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Univ. or
Toronto
Library
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Zeltsclirift
für
französisck Sprache und litteratur
begründet von
Dr. G. Koerting und Dr. E. Koschwitz
Professor a. d. Universität z. Kiel weil. Professor a.d.Univers.z. Königsberg i.Pr.
herausgegeben
Dr. D. Behrens,
Professor an der Universität zu Giessen.
Band XXXI.
Chemnitz und Leipzig.
Verlag von Wilhelm Gronau.
1907.
Alle Rechte vorbehalten.
Zeitsclirift
für
französisclie Sprache unl Litteratur
begründet von
Dr. G. Kcerting und Dr. E. Koschwitz
Professor a. d. Universität z. Kiel weil. Professor a.d.Univers.z.Königsbergi.Pr.
herausgegeben
Dr. D. Behrens,
Professor an der Universität zu Giessen,
Band XXXI.
Erste Hälfte: Abhandlungren.
Chemnitz und Leipzig.
Verlag von Wilhelm Gronau.
1907.
Inhalt.
Abhandlungen. c^..
Baist, G. Wortgeschichtliches .... 146
Behrens, D. Wortgeschichtliches 148, 282
Brugger, E. L'Enserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. II. Die
Version des Prosa-Lancelot (L.) (Schlufs) 239
Glaser, K. Beiträge zur Geschichte der politischen Literatur
Frankreichs in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts . . . 102
Hausknecht, E. Luge 294
Holthausen, F. mailh, poele 301
Johnston, Olivier M. The episode of Yvain, the Lion, and the
Serpent in Chretien de Troies 157
Karl, L. Aimeri de Narbonne und die Heirat Andreas II. von Ungarn
mit Beatrix 31
Küchler, W. Die Cent Nouvelles Nouvelles II 39
Schneegans, H. Die Sprache des Alexanderromans von Eustache
von Kent 1
Stenhagen, A. helvetique 302
Toldo, Pietro. L'Apologie pour Herodote von Henri Estienne . . 167
Die Sprache des Alexanderromaus
von Eiistache von Keiit.
Nachdem wir im vorhergehenden Artikel (diese Zeitschr. XXX i,
S. 240 ff.) die handschriftlichen Verhältnisse des Romans auseinander-
gesetzt haben, können wir nunmehr dazu übergehen die Sprache de^
Dichters darzustellen. Den betonten Vokalismus hatte ich bereits in
der Festschrift zum XII Allgemeinen deutschen NeupMlologentag
in Ilänchen, Pfingsten 1906, Erlangen, Fr. Junge, p. 1 — 19 behandelt.
Deshalb wird es mir wolil gestattet sein, an dieser Stelle etwas zu
kürzen, und namentlich hinsichtlich der Beispiele betreffs des Ver-
haltens von e und ie auf meine frühere Abhandlung hinzuweisen.
A. Betonter Vokalismus.
Vit. a.
I. Auf den ersten Blick scheint es, als ob a unter dem Ein-
fluß vorhergehender Palatalen, geradeso wie in freier Stellung zu e
würde. Ganze Tiraden auf -ie haben wir nirgends. Nur hie und
da begegnen uns — und namentlich bei P — im Reime -ie Fälle.
Doch läßt sich bei genauerem Zusehen erkennen, daß e aus a unter
palatalem Einfluß nicht identisch war mit e aus reinem a. Denn
die einzelnen Tiraden trennen sich scharf in reine und palatale
Tiraden. Ja, die übrig bleibenden -ie in letzteren sind wohl nur der
letzte Rest von früheren durchgehend auf -ie auslautenden Reimen.
Im Ganzen haben wir 40 reine Tiraden gegenüber 37 palatalen. i)
Die Fälle, in denen gegen die allgemeine Regel in reinen Tiraden
palatale Fälle und umgekehrt in palatalen Tiraden reine vorkommen,
sind verhältnismäßig selten und beschränken sich gewöhnlich nur auf
die eine oder andere Hs., können also durch die eine oder andere
richtig gestellt werden. So kanri in reinen Tiraden:
1) Hinsichtlich der Belege cf. c. I. p. 3/4,
5^tschr. f. frz. Si>r. u. Litt. XXXI >.
•2 Heinrich Schneegans.
V. 95 P regnee durch D cite berichtigt werden -)
V. 5411 P aprocier „ environer „ „
V. 6517 P mester „ fmer „ „
V. 5809 P ptaierent „ CD najfrerent „ „
V. G93 D treyichee „ P colpee „ „
V. 5641 D haitez „ CP desreez „ „
V. 5287 D avancer .. P auner „ „
V, 7162 D travailler ,, P pener „ „
In den palatalen Tiraden:
V. 5099 D deciree durch P fruissiee „ „
V. 6406 CD naffre „ P 'piaie „
V. 6411 CD 7'eturne „ P repaire „ „
V. 6423 P safre „ CD maille „
V. 4980 D demandez „ P jugez
V. 5012 D irez „ P corruciez „ „
V. 8270 P 7iafrez „ D iZ^cez ^ „
V. 385 D demander „ P enveier „ „
V. 4549 CD demander „ P chalenger „
V. 745 P porter ,, D gaiter ,, ,,
V. 6160 P tumhler „ CD trehiicher „ „ etc.
(cf. noch zahlreiche Beispiele /. c. p. 4/5.)
Daß das Gedicht ursprünglich in palatalen Tiraden -ie hatte,
dürfte schließhch auch daraus hervorgehen, daß uns dieser Laut in
nicht geringen Fällen in palatalen Tiraden erhalten ist. Ich habe
/, c. auf nicht weniger denn 159 Fälle hingewiesen, in denen P in
palatalen Tiraden -ie aufweist. Für C konnte ich nur 25, für D nur
19 Fälle nachweisen. D bietet hie und da umgekehrte Schreibungen,
ein Beweis, daß für den Schreiber dieser Hs. zwischen ie und e ein
Unterschied nicht bestand. So haben wir in D auch in reinen Tiraden
hie und da -^>, wo es etymologisch absolut unzulässig wäre. So
5292 pi«' (parem), 8630, 5433 pier (pares). mier (mare) 5280,
6837, 7168, 10250 hier (baro), pier (patrem) 7179 usw. Sehr
bezeichnend ist es auch, daß in den von D selbständig, also von
einem späteren Redaktor hinzugefügten Tiraden, die sich sonst nicht
im Gedicht vorfinden, reine und palatale Reime bunt durch einander
gcwtirfelt sind. So finden wir in der Tirade 7034 — 7092 13 palatale
Fälle : frengez, preisez, enqinez, sachez usw. neben 45 andern: alez,
redotez, nomez etc.; in Tirade 11609— 11625 3 palatale, 11640—1 1649
2 palatale. In der -er Tirade 7093 — 7116 haben wir 9 palatale
Fälle auf 16 andere. Wie verwildert bei D die Sprache ist, zeigen
Fälle wie euer (cor), pier (patrem) 7098, voluntier 7107, die sich
neben den andern finden, dann in Tir. 11545 — 11567 andere 15
2j Da wo C nicht erwähnt wird, fehlt es an der Stelle.
Die Sprache des Alexatiderromans. 3
Fälle auf -er, 7 mit palatalem -er. In den von P selbstäudig hin-
zugefügten Versen, die also auch nicht auf den Dichter zurückgehen, haben
wir neben fier auch demorer, oier = oir (Pal. Tir. 10465 — 10487.)
Aus unserer Untersuchung dürfte wohl hervorgehen, daß der
Verfasser ganz gewiß zwischen -ie und -e schied. Die Fälle, wo ie
stehen geblieben, namentlich in P, sind die ursprünglichen.
II. a unter dem Einfluß eines nachfolgenden Palatalen erscheint
in den Hss. teils als ai, teils als ei, teils als e.
1. ö -f Pal 4- t.: ai haben wir in Tir. 10615 ff: frait,
agiiait, trait in CDP. In Tir. 897 — 911 schreibt P -ait gegen D
-et: plet (placitum), retret (retractura), lei (laidum), mefct (minus
factum), estret (oxtractiim), defet (disfactum) etc. Auch für habeaf
schreibt D est 911 = P ait. Doch hat D neben dieser Sclireibung
auch -eit im Reim, so in Tir. 7585 — 7592: ireit (trahit), feit (facit),
l'eit (Pron. 4- babeat), auch eit (habeat) 7589. Hier hat auch P e
neben ei: tret., fet neben heit 7591. Auch in Tir. 9721 — 9727
hat D -eit: feit, neit, agueit, pleit gegen CP: airait, fait, agait,
plait, nen ait 9725. So gehen die Formen bunt durch einander.
Die Aussprache wird aber wohl e gewesen sein. Das sehen wir
auch daraus, daß D 898 met (mittit) mit den Wörtern von Tir.
897 — 911 reimt (cf. o,). Auch vadit reimt mit diesen Wörtern
bei D als vet, P vait. C schreibt ebenfalls sen vet 9721 =P gegen
D se?!, veit. P hat auch 7586 sen vet gegen D sen veit. Für D ist
eit jedenfalls = et. Doch ist eit auch = ait, cf. Tir. 10615, wo
neben vait CDP (vadit) hier auch adreit und estait von stare mit
den Wörtern auf -ait reimt. In der Schreibweise wird wahrscheinlich
der Verfasser selbst geschwankt haben.
2. -aire kommt ebenfalls als -aire, -ere und -eire vor. Neben
-aire finden wir in einer Triade, die nur bei C fol. 22 v. Sp. 2 und
den entsprechenden Stellen hei F yorkommt, gramtnere, bestiere, f ere,
viere, während P -aire oder einmal -arie (bestiarie) schreibt. C hat
auch zwei Fälle mit ei: escleire, reßeire neben P esclaire, flaire.
0 7783 — 7795 hat nur -aire. Die Aussprache wird gewiß auch hier
-ere gewesen sein,
3. Daß auch aiiuni = es lautete, könnte vielleicht v. 9945,
wo wir D p>alois haben, beweisen, doch hat P an der Stelle deis.
Mit palois reimt bei D cortois, Roys, conrois, lois, bei P überall
-eis. Die Fälle sind nicht häufig genug, um sichere Schlüsse daraus
zu ziehen.
III. a -f- Nasal:
1. In freier Silbe > ain oder ein. Beide Schreibungen
gehen durcheinander: mai7is (manus) v. 6824, C P neben D meins,
doch meins CDP 6828, vileins 6828, germeins C D 6826,
sovereins 6825, certeins 6823. Daß -ain=:.ein war, beweist auch
der Reim/mns (frenu-s) mit diesen Wörtern. Auch Tir. 10914 — 10926
1*
4 Heinrich Schneegans.
haben wir -eins für -anus und -enus^ la duce ferne Eveins (mit ver-
stummten s und für Nomin.), neben meins^ seins, soverehis: pleins, meins.
Ebenso -ana > eine resp. ayne cf. Tir, 8072 — 8081: serneine
I), semaigne P, seine 8074 neben overayne D, overaigne P, 8079
soverayne D neben P soveraigne.
2. Pal + a -|- Xas. > ew, resp. -z'e?«: chens i\ chiens 1) P
5000, — C hat stets die Neigung i zu unterdrücken, auch bei e -\-
Nas. — ; Macedoniens 5889, Suliens 5893, Arabiens 5894,
Egypciens 5895, Capadociens 5896, Veniciens 5897, Tyriens 5898:
pe7is, i(??is, s<?ns, quens, defens etc. — Ebenso 10911 : egypcien,
10912 yndien : rien D P gegen ren C ; Z/ien D P gegen hen C, aber
iten C D P. Wie bei Pal -h a wird auch hier ze das ursprüngliche
gewesen sein: cf auch Tir. 5885 ff. 6213 ff, 8797 ff, 8815 ö^ Pal
-j- anas>'iencs cf Tir. 9787 ff': Chaspienes C, caspienes P 9787,
sychienes 9788 C, cychienes P., ytidienes, crestienes und paienes
D 9802 gegen p)aenes CP.
3. a -p gedecktes w reimt stets für sich, nie mit e -\- ge-
decktem n. cf. -ant Tiraden v. 425—447, 4587 — 4604, 4900—
4932, 5437—5461, 6172—6206, 6443—6452. D hat einmal
mannt. 8759, -anz 59H— 5928, v. 9110—9116, 7827 ff'.
IV. a -\- 1 A- Cons. ersclieint durcheinander als al -^ C. und
als au bei D und'P: So P in Tir. 4933-4947 -alz {salz, travalz,
arvalz), ebenso D, Tir. 4933 — 4947 -als : travals, arsals, auch
Tir. 8045 ff.: ti^avals, /als. Doch haben beide in andern, sogar
hie und da i» derselben Tirade auch au. So D saiiz 4933 neben
sonstigem -als; P chauz 4939, ebenso P einmal chaiit neben
sonstigem -alt 5905. P hat sogar nur -auz in v. 8962—8965;
-aut in 9490 — 9496, neben D -aut durcliweg in derselben Tirade,
in der folgenden auch mit Ausnahme von hals. C hat stets auz,
resp. -aut in den drei Tiraden, wo ps neben D P vorhanden ist.
Nur eine einzige Ausnahme bietet mals 4937. Die diphthongierten
Formen dürften sicher die gesprochenen sein, -als und -alt sind
archaisierende Schreibungen, ales >■ aus reimt auch mit eaus < ellos ;
cf. Tir. 5245 ff : reaus^ 5248 C, leaus C P 5255, esmaus 5263 :
oiseaus, imsseaus, monceaus, damoiseaus. D hat freilich auch hier
reals und leals.
Über sonstiges -a i-a, -oge, -ages, -alles, -as ist nichts zu
bemerken.
Vit. e.
1. In freier Silbe wird ^ gerade so behandelt wie Pal. -|-
a; es findet sich in palatalen a Tiraden und zwar sowohl als e
wie als ie\ P hat meist die ursprüngliche ie Form, \\ährend C
und vornehmlich D eher e haben, oder ee. Da aber unbetontes e
bei D keine lautliche Geltung mehr hat, so ist ee = e. So P 6404,
6436 espie neben C espe, D espee mit tm, coveitie, meitie reimend
Die Sprache des Alexanderromans. 5
}?! Tir. 6399 — 6422. P espiez 5008, 6892, 8277 gegen D espeeZy
auch 6139, 6122, übrigens auch bei D wie bei CP 9097 : hrisent
eil espie, 9103 PC neschapa im pie, 5533, 8275 F piez, 6874
auch C gegen D pez, 6893 auch ü fiez, 4976 P, 5515, 7138, 10 757
gegeu D fez oder feez; liez P 5010, 5520, 8273 gegen D lez, leez;
auch C liez 6897 gegen D lez\ P hat an dieser Stelle heitiez. ferum^
ferics erscheint immer in diphthongierter Form : 4540, 6157, 7688,
DP (C fehlt) 9670, 10 625, 10687, sogar D in einer Tirade allein :
fier = iera, mit Vernachlässigung des e, fiers 621, 6559, 7214;
eiitiers I) 619, P enters, 7233 D P, 8410 P, D enters 8415, lautrier
6152 CDP; requier CP in Tir. 10 150 ff neben D requer, sogar
P wie C D 10647 7'equer. Ministerium erscheint in allen Hss. ohne
J}\^\x\.\\ox\g : mester 382, 748, 4528, 6165, 10700, mesters 625;
auch moiller 738, 5218, 10150 Tir. ff ; mers haben wir 6566 und
miers 631b. Auch hier hat P im allgemeinen häufiger die ursprüng-
lichen Formen. C und D sind von den anglonormannischen Eigen-
tümlichkeiten weit mehr affiziert.
2. « -|- Nasal ist bei P und auch meist bei D durch ie wieder-
eegeben, während C in den weitaus zahlreichsten Fällen e einführt.
So 5901 biens DP gegen C hens. In Tir. 6213 ft\ hat D und P
iiien gegen C 2 mal hen, freilich doch tien, mien. In Tir. 10907 ft'.
haben wir bei DP rien, bien, tien, mien, gegen C ren, ben, men,
freilich tien; 5902 tiens DP gegen C tens. In Tir. 6213 ff', bietet
ausnahmsweise P auch e : tut le men gegen riens, tiens, criem, mien.
D hat hier nur ie, was auch gewiß gesichert ist. Auch Tir. 8052
nur ie : Mens, riens 8056, 8060. Auch C neben \)V : criens Tir.
5885 ff.
Diese ie Formen reimen mit den Fällen, wo Pal -\- a -\- Nas.
sich im Reime findet. Die Form crein CP gegen D crien in Tir.
10907 ff. muß verschrieben sein, oder vielleicht da ei oft = e (cf.
u.) für e stehen,
3. ellum>-el cf. Tir. 5347 — 5Sß8 :ignel, cercel, damoisel,
lioncel, bei. -ellus, -qUos erscheint in verschiedenen Formen. In
Tir. 9473 — 9489 hat D die archaisierende Form auf -eis : chastels,
ffaels, novels gegen CP chasteaus, ßaeaus, noveaus u. a. C hat
Tir. 5245 nur -eaus, während D neben 3 -eis, sonst -eals hat: monceals,
preals, chasteals. P hat neben eis auch eus : oisseus., isgneus,
ruisseus, ciseus, aber das Reimen dieser Wörter mit leaus, reaus,
eaus, das Schreiben leus für leaus (legales) bei P 5255 (ciim
Chevalier l . . .) dürfte beweisen, daß auch hier -eaus=aus lautete.
4. Endlich wäre die Aussprache einiger besonderer Wörter fest-
zustellen : d^um kommt in reiner e {<■ a) Tirade vor, hat also den
Lautwert e v. 6926 : de und reimt mit e < atum^ atem, prive, bonfe,
jure, demostre, parle, honore usw. Dieselbe Aussprache haben aber
nicht TItolomcii und die Völkernamen Caldeu und Greu D = C Griu,
6 Heinrich Schneegans.
P Grieu oder fieu (feoduni) Ö7-12, 5383. Es reimen nämlich diese
Wörter in drei Tiradcn 5739—5742, 5381—5390, 8961—8966
mit den aus locum, iocum hervorgegangenen Formen: C giii^ liu,
D ie;f, leu; P gieu^ leu, lieu — 8961 findet sich bei DP lius
(locos), ferner mit piu (piiim), 5746 C, pexi D, pieu P. Nun sehen
wir aber aus v. 5789: pus i metent le feu, das mit fendii, kernu^
agu, pendu, maintenu^ revenu etc. reimt, daß feu = fil lautete. Es
ist aber nicht wahrscheinlich, daß locum, iocum eine andere Ent-
wickelung als focum durchmachen. So werden wir auch dazu geführt
giil^ liü anzunehmen und für die obigen mit diesen reimenden Wörter
ebenfalls iL Wenn wir in der zweiten Vershälfte 5742 : la eife e le
feu = fü, 5739 si ad lesse le ieu, 5381 nen ont deduit nejeu ■= ja aus-
sprachen, so werden wir auch 5390 e eil escu caldeu, 5387 egypcien
e greu, 5739 e dit inerci en greu, li bon quens Tholomeu == i'i
aussprechen müssen. Daß das e nicht mehr wie bei deu betonten
Lautwert hatte, sehen wir aus dem Reimen von eschiu C, eschu D,
escu P, 5384, 5743, ebenso estriu C, estreu D, estriu P 5744 mit
diesen Wörtern. 3) Auch aus Tir. 8956 — 8961 ist für -ins derselbe
Schluß zu ziehen ; 8956 pour la pour des Grins, 8960 e le duc
Tholomeus reimt mit ,,trovent hidus les lius 8957, pur defendre
les lius 8957, cum cheveroil eirent eschius P, cum cheverel eirent
eschus D 8961, dorgoillus canalus 8958.
5. (_* -\- Pal bietet nichts besonderes und lautet i: lit, desdit, repit.
Vit. e.
1. e in freier Silbe:
1. -ere wird sehr verschiedenartig in den einzelnen Hss. dar-
gestellt. Ja selbst innerhalb derselben Hs. finden wir die verschieden-
artigste Entwickelung.
D bietet 882 — 896 -oir neben einem eir : poeir, freilich ist
-oir bei D gewiß erst sehr später Entwickelung, denn man sieht in
der Hs. selbst, wie ursprüngliches ei in oi korrigiert worden ist;
manchmal sind mehr ei stehen geblieben. Während Tir. 6024 — 6043.
10310 — 10313 nur -oir haben, finden wir Tir. 7649—7658 auf 5
oir, 4 eir; Tir. 10144/49 auf 3 oir, 3 eir; Tir. 10780/91 auf
5 oir : 2 eir. Jedenfalls ist oir nicht die Aussprache des Autors
gewesen. Neben diesen beiden Lauten kommt aber noch -er vor.
Zwar nicht sehr häufig. Immerhin haben wir Tir. 10 780/91: aver,
veer, poer, saver, remaner neben espoir, voir, voloir, espoir, avoir
und chaleir, heir. Endlich reimt 7652 nombreir (numerare) mit ei
und oi < e.
•*) P 5389 Jiompi meint gonfanon e meint orin esceu wird wobl richtiger
sein als CD estriu, estru; CD 5385 irascu eher berechtigt als /«'ew P (dohm
« irascu), dagegen scheint 5388 P : e li dux Tkimoteu richtiger zu sein als
CD e le duc Eumenldu (resp. Emenidu), das nicht in den Vers pafst.
Die Sprache des Alexanderromans. 7
P hat -oir nur einmal 10 783 ; savoir, sonst -eir und -er,
letzteres viel häufiger als D, so Tir. 7640,7058 auf 4 eir 7 er
(poer, aver, estover, voler. und nombrer). Tir. 10144/49 hat sogar
nur -er (veer^ voler, poer, aver, daver, saver), ebenso Tir, 10 310/14
(saver, voler, veer, aver). Andere Tiraden mischen beide Formen,
so Tir. 10 780 ff. auf 7 eir, 3 -er, Tir. 6024—6043 auf 14 -eir, 3
-er (2 Fälle sind nicht klar), Tir 882 ff. hat sogar nur ein -er : veier.
loinmal, 787 kommt espier vor. Da für den Schreiber sonst ie = e
(cf. oben), wird dieses ie eine vom Schreiber für e eingeführte Änderung
gewesen sein, geradeso wie I) häufig hier, pier, mier schreibt.
C bietet nur 4 ere Tiraden und hat 2 mal -oir : 783 savoir,
(i028 avoir, sonst kommt wie bei P -eir und -er vor: 6024 — 6043
11 eir gegen 8 er; 10144/49 auf 4 eir, 2 er, 10780 — 10791,
auf 6 eir 5 er.
Meines Erachtens ist die Aussprache des Verfassers sicher -er
gewesen, nur hat er sich nicht getraut überall die phonetische
Orthographie statt der althergebrachten einzuführen. Für -eir = -er
spricht nombreir 7652 D nombrer P = numerare in einer -ere Tirade,
C lescleir = VD lescler 5284 (in einer are = er Tirade), ebenso
in einer are = er Tirade: parleir C 6833 = parier PI), auch P
espier 787 = espeir, espoir, ie ist aber = e; P 883 veier (sis fit
Ie veit V.) ist = vcer wie es sonst steht; also auch in unbetonter
Silbe ist eir = er. D hat voir an der Stelle, doch fehlt eine
Silbe. ^) Ebenso P 6032 : ou ainz demain al seier = C seir, D
soir, wo seier = seer = ser; C auch 6041 cheier =: P chaeir,
wobei ei = e und er = eir. Wir haben häufig in -are Pal. Tiraden
-eer = eier: C 5278 osleer = P osteier; C 6151 turneer = D
turnoier P turneier; C(P) 6155 sondeer (soldeer) gegen T) sonder,
auch P 7679 soudeer, C 6658 guerreer D guerrer gegen P guerreier,
aber auch P 7691 guerreer = 1) guerreier; C 6167 enveer gegen
D envoier P enveier. Dai5 D für ee e schreibt, erklärt sich daraus,
daß für D sonst (z. B. in der Femininendung -ata) ee = e ist.
2. Tiraden auf -eient in 3 P. PI. Impf. Ind. und 3 P. PI.
Ind. Praes. der Yerba auf -eier (palmeier, ßambeier, enveier, torneier
conreier, ebenso 3 PI. von veeir: veient und desreient (Stamm redan).
Auch hier sind die IIss. nicht ganz gleich. P hat nur -eient. D
hatte es ursprünglich auch, wie die Hs., die ei sichtbar in oi korrigiert
hat, zeigt. Nur einmal desraient von desreer 5342. Da abtr
ai =. e (cf. oben) ist desraient = desreent. C hat neben -eient
5342 deraient und 5341 blancheent, welche die Aussprache e bezeugen.
3. -eis und -eiz (aus e und e -j- Pal.), nur in Tir, 9941/45
und Tir. 10 330/6, erscheint bei P nur in dieser Form. D hat ei
in oi sichtbar korrigiert. So hätten wir corteis, reis, conreis, leis.
*) D hat AUxandrt h vini voir, docb ist AI. durch sU ß: ZU korrigieren,
wobei dann die 1. Silbe fehlt.
8 Heinricli Schneegans.
V. 9945 lautet aus in chastels Jors e palois i), chasteaus paleis e
deis P, wobei die La. D wohl die richtige ist. paleis = palatios
würde aber für Aussprache -ais = -es sprechen . Da aber C an der
Stelle fehlt und die Tirade überhaupt sehr kurz ist, würde eine
Konjizierung von -es statt -eis hier doch zu gewagt sein. — Ähnlich
verhält es sich mit -eiz in der kurzen Tirade 10 330/6. P hat -eiz
{deiz, benetz für heneeiz, dreiz, feiz, /reiz, destreiz, secreiz). D hat
an den entsprechenden Stellen -oiz, wobei ofifenbar oiz aus -eiz
korrigiert ist.
4. -eit (6 Tiraden) in der Impf. Endung 3 P. S. und 3 P. S.
lud. Präs. von Verben wie videre, 3 P. S. Konj. Pr. seit., 3. P. S.
Kond. fereit, ebenso in den auf -ectum resp, egdum beruhenden
Formen: estreif., freit, findet sich bei P mit einer einzigen Ausnahme
auf oit : bevoit 7530 und einer auf -et : poet 9781 gegen C poeit,
J) poit wohl = pooiY, denn Impf, liegt sicher zu Grunde: mes jere
nel poet. Daß D ursprünglich auch -eit hatte und erst nachträglich
-eit in -oit korrigierte, sieht man aus vielen Stellen der Hs. -eit
ist stehen geblieben in drei Fällen der Tir. 7ö 15 — 7532 und ganz
in Tir. 82 — 91. C hat in den zwei Tiraden auf -eit, die noch erhalten
sind, nur -eit lll'i — 7782. In diesen Tiraden findet sich kein Fall
auf -ait., dagegen wohl in Tir. 10615: adrett CD 10617 neben
adrait (e getent corps a . . .) und estail 10 623 in derselben Tirade
neben trait., vait, fait, ait, lait, agiiait., frait. Es scheint also,
als ob der Laut annähernd der gleiche gewesen sei; auch das obige
2?oet von C spricht dafür.
5. e aus e in freier Silbe: te, se, secretum, tres und aus ? :
ßdem, sUim, ebenso wie e -\- Pal.: indeo, debeo, legem, regem, in
6 Tiraden erscheint in D fast durchweg als oi oder oy, -ey haben
wir nur Tir. 7991 — 8011 in conrey, charey, rosey, sapey., bussey,
ebenso conrey, 8430 neben lauter -oy. Daneben haben wir aber
auch ay. D P 8008 : jeo dut que face a mes bestes lay (lai).
8010: e logent sur le lay (laij und 8011 glay (gladium), also
3 Fälle auf -ay.
P hat meist ei, nur 2 mal oy: 11441 moy, berefroi, dagegen
in Tir. 7991 — 8011 6 Fälle auf -ai : girrai, sai, lai, bufai, lai,
glai und in Tir. 8422 — 8431, in einem von P hinzugefügten Verse
S^^Q^ meint espie de frenai.
C hat in Tir. 11441—11453 neben 10 Fällen auf -ei, 2 auf
-oi, in Tir. 4622 — 4642 dagegen und ebenso 6520/32 lauter ai.
So steht denn in diesen Tiraden lai (legem) lei gegenüber, fai (fidem)
neben fei, dai (debeo) neben dei usw. Doch weit zahlreicher sind
bei C die -ai Fälle: tai, fai, quai, crai, conrai, turnai etc.
Schon nach dem obigen scheint ai denselben Lautwert wie ei
gehabt zu haben. Dies wird noch bezeugt durch die Wiedergabe
von a -\- Pal. durch ei oder oy. So 8004 sei P, soy P ^= sapio,
Die Sprache des Alexanderromans. 9
giroy D, girrai P, 8006, ebenso 8007, la sog D, sai P. Da wir
-ait z= et, -aire = ere fanden, anderseits eir = er, so läge die Ver-
mutung sehr nahe, daß ei, ai auch = e lautete. Freilich haben
mv keinen sichern Beweis dafür; es kann auch ai und ei = pi
gelautet haben.
Die Schreibart von C in den zwei betreffenden Tiraden gegen
D P dürfen wir wohl als Eigenheit des Schreibers von C ansehen,
die freilich nicht ganz durchgeführt ist.
II. e -{- Nasal.
1. in freier Silbe > m: a -',- Nas. So in Tir. 10914/26:
pleins (plenus), meins (minus): sovereins, meins (manus), seins
(sanus), ebenso in Tir. 6823: freins CD frainsF: viteins, germeins,
certeins', Tir. 8072 ff.: meine (menat), jyeine (poena): seine (sana),
femeine. Doch findet sich meins D 5899 (minus) als mens C und
miens P in Tir. 5885 ff', mit chens, hens, tens resp. chiens, Mens,
tiens, sens, tens, rens, Macedoniens etc. Das scheint auf die
Aussprache -eins = ens hinzuweisen. Demnach würde denn auch
vileins = vilens auszusprechen sein. Doch wäre es gewagt aus
diesem vereinzelten Fall zuviel schließen zu wollen.
2. in gesclilossener Silbe reimt -e7}t nur mit sich selbst, niemals
mit -ant, wie aus sehr zahlreichen Tiraden zu ersehen ist. Auch
Kent reimt damit: cf. ki mon nom demande, Eustace ai non de
Kent. P hat nur in einem hinzugefügten Verse 6389b trenchant.
Ebenso reimt -enz nicht mit -anz.
Vit.'?.
Dieses g bietet kaum etwas besonderes.
I. In freier Silbe bleibt g vor s Tir. 6352 ff", os, os (ausi),
hs, dos, ros und reimt mit g: clos. argos, gavelos, repos.
Wir finden auch -gre und gre in derselben Tirade 11716/26,
so reimt devore, demore C, devoure, demure D, devore, demoer e P
mit plore, lore, aore, siicore, lahnre C P, plure, Iure, aonrc, socure,
laboure u. a. Liegt dem Worte la mtire, resp. la more 11720, die
Spitze des Schwertes, das sich auch in dieser Tirade findet, ein g
oder g zu Grunde?
3. cor >■ euer reimt 7101 in einer von D selbständig hinzu-
gefügten Tirade, neben voler, mander, demander, adurer und
Palatalfällen wie prier, chivalcher, iravailler, changer usw., ebenso
11567 bei D allein mit fier = fera, pier (patrem), mier (matrem)
und zahlreichen Palatalfällen.
4. Über Igcum, igcum, fgcum cf. p. 6.
1. cgmes >■ cuens finden wir in Tir. 5885: sens, tens, rengs,
Macedoniens, acerens, defens, Suliens, arahiens, egypciens, capa-
dociens, veniciens, tyriens, mens C, meins D, miens P = minv,<\
chens C, chiens I) P, hens C, Mens D P, tens C, tiens D P.
10 Heinrich Schneegans.
II. In gedeckter Stellung bleibt ^.
1. -ors Tiraden 0905/12; 8582/86, 11174/78: cors, iors,
dehors etc,; -orz Tirade: conforz^ morz, forz etc. 10420/27 -orte
Tirade 8490 ff.: -ost Tirade 9671/6, ost, enclost, post, porte,
foi'te, iorte.
2. Vor gedecktem Nasal reimt mont, respont, somont Tir-
10078 ff., ebenso Tir. 8390 auch pont S3SQ, front 8387, mit o:
second, dont, ont < analogem sunt., vont, fönt, estont, beivront;
front, amont 10017 ff. mit tnond, sont.
3. Vor mouilliertem Na?al 1049/53 hat D -oigne resp. oijne,
P -onie: Macedoigne, sijdoyne; sydoine reimt mit appoloijne.
armoyne, hahiloyne.
Vit. o.
I, p in offener Silbe.
1. -psinn liegt in 3 Tiraden zu Grunde: 1 — 31, G328/40,
8035/48. C hat nur -ms, kommt aber freilich nur in einer Tirade
vor. D hat ganz überwiegend -us : nur us in der letzten Tirade, in
der 2. nur eurous 6337 gegen orguillus, dotus, desirus, religius
etc. und pareceus 6331, also 2 gegen 13., in der 1. mesurous,
pourous, grevous, eurous, und nous, vous, plentinous gegen 23 Fälle
auf iis. P verhält sich ungleich. Während es in den zwei ersten
Tiraden ganz überwiegend -us Fälle bietet — in der ersten haben
wir nur 4 -ous und ein -eus (perilleus), in der zweiten vier Fälle
-ous, hat es in der letzten Tirade nur 1 lahorus und sonst nur
-OS : tresangoissos, doleros, dolos, cuslos, euros, desiros, curios,
vigeros, a estros (extrorsum). Die richtige La. dürfte aber ganz
gewiß -US sein.
2. -ore^n findet sich in außerordentlich vielen Tiraden: Tir.
396/424, 4674/4702, 5107/30, 5592/5636, 6589/6612, 6776/98,
7117/7133, 7692/719, 8153/84, 8822/50, 8966/70, 9169/206,
9862/96, 10 055/70, bei einer nur in C fol. 32 r. Sp. 2 vor-
kommenden Tirade und der entsprechenden Stelle von P 10562/82.
11043—11061, 11716—725.
C hat im Ganzen nur 6 -or Fälle : greignor, seignor 2 mnl.
guior, meillor, author, enthält aber freilich nur 87-2 -or Tiraden
auf 18, und 1 our : seignour, sonst lauter -ur.
D hat kein -or, o dagegen 12 our Fälle: governour, seignour
2 mal, guiour .3 mal, superiour, greignour, continour, savour.
guerreour, plnsour, also in ganz überwältigender Mehrheit -ur. P
hat 34 Fälle auf -or und 21 auf -our, sonst lauter -vr. Sehr
bemerkenswert ist, daß in einer Tirade, die P fol. 45 v. Sp. 1 allein
hinzufügt, dagegen 9 Fälle auf -or gegen 3 auf -ur sich finden. Mit
-crem reimt auch jur, auch desur, (desupra) 10 068, snr 7711
Die Sprache des Alexanderromans. 11
(liom ne put aler sur). — Nach alledem dürfte ur die ursprüngliche
Schreibart seiu.
3. -ore Tir. 11716/725 erscheint bei C mit -orc^ außer in
lahure (laborat) 11725, bei P nur mit -ore, abgesehen von demoere.
Dagegen hat merkwürdigerweise D nur u und ou : phire, Iure, socure,
demure, sure auch eure, la innre neben aoure, devoure, lahoure.
Hier dürfte CP -ore gesichert sein.
4. -onem findet sich in einer ganzen Menge von Tiraden:
349/368, 448/71, 5706/17, 6452/75, 6652/68, 7862/78, 8637/64,
8975/84, 9133/68, 9598/608, 10594/604, 11334/62, 11680/700,
also in 13 Tiraden, dazu noch in einer, die D allein hat.
C, das nur 8 Tiraden -onem enthält, hat nur 20 Fälle, in
denen -onem > un wird, sonst wird es zu -on.
D hat keine -un Fälle. Nur hie und da findet sich -oun : noun
46, co7}fusioun 74, ymaginacioun 57, sonn 9153. Daß diese
Schreibung vom Schreiber herrührt, können wir wohl ans der selb-
ständig von D hinzugefügten Tirade 7007/17 schließen, wo auf 11
Verse nicht weniger als 4 -oun vorkommen: do7'müouu^ avisioun,
p?'ocessioun, garceoun. Sonst hat D -on.
P hat 38 -nn Fälle, und 4 -oun, resp. -uon Fälle; noun 46,
iargoun, noun 11358. suon 9953, sonst -on. Ils ist also -on
gesichert.
5. -one Tir. 830/39 ist bei C nicht vorhanden, lautet bei D
-one (marsone, narhone, persone, corone etc.) nur einmal -oune :
nomine (nona 830), P hat gegen 6 Fälle -one, 4 Fälle -une : mine,
marsvne, nerhune, resune.
6. Über -onia > oine resp. onie cf. o.
II. in gedeckter Silbe, sekundär und primär.
1. -ons kommt in 6 Tiraden vor: 596/606, 8185/8214,
9314/32, 9708/720, 10099/111, C fol. 31 r. Sp. 2 und P (D fehltj.
C (nur in 4 Tiraden) hat -uns in 3 Tiraden: somuns, dromuns,
devisiuns, cyclatuns, pavilliins etc., in einer Tirade 9708/720
nur -otis.
D hat hat nur -ons. P hat in 4 Tiraden ons, in Tir. 10 099/110
aber 6 Fälle -uns gegen 6 -07is und in der Tir. mit (" zusammen
4 -uns Fälle gegen 6 -07is.
Die Schreibung -ims scheint eher eine Eigentümliclikeit des
Schreibers von C zu sein.
2. -07ide, nur in Tir. 31/45, wobei C fehlt. D hat nur -onde:
monde^ ronde, desponde, seconde usw. P hat dagegen neben 5 Fällen
auf -ende 3 ounde : mounde, rounde, espounde und 4 Fälle -unde :
secunde, fecunde, habunde, munde. Wenn man nach dem sonstigen
Verhalten der Hss. bezüglich o schließen darf, hätten wir auch hier
eher o als des Autors Aussprache resp. Schreibung anzusehen.
J2 Heinrich Schneegans.
;?. -07U ist z. T. schon oben besprochen worden, insofern es
sich um die Vermischung von g und p handelt. Hier haben wir nur
die Entwickcluiig zu mit oder das Verbleiben des Lautes -ont in
Betracht zu zielien. Yon den 4 Tiraden, die den Laut im Reime
haben 8061/71, 8380/94, 10017/20, 10078/10082 hat C nur die
beiden letzten Verse der letzten Tirade mit den Reimen, somunt,
dunt. D hat nur -ont, P 6 Fälle auf -unt, sonst 07it. In diesen
Tiraden treffen zusammen Substantive anf -ontem fmont, front) und
Wörter auf -undum: parfont^ second, und ?> P. PI. Ind. Pr.: vont,
so7it, ont, fönt, auch Fut. beive^^ont.
Vit. '/.
Dieser Laut bietet nichts Bemerkenswertes.
1. -i 8530/40, 6799 ff., 9497 ff., sowohl für die 3 P. S. Ind.
Perf. rendi, parti, assailli, perdi, siioi, ioli, als auch fiir das Particip
der Verba auf -ir : escharni, laidi; ebenso für den Obliquus der
Substantiva auf -icum: ami, enemi, auch für -ic : issi, eiisi, für e
-\- Pal. pri (preco) und e nach Pal. merci. Endlich reimt damit
auch lui (ine ait encontre hii) 6814. D schreibt auch y, so in Tir.
5131 — 5164, combatij, senhatii. D hat überhaupt große Vorliebe
für y.
2. -ie sehr oft. (Über das Verstummen des e wird beim un-
betonten Yokalisraus die Rede sein).
3. -it in zahlreichen Tiraden, 3 P. Sing. Ind. Perf. rit, vit,
reimt auch mit prist, ebenso -ectum : lit, delit, auch lit von lectum
Part. V. legere : 5507 : h bref AlLv. devant toz fu lit.
4. -^.5( Part. :pm, enquis, devis, auch amis:is aus ivus 4748
haben wir auch Gris = Graecos.
5. -ise : deinise, franchise, prise, conquise usw.
6. -ir in der Intinitivendung: servir, morir, obeir, plaisir,
damit reimt auch qnir (coriuru) 5187, ftiir 5199. D 520 e a
chevcd seir wird durch P e en cheval saillir korrigiert.
