hessen. B.
Dupont: L^homme pendant les ages de pierre. Bruxelles 1873.
Die vorhistorischen Zeiten Belgien*s durch den besten Kenner derselben behandelnd. B.
Andree, E.: Die Geographie des Welthandels, mit geschichüichen £r^
läuterungen. Bd. II. Stuttgart 1872.
Dem 1867 erschienenen Bande ist jetzt der zweite (die aussereuropäischen Erdtheile) ge-
folgt und vervollständigt dieses mit ebenso viel Sachkenntniss, wie klaren Anschauungen ge-
schriebene Werk. Der Verfasser sagt in der Vorrede, dass er die Handelsgeographie als eineo
Zweig der Gulturgeschichte habe erscheinen lassen wollen, und es mag hinzugefugt werden,
dass er sie auch als einen Zweig der Ethnologie gezeigt, so dass jedem Freunde derselben
das Studium dieses Buches anempfohlen bleibt B.
Das Archiv fmr Anthropologie (herausgegeben von Scker und Lindenschmidt) bringt (V. 4)
neben zwei eingehenden Arbeiten über Prognathie (v. Ihering : Üeber das Wesen der Prognathie
und ihr Verhältniss zur Schädelbasis und Lissauer: üeber die Ursachen der Prognathie und
deren ezacten Ausdruck), von Friedel: Ueber Drachenpfeile in Deutschland und von Schale:
Morphologische Eintheilungen eines Microcephalen Gehirns, neben kleineren Mittheihingen und
Beferaten. B.
MiM«Meii und Bvobertchan. 39X
Die Revue d'Anthropologie (publice sous la direction de M. Paul Broca)
eoth< J, 3:
Sar la Classification et la nomenclature craniologiqnes d^apres Its indices c^phaliques, par
X Paul Broca. — Gontrihution k Vetude du d^velopment des lobes cer^braux des Primates, par
I. le docteur E. T. Hamy. — Classification des diverses periodes de Tage de la pierre, par H.
0 de Mortillet. — Note sur les lobes surnum^raires du poumon droit de rhomme et en par-
ticQÜer sur uneanomalie r^versive par M. le docteur Pozzi. — Gontribution k TEthnologie de la
cote occidentale de TAfrique, les Boschesmans, par If . le docteur L. Vincent — Du Graniophore,
iztftrament k mesurer les projections du cräne, par M le docteur Paul Topinard. — Notice sur
IflS subdivisions de la langue indu-europeenne , par M. A. Hovelaque. — Revue des Livres, Be-
Toe des Joumaux, Extraits et Anaiyses, Miscellanea, Bulletin bibliographique par M. le docteur
Dureau. B.
The Journal of the Anthropological Institute of Great Britain and Ire-
land, July and October 1872, enthalt:
Note on tbe pecuUarities of the Australian Granium, by J. Messen;^ Bradley. — Note upon
a sctpboid skull (by Galori). — On certain points conceraing the origin and relations of the
Basqve Race, by Rev. W. Webster. — Mann, its Names and their Origins, by J. M. Jeffcott.
- Vocabulary of aboriginal dialects of Queensland, by Mrs. N. Barlow. — Mode of preparing
tbe dead among the natives of the Upper -Mary -River, Queensland, by A. Mcdonald. ^
Notes on a new instrument for measuring the proportions of the human body by J. Bonomi. —
- Moral Irresponsability resulting from insanity, by G. Harris. — On the artificial enlargement
of the earlobe in the Bast, by J. Park Harrison. — General description of the Great Barrows
of Kototowi in Sapolia, Russia, by N. G. Baronde Bogouschefsky. — On Ogham Piilar Stones
in Ireland by Hodder M. Westropp. — The westerly drifting of Nomades from the fifth to the
oineteenth centary, Part IX, the Fins and some of their AUies, by H. H. Howorth — Descrip-
tion of tbe Tattooed Man from Burmah, by A. W. Franks. — A Short account of the Hill tribea
of Northern Aracan by B. F. St. Andrew St. John. — The Ainos, Aboriginers of Jesso, by
Commander H. C. St John — Indian picture writing in British Gniana, by Gharles B. Brown.
- Report on the Australian languages and traditions, by Rev. Wm. Ridley. — Dann Sitzungs-
berichte mit den Discussionen. — Anthropologial Miscellanea und : Report of the Arctic Gommit-
tee of the Anthropological Institute, by Glements R. Markham mit Appendix. — (Questions for
Explorers by Dr. B. Davis, Enquiries as to Religion, Mythology by B. B. Tylor, Questions re-
lating to War, Arrow Marks, Drawing, Garving and Omamentation by Gol. A. Lane Fox, Further
£nquiries on Ethnological Questions by A. W. Franks, Questions relatingto the Physical charac-
teristics of the Esquimaux, by Dr. J. Beddoe, Further Ethnological Enquiries conceming the
Western Esquimaux by Prof. W. Turner, Instructions suggested by Gapt Bedford Pim.) B.
Eine sehr kostbare Bereicherung hat das Ethnologische Museum*) in diesen Tagen erhal-
ten durch ein Geschenk des Herrn Eisenbahn - Ingenieur Hohagen, ein Gefäss, wie es zur
Anfbewahrung der Ghicha den Todten beigegeben wurde, aus den Qr&bem von Olantay. Auf
diesem Grenzschloss , das den Pass in der Montana der östlichen Andes zu bewachen hatte,
residirte der in dem aus der Inca-Zeit erhaltenen Drama gefeierte Fürst, der aus Liebe zu der
ikffl versagten Inca- Prinzessin ihren Vater (Inca Pachacutec) bekämpfte, und sich zu diesem
Zwecke mit den wilden Waldbewohnern des östlichen Gordillerenabhanges verbfindete. Die bunt be-
malten Figuren des Gefasses zeigen einen Kampf der durch die Schleuder oder Huaraca (ihre Lieb-
liiigswaffe} charakterisirten Inca gegen rohe Indianerstämme, die mit Bogen und Pfeil hinter
*) In einer früheren Nmnmer waren Abbildungen von Götzenbildern gegeben, die dem Ethno-
logiiKhen Museum aus den Philippinen zugegangen sind, die indess (wie besonders auch Herr
A W. Franks bei hiesiger Anwesenheit hervorhob) einen bis jetzt nur aus Melanesien bekannten
Charakter tragen, wogegen im Prager Museum als philippinische bezeichnete Idole eher auf die
Nordwesiküste Amerika^ deuten- Das Zusammentreffen der Schiffe in einem aus verschiedenen
Biehtoagen her besuchten Hafen, gleich dem Manilla*s, giebt leicht zu gegenseiti^m Austausch
nsd da&rch verursachten Verwechselungen Anlass. Da indess auf den Philippinen noch mit-
nnter alte Figuren, von denen auch frühere Beschreibungen sprechen, vorkommen sollen, wäre
tt interessant, diese ganze Frage weiter zu verfolgen.
27»
892 Miseellen und Bächendura.
Bäumen kämpfeiL Die Form des Oeiloee läuft in einen Thiemchen ans. ,At Ollantay-tampo,
on tbe northern frontier of the orig[inaI Tnca realm, tbere are buildinfp of three dilerent stylet
and dates. The Cyclopean remains consist of six curious slabe of immense size, apparendy in.
tended as the inner wall of a hall, with smaller pieces fitted with exquisite exactness betneen
them. There are also immense stone beams, one 1 5 feet 4 in. long, by 8 feet 4 in., and another,
known as the tired stone. 20 feet 4 in. long, by 15 feet 2 in. broad, Cyclopean walls and Tast
seats and recesses hewn out of the liTing rocks. Figures of men and animals vere caned ou
the stones (Markham). B.
Als diese Zeitschrift vor vier Jahren begründet wurde, ward im Prospect und Reinen Bei-
lagen darauf hingewiesen, wie es für sichere Fundamen tirung der neu entstehenden Wissenschaft
der Ethnologie unumgängliche und nothwendige Vorbedingung sein würde, Reihen pbotographi-
scher Darstellungen aus den verschiedenen Menschenra^en in grösserer Zahl zu erhalten und zu
sammeln. Wie für Betreibung der Ethnologie überhaupt, war auch für die Gewinnung dieser,
sie stützenden, Beweisstücke der Zeitpunkt im natürlichen Entwickelungsgang ein allmäli(j[ gün-
stiger geworden. Indem sich die Zahl dar Photographen in den aussereuropäischen Ländern
mehrte, indem Uebung darin häufiger in den Vorbereitungen der Reisenden mit aufgenommen
wurde, kamen auch bereits häufiger typische Darstellungen nach Europa, es erschienen bereits
locale Prachtwerke, wie Watson's und Kay s People of India, und als die Anthropologische Ge
Seilschaft in Berlin bald darauf ihre Arbeiten begann, öfoeten sich allmählig verschiedene Wege, auf
denen die Photographien ihrer Sammlung sich vermehren 4iessen. Es bedurfte nun eines Hittel-
punktes zur Vereinigung des weit Zerstreuten und eines Organes der Veröffentlichung, um die
Zugänglichkeit für weitere Sjreise zu ermöglichen.
Dazu ist jetzt ein Anfang gemacht mit den im Erscheinen begriffenen photographiscben
Bildern des Photographen Dammann in Hamburg unter dem Titel : Ethnograph.-Anthropol. Album.
Die Anwesenheit eines Schiffes aus Zanzibar in Hamburg hatte zu Gorrespondenzen seiteofl
der Anthropologischen Gesellschaft in Berlin Anlass gegeben, um Photographien der afrikanischen
Besatzung aufoehmen zu lassen. Dieselben fielen befriedigend aus, fanden auch sonst AnkUngi !
und fernere Verhandlungen führten dann zu «dem Plane, die Herausgabe eines grösseren Werkes
zu veranstalten.
Dasselbe wird noch nicht frei von Mängeln sein, wie sie stets den ersten Versuchen, den
Probeschritten, auf einer neuen Bahn anhaften müssen. Die Völker typen werden etwas unge-
ordnet an das Licht treten. Es kann das nicht vermieden werden, da das ganze Material noch
nicht beisammen ist, da es gegentheils erst im Laufe des Erscheinens und auf Anregung desr
selben allmählig beschafft werden soll, und also Nachlieferungen der Darstellungen gegeben wei-
den müssen, wie, unter welcher Form und in welchen Mengen, dieselben weiter zufliesaen.
Dann werden manche Bilder noch der gewünschten Schärfe und sicheren Nachweises über ihr«
Herkunft entbehren. Auch das kann sich erst im Laufe der Veröffentlichungen und durch die* i
selben verbessern, indem sie selbst eben, den verschiedenen Photographen die Andeutungen brin-
gen, welche Gesichtspunkte erwünscht seien und wie solchen von ihnen am besten nachzukom-
men wäre. Immerhin ist hiermit jetzt ein erster Schritt gethan, und ein solcher ermöglicht
erst die folgenden, die schliesslich zum Ziele führen werden. Das Werk wird deshalb von vora-
herein einer günstigen Aufriahme bei jedem Anthropologen gewiss sein dürfen, und hoffentlich
auch allseitig thatkräftiger Unterstützung. Die Anthropologische Gesellschaft in Berlin hat die
Benutzung ihrer Sammlungen (soweit zulässig) zur Disposition gestellt, und ausser den Rath-
schlagen aus dem Kreise derselben haben von ihren Mitgliedern besonders die HHm. Hartmann,
Fritsch, Jagor dem Herausgeber ihre Privatsammlungen zugänglich gemacht. Genauere Angaben
darüber werden den Bildern beigefügt sein. Das Werk erscheint in fünf Abtheilungen, den
Erdtheilen entsprechend, so dass diese, obwohl bei dem gleichzeitigen Erscheinen gemischt und,
je nachdem Material aus ihnen vorliegt, besonders gefordert, sich nachher doch wieder einzeln
zusammenordnen lassen. Eine anftnglieh beabsichtigte Scheidung zwischen anthropologischen
und ethnologischen Darstellungen erwies sich nicht gut durchführbar, da bis jetzt bei den Auf-
nahmen diese Trennung nicht genugsam berücksichtigt wird, und deshalb zu viele der Bilder
einen gemischten Charakter tragen Durch seinen Wohnsitz, am Orte der Publikation, ist der
Herausgeber vortheilhaft gestellt, da gerade ein Seeplatz, wie Hamburg, viel&che Gelegenheit
zur Beschaffung des Benöthigten und für Anknüpfung weiterer Beziehungen gewährt» B.
ZeitsduiftOthnalogie.
Vfrli^vMfgiuidtAHeniiel iußrräi
Z^lainftßrEthnologie
0 Wifganäl i Hcnfiel ii:Btrün.
ZeifsdiriftOthnologie,
/fWof n f^oMdt^ffnnpel in. Seriia.
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Uatdu^für Eütjutlfffü ^Anli/^i^üyiuft^ fiofftiaa/t/
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^erlsf ' HteftiMitt A ffempel in BtrUa,
ZfitsehriRf Kthnologie.
VciUj tWiejasiiAHn^iaBtrlm. Laltji WM Slij» mBo^h
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Zeitsdiriflflthnoio^e.
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Vpiiati rWieaaiidi J<ll«inp()nBfrlin
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LuJi. V W/IMefii üiBeriuL
iattduift/Stkiuls^.
Sftu.bAe WA Mm
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^=* ' WA.MefTt.
Ferb^ r. Bityitiidt * ^m/ui in Berlin,.
2«itnkr^f SÜut^efie. (ArUArapologUdte'Sm^ütAi^t}
TafKi/.
A ßnaraojd deL
Verlag r mymuat.Men/iii- iitStrlä,.
VerhanciliiiigerL
der
Berliner Gesellschaft
för
Anthropologie, Ethnologie nnd Urgeschichte.
Ootober ISTl bis November ISfTü.
Berlin.
Wiegandt und Hempel.
1872.
Sitzung Tom 9. December 1871.
(1) Herr Virohow als Yorsitzender prociamirt als neue Mitglieder die Herren:
Dr. Beruh. Fraenkel,
Banquier Leo,
Buchhändler Hans Reimer,
Buchhändler Eggers,
Maler Ewald,
Dr. Neumayer, bisher in Melbourne.
(2) Zu correspondirenden Mitgliedern wurden ernannt die Herren:
Sir John Lubbock, Präsident des Anthropological Institute of Great
Britam,
Prol Philippi zu S. Jago de Chile,
Dr. Julius Haast zu Ghristchurch (Neuseeland),
Dr. A. Weiss bach zu Gonstantinopel,
Ptof. Luigi Galori zu Bologna,
Dr. Layard, Gurator of the South AMcan Museum, Gapstadt,
Prof: Dr. Gust Radde zu Tiflis,
Resident Riedel zu Gorantalo, Gelebes,
Prof. Burmeister zu Buenos Ayres,
Prof. Luigi Pigorini, Director des Museums der Alterthümer zu Parma.
(3) In den Ausschuss wurden gewählt die Herren:
Beyrich, Reichert, Eoner, Jagor, y. Ledebur, Friedel, Wetz-
stein, A. Kuhn.
(4) Herr flerm. Orimm schenkt aus neuerer 2^it stammende
SeUittknoehen yon Wiepersdorf bei Jllterbofrk.
Es sind dies Metatarsalknochen vom Pferde, wie sie noch gegenwärtig von der
«Engend beim Schüttsdiuhlaufen auf dem dortigen See gebraucht werden. Sie stim-
men in der Art, wie die eine Seite abgeglättet ist und die Knochenvorsprünge an
den durchbohrten Gelenkenden abgetragen sind, ganz mit den aus alten Fundstätten
^her vorgelegten überein. Eingeschlagene Nägel dienten offenbar zur Befestigung
der Schnüre. —
(5) Herr Heumayer übergiebt ein Blatt aus seinem Reisetagebuche, auf welches
ein NeuhoUänder den ganz richtigen Plan einer Reiseroute aufgezeichnet hatte (vgl.
CO
Sitzung vom 15. April 1871). Hr. Neumayer befand sich damals am unteren Mur-
raj, da, wo dieser Fluss plötzlich seinen Lauf nach Süden ninount, und war in Ver-
legenheit, wie er seine Route einrichten sollte. Der Schwarze war 4 Jahre in einer
Erziehungsanstalt gewesen, dann aber zu den Seinen zurückgekehrt und seitdem
mindestens 10 Jahre aus aller üebung gewesen; nichtsdestoweniger hatte er sich die
Fähigkeit bewahrt, eine ganz zutreffende Skizze des weiten Weges zu entwerfen. —
(6) Herr Virchow macht fernere Mittheilungen über die Beschaffenheit und die
Lagerstelle des in der Sitzung vom 15. October 1870 erwähnten
Snochengerathes Ton Georgenhof bei Neustreliti.
Hr. Dr. Fischer von Neustrelitz hatte damals über ein eigenihümlichea Knochen-
geräth berichtet, welches nach Abräumung einer 5 Fuss dicken TorÜBchicht und einer
darunter anstehenden 10 Fuss dicken Kalkschicht auf dem unter letzterer befindlichen
festen Boden gefunden war. Seitdem hat derselbe die Freundlichkeit gehabt, dieses
Geräth durch Hrn. Medicinalrath Götz zur anthropologischen Versunmlung nadi
Schwerin zu schicken, wo ich dasselbe in Augenschein genommen habe. Die Ein-
schnitte an dem einen Rande desselben sind so seicht, dass von einem säge- oder
harpunenartigen Listrument nicht die Rede sein kann; vielmehr sieht es aus, als
wären die Einschnitte gemacht, um eine Schnur zu halten, welche um das Geräth
gewickelt war, und es liesse sich wohl denken, dass dasselbe zum Netzflechten ge-
braucht sei. Soviel ich beurtheilen konnte, besteht das G^rilth aus Hirschhorn.
Hr. Götz hatte später die Güte, mir auf meine Bitte Proben der £rdschichteD
zu übersenden. Er berichtete dabei unter dem 27. October: „Das Bruch ist durch
einen schmalen Landrücken von einem grosseren See getrennt. Unter einer 5 Fuas
dicken Torfschicht befindet sich das 10 Fuss dicke Ealklager; nach der Richtung des
Sees zu flacht es sich allmählich ab. Der Besitzer behauptet nun femer, unter dem
Kalke befinde sich eine eigenthümliche, z&he, sehr schwer trocknende, lamellose Torf-
oder Kohlenmasse, von der ich ein Stückchen im getrockneten Zustande gleich mit-
nahm.^ Unter dem 13. Nov. schickte Hr. Götz auch noch eine grossere Masse von
der letzterwähnten Lage. Ich übergab das Ganze Hm. Prof. Just Roth, der sich
darüber unter dem 27. Nov. folgendermassen äussert: fj}ex mir übergebene Kalk ist
ein Süss Wasser -Kalk, wie die zahlreichen Süsswasser- Mollusken (z. B. Fixidiam
obliquum, Planorbis-Arten u. s. w.) bezeugen. Die dann vorkonomenden Samen lassen
sich noch später bestinunen. Von Interesse ist die Masse der vegetabilischen Sub-
stanz, die nach der Behandlung des Kalkes mit Säure zurückbleibt Diese ist genau
von der Beschaffenheit wie das unter dem Kalk liegende Torflager, in dem sieb
mikroskopisch noch Pflanzenreste (Oberhautzellen u. s. w.) nachweisen lassen. Die
jetzt noch feuchte, braune, elastische Masse trocknet zu Peditorf ein, dessen Asche
neben Kalk nur noch etwas Eisen enthält Organische Thierformen habe ich in dem
Pechtorf nicht auffinden können. Kalk und Torf sind demnach geologisch junge
— postdiluviale — Gebilde.**
Wenn demnach, wie von vornherein zu vermuthen war, festgestellt ist, dass es
sich um eine junge Süsswasserablagerung handelt, so bleibt der Fund doch sebi
merkwürdig, da sich schwer annehmen l&sst, es werde das, wenngleich an den Enden
zugespitzte Knochengeräth die ganze Dicke der 10 Fuss mächtigen und sehr dichten
Kaikschicht durchbohrt haben, wenn es zu einer Zeit auf dieselbe gelangte, wo scbon
Torf über derselben abgesetzt war. Letzterer hat jetzt aber eine Dicke von 5 Fuss,
und es ist daher wohl möglich, dass das Gerath eines der ältesten Zeugnisse meoscb-
licher Thätigkeit in unserem Lande iflt —
(5)
(7) Herr Virchow berichtet ferner über den neuesten antiquarischen Fund der
Herren 0. Fraas und Zittel, nehmlich
die KnoohenliSlile im Sohelmengraben bei Regensburg.
Beim Bau der neuen Eisenbahn von Nürnberg nach Hegensburg wurde im Jura-
Dolomit über dem Naabthal eine 28 Meter lange Höhle abgestochen. Der zur Zeit
der Untersuchung noch stehen gebliebene Rest war 11 Meter lang, 2 M. breit und
im Mittel 3 M. tief; sein Inhalt bestand aus nichts Anderem, als dem yiel-
jährigen Unrath und den modernen Abfällen einer menschlichen Haus-
haltung. Holzasche und Eohlenstücke nebst zahllosen Topferscherben
häuften sich meterhoch, dazwischen scharfe Splitter yon Feuersteinen
and die schwere Menge zerklopfter und gespaltener Knochen, zertrüm-
merte Schädel- und Eieferstücke theilweise sehr fremdartiger Thier-
gesch! echter. Alles weist auf einen längeren Aufenthaltsort yon Wildjägern hin,
die, mit metallenen Instrumenten nur wenig oder gar nicht bekannt, die Bestien der
Vorzeit bezwangen und ihre Jagdbeute in der Hohle yerzehrten. In dem untersten
Lager war nun allerdings yon Menschen keine Spur zu treffen, der Schutt bestand
Mer nur aus dem Moder thierischer Knochen, yon Höhlenbär, Hjäne und Löwe.
Diese höhlen bewohnenden Thiere erscheinen als die ersten und ältesten Besitzer der
Höhle. Aber bald macht ihnen der mächtigere Mensch den Platz streitig und yer-
mengt mit den Resten der genannten Thiere die Abfälle seiner Küche und seines
tagliehen Lebens. Yon nun an bis zur oberen neueren Lage füUt sich die Spalte
mit jenen Gegenständen , die Menschen durch die Hand gegangen waren. Am zahl-
reichsten fanden sich die Feuersteinsplitter, deren es wohl mehrere Tausend sein
oMgen. Doch scheinen diese, obwohl oft sehr spitzen und scharfen Stücke selber
nicht als Werkzeuge gedient zu haben. Sie sehen yielmehr nur wie Abfälle aus,
die bei dem Zubereiten der wirklichen Messer, Sägen, Lanzen- und Pfeilspitzen zu
Boden fielen. Nur wenige der grösseren, 3 Zoll langen Stücke kann man wirklich
^ fertige Werkzeuge ansehen. Das schönste unter den gefundenen ist im Besitze
des Hrn. Ingenieur Micheler und ward früher schon im Laufe des Sommers aus-
gegraben. Es ist ein 3 Zoll langes, Vs ^^ breites und am Rande zart gezähneltes
hiBtrument, unter dem man wohl eine Beinsäge yermuthen darf, womit etwa die
Soden der Hirschgeweihe abgesägt wurden, die vielfach sich fanden. Unter die-
sen Thieren herrscht der Höhlenbär bei Weitem yor. Wie sorgsam das
^ild für die Küche ausgenützt wurde, dafür zeugen die zerfetzten EJiochen und
Schädel, an denen mit etwaiger Ausnahme der Zehen und Fusswurzelknochen ledig-
lich nichts ganz gelassen worden ist Auch in Schwaben war zur Höhlenzeit der
Bär das vorwiegende Wild, das dem Menschen erlag, wie denn auch sonst noch der
Schelmengraben viele Uebereinstimmung mit dem Hohlenfels bei Blaubeureu zeigt.
Gleichfalls liegen nehmlich auch dort neben den Bärenknochen die Reste von Rle-
pbant und Nashorn in der Asche, allerdings nicht viele, aber immerhin je von 1
oder 2 Individuen. Ein zerfetzter Stosszahn eines Mammuths, verschiedene Schmelz-
iämellen von seinen Backenzähnen, zerklopfte Backenzähne von Nashorn, Zehen und
Fusswurzelknochen von beiden Thieren und viele Ejiochenfetzen von beiden Riesen-
Gieren lassen keinen Zweifel mehr, dass der Mensch wirklich diese sogenannten
Thiere der Yorwelt noch am Leben traf, als sein Fuss zuerst den Urwald Germa-
mens betrat Auch im . Vorhandensein von Pferd-, Ochsen-, Katzen- und Wolfs-
knocben stimmen die schwäbischen Höhlen mit dem Schelmengraben überein. Um
M überraschender ist dagegen das Fehlen eines Renthieres an der Naab und dessen
Vertretung durch den Edelhirsch. Diese beiden Hirscharten vertragen sich, wie es
scheint, nicht mit einander am gleichen Orte. Als im Jahre 1862 der verewigte
(6)
4
Koni Wilhelm einen YerBach machte, Renthiere im Park bei der Solitade zu
acclimatisiren , durchbrachen Edelhirsche die starke Umzäunung um den Renthier-
park und sti essen die Thiere zu Tode; es liegt somit die DnYertraglichkeit beider
Arten sehr nahe, und ist es nicht auffallend, in einer Gegend nur Renhirsche, in
der andern nur Edelhirsche zu spüren. Unsere alten Trapper benützten jedenfalls
den Edelhirsch ganz in derselben Weise, wie die Hinterwäldler aus der Schüssen
und Ach das Ren benützten. Die Ejiochen sind vorsichtig gespalten, ' ebenso um
das Mark zu gewinnen, wozu es übrigens grosser Vorsicht nicht bedurft hätte, als
vielmehr um die scharfen, langen Knochensplitter als Bolzen und Pfeilspitzen zu ver-
werthen. Hirsch und Ren haben unter allen aufgeführten Thieren die härtesten
Knochen, die sich am besten zu den genannten Zwecken verwenden Hessen. Pfeil-
spitzen aus dem schwammigen Bein der Bären und der Dickhäuter wären unbrauch-
bar gewesen und doch müssen die Höhlenbewohner es wohl verstanden haben, mit
Pfeil und Bogen umzugehen, wenn man die vielen Knochen von Vögeln sieht^ von gros-
seren und kleineren Thieren, die im Aschenwinkel liegen. Auch auf den Fischfang
verstanden sie sich wacker, wofür zahlreiche Ejiochen von starken Hechten, die Gau-
menzähne von Karpfen, ja selbst noch wohl erhaltene Schuppen Zeugnias ablegen.
Die vielen kleineren Knochen von Mäusen und Fröschen scheinen nicht sowohl von
den Menschen herzurühren, ab vielmehr von den Auswurfsballen der Eulen, die sieb
ihr uraltes Anrecht an die Höhle von den Menschen nicht nehmen Hessen. — Eine
ganz besondere Au&nerksamkeit verdienen zum Schlüsse die Geschirr -Scherben pri-
mitivster Form, die, was Menge der Scherben anbelangt, mit den Feuersteinscherben
wetteifern. Sie sind, soviel auch sich fanden, ausnahmslos aus der Hand gefertigt»
zeigen aber trotz aller Rohheit eine oft überraschende, einfache Schönheit der Form,
welche den Formsinn fast als ein Angebinde der Natur an die Menschheit erscheinen
lässt Es gelingt vielleicht noch, aus der grosseil Zahl von Scherben das eine oder
andere Geschirr wieder herzustellen, die in der Grösse bedeutende Unterschiede zei-
gen werden. Nach der Rundung der Scherben zu urtheilen, variirt der äussere Durcb-
messer zwischen 10 und 30 Centimeter. Das Material ist Lehm mit grobem Sand
gemengt) eigentlich gebrannt erscheint keiner. Fast ohne Ausnahme sind die Scher-
ben alle auswendig mit Graphit eingerieben, um ihnen grössere Feuerbestandigkeit
zu verleihen. Jenen Ureinwohnern war somit schon dieses spedfisch niederbayrische
Mineral vorkonAnen bekannt, worauf bekanntHch heute noch die Passauer Tigelfabii-
kation sich gründet Die Form der Geschirre ist mehrtheils flach und schüsselartig,
doch fehlt es auch nicht an hohen, ausgebauchten Geschirren, in welchen offenbar
Flüssigkeit aufbewahrt wurde. In einzelne derselben sind Löcher von Federkieldicke
eingebohrt, kleine Spuntenöfoungen, wie es scheint, um gegofarene Flüssigkeit abzu-
lassen. Getrunken musste damals schon werden 1 Auch fehlt es den rohen Geschir-
ren nicht an Ornamentik in Gestalt von Läufen und Schnüren oder von regelmassig
an einander gereihten Punkten, die etwa mit einem Fuchszahn eingedrückt sind und
in Zickzacklinien über den Bauch des Gefässes laufen. Die inwendige Glättung der
Geschirre geschah, wie es scheint, mit der Flussmuschel, Unio, aus der varüberflies-
senden Naab, von welchen mehrere sehr ausgeriebene Exemplare sich fsmaen. Einen
granitenen Steinblock, auf einer Seite flach gerieben und durch längeren Gebrauch
glatt gescheuert, kann man kaum anders denn als Mühlstein deuten. Auf der ande-
ren Seite des 2 Fuss haltenden Laibähnlichen Steines sind 2 Löcher eingebohrt von
12 Linien Tiefe und 5 Linien Durchmesser. War wohl ein Handgriff hier eingefügt,^
um den Stein als Reiber leichter zu drehen? Ist der Stein wirklich ein Mühlstein
so war audi schon Ackerbau in der Nähe, worauf audi einige Spinnwirtel aus Thon
hinweisen. Dazu würde nun freilich das hohe Alter, das man gerne der Feuerstein-
CO
xeit Tindidrt, nicht mehr recht passen, sowie einige Schnittspuren in den Hirsch-
geweihen, die unmöglich von Feuersteinen herrühren und ohne metallene Werkzeuge
kaom gemacht sein können. —
(8) Der Vorsitzende yerliest folgenden Brief des Hrn. Lisch d. d. Schwerin,
5. December
Aber deu Fund eines MensehensehAdels im Eibboden bei DSmitz.
Ich habe einen glücklichen Fand gemacht oder yielmehr zugesendet erhalten,
nehmlich einen Menschenschädel, welcher beim Ausbaggern eines Brunnens zu der
Elbbrvcke bei Dömitz 28 Fuss tief und unter dem niedrigsten Wasserstande der Elbe
iO Fnm tief gefunden ist Diese Angabe ist sicher, kann aber nicht als ganz zuver-
iiusig angesehen werden, da beim Baggern vieles oft tief unter seinen Lagerplatz
bimbsinkt. Er ist an einem alten yerlassenen Stromarme unter einer Schicht £lb-
scblick tief im Sand gefunden, welcher mit Torf und „Kohlentheilen^ durchsetzt ist
Wenn sich nun auch die Tiefe nicht genau verbürgen lässt, so ist doch gewiss, dass
der Schädel sehr alt ist Er ist schwarzlich von Farbe, sehr fest, hat fast die Be-
«luffenheit, als wäre er versteinert, und ist sehr schwer, über 2 Pfund schwer. Wir
lieben früher 2 S<^ü88elbeine im Wismarschen Pfahlbau unter dem Torf im Sande
gefunden, welche ähnliche Beschaffenheit haben. Der Schädel wird sehr alt sein.
Er ist dem Schädel von Plau ähnlich, etwas Rundkopf mit starken Augenbrauenbogen
Qod hintenüber geneigter Stirn. Uebrigens ist er durch seine Stärke und Härte wohl
erhalten und sehr fest Es scheint, als wenn die Lage im feuchten, torfhaltigen
Kiessande einen härtenden Einfluss auf Knochen ausübt —
(9) Der Yorsitsende giebt der Gesellschaft Kenntniss von der Gründung des
deotschen Gentral-Museums für Völkerkunde zu Leipzig, dessen Grund-
stock die Sammlung des verstorbenen Dr. Gustav Klemm bildet —
(10) Der Vorsitzende verliest einen brieflichen Bericht des Dr. Hör st mann zu
CeUe
Iber Anflgrabmigen in den Aemtem Blekede und Dannenberg (Hannover).
In dieser früher an Alterthümern so reichen Gegend verschwinden namentlich
die Hügelgräber in unglanblich rascher Weise. Daran ist weniger Schuld ein gestei-
gerter Bedarf an Ackerland, als der ungemein hohe Preis der Chaussee- und Bau-
s^ne. Der Handel damit, namentlich nach der Elbe zu, hat enorme Dimensionen
^genommen, und den Rest consumiren Eisenbahnen und Landstrassen. Jeden Win-
ter fiülen unzählige Hügel diesem Handel zum Opfer.
unter solchen Umständen kann keine Rede sein von statistischen Verzeich-
^^^Men; vielmehr gilt es, rasch Hand an's Werk zu legen, um für die Forschung zu
retten, was noch irgend möglich istl
So habe ich denn aufgeschlossen in der
»
Nahrendorf
10 Hügel,
Kofahl und Nütlitz
8 V
Kohlingen
4 n
Tosterglobe
1 Steinbett,
Ventschaa
4 Hügel,
Glienitz
1 Dolmen und
2 Hügel,
Sammatz
2 n
Bahrendorf
1 .
(8)
Die materielle Ausbeute dieser Untersuchungen, obgleich sie nach aUen Regeln
der Kunst und Wissenschafb ausgeführt sind, war im Ganzen nur unerheblich; es
fanden sich meistens pro thesauro — carbones! Die wissenschaftlichen Resultate
sind dagegen nicht ohne Interesse, und unterlasse ich deren nähere Bearbeitung vor
läufig nur, weil ich im Beginn des Frühjahrs die Aufjgrabung mehrerer resenrirler
Hügel fortzusetzen beabsichtige. — Im Laufe des Winters hofife ich indessen, Ihieo
noch einige gute Schädel aus Hügelgräbern zustellen zu können.
Einigermassen missmuthig über den geringen Erfolg, liees ich am 26. Aug. ein
Umenlager in Angriff nehmen, dessen Spuren ich schon früher aufgefunden hatte.
Dies lag in der Feldmark Quarstedt, dicht an dem historisch bekannten Gatämioer
Bache. Hier war denn das Resultat im Gkmzen günstiger, als ich Yoranssetzec durfte.
Trotzdem nehmlich das Grundstück seit 25 Jahren beackert war, einige Male zur
Forstcultur gedient hatte, obgleich tiefe Fahrwege und ein Graben es durchschnitten,
und in Folge dessen fast nur noch zusammengedrückte, zerrissene Gestose gefondes
wurden, — so liess ich mich dadurch nicht abschrecken, die Arbeit der gründlieheo
Durchsuchung des etwa 2 Morgen grossen Terrains bis zum 12. October fortzusetzen,
da ich die Wichtigkeit dieses Fundes an einzelnen zu Tage kommenden schwanen
Urnen mit Mäanderverziernng und der fast regelmässigen Beigabe von 2 — 3 Spangen
romischer Abkunft auf den ersten Blick erkennen musste.
Das Resultat meiner Arbeit dürfte insofern Yon Interesse sein, als ich zur Et!-
denz bringe, dass umenlager von dieser Beschaffenheit nichts mit den sog. Weaden-
kirchhöfen gemein haben, yielmehr germanische Begriibnissstätten sind und in die
Zeit Yon 50 — 200 p. Chr. zu setzen sind.^
In einem späteren Briefe vom 5. Decbr. berichtet Hr. Horstmann:
„Das Resultat der Ausbeute an und für sich steht kaum mit der darauf verwen-
deten Zeit und Mühe in Einklang. Nur die Identität dieses Fundes mit den mecklen-
burgschen von Gamin, Wotenitz, Prietzier u. s. w., und namentlich die neuesten Ar-
beiten unseres Freundes Lisch über den Romerfund von Häven und dessen Zusam-
menhang mit jenen Friedhöfen, konnten überall mein Interesse an der Aushebung so
lange rege erhalten. Ich hoffe, dass die Bearbeitung des Fundes in weiteren Kreisen
anregend wirken und das, was Lisch in den Jahrbüchern längst als richtig erkannt
hat, festere Gestaltung und positiveren Gehalt dadurch gewinnen werde.
Ich bemerke noch zu Ihrer gef. Eenntnissnahme, dass der ganze von mir ansr
gehobene Friedhof etwa 47,000 Quadratfuss umfiusst und dass ursprünglich an 4000
Todtenumen in demselben beigesetzt sein mussten. Etwa 400 Urnen habe ich noch
vorgefunden; in denselben aber nie etwas anderes als Beigabe getroffen, wie die ge-
wohnliche Sorte Spangen (von Bronze, Silber, Eisen mit Silber u. s.w.}, eiserne
Messerchen, Hirschhomnadeln u. dergl.; niemals fand sich ein entschieden männ-
liches Geräth, als Schwert, Schildbuckel, Sporn u. s. w. Hierin gleicht der Fund also
denen von Pritzier und von Sänne (bei Stendal}.^ —
(11) Der Vorsitzende übergiebt im Namen des Hrn. Premierlieutenant v. Gentz-
kow mehrere Todtenumen aus
einem Gräberfelde bei Zlotowo (Prov* Posen)«
Nach dem ersten Bericht des Hm. v. Gentzkow vom 2. December wurden die
Urnen ausgegraben in der Provinz Posen, auf einem Gute zwischen den Städten La-
bischin und Inowraclaw, in einer Entfemung von circa 1000 Schritt von der Netze.
Sie finden sich in grossen Steingräbern (die zahlreich didit nebeneinander liegen)
zu 8 — 12 Stück. Er schreibt darüber:
„Dieser ganze j^Eirchhof ^ — wenn ich mich so ausdrücken darf — befindet neb
(9)
aof einem kleinen Hügel, der fast nur aas Flugsand besteht und ist mit ca. 5 Fuss
Erdschicht bedeckt. Tch will noch erwähnen, dass der Yolksmund dortiger Gegend
behauptet, es sei hier in alten Zeiten eine grosse Heerstrasse yorbeigegangen. — Ich
habe persönlich viele dieser Gräber blossgelegt und ihnen eine grosse Anzahl Urnen
oder Aschenkruge entnommen, die sich alle sehr ähnlich sahen und nur geringe Unter-
schiede in den Verzierungen äusserlich zeigten. Die meisten zerfaUen, sowie sie an
die Luft gebracht werdeu, und erst jetzt ist es mir gelungen, eine gut erhaltene her-
zoschaffen.
Diese Urne ist übrigens die erste, in deren Inhalt (Knochen und Asche) ich nach
langem Suchen endlich Metall gefunden habe und zwar einen kleinen bronzenen Fin-
gerling, der mir leider zerbrochen ist Femer ist bemerkenswerth, dass neben dieser
groflfieren Urne in der kleinen beifolgenden Schale das kleine schwarze (Thränen-?)
Krnglein gestanden hat — Da die ganze Urne keine Verzierungen hat, so sende
ich noch die Ueberreste einer zerbrochenen mit, an welchen sich die einfache Aus-
schmückung erkennen lässt*^
In einem folgenden Bericht vom 4. December giebt Hr. v. Gentzkow weitere
Nachriditen :
„Der Fundort ist auf dem Rittergut Zlotowo (Hrn. Wegner gehörig) im Kreise
Schubin, wo derselbe den Inowraclawer Kreis berührt, 2^1^ Meile von der Stadt Ino-
wiaclaw entfernt und ^4 M. von dem Städtchen Pakosc, welches ich deshalb erwähne,
weil es zu den allerältcsten Städten Polens gehört und ich es auf den Lelew er-
sehen Karten bereits vor 1000 Jahren als Stadt verzeichnet gefunden habe;
Die Netze geht von dem Fundort etwa 1000—1500 Schritt vorbei und ist letz-
terer halbinselartig von Wiesen umgeben, die sich in westöstlicher Richtung weit
Mfldehnen. — Diese Wiesen sind durch Meliorationen augenblicklich gangbar, müs-
sen entschieden aber früher ganz unpassirbar, wenn nicht gar Wasserläufe gewesen
eon. Der Untergrund ist torfhaltig und morastig, und wo er durch die Wiesendecke
nicht geschlossen ist, vollständig grundlos. Im Frühjahr werden diese ganzen Wie-
sen durch unteres Wasser einige Fuss gehoben.
Das ganze Terrain nach Süden zu ist eine grosse, fruchtbare, flache Ebene; nach
Norden zu steigt es zu lehmigen Bergen bis 80—100 Fuss hoch empor. Etwa 400
Schritt von den Gräbern entfernt, aber durch die Wiese getrennt, liegt ein Kiefern-
vald, dessen Grund nach der Netze zu steigt und in welchem Hügel von 20 Fuss
etwa mit sumpfigen Kesseln abwechsek. Die Bäome sind 80 — 100 Jahr alt, einige
▼ielleicht auch älter, und ist hier bemerkenswerth, dass sich in dem Walde ziemlich
genau Furchen verfolgen lassen, die in ihrer regelmässigen Aufeinanderfolge auf
^ere Urbarkeit deuten.
Was nun den Fundort selbst anbetrifft, so liegt er auf einer von der Netze aus
. nach den Wiesen hineinlaufenden Zunge, welche, anfangs ziemlich flach, in ein hü-
geliges Terrain ausläuft, dessen höchster Punkt aber kaum 15 Fuss über dem Wiesen-
Niveau steht Das Ganze ist hier mit jungem Laubholz bewjwshsen. Dort, wo die
Ausgrabungen stattgefunden haben, ist ein Plateau, welches etwa 8 Fuss höher liegt,
als der vorüberführende Weg, und in welches man von hier aus — also seitwärts —
zueret eingedrungen ist und die Urnen herausgeholt hat Später gruben wir von
oben, einige Schritte weiter von dem ersten Fundoite ab, in das Plateau hinein und
fanden auch hier wieder Gräber, so dass ich glaube, dass hier nach Westen zu noch
bedeutend mehr deren sein werden. Im Ganzen sind 6 oder 7 Gräber aufgedeckt
m Laufe der Zeit Dieselben liegen ziemlich unmittelbar nebeneinander und haben
in Folge dessen keine besonderen Erdhügel, sondern die ganze Beerdigungsstätte bil-
det das oben beschriebene Plateau.
(10)
Die Gräber sind ca. 4 Foas lang, 2—3 Fu8s breit and enthalten 8—12 Aschen-
kruge, welche in 2 Schichten aufeinander stehen. An den Seiten sind sie von gros-
sen Steinplatten eingefasst, die oft so gross sind, dass einer eine Wand allein bildet
und sie eigens dazu zusammengesucht sein mögen, da sie sich alle durch Grosse
und Glätte auszeichnen, ohne dass ein Merkmal darauf hindeutet, dass sie künstlich
behauen wären. £ine el»en$olclic grosse Steinplatte schliesst das Ganze. Die Gnber
liegen ungefähr 5 Fuss unter der Grasnarbe in einem Flugsande, wie er der Um-
gegend Berlins so eigen und dort bei uns Gott sei Dank selten ist In den ersten
fünf Gräbern — also ^0—50 Urnen — haben wir trotz der sorgfältigsten Nachfor-
schungen nicht das Geringste an Metall gelunden und acheinen wir jetzt endlich auf
eine „Honoratioren ''-Familie gestossen zu sein, indem der Ihnen neulich zugesandte
Ring das erste Stock Bronze war, das gefunden ist Inzwischen habe ich aber gestern
eine Nachricht erhalten, dass das ffir mich reservirte, neu aufgefundene Grab geöff-
net worden ist und dass mehrere Urnen herausgenommen sind, in denen man metal-
lene Gegenstande gefunden, die ich beifolgend übersende. In der einen Urne befand
sich die Metallspitze — am Knochen — , ein kleiner Metallklumpen und dann ein
so räthselhaftes Ding, was ebensogut eine Basennadel, wie irgend etwas anderes ge-
wesen sein kann. Die anderen Metallstückchen fanden sich in einer ganz kleinen
Urne (vielleicht Kinderleiche), die aber beim Herausholen total zerfallen ist Für die
Annahme, dass die Urne für eine Kinderleiche bestimmt war, sprechen die sehr zier-
lichen Röhrenknochen, die darin gefunden wurden.''
Herr Virchow bemerkt, dass das Graberfeld der gangbaren Annahme nach als
ein slawisches gelten müsse, dass sich jedoch über das Alter noch nichts Genaueres
sagen lasse. Immerhin sei es sehr wichtig, die Gräberfelder im Posenschen allmäh-
lich genauer kennen zu lernen. Die übergebenen Geräthe sind folgende:
1) Eine grosse Deckelume mit starkem Bauch und engem Halse, gebrannte Kno-
chen eines jugendlichen Individuums (dünne Schädelstücke, jugendliche Zähne und
Oberkieferstück, niedrige Wirbel, Knochen mit getrennten Epiphysen) enthaltend.
Dieselbe ist 28 Cent (ohne Deckel 25} hoch, misst an der Oeffiiung 10, am Boden
8,3, am Bauche 24 Cent im Durchmesser, ist gelblichbraun, glatt, wie mit einer
feuchten Masse abgestrichen, nicht sehr dick, aus feinem Thon mit QuarzbeimischoDg.
Sie hat keine Verzierung, nur über dem Bauche eine ringförmige Linie; der Deckel
ist platt mützenfSrmig, mit ausgelegtem Rande.
2) Das Urnenstück hat zu einem grossen Ge&sse mit weiter Oeffnong gehört.
Es zeigt eine ringfSrmige Zeichnung aus feinen, unter spitzen Winkeln gegeneinander
gestellten Eindrücken, fast kranzartig. An 2 (früher wahrscheinlich 4) Stellen flache
Knöpfe.
3) Eine flache Schale mit abgebrochenem Henkel, 18 Cent weit, 4 hoch, sehr
roth, fast den italienischen Terracotten ähnlich.
4) Eine tiefe Schj^ssel mit einfachem Henkel, 12,5 Cent weit, 4,5 hoch, schwän-
lich, glatt
5) Ein kleiner, schwarzer Henkeltopf, 6 Cent hoch, an der Oefinung 5, am
Boden 3 Cent im Durchmesser, von sehr geflüliger Form, fast einem modernen Milch-
topf ähnlich, ohne Verzierung.
Herr Friedel macht aufimerksam auf die Wichtigkeit, dass die Stucke eines und
desselben Fundes bei einander bleiben. Würde man die sehr roh geformte eigen^
liehe Grabume für sich allein gefunden haben, so wäre man leicht yersacht gewesen,
sie um Jahrhunderte weiter zurückiudatiren, als dies möglich ist, sobald man die
(11)
beigegebenen kleineren Gefasse von weit YOÜendeierer Technik ins Auge fasst Man
hat JD neuerer Zeit aus dem Umstände, dass gerade zu yerhältnissmässig in der Cultur
Turgeschrittenen Perioden derartige rohe, plumpe, alterthümiiche Urnen zur Aufbe-
wahrung der verkalkten Todtengebeine gewählt worden seien, auf eine aufgeklärte
ood rationalistische Büdungsepoche schliessen wollen, der es sehr überflussig gedaucht
habe, den Todten in kostbaren Geissen zu bestatten; allein diese Auffassung dürfte
aus Tolkerpsychologischen Gründen unrichtig sein. In allen rituellen und religiösen
Beziehungen erhält sich, wie dies erst unlängst in der hiesigen Gesellschaft von Pro-
feuor Lazarus (vgl. Sitzungsberichte, 1871, S. 57) sehr scharfsinnig hervorgehoben
worden ist, das Alte und Hergebrachte am längsten. Gerade umgekehrt muss man
sagen, dass eine pietätvolle Scheu die Beibehaltung der althergebrachten Urnen ar-
chaistischen Styls zur Bergung der Todtengebeine bis in eine sehr späte Zeit hinein
gesichert hat^ wo die Fabrikation für den Wirthschaftsgebrauch bereits ungleich voll-
kommenere Erzeugnisse lieferte. —
(12) Der als Gast anwesende Herr Hofrath A. Ziegler legt eine eiserne Hacke
^y welche im Wasserberge^ 1 V, Stunde von Ruhla, 77 Fuss tief in einem ehemaligen
itif Rotheisenstein geführten Bergwerke gefunden worden ist. Dies Bergwerk ist
gegenwärtig wieder aufgegeben worden und wi^d zur Gewinnung von Brauneisenstein
auäg<'beutet Vortragender möchte über Zeit und Volk, welchem die Hacke ange-
hört, Aufschluss erhalten.
Herr Witt bemerkt, dass er eine ganz ähnliche aus einem Galmeibergwerk in
Obenchlesien stammende Hacke nebst einer unstreitig dazu gehörenden bergmänni-
schen Lampe erLalteu habe, welche höchstens in das 16. Jahrhundert gesetzt werden
dürfen. —
(13) Herr H. Lange zeigt Photographien, weiche zur Zeit des Aufenthaltes des
^ooprinzen in Syrien aufgenommen worden. —
(U) Herr Phttch legte der Gesellschaft eine Portndtsammlung südafirikanischer
^^*<%Atypen vor, die zur Illustration eines grosseren Werkes über die Eingebornen
^ödafrika's bestimmt sind, und erläuterte die Prindpien, welche bei der Herstel-
lung der vorliegenden Sanmilung in Anwendung kamen, besonders mit Rücksicht auf
die Bedevtug pliysieiipneiiiiBeker DarsteUnngeii
überhaupt. Der Vortragende wies darauf hin, wie wenig Brauchbares in diesem Ge-
riete früher geliefert worden ist, soweit es sich um Abbildungen aussereuropaischer
Völker handelte, und glaubt die Gründe dafür wesentlich in folgenden Momenten
suchen zu müssen : Der an europäische Formen gewöhnte Zeichner fällt unwillkürlich
^Q dieselben zurück, sowie seine Aufmerksamkeit nachlässt oder er das Modell nicht
^«hr vor Augen hat, da seine Hand an solche Formen gewöhnt ist. Selten haben
^i die Künstler über sich gewonnen, bei ihren Skizzen auf den malerischen Effect
zu verzichten und wir sehen daher an vielen Abbildungen die charakteristischen For-
men durch allerhand Beiwerk verdeckt« welches im günstigsten Falle ethnogra-
pbiBche Bedeutung hat Endlich sind in der Regel schräge Ansichten gewählt,
welche nur ein unvollkommenes Urtheil über die physiognomischen Verhältnisse
ttlauben.
Snt die Einführung der Photographie hat gleichzeitig die früher begangenen
Fehler recht klar gelegt und eine ausreichende Abhülfe gewährt. Diese Technik ist
^Qch für die vorliegenden Abbildungen zut Verwendung gekonmien und zwar nach
(12)
folgenden Grundsätzen, welche sich wohl allgemeinerer Anerkennung erfreuen werden.
Gerade Projectionen sind für physiognomische Darsieliungen unerlässlich, bei
den Köpfen moss Vorder- und Seitenansicht gegeben werden; malerischer Effect
ist zu vermeiden, Kopf und Brust soll möglichst entblösst sein; die Grösse muss eine
bestimmte sein, wenn es irgend thunlich ist, nicht unter Vs uaturliclier Grosse. Von
ObjecÜTen dürfen nur solche zur Verwendung kommen, welche die FerspectiTe nicht
zu sehr übertreiben.
Die weitere Verwerthung der durch die Photographie erlangten Portraits verlangt
ebenfalls eine eingehende Berücksichtigung. Es erscheint leider nicht empfehlens-
werth, die photo graphischen Silber drucke selbst zur Illostration zu benutzen
und zwar aus folgenden Gründen: Es ist unmöglich, beim Wechsel der äusseren'Be-
dingungen, unter allen erdenklichen Schwierigkeiten der Reise, so Yollkommene und
gleichmassige Negative zu erlangen, dass die dayon abgezogenen Gopien einen ange-
nehmen und ^leichmassigen Eindruck herrorrufen könnten; femer leiden Silberdrucke,
auch wenn sie gut gewaschen sind, in gedruckten Büchern sehr schnell und werdeo
gelblich unter Bildung von Schwefelsilber; ein einziges, durch irgend ein Versehen
schlecht gewaschenes Bild, welches grosse Flecke bekommt oder ganz ausgeht, zer-
stört den ganzen Zusammenhang der Darstellung. Lichtdrucke würden sich schon
eher empfehlen, doch ist die Technik des Lichtdruckes immer noch nicht ganz sicher
und ausserdem verlangt derselbe erst recht gute und gleichmässige Negative.
Es wurde also von der unmittelbaren Verwerthung der Photographien abgesehen
und Kupferradirungen nach den Silberdrucken angefertigt, wodurch eine grössere
üebereinstimmung in der Haltung der Portraits erzielt wurde, und der Künstler
manche in der Photographie schwieriger zu sehende Partie in klarerer Manier dar-
legen konnte.
Der Vortragende legt hierauf der Gesellschaft die so gewonnenen 30 Kupfertafelo
vor nebst einer Anzahl von Originalphotographien , um die üebereinstimmung darzn-
thun. Er spricht die Hofihung aus, dass die Betrachtung der Tafeln den Typus der
Stamme in ausreichender Weise zur Anschauung bringen whrd, und macht darauf auf-
merksam, wie bequem derartige Darstellungen auch Messungen erlauben, welche ui
Lebenden wegen der Beweglichkeit und Verschiebbarkeit der Weichtheile kaum mit
der Sicherheit ausgeführt werden können. Die eingehende Beschreibung der einzelnen
Köpfe glaubt er als zu weit führend zunächst unterlassen zu sollen, möchte jedoch
noch einige allgemeine Bemerkungen anfügen.
Eine vorurtheilsfreie Vergleichung der Abbildungen wird die dringende Nothwen-
digkeit lehren, wenigstens zwei Ansichten eines Kopfes zu haben, wenn man ein Ver-
ständniss über die Verhältnisse desselben erlangen will. Es finden sich unter den
vorgelegten Tafeln eine ganze Reihe, auf denen die Vorder- und Seitenansicht dessel-
ben Kopfes vom unbefangenen nicht als zusammengehörig erkannt werden dürfte, so
wenig ist man im Stande, von der einen auf die andere zu schliessen und sich ein
allgemeines ürtheil über die vorliegenden Verhältnisse zu bilden. (Auf einzelne Bei-
spiele wird hier vom Vortragenden spedell hingewiesen.)
Es ergiebt sich daraus, dass es unzulässig ist, über die physiognomische Bedeu-
tung und die relativen Vorzüge der einen oder anderen Bildung aus Vergleichungen
einer einzigen Ansicht Schlüsse zu ziehen. Die vorgelegten Tafeln werden er-
kennen lassen, dass häufig ein verhältnissmässig edles Profil zu einem Enface toh
thierischem Ausdruck gehört, andererseits wieder eine leidliche Vorderansicht durch
eine abschreckende Seitenansicht entstellt wird. Ausserdem sind die Beispiele nicht
selten, dass ziemlich gebildete Stämme sich durch merkwürdig thierische Profile aus-
zeichnen. Dies sind gewichtige Gründe gegen den bedenklichen Gebrauch, welchen
(13)
Haeckel mit ProfilzeichDimgen treibt Die Abbildungen dieser Art, die der genannte
Autor in seiner „natürlichen Schöpfungsgeschichte^ giebt, sind schon Yon Rütimeyer
treffend charakterisirt worden; es finden sich aber leider immer noch wissenschaftliche
Leute, welche trotz der offenbaren Mängel dem allgemeinen Nutzen der betreffenden
Darstellnngen das Wort reden. Der Vortragende sieht sich ausser Stande zu begrei-
fen, wie aus der Verbreitung von falschen Anschauungen Nutzen erwachsen soll,
und macht Haeckel einen speciellen Vorwurf aus dem umstände, dass hinreichen-
des Material yorhanden war, um ein derartiges Irregehen hinsichtlich der Beschafien-
beit des Hottentotten- und Eafferprofils unmöglich zu machen. Es wird hier nur auf
Daniells South african Sketches, Burchells Travels in S.A., Grouts Zulu-land
u. 8. w. auftnerksam gemacht, welche ihn yon der Mangelhaftigkeit seiner Profile, die
kaum den Namen yon Carricaturen verdienen, überzeugen mussten, wenn auch reine
Seitenansichten in den genannten Autoren in der That nur ausnahmsweise dargestellt
sind. In welchem Grade die angeführten Profile verzeichnet sind, darüber giebt
die Vergleichung der herumgereichten Tafeln den besten Aufschluss. Dass auch
äie Affenprofile an demselben Mangel leiden, kann der Beschauer aus den vom Vor-
tragenden aufgenommenen und der Gesellschaft vorgelegten Photographien des Ber-
liner Schimpanse abnehmen, obgleich leider ein reines Ptofil dieses Affen nicht er-
ittigt werden konnte. Charakteristisch für Haeckel's geringe Eenntniss der For-
men, welche er in vergleichende Betrachtung zog, ist, dass er der grosseren Aehn-
lichkeit halber diese Affen wie die niedrigen Menschenracen mit stark entwickel-
ten Ohrläppchen zeichnet, während in der That eine gewisse Aehnlichkeit beider
in der auffallend geringen Ausbildung des Ohrläppchens liegt. Bei den Affen-
profilen ist ausserdem der oberste Theil des Nackens hinten mit in die Umgrenzung
des Kopfes gezogen, während bei den menschlichen das Hinterhaupt, welches in sol-
cher Ausdehnung den Affen gar nicht zukommt, an dieselbe Stelle tritt. £s sind also
^oatomisch keineswegs gleichwerthige Theile m directe Vergleidiung gezogen, worauf
Haeckel den damit weniger Vertrauten ohne Zweifel aufinerksam zu machen ge-
habt hätte.
Einzelne unleugbare Aehnlichkeiten berechtigen noch nicht dazu, von Verwandt-
schaften zu sprechen, wenn dieser Anschauung so bedeutende anderweitige Schwierig-
keiten entgegenstehen. So ist das Profil des Buschmanns in der That eins der
thierischsten unter allen Racen, aber die Entwickelung der Schädelkapsel steht kei-
neswegs so niedrig als die mancher anderer, weniger „affenähnlicher** Menschen, wie
die Betrachtung der ebenfalls für das in Vorbereitung befindliche Werk bestimmten
Schädeltafeln ergiebt. Eine andere Tafel zeigt die, wie die Schädel, ebenfalls
Qicb Photographie ausgeführten Abbildungen dreier Füsse (skeletirt), unter welchen
der des Buschmanns von ganz enormer relativer Breite ist imd dadurch dem Affen-
^88 80 unähnlich wird, wie nur möglich. Mochte es Haeckel gefallen, einmal seine
Entwickelungsreihen nach der Gestalt der Füsse zu ordnen, so käme die mediceische
Venus jedenfialls dem Aflen viel näher zu stehen, als der Buschmann.
Zum Schluss legte der Vortragende die Probedrucke der Holzschnitte vor, welche
io den Text des Werkes eingedruckt werden sollen, und die theils phjsiognomische,
theils aber ethnographische Bedeutung haben. Er weist darauf hin, wie die ersteren
durch das strenge Festhalten an der zu Grunde gelegten Photographie manche Racen-
Q^erkmale ebenfiolls deutlich zur Anschauung bringen. —
Herr Friedel weist gleichfalls auf die eingehende Kritik des Prof. L. Rütimeyer
in Basel im Archiv für Anthropologie, Bd. III, 1868, S. 301 hin, worin die Tafel der
Kop^iofile, sowie ein Theil der sonstigen Abbildangen in Hackel's NatGrlidier
Schopfongdgeschichte getadelt weide.
Herr Hartmann zeichnet die Skisze eines alten männlichen Gorillakopfes (nach
wiener, pariser und londoner Specimina) an die Tafel und fordert zur Yergleichung
dieser Skizze mit der von E. Häckel veroffenÜichten Tafel von menschlichen und
Aifentypen anf, auf welcher der Gorillakopf wohl einem ehrsamen Spiessbürger, aber
nicht dem zottigen ünthiere der Gabonküste gleicht. —
(15) HeiT Barehewiti spricht
über mssisehc Baeentypen.
Für den Laien ist eine Reise nach Russland interessant, weil man mit dem Ge-
danken hingeht, eine russische Nation zu finden und statt dessen eine Menge ver-
schiedener Völkerschaften sieht; ich habe deshalb mir erlaubt einige Bemerkungen
darüber mitzutheilen.
Von den Nachkommen des Russ, den alten Varagern sind nur noch Venige vor-
handen. Im Senat von Moskau sind noch 13 Familien eingeschrieben; die edle Stirn,
die grossen Augen, die grade Nase lassen noch jetzt den Normannen erkennen gegen-
über der niedrigen massigen Stirn, den kleinen tiefliegenden Augen, der anfgesfölp-
ten Nase, den kleinen viereckigen Zahnen des Slaven. In dem Gebiet der Weichsel
trifft man den Polen: seine Stirn ist höher, die Nase feiner geschnitten, die Kinn-
backen wohlgdbnnt, der Schädel höher aufgebaut, man sieht, dass man es mit einem
edleren Typus zu thun hat, als bei den Slaven in den Ebenen Russlands. £t erinnert an
die Beschreibungen des Tacitus von dem kriegerischen Reiter im Gebiet des Dniepr.
Die Juden treten hier noch einmal zahlreich auf und haben besonders während
des Aufstandes den Handel an sich gebracht; aufiGallend ist es aber, dass die Regie-
rung hier befiehlt^ dass die Juden mit dem Jahre 1872 die Locken, den Bart abschnei-
den und die langen Röcke ablegen sollen, die Juden, die hier so treu leben nach
ihrer Väter Glauben, und so eng zusammenhalten, wie ein Volk im Volke; gerade
in Russland ist das auffidlend, wo so viele Völkerschafken ruhig nebeneinander ge-
duldet werden.
In der Krim, bei den Tataren fiindet man zuerst asiatisches Lehen: Baktschi-
Sarai mit dem Palast der Khans, der Moschee, den kleinen bunten ffilusem, nadi der
Strasse offen, die Venmda mit Decken und Teppichen zur Siesta, auf der Strasse
aber die Menge der kleinen Wagen und der noch kleineren Pferdchen, die oft meh-
rere Glieder einer Familie tragen müssen, das Alles giebt einen Begriff von dem
öffentlichen Leben des Südens; dazu die langen regelmässigen Gesichtszüge, die schlanke
elegante Figur, die Grazie in der Bewegung der Männer; die Frauen huschen an den
EEättsern entlang, wenden sich ab oder hüllen sich tiefer in die weisse Tschadra,
wenn ein Fremder naht. Das ganze Volk macht einen stolzen Eindruck. Die Tataren
an der Südküste der Krim von Baktschi - Sarai bis Jalta beschäftsgen sich mit
Weinbau, Ackerbau, Schaafzucht Wenn sie sich auch den Russen unterworfen
haben, sind sie doch zu stolz, für dieselben zu arbeiten. Die Gestalten dieser Tataren
erinnern sehr an die Völkerstämme, welche in Kertsch vom Kaukasus herüberkamen.
Welcher Unterschied aber, wenn man mit Kertsch den flachem Theil der Krim be-
tritt Hier sind auch Tataren, aber die niedrige Stirn, die kleinen tiefen Augen, die
plattgedrückte Nase, die dicken Lippen, der stark ausgeprägte Hinterkopf zeigen die
Mongolen. Das sind die runden Schädel, die die Russen friiher so gern als Trinkge-
fasse benutzten. Kertsch ist die Station, wo man von dem Westen Abschied nimmt
. Die Stadt bietet ein buntes Gemisch aller Völker: nach Aufhebung der Leibeigen-
(15)
schift haben eich Rassen hier niedergelassen, von Taman herüber kamen Tsdierkes-
sen, im Hafen liegen Scluffe aller Nationen, die besitzende Glasse sind jedoch noch
jetzt die Griechen. Griediisch und italienisch sind auch die Handelssprachen; am gan-
zen schwanen Meere sind nur 3 deutsche und 5 englische Handelsl^user yon einiger
Bedeutung, denn der Russe versteht es nicht, mit dem Ausland in Handelsyerbindung
zo treten, und nur der Grieche yersteht es, den Kniffen des Russen im Handel zu
begegnen.
üeber die Nachgrabungen in Kertsch nach den Schätzen des Alterthums ist es
hier schwer sich zu orientiren. Alles einigermassen Werthvolle wird sofort nach Peters-
burg geschafft, das hiesige Museum ist mehr ein SpeditionsgeschälL Bei den Ausgra-
boDgen legt num noch jetzt das Werk von Dubois zu Grunde, man hat mit solchen
jetzt bei Taman begonnen, jedoch ist noch kein Resultat erzielt.
Astrachan bietet schon einen mehr asiatischen Eindruck. Armenier, Perser, Kal-
mücken, Kirgisen, Tataren bilden einen grossen Theil der Bevölkerung; nur die Ar-
menier nehmen von diesen Völkern europäische Sitten an, wenn sie reich geworden.
Sie waren früher die Zwischenhändler für die asiatischen Waaren, welche nach Nischni
gehen, die jetzt aber direkt befordert werden. Die Perser dagegen leben noch ganz
abgeschlossen. Zuerst war Astrachan ganz bevölkert mit Persem, während jetzt nur 500
in der Stadt wohnen; sie haben das öffentliche Leben ihrer Heimath beibehalten und
und inmier auf der Strasse. In der Stadt wohnen sie in grossen Häusern zusammen,
jeder bat 2 kleine Stuben und eine Küche, das sind ihre Geschäftswohnungen; ihre
Familie wohnt ausserhalb der Stadt, denn kein männliches Auge darf ihre Frauen
Beheo. Die Perser treiben hier den Obst-, Frucht- und Wollhandel und werden reich
dabei, nie aber lassen sie von ihren Sitten und Gewohnheiten; sie essen Hammel-
fieisch mit Reis und trinken nie einen Tropfen Wein. Die reichen Perser ziehen sich
nur besser an und behängen besonders ihre Frauen mit Schmuck und kostbaren
Kkidem.
Die Kalmücken sind ein Nomadenvolk geblieben. Auch in Astrachan schlagen sie
ihre Cibitken auf und bewohnen nie ein Haus; in ihrem Tempel steht ein grosser
vergoldeter Götze und für alle Getreidearten, für alles, was für sie Interesse hat, ha-
ben sie einen kleinen Thongötzen, der gelobt und geschlagen wird, je nachdem er
ihren Willen thut. Der Gottesdienst besteht in einem Höllenlärm von Posaunen,
Becicen und dem Gesang der Priester, bei dem die Kalmücken sich betend zur Erde
neigen. Zum ersten Mal begegnet man hier der Buddah-Religion. Die Kalmücken
trinken Ziegelthee, gesäuerte Stutenmilch und essen rohes Fleisch; wenn in Astrachan
on Pferd fallt, schickt man hinaus zu den Elalmücken, die schneiden sich dann
Stucken ab. Als Delikatesse wird das Fleisch höchstens weich geritten, kochen und
braten aber sind Yorurtheile. Die Kalmücken sind vorzügliche Arbeiter und sie sind
es hauptsächlich, welche hier den Fischfang betreiben, welcher den Hauptreichthum
Astrachan's repraeentirt; bei der grössten Kälte stehen sie ruhig im Wasser und holen
die Fische aus den Netzen. Die Kalmücken erliegen aber hier dem Klima. Noch
1830 war es 10 Grad kalt, jetzt hat man eine Kälte von 20 Grad. Die Yiehheerden
lassen sie im Winter ohne Schutz und Futter umkommen und sie selbst bleiben
^i ihren Gibitken, wie es ihre Yäter überliefert haben. Die Regierung will jetzt
einen Versuch machen, sie abzulösen von dem Einfluss ihrer Fürsten, und ihnen Land
zatheilen, damit sie ihr Nomadenleben aufgeben.
Die Kirgisen sind viel civilisürter, sie leben besser, arbeiten auch nicht für die
ß-^Jssen, sie konunen nur im Winter, wenn die Nebenarme der Wolga zugefroren
»nd, in Karawanen nach Astrachan und tauschen ihre Erzeugnisse am. Dann be-
(16)
laden Bie ihre Eameele mit Fenstern, Thüren, Kesseln, allen Arten Hausgeiilih, ein
Zeichen, dass sie schon das Bedürfniss haben, sich eine Häuslichkeit zu gründen.
Die Wolga ist das eigentliche Gebiet der Tataren. In den blutigen Kämpfen
unterworfen, sieht man sie jetzt nur als Diener und Lastträger, der alte Hass gegen
die Russen aber besteht noch fort und macht sich jährlich Luft in grossen Prüge-
leien, besonders in Kasan. Als Lastträger aber leisten die Tataren Ausserordentliches,
sie tragen Mehl- und Getreidesäcke von 7 — 9 Pud in den Mühlen und beim Laden
der Schiffe und übertreffen selbst den Slawen, den doch die Alten als Vorbild zn
ihren Cazyatiden genommen.
Das Innere Russlands zeigt eine mehr gleichmässige BoYÖlkerung und doch sind
auch hier grosse unterschiede. Schon die Sprache ist so verschieden, dass sich ein
Gross- und Kleinmsse kaum verstehen. Aber auch das Aeussere. Der Grossrosse
ist blond mit kleinen grauen Augen und ernstem Wesen, der Kleinrusse dagegen
brünett mit schwarzen Augen und einer öligen Haut Die Vorliebe für Fett findet
sich besonders bei den Kleinrussen. Dieselben haben viel musikalische Begabnog
und ihr ganzes Leben und Treiben erinnert sehr an die Lazzaronis Italiens.
Das aber, was allen Russen gemeinsam ist, das ist das Harmlose, Sorglose, 6e-
müthliche, aber auch das, was sie von der Cultnr fem hält. Sie brauchen wenig
zu ihrem Leben und leben deshalb aus der Hand in den Mund.
Am baltischen Grestade, in den Ostseeprovinzen ist es interessant, Arier und Tu-
raner nebeneinander zu sehen unter dem £influss der Deutschen. Die Esthen (Tu-
raner) haben, von den deutschen Rittern unterworfen, den lutherischen Glauben an-
genommen, aber nicht so rasch und vollkommen als dj^ Letten, welche als Arier
den Deutschen näher stehen. Durch ihre Sitten und Grebräuche sieht das Heiden-
thum noch viel hindurch.
£sthen und Letten tragen die Haare lang als Schutzmittel, wie meist die Völker
im Norden. Das ist aber die einzige Aehnlichkeit: die Esthen haben straffes flacb-
rothes Haar, flache Stirn, spitze Nase, kleine tiefliegende Augen, viereckiges Gesicht,
robuste kleine Gestalt; der Maler Gebhardt hatte im Monat November ganz T0^
zügliche Studienkopfe von Esthen ausgestellt. Die Letten haben weiches, blondes
Haar, wohlgeformte Stirn, grosse, blaue Augen, lange Nase, ein ovales Gesicht,
schlanke Gestalt; die Weiber erinnern sehr an die Abbildungen, die wir von den
indischen Gottheiten haben, z. B. der Saraswati.
In der Gegend von Wolmar am Rustniker See finden sich noch Liven, die Nach-
kommen der alten Fürstengeschlechter der Letten, deren Familien bis auf den heu-
tigen Tag zusammenhalten und nur unter sich geheirathet haben; sie zeichnen sich
durch schönen, kräftigen Wuchs und energischere Züge aus.
Die jetzige Grenze von Esthland und Livland ist die althistorische, aber nicht
die wirkliche Grenze, denn von den 700,000 Esthen wohnen nur 300,000 in Esthlani
Die Letten wohnten früher am Peipus-See und dem finnischen Meerbusen, wie Orts-
namen beweisen, denn die Sprache der Esthen und Letten hat keine Anklänge. Die
Esthen werden lettisch Iggauns, d. h. Vertriebene genannt, sie erhielten diesen Na-
men, als sie von den slawischen Völkern aus dem heutigen Grossrussland bei Mos-
kau vertrieben, sich nordwestlich wendend, nun ihrerseits die Letten aus dem heu«
tigen Esthland verdrängten. Daraus erklärt sich auch der noch jetzt so grosse Hass
der Letten gegen die Esthen. Ein späterer Nachschub fand alles besetzt und musst^
südlich vordringen in die Gegend von Dorpat und Walk, so dass die eigentlicbe
Qrenze von Salis über Walk bis an die russische Grenze geht Diese letzten Esthen
haben einen Dialect, der dem Finnischen nahe verwandt ist, also ein späterer Spröss*
ling des grossen finnischen Stammes. Für die finnische Abstammung auch dieser
(17)
BeTolkenmg sprechen noch zwei Umstände. Die finnischen Stämme hatten die Ge-
wohnheit, sich Zufluchtsstätten zu gründen. Die grössten sind an der Eama: einige
Fuss aber dem Wasserspiegel sind in dem Felsen mit yerstecktem Eingang grosse
Räome for mehrere tausend Menschen ausgehauen, die nachher von den Engländern
als Waarenlager benutzt wurden, als der Handelsweg nach dem weissen Meer hier
vorbeiging. Solch* ein Versteck ist nun auch Tor einigen Jahren bei Dorpat auf-
gefunden worden. Die ältesten Monumente sind ebenfalls esthnisch: am Peipus-See
finden sich 5 Sangs, das sind Hugel, die Ton den Esthen mit ihrem Nationalheros,
dem Riesen Ealewi, in Verbindung gebracht werden. Sie unterscheiden sich von
den Hünengräbern oder Kurganen durch die Form : sie haben zwei Homer, d. h. Er-
böhuogen auf den £nden und sind in einer bestimmten Richtung von Ost nach West
orientirt. Bei Nachgrabungen hat man bisher noch nichts gefunden, yielleicht waren
es Opfer- oder Gerichts- und Versammlungsplätze.
Herr Prof. Orth, als Gast anwesend, legt Farbendrucke und photographische,
z.Th. auch Racentypen darstellende Bilder aus Russland Tor.
(16) Herr v. Ledebnr trug vor
Aber die deutsche ümenliteratiir Tom 16.~18. Jahrhundert.
Die Literatur der heimathlichen Gräberkunde aus vorchristlicher Zeit hat, ins-
besondere durch die Bestrebungen der in den letzten 50 Jahren gebildeten histo-
rischen Vereine in Deutschland, einen so bedeutenden Umfang gewonnen, dass die-
^Ibe kaam noch zu übersehen, noch viel weniger zu beherrschen ist. Nichtsdesto-
weniger kann nur dringend anempfohlen werden, sich nicht auf diese letzte Pe-
riode der Literatur zu beschränken, sondern auch derjenigen Schriften und Ab-
Wdlungen der heimathlichen Gräberkunde eingedenk zu bleiben, welche in den 3,
<}em nnsrigen vorangegangenen Jahrhunderten sich angesammelt haben , und auf
i^elche nur gar zu selten noch zurückgeblickt wird. Ihrer Zahl wegen vielleicht
oicht? Die ist in der That gross und möchte wohl die Zahl 2000 überschreiten;
oder glaubt man ihrer entbehren zu können? — Nun, wenn auch vielleicht wegen
(ier dort aufgestellten , zum Theil nicht mehr Stich haltenden Ansichten , wiewohl
auch diese immer noch ein culturfaistorisches Interesse in Anspruch zu nehmen
^rechtigt sind, so behalten sie doch einen unbestreitbaren Werth durch die in
ihnen niedergelegten Erfahrungen und Thatsachen, von denen wir lernen können
Qod sollen.
Wir beabsichtigen bei gegenwärtiger kurzer Besprechung nur einen kleinen
^eil der umfangreichen Materie ins Auge zu fassen, und zwar die heimathlichen
tnienfande und deren Literatur bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts, also nur
^ör eine kaum ein Jahrhundert umfassende Periode.
Die Zeit vor dem 16. Jahrhundert, ja das 16. Jahrhundert selbst widmet den
heidnischen Grabalterthümern, und namentlich den Urnen kaum irgend welche Be-
achtung. Eine pietätvolle Scheu, die Todtengebeine nicht zu stören, giebt hierfür
g^Dügende Erklärung. Die Darstellungen übrigens von Urnen und Sprüchen, wie
^^' „Sanft ruhe seine Asche !^ auf den Gräbern unserer Kirchhöfe geben nur
^Qgniss von einem modernen Ueidenthume.
£r8t der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war es vorbehalten, den Urnen
^^r heidnischen Gräber Aufmerksamkeit zu schenken, und an ihr Vorkommen die
wunderbarsten Vorstellungen zu knüpfen.
Eine der frühesten Schriften, die der Urnen erwähnen, ist des A. Olearius
^erk: „Gottorffische Kunst-Kammer, worinnen allerhand ungemeine Sachen, so
V«rltaiuU. der BerL Oea. für AaÜiropoL «tc /o)
(18)
theils die Natur, tbeils kanstliche Hände hervorgebracht und bereitet. Schleswig
1674. 4.^ £r sagt selbst von dieser Sammlnng, sie sei ,,inehr eine Natnr- and
Raritäten- als Knnstkammer zu nennen, widmet aber auch der Völker- und Alter-
tbümerkunde Berücksichtigung, bringt auch schon Tab. XXXVI Abbildung einiger
in der Niederlausitz gefundenen Grabalterthnmer, u. a. auch einer Urne, bei der er
die Bemerkung macht, dass solche Gefässe nicht eher als um Pfingsten ausgegra-
ben werden können^ weil sie um diese Zeit höher hinaufstiegen, während sie sonst
tiefer lägen.
In einer bald darauf erschienenen Schrift von J. von Meilen: ,)hi8toria umae
sepulcralis Sarmaticae anno 1674 repertae. Jenae 1679. 4.^ wird ein bei Schmie-
ge] unfern Polnisch-Lissa gemachter Urnenfund besprochen. Beigefügt ist ein Brief
von C. Sagittarius, worin dieser anderweitiger solcher Funde gedenkt.
Grössere Beachtung widmet M. G. Treuer den ThongefUssen der heidnischen
Gräber in der Schrift: „Kurtze Beschreibung der Heidnischen Todtentöpfe, in wel-
chen die Heiden ihrer verbrannten Todten überbliebene Gebein und Aschen auf-
gehoben, unter der Erden beygesetzet, und bey den jetzigen Zeiten in der Ghur-
und Mark Brandenburg Haufenweise ausgegraben werden. Nürnberg 1688. 4."*
Darin handelt der Verfasser von den verschiedenen Namen der Urnen, von den
abergläubischen Meinungen ihres Entstehens, von den Oertem, wo sie zu suchen,
von ihren äusseren und inneren Kennzeichen, von dem Verfahren bei Nachgrabun-
gen, von ihrer Materie, ihrem Inhalt, ihrem Zweck und Gebrauche. Drei beige-
lügte Tafeln geben Abbildungen von verschiedenen Thongefässen und Spindelstei-
nen, die grösstentheils in der Nähe von Frankfurt a. d. 0. gefunden worden sind.
Eine weitere Monographie bietet uns M. D. S. Büttner in seiner: „Beschrei-
bung des Leichen-Brands und Toden-Krüge, insonderheit derer, die Anno 1694 zu
Latherstädt unfern Quernfurth gefunden worden. Eisleben (1695). 8.^, worin vor-
zugsweise von der Art der heidnbchen Bestattung und von dem Leichenbrande
gehandelt wird, mit Abbildungen der bei Lütterstedt im Manafeldschen gefundenen
Alterthümer.
Ein anderer, wie der zuerst erwähnte, nehmlich M. J. G. Olearius tritt lo
Anfang des 18. Jahrhunderts auf diesem Gebiete der heimathiichen Alterthfimer-
kunde auf, in der Schrift: „Mausoleum in Museo i. e. Heydnische Begräbniss-Töpfe
oder umae sepulcrales» welche, nachdem dergleichen durch unverhofftes Glück bey
Jerichau, Köthen, Arnstadt und Rndisleben gefunden worden, in seinem Museo
aufgehoben, curiosen Gemüthern zu Nutz und Ergetzung in beigefügtem Kupfer*
Blate klein abgebildet, hiermit beschrieben, dabey auch einen nöthigen Bericht von
solchen Heydnischen Begräbnissen, abgestattet und bey dieser Gelegenheit zugleich
in der Vorrede von dem bei Canstadt in der Erde gefundenen Gebäude kürttlicb
gebandelt hat. Jena 1701. 4.''
y^\r haben hierbei zu bemerken, dass die im Titel erwähnte Köthener» viel-
mehr bei Wulffen unfern Köthen aufgefundene Urne, weiche durch den Umstand,
dass aus Versehen ihre Grösse zu 8 Schuh Höhe angegeben worden ist, den Namen
„der Grossmutter aller Umen^ in verschiedenen Schriften jener Zeit, z. B. in Ten-
tzeTs monatlichen Unterredungen, 1698, Jul. p. 654. 655, sich erworben hat, im
Jahre 1798 an die hiesige Kunstkammer gelangt ist. Eine zweite ähnliche, eben-
daselbst gefundene Urne wurde bereits im Jahre 1707 von dem Könige Friedrich 1-
für den enormen Preis von 100 Thalern angekauft; letztere befindet sich abgebil-
det in Beckmann, Hist. d. Fürstenthums Anhalt, Tab. U. 1; erstere ist 9Vt9 1^^'
tere 9Vs Zoll hoch; beide werden daher durch einige andere, gleichfttlls im An-
haltinischen gefundene Omen unseres Museums an Grösse übertroffen.
(19)
Eine andere in Beziehung auf Drnenfande ergiebige Schrift ist die von M. G.
Stieff: ^De urnis in Silesia Lignicensibus atqae Pilgramsdorficensibns epistola.
Wratislaviae et Lipsiae 1704. 4.^, weil sie 5 Enpfertafeln bringt, die gegen 100
verschiedene bei Liegnitz ausgegrabene Alterthnmer, and zwar allein gegen 70 Ur-
nen in Abbildung zeigen.
In ganz Deutschland war das Interesse für diesen Gegenstand mächtig erwacht.
Als Zeugniss dieser gesteigerten Thätigkeit möge folgende Uebersicht dienen.
«L. D. Hermann: Maslographla oder Beschreibung des Schlesischen Massel...
mit seinen Schau Würdigkeiten. Brieg 1711. 4.^ Hierin kommt besonders in Be-
tracht: ^der Massiischen Schauwürdigkeiten erster Theil, vorstellend den Masslischen
Töppelberg mit den bissher gefundenen Heydnischen Antiquitäten, Reliquien und
was dazu gehören mag, nebst einigen beigesetzten Kupfer-Stücken^ (S. 1 — 172),
während der zweite Theil sich nur mit Naturalien beschäftigt. Auch heute noch
darf man diese Schrift in Beziehung auf deutsche Alterthümerkunde als lehrreich
betrachten. Das erste Buch (S. i — 41} handelt im Allgemeinen von den Begräb-
nissen der heidnischen Völker, von der Sitte des Verbrennens und Bestattens; das
zweite Buch (S. 41 — 87} von den Begräbnissen des Töppelberges insbesondere, wie
von den Völkern« welche hier gewohnt; das dritte Buch (S. 87—172} von den spe-
ciell hier aufgefundenen Alterthümern, mit Abbildungen reich ausgestattet.
Besonders fruchtbar erweist sich das Jahr 1714:
J. H. Schminck: De urnis sepulchralibus et armis lapideis veterum Cattorum.
Marburg! Cattorum 1714. 4. Drei Urnen und vier Stein Werkzeuge, bei Maden a.
d. Eder gefunden, werden abgebildet
J. H. Nünning: Sepulcretum Westphalico-Mimigardico Gentile, duabus sectio-
nibus partitum in quarnm prima de urnis, in altero de lapidibus ethnicorum sepul-
cralibus disseritur. £ditio recens. Prancofurti et Lipsiae 1714. 4. (106 S.} In
der ersten Abtheilung, die von den Urnen handelt, schreibt der Verfasser den Rö-
mern die Einführung der Tod ten -Verbrennung zu, und bespricht in der zweiten
die Grabhügel und Steindenkmäler. Zur Erläuterung sind Abbildungen von der
Art der Verbrennung und Opferung, von den Gräbern und von manchen Alterthü-
mern, als Urnen, Steinwerkzeugen und Geräthschaften auch aus anderem Material
beigefügt.
J. H. Cohausen: Ossilegium historico-physicum ad J. H. Nunningii sepulcre-
tum Westphalico-Mimigardico Gentile. In quo de urnis, ac lapidibus Gentilium
Westphalorum Sepnlcralibus pertractata variis circa cineres et ossa observatlonibus
physicis illustrantur. 1714. 4. Es werden hier die in den Gräbern derWestpha-
ien und Friesen von Nünning aufgefundenen Knochen zum Gegenstande einer
physikalischen Untersuchung gemacht und dabei u. a. auch die Ansicht Picard's,
der von einem Hünen- oder Riesengeschlecht spricht, verworfen.
J. Weber: Vorläufige Sentiments über die für kurtzer Zeit, allernächst bey
der Vestung Giessen in dem sogenannten Philosophischen Wäldgen eruirten Urnis
et Ollis sepulchralibus oder Heydnischen Todten-Töpffen. Giessen 1719. 4.
J. G. Keysler: Descriptio umae sepulchralis in agro Neilingensi veteris Mar-
ehiae mense Sept 1719 erutae.
In des Verfassers antiquitates septentrionales et celticae 1720, p. 511 — 519 ent-
halten, beschäftigt sich nur mit dort gefundenen Bronze-Qefässen.
Sehr zu beachten und in der That als eine culturhistorische Gnriositat zu be-
trachten ist das Erscheinen einer Wochenschrift des Jahres 1719 und einiger Wo-
chen des folgenden Jahres, welche den Titel führt:
C D. Rhode und A. A. Rhode: Cimbrisch-Ilollsteiusche Antiquitäten - Re-
(20)
marqnes, oder accarate und umständliche Beftchreibnng derer in den Grab-Hfigeln
derer altein Heydniscben Hollsteiner der Gegend Hamburg gefundenen Reliquien,
als: Urnen, Wehr und Waffen, Zierrathen, Ringe, Armbänder etc., welche durch
häufige Untersuchung und Aufgrabung ans selbigen hervorgeholet worden. Nebst
einer Vorrede Herrn Dr. J. A. Fabricii. Hamburg 1720. 4.
Der ältere der beiden hier genannten Rhode, nehmlich der bereits im Jahre
1717 verstorbene Christian Detlef Rhode, war Propst und Inspector der Kir-
chen auf der Insel Femern und zugleich Pastor primarius der Stadt Barg auf der
gedachten Insel. Die Ergebnisse seiner zahlreichen Gräber «Untersuchungen hatte
er bereits 1699 in den: novis litterariis maris Balthici besprochen. Jetzt nahm
sein Sohn, der Pastor Andreas Albert Rhode die Besprechung in Form einer
Wochenschrift wieder auf, die durch eine Vorrede des Professors am Gymnasium
zu Hamburg Dr. Johann Albert Fabricius eingeleitet wurde. Vor allen Din-
gen erschien es immer noch nothwendig, das literarische Unternehmen, sowie über-
haupt die Alterth&mer-Gräberei gegen den Vorwurf in Schutz zu nehmen, dass es
eine Versündigung sei, selbst heidnische Gräber in ihrer Ruhe zu stören. Jede
Nummer der Wochenschrift giebt, eingeleitet durch eine Abbildung, irgend ein
Stück der Alterthüm erkunde des Holsteiner Landes, z. B. die Grabhügel, die Ver-
brennung der Todten, das Innere der Gräber, über Urnen u. s. w., wobei dann
auch die früheren abergläubischen Annahmen, dass die Urnen Naturproducte seien,
dass sie nur im Frühjahr emporwüchsen, oder dass sie Fabrikate der Zwerge oder
Unterirdischen (Under-Ersken) waren, in etwas drastischer Weise erörtert werden.
Auch in stylistischer Beziehung sind diese Besprechungen, welche vorzugsweise die
Landgeistlichen und überhaupt die ländliche Bevölkerung ins Auge gefasst zu haben
scheinen, nicht ohne Interesse.
Seit diesem Unternehmen tritt ein Stillstand in der Literatur dieses Gegen-
standes ein: denn wir haben bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nur noch drei,
zum Theii aus einer früheren Periode nachträglich hervorgeholte Schriften zu er-
wähnen :
C. Nett elb ladt: Theses de variis mortuos sepeliendi modis apud Suiones et
urnis sepulcralibus in Pomerania Suecica anno 1727 inventis. Rostochii 1724. 4.
Auf 3 Tafeln sehen wir 35 Urnen abgebildet, die unfern Weitenhagen ausgegraben
worden sind, an welchen nun der Verfasser in 105 Thesen Betrachtungen anstellt
G. C. Kreysig: Beschreibung eines auf dem bei Weissensee gelegenen Ritter-
Guth Bendeleben 1710 entdeckten Heydnischen Begräbnisses und deren darinnen
gefundenen Urnen und anderer Sachen. — Unter Beifügung einer Kupfertafel in
Schöttgen und Kreysig, Nachlese und Historie von Ober-Sachsen, 1. Thl., 1730,
S. 15—17.
M. G. Litzel: Beschreibung der Römischen Todten-Töpfe und anderer Heid-
nischen Todten -Gefässe, welche 1600 bis 1700 Jahre unter der Erde gelegen und
bey Speyer ausgegraben worden, nebst einer Beschreibung eines steinernen Sarges,
worin eine edle Römerin in Kalch liegend, und eine Fibula oder Spange, auch drei
Glässer gefunden worden, allen Liebhabern der Römischen Alterthümer zur Nach-
richt, jedermann aber zur Erweckung und Ausübung der Tugend mitgetheilt Uit
Kupfern. Speyer 1749. 8. — Also bereits in das Gebiet des Erbaulichen wusste
man die heidnische Gräberkunde zu ziehen, und damit die frühere Scheu vor Grab-
störungen zu beschwichtigen. —
(21)
(17) Herr y. Härtens sprach
Aber den Gebranch Ton Conchylien«
(Vergl. seinen Vortrag in der Zeitschrift für Ethnologie, 1872, Heft 1 und 2.)
Herr Friedel gedenkt hierzu eines merkwürdigen Panzers ans Ovula ovi/ormisy
einer Schnecke des Indischen und Stillen Oceans, welcher, von der Insel Flores (west-
lich Ton Timor) stammend, im Siebold -Museum zu Leyden sich befindet. Den von
Hrn. T. Martens erw&hnten Gonchylienarten, welche als Geld dienen, ist eine bis
▼er Kurzem wenig bekannte und deshalb noch in vielen zoologischen wie ethnogra-
phischen Sammlungen fehlende eigenthümliche Seeschnecke,
DentaUum preHosum (NuttaU), hinzuzufügen. Diese Zahnschnecke
besteht ans einem hohlen, unten und oben abgestutzten, in
Form eines an der Spitze abgesagten Elephantenstosszahnes ge-
krümmten Kegel und kann daher leicht anf einen Bindfäden
gezogen werden. Diese Schnecken haben namentlich beim Pelz-
handel in Yancouyer's Insel und British Columbia am Strande
des nordwestlichen Grossen Oceans eine bedeutende Rolle ge-
spielt. Von dem in der Nordsee vorkommenden DentaUum en-
talü lAnne und von DerUaiium Indianarum P. Carpenter scheint Z>. pretiomm kaum
verschieden.
Herr Brann giebt an, dass auf Neu-Seeland Phormium tenax mittelst Muschel-
schalen geschabt und so für den technischen Grebrauch zugerichtet werde«
Nach Herrn Koner's Angabe werden anf Neu-Galedonien Muschelschalen als
Opfergerfidie benutzt
Herr Jagor theilt mit, dass die Trompetenmuschel oft auch seitlich angebohrt
und so als Blaseinstrument benutzt werde. Die grosse Helix Ovum diene auf den
Philippinen als Lampe. In diesem Grebiete werde der Reis mit einem (ja auch von
Hm. V. Martens vorgezeigten) Messer Halm für Halm geschnitten, indessen werde
staitt dieses Messers doch auch nicht selten eine Anodontenschale benutzt.
Herr Virohow empfiehlt unter besonderem Hinweis auf die bei uns in alten Grä-
bern gefundene Kaurimuschel die Untersuchung vorhistorischer Muschelfunde und ge-
nauere systematische Feststellung. Es sei dies namentlich sehr nützlich in Bezug auf
die Bestrebungen skandinavischer Alterthumsforscher, den Ursprung unserer Bronze-
kultor aus Asien herzuleiten.
Nach Herrn y. Brandts Mittheilung wird in Ostasien die Mnscheltrompete bei
religiösen Geremonien verwendet. In Japan dienen Gonchylien übrigens auch zur
Befestigung des Strassenbelages. —
Berichtigung.
Verbaodl. d. Berl. Ges. für AnthropoL etc. pro 1871 S. 55 Z. 1 v. o. lies Miocen statt Niveau«
(22)
Ausserordentliche Sitzung am 16. Dezember 1871.
Versitzender Herr Virehow.
(1) Derselbe übergiebt im Namen des Hm. Friedreich in Heidelberg den
Gypsabguss eines
Sehädels TOn Chiriqni (Panama),
und bemerkt dazu Folgendes:
Das Original dieses Schädels ist durch Hrn. v. Zeltner, früheren französischen
Consul in Panama, später Mitglied der Rheinuferstaaten-Commission^ nach Europa ge-
kommen. Es ist seiner Angabe nach der einzige, einigermassen erhaltene Schädel,
der aus den alten Indianergräbern von Chiriqui gerettet worden ist.
Ueber diese Gräber berichtet Hr. y. Zeltner in einer besondern kleinen Schrift:
Note sur les sepultures indiennes du departement de Chiriqui. Panama I86G. gr. 8.
12 p. mit einer photographischen Tafel. Die Provinz Chiriqui, welche den nordlichen
Theil des Staates Panama gegen Columbien (Neu-Granada) und Costa Rica bildet,
hat jetzt eine schwache, grossentheils indianische Bevölkerung. Sie enthält mehrere
grössere Gräberfelder (Nekropoleu). Diese Gräber, Guacas genannt, gehörten einer
offenbar sehr zahlreichen, jetzt verschwundenen Bevölkerung an. Der grosse Reich-
thum an Gold und Kostbarkeiten, welchen sie bargen, zog seit 1859 die Aufmerk-
samkeit der Leute auf sich und veranlasste die Zerstörung der Mehrzahl derselben.
Sie liegen meist in der Nähe des Meeres an Flussufem und auf Hügeln. Hr. v. Zelt-
ner unterscheidet 6 Arten davon, darunter auch eine Art von Ganggräbem (guacas
de canal); fast alle sind aus Steinen aufgebaut, von denen manche grobe allegorische
Zeichnungen von Menschen, Tigern und Vögeln tragen. In drei Arten von Gräbern
finden sich sehr brüchige Reste menschlicher Skelete. Mit den Todten wurden man-
nichfache Gregenstände aus Stein, Jaspis, Onyx, Porphyr, zahlreiche Gefösse aus ge-
brannter Erde und Waffen niedergelegt. Menschliche und Thierfiguren der verschie-
densten Art aus Thon, meist hohl und verschiedentlich durchbohrt, sind gesammelt
Eine einzige menschliche Figur, 7 Cent, hoch, war aus gegossenem Golde. Auch
zahlreiche Schmuckgegenstände aus Gold, hie und da Kupfer, jedoch nirgends Silber,
Mühlen und Mörser zur Verkleinerung des Metalls werden erwälmt
Der ansöheinend weibliche Schädel, dessen Original mir durch die Vermitteloog
des Hrn. Friedreich gleichfalls vorliegt, ist leider sehr verletzt Fast das ganze
Gesicht und ein Theil der Basis fehlen. Hr. v. Zeltner bemerkt seine geringe
Dimension und am Hinterhaupt einen tiefen Eindruck, welcher der gegenwärtigen
Race fehle.
Nach meinen Messungen hat derselbe einen Querumfang von 490 Millim., eine
Länge von 172, eine Breite von 133, eine Höhe von 127 Millim. Der Längen-Index
beträgt daher 77,3, der Höhen-Index 73,8. Der Sagittalumfang des Stirnbeins beträgt
115, die Pfeilnaht 120, der Sagittalumfang der Hinterhauptsschuppe 107, der gesammte
Sagittalumfang also 342 Millim. Der Querumfang von einem Gehörgange zum ande-
ren über die vordere, sehr weit nach vom geschobene vordere Fontanelle misst 312.
Die Tnbera parietalia sind stark entwickelt, die Tub. frontalia dagegen fast ganz ver-
wischt Die Protuberantia occipitalis fehlt fast ganz, dagegen ist die Linea semicir-
cularis occip. superior (L. nuchae sup.) sehr stark. Oberhalb derselben bildet die Hin-
terhauptsschuppe eine stark gewölbte Hervorragung; unterhalb derselben findet sich
(23)
der von Hrn. v. Zeltner erwähnte starke Eindruck, der sich in schrägem Abfall bis
zum Foramen occipitale fortsetzt Die Linea semicircularis inferior ist kurz und
dem Hinterhauptsloche bis auf 19 Millim. genähert Ebenso stark ausgesprochen, wie
die MuskeJansatze am Hinterhaupt, ist auch das Planum temporale, dessen obere
Grenzlinie die Tubera parietalia kreuzt; beide Lineae semicirculares temporales sind
an der Kranznaht nur 11 Millim. von einander entfernt. Dem entsprechend ist der
Schädel seitlich stark abgeplattet und die Schuppen der Schläfenbeine sind ganz
steil aufgerichtet Im Ganzen ergiebt sich daher eine verhältnissmässig schmale und
hohe Schädelform, ohne irgend eine Spur künstlicher Verunstaltung, jedoch mit auf-
fallend starken Muskelwirkungen. Die Stirn ist schön gewölbt, das obere Profil über-
haupt mehr gerundet, die Scheitelhöhe weit nach Yom, das Hinterhauptsloch dagegen
weit nach hinten gerückt, letzteres (35 Mm. lang, 28 breit) mit seiner Ebene mehr
nach hinten gesenkt Die Knochen sind im Ganzen dünn und leicht, ohne jede Spur
yoü Brand.
Von den übrigen Durchmessern erwähne ich folgende:
Oberer Frontaldurchmesser (Tub. front) .
Unterer „ (Proc zygom.)
Temporaler „ ...
Parietaldurchmesser (Tub. pariet)
Mastoidealer Durchmesser . . .
Jugaler „ ...
Meatus audit bis Nasenwurzel
Foram. magn. „ „
„ 9) » vordere Fontanelle
n v> D hintere „
Länge des Hinterhauptes (vom For. magn.
)
47
87
117
12a
120
133
100,5
96
130
110
41
ches für Japan, spricht
(2) Herr yon Brandt, Generalkonsul des deutschen Rei
unier Vorzeigung yon Handzeichnungen und Photographien
Aber die Ainos.
Wenn ich mir gestatte, einige Worte über die Ureinwohner Japan^s, die
Ainos oder behaarten Kurilen zu sagen, so muss ich von vornherein um £nt8choldi-
gung bitten, dass ich ausser Stande bin, viele positive Thatsachen vorzulegen. Be-
kanntlich ist Japan erst seit kurzer Zeit dem Verkehr mit den Fremden geöffnet
worden, und wenn es uns auch gelungen ist, einige der Siegel, mit denen dieses
interessante Kapitel der Geschichte der Menschen verschlossen war, zu lüften, so ist
es doch bis jetzt noch nicht möglich gewesen, dieselben ganz zu losen. Was ich da-
her bieten kann, ist wenig, aber ich glaube, dass schon manches gewonnen sein dürfte,
wenn der heutige Abend einige von Ihnen zur Beachtung und Bearbeitung des vor-
liegenden Gegenstandes anregte. In dem Falle würden wir an Ort und Stelle die
Materialien sammeln und es Ihnen hier, wo Ihnen alle Hülfsmittel zu Gebote stehen,
überlassen, dieselben wissenschaftlich zu verwerthen.
Die japanischen Quellen geben wenig oder nichts über die Ureinwohner des
Landes. Während die einen in den jetzigen Bewohnern die Abkömmlinge der Urein-
wohner sehen, womit sie freilich das Bathsel des gleichzeitigen Vorkommens der Ainos
auf den japanischen Inseln nicht lösen, leiten andere die Bevölkerung des Landes
von chinesischen Einwanderern ab, und gehen soweit» die erste Kolonisation Japans
bis in das Jahr 2697 vor Gh. zurückzulegen. £s ist die alte Geschichte von dem
Arzte, der von einem tyrannischen Kaiser den Befehl erhält, den Baum des ewigen
Lebens aufzusuchen und der die Gelegenheit benutzt, sich der Gewalt seines Herr-
(24)
Bchers zu entziehen; er verlangt fünfzig Jünglinge und fünfzig Jungfrauen zur Be-
gleitung und gründet mit denselben die erste Kolonie in Japan. — Die neueren ja-
panischen Schriftsteller neigen alle zu der Annahme^ dass das Land Ton einer Urrace
bewohnt gewesen, die auf der niedrigsten Stufe der Bildung gestanden habe und bei
der sich eine Spur von staatlichen Einrichtungen nur in sofern Torgefunden, als die-
jenigen, welche sich durch besondere Eorperkräfte oder geistige Fähigkeiten auszeich-
neten, während ihres Lebens als höhere Wesen betrachtet, nach ihrem Tode als Got-
ter verehrt worden seien; der bedeutendste dieser Stammeshäuptlinge sei Djin-mu
gewesen, der später der erste Herrscher Japans wurde.
Dass sich aus solchem Material nichts Brauchbares reconstruiren lässt» liegt auf
der Hand. Am nächsten der Wahrheit dürfte der alte Kämpfer gekommen sein, der
in seinen Amoenitates exoticae von Einwanderern aus der Tartarei spricht, die lange
zerstreut im Lande gelebt hätten. Diu latuerunt obscuro nomine e Dalz seu Tartaria
hospites in Japouia, bis endlich, gleichzeitig mit der Gründung des römischen Rei-
ches, auch das japanische Reich unter dem ersten Mikado gegründet worden sei.
Was meine Ansicht anbetrifft, so ist es die, dass nicht allein die japanischen
Inseln, sondern auch ein Theil Chinas und Korea von einer und derselben Race, <}en
Ainos, die Ton den Japanern in historischer Zeit Yebis oder östliche Barbaren ge-
nannt werden, bewohnt waren, imd dass dieselben später durch vordringende Stämme
anderer Race nach Norden und Osten zurückgedrängt wurden, so dass sie heute nur
noch in geringer Anzahl vauf den Inseln Yeso und Sachalien und den Kurilen zu
finden sind. Für diese ursprünglich grössere Ausdehnung der Ainos spricht auch ein
Bericht desFreiherm von Richthofen, der im April 1870 in der hiesigen geogra-
phischen Gesellschaft vorgelesen worden ist, nach dem Herr von Richthof en bei
seinem Besuche von Kaoli-mön, dem chinesisch -koreanischen Handelsplatze an der
Grenze beider Reiche, unter den Koreanern zwei verschiedene Typen beobachtet hat,
den einen den der Beamten und Kaufleute mit länglichem Kopfe, den andern niedern,
an die Wilden Noid-Amerika's und die Ainos erinnernd, mit breitem Kopfe. Mir
selbst ist bei meinem Besuche von Tsau Hang hai (Fusang) am Südende Koreas, im
Juni 1870 kein ähnlicher typischer Unterschied aufgefallen; die Koreaner, welche idi
dort gesehen, gehörten sämmtlich einer einzigen Klasse der Landbevölkerung an und
waren schöne kräftige Gestalten mit länglichen Köpfen, würden also zu dem ersten
der vorerwähnten Typen zu zählen sein.
Die ersten historischen Nachrichten, welche wir über die Einwohner Japans ha-
ben, gehen bis auf das Jahr 660 v. Gh. zurück und geben einen Bericht über die
Kämpfe, durch welche Djin-mu, der erste Mikado, sich zum obersten Herrscher des
Landes emporgeschwungen. Was fest zu stehen scheint, ist, dass diese Kämpfe nicht
zwischen späteren Einwanderern und den Ureinwohnern stattgefonden haben, sondern
zwischen verschiedenen Stämmen derselben Race, welche bereits einige Jahrhunderte
früher in Japan eingewandert war und die Ureinwohner bereits bis zur Mitte der
Insel Nipon zurückgedrängt hatte. Alles spricht für diese Annahme, besonders aber
die Thatsache, dass der schliessliche Sieg Djin-mu's nicht durch Waffengewalt, son-
dern durch friedliches Uebereinkommen erreicht wurde, in dem der Sieger die gleich-
falls göttliche Abstammung der Besiegten anerkannte und ihnen und ihren Nachkom-
men reiche Ehren zusicherte; ein solches Abkommen konnte nur unter Angehörigen
derselben Race abgeschlossen werden. — Woher diese Einwanderer stammten, wird
wohl nur der vergleichenden Sprachwissenschaft ferstzustellen möglich sein; vieles
aber deutet schon jetzt darauf, dass ihre ursprüngliche Heimath in Inner-Asien, viel-
leicht in der Nähe der Wiege der arischen Stänune zu suchen sei. Die japanischen
Quellen lassen uns wie gewöhnlich im Dunkeln; zwar sprechen einzelne Autoren von
(25)
einer Verbindung Djin-ma's mit dem Herrscherhause der Liu-kia-Inseln und auch in
Europa ist die Ansicht einer Bevölkerung der japanischen Inseln von Süden her wieder-
holt aufgestellt worden, es erscheint aber mehr als unwahrscheinlich, dass ein solcher
Verkehr zwischen Japan und Liu-kiu stattgefunden haben soll, denn die erste Er-
wähnung eines Verkehrs mit Liu-kiu in den japanischen Annalen erfolgt fast 1300
Jahre später.
Vieles in den alten Gebräuchen und Sitten, in dem Glauben der Japaner deutet
darauf hin, dass diese ersten Einwanderer asiatischen, vielleicht arischen Ursprungs
gewesen. Die alte Religion der Japaner, der Sin-to oder Cami-Kultus, ist ursprüng-
lich ein Feuer- und Gestirncultus gewesen, aus dem sich erst allmälig ein Gotter-
und Heroen-Kult entwickelt hat. Die Japaner haben es, wie die meisten andern Völ-
ker, bei der fortschreitenden Entwicklung bequemer gefunden, die göttliche Urkrafb,
in diesem Falle das Licht, die Sonne, in ihre einzelnen Theile zu zerlegen und für
jede Aeusserung derselben einen besondem Heiligen als Fürbitter einzusetzen. Mit
der Zeit hat sidi die Zahl dieser Fürbitter, mythische Personen zum Theil, zum Theil
durch die Mikado's selig gesprochene Menschen, bis in's Unendliche vermehrt, aber
der alte Kultus mit seinen Gebräuchen und Vorschriften, der Verunreinigung durch
die Berührung von Kranken und Todten, der Nothwendigkeit der Reinigung vor
dem Gebet oder dem Betreten des Tempels durch Feuer und Wasser, manchmal auch
Salz, die Anwendung von Trankopfem vor den Bildern der Heiligen vor dem Ein-
nehmen der Mahlzeiten, die jährlich wiederkehrende Reinigung der Tempelgeräthe
und Gebäude mit heissem V^asser, das Vorkommen des männlichen und weiblichen
Prindps, die zuerst vereinigt, dann getrennt erscheinen, und symbolisch in Japan
durch einen Stab imd Papierstreifen, wie anderswo durch Schwert und Drache, Stab
und Raute u. s. w. dargestellt werden, dies alles deutet auf einen innem Zusammen-
hang des Sinto-Kultus mit der alten chinesischen Religion, dem Genien-Kultus und
der noch jetzt in Korea herrschenden Staatsreligion, die ebenfalls eine aus einem rei-
nen Natur-Kultus hervorgegangene Verehrung von Geistern sein soll. V^as die Be-
gräbnissfeierlichkeiten anbetrifft, so ist die Aehnlichkeit zwischen China und Japan
unverkennbar. Bis zu den Zeiten des Eonfucius bestand die Sitte, dass mit dem
gestorbenen Feldherrn zugleich seine Diener, Pferde u. s. w. begraben wurden. Später
traten an die Stelle dieser lebenden V^esen und der für vdrklichen Gebrauch bestimm-
ten Gegenstände aus Papier gefertigte Bilder, die V^agen, Pferde, Boote, Kleider,
Geld u. 8. w. darstellen und dem Todten auf seiner Reise in*8 Jenseits dienen sol-
len. Diese Sitte hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten, Li Japan finden
wir durchaus Aehnüches. Bis zum Jahre 5 v. Gh. wurden den Kaisem und hohen
Personen beim Begräbniss ihre ganze Dienerschaft und Hausgeräth mit in's Grab
gegeben und als der Mikado Sui-niu in dem vorerwähnten Jahre diese Sitte abschaffte,
weil er das Gejammer der lebendig begrabenen Menschen nicht mitanhören konnte,
trat im nächstfolgenden Jahre bei dem Begräbniss seiner Gemahlin an die Stelle der
alten Sitte das Mitgeben irdener Puppen in das Grab. So fest aber hatte die Sitte
V^urzeln geschlagen, dass noch über fünfzehnhundert Jahre hindurch Leute des Sol-
datenstandes es für eine Ehrensache hielten, sich auf den Gräbern ihrer Lehnsherrn
zu entleiben oder durch Abhacken einzelner Gliedmaassen zu verstümmeln, und dass
der Teikuhn lyeyasu noch im Jahre 1600 n. Gh. bei Herausgabe der sogenannten
100 Gesetze diese Unsitte unter Androhung der strengsten Strafen verbieten
musste.
Der Grebrauch und die Bedeutung der rothen Farbe scheint ebenfftlls auf eine Ver-
bindung zwischen dem Osten und V^esten hinzudeuten. Während die Herrscher des
V^estens als Zeichen ihrer Würde rothe Kleider tragen und die rothe Farbe für sich in
(26)
Anspruch nehmen, schreibt der Kaiser tod China seine Bdikte mit dem rothen Pin-
sel, d. h. mit rother Farbe und wurden die Särge der gestorbenen Mikados mit rother
Farbe, d. h. mit Zinnober ausgefüllt. Auch die Form und die Wahl des Orts der
Graber der Herrscher scheint für einen Zusammenhang zu sprechen; dieselben sind
immer an Hiigelabhängen gelegen und oft festungsartig mit Wall und Graben um-
geben.
Wenig Auskunft dürften leider die bis jetzt bekannt gewordenen, in den Grabern
gefundenen Schmuckgegenstande und Waffen gewähren, die einer jüngeren Periode
anzugehören scheinen. — Was die Waffen anbetrifft, so sind dies Steinwaffen, Pfeil-
spitzen, Meissel, Messer, Hänuner, ganz in der Form und Arbeit der unsrigen; aber
noch heute gebraucht man im Norden Japans steinerne Pfeilspitzen, und ich habe
selbst in Yeso noch Steinhämmer und Hacken bei den Ainos gesehen- Die Schmuck-
gegenstande ^ die Kudatama und Magatama deuten ebenfalls auf eine Periode schon
höher entwickelter Kultur. Die einen aus Stein, Krystall u. s. w. gearbeitet, scheinen
Nachahmungen von Thierzähnen zu sein, und sind vielleicht in einer späteren Pe-
riode au die Stelle wirklicher Zähne getreten; die andern, längliche, in der Längen-
axe durchbohrte Röhrchen, häufig sehr ^schön gearbeitet und yon glasirtem • Thon
gefertigt, wurden mit den ersteren zusanmien als Halsketten getragen und stammen
jedenfalls aus uns näher liegenden Zeiten
Um in kurzen Worten meine Ansichten über die Abstammung der jetzigen Be-
TÖlkerung noch einmal zusammen lu fassen, so scheipen mir die japanischen Inseln
zuerst durch die Ainos, Ureinwohner oder sehr frühe Einwanderer, bevölkert worden
zu sein; später, auch noch in vorhistorischen Zeiten, ich gebrauche das Wort mit
Bezug auf unsere historischen Kenntnisse, dringen andere Einwanderer vom asiati-
schen Festlande ein und treiben die Ainos nach Norden und Osten zurück. Wie alle
asiatischen Völker, verlegen die Eindringlinge ihre Hauptstadt Miako in die Grenz-
marken des Landes, in die Provinz Yamato, die Wiege der Kaiserfamilie. Unter den
Siegern brechen Zwistigkeiten aus, die nach langen Kämpfen mit der Aufrichtung
der Alleinherrschaft der Mikado's enden. — Später, historisch nachweisbar zuerst im
Jahre 32 v. Gh., kommen Einwanderungen aus Korea und China, und aus diesen drei
Elementen, den Ainos als ersten Einwanderern und den späteren chinesischen und
japanischen Einwanderern hat sich das japanische Volk, wie wir es heute kennen,
gebildet Am reinsten hat sich der Typus der ersten Einwanderer wahrscheinlich in
der kaiserlichen Familie und den Familien der höchsten Kuge^s erhalten, wenigstens
ist deren Gesichtsfarbe meistens weisser als die der andern Japaner und auch die
Form des Kopfes und die Züge des Gesichts edler. — Die Spuren der Vermischung
mit den Ainos finden sich hauptsächlich im Norden der Insel Nippon, wo dich die-
selben am längsten gehalten haben, und wo daher die Berührungen am häufigsten
gewesen sind.
Die Ainos haben den neueren Eindringlingen das Feld nicht ohne harte Kämpfe
geräumt. Nach japanischen Quellen wohnten die Yebis, so werden sie genannt, noch
im Jahre 110 n. Gh. in Suruga, d. h. südlich vom 35. Grade; im 7. Jahrhundert n.
Gh waren sie fast im ausschliesslichen Besitze des Landes nördlich vom 38. Grade
und selbst nach der angeblichen Unterwerfung der ganzen Insel Nipon unter die
Oberhoheit des Mikado^s im 9. Jahrhundert, erwähnen die Annalen noch fortwährend
Empörungen und EinßUle der östlichen Barbaren.
Die Ainos haben, trotz dieser Jahrtausende dauernden Berührungen, nichts von
den Japanern angenommen; sie sind, was sie waren, ein auf der niedrigsten Stufe
der Bildung stehender und wahrscheinlich auch nicht bildungsfähiger Stamm, der, wie
so viele andere Urvölker, wie die dunkeli) Einwohner von Geylon und Fonnosa, die
(27)
Eingebornen Ton Australien u. s. w., die Berührung mit einer fremden, höheren Civili-
safiojt nicht ertragen kann und an derselben zu Grunde geht, und wenn dieser Pro-
cess in Japan Jahrtausende gedauert hat und noch nicht beendigt ist, so durfte dei^
Grund dafür darin liegen, dass die Stamme der Ainos bis jetzt immer noch Raum
zum Ausweichen nach Norden hin gefunden haben. So leben jetzt vielleicht noch
60,000 Ainos auf Yeso und eine bedeutend geringere Anzahl auf Sachalien und den
Kurilen, aber die nach Süden vordringende russische Herrschaft und die wenn auch
langsam fortschreitende Urbarmachung Yesos durch japanische Einwanderer werden,
im Verein mit den Blattern und den geistigen Getränken, bald die letzten Spuren
dieser ältesten Bewohner Japans verschwinden lassen. — üebrigens herrscht ein
grosser Unterschied zwischen den Ainos auf der West- und der Ostküste von Yeso;
während die ersteren einen gedrückten und erbärmlichen Eindruck machen und von
den Japanern als vollständige Leibeigene behandelt werden, sind die letztern ein
munteres Jäger-, Fischer- und Hirtenvolk, das im Sommer in 's Innere der Insel zieht
und sich mit viel mehr Freiheit und yngebundenheit bewegt, als ihre Brüder auf
der andern Küste.
Was die Ainos nun selbst*) anbetrifit, so sind dieselben von Mittelgrosse, stark
gebaut, haben schwarzes, etwas wolliges Haar, das auf dem Yorderkopfe abgeschoren
wird und an den Seiten absteht; die Augen sind dunkel, bei vielen braun, die Haut-
farbe bei den jüngeren leicht bronzefarbig, bei den älteren fast weiss; der Bart ist
sehr stark und wird voll getragen. Die Behaarung ist nicht so stark, als man nach
dem Namen „behaarte Kurilen '^ vermuthen könnte ; einzelne waren auf Brust,
Armen und Beinen stark behaart, aber doch nicht stärker, als man bei uns
alle Tage sehen kann. Die Lippen sind leicht aufgeworfen, was spater unter dem
Bart verschwindet; der Gesichtsausdruck ist gutmüthig. Im Ganzen erinnerten sie
mich an die Abbildungen mancher Stämme von Südsee-Insulanern. — Die Weiber
sind um den Mund in der Form eines aufgedrehten Schnurbarts blau tättowirt, was sie
sehr hässlich macht Die erste Tättowirnng findet gewöhnlich im 7. Jahre statt, und
wird dainn allmälig vergrössert. Auf der Ostküste habe ich Frauen mit kreuzweisen
Strichen auf den Armen gesehen. Die Frauen tragen grosse Ohrringe von Metall,
aus Japan importirt, und Halsbänder von blauem Zeuge mit bleiernen Sternchen und
Stücken Glas aufgenäht, manchmal auch von Glaskorallen oder kleinen Früchten.
Die Kleidung beider Geschlechter besteht in einem gelben Bastkittel mit blauen Ver-
zierungen; die Kittel werden atsusi genannt, nach dem Baume ats (in der Aino-
Sprache), aus dessen Rinde man sie fertigt
Das Benehmen der Ainos, wenigstens so lange sie unter den Augen der Japaner
sind, ist sehr unterwürfig und ihre Manieren sind nicht ohne Grazie. Wenn ich ihnen
Tabak und Glaskorallen schenkte, wurden sie in den Hof gerufen, wo sie sich in
einer Reihe mit untergeschlagenen Beinen hinsetzten; die Augen wurden niederge-
schlagen. Der Aelteste, auf dem rechten Flügel, führte das Wort, sprach mit sehr
leiser Stimme und alle blickten auf die Erde. Am Schlüsse der Danksagung erhoben
sie die flachen Hände, die Handflächen nach innen, gegen das Gesicht, welches sie
leicht herunterbeugten, dann, indem die Spitze des linken Mittelfingers das obere
innere Gelenk des rechten Mittelfingers berührte (das Berühren des 2. resp. 3. Ge-
lenks zeugt von weniger Achtung), strichen sie mit den flachen Händen am Barte
hinunter; die unbärtigen an der linken Seite des Haares (das Rasiren des Vorder-
kopfes geschieht erst mit dem Eintreten der Mannbarkeit, d. h. dem fünfzehnten
Jahre). Die jüngeren blieben still mit niedergeschlagenen Augen sitzen.
*) Abbildungen von Ainos, darunter eine von Hrn. Gärtner gezeichnete Fraa mit tatto«
wirtem Barte, die übrigen nach Photographien, finden sich anf Taf. UL
(28)
Die Dorfer der Aioos, wohl selten auf mehr als 200 — 300 Seelen berechnet, häufig
viel kleiner (im Innern soll es noch unabhängige Stämme geben, ich habe dieselben
aber nicht gesehen) liegen meistens ziemlich nahe am Meer, die ärmlichen Hütten
stehen unregelmässig bei einander und sind aus Pfosten und Rohr in länglich vier-
eckiger Gestalt, 4 — b* hoch, mit eben so hohem viereckigem Dach gebaut Sie haben
keine besondere Oe&ung zum Herauslassen des Rauchs, nur eine kleine viereckige
Thür und gleiche Fensteröffnung. Neben jedem Häuschen steht ein Yorrathshaus,
ein viereckig spitz zulaufendes Rohrdach auf Pfählen, ungefähr 4' liber dem Boden
errichtet; die Pfahle sind mit einem nach unten gebogenen Stück Borke bedeckt,
um die Ratten und Mäuse abzuhalten. Zum Hinaufsteigen dient ein angelegter Baum-
stamm mit eingehauenen Stufen. Den Hütten gegenüber, auf manchmal seitenformig
zusammengestellten Gabelzweigen sind Bärenschädel befestigt, die der Besitzer der
Hütte erbeutete. Bei einer Hütte waren 19 aufgesteckt, die frischen scheinen nach
oben gesteckt zu werden; an einzelnen hingen noch Fetzen von Haut und Fleisch. —
Die Ainos wollten sie nicht verkaufen und widmen ihnen, wie den Fuchsschädeln,
die in den Hütten aufbewahrt werden, eine Art abgottischer Verehrung. Vielleicht
ist dieses Aufstellen der Schädel, das mit gewissen Geremonicn geschieht, wie die
Trankopfer, die ihnen bei besonderen Gelegenheiten gebracht werden, eine Art Sühn-
opfer, um den Geist des erschlagenen Bären zu besänftigen. Die Trankopfer, die
auch vor jedem Gelage stattfinden, werden in der Art gebracht, dass der Aino die
Schale mit dem Saki (jap. Reisbranntwein) in die linke, und ein flaches, ungefähr
einen halben Zoll breites, einen Fuss langes, mit Schnitzwerk verziertes Stäbchen in
die rechte Hand nimmt; mit dem Stäbchen rührt er das Getränk um und lässt dabei
zwei oder drei Mal einige Tropfen zur Erde fallen, indem er die Hand mit dem Stäb-
chen bis zur Höhe des Kopfes erhebt; dann hebt er mit dem Stäbchen den Schnurr-
bart in die Hohe und leert die Schaale.
In der Nühe der Hütten, wie es scheint, denen der früheren Bewohner gegen-
über, liegen die Gräber auf der Ebene zerstreut Die Köpfe liegen nach Osten, am
Kopfende des aus dünnen Brettern bestehenden und nur leicht mit Erde bedeckten
Sarges steckt bei den Männern ein c. 3' langes lanzenspitzenformig geschnitzea Stück
Holz, bei den Weibern ein niedriges Kreuzholz, mit einem schmalen Streifen blauen
2ieugs daran befestigt Auf den Gräbern der Frauen liegen Topfscherben. Die Hüt-
ten und die ganzen Geräthschaften sollen beim Tode des Eigenthümers verbrannt
werden, damit er nichts zurücklasse, was er bedauern könne; die ärmeren sollen ohne
Sarg beerdigt werden, allen aber ihre Waffen mit in^s Grab gegeben werden.
Die Bogen der Ainos, ihre Hauptwaffe, sind kurz und sehr stark, aus Nadelholz
gefertigt; sie halten dieselben beim Schiessen horizontal. Die Pfeile sind kurz und
dick, aus Nadelholz oder Rohr gefertigt und sehr schlecht, manchmal gar nicht be-
fiedert; die Spitzen sind aus Rohr, "manchmal aus Metall, sehr sohlecht befestigt und
immer mit einer tiefen Blutrinne versehen, in welche ein schnell tödtendes Gift ge-
than wird. Ich habe mir dasselbe nicht verschaffen können. Die Ainus behaupten,
es immer im Herbst aus den Knollen einer in ihrer Sprache shimiin genannten
Pflanze zu gewinnen; dasselbe soll frisch so schnell wirken, dass ein angeschossener
Bär, obwohl die PfeUe so schlecht sind, dass sie keine tiefe Wunde hervorbringen kön-
nen, nach wenigen Schritten zusammenbricht; beim Genuss soll das Gift keine schäd-
lichen Folgen hervorbringen. — Die Messer, grössere, säbelartige und kleinere, sind
von den Japanern importirt und sehr schlecht, die Scheiden sind breit, aus Holz ge-
fertigt, mit groben Schnitzereien und manchmal schwarz gefärbten Linearornamen-
ten verziert; an einzelnen Scheiden und Griffen sind braune Borken-Ringe als Ver-
zierungen angebracht üeberhaupt steht die Kunstfertigkeit der Ainos auf einer sehr
(29)
niedrigen Stafe; ausser Tabacksbüchsen, Pfeifenfatfceralen und flachen Hölzern zum
fflopfen der Baumwolle, den Messerscheiden, Bogen, Pfeilen und Kitteln, wird Alles,
selbst ihr Essgerath, aus Japau eingeführt, üeberhaupt stehen die Ainos auf einer
unglaublich «niedrigen Stufe der Bildung; sie haben keine Schriftsprache und bewah-
ren die Erinnerung an bedeutende Ereignisse durch Einschnitte in Hölzer oder Kno-
ten in Stricken auf. Ausser den Torhererwähnten Ceremonien mit den Bären- und
Fuchsschädeln scheinen sie keine religiösen Gebräuche zu haben; ebenso wenig haben
sie Priester, oder auch nur Musikinstrumente.
Ihr Familienleben und ihre Verfassung, wenn man den Ausdruck gebrauchen
darf, sind ganz patriarchalischer Natur. Die Männer heirathen nur eine Frau; Kebs-
weiber sind unbekannt. Die Heirathen finden für die Männer im 18. bis 20. Jahre,
für die Frauen im 15. Jahre, ohne andere Ceremonien, als einem Trinkgelage, statt;
ebenso geht es bei der Geburt eines Kindes zu, das nach japanischer Sitte ein hal-
bes Jahr später einen Namen erhält, — Die ältesten Leute der kleinen Stämme
(die, wie man mir gesagt, nur unter siel heirathen) führen eine Art Oberaufsicht
Sie sind meistens durch die japanischen Behörden bestätigt, erhalten bei gewissen
Gelegenheiten Ehrenkleider und werden dem Gouverneur der Insel vorgestellt
Die Ainos auf Sachalien sollen wohlhabender und gebildeter sein, als die auf
Yeso, die ich allein gesehen habe, doch glaube ich, dass diese Ansicht hauptsächlich
durch die von den Chinesen importirten gestickten £[leider und Schuhe, letztere manch-
mal aus Seehundsfell, herbeigeführt ist.
Was aus dieser im untergehen begri^enen Nation werden wird, ist, wie gesagt,
noch nicht vorauszusehen; in wenigen Jahrzehnten wird sie verschwunden sein, und
da sie gar keine Denkmäler hinterlässt, dürfte es wünschenswerth sein, jetzt noch
möglichst viele Nachrichten über sie einzuziehen.
Herr Virehow, im Namen der Gesellschaft den Dank für den interessanten Vor-
trag aussprechend, bemerkt zu demselben Folgendes:
Nachdem die ersten Nachrichten über die Ainos durch LaPerouse (1787) nach
Europa gekommen waren, ist die Aufmerksamkeit auf dieses merkwürdige Volk
hauptsächlich wegen seiner starken Behaarung und seiner dunklen Hautfarbe gerichtet
gewesen. Einzelne Berichte haben diese Eigenschaften in hohem Maasse, übertrieben,
und erst die Erzählung des amerikanischen Lieutenant Habersham (mitgetheilt in
Nott and Gliddon Indigenous Baccs oftheEartb. Philad. 1857. p. 620, nebst einem
Paar recht characteristischer Holzschnitte in der Einleitung p. XII) hat diese An-
gabe auf ihr richtiges Maass zurückgeführt. Weitere Ermittelungen über die phy-
sische Beschaffenheit des Stammes sind jedoch erst möglich geworden, seitdem Ske-
lettheile nach England gebracht wurden. Zuerst berichtete Hr. Busk über einen Aino-
Schädel; neuerlichst hat Hr. Barnard Davis in einer grösseren Arbeit (Memoirs
of the Anthropol. Society of London. 1870. Vol. lU. p. ^21) die ganze Frage erör-
tert, indem er ein weibliches Skelet und 3 männliche Köpfe seinen Untersuchungen
zu Grunde legen konnte. Es ist dadurch die schon von La Perouse gemachte Be-
obachtung bestätigt worden, dass die Ainos sich den Europäern weit mehr nähern,
als irgend ein hinterasiatischer Stamm, und dass namentlich die Schädel sich weit
von denen aller mongolischen Völker unterscheiden. Hr. Davis fand eine Schädel-
capacität von durchschnittlich 1470 Cub.-Centim., einen Breiten-Index von 76,7 — 78,8 und
einen Höhen-Index von 69—76. Besonders auffällig ist die von ihm constatirte Dif-
ferenz von den Australiern, welche namentlich bei einer Yergleichung des Aino-Ske-
lets mit zwei weiblichen Skeleten aus Australien in einer durchweg starkem und kräf-
tigeren. Entwicklung aller Knochen hervortrat. Als besonders auffällig und unterschei-
(30)
dend bezeichnet er die yerhältnissmässige Kürze der Wirbelsaule (um SO Millim. kür-
zer, als die der australischen Weiber), namentlich die ganz ungewöhnliche Kürze der
Unterschenkel.
Diese Mittheilungen lassen es als sehr wünschenswerth erscheinen, dafis an leben-
den Ainos und namentlich auch an Männern vergleichende Messungen, besonders der
ganzen Höhe, der Wirbelsaule und der einzelnen Abschnitte der oberen und unteren
Gliedmassen angestellt, sowie dass durch zahlreichere Sammlungen von Schädeln und
anderen Knochen die Möglichkeit, zu einer vollständigeren Kenntniss der Osteologie
dieses Stammes zu gelangen, näher geführt werde. Vorläufig erscheint es jedenfalls
zweifelhaft, ob man daran denken darf, die Ainos mit irgend einem andern Insel-
stamme des stillen Oceans in Beziehung zu setzen Sollten weitere Anzeichen auf
eine continentale Abstammung hinfuhren, so ist es vielleicht nicht überflüssig zu er-
wähnen, dass alle uns vorliegenden Abbildungen weit mehr auf eine Aehnlichkeit mit
semitischen Stämmen hinweisen, als es von gewissen amerikanischen Völkern behaup-
tet worden ist. Eine Sammlung von Sprachproben könnte in Beziehung auf die Ver-
wandtschaffcs- Verhältnisse von entscheidender Bedeutung werden.
Auf alle Fälle erscheint es von grossem Werthe, über die Art der Hautfärbung
recht genau unterrichtet zu werden, da gerade darüber die vorliegenden Berichte sehr
weit auseinandergehen. Auch würde es nicht unwichtig sein, Hautstücke und Haare
von verschiedenen Körpertheilen zur Untersuchunng zy erlangen.
Herr 7. Brandt erwidert hierauf, dass die jüngeren Ainos sehr dunkel seien,
dass diese Leute aber bei fortschreitendem Alter allmählich heller würden. Die Be-
haarung derselben ist stets dicht an Kopf und Eonn, manchmal auch an Brust, Armen
und Beinen, jedoch nur bei älteren Personen. Der Kontrast zwischen den im All-
gemeinen allerdings stark behaarten Ainos und den nur wenig behaarten Japanern
ist ein sehr auffälliger.
Herr Erman bestätigt diese Angaben aus eigener Anschauung.
Herr von Martern theilt im Anschlüsse hieran mit, dass der Bär auch bei den
Kamtschadaien eine Verehrung geniesse. Die Japaner könnten nicht wohl direct von
den Chinesen abstammen, indem ihre Sprache, Schrift u. s. w. zu verschieden seien.
Es sei höchstens die Annahme einer ebenso entfernten Verwandtschaft zwischen bei-
den Völkerstämmen zulässig, wie etwa diejenige zwischen Germanen und Römern
unter Vermittelnng der Indogermanen.
Herr Steinthal erinnert an die isolirte Stellung, welche das Japanische in Ho-
guistischer Hinsicht einnehme. Pfitzmejr zu Wien habe Lieder der Ainos, wahr-
scheinlich unter Vermittlung der Japaner, in Katakanaschrift mitgetheilt.
Herr von Brandt glaubt gerechte Zweifel gegen die Zuverlässigkeit gewisser
Arbeiten Pfitzmeyr's hegen zu dürfen. Derselbe betont die grosse Schwierigkeit,
die japanische Sprache grammatikalisch zu behandeln.
Herr Bastian macht darauf aufmerksam, dass die Katakanaschrift dem Einflüsse
buddhistischer Missionäre zugeschrieben werde und späteren Ursprunges sei (aus dem
VIU. Jahrb.), wie auch das Hirakana.
(3) Herr Erman legt im Namen des Hrn Dr. Peterman in Crossen a. O. eine
Reihe vod neumärkischen Alterthümern (Steingeräthe, gebrannte Thongefässei^.s. w.)Tdr.
(31)
(4) Der Vorsitzende übergiebt als Geschenke für die Sammlang der 6e-
sellschafb:
1) eine vortreffliche Serie von thönemen Fabrikaten ans den Terramaren, welche
Hr. Pigorini ihm abergeben hat, darunter namentlich ausgezeichnete Exemplare
der Mondhenkel,
2) eine Anzahl verzierter Topfscherben aus der Grotta all' Onda, welche er von
Hm. Regnoli erhalten hat
(5) Hr. Virchow berichtet
über itallenisohe Craniologie und Ethnologie«
Seit meinem ersten Vortrage über den Congress von Bologna in der Sitzung
vom 11. November sind einige Berichte über denselben Gegenstand veröffentlicht
worden. Ich erwähne namentlich die Schrift von Fräulein Mestorf (Der archäolo-
gische Congress in Bologna. Hamburg 1871) und die zum Theil vortrefflichen Be-
richte von Hm. Cazalis de Fondouce in der Revue scientifique (2. et 9. De-
cembre 1871). Ich kann mich daher darauf beschränken, einige Punkte genauer
zu erörtern, welche in diesen Berichten nur nebenher oder stückweise berührt worden
sind*), oder welche mir erst auf meiner weiteren, bis Pompeji ausgedehnten Reise
entgegentraten.
Bekanntlich beruht die Wichtigkeit der internationalen Zusammenkünfte nicht
bloss auf den offiziellen, sondern mindestens ebenso sehr auf den zahlreichen- Privat-
verhandlimgen, welche sich gewissermassen neben den Congressen gestalten. So war
es mir auch in Bologna gelungen, die zahlreich erschienenen italienischen Craniologen
wiederholt in der reichen Schädelsammlung der Universität zu einem Austausche der
Meinungen zu vereinigen. Es erschien das für uns Deutsche von besonderem In-
teresse, seitdem die Frage vielfach aufgeworlbn ist, ob gewisse Schädel, welche sich
in der Schweiz, in den Rheinlanden und in Mecklenburg finden, als römische anzu-
sehen seien. Aber auch in einer andern Richtung ist die Frage des Schädeltypus
für so combinirte Nationalitäten, wie die italienische, von ganz besonderem Werthe.
In dieser Beziehung will ich zunächst hervorheben, dass nicht bloss nach dem
Urtheile der italienischen Gelehrten während aller Perioden der geschichtlichen und
vorgeschichtlichen Zeit ein gemischter Typus nachzuweisen ist, sondern dass auch die
von Hm. Calori angelegte, überaus reiche Sanmüung modemer Schädel aus allen
Provinzen des geeinigten Königreichs, wie ich sie nirgends weiter so vollständig habe
wiederfinden können, die allergrössten Differenzen der Typen lehrt. Es zeigt sich
namentlich, dass im Allgemeinen die breiteren Schädelformen dem nördlichen Italien,
hingegen die langen und schmalen dem Süden angehören. Hr. Calori hat schon in
seiner wichtigen Schrift (Del tipo brachicefalo negli Italiäni odiemi. Bologna 18G8)
dargethan, dass die frühere Meinung, wonach nur in Ligurien und Piemont brachy-
cephale Formen vorwiegen sollten, irrig war, dass diese Formen vielmehr auch in
der Lombardei und Venetien, in der Emilia und Romagna, in Umbrien und Toscana
das Ueberge¥richt haben, und dass erst im Romischen, in Neapel, Sicilien und Sar-
dinien die Dolichocephalie in immer stärkerer Weise hervortritt. Aber wenn man
die einzelnen Ländertheile genauer analysirt, so ergiebt sich auch in ihnen wieder
eine so grosse Verschiedenheit, dass selbst auf den Inseln, wo die Verhältnisse, we-
nigstens stellenweise, am reinsten erhalten sein könnten, neben einander eine Reihe
*) Seitdem ist auch der Bericht der itaÜenischen Jury (Relazione sulla esposizione italiana
d* antropologia e d* archeologia preistoriche in Bologna nel 1871) und des Hm. Hans Hilde-
brand-Hildebrand (Den arkeologiska Kongressen i Bologna. Stockholm 1872) erschienen.
(32)
Ton Typen existirt, welche so weit auseinandergehen, dass ffir die Annahme, was
hier phönicisch, griechisch, arabisch oder eigentlich italienisch ist, ein grosser Spiel-
raum der Wahrscheinlichkeit bleibt. Auch scheint die Erfahrung zu lehren, dass
die italienischen Craniologen etwas zu früh eine Fixirung der T3rpen versucht haben,
denn grade an einer Stelle, wo es sich am klarsten hätte zeigen sollen, was die Cra-
niologie werth ist, hat sie sich als zweideutig erwiesen. Das war bei Gelegenheit
der reichen Schadelfunde in Marzabotto, jener alten Nekropole, welche bis in frahe
Zeiten des £truskeryolkes zurückreicht. Die dort gesammelten Schädel, welche theils
dolichocephale, theils brachycephale waren (J. Gozzadini Renseignements sur une
ancienne necropole ä Marzabotto. Bologna 1871, p. 17), haben so differente Verhält-
nisse gezeigt, dass einer der besten Schädelkenner, Hr. Nicolucci der Meinung war,
es handle sich hier um einen von dem etruskischen verschiedenen, möglicherweise
umbrischen Typus. Während die Gesammtheit der Funde, namentlich alle archäolo-
gischen Zeugnisse auf eine etruskische Bevölkerung hinweisen, scheinen die Schädel
einen offenen Widerspruch zu dieser Auffassung darzustellen. Allein Hr. Zannetti
hat in einer neueren Abhandlung (Archivio per V antropologia e V etnologia 1871,
Vol. I, Fase. U) an einer Reihe von Schädeln, die aus unzweifelhaften etruskischen
Grabmälem herstammen, dargethan, wie erhebliche Differenzen*) diese Schädel dar-
bieten, und ich muss gestehen, dass nach dem, was ich gesehen habe, ich mich ihm
dahin anschliessen muss, dass schon in dieser frühen Zeit sich eine gewisse Breite
der körperlichen Entwicklung zeigt, welche schwankt zwischen grossen Extre-
men. Das scheint sich allerdings überall herauszustellen, dass verhältnissmässig
die altrömischen Schädel unter allen den übrigen sich durch ihre grosse und statt-
liche Entwicklung, namentlich durch die Weite des Schädels auszeichnen, so dass,
wenn man grössere Sununen von Schädeln vergleicht, die altrömischen ein entschie-
denes Uebergewicht zeigen. Hr. Zannetii gibt, in Uebereinstinunung mit Hm. M an-
te gazza, die Capacität des altrömischen Schädels zu 1524, die des etruskischen auf
i486, die des altsardischen auf 1381 Centim. an. Hr. Nicolucci berechnet den
etruskischen Schädel-Index zu 78,5, den altrömischen zu 77,4, so dass sich der letz-
tere mehr der Dolichocephalie nähern würde. Immerhin sind die individuellen Ver-
schiedenheiten so gross, dass ich mir nicht getrauen wurde, einen einzelnen Schädel
nach den bisherigen Erfahrungen als einen römischen oder etruskischen anzusprechen.
Ich selbst besitze nur einen einzigen Etrusker-Schädel, den ich der Güte des
Hrn. Dr. W. Erhardt in Rom verdanke. Derselbe stanmit aus der berühmten Ne-
kropole von Cometo, dem alten Tarquinü, und wurde zusammen mit einer schwarz-
figurigen Vase gefunden. Da er durch Vermittelung des Secretärs des archäologi-
schen Instituts, Hm. Dr. Hei big gewonnen wurde, so kann er wohl als zuverlässig
gelten. Er hat einem noch jugendlichen Individuum augehört und besitzt nur eine
Capacität von 1 270 Cub. Centim. Der Breiten-Index beträgt 82,2, der Höhen-Index
79,6; es ist also ein verhältnissmässig hoher Brachycephalus. Auch zeigt er keine
Spur von Prognathismus, während gerade Hr. Man te gazza einen besonderen Werth
darauf legt, dass ein, wenn auch geringer Prognathismus bei Etruskerschädeln be-
merkbar sei. Die Entfernung des vorderen Randes des grossen Hinterhauptsloches
von der Basis des unteren Nasenstachels beträgt nur 86 Millim. Es ist dies gewiss
ein bemerkenswerthes Beispiel für die Grösse der individuellen Abweichungen.
Was die altrömischen Schädel betrifft, so vergisst man, wie es mir scheint, trotz
aller Mahnungen immer noch zu leicht, dass die Römer ein Mischvolk waren und
dass in den verschiedeneu Jahrhunderten sehr verschiedene Zumischungen von frem-
*) Zannetti drückt dies so aus: Gli Etniscbi furono un popolo a tipo molto variabiie.
(33) -
dem Bhit stattgefanden haben. Ohne eine ganz ins Einzelne gehende historische
Forschung wird es daher immer etwas Missliches haben, festzustellen, was im streng
territorialen Sinne römisch war. So fand ich, um nur ein Beispiel zu erwähnen,
in Pompeji in der dortigen Sammlung 39 Schädel, ein ganzes Skelet und ausserdem
4 Ausgüsse von Leichen solcher Personen, welche durch den Aschenregen bedeckt
worden waren. Die meisten der sehr gut erhaltenen Schädel waren, soweit der
Augenschein ergab, mesocephal, einige mehr brachycephal, hie imd da einer
auch dolichocephal. Durchweg zeigten sie eine schone Stirn, schienen jedoch im
Ganzen eine geringe Capacität zu besitzen. Am meisten fiel mir die Gesichtsbildung
auf: meist prominirende Nasen, bei einzelnen mit sehr breiter Nasenwurzel (bei No. 6
war sie besonders breit und concav); die Augenhöhlen hoch und ihr oberer Rand
glatt; grosse, mehr prognathe Oberkiefer. Im Gegensatze dazu sah ich in Neapel
im Museo Borbonico die Porträtstatuen einer vornehmen Familie, Baibus aus Her-
culanum: einen Proconsul zu Pferde, 7 zum Theil männliche, zum Theil weibliche
Familienglieder in stehender Stellung; alle ausgezeichnet durch eine kurze Oberlippe
und ein mehr gerades Gesicht. Auch die Statuetten aus Herculanum zeigen meist
lange und gerade Nasen, ähnlich denen im modernen Italien so häufig vorkommenden.
Es wäre daher wohl ein G^enstand, welcher ein eigenes Studium erheischte,
die alten Schädel mit den so zahlreich erhaltenen Porträtköpfen zu vergleichen.
Wenn man die zahlreichen Büsten bekannter Römer im Vatikanischen Museum imd
im Palazzo dei Conservatori auf dem Capitol mustert, so ist die Zahl der auffällig
breiten Schädel eine nicht unbeträchtliche. Cato, Cicero, Tiberius, Drusus, Clau-
dius, Nero zeigen diese Form. Namentlich sind mir Scipio Africanus und Mar-
celius durch die grosse Temporalbreite und die starken Unterkiefer aufgefaUen. Pom-
pejus dagegen hat einen Kopf, den wir heutigen Tages englisch nennen würden;
seine Oberlippe ist lang und die kürzere Nasef gegen die Spitze hin stark gekrümmt,
ganz verschieden von der langen und mehr geraden Nase (bei grossen Kiefern), wie
wir sie bei Julius Caesar. Augustus, Germanicus, Claudius, der Agrippina und Pop-
paea erblicken. Ob es jemals gelingen wird, für alle diese Personen einen gemein-
samen Typus aufzustellen, das ist mir in der That zweifelhaft, wenigstens insofern,
als es sich darum handelt, einen besonderen altrömischen Typus gegenüber einem
etruskischen, ' umbrischen u. s. w. zu ermitteln.
Auf alle Fälle ist es interessant zu sehen, dass gegenwärtig die nördliche Be-
völkerung, welche häufige Einwanderungen von Norden her aufgenommen hat, in
hervorragendem Maasse brachycephal ist, also relativ kurze und breite Schädel be-
sitzt Hr. Calori berechnet den Schädel -Index der Brachycephalen in der Lom-
bardei, in Venetien und in der Emilia auf 84. Die Frage liegt daher nahe, ob in
dieser Schädelform sich nicht ein fremder und namentlich ein gallischer oder deutscher
Einfluss constatiren Hesse. In der That, als ich auf meinem Rückwege noch einmal
die lombardische Bevölkerung musterte, namentlich die ländliche Bevölkerung von
Padua, welche ich schon früher am Sonntage in den grossen Messen vereinigt gesehen
hatte, so fiel mir die Gesichtsbildung in hohem Maasse auf, namentlich das lange und
starke, aber verhältnissmässig schmale Gesicht mit der langen und starken, aber
mehr geraden Nase. Es sind dies physiognomische Eigenthümlichkeiten, wodurch die
mitteldeutsche Land -Bevölkerung sich ebenfalls auszeichnet Indess bin ich nicht
in der Lage, wissenschaftlich genau beurtheilen zu können, inwieweit hier ein
nördlicher Einfluss sich erhalten hat In Italien selbst hat man die Ansicht, dass
die deutsche Herrschaft, obwohl sie durch Jahrhunderte fortgedauert hat, spurlos
vorübergegangen sei, dass die italische Race diesen Einfluss abgeschüttelt habe. Ein-
▼•riuadl. d«r BerL Q«s. für AnthropoL ete. (3^
(34)
zelne deutsche Aerzte, welche in Italien practiciren, z. B. Professor Schron in Neapel,
haben sogar die Meinung, dass die deutsche Race sich in Italien nicht halte. Sie gehe
da eben so zu Grunde, wie die nördliche Einwanderung in Afrika. Hr. Schcön
hat mir angeführt, wie deutsche Familien, welche sich in Italien angesiedelt und
durch Generationen dort verweilt haben, allmählich einer gewissen Verkümmerung
entgegengegangen sind. Es ist das ein Gegenstand, der genauer studirt werden muss
und der namentlich späterhin, wenn man über grössere Sanmilungen von Schädeln
verfugen wird und wenn unsere Messungen einen höheren Grad von Brauchbarkeit
erlangt haben werden, eine sorgsame Prüfung verdient.
Ich habe einen Schädel mitgebracht, den ich bei dieser Gelegenheit erwähnen
will. Die Congress- Mitglieder machten unter anderen einen Ausflug nach Ravenna.
Wir wurden daselbst nicht bloss auf das Gastlichste aufgenommen, sondern es waren
auch die best^^n Einrichtungen getroffen, um uns auf das Schnellste in die Verhält-
nisse der Stadt einzuführen. Nach einer alten Tradition hat an dem gegenwärtigen
Corso Garibaldi der Palast des Theoderich, des Siegers in der „Rabenschlacht^, ge-
standen. Allerdings erinnern nur noch einige in der Wand eines Armenhauses ein-
gemauerte Trümmer daran. Hinter diesem Gebäude, längs der Strada di Porta Albe-
roni liegt ein weites und ziemlich wüstes Gartenterrain, auf welchem man uns zu
Ehren eine Ausgrabung veranstaltet hatte. Dabei waren alte Constructionen aufge-
deckt, zahlreiche Trünuner von Thon und Glas, Thier- und Menschenknochen ausge-
graben, und endlich Mosaikböden aus Marmor freigelegt, welche zeigten, dass man
wahrscheinlich die alten Fussböden eines Palasttheiles erreicht hatte. Aber das
Grundwasser war so reichlich, dass fortwährend Pumpen im Gange bleiben mussten,
um die Fussböden sichtbar zu erhalten« Um das zu verstehen, muss man eine sehr
merkwürdige geologische Thatsache kennen. Ravenna lag ursprünglich nach wohl be-
gründeten historischen Nachrichten dicht am Meere. Noch Strabo schildert, dass
das Meer dicht an die Stadt herangegangen und dieselbe auf Pfählen erbaut und von
Kanälen durchzogen gewesen sei, welche man auf Böten oder über Brücken passirte.
Auch noch nach Christi Geburt muss das Meer sehr nahe herangegangen sein. Heute
liegt Ravenna 6 Kilometer vom Meere entfernt und die Verbindung ist so erschwert,
dass nur durch einen künstlichen Kanal die Schiffe an die Stadt herangebracht wer-
den können und der Seehandel fast ganz angehört hat Vor der Stadt- breitet sich
ein weites, sumpfiges, hie und da mit Reisfeldern besetztes Gebiet aus, welches immer
noch mit dem Zusatz in classe bezeichnet wird und in dem, fern von der Stadt und
ganz vereinsamt, die aus dem 6. Jahrhundert stammende, mächtige Basilica di
S. Apoll inare in classe steht. Es geht daraus hervor, dass die Küste dieser
Gegend eine sehr bedeutende Hebung erfahren hat Um so mehr ist es bemerken»-
werth, dass an einer Reihe von alten Bauten in der Stadt und zwar noch an sol-
chen, die aus der Zeit kurz vor Theoderich herstammen, z. B. von S. Giovanni in
Fönte, am Grabmal der Galla Placidia, alte Fussböden und Säulen 3, 4, ja 6 Fuss
tief im Boden stecken. Um die Säulen bis zu ihrem Fussende übersehen zu können,
hat man an einzelnen Stellen besondere Schachte gebaut. Aehnlich ist das Verhält-
niss auch am Palast des Theoderich. Um hier bis auf den Mosaikboden zu kom-
men, musste man stellenweise 6, 7 und 8 Fuss hinuntergehen. Dicht über dem
Mosaik boden lagen die alten Trümmer; darüber aber eine thonige Schicht von 2 —
3 Fuss Dicke mit Süsswasser-Couchylien, und über dieser wieder eine Lage von
grauer Dammerde mit modernen Ueberresten. Hier kann die allmähliche Senkung
und theilweise Ueberfluthung mit süssem oder brakischem Wasser wohl nicht zwei-
felhaft sein.
In den tiefsten Lagen nun wurde eine Reihe von Skeleten ausgegraben^ und aus
(85)
diesen stammt auch der erwähnte Scliüdel. Er ist ein so exquisiter Dolichocepfaaie,
wie man nur einen sehen kann. Bei einer Capacitat von 1325 Cub. Centim. hat er
182 Millim. in der Länge und 129,5 in der grössten Breite; der Breitenindex be-
trägt 71,1, der Höhenindex 71,7. Das Hinterhaupt ist sehr stark zurückgeschoben,
die Scheitelgegend schmal, das Stirnbein lang, aber die Stirn selbst niedrig, die
Nasenwurzel voll und die Nase schmal und vorspringend; auch der Oberkiefer etwas
prognath. Wenn man erwägt, dass man diese Schädel in einer solchen Tiefe findet,
so wird man kaum bezweifeln können, dass sie sehr alt sein müssen, wenn auch
vielleicht nicht gleichaltrig mit den Baulichkeiten, welche sich daneben vorfinden.
Die Grabstellen sind viel zu tief, als dass man sie erst in neuerer Zeit gemacht ha-
ben könnte. Man wird doch mit den Gräbern nicht in das Wasser hineingegangen
sein, und es lässt sich darum vermuthen, dass wir es hier mit einem Schädel zu
thun haben, welcher der gothischen Zeit angehört oder ihr wenigstens sehr nahe
steht. Leider haben wir bis jetzt gar keine bestimmten Erfahrungen über die phy-
sischen Verhältnisse der gothischen Stämme. Indess ist es vielleicht nicht ohne Be-
deutung, dass alte Gräberschädel aus Südschweden, von denen ich Nachricht gege»
ben habe (Archiv f. Anthropol. IV. l), eine nicht geringe Aehnlichkeit darbieten, und
dass diesen wiederum sich manche Gräberfunde in Deutschland annähern. Hr. Ecker
hat dies namentlich für die Reihengräber des südwestlichen Deutschlands, welche er
auf fränkische Stämme bezieht, nachzuweisen gesucht Indess sind die^e deutschen
Schädel ihrer Mehrzahl nach mehr entwickelt, namentlich in der Höhe, so dass
Hr. Ecker (Crania German. meridion. occident. S. 77) den Höhen-Index im Mittel
von 18 Schädeln zu 74 angiebt, während allerdings der Breiten-Index auch nur 71,3
beträgt Bei Messungen von Schädeln aus altfränkischen Gräbern, die im Museum
zu Wiesbaden aufbewahrt sind, erhielt ich analoge Verhältnisse, wobei ich jedoch
nicht verschweigen will, dass auch brachycephale Formen darunter nicht fehlen. So
fand ich bei einem am Schiersteiner Wege ausgegrabenen Schädel einen Breiten-
Index von 80,5 bei einem Höhen -Index von 76,3. Ich möchte daher den von mir
hervorgehobenen Eigenthümlichkeiten des Ravenna -Schädels, zumal da ich nur die<
sen einen untersuchen konnte, kein entscheidendes Gewicht beilegen, aber die Frage
ist gewiss berechtigt, ob er nicht fremden Ursprunges ist. Da nach der Angabe
des Hm. Calori die gegenwärtigen Ravennaten fast durchweg brachycephal sind,
was ich nach dem Aussehen der zahlreich auf allen Strassen anwesenden Bevölkerung
als sicher bestätigen kann, so ist der Fund so ausgezeichnet dolichocephaler Schädel
gewiss bemerkenswerth, und da an diesex Stelle schon früher andere Schädel ausge-
graben sind und noch mehrere sich finden werden, so ist es wahrscheinlich, dass
wir bald ein besseres Urtheil darüber gewinnen werden.
Da Ravenna gegenwartig etwas ausserhalb der gewöhnlichen Route Hegt, so
darf ich bei dieser Grelegenheit vielleicht die Aufrncrksamkeit auf das merkwürdige
Mausoleum richten, welches Theoderich sich daselbst hat errichten lassen. Auch
dieses wunderbare Bauwerk, die sogenannte Rotonda, liegt vor der Stadt. Wir Alle
waren nicht wenig überrascht, plötzlich ein Monument vor uns zu sehen, welches
sich durch seine colossalen Massen den alten Steinmonumenten, wie sie in Dänemark
und Hannover vorkonmien, würdig an die Seite stellt Die mächtige Rotunde er-
innert an die Engelsburg, das alte Grabmal Hadrian^s. Auf ihr liegt oben als Dt^ckel
ein einziger Gewölbestein. Von diesem riesigen Monolithen (saxum ingens, wie ein
alter Autor sagt), der aus dalmatischem Hippuriten - Kalk besteht, kann man sich
kaum vorstellen, mit welchen Mitteln es möglich gewesen ist, ihn über das Meer zu
bringen und auf die Höhe einer Rotunde zu setzen, die mindestens 30 Fuss hoch
ist Das Inntn'e des Grabmals ist gänzlich ausgeraubt. Der Fuss der Rotunde liegt
(3*)
(36)
gegenwärtig gleichfalls unter dem mittleren Meeresstande und ist daher häufig imter
Wasser gesetzt. •
Kommen wir nach dieser Abschweifung auf die Frage der Einwanderungen zurück,
so scheint es mir in der That, dass die Mehrzahl derselben sich an gewissen Orten durch
bleibende Typen erhalten hat. In dieser Beziehung ist es bemerkenswerth, dass die itar
lische Halbinsel durch das Gebirge eine Art von natürlicher Scheidung erßLhrt und dass
die Kette des Apennin für die keltischen Einwanderungen sowohl, als für die deutschen
eine Art von Barriere gebildet hat, wie sie wahrscheinlich auch auf der anderen Seite
eine ähDÜche Schranke dargestellt hat für diejenigen Einwanderungen, welche yon
Westen und Süden her kamen. Dort überwiegen die brach jcephalen , hier die doli-
chocephalen Formen. Auf den Inseln, namentlich auf Sicilien und Sardinien, können
noch jetzt drei bis vier Tjpen nebeneinander unterschieden werden, von denen nach
den Untersuchungen der Herren Nicolucci und Mantegazza ein Theil auf die
ältere semitische (phönizische, punische) Einwanderung, ein anderer auf die spätere
semitische (arabische), ein anderer auf griechische Colonisation bezogen werden muss.
Auf dem Continent scheinen die Verhältnisse einfacher. Die Ergebnisse der Recru-
tirung, über welche Hr. Cortese (Malattie ed imperfezioni che incagliano la coscri-
zione militare nel regno dltalia. Milano 1866. p. 55, 174.) berichtet hat, lehren,
dass in dem dolichocephalen Gebiet Kleinheit der Statur und körperliche Schwäche
in weit höherem Maasse vorhanden sind, als in dem brachycephalen. Hr. Calori
hat ferner in einer äusserst sorg^tigen Arbeit (Del cervello nei due tipi brachicefalo
e dolicocefalo Italiani. Bologna 1870.) den Nachweis geliefert, dass in Italien sowohl
bei Männern, als bei Frauen das Gehirn der Brachycephalen ungleich grösser und
mehr entwickelt ist, als das der Dolichocephalen. In jeder Richtung fällt daher dem
Norden eine grössere Bedeutung zu.
Es entsteht nunmehr die Frage, wie viel davon der Einwanderung, wie viel der
UrbevölkeruDg zugeschrieben werden darf. Hr. Calori ist geneigt, in dem brachj-
cephalen Typus die Aboriginer-Form zu sehen, welche sich, trotz aller üeberwuche-
ruDg durch fremde Elemente, allmählich wieder zu voller Geltung bringe. Allein
welches war das Aboriginer-Yolk ? Der Graf Conestabile, der die Einwanderung
der Etrusker bis zum 14. Jahrhundert Tor unserer Zeitrechnung zurückdatirt, lasst
schon vor ihnen die Pelasger und vor diesen wiederum die Latiner und Umbrier ein-
wandern, und auch diese letzteren hätten nach ihm schon eine, übrigens gleichfalls
arische, also eingewanderte Urbevölkerung vorgefunden. Reste derselben glaubt er
in Apulien und im Trentino zu finden. Indess die Hauptfrage lässt sich nur an der
Hand der Paläontologie lösen, und mit Recht hat schon Hr. Gocchi darauf hinge-
wiesen, dass vor einem Schädel der präglacialen Zeit die sonst in Italien so popu-
läre Neigung, jeden uralten Schädel für einen ligurischen zu erklären, von selbst auf-
hören muss, abgesehen davon, dass ein solcher Gedanke schon deshalb unmöglich ist,
weil nach allgemeiner Annahme der ligurische Schädel ein brachycephaler ist, und
gerade die ältesten, wirklich paläontologischen Schädel dies nicht sind. Wie ich
schon in der Sitzung vom 11. November erwähnte, sind in paläontologischer Richtung
in den letzten Jahren äusserst bemerkenswerthe Funde in Italien gemacht worden.
Nicht nur Schädel, sondern auch Skelete sind gefunden unter Verhältnissen, die nach
den Zeugnissen der besten italienischen Geologen das Yorkonunen des Menschen bis
zu den äussersten Grenzen der Quatemär-Periode, möglicher Weise sogar bis in die
spätere Tertiärzeit verlegen. Alle sind darin einverstanden, dass der Mensch in Ita-
lien gelebt habe zu der Zeit, als nördlich die grosse Eisperiode noch ezistirte; j^S
der merkwürdige Fund von Olmo im Chiana-Thal oberhalb Arezzo, den Hr. Cocchi
(87)
(L'nomo fossile nell' Italia centrale. Milano 1867.) so vortrefflich beschrieben hat,
gehört der postplioceneo, also einer präglacialen Periode an. Reste vom Elephanten,
▼om Megaceros und Tom Pferd wurden dabei gefunden. Ihm zunächst steht der
Schädel von Mezzana-Corti. ungleich junger sind die im Tra^'ertin von Orvieto und
▼on Gantaiupo entdeckten Schädel, sowie derjenige, der neuerlich von Hrn. Nico-
lucci (Archivio per Tantropologia. 187.1. Yol. I. p. 281.) von Isola del Liri in der
Terra di Lavoro beschrieben worden ist
Auch die zahlreichen und höchst bemerkenswerthen archäologischen Funde an
den Abhängen des Albaner-Grebirges, über welche schon früher Herr J. Koth (Zweit-
schrift der deutschen geol. Gesellschaft 1870. S. 252) und unser verstorbener Secretär,
Hr. Kunth (Sitzung vom 2. April 1870) berichtet hatten, scheinen immer siche-
rer zu beweisen, dass der Mensch hier zu einer Zeit gewohnt hat, als die mittelita-
lienischen Vulkane noch in Thätigkeit waren. Abei es ist noch nicht gelungen, diese
Zeit genau zu bestimmen. Bekanntlich haben wir keine deutliche historische Nach-
richt, welche einen wirklichen Lava-Ausbruch am Albanergebirge meldet Es werden
allerdings von Livius Vorkommnisse erwähnl, welche darauf hindeuten, dass gele-
gentlich noch spät Erdstösse und selbst Aschenausbrüche beobachtet sind (so im
Jahre Rom's 411: lapidibus pluit), aber dass eigentliche Lava sich ergossen habe,
dafür bietet keiner der älteren SchriftsteUer einen Anhalt dar. In Folge dieses üm-
standes hat sich unter den römischen Forschern eine grosse Meinungsverschiedenheit
entwickelt Auf der einen Seite hat der sehr verdiente Erforscher des alten Gebie-
tes von Alba longa, Hr. Michel e Stefano de Rossi, der Bruder des Erforschers
der Elatakomben, die Gleichzeitigkeit einer durch einen Lavastrom verschütteten al-
banischen Nekropolis mit dem Gräberfelde von Marzabotto behauptet und als Zeit
der Verschüttong die ersten Jahrhunderte Rom's angenommen (Nuove scoperte nella
necropoli arcaica albana e l'aes grave fra le rocce vulcaniche laziali. Roma 1871).
Auf der andern Seite vertheidigt der nicht minder aufinerksame Director der römischen
Ausgrabungen, Hr. Rosa, die Ansicht, dass die fraglichen Gräber erst nachträglich
unter längst erstarrter Lava angelegt seien, und der berühmte Geologe des römischen
Gebietes, der Senator Ponzi hat noch in der Sitzung des archäologischen Instituts
vom 24. Febr. nachzuweisen gesucht, dass in die historische Zeit nur ein einziger
Aschenausbruch, nehmlich der des Monte Pila verlegt werden könne; dieser aber
habe keinen Lavastrom hervorgebracht (Adunanze dell' Institute di corrispondenza
archeologica nei giomi 3, 10 e 24 Febrajo 1871. p. 11.).
unter diesen umständen war es mir erwünscht, eine der Stellen zu besuchen,
um welche sich der Streit dreht. Nach den Fundstucken scheint es allerdings
nicht zweifelhaft zu sein, dass die Bevölkerung, welche diese Gräber anlegte,
in der eigentlich historischen Zeit gelebt hat Es ist namentlich eine Stelle zwischen
Marino und Gastel Grandolfo am westlichen Abhänge des Albanergebirges von den
Untersuchen! in's Auge gefiasst worden. Es ist dies die Stelle, wo nach dem Zu-
geständnisse aller Betheiligten der letzte grosse Peperinstrom heruntergegangen ist
Ich erinnere hier daran, dass der ursprüngliche Krater des latischen Vulkans ein sehr
umfassender war, aus dem sich erst später, ähnlich wie der Vesuv aus der Somma,
ein kleinerer, wenngleich immer noch sehr mächtiger innerer Krater erhoben hat
Dieser ist es, dessen Grund die berühmten Campi d'Annibale bilden, und auf dessen
Südwestrand als höchste Erhebung der Monte Gavo weithin sichtbar hervortritt Steht
man auf diesem, so erblickt man tief unter sich auf dem Rande der weiteren Erhebung
den prächtigen Albaner-See, der einen alten vulkanischen Trichter ausgefüllt hat, und
weiterhin den ähnlich entstandenen See von Nemi, sowie das leere Seebeoken von
(38)
Aricia*}. Vom Nordrande des Albaner Sees in der Nähe Yon Hanno gebt der erwähnte
Peperinstroni zur römischen Campagna herunter. Man nennt Peperin ein etwas bunt aus-
sehendes, hellgraues Gestein, welches grobe schwärzliche und weisse Körner einschliesst
und daher wie grob gestossener und darauf zusammengeklebter Pfeffer aussieht An den
Rändern dieses Peperinstromes wurde man aufmerksam auf Gräberstatten, welche sich
unter dem Peperin befanden. Schon 1817 hatte Visconti in einer ähnlichen Situa-
tion an einer benachbarten Stelle, am Monte Cucco und M. Grescenzio, Todtenurnen
gefunden, welche gerade für uns ein grosses Interesse besitzen, weil sie mancherlei
Analogien mit den in Deutschland ausgegrabenen und von Hrn. Lisch beschriebe-
nen Hausurnen darbieten. Später hat Hr. de Rossi in der Nähe von Marino noch
mehr dergleichen entdeckt. Ich sah schöne Exemplare davon im Museo Gregoriano
des Vatikan. Sie gehören sicher einer späteren Zeit an; es war Eisen dabei, obwohl
nicht yiel, und man muss annehmen, dass die Bevölkerung, von welcher sie stammen*
keine prähistorische war. Immerhin ist das Thongeräth, welches an der von uns be-
suchten Stelle ausgegraben wurde, zum Theil ein sehr grobes. Ich selbst fand noch
ein 18 Millim. dickes, schwarzes, ung^ranntes, mit groben Körnern und Kry stallen
durchsetztes Fragment. Nun ist die Hauptfrage die^ ob der Strom über die Gräber
hinweg gegangen ist, oder ob umgekehrt die Gräber unter den schon fest geworde-
nen Strom untergebaut worden sind. Gerade für diese Stelle vertheidigt Hr. Rosa,
der sich sehr eingehend mit den Verhältnissen und der Ausbreitung der einzelneu
Lavaströme beschäftigt hat, aufs Allerentschiedenste die Meinung, dass der letztere
Fall vorliege.
Ich war mit den Herren Desor und Tommasi-Crudeli unter Leitung des
Hrn. Rosa an Ort und Stelle und wir haben uns die Verhältnisse genauer angese-
hen. Der Peperinstrom liegt wie ein festes Gewölbe über weichere Erdschichten hin-
gestreckt und es lässt sich leicht vorstellen, dass es möglich ist, unter ihn
von der Seite her einzudringen und unter seiner Decke Gräber anzulegen. Es be-
durfte dazu nur einer Art von seitlichen Gängen, von Stollen, ähnlich wie man es
in den Katakomben gemacht hat. Dass man etwa von oben her durch den Strom
durchgebrochen hat, davon ist keine Spur zu bemerken. Bine Erledigung der Sache
konnten wir natürlich nicht erzielen, obwohl wir uns von der Zulässigkeit der Er-
klärung des Hrn. Rosa überzeugten. Letzterer glaubt überdies aus einer Stelle in
der Rede Cicero 's pro Milone cap. 31 den Nachweis führen zu können, dass an die-
ser Stelle bekannte Gräber der Albaner sich befanden. Cicero wirft nehmlich dem
Clodius vor^ dass er bei seinen unsinnigen Bauten die Heiligthümer der Albaner
nicht geschont hätte; er erwähnt ausdrücklich Gräber (tumuli) und heilige Haine der
Albaner, und es ist nach Rosa kein anderer Punkt dafür zu finden.
Leider traf ich Hrn. de Rossi, den ich in Rocca di Papa aufsuchte, nicht za
Hause, und ich habe daher auf weitere Aufklärungen von seiner Seite verzichten
müssen. Für die prähistorischen Forschungen hat meiner Ansicht nach diese Ange-
legenheit keine Bedeutung mehr, dagegen erscheinen die Albaner-Funde für die Be-
urtheilung des Ueberganges von der Urzeit zu der wirklichen Geschichte allerdings
höchst werthvoU. Auf dem Monte Cavo, wo einst der uralte Tempel des Jupiter
Latialis stand, das Stammesheiligthum der Albaner, zu welchem auf der noch jetzt
erhaltenen heiligen Strasse die geringeren Triumphzüge der römischen Feldherren
gingen, kam ich sonderbarer Weise gerade dazu, als die Passionisten-Mönche, deren
^) Eine recht gute Uebersicht gewähren die Karten in dem Reisebuche von G seil -Fei 8
(Rom und Mittelitalien. HUdbuiigh. 1871), welches auch sonst die arehäologischen und geolo-
gischen Verhältnisse mehr, als sonst (rebräuchlich, berücksichtigt
0J9)
Kloster der letzte Stuart 1783 aas den bis dahin noch erhaltenen Ueberresten des
Tempels dort oben hat erbauen lassen, ein Stück des Klostergartens bis zu einer
Tiefe von 3 Fuss umarbeiten Hessen. Der Boden war voll von alten Trümmern
und in dem Schutt fand ich grosse Bruchstücke von Topfgeräth von derselben rohen,
ungebrannten, schwarzen Masse, wie bei Marino. Eins davon hatte eine Dicke von
28 Millim. Sie waren ungleich roher, als die Thongerfithe der Terramaren. Daneben
lagen freilich in noch grösserer Zahl Trümmer von gebranntem Thon, jedoch auch
unter diesen verh<nissmässig acahlreiche halbgebrannte und sehr leichte Stücke mit
ungleich grossen Einsprengungen rothlicher eckiger Körner. Ein platter Ziegel die-
ser Art zeigte erhabene Ornamente mit pflanzlichen Motiven. Diese gebrannten
Stücke waren ganz verschieden von einer Art dunkelrother, sehr schwerer Ziegel, von
denen einer, wie es scheint, ein Dachziegel, das Fragment eines zierlichen Kinder-
kopfes darstellt, und ebenso von den gewöhnlichen hellgelben oder graugelben, aus sehr
gleichmSssigem Thon geformten Scherben der späteren römischen Zeit, wie ich sie
in Pompeji fand. Ich lasse es dahin gesteUt, wie weit diese verschiedenen gebrann-
ten Ziegel zurückreichen, dagegen müssen die ungebrannten Gefässe meiner Ansicht
nach entschieden als archaische gelten. Wer jemals römische Scherben vergleicht, —
ich erinnere an den merkwürdigen Monte Testaccio in Rom, der ganz aus Scherben
von Töpfen und Amphoren aufgeschüttet ist, — der wird darunter kein einziges auch
nur entfernt ähnliches Stück finden. Soviel ist also sicher, dass an allen diesen
Stellen eine Bevölkerung gewohnt hat, welche dieselben rohen Thon-Fabrikate hervor-
gebracht hat, welche wir bei uns an so vielen Orten antreffen.
Ich darf dabei eine Beobachtung nicht mit Stillschweigen übergehen. Schon
mehrmals habe ich in unseren Sitzungen einer Form deutscher Graberumen gedacht,
welche ich mit dem Namen der Buckel- oder Nabelurnen belegt habe. Ich meine
damit Gefasse, welche an dem hervorspringenden Theil ihres Bauches meist 4, zuweilen 5
und mehr grosse, gleich Schildbuckeln (umbones) erhabene, meist rundliche, nie durch-
bohrte Hervorragungen besitzen. Wo ich in Deutschland solche Urnen fand, da er-
wies sich jedesmal, dass sie aus der Lausitz oder dem anstossenden überoderischen
Gebiet herstammten. In keinem anderen Lande hatte ich bis dahin Aehnliches gese-
hen. Zu meiner Ueberraschnng traf ich die ersten Analoga unter dem Thongeräth
der Terramaren von Parma und die nächsten unter den Albaner-Urnen des Vatikanischen
Museums. Erwägt man, dass auch die Hausumen sich hier wiederfinden und dass
in dem etruskischen Museum zu Florenz, in welchem der Marchese Strozzi selbst
mich zu führen die Güte hatte, G^sichtsumen grober Art vorkommen, welche, wie
unsere pomerellischen , das Gesicht nicht am Deckel, sondern am Halse tragen, so
ist dieses Zusammentreffen gewiss nicht ohne Interesse.
Allein alle diese Funde bringen uns noch keine Kunde von den gesuchten Ab-
originem. Denn es ist eine weite Kluft von den Albanern bis zu den Menschen der
Quatemärzeit und des eigentlichen Steinalters. Zwischen beiden liegt jene Periode,
welche charakterisirt ist durch die Terramaren und welche sich anschliesst an die
Pfahlbauten des nördlichen Italiens. Im südlichen und mittleren Italien kennt man
weder Terramaren, noch Pfahlbauten. Die Bevölkerung dieser beiden Arten von
Ansiedelungen hat sich bis jetzt am wenigsten fixiren lassen. Es finden sich weder
Schädel, noch irgend welche andere zur Bestimmung brauchbare, gut erhaltene Ske-
letstücke. Es bleiben also nur die schon früher von mir erwähnten paläontologischen
Funde zur Erörterung der Urbevölkerung.
Giade unter ihnen pravaliren die dolichocephalen Schädel. Der Schädel vom
Olmo hat einen Index von 76,4, der vom Liris einen von 74,3. In dem Travertin
von Cantalupo (nördlich von Tivoli) fand man zwei Gmber, ein höheres und ein tieferes«
(40)
Jenes enthielt zwei Skelete von Brachycephalen nebst^usgezeichneten Feueroteinwaf-
fen, dieses dagegen drei Skelete von Dolichocephalen ohne andere Beigaben, als Tbier-
knochen. Wenn daher die Thatsache, dass gerade die alleraltesten und besterhaitenen
Schädel der Urbevölkerung dolichocephal sind, bisher feststeht, so erkennt doch gegen-
wärtig selbst Hr. Nicolucci, der geneigt ist, eine allmähliche ümwandluDg der Form
zuzulassen, an, dass schon in der Urzeit Italiens verschiedene Schädelformen vorkommen.