7. -ire Infinitivendung: occire, eslire, desconfire. Subst.: «Vö,
CMV, mire, sire, auch matire 575.
8. -irent in der 3 Pers. Plur. Perf. Ind. d. Verba auf ir.
9. -iz -.fereiz, forbiz, piz (über das Verhalten von z zu s cf.
unbet. Vok.).
10. -ist : 3 Pers. S. Perf. Ind.: fist, promist, dist, prist und
Conj. Impf.: ve7iist, veist.
11. Vor Nasalen: pin, gardin, 77iastin, veisin, auch mit -im
reimend: Cay77i 4814, Joachi7n 4807, in der -in Tir. 4795—4828.
12. -ine : doctri7ie, racine, farine, /in«, Royne.
13. -i'?j.s : crins, Solins. reisins, sovins.
]Jie Sprache des Alexanderromans. 13
Vit. u.
I. In offener Silbe.
1. -u für -utum: ienu^ destendu, agu, issu, damit reimend
fu (fuit) 912, 5780.
2. -ue' für -utam : veue, reiidue, abatue, auch remue. argue
3. -ure : parjure, poreture, vesiure etc. Bemerkenswert ist
nur 6582 C hure, D houre : vet le dire a Dayre qui se coruce
al houre . . 7268: gui Dien du ciel honoure neben desconßiure,
dure etc. wird durch P e den del ciel en iure korrigiert.
IL in gedeckter Silbe.
1. -UZ', esmuz, issuz.^ moluz 8501 If. Eigentümlich ist in
dieser Tirade gleich darauf folgend D fust,^ seusi, fust estust, P estust,
fust, fut, estut, welche scheinbar zu der Tirade noch gehören. Wenn
dies der Fall ist, so ist es ein Beweis für das völlige Verstummen
der Endkonsonanten z und st. — In einer von D allein hinzugefügten
Tirade reimt -uz < utus : preuz 8738 (prodis) und genuz 8746
(genuculos).
2. -US. Interessant ist Tir. 607/18, wo mit/>/u5, ius (deorsumj,
a US, phelippiis., sus, confus, auch perius, 610 luis 1) (ostium)
reimt (P hat unverständlich bas an der Stelle. D tost Jist overir
luis. P mult faist overir bas). Unverständlich ist mir auch D: 618
JE Alix. cum Roy salue a grant frus gegen P: Salue le come
rei com seignur cum dus. — 11707 ducs CP neben dus (duces),
11709 a rus mit Enienidus, plus, fus (fuisti), nuls, Artus, occianus,
amirus, rechts, refus, chauz, sus. Caulus, Antiochus in derselben
Tirade 11701/715."
B. Unbetonter Vokalismus.
Aus den Reimen lassen sich mit Sicherheit nur zwei lautliche
Erscheinungen erschließen, das Ausfallen resp. Verbleiben des e in
vortoniger Silbe vor Vokal, und dies natürlich unter Berücksichtigung
der Silbenzahl des zweiten Halbverscs, ferner das Verhalten des aus
a hervorgegangenen Auslants-e,
I. e in vortoniger Silbe vor Vokal.
Was den ersten Punkt betrifft, muß ich noch einmal daran
erinnern, daß, wie schon oben öfters hervorgehoben, der Verfasser
des Alexanders reine Alexandriner schrieb. Es geht dies aus dem
Vergleich der Hss. hervor. Auf eine nähere Auseinandersetzung
darüber kann ich hier nicht eingehen. Ein gründliches Studium des
Versmaßes in den einzelnen Hss. hat micli aber zur Überzeugung
gebracht, daß, so mangelliaft die Überlieferung ist, so sicher doch
ursprünglich die Reinheit der Alexandriner war.
1. e verstummt noch nicht vor betontem u; gu wird zweisilbig
gezählt. So haben CDP v. 5764: ne viis seit bien seu; 5765 de
vostre geni (P orgoil) ireu; 5781 mes ne sunt resceu, ebenso DP,
14: Heinrich Schneegans,
wo C fehlt: que tant en ad eti, 919 frelles e descheu (P deschau),
9-16 que (e (cel) curs unt veu; 956 sest li ost esmeu P (D est
lost esmeu). Vielfach hat P die richtige La. gegen D: 9 IG servage
7ie treu gcgoü D s. n. tru; 927 qui bien lont coneu gegen qui h. l.
comi; D 932 e gent e bien creu gegen D e g. e b. cru; 943 quil
naveit rtcreu gegen D q. neust rccru. Ausnahmsweise haben (' D
die richtige La, : ne fut onkes veu gegen P n. f. unkes nies v. Die
La. der 3 Tis?. C D P 5767 receif ore est treu laßt sich durch
Streichung von e in ore sehr leicht in die richtige verwandeln.
Was von eu gilt, findet auch seine Anwendung auf eue. Nur
wenn am Ende des Verses eue zweisilbig gezählt wird, ist die zweite
Alexandrinervershälfte richtig. Wir finden Fälle, wo alle Hss. in
dieser Hinsicht übereinstimmen: CDP 10 862: par li vus ert seue ;
10 8()o seit oie e creue; 10857 quil vus eust seue; 10 452,
wo C fehlt, aber D P eue zweisilbig zählen: tme rien seit seue;
10455 wie reso)i creue. Das dürfte auch der Fall sein, in
V. 5727, wo P D ne fut (fu) unhe (unkes) veue lesen, C freilich
onc schreibt, wodurch der Vers eine Silbe zu wenig erhält, aber auch
vcue hat, und 6733, wo D grant ijerte ai ioe veue hat. C P lassen
ioe (hier vielleicht ein bloßer Zufall) weg, lesen aber veue. In
andern Fällen stimmen 2 Hss. in richtiger Zählung überein, so C D
5730 k'entre vus ad e?<e gegen P que entre vus ad eue; CP 6731
ad corne recreue gegen D ad corone recrue. Auch dürfte C P
5733: par moi nert veceue die richtige La. gegen D par moi nert
la recue bieten. Auch da, wo C fehlt und nur D und P einander
gegenüber stehen, erkennt man sehr gut, daß die La. richtig ist, die
zweisilbig zählt. I5oi einsilbiger Zählung wird der Vers falsch. So
hat P 792 das Richtige: grant pawe mest creue gegen D crue,
ebenso 5719 e la barbe encreue gegen D encrue; 10 457 doit torner
recreue gegen D recrue, 10458 auires genz acreue gegen D acrue,
10412 est forment descreue gegen D descrue; das Richtige hat
auch P 5726 ni ad si coneue gegen C ni ad si conue und D nad
si bien co7iue. Nur 6726 haben J) F ue statt eue gegen C -eue,
freilich auch ohne daß der Vers deshalb ganz richtig werde: D bele
e conue, V bele e coneue; nur bei P e merveille conue ist der Vers
richtig, aber diese La. dürfte doch nicht die beste sein.
Dasselbe, was von eu resp. -eiie gilt, findet auch auf -euz An-
wendung. Über den lautlichen Wert von z cf. unten.
In CDP haben wir 6541: quil n'est pas recreuz; 6548 men
Mii ajyerceuz. C P haben die richtige La. 6552 un poi est mescreuz
{mieus er. . , .) gegen D ne sui bien creuz; 6538 vus vient rendre
ireuz gegen D v. v. r. truz. Auch P allein: 6550 navez le rei
veuz gegen C I) n. Alisandre v. P 8565 est forment escreuz
gegen D e. f. escruz. Nur graphische Umstellung der zwei Buchstaben
e und u scheint vorzuliegen in 8561 P sest li rois esmuez gegen D
s, l. r. esmuz. C hat die richtige La. 6554: sui iw reconeuz gegen
Die Sprache des Alexanderromans. 15
D s. i. reconuz P s. i. reis connuz. Auch für euz zweisilbig stimmt
DP 8573 qiiant les ont veiiz, obgleich eine Silbe im Verse fehlt;
ebenso 85G9 D P ert la conenz (couneiiz). Nur an einer einzigen
Stelle 8568, D P sotit hien des giiiors seiiz haben wir scheinbar
eil z= ü; doch ist auch hier eine Richtigstellung durch Streichung
des überflüssigen bien sehr leicht möglich.
2. -eure. Hier sind die Verhältnisse nicht ganz so klar wie
vorher, doch scheint auch e vor betontem zi ausgesprochen worden
zu sein: PD 7488 est la c/rape meiire : CP ol'A li poejiles saseure
gegen D /. p. se asseiire. Oft hat eine H«. die richtige, durch das
Versmaß gesicherte La. gegen die falsche. C 057o tnes petit saseiire
gegen D sasure (P fehlt an der Stelle). P 9909 od lungue fxirclieure
gegen D od lunge furcliurc. Daß -eure die richtige La. ist, kann
man sogar aus Fällen schließen, in denen -ure steht, nämlich da
wo das Fehlen von e das Versmaß um eine Silbe kürzt.
cf. CD 6578 a riche entaillure (P fehlt an der Stelle), wo entailleure,
PD 9902 ne sa engendrure „ wo engendrenre,
CD 6580 desiiz sa vesture „ wo vesteiire
einzusetzen wäre.
Dasselbe ist auch der Fall D v. 9901 conut sa poriure^ denn
das i, welches P vor comit hat, ist ein Füllsel; ebenso 8715 devient lur
poriure D, trotzdem P fälschlicherweise einfügt la lur p.
Auch V. 6748 C a la harhe meure (P hat a l. b. menure)
ist die richtige La. gegen D a l. b. mure.
Für die Aussprache -ure sprechen nur 8716 DP dont est lur
engendrure, 9898 de diverse parleiire (parlure) D (P), 9899 de
diverse engendrure D P, 6587 suz leve sa affeublure D la affu-
bleure C.)
3. -eur aus -atorem^ -itoreni.
Einiges Schwanken ist auch hier zu beachten, wenn auch die
Fälle, wo e ausgesprochen worden sein muß, weit zahlreicher sind.
So haben wir empereur als viersilbiges Wort in folgenden Fällen:
9866 e tant empereur, C D P ; 402 dun riche empereur {emp>ereour)
D(P); 8843 le fier empereur DP; 11061 en lui dempereiir CP
gegen D en lur demperur-, auch sonst findet sich die eine Hs. durch
die andere corrigiert. So haben wir CD 4674 Darie lempereur
gegen P emperur; 5112 Darie lempereur D gegen P lemperur;
5594 dit al empereur C gegen DP emperzir; 6776 C au fier empereur
gegen DP emperur, ebenso 10 563 droit est demp^ereur C gegen D
d. c. demperur, P d. c. de empereur. Auch in einer Tirade von C
allein fol. 32 r. Sp. 2, ebenso P le fier einpereiir. Das Fehlen einer
Silbe in einer Tirade, die P allein hat, fol, 45 v. Sp. 1 prince ou
emperor spricht auch für die Aussprache cmpereor. Nur einmal
9205 finden wir dient del empereur^ wo der Vers nur richtig ist,
wenn wir emperur aussprechen. — Auch robeur finden wir drei-
] G Heinrich Schneegans.
silbig: CDP 4G80, cum povre robeur; CP 9185 iirant e rohetir
{rohheour) gegen tirant e robur D — pecheur erscheint dreisilbig :
♦5796 me rend ieo pecheur CD pecheor P; 9184 nen leice pecheur
CD gegen P ?ie lece pechur, wo eine Silbe fehlt; dagegen hat P
8162 das Riclitige ou furent pechew\ wogegen diesmal bei D eine
Silbe fehlt. — 5118 CP tel vint mit poigneur gegen Y> j)oignur. Diese
La. läßt auch vermuten, daß P 8846 richtig liest; eurent li j)oigneiü\
während D eurent li poignur unrichtig sein dürfte. — 5622 haben
CDP ne vi tel iusteur., was auch die La. von C 5120 C077ie hon
iasteur gegenüber der von D cum bon iusteiir, P iosteor als richtig
erscheinen läßt. — Nicht so sicher scheint es bei combaiur der Fall
zu sein. Da linden wir nämlich 5599 hardi combateur nur bei P,
dagegen CD tani hardi combatur, eine Aussprache, die gestützt zu
werden scheint durch DP 9198 e sunt fier combatur. C schreibt
freilich hier combateur, doch hat es eine Silbe zu viel. Dafür ist
aber die Aussprache guerreur gesichert cf. 5607 : chivalers guerreur
CDP; 9201 e cruel guerreur P (CD guerreour), 7123 vienge U
guerreur. — Auch ferreur ist dreisilbig. CDP del bon brant
ferreur 5621. — Schwanken ist dagegen wiederum zu konstatiereu
bei guiour. Einerseits haben wir 8168 : li autre guiour bei D
gegen P guiur, und DP 9885 li sage guiour, dagegen in einer
Tirade von CP allein : li ont trove guiur und vers Inde li guiour
D guior P. — Gesichert ist dafür pour (pavorem) zweisilbig.: CD
6596 de rien nen ai pour; 7121 donc poet aver pour D, 2^oor P;
8170 en doute e en pour DP, 8836 e suffreite e pour DP; 9889
e phisors foiz pour DP. Ebenso forgeur dreisilbig : 9197 sunt il
bon forgeur CP gegen D s. i bone f.; ebenso curreur : CD 9199
qui sunt bon curreur gegen bons corours P; menteur 9872 DP a
large menteur; 10 069 li cruel plungeur P gegen D, das eine Silbe
vermissen läßt: li cruel plungur; auch nour (uatatores) 10 063 qui
mut sont bon nour DP; obgleich in v. 9204 CDP novel fableur
eine Silbe fehlt, ist wohl doch sicher dreisilbige Aussprache anzunehmen.
— Schwanken ist dagegen bei enginneur zu verzeichnen : viersilbig
haben wir es in einer Tirade von CP fol. 32 r. Sp. 2 com coi?iit
anginneur, dagegen 9196 des mains sont enginur dreisilbig, freilich
7703 DP par mein denginur spricht wegen des Fehlens einer Silbe
für viersilbige Ausspache. Auch plaideur scheint das Richtige zu
sein, obgleich wir CDP 5592 finden : si fut bon plaidur. — Un-
sicherheit herrscht in der Behandlung von coniur. Einerseits spricht
CDP 4684 tu e ti contur, wo eine Silbe fehlt für cunteur. Auch
7124 P li duc li contur, würde dasselbe vermuten lassen, während
D li duc e li contur, ebenso wie 6593 ceo veent mi contur und
6783 e mi riche contur für die Aussprache ur sprechen. — Ver-
stummt erscheint e in governur 4694 : doi estre governour D, governur
CP; 5628 par fieble governur, 8163 e dit al governour BF 8163
— Ebenso 5609 compierur : par force c . . . C. conquerour D;
Die Sprache des Ale.vanderronians. 17
die Schreibart P's conquereur kann wegen des Versmaßes lücLts
beweisen. — Bei devorur dagegen scheint e gesprochen ^Yordeu zu
sein, denn 7696 Gog le dovorur DF, ebenso wie 8157 e cel devorur
DP lassen eine Silbe vermissen, freilich haben wir daneben 9186
de cors sunt devorur. In einer Tirade von CP allein haben wir
sunt il hon laburur und 7ie il neu sunt vendur. Immerhin sind
die Fälle, wo e verstummt, selten und würden vielleicht noch seltener
sein, ja würden ganz verschwinden, wenn uns alle IIss. bekannt wären.
Es ist mehr als wahrscheinlich, daß der Verfasser eur zweisilbig ge-
sprochen haben wird. Überall wo es durch eine Hs. oder durcli
das Versmaß irgend wie gestützt ist, wäre es einzusetzen.
II. Unbetontes e am Wortende.
Daß der Verfasser ein -e noch aussprach, geht sicher daraus
hervor, daß er männliche und weibliche Tiraden sehr wohl unterschied.
So haben wir 5 Tiraden auf -i (5131—5164, 6230—6249,
6799 — 6823, 8530—8540, 9497—9508). Nur einmal hat D gegen P
V. 8538 dona en partie^ während P das richtige dona en parti hat.
In den Tiraden aui -ie, die den Hss. gemeinsam sind (1 174 — 1207.
4560—4576, 5542-5591, 6676 — 6702, 8506—8525, 9300—9313,
10070-10077, 10346—10359, 10583 — 10593, 11411 — 11440),
ebenso in den Tiraden, die P allein hat p. 368 ff und CP p. 547 ef
haben wir keine Beispiele von Vermischung. Nur D hat in einer
Tirade, die sie ganz allein bietet 8784 — 8800 neben polie, signefie
usw. auch ieo di. Einmal haben wir auch conquis par espee, was
vielleicht für espie steht und einmal le voir avez oie, obgleich sonst
stets das femin. Partizip sich regelmäßig nach dem femininen Substantiv
richtet: cf. la novele ad oie v. 8505, a sa gent banie 8507, ad
Vespee seisie 8524, cest ost avom banie 9306.
Dasselbe gilt auch von den Tiraden auf -u, -ue. In den ;>
Tiraden auf -u (4s54— 4899, 5381—5390, 5763—5770) haben wir
nur zweimal bei D revenue^ tolue auf Mascuhna bezogen gegen CP.
In den 10 Tiraden auf -ue (786—815, 5718—5738, 6723 — 6742,
7200-7215, 7749—7771, 9026—9037, 10111—10120, 10302—
10309, 10447—10464, 10855—10 864) haben wir kein einziges
Beispiel von Vermischung. Auch hier wird regelmäßig das Partizip
in das Feminin gesetzt, wenn ein femin, Substant. vorangeht: 5725
ni ad si coneue auf une vermaille enseigne, 5730 qu'enfre vus ad
eue auf ire^ 6733 grant perte ai ieo veue auf pe7'te bezogen.
Der Verfasser wird auch gewiß ein e und ee genau unterschieden
haben. Denn die männlichen Tiraden sind von den weiblichen streng
geschieden. "Wir haben 8 männliche (135 — 158, 5015—5051,
6399 — 6442, 6913—6960, 8442-8473, 9060 — 9109, 9803—9861,
10030—10 054, 10 653—10663) und 9 weibliche (680—715,
5086—5106, 5462—5484, 6295—6325, 6669—6676, 8335—8365,
9390—9415, 10428—10446, 11142—11172) Tiraden. In Tirade
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI '. 2
18
Heinrich Schneegans.
99i)9 — lOOOli sind 4 Verse mäniilicli, 4 weiblich. Dagegen werden
die Kopisten den Unterschied nicht mehr klar herausgefühlt haben. So
linden wir denn in den männlichen Tiradcn:
135—158 auf 23 Verse D 8 mal -ee : P 1 mal :
out son mantel ostee 135, le vis ot pensee
coloree 136 etc., 4 mal Akk, Sing.,
2 mal Nom. S., 1 mal Neutr. S., 1 mal
Nom. Plur.
5015 — 5051 D mad pris en mortel
hee 5025,
6913— 69G0 CD nee (nati) gegen P
716 6937,
8442—8473 Joe
D 8455,
9060—9090 D ne voient nule fee 9065
gegen C je in der Bedeutung Mensch,
Sklave,
9091—9109 D hlecee (quil fast hl .
9099
9803—9861 D Alisandre fu ne
10030 — 10054. Assez ont travaille e
longtemjys ont noee
11 sunt norri en leve e ieinz en
sunt nee
D 10043 Für ceo que Alisandre del
Nil avoit dotee;
10653—10663 D und P haben gegen
C 10653 regnee (regnatum). C hat
nur Cy während P hier abgesehen
vom letzten Vers stets ee hat, sogar
citeCy harnee, feutee.
tut en est res
sui de Grece nee P
.) P
P ainz quil scient passee
5029
P mon privee 6927 gegen
CD
dasselbe, dazu noch un
duc alosee 8456, le bon
roi coronee 8457
ebenso fie, ferner
9085 de lur droit avoee
9086 su7it tresqual mur
alee
9087 sont donc arestee
3 P. PI.
9088 si sunt a force
entree.
son haubert desmaillee
9093 le liu eisillee 9104
; out son tens usee 9818
ont illoec conversee 9819
ne fut onques osee 9821
dont en ai parlee 9823
fremist le regnee 9824,
noch 15 mal, also im
Ganzen 20 mal falsches-^^.
bei D und P 10050
bei D und P 10054
P 10031 tr/gres est appelee
10032 com en livre ai
trovee.
Die Sprache des Alea'anderromans.
19
D hat also im Ganzen ca. 18 Fälle ee, P 46 Fälle ee. Also
hier hat ein späterer Abschreiber ganz entschieden die meisten Fälle
hineingebracht.
In den weiblichen Tiraden
1. G80 — 715 ~0(^ sa lance leve D 688
od sa gent armee 689
od lautre est assemble 690
fu forte la melle 691
011 lejiseigne est ferme 699
est la targe quasse 700
done auf tine bezogen 703
or as tu la cole 706
Also 8 Fälle bei D
2.5086 — 5106 cum gent desconseille
D 5106
5462—5-184,
5472 D repople anf cite bezogen
gent „
5478
arme
5474
assemble
5475
soude
5476
mene
5477
Jörne
5478
matine
5484
encline
6295—6325:
D 6295 la melle
6296 gent arme
6301 nafre auijuverite bezogen
6312 assemble „ gent „
6325 cfesherife „ Grece statt des-
hentee
6669 — 6676 D kein Fall
P 689 ovec sa qent arme
V e sa seigne a dresce
5093 false e desmaille
auf bruine be-
zogen
5096 tresquele est com-
mencie
5099 mainte targe fru-
issie
5104 ad rumpue epescie
P 5462 guaste auf cite be-
zogen
5464 coyitre stAtt contree
C P stets das Richtige
P 6669 eshalcie auf la
noisse bezogen
6672 maisnie
6674 aprocie auf ost be-
zogen
20 Heinrich Schneegans.
833Ö— 8365 D hat auf 30 Verse P nur 8349 meinte ierre.
17 Fälle -e, CS wäre zu weitläufig aqidU
alle Beispiele anzuführen. 8359 en plusors lins
trohle auf voie be-
zogen
8336 iresha la jiirne
8338 qui la veie ont gni"
9390—9415 D hat in 8 Fällen -e
gegen C P, die richtig -ee haben.
104-28—10446 D hat 8 Fälle -e P 2
11142 — 11172 D „ 16 „ -e C nur einmal conpe dor>:
P mostrez statt mostre
Im Ganzen haben wir bei D in weiblichen Tiraden 69 Fälle '
statt ee^ bei P nur 18; C hat abgesehen von einem einzigen Fall nur
das Richtige, freilich ist C nur ab und zu vertreten. Addieren wir
die Resultate zu denen der männlichen Tiraden, so erhalten wir für
D 87, für P 64 Fälle, unberechiigten Setzens resp. Eliminierens von e.
Einige schwierigere Fälle erfordern noch gesonderte Retrachtung.
In der weiblichen Tirade 6669 --6676 scheint -ee an falscher Stelle
auch auf den Verfasser zurückzugehen: 6671 P Li reis Dario le?
ad ordenee e rengee. CD haben: Li reis (Ly Roys) les ad ordenee
(ordeinez) e adreit rengee. Der vorhergehende Vers lautet: Adohent
sei Persant come gent bien preisee. Die beiden Partizipia auf gen-
zurückzubeziehen hat seine Schwierigkeit. Doch ist möglicherweise
dieser Vers, der für die Erzählung nichts weiter bietet — v. 6672
E fet dis escheles de sa fiere maisnee schließt sich an Adohenf
usw. sehr gut an — von einem späteren Redaktor hinzugefügt worden.
der keinen Unterschied zwischen -e und -es machte. Dasselbe wird
wohl auch bei den V. 6952 ,,Xt serf oreni estoles de persan:
double D (CP in der Endung gleich), auch 6946 cotes porp>rins al
dos de pesas corone, in der männlichen Tirade 6913 — 6960 der
Fall sein. Auch diese Verse scheinen bloße Füllsel zu sein.
Bedenken erregt auch die Form cendreeV, cendre CD in einer
männlichen Tirade 9803 — 9814. — In der männlichen Tirade
10030 — 10054 haben wir Etldope e Athlante sont entreus divisee
für Plur. derise. — Die in P und D (C fehlt an der Stelle) mit -ee
als Endung überlieferte Tirade 9999 — 10 002 muß wohl sicher iri
eine solche mit e verwandelt werden;
Un mostres ad al regne zephus est nome[e]
Cors ad e gros che/ al menton est barbe[e]
Piez derere ad cum home e quisses e costefej
Sicum tneins dorne sunt devant forme[e] nach D.
Dagegen muß die gleich darauffolgende 4 zeilige Tirade, die
bei D 3 mal e hat, und bei P 3 mal ee^ sicher in eine solche mit
-ee umgewandelt werden:
Die Sprache des Alea'ünderro'iiians. 21
Une autre beste i ad rinoceros nome
Del long al olifant mes nest pas si forme
Ainz les occist sovent par ire e "par medle
Une corne ad al front trenchant com espee.
Daß die Hss. ee =^ e empfinden, gebt auch aus folgendeu
Fällen hervor:
? Gl 19 ^65 heaumes lacieez (C laciez^ D lacez)
6124 qui tant ert enveisseez (C enveissez, D envoisez)
1 1 155 pur ceo quil ont des braz luv manches osteeGF 1 1 155, Doste
1 1 520 les corones quil avoit conquestez
848 si ad ses 7nains lavez
8703 coroneez, P (coronez D -atus)
8859 sis ad asegeez P (assegez D -atos)
10 242 P nomeez (atus)
11619 qui fit de mere necz (D allein)
Noch einige speziellere Fälle für das Verstummen von e im
Empfinden des Kopisten sind in folgenden Beispielen zu konstatieren:
In Tir. 9786 — 9802, die, Avie CP zeigen, auf -enes auslautet,
schreibt D sehr häufig -ens statt -enes : 9786 les mers caspie7is,
Q7 87 les eves sichiens, 9791 as eures anciens^ 9795 des terres
anciens^ 9798 e les pleines libiens, 9800 les merveilles etliiopiens.
Einen Schein von Berechtigung hat nur 9801 entre les crestiens J)
statt rp crestienes, doch ist möglicherweise ^£"7!^; hinzuzufügen. Sonst
\vird die La D stets durch CP korrigiert.
2. Daß e für D nichts mehr ist, beweist v. 472: la dame a
s.on terme est mult engrossis in Tir, -is, das durch P li venires a,
la dame a son terme est pris ersetzt wird.
3. In einer Tirade von D allein auf -ez finden wir grece mit
den Wörtern auf -ez reimend.
4. In einer Tirade von D allein auf -er finden wir unter
lauter aus -are hervorgegangenen und aus matrem patrem kommenden
Fällen 11522 auch fier (fera).
C. Konsonantismus.
Aus den Reimen ist für den Konsonantismus nur das Verstummen
einzelner Konsonanten zu konstatieren.
1. /' ist in der Endung -ifs nicht mehr hörbar. Die Adjektiva
auf -ivus reimen mit Wörtern mit ursprünglichem -is und treten auch
hie und da selbst in der Form -is auf. So finden wir neben poestifs
OP 11572, CP5317, dSU auch B jyoestis 11572, 162, 492, 4732
DP, 5317, 9334 D; vijs C fol. 43. v. Sp. 1, D 165, 487, 7639
DP neben P vis 165, 487, 11573 CP; neben cheitifs C fol. 43.
V. Sp. 1, D 4750, C 5327, cheitif P 477 auch D 477 cheitis, V
caitis 4750, DP chaitis 5327, neben fuiifs C fol. 43. v. Sp. 1, D
22 Heinrich Schneegans.
4750, C 5327, cheitif P 477 auch D 477 cheiiis P caiiis 4750,
])P chaitis 5327, uehen futifs C fol. 43. v. Sp. 1, D 476, CPI)
4741), 7G32, auch P 476 fuistis; neben mendifs C fol. 43. v.
Sp. 1, mendifz DC 5328 auch P ;n«n(Z«s 5328, 475 PD;
neben pensifs 1) 489, D Tir. 721/32, C 4751 auch P pensis 489,
Tir. 721/32, DP 4751; neben antifs C 5320, CP 9360, DP anti^
5320, D 9360; esirifs CP Tir. 11587 neben D esiris. Diese
Wörter reimen alle mit ursprünglichem -is. C fol. 43. v. Sp. 1:
amis, mis, pais, mencdis^ Tir. 11568ff. : devis, pais, amis^ prig,
dis etc. Tir. 11 587 ff. tramis, 7iiis, occis, malmis, Tir. 100 — 181
enquis, assis, pais. ris, amis usw. ebenso Tir. 472 ff., 721 ff'., 4732 ii.,
5313 ft'., 7631 ff., 9333 ff, 10289 ft\ — nativos findet sich nur zwei-
mal als nais P 5316, DP 7645 neben DP 10289 plentifo : danis,
assis^ pais, etc.
2. Daß p zwischen /• und a- verstummt, ist selbstverständlich.
Neben Formen wie corps D 6905, 11173, Tir. 8582/6 haben wir
D 6908 cors 0 cors Tir. 11 173 ü'. P cors zweimal, Tir. 8582/6,
und zwar reimend mit oi's^ iors, sors etc.
3. t scheint auch im Auslaut verstummt zu sein, wie 5780
e midt graut cite fu und 912 al roi (eie fu in Tir. auf-« bezeugen.
4. / vereinigt sich mit dem vorhergehenden Vokal in nuh
11704, das in einer Tirade 11701 ff', auf -us im Reime sich findet.
Auch reimen gentils, vils C fol. 43. v. Sp. 1.: amis, mis, pais, sotil:^
7634 in Tir. 1631 ff', -is; 10294 aisils D: -is.
5. r in der Endung -ers findet sich nur sporadisch verstummt
in einigen Hss, wo es nicht die richtige La. bieten dürfte. So haben
wir nur in C 6571 desirez statt DP desirers und C enveisez 657'->
gegen DP envoisers in Tir. auf -ers; P soldees 7224 neben D
sonders, und lethres l^^l neben D leg' es in Tir. auf -ers. D //
Roy dreiturels 631 neben P quifu reis dreiturers. — Verstummung
des r haben wir auch bei D allein 10 650: li prince e li terre gQgQv.
GP terrier\ 10652 droiture gegen CP dreiiurer. Auch falsches
Setzen von -r bezeugt für D das Verstummen des Lautes, so 11239
Tholomer.
6. Daß s -]- t verstummt, bezeugt D 188 prist (neben V prit)
in Tir. 181 ff'.: samit, eslit, habit, rit, ebenso assentist 4711 D (C
dit, P fehlt) neben vit^ rit^ dit, escrit in Tir. 4703/12. Auch das
ialsche Einfügen von s in P 5509 li grand e li petist ir,
Tir. 5507 ff. ist ein Beweis für das Verstummen von s. la Tir.
6341/6351 haben wir auch einmal C eslit neben eslist, mist, choisist.
In Tir. 339/49 haben wir freilich nur -ist.
7. Das Verstummen von s im Auslaut kann seinerseits durch
zahlreiche unberechtigte Hinzufügungen von 6- im Obliquus, wo es
etymologisch ganz unmöglich wäre, erwiesen werden. So finden wir
596 a gratit suspeeions, 8195 par icest achaisons, 10100 e est en.
Die Sprache des Ale.vamlerromans. 23
suspecions, 9711 gist en afflictions; in CP allein C fol. Ml r Sp. 2
V. 17: parle li arhres en griu a banduns, 18 jmr mut grant
traisuns, 20 iias nule suspeciuns. Ebenso 5924 de ca le ßum
Jordans, 5928 D allein, passe ia un ans; 8056 7iomer ne puis
riens', 6826 Jeo en iur le soleil e le ciel sovereins; D allein 6832:
pur dieu le rei hauteins. Auch in Tirade -ers 8402/15 im Obliquus:
8409 ont il grant desirers, 8413 par entre parier s; in Tir. 6559/71,
6562 de mangers, 6571 de vilein encombrers, 6566 lianaps d'or
mers; in Tir. 619/50, 631b le hell de ßn or miers; wohl ein von
P eingeschobener Vers, der sich sonst nicht findet. Ebenso 420 D:
e ele gete un cris, wogegen P richtig hat, ele rejete ois; D allein:
8586 ^ out un riche tresors, 6225 ci ne frum nus riens (P allein)
(D C haben einen andern Vers).
Auch haben wir hie und da im Subjeklkasus unberechtigtes s.
9718 la ßere vengeisons, 8197 pleine en est la sesons] 8200 de
manger est seisons\ 10919 la duce ferne Eveins.
Das unberechtigte Fehlen von -s an Stellen, wo es nötig wäre,
ist auch für die Verstummung von ä anzuführen: 763 ou vienent si
home a cent e a miler, 10691 volenter.
8. Bei z läßt sich dasselbe wie bei s konstatieren. Wir finden es
a) an ganz unberechtigter Stelle in der Endung -atem, die
durch e wiedergegeben sein sollte. So amistez 4989, 5513, 8549,
10132, 10740, 10889; enemistez 6904, veritez 10234, 11488,
11526; eez (aetatem) C fol. 31 r. Sp. 1, 24, 10261, 8691, aez D, ez
P, 857, 10 737 volentez, 10877 deintez, 10 243 d'aniiquitez, D allein
11609 autoritez, 11482 beautez, 11525 santez, 7046 citeez, 10 723
bontez. Ebenso -adum: grez 7078, 10 726. Diescz -ez reimt mit
-ez aus -atus, -atis, auch aii. Die Tiraden gehen ganz durcheinander.
b) Für die Obliquusendung -atum = ez, -utum uz, -entem = enz.
7086: pa?' un eti Grece neez; 11617 dural renomez; 11100 des-
tempra uns herbez; 11109 en im vessel dorrez; 10123 se fei
baud e haitez] ebenso 8737 lez im bois foUluz, und im Objekt 8136
dolur e mairemenz, 8140 /b«^ Iur repairemenz, 8144 e Iur hardemenz
D gegen P hardement.
c) Auch die Endung des Neutrum Singularis -atum findet sich
durch -ez in Tiraden aus -atus, -atis, -aii, -atum, -atcvi wieder-
gegeben. P 5665 avant tut est mostrez; 5678 tut est en autre
■siede alez, 10710 com li fu loez; 7082 / ad sacrißez, 7089 fu
ceo proplietez; 7091 bien lad recordez, diese drei letzteren Fülle
bei D allein. 8555 ceo vus ert otriez; 11662/3, 7iotez, obliez D
allein; 10266 grantez. In Tir. v. C und P allein fol. 31 recto
Sp. 1, 5, 17, vus est destinez, comandez, P 6433*'^ E jure est de
Darie e par fei afiez gegen CD, die e haben.
d) Auch fem -ata wird durch -ez wiedergegeben: 7037 la
mitre al chief posez; 11611 entaillez, 11611 esmerretz, 11613
24 Heinrich Schneegans.
posez, 10867 e de a U reacoiniez. Ebenso -z/Za^i : S7 4:)i : qui eust
barbe chaniiz. Auch fem. plur, -atae =■ ez\ 11C23 les dures desiinez,
1 1 024: qiii furent ordinez.
D. Flexivische Ersclieinimgen.
Es läßt sich darüber streitoD, ob obige Fülle eher zum
Konsonantismus gerechnet werden sollen, um das Verstummen des
-5 anzudeuten oder zur Formenlehre, um den Verfall der Deklination
nachzu\Yeisen. Die folgenden dürften wohl eher als flexivische Er-
scheinungen zusammengefaßt werden.
1. Wenn das Objekt im Akkusativ Singularis dem Partizip
vorangeht, haben wir auch häufig ganz unberechtigterweise -ez statt e
und zwar obgleich sonst ganz regelmäßig sehr häufig das Partizii>
mit avoir sich nach dem vorangehenden Objekt richtet. Daß dies
der Fall ist, sehen wir deutlich beim Femininum Singularis. 5090:
senseigne ad eshaucee, 5092 ad In targe brisee in Tir. 11143/93
13 Fälle, wo dies der Fall ist, cf. 11156 ad lemhiche botee, 11157
sa coupe ad demandee, 11 158 si li ad liveree C P gegen
livere B, 11161 la cope ad ins jetee. Ebenso im Femininum Plur. :
6048: escheles ont rengees. Ferner im Acc. Masc. Plur. 7034:
Quant Roys AI. les ad regardez D allein; 11518 Quant AI. ot
les doze piers casez, 11521 sis ad coronez] 6761 quis ad agraventez,
ebenso mehrere Fälle in Tir. 6117/6144. Auch bei -utos 8573:
quand les ont veiiz.
Nichtsdestoweniger finden wir sehr häufig die Hegel durch-
brochen und -ez resp. -uz an falscher Stelle. So haben wir -ez für
•atum nach vorangehendem männlichen Objekt in folgenden Fällen:
In Tir. 957/996 nicht weniger als 10 Fälle; cf. z.B. 987:
Vaubert ad desmaillez, dann 9518 ja navra darc tret ne gaveloc
lancez; 9519 ne perere levez ne berefrei drescez; 9525 que vaut
que nus avum tut le miind cerchez] 7041: si ad le nom dien
devotement adhourez D allein, ebenso 7042 Le rois ont saluez
7083: Apres le sacrifi.ce le Roys ad regardez,! 7 OS 5 Le livre
Daniel ont devant lui piortez. Solche Fälle sind namentlich häufig
in Tiraden, die D allein hat, in denen die Sprache ganz verwildert.
Ebenso wird -utum durch -uz wiedergegeben, cf. 6550 navez le
rci veuz, 6449 as diz Vai entenduz; 8743/4 auf garnement be-
zogen: avoit il vestuz, avoit iL iissiiz — in andern Fällen wieder
richtig: 923 ceo quil ad perdu, 927 qui bien Vont coneu. 946 qiii
le curs ont veu.
Auch wenn Fem. Obj. Plur. vorangeht, haben wir -ez statt -ees:
.S48 si ad ses mainz lavez; 11 523 les corones qidl avoit conquestez.
Das Durcheinander, das hinsichtlich dieser Erscheinung herrscht,
wird auch durch das unberechtigte Fehlen von -z erwiesen.
So haben wir für -atos -e statt -ez: 6941 Fetes moi amener
deus roneins enseele; 6953 E en lu d'anels pois en gros melle;
IHe ■'Spruche des Ale.xanderromans. 25
504(> Troce les oliphans e les chasiels ferme, 5047 Veit les homes
dedanz garniz e adoube, 8449 Sanglanz les costez e les cengles
overe; 8466 il ad plus de cent ans passe\ 9858 les antres livres
asemhle\ in männlicher -e Tirade: DP 109 les iamhes i ot plates
e les pies hien coupe; DP 115 a gros hoions dorre; 121 sur
•jespez tapine; P 139 h vis aveit traitiz, les braz di'eis e quarre
gegen D quarreez mitten in dieser -e Tirado.
Aucb -utos erscheint als ?;; 5779 e les puis plus agti; 925
par les degres volu, 953 houhers desmaillc e rompu.
Für ces haben wir ebenfalls e: 6945 Cotes porpris au dos de pesas
:orone] 6952 orent estoles de pesaz double.
Beim vorangehenden Obj. Plur. Mask. haben wir auch statt -ez:
6940 Deus de ses marcschals a li Reis apele\ 6958 ... les ont
al vis rue; 6961 . . . ad deus arbres leve; 6962 La sus les onf
pendu e forment encloe; 6915 E treu e ferme pes lur ad a tuz
done CD; P hat hier donez^ obgleich sonst die Tirade auf -e aus-
lautet. 8468 { ad . . . treis mantels afuble ; 9064 Mes homes ne
fernes ni ont dehors trove. 9076 quarels i ontgefe; 9079 trenche
!ur ad les chefs, les pez, les poinz coupe CD gegen P copez, trotz
der -e Tirade; 9080 plus de cent en ad merz que nafre que plaie;
ü()^\ sis ad toz escrie. In Tir. 9803/61 haben wir nicht weniger
denn 12 Fälle, in denen bei vorangehendem Objekt Plur. Mask. eine
Übereinstimmung nicht stattfindet.
Auch -utos = u; so 83 les haubers ont vestu; 939 D qu-j
point 7ies ad tenu\ bl%'l ont lur p)encels hors j^ßndu. Auf voran-
gehendes Fem. Obj. Plur. richtet sich häufig das Partizip nicht. CP
lur citez ont fermee (D ferme); 9832 les deus parties del mond
ad prof environe, darauf bezogen e ^:)m c conqueste\ 10048
delfins e cocdtrices ont avec eus mene. D 6412 Sa mere^ sa femrne,
ses filles dcrrere ad lesse (CP haben den Vers nicht, der wohl von
D selbständig hinzugefügt worden sein wird).