Als Beispiel dafür erwähne ich, dass der Marchese Carlo Strozzi aus der Grotte
des Monte Tignoso bei Livorno in die Ausstellung zu Bologna zwei Schädel geliefert
hatte, welche mit SteinWafiFen neolithischer Art gefunden waren: der eine dolichoce-
phal (Index 71,1), der andere brachycephal (Index 92,1). Aus der Grotte von Ca-
stello in den Bergen von Pisa hatte Hr. Regnoli zwei Brachjcephalen-Schadel aus-
gestellt, neben denen gleichfalls neolithische Waffen gefunden waren. Die Frage der
Aboriginer lässt sich daher nicht so einfach beantworten, wie es der Graf Gone sta-
bile thut; ja, es scheint mir vorläufig sogar eine etwas willkürliche Annahme au
sein, dass ursprünglich eine einzige Race die ganze Halbinsel bewohnt hat. Es Hesse
sich wohl denken, dass schon in der Urzeit von verschiedenen Seiten her eine Ein-
wanderung stattgefunden hat, und dass die Bevölkerung, welche mit dem Elephanten
-zugleich das Land bewohnte, eine andere Abkunft hatte, als diejenige, welche den
Hund und das Schwein als Hausthiere hielt Gewiss giebt die Er&hrung zu denken,
dass der Süden eine mehr dolichocephale Race bewahrt hat, während in Rom die
mesocephale und im Norden die brachycephale Bevölkerung überwiegend ist
Ich muss hier noch eine Bemerkung über sicilianische Schädel der Jetztzeit ein-
schalten. In der Sammlung des Hrn. Calori sah ich »isgezeichnete Exemplare da-
von, an denen mir namentlich das lange (hohe) Gesicht mit äusserst kräftiger £nt-
wickelung der Eiefer und eine grosse Nase mit auffällig wenig vertiefter Nasen-
wurzel auffielen. Da diese Schädel zugleich stark dolichocephal und sehr schmal wa-
ren, so erinnerten einzelne von ihnen fast an grönländische Formen. Um so mehr
war ich überrascht, einen darunter zu sehen, den ich, falls ich ihn in Skandinavien
getroffen hätte, für einen lappischen zu erklären geneigt gewesen wäre, so sehr erin-
nerte namentlich das breite und verhältnissmässig kurze, morose Geeicht mit der brei-
ten und concaven Nasenwurzel an diese NordlandsschädeL Ich erwähne diess, nicht
um daraus irgend welche genetischen Schlüsse zu ziehen, sondern nur als ein warnen-
des Beispiel, wie sehr man auf seiner Hut sein muss, aus Einzelheiten allgremeine
Schlüsse zu ziehen.
Wie die meisten Nordländer, war ich mit grossen Hofibungen nach Italien ge-
gangen. Beweise für uralte Beziehungen des Nordens und des Südens zu finden.
Auch in Beziehung auf die archäologischen Fundobjekte muss ich sagen, dass ich
ziemlich ernüchtert heimgekehrt bin. Was namentlich das Bronzegeräth anbetrifft,
so hatte eine Menge von Funden bei uns die Aufmerksamkeit auf eine mögliche Han-
delsverbindung mit Etrurien hingeleitet. Allein nicht bloss ich, sondern die Mehrzahl
der nördlichen Forscher sind zweifelhaft geworden, in wie weit in der früheren Bronze-
zeit eine Verbindung zwischen uns und Italien bestanden hat und in wie weit die
Fabrikate und Muster direkt übertragen worden sind. Selbst bei den bekannteren
Gegenständen, die man zunächst in Betracht ziehen kann, zeigen sich erhebliche
Schwierigkeiten, und es ist mir nicht gelungen, in der reichen Hinterlassenschaft der
ältesten etrusldschen 21eit irgendwelche sicheren Anknüpfungen für unsere Metallfabri-
kation zu finden. Dasselbe gilt mit der schon erwähnten Ausnahme auch in Bezie-
hung auf das Thongeräth. Dagegen ist es mir sehr bemerkenswerth erschienen, dass schon
in den ältesten etrusldschen Zeiten eine grosse Menge von Bemsteinschmnck sich
vorfindet. Nun hat freilich Herr Gapellini neuerdings in der Molasse von Bologna
(41)
Bernstein aufgefunden, dessen Identität mit dem Bernstein der alten Nekropolen er
darthun zu können glaubt, indess scheint es mir doch in der That höchst unwahrschein-
lich, dass diese sparsamen Funde so viel Material sollten ergeben haben, dass daraus
eine so grosse Masse von Schmuck hervorgehen konnte. Ist es denkbar, dass die
Kunde von einem solchen Vorkommen des Bernsteins so frühzeitig verloren gegangen
sein sollte, dass kein griechischer und romischer Schriftsteller etwas davon erwähnt?
Wenn man femer erwägt, dass dieser Schmuck in einer gewissen Gontinuität sich
durch alle dazwischen liegenden Volker bis zur Ostsee fortsetzt, so wird man unwillkür-
lich darauf gefuhrt, einen durchgehenden Handel zu vermuthen, der sich auf dem
Landwege vollzogen hat. Nachdem Hr. Müllenhof die phönizische Frage in so aus-
giebiger Weise behandelt hat, scheint es mir allerdings bedenklich, noch länger daran
zu denken, dass ein maritimer Bemsteinhandel von unsem Ostsee-Küsten aus in
jener alten Zeit stattgefunden habe. Wenn man aber die Menge von Bernstein
sieht, welche aus italienischen Giäbern zu Tage gefordert wird, so halte ich es
wirklich für unmöglich, eine andere Erklärung zuzulassen, als dass, sei es von der
Nordsee aus auf dem Seewege, sei es von der Ostsee auf dem Landwege der Bern-
stein südwärts verhandelt worden ist
Zu vermuthen, dass auch umgekehrt, wie der Bernstein südlich ging, die Kennt-
niss von allerlei italienischen Fabrikaten nördlich verpflanzt worden ist, liegt gewiss
nahe. Aber zu unterscheiden, ob es sich um die Uebertragung blosser Kenntnisse han-
delte oder um direkte Ueberführung der Produkte, das ist ein Punkt, welcher Gegen-
stand weiterer Diskussion sein mag. Denn ich muss leider zugestehen, dass verhält-
nissmässig spärliche Anknüpfungen gegeben sind. Allerdings giebt es einzelne solche
Anknüpfungen. Dahin muss ich ausser den Buckel-, Haus- und Gesichtsumen
namentlich die widder- und vogelartigen Verzierungen rechnen, welche sich bei uns
an kleinen Bronze- Wagen und einzelnen Bronzeschalen vorfinden, und für die sich
in der That die allernächsten Analogien in Italien nachweisen lassen. Das kann sich
aber auch in einer sehr späten Zeit fortgepflanzt haben. Wenn man erwägt, dass
in Pompeji noch nach Ghristi Geburt der grösste Theil des gewöhnlichen Hausge-
rätfas aus Bronze bestand, so braucht man die Muster mancher unserer Bronzegerilthe
nicht gerade bei den alten Etruskern zu suchen ; manche mögen erst in der Kaiserzeit
vertrieben worden sein.
Auch bei den dänischen und schwedischen Archäologen hat sich durch den ita-
lienischen Congress die Meinung in hohem Masse befestigt, dass ein nicht kleiner
und wahrscheinlich gerade der früheste Theil der Bronzecultur dem Norden von
Osten oder Südosten her zugeführt wurde, und mehrere von ihnen brachen daher
von Bologna auf^ um sich nach Ungarn zu begeben und die dortigen Museen zu stu-
diren. So hat der Gongress bewirkt, dass im Grossen und Ganzen die Hypothese
von uralten etruskischen Handelsverbindungen mit dem Norden, wenn nicht als be-
seitigt, so doch als sehr abgeschwächt betrachtet werden kann, wenn nicht neue
Funde Anderes beweisen sollten, und dass man nicht mehr darauf zurückgehen darf,
die alten etruskischen Stätten ohne Weiteres als die Fabrikorte zu bezeichnen, von
wo ein grosser Handel bis zu unserem Norden gegangen sei. Es ist jetzt die Auf-
gabe, in anderen Richtungen die Quellen des Handels und der Gultur zu suchen,
welche dem Norden schon in der Urzeit manche durchaus fremdartige und seltene
Produkte und Methoden zuführten.
(42)
Sitzung vom 13. Jannar 1872.
Vorsitzender Herr Virchow.
(1) Hr Dr. Brückner, Gymnasiallehrer zu Brandenburg a. H., sendet fol-
genden schriftlichen Bericht ein
fiber den heutigen Gebranch toh Schlittknoehen In Schlesien.
Mit Bezng anf den in der Sitzung der dortigen anthropologischen Gesellschaft
vom 24. Juni v. J. ausgesprochenen Wunsch, — ich lese soeben den Bericht in dem
mir heut zugegangenen /). Hefte der ethnologischen Zeitschrift, — zu erfahren, ob
wohl irgendwo der alt-e Gebrauch von Schlittknoehen sich erhalten habe, erlaube
ich mir Ihnen einige Mittheilungen aus meiner eigenen Knabenzeit zu machen.
Bis zu meinem 15. Jahre — mit diesem Alter verüess ich das elterliche Haas
— habe ich keine Stahlschiittschube zu Gesicht bekommen. Die gesammte männ-
liche Jugend meines Heimathsortes Gross-Läswitz, eines bis in die Fünfziger Jahre
auffallend isolirten, 3 Meilen nordöstlich von Liegnitz gelegenen Dorfes, bezog ihren
Bedarf an Schlittschuhen vom Schindanger. Im Herbste wurde derselbe mit vie-
lem Fleisse von uns dnrchwQhlt; es galt hierbei entweder die eigenen, im vorher-
gegangenen Winter abgelaufenen ^Knochen^ durch neue zu ersetzen oder den in
der thönernen l^parbüchse deponirten Schatz um ein paar „Böhmen^ za vermehren.
Die von uns gesuchten Knochen waren etwa 10 — 13" lang und dem Kusse des
Pferdes (ob Vorder- oder Hinterfuss, weiss ich nicht anzugeben) entnommen. Sie
wurden mit dem Taschenmesser von Fleisch und Haut sorgfaltig gereinigt und dann
übernahm ich es als der Sohn des Müllers, die untere Seite des Knochens auf dem
Mühlsteine eben zu schleifen; hiernach wurden sie in Biauch genommen. Ein Be-
festigen der Knochen fand nicht statt; man stellte sich aufrecht auf sie und stiess
sich mit einem unten mit einem Stachel versehenen Stabe, den man mit beiden
Händen anfasstc und vor sich in der Mitte in das Eis einhieb, fort. Die Geübte-
ren unter uns fuhren in 15 Minuten eine starke halbe Meile. Wenn das Eis voll-
kommen eben war und die „Knochen^ durch langen Gebrauch eine spiegelartige
Glätte erhalten hatten, konnten wir uns durch Ausspannen unserer Jacken vom
Winde treiben lassen. Die „Knochen^ wurden öfter an dem einen Ende durch
bohrt, aber nur, um durch Zusammenbinden derselben ihr Tragen nach entfernte-
ren Eisflächen bequemer und sicherer zu machen.
Mehr als 10 Jahre bin ich nicht mehr nach meinem Geburtsorte gekommen,
ich möchte aber glauben, dass der Gebrauch von Schlittknoehen dort noch — wenn
vielleicht auch in beschränkterem Umfange — fortbesteht. Jedenfalls dürften sieb
noch Knochen, wie sie von uns gebraucht wurden, herbeischaffen lassen.
Herr Virchow bemerkt, dass durch diese Mittheilnng das von ihm in der
Sitzung vom ö. November 1870 als möglicherweise zur Unterscheidung von Schlitt-
und Webeknochen dienende Criterium, dass nehmlich bei jenen die Enden durch-
bohrt, bei diesen undurchbohrt seien, hinfällig werde. Denn es liegp anf der Hand,
dass ein Schlittknoehen, der nicht befestigt werde, auch nicht durchbohrt zu sein
brauche. Immerhin werde es von Interesse sein, auch aus dieser Gegend Schlitt-
knoehen zu besitzen.
(43)
Herr Koenig bemerkt, dass er vor 50 Jahren als Knabe bei Jüterbogk nar
Knocbenscblittschuhe gekannt nnd benutzt, diese jedoch mittelst Fäden an die Fasse*
befestigt habe, welche durch in die Knochen eingebohrte Löcher gezogen wurden.
Derselbe vermuthet, dass ein ähnlicher Gebrauch noch jetzt daselbst herrsche, wird
aber noch nähere Erkundigungen darüber einziehen. —
(2) Hr. Prof. Dr. Munter zu Greifswald berichtet brieflich
Aber eiseii Renthlerfnnd in Nen-Yorpommem.
In der letzten Hälfte des Monats December 1857 Hess der Ober- Amtmann
Härder eine in den bisherigen nassen Vorjahren wegen ihres Wasser-Reichthums
unzugängliche, im trockenen Jahre 1857 jedoch zugänglich gewordene Modergrube,
welche sich zwischen dem von ihm benutzten Gutshofe und den Taglöhnerwohnun-
gen auf der Nordseite der Königl Domäne Barkow ') befand, unt^ seiner persön-
lichen Leitnng ausgraben und die gewonnene Modererde, welche sich in einer
kleinen kesselartigen Vertiefung allmählich angesammelt hatte, nach dem nahe
belegenen Acker als Dnngermaterial abfahren. Die Gmbe erwies sich sehr aus-
giebig, und konnte daher bis auf eine röthlich gefärbte Schicht Moorerde, die nicht
mehr als düngendes Material angesprochen werden .konnte, d.h. bis über 13 Fuss
Tiefe entleert werden.
In dieser humusreichen Schwemmerde fand sich neben Eichenstamrastücken
bis zu 3 Fuss Durchmesser, zahlreichen Haselnüssen n. s. w. (alles Anzeichen eines
einstmaligen Waldsumpfes) in 13 Fuss Tiefe ein anfänglich noch weiches, später
erhärtendes Geweihstück von über 2 Fnss Länge Dasselbe wurde sorgfältig ge-
reinigt nnd zur Decoration eines Spiegeltischchens in einem mit Reh- und Hirsch-
geweihen decorirten Wohnzimmer benutzt.
Da das Geweihstück nicht an der Wand befestigt werden konnte, zudem auch
ein ausgezeichnetes Geweih eines aus Norwegen stammenden prachtvollen Ren*
Hirschgeweihes bereits über der Eingangsthür prangte, so ward auf das Fragment
weniger Gewicht gelegt und von den dienstbaren Geistern beim Reinigen des Zim-
mers minder sorgfältig mit dem Torso umgegangen
Eine Folge dieser sorglosen Behandlung war es, dass da; 2füssige mehrästige
Geweihstück durch Herabfallen auf die Stuben dielen und vielleicht auch in Folge
öfterer Prüfungen über Haltbarkeit dnrch die fröhliche Jugend des Hauses allmäh-
lich in drei Stücke zerbrach, die ich unlängst bei einem Besuche des Hrn. Ober-
amtmanns in Gesellschaft mit dessen künftigem Schwiegersohne, dem Hrn. Prof.
Dr. Hüter dort wieder vorfand, nachdem ich sie in früheren Jahren, ohne sonder-
liches Gewicht darauf zu legen, öfters schon gesehen hatte.
Die vorliegenden Residua bestehen augenblicklich aus 3 Stücken, von denen
zwei sich ohne Weiteres als Theile der Hauptaxe ansehen lassen.
Die Hälfte der vorhandenen Krone <i an dem somit als unteres Stück anzu-
sprechenden, der Länge nach halbirten Geweihstficke hat einen Umfang von
4,5 Centimeter und ist 26 Cent. lang.
An dieses untere Fragment von glatter Oberfläche, soweit dieselbe erhalten
ist, schliesst sich das obere Stück an, welches nahezu plan-convex ist nnd
dessen Oberfläche grösstentheils noch wohl erhalten ist Am obersten Ende zur
Linken bei x ist ein kurzer Ast im Beginn seiner Entwicklung. Hier hat das Frag-
ment 9 Centimeter Umfang, bei z nur 8 Cent. Das Stück ist 24 Cent. lang.
0 Barkow zwischen Poststation Poggendorf und Grimmen (Kreis Grimmen), westlich von
Grei&wald
(44)
Das dritte Stück endlich, das am meisten maassgebende von allen dreien, ist ein
Sditenast, der von dem Stück df abgesplittert ist. mn ist der Basaltheil, welcher
von dem mit Krone versehenen Scück df so abgesprengt ist, dass man bei r die
markartige poröse Centraiaxe des Gevreihes zur Ansicht bekommt. An dieses Basal-
stück mn schliesst sich ein 22 Centim. langes Stück ^, welches sich fast recht-
winklig aufgesetzt zeigt, ein Vorkommniss, das nur für Renthiere zutrifft. Dieser
Ast hat bei g 7 Cent. Umfang, ist ganz glatt auf der ringsum gut erhaltenen Ober-
fläche und an seinem Ende k quer abgebrochen.
Der Vergleich der restirenden Fragmente mit dem schon oben erwähnten schö-
nen, modernen Rengeweih ergab, dass dasselbe das linke Hom gewesen sein müsse
und von einem Thiere abgestossen ist, welches sich in den bruchigen Wäldern der
Umgegend von Barkow lebend aufhielt. —
(3) Herr Bastian berichtet nach einem Briefe des Hrn. Dr. Gustav Hirsch-
feld über altgrieehische GriberAmde in Athen,
über welche weitere Mittheilungen vorbehalten werden. —
(4) Derselbe theilte mit, dass Dr. von Maclay, den er vor seiner Abreise
ersucht hatte, weitere Machforschungen
aber die anf der Osterinsel anflpefondenen Zeichentafeln
anzustellen, in einem in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu veröffent-
lichenden Briefe (datirt vom 13. August 1872 aus Samoa, mit Nachschrift ans Nen-
Gninea) werthvolle Mittheilung^^n über eine grössere Zahl solcher macht, die er
theils selbst gesehen, theils beschreiben gehört hat. —
(5) Femer macht Herr Bastian nach einem Schreiben des Hm. Leopold v.
Krug d. d. Mayaguez, Puerto Rico, 24. Nov. 1871 folgende Mittheilungen
über Alterthfimer ron Puerto BicoO*
„Ich finde, dass ich in Betracht der Manufactur zwei Klassen machen kann,
1. die aus hartem, gräulichem oder beinahe weissem Stein geschnittenen; 2. die
aus rothbraunem Thon gebrannten. Erstere sind jedenfalls diejenigen, welche mehr
künstlerisches Verdienst haben, nicht allein, weil der Stein sehr hart ist, sondern
auch, weil die Gesichter besonders ziemlich gleichmässig gearbeitet sind, und fällt
<) Hierzu Tal lY. (Fig. 1. von Gaborojo, Pto. Rico, Fig. 2—3 von Crab-Island).
(45)
mir auf, dass alle die steinernen Bilder einen Neger-Typus haben, das heisst, dicke
aufgeworfene Lippen und eingedrückte Nase. Ein Collar (grosser, steinerner Ring,
ebenso wie die, weiche Sie mir von Mexico nnd Peru zeigten), den ich habe,
hat auch ganz gut gemachte Zeichnungen, aber nur in unregelmässigen Strichen
nnd Linien bestehend.
Die Thonbilder sind, was die Gesichter anbetri£Pt, wahre Scheusale, nnd fällt
mir auf, dass ich davon wieder zwei Klassen machen kann: 1. von der östlichen
Seite der Insel und von der kleinen Insel Crab-Island oder Viequez, (dicht an der
Ostknste), welche, soviel ich davon weiss, einen Typus haben, wie die mexicani-
sehen (oder peruanischen) Bilder, wenigstens scheint mir meine Fig. 2 ein richtiges
Inca-Bild zu sein. Um die Löcher, welche Augen, Mund und Verzierungen dar-
stellen, zu machen, scheint man ein hohles Rohr gebraucht zu haben. 2. Die der
westlichen Küste Gaborojo, wo zwei grosse Höhlen existiren, deren Wände voller
Basreliefs sind, und wohin sich die letzten Indier gefluchtet haben sollen. Diesel-
ben haben meiner Ansicht nach einen ganz andern Typus, eher einem Gorilla ähn-
lich, wirkliche Scheusale, wie z. B. Fig. 1.
Ich habe Zeichnungen von 3 meiner Thonfiguren gemach t(Taf. IV), die durchaus kein
künstlerisches Verdienst beanspruchen, da ich kein Zeichner bin, aber genau und
von natürlicher Grösse sind. Ich kann nicht herausfinden, wozu diese kleinen
Thonfiguren gedient haben mögen; sie scheinen auf einer gerundeten Fläche ge-
standen zu haben, nnd sollte ich glauben, auf dem oberen Rande eines Schildes;
aber ein Schild kann doch nicht von Thon gewesen sein. Sollten sie vielleicht
ein Zierrath auf einer Nische gewesen sein, und in der Nische das steinerne Götzen-
bild gestanden haben? Oder sollte man sie auf der Brust getragen haben? Auf
letztere Idee hat mich die sonderbar gerundete und gehöhlte Rückseite gebracht,
welche auf allen gleich ist; aber dies passt wieder gar nicht zu dem angedeuteten
Kreise, auf dem die kleinen Figuren gestanden haben, da z. B. der Kreis unter dem
Gesicht Fig. 2 auf einen 3 Fuss Durchmesser habenden Schild oder sonstige Run-
dung schliessen lässt Sollten die Dinger Zierrathe in den Hänsern, sei es nun
innen, z. B. auf Nischen in den Tempeln oder über Thüren gewesen sein? Wenn
so, so haben uns die Spanier jedenfalls die Indier weit weniger civilisirt dargestellt,
als sie wirklich gewesen sind; denn Fray Inigo, wohl der unpartheiischste Schrift-
steller über das alte Puerto Rico, sagt, sie hätten entweder im Walde unter Bäu-
men gelebt oder in sogenannten Bohies, einer Bauart, die sich nach seiner Be-
schreibung im Innern der Insel noch unverändert erhalten hat, d. h. Hütten aus
Baumästen, mit Palmenblättem (yagua) bedeckt. Ich glaube beinahe, dass sie zu
grossen irdenen Wassergefässen gehören, obgleich doch die Indier das Wasser in
hohlen Bambusröhren aufbewahrt haben sollen. Oder sollten vielleicht diese Fi-
guren in den Höhlen, deren es ziemlich viele giebt, zum Schmuck der Basreliefs
angebracht sein? Auch dies glaube ich nicht, da alle Basreliefs, die ich bis jetzt
in Höhlen gesehen habe, nur ganz grosse Gesichter oder halbe Figuren darstellen,
die durch stark eingeschnittene Striche hervorgebracht sind, wohin also solche
kleine Sachen nicht passen. Ich habe aber lange nicht alle Höhlen gesehen, da
viele sehr abgelegen sind, auch manche durch Stalaktiten ganz unzugänglich ge-
worden sind. Es scheint mir, dass die Figuren wie No. 1 von den eigentlichen
Puerto-Ricanern herstammen und die andern wie Fig. 2 und 3 von den etwas my-
thischen Gariben; ich meine mythisch, weil die Spanier sie entschieden in zu cras-
sen Farben schilderten, ebenso wie sie es zur Zeit (1860) in St. Domingo bei der
famosen Annexion thaten, wo sie grossartige Siege über grosse Heere gewannen,
die gar nicht existirten, nur um Ehre und Belohnung von Madrid zu bekommen.
(46)
Die Steinbilder sind eatscbieden kBnstlerisch and habe ich einen sehr Bcböuen Kopf
oder vielmehr ein Gesicht, welches, wus die Arbeit anbetrifTt,
idu Beste ist, wati ich habe oder gesehen habe. Es ist ein
länglicher, 1 Fuss langer nnd 4 — 5 Zoll breiter Stdn, sehr
hart, von grau-gränlicher Farbe. Kerner habe ich andere, noch
grossere ähnlich formirte Steine, die nur nnten ein Gesiebt
j haben, wie in beistehender Abbildung, wo bei a ein kleines
Gesicht ausgeschnitten ist. Ich weiss nicht, wozu diese
Dinge gedient haben mögen. Sie haben alle &nf der Räck-
aeite eine ausgehühlte, ansgemndete Pl&che bei b, deren
Nutzen oder Zweek ich mir gar nicht erklären kann. Auch
die steinernen Ringe können hier nicht zu Menschenopfern
benutzt worden sein, da die wenigen kanm über die Schnitern eines lUjäbrigen
Knaben gehen nnd die Indier hier sehr breitscbnltrig gewesen sein sollen. Man
mflsste denn nur Kinder geopfert haben!" —
(ü) Herr Vircbow legt das kürzlich erschienene, mit zahlreichen IlluBtratio-
nen versehene populäre Werk von Louis Figaier: ^Les races hnmoines, Pnris
1872" vor. In demselben findet sich p. 48 sq. eine aus Clavel entnommene, brichst
senlimale Schildernng der Sitten süddeutscher Bauern. Darnach heisst es p. b!>:
Mais ces qualites aont loLn d'etre l'apanage des habitants du nord et de Tonest
Les Atlemands du nord et de Tonest se sont montres a nu pendant la gnerre de
1870, alprs qn'une Serie de fatalites deplorables et d'inconsequences fnnestes avait
livre notre malhenreuse patrie a la discretion de l'envabisseur. Ou a vu alors ce
qu'il fallait penser de la repntation de honbommie, de naivete et de douceur qai
s'etaieot acquise dans le vulgaire les p^uples d'outre-Rhin. Cette bonbomniie est
devenue une ferocite non d^uisee, cette naivet^ une duplicit^ noire, cette douceur
une violeoce bautaiue et bmtale. La haine, la fnrenr jalouse des Frussiens, lears
froides cruautes, leurs rapines ehontees, sont trop presentes a la memoire de tous
ponr qu'il soit necessaire de les r^peler. La barbarie prussienne a atteint le ni-
veau de celle des Vandales du secood siede. Den französischen Gelehrten war «s
vorbehalten, die Erklärung für diese überraschende Erfahrung la finden. Die
Preussen sind in der That gar keine Deutschen: Ur. de (juatrefages bat dar-
getban, dass sie aus Finnen und Slaven gemischt sind, und Hr. Godron, natara-
liste 3. Nancy, qui a fort bleu etudie la race allemande, hat gesagt: Leu Prussiees
ne sont ni des Allemands ni des Slaves; ils sont Prussiens! Dieses nennt man
im heutigen Fiankreich ethnologische Wisseaschaft! Sie stellt sich würdig der
historischen Wissenschaft an die Seite, welche in den Vandalen des zweiten Jalii-
hunderts den Prototyp der Preussen findet. Wir werden uns damit trösten uiüssen,
dass die Franzosen selbst nicht besser behandelt werden, als wir. Auf p. 6'J, wo
die Familie latine besprochen wird, stehen natürlich die Franzosen obeuan Von
ihnen heisst es: Les Franks provenaient du melange des Gaulois avec les anciens
habitants du pays, c'est-ä-dire du peuple qui, dans l'aniiquite, et&it design^ indilTe-
remmeut sous les noms d'Aquitalns ou d'lberes, et dont il reste encore un pelit
reudu vivant au pied des Pyrenees, le peuple hasque, reconnaissable ä sa langue,
qni est celle des ancieos Iberes. Nach dieser würdigen Einleitung kommt ein
wnstes Durcheinander von Wahrheit und Dichtung, und erst am Schlüsse, wo der
moderne Franzose geschildert wird, tritt eine bemerkenswerthe Selbslerkenntniss
hervor. Si le Fran(;aiB respecte U science, s'il aime les arts et s'interesse aux pru-
ducüons de Tesprit, il faul recosnaltre qu'il j-epugne a s'y meler de sa personne.
(47)
n est heureaz de profiter des applications pratiques de la sdence, il proclame avec
reconnaissance les Services qu^il en re^it, mais il recule a Pidee d'etudier les sciences
en elles- meines, et le titre de savant est chez lui le sjaonjme d'un etre parfaite-
meot ennuyeux. Les sciences qui ont jete en France un tres-vif eclat a la fin du
siecle dernier, y languissent aujoard'hui. Les carrieres scientifiques sont desertees
et la science est dans une decadence visible dans la patrie des Lavoisier, des La-
place et des Cuvier. Pour faire accepter la science aux lecteurs fran^s, il faut en-
duire de miel les bords de la coupe; encore faut-il bien connaitre la dose u laquelle
on peut lui admiiiistrer le breuvage edulcore, et ne pas depasser les forces de son
temperament ou de son humeur presente. — £n Frauce^ on n'est donc a proprement *
parier, ^i savant, ni artiste (p. 77 — 78). —
(7) Herr Virchow bespricht, unter Vorlegung zahlreicher Fundstücke^
ein Gräberfeld bei Zaborowo (Prov. Posen).
Schon im Anfange des Jahres 1871 erhielt ich durch den Königlichen Domänen-
pächter Hm. Thunig zu Zaborowo bei Priment (poln. Przement) im posenschen
Kreise Bomst Nachrichten und Zusendungen von Urnenfiinden der dortigen Gegend.
Letztere, den Rändern des durch grosse Kanalbauten meliorirten Obra-Bruches ange-
hörig, ist durch eine reiche Kette grosser Seen ausgezeichnet. Der erste Brief des
Hm. Thunig vom 15. April 1871 meldete Folgendes:
„Die hiesige Gegend ist ausserordentlich reich an Urnen. Von meinen Acker-
ländereien muss ein Höhenzug, der circa 2()0 Schritt von dem Primenter See ent-
fernt ist und mit diesem parallel läuft, formlich mit Urnen gepflastert gewesen sein;
denn obwohl dieses Land gewiss schon mehrere Jahrhunderte als Ackerland benutzt
wird, so dringt der Pflug nicht in dasselbe ein, ohne Uraenscherben ans Tageslicht
zu befördern. Die Scherben haben sich in solcher Menge auf der Erdoberfläche an-
gehäuft, daös ich sie schon mehrmals habe ablesen lassen, um den Culturpflanzen
einen freieren Standort zu yerschaffen. Schon vor einigen Jahren Hess ich Urnen,
grosse und kleine, ausgraben, untersuchte sorgfaltig deren Inhalt, fand in denselben
aber nichts als Ackererde, also weder Asche noch Menschenknochen.
Dieser Tage liess ich den gedachten Höhenzug wiederum ackern. Bei dieser
Gelegenheit bemerkte ich, dass der tiefgehende Pflug wiederum eine Menge Urnen
zertrümmerte und dabei eine Menge Knochen ans Tageslicnt betörderte. Diese Wahr-
nehmung veranlasste mich, von Neuem nach Urnen zu graben. Ich fand auch bald
solche und zwar zunächst eine grosse, um welche kleine Thongefasse im Kreise herum-
gestellt waren. Alle diese Gefasse^ waren mit nichts Anderem als Ackererde gefüllt.
In geringer Entfernung von der ersten Grabestelle dasselbe Resultat, nur mit dem
Unterschiede, dass die grosse Urne voll mit Knochen und Erde angefüllt war. Alle
Markknochen sowohl in dieser wie auch in andern Urnen waren gespalten oder zer-
brochen. In der Nähe der so gefüllten Urnen lagen handliche Steine, vermittelst
deren wahrscheinlich die Markknochen zertrümmert worden waren, ja manche der-
gleichen Steine waren beim Gebrauch entzwei gesprungen, so dass die beiden Stein-
hälften noch genau zusammenpassten. Aus anderen dieser Steine waren Stücken,
insbesondere nach der Keilspitze zu abgesprungen. In der ebengedachten Urne fand
ich auch unter den Knochensplittern 2 Stückchen Metall, wahrscheinlich in Grünspan
verwandeltes Kupfer. Bei einer dritten Nachgrabung dieselbe Erscheinung. In der
grossen IJrae, die ich fast unverletzt aus der Erde bekam, war es interessant zu be-
obachten, dass, nachdem behutsam die Erde aus dem Uraenhalse entfernt war, Kno-
chenschädel kugelförmig nebeneinander gelagert sich zeigten. In der Mitte lag ein
grosser Hiruschädel, rings herum kleine, unzweifelhaft von Kindern stamm:eud. Und
(48)
WO diese Schädelknochen nicht genau zusammenpassten, da waren die Zwischenräume
auf das Sorgfaltigste mit Thonscherben ausgefüllt Auch bemerkte ich in einem win-
zigen Zwischenranm anscheinend einen Nagelkopf. Ich zog ihn behutsam heraus,
und siehe da, es war kein Nagel, sondern eine äusserst fein gearbeitete, starke, etwas
gebogene, 11 Centim. lange, am schonen Knopfe 4 Millim. starke Nadel. Nicht so-
fort nahm ich die Hirnschädel aus der Urne, sondern Hess sie bis andern Tages der
Einwirkung der Luft ausgesetzt stehen, in der Meinung, sie würden fester werden.
Diese Annahme war aber nicht gerechtfertigt, denn trotz der grossten Sorgfalt ist es
mir nicht gelungen, auch nur einen einzigen Schädel unverletzt von der darunter be-
findlichen Erde abzulösen. Sie zerbröckelten vielmehr beim leisesten Anfassen in
kleine Trümmer. Früher nahm ich an, dass die Urnen durch* das Regen wasser mit
Erde vollgespült worden sind, jetzt aber, nachdem ich gesehen, wie die Himschädel
so sorgfältig aneinander gefügt worden sind, bin ich zu der Ueberzeugung gekommen,
dass die £jiochen sofort mit Erde vermischt in die Urnen gebracht worden sind.
Unterhalb der Schädel lagen Knochen, grosse und kleine, untermischt mit Erde. —
Gestern zertrümmerte der Pflug wiederum Knochenumen und brachte eine 18 Genti-
meter lange, oben eigenthümlich geformte Nadel zum Vorschein. Auch mehrere
Feuerstellen auf der bewussten Hohe habe ich gefunden. Sie wurden untersucht
Die Untersuchung ergab aber nicht Anderes als Kohlen, gerostete Knochen, Steine,
Geschirre und ein Fragment von einem steinernen Werkzeuge. Aber die auf diesem
Höhenzuge gefundenen Urnen und sonstigen irdenen Geschirre können nicht aus
derselben Zeit stammen, sondern müssen zu verschiedenen Zeiten der Erde übergeben
worden sein. Dafür spricht der Umstand, dass manche Geschirre aus magerem Lehm
oder Thon mit der blossen Hand geformt sind, während bei andern die Drehscheibe,
ich möchte sagen, kunstvoll zur Anwendung gekommen ist. Das Material, aus wel-
chem die letzteren geformt sind, scheint fetter Thon, vermischt mit verwittertem
Feldspath, gewesen zu sein.
Die hiesige Gegend dürfte schon sehr lange bevölkert gewesen sein. Wahr-
scheinlich haben rings um den schmalen, aber circa 3 Meilen langen sogenannten
Primenter See Pfahlbauten gestanden. Ich glaube dies aus den Urnen, die man in
der Nähe desselben überall findet und dann aus dem Umstände folgern zu können,
dass vor der Probstei in Priment aus einer nassen und unmittelbar vor dem See ge-
legenen Wiese viele eichene Pfähle, oder besser gesagt, junge Eichen gezogen wur-
den, die 20 und mehr Fuss lang waren und oben das charakteristische Merkmal, das
Yerbranntsein an sich trugen.^
Die mit diesem Briefe erfolgende sehr reiche Sendung ergab einen ausserordent-
lichen Reichthum an dem mannichfaltigsten Thongeschirr. Mit Recht betont Herr
Thunig die grosse Yerschiedenartigkeit der einzelnen Stücke: sowohl nach Mischung
des Thons, als auch nach Form und Ornamentik, Glätte oder Glasur sind sie aller-
dings so verschieden, dass man an ein verschiedenes Zeitalter ihrer Anfertigung und
Niedersetzung glauben könnte. Indess ist erfahrungsmässig diese Verschiedenartig-
keit auch bei gleichalterigen Gräbern vorhanden, und es ist daher wohl möglich, dass
auch hier nach Alter, Geschlecht, Besitz u. dgl. den Stammesgenossen sehr verschie-
dene Dinge mit ins Grab gegeben wurden. Jedenfalls würde ohne neue Gründe die
Yermuthung einer langen Zeitfolge in der Benutzung des Gräberfeldes nicht zugelas-
sen werden können.
Die grosse Todtenurne ist von gefalliger Form und sorgfältiger Arbeit Sie ist
18 Gent, hoch, 30 im grossten Durchmesser weit, hat einen Boden von 10,5 und eine
Mündung von etwa 22 Cent. Ihre Farbe ist schwärzlichgrau, die Bruchflächen schwarz
mit zahlreichen eckigen Quarzstücken, die Oberfläche glatt, wie glasirt, der obere
(49)
Theil des weit ausgelegten Bauches und der Hals mit 4 glatten, 1,5 Cent breiten,
flachen Absatzen versehen. Im Uebrigen keine Verzierung.
Die in den Todtenumen gefundenen gebrannten Menschenknochen waren aller-
dings, wie gewöhnlich, sämmtlich zerschlagen, allein nicht, wie ür. Thunig yer-
muthete, von Anthropophagen, sondern von ehrfurchtigen Angehörigen, nicht um das
Mark herauszunehmeu, sondern nur, um sie in den Töpfen unterzubriugeD. Dem An-
schein nach gehörten sie jugendlichen Individuen an. Ich möchte aber bezweifeln,
ob wirklich in einem Gefasse mehrere Schädel oder auch nur Knochen mehrerer In-
dividuen vereinigt gewesen sind. Ganze Schädel waren überhaupt nicht vorhanden,
nnd die Gestalt und Grösse der einzelnen Bruchstücke ist für einen Laien sehr täu-
schend. Jedenfalls ist die zwischen den Ejiochen befindliche Erde erst später in die
Urnen ^iiineingelangt und nicht schon ursprünglich und absichtlich hineingethan
worden.
Die gleichzeitig gefundenen Bronzegeräthe, von denen mir die beiden erwähn-
ten Nadeln später zugestellt worden sind, sind für die Bestimmung der Zeit von
grossem Werthe. Eines ist durch den Leichen brand so venmdert, duss es unkennt-
lich geworden ist; die beiden andei'n sind grosse Haarnadeln, am Ende mit einem
flachkonischen grossen Knopfe versehen, die eine ausserdem am Halse schlangenfor-
mig gebogen.
Sämmtliche übrigen Thongefasse sind keine eigentlichen Aschenumen, sondern
Gefasse zum Hausgebrauche, die den Todten mitgegeben wurden, um sich ihrer nach
dem Tode zu bedienen. Es sind darunter 7 Töpfe, 6 Henkelschalen, 2 Näpfe, 1 Löf-
fel und 1 Becher, einzelne Stücke sehr vollständig, andere nur bruchstücksweise.
Die Töpfe, Schalen und Näpfe finden sich in allen Grössen und Farben. Neben den
gewöhnlichen groben und rauhen gelblichen, den ieineren und glatten graugelben und
rothgelben sind, namentlich unter den Henkelschalen, die schwach glasirten schwarzen
reichlicher vertreten. Sie stellen offenbar die feinste Sorte dar. Dagegen fehlt die
ganz grobe, der ältesten Zeit angehörige Sorte, welche gar nicht gebrannt und auch
äusserlich nicht geglättet ist, gänzlich, und man wird wohl nicht fehlgehen, wenn
man dieses Gräberfeld in die spätere Heidenzeit verlegt. Ganz besonders interessant
ist in dieser Beziehung das Auffinden eines ThonlöffeU und eines Thonbechers.
Ersterer hat eine flache, querovale Schale von 7,8 Cent Breite, 5,8 Länge und 2 Cent
Tiefe, an deren Grunde ein von aussen eingedrückter, flachrundlicher Vorsprang sich
befindet; der fast drehrunde Stiel ist 6,4 Cent, lang und gegen das freie Ende hin
auf der Fläche gebogen, so dass ein recht bequemes Schöpfgeräth entsteht. Wie
man mir sagt, sind diese Art Löffel noch heutigen Tages in gewissen Gegenden Russ-
lands im Gebrauche. Das von mir als Becher gedeutete, leider stark verletzte Ge-
fass ist von gröberem schwarzem Thon; es hat einen platten Fuss von 3 Cent. Durch-
messer; von dieser Scheibe erhebt sich zuerst ein kurzer, innen ausgehöhlter Stiel,
dem sich schnell eine birnenförmige Ausweitung anschliesst Letztere zeigt am obe-
ren Rande eine auch sonst bekannte Verzierung, bestehend aus geraden, zu ineinan-
der geschobenen Dreiecken combinirten Linien.
Die Henkelschalen, welche nächstdem in Betracht kommen, ähneln nach Form
und Farbe manchen etraskischen Gelassen. Sehr typisch ist die Erhebung des wei-
ten, aber einfach gerundeten Henkels über den Rand. Die Farbe ist zum Theil
schwärzlich, zimi Theil gelblich; einige zeigen äusserlich eine bis zum Roth werden
gesteigerte Feuerwirkung. Alle sind aus einem sehr glimmerreichen Materiale zusam-
mengesetzt. Die Form der meisten ist flach; nur eine nähert sich der Form eines
Napfes: sie ist 7,3 Cent hoch, an der Mündung 12,5, am Boden 5,3 weit Am ele-
gantesten ist eine tiefschwarze Schale von 4 Cent Höhe, an der Mündung von 14
VtriiandL d«r B«rl. Om. für ▲nthropoL etc. fÄ\
(50)
und ao dem Boden von 3,5 Cent. Weite, mit hoch henrorragendem, etwa einen Dau-
men aufnehmendem Henkel. Der Boden ist convex-concav, gegen die Höhlung stark
buckelartig vorspringend; ausserdem befindeD sich am äusseren Umfange 3 kleinere,
runde Vertiefungen, eine gerade unter dem Ansätze des Henkels, die beiden andern
in etwas ungleicher Entfernung von der ersten in gleicher Höhe, ungeföhr in der
Queraxe der Schale. Ganz ähnliche Vertiefungen zeigt auch die Mehrzahl der andern
Schalen, nur sind sie flacher, kleiner und näher aneinander gerückt. Bei mehreren
stehen alle 3 dicht um den Ansatz des Henkels, gleich als wären sie dazu bestimmt,
die Fingerspitzen beim Heben des Gefasses hineinzulegen.
Die beiden Napfe sind stärker gebrannt, gelbröthlich von Farbe, weniger glatt
Der grössere ist 7,5 Cent, hoch, 19,5 an der Mündung und 6,5 am Boden im Durch-
messer; er zeigt auf dem etwas verdickten und gerundeten Rande ein paar ähnliche,
flache, rundlich-ovale Gruben und ausserdem etwas unregelmässig stehende Eindrücke.
Der kleinere ist nur 4,5 Cent, hoch, an der Mündung 12 weit, am Boden 4,3 im
Durchmesser; der wenig verbreiterte Rand ist gleichfalls regelmässig verziert, indem
in gleichmässigen Abständen 3 kleine, flache, funde Grübchen liegen und die Mitte
ihrer Zwischenräume mit schrägen, parallelen Strichen dicht besetzt ist
Von den Töpfen schliesst sich zunächst ein kleiner Henkeltopf von 9 Cent Höhe
und 10 Cent. Mündungsweite an, der einen flachen Boden von 6,8 Cent, besitzt Er
ist von sehr grobem Material, aussen ganz rauh, gelblichgrau, aber durch zahlreiche,
über die ganze Aussenfläche verbreitete, stehende Nageleindrücke mit nach links ge-
richtetem Aufwurfe des ausgedrückten Thons von etwas gefälligerem Aussehen. —
Ob ein zweiter, noch etwas kleinerer Topf von sonst sehr gleichartiger Beschaffen-
heit ebenfalls einen Henkel besessen hat, lasst sich nicht ersehen, da der Rand aus-
gebrochen ist. Die Nägeleindrüc]^e liegen hier schräg horizontal von links unten
nach rechts oben mit dem Aufwurfe nach oben. Nahe unter dem oberen Rande sitzen
an einer Stelle zwei niedrige knopfförmige Vorsprünge, um V« Kreis entfernt davon
ein einfacher ähnlicher Knopf.
Es folgen dann 3 Töpfe mit je zwei engen Henkeln, offenbar zum Aufhängen
bestimmt. Der grösste derselben und zugleich der gröbste ist 13 Cent, hoch, an der
Mündung 11,5, am Boden fast 8 Cent, weit, heilgraugelb, mit sehr groben Quarz-
stücken; auf jeder Seite, 1,5 Cent unter dem Rande, ein Henkel, in der Mitte der
Zwischenräume in gleicher Stellung je ein Doppelknöpfchen , wie bei dem vorigen.
— Die beiden anderen sind feine Geräthe von glatter Oberfläche, gleichmässigen]
glimmerreichem Stoffe, mit einem engeren, massig hohen Halse versehen und um den
Bauch verziert. Der grössere ist 13,5 Cent hoch, an der Mündung 7,3, am Bauche
13/2, an dem Boden 8 Cent weit Der 5,2 Cent hohe Hals erweitert sich gegen
den Bauch hin nur wenig. Die sehr kleinen Henkel sitzen am Debergange vom
Halse zum Bauche; dicht unter ihnen je eine flache runde Grube; eine ähnliche je
in der Mitte des Zwischenraums in gleicher Höhe. Von den beiden letzteren geben
jederseits 4 lange, etwas gebogene Strahlen aus, welche über den Bauch nach unten
laufen. — Die kleinere, schwarze, übrigens im Grossen ganz ähnliche Vase zeigt am
oberen Theil des Bauches Querlinien von etwas unregelmässiger Gestalt, die nicht
für die Anwendung der Töpferscheibe spricht; an einigen Stellen z&hle ich 4, an
anderen nur 1 Linie. Dicht darunter ist ein Kreis von flachen Gruben, eine an der
andern, an den 4 Hauptpunkten grössere, die übrigen kleiner.
Darauf folgt eine ganz kleine, nur 7,3 Cent hohe und am Bauche 8,3 weite
Vase von ganz ähnlicher Form, welche statt der Henkel nur solide Knöpfchen, da-
zwischen aber denselben Ring von Grübchen tragt Sie ist stark gelbroth gebnuuit,
glatt und von feinem Stoffe.
(51)
Endlich das letzte ist ein niedriges, grobes und schweres Topfchen von 7,2 Gent.
Hohe, 6,3 Mundungs«-, 7 Bauch- und 5,5 Bodenweite. Es trägt unter dem Rande
eine seichte Einschnürung und unter dieser eine Verzierung, bestehend aus 2 dicken,
höchst unregelmässigen Parallellinien und darunter derselben linearen, zu ineinander
geschobenen Dreiecken geordneten SLeichnung.
Wenn man diese Glefasse übersieht, so wird man nicht verkennen, dass sidi
vielfache üebergSnge ergeben und dass ähnliche Ornamentik und Form bei sehr
verschiedener Beschaffenheit des Materials wiederkehren. Dies spricht sehr für die
Gleichzeitigkeit der Fabrikate. Ich bemerke übrigens, dass die Boden keinerlei Stem-
pel tragen, dass sich auch sonst keine Analogie mit dem Burgwall- und Pfahlbau-
typus Ponmierns und der Neumark findet, dass dagegen die Gruben und Knöpfchen
sich* an Gräberumen der Mark, der Lausitz und Pommerns in verwandten Anordnun-
gen nachweisen lassen.
Schliesslich fand sich unter den von Bbm. Thunig übersendeten Sachen noch
das hintere Bruchstück eines offenbar sehr zierlichen, polirten Steinhammers aus
Diorit. Das in der Mitte durchgesprengte Bohrloch von 1,8 Cent. Durchmesser zeigt
sehr regelmassige parallele Horizontallinien, die offenbar von einer Metallbohrung her-
rühren. —
Unter dem 14. Novbr. erhielt ich von Hrn. Thunig eine neue, noch mehr inter-
essante Zusendung. Er berichtet darüber:
„Im Laufe des Frühjahrs fand ich an einer Feuerstelle in einem Knochen (1)
eine abgebrochene Bronzenadel, vermittelst deren gewiss das Mark aus dem Knochen
hat gestoesen werden sollen. Ob dieser Knochen von einem Kinde oder von einem
Vogel stammt, vermochte ich nicht zu beurtheilen. Femer brachte der Pflug zu
Tage ausser vielen zertrünmierten Thongefassen (2) einen kleinen durchbohrten Sand-
stein, der am Halse getragen zu sein scheint und zum Schärfen der Nadelspitzen be-
nutzt sein kann, für welche Annahme die Scharten auf diesem Steine sprechen. Fer-
ner ÜEuid ich auf demselben Ackerstück, aber etwas entfernt von der Umengegend,
in der Nähe von ziemlich grossen und geschwärzten Steinen (3) 2 stark verrostete
eiserne Gregenstände, von denen das eine ein Breit-, das andere ein Hartmeissel ge-
wesen zu sein scheint. Jedenfalls gehören diese Meissel einer späteren Zeit als die
Urnen etc. an.
„Gestern wurde das qu. Ackerstück wiederum gepflügt Und wiederum zertrüm-
merte der Pflug eine Menge von Thongefössen. In dem einen der letzteren fanden
sich Bronzegegenstände vor, die zu keinem praktischen Gebrauche bestimmt gewesen
zu sein scheinen, wie ich sie weder in einem Museum, noch in Abbildungen gesehen
habe. Ausser mehreren kleinen, niedlich gearbeiteten Gegenständen und ausser einer
Nadel, die jedoch vom Grünspan total zerfressen war, so dass sie wie Erde zer-
bröckelte, deren (4) Ejiopf zwar entzwei gespalten, aber noch vorhanden ist und aus
Glas, einem weichen Steine oder Muschel zu bestehen scheint (5), ein 5 Cent wei-
ter und Vs Cent starker Bronzering. An diesem Ringe befinden sich, ähnlich wie
an einem Schlüsselringe die Schlüssel, immer durch 2 kleinere Ringe getrennt, 18
Cent lange, spiralförmig gedrehte und oben und unten in Ringform geschweisste
Stangen resp. Glieder.*'
Die Nadel ad 1 ist stellenweise mit schöner Patina überzogen; sie ist 4 kantig,
3,5 Cent, lang, an beiden Enden abgebrochen. Um ihre Mitte sitzt ein gebranntes
Knochenstück von rundlich-eckiger Form, etwa 2 Cent, lang, 0,7 Cent dick, an bei-
den Enden unregelmässig abgebrochen, dessen Herkunft ich allerdings auch nicht
sicher bestimmen kann. Es soll übrigens in einer Urne unter Knochenresten gefun-
den sttD) und ich möchte eher geneigt sein, anzunehmen, dass eine Knochenschale
(4*)
(52)
um die Nadel yorhanden gewesen sei. — Der Stein ad 2 ist ein Natorprodnkt. Aller-
dings zeigt er an der Oberfläche zaUreiche kurze geradlinige Eritze, aber ich halte
diese für Gletscherkritze, wie ich sie namentlich an der Küste yon WoUin an Ge-
schieben häufig gesehen habe. — Die eisernen Gegenstände ad 3 können allerdings
einer späteren Zeit angehören, indess vertragen sie sich recht wohl mit den übrigen
Sachen. — Der zersprengte Knopf ad 4 ist ein recht hübsches Emailstück: auf einer
schwarzen, in der Mitte durch ein weites Loch durchbohrten Kugel, yon der etwa
die Hälfte in zwei Bruchstücken yorliegt, haben 4 flache Vorsprünge (Knöpfe) geses-
sen, welche je eine aus gelbem Glasfluss gezogene Spirale tragen.
Endlich das grosse Bronzegeräth ad 5 ist schon yon Hm. Thunig anschaulich
beschrieben worden. Ich füge seinen Angaben nur noch hinzu, dass 4 lange Anhänge
und 8 einfache Hinge yorhanden sind, und dass die langen Anhänge je 2 Glieder
haben und diese 36 Gent lang sind. Das obere und das untere Glied unterscheiden
sich nur dadurch, dass das letztere an seinem freien Ende in einen yiel weiteren
und Starkeren Ring ausläuft'; derselbe hat 3 Gent. Durchmesser, während alle ande-
ren Endringe nur 2 Gent, messen. Beide Glieder sind übrigens durch einen Zwi-
schenring zusammengehalten. Was die Bedeutung dieses Geräthes anlangt, so ist es
nicht ganz klar, wozu es gedient habe. Am meisten hat es Aehnlichkeit mit den
Trageringen und Ketten an Ampeln, Hängelampen oder heiligen Gefässen.
Ob die in derselben Urne gefundenen, sehr zahlreichen anderweitigen Bronze-
sachen mit den Torhergehenden zusammengehören, moss dahingestellt bleiben. Am
meisten sehen sie aus, als hätten sie zu Terschiedenen Gerathen gehört Es findet
sich darin ein Handgri£f, Bruchstücke yon Drahtnngen und kleinere Stangen mit
Spiraloberfläche, der platte Dom einer Schnalle u. s. w. Vieles dayon erinnert an
ostpreussische und liyländische Funde.
Neben dieser Urne sind endlich noch yerschiedene, scheinbar gebrannte eiserne
Gegenstände gefunden. Dieselben sind so fragmentarisch, dass es schwer ist, sie zu
erkennen. Es sind gedrehte Ringe, Bügel u. s. w., möglicherweise Theile yon Pferde-
geschirr. —
Bald nachher, schon unter dem 19. Noy. hatte Hr. Thunig wieder über weitere
Funde zu berichten:
„Ich habe noch gefunden ausser einer Bronzenadel in je einem Topfe einen £ier-
stein und einen anderen sphäroidisch geformten Stein. Gestern entdeckte ich aaf
dem qu. Ackerstück unterhalb der Ackerkrume einen rothen, mageren Thonhaofen,
der dort nicht, wie man zu sagen pflegt, gewachsen ist, sondern der aus beträchtr
lieber Entfernung dahingeschafft sein muss und der höchst wahrscheinlich das Ma-
terial gebildet haben mag, aus welchem die Thongefässe yon geringer Festigkeit ge-
formt worden sind. Ehe ich nun zur Beantwortung der an mich gestellten Fragen
übergehe, erlaube ich mir ergebenst anheimzusteUen, den Eierstein aus Kiesel durch-
schneiden zu lassen. Zu dieser Bitte werde ich durch den Umstand yeranlasst, dass
sich in der Steinsammlung des Grossyaters meiner Frau, der einst Präsident der süd-
preussischen Kriegs- und Domänenkammer in Kaiisch war, der beigepackte Stein,
der V4 '▼o'i einem yersteinerten Ei bildet, als grosse Seltenheit yerzeichnet fsnd. Ich
habe diesen Stein immer als eine künstliche Nachahmung betrachtet, bin jedodi jetzt
wankelmüthig geworden, weil er äusserlich dem yorhin bezeichneten Steine ebenso
ähnlich sieht, wie ein Ei dem andern.
„Die Fundstelle in der Nähe yon Zaborowo, ca. 12 Morgen giross, ist eine sanft
aufsteigende Erosion, oberhalb Alt- Kloster, wahrscheinlich ausgewaschen, als das
ganze Obrabruch noch See war. Dass letzteres einst See war und im Laufe der
Zeit in Torfwiesen umgewandelt wurde, dafür sprechen, abgesehen yon dem See-
(58)
sande als Unterlage unter dem Torfe, die vielen Bäome, ▼omehmlich Ei<^en, die in
den Torf eingebettet sind. Diese Bäume sind nicht, wie Hr. v. Madai in seinem
Berichte meint, auf den Bruchwiesen gewachsen, sondern sind durch eine Wasser-
flnth, die Ton Osten nach Westen ging, fortgeschwemmt worden. Die Richtung des
Transportes dieser B&nme ist fßr alle gleich. Alle lagern mit dem Stock- oder Wurzel-
ende nach Westen.
„Die in Bede stehende Fundstelle ist ein Ackerstuck, welches nachweislich schon
Jahrhunderte lang diesem Gulturzwecke dient. Hügel, ähnlich den sogenannten Hü-
nengräbern, wie ich solche auf der Insel Rügen und zum Theil auch in Skandinavien
gesehen habe, sind nicht vorhanden und scheinen auch nie dagewesen zu sein. Nach
meinem unmassgeblichen Dafürhalten scheint die Fundstelle nicht ein Begräbnissplatz
in dem eigentlichen Sinne, sondern der Aufenthaltsort von Pfahlbauern gewesen zu
sein, die zu S^eiten der Ruhe mittelst Kähnen bis hart an die Fandstelle durch eine
Bucht, welche jetzt ein versumpfter Wiesenschlund ist, heranfahren konnten. Dass
Pfahlbauern hier gehaust haben, das wird dadurch bewiesen, dass der Probst in Pri-
ment dicht vor der Probstei ,. am nördlichen Ende des Sees sehr viele lange Pfahle
re^. Eichen, die nicht behauen resp. bekantet, sondern nur zugespitzt waren, hat
herausziehen lassen. Alle diese Pfahle trugen das charakteristische Merkmal des Ab-
gebranntseins an dem dicken Ende an sich. Uebrigens bemerke ich, dass die Urnen
resp. Thongefässe in hiesiger Gegend gar nicht selten, ja sehr häufig vorzukommen
pflegen; denn jede sandige SteUe meines Ackers zeigt Reste von zertrümmerten Thon-
gefissen. Auf dem Probsteifeide unterhalb Primentdoif muss ein sehr reiches ümen-
feld sein; denn ich habe vor einigen Jahren dort gesehen, dass bei Schlagung eines
kleinen Grabens so viele Thongefässe zertrümmert worden waren, dass vermittelst
derselben der an diesem Graben hinfuhrende Weg gebessert resp. fest gemacht wer-
den konnte.
„Was nun die Urnen auf der Zaborower Fundstelle anbelangt, so liegen sie ohne
eine bestimmte Anordnung 1 bis 2 Fuss tief unter der Oberfläche. Vor drca 7 Jah-
ren fuid ich die eisten Urnen. Ich untersachte deren Inhalt genau, &nd aber in
denselben nichts als Ackererde. Erst als ich die Ansicht ausgesprochen fand, dass
die Menschen, welche die Urnen der Erde übergeben haben, Anthropophagen gewe-
sen seien, wandte ich meine Aufinerksamkeit dem Umenfelde wieder zu. Und siehe
da^ im vorigen Frühjahre zertrümmerte der Pflug eine Menge Thongefässe und brachte
eine Menge Knochen als Umeninhalt zum Vorschein. Nun wurden die Urnen ge-
nauer untersucht Die interessanteste war die, wo gewissermassen künstlich die Schä-
deldecken von 4 Kindern und einer erwachsenen Person kugelförmig aneinandergefügt
waren. Zwischen diesen Schädeldecken, die sich nicht ganz abnehmen Hessen und
die ich im Frühjahre einsandte, steckte die in meinem ersten Schreiben erwähnte
Nadel. Von vielen Urnen habe ich den Inhalt untersucht In den meisten fanden
sieb Knochenüberreste, in der einen war an diesen Ueberresten die Einwirkung von
Feuer zu spüren, an anderen wieder nicht Im verflossenen Sommer besuchte mich
der Kreisphjsicus Winckler aus WoUstein. Wir suchten Urnen, fanden auch welche.
Von einer derselben wurde der Inhalt genau untersucht Es fanden sich in dersel-
ben viele Knochenüberreste, darunter Bruchstücke von der Schädeldecke und Zähne.
Was nun endlich die Zahl der Urnen anbelangt, die auf hiesiger Fundstelle gelagert
haben, so muss deren Zahl viele Tausende betragen haben; denn ich habe die Thon-
scherben schon vom Felde ablesen lassen, weil deren Menge die Fruchtbarkeit des
Ackerstückes beeinträchtigte. Im vorigen Frühjahre hat der Pflug viele hundert Ur-
nen zerbrochen; im Sommer bei Gelegenheit des Beruhrens der Kartoffeln, womit die-
ses Feld bestellt war, wurden wieder viele Thongefässe zerbrochen, so dass ich der
(54)
Meintuig war, dieses Feld berge keine dergl. mebr. Als dieses Feld jetst wieder
lar Bestellung kam, da brachte der Pflug so viele Scherben herror, dass ich lu der
Ueberxeugnng gekommen bin, es eind deren noch viele im Boden. Wie viele vertli-
volle Gegenstände mögen nicht verloren gegangen sein, da der gemeine Pole hiesiger
Gegend höchst diebisch ist, und gefundene Gegenst&nde, statt sie abzogeben, lieber fnr
einige Pfennige an die Juden in Priment verkauft. Schliesslich aber bemerke ich
noch, dase, wo auf der Fundstelle eine groese Dme sich seigt, immer kleine Gefiese,
wie SchüBseln, Töpfe, Trinksohalen , Löffel u. s. w. darum stehen. In den grösseren
Töpfen stehen gewöhnlich kleinere.
,Ton Münzen habe ich auf der oft gedachten Fundstelle auch nicht eine einzige
gefunden, wohl aber auf Kwei anderen Stellen. Die gefundenen Hünaen stammen aber
ans chriatliohet Zeit."
Was diese MQnzen betriff so hat der Director des Münacabinets, Hr. Friedl&n-
der die Güte gehabt, sie zu bestimmen. Es waren 4 Stück SilbermOnzen von Su-
ser Heinrich H. oder UI., von Herzog Bradslaw von Böhmen, König Stephan von
Dngsm und König Eduard III, dem Bekenner, von England. Ausserdem bnden sich
BOgenuinte wendische Münzen, kleine vertiefte Silberstücke, Nachahmungen der Mün-
zen der Ottonen, also aus derselben Zeit, wie die früheren. In Bezug auf die Fund-
stelle berichtet Hr. Thunig, dass die Münzen in einem irdenen Topfe im Lehmboden,
etwa 1000 Schritt von dem Umenfelde, da, wo der Boden in der Richtung nach Per-
nowo sich allmfihlich wieder abdacht, gefunden wurden. Daas sie in irgend einun
Zueanimenhange mit den anderen Sachen stehen, ist vorUuifig wenigstens nicht a^
kennbai.
Von höchstem Interesse dagegen ist der Fund der zwei Steinpaare in benach-
barten Dmen. Da mir ans der ganzen Literatur nichts Aehnllches bekannt ist, ao
wendete idi mich an swei unserer bewfihrtesten Gräberkeimer, die Herren Wein-
bold and Lisch. Keiner von beiden wusste von solchen Dingen; nnr machte Ben
Lisch auf den zu Quast in Mecklenburg im Walde gefundenen Graaitkegel anfmwk-
sam, dessen Abbildung und Beschreibung sich in den Mecklenburgischen Jafarbficheni
1866. Bd. 31. S. 65 findet Allein dieser Stein ist 58 Pfd. schwer and 50 Cent hoch.
Nun sind freilich auch kleinere Kegelsteine beschrieben und als Idole erkort jrorden,
indees scheint doch keiner derselben den onsrigen ähnlich gewesen zu sein.
Hr. Professor Justus Roth hatte die Gfite, die genanere UntersuchuDg der
Steine zu übernehmen. Dabei stellte es sich heraus, dass der in der Familie der
Frau Thunig vererbte Stein ein Knns^iroduct sei: gelbes Harz bildete einen dün-
nen Ueberzug über den aosgeschnittwien Qnaia. Von den aus den Urnen herstam-
menden Gesteinspaaren ergab uch, dass das eine „Ei" ein Quarz mit natürlichen
Rissen, der dasn gehörige ^EäBe" ein ziemlich grobkörniger Sandstein, das andere
„Et" ein Sandstein, der an Brannkohlensandstein erinnert, nnd der dazu geh^ge
«Stse" Granit war.
Ich gebe nnn noch eine kurze Beschreibung und eine Abbildung (in halber
Grösse) der Steine:
Fig. 1. Fig. 3.
a
(J
(55)
Wie schon erwShot, sieht je einer der Steine einem Ei, der andere einem fla-
chen Rundkäse gleich. Die Grosse ist sehr verschieden, und zwar namentlich bei
den K&sesteinen. An ihrer künstlichen Herstellung ist gar nicht zu zweifeln, wenn
auch naturliche Yorkomnmisse benutzt sein mögen.
1) Das Quarz-Ei (Fig. 1) gehört zu dem kleineren Käsestein, der sich zugleich
durch mehr ebene Flächen auszeichnet. Es ist B,3 Cent, hoch und 5,4 in der gröss-
ten Breite, im Ganzen mehr schmal, von äusserst regelmässiger Form, seine Ober-
flache glänzend, wie mit einem Lack überzogen. Der Käse, aus rothlich grauem
Sandstein bestehend, ist 2 Cent hoch, 2,8 Cent im grössten Durchmesser, an beiden
Enden mit schwach concaven Abplattungen von 2,3 Cent Durchmesser versehen,
übrigens gut gerundet und glatt
2) Das andere Ei (Fig. 2) ist ein schwerer, dunkelgraurother Sandstein von stär-
kerer Zuspitzung, aber zugleich stumpferem Ende. Es ist 5,8 Cent hoch und 4,4 im
grössten Querdür<dmiesser. Sein stumpfes Ende ist nicht im Mindesten abgeplattet,
sondern vollkommen gerundet Der zugehörige Käsestein aus rothem Granit misst
3 Cent in der Höhe, 4,8 in der grössten Breite; seine Circumferenz ist schön ge-
rundet, jedoch mit steil abfallender Fläche. Die obere und untere Fläche ist platt
und in der Mitte mit einer flachen, tellerförmigen Grube von 1,8—2,0 Cent Durch-
messer versehen. Dieselben sehen in der That aus, als ob darauf gerieben wäre.
Die vollkommene Regelmässigkeit dieser Steine schliesst jeden Gedanken an Zu-
fall ans. Es handelt sich offenbar um absichtliche Herstellung und Combination
der beiden Steine, und insofern um etwas Symbolisches. Hier liegt es nun nahe
zu vermathen, dass beide Steine zusammengehören und dass sie in der That das
Reiben, also vielleicht die Mehlfabrikation (weibliche Beschäftigung) andeuten sollen.
Andererseits Hesse es sich auch denken, dass jeder Stein für sich betrachtet ^werden
müsse. Dies genauer festzustellen, wird Gegenstand weiterer Forschung sein müssen ;
vieUeicht lässt sich später gerade dieser merkwürdige Befund zu chronologischen Pa-
rallelen verwerthen. Ich werde für jede di^n gehörige Mittheilung dankbar sein. —
Herr Koner hält es für wahrscheinlich, dass das (oben ad 5) erwähnte Bronze-
geräth als Pferdeschmuck gedient habe und zwar aus Analogie mit altrömischem
Pferdezierrath. *
Herr Hartmaan unterstützt diese Ansicht mit Hinweis auf den aus Ketten, stab-
ähnlichen Metallbehängen, Ringen, Spiralen u. s. w. bestehenden Pferdeschmuck des
Vorder- und 9^°^®i^®^S®& verschiedener afrikanischer, asiatischer und selbst alteuro-
piischer Völker.
Herr Virohow findet, dass die Form des erwähnten Bronzegenthes nicht recht
auf Pferdesdimuck zu passen scheine. Die Zahl der an dem Mittelringe befestigten
kleinen Ringe und Spiralstangen ist zu gross, um in hängender Stellung des Ganzen
sich ohne Schwierigkeit anwenden zu lassen. Das Ganze lässt keine flächenartige
Ausbreitung zu. Dies spricht offenbar für ein Geräth zum Aufhängen. —
(8) Herr Paul Aachenon spricht
Aber einige als Zunder dienende Substanzen,
und legt, veranlasst durch die interessanten Mittheilungen Prof. Er man 's in der
Junisitzung v. J. die beiden Pflanzen, von welchen der von demselben vorgezeigte
Zunder herstanunt, vor: Girsium eriophorum Scop., welches in Spanien, und Saus-
snrea discolor D. C, welche in Sibirien zu diesem Zwecke benutzt wird. Er benutzt
(58)
diese Gelegenheit, am noch einige andere Pflanzenarten vorzuseigen, deren Blattfilz
in verschiedenen Ländern zu gleichem Zwecke gebraucht wird; so Oreoseris lanoginoaa
D. C. vom Himalaya- Gebirge, wie die beiden von £rman erwähnten Pflanzen zur
Familie der Gompositae gehörig; femer Andromachia igniaria H. B. K. von der sud-
amerikanischen Andeskette (Gompositae) und Hermas gigantea L. fil. (ümbellifente)
vom Gap, von den dortigen holländischen Ansiedlem Tundelbloem genannt Wahrend
über die Zubereitung des Zunders aus Oreoseris nichts angegeben werden kann, wird
bei den beiden letztgenannten Arten nicht, wie bei Girsium und Saussurea das Blatt-
parenohjm durch Reiben von der Haarbekleidung getrennt, sondern letztere in ihrem
Zusanmienhange abgestreift: besonders bei Hermas, wo auf dem vorsichtig abgezoge-
nen, wie ein Handschuh umgewendeten Filze auf der nach aussen gewendeten Innen-
seite ein sauberer Abdmck des Ademetzes erscheint, bietet ein solches Präparat
einen zierlichen Anblick und werden von den Hottentotten als Spielerei Miniatur-
fiUmdschuhe und Strumpfe daraus verfertigt. Das Kew-Museum enthält von diesem
Blattfilze von Andromachia und Hermas sehr schooe Exemplare; überhaupt würde
ein eingehendes Studium desselben für Ethnographie reiche Ausbeute liefern.
Ferner zeigte der Vortragende einen an der orientalischen Artemisia fragrans
Willd. häufig vorkommenden, durch Insectenstich entstandenen, kugelrunden filzigen
Auswuchs vor, der, wie Dr. Wetzstein für Syrien und Prof. Haussknecht für
Mesopotamien bezeugen, dort allgemein als Zunder benutzt wird, wozu er sich wegen
des Grehalts an Salpetersäuren Salzen, die ein lebhaftes Glühen bedingen, und wegen
des aromatischen Geruchs, den er beim Glimmen verbreitet, sehr gut eignet.
Es ist übrigens eine nicht auf den vorliegenden Fall beschränkte Thatsaohe, dass
gewisse Pflanzentheile in gleicher oder sehr ähnlicher Weise in entfernten Ländern
für dies^ben Zwecke benutzt werden. Sehr auffidlend ist hierin die Benutzung der
Giftwirkung mancher Pflanzen, die nicht so nahe zu liegen scheint, wie die als
Zunder, wo eine zufällige Beobachtung diese Verwendung leicht an die Hand geben
konnte. So werden zu dem in wenig cultivirten Ländern üblichen Fischfang durch
Vergiftung des Wassers in drei weit von einander liegenden Ländern Europas, Asiens
und Afrikas Blüthen und Früchte von Verbascum-Arten benutzt, und zwar in Liv-
land nach Dr. Schweinfurth V. Thapsus L. (Schraderi G. F. Meyer), dessen Filz
übrigens nach Wiedemann und Weber (Beschreib, der phanerog. Gewächse Esth-
Liv- und Cnrlands, S. 124) ebenfalls als Zunder benutzt wird, im westlichen Persien
(Luristan) V. daenense Boiss. nach Prof. Haussknecht, deshalb persisch mahimort
(Fischtod) genannt, in Abessinien V. Ternacha Höchst.
Die weite Verbreitung solcher Sitten möchte wohl im Allgemeinen mehr
eine völkerpsychologische, als eine historische Erklämng erheischen. Ohne den von
Prof. Er man angestellten Betrachtungen über den Ursprung des Stahlfeuerzeuges
irgendwie entgegenzutreten« möchte der Vortragende bei Betrachtung der beiden,
allerdings überraschend, ja zum Verwechseln ähnlichen Zunderproben auf die bota-
nische Verwandtschaft der Stammpflanzen bei der sehr geringen äusseren Aehnlich-
keit derselben kein allzu grosses Gewicht legen.
Herr Virchow erwähnt, dass in den fränkischen Gräbern des linken Rheinufers
nach dem Bericht des Hrn. Lindenschmitt nicht selten ein Feuerstahl gefunden
werde, und dass diese Gräber zu alt seien, um eine durch Araber über Spanien be-
wirkte Einführung des Feuerstahls wahrscheinlich zu machen.
Herr Hartmann legt im Namen des zufällig abwesenden Hm. Jagor vor Tschi-fo
aus China» d. h. papieme Fidibus, welche leise glimmend getragen werden und jede»
(57)
Augenbliok je nach Bedarf zur lichteD Flamme angeblasen werden können; ferner
«ineo von malaocanischen Palmblattetielen gewonnenen, leichten und dicht verfilzten
Zunder der Jakun und Mintra. —
(9) Herr Alexander Braun spricht
Aber die Torgesohiehtlichen Wobnsitse des Menschen anter der jetzigen Stadt
Bordeaux
nach den Mittheilungen von Delfortrie in den Acten der Linneischen Gesellschaft
von Bordeaux (Bd. VIT. 1870). Im Jahre 1867 wurden in Bordeaux beim Graben
des Abzugskanals (6gout collecteur) Ueberreste vorhistorischer Ansiedelungen unter
der jetzigen Stadt entdeckt, welche nach der archäologischen Seite hin in den Me*
moiren der physikalischen Gesellschaft von Bordeaux von demselben Jahre eingehen-
der beschrieben sind. In den zu besprechenden Mittheilungen von Delfortrie sind
besonders die geologischen Verhältnisse, unter welchen diese Reste gefunden wurden,
erörtert Er beschreibt zunächst die Schichtenfolge, wie sie bei der Grabung des
Canals an 3 verschiedenen Stellen: 1) der rue des trois conils, 2) der rue Rohan
und 3) der place Rohan gefunden wurde. Da sich dieselben an allen 3 Orten im
Wesentlichen übereinstimmend fEinden, so fasse ich das Resultat derselben zusammen.
Von oben nach unten zeigte sich:
1) die neue Erdschicht (Boden und Unterboden);
2) eine ältere Culturschicht (Terramare) aus der gallo-romanischen Zeit mit man-
nichüachen Resten menschlicher Knnstthätigkeit; .
3) deutlich geschichtete Mergel-, Sand- und Eieslager mit zahlreichen Rollstei-
nen und einer grossen Menge von Schalen noch jetzt lebender Muscheln und Schuck -
keU) namentlich von Ostrea edulis, Pecten maximus, Mytilus edulis, Venus decussata,
Cardium edule, Mactra solida, Turbo neritoides, Trochus cinerarius;
4) Torf (nur an der Stelle No. 2);
5) sandiger Mergel, stellenweise mit Asche, geritzten und bearbeiteten Knochen
und geschliffenen Feuersteinwerkzeugen, sowie von Austerschalen ohne andere Muschel-
Beimengungen ;
6) Süsswassersand oder Mergel;
7) Torf (nur an der Stelle No. 2).
Die Muschelschalen der Schicht No. 3 können nicht, wie die der Schicht No. 5,
als Reste menschlicher Mahlzeiten betrachtet werden, da sie auch solche Arten ent-
halten, die schwerlich je als Nahrung benutzt wurden, da femer Schalen von allen
Grossen und Altersstufen, bis zu den jüngsten herab, gefunden wurden und da sie
endlich von deutlich geschichtetem Sand und Mergel begleitet und mit zahlreichen
RoUsteinen, namentlich aus der Kreide stammenden Feuersteinen, gemischt sind. Dies
Alles weist darauf hin, dass diese Bildung eine marine ist, deren Schichtung der
Ebbe und Fluth zugeschrieben werden muss.
Es geht hieraus hervor, dass die alten Reste menschlicher Wohnstatten unter
Bordeaux zwei weit auseinander liegenden Zeiten angehören. Nachdem das Land in
der Steinzeit und zwar in der Zeit der geschliffenen Steine bereits bewohnt war,
wurde es durch eine Senkung vom Meere überfluthet; später wieder gehoben, wurde
es in der Bronzezeit von Neuem bevölkert Delfortrie fuhrt das Resultat von Gra-
bungen am Hafen von Bordeaux, sowie von Jouannet und Raulin an anderen
Orten gemachten Beobachtungen an, durch welche das Vorhandensein einer Meeres-
schioht über den Süsswasserschichten des älteren Diluviums an den Küsten der Gas-
cogne in allgemeiner Verbreitung nachgewiesen wird. Am Schlüsse spricht er sich
noch über die Zeit aus^ welcher die im Dep. des Landes zahlreich gefundenen, aus*
(58)
serst kunstreich gearbeiteten Fenersteinpfeile angehören; er sehreibt sie nicht der
Steinzeit, sondern der Bronzezeit zu, da Bronzegerathe in ihrer Gesellschaft Torkom
men, die älteren Formen der Steinmesser, Beile, Hämmer u. s. w. dagegen ganz
fehlen.
In einer anderen Abhandlung derselben Zeitschrift beschreibt Delfortrie die
geritzten uod gestreiften Knocheii aus der oberen Miocenbildung: von Leognan (Gi-
ronde). Ei* bestreitet die Erklärung der Ritze und Streifen der Knochen durch
menschliche Werkzeuge und sucht sie durch die Wirkung der Zähne fleischfressen-
der Fische zu erklären; gewisse feinere kammartige Streifungen leitet er namentlich
von Sargus serratus ab, einem Fische, dessen gesägte 2^ne sich in derselben For-
mation mit den Knochen finden. —
(10) Herr 7irchow berichtet über seine im verflossenen Sommer Torgenommenen
Ansgrabiingen auf der Insel Wollin.
Die Insel Wollin ist bekanntlich diejenige Stelle unserer pommerschen Ostsee-
koste, die nach Riigen am frühesten in der Geschichte hervortritt, und zwar durch ihre
Beziehungen mit Dänemark, Norwegen und Schweden, welche bis in die zweite Hälfte
des 10. Jahrhunderts zurückreichen. Aus dieser Zeit ist eine Reihe von Erzählungen
in den dänischen Sagas und Chronisten erhalten, für die wir in unseren einheimischen
Ueberlieferuugen fast gar keine Ergänzungen finden. Namentlich geht daraus hervor,
dass schon damals eine grosse Ansiedlung auf der Insel Wollin, dem Lande Jörne
oder Jumne, existirte. Eine Zeit lang geht diese Ansiedelung unter dem Namen
Jomsburg, später tritt der Name Julin und noch später Wollin aof. Es er-
scheint ein slavisches Fürstenhaus im Lande unter allerlei entstellten Namen, mit
dem die skandinavischen Heerführer und Konige Heirathen eingingen: ein etwas dunk-
les Gewirr von Nachrichten, aus denen nur erhellt, dass eine grossere Ansiedelung
vorhanden war, welche einen starken Reiz auf die Normannen ausübte, und dass das
Land reiches Material für Plünderungen und Brandschatzungen darbot und so liest
sich annehmen, dass jene Schilderungen des Reichthums Julius, welche wir zuerst von
deutschen Chronisten (Adam von Bremen am Ende des 11. Jahrhunderts) haben,
auch schon für eine Zeit zutrafen, ehe noch positive Nachrichten in unseren Geschicbts-
büchem erhalten sind. Nun ist es ausserordentlich schwer gewesen, auch nur ent-
fernt irgendwelche genaueren Anhaltspunkte zu finden fßr die Lage der grossen Han-
delsstädte, von denen gesprochen wurde. Denn zu den angeführten Namen hat die
spätere Sage noch einen vierten hinzugebracht, das berühmte Vineta, von dem
allerdings erst sehr spät die Meinung sich entwickelt hat, dass es an der Küste der
Insel Usedom etwas weiter westlich vor dem Streckelberge gelegen habe. Lndess ge-
nauere Forschungen haben ergeben, dass die ganze Sage von Vineta auf dem Schreib-
fehler eines alten Manuskripts beruht, und dass die Namen Vineta und Jumneta, also
wahrscheinlich auch Jomsburg, identisch sind. Es ist daher mit Recht in den neue-
ren Untersuchungen Vineta allmählich aus der Reihe der der Forschung würdigen
Punkte ausgeschieden, und die Frage ist nur, wo haben vrir Jomsburg, wo Julin, wo
Wollin zu suchen?
Schon seit einigen Jahrzehnten ist die Meinung ziemlich allgemein angenommen
worden, dass der ausschliesslich in den nordischen Sagas vorkommende Naipe Joms-
burg auf dieselbe Localität angewendet worden ist, welche später Julin hiess. Aber es
war fraglich geworden, ob nicht in friiher Zeit dieser Ort an einer anderen Stelle
gelegen hab^, als da, wo später Julin und Wollin angeführt werden. Namentlich
seitdem durch die zunehmende Entwickelung der Seebäder in dieser Gegend, ins-
besondere von Misdroy, die Bevölkerung sich erheblibh vermehit und ein bedeuten-
(59)
des IntereBse für diese Fragen angeregt ist, hat sich allniählich ein gewisser Neid
geltend gemacht Die verschiedenen Orte der Insel streiten sich um den Vorzug,
wo die Jomsburg gelegen habe, ja einzelne Autoren sind sogar auf die Gegend von
Swinemünde zurückgekommen'). Ein dänischer Autor endlich, Vedel Simons en')
ist, allerdings nicht durch Untersuchung an Ort und Stelle, sondern nur durch die
Namensahnlichkeit auf einen anderen, mitten in der Insel gelegeneu Ort Wolmir-
stfidt geführt worden, welchen er als Wolliner-Statte deutet, gleichwie er das benach-
barte Dorf Dannenberg als Dänenberg erkennt. £r nimmt an, dass die bei diesem
Orte liegenden Seen durch die Goperow mit dem Meere eine schiffbare Verbindung
gehabt haben und dass hier die Jomsburg gewesen seL £s lässt sich allerdings die
Möglichkeit nicht verkennen, dass in alter Zeit eine schiffbare Verbindung bestanden
hat, denn es zieht sich, parallel der Küste, eine Reihe von Seen (der Warnow-See,
der Dannenberger und Kolzower See, die Goperow) fort, welche unter einander in
Verbindung stehen und schliesslich bei dem Dorfe Lauen in die Divenow führen.
Auch ist man vor 40 Jahren, als man eine Senkung dieser Seen durch Vertiefung
der Abflüsse herbeiführte, in dem Bache, welcher den Dannenberger und Kolzower
See verbindet, auf Reste eines versunkenen Kahnes und auf Eichenpfähle längs des
Baches gestossen, und in der Nähe sind am Ufer des Dannenberger Sees kupferne
oder bronzene Kessel (Sohiffskessel , wie man sagt) gefunden worden. Nimmt man
daxa, dass in Urkunden von 1174 und 1208 dänische Colonisten auf der Insel er-
wähnt werden, so kann immerhin die Hypothese von Wolmirstädt als eine nicht ganz
onznlässige anerkannt werden, wenngleich die etymologische Begründung ohne Wei-
teres verworfen werden muss^). Es war endlich noch ein besonderer Umstand vor-
handen, der Aufitnerksamkeit verdiente. Am Warnow-See findet sich ein Vorsprung,
der den Namen Burgwall trägt; früher, vor der Senkung des Sees, bildete er eine
kleine Insel, und erst nach der Senkung ist er durch eine flache Landzunge mit dem
Ufer in Verbindung getreten. Auch lassen sich noch einige andere benachbarte Punkte
finden, die bemerkenswerth sind, namentlich ein Burgwall bei Kolzow dicht am See, so-
wie an der Küste der Grosan-Berg, dessen Spitze noch jetzt mit einem zusammenhängen-
den Erdwall oder eigentlich einem Graben umgeben ist. Freilich macht derselbe seiner
guten Erhaltung wegen den Eindruck der Neuheit, aber er ist schon auf einer schwe-
dischen Karte von 1692 verzeichnet Ich will dabei noch besonders bemerken, dass
der sehr verdienstvolle Giesebrecht in Stettin in seiner ausgedehnten Untersuchung
über die slavischen Landwehren zwischen Oder und Weichsel^) gerade hier ein Sy-
stem von Küsten- Vertheidigungen gefunden zu haben glaubte, in welchen der Schloss-
oder Burgwall bei Warnow eine besondere Rolle spielt
1) L. Giesebrecht, Wendische Geschichten. Berlin 1843. S. 27, 206.
*) Neue Pommersche Proyinzialblätter. Stettin 1827. Bd. U. S. 53, 67.
^ Der Name Wolmirstädt findet sich zweimal in der Provinz Sachsen, wo eine Stadt (bei
Magdeburg) und ein Dorf (im Reg.-Bezirk Merseburg) ihn tragen. Ausserdem giebt es im Reg.-
Bezirk Magdeburg ein Dorf WoUmirsleben. Dörfer mit dem Namen Dannenberg giebt es in den
Reg. -Bezirken Gumbinnen, Potsdam und Cöln; der Name bedeutet offenbar Tannenberg, wie die
analogen Ortsnamen Dannenbaum und Dannenwald lehren. Möglicherweise giebt der Name Wol*
mirstadt eine bestimmte Hinweisung auf die Herkunft der sächsischen Golonisation auf Wol-
lin. In dieser Beziehung führe ich noch an, dass ein der Sage nach früher zur Stadt gehöriges
Qehiet an der Divenow nördlich von Wollin die Salmark heisst, und dass nach einer Mitthei-
lung des Hm. Dr. Schultheiss zu Wolmirstädt bei Magdeburg eine Feldmark, 74 Stunde von
seinem Wohnorte, den Namen Saalhausen fahrt An diesen Namen knüpfen sich allerlei wei-
tere Beziehungen aof Thüringen.
^ Baltische Stadien 1846.
(60)
Es waren diese maDnichfachen Anzeichen alter Ansiedelungen um so auffallender
geworden, als lange beinahe gar nichts wirklich Vorhistorisches auf der Insel
gefunden worden war. Man hat an mehreren Orten, theils bei Wollin, theils bei
Lebbin, theils an zerstreuten Punkten an der Swine sowohl als an der Divenow
schon seit dem Jahre 1654 arabische Münzen aus dem 9.— 11. Jahrh. ausgegraben.
Aebnliche sind bekanntlich auch an anderen Stellen in Pommern und in der Mark
gefunden worden, zum deutlichen Beweise, dass in dieser Zeit ein weitreichender
Landhandel existirt haben muss, der eine Verbindung mit dem Orient herstellte, und
die Erzählung des alten Helmold, wonach die Graeci bis nach Vineta gekommen seien,
hat dadurch in der That eine directe archäologische Unterstützung gefunden. Um so
mehr bemerkenswerth war es, dass alle älteren Anklänge zu fehlen schienen; ja, Herr
Y. Raum er, der mit grosser Sorgfalt alles auf die Insel Bezügliche zusammengestellt
hat, behauptete geradezu, es käme auf der ganzen Insel kein Hünen- oder Heiden-
grab vor^). In der That, wenn man die Oberfläche derselben betraditet, welche in
Beziehung auf die Bildung der Höhenzüge yielfache Aehnlichkeit mit Rügen darbietet,
80 ist es sehr auffällig, nichts yon jenen mächtigen Grabhügeln zu sehen, womit die
rügianischen Höhenzüge so reich bedeckt sind. Es lässt sich daher nicht verkennen,
dass hier eine wirkliche Scheidung existirt, die sich auch sonst entschieden yerfolgen
lässt, indem jene grossen Grabconstructionen, namentlich die riesigen Steingraber, wie
wir sie noch in Hannover, Holstein, Mecklenburg und Vorponunem verfolgen können,
absolut fehlen. Und doch hätten sie sich hier um so leichter erhalten können, als
ein grösser Theil der Insel durch zusammenhängende Wälder eingenommen wird*
Dies dürfte entschieden darauf hinweisen, dass dasjenige Volk, welches die grossen
Gräbermonumente hinterlassen hat, hier niemals gewohnt hat. Eine ringsum abge-
schlossene und nur massig bewohnte Insel bietet an sich die Wahrscheinlichkeit in
viel höherem Maasse dar, als das Festland, dass sich Ueberreste der Vergangenheit
unversehrt erhalten würden. Erwägt man, dass die Insel Wollin stets zu Pommern
gerechnet worden ist, auch zu einer Zeit, wo Pommern nur bis an die Oder (von
Osten her) reichte, so dürfte wohl zu schliessen sein, dass hier eine uralte Volker-
scheide bestanden hat.
Indess haben sich in der neueren Zeit allerlei Gräber gezeigt, welche der alten
Zeit angehören. So hatte ich schon 1870 in der Sammlung der Pommerschen Alter-
thumsforschenden Gesellschaft zu Stettin einen Schädel aus einem alten Grabe bei
Kolzow (No. 430) gemessen, der, beiläufig gesagt, nahezu dolichooephal ist.
Sein Breiten-Index beträgt 77,1, der Höhen-Index 75,9, Höhe zu Breite = 98,4. Herr
Prediger Harnisch von Kolzow theilte mir mit, dass der firühere Lieutenant Tobold
daselbst -zahlreiche Hünengräber in der Umgegend geöffiiet und eine grosse Masse
von Urnen daraus gesammelt habe, die seitdem leider verloren zu sein scheinen. Na*
mentlich hätten sich solche in der Lüskower Haide befunden. Auch sei erst kürzlich
durch einen Bauern in Dannenberg ein grosses Grab zerstört worden, von dem 6 Wa-
gen voller Steine abgefahren seien; unten in demselben habe sich eine Steinkammer
befunden. Genaueres liess sich vorläufig nicht ermitteln, indess scheint es sich hier
um ähnliche, aus Stein auf s c hü t tun gen zusammengesetzte Gräber zu handeln, vrie
ich sie früher') aus Hinterpommern (Gegend von Stargard und Falkenburg) beschrie-
ben habe. Femer berichtete mir Hr. Oberamtmann Brandt, dass der Major Hepner
in Tonnin ein Umenfeld bei Poppelitz gefunden habe. Endlich hatten im Jahre 1870
meine Söhne bei Wartow (in der Nahe der Coperow) in einem Grabhügel rohe Umen-
0 G. W. ▼. Raumer, die Insel Wollin und das Seebad Misdroy. Berlin 1851.
*} Baltische Studien. 1869. XXIII. S. 105.
(61)
Stücke nebst gebrannten Enocbenstücken gefunden, in welcbem froher Hr. Nobel ein
Skelet ansgegraben hatte.
Diese Thatsachen genügen, um darzuthun, dass Heidengräber auch auf der Insel
WoUin nicht fehlen. Allein ungleich wichtiger sind zunächst die Spuren wirklicher
alter Ansiedelungen.
Die ersten sicheren Anfange einer Eenntniss derselben sind gemacht worden durch
unser Mitglied, Hm. Dr. Küster, der schon zur Zeit, als er noch in Stettin das Gym-
nasium besuchte, durch Hrn. Giesebrecht aufmerksam gemacht auf solche Gregen-
at&nde, in der Nähe von Lebbin eine Anzahl von Scherben sammelte. Hr. Giese-
brecht hat dieselben beschrieben, und eine Reibe sehr feiner Betrachtungen daran
geknüpft: insbesondere glaubte er in der Ornamentik der Thongeräthe wichtige sym-
bolische Anknüpfungen in Betreff der Religion des Volkes und seiner Beziehung zu
anderen, namentlich orientalischen und südlichen Völkern zu finden. Ich muss lei-
der ganz allgemein sagen, dass ich dies für einen Irrthum halte; nachdem ich eine
grosse Zahl dieser Scherben mit anderen Bruchstücken von altpommerschem Thon-
geiath verglichen habe, finde ich wohl eine grosse Uebereinstimmung, aber gar nichts
Symbolisches. Hr. Küster hat späterhin, als er von der modernen Bewegung der
Alterthumskunde ergriffen wurde, weitere Ausgrabungen gemacht, und mir eine Kiste
voll Knochen, Scherben u. s. w. zugeführt
Als ich nun im Laufe dieses Sommers einige Wochen in Misdroy zubrachte, habe
ich die ganze Insel genauer untersucht. Es stellte sich sofort heraus, dass an dem
Punkte, wo gegenwärtig die nach Misdroy gebenden Dampfschiffe landen — das ist
ein Ufer- Vorsprung bei Latzig am Vietziger See — Spuren einer alten Ansiedelung
vorhanden sind. Als ich aus dem Dampfschiff ausstieg und die durch frühere Ab-
grabung blossgelegte Wand der steil abfallenden Ecke betrachtete, fiel mir eine
schwärzliche Schicht auf, und als ich schnell hinüberlief, war das Erste, was ich er-
wischte, eine in der aufsteigenden Wand steckende Topfscherbe. In kurzer Zeit konnte
ich eine ganze Hand voll sammeln. Bei späteren Grabungen hat sich herausgestellt,
dass allerdings an dieser Ecke nicht viel mehr übrig ist. Dafür fand mein Sohn
Hans bald nachher bei dem Dorfe Vietzig ähnliche Spuren, und zwar gleichfalls an
dem Uferabhange. Weit ergiebiger erwiesen sich aber die Verhältnisse bei Lebbin,
einem sehr hoch gelegenen Dorfe an der Südwestecke der Insel gegen das Haff hin.
Hier zeigte es sich, dass in einer grossen Ausdehnung um das ganze Vorgebirge
herum, welches zwischen steil ansteigenden Lehmhöhen tiefe Einschnitte und Thal-
senkungen besitzt, diese Thalsenkungen überall bewohnt gewesen sind. Von der Cement-
Fabrik des Hm. Quistorp, welche noch am Vietziger See liegt, beginnen die Cultur-
schichten und setzen sich um die eigentliche Bergecke herum au den Ufergehängen
am Haff weit fort Am stärksten sind sie an dem Einschnitte, der vom Dorfe zu der
Landungsstelle heruntergeht. Wo man hier eingräbt, da kommt man auf 4—6 Fuss
tiefe Culturschichten, welche in ihren Einschlüssen übereinstimmen mit jenen Funden,
wie ich sie wiederholt aus den Wallbergen und Pfeihlbauten von Pommern dargelegt
habe. Neben den Topfiacherben fand sich das ganze Material der Küchenabfalle,
namentlich Thierknochen und, wie es gerade hier leicht begreiflich ist, unglaubliche
Mengen von Fischüberresten. Auf einer Ecke der südlich vom Dorf niedergehenden
Thaleinsenkung hat sich kürzlich ein Arbeiter angesiedelt, ein Haus gebaut und ein
kleines Feld angelegt: unmittelbar an seinem Hause steht eine abgestochene Wand;
wenn man da hineinsticht, so bekommt man ganze Spaten voll Fischschuppen. Aus
einigen Stichen sammelt man ganze Düten voll Fischwirbel, Kopfknochen, Gräten
u. s. w. Daneben finden sich sehr zahlreich die Hausthiere vertreten und zwar auch
(62)
hier ganz überwiegend das Schwein, so dass die grosste Analogie mit den Verhält-
nissen in den Pfahlbaaten von Daher hervortritt
Auf weitere Einzelheiten will ich heate nicht eingehen. Auch in Bezug auf
einige andere Orte der Insel will ich nur hervorheben, dass es mir allerdings gelun-
gen ist, den Beweis zu fuhren, dass daselbst ähnliche Ansiedelungen existirt haben«
So verhalt es sich mit dem Burgwall bei Jarmbow an der Divenow, nördlich von
Wollin. Auch am Nordufer des Dannenberger Sees fanden wir ähnliche Topfscher-
ben, ohne dass es uns jedoch möglich war, einen eigentlichen Ansiedelungsplatz zu
trefiPeu. Am wenigsten ergab die Untersuchung des sogenannten Burgwalls von War-
ne w: es ist ein ganz reiner Sandhügel, welcher gegenwärtig mit jungen Eaefem be-
setzt ist. Ich habe absolut nichts gefunden, als reinen Sand: nicht die leiseate An-
deutung einer früheren Cultur.
Ungleich glücklicher war ich bei der Stadt Wollin. £s war mir bekannt, dass
zu wiederholten Malen an einem Berge nördlich von der Stadt arabische Silbermün-
zen gefunden waren, weshalb derselbe den Namen Silberberg fuhrt; auch wurde
mir erzählt, dass südlich auf dem rechten Ufer der Divenow, in der Nähe des Dor-
fes Gaulitz, wo der berühmte Ottobrunnen sich befindet, solche Münzen vorgekommen
seien. Indess begann ich meine Untersuchung nach dem Vorschlage des Ebn. Ober-
fischmeister Grunewald, der mir sein Boot zur Verfügung stellte, an einer andern
SteUe der Insel, dem Dorfe Gaulitz gegenüber. Hier an der südöstlichen Ecke der
Insel liegt zuerst der Roof, ein ganz niedriges Wiesenland, welches durch fortschrei-
tendes Pflanzenwachsthum dem Haffe abgewonnen wird. Unmittelbar daran erhebt
sich ein ziemlich steiler Bergzug, der Galgenberg, und da steUte es sich gleich her-
aus, dass der ganze Uferrand desselben mit geringen Unterbrechungen, namentUcb
der Abhang an der ersten Krümmung der aus dem Haff hervorströmenden Divenow
mit denselben Ueberbleibseln angefüUt ist, wie wir sie in Lebbin getroffen hatten.
Sie liegen in Schichten von 4 — 5 Fuss und darüber. Der einzige Unterschied voo
der Lebbiner Ansiedelung war der, dass hier von Fischen sehr wenig gefunden wnrde,
dass vielmehr ganz überwiegend die Ueberreste von Haussäugethieren, hie und da auch
von Vögeln zu Tage kamen. Daraus resultirt, dass hier eine viel mehr landbaueude
Bevölkerung gesessen haben müsse. Auch ein Paar Schlittknochen fand ich hier.
An dieser Stelle stellte sich ausserdem ein sehr interessanter Fund heraus: üb-
lich auf dem westlichsten Theil des Höhenzuges, der nach Südost hin diese Ansiede-
lung trägt, zeigte sich auf der Abdachung nach Norden eine grosse Menge von klei-
nen Hügeln, welche den ganzen Grath krönen. Sie liegen so, dass ich, wie ich hin-
aufkam, sofort sagte: Das sieht ja aus, wie ein grosses Gräberfeld. Die anwesendes
Wolliner Herren meinten, es sei dies unmöglich; indess es ergab sich bald, daBS
hintereinander mehr als 60 Grabhügel, in mehreren Reihen nebeneinander angeord-
net, vorlagen. Sie erinnerten mich auf das Lebhafteste an das schöne Graberfeld
bei Ralswiek auf der Insel Rügen. Merkwürdiger Weise zeigten diese Hügel eine
ganz ungewöhnliche Einrichtung. £s waren flachrundliche Erdhügel von 6 — 10
Fuss Durchmesser und 2 '/> — 3 Fuss Höhe. Wenn man einen Einschnitt hin-
ein machte, so kam man ziemlich genau in der Mitte und zwar ziemlich beträchtlich
oberhalb des natürlichen Erdbodens in einer Tiefe von 1 — IV2 Fuss auf einen Hau*
fen gebrannter und zerschlagener Menschenknochen, so wie man sie sonst io
Urnen findet. Aber es zeigte sich absolut keine Spur von Urnen, auch kein Scher-
ben, so wenig als irgend ein grösserer Stein. Wir haben mehrere dieser Grabhügel
an von einander entfernten Stellen untersucht, aber immer nur dasselbe Verhältnis^
gefunden: den Enochenhaufen in ziemlich trockenem Sandboden ohne irgend erheb-
(63)
liehe Spuren von Kohle. An einigen Stellen stiesaen wir auf Ueberreste von ge->
schmolzener Bronze, so dasB über die Zeit kein Zweifel bleiben konnte. Aber alle
Versuche, weiter gegen die Tiefe auf anderweitige Dinge zu kommen, blieben frucht-
los. Ich will bemerken, dass der gelehrteste Mann, welchen Wollin besitzt, trotz der
Constanz der ^unde dabei blieb, dass diese Hügel nur Aafwellungen, vom Wind zu-
sammengeweht, seien. Ich meinerseits bin mit der sicheren Ueberzeugung geschie-
den, dass dort ein grösseres Gräberfeld liegt.
Aber es ist für unsere Gegenden sehr ungewöhnlich, Grabhügel zu sehen, in
welchen die zerschlagenen Knochen verbrannter menschlicher Leichen ohne alle Um-
hüllung, ohne Urne, ja sogar ohne Steinfassung' verschüttet sind, zumal da das Feh-
len von Kohle darauf zu deuten scheint, dass das Verbrennen nicht auf den Hügeln
selbst stattgefunden hat. Ich fragte mich daher, ob nicht möglicherweise die Gräber
schon früher geöffnet, die werth volleren Gegenstände herausgenommen und nur die
Knochen wieder eingescharrt worden seien. Allein, abgesehen davon, dass die Form
der Hügel ganz unversehrt erschien, so pflegen Urnen von unseren Schatzgräbern
nicht gerade als werthvoUe Gegenstande betrachtet, vielmehr zerschlagen zu werden.
Waren dies also die unveränderten Grabhügel, so fragt es sich, ob sie zu der benach-
barten Ansiedelung gehörten?
Hier muss ich zunächst bemerken, dass der Galgenberg seinen Namen davon
hat, dass noch bis in die neuere Zeit auf einer dem eben geschilderten Gräberfelde
benachbarten Höhe des Bergrückens der Galgen gestanden hat. Auch fanden wir
weiter westlich gegen das Ende des Bergrückens an einer durch den Wind entblöss-
ten Stelle oberflächlich jüngere Skelete, welche sehr wahrscheinlich von Hingerich-
teten herstammten. Dieser Fund war insofern von Wichtigkeit, als die gleichfalls
geäusserte Meinung, die Grabhügel möchten den Hingerichteten angehört haben, da-
durch widerlegt wurde. — Andererseits muss ich erwähnen, dass gleichfalls an
dem Westrande des Bergrückens Topfscherben von uns gefunden wurden, welche
«
sich von den am Südwestabhange liegenden in jeder Beziehung unterschieden. Sie
waren sorgfältiger gearbeitet, sehr fest, aussen mehr glatt und hellgelblich, vor Allem
aber mit scharfen und tiefen, mehr senkrechten und geradlinigen, mit offenbar sehr
sicherer Hand ausgeführten Ornamenten versehen.
Wenn es an sich wahrscheinlich isrt, dass der Galgenberg zu sehr verschiedenen
Zeiten bewohnt war, so muss wohl die Entscheidung darüber, welcher Zeit das Grä-
berfeld angehört, noch offen bleiben. Hr. Studienrath Müller*) hat letzthin die
Frage nach der Zeit der umenlosen Bestattung verbrannter Leichen erörtert und ist
dabei zu der Ansicht gekommen, dass .diese Art der Bestattung noch sehr spät statt-
gefunden habe, sicher noch im 3. — 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung und zum
Theil noch später.
Der zweite Punkt, auf den sich meine Aufmerksamkeit richtete, war der auf der
entgegengesetzten Seite der Stadt gelegene Silberberg. Leider ist ein grosser Theil
desselben zum Strassenbau abgetragen, nachdem schon früher grosse Veränderungen
durch die Anlage von Befestigungen, namentlich in den Schwedenkriegen, stattgefun-
den hatten. Gustav Adolf und die Kaiserlichen zogen diese Strasse, und auch spä-
ter in den Kriegen des grossen Kurfürsten mit den Schweden ist hier immer wieder
geschanzt worden. Nichtsdestoweniger ist der Reichthum, welchen der Silberberg
noch jetzt namentlich an Thierknochen, Fischüberresten und Trümmern von Topf-
geilith zeigt, ausserordentlich gross. Wir kamen hinzu, als gerade geackert wurde,
und jede Furche, welche aufgeworfen wurde, warf ganze Säcke von Scherben heraus.
^} J. H. Müller, Bericht über Alterthomer in der Provinz Hannover. Stade 1871. S. 8«
(64)
Diese stiinmten in Zusammensetzuiig und Ornamentik mit denen des Galgenberges
und der Lebbiner Berge vollkommen überein, so. dass ein Zweifel über die Gleich-
zeitigkeit dieser Ansiedelungen nicht bestehen kann.
Wir hatten am zweiten Tage, nachdem wir die Untersuchung am Silberberg be-
endet hatten, die Absicht, noch einmal nach dem Galgenberg zu gellen. Während
wir um die Stadt herumgingen und einen breiten, zwischen dem Silberberge uud der
Stadt gelegenen Moorgrund, die Gärten genannt, passirten, erfuhr ich von unseren
Arbeitern, dass in diesem Grunde so viele Geweihe und Knochen vorkamen, dass,
wenn sich einer ans Graben machte, er aus jedem Loche einen Wagen voll znaam-
menbringen könnte. Die Sache war mir so auffallend und erheblich, dass wir unsern
Weg sofort unterbrachen und die Erlaubniss nachsuchten, hinter einem Grundstück
zu graben. Die Stelle lag etwa 120 Schritte landeinwärts von der Divenow, deren
Ufer hier ganz flach und moorig ist. Schon nach wenigen Spatenstichen kamen wir
auf Bruchstücke von Thierknochen und Thongeräth. Wir gruben bis zu einer Tiefe
von 5 Fuss 8 2k)ll , wo das Grundwasser eine weitere Thätigkeit hinderte. Je tiefer
wir kamen, um so reichlicher wurden namentlich die Knochen. Während wir an den
andern Orten nur auf Hausthierknochen gestossen waren, kamen hier Geweihe vom
Hirsch, Reh und Elen, zum Theil bearbeitet, zum Vorschein. Endlich hatten wir
das Vergnügen, auch Pfähle zu erreichen, so dass im Verlauf von kaum einer Stunde
schon eine Sammlung von Dingen gewonnen war, welche keinen Zweifel darüber
lassen konnten, dass hier ein wirklicher Pfahlbau gestanden habe. Ich constatire
ausdrücklich, dass auch hier die Ornamentik und Struktur des Thongerfithes mit den
auf dem Lande gefundenen Scherben übereinstimmte. Die Knochen gehörten über-
wiegend dem Rind, Schaf, Schwein, Ziege, Huhn an.
Bei einer späteren Anwesenheit Ende September habe ich die Sachen weiter
verfolgt, nachdem ich in Schwerin von den dortigen gelehrten Archivaren, nament-
lich von l^m. Wigger, darauf aufmerksam gemacht war, dass in einer alten Urkunde
vom Jahre 1288, betreffend die Gründung eines Cistercienser- Nonnenklosters durcb
den Herzog Bogislav, ausdrücklich bestimmt worden sei, dass das Kloster Häuser
bauen solle in der Stadt bis an den grossen, vor der Stadt gelegenen Berg, der
Burgwall genannt. Dieser Burgwall, meinten die Schweriner Herren, sei augeD-
scheinlich das alte Julin. Ich müsse also feststellen, wo der Burgwall, wo das Non-
nenkloster gelegen habe. Als ich wieder nach Wollin zurückkam, war daher meine
erste Frage an meine dortigen Freunde : „Wissen Sie, wo das Nonnenkloster gelegen
hat?^ Es ergab sich nun sonderbarerweise, dass au dieser Stelle eben eine neue
Schule gebaut wurde und dass in den letzten Tagen zahlreiche Fundstücke im Grunde
blossgelegt waren.
Die genauere Besichtigung lehrte, dass das ehemalige Nonnenkloster an der Nord-
Seite der Stadt, auf einer vom Flusse aus sanft ansteigenden Anhöhe, und zwar, wie
aus den Urkunden gleichfalls erhellt, dicht neben dem etwas weiter landeinwärts und
noch etwas höher gelegenen ehemaligen herzoglichen Schlosse gestanden hat. Von
letzterem sind noch einige Mauerreste vorhanden. Nordwärts ist der ganze Raum
durch einen Wallgraben abgegrenzt. Jenseits dieses letzteren beginnt der vorher er-
wähnte Moorgmnd, auf welchem eine durchweg moderne und noch wenig ausgedehnte
Vorstadt, die „Gärten^ angelegt ist Zwischen den Fundamenten des alten Klosters
war man auf zahlreiche menschliche Skelete gestossen, welche offenbar einer späte-
ren Zeit angehören. In der Tiefe des auch hier sehr schwarzen Bodens aber zeig-
ten sich wiederum alte Abfälle, insbesondere zahlreiche Thierknochen, unter denen
gesägte und beschnittene Geweihstücke in besonders reichlicher Menge vertreten
waren.
(65)
Nach dieser Ermittelung machten wir uns noch einmal an die Untersuchung des
Moorgrundes bei den ^Gärten^. Es ergab sich, dass überall, wo wir eingruben, als-
bald die „Oulturschicht^ erreicht wurde, und es konnte nicht zweifelhaft sein, dass
der ganze, wenigstens 12 — 1500 Schritt lange Raum bis zu dem Silberberge hin in
alter Zeit von* Menschen bewohnt gewesen ist Werthvoile Gegenstande haben wir
allerdings nirgends gefunden, indess hatten wir auch keine Zeit, grossere Flächen
aufzudecken; wir begnügten uns zunächst damit, yon Strecke zu Strecke einzelne
Locher einzugraben.
Nach Bekanntwerden meiner Funde machte mich Hr. Bell in Neu-Brandenburg
auf die sehr merkwürdige Beschreibung JuHn's in dem Reiseberichte des heiligen
Otto, des Pommem-Apostels, aufmerksam. In der That verdient dieselbe aUe Beach-
tung. Bischof Otto von Bamberg brach um die Mitte*) August 1124 von Kamin auf,
um sich zur Bekehrung der heidnischen Einwohner nach Julin zu begeben. Er ging
zu Schiffe die Divenow aufwärts, landete in der Nähe von Julin und schlich sich,
was sehr thöricht war, bei Nacht und Nebel in die Stadt Hier begab er sich in
die herzogliche Burg (genauer: den herzoglichen Ho^ curia ducalis), wo er sich sicher
glaubte, weil nach den damaligen Gebräuchen ein herzogliches Baus als unverletz-
liches Asyl galt Indess die Juliner waren so aufgeregt, dass sie das Dach abdeck-
ten und den Bischof nöthigten, auf seinen Eückzug zu denken. Der Begleiter, wel-
chen ihm der polnische Herzog mitgegeben hatte, ein Hauptmann Paulitius, stellte
sich an die Spitze und verhandelte mit den Leuten. Anfangs schien es, als ob man
ihnen den Rückzug gestatten würde. Nun heisst es in dem Berichte des Anonymus*):
Plat^ae autem civitatis palustres erant et lutosae, et pontes exstructi et tabulae
undique positae propter lutimi. Das hat man sich immer so vorgestellt, als wäre
ein nicht gepflasterter, schlechter Weg dagewesen, über welchen Bretter hinüber ge-
legt gewesen. Indess muss die Sache doch etwas erheblicher gewesen sein. Denn
als der Hauptmann Paulitius den Bischof bei der Hand ergriff und mit ihm zu ent-
schlüpfen versuchte, da kam, als sie bei denBrücken (asque ad pontes) anlangten,
ein Mann, ein Barbar und führte mit einer Keule einen grossen Schlag gegen das
Haupt des Bischofs. Dieser bückte sich, empfing den Schlag auf die Schulter und
fiel von der Brücke herunter in den Koth (in lutum prosternitur). Darauf warf sich
der Hauptmann den Feinden entgegen, deckte den Bischof, empfing selbst eine Menge
Schläge, aber endlich stieg er in den Koth hinunter, half dem Bischof heraus und
brachte ihn in Sicherheit. An der betreffenden Stelle heisst es: inque caenum a
ponte inguine tenus descendens sublevabat de luto prostratum. Er kann aber nicht
wohl in einer gewöhnlichen Strasse bis zu den Weichen in den Schmutz (oder
Sumpf) getreten sein, zumal im August und in einer Stadt, welche, wie Wollin, auf
einem beträchtlichen Hügel gelegen und gar nicht sumpfig ist. Weiter heisst es:
Tandem multo discrimine, ponte arrepto rursum ire et abire caeperunt extra civita-
tem, illique a prudentioribus sedati cessaverunt a nobis. Abeuntes ergo trans lacum
disjecto ponte a tergo, ne iterum impetum super eos facerent, in campo inter areas
et loca horreorum decumbendo respiraverunt. Diese, in ihrer Gonstruction allerdings
sehr schwer verständHche Stelle hat man gewöhnlich so gedeutet, dass die Flüchtlinge
sich über die Brücke, welche noch jetzt an dem engsten Theile über die Divenow fuhrt,
nadi dem Festlande zurückgezogen und die Brücke hinter sich abgebrochen hätten. Dem-
nach würden sie an dem Orte, wo jetzt das Dorf Hagen liegt, kampirt haben. Die
^*) Q lese brecht, Wendische Geschichten. II. S. 271 Anm.
*) Historiae Anonymi cujusdam cum historia Abbatis Andreae collatae cap. XXIIl. lib. II,
(in Andreae abb. Bamberg, de vita S. Ottonis libri quatuor. Colbergae 1681. p. 308).
VtrIuadL d«r B«rL Gas. für AatliropoL etc. (ß\
(66)
Beschreibung Itet allen&lla eine solche Erklärung su, zumal wenn man erw>> dass
bald nachher, bei dem Raubzuge des Danenkönigs Waldemar im Jahre 1170 die
Brücke über die Divenow bestimmt erwähnt wird. Indess, wenn man sich das Yor-
hergehende vergegenwärtigt, so wird es schwer sein, sich vorzustellen, wie sich vom
herzoglichen Hofe aus bis zu dem Punkte, wo diese Brücke liegt, der Rückzug voll-
zogen hat. Denn um von dem Schlosse aus zu der Brücke zu gelangen, muss man
entweder mitten durch die Stadt, oder auf einem Uferwege um dieselbe. Letzteres
ist schon deshalb schwer zulässig, da in dem Berichte des Abt Andreas der Beginn
des Streites auf einen Bauern zurückgeführt wird, der mit seinem Holzwagen aus
dem Walde zurückkehrte und den Bischof an einer Stelle traf, ubi magna caeni pro-
fimditas inerat^). Dies passt weder auf das Innere der Stadt, noch auf das Ufer an
der Stadt Nun findet sich aber in dem folgenden Kapitel des Anonymus eine Stelle,
welche, wie ich meine, ziemlich alle Schwierigkeiten 15et Es heiast, daas sie auf
dem Felde 15 Tagelang blieben und zwar trans stagnum, quod cingebat civi-
tatem, also jenseits eines Sumpfes, welcher die Stadt umgab. Soll man sich wirk-
lich denken, dies sei die Divenow gewesen, welche sicherlich auch damals, wie jetzt,
bei der Stadt und zwar nur an einer Seite derselben vorüberstromte und kein Sta-
gnum, sondern ein wirklicher Fluss ist? Viel wahrscheinlicher ist es daher, dass sie
in der Richtung nach dem Silberberge über die ^Garten^ ihren Rückzug veranstaltet
haben und in der Nähe desselben auf dem Felde geblieben sind. Da gelang es ihnen,
durch Unterhandlungen die Leute weicher zu stimmen und eine Art Vertrag mit
ihnen zu schliessen.
Wenn man Alles dies erwägt, so liegt es gewiss sehr nahe, sich vorzustellen,
dass noch damals der Moorgrund, welcher unmittelbar an den Hof des Herzoga an-
stiess und welcher in seinen Fortsetzungen allerdings die ganze Stadt umgiebt, in
grosserer Ausdehnung mit pontes besetzt war und dass sich hier jene sumpfigen
Strassen (plateae palustres) befanden, von denen der Anonymus redet. Wenn man
sieht, dass diese ganze Gegend nicht bloss von Hausgeräth, sondern auch von all deo
vielen menschlichen Eüchenabfällen voll ist, so wird man kaum umhin können, zu
schliessen, dass die alte Stadt Julin sich von der Gegend des Schlosses und von dem
Burgwall aus erstreckt hat in einer Reihe von Pfahlbauten bis an den Silberberg.
Dieses Verhältnias entspricht in der That auch voUatandig demjenigen, waa wir an
anderen Orten, namentlich bei Daher getroffen haben, wo der Burgwall in unmittel-
barem Anschlüsse an die Pfahlbauten liegt
Nach diesen Funden erscheint es als ein Gegenstand von hohem Intereaae, dieae
Orte einer weiteren Untersuchung zu unterziehen. Die deutsche anthropologische
Gesellschaft hat zu diesem Zwecke eine kleine Summe zur Verfügung gestellt, und
ich hoffe, dass es im Laufe dea Jahres möglich werden wird, gerade den Zwiaohen-
rautQ zwischen dem Silberberge und dem Schloaae so zu untersuchen, daaa man einen
Plan dieser Verhältnisse gewinnen kann. Allein schon jetzt ist es nicht zu bezwei-
feln, dass, wenngleich Wollin ein grosser und reichbevölkerter Ort gewesen sein muss,
für diese ältesten Verhältnisse doch wesentlich die Umgegend der jetzigen Stadt in
Betracht kommt, und man wird nicht fehlgehen, die Mehrzahl der alten Traditionen
auf diese Umgebungen zu beziehen. Wie weit die jetzige Stadt damals auch
schon bewohnt gewesen ist, lässt sich natürlich schwieriger feststellen; indess ist
man an verschiedenen Stellen derselben in der Tiefe auf mancherlei Alterthümliohes
gestossen, welches früher zum grössten Theile der Aufinerksamkeit der Leute ent-
gangen ist, jetzt aber hoffentlich genauer beachtet werden wird. Auf alle Fälle
*) Andreas 1. c. p. 130.
(67)
halte ich es far auagenmcht, dass die alte Ansiedeliiiig sieh fiber ein Tenain von
mehr als einer halben Meile, und zwar von dem Südostabhange des Galgenberges
durch die jetzige Stadt und die Vorstadt ^Grärten" bis zu dem Silberberge im Zu-
sammeDhange erstreckt hat Dies entspricht den alten Erzählungen Ton Wollin als
einer urbs magna (Andreas), einer civitas opulentissima und nobilissima (Hel-
mold) und einem emporium für alle Nationen der damaligen Welt. Und sicherlich
ist dieser Ort von einer herrorragenden Bedeutung für uns, weil durch die bestimm-
ten historischen Traditionen, welche sich an ihn knüpfen, auch ganz bestimmte chro-
nologische Anhaltspunkte gegeben sind, die sich auf andere verwandte Ansiedelungen
übertragen lassen. Denn das alte Julin hat ein bestimmtes Ende. Derselbe Dänen-
konig, Waldemar, der 1168 Arcona und Karenz auf Rügen zerstörte, verbrannte auch
10 Jahre spater (1177) Julin, und man wird um so weniger irren, wenn man diese
Ereignisse als die Grenzscheide der alten Zeit für unsere Gegenden annimmt, als
die Fundstücke, namentlich das Thongerath innerhalb der rügianischen Burgwfdle
ganz übereinstimmen mit denjenigen, welche ich jetzt an den Abhängen von Lebbin,
Yietzig und Latzig, an dem Wallberge von Jarmbow und am Dannenberger See,
endlich auf dem alten Burgwall und der Pfahlstadt von Wollin nachgewiesen habe.
Wie weit diese Ansiedelungen aber zurückreichen, ist eine andere Frage. Die An-
fänge Julin 's verlieren sich ebenso in das Dunkel, wie die Anfänge von Adria und
Ravenna, welche noch in später historischer Zeit Pfahlstädte waren. —
(11) Als neue Mitglieder werden proclamirt die Herren:
Maler T eschen dorf,
Gutsbesitzer von Erx leben,
Dr. Georg Schwein furth, zur Zeit in Valetta (Malta), und
Kandidat Hey de priem.
Hr. Kluge, gegenwärtig in Altena, hat seinen Austritt angezeigt.
Sitzung vom 10. Februar 1872.
Vorsitzender Herr Virchow.
(1) Derselbe theilt einige Bemerkungen des Hrn. Professor Müllenhoff mit
über die von Hrn. Dr. Meyn zu Uettersen eingesendete und in der Sitzung vom
ll.Novbr. 1871 gezeigte
Oemme von Alsen«
Hr. Müllenhoff war zweifelhaft darüber, ob es sich um eine rohe Nachbil-
dung eines antiken, griechischen oder römischen Musters oder um ein eingeführtes
Stück handle. Er hatte die Gemme in der archäologischen Gesellschaft vorgelegt,
aber niemand wusste eine irgend vergleichbare antike, griechisch-römische Gemme
oder andere bildliche Darstellung nachzuweisen. Nur wurde die Meinung geäussert,
das Stück sei orientalischen, phönicischen Ursprunges; ähnliche rohe, flüchtige Dar-
stellungen fänden sich auf den phönicischen Siegeln, Stempeln oder Rollen, die sich
im Museum befinden, und die Darstellung sei phallischer Natur, die mittlere Person
ein Weib. An Runen bei den oberen Zeichen zu denken, sei unzulässig. Das Stück
könne spät durch Handel oder Tausch nach dem Norden gekommen sein, wie die
(68)
Erzeugnisse der römischen Industrie, die Hr. Engel bar dt ans dem Nydamer und
Taschberger (Tborsbjerger) Moor in Sundewitt und Angeln bescbrieben bat —
(2) Herr Virohow verliest ferner einen Bericht des Hm. Walter Kaufltaiann,
gegenwärtig zu Redcar, Yorkshire, England,
Aber Ausgrabungen in Pomerellen«
„Ich hatte Ihnen bei meiner Anwesenheit in Berlin, im Juni 1870, davon Hit-
theilung gemacht^ dass ich auf einer meiner wissenschaftlichen Fusstouren in der
N&he von Danzig, bei Crissau, grosse Steinsetzungen entdeckt (eine Entdeckung,
die wohl in unserer Provinz die einzige ihrer Art sein dürfte), in denen ich, statt
der Urnen, Skelete in sitzender Stellung getrolBfen hätte. Die Steinhaufen befinden
sich auf einem ca. 8—10 Fuss über dem gewöhnlichen Erdboden hervorragenden
kleinen Plateau, das ca. 260 Fuss im Umkreise misst und ganz mit Dom-, Hasel-
nuss- und Cadikstrauch bewachsen ist. Die einzelnen Steinsetzungen auf dieser
kleinen Erhöhung^ in Zahl von ca. 20^ haben verschiedene Formen und 8—10 Fuss
im Umfange; die meisten sind kreismnd. Da ich nun leider durch den Krieg län-
gere Zeit verhindert wurde, weitere Nachforschungen anzastellen, so konnte ich erst
nach meiner Rückkehr aus dem Kriege, im Juli 1871 neue Ausgrabungen veran-
stalten, bei denen ich auch einen ziemlich erhaltenen Schädel nebst Knochen der
Extremitäten fand. Als ich nun einen Vortrag über diesen Fund in der Naturfor-
schenden GeseUschaft zu Danzig hielt, wurde mir von derselben eine bestimmte
Summe ausgesetzt, um grössere Ausgrabungen zu veranstalten.
Da ich auf Wunsch meines Yaters schon im November auf zwei Jahre nach
England geben sollte, so blieb mir nur wenig Zeit übrig; jedoch fuhr ich noch am
17. Nov. mit Hrn. Dr. med. Li s sau er zusammen nach Grissau (Dorf im Karthäu-
ser Kreise ca. 3 Meilen von Danzig). Wir nahmen uns mehrere Leute an und Hes-
sen 4 Gräber öffnen. Leider waren die Steinsetzungen der meisten Gräber schon
von den Landleuten ganz vernichtet, da sie die grossen Steine zum Häuserbau be-
nutzen, so dass es jetzt schwierig ist, die einzelnen Formen der Gräber zu erken-
nen. In den Gräbem fanden wir nun je ein Skelet, gewöhnlich von Osten nach
Westen gerichtet Da es schon sehr früh dunkel wurde, so beschlossen wir, onr
ein Skelet vollständig herauszunehmen, und ist uns das auch ziemlich gelungen,
indem nur einzelne Wirbel sowie Rippen fehlen; dagegen haben wir den Schädel
mit sämmtlichen kleinen Knochen, Zähnen etc., die kleinen Hand- und Fusswurzel-
knochen und die oberen und unteren Extremitäten, sowie das Becken unbeschädigt
gefunden. Das Merkwürdigste an diesem Skelet ist nun der Schädel, welcher eine
sehr platte und schmale Form hat und unverhältnissmässig lang ist. Es sind un-
gefähr noch 9 — 10 Gräber unaufgedeckt.
Es hat mir sehr leid gethan, Sie bei meiner Durchreise durch Berlin am
18. April 1871 nicht zu Hause getroffen zu haben, da ich Ihnen gerne ^ttheilun-
gen über zwei neue Gesichtsuraen gemacht hätte, welche ich nachträglich noch
aufgefunden habe. Als besonders wichtig möchte ich das ansehen, dass ich in
einer Gesichtsume, und zwar der Lebszer (bei Neustadt W. Pr.) 2 Stücke Eisen
und 1 Stück Bronzering, in der Urne selbst, zwischen den Knochenüberresten ge-
funden habe. Die beiden Eisenstücke passen zusammen und bilden ohne Zweifel
einen Fingerring, der merkwürdigerweise an einer Stelle eine plattenartige Erhöhung
hat (ähnlich denen auf den jetzigen Siegelringen), doch ist diese roh gearbeitet.
Das Stück Bronze hatte allem Anscheine nach auch einen Fingerring gebildet.
Ausser diesen beiden Sachen lag noch ein, freilich unbearbeitetes Stuckchen Bern-
stein in der Urne.
(69)
Der Fall ist nm so merkwürdiger, als ich in der Starziner üme (Starzin liegt
nur Vf Meile von Lebss entfernt) das bewnsste nagel&hnlicbe Stück Eisen fand,
also in dem Kreise gerade die Verfertiger der Gesicbtsnrnen gewobnt baben müs-
sen. Es würde bierdnrcb also Ihre Annahme, das Alter der Gesichtsurnen in die
Uebergangszeit der Bronze- in die Eisenperiode zu setzen, thatsächlich bewiesen
sein, da ja sowohl Bronze, als aach Eisen zusammen in der Urne lagen. ^ —
(3) Herr ▼. Martens spricht
über Sehneeken in einem Bm-firwall bei Lübeek.
Der Verein der Freunde der Naturgeschichte in Mecklenburg machte im vori-
gen Jahre während seiner Jahresversammlung zu Lübeck eine Excursion nach Trave-
mnnde, und man kam dabei über Pöppendorf, „wo ein heidnischer Burgwall be-
sucht ward und aus demselben zahlreiche calcinirte Helixschalen gesammelt wur-
den«" (Archiv dieses Vereins, Jahrg. 24, 1871, S. 143). Hr. Dr. C. M. Wiechmann,
der selbst daran Tbeil genommen, schickte mir nun vor wenigen Tagen zwei Stück
dieser Heliz mit dem Bemerken, sie seien „aus der Tiefe dieses jetzt planirten
Burgwalls, also sicher der wendischen Zeit, etwa bis zur christlichen Zeit, angehö-
rig^. Die erhaltene Schnecke ist Helix arbustorum L., eine durch die ganze nörd-
liche Hälfte von Europa häufige Art, namentlich um Berlin an vielen Orten und
auch auf den höheren Alpen, in Norwegen und Lappland noch häufig vorkommend,
femer auch aus dem älteren Diluvium bekannt (A. Braun), während einige andere
deutsche Arten gleicher Grösse, wie nemoralis und hortensis, sowohl nach Norden
als im Gebirge früher ihre Grenze finden; namentlich von nemoralis ist es wahr-
scheinlich, dass sie erst durch die Menschen in späterer Zeit in Norddeutschland
verbreitet worden (s. E. Fried eTs Mittheilungen hierüber im 1. Band d. Zeitschr.
f. Ethnologie). Das Vorkommen gerade jener Art im Burgwall ist also mit der
Annahme beträchtlichen Alters und mangelnder Bodencultur wohl vereinbar. Die-
selbe wird der Sammlung der Gesellschaft zur Verfügung gestellt. —
(4) Herr Friedel berichtet
über Volkstypen in den Niederlanden
nnd die daselbst befindlichen anthropologischen und ethnologischen Sammlungen
unter Vorlegung von Abgüssen und Abbildungen verschiedener Steingeräthschaften
aus Surinam und dem ehemaligen holländischen Guinea, welche Hr. Dr. Lee maus,
Director des Reichsmuseuros der Alterthümer zu Leyden, für die Zwecke der Ge-
sellschaft eingesandt hat
Der ausführliche, von Abbildungen begleitete Vortrag wird in der Zeitschrift
für Ethnologie zum Abdruck gelangen. —
Herr Bastian bemerkt, dass bei Akkra (Goldküste) verschiedentlich Steinwerk-
zenge aufgefunden sind. Die erwähnte Form mit umlaufender Rille soll nach des
Prinzen Max zu Neuwied Angaben bei den Indianern zum Zerschlagen der Mark-
knochen dienen. —
(5) Das correspondirende Mitglied, Hr. Feiice Finzi (Florenz) berichtet
1ll>er die AnlAndnng von Broniefll>eln im Vibrata-Tliale«
Mentre fervono piu 'che mai le questioni intorno alla eta del bronzo; mentre
se ne cercano le origini da tutte le parti; mentre si contrasta se la civilta semita
abbia influito sulP Europa per via delle navigazioni fenicie air ultima Tule, ovvero
per TAsia Minore, ovvero coi gruppi neosemitici di Sardegna e di Malta: e interes-
(70)
sante prendere nota di qiulnnqae fr&mmento che possa illssbvre i) problema «d
avviare a udova ricerche.
Recentemente dae egregi archeologi svedeai, il Dr. Oscar Montelius*) ed il
Sign Hans Hildebrand-flildebrand*), sommettendo ad udo studio iftteato i'eta
del bronza neila Scandinavia, notavano la forma caratteristica delle Gbule nelle pro-
vincie dell' Europa setteDtrionale*). Hildebrand, il quäle estende il sao lavoro
ad an vasto campo di minate comparazioDi, disponendo in grappi le varie fibnle
poneva gli elementi, sebbene parziati, di una pagioa importaotissima della etaologia
d'Guropa.
Le recenti scoperte del Dr. Rosa oella Valle della Vibrata nell' Abruzzo Te-
ramano hanno fatto constatare la esislenza di vast« ofGcine di armi di pietra, le
quali per la sovrabbondanza dei materiali cbe vi si trovano rammentano i grandi
depositi di Abbeville.
Non abbouda iBtessamente il bronzo, cbe, invece di essere trascurato come lo
«raao le armi gindicste ciottoti, si cercava con molta cura per venderne i fram-
menti a poco prezzo. Questa e la ragione per cni sinora i resti dell' epoca del
broDzo in qnesta interessant« valle sono assai pociii. — Havvi pertanto di note-
vole le flbale di cni unisco i disegnL Le due prime presentano la forma piü co-
mane in Italia, l'una (No. 1) nelle ane piü sempÜce espressione, l'altra (No. 2) me-
glio lavocata, in rapporto colla seiie esteeissima di fibnle, le qnali si riferiscono
No. 1. No. 2. No. 3.
anebe molto hinaB» nell' epoea etmsca*). Quanto atla tersa fibnia essa non »
scosta da qnetli che Hildebrand diatingne col nome di grnppi meridionili,
ma pure megUo che al gmppo itatiano si oollegherebbe al gmppo di Hallstadt')-
E troppo fädle lo abbandonani a leggere snpposizioni per potersi permettere di
indnrre qnalche sicnra conaequeuza da un fatto cosi isolato, poiche tanto piü essere
questa nna forma elementare di quelle di Hallstadt, qaanto una fibula di qnesla
fabbrica ginnta nella valle della Vibrata per via di Hcambii. Non e frattanto io-
utile constatare il fatto attendendo cbe nnove scoperte valgauo a meglio esplicarlo. -
(6) Herr Btatiu legt Stein werk zeuge nnd Knochen vor, die aas brasiliscbea
Unschelanh&ufangen an die Gesellschaft fBr Erdkunde durch den Hm. Ingenieur
Kreplin in Santa Catharina eingesandt sind. —
') BToniUdcrn i Norra ocb H«llenta STerige. Stockholm IBTl,
*) Let Fibulet de l'Age du Brenz«. Stockholm ISTI.
*} et Woraaae, Nofdi«ke Oldsoger. SjöbenhaYn 1869. Madseu, Afbilduiuger. Kjäben'
bavn 1370.
*) Of. Gosiadiai, La NJcropole de Tillanovn. Bologue 1B71. p. 43 iq.
^ Hildebrand 1. c, Cf. v. Sacken, Du Qnbfeid von HallstadL
Ol)
(7) Herr Liieli (Schwerin) sendet folgeikden gensneren Bericht ein über den
in der Sitzung vom 9. Decbr. 1871 erwähnten
Mensehensehädel ren DSmitz.
ulm Jahre 1872 ward bei Dömitz an der Elbe bei Gelegenheit des Bmnnen-
senkens behufs der Fandamentimng eines Finthpfeilers für die Eisenbahnbracke
aber die Elbe in der Tiefe ein merkwürdiger Menschenschädel gefanden, welcher
anf Anordnung des Hm. Geh. Regierungsraths und Bau-Directors Neuhaus zu
Berlin dureh den Hm. Abtheilungs- Baumeister Stnertz au die grossherzoglichen
Sammlungen eingesandt und von diesem mit dem erforderlichen Fundbericht be-
gleitet ist. ^Der Pfeiler steht in der Nähe eines alten verlassenen Stromarmes,
der nur bei höherem Wasserstande noch Wasser fuhrt Einige Fuss unter der
Oberfläche fand sich eine nicht mächtige Kleisohicht, welche offenbar vom Eib-
schlick herrührt, unter dieser Schlammschicht liegt Sand, welcher von kleinen
Stückchen Kohle und, nach der Ansicht der Herren Ingenieure, mit Schichten von
Torf durchzogen ist. In diesem Sande ist der Schädel gefunden; er ist 28 Fuss
rheinl. unter der Oberfläche und ungefähr 20 Fuss rheinl. uater dem niedrigsten
bei Dömitz beobachteten Wasserstande der Elbe ausgebaggert. Es ist freilich bei
Baggerarbeiten die Tiefe, in der ein kleiner randlicher Gegenstand seine Lager-
stelle hatte, nicht sicher anzugeben, da der Boden im Baggerbeutel hervorgeholt
wird, es also wohl möglich ist, dass ein derartiger Gregenstand oft lange Zeit vom
Bagger bei Seite geschoben wird und später oder nach und nach beim Baggern
tiefer sinkt und so recht wohl viele Fuss tiefer aufgefunden werden kann, als er
vor Beginn der Baggerarbeit gelagert war.^ Jedoch wird der Schädel immer in
grosser Tiefe gelagert gewesen sein.
Von Bedeutung für die Beurtheilung des Schädels ist die Erkenntniss des Erd-
reichs, aus welchem die Lagerstelle besteht. Auf meinen Wunsch hat der Hr. Bau-
meister Stuertz die Güte gehabt, Proben einzusenden.
Der Sand ist Kieselsand von der Art des Sandes des Meeresufers. In demsel-
ben finden sich ganz kleine Stückchen Kohle, d. h. Braunkohle, „welche sich je-
doch während des Baggerns in der Tiefe leicht unter den Sand misdien konnte.^
Das ganze Sandlager ist ohne Zweifel ein Diluvial-Gebilde und kein Alluvial-Gebilde
dureh die Elbe.
Der sogenannte Torf liegt tief und fest^ in Schichten gesondert. Ich musste
von vom herein daran zweifeln, dass so tief im Diluvial -Gebilde Schichten von
comprimirtem Torf liegen sollten. Auf meine Bitten sandte Hr. Baumeister Stuertz
hinreichend viele und grosse Stücke dieser braunen, festen Masse bis zu 6 Zoll
lang und gegen 8 Zoll dick. Bei näherer Untersuchung ei^ab sich, dass diese
Schichten nicht Torf, sondern Braunkohle sind, welche leicht mit dem 1 Meile von
Dönitz entfernten grossen Braunkohlenlager zu MaUitz (oder Bockup) in Verbin-
dung stehen können.
Um nun in der Forschung sicher vorgehen zu können, sandte ich ausreichende
Probe nnd Nachricht an den Hrn. Landbaumeister Koch zu Güstrow, welcher als
kundiger Forscher nnd erfahrener Geognost den mecklenbni^ischen Boden kennt
und zu beurtheilen weiss. Derselbe schreibt Folgendes: „Das Stück ist wahre
Brannkohle nnd stammt sicher von dem Braunkohlengebirge zu Bockup, wird aber
nicht da, wo es gefunden ist, als anstehend zu betrachten sein. Solche Lager sind
grössere Schollen und kleinere Trümmer, welche bei der Diluvialkatastrophe von
dem Hauptlager abgerissen, und verschwemmt worden sind. Ich habe in meiner
kleinen Schrift über die anstehenden Lager in der Gegend von Dömitz (Zeitschrift
der deutschen geolog. Gesellseh. 1856) auf solche Zerstörung der Ablagemngen
(72)
zwischen Bockap und Karenz mehrfach hingewiesen und habe das gleidie Verbalt-
niss bei allen anstehenden Lagern Mecklenburgs, die ich nntersucht habe, wieder
gefunden, und zwar bestimmt nachweisbar. In diesen umständen Hegt auch der
Gmnd far die so anendlich viel in Mecklenburg (namentlich beim Bmnnengraben)
sich findenden, oft ziemlich grossen Brannkohlenstückchen im Diluvialsande. Den
Sand, in dem diese BraunkohlenschoUeu im Elbthale liegen, habe ich im Sommer
1871 in Dömitz selbst gesehen: es ist der reinste, klarste Seesand, und nach mei-
ner Ueberzeugung auch wirklicher alter Meeresgrund; dieser Sand und die eingela-
gerten Braunkohlen sind diluvialer Natur; mit dem darfiber liegenden Schlick and
Klei beginnt das Alluvium.*'
Es ist sehr zu beklagen, dass mit Genauigkeit und Sicherheit nicht zu ermit-
teln ist, wie tief und in welcher Schicht der Schädel ursprünglich gelegen hat
Der Schädel muss also selbst so viel reden, als möglich ist.** —
Herr Beyrioh bestätigt die Zuverlässigkeit des Hm. Koch in der BesUmmnng
geologischer Funde.
Herr Virchow legt den ihm durch Hrn. Lisch übersendeten Schädel vor (Taf.
VH) und knüpft daran folgende Bemerkungen:
Der in allen Theilen mit Ausnahme des linken Oberkieferrandes und der inne-
ren Theile der Orbitae vortrefflich erhaltene Schädel, dem leider der Unterkiefer
fehlt, kann als ein Muster eines uralten Torf- oder, wie man hier vielleicht sagen
könnte, Braunkohlenschädels gelten. Er hat jene dunkelgraubraune, fast schwarz-
braune Farbe, jenes dichte, glänzende Aussehen, jene Festigkeit und Schwere,
welche einen nidiezu fossilen Zustand anzeigen. Die starke Abschleifung der Zähne,
wie die mächtige Entwickelung aller Knochenabschnitte bezeichnen einen älteren
Mann. Die starken und ausgedehnten Mnskelinsertionen deuten zugleich auf grosse
Stärke und Wildheit hin. Am Hinterhaupt ist die in der letzten Zeit von Herrn
Merkel beschriebene Linea nuchae superior sehr stark abgesetzt und die ganze
Fläche der Schuppe unterhalb durch zahlreiche längliche Gruben uneben. Die
Lineae semidrculares temporales reichen bis über die Tubera parletalia hinauf and
nähern sich dicht hinter der Sutura coronaria bis auf 118 Millim.; die Jochbogen
sind, obwohl nur massig ausgelegt und auf der Fläche stark gebogen, abstehend;
die Alae temporales des Keilbeins am obersten Theile sehr breit, rechts 34,6, links
32,6 Millim. im Querdurchmesser, auf der Fläche von oben nach unten stark eingebo-
gen; die Schuppen der Schläfenbeine steil und platt, verhältnissmässig schmal, im
Durchschnitt etwa 68 — 69 Millim. lang (von vom nach hinten); die obere Schlä-
fengegend sehr ausgelegt und deswegen der Schädel trotz der Vorragung der Joch-
bogen kryptozyg. Die Processus mastoides sehr kräftig und die Incisur an ihrer
Basis tief und gerade. Der Charakter der Wildheit wird sehr verstärkt durch einen
leichten Prognathismus der oberen Alveolarfortsätze, durch einen kolossalen hyper-
ostotischen Wulst über der Nasenwurzel und durch eine stark zurückgelegte, fast
ganz flache Stirn, deren Glabella gegen die Horizontallinie fast einen Winkel von
45® macht. Der Gesichtswinkel (äusserer Gehörgang, Spina nasalis inferior, Nasen-
wurzel) beträgt 75 ^ Die Augenhöhlen sind breit und gross, die Snpraorbitalrän«
der dick und stark überragend, die Incisur fast ganz verstrichen. Die Nasenwurzel
von massiger Breite, etwas tief liegend, der Nasenrücken schmal, die ganze Nase
auffällig niedrig (kurz).
Mit diesen Chandcteren harmonirt die verhältnissmässig geringe Capacität des
Schädelraumes von 1380 Cubik-Centim., welche einigermassen überraschend ist
(73)
gegennber dem Eindruck der Grösse, welchen der Sch&de] macht Es erklärt sich
dieser Mangel wohl hauptsächlich darch die Depression der Stirn, da fast alle
Maasse verhältnissmässig grosse sind. Die allgemeine Schädelform ist die eines
massigen Brachycephalas, der, wie schon Hr. Lisch mit Recht bemerkt hat, sich
der von mir als trochocephalisch bezeichneten Varietät anschliesst. Der Breiten-
Index (Länge : Breite) beträgt 79,8, der Höhen-Index (Länge : Höhe) 76,5, der Höhen-
Breiten-Index 95y8.
Was die einzelnen Theile der Schädeloberfläche betrifft, so ist das Stirnbein
gross, jedoch mit sehr flacher Wölbnng, dagegen seitlich, auch unterhalb der Linea
semicircularis, fast kngelig hervorgetrieben. Der Temporal - Durchmesser erreicht
daher die ungewöhnliche Grösse von 129,5 Mill. Die Tubera frontalia sind sehr
flach, daf&r findet sich, wie erwähnt, über der Nasenwurzel ein mächtiger Wulst;
hier zeigt sich in einer Erstrecknng von etwa 10 Millim. ein stark zackiger Rest
der Sutnra frontalis; von da aufwärts lässt sich eine schwache Erhöhung (crista
frontalis) verfolgen. Die Tubera parietalia sind kaum erkennbar, die Emissaria zn
beiden Seiten der Pfeilnaht dicht aneinander gerflckt. Die Oberfläche zwischen
den Lineae semicirculares an beiden Scheitelbeinen mit zahlreichen, kleinen, flachen
RnochenauBwuchsen bedeckt, in der Breite wenig, in der Länge ziemlich gleich-
massig gewölbt. Die Satura coronaria sehr stark, die Sagittalis massig, die Sut.
lambdoides wenig gezackt An der Spitze der letzteren ein kleiner Schaltknochen.
Der obere Theil der Squama ocdpitalis in regelmässiger Fortsetzung der parietalen
Curve gleicbmässig gekrümmt
Die Ebene des Foramen occip. magnum fällt nahezu mit der des harten Gau-
mens zusammen; der vordere Rand desselben springt bei rein vertikaler Stellung
des Schädels bedeutend nach unten hervor. Die Gelenkfortsätze liegen an der vor-
deren Hälfte des ümfanges, treten sehr hervor und zeigen stark nach aussen ge-
richtete Gelenkflächen. Die untere Fläche der Apophysis basilaris nähert sich der
horizontalen. Das Palatum ist kurz und breit; es misst 40 Millim. in der grössten
Breite, 43 in der Länge, davon gehören 15 dem Os palatinum an, dessen hinterer
Theil durch starke Muskeleindrficke uneben ist Die Plflgelfortsätze sind verhält-
nissmässig wenig ausgedehnt und die Fossa pterygoidea im Ganzen schmal.
Die Maasse im Einzelnen sind folgende:
Grösster Horizontalumfang 531
Grösste Höhe 140
Entfernung des For. occip. von der vorderen Fontanelle 138
r, „ „ „ ^ „ hinteren „ 119
Grösste Länge 183
Sagittalumfang des Stirnbeins 130
Länge der Sut sagittalis 115 | 370
Sagittalnmfang der Squama occip 125 ^
Entfernung des Gehörganges von der Nasenwurzel. . . 109
„ „ „ „ dem Nasenstachel . . 105,5
„ „ For. occip. von der Nasenwurzel . . . 106
n rt y^ jt rt ^^°^ Naseustachel . . . 93
,1 n D 9» (hinterer Rand) von der Wöl-
bung des Hinterhauptes 58
Länge des For. occipitale 35
Breite „ „ „ 30
Grösste Breite 146
Oberer Frontal-Durchmesser (Tub. front) 68
(T4)
unterer Frontal -Dnrchmesser (Proc. zygomat.) .... 100,5
Temporal-Durchmesser 129,5
Parietal- , (Tub. pariet.) 130
Mastoideal- ^ 125
Jugal- ^ 13S
Maxillar- „ 62
Qnemmfang von einem Gebörgange zum andern über die
vordere Fontanelle 372
Breite der Nasenwurzel 27
,1 ^ Nasenöffnnng 25,6
Höhe der Nase 46
Breite der Orbita 38,5
Höhe „ ^ . . 31
(8) Herr Virohow veranstaltet, unter Vorlegung einer grösseren Reilie Ton
Präparaten, eine
Yergleiehniig Unnlseher und esthnlseher SelUMel mit alten Chriterseliftdefai
des nordOstUchen DentselÜMids.
Ich hatte schon lange beabsichtigt, einige Mittheilungen über die BeciehoBgen
der Moor- und Gräberschädel des nordöstlichen Dentschiands za den finnischen
und esthnischen Schädeln zu machen. Sie begreifen, dass diese Absicht von Nenem
belebt wurde durch die Betrachtungen, welche französischerseits über derartige Be-
ziehungen angestellt worden sind.
Der Gedanke, dass in grossen Abschnitten von Europa, namentlich in Skan-
dinavien und in einem grossen Theil von Deutschland, vielleicht noch weiterhin
eine Urbevölkerung gewohnt habe, welche verwandt gewesen sei mit einem der
jetzt zurückgedrängten Völker, ist zuerst von skandinavischen Archäologen anfge-
worfen worden. Die Herren Nilsson, Eschricht und Retzins haben schon
vor einer Reihe von Jahren diese Frage erörtert. Begreiflicherweise hat man die
Aufmerksamkeit dabei hauptsächlich auf die drei bekannten Völkerstämme des Nor-
dens, die Finnen, Eskimos und Lappen gerichtet, und es lässt sich denken, dais
die Frage von den genannnten Herren auch zunächst verfolgt wurde an ihren ein-
heimischen Fnnd-Objecten, dass namentlich die häufigen Schädelfunde in Dänemark
und die, wenngleich seltenen, so doch vorzüglichen Funde im südlichen Schweden
in eine solche Beziehung gesetzt wurden. Es stellte sich sehr bald heraus, dass
die etwas weitgehende Hoffnung, man werde in den Eskimos ein solches, ursprüng-
lich weit nach Süden reichendes Urvolk erkennen, aufgegeben werden müsse; eben
so wenig gelang der Nachweis in Beziehung auf die Lappen. So fixirte sich dann
das Interesse, namentlich durch die Untersuchungen des Hm. Retzins anf die
weitere Verbreitung der Finnen.
Die Sache blieb jedoch noch lange in Discnssion und Sie erinnern sich viel-
leicht, dass ich bei Gelegenheit des archäologischen Gongresses in Kopenhagen
(1869) die Gelegenheit benutzt habe, fast sämmtliche dort vorhandenen Gräber-
schädel, ebenso sämmtliche Lappenschädel und die zuverlässigsten Finnen- und
Grönländerschädel der dortigen Sammlungen durchzumessen (Archiv für Anthropo-
logie, Band IV. S. 55). Es hat sich durch diese Untersuchung heransgestellt,
dass die Gräberschädel mit keinem jener modernen Völker etwas zn thun
haben, dass höchstens während der Bronze- und früheren Eisenzeit Einwan-
derungen nachzuweisen sind, welche auf römische Raufleute hindeuten, dass da-
gegen die auf den dänischen Inseln gefundenen Schädel der Steinzeit mit den jetsi-
(75)
gen Dänen, die in Schonen ausgegrabenen mit den heutigen Schweden eine grös-
sere Uebereinstimmung darbieten , als mit irgend einem jener Völker. Man
hätte nnn glanben können , dass damit die Sache erledigt gewesen wäre. Allein
gerade in Frankreich hatte sich inzwischen die Aufmerksamkeit auf diese Frage
gerichtet und zwar durch einen , uns freilich seit Langem abtrünnig gewordenen
bayrischen Landsmann, Hrn. Dr. Prnner, welcher nach seinem Durchgang durch
Aegypten als Pruner-Bey in Paris lebt Derselbe kam unter Anderem anf den
Gedanken, dass ein Theil derjenigen Urbevölkerung Frankreichs, welche sich der
Renthier-Periode anreiht oder noch in sie hineinreicht, einem Yolksstamme angehört
habe, welchen er damals als einen brachycephalen und mongoloiden bezeichnete
und von welchem er der Meinung war, dass er mit den Finnen verwandt gewesen
sei. unglücklicher Weise stellte sich sehr bald ein Uebelstand heraus. Es wurde
nehmlich eine überaus merkwürdige Höhle» die von Des Eyziesi aufgeschlossen.
Daselbst fand man mehrere Skelete mit gut erhaltenen Schädeln, deren Zu-
gehörigkeit zu der Renthier-Zeit nicht wohl bezweifelt werden konnte, und da
ergab sich unglücklicherweise, dass diese Schädel dolichocephale sind. In Folge
dessen kam Hr. Pruner-Bey in die üble Lage, mit den unzweifelhaft brachy-
cephalen, eigentlichen Finnen nicht mehr operiren zu können. £r gab die Brachy-
cephalie auf, behielt aber die mongoloide Verwandtschaft bei und knüpfte nun seine
Betrachtungen an die Esthen.
Es war dies insofern ein kühnes Unternehmen, als Esthen -Schädel sich faat
nirgends vorfanden. In Paris gab es nur einen einzigen in der Sammlung von
Guvier. Ausserdem kannte man aus Gitaten bei Pritchard eine kleine Abhand-
lung von HuecJc mit flüchtigen Abbildungen. Erst nachträglich wurden durch
Hm. V. Baer 3 weitere «Esthen^ -Schädel nach Paris geliefert Es ist die Frage
aufgeworfen worden, woher dieselben stammen und ob sie als zuverlässig betrach-
tet werden können. Ich will darauf nicht weiter eingehen, sondern nur hervor-
heben, dass in Folge des Fundes in Des Eyzies, dessen Skelete als uralte Esthen
angesprochen wurden, ein sehr lebhafter Streit in der Pariser anthropologischen
Gesellschaft ausbrach und der anerkannt beste französische Anthropologe, Hr. Broca
in einer äusserst drastischen und für jeden wissenschaftlichen Streit musterhaften
Weise Hm. Pruner-Bey ad absurdum führte (Bullet de la soc. d'anthropol. de
Paris. 1868. S^. II. T. ill. p. 454). Ich kann nicht anders sagen, als dass wohl
selten eine so gelungene Abführung, wie die des Hm Pruner-Bey stattgefun-
den hat
Man hätte nun wohl annehmen können, dass, nachdem dies 1868 geschehen,
damit die unmittelbare Verbindung der europäischen Urbevölkerang, sei es mit den
eigentlichen Finnen, sei es mit den Esthen, hätte aufgegeben werden müssen, und
es war dies um so mehr anzunehmen, als Hr. de Qnatrefages in einer beson-
deren Abhandlung (Bullet de la soc. d'anthropol. 1866. Ser. II. T. I. p. 284) sieb
der 3 Esthenschädel angenommen hatte, welche durch Hrn. v. Baer nach Paris
gekommen waren, und als bei dieser Untersuchung sich eine erhebliche Mannichfaltig-
keit von Verhältnissen vorgefunden hatte: der eine erwies sich als dolichocephal,
zwei dagegen als brachycephal , aber keinenfalls boten sie constante Beziehungen
zu den altfranzösischen Schädeln. Es ist daher wohl als ein Zeichen des wissen-
schaftlichen Geistes anzusehen, der jetzt die hohen Kreise der französischen Aca-
demie beherrscht, wenn Hr. de Qnatrefages trotz der Verhandlungen des Jah-
res 1868, weicht eine so allgemeine Verurtheilnng der esthnischen Theorie herbei-
geführt hatten, wie es scheint, nur durch den Krieg auf die Ansicht zurückgekommen
ist, dass die Urbevölkerung Europas eine finnische gewesen sei. In dem viel be-
(76)
sproehenen Artikel der Revue des denx mondes sagt er, er selbst sei früher sebr
zweifelhaft gewesen, aber je mehr er es sich überlege, je klarer werde es ihm,
dass namentlich in Prenssen die finnische Urbevölkemng sich in einer gewissen
Reinheit erhalten habe. Namentlich wenn er die Rachsucht, die Bosheit, die Wild-
heit der Prenssen in Betracht ziehe, so ergebe es sich als unzweifelhaft, dass Herr
Pruner-Bey Recht habe, dass die Prenssen eigentlich Finnen seien.
Ich mnss übrigens hinzufügen, d^ss Hr. de Qnatrefages sich zu dem Ge-
ständnisse genötbigt sieht, dass auch in der französischen Raoe etwas finnisches
Blnt drcnlire, aber er meint, dass es durch den Einfluss eines viel mehr begabten
Volkes, der Oelten, so weit zurückgedrängt sei, dass es sich nur noch an einzelnen
Orten und in einzelnen Individuen geltend mache, während in Deutschland und
namentlich in Prenssen sich die finnische Bevölkerung mehr ausgebreitet und end-
lich so sehr herausgearbeitet habe, dass sie sich in der prenssischen Race in ihrer
ganzen Schlechtigkeit der Welt habe darstellen können.
Es ist vielleicht nützlich, um die Methode des Hm. Pruner-Bey zu Ulustrl-
ren, ein bestimmtes Beispiel anzuführen. Durch die Güte des Hrn. Grafen Wil-
helm Pourtales, den wir als Gast unter uns sehen, bin ich in den Stand ge-
setzt, einige Knochenreste vorzulegen, welche bei Greng am Murtener See gefun-
den sind und die nach den begleitenden Pund-Objecten der Steinzeit angehören.
Dieselben Knochen haben im Jahre 1866 der Pariser anthropologischen Gesellschaft
vorgelegen, und Hr. Pruner-Bey hat darüber einen sehr eingehenden Bericht er-
stattet, in welchem er die einzelnen Knochen beschreibt (Bullet de la soc. d'anthro-
pol. 1866. Ser. II. T. I. p. 674). Von diesen Fragmenten gehören zwei, ein Stirn-
bein und ein rechtes Seitenwandbein mit fehlender vorderer innerer Ecke zu dem-
selben Schädel und lassen sich zusammenfügen, die andern sind ohne Znsammen-
hang und gehören entschieden zu verschiedenen Individuen. Es bedarf daher in
der That einer starken Inspiration, aus ihnen etwas Rechtes zu machen. Nichts-
destoweniger thnt es Hr. Pruner-Bey: er beweist, dass der Inhaber der ersten
zwei Bruchstücke ein dolichocephaler Arier gewesen sei, denn, sagt er, wenn man
sich das fehlende Hinterhaupt in Gedanken ergänzt, so bekommt man
einen Langschädel, und wenn diese Hypothese richtig ist — denn eine sehr starke
Hypothese ist es jedenfalls, da man sich das fehlende Hinterhaupt sehr verschieden
vorstellen kann — dann entspricht dieser Schädel der celtischen Race, die dem-
nach zur Steinzeit in die Schweiz eingewandert wäre. Von einem andern (linken)
Seitenwandbein behauptet er, dass es ganz klar einen Brachycephalus andeute, der
einer andern Urbevölkerung angehört haben müsse, die von den Gelten überwun-
den nnd zurückgedrängt sei. Diese merkwürdigen Behauptungen stützen sich auf
vermnthete Maasse! Nun ist es aber meiner Meinung nach absolut unmöglich,
wenn man ein Hinterhaupt nicht hat, anzugeben, wie es ausgesehen hat; man braucht
nur einige Schädel anzusehen, um sich zu überzeugen, dass an einem Schädel, wel-
cher das Hinterhaupt verloren hat, niemand darthun kann, ob das Hinterhaupt vor-
sprang oder abfiel. Aber das Merkwürdigste bei den Knochen von Greng ist, dass
thatsächlich nicht einmal eine wesentliche Differenz zwischen den beiden Seitenwand-
beinen besteht, denn wenn man beide, obwohl zu verschiedenen Schädeln gehörig, in
entsprechende Lagen bringt und ihre sagittalen Ränder an einander legt, so bilden
ihre hinteren Ränder einen Winkel mit vollkommen symmetrischer Lage der Schenkel,
und wenn man ihre Länge an der Sagittalis misst, so ergiebt sich nur eine Differenz
von höchstens 2 Millim., während Hr. Pruner-Bey eine solche von 5 Millim. her-
ausiechnet. Dabei findet noch die Sonderbarkeit statt, dass meine Messung in Be-
ziehung auf das linke Seitenwandbein mit der des Hm. Pruner-Bey übereinstimmt,
(77)
— wir finden beide 120 Millim., — dass dagegen in Beziehung aaf das rechte
Seiten wandbein seine Messung 125, die meinige nur 118 ergiebt. Ebenso finde ich
ffir das Stirnbein einen Sagittalnmfang von 130, wo er 135 misst, und wäh-
rend seine Messung für beide Knochen zusammen einen Sagittalnmfang von 260
Millim. ergeben würde, so erhalte ich uur 248'). Ich will nun zugestehen, dass
das rechte Seitenwändbein, da sowohl sein vorderer innerer Theil (an der grossen
Fontanelle) defect ist, als auch an seinem hinteren Theile die Zacken etwas ab-
gebrochen sind und es daher nicht möglich ist, ganz sicher die Spitze der Lambda-
naht zu bestimmen, zu Differenzen Veranlassung bietet, indess darf man diese Un-
sicherheit nicht überschätzen. Man kann das am Seitenwändbein fehlende Stück
an der Lücke sehr wohl messen, da die temporalen Abschnitte des Stirn- und Sei-
tenwandbeins vorhanden sind und an einander gefügt werden können. Trotzdem
fühle ich mich ausser Stande, zu entscheiden, ob einer der Knochen einem Dolicho-
cephalus angehört hat Ich kann aber auch nicht behaupten, dass einer davon
einem Kurzschädel angehörte; das wäre eben so willkürlich. Im Uebrigen will
ich nur bemerken, dass mein Befund auch darin von Hrn. Pruner-Bey's Bericht
abweicht, dass nach ihm beide Seitenwandbeine jugendlichen Männern angehört
haben sollen. Sie sind so dick und compact, dass sie unbedingt wohl constituir-
ten, älteren Männern zugesprochen werden müssen. Auch alle übrigen Knochen,
die eine tiefgelbbraune Färbung tragen, sind von einer merkwürdigen Schwere,
was freilich von den Einflüssen der Erdschichten, in welchen sie so lange lagen,
herrühren mag; jedenfalls zeigen sie eine vortreffliche Ausbildung des Kopfes und
nichts, was eine Inferiorität dieser Bevölkerung andeuten könnte.
Wenn ich mich nun zu einer Erörterung der bei uns vorkommenden prähisto-
rischen Schädel wende, so will ich mich darauf beschränken, gewisse Typen auf-
zustellen. Im Allgemeinen muss ich sagen, dass, soweit meine Erfahrungen über
das nordöstliche Deutschland reichen, nur wenige alte Schädel brachycephale For-
men darbieten. Sie sind in der Mehrzahl entweder dolichocephal oder eurycephal
(mesocephal). Ausgesprochene Brachycephalen sind sehr selten.
Es ist daher von besonderem Interesse, den eben geschilderten, brachycepha-
len Schädel von Dömitz zu sehen, der ein in jeder Beziehung merkwürdiges Spe-
cimen darstellt. Man könnte gerade von einem solchen Schädel, welcher in so
grosser Tiefe gefunden wurde und der den ganzen Habitus eines alten Torf-
schädels oder, wenn man will, Braunkohlenschädels an sich trägt, glauben, er stelle
den Typus der eigentlichen Urbewohner der norddeutschen Ebene dar und er möchte
einem alten Tschuden der finnischen oder esthnischen Race angehört haben.
Bevor ich diese Frage weiter verfolge, will ich einige analoge Funde erwähnen.
Hr. Lisch (Jahrb. des Vereins f. mecklenb. Geschichte u. Altkrtbumskunde. 1847.
Bd. XII. S. 400) hat schon früher den Schädel eines bei Plan in hockender Stel-
lung, mit Hom- und Knochengeräth beigesetzten Skelets beschrieben, von dem
Hr. Schaaffhausen (Mullers Archiv 1858. S. 472) eine genauere Schilderung ge-
liefert hat. Leider ist die grösste Breite nicht angegeben; nimmt man die grösste
Länge (168) und die Entfernung der beiden Parietalhöcker (138) nach der Methode
des Hm. Welcker als Basis der Rechnung, so erhält man einen Breiten-Index von
82,1. Diese Zahl ist wahrscheinlich viel zu hoch, da die Mastoidealbreite 155 Mm.
betrug; nichtsdestoweniger nähert sich der Schädel von Flau, den ich aus eigener
Anschauung kenne, dem Schädel von Dömitz bis zu einem gewissen Grade.
*) Diese sämmtlicben Knochen sind von Hrn. Grafen Pourtales der anthropologischen
Gesellschaft geschenkt und in der Sammlung derselben deponirt
(78)
Ich selbst kann einen Schädel yorlegen, der an dieser Stelle Erwähnung yer-
dient. Allerdings hat derselbe einen viel mehr moderneu Habitus: auch gehört er
einer entschieden neueren Zeit aa. Dem entsprechend zeigt er eine Capacitat von
) 700 Cub.-Gent und einen Sagittalurafang von 388 Millim. Auch ist die Stirn stark
Yorgewölbt, trotzdem dass der Sagittalumfang des Stirnbeins (129) etwas kleiner ist,
als bei dem Schädel von Domitz. Der Breiten -Index dieses Schädels beträgt 82,
der Höhen-Index 75,1, Höhe: Breite - 91,5. Es sind also erhebliche unterschiede vor-
handen. Wenn ich jedoch die beiden zusammen betrachte, so muss ich sagen, dass
unter allen älteren Schädeln, die ich augenblicklich habe auftreiben können, diese
beiden sich entschieden am nächsten stehen. Der eben erwähnte Schädel, der nach der
Beschaffenheit der Zähne einem jugendlichen Individuum zugerechnet werden muss,
stammt aus einem Steinsarge her, der auf dem Kirchhofe des durch Stunuflnthen unter-
gegangenen Dorfes Bandt in Ostfriesland am Jadebusen ausgegraben ist. Durch archäo-
logische Untersuchungen, welche die Regierung angeordnet hat, ist festgestellt, dass
in der Nähe der Stelle, wo die Steinige aufgefunden worden sind, die Fundamente
der alten Kirche liegen. Darnach dürfte dieser Schädel aller Wahrscheinlichkeit nach
anzusehen sein als der Schädel eines der dortigen Gegend angehörigen Mannes des
11. Jahrhunderts, also wahrscheinlich eines Friesen. Ich bin nicht in der Lage, ein
allgemeines Urtheil über die Craniologie der Friesen auszusprechen; da jedoch auch
die altholländischen Schädel nach Hm Sasse überwiegend brachycephal (Breiten-
Index 81) sind, so kann man immerhin sagen, dass der Schädel von Domitz mehr
Analogien nach Westen als nach Osten findet und dass vorläufig mehr Wahrschein-
lichkeit besteht, dass er einer germanischen, als irgend einer anderen Raoe zugeschrie-
ben werden müsse.
Bis vor einiger Zeit war man allgemein geneigt, die brachycephale Form als
die eigentlich slavische zu bezeichnen Allein in den letzten Jahren hat sich die
Zahl der Beobachtungen, welche für anerkannt germanische Stämme gleichfalls bra-
chycephale Schädel nachgewiesen haben, so sehr gehäuft, dass die frühere Aufstel-
lung gänzlich hat aufgegeben werden müssen. Selbst da, wo man bis vor Kurzesi
eine gewisse Berechtigung hatte, die Gräberschädel für slavische zu halten, treten
Zweifel auf. So besitze ich durch die Güte des Hm. Dr. Ludwig Meyer, jM
Professor in Gottingen, seit Langem einen Schädel, der auf der Höhe von Konopat
in der Nähe von Terespol zwischen Schwetz und Gulm im alten Pomerellen ausge-
graben wurde; er fand sich neben Urnen zwischen abgeschli£Penen und scheinbar
künstlich geglätteten erratischen Blöcken. Er hat eine Capadtat von 1490 Cub.-Gent,
einen Breiten -Index von 82,1, einen Höhen -Index von 79,4, Höhe : Breite = 96,5.
Aber er unterscheidet sich von dem Dömitzer und Bandter Schädel dxurch seinen viel
geringeren Sagittalumfang (355 Hillim.), nameiüich den viel kleineren Sagittalumfang
des Stirnbeins (120), durch viel geringere Länge (178) und viel grössere Mastoideal-
breite (142), ganz besonders durch die Gesichtsbildung, in welcher die sehr breite
und verhältnissmässig niedrige Orbita (Breite 40, Höhe 29) entscheidend wirkt
In der kürzlich erschienenen, vortrefflichen Monographie des Hm. R. Wegner
über den Schwetzer Kreis (Ein pommersohes Herzogthum und eine deutsche Ordens-
Komthurei. Posen 1872. S. 41, 51.) ist von derselben Fundstätte ein anderer Schä-
del erwähnt worden, den Hr. Meschede (ebendas. S. 165) genauer geschildert hat.
Darnach ist derselbe dolichocephal (Breiten-Index 78,76, Höhen-Index 77,28) und Herr
Meschede spricht denselben als einen unzweifelhaft germanischen an. So sehr ich
die sorgfaltige Untersuchung anerkenne, so scheint es wir doch zweifelhaft, ob die-
selbe in ihrem Endergebniss ab richtig zugestanden werden darf.
Mein Zweifel stützt sich name&tlioh auf die überraschende Aehnlichkeit, welche
(7»)
meiii Konopater Schädel mit einem von Bogdanowo (Prov. Posen, Kreis Obornik)
darbietet, der mir durch die Gefälligkeit des Hrn. Witt zugegangen ist und der
nach den Fundverhaltnissen einem älteren Polen angehört haben muss. Capacität
1400, Breiten-Inder 82,1, Höhen-Index 74,7, Höhe: Breite 91,0, Sagittal umfang 352,
daTon fOr das Stirnbein 125, Mastoidealbreite 138, Länge 176,5, Breite der Orbita 41,
Höhe 34. Man sieht aus diesem Beispiele die Schwierigkeit dieser Untersuchung. Denn
alle anderen umstände des Konopater Fundes stimmen für den Schädel, den Herr
Meschede beschreibt, mit dem in meinem Besitze befindlichen so sehr überein, dass
es kaum möglich erscheint, zwei verschiedene Racen an diesen Grabstätten zu bethei-
ligen. Ich bin daher vorläufig viei mehr geneigt, die slavische Abstammung festzu-
halten. Es würde sich dann aber ergeben, dass wir innerhalb der brachycephalen
Gruppe yerschiedene Unterabtheilungen aufstellen müssen.
Dieser Gruppe gegenüber will ich nunmehr dolichocephale Formen erwäh-
nen. Zunächst lege ich einen Schädel vor, welcher dem Typus entspricht, der so-
wohl bei uns, als auch in Dänemark den eigentlichen Torfschädeln eigenthümlich ist.
Leider ist, was die Zeit angeht, über diesen Schädel nichts Bestimmtes zu sagen.
Derselbe ist zwischen FerbelUn und Langen gefunden worden, als man den Rhinfiuss
▼ertiefte, und mir von Hrn. Kreisgerichtsrath Rosenberg in Neu-Rnppin geschickt
worden. Unter dem Bett des aus dem Ruppiner Se^e fiiessenden Wustrauer Rhin
stiess man, nachdem 1 Fuss Schlamm und etwa 3 Fuss Torf weggeräumt waren, in
einer Tiefe von 7 Fuss unter dem früheren Wasserspiegel und zwar auf Sandboden
liegend, auf diesen Schädel und einen menschlichen Oberschenkel. Beide haben das
schwarzgraue Torfcolorit Dieser Schädel ist das gerade Gegentheil der bisher bespro-
chenen. Wie man ihn auch betrachtet, von oben, unten, vom oder hinten, überall
finden sich durchgreifende Unterschiede. Es ist ein orthognather Dolichocephalus
der vortrefflichsten Art, denn während der Breiten -Index bei den früheren ca. 80
betri^, hat dieser einen solchen von nur 75,8 bei einem Höhen -Index von 71,5.
Er gehört daher schon zu den ausgeprägtesten Langschädeln. Wie gewöhnlich, ver-
dankt er seine Länge ganz überwiegend einer starken Entwickelung des Hinterhaupts,
wobei der obere Theil der Schuppe ganz besonders hervortritt. Dies spricht für eine
vorwiegende Entwickelung des Grosshirns, womit auch die Capacit&t von 1590 Gub.-
Gent. stimmt.
Von besonderer Wichtigkeit ist es, dass von einer benachbarten Oertlichkeit,
ebenfalls aus dem Linumer Moor, die hiesige Bergakademie einen Torfschädel besitzt,
welcher die grösste Uebereinstimmung zeigt. Es ist ein noch jugendlicher Schädel
von nur 1300 Cub.-Oent Capacität, mit einem Längen-Index von 72,7, einem Höhen-
Index von 73,8, Höhe : Breite = 101,5. Ganz besonders auffällig ist auch hier die
ungemein starke Yorwölbung des oberen Theils der Hinterhauptsschuppe, welche fast
kugelig hervortritt
Diese Form, so sehr sie nach der Fundstätte auf uralte Verhältnisse zurückzu-
führen scheint, wiederholt sich in verschiedenen Modificationen in einer verhältniss-
mäasig grossen Zahl von Schädeln, welche mir von verschiedenen Seiten, namentlich
aus dem Gebiet zwischen Oder und Weichsel, also ziemlich weit östlich, zugegangen
sind. Ich habe nur einen derselben mitgebracht, der in der Gegend von Pakosz
(Prov. Posen) bei Jankowo durch Hm. Hepner aufgefunden und mir durch Herrn
Michael Levy in Inowraclaw übermittelt wurde. Eine Metallnadel, welche dabei
lag, hielt ich zuerst für Bronze; die von Hrn. O. Liebreich vorgenommene Analyse
zeigte jedoch fast nur Kupfer mit einer starken Spur von Silber. Ich bin darnach
nicht im Stande, eine Angabe zu machen, welcher Zeit der Schädel angehört, und zwar
um so weniger, als nach meiner Ansicht weder Stein- noch Metallgeräthe als solche
(80)
einen absolnt sicheren Schlnss zulassen. Dieser Schädel hat bei seiner Lfinge Ton 188
Millim., bei seiner intertaberalen Breite yod 121,9 Hillim. — die Höcker des Schei-
telbeins sind sehr stark entwickelt — und bei seiner Capacitat Ton 1710 Gub.-Gent.
ein ungleich mehr cultivirtes Aussehen. Aber sein Breiten-Index ist 75, der Hohen-
Index 77,6, und ich muss sagen, ein solcher Schädel gehört jetzt bei uns zu den
allergrössten Seltenheiten; ich wüsste nicht, dass noch irgend ein Bruchiheil unserer
Bevölkerung Langschädel Yon solcher Regelmassigkeit besässe.
Aehnliche Schädel besitze ich mehrere. Namentlich gehören dahin die Sch&del
▼on Königswalde, welche ich in der Sitzung vom 9. Juli 1870 erwähnt habe.
Welchem Volke sie angehört haben mögen, lasse ieh yorläufig dahingestellt,
und zwar um so mehr, als ich nicht genau sagen kann, wie weit dieser dolichoce-
phale Typus zeitlich zurückgeht. Möglicherweise reicht er bis in die historische Zeit
hinein. Geographisch lässt er sich verhältnissmässig weit nach Osten und Norden
verfolgen. Denn ich habe solche Schädel auch aus Pommern und Mecklenburg-Stre-
litz untersucht.
Zwischen diesen beiden Extremen giebt es nun sehr bemerkenswerthe Mitteifor-
men. Als Beleg dafür habe ich einen Schädel mitgebracht, den ich in der Nahe
▼on Stargard in Pomtnern mit meinem Freunde Mühlenbeck ausgegraben habe.
Es war ein grosses Gräberfeld in der Nähe yon Storkow, welches einen Hügel ein-
nahm. Die Gräber waren einzeln mit grossen Steinkränzen eingefasst, aber die Lei-
chen lagen ohne irgend eine erkennbare Umhüllung in der Erde und es war deshalb
auch die grössere Mehrzahl derselben, wo der Boden Feuchtigkeit besass, zerstört.
Auf der trockensten Stelle fanden wir ein vollständiges Skelet mit gut erhaltenem
Schädel und allen Knochen, daneben eine Thonschale und Eisen. Alles deutet dar-
auf, dass es sich hier um verhältnissmässig neue, wenngleich immer noch vorge-
schichtliche Verhältnisse handelt. Der sehr kräftige Schädel ist mehr lang als breit
und wird ungefähr die Mitte halten zwischen den beiden vorher erwähnten Gruppen
Man kann ihn daher als eury- oder mesocephal bezeichnen. Bei einer Capacitat von
1530 hat er eine Länge von 190, eine Breite von 146 und eine Höhe von 142; es
beträgt daher der Breiten-Index 76,8, der Höhen-Index 75, Höhe: Breite 97,2 Sa-
gittalumfang 394,5, davon 132 auf das Stirnbein fallend, Mastoidealbreite 138. Im
Uebrigen ist er orthognath, mit sehr langer Nase (Höhe 55,2) und verhältnisamisng
schmalen Augenhöhlen (Breite 39, Höhe 32). — In dieselbe Kategorie setze ich den
in der Sitzung vom 13. Januar 1872 erwähnten Gräberschädel von Kolzow auf der
Insel Wollin.
Es sind dies die 3 Haupttypen, welche wir bei unseren prähistorischen Graber-
und Moorschädeln antreffen. Wenn ich nun mit diesen Typen diejenigen unserer
nordöstlichen Nachbarn, der Finnen und Esthen vergleiche, so finde ich in der That
weder mit der einen, noch mit der anderen Form eine hinreichende Aehnlichkeit.
Ich zeige zuerst einen ausgezeichneten und sicher bestimmten finnischen Schädel
aus dem Bezirk Wasa, den ich der Gute des Hm. -Hjelt in Helsingfors verdanke.
Er stimmt übrigens auf das Yollkonunenste überein mit den 3 Finnenschädeln, welche
ich früher in Kopenhagen gemessen habe, wo ich mir diejenigen ausgewählt hatte,
welche durch die Autorität der Herren Ilmoni und Bonsdorf specielle Sicherheit
darboten (Archiv f. Anthropologie 1870. Bd IV. S. 77). Da ich ausser dem gezeig-
ten noch je einen modernen Schädel aus Finnland besitze, nehmlich einen zweiten
durch Hrn. Hjelt und einen durch Hrn. Wenzel Gruber in St. Petersburg, so
kann ich jetzt die Ergebnisse von 6 Messungen zusammenfassen.
Das, was den finnischen Schädel ganz besonders cbarakterisirt, ist nächst seiner
ausgesprochenen Brachycephalie die eminente Höhe des Gesichts und der eigentbüm-
(81)
Hohe umstand, dass Ton seiner sehr beträchtlichen Länge ein verhältnissmässig gros-
ser Antheil dem Hinterhaupte angehört, — eine Erscheinung, welche man am besten
sieht, wenn man den Schädel von der Grundfläche aus betrachtet. Darin liegt ein
gewichtiger Gegensatz gegen die wahrscheinlich slavischen Brachycephalen von Eono-
pat und Bogdanowo: bei diesen ergiebt das Yerhältniss der Länge des Hinterhaupts
(yom hinteren Rande des Foramen magnum bis zur stärksten Yorwölbung) zur Ge-
sammtlänge (100) die Zahlen 25,8 und 23,2, bei den Finnen dagegen 29,6. Dafür
betragt der Hastoidealdurchmesser der Finnen 129, dagegen derjenige der Schädel von
Konopat und Bogdanowo 142 und 188. Umgekehrt beträgt der Sagittalumfang der
Finnen 377 und der frontale Antheil desselben 132,9, dagegen der der beiden Slaven-
schfidel 355 und 352 und ihr frontaler Antheil 120 und 125. Es erhellt aus diesen
Zahlen, was ich gleichfalls schon früher nachgewiesen habe, dass der finnische Schfi-
del eine sehr starke sincipitale Entwickelung besitzt. Darin steht er dem Schädel
von Bandt nahe, der einen Sagittalumfang von 388 bei einem frontalen Antheil Ton
129 zeigt, und er übertrifit den von Domitz, der die Zahlen von 370 und 130 er-
giebt Allein beide übertreffen ihn bedeutend an temporaler Breite, denn der Ton
Domitz hat einen Temporaldurehmesser von 129,5, der Ton Bandt einen solchen Ton
130, während ihre Hastoidealdurchmesser (125 und 127) wieder geringer sind. Nimmt
man dazu, dass die Höhe der Schädel you Domitz und Bandt 140 und 145 Millim.,
die mittlere Höhe der Finnenschädel dagegen nur 136,3 beträgt, so wird leicht er-
sichtlich, dass, ganz abgesehen Ton dem Gesicht, wichtige unterschiede in der Ent-
wickelung des Schädels und des Gehirns yorhanden sind. Der Finhenschädel ist vom
schmaler, in der Mitte niedriger und hinten breiter.
Soviel von der brachjcephalen Gruppe. Dass der Finnenschädel unseren prib-
historischen dolichocephalen Schädeln absolut unähnlich ist, liegt auf der Hand. Sein
Breiten-Index beträgt im Mittel aus 6 Schädelmessungen 80,1, der Höhen-Index 74,7,
Höbe : Breite = 93,2 : 100. Es genügt, dagegen die parallelen Zahlen zu stellen:
Breiten-Index. Hohen-lndex. Höhen-Breiten-Index.
Ferbellin . . 75,8 71,5 94,3
Linum . . . 72,7 73,8 101,5
Jankowo . . 75,0 77,6 96,5
Eine Yergleichung wäre daher nur mit den eurjcephalen Schädeln, z. B. dem
von Storkow zulässig. Allein derselbe übertrifft die Finnen in der Höhe (142) und
Länge (190), im Sagittalumiange (394) und der Mastoidealbreite (138), endlich in
der Yerhfiltnisszahl für die Hinterhauptslänge (36,3) so erheblich, dass auch ohne
den Breiten -Index von 76,8 jede Beziehung zu den Finnen ausgeschlossen werden
kann.
Auf den ersten Blick machen auch die finnischen Schädel einen grossen Ein-
druck, aber wenn man ihren Inhalt feststellt, so ergiebt sich sofort, dass sie eine
gewisse Inferiorität der Capacität besitzen. Ich habe die Capadtät meiner 3 moder-
nen finnischen Schädel gemessen und gefunden, dass sie 1450 — 1470 Gub.-Cent. ent-
halten, während der Schädel von Storkow, der ihnen scheinbar am nächsten steht,
eine Capacität von 1530, der Torfschädel von Ferbellin eine solche von 1590, der
von Bandt eine von 1700 und der Ton Jankowo eine von 1710 Gub.-Cent besitzen.
Es bedeutet dies trotz der stattlichen Entvnckelung des Aeussem an den Finnen-
köpfen eine gevnsse kümmerliche Ausbildung des Innern. Diese Erfahrung vnrd be-
stätigt durch die starke Ausbildung der Kaumuskeln, so dass meines Wissens in die-
ser Beziehung die Finnen unter allen modernen Völkern Europas sich den Eskimos
am meisten nähern, von welchen sie sich jedoch sonst wesentlich unterscheiden. Ich
erinnere hier nur an das hohe und schmale Gesicht der Finnen, welches sich in
Vcriiaiidl. der BwL Qaf. fikr AntbropoL etc. ffg}
(82)
allen Theilen kenntlich macht: der Höhe der Kiefer, der langen, schmalen Nasen-
öfbung, den ganx angelegten Jochbeinen.
Nun könnte man vielleicht sagen, die von mir untersuchten Schädel zeigten eine
moderne Form, welche sich möglicherweise erst sp&ter so herausgebildet habe, und
es wäre die Frage, ob dieselbe schon von Alters her yorhanden gewesen. Ich bin
glücklicherweise in der Lage, diesen Punkt genau beantworten zu können, denn ich
besitze, gleichfalls durch Hm. Hjelt, einen alt-finnischen Gräberschadel Yon Tynris.
Derselbe ist allerdings ein wenig kleiner, wie die andern drei, indem seine Capacitat
nur 1440 Cub.-Cent beträgt, aber den Typus stellt er in noch yiel höherem Maasse
dar, so dass man gar nichts mehr charakteristisches sehen kann als diesen Kopf. Bei
einem Höhen-Index von 76,3 hat er einen Breiten-Index von 84,6. Allein auch diese
Brachycephalie hat mit der unserer Moor- und Gräberschädel gar keine Beziehung
und man darf daher über die finnische Frage wohl zur Tagesordnung übergehen.
Allerdings kommen gelegentlich Einzelheiten vor, namentlich mächtige Wülste aber
den Augen, wie sie auch mein Petersburger Finnen -Schädel zeigt, gleidisam krank-
hafte Ablagerungen, wodurch Jemand, der eine üppige Phantasie hat, zu der Ver-
muthung geführt werden kann, dass der Mann ein Anthropophage gewesen sei ; wenn
man jedoch erwägt, dass er wahrscheinlich ein russischer Soldat gewesen ist, so mag
man sich immerhin vorstellen, dass er manche schlimme Eigenschaften besessen und
tüchtig zugeschlagen habe, aber schwerlich wird er Menschen gegessen haben.
Wenn ich nun die aus Finnland selbst stammenden Schädel mit solchen aus Estb-
land vergleiche, wie sie namentlich von Hm. Pruner-Bey herangezogen worden
sind, so will ich zunächst bemerken, dass ich 4 dergleichen besitze, einen aus Dor-
pat durch Hrn. A. Böttcher, drei von einem esthnischen Kirchhofe durch Herra
Dr. Seh öl er. Obwohl dieselben unter sich manche Verschiedenheiten darbieten,
so kommen sie doch darin überein, dass sie eine noch viel geringere Ausbildung des
Schädelraumes besitzen. Ein einziger hat eine grössere Capacitat, als die Finnen,
nehmlich von 1500 Cub.-Cent Derselbe hat auch in anderen Beziehungen mancher-
lei Merkwürdiges an sich. Er ist ein durchaus modemer und rührt von einer be-
kannten Persönlichkeit her. Wenn ich ihn mit den 3 Kirchhofsschädeln vergleiche, so
befinde ich mich in derselben Lage, wie Hr. de Quatrefages, welcher mit allerlei
Differenzen zu rechnen hatte. Aber meine Differenzen sind nicht sehr gross. Der
eine meiner Schädel hat einen Breiten-Index von 82 und nähert sich daher den fin-
nischen, die anderen haben geringere Maasse bis zu 75 herunter. Das Mittel der
4 Schädel ergiebt einen Breiten - Index von 78,5, einen Höhen -Index von 73,9 und
einen Breiten -Höhen -Index von 94,1. Alle 3 Kirchhofsschädel zeigen eine sehr ge-
ringe Capacitat, nehmlich nur 1210, 1330 und 1350. Dem entsprechend ergiebt auch
die ganze übrige Entwick^lung eine nicht unbedeutende Differenz. Während die
finnischen Schädel eine verhaltnissmässig grosse Ausdehnung in der Höhe haben,
wodurch die bedeutende Wölbung der sagittalen Curve entsteht, so sind die esth-
nischen am Schädeldach mehr abgeplattet, sie haben eine mehr gedrückte Gestalt
und die Maasse sind daher durchweg geringer. So ergiebt das Mittel der 4 Schädel
für die Länge 175,3, die Breite 137,7, die Höhe 129,7 gegenüber den Zahlen für die
Finnen von 182,3, 146,2 und 130,3. Der temporale Durchmesser beträgt bei deu
Esthen 117,7, der mastoideale 125, der Sagittalumlang 354,6 und der frontale An-
theil desselben 125, während die entsprechenden Zahlen für die Finnen 122,8, 129,
377,5, 132,9 lauten.
Allerdings sind die von mir gefundenen Verhältnisse für die Bestimmung des
esthnischen Typus weniger bicher, als die für den eigentlich finnischen, weil das
Material ein weniger zuverlässiges ist und die einzelnen Schädel unter sich zu viele
(83)
Venehiedenheiten darbieten. Wir beeitsen anssercfein 3 Muestabellen für ecrChniscbe
Scbidel, eine Yon Hm Broca (BuUet de la soc d'antbitipol. S^. ü. T. ni. p. 509)
8ber 5, eine andere yon Hm. Welcker (ibid. p. 746) über 12 und eine dritte von
Hm. Kopernicki (Ballet, de la soc. d'anthropol. S^. ü. T. lY. p. 630) über 10
Exemplare. Von diesen Messungen stimmen diejenigen des Hm. Kopernicki am
meisten mit den meinigen überein. Aber alle drei entbalten, wie die meinigen, eine
▼iel grössere Zahl indiyidueller Abweichungen, als dass es mir möglich erscheint,
schon jetzt den esthnischen Typns in ToUer Scharfe zu bestimmen. Das freUich be-
trachte ich als feststehend, dass die esthnischen Schfidel von der reinen Brachyce-
phalie der finnischen abgehen und sich mehr der Meso- oder Orthocephalie nähern.
Es ist das um so mehr bemerkenswerth, als auch nach einer andern Seite hin eine
sehr grosse ethnologische Schwierigkeit in Beziehung auf die Verbreitung der Finnen
existirt. Auch die Lappen werden als ein finnischer Stamm betrachtet, weil sie die
finnische Sprache reden. Ich habe nüch vielfach bemüht, irgend welche Spuren
einer eigene|| Muttersprache bei ihnen zu finden; es schien mir möglich, dass viel-
leicht doch gewisse filtere Ueberreste in ihrer Sprache auf eine besondere Abstam-
mung hinweisen möchten, aber ich konnte bis jetzt nichts der Art ermitteln, und
ich moss daher zugestehen, dass man berechtigt ist^ linguistisch die Lappen als einen
finnischen Stamm zu betrachten. Physisch betrachtet kann davon indess keine Rede
sein. Es giebt in der That keine grössere Verschiedenheit, als die zwischen den
finnischen imd lappischen Schädeln, wie ich sie in einer früheren Abhandlung (Ar-
chiv f. Anthropol. Bd. IV. S. 62, 74) dargelegt habe. Ich weiss hier keine sichere Lö-
sung. Sollte sich herausstellen, dass die Lappen in der That eine Descendenz der
Finnen sind, dann muss ich sagen, dass dies der gewaltigste Fortschritt wäre, der
im Sinne des Darwinismus für die Völkerkunde gemacht werden könnte. Zum we-
nigsten ist es mir nicht bekannt, dass eine ähnliche physische Differenz sich irgendwo
innerhalb derselben Race fände.
Wenn man bedenkt, dass die Lappen in Norwegen und Schweden wenigstens
seit einem Jahrtausend fast ganz abgeschnitten von allen Verbindungen mit den
eigentlichen Finnen leben, dass sie, soviel man weiss, niemals von den Finnen unter-
jocht und zu einer ihnen fremden Sprache gezwungen worden sind, dass die Finnen
ihnen gegenüber auch nicht als ein höheres Oulturvolk erscheinen, dass die Lappen
seit langer Zeit von der schwedischen und norwegischen Regierang geschützt werden
und für fremde Einflüsse nicht sehr geneigt sind, so wird man allerdings sich der
Wahrscheinlichkeit nicht verschliessen können, dass die finnische Sprache ihre eigent-
liche Muttersprache ist und dass sie ihre physischen Eigenthümlichkeiten der Art
ihres Lebens und ihrer Nahrung verdanken.
Sind aber die Lappen ein finnischer Stamm, so kann man sich wohl auch vor-
stellen, dass nach anderer Richtung hin grosse Aenderungen des Typus stattgefunden
und dass auch die Esthen die Besonderheit ihrer physischen Constitution erst all-
mählich erlangt haben. Bestätigt es sich, was Hr. Kopernicki angiebt (1. c. p. 631),
dass die tschudischen Völker an der Wolga dolichocephal sind, so würde das eine
ganz unerhörte Wandelbarkeit der finnischen Race anzeigen. Es ist dies in der That
ein schwieriges Problem und es muss zugestanden werden, dass es sich hier um eine
bis jetzt noch nicht zu lösende Frage handelt. Ich will dabei erwähnen, dass die
finnische Frage sich in Beziehung auf die Magyaren noch mehr complicirt, nachdem
in neuester Zeit durch Hrn. Obermüller in Wien die finnische Abstammung der
Magyaren aus historischen Gründen bestritten worden ist. Hätte er Recht, so würde
dadurch ein neues Problem hervorgerufen werden, indem dann der Fall einträte, dass
ein Volk, welches mit einem andern aus sprachlichen Gründen in eine nahe Bezie-
(6*)
(84)
hung gebnu^t werden kann, mit dem es auch in physischer Beziehung nbereinflümmt,
aas historischen Gründen von demselben getrennt werden müsste. Denn ich mnss
sagen, dass nach den mir zugänglichen Materialien der Magjaren-Sdiildel mit dem
finnischen weit grössere Uebereinstimmung zeigt, als mit dem lappischen und selbst
mit dem esthnischen.
Hoffentlich wird es mir gestattet sein, ein~ anderes Mal auf diese interessante
Untersuchung zurückzukommen. Yorlfiufig können wir nur die Frage erörtern, ob
die uns bekannten esthnischen Schädel eine nahe Aehnlichkeit mit den Torhistori-
sehen Schädeln unserer €regend darbieten. Nach den Zahlen, die ich mitgetheilt
habe, liegt es zu Tage, dass eine solche Aehnlichkeit nicht besteht Ich könnte einen
einzigen Schädel auffuhren, der hier in Betracht zu ziehen wäre. Es ist das ein
sehr sonderbarer, überaus niedriger Dolichocephalus, der nach der Senkung des
Streitzig-Sees bei Neustettin in Pommern im alten Seebett gefunden wurde, dessen
Alter aber sehr zweifelhaft ist Derselbe hat einen Breiten-Index Ton 74,7 bei einem
Höhen -Index von 70,3 und unterscheidet sich daher genügend von d^a Mittel der
Esthen, welches die Zahlen von 78,5 und 73,9 zeigt. Nur das Yerlmltniss Ton Breite
und Höhe ist allerdings ganz ähnlich, indem es beide Mal den Index Ton 94 ergiebt
Aber meines Erachtens kann dies nicht entscheiden. Denn die Vergleichung der
einzelnen Schädelabschnitte lehrt die grössten Verschiedenheiten. Der Sagittalam£uig
(346) und dessen frontaler Abschnitt (116), die Mastoidealbreite (115) und der Län-
gen «Index des Hinterhaupts (27,7) sind so erheblich unter den esUmischen Mitteln
(354, 125, 125, 30,3), dass an eine Identificirung wohl nicht wird gedacht werden
können.
Man wird daher Torläufig wohl darauf yerzichten müssen, die yorhistorischen
Schädel des Landes zwischen Elbe und Weichsel auf finnische oder esthnische Typen
zurückzuführen. So yerschieden die von mir yorgelegten 3 (oder 4) grossen Typen audi
sind, so stimmt doch keiner von ihnen mit dem finnischen oder esthnischen, und ich
darf hinzufügen, mit dem lappischen oder magyarischen Typus genügend überein, um
eine Verwandtschaft erschliessen zu können. Auch hat Hr. de Quatrefages sich die
Mühe gar nicht genommen, seinen Lesern natnrwissenschaftlidie Thatsachen für seio«
Thesen yorzuführen; es genügt ihm, allerlei psychologische Träume in Verbindnog
mit historischen Daten, die sich weniger auf Preussen, als auf die russischen Ostwe-
proyinzen beziehen, zusammenzutragen. Wenn ich mich dem gegenüber darauf be-
schränkt habe, nur Thatsächliches zu berichten, so ist es nicht bloss geschehen, um
die deutsche Methode der franzosischen gegenüber zu kennzeichnen, sondern au<di,
um unserer eigenen Forschung die weiteren Wege zu bahnen. —
(W)
Sitzoog am 9. Mirz 1872.
(1) Nachdem der Vorsitzende Herr Virohow die Herren Dr. Davidsohn und
Stadtrath Kunz als neue Mitglieder proclamirt hat, Yerliest derselbe die Dankschrei-
beo der Herren Steenstrup, Nicolucci, Radde, Sir John Labbock für ihre
Emennong zu correspondirenden Mitgliedern. —
(i) Henr Sadde hat den nachstehenden Bericht aus Tiflis eingesendet
iW die Ydlker und die Torhistorlselien üterthtimer des ILaiikasas und Trans-
kankasfens.
1. Schädel. So wünschenswerth es ist, wenigstens von den jetzt noch im Kau-
kasus lebenden Völkerschaften gute, typische Schädel zu beschafien, so ist es doch
unendlich schwer, dergleichen zu erhalten. Die Eingebomen alle, namentlich die
Mohamedaner und die im Hochgebirge lebenden kleinen Tribus verschiedener Völker
haben die tiefste religiöse Ehrfurcht für ihre Verstorbenen und die Schädeljagd wäre
hier mit der grössten Gefol^ für den Sammler verknüpft Zum Beweise, mit wie
grosser Pietiüt die Todten behandelt und geliebt werden, dienen uns z. B. in Abeba-
sien die wohlconstmirten Betplätze, die den Todten geweiht imd an denen zu ge-
wissen Zeiten ceremonielles Beweinen und Erinnerungsfestlichkeiten abgehalten wer-
den. Die Bauten an solchen Platzen sind oft besser, als die elenden Hütten der Le-
bendigen. Die fem Verstorbenen werden selbst von armen Bergbewohnem in die
hetmathüche Erde zur Bestattung gebracht und Grabberührung wird, wenn entdeckt,
mit Tod gerächt. Als ich im August ▼. J. die Höhen des kleinen Ararat in Gemein-
sohaft mit Dr. Siewers erklettert hatte und wir uns 13,000 Fuss über dem Meere
befanden, entdeckten wir eine Anzahl mohamedanischer Gräber aus jüngster Zeit
Nur der religiöse Fanatismus der Scheiten ist im Stande, über die Steilmnde des
kleinen Ararat die Leichen zu schleppen und sie geheiligter Erde oben anzuyertrauen.
Wür brauchten Ton 8 — 13,000 Fuss Tolle sechs Stunden angestrengtesten Marsches,
um ohne jegliches Gepäck den kleinen Ararat zu besteigen. Der Reisende ist hier
überdies stets auf Eingebome als Führer und Dolmetscher angewiesen und daher
nicht im Stande, etwas zu verheimlichen. Die kaukasischen Völkerstämme begraben alle
die Todten in der Erde und es sind Glückszufalle für Schädelacquisitionen , wie sie
mir in Ostsibirien passirten, hier ganz ausgeschlossen. Man findet hier nichts, was
an die überirdischen Gräber, wie sie bei den Mongolenstämmen üblich, oder an die
sorglosen Begräbnissstätten der Tungusen erinnert
Es bleibt also für die Erwerbung authentischer Schädel nur ein Weg: der zum Hos-
pital; und in diesem liefert nur ein sehr kleines Contingent Material, nehmlich Ver-
brecher und Individuen, deren Verwandte wenigstens augenblicklich nicht nachweis-
bar sind. Diese Quelle ist die beste. Man hat es hier mit genau festgestellten Per-
sönlichkeiten zu thun, jeder Zweifel über Abkunft, Tribus, Geschlecht fällt fort und
ich habe daher den wenigen Schädeln dieser Art, welche im kaukasischen Museum
sind, das Prädikat ^authentische" beigelegt. Ihnen gegenüber stehen Schädel, welche
aas alten GriU>em gehoben wurden und welche man, wenn es sich darum handelt,
(86)
sie in Verbindung mit der Geschichte des Kaukasus überhaupt lu setzen, mit der
allergrossten Vorsicht zu behandeln hat Das Volkergemisch im Kaukasus ist gegen-
wärtig noch so bunt zusanunengewurfelt, dass es sich im Alltagsleben überall mehr
oder weniger durchsetzt und dies zu Zeiten der vollkonunensten inneren Ruhe. Schon
die sechzig jährigen Kriege Russlands, welche der Tollkommenen Unterwerfung des
Kaukasus y orangin gen, mögen sich vielfach auch in den Gräbern dieser Zeit doca-
mentiren. Ob die Gräber der Lesghiner nicht auch nach heisser Schlacht die todten
Russen oder die Läuflinge Persiens und der Türkei aufoahmen? Wo bleibt hier die
Sicherheit, welche unumgänglich ist, wenn es sich darum handelt, feste, wissenschaft-
liche Basis zu gewinnen? Gewiss werden ^sich noch mehr begründete Zweifel überall
da finden, wo wir weiter zurück in die Geschichte der Kaukasusländer greifen. Wer-
den indessen gleichzeitig mit solchen Schädeln bei Aufdeckung ganzer Gr&ber Objecte
gefunden, welche sicheres Licht über die Zeit der Begräbnisse werfen und eine zu-
Yerlässige Bestimmung der geschichtlichen oder yorgeschichtlichen Epoche, welcher
sie angehören, gestatten, so müssen sie gewiss als werthyollstes Material aufbewahrt
werden. Sehr oft aber fehlen solche sicheren Anhaltspunkte, und dei^eichen* Schä-
del bilden im kaukasischen Museum die dritte Kategorie unserer CoUection. Sie kön-
nen wohl nur ein rein anthropologisches Interesse haben.
Insbesondere habe ich aber hier noch auf einen umstand hinzudeuten, der, wie
ich glaube, sehr in Erwägung zu ziehen ist. Ich suche während der 8 Jahre meiner
Reisen im Kaukasus bei den christlichen Völkern und bei den ehemaligen mohame-
danischen an der pontischen Küste vergebens nach einem durchgreifenden Tjpus. Einen
solchen kann ich nur bei den Scheiten der südöstlichen Provinzen anerkennen, und
diese haben sich denn auch in Bezug auf Sitte und Religion, in Gebrauch und Le-
bensweise, dem persischen Vorbilde gemäss, sehr treu erhalten. Ihnen zur Seite ste-
hen die Armenier, welche als Parallele zu den Juden, versprengt fast über die ganze
Erde, unter allen möglichen Verhältnissen und E^limaten in der Masse unwandelbar
den körperlichen Typus bewahrten. Damit haben wir aber auch das Feststehende
unter den Völkern des Kaukasus erschöpft (Den Dagestan kenne ich nicht) Ver-
gebens bemühe ich mich, hier den Blumenbach 'sehen Begriff „kaukasische Race^
festzustellen. Im alten Kolchis beobachtet man gegenwärtig bei den Mingrelem, law-
reten und Guriem zwei Menschentypen. Die einen blond, mit meistens kransem
Haar, blauen Augen, breiter, hoher Stirn; die anderen schwarzhaarig, brünett, mit
schwarzen Augen, nicht selten mit niedriger Stirn, gedrücktem Schädel und bisweilen
mit schlichtem Haare. Im kolchischen Tieflande findet man diese beiden Menschen-
schläge in prachtvoller Schönheit, sowohl was Körper- als auch Gresichtsbildung an-
belangt, sowohl bei Männern, als auch bei Weibern. Das an Mingrelien gegen N.
gelegene Tiefland Abchasien war vor der russischen Herrschaft sehr bedeutend durch
die Türkei beeinflusst und hat im Küstenstriche wenigstens viel türkische Populations-
Elemente. Ich fand hier sogar im Jahre 1865 Ehen zwischen schwarzhäutigen Ne-
gern, welche der Türkei entlaufen, und eingebomen Weibern. Wenn dergleichen in
allerjungster Vergangenheit geschah und sogar vor unseren Augen noch passirt, wie
gross mag im Verlaufe der Jahrhunderte der Einfluss allmählicher Blutmisohung und
die Bildung von Mischracen geworden sein! Wie zweifelhaft bleiben die Rückschlüsse,
die wir ziehen können, wenn wir im alten Kolchis von typischen Menschenracen
sprechen wollen! Und nun gar die bergigen Hinterländer der kolchischen Land-
schaft! Je höher wir hier steigen und die Menschen in den drei Längenhochthälem
des Rion, Tskenis-Tsqali und Ingur besehen, um so deutlicher wird es uns, dass
bei diesen Bergbewohnern von durchgreifendem Typus gar nicht die Rede ist Viel-
mehr überzeugen wir uns, dass, hart den Steilabstürzen des kaukasischen Haupt-
(87)
gebirges an der Südseite entlang, gegenwärtig das bunteste Gemisch yon Menschen
lebt, welches einen der ältesten Namen in der Geschichte besitzt: es sind die „Sua-
nen^y die jetzigen Swaneten. Die Erklärung für diese Erscheinung finden wir theils
in den früheren socialen Zuständen der Kaukasusvolker, theils in den Naturverhält-
nissen« Das Yollkommen von allen Seiten geschlossene Hochthal des Ingur — auch
jetzt noch in friedlichen Zeiten sehr schwer erreichbar — nahm Jedermann auf, der
unzufrieden mit dem feudalen Fürstenwesen der Tiefländer gegen Westen war, oder
der es als flüchtiger Verbrecher aus irgend einer anderen Gegend betrat. So hat sich
hier im Verlaufe der Jahrhunderte ein eigenthümliches Mischvolk mit einer Sprache
gebildet, welche zwar auf grusinische Formen zurückfuhrbar, dennoch dem Georgier
des Kura- Systems vollständig unverständlich ist und nur ziun Theil von den Nach-
barn von Suanien, den Mingrelem und Imereten entzifiFert wird.
Ich will noch eines zweiten Umstandes erwähnen, der bei craniologischen Stu-
dien im Kaukasus nicht ausser Acht zu lassen ist Man findet oft mehr oder weni-
ger künstlich verbildete Schädel. Die Sitte, den Kindern im zartesten Alter mittelst
Binden die Schädel zu formen, scheint aus dem grauen Alterthum sich bis in die
Gegenwart erhalten zu haben. Sogar bei den Armeniern kommt dergleichen vor und
es giebt hier in Tiflis einige wenige lebende Makrocephalen vom reinsten Wasser;
ihre Schädel könnten würdig denen der alten Avaren zur Seite gestellt werden. Ich
verweilte bei der Schädelfrage deshalb längere Zeit, weil es mir unerlässlich scheint,
bei anthropologischen Arbeiten, welche in Beziehung zur Geschichte der Kaukasus-
länder gesetzt werden sollen, mit äusserster Vorsicht zu Werke gehen.
2. Vorhistorische Alterthümer, Steinwaffen, Pfahlbauten, Broncen.
Aus dem Kaukasus sind bis jetzt Steinwaffen und Werkzeuge aus Feuerstein voll-
kommen unbekannt Dagegen giebt es in Transkaukasien zwei Localitäten, an denen
man Steinhämmer in Diorit findet und die darauf hindeuten, dass an beiden Orten
seit den ältesten Zeiten das Steinsalz mit Hülfe dieser Instrumente gewonnen wurde.
(Etliche Werste (10 — 12) gegen Nordwesten von der Stadt Nachitschewan , in jener
vegetationsannen, vielfach eingefalteten Bergkette, welche die Steinsalzlager birgt
und mit dem Namen Sust bezeichnet wird, — findet man in den Mulden und am
Fnsse der Hügel Hammer, die oft zierlich zugespitzt, dann, meistens unmittelbar über
der Spitze, breit nach oben ausgewolbt sind und die Einschnürung zur Befestigung
des Stieles alle haben. Die allgemeine Form wechselt wenig, aber niemals wurde
ein Hammer mit Stielloch gefunden und unstreitig sind diese Hammer sehr alt. Nicht
anders verhält es sich mit denen, welche in der Umgegend von Kulp, etliche 80 Werste
im Westen von Erivan, gefanden werden. Diese letzteren sind grösser, stumpfer,
plumper und bestehen ebenfalls aus Diorit. Im August vorigen Jahres, als ich jen-
seits der russischen Grenze im Gebiete der Kurden mich auf dem Wege zu den
Eophratquellen befand, verweilte ich mit Dr. Siewers einige Zeit an dem grossen
Alpensee Balyk-göl, 7600 Fuss über dem Meere. Auch an diesem See erneuerte ich
meine Nachfragen nach Pfahlbauten und Steinalterthümern. Was die letzteren anlangt,
so üand ich runde, längliche, schwere Lavastücke, recht regelmässig von allen Seiten
bearbeitet, mit einem Loche in der Mitte. Ich deute diese als die Gewichte für
Grundnetze. Sie sollen am südlichen Ufer des Sees nicht selten sein.
Was den grossen Alpensee Goktschai (auch Sewanga), 6300 Fuss über dem Meere
anbelangt, so habe ich meine früheren Voraussetzungen in Bezug auf Pfahlbauten
dort im verflossenen Sommer nicht bestätigen können. Wenigstens entschieden nicht
an dem von mir gesehenen Süd- und Westufer. Ich erhielt vor Jahren von dort
ganz enorme Hirschgeweihe, welche zufällig ins Netz gekommen waren, als man im
Südwestwiukel des Sees fischte. Diese Geweihe waren weiss, leicht zerbrechlich, in
(88)
Folge einer sehr langen Maceration ihrer Leimtheile beraubt. Die beiden Greweihe
befinden sich im kaukasischen Museum. Sie übertreffen an Starke und Sprossenbil-
dung Alles, was ich bis dato vom Edllhirsch hier zu Lande gesehen, obwohl, wie
bekannt, Gerv. elaphus, wie auch Cerv. capreolus, im Kaukasus und in Sibirien über-
haupt kräftiger sich entwickelt, als in Europa, und die beiden sogar von Einigen artlich
getrennt wurden. Bei Empfang dieser Stücke gedachte ich zunächst der gegenwärtigen
Verbreitung des Hirsches im armenischen Hochlande, und wenn auch meine darauf
bezüglichen Erfahrungen keineswegs erschöpfend waren, so wusste ich doch, dass der
Edelhirsch wenigstens den Süd- und Westrand des Sees jetzt nirgends mehr berührt
und auch durchwandernd dort nicht erscheint. Ich habe nun im yerflossenen Som-
mer mit Sicherheit festgestellt, dass vor 40—50 Jahren der Edelhirsch im Sommer
auf den vollkommen waldlosen, vulkanischen Kegeln des Utsch-Tapaljar-Grebirges,
westlich von Neu-Bajaset nicht selten war und dorthin von der Nordseite des Gok-
tschai einwanderte. So trafen ihn im Jahre 1829 die aus dem persischen Bajaset
einwandernden Armenier noch nahe am Südrande des Sees an. In der Gegenwart
tritt dieses Wild alljährlich in wenigen Individuen von der Nordseite des Goktscfaai
gegen Südwesten bis in die alpinen Krüppelwälder von Daratschitschach (6 — 7300')»
dem beliebten Sommeraufentbalte der Bewohner Erivans. An dem Nordufer des Gok-
tschai finden vrir, sobald die Kammhöhe der üferkette überstiegen und wir tiefer mit
ßbOO Fuss ^) in die Baumgrenze treten, dann abwärts in den Waldbeständen des Ak-
stafa- Thaies Cervus elaphus überall häufig. Aus den vorliegenden Mittheilungen
schliesse ich, dass jene Riesengeweihe verunglückten Indiyiduen angehörten und ohne
Zuthun des Menschen im See begraben wurden. Was mir der Groktschai im vorigen
Jahre an seinen Ufern an Knochen bot, gehört dem Büffel und Kameel an. Die
Fluthen dieses Sees nehmen nicht selten im Winter, wenn heftige Schneestürme über
ihm toben und die Passage an seinem jähen Westufer stellenweise vollständig Ter-
schneit ist, die Leichname dieser Hausthiere auf. Das Niveau des Gk>kt8chai schwankt
im y erlaufe des Jahres nur um Geringes. Man sollte erwarten, dass im Sonmier der
Seespiegel bedeutend fallen müsse imd bei dieser Gelegenheit Manches zu Tage tre-
ten würde, was bei höherem Wasserstande verdeckt bUeb. Dem ist aber nidit so.
Denn obschon im Hochsommer fast alle Zuflüsse des Sees versiegen, weil die speiflao-
den üfergebirge meistens die hier sehr hoch gelegene Schneelinie nicht erreichen,
so hält sich die Niveauhöhe doch. Es mnss also auf unterseeische Zuflüsse geschk»-
sen werden, und diese Annahme wird bestätigt durch die feste Yerkittung der feioen
Gerolle, welche streckenweise den Boden des Sees bilden und die so fest ist, dasa
man f5rmliche Conglomeratplatten brechen kann. Dem Nord- und Ostufer des Sees
werde ich bei nächster Gelegenheit meine Aufmerksamkeit zuwenden. Der Südseite
verdanken wir bis jetzt nur eine Keilinschrifb auf schwarzem Basalte. Sie ist im
Museum und harrt der Entzifferung. Ceber die kaukasischen Broncen behalte ich
mir vor, später etwas zu sagen, unsere Sammlung ist darin recht bedeutend, sie
entstammt meistens dem Hochgebirge von Ossetien. —
Herr Virohow macht auf die interessante Thatsache der noch gegenwartig statt-
findenden Ausübung künstlicher Makrocephalie aufmerksam. Bekanntlich bezieht sich
die älteste, uns erhaltene Nachricht über derartige Deformation, die von Hippokra-
tes gerade auf diese Landstriche, und es wäre daher von nicht geringem Interesse,
solche Schädel zu bekommen. Ueberdies entsteht dadurch die Frage, ob wirklich
noch Reste derselben Volksstämme, welche schon der Altvater der Medicin beschreibt,
sich dort erhalten haben sollten. —
*) Diese Ziffer wurde barometrisch bestimmt Localverhältniüe deprimiren hier die Baum-
grenie aufEiUand.
(89)
V
(3) Der Vorsitzende macht zur Ergänzung seines Vortrages in der letzten Sitzung
folgende Mittheilungen aus einem Briefe des ^Hm. Professor 0. Hjelt in Helsingfors
über die Finnen und ihren Charakter.
V,Mit Erstaunen hatte ich die Hypothese von der Verwandtschaft der Preussen
und der Finnen Ton Quatrefages gelesen, aber ich lachte herzlich über seine Auf-
fassung des Charakters unseres Volkes, yon dessen Wildheit und Rohheit er wahr-
scheinlich nur aus Kindermärchen etwas yemommen hat Einen tieferen Sinn als
einen Versuch, die siegenden Deutschen herabzusetzen, suchte ich nicht in seiner
Ansicht. Aber schon früher bin ich auf den Gedanken gekommen, eine Untersuchung
über die Schadelform der Finnen anzustellen, dazu veranlasst durch die Gründung
eines Vereins für die finnische Alterthumskunde , der im vorigen Jahre gegründet
v^orden ist Ich fühlte mich um so mehr dazu aufgefordert durch Ihre Arbeit über
^die altnordischen Schädel zu Kopenhagen'', welche auch finnische Schädel berührt Von
dieser Untersuchung bin ich jedoch durch eine andere Arbeit bisher verhindert geworden.
Seitdem ich durch Ihren Brief finde, dass eine solche Untersuchung jetzt auch eine gros-
sere Bedeutung haben kann, bin ich noch lebhafter dafür interessirt worden. Es ist gerade
eine Pflicht für uns Finnen, Beiträge zur Erforschung der Cranienform des finnischen
Volksstammes zu geben. Bisher sind aber noch keine systematischen Messungen bei
uns vorgenommen, und die Messungen von finnischen Schädeln, die man hat, sind
nur zufällig im Auslande gemacht Ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie meine
Aufmerksamkeit auf dieses Feld gelenkt haben. Jetzt beschäftige ich mich mit einer
Arbeit über die Syphilis in Finland und über die Maassregeln, der Ausbreitung die-
ser Krankheit vorzubeugen. Syphilis ist leider ziemlich verbreitet, nicht sowohl durch
Unzucht, denn die Sittlichkeit steht in gewissen Gegenden noch sehr hoch, als
durch das Zusammenleben des Volkes, die gemeinsamen Badstuben, die Gast-
freundlichkeit gegen herumtreibende Individuen, Bettier u. s. w. Man hat viel
versucht, um diesem Uebel Einhalt thun zu können. Die Regierung hat grosse Geld-
summen aufgeopfert, in allen grosseren Städten sind eigene Spitäler für Syphi-
litische eingerichtet, Jeder geniesst freie Kur u. s. w. Diese Arbeit hat mir viel Mühe
der statistischen Angaben wegen gemacht, aber ich hoffe binnen 6 — 7 Wochen damit
fertig zu werden.
„Ich schrieb schon, dass bisher eigentlich keine systematischen Messungen von
Finnenschädeln vorgenommen sind. Man muss in dieser Hinsicht sehr vorsich-
tig sein. I. An gewissen Strecken der Meeresküste wohnen schwedische Ansiedler,
die ihre Sprache noch beibehalten haben, und man muss eine sehr genaue Kenntniss
von dem Lande besitzen, um nicht in Irrthum zu verfallen. 2. Das finnische Volk
scheint aus drei Stämmchen zu bestehen (Suomen, Jamen und Karelen), die zu ver-
schiedenen Zeiten eingewandert sind. Der ganze Typus, die Gesichtszüge und die
Statur ist bei den letzten zwei Stämmeben verschieden, obgleich die Sprache nur
locale Verschiedenheiten zeigt. Finland wird von den Einwohnern selbst „Suomi^
oder „das Sumpf land, das Seeland^ genannt und sie nennen sich selbst „Suoma-
laisia^.
„Sie stellen, Herr Professor, noch einige Fragen über gewisse nationale Cha-
rakterzüge bei dem finnischen Volke. Ueber diese Verhältnisse hoffe ich später
bessere Auskunft geben zu können. Soviel kann ich jedoch schon jetzt sagen, dass
die Finnen ihrer Rechtschaffenheit und Treue wegen (in Schweden sogar sprichwört-
lich) bekannt sind; sie sind beharrlich, gastfreundlich, mit Wenigem zufrieden und
sehr empfindlich für persönliche Freiheit und Unabhängigkeit; die Handhabung
der Gesetze liegt dem Volke sehr am Herzen. Die Finnen sind aber sehr eigen-
Vtrhandl. der B«rl. Gm. für Anthropol. etc. rj\
(90)
sinnig (in Schweden sagt man sogar: „er ist eigensinnig wie ein Finne"); sie sind
langsam, träge, wegen der Zukunft unbesorgt und leider — rachsuchtig, aber im
offenen Kampfe, entweder vor dem Gerichte oder mit Messern in Händen. Yod
Meuchelmord und anderen solchen geheimen FrevelUiaten hört man sehr selten. Gift-
mord ist etwas sehr Seltenes. Ich nehme mir die Freiheit, einen Auszug aus einem
statistischen Bericht in dieser Hinsicht beizulegen."
Derselbe lautet:
„Wenn man die Zahl der gewaltsamen Todesfälle in Finlaud mit den Verhält-
nissen in den Nachbarländern Schweden und Norwegen vergleicht, so findet man,
dass auf eine Million Einwohner in jedem dieser Länder im Durchschnitt per Jahr
folgende Zahlen entfallen:
Finland Schweden Norwegen
(1865-1868). (1861-1865). (1856-1865).
Todesfälle in Folge von Unglücksfällen . . 561 494 624
Todesfälle zufolge Todtschlags und Mords. .31 16 12
Selbstmord 39 75 89
Todtschlag und Mord (Eindesmord eingerechnet) kommen in Finland leider oft
vor, wenigstens im Vergleich mit dem, was der Fall in Schweden und Norwegen ist.
An diesem ungünstigen Resultate hat das Lehen Wasa (Wasa län) die grösste Schuld.
Von 225 während einer Zeit von vier Jahren (1865 — 1868) in Fi^and verübten Mord-
thaten wurden 89 oder mehr als ein Drittheil in diesem Lehen verübt. Die Gewohn-
heit der österbottnischen Bauern (in den G^richtsbezirken Ilmola, Korsholm und Lappo),
bei einem entstandenen Streit sogleich zum Messer zu greifen, nebst ihrer heftageo
Laune und Neigung zur Säuferei hat diesem Lehen (Regierungsbezirk) einen trau-
rigen Ruhm in unserer Criminalstatistik verschafft. Mit zunehmender Volksbildung
werden diese Züge einer unbändigen Rohheit und Wildheit verschwinden." (Auszug
aus „Bidrag tili Finlands officiella Stotistik''. VI. Befolkeningsstatistik. 2. Helsiog-
fors 1871. sii 44.) —
(4) Der Vorsitzende verliest einen Brief des Hrn. Prof. Georg Eben in LeipiJS
Ober Geslehtsnmen.
„In dem Correspondenzblatt der deutschen anthropologischen Gesellschaft (Jao^
1872) werden Sie das Referat über einen von mir vor der anthropologischen GeseU-
schaft zu Leipzig gehaltenen Vortrag über Gesichtsurnen finden. Schon aus der Form
dieser Besprechung werden Sie ersehen, dass ich mich keines besonders geschickten
und sachkundigen Berichterstatters zu erfreuen habe. Aber es lässt mich dieses
unglückliche R^erat nicht nur Ansichten vortragen, die ich nicht hege und Diem&ls
ausgesprochen habe, sondern es stellt meinen Vortrag leider auch so dar, als sei er
in anmasslicher Weise gegen Sie gerichtet worden, während im Gegentheil Ibre
grossen Verdienste in diesen, wie in so vielen anderen Fragen hervorgehoben wurdeo
und ich nur gegenüber den ägyptischen Kanopen (mein sächsischer Berichterstatter
schreibt Kanoben mit dem weichen b), mit denen ich mich als Aegyptologe ein-
gehend beschäftigt habe, manches Neue, das dem Kreise Ihrer Studien ferner liegen
muss, mittheilen zu können glaubte.
Dieser Umstand hat mich, dessen fast ausschliesslich sprachliche Thätigkeit ibo
immer nur gelegentlich (diesmal angeregt durch Dr. Mannhardt) mit anthropolo-
gischen Dingen in Berührung bringt, veranlasst, über die Gesichtsumen zu sprecbeu.
Erlauben Sie mir, einige Punkte des Referats zu berichtigen! Es ist mir gar ni^bt
eingefallen, die eigeuthümlichen Charaktere auf den Pomerellen -Urnen für Hierogly-
phen zu erklären; vielmehr sagte ich, man dürfe sie vielleicht für ungeschickte Nacu-
(91)
ahmuDgen von Hieroglyplien halten, welche sich seu den letatteren yerhielten, wie die
iDSchriften auf den in Holland yerfertigten pseudochinesischen Theedosen, Flaschen,
Krügen etc. zur wahren chinesischen Schrift.
„Einige in der That auffallende umstände veranlassten mich zu dieser Be-
hauptung:
„1) sieht die eine Leydener Gesichtsume, welche bestimmt aus Aegypten stammt,
zweien deutschep auffallend ähnlich.
^2) Während die schönen ägyptischen Eanopen von Alabaster, welche Sie ken-
nen, schon beinahe Kunstwerke genannt werden dürfen, sind die Leydener Krüge ge-
meines Töpferwerk.
„3) Wir finden auch auf altägyptischen Thonkrügen Inschriften.
„4) und diesen fehlt, da sie meistentheils religiösen Inhalts sind, nur selten das
Zeichen | neter (Gott), das, nach Ihrer Figur 6, horizontal daliegend Q , sich als
erstes Zeichen vorfindet. Das dritte Zeichen gleicht einigermassen dem ägygtischen
(t) oder '''^^X- (mer). Auffallend war es mir femer, dass der Kopf des an vier-
ter Stelle stehenden Thieres ^ dem des schakalköpfigen Anubis gleicht, der ja als
Deckel einer grossen Gruppe von Kanopen vorkommt. Der Name des Anubis wird
auch oftmals mit dem auf einer Kapelle oder Standarte liegenden Schakal ^^ de«
terminirt. In nächster Nähe des Namens [1 oder (1 '^ änup (Anubis) fehlt
selten die Gruppe j t neter äa, der grosse Gott, welche mir doch insoweit wenig-
stens den Zeichen 1 und 2 auf Fig. 6 zu gleichen scheint, dass die Annahme, hier
sei von ungeübten Händen eine hieroglyphische Inschrift ganz mechanisch und ohne
das Streben oder Yermiögen, genau zu sein, nachgeahmt worden, erlaubt zu sein
scheint. Der Anubis-Schakal wird gewöhnlich liegend dargestellt; er kommt aber
auch gehend vor, "^ff^^ ^^J^» deam freilich gewöhnlich odt der Lesung sab. Das
Thier Fig. 6 steht, und das dürfte nicht überraschen, wenn auch das Vorbild des
nordischen Töpfers ein liegender Schakal gewesen wäre; mag doch Niemand bezwei-
feln, dass kindliche Zeichner eine Quadrupede leichter mit den vier Beinen, als in
liegender Stellung aufzufassen und malerisch zur Darstellung zu bringen vermögen.
Die anderen^ Ihnen bekannten Argumente hinzugenommen, scheint mir meine
Annahme, dass mit Hieroglyphen versehene, kanopenartige Töpfe als ägyptische Dro-
guen enthaltende Gefässe durch römische Händler nach Norden gekommen und von
den Bewohnern Pomerellen^s in ihrer Weise nachgeahmt worden sind, der Berück-
sichtigung werth zu sein.^
Herr Virohow bemerkt dazu, dass die von dem Referenten des deutschen Cor-
respondenzblattes hervorgehobene Belehrung über die ^Kanoben^ der alten Aegypter
schon durch Hrn. Lepsin s in der Sitzung unserer Gesellschaft vom H.Januar 1871
erfolgt sei, dass aber im Uebrigen die Besprechung des Hrn. Ebers in ebenso sach-
verständiger, als daneben anzuerkennender Weise die von hier ausgegangene An-
regung anfgenonunen und weitergeführt habe. —
(5) Herr Appellationsgerichtsrath Langerhans aus Frankfurt a. O. spricht unter
Vorlegung der Fundstücke
fiber Metallgerftthe aus einem Torfmoor der Uckermark.
Bei Niederlandin (Kreis Angermünde) sind kürzlich im Torfmoor zahlreiche, aus
einer ziemlich rothen Kupferbronze bestehende Gegenstände bei einander gefunden
worden. Einzelne davon seheinen zu einem Pferdeschmuck gehört zu haben, andere
(92)
machen den Eindruck, als stammten sie von Hausgerath. Es sind Platten mit inne-
ren Oesen, Bohren, Ringe, dünne und schmale Stucke, lange und breite henkelartige
Bügel u. 8. w. —
(6) Herr Y. Ledebur bemerkt mit Bezug auf die in den Sitzungen vom 11. No-
vember 1871 und 10. Februar d. J. besprochene
Gemme von Alsen«
Die Darstellung der 3 hageren Gestalten auf der in letzter Sitzung vorgelegten Glas-
paste dürften als Auguren anzusprechen sein, die aus dem Fluge zweier Vögel (in
denen freilich Runen nicht zu erkennen sind) den Willen der Götter deuten.
In den inneren Räumen der Schi£fe, welche man in den Mooren des Sundevitt
um das Jahr 1863 vorfand, befanden sich auch römische Münzen. —
(7) Herr Lisch macht weitere Mittheilungen
fiber römische Grftber in Mecklenburg und Aber die Brannkohlenformation
von Dömits.
„Ich habe wieder ein ganzes Romergrab, das 7., an der alten Stelle, mit dem
ganzen Skelet entdeckt und in Hfinden. Das Grab ist ungewöhnlich reich und ent-
halt über ein Dutzend rein römische Alterthümer, von denen einige nie gesehene
Kunstwerke sind. Die ganze Sache ist höchst merkwürdig.
„Das Alluvium der Eibufer bei Hitzacker, also Dömitz gegenüber, besteht aus
Sand- und Eleshügeln, mit eingesprengten Mergelanhäufungen, in denen gelegentlich
merkwürdige palaontologische Gegenstände gefunden sind. So sind vor Kurzem zu
Harlingen Oeberreste vom Kohlen-Rhinoceros (Rhinoceros anthracius) in einer Schicht
von schwarzem Mergel gefunden. Ebenso finden sich in dieser Gregend vereinzelt
Braunkohlen und Bernstein. Von der Braunkohle ward in Wrechau vor der Göhrde
ein dem Anschein nach grösseres Lager aufgefunden.
„Die Dömitzer Formation scheint sich also unter der Elbe hindurch nach dem
Hannoverschen fortzusetzen, und mein Schädel scheint • wirklich in diese Diluvial-
Periode zu fallen.
„Auch bei Brüx in Böhmen ward im vorigen Jahre auf der Braunkohle im j^di'
luvialsande^ ein menschlicher Schädel gefunden, den Rokitansky für gleich mit
dem Neanderthal-Schädel hält
„Sollte es wirklich einen iv^pixurog iv^pAKirrig (homo anthracius) geben ?*^ —
(8) Herr Steinthal spricht
fiber die sprachwissenschaftliche Richtimg der Ethnologie«
Zwischen den Sprachforschem und den Naturforschem ist auf dem Punkte, wo
beide zusammentreffen, nehmlich bei der Frage um die Classification der Völker, um
ihre Abstammung und Verwandtschaft eine Rivalität hervorgetreten, welche zu einer
bedauerlichen Erbitterung der beiden Seiten gegeneinander zu führen droht (vergl.
Hartmann, Zeitschr. f. Ethnol. I. S. 32). Hoffentlich hat die Gründung der deutschen
Gesellschaft für Anthropologie u. s. w. mit ihren Zweigvereinen auch den guten Er-
folg, dass die Kräfte, welche sich derselben Aufgabe widmen, einträchtig an ihrer
Lösung arbeiten. Es scheint mir in der That kein wesentlicher Grund zu einem
Zwiste vorzuliegen. Einerseits will, soweit ich sehe, kein I^aturforscher, auch Herr
Hartman n nicht, „die hohe Bedeutung der vergleichenden Sprachforschung für die
Ethnologie verkennen^ (das. S. 30); und andererseits wird kein Sprachforscher der
Betrachtung der Völker vom physischen Gesichtspunkte aus principielle Wichtigkeit
für die Ethnologie absprechen. Beiderseits wird man unserem Hm. Präsidenten bei-
(98)
summen, wenn er es als seine üeberzeugung ausspricht, ^dass es nicht gelingen
wi^, eine wahrhafte Anthropologie herzustellen, wenn wir nicht eine Durchdringung
der beiden Richtungen, der naturalistischen und der philologisch -linguistischen her-
beiführen^. Der Streit besteht nur um den Vorrang, um den höheren Werth der
Merkmale, welche die Natur- und die Sprachwissenschaft für die Gharakterisirung
der Völker aufstellen. Diesen Streit wird der Fortschritt beider Wissenschaften oder
der gesammten Ethnologie lösen. Einen Beitrag hierzu will ich hier geben. Einst-
weilen könnte Ton beiden Seiten so viel Höflichkeit geübt werden, dass man auf jeder
der anderen ein gewisses Maass von Vorliebe für die dort gewonnenen Ergebnisse
gestattet; denn es ist menschlich, dass Jedem der Gegenstand und der Gesichtspunkt,
welcher der seinige ist, als der grössere erscheint, der femer liegende aber als der
kleinere. Dabei sollte der Naturforscher nicht yergessen, dass er der Sprachwissen-
schaft gegenüber besser gestellt ist, d. h. dass er sich ihre Ergebnisse leichter an-
eignen kann, als es dem Sprachforscher möglich ist, die Forschungen der Physiolo-
gen zu verfolgen. Denn jeder Naturforscher war Dank unseren Gymnasien ursprüng-
lich ein angehender Philologe; von Seiten des Philologen aber erfordert es eine be-
sondere Energie, wenn er sich in die Naturwissenschaft einarbeiten soll. Wenn sich
also der Sprachforscher von irgend einer naturwissenschaftlichen Autorität die Notiz
verschafft hat, dass irgend ein Volk einen „kaukasischen Habitus, negerfihnliche Ge-
sichtsform^ u. s. w. habe und dies in „vager Redensart^ ausspricht, so hat er damit
nicht kokettirt; sondern Koketterie wäre, wenn er ausführlicher citirte, was er oft
kaum versteht Es ist auch keine verächtliche Kenntniss, die Jemand hat, wenn er
weiss, dass ein Volk den ^kaukasischen Habitus hat, selbst dann, wenn er nicht ge-
nau zu sagen weiss, was kaukasischer Habitus ist. So muss, meine ich, der Natur-
forscher Billigkeit in der Beurtheilung des Philologen üben. Andererseits scheint
mir der Naturforscher, bei allem guten Willen, den Ergebnissen der Sprachwissen-
schaft gerecht zu werden, doch den Werth derselben nicht völlig zu würdigen. Was
mich nicht wundert; denn man erkennt den Grad der Sicherheit wissenschaftlicher
Sfitze doch nur bei sehr genauer Bekanntschaft mit der betreffenden Disciplin. So
ist z. B. das Misstrauen, es könnte eine grosse Menge von Lehnwörtern einen Sprach-
forscher zur Behauptung einer Verwandtschaft veranlassen, wenn es sich um einen
deutschen Forscher unserer Zeit handelt, ganz unbegründet Lehnwörter tauschen
jetzt Niemanden mehr. Denn alte Sprachverwandtschaft wird auf die Gleichheit der
Grammatik gegründet und auf den grammatisch gesichteten Wortschatz. Auch kann
die von einem wirklichen Sprachforscher behauptete Gleichheit der Wörterformen
verschiedener Sprachen niemals aus Zufall, etwa aus „der Beschränktheit der mensch-
lichen Aiticulationsfahigkeit^ erklärt werden. Dagegen möchte ich den Naturforscher
vor dem Gedanken warnen, als könnten die Traditionen irgend eines Volkes über
dessen Abstammung „den absoluten Werth zuverlässiger Dokumente^ besitzen. Ein
Volk weiss von seiner Geburt so wenig wie cler einzelne Mensch.
Indem ich nun an den Versuch gehe, den Werth der sprachwissenschaftlichen
Ethnologie ohne Uebertreibung und ohne Verringerung zu bestimmen, will ich damit
heginnen, unserem Collegen Bastian zu seiner Kritik der Sprachwissenschaft (Zeit-
schrift f Ethnol. in. S. 1 ff.) meine Zustimmung auszusprechen. Es ist erstlich rich-
tig, dass bis heute neben der genauen Detailkenntniss einer kleinen Zahl von Spra-
chen eine wissenschaftliche Erkenntniss des grössten Theils der Sprachen der Erde
noch fehlt, dass wir für die meisten noch auf dürftige Vocabulare oder höchstens
noch auf einige grammatische Notizen beschränkt sind, deren Genauigkeit und Zu-
verlässigkeit noch bezweifelt werden kann. Auch ist nicht zu hoffen, dass diesem
Uebelstande so bald abgeholfen werden könne. Es wird einem Beisenden schnellet
m&d leichter gelingen , sich das noth wendige Material eur BeuitheiluDg der i^jsika-
lischen YerhfiltDisse zu verschaffen, als sich in den Besits der Sprache eines Volkes
zu setzen. Ist aber ein Abriss der Grammatik, ein ausreichendes Yocabular mit
Redensarten, Sprichwörtern, Yolksliedem u. s. w. gewonnen, so muss alles dies erst
einer wissenschaftlichen Bearbeitung seitens der vergleichenden Sprachforscher unter-
worfen werden. Nun haben wir jetzt schon ziemlich viele Männer, welche einen
Theil der indogenuanisdien Sprachen mit durchdringender Einsicht beherrschen;
weniger schon sind es, welche den ganzen Stamm zu bewältigen suchen oder welche
den semitiBchen Stamm ihrer Forschung unterwerfen. Der Männer aber, welche die
Ethnologie brauchte, welche nehmlich alle Sprachen der Erde mit ihrem Blicke zu
umspannen suchen, wie der Zoologe alle Thiere, der Botaniker alle Pflanzen der
Erde, solcher Männer kenne ich nur einige, in Deutschland vielleicht f&nf.
Daher ist es nicht zu verwundern, dass zweitens die Classification der Sprachen
noch in den Anfängen ist, und Bastian hat Recht, wenn er sagt: „Man kennt we-
der die Ausdehnung des Gkmzen, das einzutheilen ist, noch diejenigen Merkmale, die
dabei als typische zu erachten sein würden*^ (das.). Die herrschende Eintheilung
der Sprachen in flectirende, agglutinirende und isolirende sieht er mit Recht als Be-
weis für seinen Vorwurf an. Ich habe nur dies zur Charakterisirung der Sachlage
hinzuzufügen, dass diese nichtssagende und haltlose Dreitheilung der Sprachen von
W. V. Humboldt ausflihrlich (nicht begründet, wie man sich einbildete, sondern)
widerlegt ist Wenn sie nun £ast vierzig Jahre, ein volles Menschenalter nach jener
Widerlegung, immer noch Ansehen und Greltung hat, so rührt das eben daher, dass
die grundlichen Sprachforscher über den Kreis der Sprachen, welche die Welt-Lite-
ratur tragen, meist nicht hinausblicken, und dass, wenn sie dies thun, sie selten den
rechten Blick mitbringen für eigenthümliche und zwar höchst dürftige Redeformen;
statt aufzufossen, was vorliegt, tragen sie häufigst aus den gebildeteren Sprachen,
mit denen sie vertraut sind, in die ärmeren hinein; oder wenigstens sind sie von der
Fremdheit jener uns geistig noch ferner als laumlich liegenden Sprachen so einge-
nommen, dass sie eben nur das Fremde überhaupt sehen, das unsem Sprachen Un-
ähnliche, ohne innerhalb desselben die bedeutenden Unterschiede zu erkennen, welche
vorhanden sind. So war das Ungeheuer einer Turanischen Sprachclasse mögheb.
Denselben Vorwurf muss ich aber auch gegen Bastian erheben; denn wenn er sagt:
,iAlle Sprachen sind in den Hauptzügen ihres Grundrisses nothwendig dieselben^,
so hat er sich den Haupt-Irrthum der falschen Sprachwissenschaft angeeignet Die
Sprachen sind vielmehr nicht minder verschieden, als die Thiere und die Pflanzen;
aber z. B. Max Müller^s Auge, gesättigt von den strahlenden Farben des indoger-
manischen und semitischen Stammes, sieht in allen anderen Sprachen nichts als das
einförmige turanische Grau.
Nachdem ich zwei gründliche Mängel in dem heutigen Zustande der Sprach-
wissenschaft eingeräumt habe, nehmlich mangelhaftes Material in mangelhafter Bear-
beitung, mache ich noch ein drittes Zugeständniss von principiellem Werthe. Die
Sprache ist wesentlich Darstellung, d. h. Darstellungsmittel. Darum ist sie abhängig
von dem, was dargestellt wird. Einerseits, real genommen, ist die Sprache im Ver-
hältniss zum Inhalte des Bewusstseins secundär, und dieser Inhalt wird von der um-
gebenden Natur und den leiblichen Verhältnissen des Volkes bedingt Darum ist
auch andererseits zum Verst&ndniss einer Sprache die Kenntniss des geistigen Inhalts
des betreffenden Volksbewusstseins, seiner Anschauungen, wie seiner Gefühls- und
Beurtheilungsweise durchaus unerlässlich; und zu dieser Kenntniss wird wiederum
die der Natur und des Körpers erfordert, weil von diesen beiden Factoren der Geist
ursprünglichst bestinunt wird. Natur — Greist — Sprache: so ist die Reihenfolge.
(95)
Der Geist ist das Ziel, in der Natur, wie für die Erkenntniss. Der Natur entspros-
sen) ist die Sprache seine Folge. Man yersteht eine Sprache nur aus der Natur, wo
sie entstanden ist, und aus dem Geiste, dem sie entströmt. Das Wort hat eine Be-
deutung; diese Bedeutung verstehe ich nur, wenn ich die Sache kenne, welche sie
bedeutet. Daher muss ich dem Anthropologen beipflichten, wenn er sagt, die Erfor-
schung eines Volkes beginne mit den materiellen Verhältnissen, unter denen sein
Geist erwachsen ist, imd die Sprache ist nur ein Moment des Greistes unter vielen
anderen, nehmlich Sitte und Lebenseinrichtung, moralischer und intellectueller Cha-
rakter, Wissen, Glauben und Fühlen, Arbeit und Verkehr.
Noch ein vierter Punkt, der von Prof. Seligmann geltend gemacht ist, mag
erwähnt werden: die Sprachwissenschaft erstreckt sich nicht auf alle der Anthropo-
logie vorliegenden Volker. Denn was wissen wir oder können vnr zu erfahren hofiPen
von der Sprache jener palaontischen Menschheit, von der wir doch Sch&del und son-
stige Theile des Skelets schon haben und noch finden werden?
Nach diesen Zugestfindnissen darf ich nun in aller Bescheidenheit dennoch für
die Sprachwissenschaft eine hervorragende Stellung innerhalb der Ethnologie bean-
spruchen. Denn erstlich, wenn die Sprache auch der Natur xmd dem ganzen geisti-
gen Leben gegenüber secundär und tertiär ist, so ist sie doch für den Forscher der
einzige, wenigstens der breiteste Weg zur Erkenntniss des Volksgeistes. Ohne Sprach-
kenntniss ist ein Eindringen in die religiösen Anschauungen, in die Weltansicht eines
Volkes unmöglich. Dies bedarf kaum der Ausführung. — Zweitens aber ist die
Sprache nicht bloss Mittel der Darstellung, sondern das primitivste Product des Gei-
stes, weldies sogleich alle folgenden Producte beeinflusst und zum Organ geistiger
Produotion wird. Der Matihematiker und mathematische Naturforscher, der strenge
Logiker kann denken ohne Hülfe der Sprache; für ihn ist das Wort ein an sich lee-
res Zeichen, für den Naturmenschen ist das Wort ein Hebel der Gedanken. Darum
ist für die uncultivirten Völker und das einfachste geistige Leben die Sprache widi-
tiger als irgend eine andere geistige Bethätigung; der Charakter des ungebildeten
Volksgeistes liegt in ^iner Sprache entschiedener als in den anderen Lebenskreisen
ausgeprägt; ja der Grad der Culturfahigkeit eines Volkes, abgesehen von günstigen
Einflüssen von aussen her, wird durch die Sprache prädisponirt. Die Sprache ist
Organ des Geistes, d. h. sie ist eine psychologische Kategorie, sie ist ein psycholo-
gisches Moment, das in einen Kreis mit Empfindung und Sinnesthatigkeit, Phantasie,
Verstand gehört. Daher muss die obige Behauptung, dass die Sprache dem Bewusst-
sein gegenüber secundär ist, dahin abgeändert werden, dass dies nur insofern gilt,
als die Sprache Zeichen oder Inhalt des Geistes ist; sie ist aber auch und zwar
wesentlich ein schöpferischer Factor des Bewusstseins und als solcher von primärer
Bedeutung für den Geist und dessen Entwicklung. — Drittens endlich ist die Sprache
nicht nur das primitivste Product und ein Organ des Geistes, sondern ein Erzeugniss
des Gegeneinanderwirkens von Geist und Leib; sie ist durch den Reflex des Greistes
auf den Leib entstanden und ist also in ihrem tiefsten Grunde eben so sehr physio-
logisch als psychologisch; und so bleibt sie auch für immer physiologischen Bedin-
gungen unterworfen und bleibt abhängig vom Leibe und der umgebenden Natur. In
ihr spiegelt sich der ganze Mensch, Leib und Seele, sie gehört beiden, ist beiden
entsprossen, nehmlich ihrem Zusammen- und Aufeinanderwirken.
Diese principielle Wichtigkeit der Sprache ist unabhängig von der jeweiligen
Lage der Sprachwissenschaft. Ist diese schlecht, so ist es zu bedauern. Sie ist aber
besser, wie mir scheint, als zuvor angenommen ward. Es ist ja schon angedeutet,
dass W. V. Humboldt die schlechte Classification der Sprachen verworfen hat. Er
hat aber mehr gethan, er hat auch positiv geschaffen und den Weg angebahnt, der
(96)
ZU besseren Ergebnissen führt. Ich bilde mir ein, diesen Weg eine gate Strecke
mitgegangen zu sein. Ich habe in meiner ^^Charakteristik der hauptsächlichsten Ty-
pen des Sprachbaues^ nicht drei Classen aufgestellt, sondern etwa neun Typen ge-
zeichnet Nun scheint neun als drei mal drei gegen drei ein messbarer Fortschritt.
Wenn man aber früher meinte, in drei Classen alle Sprachen der Erde unterbringen
zu können, so behaupte ich gar nicht ebenso: alle Sprachen der Erde zerfaUen in
neun Classen; sie zerfallen in noch viel mehr, von denen ich blos neun herausgeho-
ben habe, weil sie mir bekannt genug waren und in ihrer Eigenthümlichkeit fassbar
genug, um Ton ihnen klar abgegrenzte und deutlich entworfene Bilder zeichnen zu
können. Ich hoffe, nächstens noch mehr solcher Typen darstellen zu können, und
erwarte ruhig das ürtheil, ob meine Typen wirklich scharf gesonderte Sprachgestal-
ten bieten, Bildungen, yon denen unmittelbar klar ist, dass niemals durdi irgend
welche Metamorphosen eine in die andere übergehen kann.
Demnach, meine ich, ist die Sachlage für die Sprachwissenschaft doch nicht so
ungünstig, wie sie unserem Collegen Bastian schien. Nicht nur aber, dass wir die
Merkmale der Sprach -Eigenthümlichkeiten schärfer auffassen können, als er meint,
so können wir sie auch nach ihrem Werthe als Hebel der geistigen Bildung rich-
tiger abschätzen. Wenn Bastian sagt (das. S. 2): „Elintheilungen der Völker nach
den Sprachen sind deshalb ziellos, da sie dieselben unter wenigen, für eine Beurthei-
lung keineswegs genügenden und oft geradezu unwesentlichen Zügen auffassen, da
sie sogar (wenn es sich um eine Abschätzung handeln würde) oft gezwungen sein
könnten, die Sprachen roher Völker, die noch ganz innerhalb des Sprachdenkens
leben und deshalb dasselbe auf das Künstlichste ausgebildet haben, über hochbegabte
zu stellen, die gegentheils ihr Sprachwerkzeug möglichst zu vereinfachen suchten,
um es desto leichter hantieren zu können bei denjenigen Productionen ihres Greistes,
die sich nie in jenem, sondern nur durch seine Hülfsmittel darstellen Hessen^, so
trifft diese Bemerkung eine Ansicht, die ich veraltet nennen darf; und wenn selbst
Schleicher noch Finnisch über Englisch stellt, so trifft Bastian allerdings auch
diesen verdienstvollen Sprachforscher; aber in diesem Punkte hat Schleicher gegen
Jakob Grimm einen Rückschritt gethan. Ich meine, wir können heute schon D'd-
ferenzen abwägen, welche scheinbar so klein sind, wie die zwischen dem Birmsoi-
sehen und dem Chinesischen obwaltenden. Auf diesem Grebiete ist ja Bastian «ohl
zu Hause, und ich darf ihn fragen, ob ihm die Begründung meiner Ansicht von der
höheren Stellung des Chinesischen nicht einleuchtet.
Bevor ich zu den Widersprüchen zwischen der sprachwissenschaftlichen und der
physischen Eintheilung der Völker konune, muss ich noch Einiges zur Erläuterung
des Sinnes meiner Classification der Sprachen bemerken. Man hat sie die psycho-
logische Eintheilung der Sprachen genannt Das dürfte ich mir gefallen lassen,
wenn dieselbe nur im Gegensatze gegen Schleicher ^s morphologische und gegen
die genealogische, wie sie gewöhnlich verstanden wird, näher bezeichnet werden
sollte. Nach meiner vollen An- und Absicht aber soll eine wahre Classification der
Sprachen alle morphologischen Merkmale mit einschliessen, jedoch mit untergeord-
netem Werthe; obenan sollen die Processe und Kräfte stehen, welche die Morphe er-
zeugen, und das sind im Thiere die physiologischen Verhältnisse, in der Sprache die
psychologischen, und weil ich von den erzeugenden Kräften ausgegangen wissen
will, so ist die so verfahrende Methode genetisch, und die daraus sich ergebende
Classification genealogisch. Meine Classification unterscheidet sich von der sogenann-
ten genealogischen dadurch, dass ich nicht nur wie diese behaupte, diese Sprache
ist mit jener und jener verwandt, und diese zusammengenommen bilden den und
den Spraohstamm, sondern dass ich zuerst gerade dasselbe aussage und dann das
t«
(97)
Charakteristifiche dieses Stammes in iuierer und äusserer Form darlege. Um dies
durch eine Analogie zu erläutern: es genügt nicht zu wissen, dass Wilhelm I. ein
Dme£Ee Friedrichs II. und Nachkomme des grossen Kurfürsten ist und sogar seine
Genealogie noch weiter rückwärts zu kennen und alle Glieder dieser Familie unter
dem Namen Hohenzollem zusammenzufassen, sondern ich will wissen, wer die Hohen-
zollern sind, d. h. was sie geleistet haben und welchen intellectuellen und physischen
Charakter sie tragen. Die Classification in meinem Sinne ausgeführt wäre also die
inhaltsvoll gemachte Genealogie der Sprachen. Jeder Sprachstanmi und ebenso ab-
wärts jede Sprachfamilie, wie aufwärts jede umfassendere Sprachengruppe muss einen
eigenthümlichen psychischen, morphischen und physischen Charakter zeigen.
An solcher Classification der Sprachen würden alle Vorwürfe, welche bisher gegen
die Sprachwissenschaft gemacht sind, abprallen. Aber freilich muss man auch zu-
gestehen, dass wir von einer solchen noch fem sind. Indessen die Craniologie ist
auch noch in ihren Anfängen.
Also schliesslich die Frage: was sollen wir thun, wenn die sprachwissenschaft-
liche und die physiologische Beurtheilung eines Volkes sich widersprechen? Vor
Allem bitte ich, die Sache nicht zu übertreiben: solche Fälle bilden doch nur die
Ausnahme, in der Regel herrscht Uebereinstimmung. Wie soll man sich aber bei
solchen Ausnahmen verhalten? So wie das allgemein methodologische Gesetz für alle
Wissenschalt gebietet, so oft und wo nur immer die Betrachtung eines und desselben
Objectes von verschiedenen Gesichtspunkten aus zu disharmonischem Ergebniss führt:
da muss man nehmlich überall ein Problem anerkennen, eine noch nicht aufgefun-
dene, bisher übersehene Thatsache voraussetzen, welche man, um die Disharmonie
atifzulösen, zu suchen hat Solche Thatsache kann, um bei unserer Frage zu blei-
ben, ebensowohl auf Seiten der physiologischen wie der grammatischen Betrachtung
liegen. Es kann sich der Schädel, es kann sich die Sprache geändert haben; denn
unveränderlich ist weder dieser noch jene. Es konunt darauf an, zu suchen, ob
Punkte vorliegen, welche eine gesetzmässige Veränderung veirathen.
Auf die Verimderung des Schädels kann ich nicht eingehen; aber von Verände-
rung der Sprache habe ich zu reden. Es könnte erstlich bei einem Volke der Schä-
del in seiner alten Form unverändert geblieben sein, während die Sprache durch
mancherlei Ereignisse sich so umgestaltet hätte, dass ihre primitive Gestalt und*ihr
Verwandtschaftsverhältniss unkenntlich geworden wäre. Das wäre namentlich bei
den culturlosen Völkern, für welche wir so wenig Material der Forschung besitzen,
leicht möglich. In diesem Falle würde die Sprachwissenschaft imserem Wissens-
drange etwas schuldig bleiben. Da sie aber in solchem Falle gar keine positive
Aeusserung thun könnte, so würde sie auch der physiologischen Ethnologie nicht
widersprechen, sondern nur diese nicht unterstützen können.
Es könnte aber auch zweitens ein Volk bei unverändertem Schädel und phy-
sischem Habitus seine eigene Sprache gegen eine fremde, weit abliegende vertau-
schen, deren Verwandtschaft sicher bestimmbar bliebe. Dann würde der Sprachfor-
scher dieses Volk wegen seiner Sprache anders stellen, als der Physiologe. Das
ergäbe einen wirklichen Widerspruch, und dies ist der gefürchtete Fall. Hier gebe
ich Folgendes zu bedenken. Die Thatsachen, in denen ein solcher Sprachtausch
offen vorliegt, weil er sich in historischer Zeit vollzogen hat, lehren zugleich, unter
welchen Bedingungen er möglich ist. Also, es ist Thatsache : Gelten, Celtiberer, Ibe-
rer und Slawen haben ihre angestammten Sprachen aufgegeben und dafür die latei-
nische angenommen; afrikanische und asiatische Völker haben ebenso ihre eigenen
Sprachen gegen das Arabische vertauscht. Was lehrt diese Thatsache? Unter wel-
chen Bedingungen also ist eine Vertauschung der Sprache seitens eines Volkes mög-
(98)
lieh? Nur dann, bo folgere ich, wenn erstlich eine erdrückende politische Üeber-
macht des einen Volkes auf dem unterjochten lastet, und wenn zweitens seine Ueber-
macht auch noch mit einer überwältigenden Cnltur und Ciyilisation gegenüber einem
uncultivirten oder halb cultimten, aber culturfahigen und cultursnchenden Volke
steht, so dass sich letzteres halb willig, halb unwillig dem höheren Geiste unterwirft.
Dazu konmit ein Drittes. Das weltbeherrschende Rom mit seinem hervorragenden
Organisations-Talent und seiner grausamen Rücksichtslosigkeit hätte keines der heute
romanischen Völker romanisirt, wenn es nicht in dem neu entstandenen €hristen-
thum einen Bundesgenossen gehabt hätte. Die römischen Proconsuln mit ihrem gan-
zen ungeheuren Apparat hätten es nicht vermocht, die lateinische Sprache in die
Hütten des Volkes einzuführen, und der ganze Romanismus wäre beim Zerfallen des
römischen Reiches mit dem Verschwinden des herrschenden Standes vom Volke wie
eine oberflächliche Tünche abgestreift worden, wenn nicht der lateinische Apostel des
Christenthums, der römische Diener der Kirche die Arbeit, welche der römische
Feldherr und Staatsmann begonnen hatte, erst vollendet und gesichert hätte. Aehn-
lich war es bei den Arabern.
Wenn wir vnssen, dass unter solchen Bedingungen Sprachen vertauscht werden,
so begreifen wir auch, wie solche Bedingungen die natürliche Anhänglichkeit jedes
Volkes an seine Sprache überwinden konnten, und es berechtigt uns nichts zu der
Annahme, dass auch weniger gewaltige und weniger tief eingreifende Verhältnisse
einen gleichen Erfolg haben könnten. Wo also der Physiologe das Zugeständniss
fordert, es sei irgendwo ein Sprachtausch eingetreten, da kann es ihm so lange nicht
gewährt werden, als bis die Möglichkeit desselben nachgewiesen ist Ich meine aber,
solche Möglichkeit könne unter culturlosen Völkern gar nicht eintreten.' Ist aber der
Sprachtausch Folge einer Vermuthung, so wäre wohl vorauszusetzen, dass die phy-
sischen Verhältnisse davon nicht unberührt geblieben sein können.
So sehe ich denn nur wenig Veranlassung zu einem wirklichen, dauernden Wider-
spruch zwischen Grammatikern und Physiologen, was ich an einigen Beispielen er-
läutern will. Ich habe immer gehört and gelesen, dass der Finne kaukasischen 'Ty-
pus trage ; seine Sprache aber, das weiss ich, ist mongolischer Art. Da ist ein Wider-
spruch, und da heisst es: suchen und abwarten. Ich hörte vor einigen Jahren wo
dem bekannten Sprachforscher Schiefner in Petersburg, dass der Finne in seitten
stark hervortretenden Backenknochen entschieden mongolisches Gepräge zeige. In
einer der letzten Sitzungen nun lehrte uns unser Präsident, dass der finnische Schä-
del ein weit kleineres Hohlmass fasse, als der slavische oder germanische. Es muss
also mit dem kaukasischen Schädel des Finnen seine besondere Bewandtniss haben,
welche der Craniologe vielleicht noch auffindet Aehnlich wird es mit der kaukasi-
schen Physiognomie des Osmanen und Magyaren sein. Ich erinnere mich, dass mir
einst Alex. v. Humboldt gesagt hat, je tiefer man von Europa aus nach Asien
unter die tatarischen Stämme hinein reist, um so mehr schwindet unter denselben
das europäische Gesicht und um so entschiedener wird das mongolische. — Die Finnen
erinnern mich an die Lappen. Der physische Gregensatz zwischen Lappen und Fin-
nen ist auffallend; ihre Sprachen sind Schwestern. Es ist aber erstlich schon nicht
richtig, dass zwischen diesen beiden Stämmen niemals Feindschaft bestanden habe.
Vielmehr geht aus dem finnischen Epos hervor, dass dem Finnen der Lappe als der
eigentliche Erbfeind gilt. Er nennt ihn schieläugig, mager, mit schwarzen Haaren,
dämm und unbeholfen, neidisch und Lügner, verrätherisch und prahlerisch. Jetzt
lese ich (Zeitschr. f. Ethnol. I. S. 9), dass wir die Lappen physisch wenigstens nicht
mehr mit den Eskimos zusammenstellen dürfen. So wird sich allmählich das Dunkel
aufhellen.
(99)
Und so lautet mein SchluBswort an Physiologen und Sprachforscher: Jeder höre
den Andern. Wo ihm der Andere beistimmt, wird er sich dessen freuen; wo er ab-
weicht, da sei ihm dies ein Stachel, die Sache wieder und immer wieder zu unter-
suchen. Die Harmonie im Leben und in der Wissenschaft ist nur der Lohn harter
Arbeit. —
Herr Bastian: Es wird Allen sehr erfreulich sein, dass die in mehrfocher Hin-
sicht bedenkliche Frage über die Verwerthung der sprachlichen fiesultate durch die
Ethnologie von Hm. Prof Steinthal zur Erörterung gebracht ist, einem Meister der
Sprachwissenschaft, der ihre Ausdehnung kennt und in so vielfaltigen Arbeiten die
geltenden Gesichtspunkte kritisch beleuchtet hat. Allerdings ist es augenblicklich
nicht möglich, schon der beschränkten Zeit wegen, auf diesen Vortrag in allen seinen
Einzelnheiten zu antworten, da es sich zunächst um die Prinzipienftrage unseres ver-
schiedenen Standpunktes handeln wGrde, und kann ich das um so eher unterlassen,
da für eines der nächsten Hefte unserer Zeitschrift die Fortsetzung der sprachwissen-
schaftlichen Abhandlung, die besonders erwähnt wurde, in Vorbereitung liegt Die
Verschiedenheit der Sprachen würde sich nicht mit der der Pflanzen oder Thiere
in Vergleich stellen lassen. Seinem physischen Habitus nach erscheint der Mensch
als das naturnoth wendige Product seiner Umgebung , der geographischen oder
anthropologischen Provinz, in der er lebt. Seiner psychischen Hälfte nach ist
er freier und kann deshalb auch in dem durch die Sprache gegebenen Ausdruck
derselben mancherlei Wandlungen zeigen. Die Bedeutung der Sprache für das psy-
chologische Studium kann in der Völkerkunde nicht hoch genug angeschlagen wer-
den, während die Sprache für ethnologische Eintheilungen nur einen unsicheren Mass-
stab abgiebt, weil ei^en selbst veränderlichen. Philosophische Gruppirung wird
schwer die Probe der Induction bestehen nach hinlänglich angesammeltem Material.
An sich bewahrt jedes Volk seiae Sprache, schon des die ganze Natur durchwalten-
den Gesetzes der Beharrlichkeit wegen ; liegt jedoch ein Motiv zur Abänderung vor,
so werden wir solche geschichtlich auch eintreten sehen, meistens allerdings in Folge
politischer Herrschaft oder des Uebergewichts der Civilisation, doch nicht immer ganz
dadurch, wie bei den Etruskern, Kleinasiem u. A. m., und häufig schon als Folge
des Verkehrs, wie sich bei den Tupi Brasiliens und anderen Sprachen Nordamerikas
und Ahikas zeigt. Wie leicht die mannichfaltigsten Stämme unter gleichartiger
Sprachform begriffen werden können, zeigt die Verbreitung des Eechua, und in viel-
fältigen Variationen haben die Sprachen des südlichen Asien, sowie des Archipe-
lago Abwandlungen erfahren. Es liegen hier eine Menge verwickelter Probleme vor,
und es wird eine werthvolle Unterstützung bei dem Versuche ihrer Lösung sein, sie
noch weiter mit einem Sprachforscher von Prof. SteinthaTs Geltung und feinem
erörtern zu können.
Herr Hartmann bemerkt, dass seiner Ansicht nach Erforschung der Bildung des
Schädels allein bei Untersuchungen über Abstammungs- und Verwandtschaftsver-
hältnisse der Völker nicht ausreichend sei, sondern dass es hierbei auch wesentlich
auf Berücksichtigung der sonstigen physischen BeschafiPenheit, namentlich auf Berück-
sichtigung des physiognomischen Habitus ankommen müsse. Gründliches Stu-
dium der Gesichtszüge verschiedener Individuen eines Volksstammes erleichtern in
hervorragendem Grade das Erkennen der Abstammung und Verwandtschaft desselben.
Dies lasse sich durch viele Beispiele erhärten.
In östlichen Ländern werde der Sprachentausch vorzugsweise durch den Islam
und durch die im Gefolge desselben sich verbreitende arabische Sprache und Schrift
(100)
gefordert. Das Arabische Yerdrange die heimisdieii Idiome, and noch gegenwärtig
erlebten wir es, dass letztere (z. B. das Fnngi, Berberi-Botanah, Eonjari und andere
afrikanische Sprachen) durch das Arabische zwar allmählich, aber yollstandig erseizt
wurden. —
(9) Herr Dr. Johannes von Mierjeievsky aus St Petersburg, in der Sitzung
als Gast anwesend, erläutert, unter Vorlegung des in Alkohol gehärteten Gehirns,
sowie mehrerer Gypsabgüsse und Zeichnungen
einen FaU Ton lOkrooephalie.
(Hierzu Tafel VUI und IX.)
Die Idioten-Mikrocephalen hatten stets die Aufmerksamkeit der Anthropologen
auf sich gelenkt, welchen sie zum Streitpunkt in der Frage über die Abstammung
des Menschen dienten. Das Aeussere dieser Idioten überhaupt, ihr kleiner Schädel
mit der stark eingedrückten und abschüssigen Stirn, mit einem nach hinten bedeu-
tend gewölbten Hinterhaupt, die schiefe Seitenansicht mit den sehr entwickelteo
arcus superciliares, die hervorstehenden Augen, — alles dies giebt diesen Wesen eine
Affengestalt, und die Beobachter haben sie schon längst unter dem Namen der affen-
ähnlichen Menschen beschrieben. Die Aehnlichkeit der Mikrocephalen mit den men-
schenähnlichen Affen ist um so schlagender, wenn wir bei ihnen die schwache
geistige Entwickelung, die Armuth an Gedanken imd abstracten Begriffen, das voll-
ständige Fehlen oder die grosse Beschränktheit der Sprache, die grosse Beweglich-
keit und Geschicklichkeit in der Ausführung der verschiedensten Bewegungen, was
häufig vorkommt, berücksichtigen. Es ist nicht zu ver wundem, dass einige der neuesten
Naturforscher die Mikrocephalen wegen der Entwickelung ihres Hirns und Schädels
für die Repräsentanten jener Üebergangsstufen halten, welche dem Menschen auf dem
Wege zu der höchsten Entwickelungsstufe vorangingen und welche in Folge dessen
sich um den Namen seiner Urväter verdient gemacht haben. Die Anbeter der Dsr-
win'schen Lehre *}, welche auf Grund verschiedener theoretiBcher Erwägungen die
Abstammung des Menschen von den Yierhändern der alten Welt herleiten wollen,
selbst das Aeussere dieser Urväter beschreiben, finden in den mikrocephalen Idioten,
vornehmlich in dem Bau ihres Hirns und Schädels, Beweise für den umgekelirteB
Uebergang des Menschen zu dem ursprünglichen Wesen, von welchem er abstammt.
Sie behaupten, dass, wenn ein versteinertes Vorbild eines solchen Wesens gefunden
wäre, es alsdann bewiese, dass das Urgeschöpf weder einen vollständig entwickelten
Menschen, noch einen vollständig entwickelten Affen darstelle, sondern ein Wesen, wel-
ches die Mitte zwischen beiden halte, zu welchem auch die Mikrocephalen gehören,
weil das Weiterschreiten der natürlichen gewöhnlichen Entwickelung in diesen Fal-
len gehemmt wird und die Natur nur eine Erinnerung von dem Urgeschöpf zurück-
lässt.')
*) The descent of man. London 1871. Ghapter XXI. p. 393.
') Nach Ha ekel kann keiner der jetzt lebenden Affen, gleichfalls kein anthropomorpher
Affe als Urvater des menschlichen Geschlechts angesehen werden. Die wahren Anhänger der
Darwin'schen Theorie Hessen auch nie die Möglichkeit einer entgegengesetzten zu; nur ihre un-
überlegten Anhänger bemühten sich, zu beweisen, dass sie der Ansicht seien. Die affenähn-
lichen Unräter des Menschen sind lange schon ausgestorben. Vielleicht, sagt Häckel, werden
einst ihre yersteinerten Skelete auf dem Boden Ton Sud- Asien oder Afrika gefunden werden.
Jedenfalls kann man nach dem zoologischen System den Typus der Urahnen des Menschen zu
den ungeschwänzten, engnäsigen Affen (Gatarrhina lipocerca) oder zu den anthropoiden zahlen.
Hacke] bemerkt femer, dass ein jeder der noch lebenden anthropomorphen Affen mehr oder
weniger in gewissen Beziehungen dem Menschen ähnlich sei, ohne dass bei dem einen von ihnen
(101)
Die Darwinianer fuhren zur Behauptung ihrer Theorie zahlreiche Beispiele der
sogenannteo yersteckteu Erblichkeit an, welche oft im Thierreich beobachtet werden;
bei einigen Arten wiederholt sie sich mit einer gewissen typischen Gesetzmässigkeit;
so z. B. sind die Kinder der Seetonnchen, welche zu der Klasse der Himatega ge-
boren, nicht ihren Eltern ähnlich, sondern ihren ürgrossvätem ; die von diesen Kin-
dern folgende Nachkommenschaft ist ihrem Grossyater ähnlich und endlich wird in
der Ton dieser Nachkonmienschaft abstammenden Generation der ursprüngliche Typus
der Eltern, welche als Ausgangspunkt der Beobachtungen dienten, erkannt. Darwin
hält den Atavismus (Rückschlag) aufrecht, welcher darin besteht, dass bei den höhe-
ren Species nur einige Organe oder KÖrpertheile in der Entwickelung zu dem nie-
drigeren Typus zurückkehren können, ohne die höhere Entwickelung der übrigen
Organe und KÖrpertheile zu beeinträchtigen. Der Mikrocephalismus gehört nach die-
ser Theorie zu denjenigen Fällen, bei welchen das Gehirn des Menschen während
seines Embryonallebens Ton dem normalen Typus abweichen und nach dem Typus
sich entwickeln kann, welcher eigenthümlich ist den Wesen, welche für unsere Vor-
fahren gehalten werden. Nicht alle Naturforscher sind derselben Ansicht; einige
halten die Mikrocephalen für Menschen, deren Gehirn im embryonalen Leben, aus
ganz unbekannten Gründen, Veränderungen ausgesetzt wurde, welche seine Entwicke-
lung auf der Stufe seines unter verschiedenen Phasen ähnlichen Embryonallebens, vom
5. — 9. Monat, hemmten. Der Vertheidiger der ersteren Ansicht über Mikrocephalis-
mus ist Carl Vogt, die Vertheidiger der entgegengesetzten Gratiolet, Wagner
und endlich in der neueren Zeit Julius Sander.
Die Resultate von Gratiolet^) von drei Mikrocephalen waren folgende: Ihr
Schädel war klein und weniger entwickelt, als beim Schimpanse und Orang-Utang.
Die Sutura spheno-basilaris zeigte sich knorplig, trotzdem, dass einer der Idioten
bereits im 14. Jahre war; die Hinterhaupts- und Basilarknochen waren knorplig und
gross, die Schläfen- und Sielbeinknochen waren weniger entwickelt, als im normalen
Zustande. In demselben Maasse, als die Verknöcherung der Schädelbasis unvoll-
kommner entwickelt war, war die Schädelwölbung stark entwickelt Die mittlere
Sutura frontalis war ganz verwischt, die Sutura sagittalis fest verwachsen, die Sutura
transversalis war ebenfalls beinahe obliterirt; es blieb also nur die Sutura lambdoides
übrig, welche einfach und schwach entwickelt war. Die Schädelhöhle in der Regio
frontalis und in der Regio supraoccipitalis zeigte sich bedeutend verkleinert; in der
Regio temporalis war die Verkleinerung weniger bedeutend. Der Raum des Klein-
hirns war von sehr beträchtlichem Umfange; nach hinten und an den Seiten überragte
er das hintere Ende des verengerten Raumes für das Grosshim; der untere Theil des
Os ocdpitale hat in Folge dessen eine keilförmige Gestalt angenommen und bot die-
jenige Form des Trichters dar, welche Retzius als eine dem Os occipitis des jungen
Embryo eigenthümliche beschrieben hat Kurz, die oberen Bögen der Schadelwirbel
waren atrophirt, ihre unteren Theile ungewöhnlich entwickelt Die Knochen der
Schädelbasis rissen während der Entwickelung die Gesichtsknochen mit sich fort,
welche anfingen, weiter nach vorn zu prominiren, während der Unterkiefer, dessen
mehr als bei dem anderen eine absolut grossere Aehnlichkeit nachzuweisen sei. Der Orang-
Utang hat durch den Bau des Hirns mehr Aehnlichkeit mit dem Menschen, der Schimpanse
durch den Bau des Schädels, der Ciorilla durch den Bau der Hände und Fasse und endlich der
Gibbon durch den Bau des Thorax (Natärliche Schöpfungsgeschichte von Ernst Haeckel,
Ö ö7l. 677).
») Memoires de la societe d'anthropologie, 1860 -1863, T. 1., pag. Cl, Abschnitt ,sur la
inicrocephalie*.
(102)
Entwickelung von der des Systems der Sohädelwirbel unabhängig ist, sein normales
Maass und seine normale Form beibehielt. Deshalb kam die Entwickelung beider
Kiefer ungleichmässig zu Stande; sie hörten auf, gleich aufeinander zu liegen. Di<>
Schneidezähne des Oberkiefers berührten nicht mehr die des Unterkiefers; durcb
diese Unregelmässigkeit zeigte sich das Gesicht mit schrägem Profil, d. h. das Ge-
sicht hatte eine prognathe Form angenommen Dieser Prognathismus ist folglic>.
nicht congenital, sondern zuföllig entstanden durch die Verkleinerung des Bogen«
des Stirnwirbels; letzterer zeichnet sich von dem congenitalen dadurch aus, dass W,
ihm (wie dies bei den Maccaus, einer südafrikanischen Race, zu beobachten ist, U-i
denen das Gesicht durch die Prominenz nach vorn an den Gorilla oder Cynocephalu^
papion erinnert) der Oberkiefer in seiner Entwickelung dem Unterkiefer entspricht
Zum Beweise dafür, dass ein solcher Prognathismus bei den Mikrocephalen mit der
Verkleinerung des Stirnbogens gleichzeitig zu Stande kommen könne, dient noch der
Umstand, dass er bei den Caraiben und Aita-Racen vorkommt, bei welchen es Sitte
ist, die Stirn ihrer Kinder durch künstlichen Druck einzupressen. Gratiolet will.
gestützt auf bald zu erwähnende Gründe, die Aehnlichkeit des Hirns der Mikn^
cephalen mit dem der Afifen, die er zu beobachten Gelegenheit hatte, nicht verkee-
nen: 1) Bei den Affen ist die Scissura parallela (Sulcus temporalis nach Ecker
lang und tief; die Schlafenlappen haben sehr complicirte Vertiefungen. Bei On
Mikrocephalen ist die Scissura parallela nicht ganz entwickelt, oft iBt sie gar mi
vorhanden und die Schläfenlappen sind dann fast ganz glatt. 2) Bei den Mib-
cephalen befindet sich die erste Hinterhauptswindung (nach Ecker, le deuxieme f.
de passage nach Gratiolet) stets auf der gewölbten Oberfläche des EUms, velcb^
Zeidien grosse Aehnlichkeit besitzt mit dem des Menschen. Im Grehim des Ait-
z. B. beim Cercopithecus ist diese Windung im Gegentheil immer unter dem Op&-
culum des Hinterhauptslappens versteckt 3) Gratiolet fand, als er das Hin.
von erwachsenen höheren Affen und das eines erwachsenen Menschen verglich. d&^'
die Anordnungen der Windungen bei ihnen fast gleich sind; beim Embryo ist dx^
nicht der Fall; beim Embryo des Affen fangen an und endigen die Winduogeo ^
nuttleren Stirnlappens des Grehims firüher, als die Windungen der vorderen (^^
Stimlappen; beim menschlichen Embryo dagegen werden die Stimwindungen wsi
gebildet, und zuletzt erscheinen die Windungen der mittleren Lappen. Deshalb
zwischen dem Gehirn eines Menschen und dem eines Affen um so weniger A^-
lichkeit vorhanden, je weniger entwickelt das eine oder das andere ist. Diese An-
sicht wird durch das Studium des Gehirns der Mikrocephalen begründet: bei m
Affen sind die Windungen der mittleren Lappen des Gehirns sehr gut entwick<4t
bei den Mikrocephalen unbedeutend, 4) Das Hirn der Mikrocephalen ist stets «^
niger vollständig, als das eines neugebornen Kindes. Der Mikrocephalisniiis p^^
tdso der Geburt voran; bei einem Mikrocephalen, dessen Hirn Gratiolet sludirb
zeigte die allgemeine Form des Hirns und der Fossae Sylvü, dass die Missgek"
bereits im 5. Monat des Uterinallebens der Leibesfrucht hat zu Stande kommeo mib'
sen. 5) Gratiolet beobachtete ferner eine überaus merkwürdige Entwickeiofig de
Kleinhirns bei Mikrocephalen. 6) Die Verkleinerung des Hirns der Mikrocepbal«
zeigte sich ausnahmsweise an den Hemisphären des Grosshims, während die Ken»
die von seiner Basis aus abgehen, gut entwickelt waren, und selbst einige von ihnf-
das normale Maass übertrafen. 7) Gratiolet bemerkt, dass die Mikrocephaleu ihr-
dem Menschen eigenthümlichen geistigen Thätigkeiten beibehalten ; der grösste Tb-f.
fuhrt eine unverstandliche und an Worten arme, aber articulirte Sprache. I>i«* ^'
eine der hauptsächlichsten Eigenthümlichkeiten. 8) Die Mikrocephalen dürfen ok.
mit denjenigen Menschenracen verglichen werden, welche auf der niedngsteD Stal'
(103)
in anthropologißcher Beziehung stehen. Ton allen menschlichen Racen sind die
Buschmanner die einzigen, welche weniger complicirte Windungen des Gehirns be-
sitzen; besonders sind die Windungen der Stirnlappen so schwach entwickelt, dass
eine ähnliche mangelhafte Entwickelung nie bei anderen wilden Racen vorkommt,
ausnahmsweise in einigen F&llen des congenitalen Idiotismus. Obgleich die Busch-
männer als eine in anthropologischer Beziehung auf einer niedrigen Stufe stehende
Bace sich darsteUen, sind sie doch den Mikrocephalen nicht ähnlich und stellen
auch keine Erscheinungen der Degeneration dar, was auf Stand und lange Existenz
ihrer Arten in Mitte der schweren, sie umgebenden Bedingungen des Lebens hin-
weise. Die neuesten Beobachtungen stinunen darin überein, dass jede Degeneration
Sterilität und yerhängnissTolles Ende zur Folge habe.
Rudolf Wagner hat in seinem Werke über die Mikrocephalen *} die Materia-
lien, welche durch Beobachtungen an denselben gewonnen, und bereits früher von
Johannes Müller, Leubuscher, Theile, Baillarger, Conollj, Cruveilhier,
Bonn (Fall Sandifort), Yirchow, Gratiolet, aus den Sammlungen der Museen
von Göttingen, Halle (Museum von Meckel) u. s. w. beschrieben wurden, benutzt
Er stimmt mit der Ansicht Gratiolet 's überein, dass das Gehirn der Mikrocepha-
len nicht zu dem Typus der Affen zurückkehre, was dadurch bewiesen wird, dass
in dem der ersteren keine Aehnlichkeit mit dem der letzteren vorhanden sei. Ob-
gleich die vorderen Theile der Hemisphären des Gehirns der Mikrocephalen durch
die Einfachheit ihres Baues ähnlich denen des Hirns der Affen sind, bietet doch das
Gehirn der Mikrocephalen eine grosse Differenz von dem der letzteren in Bezog auf
den Bau der Hinterhauptslappen, imd zwar: bei den Mikrocephalen ist eine sehr be-
deutende Verkleinerung der Hinterhauptslappen zu erkennen, während die Lappen
bei den Affen gut entwickelt und von den Scheitellappen durch die tiefe Hinter-
hauptsfurche getrennt sind.
Carl Vogt hat in seinem grossen Werke über die Mikrocephalen^}, für welches
er von der Pariser anthropologischen Gesellsdiaft die Prämie Godard bekommen, 42
Falle von Mikrocephalen gesammelt, welche alle in der Literatur verzeichnet sind.
Er stützte seine Untersuchungen über die Schädel der Mikrocephalen auf neun
Schädel, welche er zur Verfügung hatte. Diese Untersuchungen brachten ihn
auf die Endresultate, dass bei den Mikrocephalen in Bezug auf Entwickelung
des Schädels und des Gesichts ein vollständiger Maogel an Harmonie sich einstellt.
Ihr Gresicht kommt dem menschlichen gleich und unterscheidet sich von anderen
Subjecten derselben Race durch den klar ausgeprägten Prognathismus. Der Schädel
dagegen stellt eine Gruppe von Erscheinungen dar, welche den anthropomorphen
Affen eigenthümlich sind, und zwar das starke Heraustreten des Schädels, die Impres-
sionen der Stirnknochen, die starke Entwickelung des Sinus frontalis und des Arcus
superciliaris, die Depression des oberen Theils des Os oucipitis und die Abweichung
des Foramen magnum nach hinten. Seiner Ansicht nach muss der Schädel der Mi-
krocephalen in jeder Beziehung in der Classification die Uebergangsstufe zwischen
Orang-Utang und Gorilla einnehmen, wobei er aber in der Eutwickelung hoher steht
als der letztere und bedeutend niedriger als der erstere. Diese Eigenthümlichkeit
des Schädels ist sowohl den erwachsenen, als auch den ganz jungen Mikrocephalen
eigenthümlichJ Die Untersuchungen der Schädelnähte der Mikrocephalen, welche
*) Vorstudien zu einer wissenschaftlichen Morphologie und Physiologie des menschlichen
Gehirns, 2. Abtheilung, 18B2.
') Carl Vogt, Ueber die Mikrocephalen oder Affenmenschen. Zeitschrift für Anthropolo-
gie, II, 2, p. 228.
(104)
Vogt angestellt bat, lehrten, dass bei ihnen nicht immer frühzeitige Yerknochenin-
gen der Nähte sich zeigen; bei den drei jungen Mikrocephalen fand er die Nfihte
ganz frei, bei sieben erwachsenen Mikrocephalen beschränkte sich die Yerknöcherung
blos auf einige Nähte.
Vogt hat das Gehirn der Mikrocephalen nur nach Abgüssen studirt; seine
selbstständigen Untersuchungen basirten auf sorgfältiger Beschreibung der äusseren
Form der Hemisphären, der Messung ihrer Oberfläche und der Oberfläche des Klein-
hirns.
Er beweist, dass das Gehirn der Mikrocephalen grosse Aehnlichkeit mit dem
der anthropomorphen Affen habe, und stützt seine Meinung auf folgende Argumente:
1) Die schnabelförmige Gestalt des Yorderen Theils des Gehirns ist bei den Mikro-
cephalen weit mehr entwickelt, als im normalen Gehirn, was auch bei den anthro-
pomorphen Affen der Fall ist. 2) Die Fossa Sjlvii hat im normalen Gehirn eines
Menschen die Form eines Y, d. h. sie stellt einen Stamm dar, welcher nach oben
gabelförmig getheilt ist. Die vordere Grenze dieser Gabel wird durch die Pars orbi-
talis der dritten Windung gebildet, die hintere durch die Spitze des Schläfenlappens;
zwischen beiden Grenzen befindet sich das Operculum'), das untere Ende der Cen-
tral Windungen, welches die gabelförmige Theilung bedingt, ohne die Basis des Ge-
hirns zu erreichen. Bei den Affen geht sie bis zur Basis des Hirns. Deshalb hat
bei ihnen die Fossa Sylyii eine V-fÖrmige Gestalt, d. h. sie ist ihres allgemeinen
Stammes verlustig gegangen und direct in zwei Schenkel getrennt
Vogt hat den Umfang des Gehirns der Mikrocephalen durch die Quantität des
Wassers in Cub.-Cent, welche durch das Gehirn, das in Wasser tauchte, herausge-
drängt war, gemessen. Die Messungen der Oberfläche einzelner Hirnlappen hat er
durch das Ankleben von Stanniol an die einzelnen Lappen, deren Oberfläche vorher
in Quadratmillim. bestimmt war, ausgeführt Der Umfang des Gehirns der Mikro-
cephalen schwankt zwischen .272 Cub.-Cent. (in minimo) und 622 Cub.-Cent (in
maximo); in dieser Hinsicht also steht das Hirn der Mikrocephalen dem Affenhirn
näher als dem menschlichen (das Gehirn des Gorilla = Maximum 500 Cub-Oent.,
das eines Menschen 1450 — 1350 Cub.-Cent).
Die Messungen der allgemeinen Oberfläche des Hirns der Mikrocephalen im Ver-
gleich zu den Messungen, die am Hirn eines Weissen und eines Affen ausgeführt
wurden, haben Folgendes ergeben: Die allgemeine Oberfläche des Hirns der Mikro-
cephalen übertrifft die der jungen Affen und ist gleich der Hälfte der Hirnoberfläche
eines Weissen (die Himoberfläche junger Affen ist gleich einem Drittel der Himober-
fläche eines Weissen). Die Oberfläche der Hinterlappen des Gehirns der Mikrocepha-
len, im Vergleich mit der allgemeinen Oberfläche der ihnen entsprechenden Hemi-
sphären, bietet bei den Mikrocephalen dieselben Beziehungen dar, wie die Ober-
fläche der Hinterlappen des Gehirns bei dem Menschen und Affen zu der allgemei-
nen Oberfläche des Hirns derselben. Die Oberfläche der Schläfenlappen im Vergleich
zu der allgemeinen Oberfläche der ihnen entsprechenden Hemisphären ist bei den
Mikrocephalen verhältnissmässig mehr entwickelt, als bei einem weissen Menschen,
und nähert sich dem Verhältniss, welches für die Oberfläche dieser Lappen bei einem
Neger gefunden wurde.
Die absolute Oberfläche der Scheitellappen steht bei den Mikrocephalen ziemlich
weit ab von den mittleren Zahlen, welche für diese Lappen bei einem weissen Men-
>) Dieses Dach (der Gentrallappen, operculum, Klapj^nwulst) darf nicht mit dem operculum
(der Hinterhauptslappen) verwechselt werden, welches durch die yorderen Theile der Hinter-
hauptslappen bei einigen Affen gebildet wird.
(105)
sehen gefunden worden, und nähert sich den mittleren Zahlen, welche für die Schei-
tellappen bei den Affen gefunden wurden.
Dieselben Beziehungen bieten auch die ausgeführten Messungen der Stimlap-
pen dar.
Im Allgemeinen ist die Yerkleinerung der Himoberßäche der Mikrocephalen,
im Vergleich mit der allgemeinen Himoberfl&che eines Weissen, schlagender au den
Stirn- und Scheitellappen, welche bei den Mikrocephalen relativ mehr entwickelt
sind, als die ganze Hemisphäre; die Hinterlappen sind ein wenig entfernt von der
Verkleinerung der Hemisphären, aber die Schläfenlappen sind so wenig kleiner ge-
worden, dass sie das Deficit bei der Bildung der Scheitellappen decken, wenn man
die Zahlen , welche für die Oberfläche dieser beiden Lappen gefunden worden,
addirt
Bei den Affen finden v^ir das Entgegengesetzte: Die Stirn- und Hinterhaupts-
lappen sind kleiner, als die allgemeine Hirnoberfläche, die Scheitel- und Schläfen-
lappen zusammengenommen sind etwas kleiner, als die allgemeine Himoberfläche,
und viel kleiner, als bei den Mikrocephalen.
üebrigens kommen bei den Mikrocephalen individuelle Verschiedenheiten vor,
in dem Maasse, als die Betheiligung der Lappen der Hemisphären zu der Verklei-
nerung ihrer allgemeinen Oberfläche beitragen; so waren z. B. bei dem Idiot-Mikro-
cephalus Racke die Schläfenlappen mehr entwickelt, als bei einem erwachsenen
Menschen, der Herr seiner normalen geistigen Thätigoeiten ist; in Folge dessen war
die Betheiligung der übrigen Lappen an der Verkleinerung der allgemeinen Ober-
fläche der Hemisphären bei Racke weit stärker entwickelt, als bei anderen Mikro-
cephalen.
Die Untersuchungen Vogt's zeigen, dass bei den Mikrocephalen die allgemeine
Oberfläche des Kleinhirns die Grosse erreichen kann, wie bei einem erwachsenen
Menschen; bei einem jungen Schimpanse ist die Oberfläche viel kleiner; dasselbe
kann auch bei einem Neger und Gretin beobachtet werden, so dass das Kleinhirn
fast gar keinen Antheil an der Mikrocephalie nehme. Nach Vogt geht das Klein-
hirn des Mikrocephalus über den Rand der hinteren Grenze der Hemisphären hin-
aas. Dadurch unterscheidet es sich von dem Kleinhirn der Affen, bei welchen das
Kleinhirn von dem Grosshirn bedeckt ist; übrigens hängt dieser Unterschied davon
ab, dass das Grosshim der Mikrocephalen nicht ganz entwickelt ist, während das
Kleinhirn bei ihnen regelmässig typisch gebaut ist, wie bei ganz entwickelten Men-
schen. Der Mikrocephale ist in Folge dessen nach Vogt ein Affe durch die typische
Entwickelung des Grosshims und ein Mensch durch die Form des Korpers und den
Bau des Kleinhirns. Kurz, das Studium der Himoberfläche der Mikrocephalen führt
Vogt zu denselben Schlüssen, wie das Studium ihrer Schädel, und zwar geht die
Basis des Gehirns bei den Mikrocephalen nach dem Gesetze der menschlichen Ent-
wickelung, wobei das Kleinhirn und die Himbasis ganz, die Schläfenlappen grössten-
theils entwickelt werden, während die oberen, gewölbten Theile der Hemisphären nach
dem Gesetze der Entwickelung der Affen gehen, wobei die Scheitel- und Stirnlappen
ganz, die Hinterlappen weniger entwickelt sind, so dass die Entwickelung dieser Lappen
bei den Affen mehr zurückbleibt, als bei den Mikrocephalen. Die Ansichten Vogtes
gehen, wie aus dem oben Erwähnten hervorgeht, ganz auseinander mit denen von
Oratio 1 et, welcher einen riesigen Unterschied zwischen Mikrocephalen und Affen
fand, welcher Unterschied selbst den zwischen Affen und erwachsenen Menschen
übertraf. Nach geschehener Prüfung über den Zustand der geistigen Fähigkeiten
der Mikrocephalen gewinnt Vogt eine noch grössere Ueberzeugung von ihrer Aehn-
lichkeit mit den Affen. Die Hauptmerkmale, welche er zur Bestätigung dieser Aehn-
Vcrhuidl. der Bert Gea. für Anthropol. «tc /g\
(106)
liebkeit anfuhrt, siad folgende: Die Mikrocephiden können vollkommen gut Be-
ilegungen ausführen, sie sind reizbar; Liebe oder Zorn kofnmt bei ihnen ohne
vorhergegangene Veranlassung zu Stande; alle Eindrücke, die auf sie einwirken,
äussern sich in ihrem Gesichte durch lebhafte Mimik und gesticulirte Bewegun-
gen; sie ahmen die Mimik eines beliebigen Menschen leicht nach. Sie verste-
hen den Sinn der Worte, selbst die Mimik nicht, mit welcher man sich an sie
wendet, sie begreifen aber wohl die Modulationen und den Ton der Stimme. Ihre
(redanken können sie nur an unmittelbare Eindrücke knüpfen und sie sind abstracteu
Denkens nicht fähig. Ihre phonetische Sprache ist sehr beschrankt und besteht aus
einigen mechanisch eingeübten Wörtern, ohne mit dem entsprechenden Sinne in
irgend welchem Einklänge zu stehen; die Sprache der Mikrocephalen ist in dieser
Beziehung der der Papageien oder anderer Vögel ähnlich, welche begabt sind, die
articulirten Laute der menschlichen Sprache nachzuahmen. Die Spracbunfähigkeit
der Mikrocephalen hängt nach Vogt von dem Fehlen oder dem rudimentären Zu-
stande der dritten Stirn Windung ab.
Julius Sander 1) hat im Jahre 1869 zwei Hirne von Mikrocephalen beschrie-
ben: eins vom Neugebornen, ein zweites von einem gewissen Friedrich Sohn, dessen
Geschichte bereits von Johannes Müller im Jahre 1836 beschrieben ist*). Sander
stimmt mit den am Gehirn der Mikrocephalen gewonnenen Resultaten Vogt 's nicht
überein in Folgendem: 1) Er hält nicht die schenkelformige Gestalt der vorderen
Hirnlappen für die Charakteristik, welche das Gehirn der Mikrocephalen von dem
menschlichen während seiner ganzen Entwicklung unterscheide, weil das schnabel-
förmige Ende oft auch bei dem menschlichen Gehirn vorkommen könne. 2) Kann
nach Sander die V-förmige Gestalt der Fossa Sylvii nicht als Zeichen der Mikro-
cephalen-Gehirne dienen, weil bei vielen derselben, auch in den Fallen, welche Sander
bescbrieben hat, sie eine Y-förmige Gestalt annimmt 3) Sander stimmt mit Wag-
ner überein, der Vogt 'sehen Ansicht entgegengesetzt, dass die Hinterlappen der
Mikrocephalengehirne in ibrem Umfange bedeutend abgenommen haben, und bezieht
sich zum Beweise auf die von ihm beschriebenen Fälle. Sander scheint den aus-
geführten Messungen Vogt 's an den Abgüssen der Mikrocephalen -Gehirne kein Ver-
trauen zu schenken; die Abgrenzungen der Lappen sind dermassen undeutlich, dass
Sander darauf hinweist, wie Vogt an dem Abguss eines Mikrocephalen-Gehims einen
Theil des Kleinhirns für den Hinterhauptslappen halte (Taf 10 der Abbildungen su
dem oben erwähnten Werke Vogt's). Sander legt nur dann einen grossen Wertb
auf Messungen, wenn sie an dem Gehirn selbst, nicht an dessen Abgüssen ausgeführt
werden. Ja er selbst hat nicht die Oberflächen der Mikrocephalen-Gehirne gemes-
sen, obgleich er Exemplare eines solchen Gehirns zur Verfügung hatte, er hat Zahlen-
massig auch nicht die Oberflächen der Hinterhauptslappen festgesetzt, weil nach ihm
keine Möglichkeit vorhanden ist, auch nur annähernd diese Lappen von den Schei-
tellappen abzugrenzen. Wenn ihm auch ein natürliches Hinderniss bei der Bestim-
mung der Oberfläche der Hinterhauptslappen entgegentrat, so durfte dies doch bei der
numerischen Bestimmung der allgemeinen Oberfläche der Hemisphären nicht vorkom-
men, die er übrigens versäumt hat auszuführen.
Wenn wir die Literatur der Mikrocephalie betrachten, so ist es leicht begreif-
lich, dass keine Möglichkeit vorhanden ist, ein allgemeines Schema für das Gehirn
aller Mikrocephalen zu entwerfen, wegen des so sehr verschiedenen Baues desselben.
Die Verschiedenheiten betreffen namentlich die Form der Fossa Sylvii und der Cen-
>) Beschreibunff zweier Mikrocephalen-Gehirne. Archiv f. Psychiatrie, Bd. 1, 8. 299.
*) Medizinische Zeitung iles Vereins für Heilkunde in Prenssen, 1836, No. 2.
(107)
tmlwinduDgen. Bei einigen Mikrocephalen hat die Fossa Sylvii die Gestalt eines
römischen Y, ihr Solcus perpendicularis ist sehr schwach entwickelt, die Gentralwin-
dungen gehen bis zur Basis des Gehirns. Das untere Ende der Windungen wird
von einer Insula (die Insula verdient wegen ihrer schwachen Bntwickelung diese Be-
nennung nicht), welche sehr glatt ist, ohne auch nur eine Spur Ton Windungen zu haben,
bedeckt; die Oberfläche der Insula geht direct in die Pars orbitalis der Oberfläche
der Hemisphären über, indem sie von den letzteren durch eine kleine Furche getrennt
bleibt (s. den Fall von Theile). In anderen Fällen hat die Fossa Sylvii selten die
bezeichnete Y-formige Gestalt, wobei der Lobus insutae so vollständig bedeckt wird,
dass auf der Hirnoberfläche auch nicht die geringsten Spuren davon zurückbleiben (s. die
Abbildungen des Gehirns der Mikrocephalen, welche von Sander beschrieben sind,
und die Abbildung des Gehirns eines Mikrocephalen, welche von Gratiolet auf der
32. Tafel seines Atlas ^) gegeben wird, wobei also die Gyri breves insulae schwach
entwickelt und kaum bemerkbar sind. In weiteren Ffillen hatte die Fossa Sylvii die
Form eines unregelmässigen umgekehrten ß^, welches nach oben durch die Enden
der Centralwindnngen begrenzt wird, die hier weit von der Himbasis abstehen; die
vordere Grenze der Spalte bildet der hintere Rand der dritten Stimwindung; die
hintere Grenze derselben wird von der Spitze der Schläfenlappen gebildet; der Sul-
cus perpendicularis und horizontalis sind deutlich ausgeprägt und von einander durch
eine ziemliche Entfernung getrennt, welche dem Räume gleich ist, der die obere
Grenze, der Fossa Sylvii bildet; die Gyri breves erscheinen hier in der weit geöffne-
ten Mündung der Fossa Sylvii an deren Boden deutlich (s. die Abbildung des Ge-
hirns eines Mikrocephalen, welches von Gratiolet auf Taf. XXIV seines Atlas dar-
gestellt ist, und die erste Abbildung zu der folgenden Beschreibung des Mikrocepha-
lus Mottey).
In Bezug auf die bei den Mikrocephalen schwache Entwicklung der Scissura
parallela nach Gratiolet, des Sulcus temporalis superior nach Ecker, die Gra-
tiolet als Merkmal für das Hirn des Mikrocephalus betrachtet, haben wir einzuwenden,
dass an allen Abbildungen des Hirns der Mikrocephalen, welche von den Autoren dar-
gestellt sind, wir die Scissura parallela gut entwickelt fanden, nicht schlechter als
beim Schimpanse und Gercopithecus sabaeus.
Was die schwache Entwickelung der Hinterhauptslappen der Mikrocephalen an-
belangt, gegenüber den anderen Lappen der Hemisphären, so muss ich gestehen,
dass die von den Autoren angegebenen Abbildungen des Hirns der Mikrocephalen
und die ausgeführten Messungen der Oberflächen der verschiedenen Lappen der He-
misphären vonYogt mich nicht überzeugen, dass diese Lappen bei den Mikrocepha-
len schwächer entwickelt seien, als die anderen Lappen der Hemisphären Als Aus-
nahme hiervon gilt das Gehirn PfefferPs, welches von Sander abgebildet ist (Fig. 3
in der fünften Tafel der dem zweiten Bande des Archivs für Psychiatrie von Grie-
singer beigefugten Abbildungen). Wir stimmen vollständig überein mit Sander,
dass das schnabelförmige Ende der vorderen Lappen der Hemisphären kein Krite-
rium für das Hirn des Mikrocephalus sei Alle grossen Schriftsteller auf dem Ge-
biete des Mikrocephalismus sind damit einverstanden, dass die hinteren Lappen des
Grosshims nicht ganz das Kleinhirn bedecken, dass das letztere relativ mehr ent-
wickelt ist als die Hemisphären und dass die Nerven der Hirnbasis bei den Mikro-
1) Zeitschrift für rationelle Medizin, III. Reihe, Bd. XI, 1861, S. 210.
'; Anatomie comparee du Systeme nerveux par Fr. Leuret et P. Gratiolet. Paris 1839
1857, pl. XXXIL
(108)
cephalen gut entwickelt seien; als Ausnahme hiervon gelten die Riechkolben, welche
verhältnissmäsBig schwächer entwickelt sind.
In psychologischer Beziehung sind die Mikrocephalen unter einander nicht ähn-
lich. Einige Ton ihnen sind lebhaft, beweglich, fuhren die Bewegungen leicht, man-
nichfaltig und regelmässig aus, sind sehr geschickt beim Besteigen der Bäume und
besitzen eine ihrem Wüchse entsprechende physische Kraft; ihre Mimik ist actiT
und sie ahmen die gesticulirten Bewegungen und die Mimik Anderer nach. Bei an-
deren Mikrocephalen dagegen sind die Bewegungen ungeschickt; in denselben ist
weder Leichtigkeit noch Mannichfaltigkeit vorhanden; ihre Schritte sind einzeln und
stossweise, oder sie können, mit Ausnahme der automatischen beschränkten, keine will-
kürlichen Bewegungen ausführen^). Einige Mikrocephalen sind im Stande, die äus-
seren Eindrücke schnell aufzunehmen, aber sie können ihre Aufinerksamkeit darauf
nicht lange üxiren. Sie haben ein schwaches Gredächtniss, aber sie verstehen oft
Alles, was zu ihrem gewöhnlichen Leben, zu ihren Bedürfnissen und ihrer n&chstes
Umgebung gehört. Sie sind gewisser, wenn auch beschränkter Gombinationen fähig;
sie können sie auch anderen mittheilen. Andere Mikrocephalen dagegen sind sehr
schwer empfanglich gegen äussere Eindrücke, welche spurlos in ihrem Gedächtnisse
verschwinden; ihre Phantasie ist gleich Null. Einige besitzen die Fähigkeit zum Spre-
chen, wenn auch in beschränktem Maasse; dieselbe reicht aber so weit aas> dass sie
einige Wünsche und Verlangen ausdrücken können (wie dies der Fall war bei dem
Mikrocephalen, welchen Johannes Müller beschrieben hat); selbst ihre Sprache ist
bei einer regelrechten Uebung einer Vervollkommnung fähig, wie bei den Axteken,
welche Leubus eher beschrieben hat. Sind sie angeregt, dann können sie oft
ganze Worte und Phrasen aussprechen, die sie vorher auszusprechen nicht im Stande
waren (im Fall von J. Müller). Andere Mikrocephalen sprechen gar nicht oder
sie plappern einige mechanisch eingeprägte Worte her, wie die Papageien, ohne
deren Sinn und Bedeutung zu verstehen. Wie aus den Beobachtungen der Autoren
hervorgeht, geschieht die Thfitigkeit der Organe der äusseren Sinne mehr oder we-
niger regelmässig, aber von dem Zustande ihres Geruchssinnes wird nichts erwähnt
Die Empfindlichkeit der Haut gegen Schmerzen ist bei einigen gut entwickelt (bei
der Mikrocephalin von Vogt), bei anderen wesentlich abgestumpft (Mikrocephahis
Conrad Schüttendreier, Gollection von Blumenbach). Einige Mikrocephalen sind
sehr empfindlich gegen Gewitter; vor dessen Herannahen werden sie unruhig und
fangen an zu weinen (Beispiele hierfür findet man bei Seguin').
Der physische Zustand der Mikrocephalen ist grösstentheils ein blühender;
die Athmung, der Blutkreislauf, die Verdauung sind regelmässig. Die G^schlechts-
sphäre ist bei einigen schwach entwickelt oder es fehlt bei ihnen der Geschlechts-
trieb fast ganz (Mikrocephal von Stuttgart); bei anderen sind die Geschlechtsorgane
ihrem Wüchse entsprechend entwickelt und es zeigt sich bei ihnen der Geschlechtstrieb
schon sehr früh (wie bei der Mikrocephalin Wis^, welche Vogt beobachtet hat und
bei dem Mikrocephalus Conrad Schüttendreier). Grösstentheils wachsen die Mikro-
cephalen langsam und spät, einige erreichen mehr oder weniger die normale Körper-
grösse (Fälle von Theile, ConoUy und die Idioten -Mikrocephalen, beschrieben
von Johannes Müller); oft bleibt die Entwickelung derselben stehen (Azteken),
und sie behalten ihre kindische und embryonale Form während ihres ganzen
Lebens bei, ohne die ganze physische Entwickelung zu erreichen. Der grÖsste Theil
der Mikrocephalen stirbt früh; der älteste Mikrocephalus, welcher bis jetzt bekannt
1) Edouard Seguin, Idiocy, 1S66.
*) Ibid. p. 334.
(109)
geworden ist, hat ein 44 jähriges Alter, der kleinste ein Alter von einigen Tagen (Fall
Ton Sander) erreicht. Die Mikrocephalen können von ganz gesunden Eltern abstam-
men, welche bereits gesunde Kinder erzeugt haben (Fälle von J. Müller und Theile).
Solche Eltern können mehrere Mikrocephalen zur Welt bringen (Fälle von J. Mül-
ler, Azteken, beschrieben Ton Leubuscher).
Von allen Theorien des Mikrocephalismns scheint die ataTistische die am wenigsten
zutreffende zu sein. Nach dieser Theorie ist die historische Entwickelnng der Art
(Species) bereits in der Geschichte der Entwickelnng der Leibesfrucht abgespiegelt
und der Neugebome kann in Folge des Hemmungszustandes der Entwickelnng mit
einem Sprunge zu dem ursprünglichen Typus der ersten Repräsentanten der Art
(unserer Urväter) zurückkehren. Da die Anwendung dieser Theorie bei dem Mikro-
cephalismns, im vollen Sinne des Wortes, undenkbar ist, weil die Mikrocephalen
ihrem äusseren Bau nach keineswegs Aehnlichkelt mit dem Bilde der Urahnen
haben, welches Darwin in der letzten Zeit geschildert hat, so kann man behaup-
ten, dass der Typus ^der Urväter nur im Bau des Schädels und der Stimlappen
des Gehirns des Mikrocephalen sich abspiegele, in allem Andern sie die Copie
eines Menschen darbieten. Der Theorie des Atavismus hat sich auch Vogt ange-
schlossen, indem er sie auf die Aehnlichkeit des Schädels und der Stimlappen der
Hemisphäre bei den Affen und Mikrocephalen begründete. Aber, wie wir be-
reits früher erwähnten, ist der Bau der Stimlappen der Hemisphären der Mikroce-
phalen weitaus nicht ein und derselbe, wenngleich in einigen Fällen diese Lappen
durch ihren Bau an das Gehirn der Affen erinnern (das Him mit der V-förmigen
Fossa Sylvii), während in anderen Fällen sie keine Aehnlichkelt mit dem Affen-
hirn darbieten (Him mit Y-förmiger Fossa Sylvii). Folglich kann einer der haupt-
sächlichsten Gründe, worauf die atavistische Theorie des Mikrocephalus beruht,
nur bei einigen Fällen des Mikrocephalismns herangezogen werden, aber durchaus nicht
bei allen. Ist es überhaupt möglich, die ganze Theorie von dem Rückschlagen des
Gehirns der Mikrocephalen zu dem Affentypus auf so unzuverlässigen und incon-
stanten Kriterien zu begründen? Bei dem jetzigen Standpunkte der Wissenschaft
ist diese Ansicht unbeweisbar und erklärt gar nichts. Hier kann man den kühnen,
aber logischen Aussprach von Qnatrefages anwenden: „Es ist dies eine Wüste,
in Dunkel gehüllt, in welcher die Wissenschaft hin und her irrt, indem sie durch
die Untersuchungen an Lebenden die Frage nach ihrer Abstammung zu ergründen
sich bemüht^'). Es ist möglich, dass später, wenn vollkommnere und ausführ-
lichere Methoden der Untersuchungen und Erfindungen gemacht sein werden, die
Frage über die Natur der Mikrocephalen uns klarer erscheinen wird und alle noch
gegenwärtig herrschenden Gontroversen über ihre Abstammung, die uns jetzt be-
herrschen, dann lächerlich und fruchtlos erscheinen werden, wie uns jetzt, bei der
Kenntniss der chemischen Analyse, jene alten, kolossalen Tractate, welche nrtheil-
ten, der Schnee auf den Spitzen des Vesuv müsse ebenso sein, wie der der Alpen,
lächerlich erscheint Wie dem auch sei, muss, wenn wir die atavistische Theorie
der Mikrocephalen annehmen, dieser Theorie eine breitere Anwendung gegeben
werden zur Erklärang verschiedener Missgeburten in der Teratologie überhaupt,
was zu den sonderbarsten Anschauungen und Resultaten führen würde, ohne im
Wesentlichen etwas zu erklären oder zu beweisen.
Ueberhaupt sind wir weit davon entfernt, wenn wir die atavistische Theorie
0 Le desert sans lumiere oa s'egare la science quand eile entreprend de pousser jusqu'aux
questions d'origine ses etudes sur les etres rivants. Revue des deuz Mondes, XXXIX« annee,
2. Periode, T. 80, vnii 1869, p. 668—672.
(110)
dea Mikrocepb&Iismns für eine nnhaltbare erklären, irgend welche aadere Theorie
anderer Antoren als volikommen anzaerkeonen. Die Theorien von Wagner und
Gratiolet, welche den Hikrocephalismns durch einen Stillstand in der Bntwieke-
Inng der Hemisph&ren des Grosehims erklären, wobei das Hirn der Mikrocephslen
seiner Entwickeinng nach aaf einer Stufe der Bntwickelung stehen bleibt, welclie
einer gewissen Phase des embryonalen Lebens gleicht, scheinen mehr wahrheits-
gemäsB zu sein, wenn anch keine Gesetze anfgefonden sind, wonach die Verzöge-
rung der Entwickeinng in den verschiedensten F&llen des Uikrocephalisnina durcli
den Ban des Hirns and durch die Erscheinungen des psychischen Lebens zn
Stande kommt
Bei dem gegenwärtigen Znstande der Frage über den Hikrocephalismns kön-
nen unr weitere klinische Beobachtungen und anatomische Dnteranchnngen an
mikrocephalen Gehirnen zur Erledigung der Streitpunkte beitragen. Indessen ge-
hören die FSlIe von Hikrocephalismus zn den Snsserst seltenen und es sind Ge-
hirne von Mikrocephalen nnr in sehr wenigen anatomischen Massen vorhanden.
Um so mehr bin ich meinem verstorbenen Freunde, Dr. Balvansky za Dank
verpflichtet, der die Gnte hatte, das Gehirn eines Mikrocephalns mir nach St. Peters-
barg zur Untersuchung zu senden.
Dieser Mikrocephal, dessen Herkunft anbekannt ist, hiess Mottey. Derselbe
war in der Irrenanstalt in Woronez, wo ihn mein Freund Dr. Balvanaky beobach-
tete. Seinem Aenssem nach zn urtheilen, konnte er etwa 50 Jahre aJt gewesen
sein. Er war 1,M Meter hoch , sein Körperbau stark , sogar fett; srän Ge-
wicht betrag 92'/i KUogr. Sein Gesicht war etwas Ifinglich, oval, ziemlich voll,
Töthlich, symmetrisch; der Schädel war nngewöfanlich niedrig und klün, das Scbi-
delgewAlbe flach, die Stirn eingedräckt; die Haare, welche den kleinen Kopf be-
deckten, waren dick, ziemlich hart, dunkelbraun, znmTheil bereits gran geworden;
der dichte Schnarrbart war fast grau, das Kinn mit dicken, halbgrauen Haaren be-
deckt L&ngs des Schädels , von der Lanibdanaht bis zum oberen Thd) der Stirn
bemerkte man längliche Erhabentieiten und Furchen, welche wie eine Art ")d
Abdrücken der Hirnwindungen sich darstellten; die Hant, welche den Schädel be-
deckte, war mnzlig, beweglich und nirgends mit den Knochen verwachaen. I^t
Areas aaperciliares traten vor der niederen, znräckgedräckten Stirn weit hervon ^
(111)
cjlinderähnliche Wölbung ging qner über die Stirn and stieg 3 Cent, in die Höhe.
Die Augenbrauen sind breit, besetzt mit hellblonden Haareu, and gehen jederseits
bis znr Wurzel der Nase. Die Augen sind grau, die Grösse derselben mittelmas-
sig, sie bieten keine Unregelmässigkeiten tfar. Die Conjunctiva palpebranim ist
ein wenig geröthet. Die Nase ist ziemlich gross, mit grossen Flugein versehen,
regelmässig, dunkelroth gefärbt. Die Lippen sind von mittlerer Grösse und blass-
rother Farbe. Das Zahnfleisch ist gesund, die oberen und die unteren Schneide-
zähne fehlen; von den übrigen Zähnen im Oberkiefer links wird ein Backenzahn be-
merkt, rechts fünf Backenzähne. Im Unterkiefer sind alle Zähne, ausgenommen die
Schneidezähne, unversehrt. Die Zunge rein, ziemlich dick. Die Ohrmuscheln sind
kolossal entwickelt, sie betragen 8 Centim. in der Länge, dVz Gentim. in der Breite.
Die Messungen an dem Mottey'schen Kopfe haben folgende merkwürdige Daten
geliefert:
1) Der Umfang des Kopfes an der Basis des Schädels 49 Centim.
2) Von der Wurzel der Nase bis znr Protuberantia occipitalis oder der Stirn-
Hinterhauptsdurchmesser 23 Centim.
3) Die Entfernung zwischen den Eingängen der Meatus auditorii externi, von
vom, 14Vs Centim.
4) Die Breite der Stim 13 Centim.
5) Die Höhe der Stirn S^U Centim.
6} Von der Mitte der Linea transversalis zwischen den Meat. auditoriis bis
zur Stirn 10 Centim.
7) Der Gesichtswinkel nach Camper gleich 70^*)
Der Hais war massig lang, ziemlich dick. Schulterbreite 45 Centim. Der
Thorax ist regelmässig gebaut, gross, gewölbt, versehen mit gut entwickelten Mus-
keln und einer überaus reichen Schicht subcutanen Fettes; der Umfang des Tho-
rax von der einen Fossa axillaris bis zur anderen 1 Meter. An der Stelle der
Milchdrüsen bemerkt man zwei hervorragende, runde, elastische Erhabenheiten
(jede hat die ungefähre Grösse einer Handfaust), welche durch eine reiche Fettab-
lagerung, die Aehnlichkeit hat mit der weiblichen Mamma, zu Stande gekommen
ist; in der Mitte dieser Erhabenheiten sind hervorragende dunkelbraun gefärbte Pa-
pillen von massiger Grösse zu bemerken. Das Abdomen ist voll, fett; der Um-
fang des Bauches beträgt, nach geschehener Messung über den Nabel, 98 Centim.
Die Entfernung von der einen Spina anterior superior ossis ilium bis zur anderen
beträgt 45 Centim. Der Umfang des Körpers am oberen Ende des Darmbeines
98 Centim. Die Regio pubis ist mit dichten dunkelblonden Haaren bedeckt An
dem weichen, herabhängenden Scrotum von beträchtlichem Umfange, welches seine
ElasUcität verloren hat, können durch die Haut durchschimmernde Venen erkannt
werden; das linke Ei ist etwas eingedrückt, flach-oval und hat grosse Aehnlich-
keit mit einem kleinen, eingedrückten Taubenei; das rechte Ei ist oval, weich.
0 Wir wollen hier die Tafel der an yerschiedenen berühmten Männern ausgeführten Mes-
sungen der Stimhohe und Breite anführen, die wir dem Texte zu dem Atlas von Garus
entnommen haben, um den kolossalen Unterschied zwischen diesen Messungen und den an Mot-
tey vorgenommenen zu zeigen.
Länge.
Napoleon 1. . . . 5 Zoll S Linien.
Kant . .
Schiller .
TaUeyrand
Mottey .
Ö n 4
5 , -
5 n 5
1,432 Zoll.
Breite.
4 Zoll 5 Linien.
4
» 10 n
4
. 8 .
4
, 9 „
4,966 Zoll.
(112)
gleich einem normalen Tanbenei, mit grosser, im umfange Termehrter Epididymis,
die den dritten Theil der ganzen fiigrösse bildet. Der Penis beträgt an Länge
6^/4, an Dicke 2 Vi Gentim., die äussere Mündnng der Harnröhre ist regelmässig gc-
bant. Die Gians penis ist mit einem bewegliciien Präpntiam bedeckt Die obereo
und unteren Extremitäten haben eine massige Länge und reiche Fettablagerang im
Unterhautgewebe. Hände, Füsse und Finger haben einen regelmässigen Bau. Die
äusseren Bedeckungen sind schmutzig gefärbt, glatt; rauh dagegen sind die Schen-
kel und die Vorderarme.
Die Sinnesorgane zeigten bei Mottey keine Abweichungen von den normalen;
sie functionirten wie normal, allein der Geschmack und Geruch waren abgestumpft.
Mottey gehörte zu den apathischen Idioten. Die Entwickelung seines Geistes und
seiner Sprache verharrten auf der Stufe eines anderthalbjährigen Kindes, ohne wei-
tere wesentliche Fortschritte durchgemacht zu haben; sie zeichnete sich dadurch
von der des Kindes aus, dass bei dem letzteren die Welt der Empfindung und
die Lebenskenntniss zur weiteren Entwickelung führt, während bei ihm die letzte-
ren einen unverrückbaren Stand einnahmen.
Seine Sprache besteht in den einfachsten articulirten Lauten, wie sie Kindern
eigenthümlich sind; er spricht nur die einfachsten Sylben aus. Der ganze Vor-
rath Mottey's an Lauten und Worten besteht in Folgendem: Wenn er auf iigeod
einen Gegenstand sein Augenmerk lenkt, sagt ^ : hier da sie. Wenn ihm irgend
ein Gegenstand gefällt, beispielsweise eine goldene Kette, schöne Stiefel, spriclit
er, indem er auf den Gegenstand hinweist: 0, 0, hier da, jenes. Auf alle an ilm
gerichteten Fragen antwortet er: hier da, hier da, 0, 0, hier ist es ja. Wenn nach
längerer Unterhaltung er dem Besuchenden seine Zuneigung schenkt, so scheint es,
als möchte er gerne seinem Gesellschafter seine Vergangenheit ins Gedächtniss zn-
rückrufen, indem er die eine Hand gegen das Fenster des Zimmers richtet und auf
den Hof zeigend die Worte spricht: hier ist es ja, 0, 0, hier ist es ja, oder: 0, 0,
hier da, 0, dort, dort, hier ist es ja, oder: 0 ba, 0 ba, wessen ist jenes, wesseo
ist sie, dort, dort. Für die Bestätigung dessen, was er gesprochen, scheint das
starke, oft wiederholte Anschlagen der Faust an den Tisch und das Lächeln m
dienen. Ist er gut gelaunt, dann glättet er nach erfolgtem Lächeln das Be-
sicht und den Kopf seines Gesellschafters, indem er die Worte: wo, wo, sie, ao,
jene vor sich hin murmelt Wenn man ihm seine Hände wärmt, fühlt er sich sehr
vergnügt, indem er lächelnd wiederholt: 0 ba, 0 ba, 0, hier ist es ja.
Die verschiedensten ihm gezeigten Gemälde, auf welchen Scenen des Volks-
lebens abgebildet waren, machten auf ihn nicht den geringsten Effect, indem er
ganz indifferent sich verhielt. Wenn an ihn von einer geistlichen Person, einem
Diacon, Priester gleichviel welche Frage laut gerichtet vnirde, pflegte er, ohne zn
sprechen, sich sofort zu bekreuzigen; wenn er laut und befehlend angesprochen
wurde: „kreuzige dich^, so pflegte er dies sofort zu thun. Er kratzte oft mit dem
B'inger den Rest eines verdorbenen Zahns, welcher wahrscheinlich schmerzte, wo-
bei er 0, 0, 0, wozu das, oft deutlich: „es schmerzt^ wiederholt.
Mottey begreift selbst nicht die einfachsten, die gewöhnlich vorkommenden
Gegenstände, er hat keine Begriffe von der Zeit und dem Raum, ist der Musik
gegenüber ganz gleichgültig. Er bringt ein einsames und apathisches Leben
zu. Dass er besonders traurig sei und Langeweile habe, ist nicht zu bemerken.
Er sitzt den ganzen Tag allein oder mit einem ruhigen Irren der Anstalt auf der
Bank. Er vermeidet zwar keine Fremden, aber er bemüht sich jedenfalls, m
keiner Gesellschaft zn leben und verhält sich den ihn umgebenden Personen und
Gegenständen gegenüber indifferent. Er ist immer still und gehorsam, zeigt kei-
(118)
nen Widerstand oder besonderes Verlangen, was ilim aach in den Weg kommen
möge. Wenn ihm der Anfseher oder der Wärter nicht Mittag oder Abendbrot vor-
gelegt hätten, so bliebe er entschieden ohne Nahrung. Denjenigen, die mit ihm
freandlich amgehen, ihn speisen, glättet er mit seiner Hand das Gesicht and Hanpt.
Er isst sehr massig and langsam. Mit Vergnügen isst er schwarzes and weisses
Brod^ Fleisch, Kohlsappe and Aepfel, aber ganz besonders gern trinkt er Thee
and Brantwein.
Den ganzen Tag sitzt er im allgemeinen Saale, Sommers im Garten; er geht
selten von einer Stelle zar andern» er selbst legt sich nie ins Bett, sondern mass
ins Bett gelegt werden. Sein Schlaf ist schlecht^ anrnhig, er stöhnt im Schlafe,
erwacht häafig, oft springt er schreiend ans dem Bette aaf.
Sein Gang ist langsam and träge» die übrigen willküilichen Bewegangen führt er
ungeschickt aas. Er fühlt sich behaglich, wenn er reine Wäsche bekommt oder
neue Stiefel, aber sie sich selbst anzuziehen, ist er nicht im Stande.
Mottey starb in Woronez am 4. Mai 1870 an Entzündung der linken Lunge.
Sein Gehirn wurde mir zugeschickt Es wog 369,ois Grm.
Ek ist dies folglich das drittkleinste Mikrocephalen-Gehlm, welches in der
Uteratur verzeichnet ist. Das erste war das Gehirn eines 12 jährigen Idioten, des-
sen Gewicht Marshall auf 241 Grm. bestimmt hat; das zweite war das Gehirn
eines 26jährigen Mikrocephalen, welches von Theile beschrieben wurde und des-
sen Gewicht 300 Grm. betrug.')
Das Grewichtsverhältniss des Gehirns zu dem des Körpers war bei Hottey wie
1 : 250. Das Gewichtsverhältniss des normalen Gehirns zu dem des Körpers beträgt
bei Erwachsenen 1 : 33^); das Gewicht des Gehirns bei einer Leibesfrucht im neun-
ten Monat der Schwangerschaft verhält sich zu dem des Körpers wie 1 :64^); bei
einer Mikrocephalin war» nach der Beschreibung von Marshall, das Verhältniss
wie 1 : 140. Das Gehirn Mottey's ist das einzige Exemplar eines menschlichen Ge-
hirns» welches in der Literatur verzeichnet ist mit einer solchen Kleinheit des Ge-
wichtes gegenüber einem so grossen Körpergewicht.
Die Messungen, welche an dem Mipttey'schen Gehirn, nach Härtung dessel-
ben in einer Auflösung von doppeltchromsaurem Kali (3 pGt.) und unter öfter wie-
derholter Gontrole, vorgenommen wurden, haben Folgendes ergeben:
a. Grosshirn.
1) Von der Spitze des Stimlappens bis zur Spitze des Hinterhauptslappens am
oberen Rande der Hemisphäre zwischen dem äusseren und mittleren Abschnitte
der Oberfläche =: 14 Centim.^)
2) Die grösste Länge der Hemisphären := 11 Gentim.
3) Die grösste Höhe der Hemisphären = 6,4 Centim.
4) Die grösste Breite einer jeden Hemisphäre = 10,5 Gentim.
5) Die Entfernung zwischen der Spitze des Stirnlappens und dem oberen Ende
der vorderen centralen Windung = 6,7 Centim.
6) Von der Spitze des Stimlappens bis zur Scheitel-Hinterhauptsfurche (Fis-
^) Dr. Ternems, Journal of mental science, 2. trimestre, 1866, und Theile, Ueber Mikro-
oephalle, Zeitschr. f. rat. Medizin, IIL, Reihe, Bd. IX, 1861, S' 210.
^ Huschke, Schädel, Hirn und Seele, Jena 1854, S. 117 ft.
*) Zeitschr. f. Anthropol., 1868, Bd. III, S. 202—223.
*} Beide Hemisphären sind ganz symmetrisch; deshalb werden hier vornehmlich die Mes-
sungen der linken Hemisphäre angeführt.
(114)
sura parieto - occipitaliß nach Ecker) in der Länge des oberen Randes der Hemi-
sphäre = 1 1 Centim.
7) Die Länge des hinteren Hinterhauptslappens eigentlich = 3 Cent.
8) Der Umfang der Hemisphäre in der Mitte der änsse/en Oberfläche, von der
Spitze des Stirn- bis zur Spitze des Hinterhanptslappens - 13 Centim.
9) Die Höhe des Stimlappens an dem Theile der Hemisphäre vor der Cen-
tral win dang = 4,7 Centim.
10) Vom oberen bis zum nnteren Ende der Centraliappen in der Richtung der
Roland'schen Furche = 6 Centim.
11) Von der Spitze des Stirnlappens bis zum unteren Ende der Roland'schen
Fnrche = 5,5 Centim.
12) Von der Spitze des Daches (operculum, unteres Ende der Centraliappen)
bis zur Spitze des Hinterhauptslappens = 8,3 Centim.
13) Die Spitzen der hinteren Lappen stehen von einander in der Entfernung
von 4 Centim.
b. Brücke.
14) Länge (vorderer-hinterer Durchmesser) = 2 Centim.
15) Breite (Querdurchmesser) = 3 Centim.
c. Verlängertes Hark.
16) Länge = 2 Centim.
17) Breite (vom inneren Rande einer Olive bis zum inneren Rande der ande-
ren) "= 2 Centim.
18) Die grösste Länge der Olive (auf jeder Seite) = 1 Centim.
19) Die grösste Breite der Olive (jederseits) = */, Centim.
d. Vierhügel (Corpora quadrigemina).
20) Die grösste Länge der Vierhügel = 1 Centim.
21) Die grösste Breite „ ^ =1,5 Centim.
e. Kleinhirn.
22) Die grösste Länge einer jeden Hemisphäre = 4 Centim.
23) Die grösste Breite des Kleinhirns = 9 Centim.
24) Die grösste Höhe des Kleinhirns = 3 Centim.
25) Der obere Theil der Oberfläche des Kleinhirns ist in seinem oberen Theile
nicht durch das Grosshim bedeckt, der vordere -hintere Durchmesser dieses freien
Raumes zwischen der Spitze der Hinterlappen der Hemisphären des Orosshirns und
der horizontalen Incisur des Kleinhirns =: 1,7 Centim.
V7enn wir die Messungen der Länge und Breite des Mottey'schen Gehirns mit
dem eines 28jährigen Mannes, die Valentin als normal betrachtet^), vergleichen,
so können wir sie in folgender Tabelle darstellen:
Grosshirn. Kleinhirn. Brücke. Verlängertes Mark.
Hottey. normal. Mottey. normal. Mottey. normal Mottey. normal.
Länge . 11 19,62 4 4,51 2 3,15 2 —
Breite . 10,5 18,27 9 9,47 3 3,78 2 2,02
Aus dieser Tabelle geht hervor, dass die bei Mottey vorgenommenen Messun-
gen der Länge und Breite an verschiedenen Theilen des Gehirns im Verhältniss
zu den normalen derselben Theile kleiner sind, dass aber die Längen- mehr wie
die Breitenmaasse von den normalen abweichen. Hierbei sei bemerkt, dass die
Maasse des Kleinhirns und des verlängerten Markes fast den normalen gleichkom-
men, die der Brücke ein wenig mehr als die erwähnten Theile von der Norm ab-
1) Valentin, Hirn- und Nervenlehre, S. 233.
(115)
weichen, dass aber zwischen den Haassen des Grosshirns unseres Mikrocephalus
and denen eines normalen Individnnms ein gewaltiger üntei*schied vorhanden ist.
Sowohl der vordere Theil des Corpus callosnm mit dem Genn, als anch der
vordere Theil des Fornix mit dem Septnm pellacidum sind regelmässig gebildet,
aber in seinem hinteren Theil endigt das Corpus callosum, allmählich dünner wer-
dend, an der vorderen Grenze des hinteren Drittels des Sehhügels; an derselben
Stelle befindet sich auch das hintere Ende des Fomix. Die Gommissura corporis
f ornicis (Psalterium), das Splenium corporis callosi existiren nicht; in Folge dessen
ist der hintere Theil des ThalamHS opticus nur mit Ependym, der hintere Theil
der Höhle des dritten Ventrikels nur mit der Tela choroides bedeckt. ^ Tom hin-
teren Ende des Corpus callosum gehen jederseits seitwärts und auswärts dünne
Pedunculi ab, die Ton vom nach rückwärts und von innen nach auswärts sich begeben.
Sie werden in der Mitte sehr dünn und gehen in die Gyri Hippocampi (GH) über.
Auf dieser Windung bemerkt man kleine horizontale Erhöhungen und Vertiefun-
gen, die an die Fascia dentata erinnern, welche eigentlich nicht vorhanden ist.
Diese horizontalen Erhöhungen und Vertiefungen an den Gyri Hippocampi habe
ich Fascia dentata spuria genannt (s. Fig. 3 und 4 fds.). Vom hinteren Ende
des Fornix gehen feine Fimbriae ab (s. Fig. 4 f.), erst an der äusseren Seite der
Pedunculi des Corpus callosum (Fig. 4 p.), später an der äusseren Seite der Fascia
dentata spuria. Der freie Raum an der hinteren Oberfläche der Thalami optici,
welcher die Gestalt eines spitzen Winkels hat, dessen Spitze dem hinteren Ende
des Fomix zugekehrt, und die Schenkel die obenerwähnten Pedunculi des Corpus
callosum darstellen (Fig. 3 und 4 p.), d. h. die Verbindung des hinteren Endes
des Corpus callosum mit den Gyris Hippocampi i) wird bedingt durch das Fehlen
des hinteren Endes des Corpus callosum. Wegen des Fehlens der Fascia dentata
hat das Ammonshorn im Frontalschnitt nicht wie normal diese Form : J>^. , sondern
diese:
Die Seitenventrikel sind regelmässig gebildet, ihr Ependym ist glatt und nicht
dick, die Striae corneae breit und dick. Die Höhlung des hinteren Horns ist
sehr bedeutend. Corpora quadrigemina, Glandula pinealis und selbst die Nerven,
die von der Basis des Hirns aus abgehen, sowie die Theile, die auf ihr auflie-
gen, bieten keine makroskopischen Abweichungen von der Norm dar, aber sie
sind verkleinert und stimmen also selbst in dieser Beziehung mit der Bildung der
Hemisphären nberein. Ausnahmen hiervon bilden die Brücke und das verlän-
gerte Mark, die bei der Messung mehr zur Norm herabgingen, sowie die Riechkolben
(Buibi olfactorii), welche in ihrer Entwickelung im Vergleich zu den anderen
Nerven an der Basis zurückgeblieben sind.
Messungen:
1) Die Länge der Linie, welche durch die Mitte des Corpus callosum von dem
vorderen bis zum hinteren Ende geht, beträgt 4 Centim.
2) Die Länge des Corpus callosum von der convexen Seite des Gena bis zu
dem hinteren Ende des Corpus callosum = 2,7 Centim.
') Die ausführliche Literatur über die verschiedensten Abweichungen des Corpus callosum
hat Foerg (Die Bedeutung des Balkens im menschlichen Hirn, Mönchen ISöö.), und in der
neuesten Zeit J. Sander bearbeitet (Ueber Balkenmangel im menschlichen Gehirn, Archiv für
Psychiatrie, Bd. I. S. 12S.). Aus den gesammelten Beobachtungen geht hervor, dass das Corpus
callosum keinen grossen Einfluss auf die Entwickelung der geistigen Fähigkeiten zu haben
scheint, da beim gänzlichen Fehlen desselben keine hohen Grade von Blödsinn beobachtet wor-
den sind.
(116)
3) Die grösste Dicke des Corpus callosum über dem Ventricnlns septi pellncidi
^ 7 Millim.
4) Dicke des hinteren Endes des Balkens = 4 Millim.
5) Dicke des Gena des Balkens = 6 Millim.
6) Die Länge der pednncnli des Balkens bis znm üebergange in die Gyri
Hippocampi = 1 Gentim.
7) Die Dicke der Pednncali des Balkens auf ihrer Mitte = 2 Millim.
8) Yorderer-hinterer Durchmesser des Gyrus Hippocampi, bald nachdem die
Pednncnli des Balkens in ihn übergegangen = 1>5 Gentim.
9) Der grösste vordere-hintere Durchmesser des Septi pellncidi =: 1,7 Gentim.
10) Der grösste obere-untere Durchmesser des Septi pellncidi = 1 Gentim.
11) Dicke des Fomix = 0,5 Millim.
12) Grösste Breite der Fimbriae = 4 Millim.
13) Dicke der Fimbriae = 0,5 Millim.
14) Grösste Länge des Gorpus striatum = 4,5 Gentim.
15) Grösste Breite des Gorpus striatum = 1 Gentim.
16) Länge des Sehhügels = 3,5 Gentim.
17) Grösste Breite des Sehhügels = 1,2 Gentim.
18) Breite der Striae corneae = 3 Millim.
Die obenerwähnten Messungen des Balkens zeigen in dem Mottey'schen Hirn
eine bedeutende Verkürzung desselben, welche wegen der unvollständtgen Ent*
Wickelung des hinteren Theils des Balkens zu Stande gekommen ist Die
normale Länge des Balkens ist nach Krause^) = 7,75 Gentim., d.h. '/^ von der
ganzen Lange der Hemisphäre. Die Länge des Balkens in dem Mottey'schen Hirn
= 2,7 Gentim. Nach Huschke kommt auf den Balken 44—48 pGt. der Länge der
Hemisphäre. Dieses Verhältniss stieg in drei Fällen auf 51,3—52,8 pGt., ja selbst
auf 57,1 pGt. Das Minimum bei einem einjährigen Knaben fand Huschke 40,8 pCi,
bei einem Neugebomen 38 pGt. Bei Mottey war das Verhältniss des Balkens viel
geringer, es betrug blos 25 pGt. Länge der Hemisphären. Selbst die Dicke des
Balkens war bei Mottey kleiner im Verhältniss zum normalen; aber verhältnissrais-
sig yiel kleiner als die Länge. Die normale Dicke des Grus ist nach Krause =
1^25 Gent , bei Mottey ist sie = 5 Millim., aber die Körperdicke des Balkens gleicht
bei Mottey der normalen. Die normale beträgt nach Krause = 0,5—0,666 Genti-
meter, bei Mottey ist sie = 7 Millimeter. Die Maasse der Breite an den Windan-
gen der Oberfläche des Mottey'schen Hirns betrugen 1 — 0,75 Gentimeter. Die graue
Schicht der Windungen hat eine Dicke von 1,5 — 3 Millim. Die mikroskopischen
Präparate, welche aus grauer Substanz der Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hinter-
hauptswindungen der linken Hemisphäre verfertigt wurden, zeigten, dass die Gan-
glienzellen, Neuroglia und Nervenfäden ihren normalen Bau beibehalten hatten und
dass ihre Beziehungen unter einander normal waren. Diese Beschaffenheit hatte
auch das Gewebe des Kleinhirns. Die Nervenzellen der oben erwähnten Theile der
linken Hemisphäre hatten im grösseren Durchmesser 0,016 — 0,008 M., ihre Kerne
0,008 — 0,004. Der Durchmesser der Purkinje'schen Zellen des Gerebellum war
0,030-0,020; ihrer Kerne 0,10—0,008. Die Gefässe des Gehirns schienen auch
nicht wesentlich verändert zu sein.
An den schönen mikroskopischen Präparaten, welche Prof. Betz aus dem ver-
längerten Marke Mottey 's gemacht, ist klar zu ersehen, dass die Pyramiden kleiner
sind als im normalen Gehirn und dass im Vergleich zu den regelmässig entwickel-
^ Huschke, Schädel, Hum und Seele, Jena 1S&4, 8. 107—110.
(117)
ten Oliven sie in der Entwickelung zarückblieben. An den Pr¶ten des Prof.
Bets können die Kerne der Nn. vagi, hypoglossi und die entsprechenden Nerven,
die von dort ans ihren Ursprung nehmen, erkannt werden. An den Pr¶ten,
welche aus der Brücke und den Vierhügeln verfertigt wurden, kann man die An-
fänge der Nn. trochleares und oculomotorii erkennen.
Was die Windungen und Furchen an der Oberfl&che des Grosshims Hottey's ')
(s. Fig. 1, 2, 3) betrifft, so sind die Windungen unvollständig wegen der beschränk-
ten Theilung (Spaltung) derselben, sowie wegen ihrer Krümmungen, der geringen
Vertiefung der Furchen und der überaus geringen Entwickelung der grauen Sub-
stanz. Die Fossa Sylvii hat die Gestalt eines umgekehrten f) (s. Fig. 1, S.); vom
oberen Rande des q gehen zwei Furchen ab, eine etwas kurze nach vorn und
oben (S')) die andere etwas längere nach oben upd hinten (S'); die erste ent-
spricht der perpendiculären, die zweite der horizontalen Furche der Fossa Sylvii.
W^en mangelhafter Entwickelung der hinteren Stirnlappen, der unteren Gentral-
lappen und der oberen Schläfenlappen bleibt die ganze Basis der Fossae Sylvii
offen; sie besteht aus Falten, Insulae (Gyri breves Sylvii, Gb), welche ftcherartig
ausgebreitet liegen.
Der vordere Theil der Stimlappen hat keine schnabelförmige Gestalt, aber die
Lappen sind regelmässig abgerundet Die erste, zweite nnd dritte Stimausbiegung
(F', F\ F*) beginnen von der vorderen centralen Windung (A). Ein Snlcns prae-
centralis ist nicht vorhanden. Eine kleine Windung, welche am normal entwickel-
ten Gehirn an dem unteren Ende der vorderen centralen Windung anftngt und
zwischen die letztere nnd den Ramus perpendicnlaris Fossae Sjlvii eindringt, existirt
nicht Deshalb bildet die dritte Stirnausbiegung (F*) nicht, wie an einem normal
entwickelten Gehirn, zwei Bögen (einen vorderen und einen hinteren), sondern nur
einen hinteren Bogen, welcher nach oben mit der vorderen centralen Windung (A),
die 2 Centim. höher als ihr unteres Ende liegt, sich verbindet, nach unten unmit-
telbar in die zweite Stimwindung (F') und in die Oberfläche der HemisphSre
übergeht
Die Pars orbitalis der Stimlappen ist flach, glatt, ohne Vertiefungen und ent-
hält einen sehr feinen Riechstreifen (Sulcus olfactorius) und eine kaum bemerkbare
Orbitalfurche (Sulcus orbitalis). Deshalb sind hier der Gyrus rectus und die Gyri
orbitales kaum bemerkbar und haben ein rudimentäres Ansehen.
An den Scheitellappen ist der Sulcus calloso-marginalis (cm) und der occi-
pito-parietalis (po) deutiich ausgeprägt, der Sulcus interparietalis (ipa + ipp) ist un-
regelmässig gebildet Er besteht aus zwei Theilen: einem vorderen (ipa) und einem
hinteren (ipp), die von einander durch die kleine Brücke einer feinen Windung
getrennt sind, welche letztere die obere Scheitel windung (P,) mit der untern (P,')
vereinigt Der hintere Theil des Sulcus interparietalis (ipp) nimmt seinen CJr-
sprung von der oberen Scheitelwindung (Pi), steigt unten und hinten am oberen
und hinteren Rande der kleinen Brücke, welche die obere Scheitelwindung mit der
unteren verbindet herab, umgiebt nach hinten den Gyrus angularis (P,'') nnd geht
in die obere Schläfenfurche über (Sulcus temporalis superior, Fissura parallela (t,)
und trennt in seinem Laufe die Schläfenlappen von den Hinterhauptslappen.
Die oberen und die unteren Scheitelwindungen sind sehr einfach (P„ P,', P|'0;
die erste (Pi) geht in die obere Hinterhauptswindung über (OO, die untere (Pt' +
>) Wir folgen bei der Beschreibung der Windungen und Furchen an der Himoberfläche
ton Mottey der Terminologie Eckerts (Die Hirnwindungen des Menschen von Alex. Ecker.
Braunschweig 1S6D).
ai8)
Pf") vereinigt sieb in ihrem vorderen Theile mit der hinteren centralen (B), indem
sie den sogenannten Gyms marginalis bildet (Pj'); in ihrem hinteren Theile, ge-
nannt Gyrns angnlaris (Pg"}' S^^^ ^^^ ^° ^^^ rechten Hemisphäre in die zweite
Hinterbauptswindnng über (Og); an der linken in die dritte Hinterhauptswindang
(Os), welche hier sehr entwickelt ist. Links, hinter dem Gyms angularis (P,')
ist eine Vertiefung vorhanden, weiche dnrch Druck einer wässerigen Cyste zu
Stande gekommen ist. Die Cyste hatte die Grösse einer Wallnnss erreicht, sie
geht ans von der weichen Hirnhant (pia mater), lag in der Tiefe des Hirns hinter
dem Gyms angularis und enthielt in sich einen Parasiten, über dessen Eigenschaf-
ten nichts Näheres berichtet werden konnte, da die Hydatide bei Dr. Balvansky
geblieben ist.
An den Schläfenlappen treten deutlich hervor der Sulcns temporalis superior
s. Fissura parallela (ti), medius (t,) und inferior (t,). Sie bilden die Grenzen for
die drei Schläfenwindungen, von welchen die eine (Tj) nach hinten in den Gyros
angularis (P^"), die zweite (T,) in die dritte Hinterhauptswindung (Ca), die dritte
(Ta) in ihrem hinteren Ende grenzt an den Gyrus occipito-temporalis lateralis (s.
Fig. 3. T. 4).
Die Hinterhauptslappen sind nicht symmetrisch an den beiden Hirnhälften, was
zum Theil von dem Dracke der Cyste abhing, welchen der linke Hinterhauptslap-
pen auf seiner Oberfläche hinter dem Gyms angularis erlitt. Rechts ist die erste
Hinterhauptswind nng (0,), in ihrem vorderen, oberen und äusseren Theile der Art
in die Tiefe verschoben, dass der Suicus parieto-occipitalis (po) theils mit dem
Sulcns interparietalis (ipp), theils mit dem vorderen Theil des Snlci occipitalis su-
perioris (0,) verschmilzt, und in Folge dessen stösst der hintere Halbkreis der ersten
Hinterhauptswindung (0,) in seinem vorderen Theile mit dem hinteren Ende der obe-
ren Schläfenwindung (P,) zusammen. Die zweite Hinterbauptswindnng (0,) ist von
der dritten durch den Suicus occipitalis inferior (Ot) getrennt, aber nicht gani:
selbst in ihren äusseren Theilen verschmelzen die Windungen mit einander, ond
gehen mit ihrem gemeinsamen Ende, nachdem sie ihren Lauf nach vom und oben
gemacht, in den Gyrus angularis über (Pt'O- Links ist die erste Hinterhauptswifl-
düng (Ol) gut entwickelt und tritt auf der Oberfläche des Hirns mit dem SdIcbs
parieto'occipitalis deutlich hervor (po). Der Suicus occipitalis inferior (0|) gebt
in den Suicus interparietalis (ipp) über. Die zweite Hinterhanptswindung (Oj)
stellt an ihrem äusseren Rande eine Vertiefung vor, welche durch Druck der Cyste
zu Stande gekommen ist und in den Gyms angularis (Pj") mündet D6r SqIcos
occipitalis inferior (O9) ist schwach entwickelt und die dritte Hinterhauptswindong
(0,) geht in die zweite Schläfenwindung (T,) über.
An der inneren Oberfläche der Hinterhauptslappen ist die Fissura calcariDa
(Fig. 3, oc + oc' + oc'O gut entwickelt, links ist der hintere gabelförmige Theil
(Fig. 3, oc' -h oc") kaum bemerkbar, rechts sind die einzelnen Zweige der Gabel
stark entwickelt in der Länge und Tiefe. Die hintere Gabel der Fissurae calcari-
nae umgiebt der Gyrns descendens (Fig. 3, D, D), welcher vom in den Gyrus
occipito-temporalis lateralis (s. fusiformis, Fig. 3, T. 4) übergeht. Diese beiden
letzten Windungen sind von einander durch den Suicus occipito-temporalis inferior
(s. Fissura collateralis Fig. 3, T. 4) getrennt. Der Gyrus lingualis ist schwach
entwickelt, der Gyms fusiformis der Länge und Breite nach gut entwickelt.
Der Gyrus fornicatus (Fig. 3, Gf ) vereinigt sich in seinem vorderen Theile
mit dem verkleinerten Gyrus rectus und geht, nachdem er nach oben vor dem
Knie des Balkens (Fig. 3, GC) mehrere Biegungen gemacht, bogenförmig in die
Höhe; hierauf läuft er in horizontaler Richtung nach hinten bis zu dem unteren
(119)
Ende des Sulcns parieto occipitalis (Fig. 3, po), geht dann mit einem dünnen
Zäpfchen (Fig. 3, Lf) in den Gyrus Hippocampi (Fig. 3, GH) über. Der Gynis
Hippocampi (Fig. 3, GH) wird ans drei Theilen gebildet, welche auf seiner Spitze
scharf von einander trennbar sind; sie verschmelzen zu einem Ganzen, nachdem
sie getrennt einen Raum von 0,75 Gentim. nach nnten passirt haben. Die Theile
sind folgende: Die Uvula Gyii fomicati (Fig. 3, Lf) in der Mitte, hinter ihr
der Gyrus lingualis (Fig. 3, T. 5), nach vorn der hintei-e Theil der PeduncuH des
unvollständig entwickelten Balkens (Fig. 3, p), bei seinem Uebergange in die
Fascia dentata spuria (Fig. 3, fds).
Wenn wir das Hirn Mottey^s mit dem der neunmonatlichen Leibesfrucht ver-
gleichen, welche Ecker beschrieben hat (s. Zeitschr. f. Anthropol. 1868. Bd. III.
S. 203—223), so finden wir, dass das Gehirn Mottey's in Bezug auf Gewicht, Um-
fang und Maass grösser ist, als das Gehirn der neunmonatlichen Leibesfrucht In
Bezug auf Grewicht verhält sich das Mottey'sche zu dem der neunmonatlichen Lei-
besfrucht wie },22: 1 (369 : 293); in Bezug auf das Körpergevncht ist die Differenz
zwischen dem einen und dem anderen Gehirn eine grosse. Das Yerhältniss des
Gewichts des Hirns einer neunmonatlichen Leibesfrucht zu seinem Körpergewicht
= 15,5 : 100, das Yerhältniss des Gewichts des Mottey'schen Hirns zu seinem Kör-
pergewicht = ''^/ns '• 100. Was den Bau der Windungen und Furchen anbetrifft,
so sind die beiden Hirne einander ähnlich, obgleich in gewissen Beziehungen das
Gehirn der neunmonatlichen Leibesfrucht höher steht, als das des Mikrocephalus.
Bei Mottey sind die Stimlappen nicht ganz ausgebildet Diese unvollständige Aus-
bildung ist die Folge der geringen Entwickelung der centralen Windungen ihrer
Länge nach, des Fehlens des Sulci praecentralis, weshalb auch die dritte Stirn-
windung viel einfacher gebaut ist, sie ist viel kürzer und bildet statt zwei Flexu-
ren, einer nach hinten und unten und einer nach oben und vom, nur eine ein-
zige und wird durch keine Nebenwindungen unterstützt, wie bei der oben erwähn-
ten Leibesfrucht. Der Unterschied besteht noch in der grösseren Entwickelung der
Fossae Sylvii, welche durch ihre Q-förmige Gestalt, ihre ungeheuer tief verlaufende
Oberfläche, grosse Aehnlichkeit darbietet mit der Gestalt, wie sie bei einer sechs-
monatlichen Leibesfrucht beobachtet wird. Die Schläfenlappen mit ihrem getrennt
verlaufenden Sulcus intraparietalis und nicht ganz von einander durch die oberen
und unteren Schläfenlappen getrennt, sind nach dem Typus construirt, welcher
dem eines achtmonatlichen Fötus gleicht. Die Hinterhaupts-Schläfenlappen und
die Lappen der inneren (mittleren) Oberfläche des Hirns haben ganz dieselbe An-
ordnung der Windungen, wie man sie bei der nennmonatlichen Leibesfrucht beob-
achten kann.
Das Mottey sehe Hirn ist weit mehr entwickelt nicht blos als das der niedri-
geren Affen, sondern auch als das der anthropoiden. Bei der anthropoiden Form
des Schimpanse und Orang-Utang sind die beiden centralen Windungen der Länge
nach stark entwickelt^); die Fissura Sylvii stellt einen scharf zu erkennenden Ra-
mus horizontalis dar. Die Insula ist vollständig verdeckt; sie ist fast platt und
anf ihrer Oberfläche sind zwei bis drei schwache, längliche, horizontale Furchen
sichtbar. Wegen der geringen Wucherung der Orbitallappen verschmilzt die Insula
mit dem Orbitallappen, ist von dem letzteren durch eine schwache Furche getrennt
und befindet sich mit ihm in demselben Niveau. Das untere Ende der Central-
wiudungen steht bei Mottey hoch, die Insula ist fast offen; letztere besteht aus
*) Anatomie compar^ du Systeme nerveux par Fr. Leuret et P. Gratiolet. Paris 1839
- 1857, pl. XXIV, fig. 5. 6.
(120)
drei deutlich ausgeprägten convexen Windungen, die f&cherartig erscheinen. Za
bemerken ist noch, dass der Ramus perpendicularis (ascendens) Fossae Sylvii bei
Mottey eine Furche zwischen ewei scharf gekennzeichneten Lappen darbietet, wäh-
rend bei den anthropoiden Affen der Sulcns perpendicularis nur einen freien Rand
des auseinander gewachsenen oberen Lappens bildet').
Die Scheitellappen sind bei den anthropoiden Affen verhältnissmässig mehr
entwickelt, als bei Mottey. Beim letzteren verläuft der Snlcus interparietalis ge-
trennt und die beiden Schläfenlappen sind mit einander vereinigt; beim ersteren
bildet der Sulcus interparietalis ein Ganzes, so dass die oberen von den unteren
Scheitellappen getrennt sind.
Bei den Affen steigt der Snlcus occipito-parietalis entweder gar nicht nach der
äusseren Hirnoberfläche oder verschmilzt mit dem Sulcus transversus wegen des
nach unten tief gelegenen äusseren Theils der ersten Hinterhauptswindung. Der
Sulcus transversus ist ganz besonders bei den Affen entwickelt und verläuft fast
bis zur dritten Schläfenwindung, indem er in seinem Verlaufe die Hinterhauptslap-
pen von den Schläfenlappen trennt (s. Gratiolet, Atlas Taf.XXIV. fig. 5 u. 6 scp.
und Ecker, Hirnwindungen des Menschen, S. 35). Bei den menschenähnlichen
Affen ist ausserdem die erste Hinterhauptswindung an der äusseren Himoberfläcbe
tief unten verschoben und die zweite Hinterhauptswindung, indem sie in ihrem
vorderen Rande spitz zuläuft, dadurch mit der h'^teren Grenze der oberen Schei-
telwindung in Berfihrung kommt. Eine ähnliche Anordnung der Windungen giebt
den Hinterhauptslappen die Form, welche unter dem Namen Operculum (Hinter-
hauptsdach) bekannt ist und die Charakteristik des Affenhirns darbietet. Bei dem
Schimpanse sind ausserdem die Hinterhauptslappen fast platt.
Typisch sind die Hinterhauptslappen bei Mottey ähnlich den menschlichen nnd
zeigen die Hauptfurchen und Windungen, welche man am Hirn eines ganz ent-
wickelten Menschen beobachten kann, allein sie haben einen einfacheren Bau uod
zeigen keine complicirten Verzweigungen und Furchen.
An der inneren Oberfläche ist das Mottey'sche Hirn dadurch ausgezeichnet von
dem Affenhirn, dass bei dem ersteren der Sulcus calcarens (Fissura calcarina) nicht
in den Sulcns Hippocampi übergeht, aus welchem Grunde der Gyrus fornicatns ob-
mittelbar mit dem Gyrus Hippocampi verwächst. Bei den Affen verschmilzt dk
Fissura calcarina (Sulcus horizontalis Panschii) (ausgeschlossen Ateles und Hylo-
bates) mit der Fissura Hippocampi und bleiben die beiden Windungen ganz ge-
trennt von einander'). *
Die allgemeine äussere Oberfläche der Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hinter-
hauptslappen der linken Hemisphäre des Grosshims Mottey's ist, nach der Me-
thode von Vogt in Quadrat-Millim. berechnet, gleich 8067 Quadrat- Millim. Ans
dieser Zahl käme also auf die Oberfläche
der Stimlappen .... 3090 Quadrat-Millim.,
der Scheitellappen. . . 1852 „
der Schläfenlappen . . 2550 „
der Hinterhauptslappen . 575 „
Die allgemeine Oberfläche der linken Hemisphäre des Kleinhirns = 2150 Qua-
drat-Millim.
^) Pansch, üeber die typische Anordnung der Furchen und Windungen auf den Gross-
himhemisph&ren des Menschen und der Affen — und die Abbildungen hierzu Taf. VIII, Fig. 24
und 25, Zeitschrift fär Anthropologie, Bd. III, S. 238.
*) Ecker, Eümwindungen u. s. w., 1869, S. 47.
021)
Wir wollen die Tabelle der Hessnngen, welche an den verschiedenen Lappen
des Gross- nnd Kleinhirns des weissen Menschen, des Negers nnd des Schimpanse
aosgef&hrt worden, berechnet in Quadrat -Millim., znm Zwecke der Yergleichung
hier aufführen. Die Tabellen sind von Vogt entnommen nnd far die leichte lieber-
sieht haben wir die bei der Messung des Mottey'schen Hirns gewonnenen Resultate
hinzugefügt.