2. Beim pronominalen Yerb gehen die Formen mit z mit den
hindern durcheinander. So finden wir neben 9083 del dart sest
deferre; 9826 s'est Alisandre mult pene', 945 sen est revenv^
956 sest li ost esmeu P (est lost esmeu D); auch Formen mit z;
!}85 f. au roy sest alaisez, 8856 sest veyigez, 8861 sest Alia:
coehez; 10267 sest purpensez\ 6125 sest si defreinez, 6135 qiii
sest derengez, 8696 sest a Alix. acordez, 8739 sen est esbatuz,
8741 si sen est aperceuz D, 8561 sest li rois esmeuz resp. esmuz.
Im Pluralis: 9105 se sont la nuit loge^ neben 965 se sont
rios c reillez, 972 si sont assegez; 976 si se sunt escriez, 977
ii se sunt apuiez.
3. Für die Nichtbeachtung des Flexions -s, spricht auch der
Umstand, daß die Endung des Nom. Sing. Part, -atus auch vielfach
.'ils -e statt als -ez vorkommt. Es scheint sich bereits der neufranzösischo
Sprachgebrauch einführen zu wollen. Neben auL5erordentlich zahlreichen
26 Heinrich Schneegans.
-ez < -aius (cf. Tir. 847/81, 957/96, 4973/5014 usw.) finden wir
nämlich auch: 6410 Li soleil est abesse wobei C ahesse.z in einer -e
Tirade hat; 6431 ainz que seit desrene (desraisne) CjDP,
6918 Nul hom en sa mort en fu j^ius honore
Ne nul cors ne fut onques mieux enhasme
5035 tut son grand tresor nus ert abandone
ou iames a mon tens nert quite clame
8465 pe^ti est de cors e vielz e inut barbe
9813 deve nen est mouille ne par le vent oste
10031 tigres est appele D (P apellee)
10662 ou est emperere sur trestoz clame
Auch bei -arius finden \\'ir neben sehr zahlreichen Fällen, wo
regelmäßig -ers entsteht (cf. Tir. 8402/15, 619/50 etc.) manche
Fälle, wo -arius als -er erscheint.
So Tir. 10686/10703 nicht weniger denn 11 Fälle cf. 10685:
acostomer, 10688 messager^ 10693 chivaler, 10 ßdA primer, etc.
ferner 10 626 Porrus grant e plener, 10645 vassal ne chevaler,
10646 archer\ ebenso 369 que dieu seit dreiturer, 370 ieo sui
son messager; 4546 pruz piert e legier; ebenso vokativisch gebraucht;
Sire reis dreiturer^ 369 mestre eher.
Bei -aticus haben wir neben 3 regelrechten -ages^ 8607 mut
fut grant sis ages D (P age), 8913 e ses riches barnages, 891"^
inalveis est eist ostages auch 3 -age: 5486 car ceo me semble
utrage, 5495 que pruz estes e sage. 8478 ceo li dit son barnage.
Während -abilis stets als -ables im N. S. erscheint — cf. le riche reis
vaillables, 826 siecles . . . deceivables, 827 e muables^ 829 . . . estables,
825 sok. pier (peresj esperitables ^ {?)\ und -urus als -urs: 9207
seiez or bien seurs, 9210 qui est cruels e durs {o^ni p)0ple bezogen).
haben wir dagegen -utus > u: 919 est frelles e descheu; 920 mult
en fut irascu; 931 ou le iref fu tendu; 932 t estoit . . . descendu;
933 e gent e bien creu; 934 estreitement vestu; 951 il en ert
honiz e mort e confondw, 952 e malement abatu. 955 nert il
defendu, 924 Alix. est issu.
Schwanken ist bei der nasalen Endung -ans zu konstatieren.
Einerseits 5914 Geroboans; 5915 soudans; 5918 li bans, 9111
ii occians, 7827 li j^oeple est granz, 9834 e ganges le coran:.
7860 fu fiers e emprenanz, 7845 icest popÄe nest iames soioryian:,
7847 est lur quer cerchanz, 7852 qui mult est conqueranz usw.
Anderseits 425 qui est lenfantDP, 427 cum vassal decevant,
440 le diiu puissant D (P hat eine andere Fassung), 4603 li sem
en est mult grant, 5437 cum chevalier vaillant, 6444 seit iuge li
Persant; 8308 grant cum oliphant; 8754 est riches e puissant etc.
Bei -enz läßt sich dasselbe beobachten. Einerseits -enz: 8134
Alis, est dolenz] 8147 2olus que nest arremenz\ 8148 mult est
gref eist tormenz, 8152 maiur li pluremenz — Anderseits 5838
mut puis estre dolent: 6388 ignel est plus que vent, 5855 plus
JJle Sprache des AlecCanderromans. 27
cruel que serpeni; 5879 sil est pruz e leger e vus coard e lent.
4763 ert fet V acordement.
Nur s haben wir dagegen bei -aiius, -enus: 10 914 sire reis
sovereiiis^ 10918 li peres lyremereins ; 6823 soies en lieis certeins,
6831 li frains e lauhert acerens; nur einmal 7 911 reis egypcien.
Analogisches s in 8060 nide nens^ ebenso N. S, li ors (auruni)
DP 8584.
-ivus erscheint fast nur als -ijs resp. -is (cf. Verstumniung des
f), nur in Tir. 5693/5700: ju forment jjensif.
Dagegen ist Schwanken zu konstatieren bei -alis. Einerseits
5246 lesturniaus CP neben D estornels; leaus, CP leals B 5249,
cum seignur naturals D 5255; 5256 D manteals^ C li manteaus,
P mantels, daneben im Subjektkasus: 5352 un hei damoisel, 5353
e chevaler novel, 5355 esteit bei.
4. Im Xom. Plur. M. haben wir den Lautregeln gemäß kein 6':
in der Endung -ivi. cf. Tir. 5693/5700: li fol e li iolif; ly sage
e li aidif\ rnaltalentij\ enteniif, poestif, freilich einmal auch DP /'Z'^s
tant que eimes vifs 7639. Auch Endung -iti in Tir. -it = it.
11 113 li oit niois sont acomplit CD; P hat acompliz.
-uti erscheint h.äufig als -u: 5784 sunt liors issu; 913 messagers
sunt venu', 915 quil simt batu; 5766 i vus iuz confondu etc., da-
gegen haben wir auch -vz < uti: 8568 les chcmins sont seuz\ 6544
e li haubert vesiuz, 6545 li espie esmoluz, 6556 sunt donc andui
descenduz.
In der Endung -ani haben wir vielfach kein 6'; 8735 Caldeu
e paen; 8819 Gret«' e Persien; 8820 e li Egypcien; 8«21 e
Macedonien, 6222 /* mien etc., daneben 5889 les Macedoniens,
bSdl les Veniciens, ioS27 e co sin gei'ineins; (iS2S nerent pas vileius.
In der Endung -atici haben wir neben 8915 or cessent nos
daviages, 8916 les oliphans savages, auch 5485 li message.
Fast durchweg -ez haben wir in der Endung -ati: 961 ou U
sunt enveez, 964, 6138 sont bien apareillez, 982 e gisent . . .
najf'rez e ^^^a/g-s. 4984 sutnes cu exdlez, 4985 sumes chacez,
5525 estes acoragez usw., usw. Die Beispiele begegnen auf Schritt
und Tritt, auch laeti =zlez 5520,
Ebenso wird arii durch -ers wiedergegeben: 7233 e les penccls
entierSy 638 sen partent esquiers^ 6564 despensers, 6565 botillers.
-s im Pluralis finden wir auch in ses tresors 6912, pors
(porci) 6907 — Analog, s auch im Nom. Plur. : li oiseaus C, oisels
D, oisseus P 5245.
5. In den aus ursprünglicher dritter lateinischer Deklination
hervorgegangenen Wörtern haben wir auch Schwanken zu konstatieren,
•abiles wird zwar durch -ables wiedergegeben: 820 senechals honorables,
821 mestre conesiahles, 822 reisnahles; -ales >- aus: 9476 7nan-
gonaus, freilich daneben auch C D real 5368 (P verschrieben ?■«('/);
-antes dagegen meist als -ant: 430a vaillant, 437 auquant, 441
28 Heinrich Schneegans.
sergant, 4907, 6193 Peraant, 4908 Aufrikant, (>172 com chivaler
vaillant, 6185 eil espie trenchant, 6185b CP li hon brant, 6187
eil espc lusant, 6188 sergant, 6195 eil oliphant, daneben aber 59lit
Persans, 5920 Africans, auch Persiens und 5900 canes > chiens.
-eutes findet sich teils als ejii: 6376 si sunt tuit mi pareni,
6392 rompcnt li garnement, 6395 e li gue tut sanglent teils als
-enz 8143 e siblent cum serpenz^ 8145 ?ie suni tardifs nc lenz.
pares erscheint bei P 8630 als pers, bei D dagegen als pier.
6. Die Wörter auf -on haben im Nom. Plur. kein s\ nur 8203
jlamhoient eil tisons weicht von der Regel ab. Sonst haben wir 46
plusur baron, 5702, 9136 li baron, 5708 garcon, 5711 iel mit
compaignon, 6652 tuit si conipagnon, 6654 li comte e li baron,
9135 li grant dragon, 8919 iref e pavillon., 9151 grant furent
sis grenon, 9165 e li limacon, 6453 vokativisch oez baron. — Im
Nominativ Singularis schwankt es wieder zwischen Formen mit und
ohne s. So haben wir: ramj^ant cum dragon, 452 e issi un dragon,
7876, 9150 i^lus neir que charbon, 8638 le septentrion ; 8643 lur
son, 9164 lur semble bon pesson, aber 10107 orible est li sons,
108 feu flambe e charbons. 8191 dura li environs, 8204 e vole
li charbons, 606 le regne que iient ore philipons. Ebenso im
Femininum: 8197 pleine en est la sesons, 8200 de manger est
seisons, 8209 la disine lumeisons.
7. Die Formen auf -orem weisen mit der einzigen Ausnahme
von 9209: ne fut certes maiurs auf ble bezogen weder im Nom. Sing,
noch im Nom. Plur. s auf. So haben wir im Nom. Sing.: Inde maiur
4696, 6605 almazur, 6606 vavassur, 6779 7nult vus ert grant
honur, 7123 ovreur D gucrreur P, 7124 li duc e li contur, 7125
inlein ne laborur, diese drei Wörter mit dem Prädikat viengc, so
daß wir es sicher mit Sing, zu tun haben. Bei diesen Singularformcu
ist auch wolil zu beachten, daß die Obliquuäform durchgängig
nominativisch gebraucht wird: 4694 doi esire governur, 5591 si fu
bon plaidur, 6601 come nostre seignur, 6603 me semblez peur,
6609 mes ne seit pas menur, 10 576 liquels en ert seignur. Auch
im Pluralis haben wir Formen ohne -s: 7692 li seint e li autur,
7693 e li autre plusw\ 8183 coe dient li autur, 4675 ancessur,
bW^ p)oigneur, 8179 seigmir etc. Die Beispiele sind außerordentlich
zahlreich.
8. Nach dem s. II gesagtem (unbetonter Yokalismus) braucht
über die Femininbildung auf -e nichts mehr gesagt zu werden. Die
nasalen Formen bieten im Reim kein e. So haben wir im Reime:
429 ime feste grant, 8173 iine aventure grant 8761 vertuz est
gravt] daneben auch 7841 un isle mut vaillanz.
Rückblick.
Es erübrigt uns jetzt nur noch die Mundart unseres Textes zu
bestimmen. Die strenge Trennung von -en und -an Reimen, das
JJ'ie Spraclie des Ale.vanderromaus. '2\)
Durcheinandergeheu von -ain und -«?';?, das Erscheinen von e als ci
und ai mit dem Lautwert c;, ebenso wie die Behandlung des ai als
e, die Entwickelung locum, focinti, iocum > Heu, piu, fu mit dem
Lautwert v, die bei Angler auch: ferne reimt cf. Cloran p. 49, The
Dialogues of Gregory ihe Great^ die Wiedergabe von -orein und
■osum durch ~ -tir und -?<s, sowie die Reime jw\ demr, sur, sur
(sGCurum) mit -ur < orejn, endlich der Verfall der Deklination lassen
die Vermutung aufkommen, daß unser Text aus England stammt.
Der Umstand, daß der Verfasser den Fall des -c gar nicht und den
Schwund des e im Hiatus meist nicht kennt, ebenso e und ie im
Reime scheidet, können uns nicht an dieser Meinung irre werden
lassen. Haben wir doch viele anglonormaunische Texte, die der-
artige "Widersprüche aufweisen. Abgesehen von den älteren Texten
wie Ph, de Thaün, Brandan, Gaimar, Lois Guillaume finden wir im
Gedichte über den S. Thoraas von Cantcrbury (cf. Societü des Ajicieris
Textes ed. P. Meyer, p. XXIX) trotz sehr schlechter Beachtung der
Deklination und der charakteristischen anglonormannischen Eigen-
tümlichkeiten er =z eir, u (lat. u)-. ou (lat. o, *>), ci : cd sehr viele
Fälle, wo eü in ü übergeht, und dies obgleich der Text schon
vielleicht aus dem Anfang des 13. Jh. stammt (Paul Meyer setzt ihn
in die Zeit zwischen 1198/99 und 1220). Ebenso finden wir in
manchen anglonormannischen Texten, auch abgesehen von den älteren,
wie Ph. de Thaün (1113/19, 1125/35) Brandan 1125, Gaimar
(1147 — 1151) Trennung von e und ie. So namentlich im Adamspiel,
das der 2. Hälfte des 1 2. Jahrhunderts gehören dürfte und ie und e
durchaus trennt, aber auch bei Angier (Dialogues 1212, Vie de
St. Gregoire 1214) ist das Vorkommen der Trennung von e und ie
im Reim häufiger als die Vereinigung (cf. Romania XH, P. Meyer
p. 194 ,,Za proporiion des rimes regidieres d'e avec e et d'ie avec
ie est heaucoup plus eonsidSrable), auch Cloran 1. c. p. 41 sagt nur:
...,ze is sometimes reduced to e", gibt aber manche Fälle an, wo
es_nicht der Fall ist. Übrigens trennt auch Guillaume de Bernevillc,
dessen Saint Gilles nach 1158 fällt, meist noch ie und e (p. XXIX
Ed. Soc. d. anc. T. Gaston Paris: dans notre pohne, e et ie sont
Ie plus souvent distincts).
Diese Widersprüche zwingen uns freilich unsern Text in eine
frühere Zeit zu versetzen als P. Meyer p. 294 Alexandre Ie Grand
II es tat. 5). Es würde das Gedicht — wenn man nur nach diesen
sprachlichen Elementen urteilen dürfte — noch in die
2. Hälfte des 12. Jahrhunderts fallen und ungefähr mit dem Adam-
spiel gleichaltrig sein. Daß natürlich eine solche Datierung nur
•'') Toutefois, et sans enlrer dans tin examen de detail cßd, ici, ne serait pas
u so, place, je crois pouroir dire que la langue d'' Eustache, unt fois purgee des faules
introduites par les copisies, est encore trop voisine du jmr franqnis pour lUre piostcrkitre
au milieu d>t Xllß siede. Je a-ois dwic qu'Eustncke composoit sous Ie roi Jean
(1195 — 121G) ou plus probablemenl dans les premicres annces de Henri III[ 1210"— 1272).
30 Heinrich Schneeballs.
approximativ sein kann, versteht sich von selbst. Gehen doch gerade
hinsichtlich des e und ie die Texte sehr durcheinander. Bei Fantosmc,
der c. 1 174 fällt, haben wir bereits durchgängig e : ie, während Angier
(Anfang des 13. Jh.) noch hie und da trennt. Auch bezüglich
unseres Textes gilt das Wort G. Paris' p.XXXV seiner Vie de Saint Gilles
von Guillaume de Berneville: „iJanglonormcmd n'est pas wi cUalecte;
il 71 a Jamals ete quune maniere irnparfaite de parier Je francais''.
Wfrpv^BURG. Heinrich Schneegans.
x\iiiieri de Narboime und
die Heirat Andreas II. von Ungarn mit Beatrix').
Das französische National -Epos ist historisch d. h. es hat
historische Ereignisse zur Grundlage, die durch Einbildungskraft und
Tendenz umgestaltet wurden. Die einzelnen Epen stützen sich auf
Gesänge, die mit den Ereignissen gleichzeitig entstanden sind, hat
Gaston Paris behauptet. 2) und er definiert das Epos als eine poetische
Geschichte, die sich auf eine vorangehende nationale Poesie gründet.
Trotz der mannigfachen Umgestaltung, der Vermischung und Ver-
wirrung einzelner geschichtlicher Angaben in den Epen, können sehr
oft die Ereignisse bestimmt, geographische Benennimgon lokalisiert,
Personen identifiziert werden. Dieselben kann man weiterhin zur
Feststellung des Dichters und der Entstehungszeit der Dichtwerke
verwerten.
Die Wilhelmssage ist eine der beliebtesten dichterischen Stoffe
der altfranzösischen Literatur. Trotz der umfassenden wissenschaftlichen
Behandlung, welche dieser Sagenkreis erfahren hat, lassen sich noch
manche Beziehungen aufdecken, die unaufgeklärte Fragen zur Ent-
scheidung bringen können, „Aimeri de Narbonne'^ ist eine in späterer
Epoche entstandene Blüte dieses reichen Stammes, trotzdem wurde
seine Entstehungszeit nur annähernd innerhalb weiterer Grenzen an-
gegeben. Eine historische Persönlichkeit, auf die schon P. Paris
hinwies, soll im Folgenden den Anknüpfungspunkt bieten, um mit
der Hilfe anderweitiger geschichtlicher Angaben das Entstehungsjahr
dieser Dichtung genau festzustellen und unter das allgemein an-
genommene erste Viertel des dreizehnten Jahrhunderts herabzurücken.
Bertrand de Bar-sur-Aube, der Dichter des Aimeri, ist eine
wenig bekannte Persönlichkeit. Er wurde wahrscheinlich unter Philipp
August geboren 3) (1180— 1190); sein Todesjahr ist unbekannt. Die
^) Benutzte Literatur: Paris, G. La litterature franraise
au moyen äge 1890. Aymeri de Narbonne, publie par L. Demaison.
Szalay L. Geschichte Ungarns IB. Nydri A. Königin Beatrix, die
Gemahlin Andreas II. fSzäzadok, November 1868).
^) G. Paris, I.n UUerature franqaist au moyen äge. Paris, 1800. S. 33.
3) Tarbe setzt 1190 an.
32 L. Karl
ältesten Handschriften des Aimerl stammen aus der Mitte des IS.
Jahrhunderts. •!) Bertrands dichterische Tätigkeit fällt somit in die
erste Hälfte des Jahrhunderts. Ein Unbekannter schrieb eine An-
merkung auf eine Hs. von Carpentras, wonach IJcuve d'Hantonc, ein
zweites Werk Bertrands, unter Ludwig d. J. 1130— 1140 entstanden
wäre, und der Dichter am Hofe des Grafen von Champagne, Ludwig;
d. Dicken, (1152—1181) gelebt hätte. Diese Hypothese aus den.
17. Jh. blieb unbegründet und ist unannehmbar. Über 1205 kauii
Aimeri de Narhonne nicht hinaufgerückt werden, darauf weist schoj.
die Regierungszeit des Königs Andreas H. von Ungarn, (Andreus de
Hongrie). Die Geschichte dieses Königs zwingt auch zur Annahme,
daß das Gedicht erst nach 1225 entstanden ist, und Bertrand de
Bar-sur-Aube noch im dritten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts dich-
terisch tätig war.
P. Paris hatte schon festgestellt, daß Andreas der zweite und
und nicht der erste dieses Namens im Gedicht gemeint ist, w"eii
Andreas I. im 11. Jh. (1047 — 1061) regierte und der Zeit de-
Dichters zu weit entrückt ist, während Andreas II. in dieselbe fällt
(1205 — 1235), Die Ereignisse seiner Regierung, seine Beziehuuger.
zu fremden Höfen und fürstlichen Familien machen diese Annahme
noch wahrscheinlicher.
In Aimeri wird der Herzog Ace von Venedig (Aces c'a Venice ei.
baillie) als Bewerber um die Hand der Hermengarde erwähnt. Unter
den Dogen von Venedig gibt es keinen, der diesen Namen fiihrt.
Der Dichter dachte wahrscheinlich an Azzon VII. 5), Marquis von
Este und Herzog von Ferrara, dessen Nichte Beatrix mit dem König
Andreas IL von Ungarn im Jahre 1234 verheiratet wurde. Die
Geschichte dieses Königs und seiner dritten Gemahlin können mit
Aimeris Heirat in nähere Beziehung gebracht werden und einen weiteren
Beweis dafür liefern, daß der Dichter beständig wirkliche Ereignisse
vor Augen hatte.
Andreas IL wurde 1173 geboren. Sein Vater, Albert III.
(1173 — 1196), hinterließ ihm eine beträchtliche Summe, damit er
einen Kreuzzug ins heilige Land unternehme. Aber Andreas hat
das Geld verschwendet, um gegen seinen Bruder, den König Heinrich
(1190 — 1204), Unruhen zu stiften. Der Gesandte des Papstes Konrad,
Bischof von Mainz, versöhnte die feindlichen Brüder, aber nach einem
wiederholten Aufstand ließ Heinrich seinen Bruder einkerkern. Trotz-
dem ernannte er ihn zum Vormund seines Sohnes Ladislaus III.
Nach dem Tode Heinrichs mußte dessen Witwe mit ihrem Sohne
vor dem Vormund flüchten. Der frühe Tod des Thronfolgers lieF
Andreas IL am 29. Mai 1205 den Thron besteigen.
^) 2 Hs, im British Museum und eine Hs. in der Bibliotheque nationale
(fr. 1448 p. in fo,); die übrigen zwei sind aus dem 14. Jh.
■') Demaison sagt irrtümlich Azzon VI. (1196 — 1212).
Aimeri de JSarhonne. 33
Damals war er sclion mit Gertrud, der Tochter des Herzogs
von Meran, verheiratet, deren Einfluß auf die Regierung des schwachen
Königs unheilbringend war. Als der König in Gahcien weilte, wo
er die Macht seines Hauses ausbreiten wollte, ermordeten die un-
zufriedenen Adeliaen die Königin. Nach seiner Rückkehr bestrafte
der König die' Mörder. Dieses Ereignis wurde nicht nur in der
?ingarischen Dichtung, sondern auch in der deutschen und französischen
Literatur behandelt.
Im Jahre 1212 kamen die Boten des Landgrafen Herrmann
von Thüringen, um Elisabeth, Andreas' Tochter, abzuholen, da sie mit
Ludwig, dem minderjährigen Sohn Herrmanns, verlobt war. Sie wurde
wegen ihrer Milde in der Dichtkunst gefeiert und durch die Kirche
geheiligt. So kam der König auch durch seine Tochter mit dem
Ausland in Berührung, wozu seine zweite Heirat eine weitere Gelegenheit
bot. Er blieb nicht lange Witwer. Im Jahre 1216 heiratete er Jeanne
de Courtenay, die Tochter des Grafen Peter von Auxerre, der mit dem
französischen König Philipp August und mit dem Kaiser von Kon-
stantinopel, Heinrich, verwandt war.
1217 unternahm Andreas eine Kreuzfahrt mit dem Herzog von
Österreich, Leopold. Schon im folgenden Jahre kehrte er zurück,
nachdem er den Berg Tabor erlolglos belagert hatte und nach Tyrus
und Tripolis gezogen war. In Ortnit und Wolfdietrich findet sich
eine Anspielung auf jene Belagerung und läßt vermuten, wie allgemein
bekannt Andreas' Taten waren. Nachdem er im Kriege wenig Glück
gehabt hatte, trachtete er durch die Heirat seiner Söhne seine Macht
zu stärken. Er liebte auch Ruhm und glänzende Festlichkeiten.
Nachdem 1233 seine zweite Frau gestorben war, scheute er vor
einer dritten Heirat nicht zurück. Dazu bot folgendes Unternehmen
Gelegenheit:
Während seiner Kreuzfahrt bedrohte ihn ein Sturm auf der
See. Im Traume erschien ihm die Gestalt eines ungarischen jMiirtyrers,
des heihgen Gerhart, Bischof von Csanad, und befahl ihm die Gabe
von 30 Mark zu erneuern, die der heilige Stephan für die Sankt
Peters-Kirche zu Ravenna stiftete. Er unternahm jetzt diese Pilger-
fahrt, die nur in italienischen Chroniken erwähnt ist.^') Innere Un-
ruhen hatten ihn früher daran gehindert. Bei der Rückfahrt wollte
er den Markgrafen von Este, Azzo VII., in Ferrara besuchen, da er
mit ihm von mütterlicher Seite verwandt war, und ritt zu Pferd von
Stadt zu Stadt gegen Venedig hin. Er wurde überall fürstlich
empfangen, und seine Seele fand darin Trost. Ein junges Weib, das
er am Hofe Azzos sah, half ihm noch mehr den Schmerz, den der
Tod seiner zweiten Frau verursachte, zu überwinden.
Am Hofe lebte als einzige Prinzessin Beatrix, die Tochter
Aldobrand I., der Azzos Stiefbruder war. Sie hatte ihre Mutter früh
8) Leonicono: Tstorla Atestino, IIs. in der Bibl. zu Modcna.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI'.
34 L. Karl
verloren; ihr Vater wurde 1215 vergiftet. Mit drei Jahren kam sie
unter die Vormundschaft ihrer Stiefgroßmutter Alizia und Azzos VII.
Sie verbrachte traurige Kiiiderjahre, da sie außer ihrer Tante, der
lieil. Beatrix L, keinen Vertrauten hatte. Ihre Tante war Nonne, und
sie soll ebenfalls für das Kloster bestimmt gewesen sein. Ihre Schönheit
war zu jener Zeit weltbekannt. Der Troubadour Peguilain Amerigo
saug von ihren blauen Augen und goldenen Locken 7). Ihren reichen
Haarschmuck erwähnt auch Ariost'^). Trotz ihrer vornehmen Ab-
stammung und ihrer Schönheit war Beatrix noch unverheiratet. Die
politischen Ränke des Onkels hinderten ihre Verheiratung. Azzo hatte
nur drei Töchter und keinen Thronfolger. Seine Schwester Beatrix I.
und seine Nichte hatten Anspruch auf seinen Thron. Darum schickte
er seine Schwester ins Kloster und hatte dieselbe Absicht mit der
Nichte, an deren Widerstand und Zögern die Ausführung seines
Willens scheiterte.
Andreas II. fand nur Beatrix am Hofe, da des Markgrafen jüngste
Tochter im Kloster zu Pompone erzogen wurde, und die beiden älteren
verheiratet waren. Beatrix war die Palastdame im Schlosse und der
Mundschenk des vornehmen Gastes laut dem Wunsche ihres Onkels^).
Der leichtfertige König war bald in bester Stimmung und verliebte
sich in das schöne Mädchen. Er hielt um ihre Hand an und wollte
sie glücklich machen, da sie wegen ihrer Schönheit und ihres Namens
verdiene durch einen König glücklich zu werden ^o). Azzo gab
seine Einwilligung unter dem Einfluß der politischen Lage. Der
Kaiser Friedrich II. war gegen ihn feindselig gestimmt, nud er erhoffte
Unterstützung vom Ansehen des ungarischen Königs. Anderseits sah
er in dieser Heirat keine Gefahr für seine Erben. Andreas war damals
sechzig Jahre alt, und aus dieser Heirat w^aren keine Kinder zu er-
warten. Azzo nützte sogar den Leichtsinn des Königs aus. Die
Einwilligung als Famiiienhaupt hatte er unter dem Vorwande, daß
er die Angelegenheiten der Beatrix ordne, so lange verzögert, bis
Andreas den Besitzungen seiner Braut entsagte, indem er sie sogar
bewog, dieselben an Azzo abzutreten. In der Gegenwart des Bischofs
von Ferrara, Roland, wurde die Verlobung gefeiert, wonach Andreas
in sein Land zurückkehrte.
Die Hochzeit wurde ein Jahr hindurch verzögert. Welche
Hindernisse dazwischen traten, ist bisher unbekannt. Die ungarische
•) Im Kodex, welchen der Herzog von Modena, Franz V., mit sich
nahm. Die Lieder sind auch bei A. Fizzi: Memoria Per la Storia dU Ferrara
orwähut.
^) Ariosto: Orlando Furioso Cauto 1:5. stanz. 64.
^) Leonicono: I. a. „// quaU per fargli honore volle che Beatrice^ sua
Nipole di raru Belta, a Tavola lo servisse per Coplera.
^"j Ebd. Dicendo poiche porfava il nomo di Beatrice, volerla far beata,
perche un si hello aspelto, con si chiaro nome d'allri feci moglie che d'un Re non
meritava.
Aimeti de Narhonnc. 35
Gesandtschaft kam erst 1234 um die Braut abzuholen. Nach einigen
Tagen traten sie den Rückweg an von Azzo mit 200 Reitern, den
Adeligen von Treviso, Padua und Mantua begleitet. Die Fahrt glich
einem Triumphzug; in Treviso wurden sogar Volksfeste gefeiert.
Sonntag den L4. Juni fand in Stuhlweißenburg (Ungarn) die Hochzeit
statt. Der Bischof von Mantua, Guido, vollzog die Trauung.
Der Name Andreas II. war seinen Zeitgenossen allgemein bekannt.
Seine Pilgerfahrt nach Italien und seine Werbung um die Hand der
Beatrix wurden von italienischen Chronisten mit allen Einzelheiten
erzählt. Die Schönheit seiner Braut fand sogar dichterische Würdigung.
Man kann mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit vermuten,
daß alle diese Tatsachen dem Dichter des Aimeri^ Bertrand de Bar-
sur-Aube, auch bekannt waren und er aus diesem Grunde den Namen
Andreas II. in seinem Gedichte angeführt hat. Die ersten zwei
Heiraten des ungarischen Königs hatten nichts ungewöhnliches an
sich. Aber nicht nur die Art des Zustandekommens dieser dritten
Heirat, sondern auch die späteren Schicksale der einst so gefeierten
schönen Königin waren geeignet, die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen
auf sich zu lenken.
Das Familienglüek des Königs wurde bald von mehreren Seiten
her gestört. Herzog Friedrich von Österreich stiftete eine Verschwörung,
wobei er auf die Unterstützung des Kaisers Friedrich II. hoffte. Der
Geldmangel machte sich beim König fühlbar. Dann war auch das
Land mit seiner dritten Heirat unzufrieden. Selbst seine Söhne Albert
und Koloman waren dagegen, und Alberts Gemahlin, die Griechin
Marie, war gegen Beatrix feindselig gestimmt. Die Königin wurde
sogar verleumdet, daß sie mit Palatin Dionys ein Verhältnis uuter-
halte.ii) Andreas starb Ende September 12,35, nachdem er IG Monate
mit Beatrix verheiratet war, und hinterließ sie ein Opfer ihren Feinden.
Die Königin war schwanger, und Albert entfernte sie nicht vom Hofe,
wie er früher beabsichtigte, sondern ließ sie bewachen. Die Gesandten
Friedrichs II. und Philipp, der Leibarzt des verstorbenen Königs,
hielten zu ihr, die in Manneskleidern flüchtete.
Zuerst hielt sich Beatrix in Kolmar auf, dann in Verda, auf
dem Gute Hermanns und an dem Wallfahrtsorte der heiligen Elisabeth,
wo Stephan, der „Nachgeborene", zur Welt kam. Schließlich kehrte
sie nach Italien zurück, von zwei Dienern begleitet und das neugeborene
Kind in einem Korbe mit sich führend. '2) So erreichte sie die
Heimat, woher sie vor kurzem im Triumphzug ausgezogen war. Im
August 1236 kam sie in Verona an. Sie täuschte sich in ihrem
Onkel, der seinem Geize freien Lauf ließ. In Verona war sie als
1') Mon. Eist. Ad. Proc, Parmensem et Placentinam 2>ertineniia: „Secundo,
quia imposuerunt ei quod ex Dionysio quodani concej>erat.^
^-) Gaspars Sardi: Bozze . . . „Et cosi accompcujiuda de dtii serve a cavallo
porto seco il hambino in iina cesla.''^
36 J.. Karl.
Gast eines väteilichen Freundes, aber vor dem Zwist der Montecchi
und Capuletti, vielleicht in Angst vor der nahen Belagerung, floh sie
nach Este. Sie wollte die Ansprüche ihres Sohnes auf die ungarische
Krone geltend machen, aber Albert IV. erklärte denselben für einen
ßastard. Beatrix vertraute ihre Angelegenheit der Republik Venedig
an, die damals Zara belagerte. Trotz der Einnahme der Stadt,
vcr&()hnt sich der Doge Jakob Tiepoli durch seine Gesandten Peter
Dandolo und Stephan Giustiniani mit dem König von Ungarn, der
damals in Dalmatien weilte, und laut dem Frieden, der am 6. August
1245 geschlossen wurde, nimmt er Beatrix nicht mehr in seinen Schutz.
Beatrix war nun gebrochen, zum weiteren Kampfe fehlte es ihr
an Energie und Unterstützung, Ihren Sohn schickte sie an den Hof
Azzos VII, und verlobte ihn mit der Tochter Peters II. aus der an-
gesehenen Familie Traversari. Sie zog sich in ein Kloster bei Este
zurück und allem weltlichen Ruhme entsagend suchte sie ihr Heil im
Glauben. 13) Sie starb in demselben Jahre, und das Volk bewahrte
in seiner Erinnerung das Andenken der Schwester von Geraula,
Wenn auch das tragische Ende der Königin Beatrix dem Dichter
Bertrand de Bar-sur-Aube unbekannt bheb, so kann er doch von ihrer
Hochzeit mit Andreas II, vo»* der Abfassung Aimeris gehört haben.
Es liegt die Annahme sehr nahe, daß er unter diesem Einflüsse den
König Andreas II. unter den Freiern der fabelhaften Prinzessin Hermen-
garde auftreten ließ. Der König erhielt zwar die Hand der Beatrix,
während in Aimeri Andreas II. zurückgewiesen wird: dies ließe sich
indessen durch die freie dichterische Umgestaltung erklären und findet
liberdieß in den Ereignissen seine Erklärung. Ein Jahr verfloß bis
Beatrix heimgeführt wurde, und diese Verzögerung der Hochzeit konnte
in den Augen der erst spät oder schlecht unterrichteten Zeitgenossen
als eine Zurückweisung erscheinen.
Der Name Andreas II. wurde um diese Zeit durch die Heirat
seiner Tochter auch in Frankreich bekannter. Vor seinem Tode ver-
lobte er seine Tochter, die von Jeanne de Courtenay, seiner zweiten
Gemahlin, stammte, mit dem König von Aragon, Jakob I. Die Hochzeit
wurde am 9, September 1235 in Barcelona gefeiert und dabei große
Pracht und Reichtum entfaltet. Die zweite Heirat des Königs mit
der französischen Prinzessin erregte wenig Aufsehen, und erst 43 Jahre
alt konnte er nicht als alter Freier vor der Seele des Dichters stehen.
Der alte König, der um ein junges Mädchen wirbt, ist Andreas vor
seiner dritten Heirat. Daß der Dichter unter so vielen ähnflchen
Ereignissen eben auf dieses eine angespielt habe, das könnte die Heirat
seiner Tochter als noch wahrscheinlicher erscheinen lassen, wenn wir
die Abfassungszeit seines Epos nach 1235 setzen. Doch würden
hiergegen vielleicht andere Gründe sprechen, weshalb wir aimehmen.
'•*) Thesaur, Ant. et üist. llal.: „Cateruin cum Beatrix esset nnimo suhlimi et
uollet ulli vivo inferiore tanlo Eege nuhere: nttpsit Christo, omnium Eegum Domino.'^
Aimeri de Narhonne. 37
daß die Heirat des Königs allein gentigte, um seine Gestalt in der
Erinnerung des Dichters zu wecken.
Es gibt noch andere Züge, die darauf hindeuten, daß der Dichter
Vorgänge und Personen, die mit König Andreas II. in Beziehung
.standen, vor Augen hielt. Aimeri wirbt um Hermengarde, und unter
den zurückgewiesenen Freiern werden Andreas und Azzo erwähnt.
Azzo wurde somit im Gedicht zum Freier, und an seine Stelle tritt
der König Bouifacius, der seine Schwester Hermengarde an Aimeri
verheiratet. Man könnte aber versucht sein Azzos VII. geizigen
Charakter in Bonifacius zu erkennen, wenn Hermengarde ihm sagt,
daß er keinen reichen Mann und keinen Reichtum suche, da er selbst
so schon reich genug sei. Der Name Azzos unter den Freiern drang
wahrscheinlich durch die Beziehungen Azzos VII. zu König Andreas II.
in das Gedicht, und sein Charakter blieb in Bonifacius, dem Bruder
und Vormund der Hermengarde, erhalten.
Die Erwähnung des Königs Andreas scheint auch nicht will-
kürlich zu sein, sondern bezieht sich auf Andreas II. in einer bestimmten
Periode seines Lebens. Sein Äußeres durch Hermengarde charakterisiert
hat nichts individuelles, und die Beschreibung ist tj'pisch, wie sie sehr
oft im französischen Epos zu finden ist. Er hat einen weißen Bart
(.^la harhe florie'') und eine blasse Gesichtsfarbe (,J.a cJiar blesmie"),
was doch von seinem Alter zeugt und somit einen weiteren Beweis dafür
liefert, daß der Dichter nur den alten König als Freier kannte.
Wenn wir annehmen, daß Bertrand zeitgenössisclie Ereignisse
vor Augen hatte, die er zwar willkürlich in Verbindung brachte, aber
ohne mit den allgemeinen Anschauungen seiner Zeitgenossen in Wider-
spruch zu geraten, so müßen wir in der Erwähnung Andreas II.
verbunden mit der Heirat Aimeris eine Anspielung auf die Brautschau
des ungarischen Königs in Italien sehen. Da letzterer seine Fahrt
nach Ravenna und von dort nach Ferrara erst 1233 unternahm, so
kann entweder das Gedicht erst nach diesem Jahre entstanden oder
diese Anspielung erst in diesem Jahre bei einer endgültigen Redaktion
hineingeflochten sein. Die Erwähnung anderer Epen, die mit Aimeri
in irgendwelchem Zusammenhange stehen, steht dieser Annahme nicht
im Wege. „Si^ge de Narhonne" wird unter anderen erwähnt; daß
„Gautier de Toulouse'''' nicht vorkommt, würde als negativer Beweis
nicht schwer wiegen. Die allgemeine Ansicht der Literarhistorikei',
wonach Aimeri im ersten Viertel des Jahrhunderts entstanden wäre,
müßte hiernach berichtigt '^j und des Verfassers dichterische Tätigkeit
über das Jahr 1225 hinaus angenommen werden.
Wann das Gedicht nach 1233 verfaßt wurde, läßt sich nicht
genau bestimmen. Andreas II. ist nach der epischen Anschauung noch
am Leben, und da er 1235 starb, so wäre die Abfassungszeit vor
'«) Demaison: 1200— 1225. Petit de Julleville: 1210—1220. Gastoii
Paris: 1210—1220. (Erstes Drittel des 13. Jahrhunderts;.
38 L. Karl.
1235 anzusetzen. Weil ci- als zurückgewiesener Freier erscheint,
könnte man das Jahr 1 203/1 234 annelimen, hevor die vollzogene
Hochzeit ein ähnliches Gerücht widerlegte. Anderthalb Jahrzehnte
verflossen bis zur Entstehung der ältesten uns erhaltenen Handschriften,
denen zwei frühere Redaktionen zu Grunde lagen. Dieser Zeitraum
würde für dieselben genügen und mit den gezogenen Folgerungen nicht
in Widerspruch stehen. Die geschichtliche Überlieferung würde, die
Richtigkeit unserer Annahme vorausgesetzt, nicht nur die Entstehungs-
/.eit des Epos bestimmen, sondern auch auf die gestaltende Tätigkeit
des mittelalterlichen Dichters Licht werfen, der in seiner Seele immer
Dichtung mit Wahrheit verschmolz!
GyöR (Ungarn) L. Karl.