Die äussere Oberfläche (in Quadrat-Millim.)
der Stirnlappen. Scheiteil. Schläfenl.
allgem. Proc. allgeiD. Proc. aUgem. Proc.
eines weissen Menschen . . 8506 33,8 8000 31,8 6350 25,2
eines Negers 7735 31,3 7460 30,2 7630 30,9
eines jungen Schimpanse . . 3050 32,8 5400 58
des Mottey'schen Hirns . . 3090 38,3 1852 22,9^ 2556 3^6
Hinterhauptsl. des Kleinhirns. Grosshims.
allgem. Proc. allgem. Proc allgem.
eines weissen Menschen .... 2305 9,2 3352 13,3 25155
eines Negers 1880 7,6 2075 8,3 24706
eines jungen Schimpanse .... 850 9,2 1310 14 9300
des Mottey'schen Hirns 575 7,1 2150 26,6 8067
Aus dieser Tabelle ist klar zu ersehen, dass die allgemeine Oberfläche der
Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptslappen bei Mottey kleiner ist als bei
einem Weissen, einem Neger und selbst bei einem jungen Schimpanse; dagegen ist
die Oberfläche der Stimlappen bei Mottey eigentlich grösser, als beim Neger, Schim-
panse und Weissen. Die absolute Oberfläche des Kleinhirns ist bei Mottey grösser
als beim Neger und Schimpanse, kleiner jedoch als beim Weissen, aber beim letz-
teren ist die Oberfläche des Kleinhirns im Vergleich zu der Oberfläche der Hemi-
sphäre viel kleiner, als bei Mottey. Die allgemeine Oberfläche der Stirn-, Schei-
tel-, Schläfen- und Hinterhauptslappen Mottey's verhält sich zu der erwähnten Ober-
fläche des Hirns eines Weissen wie 1 : 3,1, das Verhältniss der Oberfläche des
Kleinhirns Mottey's zu der Oberfläche des Kleinhirns eines Weissen wie 1 : 1,5.
Im Ganzen ergaben die bei der Untersuchung des Mottey'schen Hirns gewon-
nenen Resultate Folgendes:
1) Das Hirn Mottey's nimmt wegen Kleinheit seines Gewichtes den dritten
Platz unter den Hirnen der Mikrocephalen ein, welche in der Literatur verzeichnet
sind, und steht einzig in der Wissenschaft da durch die Kleinheit seines Gewichtes
im Verhältniss zu dem grossen Körpergewicht
2) Das Kleinhirn, die Brücke und das verlängerte Mark Mottey's kommen nach
den ausgeführten Messungen den normalen ziemlich gleich, wogegen das Grosshirn
fast bis zur Hälfte hinter dem normalen in der Entwickelung zurückbleibt
3) Die allgemeine äussere Oberfläche der Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hin-
terhauptsiappen des Mottey'schen Hirns, berechnet in Quadrat-Millim., verhält sich
XU derselben Oberfläche des Hirns eines Weissen wie 1 : 3,5. Die allgemeine Ober-
fläche des Kleinhirns Mottey's verhält sich zu der allgemeinen Oberfläche des Klein-
hirns eines Weissen wie 1 : 1,5.
4) Die aUgemeine Oberfläche der Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hinterhaupts-
lappen des Mottey'schen Hirns ist kleiner, als bei einem jungen Schimpanse, aber
die Oberfläche der Stirnlappen grösser, als beim jungen Schimpanse.
4) Die Windungen an der Oberfläche des Mottey'schen Hirns sind nnvoUkom-
Verhandl. der Berl. Qet. far AnthropoU «tc, t^)
022)
men wegen ihrer beschränkten Theilnng nnd Eranunnng, Enge and Armoth an
graner Substanz.
6) An dem Mottey'schen Hirn ist femer die sehr wesentliche Verkürzung des
Balkens bemerkenswerth, welche durch mangelhafte Entwickelnng seines hinteren
Theiles, durch das Fehlen des Splenii corporis callosi, Psalterii s. commissurae cor-
poris fornicis zu Stande gekommen ist In Folge dessen ist der Balken bei Mot-
tey drei Mal kurzer als normal, wobei aber die Dicke des Balkens nach der Mitte
hin der normalen gleichkommt.
7) Gyrus hippocampi, Qjms uncinatus, Fimbria sind im Vergleich zu den aus-
geführten Messungen am Grosshim bei Mottey relativ mehr entwickelt, als normal.
Die Fascia dentata ist hier nicht vorhanden.
8) Das Mottey'sche Hirn hat nach Form und Anordnung der Windungen nicht
nur nicht Aehnlichkeit mit den niedrigeren« sondern auch nicht mit den anthro-
poiden Affen.
9) Das Mottey'sche Hirn nähert sich nach Form und Anordnung der Windun-
gen dem Hirn eines menschlichen Fötus im neunten Monat des Uterina! lebens, ob-
gleich es nach dem Bau der Fossa Sylvii, der Stirn- und Scheitellappen mehr den
niederen Phasen des Uterinallebens gleichkommt.
10) In Bezug auf Umfang > Maass und Gewicht Ist das Mottey'sche Hirn grös-
ser, als das des normalen Fötus.
11) Trotzdem, dass die Windungen des Mottey'schen Hirns typisch so angeord-
net sind, wie die des Fötus, haben die geistigen Fähigkeiten sich so entwickelt,
wie die eines P/s jährigen Knaben, dessen Himgewicht grösser und dessen Hirnwin-
dungen entwickelt sind*).
Herr Virchow bemerkt zu den interessanten Mittheilungen des Hm. v. Mier-
^) Erklärung der Abbildungen (Taf. VIU u. IX).
Fig. 1. Das Mottey'sche Hirn, Seitenansicht, so das« nur seine linke Hemisphäre sichtbar
ist G Sulcns centralis; fi Sulcus frontaUs super, ft Sulcos frontalis infer. cm Sulcus calkso-
marginalis; ipa + ipp Sulcus interparietaUs , welcher in zwei Theile getheilt ist; ipa Sakis
interp. anterior; ipp Sulcus interp. posterior; po Sulcus parieto-occipitalis; o^ Sulcus oocipiUlis
super; o' Sulcus occipitalis infer; ti Sulcus temp. super; t' Sulcus temp. infer; s' Ramus ascn-
dens (Fossae Sylvü); s" Ramus horizontalis (Fossae Sylrii); Fi, Fs, Fa Qyms frontalis primuft,
secundus, tertius; Pi Lobulns «pariet super; Pt'-fPi" Lobulus pariet infer; P>' Gyms mv*
ginalis; Pa" Gyrus angularis; Gb Gyri breves insulae; Ti, Ts, Ta Gyms temp. primus, secun-
dus, tertius; A Gyrus centr. anterior; B Gyrus centr. posterior; Oi, 0«, Oj Gyrus occipit. sup.,
med., infer.
Fig. 3. Die Hemisphären des Ghrosshims Mottey 's, Ton oben. Die Zeichen haben dieselbe
Bedeutung wie in Fig. 1.
Fig. 3. Die mittlere (innere) Oberfläche der linken Hemisphäre des Hirns Mottey's. cm
Sulcus calloso-marginalis; po Sulcus parieto-occipitalis; oc Fissura calcarina; oc' und oc* der
obere und untere Schenkel der Fissurae calcarinae; ti Sulcus occipito-temporalis inferior: Fi
Gyrus frontalis primus; Gf Gyrus fomicatus; PC praecuneus; C cuneus; D Gyrus descendens;
Ts Gyrus occipito-temporalis medialis (Lobus lingualis); T4 Gyrus occipito-temporalis lateralis
(Lobus fusiformis); GC Genu corp. callosi; CG Corpus callosum; p Stiel des hinteren Endes des
Corpus callosum; fds Fascia dentata spuria; Lf Zäpfchen der Gyri fornicati; GH Gyrus Hippo-
campi; T Thalamus nerv, opt; SP ßeptum pellucidum; GU Gyrus uncinatus.
Fig. 4. Die mittlere (innere) Oberfläche der linken Hemisphäre des Grosshirns Mottey *s,
ein wenig nach oben und unten zurückgeworfen, mit dem ausgeschnittenen Theil des Sehhügels,
um den Uebergang des Fomix in die Fimbria leichter zu erkennen. CO Corpus callosum:
t Fimbria; fds Fascia dentata spuria; GH Gyms hippocampi; GU Gyrus uncinatus.
(123)
jeievsky, dass er selbst in seinem Vortrage Ober Menschen- und AffenscbädeP)
sich in Beziehung auf die Dentnng der Mikrocephalie gleichfalls den Gegnern
Vogts habe anschliessen müssen, indem er darin einen rein pathologischen Fall
erkenne. Anch nenere Erfahrungen hätten ihn in dieser Auffassung nur noch be-
stärkt. Indem er sich vorbehalte, auf dieses Thema zurückzukommen, erinnert er
in Beziehung auf die eigenthümlichen Hautfalten am Kopfe des Mottey an die frü-
her von ihm beschriebene Mikrocephale von Rieneck, welche am Hinterhaupt eine
ganz ähnliche Bildung dargeboten habe'). —
(10) Die Vorstände des Aquariums, die Herren ßrehm und Hermes über-
senden als Geschenk wundervolle Photographien') des kürzlich an chronischer
Pneumonie verstorbenen Schimpanse (Molly) nebst Gypsabgüssen des Kopfes, der
Hände und Füsse desselben (vgl. Taf. V). —
(11) Der Vorsitzende berichtet aus einem Briefe des Hrn. Dr. Lissaner in
Danzig mit Bezug auf die in der vorigen Sitzung gemachten Mittheilungen des
Hm. W. Kauffmann Genaueres über
aüpomerelliselie Schädel.
Da die Arbeit in den Schriften der natarf ersehenden Gesellschaft zu Danzig
nächstens erscheinen wird, so genügt es hier zu erwähnen, dass diese Schädel aus-
gezeichnet dolichocephal sind (Index 70 — 70,2) nnd ein geringes Hohlmaass (1310
Cub.-Centim.) besitzen. Die anderen Skeletknochen ergaben eine nur massige
Körperentwicklung. Gleichzeitig gefundene eiserne Messer sprechen ihnen ein re-
lativ spätes Alter zu. Hr. Lissauer glaubt nach den Schädeln das Volk, dem
diese Gräber angehörten, mit demjenigen identificiren zu können, dessen Schädel
Hr. Ecker aus den Reihengräbem des südwestlichen Deutschlands beschrieben hat,
welche ihrerseits archäologisch den Franken und Alemannen zageschrieben werden.
Da Hr. Lissauer dieselbe Schädelform bis weit östlich über die Weichsel verfol-'*
gen zu können glaubt, so ist er geneigt, in dieser Gegend die Stammsitze der
Franken und Alemannen zu suchen, eine Schlussfolgerung, die, so bestechend sie
klingt, doch noch viele Beweise für ihre Sicherung erfordern dürfte. —
(12) Herr Virohow berichtet
über moderne Pfahlanlagen nnd Küchenabfftlle In Berlin.
Neulich ist ein sonderbarer ^und gemacht worden bei einem Bau, den die
städtischen Behörden in der Dorotheenstrasse 13/14 ausführen lassen. Man stiess
dort plötzlich auf zahlreiche grosse Pfähle in zusammenhängenden Reihen, ohne
dass irgend eine Verwendung dieser Pfähle zu Rosten oder weiteren Fundamenti-
rungen erkennbar war. Es wurde mir berichtet, dass auch sehr grosse Quantitä-
ten von Knochen gefunden seien, also Dinge, welche wohl allerlei Vermnthungen
erregen konnten Als ich endlich hörte, dass das ganze Grundstück sehr moorig
sei und an einer Stelle bei 40 Fass noch kein Grund gefunden war, so stieg der
Gedanke in mir auf, dass wir das Vergnügen haben könnten, mitten in Berlin
einen wirklichen Pfahlbau zu constatiren. Alles, was ich auf dem Bau-
^) Vir che w und y. Holtzendorff , Sammhing ffemeinverstandlicber wissenschaftlicher
Vortrag«. 1869—70. Bd. IV. Heft 96.
') Gesammelte Abhandluiigen, S. 948.
>) Dieselben sind bei den Photographen Lutze und Witte, Unter den Linden 68a, käuf-
lich cu haben.
0*)
(124)
platze zunächst sah und hörte > war eher bestätigend , and ich sah mich schliess-
lich genöthigty mich selbst an einen der grossen, zur Fundirung der Grandmaaem
bestimmten Senkbrannen zu stellen, um zu constatiren, was herauskam. Da ergab
sich denn, dass in einer schwarzen, sehr übelriechenden, schmierigen Moorscbicht
bei einer Tiefe von 8, 10 und noch mehr Fuss eine grosse Masse von Knochen
und zerschlagenem Geschirr zu Tage gefördert wurde. Offenbar handelte es sich
ganz überwiegend um KüchenabfUle und zwar zum Theil sehr delicate. Denn
ausser zahlreichen Knochen vom Reh, Schwein, Huhn, Gans u. s. w. kamen auch
ganz unerwartete Dinge zum Vorschein, nehmlich zahlreiche Austernscbalen
und dabei noch andere Conchylien, namentlich, was man bis dahin als sehr neu
erachtet hatte, Miesmuscheln von sehr beträchtlicher Grösse. Es sind femer
allerhand Ueberreste von Glas, Thon und Porzellan gefunden worden, und nach-
dem Alles elnigermassen geordnet und auch die früheren Localverhältnisse in Be-
tracht gezogen sind, so scheint sich zu ergeben^ dass es sich um einen Fund han-
delt, welcher etwa dem Anfange des vorigen Jahrhunderts angehört Hr. D^r. Lessing
hat die Gpte gehabt, die dem Kunstgewerbe angehörigen Gegenstände zu prüfen,
und er hat mehrere darunter bestimmt als Erzeugnisse des 17. oder 18. Jahrhun-
derts angesprochen. Um so auffälliger ist es, dass sich bis jetzt gar nichts ermit-
teln lässt, was über die früheren Verhältnisse dieses Platzes Lacht verbreitet. Herr
Archivar Fidicin hat die Güte gehabt, aus seinen Quellen Alles zusanunenzustel-
len; es hat sich aber nur ergeben, dass früher mitten durch das Grundstück, pa-
rallel der Dorotheenstrasse, ein grosser Kanal lief, und es scheint, dass an den
Ufern desselben hauptsächlich die erwähnten Gegenstände ausgeschüttet worden
sind. Immerhin bietet der Fund manches Interesse. Abgesehen davon, dass er
als ein warnendes Beispiel dienen mag, so lässt sich aus ihm Manches über die
frühere Faana lernen. Es fehlte bis jetzt in sämmtlichen deutschen Museen absolut
an Knochen der älteren Hausthierracen, die in Deutschland existirten. Wir haben
Aeine einzige Sammlung, welche einen sicheren Schweineschädel aus dem vorigen
Jahrhundert besitzt, und ich habe schon in einer früheren Sitzung bemerkt, dass
dadurch die Frage über das Torfschwein ganz bedeutend erschwert wird. Hier
scheinen sich allerlei brauchbare üeberreate zu ergeben. Es sind ein ausgezeidr-
neter Kiefer und andere Skelettheile vom Schwein gesammelt worden. Aehn-
lich ist es mit den Austern, von denen Schalen in ganz vorzüglicher Ausbildanft
vorkommen. Es ist mir bei Nachforschungen darüber, wann zuerst Austern in
Berlin gegessen worden seien, noch nicht möglich gewesen, einen früheren Zeit-
punkt zu ermitteln, als das Ende des vorigen Jahrhunderts, von wo eine Verord-
nung für die Hamburger Post in Betreff der Behandlung der Austernfässer existiri
Dass aber jedenfalls in viel früherer Zeit Austern und sogar Miesmuscheln nach
Berlin gekommen und gegessen worden sind, das war in der That überraschend
und regt zu weiteren Forschungen an. -—
(13) Als Geschenke wurden übergeben:
1) Ein hölzerner Kindersarg aus der Höhle von Nipa-Nipa durch Hrn. Jagor
(vgl. Sitzung vom 15. Januar 1870).
2) Photographisches Portrait eines Lappen von Prof. Schiff n er in St Peters-
bürg.
3) War Depart Surgeon GeneraFs Office. Washington, Aug. 17, 1871. Cir-
cular No. 3.
4) Kongl. Vitterhets Historie og Antiqvitets Akademiens Mänadsblad, Mars 1873.
(125)
Aasserordentliche Sitzung am 23. März 1871.
Vorsitzender Herr Bastian.
(1) Herr Jagor spricht, unter Vorlegung zahlreicher Zeichnungen und ein-
schlagender Gegenstände,
Aber moderne Pfahlbauten In Asien
und die Ursachen ihres Vorhandenseins in den von ihm bereisten Ländern Hinter-
indiens und namentlich in den Philippinen. Anknüpfend an einen früheren Vor-
trag, in welchem er darauf hingedeutet, dass sich die Bevölkerung jener Inseln von
jeher mit Vorliebe am Seestrande und an den Ufern der Flüsse ansiedele, nament-
lich aber an deren breiten Mündungen, weil dort viele Umstände zusammenträfen,
nm das Leben des Menschen in ungewöhnlicher Weise mühelos zu machen, ging
er auf eine nähere Erörterung dieser umstände ein.
Einer der Vorzüge jener Oertlichkeiten ist die Leichtigkeit des Verkehrs; in
vielen Inseln ist keine andere Strasse vorhanden, als die von der Natnr gegebene
Wasserstrasse, die sich selbst erhält Der Fluss ist aber nicht nur Strasse, son-
dern auch bewegende Kraft, denn je nachdem man die starke Strömung der Ebbe
oder der Fluth benutzt, kann man ohne eigenen Kraftaufwand in einer oder der
anderen Richtung Lasten fortschaffen. Das Wasser bietet in bequemer Weise eine
grosse Fülle von Nahrungsmitteln, Fische, Krebse, Muscheln, essbare Algen; —
ohne jemals zu säen, kann der Mensch täglich daraus ernten.
Freilich sind die Pfahlbauten nicht auf die Flussmündungen beschränkt, man
findet sie über das ganze Land verbreitet. Mit Ausnahme weniger Gebäude von
Stein oder von Balken und Brettern sind die Hütten der Eingebomen so leicht
gebaut, man könnte fast sagen, ihre Wohnkörbe seien so lose geflochten, dass sie
namentlich während der Regenzeit, die oft die Felder um das Dorf auf Monate
hinaus in einen See verwandelt, keinen Schutz gewähren würden, wenn sie nicht
aaf Stelzen ständen. In den Flussmündungen aber findet der Wechsel zwischen
dem trockenen und nassen Element mit jedem Fluthwechsel statt, die Häuser müs-
sen also darauf eingerichtet sein ; auf Pfählen stehend, werden sie selbst von Stür-
men geschont, denen festere Gebäude vielleicht nicht zu widerstehen vermöchten.
Gesellen sich zu den angedeuteten Vorzügen jener begünstigten Oertlichkeiten
noch gewisse Pflanzen, so ist ein Zustand geschaffen, welcher dem Menschen viel-
leicht den höchsten Grad der Behaglichkeit bei geringster Arbeit gewährt.
Der Vortragende verwies auf die im Saale aufgehängten Zeichnungen und Pho-
tographien. Die Hütten, die sie darstellen, bestehen fast ganz ans Bambus, sie
stehen auf Pfählen und sind fast immer von Kokospalmen beschattet.
Diese beiden herrlichen Gewächse, der Bambus und die Kokospalme geben
aber jenen Ansiedelungen nicht nur ihre äussere Physiognomie, sie haben auch
den wesentlichsten Antheil an der Gestaltung des Lebens der Bewohner,
(128)
Der Vortragende gab einen üeberblick der mannichfaltigen Verwendnngen der
Kokospalme nnd legte einige ans derselben gewonnene Prodncte nnd ans ihren
verschiedenen Theilen gefertigte Geräthschaften vor: der Stamm dient zu Pßlhlen,
Wasserrinnen, Trögen, die Blätter zum Dachdecken, zn allerlei Flechtwerk, der
junge Trieb ist ein wohlschmeckendes Gemüse. Ans der Blüthenknospe gewinnt
man Zucker, Wein, Branntwein, Essig, die junge Frucht enthält ein angenehmes,
kühlendes Getränk. Die reife Frucht liefert Fasern zu Tauwerk, allerlei Hansrath,
Teller, Tassen, Löffel, ihr mandelartiger Kern ist ein sehr wichtiges Nahrungs-
mittel, er findet in der Küche mannichfache Verwendung, aus ihm wird Miloh and
Oel bereitet.
Am besten gedeiht die Kokospalme am unmittelbaren Seestrande, ohne Pflege
trägt sie dort reichlich Früchte, gern neigt sie ihre Krone über das Meer, dessen
Fluthen die herabfallenden Früchte an öde Küsten tragen und sie dadurch zu
menschlichen Wohnsitzen vorbereiten. Durch eine dicke Faserhülle geschützt
kann die Kokosnuss, ohne zu verderben, lange im Salzwasser treiben; sie keimt
über der Erde in freier Luft. Diese beiden Eigenschaften tragen wesentlich sv
grossen Verbreitung dieses edlen Baumes bei, der nicht nur für die philippinischen
Pfahlbauer von grösster Wichtigkeit ist, sondern auch einen bedingenden Antheil
an dem maritimen Vagabundenthum der malayischen und polynesischen Völker
Schäften hat.
Ausser der Kokospalme wurden noch kurz die Nipapalme, der Pandanos und
die Sagopalme besprochen. Letztere ist zwar weniger verbreitet als die Kokos-
palme, liefert aber dem Menschen für geringe Mühe eine solche Menge von Nähr-
stoff, dass er sich in zehn Arbeitstagen den Bedarf für ein ganzes Jahr verschaffen
kann. Kein Wunder, wenn die Bewohner aller Sagodistricie wegen ihrer Unbe-
triebsamkeit verrufen sind. Sie sind meist so trage, dass sie sich beinahe auf dieses
einzige Nahrungsmittel beschränken. Der jetzige Rajah von Sarawak führt in Be-
zug auf die Sagoesser der Nordküste von Borneo eine interessante physiologische
Thatsache an (Brooke Brooke, Ten years in Sarawak, 210): „Es ist in Mukah und
anderen Orten wohlbekannt, dass die Weiber ihre Häuser verschliessen and 'um
Ehemänner nicht zulassen, wenn diese keine Fische bringen. Das mag der Gmd
sein, weshalb die Männer sich solchen Gefahren aussetzen (nehmlich der Fisderei
an der klippenreichen, stürmischen Küste). Den Weibern liegt die Bereitung des
Sago ob, welcher ohne Fisch eine sehr trockene Kost ist . . .^
Zuletzt wurde der Bambus besprochen, der durch die ausserordentliche Man-
nichfaltigkeit der Dienste^ die er dem Menschen leistet, alle anderen Pflanzen über-
trifft. Manches Dorf besteht fjast ganz aus Bambus, mit Ausschluss jedes anderen
Materials, ebenso das gesammte Haus-, Acker-, Jagd- und Fischereigeräth. Junge
Bambustriebe sind ein wohlschmeckendes Gemüse, man kann sie mit einem Messer
von Bambus in Scheiben schneiden, in einer Bambusröhre, mit Bambuswasser, ge-
gen ein Bambusgestell gelehnt, an einem Bambusfeuer kochen, das man durch An-
einanderreiben zweier Bambuslatten entzündet hat. (Am Schluss des Vortrages
machte der Redner auf die angegebene Weise Feuer; es bedurfte nur des Bruch-
theils einer Minute, um eine Flanmie zu erzeugen.)
Indem der Vortragende Proben von Bambus verschiedener Dimensionen vor-
legte, machte er auf die vortrefflichen Eigenschaften dieses herrlichen Gewächses
aufmerksam, nach seiner Meinung des schönsten des gesammten Pflanzenreichs.
Der Bambus hat eine im Verhältniss zu seiner Leichtigkeit ausserordentlich grosse
Festigkeit, bedingt durch die Röhrenform und die in angemessenen Abständen vor-
handenen Zwischenwände. Wegen des Parallelismus und der Zähigkeit seiner
(127)
Fasern ist er sehr vollkommen und leicht spaltbar, gespalten aber von ausgezeich-
neter Biegsamkeit und Elasticität. Dem Reichthnm an Kieselerde verdankt er
grosse Danerbarkeit nnd eine harte, glatte, stets reine Oberfläche, deren Glanz
und schöne Farbe im Gebranch zunehmen. Von besonderer Wichtigkeit endlich
för Völker mit geringen Verkehrsmitteln ist der Umstand, dass der ßambus in
Fülle anf sehr verschiedenen Standorten, in allen möglichen Dimensionen von we-
nigen Millimetern bis zn zehn, fünfzehn Centimetem nnd mehr, ausnahmsweise so-
gar von doppeltem Durchmesser angetroffen wird, und überdies wegen seiner un-
übertrefflichen Flössbarkeit selbst in jenen strassenarmen, aber wasserreichen Län-
dern mit grösster Leichtigkeit fortgeschafft werden kann. Die Natur liefert dem
Menschen den Bambus so fertig zum unmittelbaren Gebrauch in die Hand, dass
in der Regel wenige kecke Schnitte des Waldmessers genügen, um ihn für die ver-
schiedenartigsten Zwecke znzupassen.
Der Vortragende ging nun auf die überraschend einfache und elegante Bear-
beitung des Bambus näher ein, indem er sich zur Erläuterung durch den Augen-
schein, unseres einheimischen Rohres und eines Federmessers bediente, und machte
zum Schlnss noch auf einige besonders sinnreiche Verwendungen aufmerksam. —
(2) Herr Erman spricht
über Beschaffenheit nnd Alter einiger asiatischen Industrien.
In der Sitzung der anthropologischen Gesellschaft vom 13. Januar 1872, der
ich beizuwohnen verhindert war, hat mein Versuch eines „Beitrags zur Geschichte
des Feuerzeuges^ diejenige Beachtung eines der dazu besonders befähigten und
berufenen Coilegen gefunden, welche mir die diesem Versuche zu Grunde liegende
seltsame Erfahrung zu verdienen scheint'). Dass aber, wie es in einem oberfläch-
lichen Zeitungsberichte über jene Sitzung heisst, durch die neue Beschäftigung mit
dieser Erfahrung eine historische Folgerung ans derselben, die ich als wahr-
scheinlich hingestellt habe, bereits widerlegt sei, kann ich keineswegs zugeben.
Hr. P. Ascherson hat zur Sprache gebracht, dass auch am Himalaja und in den
südamerikanischen Anden (ebenso wie in den zwei von mir erwähnten Gegenden
der Erde) der Blattfilz zweier Pflanzen aus der Familie der Compositae, bei den
holländischen Bewohnern der Gap-Golonie aber Theile einer Umbellifera als Zun-
der gebraucht werden. Ohne das Interesse dieses Nachweises zu verkennen, scheint
er mir durchaus nicht dasjenige zu widerlegen, was ich als zu prüfende Sätze auf-
gestellt habe: ich meine, dass das Stahl feuerzeug von den Orten seiner ersten
Verwendung in Mittel- nnd Nord-Asien, direct nach Spanien gelangt und wohl eben
deshalb in diesem Theile von Europa zugleich mit asiatischem Girsium-Zunder in
Gebranch getreten und bis heute geblieben sei: inmitten von Ländern wo Boletus
igniarius als Zunder zum Feuerstahl vorherrscht. Die üebereinstimmung bis zum
Ununterscheidbaren zwischen dem andalusischen Eunstproducte einerseits und dem
jakutischen von der anderen Seite erlaube ich mir heute noch einmal Ihrer Be-
achtung zu empfehlen, indem ich den Proben von beiden, welche ich der Gesell-
schaft übergebe, in unserer entstehenden Sammlung ethnologisch wichtiger Gegen-
stände einen Platz anzuweisen bitte. Die Gleichartigkeit der sehr eigenthümlichen
Bereitung dieser beiden Producte scheint mir noch immer durch eine Tradition
(deren Möglichkeit, ja sogar Wahrscheinlichkeit anderseitig zu Tage liegt)
am einfachsten erklärbar. Die Annahme einer Ueberlieferung hat sogar diesmal
1} Vergl. in: Zeitschr. f. Bthnol. 1871, BerL Gosellsehalt f. Antfaropol. etc. 8. 99.
(128)
vor der einer instiiictiven Begegnung von Seiten zweier der entferntesten Brdbe-
wohner ein noch um etwas erhöhtes Gewicht erlangt, seitdem nnser geehrter Col-
lege hervorgehoben hat, dass das andalnsische Cirsinm von dem jakntischen Cir^
sium (Saassnrea) t/otz intimster Verwandtschaft doch in seiner Tracht nnd seiner
Constitution beträchtlich verschieden sei. Von zweien schwesterlichen Pflanzen,
die respective bei Bodentemperaturen von + 16° Reaumur und — 6^5 Reanmar
wachsen, ist dies eben nicht unerwarteter^ als einige Verschiedenheit des Aeassem
zwischen einer Andalusin von Malaga und einer Ost-Turkin von Jakuzk. Auch die
neuen Nachweisungen von einigerpiassen ämlichen Verwendungen vegetabilischer
Substanzen haben an der fraglichen Sachlage Nichts geändert Der von Herrn
Ascherson erwähnte Gebrauch von Zunder aus einer Composita (Oreoseris lana-
ginosa) am Himalaja war mir sogar zur Zeit meiner Mittheilung über Entstehung
des sibirischen. Zunders bereits bekannt. Ich führte ihn nicht an, zunächst weil
meine Mittheilung nur einen ganz speciellen Fall betreffen, in keiner Weise aber
ein Beitrag zu der comparativen Technologie im Allgemeinen sein sollte. Sodann
aber und vorzüglich unterliess ich die Erwähnung des tibetischen Gebrauches als
von untergeordnetem Interesse, weil man in Nordasien und namentlich in Danrien
durchaus gewöhnt wird, Naturerscheinungen und viele Gebräuche mit denen am
Hochgebirge, ja sogar an dessen Südseite, identisch oder nächst verwandt zu fin-
den^). Dass aber endlich von den neu zur Sprache gebrachten Zunderbereitnngen
sowohl die amerikanische (von den Anden), als die afrikanische (von Capstadt
oder dem Eafferlande) an dem Debergang des sibirischen Verfahrens ni^ch Spanien
durchaus unschuldig ist, bedarf keines Wortes.
Es sei mir dagegen erlaubt, auf den gedruckten Text meiner früheren Mitthei-
lungen insofern zu verweisen, als in demselben die Vermuthung, dass eine Tradi-
tion ans Innerasien direct nach Spanien stattgefunden habe, keineswegs ausgespro-
chen ist, um die Gleichheit des Zunders zu Feuerzeugen in beiden Gegenden zu
erklären. Ich behauptete vielmehr ganz im Gegentheil, dass diese letztere Thit-
sache in ihrem richtigen Lichte erst erscheine neben der Uebereinstimmnng, die
bis auf den heutigen Tag in Beziehung auf Gebräuche und Kunstfertigkeiten zwi-
schen dem südlichen Spanien und dem europäischen Russland stattfindet, and ieb
sehe auch jetzt noch den Beweis zweier directen üeberlieferungen aus Asien ni€h
den genannten Ländern in dem Umstände, dass jene übereinstimmenden Objede
ohne Ausnahme arabisch-maurische Namen in Spanien und tatarisch-mongolische
in Rnssland führen').
Zu fernerer Begründung dieses nicht unwichtigen Verhältnisses liessen sich
wohl noch manche Belege beibringen. Ich enthalte mich aber dieses verführe-
rischen Gegenstandes, um Ihre Geduld nicht zu missbrauchen, und will dagegen
heute nnr noch für den Satz, dass das Feuerstahl selbst eine mittel- oder nord-
asiatische Ei*findung sei, meine früheren Argumente in etwas verstärken. Ich meine
durch neue Angaben über die hohe Vollendung der Metallurgie im Allgemeinen,
sowie im Besondern des Eisenhüttenwesens und der Stahlproduction in China, zu
M So die sndasiatiscben Naturproducte, welche in den Buddhatempel zu den buratischen
Kameelhirten am Gänse-See (51° Breite, 104^2 0. von Paris, nur 22 Meilen von Irkuzk) fort-
während geliefert werden, wie Elephantenstosszähne, Tigerfelle, Pfauenfedern, rothe Korailem
Tritoniumschalen u. s. w., vgl. Er man, Reise um die Erde, histor. Ben, Bd. 2, S. 94, 103, 164,
168 u. a.
*) VergL Archiv für wissenschaftl. Kunde von Russland, Bd. XIII. S. 233. Bd. XVIL S. 97t
Bd, XIX. S. 998 und Zeitschrift for Ethnologie, 1871, a. a. 0. S. 102.
(129)
Zeiten, in denen Griechen und Römer weder irgend Aehnlicbes leisteten, noch anch
wohl überhaupt schon den Namen von Nationen verdienten. Sie sind enthalten in
dem Berichte eines Hm. J. Markham über seine Reise dnrch die bis vor wenigen
Jahren (1869) den Enropäem völlig unbekannte nordchinesische Proving Shantnng ')•
Als englischer Gonsnl in der Hafenstadt Tschifa^ (37^6 nördl. Br., 119^1 0.
von Paris) hat Hr. Markham von dort ans eine Wandemng ausgeführt und ge-
schildert, welche nur um 53 geogr. Meilen gegen Westen und 27 Meilen gegen
Süden reichte. Sein durchweg auf unmittelbare Anschauungen beschranktes Tage-
buch genügt aber, um in Shantnng eine mir wenigstens unerwartete Lieblichkeit
und malerische Schönheit der Landschaften, im Verein mit deren ausserordent-
lichen Reichthümem zu zeigen und mit der Ausbeutung detselben, welche die noch
jetzt ungeheuer zahlreiche Bevölkerung continuirlich, seit Jahrtausenden
ausübt So sind die ebenen Districte dieser Provinz übersäet mit Städten und mit
Dörfern verschiedenster Grösse, und zwischen diesen mit zahllosen Gärten von
Birnen-, Aepfel- und Pflaumenbäumen, welche Ihrerseits von cnltivirten Gehölzen
aus Wallnuss-, Kastanien- und Pfirsich-Stämmen eingeschlossen und durch natur-
wüchsige Waldungen der stattlichsten Silberpappeln, mit Taxus, Gedem und Gy-
pressen, überragt werden. Auf Maulbeerbäumen, auf Eichen und auf Aiianthus
werden Bombjx- und Saturnia-Arten in erstaunlicher Menge genährt und die von
ihnen entnommenen' Gespinnste in den Seidenmanufacturen verschiedener Städte
zu Zeugen verarbeitet, welche die sonstigen Producte chinesischer. Webstühle weit
übertreffen. So in der musterhaft friedlichen Stadt Tsing-tscho-fu, von deren zu
etwa gleichen Theilen confutsischen, taossisch-buddhistischen und mahomedanischen
Bevölkerung mehr als 1000 Familien die Seidenweberei betreiben. In den Ebenen
werden sodann noch Hanf, Tabak und fast alle Arten von Gerealien in grossen
Massen gebaut, und die nur 2 Meilen westlich von Tsing-tscho-fu gelegenen Grä-
ber von Häuptlingen der frühesten Bevölkerung geben durch gewisse Merkmale
das Jahr 2205 v. Ghr. (also ein um 1000 Jahre vor Achilleus, wenn auch 800 Jahre
nach der Gründung von Memplus gelegenes) für die Ursprungszeit dieses Acker-
baues und der begleitenden Viehzucht an. Deberall an den Gebirgszügen und de-
ren Vorbergen in Shantnng wird dagegen die Ausbringung und Verarbeitung fos-
siler Reichthümer ebenso erfolgreich und zum Theil seit eben so langer Zeit be-
trieben. Es werden namentlich vortreffliche (meist anthrazitisqhe) Steinkohlen,
Eisen und Gold (letzteres aus Seifen, wie in Nordasien, Galifomien u. s. w.) geför-
dert, abep ausserdem auch Silber und Blei, sowie Marmorarten zu Bauwerken und
Skulpturen und die Sande und Thone, die man in höchst eigenthümlichen Glas-
hütten, sowie in den uralten Ziegel- und Porzellanfabriken verarbeitet.
Was mich aber speciell veranlasst hat, das Markham'sche Tagebuch Ihrer
Beachtung zu empfehlen, sind einige Angaben desselben über eine Besteigung des
Tai-Shan oder Berg-Heiligthums der Ghinesen. Der Süd-Abhang dieses gegen
5000 engl. Fuss hohen, etwa gegen NW streichenden Bergzuges reicht bis unmit-
telbar an die Stadt Tai-ngan-fu (36^3 nördl. Br., 114o,9 O. von Paris). Er wurde
2281 V. Ghr. (also vor nunmehr 4153 Jahren) im 76. Jahre der Regierung eines
Kaisers Ja-u dem höchsten Wesen geweiht und seitdem durch Anpflanzung und
stete Erneuerung eines herrlichen Parkes, sowie durch die Erbauung und fabelhaft
reiche Ausstattung von Tempeln in demselben zu einer Wallfahrtsstiiasse gemacht.
*) The Journal of the Roy. Geograph. Soc Vol. 40 (1S70), pag. 207.
*) Nach deutscher Rechtschreibung der von dem Engländer durch Ghefoo bezeichneten
Laute. Ebenso Ist auch im Verfolg verfahren.
(130)
Der letzte Theii dieser Strasse ist so steil, dass die wenigsten Pilger sie zurnck-
legen. Der englische Reisende hat aber in acht Standen das Ende derselben auf
dem Gipfel des Berges erreicht nnd lobt die entzückende Aussicht auf die Fort-
setzung des Tai-shan nach der einen nnd auf die hochcultivirte Ebene um nnd
jenseits der Stadt Tai-ngan-fu nach der anderen Seite. Die heiligen Gebäude, an
denen er auf diesem Wege entlang kam und von denen er im Einzelnen- die ver-
goldeten Bildwerke, die Verzierungen mit Skulpturen und Malereien, sowie die Be-
dachungen bald mit Platten von Bronze, bald mit Ziegeln von farbigem Porzellan
u. s. w. beschreibt, sind trotz dieser gleichartigen Beschaffenheit von äusserst ver-
schiedenem Alter, denn nach den zugehörigen Inschriften und sonstigen unzweifel-
haften Dokumenten stammt eines der jüngeren aus dem Jahre 1820 (ich meine
n. Chr., also von vor 52 Jahren), während die Erbauungszeit mancher anderen
auf mehr als zwei Jahrtausende vor unsere Zeitrechnung verlegt wird. Dieses ist
namentlich der Fall mit einer sogenannten Pagode (d. i. nach dem Sprachgebrancbe
bewährter Sinologen einem Etagenthurme) aus Eisen. Dieselbe hat 40 Fqss
Höhe und wird von Hm. Markham allem Anschein nach für ein solides Stack
erklärt, zugleich mit der Angabe, dass sie aufgestellt wurde im Jahre 2079 v. Chr.
zu Ehren der Kaiserin Min, der Frau des Kaisers Seang, dem fünften Herrscher
aus der Hi- (englisch Hea-) Dynastie, welche 2146 v. Chr. zur Regierung kam.
Obgleich Grösse und Gestalt der Querschnitte dieser merkwürdigen Pyramide lei-
der nicht angegeben sind, so dürfte man sich dieselben im Mittel doch wohl kaum
unter 25 Quadratfuss vorzustellen und mithin das Gewicht einer vor 3951 Jahren
in China aufgerichteten und daher noch um etwas früher daselbst angefertigten
Eisenmasse nicht unter 5000 Centner zu veranschlagen haben, d. h. so dass man
ihre Hersteilung aus einem Stück kaum jetzt in den Krupp^schen Giessereien über-
nehmen würde. Nehmen wir aber auch an, dass eine Zusammenfügung des Bau-
werkes aus mehreren Theilen von dem englischen Beschreiber übersehen worden
sei, so bleibt dasselbe noch immer ein Beweis für die hohe Entwickelung der asia-
tischen Eisenindustrie in Jahrzehnten, die für Europa wohl noch überall der my-
thischen Steinzeit angehörten.
Ich habe in meinen früheren Mittheilungen darauf aufmerksam gemacht, (hss
die Darstellung des zu Schlagfeuerzeugen nöthigen Stahles zum mindesten ebeuo
alt sein müsse, als die geographische Benutzung des Erdmagnetismus durch den
Compas, weil, in beiden Fällen gleichmässig, das elastisch harte Eisencarburet durch
keine andere Substanz zu vertreten war. Hr. Markham erklärt nun auch in Be-
zug auf diesen Beweis für das hohe Alter der chinesischen Stahlprodaction, von
den dreien darüber vorhandenen Annahmen die des ältesten Zeitpunktes für be-
gründet. Er hält für ausgemacht, dass der mit einem Compas an seiner Deichsel
versehene Reise- und Rriegswagen um 1122 v. Chr. (oder vor sehr nahe 3000 Jah-
ren) von dem ersten Kaiser der Tscho-Dynastie zum ersten Mal benutzt und von
dessen höchst talentvollem Bruder, dem Kung-Jeh oder Herzog Tscho (englisch
Duke Chow) erfunden wurde.
(181)
Sitzang am 13. April 1872.
Vorsitzender JBerr Virohow.
Von den correspondirenden Mitgliedern, den Herren Galori, B. Davis, Gas-
tal di, Graf Uwaroff, Cap ellin i sind Dankschreiben eingegangen. Der Vor-
sitzende gedenkt in anerkennenden Worten des kürzlich verstorbenen correspon-
direnden Mitgliedes, Prof. Spring in Lüttich.
Das vorläufige Programm zu der nächsten in Stuttgart zusammentretenden
Generalversammlung der deutschen anthropologischen Gesellschaft (8. — 12. August)
wird mitgetheiit. —
(1) Herr v. Erxleben zeigt ein Sichelmesser von Bronze und ein, etwa 1 Puss
langes, an beiden Enden zugespitztes, in der Mitte etwa V, Zoll starkes Geräth
aus Hirschhorn, welches im Ganzen rundliche Form besitzt, jedoch an einer Seite
eine läugslaufende Rinne besitzt. Beide sind bei Bandow im Torfmoor gefunden. —
(2) Herr Dr. ▼. Bunan in Golberg hat einen mit eigenthnmlichen Abschliffen
versehenen Knochen eingesendet, der am Ostseestrande unter Seetang, wie er ge-
wöhnlich nach Nordweststürmen mit Bernstein ausgeworfen wird, gefunden wurde.
Es ist der Unke Metatarsalknöchen eines Rindes, sehr schwer und von jener dun-
kelbrannen Farbe, wie sie gewöhnlich Torf knochen darbieten. An der vorderen
Fläche, dicht über den Gelenkhöckern, findet sich eine 2,5 Cent hohe, querüber
laufende, sehr gleichmässig ausgerundete Vertiefung, welche bis in die Spongiosa
reicht; zwei andere kleinere und die Knochenrinde nicht ganz durchdringende
quere Aushöhlungen liegen an derselben Fläche, die eine dicht unter der Mitte,
die andere 3 Gent unter dem oberen Ende. Eine vierte findet sich an der hinte-
ren Fläche, ein wenig tiefer, als die zuletzt erwähnte; an diese schliessen sich
ganz dicht noch zwei andere laterale an, so dass man bequem 3 Finger neben-
einander in dieselben legen kann. Alle drei durchdringen die Rinde nicht und
sind, wie die 2 oberen an der vorderen Fläche, sehr glatt, wie polirt. Nur bemerkt
man an ihnen feine Parallelstreifen in der Richtung von oben nach unten. Mög-
licherweise sind alle diese Eindrücke durch das Reiben anliegender Steine im Mee-
resgründe hervorgebracht, indess lässt sich ein sicheres Urtheil darüber nicht ab-
geben. —
(3) Herr Walter Kanfltaiann äussert in einem Schreiben aus Middelsbro in
England seine Zweifel an der von Dr. Marschall (Sitzung vom 15. Juli 1871)
ausgesprochenen Ansicht über
die Herkunft der Liebenthaler Ctodehtsome.
^Ich möchte bezweifeln, dass diese Urne etrurischen Ursprunges ist, denn bei
(182)
allen Fanden, welche ich bis jetzt in ganz Westprenssen gemacht habe, habe ich
nicht die geringste Andeatnng einer etrnrischen Arbeit oder gar Golonie gefunden,
sondern im Gegentheil viel mehr Zierrathe auf and an Dmen, welche auf einen
phönizischen oder wenigstens orientalischen Ursprung deuten. So ist es s. B. bei
meiner Sch&fereier Gesichtsame sehr merkwürdig, dass dieselben Ornamente , die-
selben Schmuckgegenstände, sowie dieselbe Form sich bei zwei anderen Gresichta-
amen vorfinden, welche aus Aegypten in das Museum von Leyden hernbergebracht
wurden, und von deren Existenz ich von Hm. Dr. Mannhardt erfuhr'). Das
Hauptmerkmal dieser Urne, die beiden Arme mit den Einritzungen befinden sich
auch auf den Leydener Urnen, und sollen die Ketten, welche die beiden Ohren
mit einander verbinden, wohl erhalten sein. Dann sind auch die blauen, farbigen
Glasperlen an den Ohrgehängen, namentlich die Cypraea moneta, an der Stangen-
walder Urne, sowie die palmenartigen Einritzungen auf dem Deckel meiner
Pempauer Urne höchst eigenthümliche Erscheinungen, welche^ unwillkürlich auf
einen orientalischen Ursprung hindeuten. In allen Gräbem nnd deren Umgebung,
welche ich bisher aufgedeckt habe (ca. 60 an der Zahl), habe ich keine einzige
römische Münze oder irgend einen Schmuck- oder Waffengegenstand gefunden, der
auf römischen Ursprung schliessen lassen könnte. Ueberhanpt sind Funde römi-
scher Münzen nnd Waffen sehr selten bei uns!** —
(4) Herr Virchow macht weitere Mittheilungen über die in der Sitzung vom
9. März erwähnten
KllehenabfUle In der Dorotheenstrasse m Berlin.
Die weiteren Senkungen von Brunnenkesseln haben noch zahlreiche, den frü-
heren ähnliche Funde ergeben, unter denen manche sonderbaren Glas-, Thon- nnd
Fayencestücke die Richtigkeit der Annahme, dass es sich um Ueberreste ans dem
vorigen Jahrhundert handelt, bestätigt haben. Unter den thierischen Ueberresten
haben ausser grossen Fischwirbeln und einer grossen inländischen Schildkröten-
schale mit noch ansitzenden Skeletknochen namentlich die Gonchylien zu weiteren
Nachforschungen Veranlassung gegeben.
Herr Dr. v. Märten s sagt darüber Folgendes:
„Sie weichen in keiner Weise, weder als Arten oder Varietäten, noch in ihrer
Erhaltung von noch jetzt lebenden ab. Es sind
Ostrea edulis L. in mehreren Formen, wovon einige der zuweilen für eine
eigene Art gehaltenen 0. hippopns Lam. entsprechen,
Mytilus edulis L.,
Helix pomatia L.
Die letztgenannte ist ziemlich klein und gleicht hierin recht gut solchen, die
in der Mark Brandenburg noch jetzt vorkommen; ich habe z. B. früher bei Weis-
sensee dergleichen lebend gesammelt. Ihr Vorkommen setzt dem Funde nur inso-
weit eine Zeitgrenze nach rückwärts, als diese Art wahrscheinlich in Norddeutsch-
land durch die Mönche, denen sie als Fastenspeise diente, verbreitet wurde (vergl.
Fri edel, über die ethnol. Beziehungen der Landschnecke, Zeitschr. f. Ethnologie,
Bd. L 1869). Ostrea edulis und Mytilus edulis leben sowohl im Mittelmeer als in
der Nordsee. Die Austern und namentlich die auf ihnen angesiedelten zahlreichen
Wurmröhren, Serpula triquetra L., erinnern mich sehr an solche von Helgoland
und Portsmouth, der Mytilus durch seine breite Gestalt mehr an die des Mittel-
meers und adriatischen Meers, als an die durchschnittlich etwas schmaleren der
0 Vergl. Sitzung vom 14. Januar 1S71,
(183)
Nordsee. Doch wechseln heide, Ansier und Bliesmnschel, so sehr nach den nähe-
ren Eigenschaften der Fandorte, dass ich mir nicht getraue, an der Schale die
Herkunft aus dem einen oder andern der genannten Meere bestimmt zu erkennen.
In der Ostsee kommt seit Menschengedenken die Auster gar nicht, die Miesmuschel
meist beträchtlich kleiner und dünnschaliger vor.
^Alle drei genannten Conchylien-Arten werden in verschiedenen Gegenden
Europas gerne von den Menschen gegessen, Helix pomatia hauptsächlich in den
katholischen Ländern Süddeutschlands als Fastenspeise. Da daneben keine ande-
ren, nicht als Speise beliebten Conchylien-Arten vorliegen, so ist es wahrschein-
lich, dass diese IJeberreste einer Mahlzeit sind, und unter dieser Voraussetzung
erhalten wir eine zweite engere Zeitgrenze nach rückwärts, nehmlich den Beginn
derjenigen Ausbildung der Verkehrswege, welche erlaubte, Austern frisch von der
Nordsee nach Berlin zu bringen. Diesen Zeitpunkt näher fjBStzustellen, müsste man
die Geschichte fürstlicher Diners u. dgl. näher verfolgen; ich kann nur sagen, dass
bei gehöliger Vorsicht Austern mehrere Tage lebend bleiben können.^
Den von Hrn. v. Märten s geäusserten Wunsch, weitere Nachforschungen über
die fürstlichen Mahlzeiten früherer Zeit veranstaltet zu sehen, hat inzwischen mein
Sohn Hans erfüllt, indem er auf meine Veranlassung unter gütiger Unterstützung
des Hrn. Archivar Martins die im Königlichen Hausarchiv vorhandenen Eüchen-
recbnungen durchgesehen hat. Seine Ergebnisse sind folgende:
,,In Wesel. 1702.
Sonntag, 4. Juni Mittags.
gefüllte Muscheln
gefüllte Krebse.
Freitag 26. May. So diese Woche über ausser den Tagezetteln ist ausgegeben;
darunter :
3800 8t Gestern.
Freitag 21. April. Ausser den Tage-Zetteln:
1 Tonne Muscheln.
In Lützenburg
bei der Königin Hofhaltung. 1702.
Hier wie bei den vorigen nie Angabe des Preises.
Sonntag 16. Getober an Ihro Maj. der Königin Tafel im andern Gang
(nicht an der ,, Frauenzimmer Taffell^)
gekochte Muscheln.
Denselben Tag Abends an der Königin Tafel
eingeschoben: gebr. Oesters.
Sonntag 15. Getober Mittags im andern Gang
gebrahtene Oesters
und eingeschoben
rohe Gesters;
Abends eingeschoben
gebr. Gesters.
Sonntag (29. oder) 30. Getober, für die Woche bezahlt:
2 Fass (fp) und 100 st. Gesters.
1 Gorb Muscheln.
In Berlin 1704.
Im Getober und den angrenzenden Monaten:
in einer Woche verbraucht über 4100 Stück Austern.
(134)
in einer andern Woche verbraucht 5305 Stock Anstem,
in einer andern über 4800 „ „
An Muscheln selten mehr als 1—4 Körbe.
^Preis nie angegeben.
„Name: Anfangs Oesters, selten Gestern. Von 1704 an in den nunmehr ge-
druckten Rubriken für den Wochenverbrauch Austern, in den geschriebenen täg-
lichen Küchenzetteln noch Oesters oder Gestern.
„Erste Einführung dem Namen nach zu schliessen aus Holland.
„Zeit der Einführung aus den Rechnungen, die nicht vor 1702 zurückgehen,
nicht zu ersehen. Nach dem starken Verbrauch zu schliessen, schon längere Zeit
vor 1700, vermuthlich durch die Beziehungen des grossen Kurfürsten zu Holland '^
So dürftig diese Nachrichten auch sind, so haben sie doch ein gewisses Inter-
esse, nicht bloss wegen der grossen Quantitäten verbrauchter Gonchylien, sondeni
auch wegen der sicheren Feststellung der Einfuhr dieser Nahrungsmittel in jener
Zeit. Namentlich scheint es kaum zweifelhaft, dass die in den Rechnungen erwähn-
ten Muscheln wirklich Miesmuscheln gewesen sind. —
(5) Herr Meitzen spricht
Aber Bildung von DSrfem und deren nationale Bedentungr*
Ich habe die Absicht, Ihnen einen üeberblick über die Art der Anlage der Dor-
fer in Deutschland und die nationale Bedeutung dieser Anlagen zu geben.
Dass die Form der Dörfer und die Geschichte der Bildung derselben ein wesent-
lich ethnologisches Interesse hat, dafür glaube ich leicht Ihre Anerkennung gewinnen
zu können. Allerdings handelt es sich dabei nicht, wie bei den Gräberfunden oder
Pfiahlbauten, um ein unmittelbares Zeugniss früher bestandener, neu zu entdeckender
Verhältnisse; auch ist nicht möglich, die einzelnen Reste der Vorzeit mit ganzer Be-
stimmtheit vorzuführen. Vielmehr haben wir eine lebende Grestaltung und einen Or-
ganismus vor uns, der zunächst der Gegenwart genügen muss. Aber wir wiBseo,
ähnlich wie bei der Sprache, dass derselbe seine Grundlagen unter frühen, sehr ar-
sprünglichen Beziehungen gewonnen hat, imd dass er bemerkenswerthe Züge dieses
Ursprunges in sich bewahrt, für deren Art und Entwickelung es nur darauf ankonun^
unser Auge zu schärfen.
In der That wandeln wir in jedem Dorfe gewissermassen unter Ruinen der Not-
zeit, und zwar unter Ruinen, die an Alter die romantischen Trümmer der Burgen
und Stadtmauern in der Regel weit hinter sich zurücklassen. Wenn Sie mich fin-
gen, worin diese eigenthümlichen Reste bestehen, so liegen sie in der Anordnung
der Wohnplätze und Besitzungen gegeneinander, in den Zäunen und Abgrenzungen
der einzelnen Güter und Gehöfte, in der Stellung der Häuser und ihrem Verhäitniss
zu Hof und Garten, in den Wegen, die zwischen denselben hindurchführen und sie
zugänglich machen, in der Form der gemeinschaftlichen Plätze, der Bewehrung des
Ganzen nach aussen, der mehr oder weniger regelmässigen Gestalt der Doif läge, der
Beziehung der Gehöfte zu den Besitzstücken, gewissen Besonderheiten in der Ge-
sammt-Eintheilung der Feldflur, und Aehnlichem mehr.
Von allen solchen Hauptzügen, aus denen sich das Bild einer Doifanlage zu-
sammensetzt, ist, wie sich nicht läugnen lässt, keiner, der nicht im einzelnen Falle
leicht der Veränderung zu unterliegen vermöchte. Zäune und Grenzen können ver-
rückt, Gehöfte getheilt, Gebäude an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Aber
die Fälle, in denen auf solche Weise eine durchgreifende Umgestaltung herbeigefunrt
oder der Charakter des Ganzen verwischt werden könnte, bleiben durchaus auBnahniB-
weise. Alle grösseren Ereignisse, Niederbrennen des ganzen Dorfes, Verwüstung
durch £[rieg, Ueberschwenunung, an die man dabei denken köimte, fuhren im G^g^'
(135)
theil zunächst immer nur sn dem Alles überwiegenden Bedfirfioisse der Betroffenen
sich sobald als möglich in der zerstörten Habe wieder einzurichten, und den drän-
genden Anforderungen im Kreisläufe der Wirthschafi zu genügen. Unter solchen
Yerhfiltnissen ist am wenigsten Zeit und Neigung, an etwas Anderes als die Wieder-
hersteUung des Alten zu denken. Auch sonst aber gehört es zu den grössten ün-
Wahrscheinlichkeiten, in einer Dorljgemeinde durch Uebereinstimmung Aller oder Vie-
ler wesentliche Umänderungen des Bestehenden zu erzielen. Die zwingenden Grande
fehlen. Ueberhaupt bleibt ja unzweifelhaft die Yerschiedenheit, die auf dem Lande
in den Bedürfnissen des wirthschaftlichen und häuslichen Lebens im Laufe eines
halben und selbst eines ganzen Jahrtausends eingetreten ist, gegen den Wechsel in
anderen LebenskreiBen sehr erheblich zurück.
Es lässt sich also bei näherer £rwägung nur an absichtliche Einwirkungen einer
durch Gresetz und Polizei reformirenden Staatsgewalt» oder an das grosse geschicht-
liche Ereigniss einer neuen Yolkszuwanderung, an das Auftreten einer durchaus ?er-
änderten Yolksthümlichkeit denken, wenn man eine durchgreifende Erneuerung, eine
bis zur Unkenntlichkeit einwirkende Yertilgung der früheren Art der Ansiedelung in
ganzen Landschaften und Länderstrecken voraussetzen will.
Ob solche Eingriffe überhaupt in Betracht kommen, und worin im Genaueren
das Charakteristische der Erscheinung der Dorfanlagen eines Landstriches besteht,
ob sich darin einer bestimmten Nation angehörige Züge nachweisen lassen, darüber
kann allerdings nicht leicht durch vorübergehende und vereinzelte Anschauungen des
Touristen ein genügendes Urtheil gewonnen werden. Es bleibt dafür die fast er-
schöpfende Yergleichung einer sehr grossen Zahl der örtlich vorhandenen Dorfanla-
gen und eine eingehende Kenntniss der dieses Gebiet berührenden Gesetzgebung und
Landesgeschichte Yorbedingung. Deshalb muss die Bearbeitung solcher Fragen we-
nigstens ihren Ausgangspunkt auf dem vaterländischen Boden und aus allen Mitteln
an Flor- und Specialkarten, Urkunden und Akten, die dieser bietet, nehmen, und
es bedarf keiner Rechtfertigung, wenn ich hier zunächst nur von den Dörfern in
Mittel- und Norddeutschland spreche. Gewiss aber wäre es sehr erwünscht, wenn
sich dazu mehr und mehr Analogien mit Dorfanlagen fremder Yolksstämme und Yer-
gleichspunkte aus der Anschauung entfernter Erdtheile auffinden Hessen.
Auch unter dem nationalen Gesichtspunkte kann übrigens für die vorliegende
Betrachtung schwerlich irgendwo ein günstigerer Boden gefunden werden, als in un-
serem Yaterlande, und zwar nicht allein wegen der specielleren Kenntniss, die wir
von ihm besitzen, sondern weil hier in historischer Zeit unter Umständen, die wir
durch Urkunden ganz genau zu verifioiren vermögen, zwei sehr bestimmt zu unter-
scheidende Nationalitäten sich übereinander geschoben haben. Ln nördlichen Deutsch-
land ist es ohne wesentüche Zweifel möglich, die Wohnplätze der Deutschen sowohl
ab der Slaven in ihrer ursprünglichen und volksthümlichen Gestalt zu erkennen und
den Einfluss zu beobachten, den die wieder vordringenden Deutschen auf die Besie-
delung der Slavenländer geübt haben.
Die Arbeiten, die sich mit den Dörfern Deutschlands beschäftigt haben, sind
ziemlich umfEmgreich, und haben unsere Anschauungen bereits zu einem thatsächlich
wohlbegründeten Gebäude auszubilden vermocht. Schon Justus Moser und Schwerz
haben ihre Aufmerksamkeit darauf gewandt, Olufsen und G. Haussen haben dafür
feste Grundlagen gewonnen. Allgemein bekannt aber sind sie durch A. v. Haxt-
hausen's russische Studien geworden. Die an seine Anschauungen geknüpften Ideen
wurden noch kürzlich und schon öfter von patriotischen Russen für das Unglück
ihres Yaterlaodes erklärt Die nähere Begründung wurde hier zu weit führen, es
genügt die Erwähnung, um die ethnologische Tragweite solcher Untersuchungen zu
bezeichnen.
036)
Der erste, der durch genaue Darstelloiig aus Specialkarten die Art der Besiede-
lung eines Landstriches im Zusammenhange nach ihren verschiedenen Formen ge-
schildert und durch bildliche Darstellung erläutert hat, war Victor Jacobi in den
in der Leipziger illustrirten Zeitung erschienenen Forschungen über das Agrarwesen
des Altenburgischen Osterlandes. £r hat sie in den Studien über Slaven- und Teutsch-
thum fortgesetzt. Ebenso hat sich G. Landau in den „Territorien^ und im Goirespon-
denzblatt des deutschen Geschichtsvereines eingehend damit beschäftigt; auch die Fest-
schrift zur S&cularfeier der Egl. landwirthschaftl. Gesellschaft zu Gelle ist zu nennen.
Ich selbst bin in Schlesien in besonders günstiger Lage gewesen, diese Untersuchun-
gen weiter zu fuhren, weil dort ein ungewöhnlich reicher Drkundenschatz es gestattet,
die Dorfgeschichte in zahlreichen Beispielen mit Sicherheit von der Gregenwart rück-
wärts bis zur ersten Einrichtung der deutschen Colonisten zu verfolgen.')
Das Ergebniss muss ich mich heut beschränken, in einer nur ganz allgemeiaeo
Skizze zusammenzufassen. Vielleicht findet sich Veranlassung, gelegentlich einzelne
Punkte genauer auszuführen.
Wo wir deutsche Dörfer zu suchen haben, kann, wenn wir in die Vorgeschichte
zurückgehen, keinem Zweifel unterliegen. Tacitus erklärt, dass das gesammte heu-
tige Deutschland bis jenseits der Weichsel zu seiner Zeit von deutschen Stammen
eingenommen gewesen sei. Erst für die Landstriche des heutigen Polen und Ungarn
deutet er auf fremde Nationalitäten, welche wenigstens theilweise ab Slaven beglau-
bigt scheinen. Die Völkerwanderung zeigt, dass sich aus dem Nordosten Deutsch-
lands sehr zahlreiche deutsche Schaaren nach Süden und Südwesten ergossen. Grosse
Theile deutschen Bodens aber blieben von dieser Bewegung im Wesentlichen unbe-
rührt Mit Bestimmtheit lässt sich dies von den Landstrieben sagen, welche im
Westen einer Linie, vom Harz über das Eichsfeld zur Lahn bis in die Nähe des
Rheins laufend, liegen. Selbst bis an die Nordseeküste hin sind hier nur einzebe
Schaaren fortgezogen, neue Zuwanderer aber nirgends aufgetreten. Hier also haben
wir es bis auf eine uns Töllig unbekannte Zeit zurück mit ausschliesslich deutscher
Volkssitte zu thun.
Soweit sich nun auf diesem Gebiete geschlossen zusanmienliegende DorfiMhaften
finden, lässt sich das Charakteristische ihrer Anlage nicht verkennen. Alle diese
Ortschaften zeigen ein durchaus unregelmässiges, durcheinander gewürfeltes Zusar
menliegen der Häuser und Gehöfte. Wie das Wort Dorf, Turf, Haufen bezeichnet,
so ist auch haufenformig der geeignete Ausdruck für diese Art der Dor&nlage. £&
gelingt schlechterdings nicht, dafür irgend ein Gesetz oder einen ursprünglichen Flao
aufzufinden. Abgesehen von grossen Landstrassen, die manche Orte durchschneiden,
zeigen die AuMsse ein buntes Netz von krummen und winkligen Gassen und Zu-
zügen. Obwohl die Gehöfte, wie schon Tacitus bemerkt, stets einzeln stehen, lie-
gen doch Häuser und Gartchen in keiner bestimmten Beziehung zu einander, der
Ueberblick des Ganzen lässt höchstens den Schluss zu, dass in den meist wenigstens
in Resten noch vorhandenen äusseren Bewehrungen sich zu Zeiten die anwachsende
Bevölkerung enger als ursprünglich zusaomiengedrängt und den von Anfang an ^^'
los vertheilten Raum noch unregelmässiger zerstückelt hat. Zugleich ist die Flur-
verfiassung dieser Ortschaften die alterthümlichste, die wir kennen; sie fuhrt nicht
allein durch Urkunden-Zeugniss und durch die Feldtheilung in Gewanne auf die mark-
genossenschaftlichen Besitzverhäitnisse zurück, sondern das genossenschaftliche 6e-
meineigenthum an der Flur hat sich in vielen derselben klar bis auf unsere Zeit er-
halten. Ich lege hier das Bild einer solchen Dorfgemarkung (Taf. I.) vor, in welcher
0 Die gedachte Literatur ist nachgewiesen in: .Der Boden und die landwirthschaftlicben
Yerhältoisse des preussischen Staats, Bd. I. S. 344 ff. und Cod. dipl. Silesiae, Bd. lY. S. 27 d. Buü.
(137)
gehöferscbaftliche Flur
SAARHÖLZBACH,
Kr. Merxig.
1S6I. I:S3&00.
(138)
bis in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts nicht allein Wald und Wiese, son-
dern sogar noch die Ackerstücke periodisch ausgeloost worden sind. Das Verdienst,
diese gehöferschaftlichen Alterthümer klar gestellt und in ihrer urthumlichen Bedeu-
tung nachgewiesen zu haben, gebührt G. Haussen. ^
Diese haufenformige Dorfform ist übrigens nicht auf das gedachte engere Gebiet
beschränkt. Sie erscheint auch auf dem linken Rheinufer und in allen ebenen Thei-
len Süddeutschlands als die herrschende. Mit Ausnahme weniger Enclaven in der
Gegend von Pegnitz und Bischofsheim bedeckt sie das gesammte nördliche Baien,
und wenn man einen Weg von Markt-Schorgast l&ngs dem Kamme des Frankenwald«
über Erfurt, Eisleben, Magdeburg und Lüneburg bis Stade verfolgt, gehören ihr auf
der linken, westlichen Seite dieser Linie alle Orte, mit bestimmten, gleich zu er-
wähnenden Ausnahmen von besonderem und neuerem Ursprünge, ausschliesslich an.
Man kann also mit Recht sagen, dass sich darin die deutsche Yolkssitte ausspricht
Die auf diesem Gebiete vorkommenden abweichenden Formen sind zum Theil
sehr bekannt und vielbesprochen. Es sind zunächst die Einzelhöfe Westfalens. Die«
Art des Anbaues ist dadurch charakterisirt, dass die meisten Bauernhöfe einzeln, tod
einem verwallten Baumgarten umgeben, inmitten ihrer eigenen Feldstücke und in
weiter Entfernung von den Nachbarn liegen. Diese Vereinzelung scheint schon Ta-
citus gekannt zu haben. Gleichwohl lässt sie sich nicht als ursprünglich beorthei-
len. An sich schon fordert sie eine kriegerische und polizeiliche Sicherheit, welche
erst durch vorgeschrittene Cultur erreicht werden kann. Es führen aber auch lahl-
reiche Spuren in der Lage der bestehen gebliebenen geschlossenen Gentralorte und
in den Resten einer nach und nach abgeänderten Feldgemeinschaft darauf hin, dass
hier ebenfalls ursprünglich Markgenossenschaften in dem oben bezeichneten Sinne
bestanden haben. Endlich können wir den Verlauf, wie sich die geschlossenen ür-
dörfer in Einzelhöfe aufgelöst haben, in historischer Zeit an dem Beispiel der näch-
sten Nachbarschaft in Lingen, Friesland und Holland verfolgen. Hier sind in den
tieferen Niederungen die alten Dorfanlagen auf natürlichen und künstlichen Hügehi
gemacht worden, und haben, wie uns Plinius erzählt, bei Hochfluthen wie hs^
im Wasser gelegen. Nachdem aber seit den Zeiten der Karolinger die Seedeicfe
mehr und mehr Schutz gewährten, sind die geschlossenen Orte verlassen worden, ond
die Namen der als Einzelhöfe über das Land verbreiteten Besitzungen führen oock
hier und da auf die zuiiickgebliebene Lücke in dem Häuserhaufen der Warf zurück.
Gegenwärtig erstreckt sich das Gebiet der Einzelhöfe westlich einer Linie, die
von den Wesermarschen aus die Weser aufwärts bis Rinteln führt, von da iibtf
Lemgo und Lippspringe zur Lippe läuft, diese bis Hamm begleitet und von hier flieh
südlich über Kamen, Plettenburg, Altendom und Olpe, dann aber westlich über
Drolshagen bis gegen Siegburg und Mühlheim zum rechten Ufer des Rheins wendet
Den Rhein überschreitet sie etwa bei Neuss und zieht sich über Erkelenz und Heins-
berg zur Maas. In der Umgegend voü Aachen zwischen Herzogenrath und Eopen
haben die Einzelhöfe noch ein kleines abgesondertes Verbreitungsgebiet Besonders
beachtenswerth aber ist, dass sich dieselben nicht allein in England wiederfinden,
sondern dass auch das äusserste Ostpreussen, die Kreise Memel, Heydekrug und Nie-
derung von ihnen eingenommen sind. Dies weist wie manche volksthümliche Sitte^
z. B. in der Nahrung, Pumpernickel, Schinken, graue Erbsen, Pfannenkuchen, auf die
wesentlich von Westfalen aus erfolgte deutsche Besiedelung Memels und seine Zu-
gehörigkeit zum westfälischen Hansadistricte hin.
Die zweite auf deutschem Boden aus der Markgenossenschaft entwickelte abwei-
') Vergl. Meitzen, Der Boden etc., Bd. I. S. 353 ff. Die Qehöferachaften, 1863.
(139)
chende Dorfform hat weniger Bedeutung für das engere deutsche Gebiet, als für die
Besiedelang der Slavenländer erlangt.
Die deutschen Markgenossen hatten alle gleiche oder verhältnissmässige Anrechte
an ihrer Flur, sie theilten deshalb auch jedes in Cultur genommene Grundstück nur
nach Verhältniss dieser Anrechte. Daraus entstanden die zahlreichen, streifenförmig
zerschnittenen Gewanne, wie sie das Bild von Saarhölzbach zeigt. Dabei galt der
Satz, dass die persönliche Freiheit oder Unfreiheit des Genossen keinen Einfluss auf
sein genossenschaftliches Anrecht hatte. Sehr froh aber finden sich schon Ausschei-
dungen Yon Sondereigen, namentlich an Waldungen von beträchtlichem Umfange, in
deren Besitz Grosse und Fürsten treten. Auch nahmen schon die Karolinger grosse
Waldstrecken als kaiserliche Bannforsten in Anspruch und thaten sie nach und nach
an ihre Beamten zu Lehn aus. Mit den Rohdungen in solchen Waldstrecken werden
uns zuerst im Fuldaischen die Anlagen der Mansi regales oder fiilnkischen Hufen
etwa seit den fränkischen Kaisern bekannt. Es sind dies Colonien, welche nicht in
Gemenglage, sondern so angelegt werden, dass jeder Colonist sein Land in einem
grossen, geschlossenen Streifen erhält, der sich von einer Grenze der Flur bis zur
andern möglichst parallel Nachbar neben Nachbar hinzieht. Das Gehöft baut jeder
Besitzer auf seinem eigenen Streifen an einen alle durchschneidenden Bach oder
Thalweg, so dass sie eine oft meilenlange, weitläufige Strasse bilden. Wo diese An-
lagen im bergigen Terrain gemacht sind, ziehen sich die Hufenstreifen vom Thal aus
zu beiden Seiten in solchen Windungen die Abhänge hinan, dass jeder Besitzer auf
seinem Streifen einen fahrbaren, nicht allzu steilen Weg zu ebnen vermag. Die
Steine des Rodelandes sind überall ^uf die Grenzen zusammengetragen, so dass sie
auf diesen als hohe unvertilgbare Dämme liegen, welche für alle Zeit erkennbar den
Charakter dieser Colonisation bezeugen. Das Bild einer solchen Flur giebt die an-
liegende 2Leichnung von Schönbrunn (Taf. H.).
Ebenfalls mit der virga regalis gemessen, aber wegen des ebenen, überall cul-
tivirbaren Bodens in genau festgehaltenen Parallelstreifen von kleinerem Ausmaass
wurden auch die flämischen Colonien in den Marschen und Flussauen der Weser und
Elbe ausgethan. Diese Anlagen begannen seit 1106; sie bedurften der Eindämmung
und der Entwässerungsgraben längs ihrer Grenzen und haben sich dadurch ebenfalls
unverändert bis auf die Gegenwart erhalten. Sie sind an ihren Parallelstreifen auf
jeder Specialkarte, z. B. auf der Reymann'schen genügend zu erkennen. Die flämischen
Ansiedelungen wurden auch auf bereits cultivirtes oder cultivii bares Hügelland na-
mentlich durch Adolph von Holstein und Albrecht den Bären übergeführt. Hier aber
Dahmen sie mehr und mehr den Charakter der fränkischen Hufen an und unterschie-
den sich nur durch ihr kleineres Maass und ihren genaueren und engeren Parallelis-
mus, aus dem eine mehr geschlossene Form der Dorfstrasse folgte. Das anliegende
Bild von Zedlitz (Taf. HI.) zeigt unter L auf dem guten Boden die flämischen Hufen,
die Nebenräume der Flur H. — V. sind in fränkische Hufen eingetheilt.
Fränkische und flämische Colonistendörfer haben in diesen bestimmt erkennbaren
Formen und überall durch Urkunden beglaubigt im Laufe des 13. und 14. Jahrhun-
derts die leeren Räume der Slavenländer, die von slaviscben Ansiedelungen noch
nicht eingenommen waren, ausgefüllt. Während sich auf dem engeren deutschen
Gebiete die fränkischen Hufen nur auf dem Odenwalde, bei Fulda und im Osten
von Merseburg in grösserer Verbreitung finden, und die flämischen im Wesentlichen
auf die Weserauen und die Umgegend von Schulpforta beschränkt sind, ist im Slawen-
lande von der fränkischen Hufe das gesatnmte Erzgebirge, das Riesengebirge und die
Sudeten mit allen ihren Yorbergen bis zu den Karpathen hin, und ebenso erhebliche
Striche der schlesischen und pommerschen Landrücken, wo der Boden unebener war,
(IG*)
(140)
SCHÖNBRUNN.
Kt. Sagan. 1815.
6C9S preius. Horgen Fl&cbe.
H*. 1-» PoMniini (ZnaiSal»). Ha,3l-W BuMmhoTtB (r^nki^at>).
(Bai N». U. Ifi. »1. 42 DBd 4S PnUIB(a*Btb*U<.)
f^T"! OblDcr ond Hiuslsr (ia)p-li6tiB Ho. fc T. », 11).
(141)
■iDd So. 68. i% 1
M-«.1 Oni.T Uorg.) Ui BimiMhi, dli abrige flir •]■ Mu-
O. SI. 91. M. H. *i. 1«. M. ^ U. t1. S9. «6. II aad II (1M6.1
IJ lu 1* iluihan (177,4 Her») Widmulb; di< AhriKto Nunnum IG Buturfnlcr n
LB AnHill Oknn« (SeS.4 Mo^).
(142)
eingenommen. Die flämische Colonisationsform bildet compacte Massen von ähnlicher
Terbreitung über die Wische, die Priegnitz, den brandenburgischen Fläming, l|^ttel-
schlesien, einzelne Striche von Pommern und das gesammte kölmisch besiedelte Preus-
sen; diese Dorfer haben aber vielfach späteren Veränderungen in der Ackeraufthei-
lung unterlegen und sind bei ihrer mehr geschlossenen Form zum Theil nur noch
urkundlich als flämische nachweisbar. Die kölmischen Güter in Preussen sind übri-
gens in der Regel in der Weise angelegt worden, dass die einzelne Hufe oder das
einzelne Gut für alle seine Hufen einen Streifen erhielt, der quer über die ganze
Feldmark von einer Grenze zur anderen reichte. Auf der Mitte dieser unter einan-
der parallelen Hauptstreifen wurde die Dorflage so gegründet, dass die Dorfstrasse
sämmtliche Streifen rechtwinklig durchschnitt und an einer Seite der Dorfstrasse
die Bauergehofte zu liegen kamen; auf der anderen Seite der Strasse legte )eder
Bauer auf seinem Streifen ein oder mehrere Hausstellen für seine Instleute oder
Gärtner an. Diese sind zum Theil später zu selbstständigen Häusler- oder Gärtner-
stellen geworden. Neben dem parallel laufenden System der durchlaufenden Haupt-
streifefa blieb zu beiden Seiten ein erheblicher Theil der Flur zu allmählicher Erwei-
terung der Rodung übrig. Dieselbe erfolgte in der Regel so, dass darin für die köl-
mischen Hufen ein anderes in beliebiger Richtung laufendes zweites System paralle-
ler Streifr;n ausgelegt wurde von mindestens der halben Ausdehnung der älteren
Hauptstreifen (sog. Sitzstellen). Bei Durchführung der Dreifelderwirthschaft wurde
das 1. Feld durch die Hälfte der Hauptstreifen auf der einen Seite der Dorf läge,
das 2. Feld durch die andere Hälfte der Hauptstreifen auf der anderen Seite der
Dorf läge, und das 3. Feld durch jenes Nebensjstem von Streifen gebildet Der
übrige Raum der Flur ist durch Gemeindegrundstücke oder abverfiusserlen Besitz
oder durch kleinere aufgetheilte Gewanne nutzbar gemacht worden. Diese Art der
Flureintheilung ist auch in Schlesien nicht selten.
Diese Gestaltungen des haufenformig geschlossenen Dorfes, des Einzelhofes und
der fränkischen und flämischen Colonien erschöpfen im Wesentlichen die Formen, in
denen sich die deutsche Volksthümlichkeit bei der Anlage der Dörfer ausgespro-
chen hat
Werfen wir nun ihnen gegenüber unsern Blick auf die ursprünglich slayischen
Dorfanlagen, so ist zunächst daran zu erinnern, dass wir keine recht klare Vorstel-
lung von den Hergängen haben, unter denen die Slaven im Rücken der fortwandern-
den Gothen, Vandalen und Burgundionen die vorher deutschen Landstriche besetzten.
Dass vorher schon einzelne grössere Ortschaften hier bestanden, wissen wir aus der
Peutinger^ sehen Tafel; es hat sich aber kein nachweisbarer Rest erhalten. Ebenso
ist uns bekannt, dass die fortziehenden Schaaren in der Regel einen Theil des Vol-
kes als Be wahrer des heimathlichen Grundbesitzes zurückliessen. Die schlesischen
Vandalen fragen noch unter Geiserich in Karthago durch eine Gesandtschaft an, ob
die afrikanischen Vandalen ihr Land aufgeben wollten. Auf Widerspruch eines Grei-
ses wurde das verneint, und die Folge ist vielleicht der Untergang der Vertheidiger
in der Heimath gewesen. Die Volksgesetce sprechen sich ausdrücklich über die
Rechte der späteren Nachzügler aus. Nach den bisherigen Untersuchungen' Schaf-
farick^s, Zeuss^ u. A. aber scheinen die Anzeichen dahin zu deuten, dass kaum
etwas anderes als gewisse Fluss-, Berg- und wenige Ortsnamen aus deutscher Zeit
in die slavische überkommen sind. Die Orte Nimptsch, Niemeck und ähnliche wer-
den wegen ihrer slavischen Bezeichnung wohl mit Recht nur auf Ansiedelungen deut-
scher Kriegsgefangener gedeutet
531 halfen die Slaven den Franken und Sachsen das thüringische Reich zerstören,
rückten in ziemlich dichten Massen bis an die Saale vor, besiedelten auch jenseits des
048)
Frankenwaldes in den ThSlem der Regnitz und Pegnitz einige Striche, überschritten
die Elbe in der Altmark und wurden erst durch die Anstrengungen Karls des Gros-
sen von weiteren Uebergriffen über diese Grenzlinie abgehalten; das rechte Ufer der
Elbe hatten sie bis tief nach Holstein inne. Von Böhmen scheint nur das Egerland
deutsch geblieben zu sein. Auf diesem weiten Gebiete haben sich indess ihre An-
siedelungen im Wesentlichen nur über die ebenen und fruchtbaren Landstriche von
leichterem Boden erstreckt. Das Herz von Sachsen zwischen Altenburg und der
Saale, die Abhänge des Flemming bis zur Elbe, die Hohe der Altmark zwischen der
Jeetze und Tanger, die fruchtbareren Theile der Mark, ebenso Mittelschlesien, das
nördliche Böhmen, das nordöstliche Posen, das pomroersche Wendland scheinen sehr
dicht Ton ihnen besiedelt gewesen zu sein. Mittelschlesien zählte schon in slavischer
Zeit eine mindestens gleiche Zahl Ortsnamen als jetzt Zwischen diesen eng bewohn-
ten, gauartig abgeschlossenen Gebieten lagen aber weite Strecken Berg und Sumpf,
▼on ausgedehnten Waldungen bedeckt, deren ünzuganglichkeit durch Yerhaue gestei-
gert war und die jedenfalls weithin nur Einöden bildeten.
Während nun die durch das 12., 13. und 14. Jahrhundert fortdauernde deutsche
Colonisation in Berg und Wald und auf den schweren und unfruchtbaren Böden, wie
urkundlich vielfach ausgesprochen wird, von Grund aus neue Ansiedelungen schaffen
musste, lassen die Urkunden keinen Zweifel, dass die vorhandenen slavischen Wohn-
orte, namentlich alle grösseren erhalten geblieben sind, und es ist in der Regel mög-
lich nachzuweisen, dass die eingetretenen Veränderungen neben der Umgestaltung
aller Rechtsvefhältnisse äusserlich sich in der Hauptsache auf die Ackereintheilung
beschrankt haben.
Unter den schon durch die Namen kenntlichen Slavendörfem finden sich zwar
auch hier und da einige, welche man als haufenförmige bezeichnen könnte, sie sind
aber theils neuesten Ursprungs, wie Hammerwerke u. dgl., theils als zu^lige Aus-
nahmen zu erachten. Charakteristisch herrschen in dem slavischen Anbau zwei For-
men, die um so sicherer den Slaven zugeschrieben werden können, als sie auch in
Russland und Polen in gleicher Weise verbreitet sind.
Die eine ist die bekannte fächerförmige Form, wie sie die Zeichnung von Dom-
nowitz (Taf. IV.) wiedergiebt Die Mitte der Dorf läge bildet ein rundlicher, meist
nur durch eine einzige Oeffnung zu^mglicher Platz; um diesen liegen auf radial keil-
förmig eingetheilten Grartenstücken die Gehöfte. Diese Form ist in den früher slavi-
schen Theilen Sachsens, Brandenburgs und der Altmark die vorherrschende, in der
Lausitz und Böhmen häufig, in Schlesien nur vereinzelt. Sie wird deshalb mit Recht
den Sorben-Wenden zugeschrieben.
Die zweite Form ist die einer geraden Strasse, an welcher die Gehöfte zu bei-
den Seiten mit meist rechtwinklig abgetheilten und rückwärts gegen das Feld ziemlich
gleichmässig abgeschnittenen Gurtenstücken angesetzt sind. Diese Form, welche
durch das Bild von Domslau (Taf. V.) verdeutlicht wird, bedeckt herrschend den ge-
sammten Nordosten Deutschlands. Der Unterschied gegen die runde ist nicht noth-
wendig ein volksthümlicher, sondern kann auch im Besitzrecht liegen, denn in der
runden lässt sich die Zahl der Gehöfte ohne Theilung eines vorhandenen nicht erwei-
tem, bei der oblongen ist dies ohne Einschränkung möglich.
Mit beiden Formen war, wie es scheint, zu slavischer Zeit eine den Gewannen
ähnliche, aber ziemlich un regelmässige und lückenhafte Benutzung der Flur verbun-
den. Die Deutschen stellten daraus grosse unveränderliche Gewanne her. Zum Theil
geschah dies in der Weise, dass zuerst fränkische oder flämische Hufen an die alten
slavischen Hausstellen angemessen, und nachdem diese durch die Arbeit eines Jahr-
hunderts cultivirt waren, mehr oder weniger zwangsweise in Gewanne umgelegt wur-
(144)
DOMNOWITZ
Cr: Trebnifi
(145)
DOMSIAÜ
OcumalUeba 33M^ Horg. pr., Iltgt nskoii leU UM in U Hgho, dnon ISIS: Dsmlnlnm fi| l Fnlgat (lor
I6«0 !. DoulDlam) 9): W- Wldmotli 1; S. BrtiicbDiUHl T; b — d IS BineragöUr 311. Om»in L U End III ilnil
«u eT*W, IV. T. VI. dM imlU, VU. VIII. IX und X du dritte Pald. 1J06 ligw naeb UiiUr (. di4 iDg«hSil«<n
101 Batta Ib <ta*r luiUDmiibugaDileii Flichi.
(146)
den. Auf deo westJicheo AbhaDgen des sächsischen Erzgebirges und in den Thälem,
die sich in Böhmen nach der sogenannten goldenen Ruthe, dem oberen Elbthal im
Koniggratzer Kreise, öffnen, finden sich noch gegenwärtig auch solche Dorfer mit fran-
kischen Hufen, deren Plan ein stern- oder kometenartiges Bild ergiebt Die flämischen
Hufen sind seltener nach völlig durchgeführter Culturarbeit der späteren Umwände-
lung in Gewanne entgangen. Auf die Land- und Zinsspeculationen, auf denen diese
ümwandelungen beruhten, hier näher einzugehen, muss ich mir versagen.
Jedenfalls aber ergiebt sich für den nationalen Gesichtspunkt der Frage, dass
bei der deutschen Colonisation der Slavenländer der alte Bestand der Dorfanlage und
die wirthschaftlichen Tortheile, die die Erhaltung und BesiJ;znahme desselben bot,
stärker gewesen sind, als die nationale Sitte und Gewohnheit, eine beachtenswerthe
Erscheinung, die sich auch unter anderen Verhältnissen ähnlich geltend gemacht
haben dürfte. —
Herr Virchow bestätigt, dass die Lippe in Westfalen eine erkennbare Scheide
in Beziehung auf die Anlage der ländlichen Wohnungen bietet. An ihrem linken
Ufer seien die Einzelhöfe überwiegend. Vielleicht entspreche dies alten Stammes-
eigenthümlichkeiten , da einst auf dem linken Ufer die Sigambrer, auf dem rechten
die Brukterer wohnten und darnach später das linke Ufer zum Erzbisthum Cöln,
das rechte zum Bisthum Münster gehörte. Es sei gewiss auffallend, dass die megi-
lithischen Monumente, wie sie von Hannover an durch Osnabrück und das Münster-
land bis nach Holland verfolgt werden könnten, sich auf dem HeUwege südlich der
Lippe nicht mehr fänden. Die südlichsten seien seines Wissens die grossea Stein-
denkmale an der oberen Lippe südlich von Beckum, da, wo nach der Annahme des
Hrn. Essellen die Varus-s Schlacht geschlagen sei. Er habe dieses Feld erst Tor
zwei Tagen unter Leitung des Hm. Ess eilen besucht und das noch zum Theil er-
haltene „Hünengrab" am Fusse des Hermannsberges gesehen. Der Besitzer eines
jener ehrwürdigen Höfe, der Westerschulte genannt, habe noch eine Kette durch-
bohrter Zähne aus einem dieser Gräber. Mächtige erratische Blöcke bilden die Um-
fassung und Decke des freilich zum Theil zerstörten und ausgeräumten Dolmen.
Herr Fälligen erwähnt, dass nach einer alten Tradition die Gegend um Nimtsch
von den Deutschen im Besitz gehalten sei und dass der Name sich daher erkläre.
Herr Meitzen bemerkt gegen Hm. Virchow, dass ihm auch südlich von der
Lippe uralte Dorfanlagen bekannt seien. Dass die grossen Steindenkmäler sich wei-
ter südlich nicht finden, erkläre sich wohl daraus, dass die südliche Grenze der nor-
dischen Geschiebe in jene Gegend falle und daher das Material zu Steinbauten nicht
mehr so giinstig vorgelegen habe.
Herr Virchow erwidert, dass ihm erst kürzlich in Hameln mitgetheilt sei, dass
noch südlich von da im Weser -Thal nordische Geschiebe vorkämen, und dass ein
grosser Block unmittelbar oberhalb Werden am Isenberge nicht weit von der dort
stattfindenden Biegung der Ruhr liegen solle. Die nordischen Fluthen hätten in der
Richtung von Osnabrück einen Pass durch den Teutoburger Wald gefunden. —
(6) Herr Dr. Gustav Hirschfeld sendet mit folgendem Briefe aus Athen
altgriechische Schädel*
1. „Am 27. März (8. April) 1871 wurde in der neuen Pirilusstrasse in Athen
gegenüber dem Orphanotrophion (s. über den Fund Archäol. Ztg. 1871. S. 51 1) eine
(147)
Stele gefundeo an ihrer ursprünglichen Stelle und mit der Front nach Westen. Sie
ist von penteiischem Stein, ungefähr 1,10 hoch (ohne die zerbrochene Palmette). Auf
derselben :
onh:Simo:S A^eHAßN
TATKEPA
Bärtiger Mann, einer sitzen- Mädchen stehend,
stehend, reicht die Hand den Frau.
Knabe am Knie der Frau stehend,
anscheinend einen Vogel haltend.
Das Relief ist von geringer Arbeit.
Glykera ist wohl die Gestorbene. Ihr im Ganzen erhaltenes Skelet fond sich in
dem dazu gehörigen Grabe, das aus grossen Steinen (1,B0 lang, 0,65 breit, 0,40 hoch)
zusammengesetzt war. Darin befanden sich zwei kleine Gefasse, schwarz mit rothen
Palmetten.
Die Inschrift aus der makedonischen Zeit; dieselbe jetzt auch veröffentlicht bei
'Sre^avog A. Kov/aävou^*IS. 'Attoc^? enr/pct^tti hrnj jULßioty h 'A<3*jv«t5 1871 unter
No. 3228 ß . Dieser giebt durch ein beigesetztes %p. (= y^vifjMrei) an, dass auch Far-
benreste an dem Relief zu sehen gewesen seien.
Später ist die Stele wieder mit Erde überschüttet und so unsichtbar geworden,
wie es heisst, nur vorläufig.^
2. ,,Schädel, gefunden den 17. Mai 1871. Nachgrabung des Palaeologos und der
Erneris, gegenüber dem Orphanotrophion in der neuen Pirausstrasse (zur Seite des
Ludwigplatzes), in einem Grabe, 3,50 unter dem jetzigen Boden. Das Grab von W.
nach 0. orientirt, 2,50 lang, 0,90 hoch, 0,60 breit, zu Raupten im rechten Winkel
ein anderes Grab, 2,00 lang, darin Verbrannter. In dem Grabe etwa 30 Gefösse
ältesten Stils (s. Conze), eine Fibula aus Silber, zwei Ringe von Gold, Goldplättchen,
eherne Gregenstande. Nichts von Schrift.^
„Die Gattung von Vasen, die in diesem Grabe gefunden worden, ist als eine
besondere gleichsam erst entdeckt worden durch A. Conze: Zur Geschichte der An-
fange griechischer Kunst, Wien 1870, mit 11 Tafeln (aus dem Februarheft des Jahr-
ganges 1870 der Sitzungsberichte der philos.-histor. Glasse der Wiener Akademie).
Conze und nach ihm Brunn heben es noch als ein wichtiges Merkmal dieser Ge-
fasse hervor, dass sie mit keinen menschlichen Figuren verziert sind. Seitdem sind
sehr menschenreiche Darstellungen auf colossalen G^fässfragmenten und einem zum
Theil erhaltenen (1,20 hoch) im vorigen Jahr in Athen ausgegraben worden. Ich bin
im Besitz von Zeichnungen und Durchzeichnungen des grösseren Theiles solcher er-
fasse, welche mir in Athen vorgekommen sind; ihre Zahl ist sehr gross. *^
Herr Virohow giebt folgende Beschreibung der übersendeten Gebeine:
1) Das Skelet der Glykera ist nicht vollständig, jedoch sind die wesentlichsten
Theile, namentlich der Schädel, das Becken und die langen Röhrenknochen vollstän-
dig und ziendich gut erhalten. Am Schädel ist der hintere Theil des rechten Seiten-
wandbeins verletzt und der Unterkiefer links gebrochen. Die meisten Knochen sind
noch von kalkig-thonigen Blättern und Bröckeln bedeckt, die sich jedoch leicht lösen
lassen. Nach der Reinigung erscheint die Oberfläche der Knochen an vielen Stellen
bräunlich grau und ziemlich glatt; sie sind durchweg sehr leicht und kleben stark
an der Zunge.
(148)
Auch ohne die Inschrift würde es kanm zweifeih&ft sein, dus es sich nm ein
weiblicbea Skelet handelt. Die grosse Zartheit aller Kaocben, die schwachen Muskel-
ADBätze, die feinen und lierlichen Formen, namentlich auch am Schädel, die geringe
Ausbildung der Schädelhöhle gegenüber der Weite des Beckens sind auffallend genug.
Letzteres misst in dem geraden Durcbmesser vom Protnontorium bis zum unteren
Rande der Symph^ia pubis 117, im grnasten Querdurchmesser I3U, im schrägeo
Durchmesser 120 Mm. Ungemein breit ist das Kreuzbein: dasselbe misst im Quer-
durchmesser Ton einer Sjnchondrosis sacroilioca bis zur anderen 1 1 4 Hm. Die Darm-
beinschaufeln sind Kiemlich schräg nach aussen ausgelegt und niedrig; der Scham-
bogen ist leicht spitzwinklig, jedoch nicht so spitx, dass der ßeckeuausgaog dadurch
beeinträchtigt wird. Die Sitzbeine sind von geringer Höhe, ihre Höcker mehr nach
hinten gewendet.
Es ist ferner klar, dass die Knochen von einer alten Frau stammen. Die Zähne
sind stark abgenutzt; die sämmtlichen Nähte des Schädeldaches zeigen in der Mittel-
linie eine beginnende Synostose; auch die Alae temporales des Keilbeins sind mehr
oder weniger mit dem Stirnbein Terwachsen. Es finden sich ferner leichte raohe
Osteophyte auf der Enorpelfläche des ersten Kreuzbein wirbeis und mehrerer Rücken-
wirbel, sowie an der Scbamfuge.
Es ist endlich zu ermahnen, doss alle Theile des Skelets in hohem Maasse gra-
cil sind. Abgesehen von dem Schädel, dessen Verhältnisse noch genauer dargelegt
werden sollen, zeigt sich dies besonders an den langen Röhrenknochen. Von diesen
bieten überdies diejenigen der Onterextremitäten leicht abweichende Formen. Die
Knochen der Oberachenkel sind sehr stark nach vorn ausgebogen, die KSpfe der-
selben weit nach vorn gestellt, die Condylen mehr nach rBckwärts gedieht und
die inneren sehr tief stehend. Die grösste Länge der Schenkelknochen beträgt 4^,
die Entfernung von der Spitze des grossen Trochanter bis zur KniegeleokflSche 410
Uillim Auch die Tibiue sind durch eine starke seitliche Gompression der oberen
Abschnitt« ihrer Diaphysen uusgezeichnet , während sie im Uebrigen ganz gerade
sind; ihre grösste Länge (einschliesslich des Knöchels) beträgt 350, von der Hitte
des vorderen Randes der Kniefläche bis zum Bande des Sprunggelenkes 337 Millim.
Die Oberarmbeine sind von ungleicher Länge, indem das rechte, stärker entvrickcltt
2!)l), das linke 2^ Mm. misst. Ihre Drehung ist sehr stark.
Der Schädel (Fig. 1.2), welcher eine CapacitStvon nur 1150 Ccm besitzt, ist aus-
gezeichnet doUchocephal und zugleich ungewöhnlich niedrig. Gr hat einen Breiten-
index Ton 73,8 bei einem Uöhenindex von 70,5; Höhe : Breite = 96,8 : 100 und Hin-
Pig.l.
PIg. s.
(149)
terhauptslange : GresammtlaDge = 31,4 : 100. In der Norma temporalis erscheint die
Curve des Schädeldaches flach; hinter der Verbindungslinie der Tubera parietalia
fällt sie schräg und z^ar ziemlich steil ab bis zur Linea nuchae; von hier geht sie
unter einem fast rechten Winlj|jel und nahezu horizontal, nachdem sie zwischen der
unteren und oberen halbkreisförmigen Linie eine starke thalartige Vertiefung über-
schritten hat, zum Foramen magnum occipitis. Alle Knochenvorsprunge des Schädel-
daches sind wie verwischt. Die Tubera frontalia schwach und sanft gerundet, die
Tubera parietalia kaum erkennbar, die Protuberantia occipitalis eigentlich gar nicht
ausgebildet. Offenbar schliesst sich das Schädeldach überall innig der Gehirnform
an: am stärksten tritt dies an der Basis der Hinterhauptsschuppe hervor, wo jeder-
seits eine fiachrundliche Wölbung, einer Hemisphäre des Kleinhirns entsprechend, sicht-
bar ist. Oberhalb dieser Stelle, dicht über der Linea nuchae, von der Gegend der
seitlichen hinteren Fontanelle ausgehend, zeigt sich jederseits die Andeutung einer
starken Naht, wie wenn ein Os Licae hätte angelegt werden sollen. Auch die Muskel-
ansätze überall schwach, obwohl das Planum semicirculare hoch hinaufreicht: die
Lineae semicirc. sup. kreuzen sogar die Tubera parietalia und nähern sich hinter der
Kranznaht einander bis auf 130 Mm. Dem entsprechend sind die Alae temporales
stark auf der Fläche eingebogen, dagegen die Squamae temporales steil und kurz,
in maximo 57 Mm. in der Horizontalrichtung messend. Auch die Proc. mastoides
schwach.
Von besonderem Interesse ist die feine und schone Form, in welcher Stirn und
Gesicht entwickelt sind. Erstere ist niedrig und schmal (54 Mm. im oberen und 90
im unteren Durchmesser), aber nicht gedrückt; die Augen brauen bogen schwach angedeu-
tet, dagegen die Glabella voll und nach aussen leicht gewölbt; denigemäss auch die
Nasenwurzel mehr hervortretend und die Entfernung derselben von dem vorderen
Rande des Hinterhauptes, d. h. die Länge des Schädelgrundes - 100 Mm. Die Augen-
höhlen sind sehr geräumig, sowohl in den Durchmessern des Einganges (41 hoch, 38 breit),
als in der Tiefe. Die Aasenwurzel äusserst schmal (18,5), ebenso die Nasenbeine
in ihrem oberen Theil. Der Nasenrücken tritt stark hervor und verbreitert sich nach
unten; die Nasenöffnung ist schmal (24), der untere Nasenstachel sehr kräftig und
die Höhe der Nase (52) recht erheblich. Die Jochbogen liegen nahezu parallel an,
ihr Querdurchmesser beträgt 124, 3. Der Schädel ist daher kryptozyg. Die Ober-
kiefer sehr zierlich, so dass der untere Querdurchmesser beider Oberkiefer nur 118,5
Miilim. misst Die Alveolarfortsätze sowohl des Ober- als des Unterkiefers etwas
nach aussen gebogen, ebenso das Kinn, so dass der Unterkiefer eine mittlere hori-
zontale Furche besitzt. Die Zähne springen jedoch nur wenig vor: die Backzähne
sind noch recht kräftig. Länge des harten Garumens 40, grösste Breite 38. Der
Alveolarrand des Oberkiefers hat eine schöne Rundung. Der Unterkiefer von mitt-
lerer Starke ; sein unterer Rand bildet einen nach vorn weit ausgelegten Bogen, wäh-
rend die Seitentheile fast parallel verlaufen.
An dem nach vom kreisrunden, nach hinten eiförmigen Hinterhauptsloch sitzen
die Gelenkfortsätze sehr weit nach vom; ihre Gelenkfläche ist besonders nach hin-
ten, jedoch auch nach vom sehr stark gebogen. Der etwas flache Clivus besitzt ein
steiles Ephippium. Von der Basis aus betrachtet tritt die lange und schmale Gestalt
des Schädels, namentlich die starke Ausbildung des Hinterhauptes deutlich hervor.
Alles zusammengenommen, handelt es sich demnach um einen zarten und zier-
lichen, schmalen Langschädel mit überwiegend occipitaler Entwickeiung, jedoch mit
ungewöhnlicher Füllung der Glabellar- Gegend Trotz eines geringen Alveolar -Pro-
gnathismus ist das Gesicht als orthognath anzusehen, denn die Differenz zwischen
der Länge des Schädelgrandes (100) und der Entfernung des unteren Nasenstacbels
(150)
Tom grosseo Hinterbauptsloche (87) ist eine höchst aulfällige. Das Gesicht gewinnt
durch die Eigenthümlichkeit der Kieferknochen jenen pikanten Ausdruck , der noch
jetzt an hübschen Gesichtern der städtischen Bevölkerungen so häufig bemerkbar
wird. Denkt man sich dazu eine kräftige Adlernase und eine kleine, aher sanft ge-
rundete Stirn, so gewinnt man das Bild eines stark sinnlich ausgebildeten Kopfes.
2) Der andere, offenbar männliche Schädel (Fig. 3. 4) ist im Ganzen recht wohl
erhalten, namentlich das Gesicht fast ganz unversehrt Nur die linke Schlfifenschuppe
Fig. 3.
Fig. 4.
und die Basis sind, ersichtlich bei dem Ausgraben, durch Einbrüche von aussen her
stark zertrümmert, so jedoch, dass sich die Lücken ohne besondere Schwierigkat
wieder ausfüllen Hessen und die Messung mit grosser Sicherheit vorgenonunen we^
den konnte. Die rechte H&lfte des Schädels war glatt und mit schwarzbraunen den-
dritischen Flecken besetzt; die linke dagegen war äusserlich und innerlich mit fest
anhaftendem, sehr gleichmässigem und feinem Kalkthon bedeckt, nach dessen Ab-
lösung eine schon gelbbraune Farbe der Oberfläche sichtbar wurde.
Die Gresammtentwickelung dieses Schädels ist ungleich kräftiger. Seine Capid-
tät übersteigt die des ersteren um 130 Gern. Seine Höhe ist ungleich betrachtliclier
(133 gegen 124,5), ebenso seine Breite (134 gegen 128,5), dagegen bleibt er in der
Länge erheblich zurück (169,5 gegen 176,5). £r nähert sich daher schon der eigent-
lichen Brachycephalie, indem sein Breitenindex 79,5 beträgt, Höhenindex 78,4, Höhe :
Breite = 99,2 : 100, Hinterhauptslänge : Gesammtlänge = 31,8 : 100.
Offenbar stand der Mann im besten Lebensalter. Die im Unterkiefer fast voll-
ständig, im Oberkiefer freilich nur seitlich erhaltenen Zähne sind Tortrefflich ent-
wickelt, namentlich die Backzähne stark und kräftig. Nur die Schneidezähne sind
etwas abgeschliffen und zwar sehr genau horizontal, während die Kronen der Back-
zähne nur wenig angegriffen sind. In der Gegend der letzteren hat der Unterkiefer
eine ungewöhnliche Dicke. Sämmtliche Knochen sind ziemlich stark, nur die am
Gesicht von etwas feineren Formen. Die Apophysis basilaris hat sich genau in der
Mitte der Synchondrosis spheno-occipitalis gelöst
Li der Norma temporalis bildet das Schädeldach eine ziemlich gleichmäsaige
längliche Gurre; die Stirn mehr steil abfallend, das Hinterhaupt schön gewölbt, der
obere Theil der Schuppe in einer Flucht mit der Krümmung der Seitenwandbeine
fortlaufend und an der Linea nuchae ohne Winkel in die untere Gurre übergehend.
Die Tubera frontalia sanft gerundet, die Tubera parietalia gar nicht angedeutet, die
f rotub. occip. externa fehlend. Die Plana semicircularia yerhältnissmässig niedriger;
(151)
ihre grösste AnD&herung hinter der Eranznaht beträgt 143 Mm. (über die Flfiche
gemeBsen). Die Alae magnae sind auch hier stark über die Fläche eingebogen, jedoch
nicht Bjnostotisch; der untere seitliche Abschnitt der Eranznaht ist einfach, jedoch
erhalten. Proc. mastoides ziemlich kräftig.
Die etwas schmale Stirn ist stark gewölbt: die Glabellargegend tritt nach aussen
hervor, während die Stirnhöcker sich nur schwach vorwölben und die Augenbrauen-
bogen gar nicht als isolirte Erscheinungen bemerkbar werden. Der Nasenfortsatz ist
sehr Toll, die Nasenwurzel nicht vertieft, verhältnissmässig schmal; die Augenhöhlen
hoch und tief, die Nase selbst stark vorspringend und der von Nr. 1 sehr ähnlich.
Die Jochbeine treten in keiner Weise hervor. Die Alveolarfortsätze, besonders am
Oberkiefer, leicht nach aussen gerichtet. Harter Gaumen 42 Mm. lang und 38 breit
Der Alveolarrand des Oberkiefers bildet einen ungewöhnlich breiten Bogen. Am
Unterkiefer eine etwas mehr winklige Stellung der beiden Hälften zu einander. An
dem stark ovalen Foramen magnum occip. stehen die auf der Fläche sehr gebogenen
Gelenkhöcker weit nach vom.
Die Zusammenstellung der Maasse beider Schädel ergiebt Folgendes:
Gapacitat des Schadeis
GrÖBster Horizontal-Umfang
Grösste Höhe
Entfernung der vorderen Fontanelle vom Hinterhauptsloch e
» n binteren » » n
Grösste Länge
Sagittalumfang des Stirnbeins
Länge der Sutura sagittalis
Sagittalumfang der Hinterhauptsschuppe
Entfernung der Nasenwurzel vom äusseren Gehörgang . .
„ des Nasenstachels ,i „ jt • •
„ j, Kinns » » »
„ der Nasenwurzel vom EQnterhanptsloche . . .
„ des Nasenstachels „ „ ...
„ „ Alveolarrandes ^ „ ...
„ der Hinterhauptswölbung vom Hinterhauptsloche
(hintererer Umfang)
Länge des Hinterhauptsloches
Breite „ „ .
Grösste Breite
Oberer Frontaldurchmesser (Tnb. frontal.)
Unterer „ (Froc. zygom.)
Temporal*Durchmesser
Parietal- „ (Tubera)
Mastoideal- „
Jugal- D
Maxillar- „
Quemmfsng über die vordere Fontanelle zwischen den G^
hörgängen
Diagonaldurchmesser (Kinn bis Scheitel)
Breite der Nasenwurzel
„ „ Nasenöffnnng
Höhe der Nase
Qlykera.
Mann.
1150
1280
495-
488
124,5
133
126,5
138
127,2
117
176,5
169,5
1J9,9
123 [:£
129,
123 S
109 '^
103^
99
99
j)96
101
113
118,5
100
98,6
87
89
88,5
91
55,5
54
33
37
29
27
128,5
134
54
54,5
90
95
111
109
119,6
133
118,5
117
124,3
121
55,3
67
287
307
217
224
18,5
20
24
24
52
50,2
(15-2)
Glykera.
Mann.
41
39
38
33
106
114,5
170
167
25
30
56
55
85
90
75
74
Breite der Orbita
Höhe ^ „
Höhe des Gesichts (NascDwurzel bis Kion)
unterer Umfang des Unterkiefers
Mediane Höhe „ „
Höhe des Kieferastes
Entfernung der Kieferwinke]
(Tesichtswinkel (Nasenwurzel, Nasenstachel, äusserer Gehör-
gang)
Aus einer Vergleichung beider Schädel geht hervor, dass dieselben, obwohl m
der groben Classification nach weit genug auseinander gehen, indem der eine aus-
gezeichnet dolichocephal , der andere fast brachycephal ist, doch in so vielen und
wichtigen Stücken übereinstimmen, dass mau kaum umhin kann, sie als individuelle
und zum Theil sexuelle Formen desselben Stammestypus zu betrachten. Es m^
dabei dahingestellt bleiben, ob der Schädel der Glykera auf fremde Vermischung
hindeutet. Die üebereinstimmung beider Schädel tritt am stärksten in der Stirn-
und Gesichtsbildung hervor; nächstdem, was wohl damit zusammenhängt, zeigt sieb
eine auffällige Aehnlichkeit in den Maassen des Schädelgrundes.' Am meisten diffe-
rirt die Gestaltung des Schädelgewölbes, wenngleich auch hier eine auffällige üeber-
einstimmung in der Länge der Sagittalis und in der Gestaltung der Schl&fcngeg<'nd
nicht zu verkennen ist.
Die geringe Zahl bekannter ultgriechischer Schädel, deren Literatur Hr. Bar-
nard Davis (Thesaurus craniorum, London 1867, p. 62) zusammengestellt hat, g«^
stattet vorläufig noch kaum ein allgemeines Urtheil. Hr. Davis selbst beschreibt
H solclier Schädel; darunter einen aus einem Grabe bei Athen, männlich, dolicho-
cephal (Index 72), mit einer leichten Anschwellung über der Nase und einer vor-
springenden Adlernase, der, wie es scheint, dem Schädel der Glykera in mancher
Beziehung ähnlich ist. Von seinen anderen beiden ist der eine platycephal (Index
77), der andere gleichfalls dolichocephal (Index 72). Auch die Abbildung von Cars»
(Ueber altgriechische Schädel aus Gräbera der verschwundeneu alten Stadt Cuis»
in Unter-Italien. Breel. u. Bonn 1857 ) betrifft, offenbar einen Dolichocephalen. Peio
gegenüber bietet der zweite, von Hrn. Hirsch feld eingesandte männliche Schädel
vielerlei Üebereinstimmung mit einem etruskischen Schädel von Corneto, den ich in
der Sitzung vom 16. December 1871 erwähnte.
Auf alle Fälle sind diese Funde von höchstem Werthe und es ist nur zu wün-
schen, dass durch weitere Erfahrungen eine grössere Sicherheit unseres Wissens über
die grieobische Schädelform gewonnen werde. Was am meisten überrascht, ist die
geringe Capacität dieser Schädel, welche so sehr hinter dem Mittel der modernen
Culturvölker zurückbleibt, dass man nach der jetzt üblichen Betrachtungsweise eher
an Glieder eines wilden Stammes zu denken geneigt sein könnte. —
(7) Herr Alex. Braun spricht
ttber fossile Pflanzenreste als Belege für die Eiszeit.
Die gegenwärtige Verbreitung der lebenden Gewächse zeigt manche Eigentfaüm-
lichkeiten, die auf eine frühere Kälteperiode hinweisen, wie z. ß. das bekannte Vor-
kommen mancher hochnordiscber Pflanzen an einigen Stellen der deutschen Mittel-
gebirge und der südlicheren Alpen, die Zerstreuung einiger nordischer Pflanzen über
die norddeutsche Ebene, worauf besonders Areschong aulmerksam gemacht hat,
der arctische Charakter der von Martins beschriebenen Flora der Torfmoore in den
(158)
Hochthälern des Jura, das ganz locale Vorkommen einiger Alpenpflanzen auf dem
Jura, die unzweifelhaft mit erratischen Blocken in der Gletscherzeit dahin traaspor-
tirt wurden, die vereinzelten Colonien von Alpenpflanzen in Terschiedenen niedrige-
ren Gegenden der Schweiz, welche Heer als Ueberreste einer früheren grosseren
Ausbreitung der Alpenflora betrachtet. 2^ugni88e einer solchen allgemeineren Ver-
breitung der arctischen und alpinen Flora durch fossile Pflanzenreste sind jedoch bis
jetzt sehr spärlich gefunden worden. Dahin gehört die Nachweisung des früher aus-
gedehnteren Vorkommens der Krummholzkiefer (Pinus montana) durch Auffindung
von Zlapfen derselben in diluvialen Kohlenbildungen, z. B. bei Alleringersleben, wäh-
rend sie jetzt im Harze und in Norddeutschland überhaupt fehlt, femer in Irland,
während sie jetzt in ganz Grossbritannien fehlt, und an anderen Orten. Die Zwerg-
birke (Betula nana) wurde in Mergeln von Südengland gefunden, während sie jetzt
in Grossbritannien nur im schottischen Hochland vorkommt. In der berühmten Ren-
thiergrube bei Schussenried in Oberschwaben wurde ein Moosteppich gefunden, wel-
cher nach W. Ph Schimper's Bestimmung aus zwei hochnordischen Moosen be-
stand, Hypnum sarmentosum und Hjpnum fluitans var. Groenlandicum. Der merk-
würdigste derartige Fall ist jedoch neuerlich von Nat hörst in den Acten der Uni-
versität Lund von 1870 beschrieben worden, nehmlich das Vorkommen der Blätter
von vier hochnordischen Zwergsträuchem, Betula nana, Salix reticulata, Salix polaris
und Drjas octopetala in einem auf Monlnenbildung ruhenden, von Torf bedeckten
Süsswassermergel zwischen Malmoe und Lund, nur 75Fus8 über dem Meeresspiegel,
unter 55 ^ nordl. Breite, während dieselben Arten jetzt selbst in den skandinavischen
Bergen nicht über 61® nach Süden vordringen. —
(8) Herr Virchow übergiebt für die Sammlungen der Gresellschaft
Photographien vom Pavian >)•
Das sehr kräftige, etwa zweijährige Thier, ein Cynocephalus porcarius s. ursinns
vom Cap, ist im Cirkus des Hm. Bröckmann gestorben und von Hm. Thierarzt
Janssen dem Vortragenden, leider in schon sehr schlimmem Zustande, geschenkt
worden. Es ist an chronischer Pneumonie zu Gmnde gegangen. Leider war Brust
und Bauch schon geöfihet und das Gewicht daher nicht genau mehr festzustellen.
Die noch vorhandenen Eingeweide wogen (einschliesslich des Gehirns) 1905, der Wanst
8900, in Sununa 10805 Grm. Da das sehr ausgezeichnet entwickelte Gehim 195 Grm.
wog, so kann man das Verhältniss desselben zum Gesammtge wicht ungefähr "= 18 : 1000
oder = 1 : 55 setzen, ein Verhältniss, welches für diesen so intelligenten Affen gegen-
über dem menschlichen Mikrocephalen recht charakteristisch ist. —
Eingegangene Greschenke:
1) Kongl. Vitterh. Historie etc. MSnadsblad No. 4, April.
2) Archivio per TAnthropologia e l'Ethnologia, Vol. H. Fase. L
3) Verhandl. der Berliner medizinischen Gesellschaft, 1867, 1868, 1872 Heft 1.
4) Photographien von Racentypen^ (nackte Figuren), als Geschenk des Herrn
Lamprey in London übergeben durch den als Gast anwesenden Hm. Augustus
Franks, Director des Ghristie-Museums.
>) Die Herren Hofphotographen Lutze A Witte (Unter den Linden 68a) verkaufen die
vorzüglich ausgefohrten Photographien (3 Ansichten) zu lo Sgr. da« Stück.
V«rluuidL der B«rl. Qei. für ADthropoL etc. /| |\
(166)
TOD der Humboldtsbai daselbst; sodann zweierlei Maschelgeld von der Westküste
Afrikas, welches die genannte Sammlung aus Fernando Po erhalten hat Das eine
besteht in aneinander gereihten kleinen Conchylienstückchen, in ähnlicher Weise nie
in Wel witsch 's Reise beschriebene Str&nge aus Stückchen der Achatina monetsria
aus Angola und mag vielleicht auch auf eine Achatina zurückzufuhren sein; das an-
dere besteht aus scheibenförmigen Stücken des oberen Endes eines grosseren Gonna^
höchst wahrscheinlich G. papilionaceus.
Herr Friedel legte mehrere Ton Hm. Oberförster Rudolf Wagner zu Langen-
holzhausen eingesendete Kaurischnecken (Cjpraea moneta L.) vor, welche derselbe
in der üme eines Hünengrabes bei Stolpe in Pommern gefunden (vgl. Correspondeu-
blatt d. deutsch. Ges. f. Anthropol. 1872. Nr. 2. S. 13). Die Exemplare sind 15-
17 Mm. lang und 12 — 14 Hm. breit, haben also etwa */( der Verhaltnisse ausgenach-
sener Kaurischnecken Der Rücken (d. h. hier die oberen Windungen der Schnecke]
sind abgetragen und hierdurch ovale Oeffiiungen von 9 — 12 Mm. Längs- und 6-
8 Mm. Querdurchmesser dergestalt erzielt, dass die innere Spindelsfiule völlig bloss-
gelegt ist Die Befestigung an einer Schnur scheint durch die so geschaffene Oeff-
nung und den natürlichen unteren Mundsaum der Gonchylie bewirkt worden zu sein.
Die genauere Betrachtung lehrt, dass das Oval nicht durch Reiben oder Schleifea
etwa auf einem Sandstein oder dergl. bewirkt, sondern, wie die schng abfallenden
Rander zeigen, durch Abschnitzeln oder Abschaben gebildet ist; der Schnittrand ist
nicht glatt, sondern hier und da ausgezackt, was auf die Anwendung nicht sonder-
lieh vollkommener Werkzeuge schliessen lassen würde.
Was die Härte der KaurischnedLen anlangt, so lassen sich dieselben, wie Bens
Friedel angestellte Versuche belehrten, mit gewöhnlichen Bronzemessern nicht
schneiden, dagegen mit eisernen Werkzeugen und sehr leicht mit stählernen Klingeo,
sowie mit Feuersteinsplitterchen , deren Schärfe die Epidermis nicht lange
widersteht. Darüber indessen, ob diese Kauris roh oder bereits in der geschilderten
Bearbeitung in den Handel kamen, lässt sich bis jetzt keine sichere Feststellung ge-
winnen. Zu beachten ist, dass diese Schnecke nicht im atlantischen und nicht im
mittelländischen Meere vorkommt, vielmehr nur im indischen Ocean und im v^
Meer, welches die nächste Bezugsquelle sein vnirde. Da man sie in Ungarn, Po^
und Russland ebenfalls in ähnlichen Verhältnissen gefunden, so wird man tunäcltft
an die Uebermittelung derselben im Wege des binnenlfindischen Handelsaustau-
sches denken.
Herr Hartmann macht auf die weite Verbreitung der Kauris über den Magreb,
den Senegal, Abyssinien und Zanzibar bis tief nach Gentralafirika hinein auf-
merksam. Er selbst traf Kauris als seltenen, hochgehaltenen Schmuck an den Fuss^
knöcheln der Denka, er fand ihn in Mfidchenschurzen aus Dar-Berta und Dar-Schil-
luk, selbst an solchen aus Rhabdogalefell verfertigten (als Zeichen der Jungfirauschaft!},
sodann an den zu kriegerischen Zwecken dienenden Kuhhömem der Bertat, an Mützen
der Nuer und Schir u. s. w. Gerade diese kleinen, zierlich gerundeten und ponel-
lanartig glänzenden Conchjlien schienen einen besonderen Reiz für Völker aller mög-
lichen Länder zu haben, und ihre schrankenlos weite Verbreitung durch den HauueJ
bilde eine der interessantesten Erscheinungen im Gebiete des Weltverkehrs. —
(3) Herr Y. Härtens legt femer im Auftrage des abwesenden Mitgliedes Herrn
Dr. Langkavel einige Abbildungen von Gregenständen vor, welche Hr. Directo^
Schwarz in Meuruppin bei dortigen Ausgrabungen eines Kanals im Neukammer*
(157)
Brach erhalten hat; sie betreffen eine Art Hammer mit grosser Oese aus Hirsch-
geweih, ein kleines Bronzestück in Gestalt eines Ochsenkopfes, eine Bronzeaxt, eine
steinerne Lanzenspitze und ein goldenes gewundenes Halsband (torques). In Betreff
des letzteren theilt der Einsender mit, dass ein Schmied in Neuruppin aus einer vier-
kantigen Eisenstange durch allmähliche Spiraldrehung in Terschiedenen Richtungen
genau dieselbe Form hergestellt habe; auch dieses Eisenstuck wurde zur Veranschau-
lichung vorgelegt. ^
Der Vortragende zeigt femer ein aus den Eckzähnen des Pekari, Dicotyles tor-
quatus, gebildetes Halsband der Eingebomen von Surinam, von Hm. Kapp 1er vor
Jahren seinem verstorbenen Vater gegeben, vor und übergiebt der Gesellschaft eine
Broschüre von Josef Haltrich über Aberglauben in Siebenbürgen. —
(4) Herr Virohow berichtet, unter Vorlegung von Gypsabgüssen, über eine von
ihm kürzlich angesteUte
Untersnohnng des Neanderthal-Seliftdels.
Schon seit einigen Jahren besitze ich durch die Güte des Hrn. Fullrott Gyps-
abgüsse der inneren und äusseren Oberfläche des Neanderthal-Schädels, von denen
ich, nachdem ich kürzlich das Original zu vergleichen Gelegenheit gehabt habe, aus-
sagen kann, dass sie allen Anforderungen guter Abgüsse entsprechen. Ich bin daher
auch in der glücklichen Lage, die Richtigkeit der Bemerkungen, welche ich über
dieses so viel besprochene und gewiss sehr merkwürdige Schädeldach zu machen
habe, durch den Hinweis auf die Abgüsse darthun zu können.
Sonderbarerweise haben wir von einem so wichtigen Object, über welches eine
ganze Literatur zusammengeschrieben ist, nur zwei im eigentlichen Sinne technische
Beschreibungen, die von Hm. Schaaffhausen (Müllers Archiv, 1858, S. 453) und
die von dem verstorbenen Prof. May er(ebenda8. 1864, S. 1 u. 707), welche letztere sich
auf Notizen stützt^ die ebenfalls bald nach der im Jahre 1856 geschehenen Auffindung
gemacht worden waren. Seit dieser Zeit hat meines Wissens kein Anatom die Ge-
legenheit gehabt, das Original zu sehen, und ich muss es daher als einen besonderen
GlücksfEkll betrachten, dass es mir bei meiner neulichen Anwesenheit in Elberfeld
gestattet war, in aller Müsse sowohl das Schädeldach, als die dazu gehörigen Knochen
prüfen zu können. Es ergaben sich dabei Thatsachen, die für Sie Beurtheilung des
Fundes nicht geringe Bedeutung haben.
Erstens zeigt sich an dem Schädel eine Erscheinung, die bis jetzt nur von alten
Leuten bekannt ist und die wir daher mit dem Namen der senilen (Malum senile)
belegen: eine symmetrische Abflachung und Vertiefung an den Scheitelbeinhöckern,
den am meisten hervorspringenden und ältesten Theilen der Seitenwandbeine. Es
beruht dies auf einer fortschreitenden Atrophie der äusseren Schichten des Knochens
(Tabula externa), welche bei manchen alten Leuten dahin führt, dass statt eines
Höckers eine tiefe, manchmal fast dreieckige Grube von 2 — 3 Zoll Durchmesser sich
bildet Ich habe diesen Vorgang früher in einer kleinen Arbeit genauer erörtert
(Würzb. Verh. 1853. Bd. IV. S. 354. Gesammelte Abhandl. S. 1000) und seitdem
mannichfache Gelegenheit gehabt, meine damaligen Erfahmngen zu bestätigen. Nur
zweimal habe ich ähnliche Vorgänge, jedoch stets einseitig bei jüngeren Individuen
gesehen. An dem Neanderthal-Schädel ist diese Veränderung auf beiden Seiten vor-
handen und zwar auf der linken Seite etwas weniger, als auf der rechten, wo sie so
stark ist, dass man sie am Gypsabguss deutlich sehen kann. Der Nachweis dieser
Atrophie hat insofern einen nicht geringen Werth, als bei einigen anderen Erschei-
nungen an den Knochen des Neanderthftl-Menschen sich darüber streiten Ifisst, ob
aie auch dem höheren Alter oder einer früheren Lebenszeit angehören. Jedenfalls wird
(158)
man zunächst das als feststehend annehmen müssen, dass es sich nm den Schädel
eines alten, vielleicht sehr alten Individuums handelt.
Hr. Schaa ff hausen hatte sodann erwähnt, dass sich an diesem Schädel Spa>
ren mechanischer Verletzung finden. Er hat zwei dergleichen erwähnt, nebmhcb
einen schrägen Eindruck, der über den rechten Orbitalrand hingeht, und eine mnd-
liehe Grube, welche sich hinter dem rechten Scheitelhöcker vorfindet. Letztere,
welche trichterförmig ist, an der Oeffnung 3 — 4 Millim. Difrchmesser und etwa
2 Mülim. Tiefe hat und im Grunde etwas matt aussieht, ist sehr ähnlich den Ver-
tiefungen, welche durch Hajonettstiche entstehen. Ich habe in Elberfeld diese Ver<
gleichung gebraucht und einigermassen Aufregung dadurch hervorgebracht, da Mayer
die Vermuthung ausgesprochen hatte, der Mann sei ein 1813 oder 1814 getödteter
und vergrabener Eosack gewesen. Es ist wohl nicht nöthig, besonders zu erwäh-
nen, dass jeder spitzige und harte Körper, z. B. ein Stein ebensogut eine solche Ver-
letzung hervorbringen könnte, als eine Bajonettspitze. Nur das scheint mir unzwei-
felhaft, dass es eine durch mechanische^^ Einwirkung entstandene Veränderung ist omi
dass dieselbe zur Zeit des Todes des Mannes vollkonomen geheilt war. V^as die an-
dere Stelle am rechten Superciliarbogen betrifit, so hat Hr. Busk (Natural Histoir
Review, 1861, p. 173) die Meinung aufgestellt, es handle sich hier um die Oefbung
oder Furche, durch welche der N. frontalis hindurchgehe, und welche, wenngleich
unvollständig, die Grenze der seitlichen Ausdehnung der Stirnhöhlen anzeige. Dies
ist durchaus unzulässig und überhaupt nur begreiflich, wenn man weiss, dass Herr
Busk das Original nie gesehen hat Es handelt sich hier um einen starken, jedoch
vollständig geheilten und an seiner Oberfläche mit compacter Substanz bekleideten
Eindruck von fast 1 Centim. Länge und in seinem mittleren Theile von 3 — 4 Mülim.
Breite, der ganz weit nach aussen, etwa einen Finger breit von der Linea semicir-
cularis beginnt und von da schräg nach unten und innen gegen den Supercilimand
verläuft. Er kreuzt diesen Rand wenigstens um eines Daumens Breite von der Stelle
entfernt, wo der Supraorbitalast des Nervus frontalis heranftritt. Es kann daher kein
Zweifel sein, dass eine abnorme und zwar traumatische Veränderung vorliegt, ^
Hr. Schaaffhausen ganz richtig angegeben hat
Je mehr ich mich dieser Auffassung anschliesse, um so mehr bin ich dariher
erstaunt gewesen, dass Hr. Schaaffhausen, nachdem er diese beiden Verletximg«^
erwähnt hat, nicht eine sehr viel grössere Veränderung beschrieben hat, welche sich
an der Schuppe des Hinterhauptsbeines befindet, an einer Stelle, welche sonst germ
durch ihre Wölbung, Glätte und Gleichmässigkeit sich auszeichnet. Hier findet sich
an dem Neanderthal-Schädel ein zusammenhängendes System von Vertiefungen und
Erhöhungen, welches sich von der Mitte weit nach rechts herüber erstreckt und auch
in dem Abgüsse ganz deutlich erkennbar ist An dem natürlichen Schädel zeigt sich
nur noch nach links von dieser Stelle eine Reihe von grösseren Gefasslochern,
welche ganz anomal sind. Auch das muss unzweifelhaft eine sehr bedeutende Ver-
letzung gewesen sein. Es wird dies leicht aus der genaueren Beschreibung erhellen:
Ueber der Linea nuchae (semicirc. occipit suporior), welche in der Mitte statt m
Protuberantia occip. externa eine flache Vertiefung besitzt, und parallel mit ihr liegt
eine seichte Grube von fast 2,5 Centim. Querdurchmesser und mit einem etwas höcke-
rigen Grunde. An dieselbe schliesst sich nach rechts und zwar unter einem Wuu^J
von etwa 135° eine viel grössere und breitere, übrigens auch nur seichte Grube,
welche sich bis auf eine Fingerbreite (14 Millim.) der Lambda-Naht nähert; sie iBt
25 Millim. lang, hat fast 20 in der grössten Breite, einen unebenen, sehr compacten
Grund und in der Mitte, wie eine niedrige Insel, einen flachen EnocheoTorsprung
von 10 Millim. Länge und 4 — 5 grösster Breite. Von der Gegend dieses fVorspran-
(159)
g68 «18 Terläoft weiterhin eine flache, aber breite Furche v6b 18 Mill. Länge Aiteh
rechte und aussen in der Richtung gifgen die seitliche hintere FontaneUe. Links an
der snerst erwähnten Grube, also auf der foken Hälfte der Hinterhauptsschuppe, wo
der Knochen Tordickt und uneben ist^ befodea sieh 2 grossere und 1 kleineres 6e-
Üualoch. Nimmt man dies Alles ausammen, so ist man wohl genothigt zu schliessen,
daas hier ein länger dauernder, sehr wahrseheinfich mit Caries verbundener Krank-
beiteprocess gespielt hat, und dass dieser durch eine äussere Gewalt-Einwirkung sehr
grober Art heirorgemfen sein muss. Nicht ohne Bedeutung ist es, dass genau in
der Fortsetiung einer Linie, welche den aweiten, nach rechts^ auÜBteigenden Theil
der so Teränderten Stelle der Lange nach schneidet, die erwähnte trichterförmige
Vertiefung am rechten Seiten¥nmdbein Hegt
Nun will ich gleich hinzufügen, dass es noch eine dritte Reihe von pathologi-
echen Erscheinungen an dem Schadbi giebt, welche freilich an dem Abguss ni^t
erkennbar sind. Das sind Veränderungen der inneren Oberfläche, welche in einer
Anbildung neuer Knochenlagen (Hyperostose) und zwar in grösserer Ausdehnung am
Stirnbeine bestehen, wie sie nicht selten aait seniler Atrophie vereinigt vorkommt
and wie sie mit gewissen anderen Befunden «u einem gemeinschaftlichMi, grosseren
Bilde sich gestaltet Es geht danuis hervor, dass das Individuum auch an der inne-
ren Schädelflache, ofienbar in Folge einer Erkrankung der Dura mater, positive
Ver&ndemngen erlitten hat, und zwar an einer Stelle, welche nicht etwa der äusse-
ren Verletzung entspricht; die Verletcang am Augenhöhlenrand ist so oberflächlich,
dass sie nicht wohl einen Einfluss auf die Entwickelung dieser inneren Proceese hat
ausüben können').
Es giebt endlich noch eine vierte Reihe von Veränderungen, und zwar diejenige,
wekhe mich speciell veranlasst hatte, den Schädel genauer anzusehen. Schon Herr
Schaaffhausen hatte erwähnt^ diass einzelne Nähte, namentlich die Kranz- und
Pfeilnaht, auch äusserlich verwadisen sind, und Hr. Barnavd Davis hatte in einer
bemerkenswerthen Abhandlung (The Neanderthal-skall: ite pecuHar conformation ez-
plained anatomically. Lond. 1864.) nachaoweiflen gesucht, es sei dies der eigentliche
Grund der Form, welche der Schädel besitzt Bei dieser Synostose fragt es sich da-
her, in welche Zeit des Lebens sie hineingebort. Dass sie existirt, ist auch an den
AbgÜBsen au sehen^ und es kann sioh nur darum handeln, ob sie frühzeitig entstan-
den ist, in welchem Falle sie auf die Gonfiguration des Schädels einen Einfluss hätte
ausüben otüssMi, oder erst in einer späteren 2^it» wo sie für die Bildung des Schä^
dels gleichgikltig war. Die Yerknöcherung erstreckt sich auf die ganze Ausdehnung
der Kranz«- und Pfeilnaht, so dass von der Hinterhauptssohuppe an Alles, was davor
liegt^ zu eiüer gemeinüchaftlichen Kikochenmasse vereinigt ist. Allerdings kann man
die Stellen, wo die Nähte gelegen haben, noch erkennen und namentlich am hinte-
ren Theile der Sagittalis, welcher etwas vertieft liegt, sind noch Ueberreste der Zeich-
nung zu erkennen« (Vom links, nahe der Richtung der Naht, befindet siclV eine
oberflächliche, otlenbar posthume Verletzung.) Die Lambdanaht dagegen ist vollstän-
dig erhalten, massig zackig; in ihrem mittleren und rechten Theile greift sie
etwas Aber das Seiteawandbein her&ber, so dass die Wölbung der Hinterhaupts-
sohuppe höher steht, ala die Wölbuftg der Seitenwandbeine. Die Spitze der Lambda-
naht ist ^geflacht, obwohl aaekig>; sie macht fiut den Eindruck, als hätte hier früher
ein FontaoeUknodien gelegea» Zur Vervollständigung dessen, was über die Nähte zu
') Ick' bemerke abrimensy dass die Sohädelkaoehen sehr dick und innen ungemein glatt sind.
Die Nähtesmd* innen vellksoiiBe» Terstrichen, die GefiMurchen tief und besonders rechts finden
ach mehrere Gruben Ton Arachnoideal- Warzen (Pacchionischen Drüsen).
(160)
sagen ist, muss ich noch bemerken, dass sich am Stirnbein eine Andeutong der alten
Nahtlinie zeigt, welche sich in eine, freilich nicht auf&ilende, über die ganze Glabella
hin- und noch darüber hinausreichende Erhebung (Crista frontalis) fortsetzt, die um so
bemerklicher ist, ab die Tubera frontalia sehr flach, ja kaum angedeutet sind.
Nach diesen Erhebungen erweist sich die Synostose allerdings als eine frtihere.
Sie ist entschieden nicht rein seniler Natur, sondern sie gehört einer früheren Zeit
an, aber allerdings nicht einer ganz frühen. Was die genauere Zeitbestimmung an-
betrifft, so ist einmal in Betracht zu ziehen, dass von den Gefasslöchem (Poramina
parietalia), Ton denen regelmassig zu jeder Seite der Pfeilnaht je eines liegt, nur
das rechte, und zwar auch dieses nur klein und sehr sehrag gerichtet, Torhanden ist,
während das linke fehlt Daraus folgt, dass eine Störung in dieser Gegend schon
bei der Bildung der Knochen vorhanden gewesen sein muss. Damit stimmt auch
die tiefe Lage des hinteren Theiles der Pfeilnaht, der abnorme Zustand der Spitze
der Lambdanaht und das Uebergreifen der Ränder der Hinterhaaptsschuppe über die
Seitenwandbeine. Weiterhin ist es eine sehr charakteristische Erscheinung, dass die
Gegend der vorderen Fontanelle deutlich durch einen flachen Höcker ^) ausgezeichnet
ist Derselbe hat eine nahezu viereckige Gestalt, welche einer gewissen Zeit der
Bildung der Fontanelle entspricht Diese Erhöhung kann nicht entstanden sein in
einer späteren Zeit des Lebens; denn der Schädel zeigt auf der inneren Seite keine
entsprechende Ausbuchtung. Daraus geht hervor, dass die Fontanelle spit und ver-
haltnissmässig langsam verknöchert sein muss. Wenn sie frühzeitig verknöchert,
dann erscheint ihre Gestalt mehr platt; eine Hervorbiegung entsteht, wenn bei lang-
samem Wachsthum die noch hautige Stelle dem Gehirndruck nachgeben kann. Ich
bemerke, dass sich an einigen der anderen Enochen parallele Zustände vorfinden.
Ich bin nach diesen ErEshrungen zu dem Schlüsse gekommen^ dass allerdings
frühzeitige Störungen in der Ossification und in der Bildung der Nähte angenom-
men werden müssen, dass aber die Synostose nicht in die ersten Jahre des Lebens
surückverlegt werden darf, wenigstens nicht in ihrer ganzen Ausdehnung. WahrscheiB-
lich hat dieselbe am hinteren Abschnitte der Sagittalisj begonnen, während die Kranz-
naht noch längere Zeit offen war und die Yerknöcherung der vorderen Fontanelle
sogpur später, als gewöhnlich, zu Stande gekommen ist. Damit stinunen die Längen*
verUdtnisse der Schädelknochen in der Sagittalrichtung überein. Ich' habe für d»
Stirnbein 130 MiUim. (Hr. Schaaffhausen giebt 133), für die Sagittalis selbst 110
und für den Bogen von der Gegend der Protub. occip. bis zur Spitze der Lambdanaht
60 Hillim. notirt Diese Maasse zeigen, dass das Wachsthum der Seitenwandbeine
am meisten zurückgeblieben ist und durchaus nicht dem eines durch prämature Syno-
stose bedingten Dolichocephalen entspricht Ich fand die Länge der Pfeilnaht bei
solchen = 143, bei den Sphenocephalen = 140 und bei den Leptocephalen = 125 (Ge-
sammelte Abhandlungen S. 916).
Wenn man das Schädeldach in seiner Totalität betrachtet^ so ist kein Zweifel,
dass es verhältnissmässig lang ist Allein die Länge kommt ganz überwiegend durch
die kolossale Entwickelung der vorderen Ränder des Stirnbeins zu Stande, und die
Betarachtung des Original-Schädels ergiebt^ was man an dem Abgüsse nicht sehen
kann, dass die Grösse der Stirnhöhlen die Ursache davon ist Man kann tief in sie
hineinfahren. Der Knochen ist an dieser Stelle durchaus nicht ungewöhnlich dick,
und auch der Schädelraum hat durch diese Entwickelung an Länge durchaus nichts
I
I
0 Derselbe ist sehr deutlich, vielleieht etwas zu deutlich in der Abbildung Fig. n., welche
Hr. Fullrott in seiner Abhandlung (Der fossile Mensch aus dem NeanderthaL Duisbnig 1866.)
begeben hat
(161)
gewonnen. Sieht man von dieser Besonderheit ab, so muss man sagen» dass der
Schädel sich innerhalb ganz ertraglicher Grenzen bewegt. Sein grösster Horizontal-
um£angy oberhalb der Augenbrauenbogen gemessen, betragt 527 Mill. Es ist ein
Langschädel, aber mit starker Entwickelung der ßreitenTerhältnisse. Man kann nicht
sagen, dass er diejenige Form der Dolichocephalie zeigt, welche wir bei frühzeitiger
Sjnostoee finden. Ich bin also der Meinung, dass, obwohl die Synostose nicht etwa
erst nach Tollendetem Wachsthnm eingetreten ist, sie doch keineswegs in die Kate-
gorie der ganz frühen zurechnen ist. Darin differire ich von Hm. Barnard Davis,
während ich ihm soweit zustimme, dass die relative Schmalheit der hinteren Schädel-
hälfte auf die sagittale Synostose zurQckzubeziehen ist.
Endlich will ich noch erwähnen, dass ein Gharakteristicum, welches nach meiner
Meinung von hohem Werthe fSr die Racenverh&itnisse ist und welches die eigentlich
wilden und überwiegend fleischessenden Racen durchgängig auszeichnet, sich an die-
sem Schädel durchaus nicht in der Ausdehnung findet, wie man nach den gangbaren
Auffassungen desselben erwarten sollte. Die Fläche für den Ansatz des Schläfen-
muskels, welcher hauptsächlich die Kraft für die Benutzung des Unterkiefers her-
giebt und bei wilden und fleischessendeu Racen sich weit hinaufschiebt, so dass er
sich zuweilen über den grösseren Theil der Schädelfläche ausdehnt, ist hier von sehr
massiger Grosse. Die eigentliche Insertionslinie (Linea semicircularis) ist nur schwach
entwickelt und die Schädelwölbung zwischen den beiderseitigen Linien hat noch an der
engsten Stelle einen Querumfang von 120 Millim. Es ist also nach dieser Richtung durch-
aus kein Zeichen jenes brutalen Charakters gegeben, der bei den australischen Wilden
und bei den Eskimos auftritt Die schwache Entwickelung der Muskelansätze am
Hinterhaupt hat sdion Mayer mit Recht hervorgehoben.
Mit der Schädeldecke — die übrigen Schädel-]^nnd Gesichtsknochen sind nicht
gefunden worden — ist bekanntlich eine nicht unbeträchtliche Zahl anderer Skelet-
knochen gesammelt worden. Von diesen hat Hr. Schaaffhausen erwähnt, dass
das linke Ellenbogengelenk krankhaft verändert ist^ wie er vermuthet, in Folge einer
Yerletsung. Die Veränderung ist so stark, dass, wie er richtig bemerkt, die Mei-
nung entstehen könnte, dass diese Knochen der linken Seite nicht zu demselben
Skelet gehören* Ich stimme ihm auch darin bei, dass eine genauere Erwägung diese
Möglichkeit zurückweist, aber ich finde nichts, was auf eine Verletzung hinwiese. Viel-
mehr handelt es sich ganz unzweifelhaft um diejenige Krankheit» welche man als
.Gicht der Alten bezeichnet (Malum senile, Arthritis chronica deformans). Die Ver-
änderung ist so ausserordentlich stark, dass das Präparat zu den ausgezeichnetsten der
Art geliört, welche ich gesehen habe. Ich habe vor einiger Zeit von einem Mönche des
ebemaligen pomiiicrschcn Klosters Marienihron einen ähnlichen Zustand beschrieben
(mein Archiv f. pathnl. Anat. u. Physiol. 1869. Bd. 47. S. 300). Sonst ist mir in
der That kein stärkeres IVuparat bekannt Die Veränderung betrifft sowohl das
übrigens verhältnissmüssig dünne Oberarmbein, als die Ulna; der Radius dieser Seite
fehlt. Die Ulna ist an der Gelcnkfläche so tief ausgerieben, dass eine merkbare
Verkürzung in Folge davon eingetreten ist. Diese Gelenkfiäche ist höckerig, mit sehr
scharfen, wie ausgepressten Rändern; das Olecranon nur massig verändert, da-
gegen der Processus coronoidcs stark hyperostotisch, sehr verlängert, aussen höcke-
rig, innen ganz hügelig. Die Fossa olecrani ist vergrössert, namentlich in der Breite;
die vordere Grube am Humerus ganz ausgefüllt durch höckerige Vorsprünge, so dass
eine vollkommene Biegung des Armes nicht möglich war. — Dieses Malum senile
cubiti harmonirt vollständig mit den Erscheinungen am Schädel, einerseits mit der
senilen Atrophie der Tubera parietalia, andererseits mit der inneren Hyperostose
und Synostose.
(162)
An den anderen Knochen finden sich nnr geringe Einzelheiten, welche in das-
selbe Gebiet gehören dürften, so eine schwache Abreibung des Knochenrandes am
rechten Caput humeri, eine etwas poröse Stelle in der Mitte und überaus dicke Ran-
der an der zugehörigen Cavitas glenoides scapulae, etwas unebene Gelenkflächen an
Sclienkelkopfe und an den Kniegelenkfiachen, tiefe Eindrücke an der Ansatzstelle
des Ligam. suspens. capit. femoris und tiefe Gefassfurchen an dem beideraeitigeD
Schenkelhalse. Indess sind das untergeordnete Veränderungen, welche nur insofern
wichtig sind, als sie den mehr constitutionellen Charakter des Leidens anzeigen.
Im Uebrigen sind die meisten Knochen stark entwickelt; einzelne lassen sogar
eine ungewöhnliche Kräftigkeit der Muskulatur erkennen. So hat namentlicfa das
rechte Oberarmbein sehr starke Knochenleisteu und an der Insertionsstelle des M. del-
toides (der Gegend der sog Exercierknochen) einen mächtigen, kraterähulichen Kno-
chenYorsprung. Die Oberschenkel sind gross und schwer, die Trochanteren dick und
alle Apophjsen stark. Auch die Tubera ischii sind sehr breit.
Um so mehr muss es auffallen, dass sowohl die Knochen des rechten yorde^
amn» als beide Oberschenkel, namentlich der Knke, ungewöhnlich stark gekrümmt
sind. Am Vorderarm ist besonders der Radius stark und zwar in der Diaphjse ge-
krümmt, die ülna weniger (die rechte ist ganz gerade). An den Oberschenkeln kann
man eine doppelte Ej-ümmung unterscheiden : eine, welche der Gegend der alten Epi-
phjsen entspricht und namentlich am Kniegelenk hervortritt (Krümmung nadi hia-
ten), und eine zweite in der Gontinnität der Diaphyse mehr nach unten. Damit
hängt vielleicht eine angewöhnlich horizontale Stellung der Golia femoris zusamma.
Ich bin überzeugt, dass jeder Sachverständige, welcher diese Dinge sieht, sich bei
der Gleichzeitigkeit der Veranderung an den Ober- und üntereztremitäten wird sageo
nlüssen, daas hier schon im Laufe der Entwickelung der Sjiochen Störungen statte
gefunden haben müssen. Jedermann wird daran denken, dass diese Störungen mit
denjenigen die grösste Aehnlichkeit hahen , welche wir englische Krankheit oder Ba-
chitis nennen. Mayer hat dies ganz richtig ericannt und nur in einer etwas gro*
tesken Weise ausgeführt
Es ist klar, dass Personen, welche in der Jugend Störungen in der Bildung der
Knochen erleiden, im Alter gleich falls im höheren Maasse Knochenaffactionen n»-
gesetzt sein müssen, und es ist leicht bogreillich, dass Jenand, der in seiner Jugend««
ungewöhnliche Bildung der Fontaiio.llo erfährt und sd«he rachitischen Verändeniagn
der Knochen bekommt, in höherem (^oaCde der Gicht der Alten ansgesetSBi sein mig--
AehnJiche Combinationen habe ich wiederholt beobachtet Jedenftdls ist der arthn-
tische Process erst in höherem Alter aufgetreten; sonst vrSre die von allen Beobaeb-
tern anerkannte Stärke und* Ki'äftigkeit dbr Röhrenknochen nidit wohl verständlich.
Auch die Veränderung des linken Ellenbogengelenkes gehört einer späteren Zeit an,
und Mayer täuschte sich, wenn er dieselibe als eine Missbildung bezeichnete. Die ge-
ringere Dicke des Oberarmbeins spricht nicht fÜJ^ eine frühe Eintrittszeit, sondsro
nur für eine lange Dauer des üebels und eine damit verbundene Dnbrauchbarkeit
des Arms. Es ist eine secundäre Atrophie, wie sie an Knochen, die ausser Ge-
brauch gesetzt werden, nicht selten auftritt. Wir können daher meiner Meinung nadi
mit voller Sicherheit schliessen, dass das fragliche Individuum in seiner Kindheit io
einem geringen Grade an Rachitis gelitten, dass es dann eine längere Periode kat-
tiger Th&tigkeit und wahrscheinlicher Gesundheit durohlebti hat, welche mur durdi
mehrere schwere Schädelverletzungen, die aber glücklich abliefen, untevbrochen wui^
bis sich später Arthritis deformans mit anderen, dem höheren Alter angeh5ri|^ Ver-
änderungen einstellte, insbesondere der linke Arm kat ganz steif wnrde, dfess aber
trotzdem der Mann ein hohes Greisenalter erlebte. Es sind das Umstände^ welcha;
(163)
auf einen sicheren Familien - oder Stammesverband scfaliessen lassen , ja welche
yielleicht aaf eine wirkliche Sesshaftigkeit hindeuten. Denn schwerlich dürfte in
einem blossen Nomaden- oder Jägeryolke eine so viel geprüfte Persönlichkeit bis zum
hohen Greisenalter hin sich zu erhalten yermögen.
Wenn man nun nach diesen Thatsachen die Frage der Race erörtern will, so
muss ich sagen, dass ich sehr bedenklich geworden bin, ob man in der That berech-
tigt ist, ein Individuum, welches so merkbare und zahlreiche Zeichen krankhafter
Veränderungen an sich tragt und zwar solche, welche sich beinahe das ganze Leben
hindurch an ihm fortgebildet haben, als hinreichendes Motiv für eine eigentliche
Racenconstruction zuzulassen. £& liegt auf der Hand und es ist niemals bezwei-
felt worden, dass die Hauptfrage zunächst die geologische ist: wo hat der Schädel
gelegen? unter welchen Umständen ist er gefunden worden? Ich bin in dieser Be-
ziehung nicht in der Lage, etwas Neues mittheilen zu können. Denn inzwischen ist
die ganze Fundstelle total umgearbeitet worden. £s existirt gar nichts mehr daTon,
und wir sind nur auf die älteren Berichte hingewiesen. Das einzige Neue, was ich
erwähnen kann, ist, dass Hr. Prof. FuUrott eben jetzt, wie er angiebt, „in densel-
ben diluvialen Schichten^ 2 Bruchstücke von Steinbeilen gefunden hat. Ich habe diese
Stücke gesehen Das Material ist ein etwas matter Homstein, wie er in der Gegend
und bis in das Münsterland hinein öfter zu Steinwerkzeugen verarbeitet worden ist.
Beide Stucke haben sehr scharfe Schneiden und sehr gute Politur, aber beide sind
hinter der Mitte durchgebrochen und am stumpfen Ende vielfach ausgesprungen, so
dass sie den Eindruck machen, als wären sie bei der Benutzung zersprungen. Gäbe
es nur diesen Fund, wäre gar kein Schädel vorhanden und nur festgestellt, dass
diese 2 polirten Hornsteinbeile in ursprünglicher Lage in wirklich diluvialen Schich-
ten sich gefunden hätten, so genügte dies, um uns in das äusserste Erstaunen zu ver-
setzen. Denn bis jetzt hat noch Niemand geglaubt, dass polirte Steinäxte in so weit
zurückgelegenen Zeiten gearbeitet worden seien. Das sind Bedenken, welche ich
nur andeuten möchte. Ich will jedoch hervorheben, dass auf der Höhe, welche sich
über dem Neanderthal erhebt, an mehreren Stellen alte Lagerstellen gefunden wer*
den sind, über die nun auch der Streit entbrannt ist^ ob sie römisch sind oder ob
sie einer früheren Zeit angehören. Ich wurde durch anhaltenden Regen und Mangel
an Zeit gehindert, sie zu besuchen.
Löst man jedoch diese mehr'archäologische und geologische Seite der Frage ab
und hält man sich nur an die Besprechung des Schädels, so möchte ich Folgendes
sagen: So wenig ich mich berechtigt fühlen würde, heutigen Tages die Natur emer
Race nach einem einzigen Schädel zu beurtheilen, welcher grosse und wesentliche
Spuren krankhafter Störungen an sich trägt, Störungen, welche unzweifelhaft in einer
ganz frühen Zeit der Entwickelung ihren Anfang und noch ganz spät ihren Fortgaorg
gehabt haben, so meine ich auch, dass man es wird aufgeben müssen, den Neander-
thal-Sohädel als hinreichendes Zeugniss einer Race anzusehen, welche den glei-
chen Typus der Schädelbildung gehabt habe. Denn dann müsste man glauben, dass
es ganz und gar eine pathologische Race gewesen sei. Da wir aber solche Racen
nur bei Hunden und anderen Hausthieren, dagegen bis jetzt nicht vom Menschen
kennen, so sind wir nicht berechtigt anzunehmen, dass in regelmässiger Erbfolge sich
eminent pathologische Erscheinungen als Charakter einer ganzen Race erhalten kön-
nen. Wäre dies der Fall, so würde freilich der Schluss unabweislich sein, dass wir
es hier mit einem Mitgliede einer noch unvollkommenen Race zu thun haben, und man
könnte sich vorstellen, dass von da aus nach und nach in aufsteigender Linie ein so
gut gebautes Geschlecht sich entwickelt hat, wie es jetst die westfiüisehen und rhei-
niaohen Thäler bewohnt. Ich meine aber, der NeanderthalxSchädel wird vorläufig
(164)
nur als eine merkwürdige Einzelerscheinung gelten dürfen, und ehe wir nicht durch
parallele Funde weitere Aufklärung erlangt haben, müssen wir daran festhalten, dass
eine durchaus individuelle Bildung vorliegt
In dieser Beziehung will ich erwähnen, dass im Kopenhagener Museum sich ein
moderner Schädel befindet, der in Beziehung auf die Bildung der frontalen Theile,
die mächtige Rntwickelung der Augenhöhlenränder, die flache und zurückliegende
Stirn die äusserste Aehnlichkeit mit unserem Neanderthal-Schädel darbietet, so dsss,
wenn man diesen letzteren nicht im Neanderthal, sondern in Dänemark gefnndeQ
hätte, ich überzeugt bin, dass man beide als einem und demselben Stamme angehiv
rig betrachten würde. Nun stammt der dänische Schädel aber von einer bekanoten
Persönlichkeit. Es war ein dänischer Edelmann, welcher am Anfange des vorigen
Jahrhunderts eine beliebte Persönlichkeit am Hofe war, sich aber verführen liess zu
allerlei bedenklichen Sachen und schliesslich im Elende starb. Neuerlich ist der
Schädel an die Anatomie gekommen. Da nun in keiner Weise bis jetzt die Wahr-
scheinlichkeit vorliegt, dass der Mann seine Abstammung aus dem Neanderthal her-
leitete, so wird man sich wohl daran gewöhnen müssen, die Möglichkeit zuzugeben,
dass, so auffallend diese Schädel auch sind, doch durch individuelle Einflüsse nch
derartige Sonderbarkeiten entwickeln können.
Ich stehe übrigens mit dieser Ansicht nicht allein. Zahlreiche andere Ünter-
sttcher haben sich in ähnlicher Weise ausgesprochen, wenn auch keiner von ihnen
die Gresammtheit der pathologisdien Erscheinungen an dem Neanderthal-Schädel ge-
kannt und gewürdigt hat Hr. Hamy (Pr^s de paleontologie humaine. Paris 1870.
p. 212) trägt daher kein Bedenken, den homo Neanderthalieusis (wie ihn Hr. F oll-
rot t nennt) einfach zu der dolichocephalen Race zu rechnen, die nach seiner Ansicht seit
der Bildung der ältesten, unteren Quaternär-Schichten Europa bewohnt hat Gerade
die gegentheilige Ansicht haben die Herren Busk und Huxlej (Zeugnisse für die
Stellung des Menschen in der Natur. A. d. EngL von Garus. 1863. S. 177 und
bei Lyell, Antiquity of man. Lond. 1863. p. 185) aufgestellt, indem sie den Nein-
derthal-Schädel in nächste Vergleichung mit den dänischen Schädeln von Boirebj
setzen, welche nach meinen Messungen sich unmittelbar der Brachycephalie annähen.
Ich verweise deswegen auf meine Abhandlung über die altnordischen Schädel (Ari
t Anthropol. Bd. lY. S 13), in welcher ich namentlich die Yerhältnisse der Auges-
brauenhöcker, auf welche die englischen Beobachter einen so grossen Werth lego,
besprochen habe. Hr. Busk hatte, um in dieser Beziehung die Analogie des Neu-
derthal-Schädels mit den Schädeln der anthropoiden Affen zu sichern, Zweifel dar-
über aufgestellt, ob die supraorbitalen Wülste des ersteren wirklich durch die exces-
sive Ausbildung der Stirnhöhlen bedingt seien. Diese Zweifel sind jedoch in keiner
Weise begründet: in der That sind die Stirnhöhlen des Neanderthal-Schädels so um-
fangreich, dass dadurch die ungewöhnliche Erscheinung desselben fast allein be-
dingt wird. Dagegen ist es nicht dargethan, dass die Dicke der Wülste der Bo^
reby-Scbädel derselben Ursache zuzuschreiben ist; ich kann darüber nicht sicher ur-
theilen, da die Stirnhöhlen derselben nicht zugänglich sind, aber ich hatte den Ein-
druck, dass hier mehr eine äussere Hyperostose vorliege. Die Borreby-Sehädel glei-
chen in diesem Punkte, wie in manchen anderen, vielmehr den australischen Sch&-
deln, doch fällt es mir nicht ein, daraus einen Racen-Zusammenhang abzuleiten.
Schon Mayer (a. a. O. S. 6) hatte Beispiele beigebracht, wo an modernen euro-
päischen Schädeln sich Stirnhöhlen von ähnlicher Capacität fanden, wie sie der
Neanderthal-Schädel besitzt. Auch hatte er mit Recht darauf hingewiesen, dass der
Innen-Raum des letzteren, soweit er sich nach der blossen Hirnschale schätzen lasst»
keineswegs eine so auffiülige Kleinheit besitzt, dass man daraus auf eine besondere
(165)
Inferiorität der Race schliessen könne. Ich mnss mich dieser Aufiieissung anschliessen.
Der Horizontalum&ng von 527 Millim. übertrifft nicht unerheblich das Maass vieler
prähistorischer und modemer Schädel, und die Breite sowohl der Stirn, als des Mit-
telhauptes an dem Neanderthal-Schädel ersetzt reichlich, was durch die geringere
Höbe der Wölbung verloren geht Ich messe an meinem Gypsabgusse die untere
Frontalbreite (über dem Ansätze der Proc. zygomatici) zu 109, die grösste Breite des
Schadeis überhaupt zu 150 Millim. Da nun die grösste Länge, den Stirnhöhlen- Vor-
sprung mitgerechnet, 202 Millim. ergiebt, so berechnet sich immer noch ein Schadel-
index von 74,2. Diese Zahlen bezeichnen einen relativ breiten Dolichocephalus. Noch
bestimmter wird dies durch den Ausguss der Hirnschale bewiesen, denn derselbe hat
eine grösste Länge von 175, eine grösste Breite von 137, also einen Breiten-Index
von 78,2. Ich bemerke dabei, dass dieser Ausguss eine leichte Asynmietrie der Gross-
him-Hemisphären zeigt, indem der rechte Vorderlappen mehr vorspringt und stärker
gewölbt ist, während an den Hinterlappen das umgekehrte Verhältniss besteht
So viel kann jedenfalls als ausgemacht angenommen werden, dass der Schädel-
Ansguss nichts weniger, als eine AfPenähnlichkeit erkennen iässt, und selbst wenn
der Schädel, was ich für ganz unzulässig halte, als ein typischer Racenschädel angespro-
chen wird, so darf aus demselben doch in keiner Weise eine Annäherung an irgend
einen Affenschädel abgeleitet werden.
(5) Herr Virchow spricht, unter Vorlegung zahlreicher Fund gegenstände, die
er erst am heutigen Tage von seiner Reise mitgebracht hat, über so eben von ihm
unternommene
Ausgrabnngeii in dem PfaUban bei Benin am Lttptow-See in Pommern.
Während der letzten beiden Tage (25. und 26. April) war ich beschäftigt, ge-
nauere Nachforschungen über die Verhältnisse des Pfahlbaues am Lüptow-See in
Hinterpommern anzustellen. Schon in der Sitzung vom 9. Juli 1870 hatten wir die
ersten Nachrichten über diese merkwürdige Oertlichkeit durch den Gymnasiallehrer
Dr. Zelle zu Göslin erhalten. Seitdem hatte mich Hr. Gymnasiallehrer Dr. Noack,
der die ersten Nachgrabungen veranstaltet hatte, wiederholt von weiteren Funden
benachrichtigt und mir einzelne Fundgegenstande vorgelegt, welche die Existenz
eines Pfahlbaues höchst wahrscheinlich machten. Ich begab mich daher in Gesell-
schaft des Hrn. Mühlenbeck nach Bonin, zu welchem Gute die fragliche Stelle ge-
hört, und Hess unter freundlichster Hülfe des Besitzers, Hrn. Holtz, eine grössere
Strecke freilegen. « Die Ergebnisse waren so positiv, wie möglich.
Der an Fischen, namentlich an mächtigen Welsen sehr reiche Lüptow-See liegt
etwa eine Stunde südlich von Göslin, am Fusse des Gollenberges, eines bis zu
300 Fuss ansteigenden Höhenzuges, der fast unter einem rechten Winkel bis nahe
an die Ostsee, also von Süd nach Nord verläuft. In alten Zeiten bildete er die öst-
liche Grenze des eigentlichen Pommern. Das östliche Ufer des langgestreckten Sees
berührt bei dem Dorfe Lüptow fast unmittelbar den Fuss des Berges; das westliche
dagegen, an welchem Bonin liegt, ist fast durchweg flach, mit grossen Ausbuchtungen
versehen und von ausgedehnten Moorflächeu umgeben, die in der Nähe des Ufers an
manchen Stellen noch schwimmend sind. Gerade dem Dorfe Lüptow gegenüber wird
die Moorfläche unterbrochen durch eine flache sandige Erhöhung, welche jetzt beackert
ist, jedoch noch vor wenigen Jahren einen geschlossenen Rund wall mit kesselartiger
Vertiefung dargestellt hat. Sie liegt hart am Seeufer, welches hier einen beträcht-
lichen Yorsprung bildet. Von dieser Stelle, welche zugleich die schmälste Gegend
des Sees bezeichnet, erstreckt sich schräg gegen SO eine schmale, flache und all-
mählich tmter das Wasser tauchende Zunge in der Richtung gegen das Dorf Lüptow
(166)
in dMi See hinein: der sogeaannt« TeufelBdamtn. Der Teufel, wird erdhlt, hibe
einem Bauern sugeaagt, den Damm in einer Nacht durch den See zn bauen; der
Bauer habe aber Beue verspürt und im entscheidendeu Ai^nblick das RHUieo d«i
Hahns nachgeahmt; bo sei der Teufel betrogen und der Damm onTolleDdet (^blieben.
Heine Nachgrabungen auf dem Burgwall blieben ohne Ergebnies. Dagegen fand
ich hier und da an der Oberfläche Top&cherbea Ton ungebrannter, Bchwäniicher
Hasse, einzelne mit den bekannten Verzierungen der BorgwaU-Gerlt^e; auch stiem
ich auf einen halben Netzseuker von grauem Tbon und beträchtlicher Grösse. Von
modernes üeberresten, namentlich von Mauerwerk, keine Spur. Der ganz sandige
Boden des Borgwalls seigt deutlich, dasB er ursprünglich eine natürliche Änhöhr.
wahrscheinlich eine Insel war. Auch liegt eice andere, flachere Sandinsel nicht ««it
von ihm, schon mitten in dem Moor; eine dritte, noch jetzt mit Kiefern beetandeiH
und zum Dorfe Dörseutin gehörig, befindet »ich etwRs mehr nördlich.
Der gröSBte Theil des umliegeuden Moores soll bie TOr kurzer Zeit noch liemlicL
unwegsani und nur stellenweise mit Erlenhruch besetzt gewesen sein. Von den
Festlande war es zum gröBSten Theil getrennt durch den Mülilenbach, welcher genu
westlich Ton dem Burgwall und der gegen das Dorf Bonin hiuziebenden Bucht iei
Sees hervortrat und in mancherlei Windungen durch ein fiberall mit moorigen Vir-
Ben erfülltes Thal der Stadt Cöslin zufloas. Vor drei Jahren (1869) wurde nördlich
von dem Burgwall und dem Teufelsdamm, also aus einer anderen Abtbeilung des
Sees, ein 9 — 10 Fnss tiefer, gerade nach Westen laufender Graben gezogen, so ein
neuer AusSues für den MQhlenbach gewonnen und der alte Aoslauf zugeschüttet Bei
der Ziehung dieses Grabens stiess man in der Nähe des alten Bachlanfee auf Pfilil'
und Thierknochen , fand auch eineo sonderbaren eisernen Schlüssel von ungeviUn-
licfaer Grösse und Gestalt, namentlich sehr glattem Barte und sehr langem Stiele.
achtete aber trotzdem nicht viel auf die Sache. Gleichzeitig wurden in einer Tieft
von etwa 8 Fuss unter dem Torfe auf dem alten Sandboden zwei sehr werthToÜt
Funde gemacht: ein Anerochsen>Gehörn, dessen Stinizapfen am Grunde 'ibCKl
AbiB B^BO Cm. Llnge das Homs joa Abia CE und 'On fl bis DF in der Krnmmnni! p-
messen = 63 Cm. Umfang bei ÜE und UF - "■b Cm. CD = ao Cm. BF = 30 Cm. Dick«
des Schädels in der Mitte =^ 3,5 Gm., unter Jedem Hom = 5 Cm.
Um&ng besitzen, und eine pi&chtjge Rennthierstange, an der Basis 1^ Cent im
Dm&ng und in der Länge 116 Cent, messend. Letztere ist wundervoll erhalten, und
sowohl die Endscbaufel als die sehr breite Eissprosse sind überaus kräftig gebildet-
Durch den Graben wurde der See um durchschuittlich f» Fuss gesenkt und Bio-
gedehntes Dferland gewonnen, Indess kam dabei wenig Bemerkenswerthes zu T»g».
Dagegen befestigte sich ein grosser Theil des Moores so sehr, dass nun an msncbeD
Stellen bequem bis in eine Tiefe von 6 — 8 Fuss gegraben werden kann , ehe mw
uf Wasser stössL Die bis jetzt bekannte Hauptstelle des Pfahlbaues liegt auf einer
(167)
niedrigeo Hooxttche, welche gegen Norden nach dem Lande zu durch den alten
Ausflttss des Mühlbaches begrenst und geschützt war. Das feste Uferland *) ist hier
▼on dem Mühlhache noch einige Hundert Schritte entfernt. Der Pfahlbau erstreckt
sich längs des rechten Ufers des Mühlbachs in einer beträchtlichen Ausdehnung;
Bogen ad = 116 Gm.
ab =
13 .
e/ =
u ,
ac =
49 .
ah =
49 ,
gh^
16 ,
Ä» =
30 «
km s
13 ,
tM =
9,5 .
mb Hielte
= 4,6 Gm.
mb Umfang
= »2 ,
Innerer
Bogen der Stange ab =
2>
Cm
Schaufel
ghik = 1
»,5
»
kleinere Gruppen und einzelne Pfähle stehen bis nahe an die eigentliche Ausfluss-
stelle. Die Hauptmasse befindet sich in dem Winkel, wo der neue Graben das alte
Bachbett kreuzt, jedoch überschreiten die Püahlreihen noch den Graben und setzen
sich etwa 20 Schritt weiter auf dem rechten (nördlichen) Ufer desselben fort. In
dieser Gegend stehen einzelne auch in dem Bett des ehemaligen Baches selbst und
aaf dessen linkem (westlichem) Ufer; sie machen hier jedoch mehr den Eindruck
einer Brücke. Auch wurde beim Nachgraben an den letzteren Stellen nichts We-
sentliches gefunden. Man darf daher wohl annehmen, dass in dieser Gegend eine
alte Brücke über den Bach und einen Thcil des jenseitigen sumpfigen Ufers führte,
dass aber die eigentliche Ansiedelung auf dem östlichen Bachufer, also in der Rich-
tung gegen den Burgwall hin, gelegen hat.
Die Verhältnisse des Bodens waren an verschiedenen, selbst an sehr wenig von
einander entfernten Stellen, sehr verschieden. In der Richtung von unten nach' oben
konnte man folgende Schichten wahrnehmen:
1) Ueberall gelangte man in einer zwischen 5 und 8 Fuss wechselnden Tiefe
schliesslich auf eine bläuliche Schicht von ungewöhnlich grobem Sande. Nach der
Bestinmiung des Hrn. Justus Roth ist dies eine eigenthümlich grobe Abänderung
des nordischen Dilnvialsandes, in dem namentlich bläulicher Quarzsand reichlich ver-
treten ist. Er ist ganz frei von Glimmer, hier und da mit rothem Feldspath, einzel-
nen Granitbruchstücken, Glimmerschiefer- oder Gneisstheiichen untermischt. Die
Stücke des Quarzsandes sind grob und eckig; Couchylien darin fast gar nicht er-
kennbar.
1) Auf demselben ist neuerlich ein mittelalterliches Thongefäss mit einer grossen Zahl sil-
berner Münzen gefunden worden.
(168)
2) Darauf folgte nach oben hin eine 1 </, — ^ Pubs mfichtige Schicht Ton Sü8B-
wasserkalk, die jedoch an anderen Stellen sehr schwach war, seewärts sogar ganz
fehlte. Hr. Alex. Braun, der sie untersuchte, fand sie den Niederschlägen mancher
markischer Landseeo, z. B. des Stienitz-Sees bei Tassdorf, ähnlich. Sie besteht ihrer
Hauptmasse nach aus kleinen Körnchen Ton kohlensaurem Kalk. Von erkennbaren
organischen Resten fuhrt Hr. Braun an: häufige PoUenkömer von Pinus sylvestris,
Reste Ton Pflanzentheilchen, hier und da mit unterscheidbaren Geflossen, ferner spär-
liche Diatomeen, z. B. Cocconeis, Navicula?, endlich Spuren verbleichter rundlicher
Zellen Ton kleinen einzelligen Algen.
3} Eine schwache torfige Schicht von nur Vs — Vs ^^^ Dicke. An mandien
Stellen war dieselbe nicht deutlich unterscheidbar.
4) Grober Seesand mit kleinen Süsswassermuscheln, 2 — 5 Zoll mächtig. Gegen
den Bach hin fanden sich darin grosse Geschiebe, von denen nicht zu erkennen war,
dass sie irgend eine Bearbeitung erfahren hatten. Auch diese Schicht yerschwaDd
in der Richtung gegen den See hin.
5) Moor oder Torf, in dem viele, noch wohl erhaltene und mit Rinde verseheiR
Zweige von Haselnuss, Erle u. s. w. und sehr gut consenrirte Blätter enthalten
sind, 7 — 10 Zoll mächtig. Die feinere Untersuchung zeigt darin ausserdem viele
Diatomeen, yerschiedenen Gattungen und Arten angehorig.
6) Eine graue, sehr fette, thonig-moorige Schicht mit kleinen Süsswassermuschelii,
1 — 1 V4 Fuss mächtig, jedoch seewärts fehlend. Nach der Bestimmung des Hm
Braun sind darin fast gar keine Diatomeen, dagegen gröbere Holzfragmente und
andere Trümmer phanerogamischer Pflanzen, spärliche PoUenkornet you Pinus, selte-
ner Kieselnadeln von Spongillen (gerade, spindelförmige, glatte), Schälchen tod Gj-
pris, zahlreiche Fragmente von Süsswasserschnecken , unter denen man die Deckel
von Paludina impura unterscheiden kann, endlich sehr kleine Kömchen von kohleo-
saurem Kalk und Quarzstückchen.
7) Die moorige Torfdecke mit zahlreichen frischeren Wurzeln , sehr verschieden
dick, 2 — 4 Fuss Stärke erreichend.
Am constantesten waren also die Schichten 1, 5 und 7.
Als eigentliche Cultur schichten sind die unter 5 und 6 erwähnten zu bezeicho«
Die oberste Torfschicht war fast ganz frei von Fundgegenstfinden. Dagegen reielta
dieselben bis in die Schicht 4. Ein etwa zur Hälfte erhaltener Topf, der schräg ^
enthielt im Grunde Seesand, darüber moorigen Torf mit Wurzeln. Man kann danoB
mit ziemlicher Sicherheit scbliessen, dass der Pfahlbau zu einer Zeit angelegt ist,
wo der See den Boden noch bedeckte, und dass er verlassen war, als die jüngste
Torfbildung begann. Da diese letztere 2 — 4 Fuss, die darunter liegende Goltor-
schiclit aber 2 — 2 Vi Fuss mächtig ist, so wird sich danach auch die Daner der 6e-
siedeluiig berechnen lassen, wenn wir erst genauere Erfahrungen über das Wachsen
des Torfes in unseren Mooren besitzen werden.
Die Ausgrabung wurde an der Stelle begonnen, wo die Zahl der durch das
Austrocknen dnd Zusammensinken des Bodeus hervorgetretenen Pfähle die grSsste
war, nehmlich in der Nähe der erwähnten Krcuzungsstelle von Graben (Kanal) und
Bach. Hier war auch die Zahl der Erdschichten atn grossten, die Succeesion von
Sand, Kalk und Torf am regelmässigsten und die zerstörbaren Gegenstände, nament-
lich Holz, Knochen und Metall am besten erhalten. Von da wurde die Gralung
fortgesetzt in einer niehr südlichen Richtung und zalilrciclic Pfiihlc blossgelcgt, deren
Enden an der Oberfläche vorher nicht sichtbar gewesen waren. Der alte Diluvial-
boden sowohl, als der spätere Seeboden lagen hier weniger tief unter der Oberfläche,
der Kalk fehlte vielfach, die Schichtung war einfocher und die Eioschlüsse vraren
(169)
schlecht erhalten. Hörn und Knochen waren ihrer Salze beraubt und auf ihre thie-
rischen Grundlagen reducirt, so dass sie nach dem Trocknen wie aus Papiermache
zusammengesetzt erscheinen. Metall fand sich wenig und dieses stark verrostet.
Selbst die Steine waren in dieser Gegend ganz bröckelig und zum Theil in eine
sandige Erde aufgelöst Indes wechselte dies Verhältniss sehr und es folgten auch
seewärts wieder einzelne Stellen, wo der Zustand günstiger war. Die durch das
Ausgraben entstandene Figur erinnerte einigermaassen an den Gründriss einer
Kirche: ein Kreuz, dessen langer Schenkel gegen den Kanal gerichtet war. Daran
scbloss sich näher gegen den Bach hin eine ungleich breitere, unregelmässig vier-
eckige Ausgrabung, deren Diagonale etwa 40 Schritt betrug, und von l^ier setzte
sich wieder ein gerader Schenkel, unter einem nach NNW gerichteten Winkel, bis
fast in den Kanal fort.
Es ergab sich nun, dass namentlich an der Ecke, wo dieser letztere Schenkel
das grössere Viereck traf, in den oberen Schichten mancherlei Gegenstände vor-
kamen, welche einer ziemlich neuen Zeit angehören. Dahin zählen vor Allem ein-
zelne Ziegelsteine und Scherben von feinem gebranntem und glasirtem Thon, meh-
rere mit schöner Glasurfarbe, eine mit einem erhaben ausgeführten Bienenkorb ge-
ziert Ferner mehrere Eisengeräthe, namentlich ein Theil eines Pferdegebisses,
der Bügel eines Gefässes (Kessels oder kleinen Eimers?), ein dem früher erwähn-
ten sehr ähnlicher, ungemein platter, grosser und roher Hausschlüssel, und endlich
ein ziemlich grosser, länglicher, fast schnallenförmiger Ring, dessen Bedeutung
mir nicht klar geiworden ist. Einzelne dieser Gegenstände deuten auf das Mittel-
alter, andere auf eine noch neuere Zeit, und es wäre daher wohl denkbar, dass
dieser Punkt, ähnlich wie der Pfahlbau zu Lüptow am Plöne-See, auch noch spät
bewohnt, vielleicht mit einer kleinen Mühle besetzt gewesen ist Damit könnte
der Umstand in Verbindung gebracht werden, dass hier seewärts eine dichte, halb-
kreisförmige Bohlenwand von sehr fester Gonstruktion blossgeiegt wurde, an
der die sehr dicken Bohlen senkrecht, mit den Kanten an einander, in den Grund
gestellt waren. Auch sonst zeigte der in dem Viereck befindliche Theil der Pfähle
eine schwer zu erklärende Anordnung, indem von einem gewissen Punkte ans in
drei Richtungen, nach NNW, nach W und nach SO radienförmig dichte Pfahlreihen
ausgingen, zwischen welchen andere Pfähle von Strecke zu Strecke Querverbindun-
gen herstellten. Ich wage nnter diesen Umständen nicht, mit Bestimmtheit über
das Alter and die ursprüngliche Anordnung jedes einzelnen Theiles der Anlage
ein Urtheil auszusprechen, zumal da auch die Pfähle zum Theil fast roh, zum Theil
sehr gut bearbeitet waren. Auch zeigte sich darin eine Differenz, dass die Bohlen
aus Kiefern -, die Pfähle und anderen Holzsachen aus Eichenholz bestanden. Indes
kann ich ganz bestimmt erklären, dass nicht etwa die ganze Anlage neu ist. Die
sogleich zu gebende Beschreibung wird dartbun, dass die grosse Mehrzahl der Ge-
genstände alt ist, wenngleich vielleicht nicht älter, als aus dem Ende der Heidenzeit.
In den Abschnitten, wo die Anordnung der Pfähle eine einfachere war, Hess
sich ein längerer Gang, eine Art von Strasse zwischen ihnen erkennen, an welche
Pfahlvierecke von etwa 8 Fnss im Quadrat sich anschlössen. Wie bei allen unseren
pommerschen Pfahlbauten waren diese in den Boden eingesenkten, senkrecht ste-
henden Pfähle jedoch nirgend mit erkennbarer Verzapfung ihrer oberen Enden ver-
sehen, und obwohl dieses Ende vielleicht bei den meisten abgefault und insofern
seine frühere Beschaffenheit schwer zu erkennen war, so schien es doch, dass die
senkrechten Pföhle mehr zur Fixirung der sonstigen Fundamente bestimmt waren.
Es fanden sich nehmlich zahlreiche und an einzelnen Orten sehr regelmässig ge-
lagerte horizontale Längs- und Querbalken vor, welche jedoch nicht, wie am
Verhandl, der B«rL Oaa. fSr AnthropoL etc. /|2)
(170)
Plöne-8ee, anf Steine, sondern wie im Daber- nnd Pei*sanzig-See, nnmittelbar laf
den Seeboden gelegt waren. Die Längsbalken hatten in der Nähe des Endes eckige
Ausschnitte, in welche die Querbalken hinein passten, und indem anf diese Weise
mehrere Lagen von Längs- und Querbaiken über einander geschichtet waren, so
entstand ein ziemlich haltbares Fundament von nahezu quadratischer Form, wel-
ches seitlich durch die senkrechten Pfähle gehalten wurde. In dieses sind wahr-
scheinlich -Strauch und kürzere, unbehauene Baumstämme zur Ausfüllung geparkt
worden, wenigstens war die Menge von Aesten und Baumstücken, welche hierii
allen Richtungen dnrcheinanderlagen, so gross, dass man schwerlich annehmen
kann, sie seien nur durch den See angetrieben worden. Grössere Geschieheblöcke
fanden sich nur in geringer Zahl vor; kleinere Rollsteine dagegen waren aocii
innerhalb der Vierecke nicht selten und man darf wohl vermnthen, dass sie zur
Befestigung der Füllungsmasse mit verwandt worden sind. Erst auf der so ^^
wonnenen Unterlage sind später die Hütten errichtet worden.
Zu den Pfählen und Balken war, soweit ich erkennen konnte, durchiy
Eichenholz verwendet worden Dasselbe war äusserlich etwas mürbe, innerb
jedoch von sehr beträchtlicher Festigkeit und von jener tiefschwärzlichen Farbont
welche die Torfbildung mit sich bringt Die Jahresringe hatten eine beträcbtiidt
Dicke. Es konnte kein Zweifel sein, dass die Bearbeitung mit eisernen Werkzeogea
vorgenommen war. Nicht nur war ein grosser Theil der Stämme , weiche dorcti
schnittlich 10—15 Centim. im Durchmesser hatten, regelmässig behauen, senden
es waren auch die unteren Enden lang und scharf zugespitzt und die zur Anfnabme
der Querbalken bestimmten Ausschnitte tief und glatt eingehanen. Besonders b^
merkenswerth war das Vorkommen einer grösseren Anzahl keulen- oder scblagel-
förmiger Gerätbe. Abgesehen von einigen kleineren Holzschlägeln, wie icb sit
ähnlich im Daber -See ausgegraben habe, fanden sich mehrere ganz grosse. «-^
einem Eichenstamm gefertigte Keulen, man könnte vielleicht sagen, Ranunes tct
Letztere hatten einen rundlichen Stiel von 50 Gent. Länge und 5 Gent Dicke, ikf
unmittelbar überging in eine rundlich eckige Keule von 30 — 32 Cent Lange i^
15 — 16 Gent. Dicke. An der Uebergangsstelle des Stiels in die Keule war ietii^
ganz scharf durch eine ebene Fläche abgesetzt Das Ende der Keule ^^-
einigen dieser Werkzeuge so glatt abgeschnitten, als sei es gesägt, bei uiff^
durch mehrere schräge Flächen begrenzt, als sei es gehauen. So natürbt^^
schien, in diesen Geräthen die Werkzeuge zu sehen ,* vermittelst welcher mv^^^
Pfähle eingerammt hatte, so fand sich doch ein solches Geträth, dessen BestiDQiAns
zweifelhafter war, indem der Stiel nach zwei Seiten in eine derartige Keale über-
ging. Vielleicht war dies eine eigentliche Ramme.
Ueber die Beschaffenheit der Baulichkeiten, welche über den beschriebene!
Holzfundamenten errichtet waren, lässt sich nichts Genaueres aussagen. Es nr
nicht möglich, unter der Zahl der Balken, welche im Grunde lagen, solche mit
Sicherheit zu erkennen, welche zum Oberbau gehört hatten. Verkohlte und ange-
brannte Stücke kamen in nur geringer Menge vor, und es ist daher nicht wahr-
scheinlich, dass das Pfahldorf etwa durch Feuer zerstört worden sei. Festere.
hier und da mit Stroh durchsetzte Lehmstücke und einzelne Steine mit Sporen
von Feuerwirkung deuteten wohl auf die Beschaffenheit des früheren Estrichs und
der Kochheerde hin, jedoch fetilte überall ein Anzeichen der eigentlicheu C^Q*
struktion.
Von bearbeiteten Steinen kam sehr wenig zu Tage. Feuerstein fehlte, emig^
allerdings scharfkantige, aber in keiner Weise charakteristische Steine ausgeuum-
men, gänzlich. Dagegen sammelten wir vier Schleifsteine (Hr. Noack hatte schon
(171)
ruber einen gefanden) von langer nnd schmaler Form, die meisten aus Glimmer-
schiefer, einen aas blaaem Thonschiefer. Einer, der im üebrigen sehr glatt war, hatte
an einem Ende ein etwas schief gebohrtes, sonst aber sehr regelmässig randes
Loch.
Bronze wurde gar nicht gefunden. Von Eisen erlangten wir ausser den schon
erwähnten, allem Anscheine nach neueren Sachen nur ein kleines Messer, stark
verrostet; 6,5 Cent, lang, mit dem Stielfortsatze in eine höchst sonderbare, fast
kelchförmig gestaltete, an der Einsatzstelle mit einem dreifachen, dünnen Eisen-
drahte umwickelte Schale eingelassen. Letztere, von dunkel graubrauner Farbe, in
der Mitte rundlich mit seitlicher Compression, äusserlich feinlängsgestreift, sah
fast aus, wie wenn sie von einer monocotylen Pflanze herstammte; eine genauere
Feststellung ist bis jetzt noch nicht möglich gewesen. Auch dieses Messer dürfte,
nach der Drahtumhüllung zu urtheilen, kein eigentlich altes sein.
Wenn trotz des Fehlens älterer Eisensachen nicht zu bezweifeln ist, dass der
Pfahlbau der Eisenzeit angehört, so fanden sich doch einige Gegenstände, welche
nach der gewöhnlichen Annahme ein viel höheres Alter beanspruchen sollten.
Schon in der Sitzung vom 9. Juli 1870 hatte ich einen Hörn- und Knochenmeissel
vorgelegt, welche in diese Kategorie gehören. Jetzt fanden wir drei Gegenstände
der Art:
1) Eine Axt aus dem Ansatzstücke eines Eichhorns von grosser Schönheit nnd
Härte. Sie ist 13 Gent.« lang, am stumpfen Ende 18,5 Cent im Umfange, sehr
schwer, von dunkelgraubrauner (Torf-) Farbe, und sowohl am Rosenstock als an
beiden Kanten s^hr abgeglättet. Das obere Ende ist schräg abgeschnitten, so dass
der vordere Rand sehr scharf ist; diese Schnittfläche ist, abgesehen von der Di-
ploe, vollständig glatt, und nur am hinteren Ende sieht man daran zahlreiche, meist
parallele Querstriche (Sägestriche?). Ziemlich in der Mitte liegt ein vollständig
regelmässiges Stielloch von 2,7 Cent. Durchmesser, welches von der einen Fläche
zur andern reicht In diesem befand sich zur Zeit der Auffindung noch ein höl-
zerner Stiel, der leider durch die Voreiligkeit und Ungeschicklichkeit des Arbeiters
abgebrochen wurde. Die Fundstelle war am Nordrande der erwähnten grösseren
Grube in der Schicht 4.
2) Ein mächtiger Griff oder vielleicht besser eine Fassung aus dem unteren
Ende eines Hirschhorns von höchst seitsamer Beschaffenheit. Das Born ist nehm-
lich dicht über dem Rosenstock quer durchgeschnitten; es hat hier einen Umfang
von 16,5 Cent. Eine zweite, mit der ersten nahezu parallele Schnittfläche liegt
15 Cent höher an einer Stelle, wo das Hörn noch 14,5 Cent Umfang hat Letz-
tere Fläche ist nicht nur offen, sondern auch durch Entfernung der Diploe voll-
ständig ausgehöhlt, wie zur Aufnahme eines Stein- oder Metall -Werkzeuges, von
dem sich jedoch keine Spur gefunden hat. Dagegen ist die untere Fläche geschlos-
sen durch einen konischen Zapfen von 5,5 Cent. Länge, in welchem wiederum ein
kleinerer, ähnlicher Zapfen von 3,5 Cent Länge steckt, beide gleichfalls aus Hirsch-
horn, und zwar dem Anscheine nach aus Geweihzacken gearbeitet Weiterhin ist
die Augensprosse dicht an ihrem Ansätze, wo sie 14 Cent im Umfange misst,
gleichfalls durchschnitten und sorgfältig ausgehöhlt Das dadurch gebildete Loch
hat eine länglich viereckige Gestalt mit abgerundeten Ecken und ist durch die
ganze Dicke des Homs quer durch bis zur hinteren Fläche (oder Kante) durch-
geführt Hier erscheint die Oeffnung ganz scharf viereckig, und die lange, in
der Axe des Homs gelegene Seite misst 2,5 Cent, die kurze (quere) 1,9 Cent.
Da dieses Loch unzweifelhaft ein Stielloch ist, so ist klar, dass das ganze Werk-
zeug auf den ersten Blick einer Krücke gleicht. Gewiss war es aber sehr geeignet,
(172)
wenn in der vorderen Oeffnang ein Stein oder ein Hetallbeil eingesetzt warde, als
Schlagwerkzeug zn dienen. '}
3) Eine Fassung ans Holzmaser ffir ein Schlageinstrnnient (?). Dieses Stück
war 9,5 Cent, lang, am dickeren Ende 9 Cent., am dfinneren 3,5 Cent im Durch-
messer, innen vom dickeren Ende ans ausgehöhlt und am dünneren dnrcb grobe
Schnitte roh abgerundet. Nach der Untersuchung des Hrn. A. Braun stammte es
von einem Lanbholz mit feinfaserigem Holze, also nicht von einer Eiche oder Ulme,
aber vielleicht von einer Buche. Auch hier wurde ein dazu gehöriges InstmmeDt
nicht gefunden , jedoch machte es bestimmt den Eindruck eines Handgriffes.
Maser-Handgriffe von Jagdmessern des Mittelalters kommen sonst bei uns öfter vor.
Anderweitige bearbeitete Knochen fand ich nicht. Nur einzelne Zacken von
Hirschgeweihen waren angeschnitten. Manches spitzige Knochenstfick , das eioeoi
Pfriemen oder einer Nadel glich, erwies sich bei genauerer Betrachtung als ein
natürliches. Dagegen fanden sich mancherlei bearbeitete Hölzer vor. Manches
davon mochte durch den See angetrieben sein. Sehr zahlreich waren namentlid
die Ruder, welche ans starkem Laubholz gefertigt waren nnd ein langes, schmales,
an beiden Enden leicht gerundetes Blatt von 50 — 55 Cent. Länge und 10 — 15 Cent
Breite besassen. Ausserdem erwähne ich einen schmalen Spatel von ganz Ibo-
lieber Gestalt, eine grössere runde Holzscheibe und die Bruchstücke einer grossen,
schöngearbeiteten Holzschale, auf deren einem ein schiefes Kreuz eingeschnit-
ten war.
Sodann wurden mehrere, zum Theil über handgrosse Stücke von verhältniss-
massig feinem Leder ausgegraben, welche an einem Rande eine Reihe dreieckiger,
zum Einziehen eines Lederfadens bestimmter Oeifnungen hatten, wie ich sie gau
ähnlich im Daber-See gefunden habe.
Bei Weitem überwiegend über alle anderen Ueberreste der menschlichen Konst-
thätigkeit waren die Topfscherben. Rechnet man die schon früher erwähnten,
jedoch ganz vereinzelt an einer einzigen Stelle vorgekommenen Scherben ab, so
zeigen alle übrigen die schon mehrfach von mir hervorgehobenen Eigenthümlicli-
keiten unserer Pfahlbau- und Bnrgwall-Töpferei. Schwarzes, ungebranntes Mat^
rial mit Quarz- und Granitstücken, ohne Glasur, häufig sehr dick, äasserlich lu^
innerlich etwas rauh Ein ganzer Topf wurde nicht entdeckt; nur zwei zum TM
erhaltene kamen zn Tage, beide mit üachem Boden, ziemlich weit ausgele^
Bauche, fast ohne Hals, mit verhältnissmässig grosser Oeffnung. Die Scherben
zeigten sehr häufig die bekannten Zeichnungen: parallele, theils horizontale, tkals
wellenförmige Linien, gröbere Nageleindrücke, punktirte, wie mit einer Gabel ein-
gedrückte, schräg verlaufende Linien u. s. f. Einzelne feinere, einem Blätterkranze
ähnliche Zeichnungen erinnerten am meisten an die Funde von der Oder-Insel bei
Glogau (Sitzung vom 24. Juni 1871). Besonders interessant waren die Stempel
auf den Topfböden, wie ich sie in der Sitzung vom 10. December 1870 (l'af. VI)
von verschiedenen inländischen Fundorten beschrieben habe. Ich sammelte da>on
sechs Stück, von denen die meisten ein Kreuz zeigen. Zwei davon sind vor Allem
merkwürdig: das eine zeigt ein erhabenes Andreaskreuz mit kolbig verdicicten
Enden, um welches eine tiefe Furche so herumläuft, dass sie allen Linien des
Kreuzes folgt; das andere hat ein Kreuz, welches in der Hauptzeichnung dem Jo-
') Hr. Noack hält dasselbe für den Griff eines Steinbohrers. So gerne ich zugestehe, liass,
wenn man statt des Stieles einen Bohrer einsetzte, das Stück als Griff dienen konnte, so haben
wir doch nichts von einem Bohrer gefanden.
(178)
hanniterkreaz ähnelt, indem anstatt blosser Linien spitzwinklige, mit der Basis
nach aussen gestellte, erhabene Dreiecke vorhanden sind.
Kohlen nnd angebrannte Holzstücke lagen an verschiedenen Orten, jedoch
entdeckten wir nnr eine Stelle, wo eine grossere Menge von Kohlen nnd weiss-
licber Asche zusammenlag. Indes deutete die theilweise Röthung der äussern
Oberfläche der Topfscherben darauf hin, dass man sie auch am Feuer gebraucht
hatte. Mehrere grosse Stucke von gewöhnlichem Baumschwamm (Polyporus) waren
ohne alle Bearbeitung und daher vielleicht zufällige Beimischungen. — Eine ein-
zige, ziemlich grosse, hellgelbe Bernsteinperle wurde gefunden; sie befindet sich
in den Händen der Frau Rittergutsbesitzer Holtz.
Schliesslich habe ich die grosse Menge von Thierknochen zu erwähnen,
von denen ein nicht geringer Theil zerschlagen war. Von wilden Thieren fanden
sich nur wenige Ueberreste; am meisten vom Hirsch, namentlich ein wundervolles,
mächtiges Geweih, welches Hr. Holtz seiner Sammlung einverleibt hat; sodann
vom Reh, vielleicht vom Eber und Elch. Unter den Hausthieren nenne ich, vor-
behaltlich weiterer Bestimmungen, das Pferd (eine ziemlich grosse Race), das Bind
(ein sehr geradhömiges), das Schwein (eine sehr kleine Art), das Schaaf, die Ziege,
einen kleinen Hund und das Huhn.
Blicken wir auf die Gesammtheit dieser Funde zurfick, so ergiebt sich, dass
die Pfahlansiedelung einer sesshaften Bevölkerung angehört hat, welche alle wesent-
lichen Hausthiere besass, und welche, selbst In der Mode der Ornamentik, mit
den Bewohnern der anderen bekannten pommerschen Pfahlbauten vollständig über-
einstimmt. Die Verbindung des Pfahlbaues mit dem Rundwali am See bestätigt
diese Beziehungen. —
(6) Herr Virchow berichtet
über eisen Anerochsen-Schädel ans dem Spreewald*
Bei seiner letzten Anwesenheit in Lübbenau erhielt er von dem dortigen Bür-
germeister Hrn. Klepsch ein bis dahin auf dem dortigen Rathhause aufbewahrtes,
vortreffliches Fragment eines Auerochsen-Schädels. Die Hornzapfen hatten eine
Spannweite von 68 Cent., eine Länge von 27,5 Gent., am Stirnansatz einen Umfang
von 29 Gent, gegen das Ende hin von 21,5 Gent, und die Schädelbreite zwischen
den Hornzapfen betrug 19,5 Gent. Das Stück war im Jahre 1837 in der Mntnitza,
einem Hauptarm der bekanntlich im Spreewald in zahlreiche Arme aufgelösten
Spree, unweit des Ortes Batzlin etwa 1 Meter unter der Wiesenoberfläche im Ufer-
rande gefunden. Hn Virchow übergab dasselbe der paläontologischen Sammlung
der Universität —
Herr Kühn legt ein schönes Exemplar eines Homzapfens vom Auerochsen
Tor, welches in der Stadt Friesak ausgegraben worden ist. —
(7) Herr Meitzen spricht, unter Vorlegung verschiedener Gegenstände,
über Bronzefunde bei Damerow In Pommern.
Zunächst übergiebt er der Gesellschaft die Ausbeute einer am 31. Juli 1871
zu Damerow (2V4 Meile NO von Göslin) vorgenommenen Ausgrabung. Die Stelle
ist der auf dem Schulzengute zu Damerow am Wege vom Dorfe zur Ghaussee be-
legene Aasberg, ein kleiner, durch Abgrabungen nach SO ziemlich steiler, sonst
flach verlaufender, sandiger Hügel, dessen Kuppe und südöstliche Seite öde liegt
Die Kuppe hat in grösserer Ausbreitung als Umenstätte gedient. Der Schullehrer
(174)
von Damerow befindet sich im Besitz einer Anzahl Bronsesachen, die dort gefunden
worden sind, leider aber nicht eingesehen werden konnten.
Bei der dnrch den Referenten vorgenommenen Ansgrabang fanden sich, in ge-
wöhnlicher Weise zwischen grosse Pflastersteine eingesetzt, vier Urnen vor, von
denen die eine leer and fast ohne Beschädigung erhalten, die andere mit Knochen
gefüllt, indes in ziemlich zahlreiche Bruchstücke zerdrückt waren. Die Knochen
und Scherben jener Urne sind einzeln, ohne sie untereinander zu mischen, gesam-
melt worden. Der unzweifelhafte Backenzahn eines Kindes beweist, dass wenig-
stens ein Theil der Knochen Kinderknochen sind. Sie sind in sehr kleine Stacke,
wie es scheint absichtlich, zerschlagen. In jeder der Urnen fanden sich Bronze-
gegenstände, in einer ein zerbrochener grösserer Ring und eine Bernsteinperle, in
einer andern eine sehr schön geglättete und scharfe, gegen 4 Zoll lange Nadel, die
dritte zeichnete sich dadurch aus, dass ihre Oeflhnng mit einem Dedsel (in Form
eines umgekehrten Untersatzes für einen gewöhnlichen Blumentopf) verschlossen ge-
wesen war. Dieser Deckel ist unmittelbar da, wo der Rand an den Teller anschlie&st
durch zwei kleine Löcher durchbohrt; in einem dieser Löcher steckte eine Bronze-
nadel von ähnlicher Arbeit, wie die oben gedachte, indess mehr gerostet und am
Griff zu einem Haken gebogen.
Eigenthümlich war, dass die Urnen halbkreisförmig an eine Gruppe von meh-
reren Steinen angelegt waren, in der man eine grössere Urne zu vermnthen GroDd
gehabt hätte. Es fand sich indes nichts als der natürliche Boden vor.
Vs Meile NW von Damerow sind im Wieck'schen Eichhols bei Forstarbeiteo
drei Bronzeschwerter, senkrecht im Moorgrund steckend, aufgefunden worden, wel-
che sich jetzt im Besitz des Herrn Lieutenants Dittrich zu Golberg, Sohnes des
Gonsistoriahraths Dittrich zu Göslin befinden. Die Klingen derselben sind 2 Fass
lang, sämmtlich zweischneidig, eine ziemlich dick und schmal, allmählich spitz zv-
laufend, die beiden andern weniger dick, dagegen breiter imd mit Blutrinneo
zierlich ausgestattet; dabei verläuft nur die eine mit dem bekannten kurzen, in der
Gestalt einer Vernietung angegossenen Griffe allmählich spitz, die andere mit wirk-
lichen Nieten versehene verbreitert sich im letzten Drittel gegen die Spitze blai^
förmig. Offenbar sind sie gleichzeitig im Gebrauch gewesen, deuten aber auf ^
Bchiedenen Ursprung. Man kann annehmen, dass sie von Verfolgten im Moor ver-
borgen wurden; andere Gegenstände sind nicht in der Nähe gefunden worden.
(8) Herr Dr. Anton Beiohenow, als Gast anwesend, kündigt seine bevor-
stehende, mit Prof. Reinh. Buchholz und Dr. Lühder zu unternehmende wissen-
schaftliche Reise nach dem Gebiete des BenuS und nach dem Gamemn-Gebirge
an. Derselbe erbietet sich, entsprechend den von Hm. Hartmann für die Expe-
dition aufgezeichneten Fragen und Angaben, die Interessen der Anthropologie nacb
Möglichkeit zu vertreten.
Druckfehler zur Sitzung vom 10. Februar 1871.
S. 77, Z. 3 (resp. 5} ▼. unten: za niedrig statt zu hoch.
S. 78, Z. 5 T. unten 76, 76 statt 78, 76.
(176)
Sitsnng am 1 1 . Mai 1872.
Der Vorsitzende, Herr Virohow, verKest ein Dankschreiben des correspondi-
renden Mitgliedes, Hrn. Edgar Leopold Layard, früher in Cape Town^ gegenwärtig
grossbritannischen Gonsnis zn (^idade de Nossa Senhora de Belem do Grao Parä
(Brasilien).
Herr ▼. Tsohndi übersendet sein nnd Rivero's Prachtwerk über die peruani-
schen Alterihümer (Antignedades Peraanas, Viena 1851) als Geschenk für die Ge-
sellschaft.
(1) Das correspondirende Mitglied, Graf v. Vwaroff, schickt mit folgendem
Briefe die Photographie
eines Steinhammen Ton Poretschie (Rnssland).
Ge marteaa est en pierre yerdatre, d'ane forme peu commune et d'un si beau
travail, qne Ton voit qu'il n'a pu encore servir. Pour cette trouvailJe, voici la Po-
sition geologique. Snr le bord escarpe du ruissean Inoteha se trouve une rangee
de hautes collines, snr lesqnelles est situ6 le bien de Poretschie. Une de ces
collines est occupee par la briqnerie. Gomme Tannee demiere la conche de terre-
glaise c(»nmen<^t ä trop diminuer, j'ai fait transporter les hangards, et en creu-
sant^ an ^ersant meme de la colline, les fondemens pour nn nouveau hangard,
on a trouyd ce martean dans la couche de sable immediatement sous la couche de
terre-glaise. Des recherches faites expres, n'ont amene aucune autre decouverte.
(2) Herr Witt, Bogdanowo, berichtet in einem Briefe vom 27. April über die
schon in der Sitznng vom 24. Juni 1871 erwähnten
Pfiüilbanten von Alt - Gdrtzig (Provinz Posen).
Bei Gelegenheit einer landschaftlichen Taxe 'des dem Hrn. Grafen Blanken-
see-Fircks gehörigen Gutes Ait-Görtzig im Birnbaumer-Kreise ist es mir gelungen,
bei den als Pfahlbauten bezeichneten Stellen im abgelaufenen See wirklich eine
alte Ansiedelung nachzuweisen. Nach Schluss der Taxe hatte der Graf die Güte,
einige Arbeiter zur Verfügung zu stellen, und in seiner und meiner Gegenwart
wurden die Ausgrabungen vorgenommen. Der sogenannte Grosse See in Alt-
Görtzig bildete vor seiner Trockenlegung eine zusammenhängende Wasserfläche mit
drei grossen Armen. Dort nun, wo diese Arme zusammentreten, hatte sich seit
Alters her eine Insel gebildet, wohl in natürlicher Folge des aus den verbreiterten
drei Seearmen zusammengespülten und durch die Wellen angeschwemmten See-
grundes. Seit Menschengedenken war diese Insel vorhanden. Indes muss auch
sie früher unter Wasser gewesen sein, denn der Boden enthält dieselben Deberreste
von Sumpfschnecken (Paludina) und darunter denselben Kalkmergel, der den Bo-
den des Sees ausmacht Die Insel ist circa 20.— 30 q Ruthen gross. Der sie um-
gebende See wurde vor circa acht Jahren abgelassen und ist der Wasserspiegel um
(176)
wenigstens 10 Fuss gesenkt worden % Nun traten, nachdem der Schlammgmnd ab-
getrocknet war, unmittelbar in der Umgebung der Insel die Pfablreihen um die
Insel herum hervor. Da der Platz zum Theil bereits mit Gestrüpp bedeckt ist, so
Hess sich die Anordnung in der Kürze der Zeit, welche ich verwenden konnte,
nicht genau feststellen, indes ist durch ihre Stellung, indem sie in verschiedeDcn
Reihen von der Insel aus in den Seeboden sich erstrecken, kein Zweifel darüber,
dass die Pfähle keiner alten Brücke oder dergleichen angehören, wie solche in der
Nähe aus späterer Zeit dort angelegt sind, nachdem der See bereits abgelassen
war. Die Pfähle haben ein schwarzes Aussehen, sind 8 — 10 Zoll dick und einige
Fuss in den Kalkmergel des Seebodens eingelassen, ausserdem ziemlich stark ver-
morscht Es wurde nun an verschiedenen Stellen des ehemaligen Seebodens zwi-
schen den Pfählen hineingegraben. Zuerst kam eine Schicht Humuserde aus den
Ueberresten des Schlammes und Schilfes bestehend, von 1 — 2 Fuss Dicke. Dann
aber stiessen wir auf eine Gulturschicht voll interessanten Inhalts, die eine Dicke
von 1 — IV, Fuss hatte. Es fanden sich nämlich in reicher Zahl, meist reichlicher
an dem Rande der Insel, wohin sie wohl zusammengespnit worden sind, aber and
weiter in den früheren See hinein folgende Gegenstände:
1} Eine grosse Anzahl Holzkohlen in grösseren und kleineren Stückchen.
2) Eine reichliche Auswahl Topfscherben aller Art, theils mit geraden nod
zackigen parallelen Bogenlinien verziert, theils ohne Verzierung. Es s nd theils
Seitenstücke aus grossen Gefässen, theils Bodenstücke verschiedener Grösse. Ganze
Gefässe wurden nicht vorgefunden. Sie bestehen ans dem bekannten, mit grobeo
Kieskömchen und Steinchen gemengten Thon, der an der Luft wieder vollständig
erhärtet. Eins der Scherben hat oben am Rande ein Loch, welches darauf hin-
deutet, dass der Topf, dem sie angehörte, früher aufgehängt worden ist.
3) Eine grosse Zahl Thierknochen aller Art, Schenkelknochen, Rippen, eio
Hom, Kieferknochen, Zähne, Rückenwirbel u. s. w. u. s. w. in verschiedenen
Grössen, meist Wiederkäuern angehörig, wahrscheinlich dem Rinde oder deoi
Hirsch. Die grösseren Knochen sind sämmtlich gespalten, um das Mark aus den-
selben zu erhalten, und sieht man deutlich die Schnitte und Spaltstellen an den
Knochen.
4} Eine Axt, aber sonderbarer Weise nicht, wie ich erwartet hatte, aus Stea
oder Bronze, sondern aus sehr stark verrostetem Eisen. Hätte ich sie nicht sM
aus der Gulturschicht unter den Knochen und Scherben hervorgezogen, so wnrde
ich sie einer anderen Zeit angehörig annehmen müssen. Handwerker und Leote,
die mit Holzarbeit Bescheid wissen , halten die Form für eine von den jetzt ge-
brauchten abweichende, so dass auch dies für das Alter derselben zu sprecbea
scheint. Ich selbst habe eine solche noch nicht gefunden Indes ist es mir be-
reits häufig so erschienen, dass in dem Anfang der Einführung des Eisens dieses
noch zugleich mit den Bronze- und Steinwaffen, die sich allerdings bis jetzt nicht
an dieser Stelle, aber doch an vielen Orten der Provinz Posen vorgefunden haben,
im Gebrauch gewesen ist. Als Beweis dienen die Funde in Alt-Lübeck.
Eine Viertelstunde oder kaum zehn Minuten von der Ansiedelung io) Ait-
Görtziger See entfernt findet sich in einer Schonung ein heidnischer Begräbniss-
platz, wie fast immer, auf einer Anhöhe in lockerem Sande. Da die Gefässe, Urnen
mit Asche und Menschenknochen, aber meistens in dem lockeren Sande ohne
Steinumhüllung 1 Va -^ 2 Fuss in den Boden gelegt sind, so sind sie meistens mit Wur-
zeln der Bäume durchwachsen und durchzogen. Einige kleinere habe ich mitge-
nommen und eine hat Ihnen Graf Biankensee Fircks bereits geschickt. Sol-
cher Plätze finden sich in der Provinz Posen viele, fas auf jedem Gute. Ob sie
(177)
im ZusainmenhaDge mit den Pfahlbaaten stehen, weiss ich nicht. Erst kürzlich bei
einer Taxe im Dorfe Nawisk im Kreise Obomik, auch nicht zu weit entfernt von
zwei grösseren Seen, zeigte mir ein Baner ein solches, aber aas starken Granit-
platten zusammengesetztes Grab, in welchem eine schöne Urne mit Menschen-
knochen gefnnden worden war, nebst Eisenstückchen, wie er sagte. Leider hatten
seine Jungen mit Rehposten nach derselben geschossen und sie zertrümmert. Indess
sind die Stücke derselben ganz ähnlich den vielen Deckelurnen, die hier im Obor
niker, wie im Bimbaumer Kreise gefunden worden sind. —
Herr Yirohow bemerkt in Beziehung auf die von Hrn. Witt erwähnte eiserne
Axt, dass dieser Fund ihn keineswegs überrasche, vielmehr nur die Uebereinstim-
mang des Pfahlbaues von Alt - Görtzig mit den früher untersuchten Pfahlbauten
in Hinterpommern darthue. Er selbst habe schon in der Sitzung vom II.Decbr.
1869 (Zeitschr. f. Ethnologie, Bd. I. S. 406) derartige Funde aus dem Daher- und
Persanzig-See erwähnt. Die Form scheine gleichfalls übereinzustimmen. —
(3) Herr Hermann Dewitz. übersendet mit zahlreichen Fundgegenständen
folgende Mittheilung
Aber altprenssisohe Begräbnissstfttten an der Samlftndlschen Kfiste nnd in Maanren.
Wohl am reichsten von der Natur bedacht ist unser Ostseestrand auf der
Strecke von Rantau bis Brüsterort. Zweihundert Fuss und darüber erhebt sich an
einzelnen Stellen das Ufer über den Meererspiegel und föllt jäh nach der See hin
ab. Während dann der Wind hoch oben in den Gipfeln der Bäume rauscht, nagt
die See brausend unten am Fusse der Berge, so dass dieselben untergraben wer-
den, und oftmals^ z. B. in Wamiken, der Perle des Samländischen Ostseestran-
des, grosse Erdschollen mit den darauf stehenden Bäumen herabstürzen. Dieses
Alles macht die Scenerie zu einer wildromantischen Solche von der Natur bevor-
zugten Gegenden müssen die alten Preussen wohl mit Vorliebe zur Anlegung ihrer
Begräbnissstätten benutzt haben. Denn gerade auf dieser Strecke befindet sich
eine Menge derselben und zwar entweder als Einzelgräber, von den Leuten Ka-
porne genannt ^ oder eine grössere Anzahl auf einem Platze neben einander. So
sind bei Grosskuhren vor einigen Jahren viele Gräber beim Steinebrechen aufge-
deckt In der Warniker Forst befindet sich eine Menge derselben, ebenso bei
Nenkuhren. Bei Lapönen sah ich drei solcher einzeln im Felde liegender Kapome.
Es waren 10— 12 Fuss hohe, mit Gras bewachsene Erdhügel, die an der Basis
20 — 30 Fnss Durchmesser hatten. Sie lagen 30 — 40 Fuss von einander entfernt.
Einer dieser drei Hügel war im vorigen Jahre aufgedeckt worden. Im Innern be-
fand sich eine sogenannte Steinkiste. Von grossen, platten Steinen war ein förm-
licher Kasten gebaut, der drei Seiten wände, Boden und Deckel hatte. Das eine
Ende, an dem sich kein platter Stein befand, jedenfalls der Eingang, wurde durch
mehrere kleine Steine verschlossen. Alle Steine befanden sich, ausser dem Deck-
stein, der abgehoben war» noch in ihrer Lage. Auf dem Boden der Kiste hatten,
wie mir die Leute, welche das Grab geöffnet, sagten^ mehrere Urnen mit Knochen-
stückchen und schwarzer Erde gefüllt gestanden. Schmucksachen waren nicht zu
finden. Umenscherben lagen noch umher. Die beiden übrigen Hügel waren nicht
geöffnet.
Ebenso gebaute Gräber befinden sich, wie ich von einem Lehrer der dortigen
Gegend hörte, bei Alknicken, einem von Lapönen 1 Meile entfernten Dorfe.
Doch nicht allein diese Art von Gräbern findet man in der Gegend, sondern
auch ähnliche, wie wir sie in Masuren haben. Bei Rantan befindet sich der
C"8)
sogenannte Honenberg. Von ihm erblickt man '/■ Hüle vor sich die See,
deren Brausen man dentlicb vernimmt Linlis zieht sich eia donlder Tannenwald
hin, zur Rechten wechseln Wiesen und Felder.
Dieses war die Begr&bnissBtfttte für Hnnderte. Der Berg oder besser die An-
höhe ist mehrere Morgen gross. Auf dieser Fläche befinden sich viele kldoe Bo-
denerhähungen, die einzelnen Gräbera von 5—8 Fuss Durchmesser und 2— 3 Pnss
Höhe; ans einzelnen GrSbem ragen Steine hervor. Etwa 8—10 Hess ich öffnen.
Bh allen befand sich unmittelbar unter dem Rasen eine Steinlage von meist kopf-
groRsen Steinen. tJater dieser Steinlage steht in jedem Grabe eine Urne, bisweilen
vielleicht auch zwei oder drei, doch nie so viele, wie in den Gräbern der Gmneiker
Begr&buisBstätte. Die Urne ist auch nicht wie dort mit einem platten Decksteine
bedeckt, noch auch, wie die Gruneiker, mit Steinen nmgeben, sondern onr in den
gelben Sand gesenkt.
Senkrechter Durchschnitt eines solchen Orabet.
Die Urnen welche ich fand waren bis 2 Fnss hoch und fast alle nach m
und- derselben torm gearbeitet An der hervorspringenden Kante ab befanden sici
znr Verzierung mit dem Finger eingLtlmckte Vertiefungen Im Innern der Geßw
die schon sehr verwittert waren befand sieb kohlschwarze Erde in derselben s^
vereinaelt Knochen nnd Kofalenstückchen und noch seltener Schmuckgegenatänii«
in den meisten fand sich nichts dergleichen Alles was ich entdecken konnte,
waren einige Bemsteinperlen unbearbeitete Bemsteinstfickchen nnd kleine Bronu-
gegenstände. Wie arm mQBsen die Leute hier gewesen sein' Freilich ist ancb
heat zn Tage die Gegend nichts weniger als reich
Nach der Aussage der dortigen Leute linden sich auch bisweilen grosse Pferde-
knochen in den Gräbern nnd zwischen ihnen Steigbfigel Zaamgebi se Hnfeiien
und andere Sachen von Eisen und Bronze. Ein solches Grab war von einem
Hätejangen geöffnet.. Grosse Pferdeknochen und ein Stack von mnem «sernen
Hnfeisen lagen nmber. ')
') Verzaichniss der auf dem Bantauer Hnnenberge gefundenen und eingesendeten Gegec-
1 nnd 3. Umenatücke aus einem Qrabe.
3. De^leicben; a Innenseite, zeigt noch Spuren der schwanen Erde; b Aussenseite.
4. Erde oder besser Sand, aus dam der Rantauer Hünenberg besteht.
9, Exla BUS dm Urnen.
(179)
Soviel ich gehört, hat man auch in all den übrigen Gräbern an der Samländi-
sehen Ostseeküste, die geöffnet worden sind, noch niemals Schmucksachen gefun-
den, die sich den Gruneiker Gegenständen an die Seite stellen könnten.
Ausser diesen Rantauer Gräbern habe ich auch noch in Masuren einige öffnen
lassen. Bei Gasse wen, drei Meilen von Angerburg, befindet sich ein kleiner
Hügel mit Gräbern; ich fand nach längerem Suchen eine Urne mit schwarzer Erde
angefüllt, doch ohne irgend welche Schmucksachen. Da sie schon zu verwittert
war, konnte ich weder Form noch Grösse erkennen.
Von da begab ich mich nach dem zwei Meilen entfernten Gruneiken und
unternahm am 18. September, nachdem mir der überaus gastfreundliche Be-
sitzer, Hr. Fritzenberger, nicht nur Erlaubniss, sondern auch Leute dazu gege-
ben hatte, meine Ausgrabungen.
* Auf dem ausgeworfenen Sande eines von Hm. Gutsbesitzer Herzog vor einem
Jahre geöffneten Grabe fand ich mehrere Pferdeknochen. Sie lagen, wie mir Hr.
Herzog sagte, im Innern des Grabes um eine Urne. Zwischen ihnen ein Gebiss
von einem Zaum, das nicht mehr vorhanden war. Auf der ausgeworfenen Erde eines
anderen Grabes fand ich gebrannte Menschenknochen und einen Schneidezahn vom
Pferd. Mehrere Stunden grub ich ohne Erfolg, da fast sämmtliche Gräber schon
geöffnet sind. Nach langem Suchen fand ich endlich eine Urne (24). In ihr oder
neben ihr lag ein Gebiss vom Zaum, eine Bronzenähnadel, zwei Bronzeröhren und
ein Granitsplitter, der mir als Werkzeug benutzt zu sein scheint.
Da mich anhaltendes Schneegestöber am Weitergraben verhinderte, so musste
ich dasselbe einstellen. Am nächsten Tage fand ich nach langem vergeblichem
Suchen in einem freilich früher auch schon geöffneten Grabe eine Urne, mit Sand
und Enochenstückchen gefüllt; dazwischen eine grüne Perle von Glas und einen
bronzenen Gewandhalter. Neben der Urne standen zwei Gefässe, die '/4 Fuss hoch,
unten bauchig waren und nach unten enger wurden, so dass sie die Form einer
Blumenvase hatten. Es waren jedenfalls Trinkgefässe, da sie nur Sand und keine
Knochen enthielten. Ein ähnliches Gefäss fand ich vor zwei Jahren, das auch
jedenfalls ein Trinkgefäss war, da es nur Erde ohne Enochen und Schmucksachen
enthält. —
Herr Virehow bemerkt in Bezug auf diese Mittheilung Folgendes:
1) Die Thongef&sse des Rantauer Fundes sind sowohl durch Grösse, als durch
die änsserste Rohheit höchst auffallend. Das grösste, wenngleich nur etwa zur
Hälfte erhaltene Gefäss (21) ist 48 Cent, hoch, am Boden 17,5, am Bauche 31,5
und an der Hündung 24 Cent. weit. Es ist durchschnittlich 15 Millim. dick, ans
sehr grobem, schwarzgrauem, äusBerlich etwas gelblichem Thon mit groben Kies-
bmchstücken; seine Oberfläche ist ganz rauh und grobhügelig. Etwa 12 Cent, un-
ter dem Rande ist die stärkste Wölbung des Bauches, bezeichnet durch einen dop-
6 und 7. Umenstüeke.
8 und 9. Bemsteinstückchen aus einem Grabe.
10. Bemsteinperle aus einer Urne.
11. Bemsteinperle, gefunden beim Dreschpflägen aiif der Palwe, einer dem Rantauer Bünen-
berge benachbarten Wiese.
13 — 16. Yerschiedene Gegenstände aus je einer Urne.
17. Die oben erwähnten, an einem bereits früher geöfineten Grabe des Rantauer Hönenbergs
gefundenen Pferdeknochen und ein Stück Hufeisen, das zwischen ihnen lag.
18. Grosses Umenitnck.
(180)
pelten Ring scharfer, jedoch schmaler Nageleindrücke, zwischen denen an einer
Stelle ein niedriger Knopf hervorsteht. Das n&chstgrosse Fragment (1), dessen
Rand abgebrochen ist, hat noch eine Höhe von 27 Gent, nnd am Baache einen
Durchmesser von 22,5 Cent. Die Dicke der meisten Stücke betHUgt 1 Gent. Das
Material ist ein sehr grober, auf dem Brache völlig schwarzer Thon, mit ganz gro-
ben Kies- und Granitstacken untermischt. Aeusserlich haben die Scherben eine
graogelbliche Farbe und eine ganz rauhe, an vielen Stellen hügelige Oberfl&che;
innen sehen sie gleichfalls gelblich, hier und da röthlich^ wie gebrannt aus, und
ihre Fl&che ist ebenso rauh und uneben. Die Form ist die hoher Krüge, welche
eine weite Oeffnung und etwa in */, ihrer Höhe einen massig ausgelegten Bauch
besitzen; um letzteren läuft ein Kranz sehr grober und breiter Eindrücke, welche
der Spitze des Daum es entsprechen.
Die Bronze-Gegenst&nde sind verh<nissmässig klein und sie zeigen einep
schlechte, weissliche oder graugrüne Patina, welche auf starke Legirungen der
späteren Zeit hinzudeuten scheint. Es finden sich darunter zwei Fingerringe aus
grobem Bronzedraht, ein flacher und ein rundlicher Knopf, wahrscheinlich von
Bronzenadeln, eine kleine Schnalle, bestehend aus einem flachrundlichen Ringe
und einem platten, beweglich angefügten Dorn, endlich ein schmales, plattes Band,
vielleicht von einem Ringe.
Die Bernsteinperlen sind passabel gearbeitet und von verschiedener Beschaffen-
heit. Die eine (10) ist ziemlich dick und, wie es scheint, geschnitten und nicht
gedreht, sie hat ringsum einen scharfen, stark vorspringenden, mittleren Rand und
ist beiderseits gegen das recht gut gebohrt^ Loch stark verjüngt Sie ist 12 Hill,
hoch und 16 Mill. im Querdurchmesser. Eine andere (14) ist mehr flach, auf einer
Seite mehr platt, jedoch rauh, auf der anderen flach convex; der Rand ist breit
und unregelmissig. Auch das Loch ist schief und etwas ungleich. Nur die con-
vexe Seite ist polirt. Sie misst 8 Mill. in der Höhe, 24 MiU. im Querdurchmesaer.
Die dritte (11), welche auf der Wiese gefunden ist, erscheint am meisten regel-
mässig gedreht nnd ihre Oberfläche ist durchweg ziemlich glatt. Sie ist etwas
flach, biconvex, mit dickem, gut gerundetem Rande. Sie hat 10 Mill. in der Höhe
und 24 Mill. im Querdurchmesser.
Ausserdem findet sich noch ein mitten durchgebrochener, thönemer Spiii-
wirtel, dessen Form der zuerst erwähnten Bernsteinperle ähnlich ist, nur dass ma
das Loch eine vertiefte Fläche läaft Endlich eine kleine, durch den Leichenbrand
stark angegriffene Perle, deren Material schwer zu bestimmen ist; stellenweia sieht
sie fast wie Eisenrost aus.
Mach den sorgfältigen Bezeichnungen des Hrn. Dewitz sind gewöhnlich meh-
rere dieser Gegenstände in derselben Urne vereinigt gewesen, und zwar scheint
es, dass die feineren Bronze- Gegenstände weiblichen Individuen angehört haben.
Wenigstens findet sich der eine Fingerring von Bronze mit dem Spinnwirtel, der
zweifelhaften Perle und den Bronzeknöpfen (16), der andere Fingerring mit der
plan-convexen Bernsteinperie (14), einem ganz zussmmengeschmolzenen und un-
kenntlich gewordenen Bronzeklampen und einem kleinen üeberrest von Gewebe
zusammen. Die Schnalle dagegen war mit einem unbearbeiteten Bemsteinstück,
gebrannten und stark gesprungenen Trümmern dicker Schädelknochen und Kohlen-
stücken vereinigt.
Deutliche Eisenreste sind weiter nicht vorhanden, als in dem halben Hufeisen,
welches Hr. Dewitz bei einem schon früher geöffneten Grabe gefunden hat (20).
Ob dieses Stück derselben Zeit angehört, wie die übrigen Gegenstände, steht da-
(181)
bin. Jedenfalls scheint hervorzogeben, dass der Haaptfand einer verhältnissmässig
späten Periode der Bronzezeit angehört.
2) Die nenen Grnneiker Fnndstücke sind sehr willkommene Ergänzungen
dessen, was ich früher über dieses merkwürdige Gräberfeld in der Sitznng vom
15. October 1870 mitgetheilt habe. Insbesondere gilt dies von dem Thongerätb.
Damals hatte ich nur ein einzelnes Gefäss (ausser einzelnen Scherben) erwähnt,
welches eine gelbbraune Farbe nnd ganz geglättete Oberfläche, sowie einen sauber
gearbeiteten Rand nnd ßanch besass. Alles andere Thongerätb war so roh, dass
es der von mir bestimmten Periode, der spätrömischen, kaum zu entsprechen
schien.
Gegenwärtig haben wir ans drei verschiedenen Gräbern solche feineren Ge-
fasse, nnd zwar, was mir besonders wichtig erscheint, zwei schwarze nnd ein
gelbes.
a) Aus einem Grabe (24) ist ein grösseres Fragment eines schwarzen Henkel-
Topfes aufbewahrt Dasselbe besteht aus feinem, nur mit kleinen Feldspathstnck-
chen untermischtem, auf dem Brnche grauschwarzem Thon von geringer Dicke
(4 — 5 Mill.); der Thon enthält viele glänzende Theilchen, wie es scheint, Glimmer.
Der Henkel ist nicht angesetzt, sondern mit dem Topfe aus einem Stucke geformt,
weit genug, um bequem einen Finger aufzunehmen, auf der Fläche ziemlich breit
und glatt. Er sitzt am Bauche des wahrscheinlich nur kleinen Gefässes, welches
unmittelbar über der Ansatzstelle einen stark eingedruckten Hals von 24 Mill..
Höhe hat Der obere Rand ist glatt, aufrecht und sehr dünn. Das Gefäss ist übri-
gens aus der Hand geformt und seine äussere Oberfläche zeigt einen gewissen
Glanz, der auf angewandte Glätte hinweist. In demselben Grabe befand sich an
Bronze eine massig grobe Nadel mit abgebrochener Spitze und langem, stark aus-
gebogenem Ochr, im Ganzen fast 80 Mill. lang; sodann ein kurzes Fragment einer
kleinen Röhre, aus einfach zusammengebogenem Bronzeblech bestehend und ausser-
lieh feingerippt; endlich ein sonderbares Werkzeug, das eine genauere Beschreibung
verdient Es ist eine 75 Mill. lange und 7 Mill. dicke Röhre, welche auf einer
Seite der Länge nach einen Schlitz von 3 Mill. Breite besitzt, der durch zwei, der
Länge nach an einander gelegte Streifen, wie es scheint von Leder, ausgefüllt
wird. An einem Ende ist die Röhre durch einen mit der Wand derselben zusam-
menhängenden kleinen Deckel nahezu geschlossen; am anderen ist sie offen und
gleichfalls mit Leder (?) gefüllt. Diese Röhre hat die beste, wenngleich auch et-
was weissliche Patina. Sie zeigt äusserlich recht regelmässige Ornamente, zusam-
mengesetzt aus schräg stehenden, geraden Linien, welche zn drei bis vier sich un-
ter stumpfen Winkeln kreuzen. Es sieht fast aus, als sei früher zwischen die
Lederstreifen noch etwas Anderes eingeschoben gewesen (Kamm?). — Es ist dies
die Urne, neben (oder in?) welcher ausser einem stark verrosteten kleinen eisernen
Messer ein vollständiges eisernes Pferdegebiss gefunden wurde. Letzteres besteht
aus zwei grossen Ringen, an welchen die in der Mitte bewegliche Stange einge-
lenkt ist; an jedem derselben sitzen, offenbar zur Verbindung mit dem Riemenzeuge,
durch Ringe angefßgte Hefteln.
b) Aus einem zweiten Grabe (28) sind schwarze glatte Bruchstücke von Thon-
gefässen vorhanden, welche überaus sauber behandelt sind. Die meisten sind ganz
einfach. Ihre äussere Fläche ist so glänzend schwarz, wie bei den ältesten etruri-
schen Vasen.' Einige haben auch innen dieselbe glänzende glatte Fläche, nur nicht
so schwarz, andere dagegen zeigen innerlich unebene, sich kreuzende Striche, wie
von der formenden Hand. Der Bruch ist hellgelb, fast röthlich und das
(182)
Material ganz fein, ohne alle gröberen Beimengungen. Der Rand ist
einfacli, glatt, dann, ein wenig nach aussen abstehend; das Geföss weit, der Boden
eng. Daneben findet sich aber ein ganz vorzügliches, durch Form nnd Zeichnung
hervorragendes, etwa '/^ des Gefasses ausmachendes Bruchstück. Von dem platten
Boden, der etwa 65 Mill. Durchmesser gehabt haben mag, wölbt sich das Gefass
schnell aus, so dass in einer Entfernung von 55 Mill. über dem Boden schon die grösste
Weite des Bauches folgt, die etwa 140 Mill. im Durchm. betragen haben mag. Von da
an nach oben verjüngt sich das Gefäss )eben so schnell wieder, doch ist bei dem
Fehlen des Randes weder seine Höhe, noch seine Mündung genau zu erkennen.
Die gegenwärtige Höhe misst 100 Mill. und es dürfte nicht viel an der ursprüng-
lichen fehlen; die Mündung ist wahrscheinlich dem Boden ziemlich gleich an Durch-
messer gewesen. Es ist also ein kleines, offenbar nicht zur Aufnahme von Ueber-
resten des Leichenbrandes bestimmtes Gefäss. Es ist gleichfalls aus der Hand gj^
formt, obwohl gewisse parallele Striche um den Bauch auf die Drehscheibe hin-
deuten könnten. Seine glänzend schwarze Farbe ist stellenweise abgescheuert us.^
der graugelbe Untergrund tritt zu Tage. Besonders wichtig sind die Omamentt
welche sonderbarerweise die Basis des Gefasses, also den Raum zwischen Bodei
und stärkster Auslage des Bauches einnehmen. Man sieht hier oben und unten
zuerst eine Begrenzung durch einen horizontalen Strich^ sodann Verbindungen bei-
der durch je zwei schief herablaufende Striche, welche mit dem zunächst stehenden
Paare convergiren. In den dadurch gebildeten dreieckigen Feldern ist jedesmal
von der Spitze des Dreiecks zur Basis desselben eine durch scharfe Nageleindrücke
gebildete Reihe über einanderstehender kleiner halbmondförmiger Curven zu sehen.
Dabei ist zu bemerken, dass die Linien aus freier Hand gezogen sind und daher
weder untereinander parallel, noch überhaupt ganz gerade sind. — Aus diesem
Grabe stammt ausserdem eine sehr schöne smaragdgrüne Perle von undurchsichtigem
Glasfluss, 10 Mill. hoch, 18 Mill. im Querdurchmesser; sodann eine Bronze -Fibals
von demselbem Typus, wie die Mehrzahl der in der früheren Sitzung beschriebenen,
jedoch klein und ohne Silberbesatz, und endlich die letzten Ueberreste einer offen-
bar nach demselben Typus geformten, jedoch durch Rost fast ganz verzehrtei.
eisernen Fibula.
c) Die von Hm. Dewitz als Trinkgefässe angesprochenen Geräthe (2^)s^
graugelbe oder hellgelbe, gleichfalls geglättete Gefässe. Die dicksten derselben zditn
auf dem Bruche in der Mitte eine schwärzliche Schicht; sonst sind sie vollstäv
dig gebrannt. Ihr Material gleicht dem der vorigen Urne; es enthält nur so-
viel Quarzkömchen, als natürlicher Thon. Sie zeigen einen sehr regelmässig
durch einen vertieften Ring abgesetzten Hals, jedoch ist leider weder Rand noch
Boden erkennbar. Innerlich zeigen sie deutlich die Fingereindrücke des Formers
in stehenden Furchen. — Nur ein Bruchstück ist etwas roher und zugleich rauher;
dieses ist in der That blumentopfähnlich, sehr weit und unter dem abgebrochenen
Rande mit zwei kleinen, übereinanderstehenden Rnöpfchen besetzt.
Wenn ich schon in der Sitzung vom 15. October 1870 darauf bin¥ries, dass
der Gruneiker Fund sich durch gewisse Eigenthümlichkeiten manchen Gräberfunden
aus unserer nächsten Nähe anschliesst, so kann ich jetzt sagen, dass seine Tbon-
waaren in der That denen der Lausitz, der Mark, Posens und Pommerns sich sehr
annähern, nnd es liegt gewiss nahe^ hier südliche Muster anzunehmen. Ich habe
damals gezeigt, dass nicht bloss die Münzen, sondern auch die Zusammensetzung
der Bronze und die Technik der Fibula auf römische Beziehungen des vierten oder
fünften Jahrhunderts hinweisen, und es wird demnach auch für andere unserer
(183)
Fnnde, denen so charakteristische Kennzeichen fehlen, wahrscheinlich, dass sie
einem gleichen Zeitabschnitte angehören.
Hr Dr. Carl Lohmeyer hat kürzlich in einer kleinen Schrift (Ist Prenssen
das Bernsteinland der Alten gewesen? Königsberg 1872.) in einer ganz nnmotivir-
ten Weise gegen mich polemisirt, indem er mir die Behauptung unterschiebt, ich
hätte die Existenz römischer Niederlassungen in Ostpreussen dargethan. Es wird
hier genügen, zu wiederholen, was ich in höchst vorsichtiger Weise aasgeführt habe,
dass eine rönusche Einwirkung ganz unzweifelhaft ist, dass dagegen die Frage, ob
Körner in Person nach Ostpreussen gekommen siud, noch eine offene sei. Die
jetzt vorgelegten Sachen eröffnen eine grössere Perspektive, indem sie für ein viel
mehr umfassendes Gebiet darthun, dass südliche Einflüsse nicht bloss die Metall-,
sondern auch die Thonfabrikation bestimmt haben. Hr. Lohmeyer wird sich wohl
-»durch das Stadium der neuen Entdeckungen in Mecklenburg, Dänemark und Han-
nover überzeugen, wie wenig seine absprechenden Bemerkungen begründet sind. —
(4) Eine fernere Mittheilung des Hrn. Dewitz betrifft
eine altprenssiselie Wohnstätte bei Aweninken.
Am Ufer der Angerapp beim Dorfe Aweninken (Kreis Gambinnen) befindet
sich ein altpreussischer Schlossberg (verzeichnet auf der Generalstabskarte). Auf
ihm liegen noch Stücke gebrannten Thons, Ueberreste der einstigen Befestiguogs-
werke. Etwa 500 Schritt nördlicher, auf dem Felde des Besitzers T. zeichnet sieh
ein etwa 10 Morgen grosser, auf einer Anhöhe belegener Platz durch seinen sehr
humusreichen, kohlschwarzen Boden, wie durch die vielen obenauf liegenden
Knochenstücke vor dem übrigen Lande aas. An vielen Stellon stösst man, wenn
die schwarze Erde 2 Fuss tief weggeräumt wird, auf eine ebene, von Menschenhand
gefliene Steinlage (Steinpflaster). Dieselbe ist ziemlich kreisrund and. hat 20 > bis
30 Foss Durchmesser. Die Steine haben meistens eine runde Form und die Grösse
eines Kinderkopfs (grosse Steine finden sich auf dem ganzen Platze nicht). Sie liegen
dicht nebeneinander, nie mehrere übereinander. Die Lücken zwischen den einzel-
nen Steinen sind mit Thon ausgefüllt. Ziemlich in der Mitte dieser runden Stein-
lage ist der Thon härter und roth gebrannt; unterhalb der Steinlage findet sich,
wie auf dem ganzen übrigen Acker, 2^', — 3 Fuss tief dieselbe humusreiche, schwarze
Erde; unter ihr stösst man auf Sand. Oberhalb der Steinlage finden sich in der
schwarzen Erde Knochen vom Rind, Pferd, Schwein und vielleicht auch von ande-
ren Thieren, dicke Scherben von Thongefässen und besonders in der Nähe des roth-
gebrannten Thons Asche und kleine Kohlenstückchen. Es ist wohl nicht zweifel-
haft, dass auf diesem Platze mit dem schwarzen Humusboden ein altprenssisches
Dorf gestc^nden hat, ,dass auf den einzelnen Steinlagen (Steinpflastern) sich. die
Hütten erhoben und in der Mitte, wo der Thon rothgebrannt ist, die Speisen ge-
kocht wurden. Die Topfscherben rühren jedenfalls von Koch- und Trinkgefäsaen
her, die sich in den Hütten befanden. Die Knochen von den verzehrten oder ge-
storbenen (Pferden) Thieren wurden wohl ausserhalb der Hütte aufgeschüttet ujad
sind später, als das Dorf nicht mehr stand, durch die Beackerung über den ganzen
Platz ausgebreitet worden. An eine Begräbnissstätte ist nicht zu denken, denn es
finden sich weder zerstückelte, noch ganze MenscbenJ^I^K^hen; die Scherben u. s. w.
liegen nicht, wie bei allen unseren aUpreussisi^c^n iGräbeitn, .unterhalb, sondern
oberhalb der Steinlage, auch sind die Steine ja (»i^ji^eateud kleiner als die in den
Gräbern, und von platten Decksteineu list keine ^p^ir. Nie haben endlicji unsere
Vorfahren, die alten Preussen, die dQU Todten gej^^rig«^ Schweine und Kühe
(184)
mit beerdigt, sondern höchstens das dem Krieger angehörige Schlachtross, denn
Pferdeknochen, ja ganze Gerippe finden sich in altpreassiscfaen Gräbern, wie bei
Rantau am Ostseestrande und bei Gruneiken in Masuren, niemals jedoch Knochen vom
Rind oder Schwein und am allerwenigsten in solcher Menge, wie es hier der Fall
ist. Nie sind endlich die Steine in den Gräbern durch Thon mit einander yerbon-
den. Aus Gesagtem geht heryor, dass wir es hier nicht mit einer Begräbniss-, bod-
dern mit einer Wohnstätte zu thun haben.
Da der Platz beackert wird, so sind schon viele Steinlagen ausgepflügt, von an-
dern findet man nur noch einen Theil im Boden. £3 lässt sich also nicht mehr fest-
stellen, wie nah die Hütten an einander gestanden haben oder wie viele derselben ge-
wesen sind. Auch hat man verschiedenartige Stein-, Bronze- und Eisensachen gefun-
den, von denen ich jedoch nichtd zu Gesicht bekommen konnte. Auch an den Sei-
ten der Steinlage befinden sich oft Aschenhaufen, die wohl von den Holz wänden der
Hütten herrühren, denn es ist nicht anders denkbar, als dass das Dorf ein Raab der
Flammen geworden ist. — Der nahe Schlossberg diente wohl einst dem Dorf zn
Schutz gegen anrückende Feinde. Auch ein Begnibn issplatz für dieses Dorf wa
vorhanden. 900 Schritt nördlicher befindet sich n&mlich ein etwa acht Morgen gros-
ser sandiger Platz, auf dem schon viele Gräber entdeckt sind. Die Begräbnissstätte
liegt auf einer Anhöhe unweit der Angerapp, von wo man die herrlichste Auseicht
nach allen vier Himmelsgegenden geniesst. Vor 10 — 15 Jahren, als der Platz Doch
dresch lag, soll er ganz und gar mit Gräbern bedeckt gewesen sein. Jetzt jedoch
sind die meisten durch die Pflugschaar und Egge zerstört. Sehr viele Steine, meist
kopfgrosse, darunter auch viele platte Decksteine, die über den Urnen lagen, haben
die Besitzer des Landes herausgenommen und an ihren Gehöften aufgespeichert h
den Gräbern befindet sich 2 Fuss unter der Oberfläche eine runde Steinlage (Stein-
pflaster) kopfgrosser Steine von 4 — 6 Fuss Durchmesser Unmittelbar darunter ste-
hen die rohgearbeiteten Urnen, meist mehrere in einem Grabe, in den Sand gedruckt
ohne, wie z. B. die Gruneiker, von schützenden Steinen umgeben zu sein. Sie sißd
etwa 1 Fuss hoch, haben oben ^/4 Fuss Durchmesser, einen etwas nach innen gebog^
nen Rand und nach unten spitzen sie sich konisch zu, sind also nicht bauchig; sif
sind durchaus nicht geglättet In ihnen, wie auch um dieselben, befinden sich vi^
reiche, oft auch angebrannte Enochenstückchen, dazwischen (in der Urne) brooi^
und eiserne Schmucksachen, Ringe, Schnallen u. s. w., wie auch Bernsteinpeiiei^
In der Mitte der Begräbnissstätte ist der Sand auf einem, mehrere Quadratrutheti
grossen Platze dunkler gefärbt, humusreicher, und viele Enochenstückchen liegen so-
wohl in der Erde, wie oben auf. Auf diesem Platze hat man nach der Aussage der
Besitzer niemals Gräber gefunden. Die Leute nennen diesen Platz die Brandstätte,
weil sie meinen, die Todten seien hier verbrannt, was sehr wahrscheinlich ist, d&
der Platz wohl nur durch Verwesung von Enochen und ASche humusreicher als die
Umgebung geworden ist. Zwischen diesem Begräbnissplatz und dem oben beschne-
benen Wohnplatz befindet sich eine tiefe Schlucht, in welcher ein Bächlein der An-
gerapp zurieselt. -- -
»
(5) Fräulein Julie Kestorf (Hamburg) berichtet in einem Briefe an den Yorsitsenden
Aber eine C^slchtsnme von M5en.
Bei Benutzung der dänischen Annaler f. nord. Oldkyngte, Bd. 1838 — 39faDd
ich zufallig nachstehende Notiz:
4878. Bruchstücke von zwei grossen Urnen. An der einen befindet sich
statt der Ohren ein Ornament, welches wahrscheinlich zwei Augen
(185)
TorstelleQ soll , das andere zeigt Linearomamente : eiogestochene Dreiecke.
Ich fand dieses UrneDfragment beacbteaswerth und benutzt«, als ich mich kütz-
lieb mit eiaigcQ anderen Fragen nach Eopeahagen vandte, die Gelegenheit, um nä-
here Anskunfl über dasselbe zd bitten. Hr. Jnstizrath Strunck entsprach meinem
Wunsche mit bekannter liebenswürdiger Gefälligkeit, indem er nicht nur einen Aas-
zug auB dem Fundberiobt und Copie aus dem Katalog, Fondem auch einen PapienU>-
klatsch von dem Urnen&agment schickte, welches ii^ zu zeichnen versucht habe.
Eine correcte Zeichnung lä£3t sich nur nach dem Original anfertigen. Ich habe mich
bemüht, die klar abgedruckten Linien gen^m wiederzugeben, alles sweifelbafte un-
beachtet lassend. l>ie Punkte an der Stelle der Nase zeigen die Kindrücke auf dem
Papier, welche auf eine Erhöhung am betreEFenden Orte schliefen laases. Dass eine
solche vorhanden, bestätigt die Äeusserung des Hm. Justizrath Struuck: .Zwischen
den Augen scheint ein Schnabel gesessen zu haben; derselbe ist abgebrochen. Wollte
man vielleicht eine Eule darstellen?"
TTeber den Fundort und die mit dem Gefäas zusammen gefundenen 6^;enfltände
lässt sich aus Hm. Strnnck'a Mittheilungen Folgendes zusammenstellen;
Die genannte Urne stammt aus einem sogen. „Halbkreuz grabe", d. h einem
Grabe in Gestalt eines 9 Puss langen und 3 Fuss breiten Rechtecks mit nach SO.
auslanfendem Gange. In der Kammer nni?h NnHen hin wurden gefunden:
1 Flintkeil, an den Breitseiten geschliffen, Länge 8 Zoll.
2 4 Zoll lange flache FlUtkeile.
VarbiDdl, dir DttU Qw. Inr Antknpol. M«. (13}
(186)
1 HäDgeurne mit Ornamenten, 6 ZoU hoch*). (Wenn ich nicht irre, ist die-
selbe von Madsen abgebüdet.)
2 Deckel zu Hängeurnen (Fragmente).
Fragment eines Henkelgefässes von schwarzem gebrannten Thon, Hohe
3 Zoll, Durchmesser 4 Zoll.
Fragmente von zwei grossen Urnen. An der einen befindet sich statt der
Ohren ein Ornament, welches wahrscheinlich zwei Augen darstellen soll;
an der anderen bemerkt man Linearornamente, eingestochene Dreiecke.
1 Nadel yon Knochen mit eingeritzten Ornamenten und am Ende durchbohrt
Das Loch scheint ohne Bohrer gemacht zu sein.
2 ganze und 1 zerbrochene grosse Bernsteinperle von der Sorte, die in der
Mitte ausgetieft sind.
1 hammerförmige Bernsteinperle.
2 durchbohrte Scheiben von Bernstein (Bruchstücke).
1 lange Bernsteinperle, denjenigen von Laesten ähnlich.
22 Flintspäne von gewohnlicher und 2 desgleichen von ungewöhnlicher Foim
Schädel, Unterkiefer und mehrere andere Enochenreste von einer Katze.
In dem Gange lagen zwei menschliche Skelete, die Kopfe nach der Kam-
mer zu gerichtet. Neben der rechten Hand des einen ein 12 Vs Zoll langes, schönes
Flintsteinmesser mit zierlich gearbeitetem Handgriff; zwischen den Skeleten ein
kleineres 6 Zoll langes Flintsteinmesser, einige Flintkeile und eine kleine
dreiseitige Flintsteinpfeilspitze, sowie die Hängeume. — Das eine dieser Ske-
lete schien einen Leichnam männlichen Greschlechtes anzukündigen. Zu Füssen der-
selben lag ein dritter Schädel.
Dieses Ganggrab lag nordlich von der Landstrasse, welche von Budsemarke nadi
Raabye führt, an der Grenzscheide der Kirchspiele Borre und Maglebye auf der In-
sel Möen, auf einem Felde, wo viele Grabhügel von verschiedener Beschaffenheit bei-
sammen lagen. Das Feld scheint ehemals eine Insel gewasen zu sein in dem Sonde^
welcher Ober-Moen von dem übrigen Lande trennte.
Dicht neben dem oben beschriebenen Ganggrab lag ein zweiter Hügel, weldr«'
ein Ganggrab mit ovaler Kammer umschloss. In dieser Kammer ÜBLnd man F£i^-
steingeräthe, irdene Gefasse und Bernsteinperlen; in dem Gange aber eine' Troe
mit den verbrannten Knochen eines Kindes und einem Bruchstücke ^oa
einer Säge aus Bronze, und oberhalb des Decksteines, etwa 1 Fuss unter der
Hügeloberfiäche, 1 Dolchklinge, 2 spiralförmig gewundene Fingerringe und ein
Fragment (?) von Bronze.
Ich glaubte dieses, in nächster Nahe des vorigen gelegene Grab erwähnen zu
müssen, obgleich die gefundenen Bronzen nicht den Beweis liefern, dass diese Gang-
bauten zu einer Zeit errichtet wurden, wo bereits Bronzege»the in*s Land gekommen
waren. Ob die Mündung des Ganges so nah an dem Rande des Hügels lag und ob
die Urne so nah an dem Eingänge des Granges stand, dass sich daraus schliessen
Hesse, sie sei dort beigesetzt, nachdem der Steinbau bereits mit einem Erdmantel
bedeckt worden, lässt sich aus der Beschreibung des Grabes nicht ermitteln. Die
Beisetzung der verbrannten Gebeine in Urnen scheint bekanntlich in Scandinavien
jüngerer Gebrauch zu sein, als die Bestattung der Leichen in Holzsärgen, Steinkisten
und selbst als die Beisetzung verbrannter Gebeine in kleineren Steinkisten.
Unzweifelhaft ist, dass auf der Insel Moen in einem Ganggrabe, zusammen mit
Flintsteingeräthen, Bemsteinperlen und Thongefässen eine Urne gefunden ist^ die ahn-
0 Diese Urne stand nicht an der Nordseite. Siehe weiter unten.
(187)
lieh der von Frestadt etc. mit Augen und Nase und mit seltsamen Linearornamenten
yerziert ist. —
Herr Yirehow erwähnt, dass er seiner Zeit die Schädel von Borre in Kopen-
hagen gemessen und die Ergebnisse in seiner Arbeit über die altnordischen Schädel
im Archiv f. Anthropologie, Bd. lY, veröffentlicht habe. Danach näherten sich die-
selben mehr der DoHchocephalie und somit den Bronzeschädeln. £s dürfte sich
daher wohl empfehlen, eine genauere Revision der sogenannten Steingräber vorzu-
nehmen. Auf alle Fälle sei die Mittheilung des Frl. Mestorf eine sehr dankens-
werthe, vielleicht um so mehr, als das zackige Ornament einige Aehnlichkeit mit der
„Halskette^ der Liebenthaler Gresichtsume (Sitzung vom 15. Juli 1871) darbiete. —
(6) Herr Ingenieur H. Kreplin übersendet aus Desterro nebst zahlreichen Fund-
gegenständen einen Bericht^)
ttber die Mnsehelberge voh Dona Francisca (Brasilien).
Zu den interessantesten Erhebungen gehören unstreitig die Huschelberge (cas-
queiros, sambaquis). Im Gebiete des Rio do Sao Francisco do Sul sowohl, wie an
anderen Punkten der Küste und des Innern findet man zahlreiche Hügel — nicht
Haufen — von Muschelschalen jeder Art, untermengt mit zahlreichen Gerippen von
Fischen, wohl zumeist oder sämmtlich noch lebenden Arten angehörend. Ebenso
enthalten diese Hügel viele Menschengerippe, sowie auch Gerippe von Landthieren'
Theilweise sind diese Muschelberge zugänglich, theilweise aber liegen sie in tiefen
Sümpfen, welche noch heute, nachdem das Land bedeutend trockener geworden sein
muss, als zur Bildungszeit jener Hügel es der Fall sein konnte, sehr schwer zu durch-
schreiten sind. Noch jetzt werden die Ebenen, welche jene Hügel enthalten, durch
die Flath fusstief unter Wasser gesetzt, und bestehen eigentlich nur aus einem zähen
Schlamm, der eine spärliche Süsswasser- Vegetation, die sogenannten mangues, er-
nährt Man benutzt die Muschelberge zur Kalkbereitung und brennt die darin ent-
haltenen Knochen mit den Muscheln, so dass manches werthvolle Stück schon jetzt
vernichtet ist. Die Knochen sind beim Ausgraben äusserst mürbe und zerbrechlich,
erhärten jedoch an der Luft ganz bedeutend. Da von den Arbeitern trotz aller Ver-
sprechungen nichts Brauchbares zu erlangen war, so fuhr ich in einer Ganoa nach
einem Muschelberge eine Viertelstunde unterhalb des Stadtplatzes, am Cochoeiraflusse
gelegen. Derselbe ist ungefidir 40 Fuss hoch und hat gegen 300 Fuss im Durch-
messer. Zusammengesetzt ist er aus Muscheln aller Art: von der oft bis 10 Zoll
langen Brackwasser- Auster (ostra de mergulho) bic zur kleinsten, nicht essbareu
Muschel; auch Seeschnecken finden sich häufig, seltener grosse Landschnecken, deren
Haus vielleicht zu zerbrechlich ist. Nahe der Oberfläche vorgefundene Kohlenreste
rühren von der Ausrodung des Waldes her, die vor Jahren stattfand. Nach der Lage
und der Zusammensetzung dieser Hügel zn urtheilen, welche oft über 50 Fuss hoch
sind, scheinen sie einen anderen Ursprung zu haben, als jene Muschelanhäufungen,
welche man in Europa unter dem ^amen „Küchenüberreste ^ kennt Selbst ange-
nonunen, man wollte den Eingebomen dieser, stets äusserst schwach bevölkert gewe-
senen Gegenden einen so gesegneten Heisshunger nach Muscheln zumuthen, dass
sich von den Abfallen so ansehnliche Berge bilden konnten, so bleibt es doch immer
h5chst unwahrscheinlich, dass sie die gesammelten Muscheln zum Verzehren stets
nach demselben Orte geschleppt haben sollten; es wäre zuletzt doch ziemlich un-
') Der Brief ist in der Geographischen Zeitung von diesem Jahre S. 236 ausfährlich abge-
druckt Die Gegenstände sind uns von der Geographischen Gesellschaft aberiassen worden.
(13*)
(188)
beqaem gewesen, die schweren Muscheln, nachdem man sie zuerst meilenweit getra-
gen oder in Canoas zusammengefahren, dann noch auf die nicht selten 50 Foss hohen
Berge zu bringen. Es fehlt jeder Yemünftige Grund, ein solches Verfahren bei den
Indianern auch nur wahrscheinlich zu machen, die sonst in jeder Besiehung eben
keine Freunde vom Arbeiten sind, besonders von solchem, das zur Erhaltung des
Lebens nicht gerade dringend nothwendig ist. Dass diese Berge aber eine Art Denk-
zeichen bilden sollten, ist um so unwahrscheinlicher, als sich bei den hiesigen India^
nern nicht einmal die schwächste Spur von CJeberlieferung dafür findet und sie selbst
dort nirgends Denkzeichen hinterlassen haben, wo ihnen festeres Material massenhaft
zu Gebote stand. Die flachen rundlichen Aufschüttungen im Wohngebiete der Co-
roados dienten einfach dazu, die Hütten auf den ebenen Gampos Tor dem Eindringeo
des Wassers bei heftigen Regengüssen zu bewahren. Der Umstand besonders, das
sich in den Muschelbergen nicjit nur die Schaalen von essbaren Muscheln befinden,
sondern auch die Ueberreste der verschiedenartigsten Seethiere und ganze Schichteo
nicht essbarer kleiner Muscheln, die Thatsache, dass die einzelnen Muschelarteo an-
weilen eine scharfe Schichtung zeigen, mochte deutlich genug darthun, dass die Ad*
Mufung dieser Massen nicht durch Menschenhand erfolgt ist Beachtet man nodi,
dass die Indianer gegen ihre Verstorbenen eine grosse Pietät hegen, sie feierlich be-
graben und das Grab sehr geschickt gegen Entweihung zu sichern wissen, so wird
das Vorhandensein der yielen Gerippe in allen nur möglichen Lagen und Stellangea
und in jeglicher Tiefe der Muschelberge schwere Zweifel hervorrufen müssen, dass
die Muschelberge zugleich Essplatz und Todtenacker der Indianer gewesen sein kön-
nen. Ja, würden die Indianer ihre Todten auf ihrem Essplatze begraben habeo,
wenn derselbe auf dem Cferrande eines hohen, trockenen Rückens stcht^ wie dies bei
dem Muschelberge an dem Gochoeira der Fall ist? Ueberall, wo die Indianer bis
jetzt mit den Weissen zusammenkamen , was für sie mit dem Tode ziemlich gleich-
bedeutend ist, nahmen sie, wenn es anging, ihre Todten mit sich. Man stösst im
Walde, wenn auch selten, auf Bugergräber, die dadurch für immer gekennzeichnet
und gegen wilde Thiere gesichert sind, dass sie mit geraden Zweigen leicht anwadh
Sender Holzarten rundum dicht bepflanzt wurden. Durch das Heranwachsen der eio-
zelnen Zweige zu Stammen wird das Betreten des Grabes sehr erschwert, wenn nick
geradezu unmöglich.
Der Bildung der Muschelberge durch die Gewalt des einströmenden Wassers ^
einer späteren Senkung des Bodens scheint der Umstand zu widersprechen, dass faä
in ihnen keine Anhäufung von Hölzern vorfindet. Betrachtet man aber die voo
Stadtplatze nur ungefähr 4 Meilen entfernte Sierra de Tres Barras von gegen löOOM.
Höhe, welche im N. vom Rio de Sao Francisco steil gegen die flache Ebene des Bio
do Sao Joao abfallt, und deren steile Gänge ebenfEdls die Nordgrenze der Ebene bil-
den, in welcher die Kolonie Dona Fraocisca liegt, so findet man den ganzen Racken
der Serra mit Campos bedeckt, und es ist deshalb gar nicht unwahrscheinlidi, das9
zur Zeit der Senkung der Boden eben&lls nur mit einer Graesdecke bewachsen ge-
wesen sei. Ob in den Muschelbergen sich noch geschlossene Austern vorfinden, l^fton
ich nicht sagen. Doch werden wohl keinesfalls die Austern während der Katsstrophe
unsterblich geblieben sein, und die Gewalt des Wassers wird dann sowohl die Scha-
len haben beschädigen, als öffnen und zerstreuen können.
In dem Borge am Gochoeira fand ich nach kurzem Suchen zerbrochene Menscben-
rippen, und bald wurde an einer Grubenwand der Rest des Gerippes nur l'/s ^"^^
unter der Oberfläche entdeckt (Später fanden sich Gerippe in 12—15 Fuas Tiefe.)
Die Knochen bis zum Schädel hin lageu in ziemlicher Ordnung, waren aber so mürbe
und verwittert, dass sie beim Herausnehmen vergrusten. Der Schädel, obwohl jetzt
(189)
hart, konnte nur mit grosser Vorsicht freigemacht werden. Nachdem er erhärtet,
wurde er, der besseren Verpackung wegen, auseinandergenommen. Es fehlt jedoch
ejn Stück des rechten Ober- imd des linken Unter-Kiefers. Die ^hne waren yoU-
standig. Zwischen den Knochen der Arme befand sich ein plattes, grosses Stück
Knochen. Ein Arbeiter erzählte, früher einen Knochen von 3 Fuss Länge und min-
destens 4 Zoll stark gefunden zu haben, dessen Höhlung ungemein enge gewesen sei.
Die beifolgenden Aexte und Steine gehören demselben ßerge an. In der letzten
Zeit föngt man ungemein stark an, die Berge zur Kalkbrennerei zu benutzen, und
wenn nicht bald etwas geschieht, so möchte manches werthyoUe Stück yemichtet
werden, das sowohl über den Ursprung der Muschelberge, als auch über die Entste-
hung der grossen Niederung, in welcher die Kolonie Dona Francisca liegt, Aufschluss
geben könnte. —
Herr Y. Kartons erklärt, nach Untersuchung der übersendeten Muscheln, dass
es samn^tlich noch lebende brasilianische Arten seien, wie Venus macroäon, Cerithium
atratum, Ostrea parasitica, und dass sie zu Gattungen gehören, welche in mehreren
Landern yielfach von Menschen gegessen werden. —
Herr Yirohow erwähnt, dass unter den Gonchylien namentlich Fischüberreste,
und besonders Stücke von Ephippus vorkommen, jedoch auch Knochen von Säuge-
thieren. Eine grosse Knochenplatte stammt wahrscheinlich von der Rippe eines
V^allfiscbes, obwohl ihre sehr dicke und harte spongiöse Substanz zuerst ein sehr
abweichendes Aussehen darbietet. Nächstdem sind der GeseUschaft ausgezeichnete
Steinäxte yon dort zum Geschenk gemacht worden. Recht interessant ist der Schä-
del, den Hr. Kreplin sonderbarerweise hatte auseüiandemehmen lassen und den
Hr. Virchow mühsam wieder zusammengefügt hat. Letzterer berichtet darüber
Folgendes :
Die Wiederherstellung des meist in den Nähten gelösten Schädels Hess sich fast
ganz bewerksteUigen; nur die Basis blieb defect. Die Knochen, welche eine weiss-
liche, stellenweis gelbbraune Farbe hatten und stark an der Zunge klebten, waren
überaus brüchig, obwohl durchweg sehr dick. Die Zähne, sowohl im Ober- als im
Unterkiefer, stark abgerieben, jedoch ohne Krankheit ; nur an der Wurzel des dritten
oberen rechten Backenzahnes eine grosse Usnr, welche bis in die Kieferhöhle führte.
An den Mahlzähnen des Unterkiefers ist der hintere Rand höher und die Fläche-
stark ausgetieft; an den Vorderzähnen sind die hinteren Abschnitte niedriger. Ziem-
lich starker Prognathismus des Oberkiefers, geringer und zwar bloss alveolerer des
Unterkiefers, dessen innerer Winkel ziemlich klein und dessen Spina mentalis
wenig entwickelt ist Das Foramen incisiyum ist sehr weit, das Palatum etwa
40 Mill. lang und 37 MiU. breit
Der fast brachycephale Schädel ist ungemein hoch. Dem entsprechend erscheint
das Schädeldach stark gewölbt, die Stirn schön und die Glabella voll. Die Tubera
sind ausgesprochen, treten aber wenig hervor. Das Planum temporale ^It steil ab;
die obere Grenzlinie aber ist schwach entwickelt und die grösste Annäherung beider
Lineae semicirculares beträgt, über die Schädelwölbung gemessen, 130 Mill. Trotz-
dem kreuzen diese Linien die etwas vor der Mitte der Scheitelbeine liegenden Tubera,
Am Hinterhaupt liegt die stärkste Wölbung über der Protuberanz, welche übrigens
kaum ausgebildet ist; im Uebrigen sind die Muskelansätze am Hinterhaupt stark
ausgeprägt, tlie Linea nuchae superior sehr deutlich und durch einen Zwischenraum
von 20 Mill von dem unteren Rande der Linea semic. occip. inf. getrennt Was die
Schädelnähte angeht, so ist die Sut frontalis über der Nasenwurzel in einer Erstrek«
(190)
kung von etwas über 1 Gentiin. deutlich sichtbar; von da setzt sich eine leichte
Crista &ont. fort. Die übrigen Nahte des Schadeldaches sind massig zackig. Die
Orbitae sind verhältnissmässig klein; links neben der Indsura supraorbitalis findet
sich noch ein besonderes Foramen supraorb.; rechts ist an der Stelle der Incisur ein
Kanal und dicht daneben noch eine kleine Gefassrinne.
Die genaueren Maasse sind folgende:
Grosster Horizontal-Umfang 487
Grosste Hohe 139
Entfernung des vorderen Randes des For. occip. bis zur
vorderen Fontanelle 139
Entfernung des vorderen Randes des For. occip. bis zur
hinteren Fontanelle 125
Grosste Länge 168
Sagittalumfang des Stirnbeins l^^^co
ff #■>%
Länge der Sutura sagittalis 115/co
Sagittalumfang der Hinterhauptsschuppe 123^
Entfernung des äusseren Gehorganges von der Nasenwurzel 97,6
» » » » » » Spin.na8.inf. 99,4
n rt n n n n Kinn ... 127
^ „ Foram. occipit. „ ^ Nasenwurzel 96,5
» » » » n 71 Spin. nas. inf. 84
y> it Jt y> » n Alveolarrand
d. Oberkiefers 92
n » » » » » Wölbung d.
Hinterhauptes 45
Länge des Hinterbauptsloches 33
Breite „ „ 26?
Grosste Breite 134,1
Oberer Frontaldurchmesser (Tub. frontal.) 56
Unterer „ (Proc. zygom.) 95
Temporal-Durchmesser 115
Parietal- „ (Tubera) 128
Maxillar- „ 53
Breite der Nasenwurzel 23
Höhe der Nase 43,5
Breite der Orbita 36
Höhe » „ 29
„ des Gesichtes (Nasenwurzel bis Kinn) 103,5
Unterer Umfang des Unterkiefers 186
Mediane Höhe „ „ 30
Diagonaldurchmesser (Kinn bis Scheitel) 227
Die Capacitat, der Mastoideal- und Jugaldurchmesser, der Querumfang des Schä-
dels, die Entfernung der Kieferwinkel und die Höhe des Kieferastes konnten wegen
der Knochendefecte nicht bestinmit werden.
Nach den mitgetheilten Maassen berechnet sich der Breiten-Index zu 79,8, der
Höhen-Index zu 82,7, Yerhältniss von Höhe zur Breite = 103,6 : 100. Der Schädel
kann demnach als hypsibrachycephal bezeichnet werden. Diese starke Entwicke-
lung in der Höhenrichtung ist überwiegend der grossen Ausbildang des Stirnbeines
(191)
und namentlich der Hinterhauptsschuppe zuzuschreiben, da die Länge der Pfeilnaht
eher etwas zurückbleibt.
Es lagen ausserdem noch einige Rohrenknochen bei. Von diesen war das Os
humeri 290Mill. lang, in der Mitte gut gerundet, 65 Mill. im Umfange und wenig
gedreht; es war daher sowohl kurz, als gracil. Das Os femoris maass in der Mitte
85 Mill. im üm&nge und war gleichfalls zart.
Bei der verhältnissmässig geringen Eenntniss, welche wir über die ürbewohner
Süd-Amerikas besitzen, ist es wohl gerechtfertigt, ein ürtheil über die Race, welcher
dieser Schädel angehört hat, vorzubehalten. Ich erwähne nur, dass die Abbildungen,
welche Hr. Strobel in seiner Abhandlung über die Paraderos preistorid in Pata-
gonien (Atti deUa soc itaiiana di scienze nat. Vol. X. Fase. II) gegeben hat, gleichfalls
Schädel betre£Fen, welche als hypsibrachjcephal bezeichnet werden dürften.
In Beziehung auf die Frage nach der Entstehung der Muschelberge werden wohl
weitere Untersuchungen abzuwarten sein. Das Vorkommen ähnlicher Anhäufungen
in Patagonien und Buenos- Ayres, sowie die überall zahlreich gefundenen Reste des
Menschen und seiner Thätigkeit sind jedenfalls der Ansicht günstig, dass sowohl die
Muscheln, als die Reste der See- und Landthiere Eüchenabfalle darstellen. Fraglich
scheint nur, warum die Leute so anhaltend an bestimmten Stellen diese Sachen weg-
geworfen haben. Dies würde sich erklären, wenn man annehmen dürfte, was nach
der Beschreibung des Hrn. Ereplin zulässig erscheint, dass das Land früher über-
schwemmt war und nur einzelne Inselchen aus dem Wasser hervorragten. Diese Hypo-
these würde sich beweisen lassen, wenn durch eine Untersuchung des Untergrun-
des der Muschelberge festgestellt würde, dass der Kern derselben eine inselartige Er-
hebung ist —
Herr Keitsen bedauert die mangelhafte Schilderung der Lagerungsverhältnisse
an der Fundstätte.
Herr Y. Kartons bemerkt, dass die Entfernung der Muschelberge von der Küste
keinen Gegengrund gegen die Annahme, dass die Seethiere von Menschen dahin ge-
bracht seien, abgebe, indem noch gegenwärtig an vielen Orten ein solcher Transport
stattfinde. —
(7) Herr Veumayer hält einen Vortrag
Aber die australisclien üreingeborenen.
Der Vortrag wird nächstens in der Zeitschrift für Ethnologie vollständig nach«
geliefert werden.
(8) Herr Virchow spricht
Aber westfälische DoUeho- und Brachjreephalen-Schädel.
Bei einem Besuche, den ich am 9. April in Münster machte, fand ich zum ersten
Male in Deutschland eine Sammlung einheimischer Schädel, unter denen die Lang-
kopfe das Uebergewicht hatten. Es war dies die Sammlung des verstorbenen Prof.
Tourtual, welche gegenwärtig dem zoologischen Museum der dortigen Akademie
einverleibt ist. Sie besteht zum T-heil aus pathologischen Schädeln, namentlich sol-
chen mit Fissuren, Frakturen u. s. w., indess sowohl unter diesen, als unter den so-
genannten normalen ist eine so ungewöhnlich grosse Zahl von dolichocephalen, dass
man wohl schliessen muss, es sei in der That die dortige Bevölkerung noch gegen-
wärtig eine überwiegend langköpfige. Hr. Landois, der Vorstand des zoologischen
MuBeums, hat mir versprochen, Messungen zu veranstalten und mir Specimina zu
(192)
I
senden. Bestätigt es sich, dass wir hier den dolichocephalen Typus als den berr- i
sehenden ermitteln, so würde dies von ganz besonderem Interesse für die Feststellung |
der altsächsischen Schfidelform sein. Denn gerade diese nordwestliche £cke Deutscb- ,
lands ist fast die einzige Gegend, in welcher sich während historischer 2^t die ger-
manische Bevölkerung ganz frei von Einwanderung erhalten hat, und das Hünster-
land ist sowohl von der Küste als von der Grenze weit genug entfernt, um in der
That vor jeder Vermischung geschützt zu sein. In Holland scheint nach den Unter-
suchungen des Hrn. Sasse über altholländische Schädel schon lange eine mehr
brachycephale Race gewohnt zu haben, und da dasselbe nach meinen UntersucboDgen
der dänischen Steinschädel auch für die dänischen Inseln gilt, so wäre es um so
wichtiger, wenn hier eine unzweifelhaft rein germanische Provinz mit überwiegend
dolichocephalem Typus nachgewiesen werden könnte.
In dem paläontologischen Museum zu Münster finden sich mehrere interessant«
Schädel und Schädelstücke, welche einer sehr alten Zeit angehören. Zwei dATon
und zugleich die merkwürdigsten stammen aus dem Flussbette der Lippe. In der
Sitzung unserer Gesellschaft vom 9. Juli 1870 hat Hr. Hosius, der Vorstand diese
Museums, bei Gelegenheit eines Rennthierfundes die Stelle genauer beschrieben. Sie
liegt unterhalb Hamm bei Werne. Die Sammlung besitzt von da zwei Schädel und
einen nicht dazu gehörigen Unterkiefer, alle drei von der tiefbraunen Farbe der
Moorschädel. Beide Schädel sind mehrfach verletzt und daher nicht in allen Ridi-
tungen zu bestinmien, indess im Uebrigen wohl erhalten.
Der eine derselben (A) stammt aus einer- tieferen Schicht; er ist schwarzbnuo,
schwer und besitzt eine tiefe Enochennarbe über der Protuberantia ocdpitalis. Er
ist orthocephal mit einer gewissen Neigung zur Dolichocephalie; der Schädeliodex
beträgt 76,9.
Ganz verschieden davon ist der andere Schädel (B), welcher in einer jüngeren
Schicht lag. Er hat einen Breitenindez von 82,9, einen Höhenindex von nahezu
75,2 und das Yerhältniss von Höhe zu Breite ist = 88,8 : 100. £s ist also ein nie-
driger Brachjcephalus, und es dürfte das Interesse wesentlich steigern, wenn icb
bemerke, dass er mit dem in der Sitzung vom 10. Februar beschriebenen Schsde!
von Dömitz viele Analogien besitzt Leider fehlt die Basis cranii, jedoch ist er tos
einer so festen und glänzenden Beschaffenheit, dass man mit Zuverlässigkeit anoek-
men darf, seine Form sei in späterer Zeit nicht mehr verändert worden. Er i^
in der Mitte der Pfeilnaht eine unregelmässige Erhöhung, welche von einer Vertiehs^
umgeben ist Ausserdem hat er einen hinteren Fontanellknochen, so dass die IMp
der Pfeilnaht nicht genau bestinunt werden kann. Rechnet man den FontaneUbo-
chen ganz zu den Ossa parietalia, so ergiebt der sagittale Umfang derselben r26 Mill.
Rechnet man dagegen den Fontanellknochen ab, so erhält man für die wirklich vor-
handene Pfeilnaht nur 113 Mill. Wahrscheinlich calculirt man am richtigsten, wenn
man nach der Richtung der Lambdanaht etwa '/, für die Ossa parietalia, Vs ^^ ^^^
Squama ocdpitalis in Anspruch nimmt; dann ergaben sich die in der folgenden
Zusammenstellung enthaltenen Zahlen. Recht aufiEallend ist bei diesem Schädel aacb
die verhältnissmässige Breite der Nase und der Augenhöhlen. Für jene betragt das
Yerhältniss der Breite der Nasenwurzel zur Höhe der Nase = 50,2 : 100; für diese
Breite zur Höhe = 128,1 : 100,
Ein vierter Schädel (C) ist bei Rozel in Thiering*s Ziegelei in einer scheinbar
intacten Lehmschicht gefunden worden. Er hat eine ganz andere Besdiaffenheit; er
ist leicht, brüchig und von hellgelber Farbe. Zugleich ist er ausgesprochener Dolicho-
cephale; er hat einen Breitenindez von 73,9, einen Höhenindez von 70,9 und da«
Yerhältniss von Höhe zur Breite ist = 95,8 : 100. Er ist ein verhältnissmäsaig nie-
(193)
driger Langschädel, dessen grosste LfiDge über der Protub. occip. an der Squama
liegt Insofern gleicht er den yon mir beschriebenen prähistorischen Dolichocephalen
Yon Nordost-Deutschland. Die Pfeilnaht ist synostotisch und die Emissaria parietalia
fehlen, indess scheint die Synostose doch erst in einer späteren Zeit der Entwickelung
eingetreten zu sein. Ausserdem findet sich ein flacher Eindruck fiber der Spitze der
Lambdanaht.
Hier stellt sich also das merkwürdige Ergebniss heraus, dass der scheinbar
jüngste Schädel der am meisten dolichocephale ist und dass an einer verhältniss-
mässig begrenzten Stelle des Lippebettes ältere Schädel gefunden wurden, Ton denen
der scheinbar jüngere ausgezeichnet brachycephal, der ältere nur mesocephal ist
Werne.
Gröaster Horizontalumfang
Grosste Höhe
» Länge
Sagittalumfiuig des Stirnbeines
Länge der Pfeilnaht
Sagittalumfang der Squama occip. . . .
Entfernung des For. occip. von der Nasen-
wurzel
I) nun»» Spin.
nas. inf.
1» 11 » » » 11 Alveo-
larrand
d Ober-
kiefers .
» 71 9 n n n Kmn .
„ ,1 äusseren Gehorganges y. d.
Nasenwurzel . .
„ » » Gehorganges v. d.
Spin. nas. inf. .
n n n Gehorganges v. d.
Alveolarrande .
n n i> Gehorganges v. d.
Kinn * . . .
Grosste Breite
Oberer Frontaldurchmesser
Unterer ,,
Temporaldurchmesser
Parietal „
Mastoideal- ^
Jugal- ^
lAazillar- ^
Yerticalnmfang von Ohr zu Ohr . . . .
Entfernung der Lineae semicirc. temp. von
einander
Oiagonaldurchmesser (Kinn bis Scheitel) .
Roxel.
Unter-
.^n
A.
B.
kiefer.
c.
539
530
538
...
138?
139
191
183,4
196
120j
135)
125)
123lS
137
129^
125^'*'
121 g
Hl"
—
—
104
—
—
99,2
105
—
—
123
109
112
106
—
108
110,5
—
113,4
119?
_
^^^
138
191
152
145
53,5
63,5
58
94,5
103
97,2
120
133
125
122
120,2
115
^-
142
131,5
— .
143
130
— .
65
65
—
327
308
108
121
143
—
—
251
(194)
Breite der Nasenwurzel . . .
Höhe der Nase
Breite der Nasenoffnnng . . •
Höhe der Orbita
Breite „ „
Unterer Umfang des Unterkiefers
Mediane Höhe „ ^
Höhe des Kieferastes ....
Entfernung des Kieferwinkel. .
Werne.
Roxel.
A.
B.
Unter-
kiefer.
C
28,8
26,4
52,5
26
20
52,5
25
—
32
32
— ■
41
190
39,8
180
36
32
60
74
91
92
(9) Herr Langerhans zu Frankfurt a. 0. hat ein Yerzeichniss der im Regi^
rungs-Bezirk Frankfurt ihm bekannt gewordenen Alterthumsfunde nach der alphabe-
tischen Reihenfolge der Orte zusammengestellt und der Gresellschaft überlassen. Das-
selbe wird als Anfang zur antiquarisch-chartographischen Aufnahme der Mark firu-
denburg vorgelegt, um bei der von der deutschen anthropologischen Gesellschaft be-
schlossenen Ghartographie von ganz Deutschsand benutzt zu werden.
Der Vorsitzende ermahnt die Mitglieder, ähnliche Verzeichnisse für Nordoetr
Deutschland in grösserer Vollständigkeit zusammenzubringen.
(10) Als Geschenk wurde vorgelegt:
die Photographie eines jungen Negrito von den Philippinen durch Hm. Jagor.
Sitzung vom 15. Juni 1872.
Vorsitzender Herr Virchow.
Als neue Mitglieder werden proclamirt die Herren
Buchdruckereibesitzer Grunert,
Director Wilsky in Rummelsburg bei Berlin,
Referendar von Gagern,
Dr. Schwanecke,
Stud. med. Albrecht zu Berlin,
Seminarlehrer Trentin zu Köpenick.
Zu correspondirenden Mitgliedern wurden auf Vorschlag des Vorstandes emaoat
die Herren
Genera] Vizconde de Sa da Bandeira, Kolonial- und Marineminister xu
Lissabon,
(195)
Dr. Pereira da Costa daselbst»
Dr. Grewingk zu Dorpat,
General von Blaramberg zu St Petersburg,
Augustus Franks, Director des Christie-Museums zu London,
V. Tschudi, eidgenössischer Gesandter zu Wien,
Dr. Bleeky Capstadt,
d'Omalius d'Halloy, Yiceprasident des belgischen Senates zu Halloy,
Prof. Quetelet ain^ daselbst,
Director Leemans^u Leiden.
(1) Herr Hartmann giebt eine, durch die Demonstration zahlreicher Handzeich-
nungen unterstutzte Darstellung der geschichtlichen Entwickelung unserer Kenntnisse
von den anthropomorphen A£Fen seit Hanno^s Fahrt bis auf die Entdeckung des
Bam- oder Bemja-Chimpanse in Gentralafitika. Der Vortrag erscheint im Ar-
chiv für Anatomie, Physiologie u. s. w. von Reichert und Du Bois-Reymond,
1872, Heft 2 ff. ausfuhrlich.
(2) Prof. Philippi zu S. Jago de Chile fugt dem Dankschreiben für seine Er-
nennung zum correspondirenden Mitgliede folgende Mittheilungen hinzu
Aber chilenische SeliAdel.
Ich bin endlich! vor ein paar Jahren in den Besitz zweier wohlerhaltener Schä-
del von Chilenen gekommen, die unzweifelhaft aus einer Zeit vor Eroberung des
Landes durch die Spanier stammen. Sie ¥rurden vom Pfarrer Evaristo Lazo in einer
fast unzugänglichen Hohle in der Nähe der Mündung des Flusses Rapel gefunden.
Die Gegenstände, welche sich bei diesen Schädeln fanden, steinerne, beim Spinnen
gebrauchte Wirtel, die runge genannten St&bchen, welche zum Umrühren dienten,
wenn der Mais gerostet wurde, sind zwar theilweise noch jetzt im Grebrauch, allein
es ist durchaus nichts dabei gefunden^ was auf Bekanntschaft mit europaischen Kunst-
Produkten hindeutete. Hoffentlich kann ich bald den einen derselben der Gesellschaft
übersenden. Ich habe sie jetzt nicht vor Augen, und erinnere mich nur, dass mir
an denselben zweierlei besonders angefallen ist, eine sehr starke Spina nasalis des
Oberkiefers und der sehr flache Hinterkopf welcher sich vielleicht durch die Gewohn-
heit, die kleinen Kinder auf ein Brett zu binden, erklären läast Ein os Incae haben
sie nicht (wohl aber hat ein solches der Schädel des hier angefertigten Skelets, wel-
ches mir zu den Demonstrationen im hiesigen Lyceum dient).
Trotz yieler langjähriger Bemühungen ist es mir erst vor wenigen Jahren gelun-
gen, Schädel von Araukanem zu erhalten, und beabsichtige ich, Ihnen auch von die-
sen einen zu schicken. Aber die heutigen Araukaner sind keine reine Race. Bei
ihren Raubzügen ist stets das weisse Weib die liebste Beute gewesen.
Vor drei Jahren habe ich auch Gelegenheit gehabt, in der Provinz Yaldivia,
nahe bei Osomo, alte Gräber zu offnen. Die Knochen waren in der feuchten Erde
schon ziemlich verwittert, doch konnte ich ein paar leidlich erhaltene Schädel bekom-
men; Glasperlen und eine grosse verrostete eiserne Nadel lieferten den Beweis, dass
diese Menschen bereits mit den Spaniern in Berührung gewesen waren, und da die
Indier Osomo im Jahre 1602 durch Hunger bezwangen und die Spanier nöthigten,
die ganze Gregend zu räumen, so lässt sich das Alter der Schädel so ziemlich be-
stimmen, und es ist anzunehmen, dass sie von Indiem reinen Blutes herstanmien.
(196)
(3) Prof Burmeister zu Baeoos-Ayres spricht gleichfalls seinen Dank für seine
Ernrnnnng zum correspondirenden Mitgliede aus (d. d. 26. April) und berichtet
Aber Alterthfllmer am Bio Negro und Bio ParanA.
unser Museum hier ist nur mit einigen wenigen anthropologischen Gegenstiuiden
versehen; sie beziehen sich sämmtlich auf die Indianerstämme hiesigen Landes und
stammen aus der Zeit vor der spanischen Occupation her, indem nach derselben die
Indianer nicht in ihrer früheren Weise fortlebten, sondern entweder zu Grunde gin-
gen oder auf andere und z. Th. beschranktere Art sich behelfen mossten. Was diese
Gegenstande betrifft, eo sind es Funde aus den alteosGrabstatten dieser MenBchea
£ine solche findet sich am Rio Negro im Süden, unweit des Dorfes £1 Carmen, tob
der schon Darwin in seiner Reise redet und die neuerdings von Strobel ausführ-
licher besprochen ist Man findet dort neben zahlreichen, in dem trockenen Boden
yoUst&ndig erhaltenen Skeleten, yon denen f&nf Schädel in unserer Sammlung ent-
halten sind, besonders Pfeilspitzen aus Kieseln gearbeitet, welche der Rio Negro ils
Rollsteine von den Cordilleren herabbringt, und unter diesen solche, welche völlig u
europäische, ähnliche Funde erinnern. Ich setze diese Formen in verkleinerten Um-
rissen her:
Fig. 1.
^..z*..,^
Diese Gegenstande bestehen gewöhnlich aus grauem oder braunem Homstem,
einer oder der andere auch ans schwarzer basaltischer Masse, sind fast nie dorch-
scheinend, sondern opak und haben mitunter eine röthliche Farbe wie Jaspis, sind aber
alle sehr schön, sicher und scharfkantig gearbeitet, doch nicht glatt geschliffen, sob-
dern so, wie sie die sicheren Schläge des Arbeiters schufen, und beweisen mir ntcii
Anderes durch ihre Aehnlichkeit mit altweltlichen Produkten der Art, als dassdff
Mensch in seiner Kindheit auf gleichartige Produktionen gefallen ist, wenn anafe^
umstände ihn zur Thätigkeit zwangen und dass man daraus nicht auf anmitteliNn
Abstammung schliessen darf, weil nach meiner Ansicht die mensehliehe ürtfaatigkdl
auch durch ihren Urgeist bestinunt wurde, and dieser in allen Menschen anfangs eine
gewisse Debereinstimmung zeigen musste. Ich dehne diese Gredanken auch «uf die
Analogien der Bauwerke ältester Zeiten auf beiden Hemisphären aus und erkenne
darin nur die primitive Analogie der Urthätigkeit und keine Abstanunung des einen
unmittelbar vom andern.
Die zweite Fundstätte menschlicher Produkte aus der Zeit vor der spanischen
Oocnpation findet sich auf den Inseln in der Mündung des Rio Paranä und besteht
aus Töpfergeschirr, gewöhnlich aus Graburnen, die äusserlich mit eingefurchten Zier*
rathen bedeckt sind. Die Urnen sind so gross, dass ein zusammengehockter Mensch
darin Platz hat und enthalten z. Th. noch ganze Skelete, aber da alles in einem
feuchten Boden, der durch Flussanschwellung sich gebildet hat, steckt und nooh jetzt
von Zeit zu Zeit überschwemmt wird, so sind die Urnen ungemein brüchig und die
Skelete fast immer völlig verfault. Wir besitzen im Museum zahlreiche Trümmer, aber
keine vollständige Urne; es ist bis jetzt nur eine herausgebracht, die sich in den
Händen eines Negocianten befindet, der einen ungeheuren Preis, über 1000 Thlr.
(197)
Pr. C, cUffir fotdert. Diese Urne (Fig. 2) ist etwa 3 Fuss hock und ebenso weit
io der Mitte, doch im Ganzen etwas niedriger als weit, besteht aus '/■ ^U dickem
gebnuintein Thon von rötblicher Farbe, ist aussen mit einigen horizontalen Linien
umzogen, sonst aber ohne Decoration und gehört hiernach nicht zu den schönem,
die feiner gearbeitet zu sein scheinen und daher leichter zerbrachen. Scherben sind
in grosser Menge da und auf einigen Zeichnungen gani ii la grecque. Solche Urnen
finden sich übrigens auch im Innern, und ich kenne Jemanden, der auf seiner Estan-
zia bei Tucuman zwei in einem Lehmabsturz fand, noch mit den Skeleten darin;
aber beide sind von den 6|ncbos und deren Buben zertrümmert worden. Weiter
nach Westen, in den Provinzen von Catamarca und La Rioja, wo es ^t nie regnet,
trifft man statE der thönernen Urnen aus Zweigen oder Palme nblattern geflochtene
Körbe oder ^kske, in denen die Leiber stecken, ganz io der sitzenden Ütellnng der
Peruaner- Mumien, woraus folgt, dass der Gebrauch, io dieser Weise die Todten bei-
zusetzen, von Peru bis nach der Mfindung des Rio de La Plata vorbereitet war. Die
genannten ^cke sind auf Bergen oder beträchtlichen Höhen beigesetzt gewesen und
erhielten sich bis heute unversehrt, wegen der Trockenheit der Luft
Fuu
In eben dieser Gegend findet num anch sehr gut gearbeitetes kleineres Töpfer-
gescfairr Ton schwarzgrauer Farbe und sehr feinem GrefOge, nicht dicker als starke
Pappe, Ton denen eilf Stock im Museum aufbewahrt werden. Es sind offene Scha-
len, wie die grüngl&semen Hilchnapfe, worin man in Pommern die saure Milch auf-
setzt; die meisten ganz glatt, ohne Zeichnungen, andere mit eingekratzten decorirt
Auch haben wir ein roher gearbeitetes Gef&es mit viel dickerer Wandung, das ich für
eineo Kohlen- oder Feuernapf halten möchte, wegen dreier Löcher in seinem Um-
fange, die als Luftlöcher gedient zu haben scheinen. Garciläso de la Vega redet
Tom. L pag. 118 b. seiner Gomm. Real, von solchen Feuemäpfen der Peruaner. Doch
ist dieser Napf nicht aus der Gegend von Catamarca, wie ich beim Nachsehen des
Fundortes finde, sondern ebenfells von den Inseln des Paranü, in der Nähe der gros-
sen Urnen gefunden; er hat zwei gegenfiber stehende Höcker, wie Henkel und einen
eigenthümiichen schiefen Fuss, worauf einige Nebeuhöcker in der Stellung von Nase
und Augen eines Menschen köpf es sitzen, und ist i[ii G.tnzpn G 7Mi hoch und 4 Zoll
weit. Obeostehende Zeichnung (Fig. 3) zeigt ihn in perapcctivisclier Ansicht, mit
den zwei Löchern der einen Seite und dem schiefen Fuss darunter; die schrafSrten
Stellen sind Brüche, die beid'n sehwarzefi die zwei Löcher, der au <I er rechten Seite
zerbrochen, links ganz. —
(198)
(4) Prof. Capellini von Bologna berichtet in einem Briefe an den VoTsitzendeD
(9. Juni)
Aber das Yorkommen Ton Bemstein im BolofruMlsehen und an anderen PimkteB
Italiens.
Ayant examine encore une fois le& objets d^ambre trouves dans les fouilles de
la Certosa, je suis de plus en plus convaincu que c'est vraiment de Tambre des en-
virons de Bologne, laquelle ressemble beaucoup ä l'ambre de Valachie.
G'est etonnaut que les auteurs anciens ne parlent pas de Pambre de Bologne.
Strabon, Theophraste, Mattioli et mSme Aldrovandi, tandis qu'ilB oct
fait mention de Tambre de la Ligurie (dont le gisement m'est tout-ä-füt inconnn).
n'ont pas un mot pour Fambre de Bologne.
Cette ambre se trouve dans bien de localites dans la province bolognaise, wm:
Scanello pr^s Locano, S. demente pres Castel S. Pietro, Albigiano, Oi-
zano, Paderno, Mte. Rumici, S.'Lucia, Riola, et personne n'en parle «ns;
1600. — Broschi, en 1843 a parle de Tambre de Bismantova dans le Reggionaiss
plus anciennement Monti a Signale Tambre des en virons de Padoue.
Boccone parle d'un gros morceau d^ambre jaune couleur paille trouve presä^
Foligno, mais, a mon avis, ce morceau aurait pu Stre un fragment de grosse fibnie
coDune Celles qu'on trouve dans les coUections etrusques a Rome et en Toscane.
Ges gros morceauz et la couleur jaun&tre me laissent soup^nner que les aDcieis
eussent aussi de l'ambre du Nord peut-etre en ^hange d'orf6vreries.
Vous savez qu^il y a beaucoup d'ambre en Sicile, mais bien qu'on a ^crit qoe
c'^tait recherch^e par les anciens Grecs, avant Garrera (1639) personne n'en apvi^^
L'ambre sicilienne quelques fois ressemble ä celle du nord, mais la variete b
plus commune est celle polycroique.
Gomme vous voyez ij est tr^s difficile de s* orienter au milieu de tout 9a. ü
pourndt se faire que l'ambre indigene, recherchee et travaillee de la plus hx^
antiquite ne pouvant pas suffir ä tous les besoins on ait en meme temps travaillees
Italic aussi l'ambre du nord.
(5) Der deutsche Minister-Resident in Japan, Hr. v. Brandt, übersendet^
Schreiben von Yokohama d. d. 12. April eine grössere Anzahl vortrefflich ausge^
Photographien von Ainos und bemerkt dazu, dass ihm bei seiner letzten ü^
durch Amerika die grosse Aehnlichkeit aufgefallen sei, welche zwischen den ^
und gewissen nordamerikanischen Indianerstämmen (Utahs, Pahushes, Schotchon^i^)
besteht Er verspricht Aufoahmen derselben.
(6) Herr Virohow berichtet
Aber eine alte Znflnehtsstätte im Boissiner See bei Beigard in Pommem*
Durch die HHm. Dr. Kiersky in Beigard und Dr. Schmidt in Schivelbe»o
war der Vortragende aufmerksam gemacht worden auf sogenannte Pfahlbauten in Q^^
genannten See und auf allerlei Alterthumsfunde, welche daselbst gemacht woraeo
waren. Er ersuchte in Folge dessen Hm. Mühlenbeck, diese Stelle genauer t^
untersuchen. Letzterer berichtet nun darüber unter dem 22. Mai Folgendes:
„Vorgestern habe ich mit Erlaubniss und in Gesellschaft des Hrn. Kaufmann •
Fuchs in Beigard den Boissiner See untersucht Der See ist von dem eine Mei<^
südlich von Beigard gelegenen gleichnamigen Dorfe in ostlicher Richtung etwa eio
Viertelmeile entfernt und hatte vor der bis jetzt um 5 Fuss erfolgten Senkung^ ^
Wasserspiegels eine Grosse von etwa 100 Morgen. Der Untergrund ist Kalk, ^
dem eine starkci mit Sand durchsetzte Pflanzenschicht von 1 V» Fuss Mächtigkeit ru
(199)
Die alten Ufer des Sees erheben sich bald, sind wie die Umgebungen sandiger
Boden mit schwachen Eiefembestanden. Der See gilt für fischreich und enthfilt
Quellen. Aus ihm fuhrt ein Fliess nach der Persante, das eine Mühle treibt. Im
letzten Drittel des Sees, der Südspitze zu, befindet sich eine ziemlich kreisförmige
Insel, früher etwa 100 Fuss, jetzt etwa 300 Fuss im Durchmesser gross. Inmitten
an*' höchster Stelle ist durch Einlassung in den Boden ein Ealkofen von etwa 20 Fuss
im Quadrat angelegt.
Zu der Insel fuhrt von der Ostseite des Seeufers, auf der sie dem Festlande am
nächsten tritt, ein bei der Ablassung aufgeschütteter Erddamm yon etwa 180 Fuss
Länge und 12 Fuss Breite. Auf den beiden Längsseiten des Dammes sind eichene
Pfahle sichtbar mit einem Abstände von etwa 8 Fuss in derselben Reihe, ausgenom-
men ein hart an einander gerücktes Paar. Neben der einen dieser um die Damm-
breite, also 12 Fuss, von einander entfernten P&hlreihen läuft parallel, im Abstand
Ton 6 Fuss, eine dritte, deren Pi&hle mit je einem Pfahl der anderen Reihen in
einer Linie liegen. Die drei Pfahlreihen sind noch auf eine Länge von 60 — 80 Fuss
vorhanden, auf ziemlich dieselbe Länge sind sie bei Zwischenschüttung des Dammes
resp. bei der Kalkgewinnung entfernt. Die noch vorhandenen Pfahle sind Rundhol-
zer. Die weggenommenen waren nach Yersicherung der Arbeiter dies auch und un-
ten zugespitzt Dieselben Leute erklären, dass sie bei diesen P£ahlreihen keine Bau-
hölzer oder Bohlen in horizontaler Lage gefunden. Aber auf dem vom Wasser frei
gewordenen Seegrunde habe ^man viele Thierknochen , einschliesslich Theile von
Hirschgeweihen gefunden. Ob die Knochen aufgeschlagen gewesen, und zwar schein-
bar in der Absicht der Herausnahme des Marks, war nicht mehr festzustellen. Eine
vorgezeigte Menge so gefundener Knochen (eine Sohürze voll) erwies sich bis auf
ein Bruchstück eines Schenkelknochens nicht im angedeuteten Sinne zerschlagen.
Weiter, hiess es, habe man bei Ausgrabung der Inselkuppe zu der Kalkofenan-
lage in der Oberfläche Scherben von ungebrannten ThongefSssen gefunden, die indess
nicht weiter beachtet worden, hingegen keine Geräthschaften.
Ich Hess zunächst d^e Mehrzidü der Pfahle in allen drei Reihen bis auf 1 Fuss
tief in die Kalkschicht umgraben, stiess dabei aber weder auf horizontales Pfahl-
werk noch auf andere Spuren menschlicher Anwesenheit, insbesondere keine Knochen,
Gefassreste, Werkzeuge. Ein doppelter Querschnitt durch den Damm führte nicht
zur ' Entdeckung anderer Pfahle, als der zu den drei Reihen gehörigen. Mitunter
überschreitet die Dammbreite die Pfahllinie.
Sodann Hess ich zu beiden Seiten des Einschnittes in die Kuppe der Insel, wel-
cher zu den Feuerungslochem des Kalkofens fuhrt, einige Fuss breit und lang den
Boden forträumen. Der Erdboden bestand zunächst aus einem Auftrag des Gruben-
auswurfes bei Gelegenheit des Ofenbaues von etwa 1 Fuss Stärke. Darunter lag ge-
wachsen eine Schicht schwarzer, humoser Erde, anscheinend von Aschenbestandthei-
len nicht frei, in einer Stärke von l'/i Fuss. In dieser Schicht fanden sich Geföss-
trommer, darunter eines mit einer Zeichnung. Knochen und sonstige Funde in Pfahl-
bauten fehlten.^
Die übersendeten Thonscherben sind von der schwarzen, groben, mit Kiestrüm-
mem untermischten Masse, welche die meisten unserer alten Niederlassungen charak-
terisiren. Das eine Stück zeigt horizontale Linien in der Art, wie die BurgwaU-
Gefasse sie darbieten. Allem Anscheine nach handelt es sich, wie auch Hr. Müh-
le nbeck annimmt, nicht um eine dauernde Niederlassung, sondern mehr un^ eine
Zufluchtsstätte. —
(200)
(7) Herr Gymnasiallelirer Dr. Noack zu Göslin berichtet in einem Briefe an
den Vorsitzenden d. d. 12. ^ai über den weiteren Fortgang der Ausgrabungen im
Pfalbau von Lüptow (vgl. Sitzung vom 27. April), sowie
Aber Elen- mid Bennthiergeweihe aus Hiiiterpoinineni.
„Anbei erlaube ich mir, Ihnen eine Reihe von 2^ichnungeu ') zu senden, betreffend
einen Schatz, den ich in einer Rumpelkammer unseres Gymnasiums gehoben habe
und über welchen ich wenigstens ein paar dürftige Notizen habe erlangen können.
Die Reste des Elenschädels mit den beiden kolossalen Schaufein und die rier Kno-
dien des Skelets, so wie die einzelne Schaufel sollen etwa im Jahre 1854 in Netz-
laff bei Pollnow im Moor (wahrscheinlich aber im Kalk oder Mergel unter demsel-
ben, da die Schaufeln noch Spuren davon zeigen: ich habe etwas von dem weiss-
liehen Ueberzuge abgeschält und mit dem Mikroskop untersucht, aber nur amorplK
Körner, keine Gehäuse gefunden) ansgegraben und vom Reg. Präsidenten y. Senden
dem Gymnasium geschenkt worden sein. Die Rennthierschaufel soll zwei Jahre frühe
sich in Barzwitz bei Rügenwalde im Torfinoor gefunden haben und ein Geachem
des Pastor Meinhof daselbst sein.
Ich habe die Zeichnungen und Messungen so genau zu machen mich bemüht^
als es mir bei meiner geringen Üebung möglich war.
Die eine Schaufel vom Elen ist theilweise abgebrochen, die andere fast ganz er-
halten. Sehr gut hat sich der hintere Theil des Schädels conservirt, wo die Kno-
chen sehr fest sind. Am Unterkiefer fehlt das vordere Ende mit den Schneide-
zähnen, am linken Oberkiefer ein Theil des Susseren Augenrandes und drei Badken-
zähne (rechts ganz vollständig). Der Schädel Hesse sich bis auf die defekte Stirn
prachtvoll zusammensetzen und hat jedenfalls einem sehr alten und starken Thier
angehört. Die dritte Schaufel ist kleiner, aber sehr gut erhalten, die Substanz noch
überall fest, nirgends spongiös. Mir ist es überhaupt zweifelhaft, ob sie von dersel-
ben Stelle stammt, wie die übrigen Theile, da auf die Berichte vom Hörensagen keia
grosser Verlass bei uns ist.
Die beiden Extremitätenknochen sind in vortrefflichem Znstande, Farbe hellgelk,
das Schulterblatt in der Mitte defekt, sonst gut erhalten, dunkelgelb, das Bru8Ü>eii
weissgrau und die Knochen natürlich lockerer.
ab = 9b Cm,, oc = 80, orf = 36, de = 26, fg = 13, fc = 48, « = 37, km =15, nb - 35, oh = 25,
Umfang bei t = i 3, bei /in = 1 5.
') Die Mehrzahl derselben betrifft Eleiigeweihe.
(•201)
Yonüglicb und noch viel schöner, wie die Stange TonEm. Holtz, ist dieBenn-
thierschanfel; jede Ader ausgeprägt, nirgends eine Spur von Verwitterung oder Ab-
schleifung durch Wasser; die sehr dunkelbraune Farbe macht es wohl wahrschein-
lich, dass die Stange wirklich im Torfboden gelegen hat Die drei Bohrlocher sind
wahrscheinlich modernen Ursprungs. Jedenfalls haben Rennthiergeweih und Elen-
skelet ganz intakt bis zu ihrer Auferstehung in dem Boden gelegen, in welchen sie
versenkt wurden; von einer Verschleppung durch Wasser oder Menschen kann keine
Rede sein.
(8) Vorgezeigt wurde ein vom Gymnasialdirektor Schwarz zu Neu*Buppin auf-
gedeckter Wisentknochen.
(9) Hierauf sprach Herr Virchow über den
tättowirten Snlioten Costanti*
Der schon an verschiedenen Orten Deutschlands vorgestellte Mann war mir durch
die HHm. Prof. Bebra und Dr. Kaposi (Moritz Kohn) in Wien empfohlen worden
und ich hatte gehofft, ihn seiner in der That sehr sehenswerthen Tättowirung wegen der
Gesellschaft vorstellen zu können. Eine Dysenterie, welche er seiner Angabe nach
aus dem Orient mitgebracht hat und welche er zuerst verheimlichte, steigerte sich
jedoch so sehr in den letzten Tagen, dass er ganz plötzlich Berlin verlassen hat.
Eine eingehende Beschreibuifg der Tättowirung findet sich von Hm. Kaposi in
der Wiener Medicinischen Wochenschrift 1872, No. 2 und eine grossere Abbildung
hat Hr. Hebra für seinen Atlas der Hautkrankheiten versprochen. Es wird daher
hier genügen zu erwähnen, dass die Tättowirung sich über den ganzen Körper mit
Ausnahme der Nase, der hinteren Fläche des Penis und der Fusssohlen erstreckt,
zum grössten Theile schwarzblau und nur an einzelndn Stellen roth ist, und offenbar
nach einem sehr sorgfältig überlegten Plane oder einer Vorzeichnung ausgeführt ist.
Sie zeifft zahlreiche Thierfiguren, von denen manche einen mehr mystischen Charak-
ter haben, Waffen, Blumen u. s. w.; an einigen Stellen sind regelmässige Abschnitte
mit Schrifbzeichen. Letzteres ist namentlich in der Hohlhand und auf der ünterfläche
der Finger der Fall. Nirgends hat die Haut durch die Veränderung einen erkenn-
baren Schaden erlitten, im Gegentheil, sie ist so weich und fasst sich so zart an,
wie eine sorgfältig cultivirte weibliche Haut Das Gefühl ist überall unversehrt, das
Temperaturgefühl sogar erhöht
Nach der Aussage des Mannes ist die Tättowirung in der Art ausgeführt, dass
gefärbte Flüssigkeit, wie in eine Schreibfeder, in die gespaltene Spitze eines zuge-
spitzten MetaUcylinders aufgenommen und letzterer in die Haut eingestossen oder
genauer eingeschossen wurde. Wenigstens beschreibt er die Operation in der Weise,
dass der Metallcylinder in einen schweren, gleichfalls metallischen Handgriff einge-
setzt und auf dem Zeigefinger der linken Hand mit einer Art schiessender Bewegung
gegen die Haut geworfen wurde. Zur Vollendung der Operation sollen drei Monate
bei täglich dreistündiger Arbeit nöthig gewesen sein, und in der That erscheint diese
Angabe nicht unglaubwürdig, denn es ist hier wirklich ein Kunstwerk geleistet
Wenn das letzte Kleidungsstück sinkt, so sieht man plötzlich vor sich nicht einen
gewöhnlichen nackten Körper, sondern man glaubt einen mit einem feinen, eng anlie-
genden Shawlgewebe bekleideten Menschen zu erblicken. Das Schamgefühl wird
durch den Anblick in keiner Weise erregt
Da die bemerkten Schriftzüge nach der Vermuthung des Hrn. Prof. Hü 11 er in
Wien birmanische sein sollten, so wurde der Mann hierher geschickt, da es ^nur in
Berlin einen Orientalisten g^be, der diese Sprache verstände^. Ich beeilte mich daher,
V«rhMdL d»w B«rL 0«mU. ffir AatbiopoL «te. /|^\
(202)
Hrn. Bastian in Kenntniss zu setzen; derselbe wird Dmen seine WahmehmuDgea
selbst berichten.
Herr Bastian: Dem Bedauern, dass wir Ihnen den t&ttowirten Albanesen nicht
persönlich Torstellen können, füge ich das andere hinsa, dass es schwer iat, ans
seinen verworrenen Angaben, die er bereits in Wien abl^^, ein deaüicbes Bild
seiner Schicksale zu gewinnen. Als Prof. Virchow die Freundlichkeit hatte, midi
von seiner Anwesenheit in Berlin zu benachrichtigen, haben wir ihn zweimal ges^en,
aber beide Male nur auf wenige Minuten, um ihn absichtlich nicht zu sehr durch
Kreuzfragen zu ermüden und dadurch die Gelegenheit für spätere eingehende Exami-
nation zu verlieren. Dennoch war unsere Inquisition schon eine zu eingehende ge-
wesen, und sie trug vielleicht dazu bei, seine plötzliche Abreise zu beschleunigen,
seitdem er von einer genaueren Bekanntschaft mit den Verhältnissen in Mandakj
gehört hatte. Es darf daraus nicht auf absichtlichen Betrug geschlossen werden, aber
die Vergangenheit solcher Abenteurer ist nicht immer die einfachste, so dass sie eie-
dringenderen Nachforschungen lieber aus dem Wege gehen.
lieber den birmanischen Charakter der Tfittowirung kann kein Zweifel herrscheD.
Die Buchstaben verweisen eher auf die Shan , auf deren Gebiet manche dcf
Schatzgräber geriethen, die von dem traditionellen Reichthum Mogoung'a und da
umliegenden Gegenden angezogen waren. Vielleicht befahl ein Tsoboa, den birma*
nisch gekleideten Europäer, der in einem der dort viel&chen Kriege in seine ffinde
gerathen sein mochte, jetzt auch nach birmanischer Weise zu tättowiren und verkaufte
ihn dann (damit keine Nachricht nach der Hauptstadt gelange) jenseits der chinesi-
schen Grenze, wo möglicherweise wieder die Mandarine erschraken, in dem Sklann
einen Europäer zu erkennen und ihn so per Schub weiter und weiter beförderten, bis
er an der Küste in Amöj eintraf, üeber die birmanische Tfittowirung, den Unterschied
der rothen und blauen, der Zeichen u. s. w. habe ich mich in dem bezüglichen Bande
des Reisewerkes ausgesprochen. Meist ist sie auf die von Putzo bedeckten Theile
des Körpers beschränkt, auch wohl in einigen magischen Schutezeichen auf die Brost
ausgedehnt. Das Tättowiren des Gesichtes (wie es bei den Frauen der Khyen vor-
kommt) wQrde etwas Infamirendes haben. Neben dem Einprickeln des verBchiedeoefi
Zwecken dienenden Tättowiren unterscheiden sich Einschnitte, Einnähen und andai*
Proceduren in den Völkergebräuchen. —
(10) Der Vorsitzende theilt folgendes Schreiben des Herrn Dr. A. B. Mejei
aus Manila d. d. 8. Januar mit, enthaltend die Ankündigung einer Sendung von
Schädeln und Steinwaffen von Celebes.
„1) Drei Schädel von den Bergalfuren der Minahassa auf Nord-Gelebes. Sie
stammen aus einem alten Grabe, d. h. colossalen Urnen, die mit einem nur von
einer grösseren Anzahl von Männern wegzunehmendem Steine geschlossen sind und
in welche eine Anzahl von Todten gelegt wurden. Jetzt wird dort nicht mehr auf
diese Art bestattet. Das Alter der Schädel ist 150 — 200 Jahre, der Fundort Tonsea
lama in der Nähe des bekannten Sees von Tondano, der 2000 Fuss hoch liegt und
von dessen Anwohnern man sagt, dass sie sich durch au&llende Blässe der Haut
auszeichnen. Es handelt sich hier aber durchaus nicht um einen anderen Volks-
stamm als den, welcher den ganzen Norden von Celebes bewohnt; man schrieb dem-
selben auch ein besonderes Interesse zu wegen darPfahlbauten im See von Tondano.
Allein auch das ist ungerechtfertigt, da man überall in diesen Gegenden nichts An-
deres kennt, als Häuser auf Pfählen in den Terschiedensten Abstufungen und Hauser
im oder am Wasser, wo solches ist Die Blässe, die jedoch nicht aufiallend ist,
rührt vielleicht zum Theil her von der Vermischung mit Portugiesen, mehr aber
(208)
ohne Zweifel daher, dass sich diese Volksstämme mehr hekleiden, da ihnen euro-
päisches Wesen eher und mehr zugeführt wurde. Dass eine Abblassung in Folge
hiervon statt hat, habe ich an vielen Orten beobachten können. Von der H5he ist
die Hautfarbe unabhängig. Ich nannte eben die Schädel Bergalfnrenschädel. Wie
bekannt, nennen die Holländer an vielen Orten die heidoisch gebliebenen Stämme
Alfiiren und es herrscht eine grosse Yerwirrung über den Namen und seine Bedeu-
tung überall. Ich kann mich hier nicht weitläuftiger darüber aussprechen, da es zu
weit führen würde, und will daher nur bemerken, dass es sich um den glatthaarigen
braunen Volksstamm handelt, der seit sehr langen Zeiten schon diesen Theil von Celebes
bewohnt und über dessen Herkunft; nichts Sicheres auszusagen ist bis jetzt, der aber
vor Zeiten möglicherweise eingewandert ist. Ein älterer Volksstamm existLrt dort nicht.
2) Drei Schädeldächer von Posso in der Bucht von Tomini auf Celebes. Das
Volk hier heisst ebenfalls Alfuren bei den Hglländern. Es selbst kennt den Namen
so wenig aus sich selbst, wie der oben erwähnte Volksstamm. Sie selbst bezeichnen
sich als Orang Posso, wie überall kein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit existirt,
sondern ein kleinerer Stamm sich überall nach dem Orte nennt, an dem der Häupt-
ling wohnt, mit dem Wort Orang (Mensch) davor, d. h. dort, wo in der Sprache dies ma-
Jayische Wort übergenommen ist, sonst das der eigenen Sprache, die vom Malajischen
durchaus verschieden. Hier in der Bucht von Tomini besteht bei vielen Volksstäm-
men noch die Gewohnheit des „Koppesnellens^, und ich nahm diese drei Schädel-
dächer (etwas Anderes bewahren sie nicht von den Köpfen auf) selbst aus einer
grösseren Hütte, wo alle aufgehängt werden, und in der man Festgelage begeht, wenn
ein neuer Kopf erbeutet wird. Ich halte diesen Volksstamm für nicht verschieden
von dem der Minahassa, von welchem jene drei Schädel Ihnen vorliegen. Alle sechs
aber sind, glaube ich, nicht gerade häufige Vorkommnisse der Oertlichkeit nach und
darin liegt vielleicht ihr Werth.
Ich bemerke gelegentlich, dass die Schädelabplattung im Gorontalo'schen, welche
Hr. Riedel vor Kurzem beschrieben hat, eine ganz vereinzelte und lokale Ersdiei-
nung dort ist; ich selbst habe mich mehrere Monate in diesen Gegenden aufgehalten,
und da dieselbe an der Westküste von Celebes beobachtet ist in einem einzigen
Dorf, so vermuthe ich, dass es sich hier um eine Einwanderung handelt, vielleicht
von den Philippinen her, wo ja dieser Gebrauch schon beobachtet ist, um ein zu-
fälliges Verschlagen, wie es sehr oft im ganzen Archipel vorkommt, und dass eine
Familie vielleicht nur diesen Brauch beibehalten hat und ausübt
3) Zwei Steinbeile aus dem Grorontalo'schen, die aber aus der Minahassa stam-
men sollen. Das Vorkommen derselben ist nicht gerade sehr selten, wenn es auch
schwer hält, sich dergleichen zu verschaffen. Allgemein sagt das Volk, dass es
ji&E^ guntur^ wären, Zähne des Donners oder Blitzes und dass man sie auf Bäu-
men, meist hohen, im Holz fände. Selbst die christliche Bevölkerung hält sie als
Amulette heilig. Sie werden in ein Tuch gewickelt und man giebt ihnen von Zeit
zu Zeit Reis u. dgl. zu essen, d. h. legt es zu ihnen. In Krankheiten legt man sie
in eine Schale mit Wasser und trinkt das Wasser und wäscht sich damit. Ich
weiss, dass derselbe Brauch auch auf Ternate herrscht Es handelt sich vielleicht
nun um die Aufgabe, auszumachen, ob diese Steinwaffen, hier auf Celebes eingeführt
oder fabridrt sind; die Wahrscheinlichkeitsgründe für das eine oder andere dürften sich
am besten durch Vergleichung mit ähnlichen Instrumenten anderer Inseln stützen lassen.
4) Ein Steinbeil von Kabba in Süd-Celebes, nördlich von Makassar, der Angabe
nach ans Boni im Osten stammend. Von dem Inhaber (Muhamedaner, Buginese)
wurde es nicht sehr hoch gehalten. Hier im Süden von Celebes sind diese Stein-
waffen aber viel seltener noch, als im Norden der Insel, ^
(204)
HeiT Virohow spricht, im Anschlasse cUuran,
Aber Hegrito- und Igorroten-Sohldel Ton den PhillppineB*
Br. Dr. A. B. Meyer von Hamburg, einer unserer alten Schüler, der, Tortreff-
lieh vorbereitet, eine ostasiatiBche Reise unternommen hat, meldete mir zoeint uoter
dem 3. M&rz aus Manila, dass er einige Wochen unter Negrito-St&nmen suge
bracht habe und dass es ihm gelungen sei, heimlich sieben Skelete aoszagrabeii,
welche über London an mich gelangen sollten. „Es unterliegt keinem Zweifel,^
schrieb er, „dass diese Skelete unvermischten Negritos angehören, wenn ich berech-
tigt bin, Yon der Natur der Menschen, mit denen ich verkehrt, auf die, deren Skt-
lete ich ausgrub, zu schliessen.^ Soviel ich verstehe, handelt es sich dabei um eines
Stamm aus der Provinz Bataan im Nordwesten der Insel Luzon.
Vor Kurzem sind nun die Sachen wohlbehalten angekommen und es ist danit
zum ersten Male in Europa Gelegeuheit gegeben, die Eigenthümlichkeit der Negrit»-
Osteologie gleichzeitig an einer grösseren Zahl von Exemplaren zu studiren. Etat
muss ich mich darauf beschranken, einige der Hauptsachen zu besprechen.
Von den sechs Skeleten (eines ist ein Einderskelet) sind genau genommen ob
zwei in ganzer Vollstfindigkeit vorhanden, die andern sind mehr oder weniger mi^
standig, aber trotzdem für die Yergleichung von hohem Werthe. Von den Scbideb
sind drei ganz vollständig, ein vierter ist nahezu zu restauriren; die letzten stq
sind am Gesicht stark verletzt, gestatten jedoch die Messungen der eigentlidieD
Schädelkapsel. Sprechen wir zuerst von den Schädeln, denn von ihnen ist einfelses
recht Interessantes zu erwähnen.
Für die künstliche Deformation der Schädel auf den Philippinen findet sich, vk
ich schon in den Sitzungen vom 15. Januar und 10. December 1870 ansgefuhit bsbe,
keine weitere historische Angabe, als die in dem Buche von Th^venot Indoi-
selben Buche steht eine zweite Stelle, welche das Feilen der Zähne betrifil l^
habe die Stelle damals mit angeführt, obwohl die Schädel, welche uns zu jener Zeit
vorlagen, gar nichts von diesen Veränderungen darboten; ja, ich habe sie a^nüai
nur deshalb mitgetheilt, weil, während das eine sich bestätigte, das andere sich toä
bestätigte. The veno t sagt: „Sie feilen sich die Zähne von der zartesten EiiHi^
an; die einen machen sie mehr gleichmässig, die anderen feilen sie spitz zu, soi*
sie ihnen die Gestalt einer Säge geben, und sie bedecken bie dann mit ei^
schwarzen oder rothen Fimiss; in der Oberreihe machen sie eine kleine OeM i
welche sie mit Gold ausfüllen.*' V7as das letztere anbetrifit, so habe ich nichts dei^ I
wahrgenommen. Dagegen hat sich das Abfeilen der Zähne in ausgezeichneter Woäe
gezeigt: mehr oder minder findet es bei allen sechs Schädeln statt und zwar io^
Art, dass die mittleren Zähne durch seitliche Abfeilung scharf zugespitzt mdvD^
die ganze Reihe in der That sägeformig erscheint. Wir können also auch in diesem
Punkte dem alten The ve not gerecht werden, und es ist diese Thatsacheom»
merkwürdiger, als auf den meisten benachbarten Inseln, namentlich auf den lo^^i
des Sunda- Archipels, die Zähne nach dem anderen Typus gefeilt werden, den er angiebt
Erstens werden sie „egal^ gemacht, indem die Beissfläche glatt gefeilt wird; d^
aber werden sie auf der vorderen Fläche von oben nach unten ausgehöhlt Auss^*
dem werden sie stark schwarz gefärbt An denjenigen Philippinen-Schädeln, welche
uns damals vorlagen, war von keiner dieser beiden Arten irgend etwas so Beheo,
und auch jetzt bei emeueter Vergleichung hat sich nichts davon heransgesUlli j^
scheint daher, dass sich diese Sitte nur bei Negritos erhalten hat
In Beziehung auf die zweite Eigenthümlichkeit, auf die künstliche Deform*'
tion der Schädel, hat sich nun ergeben, dass auch bei den von Hrn. Meyer eifig^
sandten Negrito-Schädeln Erscheinungen vorliegen , welche nicht ftiglicb snders w
(205)
durch k&nstliche Abplattang bervorgehracht sein können und welche seine Meinung
▼on einem bloss zufalligen Vorkommen dieses Gebrauches zu widerlegen scheinen.
Namentlich einer der Schädel ist so breit und am Hinterhaupt abgeplattet, dass diese
Bildung gar nicht anders erklärt werden kann. Durch die Biegung oder Knickung
der Flache der Hinterhauptsschuppe ist eine starke, fast senkrechte Abplattung des
Hinterhaupts und zugleich eine solche Verbreiterung herbeigeführt worden, dass die
Schädel gewibsen Peruaner-Schädeln in hohem Grade ähnlich sind. Alles in Allem
finde ich, dass unter den sechs Schädeln nur einer vorhanden ist, welcher den Tollen
Eindruck eines natürlich ausgebildeten, regelmässig gewachsenen Schädels macht, und,
was nicht unwichtig zu bemerken ist, gerade dieser ist unzweifelhaft ein männlicher;
die anderen dagegen sind weibliche Schädel.
Ich will gleich hervorheben, dass bei der Sendung des Hm. Meyer ausser den
eigentlichen Negritoschädeln sich einer befindet, welcher als Schädel eines Igorroten
bezeichnet ist. Er ist das gerade Gegenstück der andern, eben so lang und schmal,
wie die andern kurz und breit. Sonderbar genug, hat auch Herr Ja gor einen
Schädel mitgebracht, welcher schon früher von mir besonders hervorgehoben worden
ist. Derselbe stammte von einem Eingebomen vom Berge Ysarog auf der Insel
Luzon. Beide stimmen in vielen BeziehuDgen überein; indess ist der neu angekom-
mene so schmal, dass man hier in der That die Frage aufwerfen konnte, ob
dieses eine natürliche Form ist Dieser Gredanke ist mir um so mehr gekommen,
als mir gerade aus einem. der neueren Hefte der Bulletins der Pariser anthropologi-
schen Gesellschaft (S^. H. T. V. 1870. p. 34) eine Stelle aufgefiallen ist, welche sich
auf eine benachbarte Gegend bezieht Ein französischer Missionar, Hr. Mont-
rouzier, berichtet in einem Briefe aus De Art in Neu-Caledonien, dass er künst-
liche Deformation der Schädel auf den Salomonsinseln, auf Woodlark, Rook und in
Neu-Caledonien beobachtet habe. Von letzterem giebt er an, dass dort zwei Stämme,
Tao und Balade, nur zwanzig Meilen von einander entfemt wohnten, von denen der
eine die Köpfe der Neugebornen seitlich abplatte, so dass sie fast so schmal würden
wie der Hals, und dass die Stime hervorsprioge; der andere dagegen platte sie in
querer Richtung ab, indem er die Stirn zurückdrücke. Auf den Belepinseln verlän-
gere (etire) man das Gesicht. Endlich macht er noch folgende Bemerkung: „In ganz
Neu-Caledonien wird nach der Geburt eines Kindes Wasser heiss gemacht, dann
taucht man die Finger in dasselbe und zerquetscht dem Kinde damit die Nase.^ So
unwahrscheinlich diese Mittheilung an sich klingt, so kann ich nicht verschweigen,
dass die Betrachtung der Nasen unserer Negritos eine sehr überraschende Thatsache
ergeben hat Das ist die, dass unter vier Schädeln mit erhaltenem Gesicht sich in
der That zweimal eine Verwachsung der Nasenbeine mit den anstossenden Stirnfort-
sätzen des Oberkiefers findet und dass zugleich die Nase an der Wurzel ungemein
breit und abgeplattet ist. Die Synostose hat zugleich in so unregelmässiger Weise
stattgefunden, wie es nach heftigen Gewalteinwirkungen auch bei uns vorkonmit
Ueberdies ist mir nicht bekannt, dass im gewöhnlichen Laufe der Dinge die Nasen-
beine irgend eine besondere Neigung hätten, mit dem Oberkiefer zu verschmelzen^).
Soviel kann positiv festgestellt werden, dass die Negritos der Philippinen .mit
0 Sandifort (Observat. anat pathol. Lugd. Bat 1779. Lib. UI. pag. 130. Lib. IV.
pag. 136) berichtet von zwei Fillen, wo die Nasenbeine fehlten und durch die Fortsätze des
Oberkiefers ersetzt wurden. Otto (Lehrbuch der pathol. Anatomie. Berlin 1830. Bd. I.
S. 182. Anm. 4) macht bei Erwähnung dieses Gitats die Angabe, dass er ein Beispiel davon
bei Prof. Mayer in Bonn an einem Nukahiva-Schädel gesehen habe. Möglicherweise ist die«
ebenfidls eine känstliche Deformation.
(206)
den Negern Afrikas keine Beziehung haben, dass im Gegentheil die allergroMten
Gegensätze zwischen beiden Racen in Beziehung auf die Kopfform bestehen. Unser
Igorroten-Schadel würde sich in dieser Beziehung Tiel mehr dem afrikanischen Neger-
typus anschliessen ; er soll aber gerade herstammen von einem Stamme, dessen Stel-
lung bisher vielmehr in aller Zuversicht unter den asiatischen Racen angenommen
worden ist. Ich finde an ihm einen Schädelindex von 68,8 , eine Schädelcapaci^
von 1400 Gubikcent bei grosstem Horizontalumfsng von 515 MilL, einem Hohen-
index von 73 und einem Höhen -Breitenindex von 106. Er ist also in hohem Maasse
dolichocephal oder, genauer ausgedrückt, ein schmaler Langkopf. Andererseits zeich-
net er sich dadurch aus, dass er einen sehr geringen Prognathismus besitzt Durch
die Gesichtsbildung entfernt er sich daher um so viel von den Afrikanern, als er
sich durch die Form der Schädelkapsel ihnen nähert. Von den Negritos aber unter-
scheidet er sich in beiden Beziehungen, denn diese sind ausgemacht brachyce-
phal und zugleich höchst prognath.
Unter ihnen erregt der männliche und nicht deformirte Schädel das grösste h
teresse. Er unterscheidet sich von allen anderen durch seine verhältnissmässig sek
derbe und feste Beschaffenheit, welche sich übrigens an den Knochen des ganzes
Skelets wiederfindet. Zugleich bietet er eine seltene Form recht schön dar,- weM
man ihn von vom oder von hinten betrachtet; er zeigt nehmlich eine eigenthnmlicli
dachförmige Bildung, in der Art, dass die Seiten ziemlich steil ansteigen und d«
eigentliche Gewölbe durch zwei, dachförmig gegen einander gestellte Flächen ersetxt
wird, welche gegen die Seitentheile eine leicht winkelige Stellung einnehmen. Mas
hat diese Schädelform mit dem Namen der ogivalen bezeichnet. Sie ist in der
That recht eigenthümlich und sie fallt namentlich häufig zusammen mit einer ande-
ren Eigenthumlichkeit, nehmlich mit einer ungewöhnlichen Höhe der Insertion der
Kaumuskeln, z. B. bei den Grönländern Es bleibt dann nur ein kleiner Theü der
Schädeloberfläche frei von Muskulatur. Das ist aber gerade das Dach, Die übriges
Schädel lassen trotz ihrer Deformation dieselbe Form erkennen, indess hätte man
bei ihnen zweifelhaft bleiben können , ob dieselbe die natürliche sei. Der nicht de-
formirte männliche Schädel hebt diesen Zweifel
Dieser Schädel, so stark und gross er aussieht, ist doch um ein Beträchtlicli«^
kleiner in Beziehung auf seine Capacität als der Igorroten-Schädel. Er hat et
1200 Gubikcm., während dieser 1400 Cubikcm. hat Im Uebrigen zeigt er alle T^-
hältnisse eines exquisiten Brachycephalen: 80,8 Schädelindex, Horizontalumfang ^i
Höhenindex 75,6, Yerhältniss von Höhe zu Breite 93,6, Mastoidealbreite 131, Jog^*
durchmessef 135. Im Uebrigen zeigt er dieselbe Feilung der Zähne, und wenn maa
ihn von der Seite betrachtet, so lässt sich nicht verkennen, dass in Folge des star-
ken Prognathismus und der geringen Höhe des Gesichts (114 Mill ) die Affenartigkeit
des letzteren nichts zu wünschen übrig lässt Wenn nun der erwähnte Missiontf
behauptet, dass das affenartige Aussehen der Neu-Caledonier wesentlich abhängig sei
von dem Einschlagen der Nase, s(» will ich nicht bestreiten, dass möglicherweise
bei ihnen die besondere Form der Nase durch mechanische Yermittelnng an den
Neugebomen herbeigeführt werden mag, aber das muss ich in Abrede stellen, d>ss
diese Verletzung allein den affenartigen Typus erzeugt. Dieselbe affenartige Platjr-
rhinie lässt sich auch an solchen Negrito-Schädeln wahrnehmen, wo die Nasen-
knochen nicht synostotisch sind. Wenn man sie von der Seite ansieht, sö zeigen
einzelne nahezu eine Orang-Utan-Physiognomie. Das Charakteristische liegt darin,
dass, während der vordere untere Nasenstachel so weit zurückliegt, dass in deo
meisten Fällen die Entfernung dieses Stachels von dem äusseren Gehörgange (oder
dem grossen Hinterhauptsloche) nicht grösser ist als die Entfernung der Nasenwarzel
(207)
▼on demselbeii Punkte, die Alveolaifortsatse und namentlich am Unterkiefer gans
gewaltig herauttreten. Ausserdem ist die Nasenwurzel überall sehr breit, die Nasen-
öfFnung sehr weit und die Nase im Granzen niedrig. Nimmt man dies alles zusam-
men, so wird darüber kein Zweifel sein, dass in der That die Aflenahnlichkeit des
Gesichtsprofils eine überraschend grosse werden kann, und dass sie von wirklich
typischen Bildungen abhängt. Diese mögen allerdings begünstigt werden durch das
Einquetschen der Nasenwurzel, aber jedenfaUs werden sie dadurch allein nicht her-
vorgebracht —
Ich bitte, noch einen kleinen Blick auf die Skeletknochen zu werfen, die in
der That äusserst interessant sind, nicht bloss wegen ihrer allgemeinen Zartheit,
sondern auch in Beziehung auf einzelne Verhältnisse. Schon in der Sitzung vom
10. Deoember 1870, an den Knochen des von Hrn. Schetelig importirten Skelets,
hatte ich aufmerksam gemacht auf die gradle Beschaffenheit sämmtlicher, sowie auf
die Kürze, die Krümmung und die veränderte Grestalt der langen Knochen. Letzteres
war nirgends auffälliger als an dem Schienbeine; demjenigen Knochen, auf den be-
sonders die französischen Forscher ihre Aufinerksamkeit gewandt haben, und es hatte
das für ims um so mehr einige Bedeutung, weil gerade in einer Zeit, wo über die
Raoe prussienne verhandelt wird, die Zeichen der „niederen^ Raoen mit besonderer
Sorgfalt studirt werden. Bei den Negritos ist die Platyknemie sehr ausgezeichnet
Sie sehen eine Form des Schienbeins, welche absolut abweicht von dem, was wir
an unseren Skeleten zu finden gewohnt sind: ein seitlich gleichsam zusammengedrücktes,
an der inneren Seite ganz plattes Schienbein, vom und hinten mit einer scharfen
Kante. Gewiss ist es höchst auffiedlend, dass diese Form sich mit der grössten
Gleichmässigkeit wiederholt Zur Yergleichung habe ich ein paar berliner Tibien
mitgebracht Betrachtet man ihre hintere Seite, so trifit der Blick eine grosse Fläche
mit starken Muskelansätzen. Bei den Negritos dagegen finden wir hinten gar keine
rechte Fläche, es ist nur eine Leiste vorhanden, welche sich gelegentlich nach oben
hin etwas verbreitert.
Ebenso charakteristisch ist für alle unsere Negrito-Skelete, obwohl die Grossen-
verhältnisse ziemlich verschieden sind, die sehr starke Ejrümmung nach vom, weldie
die Oberschenkel haben, sowie der kurze und steile Schenkelhals. Dabei fallt wegen
seines tieferen Standes und seiner Stärke der Gondylus internus aul £& geht daraus
hervor, dass die Beine ziemlich schräg stehen müssen, ähnlich wie die sogen. Bäcker-
beine.
Endlich wiU ich aufinerksam machen auf die Verhältnisse der Oberarme. Da
findet sich zunächst bei einzelnen das viel besprochene Loch in der Fossa supra-
oondjloidea. Von grösserem Interesse ist jedoch die Stellung, welche die einzelnen
Theile des Oberarms zu einander haben. Allerdings variirt dieselbe an den Humeri
der versehiedenen Lidividuen ziemlich bedeutend. Wenn poan indess die Negrito-
Oberarmbeine mit europäischen vergleicht, so erscheinen sie im Allgemeinen weniger
stark gedreht
Es eiiiellt aus diesen flüchtigen Demonstrationen, dass wir es mit einer Race zu
thun haben, welche grosse und vielfache Eigenthümlichkeiten besitzt Mit voller Be-
stimmtheit können wir nur sagen, dass die schwarze Race der Philippinen ebensowenig
Beziehung hat zu der schwarzen Race in Neu-Hollaod, Neu-Guinea und Neu-Cale-
donien, als sie verschieden ist von den afrikanischen Schwarzen. Es ergiebt sich
femer aus der Zusammenstellimg der bis jetzt bekannten Fälle, dass eine bedeuten-
dere Entwickelung des Schädelraumes nicht zu unserer Kenntniss gekommen ist
Damit hält auch im Ganzen die gracile Ausbildung des Skelets gleichen Schritt
Der einzige Mann, dessen Skelet wir haben, besitzt freilich etwas ausgiebigere Kno*
(208)
dien'), Welche in der L&nge erheblieh über alle anderen hinausgehen , eireichl aber
doch nur die Länge eines sehr mittelmässigen europfiischen Hannes. Man kann da-
her wohl annehmen, dass die ganae Race eine auch in physisdier Beziehung ▼erfaalt-
nissnifissig niedrig stehende ist Die Gfesichtsbildung, obwohl sie nch bekannten
Typen der Negervolker nfihert, zeigt doch eine weit mehr affen&hnliehe Fonn, ja sie
erscheint in Verbindung mit der brachycephalen Schadelbildung so eigenthümlicb,
daes über die Besonderheit dieses Stammes nicht füglich ein Zweifel bestehen kann.
In welcher Beziehung derselbe zu den malayischen und melanesischen Naehbantini-
men steht, wird erst defimtiT festgestellt werden können, wenn wir zahlreichere
Exemplare von Sch&deln dieser Nachbarvölker besitaen werden.
Die Meinungen der Autoren gehen in dieser Beziehung noch immer weil ausein-
ander. Ein grosser Theil der Widersprüche erklärt sich daraus, dass die Beisendeo
das, was sie an einem Orte gesehen haben, ohne Weiteres auf andere Übertrages
haben. Ein Blick auf die gewiss sehr sorgfältige, aber auch ebenso bunte Darstel*
lung von Waitz (Anthropologie der Naturvölker. 1865. Y. 1. S. 100 £) genü^
um zu zeigen, welche Verwirrung allein über die Negritos und ihre Beziehungen a
den Papuas besteht Nach dem, vnis die HH. Semper und Jagor über die ersle-
ren, Earle und Wallace über die letzteren beigebracht haben, wird die absolufee
Verschiedenheit beider wohl für immer feststehen. Allein zwischen ihnen liegeo
zahlreiche Inseln, deren Bevölkerung so wenig genau geklart ist, dass es nidit mög-
lich ist, zu sagen, ob sie mehr zu der einen oder mehr zu der anderen Gruppe ge-
zogen werden müssen. Gerade hier £Ült der Mangel einer geordneten Craniologie
des grossen Archipels schwer in das Gewicht War es doch bidier unmöglich, audi nur
die Stellung der Negritos auf den Philippinen sicher festzustellen. Noch Hr. Bar-
nard Davis (Joum. of anthiopologj. 1870, p. 140) berichtete über die drei in aeineoi
Besitze befindlichen Schädel von Negritos, dass darunter zwei dolichocepbale imd
ein bnchycephaler seien. Auch in dieser Richtung giebt nunmehr die Sendung des
Hrn. A. B. Meyer eine zuverlässige Unterlage, da die völlige üebereinstimmaof
einer so grossen Reihe das Bedenken aussohliesst^ es möchte hier der Zufall gespielt
haben. Denn kein einziger der jetzt in unseren Besitz übergegangenen Schädel ki
als ein dolichocephaler zu betrachten.- Der Breitenindex der vier am besten eA^
tenen betragt 80,8, 83,8, 86, 7 und 90,6. Die so oft schon angeregte Frage, ob&
Negritos mit den Mincopies und den Semangs eine nähere Verwandtschaft hiln,
tritt nunmehr in den Vordergrund der Untersuchung.
Nicht minder wichtig aber wird die Frage nach dem Verhältnisse der dolicbcK
cephalen Bergvölker dieser Inseln, wofür unser Igorroten-Sch&del ein Beispiel liefert,
zu den brachycephalen Malayen. Ich erinnere in dieser Beziehung an die Unter-
suchungen des Hrn. Swaving über die hypsistenocephalen Bergvölker von Palembang
auf Sumatra (AnthropoL Review. 1870, VoL VIII, p. 182), welche sich zuglei^ durdi
eine auffallige Grösse des Schädelranmes (1544 Cubikcm.) auszeichnen. Hier eröffnet
sich ein ganz neues Feld der Untersuchung, welches far die Entscheidung über die
Herkunft und den Zusammenhang der Bevölkerungen gewiss ein neues Licht ver-
breiten wird. Ob es dann möglich sein wird, jene neue „oceanische^ Race des Hm.
Vivien de St. Martin (Uunnit g^graphique. Paris 1872* p. 93) zu begründen.
'} Bei dem männlichen Skelet misst das Os femoris von dem Niveau des Kopfes bis zum
Niveau des Condylus intern. 43,5, von der Spitze des Trochanter bis zum Qelenkniveau des
Cond. extern. 42 Gent. Die Tibia hat von der Eminentia intermedia bis zur Spitze des Halleo-
lus eztemus 3S, von dem Rande der Kniegdenkfläehe bis zum Rande des Sprunggelenlns 96,5.
Das Os laaam ist 30 Cent lang.
(209)
innelche Ton Somatxa bis su den Philippinen, ja darfiber hinaus bis su den Polyne-
sien! und den Ainos reichen soll, das wird die Zukunft lehren. —
Herr Lehmann hebt die sehr reichhaltige, über die Gelebes-, namentlich die
Minahaeea-Stiunme in Holland existirende Literatur hervor. —
(11) Nach Mittheilang des Voisitsenden hat der Hr. Cultosminister den Bericht
dea Major Kasisky su Neustettin
Aber Oriberftmde 1» Hlnterpovuneni and Westpreissen
an den Vorstand der Gesellschaft eingesendet
Der eifirige Forscher giebt darin Beschreibungen verschiedener Arten von
Grftbem:
1) über ein ausgedehntes Graberfeld bei der Persansiger Mühle, auf welchem
ein grosser Grabhügel, sodann „Steinkistengrfiber^ und endlich unverbrannte
Leichen 'gefunden wurden ;
2) über ein Steinkistengrab, gleichfiedls bei Persanzig, wo eine Urne unter
einem kleinen Erdhügel aufgedeckt wurde, die auf einer Seite eine eigen-
thümliche eingeritste Figur, ahnlich der Gontourzeichnung eines umgekehr-
ten Schiffes zeigt;
3) über Steinkistengraber an der Brahe im Kreise Schlochau, in denen unter
Anderem Urnen mit pfeilartigen Verzierungen zu Tage kamen. —
(12) Herr Dr. Hostmaan in Gelle macht in einem Briefe an den Vorsitzenden
auf drei Gesichtsurnen aus Sammlungen von Strassburg und Lyon aufinerksam,
welche in dem Werke von Brongniart, Traite des arts ceramiques. Paris 1844.
Atlas. PI. XXVI. Fig. 1, 3 et 4 abgebildet sind.
Herr Virehow bemerkt, dass die beiden Strassburger Grefasse sich genau an den
von ihm erahnten römischen Typus anschliessen und dass er ähnliche in dem städ-
tischen Museum zu Göln gefunden habe. Das Ljoner Gefass ist etwas abweichend.
Er erinnert dabei an die Mittheilung des Hm. de Mortillet in der Sitzung vom
11. Juni 1870.
In einem ferneren Briefe vom 13 Ma% berichtet H^rr Hostmann
iber Urnen von besonderer Form ans Hannover und den benachbarten sichsichen
Gebieten»
1) Buckelurnen. Solche finden sich keineswegs in Deutschland nur in dar
Lansita oder dem überoderischen Gebiet Sie sind häufig an der Unterelbe oder
swisdien Weser und Elbe. Der wichtigste, bedeutendste Fund in dieser Beziehung
vrar das grosse Umenlager von Issendorf, zwei Stunden von Stade; in den Jahren
1724 fl^ von Mushardt aufgedeckt und genau beschrieben im Manuscript der Olden-
bnrger Bibliothek. Die Issendorfschen Urnen sind vor anderen schön gearbeitet und
meistens mit erhabenen Krimzen, welche um den Rand gehen, mit von innen her-
ausgetriebenen runden oder länglichen Buckeln, mit Strichen, deren einige
eine aufgelegte Rose bilden, mit eingedrückten Blumen und anderen Figuren, mit
herabhängenden Perlenschnüren und dergL versiert; auch haben viele einen Fuss
oder zeichnen sich auf andere Art aus. Zum Theil sind sie glasirt wie schwarze
Ofenkacheln, und so glatt wie polirter schwarzer Marmor.
Dieser UmenMedhof stammt, wie ich nachweise, ans dem 4. ^- 5. Jahrhundert
(210)
p. Chnt — Di« Beigaben sind ohne Ansnabme römieche: Glubecher, Vug«D.
SpsDgeD, Nadeln, Weihrauch u. b. t*.
Andere Buckelurnen finden sich in den Sammlungen der Bibliotheken tod Hun-
bnrg und Bremen. —
2) Hausuruen in Deutec^aod Di^se haben allerdings eine nicht in reriito-
nende Aehnlichkeit mit einigen olbaniscboD Uefäsaeu; aber schon 1855 habe itb 1
gegen die Ansicht protestirt, dase Abbilder des ^tgennanischen Wohnhauses duii I
zu finden seien. Hierin bestärkt mich noch mehr ein Exemplar s<dcher Urnen, dM
ich im Yergangenen Winter in der Sammlung de« Hm. Domprobat Thiele in Bniui-
schweig auffand, imd Ihnen anliegend in Photographie, '/( natQr. Gr. fiberreidw
Ohne Plage gehört diese Urne in die Kategorie der sogen. Hnuumen, — aber eiiia
HShs 19, gTÖsste Weite S8 Cent-
Vergleich mit einem Wohnhanse Tormnelimen, möchte doch wohl Niemanden <i^
fallen! — Die Drae wurde von Hrn. Thiele aus einem grossen Omeofriedbcife t«
NienhagAD unweit Halberetadt aushoben, sie ist aleo jetst die Tieite aas <üms
Gegend stammende; sie war mit Knochen gefüllt, die Thür mit einem metslkxs
Stift versclüossen. Das Üinenlager dfirfte, wie ich aus den Beigaben erweisen ksos,
in's 3. — 4. Jahrhundest p. Chrisl. gehören. —
3) HäandeTnrnen. Von diesen interessanten Geissen werde ich Zeidinu^
Teiöffentlichen aus dem Umenlager von Dartau. Sknmtliche Ornamente beitsto
ans Puolnlimen; die Gefteae sind kohlschwan. —
4) Da Sie sich sehr fGr Urnen interessiren, so sende ich noch Ztäehnoog «•■
eigenthfimlichen GeElases, — ebenfalls bei Halberstadt gefunden. Ich habe stm
ihnliches noch nicht gefunden. Die rings um das GefSss laufenden Linien btattkea
wie bei den meisten in 8teindenkm£lem gefundenen Geftssen, ans eingedrfleklis.
wie Pfeilspitien geformten Punkten. Es ist eins der interessantesten I
•ohiira, die uns erhalten sind. —
(Uli)
r7F/ffT
Rippe aber den Ruiben des Deckels
OefFnuMg fiir den Deckel 4 ( in lang J Cm s ätnch hrelt
IftnitB der Lrne '0 Lm Hohe M Cm
'OD TboD mit Holzkohle (chware gefärbt und j^braont E* wurde in Riemen
getrageD anrh der Ueikel hiit em Loch zum Befestitren.
Fnndort Sarpledt sm Fusse des Huybei^^
(13) Ale GeBchei
I) B Gastaldi
Itslia. ToriDo 1869
9) Dere Muzuola o martello
3) Ders.: Su alcnoe antiche atmi
proveDuti deir Egitto.
4) Dera.: Raccolta di anni e stnimenti dl pietra delle adjacenze del Baltdoo.
Torino 1870.
5) AirrfriTio d'antropologia e d'etnologia. Vol. IL Fase. 2.
6) Das Pracfatwerk: ADtiga9dadeB Penianas tod Rivero und t. Tachudi.
! der Verfasser und Herausgeber wurden vorgelegt;
sonografia di alcuni oggetti di remota antichita rinvenuti in
! stnimeoti di pietra e di broDzo o Rame
(21«)
SitBQDg Tom 6. Juli 1873.
Nachdem der Vorsitcende, Herr Virchow, das glücklich aus Central- Afirika sn-
rückgekehrte Mitglied, Dr. Georg Schweinfurthy sowie den als Gast anwesendeo
Orientreisenden, Freiherm ▼. Maltsan, begrüsst, lenkt derselbe das Interesse der
Gesellschaft anf die bevorstehende deutsche anthropologische Generalversamm-
lung zu Stuttgart und auf den internationalen prähistorischen Cougress n
Brüssel.
(1) Herr H. Ahrendts sn Müncheberg erstattet (unter dem 20. Juni) sohriftlicheii
Bericht über
ein Stelnkammer-Orali bei Tempelberg (Mark)«
Am 15. d. M. erhielt ich die Nachricht , dass man im Walde bei Tempelbeig
eine unterirdisch gelegene Grabkammer mit menschlichen Skeleten angefunden habe.
Gleich am folgenden Tage fuhr ich in Gemeinschaft meines verehrten Freundes, des
Hm. Apothekers Reichert an Ort und Stelle, um uns von dem Sachverhalte sichere
Kenntniss zu verschaffen. Unsere persönlichen Wahrnehmungen und Nachforschun-
gen lassen sich nun, wie folgt, zusammenfassen:
Südlich von der Stadt Müncheberg liegt zunächst das Dorf Tempelberg und
noch weiter in südlicher Richtung das Dorf Steinhöfel. Ziemlich in der Mitte zwi-
schen beiden Dörfern ist ein waldiges Terrain, welches auf den erhöht gelegenes
Stellen mit Kiefern, in den tieferen mit verschiedenem Laubholz bestanden istb Ein
Graben, welcher mit einer Holzbrücke überdeckt war, vermittelte bisher den Was8e^
abfluss der östlich des Weges gjslegenen Wiesenwaeser nach der weiter südlich flie»-
senden Spree. Da die verfallene Holzbrücke durch eine massive Steinbrücke, i&
Packwerk ausgeführt, ergänzt werden sollte, wozu die Seitensteine schon aDge£shxe&
waren, so hatte man nur noch nöthig, sich nach passenden Deckplatten umzusehen.
Etwas südlich von dem Punkte, wo der Buchholz-Hasenfelder Weg den Tempell>erg-
Steinhöfeier Weg kreuzt, und zwar etwa 25 Schritt westlich des letzteren, sahen die
mit dem Suchen beauftngten Arbeiter eine passrecht erscheinende Platte, etwa
2 Quadratfuss gross, aus dem Waldmoose hervorsehen. Es wurde dieselbe freige-
macht, und so stellte sich heraus, dass man es mit einer mächtigen Steinplatte von
schieferigem Bruch zu thun hatte. Weitere Nachgrabungen ergaben, dass dieselbe
dazu benutzt war, senkrecht in den Boden aufgestellte Platten zu überdecken.
Dies die Veranlassung zur Entdeckung des intereseanlAn Fundes.
Zur Beschreibung der Grabkammer übergehend, muss zuerst bemerkt werden,
dass dieselbe bis unter die Deckplatten mit Sand und Lehm, mit Bollateinen
gemengt, angefüllt war. Die Längsaze fallt fast ganz genau in die Richtung von
Ost nach West Die Kammer hatte nach sorgfSltig angestellten Messungen eine
Länge von 15 Fuss, bei einer Breite von westlich 4 Fuss und östlich 5 Fuss, und ist
gebildet von in den Boden senkrecht aufgestellten Steinplatten, deren glatte, unbe-
hauene Seiten nach innen gerichtet sind. Die Nordwand besteht aen sa^ deiartig
(218)
angestellten Platten, ^fihrend diejenigen der Südwand eich nicht mehr feststellen
lassen, da solche leider sum Theil schon aus den alten Stellen entfernt worden sind.
Die Westseite ist durch eine einzige derartige Platte geschlossen, während die Ost-
seite nur mit einer halben Platte gedeckt war, wie dies die Arbeiter bekundeten, so
dass angenommen werden kann, dass an dieser Seite der Eingang gewesen. Drei
mächtige Platten deckten die Kammer Ton oben, von denen nur die mittelste noch
auf dem alten Lagerplatze ruht. Die grösste und die zugleich dem vermuthlichen
Eingang am nächsten lagernde Platte hat 7 Fuss Lfinge, bei einer Breite von 4 Fuss
9 Zoll und einer Dicke von 2*/) Fuss« Das Material s&mmtlicher Platten mit Aus-
nahme einer Wandplatte, welche aus Grauwacke besteht, ist rother, sehr schieferiger
Sandstein, welcher sich leicht spalten Ifisst. Die innere Höhe der Kammer, vom
Boden bis unter die Deckplatten gemessen, betngt 4'/» Fuss. Ausserhalb der Seiten-
platten sind dieselben mit Rollsteinen verpackt, welche an der Südseite zwei der-
selben nach Innen übergedrückt haben. — Sämmtliche Zwischenräume, welche zwi-
schen den neben einander gestellten Seitenplatten, durch die unregelmfissigen Aussen-
kanten derselben gebildet vnirden, sind mit kleinen Rollsteinen und Lehm verpackt
worden und es lässt sich annehmen, dass die zvrischen den Deckplatten vorhanden
gewesenen Lücken auf dieselbe Weise gedichtet waren.
Leider war die Ausräumung schon erfolgt, als die Kunde davon zu uns gelangte,
and wir konnten nur die Aussagen der betreffenden Arbeiter und unsere eigenen
Ainschaattngen zur Feststellung der Thatsachen benutzen.
Viele menschliche Gebeine waren in dem Inneren gefunden worden tmd zwar
gemengt mit Sand, Lehm und Steinen, was wohl dafür spricht, dass die Lücken-
Termauerung der Deckplatten auf die oben beschriebene Weise erfolgt war. Die von
oben her eindringenden atmosphärischen Niederschlage haben dann den bindenden
Lehm nach und nach gelost und in das Innere der Kammer hineingeschlemmt, und
wenn die RoUsteine dann einzeln nachstürzen mussten, so ist eine allmälig erfolgte
Yermengung wohl zu denken. So viel steht fest, und die Aussagen der Arbeiter und
des Försters bestätigen dies, dass eine Bestattung der Todten in sitzender Stellung
stattgefunden hat und zwar mit dem Rücken gegen die Nordwand gelehnt und mit
dem Gesichte nach Süden schauend. Aus den grösseren Rollsteinen, welche im In-
Dem gefunden wurden, lässt sich auch schliessen, dass die Todten seitlich damit
unterstützt wurden, um ein Umfallen derselben zu verhindern. Die Beinknochen
lagen b^ allen Skeleten nach Süden zu, während Rippen, Schädel, Rüokenvrirbel
und Armknochen, auf einem Haufen lagernd, an der Nordwand aufgefunden wurden.
Leider ist es uns nicht mehr möglich gewesen, einen ganzen Schädel, in Verbindung
mit den zu demselben gehörigen Skeletknodien, zu erlangen. Alles, was sich noch
vorfand, haben wir für die Sammlung des Vereins für Heimathskunde an uns genom-
men. Es sind dies Oberschenkel-, Unterschenkel-, Ober- und Unterarmkuochen,
mehrere Hals- und Rückenwirbel, einige Schulterblattfiragmente, ein vollständiges
Kreuzbein und viele andere Trümmer. Ausserdem haben wir Alles, was an Schadel-
theilen zu finden war, sorgfältig gesammelt. Es sind besonders Unterkieferstücke
von sechs verschiedenen Leichen. Die darin enthaltenen ausgezeichneten Zähne sind
alle stark abgemahlen, mit Ausnahme derjenigen eines noch sehr jungen Individuums.
Bei allen tritt das Kinn spitz hervor, und entspricht die Schmalheit des Raumes
awisohen den beiden Zahnreihen, in einem noch vollständigen Unteridefer, einem
nach unten zu spitzen Gesicht Am interessantesten ist ein noch ziemlich vollstiui-
diges Oberschädelstück, an dem sich noch sehr genau die Längen- und Breiten Ver-
hältnisse feststellen lassen. Es beträgt die Länge 18,7 Cm., die Breite 13,0 Gm.