Die Cent Nouvelles Nouvelles.
IL Kapitel,
Die Technik der Cent NouvelleH Nouvelles.
A. Stil.
Vorbemerkung.
Die KenntDis des uns nicht erhaltenen Originalmanuskriptes der
O. N. N. wäre für eine stilistische Untersuchung, wie ich sie im
folgenden versuchen will, sicherlich wünschenswert. Immerhin halte ich
es für möglich, auf Grund der von Wright nach dem einzigen uns
bekannten Glasgower Manuskript besorgten Ausgabe genügend sichere
Ilesultate erzielen zu können. Es handelt sich darum, das Wesen
dieses Stils zu erkennen, zu sehen, welche Ausdrucksmittel einem
Schwankerzähler dieser Zeit zur Verfügung standen. Das Wesen
eines Stiles aber, d. h. jener sichtbare Ausdruck der geistigen und
seelischen Verfassung eines Schriftstellers, jener Niederschlag seiner
besonderen kün&tlerischen Begabung, jene Einheit, die sich durch ein
ganzes Werk hindurchzieht, bleibt diesem Werk auch dann noch
bewahrt, wenn Abschreiber oder Drucker seinen ursprünglichen Wort-
laut nicht mit voller Treue erhalten haben.
1. Das Humoristische.
Die C. N. y. sind eine Sammlung von Humoresken. Man
kann diesen modern klingenden Ausdruck ohne Weiteres auf sie an-
wenden. Unter Humoreske versteht man eine Erzählung, die nicht
nur einen humoristischen Fall behandelt, sondern ihn auch humoristisch
darstellt. Der Erzähler einer Humoreske bat das Bestreben, wo es
angängig ist, seiner ganzen Erzählungsweise eine humoristische Färbung
zu geben. So häufig wie möglich sucht er Heiterkeit, Lachen oder
Lächeln zu erwecken. Um jeden Preis sucht er mit allen ihm zur
Verfügung stehenden Mitteln des Witzes und Humors komische
Wirkungen zu erzielen. Komik im Großen und in den Details
gehört zum Wesen der Humoreske.
So betrachtet sind die C N. N. etwas ganz Neues. Vor ihnen
ist weder in Frankreich noch in Italien das Genre der Humoreske
so konsequent ausgebildet worden.
40 Waliher Küchler.
Die Fabliaux waren keine Vershumoresken. Sie soiltcu aller-
tlings das Gelächter der Zuhörer erregen. Das wurde erreicht durch
die Zote und die Enormität der vorgetragenen Situation. Hier und
da findet sich in ihnen ein komisch wirkender Schlager, aber es
mangelt ihnen der beständige humoristische Ton. Den grobkörnigen,
derben Fabliauxerfindern und Erzählern war das Verständnis für das
Schniuckhafte und Pikaut-Reizvolle des humoristischen Details fremd,
wie ihnen überhaupt die Einsicht in das innere Getüge der Erzählung,
der Sinn für die verweilende, ausmalende Einzelheit abging. Wo
liier und da komische Situationen sich finden, da nutzen die Fabliaux-
dichter sie nicht aus; sie stolpern über sie hinweg oder sehen durch
sie hindurch auf das Ende mit seiner billigen AUerweltsweisheit und
Moral. Die Fabliaux verkörpern, wie man nicht mit Unrecht gesagt
hat, den esprit gaulois. Das ist ein Geist gröbster und genügsamster
Art, der seine Befriedigung im wesentlichen in der derben Zote und
in der brutalen Schadenfreude findet. Gerade in diesem Hinzielen
auf das schadenfrohe Gelächter liegt ein psychologisches Moment für
die Entstehung und Verbreitung der Fabliaux. Humoristisch ist
dieses Element nicht. Auf die Masse der Fabliaux ist Bediers
Äußerung durchaus anwendbar: „Xßs sources du comique y sont
superficielles, le rire y est singulwrement facUe.'''' ^)
Auch die Novelle des Boccaccio ist nicht im eigentlichen
Sinne humoristisch. Die erzählten Begebenheiten sind häufig nicht
komischer Art. Boccaccio berichtet mit Vorliebe von Liebenden, die
durch allerlei Fährnisse und Widerwärtigkeiten hindurch müssen, bis
zuletzt sich das Geschick zum Guten wendet oder dennoch ihnen
gar ein unglückliches Ende bringt. Oder er berichtet von wunder-
baren Ereignissen, von demütiger Liebe gegenüber grausamer Peinigung,
von belohnter Gastfreundschaft, von verfolgter Unschuld, die zuletzt;
doch zu Ehren gelangt, von betrogener Liebe, von Irrtum und Zweifel
und Drangsal. Das Schwankmässige überwiegt nicht. Ein Tag ist
ausschließlich dem Vortrag von Bon-Mots gewidmet, aber auch diese
Erzählungen sind im Ton nicht humoristisch.
Der Humor mangelt Boccaccio nicht, aber er bedient sich seiner
nicht als Stilmittel. Die Erzählungskunst Boccaccios entbehrt dieses
Reizmittel gerne. Was den Italiener zu dem großen Erzähler macht,
ist die graziöse Schmiegsamkeit, der gleichmäßig ruhig dahinziehende,
klare Fluß der Sprache. Sicherheit ohne Anstrengung, Reichtum
ohne Vergeudung, Lässigkeit ohne Schwäche, kunstvolle Linienver-
schlingung ohne Verwirrung zu erzeugen sind Vorzüge von Boccaccios
Kunst. Komik und humoristischer Ton als beständiges Stil- und
Stimmungsraittel fehlen ihr.
Der am stärksten humoristisch veranlagte unter den älteren
italienischen Novellisten ist Sacchetti. Ihn hat der Erzähler der
i; Les FaUiuux p. 274.
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 41
C. N. N. natürlich nicht gekannt. Auf italienischen Einfluß kann
man seine humoristische Art nicht zurückführen, sie ist im Gegenteil
Sache der persönlichen Veranlagung und des Willens. Sicher ist er
auch heimischen Einflüssen unterworfen ; das komische Element ist ja
stark in der französischen Literatur dos XV. Jahrhunderts vertreten.
In den Farcen, besonders im Patheien, in den Quinze Joyes de
Mariage, im Evangile des QuenouiUes, in den Gedichten FranQois
Villons, in den Arrests d'Amours des Martial d'Auvergne sind die
verschiedenen Schattierungen von Witz, Komik und Humor vorhanden,
aber in ihrer Eigenart als kurze humoristische Erzählungen nehmen
die C. N. N. einen selbständigen Platz ein.
Eine große Anzahl von Mitteln steht dem Verfasser zur Ver-
fügung seinen Stil humoristisch zu gestalten. Wir wollen versuchen
das Ganze dieses humoristischen Stils in soine verschiedenen Bestand-
teile aufzulösen.
Verhältnismäßig kurz können wir über den komischen Inhalt
der Erzählungen hinweggehen, über die in den Novellen enthaltenen
komischon Motive. Die Quellen des Komischen entströmen für die
C. N. N'. aus denselben Gründen, aus denen sich die mittelalterliche
Novellenliteratur überhaupt nährt. Die komischen Verwicklungen
und Situationen, die sich dem Verfasser für seine Darstellung bieten,
stammen in ihrer großen Mehrzahl aus der allgemeinen Tradition.
Wir kennen sie aus den Fabliaux, aus Poggio, aus so manchen Episoden
älterer Romane; sie können nicht als Zeugnis für die besondere Art
seiner humoristischen Veranlagung gelten. Es ist auch schwer zu
bestimmen, was an solchen Situationen und Motiven, die sich nicht
aus der Tradition nachweisen lassen, sein Eigentum ist. Man möchte
im Vertrauen auf soine starke humoristische Begabung geneigt sein
dem Autor eine Reihe von Erfindungen komischer Situationen zuzu-
weisen, wenn nicht dennoch manche Gründe dafür sprächen eine
Entlehnung aus Vorlagen, wenn auch nur mündlicher Art, anzunehmen.
Hier wo uns nicht die Probleme der Entlehnung des stot^'lichen
Materials, sondern die Behandlung und Verarbeitung dieses Materials
angeht, können wir nur feststellen, daß der Verfasser in den ihm
bekannten komischen Motiven die entwicklungsfähigen Keime und
Möglichkeiten erfaßt und seinen humoristischen Sinn in der Ausarbei-
tung und Entwicklung der Einzelheiten bewährt hat. Wenn wir z, B.
die Fassung von Fabliaux mit der seiuigen vergleichen, so finden wir
fast stets eine viel stärkere Herausarbeitung des Komischen. Wenn
wohl auch ein gewisser Teil dieser Verbesserung auf Rechnung der
unbekannten Kollektivarbeit all der Erzähler zu setzen ist, die im
Laufe der Zeit das alte Motiv weiter geführt haben, bis es zuletzt
in den Bereich unseres Erzählers gelangte, so wird man doch in
manchen Fällen mit annähernder Bestimmtheit sagen können, dies
und dies ist Eigentum des Verfassers der C. K. N.
42 WalÜier Küchler.
Am sichersten ist sein Eigeiituni bei den Novellen, die sich
direkt aus Facecien Poggios ableiten, zu bestimmen. So etwa in der
12. Novelle, die aus einem kurzen Augenblick bei Poggio eine mit
einer Menge von komischen Details ausge'^tattetc Handlung niocht.
Ebenso bat er in Novelle 17 eine Facecie Poggios durch Erfnidung
einer komischen Situation bis zur Unkenntlichkeit vevändort.
In seinen Mitteln der Erzielung komischer Wirkung, soweit es
sich um die Darstellung von Situationen, um ihre komische Ver-
wicklung und komische Auflösung handelt, ist der Verfasser skrupellos.
Er steht da vollkommen in der Tradition; der mittelalterliche Schwank-
erzähler setzt sich unbekümmert über jede Forderung innerer Wahr-
scheinlichkeit hinweg. E^s ist ganz unnötig Worte über diese Tatsache
zu verlieren. Hier und da kommt es allerdings vor, daß sich der
Verfasser Mühe gibt die Verwicklung möglich erscheineu zu lassen,
so in der Erzählung von den vertauschten Ehepaaren (53), aber des-
wegen erscheint uns der sonderbare Fall nicht glaubhafter. Von
vornherein übrigens besteht ein stillschweigendes Übereinkommen
zwischen Erzähler und Publikum beiderseits über die Anforderung
von W^ahrscheinlichkeit hinwegsehen zu wollen. In den meisten Fällen
wird die Komik nur möglich durch gänzhches Verziclitleistcn auf
Wahrscheinlichkeit.
Auch was die Derbheit der Darstellung angeht, entfernt sich
der Verfasser der C. N. N. nicht von dem allgemeinen Gebrauch.
Eine Komik, die in erster Linie auf einer lächerlichen Verzerrung des
Geschlechtlichen beruht, kann der derben Behandlungsmittol nicht ent-
behren. Wir sehen nicht, daß der Verfasser in dieser Beziehung auf
neuen Bahnen schreitet, oder doch nur ganz selten und da wahr-
scheinlich unbewußt. Im Gegenteil, oft genug sehen wir ihn das
übernommene Motiv noch vergröbern und mit einem rohen Behagen
tiefer in den Schlamm des Gemeinen hinabsteigen.
Unter den mannigfachen derbkomischen EÜVktmittoln, die wir
hier nicht alle anzuführen brauchen, weil sie für Sammlung und
Verfasser nichts eigentümlich- Wesentliches bedeuten, möchte ich doch
zwei herausgreifen, von denen das eine mit einer konsequenten
Häufigkeit auftritt, das andere eine bestimmte Nuance von Komik
darstellt.
Das erste Darstelhmgsmittel derbkomischer Art ist die Zeichnung-
erregter ehelicher Konflikte, die sich in gegenseitigem Schelten und
Prügeln der Gatten äußern; das zweite ist die Steigerung des Komischen
in das Ungeheuerlich-Groteske. Das erstere Verfahren stellt ein
recht rohes Genre von Komik dar, ein Genre, das aber seine Wirkung
auf ein anspruchsloses Publikum, das von jeher seine Freude au
solchen Streitszenen gehabt hat, nicht verfehlt. Es ist schon in den
Fabliaux vorhanden, wurde dann mit besonderer Vorliebe in den
Farcen verwendet und findet sich auch in späterer Zeit häufig genug
in volkstümlichen Kasparstücken und Hanswurstiaden.
Die Cent NouccUes NouveUa^. \.\
Eine solche Priigelszeno zAvischen einer trotzigen Frau, die ihrem
Manne nicht gehorchen will und ihm außerdem noch höhnische
Antwort gibt, bringt z. B. Novelle 97. Die ganze Erzählung ist
eigentlich nichts anderes als eine auf Zank, Verwünschungen und
Prügel aufgebaute Farce. Die Frau trägt den allegorischen Namen
.Pou Paisibh'*^ einen Namen, der aus einer Moralität stammen
könnte. Es finden sich ja possenhafte Szenen in ernsten Moralitäten.
Es ist gar nicht so unmöglich, daß diese ganz und gar farcenmäßig
angelegte Erzählung mit ihrem Schelten und Prügeln die Nachahmung
einer verlorenen Farce darstellt. Mit außerordentlichem Geschick
ist die Komik der Situation ausgeschöpft. Wirksam ist der Kontrast
des anfangs ruhigen Mannes mit der kampfbereiten Gattin, die den
aus dem Wirtshaus heimkehrenden empfängt, gcschilderi, dann der
Wortwechsel anläßlich eines überkochenden Topfes, die Weigerung
der Gattin den Topf vom Feuer zu entfernen, ihre höhnische Ent-
gegnung, die Prügel, die sie empfängt, ihr Geschrei, die herbeieilende
Nachbarschaft,
Eine eheliche Zankszene von großer Drastik steht in Novelle .54.
Der Gatte kehrt unvermutet zurück und findet die Situation im Hause
derart, daß die Untreue seiner Frau offenbar wird. Er schimpft sie
^Paillarde nieschante'\ er hebt die Bettdecke auf, und es scheint ihm
(jue /e.s pourceaux y ayent couchie. Die schamlose Gattin entgegnet
ihm mit ^^meschant yvroigne, fault-il que je compare le trop de vin
que vosfre (Jorge a entonnS? . . . Et ne sfay qui nie tient que je
fie me leve et vous egratigne le visage par teile fassoyi que toiisjour.*
mes aurez memoire de m^avoir sans cause villennh."
Von besonderer Komik ist die Schlußszene in der ersten Novelle.
Die ungetreue Gattin empfängt den heimkehrenden Gatten mit ver-
stelltem Zorn und bearbeitet mit ihrer fiammenden, geheuchelten
Empörung den anfänglich Wütenden so gut, daß er auf die Kniee
fallt und in größter Sanftmut mit zerknirschtem Gemüt um Verzeihm.g
für seinen schwarzen Verdacht bittet.
Nicht nur die Frauen aus dem Volke wissen zu schelten und
zu prügehi, und nicht sie allein werden geprügelt, auch die vornchmeii:
Ehen sind nicht frei von solch erbaulichem, handgreiflichen Gezänk.
Den Vorhang vor einem adligen Interieur zieht die 39. Novelle hii-
weg. Die Edelfrau kehrt aus den Armen ihres Geliebten in das
eheliche Schlafgemach zurück und findet ihre treue Kammerfrau in
Jen Armen ihres Gatten. Sie hatte wahrlich Grund stille zu schweigci..
aber weiß Gott! als sie die beiden beisammen sah, was sandte sie
jhnen da für einen Gruß. In solchem Zorn machte sie sich an die
arme Johanne heran, daß es schien, als ob sie den Teufel im Leibe
hätte, mit solch gemeinen Worten schimpfte sie über sie. Ja, sie tat
noch mehr und schlimmer. Sie nahm einen großen Knüttel und
zerbläute ihr recht den Rücken. Aber als ihr Gemahl das sah, geriet
er in großen Zorn, er stand auf und prügelte die gnädige Frau
44 Walther Küclder.
dermaßen, daß sie sich nicht mehr gerade halten konnte. Aber
schweigen kann die Geschlagene doch noch nicht, nun fällt sie mit
desto giftigeren Worten über die aime Johanne her, bis die sich
nicht mehr halten kann und ihrem Herrn verrät, was für eine Frau
er habe und woher sie in diesem Augenblick und aus wessen Ge-
sellschaft sie komme.
Die Tatsache, daß solche rohe Szenen in ein ritterliches Milieu
übertragen werden konnten, würde uns merkwürdig erscheinen, wenn
■wir sie nicht damit erklärten, daß das Hineintragen des vornehmen
Standes in diese imaginäre Welt brutaler Liebesabenteuer nur eine leere
Staffage ist. Es ist meist völlig gleichgültig, aus welchen Gesellschafts-
kreisen sich das Personal dieser Schwanke zusammensetzt. Was Poggio
von Schneider und Arzt erzählt, schreibt unser Erzähler mit ein wenig
mehr Pikanterie Edelmann und Müller zu. Was er sich im Kreise
biederer Bürgersleute zutragen läßt, überträgt Brantome hundert
Jahre später in das Milieu hochgeborener Herren aus fürstlichem Geblüt.
Neben diesen volkstümlich-derben Streit- und Prügelszenen steht
als ein anderes Mittel stark wirksamer Komik die Übertreibung ins
Groteske. Die Situationen, um die es sich in der Sammlung handelt,
sind im allgemeinen possenhaft. Aber sie streifen häufig an das
Groteske heran. Das Groteske beginnt da, wo das Unmögliche
anfängt. 2) Wenn auch die Komik in den Siutationen der C. NN.
häufig unmöglich ist, so empfinden wir diese Unmöglichkeit meist
nicht. Der Schriftsteller gleitet leicht über dieses Bedenken hinweg,
und wir folgen ihm stillschweigend. Manchmal jedoch verweilt er
mit einem zälieu Behagen derart bei einer au sich schon un-
wahrscheinlichen Situation, unterstreicht er sie dermaßen stark, daß
uns, wir mögen wollen oler nicht, das Enorme des Falles zum
Bewußtsein kommt, uns nun auch zum Verweilen zwingt und uns das
Grotesk-Phantastische des Moments gewaltsam offenbart. Nur in
solchen Fällen möchte ich von grotesker Komik in unserer Sammlung
in diesem Zusammenhange sprechen; denn nur in ihnen wird das
Groteske ein gewolltes Stilmittel, in anderen Fällen haben wir es nur
mit traditionell possenhaften, an das Groteske streifenden Motiven
zu tuu.
Eine groteske Übertreibung ist es, wenn der junge Mann in
Novelle 20, der so lange unwissend uud dumm mit seiner Frau
zusammengelebt, dann auf so merkwürdige Weise seine Gattin aus
schwerer Krankheit gerettet hat, plötzlich bei einem Freudenmahle
aufs stärkste zu weinen anhebt und auf die allgemeinen verwunderten
Fragen nur mit Mühe seine närrischen Tränen zurückdrängen und
antworten kann: „Helas! . . . cest par moy que mon pbre et ma
mere, qiii ta^it in'aymoient. et triont assemhJS et Jaisse tant de hierin
ne sont encores en vie, car Uz ne sont mors tous deux que de
'^) H. Schneegans : Geschichte der [irotesihen Satire p. 4G.
Die Cent Nouoelles Nouvclles. 45
chaulde maladie\ et si je les eusse aussi bien vouchynez ipiand
Uz furent inalades gue fay fait ma femme^ Hz fussent rnaintenant
sur piez."' Das Motiv des geschlechtlich unerfahrenen Mannes ist
vom Erzäiiler in toller Laune so auf die Spitze getrieben worden, daß
es in die groteskeste Unmöglichkeit umschlägt und in dieser Unmöglichkeit
sofort begriffen und gewürdigt wird. Grotesk ist die mit Worten nicht
wiederzugebende Prüfung, die in Novelle 15 eine Nonne mit dem sie
bestürmenden Liebhaber anstellt, um festzustellen, ob er würdig ist
ihr zu nahen. Grotesk ist der ungünstige Ausgang. Und man begreift,
daß der Enttäuschte mit seinem Gefährten abzieht tout devisant de
cesie adventure.
Grotesk ist es, wenn in Novelle 50 der eben heimgekehrte P^nkei
seine Großmutter vergewaltigen will, ein Zug, der sich nicht in der
Quelle unseres Autors fand und vielleicht von ihm in das Motiv
hineingebracht wurde. Von außerordentlich grotesker Komik ist eine
Situation, die, wenn sie auch vielleicht nicht vom Verfasser erfunden
worden ist, doch wegen der ausführlichen Ausgestaltung hier angeführt
werden mag. Durch die unerwartete Rückkehr des Gatten ist der
bei der Gattin weilende Liebhaber in eine schlimme Lage gebracht
worden. Le pouvr^e gentühoimne rieut aulire advis que de se bouter
Oll retraict de la chambrc, esperant en saillir par quelque voye.
Aber der Gatte will unglücklicherweise nicht aus dem anstoßenden
Zimmer weichen. Nicht genug, daß der Eingeschlossene in seinem
Versteck Hunger, Kälte und Angst ausstehen muß, auch potcr plug
enrager . . . son mal^ une toux le va preiidre si grand et horrible
que vierveiUe. Da der Husten nicht authören will und Gefahr besteht,
daß der Gatte ihn hören könnte, so weiß sich der Ärmste keinen
anderen Rat que de bouter sa teste ou pertuis du retrait, ou ilfut
bien encense ... de la conficUire de Uens . . . pour übriger, ilfut
longtemps la teste en ce retraict^ crachant, mouchant et toussant.
Als dann der Husten aufgehört hat, kann er nicht wieder aus dem
Loche heraus, quelque peine quil y inist. 11 avoit toxit le cot
escorcM et les oreilles detrencMes. Zuletzt wird er frei, doch wie!
II s'eßorfa iant quil eracha Vays perce du retrait et le rapportu
ä son col, und welche Mühe er sich auch geben mag, er kann sich
dieser Halskrause nicht mehr entledigen. Aber sein Mißgeschick wird
ihm Rettung. So wie er ist, mit einem kohlengeschwärzten Gesicht,
seinen Degen in der Hand stürmt er aus seinem Versteck. Der (Jatte
wähnt, er sehe den Teufel und fällt besinnungslos zu Boden.
Diese Situation baut sich auf nur mit Hülfe von grotesken
Uimiöglichkeiten von Anfang bis zu Ende.
Diesen bisher behandelten objektiven Mitteln des humoristischen
Stiles unseres Verlassers stehen andere zur Seite, die mehr subjektiver
Natur sind. Es sind das Mittel, die das Bestreben verraten dem
40 Waltitcr Küchler.
Slil eine koiitinuiilich-liunioristiscbe Färbung zu geben. Der Autor
verstreut über seine Sammlung eine Menge von unscheinbaren witzigen
iiemcrkuiigen, über die n.aa wohl bei der ersten Lektüre hinvvegliest.
Sie scheinen manchmal so zufälliger Art zu sein, daß man sich ver-
sucht fühlen möchte sie für unbeabsichtigte Entgleisungen zu halten,
die dem Verfasser, als wenn er ein wenig geschlafen hätte, aus der Feder
geflossen wären. Aber es sind in den meisten Fällen beabsichtigte Witze,
Beispiele:
Devant et apres que la mort ieust destache de la cliayne
qui ä marlage Vaccoiiploit, le hon bourgois . . . nestoit jyoint si
mal löge en la dicte ville qne (Tj); des vins et viandes parier ne
seroient que redittes . . . faidte ny avoit que du trop (lo); cela
fait au plus bref qu'on peiit, sans soy trop haster (I4); assez
pres d'un gros et hon village . , . avoit et encores a wie montaigne
(I73); il se med ä l'ouvrage et fait merveille d' armes, et espöir
plus que bon ne lug fut (Iiy); eile le laissa faire sans dire ung
.seul mot, ne demy (l228)i tiostre simple mary . . . fut hien esbahy
et encores plus courro^ice la moiiie (II ^jg); il liiy fut pardomü
par teile condicion qne si jamais le cas luy advenoit, eile fust
mieulx advisee de mettre son homme aultre part que ou casier,
cur le eure en avoit eu sa rohe en peril d'estre ä tousjours gastee
(II 121) j il faindit iing jour d'avoir tresgrand doleur en ung doy,
celluy d'empres le poulce qui est le premier des quatre en la
main dextre (II202) 5 ^'^^ bergier se fourre dedens, comme sHl
ne coutast rien (II [55); de ce siede tout droit au paradis des
chiens alla (II 206)-
Die Absicht humoristiscli zu wirken hat ferner solche Wendungen
zur Folge, die so gefaßt sind, als drückten sie die Unsicherheit des
Autors mehreren Möglichkeiten gegenüber aus, als wüßte er nicht
ganz genau, wie die Sache, die er gerade erzählt, wirklich gewesen
ist, als täte es ihm, dem gewissenhaften Chronisten leid, sie im
Ungewissen zu lassen. So erzählt er in Novelle 2 den Ausbrucli
der Krankheit des jungen Mädchens folgendermaßen: Advini toutes-
fois, ou car Dieu le perryiist, ou car Fortime le voult et commenda,
envieuse et mal contente de la prospent^ de celle belle fiUe, ou de ses
parens ou de tous deux ensemble, ou espoir par une secrete cause et
raison naturelle^ dontje laisse Cinquisition aux philosophes etmedicins^
quelle cheut en une desplaisanie et dangereuse maladie (Ijo)-
Ähnlich heißt es von der Krankheit des dem Cure gehörigen Hundes
in Novelle 96: Advint toutesfois, je ne sgay par quel cas, ou s'il
eut trop chault ou trop froit., ou s'il mengea quelque chose qui
mal luy ß st, qiiil devint tresmalade (11200); auch über die Ehrung
des Hundes nach seinem Tode durch ein Grabmal ist der Verfasser
nicht genau unterrichtet: Je ne sgay pas sHl luy fist ung marbre
et par dessus engraver une epythapthe., si m''en tois (ebda); Von
der Flucht des betiügerischeu Eremiten heißt es: s'en fnyl en aultre
Die Cent Nouvelles Noiwelles. 47
pai8, ne scay quel, U7ie aultre femnic ou fiUe clecevoir. ou h desers
(VEgipte de aiexir contrit la jyenitence de son peche satisfaire
(Igo). Von der mangelnden Energie eines Gatten der offenbaren
Untreue seiner Gattin gegenüber: yi'est encores venu ä ma cognoissance
se il difera la cliose ou par ignorance oii par double d'esclandre
(Ij2g); Von der Umarmung zweier Liebenden schreibt er: tont plat
/entreaccolerent et baiserent en la mesme ou semblable fasson
qne celuy du garnier avoit fait (I020) I ii Novelle 5 hat ein Soldat
einen AbendmalilskcUh au- einer Kirche geraubt und um guten Preis
verkauft, der Erzähler versichert: je nen scay pas la juste somme
(Igß); ähnliche Fälle sind unter anderen noch environ wie bonne
henre ou pÄus ou mains (I]5.,)| ^^ cJieut ä la reverse et descompta
ne scay quant degreez (I258); ^'en alla en quelque aidtre village
goigner son soupper; je ne scay sHl fut tel que le disnev (II^gQ);
ainsi demoura et est encores; ne scay je qxiil fera (Ilißo)-
Eine bestimmte Absicht humoristisch wirken zu wollen ist
häufig am Schlüsse der Erzählungen zu bemerken. Der Erzähler
spielt gewisserm.aßen noch einen letzten Trumpf aus, ehe er
endet, er sichert sich einen guten Schlußeffekt. Der Humor,
der sich so am Ende seiner Novellen meist in ganz kurzen, fast
nachlässig hingeworfenen Bemerkungen äußert, hat nichts Aufdringliches
an sich. Der Witz ist trocken, im letzten Atemzug mit halber
Stimme gesprochen; er geht fast unter in dem Beifall der Zuhörer,
in dem Räuspern und in der Bewegung der hart am Ende sich
lösenden Spannung. Aber er ist vorhanden, und der Leser merkt
ihn dann am leichtesten, wenn er sich in die lebendige Situation
hineinversetzt, sich unter die Zuhörer mischt.
Wenn z. B. am Schluß von Novelle 1 1 der Erzähler es für nötig
findet hinzuzufügen: .,3Iais du surplus de la vie au jaloux, de ses
afferes et manieres et rnaintiens, ceste histoire se tait-\ so ist das
eine ganz überflüssige Bemerkung; denn niemand erwartet nach der er-
zählten Begebenheit derartige Nachrichten. Die sonderbare Episode,
die soeben ihren Abschluß gefunden hatte, genügte den Zuhörern
vollauf, in Wirklichkeit wäre die Bemerkung, die witziger sein soll
als sie es tatsächlich ist, untergegangen in dem Gelächter, das dem
eigentlichen Schluß- und Höhepunkt der Erzählung folgte.
Am Schlüsse der Erzählung von dem Esel, den sein Besitzer
auf so wunderbare Weise, nämlich durch ein ihm von dem Arzt
verordnetes Klistir wiederfand, heißt es: ..Ainsi avez oy comment
Vasne fut trouve par ung clütere qui est chose bien apparente et
qui souvent advient (n|43).
Ein sehr wirksamer witziger Schluß beendet (Novelle 80), die
Erzählung von der trostlosen jungen Frau, die mit der Körper-
beschaffenheit ihres Gatten nicht zufrieden ist und unmögliche An-
ordcrungcn stellt. Keck behauptet der Erzähler „ Veezey la cause
48 Walther Knclder.
des filles d'Alemaigne" und an diese Behauptung Längt er den
frommen Wunsch, der von seinen Zuhörern sicher mit beifälligem
Gelächter aufgenommen worden wäre y,si Uieti piaist, hien tost seront
ainsi en France.'^
Mit einem trockenen Witz entläßt er sein Publikum auch, als
er ihm in der 90. Novelle die Geschichte von dem Gatten erzählt
liat, der seine kranke Frau heilte. Er sagt „Ainsi le hon marchant
aprint ä gariv sa femme^ qui luy tourna ä grand prejudice, cor
souvent se faindoit malade pour recevoir la medicine."
Die humoristische Tendenz des Erzählers bleibt nicht bei
solchen einfacuen witzigen Bemerkungen stehen, sondern geht weiter
und fügt ihnen ein neues Element hinzu, das der Ironie. Diese so
erzielte Verbindung von Witz und Ironie verleiht dem Stile der
C. JS^. JSf sein eigentümlich -reizvolles Gepräge. Diese Eigenart des
Stils hat an sich nichts mit dem Inhalt der erzählten Begebenheiten
zu tun. Die Ironie erhebt den Verfasser über seinen Stoif, sie läßt
ihn beständig, wenn auch in sehr eingeschränktem Maße, über sein
Werk reflektieren. Die dargestellten Konflikte und Situationen über-
gießt sie mit einer aus der persönlichen, humoristischen Begabung
herausfließenden, souveränen Laune, sie bekleidet das schon geschaffene
Werk mit einem buntglitzernden Gewände.
Die einfachste Art, in der sich unzählige Male die ironische
Färbung des Stiles ausdrückt, ist die Verwendung von Adjektiven,
welche die Personen in günstigem Lichte erscheinen lassen, während
sie doch, wie der Leser bereits weiß oder noch im Verlauf der Er-
zählung erfahren wird, durchaus nicht von so guter Gesinnungsart
.sind, daß sie die lobende Bezeichnung verdienten. Solch kurze,
immer wieder auftretende Ironisierungen sind: Sa honne femme) nostre
honne gouge; sa trcs parfaitc, et bonnefem?tie; ceste honne et entiere
amoureuse; ce bon yvroigne; le bon macquerau\ la bonne gentil
femme; la tres saige musniere (die sich dummgläubig auf den lächer-
lichsten Grund hin mißbrauchen läßt); ce vaillant komme; ceste vaillant
gouge; la vaillant mesnagiere; la simple femme; son loyal cueur; la
devote dame, la cotirtoise noimain und viele andere. Diese Art der Ironie
äußert sich gelegentlich in ausführlicher Breite am Anfang einer Erzähl-
ung, indem zur Einführung und Begründung des Vorzutragenden die
Hauptperson in übertrieben lobender Form dargestellt wird, z. B. Xay
congneu en mon temps une notable et vaillant femme, digne et de
memoire et de recommendacion, cor ses vertnz ne doivent estre
cellees nestainctes, mais en commune audience puhlicquement bla-
sonnees. Vous orez en bref . . . la chose de quoy fentens amplier
et accroistre sa trheureuse renommh (l2is)- ^^^ Ironie wirkt noch
stärker, wenn sich trotz einer nichts Gutes ahnen la^senden Andeutung
eine Fortsetzung in lobendem Sinne findet, wie: En la ducld
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 49
d'Auvergne demouroit ung gentilhomme; et de son maleur avoit
une iresbelle jeune femme. De sa bonte devisera mon compte (ll2v()-
Diese Neigung des euphemistischen Ausdrucks durchdringt das
ganze Werk und äußert sich in einer wahren Manie, an Stelle des
der Situation entsprechenden Begriffs einen anderen zu setzen, der
unter normalen Verhältnissen schönere und edlere Vorstellungen er-
weckt, in dem besonderen Zusammenhange jedoch den vorhandenen
Eindruck in ironischem Sinne modifiziert, die Stimmung in ihr Ge-
genteil umschlagen läßt. Der Erzähler läßt uns die Situation, die
wir eben verlassen haben und abgeschlossen im Gedächtnis tragen,
noch einmal wie durch ein geschliffenes Glas, das sie in leichter,
amüsanter Verzerrung darstellt, erblicken. Es ist, als ob ihm darum
zu tun wäre, den v.ahren Eindruck, der bei genauer Prüfung sich
als wenig erfreulich und recht unangenehm herausstellen würde, schnell
wieder zu verwischen und uns mit hexenmeisterlicher Fixigkeit ein
rosiges Gebilde vorzugaukeln. Er macht uns glauben, was er uns da
soeben erzählt habe, sei gar so schlimm und gefährlich nicht wie es
aussehe. Und er täuscht uns wirklich, wir lassen uns für einen
Augenblick gefangen nehmen, im nächsten ist er schon wieder bei
anderen Dingen. Sehen wir uns eine Anzahl solcher Taschenspieler-
kunststücke an, die aus der ironisierenden Laune des Erzählers her-
vorsehießen.
Es ist Ironie, wenn durchaus unangenehme Dinge als sehr au-
genehm hingestellt werden, z. B. wenn die Eifersucht genannt wird
la doulce rage de Jalousie (II^) oder cest estai et aise delectahle
(I233); wenn der Verlust des noch allein gesunden Auges als ce heau
hutin bezeichnet wird (I14), wenn das Netz, in dem der Ritter den
Priester fängt und grausam quält, le las jolis genannt ist (üigo).
Es ist Ironie, wenn etwas sehr unschönes als schön angeführt
wird; wenn z. B. die öffentliche Liebe, die sich verkauft, ce jobj
mestier (Ilig;) heißt, wenn einer der schmutzigsten Schwanke als
ung hien gracieux cas eingeführt wird (IIi28)-
Ironie ist es, wenn höchst profane Dinge mit frommen Begriffen
bezeichnet werden; z. B. wenn des Liebeswerben des Priesters im
Beichtstuhl ceste devote confession heißt (l276)l Liebe, die sich hinter
religiösem Eiler verbirgt devocion (II50); wenn von der wachsenden
Liebe eines Herrn zu seiner Magd ge.'-agt wird la devocion que
tnonseigneur avoit aux sains de sa meschine de jour en jour
croissoit (I91); wenn es von einem unter dem Schein der Frömmigkeit
und Andacht bewerkstelligten Rendezvous heißt tantdiz que madame
achevoit ses heures (l25o)i wenn die Angst der im Bette ihres
Geliebten den Blicken ihres Mannes ausgesetzten Frau charakterisiert
wird als grand penitence en silence (I4). In gleicher Art heißt die
Promenade vor dem Hause der Geliebten procession (II ige), das
Keifen einer Frau sa grande legende doree (I^q), der Soldat, der
Kirchenraub begangen hat, ce hon pelerin (I37), der betrogene
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXIi, 'i
50 Walther Küchler.
Gatte le povre martir (I-,), die Erzälihing von der Bogeguung mit
einem Truiilvcubold ein mystere (I41), der Körper des sinnlos Be-
trunkenen ce hon corps saint (I42), die Last des durstigen Maultiers
le precieux corps de madame (l);)]), die Lebensführung des Cui6,,
der den Frauen nachstellt, ceste saincte vie (H^g).
Ironie ist es, wenn höchst obszönes Beginnen genannt wird ce
parfond estude oder ceste gracieuse contemplacion (lec)^ gemeine
Unterhaltung ce gracieux debat (1^2)1 wenn ein fataler Hiistenanfall
chanson de tousser heißt (Um)' oder in derselben Novelle (72) die
Vorstellung von Weihrauch und Confiture erweckt wird in einer
Situation wie sie grotesker kaum gedacht werden kann.
Ironischer Euphemismus ist es, wenn der Erzähler mitten in
einer ehelichen Schimpfszene uns treuherzig versichert comme Uz se
devisoient ainsl doulcement comme vous oez (11210), oder wenn
er ebenso wohlwollend das nach dem verbotenen üeniiß friedlich
eingeschlafene Paar von Herr und Magd la doidce paire, dormans
ä bi'az und gleich darauf la compaignie des vraiz amans nennt
(1^43, 44)- Etwas anzüglicher wird seine Ironie, wenn er den Liebhaber
im Verhältnis zum Gatten bezeichnet als son adversaire, ou pour
mieux dire, son compaignon (1.30)5 oder wenn er von dem adeligen
Fräulein, das den Hirten liebt, sagt ceste damoiselle devenue
hergiere (II gg).
Witzige Ironie, die sich wohl auch mit geistreichelndera Esprit
belädt, bezeichnet vielleicht den Charakter dieser Mittel seines
Humors, dessen Beispiele mit den angeführten noch keineswegs er-
schöpft sind.
Eine andere Art witziger Ironie ist es, wenn für die ehe-
brecherischen Liebeszusammenkünfte völlig imaginäre Begründungen
oder Entschuldigungen ins Feld geführt werden. Z. B. affin que je
i^aye paour et que point je ne ni'espante, vous me ferez compaignie.,
sHl vous piaist (Igs); l^ chapellain de Uens . . . se vini boiiter
aiipres d'elle pour ha/ faire compagnie affin quelle neust p>aour;
ou espoir pour faire l'essay ou prendre le disme advenir (Hu);
il monte dessus le tas pour reoir plus hing (II]3i); hien peut
esire qu'en recompense de ses maidx la gouge en eut dcpuis jntie,
et, pour sa conscience acquictei\ luy p)vesta so7i bedon (ebda); affin
quelle ne s'espantast, eile avoit toujours ung komme qui gardoii
la place du bon honime et entretenoit son ouvrouer de pao^ir que
le rouil ne s'i prenist (II 177). Ironisch ist auch die Anuabe warum
einmal ein verbotenes Verhältnis entdeckt wurde: Et pource que
dommage eust est/; que teile devocion et iravail neust este cogneu^
fortune promist et vaidt que . . . Vembusche fut descouverte (II 50)-
Wieder eine andere Art von Ironie ist es, wenn der Anfiing eines
Satzes eine Äußerung enthält, die durch den Schluß des Satzes auf
ihre wahre Bedeutung zurückgeführt wird, ein gewisses Versteckspiel
des Erzählers mit dem Publikum. Beispiele sind:
Die Cent Novvelles Nouvellcs. 51
Ung jeune compaignon picard . . . servit treshien et loyaument
son maistre assez longue espace. Et entre aultres Services ä quoy
iL ohligea son dict maistre vers luy, il fist taut . . . que si avant
fxit en la grace de la fille quil couscha avec eile fl^g)- ^on der
Barmherzigkeit yon Nonnen, die bereits als sehr fromm und wohhätig
bezeiclmet wurden, heißt es la charite de la maison des nonnains
estoit si tresgrande que pou de gens estoient esconduis de Pamoureuse
distribucion (Igi); nng grand clerc et prescheur de l'ordre Saint
Uomijiicqtie convertit, par sa sainte et doulce predicacion, la femme
d'icn bouchier, par teile et si bonne fapon qu'elle Vahnoit jylus que
tout le monde (I.051); et Vaufre tint si secret son cas que chascun
en fut adverty (I255); comnie il est aiijourduy largement de prestres
et curez qui sont si gentilz compaignons que nulles des folies que
fönt . . . les gens laiz ne leur sont impossihles ne dificiles (l27o)-
Als ein Mittel den Stil ironisch - witzig zu gestalten kann man
auch die nicht seltene Gepflocienheit bezeichnen, die Persönlichkeit
oder wenigstens den Namen Gottes in dieses kleinliche, egoistisch-
verliebte Getriebe hineinzuziehen. Mau gewinnt den Eindruck, daß
der Erzähler, ohne gerade sich der Gotteslästerung schuldig zu machen,
dennoch in recht leichtfertiger Weise mit heiligen Dingen, die damals
der Allgemeinlieit doch unantastbar waren, umspringt. Wenn er
nicht einfach den Skeptizismus seines Kreises getreulich wiedergibt.