Hiernach bereohnet sieb der Breitenindex auf 69^5, vollständig verschieden von allen
C214)
mir augeablicklich zu Gebote stehendeD Sch&deln. leb tfige eine von mir aelbat
auigefQbrt« Zeicbnuug bei, aus welcher sich auch die aa&lleDd ■arficktretende Stirn
ersehen ISsst. Da ooch der obere Rand der rechten ADgenh5hle bis dahin, wo der
Backenknochen ansetzt, sowie das Nasenbein vorhanden ist, so kann man die Breite
des Gesichts, über die Augen hinweg gemessen, auf 10,3 festste] 1 eu , — eine Terhältnie-
m&ssig grosse Breite fQr den aufhllend schmalen Oberschädel.
Einige noch vorhandeoe Stücke tod anderen Schädeln gewähren wenig Anhalt
Sämmtliche Knochen erscheinen sehr alt, sind braun geffirbt, mit schwfiralicheii
Flecken Tersehen und kleben an der Zunge.
Andere Gegenstände sind im Innern nicht aufgefunden worden, auch fehlte jede
Spur Ton Geßlsseo; nur fanden wir noch zwischen den Knochen des Skelets die hin-
terste Molare eines Schweines und ausserhiilb, unter den aus dem Grabe geworfeaes
BoUsteineu, die Hälfte eines viel gebrauchten Schleifsteines, aus grobem, festem Sand-
steioe bestehend, wie solche zum Herstellen von Steinwerkieugen öfter in Gnben
der Uteaten Periode vorkommen. Er ist 9 Zoll lang, 7 Zoll breit und 2 — 3 Zoil
dick. Die beiden flachen Seiten sind sehr bohl und glatt aasgeschliffen und aad
die eine schmale Seite zeigt Schleifspuren.
Durch unsere Untersuchungen konnte femer festgestellt werden, dass der Fo»
boden der Grabkammer mit einem Estrich aus Lehm Aberzogen war, in den dit
Knochen zum Theil hinein versunken waren.
Nach Aussen hin rerräth sich das Grab durch Nichts von dem Qbrigen flaches
Waldboden, der Qberall mit idoos gleich müssig bewachsen ist.
Es wird Sorge getragen werden, dass das Ganze in dem Zustande, in welchem
wir es bei unserer Anwesenheit vorfandeo, erhalten bleibt —
Herr Tlrehow hebt die grosse Wichtigkeit dieses Fundes hervor, da bis jet«t
kein einziges Steinkammergrab aus der Mittelmark bekannt sei. Wfibrend sich noch
in der Altmark zahlreiche megalithische Monumente erhalten haben, fehlen sie io
unterer Nähe scheinbar ganz. Erst weiter östlich sind neuerlich durch Hm. Ka-
siski bei Neustettin in Pommern äbniicbe Gräber aufgedeckt. Zahlreicher sind sie
in Pomerellen.
(2) Herr Oberlehrer Dr. VoBok zu Cöslin hat, nachdem die weiteren Nach-
grtbnngea am L&ptow-See abgeschloasen sind, dem Vorsitaenden mehrere Pfaotogia-
(215)
pbien und 2^ichnungen des Pfahlbaues, sowie yerscbiedene hölzerne Gegenstände
(Trümmer eines Kahns, zwei Schaalen und ein sehr geschiokt gearbeitetes, am Rande
arnenartig ausgebogenes Gefass mit sehr dünner Wand) überschickt. Ausserdem
sendet derselbe unter dem 23. Juni einen Bericht
Aber eine alte Insiedelnng am Mlflilenbaeli unterhalb Gl^sliii und einige andere
Alterthnmsfnnde ans der Naehbarsehaft.
Die Entdeckung und Durchforschung des boniner Pfahlbaus gewinnt dadurch an
Interesse, dass sich, wahrend ich die Arbeiter am Lüptower S^ beschäftigte, in der
nordlichenYorstadt Goslins in der Nahe des Mühlenbachs gleichfalls unverkennbare Spuren
einer PfeJilansiedelung zeigten. Es wurde nämlich einer der yielen Gärten, welche
dort auf beiden Seiten des Mühlenbachs liegen, weil er gauz versumpft und unkul-
tiyirbar schien, 5 — 6 Fuss tief umgegraben und drainirt. Dabei stiessen die Arbeiter
in einer Tiefe von etwa 4 Fuss auf Pfahlreihen , welche im rechten Winkel auf den
Mühlenbach führten, auf viele im Boden liegende Querhölzer, eine grosse Masse zum
Theil zerschlagener Knochen, Thonscherben und Geräihschaflen. Leider erfuhr ich,
die Sache zufallig erst, nachdem die Leute schon sechszehn Scheffel Knochen aus
einer zwei Morgen grossen Fläche ausgegraben und verkauft, viele zum Theil wohl-
erhaltene Gefässe zerschlagen und versenkt und einen Theil der Pfahle zerstört und
vergraben hatten. Indessen ein gutes Drittel der Fläche war noch intakt und ich
habe dort die Untersuchung einigermaassen zu einem erspriesslichen Abschluss brin-
gen können.
Der Grarten liegt etwa 200 Schritt unterhalb der Stadtmühle und des Mühlenteichs
auf dem rechten Bachufer und erstreckt sich in einer Länge von 220 und einer
Breite von 80 Schritten von dem zur Papierfabrik führenden Wege bis an den Bach.
Das Terrain fällt allmälig, so dass der Weg etwa 25 Fuss höher liegt als der Spiegel
des Baches. Vom Wege an besteht der Boden 50 Schritte weit aus Lehm, welcher
schroff in bedeutende Tiefe abföllt und das frühere Ufer des Flusslaufes bildet Die
Mulde zwischen dem Lehm, der unteren Sandschicht und dem Baohlaufe ist ausge-
füllt auf 30 Schritte von einer schwarzen humusreichen Gulturschicht über Torf; die
letzten 40 Schritte weit liegt Torf bis zur Oberfläche. Da der Garten tief umgegraben
wurde, zum Theil bis auf den ursprünglichen Seesand, so erkennt man die drei hin-
ter einanderliegenden Schichten auf den ersten Blick. Die oberen Bodenschichten
bis zu einer Tiefe von 2 — 2Vs Fuss sind, früher wiederholt umgewühlt und erfolglos
drainirt worden, erfolglos wegen der in grösserer Tiefe massenhaft liegenden Knochen
und Steine, die ein festes Ganze bildeten.
Die Humusschicht zwischen Lehm und Torf scheint sich bis in eine Tiefe von
4 — 5 Fuss über dem Torf erstreckt zu haben. Der Torf lag näher zum Bach hin
3 — 37s Fuss tief und hatte eine Mächtigkeit von etwa 18 Zoll, dann folgte an den
meisten Stellen eine 1 Fuss starke Sand-, Kalk- und Kiesschicht, darunter wieder
eine schwächere Torfschicht, dann Kalk und Flusssand, endlich Seesand. Die Lage-
rungsverhäitiiisse waren also annähernd dieselben wie am Lüptower See, mit Aus«-
nahme der viele Knochen, Ziegelstücke und Scherben enthaltenden Kiesschicht,
welche hier einen TheÜ der Gulturschicht bildet. Alle Sachen, die im Cösliner
Pfahlbau gefunden wurden, lagen in der 18 Zoll starken Torfschicht und darunter in
der Kiesschicht, welche eine solche Festigkeit besass, dass die Leute kaum mit Spa-
ten und Hacke durch Kies, Knochen, Kalk und 2^egel sich hindurcharbeiten konn-
ten. Zuweilen fanden sich in der Kieslage Stellen, welche durch Feuer geschwänst
schienen.
Im Torf nun fanden sich die Pfahlspitzen, welche sich natürlich, weil ^e obern
Bodenschichten nicht berührt waren, bis zu einer grösseren Tiefe abgenutzt hatten.
(21«)
Zwischen den Pfählen higen, wie am Lüptower See, Strauch und Reiser, aber weni-
ger, ebenso weniger Steine als dort, weil hier am Mühlenbach kein Grand Torlag,
den Boden so stark zu befestigen als am See; dagegen waren in Coslin die P&hi-
reihen yiel regelmässiger konstruirt als im Lüptower Pfahlbau. Die einzelnen Pfahle
standen sehr dicht, oft nur einen halben Fuss yon einander entfernt und zwar, wie
mir die Arbeiter mit Bestimmtheit versicherten und ich zum Theil selbst gesdien
habe, immer je ein eichener zwisdien je zwei fichteoen; die Pfähle selbst waren je
nach der Stärke theils gar nicht, theils unregelmässig oder viereckig behauen. Einen
starken viereckigen Pfahl Hess ich ausziehen, welcher an der einen Seite eine etwa
2 Zoll breite und 1 Zoll tiefe viereckige Rinne und in ihr mehrere 1 Zoll starice,
hat durch die ganze Dicke des Pfahls gehende Locher zeigte. Die Pßüile begannen
nicht, vrie die obere Gultorschicht, schon am Rande des Lehms, sondern erst gegen
die Torfschicht hin und hörten 3 Fuss vom Bachufer auf. Ausser den TertikaleD
Pfählen fanden sich häufig solche, die kreuz weis gegen einander gestellt vraren und
oben Spuren von Zapfen trugen. Zwischen den Pfählen lagen, aber nicht übenl
und regelmässig, horizontale Querhölzer im Boden, etwa 5 — 7 Fuss lang, denn »
weit waren die Pfahlreihen von einander entfernt
Etwa 10 Schritt vom Ufer lagen 5 Fuss von einander zwei Brücken ans dkht
aneinander gelegten, 3 — 4 Fuss langen, meist fichtenen Planken , deren Horizontale
verlängert etwa 1 Fuss unter dem jetzigen Spiegel des Hühlenbachs, also mit dem
damaligen Spiegel ziemlich in einem Niveau gelegen haben würde. In Bezug anf
diese Brücken ist eine Urkunde des BischofiB Jaromar ans dem Jahre 1291 zu e^
wähnen, in welcher blankae pontes (Plankenbrücken) angeführt werden.
Die gefundenen Gegenstände rühren aus viel späterer Zeit, wie die Sachen ans
dem Lüptower Pfahlbau her und bestehen aus yielen ganzen oder zerschlagenen
Knochen, Hörnern und Zähnen. Mehrere starke Rinderschädel mit Knochenzapfen
waren bereits verkauft, ebenso abgesägte Stücke von Rehgeweihen. Hirschgeweihe
haben sich in Göslin nicht gefunden. Die Reste von Thongeffissen, welche ich tarn
Theil in kleinen Bruchstücken auf der Oberfläche gesammelt habe, sind meist ge-
brannt oder zeigen einen feinen schwarzen Thon; an einem grossen Stück mitbmter
Glasur waren noch Spuren von Vergoldung erhalten. Einige Scherben sind indesia,
vrie in Lüptow, roh, aus stark mit Sand versetztem Thon gearbeitet und schwach odff
gar nicht gebrannt. Von den metallenen Geräthschaften ist das meiste yerloreife*
gangen; ich erwähne ausser den wenigen, noch von mir gesammelten Eieenwe^
zeugen, die sehr modern erscheinen und vielleicht der jüngeren Zeit angehören, ein
kubisches eisernes Gefass, mit yerluuletem Theer angefüllt, Stücke yon eisemoi
„Grapen**, wie die Leute sagten, und ein Hufeisen, welches nach der Angabe der
Arbeiter von dem jetzt gebräuchlichen dadurch abwich, dass es oben und unten
Stollen hatte und durch runde Nägel mit sehr grossen Köpfen befestigt war. Sehr
zahlreich waren die gelb, grün und blau gefärbten Glasstücke von Gefässen. Die
Glasscherben fanden sich auch im Torf und waren meist schon stark verwittert
Die seitliche Ausdehnung der Fundstätte lässt sich noch nicht genau feststellen,
doch haben die beiden nördlich angrenzenden G&len genau dieselbe Beschaffenheit
und die Sachen wurden zum Theil so dicht an der Grenze gefunden, daas sidi ver-
muthlich dorthin die Pfahlansiedelung mit ihren Funden noch ziemlich weit erstrecken
vrird. Wie dort, so hoffe ich auf dem gegenüberliegenden Ufer des Mühlbachs im
nächsten Herbst weitere Nachforschungen anstellen zu können.
Auch an anderen Stellen des Gösliner Gebietes haben sich theils früher, theils
jüngst Spuren yon früherer menschlischer Thätigkeit und von Pfahlbefestigungen ge-
zeigt.
(217)
Von besonderer Wichtigkeit ist der nördlich von der erwähnten Fundstelle ge-
legene sogenannte Teieinsgarten. Als dieser im Jahre 1851 tod dem jetzigen Be-
sitzer tief amgegr&ben und dratnirt wurde, fand derselbe mehrere Fusa tief unter der
Oberfläche im Torf dicke, roh behauene Eichepstämme , viele rohe, aus gebranntem
und nngebranDtem Tbon gearbeitete, mit Linien verzierte Thonscherben, femer Kno-
chen, and im Westen too der Traunicbt- Wiese Reihen von Pfählen, die tief im Mo-
rast steckten, und ton ihm flir eine Brücke in dem noch heute sehr sumpfigen Wie-
senboden gehalten wurden. Nach einem von mir im atädtischen Archiv aufgefundenen
Bericht des Geometers Titz von 1789 musste derselbe am Tiaunicht durch Fischer
eine Menge PßÜile ausziehen lassen , um eine Vermessung der Wiese vorzunehmen.
Als in den Jahren 1856 und 57 die neue Mädchenschule im Süden der Stadt
hart an der alten Stadtmauer und am Rande der sogenannten Quebbe gebaut wurde,
stiessman in der Tiefe atif Pfablreihen und Sträucher. Grieben in seiner Geschichte
Cöslins berichtet S. 117 von einer um 1835 vor dem hohen Thore tief in der Erde
gefundenen Spundwand.
Im Frühjahr 1870 fanden die Arbeiter in der Berg- und der Neuen Thorstrasse
beim Legen der Wasserleitung Pfahlreihen und zaunartige Anlogen.
Endlich will ich hier mehrere Berichte von Alterthumafuoden , die bei und in
der Umgegend von CSslin tbeila im vorigen, theils in diesem Jahrhundert gemacht
wurden, binzufQgen.
Johannes Micraelius, ein gebomer Cösliner, berichtet in seinen (1639 geschrie-
benen) sechs Büchern vom alten Pommemlande, Stettin und Leipzig 1723, Buch 11,
S. 130, um die Anwesenheit der Hunnen und des Königs Bela nachzuweisen: ,Dann,
wenn sie einen grossen und starken Menschen sehen, nennen sie ibn einen Hünen,
wie also die Hungam zu der Zeit genennet sein; und zeiget man annoch bei meiner
Vater-Stadt Cüsslin einen Hüneaberg, der doch zuvor viel grösser als ietzund gewesen
ist, in welchem vor diesem daa grosse Messingsche Hörn, das die Wächter des Nachts
blasen, und ein grosses Schwerdt') und sonst grosse Men8chen(?)Knochen sind ge-
Abriss von dem Nachtwächter Hom zn Cöeslin — dessen Lingde sonst drei Ellen gewesen.
Wendland's Zeichnung.
^^
Jetzige Gestalt des Homsi
3S Cm. nmhng bei ad = 5S Cm.
') Die obigen Abbildungen sind nach einer Zeichnung von Wendland in seiner hand-
schriftlichen Geschichte. Das Hom ist noch heute Tothanden, freilich sehr geflickt; das Schwert
V*rt>udU d« B«l. Qa. Okt AattanpaL tu. ft^y
(218)
Abriss Yon dem groesen Schwerdt ans dem Hdnen-Berge. Die Klinge war 49 Zoll lang und
angewöhnlich breit Wendland's Zeichnung.
W^OOC^^KSdOO
aCQQCQOQO^
SucGO me fecit: Bruno me portaTit et amavit
funden worden.*' Nicht weit vom Gralgenberge bei Cöslin wnrde vor etwa 20 Jahrec
ein mehrere Fuss langes eisernes Schwert, jetzt im Berliner Museum, unter eioeoi
grossen Steine gefunden. Der biedere Micraelius fährt dann fort: „Sonsten finde ich
auch Nachricht von Hünen oder Riesen in Vor-Pommem. Denn da die Greifs waldi-
schen im Jahr 1594 in der Buggenhagen Güter durch die Steinmetzen etliche grosse
Feldsteine aus den Hügeln, oder wie sie sonst genennet werden, Hünengräbern klau-
ben und abschlichten liessen, funden dieselben etliche menschliche Cörper, die nocb
gantz waren, und theils 11, auch wohl 16 Schuh lang in einer Ordnung lageo,
also, dass dazwischen in einer Ordnung, Ejrüge mit Erde gefuUet, stunden. Wie aber
die Steinmetzen an einen andern Steinhauffen, dem yorigen gleich, kamen, und deo-
selbigen auch Tersuchen weiten, soll sich ihrem Vorgeben nach, ein Getümmel, aL
wenn etwas mit Schlüsseln um sie herrauschete und tantzete, haben vermerken lassen
dass sie daselbst nicht mehr haben graben können.*' Haken, einst Pastor in h-
mund bei Coslin, in seiner diplomatischen Geschichte Cosslins 1765, Lemgo, urtha<t
obwohl auch er schliesslich bei den Hunnen bleibt, doch insofern S. 44 yerstand^-
als er die grossen Knochen im Hünenberge wenigstens dem Paradepferde des 6^
angehören lässt. S. 45 berichtet er von einem in Rarvin bei Beigard um 1730 &-
öffneten Hünengrabe, in welchem Hufeisen gefunden wurden. Ferner erzählt Haken
in seiner historisch -critischen Untersuchung sämmtlicher Nachrichten yon der ehe-
maligen, auf der pommerschen Küste befindlich gewesenen und so hoch berühmteo
Seestadt Jomsburg. Copenhagen und Leipzig 1776, H Abth. S. 22: „Ich befand midi
1764 in der Gegend des Gollenberges , und bemerkte an einem Orte, zwischen deo
beiden neuen Dörfern Schwerinsthal und Mejeringen (beide wurden 1 749 durch Frie-
drich d. Gr., und zwar Schwerinsthal als eine Kolonie yon Jamund angelegt), woselbst
bis 1749 sehr grosse Waldung gewesen, in einem Umfange yon etwa 2000 Schritten.
16 oyalrunde Hügel, die alle mit grossen Feldsteiaen eingefasst waren und im läng-
sten Durchschnitt etwa 8 bis 10 Schritte hielten: Ich yermuthete hier Urnen su fin-
ging 1718 beim Brande verloren, doch hat W. die Zeichnung nach einer zu seiner Zeit noch
vorhandenen Abbildung gemacht. Das Hom ist aus Bronze gegossen, bat unten eine 14 Mm.
starke Wandung und einen Umfang von 32 Cm. Die Länge beträgt mit den späteren Ansätzen
85 Cm., das Gewicht gegen 10 Pfd. Uebrigens knüpfen sich an das Hom allerhand Sagen.
Das Schwert rührt jedenfalls aus dem 13. oder 14. Jahrhundert her. Ein Sncow kommt in der
Urkunde des Pane Suenso von 1308 vor, desgl. Thidericua de Sncow 1310.
(W9)
den, und Hess einen dies^ Hügel von Osten nach Westen zu dorehgraben; es fisuiden
sich aber keine Urnen, sondern Menschengerippe. Mein Verlangen aber nach Urnen
bewog mich, nadi einem spitzen Hügel zu gehen; daselbst standen in verschiedenen,
mit gespaltenen Feldsteinen ausgesetzten, grossen und kleinen Behältnissen Urnen die
Menge, alle aber von grober, schlechter Arbeit, in allerlei Figuren und Grössen (die
Jamunder Kirche besitzt noch mehrere der Art. Anm. d. Y.) und in der gewöhn-
lichen Thonfarbe. Einige Jahre darauf Hess der General von Rosen seine Soldaten
eine Schanze aufwerfen; bei der Gelegenheit entdeckte man sehr viele Urnen, welche
aber von ganz anderer Beschaffenheit als die vorigen, denn 1) waren sie von sehr
feinem Thon, als in dieser ganzen Gegend nicht anzutrefifen ist, und etliche so
schwarz und von solcher Politur, als die Gefasse von Seipentinstein an sich haben.
2) Halten sie gar «rtige und mit grossem Fleiss gearbeitete Figuren. Denn es waren
einige Urnen darunter, welche zwei Halbkugelo vorstelleten, wovon die unterste etwas
platt gedrückt war, damit das Gefass stehen konnte; beide waren mit einem simplen
Charnier von derselben Materie zusammengefügt, eine darunter hatte drei Fasse,
da sonst alle, die von Urnen geschrieben und ich gelesen, behaupten, dass die, so
sie gesehen, inoieq gewesen. Einige stelleten Hausgeräthe oder Thränengefösse vor.
3) Bei der angestellten Ausleerung der Urnen fanden sich zwar nicht silberne oder
goldene, aber doch kupferne und mit blauem Shhmelz gezierte Geschmeide, Ringe
and Hespen.^
Einen ähnlichen Fund erwähnt Benno in seiner Geschichte von Cöslin 1840,
Einleitung S. 15:
„An dem Wege, welcher bei der Windmühle von Sorenbohm vorbei nach dem
Dorfe Klein Mollen fuhrt, liegt zur linken Hand, ziemlich in der Mitte von diesen
beiden Endpunkten in gerader Linie mit der nordöstlich hinter Bauerhufen sich er-
hebenden Düne, etwa 50 Fuss über der Meeresfläche ein Hügel, welcher durch seine
Höhe in der sonst grössten Theils flachen Gegend, sowie durch seine eigenthümliche
Gestalt, Aufmerksamkeit erregte. Aus einer Höhlung an der westlichen Seite des
Hügels ragte zur Zeit ein ziemlich grosser, wie es schien, zu einem besonderen
Zweck gewählter und auf beiden Seiten behauener flacher Stein hervor , mit dessen
Aufnahme sofort Bruchstücke von Uruen zum Vorschein kamen. Bei der fernem
Ausgrabung zeigten sich Scherben von Urnen aus mit grobem Sande vermischtem
Thoo, deren Aussenseite röthlich, schwarzgrau, grau, graugelb, schwarzbraun, meisten-
theils glatt, bei einigen auch uueben, die innere Seite aber, mit Ausnahme einiger
Stücke, bei allen schwarz ist; zum Theil angebrannte Knochen; Kohlen von Eichen-
holz, einige von weicherer Holzart An metallenen Gegenständen fand man eine von
Kost fest ganz verzehrte Pfeilspitze aus Eisenblech, in welches Hörn oder feingeä-
dertes Holz eingeschoben ist; zwei gedrehte eiserne Ringe, die durch das Stück eines
dritten Ringes zusammengehalten werden. Auch in dem eine viertel Meile von Cös-
lin gelegenen Dorfe Rogzow fand man im Jahre 1819 beim Graben des Fundaments
zu einem Schulhause P/^Fuss tief in sandigem Boden mehrere Urnen, desgleichen*
schon früher an verschiedenen Orten im Grollen.^
Die letzten von Benno beschriebenen Funde rühren offenbar aus derselben. 2^it
her, wie der Pfahlbau am Lüptower See; die Beschreibimg der Scherben stimmt auf-
fallend, auch befindet sich unter den Lüptower Sachen eine sehr ähnliche eiserne
Lanzen- oder Pfeilspitze, in deren TüUe ebenfalls noch der Rest des hölzernen Stie-
les steckt, welcher leider beim Herausnehmen zerbrach. Ein kurzes, sehr gut erhal-
tenes Bronzeschwert mit auffallend kurzem Griff, welches auf meine Yerlaulassung
vom Berliner Museum gekauft wurde, fand man 1€65 im Sorenbohmer Torfmoor, ein
längeres 1865 im 2ieweliner Torfmoor, westlich von Bonin,
(220)
Benno erzählt femer S. 13 von einem Fnnde in der Nähe des Cöaliner Pfahl-
baues:
„Im Jahre 1836 stiess man beim Mergelgraben ganz in der Nähe der Stadt Cos-
lin in einer am rechten Ufer des Muhlenbachs liegenden Wiese, einige Fuss tief auf
gestreckt liegende Bäume, dann auf Ealkmergel; um diesen zu nutzen, verfolgte man
das Lager bis zu einer Tiefe von 10 Fuss, und fand dort bei einer liegenden vermo-
derten Birke, deren Rinde versteinert schien und Äehnlichkeit mit dem Schiefer hat,
die eine Hälfte des Gehörns eines Thieres, welches nur ein Elen gewesen sein kano.
(Es war bestimmt ein solches. Anm. d. Y.) Dieses Geweih misst in seiner grossten Länge
3 Fuss; seine Hohe vom Absterben des Geweihs bis zur Spitze der gegenüberstehen-
den Zacke beträgt 22 Zoll. Die concave Schaufel hat 14 Zacken gehabt, wovon je-
doch zwei abgebrochen sind und ganz fehlen; eine dritte abgebrochene wurde bei der
Ausgrabung mit aufgefunden. Sein Gewicht beträgt etwa 12 Pfd. Was den Boden
betrifft, in welchem man dies Geweih fand, so sind darin, so weit er jetzt aufgegra-
ben ist, keine verschiedenen Erdschichten zu bemerken. Er hat vielmehr eine
dem Torfboden ähnliche Beschaffenheit, ist hier und dort mit Mergel untermischt und
nach allen Richtungen mit Baumästen und Zweigen durchzogen. Uebrigens scheint
seine frühere Beschaffenheit sumpfartig gewesen zu sein.^
Jedenfalls hat die Fundstelle nicht weit von dem von mir untersuchten Terrain
gelegen. Die Schaufel hat der Beschreibung nach eine auffallende Äehnlichkeit mit
einer in der Sammlung unseres Gymnasiums sich befindenden Elenschaufel, welche
angeblich in Natzlaff bei Pollnow gefunden wurde, und deren Gewicht und umfang
mit der erwähnten auffallend stimmt.
Endlich füge ich den älteren Berichten eine Angabe Grieben 's aus seiner Ge-
schichte Cöslins (Cöslin 1866 bei Hendess) hinzu, doch muss ich dringend zur Vor-
sicht rathen. Er sagt S. 103: „Vor mehr als fünfzig Jahren wurde im Schlaweschen
Kreise an der Abdachung der Hochebene von Pollnow nach RügenwaJde zu, und zwar
an der Grabow in einem umbuschten Moorgrunde beim Torfstechen ein merkwürdiger
Fund gemacht. Es war eine Art Tonne oder Eiste, welche ein beim Torfauskarren
helfendes Landmädchen zusammen mit der übrigen Last nicht fortbringen konnte und
der herbei gerufene Yater nur mit Hülfe von noch mehr Leuten herausschaffte. Bein
Abräumen fand man ein von Aussen stark verwahrtes Gefass, das beim Aufbreche
sich nicht bloss inwendig verpicht und durch ein starkes, noch ganz weiss und tro-
cken erscheinendes Leder bedeckt zeigte, sondern auch mit einer Menge metallenei
Geräthschaften angefüllt war, auch nach der späteren Aussage der Leute viele alte
Münzen enthielt Unter den mancherlei metallenen Geräthschaften aber befanden
sich allerhand schmale und dünne bänderartig geschnittene, sonderbar gebogene
und punktirte Bleche oder Spangen von messingartigem Aussehen. Ferner eine
Art Panzer und von einem Panzerhemde ein Stück, das aus lauter solchen metallenen
sehr feinen Schalen zusammengehäckelt, vielleicht zu einem alten Priestergewande
' gehört haben könnte. Ich verdanke diese Nachrichten der mündlichen und schrift-
lichen Mittheilung eines hochbejahrten Mannes, der als Freund solcher Alterthümer
von jenen Sachen mehrere erworben hatte und sehr gefallig mich dieselben besichti-
gen Hess. Das Merkwürdigste ist ein sehr flach gehöhltes^ glockenartiges Becken von
demselben Metall (wovon sich übrigens noch mehrere der Art darin befunden haben
sollen), versehen in der Mitte mit einem Stiel von hartem, durchaus nicht vermoder-
tem Holz, der inwendig befestigt ist. Wenn man denselben frei in der Hand
hält und das Metall etwa mit dem Schlüssel anschlägt, so giebt dieses einen unge-
wöhnlich lange aushaltenden silberartigen Klang.*' Die Metallmischung soll durch-
aus nicht Messing gewesen sein; ein Goldschmidt kannte die Mischung durchaus
(221)
nicht, aber ^sie habe doch wohl einigen Silbergehalt gehabt^ Blumenbach in
Göttingen soll die Sachen dann 1815 für acht rugianische Alterthümer erklärt haben.
Den weiteren Beweis Grieben 's, dass das decken ein Symbol der phrygischen Eory-
banten und alter als der Brief Pauli an die Galater sei, können wir uns schenken.
Herr Koack fugt seinem Berichte ausführliche historische Auseinandersetzungen
bei, in welchen er den Nachweis führt, dass, als Bischof Herman von Gammin 1266
Coslin als deutsche Stadt (civitas) gründete, schon ein älteres Castrum vorhanden
gewesen sei, das zuerst 1281 urkundlich erwähnt wird. Von diesem Castrum glaubt
er annehmen zu können, dass dasselbe auf dem Hünenberge am Traunicht gelegen
habe. —
(3) Herr Tirohow zeigt ein
archaisches Thongefftss Ton Alba Longa,
welches er durch die Güte des Hrn. Professor Tommasi-Crudeli in Rom erhalten
bat. Dasselbe gehört zu den im Jahre 1817 durch CarneYali gefundenen priLhisto-
rischen Gegenständen, welche Ton dem jüngsten Peperinstrom bedeckt wurden.
Das Gefass ist eine Henkelurne mit enger Mündung und umgekehrt trichter-
förmigem, verhältnissmassig engem Halse. Es ist 155 Mm. hoch und hat einen plat-
ten Boden von 70 Mm. Durchmesser ohne jedes Zeichen und yon nicht genau rander
Form. Nach aussen tritt der Rand des Bodens kaum merklich vor. Yon da an er-
weitert sich das Gefass schnell und bildet in einer Höhe von 62 Mm. über dem Bo-
den einen weit ausgelegten Bauch von 150 Mm. Durchmesser. Unmittelbar über der
weitesten Ausfage des Bauches yerschmälert es sich schnell, mit einem fast horizon-
tal erscheinenden Absätze, um in einer Höhe von 93 Mm. über dem Boden in den
Hals überzugehen. An diesem Theil des Bauches sitzt der Henkel. Derselbe be-
ginnt auf der stärksten Rundung des Bauches mit einem 18 Mm. breiten Ansätze,
steigt dann 30 Mm. steil und etwas nach aussen gerichtet aufwärts und geht von da,
fast unter einem rechten Winkel, dessen Yorsprung jedoch etwas abgerundet ist, in
den 33 Mm. langen oberen Schenkel über, der sich dicht unter dem Halse ebenfalls
in einer Breite von etwa 18 Mm. ansetzt Hier ist er zugleich mit einer flachen
Rinne und ein wenig nach aussen gebogenen Rändern Yersehen. Die Oeffnung des
Henkels ist so eng, dass sie nur die Spitze des kleinen Fingers aufnimmt. Der Hen-
kel ist hier, an seinem inneren Umfange, durchweg abgerundet. Seine Yerbindung
mit dem Gefass ist so innig, dass er offenbar nicht angesetzt, sondern Msch aus der
Masse geformt worden ist.
Der ELals hat an seinem unteren Ansätze etwa 80 Mm. im Durchmesser. Er
verjüngt sich ziemlich schnell nach oben und erreicht 135 Mm. über dem Boden,
42 Mm. über dem Ansätze, seine grösste Engigkeit bei einem Durchmesser von
36 Mm. Yon da an erweitert sich die Mündung schneU und der Rand ist etwas nach
aussen umgelegt. Leider ist derselbe an keiner Stelle Tollkommen erhalten, am we-
nigsten an der dem Henkel entgegengesetzten Seite.
Die Masse, aus welcher die Urne gefertigt ist, zeigt auf dem Bruche theils eine
schwarzgraue, theils eine tief braune (Umbra-) Farbe und eine etwas grobe, jedoch
Ton eigentlichen Eies- oder Steinfragmenten freie Zusammensetzung. Jedenfalls ist
sie nicht gebrannt Aeusserlich ist die Grundfarbe ein bräunliches Schwarz, und
stellenweis erscheint dies so glatt, dass das Aussehen an die bekannten altetruskischen
Gefasse erinnert. Die grosse Unregelmässigkeit der Rundungen, sowohl am Boden,
als am Ansätze des Halses, spricht gegen die Anwendung der Töpferscheibe. Yiel-
mehr sieht man um den Bauch zahlreiche, sich unter stumpfen Winkeln kreuzendCi
CM)
mehr boruoDtale, sehr seichte Striche, walche darauf denten, daaa daa finaeka Gefina
in einem Flechtwerk gestanden hat. Am Halse dagegen bemedkt maa seskredil her-
ablaufende, gleichfalls sehr seichte Striche , wie Yon einem gÜttenden InatruBente.
Irgend welche Verzierung ist nicht voriianden.
Es ist schliesslich zu erwähnen, dass der Boden etwas Terletzt ist —
(4) Herr Dr. A. B. Meyer stellt in einem Schreiben an den VoraitaeDdeD ana
Manila (yom 33. April) eine neue Sendung Ton Schädeln und Skelefean aondaneBiaclwr,
philippinischer und neuguineischer Eingebomer in Aussicht. —
(5) Herr Sohweinfarth hält unter Vorlegung zahlreicher Zeichnungen und Ori>
ginalüabrikate einen Vortrag
Aber die Monbnttn.
(Dieser Vortrag enM^eiat im ersten Heft des Jahi^aags 1873 dieser Zeitschrift
mit Abbildungen.)
Herr Bastian kann auf die hohe Bedeutung, die Dr. Sohweinfurtk'a Sat-
deckungeu' für die Ethnologie besitzen, bei der besdiraakten Zeit nicht weiter ein*
gehen, deutet indess vorläufig auf einige überraschende BestatiguBgen, die die ahn
Nachrichten dadurch erhalten haben, in der Kürze hin.
(6) Herr ▼. Maltzan spricht
ftber die Vttker Sfld-ArableM.
(Dieser Vortrag erscheint im zweiten Hefte des Jahrgangs 1873 dieser Zeitaehrift.)
(7) Herr Tälligen legt einige sehr schön gearbeitete
Lanzenspitsen ans Feuerstein von Feetiig (Mark)
yor. Es sind sehr zierliche, blattförmige, nicht poUrte Lanzenspilzen vea graaen
Feuerstein, über deren Fundort noch nichts Genaueres hat ermittelt werden könnea.
Sie zeigen ganz nordische Muster. —
(8) Ah Geschenke wurden überrciobt:
Photographien y^A Zigeunern durch Dr. Sckeiber in Bukest,
Desgl. kaukasischer Eingehomen, Geschenk des Hm. 6; Bad de, abeijgehaB
durch Hrn. Beichenheim.
(228>
Sitzung vom 13. Juli 1872.
Yorsitzeuder Herr Virohow.
(1) Der Vorstand des historischen Vereins zu Brandenburg a. H. ladet die Mit-
glieder der Gesellschaft zu einer Ezcursion dorthin auf Sonntag, 21. Juli, ein. Die
HHm. Oberlehrer Schillmann und ßauinspektor Geiseler haben die Führung
übernommen.
(2) Herr Eälligen übergiebt zwei der in voriger Sitzung vorgelegten Lanzen-
spitzen aus geschlagenem Feuerstein von dem Edelsberge bei Peetzig (unweit Schwedt,
am rechten Oder-Ufer) als Geschenke für die Sammlung.
(3) Auf Antrag des Vorstandes beschliesst die Gesellschaft den Ankauf der von
Hm. Dr. A. B. Meyer von Celebes, den Philippinen und anderen ostasiatischen In-
seln mitgebrachten Skelete und Schädel, theils aus der Gesellschaftskasse, theiliü durch
eine freiwillige Subscription.
(4) Herr C. Jessen, Professor in Eldena, übersendet einen Bericht
Aber eine alte Arbeltsstätte für Steinäxte hei Hohensteln In Schwannsen unweit
EekemfSrde«
Vor einer langen Reihe von Jahren habe ich einmal die hier beifolgenden Zeich-
nungen, welche allerdings nur des Gegenstandes selbst willen einer Vorlage werth
sind, an Ort und Stelle entworfen. Das hervorragendste Stück dieser Steine ist
Fig. 1 Taf. XIV links gegen "Westen hin der grosse Schleifstein, der, Fig. 2, auf
zwei kleineren Steinen angelehnt steht und dessen Oberflache, Fig. 3, nicht nur im
Ganzen eine flach-concave Schleifflache, sondern neben und zum Theil in dieser Ver-
tiefung kleine starkvertiefte kreisförmige Schleifstellen in grosser Menge, daneben
manche Ritze, von Schleifarbeit herrührend, zeigt Dies habe ich in Fig. 3 darzu-
stellen versucht. Die Länge dieses Schleifsteines betrug ungefähr 5 Fuss Ham-
burger Maass, die Breite halb so viel, also 2Vs Fuss, indess beruhen diese Maasse,
soweit ich es erinnere, nur auf einem', wie ich aber glaube, ziemlich zuverlässigen
Augenmaass.
Ist schon dieser Stein höchst interessant, indem er zeigt, wie die letzten Pro-
cesse des Glättens und Schleifens der Steinäxte und anderer Steingeräthe vorgenom-
men worden sind, so hat es mich doch fast noch mehr interessirt, daneben halb im
Grase versteckt, angefangene Steinäxte, die verunglückt waren, aufzufinden. Besonders
war es die Grosse der Steine, die mich frappirte. £s würden mindestens zwei Leute,
wo nicht mehr erfordert haben, um sie auch nur umzuwälzen« In der Erinnerung
meine ich, ihre Länge müsse 3 — 4 Fuss betragen haben, ihre H5he und Breite über
l Fuss. Ich zeichnete solcher zwei Stück, die einander überaus ähnlich, nicht weit
von einander lagen, Fig. 4 und 5 und beide an demselben Fehler litten, dass nehm-
lich die Stielo&ung beim Bearbeiten ausgebrochen und gespalten war.
(284)
Es nöthigt uns dieser Fond so der Annahme, da» die Fomialinniiig da Axt 1
der letzte, das Durchbohren des Steines der erste Act der Bearbeitung gewesen ist. '
Die ungeheuren Blocke, ans denen doch schliesslidi nur die für einen Arm bered- '
nete Axt herrorgehen konnte, zeigen, welcher Aufwand an ArbeitBkraft nödiig irar.
Offenbar musste die Hauptmasse des Steines durch allmaliges Abklopfen der Eck« '
oder gar durch Schleifen entfernt werden. Für das Durchbohren scheinen freilich
gewaltsamere Mittel in Anspruch genommen worden zu sein, da sonst die weite Zer-
klüftung des Steines nicht erkl&rlich ist i
Das Material ist Granit, also ein sehr harter StoC Die Arbeitsstätte dürfte noch ,
existiren, da ich kürzlich bei meinem Freunde, Hm. Maler Wolperding, eine Tor i
nicht langer Zeit gemachte Aufiuihme des im Hinblicke auf die See sehr schäs ge- |
legenen Hügels mit seinen Steinen sah. — i
I
Herr Virehow bemerkt dazu, dass die Annahme des Hm. Jessen über & i
Priorität des Bohrloches Tor dem Schleifen des Steins jedenfalls eine sehr iaolir»
Erscheinung sein würde. Die Zahl der aus Granit und Yerwandten Gesteinen gefe
tigten H&nmier und Beile, welche vollkommen geschliffen sind, jedoch ein unvolk-
detes Bohrloch besitzen, ist ▼erhältnissmässig gross und es giebt wenige SammliufB
in Norddeutschland, in denen sich nicht einzelne Exemplare der Art befinden, is
Uebrigen würde es gewiss interessant sein, die gesdiilderte SteUe einer genuerai
Untersuchung zu unterziehen.
(5) Herr Gymnasialdirektor Schwarti^spricht über
die Samnlugen in Ken-Biippln.
Er bemerkt zunächst, dass Ruppin wegen der reichen, dem Gymnasium gehareo-
den Sammlung yaterländischer Alterthümer und der ebenfalls beachtenawerthen Sudd-
lung ähnlicher Objekte im Besitz des Hm. Ereisgerichtsraths Rosenberg eisea
Besuch Seitens des Vereins lohnen werde. Ausser der grossen Ausgrabung, vdch«
Vortragender vor etwa drei Jahren bei Zühlen unternahm, wobei gegpen 200 üna
gefunden wurden, hat derselbe neuerdings noch zwei bemerkenswerthe üntersodiD'
gen gemacht
Am Ufer des Sees bei Bienenwalde yerrieth sich ein bereits yom Pfluge bes-
tes Urnenfeld durch an dar Oberfläche liegende Scherben. Beim Nachgraben ta&
sich hier unter anderen auch eine eiserne Spange. Femer fanden sich bei Hioda-
berg unter einem ansehnlichen aus Steinen aufgesdiütteten Hügel fünf durch du G^
wicht der Steine zerdrückte Umen ohne Geräthe. Zu den früher erwähnten in der
Grafschaft Ruppin gefundenen Bronzeringen hat sich noch ein fünfter gefunden, ^
neuerdings fand man im Luch beim Torfgraben einen glatten, etwa 3 Loth schwe-
ren, seiner Arbeit nach für arabisch gehaltenen Goldring.
Im Moor bei Wall (unweit Alt-Friesack) wurden Knochen eines grossen Säage-
thieres gefunden; ebendaselbst auf dem Acker eine Anzahl wohl erhaltener Spindel-
steine; in Radenaleben sogar auf der Landstrasse ein wohl erhaltenes Steinbeil
(6) Herr Jagor überreicht Photographien von
angeblieh philippinischen Idolen,
welche auf dem Museum zu Prag aufbewahrt werden und durch den Beisendeo
Hänke von den Philippinen eingesandt sein sollen. Er hat auf dieser Inselgruppe
nicht Aehnliches bemerkt und bezweifelt die Richtigkeit dieser Angabe.
Herr Ascherson bemerkt, dass das Forschungsgebiet Hänke's das damals if^
(225)
nische Amerika von INutka bis Peni gewesen sei, yon wo aus er eine Reise nach
den Philippinen machte, und dass auch bei den von ihm gesammelten Pflanzen mit-
unter Zweifel über die Richtigkeit der Fundortsangabe im tropischen Amerika oder
auf den Philippinen aufgetaucht seien.
Herr Bastian findet in den vorgelegten Idolen Aehnlichkeiten mit solchen aus
dem nordwestlichen Amerika.
(7) Herr Virohow spricht, unter Vorlegung eines Gjpsabgusses,
Aber den SoUdel Ton Kay Lykke«
Schon in meinem Vortrage über den Neanderthal-Schädel in der Sitzung vom
27. April d. J. habe ich eines Schädels gedacht, der mir seiner ungewöhnlichen Form,
Dehmlich seiner überaus starken Augenbrauenhocker wegen im Jahre 1869 im anato-
mischen Museum zu Kopenhagen aufgefedlen war und der mir besonders geeignet er-
schien, um darzuthun, wie sehr durch individuelle Abweichung der Racentypus ge-
ändert werden kann. Das Studium des Neanderthal-Schadels brachte mir denselben
um so mehr in die Erinnerung, als der Charakter einer niederen Race an dem Kopen-
hagener Schfidel in viel höherem Maasse hervortritt, als an dem gerade um dieses
Charakters willen so viel citirten Schädel aus dem Neanderthal.
Hr. Professor Panum in Kopenhagen hat die grosse Freundlichkeit gehabt, mir
nicht bloss einen vortrefflichen Gypsabguss desselben, sondern auch einige biographi-
sche Notizen zu besorgen, durch welche der Fall erst seinen besonderen Werth er-
langt
Er schreibt darüber unter dem 8. Mai d. J. Folgendes:
„Der Schfidel riihrt von Kay Lykke her, der zu den Zeiten Friedrich DI. zur
höchsten Aristokratie des Landes gehörte. Geschichtlich wird von ihm namentlich
Folgendes berichtet:
Er war' feig und wollüstig, aber durch Schönheit (I) und Reichthum ausge-
seichnet Als der König von Schweden, Karl Gustav, 1658 bei Vordingborg landete,
hätte Kay Lykke ihm mit seinem ganzen Regimente entgegengehen sollen. Er
hatte besonders laut für den Krieg gestimmt, blieb aber nun, trotz wiederholten Be-
fehles, aus. Er äusserte einmal in seinem üebermuthe, dass sich kein Weib im
Lande fände, das sich nicht seinem ViTillen fügen würde. Diese Prahlerei wurde als
eine persönliche Beleidigung gegen die Königin (Sophie Amalie von Lüneburg, geb.
1628 und 1643 mit Friedrich HI. vermählt) ausgelegt, über die er überdies fünf Jahre
früher in einem vertraulichen Briefe geäussert hatte, dass er ihre eheliche Treue be-
zweifele. Er wurde deshalb seiner Ehre, seines Lebens imd Eigenthums für verlustig
erklärt; da er aber geflohen war, wurde er 1661 in effigie hingerichtet und sein Schild
vom Henker zerbrochen. Sein stolzes Schloss stand auf Christianshafen, dem Theile
Kopenhagens, der auf der Insel Amager liegt; jetzt steht daselbst das Zuchthaus.
Erst 1679 wurde es ihm erlaubt, in's Land zurückzukehren^ und er lebte dann noch
23 Jahre lang (bis 1702} in aller Stille im westlichen Jütland. Sein Schädel ist von
seinen noch lebenden adligen Nachkonunen gefalligst Hrn. Professor Schmidt und
der unter seiner Leitung befindlichen anatomischen Anstalt bis auf Weiteres überlassen
worden.*
Der Schädel ist ausgezeichnet dolichocephal und zugleich niedrig. Sein Breiten-
Index beträgt 72,1, der Höhen-Index 73,2, das Verhältniss von Breite zu Höhe ist
gleich 100: 101,5. Da nun diese Maasse sich zugleich mit einer geringen absoluten
Ausbildung fast aller einzelnen Maasse verbinden, das Gesichtsprofil stark hervortritt,
und die Supraciliarbogen mächtig entwickelt sind, so entsteht dadurch eine gewisse
(226)
Aehnlichkeit mit dem Schädel eines auBtralischen Wilden, welche jedenfalls grSsier
ist, als die irgend eines der sogenannten Quatemarschädel. Was namentlich den Ne-
anderthalschädel anbetrifft, so wird das YerhaJtniss beider leicht aus einer Cregen-
überstellung') der Hauptmaasse, beide von den Gipsabgüssen genommen, ersichtlich:
Neanderthal- Kay Lykke.
Schädel.
Horizontal-Umfang 527 507
Grosste Hohe — 134
„ Länge 202 183
„ Breite 150 132
Untere Frontaibreite 109 88
Entfernung der Tub. pariet .... — 123
Sagittalumfang des Stirnbeins ... 120 121 1
Länge der Sut. sagittalis 110 121 (S
Sagittalumfang der Squama occip. . . — liO'
Das einzige Maass, in welchem der Schädel des dänischen Edelmannes deo
Schädel des Neanderthal-Mannes übertrifit, ist daher die Länge der Pfeilnaht oder
die Ausbildung des Mittelhauptes, jedoch ist diese hinreichend compensirt durdi
die sehr viel geringere Breite. Dem entsprechend hat auch die Messung des Scfaä-
delraumes nur eine Capacität Yon 1250 Cubcm. ergeben, — ein Yerhältniss» welches
nach den gangbaren Schätzungen weit unter dem des Neanderthal-Schädels ist, der
bekanntlich nur in seinem Dache erhalten ist, also eine wirkliche Messung der Capa-
cität nicht zulässt
Moglicherweise ist diese geringe Ausbildung des Schädels von Kay Lykke einer
frühzeitigen Synostose der Nähte zuzuschreiben. An dem Gypsabgusse ist es so
schwer, die Nahtstellen genau zu fixiren, dass ich mich wegen der Messung der sa-
gittaien Längen noch einmal nach Kopenhagen wandte. Allein Hr. Panum bestiUigt^
dass auch an dem Originalschädel „die Nähte so völlig verwachsen sind, dasa di«
Angabe der gewünschten Messungen nur annähernd möglich war.^ Ob die starke
Ausbildung der Superciliarbogen auch hier d^irch eine ungewöhnliche Entwickelunir
der Stirnhöhlen oder durch solide Hyperostose bedingt ist, Hess sich nicht erkemMa
da der Schädel nicht angeschnitten ist Die Ansatzlinien der Schläfenmuskeln reicka
ungewöhnlich hoch hinauf, so dass sie sogar noch die Scheitelhöcker (Tubera paiui^
lia) überschreiten.
Auf alle Fälle mahnt dieser Schädel, welcher einem Edelmanne aus einem sonst
brachycephalen Volk angehört, zu grosser Vorsicht in der Benutzung eines einselneo
Fundobjectes zur Aufstellung eines Racentypus. —
(8) Herr Virohow berichtet, unter Vorlegung von Muster-Fundstncken,
über Gräberfelder und Bnrgwälle der Nleder-Lansltz imd des flberoderlaelieii
Gebietes.
Der ungewöhnliche Reichthum der Nieder-Lausitz an zwei Arten von vorkistori-
sehen Ueberresten, nehmlich an Gräberfeldern und an Wällen, hat schon lange die Auf-
merksamkeit auf sich gezogen. Namentlich die zahlreichen Wälle sind von den Local-
forschem, insbesondere den Mitgliedern der in Görlitz bestehenden lausitziscben
*) Auf Taf. XV. sind gleichfalls geometrische Zeichnungen beider Schädel nach demselben
Maassstabe zusammengestellt Die mit arabischen Buchstaben gehören Kay Lykke, die mit rö-
mischen dem Neanderthal-Schädel. Fig. II und IIa sind Ansichten' des inneren Abgusses (Ge-
hirn) des Neanderthal-Sch&dels.
(?27)
Geaellsckaft aufgeaeiohiiet werden^ und es gab daher schon seit Jahrzehnten eine
ziemlieh w>ll8tandige üebersicht derselben. Der sachsische Hauptmann Schuster
hat sodann eine chartogiaphische Darstellung derselben gegeben. Er sowohl, als der
General Ton Penckep vertraten die Meinung, dass hier ein zusammenhängendes
Yertheidigungaeystem mit nach Osten und Norden gerichteter Front vorliege. Ich
habe firüher, bei einer Besprechung der Stein- und Erdwälle der Ober-Lausita diese
Meinung discutirt (Sitzungen rom U. Mai 1870 und 24. Juni 1871). Schon damals
schien sie inir wenig haltbar. Je mehr ich aber die einzelnen Gegenden unseres
Vaterlandes antiquarisch kennen lerne, um so entschiedener wächst meine Abneigung
gegen diese modern -militairische Auffassung. Jeder Localforscher ist geneigt, für
sein Vatarland oder seine Provinz ein abgeschlossenes System von Yertheidiguugen
aufiraatellen. So hat es Giesebrecht für Pommern gethan; so ist es eben durch
Frey tag für Schlesien geschehen, und ganz ähnlich konnte man es für die Mark
ujad für Posen durchfuhren. Ueberall finden sich Wälle in grosser Zahl, deren Lage
ia Brncbeq, Sümpfen und Niederungen es leicht macht, bei grösseren geographischen
Com^naünnen ihnen eine Stellung in einem geordneten Systeme anzuweisen. Mir
will es Torkemmen, als oh man hier zu yiel Organisation in eine Zeit hineinverlegt,
we daa Volk ^iel au sehr in kleine Stämme zerlegt war, um so grosse, nach einem
einheitlichen Plane angeordnete Befestigungen zu ersinnen. Hätten schon früher in
allen Nachbarpro^inzen eben so genaue Aufzeichnungen aller vorhistorischen Wälle
stattgdundaii, wie in der Lausitz, so hätten sich die Schlussfolgerungen wahrschein-
lich von ¥eme herein ganz anders gestaltet.
Jedenfalls muas es die erate Aulgabe sein, eine chronologische und topo-
graphische Ordnung zu schaffen. Denn nur dann, wenn alle Wälle einer Zeit
oder weiigstens einem Volke angehören, werden sie sich als TheUe eines Systemes
betrachten lassen. Stellt sich aber eine erhebliche Verschiedenheit der einzelnen
Waüanlagen unter einander heraus, so wird man von vornherein eine andere Methode
der Betcaohtung, als die bloss geographische, wählen müssen. Nun sind aber meist
die Funde auf den Wällen selbst sehr spärlich oder wenigstens sehr einseitig, und
nur eine sehr sorgfaltige Vergleichung derselben mit anderen, ihrer Stellung nach
leifihter sir deutenden Funden kann eine Förderung unserer Kenntniss bringen. Ins-
beflondere würde es die zeitliche Feststellung der einzelnen Anlagen sehr fordern,
wenn wir in ihren Fundstücken eine gewisse üebereinstimmung mit bekannten Grä-
berfunden nachweisen könnten*
Erwägungen dieser Art leiteten mich, als ich in den letzten Osterferien die so-
wohl an Gräberfeldern, als an Wällen sehr reiche Umgegend von Lübbenau, den süd-
weatliohen Ufersaum der grossen, unter dem Namen des Spreewaldes bekannten
BruehniederuBg, zum Gegenstande meiner Studien machte. Hr. Hirschberger und
Fräulein Hil brecht hatten alles Nöthige dazu vorbereitet; sie halfen mir auch nebst
oseiner Tochter und Schwägerin sehr fleissig bei den Arbeiten.
Meine Kenntniss der niederlausitzischen Gräberfunde wurde sehr glücklich einge-
leitet durch die Musterung einer im Besitze des Grafen Lynar befindlichen und in
dessen Schlosse zu Lübbenau aufbewahrten Sammlung von Thongefassen aus einem
vor einigen Jahren geleerten Grfiberfelde dicht vor der Stadt Lübbenau. Die Stelle
liegt westlich in geringer Entfernung vom Bahnhof; sie wurde blossgelegt bei Gele-
genheit der Anlage eines Weges und eines neuen Kirchhofes. Wie in Bologna in
der Gertosay so sind hier die neuen Erbbegräbnisse über den alten Gräbern erbaut,
uad doch ist es dort, wie hier, der reine Zufall; irgend eine Continuität des Begra-
bena hat nicht bestanden. -In Lübbenau hatte nicht einmal irgend eine Art von £r-
hähuftg die S(eUe ausgeaeiohnet Die Urnen standen einfach in der losen Erde. Fast
(228)
alle diese Gefässe, von denen die grosseren mit gebrannten und zerschlagenen Men-
schenknochen gefüllt gewesen sind, bestehen aus feinem, gelblichem oder schwärz-
lichem Thon, sind sauber geglättet und mit einer gewissen Kunst ausgeführt; nur
einige wenige nnd zwar kleinere, nicht zur Aufnahme der Reste des Leichenbrandes
bestimmte sind roh, mit schrägen oder senkrechten Fingereindrücken, einzelne davon
mit kleinen Knöpfen am Rande versehen. Von den feineren Gefassen sind die gross*
ten glatt und ohne Verzierung, jedoch mit einem gut geformten engeren Halse.
Buckelurnen sind nur wenige und kleine dabei; mehrere zeigen schräge oder spi-
ralige Linien. Besonders zahlreich aber sind kleine Gefasse, mit gestrichelten Drei-
ecken oder mit horizontalen, durch senkrechte unterbrochenen Linien yerziert. Dazo
kommen endlich kleine und enge flaschenförmige Gefässe, flache Näpfe mit rund-
lichen Eindrücken , ein Doppelgefäss u. s. w. ßs zeigte sich also nicht bloss ebe
hohe Ausbildung der Technik, sondern auch die Fixirung gewisser Muster und eis
grosser Reichthum an Formen, welche es begünstigt haben, das Grab mit alled?
kleineren Gemsen auszustatten, die offenbar zur Aufbewahrung von Speisen vd
Getränken dienten. Wenn dies auf eine sesshafbe und verhältnissmässig firiedferdf^
Bevölkerung hinzndeuten scheint, so gewährt die Mannichfaltigkeit dieser Geräth-
urnen, wie ich sie der Kürze wegen nennen will, zugleich einen üeberblick über
die häusliche Ausstattung des Volkes.
Neuere Grabungen an dieser Stelle sind wegen der Benutzung des Ortes nicht
leicht ausfuhrbar. Wir haben keinen Versuch der Art gemacht. Dagegen bot ona
die freundliche Einladung des Hm. Amtmann Mann eine vortreffliche Gelegenheit
zu eigener Untersuchung. Dieses erste, von uns besuchte Graberfeld, auf welchem
eine grössere Reihe von Grabungen vorgenommen wurde, liegt in etwas grösserer
Entfernung bei dem Dorfe Vorberg. Es nimmt wohl 30 Morgen , wenn nicht mehr,
eines Sandfeldes ein, das früher mit Wald bestanden gewesen, jetzt zum grossen
Theil beackert ist. Grosse flache Hügel von 30 — 40 Schritt im Durchmesser und
ohne alle Steinsetzung decken je eine oder mehrere Gruppen von Urnen, welche os-
mittelbar in die Erde gesetzt und daher meist zerdrückt sind. Ausser Urnen wwäe
wenig gefunden: gebrannte Menschenknochen, hie und da Eichenkohle, sehr woz^
Bronze (dicker Draht). Jede Gruppe bestand aus einer grossen, mit Asche isJ
Knochen gefüllten Todtenurne und einer grösseren Zahl kleinerer Geräthurnen, «ekiie
oft ganz dicht um sie herum gestellt waren. An einer Stelle standen drei Totok-
urnen dicht bei einander, jedoch in verschiedener Tiefe (Etagen). Das Maieml
schien von aussen feiner, als es in der That war, denn innen hatten die Urnen eii»
schwarze Farbe und Hessen grobe Kiesfragmente erkennen, aussen jedoch waten äe
meist sauber geglättet und einige schön hellgelb oder roth, wie etruskische Ge-
fasse. Im Ganzen glichen sie denen des Erbbegräbnisses von Lübbenau und denen
von Zaborowo (Sitzung vom 13. Januar 1872). Auch hier fanden sich nur wenig
Buckelurnen, jedoch sonst sehr ausgezeichnete und feine Muster. 2Lahlreich waren
namentlich die in der Lausitz so verbreiteten gestrichelten Dreiecke um den Hals
oder den Bauch der Gefässe. Vielfach fanden sich, wie in Burg, flache rundliche
Eindrücke.
Das andere von uns untersuchte Gräberfeld befindet sieh bei dem Dorfe Eichow,
südlich von Vetschau, in dem Wi&kel zwischen der hier zusanmientreffenden Berlin-
Görlitzer und Halle-Soraucr Eisenbahn. Es liegt auf altem Ufersande: dicht daran
beginnt nach Osten hin die moorige Niederung des Spreewaldes. Wir waren daselbst
am 19. April in Gesellschaft der Familie von Zabeltitz, welche uns bereitwilligst
das Graben gestattete und Arbeiter zur Verfügung stellte. Da ein Theil des Feldes
bestellt war, so blieb uns nur eine Fläche von 48 Schritt in der Länge und 30 in
(229)
der Breite, welche schon vielfach umgewühlt war. Erhöhungen des Bodens waren
auch hier kaum sichtbar, jedoch zeigten sich zweierlei Besonderheiten, welche das
Graberfeld von Yorberg nicht zu besitzen scheint, nämlich Feuerstellen, welche durch
Kohle stark geschwärzt waren, und Gräber mit grossen erratischen Blöcken. Von
ersteren fanden wir 12, von letzteren 18 auf der genannten Fläche. Die Mehrzahl
der Grabstellen zeigte jedoch, wie in Yorberg, je eine grössere Aschen urne, welche
unmittelbar in die Erde gesetzt und von zahlreichen kleineren Thongeräthen umgeben
war. Sowohl die Todtenurnen als die kleineren Gerathurnen entsprachen ganz den
in Lübbenau und Yorberg gefundenen, höchstens dass sie noch sorgfaltiger geglättet
und vielfach feiner und freier omamentirt waren. Besonders auffallend war das häu-
figere Vorkommen von kleinen Näpfen mit einfacher oder doppelter Scheidewand ^
und eine grosse Henkelurne mit ungemein breitem und schön ausgeführtem Henkel.
Von den Brandstellen gelang es uns, ein Paar noch unverletzt zu finden. Es zeigte
sich, dass auf denselben keine Urne, auch kein anderes Gefäss stand, dass da-
gegen mehrere, durch Sand und Steine getrennte Brandschichten über einander lagen.
Eine der besterhaltenen Brandstätten war 4 — 5 Fuss lang und 3 Fuss breit, zu Un-
terst mit geschlagenen und durch Feuer veränderten Steinen (Geschiebestücken) be-
legt; darüber folgte Kohle, zum Theil noch in Stücken, an denen man Eiche und
Fichte erkennen konnte, oder auch nur kohlige Erde; darüber wieder Steine und
über ihnen eine zweite kohlige Schicht. Die oberen und seitlichen Steine waren
Geschiebe bis zu 2 Fuss im Durchmesser. Offenbar waren dies Ustrinen, auf wel-
chen wiederholt Leichenbrand vorgenommen wurde, wie es ja auch bei den Römern
gebräuchlich war.
Nicht lange vorher, am 28. März, hatte ich in Gemeinschaft mit Hrn. Julius
Hoppe und zweien meiner Söhne ein anderes Gräberfeld untersucht, welches sich
den eben erwähnten nahe anschliesst. Dasselbe findet sich auf einer sandigen
Niederung bei dem Dorfe Blossin, zwischen Königs- Wusterhausen und Storkow. Der
Boden besteht hier aus sehr losem Fiugsande, der fast immer in Bewegung ist. So
erklärt es sich, dass die grosse Mehrzahl der Gräber, nachdem wahrscheinlich der
frühere "Wald zerstört war, von selbst blossgelegt imd ihr Inhalt verschleppt wor-
den ist. Auch hier finden sich Buckelumen und neben Todtenurnen zahlreiche klei-
nere Geräthe aus Tbon. Auch wurden mehrere Bronzetrümmer und ein ziemlich gut
erhaltener Bronze-Fingerring mit verbranntem Stein (Email?) gesammelt. Hr. und
Frau Amtmann Riemeyer überliessen mir ein Paar grosse, gut erhaltene Todten-
urnen, welche schon früher gesammelt worden waren.
Diess ist meines Wissens in der Mark das nördlichste Gräberfeld, auf welchem
noch Buckelurnen gefunden sind. Da das Gebiet von Wusterhausen schon in den
ältesten Zeiten nicht zur Lausitz gerechnet wurde, sondern dem Teltow zugehörte, so
geht schon daraus hervor, dass die Buckelurnen, so überwiegend sie auch in der
Lausitz vorkommen, doch kein physiognomisches Kennzeichen derselben im engeren
Sinne sein dürfen. Die Funde des Grafen Blankensee-Firks bei Alt-Görzig in
der Provinz Posen (Sitzung vom 24. Juni 1871) und die des Dr. Hostmann in der
Provinz Hannover (Sitzung vom 15. Juni 1872) dehnen das Gebiet der Buckelurnen
betrachtlich aus. Dazu kommt noch ein neuer, nordöstlicher, ziemlich entlegener
Fundort, dessen Kenntniss ich einer Mittheilung des Hm. Kreisgerichtsraths Stuben-
rauch zu Woldenberg in der Neumark verdanke. Bei dem grossen Interesse, wel-
ches die territoriale Verbreitung dieser Gefässe bietet, ist es wohl am passendsten,
den sorgfa^^^S^^ Beobachter selbst sprechen zu lassen.
Er schrieb mir zuerst unter dem 25. August 1871 :
,,Etwa 800 Schritt südlich von dem Wege, der von Woldenberg über Wutzig nach
(289)
Hermsdorf ffihrt, und Vfi M^U« tob Wc^deaberg wird jetet Sabd som Baa eüi«^ Ge-
bäudes gegraben und dazu der Boden auf der Spitze eines machtigen Hügels ^wa
2 Fuss tief umgewühlt Dabei ist man auf einen aus Torchristlioher Zeit herrühreD-
den Begräbriissplatz von bedeutendem umfange gestossen und hat eine Menge alter
Thongefasse von den verschiedensten Grössen und Formen, oder doch deren Reste,
zum Theil mit Knochen vermischt, gefunden. Bis jetzt ist eine Fläche von etva
20 Quadratruthen aufgegrabeli, und dabei sind an fünf bis sechs verschiedeueB Steiles
solche Reste gefunden. Aber auch in einer Entfernung von etwa 50 Schlitten vos
der aufgegrabenen SteUe hat man, durch an der Oberflache des Bodens liegende
Steine aufmerksam gemacht, nachge^aben und dort zwischen den Steinen Topfischer-
ben mit Ejiochen vermischt gefunden. Leider läset sich ein System in der Auftei-
lung der Urnen durchaus nicht erkennen, so dass man auch nicht systematisek
Nachgrabungen anstellen kann, sondern dem Zufall überlassen muss, was su Taee
gefördert werden solL Der Hügel, auf welchem die Ausgrabungen gemacht ml
wird seit Jahrhunderten beackert und zeigt äusserlich gar keine Unebenh«
mehr. Wahrscheinlich ist dabei die Spitze allmlUig mehr in das Thal hinusie-
gepflügt. Nur so kann ich es mir erklären^ dass die Urnen mit ihrem obem
Rande bis in die Ackerkrume hineinreichen, und dass die sie umgebenden St^
meist durcheinander geworfen sind, was wohl durch die Pflugschaar oder dureh des
Tritt des schweren Zugviehes geschehen ist Die meisten Ausgrabungen sind ge-
macht, ehe ich von meiner Ferienreise zurückkehrte Ich glaubte deshalb, die Leute
gingen unvorsichtig zu Werke. Ich bin nun aber selbst dabei gewesen, fand die
von den Leuten noch nicht berührten Steine völlig in einander gedrückt, und da-
zwischen die Reste von Thougefässen, die mir eine Schaalenform gehabt au haben
scheinen, untermischt mit Knochen. Nur ein kleines Gefäss, das ausserhalb da'
Steine stand, etwa von der Grösse eines grossen Tassenkopfes, war siemlich unver-
letzt. Es stand auf einem Stein mit der Mündung nach unten und enthielt oor
Sand. Von den gefundenen Gefassen sind nur wenige ganz unverletzt su Tage pt-
kommen, jedoch viele so wenig verletzt, dass ihre ganze Form noch erkennbar. Sif
bestehen alle aus gebranntem Thon ohne Glasur, sind zum Theil äusserst fok, tas
Theil aber so nett gearbeitet, wie man es dftn Alten gar nicht zutrauen sollte. Kre«*
artige Verzierungen finden sich nicht daran. Alle Grössen von der eines
Tassenkopfes bis zu der einer massigen Punschbowle sind vertreten. Andere ^
Schäften sind bis jetzt nicht gefunden. Man hat mir zwar einen Bing, ein «iv&
1 V, Zoll langes Stück Drath, geformt, wie der Dorn einer Schnalle, und einen KncfC
von der Grösse eines Viergroschenstücks gezeigt, welche unter den Scherben gefun-
den sein sollen. Diese Gegenstände sind mit Grünspan dick überzogen, ethaiM^
von Kupfer zu sein, sind aber meiner Ansicht nach wohl in späterer Zeit eitunai
auf dem Acker verloren und nur beim Umwühlen der £rde mit den Topfrestee
durcheinander gekommen. Der Knopf hat eine etwas plumpe Oese, die mit dem
ganz glatten Knopfe aus einem Stücke gearbeitet ist, ganz ähnlich, wie bei unserec
Metallknöpfe)). ^
In einem zweiten Briefe vom 29. Oetober 1871 berichtet Hr. Stubenranch:
„Auf einer Fläche von etwa 50 Quadratruthen wurden die Scherben in etwa lu
bis 12 verschiedenen Gruppen zusammen stehend gefunden. Doch auch in einer Ent-
fernnng von 50 Schritten von diesem Fundorte ist an zwei bis drei verschiedenen Stel-
len, an welchen zu Tage liegende Steine auf das Vorhandensein einer Grabstellr
deuteten, nachgegraben, und auch dort sind Scherben gefunden. Ich bin übrigen>
überzeugt, dass Alles, oder wenigstens das Meiste, schon einmal umgewühlt ist. Aü
vielen Stellen fand man in einer Tiefe, die vom Pfluge offenbar nie errricht ist, nur
(281)
in einander gedruckte Scherben. Enocben sind verhältaissniässig wenig vorhanden.
Gegenstande von Metall oder sonstige Geräthschaften gar nicht. Die grosse, ganz
unyerletzte Urne lag etwa IVt — 2 Fuss unter der Erde in horizontaler Lage, war
nur mit Sand gefüllt, und erst etwa einen Fuss tiefer fand man die platten Steine,
auf denen sie jedenfalls ursprünglich mit der Mündung nach unten gestanden hatte.
In einem der Scherben finden Sie übrigens auch einige Knochenreste. Die kleinen
Gelasse sind wohl bei der früheren Ausgrabung übersehen worden, weil sie mit der
unteren Mündung der grossen Grefasse in gleicher Tiefe gestanden haben. Von den
grossen, schaalenartigen Gefassen ist nichts ganz herausgekommen; doch deutet z. B.
ein Stück mit einem Henkel ungefähr den Umfang dieser Gefässe an. Sie scheinen
übrigens alle aus der Hand geformt zu sein.^
. Unter den mir übersendeten Gefassen sind höchst ausgezeichnete Buckelurnen
in verhältnissmässig grosser Zahl, die auch sonst mit sehr regelmässigen und sicher
ausgeführten, meist krummlinigen Zeichnungen versehen sind. Sie haben fast ohne
Ausnahme dasselbe hellgraugelbe oder bräunlichgelbe, geglättete Aussehen, welches
die eigentlich lausitzischen Stücke auszeichnet. Dass so viele von ihnen zerbrochen
waren, beweist nicht sicher eine frühere ümwühlung der Gräber; wenn man bedenkt,
dass über so oberflächlich und so lose in die Erde .gestellte Thongefässe Menschen
und Pferde, Pflug und Wagen vielfach gegangen sind, so darf man sich wohl eher
wundern, dass noch so viele Stücke unverletzt geblieben sind.
Wenn schon die besondere Sauberkeit der Ausführung die Wutziger Gefässe am
meisten den Eichowern nähert, so gilt dasselbe in Beziehung auf die äussere Anord-
nung der Steinkränze, welche Hr. Stubenrauch an den Gräbern beschrieben hat
Die Gleichzeitigkeit beider Gräberfelder und die Errichtung derselben durch das-
selbe Volk oder wenigstens durch nahe verwandte Stämme wird daher wohl nicht
bezweifelt werden können. Niemand wird aber umhin können, diese Scblussf olger uug
auszudehnen auf die anderen Buckelurnen feld er, unter denen, was ich hier nachtrage,
das von Blossin auch Kränze aus Geschieben, wenngleich meist kleineren Stücken, be^
sass. Ist diese Argumentation richtig, so hiesse das so viel, als dass dieses Volk
oder diese Stamme einstmals zu beiden Seiten der Oder gesessen haben, einerseits
in der Lausitz und dem Teltow, andererseits in der Neumark und in einem Theile
Yon Ppsen, und da wenigstens in historischer Zeit die Lausitzer niemals bis in die
ostlichen Gegenden der Neumark gesessen haben, so scheint es vorläufig unzulässig,
ihnen die Fabrikation dieser Gefässe zuzuschreiben.
Bei einer früheren Anwesenheit in Woldenberg stiess ich am 19. October 1866,
als ich in Gesellschaft des Hrn. Grams mich zu dem Pfahlbau von Seh wachen walde
(Sitzung vom 11. December 1869. Zeitschrift f. Ethnologie I. S. 413) begab, auf der
Höhe des von Woldenberg nach Wutzig führenden Weges an einer Stelle, wo der-
selbe kürzlich um etwa S'/, Fuss tiefer gelegt war, auf eine an dem Abstich ent-
blösste schwarze Stelle, in deren Nähe einige Zeit vorher ein grosser Mühlstein ge-
funden sein sollte. Bei genauerer Besichtigung fanden sich in der Schicht ausser
Kohlen zahlreiche Scherben von Thongefassen und zerschlagenen Thierknochen, na-
mentlich solche vom Schweine, Schaafe und ßinde, dagegen keine Spur von mensch-
lichen, sei es gebrannten, sei es natürlichen Knochen oder von Waffen u. dgl. Die
Stelle war äusserlich durch nichts bezeichnet Dagegen zeigte sich auf dem Durch-
schnitt^ etwa 3 Fuss tief, eine Schicht von geschlagenen und zumeist gebrannten
Feldsteinen, überwiegend Granit und dazwischen Stücke von gelbem und rothem ge-
branntem Thon. Noch mehr nach der Tiefe zu, bis auf 4 und 5 Fuss tief, lagen die
erwähnten Scherben und Thierknochen in schwarzer Erde. Die Stelle liess sich auf-
wärts gegen die Höhe 9 Schritt weit verfolgen, abwärts gegen die See- und Thal«
(282)
Diedening endigte sie bald. Nichts bezeichnet hier eine Grabstelle; rielmehr ^idcht
Alles fiir eine Opfer- oder Wohnstatte. Ob dieselbe unmittelbar an du ron Hra-
Stubenranch beschriebene Gräberfeld stösst, wie ich Termuthe, kann ich nicht ge-
nau angeben. Die gefundenen Scherben sind von roherer Beschaffenheit als die
Grabumen. Sie gehören theils zu Töpfen, theils zu flacheren Schalen und sind
verhältnissmässig dick, auf dem Bruch grau und mit groben Glinuner- und Kiesfrag-
menten durchsetzt. Ihre äussere und innere Oberfläche ist jedoch meist gUnzend
und offenbar mit Glätte überzogen, jedoch sind sie wenig gebrannt; einzelne besitxen
eine pechschwarze Farbe. Insofem stehen sie den Grabgefassen so nahe, dass ieh
nicht anstehe, beide derselben Periode zuzuschreiben.
Ich habe diesen Fund auch desshalb etwas weitläufiger mitgetheilt, weil die
ganze Gegend in antiquarischer Beziehung merkwürdig ist. Ausser dem yerblltni»-
mässig spätesten Pfahlbau am Klop-See von Schwachenwalde und einzelnen Hünen-
gräbern ist weiterhin jene kleine Moorstelle • zu erwähnen, in welcher der reid»
Fund Yon Schmucksachen aus Kupfer (?) gehoben ist, welcher eine der grossten ZÜor-
den unseres Museums bildet Jedoch liegt diese Fundstelle, welche ich bei einer an-
deren Gelegenheit selbst aufgesucht habe, ziemlich weit hinter Wutzig in westlicher
Richtung und sie lässt sich wohl kaum in eine unmittelbare Beziehung mit den ebeo
erwähnten Funden bringen.
Nach dieser Verfolgung der territorialen Verbreitung der Buckelumen and der
sie begleitenden Todten- und Geräthurnen kehre ich zu den Wällen der Nieder-
Lausitz zurück. Nach der Karte des Hrn. Schuster sollen in der Umgegend roa
Lübbenau sowohl Rund-, als LangwäUe yorkommen. Von letzteren habe ich keinen
gesehen, jedoch verdanke ich der Vermittelung des Hm. Hirch berger einen Be-
richt des Hrn. Rittergutsbesitzer Pasch ke über die ehemalige „Schanze^ yon Neuen-
dorf bei Lübbenau. Die betreffende Stelle lautet:
„Der üeberrest der Schanze, die zur Vcrtheidigung gegen einen aus Südwest zu
erwartenden Feind errichtet war, wurde 1850/51 zur Anlegung des Chauaeedammes
abgetragen. Der Inhalt des Walles zeigte, dass er auch vielfach zu reügiöses
Zwecken in heidnischer Vorzeit benutzt wurde. Es fanden sich im Walle eine giöi-
sere Anzahl von Urnen, die mit Knochenschutt und zwiscliengelegten Menscbo-
haaren gefüllt waren; ausserdem alte Scherben in Menge, Knochen yon Bindeo,
Schaafen und Schweinen, sehr yiele H(»lzkohlen, namentlich im nördlichen Thek^
altes Eichenholz, ein Sporn, ein Grab, aus Lehm geformt, in den Wänden circa 3 M
stark, 6 Fuss lang, 3 Fuss breit und 1 Fuss hoch, gestrichen yoll geschüttet not
Knochenschutt (das Heldengrab?). Rings um die Schanze, jedoch mit Erdboden über-
deckt, liefen parallel zwei fundamentartige Steinkreise yon grossen Feldsteinen circa
3 Fuss breit und 3 Fuss hoch. Der Name der angrenzenden Weidefläche süddathch
ist Mogel (in polnischer Sprache Grabhügel bedeutend). Die nordlich angrenzende
Wiese wird Bitk genannt.^
Von RuDilwällen sah ich mehrere, jedoch habe ich nur zwei dayon selbst be-
sucht.
Der erste derselben befindet sich unmittelbar yor dem Gute Gross Beuchow
rechts yon der Strasse, die yon Lübbenau kommt Es ist ein wohl 20 — 25 Fuss
hoher Burgwall mit einem tiefen Kessel, der im Grunde 28 Schritte lang und 20
Schritte breit ist. Ringsherum liegt ein tiefes feuchtes Moorland und ein Wasser^
graben schützt ausserdem den Zugang yom Felde her. Ein gegen das Gut hin auf-
geworfener Erdwall ist nach zuyerlässigen Angaben neueren Datums. Innen in dem
Kessel hoben wir unter Trümmern yon Mauerwerk, welche yon einem modernen
Payillon herrühren sollen, hier und da grobe graue Umenscherben ohne alle Pfilitnr,
(288)
auf. Eine derselben zeigte die von mir so oft hervorgehobene wellenfSrmige Zeich-
nung des Burgwalltypns.
Südwestlich von Gross Beuchow liegt in geringer Entfernung das vorher geschil-
derte Graberfeld von Yorberg. Von da in mehr östlicher Richtung gelangt man nach
wenigen tausend Schritten in ein grosses Moor, dessen nordwestlicher Theil von
einem tiefen Erlenbruch * eingenommen wird, das schon ganz den Spreewald-Charakter
an sich tragt Aus demselben geht in östlicher Richtung ein ziemlich tiefer und
wasserreicher Bach, das Schrakow-Fliesft hervor, und an dessen rechtem Rande, rings
von nassen Bruchwiesen umgeben und noch auf Vorberger Feldmark, erhebt sich
wiederum ein stattlicher WaUberg (Schanze, Borchel). Nach Westen hin ist derselbe
schon abgetragen und man gelangt hier frei in den inneren, etwa 2 Morgen grossen
Kessel, der von den noch stehen gebliebenen Randern halbmondförmig umschlossen
wird. Der höchste und steilste Theil des Randes steigt von dem Bachufer 25Fus8
hoch an Von da hat man einen weiten Ueberblick über das ehemalige Seebecken,
dessen Stelle jetzt von dem Moore eingenommen wird. Ich erwähne des sonderbaren
Namens wegen eine höhere Stelle, welche man in der Richtung gegen das Dorf
Redlitz am alten Dferrande sieht und welche Brasenak heisst.
Der äussere Umfang des Walles misst 340 Schritte, der innere Duröhmesser 38.
Aeusserlich laufen vier oder fünf seichte Einschnitte oder Rillen gegen Osten den
Abhang herunter. Ein Durchschnitt des Randes Hess keinen Zweifel darüber, dass
der ganze Wall künstlich aufgeschüttet sei. Unter einer ziemlich starken humosen
Decke, welche nach innen hin stärker, bis zu l Fuss mächtig wurde, folgten abwech-
selnd thonige und kalkige Schichten von grosser Dichtigkeit, nur an einzelnen Orten
durch rothen Grandmergel unterbrochen. Der Kalk entsprach dem imter der an-
stossenden Wiese vorkommenden Süsswasserkalk ; er enthielt überall zahlreiche Scha-
len von Gonchylien. Hr. von Martens bestimmte sie als:
Helix arbustorum L.,
Paludina vivipara Müll. (Listen Forbes),
Planorbis comeus L.,
Gydas Cornea L.
Er setzt hinzu:
„AUes noch gegenwärtig in der Mark häufige Arten, die drei letzteren in stehen-
den Gewässern; die erstere eine Lacdschnecke, die auch gern im Grebüsch nahe am
Wasser lebt. Dieselbe Helix arbustorum wurde auch in einem Burgwall bei Lübeck
gefunden (Sitzung vom 10. Februar 1872) und ist wahrscheinlich die älteste ein-
heimische imserer grösseren Landschnecken; da sie bis Lappiand häufig ist, ebenso-
wohl in Gärten als fern von menschlicher Cultur lebt, so ist ihr Vorkommen mit
jedem Zeitalter verträglich.^
Gegen die Tiefe des Walles wurden gut erhaltene Aeste und junge Stämme von
Elsenholz gefunden. Li der Mitte de^ Kessels zeigte sich eine mit Moorerde gefüllte
Vertiefung, welche bei 3 Fuss Wasser gab (alter Brunnen?).
Hr. Amtmann Mann hatte uns genugende Arbeiter gestellt, und da ausser den
früher genannten Personen noch Hr. Stud. L ohrisch eifrig half, so vrurde in weni-
gen Stunden eine sehr grosse Masse von Fundgegenständen gesammelt, gereinigt und
geordnet. Die Mehrzahl derselben fand sich an dem inneren Ab^Bdle des Wallrandes,
indess lagen nicht wenige auch in der Aufschüttung selbst, zum Zeichen, dass der
Wall wiederholt und absatzweise erhöht worden ist.
Unter den Fundgegenständen waren Thierknochen und Gefössscherben so sehr
vorwiegend, dass alles Andere dagegen verschwaod. Metall wurde gar nicht gefim-*
V^rhAttdl. d«r Berl. 0«mU. für AatbiopoL eto. fiQ\
(234)
den, von Steinen nur sahlreiche' zerschlagene und gebrannte Geschiebeetücke. Aaaser-
dem erwähne ich dicke Klumpen Ton Lehm mit Strohtheilen.
Die Knochen stammten hauptsfichlich Ton Hausthieren; sehr reichlich, war das
Schwein, nächstdem das Schaaf, die Ziege, das Huhn yertreten. üeberreste wilder
Thiere waren selten; am häufigsten kamen Geweihstücke und Knochen vom Reh Tor.
Die Knochen waren zum grössten Theile zerschlagen, das Hom geschnitten. Hier
und da lagen Häufchen von Fischschuppen.
Schon nach diesen Ergebnissen konnte kein Zweifel darüber sein, dass die Be>
Yolkerung, welche sich innerhalb des Borchel aufgehalten hatte, eine völlig sesshafte
gewesen sein muss. Die Seltenheit der Jagdüberreste zeichnet diese Oertlichkeit be-
sonders aus. Freilich soll damit nicht gesagt sein, dass gerade die Burgwalle geeig>
nete Plätze sind, um aus ihren Einschlössen ein Gesammtbild des Culturznstandes
der betre£Eenden Beyölkerung zu gewinnen. Denn selbst ein Burgwall yon de
Grösse des Vorberger darf doch immer nur als ein Zufluchtsort für Zeiten der NotJi
nicht als ein regelmässiger Wohnplalz betrachtet werden, und es ist beispielsweK
nicht zu erwarten, dass eine vor dem Feinde fliehende und sich verbergende Bevo^
kerung viel Gelegenheit zur Jagd haben soUte. Auch der Mangel an Metall dacf
nicht missdentet werden. Selbst ein Volk, welches nicht ganz arm ist an metalli-
schen Gegenständen, wird nicht leicht an einem blossen Zufluchtsorte, der wahrscLeiih
lieh nur för einzelne Tage benutzt wurde, zahlreiche verlorene Stucke zurücklassen.
Meiner Meinung- nach handelt es sich bei dem Vorberger Rundwalle um eme
Anlage der Eisenzeit Dafür spricht namentlich das Thongeschirr, von dem eise
grosse Anzahl der besten Bruchstücke gesammelt wurde. Nach Zusammensetzung
imd Behandlung des Stoffes, nach Form und 2ieichnung gehören dieselben so bestimmt
der Gruppe der von mir an zahlreichen Orten der Mark, Pommerns, Schlesiens,
Mecklenburgs und selbst Sachsens nachgewiesenen Geräthumen der Burgwälle und
Pfahlbauten an, dass ich über die Stellung sowohl des Vorberger, als des Beuchower
Rundwalles keinen Augenblick im Zweifel war. Obwohl auch hier einige Gombiii»-
tionen der Verzierungen der Gefässe eigenthümlich sind, z. B. eine Zusammenstelloof
von Horizontallinien mit kleineren Ejreisen und heberförmigen Gurven, so stimat
doch im Grossen und Grauzen Alles mit meinem „Burgwalltypus^ vollständig über*
ein. Es ist nicht geglättetes imd nicht gebranntes Geschirr aus grobem, mit Stö-
grus gemengtem Thon, auf dem Bruch schwärzlich und nur einzelne Stücke näi
roth, zum deutlichen Zeichen, dass die Töpfe an starkem Feuer gewesen sind. 1)«
Form der Töpfe muss ziemlich einförmig gewesen sein: weite Oeffnung, gut ansg^
legter Rand, kein ausgebildeter Hals, kein Henkel, massig breiter Boden, weiter
Bauch. Die Zeichnungen fast nur am Obertheil, bestehend aus schmalen seichten
Linien, unter denen die wellige Horizontailinie vorwaltet, daneben jedoch aadi
schräge und Kreuzstriche ziemlich häufig. Nur einzelne Scherben zeigen tiefere
Horizontalrippen. Fast alle diese Linien sind mit etwas unsicherer Hand und oflen-
bar mit sehr einfachen Listrumenten, häufig mit einer 3-, 4- oder 5 zinkigen Gabel
ausgeführt Neben den Linien erscheinen oft einfache oder mehrfache Eindrücke,
die sicherlich mit demselben Werkzeuge, wie die Linien, ausgeführt sind.
Die erste und wichtigste Schlussfolgerung aus diesen Ermittellungen ist die
völlige chronologische und somit auch ethnologische Trennung der
Gräberfelder und der Burgwälle. Unmöglich kann dasselbe Volk, dessen
Grabumen einen so ausgeprägten und leicht erkennbaren Charakter darbieten, auf
den BurgwäUen so zahlreiche Bruchstücke eines Hausgeräthes zurückgelassen hftben,
welches einen nicht minder ausgezeichneten und leicht erkennbaren, aber zugleich
gänzlich verschiedenen Charakter besitzt Nicht ein einziger Scherben aus
(2»)
den Burgw&llen yod Vorberg und Gross Beuchow stimmt mit einem ein-
zigen Scherben aus dem swisohen beiden gelegenen Gräberfelde yon
Vorberg über ein. Eine mehr entscheidende Stelle kann es fuglich nicht geben.
Zwei durchaus typische Rundwälle Yon kesselartigem Bau, der grossere mitten i&
einem schwer zugänglichen, früher wahrscheinlich durchweg bewaldeten Sumpfe, beide
kaum eine halbe Stunde von einander entfernt, — dazwischen auf dem alten Ufer-
sande ein Gräberfeld vom 30 Morgen Umfang, — was lag näher, als anzunehmen,
dass dasselbe Volk, welches die Burgwälle errichtet und benutzt hatte, hier seine
Todten bestattete? Und doch nicht nur keine einzige Beziehung, sondern im Gegen*
theil in Material, Behandlung, Form imd Zeichnung eine so durchgreifende Verschie-
denheit, dass für den Kenner jedes kleinste Bruchstück genügt, um die Zuordnung
desselben zu der einen oder der ^anderen der beiden Gruppen herbeizuführen. Die
Annahme, dass man zu den Grabumen ausschliesslich feine Gewisse yon eigenthüm-
licher Beschaffenheit, yielleicht gar fremdes Fabrikat, benutzt habe, während im
Haasgebrauche gröbere, einheimische, gemeine Waare war, scheint mir unzulässig,
wo ein so grosser und ausnahmsloser Gegensatz besteht.
Nachdem es mir gelungen ist, für das Thongenth den Burgwall- und den Pfahl-
bautjpus als identisch nachzuweisen und nachdem die Zahl derjenigen Fundstellen,
welche eine Anknüpfung an historische Verhältnisse gestatten, namentlich durch
meine Ausgrabungen bei Wollin eine höchst wichtige Vermehrung erfahren hat, so
stehe ich nicht an, die Gräberfelder als älter, die Burgwälle als jünger
zu bezeichnen. Erstere gehören noch überwiegend der Bronze-, letz-
tere schon ganz der Eisenzeit an, und während in jenen auch das Thon-
geräth eine Anknüpfung an südliche Muster gestattet, so zeigt das-
selbe in diesen durchaus eigenthümliche und den Specialtypus unseres
Nordostens bildende Formen. Sind die Burgwälle und Pfahlbauten, wie ich
als Regel annehme, slayisch, so scheint yorläufig nichts wahrscheinlicher, als dass die
Gräberfelder germanisch sind.
Es ist mir nicht leicht gewesen, mich zu einer solchen Trennung räumlich so
sehr zusammengehöriger Alterthümer zu entschliessen, und zwar um so weniger, als
nnn im Allgemeinen zu den Burgwällen und Pfahlbauten die Gräber, zu den Gräber-
feldern die Wohn- und Vertheidigungsplätze fehlen. Indess wird auch hier die wei-
tere Beobachtung yielleicht aushelfen. So habe ich schon für das Gräberfeld Wutzig
einen kleinen Anhalt beigebracht; ich kann einen zweiten, in entgegengesetzter Rich-
tung, für einen der berühmtesten Plätze der Nieder-Lausitz anführen. Es ist dies
der grosse „Schlossberg^ bei Burg im Spreewalde, über welchen ich schon in der
Sitzung yom 15. Juli 1871 bei Gelegenheit einer dahin gerichteten Excursion yon
Mitgliedern der Gesellschaft berichtet habe.
Dieser Schlossberg, Grod genannt, ist der grösste adler bekannten Burgwälle im-
seres Landes. An ihn knüpfen sich Sagen, welche ihn als den letzten Sitz der wen-
dischen Unabhängigkeit bezeichnen. Noch mehr zeichnet er sich dadurch aus, dass
seine Einschlüsse, namentlich die Trümmer des Topfgeräthes, gänzlich yon dem Typus
der gewöhnlichen Burgwälle abweichen. Ich hatte diesen Umstand schon in meinem
früheren Berichte ausfuhrlich erörtert Allerdings habe ick damals zugleich erwähnt»
dass die Technik und Ornamentik des Topfgesohirres der benachbarten Graber wie-
derum erhebliche Verschiedenheiten darbieten. Es bezog sich dies Urtheil auf eine
gewisse Zahl mir bekannter Funde aus einem grossen Gräberfelde, welches dicht bei
Burg auf dem westlichen Ufersande gelegen ist. Nachdem ich jedoch jetzt ausge^
dehntere Studien gemacht habe, finde ich zwischen dem Topfgeschirr yom Schloss-
berge und den Gräberurnen der Lausitz manche Uebergänge; ja, bei erneuertes
(16 •)
(236)
Vergleiöhmig der Objecto stosse ich auf einzelne Scherben des grossen Grod in
Spree walde, welche sich den Gerathurnen der Gräber unmittelbar anschliessem h
sind dies zum Theil röthlich gelbe, zum Theil kohlschwarze, geglättete and selb^
spiegelnde Stücke, welche theils zu flachen Schalen, theils zu grossen, breithenküges
Urnen gehört haben. Letztere namentlich zeigen im Anschiuss an die Henkel aacli
lineare Ornamente, wie sie sich ähnlich in den Gräbern finden. Das Material dies^
Scherben ist ein sehr feines und gleichmässiges. Man wird daher meiner Meinciü
nach den grossen Grod allerdings bis in die Zeit der Gräberfelder zuruckdaüm
müssen. Dies schliesst nicht aus, dass er auch zu anderen Zeit^ bewohnt oder b^
nutzt worden ist Dass dies wirklich geschehen ist, dafür spricht die grosse Ml
anderer Scherben von sehr yerschiedener Beschaffenheit, yon denen mindestens eii
grosser Theil sehr viel jünger sein dürfte. Jedoch habe ich auch bei meiner jetzkr«
Musterung kein einziges Stück vom Grod gefunden, welches als ein typisches Eieia-
plar unseres gewohnlichen Burgwalltypus angesehen werden könnte.
Einen Augenblick glaubte ich, noch an einer anderen Stelle der Nachbancb:
auf einen vorhistorischen Wohnsitz gestossen zu sein, der vielleicht in Yerbinduci
mit den Gräberfeldern stehe. Der Hr. Graf Ljnar Hess mir nehmlich zwei aus^*
zeichnete Feuersteinäxte mit folgendem Fundprotokoli vom März 1863 vorlegen:
„Bei der Anlage des Weges von Schloss Seese nach Schäferei Schönfeid ist tt
der Höhe der Seeser Feldmark, nahe der Grenze von Schönfeld, im Februar l^oc
ein alter Begräbnissplatz gefunden worden, auf welchem die Leichen -' und Holiaäci-
nicht in Urnen, sondern unmittelbar in dem fast überall aus Kies bestehenden £r^
boden, etwa 2 Fuss unter der Oberfläche und mit einer Entfernung von etwa 5 F^i»
von der nächsten dergleichen Stelle lag. Auf jedem solcher Aschenhaufen wars
entweder ein Paar kleine Ziegelsteine oder ein Feldstein.
„Am 4. März stiess man etwa in der Mitte des Platzes auf eine Grabstelle, ^
der unmittelbar auf der Asche zwei Feuersteinkeile und über diesen ein gn^
Haufen Feldsteine lagen.
„Am östlichen Rande des Platzes fand man in einzelnen Grabsteilen Cnc
Scherben.
„Ausserdem kam in dem erwähnten Begräbnissplatze ein Stück kiefemes B»
zum Vorschein.
Zur Zeit befindet sich an der Nordseite des oben gedachten Weges die ac^
Hälfte des ganzen Begräbnissplatzes noch unangerührt.^
Die Sache war gewiss sehr überraschend, und sehr gern nahm ich das Auster
ten des Hrn. Grafen Ljnar an, durch eigene Grabungen an Ort und Stelle dieV?^
hältnisse genauer zu ergründen. Unter seiner persönlichen Leitung war auf dem s:*
Haidekraut bewachsenen und gewiss seit lange unberührten Hügel, der ubrif^-
keine Spur besonderer Anlagen erkennen liess, eine gewisse Zahl von Plätzen ^''
gelegt worden, an denen sich jedesmal auf einer lehmigen Unterlage, etwa i ^
2Vs Fuss tief eine horizontale koblige Schicht von geringer Ausdehnung, böchstec:
bis 2 Fuss im Durchmesser fand, — also Brandstätten. Diese wiederholten sich ^
geringen Entfernungen von einander, und es muss daher angenommen werden, GJ^^
ihre Zahl ziemlich beträchtlich ist Was mich jedoch besonders überraschte, das vj
das Fehlen jeder Spur von Menschenknochen. Weder gebrannte, noch nogebran^^'
fanden sich, obwohl ich persönlich mit der grössten Sorgfalt jedes Loch notersadf
Vereinzelt kamen Knochen von Hausthieren, jedoch nicht calcinirte, Bmchstui^-
von Geschieben und endlich Scherben von Ziegelstein und Topfger&tb zu Ti:
Allein letzteres zeigte die feste eigentliche Glasur und die lebhafte Färbang der n« -
x&ittelalterlichen Zeit. £r kann daher von Grabstätten hier gar nicht die Rede k^-
(237)
und selbst der Gedanke an alte Brand- oder Opferstatten mnss wohl aufgegeben
werden. Wie die offenbar uralten Feaersteinäxte unter die Feldsteine und auf die
„Asche^ gekommen sind, bleibt dabei freilich dunkel, indess ist es doch möglich,
dass auch dies erst in neuerer Zeit geschehen ist. Denn der Aberglaube des Volkes,
welcher in jenen Steinäxten Donnerkeile sah, konnte recht wohl dahin fuhren, die
gefundenen Aexte unter allerlei ßeschworungs-Ceremonien wieder zu vergraben, wie
es noch heutigen Tages unsere pommerschen Bauern mit den Schädeln aus den me-
galithischen Gräbern machen. Bis auf Weiteres möchte ich daher den Brandhügel
Ton Seese eher für eine Erinnerung des dreissigj ährigen Krieges oder einer Raub-
periode des späteren Mittelalters halten, wo die Bevölkerung eines der umliegenden
Dörfer sich „in die Haide^ gefluchtet und hier in Erdlöchern sich eine Art von
Kücheneinrichtung geschaffen hatte.
Man darf deshalb die Hoffnung nicht aufgeben, bei hinreichender Aufinerksamkeit
noch mehr von den Wohnplätzen der älteren Bevölkerung zu finden. Ich erinnere
in dieser Beziehung an den Bericht, den ich in der Sitzung vom 11. Juni 1870 über
die alten Wohnplätze auf der Gehmlitz bei Geissen erstattet habe, welche, obwohl
sie bis in die Steinzeit zurückzureichen scheinen, doch auch Spuren sehr viel späte-
rer Bewohnung darbieten. Indess auch sie zeigen keine Thonscherben mit der
Ornamentik der Pfahlbauten und der späteren Burgwälle.
Und doch reicht das Gebiet der letzteren viel weiter nach Süden. Die Abbil-
dungen, welche Hr. Jeitteles (Mittheilungen der Wiener anthropol. Gesellsch. 1871.
I. S. 2-14. Fig. 3 — 8) von den Thonscherben aus den prähistorischen Bodenschichten
▼on Olmütz geliefert hat, lassen keinen Zweifel darüber, dass, wie er selbst anfuhrt^
die dortigen Muster mit den unsrigen vollständig übereinstimmen, und es ist gewiss
sehr bemerkenswerth, dass auch dort ein Topfboden mit einem Stempel, nehmlich
ein fünfstrahliges Kreuz in einem Ringe (Rad?) beobachtet worden ist. Die Häufig-
keit dieser Topfstempel an den Gefässen unserer pommerschen Pfahlbauten und der
entsprechenden Insel- Ansiedelungen habe ich in der Sitzung vom 10. December 1870
erörtert (Zeitschrift für Ethnologie ffl. Taf. VI), und ihr Vorkommen für Wollin
(Sitzung vom 13. Januar 1872) und Lüptow bei Cöslin (Sitzung vom 27. April 1872)
nachgewiesen. Keine einzige Grabume aus den besprochenen Gräberfeldern der Lausitz
und Neumark zeigt irgend etwas Aehnliches. Es finden sich wohl centrale Eindrücke
des Bodens mit Vorwölbung der entsprechenden Theile gegen die Topfhöhle, aber diese
haben nicht die geringste Aehnlichkeit mit den Stempeln der Pfahl- oder Burgwallzeit,
denen dafür, wiederum die den Gräberumen so gewöhnlichen Henkel und Buckel fehlen.
Niemals ist mir in einem unserer Pfahlbauten etwas von jenen kleinen und zier-
lichen Gefässen vorgekommen, wie die Gräberfelder sie so zahlreich enthalten; nie-
mals sah ich darin irgend eine Art von äusserer Glättung oder von feinerer Mischung
des Thons. Somit kann ich nur von Neuem betonen, wie ich es schon in dem ersten
Vortrage in dieser Gesellschaft (ZeitBchrifL für Ethnologie I. S. 411) that, dass
die Mode der Topfwaare in hohem Maasse charakteristisch ist für die Chronolo-
gie unserer prähistorischen Funde. Auch die kleinsten Scherben können unter Um-
standen von höchster Bedeutung für die Feststellung der Zeit einer Anlage sein. —
In der an diesen Vortrag sich anschliessenden Diskussion machte Herr Sohwarts
darauf aufmerksam, dass für eine lange Zeit im nordöstlichen Deutschland das Bei-
einanderwohnen slavischer und deutscher VolkssUunme angenommen werden müsse,
ein umstand, der die Ermittelung der Urheber jener Denkmäler sehr erschwere.
Einen Steindamm innerhalb eines Gräberfeldes, der ebenfalls zum Verbrennen der
Leichen gedient, habe er bei Zühlen blossgelegt. unter den vorgefundenen Gegen*
(«8«)
st&Ddeii erwähne er noch nachträglich Kinderklappem, sowie eine Ansah! klaner
Messer, die in Urnen gefanden wurden, anscheinend zum Rasiren bestimmtb Sdbr
merkwürdig sei femer die völlige Uebereinstunmung eines kürzlich bei Roppin im
Moor gefundenen sfigeförmigen Schwertes von Bronze mit einem in einem Wiener
Programm abgebildeten.
Endlich macht der Vortragende auf die zahlreichen (gegen 40) bisher noch nicht
untersuchten Hünenbetten bei Thomsdorf, unweit Boitzenburg in der ükermark, auf-
merksam.
Herr Bastian bemerkt, dass dier Deutung der in Giabem gefundenen EZUppen
als Einderspielzeug wohl nicht in i^len Fällen zutreffend sei. Bei den ▼ersduedes-
sten Völkern seien Klappern ein beim Cultus benutztes Instrument, von deaaen Klange
man die Verscheuchung der Dämonen erwarte, so das Sistnim der Aegypter, ba
Völkern Brasiliens, Australiens; auch das schnurrende Gebetrad der Buddhisten hai^
diese Bedeutung.
Herr Schwarte entgegnet, dass die Kleinheit der bei Ruppin gefundenen Klap-
pern auf deren Verwendung als Spielzeug deute.
Herr Koner macht darauf aufmerksam, dass auch in griechischen Kindergräbem
Klappern in Gestalt von Hirschen, Schweinen u. s. w. häufig gefunden werden.
Herr Bastian entgegnet, dass deshalb eine religiöse Bedeutung dieser GegcnatSode
nicht auszuschliess^n sei, da z. B. bei den Eskimos die Kindergräber sich stets dardi
Beigabe von Hundeschädeln auszeichnen; vielleicht sei damit die Ansicht ausgedrückt,
dass den bei der Bestattung getodteten Hunden die Bewachung der Kindersede as-
vertraut sei.
Herr Koner bemerkt, dass der Kreuzstempel des Pfahlbaugeschirres viellck^
zur Befestigung des Gefasses bei der Bearbeitung gedient haben könne, ähnlidi ^
das Quadratum incusum der alten Münzen das Abgleiten des Stempels verhindas
sollte. Die weite Verbreitung mancher M'uster erkläre sich vielleicht durch äsa
frühzeitig stattgefundenen Handelsverkehr mit Töpfergeschirr, der sich im classisika
Alterthum in erheblichem Umfemge nachweisen lasse.
Herr Erman erinnert daran, dass die Klapper (Oschtoll) bei den Kamtsdudalen
und Tschuktschen eine sehr wichtige praktische Anwendung finde, nehmlich zun
Antreiben der schlittenziehenden Hunde. Dieser Oschtoll wird sehr sorgfaltig, ge-
wöhnlich aus Wallrosszähnen, hergestellt. Er bemerkt bei dieser Gelegenheit, . dass
Peitschenknallen in Russland nicht stattfinde, da man statt der knallenden Peitsche
Westeuropas eine nur zum Schlagen anwendbare Art Knute zum Antreiben der
Pferde anwende. —
Herr Bastian theilt mit, dass Hr. Baron v. Korff bei Kohlhasenbrück (unweit
Potsdam) Pfahlbauten entdeckt zu haben glaube. ~
(10) Herr Augnstos Franks in London hat Photographien von Südseeinsnlanenn
eingesandt.
(289)
Sitzung vom 12. Oktober 1872.
Den Vorsitz führt zuerst Herr Bastian, später Herr Virohow.
Bs liegen Dankschreiben vor von den HHm. Quetelet, Leemans, Haast,
V. Blaramberg und Grewingk für ihre Ernennung zu correspondirenden Mit-
gliedern.
Als neues Mitglied wurde proclamirt
Herr Dr. Mendel» Irrenarzt in Pankow.
Zu correspondirenden Mitgliedern wurden erw&hlt
Herr Graf Gozzadini zu Bologna,
- Hans Hildebrand-Hildebrand,
Carl Montelius,
Baron v. Düben, alle drei zu Stockholm,
Carl Rau zu New- York,
Baron F. y. Müller zu Melbourne (Australien).
Der Chef der deutschen Admiralität, General-Lieutenant y. Stosch, hat die
Eingabe des Vorstandes um Betheiligung der deutschen Marine an den Zwecken
der Gesellschaft in einem sehr freundlichen Schreiben beantwortet, in welchem der
Gesellschaft die Zusicherung ertheilt wird, dass die Offiziere und Aerzte der deut-
schen Marine angewiesen werden sollen, auf Reisen jede sich darbietende Gelegen*
halt zur Förderung der Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte mit Eifer zu
benutzen. Er wünscht zu diesem Zwecke die Aufstellung von Anweisungen, wenn
möglich in Form eines Fragebogens. Der Vorstand wird sich in Verbindung mit
Mitgliedern der Gesellschaft dieser Aufgabe unterziehen.
Der Herr Cultusminister hat eine weitere Unterstützung von 300 Thalem auch
für das Jahr 1873 zur Förderung der Gesellschaftszwecke in Aussicht gestellt
Es wurden vorgelegt die sehr schön ausgeführte Photographie eines Eingsmill-
Insulaners mit Maasangabe, als Geschenk des Hm. Augustus Franks, femer
vier Schädel und andere Reste von Guanchen, Geschenke des Don Espinoza y
Belle zu Santa Cmz de Tenerife. Eine gleichzeitig übersendete, in Ziegenfell ge-
hüllte und in einer unzugänglichen Höhle entdeckte Mumie ist in dem Königlichen
Museum aufgestellt worden.
Der Vorsitzende meldet den leider so früh erfolgten Tod des correspondirenden
Mitgliedes Prof. Finzi in Florenz und widmet dem Verstorbenen ehrende Worte.
(240)
(1) Herr Onmzkow spricht, unter Yorlegnng des betreffenden Gefisses,
Aber eine ostprenBsisolie Urne nn4 über Gräber in OstfriesUuid.
Ich habe eine Vase mitgebracht, die in Ostprenssen anf der alten Heidenbnrg ßrom-
kau im Jahre 1838 gefanden ist Die Burg ist wahrscheinlich vor dem achten Jahrhun-
dert zerstört Ein ans Holz hergestellter Wall ist mit Steinen and Flechtwerk be-
packt. Die Erhebungen haben nur eine Höhe von 8 — 9 Fass; so sind die Steine zu-
samroengerntscht and bilden eine natürliche Böschang. Meistens sind diese Bargeo
einfache Quadrate. Innerhalb derselben hatten die Alten ihre Hatten anfgebaut and
ihre Heiligthümer aufgestellt. Aaf den ersten Blick schien die Vase mir römisch n
sein, doch sieht man bei genauerer Betrachtung, dass die Arbeit eine andere ist Si«
scheint nicht mit der Hand modellirt, sondern in einer Form gepresst za sein. Sie ge-
hört dem Genera] v. Michaelis; gefunden wurde sie von dem Oberamtmann Schäd-
lich durch Zufall, als dessen Mädchen von dem Berge weissen Sand holen wollteB,
woraus der Berg besteht. Als die Vase gefunden wurde, war sie mit Knochea-
asche gefüllt, ein Deckel existirte nicht. Andere Gegenstände sind dabei nicht be
merkt worden. Ich selbst habe nur Beste von Kohlen wahrgenommen, doch glaobt
ich, dass man viel finden würde, wenn man nachgrübe. Der Fundort ist nicht be-
wohnt, sondern liegt mitten im Walde.
Ich will noch eine andere Mittheilung machen, die sich auf Gräber bezieht
Das Schloss in Varel (Ostfriesland) wurde vor zwei Jahren abgebrochen, der
Platz planirt. Unter dem Fundamente fanden sich alte Grabstätten, von denen ich
zwei geöffnet habe. Dieselben sind hergestellt aus gemauerten Steinen angewöho-
lieh grossen Formats, nehmlich 11'/« Zoll lang, 5Vb Zoll breit and 3^4 Zoll stark.
Die Grabstätten hatten eine dem menschlichen Körper sich anscbliesseode Form,
so dass das Skelet genau davon umschlossen wurde. In dem einen Grabe lag das
Skelet anders als in dem andern: die Arme waren nehmlich über die Brost gekreezt,
und der Kopf lag nicht in dem Raum, der für ihn bestimmt war, sondern staod
aufrecht auf dem Brustkasten. Die Gräber sind von Osten nach Westen gerichtet
Verschlossen ist solch eip Grab durch drei Mauersteine, die übereinander anf den
losen Sande gepackt sind; darüber ist dann das Grab ziegelartig bedacht
Auf der Insel Dankas fand ich Gräber ähnlicher Art, aber doch etwas abvs-
chend; es waren sogar für die Arme besondere Abtheilungen gemauert Die ^
del waren noch meistentheils wohl erhalten, die kleineren Knochen aber itf^
Ausser den Skeleten ist absolut nichts darin gewesen. —
(2) Herr Grewingk in Dorpat macht einige schriftlichen Mittheilungen
über llvlsohe Clräber und PCalilbamten.
Im Sommer 1871 und 72 habe ich ein paar Wochen dazn verwendet, eine, in
der Umgegend der Stadt Wenden in Livland befindliche, höchst wahrscbeiolicii
11 vi sehe Begräbnissstätte mit Münzen des X. und XI. Jahrhunderts recht sorgsam
auszubeuten. Die gewonnene reiche Schädelsammlung liefert aber den Beweis, dass
die sprachlich zum finnischen Stamme gehörigen Liven schon in jener Zeit — ^^^
anscheinend auch die lebenden Liven, — körperlich nicht mehr den finniscbeo
Typus vertreten, sondern mehr dem litauischen entsprechen. Die Sprachforscher
mögen sich dei^leichen Erscheinungen ad notam nehmen.
Pfahlbauten an unserem Bartnecksee konnte ich noch nicht nachweisen, ob-
gleich an einer Stelle des Ufers dieser Sees ein Schleifstein, eine FeuersteinspitKe
und zahlreiche Markknochen and Kieferfragmente ausgeworfen worden ood die Be-
(241)
handlang letzterer derjenigen entspricht» die wir an den schweizer Pfahlbauten ken-
nen lernten.
Genaueres werde ich in den Sitzungsberichten der esthnischen Gesellschaft
mittheilen. —
(3) Herr Ministerresident ▼. Brandt hat in Japan gemalte Bilder von ATnos
in ihren täglichen Beschäftigungen, femer photographische Aufnahmen von Shosho-
neu — Indianern Mordamerikas — eingesendet. In dem Begleitschreiben betont
derselbe seine Ueberzeugung von der Stammverwandtschaft dieser Indianer, sowie
der Pah-Utes mit den Japanern.
Ausserdem schenkt er der Gesellschaft eine Sammlung ausgezeichneter, polirter
Steingerät he aus Japan; auf den Holzschachteln, in welchen dieselben ent-
halten sind, stehen japanesische Inschriften, welche folgende Certificate enthalten:
I. In Oshee aufgefunden:
In alten Zeiten, wo Eisen und Kupfer unbekannt war, wurden an Stelle der
jetzigen Schwerter und Aexte dergleichen von Stein gebraucht. Nachdem aber ei-
serne Schwerter erfunden, kamen diese Steinwaffen in Abnahme. Jetzt nennt man
vorliegendes Exemplar Donnerkeule, in alten Zeiten aber wandte man die Bezeich-
nung Steinkeule dafür an. Gelehrte schätzen solche Reliquien als Hülfsmittel zum
Studium des Alterthums.
4. Monat 5. Jahr Meidji (Mai 1872). Minaqawa Noritane (der Dedikant).
' n Steinerne Pfeilspitzen in Oshee ausgegraben. 5 Stfick.
Der japanische Name ist Yanoneishi. Das auf der Innenseite des Deckels
Geschriebene ist mut. mutand. wie I.
Der in der Sitzung anwesende Herr v. Brandt giebt, an seinen am 16. Decem-
ber 1871 in der Gesellschaft gehaltenen Vortrag anknüpfend, einige Erläuterungen
zu den oben erwähnten Aino-Darstellungen. —
(4) Der Ministerresident in Peru, Herr Theodor v. Bunsen, hat «wei schöne
peruanische Mumien aus den Gräbern von Pancatambo, etwa 20 Meilen östlich
Yon Cuzco, geschickt Dieselben sind durch den verdienten deutschen Gonsul zu
Arequipa, Hm. Robert Reinecke, ausgegraben worden. Sie sind in einem aus
groben Strichen eigenthümlich geknoteten Geflecht enthalten, wie die von Rivero
and Tschudi in ihrem grossen Altas abgebildeten Mumien. —
(5) Herr Virehow berichtet
Aber ein Gräberfeld bei Alt-Lanske (Kreis Bimbaiim) und einige andere AlterthUmer
ans derselben Oegend.
Die HHm. Apotheker Dr. Renner und Steuerrath Schmidt zu Schwerin an
der Warthe fibersendeten mir vor einigen Monaten verschiedene Alterthümer aus
ihrer Gegend. Das Begleitschreiben vom 14. Juli meldete darüber Folgendes:
^Bel dem, etwa 1 Meile von hier, an der Warthe belegenen Dorfe Alt-Lauske
befindet sich eine Anhöhe, über welche vor nicht langer Zeit ein Fahrweg geführt
wurde. Bei dem Aufwerfen der Gräben ist eine beträchtliche Anzahl von Urnen
mit Ueberresten von Knochen und Asche gefunden worden, wovon uns die Admi-
nistration des Gutes Renntniss gab. Einige Nachgrabungen haben eine überraschend
günstige Ausbeute ergeben und wir erwähnen nur, dass bei der einen, etwa zwei
Stunden dauernden, gegen 25 Urnen gefunden worden sind.
Gewöhnlich bemerkte man um die Urnen, gewissermassen als Umwallnng«
(242)
dniikle Flecke, welche ohne Zweifel von in FänlnisB übergegangenen Holzpflöcken
herrührten, nnd ist denn auch ein Stück eines solchen Pflockes gefanden, welches
beifolgt. Häufig waren um eine (grössere) mit Knochen-Ueberresten gefüllte Urne
kleinere vergraben, und in einer dieser kleineren befand sich eine noch kleinere,
welche ebenfalls beifolgt. Die beiden in der Riste befindlichen Spiralen, von wel-
chen nur ein kleines, etwa 1 Zoll langes Stückchen von uns abgebrochen wurde,
wurden in der Nähe einer üme gefunden.
Hierbei glauben wir noch erwähnen zu sollen , dass in dem ebenfalls 1 Meile
von hier entfernten Dorfe Althöfchen (früher eine Abtei) eine und zwar ähnliche
Urne gefunden worden ist, gefüllt indess mit Stücken geschmolzenen Silbers und
Silbermünzen. Die General-Verwaltung der Königlichen Museen hat sich bexügiieh
dieses Fundes dahin ausgesprochen, dass derselbe mindestens 800 Jahre verborgen
gewesen sein müsse. ^
Ich bemerke zunächst, dass die Urne von Althöfchen schwerlich etwas mi
den Urnen von Alt-Lauske gemein haben dürfte. Was die letzteren anbetrifft, s:
gehören sie jenem lausitzischen Kreise an, über welchen ich in der Sitzung vom 13. Jiü
d. J. weitläuftiger gehandelt habe. Es sind theils Todtenumen, gefüllt mit gebrann-
ten und zerschlagenen Menschenknochen, theils Geräthumen. Die ersteren siod
gross, namentlich weit und zum Theil von sehr grober Form und ebenso grobea
Stofi^; die letzteren dagegen sind von äusserst mannichfaltiger, einzelne von sehr
gefälliger Form^ mit feinerem Stoff und sehr charakteristischer Ansfübrung. Ins-
besondere finden sich unter ihnen mehrere von fein geglätteter Oberfläche, too
röthlichgelber, graugelber oder schwarzer Farbe und von sehr feinem Korn auf der
Bruchfläche Allerdings steht damit in einem gewissen Gegensatze ihre oft schiefe
nnd unregelmässige Gestalt, von der man wohl bei einigen vermuthen köonte, dass
sie erst nachträglich durch Aufweichen nnd Druck in der Erde hervorgebracht sei;
bei anderen und gerade den kleineren, die solchen Einflüssen wohl am wenigsten
ausgesetzt waren , scheint die Unregelmässigkeit jedoch eine ursprüngliche za seil
und es ist mir wahrscheinlich, dass diese Ge^se aus freier Hand geformt sind.
Am interessantesten darunter ist das kleine Gefass, von dem die freandliciiefi
Geber anführen^ dass es in einem anderen Gefässe gestanden habe. Es ist dis
eines der kleinsten, mir aus unserem Lande bekannten Geftsse: es misstin«?
Höhe nur 38, in der grössten Breite nur 34 Mm. Der flache Boden hat 19, ^
Mündung 24 Mm. Durchmesser. Es ist gleichfalls aussen geglättet, bräunlichgdi»*
ziemlich dickwandig und an seiner äusseren Fläche ganz mit etwas unregelmässigen«
offenbar mit freier Hand ausgeführten Verzierungen bedeckt. Letztere bilden
Linien, welche ans schrägen, durchschnittlich 2 Mm. hohen Parallelstrichen zosam-
mengesetzt sind. Zu unterst befinden sich drei, stellenweise vier solcher lini^^
welche bald horizontal und gerade, bald etwas gebogen rings um das Geföss ver-
laufen; eine vierte Horizontallinie umgürtet dasselbe etwas unterhalb des etwas
nach innen gebogenen Randes. Der etwa 12 Mm. breite Zwischenraum zwischen
der obersten und der nächstfolgenden Horizontallinie ist von einer Gnirlande ein-
genommen, welche aus je drei ähnlichen, auf- und absteigenden Parallellinien g^'
bildet wird, die dreimal die obere und dreimal die nächstfolgende untere Borizon-
tallinie berühren.
£s erinnert dieses Muster an die früher mehrfach erwähnte dreieckige Stricne*
lung der lausitzer Urnen, nur dass diese stets aus glatten Strichen besteht Dieser
kommt am nächsten die Zeichnung eines anderen kleinen Gefässes, des einop^^
welches eine schwarze Politur hat. Es ist dies eine Henkelurne von 60Mni'
Höhe nnd 62 Mm. Mündungsweite. Dieselbe hat einen etwas vertieften und ^
(343)
Rande vorstehenden Boden von 46 Mm. Durchmesser, einen schnell ausgelegten
Banch von etwa 80 Mm. Dnrchmesser nnd einen 18— 20 Mm. hohen Hals mit
schwach nach aussen gebogenem Rande. Der (abgebrochene) sehr enge Henkel
hat an dem Halse gesessen. Die Grenze zwischen Bauch und Hals ist durch eine
sehr unregelmässige, aber tiefe Horizontallinie angegeben. Unter derselben, auf
der grössten Vorwölbnng des Bauches sitzen in regelmässigen Abständen von ein-
ander vier flache Knöpfe, Andeutungen von Buckeln: der eine gerade unter dem
Ansätze des Henkels. Der Raum zwischen den Knöpfen ist durch theils schräge,
tbeils senkrechte, in Gruppen von vier bis zehn angeordnete Striche eingenommen ;
einzelne dieser Gruppen sind unter nach oben spitzen Winkeln gegen einander ge-
stellt, so dass eine deutliche Annäherung an das Dreiecks-Mnster entsteht.
Drei andere Henkelurnen von 52, 96 und 130 Mm. Höhe sind sehr einfach.
Die kleinste derselben, die einzige von allen, an welcher der Henkel ganz erhalten
ist, zeigt sowohl die Prominenz des Henkels über den Mündungsrand des Gefässes,
als auch die grosse Enge der Henkelö£Fnung, in welche selbst der kleine Finger
nicht eindringen kann. Die grösste Urne, an welcher der Henkel ganz ausgebro-
chen ist, hat eine höchst gefällige Form und eine recht angenehme, gelblichgraue
Farbe. Der Dnrchmesser beträgt am Boden 78, am Bauche 150, an der Mündung
130 Mm. Der obere Rand ist ganz glatt und einfach, der Hals sehr niedrig
(34 Mm.), der Bauch ganz allmählich ausgelegt. Auf der grössten Wölbung des
letzteren finden sich in regelmässigen Abständen von einander an fünf Stellen je
drei, in einer Reihe neben einander gestellte, linsenförmige Eindrücke von 6 bis
8 Mm. Durchmesser; die eine dieser Stellen liegt auch hier gerade unter dem Hen-
kel. Dieses Ornament habe ich in der Sitzung vom 13. Januar d. J. bei Gelegen-
heit des Gräberfundes von Zaborowo besprochen.
Um so wichtiger ist es, dass wir auch unter den Ausgrabungen von Alt-Lauske
die Trümmer von zwei sehr charakteristischen Flachschalen antreffen. Die eine
war eine Henkelschale von 110 Mm. Durchmesser und 28 Mm. Höhe mit einem
sehr regelmässigen, gegen die Gefasshöhle vorspringenden, flachen, runden Eindruck
von 20 Mill. Durchmesser am Boden, ganz ähnlich den Schalen von Zaborowo.
Die andere ist ein grosses und sehr stattliches Gefäss gewesen. Sie hat eine Oeff-
nnngs weite von 195 Mm. Durchmesser bei einer Höhe von 56 nnd einem Dnrch-
messer des ganz flachen Bodens von 86 Mm. Es geht schon aus diesen Maassen
hervor, dass die Schale sich von dem Boden aus sofort weit und flach auslegt
Ihre äussere Fläche ist etwas uneben, aber doch glatt; das Material fein und offen-
bar gebrannt, die Farbe gelbröthlich. Am schönsten ist der obere Rand: derselbe
ist in kräftiger Wölbung nach innen umgelegt und in seiner ganzen Ausdehnung
mit breiten, glatten, schrägen Eindrücken versehen, so dass er einem gedrehten
Ringe gleicht.
Auch die eine Todtenume schliesst sich in ihrer Gesammtheit und Ornamen-
tik hier an. Sie hat gleichfalls eine mehr niedrige, aber zugleich ungewöhnlich
weite Auslage des Bauches, und die obere Hälfte des letzteren ist mit breiten,
flachen, senkrechten Parallelstrichen in getrennten Gruppen von je 14 Strichen
besetzt Der obere Theil, insbesondere der ganze Hals, fehlt leider.
Was endlich die Bronze-Spiralen betrifft, so haben dieselben einen Querdurch-
messer von 68 >- 78 Mm. bei einer Höhe von 80 — 87 Mm. Die Arbeit ist sehr
genau. Das Metallband, aus welchem sie gewunden sind, ist überall fast gleich
breit und dick, am oberen und unteren Rande ziemlich scharf, in der Mitte nach
aussen und nach innen vorspringend, also auf einem Querschnitte flach rhom-
bisch. Sein Breitendurchmesser beträgt 8, der Dickendurchmesser 3 Mm. Der
(244)
Brach sieht stark knpferig ans; die äussere Oberfläche hat kanm irgendwo eine
eigentliche Patina. Meist ist sie mit einem bräanlichgranen Rost bedeckt; nur an
wenigen Stellen schimmert etwas Grünliches durch.
Verdienen diese Gegenstände an sich eine gewisse Aufmerksamkeit, so steigert
sich das Interesse des Fundes durch die nachbarlichen Verhältnisse, über welche ich
in früheren Sitzungen berichtet habe. Alt-Lauske liegt nicht weit westlich von
Alt-Görzig, wo ein analoges Gräberfeld und Pfahlbauten nachgewiesen sind (Sit-
zungen vom 24. Juni 1871 und 11. Mai 1872), und nicht weit östlich von Königs-
walde, dessen Insel -Ansiedelung ich in der Sitzung vom 9. Juli 1870 beschneben
habe. Die Gräberfelder von Zlotowo (Sitzung vom 9. December 1871) und Zabc-
rowo liegen weiter östlich und südtich, das von Wutzig (Sitzung vom 13. Jnli 1872;
weiter nördlich. Von diesen gehören die Funde auf der Bischofsinsel bei Königs-
walde und aus dem Pfahlbau von Alt-Görzig dem Burgwalltypus an, alle andere:
dagegen dem lausitzischen Gräbertypus, und es ist gewiss von besonderem Intcf
esse, dass bei Alt-Görtzig, ähnlich wie bei Vorberg in der I^ieder-Lausitz , bei«
Typen in nächster Nähe bei einander nachgewiesen sind.
Es schien mir daher von Wichtigkeit zu sein, über die Einrichtung des Gräber-
feldes von Alt-Lauske genauere Nachrichten zu erhalten; ich bat demgem&ss Hrn.
Dr. Renner um weitere Mittheilungen. Schon unter dem 24. August kam, mit
neuen Fundstncken, die Antwort, welche folgendermaassen lautet:
„Ihr sehr geehrtes Schreiben vom 23. Juli bald zu beantworten, war ich zu
meinem lebhaften Bedauern nicht in der Lage; ich wollte nicht mit leeren Händen
vor Ihnen erscheinen 1
Um so angenehmer ist es mir, Gegenstände, welche die Verzögerung herbd-
führten, nunmehr einsenden zu können, nämlich einen Bronzecelt und eine Bronze-
— ich will sie „Hellebarden-Spitze^ nennen — beide im Besitze des Stener-Rathes
Schmidt aus Meseritz. Erstere, mir seit längerer Zeit als Fund hiesiger Gegend,
vom Galgenberge, bekannt, schenkt Hr. Steuer-Rath Schmidt der Anthropologiscbei
Gesellschaft. Ich selbst sende von einer gestrigen Nachgrabung in Lauske voo
circa zwölf aufgefundenen Urnen drei wohlerhaltene ein; die grösste derselben Et
von besonderer Schönheit. Ferner folgen drei Steine mit, nach meinem Dafürlitf-
ten ohne allen Zweifel von Menschenhänden bearbeitet. In einer von den Ofs
zerbrochenen, zum Theil mit Menschenknochen gefüllten Urnen fanden sich Sttidtt
des mitfolgenden Bronzeringes, wohl ein Ohrring.
Der Höhenzug, unmittelbar sich anlehnend an das^Dominium Lauske, welcher
die Urnen enthält, ist das alte Wartheufer, circa 500 Schritte von dem jetzigen
Bette derselben. Er birgt, wie es scheint, gerade oberhalb des Gutes Lauske, einen
weitausgedehnten Begräbnissplatz. Gestern wurden innerhalb weniger Stunden
gegen zwölf Urnen blossgelegt, vor einem Jahre binnen zwei bis drei Stunden
gegen fünfundzwanzig, die meisten zerbrochen. Sie befinden sich in gelbem Sande,
circa 2 Fuss unter der Oberfläche, welche mit Birkengesträuch und Kieferngehölz
schwach bestanden ist. Die meisten Urnen sind mit grösseren Feldsteinen um-
geben, stehen sehr oft auf flachen Steinen und haben auch öfters noch, ausser
dem fast immer zerbrochenen Deckel, eine Steinbedeckung, Die Knochen enthal-
tenden Urnen zeigen sich beim Nachgraben durch dunkele Sandfärbung an. Die
drei mitfolgenden Steine fanden sich in unmittelbarer Nähe einer zerbrochenen
Urne. Glas-, Email- und Eisen zeug ist noch nicht, so viel ich weiss, gefunden
worden, dagegen Bronze häufiger. — Aeusserlich, d. h. von der Oberfläche ans,
würde Niemand die Anwesenheit eines Begräbnissplatzes vermuthen; vielleicht hat
in früheren Zeiten der Pflug die Oberfläche geebnet.^
(245)
Von den drei ThoDgef&ssen ist das eine wieder ein Henkeltopf der klei-
neren Art (86 Mm. hoch, oben fast ebenso weit); das andere ist ein noch klei-
nerer einfacher Topf von 70 Mm. Höhe, Ö5 Mündnngsweite, 34 Boden- and 90
Baucbweite, mit zwei einfachen nnd schlecht gezogenen Parallellinien am den
Banch. Ganz vortreflflich ist das dritte, dem zweiten in der Form sehr ähn-
liche, jedoch viel grössere Gefäss. Dasselbe misst in der Höhe 110, in der Mün-
dungsweite ebensoviel, und hat am Baache einen Durchmesser von 150, am Boden
von 60 Mm. Die grösste Auslage des Bauches befindet sich fast genau in der
Mitte der Höhe und ist beinahe scharf. Auf der Schärfe läuft eine Horizontallinie.
Von da nach oben verjüngt sich das Gefäss sehr gleichmässig. 30 Mm. über der
ersten Horizontallinie verlaufen dicht nebeneinander zwei andere, und der Zwischen-
räum ist ganz durch sehr regelmässige parallele Schrägstriche eiogenommen, welche
in Gruppen bis zu zwanzig neben einander stehen, so zwar, dass jede Gruppe ein
dreieckiges Feld einnimmt, dessen Spitze abwechselnd nach oben und nach unten
gerichtet ist. Hier haben wir also vollständig eine der häufigsten lausitzer Zeich-
nungen.
Der mit eingesendete, aus einer Todtennme stammende kleine Bronzering, der
mehr wie das Glied einer Kette aussieht, hat eine schöne Patina.
Von höchstem Interesse sind jedoch die Steinsachen. Der eine, grössere
Stein (Sandstein), stellt einen etwas platten Cy linder oder abgestumpften Kegel
von 75 Mm. Höhe dar, dessen beide £nden glatt abgerieben sind. Das untere
dickere Ende misst im grössten Dorchn^esser 50, das obere 38 Mm. Es kann wohl
kein Zweifel sein, dass dies ^in Kornquetscher war.
Sehr viel bedeutungsvoller sind die zwei anderen Steine, in denen ich zu
meiner grössten üeberraschung jene Form des Eier- und Käsesteines wieder-
erkannte, wie ich sie zuerst in der Sitzung vom 13. Januar d. J. aus Urnen von
Zaborowo beschrieben habe (S. 54 Fig. 1 — 2). Der einzige Unterschied besteht
darin, dass hier der Eierstein verhältnissmässig viel kleiner, der Käsestein grösser
ist. Jener misst 50 Mm. in der Höhe, 30 in der grössten Breite; dieser 50 in der
Breite, 25 in der Höhe. Beide sind aus demselben Stein, scheinbar reinem Kiesel.
Der Eierstein hat ein spitzes und ein stumpfes Ende, ist jedoch etwas gedrückt
auf der Fläche. Der Käsestein hat auf der oberen und unteren Fläche, wie die
früheren, eine centrale rundliche Vertiefung, ist jedoch am umfange mehr gerun-
det und besitzt ausserdem um den Rand eine seichte, jedoch breite Rinne, so dass
er eine grosse Aehnlichkeit mit einem sogenannten Schleuderstein darbietet
Mag man nun die Deutung machen, wie man will, mehr symbolisch oder mehr
naturalistisch, so ist doch die Uebereinstimmung der beiden Gräberfelder von Alt-
Lauske und Zaborowo durch diesen Nachweis über jeden Zweifel sicher gestellt,
nnd es wird darauf ankommen, künftig in dieser Richtung die Aufmerksamkeit
noch mehr zu schärfen. Ich selbst habe vergeblich in allen Museen, die ich neuer-
lich besucht habe, nach etwas Aehnlichem umgesehen, und wenn man nicht die
schon früher von mir angeführte Analogie mit phallischen Idolen, auf welche
Hr. Lisch aufmerksam gemacht hat, festhalten will, so wird die Erklärung noch
zu suchen sein. —
In Bezug auf die beiden, von einer anderen Fundstelle herstammenden Bronze-
Geräthe bemerke ich, dass das eine ein Paalstab (123 Mm. lang) mit stark ver-
letzter Schneide und sehr weitem Stielloch ist; letzteres ist von einem erhabenen
Rande umgeben, an welchem eine Oese sitzt. Dieses Instrument hat eine matte
dunkelgrüne Patina. Das andere, ganz rostlose Werkzeug ist wohl neueren Ur-
sprungs. Es ist in der That einer Hellebardenspitze sehr ähnlich. Ein plattes
(246)
Blatt von 28 Gm Länge nnd am hinteren Ende 86 Mm. breit, l&aft mit acbarfen
Rändern in eine lang ausgezogene, vorn etwas abgemndete Spitie ans. Am hin-
teren Ende ist es gleichfalls abgerundet nnd mit drei rundlichen Ansbachtangen,
einer medianen und zwei lateralen, oflFenbar zum Annageln bestimmt, verseheiL
Ueber beide Flächen verläuft in der Mitte ein erhöhter Rucken, der an der Ba-
sis in einer Breite von 50 Mm. anhebt und gegen die Spitze hin in einer fast
5 Mm. breiten, stark vorspringenden Leiste ausläuft. —
Herr Bastian bemerkt, dass die zwei vorgezeigten Steine aufeinander geateih
werden können; sie wurden dann etwas an die rohen Formen von Lingam nnd
Yoni erinnern. —
(6) Herr Friedel spricht, indem er die betreffenden Fundstucke vorlegt,
Aber die Aufdeckung einer Yorgeschichtlichen WohnstAtte im Yollkropp 1>el
Cöpeniek.
Südlich der Stadt Cöpenick (2 Meilen östlich von Berlin) zieht sich etm
1600 Schritt von der über die Wendische Spree oder Dahme führenden sogenanB-
ten Langen Brücke ein Wiesenplan hin, der Yollkropp oder Wnhlkropf. Dorcb-
schnitten seitens des von der Brücke durch Schönerlinde nach Grünau führenden
Weges wird das Terrain hinter der Vollkropp'schen Mühle etwas höher und filit
mit etwa 10 Fuss zur l^ahme ab. Bei Gelegenheit einer Vilienanlegung wurde hi&
im Sommer 1872 zwischen der Strasse und dem Fluss in einer Länge von min-
destens 150 Fuss nnd einer Breite von 20 — 40 Fuss der Boden zum Theil bis
8 Fuss Tiefe aufgedeckt. Bei wiederholter Besichtigung stellte ich fest, dass nnter
der Oberfläche bei einer zwischen 2 und 4 Fuss schwankenden Tiefe alter Cultor*
boden mit einer fast überall hin verbreiteten Schicht von Kohlen, Asche, Knocfaeo
nnd Scherben von durchaus primitivem Charakter anstand. Dieses Ijager wird sich
ohne Zweifel südlich nnd nördlich weiter verfolgen lassen; westlich unter der
Landstrasse zog es sich, wie einige Sondirlöcher zeigten, ebenfalls noch hin.
Als mir mitgetheilt wurde, dass dort ein menschliches Gerippe unter boner-
kenswerthen Umständen gefunden sei, hatten die Arbeiter bereits mehrere Ta|?
ausgeschachtet und dabei in herkömmlicher Achtlosigkeit manche Fnndatücke, li»
Geweihe und Thongeschirre, zerschlagen oder verschmissen. Bei fortan be^ffff
Controle und eigener Mitbetheiligung an den Ausschachtungen Hess sich Folgeiifi
ermitteln. In der südwestlichen Ecke des Gartens der Friedrich'schen Vil^
einige Schritte von dem an der Strasse errichteten Gartenhäuschen wurde in ein«
Tiefe von etwa 3 Fuss unter der Ackerkrume das Gerippe eines Erwachsenen ge-
funden, welches ausgestreckt, jedoch nach der Wendung des Kopfes zu schliessea.
auf der linken Seite gelegen hatte. Die Beine hatten bis unter die Landstrasse
gereicht. Beigaben fehlten. Etwa drei Schritte davon nnd 1 Vi Fuss tiefer
stand eine grosse bauchige über 1 Fuss Durchmesser haltende offene Dme, neben
ihr drei kleine sogenannte Ceremoniebumen (in welchen allen jedoch nur Erde
gelegen haben soll), mit rohen Feldsteinen umstellt. Das Skelet zerfiel beim
Heransnehmen, weil sehr verwittert und von Wurzeln durchdrungen, vollständig.
Erhalten wurden nur fünf Röhrenknochen theilweise, sowie der Hinterkopf mit
einem Theil des Schädeldachs und ein Theil der Kiefer mit den Zähnen. Auch
die Urnen zerbrachen beim Ausheben.
Etwa 20 Schritt mehr nach dem Wasser zu fand sich eine schwere vierkantige
eiserne Pfeilspitze, einem Typus gleichend , der in den fränkischen und ailemanni-
(247)
sehen Gräbern, aber im ganzen späteren Mittelalter ebenfalls, beispielsweise an den
Hassitenpfeilen, noch vorkommt.
Auf dem übrigen Terrain wurden gegen acht gesonderte F'euerstellen unter-
schieden , die einen Radius von etwa 3 Fass hatten und sich durch vorzugsweise
Schwärze und durch Anhäufung von Kohlen und Asche, sowie Thonschlacken
auszeichneten. Allemal waren diese Feuerstellen muldenförmig vertieft und mit
Feldsteinen ausgesetzt, die dicht aneinander, jedoch ohne Mörtelverband, gepasst
waren. Diese Steine, von sehr unregelmässiger Form und mineralogischer Zusam-
sammensetzung, waren oft scharfkantig, zweifelsohne mit Absicht, zugeschlagen,
jedoch in der rohesten Weise. Alle Steine, auch die von 1 Fuss Durchmesser,
mürbe gebrannt, so dass sie beim Herausgraben oft zerbrachen, was auf oft wieder-
holte und intensive Feuerung schliessen lässt. In der Nähe dieser Feuerstellen
lagen Knochen von Thieren, die grösseren zerschlagen und die Röhrknochen zur
Gewinnung des Marks gespalten: Reh, Hirsch, Schwein (nach der Kleinheit der
Zähne alter Thiere zu schliessen, Sus palustris), Schaaf. Sonst wurden vereinzelt
aufgelesen ein Eckzahn vom Wolf, eine abgesägte Rose vom Rehbock, eine einge-
kerbte, dann abgebrochene und glattgeschabte Zinke vom Riehbockgeweih, zer-
schlagene Pferdeknochen. Die vorgefundenen Geschirrreste lassen auf eine Menge
verschiedenartiger Gefässe schliessen. Eine Anzahl Scherben von grossen Koch-
töpfen, deren äussere Beschaffenheit darauf schliessen lässt, dass sie in einem
Korbgeflecht geformt worden sind, erinnert an Geisse, wie sie auf dem jenseitigen
rechten Dahme-Ufer auf dem Kietzer Felde wiederholt von mir ausgegraben sind.
Sämmtliche Gefässe sind aus dem, die vorgeschichtliche Keramik kennzeich-
nenden, mit Steinbischen vermengten Thon zubereitet, scheinbar ohne Anwendung
der Drehscheibe. Die breiten derben Henkel sind mit dem oberen Rande in einer
Höhe.
Fänf verschiedene Typen von Verzierungen sind konstatirt. Einmal einfache
2 Mm. tiefe Rillen, wohl durch Umbinden von Fäden oder Aehnlichem beigestellt
Dann ein Mäander und drei blattartige Verzierungen, welche unter dem oberen
Rande laufen und mit freier Hand sehr roh und unegai, unverkennbar jedoch mit
einem gewissen decorativen Streben in den noch weichen Thon eingeritzt sind.
Die Arbeit ist so ungeschickt ausgeführt, dass ebenfalls zur Verzierung angebrachte
Horizontallinien, weiche später wie die blattförmigen Zeichnungen gezogen sind,
diese hier und da durchschneiden und zerreissen.
Hierzu endlich noch ein Reibestein (Kornquetscher), während Feuersteinmesser
a. s. w. nicht gefunden sind.
Beachtenswerth endlich sind fingerdicke, mit allerhand Steingrus gemischte
Thonpatzen, die wohl zur Verkleidung der Wände bei den Hütten gedient haben,
welche über wenigstens zweien der erwähnten Gruben am Abhänge nach dem
Wasser zu errichtet gewesen sein mögen. Einzelne Reste dieser Thon Verkleidung
sind vom Feuer angeschwelt, vielleicht bei Gelegenheit eines Brandes, der die
Hätten zerstörte. Als Estrich oder Heerdplatte kann dieser Thonmantel nicht ge-
dient haben, da derartige Reste mindestens eine glatte Oberfläche haben, während
unsere Fragmente beiderseits rauhe Flächen haben und wohl auf einer Unterlage
von grobem Flechtwerk einstmals ruhten.
Nach Versicherung des die Parkanlagen leitenden Gärtners wurde endlich eine
über 2 Fuss tiefe trichterförmige Grube etwa 4 Fuss unter der Oberfläche aufge-
gedeckt, die ganz mit den Schalen der noch jetzt in der Dahme vorkommenden
Muscheln Unio tumidus, Unio pictomm und Anodonta piscinalis gefüllt war. Das
(248)
kreidige Aassehen derselben brachte den Finder anf die Vermnthang, dass sie ge-
röstet als Speise gedient haben möchten. Ich habe diesen Platz nicht selbst be-
sichtigen können, da er bereits zerstört ^ar, will jedoch bemerken, dass noch
jetzt an manchen Orten der Mark die Schweine mit denselben Huscheln gefuttert
werden, wenn auch nicht geleugnet werden soll, dass die Verwendnng als mensch-
liches Nahrungsmittel im nördlichen Europa seit einiger Zeit gesichert erscheint
Verlangt man eine chronologische Deutung der Wohnstätte, die hier aufge-
schlossen zu sein scheint, so ist zunächst zu berücksichtigen, dass bis zu Friedrichs
des Grossen Zelt die ganze Gegend Haide oder Sumpf war. Die seitliche Lage
des Skelets, der Mangel jeglicher Beigaben, die Nachbarschaft von Thierknocheo,
Kohlen uud Topfscherben deutet auf ein unceremonielles Verscharren der Leiche.
Giebt die Pfeilspitze auch für sich keine genauere Chronologie, so weist die Bear-
beitung der Knochen, die Spaltung derselben, der Kornquetscber, die trotz der Or
namentik noch unvollkommene, ohne Drehscheibe, aus ungeschlämmtem Rohstoi
gefertigte Töpferwaare mindestens auf* die letzte Epoche der vorchristlichen Zek
mindestens also anf die späte Wendenzeit hin.
Wer weiter auch der Phantasie Spielraum zu geben liebt, wird an eine Zer-
störung der Hütten durch Brand, wobei die Thonbekleidung der Wände als nnver-
brennlich auf die Wohnstätten fiel, und an einen Kampf denken, bei weichem der
Pfeil eine Rolle spielte, und bei welchem der Mensch, dessen morsche Reste unter
den Trümmern und Abfällen lagen, das Leben verlor. —
Herr Virchow bemerkt, dass der Herr Vortragende ihm seine Funde übergeben
hatte mit dem besonderen Wunsche, den Schädel einer genaueren Untersnchani;
zu unterziehen. Es würde aber conjekturale Anthropologie sein, wenn man bä
der Zertrümmerung des Schädels bestimmte Erklärungen abgeben wollte. l>if
Knochen sind grossentheils getrennt, und es ist nur ein Theil der Seiten- und
Hinteransicht noch erhalten. Daraus folgt nun allerdings ein wenig, nehmlicb
dass der Hinterkopf ziemlich stark vorgewölbt und die am meisten hervorrageode
Stelle desselben verhältnissmässig weit nach unten gelegen ist Die Seitentheile falki
ziemlich steil ab, so dass der Schädel allerdings .verhältnissmässig lang and schrail
gewesen sein muss und Aehnlichkeit darbietet mit denjenigen dolichocephi^
Schädeln, die er in der Sitzung vom 10. Februar d. J. in grösserer Zahl vorge^
habe. Von dem Oberkiefer ist ein Theil erhalten, der mit Sicherheit darthut, ^
es ein orthognather Schädel einies älteren Individuums ist. Weiter wage er nichts
zu sagen. In Bezug auf die Zusammengehörigkeit des Schädels mit den übrig»
Funden müssen wir sehr vorsichtig urtheilen. Er habe den Eindruck, als ob die
Stelle längere Zeit bewohnt gewesen sei und verschiedene Generationen nach eis-
ander ihre Ueberreste zurückgelassen haben. Es finden sich da einzelne Geflss-
scherben, welche ein glattes polirtes Aussehen haben, während eine derselben
das charakteristische Kennzeichen dessen darbietet, was er den Burgwalltypm
genannt habe. Die Form der Eisensachen, namentlich des Pfeils, nähere sich so
sehr der Form früher mittelalterlicher Fabrikate, dass er geneigt sein würde, sie
dorthin zu verlegen. —
(7) Herr Friedel macht, zugleich im Namen des Herrn Munter, HittheUungen
über eine alte Wohnstfttte hei Wilmersdorf in der Nähe von Berlin*
Es findet sich gerade jetzt eine ausserordentlich gute Gelegenheit, in der Um-
gegend unserer Stadt alte culturhistorische Spuren aufzudecken, so weit solche
dem Grund und Boden anvertraut sind. Es werden kolossale Bauten in der nach-
(249)
sten Umgebung der Stadt anfgeföhrt, und es wird dadurch ein so grosser Theil
des Bodens aufgedeckt wie nie zuvor: Torfmoore werden zugeschöttet, Berge ab-
gekarrt und der alte Boden kommt wieder zum Vorschein. Dabei werden viele
Gegenstände gefunden, aber leider meist zerschlagen: die Unternehmer haben kein
Interesse, die Arbeiter kein Verständniss daför.
Die Stelle, wohin ich Sie zu führen mir erlauben will, ist das Plateau, das
sich im Süden unserer Stadt, im Teltow, erhebt. Vor diesem Plateau zieht sich
eine Niederung hin, die zum Theil noch Wasserläufe, zum Theil sumpfige Wiesen and
Torfmoor enthält, und die sich nach Spandau ersteckt. Aeltere Leute werden
sich erinnern, dass vor 30 — 40 Jahren viele Spuren solcher Niederungen in unse-
rer Stadt zu Tage getreten sind. Bei Fundamentlegungen in der Wilhelms-, Char-
lotten- und Friedrichsstrasse stösst man häufig auf alte Tümpel, in denen sich
noch Pischschuppen und Süsswasser-Conchylien finden Häuser in der Charlotten-
strasse sind bedeutend gesunken, und der Belle-Allianceplatz liegt so niedrig, dass
im Jahre 1830 bei der Neupflasterung mit Kähnen darauf gefahren wurde. Diese
Niederung zieht sich bis zum zoologischen Garten und Charlottenburg hin. Etwas
westlich von da steigt das Terrain; die hervorragendste Spitze desselben ist der
sogenannte Spandaner Bock. Von dort aus kann man den Höhenzug verfolgen
bis zu den Rollbergen bei Rixdorf; er führt verschiedene Namen: Schöneberg,
Tempelhofer Berg, Kreuzberg nnd schliesslich Rollberge
Man kann es nun als ziemlich allgemeines Gesetz für unsere Mark Branden-
burg und wahrscheinlich auch für andere Theile Deutschlands bezeichnen, dass
sich am Rande dieser Hochplateaus die Spuren von menschlichen Ansiedelungen
am hä. figsten finden. Erklärungsgründe für diese Art der Ansiedelung lassen sich
u'icht schwer finden. Tacitus berichtet, dass die Gei*n)anen vorzugsweise sich in
Erdhöhlen aufhielten; im Kriege konnten sie ganz sicher vor den Feinden ihre
Habseligkeiten darin verbergen. Man hat nun in unserer Gegend natürliche Höh-
len nicht, aber die Abhänge nach den Niederungen zu boten eine vorzügliche
Gelegenheit, um mit geringer Mähe eine Art von Höhlen zu graben Ausserdem
muss man berücksichtigen, dass die Niederungen, die jetzt zum Theil trocken sind,
in alten Zeiten unter Wasser gestanden haben. Es wird uns aus der alten Wen-
denzeit von einem überschwänglichen Fischreichthum gerade der Mark Brandenburg
berichtet; ich erinnere daran, dass die Fischerzunft nicht allein in grossem Anse-
hen stand, sondern dass sie sogar noch in Unterabtheilungen zerfiel, z. B. gab es
eine besondere Zunft der Hechtreisser (die Hechte wurden nämlich gespalten und
auseinandergerissen). Es erklärt sich daher leicht die Menge der Wohnstätten,
die, am Wasser gelegen, den Fischern Vortheile und Bequemlichkeiten boten.
Ich lege hier Sachen von einem der Stadt ganz nahen Fundorte vor. Die
Stelle ist von dem Hm. Vorsitzenden, Hrn. Munter und mir untersucht. Wenn
man sich hinter dem botanischen Garten nach Wilmersdorf zu bewegt, so ist es
der erste Höhenzug, der muldenförmig aus der Hochebene hervorspringt.
Ueber diesen Höhenrücken wird jetzt eine Strasse angelegt, durch welche der
Boden auf einer Stelle 8 Fuss tief eingeschnitten wird. Hier hat zuerst Hr. Mun-
ter eine grosse Anzahl von Feuerstellen aufgefunden, welche zu beiden Seiten des
Weges liegen. Die Stellen sind mit Steinen ausgelegt, die eng au einander passen;
sie bilden in der Regel eine flache Mulde. Dass man es nicht mit Begräbniss-
stellen zu thun hat, darauf dürfte der Umstand fähren, dass die Steine ausseror-
dentlich mürbe gebrannt sind, so dass sie in der Hand zerbröckeln. Ausserdem
wurden bei der kolossalen Masse von Topfscherben, wenn es Todtenurnen wären,
Verhandl. der Berl. Qai. für Anthropol. etc. n'j^
(8W)
erfabrungsgemäss sich wenigstens Partikelchen von Menschenknocben erkennen
lassen.
Ansserdem fand sich in der Nähe eine interessante MGhle ans der Urzeit
nehmlich zwei Steine, von denen der obere aus icicbtem mürbem Granit besteht
und ein kleines Loch hat, während der andere anscheinend ans härterer Granit-
masse ist nnd ein grösseres l^och besitzt. Nicht weit von dieser Stelle erstreckt
sich rechtwinklig gegen die augeiegte Strasse ein sehr tiefes Moor, welches autcr
dem Namen des bösen Fenn bekannt ist. Dieses Moor wird jetzt ansgegrabeo,
um die Torfmasse znr Gartenerde zu verwenden. Der Moorboden ist mit-grosset
Gewalt auf beiden Seiten der dort aufgeschütteten Strasse heransgeqaollen. lo
diesem Moor ist in einer Tiefe von ^'/g Fuss eine grössere Zahl von Thierknoehea
von eigenthümlicber Bräune zu Tage getreten, die zum Theil durchgeschlagen siai
Herr Virohow: Nachdem ich schon einmal mit Hm. Munter die Fandstdr
bei Wilmersdorf besucht hatte, begab ich mich neulich zu der von dem Hrn. Vr
ti*agenden erwähnten gemeinschaftlichen Untersuchung. Auf dem Wege dah
stiess ich schon an den letzten Häusern des Dorfes Schöneberg, wo die bins»
kurzlich verbreitert war, auf eine kohlige Bodenschicht, welche ausser geschlageiea
Feuersteinsplittern zahlreiche, theils gröbere, theils feinere nnd geglättete Tkos^
Scherben von unzweifelhaft alter Beschaffenheit enthielt Der Umstand , dajis aa
einer Stelle Spurdn eines modernen Ziegelofeus sichtbar waren, Hess den GegensaU
der alten Scherben um so deutlicher hervortreten.
Ich bemerke, dass der Weg, den ich meine, nicht der hinter dem botaniscbeo
Garten ist, sondern ein weiter hinaus im Dorfe Schöneberg sich nach rechts ^oi
der Chaussee abzweigender, nnd zwar der letzte (Mühlenstrasse). Derselbe liofi
unmittelbar am südlichen Abhänge des von Hrn. Friedel erwähaten Rückens, aad
die von mir erwähnte Stelle liegt gerade hinter der auf dem Rücken stehend«
Windmühle. Links vom W^ege sind kleine Teiche und tiefe Wiesenzüge.
Ais ich nun meine Aufmerksamkeit auf den Abhang des Rückens selbst nä-
tete, der die Reste eines Kartoffelfeldes erkennen Hess und daher ganz nmvö^''
war, so bemerkte ich alsbald grössere schwarze Bodenstellen von verschiedeK»
Umfange, manche bis zu 6 Schritten im Durchmesser, nnd es gelang mir, in*^*
zer Zeit eine grosse Menge alter Topfscherben zu sammeln, darunter einzelne isb
Handgrösse und darüber. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass die alte Ansied^^
sich bis an das Dorf Schöneberg erstreckt hat.
Unter diesen Scherben Hessen sich mehrere Arten leicht unterscheiden, p^
abgesehen davon, dass sich, wie leicht begreiflich, auch einzelne gans modent
Stücke dazwischen vorfanden :
1) Ganz grobe und rohe, bis zu 1 Cm. dick, von graner Farbe, mit grobt-ß
Granitstückchen reich durchsetzt, innen rauh und mit den Fingern gt-
strichen.
2) Ebenfalls grobe und dicke, die innen geglättet und künstlich geschwant,
aussen dagegen rauh und röthlich (gebrannt) aussehen. Anch sie enthal-
ten zahlreiche grobe KieseU nnd Feldspathstuckchen; auf dem Bruche bsb
das Material schwarzgrau aus.
3) Ebenfalls dicke, jedoch weniger grobe, aussen theils uneben, theils gUtt,
gelblich grau und mit Verzierungen versehen, innen ganz glatt und sam
Theil glänzend. Ein Bruchstück hatte aussen einen gi*ossen Knopf, eiu
anderes eine scharf vorspringende dicke Leiste um den Bauch; ein drittem
zeigte auf der breiten Fläche des oberen Randes grobe, kettenartig ange-
(2*1)
ordnete Eindrficke; ein viertes war loit stehenden, theils neben, theils
übereinander gestellten Nageleindrücken versehen.
4) Dünnere, von ganz feinem Stoff, von hellröthlichgelber Farbe, auch
aussen ganz glatt nnd -glänzend, mit schmalem , glattem , stehendem oder
leicht umgelegtem Rande, der an einem Bruchstück nach innen eine breite,
mit regelmässigen Absätzen veraehene Fläche darbot.
Kein einziges Bruchstück zeigte die Ornamente des ßurgwalltypus. Die unter
4 genannten schliessen sich ganz der lausitzer Gräbergruppe an. Die unter 1 — 3
aufgeführten können einer anderen Zeit angehören, indess können sie auch den
laasitzer Formen gleichalterig sein.
An der ursprünglich von Hrn. Munter aufgefundenen Stelle, welche viel näher
an Wilmersdorf liegt, fand ich ganz grobe Scherben fast gar nicht. Die Mehrzahl
gehörte der glatten, gelblichgrauen Sorte an, deren Thon nur feine Quarz- und
(ilimmerstückchen einschliesst. Einzelne Stücke sind mit Linien besetzt. Ein ein-
ziges grösseres Stück fand ich, welches zu einem kleineren, mit stark ausgelegtem
Bauche versehenen Topfe gehört haben muss und welches einen engeren Hals be-
sessen zu haben scheint. An der oberen Wölbung des Halses sieht man zwei ge-
trennte Gruppen senkrechter Parallelstriche, weiche nach oben und unten durch
Horizontaltinien begrenzt sind. Auch hier keine Spur des Burgwalltypus.
In Beziehung auf die Feuerstellen bemerke ich noch, dass die auf denselben
gefundene Kohle von Fichtenholz herstammt, dass Thierknochen an denselben von
mir nicht gefunden wurden und dass die grosse Zahl geschlagener Geschiebesteine,
welche den Boden derselben bildeten, sicher auf Heerdstätten hinweisen. Diesel-
ben lagen je nach Umständen Va — 1 Fuss unter der Oberfläche und hatten durch-
schnittlich einen geringen Durchmesser, etwa 2 — 2'/s/Fuss.
Trotz der mageren Ergebnisse hat der Fund ein nicht geringes Interesse, denn
er scheint uns einen Woh'nplatz derjenigen Bevölkerung zu erschliessen, von denen
wir bisher überwiegend nur Gräberstätten kannten. —
m
(8) Herr Virchow spricht, unter Vorlegung betreffender Fundgegenstände,
über bewohnte HShlen der Toneit, namentlleh die EinhomshShle im Harn.
Sie begreifen, dass ich zu dem Thema gekommen bin durch die beiden grossen
anthropologischen Versammlungen, welche im Laufe des letzten August stattgefun-
den haben, nehmlich die deutsche General-Versammlung in Stuttgart und die inter-
nationale in Brüssel. An beiden Orten lag begreiflicherweise das Hauptinteresse
in der Untersuchung der alten, in prähistorischer Zeit bewohnten Höhlen. Es
fragte sich einerseits, wie weit ihre Bewohnung zurückreiche, andererseits, was fär
eine liace sie bewohnt hat. Auf die belgischen Höhlen werde ich zurückkommen.
In Deutschland sind wir in Bezug auf diese Dinge noch weit zurück. Nicht, dass
wir keine Höhlen hätten, welche dieser Zeit angehören, aber sie sind zum Theil
wenig untersucht, zum Theil ist da, wo untersucht ist, nur wenig gefunden worden,
was bestimmte Schlüsse auf die Natur der Menschenrace ziehen Hesse, welche diese
Höhlen einstmals bewohnt hat. ich habe Ihnen früher über die Ausgrabungen der
westßllischen Höhlen und über die von mir geleitete Untersuchung derselben Be-
richt erstattet (Sitzung vom 11. Juni 1870). Es war mir damals und zwar durch
tue Untersuchung der Balver Höhle gelungen, die Coexistenz des Menschen mit
dem Renthier in Westfalen nachzuweisen, dagegen blieb ich im Zweifel darüber,
und es ist meiner Meinung nach immer noch erst nachzuweisen, dass dort der
Mensch mit dem Mammnth gekämpft habe. Anders liegt die Sache in Süddeutsch-
land, wo namentlich durch die anhaltenden Bestrebungen des Professors Fraas in
(252)
Stattgart eine Reihe von Höhlen, insbesondere der schw&bischen Alp, ger&omt and
vortreffliche Fundstficke gewonnen worden sind.
Wir hatten Gelegenheit, eine dieser Höhlen zn sehen, n&mlich den ,,Hohle&
Fels** in der N&he von Blanbenren. In einem kleinen Seitenthale, welches nur bb
zn einer massigen Tiefe in den Jara eingeschnitten ist, finden sich verschiedene
Höhlen, unter denen sich der Hohle Fels darch bedeutende Höhe auszeichnet Für
den Congress war die Höhle durch den Besitzer, Hrn. v. Kaula, grossartig beleuch-
tet Sie hat denselben ansteigenden Charakter, welchen die meisten anserer west-
fälischen Höhlen besitzen. Die enge Oeffnung liegt an der Thalwand in einigej
Höhe über der Thalsohle und man muss von da mehtc^re Etagen hinanf klettern
In dem Ilöhlenschutt finden sich Ueberreste vom Bären und Rennthier in gros^^
Menge, aber auch solche vom Mammuth. * Hr. Fraas ist wenig geneigt, für Schwi-
ben eine eigentliche Succession dieser Schichten zuzulassen, wie sie in Wes^
falen unzweifelhaft besteht und wie sie auch in Frankreich und Belgien angenoi^
men wird; er meint, dass der Mensch, das Renthier und das Mammnth znglöi
gelebt haben. Diese Ansicht scheint mir noch nicht genügend bewiesen, dageg&
dfirfte die Gleichzeitigkeit des Menschen und des Mammuth auch fnr Schwabei
wohl zugestanden werden können. Ich habe selbst aus dem Höhlenlehm des Eoi
len-Fels kleine Elfenbeinscheiben des Mammuth in einer Kohlen führenden Schiebt
in der ich auch ein kleines Bruchstück eines groben, auf dem Bruche schwarze:
Topfes fand, gesammelt.
Unter den Kennzeichen der Anwesenheit des Menschen in der Höhle sind «
ausser den Kohlen und dem Topfgerätb namentlich drei, welche Erwähnung \er-
dienen:
1) Kleine Splitter von weisslichem Feuerstein, an deren künstlicher HersteUiuf
nicht gezweifelt werden kann.
2) Geweihstücke von jungen Renthieren, ähnlich denjenigen, welche ich hh
her aus den Höhlen des Hönnethales in Westfalen gezeigt habe, so dass man äbrr-
rascht ist, wie sich das Gleiche immer wiederholt Es ist gewöhnlich das Stains-
ende mit dem Rosenstock, einem Theil der Eissprosse und einem kurzen Stsa
der Stange. Ich war früher geneigt, die Aehnlichkeit aller dieser Stücke vsk(
einander dadurch zu erklären, dass ich annahm, es seien die abgeworfenen t»
weihe soweit, als sie noch weich waren, von Thieren abgenagt worden, des^
Enden zeigen stets eine Anzahl von Eindrücken, als wenn die Zähne eines 1^^
der Länge nach über die Fläche fortgegiitten wären. Da aber alle diese Gew^
natürlich abgeworfene, nie abgesägte oder abgeschlagene sind, so mnss man n*
geben, dass sie weuig Anziehendes für Kaubthiere bieten. Sowohl Hr. Fraa^^
als auch die französischen Untersncher betrachten diese Eindrücke als von Men-
schen mit Steinwerkzeugen herbeigeführt So unwahrscheinlich mir die Sache zu*
erst vorkam, so habe ich mich doch an grösseren Stücken überzeugt, dass die Ein
Wirkung des Menschen unverkennbar ist, denn man sieht zuweilen sehr scharf«
und geradlinige, tiefe Eindrücke rings um das Geweihstück, den Kern aber darcb
gebrochen. Man muss also annehmen, dass die Geweihe theils durch Klopfen mit
scharfen Steinen, theils durch Abbrechen in Stücke zerlegt worden sind, um da
raus Werkzeuge herzustellen.
3) Nun hat Hr. Fraas noch auf ein weiteres Merkmal ganz besonders anfmerksaa
gemacht, wofür ich ein wenn auch nnr unvollständiges Specimen aus dem Hohlen
Fels vorlegen kann, welches zufällig bei unserem Besuche gefunden wurde. Da>
sind nehmlich an grösseren Knochen, in der Regel an Röhrenknochen, vorkom-
mende runde Eindrücke, welche, wenn sie vollständig sind, der Grösse nach genaa
(258)
der Spitze des Eckzahnes des Bären entsprechen. * In Frankreich ist man schon
frnher auf Unterkiefer von Bären gestossen, deren Äeste and Fortsätze in der Art
verkleinert waren, dass man diesen Theil bequem wie einen GrifT mit der Hand
fassen kann, nnd man war auf die Vermuthung gekommen, dass in einer Zeit, wo der
Mensch nichts weiter zu seiner Vertheidignng und Benutzung hatte als Holz, Stein und
Knochen, er den Kiefer des Bären als eine Art von Hammer benutzte. Nach der
Meinung des Hm. Fraas wären nun alle runden Knocheneindrücke, die man an
den Höhlenknochen findet, Schlagmarken, hervorgebracht durch den Eckzahn des
Bären. Er hat in der That eine Reihenfolge von Knochen gesammelt, namentlich
lange Extremitätenknochen, wo man theils blos ein Loch sieht, theils einen von
diesem ausgehenden Spalt. Da aber nach der angenommenen Ansicht die Knochen,
um das Mark herauszunehmen, gespalten wurden, so können diese Marken zu
dem Zwecke der Knochenspaltung geschlagen sein.
Es liegt auf der Hand, dass gegenüber dieser Meinung die Frage diskutirt
werden kann und muss, ob das nicht möglicherweise Bisstellen sind. Ich habe
diese Frage dem verdienten Direktor unseres zoologischen Gartens, Hm. Bodinus,
vorgelegt Derselbe argnmentirt darüber psychologisch. Er sagt: Wenn ein wil-
des Thier einen grossen Knochen fasst und seine Zähne eindrückt, dann beisst es
auch weiter nnd zerbeisst den Knochen, denn dann hat es das Gefühl, dass es ihn
aberwinden kann. Wenn es dagegen bei dem ersten oder zweiten Versuch abglei-
tet, dann beisst es nicht weiter, sondern es lässt den Knochen liegen. Da nun
viele Knochen vorhanden sind, an denen man nichts weiter als einen mnden Ein-
druck findet, so, meint er, mache es nicht den Eindmck, als ob es Bissmarken
seien. Ich erkenne die Feinheit dieser Bemerkung an, aber ich möchte dagegen
sagen, dass die Frage der culinarischen Bearbeitung ebenso zu benrtheilen ist und
dass es nicht minder auffällig sein würde, wenn die Menschen, welche die Absicht
hatten, den Knochen zu spalten, nach dem ersten vergeblichen Versuche davon
abgestanden hätten. Mir trat daher die Frage viel näher, ob nicht der Mensch
beim Kampf diese Löcher geschlagen hat oder ob sie nicht von Thieren herrüh-
ren. Ich werde darauf sofort zurückkommen^) und hier nur noch eine Specialität
erwähnen.
Aus derselben Höhle habe ich noch einen Knochen, der längere Zeit hindurch
den Paläontologen Schwierigkeiten machte, mitgebracht. Zuerst hat der verstor-
bene V. Nordmann an Knochen aus den Höhlen Südrusslands, bei Odessa, den
Nachweis geliefert, dass dies das Os penis des Bären sei, ein für die Herstellung
stechender Werkzeuge sehr günstiger, langer und schmaler Knochen.
Ich besuchte später die an Knochen so reiche Sammlung von Lüttich. Be-
kanntlich ist hier zuerst durch die unermüdlichen Forschungen des, verstorbenen
Schmerling der Nachweis des Höhlenmenschen in 'so alten Zeiten geliefert wor-
den Auch da giebt es Thierknochen in grosser Zahl mit denselben Marken, und
da frappirte mich schon die verhältnissmässige Häufigkeit, mit der an diesen Kno-
chen nur Eindrücke und weiter nichts, namentlich keine Spalten, zu sehen waren.
Die Vorstellung, dass diese Eindrücke nicht zum Zweck der Markherausnahme ge-
macht sein können, gewann dadurch an Stärke, und da mehrfach die Marken an
0 In seiner neueren Schrift über die alten Höhlenbewohner (Heft 168 der von mir und
V. Holtzendorff herausgegebenen Sammlung gemeinverständlicher Vorträge) giebt Hr. Fraas
noch eine andere Erklärung, welche mir früher wohl entgangen war. Er meint, die Locher
seien zu dem Zwecke geschlagen, um das Mark aus der Spongiosa des Bärenknochens herauszu-
saugen. Man habe desshalb zwei Löcher, oben und unten am Knochen, eingeschlagen.
(254)
Stellen der Knochen lagen, welche beim Beissen nur schwer gefosst werden k»D-
nen, so trat mir die Vorstellung des Kampfes zwischen Mensch und Thier Daher
Auf meinem Rückwege nach Berlin habe ich einen ersten Angriff auf den Hvz
gemacht, aus dessen Höhlen so viele Ueberreste vorwcltlicher Thiere schon gebobfn
sind. Auf Veranlassung meiner Nordhäuser Freunde und in Gesellschaft iDokhs
der HHrn. Bassenge und Dr. Per seh mann wählte ich eine Hohle des WesÜivz^,
welche durch die Annexion von 1866 an Preussen gekommen ist, und die schon
deswegen ein besonderes Interesse verdient, weil sie eine der am längsten uoter-
suchten und berühmtesten ist, welche Deutschland besitzt. Sie fuhrt den merkwür-
digen Namen „Einhorns-Höhle^, weil man, wie man sagte, dort MammuthsnhE'
gefunden habe, die man für Horner des Einhorns gehalten — ein begreif lieber Iir
thum bei ünterthanen eines Herschergeschlechts, dessen englische Linie das Eiobom
im Wappen führt In der Höhle feiern Tafeln die Erinnerung an den Besuch d^
früheren Kronprinzen von Hannover und sogar an einen Besuch Schill er 's; iod^
scheint die letztere Erinnerung rein mythologisch zu sein, denn, soweit ich ermitir:
konnte, ist Schiller nie dagewesen, aber ebensowenig ein Mammuth. ThatsachJA
ist aber, dass Leibnitz (Protogaea. Göttingen 1749, S. 62, 64) sich wiederholt tr
dieser Höhle beschäftigt hat, die er übrigens Zwergenhöhle (a nania) nennt, ^
dass er (Tab. XI) verschiedene Knochen aus derselben abgebildet hat, welche »a
damals in der Königlichen Bibliothek zu Hannover befanden und mit denen er edi;«
nicht ins Reine kommen konnte. Er hält sie für Mammuth- (Elephanten -) Koocben,
während darunter offenbar Bärenknochen und Zähne sind. Es wurde mir auch ernhlt
in Leibnitz sei das Skelet des Einhorns abgebildet; es stellte sich aber beides
Nachsehen heraus, dass das (auf der folgenden Tafel XII abgebildete) fiftbelbür
Einhorn-Skelet am Zennikenberge bei Quedlinburg gefanden worden ist und ^
Leibnitz dasselbe nicht selbst gesehen hat, sondern nur Sif die Autorität des be
rühmten Magdeburger Bürgermeisters Otto v. Gericke hat abbilden lassen')- ^^
selbst fand weder Mammuth-, noch, worauf der Name Einhorn sonst wohl hindeal^
Nashom-Ueberreste, sondern nur zahlreiche Bärenknochen. Auch Hr. Dr. Ritscb^f
von Lauterberg, der viel in der Höhle gegraben hat, brachte mir eine Annhl*^
von ihm gefundenen Knochen, aber es war keine Spur weder vom Rennthieri^
vom Nashorn oder Mammuth darunter, immer nur Knochen des Bären«
Die fragliche Höhle liegt nahe an der Eisenbahn, welche von Nordhauseitf^
Göttingen führt, ungefähr in der Mitte dieses Weges bei dem Dorfe Scharzfeld, «^
halb sie auch den Namen der Scharzfelder Höhle führt Der kleine FIusb ^
tritt hier ans dem Harze heraus, um sich westlich dem Wesergebiete %\anvf^
An seinem rechten Ufer erheben sich mächtige Dolomitberge, über welche die RiüBa
des Schlosses Scharzfels nach Norden hervorragen, während westlich gegen ^vnm:
die alte Steinkirche sichtbar ist. Der jetzige Eingang zu der Höhle ist oben SQ^ °^
Berge mitten im Walde. Man gelangt hier zu einem rundlichen Loche, durch ««'
ches man vermittelst einer hölzernen Treppe fast senkrecht in den Anfang ^^
>) Krüger (Archiv der Urwelt, 1821, Bd. III, S. 279) hat schon durch Vergieichmf
späteren Funden darzuthun ^sucht, dass es sich dabei um Mammuth handelte. Derselbe ,^
schichte der Urwelt, 1823, Bil. II, S. 804, 855) erwähnt sowohl Rhinoceros - , als Fcli8-Kö0<^^
aus der Scharzfelder Hohle, sowie Reste vom Mammuth und von der Hyäne aus tfergeln '
dem benachbarten Herzberg (ebendaselbst S. 824, 852). Er bezieht die von Leibnitz 1^^-
abgebildeten Knochen auf ein lowenartiges Thier. Jedenfalls verdienen diese Anga^° ^
weitere Prüfung.
(255)
Höhle hinabsteigt. Wenige Schritte weiter ist ein zweites, noch grösseres Loch, wel-
ches offenbar eingestürzt ist, denn der heruntergestürzte Rrdkegel liegt noch unter
demselben am Boden. Von da ab senkt sich die Höhle sehr schnell und sie hält
im Allgemeinen diese absteigende Richtung ein. Soviel ich erkennen konnte, senkt
sie sich nach dem Oderthal zu, und obwohl sie gegenwärtig ganz trocken ist, so
wird man doch wohl annehmen dürfen, dass sie gleichfalls, wie die meisten Kalk-
hohlen, durch Wasser ausgewaschen ist. Der jetzige Eingang ist unzweifelhaft gleich-
falls durch Einsturz entstanden, wie denn noch gegenwärtig am ganzen umfange des
Süfiharzes Erdfalle zu den häufigen Ereignissen gehören. Seit der Zeit von Leib-
nitz ist keine wesentliche Veränderung vorgegangen, denn seine Beschreibung des
Kingaoge^ stimmt noch jetzt fast wörtlich. Aber er erwähnt (Protogaea p. 66), dass
die Höhle seit kaum fünfzig Jahren entdeckt oder wenigstens genannt (detectum
aut certe celebratum) sei, und es ist daher wohl möglich, dass die Einstürze im Gan-
zen nicht alter als 200 Jahre sind. Jedenfalls sind es keine Zugänge, durch welche
Thiere in das Innere der Höhle kommen konnten. Diese müssten an ganz anderen
Stellen, vielleicht in ungleich grösserer Tiefe am Berghange, möglicherweise da, wo früher
der durch den Berg niedergehende Bach austrat, eingetreten sein. Für die Existenz
eines Baches spricht auch der Umstand, ckiss nicht wenige Knochen und selbst Bruch-
stücke, welche den Eindruck geschlagener machen, an den Rändern so abgerundet sind,
dass sie bestimmt den Eindruck machen, als seien sie durch fliessendes Wasser gerollt
Die ganze Ausdehnung der Höhle , welche auf eine Langem von 8000 Fuss ange-
geben wird, habe ich nicht durchwandert, da die letzten Fortsetzungen, an welche
ich gelangte, so eng, niedrig und abhängig wurden, dass es in hohem Maase gefähr-
lich erschien, weiter vorzudringen. Der obere Theil der Höhle enthält eine Reihe
der prächtigsten und mächtigsten Gewölbe, welche bei Magnesium-Beleuchtung gros-
sen Kirchendomen gleichen. Ein derartiges Grewölbe öffnet sich gleich rechts neben
der Einfahrt durch einen niedrigen Zugang. Die schönsten aber liegen in der un-
mittelbaren Fortsetzung des Hauptganges, wie gewöhnlich durch engere Abschnitte
mit einander verbunden.
Leibnitz giebt an, dass die Oberfläche der Höhle mit Felsbruchstücken bedeckt
war, welche mit einer dünnen Schale überzogen waren. Unter dem oberflächlichen
Lehm kam ein harter Mergel (marga) von 8 — 10 Zoll Dicke, darunter schwarze
Erde mit vielen von der Höhlendecke herabgestürzten Bruchstücken und zahlreichen
Thierknochen und Zähnen; sodann folgte gelber Lehm ohne Knochen bis zu dem
ursprünglichen Felsboden. Seit jener Zeit und schon vorher ist die Höhle sehr häufig
durchwühlt worden. Denn Leibnitz erzählt, dass die Knochen und Zähne durch
ganz Deutschland zum Arzneigebrauch verhandelt würden, und da Jeder nach Gut-
dünken grabe, so sei der Gegenstand der Neugier in dem engen Räume wohl bei-
nahe erschöpft.
Diese Ansicht ist nun freilich nicht richtig, denn an den Stellen, wo Wasser-
tropfen von der Decke herabfallen und Löcher in dem Boden erzeugen, sieht man
fast jedesmal Zähne oder Knochen frei werden. Indess ist doch so viel gegraben
worden, dass man in grosse Unsicherheit geräth, ob die Gegenstände, die man in
einer gewissen Tiefe findet, ursprünglich an dieser Stelle gelegen haben. Ja, wir
liaben in der That mehrere ganz moderne, glasirte Topfscherben und scheinbar mo-
derne Hausthierknochen in einer Tiefe von 3 — 4 Fuss unter der Oberfläche ange-
troffen.
Grosse Stalaktitenbildungen sah ich nur an wenigen Stellen und fast nur dicht
an der Wand, Dagegen sind ausgedehnte horizontale Tropfsteinplatten fast durch-
gängig vorhanden y und sie wechseln mit Lagen von meist braunem Höhlenlehm
(256)
io sehr verschiedener Zahl, je nach der besonderen Lage des betreffendeii Höhlen-
abschnittes. Denn die Hohe der Auflagerung dürfte an einzelnen Stellen wohl
20 Fuss betragen. Es wird daher leicht verstandlich sein, dass es eine hodist
schwierige und langsame Arbeit ist, durch diese Tropfsteinschichten in die Tiefe vor-
zudringen. Hr. Ingenieur Meyer hatte die Güte gehabt, uns geübte und kiafüge
Arbeiter zu stellen, und da ausser uns eine Reihe von eifrigen Tfaeilnehmem, nnt^
denen ich nur den zufallig anwesenden Dr. Hostmann von Gelle, die HHm. DDr.
Ritscher und Hagen, sowie Hrn. Sieberling von Nordhausen erwähne, uos ihre
active Hülfe liehen, so ging die Ausgrabung munter vor sich. Nachdem eiife Stelle
am hinteren Ausgange des zweiten Gewölbes, wo nur Bärenknochen zu Tage kam«.
als zu undankbar aufgegeben war, hielten wir uns an eine Stelle im £iagaage der
ersten grossen Wölbung, und zwar nahe an der Mittellinie nach rechts. Zar Ya-
ständigung späterer Forscher bemerke ich, dass man von dieser Stelle aus no<di d«
Ausgang (Zugang) der Höhle sehen konnte. An den Rändern war hier Alles sdis
früher umgewühlt, dagegen stiessen wir mehr gegen die Mitte hin unter oberfiächlk
umgegrabenem Boden in einer Tiefe von 3 — 4 Fuss auf feste, noch ganz unveraebn
Tropfsteinplatten. Hier wurde die Arbeit jedoch so schwierig, dass vrir, obwohl wir
vom Morgen bis zum Abend beschäftigt waren, doch nicht über eine Tiefe i<m
47« Fuss hinauskamen.
Nachdem die sehr feste und dicke, nach oben convexe Tropfateinlage dard*
schlagen war, zeigte ^ich eine flache Höhlung von grosser Ausdehnung, welche md
unten wieder durch eine Tropfsteinplatte abgeschlossen war. Hier war der Trop^
stein schwarz; zum Theil umschloss er eine schwarze pulverige Substana, we]<^
wir für Kohlenasche halten mussten. Auch haben wir hier kleine Stücke von posi-
tiver Kohle gefunden, femer Scherben von grobem Topfgeräth und allerlei Knoebes^
zum Theil von Bären, zum Theil aber auch von Jagd- und Hausthieren (Hixsefc,
Schwein, Schaaf, Ziege, Hund), so dass es zweifelhaft ist, wie weit die Coesistesi
des Menschen mit dem Bären daraus zu erschlieasen ist. I ie Hausthioknoeka
sehen schwärzlich aus« die Bärenknochen nicht; es lässt sich daher wohl folgern, dw
hier eine sehr alte Heerdstelle war und dass die Hohle bewohnt gewesen ist, at€
nicht, dass dies zur Zeit des Höhlenbären stattfand.
Hr. Dr. Host mann hat nach meiner Abreise die Grabung an derselben Ss^
noch weiter fortgesetzt. £r schreibt mir unter dem 29. September, dass der Schv^
bis zu 1 7 Fuss Tiefe fortgeführt sei. Unter der Tropfisteinschicht, an welcher «^
stehen geblieben war, fand sich nach weiteren 6 Fuss eine zweite, starke Lage; x^
sehen beiden und unter der letzteren war Alles mit derselben leichten Höhleoenk
angefüllt Der Boden der Höhle wurde jedoch keineswegs enreicht Er hat sb«
nichts weiter als Bärenknochen gefunden, vom Menschen weder direkte noch indirekte
Zeichen — mit Ausnahme grober Urnenscherben. Solche traf er noch bis zu eine
Tiefe von 5 Fuss und zwar, ausser an dieser Stelle, noch an einer zweiten, ^«s
1 20 Schritt weiter entfernten«
Was die von mir gesammelten Topfscherben anbetrifit, so stimmen diebelben —
abgesehen von den schon erwähnten modernen — durchweg unter einander übereis
Sie sind grossentheils sehr dick, manche bis zu 1 Gm. Der Bruch ist sehr uneben,
im Ganzen schwarzgrau, und mit zahlreichen, eckigen, zum Theil sehr grossen^
offenbar geschlagenen Bruchstücken von weisser oder röthlicher, krystaliinischer Be<
schaffenheit durchsetzt. Die äussere Oberfläche ist bei der Mehrzahl rauh, jedoch
dem Anscheine nach mehr durch Verwitterung; mehrere sind vielmehr bis zur Spie-
gelung glatt und zugleich von einer kohlschwarzen, offenbar aufgetragenen Farbe.
Die innere Fläche ist fast bei allen glatt und schwarz oder schwarzgrau, bei einigen
(257)
glänzend, bei einem hellrothlichbraun; letzteres Bruchstück zeigt auch äusserlich eine
rothe Schicht und ist sicher im Feuer gewesen. Sonst sind sammüiche Stiicke un-
gebrannt Auch sind sie ganz ohne Verzierungen. An mehreren sieht man, haupt-
sächlich innerlich, unregelmässige Horizontallinien, welche auf ein Drehen bei der
Anfertigung hinweisen, — ein Umstand, aus dem ich jedoch nicht folgern möchte,
dass die Anwendung einer eigentlichen Drehscheibe bei ihrer Anfertigung stattgefun-
den hat. Drei Ton den Scherben sind obere Randstücke: sie zeigen sämmtlich
einen ganz einfachen glatten Rand, und zwar ist derselbe bei zweien leicht nach
aussen ausgelegt, während er bei dem dritten eher ein wenig nach innen einspringt.
Stucke, an denen ein besonderer Hals oder ein Henkel zu erkennen wäre, habe ich
nicht gefunden. Diese Scherben geben also irgend welche näheren positiven Anhalts-
punkte für die Zeit der Bewohnung nicht Die Bestreichung mit Graphit (oder
Kohle) ist z. B. auch in der Höhle vom Schelmengraben bei Regensburg beobachtet
Nur soviel wird man wohl zugestehen müssen, dass die Rohheit der Thonfabrikate
auf eine vorhistorische Bewohnung hindeutet
Von sonstigen künstlichen Geräthen kann ich nur einen grossen Steinkeil aus
Dolomit (?) anführen, der fast wie ein unfertiges Werkzeug aussieht. Er ist 135 Mm.
lang, hinten 25, vorn 10 Mm. dick, hinten 70, vorn 23 Mm. breit, hinten V formig
eingeschnitten, vorn scheinbar abgebrochen. Obwohl die Seiten^U^hen sehr gerad-
linig verlaufen, so sind sie doch, wie die Breitseiten, uneben und offenbar geschlagen;
die einzigen scheinbar geschnittenen Flächen sind hinten an der V förmigen Incisur.
Dieses Stück fand sich in der Nähe der Heerdstelle.
Es bleiben schliesslich einige Knochen zu erwähnen, welche vielleicht Spuren
menschlicher Einwirkung zeigen.
Es sind dies folgende:
1) eine mächtige ülna vom Bären, welche an ihrer oberen Hälfte drei ausge-
zeichnete Marken der beschriebenen Art trägt. Ich fand dieses vorzügliche Stück in
der Sammlung des Hm. Dr. Ritscher. Es ist die linke Ulna. An der äusseren
Fläche und zwar an der hinteren Hälfte derselben sitzt eine kreisrunde Marke
von 6 Mm. Durchmesser nahe unter der Gelenkfläche für den Radius und sie ist
gerade von hinten nach vorn gerichtet, nimmt daher einen zu der Knochenober-
fläche £ast parallelen Verlauf und hat die Corticalis mehr eingedrückt, als durch-
brochen. Die zweite Marke sitzt 32 Mm. tiefer auf derselben Fläche: sie hat 8 Mm.
in der Höhe und 5 in der Breite, geht senkrecht in den Knochen, hat die Corticalis
gerade durchbrochen und legt die Spongiosa bloss. Ihr ganz genau entsprechend
findet sich die dritte Marke an der inneren Seite des Knochens. Hier misst die
EingangsÖffnung 10 Mm. in der Höhe und 6 — 7 in der Breite; das Loch greift
8 Mm. tief bis in die Spongiosa hinein, hat jedoch eine etwas schief von unten
nach oben verlaufende Richtung. Von dem Rande desselben erstreckt sich sowohl
nach oben, als nach unten je eine kurze, mit der anderen nicht ganz correspondi-
rende Spalte durch die Corticalis. Sehr charakteristisch ist hier die mit der Tiefe
des Eindruckes zunehmende Weite der EingangsÖffnung, — eine Erschei-
nung, welche der Form des Baren-Eckzahnes ganz entspricht. Die Lage der zwei
Marken auf derselben Seite des Knochens erinnert nur oberflächlich an die Biss-
marken, welche durch die beiden Eckzähne eines Kiefers hervorgebracht werden können ;
bei genauerer Betrachtung erweist sich eine solche Annahme sofort als unmöglich,
denn die Entfernung der beiden .Marken von einander ist zu kurz für ein Bärengebiss
und die verschiedene Richtung der Löcher zeigt positiv, dass die Einwirkung nicht
in einem Akte erfolgt ist. Anders verhält es sich mit dem unteren äusseren und
dem inneren Loche, welche einander in der Art entsprechen, dass das eine durch
(258)
einen Ober-, das andere durch einen Dnterkieferzahn und zwar bei einem eiomaligeo
Zugreifen des Bären hervorgel)nicht sein konnte. Dabei bleibt das dritte Locb nn-
erklärt, und es miisste ein doppeltes Beissen vorausgesetzt werden, wobei einmal
zwei, das andere Mal nur ein Eckzahn eingedrungen und wobei der Bär *»»nmiJ von
hinten, das andere mal von vorn her den Knochen gefasst hatte. Dieser ao sich
schwierigen Deutung gegenüber hat die Annahme, dass ein Mensch mit einem
kiefer die Löcher geschlagen hat, einen gewissen Vorzug, und in der Form
Locher liegt nichts, was einer solchen Erklärung widerstreitet.
2) Ein plattes und zugespitztes, einer grossen Pfeilspitze ähnliches, dreieckiges
Knocbenstück von 40 Mm. Länge und 28 Breite, am hinteren Ende mit einer schar-
fen, jedoch an den Rändern und der hinteren (die Spongiosa' zeigenden) Fläche ab-
geglätteten, fast wie polirten Spitze. Letztere Glättung auf das Rollen ini Wasser
zu beziehen, ist aus zwei Gründen unwahrscheinlich: einmal, weil nur der ▼ordere
dünnere Theil der hinteren Flache geglättet ist, der hintere, dickte, also bei der
Rollnng mehr ausgesetzte Theil dagegen nicht; zum andern, weil über die Torden
(äussere) Fläche (Corticalis) ein Paar scharfe, wie geritzte Linien laufen.
3) Ein Stück vom Stirnbein des Bären mit geöffneter Stirnhöhle, wo ein Tb«i)
der Oeffnung eine so scharfe und schräge Fläche zeigt, als ob ein scharfes Werkzeug
hier eingedrungen wäre.
4) Verschiedene Bruchstücke starker Eztremitätenknochen mit so scharfen Win-
keln, dass sie wie geschlagen erscheinen, während die Ränder durch Bollong abge-
rundet sind. Jene sind aber ebenso alt, wie diese.
Kein einziges Ton allen diesen Stücken liefert einen sicheren Beweis, dass die
an ihm bemerkten Veränderungen durch die Hand des Menschen entstanden änd.
Nichtsdestoweniger sind diese Veränderungen auffallend genug, und ich denke, dass
Jeder, der sie sieht, denselben Eindruck haben wird, mit dem ich erfüllt bin, nehni-
lich dass sie in der That Merkmale uralter menschlicher Einwirkung sind. Die Ent-
scheidung über die Lochmarken der Bärenknochen, welche durch erneuerte Unter-
suchung herbeigeführt werden muss und für deren Herbeiführung ich schon YeialiR-
dungen mit Hrn. Bodinus getroffen habe, wird für die Frage der Höhlenbewohniuf
von höchster Bedeutung sein. —
(9) Herr Virohow schloss daran einige Mittheilungen
ttber Spuren alter Aasiedelimgen in 4er goldenen Ane.
Am Tage nach meinem Besuche in der Einhomhöhle, am 17. September, fakr
ich mit mehreren der genannten Herren von Nordhausen nach der goldenen Aoe,
um eine Stelle zu untersuchen, welche mir schon seit einigen Jahren durch Hra.
Beyrich als wichtig bezeichnet war. Bei dem Baue der Halie-Gasseler Eisenbahn
▼on Rossla nach Nordhausen war in der Nähe des Dorfes Berga ein niedriger Hügel,
genannt der Rossberg, durchschnitten und in demselben eine Stelle blossgelegt wor-
den, welche zahlreiche menschliche Kunstprodukte u. s. w. enthält. Hr. Pastor La-
ban me in dem benachbarten Dorfe Rosperswende hatte damals die Sachen gesam-
melt. Da die goldene Aue aller Wahrscheinlichkeit nach alter Seeboden ist and der
betreffende Hügel entweder eine Uferstelle oder eine Untiefe gebildet haben muss,
so war die Vermuthung entstanden, es möchten dies Ueberreste von Pfahlbauten sein.
Sehr gern hatte ich daher das Anerbieten meines Freundes Saalfeld angenonunen,
die Sache an Ort und Stelle zu untersuchen.
Obwohl das Eigebniss in Beziehung auf die Frage der Pfahlbauten ein durch-
aus negatives war, so kann ich den Tag doch als einen in vollem Maasse lohnenden
bezeichnen. Das Thal der goldenen Aue ist gerade hier von höchstem Undschaftr
liebem Reise. Von dem genannten Hügel aus übersieht man dasselbe nach beiden
Seiten bin in längster Erstreckung, Ort an Ort gereibt. Nordwärts sieht in nächster
Nähe der Südrand des Harzes, an dem das Dorf Rosperswende in erhöhter Lage
sichtbar ist; von Süden her ragen am anderen Ufer der Helme über dem StiUitchen
Kelbra die Rothenburg und der Kyffhauaer in malerischen Formen empor. Der nächste
Ort in der Richtung auf den Kyffbäuser ist das Dorf Tjrungen, ein sicherlich sehr
bezeichnender ethnologischer Name. Denn hier ist die alte Grenze zwischen Sach-
sen und Thüringern, und es ist wohl nicht zufallig, dass von hier in den Harz nach
Stolberg das Tyra-Thal führt.
Die bei Gelegenheit des Eisenbahnbaues blossgelegten Stellen, welche wir durch
weitere Grabungen auf den benachbarten Aeckern ergänzten, haben ergeben, dass in
einer Crstreckung von etwa 60 — 100 Schritten quer über die jetzige Eisenbahnlinie,
also Ton Nord nach Süd, sich zwei Züge schwarzer, kohlenreicher Erde erstreckten,
welche durchschnittlich eine geringe Breite, höchstens von einigen Schritten, hatten
und bis zu einer Tiefe Ton 2 — 2'/s Fuss in den Boden eindrangen. Ueber ihnen lag
gewöhnliche Ackererde in einer Mächtigkeit von 1/4 — 1 Fuss. Wenn man sich die
ganze Anlage in Gedanken reconstruirte, so ergab sich das Bild zweier Reihen von
Feuerstellen oder zweier Langgiitben, in denen Holz gebrannt war.
Hr. La bäume hatte aus dieser beschränkten Localität jedoch ein förmliches
Museum von Altsachen gesammelt. Am reichlichsten und zum Theil recht gut
erhalten war das Thongeschirr. Dasselbe zeigte einen hohen Grad von Mannich-
faltigkeit und Kunstfertigkeit. Hohe Gefässe von mehr becherartiger Gestalt, breite
und flache Schalen, Bruchstücke sehr weiter Töpfe, ungemein grosse Henkelstacke
wechseln mit einander ab. Das Material ist freilich ziemlich grob und namentli«^
auf dem Bruche meist ganz schwarz, auch mit Gesteinsbröckeln reichlich gemengt,
dagegen ist die Oberfläche an vielen Gefassen geglättet und von schön rother
oder pechschwarzer Farbe. Eine Schale, ganz flach und roth, nach unten ganz
gewölbt und nur mit einem flachen runden Eindruck von 4,2 Gm. Durchmesser ver-
sehen, erinnerte mich lebhaft an unsere lausitzer Gräberurnen, von denen rieh je-
doch die Verzierungen der übrigen Gefässe sehr wesentlich unterscheiden. Diese
liegen zum Theil am unteren Umfange des Bauches, wo die lausitzer Gefässe in der
Regel ganz glatt sind; sie bestehen aus einer sehr mannichfaltigen und feinen Com-
bination grader und gekrümmter Linien, rundlicher Eindrücke u. s. w. Nur das schon
erwähnte becherförmige Gefäss zeigt einfache Horizootalreihen kurzer stehender
Nageleindrücke.
Dnter den sonstigen Fundstücken schien das interessanteste em geschlagener,
pfeilartiger Feuerstein von 35 Mm. Länge, 12 Mm. Breite und rhombischer Form
zu sein, durch ganz kleine Schlagmarken am Rande ausgezeichnet Unter den
Knochen erwähne ich ein Stück menschlicher Hirnschale, dem linken Seitenwandbein
angehörig, sehr dick und scheinbar von einem kurzen Schädel herstammend; sodann
drei Geweihstücke vom Hirsch, die zuerst eingeschnitten (Stein ?) und dann abgebro-
chen waren, andere vom Reh, endlich Ueberreste vom Rind und ein prächtiges Stim-
stück mit Hornzapfen (4ö Cm. lang und 32 Cm. im Umfange) vom Auerochsen.
Unsere Grabung lieferte ausser Knochen von Hausthieren (Rind, Schaaf u. s. w.) fast
nur Trümmer von Topfgeräth und einzelne geschlagene Feuersteine. Die Topfecherben
sind fast durchweg sehr dick und von ungewöhnlich massiver Beschaffenheit; manche
Stücke haben eine Dicke von 15 Mm. Auch scheinen manche Gefässe eine sehr beträcht-
liche Grösse gehabt zu haben, wie aus der sehr flachen Krünunung der Bruchstücke zu
erschliessen ist Auch das Material ist grob: der Bruch überall sehr höckerig und
der Thon mit weissem Steingrus gemengt, letzteres jedoch in geringerem Grade,
(260)
Manche Stücke sind fast ganz roth gebrannt, wie Ziegelsteine, denen sie auch sonst
sehr ähnlich sehen, namentlich wegen ihrer etwas rauhen und matten Oberfiädie.
Andere Stücke dagegen sind gar nicht gebrannt, äusserlich von grauer, auf dem Bruch
schwärzlichgrauer Farbe. Obwohl die Scherben sich durch diese Merkmale den äl-
testen Formen annähern, so entfernen sie sich doch von denselben durch die Aus-
bildung der Technik. Wie schon erwähnt, finden sich Henkel und zwar sehr
grosse und gut gebildete von einer solchen Weite, dass man bequem mit dem Finger
hineingreifen kann. Es kamen femer Bruchstücke mit grossen Knöpfen vor, weldie
auf den ersten Blick fast wie Füsse aussehen, welche indess doch wohl nur zum
bequemeren Anfassen dienten: ein solcher Knopf misst 35 Cm. im Durchmesser an
der Basis und 15 an der Oberfläche bei einer Höhe von 12; ein anderer, noch etwas
grosserer, ist durch einen tiefen Quereinschnitt in zwei Vorsprünge getheilt. Die
sämmtlichen Bandstücke sind durchaus einfach; das einzige Bodenstück hat eines
vertieften Boden mit einem sowohl nach unten, als nach aussen vorspringendet
Rande. Nur eines der Stücke ist verziert: es hat mehr unter dem Rande eines
Kranz von grossen und tiefen runden Eindrücken. — Ausser den Topfscherben £uid
sich ein gespaltener Spinnwirtel von Thon.
Schliesslich machte uns Hr. La bäume noch auf eine Stelle aufmerksam, wo
der Weg von Berga in das Dorf Rosperswende eintritt. Hier findet sich rechtB,
dicht hinter dem Pfiirrgarten, gleichfalls eine schwarze Schicht mit zahlreichen Ein-
schlüssen von Thongeräth. Die dort von mir gesammelten Stücke stimmen jedodi
nicht ganz überein mit denen von dem Hügel. Sie sind durchweg dünner, der Thon
gleichmässiger, die Oberfläche sauber geglättet und offenbar mit irgend einer Sub-
stanz überzogen, der Bruch erscheint roth und gebrannt. Es wäre daher möglich,
dass diese Stelle einer anderen Zeit angehört
Weder an der einen noch an der anderen Stelle ist etwas gefunden, was for
eine Gräberstelle spräche. Man wird daher nicht umhin können, beide auf alte An-
siedelungen, wenn auch vielleicht von nur vorübergehender Benutzung, oder aof
blosse Opferplätze zu beziehen. Nach den Thierknochen zu urtheilen, war die Be-
völkerung mit Hausthieren wohl ausgestattet Dire Behandlungsweise desThons und
die Mode der Töpferei unterscheidet sich deutlich von jener der HÖhlenmensck«
von Scharzfeld, und obwohl sich bei ihnen bearbeiteter Feuerstein zeigt, der bis j^
in der Einhornshöhle nicht gefunden ist, so möchte doch vor der Hand die Bei&
kerung der letzteren nach der Rohheit ihrer Töpferei als die ältere anzusehen sein. -
(10) Hr. Dr. L. Pfeiffer in Weimar meldet unter dem 22. v. M. in einem
Briefe an den Vorsitzenden die Auffindung von Menschenknochen mit Rhinoceros,
Bieber und Feuersteinmessern im Tufisand bei Weimar. Deber denselben Fund be-
richtet Hr. Oerhard Rohlfs unter dem 29. v. M. Darnach ist die Stelle bei Tan-
bach, wo früher Mammuthknochen und Hirschgeweihe ausgegraben sein sollen. —
(11) Hr. Dr. Schwalbe hierselbst überreicht nebst der folgenden Beschreibung
eines seiner Schüler eine flache, geglättete, schwarze Schale von lausitzer Muster aus
einem
erftberfeld bei Kl. Biets (Kr. Beeskow).
Im Anfang des Sommers wurde auf der Feldmark eines Bauern zu Klein-Rietz,
. einem Dorfe ungefähr '/4 Meile von der Kreisstadt Beeskow gelegen, beim Graben
nach Feldsteinen, ein Todtenfeld aufgefunden. Das Terrain, wo man zuerst Spuren
von alten thönernen Geffissen fand, ist mit ziemlich regelmässig vertheilten Hügeln
bedeckt und mit jungen Birken bestanden. Die Arbeiter bemerkten beim Graben,
(261)
dasB unter diesen Hügeln grössere Steine in gang geringer Tiefe angehäuft seien.
Durchschnittlich sind die Hügel 3 — 4 Fiiss hoch und allmählich ansteigend. — Bei
einem willkürlich heraasgegriflPenen Hügel, den ich aufnahm, traf ich schon auf den
Steinhaufen, nachdem ich kaum '/v ^^^ ^^^^ abgenonunen hatte. £s fiel mir dabei
sofort ein starker Modergeruch auf, welcher der Gruft entstieg. — Unter diesen auf-
geschichteten Steinen fanden die Arbeiter Gefässe, so angeordnet, dass in der Mitte
eine grosse Urne stand, ringsherum und an dieselbe angelehnt, den Boden nach aus-
sen gekehrt, lagen kleinere Gefösse, und einen zweiten Ring bildeten Schalen von
der Grösse und Gestalt der übergebenen. Die Arbeiter achteten anfangs nicht auf
diesen Fund und zerstörten die meisten der Gefasse. Nur eine Urne, in der sich
verwitterte Knochen, auch einzelne vollständig erhaltene Wirbel befanden, so wie
einige kleinere Gefasse sind fast unversehrt herausgekommen. Die Urne hat eine
Höhe von nahezu 2 Fuss und einen Durchmesser von 1 Fuss. Sie ist in der Mitte
etwas ausgebaucht und gleich den anderen Gefassen regelmässig geformt Die übri-
gen Gefässe sind verschieden gestaltet, einige glatt, andere bald mit geraden sich
kreuzenden, bald mit gekrümmten Linien verziert. Ein Theil derselben ist mit
Henkeln versehen, die, wie es scheint, nicht angesetzt, sondern mit ausgeformt sind.
Besonders aufisEÜlend ist ein gebrannter, sonst ganz kunstlos gearbeiteter Henkeltopf,
der einem Blumentopf von Mittelgrösse sehr ähalich sieht Der obere Rand der
Urne, sowie die der Oberfläche näher gelegenen Gefasse sind sehr verwittert und so
wenig haltbar, dass sie nur mit grosser Vorsicht berührt werden dürfen. Ein Metall-
ring, von dessen Verbleib ich aber nichts erfahren konnte, soll auch gefunden sein.
— In dem Hügel, den ich öfihete, fand ich nur Scherben vor und den Boden einer,
nach der theilweise noch erhaltenen Wandung zu schliessen, flachen Schüssel von
etwa 1 Fuss Durchmesser. Den Deckel bildete ein flacher Stein. Der Versuch, den
Boden von dein ganz fest angebackenen Sande abzuheben, misslang, indem sich nur
kleine Scherben lostrennten
Das erwähnte Stück Land ist ungefähr ^/4 Morgen gross. Verschiedene Hügel
auf demselben sind bisher noch unberührt geblieben und man kann von ihnen, nach
dem Vorgefundenen, fast mit Bestimmtheit annehmen, dass sie auch gleiche oder ähn-
liche Steinhaufen und Gefässe bergen.
Ein angrenzendes, bis zum vergangenen Jahre mit Kiefern bestandenes Stück
Land zeigt bedeutendere Erhebungen. Auch in einem dieser Hügel, ungefähr 300
bis 400 Schritt von dem ersteren entfernt, wurden zufällig Geisse und ein metalle-
ner Dolch ausgegraben. Der Dolch ist aber ebenfalls von den Arbeitern einbehalten
worden. Ueber die Ausdehnung dieser Lager lassen sich nur Vermuthungen aufstel-
en, da noch keine Untersuchungen stattgefunden haben. —
(12) Als Geschenke wurden vorgelegt:
1) d'Omalius d'Halloy: Les races humaines. V. edit Vom Verfasser.
2) Evans: The old stone implements etc. of Great Britain. London 1872.
Vom Verfasser.
3) Briart, Cornet et Houzeau de Lahaie: Rapport sur les decouvertes
g^ologiques et archeologiques faites a Spiennes. Mens 1872.
4) Congres international d*anthropo]ogie et d'archeologie prehistoriques. Bru-
xelles 1872. Von Hm. Virchow.
5) J. Halt rieh: Die Macht des Aberglaubens. 2. Aufl. 1871. Vom Verf.
6) Das Frachtwerk der Moskauer Ethnologischen Gesellschaft über die russi-
schen Alterthümer. Von Graf U war off.
(36»)
Sitsung Tom 9. November 1872.
(1) Der Vorsitzende, Herr Virchow, erstattet stalutenmassig den Bericht üb«r
die Verwaltung und KassenfQhrung wahrend des verflossenen Gesellschaftsjabies.
Er constatirt den in jeder Beziehung günstigen Zustand der Gesellschaft, welebe
gegenwärtig 180 ordentliche Mitglieder zählt Das zufliessende Material w«r so leidt*
lieh, dass ausser den statutenmässigen zehn ordentlichen Sitzungen noch drei ausser»
ordentliche abgehalten werden konnten. Alle waren so zahlreich besucht, dass der
vorhandene Raum oft kaum ausreichte. Im Inlande gewöhnt man sich mehr und
mehr daran, die vorkommenden Funde der Geseilschaft mitzutheilen oder wenigsteis
anzuzeigen, und im Auslande haben sich, namentlich durch die (41) correspondinfi-
den Mitglieder, so ausgedehnte Beziehungen er5£Fnet, dass gegen w&rtig fast jedei
Welttheil unter uns vertreten ist. Die Publikationen der Geseilschaft erBcheioen.
wenn auch etwas langsam, doch ganz regelmässig und bieten mehr und mehr Gei^
genheit zu nützlichem Tauschverkehr. Sowohl die Bibliothek, als namentlicb ^
Sammlung ethnologischer Photographien, Zeichnungen, Lithographien u. s w. widä
zusehends und die anthropologische und ethnologische Sammlung hat theils dure
Geschenke, theils durch Ankäufe sehr werthvolle Gegenstände erworben. Die ßes^
hungen zur deutschen anthropologischen Gesellschaft sind durchweg geordnet, l^
Cultus- und das Marine-Ministerium haben begonnen, die Arbeiten der Gesellscbi
in freundlichster Weise zu fördern, und die Königliche Bergakademie hat, wie bisher.
sowohl für die Sitzungen, als für einen Tbeii der Sammlungen ihre Räumlichkeit«
zur Verfügung gestellt Der Stand der Kasse ist im Ganzen befriedigend. Tn>u
sehr beträchtlicher Ausgaben für Ankäufe bleibt ein kleines Capital als Bestand. -
(2) Es erfolgen sodann die Wahlen der Vorstandsmitglieder für das nädistJ'
Gesellschaftsjalir. Hr. Virchow scheidet statutenmässig nach dreijähriger Amtv
führung aus dem Vorsitze aus. Die Majorität der abgogeboueu Stimmzettel ergibt''
folgende Zusiiinmensctzung des neuen Vorstandes:
Hr. Bastian als Vorsitzender,
- Virchow und
- AI. Braun als Stellvertreter,
- Hartmann als Schriftführer,
- M. Kuhn und
- P ritsch als Stell Vertreter,
• Deegeu als Schatzmeister.
(368)
(3) Auf Vorsohlag des Vorstandes und Ausschusses werden folgende Statuten-
Aenderungen beschlossen, welche hauptsächlich bezwecken, das Oesellschaftsjahr mit
dem Kalenderjahr in Uebereinstinunung zu bringen:
1 . Der §. 5 der Statuten soll künftig dahin lauten :
„Die ordentlichen Mitglieder der Gesellschaft zahlen jährlich einen Bei-
„trag von 5 Thlrn , nehmlich i Thb:. für die deutsche Gesammt-Gesellschaft
„und 4 Thlr. für den Lokalyerein. Sie erhalten jährlich gegen 2iahlung
„des Beitrages eine Mitgliedskarte. Diejenigen Mitglieder, welche im Laufe
„des Geschäftsjahres aufgenommen werden, haben bei Empfang der Mitglieds-
„ karte den vollen Jahresbeitrag zu zahlen.
„Das Greschäftsjahr der Gesellschaft läuft vom 1. Januar bis 31, Dezember.
„Wird der jährliche Beitrag von einem Mitgliede nicht innerhalb der
„ersten vier Wochen im Laufe des Greschfiftajahres und von einem neu auf-
„genommenen Mitgliede nicht innerhalb vier Wochen nach erfolgter Anzeige
„der Aufnahme an den Scliatzmeister der Gresellschaft gezahlt, so erfolgt
„die Einziehung des Beitrages auf Kosten des s&umigen Mitgliedes durch
„Postvorschuss gegen Uebersendung der Mitgliedskarte. Wird die Zahlung
„des Postvorschusses oder des Beitrages verweigert, so wird der Name des
„Betreffenden in der Liste der Mitglieder gelöscht
„Wer einen einmaligen Beitrag von mindestens KK) Thhrn. zahlt, wird
„lebenslängliches Mitglied der Gesellschaft.**
2. Der §. 9 der Statuten soll künftig heissen:
„Der Vorstand der Gesellschaft besteht aus:
„einem Vorsitzenden,
„zwei Stellvertretern desselben,
„einem Schriftführer,
„zwei Vertretern desselben und
„dem Schatzmeister.
„Die Aufsicht über die Sammlungen oder die Bibliothek kann vom Vor-
„stande dem Schriftführer oder einem der Stellvertreter desselben oder einem
„sonstigen Gesellschaftsmitgliede übertragen werden.^
Dagegen föllt künftig im §.12 der Schlusssatz: „Die Aufsicht über die
Sammlungen kann einem der Schriftfuhren übertragen werden,^ fort
'^, Es soll künftig der §. 13 heissen:
„Der Schatzmeister verwaltet die Kasse, besorgt die Anfertigung und
„Versendung der Mitgliedskarten, zieht die Beiträge ein, zahlt die Rechuun-
„gen, sammelt die Beläge, führt Rechnung über Einnahmen, Ausgaben und
„Bestände, legt das Geld der Gesellschaft nach Anweisung des Vorstandes
„und Ausschusses an und sorgt für das Inventar der Gesellschaft Er em-
„pfangt die Anweisungen zu Zahlungen durch den Vorsitzenden und ist für
„alle sonst durch ihn gemachten Ausgaben persönlich verantwortlich.
„Dem Schatzmeibtf'r liegt die Führung der Stammrolle der Gesellschafts-
„mitgüeder ob.**
4. in §. 14 soll es künftig statt: „vor der Novembersitzung^ heissen „vor der
Dezembersitzung**.
5. Dieselbe Aenderung tritt in §. 17 ein.
G. §.18 soll künftig dahin lauten:
„Der Vorstand wird jährlich in der Dezember-, der Ausschuss in der
„darauf folgenden Januarsitzung gewählt In der Einladung zu diesen Sit-
„Zungen müssen die bevorstehenden Wahlen ausdrücklich angezeigt werden.
(284)
„Die Wahl geschieht in geheimer Abstimmung und nach absolntar Majoritit
„der abgegebenen gültigen Stimmen. Vor der Wahl des Torstandea wird der
„Verwaltungs- und Kassenbericht abgestattet.
„Wenn derselbe Vorsitzende drei Jahre hintereinander gewählt worden
„ist, so ist er für das nächste Jahr nicht wieder wählbar.
„Der neu gewählte Vorstand tritt mit dem Beginn des neuen Geschäfts-
„jahres in Thätigkeit
7. Es wird folgender neuer §. als §. 20a. eingeschaltet:
„Die Veroffentiichung der Sitzungsberichte der Gesellschaft erfolgt nach
„einem mit der Verlagsbuchhandlung von Wiegandt & Hempei hieraelbst
„getroffenen Abkommen in der Zeitschrift für Ethnologie, als dem deneitigea
„Organe der Gesellschaft.
„So lange dieses Abkommen besteht, erhält jedes Mitglied ein Exemplar
„dieser Zeitschrift unentgelüich geliefert
„Dem Vorstande liegt es ob, die geeigneten Maassnahmen für die Redak-
„tion der Sitzungsberichte zu treffen.*'
8. Im §. 21 soll es künftig statt „in der Novembersitzung^ heissen „in der
Dezembersitzung^.
(4) Als .neue Mitglieder wurden proclamirt:
die Herren
Don Patricio de la Escosura, königlich spanischer Gesandte am Ber-
liner Hofe,
Dr. Schillmann, Oberlehrer in Brandenburg a. H.,
Dr. Zinn, Direktor der Irrenanstalt zu Neustadt-Eberswalde,
Dr. Kays er, Privatdocent,
Dr. Y. Meyer, Geheimer Legationsrath,
Mr. Ruttledge von London.
•
Zum correspondirenden Mitgliede wurde erwählt:
Hr. Dr. Behrendt in New- York.
Von den correspondirendeu Mitgliedern, Hrn. de Sii da Bandeira, Tubino ^
Vilanova sind Dankschreiben eingelaufen.
(5) Hr. Virehow berichtete über die am 21. Juli d. J. unternommene
Excnrsion nach Brandenburg a. H.
Einer freundlichen Einladung des historischen Vereins zu Brandenburg a. H.
folgend, hatte sicii eine grössere Anzahl von Gesellschaftsmitgliedern versammelt, um
die Fnlirt nach dieser alten und durch ihre Bauwerke so merkwürdigen Hauptstadt
der Mark zu unternehmen. Leider meldete im Augenblicke der Abfahrt ein Tele.gramro
einen grossen l^rand und ein Theil der Mitglieder Hess sich dadurch bestimmen, die
Reise aufzugellen. Die übrigen fanden glücklicherweise die Gefahr beseitigt^ und
konnten daher den ganzen T«ag der Besichtigung der Altertbümer widmen. Zuerst
sahen sie die freilich kleine, aber sehr interessante Sammlung prähistorischer Alter-
tbümer, welche der historische Verein in bequemster und gefalligster Weise aufge-
stellt hatte und von welcher später ein Verzeichniss folgt Sodann besuchten sie der
Reihe nach den Roland, die zahlreichen Kirchen (Pauli, Katharinen, Dom, St. Peter,
St. Gotthardt, St. Nicolai), das Stein- und Muhlenthor, und schliesslich den altbe-
(265)
rühmten Marienberg. Der überaus freundliche und lehrreiche Verkehr mit den
Brandenburger Herren wird gewiss in Aller dankbarer Erinnerung bleiben.
Das oben erwähnte, von Hm. Dr. Schillmann verüasste Verzeichniss enthält
Folgendes :
A. Stein.
1. Steindolch: viereckiger Griff, verdicktes Ende, flache lanzenartige Spitze,
ohne Politur, feine sägeformige Ränder. Stiel 9 Cm., Blatt 6 Cm. lang, mit
der fehlenden Spitze wahrscheinlich 7 Cm. Etwas fleckiger, grauer Feuer-
stein. Fundort Brandenburg.
2. Lanzenspitze aus braun- und gelb geflecktem sehr hellem Feuerstein, am
unteren Ende abgebrochen. 8,8 Cm. lang, Blatt 6 Cm., grosste Breite 4 Cm.
3. Kleine Axt aus theils rothlichem, theils gelblichem Feuerstein, an der
Schärfe polirt, sonst^ roh geschlagen. 12 Cm. lang, an der Spitze 4,3 Cm.,
am stumpfen Ende 2,3 Cm. breit Fundort Brandenburg.
4. Kleine Axt: schwärzlich gxau, zum Theil polirter Feuerstein. 12 Cm.
lang, an der Schneide 4 Cm., etwas hinter der Schneide 4,5 Cm. breit
5. Bruchstück einer grossen polirten Axt aus buntem, gelbbraunem
Feuerstein, an der Spitze 5,5 Cm., an der Bruchfläche 5,6 Cm., Länge 7,5,
Dicke 2,4 Cm. Fundort Brandenburg.
6. Kleine polirte Axt aus blauem, graugeflecktem Sandstein, 9,5 Cm. lang,
an der Schneide 4,5 breit, grosste Breite 5 Cm. Fundort Brandenburg.
7. Sehr grosse Streitaxt aus grauem Feuerstein mit grossen gelblichen
Flecken und schwärzlichen Zügen, 16,2 Cm. lang, 7,4 an der Schneide, 3,5
am stampfen Ende breit, 1,7 Cm. in der grossten Dicke. Fundort Branden-
burg.
8. Polirte Streitaxt aus grau-grünem Stein, mit etwas konisch gebohrtem
Loch von 1,9 Cm. Durchmesser; in der Gegend des Loches mitten durch-
gebrochen; grosste Dicke 3,5 Cm., grosste Breite 5, grosste Länge 7,3 Cm.
Fundort Brandenburg.
9. Sehr rauhe Streitaxt aus grauem Stein, mit unvollständig durchbohrtem
Loch von 2,5 Cm. Durchmesser; im Grunde des Loches ein vorstehender
kleiner Zapfen; 12,5 Cm. lang, 5 breit, 4,5 dick. Fundort Michelsdorf bei
Brandenburg.
B. Erz.
1. Kleine defekte Sichel.
2. Grossere halbmondförmige Sichel mit Vorsprang.
3. Grosser Paalstab ohne Patina, 12 Cm. lang, mit stark ausgelegten Rän-
dern.
4. Grosse Fibula mit Spiralen und radiären Strichen übers Geviert Spirale
a IJby b 7,8 Cm. im Durchmesser. Am Ende der Nadel ein kreuzweis lie-
gender Querbalken. Nadel 17 Cm. lang.
5. Diadem, im Mittelstück 4,5 Cm., am Ende 2,6 hoch, an dem einen Ende ab-
gebrochen, am andern in eine Art Oese umgelegt, in der Mitte neun vor-
springende Ringe, auf denen je neun bis zwölf Querstriche liegen, durch-
brochen durch glatte Stellen.
1 — 5 Fundort Moeser bei Flaue, 9 Fuss unterm Torf.
6. Kleiner Paalstab, 13,5 Cm. lang, mit sehr wenig ausgelegten Rändern
und starker convexer Schneide, 4,4 Cm. breit.
VcrbaadL der Berl. 6m«1L for AoUiropol. et«. l\^\
(266)
Gleicheeitig berichtet Hr. Schillmann über ein schon seit llngerer Zeit too
den Bauern der Nachbarschaft geplündertes, erst neuerlich bekannt gewordeiKi
Urnen feld in der Nähe, welches noch weiterer Untersuchung unterworfen werdeo
soll. —
(6) Herr d*Omaliiu d'Halloy macht in eioem Briefe an den Yorsitsenden Tom
14. Oktober folgende Bemerkungen
Aber die Finneiifrage.
Je suis tres sensible a Tamaible attention que vous ayez eue de m'enToyer fotre
sairant memoire sur les cranes finnois, etc. Je Tafais de^k lu avec an vif interet
et yy avais trouve plusieurs choses qui m^ont £ait be^pcoup de plaisir, notamment >
passage sur la mongoloide hypoth^se a laquelle je n*ai jamais pu me rallier.
Afin de tous prouver Tattention que j'ai donnee k Totre travail, je me permettni
une Observation, cVst que je crois qu'en disant que les Lapons n*ont jamais eu &
Communications directes ayec les Finnois, tous aviez perdu de Tue oe que n^pon
Totre illustre compatriote Leopold de Buch, dans son voyage en Norn^ge, sur k»
Quainer qui ont port^ la culture jusqu' aux enTirons d' Alten. Je pense ausai qo^ii
n'est pas exact que les Finnois n^ont pas et^ plus civilis^ que les Lapons, car je crob
qu'il fut un temps oü les Finnois ont forme dans la Permie des etats bien auperievis
a ce qu*ont jamaia eu les Lapons.
Herr Virohow freut sich der o£Fenen Zustimmung des berühmten und erUireocs
Ethnologen und spricht demselben seinen Dank aus. In Besiehnng auf die QniKr
in Norwegen bemerkt er, dass dieselben nach den Untersuchungen des Hm. Eylert
Sund allerdings aus Finland eingewandert sind, jedoch erst in neuerer Zeit, da«
sie sehr wenig zahlreich sind und so zurückgezogen leben, dass ein eigentlicher Cv^
tureinfluss Ton ihnen wohl kaum ausgegangen sein könne. Die Angaben über di^
permischen Finnen sind gewiss begründet, aber sie dürften für die sogenaasic
„Finnenfrage^ ebensowenig in Betracht kommen, wie die Magyaren, welche ja mk
in Ungarn als staatenbildendes Culturvolk aufgetreten sind. —
(7) Herr Hartmann verlas aus seinem im Drucke befindlichen grosseren ¥ak
über die physische Beschaffenheit der dunkel gefärbten Nationen ACrikaa einleitaib
Bemerkungen
über Haierei und Blldhanerei im Dienste der Ethnologie.
Der Verfasser sprach sich anerkennend über die grosse Fähigkeit der ah»
Aegypter und selbst der Meroiten aus, in ihren Darstellungen die nationale Charak-
teristik heterogener Bevölkerungselemente treffend wiedergeben zu können. Er tadelte
alsdann unsere alten Meister, welche in ihren, sonst vielfach so grossartigen künst^
lerischen Schöpfungen den ethnologischen Anforderungen für die jeweilige Staffisge
zu wenig Rechnung getragen, welche vielmehr aus Vläminnen Madonnen^ aas Tene-
ziauisclieu Nobili Pharisäer, aus Frundsbergischen Lanzknechten röndflche Legio-
näre u. s. w. gemacht. Einzelne ältere Künstler,^ wie Yeronese, Herschop u. s. w.
haben aber auch Nigritier vorzüglich abconterfeit. Sehr rühmend gedacht wurde
mehrerer neueren, in ethnologischer Hinsicht mit so grosser Genauigkeit verfahren-
der Maler, wie Horace Yernet, Schopin, Dore, Alma Tadema, Eaulbachf
G. Richter, W. Gentz und Anderer. Der Vortragende legte zahlreiche Photogra-
phien nach Vernet 'sehen Gemälden vor, übergab auch eine Anzahl in grossem
Maassstabe nach Gemälden des Mitgliedes Hm. W. Gentz hergestellter Photogra-
phien und Holzschnitte als Geschenk des Künstlers.
(267)
(8) Herr Friadel macht folgende Mittheilung in Bezug auf die Anfrage des
Hrn. Tirchow (S. 55 der diesjährigen Verhandlungen)
ttber symbolisehe Eiergtelne.
Hr. Thunig, Domänen-Pächter zu Zaborowo bei Priment, Kreis ßomst, ProTinz
Posen, fand im Jahre 1871 in der Nähe eines ausgedehnten ümenlagers in benach-
barten Urnen zwei Steinpaare, die in der Sitzung vom 31. Januar 1872 yorgelegt
wurden. Jedes Steinpaar bestand aus einem Scheiben- (käse-) formigen und einem
eiförmigen Steine. In Bezug auf diese ogivalen Steine, die an Grösse und Form
durchaus einem Hühnerei entsprechen, erlaube ich mir, da der Fund derselben in
Freussen yereinzelt und ohne bestimmte Deutung, wie es scheint, bisher dasteht, auf
einige von dem norwegischen Bischof Pontoppidan in seiner Heimath im Toidgen
Jahrhundert gesammelte Notizen hinzuweisen:
Der Probst Fried. Arendtz aus Sunfiord schickt unterm 22. September 1710
an Pontoppidan einen eiförmigen Stein ein, mit dem Bemerken, dass nach der
Meinung der Bauern diese Steine, von denen die grosseste Art „an Gestalt und Grosse
gänzlich einem Hühnereye ähnlich^ sei, gemeiniglich auf den Stellen gefunden
werden, wo die Erde durch einen Sterken Donnerschlag aufgeworfen worden.
Pontoppidan selbst sagt (im Jahre 1753): „Er pflegt sonst Ton der Grösse
eines Hühnereyes gefunden zu werden, und Yon den Bauern wird er Lösne-
steen (Losiugstein) genennet, weil sie der Meynung sind, dass einer Eindbetterin
dadurch in einer schweren Geburth könne geholfen werden. **
Arendtz bemerkt weiter: „Ich kann auch selbst dergleichen Erzählungen keinen
festen Glauben geben, wenn man vorbringet, dass solche Steine durch einen starken
Donnerschlag in der See auf die Schifsseegel gefallen wären, und hernach auf dem
Verdeck gefunden worden; oder auch Ton einer Frau, die an ihrem Nährahmen sass
und nahete; und da ein starker Donnerschlag kam, der das ganze Haus verwüstete,
bekam sie einen solchen kleinen Stein, der auf ihrem Nährahmen lag. — Ich halte
hierinn mein Urtheil zurück, und will blos, meiner Absicht gemäss, erzählen, dass
die Bauern diese Steine Laasnesteene nennen. Diese Benennung kommt von der
Wirkung her, die dem Steine beygelegt wird. Die Weiber, insonderheit die alten
Bademütter, halten diesen Stein für ein grosses Heiligthum, und es hält schwer, sie
zu überreden, ihn blos zu zeigen, geschweige, dass sie ihn gar hergeben sollten. Die
Ursache ist diese: Wenn eine Frau in Kindesnöthen liegt, so wird auf einen solchen
Stein Bier gezapfet, -dieses gibt man ihr zu trinken; dadurch meynen sie, soll die
Frucht gelöset, und desto eher ans Tageslicht kommen. Denn nach der bäurischen
Redensart heisset es: Da laasne, d. i. es wird gelöset, solvitur, vinculum rum-
pitur." —
Ich bemerke hierzu, dass das Symbol des Eiersteins zu diesem Aberglauben
sehr schicklich gewählt ist, denn das Ei ist bei allen Völkern ein Sinnbild der
Fruchtbarkeit. Omne vivum ex ovo. Besonders aber ist das Huhn als ein Typus
der Fruchtbarkeit ein der belebenden Göttin Ostara, der Hahn ein dem Donar, Thu-
nar, Thörr geweihtes Thier^). Die Libation des Meth oder Biers, das auf den Eier-
stein gegossen wird, gilt hiemach den beiden mächtigen Gottheiten der zeugenden
^) Vgl. Zeitschr. für d. Mythologie, II, S. 327. — Hehn, Kulturpflanzen und Haustbiere,
1 870, S. 237. — Die Redensart .den rothen Hahn aufs Dach setzen" soyiel wie in Brand stecken,
deutet auf den rothbärtigen Feuergott Donar. — Dem Teufel, der später den Donar ersetzt,
muss man in gewissen Fällen einen Hahn opfern, der an dem den Namen des Donar noch jetzt
tragenden Wochentage ausgeschloiTen ist (Simrock, Myth., 3. Aufl., S. 463) u. s. f.
(268)
Frühlingskraft und des belebenden Feners, und der hiermit in koiperliehe BeruhroBg
gebrachte Trank sehr begreiflich als ein besonders kraftiges Gebfinnittel.
Es wäre hiemach wünschenswerth, vorausgesetzt, dass die Steine yon Zaboro^c
wirklich als Nachahmungen von Eiern aufzufassen sind und femer, fidls sie and
vereinzelt ohne die sogenannten Kasesteine vorkommen, oder falls wenigstens diese
letzteren Steine nicht eine andere Deutung der mit ihnen zusammengefundenen so-
genannten Eiersteine nothig machen, womöglich, sei es aus sonstigen Beigaben, sei es
aus Enochenresten u. s. w., vielleicht zunächst festzustellen, ob etwa die zugehongec
menschlichen Reste einem weiblichen Leichnam angehört haben.
Bei näheren Nachforschungen werden sich höchst wahrscheinlich auch innerbaO'
Deutschlands noch Beziehungen zu diesen Eiersteinen mit der Zeit ermitteln lassen. —
Herr Virchow erinnert an das in der vorigen Sitzimg von einem neuen Fundort
Alt Lauske bei Schwerin, vorgelegte, in einer Grabume gefundene Steinpaar, welcfe
mit den zwei firuheren von Zaborowo vollständig übereinstimmte und es doch in hohe
Maasse wahrscheinlich machte, dass beide Steine, der Eier- und der ^laestein, »
sammengehÖren. Dass gelegentlich auch isolirte Eiersteine vorkommen mochten, dt
für spreche ein von Kruse (Necrolivonica, Tkf. 9, Fig. 3) aus einem Grabe b^'
Ascheraden in Livland abgebildeter Eierstein, der freilich dort als Schleadersteii
aufgeführt sei. Wolle man das Paar einmal auseinander lösen, so liesaen sich (v
die Kasesteine noch mehr Analogien in gewissen, in Dänemark als Knakesteine be-
zeichneten Steingeräthen auffinden. Nilsson (Steinalter, Tal 1, Fig. 1 — 3, 14), da
sie als Behausteine bezeichnet, habe davon Abbildungen gegeben und der neue Ose-
stein von Alt-Lauske stimme damit um so mehr, als er auch mit einer SeiteniÜebe
(Randrinne) versehen sei. In Deutschland sehe man auch diese Dinge hanfig a!«
Schleudersteine an. Jedenfalls verdiene die Sache weitere Aufmerksamkeit. —
(9) Herr Virohow stellte das gerade in Berlin anwesende hermapbioditis^
Individuum Höh mann vor und erläuterte zugleich die gegen^vdurtige Lage derKoi^
nisse
über den Hermaphroditismiis beim Menschen.
(Da ein anderweitiger Vortrag des Redners über denselben Gegenstand v^
medicinischen Gesellschaft schon gedruckt ist (Berliner klinische Wochenschrifl^ l^
No. 49), so kann hier im Allgemeinen darauf verwiesen werden. Es mögen 1^
einige zusätzliche Bemerkungen genügen.)
Die uralte und zu frühen mythologischen Gestaltungen verwendete £r&hiiiBg
von dem Vorkommen einzelner Individuen, welche gewisse Merkmale beider Ge-
schlechter an sich tragen, ist noch immer zu keiner abschÜessendeu wissenschaftlich^^
Deutung gekommen. Das Alterthum und das Mittelalter begnügten sich bei der Er>
örterung der physischen Grundlage dieser auffälligen Erscheinung mit der Feststelluag
der äusseren Merkmale. Von diesen kann man sagen, dass sie jedesmal auf eioeo
gewissen Widerspmch in der Entwickelung der einzelnen Theile hinauslaufen ^ so
dass an demselben Korper ein Gemisch männlicher und weiblicher
Theile hervortritt. Dies gilt ebensowohl von der Bildung des Skelets, der Mus^
kulatur, des Fettgewebes, des Haarwuchses, als und zwar ganz besonders von der Ge-
staltung der äusseren Sexualapparate. An letzteren ist der am meisten oonstante
Charakter ein gleichsam intermediärer Zustand: das äussere Glied (Penis, Glitoris}
ist stark entwickelt, jedoch nicht so stark, wie beim Manne, und nicht von der Harn-
röhre durchbohrt; ein Hodensack (Scrotum) ist nicht oder nur unvollständig vfirhan-
den^ aber es fehlt auch ein so weiter Kanal, wie die weibliche Scheide.
(269)
Die neuere Wissenschaft hat ihre Aufinerksamkeit überwiegend nach innen ge-
richtet Hirr erscheint als das entscheidende Organ die Keimdrüse, d. h. der
Hoden oder der ihm beim Weibe entsprechende Eierstock. Ob Hoden oder Eier-
stocke vorhanden sind, das ist am meisten eine anatomische Frage, und diese lässt
sich bei einem lebenden Individuum sphwer oder gar nicht erledigen, wenn die
Keimdrüsen nicht nach aussen vorgelagert sind, was auch bei wirklichen Männern
(Kryptorchiden) vorkommen kann. So erklart es sich, dass nicht selten erst die
Nekropsie die Frage entscheidet, ob das Individuum männlich oder weiblich war.
Allerdings giebt es auch ein physiologisches, also für den Lebenden anwendbares
Kriterium; das ist die Untersuchung der von der Drüse gelieferten Absonderungen.
Die Samenflüssigkeit des Mannes lässt sich mikroskopisch durch die Anwesenheit
der sogenannten Samenthierchen (Spermatozoiden) sicher und leicht erkennen. Da-
gegen fehlt ein gleich sicherer Anhalt beim Weibe. Die aus dem Eierstock sich
ablosenden Eier (Ovula) sind so klein, dass sie auch mikroskopisch nicht wohl in
der nach aussen tretenden Menstrualflüssigkeit aufgesucht werden können, und die
übrigen Bestandtheile dieser Flüssigkeit können wohl beweisen, dass sie aus einem
Uterus stammen, aber der Uterus ist kein dem Weibe allein zukommendes Organ.
Ein solches ist eben nur der Eierstock.
Ein wahrer Hermaphrodit im strengsten Sinne des Wortes sollte ein Individuum
sein, welches sowohl männliche, als weibliche Eeimapparate besitzt Dieses Verhält-
niss bezeichnet man gegenwärtig als Hermaphroditismus lateralis, insofern
kein Fall vom Menschen bekannt ist, wo gleichzeitig zwei männliche und zwei
weibliche Keimdrüsen vorhanden waren, sondern nur einige, nicht einmal ganz
sichere Fälle, wo man auf einer Seite eine männliche, auf der anderen Seite eine
weibliche Keimdrüse fand oder annahm. Die Regel ist vielmehr, dass nur auf einer
Seite eine Keimdrüse mit ausgebildetem Geschlechtscharakter gefunden wird, während
die andere mehr oder weniger unvollständig oder geradezu verkümmert ist
In diese Gruppe des unvollständigen Hermaphroditismus gehört aller
Wahrscheinlichkeit nach auch Katharina Hohmann. Obwohl weiblich getauft
und erzogen, hat dieses Individuum jedoch unzweifelhaft männliche Samenabsonde-
rung und auf der rechten Seite eine ausgebildete, in den Hodensack herabgestiegene,
also ganz normale männliche Keimdrüse. Auf der linken Seite fehlt der Hodensack
und es ist wenigstens sehr zweifelhaft, wo die Keimdrüse dieser Seite sich befindet
Allerdings hat man früher, als die Person noch jünger war, zuweilen einen Blutab-
gang oonstatirt, der als menstrualer bezeichnet werden kann, aber es steht keineswegs
fest, dass dieser mit einer gleichzeitigen Ablösung von Eiern aus dem Eierstock
(Ovulation} verbunden gewesen ist Genetisch ist es jedoch von hohem Interesse,
dass bei der Hohmann die grossere Abweichung sich nicht nur am Sexualapparat,
sondern am ganzen Körper auf der linken Seite findet. Schon die Betrachtung des
Gesichtes zeigt eine gewisse Kleinheit und Mangelhaftigkeit der linken Hälfte.
Eine unvollständig entwickelte (aplastische) Keimdrüse ist selbst anatomisch
schwer oder gar nicht in ihrem geschlechtlichen Werthe zu erkennen. Ihr fehlt das
eigentliche Parenchym, d. h. die Eizelle mit den Graafschen Follikeln oder die Sa-
menzellen mit den Samenkanälchen. Sie enthält nur steriles Grundgewebe (Stroma),
dessen Anordnung wenig Anhaltspunkte für die Diagnose bietet Im Granzen ist
man immer mehr geneigt, eine solche sterile Drüse für weiblich zu erklären, weil
der normale Eierstock mehr und festeres Grundgewebe besitzt, als der Hoden,
und weil im höheren Alter fast jeder Eierstock eine solche sterile, solide Beschaffen-
heit annimmt, was bei dem Hoden nicht der Fall ist Indess eine wirkliche Sicher-
(270)
heit liegt in diesem VerhältDisse nicht, und daher wird die Deutung leicht will-
kürlich.
Es giebt aber gewisse ganz neutrale Individuen mit hermaphroditischer Er-
scheinung, bei denen die Sexualdrüsen nie zu einer Tollst&ndigen, fruchtbaren Ent-
wickelung kommen. Wenn man diese Individuen in der Regel dem weiblichen Ge-
schlechte zurechnet, so ist dies doch immer nur in derjenigen Beschränkung susuge-
stehen, welche aus dem Angeführten als selbstverständlich folgt.
Endlich fehlt es auch nicht an Beispielen, wo ein den Keimdrüsen nach (ifi-
nerlich) ganz bestimmt geschlechtlich entwickeltes Individuum doch in seiner äusse-
ren Erscheinung jenes Gemisch mannlicher und weiblicher Eigenschaften darbietel
welches im Eingange als Charakter des Hermaphroditismus erwähnt ist. Wisses-
schaftlich gesprochen ist dies also ein eigentlich männlicher oder weiblicherHer-
maphroditismus (Gynandrie, Androgynie), bei dem die besondere gescshiechtlide
Eigenthümlichkeit nur maskirt ist durch abweichende, disharmonische GestaltungeL
Letztere zeigen sich sowohl an den äusseren, als an den schon in das Lme
zurückverlegten, von den Anatomen als mittlerer Abschnitt bezeichneten Theiks
des Geschlechtsapparates. Dieser mittlere Abschnitt besteht bei der Frau aus ^
Scheide (Vagina), dem Halse und Körper der Gebärmutter (Uterus) und den Mutter-
trompeten (Tuben). Bei dem Manne fehlen scheinbar alle diese Theile, obwoK
im Embryonalleben auch bei ihm die Anlagen vorhanden sind, aus denen axk
dieselben im Weibe entwickeln, ßrst spät ist man darauf aufmerksam geworden, da»
ein gewisser Rest davon bei jedem Manne übrigbleibt Es ist dies ein kleiner, kur-
zer Blindsak, der von dem innersten Theile der Harnröhre aus in die den Blases-
hals umgebende Vorsteherdrüse (Prostata) reicht und in derselben Yerboigen ist:
die sogenannte Yesicula prostatica. E. H. Weber nennt sie geradesu Uteras
masculinus. Allein genau betrachtet ist sie nicht das Rudiment des Uterus, son-
dern eine unvollständige Scheide. Bei jeder Art des Hermaphroditismus ist dieas
Stück stärker entwickelt. Nicht nur findet sich eine eigentliche Scheide von grosse-
rer Länge, wenngleich vielleicht sehr eng, sondern auch an ihrem Ende ein dentlicba
Hals, häufig auch der Körper des Uterus und nicht selten eine oder zwei Tube.
Selbst bei völlig männlichen Hermaphroditen fehlt diese anfiallige Abweichung nka
Aber auch bei Androgynen, also wirklich weiblichen Hermaphroditen konunt^f-
was Aehnliches zu Stande, indem die Mündung der Scheide, welche sonst aaia
liegt, zurückrückt und zwar zuweilen um 5 — 6 Cm., so dass sie nicht mehr, vit
normal, neben der Mündung der Harnrohre an der Oberfläche sich befindet, soodezs
dass sie vielmehr in einen, ganz weit von der Oberfläche entfernten Theil der Hin-
röhre sich einsenkt. Dies Verhältniss pflegt am wenigsten verstanden zu werden,
weil man nicht daran gewöhnt ist, die grosse Verschiedenheit der mannlichen usd
der weiblichen Harnröhre zu beachten. Die weibliche Harnröhre ist in der Tbat
nichts als Harnröhre. Die männliche dagegen ist nur zum kleinen Theile Hamrobre
(von der Harnblase bis zumColliculus seminalis und der Mündung der Yesicula prostatica);
ihr grösster Theil ist Urogenitalkanal d.h. gemeinschaftlicher Ausführungsgang für
Harn und Samenflüssigkeit. Dieses im strengen Sinne männliche Verhältniss tritt nun
auch bei weiblichen Hermaphroditen sehr gewöhnlich ein, oder anders ausgedrückt,
der Urogenitalkanal, welcher bei dem gewöhnlichen Weibe auf eine Ebene (Vestiba-
lum vagüiae) reducirt ist, verlängert sich bei dem hermaphroditischen Weibe zu
einem wirklichen und verhältnissmässig engen Kanal.
Damit hängt gewöhnlich zusammen eine stärkere Ausbildung des äusseren Glie-
des. Die weibliche Glitoris verlängert sich zu einem scheinbar männlichen Penis bei
weiblichen Hermaphroditen, nur dass dieser Körper nicht von der Harnröhre durch-
(271)
bohrt zu sein pflegt umgekehrt Terkürzt sich der Penis zu einer scheinbar weib«
Hohen Glitoris bei Gynandren und die unvollständige Harnröhre erscheint entweder
nach unten o£fen (Hjpospadie) oder sie. fehlt an dem Penis ganz und mündet schon
an der Wurzel desselben, da, wo sie auch beim Weibe zu Tage tritt
Erwägt man schliesslich, dass die Hoden, welche normal in das Scrotum herab-
steigen sollen, im Bauche zurückbleiben und dass die Eierstöcke, welche im Bauche
snrückbleiben sollten, in die grossen Labien herabsteigen können, dass damit zugleich
ein Zurückbleiben der Entwickelung des Scrotum oder eine yermehrte Ausbildung
der Labien bedingt ist^ so wird es leicht begreiflich, dass, auch ganz abgesehen von
der grosseren oder geringeren Ausbildung der Brüste, dem st&rkeren oder schwäche-
ren Haarwuchs, der reicheren oder magereren Fettenwickelung, die grösste Verwirrung
durch das Ansehen, ja durch die Untersuchung eines solchen Wesens hervorgebracht
werden kann.
In diesem Falle beflnden wir uns bei der Katharina Hohmann. Der männ-
liche Charakter ihrer rechten Seite ist unzweifelhaft festgestellt Wie es mit ihrer
linken Seite steht^ ist mit voller Gewissheit nicht zu ermitteln. Ihre äussere Er-
scheinung hat viel Weibliches an sich. Nicht nur sind die Brüste sehr voll und ganz
drüsig ausgebildet) sondern auch die einzelnen Abschnitte des Rumpfes und der Glie-
der nehmen an diesem Charakter Theil. Am wenigsten weiblich ist der Kopf, ob-
wohl die Haare eine grössere Länge besitzen und statt eines männlichen Bartes ver-
einzelte dickere ^Stoppeln'', wie bei älteren Frauen, wachsen.
Ich gebe in Nachstehendem einige Maasse in Millimetern, wobei ich nur voraus-
schicke, dass der Eop^ obwohl die Person aus dem unterfränkischen Rhöngebiete
stanunt, stark brachycephal ist (Breitenindex 79,8.):
Gxösste Länge des Kopfes , .
^ Breite ^ ^ • .
Gesammthöhe des Körpers
Scheitel bis Nabel ....
Nabel bis Fussohle ....
Schulterdurohmesser ....
umfang der Brust in der Höhe der
dritten Rippe:
a) bei starker Anspannung des
Maasses in Exspiration . .
b) bei loser Anspannung . .
Entfernung der Brustwarzen .
n „ Spinae ant sup. oss.
ilium ....
„ „ Cristae oss. ilium
„ „ Trochanteren . .
Kreuzbein bis Symph. oss. pub.
Crista ose. ilium bis Nabel . .
n n n f» iWsohle .
Trochanter bis Knie
Knie bis äusserer Knöchel . .
Aeusserer Knöchel bis Fusssohle
Diese Maasse stimmen ziemlich genau mit denjenigen, welche Hr. Bernhard
Schnitze vor vier Jahren veröffentlicht hat (Mein Archiv für pathol. Anatomie und
Physiol. 1868. Bd. 43. S. 329). Dieser Beobachter erkennt an, dass sich die Di-
mensionen des grossen Beckens den weiblichen Maassen nähern, obwohl er meint^
191,0 Mm.
162,5 «
1603 „
665 r>
938 y,
375 «
970
995
245
238
270
327
210
64
995
412
408
31
(272)
dass die Skeletbildung Torwiegend dem männlichen Typus gefolgt 8eL Ich ^wiH in
dieser Beziehung zunächst darauf aufinerksam machen, daas die gerade in Betreff der
Geschlechtsyerhältnisse sehr charakteristische Lage des Nabels sich riel mehr dem
weiblichen Typus nähert Krause (Handb. der menschl. Anatomie. 1843. Bd. 1.
S. 225) setzt bei einer Durchschnittshohe der norddeutschen Frau Yon 60 Par. Zoll
die Entfernung des Nabels vom Scheitel = 24; darnach wiüre die Entfernung des
Nabels Ton der Fusssohle = 36. In Millimetern ausgedruckt lauten diese Zahlen
1620, 648 und 972. Dies ergiebt genau ^/iq der Gesammthöhe für die Bntfemiing
des Scheitels vom Nabel und '/iq für die Entfernung der Fusssohlen von demaelbeiL
Nach Quetelet (Anthropom^trie. 1870. p. 239), der seine Messungen an bcdgiscbeD
Individuen anstellte, übersteigt die Entfernung vom Scheitel bis zum Nabel bei der
Frau */io der Gesammthohe, während sie bei dem Manne darunter bleibt. Bei der
Höh mann beträgt das Verhältniss 4,14: 10.
Quetelet setzt femer die durchschnittliche Höhe der Kniescheibe über dea
Boden im Alter von 25 Jahren beim Manne auf 475, bei der Frau auf 442 Mm. Bc
der Höh mann ist das Verhfiltniss 439.
Es wird nun zweckmässig sein, einige vergleichende Maasse für beide Seiten des
Körpers zu geben:
rechts links
Schulter bis Ellenbogen ... 326 315
Ellenbogen bis äusseren Knöchel 269 257
Handgelenk bis Spitze des Mit-
telfingers
Länge des Mittelfingers . .
„ „ Kleinfingers . .
Querumfang des Vorderarms an
den Knöcheln
„ des Oberschenkels
„ der Wade . .
0 des Spanns . .
n des Fusses über den
Ballen . . .
Länge der Fussohle . . .
n des Fussruckens (bis zur
Spitze der grossen Zehe) 158 158
Es geht daraus hervor, dass die einzelnen Abschnitte der Extremitäten sich ver-
schieden verhalten. Hand und Fuss zeigen andere Entwickelungsverhältnisse ab
Arm und Bein. Der rechte und der linke Fuss lassen überhaupt keine YerschiedeD-
heit erkennen; die Finger der rechten Hand sind dagegen kürzer als die der linken.
Umgekehrt verhält es sich mit den anderen Theilen der Extremitäten. Ober- ood
Vorderarm, Ober- und Unterschenkel sind links erheblich kleiner als rechts. Sie
verhalten sich ganz analog wie das Gesicht, über welches schon Hr. Schultze
Maassangaben beigebracht hat
Auch in dem lateralen Verhältniss wiederholt sich daher jenes Gemisch von
Geschlechtscharakteren, welches als die auffälligste Erscheinung des Hermaphroditis-
mus hervortritt. Sonderbar genug zeigt der Fuss, jenes uralte Maass, gcr keine Ab-
weichung; seine Verhältnisse entsprechen genau den Verhältnisszahlen Quetelet's
(1. c. p. 233). Seine Länge beträgt 0,15 von der Gesammthohe des Körpers oder,
anders ausgedrückt, er ist 6,4 nuü in der Gesammthohe enthalten. -^
192
189
111
113
83
86
192
185
535
515
350
325
300
300
212
215
250
250
(273)
(10) Der Vorsitzende nbergiebt Exemplare derjenigen Vorschläge zur prä-
historischen Chart ographie, welche Hr. Dr. Wibel von Hamburg auf der
Stuttgarter Generalversammlung vorgelegt hat. Auf derselben fehlen die verschiede-
nen Arten von Wällen (Erdwälle, Steinw&lle, Langwälle, Rund- und Burgwälle) und
Befestigungen, sowie die Zeichen für die wichtigsten prähistorischen Thiere. —
(11) Herr Dr. Hostmann übersendet die Ergebnisse der fortgesetzten
Ausgrabungen in der EinhomshSlile)
bestehend aus einigen Topfscherben und einer ganzen Kiste voll Knochen.
Herr Virohow bemerkt darüber, dass in beiden Richtungen, wie bei seiner eige-
nen Untersuchung, alte und moderne Stücke, letztere jedoch in sehr beschränktem
Maasse, vorhanden sind. Bei dem Thongeschirr lässt sich ausser den üeberresten
eines ganz modernen, innen stark glasirten Tiegels mit kurzen Füssen, und ausser
alten, dicken, auf dem Bruche ganz schwarzen, aj^ssen und innen geglätteten und
schwach rothlichen oder grauen Scherben ein mehr mittelalterliches Stück von
schwarzgrauer Farbe, feinerem Thon und glatterem Bruch, von fast klingender Härte
und mit tiefen, auf der Scheibe gezogenen Horizontalfurchen unterscheiden. Indess
ist auch unter den alten, groben Stücken ein ungemein dickes, welches niedrige ho-
rizontale Rippen zeigt Wenn man erwägt, dass schon Leibnitz von der Industrie
der Knochenhändler berichtet und dass noch jetzt in der Gegend von den „Venetia-
nem*' erzählt wird, welche das Einhorn gruben, so wird man über dieses Gemisch
wenig erstaunt sein. Das aber wird sich auch nicht bestreiten lassen, dass lange
vor den Venetianern, wahrscheinlich auch lange vor den Deutschen schon Menschen
in der Höhle ihr Wesen getrieben haben.
Wenn man von den modernen Knochen, einer, wie gesagt, geringen Anzahl, ab-
sieht, so scheint alles Uebrige dem Bären anzugehören'). Einzelne Knochen haben
ganz Golossale Verhältnisse. Es fragt sich nun, ob der Mensch mit dem Bären gleich-
zeitig vorhanden war? In dieser Beziehung bin ich bei der Musterung der neuen
Knochensendung noch mehr geneigt geworden, als früher, diese Frage zu bejahen.
Es ist gewiss höchst auffallig, dass fast alle Knochen zerstreut sind. Am meisten
tritt dies bei den Schädelknochen hervor, welche durchweg getrennt sind, und zwar
nicht bloss in den Nähten, sondern durch oft ganz scharfe Trennungslinien mitten
durch ihre Gontinuität. Fast nur die Wirbel und die kleineren Knochen der Füsse
sind ganz. Von den grossen Röhrenknochen finden sich zahlreiche, ganz scharf-
spitzige Bruchstücke. Freilich sieht man auch hier, wie ich von meinen ersten Fun-
den erwähnt habe, zahlreiche durch Wasser gerollte und an den Bruchflächen abge-
rundete Stücke. Sodann finden sich ein paar Wirbel mit den beschriebenen runden
Eindrücken (Schlagmarken). Wenn ich bei dem einen höchst zweifeUiaft bin, ob
der Eindruck nicht ein neuerer, durch eine Spitzhacke hervorgebrachter ist, so er-
scheint eine solche Deutung doch nicht zuzutreffen für den zweiten, wo das Loch
am Domfortsatz liegt Ganz sicher bin ich jedoch nicht, und ich will daher auf
diese Stücke keinen entscheidenden Werth legen. Anders verhält es sich mit einem
hinteren Fragment des rechten Unterkiefers, welches leider durch einen frischen
') Nach einer neueren Mittheilung des Hm. Professors t. Seebach befindet sich das Ton
Leibnitz abgebildete Schädelstück in Göttiogen in der dortigen üniversitätssammlung. Das-
selbe gehört nach seiner Bestimmung der Felis spelaea an. Es wäre darnach nöthig, die osteolo-
gische Musterung der Knochen noch einmal genau vorzunehmen. Ich behalte mir vor, darauf
zurnckzukon^men.
(274)
Bnich dicht tot dem hintersten Backzahn sehr rerkleinert ist. Ab diesem Kiefer«
der übrigens seiner Grosse nach einem jüngeren BSren angehört haben nmas, ist der
Kronenfortsats durch ganz alte, sageformig hintereinanderstehende Hiebe hemnter-
geschlagen und auch der Gelenkfortsatz soviel yerkleinert, dass das Stack bequem
in der Hand liegt. Wir haben hier also die Zurichtang des Barenkinnbackens a
jenem Schlaginstrument, wie ich es in der letzten Sitzung aus anderen Gegenden er-
wähnt habe. Der Nachweis, dass der Mensch mit dem Bfiren zusanuneogelebt habe,
dürfte damit geliefert sein. —
(275)
Sitzung Tom 14. December 1872.
Herr Baatian eröfilDet in augenblicklicher Abwesenheit des Hro. Virchow die
Sitzung und begrüsst zunächst den nach dreizehnjährigen, höchst ergebnissreichen
Forschungsreisen in Ost- Asien zurückgekehrten Freiherm Ferdiqand t. Richt-
hofen.
(1) Herr Heine sprach hierauf
filier die Cnltiufortsehritte der Japaner.
Derselbe wies zunächst auf die in jenen Ländern stattgehabten Umwälzungen
hin, die es möglich gemacht haben, das Land dem FremdeuTerkehre zu eröfinen.
Früher wurde die weltliche Macht Ton dem erblichen Eriegsobersten , dem Taikun,
iitt Vereine mit den eine Art Parlament bildenden Grossen ausgeübt. Die üebermacht
dieser zähen, conservatiT gesinnten Fürsten musste erst gebrochen werden, um Japan dem
Fortschritte zu^glich zu machen. Vortragender wies sodann auf die vielen jungen,
in Europa ihrer Studien wegen sich aufhaltenden Japaner hin, rühmte deren ausdau-
ernde Thätigkeit und bat schliesslich die Gesellschaft, dem aufstrebenden Lande ihre
Sympathien zu leihen. Er selbst beabsichtigt, das Verständniss jenes fernen Landes, das er
bei vierzehn Landungen während einer zehnjährigen Reise genauer kennen gelernt hat,
durch die Herausgabe charakteristischer Zeichnungen nebst Erläuterungen zu erweitem.
Zunächst sollen fünfzig Darstellungen, zum Theil nach japanischen Vorbildern, zum
Theil nach Skizzen des Vortragenden selbst ausgeführt, umfassend die Periode von
der ersten Einführung der weltkaiserlichen Würde bis zu dem Auftreten der Hollän-
der, publicirt werden. Zahlreiche Originalblätter und Probeabzüge wurden vorgelegt —
(2) Herr Virchow, welcher mittlerweile den Vorsitz übernommen hatte, verlas
ein Dankschreibmi des correspondirenden Mitgliedes, Dr. Weisbach in Constantino-
pel und legte die eingegangenen Geschenke vor. Er besprach namentlich das Pracht-
werk des Hm. F ritsch: ^Die Eingebomen Süd-Afrikas** , dessen hohe Bedeutung
für die Ethnologie der Urvölker er rühmend hervorhob. —
(3) Herr Seminardirektor Dr. Schneider hat eine photographische Abbildung
der zu Miecara in Ost-Indien ausgegrabenen Geräthe eingesandt, über welche der
dortige Schuldirektor Dr. Richter ein Schrifbchen veröffentlicht hat
(4) Mit Dank ward einer Verfugung des Hrn. Handelsministers an die Directio-
nen der Eisenbahnen gedacht, durch welche dieselben angewiesen werden, eine An-
zeige der archäologiseben Funde an den Vorstand der Gesellschaft ergehen zu lassen.
(276)
Weiter theilt der VoTBitzende mit, dass die, yon dem Hm. Chef der deatBcfaes
Admiraiitflt geforderte AofistelluDg für die anthropologischeo Untersuchungen auf den
Marine-Expeditionen fertig geworden und dass eine Anzahl Ton Exemplaren ab-
geliefert worden ist, die wahrscheinlich schon bei der gegenwärtigen grossen Expedi-
tion des Geschwaders nach Ost-Asien und Afrika in Benutzung treten werden. —
Was die weitere Publikation anbetrifit, so wird der Bericht im Buchhandel erschei-
nen, so dass er auch für die Handelsmarine zugänglich sein wird. Ausserdem wird
derselbe in unserer Zeitschrift publicirt werden. Der Vorstand ist durch die Bath-
schl&ge vieler Herren aus der Gesellschaft unterstützt worden, und wenn bei der
grossen Eile der Abfassung manche Wiederholung sich nicht hat vermeiden lassen,
wie Kenner leicht finden werden, so dürfte doch dadurch für den Anfiuig eine ge-
wisse Basis gelegt sein, um fruchtbare Beziehungen zwischen der Marine und nnaerer
Gesellschaft zu unterhalten. —
(5) Herr Virohow zeigt eine dem historischen Verein zu Neo-Brandenburg
gehörige, von Hm. Dr. Boll ihm übergebene
Benthterkeule aus einer Torfwlese bei Heu-Brandenbarg.
Es ist ein sehr schweres Instrument, welches, wenn man es am oberen Ende
fasst, sehr bequem in der Hand liegt. Allem Anscheine nach ist es eine starke,
während der Wachsthumsperiode abgetrennte und noch nicht ToUständig aoagewaeh-
sene Renthierstange. Sie misst 52 Cm. in der Länge, am unteren Ansatz 12,5, an
der Eissprosse 14 Cm. im Umfange. Von da yeijüagt sie sieh allmihlich unter einer
starken bogenfSimigen Krümmung bis zu dem kurzen hinteren Fortsatz, über welchem
sie mit einer schlag Ton vom nadi hinten rerlaufenden, sehr unregelmäasigen und
hockerigen Fläche endigt; letztere hat ganz das Aussehen eines an der Eipq»!^»
abgelösten Knochens, wie es ein noch mit weicher Proliferationsmasse bedeckteE
Geweih auch darbietet An diesem Ende beträgt der Querumfang 11, dicht unter
demselben 7,5 Cm. Die Form ist etwas platt, doch nicht so stark, wie gewChnHck
Die Oberfläche ist stellenweise glänzend weiss, fsst wie sklerotischer Knochen; hier
und da hängen daran noch Fetzen Ton trockener Haut, an denen sich mikzoakopiscl
Bindegewebe erkennen läset Auch zeigt die Fläche zahlreiche rotiie Punkte mi
namentlich am unteren Ende lange und tiefe Gefässfurchen; bei der mikroekopiscte
Untersuchung sieht man dichtes Knochengewebe mit rother Ausfüliungsmasse k.
Hayers'schen Kanäle, zum deutlichen Beweise, dass junger, stark ▼ascnlansiiiB
Knochen Torliegt. Dieser Umstand konnte es zweifelhaft machen, ob das Stück b
der That alt sei; wenn man indess erwägt, wie sich menschliche Leichen im Moor
erhalten, so wird man die Möglichkeit nicht bestreiten können, dass eine Bennthicr-
Stange, welche einem in der Geweihbildung begri£Fenen Thiere abgeschlagen ist und
welche in ihrem firischen, noch blutreichen Zustande an der Luft getrocknet ist, sidi
mit dem Blute, freilich ohne Erhaltung der Blutkörperchen, in dem Moor hat conser-
wen können.
Zahlreiche Zeichen wirklichen Gebrauches lassen sich an der Keule wahrnehmen.
Die Eisprosse, welche dicht an ihrem Ansätze abgebrochen ist, und der Roaenstock
zeigen zahlreiche tiefe und unregelmässige Schlagmarken; erstere ist bis auf einen
niedrigen, rundlichen Vorsprung yerloren, letztere gleich£ftlls abgerundet und yerklei'
nert. Dieses Ende scheint zum Schlagen benutzt' zu sein.
Ausserdem sieht man, namentlich auf der Seite der Eissprosse, eine breite und
glatte Fläche mit kurzen und niedrigen Querabsfitzen, als wenn sie mit einem massig
scharfen Instrument (Stein) abgeschabt worden wäre.
Es dürfte dies der erste, zu wirklichem ^brauch eingerichtete Gegenstuid ans
(277)
RenthierhoFD sein, der in NorddeatschlaDd gefunden worden ist. Bis jetst hatten
wir nur allerlei serschlagene Stucke, aber nichta, was zu einer brauchbaren Verwen-
dung zugerichtet worden wäre. —
(6) Herr Witt, Bogdanowo, legt die Ergebnisse seiner Ausgrabungen
im PCahlliaQ des Sees ron Alt-G5rtiig
Yor, über welche ein schriftlicher Bericht von ihm schon in der Sitzung vom 1 1 . Mai
d. J. nodtgetheüt worden ist. Er bemerkt ausserdem, dass, obwohl er in den Provin-
zen Sachsen und Holstem yielfaeh den Alterthümern nachgeforscht habe, s«^iner üeber-
zeujgnng nach der Reichthum der Provinz Posen an Grabstatten aller Art bei Weitem
grosser sei, und er verspricht, darüber weitere Vorlagen zu machen. Anders stehe
es mit Pfalbauten, denn auch über den viel erwähnten Fund von Luszowo schwebe
noch Yiel DunkeL —
Herr Virchow constatirt die vöUige Identität des Typus des Thongeräthes mit
dem der pommerschen und neumärkischen Pfahlbauten, wie denn auch die vorgeleg-
ten Thierknochen auf dieselben Hausthiere hindeuten, üeber die eiserne Axt habe
er sich schon früher geäussert, und der Augenschein bestätige nur, was er damab
nach der Beschreibung geäussert habe. AufiBsdlend sei die geringe Zahl der Schweine-
knodien* —
(7) Herr Alex. Braun berichtet über einen ^fraglichen
Sehlaokenwall ßut der Hllneiikoppe bei Blankenbnrf (Tkttringen)«
Bei meiner Anwesenheit in Blankenburg im Thüringer Walde bin ich von dem
dortigen Rentamtmann Kiese wette r, der sich erfolgreich mit Geologie beschäftigt,
als wir auf Burgw&lle zu sprechen kamen, aufmerksam gemacht worden auf das Vor-
kommen von Schlacken auf der Hohe eines Berggipfels in der Nähe von Blanken-
burg, der sogenannten Hünenkoppe. Es ist dies ein steiler Berg, welcher über dem
Jagdschlosse Eberstein im Schwarzathale auf der rechten Seite der Schwarza, zwischen
Blankenburg und Schwarzburg liegt Er hat eine Hohe von 1516 Fuss, ist also keiner
von den höchsten in der Gegend; der höchste in der dortigen Gregend ist der Eisen-
berg, welcher 2001 pariser Fuss nach der Messung von Fils hoch sein soll. Immer-
bin ist die Hünenkoppe unter den Bergen des romantischen Schwarzathales eine von
den höheren Spitzen, die sehr steil nach dem Thale abfällt und auch nach der Rück-
seite einen steileren Abhang besitzt, der aber bald in das Hochland, welches das
Thal umschliesst, übergeht. Es ist durchaus nicht denkbar, dass oben auf diesem
Berge eine Hütte war, welche Veranlassung gegeben hätte, Schlacken zu erzeugen.
Es ist auch nicht wahrscheinlich, dass hier Bergbau war, da das Gestein der soge-
nannten grünen Grauwacke, d. h. der älteren cambrischen Grauwacke angehört, wel-
che auf den Höhen des Schwarzathales keine Metalle von Belang einschliesst. In der
Tiefe waren allerdings Bergwerke; es ist sogar nach Gold gesucht worden, ifnd es-
gibt spärliche Goldflimmer in den Anschwemmungen der Schwarza. Nur am Eisen-
berg Endet sich Eisenstein in der Grauwacke. Von der grünen Grauwacke habe ich
von der Höhe der Hünenkoppe Exemplare mitgebracht, welche ich hier vorlege.
Dieses Gestein ist sehr geneigt, in schieferartige Trümmer zu zer&Uen, indem es
die Eigenschaft hat, sich in Platten zu spalten, nicht in der Richtung der ursprüng-
lichen Schichten, sondern in einer senkrecht zum Streichen der Schichten gehenden
und sich mit diesem schneidenden Richtung Der ganze Berg ist bedeckt mit losen
Trümmern dieses Grauwackengeeteines. In einer kleinen Einsenkung hinter der
Spitze, auf der südnstKchffn Seite des Berges, befindet sich eine fast ebene Stelle von
(278)
geringem umfange. (Ich will bemerken, dass der ganze Berg jetzt mit geiiiisciltem
Wald besetzt ist und dass die Wildschweine, die dort gehegt werden, bis nach dsst
Spitze gehen, um Eicheln zu suchen.) Auf dieser ebeneren Stelle, die nur wenige
Fuss tiefer als die eigentliche Spitze des Berges liegt, wurden vor einigen Jahren
Ton dem Förster Rohm in Dittersdorf, einem Dorfe in der Nähe, Stücke einer
Schlacke gefunden, die durch ihre besonders bei Regenwetter bunte Färbung sein«
Aufmerksamkeit erregten. In der Folge wurde eine grosse Menge von diesen Schiak-
ken hinuntergetragen und zu ornamentalen Zwecken verwendet, zur Anlegimg von
Grotten u. dgl.; so ist ein Brunnen im Schwarzathale hinter dem Eberatein ganz
mit diesen Schlacken ausgeschmückt; dessgleichen sind die Wände einer Niadie im
Garten der Villa Bernhard damit aufgebaut Dadurch wurde eine grosse Menge die*
ser Schlacken heruntergebracht, und man findet jetzt nur noch einzelne zeraehlageBe
Stücke, jedoch noch immer in ziemlicher Menge. Nach der Beschreibung des Forsten,
den ich darüber befragte, hatte die Stelle, an welcher die Schlacken sich ursprüng-
lich befanden, eine Länge von 15 Sdiritten und eine etwas geringere Breite, war läng-
lich und etwas gebogen. In der Ho&ung, in der Tiefe eine grossere Menge tob
diesen Schlacken zu finden, wurde nachgegraben; allein in einer Tiefe von 1 — 2Fihi
war es damit zu Ende. Diese Schlacken zeigen viele Uebereinstimmung mit dei
früher (Sitzung vom 14. Mai 1870) von dem Hm. Vorsitaenden aus der Ober-Lansiti
gezeigten, namentlich mit denen vom Stromberg. Sie haben auch Holzeindrücke, um
denen ich allerdings keine so ausgezeichneten Stücke vorlegen kann, wie ich sie u
Ort und Stelle gesehen habe. Sie finden sich an den Stücken, die ich mit
Nr. 1 und 2 bezeichnet habe, weniger deutlich an dem Stück Nr; 8. Dass die
Schlacken gebildet sind aus dem Gestein, welches dort an Ort und Stelle den Berg
bedeckt, das zeigen die vielfachen üebergänge, wo auf der einen Seite der Gm-
wackenschiefer noch erkennbar ist, nur mehr oder weniger durch die Gluth gebTänsi
oder geröthet während auf der anderen Seite ein Uebergang in eine blasige, lavair-
tige Masse stattfindet Manchnud ist die Oberfläche wellig und höckerig and hat das
Aussehen einer völlig geschmolzenen Masse. Dazwischen kommen dann auch melir erdige
Partien vor, die gleichfalls das Ansehen des Gebrannten besitzen, z. B. das Stock
Nr. 10. An allen diesen Stücken sind Debergänge vom Grauwackensehiefer in die tt
dige Masse zu sehen. Es kann kein Zweifel sein, dass die Schlacken durch Glühen ds
an Ort und Stelle vorkommenden Gesteines entstanden sind, und es wäre auch nidfat
einzusehen, wie man zu diesem Zwecke ein anderes Gestein hätte hinauf bringa
sollen. In den Grotten, die aus der Schlacke gebaut sind, kommen Stucke vor, wel-
che 3 Fuss Ausdehnung haben, so dass man sieht, dass zum Theil grössere Massen
zusammengeschmolzen sind. Die Art und Weise des Vorkommens dieser Schlacken,
das Fehlen eines höheren Walles, spricht nun zwar nicht dafür, dass diese Anlage in
die Kategorie der gebrannten Wälle gehört; aber es könnte sein, dass ein solcher dort
angefangen und unvollendet wieder verlassen wurde; ich wüsste wenigstens eine an-
dere Erklärung nicht beizubringen. —
Herr Wetzstein: Diese Schlacken haben eine tauschende Aehnlichkeit und sind
auch dem Gewichte nach gleich den Schlacken, womit die zahlreichen Eruptionskegel
in dem alten Hauran bedeckt sind, so dass ich sie vielmehr für ein vulkanisches
Produkt halten würde. Ich habe aus Syrien einen ganzen Kasten voll Schlacken
mitgebracht, von denen diese hier durchaus nicht zu unterscheiden sind. Darunter
sind einzelne von dem schönsten Roth, noch viel schöner, als die vorliegenden.
Herr Braun erwidert, dass an eine vulkanische Eruption bei der geologischen
(279)
Beschaffenheit der Gebirge bei Blankenburg wohl nicht zu denken sei; die beschrie-
bene Schlackenbildong sei ganz auf die Oberfläche des Berges beschränkt. —
Herr Beyrioh macht darauf aufmerksam, dass bei solchen Schlacken selbst das
VorhandenBein yon Einschlüssen, sogar Ton Knochen, mit grosser Vorsicht zu beur-
theilen sei. Zunächst wäre doch wohl zu untersuchen, ob die Schlacken nicht von
zusammengebrannten alten Bauten, z. B. einem Jagdhause, herrühren könnten. —
Der Vorsitzende schlägt die Ueberweisung der vom Vortragenden geschenkten
Schlacken an die Sammlung der Berg-Akademie vor.
Die Gesellschaft ist damit einverstanden.
Herr Virchow bestätigt die Aehnlichkeit der von Hm. Braun überbrachten
Proben in Beziehung auf die Form der Wände der darin enthaltenen Höhlungen
mit den von ihm selbst aus der Ober-Lausitz vorgelegten. Neuerlich hat ihm Hr.
Göppert in Breslau ein sehr schönes Schlackenstück von der Spitze eines der Strie-
ganer Berge überbracht, wo gleichfalls ein Schlackenwall sein soll. Bestätigt sich dies,
so würde derselbe der südlichste bisher in Preussen beobachtete sein. —
(8) Herr v. Erzleben zeigt
zwei Bronze-Flbnlae von Selbelang (Mark). *
Dieselben sind in der Nähe des sogenannten Luches in einer grösseren Urne
gefunden worden. An der Stelle liegt ein ganzer Kirchhof mit kleineren und grös-
seren Dmen. Die ausgegrabenen Urnen sind wieder beigesetzt worden.
Herr Virchow: Die Form der Fibulae entspricht ganz derjenigen, welche wir da
finden, vro ein Contakt mit der römischen Cultur stattgefunden hat, was etwa im
dritten oder vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung der Fall gewesen zu sein
scheint. Es sind ganz analoge Formen, wie ich sie aus Ostpreussen beschrieben
habe (Sitzung vom 15. October 1870). Auch hier liegt eine verzierte Platte auf dem
eigentlichen Gussstück, jedoch scheint sie nicht von Silber zu sein; die Art, wie die
Spirale gewunden und die Stange angesetzt ist, entspricht ganz den römischen
Mustern. —
(9) Herr Dr. L. Pfeiffer berichtet d. d. Weimar, 25. November 1872 über die
in der letzten Sitzung erwähnten
angeblich im Tnffsande gefundenen Menschenknochen.
Damach erweist sich die Coexistenz der Menschenknocben in denselben Schich-
ten, wie die Knochen von Mammuth, Rhinoceros, Hyäne, Pferd, Bär, Biber, Hirsch,
Reh u. s. f., als eine Täuschung.
Bei vriederholter Vergleichung mit frisch ausgegrabenen Thierknochen der einzel-
nen Stellen fand Hr. Pfeiffer einige Verschiedenheit (Mangel der Mangandendriten an
den Menschenknochen, rauhere Oberfläche). Auf erneuertes Befragen behauptete der
Besitzer des Feldes, die Menschenknochen 20 Fuss tief im Lehm gefunden zu haben.
Wie es sich mit dem gleichzeitig gefuntlenen, jetzt im Besitze des Hrn. Oberstabs-
arzt Schwabe zu Weimar befindlichen Feuersteinmesser verhält, war nicht genauer
festzustellen. —
(280)
(10) Herr Architekt B. Bosse zu Braunschweig schreibt über
Alterthnmsfiinde bei Nörten in der Nähe ron C^ttlngen«
In der Nähe Ton GottingeD, dem Bahnhofe NÖrten gegenüber , fand ich is der
Fondamentgrube des Schornsteines der Zuckerfabrik, die ich dort erbaue, manche
alterthümliche Sachen.
Die Leine durchschneidet hier ein breites, flaches Thal, welches erst seit Re-
gulirung des Flusses nicht mehr vollständig überschwemmt wird. Das Thal wird
beiderseits von Höhenzügen umgeben. Die nähere Untersuchung des Terrains UsA
darauf schliessen, dass hier in früherer Zeit eine Seebildung stattgefunden hat — Ii
der Baugrube findet sich unten eine aus Eaes und Mudde bestehende tiefe Knltar-
Schicht 3 — 4 Meter unter dem jetzigen Terrain. Hierüber lagern sich aufgeschwemmte
Schichten Ton verschiedenfarbigem Thon, Sand und Lehm. Die Grube liegt am frü-
heren Ufer des Sees. Da ich den Bau nur alle acht Tage einmal inspicire, so hsbp
ich die Entdeckung nicht eher gemacht, als die völlige Ausgrabung der Grube Toil-
endet war; es ist daher Vieles fortgeschleppt und unbeachtet geblieben, h dn
Grube standen aufrecht und schräg stehende Pfahle von Eichenholz. Ein dwas
Tannen- oder Weidenpfahl, äusserlich verkohlt, unten angeschärft, ist in meioa
Händen. Ferner fanden sich ein Pferdegebiss, Rindviehknochen, Muscheln, Schnecken-
häuser, eine beträchtliche Anzahl schwerer Steine, die nicht in die Kiesschicht gebo-
ren und vielleicht zum Beschweren von Netzen gedient haben mögen. Von grosser
Wichtigkeit mochte der Fund eines bearbeiteten Knochens sein, welcher mir indc«
nur der Beschreibung nach bekannt ist, jedoch auch nächster Tage in meine Hioie
kommt. Derselbe «ist wahrscheinlich eine Pfeilspitze 9.
(11) Herr Thunig zu Dnterwalden (früher Zaborowo genannt) schreibt 1IlitB^
zug auf den Sitzungsbericht vom 1 3. Januar d. J.
Ober Schlittknoehen und Gräbemrnen.
r. in Betreff der Schlittknoehen. Auch ich habe in meinen Eindeijabiu
in Schlesien die Schlittknoehen zum Eislaufen vielfach benutzt. Ich sowohl wie dk
anderen Jungen bezogen Bindskochen vom Fleischer, brannten in der Schmiak
Löcher durch und befestigten sie mittelst Stranglitzen (Provinzialismus für staik«
Bindfaden, während der schwache Spuckat heisst) an unsere Füsse. Söhne von Z^-
merleuten oder Tischlern befestigten auf diese Knochen Klötze resp. Bretter, so ^
ein schlittschuhähnlicher Gegenstand zum Vorschein kam. Ich kann mich noch se)s
gut daran erinnern, dass mir meine Mutter zu Weihnachten 1820 oder 21 ein Ptf
dergleichen Schlittknoehen mit Brettern schenkte. Auch mein 70 Jahre alter Admi-
nistrator Ford an, in Nieder-Schlesien geboren und erzogen, während ich ausPeil>i>
bei Heichenbach stamme, kann sich ebensowenig, als ich, entsinnen, jemals uuduicii'
bohrte Schlittknoehen resp. derartige Knochen ohne Bänderbefestigung im Gebraoca
gesehen zu haben.
2. Ad alinea 2 pag. H. Es sei ferne von mir, Ihnen widersprechen zu wolleß»
allein die Wahrnehmung derf ich nicht unterdrücken, dass die Markknochen fast va-
nahmslos in den Urnen der Länge lang gespalten sich vorfinden und nicht qu^'^
durchbrochen. Nun sollte man doch meinen, dass, wenn es sich bloss um ein Unter-
bringen von Knochen in den Geissen handelte, sie in der letzteren Form serbrocbeo
einen geringeren Raum einnehmen müssten, als in der ersteren.
0 Nach einer späteren Mittheilunji; des Hru. v.Seebach ist der ursprönglich auJgeUuclite
Gedanke, dass hier ein Pfahlbau sei, ganz unhaltbar. Die gemachten Funde scheinen p^ ^^'
schiedenen Altem anzugehören.
(281)
GraiUB xweifelloB fcuideii sich in einer üme, die ich noch auf bewahre, die Sch&del-
decken Ton fünf Indiyiduen, und zwar von einem erwachsenen Menschen und yier
Kindern yor. Der Ausdruck Schädel in meinem Schreil^en vom 14. April 1871 war
ein incorrecter. Zum Beweise dieser meiner Wahrnehmung führe ich an, dass, nach-
dem diese üme aufgefunden und zum grössten Theile blossgelegt war, ich vermittelst
eines Löffels die Erde aus dem Umenhalse entfernte. Nachdem dies bewirkt war,
stiess ich auf die Schadeldecken. Diese wurden auf die behutsamste Weise bloss-
gelegt. Sie bildeten eine Halbkugel. In der Mitte lag die grosse und um dieselbe
die vier kleinen. Und wo die Schädeldecken mit ihren Rändern nichi genau zu-
aammenpassten, da waren die Zwischenräume ganz genau mit Thonscherben aus-
gefüllt. Auch entdeckte eine meiner Töchter in einem derartigen Zwischenräume
die eingesendete, blankgeputzte Nadel. — Die Schädeldecken zeigten sich so weiss,
als ob sie erst vor kurzer Zeit in das Thongefäss gebracht worden wären. Auch jede
Naht auf denselben war ganz deutlich zu erkennen. Die weisse Farbe verleitete
mich zu der Annahme, dass diese Schädeldecken, insbesondere nachdem ich sie circa
24 Stunden der Luft ausgesetzt hatte stehen lassen, sich unversehrt loslösen lassen
würden. Diese Annahme war aber falsch. —
(10) Herr Walter Kanffinann berichtet unter dem 1. d. M.
Aber alte Mnsehelgräber in der Nähe von UnU (England).
Ich bin so glücklich gewesen, in. der Nähe von Hüll auf Begräbnissstätten, wie
es scheint, aus der Debergangsperiode der Steinzeit in die Bronzezeit, zu stossen.
Leider hat das fortwährende Regenwetter mich an weiteren Ausgrabungen gehindert
Die ganze Umgegend von Hüll ist sehr niedrig und eben, nur vereinzelt stehende
Bäume unterbrechen gelegentlich die eintönige Landschaft. Ungeföhr eine deut-
sche Meile von Hüll im NO, im Bezirk Holdemess, giebt es einen Platz, der unter
dem Namen „Castle Hill*' bekannt ist, und der, wie Sie aus der Bedeutung des
Wortes sehen können, über die ihn umgebende Ebene hervorragt Der Volksmund
bezeichnet ihn als ein römisches Lager, jedoch hat man keinen bestimmten Anhalte-
punkt Der Pktz hat vielleicht 260 — 3öO Fuss im Umkreise, und ragt 10-15 Fuss
über die Ebene heraus; er ist von prächtigen alten Bäumen, namentlich Buchen be-
wachsen. Als ich zum ersten Male diesen Platz besuchte, fand ich den Anberg im
Westen angestochen; es war von dort Erde, wahrscheinlich zu Bauzwecken, fortge-
nommen worden. Als ich diesen Theil näher untersuchte, fand ich einen Scherben
eines aus Lehm gebrannten Gefasses, einige eng zusammenliegende Austerschalen, die
ganz bestimmt durch Menschenhand zusammengelegt waren, Feuersteinsplitter und
eine Rippe eines menschlichen Skelets. Da ich damals von einem furchtbaren Ge-
witter überrascht wurde, honnte ich leider nici^t weiter graben. Als ich zum zweiten
Male hinausging, fand ich nicht nur die Rückenwirbel und andere Knochen dieses
Skeletes, sondern ungefähr 2 Vi Fuss von dem ersteren entfernt, ein zweites Skelet.
Diese beiden Skelete lagen ungefähr 4 — 47, Fuss unter der Oberfläche; v% beid^' ^^•
waren jedoch durch das Fortschaffen der Erde die Fussknochen, sowie der Ober-
und Unterschenkel verloren gegangen. Ich grub t>ei dem zuletzt gefundeneu Skelet
weiter und fand die Rückenwirbel in gehöriger Ordnung beisammen; merkwürdiger
Weise waren zwei derselben gespalten, und zwar augenscheinlich mit einem scharfen
Instrumente, und nicht ganz in der senkrechten Richtung der Wirbelsäule, sondern
schräg. Der Lage der Knochen nach scheint es ausser Zweifel, dass die Knochen vor
dem Begraben werden gespalten gewesen sind, denn die Erdschichten über dem Ske-
let sind unversehrt. Merkwürdig war mir die Aufhäufung von Austerschalen um
Y«rbftuai. d«r Berl. 0«t. für Aiithrop«L «tc ^19^
(282)
den Körper herum, so dass ich unwillkürlich auf den Gredanken kam, ob die Ycl-
kerschaften hier nicht vielleicht Aiuterschalen als eine Art Ton Sarg gebraacht haben,
wie wir bei ans die Steinkisten zur Beschützung der Urnen und Skelete finden,
denn diese Austerschalen (von denen ein Theil noch unversehrt und aneroffiiet
ist) bilden eine feste, beinahe ringförmige Masse um das Skelet, die aüt Mühe
zu durchbrechen ist Oder sollten die Austern dem Todten als Nahning mitge-
geben sein ? Ich würde mich sehr freuen, wenn ich von Dmen eine Auf kiamog
darüber erhalten könnte; hier sind keine Bücher darüber aufzutreiben, und intereasiit
sich kein Mvusch für diese Wissenschaft! Ich bin schon bis zum dritten Halswirbel
gekommen und ho£Fe bei weiterem Graben den Schädel zu finden. In dem Austeni-
ringe fand ich in der Erde viele Feuersteinsplitter und namentlich zwei grossere
bearbeitete Steine, von denen ich den einen als einen Meissel, den ander^i ida eines
Hammer ansehe. Gleich ausserhalb des Austemschalenringes fand ich noch eis
einzelnes Stück Bronze in Form eines Nagelkopfes mit einem Stackchen Nagel, un-
gefähr '/4 Zoll lang; der Nagel hatte einen ziemlidi sauber gearbeiteten Kopf (di«
Form ungef)&hr wie die eines Fliegenpilzes). Dann fisnd ich noch einige Knoehea
von Kaninchen und einen Flügelknocheu eines Vogel, ungefähr von der Grosse mms
Taube. Die Kichtung des Skeletes ist, wie bei uns, von Westen nach Osten, mtt
dem Schädel nach Osten. Die Knochen sind verhaltnissmässig sehr stark und gross.
Herr Yirehow bemerkt, dass ihm kein ähnlicher Fund von einem Muschelgrabe
bekannt sei. Wenn man auch entfernt erinnert werde an die Muschelberge Braailieoä^
von denen in der Sitzung vom 10. Februar d. J. gehandelt worden, so lasse sieb
doch kaum eine wirkliche Vergleichung darauf begründen. —
(11) Der Vorsitzende legt eine Photographie des neuen
Coordtnaten- Apparates von Lucas
vor, einer Einrichtung, welche den Zweck hat, Schädel und andere Gegenstande zaiz
Zweck geometrischer Zeichnung so zu fixiren, dass dieselben durch einfache Umdre-
hung des Apparates, ohne dass ihre Lage verändert wird, von verschiedenen Seiies
aufgenommen werden können. £s wird damit eine vollkommeite Sicherheit der FixK
rung und die höchste Bequemlichkeit des Zeichnens erreicht. —
(12) Herr Virchow spricht^ unter Vorlegung von Photographien und Steiage-
räthen.
Aber die Urbevölkerang Belgteas.
Ich hatte ursprünglich die Absicht, etwas genauer auf die Verhandlungen des
letzten prähistorischen Congresses in Brüasel einzugehen. Allein in der neuestea
Nummer des „Correspondenz Blattes der deutschen anthropolof^bchen Gesellschaft*
ist der erste Theil eines Berichtes von Frl. Mestorf gegeben, dessen Fortsetxong
die Ebtuptpunkte der Verhandlung und zwar mehr vom Standpunkte der belgischen
Forscher aus bringen wird. £s enthält dieser Berieht im Auszuge das V^esentlidie
von dem, was Hr. Dupont und seine Freunde für wahr halten. Nach der Meinung
dieser Herren würde die belgische Urbevölkerung eine mongoloide Raoe von yeddUt-
nissmässig kleiner Statur gewesen sein, welche in Haupteigenthümlichkeiten mü
finnischen Stammen übereinstimmte , und wir Preussen würden also , wenn Hr.
de Quatrefages Recht hat, in den alten Troglodyten Belgiens nächste Verwandte
von uns zu verehren haben. Die Basis für diese AuiBGassung ist nun allerdings eine
sehr schmale, denn wie überall, so haben auch in Belgien die Höhlen, wie zahlreiehe
Objecto menschlicher Kunstthfitigkeit sie auch dargeboten haben, docli wenig Ueber-
reete des MensoheA selbst geliefert. Freilich kann man sie zahlreich nennen, wenn
man die deutschen Funde mit den belgischen vergleicht; ja, M'ir könnten neidisch
sein anf die Zahl menschlicher üeberreste, welche in Belgien gesammelt worden sind.
Dieser Gegensatz erklärt sich vielleicht daraus, dass, während bei uns die meisten
Höhlen seit langer Zeit zu^mglich gewesen sind und zahlreiche Umwühlungen ihres
Bodens stattgefunden haben, viele Höhlen in Belgien noch jungfräulich, noch gar nicht
angegriffen waren; noch mehr daraus, dass in Folge der Sorgfalt, welche die belgi-
sche Regiening seit zehn Jahren auf die Verfolgung dieser Angelegenheit verwendet
hat, eine Reihe von Höhlen in ihrer ganzen Ausdehnung ausgeräumt worden ist
Das eigentliche Höhlengebiet Belgiens erstreckt sich längs den üfem der Maas
uad ihrer Nebenflüsse. Besonders reich an Höhlen sind die Thalw&nde eines kleine-
ren Nebenflusses der Maas, der Lesse, über welche Fräulein Mestorf specieU be-
richtet Das Lesse-Thal, zwischen Diuant und der firanzösischen Grenze gelegen,
hat landschaftlich die höchste Aehnlichkeit mit unseren deutschen Höhlengebie-
ten. Ich kam im vorigen Herbste direkt aus Schwaben, wo ich eben solche Höh-
len gesehen hatte auf der Rauhen Alp im Thale der Blau. Früher habe ich hier
berichtet über die westfälischen Höhlen, bes<>nders die des HÖnnethales, welches in
manchen Theilen dem Lessethai täuschend ähnlich ist. Enge Thäler mit steil ab-
fallenden Wänden von massiger Höhe, bewaldete Abhänge, grüner Wiesengrund, w^-
nig Häuser, — ein Bild stillen Friedens. In sehr verschiedener Höhe über der jetzi-
gea Thalsohle zeigen sich die Eingänge der Höhlen. Dus Gestein ist durchweg Do-
lomit oder Ejilkstein; in Belgien überwiegend Eohlenkalkstein. Die Hohlen haben
meist eine aufsteigende Richtung, so dass, wenn man den Eingang vom Thale aus
erreicht hat, die Höhle, sich nach und nach in einer gegen die Uferränder senkrechten
Dorchschnittsebene in die Höhe zieht. Es giebt auch einzelne Höhlen, bei denen die End-
oder Seiteneingänge nicht bekannt sind, sondern bei denen eine OefiEhung von oben
hiDeinführt, welche durch späteres Einstürzen des Daches gebildet ist Manchmal
liegt die Oeffnung ganz hoch an der Wand steil abfallender Felswände. Eine solche
Höhle vrar die von Engis, in welcher vor vierzig Jahren zuerst Schmerling seine
epochemachenden Untersuchungen anstellte, — Untersuchungen, welche unter den höch-
sten Entbehrungen und unter Aufopferung seines Lebens mit dem uneigennützigen
Streben und der Hartnäckigkeit eines wahren Gelehrten durchgeführt sind. Seitdem
ist eine grosse Anzahl von Höhleu durchforscht, und nach den Berichten des Hrn.
Dupont') giebt es allein in Belgien 29 bekannte Höhlen, welche nach den darin
gemachten Funden von Menschen bewohnt gewesen sind. Ich selbst habe nur die
Höhlen des Lessethaies gesehen, aber ich konnte ausserdem die ungemein reiche und
wundervoll geordnete Sammlung des Musee royal d'histoire naturelle de Belgique zu
Brüssel, sowie die Funde untersuchen, welche sich in den Museen von Namur und
Lüttich befinden, Sammlungen, welche in einzelnen Richtungen fast reichhaltiger
sind, als die Brüsseler, namentlich in Beziehung auf menschliche Ueberreste, und
welche der Aufmerksamkeit jedes Reisenden dringend empfohlen werden können.
Ich bin namentlich überzeugt, dass keiner ohne Bewunderung von dem ganz auf lo-
cale Sammlungen beschrankten und daher wenig umfangreichen Museum zu Namur
scheiden wird; die dort angesammelten Funde reichen von der ältesten Höhlenzeit
Dis zur römischen und fränkischen Periode und darüber hinaus, und man erhält so
ein culturgeschichtliches Bild, wie man es mehr zusanunen hängend nicht sehen kann.
^) E. Dupont, L'homme pendant les ages de la pierre dans les enyirons de Dinant-sur-
Meuse. Bruxelles 1S72.
(2M)
Daza ein vortrefflich geordnetes und nicht durch die Menge erdr&ckendes MatoriaL
Es ist in der That ein Schatz yon einem Provincial-Museum!
Ich habe die Zeit benutzt und Alles durchgemessen, was mir ron menschlichen
Höhlenschadeln in Belgien erreichbar war. Ausser den Höhlenschadeln giebt es in
Brüsseler Museum noch einige Torf- oder Moorschadel, welche bei den neuen Festungs-
bauten Ton Antwerpen gefunden sind, einer Locaiitat, welche auch in paläontologischer
Beziehung die reichsten Ertrage geliefert, namentlich eine ganze Fauna Yon grossen
Seesaugethieren erschlossen hat, so dass, wenn Jemand im Zweifel darüber sein
sollte, welchen Werth jene Bauten politisch haben, er doch gewiss in palaontologischer
Beziehung ihre hohe Bedeutung rückhaltlos anerkennen muss. —
Wenn ich mir nun die Hauptformen der Höhlenschadel yergegenwartige, so finde
ich, wie schon firüher Spring '), dass grosse Verschiedenheiten unter ihnen Torhanden
sind, so grosse, dass es unmöglich ist, die Gesammtheit dieser Schädel einer und
derselben Beyölkerung zuzuschreiben. Die ersten Nachgrabungen Schmerling^
welche das berühmte Schädeldach yon Engis zu Tage gefördert haben, brachten ein^
so aa&gezeichnet dolichocephalen Schädel, wie wir ihn in Deutschland kaum besitzen.
Der Breitenindex beträgt 69,5*}. Wenn man ihn mit den ältesten sonst bekann>
ten dolichocepalen Schädeln Tergleicht, so ist er unzweifelhaft einer der aller-
schmälsten und längsten, welche vorhanden sind. Man könnte nun yielieicht glauben,
dass dies ein zufälliges Ereigniss wäre, indess ist in derselben Höhle ein Kinder-
schädel gefunden, der in seinen Hauptformen vollständig stimmt, so dass man nicht
umhin kann, diese Form nicht als eine iudividueUe zu betrachten, sondern als eine
allgemeinere anzuerkennen.
An den Schädel von Engis schliesst sich zunächst ein anderer Schädel, der sich
in dem Museum zu Namur befindet Derselbe stammt aus der zuerst von Spring
untersuchten Höhle von Chauvaux. Er hat einen Index von 71,8, ist also auch m
verhältnissmässer langer Schädel. Höhe und Breite desselben ist vollkommen gleicL
Die Vergleichung desselben mit dem Engis-Bchädel zeigt jedoch, dass der letztere«
namentlich in der Entwickelung des Yorderkopfes, ungleich vorzüglicher ist^ dens
das Stirnbein hat bei ihm eine sagittale Länge von 134, bei dem Schädel Ton Chau-
vaux nur von 129. Ja, die Pfeilnaht misst bei dem Schädel von Engis 138, bei
dem von Chauvaux nur 129 Mm. Im Uebrigen stehen sich beide jedoch so nahe,
dass ich nicht recht verstehe, wie Spring dazu gekommen ist, sie so weit von ein-
ander zu trennen, dass er die Leute von Chauvaux zu den brachycephalen and so-
fort auch zu den mongoloiden Stämmen gezählt hat. Allerdings ist ihre paläontolo-
gische Stellung ziemlich verschieden. Denn während die Höhle von Engis Knocheo
vom Mammuth, Rhinoceros, Hyäne, Ren, Höhlenlöwen u. s. w, einschloss, fanden
sich in der Grotte von Chauvaux nur Reste vom Hirsch, Wildschwein, Ochsen (Auer-
ochsen?), Hund n. s. w. neben polirten Steinäxten^), um so wichtiger scheint mir
daher das von mir gefundene Verhaltniss, welches eher für eine Persistenz der alten
dolichocephalen Race spricht. Hr. Hamy hat neuerlich (Bullet, de la soc. anthrop. de
Paris 1872. Ser. IL T. VI. p. 381) nachzuweisen gesucht, dass dieselbe Race,
0 A. Sprinfjr, Les hommes d'Engis et les hommes de Chauvaux. Bruxelles 1S(S4 (Bullet
de rAcad<^mie royale de Belg^iqne. S^r. II. T. XVIII. No. 12).
*) Huxley (Zeugnisse für die Stellung des Menseben in der Natur. S. 144) fsnd an einem
Gypsabgusse 70; Hamy (Paleon tolo^e humaine. p. 282) g:iebt den Scbädelindex unter 71 au.
Nach den Messungen von Spring (I. c. p. I2. Not. I) berechnet sich nur das VerhältnisB
von CS,2.
*) Dupont 1. c. p. 222.
(285)
-welche die Hohle Ton Cro-Magnoo in Süd-Frankreich bewohnte, sich bis nach Belgien
erstreckt und namentlich die benachbarte Hohle von Engihoul bewohnt habe. Ich
kann darüber nicht artheilen. Jedenfalls ist es in höchstem Grade bemerkenswerth,
dass selbst in einer verhfiltnissmfissig so spaten Periode der Steinzeit in Chauvaux
noch dolichocephale Leute rorhanden waren, von denen selbst Spring zugesteht,
dass sie orthognath waren.
'Diesen schmalen und langen Schädeln steht nun in Belgien eine ganz andere
Kategorie von bewundernswürdigen brachycephalen Schädeln gegenüber, deren Alter
ich weniger sicher bestimmen kann. Die Höhle Ton Sclaigneaux barg eine Reihe
yon Schädeln, welche sich gegenwärtig in Namur befinden. Einer derselben hat einen
Index Ton 88,1 , gehSrt also der extremsten Brachycephalie an, wie man sie bis jetzt
in Europa nur noch bei den Lappen kannte. Die anderen sind leider sehr verletzt,
allein der Typus geht durch die ganze Gruppe hindurch, und bei zweien maass ich
die grosste Breite zu 175 und 176 Mm., ganz extreme Verhältnisse. Wollte man
Vergleichungen mit nordischen Formen suchen, so liegt hier in der That die nächste
Versuchung vor, an einen lappischen Stamm zu denken. Ich habe eine gewisse Zahl
lappischer Schädel beschrieben (Archiv für Anthropologie, Bd. VI, S. 74) und darunter
namentlich einen ungewöhnlich grossen, der einen Breitenindex von 92 Katte. Bei
den übrigen fand ich nur die Zahl 82,2. Trotzdem muss ich die Vergleichung ab-
lehnen. Schon das Gesicht ist ganz verschieden. Gegenüber der breiten Nasenwurzel
der Lappen (24 — 31 Mm ) ist die Nasenwurzel der Schädel von Sclaigneaux schmal
(21 — 22), die Nase selbst hoch (48,5 — 53,5) und das Gesicht kräftig. Der best-
erhaltene Schädel zeigt eine starke Wulstnng über den Augenbrau^nbogen, welche über
der Nasenwurzel zusammenläuft. Auch die Schädel selbst machen den Eindruck, dass
man es mit einer kiäftigen und intelligenten Race zu thun hat. Namentlich sind die
sagittalen Längen des Stirn- und Scheitelbeins beträchtlich.
Nun giebt es noch eine dritte Kategorie Ton Hohlenschädeln , welche einiger-
maassen in der Mitte steht Man kann sagen, dass sie im Ganzen sich mehr den
Brachycephalen anschliessen, aber sie nähern sich doch mehr oder weniger den mitt-
leren, den sogenannten meso- oder orthocephalen Formen. Dahin gehören na-
mentlich die zwei Hanptschädel , auf welche Hr. Dupont seine Hauptargumente für
die mongoloide Race gerichtet hat, die aus der Hohle von Furfooz, einem Orte, der
ziemlich weit rückwärts im Lessethai gelegen ist. Wenn man den kleinen Fluss von
Pont-ä-Lesse aufwärts verfolgt, so hört der eigentliche Fahrweg sehr bald auf. Das Thal
wird enger und man ist gen5ihigt, immer wieder die Lesse ohne Brücke zu durchkreuzen.
Hier geschahen jene Episoden, auf welche Frl. Mestorf in ihrem Berichte hinweist.
An beiden Ufern finden sich zahlreiche Höhlen. Wir sahen nach einander die (leider
Terschlossene) HShle von Pont-ä-Lesse, das Trou Margrite, die durch den viel be-
sprochenen Unterkiefer berühmte Naulette. Endlich macht die Lesse einen starken
Bogen um einen Bergvorsprung und geht hart am Fusse einer steilen Felswand fort.
Hier, in einem stillen und abgelegenen Thale, das auf der anderen Seite des Flusses
breite Wiesenflächen führt, unmittelbar an der steil abfallenden Wand, zu der erst
Wege haben hinaufgeführt werden müssen, liegen zwei Höhlen, eine kleinere
(Trou du Frontal) und eine grössere (Trou des Nutons), beide ziemlich hoch
über dem Niteau des Flusses. Nach Hm. Dupont's Ansicht wäre die grössere
Höhle die Wohnhöhle gewesen, die kleinere die Begrfibnissböhle, ein Verhältniss,
wie es sich nach seiner Meinung häufiger aufweisen lasse. In der kleinen Höhle hat
man yersehiedene menschliche Ueberreste neben Thongeräth, Schmucksachen und
Werkzeugen aus Stein und Ejiochen gefunden, eine ganze Reibe von Knochen, dar-
unter lablreiohe Thierknochen und namentlich auch Yom Renthier, Von höchstem
Interesse sind zwei zieoolich gut erhaltene menschliche Schädel; sie siod es gpns l«-
sonders, welche die Basis der ethnologischen Erörterungen gebildet haben. Bdde
gehören in das brachycephale oder subbrachjce^^ale Gebiet. Der eine, scheiiibir
weibliche, hat einen Index yon 81,3, der andere, der anscheinend einem jüngereo
Manne angehört hat, Ton 79,3 *) ; sie sind also darin nicht sehr yersehiedeo. Dagegen
wenn man sie im Ganzen betrachtet, erweisen sich allerdings erhebliche YerBchiedeii-
heiten. Wie gross dieselben sind, erhellt am besten aus der Thatsache, daas in dem
ersten, noch ganz unbefangenen Berichte der HHm. yan Beneden und Dupont') als
selbstverständlich angenommen wurde, dass sie zwei verschiedenen Bacen aDgehoitea
Erst Hr. Pruner-Bey hat sie auf dieselbe und zwar mongoloide Race besogen idkI
so die erste Grundlage der neuen, auch von Hrn. Dupont aufgenommeaen L^ire
von einer mongoloiden Urbevölkerung Belgiens gelegt. Darauf weiter bauend, komm:
Hr. deQuatrefages zu dem Schlüsse, daas die Leute Ton Furfooz die Vor&fara
der Preussen gewesen, und dass in dem Trou du Frontal die ältesten Reste erfaalta
seien, welche von den Urbewohnem der flämischen, norddeutschen ond bflltiBehf&
Ebene bis jetzt bekannt geworden sind. Ich will mich der DetaÜB über die Qbriges
Maassverh<nisse enthalten, und nur erwähnen, was schon die HHm. van Beneden and
Dupont richtig angeben, dass der eine Schädel orthognath ist, wfihrend der «adeR
einen starken Prognathismus zeigt An dem letzteren macht allerdings die starke
Yorschiebung der Kiefer den Eindruck, als sehe man etwas Fremdländisches Tor siek
Die Entfernung des Ansatzes der Spina nasalis inferior vom vorderen Bande des
grossen Hinterhauptsloches betrogt bei dem jugendlichen Schädel nur 85,6, bei deo
weiblichen 94 Mm.
An die Schädel von Furfooz schliesst sich ein Schädel aus dem Txoa Msdanw
bei Bouvignes an der Maas (unterhalb Dinant), welcher noch mehr den naesocephalwi
Charakter an sich trägt. In der Höhle fanden sich ausserdem Knochen vom Hund, Dachs,
Fuchs, Schaaf, Wildschwein und Kaninchen, ferner Thongerfith und bearbeitetes Hineb-
hörn. Nach der Mittheilung des Hm. Dupont^) hat Hr. de Mortillet an den letiteB
beiden Gegenständen Merkmale der ersten Eisenzeit (vor der Ankunft der Römer) eat-
deckt, während Hr. Pruner-Bey an dem Schädel grosse Aehnlichkeit mit denen vob
Furfooz nachwies. Ich habe denselben im Brüsseler Museum gemeesen und seine gxSsafif
Länge ^ 179, die grösste Breite «s 136 notirt; daraus berechnet sich ein Index voe
75,9. Hr. Pruner giebt eine Länge von 181, eine Breite von 135 — 142; danack
berechnet sich, je nachdem man die eine oder die andere. Zahl nimmt, ein Index ne
74,5 oder, wie Hr. Dupont annimmt, von 78,4. Ich bin jetzt nicht im Stsnde, zu be-
urtheilen, welche dieser Zahlen die richtigere ist, obwohl ich naturlich geneigt bin, die
erstere, welche mit der meinigen nahezu stimmt, vorzuziehen. Indess kann ich zuge-
stehen, dass beide Zahlen innerhalb der Grenzen liegen, welche ieh für estfaniscbe
Schädel gefunden habe (Sitzung vom 10 Februar 1872). Auch die übrigen von mir
notirten Maasse wiirden einer solchen Annahme nicht direkt widerstreiten; die ver-
hältnissmässig flache Form konnte sogar dafür angezogen werden. Ich will nicht da-
von sprechen, dass die Persistenz der Stirnnaht eine individuelle Abweicbong dar-
stellt, deren Einfluss nicht genau abzuschätzen ist Um so mehr aber muas ich
0 Hr. Pruner-Bey hat die Indices von 81,3 und 81,1 (Dupont, Notices pr^timinairae
sur les fouilles dans las cavemes de la Belgique. Brux. 1867. T. II. Note Of. p. 14). Die
Differenz liegt in der grösseren Breite, welche Hr. Pruner far den jungen Mann angiebt
') van Beneden et Dupojat, Sur les ossements humains du Trou du Frontal (extr. des
Bull, de TAcad. royale de Belgique. S^r. IL T. XIX. Ko. 1.) p. 9.
>) Notices pr^liminaires. T. II. Note HI. p. 14.
(987)
mein firstaunen darüber auadr&ckeo, dass Hr. Dupont, der den weiblichen Scb&del
▼on Furfoos ^kaum brachycephal, aber acrocephal^ nennt % kein Bedenken trfigt, ihn
dem Sduuiel von Bouvignes anzuschliessen. In der That hat der erstere nach meinen
Meaausgen einen Hohenindez von 79,8 (78), der letztere einen solchen yon nur 71,8.
Trotidem mag für die heutige Betrachtung zugegeben werden, dass unter den mir
bekannt gewordenen belgischen Höhlenschideln die yon Fnrfooz und Ton Bouvignes
einander am n&chsten stehen.
Wenn man daher in den Troglodyten Belgiens drei ihrem Schfidelbau nach schon
im Groben trennbare Typen Tor sich neht, so erschwert sich die Argumentation er-
hebüch. Man darf sich nicht so anstellen, als, ob man yon dem einen Typus sagen
dürfte: das ist die wahre Urbevölkerung. Mögen immerhin die Langkopfe yon Engis,
welche das Mammuth sahen, firüher gewesen sein, als die relatiy breitköpfigen
Leute yon Furfooz, so waren diese doch sehr yiel alter, als die Langköpfe yon Chau-
yaux, welche schon polirtee Steingerath führten, und diese wieder yiel filter als die
Orthocephalen yon Bourignes, welche möglicherweise die Einwanderung der Germanen
erlebten. Jeden&lls muss das als sicher angenommen werden, dass in weit zurück-
gelegenen Zeiten, die dem Uebergange yon der Eiszeit zu der gegenwärtigen Periode
der Erdbildung entsprechen, schon yerschiedene, weit auseinaaderliegende Racen in
Belgien gelebt haben.
Ich habe mich nun bemüht, nachznsehen, wie ich das immer thue, ob denn in
dem langen Zeiträume yon der Gegenwart bis zur Eiszeit sich nicht irgendwo An-
haltspunkte für weitere Vergleichungen bieten, und da haben sich allerdings nach
zwei Richtungen hin, und zwar für mich unerwartet, Anklänge gefunden. Die Mei-
nung, welche in der neueren Zeit über den Raoenefaarakter der Belgier im Lande
selbst Geltung erlangt hat, ist neuerlich in einer hübschen kleinen Schrift yon einem
jungen Brüsseler GelehitM, Hm. yan der Kindere') dargelegt worden. Danach
kdnne man gegenwärtig in Belgien drei Typen unterscheiden: den deutschen, den
oekisehen, und den mongoloiden, also den finnischen. Natürlich fallen die Flamänder
dem deutschen, die WaUooen dem celtiseken Typus anheim, und der kurzköpfige
mongoloide sohieht sich yieHisch zwischen hindurdi. Die Grenze zwischen Wallonen
und Flamändem ist ziemlich deutlich gezeichnet, indem die Wallonen mehr die bergigoi,
die Flamänder mehr die niedrigen, alluvialen Theile des Landes bewohnen. So hat
sieh denn allmählich die Meinung gestaltet, dass zwischen beiden Stämmen hier und
da Beste einer filteren Urbevölkerung sitzen geblieben seien, die freilich Andere für
eine Uguriache angesprochen haben.
Ich habe nun zunächst in Brissei gesucht, andere Schädel, als die der Höhlen-
leute zu fiaden, um sie zu yergleichen, aber sonderbarerweise besitzt selbst die Uni-
yersitÄ libre keine eigentliche Schfidelsammlung, und ausser einigen Skeleten, die zu
den Voriesung^o gebraucht werden, war Anfangs gar nichts aufzutreiben. Erst bei
weiteren Naehtegen ergab sich, dass in einem yerschlossenen Schranke eine Golleetion
yon Yerbvecherscihädeln sich befand. Von den zwanziger bis yierziger Jahren dieses Jahr-
hunderts hat man die Schädel zahlreicher Hingerichteter gesammelt, alle sauber etikettirt
mit Angabe des Namens, zum Theil auch des Geburtsorts und Alters der Delinquenten.
Ich will nun zugestehen, dass ein Verbrecher an sich nicht gerade ein Modell ersten
Ranges für ethnologische Forschungen ist, indess was wir yon fremden Schädeln unter-
suchen, Sm nicht selten in dieselbe Kategorie. Nicht wenige der Schädel, die wir
aus dem Sunda^Arehipel «rhalten, stammen yon hingerichteten Seeri^ubem, und wie
1) Notices pr^lininaires. T. 11. Note II. p. 11.
*) L^n Vanderkindere, Becherches sur Vethnologle de la Belgique. Bruxelles 1879.
(288)
weit ein solcher Seeräuber von Boroeo oder Celebes höher zu stellen ist, als ein mo-
derner belgischer Verbrecher, mag dahingestellt sein. Jedenfalls war nichts Anderes
zu haben, und wenn man eine ganze Serie davon hat, so lässt sich doch nicht ver-
kennen, dass sich der Habitus der Race auch an ihnen ausdrücken muss. Ein be-
sonderer Glücksfall war es, dass nicht allein die Schädel, sondern auch die Gypsab-
güBse des ganzen Kopfes aufbewahrt waren. Man konnte sich also klar machen, wie
das Yerhältniss dieser Leute zu der Gesammtbeyolkerung aufzufassen sei.
Es war dabei für mich überaas interessant zu sehen, wie schwer es ist, ans der
blossen Betrachtung eines Schleis jene yerhältnissmässig aofflOligen indiTidaellen
oder Stammesabweichungen des Kopfes zu erschliessen, welche uns am Lebenden
entgegentreten. Nur zu leicht stellen wir uns vor; dass den verschiedenen Knochen-
formen grossere phjsiognomische Abweichungen entsprechen müssten. Wenn man sich
z. B. zu dem prognathen Schädel yon Furfooz dicke Lippen hinzudenkt, so bekommt man
allerdings einen Kopf, der an einen Neger oder Mongolen erinnern kann. Bei Yerglei-
chung der Gypsabgüsse mit den Schädeln der Verbrecher zeigte sich jedoch, dass
bei dünneren Lippen ein ziemlicher Prognathismus im Knochenbau versteckt sein
kann, ohne dass er sich physiognomisch bemerkbar macht. In der That war an man-
chen der Yerbrecherschädel ein eben so deutlicher Prognathismus nachzuweisen, wie
an dem Weiberschädel von Furfooz, ohne dass der Gesichtstypus mongoloid erschien.
Die Verbrecher waren überwiegend Flamänder gewesen; die Schädel trugen flaman-
dische Namen, und sie bildeten in der That eine in sich zusammenhängende Reihe,
denen gegenüber die Wallonen wohl unterscheidbar waren. Gewiss konnte nidits
überrasdiender sein, als dass gerade diese Leute, in denen wir nach der henscfaen-
den Tradition eine germanische Race sehen sollten , nichts Langschädeliges ao
sich hatten, sondern alle in das Brachycephale einschlugen, einige sogar in hohem
Maasse. Einige flamändische. Schädel, die ich im Gongress selbst gezeigt habe, hat-
ten einen Schädelindex von 80.7, 79.1 und 78.5; sie gehen also an die Maasse henn,
welche die Schädel von Furfooz zeigen. Ebenso waren sie fast durchweg sehr pro-
gnathisch, einzelne so sehr, wie der Weiberschädel von Furfooz. Das wenigstens hat mu
auf dem Gongress nicht bestritten, dass eine grosse Analogie zwischen den Höhleji-
Schädeln und diesen flamändischen Schädeln vorhanden ist, und es bleibt daher nur
noch die Frage zu losen, wie diese Analogie zu erklären ist
Für die eminent brachycephalen Schädel von Sdaigneaux fand ich im anatomisdio
Museum zu Lüttich ein Gegenstück, und zwar einen Gräberschädel, der in der Nabe
eines romischen Lagers bei Eysden (Castert) gefunden worden vbL Derselbe bat
einem so riesenhaften Individuum angehört, dass man früher geglaubt hat, darin etwas
Einziges und ganz Individuelles sehen zu müssen. Dieser Schädel hat auch einen In-
dex von 87,1 und einen Horizontalumfang yon 574; sein Stirnbein misst im Sagittal-
umfang 149 Mm., während die von Furfooz 120 und HO messen, der von Ghanvaux 129
und erst der von Engis bei seiner grossen Länge 134 Mm. zeigt Als ich nun meine
Bewunderung über diesen Fund ausdrückte, da sagte mir mein Begleiter aus Brüssel,
Hr. Dr. Hauben, der seine Studien in Lüttich gemacht hatte, däss er damals auch
einen ungewöhnlich grossen Schädel durch Zufall in der Anatomie erwarben habe,
den er noch besitze. Vielleicht ist es nicht ohne Werth zu emiihnen, dass dieser
Schädel aus dem alten Stammlande der Karolinger herstammt, aus Herstal. Ich
habe denselben nachher gemessen; es ist in der That ein ungewöhnlich dicker und
breiter Schädel, der in allen, möglichen Verhältnissen denen von Sdaigneaux analog
ist. Sein Index beträgt 83,8, sein Horizontalumfang 552, Querum£Emg 340, Sagittal-
umfang des Schädeldaches 384. Ich kann also sagen, dass in diesem Grebiete in der
Umgebung von Lüttich und westlich vqu da, also nicht weit yon der Höhle von
(289)
Sciaigoaux, noch bis in die neueste Zeit hinein Eingeborne vorkommen, welche ganz
diesen macro-bnchycephalen Typus an sich haben.
Dagegen kann ich allerdings anerkennen, dass eine einheimische Bevölkerung,
welche den Langschädeln von Engis entspräche, mir nicht aiifgestossen ist. Es giebt
in dieser Beziehung allerdings eine gewisse Form von Schädeln, welche sich annä-
hern, das sind die Schädel aus den nachweisbar sicheren Frankengräbern, welche mit
denen übereinstimmen, die wir durch das ganze Rheingebiet vom Bodensee bis zu
den Niederlanden vorfinden. Wenn man die Museen von Stuttgart, Constanz, Mainz,
Wiesbaden, Göln, Bonn, Namur durchmustert, so findet man überall Funde aus wohl-
oonstatirten Gräbern der Frankenzeit, welche überall dieselbe Technik, dieselben 6e-
räihe und Schmucksachen darbieten. In allen diesen Gräbern kommen Schädel von
dolichocephalem Typus vor. So habe ich auch in Lüttich ein paar Schädel getroffen,
die beim Schlosse Gh^vremont gefunden sind, die zu den ausgemachtesten Langschä-
deln gehören. Der eine hat einen Index von 74, der andere von 65. Damit mochte
ich aber keineswegs behaupten, dass der Schädeltypus dieser Einwanderer mit dem
Typus der £ngisschädel identisch sei. Im Gegentheil, ich muss sagen, dass ich durch-
aus noch auf keinen Höhlenschädel gestossen bin, der mit den germanischen Schädeln
völlig übereinstimmte.
Das Mitgetheilte wird genügen, um zu zeigen, dass die Frage der Troglodyten
immer noch nicht so einfach ist, wie sie Vielen gegenwärtig nach den romanhaften
Darstellungen einzelner Schriftsteller erscheinen mag. Wie sicher man auch in man-
chen Büchern von den alten Mongoloiden spricht, so müssen vnr doch zugestehen, dass
schon in uralter Vorzeit eine soldie Mannichfaltigkeit der Völkerverhältnisse vorkommt,
dass es schwer hält, bei dem immerhin kleinen Material zur Erledigung dieser Frage
zu gelangen. Wie man in historischer Zeit nachweisen kann, wie ein Volk das an-
dere verschob, um später wieder verschoben zu werden, wie bald hier, bald da
fremde Stämme eingedrungen und dann wieder verschwunden sind, so muss man sich
wahrscheinlich auch vorstellen, dasain einer Periode, die Vielen bis jetzt als eine ein-
heitliche erschienen sein mag, die aber viele Jahrtausende umfasst haben muss, viel-
fache gegenseitige Verschiebungen stattgefunden haben. Niemand kann im Augen-
blicke, glaube ich, aus den wenigen Schädeln, die erhalten worden sind, mit einer
.gewissen Zuverlässigkeit nachweisen, inwieweit eine Dauer der Racen an den einzel-
nen Plätzen stattgefunden hat Wenn eine gewisse Beständigkeit aufgesucht werden
sollte, so könnte ich behaupten, dass gerade derjenige Theil der belgischen Bevölke-
rung, von dem man bestimmt annimmt, dass er dem germanischen Stamme angehört,
der flämische, so viele Elemente enthält, die mit den alten Bewohnern gewisser Höh-
len übereinstimmen, dass man damit wohl die Meinung stützen könnte, es sei die
jetzige belgische Bevölkerung zu einem hervorragenden Theile aus jener Troglodyten-
bevölkerung hervorgegangen. Ich enthalte mich jedoch jeder bestimmten Aussage
darüber; nur das glaube ich behaupten zu können , dass irgend ein auf Zahlen oder
Ausmessung begründeter Nachweis, als sei eine mongolische, finnische oder noch
weiter zurückliegende turanische Urbevölkerung in Belgien vorhanden gewesen, bis
jetzt nicht gegeben werden kann. —
Ich will schliesslich die Aufmerksamkeit der Gesellschaft noch auf zwei Punkte
lenken, 'welche mich in Belgien beschäftigt haben und welche
die Deutung und die Bereitung der Steingeräthe
betreffen.
Der eine ist die wichtige Thatsache, von deren Richtigkeit man sich in Belgien
(290)
aaf das Sichente überzeugen kann, dass bearbeiteter Feaerstein nocli in
fränkischen Gräbern gefunden wird. In dem Museum xu Namur zeigte mir der
verdiente Präsident der archäologischen Gesellschaft, Hr. del Marmol, die acbone
Sammlung aus dem fränkischen Gräberfelde, welches in der Nähe dieser Stadt mufige'
deckt ist. Eisen ist darin reich vertreten: grosse, glockenf5rmige Schildbuck^ madi-
tige Schwerter und Aezte (Francisca) in der charakteristischen Form der Frankoi;
daneben sehr viel Bronze (z. B. Pincetten), Glas, Email, Ringe mit Gold und Edel-
stein, Silberloffel, Beinkämme mit aufgenagelten Leisten und YerzierongeD. Ferner
sehr viele flache und kuglige Bernsteinperlen und einzelne geschlagene Feuer-
stein-Pfeilspitzen. Was mich aber am meisten in Erstaunen setzte, das waren ge-
wöhnliche geschlagene Feuersteinspfihne, wie sie sich in den ältesten be-
wohnten Höhlen und Wohnplätzen finden. Hr. del Marmol sagte mir, dnaa in je-
dem Grabe eine Axt, ein Bergkrystall und ein roher geschlagener Feuerstein gefdo-
den werde.
€)ie Thatsadie, dass bearbeitete Feuersteinsachen, theils rohe, theils feinere, noeh
in die Gräber von Franken niedergelegt worden sind, stimmt ganz mit der firaher
durch Hm. Lepsius gemeldeten überein, dass selbst in Aegypten, nachdem Metdl
seit Jahrhunderten im Gebrauch war, dennoch Feuersteinscherben mit in die GrrSbcr
gelegt wurden. Ich betone das, weil man bei uns immer geneigt ist, sobald mao
auch neben Eisen noch einen geschlagenen Feuerstein findet, anzunehmen, der Fmd
gehöre doch wohl in eine viel ältere Zeit Wahrscheinlich beruht diesor rein syn-
bolische Grebranch auf alten Traditionen, die dem Volke aas der Vorzeit überkommeo
waren.
Das Andere ist eine eben so interessante Beobachtung, welche g^eichfslls in der
Nähe des Höhlengebietes gemacht worden ist, und welche sich auf die Fabrikatkn
des Feuersteins bezieht. Der Congress besuchte an einem Tage ein grosses Fdd
auf dem Kreidegebiet, auf welchem Hons liegt Die Eisenbahnen von Mona naob
Valendennes und nach Ghimay sehneiden hier verschiedentlich tiefe Furchen in d»
Flachland ein. Namentlich ist dies der Fall zwischen Hesvin und Spiennes, wo sic^
zwischen dem kleinen Flüsschen Trouille und dem Bache von Nouvellea niedrig
Höhenzüge hinziehen. Hier stiess man beim Bau der Eisenbahn auf aenkreohte
Schächte oder Brunnen, von denen sich unzweifelhaft ergeben hat, dass es bergminnisdi
angelegte Schächte waren, um den Feuerstein zu fördern. Die Oberfläche des Pla-
teaus von Spiennes ist weit und breit so überstreut mit geschlagenen FeuovteiDeB,
dass wenige SteUen ezistiren dürften, die damit parallelisirt werden möchten. Das
Feld trägt daher seit langer Zeit den Namen camp k cayaux (champ ä cfaaiUoax).
An der Oberfläche sind diese Steine alle schon durch die Atmosphäre angegrifles
und verändert worden. Sie haben meist ein weissliches Aussehen (Patina), wriches
bis auf 1 Mm. Tiefe eindringt. Die scharfen Kanten und Linien erscheinen hänfig
braunroth durch Absätze von Eisenrost. Offenbar liegen sie schon sehr lange den
Einflüssen der Luft und der Sonne ausgesetzt. Ihre Zahl an der Oberfläche des Bo-
dens ist so gross, dass man mit Leichtigkeit Wagenladungen zu sammeln vermöchte
und dass jeder Theilnehmer der Excursion mühelos sich gute Probestüdce verschaffBo
konnte. Ausser unzähligen Bruchstücken und Scherben ohne bestimmte Form finden
sich sehr reichlich die sogenannten Nudei (blocs-matrices) mit ihren hinreichend be-
kannten und charakteristischen Formen, sowie allerlei rohe Anfinge zu Stdnbeiiea
und Steinhauen, Messern und dergleichen. Dass hier eine grosse Werks1£tte bestan-
den haben muss, kann keinen Augenblick zweifelhaft sein. Indess haben die belgi-
schen Forscher, welche die Verh^tnisse untersucht haben und welche uns anf der
(291)
Ezcorsion leiteten *), uogemeiu wenig ausgearbeitete Sachen sammeln können, und es
ist daher der Gedanke, dass der Stein hier nur gegraben und im Groben zugerich-
tet, dann aber dem Handel übergeben wurde, um so allgemeiner angenommen worden,
als in vielen anderen Gegenden Belgiens der Stein der Feuersteingerathe mit dem von
Spiennes übereinstimmt. Indess wurden uns einzelne ausgezeichnete Exemplare von
polirten Steinwaffen vorgelegt, welche auf dem Felde gefunden sind, und man wird
daher wohl zugeben können, dass die Fabrik der Zeit des polirten Feuersteins ange-
hört hat, also etwa den Troglodyten von Chauvaux gleichalterig ist.
Der Eisenbahndurchschnitt zeigt, dass die Feuersteine, wie bei uns, in parallelen
Lagen die Kreide durchsetzen. Letztere liegt in einer Tiefe yon 18 — 30 Fuss unter
der Oberfläche, bedeckt von losen Tertiär- und Quaternärschichten. Als man bei
dem Baue der Bahn dieselben durchschnitt, stiess man in einem einzigen Durch-
schnitt auf acht tiefe Schächte oder Brunnen (puits), wie man anfangs sagte, die wie-
der ausgefüllt waren, aber mit einer anderen Erde, als der, durch welche sie gesenkt
sind. An diese Schächte schliessen sich in der Tiefe grössere Höhlen, zum Theil
mit Seitengängen, eine Art von Stollen, welche horizontal in der Kreide fortgetrieben
sind. Li ihrer Umgebung sind noch jetzt die Feuersteine so massenhaft Vorhanden,
dass sie förmliche Dficher und Fundamente der Stollen bilden. Nachdem man erst
auf die Anlage aufmerksam geworden war, fand man auch sehr bald, dass man scbon
an der Oberfläche die Eingänge zu den Schächten recht gut wahrnehmen kann. Wenn
nehmlich etwas trockene Jahre sind, so versinkt das Wasser in diesen Schächten sehr
schneU, und das Getreide, welches auf den sie ausfüllenden Erdmassen wächst, wird
kümmerlich oder vergilbt gänzlich. Die Feuersteine, die hier im Grunde in der
Kreide liegen, stimmen in ihrer Zusammensetzung ganz überein mit den Geräthen
und mit den Splittern, die noch jetzt oben so massenhaft liegen.
Man hat demnach mit dem rohen Material, was man damals zur Verfügung
hatte, schon wirkliche bergmännische Unternehmungen gefördert. Wie aber hat man
diese Schächte und Stollen hergestellt? Wahrscheinlich ist diess geschehen mit
Hülfe grosser Feuersteinklötze in der Gestalt von Wetzsteinen mit einer kürzeren
und einer längeren Hälfte, welche in den unterirdischen Galerien häufiger vorkom-
men. Sie sind so zugeschlagen, dass man sie an der kürzeren Hälfte eben noch mit
der Hand umfassen kann, und dass, wenn man so ein Ding zum Hauen benutzt, es
wirkt, wie die Spitzhacke eines jetzigen Bergmannes. Man vermag damit nicht nur
die losen Erdschichten zu durchbrechen, sondern auch in der Tiefe die Kreide, wel-
che eine grosse Cohärenz hat, zu durchdringen.
Nachträglich sind dann die Schächte von oben her wieder ausgefüllt worden,
zum Theil wohl zufallig durch das Nachstürzen von Erde, zum Theil jedoch auch
künstlich durch Menschen. Dafür spricht namentlich der umstand, dass man
ausserdem in diesen Löchern Kohlen, Scherben von grober Poterie und Werkzeuge
von Bein und Hirschhorn gefunden hat, so dass an der Anwesenheit von Menschen
zur Zeit, als sie noch offen waren, nicht gezweifelt werden kann. Zahlreiche Kno-
chen vom Hirsch, B«h, Wildschwein, Bären, Hund, Rind, Ziege u. s. f. geben Zeug-
niss davon, dass hier ein Yolksstamm, welcher der Jagd und der Viehzucht oblag,
gelebt hat.
Auf dem Congress wurde von Hrn. Franks mitgetheilt, dass in England bei
Prestwich ein ähnliches Bergwerks-Feld aufgefunden worden ist. Es wäre daher jetzt
0 Briart, Cornet et Houzeau de Lahaie, Rapport sur les d^couvertes g^ologiques et
arch^logiques faites k Spiennes en 1867. Mens 1872.
(292)
eine vielleicht nicht undankbare Aufgabe fcir diejenigen, welche die deatschen Fel-
der durchwandern, sich auch einmal umzusehen, ob sich nicht bei uns aiiDlicbe
Spuren der ältesten bergmännischen Cultur aufweisen lassen : denn es fehlt uns
weder an natürlichen Feuersteinlagern, noch an Fenersteinwerkstatten und noch w^
niger an Feuersteingeräthen.
(13) Als Mitglieder des Ausschusses wurden gewählt die Herren
Jagor,
Friede!,
Reichert,
Schweinfurth,
Roner,
A. Kuhn, ^
H. Kiepert,
Wetzstein.
(14) Herr Virohow: Damit schliessen wir unsere heutige Sitzung. Ich lege
zugleich mein Amt als Ihr Vorsitzender nieder, und indem ich Ihnen danke für die
grosse Nachsicht und Theilnahroe, die Sie mir so lange bewiesen haben, will ich
hoffen, dass mit demselben Glück und Beifall, mit dem die Geseilschaft ihr drittel
Jahr unter meiner Führung durchgemacht hat, auch die Regierung meines Nieb-
folgers gesegnet sein möge.
Inhalt
Verhandlungen der Berliner Gesellschaft för Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Sitzung Tom 9. December 1871. Proclamirung neuer, correspondirender und Aus-
schussmitglieder. S.S. — Schiittlmochen von Wiepersdorf bei Jäterbogk. Qrimin.
S. 3. — Handzeichnung eines ausüalischen Eingdbomen. Neumayer. S. 3. —
Knochenger&th von Georgenhof bei Neustrelitz. Virchow. S. 4. — Die Knochen-
hohle im Schelmengraben bei Regensburg. Fr aas und Zittel. S. 5. — Fund
eines Menschenschädels im Eibboden bei Dömitz. Lisch- S. 7. — Gründung des
deutschen Central-Musenms für Völkerkunde zu Leipzig. S. 7. — Ausgrabungen in
den Aemtern Blekede und Dannenberg (Hannover). Hostmann. S. 7. — Gräber-
feld bei Zlotowo (Prov. Posen), v. Gen tzkow, Virchow. S. 8. Friedel. S. 10.
— Eiserne Hacke aus einem alten Bergwerke. Ziegler, Witt S. 11. — Pho-
tographien aus Syrien. Lange. S. 11. — Die Bedeutung physiognomischer Dar-
stellungen. Fritsch. S. 11. Friedel. S. 13. Hartmann. S. U. —- Ueber
russische Racentypen. Barchewitz. S. 14. Orth. K. 17. ~ Ueber die deutsche
Umenliteratur vom 16. — 18. Jahrhundert, v. Ledebur. S. 17. — Ueber den
Gebrauch von Gonchylien. v. Härtens. Friedel. Braun. Koner. Jagor.
Virchow. v. Brandt S. 21.
Ausserordentliche Sitzung vom 16. December 1871. Schädel von Chiriqui (Panama).
Virchow. v. Zeltner. S. 22. — Ueber die Ainos. (Taf. HI.) v. Brandt
S. 23. Virchow. S. 29. v. Brandt Erman. ▼. Märten«. SteinthaL
Bastian. S. 30. — Keum&rlnsche Alterthümer. Erman. PetermaniL S. 30.
— Thonger&the aus Terramaren und Grotten Italiens. Pigorini. Regnoli. S. 31.
— Ueber italienische Graniologie und Ethnologie. Virchow. S. 31.
Sitzung vom 1 3. Januar 1 872. Ueber den heu^n Gebrauch von Schlittknochen in
Schlesien. Brückner. Virchow. S. 42. Koenig. 8.43. — Renthierlund in
Neu- Vorpommern. Munter. S. 43. — Ueber altgriechische (}räberfande in Athen.
Hirschfeld. S. 44. — Ueber die auf der Gsterinsel gefundenen Zeichentafeln.
V. Maclay. S. 44. — Alterthümer von Puerto Rico. (Tä. IV.) v. Krug. S. 44.
— Louis Fjguier: Les races humaines. Virchow. S 46. — Gräberfeld von Zabo-
rowo (Provinz Posen). Virchow. Tbunig. S. 47. Koner. Hartmann. Vir-
chow. S. 55. — Ueber einige als Zunder dienende Substanzen. Ascherson.
S. 55. Virchow. Hart mann. S. 56. — Ueber die vorgeschichtlichen Wohn-
sitze der Menschen unter der jetzi^n Stadt Bordeaux. Braun. S. 57. — Aus-
grabungen auf der Insel Wollin. Virchow. S. 58. — Proclamirung neuer Mit-
glieder. 8. 67.
Sitzung vom 10. Februar 1872. Die Gemme von Alsen. Müllen ho ff. S. 67. — ^
Ausgrabun^n m Pomerellen. K auf f mann. S. 68. — Schnecken in einem Burg-
wall bei LubecL v. Märten s. 8. 69. - Volkstypen in den Niederlanden. Frie-
del. Bastian. S. 69. — Die Auffindung von Bronzefibeln im Vibrata-Thal. Fe-
iice Finzi. S. 69. (Hierzu 3 Holzschnitte.) — Steinwerkzeuge und Knochen aus
brasilianischen Muschelanhäufungen. Kreplin. S. 70. — Menschenschädel von
Dömitz. Lisch. 8. 71. Beyrich. Virchow S. 72. (Hierzu Taf. VII.) —
Verjp^leichung finnischer und esthnischer Schädel mit alten Gräberachädeln des nord-
Mthchen Deutschlands. Virchow. 8. 74.
(294)
Sitzung vom 9. März 1872. Proclamirung neuer Mitglieder; Dankschreiben. — EHe
Völker und die vorhistorischen Alterthümer des Kaukasus und Transkankasiens.
Rad de. S. 85. — Die Finnen und ihr Charakter. Hjelt. S. 89. — Gesichts-
amen. Ebers. S. 9o. Virchow S. 91. — Metallgeräthe aus einem Torfmoor
der Uckermark. Langerhans. S. 91. - Gemme von Alsen, v. Ledebur. S 9.*.
— Ueber römische Gräber in Mecklenburg und über die Braunkohlenformation von
Dömitz. Lisch. S. 92. — Ueber die sprachwissenschaftliche Richtung der Eth-
nologie Steiuthal. S. 92. Bastian. Hartmann. S. 99. — Ein Fall von
Mikrocephalie. (Taf. VIIL und IX.) v. Mierjeievsky. S. 100. Virchow.
S. 122 - Schimpanse. Brehm und Hermes 8. 123. — Altpomerellische
Schädel. Li s sauer. S. 123. — Ueber moderne Pfafilbauten und Küchenabfölle in
Berlin. Virchow. S. 123. — Geschenke. S. 124.
Ausserordentliche Sitzung vom 23. März 1872. Ueber moderne Pfahlbauten. Ja gor.
S. 125. — Ueber Beschaffenheit und Alt«r einiger asiatischer Industrien. Er man.
S. 127»
Sitzung vom 13. April 1872 Bronze- und Homgerathe aus einem märkischen Torf-
moor. V. Erxleben. S. 131. — Abgeschliffener Knochen v. Bunau. S. 131.
— Die Herkunft der Liebenthaler Gesichtsurne. Kau ff mann. 8 131. — Küchen-
abfölle in der Dorotheenstrasse zu Berlin. Virchow v Martens. 8. 132. —
Ueber Bildung von Dörfern und deren nationale Bedeutung. Meitzen S. 134.
Virchow. Fälligen. S. 146. — Altfiriechische Schädel. Hirscbfeld. 8. 145.
Virchow. S. 147. — Ueber fossile Pflanzenreste als Belege fdr die Eiszeit. A.
Braun. S. io>. — Photographien vom Pavian. Virchow. S. 153. — Geschenke,
a 153
Ausserordentliche Sitzung vom 27. April 1972. Ueber den Canon der menschlichen
Gestalt. Bochanek. S 154. — Ueber Verwendung von Conchylien bei verschie-
denen Völkern, v. Martens. S. 154. Friedel. Hartmann. S. 156. — Vor-
legung einiger Abbildungen von Gegenstanden, welche beim Ausgraben eines Kanab
im Neukammerbruch geranden worden Schwartz S. 156. — Ein aus den Eck-
z^nen des Pekari gebildetes Halsband ; Brochüre über Aberglauben in Siebenbürgen.
V. M&rtens. S. 157. — Untersuchung des Neanderthalschädels. Virchow. S. 157.
— Ausigrabungen in dem Pfahlbau bei Bonin am Lüptow-See in Pommern Vir-
chow. 8. 165. — Auerochsen-Schädel aus dem Spreewald und aus Friesack.
Virchow. Kuhn. S. 173. — Ueber Bronzefnnde bei Damerow in Pommern.
Meitzen. S. 173. — Afrikanische Reise Reichenow. S. 174.
Sitzung vom 11. Mai 1872. Photographie eines Steinhammers von Poretschie (Russ-
land). Graf U war off. S. i75. — Pfahlbauten von Alt-Görtzig (Provinz Posen).
Witt. S. 175. — Uebt'r altpreussischc Begräbnissstätten an der SamländischeD
Küste und in Masuren. Dewitz. S. 177. Virchow. S. 179. — Eine altpreus-
sische Wohnstätte bei Aweninken. Dewitz. S 183. >- Ueber eine Gesichtsume
von Möen. Mestorf. S 184 Virchow. S. 187. — Ueber die Muschelberge
von Dona Francisca (Brasifien). Kreplin. S. 187. v. Martens. Virchow. S. 189.
Meitzen. v. Martens. S. 191. — Ueber die australischen Ureingebornen. Neu-
mayer. S. 191. — Ueber westfölische Dolicho- und Brachycephalen-Schädel. Vir-
chow. S. 191. — Verzeichniss von märkischen Alterthumsfnndeii. Langerhans.
S. 194. — Geschenk. 8. 194
Sitzung vom 15. Juni 1872. Proclamirung neuer und correspondirender Mitglieder
S. 194. -~ Geschichtliche Entwickelung unserer Keuntnisse von den anthropomor-
phen Affen. Hartman n. S. 195. — Ueber chilenische Schädel. Philippi. S. 19.''.
— Ueber Alterthümer am Rio Negro und Rio Paranä.« Bur meisten ö. 196. —
Ueber dus Vorkommen von Bernstein im Bolognesischen und an anderen Punkten
Italiens. Capellini. S. 19>^. — Photographien von Ainos v. Brandt S. 198.
. — Ueber eine alte Zufluchtsstätte im Boissiner See bei Beigard in Pommern. Vir-
chow. Mühlenbeck. S. 198. - Ueber Elen- und Renthieigeweihe aus Hinter*
pommem. Noack. S. 200. — Wisentknochen. Schwartz. S. 201. — Der tätto-
wirte Suliote ConstAnti. Virchow. S. 201, Bastian. S. 202. — Schädel und
Steinwaffen von Gelebes. A. B Meyer. S. 202. — Ueber Negrito- und Igorroten-
Schädel von den Philippinen. Virchow. S. 204. Lehmann. S. *J09. — Ueber
Gräberfunde in Hinterpommem und Westpreussen. Kasisky. S. 209. — G«8iohts-
umen. Host mann. S. 209. Virchow. S 209. — < Ueber Urnen von besonderer
Form aus Hannover und den benachbarten sächsischen Gebieten. Hostmann. S. 209.
Ausserordentliche Sitzung vom 6. Juli 1872« Ein Steinkammeigrab bei Tempelbeif
cMark). H. Ahrendts und Reichert. S. 212. Virchow. S. 214. - Ueber eine
{dte Ansiedelung am Mühlenbach unterhalb Cöslins und einige andere Alterthnms-
(299)
fünde aus der Nachbarschaft Noack. S. 215. ~ Archaisches Thoncef&ss von
AlbaLonf^a. Virchow. S 221. — Ueber die Honbuttu. Schweinfurth. S. 222.
Bastian. S. 222 — Ueber die Völker Süd-Arabiens, v. Maltzan. S. 222. —
Lanzenspitzen aus Feuerstein von Peetzig (Mark). Fälligen. S. 222. — Geschenke.
S. 222.
Sitzung vom 13. Juli 1872. Einladung des historischen Vereins zu Brandenburg a. H.
S 223. — Lanzenspitzen aus geschlagenem Feuerstein von dem Edelsberge bei
Peetzig ^Mark). Fälligen S. 223. — Ankauf von ostasiatiscben Skeleten und Schä-
deln. S. 233. — Ueber eine alte Arbeitsstätte für Steinäxte bei Hohenstein io
Schwaunsen unweit Eckernforde. (Hierzu Taf. XIV.) Jessen. S. 223. Virchow.
S. 224. — Die Sammlungen in Neu-Ruppin. Seh war tz. S 224. — Photographien
von angeblich philippinischen Idolen. Jagor. Ascberson. S. 224. Bastian.
S. 226. - Ueber den Schädel von Kay Lykke. (Hierzu Tal XV.) Virchow.
S. 285. — Ueber Gr&berfelder und Burgwälle der Nieder-Lausitz und des aber-
oderischen Gebietes. Virchow S. 226. Schwartz. S. 237. Bastian. Koner.
Er man. S. 238. — Photographien von Südseeinsulanem. Franks. S. 238.
Sitzung vom 12. Oktober 1872. Dankschreiben; Proclamirung neuer und correspon-
dirender MitgUeder. S. 239. — Schreiben des Chefs der deutschen Admiralität. S. 239.
— Weitere Unterstützung des Gultusministers. S 239. — Mumien von (^uanches.
Espinoza y Belle. S. 239. — Tod des Prof Finzi. S. 2M9. -- Ueber eine
ostpreussische Urne und über Gräber in Ostfriesland. Grunzkow. S. *240. —
Ueoer livische Gräber und Pfahlbauten. Grewingk. S. 240. — Steiugeräthe aus
Japan, v. Brandt S. '241. — Peruanische . Mumien, v. Bunsen. S. 241. —
Uebcn* ein Gräberfeld von Alt-Lauske (Kreis Birnbaum) und einige andere Alter-
thümer aus derselben (hegend. Renner. Virchow. S. 241. Bastian. S 246. —
Ueber die Aufdeckung einer vorgeschichtlichen Wohnstätte im Vollkropp bei Cöpenick.
Friedel. S. 246. , Virchow. S. 248. — Ueber eine alte Wohnstätte bei Wilmers-
dorf in der Nähe von Berlin. Friedel. Munter S. 248. Virchow. S. 250.
— Ueber bewohnte Höhlen der Vorzeit, namentlich die Einhomshohle im Harz.
Virchow. S. -251. — Ueber Spuren alter Ansiedelungen in der goldenen Aue.
Virchow. S. 258 — Auffindung von Menschenknochen im Tuffsand bei Weimar.
Pfeiffer. Rohlfs. S. 260. ~ Gräberfeld bei Kl. Rietz (Kr. Beeskow). Schwalbe.
S. 260. — Geschenke. S. 261.
Sitzung vom 9. November 1872. Verwaltungs- und Kassenbericht für das Jahr 1871
-— 72. S. 262. — Wahlen des Vorstandes. S. 262. — Statutenänderungen. S. 263.
— Proclamirung neuer und correspondirender Mitglieder ; Danlachreiben S. 264. —
Ezcursion nach Brandenburg a. H. Virchow. S. 264. — Ueber die Finneh&age.
d'Omalius d'Halloy. Virchow. S. 266. — Ueber Malerei und Bildhauer^ im Dienste
der Ethnologie. Hartmann. S. 266. — Ueber symbolische Eiersteine. Friedel.
S. 267. Virchow. S. 268 — Ueber den Hermaphroditismus beim Menschen.
Virchow. S. 268. — Vorschlag zur prähistorischen Chartographie. WibeL
S. 273. — Ausgrabungen in der Einhomshohle. Hostmann. Virchow. S. 273.
Sitzung vom 14. December 1872. Ueber die Culturfortschritte der Japaner. Heine.
S. 275. — Dankschreiben; Geschenke. S.27ü. — Photographie von ostindischen Geräihen.
Schneider. S. 275 -- Mittheilungen des Vorsitzenden. S. 276. — - Renthierkeule
aus einer Torfwiese bei Neu-Brandenourg Virchow. S. 276. — Ausgrabungen im
Pfahlbau des Sees von Alt-Görtzig. Witt Virchow. S. 277. — Schlackenwall
auf der Hünenkoppe bei Blankenburg (Thüringen). A. Braun. S. 277. Wetz-
stein Braun S. 278. Beyrich. Virchow. S. 279. — Zwei Bronze-Fibulae
von Seibelang (Mark), v. Erx leben. Virchow. S. 279. — Angeblich im Tuff-
sande j|[efundene Menschenknochen von Weimar. Pfeiffer. S. 279. — Alterthumsfunde
bei Norten in der Nähe von Gottingen Bosse. S. 280. — Ueber Schlittknochen und
Schädel in Gräberumen. Thunig. S. 280 — Ueber alte Muschelgraber in der Nähe von
Hüll (England). Kauffmann. S. 281. Virchow. S. 282. — Coordinaten-Apparat
von Lucae. Virchow. S. 282. — Ueber die Urbevölkerung Belgiens. Virchow,
S. *282. — Wahl des Ausschusses. Schlussworte von Virchow. S. 392.
(296)
Nachtrag zum Inhaltsverzeichniss der Verhandlangen 1870,71.
Sitzung vom U. October 1871. Zerschlagen von Thierknochen. Lisch. S. 132. ~
Höhlenflinde aus Celebes Riedel. S. 132. — Schlittknochen. Hildebrand-
Hildebrand. S. 132. — QeschliiFene Kteine aus der Schweiz und Oberitalien,
nebst kleineren Mittheilungen. Hartmann. S. 132. — Mandingo-Land. Bastian
S. 133. — Die finnische Abstammung der Preussen. Kiepert S. 134.
Sitzung vom 11. November 1871. Verwaltungsbericht für das Jahr 1870 — 71. S. 134.
— Wahlen des Vorstandes und correspondirender Mitglieder. S 135. — Gräber
der bayrischen Pfalz. Rabl-Rückbard. S. 135. Virchow. S. 136. - Moor-
fund von Rendswühren. Handelmann. S. 136 - Die anthropologischen Ver-
sammlungen zu Schwerin und Bologna Virchow. S. 137. — Gemme von Aisen.
Beyrich. S. 144.
Druck von Oebr. Unfer (Th. Qrimm) In Berlin, Hchönebergcrstr. 17».
Ich übergebe den Sprachforschern eine Anzahl Vocabulare und andere
Proben von den Sprachen der das Gebiet des Bachr-el-Ghasal bewohnenden
Völker.^) Selbst ein Laie auf diesem Felde vermag ich nur rohes Mate-
rial darzubieten, welches Männer von Fach weiter yerwerthen mögen. Diesen
Weg einer selbständigen YeröffentUchnng wählte ich indess nur in der Ab-
sicht, zu verhüten, dass der sprachlichen Umschreibung Gewalt angethan
werde, was geschehen hätte können, wenn ein Sprachforscher von Fach bei
Verwerthung meines Materials sich Abweichungen von meiner Schreibweise
erlaubt haben würde, welche sich auf eine sehr sorgfaltig erwogene Wieder-
gabe des Gehörten stützt
Die Lautmittel der deutschen Sprache, mit Zuhülfenahme einiger wenigen
aas anderen europäischen Sprachen, haben sich für den grössten Theil der
hier veröffentlichten Vocabulare als vorzüglich, für den übrigen als ausrei-
chend erwiesen. Um so leichter wurde es mir, dieselben mit Hülfe des
Standard- Alphabet von Lepsius^) zu umschreiben.
Theodor von Heuglin leitet sein kleines Yocabular der Dor-Sprache
(Dor heissen bei den Dinka die Bongo) in seiner „Reise in das Gebiet des
Weissen Nils** Seite 381 und 382 mit folgenden Worten ein: „Wie schon
bemerkt, ist die Aussprache dieses Stammes, sowie der meisten Negervölker
im Gebiet des Abiad, eine sehr wenig scharfe und wenig artikulirte; sie ent-
hält Doppellaute und Gonsonanten, welche mit unseren Buchstaben gar nicht
wiedergegeben werden können. Ein Grund der Unverständlichkeit dieser
Sprache für unser Ohr mag theilweise in dem Umstände liegen, dass den
Schwarzen gewöhnlich die unteren Schneidezähne fehlen.^
^) Von mehreren leider nar spärliche Reste früherer mir durch eine Feoersbronst ser-
störter Vocabnlare.
*) Prof. Lepsins hatte die Oewoj^enheit, mich persönlich mit den Feinheiten seines
Standard-Alphabets vertraut su machen,
1
Eine 2{jährige Gewöhnung meines Ohrs an die Lante gerade der in
Rede stehenden Sprache berechtigt mich, das Gesagte dorchaos in Abrede
zu stellen. Dasjenige, was der ausgezeichnete Forscher hier sagt,' gilt zwar
für die Dyor- (Schilluk-) Sprache, und in noch höherem Crrade für die der
Dinka, was die Nyamnyam, Eredy und Gölo, vor allen aber die Bongo an-
langt, ist man sehr wohl im Stande, mit den Buchstaben des Standard-Alphi-
bets ihre Sprache wiederzugeben. Das Ausbrechen der unteren Schneide-
zähne wird von den letztgenannten Yölkem nicht geübt, kann daher aoch
ihre Sprache nicht unYerstandlich machen, y. Heuglin hielt sich wob-
schliesslich im nördlichsten Theile des Bongo-Landes auf, wo die Einwobner
die Sitte ihrer Nachbarvölker Dyur und Dinka angenommen haben, sich die
unteren Schneidezähne auszubrechen. Der Bongo des Südens hingegen, nit-
mentlich die den Nyamnyam benachbarten, wissen nichts von einer solchen
Verunstaltung. Mit Hülfe der Letzteren habe ich alle meine Aufseichnungeo
controlirt und sah mich durch diese besonders in den Stand gesetzt, gewisse
Schwankungen in der Aussprache zu vermeiden, namentlich wo es sich am
den Zischlaut seh handelt
Allgemeine Angaben über die bei nachfolgenden Sprachproben
befolgten Regeln der'ümschreibung.
1) Wo nicht Laute aus anderen europäischen Sprachen zu Hülfe genom-
men wurden (siehe die Vorbemerkung zu den einzelnen Sprachen), gih
für die Aussprache das normale Hochdeutsch, in der Regel das Deutsch
der Bühnen, ohne Berücksichtigung etwaiger provinzieller Dialektrer-
schiedenheiten.
2) Demzufolge sind alle Vocole, auf welche keine Verdoppelung des Goa-
sonanten folgt, gedehnt, alle diejenigen aber, auf welche ein Terdop*
pelter Consonant folgt, kurz auszusprechen, z. B. Ber (Name der Dynr
bei den Bongo) wie Behr zu lesen.
3) Bei Worten, die auf einen Vocal auslauten, ist dieser kurz auszuspre-
chen, lang wenn ihm ein h angehängt ist
4) Folgt auf einen Vocal eine Häufung von verschiedenen Consonanten,
so ist die Dehnung durch ein eingeschaltetes h ausgedrückt.
5) Getrennt von einander auszusprechende Vocale sind durch einen Stricb
— von einander geschieden. Wo ein Strich fehlt, ist die Aussprache
der Diphthongen wie im Deutschen.
Die Betonung ein^r Sylbe, ohne deren Markirung die Worte in vielen
Fällen ganz unverständlich werden, ist accentuirt
I. Sprache der Bongo.
(Dor heissea die Bongo bei den Dinka, A-Kumä bei den Nyamnyam, O-Bong
bei den Dyur.)
Vorbemerkung.
Den deutschen Lauten wurde hier zugefugt d, ein Mittellaut zwischen a
und 0 (= dem schwedischen a).
Vocale der Bongosprache sind: a^ k (^ ä\ ö (== d), e^ t, o, u.
Diphthonge: at#, ei^ oij ui^ uo.
Folgende Consonanten fehlen der Bongosprache, im Vergleich zu deije-
gen der Nachbarvölker:
1) das deutsche «, z (französische z) und seine Verdoppelung zz.
2) das deutsche «9, s (in ass etc.) und seine Verdoppelung.
3) das deutsche z^ ts,
4) beide Arten des deutschen cA, j( und ^.