Häufig wird die Aniufung des göttlichen Namens nur eine gedanken-
lose Formel sein, aber die ironisch-komische Wirkung ist doch fast
stets vorhanden. So heißt es von der Gattin, die an Stelle ihrer
Kammerfrau den so getäuschten Gatten erwartet madame se alla
meitre dedans le lict ou monseigneur devoit trouver sa chambriere,
et droit lä attendoit ce que Dieu luy vouldra envoyer (I;-,3); im
Munle von Nonnen ist zwar verständlich, vom Erzähler aber mit
Absicht hinge-etzt Madame, de vostre maladie, ce scet Dieu, ä qui
nul ne peut riens celer. il nous desplaist beaucop (Ihq); von starker
ironischer Wirkung ist nach der Verbrennung des Klosters mit all den
schuldigen Mönchen darin die Bemerkung Dieu mesmes, qui n'eyi
povoit mais, en eut bien sa maison bridlee (loos)'-, ebenso comme il
est assez de coustume, Dieu mercy, que en pluseurs religions y a
de bons compaignons ä la pie et au jeu des bas iristrumens (11201)-
Gott hdtt sogar bei dem Liebesabenteuer. Der Liebhaber ist
vor Schreck die Treppe hinunter gefillen, mais toutesfoiz il neut
garde, tant bien luy aida Dieu et sa honne querelle (la.-.g) ; Pr kennt
seine frommen Einsiedler, duldet aber nicht ewig ihren lästerlichen
Lebenswandel: ung hermife tel que Dieu scet faisoit . . . des choses
merveilleuses . . . jusques ad ce que Dien plus ne vouloit son
tresdanmable abus permettre ne souffrir (I73); selbst die Zecher
veigessen Gott nicht quand Hz eurent beu et mange, et fait si
bonne chere que jusques ä loer Dieu et aussi usque ad hebreos
la plus p)0.rt (11208)^ ^"'"^^ der Arzt heilt niclit ohne die Hilfe Gottes
52 Walther Küchler.
le marche futfait et entreprint garir net cest cril, Dieu avant (II174).
Nicht einmal der heilige Geist bleibt von der übermütigen Ironie
des Erzcälilers verschont. Er hilft sogar der schon entlarvten Ehe-
brecherin sich durch eine kecke Lüge aus der Gefahr zu ziehen. So
heißt es von der Frau, die im Beichtstuhl von ihrem als Priester
verkleideten Gatten schon fast überführt ist (eile) faisoit ä Dieu son
oroison; si respondit ä chef de piece comme le saint esperit Vinspira,
et dist hien p'oidement (11139). An einer anderen Stelle kommt einem
Gatten und seinen Gefährten eine so sicher eintreffende Offenbarung,
daß es ist, als ob der heilige Geist sie ihnen enthüllt habe (II 32).
Alle diese und andere ähnliche "Wendungen stammen aus dem
volkstümlich derben Empfinden des Erzählers, der gerade aus dieser
ursprünglichen, lebensstrotzendeu Veranlagung die wirksamsten Mittel
seines Sprachgebrauchs zieht. Er verwendet diese Mittel, indem er
sie mit einem gewissen Raffinement, das halb volkstümlich naiv, halb
literarisch gekünstelt ist, zu durchdringen versteht. Ganz volkstümlich
roh, das respektlose Verhältnis der gleichwohl frommen "Witwe zu
ihrem Gott ausgezeichnet malend, ist die "Wendung, mit der der Er-
zähler ihre Freude charakterisiert: la veille, de joye emprise, cuidant
Diev, tenir par les piez (I77). Gekünstelt dagegen und wie ge-
künsteltes Streben des Schriftstellers nach einem glücklichen Effekt
erscheint es, wenn das Edelfräulein auf die Rede des Bruders, der
die Einwilligung zu ihrer ehelichen Verbindung mit dem armen
Hirten gibt, mit ^Amen'-'' antuortet (II 37).
Die ironische Reflexion des Verfassers macht sich häufig auch
am Schluß seiner Erzählungen bemerkbar. "Wir hatten schon gesehen,
daß er gern mit einem "Witzwort schließt. Dieser "Witz nimmt mit
Vorliebe eine ironische Färbung an. Die Schlußwirkung der Erzählung
wird auf diese "Weise noch um so schlagender und beruht manchmal
auf dem Kunstmittel der Überraschung. In diesem Sinne wirkt der
Schluß von Novelle 7, in der der Verfasser das höchst unanständige
Verhalten eines Fuhrmannes berichtet, welcher die Nacht im gemein-
samen Lager des Ehepaares verbringen durfte, sich dabei der
schlafenden Frau unziemlich näherte und von seinem Gastwirt glücklich
geschätzt wurde, daß die Gattin es nicht gemerkt habe. Pensez, so
schließt die Erzählung, si la honne femme eust sceu le fait du
chareton, quelle Veust fort plus greve que son mary ne disoit.
Comhien que depuis le chareton le racompia en la fagon que avez
eye, sinon quelle ne dormoit point: non p>as que le veille croire,
ne ce rapport faire hon. Gut verhüllte Ironie ist es, wenn es am
Schlüsse von Novelle 30, weiche den von drei Mönchen drei Gatten
gespielten Streich erzählt, heißt, daß die beteiligten Frauen vor
Kummer gestorben wären, wenn sie die "Wahrheit gewußt hätten
.„comme on en voit tous les jours 7norir de maindre cas et ä mains
d'achoison.'' Mit ironischer Schadenfreude übergießt der Erzähler
den eifersüchtigen Gatten, der trotz allen Studiums der in den Büchern
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 53
berichteten Frauenlisten getäuscht wird: Diesen Streich behielt er so
gut im Gedächtnis, daß er nicht nötig hatte ihn aufzuschreiben.
Frisch blieb ihm die Erinnerung die wenigen guten Tage, die er
noch lebte.
Zu den stilistischen Mitteln der C. N. N., welche vermöge
einer leichten irDnischen Verzerrung eine feinere humoristische Wirkung
zu Stande biingen, gehört eine aufifallende, häufig wiederkehrende
Erscheinung, die sicherlich nicht zufällig, sondern beabsichtigt ist.
Ich meine die gewissenhafte, fast peinliche Anwendung höflich -
zeremonieller Formen im Verkehr zwischen Liebenden, in Werbe-
szenen, bei Begrüßungen, beim Abschied. In allen Liebeshändeln
der Sammlung handelt es sich doch um weiter nichts, als möglichst bald
den rein brutalen, physischen Genuß herbeizuführen. Wenn man sich
dieses Zweckes erinnert, kann man die übertrieben höfliche und
gemessene Sprache und Haltung der in solchen Szenen beteiligten
Personen nicht mehr ernst nehmen. Das galant -elegante Gebaren
der vornehmen Gesellschaftsschichten war dem Verfasser aus seiner
Bekanntschaft mit den höheren Kreisen bekannt. Ich glaube nicht,
daß er diese feinen Formen an sich lächerlich machen wollte — bis
zu einem gewissen Grade sind sie in seinen Novellen sogar berechtigt,
da die Personen, die sie anwenden, meist der Aristokratie angehören —
nur ihre unterschiedslose, konsequente Anwendung auch in Situationen
niedriger Art verhindert es, diese graziösen Formeln ernst zu nehmen.
Die ironische Absicht des Verfassers tritt zu Tage. Das Gebaren
der Personen,, die so garnichts Platonisches haben, wirkt amüsant,
man erkennt bei den Männern ein süßlich lächelndes, aber verzerrtes
Faunengesicht, bei den Frauen manchmal echte Befangenheit, meist
aber kokett niedergeschlagene Augen, aus denen nur mühsam zurück-
gehaltenes Begehren hervorlauert.
Die Wirkung im letzten Grade ist fein humoristisch, besonders
dann, wenn man sich etwa noch einzubilden vermag, daß die Lippen
des Verfassers, als er diese graziösen Sätze schrieb, ein spöttisches
Lächeln umschwebte, ein Lächeln, von dem die vornehmen Herren
und Damen, die später seine Erzählungen lasen, nichts verspürten.
Einige Beispiele mögen die Art dieses höflichen Verkehrs
darstellen.
Sehr formell und in eleganten Umgangsformen bewegen sich in
Novelle 3 Ritter und Müllersfrau. Der Chevalier hat sich poiir
passer iemps et prendre son esbatement die Müllerin ausersehen.
Er begegnet ihr, s'avanra vers eile et doulcement la salua; et eile,
comme sage et bien aprinse, lu// fist honneur et la reverence comme
U appartenoit. Ein Gespräch beginnt, in dessen Verlauf Monseigneur
qui tres courtois et gracieux estoit, rnesmement tousjours vers
les dames die Müllersfrau seinen schlimmen Wünschen geneigt zu
machen versteht. Ähnlich sind die äußeren Formen bei einer anderen
54 IValther Küchler.
Verfübniugsszene, als des Grafen Diener, der sich so gut auf die
Kuppelei versteht, daß der Erzähler ihn doctcur en son mestier
nennt, ein armes Baucrnniädchen seinem Herrn gefügig machen möchte.
IL vint devers la belle fille et tres courtoisement la salua. Et
eile qui n'estoit pas mains sage ne bonne que belle., courtoisement
iuy rendit son salnt (I129). Sehr höflicli ist auch der Schotte mit
der Frau des Krämers, aber nur so lange als er noch werben muß.
Wenn er seine Dame erblickt, so wird sie humblement saluee et
d^amours doulcement priee, und als sie ihm Gewährung seiner
Wünsche in Aussicht stellt, heißt es eile fut liauliement merciee,
doidcewent escout<^e, et de bon cueur obiye (loy, op)- Ebenso ge-
wählt, wie ausdrücklich betont wird, dankt ein anderer Liebhaber
apres les mercimens gracieux et deuz en ce cas, dont il estoit bon
maistre et ouvrier, se part d'elle, et s''en va atiendant et desirani
l'heure assignee (Iiso). Von dem Edelmann, der sich betrügerischer
Weise bei der Geliebten seines Freundes eingeschlichen hat, heißt
es comme ü estoit gracieux, courtois, et bien enparU. la salua
bieji honorablement (Iigr,)-
An sich sind derartige Szenen nicht humoristisch, besonders
jede einzelne für sich betrachtet ist es nicht. Nur das stereotyp
Formelhafte ihres Gebrauchs und die Erwägung, daß nun einmal
ein innerer Widerspruch zwischen der höflichen Gemessenheit und
der unehrenhaften Absicht obwaltet, verleiht ihnen ihren Charakter
feinen Humors. Der in gleichem Sinne sich häufig, wiederholende
Eindruck wird zum Maßstabe unserer Empfindung, nicht eine vei--
einzelte Erscheinung.
Auf dem gleichen Prinzip beruht die Empfindung, die wir
haben, wenn der Erzähler gelegentlich alte Stilformen gebraucht, die
in der literarischen Liebessprachö vor ihm und zu seiner Zeit ge-
bräuchlich waren, aber dabei waren, ilircn Klang zu verlieren. Er
verwendet faßt nie die formelhaften Begifte „Dangier^ oder „Male-
boiiche'-', ohne sie zu ironisieren. Die beabsichtigte Ironie wird klar
aus dem ganzen Zusammenhang oder aus der fast regelmäßigen
Verbindung dieser Begriffe mit dem Eigenschaftswort maudit.
Z. B. L'ainour de la ynaistresse au clerc et du clerc d eile
estoit . . . si Ircsardente que jamais gens ne furent plus esprins., et
n'estoit en la puissance de Malebouche, de Dangier, ne d'aultres
telles viaudictcs gens, de leur bailler ne donner destoxirbier (Ißg) ;
eine Dame kaim schwer mit ihrem Geliebten zusammen kommen iant
Vempeschoient les anciens adversaires et ennemis d'amours. Et
par especial plus Iuy nuysoit son bon mary, tenant le lieu en ce
cas du tresmaudit Uangier (Ijss); ebenso wird die Liebe zwischen
Gerord und Katherine offenbar tant au pourcliaz d'aucuns maudictz
et detestables envieux que pour la continuelle noise de pluseurs qui
ne scevent faire ce qui rien oti poii jie leur touclie {J^^s)-
Die Cent NouveUes Nouvelles. 55
Ironisiert ist auch der Begriff des Liebeshofes in Novelle 36,
die trksnoble coiirt d'amours, an der solche Dinge vorkommen können,
wie die Novelle sie berichtet.
Einen ironischen Beisreschmack hat auch die einige Male auf-
tretende alte Formel „et dit le compte-, die natürlich in diesen kurzen
lächerlichen Schwänken ganz unangebracht ist, so et dit le compte
quilz buvoient souvent ensemble, nämlich die drei von ihren Gattinnen
betrogenen Ehemänner (II51); cf. auch II,.q.
2. Das Emj^hatische.
Wir sind bei der Untersuchung der ironischen Bestandteile des
Stiles unserer Sammlung mehr und mehr in das Gebiet der feineren
Komik geraten und fast schon an den Grenzen der Stilmittel, die
man als komisch bezeichnen darf, angelangt. In den letzten Beispielen
verflüchtigte sich bereits das Humoristische und wurde eigentlich
deutlich nur im Zusammenhange mit andei'en Erscheinungen des
Stils, Es war nur noch zu erkennen als eine miterklingeude Ironie.
Dieses ironische Mittönen ist aber auch in anderen Eigenheiten
des stilistischen Ausdruckes der C. N. JV. zu beobachten, in Eigen-
heiten, die auf einem anderen Prinzip der Darstellinigsweise beruhen,
als auf dem humoristischen, das uns bisher beschäftigte.
Diese andere Eigenart des Stiles ist die Emphase.
Ich fasse unter dieser Bezeichnung alle die stilistischen Be-
sonderheiten zusammen, welche dem Ausdruck in eigenartiger Weise
einen auffallenden Nachdruck verleihen und solche Bemühungen des
Verfassers, welche die Phrase entweder zierlich und geziert zurecht-
stutzen, oder in seltsamen Windungen außergewöhnlich ausdehnen, oder
sie künstlich-bombastisch aufbauschen, oder im Ton stark übertreiben.
Dabei ist zu bemerken, daß der emphatische Stil häufig im
Gegensatz steht zu dem dargestellten Inhalt, und daß infolge dieses
inneren Widerspruchs zwischen Ton und Situation auch der emphatische
Ausdruck unseres Erzählers häufig von einem Schimmer feinen Humors
umgeben ist.
Der Verfasser besitzt zunächst eine Fieihe von kurzen Mitteln,
die seinen Stil nachdrücklich gestalten.
Zuerst ist der ganz volkstümliche Gebrauch von Ausrufungen
zu nennen, welche Erzählung und Rede häufig unterbrechen, Ausrufe
wie IIa! Helasi Par ma foy! A dya! Voire dya! Far
Dieu! En nom Dieu! Vrai Dieu de paradis! Par la naissance
Dien! Par mon serment! Par la rnort hieu! Nostre Dame!
Saincte Marie! Par la force Sainte Marie! Par saint Denis!
Par Saint Frangois! Par saint George! Par saint JeJian! Mais
au deahle de Vomme s'il peut oncques ironver inanicre! Mais
au dyable des deux sil avoit fahn de boire! Au deable voit
chichete!
56 W'alther Küclder.
Vcrwünscliuiisen wie Le dyahU empörte la gonge! Au deable
hs crapaudes! Saint Anthoine arde la louve! Le feu de saint
Anthoine Varde! Dien mecte en mal Forde beste! Le gihet y
ait pari!
Sehr Läufig in emphatischer Absicht gebraucht uud zugleich
dem Tone reahstische Kraft uud Lebhaftigkeit verleihend sind kurze
verdoppelte Ausrufungen, Aufforderungen und Entgegnungen. Sie
verleihen stets der an sich schon aftektvollen Äußerung einen besonderen
Nachdruck. Solche Verdoppelungen sind: Allez, allez; avant, avant;
appaisez-vous. appaisez-voiis ; hien, bien; bon jow\ bon joiir ä
ces dormeurs; coiichez-voiis, couchez-vous; demeure, demeure;
he he; hola, hola; nennt/, nenny\ ostez, ostez\ oiivrez, ouvrez;
picquez, picquez devant; tirons, tirons pais; taut droit, tont droit;
va-t-en, va-t-en; vien pa, vien ca\ tais toy, tais toy: ä mort, ä
mort; laissez-nioy, laissez: je ne sgay, je ne scay: je suis ä toi,
je suis ä toy; j'en donne ma part au diable, feji donne ma pjart
au diable; qne veulx tu, que veulx-tu; je ne puis, je ne puis; je
voy cecy, je voy cela, encores cecy, encores cela und viele andere
Beispiele. Manche der augeführten Ausrufe finden sich mehrere Male.
Eine eigene Art einen nachdrücklichen Effekt durch die Wieder-
holung zu erzielen, findet sich in den Novellen 33, 62 und 67. Der
Verfasser bringt nämlich durch die häufige Anwendung derselben
Worte eine sehr wirksame Eintönigkeit zu stände, die sich dem Leser
gewaltsam aufzwingt. In der ersten Novelle verwendet er im ganzen
28 mal die Begriffe le premier venu und le dernier venu zu einer
Art Schaukelspiel, in Novelle 67 setzt er 16 mal mit einer konstanten
Boshaftigkeit den volkstümlichen Spitznamen „chaperoii fourrS''
für ein Mitglied des Parlamentes, von dem die Erzählung handelt.
In Novelle 62 erhält, wie schon einmal angedeutet, der Stil durch
die fast hundertmalige Anwendung der den Personen oder Sachen
vorausgesetzten Wörtchen ledit und ladite einen juristisch-nach-
drücklichen Ton.
In anderen Fällen erreicht der Verfasser Emphase durch Wieder-
holung und Variirung, wie in den folgenden Beispielen: 31ais toutes
foiz quelque poxirchaz, quelque semblant, quelque devoir qiiil sceust
faire pour obtenir sa grace, jamais il ne peust parvenir d'estre
serviteur retenu; dont il estoit mains que bien content, attendu que
tant ardement, tant loyallement et tant entierement Vaymoit (Ilj^ß).
Mehrere Fragen hintereinander: Qiien dictes vous? que vous
en seniblef n'est-il pas beau? vaultil p)as bien une belle fille?
(1286) J ■^^- ^naleureuse, dist la mere, comment Vavez vous refusSf
Que vous avoye dit et monstre pluseurs foiz? Vous avoys je
haille Celle leczo7i? (ll^-i).
Emphatisch wirkt die ziemlich häufig auftretende Aneinander-
reihung verschiedener ähnlicher oder zusammengehöriger Dinge durch
die bloße Aufzählung: Pou de disners, de souppers^ de boncquetz, de
Die Cent Nouvelles Noiivelles. 57
baings d'estuves et aultres telz passetemps (U); U/ist tantost tirer
les baings, chauffer les estnves, faire pastez, tartres et ypocras, et
Je surplus des Mens de Dien (I3); luy estant en ceste rage, pour
mandement, priere, promesse, don, ne requeste qu'il sceust faire,
eile s''appensa (1190)1 *^' ß^^ ^''^ bonne femme Vostel apprester,
tendre, parer, nectoier et orner au mieulx qic'il tut possible {II icjq)
und manche andere Fälle.
Mit regelmäßiger Sicherheit stellen sich solche Aufzählungen
dann ein, wenn es sich um die Einführung von Personen handelt,
die ganz gut in einem oder zwei zusammenfassenden Ausdrücken hätten
vorgestellt werden können. Aber der Erzähler, in seiner Absicht
nachdrücklich zu wirken, erspart uns ihre Anführung im einzelnen nicht.
Z. B. eile fut ad ce menee que s'elle ne vouloit estre en la male
grace de pere, de mere, de j^f^rens, de amis, de maistre et de
maistresse que . . . (I144); €t par Jehan, dirent sa mere, sa seur.
sa tante, sa couslne, sa voisine . . . (II]^4-); ä ceste calonge estoient
foison de gens de grand fasson, comme l'ofßcial, les promoteurs,
les scribe, notaires, advocatz et procureurs (II 207)1 ähnlich auch
von dem Kaufmann, der seine Seereise autritt: il abandonna sa
belle et bonne femme et sa belle maignye d'enfans, parens, amis,
heritage, et la pluspart de sa chevance (Iioi)-
In feinerer Art, auch mit emphatischer Wirkung, bedient sich
der Erzähler des Prinzips der Wiederholung bestimmter Ausdrücke,
indem er zugleich dem Satzgefüge eine gewisse architektonische
Gliederung, einen systematischen Aufbau gibt. Solche immerhin
seltene Fälle sind:
Le soir du lendemain approucha, trcs desire du pouvre
Escossais amoureux pour veoir et joir de sa dame, tres desire du
bon mercier p>our la tres criminale vengence . . . tres redoubtS
aussi de la bonne femme qui pour obtir ä son mary aitend . . .
(I2,s) oder: La simple musniere, oyant les par olles de monseigneur
devint tres abaliie et courroucSe, ebahie comment monseigneur povoit
savoir . . . ce meschef advenir, et courroucee d''oyr la perte du
meilleur memhrc de son corps {l]-).
Das gleiche Prinzip ließ die nachstehenden Anfänge dreier
aufeinanderfolgender Sätze entstehen, welche das hülfsbereite Herbei-
eilen verschiedener Personen in der Krankheit eines jungen Mädchens
darstellen: Or viennent les parens, amys et voisins ... Or vient
une matrone ... Or sont venuz maistre Pierre, maistre Jehan,
maistre cy, maistre lä, tant de j^hisiciens que vous vouldrez (I^).
Emphatisch drückt in wohlgeordneten Konstruktionen und
sicherem Aufbau der Gedanken ein Gatte seiner Gattin die Gründe aus,
die ihn veranlaßt haben plötzlich heimzukehren und sie zu überraschen :
Premier dit que pour la suspicion qiiil avoit . . . Itc7n que cestes
suspicion . . . Item iwur experimenter S07i ymaginacion . . . (Hng)-
58 Walther Kücliler.
Wirksam in seinem kunstlosen, aber gut berochneten Gefüge
ist auch ein Satz wie dieser, der uns eine von ihrem Manne j^eprügelte
Frau vorfülirt: Elle crie, eile plore, eile se demaine, cest grand
pitie que de la veoir; eile maudit qui oncques luy fist requerre
d'esire chevauchee (IgYs)- ^^^ unverbundene Koordination der Satz-
teile wirkt hier emphatisch.
Die bisher angeführten Mittel den Stil emphatisch zu gestalten,
waren von verhältnismäßig einfacher Art. Sie waren z. t. ganz
volkstümlichen Charakters, wie die Beteuerungen und Verwünschungen.
Andere, wie die AufzähluDpen, bauen sich auch auf volkstümlicher
Grundlage auf; denn das Volk erzählt gern mit einer Häufung des
Ausdrucks, zählt auf, wiederholt, nuanziert unbewußt, aus dem
instinktiven Bedürfnis heraus deutlich und anschaulich und überzeugend
zu berichten. Die literarische Sprache zur Zeit der C. N. N. hat
gerade in reichstem Maße diesen volkstümlichen Gebrauch der
Wiederholung und Verdoppelung bewahrt. Fa^t in allen Dokumenten
des Jahrhunderts findet man oft bis zum Überdruß, oft bis zur
Unlogik gesteigert die Verwendung von Doppelausdrücken. Diese
Gewohnheit, die für die Wirkung des Stils gänzlich bedeutungslos
ist, hat der Verfasser der C. N. N. auch, aber er hat sie — das
haben die angeführten Beispiele hoflfentlich gezeigt — dadurch, daß
er die einfache Verdoppelung zu drei-, vier- ja fünfiacher Aufzählung
gesteigert hat, zu einem wirksamen Stilmittel, dem der Emphase,
umgewandelt.
Literarische Verarbeitung ist also bei diesen Mitteln wohl
vorhanden, aber sie erhält den Stil einfach, schlicht, gedrungen,
natürlich und bewahrt ihm volkstümliche Kraft. Dagegen gibt es
eine andere Art von Mitteln der Emphase, welche aus einer viel
intensiveren Verarbeitung hervorgegangen ist und dem Stil ein
gekünsteltes Aussehen verleiht, das sich weit von volkstümlicher
Schlichtheit und Kraft entfernt.
Die Ausdrucksweise erscheint geziert.
Von einem Eifersüchtigen heißt es: „et luy vindrent faire
rapport ses yeulx suspegonneux que nostre gentilliomme . . .
venoit . . . ä Voccasion de sa femme^'- (IIj)). Von einem Arzt, der
ein Kammermädchen mit Wohlgefallen ansieht „fichoit ses doulx
regards sur ce heau poly viaire de ceste ckambri^re (11174).
Von einem Halbnarren „27 tenoit plus de coste de dame folie que
de raison'^ (JIi24)- ^0^ einem Sohne, der die Ratschläge des
Vaters zu laefolgen verspricht „promect d'escripre, ses en-
seignemens au plus profond de son entendement'' (H.,). Von
einer scheinbar aufs tiefste entrüsteten Frau, die erst Zeit braucht,
um ihrer Empörung Luft zu machen „quand la langue d'elle eut
povoir s>ir le cuciir i7\'s fort charge dHre et de courroux, par
Die Cent JVouveUes Aoirvelles. 5^
semhlant les paroUes quelle descocha . . . (I^). Vou einer Liebe,
die entsteht ..Aniours qid scme ses vertuz on mieux Iwj piaist
et hon huj semble, fist allyancc ä une helle fille . . . (Ijoj). Von
einer Frau, die in Abwesenljeit ihres Gatten einem anderen Ritter
ihre Liebe schenkt ,,inadame ... ne fut pus si rigoreuse qiie ä la
pryere dhingentil escuiei\ qui d'amours la reqimt, eile ne just
tantost contente quHl fast lieiitenant de monseigneur {l^-^. Die
Kammerfrau eines Hotels, die sich einem Ritter für Geld hingegeben
hat, drückt diesen Handel zierlich also aus: Or pa, sii'e, pour le
tres grant hien^ honneur et conrtoisie que fay oy et veu de vous,
fay este contente mettre en vostre oheissance et joisscmce la rlen
que plus en ce monde doy eher tenir (Li^). Diese preziöse Um-
schreibung mag uns daran erinnern, daß unser Erzähler es überhaupt
liebt, in solchen Fällen, in denen es sich um geschlechtliche Dinge
handelt, nicht die einfach nackte Tatsache zu beri* hten, sondern dtiß er
eine umseht eibende Darstellung vorzieht. Die Fälle sind aiißerordectlich
häufig, manchmal ist die Ausdrucksweise so gewählt, daß sie auftallt,
eine sorgsame Verarbeitung erkennen läßt und die Abgeht eines
Effekts enthüllt. Man hat gelegentlich die natürlich ganz ungerecht-
fertigte Einbildung, es sei dem Erzäh.ler unangenehm, über solche
Dinge reden zu müssen und er umschreibe deswegen den Ausdruck
und verhülle die wirkliche Situation. Z. B. Tant y alla et tant y
vint quil eut heure assignee de dire ä sa dame, ä pari, le surplus
de ce quil ne voiddroit dire sinon entre eulx deux (I993);
. . . obtint . . . tout ce que par honneur donner luy povoit; et
au surplus, par force d'armes ad ce la mena que refuser ne luy
peut nullement ce que pluseurs devant et apres ne peure?it obtenir
(1004); ^^ coucherent les deux amans dedans le tresheau lit, bras
ä hras, et firent ce pour quoy Hz esioient assemblez^ qui mieulx
vault estre piense des lysans quesire note de Vescripvant (I162)'
Ein eifersüchtiger Gatte, der Grund hatte, an der Treue seiner
Gattin zu zweifeln, s'ad.visa quil esprouveroit s'il savoit jyar honne
fagon sHl pourroit veoir ce quHl scet que hicn peu luy plaira:
cestoit de veoir venir en son hostel, devers sa feinme, ung ou
pluseurs de ceidx qu'on dit qui sont les lieutenans (L^mi)-
Neben der gezierten Ausdrucksweise steht die weitschweilig-auf-
gebauschte Phrase, die sich in gewundenen Perioden künstlich aus-
dehnt. Man kann nicht sagen, daß sie stets emphatisch wirkt. Sie ist
oft nur die unglückliclic Folge mangelhafter Spiachbeherrschung,
manchmal entstanden aus dem Wunsch recht viel Dinge in einen Satz
hinein^chachteln zu wollen, manchmal der breite AusÜuß redseliger
Geschwätzigkeit. Gelegentlich aber erscheint der Wortschwall und
die Weitschweitigkeit doch als Absicht dem Iidialt gewichtigen Nach-
druck zu geben. So wird die Liebe zwischen einer Frau und dem
Giere ihres Mannes folgendermaßen in ihrer Stärke chaiakterisiert:
JEn ce tres glorieux estat ei joyeux passetemps se passh'ent plu-
€0 WcdÜicr Knclder.
seurs jours qui giicres aiuv amans nc darerent^ qui tant donnez l'un
■a lautre estoieni qu' ä pou ä Dieu cussent quitU hur paradis
2)our vivre au monde leur terme en ceste fasson (I^s).
Manche Novellen sind besonders reich an solchen prunkhaft
geschwollenen Wendungen, so Novelle 2G, deren Ton aber sicher durch
die verlorene Vorlage beeinflußt ist. Hier fällt diese geschraubte Sprache
kaum auf, der sentimentale Gegenstand verträgt sich gut mit der
affektierten Behandlung. Ganz anders ist es dagegen z. B. in
Novelle 22. Da wird erzählt, wie ein Ritter seine Geliebte verlassen
muß, weil er in einen Krieg zieht und wie die beim Abschiede Un-
tröstliche sich nach kürzester Zeit einem reichen Kaufmann hingibt
und den ersten vergißt usw. Der höchst triviale Gegenstand ist mit
«inem großen Aufwand an klangvollen Worten und Sätzen heraus-
geputzt und die lächerlich kleine, alltägliche Liebelei pathetisch gehoben.
Le dieu d\inwurs, qui n'est jamais oiseux, Ivy mist en bouche et
en termes les haidx Mens, les nobles veriuz et la ires grand loy-
aulte d'un marchant son voisin, qui pluseurs foiz . . . luy avoit
presentS la bataille . . . Amour envoya nostre marchant devers sa
paciente^ et luy presenta comme Midtrefoiz, chiens et oyseaulx, son
Corps et ses biens, et cent mille choses que ces abateurs de femmes
■scevent tont courant et par cueur.
Mit besonderem Nachdruck, ganz in emphatischem Sinne sind
vom Verfasser die Tränen behandelt. Wo die Personen Grund zu
weinen haben — und das ist in diesen lustigen Erzählungen verhältnis-
mäßig oft der Fall — da strömen sogleich die Tränengüsse in
unendlicher Flut und wollen sich kaum stillen lassen. Die Tränen
ersticken die Stimme, sie stürzen gewaltsam aus den Augen, ergießen
sich über das Gesicht bis tief hinab auf den Saum des Kleides.
Nicht nur die Augen weinen, nein, man weint des yeua-, du cueur et
de la teste. In Novelle 21 weint das ganze Kloster. Die Aebtissin
beginnt, und die treuen Nonnen folgen ihr: ä ces jyarolles, larmes
en grand abwidance saillirent de ses yeux, qui furent accompaignees
cVaultres sans nombre, sourdans de la fontaine du cueur de son bon
couvent. Ceste plorerie dura assez longuement, et fut la longtemps
le mesnaige sans parier.
Es ist schwer, bei solchen und anderen Stellen, au denen un-
gezählte Tränen fließen, an die Ernsthaftigkeit des Verfassers zu
glauben. Die Empfindungen all seiner Personen bleiben so an der
Oberfläche, daß man ihnen ihr grenzenloses Leid nicht glaubt. Der
Erzähler übertreibt, er hält selber ihren Schmerz nicht für echt, wie
er auch ihre Liebe nicht ernst nimmt, mag er sie auch in noch so
hochtrabenden Worten uns ankündigen.
Die Übertreibung ist ein Mittel seines emphatischen Stils.
Man sollte meinen, seine Personen seien von glühendster Leidenschaft
für einander beseelt, als gäbe es für sie nichts anderes auf der Welt
als diese einzige, große Liebe, die ihr Sinnen und Trachten ausfüllte.
Die Cent jS'ouvelles youvelles. Gl
Wie liebt die verratene Metzgersfrau ihren ungetreuen Priester l
Sie liebte ihn mehr als die ganze Welt, und niemals empfand sie
im Herzen vollkommene Freude, wenn sie nicht in seiner Nähe ^veilte.
Von Eifersuchtsqualcn gepeinigt verschmähte sie nicht den Weg durch
den Schornstein, um zu dem Verräter zu gelangen. Aber sie blieb
in der Enge stecken.
Der Jakobiner liebt seine Nonne ^jjIus que tont le demourani
du monde."- Der Dorfpriester liebt die Bauersfrau so sehr „que
Von ne pourroit plus." Von der Liebe eines Ritters zu einer
Kammerfrau in seinem Schlosse heißt es: Amours si fort le con-
traignoit, jamais ne savoit sa maniere sans eile, tousjours V entretenoit^
tousjoxirs la requeroit. en bref nul bien sans eile avoit ii ne povoit^
tant estoit-il au vif fem de Vamour d'elle. Ein Ritter liebt die
Frau eines Nachbaredelmannes so sehr ..qu'il n'avoit ne bon jour
ne banne heure sHl nestoit aupres d'elle, ou ä tout le mains qu'il
en eust nouvelle. Und mit gleicher Liebe wird er wiedergeliebt, qui
n^est pas pou de chose.
Man kann alle diese Versicherungen von großer Liebe nicht
ernst nehmen. Immer wenn man von solcher Leidenschaft liest,
erinnert man sich der niedrigen Absichten, um die allein es den
Personen zu tun ist. Auf welch gemeinen Empfindungen beruht selbst
die Liebe, die zu dem unerhörten ehelichen Bunde zwischen Hirt und
Edelfräulein beruht, eine Liebe, die keine Gefahr scheut! Sie entsteht,
weil das Fräulein hört, wie der Hirt sich rühmt il oseroit bien
emprendre de faire la besoigne VIII ou IX foiz par nuyt."
Wenn man an diese rohe Grundlage der Liebesempfindung denkt,
so wird man sich des Gegensatzes zwischen Darstellung und Wirklichkeit
bewußt, und die emphatische Übertreibung wirkt humoristisch. Da-
gegen fühlen wir uns auf gleichem Boden mit der Wirklichkeit, wenn
der Erzähler von der Liebe eines Mönches zu einer jungen Frau in
folgenden, die Sache getreulich wiedergebenden Ausdrücken spricht:
H^t devint maistre moyne amoureux d^elle, et ne cessoit de penser
et subtilier voies et moiens pour parvenir ä ses aitainctes, qui, ä dire
en gros et en bref, estoieyit pour faire cela que vous savez (n2oi).
3. Das Wesen des Humors des Verfassers,
Wir haben bis hierher den Stil in seine witzigen, ironischen
und emphatischen Bestandteile zerlegt. Es schien uns, als ob auch
das Emphatische häufig eine humoristische Wirkung auf den Leser
ausübe, daß es dazu beitrage, den humoristischen Ton der Novellen
zu verstärken. Wenn wir in Gedanken alle die aufgeteilten Elemente
wieder zu ihrer Gemeinsamkeit, in der sie sich uns ja darstellen,
zusammenfügen, wenn wir dabei an die Masse der Details denken,
welche die Gesamtheit des Stils ausmachen und uns vorstellen, wie sie
62 Walther Küchler.
alle in ihrer gekennzeichneten Art dazu beitragen, den vollen Ton
des Werkes zu erzeugen, dann können Avir uns vielleicht einbilden, es
tatsächlich mit einem literarischen Produkt zu tun zu haben, dessen
Grundstiramung humoristisch ist.
Eine Überfülle von Humor ist in diesen Novellen vorhanden.
Ein Humor derber, volkstümlicher, ungenierter Ait, und ein Humor,
der sich in preziöser Zierlichkeit verhüllt oder hinter schwülstigem
Bombast versteckt. Knappe, treffende Komik und schwerfällig gewundene
Verworrenheit. Aber die Verschiedenheiten verschmelzen sich zu einer
Einheit. Es verträgt sich das Derbe mit dem Eleganten, die Spiegelung
der Reflexion mit dem objektiven Fluß der Erzählung. Es bildet
sich ein im großen und ganzen gleichmäßig-humoristischer Ton, der fa^t
allen Erzählungen gleich ist. Ein Ton, den sich der Verfasser geschaffen
hat und den er fast nicht wieder los werden kann. Er kann garnicht
mehr ernst bleiben. Wenn er wirklich einmal ernst wird, so glaubt
mau ihm nicht mehr. Traurige Notwendigkeit des Spaßmachers.
Es gibt Mensclien, die fühlen den Beruf in sich bei allen Gelogi-nheiten
den Witzigen herauszukehren, sie fühlen das unbezwingliche Bedürfnis
ihre Äußerungen humoristisch zu gestalten. Der Komiker kann nicht
die Rolle des tragischen Hellen spielen, man würde ihn erkennen
unter der tragischen Maske. Mau erkennt ihn seihst auf der Siraße.
So geht es auch unserem Autor. Der Schalk lacht aus ihm hervor,
wo immer man ihn trifft.
Wenn er in den Novellen 98 und 100 ernst bleibt, so ist es nicht
sein Verdienst, sondern das des Erzählers, der ihm als Vorlage gedient
hat. Ernst bleibt er auch in Novelle 69, in der er den Tod
der wiederverheirateten Frau, welche die bevorstehende Rückkehr ihn s
ersten Gatten erfährt, erzählt. Vom ersten bis zum letzten Wort
stört kein falscher Ton die Harmonie. Aber die beabsichtigte Stimmung
bleibt aus. Der Verfasser wirkt nicht ernst. Der Ton auch dieser
Erzählung ähnelt zu sehr dem lockeren Ton seiner Schwaukge chichten.
Die schönste Art des Humors fließt aus seelischen Tiefen, sie
überströmt mit einem sonnigen Lächeln das Leid, mit einem milden
Blick die Verfehlung. Dieser Art ist der Humor des Veifa-seis der
C. N. iV. nicht.
Er ist auch nicht verletzend und scharf. Er trifft und verwundet
keinen und keines. Er ist auch nicht der trübe Austi ß eines
Pessimismus, einer Verzweiflung, die sich selber quält, indem sie
sich zu schrillem Lachen zwingt.
Der Humor unseres Autors ist der Ausdruck einer oberflächlichen
Stimmung, die getragen wird von einem lässigen Skeptizismus, von einer
billigen Lebensanschauung, die ihrem Träger keine Mühen und Sciiwierig-
keiten auferlegt, da sie nicht beschwert ist mit Fiagen und Gedanken
über das Leben und seinen Inhalt,
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 63
Der unbekannte Verfasser der C. N. ÄL war kein Deklassierter,
nicht ein schittbrüchiger Edelmann 3). Er fühlte sich, so will es uns
scheinen, recht wohl in seiner Haut. Von dem sicheren Hafen, aus
dem er wahrscheinlich nie herausgefahren ist, schaut er vergnüglich
auf das Treiben draußen. Eine auf irgend einem Glauben gegründete
seelische Festigkeit besitzt er nicht, dagegen eine heitere Selbst-
zufriedenheit, die den Menschen und Dingen außer ihm mit einem
bequemen Skeptizismus, mit einer spöttischen Ironie begegnet.