5) das französische j in jamais, das russische «, z,
l und r werden Ton den Bongo deutlich unterschieden, im Gegensatze
zur Sprache der Nyamnyam, Monbuttu etc.
Fast gleichlautend dagegen sind in der Bongo-Sprache p und f.
Ein häufiger üebergang findet Statt Ton 6 zu v («^); auch findet nicht
selten bei y (f) eine Umwandlung in ach^ 8 statt.
Vor b steht häufig ein m, in welchem Falle eine Umwandlung in i' (u?)
unterbleibt Häufiger noch steht ein n vor d^ g und y (n etc.).
Auffallende dialectische Verschiedenheiten hat die Bongosprache in den
einzelnen Distrikten des Landes, dessen Ghrösse derjenigen des Königreichs
Belgien gleichkommt, und dessen Seelenzahl 100,000 nicht übersteigt ^),
nicht aufzuweisen. Den besten Beweis für diese Thatsache lieferte mir die
völlige Uebereinstimmung aller Ausdrücke für Naturkörper, — als den am
schärfsten begrenzten Begriffen einer jeden Sprache, — in allen Landestheilen.
Legten die Vocale auch hie und da innerhalb gewisser Grenzen einige
Schwankungen an den Tag, welche wohl keiner Sprache ganz zu fehlen
scheinen, so spielen doch gerade diese in der Bongosprache, als einer in
hohem Grade vocalisirten, eine grössere Rolle als bei vielen anderen des
centralen Afrika.
Um dem Urtheile der Sprachforscher in keiner Weise vorzugreifen, habe
ich es unterlassen, irgend eins der vorhandelien Vocabulare centralafrikani-
nischer Sprachen in Vergleich zu ziehen; ich spreche daher nur eine Ver-
muthung aus, welche sich wesentlich auf vereinzelte Anklänge in den Sitten
') Die Einwohnerzahl ist wahrend der letzten 15 Jahre dnrch den Sklayenhandel nnd
LeibeigeoBchait aller Individuen aaaserordentlieh decimirt worden. In allen Ländern des Is-
lam wird man snr Zeit noch viele Bongo unter den Hanssklaven der Vornehmen antreifeu
können.
V
der betreffenden Völker zu gründen schien, wenn ich verwandtschafUiche
Beziehungen zum Volke der Bongo in den Ländern am Tsad-See erwarte.
Die auf den Handel mit Elfenbein basirten Unternehmungen Ghartumer
Kaufleute haben uns einen grossen Theil der oberen Nil-Länder erschlosseD.
Die theilweise Vergewaltigung jener Länder, wo Chartamer auf eigenem Gnuid
und Boden feste Niederlassungen gegründet haben und über grosse Schaareo
von Eingeboienen zu Trägerdiensten verfügen, bietet in dieser Bichtnng
weit grossere Chancen dar, dem unerforschten Linem des Continents beizo-
kommen als von der Westküste her, wo Eingeborene selbst den Handel ver-
mitteln, Feuerwaffen im Gebrauche sind, die Vergewaltigung der Eingebo-
renen durch die Aufhebung des Sklavenhandels aasgeschlossen ist und di-
durch Träger sowohl wie landeskundige Führer nur auf ganz kurze Strecken
und noch dazu ohne jede Garantie gegen das Davonlaufen in den Dienst
genommen werden können.
Der Skavenhandel und Sklavenbesitz der Nubier in den oberen Nil-Ge-
genden bietet indess ganz speziell für die Sprachforschung das firachtbante
Feld: 1) durch die Anhäufung von Repräsententen einer grossen Anzahl ver-
schiedener Völker des nordöstlichen Centralafirika, 2) durch die Leichtigkeit
mit welcher die Letzteren in den Niederlassungen der Chartomer sich dis
Arabische aneignen, ohne, wie es im Oriente der Fall ist, sn gleicher
Zeit ihre Muttersprache zu vergessen, da sie hier im Verkehre mit zahlrei-
chen Stammesgenossen beständig in der Uebung bleiben, Ohr und Zunge in
Gebrauche heimischer Laut« zu erhalten.
Diesen günstigen Umständen verdankte ich eine reiche Aaswahl tod
Dolmetschern. Ausgehend von dem Grundsätze, dass in Afrika die erste
Aussage einem Winke gleichkommt, eine zweite Bestätigung nnd die dritte
Gewissheit in sich schliesst, fand ich in der Kritik des einmal Erworben»
die nothwendigen Beweise für die Echtheit meiner Au&eichnungen. Inders
musste die grosse Nüchternheit der zum Theil sogar von grammatikaliscbeo
Formen abstrahirenden Redeweise fast aller arabischen Bewohner Nabieos
auch auf die Heranbildung von Dolmetschern für die Negersprachen iliren
uachtheiligen Einfluss zu erkennen geben.
Das Arabisch unwissender Berberiner und Dongolaner, in deren aas-
schliesslichem Umgange ich Jahre lang verlebte, bot nicht leicht die Mittd
an die Hand, hinter den versteckten Bau der Negersprachen zu gelangen.
Mir ist nicht bekannt, ob und in welcher Weise eine methodische An-
leitung zur Ergründung des Sprachbaues unter ähnlichen Verhältnissen den
Forschungsreisondcn zu Gebote stunde, ich meine eine Art Sokratiacher Hebe-
ammenkunst zu dem Zwecke durch die Art des Befragen seinea Dolmetschers
das gewünschte Skelet der grammatischen Formen einer unbekannten Sprache
erzielen zu können. Jedenfalls wurde mir der Mangel einer derartigen Anlei'
tung zur Spracherforschung aufs empfindlichste fühlbar; erst im Verläufe
der mühsamen Arbeit, gewann ich selbst hin und ^eder den passendes
Schlassel. Wenn ich allein des Zeitaufwandes gedenke, den die Fest-
Stellung ganz einfacher Begriffe, wie z. B. die der Fürwörter, von: ich,
du, er etc. in allen Sprachen erforderte^), von schwierigen Dingen ganz zu
schweigen y so sehe ich mich wohl berechtigt, bei dieser Gelegenheit die
vergleichenden Sprachforscher alles Ernstes zu Abfassung einer derartigen
„Instruction zur Sprachforschung für Afrikarelsende^ aufzufordern, damit künf-
tige Besucher jener Gegenden in ausgiebigerem Masse und mit geringerem
Zeitaufwande als ich den gleichen Zweck zu verfolgen vermöchten.
Unter solchen Verhältnissen schätzte ich mich glücklich, auch in den
Reihen der im Bongolande ansässigen Nubier, welche sonst fast ausnahmslos
jeder Kenntniss der Landessprache zu ermangeln pflegten, einen vorzüglichen
Dolmetscher zu finden, mit dessen Hülfe ich mich, da er der Schrift kundig
eine Vorstellung von grammatikalischen Formen hatte, leichter mit dem We-
sen der Bongosprache vertraut zu machen vermochte.
Hussßn Arbäbj ein junger Dongolaner, lebte seit 10 Jahren im Bongo-
lande. Als Sjähriger Knabe kam er in's Land, wo er mit besonderem Ge-
schick sich die Sprache der Eingeborenen anzueignen wusste und in Folge
dessen als Dolmetscher in den Niederlassungen der Chartumer verwandt
wurde. In dieser Eigenschaft lebte er auch mehrere Jahre ganz allein unter
Bongo in ihren Dörfern. Da er das Land in seinem ursprünglichen Zustande
bei Beginn der nubischen Invasion kennen gelernt hatte, so waren mir seine
Angaben über die Sitten des Volks von besonderem Werthe und dienten mir
zur Bestätigung theils eigener Wahrnehmungen, theils von Bongo selbst ein-
gezogener Erkundigungen.
Durch ihn erzielte ich eine annähernd wörtliche Uebersetzung nachfol-
gender Sätze, welche zur weiteren Prüfung den Bongo vorgelesen wurden.
Nachdem ich mich versichert, ich sei von ihnen verstanden worden, wandte
ich mich an die eingeborenen Dolmetscher, mir die Sätze aus dem Bongo zu-
rück in^s Arabische übersetzen lassend. Bei vorkommenden Abweichungen
worden alsdann die weiteren zur Ergründung der Wahrheit nothwendigen
Recherchen vorgenommen. Aehnlich war mein Verfahren bei Zusammenstel-
lung der aus den anderen Sprachen entlehnten Proben.
Substantiva und Adjectiva.
alt (bejahrt) peng od. pueng
allein (für sich) kangdsi
Angst mangiiT
Arm gi'ih od. gigih
arm bingüi^ od. ngorr
Arznei kdggarogih
') Auf die Frage «was heisst: ich* antworteten die Dolmetscher regelmässig «du* u. s. w.
Abend
taggd hendö
Achselhöhle
himbelirgih
Ader
kiddi-gih
ärgerlich
atamdtta
After
higuJfu
alt
bokkd
6
Arzt
Asche
Ast
Auge
Augenbraue
Augenlied
Angelhaken
Athem
aufrecht stehend
ausdauernd
(perennirend)
Bach
Backe
Backzahn
Bauch
Bart
Bast
Baum
BeU
Berg
Beschneidung
Bein
besser
bester
bereit
Bettstelle
betrunken
BUd
bSddovaffih
burruku
lengd'kdgga
kommthih od. kotnmoffih
mbii^ringbirr'komnkhih
hebana-komnuhih
kodih
hogih
bcJi-döh-torro
tnar-na-ndor
kull
ngdborgih
mb(hd6kko-gih
hih^gih
bitdra-gVi
hy6
kdgga
fird od. pird
Idnda
ngerr
böndo-gih
immegpd
naüro
tambdra
legi nöroyi
moidgo
Bier (siehe Merissa)
Bindfaden
bitter
Blase
Blasebalg
Blatt
Idra
attamdtta
rvJUddi
Ido bbrro od* bön*o
mbSUi-kdgga 0
blau (siehe schwarz)
blind bingüdu
Blut trdma
Blüthe hiro
Bogen henä
Boot ydhi
breit
Blattern
Böses
Blei
abamaba
mboU
kvna
jofiddu
Brei (siehe Mehlbrei)
Brod mömbata
(in Asche gebackener Teig)
Brunnen goddd
Brust dokiddi^)
Brüste maia
(Brustwarze)
Buckel (siehe Höcker)
Butter hebbu maia
Blitz hetorrö p^gih
Dach
doh-Tuh 1
Darm
tekkih
dick
irriri i
Deckel
ayi
Dieb
biboggo
Dolmetsch
bikihefir
District
beh
Donner
ndu hetdrro
Dorf
beh
doppelt
riangorr .
Draht
mdka
Durst
kuddd od, koddd
Dom
kino
Dunkelheit
muü
Düse
atsuh
(Thonröhre)
durchbohrt
ititti
(z. B. die Ohren)
Durchfall
hekdnn
t t
Ecke gono
(Winkel, Kante)
Ei boh
Ellbogen dohglülghU
Eisen gand
Eisenschlacke H-gand
') d. i. Ohren des Baums.
'} d. i. Haupt der Adern.
Eisenplatte
(als Geld)
loggo kulluti
1 (
Puss (siehe Bein)
Friede Ibmm
Elfenbein
kdkiddi \
1
Führer
boio köngo
eng
öUäh
Erbrechen
tiddi
Galle
kkh
Erde
bihi
gargekocht
didiro
erschossen
narö
Gattin
momm
Enter
hebdna maia
gebunden
oddda
Eiter
u-ih
Geschrei
tuddü
Gedächtniss
dobba-^na-lodh
Fahne
maßlfel
gelb (und roth)
kamd'kehe
Fest (Fantasia)
ngoio
geduldig
bana-röfere
Festordner
fUre-ngaio
gefrässig
monj nahibba
faul (stinkend)
ötumdtu
geheim
dakefir-dekortd
&al (träge)
biddi
gehorsam
mbdmi-ayigwd
Faden
kudduhü amir-mer
gekocht
marereSe
Feder
bihdl
Gelächter
kuggü
Felder
nakkd
Geliebte
mbölongdma
Fell
hebdna
Gesandter
ifibd
Ferse
futtufuttu
Gesang
ngoiyQ
Femd
mimökö
geschickt
ndroba
Fessel (siehe Kette)
(behend)
fett
bitobbö
Geschlechtsthel
\
Fett
hdbbu
männlicher
hdddi
fertig
oborrö od. nabenkd
weiblicher
döh
fest
nado-tdrro
Gestell
tdtta
Feuer
Joddu oder pdddu
geschoren
ddbba ndngbh
Feaerzeog
mambeÜfi
geschmückt
bibtrrd
(ans zwei Hölzern)
geschwollen
tiffi'iiß
Fieber
hmcydbo
Gift
többo
Figor aus Holz moibgi gih
giftig
merd ndha
Finger
dohgigih
glänzend
ododo
Fischkorb
karü
Glück
löma
Fischstecher
gdUo
Glocke
golöngolo od. gangolö
Fleisch
m^hi
Gott
loma
Fliegenwedel
yalld
GruHB
mondoyd
FUnte
lany (lan)
Grab
dodo
Flacht
öUmöUo
grausam
bedki
Flass
ba
Grossvater
ioh
Freund
mböhngö
Grossmutter
tohmbdgaba
Funke
koio
gross
komundubo
Furcht (siehe Angat)
grösser
olldla
Fusstapfen
hört gih
grösster
olldgpa oder uUdpane
8
gr&n (siehe schwarz)
Hof; Gehöfte
niudd
Giunmi
koddi^
(eines Scheohs]
)
(Uarz)
Hohle
göManda {>A.gubbAi
gut
amindakOj immemih
Honig
kdniba
Grube
goh
Hom (Gehörn)
dohlinge
Guitarre
kundu
Hom (zum Signal
mangbl
Guttapercha
mono
blasen)
Holz, z. brennen
ngirr
Hagel
dolända
Holz, grünes
kdgga
Haar
bih
Holzhom
« 0
Haarnadel
gtffdna
(zum Btasen)
nUmra
Hammer
her od. maiM
Hüfte
kommohoUi
Hand (siehe Arm)
Hügel
kUUbi
Hsken.
ffoUö
Hürde (siehe Viehpark)
halb
ekebdke
Hunger
hegi
Hals
g^ih
Hungersnoth
bok
Halsring
bar-gihffih
Hure
bekoia
hart
tigo-tigö
Husten
gohi
Harn
hkddi
Harz
kcdddh
Haus
ruh
Höcker
pölo
Haut
hebdna
Haufen
ulülu
Insel
diH
Hälfte
kakehd
irr (siehe verrückt)
Häuptling
nhe
(Schech)
Jäger
bimd$nba
Heirath
ngo
Jahr
ndor
heimlich
bdkobu
jung
iggma
heiss
em
Jüngling
mhaia
Hemd
Ido
Joch, für Sklaven
kdggargö-gih
heU
aramdrra
heute
ndann
kahl (ohne Haare)
ratö
Hexe
büöbo
K^mm
mbireU
Herz
kuUu
Kälte
dih
Himmel
hetorro
Earavane
Idhi
Hinken
köhbü
Kautschuk
moddöh
Hintere
guH-gih
Kauf (Verkauf)
ndSggo
(podex)
Kette (zur Zierde) gundi
hinterlistig
ngöUe
Kette (Fessel)
magingilU
Hirn
kdUä-köUd
Keule
bei od akbömo
hoch
naUhro
Keule Z.Dreschen
ibangd
hockend
hödö
Kehle
kohrö^
Hoden
dogdnim
Kehlkopf
yangd-holord
Hodensack
hebanagomm
Kind
mah
Kinn
ndtbd
Lärm
ndomm
Klaae
kärrthkdrro
Last
aggi
klein
nangattikann
Lastträger
buagih
Eaiabe
gimcLf plural : gimdh*)
Leber
hhn'o
Knie
kikkuhu
leer
hangbih
Knochen
külengbd
Leiche
mimbo
Knoten
guU
leicht
helleU'heUeU
Eochlopf
kotöh
Tienden
kornmokito-fdlla
Köcher
maßrr
linker
bdggd
Kohle
kam
Listige
birii ibirSng)
Kopf
dohrgih
Loch
mbugbu
Kopfyokier (zum
Löffel
/dlla oder pdlli
Tragen ▼. Lasten)
kulimm od. kuleitn
Luft
helleU
Korb
ganvtö
Lügner
mJbio
Komet
kirhöllo
Lunge
kokö
Korn (Getreide)
mony (man).
Lippe
hikogih oder hebdna
Kornspeicher
göUotö
•
tarrorgth
Koth (Excremente) Sih
lustig
rMng
Kratze
yedn (yedny)
^
Kreuzknochen
kötö
Mädchen
ngdia
Kürbisschale
ködo
Magen
tekkih
Krug zu Wasser kMh (nicht kot6h\)
mager
minde
Kriegstanz
kummu
Mann
boddd oder boh
Krieg
mäkö
Mark
hibbu'kUUngbd
Kriegsgeschrei
korongö
Mahlstein
pam
Kupfer
tilo oder telu
(Murhäga)
hing
bididi
Mehl
rudu
krank
mdddo
Mehlbrei
ndümu oder niddut
Kagel
kuUukuU
Meissel
kirr
kurz
kiUigbi
Merissa Bier
legi
krumm
koringoäh od. nguanr
Mitte
dodddda
gudh
Mensch
ffih
Messing,
damdrr
lang
I6r-bagba oder £amd-
Messer der Frauen tibd
kagbd oder kamd-
Messer
mambrembe
kohri
Milch
maia
Lanze (cuspis)
mihih
Mittag
tdgga
Lanze mit Domen makrigga
Monat (Mond)
nihi
Lanze mit Haken göUo
Milz
hangbd
Lanzenschaft
ger-mihih
Morgen
ndöndo
(hastUe)
Mutter
mbagd
^) Bifisig Torkommeode Planlbildnng, die oachinweiMii war.
10
müde moi-aiyö
Mörser tingöl
Münffala to~i
(ein Spielbrett mit
Steinen za spielen)
Mulde (zum Oel-
pressen) ^^
Nachgebart nih (nijth)
Nacht ndan
Nacken göh
nackt (ohne Schurz) mboldh
Nabel kumm
Nagel (d. Fingers) körrökörro
Name röh
Nase Aommö
nass oyimöyi
Narbe dofurr
Nebel kunutü
neu makandd
Nest ruhdl
Netz (z. Fischfang) iot
Netz, Wildgame mbird
Niere noköOome
nützlich namd
offen
Ohr
Ohrfeige
Oel
Ort
Ortsvorstand
Ost
Ordnung
Pallisaden
Pauke
Peitsche
Pflock
Pfiff
tmmtnemt
mbül
ngavd
hihbu
behk
ndre {nyire)
ndöndo
tobd
gko
kibbi
mbdnda
hüü
köl
Pfeife (zum Tabak) kutabbd
Pfeifenrohr ger-kuttabd
Pfcü Ure
Pincette
jnn6
Pocken (siehe Blattern
plump
obbomobbo
Pulver (z. Schiess<
m)ßddu
Pfanne
loggo kuUtUi
Perlen (Glas-P.)
dkbcii
Artennach Charto
i-
mer Benennung;
1
1
-Damaräaf
dkbai kdhi
-Neautdt
dkbaS kok
-Müria
dkbiUf kdkpa
-Genetöt
dkbai rhgrdgo
-B^rred
dkbai leru
punktirt
rkgrdgo
Rache
mökobek
Rauch
iokd
rechter
bamön
Recht
ayema
Rede
ßr
Regen
hetdrro
Regenbogen
ngilligbi
Regenzeit
hibbi
reich
agi
reif
endiro
rem aramärra
Reise horb^A oder karoek
Reuse (siehe Fischkorb)
Rinde Aeböngo
Bing von Eisen bor
Ringbeschlag
am Unterarm
Rost
Rücken
Rippe
rund
roh
roth
Sack
Sahne
Salz
Samen
ddnga-bor
mindi^gand
hdggö
barrd
engbHgbe
cioah
kamakehi
moddd
hirombu
töddo
koM
11
affamdffa
Sand haia
Sandale rakkd
satt (gesättigt) iikkitikki
sauer mbologdm-^fnbolongd
Sängling gimd heUh
scharf von Ge-
schmack
Scharlachfieber tungbu^
Schatten diu
Schemel higba
Scheitel hebongddogih
Schelle gerrd
Scherz nd^kkS
Schild bitti
Schlaf bih
schlecht andna (anydnya)
Schlinge kdrrö
Schmelzofen berr
Schmidt börro
Schnarchen ngann
Schneide köh
Schmatz (im
Hause) nokku
Schmutz auf der
Haut mindi
8chön immemi
Schurz bdngo
Schwanz hdlöh
schwarz
kamd-kiMuUh od. kamd
kuUdh
schwach mSnde
schwer irrirri
Schweiss bekkisih
Schüssel ▼. Holz koddö-kdgga
Schuppen (Son- -,^.
nendach)
Schulter
Schwert
schwanger
Seriba
See (Teich)
Sehne
Sklave
guUü
mambrambS
nuJirna'hth'^hoh
gio .
rdbö
kiddi
ngaiih
gima
kdddd
Uggo
hegbdndo
htia
Sohn
Sonne
Spaten
Sohle
Speise
(zubereitete)
Speichel hSro oder Atrr
Spiel um Gewinn kidih
Spitze doh
Spion bingule
Sprung vbrro
Stachel kino
Stroh köko
Sprache ndu
stark (von Tabak) tnünddko
stark (kräftig) biUitigo
Staub hirüm
Stein Idnda
Stemmeisen (siehe Meissel)
Stern kirr
Sternschnuppe kirruiürro
Stirn dökommo
Stock bei
stumpf afdh oder koididi
Strasse hhigo
Strick kSbi
Sturm heUeli'Oldlla
Suppe toUomihi
stumm manbdng
süss ' inini (inyinyi)
Sumpf ngond
Syphilis nangi
Stottern bidndo
tapfer mbillibiU
taub nbuttü
Tag (nichtNacht) kädda.
Tanz ngdUa
Tätowirung * mongö
Teufel bitöbö
Teich(Regenteich) pdrra
Teig köcth
Thau tdUö
12
Uef
ffoh
Waise
mandaüh
theaer
öUdh
Wachs
hoddöh
Thräne
(diu
Wächter
bikurrbihi
Thon
dukku
Wald
kdgga
Thür
komböUu
Waldgeist
rdnga
ThOröfinung
niböUu
Wasser
mini oder min
Thürpfosten
kägga-kombaUu
Wasserflasche
bungur
Traum
tnadubörr
Wasserschlauch
moddd mini
Tochter
ngdia
Wade
bdki
trocken
hökönne od. nanganga
weich
•
oyimdgi
Tropfen
tölU
Weib
komard
Trumbasch
bengd
Wechsel
(Wnrfeisen der Nyam Nyam)
(monatlicher
mcddo-ba-JanHarä
trunken
rihfo
der Weiber)
Termitenbau
nttlfilti
weiss
kamd'konye
grosser T.
UttfULU'
weit (offen)
kaldnga
kleiner T.
(pilzförmiger)
kidiUiku
wenig
Westen
nangaUikdnn od. olldk
taggdh
Wüd (AntUope)
mihi
Ufer
tengi
Wind
heüeU
anbekannt
fnotänga-nihud
Wildgame (siehe Netz)
unbewohntes Land
Wolke
dül
(Akaba)
hehikaggd
WiUe
fir
ungeduldig
nanabd
Wunde
JufY
Unglück
Idmorna
Wurfeisen (siehe Trumbasch)
unnütz
imme-udh
Wurzel
gidh
Unrecht
dokiUu
•^
unreif
makoyi
Zahn
dokk6
Unterleib
dibbagih
Zange
küteföh
Zauberer
belomd
Vater
bdbu
Zeug
Ido
Yerr&ther
birinö
Zehe
ngilengile
▼erbrannt
laldngba
Zinn
fdddu batÖUo
▼erCault
nakandmm
Zunge
ndatdrra
▼erschwiegen
bdna-'^ö-firri'Odh
Zwerg
hiUikpl
▼erwandt
gihba^
Zwillinge
ronga
Viehpark ^urach) UH
Zaun
kdkö
▼oll
naSd
▼errückt
binddko
1) Personen-NamenJ)
Yerschneidang
bäR
maie.
(Gastration)
WOw
R4ki
*) Di« Penonennamen TaiUran bei den Bongo in weit höherem Onde tia bei den Nja«
nyam, wo aie aieh hinfig wiededioleo.
18
Bert
Gön (ßony)
Run (JKuny)
Nyel
R&nga
Pomadi oder
Ndugffu
Döliba
Gmya
Bongerd
Dangd
Abulegi
Kyü
Bomadid
Yagla
Ngoli
Batkö
Sdbbi
Jäboko
MbelUmbi
GifTd
Mindd
fem.
Güggu Mangdi od. Mangucd
Yitte
2) Thiernamen.
L HanstUere.
bihi
mbagd'bihi
bina (binyd)
boh'tdl
röniböh
ia
boddosd
güd
amdnda
dkaia
Aongd >)
ngino
iok6llo
Hand
Hündin
Ziege
Ziegenbock
Schaf
Kuh
Bulle.
Kalb
Eameel
Esel
Pferd
Hahn
Hahn
IL WUde Thiere.
Schimpanse d^dda
Colobus ndöllo
Galago ndorr
Cercopithecus
griseoTiridis mdnga
CercopithecQS
pjrrrhonotos gumbi
flirr
Gynocephalus
(Babnin?)
Fledermaas
Igel
Spitzmaus
Ratelas
Ganis variegatas gald
Ganis pictns ugll
Hyäne
Givette
Genette
Ichneumon
Löwe
menschenfires-
sender Löwe
Leopard
Garacal
kungd
bhru
ndudupirdkpeh
iondo oder tdndo
kOu
kurruku
dongö
ngorr
puU
ngard
köggo
mudok pdlläh
auch yok pölldh-purr
Serval
gregge
Katze
mbird-u
Eichhörnchen:
Sciurus leucumbrinufi
1 remme
Sciurus sp. griisea
uringe
Ratten, Mäuse
higgih
Wanderratte
lun Quny)
Hausratte
rohpaUd oder hig'-
gih-mh
Golunda pulchella
yangd
Meriones
mokokd od. higgih-
(
nakkd
Meriones sp. mxmmtkmangbille
Aulacodus Swin-
derianus
böko
Hase
battd
Stachelschwein
kehoa
Schuppenthier
kann
Elephant
kiddi
Rhinoceros
baid
Hippopotamus
hdbba
Klippschliefer
mberedü
Phacochoerus
bodu
>} Von UMa&rr^ Pferd in der Dinka* Sprache.
14
Sas sennaarensis
mondö
Chamaeleon
ndalikd
Giraffe
killirü
Crocodil
ngand
Antilopen
mihi*)
Frosch
mboddö
A. Oreas
mburrih
Kröte
mboddo bubu
A. lencophaea
mdna
Schlange
kerand
A. defassa
bübu
Fisch
kirn
A. leucotis
kald
Käfer
magiHngdna
A. arundinacea
yölo
Holzkäfer (bostrichi]
1 iötd
A. scripta
többo
Heuschrecke
mangill
A. caama
kdria
Grille
magirr
A. senegalenBis
tdnge
Fliege
ngöngo
A. grimmia
düi oder dilu
Engerling (vom Nas-
A. Madoqaa
hegoU
hornkäfer)
tindill
A. sp. minima
mburrumu
Cicadc
nser
A. sp. minor, rufa,
Biene
ngongO'kdmb
concolor
dongbö
Libelle
ngöngo-hilu
A. Addax
avel
Mucke
mihikull
Büffel
köbbi
Kaupe
kurr
Maulwurf
brumm
Schmetterling
manindi
Vögel
holt
AVespe
mambirr
Taube
kitibu
Zecke
hin (kuny)
Torteltaabe
ngi
Termite
tird
NashornYOgel (Tme-
Ameise
teh
toceros abyssinicas
) gulluku
Krabbe
kiddird
Trappe
borro
Skorpion
hin (hPny)
Perlhohn
tdna
Spinne
marondo
Strauss
kdnga
Tausendfttss (scolo-
Reiher
börrth-kayd
pender)
kalangidi
Papagei
keke
Kopflaus
ma«iki
Milan
hüleleh
Wurm
kuddd
Aasgeier
rangd
Blutegel
kuddimini
Habe
gdki
Kauri(Gypraeamoneta)^a^t
Kuckuck (Centropui
9
Schnecke (Achatina
) hmobo
monachus)
jorro
Muschel
helletih
Gans
bitiirbitii
Ente
monmolu
Schildkröte
kdnda
3) Pflanzennamen.
Eidechsen:
L CiiltnrpflanzeB*
Stellio
gagga
Sorghum vulgare
mon
Scincus
gtnddUa
Sorghum saccharatum ngau
Geko
mala
Penicillaria Plueke-
Varanus
mangraua
tetii
kollaio
*) mehi = Fleifcb, wie mm = Essen.
15
Eleusine coracana
Ml
Crossopteryx Eot-
»
Zea Mays
tibbH
schyana
kiUengbd
Seeamam Orientale
iabold
Vitex umbrosa
hau
Hyptis spicigera
kindi
Celastras senega-
Nicotiana rastica
maSirr
lensis
belleto
Nicotiana Tabacnm
tdbba
üassia fistula
I6nd%
Arachis hypogaea
mandd (Umbo
Gardeniae sp.
ktrboddu
Voandzeia subterra-
Zygia Brownei
kirmdnga
nea
huru od.
kurr
Capparis sp. Hart-
Cucumis Chate
kul/öhi
manni
manukurru
Cucurbita maxima
tigg^
Acridocarpus
gire od. girro
Baiatas edulia
kellkaia
Diospyros mespili-
» ■
Dioscorea alata
motte
formis
kollonie
Hibiscus Sabdartffa
büliber
Humboldia sp.
kobbö
Ricinus communis
ngulö od.
unfflo
Ximenia laurina
kallakUi
Capsicum fruticosnm bddJimo
Anonychium lan-
II. Bftmne und Stränoher*
Butyrosjiermum
Parkii Kor
Borassus flabelli-
formis mbhre
Tamarindus indicama/m
Anogeissus leio-
carpa heddo
Randia dumetorum ma/ri^^a
Terminalia sp. pu-
bescens macrop-
terae äff. gnrfa od. gorroja
T. macroptera. kelle od. tieüe
Combretum sp. co-
riacea kerand
C. sp. pubescens tungvru
Philenoptera lon-
chostylis belld od. bellö
Ph. sp. alba lebbe
Ph. sp. macrophylla (^/fo^oto
Parkia afrikana mbolloto
Grewia velutina iigaid
Crr. sp. micropetala tingmn
Caillea dichros-
tachya kagga hegboti
gerr, goll od. gorri
rerS
ceolatum
An. sp. quadrig<H
num
Sarcocephalus
Russegeri tingih
Sterculiatomentosa bind
Capparis tomentosa mdngxdi
Anonasenegalensis mbdli
Euphorbia mamil-
laris
£. candelabrum
Acacia yeragera
Ac. sejal
Ac. catechu
Bauhinia tamarin-
dacea
Zizyphus bakis
Eigelia africana
Strychnos innocua gorrogorro
Khaya Senegal-
cnsis bdlloy bolo
Urostigma platy-
phyllum iöbbu
U. luteum nMri
U. glumosom kdrrS^
Encephalartos sp. kägga-kunda
Cbrysophyllom B^.juggu
boUd od. mattivoto
kökö
kekkS
kinodm
ngukkü
bist od. biki od. bM
mongodi
hekku
16
Carpodiniis acidos mdno
Trochomeria dja*
C. 8p. minor
f^oUd od. niuUa
rensis
möddo-bHd
Pterocarpus aby8-
CochloBpenniim
sinicns
tim4
niloticam
kmd-ira$iid od.
Mimosa asperata
korrokörro mbridru
gangbö
Rhus ▼illosum
kirrengdn
GiBSus popnlifolias %<f
Carissa Schimperi
hiUengiU
G. Scbimperiana
boOoli
Albizzia sp.
binde
G. qaadrangnlaris
lolUh
Detariam
maUaguttu
Gourbonia vii^pita
abbir
Lophira alata
mUirrcLf mbdrra
Echinopslongifoliiis muMdu
Bosda octandra
abUr od. mbagaiäkki
ABparagos Pauli
Protea abyssinica
eida
Ghiilelmi
khringai
Anaphreniam pul-
Glerodendron cor-
1
cherrimnm
g6^
difolium
ndimn
Hezalobas sp.
pörro
Saaromatum
hedUsAngu
Filaea sp.
beki
Grinam abyssinicum tau
Syzygiiim gaine-
G. Tinneaniun
wird
enae
kudukuUu od. gada"
Stylochaeton lan-
kull
ceolatum
umbältyd
Oardenia sp. tinc-
m
Phragmites
kokdh
toria
bogburra
Drimiae sp.
kuräh
Spondias myroba-
Oryza punctata
jökil
lanus
kolhmo
Moos
ndonn
Ficus rigida
hi'U
Pik
kahü
Soymida rhopa-
Boletus hegba
mboddo^)
lifolia
kiddihi
Bambasa
mbredi
Gflsypium sp.
kudduhA
IT. Y51ker-NameB.
•
Faallinia senegaL
maUe-Ubiir
Nnbier
Turr od. Tum']
Djur-Lnöh
Ber
Dinka
m
Dyang€
iil« Krivter, Grisery ete« ndomk
Nyamnyam
Manctnd
Talinum roseum
kdggortdbba
(bei den südöstlichen Bongo Afund»)
Coccinia djurensie
\ mändibo
Babükr
Mundo
Momordica Voirelii
ikollö
Mittu
MUu
') Dies zn deatsch Frasch-scftemelf wie im Plattdeutschen : poggen-itaul, englisch: ioad 9t9ol
*) Da sie sich im Bongo-Lande Tnrken {TuH^k) nennen.
17
Y. Zeitwörter.')
.
Praesens
Praeteritam
ImperatiT
1 Pen. Sing.
1 Pen. Sing
Sing.
ändern
mifndnova
vnanöva
ablassen
monaba
mandro
andba
(aufhören)
anzünden
t(A/öddu
ausspannen
mad6do
modod&ro
dodö
(Felle a.)
1
ausbreiten
hdkö
baden
madogroma
modogobdro dogrö-iba
beerdigen
meki
mehidu ehiba
beschneiden
manffd
mongddu
ongdbba
Infinitiv: nga
beten
madumalä
modunialaro
odumald
Infin. subst. ald
(mohamedan.)
beissen
numgd
mongabdro
ongd
besiegen
—
moditdu
üduba
biegen
mordba
—
örddene
beischlafen
mdmono
mondro
onobd
bewachen
mdkoro
blasen
mutuba
matüro
tüne
Infin. tuh
bleiben
1 mdhndo
2ihndo
mahndihiro
ndihi-iva
•
braten
mirdifiwa
mireiiro
reSiva od.
reSineva
bringen
mibideva
mibidiro
ibideva od.
yidde
brechen
midi-eba
midiero
dieva
(Holz X. B.)
a
binden
moddabba
modddro
odddro
drehen
mingbkba
mingb^ro
ingbkha
drücken
mUdbaba
mUabdro
tabdnne
durch-
modtibbaba
moduböddu
odübba
bohren
t
(mit derLanze)
eintreten
—
—
oüubdr
(in*s Haus)
entfliehen
möllöba
möllöro
öUöba
erbrechen
miHddi
mitiddiro
Üiddi
(Tomiren)
>) Zwei Gonjogationen scheinen Torhanden zu sein, die Ite mit a i u im Präsens 1 Pers.
sing, auslantend, hat im Praeteritnm ada, idn, uda, die 2te mit aba, eba, uba, oba, a?a,
eva, QTa, o?a, iya, oma, im Praesens bildet das Praeteritnm auf ira, era, etc.
9
16
Carpodiniis acidos mino
C. 8p. minor ipolld od. niuUa
Pterocarpus aby8-
sinicuB tim4
Mimosa asperata korrokörro mbrid-^
Rhus Tillosum kirrengdh
Cariflsa Schimperi hiUengiU
Albizzia sp. binde
Detariam maltaguttu
Lophira alata mbirraj mbdrra
Bosda octandra abbir od. nUfagatökki
Protea abyssinica eida
AnaphreDiam pul-
cherrimmn gM
Hezalobas sp. pörro
Filaea sp. bdei
Syzyginm goine-
ense kudukJUlu od. gdaa"
kull
Oardenia sp. iinc-
toria bogburra
Spondias myroba-
lanas kdllomo
Ficas rigida hi-u
Soymida rhopa-
lifolia kiddihi
Bambusa • mbredi
Gssypium sp. ' kudduhu
Paullinia senegaL maUe-lebür
m. Krivter, Grisery etc. ndomA
Talinum roseam kägga-tabba
Coccinia djurensis mdndibo
Momordica Vogelii kollö
Trochomeiia dju-
rensis
Cochlospermnm
niloticom tmd4ramd od.
gangbd
Gissos popolifolias 2oyrf
G. Schimperiana boüolA
G. qnadrangolaris lolUh
Courbonia virgata abbir
Echinopslongifolios muMdu
ÄBparagoB PmK \
Gnilelmi hirwgai
Glerodendron cor-
difolinm ndi$m
Saaromatnm hediküngu
Crinnm abyssinicum tau
G. Tinneanum ndra
Stylochaeton lan-
ceolatum umbüliyd
Phragmites hJcdh
Drimiae sp. kuräh
Oryza punctata jlikil
Moos ndonn
Pilz kahü
Boletus hegba mboddo^}
IT. YSIker-Namen.
Nabier Turr od. Tum]
Djur-Laöh Ber
Dinka Dyange
Nyamnyam Manand
(bei den sQdöstlichen Bongo MwA)
Babukr Mundo
Mittu Mttu
') Dies ttt (leatsch Frosch-ichemelf wie im Plattdeatschen : poggen-iUnti,
'} Da sie bich im Bongo-Lande Türken {TuHmk) nennen.
T. ZeltwSrter. ■}
Ptmmd*
PneteritniD
ImperttiT
1 Pen. Sing.
1 Pen. 8iDK
Sing.
Bdeni
mimdnova
manöea
ilasaen
moltdro
mdba
wxfliöreu)
Itsündea
ttihßddu
ttsspannea
madMo
mododöro
dodö
Fdle ..)
nsbreiten
{hdkö
ftdeo
madof/r6m'i
modogobAro dogrö-iba
eerdigen
meki'
mehidu ehi'ba
eschneideD
mongd
mongddu
ongdbba
Infinitiv : nga
eten
mudumulii
■modumaläro
odumalä
Infio. Bubst. ata
BohamedsD.)
«ißsen
mongä
mongabäro
ongd
«Biegen
—
modvdu
iduba
iegea
mordba
—
brddenf
»eiachlafen
mdmoha
moitdro
o^obä
le wachen
mdkaro
tlaäeii
mtitvba
matvra
tüne
InSn. tuh
iteibeo
1 mdkndo
2'iAndo
'malindikii'O
ndihUva
•raten
w»(r<4fi'«'rt
mireeiro
reiha od.
iriagen
mibideva
viibidero
ibidem od.
yedd^
rechen
midi-ebti
midiero
dieva
poU t. BJ
•
pidea
middaiha
modddro
oddäro
iuiL
3"^^!?^
K
ingbeha
tabänni-
24
hinzu
ba od hd od. ddkpö
was
dih?
in
hih od. hih
wenn
kah?
mit (durch)
na od. ne
wer
jeki?
nach (zeit)
koddö
weshalb
rddih?
nach (hin)
ba
wieviel
nando? od. lufo?
nahebei
dangd
wie
robd?
1
noch (dazu)
döiöh
wozu
annikddih?
oben
i6ro
wodurch
diffidih?
unten
badebi
wohin
valld?
unter
mbh nMa
navalla? od.
von (her)
diva
wo
noüd?
▼oraus
böfio od. vono
wo (an welcher
wegen
di4i
SteUe)
bindd?
wie (gleich)
kdbba
woher
dwaüd?
zu (auf bei)
döh
alles
pd-u od. pdrc
zu (ftlr)
r •
anders
inanodh
zu (hin)
ba
einstmals
nahotd
zu (hinzu)
hi od. do-ökpö
dort
bakksdd
zusammen
der
friiher
fau ocL fbh
zu (um)
na
ganzlich
naipd'U
genug
6bborro
und
na (meist wegge-
geradeaus
mar
lassen)
geschwind
ker&oire
aber
dageli od. dah
gestern
nakoU6
aber nicht
dangböh
gut
kdifna hemtnt
darum
rbmikd
heute
ndann
gewiss
nakdneki
hier
bind
j»
nakaneki
immerfort
t6ki-46ki
mit
na
immer
mar
nein
na (nya)
jetzt
ndann
nicht
na od. nyau od. odA
langsam
kamabdl
od. odh
längst
fau od. fbh
noch nicht
öbbo v6dd%
laut
iig6tig6 od. kama^
nichts
ayind (ayinyd)
links
dogibdggel
noch (unvollendet) voddt
laut
tig6tig6
nur
öbord
mehr
dbh akpikpa od.
oder
dll§
dokpi^
ohne
dikdrr od. na-na
morgen
ndomm
sehr
birr
nachher
nakAnn
samt
na
nahe
toi
nöthig (es muss)
eva
wann
rödihf
überall
dobi higpd-u
warum
taUdf
vorgestern
nakotinM
25
viel nanmi
w&hr ftti
weit dkba makpa
weit (vom schiessen) ifiki
wenig nangatUkdnn
rechts dogi bomon
richtig ßti
schnell kirek^e
sofort ndannddnn
spät kadda ndro
stark birr
zu Ende (aus) ndro
TIL ZahlwQrter.
1 koiu
2 ngdrr
3 mottd
4 n«A«o
5 mui
6 dokdtu
7 dßngbrr
8 dontottd
9 doA^o
10 *iÄO
11 it doj^ hotu
12 At ^loibpd ti^drr
13 H dckpb moUd
14 ki dohpö heo
15 At dokpö mui
1 6 ^t dokpö mui do mui ökpö kotu^)
17 ki dokpö mui do mui okpö ngörr
18 ki dokpö mui do mui okpö mottd
19 kt dokpö mui do mui 6kpö hed
20 mbdba k6tu
21 mbdba kotu dökpö kotu
22 mbdba kotu dökpö ngörr
30 mbdba kotu dökpö kih
40 mbdba ngörr
50 mbdba ngörr dökpö kih
60 mbdba mottd
70 mbdba mottd dökpö kih
80 mbdba heo
90 mbdba heo dökpö kih
100 mbdba mui
der Ite
der 2te
der 3te
der 4te
der 5te
der 6te
der 7te
der 8te
der 9te
der lOte
na bono
banikd hekore
banikd kimotta
banikd kiheo
banikd k^mui
banikd kdddokotu
banikd kdddongörr
banikd kdddomottd
banikd kdddoheö
banikd kdddokih
ekebdke
Yin. Sfttse.
Grfisse and Begegnung mit Unbekannten.
Wie heisst du?
Wo gehst du hin?
Was suchst du?
Wer bist du?
Wo ist dein Dorf?
Wo kommst du her?
na röh yiki ya? od. röyiki?
ihndh)aUdf
ilUdi od. illadif
ih yekif
beh bi-ih novdf
eidevaf
'} Mit 10 hört da« Zahlen für gewöhnlich aaf, und man hilft sich mit Strohhalmen and
Rohntäben, die zn 10 znsammen gelegt werden.
*) Wortlich zu deutsch: 10 dazu mehr 5, za den 5 noch 1.
26
Wo gehst da hin?
Ich bin dein Freand. ^
Was machst du hier in der Nacht?
Ist euer Dorf weit von hier?
Hast du Weib und Kinder?
Wo starb dein Vater?
Ich will dich allein sprechen.
Verstehst du arabisch?
Ich verstehe es nicht.
Warum sitzest da hier?
Wo ist deine Fran?
Sprich laut and langsam.
Was sucht die Frau hier?
Was macht der Mann des Hauses?
Bleibe hier.
Stehe auf.
Warum schläfst du am Tage?
Warum lachst du?
Sieh den Mann.
Hast du früher nie Weisse gesehen?
Kennst du Mohammed von früher?
Frage diesen Mann da wie er heisst.
(wörtlich: Sprich zum Mann da Name
sein wie.)
Sage dem Schech ich komme morgen.
Grrfisse deinen Vater von mir vielmals.
Sage ihm er soll morgen hierher
kommen.
Geh zum Schech und gieb ihm diesen
Ring.
Gingst du selbst zur Seriba?
Wie geht es dir?
(häufiger Grnss)
Antwort: —
Wohl geruht?
Ich habe wohl geruht.
(Antwort auf obige Frage.)
Er ist gekommen.
Ich habe dich gem.
Guten Morgen.
Gruss beim Abschied : d. h. gehe reich
nach Hause.
Was giebt es Neues bei euch?
ih fuUvaf
ih mbölanffo ma,
ih midi bind na ndannf
beh beh^ akba makbd diva naf
mommih na na gimoh bi-ihf
bohbih 6yo nalldf
mikehi firgih kangdie^.
ühndu turf
mohniaü,
ih dondihi bind rbdif
komard bi-^ih navd?
kih^bba kdma tiUgo kdma bdl.
höh komard nikd holadif
ba boh ruh nUcd bdmadif
ndihi-iva bind.
ih nibd,
ih dem na hk kddda rödif
ih mUcuggü rödif
Uhkka boddö.
ötd nffoffih kama konSf
öhetö Mohammed nga fiJif
kkheh gih ba boddo nekd rö bah yM.
keheh ffih ba nSre a$neUe ma med ndom$L
ameUe mahndoyu bobih narnm.
h^hih gih ba amiUe bah eiva ndamm
bind,
ndth gi ba nere eiba na tSlu.
ihndhh hkh gko naroihf
ih kddda f od. ih kauf
on dikauih ya.
laurof
milau rödi.
bah iro.
firirih,
hd kabehbe hkdda.
nddheoa dgi namm ih hihobbo beh.
ßrdi heddaf
27
Nur gute Neuigkeiten.
Was ist dir passirt?
Woher kommt dieser Mann?
Wen suchst du?
Ich erwarte dich hier.
Lass mich ziehen.
Bleibe auf diesem Platze stehen.
Ich habe es nicht verstanden.
Ich erinnere mich nicht.
Bist du zufrieden?
Er ist ein Auswärtiger.
Glaubst du es nicht?
Du willst nicht?
Ist Niemand hier?
Wo warst du am Abend?
Warte ein wenig.
Wer ist da?
Hast du gut geschlafen?
Hast du Neuigkeiten?
Ich gehe zu dir.
Wo warst du seit heute früh?
Lebewohl (d. h. bleibe hier)
Antwort auf ein Lebewohl
(d. h. so gehe ich)
Hörst du nicht auf mich?
Höre alles was die Leute sagen.
äjokefir,
ySki dai mökd beh hk heddaf
bah boddo nekä ba-t divcdaf
iUd yikif
mda kuruih bind,
ond ma ba
orö binikd
möh ned,
mbillima na biä,
firknehiro?
gidi karbih.
ohakanUco alef
ßrd ne hiodh?
gih na he andf
ih valld na tdgga na^
nettoko ngccttikann.
yeki daf
oddobi kdma khnmef
firdi korbSh na bebe hkh bindf
mdhnde gih da,
ihnde valld föh na ndondo?
ndihi'iva,
öh ndevaia,
uhnduh ma?
uggämbäli yMka pd-u yehke hö dih.
Drohungen, Ermahnungen, Flüche.
Ich schiesse sofort auf dich. maifih ndann nddnn.
Ich schlage dich todt. ma tonuih.
Schlage ihn auf die Finger. ongbd gibah.
Schweige. and tard.
Schlage den Knaben auf den Hintern, ongbd gimd güüibdh.
Schweige und sitze. and tard ndikikbih.
Du bist ein Lügner. mbio nihih.
Mögen dich die Hunde fressen. bthi ndng&4h.
Schämst du dich nicht. dai inaüva.
Höre mein Sohn und mache die Au- uggd mbiUih gimd bamd ka ibbe
gen au£ kommoih.
Schweige und sage kein Wort. arokpe ind kkhe fero.
Höre meine Rede. uggd mibillih rafirhna^
Bleibe mir fem. aro Sih kidd.
28
Werde nicht böse.
Behalte es im Ged&chtoiss
Thue Gutes und wirf es in den Fluss.
Da wirst also nicht rohig bleiben?
Schlage den Knaben mit dem Stock.
Du hast Unrecht.
Da hast Recht
Nimm Vernunft an (bleibe verstän-"
dig)
Geh da bist eine Hexe
Laufe oder ich werfe dir einen Stein
an den Kopf.
tndtta ßr hio.
itggd mbillih kaAakih,
iba kaiakkh unane hih ba,
ombd mindMpih kddihf
ongbd gimd na behl.
ag4h birih na gih ma.
aaydma negirih.
ond tdrabo,
ndh)a ih büdböy
biloba kund rnöllo odh ma döh do-ü na
Idnda.
Körperliches Befind
Hast du Bauchschmerzen?
Schmerzt der Bauch nicht, wenn man
von dieser Tamarinde ist?
Ich kann nicht schlafen wegen der
Mücken.
Schliefst du diese Nacht im Hause?
Ich gehe baden im Teich.
Bist du yerheirathet?
Das gefällt mir sehr.
Gefallt dir das Mädchen?
Stosse mich nicht, ich bin schwanger.
Erkälte dich nicht
Das schönste der Mädchen.
Ich habe es vergessen.
Ich bin sehr müde.
Ich habe Kopfweh.
Ich habe Zahnweh.
Ich bin krank.
Ich habe kalt.
Ich bin ganz in Schweiss
Ich habe mir die Hand verletzt
Er hat sich geschmückt
Mein Haar ist lang.
Ich sehe nichts in der Nacht
So roth wie Kupfer.
Dein Haar gleicht dem eines Schafes.
Ich habe keine Lust.
Er starb vor langem.
en und Persönliches.
kihrih na nonof
Mh gih na ndh kon mahd naf
mado todh bi digi mhhikutt.
oddobih nahendono hih ruh bi-ihf
mdhnde adogrdma hek pdrra.
komard negirih?
firdnxka na hkh ma namm,
firifi ngdia na hihf
tndtta gi ramd mah na hkh ma.
indna dih roiyo.
annd dhnme pd-^ gi ngdaa.
doh ma üUulu.
moiciyd namm.
doh ma na la gdllaga.
dokko md na nöno.
möddo ndroma.
dih ndroma.
bekküti ndronuu
mohö gi ma roh.
bibirrd na robd,
bih döh ma kamdkohre.
möh na ta hkbbihi na hendovd.
kamakehd kdbba ba rbmböh.
bih hirdh kdbba ba römbböh.
mondnde oh*
boy6 fau.
89
Ich war reich aber hatte kein Glück, dgi nakotö gih ma dah Uma na romd.
£r ist aofgestanden. binero.
Ich thue nichts Böses. maha tnifir kima.
Ich sah es früher nicht. mötdnga n^hudk.
Von Speisen und Getränken.
WUlst du Wasser oder Milch?
Nach dem Essen.
Nach den ScUafen.
Ich habe Tabak aber keine Pfeife.
fir mini nahih alle maia'i
imon koddö
iddoti koddö,
tabba nau dageU kutabbä na.
Diese Znckerhirse ist süss wie Honig, ngau na ihini kabba kamba.
Ist diese Wurzel giftig?
Was wirst du morgen essen?
Essen die Bongo dies?
Ist das gut zu essen?
Raachst du Tabak?
Ich bin hungrig.
Ich bin durstig.
Ich will Fleisch essen
Ich will Milch trinken.
Ich will Brod und Brei.
£r isst alle Tage Fleisch.
Ist Durra Brod besser als Duchn?
Mais ist das Beste von allen.
Dieses Wasser ist noch nicht genug.
Trinkst du kein Bier?
Beliebe mit zu speisen.
Betrinke dich nicht.
Die Durra ist gut aber wenig.
Du trinkst also nicht?
Hast du keinen Hunger?
Ist das Fleisch gar?
Diese Speise ist ohne Salz.
ffidfi na merd ndhaf
ihmon dih na ndomrni
Böngo na nwndna?
anhnmeme na monndf
iUu tdbbaf
boh ndroma,
koddd ndroma,
fir moh mkhL
fir mala na hkh ma.
fir mömbata na Mh ma ba ndumu,
kddda töki töki bah man vikhL
mömbata moh hnmegpd kollaiof
tibbel ammeffpaie pd-o.
mini na and öbbod/i,
ihnae legi odhf
eiva amoh mbdla.
ihna ran le§i royo,
manuna kam€ikhnme dangböh oUah.
HUh ihndre öhf
ilUh boh na rö^ odhf
m^hi didiröf
töddo na hkh h^td na.
Weswegen ist diese Speise so bitter? hMa na attamdtta diyi dihf
Brod ist da aber keine Milch. mx>ni md-u dangböh maia na.
Hast du Durra und Fleisch f&r mich? mom nä-u gi ma nibo na mihi?
Wir haben keine Durra. mono geh na.
Ich will nicht essen. ma na moh odh.
Yiehstand. Handel.
Ich habe mehr Kühe als du.
Hast du Ziegen?
ia ma oUdlla dokpöh sa bi^dh^
bind nagihf
80
Hast da Hühner?
Willst da Perlen oder Kupfer?
Willst du die Ziege verkaufen?
Ich werde dir Kupfer geben.
Wo ist dein kleiner Hand?
Ist der Hund sehr fett?
Wozu brauchst du das Eisen?
Giebt es hier im Lande kein Rindvieh?
Wie viel willst du?
Behalte es, ich will es nicht mehr.
Nach deinem Belieben.
Ich verkaufe dies gar nicht
Wenn du brav bist, werde ich dir
Perlen geben.
Nicht so reich wie der Schech.
Die Kuh giebt keine Milch.
Schlachte den Bullen.
Giesse nicht das Blut aus.
Reinige die Haut gut.
Binde die Ziege mit einem Strick.
Wann wird die Ziege werfen?
Wie viel Kühe sind in der Hürde?
Packe den Bullen mit den langen
Hörnern.
Zieh ihn beim Schwanz.
Ich werde dir nichts geben.
Hast du keine Ziegen?
Ich will davon 40 Stück.
ngömnoffihf
fit akbdi neJUh alle fir tÜuf
öggo bind gof
mamai na tau ^ilu
bihi ndi birih ngattigann naod?
bihi na többo ndroba nammnanMnf
fit gand nehdh rddihf
ia na beh bindf
ßri nehih ndof
oröba bannikd ma na ruyo.
anikd firh dihiJu
ma nöggo na oäh.
fir bi-ih kah kamakhnme fnabi akha^
gi-4h»
dgi na gibba kdbba nire»
maia ia ndro.
ongbd böddoSa rdkL
ihd toyi tramd.
ohö hebdna kama-kknime.
oddd bind na kebL
bind na öau tdüaf
kiti na ia na hkh ndof
tugba böddoia doh lingi kamakdgba^
ö-öh hölöh ba.
mana bigi-ih odJu
bind nagih o^dht
firh nehkmd mbdba^-nghtr.
üeber Zeit. Meteorologisches.
Morgen erscheint der neue Mond.
Der Monat ist noch nicht zu Ende.
Hagel fiel vom Himmel.
Heute regnet es nicht.
Die Regenzeit ist zu Ende.
Es wird spät (d. h. der Tag ist zu
Ende).
Er hat keine Zeit.
Wie lange wohnst du hier?
Der Regen hat noch nicht aufgehört.
Vor Sonnenaufgang hörte der Regen auf.
ndmvm nihi namM,
nihi oiyo uöddü
aoldnda iude diva hetörro.
hetörro niau ndann,
hibbi ndro.
kddda ndro.
bah na döhndihih kangdii od/u
ndihih bind ndof
mini lih uöddd.
mini lih dikörr kddda amai
81
Die Sonne steht dort (es ist soviel an kddda bind.
der Zeit
Siehe die Stemschnappen. Uka kirruMrro,
Es ist Mittemacht. ndo g^ddä hendö.
Morgen liegt viel Than aaf der Steppe, na nd&ndo tcUlö olldla ndo ndamd.
Der Blitz schlag in's Haas. hetörro ikbi ruh.
Das Gewitter ist noch weit het&rro neÜkida.
Du reisetest weit za den Niam-Niam. karr ih äkba mdkpa ba Mananä.
Gestern sah ich einen doppelten möta ngillighi nakottö riangörr.
Regenbogen.
Es regnete alle Tage fort Jietdrro nam^di kddda töki töki.
Es ist spät lasst ans nmkebren. kddda ndro nddbba giba.
Es regnet * hetörro namkdirö. '
Auf der Reise, Terrainbezeichnung.
Ich war 3 Monate bei den Nyam-Nyam nihi oydma ba Mähana moud.
(d. h. Monde erstarben mir bei den
Nyam-Nyam drei).
In jenem Lande giebt es viel Wasser ba beh ntka mini namm mono ölldh.
aber wenig Brod.
Wenn du nicht schwimmen kannst so tkleh kUdne odh ih nakpöh didöh mini.
gehe nicht durch's Wasser.
Die Nyam-Nyam sind so zahlreich wie mahand sosö namm kdbba teL
Ameisen.
Dieser Brunnen giebt kein Wasser. goddd na mini na mai dehdh.
Wann wird der Fluss steigen? ba na ioh talldf
Ist hier das Wasser tief? . mini bind öllumolf
Ist der Grund des Wassers hart oder h^h mini nakkahaia dlle ngondf
sumpfig?
Das Wasser fliesst reissend. hdh mini tigötigö.
Sind die Ufer unter Wasser? tSngi mölo minf
Gehst du morgen nach Gir? ihndi ndomm ba Gir.
Wie lange wirst du in Gir bleiben? ihndo ndo beh Girf
Wenn du von Gir zurück bist komme kah ih diva Gir eiva ba ruh ma.
in mein Haus.
Geh nach Gir und wenn du daselbst ndiheva ba Gir kah ihndihiro kddda
3 Tage geblieben, so gehe weiter moUd ndiheva b" Addai v6no.
nach Addai.
Geh aus dem Wege. %h ge roi di köngo.
Wie heisst dieses Dorf? röh beh na ySkif
Wie heisst dieser Chor? kMlu-na röyikif
32
Wie heisst hier der Schech?
Wem gehört dieses Haus?
Wer ist der Herr der Felder?
Geh mit mir zusammen.
Zeige Knabe den nahen Weg.
Ist viel Wasser unterwegs?
Der Weg ist trocken nicht sumpfig.
Zeige mir den guten Weg.
Sind hier keine Diebe ?
Wir gehen mit dir.
Gehe voraus.
Wohin gehst du?
Der Weg liegt gerade vor dir gehe
richtig.
Wie viel Tagereisen hat man bis zum
Fluss? (d. h. wie viel Nächte auf
dem Wege bis zum Fluss.)
Gehe langsam.
Er hat sich verirrt.
Setz dich und warte am Flusse auf
mich.
Es sollen mich zwei Männer durchs
Wasser tragen.
Wohin fliesst dieser Fluss?
Reicht das Wasser bis an die Brust?
Ist hier das ganze Jahr hindurch so-
viel Wasser?
Ich breche morgen früh auf.
Kehre deine Last auf dem Kopfe nicht
um.
Ich gehe auf den Berg hinauf.
nbre dih bind rbyUdf
ruh na ba yikif
boh nakkd yikif
ihndkgibba ba dhe ih»
oiyobd gimd höngo na toi na»d,
mini nau döh höngo narnfmü
dbh kongo nangdnga ngond yedd odk
oiyo kongo gih ma kamakhnme.
biböggo ha bind?
gehndä no ih,
ndh)a vöno.
ihndh)a Id.
köngo na vöno ih döh ndiva fitL
nandö nddn döh köngo dkba ba baf
ndiva kama bdh
biüüigi,
döh ndihi koröma ba ba^
ond boddö reangörr a-^vma didöh nttn.
ba na nandh)aUdt
mini nihih dökiddigihf
mini bind mar na ndor hamm kdbba naf
mdhi ndomm u6ro na nddndo»
ihangbiha aggi di doh ih.
mdhnde döh Idnda töro.
Auf der Jagd, in Wildnissen, im Kriege.
Hörst du den Löwen?
Hörst du nichts?
Der Löwe brüllt.
Die Hyäne heult.
Der Hund bellt.
Ich finde nirgends Wild, alles ist
weggelaufen.
Suche so wirst du finden.
Ich suchte überall und fand nichts.
vhndü ngardf
uh nUi odh?
pull ndromino
hilu ndromino.
bihi ndromino. *
m^td mihi odh möllö ne pd-o.
olldbba Shtane.
moldro döh behek pd^o mötd ne odh.
83
Fangen die Bongo Wild mit Netzen? Bongo na tugba mihi na mbirdf
Diese Schlange ist jgiftig. kerand na mAra ndha.
Wie nennen die Bongo diesen Baum? roh kdgga na digih B&ngo dihf
Wozu ist dieses Kraut gut? ndomd na kmme rödif
Verstehst du zu schiessen? immöhetö iba gihf
Verstehst du Pfeile zu schiessen? ih betdbe na kerif od. ih betd na be
kerif
Ich gehe in den Wald. mdhndeca ba kdgga.
Ich gehe Kräuter suchen. mdhnde V olld ndomd.
Ich gehe Vögel schiessen. mdhnde dbbe holt.
Giebt es hier viele Elefanten? kiddi na bind nammf
Schlage die Pauke an. i^i kibbi.
Die da wollen Krieg mit uns. yeh na fir mökö na hk geh.
Die Bongo schiessen die Leute mit Bongo nab^ gih na kire.
Pfeilen.
Fürchtest du die Lanzen der Dinka? ih m>eri m^Mh ba Dange.
Die Dinka furchten nicht die Türken. Ddnge na mer^ Tum.
Sind diese Pfeile vergiftet? kerdnekd merd ndro.
Die Kugeln der Türken gehen weit, yo föddu ba Türu ndhnde siki.
Die Leute sitzen alle unter dem Grase, gih pd-o ndondiM mdlo ndomd.
Siehst du den Mann auf dem Felsen? öta.boddö döh Idnda.
Sahst du Wild im Walde? öta mehi ba kdgga daf
Wenn die Hunde stark laufen werden bihi kah möllö möllö nämm na tügba
sie das Wild greifen. mehi.
Ich fürchte sehr den Büffel. mam^rS köbbi ndroma namm.
Die Elen-Antilope ist so gross wie ein mburrih komündubo kdbba köbbi.
Büffel.
Der Büffel ist grösser als eine Kuh. köbbi ollagpd Sa.
Das Hartcbest ist etwas kleiner als kdria nggieh ngattigdn sa alldgpa ne.
eine Kuh.
DerElefantistgrösser als alle Antilopen kiddi alldgpa mihi pd-o.
Ich trage meine Flinte auf der md-uh lan ma döh höggö ma.
Schulter.
Die Flinte ging von selbst los. lan etimiti ndrone bigge.
Die Katze beisst dich. mbird-u ndngeih.
Siehst du niemand im Gehölze. öta gih ba kdgga döh^
Zünde das Gras an. tuh föddu kendomd.
Zerbrich die Lanze. di^h mkhih.
Er läuft so schnell wie ein Hund. bah mölöngaha kdbba bihi.
Bleibe bei mir ich fürchte mich in der ndihi-iva gih ma mam^^-i h^ kdgga
Wildniss. gih.
Die Seriba brannte ab. Idngba g^o ro^
34
Technisches, und zum häuslichen Dienste gehörig.
Wasche den Knaben gut. (Joggu ro gimd kaniaJrPtnme.
Reinige den Boden von Staub. okkd haia di bihi.
Häufe das Holz auf einander. ige kdgga dobba-ne.
Steige in den Brunnen. ndha M goddd.
Ziehe am Strick. döh kibi
Gieb her. ibideva.
Geh weg. ndh^a.
Komm her. eiva.
Schweige. ndihik^h
Wo hast du es gefunden? ötd devaf
Ich gehe firüh schlafen. mdhnde uöro adövu
Bringe Feuer. y^dde föddu.
Bringe Brennholz. yMde ngff^ inaku ngdnga.
Bringe reines Wasser. y^dde mini kanta-kdra.
Breite das Korn aus. Mkö man.
Suche viel Holz. olld ngin* namnu
Giess das Wasser aus. ogi mmi.
Die Frau entfloh. kaniard öllöro.
Warum prügelst du den Hund? isi bihi rödi.
Sage der Frau sie möchte Korn im khheva gih komard amelU h'ittu m
Mörser stossen. hk tingöL
Reinige Mehl auf dem Strohteller. ohd ruAü döh totö.
Gehe in den Wald und suche Holz, ndh^a kdgga olld ngirr.
Wer bewacht das Elfenbein in der y^ki dkoro kökiddi na k^ndo?
Nacht?
Aus welchem Holz ist dieser Lanzen- ger mih^h na kdgga dih dof
Schaft?
In meinem Hause ist viel Korn. bo ruh ma in&hi nanmi-ndmw.
Gehe hinaus. nd^va bogbd.
Warte an der Thür. koröma ko mbottu.
Ich werde dich in meinen Dienst nehmen, ma mih ndMa gih.
Was machst du damit? dih d'ih andf
Ist niemand gekommen? gih ah tahf
Ein jeder thut was er kann. imikaka and rot da tegorö.
Hebe den Stein auf. otö Idnda.
Lass den Tabak in der Sonne trocknen, una tdbba döh kddda' nangdnga ne.
Lösche das Feuer aus. föddu na ndlu roh.
Grabe die Erde aus. ill^ goh.
Man ruft dich. nonguHh.
Setze die Sachen hier nieder. ottd ndbh4 behnkd.
Zerbrich nicht den Ejrug. ihhd Hkö kotöh odh.
85
Ich brauche ein ^osses Haus. fix ruh na M ma komündobo.
Decke den Krag zu. ottd ayi döh kotöh,
Lass das Wasser stark kochen. una mini allögö namm.
Mische den Thon mit Sand. kolä korobö na haia.
Ist das Fleisch auf das Feuer gesetzt? m^At na döh föddu roh?
Brate das Fleisch mit Butter. r^ii mkhi rdki na hibbu.
Gieb mehr Butter zu dieser Speise. iffd hebbü döhto h^ nekd.
Sichte das Mehl im Winde.
Zerschneide das Fleisch in kleine
Stücke.
Oefine den BaucL
Blase die Blase auf.
Blase das Feuer an.
Giesse Wasser in den Krug.
Gieb nicht viel Salz zur Speise.
Nimm die Gedärme heraus.
Zerbrich den Knochen zur Hälfte.
Ich bin sehr beschäftigt.
Oeffiie die Thüre.
Schliesse die Thüre.
Ich habe mit dir zu sprechen.
Gieb mir zu trinken.
Gieb mir eine glimmende Kohle zum ibbide kaio gih ma ro föddu,
Feuer.
Gieb mir die Flinte zum Laden. iySdde Iah kamaduh föddu hak,
Schenke etwas dem Mann, er ist arm. ibbi dffi gih bdmika ngörr ndroba.
herö ruAü döh hellele.
langd m^ht ngarri-^drr,
ikfpe hdh*
f'Abu hih ruhdddü
tuh föddu.
Offih mini hk kotöh.
ihdme töddo hamm uöh M hUd.
iySde tekk^h.
ögga hi kälengbd ngörr.
ndobö na^ma hamm.
^kpe komböttu.
immi kommböUu.
ßr na h^ ma behdi.
ibbide agih m>a mini.
ibbide dkasa ^h ma.
ibbide Tnambramb^. gih ma.
kagga na tigötigö dlle oyimöyif
Monbuttu hdhd döh kell odh.
und Idnda.
dodö kdgga benkd ahökö hebdna döh
kdgga löggo nguan^godh.
Bringe mir den Esel.
Gieb mir ein Messer.
Ist dieses Holz hart oder weich?
Die Mombuttu s^n kein Telebun.
Wirf den Stein.
Mache Holzpflöcke, um die Haut zu
trocknen.
Mache einen Erug mit weiter Oeffiaung. obbd kotöh göh kaldngo.
Warum lasst ihr die Töpfe nicht ge- omhd kotöh ka/nwMmme rödif
hörig ausbrennen?
Stosse die Göllrinde, um das Fell zu tukhi ggll oMuau hebdna nene.
gerben.
Schmiedest du Lanzen? öh kütta m^hShf od. ukutta m^hShf
Wetze das Messer scharf. ilU köh mamlframbd.
Wie Yiel Lasten Elfenbein hast du? kökiddi na doh ndof
Die Türken suchen alle Elfenbein. Ti^ru pd-u aUd kökiddi.
36
Dieses Holz ist so hart, dass das Beil ngirr na ohd farä tigo tigö pira «.»
es nicht angreift. gdne odJu
Dieser Stein ist gut, um Messer zu Idnda na kmmem^h alle köh mambni^
schärfen. be.
Verstehst du Feuer mit zwei Hölzern irr^kta föddu na na mambeUfef
zu machen?
Dies Holz ist grün und brennt nicht, ngirr na oyimdyi föddv na mai dihai
Faules Holz taugt nicht zum Feuer. ngirr nakanömm emmero föddv odk
Was machst du mit diesem Hom? immidi neddo linge mehi?
II. Sprache der Sandeh.
(Nyamnyam heissen die Sandeh bei den Sudan Arabern, Manyanyd bei des
Bongo, 0-Madydka bei den Dyur, Babtmgera bei den Monbuttu , Makkaraü
bei den Mittu.)
Vorbemerkung.
Den deutschen Lauten wurden hinzugefügt:
1) d, ein Mittellaut zwischen a und o.
2) n, nasal, z. ß. hehki^ der Unterhäuptling, sprich nach französisdier
Schreibart: bainqui.
3) i nasal, nur im gedehnten i,
4) ( wird genau so ausgesprochen wie das russische u.
5) z stets mit vorausgehenden s verbunden, (daher eigentlich immer«»
zz) entspricht dem weichen russischen Zischlaute % (- j in jamaii*. ^'
nauer dem polnischen z, oder dem z vor i, z. B. in zitna.
6) zZ' die Verdoppelung des weichen deutschon 8 entspricht dem rassisches
3, (wie im abyssinischen Flussnamen Tocazz« nach französischer Orbt^
graphie).
Vocale der Sandeh sind: o, ^, e^ ö, e, i, uiy o*), u. r.
Diphthonge sind: au, aiy oiy ua, ue, uo.
Von fehlenden Consonanten ist das deutsche z, to, aufallenderweise n
erwähnen; desgleichen ch^ j('
Auffallende dialectische Verschiedenheiten hat die Sandöh Sprache in den
einzelnen Distrikten des Landes, dessen Seelenzahl wahrscheinlich einige
Millionen erreicht, nicht aufzuweisen, wofür die in allen Landestheilcin übe^
einstimmenden Pflanzen- und Thiernamen den Beweis zu liefern scheinen.
^^ Das kurze o ist, falls betont, ans der Kehle zn stossen, ähnlich wie in den slatiscIieB
Sprachen, nicht wie im Deutschen oder Italiänischea.
37
Die Aussprache ist in der Regel eine hinreichend deutliche, um das Ge-
hörte mit unsern Buchstaben niederschreiben zu können, variirt aber inner-
halb gewisser Grenzen ausserordentlich im Munde Ein und desselben. Diese
individuellen Schwankungen der Aussprache entsprechen nicht denjenigen,
welche der Bongosprache eigen sind, sondern ersti*ecken sich hier auf an-
dere Reihen von Lauten.
Wahrend die Bongo regelmassig p und / vertauschen, geschieht dies in
der Sandeh-Sprache hauptsächlich mit r und Z, welche die Erstgenannten
wohl auseinander zu halten wissen; ebenso häufig ist ein Yer wechseln von b
und V. Ausserdem weist die Sprache noch folgende Schwankungen in den
Lauten auf:
l und r in n 8 in i
l und r in nn sin t
- . , .. f f . , ^ ^ der Mitte von Worten.
dz m dzz ob in gb
z in zz mb in ng
dz in g
Bei den Vocalen gehen am häufigsten über: u und a in o, « in t.
In zusammengesetzten Worten, wenn zwei Yocale zusammenstossen , er-
folgt entweder ein Wechsel im Laute, oder der eine Yocal wird ausgestossen;
oft wird auch ein m zwischen hineingeschaltet.
Ein Hauptcharakter der Sprache ist in der nicht seltenen Häufung von
Consonanten zu suchen. Einzelne Häufungen finden sich oft, so z. B. vor
Labialen m und jr, vor i stets r, vor y ein A, vor 8 ein rf, vor g ein m oder n.
Zeitformen fiir das verbum konnten nirgends als nach bestimmten Regeln
festzustellen nachgewiesen werden; auf einzelne Fälle ist im Verzeichniss der
Zeitwörter aufmerksam gemacht worden. Eine Imperativform scheint nicht
zu existiren, wird aber merkwürdiger weise stets durch ein vorgesetztes ya
ausgedrückt, das arabische Ausrufungswort ya (z. B. im biblischen ya^amen)
welches erwiescnermassen nicht erst durch den Verkehr mit den Nubiern in
die Sprache gebracht worden ist, sondenm allen Sandeh geläufig sein soll.
Der Plural wird durch Vorsetzung von a, vor alle Worte, sie mögen
mit einem Vocale beginnen oder mit einem Consonanten, angedeutet, z. B.
ängo der Hund, ordngo die Hunde.
Substantivs und Adjectiva.
Abend
numm
alt
kürro
Achselhöhle
tiggigörro.
Angelhaken
kombih
Ader
bdgga
Angst
gundi
ärgerlich
miztngi
Arm
birro
After
gimlüih
arm
angai bokköte
allein
8a (nachgesetzt)
Art (species)
limdkia
38
Arznei
uhgud
Brod (zwischen
Arzt
ekavö
Blättern gerösteter
Asohe
kukki
Teig)
pokuU
Ant
sSngi
Brust
mbodulö
Auge
binglüe
Brustwarze(Brnste) mommudo
Augenlied
pokubdngiro
Bruder
urinamo
Augenbraue
mdnge
Dach
basd
Darm
le od. re
Bach
ulUdi
dick
nenke
Backe
pongbdro
Dieb ,
dXh
Backzahn
börruka
Diener
buöle
Bad
zunatUö
Ding, Sache, irgend
Bart
mdnbaro
etwas)
Bast
pdyo
Dolmetsch
kogumbdhe
Bauch
mvulU
Donner
üssu
Baum
ungud oii»ngud
Dorf (District)
Ungara
Beü
mangud
Dom
kive
Bein
ndui
Draht
mdkka
Berg
mbid
dumm
irrSpopo
Beschneidung
nganzd
Durst
gomunimmt od.
besser
ffingbdre
.
gömmaro itm
betrunken
mukpivoda
Ecke, Kante
bungbuSh
Bettstelle
kittipaüd
Ei
paUd .
Bier (aus Eleusine) bangdra
Eisen
mdnna
Bienenkorb
hgg^
Eisenplatte (des
BUd
mvkkA
Handels)
giddigiddi
BindÜE^en
gilU
Eisenschlacke
mSnmnunzo
bitter
yiai'i od. sikdhi-e
Eiter
pdnda
Blase
dimoUmö
Elfenbein
Undimbdnna
Blasebalg
mbim
Elfenbeinschmuck
Blatt
p^ od. pe
der Brust
buzd
Blattern
bakufö
Ellbogen
mburrtborrö
blau
bieh
eng
ne^üngba
blind
gabdniTOtU
Erde
a$u/bdli
Blitz
gumbd
Euter (siehe Brustwarze)
Blüthe
bombudd
Blut
kuoli
Fahne
mbokkd
Bogen
mbottö
Falle z. fangen v.
Boot
korüngba
Wüd
Ükkitti
Braten
auodiodire
Fallgrube
duih
breit
tigbe
faul (stinkend)
faul (siehe träge)
Hn6ffu
39
Feder su£h
Feind mobbd
Felder (Cultarland) bine
Fell battö
fertig, beendet dundukih
fest nekegbe
Fest, Fantasia inezgonnbaro
fett zöengbd od. /cuolc^
Fett 2^^, pat od. gpai
Feuerzeog mit zwei
Hölzchen pagisd
feucht invmogö
Fieber nzer^
Finger vulidzega
Fischstecher singu
Fleisch pimö
Fliegenwedel mbune
Flinte tuh
Fluss boime
Freund bdda
Frucht lindvngud
Fuss giiU
Fassschelle nzölh
Fusstapfen fu6
Frau dih
Friede ngavurdte
Führer mbattaia
Galle ndungd
gar gekocht ^vi od. ^niuS
Gebet, Aagurium börru
gebunden ivö
geizig Undimo
gelb puiyeh
gefleckt kennekSnne
Gelächter möngo
Geliebte hth
gerade(nichtkrumm) bangah^
Gesandter mböttunu
Gesang mbirre
geschickt (gescheut) bakumbd
Geschlechtstheil
männlicher kirra
'weiblicher G.
ninge
geschoren
pekpehe
geschwollen
Hhi
> Gestell
pdmbara
gestreift
nikka
Glasperlen (siehe Perlen)
Glocke mbongd
Glockenzunge anzorrohi
Glück kerekazd
Gott i^rum&a nach Anderen
bongmböttunu
(wenn nicht Letztere nur f. d. Propheten)
Grab ikpiSidinni
Gras, trockenes oggtidh
gross k^hJce
grösser bakire
Grossvater und
Grossmutter
grün foggolU
Grube dv^h
Guitarre (Mandol.) kundi
gut (ideal) mbakögbe
gut (materiell) Hngba
*m I
tvta
fiMtnß
Haar
Haarflechte (toupi^) iUu4h
Haarnadel samunzd
Ebigel monugumbd od.
paragumba
Hacke rnbakköh
Haken bcJcongö
halb uli
Hälfte ikkete
Hals göno od. göse
Halsring bdben^i
Hanmier bdnde
Hand pdbere, fdre od, fire
Harn limo
hart iikkdntka
Harz mbdro
Häuptling (König) fni od. id
Haus dimu od. bambü
(in Kegelform mit Thonwänden)
40
Haas
yapü
Knabe
gvdih
(in Kegelform mit Rohrwänden)
Knie
unukusih
Haus *
bcLsd
Knochen
mSrntne
(vierkantig mit langem Dach)
Knoten
ikpekd
heimlich
möko
Köcher
nuhtgu
Heirath
muy4
Kochtopf
uTidkoro
heiss
fohigbe .
Kohle
kiugeU
Heft des Messers
phme od.ungud adppe
Kopf
Uh
Hexe
mdngo
Korb
sokkö
Herz
bdgunda
Koth (excremente) milli
Hintere (podex)
rumborö
Krank
kazza
Hirn
duddü
Krätze
ndakka
hoch
gizdgbe
Kreuzknochen
ngöngo
hockend
muaugushuie
Krieg
bdso
Hoden
ndikaüono
Kriegsgeschrei
inncLZuttd
Hof eines Häupt-
mbdnga
Kriegstanz
vurd
lings (Gehöfte)
Krug, Urne
dkoro
Höhle
korrkörr
krumm
mru
Holz, trocknes
ndki
Kugel der Flinte
ui
Holz, grnnes
ngud
Kürbisschale
utS-enga
Honig
banga
Kupfer
Urra od. tila
Uom zum Blasen kurd
Hüfte
yangbd
Land
fMe
HQgel
yhiga
lang
negbangahd
hungrig
gömmoro
Lärm
ginei-embd
Hure
nzangd
Lanze
bdso
Hasten
kord
L. mit Widerhaken
akatod
Hat
vulibuma
L. mit Dornen
pongi
Last des Trägers
miken^
Insel
küengd
Lastträger
mikakd
Jahr
mbaggdna
laut
muggumb€uibe
Jüngling
parrangd
Lebetf
Snde
Joch für Sklaven
gongd
lebend
uniongölu
leer
iuyette
kahl (ohne Haare) mbumborehi
Leiche
kuipi
Kälte
Zille
leicht
•
uringitte
K&mm
yegberi
Lendenschnur,
Karavane
iddungunatö
Gürtel
abbuggd
Kautschuk
kendi
Lippe
pottungbd
Kehlkopf
guudugdno
Loch
Sekkoro
Keule
mbondö
Löffel
zikdio
Kind
akumboggadih
Tiügner
zelU
klein
umbd od. mbdli
Lunge
pusu
41
Mädchen
nderrugudih
Norden
uriyo
Magen
kikketti
nützlich
Hkangbd
mager
kdoggodi
Mann
borrö
Oel
pai
männlich
Äa-(wird vorgesetzt)
offen
izzekke
Mark
bagazdru
Oheim
uUdavole
Mehl
ngunge
Ohr
tu^eh
Mehlbrei
bakinde
Ohrfeige
ih-udro
Mehlteig
baburunge
Ort, Platz
badüore
Meissel
mokkinge
Ortsvorstand
borrungbangd
Menschen, Leute
abborrö
(Schech)
Menschenfleisch
ptisiö abborrö
Osten
padio
Messer
0
(Dolchmesser
sappe
Pallisaden
ngappd
Milch
mömmunu
Palmöl
kannd
Milch (sanre)
mommunu kekkehe
Pauke von Holz
gdzza
Mittag
bebbeluru
P. mit Fell bezog.
guggu
Mitte
ikperrekd
Peitsche
baggd
Mond and Monat
divi
Pfahl
liggongud
Morgen
mbe-usu
Pfeife (zu Tabak)
mbasd
Mörser y. Holz
sdngu
Pfeifenrohr
tambedd
Mond
mbäro
Pfeil
aguanzd
Mungala
abdnga
Perlen (Glas P.)
anneki
(Brett mit Löchern zum Spielen um
(Arten yom Chartumer Markt:)
Gewinn)
-Damaraaf
zambdnnekS .
Mutter
namu
-Neautet
puhfdnneki
-Ganschöl
birre anneke
Nabel
mbugae
-Genetöt
kerrekörro anneke
Nabelschnur
glimbugüse
-Börred
paragümba anneki
Nachgeburt
kuluma
-MandjQr
manguru anneki
Nacht
yuro
Pflock
mbdngua
nackt(ohne Schurz) kunduliye oder
Polster (f. d. Kopf
bakünduli
zum Tragen)
kdnna
Nagel, am Finge]
r suau-lizangdro oder
Puls
böru
suau-lizogdlo
Pulver (Schiess-P.) ngumbS
Name
limmo
pnnktirt
rugguttueh
Narbe
yomoko
k
Nase
Öse
Raubzug
mvurrd
nass
sizeli
Rauch
mmtne
Nebel
rabiggeli
Recht
iikkinaü
neu
bowuho
Regen
mal
Niere
yangbd
Regenzeit
kirn
Niesen
pangcbiye
Regenteich
mungd
42
Regenbett
pattupdtti
schlecht
mbangdtte
Regenbogen
udngo
Schlüsselbein
paganno
reich
bikkinde
Schmelzofen
biggivi
reif
Ihrihe
Schmidt
pongu
rein
»ikkaglra
schmutzig
fnbäliko
richtig
ling6d(^u
Schmiede
tippolm
Rinde
fuge
Sänger, Spass-
Rindenzeng
rokkd
macher
nZi*7§Q(l
Ring Yon Eisen
hinge
Schneide
lindisdppe
Ring von Kupfer
terra od. tela
schnell
nihipe
Ringbeschlag
makkd und bangd
schön
mbangba
(spiraliger fiir Arm und Beine)
Schuppen
basd
Rippe
ngazira
Schüssel von Holz
korungbo
roh
iöh-iöh
schwach
zedzeUe
Rost
menninunzo
Schwanz
sahd od. sah
Rücken
gigeU
schwarz
nebiko
rund
gäligbehi
Schweiss
lindimo
Russ
mbirö
schwer
lunui od. lenii
roth
zambdhe
Schwester
ddvole
Sehne
bdgga
Sack
mdngo
Seriba (umpfähltei
ngappd
Salz
tippö
Platz)
Samen
tungai
Sklavin
kdnga
Samen (männ-
Sohn
uüU
licher)
nibcttungd^barrö
Sonne
urru
Sand
ngumme
Sonnenfinstemiss
ndürrukurrdggo
Sandale
raggattd
Spaten
gitta
sauer
kekkihe
Speichel
9uri
S&ngling
limmö
Speise
mufe od. puhfi^)
scharf (von Tabak) hegbe
Spiel
mbdgga
scharf (vomMesser) Hkketti
Spion
mbommue
Scharlachfieber
bonnungba
Spitze
lindid
Schlinge
bind
Sprache
pdboro
Schatten
nzellume
Stachel
kirroru
Scheermesser
pilU
Stamm (eines
Scheitel
ginneli
Baumes)
kdki
Schemel
mbdtta
stark, kräftig
bakumbd
Schienbein
mbdgsa
Staub
sdnde
Schild
mvurrd
Stein
mbid
Schlauch
monguimmi
Stelzen z. G^hen
ballaru
*) Animalische and vegetabilische von pusio, Fleisch, als Hauptkost der Nyamnyam, wie
mon, das Sorghanikorn Haaptkost der Boago and bei ihnen Speise im Allgemeinen.
43
Steppe
pungbuhe
Vater
bamu
Stern
keUekuru
vergnügt
hmamuma
Stemschnappe
ukati
verbrannt
schigbi
Stirn
pokpus^h
verloren
schitti
Stock
ulingud
Verräther
bomui
Strick
güU
verwundet
Uöko
stumm
nikkiSi
vorhanden
bitte (mein)
stampf
tingdtte
(da seiend)
6^(i(dein) u. s. w.
Süden
bongüipid
voll
amihihe od. HhxM
6Ü88
inzenzelehe
verrückt
iranzangd
Syphilis
köngani
verschieden
gudkia
Stroh
oggui
Suppe
immi-puSiö
Wachs
dadd
9
Wächter
ktimngidiräggo
Taback
gundih
wahr
Wald
mbellelengö
bau
last
urru
tapfer
btikumbd
(Wald am Ufer von j^^^^.
tatovirt
igbeki
Flüssen, Crallonar)
taab
tukkokiH
Wasser
•
ifnfnt
Teig (siehe Mehlteig)
Termitenbaa
Wasserflasche
Wade
kambu
maUndtie
(grosser T.)
Thau
dbto
uoUe
Wechsel (monatl.) bagbido
Weg ginnd od. genni
thener
kSgbe
döggoro
pokkuru
aurUfrUk
Weib
ddh
Thon
Thur
Thranen
Weib (verheirath.) kumbd
weiblich mar (wird vorgesetzt
weich lulungbud
tief
Tochter
goggd
uüU
weiss
weit
pusyeh
tunügbe
todt
ukpi
wenig
Süoni od. tini
trage
trocken
Trommel
mangdlingerotti
sö'uggu od. uggue
Itggezzd
West
Wild
Wimpern
dio
ana
manü>dnger6
Tropfen
Trnmhasch
9^ W '^
ickindttoga
mobbd
Wolke
Wunde
gudünupuiye
üöllöko
Wind
udgge od. ug^
Wurfeisen (siehe Trumbasch)
Ufer
pongbihrimmi
unbewohntes Land ngahUette
Zahn
lindS
Unglück
atoUUe
Zange
ulimara
unnütz
mingdtte
Zaun
ulingapd
Unterleib
tivuli
Zehe
uUndue
Unterhauptling
benki
zerbrochen
gikkiUi
44
Zeug (Gewebe)
Zunge
Zwerg
Zwillinge
Zündhütchen
lemmü od. ren^mü
mind
lukutdborro
^bbuih
iuettera
Esel
Huhn
Hahn
Hund
Hündin
Kuh
Ziege
Thiernamen.
L Haiutliiere.
dkaya
köndo
bakondo
dngo
nära
hitti
vu9%nde
n. Wüde nuere.
Schimpanse Irdmgba oder
Nderuma oder«
Manzaruma
fnbuggi
bökku
ngalanffdla
güngbe
ndumm
Colobus guereza
Cynocephalus
Cercopithecus
griseoviridis
C. pyrrhonotus
C. sp. atrogrisea
Galago senegalensis bakumboso
Fledermäuse
Maulwurf
Igel
Spitzmaus
Ratelus
Lutra inunguis
Canis variegattts
Hyäne
Civette
Genette
Ichneumon
Löwe
Löwin
Leopard
furS
tundua
dundulih
ndelli
torubd
limmu
hodh
zage od. zigge
ti od. tiyk
mbellih
nduttud
mbcngunü
niiru
mamd
möbboru
ngafü
denderd od. dandald
Caracal
Serval
Katze
Sciurus leucum-
j brinus bodilli od. bederri
Sciurus sp. grisea bctkumbd oder
barnunAd
Mus decumanus gudh
Mas rattas babiUih
Mus musculus ndekMlli
Golunda pulchella eikka
Meriones sp. leu-
cogaster zakdda
Aulacodus' Swin-
derianus
Hase
Stachelschwein
Orycteropus aethi-
remvö od. aUmvo
ndekuUh
uzingenS
opicus
Manis
Elephant
Rbinocerus
Hippopotanus
Hyrax
Phaccochoerus
Pdtamochoerus
Bus sennaarensis
Giraffe
Büffel
Antilopen
A. oreas
A. leucophaea
A. difassa
A. leucotis
A. arundinacea j/öro
A. scripta boddlh
A. caama songorS od. sogomvu
A. grinunia bd/u
A. madoqua bongbatd
kdre od. kurrohA
baSisi
mbdra od. tnbdnna
kiga
dupö
atabü
Hbba
mokurrü oder
dzomborr
giiTTua
basumbdrigi oder
btzsingbdlinge
mbih od. bogguro
mburrS
biso
mbdgga
tdgba
0 d. h. Fleisch, als Wild im Allgemeinen.
45
A. sp. pnssilla mwrrä
A. sp. minor,
rufa, concolor kötumo
Vögel ' azille
Taube mbtpö
Turteltaube surrukd
Perlhuhn nz^gu
Straus kangd
Papagei (Psittacus
erythacus) kokkulü
P. (Psitt torquatus) mbironi
Geier rangd
Milan bakUci
Gans zirtme
Trappe bazerreboddth
Tmeloceras abyssi-
nicus ndisi
Schildkröte bazzd od. baggd
Stellio kökoso
Varanns kdre od. garrd
Psammosanrus tingöndu
Cbamaeleon mvudh
Crocodil ngandih
Schlange uöh
Wasserschlange mdngu
Fische ti^eh
Hydrocyon ngaia
Käfer kirücpö
Holzk&fer(botrychi)n2:anom^
Heuschrecke aiile
Fliegen ezih
Grille nau-^
gr. Steppen Grille j^aZZtW^
Tsetsefliege ngdnga
Cicade banzih
Biene anegi
Libelle andelikd
Raupe rummi
Schmetterling fuffuruffü
Wespe bdndo
Zecke ogbo
Ameise tutui
Termite ngbdli
geflügelte Termite agi
Scorpion neüemhi
Scorp. gr. unschädl. ngbdlipongbd
Spinne tun^
Tausendfus (Sco-
lopender) kengono
Laus anz^ni
Kleiderlaus bctgbhie
Krabbe ngenne od. ngile
Wurm agbenne
Blutegel matündo od.masündo
Bandwurm agbiröllo
Guineawurm ctsdro
Flu88auster(Etheria}m(>^^«
Kauri mberrekpatd
Muschel(Adenonta) alingdro
Schnecke(Achatina)/Kfi^rrtf
Pflanzennamen.
L CnltnrpflamEen.
Sorghum vulgare bunde od. vundi
Sorghum saccharatum ngdgali
Penicillaria koiya
Eleusine coracana molü od« minu
Zea Mays mbaia
Hibiscus Sabdari£Fa nambd
Sesamum aÜle
Hyptis spicigera andeki
Nicotiana Tabacnm guruUh
Arachis hypogaea auand^
Voandzeia subterra-
nea abondv
Batatas edulis bambih
Manihot utilissima bavrd
Dioscorea alata mbdla od. mbdrra
Helmia bnlbifera sandüh oder
tunduh oder
zapinte oder
TnMe (je n. der
Form)
Musa sapientium bdggu
Colocasia mdnzi
Cucumis sp. ab4ngeod.bi8and4
46
Citrullas nabangd
Tepbrosia sp. pis-
catoria Tnabd
Cncarbita maxima bokkö od. yinga
Lagenaria ingd od. nagbangd
Urostigma sp.
Tsjelae affinis rokko
Phasaeolussp.Mitta apokuorro
Ph. sp. Mango abopd
Yigna Datjang arukpo
II. Biamey Sträaeher» ete»
Bambusa abyssinica ngdnzi
Baumwolle banffmundö
Batyrosperum
Musa Ensete
Borassus flabelli-
formis
Urostigma platy-
phyllum
Calamus secundi-
florus poddu od. püd^i
Elais guineensis mbirö
Crardenia sp. tinc-
toria blippa
Sterccdia cordata kokkorokü
Sterculia acaminata
(Cola-Nuss) sdno
pokaUh
boggümboU ' )
akodh
mbegüle
Habzelia
kimiba
Euphorbia sp.
arborea
Ukke
Lophira alata
zaua
Encephalartus
mvüe-pieh
Pandanns
inglevi
Kräuter im allg.
mvüe od. bind
Myristica
dkiso
Gräser fo99^ <>^- fogumbo
Chlorophytum sp.
variegatum langd
Panicum sp. popüki
Stapelia sp. katapdgbate
PterocarpoR santa-
linoides mbdga
Impatiens tikpö
Celtis makdna
Xeropetalom bapö
Erythrinatomentosa tnJt^aia kigi
Cyclonema asakdpu
Urostigma aspe-
aCangbd
uoddi od. vöddi
nganziduppö
rifolium
Cabeba Glusii
Schilfrohr
Papyrus antiquorum boddumö
Pilze ^ rutte
Zwiebelgewächse mhalingd
Ydlkemaraen.
Nyamnyam *)
Nubier
Bongo
Djur (Luoh)
Dinka
Mittu
Babukr
Monbattu
Bellända
Akkä
Gölo
A. Zandih
A-Borömu
A'Kumd
A'BakunduU^)
A'Tagmbandö*)
A-Mittu
A^Babükkuru
A'Mangbittu
A'Rambid
A'Tikkidkki
A'Göro
Personennamen^) für Männer.
Angbi
Abindi
Aura
^) d. i. kleine Banane.
') Arabische Pluralbildang; Nyamanyain.
') d. i. die Nackten.
^) d. i. die mit der Keole.
') Die hier aufgrefährten Namen iviederholen sich bei den Saadeh ao häufig wie bei uds
die Taufnamea.
47
Bctgbdtta
Bagiraa
Bakomoro
Brfria
Bazieh
Bazibö
Baktnge
Bazimbih
Bcilia
Bcdfa
Bendo
Bidzingi
lioi'ongbo
Boborungu
Bdmbo
Böggna
Dipöddo
Endefii
Ezo
Fomböa
Gdria
Gdziina
Gangald
G^ndua
Gitta
Gurungbe
Gümba
Ydgganda
Ydnga
Yapdti od.
Imma
fmbolutidu
Ing^rria
Tngimnia
Indimma
Kdria
Kdnzo
Kifa
Kdnna
Kommünda
KuUnzo
Lavulükka
Mabenge
Malingde (oder
Marindo)
Mango
Magangei
Maddd
Mazmdni
Mdrra
Matindü
Mangi
Mbäi
Mbdgali
Mböri
Mbanznro
Mino
Mbittima
Mdffi
Mofii
Münuba
Ngdne
Ngürra
Ydffati Ninde
Nunga
Mdüppo
Ngangdlia
NdAni
Ngitto
Nd^ru7na
Ngettve
Nimbo
Nzimbe
Ngdngo
Ondügba
Riffio
Zabura
Zena
Zhigba
Zolongö
Samuel
Sdngo
Zibba
Tumdfi
Pento
Udndo
Pä-kie
Renzi
Uringdma
UkuSh
Rikkette
Ringio
Vennepai
ViUdzeU
Zeitwerten >)
ändern, verändern
mimon^hJce oder
mitdrmnang^h
ablassen, aufhören müh
athmen
mindkoro
baden
minazonddtelle
(gebildet aas:
fnmdndo ku zundatHo d. i. ich
{^ehe zum Bade.)
beerdigen
beschneiden
migtsdnde
miaU
beissen
mirundulö
beischlafen
1 midmuni
2 moumuni
binden
1 mivö
2 muvo
3 kuvo
sich betrinken
blasen
mipingaiya
mivuSh
bleiben
2 müsungu
brennen 3 pers. Praet. Hgbi
') Die angefahrte Form entspricht, falls nicht besonders bemerkt ist, I) unserem Praesens
l Pers. Sing. , mit einfacher Vorsetzung des Pronomens rai , oder 2) dem Futurum mit Vor-
.setzung Yon mine- oder mina- (d. i. ich gehe, bin im Begriffe etwas zu thun, abgekürzt von
minando, siehe unten baden.)
48
bringeD minani
halten (packen) minizyS
eintreten Imperativ: jamundukü
Imperativ yamuzye
drehen, umwenden miaabSnni
heben müumbn
entfliehen 1 mimile
Imperativ yonutumbd
2 mumele
hören migd
sich erbrechen mindsuka
Imperativ onigS
erwachen Imperativ yamuzingui
husten mikolld
essen
hungern minag&mmoro
Präsens: Imindte od. minali
haben 1 bille
2 mondTe od. mondli
2 berö
3 kondte od. kondli
Sbekö
1
1 andTe etc.
1 berdni
" nachgesetzt
2 tnafi?
2beyö
3 hindte
3 bekih
Präteritum 1 müüe od. milindli
kauen 1 mineßuguS
2 molM
2 muffvgue
3 *(?Zt?^
kaufen J minbe
1 aniliti
2 munbe
2 iZi^^
kennen mihni
3 Mifö
können 1 kamimdngiro
Futurum 1 minekpine muT^
2 kamdngele
2 monekpine muH
kochen 3 pers intransitiv Hndffu oder
3 konekpihi muU
mffy
1 anekpin^ muU
kommen 1 mineyS od. miniye
2 inekpine muTi
2 muniyS od. munye
3 hifiekpin4 muri
3 kunyi
Infinitiv ia
Imperativ ya miye
Imperativ ya wmT(p
häufen 1 mizungui
Part. Prät. ilife
2 muzungui
fragen miaöUoko
lachen 1 mimomu^
fallen mitti
2 mumitmv
&ngen minddulu
laufen 1 minauro
finden mif>S Präterit 1 minibi
2 munaüro 3 kuna^o
2 muwihi
Imperativ jamaiiro
geben mifftU Imperat. yamußu^
lecken müeti
gebären mivüngugudih od. mwungudih
lieben mindmbutiro
gehen 1 mindndo 2 möndo 3 kdndo od.
liegen 1 mippi 2 müppi
öhndo
lernen mivulü'4
Imperativ yamündo
löschen mibüyi oder minebüyi
Präteritum 1 minindo
machen mimangi oder migbinde oder
2 monindo
mimdngbinda
gäten 1 mivegffi 2 muvigge
melken mdnipina
giessen 1 miokd 2 mokd
Imperativ
r yamupini
49
mischen mikodendni
nehmen 1 mid^
2müdS
niesen minSmirpangafyi
öfinen mizdcdh
pfeifen mivuvutun^ od. mibubtttund
pissen mineino
pflanzen 1 miunu^
2 munuS etc.
reiipien 3 med nana
reisen minändo kanönga
rauchen (Tabak) 1 mindvu 2 munövu
reinigen miaundud
reiten 1 miyoli
2 muniyoli
mhen (sich setzten) minesangi
Imperativ ya musongü
rufen mineimbaro
säen 1 muduffud
2 moUte od. monuS
sprechen minaggumbd
Imperativ ya muggumbd
sammeln mtdungurd od. midungund
sangen 2 mO'-dmmai
scheissen minhmi
schiessen mit^
schicken mikiddiko
schlafen minSppi
Imperativ ya müppi
schlagen 1 mitdko od. miavako
2 mottdko
satt sein 1 mimbi 2 mombi
scheeren mikpSh
schnarchen minagibikorra
schmieden 1 mötta mdnna
2 mutta mdnna
schreien minaaüttua
schweigen midngo od. mbngo
sehen 1 mii^
2 muSs
sitzen 1 miaungu od. minissungu
2 muB9ungu
3 ku98ungü
schwimmen 1 miöga
2 muöga
spalten misuU
springen 1 miggvkdto
2 muggukdro
speien, spacken mikorrö od. mwollö
stehlen mineii
stehen mindrra
Imperativ ya mdrru
stossen, im Mörser mindmkd
Imperativ musukd
suchen mirU^iruih
Imperativ ya mo-t-uSh
sterben 1 mikpi
2 mikjri
3 hüpi vd. kugpi
stottern mirappappö
tödten me^maro
t&toviren mindbika
träumen mdsumd
trinken 1 m,inö od. mimbete
2mombi[4 od. mono
trocknen misuih
übersetzen (einen Fluss) miH
umfallen 3 kuttind-e
umwenden 1 misd
2 musd
verirren miringi od. mingigeni
verkaufen 1 minangbiko
2 mongb^ko
verlieren minatedd
warten mirungdmbatta od. mat-
ingdmbatta
verstehen 1 migd
2 mM
L.
verstecken mökö
verschneiden 1 middo
2 muädo
waschen misunduSh
werfen mibbd
Imperativ ya miübba od. mugba
winken 1 minabaidllo
2 munubbaidllo
4
50
wollen 1 mikpihumih od. minekpini
voraus mbottaio od. mbottd
2 munekfpthumih
wie, gleich u
zeigen 1 miyugguS
wegen mbikd
2 miyugguS
zu (hinzu) /booU od. i:a<jZ od. iard
zählen 1 miggeddü
(nachgesetzt]
• 2 muggeddi^
zu (Richtung) ibc-yo od. ibw-t (nacb-
zerbrechen mikkeU^
gesetzti
zittern minilcS
zu (zu behr, viel eta) 6^ od. agbe
ziehen minagb^
(nachgesetzt)
Imperativ ya rnugbi
zuviel nkekesö
zudecken mivoggodd
aber ä^
und na
Fllrw5rter ete«
gewiss üngba
1 ich mi 1 wir dni
ja migi
2 du mo 2 ihr i-o
nein dA od. d
3 er ko 3 sie hih^
noch nicht tdmmcm,
1 mein gimi 1 unner gdni
nicht ^^ od. gdtte (nachgesetzt) od
2 dein gamü 2 euer go-4o
etUgdtU
3 sein gakö 3 ihr goküU
nichts ngdHtte
ich selbst miningmbadduU
nur ingarrahd
dieser kurdj döle od. ge^ mit nach-
oder ttdZZa (?)
gesetztem le
ohne z^an^d
jener tfiddiöle od. iiddidle
mit tini (z. Th. nachgesetzt)
jeder ndunduku
sehr gbi
keiner ^^^ od. te (nachgesetzt)
wann ? niginigdnna f
auf aülu od. iyu aülu-i (oft mit nach-
warum ? tiggirUh f
gesetzten id)
was? ginn^f
bei j^ofi? od. syu pdfe
wer? da? .
darin dtmchi od. dtmayu
wie? nguit
des (Besitz) ^a (vorgesetzt)
wieviel? Singuef
draussen r^y/t^
wo? «fi-ott od. li-oZi?
für mbikaU
wohin? kü-olif
hinter aaio
woher? u-olif
nahebei Hmimbedi
alles ndunduku
nach (Zeit) mdni od. nidnika
anders angd-iote
nach (hin) /*u (mit nachgesetztem yo)
dort ywfe'g
in syu (auch mit nachgesetzten yd)
frah mbei-isu
nahe turungitte od. sukdmbeda
ganz sineba
noch (dazu) minakord
genug stggize
oben d/ü)
genug (satt) mbu^
unten sanddo
geradeaus mbafaya
unter ^
gestern mbattd
yon (her) ao (angehängt)
morgen ba
51
heute hhmeme
9
hier 8%ori
10
immer angaintte
11
jetzt hSnneme
12
langsam ne-^mbdha
13
links gäre
14
laut muggumbddbe •
15
nachher mörumbattd
überall syakanbddu
16
vorgestern kuragbd
17
viel kiegbe od. gbe
18
rechts kumbdbere
19
umsonst (ohne Kosten) büa
20
wenig töni
0 weh! akönn!
geschwind nihepe
21
schnell nip6 (angehängt)
22
ZaUwSrter.
1 »a
2 4us
30
3 biHa
40
4 büma
50
5 ÖMtM^
60
6 batisd
70
7 haJtiui
8 batüdüa
^
hatibiSma
ba-ui
batinesd od. batisindi sa
batinue od. batisindi ui
batinebieta od. batisindi biSta
batisindi biima
hird (man nmfasst das eine Knie
mit beiden Händen, d. i. 10 +- 5)
kubinisd od. irusd
kubiniue od. irudlu
kubiniiiet'a od. irubUta
kubinibOma od. irubiema
abborrolue ^ ) od. mbondungmündo
(man umfasst beide Kniee mit
beiden Händen d. i. 10+10)
abborroltU ne sa od. hird bati-
none sa
abborrolue ne ui od. hird bati-
none ue
u. s. w.
irvrui od. abborrö bieta
abborrö-biema
abborrö-bisui
irü^bienm od. abborrö-batisd
abborrö'batiue
u. 8. w.
uli
Sitze.
Gruss, als Willkommen.
adieu.
Wer bist du?
Was willst du?
Was geht es dich an?
Wie heisst du?
Ich bin dein Freund.
Isf das ein Bongo oder ein Dyur?
Wohin warst du gegangen?
Zeige mir den Weg mit der Hand.
Weshalb lachst du? •
Ich bin durstig.
muyete od. mukenöte,
mind patirö.
da ngdmf
ginne mo ipinumehf
ginne no mongdlof
limmo ningdddaf
bdda lo ngemi.
Kumd döle Bakundulidlef
monindu kü-olif
ya miyuggü gene fere,
mundmoma tiginef
77iinagömmoro immi od. migomunimmi.
^) VoD abborrö, der Mensch, und ae, sivei d. b. die Finger ?on zwei Menschen.
4'
62
Trinke, aber betrinke dich nicht.
Gehe zum Flass.
Gehe zur Seriba.
Er kam vom Flosa.
Das ist von Gir gekommen.
Hast da Kinder?
Hast du ein Kind?
Hast da Fett?
Gieb mir die Hand.
Ich kenne ihn.
Ich war nach Dumaku gegangen.
Ich ging zum Walde.
Ich bin nicht satt.
Ich habe nicht genug gegessen.
Er ist nicht zu Hause.
Er starb weil er nichts zu essen hatte.
Er starb vor Durst.
Gieb Salz zur Suppe.
Ich habe einen Hund.
Das Wasser kocht.
Er ist gut.
Ist das gut zu essen?
Er isst alle Tage Fleisch.
Was hat er gesagt?
Ist viel Wasser auf dem Wege?
Der Regen ist zu Ende.
Ich habe zwei Ziegen.
Hier im Dorfe giebt es keine Kühe.
Wir haben Hunde.
Warum schlägst du unnütz den Hund?
Ist der Hund fett?
Liebst du sehr diesen Hund?
Wo starb er?
Wo ist der Vater?
Uando's Frau.
Imma's Sohn.
Munsa's Palast.
Ich schlage den Knaben.
Binde das Huhn.
Die Sklavin ist entflohen.
Er will fliehen.
Der Wind kommt von hinten.
ja TnobiTeko mopingaiyette,
öhndo ku botmio,
öhndo ku ngappai,
kuniyi boimio,
Uniye Girio.
a gudeh ber6f
gudih berdf
pai oberöf
müffu berö farL
miniko,
mirdndo ku Dumukuyo,
minindo ku belleyo.
mimbi ngdtte.
minö mbud.
ngakö dimö-^e,
kugpi mhikd fdette,
kugpi mbtgomunimmi.
mdka tippö korag'irmni puiyö
angö a bille,
immxnaffu.
kangmbdttele,
ga mbdngba mutif
kondlike pu^yd na urru aua,
kundgumbd po ginihf
ga immi ginne gbef
mal dkitti.
a vussinde bMe ui.
gi lingald le hitti rokette.
a^dngo berdnu
tnott^dngo bu^a tiginihf
gi dngo le Kuokif
munanivuf dngo bef od. tnunämboti
dngo mbef
un^kpuölif
bamü-ölif
dkh üando od. ga üando d^/u
ga Imma gudih,
ga Münsa basd.
miovd gudeh,
ya muvö kondö,
kdnga nUle,
kanekpM rnnmiU,
uigg^ yeh sah.
53
Ich habe Fett.
Ich habe kein Fett.
Du hast viel Zeug.
Der Knabe ist gefftllen.
Bist da fertig mit dem S&en?
Wie heisst dieses Dorf?
Wie heisst dieser Bach?
Essen die Njamnyam das?
Willst du diese Perlen?
Das kommt von der Kälte.
Das ist wegen des Regens.
Gieb noch Ringe zu den Perlen.
Die Ziege liegt bei der Kuh.
Der Knabe sitzt auf dem Esel.
Dieses Holz ist sehr schwer.
Giesse Wasser in den Krug.
Sammle viel Gras.
pai büle
pat b^Uettd.
lemmü berö gbi.
ffu<r itti.
monui dundukShf
limmö ffi lingdra le ginSf
Itmmo gi ulidile ginif
ga Zandih ndte le,
ga munikpine mu le nC annekdf
gire mbUcd zttle,
gire mbikd mai.
möffu tald kaöF anneki.
vusindd kuppt pM hitti,
gudih eüngu aülu dkaya,
ge ngua le lehü bi.
moH immi kdkdro yo,
mudungüna mvüe bakeri.
III. Sprache der Kredy. (Krei.)
(Die Kredy werden von den Furianern schlechtweg Fertit genannt und
ihr Land, im Süden Dar-Fur^s zwischen 7° und 8° n. Br. gelegen, als Dar-
Fertit bezeichnet)
Substantiva und Adjectiva.
Abend
lüttggu
AugenUed
nie mümmu
Achselhöhle
mvtmn
Augenbraue
küUumümmu
Ader
äle
Angelhaken
mbühi
After
ungöngu
od. ttw-
aufgewecktjgescheid gangandoppa
göngo
Athem
yeiya
alt (von
Sachen)
sdra
alt von
Personen
grogüdu
Bach
dgga
Angst
mbaüa
Backe
akpdmma
Arm
UM od. leke
Backzahn
mbaUdmm
arm
irrigi od.
Bart
bibuiu
Arznei
mdnga
Bast V. Rinde
ebbeh
Arzt
bebingrod
Bauch
Uli
Asche
rdka
BeU
idi
Auge
mümmu
Berg
dmba od. ängba
54
Bein
laggeh
faul, stinkend
6ngene
Bettstelle
kettepald
Feder
bibbi od. bibbi sihn
betranken
aiyaneMh od. roijfo
Fell
nie
bitter
anenne
Felder, Culturland
gilaua
Blase
krökakzöddu
Ferse
mbittdmm
Blasebalg
Uloso
fett
mbottiSi
Blatt
kobb6
Fett
y%u
blau
güetinde
Feuer
oSo
blind
guyutümmumu
Feuerzeug von
Blut
aerrdmma
2 Hölzern
ibbi
Boot
klöbbo
Fieber
aiyo
Bogen
pondo
Finger
ungleke
breit
gofungö
Fischwehr
Umme
Blattern
nyoro
Fleisch
attd
Blei
kellcJcöso
Flinte
oidngbo
Brust
Uppe
Flaschenkürbis
klikke
Brustwarzen
mbdmba
Flnss
govui
Butter
yuyu od. küUbe
Freund
lembe
Blitz
indi
Frucht
garikpikpi
Fuss
pattUagdmm
Darm
tofo
Fusschelle
mb6lo
Dieb
bene
Fasstapfen
dabdmma
Diener
littih
Friede
lilazin
Dolmetsch
bebugrakkdgba
Führer
ammomokehi
Donner
gudzu mindi
fein, gestossen
geaegise
Dorf
möfnmu
Draht
eberro^ö
Gallenblase
lütiri
Durst
goggdyo
gebunden
molongeü
Dom
inni od. int
geizig
landd
Dreschflegel
mbleXe
gelb
gingetende
gekocht
endiM
Ei
kUkka
geschickt, gewandt robuddi
Ellbogen
lungono
Geschlechtstheil :
Eisen
rö'O
männlicher
gazd
Eisenplatte des
1
weiblicher
lukki
Handels
dndo
Gestell
langbd
Elfenbein
i^ie morongo
geschoren
gdsrudu
Erde
bübbu
Grassteppe
ombö
Euter
mbdtnba moddö
geschwollen
angine
Gift
mangegevd
Faden
gesebbi od. ebbetinde
Glasperlen
kolotoddo odJdotmo
Fahne
tendöso
Glocke
niandangölo
Fest, Fantasia
lebbih
Gott
ngrda
55
Grab
tittiri
Jahr
ungongoyü
gross
gavendüppa
Jüngling
ndioko
Grossvater
kosdmma
Grossmutter
tetdmnh
kalt
yobbo od. yoppo
grösser
ffÖVO
Karawane
gire
grün
güüende
Kette, Fessel
glenzenge
Gummiharz
kozo
Kehle
mboroddmm
gut
gozo
Eann
uidmmo
Grube
Hui
Kind
gesidi od. gesudü
Guitarre
gondu
Knie
lüngo
Knochen
Unde
Hagel
nakedindi
Knoten
tülu .
Haar
me
Kochtopf
karattd
Haarnadel
fnangxri
Köcher
mbettegdve
Hammer
idi I
Kohle
üsu
Hand
paUeleke
Kopf
dtiddmm
Hals
odo
Korb
zolo
hart
d^gbe
Koth, Excremente diddi
Harn
soddo
Kratze
gripdrr
Haus
mömmu od. koiyo
Kreuzknochen
opöggo
Haut
Ule
Kürbisschale
keppoi
H&Ifte
gongo
Kürbis
mangd
Häaptling(Schech) ngSre
Krug z. Wasser
karui od. kdra
Heirath
andikomma
Krieg
bäe
heiss
diddi
Kriegsgeschrei
azkö-o
Hemd
bokketSnde
Kupfer
mbdla
Herz
ySppe
klag
ingazin
Himmel
mümoru
krank
novo od. nö-o
Hirn
kimürudu
hoch
ngrö^o
Land, Gegend
momonoge
hockend
gadibübbu
lang
gid
Hoden
kMlo
Lanze
belle
Hodensack
bobodidi
L&rm
orrugövo
Höcker
oggdmm
Last
nizi
Honig
immth
Lastträger
enüngo
Homer
dda
Leber
lutdmma
Hom z. Signal
Uae
leer
grogo
Holz
pippi
leicht
gSsegdse
Hüfte
Ute
Löffel
pdlla
Hunger
goggo
Lügner
klezi
Hure
oziri od. oiiri
Lunge
bobö
«
Lippe
telakpdma
Jäger
bebdrri
56
Mädchen
pesSnde
Pfeifenrohr
pipi
mager
Une '
Pfeü
gebbih
Mann
üddu
Pianne
kdre
Mark
popö
Mahlstein
Quirl z. Kochen
pihkpaUd
(Murbaga)
dngba
müde
adamiyi
Raubzug
16^
Mehl
gifte
Rauch
kakoiö
Mehlbrei
uvu od. gakpavo
Recht
ungu
mehr
kdrebbe
Regen
dindi
Merissabier
ayd
Regenbogen
Mri
Mensch, Lente
nddkpa
Regenzeit
ug&ngoyu
Messing
Ungbale
reif
endotigi
Messer
ifnbe
rein
grdhdzugu
Milch
toffo
Rinde
kokubipt
Mittag
klikondo
Rindenzeug
roggo
Mond
epi
Ring Y. Eisen
mbölo
Mond
dkpa
Ring Y. Kupfer
mbölungudU
Mutter
yangdmma
Ringe, spiralige
ginne
Mörser v. Holz
kroUö
Rücken
6ggo
Rippe
poppunerdnga
Nacht
nddndo
roh
endiri
Nacken
urodamm
f
nackend (ohne
Säbel
peüekingbe
Schurz)
ri-i
Sack
mbitU
Nabel
uttü
Salz
könne
Nagel am Finger
kappelek^
Samen
(uungü
Name
diri
Sand
kdne
Nase
üngu
Sandale
tdmma
nass
natSdde
scharf geschliffen
angSnni
Niere
röioggu
Schatten
mbäUU
Norden
yangböngbo
Schemel
mbdttcL
Schild
gömbo
offen
özeri
Schulter
rekki
Ohr
bimbi
Schüssel
pdnga
Oel
yüyu
Scheermesser
ngisM
Osten
nddggo
schlecht
pcMi od. 6z€f*
Schmidt
idi
Pallisaden
mbdtta
schmutzig
tyi
Pauke
tnzi
schön
gözo
Peitsche
pile
schwarz
grodungu
Pfeife z. Tabak
orokardkka
Schweiss
kippe
Pfeifenkopf
%TTVpi
Schwanz
köyu
57
schwer
guru
Tminhasch, Wurf-
1
Schuppen, Dach
momumöddo
eiseft
piUe
Seriba
mbdtta
Termitenhügel
dudunöngo
Sehne
iUe
Todte, Leiche
tri
Schnnrbart
bibuiü
Sklave
minde
anbewohntes Land
Sohn
im
(Wildniss) •
söppo od. söppiäi
Sonne
dda
anreif
tibbi
Spaten
ondo
umsonst
gdya
Speise
ölfo
Vater
behi
Speichel
ekspi
verrückt
rdro
Stachel
im
viel
gövo
Stroh (trock. GxaS;
gangdna
Wachs
kßlU bimmi
Sohle
mbattalagdmm
wahr
rayddda
Sprache
ddda
Wald
u-u
Speise
ÖHH
Wasser
dyu od. dya
stark Y.Geschmacli
i dnene
Wasserschlaach
bettöyo
stark, kr&ftig
ümbvone
Wade
bottödu
Stanb
bubbu
Weg
böra
Stein
rökka
weich
orndfin
Steppe
bindi
Weib
inde
Stadt, gr. Dorf
dem
weiss
dungo Unde
Stern
eppi
weit
bihü
Stirn
akpruddu
wenig
giae-gise
Stock
pippf
Westen
veia
stumpf
angiddi
Wild im Allg.
uau^tiO
Strasse
yöbo
Wände
röro
Strick
ebbi
Wind
yaiya
Storm
gofiaiya
sflss
Ur4m
Zahn
me
Süden
miri
Zange
gobbo
Syphilis
Unde
Zeag
tSnde
Zehe
otHagga
Tabak
kakd
Zinn
dongunu
Tag
kddda
Zange
nddnda
Teofel
makaud
Zaun
ohzgdkka
Teig
rippi
Than
uyiana
Thiernamen.
thener
yanginni
I. Hanstlilere.
Thüre
akpiddi
BaUe •
modo
Tochter
Ure
Knh
endemodo
Thon
irripi
Kalb
litUmodö
trocken
tibbi
Hand
köno
58
Hündin
endekdno
Aasgeier
BÖbbo
Pferd
mröUo
0
Perlhahn
kcmbo
Esel
kiMe
Rabe, weiss-
Schaf
ndillmi
brüstiger
rahkpd
Ziege
ine
Grocodil
kazüyu
Hahn
odeli od.
udeU
Stellio
dongo
Henne
ik
Ghamaeleon
ikki
•
Yaranus
mrungü
U. Wilde Thiere.
Schlange
tnzt
Cercopithecus
Frosch
golommo
griseoviiidis
ölo
Fische
kize
C. pyrrhonotos
ndgga
Ameise
solembe
Cynocephalnsbabnin buru
Termite
dsea
Igel
6ko
Fliege
öngo
Spitzmaus
dzanze kreie
Tsetsefliege
um
Ganis yariegatas
glömmu
Biene
kelläk immih
Genette
ndilli
Holzwarm, Botrychi glapippt
Löwe
ganekdza
Scorpion
kadeU^
Löwin
yukukdza
Laus
lö-o
Leopard
selembi
•
Spinne
dloio
Katze
Uze
Wespe
rSdde
Kater
uduliüe
Bandwurm
tofo
Eichhörnchen
anga
Blutegel
susu
Ratte
oto
i
Guineawurm
SUe
Meriones
ittih
Aulacodus Swin-
,
Pflanzennamen.
derianus
mbddza
I. CnltnrplIaiiMn*
Hase
ozo
Sorghum Tulgare
özo
Elephant '
morongo
Penicillaria
koroio
Hippopotamns
mrungü
Zea Mays
öhzgdkka
Nashorn
guruppo
Eleusine coracana
k ondö
Phacochoeras
boddö od.
bongbö
Vigna catjang
ire
ftiraflFe
goinsisi
Phasaeolus Mungc
\ katteU
Antilopen im AUg uaüa od.
uaü'UO
Sesamum
ngdya
A. Oreas
köbbo
Arachis
kinne
A. difassa
adih od.
ndobbih
Batatas edulis
kundo
A. leucotis
ngaio
Manihot utilissima obö kengbi
A scripta
Unze
Dioscorea alata
obö
A. Gaama
kfeia
Banane
angin
A. Madoqaa
kido od.
kotlodd
Ricinus
mbieee
Büffel
mbah od.
eöbbo
NicotianaTabacum kakd od: kaggd
Vögel
eiei
Zwiebel
longa
M^lfi^
Uli
Gucumis Ghate
ripe od. ebbi
59
Lagenaria uh-klkkke
Cucurbita maxima kdbo mangd
n.
Bäume pippi
Borassus
iigpi
Tamarindas
ddda
ButyTOspermum
lulu
Rambus
tkbbe
Baumwolle
buntendi
Calamus
mbbu
Cubeba Clusii
ddre
Gräser
ombo
lürwSrter etc.
ich dmma mein mgdmma
du ümmu dein mgümmu
er ette sein ungute
wir dgga unser . ungdgga
ihr iggi euer ^ngiggi
sie ipp^g^ ihr ungeppege
dieser käkka
jener yempiH
jeder yemtiri
anderer g^zi
selbst andiü
für kddda
(für mich kdddardmma)
mit, zusammen bata
auf p» od. pikd
zu, hinzu apo-kd
unter umM
hinter ^o^
über dro
darin üi
in t% od. yong
gegen, zu, hin ka od. katnom
nach (Zeit) odo
nahe bei einander mSmme rommu
wegen kdddi
bei, auf, zu ta
jetzt mbdgu
früh klikkondo
gestern ngdnza
heute tdhdza
morgen /Kfummu
vorgestern mindirömo
wann kudde?
waram kdddena od. kaddingd
was ti^a?
wer pttf^f
wieviel dreret
wie allariref
wo addef
ja Atn^
nein 6a6?t
nichts azinni
oder (wird im Satze weggelassen durch
Wiederholung des Zeitworts er-
setzt.)
aber ijdkka
und ^^'
wenn rumdnda
ohne (wird durch „nicht^ ersetzt)
gewiss, richtig raiyddda
genug asiyi
anders gozo
langsam dulu
geschwind gei-gei od. geh-gSh
immer mdnüi
laut yemmgovo
voll elliii
umsonst ^a>
nahe bdka
zuviel maregi
dort päi<
hier duggd
draussen gesuggu
oben dro
voraus gölo
zu Hause ili koio od. takoio
links ^o^^o
rechts /d««a
ZahlwSrter.
1
2
3
baia
rommu
tötto
60
4 s6$so
komm! dhdo
5 sdya
lass ab! abbaddd
6 yembobaia
lachen K^ie
7 yembcrAmmu
laufe! gdssa
8 yembotoUo
lecken immlekdmm
9 yemhos6s80
machen römmu
10 puA
melken grüsS
16 ptfuift yembobaia
mischen giprippi
15 puuü yemaosdya
nehmen idi
20 ptiui^/ y<fP^ ^^a'
öffiien agiyi
30 J9uu^' yu puuSiyupütüii
pfeifen yolo
etc. etc.
prügeln ambede
reiten andrttgu
ZeltwSrter.
säen grid&ngu^ gridozu
baden t((&6o
sagen yimme
beerdigen titti^ üti
sammeln goou
beten 5rr<5-o
schlafen bibi
beischlafen andd
schneiden roUa
blasen hnoiu
schreien nino
bleiben adububbo
schweigen ddigbi
braten rofattd
schwimmen g^e
brennen oiaki
setzen adibubbu
entfliehen ngdssa
stehen erutdro
erbrechen, sich yedde
springen yimbe
essen gafo od. goiongo
spucken ihkpi
finden moküfi
stehlen bini
fragen udette
stossen gambongo
geb&ren Uttt
t&toTiren gokdgba
gehen U-o
trinken mümmu
giessen udübbubu
verkaufen govungo
grüssen bogbarrere
waschen ydbbo
haaen ambedde
werfen eltnn
heben gine od. genüngo
wissen mokkSi
hinken többo
wollen mebddda od. aiama
hören mogezi
zählen grodungu
hasten ekpd
zeigen yehmbdma
kauen, Tabak göstkagga
zerbrechen yoffezi
kaufen yuudnda
zittern godüggu
kennen mukkozi
zudecken itenne
•
sse.
Was macht der Vater?
bogbebif
Was macht die Matter?
bogbe dngdmmaf
61 •
Gelits gut? bobungaredif
Antwort: bohunazd.
^JVillkommen. tdkka od. mdyu.
Antwort: tdkka.
Bist da gesund? bogbammzadzaf
Lebewohl. mbdigdsso.
Wohlgeruht? mindiarredif
Antwort: mtndtgösso.
IV. Sprache der Dynr (Schilink).
(Die Dyur nennen sich selbst Luöh und bilden nebst den BeUdnda und
Dembo einen ausgewanderten Schilluk Stamm. Die Dinka haben ihnen den
Namen Dyür^ d. h. Wilde ertheilt, weil sie der Viehzucht entbehren. Die
Bongo bezeichnen die Dyur mit dem Ausdrucke Behr^
Vorbemerkung.
In Betreff der Umschreibung ist folgendes zu bemerken :
1) das bei den anderen Sprachproben meist weggelassene deutsche Dehnungs-
zeichen für Vocale, A, ist hier, weil in der Dyursprache stärker aus-
gedrückt, beibehalten worden.
2) ch==J[ sprich aus wie in ich^ fröhlich etc., nur etwas schwächer gehaucht,
nicht wie Cj[) ch in ocA, Buch,
3) dem ^, ch gleich ist am Ende der Worte ein schwacher Hauch, wie z. B.
h od. ny.
4) ng = n nicht wie in eng^ lang auszusprechen, sondern nasal, fast wie
im französischen non, sans etc.
5) Bch=^ S sprich wie %'ch {%)() getrennt, oder als Mittellaut zwischen « und
Xt in Folge der allgemein geübten Sitte des Ausbrechens der 4 unteren
Schneidezähne.
6) Häufung von Vocalen erfordert gesonderte Aussprache der einzelnen,
z. B. (mi wie o-ui,
7) }) geht fast immer in / über und ist meist undeutlich.
Die Dyursprache scheint, wie ich bei den echten Schilluk nachgewiesen
habe, die Mundart der letzteren kaum anders abgeändert zu haben als es die
nachbarlichen Verhältnisse zu den Bongo und Dinka mitsich bringen mussten.
Die Anklänge an letztgenannte Sprache scheinen übrigens mehr in nachbar-
lichen als in verwandtschaftlichen Beziehungen ihren Grund zu haben. Fast
ebenso unverändert, wie die Dyur, haben die BeUanda die Schilluksprache
62
beibehalten, obgleich sie zu einer früheren Auswanderung gehören und yod
den Dyur durch die ganze Breite des Bongolandes getrennt erscheinen.
Substantiva und Adjectiva.
Abend
tihfio
Blut
remo
Achselhöhle
tiudtt
Blüthe
V » 1
Ader
Ihido '
Bogen
otümm
After
mon
Boot
y«
alt von Menschen
okid
Blattern
offorak od. gudlla
alt von Sachen
ffimögua
Blei
ayöm
allein
mau
Brei
kuönn
Arm
iyengdnn
Brod
niönno
arm
odämmo
Brust
koh
Arznei
yait
Brustwarze
Umn
Asche
burr
Butter
monifdkk
Ast
barridtt
Blitz
agodekott
Auge
udng
Augenlied
dehnoudng
Dach
uiött
Augenbraue
yierrudng
Darm
Hhn
Angelhaken
umttt
dick
tkhk
Athem
oyio
Dieb
tnarrkay-
District
pdkdo
Bach
lohl
Dolmetsch
btmmokudrr
Backe
pikno
Donner
mdhla
Backzahn
ludng
Dorf
pdhdo
Bauch
unyaü
Draht
yugll
Bart
tittih
Düse, Thonröhre
atsvh
Bast
ngdlo
Durst
riaü
Beil
Uh
durstig
ranriaü
Berg
kiddi
Dom
kohdo
Beschneidung
yuomm
Dunkelheit
udfT
Bein
mio
besser
hehr
Ecke
tito
bereit
nutt
Ei
uött
betrunken
annekdgen
Ellbogen
atm
bitter
kU
Eisen
m^g od. nühng
Blase
atdd
eisern
ngihno * )
Blasebalg
obuk
Eisenplatte (des
Blatt
böhko
Handels)
sMdo nihig
blau
marr
Eisenschlacke
anidbo od. syett
blind
hiörr
Elfenbein
tuhng
9
'} Man sagt z. B. ng^hiio uaoni ngehno, eiserne Sebüsiel.
J
6S
eng
tihn
geheim
lummubirr
Erde
ping
gehorsam
behn
Kuter
üdk
gekocht
ayiUillo
Geliebte
gammdnn
Fahne
am&tr
Gesandter
vöri
faul, träge
niabo
Gesang
ouörr
faul, stinkend
pktt
geschickt
giSuaü
Faden
luira möbehne
Geschlechtstheil :
Feder
yehr
männlicher
mll
Fell
fiin od. fiihn
weiblicher
murr
Felder (Culturland) puödo
geschoren
akdd od. aliiU
Feind
uohkido
geschwollen
akudtt
Ferse
opun
Gift
guök
fertig
örromo
Glasperlen
fiö od. tio
fest
uiüngo
(Glasperlen vom
Chartumer Markt.)
Fest, Fantasia.
ouörr
-Damaraäf
alluill
fett
uüuott
-Neautet
1 » t
ntau
Fett
mau
-Müria
guanguihk
Feuer
mad
-Genetöt
melUhk
Feuerzeug von
-Bärred
lihru
2 Hölzern
ayifih
Glück
duök
Fieber
du6k
Glocke
vkoht
Figur V. Holz
luddo
Grab
löhro
Fischstecher
beddi
grausam
girringd
Flaschenkürbis
opöggo
Grossvater
kuah
Fleisch
ringo
Grossmutter
udnga
Fliegenwedel
akuöddo
grösser
moduöng
Flinte
mad
gross
duöng
Fluss
namm
grün
muiöll
Freund
gommdn
Gummiharz
duöh
Furcht
ludrr od. lorr
gut
behr
Fuss
tiillo
Grube
bur
Fussschelle
gerrill
Guitarre
tohm
Fusstapfen
fendaikn
Führer
dudrr
Hagel
nikidi
Haar
duoi
GaUe
kkhndo
Hammer
nuöH
gargekocht
aiuok
Hand
fyengö
gebunden
tuaio od. attuött
2 Hände
syengikn
Gedächtniss *
uihuouill
Haken
agör
gelb
kudrr ,
Hals
mutabihn
geduldig
tohrolübbo
Halsring
ytionigutti
gefrassig
nariidmm
hart
tihk
64
Harn
lad
Kehle
duöl od. dudU
Haas, Hütte
uiött
Kind
netUhn
Haut
dehl
Kinn
titUk
Hälfte
pdfiffun
Klane
kuöng
Häuptling
rvott
Knabe
nettihn monguAn
Heirath
uöhro
Knie
^y^ng
heiss
liikt
Knochen
iyi6h
Hemd
udra
Knoten
tuöd
hell
Häng
Kochtopf
aUibbo
Herz
aduhlo
Köcher
döhko
Himmel
möhla
Kohle
bSUo
Hinterer (podex)
bdhmo
Kopf
Uli
Hirn
ngett
Korb
dikta
hoch
nohmählo
Koth (Excrem.)
iyiido
hockend
onyu6nge
Krätze
guöno
Hoden
menn
Krenzknochen
ferr atöhr
Hodensack
dangmdnn
Kürbisschale
udll
Höhle
burkiddt •
Krag z. Wasser
d^k
Honig
kid
Krieg
luin
Hom (z. Signal)
ogöhndo
Kriegstanz
gümbo
Hom (gr. Signal-
Kriegsgescbrei
yiai
horn)
mdhnga
Kupfer
delldl
Hörner
tuhng
krumm
ongöklo
Holz
yatt
klug
oddmmo
Hüfte
ifwngofiSrr
krank
ich
Hügel
goU
Kugel
anginn
Hnnger
kai
kurz
tUkk
Hungersnoth
katbihdi
Hure
ball
lang
bahr
Harz
duöh
Lanze
tat
Höcker
duöll
Lärm
yiai
Lastträger
tehr
Insel
angoll
Leber
ming
Jäger
duör
leer
yeh idng
Jahr
namukuikr
Leiche
amuttö
me
ihrdnn
leicht
yoht
Lenden
ngeht
kahl, ohne Haar
ueidng
List
gaddudl
Kalt
koio
Loch
kamapuöhga
Karavane
ndkko-muttöt
Löffel
bin *
Kette, Fessel
yuhnfSll
Luft
ydmo
Kette zar Zier
yuhndik od. pan
Lagner
toht
^eole
loht
Lunge
ubaü
65
Lippe
dehndökk
Nest
uorro uino
Netz z. Fischen
allöm
Mädchen
näkau
Niere
rongo
männlich
htönn
Norden, gen.
obudifing
Magen
ahn
mager
lugUe
offen
tih
Mann
giSuau
Ohr
yUf
Mark
monj(%6h
Ohrfeige
addngo
Mahl8tein(Marhaga) totöh
Oel
mö-u
matt, müde
auuöU
Ort
girukn
Mehl
möh
OrtsTorstand
niött
Mehlbrei
ku4nn od. kuönn
Ostwärts
nangegdnn
Mehlteig
yiopö od. yubbo
Osten
hdnga
Meissel
tu6ng
mehr
dodffgeh
Pallieaden
gio
Merissabier
k&ngo
Pauke
buhl
Mitte
muiydk
Peitsche
ngkhro
Mensch
nökko
Pfahl
p^o
Messing
damdrra
Pfeife z. Tabak
dahtdbba
Messer
pdlla
Pfeifenrohr
obm dahtdbba
Milch
fahk
Pfeil
otMro
Mittag
güingo
Puls
uyio
Monat
duai
Pflock
syühdo
Mond
tnühdo
pnnktirt
melUhk
Milz
tah
Morgen
nango
Rache
luinpdyo
Mund
iiö
Raabzug
luin
Matter
mio
Rauch
ihrö
Mörser (v. Holz)
pan
Regen
kott
Mnngala (Spiel)
uikt
Regenbogen
nddhno
Regenbett
alohh
Nacht
tehno
Regenzeit
dukött
Nacken
nguddi
reich
mohldno
nackend (anbe-
reif
eiekk
schürzt)
tiddo ketmaü
rein
sydng
Nabel
pihl
Reuse
ruök
Nagel (a. Finger)
Ukdo
richtig
behr
Name
neng
Rinde
apingo
Nase
humrn
Ring
yudü
nass
miidng
R. V. Eisen
yuöll ingehho
Narbe
poio
R. V. Kupfer
yuöll delldl
Nebel
rudh
•
R. m. Domfortsätzen
neu
mindn
am Handgelenk yuöll attuhm
66
R. Y. Elfenbein
schön
behr
am Oberarm
afiok
. schwarz
u4ng tnuioll
R. a. FusRknöchel yu6ll i ti^llo
: Schwanz
WVP
R. y. Messing
Schweiss
^
gegossen
yuollanuitt damdtTa
schwer
pihk
Ringbeschlag am
Schuppen (Rokaba) pehm
Unterarm
Herr yuöll
Seriba
gho
Ringe, spiralige
See, der
dah
am Arm
mdgga
Sehne
Unne od. l4ndo
Rost
apög niengo
Schnauzbart
yihddkk
Racken
ngednn
Sklave
bang
Rippe
ngihdo
Sohn
uähre od. Midrr€M
rund
uiurdhmo
Sonne
iyudng
Ross
auö
Spaten
kudrr
roh
minufnmu
Speise
audnda
roth
ktuirt'
Speichel
lau
Spiel um Gewinn
bu6tt
Säugling
nettehn muddht
Spiess, spiculam
yuai
Sack
Abgo
Spitze
fekk
Sahne
abdyo
Spion
gaüibbo
Salz (Aschensalz)
kddda
Stachel
kdhdo
Samen
kohdShn
Stroh trocknes Gras tidng
Sand
kuoto
Sohle
dobbo tUUo oiL-dM
sauer
udd
Sprache
de
scharf v.Geschmack kkdmgh
Sprache der Dyui
' de Luöh
scharf (geschliffen) beit
stark, kräftig
tkhk
Scharlachfieber
angiaü
stark v.Geschmack lieht
Schemel
kohm
Staub
lihdo
Scheitel
tihdo
Stein, Granit
kiddi
Schelle
gerrdhn
Stein, Raseneisen
Uhlo
Scherz
tuoh
Steppe
ndomm
Schild
kuött
Stern
Siiro
Schlaf
nindo
Sternschnuppe
tit^re apdnne
Schulter
bäte
Stirn
tkhr numm
Schneidezahn
lakk
Stock
loht
Schüssel
udnni od. vannidtt
stumpf
babitt
schlecht
raf
Strick
tohl
Schlauch
aungfih
stumm 1
guong
Schmelzofen
damuöh od. tun
süss
mett
Schmidt
böhdo
Sumpf
iuöddo
schmutzig
nohro
Syphilis
oydngo
Schneide
dkh
Süden, gen S.
schnell
larkitlo
(= Norden)
obudifing
67
taub
Tag, nicht Nacht
Teofel(böseGei8t)
Teich
Thau
theaer
Thür
Thüröffiiang
Thürpfosten
tief
Thon
troeken
Tropfen
Trombasch CWorf-
eisen)
Tochter
mihng
diSyengd
r6ngo
dah
to-ih
iyunanebdnge
duöU
Mh
röhdo
bakr
löhro
otdÜo
ottönn
pihndo
fUlTTCM
Ufer
tangi
unbekannt
kcJmido
unbewohntes Land genn domm
ungeduldig
badndeitinSh
Unglück
duök töhro
unnütz
borömm
unreif
mittei
Vater
ukrö
Verräther
ngarretdkt
verständig
ngko
verwandt
ngadddnn
viel
tokt
voll
Tpmg
verrückt
ngamüdam
Verschneidung
buöf
Wachs
duöh kU
Wächter
ngdddiköhr
Wald
bungo
Waldgeist
gbtt
Wasser
bafih od. fahp/ih
Wasserschlauch
dungfih
Wade
eUbbier
Weg
yiök od. /yrfÄ
weich
yiöhm
Weib
weiblich
Weib, Gattin
weiss
ddhgo
mahl
fiihn
tarr
tehn
ti4no
westwärts tUhnegennoAMihnihn
Wild, Antilopen etc. ld-%
wenig
West
Wildgame
Wildniss
Wind
Wolke
WiUkommen
bot
genndomm
ydmmo
Sidddo mdfdo
udhno
(Antwort darauf^ ng oi vodreng od.
ehn
Wunde kammelitt
Zahn
Zange
Zauberer
Zeag
Zehe
Zinn
Zunge
Zwerg
Zwillinge
Zaun
nafn
kobbi
—
marriyudk
udhra
lu^hdo
ayiömbo
Uhp
miMdkk
kuaü
kalU
YSlkemamen«
Lu6h
0-JSu6hlo
0-Bong
O'Türu
O'Maddka
0-Dydnge
O'MÜtu
Dyur
Schilluk
Bongo
Nubier
Nyamnyam
Diuka
Mittu
Bergvölker i. Süden
der Bongo O-Kiddi
Personennamen.
(männliche.)
Akdd AtOm
Agada Aguddd
68
Audi
Yagla
Proteles?
ngoio
Aköti
Yod
Civette
yu6U
Ydmo
Grenette
ahdra
Eludl
Ichneumon
gorr
A/ajdb
Lowe
muk
Bohl
McLgudb
Leopard
kudl
Mauihn
Caracal
nuai
Delagö
Katze
bang od. gudng
Dimö
Okel
Kater
tudnn gudng
Duhd
Sciurusleucumbrinus cdyeda
Voll
Mus rattus
Meriones
uio
omddda
Th
iernamen.
Aulacodes Swin-
I.
Hansthlere«
derianus
laA
Kuh
didng
Uase
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Bulle
tudnn
Stachelschwein
Hau
Ochs
tuönn ma
buöf
Orycteropus
mohk
Kalb
nididng
Manis
kong
Ziege
biSll
Elephant
lud
Ziegenbock
nudkk
Rhinoceros
umud
Schal
röhmo
Uippopotamus
fahr
Pferd
aduökk
Phacochoerus
kull
Esel
dkada
Bus sennaarensis
amayok
Kamel
amdnda
Giraffe
uehr
Hnnd
gu6k
Antilope (Wild im
Hündin
mahtguök
Allgemeinen)
lai od. Id-i
Hahn
§ino od.
dgikno
Antilope Oreas
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Hnhn
tu6nn dgehno
A. lencophaea
dmmar
A. difassa
ummüo
U.
Wilde Thiere.
A. leucotis
tOd
Cercopithecus
A. arundinacea
pohr
griseoviridis
ngkhrooA.
angihro
A. scripta
röhro
Cercopithecus
A. Gaama
pürra od. purro
pyrrhonotos
abüro^ abüero od.
A. senegalensis
tahng
abudrro
A. Addax
aAidöl
Cynocephalus
A. grimnua
nepdl .
Babnin
bimm
A. Madoqua
nettiMe od. HSdo
Galagosenegalensis anuaioAA
%nuoi
Bilffel
dövi
Igel
ohköddo
Vögel
uino
Spitzmaus
okktä od.
iiMl
Aasgeier
asuti
Ratelus
ogdng
Ente
nttdk
Canis Tariegatos toh
Gans
•
attudu
Hyaene
üituon
Kuckuck (Centropus)o/fi^M
69
Milan aluöfiff
Papagei(P.torqaata8) elldl
Perlhuhn nigehnduöhk
Rabe agdk
Reiher, weisagraaer lagboähl
Straos uüddo
Tmetoceros abys-
sinicus rumm
Taabe(PapageiT.) lüoh
Tarteltaabe auShr
Grocodil nang
Chamaeleon ungdngo
Scincas dugbi'Uhn
Geko U-u od. läiru
Varanos agdno
Stellio (Agama) dugbi
Schildkröte puhk
Frosch ogudl
Schlange tuol
Insecten tuongo
Fliege aUAungo
Biene kii
Grille derr
Mücke bihe
Libelle andra
Heuscfar^ke gohd
Käfer stoht
Nashornkäfer fnangeUngdiia
Spinne uti^mm
Scorpion yütt
Krabbe lohdinn
Ameise märro
Tsetsefliege mdro
Laus mio
Termite büi
Fische rihyo
Polypteros dehng
Blategel und
Bandwurm
Goineawiirm
Mnschel agivi
Schnecke oAikidhmbo od.
aiyimbo
iuih od. iuSyo
8tau
Pflanzennamen.
I. Coltnrpflanzen.
Sorghum vulgare bell
Sorghum saccha-
ratnm nihngo
Eleusine coracana kohndo
Zea Mays abbetdhb
Penicillaria rau
Arachis abell
Sesamum numm
Capsicum matehdo
Lagenaria tidme
Cucurbita mazima kdhno
Vigna Cat)ang ngorr
Phasaelas Mungo mökkua
Dioscorea alata bdddo
NicotianaTabacum tdbba
N. rustica maifirr
Hyptis spicigera nihno
IL Bäume 9 Sträuoher. yau
Butyrospermum yau
Borassus tudh od. fioh
Bambusa abys-
sinica kau
Gossypium udra
Tamarindus sudh od. tuai od,
tiodh
Urostigma platy-
phyllum ku4l
Combretum sp.
coriacea kaif
C. sp. macrophylla adimbd
Detarium akuddo
Vitex Cienkowskii yuöll od. ydhla
Diospyros Sümmu
Sarcocephalus mono
CapparisHartmanni aidlla
Anonychiumlanceo-
latum ddna
Cassia fistula t^cM
Acacia Gatechu ungino
A. Sejal dluih
70
Acridocarpus akdnga
Zigyphas abys-
sinicus Idnga
Grrewia yenasta apöbo
Euphorbia Cande-
labmm bondo
Mimosa asperata allu^h
Crossopteryx akuh
Afzelia fdnda
Lonchostylis phile-
noptera uUddo
Soymida puht
Urostigmaglomosum ydro
U. lateuin moffolö
Grewiamicropetala adovüda
Terminalia
macroptera pdh
Strychnos innocua ncMcdnga
Loranthas luedeydt
Änogeissus rikt
Ximenia aUmo
Rhas pyroides del6k
Chrysophyllam aidk
Anonasenegalensis abolo
Bauhinia tamarin-
dacea opou
Zygia Browne! kuirr
Gardeoia duong
Caillea dkiro
Odina adang
Randia dometoram kahr
Stephegyne afiricana ndno
Hmnboldtia köhbo
Khaya tihdo
Garpodinas dulcis odillo
C. acidas apuimo
Syzygium kcthr od. ffodh
Capparis tomentosa adon^ od. abdn
Parinarium excel-
sam akumbö
Carissa edolis köhdo
Parkia ndhre
MimuaopsEummel naluihl od. Ailmu
Garissa tomentosa apirinn
Boscia octandra akondd od.
Oncoba spinosa lanköd
Stereospermnm aporök
Spondias ' tibö
Pterocarpns abysai-
nicns digdik
Yangaeria edolis röcmgo
Abrus wrffino
TEL Krlnter. mdd,^)
Sanseviera gnine-
enais tahr
Phragmites ohdi
Imperata b%6
Physanthenmni amdhna od. arei
VemoniaPerrottetii dett
Y. Hochstetteri anibuhro
Asparagus Pauli
Gailielmi ungöno
Gadaba fArinosa Mdo od. alihdo
Hedyotis aUdh
Erigeron yatt
Haemanthos Uo
Gissos 4-aiigalaria ogdh od. arShmg
Galanchoe kod
Dolichosfiratescens ogAnda
Entada scandens nibdnga
Grinam abyssinicmii gudndo
Papyrus errudrr
mein grcam
dein mdrrcoi
Flinr9rter ete«
ich an
du yihn
er ninnö sein marri
sie({em.) nano unser ma/rrwm
wir udnn euer margih
ihr uieh ihr marg4n
aie ddhno
>) Wird ali«n PflaozenDamen Torgeseiit.
71
dieser neim
wie? fdngengdf
10 afdr
jeder nudukk
wo? aiiftf nakdaf
11 a/ür u^'fi^ alcdllo
selbst yinn
ja nemähn
12 q^dr ttdn^F arriau
jener ginrnnm
nein ^c^Aro
13 ci/dr udn^ aeJoAA
€inderer nohno
gewiss nono
16 qfdr udng bikieü
«
auf uih od. uh
nichts ^i^am'f(^Aro
20 ftfrrdA
for kdüi
aber aft^A
30 tirrdidkk
bei tdnge
oder M
40 tirrtnguehn
in ne
nnd At
50 tirridihd
nahebei Ä^iiM»a£di2t>iminer ier^
60 tirrbOHell
ohne mingibi
allein nau
70 <»VrWrrtati
hinter Senn
nnr drrumo
80 Hrrbtddkk
zasammen urdhmc
» ganz nulük
90 tirrbinguShn
nach (Zeit) au
voll powjr
100 girriaü kafdr od. dauduhndo
unter rdhgotarre
genug on^/no
budtt
hier kdhm
geschwind lahr
dort A^tmfa
kiyego
Zeitwörter.')
dranssen tedto
langsam mdhde
aufhören, lassen irrumo
gerade ans nau
laut ^AA
baden däi«dA
links mAm
jetzt audhni
beerdigen toA
rechts kui€
gestern nugrro
beten (d.Mohamed.)geh! /^^c^c^t
oben mdhla
heute tinn
unguata giessen dAjft
überall pinghihn
morgen ArdA
besiegen odA^« graben Aon
weit 6aAr
nachher tiungi
betrugen n«it grüssen udhnda
wann? uihnef
frOh kagruau
biegen ari(i hängen wdijrdr
warum? bdggin?
spät ihfudngtöhro
blasen kdhdi halten mau
was? p^iinf
vorgestern nuorro
braten M hauen ptidm
wer? ingdl
mdtj[a
brennen audn^ hinken nuöll
wieviel? ^^Ad«f
bringen kell hören, lingi
•
bleiben behdi husten uöhlo
ZaUwSrter.
drehen duoi kauen (Tabak)
1 a/E^2fe
dr&cken dihU n&mmad^h
2 ama^
entfliehen ogodo kaufen Uaü
3 aciaift
essen aSdmme kennen ngaia od.
4 angudhn
fangen mau ngi^ne
5 oMAd
fallen oföddo komm! ayih
6 &ii»^
finden ayöhdo klettern yett
7 birriaü
fragen akkeUn lass ab! uih
8 6ü2^
gebären anuöll lachen nihro
9 binguäm
gehen ti«V(2o od. j^^laufen ^dA<ft
0 Beliebiges Vorsetzen von Fürwörtern nnd Adverbien bieten Ersatz far die Gonjaga-
tion, die aof i aoslaatenden Formen sind indess anaschliessUch Imperatiy.
72
lecken nang säagen pihdo
machen attihgan schicken uohr
melken nett schlagen ago-i od.
mischen ruhbi go^
nehmen matiod.HAfrtschlafen buddö od.
niesen derr
offnen ydbbi
ordnen guaü
pfeifen lueho
pflanzen p4hdi
nendo
schnarchen tudhro
schneiden y^ddi
schreien yuokk
schweigen lenge
es regnet £o^&^Ano schwimmen kudng
reisen asyaba payo sich setzen pßh
reiten pdhri
ruhen uyudhmo
säen yorri
sagen kobbi
sammeln Syongih
spalten kau
stechen ifuhngd
springen farr
spucken okaü
stehlen kau
stossen sohri
sndien kiiado
stottern moduon
tanzen mihdo
tatowiren guikt
taochen ron
trinken mdhde
tritt ein! benu6tt
übersetzen tohk
(einen Flnss)
omwenden lau
nmstossen iuohr od.
tuöhri
▼erirren arruano
verlassen öhieddo
▼erkaufen «Mum-
gugeo
▼er^fecken kami
▼erschweige» ikkt-
kobbo
▼erspreohen o^fdUo
▼ersdmeiden bw(
waschen luM
werfen tohri
wissen ngS^we
wollen idekragmoi.
zählen bMmo
zeigen nakdi
zerbrechen tohri
zittern riaunikim
zndecken «Am
V. Sprache der G6I0.
Vorbemerkung.
Die G6I0 bilden den Hest eines durch den Sklavenhandel decimirteD
Volks , dessen gegenwärtige Sitze sich unter 8 ^ n. Br. zwischen den FlfisscD
Euru und Pöngo, Nebenflüsse des Bachr-el-Arab und Bachr-ei-Gliasal brfo-
den, im östlichsten Theile des unter dem Namen Dai^Fertit bekannten hsA-
Strichs.
Die Sprache dieses Volks ist ausgezeichnet durch den Besitz zaUreieber
Zischlaute, mehrerer Nasallaute, welche in nachfolgenden Proben unbmck-
sichtigt blieben und ▼or allen durch eine Anzahl unserer Diphtongen, naffleBi-
lieh ^, g und tf , welche den übrigen Sprachen der das Bachr-el-Ghaaal-BeckeD
bewohnenden Völker fremd sind.
Eine häufig angewandte Verdoppelung der Endsylben oder Wiederho-
lungen einsylbiger Worte gehören in nicht minderen Grade zu den £ig^'
thümlichkeiten der* Gölosprache. Nur ihr ist eine Verdoppelung des weicb^
V (deutschen w) eigen.
Von Zungenlauten bietet die Sprache, im Gegensätze zu denjenigen <kr
meisten Nachbarvölker eine beträchtliche Anzahl:
1) das deutsche z^ wiedergegeben durch U^
^) das russische 3, wiedergegeben durch zz^
73
3) das deolsche s (fran?:. 2) r,
4) cb and 5) ss
= «
an Zischlauten:
1) das rassische m^z
2) t8chr=:^t8
3) 8ch^8
Sabstantiva and Adjectiva.
Abend
dodtsd
Brodbrei
kuio
Achseihöle
tsokkofin
Brast
eove
Ader
ararrd
Brustwarze
(mgongö
After
buUik
Buckel
uUulü
alt Y. Personen
oKa
Butter
hnme
alt Y. Sachen
nzimin
Blitz
tingd
Angst
aüa
Arm
tmm
Dach
pah
arm
kikki
Darm
eiye
Arznei
füla
Dieb
angbd
Arzt
hakkakd
Dolmetscher
n^eaeffe
Asche
fuh
Donner
uuh
Aage
^lle
Dorf
pdlbikuoh
Aogenbraae
usugüle
Durst
gungu
Athem
tikkdtikkd
durstig
• v/
%8l
Bach
ononS od. oganö
Ei
uiyu
Backe
kmdidu
Ellbogen
dupoeng
Bart
sdmmi
Eisen
buddu
Bast (t. Rinden)
uhru
Eisenplatte des
•
Baaoh
ivivi
Handels
kutsu
Beil
kuUugbo
Elfenbein
iddüffio
Bei«
offoßu od. offoh
Erde
misse
Bein
katsd
Bettsteile
kütipqrt^a
Fahne
mbukku
betranken
fitdfeh
£au1 (stinkend)
kaßze
bitter
Süi
Faden
ühtende od. vütande
Blase
gongunda
Feder
sundü
Blasebalg
fukkd
FeU
akud
Blatt
okk6
Freund
rilkbe
blind
gülehohihe
Frucht
tnzx
Blut
iSUi
Fuss
kdtsd
Boot
köngolu
Fusstapfen
andi
Bogen
kuva
Felder, Cultur
ndeh
Blattern
mbörru
Ferse
fUmdu
74
fett
öwo
Jüngling
lengend
Fett
€mm€
Feuer
auo
kalt
özzo
Finger
ayengi
Kette (Fessel)
glenzengi
Fleisch
kungbo
Kalebasse
anganga
Fluss
kdppa od, kappe
Kette, z. Zier
ngümmu
Kehle
goUo
gebunden
Kind
OBdmiüyo
gekocht
mm
klein
tütidtte
Geschlechtstheil:
Knie
mbafnattd
männlicher
ette
Knochen
klivi
weiblicher
iüi
Kochtopf
kai
geschoren
dkdsyo
Köcher
evyi
Gift
fim
Kohle
hau
Glasperlen
rekkS
Kopf
kimms
Glocke
banganüngo
Korb
kcde
Grube, Grab
kuddü
Koth, excrem.
keh
Gruss
mdtta
Krätze
mbUgge
gross
kongodtte
Kürbisschale
kohmgö
Guitarre
kundi
Kürbisfirucht
im
Krug z. Wasser
kiongu od. hxis
Haar
sikdmme
Kräuter
okk6
Hammer
dnze
Krieg
oddö
Hals
oggö
Kupfer
kiUe
hart
ndüngu
Krank '
dkkd od. akkakd
Harn
indß
Haus
kdli
Land
riddime
Haut
ahm
lang
gan§idde
Hälfte
kolld
Lanze
oddö
Häuptling
ffe
Last
titti
heiss
Iceh
Leber
evyS
Hemd
vongö
Lügner
ufik
Herz
eoggö
Lunge
kdffo
Himmel
luvtö
Lippe
aukud
Hirn
ngdmo
Lendenschnur
hoch
§an§dUe
(Gürtel)
üka
Honig
dtta
Hom
rm
Mädchen
midie
Holz
Beh
mager
aXö
Hüfte
rnangim
Mann
kudie
hungrig
öggu
Mahlstein(Murha(ra'^ t&-t£
müde
3 ^
Jahr
aümmu
Mehl
Ho
75
mehr
gubigdlle
Salz
enbS
Merissabier
meH
Samen
angud
Messer
iibbe
Sand
zamundih
Milch
öngo
Sandale
tdmme
Mittag
iddu od. iddudu
scharf
ukku
Monat
iffe
stumpf
kukku
Mond
diffd
Schemel
fitta
Mund
gi/mmu,
Schild
kigbd
Matter
HUh
Schulter
mbdgo
Mörser v. Holz
mbSggi
Schilssel ▼. Holz
kolongbu
Scheermesser
Kifm/me
Nacht
9isi
Schmidt
ndaü
Nachen
foggu
schmutzig
ivm
nackend (ohne
schön
ühu
Schurz)
aM
schwarz
vohtmgoli
Nagel am Finger
klulq)On
Schweiss
fam
Name
imezu
Schwanz
edvve
nass
pcMagd
schwer
guggu
nea
nzinzi
Seriba
mbdtta
Netz
aia
Sehne
iUe^ auch M*a
Niere
eye
Schnauzbart
sdmTne
Sklave
minde
Ohr
im od. ütutü
Sohn
ibbi
Sonne
öUo
Pallisaden
U
Spaten
kutsffü
Panke
okpq
Speise, £s8en
ziZ'ze
Pfeife z. Tabak
kittabd
Speichel
ngu890
Pfeü
gindd
Stachel
üih
Sohle
tsavogddza
Raubzug
ifyeh
stark, kr&fibig
nUföngbu
Rauch
nguio
Staub
UU
Regen
öngbo
Stein
üvu
rein
nzdgga
Stadt, gr. Dorf
pud
Rinde
kotze
Stern '
zifa
Rindenzeng von
Stirn
fsiUe
Urostigma
Uwa
Strasse (Weg)
kungu
Ring V. Eisen
rangbo
Strick
uvvu
Ringe, spiralige
duppd
Sturm
auyö
Rücken
ndS/ß
süss
UoUo
Rippe
gMse
Syphilis
dkggi
roh
ehrfOeh
Tag
Uggi
Sack
fnboM
Thau
fotii
76
Thür
mM
Hündin
aSovio
Thon
ottutu
Ziege
ovyö
trocken
Icoh-yud
Ziegenbock
boggolo
Trumbasch (Wurf
i
Hahn
okXö
eisen)
andö
Huhn
ngutti
Termitenhügel
Otto
•
d. Todte, Leiche
umi
II. Wflde TUera.
Cercopithecus
unbewohntes Lanc
l
pyrrhonotos
toggua
(Wildniss)
duggi
GynocephalusBabuinyifUf
unreif
ehr-udeh
Igel
iddu
Sorez sp.
diß
Vater
/tio
Canis variegatus
nddggek
viel
fözze
Hyaene
mbuh
verrückt
pÖhkua
Genette
ni/dh
Löwe
singili
Wasser
unffu
Katze
ddve
Weib
die
Kater
hudSeddve
Willkommen
bekanzö auch enzi'
Eichhörnchen
dnga
züte ydUabo
Golunda pulchella ngddse
Meriones
fydko
Zahn
iddi *
Aulacodes Swin-
Zange
affö
derianus
iüe
Zeug
fingo
Elephant
¥fio
Zehe
eiyagatzd
Hippopotamus
fyongü
Zinn
ei'ima
Klippschliefer
ngdffe
Zunge
mdlle
Phacochoerus
vungbd
Zaun
ndüggu
Giraffe
AntQopen (Wild
nddkkala
Yölkernamen.
im Allg.)
kungbö
Nyamnyam
Künda
A. oreas
köbbo
Nubier
Türruku
A. Caama
kotzö
Baggara- Araber
Mandeld
A. scripta
kuffü
Dinka
Dzanqi
A. leucophaea
vwnnungu
A. difassa
böggo od. tnndi
Thiernamen.
A. leucotis und _^^„^»
I. Hansthlere«
A. anmdinacea
Bulle
kudse moddö
A. Madoqua-
üffa
Kuh
moddö
Bnffel
nUnde
Kalb
müe
Pferd
morrotö
YSgeL wdu
Esel
Riie
Aasgeier
vfSmdo
Hund
Mo
Francolin
kdggu
77
Turteltaube
hiUungiidu
Halsbandtaabe
vindutü
BAbe
oddulö
Perlhuhn
heffa
Chamaeleon
kiUnga
Crocodil ^
imme
Frosch
rutayö
Fische
^886
Fliege
ovüngo
Ttetsefliege
ngUd
Biene
ütsye
Heuschrecke
keUd
Holzkäfer(botrychi) Utte
Mücke
Öh8l0
We8pe(Eumene8tinctor) tugusü
Spinne
usidu
Scorpion
tüngaU
Termite
okkö
Gaineaworm
tibbe
Eaari8chnecke
maia
Pflanzennamen.
L Cnlturpllanzen.
Sorghum vulgare iH
Penicillaria lieh .
Eleusine coracana ukü
Mais Suvei
Arachis pollo
Sesam 088O88Ö
süsse Batate vogunda
Banane böggu
Zwiebel äUa
Nicotiana Tabacum , , >
und N. rustica
Jams . äva
Cucurbita maxima okh&üM
Lagenaria angdnga
TL Bäume, kehieh.
Cassia fistula p^e, pÜle
Yitex Cienkowskii ero od. tUo
Sarcocephalus ondu
Terminalia
macroptera ydffa
dngba odMngbangbd
Zille
gongu
Anogeissus
Soymida
Loranthus
Bauhinia tama-
rindacea osyu
Combretum macro-
phyllum fy^dde
C. coriaceum nddrra
Grewia micropetala enzi
G. venusta ivm
]Jrostigmaglumo8um kiUikilli
Diospyros tiummü
Rhus pyroides fattagddde
Strychnos innocua ndöUu
Stephegyue ^Sriceak^iungu
Lonchostylis phile-
noptera cUid, arid
Butyrospermum Uvya
Anonychiom lance-
olatum inzi
Acacia Catechu viü
A. sejal am
Mimosa asperata üggi mindi
Zygia Brownei affd
Anonasenegalensis bdfi
Ximenia Wcpo
Zizyphus abyssi-
nicus lingi
Chrysophyllum ndökko
Detarium loiyo
Gapparis Hart-
manni Idfß
Borassus doldnze «
Celastruscoriaceis ingi
Calamus 8dffya
Gossypium itandi
Bambusa tibbeUbbe
Carpodinus dulcis kü/oi
A&elia mbende
Caillea gondü
Crossopteryx tivi
Odina ndüU
Humholdtia Md
78
Bandiad ametornm idffa
III. Krinter« oWcö
Gräser kum
Breweria malvacea izilivimba
Asparagus iungbuttü
Sanseyiera goineensis imaekelU
Imperata avyd
Phragmites ingiUe
Zeitwörter. 1)
aufhören kösimo melken fi^u oder
baden kanöngu ßößo
beerdigen kuddtu nehmen HUi
beten ngdma pfeifen fy^gge
beiechlafen^t^n^&a^' reiten 6^0
blasen UIU
bleiben diihie
brennen auo
entflie&en katpeh
erbrechen, sich izi
säen lille
sagen ßffe
sammeln find4
schlafen 0Ü60A.0U6I0
scheeren dsodsyo
essen izze od. aizze schnarchen gdge
fallen kdtto schneiden yda
fegen köh
fragen i-ih
gebären müe
gehen nhme
giessen ihyi
haaen tmt8u
heben Ug^ofu
hinken Üttele
hören ninde
hasten tikka
heissen :|
schreien ukkü
schweigen dikki od.
dVcili
sitzen didu
stehen Uafo
speien, spacken
musakekd
springen dskdsya
stossen mbimbi
suchen ßffe
tätowiren mdUe
wie heisst d. Bach? trinken nzunzu
ingungoganö? verschneiden yeiya
kaufen iyi od. i-yh waschen tsatsogö
kennen inkctü^u werfen gogm
komm nöggo wollen ihinddbbo
lachen kitm zählen dtdde
laufen paia zeigen mbtigcMnn
zerbrechen közüdzi zudecken ^/W^cfQa
od. koUcö zittern hifn
ZaUwiSrter.
1 nibdli
2 Mi
3 bittet,
4 bdnda
5 zonno
6 tMmmi tongbdli
7 tümmt toblH
.8 trimmt tobitta
9 tStmmi to bdnda
10 fäfo
11 nßfo 9ih mbdli
12 njifo aSh UH
13 njifo 9ih bitta
14 njifo säi bdnda
15 njifo sih zönno
16 njifo 9^h tSimmi tongbdli (ctc)
20 Isjingmbdli
30 l^ingmbdli tffimmi to nifo
40 kihini
50 hhiH tHmmi to nifo
60 S^tta
70 kibitta tiimmi to nifo
80 kibdnda
90 kibdnda tiimmi to nifo
100 ki zönno
200 ki info
Fttrw5rter etc.
ich, wir ngSmme
du, ihr ibbe
er, sie ih
mein, unser ngilemma od. gadde
dein, euer gadibbe od. nglibbe
sein, ihr gadi-ih od. nglir-itt
jener bha
auf itti od. immi
^) Die aufgeführten Formen sind imperattvisch, wo sie ebne Förwort bieiben.
79
bei tdrnmande
für tdffe
in, darein At, kisso
nach, hin isae
unter satih
über ydfo
mit, zasammen
lekulle
zu (Richtung) ^«^
jetzt tütdgge
früh ti?«toa
gestern mbiffe
heute ^^i
wann? edilando?
warum, «to/>^o od.
weshalb itdßnof
wer gkddeh?
wie nUhsindef
wieviel i?oä?
wo «aw? ^
ja /o
nein atio
nichts sisae oder
9%88t
'• und ntctcfi
I deshalb linghie
> genug lednde
\ gerade nddnge
geschwind syesyih
nahe tdmme
langsam n^nno-
manna
laut ndüngo
▼oll unzula
voraus dzukkö
dort 6Mfta
draussen |7^ttf
hier üdnge
oben yo/b
rechts nddngene
links nciva
VI. Dinka Sprache.
Proben vom Stamme der Mohk am Tondy-Flusse 7^ 20' n. Br.
(Aussprache wie bei der Dyur-Sprache.)
Thler-Nameii.
Cercopithecus
pyrrhonotos agök
Galago senegalensis londörr
Canis familiaris Äong
Canis variegatus aitann
Proteles Lalandii? p^ndSh *
Hyaena crocuta angui
Viverra Genetta dngonn
Herpestes fasciatus agdrr
Felis Leo kohr
Felis Leopardus kudf
Felis Serval dohk
Felis maniculata angaü
Sciurus sp. alldU
Mus rattus lohk
Golunda pulchella mahdng
Meriones sp. maluaUeöndo
Aulacodes Swin-
derianus Ion
Lepus aethiopicus anorr
Elephas afiricanus akiim
Hippopotamus
Phacochoerus
Aelianii
Camelopardalis
Giraffa
Antilope oreas
A. leucophaea
A. difassa
A. leucotis
A. arundinacea
A. scripta
A. Caama
A. Addax
A. megaloceros
A. senegalensis
A. grimmia
A. Madoqua
Bubalis caffer
nang
diehr
mehr
golgudll
amömm
pohr od. fohr
tihl
kko
pehr od. fehr
alaluihl
anidöl
aböhk
Hang
amühk
lohd
andr
Zur Tiehiuolit gehiSrlge AnsdrUcke.
Ader piaü
After amohk
80
Afterklaae
myatUh
•
Ejreuzknochen angUmg
Atlasknochen
turnndohl
Kuh nguht
Krankheiten:
Backenzähne
u6u
1) Torubergehende,
Bauch
yau
besteht in 2tar
Beckenknochen
k-ui od. md
gigen Verweigern odudng-diumg
Bulle
tonn
V. Speisen. Trank
Butter, frische
yatty yatt guirr
2) in der Nacht fij-
Butterschmalz
myiökk
lend unter An- abuiu
Buttermilch
möhk
schwlL d. weibl.
Geschlechtstheile
Darm
kihn
Dickdarm
toh, avott-kudökk
Labmagen mohk
Dünndarm
kihn od. j(ihn
Leber Üuing od. fu&ng
Lenden piU
Euter
nau
Lufb^hre arohlj rohl
Lunge yakydk
Fuss
iyuök
Magen yat
Gallenblase
keht
MagenwCLrmer
Gaumen
narr, ngib
(Amphistoma) ngan
Gelenkkopf am
Mark iu>ü
Femnr
atiaßm
Mastdarm tokr
Gehirn
neu
Milch, frische Sya
Genick
ngokk
Milch, saure ket
Milch, gekäste anökt
Ualsdrüsen
moingmoi
Mittelfuss tvAmm dehr
Harnblase
aUd od. <dihy
Muffel uümm
Harn v. Ziegen
Milz talA
u. Menschen
HC
Mist vom Rind uShr
Harn V. Rind
k^U
Mist von Ziegen cUhmtokk
Herz
puöhk od. pdh
Mist V. Menschen syett
Homer
tuhng
Hoden
abihn
Nabel tohr
Hocker
duöU
Niere rohk
Netzhaut miökk
Kehldeckel
tuömm tih'
Netzmagen yatUndkt
Kehlkopf
a-goddr-godd
Kalb
dau
Oberarm angohk
Klauenseuche
ixf4ng
Oberschenkel uöhl od. uöhl
Klaue
mdU
Ochs bofy mohr
Üoiochen
turmn od. tuomm
Ohr ^h
Knie
iühr
81
Penis
S{dl
Psaltermagen
luöhk
ünderarten:
ti^(Rind. i. Allg.)
mit abwärts gehen*
den Hörnern
mcyikr
scheckige
namühmi
hornlose
aiot
gelbbraune
aim
isabellfarbige
may&mm
gestreifte
nang
schwarze
aäfuohl
Kucken
kau
Schaaf
amdhl
Schenkel
lahm
Sehne
raJd
«Schwanz
yoU
Schwanzquast
duArr
Schulterblatt
oT^nwi
Speiseröhre
aXikk od. aluekk
Unterarm
alöhkdüh
Unterschenkel
aldhkdihh
Unterkiefer
Fudmm-gemm od.
•
a-yudhl
Vorderzähne
mhm
Vorhaut
biöh
verschnitten
^-bof
Wamme
lokk
Wanst
yaÜ
Wirbelknochen
lukt
Zähne
leta
Ziege
töhk
Ziegenbock
töhJddnn
Zitzen
tihn
ZuDge
tepp
Zungenbein
tuomm lepp tdrr
I Zwerchfell
rih-ofion od. ahoU-
tuing
Y51keniamen.
Im Allgemeinen als Volk
im Grossen nennen sich
alle Stämme der Dinka Dangeh
Die den Dyur benachbar-
ten Stämme unter 7 » 20'
— 30' n. Br. nennen sich Mandng
Bongo Dohr ' )
Schiluk-Luoh Duhr
Pflanzennahmen.
Butyrospermun raJik
Borassus Akohb
Tamarindus üuai
Combretum sp. macro-
phylla nuöhr-gerkin
Combretum sp. coriacea nuoAr-^oAZ
Vitex Cienkowskii kurnuk
Diospyros butSöU
Anonychium lanceo-
latum gerr
Cassia fistula behl
Acacia verugera kokb
A. Sejal ' Ot^
Acridocarpus kerkdn
Zizyphus abyssinicus lann
Grewia venusta apidtty afiatt
G. micropetala
Euphorbia Cande-
labrum
Crossopteryx
Afzelia
Lonchostylis phile-
noptera
Terminaliamacroptera piokk
Strychnos innocua aüonkoi
ai^uöll-ginohk
bohl
kUlingbd
abiU
kobbo
*) Die Nabier, nelche diesen Namen zum Theü adoptbt haben, bilden daraus den Plural
Derkn.
82
Loranthas
kalUkk
Asparagus Pauli-
Anogeissus
aniitt
Oailielmi dünger
Ximßnia
ameldkt
Cadaba farinosa aneht
Rh US pyroides
ndffnm
Cissas Schimperiana o^df
Anona senegalensis
yorb^hr
Dolichos firatescens cJcir
Bauhinia tamariDdaceapa^
Crinam Tinneannm akurbiong
Gardenia
dang
Papyras aguodd
Odina
kitt
Breweria malvacea mabiorr
Kandia dumetorum
kuhr
Erythrina tomentosa tehruing
Stephegyne africana
adddd
Kosaria ayohl
Hamboldtia
billing
Kaempferia aethiopica madohl
Khaya
tikt
Cochlospermom tdoht
Carpodinas daicis
apömtn
Sauromatcun leht
Cappbris tomentosa
abdh
Momordica Yogelii a-diött
C. Haitmanni
mui-ü
Drimia lUacina lobbo
ParinarioiQ ezcelsum akumbö
Herminiera Ela-
Parkia
akonn
phroxylon udrr
Pterocarpus abyssinicus digdik
Balanites
tau
Zahlwörter«
StereoBpennum
apoU
1 tohk 7 dorök
Celastrua coriaceus
koh ameldtt
2 roh 8 b^ht
Phragmites
a'-röhr
:\ dak 9 dongahn
Iroperata
binöhk
4 ngahn 10 tidhr
Physantbemum
lukann
5 didhd 20 tidhr bvk
Yernonia Perocttetii
akihr
6 datömm
V. Hochstetten
mayömm
Dniek toq G«br. Un^er (Th. Qrtmm) in B«riin, 8clldii*b«f|;tn|r. |Ta>