Diese unzweifelhafte Behaglichkeit seines Wesens hält unseren
Verfasser auf einer moralisch ziemlich tiefen Stufe. Trotz seiner reichen
formalen Begabung zwingt sie ihn in den Durchschnitt der Menschen
seinir Zeit. Er zeigt sich uns nicht als großer Humorist, der das
kleinliche Hasten, Ängsten und Leiden der Menschen, über dem er
selber turmhoch erhaben wäre, auf dem Grunde einer starken, freudigen
Weltiin^cliauung mit dem läuternden, versöhnlichen Schimmer der
Frölilichkeit ül)ergö?se.
Wegen seiner schlappen moralischen Verfassung ist er auch
kein Satiriker. Er fühlt keine Entrüstung, wenn ihm die Gemeinheit
entgegentritt. Er sieht sie überhaupt nicht. Es überkommt ihn kein
Zorn über die Mönche, die unter dem Mantel der Scheinheiligkeit
Flauen und Mädchen mißbrauchen. Seine Erzählungen sind keine
Aiddagen, wie die des Masuccio oder des Boccaccio. Am Ende
der Geschichte von dem Eremiten, der die Tochter der Witwe
veifühite und mit ihrem Kinde sitzen ließ, findet er nur Worte
gelinden Bedauerns, Worte, die charakteristisch sind für die Laxheit
seines Empfindens: Quoy qiie sott ou fust, la poiivre fille fut
deshonorh, dont ce fut grand dommage, car helle, gente et bonne
estvit. Die zornige P^mpörung führt dagegen Masuccio die Feder,
wenn er nach seiner ähnlichen Erzählung die Folgerung zieht ,,Quale
duvque omai umano spirito sara bastevole a tante battaglie reparare,
quunie vedenw contimiamente con inganni etradimentiusare per questi
non non diro santi frati, ma piü tosto ministri del grau diavolo?"^)
Man wuiideit sich fast, wie er dazu kommt, eine so furchtbare
Rache in die Novelle 32 einzuführen, um so mehr da Poggio, dem
er diese Erzählung entlehnt, die-e grausame Strafe nicht hat. Aber
er ist der Furchtlarkeit der Tat, die er berichtet, nicht gewachsen:
Ainsi acliethrent bien cherernent les pouvres cordeliers le disme non
accuustmne quilz niisrent sus. Das arme, entehrte Mädchen, die
armen Mönche, die ihr Leben lassen müssen, es ist ihm alles gleich.
Keine Satire, kein zorniges Weh, nur Witz und Ironie, Eigenschaften,
3) Cf. E Haag: Anioine de la Sole. (Archiv f. d. St. d. n. Spr. v. Lit.
CXIII Bd. p. 351).
*) M.isuccio Sdlernitano: II NovelÜTio. Nnvella 2 (Settembrini, p. 36/37).
In dem ersten Tt-ile der Arbeit war bei Behandlung von Novelle 14 der
C. A'. iV. irrtündich iufulgo eines nicht beachteten Druckfehlers auf Novella 1 1
des Masuccio, austatt auf Novella 2 verwiesen worden.
64 Walilier Küchler.
die man nicht eiümal frivol nennen kann, so harmlos und schwächlich
sind sie. Und dennoch ist der Unbekannte ein reiches Talent
gewesen.
Noch eine letzte Eigenschaft seines Humors, die aus der Durch-
schnittsveranlagung dieses Menschen zu erklären ist, sei kurz angeführt.
Sein Humor ist manchmal obszöner Art. Rabelais, der geniale
Humorist, ist nicht obszön. Sein Gelächter ist laut und stürmisch.
Sein Humor ist ein Rausch. Sein Witz gleicht einem „wogenden,
im tollsten Laufe Alles mit sich reißenden Strome." 5) Da kann der
obszöne Schlamm sich nicht halten, der sammelt sich nur in seichtem,
sumpfigen Wasser. Rabelais schrieb nicht, um die Siesta einer
wollüstig-satten Gesellschaft zu unterhalten, sondern um sie aufzu-
rütteln, ihr Bewegung zu verschaffen, damit sie gesunde. Der Erzähler
der C. N. N. folgte neben der volkstümlichen Tradition dem Geschmacke
seines Publikums. Doch kann man immerhin sagen, daß die Sammlung
nicht so viel obszöne Dinge enthält, als der Ruf ihr gewöhnlich gibt.
Für das Obszöne im Stoff kann man den Verfasser nicht allzusehr
verantwortlich machen. Ein solcher schwacher Durchschnittsmensch
konnte nicht wider den Stachel locken, konnte nicht aus dem
Erzählungsmaterial, das er um sich herum, sogar in einem lateinischen
Autor fand, heraus. Aber er trägt seltener das Obszöne in den Stoff
hinein, manchmal tut er es, so vor allen Dingen in Novelle 12, wo
er mit ekelhaftem Behagen in gemeiner Schilderung verharrt, oder in
Novelle 28, in der er einer königlichen Hofdame eine zotige Zwei-
deutigkeit in den Mund legt. In manchen Fällen überwindet er die
Obszönität des Gegenstandes durch den Witz.
4. Das Lebendig-Anschauliche.
Die Novellen erhalten eine starke Anschaulichkeit der Schilderung
dadurch, d;iß der Verfasser durch eine Reihe von Mitteln die Illusion
des mündlichen Vortrags erzielt. Er hat darauf verzichtet, nach dem
Vorbilde des Decamerone sich einen Kreis von Erzählern einzurichten
und, in Tage eingeteilt, die Erzählungen von Personen dieses Kreises
vortragen zu lassen. Es ist fast merkwürdig, daß er es nicht getan
hat. Es wäre ihm sicher keine Mühe gewesen, entweder Boccaccio
zu kopieren oder selbst eine Gesellschaft zusammenzubringen, wie es
z. B. der Verfasser der Evangiles des Quenouilles in origineller
Weise fertig gebracht hat. Er hat es wohl nicht gewollt, er hat sieh
eben nicht von dem Italiener beeinflussen lassen, nicht einmal in der
so nahe liegenden Einkleidung seiner Novellen in einen Rahmen
Schon Karl Voßler, der allerdings mehr die objektive Betrach-
tungsweise des mit der Feder in der Hand am Schreibtisch sitzenden
Schriftstellers in dem Verfahren des Erzählers zu erkennen scheint,
^) H. Schneegans: a.a.o. p. 258.
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 65
hatte darauf hingewiesen, daß sich dennoch in den C N. N. „fast
auf jeder Seite das Bestreben zu erkennen gibt, einen besseren
Zusammenhang zwischen Erzählung und Publikum herzustellen." 6)
Mir will dieses Bestreben als das Deutlichere erscheinen und das
Schreibermäßige mehr als etwas Untergeordnetes, das aus Vergeßlich-
keit oder anderen Ursachen stammt.
Die Illusion des mündlichen Vortrags wird am stärksten dadurch
erweckt, daß sich der Vortragende scheinbar an eine Versammlung
von Zuhörern wendet. So beginnt Novelle 69: // n^estpas seullement
cogneu de ceulx de La ville de Gand . . . mais de la plus part
de ceulx de Flandres, et de vous qui estes cy presens, que . . .
Novelle 99 beginnt: aS'z7 vous piaist, vous orrez, avant quHl soit
plus tard, tont ä ceste heure ... In Novelle 81 heißt es: ... je
vous feray . . . ung bien gracieux compte d'un chevalier que la
plus pari de vous, mes bans seigneurs, congnoissez de piecä.
Die Vorstellung einer Zuhörerschaft, aus der einer nach dem anderen
seine Geschichte erzählt, erhält man sehr deutlich, wenn die Novelle 37
mit der Einleitung beginnt: Tantdiz que les aultres penseront et ä
leur memoire ramainront aucuns cas advenuz et perpetrez, habilles
et suffisans d'estre adjoustez ä Vystoire prSsente, je vous comp-
teray . . . Sehr suggestiv beginnt auch Novelle 93: Tantdiz que
fay bonne audience, je veil compter . . .; ebenso Novelle 84: Tantdiz
que quelqu'ung s''avancera de dire quelque bon compte, fen feray
ung petit qui ne vous tiendra gueres, mais il est veritable et de
nouvel advenu. J''avoie ung mareschal qui bien et longuement
in'avoit servy de so7i mestier . . . Gerade der Umstand, daß ein
vornehmer Herr eine Anekdote erzählt, die einen seiner Angestellten
anging, wie er vorgibt, und der Beginn mit „Ich hatte" machen die
Illusion besonders stark.
Nicht nur durch solche Bemerkungen vor dem Beginn der
eigentlichen Erzählung wird der Eindruck des mündlichen Vortrags
hervorgerufen, sondern auch dadurch, daß der Erzähler sich während
seiner Erzählung an Zuhörer zu wenden scheint, indem er sie anredet.
Solche kurze Anredeformeln sind: Pensez, creez, ne douhtez, or
devez vous savoir, et veez cy la fasson, lä veissez une merveilleuse
risee, je vous assure, que je vous dy, or pour vous donner ä
entendre, tel moyen que je vous diray, toutes foiz vous povez penser,
et si vous me demandez ä quel propos damp moyne ce faisoit,
je vous respons. In jeder Novelle finden sich meist mehrere solcher
direkter Anreden, die eine unmittelbare Beziehung eines Erzählenden
zu einer Zuhörerschar ausdrücken. Es mag wohl sein, daß der
Verfasser nicht bewußt die Absicht gehabt hat, die Illusion des
Vortrags durch diese Bemerkungen zu erwecken, sie sind wohl
^) Slud. zur vergj. Lileraiurg. II. p. 7.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI i.
66 Walther Küclder.
Äußerungen seines Temperamentes, das sich ungezwungen und offen
gibt. Wenn irgend ein Stil Teniperamentsache ist, so ist es der seine.
Ungezwungen, naiv-vollistümlich und anschaulich wird der Stil
auch durch den Umstand, daß der Verfasser sich sehr oft persönlich
einführt. Durch diese häufigen Phrasen in der ersten Person braucht
nicht notwendig der Eindruck des mündlichen Vortrags erweckt zu
werden. Dagegen erscheint die Sprache ungekünstelt, schlicht, als ob
sich der Erzähler keinen Zwang antäte. Zur unmittelbaren Wirkung
dieser einfachen Geschichten trägt diese Gewohnheit sehr bei. Einzelne
Beispiele sind: Ainsi que puis me fut compte; que je sache; jene
dl/ jjas, et riay point sceu\ ri'est encore venu ä ma cognoissance ;
me donne mon appetit grand voidoir de nommer en ma petite
ratelee; je tien, moy; j''espoire; si m'en passe; n'a gueres que j'estois . . .
nous allasmes; le cas que j'ay ä vous descripre u. a.
xiuch solche Wendungen, die ganz den Schreibenden verraten,
wirken meist nicht schwerfällig, sondern tragen mit dazu bei, das
Verhältnis zwischen Erzähler und Leser enger zu knüpfen. Z. B. Et
qui me demanderoit qui le lahoureur mouvoit ä faire ceste sa
question, le secretaire de ceste histoire respond . . ., et si nest
que viennc d'aventure ceste histoire enire ses mains, jamais rten
ara . . . la cognoissance, ce que pour rien je ne vouldroye. Si
prye aux lisans qui le cognoissent quHlz se gardent bien de luy
monstrer u. a.
Andere Wendungen haben keinen Einfluß auf die Lebendigkeit
der Sprache: Pour accroistre et amplier mon nomhre des nouveUes
que j'ay promis compter et decripre u. a.
Schwerfällig wirkende Schreiberphrasen sind Sätze, die als
Überleitung von einem Teil zu einem anderen dienen wie: et
tantdiz qu'ilz se deviserent^ nous retournerons ä parier de la
vieille, qui vint ä tostel u. a.
Eines der am häufigsten angewendeten Mittel das Tempo der
Rede lebhaft zu gestalten, ist der Infinitivus historicus z. B. et ce fait,
vistement haiser et accoler, et le surplus qu apres s'ensuyt (129); i^^nt
de ruer, taut de bouter, taut de parier {I^^q); et monseigneur Taltbot,
de son poing ... de charger snr la teste de ce bon pelerin (I3-);
et sa femme de plorer de plus belle (II 145).
In den weitaus meisten Fällen ist das Subjekt mit dem Adjektiv
bon verbunden und steht ohne Artikel. Häufig erfährt auf diese
Weise der Ausdruck neben der Eigenschaft der Lebendigkeit auch
eine leise Färbung von Komik.
Z. ß. et bon jacobin d'oster sa goune et son scapulaire, et
de baiser et accoler bien serrement la belle nonnain (I286)' ^^ ^^"
eure de cryer, et de faire la plus male vie que jamais /ist
homme (IIsi); et bon hoste de saillir avant, et de recevoir la
compaignie (II 85); ^^ bonnes gens de raccorder leurs musettes,
et de parfaire la note encommencee (üiop); et bon presire de soy
Die Cent Noiioelles Aouvelles. 67
retirer (IIi3i); et hon homme de s avancer et lever sus et chanter
Te Deum, et venir ä son asne (11143); ^^ honne damoiselle de
despoiller sa rohe, et se mectre en cotte simple, et le hon compaignon
de La prendre ä hons hraz de corps^ et faire ce pourquoy il
vint (I29g)-
Häufig tritt auch ein Wechsel in der Konstruktion ein, und an
die Stelle eines zweiten oder dritten Infinitivs tritt ein historisches
Präsens,
Z. B. et hon chevalier de Vahandonner, et d mo7iseigneur
sen reiourne (I54); et hon komme de se sauver; et dessouhz le lit
se houte (I30); et hon mary de soy courroxicer, et dit (1 240)1 ^^
hon ecesque d'assaiUir ces perdrix et desmemhrer d'entree la
meilleure qui y fust; et commence a irencher et menger (Il22'2)-
Eine Konstruktion, die ebenfalls lebendigste Anschaulichkeit
zu erzeugen vermag, besteht in der Verbindung des Substantivs mit voici
und einem unmittelbar folgenden Relativsatz. Die Verwendung von'
hon ist wieder ein charakteristisches Kennzeichen dieser Wendung.
Z. B. Tantdiz que ceste grande chiere se faisoit, et veez cy
ja retourne de soii twyage hon mary . . . qxii heurte hien fort ä
l'hvys (I3); et ä cest cop veez cy hon Escossois qiti retourne et
monte arriere les degrez de la chamhre, et sault dedans et dit
tout hault (I30); veezcy nostre gueux qui arrive (Im); qiiand
il fut hors de la ckamhre^ veezcy honnes matrones qui viennent
(I277); ^^ ^*V ^^^ gueres este que veezcy hon jacohin qui attrotte (l28r,)-
Manchmal steht in Verbindung mit voici der Infinitivus historicus
statt eines Relativsatzes.
Z. B. Environ douze heures, veez cy nostre marcliant venir
(I239); ii ne demoura gueres que vecy venir nostre gouge (Hg,,);
le lendemain . . . le hourreau . . . fut devant la prison, oii il
neust gueres este que veezcy venir le hailhj (II 125) u. a.
Zur Lebhaftigkeit der Erzählung trägt auch eine Erscheinung
bei, die zwar nicht unserem Autor allein eigentümlich ist, nämlich
der im älteren Französischen häufige Wechsel zwischen Präsens und
Perfekt im historicum in der Erzählung. Der Verfasser wendet diesen
Gelirauch meist wohl ganz gedankenlos an, und daher ist auch keine
Wirkung auf den Stil vorhanden. Manchmal jedoch erscheint der
Wech>el beabsichtigt und dann beeinflußt er das Tempo der Erzählung,
indem er es beschleunigt und zugleich der Sprache eine erhöhte
Anschaulichkeit gibt.
Einige ßei^-piele mögen diesen Wechsel der Tempora zeigen.
Es ist nicht unmöglich, daß er in jedem Falle unbewußt ist und
daß nur ein Instinkt, der Instinkt des guten Erzählers ihn veranlaßte.
Die Wirkung ist jedenfalls da. Schließlich setzt sich wohl jede
Eigenart aus bewußten und unbewußten Faktoren zusammen.
I > 1 -bhaftem Tempo erzählt der Verfasser das aufgeregte Gebaren
des einlaßiiegehrenden Gatten, dem die Gattin nicht öffnet: . . . hon
68 Walther Küchler.
mary de se coiirroucer; et fiert . . . de son pie contre la porte,
et semhle qu'd doit tout abatre^ et menace sa femme . . . dont eile
na gueres grand paour — soweit das Präsens, dann fährt der Erzähler
nach einem lang sich dehnenden, retardierenden Satze fort ,,elle ouvrit
Vhuys'^. Der Rythnius des Satzes, die Situation und der Tempus-
wechsel treffen sehr gut zusammen (I7), Ein anderes Beispiel. Die
Edelfrau hat ihren Diamantring verloren: comme eile regardoit ses
hraz et ses i7iains, eile ne vit point son dyamant, si appella ses
femmes. Dann wird die Situation lebhafter und bewegter. Das
Präsens tritt ein : . . . leur demande . . . Chacune dist . . . On cherche
hault et bas, dedans la cuve, sur la cuve, et partout; mais rien
ny vault, on ne le peut trouver. Und dann wieder in deutlich
verschiedenem Rythraus: La queste de ce dyamant dura lon-
guement (122/23)*
Fast stets folgt das Präsens auf das Passe defini, wenn es sich
um einen Abschied und Aufbruch handelt: „luy donna bonne nuyt
et picque et s'en va (I30); H manda sa imde, et au palais s'en
v>a, oü il compta (I95).
Der Tempuswechsel scheint auch in folgendem Falle nicht ganz
zufällig zu sein, sondern einen bestimmten Grund zu haben. In
Gesprächen, besonders in Antworten, die indirekt wiedergegeben werden,
erscheint plötzlich nach einem Imperfektum oder Perfektum historicum
das Präsens. Es hat den Anschein, als ob der Erzähler sich das
wirklich geführte Gespräch in direkter Rede vorstelle und das in
der direkten Rede gebrauchte Tempus in seine indirekte Erzählung
übertrage.
Der um seine Sehkraft gebrachte Franziskaner bittet den Vater
des schuldigen Mädchens um eine Entschädigung. Le bourgois . . .
respondit que . . . luy desplaisoit . . . Trop bien est il content . . .
luy faire . . . aide . . . car ä luy ne veult en riens estre tenu; luy
veult ballier etc. (I14/15). Ebenso: Monseigneur resp07idit que
pourtant ne se remuoit droit, et jasoit qu'il soit jnarie, si nest-il
pas powtant du gracieux service d'amours oste (I57). Ein Tempus-
wechsel von lebhaftester Anschaulichkeit ist folgender. Ein Gatte
ist in eine Truhe gesperrt worden: le baku fut ferme . . . prindrent
toutes ensemble et homme et bahu, et Vemporterent ... et lä le
laisserent. Der unglückliche Gatte crye et se demaine . . . mais
c'est pour neant; dann wieder ganz richtig das Perfektum historicum
il fut lä laissij toute la belle nuyt (1]^]).
Ein drittes Hauptraittel Anschaulichkeit zu erzielen ist die
Verwendung von Vergleichen und bildlichen Redensarten. Der kurze,
volkstümliche, aus den allernächsten Anschauungs- und Erfahrungs-
gebieten stammende Vergleich ist ziemlich häufig:
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 69
Nostre boicrgois, plus subtil que ung regnard (I2); l'aultre, plus
esveÜle qii'un rat et viste comrne ung levier (154); monseigneur,
qui estoit plus esveilU qü'un rat (1249)3* inaistre moyne, plus
eschanfe quhm estalon (Iga); s'il nest plus beste qu''un asne (I125);
il sendormit comme un pjourceau (I150); la face plus noire que
charbon (11^2)5- ^^^^ moine qui n'avoit appetit nesq'un chien (II 153);
enfle comme ung ticquet (IIjgQ); il se tient plus coy que ung
feu couvert (Iijg); il . . . la fwjoit comme tempeste (Iljgj); cette
lance droicte comme ung cornet de vachier {llif^c^); aussi riche que
le roy, que 77ionseigneur, et que tous les princes chrestians (Ing);
estoit plus aise que ung roy (Iljsg); ses bourdes sembloient aussi
veritables comme VEvangile (I214);
Nostre yvroigne, plus estourdy que une grive partant dune
vigne (I3P); comme une beste aux champs estre enfouy (I42); ce
Saint hermite . . . n estoit pas mains luxurieux que ung vieil cinge
est malicieux (I73); comme ung sanglier mis aux abais de tous
coustez (Iixe); veez cy plus bei appareil"? il semble que les pour-
ceaux y ayent couchiS (1 221)1 ^^^ draps du lit estoient tant sanglans
qu'il sembloit que ung beuf y fut escorche {l24->); nostre bcuchiere
plus simple quuri chat baigne (1q-)\ il se tire ä ces trippes belles
et grasses, et fiert dedaiis comme ung hup dedans les brebis (II158);
comme une lisse entre deux douzaines de chiens (Hiso); ^^" ff^os
chanoine qui avoit plus d'argent que ung vieil chien na de
puces (IIig(>); une femme . . . qui n estoit point de meilleur au
monde: car eile ne tenoit serre, tant qiielle peust veoir son cop,
et qu'elle trouvast ä qui, neant plus que une vieille arbaleste (Iood/g)-
Neben diesen ganz der volkstümlichen Ausdrucksweise ent-
nommenen Vergleichen stehen nicht allzuviel Vergleiche, bei denen
eine bewußte, literarische Verarbeitung zu erkennen ist.
Z. B. les paroUes quelle descocJta ne furent pas mains tren-
chans que rasoirs de Guingant bien affilez (I7); comme pluseurs
femmes ont larmes a commendement qu'elles espandent toutes foiz
ou le plus souvent qu'elles veident^ si eut ä cest cop nostre bon
c/ß/'C (Igg); il a fait comme les jeunes enfans, qui voident emploier
leur bature quant Hz ont deservy le punir (Ijgi); nostre jaloux
les avoit tousjours entre ses mains (Bücher, in denen von Frauenlisten
berichtet ist), et rien estoit pas mains assotte qu'un follastre
de sa massue (I233) ' ^^ ^^^ sonnoit pas ung mot, mais se tenoit
comme une droite statue ou une yd ole en quetaille {li-j --,)''); comme
ung champion venu sur les rencs de bonne heure et attendant son
ennemy, en Heu de pavillon se va mettre derriere ung tapis en la
ruelle de son lit (I23); Hz estoient si bien d'accord qxioncques
musicque ne fut ponr eulx phis doidce, instrumens ne pourroient
') en queiaüle hat keinen Sinn. Es mufs heifien „entaillie." wie Jacob
nach Verards Druck hat.
70 Walther Küchler.
mieulx estre accordez que euLv deux . . . estoient (II, q-); comme
le poulain s''eschavffe sentant la jumenf, et se dresse et demaine,
aussi faisolt le sien, ievant la teste contremont si tres prochain
de Vaurfauveresse (I44); vous ... secherez sur terre comme la
belle herbe dedans le four chault (I153); comme uvg chien gut ne
fxiult que escourre la teste au matin quand il se live quil ne soit
prest, estoit monseigneur; car il ne luy faillit que une secousse
de verges ä nettoier sa robe et ses chausses quil ne fut vrest (I^cß)
u.a. 1,0. II 161.«)
Diese letzten Vergleiche sind bereits ein bewußtes Stilmittel.
Während dem Verfasser die zuerst aufgeführten Vergleiche meist ohne
Weiteres in die Feder fließen, weil ihm die volkstümlich -bildliche
Ausdrucksweise sehr geläufig ist, zeigen diese z, t. mit fast homerischer
Breite ausgeführten Vergleiche stilistische Arbeit zwecks Erzielung
gewollter Effekte. Ich habe mich nicht gescheut fast die meisten
Vergleiche anzuführen, besonders auch weil Haag behauptet, der
Vergleich erscheine in den (\ JV. N. ebenso spärlich wie in Saintre,
und das ausgeführte Gleichnis fehle ebenso gänzlich. Überraschend
groß ist zwar die Anzahl der Vergleiche nicht in den C. N'. N'., aber un-
bedeutend ist sie auch nicht. Ihre Zahl vermehrt sich übrigens noch,
wenn man solche Stellen zu ihnen hinzurechnet, welche äußerlich
die Form eines Vergleiches haben, ohne daß immer an ein bestimmtes
tertium comparatiouis gedacht wäre. Solche meist volkstümliche,
vergleichsartige Ausdrücke sind z. B.
L'autre, aussi voluntiers quon va au guet . . . s'avance (I37);
plus courroucie quoncques homme ne fut joyeux (l2io)l l^y dirent
autant de honte qu'oncqucs saint Pierre eut d'honneurs {II, ^0); sa
response estoit plus asseuree qtie la plus juste de cc monde (II 13c,);
mademoiselle qui estoit plus ßne que moustarde (U]28); 'pour qui
eile ne feroit neani plus que le singe pour les mauvais (I130); H
semhloit bien qiielle eust ung dyable ou ventre, tant luy disoit de
villainnes paroUes (I250); 5'"^ ,A^ 'f"** esbahie que si cornes luy
venissent (Ii^e)) ^^*" dcux amoureux se deinenoient tellement Vun
contre Vauire qu'il sembloit qu'ilz deussent menger Vun Vautre (II^yjj).
Hz avoient grand volunte de mal faire; Uz sembloit quilz voulsissent
tuer quaresme {\l^-j^)\ en son atnour tant fort le boutoit qu'il eusi
pour eile ung Ogier combatu (II 129).
Die an letzter Stelle aufgeführten Vergleiche fallen schon fast
aus dem Gebiete des eigentlichen, mit konkreten Mitteln arbeitenden,
treffenden Vergleiches heraus und weisen hinüber in das Feld des
bildlichen Ausdrucks. In unseren Novellen ist die Verwendung de?
bildlichen Ausdrucks noch viel ausgebreiteter als der Gebrauch des
Vergleichs. Ganz besonders häufig, in üppiger Fülle findet sich der
^) Die in Novelle 100 enthaltenen Vergleiche sind nicht berücksichtigt,
da sie aus dem lateinischen Text übersetzt sind.
Die Cent Nouvelles Noucelles. 71
Yolkstümlich-bildliche Ausdruck, die bildliche Redewendung, die un-
bewußte, oft derbe Poesie der täglichen Sprache,
Z. B. tenant le hoc en Veau pour deviser (I,;) ; il joa hien
du hec (laß); H monia sur son chevalet, car il avoit la teste chaude
et fumeuse (I34); avoit hien fait le tnauvais clieval et en maintien
et en paroles (I210)' l'espousee ne tenoit pas ses yexdx en son sein,
mais . . . apperceut son mary parier ä nostre fdle grosse, dotit
la puce luy entre en Voreille^); monseigneur qui a des nouvelles
estoupes en sa quenoille (I55); lautre qid entendoit son latin . . .
s'advisa de batre le fer tantdiz qiiil estoit chault (Igs); luy qui
cognoissoit mousche en lait . . . perceust tantost que la cliambnere
estoit fenime qui devoit faire pour les gens. Si ne luy cela. gueres
ce quHl avoit sur le cueur, et, sans aller de deux en trois. luy
demanda Vaumosne amoureuse. 11 fut de prinsaidt hien rechasse
des meures (I95); monseigneur raroit heurre pour anifs (Igi); ^^^'^
de heau pour aler courre V agidllette (I52); jamais (eile) ne fut
rehourse ä Vesperon (1,^4); eile duicte et faicte ä Vesperon et ä la
Lance (II]2o^> ^'^ ^^V ^'* forgeoit hien la matere (Ipf)); la veille,
cuidant Dieu tenir par les piez (I77); ces deux maisons voisines
estoient, comme Ion dit de coustume, la grange et les hateurs (I>si);
luy qui oncques sur beste crestiane n avoit monte (Ijot) ! aimer
pour ses beaulx yeidx (Iios)» ^^<*' n estoit pas trop chaidt sur
potaige (Ijos)» nostre va luy-dire, qui s'en revint devers son
maistre ä tout ce qu'il avoit de poisson, car ä char avoit-il failly
(Ii3o); le vouloir de sa dame fut hors de ville (Ii72)'5 ^<^ nouveait
marye neust pas dit ung mot pour cent francs (I174); on n'oyst
pas JDieu tonner en une compaignie oii il fust (I175); vous ne
sauUerez jamais dHcy sinon les piez devant, se vous ne confessez
v6rite (I197); l'^utre qui ne pensoit point avoir compaignon, en
avoit tout au long du bras ou autant qu'on en pourroit entasser
ä force ou cueur d'un amoureux (loos)» pour assiete en Heu de
cresson eile luy dist (I210); demandans Heu de cuyre et leur tour
d'audience (I219); accompaignee d'une vieille serpente (1233)? gaigner
les pardons (I242)! *^ happera ce henefice (I264)) '^'^P ^^^'^ clianterent
la leezon ä la, religieuse nonnain (1283); iout ce bagage (I300)' ^^
gentilhomme qui ne glatissoit apres aultre beste, vint 2->our se
fourrer dedans (IIjiq); luy dist pour tous poiages (II 112) 5 «''^6''
estaindre le feu (II u^^;); maistre curS qui vient pour alumer sa
chandelle, ou pour mieulx dire p>our V estaindre; s^en alla sonner
sa trompeite (11,17); i<^noit a pain et ä pot une donzelle (IIios);
la derreniere et fhiahle grimace (II133); moyennant de qnihus (II 13,;);
si tourne bride et print garin (el)da) ce chevalicr qui tout le jour
avoit culette la seile (II254); jamais narez volnnte de marteler
sur enclume femenine (Iligj); la bonne fdle qui, comme Con dU
») nicht ia Wrights Text.
72 Walther Küclder.
communement, jiavoii pas S07i cueur en su chausse (Uj^g); la
maistresse de l'escole (ebda); la hoeste aux caillouz (11207)-
Die Zahl der volkstümlich-bildlichen Ausdrücke ist mit diesen
Beispielen nicht erschöpft i^). Aber der Reichtum, aus dem der Ver-
fasser mühelos schöpft, liegt offen zu Tage. Doch er nimmt nicht nur mit
nachlässigen Hcändeu bereits fertiges Sprachgut, auch mit neuschaffender
Sprachkunst schafft er sich neue Wendungen, schlagende Ausdrücke
voll Saft und Leben, voll ursprünglicher Kraft und robuster Energie.
Wenn man die vorhandenen Beispiele genau ansieht, so erkennt
man — einzelne Irrtümer nicht ausgesclilossen — leicht, wo die
selbständige Neuschöpfung beginnt, man erkennt leicht den für die vor-
liegende Situation mi Augenblick des Schreibens gefundenen Ausdruck.
Neben den volkstümlichen Wendungen stehen bildliche Phrasen
vornehmerer, literarischer Art in nicht so großer Zahl, die den
Verfasser unter dem Einfluß der zünftigen Tradition und wohl auch
eines höfisch-zeremoniellen Sprachgebrauchs zeigen.
Z. B. L,a mort l'eust destacki de la chayne qui ä mariage
Vaccouploit (I|) les yeulx d'elle, archiers du cueur, descocherent
tant de ßeches en la personne dudit hourgois que sans pjrochain
remede son cas nestoit pas maindre que mortel (I1/2); H parla
hault et hlasonna hien les armes de son hon voisin (I4); soubz
umbre du doulx manteau d'ypocrisie (I73); vous ne serez pas en
mon livre enregistre (Ig^)/ si luy avoit jeunesse et crainte les yeulx
si bandez que en rien il ne s'apercevoit du bien qu'on luy vouloit
<Ii26)j qui fut Celle nuyt enregistre ou livre qui napointdenom
(Iißp); il aguyse le cousteau qui sans mercy ä ses derrains jours
Le mainra (Ioi2)j" son dolent cneur portoit la paste au four de
ceste maladie infortune (Igss)? comme eile approucha le pas de
la mort (II7); les amourettes . . . estoient si parfond enracinees
es cueurs des autres deux parties . . . que impossible estoit les
desrompre (Hu-),- faire ouverture au clistere qui demandoit la clef
des chainps (II 143); du baston de quoy on plante les hommes,
comme dit Bocace (II 144).
Ganz besonders zahlreich sind, wie auch schon Haag hervorgehoben
hat, die dem Ritter- und Soldatenleben, Turnierspiel und Kampf
entlehnten Bilder und Wendungen ; sie finden sich aber nur dann, wenn
es sich um den geschlechtlichen Verkehr der Liebenden handelt. Diese
Ausdrücke etwa als ein Merkmal des ritterlichen Charakters der Sammlung
ansehen zu wollen, wäre aber ganz verfehlt; denn einmal finden sich
solche Ausdrücke, wenn auch nicht so gehäuft, in den meisten erotischen
Werken der Italiener und Franzosen des XIV. — XVI. Jahrb. und
dann nehmen sich alle diese Ausdrücke wie Parodien der ritterlichen
Phraseologie au?. Nur einzelne Beispiele, um die Art zu charakterisieren,
seien angeführt.
10) Volkstümliche Sprichwörter finden sich I TS, 128, 231. II 48.
Die Cent JSouvelles Noucelles. 73
Le jour des armes assign^es (I52); l'henre (.Valler aux
armes (I53); la lance dont je entends ä fournir mes armes (Igs);
de qiielles lances il vouldra jouster encontre son escu (ebda);
Monseigneur . . . luy haille ung fier assanit, et tant /ist en pou
d'heure qxiil avoit la jylace emportee s'il neust este content de
■parlamenter (tgs); on ne vous peut avoir sans siege. Or pensez
bien de vous defendre, car vous estes venue ä la hataille (I131);
ne fut oncques en sa puissance de tirer sa dague pour esprouver
et savoir s'elle pourroit prendre siir ses cuirasses (Ino); sans
delay (il) bailla l'assault incontinent ä sa forteresse^ et tellement
quen peu d'heure . . . il entra ens et la gaigna; mais . . . il ne
fist pas ceste conqueste sans faire foison d'a7'mes . . . car aingois
qu'il venist au donjon du chastel, et force luy fut de gaigner et
emjyorter boulevars, bailles, et aultres plusieurs fors dont la place
estoit bien garnye, comme celle qui jamais navoit este prinse,
dont fust encores yiouvelle, et que nature avoit mis en defense.
Quand il fut maistre de la jjlace, il rompit setdement une lance,
et lors cessa Vassauli et ploya Vo'uvre. Das Bild ist noch niclit
zu Ende, die obszöne Phantasie des Verfassers schwelgt in der
kriegerischen Ausgestaltung dieses Waffengangs, aber das Obszöne
verschwindet fast vor der Konsequenz der bildlichen Schilderung (Ina)-
Treffend und ausgezeichnet in seiner Kürze ist (Iligg) sa seur
d'armes, sowie die Charakterisierung des Liebeswerbens als genie
ehasse (Iisg).
Die Kunst des Verfassers seinen Erzählungen Anschaulichkeit
und Lebenswahrheit zu verleihen zeigt sich ferner in dem häufig bemerk-
baren Bestreben die Begebenheiten und Situationen durch eine Menge
von unscheinbaren Details, die an sich ohne Gefahr für den Verlauf der
Handlung wegfallen könnten, zu beleben. Der Verfasser führt Tatsachen
von nebensächlicher Bedeutung an, die den Augenblick, um den es sich
handelt, so trefflich illustrieren, daß wir ihm näher kommen^ als es
ohne diese kleinen, wie im Vorübergehen gefallenen Bemerkungen der
Fall sein würde.
Der Kummer der Edelfrau über den Verlust ihres kostbaren
Diamantringes ist uns vollkommen verständlich, aber wir begreifen
ihren Schmerz noch viel mehr, wenn wir erfahren, daß er ihr des-
wegen so besonders teuer war, weil ihr Gatte ihn ihr am Hochzeits-
tage geschenkt hatte. Für die Handlung ist diese willkürlich erfundene
Bemerkung gänzlich bedeutungslos, aber sie ist geschickt an ihren
Platz gestellt.
Wir können uns leicht vorstellen, wie erstaunt und entzückt
die Witwe gewesen sein muß, an deren Ohr nächtlicher Weile die
geheimnisvolle Botschaft gelangte, ihre Tochter werde mit Hülfe eines
gewissen Eremiten einen Sohn gebären, der zum Papste bestimmt sei.
74 Walther Küchler.
Wir erfaliren ilirc Freude und Überraschung auch durch den Erzähler.
Wenn wir außerdem noch liören, daß sie erst spät wieder ein-
schlafen konnte und daß ihr Schlaf nicht fest war, so verfehlt diese
Angabe ihren günstigen Eindruck auf den l^eser nicht, ebenso wie
die andere, daß der endlicli anbrechende Tag sich durch die Sonnen-
strahlen, die durch die Fensterscheiben in die Kammer fallen, an-
kündigt und Mutter und Tochter in Hast sich erheben läßt. Wir
linden vielleicht nicht ganz begreiflich, aber hören mit Interesse, daß
die Mutter ihrer Tochter erst dann die Engelsbotschaft berichtet,
quand prestes furent et sur piez mises, et leur pou de mesnage
Ulis ä pomt.
Ein guter Fieund kommt zu Besuch aufs Schloß und wird
vom Herrn und seiner Frau aufs herzlichste empfangen. Die Angabe
hätte genügt. Dem Erzähler genügt sie nicht; denn er fügt noch
hinzu, das ganze Haus bemühte sich dem Gast aufs freundlichste zu
begegnen; denn jedermann wußte, daß es Herrn und Herrin Wohlgefallen
würde. Sicher ist, daß wir uns die Bemerkung gern gefallen lassen,
so wenig bedeutungsvoll sie ist. Sie malt die Situation schärfer.
Ausgezeichnet, ganz nebenbei in einem Relativsatze, deutet der
Erzähler den Hochmut der vornehmen Aristokratiu an, die auch in
einer Versammlung erscheinen muß, in der sämtliche Ehepaare der
Stadt zugegen sind: ,,Monseigneur mesme fist venir madame, qui
fut toute eshahie de voir VassemhUe de ee penple" (XXXH).
Es tut nichts zur Sache, aber macht Eindruck, wenn der
Erzähler versichert, daß das komische Abenteuer des Rechnungs-
kammerpräsidenten mit der Magd an einem Montag Morgen sich
ereignet haben soll, oder daß der Dorfcure seinen toten Hund ziemlich
nahe bei der Tür seines Hauses begraben habe, oder daß der Prinz,
der nächtlich im Vorzimmer der Königin deren Hund ins Ohr zwicken
will, erst mit Händen und Füßen suchen muß, bis er ihn findet.
Man wird gestehen müssen, es liegt System in solch gewissen-
hafter Behandlung der Details. Die Wirkung bleibt denn auch nicht
aus. Die Situation gelangt zu Anschaulichkeit und Lebenstreue.
Gelegentlich steigert sich die Wirkung durch die minutiöse Beobachtung
der kleinsten Details in überraschender Weise, und der Erzähler
bringt ein Bild von so verblüffender realistischer Wahrheit zu stände,
daß es einem modernen Theoretiker des Naturalismus Freude machen
würde. Die Begegnung des Priesters mit dem Trunkenbold in
Novelle 6 ist, wie die ganze Erzählung, ein Meisterstück realistischer
Erzählungskunst: Der Prior des Augustinerklosters im Haag ging
neulich gegen Abend bei der St. Antonius -Kapelle, die in einem
Gehölz nahe bei der Stadt liegt, sein Breviaire lesend, spazieren.
Da hatte er eine Begegnung mit einem sinnlos betrunkenen, holländischen
Bauern aus dem etwa zwei Meilen entfernten Dorfe Stevelinghes.
Der Prior sah ihn von Weitem kommen und erkannte gleich an
seinem schweren und unsicheren Gang, wie es mit ihm stand. Als
Die Cent Noiivelles Nouvelles. Tb
sie nun beieinander waren, begrüßte der Betrunkene zuerst den Priester.
Dieser erwiderte den Gruß und setzte, ohne sich in seiner Andacht
stören zu lassen, seinen Weg fort. Darüber geriet der Trunlcene in
größten Ärger, er kehrt um, hängt sich an den Priester und verlangt
zu beichten usw. In dieser minutiösen Beliandlungsweise ist die ganze
Erzählung geschrieben. Der überaus unbedeutende Gegenstand ist in
seinen kleinsten Phasen, Zug um Zug, geschildert. Der Betrunkene
will nach erlangter Beichte von der Hand des Priesters getötet werden^
um sogleich in das Paradies einzugehen. Der bedrohte Priester
willigt endlich ein, er ergreift das Messer und fordert den Betrunkenen
auf, niederzuknieen. Ja, wenn das so leicht wäre! .^Uyvroigne . . .
tout ä coup du hault de lui tumher se laissa^ et ä chef de piece,
ä qiielque mesclief que se fust, sur ses genoidz se releva ..."
Der Priester gibt ihm einen Stoß mit dem Messerrücken, daß er
umfällt und meint, er wäre tot. Wie er so daliegt, langen in einem
Wagen eine Anzahl Leute an, die durch den Priester von dem Sach-
verhalt unterrichtet sind und den vermeintlich Toten nach Hause
schallen wollen. Auch dieses zweite Zusammentreffen ist mit höchster
realistischer Treue erzählt: Quand Uz furent pres de lui^ trSsious
u une voix par son nom Vappelerent; jnais Uz ont beau hucher,
ü na garde de respondre ; Uz recommencent ä crier, mais cest pour
neant. Adonc descendirent les aucuns de leur chariot, si le
prindrent par teste, par piez et jior jambes, et tont en air le
sourderent et tant le liuckerent qirll ouvrit ses yeulx, et quand ü
jyarla iL dist: „Laissez-moi/, laissez, je suis mort.''
Dieses konsequente Bestreben der realistischen Detailbehandlung
verbindet sich häutig mit dem Bemühen die einzelnen Situationen sa
durchzuarbeiten, daß sie wie Bilder vor uns stehen, und zwar wie
szenische Bilder; denn sie sind durch das Band einer regen Handlun-x
mit einander verbunden. Auf diese Weise erhebt sich der Stil zu
einer starken dramatischen Anschaulichkeit.
Diese Anschaulichkeit wird oft nur durch eine kurze szenische
Bemerkung, die wie eine Angabe für Schauspieler oder Regisseur
aussieht, erzielt.
Solche Angaben sind etwa: I^t ä cest cop, tenant la chandelle
en sa main, se iire pres du lit (I4) ; le bon compaignon, tousjours
la chandelle e?i sa main, fut assez longuement sans dire mot (I5);
sa bonne femme, qui mesnageoit par leans, en main tenant ung
ramon {Iq); la femme du musnier portant deux cruches et retournant
de la riviere (I17); . . . se devisassent, en pourmenant par une
salle (Ißs); ^^ voix basse et de plours entremeslee respondit la
fille (I109); i^]/ dist, en luy donnant ung petit coup sur le chapeau
(I201); ce patient la vient trouver^ onvrant de sage, et ewpres d'elle
se met (H.joo)-
Das Charakteristische dieser und anderci- Stellen i>t weniger
die genaue, bis in Ii^inzelheitcn peiiiiiche Darstellung, sondern die
76 Walther Küchler.
kurze Verdeutlichung des Vorganges, die dabei der Phantasie des
Lesers einen großen Spielraum läßt. Wenn z. B. in Novelle 25 der
Angeklagte verhört werden soll, so erhalten wir ein kurz angedeutetes,
szenisches Bild: Apres ses parolles, le prevost se vient meltre en
siege pontiUcal ä dextre et environnS de ses hommes, et le hon
compaignon fut mis et assis sur le petit banc ou parquet, ce
voyant toitt le peiiple et celle qui V accusoit.'-'' In einer anderen
Novelle (35) sehen wir den Aufbruch einer Gesellschaft nach Auf-
hebung der Tafel: Apres soupper, la compaignie sen ala ä Veshat\
le Chevalier estrange tenant madame par le hraz.^ et aucuns aultres
gentilz hotnmes tenans le surphis des damoiselles de leens. Et le
seigneur de Vostel vevoit derriere; et enqueroit des *voyages de son
hoste ä ung ancien gentil homme.
Der Augenblick steht uns mit einer plastischen Deutlichkeit vor
den Augen, wenn es in Novelle 32 heißt passans par devant
Veglise . . . la cloche de l'Ave Maria sonna tout ä ce coup, et
le hon homme s^enclina sur la terre pour dire ses devocions,
et sa femme luy dist.
Ein Bild von großer dramatischer Anschaulichkeit ist die Szene,
welche in Novelle 29 den ganz verstörten, still in einem Lehnstuhl
neben seinem Bette sitzenden, jungvermählten Gatten mit seinen vergnügt
lärmenden, essenden und trinkenden Hochzeitsgästen kontrastiert.
Die Gäste, die sich sein Benehmen nicht erklären können, quälen
ihn mit allerlei spöttischen Redensarten, so daß er, der anfangs wie
ein Steinbild dagesessen hat, zuletzt wie ein von allen Seiten gehetzter.
Eber sich ihnen ergibt und ihnen sein kurioses Erlebnis berichtet
Das ist eine Handlung, die ungleich dramatischer ist als die ganze'
wirklich auf der Bühne gespielte Farce.
Ein feiner, dramatischer Instinkt leitet den Erzähler, wenn er
in der Erzählung von dem weisen Hund des Cure eine große Ver-
sammlung im bischötiichen Palast inszeniert, in deren Mitte mit um
so größerem Effekte der schlaue Cure den erstaunlichen Fall, daß
der Hund ein Testament zu Gunsten des Bischofs gemacht habe,
berichtet. lu keiner der älteren Fassungen findet sich diese Szene,
so daß sie wohl sicher das Verdienst des Verfassers der C. AI N. ist.
Beachtenswert ist eine stumme Szene in Novelle 27. Die Gattin
sucht mit aller Macht eine List, um ihren Gatten für die Nacht, die
sie ihrem Geliebten versprochen hat, unschädlich zu machen. Sie ist
tief in Gedanken versunken, ihr Gatte und ihre Dienerinneu sind mit
im Zimmer. Dem Gatten fällt ihr Sinnen auf. Diese Situation stellt
der Erzähler so dar: Le pouvre mary voyant sa femme ung peii
muser et enteniivement penser., et ne savoit ä qui ne u quoy, la
regardoit tresfort, puis l'ime puis lautre des femmes de leans,
et aucunes foiz par la chambre. Tant regarda saus mot dire
quHl perceut d'aiventure au pii de la couchette ung bahn qui
estoit d sa femme. Et affin de la faire parier et s'oster hors de
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 77
son penser. demanda de quoy servoit ce bahu en la chiunbre etc.
Diese Frage wird ihm zum Verderben; denn ao sie knüpft die List
der Gattin an.
Es ist erstaunlicli, mit welch geringen Mitteln der Erzähler die
Wirkung dramatischer Anschaulichkeit zu erzielen weiß. Das Geheimnis
beruht in seiner immer regen, inneren Anscbauung&kraft, die ihn seine
Situtation sehen läßt. Die einfach-natürliche, kunstlose Wiedergabe
seiner eigenen Vorstellungen erweckt dann die Phantasiethätigkeit des
mitarbeitenden Lesers, der angeregt wird die Situation ebenso zu sehen
und sie noch weiter eigenmächtig auszugestalten. Es ist der Vorzug
des guten Erzählers, einen solchen beständigen Kontakt zwischen sich
selbst und seinem Leser herzustellen. Diese Fähigkeit besitzt der
Verfasser der C. N. N. in reichem Maße.
Es kommt allerdings auch oft genug vor, das darf nichtverschwiegen
werden, daß die Situation in ihren Umrissen nicht so gut herausgearbeitet
ist, wie es der Augenblick verlangt. Der Eindruck wird oft dadurch
geschwächt, daß der Autor über den Vorgang durch ein gleichmäßiges
Forterzählen hinweggleitet, anstatt mit ein par kurzen, andeutenden
Strichen seine Besonderheit zu unterstreichen und dadurch die Situation
aus dem Zusammenhange schärfer herauszuarbeiten. Wir haben es
eben nicht mit einem ausgereiften Stil zu tun, sondern haben eine
impulsivere Ausdrucksweise vor uns. Es fehlt keineswegs die stilistische
Verarbeitung — wir haben sie konstatirt — aber sie ist vielleicht
mehr ein natürliches, naives Verlangen nach Effekten, als ein auf
bewußter Schulung beruhendes Stilprinzip, da wenigstens wo sie nicht
unselbständiges Nachahmen einer bombastisch-rhetorischen, verkünstelten
Literatursprache ist, wie sie gerade die burgundische Schule, in deren
Umgebung unser Autor gelebt hat, züchtete.
Als ein Ausfluß der natürlichen Begabung des Erzählers ist auch
das letzte Stilmittel, das den Novellen eine hervorragende dramatische
Anschaulichkeit verleiht, anzusehen, nämlich die Dialogführung, die
häufige Anwendung des Gesprächs überhaupt.
Die volkstümliche Erzählungsweise liebt die direkte Rede. Der
einfache Erzähler, der Situationen wiedergibt, die auf Unterhaltung,
Diskussion, Hin- und Herrede beruhen, stellt sie fast nie indirekt dar,
sondern möglichst getreu, wie sie sich in Wirklichkeit zugetragen
haben. Das alltäghche Erzählen erreicht auf diese Weise, wie man
sich täghch überzeugen kann, eine ungemeine Lebendigkeit und An-
schaulichkeit.
Die Gespräche in unseren Novellen behandeln keine tiefen
Gedanken und Empfindungen, sondern nur die gewöhnlichen Dinge,
die sich leicht und ungezwungen in den Kreisen der mittelmäßigen
und wenig außerordentlichen Begebenheiten abspielen. Lebhafte
Affekte, Zornausbrüche, Schimpf- und Spottreden, Klagen, Tröstungen,
78 Wdlther Küchler.
Vereinbarungen, wie ein Stelldichein ins Werk zu setzen sei, eine
Täuschung des Gatten herbeigeführt werden könne, Auseinandersetzungen
und Erklärungen, von Gelächter begleitet, lu-tig-anspruchslose Gegen-
stände geben das Material zu diesen Gesprächen her. Sie niederzu-
schreiben braucht es keiner besonderen Anstrengung, keine Erhebung
in höhere Sphären, Nur die kleinen Nuancen des Ewig-Gleichen, des
Gewöhnlichen sind zu behandeln. Nötig ist nur die schwierige,
selten anzutreffende Kunst der Übertragung der Beobachtung des
Lebens auf das Pergament. Dieses Können, das den Eindruck der
absoluten Kunstlosigkeit hervorrufen muß, besitzt unser Erzähler,
Diese realistische Kunst der Gesprächführung ist sein eigenstes
Verdienst. Er fand keine Beispiele in der Literatur. Er schrieb
-auch sicherlich seine Erzählungen nicht so, wie er sie hörte, er kopierte
nicht einzeln vorgetragene Erzählungen, er kopierte die Umgangs-
sprache des täglichen Lebens. Der Erzähler verwendet den Dialog
gewissermaßen ganz instinktiv. Er denkt nicht daran, den Dialoü als
eine bewußte Kunstform zu betrachten, die seinen Erzählungen einen
vornehmen, imposanten Schmuck geben könnte. Er fügt ihn ohne
jede besondere Ankündigung in die Handlung ein. Ganz unvermittelt
geht oft die indirekte Rede in die direkte Rede über oder die direkte
Rede in die indirekte. Häufig unterbricht die direkte Unterhaltung
eine indirekte Fortsetzung, die ihrerseits wieder in die direkte Rede
ausläuft. Häufig beginnt das Gespräch niclit an seinem wirklichen
Anfang und schließt nicht mit seinem eigentlichen Ende.
Manchmal dient der Dialog dazu, die Handlung als solche in
Fluß zu bringen, am häufigsten ist er dann angewendet, wenn die
Hauptsituation mit möglichst dramatischer Anschaulichkeit wiederge-
geben werden soll. Gelegentlich steht auch ein längerer Dialog an
nebensächlichen Momenten der Handlung, ohne einen ersichtlichen
Grund, lediglich um des behaglichen, leicht retardierenden Er-
zählens willen.
Die Dialoge sind im allgemeinen kurz. Je kürzer sie sind,
um so besser sind sie gewöhnlich. Am besten sind sie, wenn die
Reden und Gegenreden nur aus kurzen, schlagartig fallenden, hin-
geworfenen und aufgenommenen Bemerkungen bestehen, wenn auf
beiden Seiten eine gewisse Erregung waltet, wie ja z. B, Mann und
Frau oft genug Gelegenheit zu erregten Auseinandersetzungen haben.
Ein Mittel, welches den Dialog sehr lebhaft und realistisch
gestaltet, ist die Fortführung des Gesprächs durch Wiederaufnahme
einzelner, von dem Partner bereits verwendeter Wörter und Bi'griffe,
z. B, Et quoy donc? — Quo^ß — Voire quoyl i\x2(d\ J^ '^^^^
aller payer. — Quoy paier? dit-il. — Vous le savez bien, dit-elle.,
et si le demandez. — Que scay-je bien? dit-il; je ne me mesle
pas de voz debtes. — Au maitis, dit-elle, savez voits bien quHl me
fault paier le disme. — Quel disme? (Iipsj.
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 79
Gelegentlich erweitert sich der Dialog zu Gesprächen zwischen
Dreien oder gar Mehreren, ganz selten finden wir auch den Monolog,
einmal mit stark humoristischer Wirkung.
Neben den lebhaft geführten Dialogen im volkstümlichen Ton
gibt es natürlich auch Gespräche in geschraubter Form, aber sie
treten zurück hinter den andern.
Wir sind zu Ende mit der Betrachtung der stilistischen Formen
der C. N. N. Da wir es nicht mit einem technisch sorgsam
durchgearbeiteten Stil zu tun haben, so konnten wohl die angeführten
Bemerkungen genügen, um die originelle Begabung unseres Autors
zu zeigen. Diese Be,u;abung baut sich auf — so erscheint es uns — auf
einem lebhaften, volkstümlichen Empfinden, das sich im allgemeinen
in natürliclien, volksmäßigen Formen äußert. Die Vorzüge des Stils
erklären sich wenigstens alle aus dieser persönlichen Veranlagung.
Mit dieser seiner Eigenschaft erscheint der Verfasser als ein Vertreter
jenes Esprit gaulois, der uns in den Fabliaux und im Roman
de Renart^ überhaupt in der volkstümlichen Schwankerzählung
entgegentritt. Der Verfasser verkörpert jenen rohen, genügsamen
Geist der Masse, der an der derben Darstellung des Geschlechtlichen,
der rohen und ungestümen Behandlung des Empfindens seine helle
Freude hat, der jede Unwahrscheinlichkeit und Obszönität hinnimmt,
wenn sie ihm nur Gelegenheit zu schallendem Gelächter geben. In
der innigen Sympathie mit diesem Esprit gaulois — der übrigens
keineswegs eine der gallischen Rasse allein eigentümliche Eigenschaft
ist — beruht die ursprüngliche Begabung des Verfassers der C. N. N.
Aber neben dieser starken, volkstümlichen Grundlage ist viel
Gekünsteltes in den Novellen. Diese gekünstelten Formen treten auf
als die Folgen literarischer und gesellschaftlicher Einflüsse. Sie sind
eine Konzession an das rhetorisch -verfeinerte Element, das sich in
der burguiidischen Literatur, die wohl in engstem Zusammenhang mit
dem gesellschaftlichen Leben höfischer Kreise stand, breit macht.
Man braucht nur die Werke Cliastellains, des burgundischen Historio-
graphen und die des Antoine de la Säle, dessen frisches Erzähler-
talent auch in dieses verbrämte Gewand gesteckt wurde, zu lesen, um
Pomp und Rhetorik, Ziererei und Künstelei wiederzufinden. In dem
Milieu des burgumli-chen Hofes verkehrte auch unser Erzähler. Er hat
vielleicht Chastellain, La Säle uml andere Vertreter der höfischen
Literatur gt'Uannt. Er eignete sich ganz von selbst die Ausdrucks-
formen dieser literarischen und gesellscluittliclien Umgebung an. Er
war mitten in einer Tcmletiz, die dem Esprit precieux zustrebte.
Wirklich prezios war die höfische Gesellschalt dieser Tage noch nicht.
Sie war noch zu ndi und zu rauh. Ihre Mondänität und Höflichkeit
war nur ein dünner Firnis, wie es ein Jahrhundert vor ihr auch
die Gesellschaft des Chevalier de La Tour war. Die wirklichen Preziösen
80 Walther Küchler.
beginnen erst mit der Marquise von Rambouillet, die im Namen des
weiblichen Zartgefühls gegen die männliche Roheit protestierte. Nur
die äußeren Umgangsformen der Zeit der C. N. N. sind in höfischen
Kreisen ganz im Sinne des späteren preziösen Geistes gehalten.
Aber das preziöse "Wesen entsprach nicht dem derben Charakter
des Verfassers, so gut er auch gelernt haben mochte sich ihm äußerlich
anzupassen. Und so bleibt denn das Volkstümliche, wie es sich auch
für den volkstümlichen Stoff gehört, das stärkere Element in seinem
Schaffen, und das Höfisch-Preziöse, das sich schon deswegen einstellte,
weil er für höfische Kreise schrieb, wird durchsetzt mit einem humoristisch-
ironisch-parodistischem Gewürz, weil die derbe Natur es nur auf diese
Weise für sich schmackhaft machen konnte.
Ich hoffe, daß es mir mit Hülfe der [reinen Stilbetrachtung
gelungen ist, die formale Veranlagung des Verfassers zu verdeutlichen.
Die Absieht war es wenigstens. Das Bild wird sich vielleicht ver-
vollständigen, wenn wir in einem neuen, der Form der C. iV. N.
gewidmeten Abschnitt das in ihnen zum Ausdruck kommende
Kompositionsverfahren des Erzählers betrachten. Der Name Kom-
position klingt vielleicht etwas hoch für diese kurzen Trug- und
Liebesgeschichten. Dennoch dürfen wir an der Sache selbst nicht
vorbeigehen; denn es handelt sich darum, die Anfänge der Kunst
der kurzen Prosaerzählung, mögen sie auch unbedeutender Art sein,
zu erkennen.
B. Die Komposition der Cent NouTclles Nouvelles.
Wenn man die Novellen auf ihre Komposition hin untersucht,
so findet man bald, daß sie nach einem ganz bestimmten erzählerischen
Prinzip aufgebaut siud. Von einigen Erzählungen abgesehen, hat jede
eine Hauptsituation, um deretwillen sie erzählt worden ist. Aber der
Verfasser begnügt sich nicht damit, diese eine Situation anschaulich
herauszuarbeiten und die Umstände, die zu ihr hinführen und sie
ermöglichen, kürzer abzutun, um möglichst schnell zu seinem eigent-
lichen Gegenstand zu gelangen. Keineswegs. Fast nie geht er auf
dem kürzesten Wege auf sein Ziel los. Oder vielmehr, er geht wohl
den direkten Weg, aber er legt ihn nicht voller Eile zurück, er bleibt
halten, so oft es geht, er macht Etapen, er zerlegt sich seinen Weg
in viele Stationen, uud jede ist ihm bedeutend genug, um einen
Augenblick an ihr zu verweilen. Er geht nicht sogleich in medias
res. Er geht in Gedanken rückwärts bis zu dem frühesten Anfangs-
punkt, und von diesem Punkte aus steuert er dann gemächlich, aber
sicher auf sein Ziel los. Er geht peinlich chronologisch vor. Er
klärt bis ins Einzelne die Vorgeschichte, die Vorbedingungen des
Falles auf. Wenn er es manchmal nicht tut, so sind das Ausnahmen,
Betrachten wir an einer Reihe von Novellen die gewöhnliche
Art seines Verfahrens.
Die Cent NouveUes Nouvelles. 81
Novelle 16 ist die bekannte Erzählung von dem betrogenen
einäugigen Gatten. Die uns erhaltenen Fassungen behandeln das
Motiv auf das Kürzeste. Heimkehr des Gatten, List der Frau,
Entschlüpfen des Liebhabers. Wie stellt unser Autor das Motiv dar?
Ein reicher, mächtiger Ritter ist mit einer ebenso vornehmen Dame
verheiratet. Sie leben lange Jahre friedlich zusammen. Da beschließt
einmal der gottesfürchtige Ritter, da sein Land in Frieden lebt,
seinen Körper, der schön und wohlgestaltet ist — nur ein Auge hatte
er einst in einem Kampfe verloren — für Gott in die Schanze zu
schlagen. Nach Verabschiedung von seiner Gattin und mehreren
Freunden und Verwandten macht er sich auf den Weg zu den
preußischen Ordensrittern. In ihrem Dienst verrichtet er tapfere
Taten, so daß sich sein Ruhm durch schriftliche und mündliche Kunde
in manche Länder verbreitet. Seine Gattin gibt unterdessen den
Bitten eines liebenswürdigen Ritters nach und erlaubt ihm Stell-
vertreter ihres fernen Gatten zu sein. Tandiz que monseigneur
jeune et fait penitence, madame fait gogettes avecques Vescuier;
le plus des foiz monseigneur se disne et souppe de hiscuit et de
la belle fontaine^ et madame a de tous les biens de Dien si
largement que trop; monseigneur au mieulx se couche en la
paillace, et madame en ung tres beau lit avec Vescuyer se repose.
Nachdem die Macht der Sarazenen gebrochen ist, beschließt der
Ritter nach Hause zurückzukehren. Er sehnt sich nach seiner
Frau, die auch ihm in mehreren Briefen von ihrer Sehnsucht
geschrieben hat. Die Ungeduld läßt ihn in Eile reisen. Des
Morgens ist er stets der erste auf, immer ist er seinen Leuten vor-
aus, manchmal eine Viertel Meile. So langt er bald zur Nacht allein
im Hofe seines Schlosses an, wo er einen Knecht findet, der ihm
sein Pferd abnimmt. Gestiefelt und gespornt eilt er ins Haus, findet
sein Zimmer aus gutem Grund verschlossen und klopft um Einlaß.
Die Gattin, welche die Stimme ihres Gemahls wohl erkannt hat,
stellt sich schlafend und will lange nicht glauben, daß er es wirklich
ist usw.
Man sieht, ehe der Autor zu der List der Gattin gelangt, die
das eigentliche Thema der Erzählung ist, legt er eine große Anzahl
von Einzelsituationen und Handlungsphasen in sie hinein, welche das
alte Motiv in ein bestimmtes Milieu einkleiden und es zu einem
ganz bestimmten Einzelfall gestalten. Ohne daß er der altbekannten
Fabel wirklich Neues hinzufügt, erweitert er sie systematisch und
baut eine Reihe von Entwiklungsmöglichkeiten aus, die von Anfang
an in ihr lagen. Er gestaltet das kurze Motiv mit seiner Phantasie
weitschweifig aus. Er macht es interessant. Wir interessieren uns
für den braven Ritter, der gegen die Sarazenen kämpft, dann von
Sehnsucht gepackt wird, voller Erwartung heimeilt, um dann so
schnöde und lächerlich getäuscht zu werden. Wir bedauern ihn, den
wir so lange begleitet haben, und müssen doch lächeln über die
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI '. 6
82 Wallher Küchler.
hinterlistige Schlauheit, der er zum Opfer fällt. Das bewirkt die
Kunst der Erzcählung, die geschickte Komposition. Die Erzählungen
der Gesta Romanorum und des Petrus Alphonsus lösen solche
Empfindungen nicht aus. Da ist es nur die List, die Eindruck auf uns
macht, der miles läßt uns gleichgültig.
Ein anderes Beispiel. Poggio erzählt ganz kurz in Facecie
237: Sacerdos quidam meridie cum uxore rustici jacebat in lecto
sub quo latebat rusticus, ut Sacerdotem deprehenderet. Cum
sacerdos labore forsan nimio in quamdam levem vertiginem
incidisset^ nescius virum sub lecto absconditum: « Ho! totum
orbem terrarum mihi videor conspicere » inquit. Tum rusticus^
qui i^ridie asinum perdiderat^ injuriarum obliius: « Uo! respice,
quceso » ait, « an sicubi asimim meum forsan videas. »
Es dauert recht lange, bis in Novelle 12 der C. N. N. der
Verfasser zu einer ähnlichen Situation gelangt ist. Er erzählt: Ein
Narr beschloß das Schlimmste zu tun, was er tun konnte, nämlich
zu heiraten. Als er verheiratet war — es war im Winter — kannte
seine sinnliche Glut keine Grenzen. Die langen Nächte der Jahres-
zeit genügten ihm nicht, solches Bedürfnis fühlte er nach Nach-
kommenschaft. Nicht bloß ein oder zwei Monate dauerte seine Glut.
Die Erinnerung an diesen Arbeiter wird im Lande nie aussterben.
Die Gattin, gehorsam wie sie war, legte ihrem Gatten kein Hindernis
in den Weg, Einmal, als das Wetter nach dem Mittagessen schön
war, als die Sonne ihre Strahlen auf die mit schönen Blumen bemalte
und bestickte Erde schickte, kam den beiden die Lust an, ein wenig
in den Wald zu gehen. Und so machten sie sich auf den Weg, Zu
derselben Zeit hatte ein Bauer sein Kalb verloren, das er auf einer
Wiese neben dem Wäldchen weidete. Überall suchte er es, in Wald,
Wiese und Feld, aber er konnte es nicht finden. Da dachte er, es
könnte sich wohl in irgend ein Gebüsch verkrochen haben oder in
einen mit Gras bewachsenen Graben, aus dem es mit vollgefressenem
Bauch dann wieder herauskommen würde. Und um nicht überall
nach seinem Kalbe suchen zu müssen, wählte er sich den höchsten
Baum des Gehölzes und stieg auf ihn hinauf, um von dort Umschau
zu halten. Es war ihm, als hätte er es schon halb gefunden. Während
so der Bauer von seinem Baume aus nach allen Seiten die Augen
ausschickt, sind die beiden jungen Eheleute unter allerlei Gesängen
Spielen und Scherzreden commc fönt les cueurs gaiz quand Hz se
trouvent es plaisans lieux in den Wald gekommen. Wie der Ehe-
mann den schönen Baum sieht, da kommt ihn die Lust an, sich
unter ihm mit seiner Frau zu lagern etc. etc.
Wieder holt der Verfasser weit aus. Er beginnt mit dem
Entschluß zur Ehe. Nacheinander führt er die beiden Parteien, welche
die Posse zu spielen haben, vor, und erklärt, gleichsam wie in einer aus
mehreren Szenen bestehenden Exposition, wie sie sich begegnen konnten.
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 83
In vielen Fcällen ist es ebenso. Da nur durch die Fülle der
Beispiele das Prinzipielle der Bebandlungsweise ersichtlich wird, so
seien noch einige Novellen angereiht.
Novelle 21 hätte ja etwa so beginnen können: Eine Aebtissin
war einmal schwer krank, und der Arzt hatte ilir vertrauten Umgang
mit einem Manne als einziges Heilmittel empfohlen. Aber sie wollte
lieber sterben als . . . Statt dessen beginnt die Novelle so: Die
junge, schöne Aebtissin einer normannischen Abtei wurde krank. Ihre
frommen und barmherzigen Schwestern trösteten sie so oft und gut
sie konnten. Als aber die Krankheit nicht besser werden wollte,
wurde eine der Schwestern mit dem Urin der Aebtissin nach
Rouen zu einem berühmten Arzte gesandt. Die auserlesene Nonne
macht sich andern Tags auf den Weg, kommt in Rouen an, zeigt dem
Arzt die mitgebrachte Probe und erzählt die Krankheit der Aebtissin
in allerlei Einzelheiten. Der Arzt gibt sein Mittel an, die Nonne
möchte voller Schrecken gern ein anderes wissen, aber der Arzt besteht
auf seinem Rat. Die gute Schwester wagt kaum zu Mittag zu essen,
solche Eile hat sie heimzukehren. Mit Hülfe ihres guten Pferdes
und ihrer großen Sehnsucht kommt sie so schnell vorwärts, daß die
Aebtissin ganz erstaunt ist sie so bald wieder zu sehen. Wie die
Handlung weitergeht, ist unnötig anzuführen, es kam nur darauf an,
die Exposition zu zeigen.
Der Kern von Novelle 35 ist, daß eine Dame ihren Platz im
Schlafgemach verläßt, um bei ihrem Freunde weilen zu können. Der
Gatte findet, als er gegen Morgen aufwacht, das junge, frische Kammer-
mädchen neben sich, das die Stelle der Gattin bei ihm einnehmen
sollte. Er läßt die günstige Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen
und begrüßt Gast und Gattin im Nebenzimmer mit höhnischem Spott.
Diese Begebenheit wird nicht ohne eine Vorgeschichte erzählt.
Ein Ritter verliebte sich in eine Dame und erhielt von ihr alles, was
er erbat. Nach einiger Zeit ergriff ihn Reiselust, er zog aus und
ging nach Spanien, wo er sich so betrug, daß er bei seiner Rückkehr
in die Heimat mit großen Ehren empfangen wurde. Seine Freundin
hatte sich unterdessen an einen alten Ritter, le vray registre dlionneur
verheiratet. Als nun der ehemalige Geliebte aus Spanien zurückkehrte,
kam er eines Abends wie von ungefähr in das Schloß des Ehepaares
und wunle von dem Gatten, mit dem ihn alte Freundschaft verband,
mit größter Freundlichkeit empfangen. Er hat nichts anderes zu
tun, als die Dame zu bitten ihm wieder die alte Gunst zu gewähren.
Diese ganze Einleitung war für das Schwankmotiv durchaus un-
nötig. Sie entspricht ganz der Neigung des Erzählers, der es liebt,
seine Personen große Reisen machen zu lassen. Mehr als einmal
geht eine Reise der eigentlichen Erzählung voraus. So fügt der
"Verfasser der Erzählung vom Schneekind ganz eigenmächtig und
überflüssig eine erste Reise des Kaufmanns hinzu, während deren
Verlauf die Gattin ihm treu bleibt (Nov. 19). Eine Reise muß erst
84 Walther Küchler.
der Ritter unternehmen, um später den Beichtiger seiner ungetreuen
Frau spielen zu können (Nov. 78).
Poggio beginnt Facecie 143: Florentice, juvenis quidam cum
novercam suhigeret, ac superveniens pater filium etc. Der Erzähler
der C. N. N. dagegen: „Da junge Leute gern auf Reisen gehen und
Vergnügen darin finden, die Abenteuer der Welt zu sehen und, zu
suchen, so gab es auch jüngst im Ländchen Lannoys einen Bauern-
burschen, der von seinem 10, bis 26. Jahre immer außer Landes
war. Während der ganzen Zeit seiner Abwesenheit hatten Vater und
Mutter keine einzige Nachricht von ihm, so daß sie manchmal dachten,
er möchte wohl gestorben sein. Aber zu ihrer größten Freude kam
er dennoch wieder. Am meisten freute sich seine Großmutter, sie
küßte ihn wohl mehr als fünfzig Mal. Als es zum Schlafen gehen
sollte, waren nur zwei Betten da, und darum mußte der Sohn bei der
Großmutter schlafen (Nov. 50). In diesem Falle trägt die Vorgeschichte
vielleicht ein wenig dazu bei, das unglaubliche Vorkommnis einiger-
maßen zu motivieren (Freude der Alten, Vorhandensein von nur
zwei Betten).
Mit Überlegung scheiiit auch in Novelle 11 dem Kern der
Handlung eine Exposition vorangesetzt zu sein. Die Novelle beginnt
wie die Facecie 133 des Poggio, der sie nachgebildet ist, mit der Eifer-
sucht des Gatten. Dann aber führt sie aus, zu welchen Dingen den
Eifersüchtigen seine Pein verleitete. Eines Tages, als er daran dachte,
daß er nun schon verschiedenen Heiligen, darunter auch dem heiligen
Michael, Opfer dargebracht habe, fiel ihm ein, er könne auch dem
eine Gabe bringen, der zu den Füßen des heiligen Michael dargestellt
sei, nämlich dem Teufel. Durch einen seiner Diener läßt er ihm
eine große Wachskerze widmen und ist gespannt auf den Ausgang.
Im Traum der Nacht erscheint ihm dann auch der Teufel, dankt ihm
für die Gabe und zeigt sich ihm auf seine Weise erkenntlich.
Die Vorgeschichte ist so geschickt in die grobe Posse hineiu-
komponiert, daß man meinen sollte, sie habe stets zu ihr gehört.
Es könnten noch eine ganze Reihe von Erzählungen angeführt
werden, die dieses Prinzip, dem eigentlichen Kern der Handlung eine
kürzere oder längere Vorgeschichte voranzuschicken, nachweisen würden.
Diese Eigenart der Komposition zeigt die Selbständigkeit, mit der
der Verfasser seinen Stoffen gegenübersteht. Er schafft ihnen auf
diese Weise häutig eine neue Grundlage, er maclit z. B. aus einer
ganzen Facecie des Poggio nur eine einzelne Szene in einer länger
sich hinziehenden Handlung. Es gelingt ihm sogar, durch dieses Ver-
fahren seinen Personen Leben einzuflößen und so die erzählte Begeben-
heit interessanter zu gestalten.
Für die Technik der Darstellung ist dabei zu beachten, daß
die meisten dieser Einleitungen nicht etwa bloße Zustandsschilderungen
sind, sondern gerade so gut handlungsmäßigen Charakter tragen, wie
der Kern des Ganzen.
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 85
Und dieses Auflösen in Handlungen ist nun die Eigenart der
Kompositionsweise des Verfassers überhaupt. Es reiht sich Geschehnis
an Geschehnis, Immer die Handhing vorwärts zu führen ist der Ver-
fasser bedacht; all die vielen, kleinen, subjektiven, witzigen und ironischen
Zutaten können die Handlung nicht aufhalten. So kommt ein flottes
Tempo zu stände, es gibt kein Zögern, keine Seitensprünge, kein
Fallenlassen und Wiederaufnehmen.
Es gibt eine Einteilung in Szenen, man könnte manchmal, wie
etwa in Novelle 1, 32, 97 und anderen von einer Scheidung in Akte
reden. Gewiß, die Handlung ist nie bedeutend, aber sie ist meist reich
an Details, an fortwährend wechselnden Augenblicken. Das kommt
daher, daß sich der Erzähler gewöhnlich nicht auf das Was der
Begebenheiten, die Darstellung des Tatsächlichen beschränkt, sondern
daß er das Wie, die Art und Weise, die Mittel und Wege, den Ver-
lauf der Geschehnisse vor uns entrollt.
Wir hören in Novelle 40 nicht, daß die Metzgersfrau erfährt,
eine Frau sei bei ihrem ungetreuen Geliebten, sondern auf welche Art
sie es erfährt. Der Leser hat gehört, daß der Prediger die neue
Geliebte und zwei oder drei andere Mönche eingeladen hat und daß
es bei diesem Zusammensein hoch hergeht mit Essen und Trinken.
Von dieser Zusammenkunft weiß die abgesetzte Metzgerin nichts.
Wie geht es zu, daß sie doch Kunde von ihr erhält? Hören wir
unsere Erzählung:
JVosire houchiere cognoissoit asscz les gens de ces prescheurs,
qu'elle veoit passer devant sa maison^ qui portoient puis du vin,
puis des pastez, et puis des tartres, et tant de clioses que merveilles.
Si ne se peut tenir de demander quelle feste onfait ä leur Hostel?
Et iL luy fut respondu que ces Mens sont pour ung tel, cest
nssavoir son moyne, qui a gens de bien au d isner. «Et qui sont
Uz? dit eile. — Ma foy je ne sfay, dit il; je porte mon vin
jusques ä Vlmys tant seulleme7it, et lä vient nostre maistre qui me
descharge] je ne scay qui y est. — Voire, dit eile, c'est la secrete
compaignie. Or hien allez vous en et les servez bien.r> Tantost
passa ung aultre serviteur qu'elle interrogo. pareillement, qui luy
dist comme son compaignon, mais plus avant, car il dit: «Je pense
qu'il y a une damoiselle qui ne veult pas esire veue ne congneue. »
Die Metzgersfrau weiß nun genug und sinnt sich aus, wie sie das
Fest stören könne.
Daß Beispiel zeigt deutlich die Technik des Verfahrens, nämlich
das Bestreben, auf handlungsmäßigem Wege den Gang und die
Entwicklung der Begebenheiten vorzuführen.
Ähnlich erfahren wir in Novelle 44 nicht nur, daß der von dem
begehrten Mädchen auf die Zeit ihrer Ehe vertröstete Priester ihre Ver-
heiratung zustande bringt, sondern umständlich, wie er es tut. Er gebt
zuerst zu dem A'ater des Mädchens, bemerkt, wie schwer es sei, ein er-
wachsenes junges Mädclieu im Hause zu haben, daß er einen jungen, braven
86 Walther Küchler.
und Heißigen Mann für sie wisse und bewirkt, daß der Vater voll-
kommen mit einer Heirat einverstanden ist. Alsdann sucht er den
Vater des vorgeschlagenen Bnäutigams auf und weiß ihm durch hundert-
tausend Gründe zu beweisen, daß die Welt verloren sei, wenn sein
Sohn nicht bald heirate. Er schlägt ihm das Mädchen vor und
erlangt schließlich mit Hülfe von zwanzig Francs die Einwilligung
dieses Vaters, und so kommt die Heirat zu stände. Aber dem Cure
sollten seine eifrigen Bemühungen nichts fruchten; er wird um seine
Beute betrogen. Die Erzählung dieses Betrugs bildet dann erst den
eigentlichen Kern der Novelle. Das Mißgeschick des Pfarres erscheint
um so größer, als wir Zeugen gewesen sind von der Arbeit, die er
aufgewendet hat, sein Ziel zu erreichen.
Noch ein kurzes Beispiel: In der Facecie vom klugen Hund
des Cure sagt Poggio nur „Episcopus . . . reum ad se puniendum
vocat." Wie der Cure diese Botschaft aufnimmt, erfahren wir nicht.
In der französischen Nacherzählung dagegen heißt es: L'evesque . , .
le manda vers luy venir ])ar une citation que ung cicaneur luy
apporta. ^Helasl dist le eure au cicaneur, et que ay je faif,
et qui ma faxt citer d'^office'^ Je ne me sfay trop esbahir que la
eourt me demande. — Quand ä moy, dit Vautre, je ne sgay quil
y a, si ce nest pour tant que vous avez enfouy vostre chien de-
dans Heu saint oü Von med les corps des chrestiens. — Ha/ ce
pensa le eure, cest cela?"
Man kann wohl sagen, daß das Kompositionsverfahren des
Verfassers nichts anderes ist, als das notwendige Ergebnis seiner
stilistischen Ausdrucksweise. Der Verfasser macht sich keine Dis-
position, nach der er arbeitet, sondern er erzählt frisch darauf los.
Ein inneres Bedürfnis nach handlungsmäßiger und pittoresker Aus-
gestaltung führt ihm die Feder; die innerliche Anschauung von den
Vorgängen, die ihn stets beherrscht, läßt ihn bei der Ausmalung der
Details verharren, das gesteigerte Miterleben, die direkte Teilnahme
an den Ereignissen gibt ihm die Dialoge seiner Personen ein, und
so baut er, ohne nachzudenken und zu überlegen, aus der Fülle der
Einzelheiten seine Erzählungen auf. Jeden Stoff, den er übernimmt,
verbreitert und erweitert er in diesem handlungsmäßig-bildlichen Sinne.
Das ist das eigenste Wesen seines Stils und seiner Kompositionsweise.
Doch begnügt er sich nicht immer damit, den vorhandenen Inhalt
seiner Vorlagen in seinen Einzelheiten auszubauen, manchmal erfindet
er sich auch ganz neue Szenen, die er dann dem übernommenen
Stoffe anfügt. Seine Phantasie ist also nicht nur tätig gegebene
Andeutungen zu entwickeln, sondern auch selbständig aus dem eigenen
Schatz heraus neue Szenen zu ersinnen.
Eine verhältnismäßig unselbständige Erweiterung ist es, wenn
er von dem Mönche, der eine junge Frau verführen möchte,
an Stelle des kurzen Satzes, den er bei Poggio fand „Cum puderet
aliquid inhonestum ab ca petere, excogitavit versutia midierem
Die Cent JSouvelles Nouvelles. 87
decipere, schreibt „maistre moyne ... ne cessoit de penser et
suhtilier vöies et moiens pour parvenir ä ses attainctes . . . Ores
disoit: <tJe feray ainsi», ores concluoit aultrement Tant de propos
luy venoient en la teste quHl ne savoit sur lequel s'' arrester;
trop hien disoit il que de langage n^estoit point de abatre, «car eile
est trop bonrie et trop seure; force est que, si je veil parvenir
ä mes fins, que jyar cautele et deception je la gaigne.""
Eine bedeutend selbständigere Ausgestaltung dagegen nimmt er
mit folgendem Satze der Poggioschen Facecie vor: „Pluribus diebus
fasciatum detulit indicem digitum, simulans se maximo dolore
torqueri. Tandem diutius conquerente illo, rogavit commater,
num quce remedia expertus esset."' In der französischen Erzählung
stellt sich der Mönch mit verbundenem und salbenbestrichenen Finger
ein oder zwei Tage, größten Schmerz heuchelnd, vor die Kirche, die
seine Auserlesene besucht. Von Mitleid ergriffen, fragt sie ihn nach
seinem Übel, und er erzählt ihr sein Martirium. Am anderen Tag
zur Vesperstunde begibt er sich in ihre Wohnung, trifft sie allein bei
einer Handarbeit und stellt sich wieder schmerzgepeinigt, so daß die
Arglose ihn fast mit Tränen in den Augen fragt, ob er denn nicht
mit einem Arzte gesprochen habe.
Bei Poggio fand der Verfasser nur eine kurze Angabe, ohne
jede nähere Bestimmung über Ort und Zeit oder Ursache des Zu-
sammentreffens der beiden, Poggio gab nur das Tatsächliche, ohne
die kleinste erzählerische Darstellung. Der Nacherzähler macht aus
dem ganz kurzen Bericht der Facecie zwei deutlich vor uns stehende
Szenen. Er arbeitet im Gegensatz zu Poggio mit unleugbarem
Geschick.
Das beste Beispiel für die Art seines Kompositionsverfahrens
bietet wohl die Novelle 32. Das Motiv von den Priestern, die von
den Frauen den Zehnten auch der ehehchen Gemeinschaft mit ihren
Gatten fordern, liefert ihm Poggio. Weiter aber nichts. Poggios
Facecie (155) beginnt so: Brugis, ea nobilis est in Occidente civitas,
in qua adolescentula haud admoduni scita fatebaiur Parochiano
peccala sua. llle cum inter cetera qucesisset, an debitas decimas
traderet sacerdoti, persuasit etiam coitus decimam esse reddendam^
quam, juvencula, ut se mre alieno liberaret, statim persolvit.
In der französischen Novelle führt sich zuerst der angenommene
Erzähler ein, welcher vorgibt sich durch die folgende Erzählung des
von ihm geforderten Beitrags für das vorliegende Buch entledigen
zu wollen. Er beginnt dann seine Erzählung mit einer langen Vor-
geschichte, die wohl die auffälligste Exposition ist, die sich in der
Sammlung findet. In der katalonischea Stadt Ostellerie, so behauptet er,
kamen einst eine Anzahl Franziskanermönche an, die wegen ihres
schlechten Lebenswandels aus dem spanischen Königreiche vertrieben
worden waren. Sie gewannen die Freundschaft des schon bejahrten Herrn
der Stadt und erlangten von ihm, daß er ihnen eine sehr schöne Kirche
88 " Walther Küchler.
und ein Kloster baute und .während seines Lebens aufs beste unterhielt.
Dem Herrn folgte sein ältester Sohn in der Regierung, der ihnen
nicht weniger Woliltaten erwies als sein guter Vater. So hatten sie
alles, was sich Bettehnönche nur wünschen konnten, in genügendem
Maße. Durch ihre Predigt in der Stadt und in den benachbarten
Dörfern gewannen sie sich das ganze Volk, so daß es nur zu ihnen
zur Beichte kam. Besonders die Frauen fühlten sich wegen der großen
Frömmigkeit, die ia ihnen zu wohnen schien, zu ihnen hingezogen.
Aber die Mönche benutzten das Ansehen, das sie genossen, zu einem
schändlichen Betrug. Sie forderten nämlich von allen Frauen den
Zehnten „du nomhre des foiz que voiis couchez charnellement
avecques voz mariz."' Alle Frauen bezahlten den Tribut, jeder einzelne
Mönch empfing ihn von fünfzehn oder sechzehn Frauen.
Der Betrug wird entdeckt. Bei Poggio sogleich; Domum tardius
reversa, admiranti viro causam morw absque ullo timore dixit. In der
französischen Novelle geht die allgemeine Zahlung des Tributs eine Zeit
lang fort. Der Frevel wird auf folgende Weise bekannt. Ein jung-
verheiratetes Ehepaar kommt von einem Essen im Hause eines Verwandten
an der Franziskanerkirche gerade in dem Augenblick des Ave Maria
Läutens vorbei. Der Gatte kniet nieder, sein Gebet zu sagen, die Gattin
möchte mit seiner Erlaubnis in die Kirche eintreten, um ein Paternoster
und Ave Maria zu beten. Ein langes, mit lebhaftester Anschaulichkeit
dargestelltes Hin- und Hergerede erfolgt, in dessen Verlauf die Gattin
gesteht, daß sie den Zehnten bezahlen wolle. Der Gatte erwidert, es
sei zu spät für diesen Tag und so kehren die beiden heim. Dem
Oatten läßt das eigentümliche Geständnis keine Ruhe, und als sie zu
Bett liegen, fragt er die Gattin, ob auch die anderen Frauen diesen
Zehnten bezahlen und erfährt die ganze Ausdehnung des Betrugs.
Nun muß die Rache erfolgen; Vir rem dissimulans^ post quatri-
dium Parochianum ad prandium vocavii, nonnuüis adhibitis, quo
res fieret notior. Cum sederent in mensa, vir, narrata prius fabida
ad Sacerdotem versus: «Postquain, «inquit a tibi verum omnium
uxoris niea' debetur decima, et hanc quoque accipias.:: Et simul
vas stercore et urina uxor pleymm ori Sacerdoiis admotum, in
mensa libare compulit.
Die Einladung zum Mahle behält der französische Erzähler noch
bei. Dann aber läßt er Poggio bei Seite und erfindet sich einen neuen
Ausgang. Frere Eustace erscheint und läßt sichs wohl sein. Er
liebäugelt mit der Hausfrau und verzichtet auch nicht auf das graziöse
Spiel der Füße unter dem Tische bei der Tafel, ohne daß seinem
Wirte die Sache verborgen bleibt. Nach dem Dankgebet führt dieser
den Frater unter einem Vorwand in ein anderes Zimmer, schließt
die Tür, ergreift ein Beil und erzwingt von dem Erschrockenen eine
umfassende Beichte. So erfährt er, daß sogar die Gattin des Herrn
der Stadt nicht verschont gebliehen sei. Dann läßt er den Mönch
gehen. Er selbst begibt sich zu seinem Herrn und berichtet ihm
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 89
die Entdeckung. Der sieht die geringe Meinung, die er stets von
diesen Mönchen hatte, bestätigt. Er verwünscht sie und die Stunde,
in der sie sein seliger Vater aufgenommen hat. Eine Versammlung
der ganzen Untertanenschaft wird aufs Schloß berufen, welche nach
einigen Hin- und Herreden beschließt sämmtliche Gattinnen ersclieinen zu
lassen, um aus ihrem Munde zu hören, wie tief das Unheil sitze. Das
geschieht; alle Frauen der Stadt, auch die Gattin des Herrn, versammeln
sich im Saal. Maistre Jehan muß eins Rede halten, in welcher alle
Frauen, die etwa nicht den bekannten, schuldigen Tribut an die Mönche
zahlen, aufgefordert werden, sich zu melden. Kaum hat der Redner
geendet, rufen mehr als zwanzig Frauen wie mit einer Stimme: „Ich
habe bezahlt, ich; ich habe bezahlt, ich; ich schulde nichts; ich
auch nicht, ich auch nicht." Vier oder sechs schöne, junge Frauen
haben sogar schon im Voraus bezahlt, nur ein par Alte müssen bekennen,
daß sie nichts bezahlt haben, weil die Mönche von ihren nichts wissen
wollten. Die Frauen werden wieder entlassen, und hinter verschlossenen
Türen wird der Beschluß gefaßt Kloster und Mönche zu verbrennen.
Die Männer steigen hinunter zum Kloster, entfernen das Corpus Domini
und die Reliquien und vollziehen die furchtbare Strafe. Mit einer kurzen
ironischen Bemerkung schließt der Erzähler.
Von der häßlichen Farce des Poggio ist nicht viel übrig
geblieben. Eine neue Erzählung ist aufgebaut worden. Nur zwei
kurze Augenblicke innerhalb einer einzelnen Familie gab Poggio.
Eine Reihe von Szenen erfindet sich neu der französische Erzähler,
Szenen, die sich nicht um ein Einzelgeschick gruppieren, sondern
das Verhängnis einer ganzen Stadt darstellen.
Ich glaubte das Kompositionsverfahren unseres Autors nicht
besser als durch eine Reihe von Beispielen darstellen zu können. So
nur konnte das Persönliche seiner Arbeit deutlich hervortreten.
Gerade an dem Verhältnis zu Poggio ließ sich am leichtesten erkennen,
was ihm gehört. Wenn es anginge, an allen aus Poggio entlehnten
Novellen dieselbe Analyse vorzunehmen, so würden wir sehen, daß er
überall — hier mehr, hier weniger — Poggios Facecien mit großer
Selbständigkeit behandelt. Mit geringen Ausnahmen sind die lateinischen
Facecien außerordentlich erweitert worden. Diese Erweiterung aber,
die nichts anderes darstellt, als die persönliche Arbeitsweise des
Verfassers, oder um allgemeiner zu reden, die Arbeit des ersten
wirklichen französischen Novellisten, seine stilistischen Fähigkeiten
und sein Kompositionstalent, diese Erweiterung ist das Wichtige und
Entscheidende. Nicht die Tatsache der Entlehnung aus den lateinisch
geschriebenen Facecien des Poggio ist bedeutsam. Poggio stellt doch
im Grunde, abgesehen von Scherzen, die in seinem Bekanntenkreise
vorgefallen sein mögen und von denen der Franzose keinen einzigen
aufgenommen hat, Poggio stellt nichts anderes dar als Motive, die
stofflich nicht im Geringsten von denen verschieden sind, die sich auch
sonst bei dem Franzosen finden. Beide schöpfen aus denselben
90 Walther Küchler.
Quellen. So ist prinzipiell kein Unterschied zwischen ihren Stoffen.
Ein formaler Einfluß Poggios ist nicht vorhanden. Poggio erzählt
nicht. Er gibt nur einen kunstvoll zusammengepreßten Extrakt von
Erzählungen. Sein Prinzip zu kondensieren ist der direkte Gegensatz
zu der auflösenden Technik des Verfassers der C. JV. N.
Die Arbeit des Erzählers geht noch nicht in die Tiefe. In
keinem Falle hat er einen übernommenen Stoff zu vertiefen verstanden.
Seine Kompositionsweise geht ins Breite. Aber sein Schaffen ist ein
Tasten nach eigener Art, die sich über die Vorlage erheben möchte.
Der Grundsatz seiner Erzahlungskunst ist noch nicht: multum, non
mnlta, sondern gerade umgekehrt nnilta, non nmltum.
C. Die Charaktere.
Der Erzähler kann seine Stoffe nicht vertiefen, weil er keine
Charaktere darzustellen vermag.
In der gesamten Novellenliteratur des Mittelalters steht die
Kunst der Charakterisierung auf einer sehr niedrigen Stufe. Kein
Wunder. Die Handlung bei weitem des größten Teiles der Erzählungen
besteht aus Situationen, die durch irgend welche mehr oder minder
zufällige, äußere Anstöße modifiziert und entwickelt werden. Charaktere
sind dabei überflüssig, sie haben auch gar keine Berechtigung in
diesen meist unmöglichen Liebesschwänken. Charaktere können nur
in der Wirklichkeit existieren, die mittelalterliche Liebesnovelle aber
ist auf dem schwanken Boden der Unwahrscheinlichkeit aufgebaut.
Die Personen all dieser Geschichten sind Schemen, die sich
oft zwar sehr lebendig, als ob sie von Fleisch und Blut wären, bewegen,
die aber ihr Leben verloren haben, sobald der Schwank zu Ende ist.
Wir erinnern uns meist nicht an bestimmte Individuen, sondern an
bestimmte Streiche und Ränke, die sie einander gespielt und die uns
einen Augenblick ergötzt haben. Wenn uns gelegentlich eine Gestalt
näher kommt, so ist der Grund häufig in der Menge von Handlungen
oder Schicksalen, die mit ihr verknüpft sind, zu suchen.
Auch Boccaccio ist in seinen schwankartigen Liebesnovellen
nicht zu einer Kunst der Charakterisierung gelangt, die zu seinen
anderen großen, erzählerischen Fähigkeiten paßte. Im großen und
ganzen sind seine Personen ebenso gut auf den Superlativ, wenn ich
mich so ausdrücken darf, gestellt wie die der C. N. N. Eine
Charakteristik wie die folgende findet sich ebenso in den C. IV. N.:
Era costei hellissima del corpo e del viso quanto alcun altra
femina fosse mai, e giovane e gagliarda e savia piü che a donna
j^er avventura non si richieda (Dec. IV j). In den CN.N. entspricht
einem solchen Frauencharakter etwa : une belle fille, jeune, gente,
graciense et en hon point en sa fasson, ayant hruyt autant et plus
que mdle de son iemps, tant par sa gra?ide et non pareüle beaulte
comme par ses tres loables meurs et vertus (XXVIII). Von einem
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 91
schon sehr bejahrten, verliebten Arzte behauptet Boccaccio, er wäre
^un grandissimo medico, e di chiara fama quasi a tutfo'l mondo
(Dec. Iip). Der Arzt, der in Novelle 87 der C. iV. N. eingeführt
wird, ist ung tresgentil compaignon, le plus renomme du pais.
Diese Angaben sind ganz konventionell und überflüssig für die
Erzählung. Das Prunken mit der angeblichen Vorzüglichkeit und
unerreichten Schönheit der Personen ist lediglich ein Kunstgriff, um
der Begebenheit ein glänzendes Relief zu geben. Die Personen sind
nach der Schablone reich, mächtig, schön, jung. Der Erzähler der
C N. N. setzt einmal, sehr naiv diese landläufige Charakteristik
illustrierend: bonte, beaulte, chevance etc" (XX). In Novelle 3 sagt
er von dem Ritter, er war verheiratet „ä une belle et gente dame'*
und drei Zeilen später von dem Müller „pareillement ä une belle^
gente et jeune femme'^.
Groeber hat ganz recht, wenn er darauf aufmerksam macht,
daß die angedeutete Charaktereigenschaft häufig im Verlaufe der
Erzählung unbeachtet bleibt. So wird in Novelle 13 ein Clerk als
nicht gerade sehr „subtil" bezeichnet, der von dem Gegenteil eine
beachtenswerte Probe ablegt.
Trotzdem so im allgemeinen die Charakteristik der Personen
in den C. N. N. ganz konventionell ist, finden sich doch hier und
da ein par Striche, die wenigstens etwas von Individualität zu geben
versuchen. Hier und da könnte man meinen, der Verfasser denke
an eine ganz bestimmte Persönlichkeit. Diesen Eindruck hat man
gleich in der ersten Novelle: . . . ung notable bourgois, en son temps
reeeveur de Haynau, lequel entre les autres fut renommS de large
et discrete prudence, et entre ses loables vertuz celle de liberalite
ne fut pas la maindre car par icelle vint en la grace des princes,
seigneurs et aultres gens de tous estaz. Für den Verlauf sind diese
Angaben natürlich so gut wie überflüssig. Auch der alte Präsident
der Rechnungskammer erscheint wie aus dem Leben gegriffen. Er
ist ein alter, jovialer Schwerenöter, der gern den Liebenswürdigen
spielt, besonders gegen Damen, weil noch ein jugendliches Feuer in
ihm flackert. Diese Charakteristik behält man während der ganzen
Erzählung stets im Sinn, und die einzelnen Szenen gewinnen dadurch
ein ganz eigenes Leben. Es geht dem alten, verliebten Herrn zwar
recht schlimm, aber er ist nicht bösartig, er rettet sich so gut es
geht mit einem derben Scherz aus der wenig ehrenvollen Situation
und trägt auch der so heiß umstürmten Dienerin, die ihm so arg
mitgespielt hatte, ihre List nicht weiter nach, ja, er hat kein Bedenken
die Affaire seinen Kollegen zu erzählen.
Als einen Schimmer von rudimentärer Psychologie könnte man
vielleicht den in Novelle 20 unternommenen Versuch betrachten, in
einer Person Schwerfälligkeit, Unwissenheit und Unliebenswürdigkeit
in Verbindung zu bringen mit Geschicklichkeit in der Führung
eines Geschäftes.
92 Walther Küchler.
Auffällig erscheint die mehrmalige Charakterisierung von Personen
als ^grand voyagiei''^, vielleicht damit zu erklären, daß dem Verfasser
selbst eine große Reiselast in den Gliedern steckte. Spuren von
Kenntnis fremder Länderund von Erfahrungen, die auf der Wanderschaft
gewonnen geworden wären, finden sich allerdings in den Novellen nicht.
Charaktere erscheinen am leichtesten in den Erzählungen, die
keinen Liebeskonflikt enthalten, da wo eine Verwicklung fehlt und
die Geschichte weiter nichts ist als die Darstellung einer merkwürdigen
Persönlichkeit. Erzählungen in diesem Sinne sind die 77., die uns das
eigenartige Bild des cynischen Sohnes vorführt, die 94., welche von dem
eulenspiegelbaften, halsstarrigen Priester handelt, die 91., welche über
Poggios Facecie hinaus die unglückliche Veranlagung einer überaus
männertollen Frau darstellt, die fünfte, welche so anschaulich die
Gerechtigkeitsliebe und die leicht erregbare Stimmung Talbot s malt.
Aber solche Erzählungen sind doch nur selten, und so kann
man wohl sagen, daß gerade wegen dieses Mangels der Charakteristik
die C. N. JV. in das Mittelalter gehören. Wie durch eine Kluft ist
diese Sammlung von der modernen Novelle geschieden.
Das Bestreben des modernen Novellisten geht dahin, den Inhalt
seiner Novelle möglichst selbst zu erfinden, einen bisher noch nicht
behandelten Konflikt darzustellen. Wir haben im ersten Teile der
Arbeit gesehen, in welchem Maße der Verfasser der C. N. Ä\ sich
traditioneller Stoffe bedient und daß er den Grundsatz der wirklichen
Neuheit des Stoffes noch nicht kennt. Wir sehen hier, daß ihm auch die
zweite Wesenseigentümlichkeit der modernen Novelle noch fremd ist,
nämlich den Aufbau der Handlung auf der Grundlage ganz besonders
eigenartig veranlagter Charaktere. Die moderne Novelle will mit Absicht
die möglichst scharfe Darstellung eines psychologischen Konfliktes sein.
Sie ist komponiert, um diesen Konflikt eines Charakters mit sich
oder anderen, oder mehrerer Charaktere untereinander zum Austrag
zu bringen.
Die Komposition der C. N- N. dagegen beruht auf der Ver-
wicklung und Entwicklung von Situationen, auf der Erzählung um des
bloßen Erzählens willen. Das Erzählerische ist dem modernen Novellisten
jedoch bis zu einem gewissen Grade nur Mittel zum Zweck.
In ihrer Beschränkung, als Proben einer rein formalen Erzählungs-
kunst, geübt an meist bekannten Stoffen von ethisch und ästhetisch
recht geringer Bedeutung, sind aber diese Novellen kleine Meister-
stücke. Sie sind ein erstes Zeugnis einer persönlichen Erzählungskunst
auf französischem Boden. Sie sind ein glänzender Anfang. Es steckt
in ihnen die Kraft, welche die vornehmste Bedingung für die Entwicklung
einer Gattung ist: robuste Volkstümlichkeit. Es fehlt ihnen der Geist,
die feine Blüte einer innerlichen Kultur. Aber dieses edlere Element
bringt die Entwicklung in die Gattung hinein, für den Beginn ist die
Kraft, meinetwegen die Roheit, das Notwendigere; diesen rohkräftigen
Grund besitzen die Cent Nouvelles Nouvelles des unbekannten Verfassers.
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 95
III. Kapitel.
Vom Geiste der C. N. JST.
und ihrem Verhältnis zu dem Geiste ihrer Zeit.
Nicht "nur von dem XIV. Jahrb., auch von dem größten Teile
des XV., sicher bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Sammhing der
C. N. N. abgeschlossen wurde, gilt das Wort von Gaston Paris:
ceite epoque ctonnante ou, ä lire ceriains textes^ il semble qu'on
mene une fete perpetuelle, iayidis que si on en consulte (Tautres
la vie semble avoir ete si horrible quon se demande comment on
(a subissoit." ^^)
Zu der Zeit, als die C. N. N. geschrieben wurden, ging der
Krieg zwischen England und Frankreich zu Ende, und das erschöpfte
Land konnte für einen Augenblick ruhen. Es konnte Rast machen
zwischen dem Kampfe für die nationale Unabhängigkeit und der
kommenden, abenteuerlichen, schlecht geleiteten Expansionspolitik
gegen Italien, i'-)
Es war eine Ruhe eingetreten nach einer entsetzlichen Zeit,
nach einer Zeit, die von Waffen starrte wie der heilige Georg. 13)
Verwüstet war das flache Land; Schlösser, Kirchen, Abteien und
Dörfer waren niedergebrannt. Wohl ertönt Klagen und Jammern an
allen Enden, aber das Volk war nicht in Blut und Elend erstickt,
sondern hatte sich seine Lebenskraft bewahrt. Es stekte voll von
Gesellen wie „ÄlieuLv que Deva?it" und „Roger Bo7i-Te7nps", die
mit Gesang und Lachen durch das zerstampfte Land zogen und in
den Herzen Hoffnung auf bessere Zeiten erweckten. !■*)
Nicht in einem schönen, energischen Optimismus aber ruht di&
innerste Wurzel dieser Lebenskraft des Volkes, sondern vielmehr in
einer durch die erlittene Drangsal erzeugten, stumpfen Gleichgültigkeit
gegenüber dem elenden Zustand des Fremden und des Eigenen. In
dem rohen Verlangen nach Lust um jeden Preis, über Trümmern und
Leichen. Diese Lebenskraft inmitten der Zerstörung hat etwas Besti-
alisches, sie beruht nicht auf den edlen Instinkten des Menschlichen,
sondern auf wilden Trieben nach Genuß und Betäubung. Die Menschen
in dieser Zeit waren wie das pestkranke Mädchen in einer der besten
Erzählungen der C. N. JV., welches den Tod vor Augen sich in
rasender Liebeswut erschöpft. Die Menschen in dieser Zeit waren
wie die Bewohner von Metz und Umgebung, welche, wie Philipp von
Vigneulles über fünfzig Jahre später erzählt, nach einer gerade über-
^') La Litleralure du XIV^ siicie. In La Poesie du moyen-äge. 2^ scrie
p. 206.
'-) La Poijsie au XV" siede. In La Poesie du moyen (ige. p. 214.
1^) In der Farce „Mestier et Marclmndise'* (1440). Foumier. Le ihcdtre
frangais avant la Renaissance. Paris 1872, p. 44 flf.
^*) cf. Jlieulx que devant. Bergerie. XV. Jahrb. (Regne de Charles VJl)
Foumier p. 54 ff.
94 Walther Küchler.
standenen Pest, da die Erute gut geraten war, von nichts anderem
sprachen que de faire la bonne chiere; denn die Pest hörte auf,
und die Menschen starben nicht mehr. Die Frauen, denen ihre
Männer gestorben waren, und die Männer, die ihre Frauen verloren
hatten, schlössen wieder neue Heiraten comme voullejitier se fait
aprez une mortaulite.'' ^^)
Kein unterschied war zwischen Vornehm und Gering, sie jagten
alle nach dem berauschenden Vergnügen. Die Fürsten in ihren
Schlössern mit ihren Maitressen, das Volk in den Schenken. Der Herzog
von Savoyen verbrachte seine Tage mit Trinken, Essen und Schlafen,
immer lag er oder saß er; denn er konnte keinen Fuß vor den
anderen setzen vor Gicht und Podagra. In Faulheit und Wollust
lebte er in den Zimmern der Frauen und half ihnen fast bei ihrer
Handarbeit. ^6)
Von den Festen am burgundischen Hofe wissen die Chronisten
nicht genug zu erzählen. Wohl rühmen sie den Glanz und die Pracht,
aber sie üben doch auch Kritik an der maßlosen Verschwendung,
die nur hervorgegangen sei aus der Sucht einander zu übertreffen. ^^^
Von üppigen Festen, die Tage und Nächte sich fortsetzen,
berichtet Chastellain anläßlich eines Besuches des Herzogs von Burgund
in Gent. Da seien die Straßen voll gewesen von Tischen, die mit Fleisch
und Wein beladen waren, für jeden frei, als ob es nichts kostete. Frauen
und Männer tanzten und sangen, spielten dramatische Spiele, machten
die Nacht zum Tage und verbrachten den Tag in derselben Weise.
Alle Lebensmittel waren so billig als möglich, und niemand wagte sie
auch nur um einen Heller zu verteuern. ^^)
Mitten im Kriege blühte Burguad, bereicherten sich seine Fürsten
und Städte, aber es war kein glückliches Volk, das in diesem Reiche
lebte. Der Glanz und die Pracht konnten die Verderbtheit und
Frivolität des allgemeinen Lebens nicht verdecken. Es ist sicher
nicht übertrieben, wenn Chastellain einmal schreibt: „7^ est vray
qiies pays de Flandres et de Brahant et es marches lä entour,
a multitude de jeunes gens huiseux, non querans ä ouvrer, ni faire
labeurs, mais vivent sur jyovres pecheresses femmes, et tous les
jours residamment sont en tavernes et en bordeaux, comme pleins
de mauvais vices et prests ä toute mauvaiseti faire qiii les y veut
semondre, ne craignent ni Dieu, ni homme et de nul meffaire^
tant pust-il estre horrible, ne leur prent piti, tuent gens pour
argent comme bouchiers, deviennent brigans et meurdriers de
bois, boutent le feu es maisons des povres gens des villages et les
'5) Gedenkbuch (1471—1522) herausg. von Dr. H. Michelant. Stuttg.
1852. p. 160.
1^) Chastellain: Chronique. Oeuvres publiees par le Baron Kerv}'n de
Lettenhove 8 Bde. Bruxelles 1863—66 t. V p. 40.
") Olivier de la Marche: Memoh-es I. Kap. 28. cf. auch Kap. 29.
18) Chastellain: a. a. o. t. III p. 415 f.
TJie Cent Nouvelles Nouvelles. 95
brulent, femmes et enfans, en leiir lit, quant ne se veident composer
a eux etc." i'')
So sind die Menschen dieser Zeit verkommen und verroht durch
das Übermaß der Not, das die Drangsal des Kriegs über sie gebracht
hat, und durch das Übermaß des Reichtums, das den Begünstigten
verweichlicht und verdirbt, den Ausgeschlossenen verhärtet und
auch verdirbt.
Was steht in den C. N. N. von dieser Zeit und von diesen
Menschen geschrieben?
Von den Greueln des Krieges steht so gut wie nichts in ihnen.
In der fünften Novelle wird allerdings der noch nicht beendete Krieg
zwischen England und Frankreich als „la mauldicte et pestilencieuse
guerre'-' bezeichnet, aber nur zwei amüsante Anekdötchen, die sich
an die gefürchtete Gestalt des ersten englischen Heerführers anknüpfen,
weiß der Erzähler zu berichten, nämlich den Bruch eines einem
Franzosen gewährten freien Geleites und die lustige Bestrafung des
schuldigen Engländers, sowie den komischen Zorn des Generals in
einem anderen Falle. Auch Chastellain weiß von einem Treubruch
aus dem englich -französischen Kriege zu berichten. Er erzählt in
seiner Chronik, wie einmal eine Schar von Franzosen, die ein freies
Geleit vom Grafen von Ligny besaßen, von 2000 Engländern über-
fallen und z. t. getötet, z. t. gefangen genommen wurden. Die Beschwerde
des Grafen bei den englischen Führern blieb aber in diesem Falle
ohne Erfolg 20). So ist der Krieg, nicht so, wie ihn die Anekdote der
C. N. N. darstellt.
Wahr ist auch nicht die angebliche Episode aus dem Kriege
der Armagnacs und Burguignons, viel Ernst und raube Wirklichkeit
ist nicht in ihr enthalten. Auch die Verhandlungen zu Calais über
das Lösegeld des von den Engländern gefangen gehaltenen Herzogs
von Orleans sind eine nur recht schwache Staffage für die Liebes-
geschichte, die sich von diesem „historischen" Hintergrund abhebt.
Aber vielleicht ist etwas von der Wirkung des Krieges auf die
Gemüter der Menschen in der Sammlung zu spüren? Vielleicht gibt
es in den hundert Novellen ein par verwegene Kerle, die sich nähren
von Fehde und Raub, die mit dem fremden Leben und dem eigenen
spielen in frevelhaftem Übermut ? Ein par Verbrecher, Gesindel, ver-
kommene Adelige, kecke Abenteurer? Vielleicht gibt es da solche
Müßiggänger, Zuhälter und Brandstifter, wie sie Chastellain in Flandern
uns bezeugt, alles Opfer des Kriegs und der Kämpfe der Mächtigen?
Nein, man sucht vergeblich in diesen Schwänkon nach solchen dunklen
Gestalten. Nur einmal findet sich eine elende Diebsgeschichte, die
eine der schlechtesten Erzählungen in dem ganzen Bucheist, uninteressant
und witzlos. Einmal fuchtelt auch ein Schotte von der Leibgarde
19) Chastellain: a a. o. t. III p. 460 ff.
20) Chastellain: a. a. o. t. I p. 97 ff.
96 Walther Küchler.
des Königs Karl des Siebenten mit seinem großen Schwert in der
Luft herum und erschreckt einen feigen Krämer, der sich unter dem
Bette versteckt.
Es gil)t nichts, das in den C. \. N. an die Folgen der
rauhen Zeit erinnerte. Roheit gibt es genug in ihnen, aber nicht
einen einzigen Zug von Roheit, der sich mit Kühnheit und Grausamkeit
verbände, keinen Schurken, der groß geworden wäre im rücksichts-
losen Beute- und Genußleben. Es gibt keinen Menschen, der uns
mit Staunen und Schrecken erfüllte wegen seiner unerhörten Schand-
tliaten, wie etwa jener Räuber und Mordgeselle Denis de Vauru, von
dem das ,, Journal cVun hourgeois de Paris'-'- Schlimmes zu erzählen weiß,
ein Entarteter, der in dieser furchtbaren Zeit gewiß viele Gesinnungs-
genossen hatte. -^) Es findet sich in den C. N. N. kein Mann, der
wegen der gefühllosen Härte, mit der er sich selbst behandelt, über
den Durchschnitt der Zeitgenossen hinwegragt, kein Mann, den man
nur dann verstehen kann, wenn man au die Härte der Zeit denkt^
die auch ihn hart und gefühllos gemacht hat. Kein Manu, wie jener
Henker von Paris, der, als er selber hingerichtet werden sollte, dem,^
der das Geschäft verrichtete, genau angab, wie er zu Werke gehen
müsse, und dann den Kopf ruhig auf den Block legte. 22)
An sich wäre nichts natürlicher, als daß solche Elpisodec, die
mit der Rauheit der Zeit zu tun hätten, in die Sammlung Aufnahme
gefunden hätten. Die Stoffe sind aus dem gewöhnlichen Unterhaltungs-
material aller Schichten der Gesellschaft geschöpft worden, es ist
nicht anzunehmen, daß man sich nichts von Persönlichkeiten ei zählt
hätte, an deren Namen sich die Erinnerung an kühne Thaten knüpfte,
an Grausamkeit, List und Verschlagenheit, Todesverachtung, über-
haupt an Großzügigkeit des Auftretens, das auf die Menschen Eindruck
machte. Sicher hat man von solchen Menschen gesprochen, die
Chroniken und Tagebücher des Jahrhunderts beweisen es. Nur hat
sie das für die Unterhaltung bestimmte Werk nicht aufgenommen.
Im eng>ten Zusammenhang mit Fehde, mit grausamer Kriegsführung
konnten sich in früheren Jahrhunderten aus volkstümlicher Verschmelzung
von Wirklichkeit und Sage romantische Abenteurerromane entwickeln,
konnten novellistische Sammelgebilde wie Existache le Moine, Truhert
und Foulques Fitz Warin entstehen. Die für Frankreich neue
literarische Gattung der kunstmäßig erzählten Novelle konnte, so scheint
es, solche Wirklichkeit aus der eigenen Zeit noch nicht aufnehmen.
Die Eigenart seiner Zeit, selbst die rauhesten und fühlbarsten Eigenarten
ihres Charakters, sah der Erzähler nicht, oder wenn er sie sah, so
kam ihm der Gedanke nicht, sie für seine Erzählungen zu verwerten.
Eine Gattung muß schon sehr entwickelt sein, sie muß fast schon
einen Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht haben, um mit Erfolg
21) Journal d'un bourgeois de Paris publie par A. Tuetey Paris 1881. p. 170.
--) ebda. p. 110/111.
Die Cent NouveUes Noiiveiles. 97
wagen zu dürfen, ihre Stoffe aus ihrer Umgebung herauszuholen. Die
Gegenwart läßt sich im Kunstwerke nur realistisch darstellen, nur mit
allen Zügen ihres wirklichen Lebens. Die C. N. N. kennen noch
keine wirkliche Realistik. Wir dürfen uns nicht durch die Realistik
der Darstellung, durch die Naturwahrheit von Einzelzügen, die entschieden
auf sicherer Beobachtung beruhen — das sind alles rein formale Eigen-
schaften — täuschen lassen, die Stoffe dieser Novellen stammen mit
geringen Ausnahmen aus der Phantasie, aus der jahrhundertelang
tätigen Phantasie von Generationen und aus der Einbildungskraft
des Verfassers. Wirkliche Persönhchkeiten und Ereignisse, deren
Eigenart durch den Charakter der Zeit bestimmt worden wäre, finden
sich nicht in den C. N. N.
Ja, man kann es ganz ruhig aussprechen, für die wirkliche
Verfassung des Lebens in Frankreich um die Mitte des fünfzehnten
Jahrhunderts lernen wir aus den C. N. N. so gut wie nichts. Ebenso
wenig, wie wir aus den Fabliaux die tatsächliche Kultur des zwölften
und dreizehnten Jahrhunderts erkennen können. Das Gedenkbuch des
Metzer Bürgers Philipp von Vigneulles gibt uns unschätzbare Einblicke
in das kulturelle Leben seiner Zeit, der Wende des Jahrhunderts,
aber die C. N. N. enthüllen uns nur einzelne Symptome aus der
allgemeinen geistigen Verfassung der Menschen ihrer Zeit; nicht durch
die W^iedergabe wirklicher Ereignisse des täglichen Lebens, sondern
nur mittelbar durch die Stimmung, die sich nach unserer Lektüre
der Sammlung aus ihr loslöst und die uns wie ein Lufthauch aus
jener schlimmen Zeit anmutet. Wir können aus den C. N. N. die
Kultur ihrer Zeit nicht wirklich erkennen, sondern wir können sie
nur rückschließend fühlen. Die C. JV. N. sind nicht wie das Gedenk-
bnch des Philipp von Vigneulles, das Tagebuch des Jean de Roye
und des Bourgeois von Paris kulturgeschichtliche Dokumente.
Sie geben sogar einen ganz falschen Begriff von ihrer Zeit.
Wäre das fünfzehnte Jahrhundert so gewesen, wie es in den C. N. JSf.
ausschaut, wahrlich, es wäre die gemütlichste und sorgloseste Zeit
aller Zeiten gewesen. Ein Garten aller Faulenzer, ein Tummelplatz
aller Ehebrecher und Ehebrecherinnen, es wäre eine Lust zu leben
gewesen für alle, die im Leiien Befriedigung ihrer Sinne und ihres
Magens suchen. Selbst den Mönchen, wenn sie es gar zu arg nicht
trieben, wäre es nicht allzu schlimm ergangen. Gewiß, es komm
zweimal vor, daß ein betrogener Gatte seine schuldige Frau tötet,
mehrere Male auch wird die leichtsinnige verstoßen, ein ganzes Kloster
wird sogar verbrannt, das will nichts besagen. Solche Ausgänge sind
gewissermaßen stillos. Sie sind unecht. Man könnte sie mei-t herunter-
schneiden und andere Schlüsse ansetzen, die Erzählung würde nicht
verlieren; denn sie ist meist nicht von Anfang an auf den tragischen —
das Wort klingt zu hoch — Ausgang gestimmt.
Kein Mensch arbeitet in den Novellen. Nur einmal eilt ein
Schmied vom Blasebalg weg in das Schlatgemach, um Frau und Liebhaber
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI'. 7
98 VValiher Küchler.
zu überraschen. Die Menschen leben nur um zu lieben. Die
Gatten, um sich täuschen zu lassen und die Dienerinnen ihrer
Gattinnen zu verführen, die Frauen, um ihre Männer zu täuschen,
die unverheirateten Junggesellen und die Priester, um Mädchen zu
verführen. Gewöhnlich verzeiht der Gatte seiner Frau, die Frau dem
Gatten, oder dem Gatten ist es gleich, wenn die Frau ihn betrügt.
Er lacht über den Ehebruch und geht ins Wirtshaus. Die Gattin
zeigt der Dienerschaft und den eigenen Kindern ihren Herrn und
Vater, der friedlich in den Armen der Magd schläft. Der Gatte
tröstet sich mit der Kammerfrau, während er die Gattin in den
Armen des Gastes weiß. Die Frau mit zwei Liebhabern überliefert
sich dem einen, während der andere, wie sie wohl weiß, von seinem
Versteck ihr zuschaut.
Alle diese und andere Situationen sind nicht der Wirklichkeit
entnommen. Die Sittenlosigkeit war groß in jener Zeit, aber sie war
nicht so harmlos, wie die C. N'. N. sie darstellen. Es war denn
doch mehr Leidenschaft in ihr vorhanden. Wenn einer ein sträfliches
Verhältnis mit der Frau des Edelmannes unterhielt, so wagte er sein
Leben in Frankreich so gut wie in Italien. Als der Seneschal der
Normandie, der Graf von Maulcvrier, der mit Charlotte von Frankreich,
der natüdichen Tochter Karls des Siebenten und der Agnes Sorel
verheiratet war, einst von einer Jagd zurückkehrte, teilte ihm ein
Diener mit, daß ein Edelmann bei seiner Frau weile. Der Graf
erbrach die Tür, fand den Edelmann im Hemde, tötete ihn sofort
und gab dem Leichnam noch mehr als hundert Degenstöße. Dann
suchte er seine Frau, fand sie unter einem Bette in einem anderen
Zimmer und nahm auch ihr das Leben 23),
Im Jahre 1482 starb in Paris der berühmte Rechtsgelehrte
Nicolle Bataille im Alter von 44 Jahren; wie man sich erzählte, aus
Kummer über den schh^chteu Lebenswandel seiner Frau, die, nachdem
sie ihm bereits zwölf Kinder geboren hatte, ihn mit allerlei Männern
betrog, darunter sogar mit dem Sohne einer Gemüse- und Fisch-
händlerin 24),
In Metz hatte eine Bürgersfrau ein Verhältnis mit einem Clerk.
Sie töteten den Gatten und wurden beide dafür hingeiichtet, sie wurde
verbrannt, ihm wurden erst die Hände, dann das Haupt abge>chlagen 25).
Verführte Mädchen töten die Kinder, die sie geboren haben,
und müssen eines grausamen Todes dafür sterben 2C).
2') Jean de Roye : Journal (Clironique scandaleuse), publie par Bernard de
Mandrot. 2 vols. Paris 1894-96. t. II p. 15 ß.
24) Jean de Roye: Journal t. II p. 114 f.
25) Ph. de Vigneulles: Gedenkbuch p. 8.
««) Ph. de Vigneulles: Gedenkbuch p. 125. 144. 291.
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 99
Ein abgewiesener Freier verstümmelt und tötet den begünstigten
Nebenbuhler kurz vor dessen Hochzeit auf die grausamste Weise^?),
und so finden sich eine große Anzahl von Anekdoten und Episoden
in früheren, gleichzeitigen und späteren Dokumenten, in denen die
Sittenlosigkeit dargestellt wird in Verbindung mit aufgeregten Leiden-
schaften, mit Verbrechen gegen I^eib und Leben, mit gewaltsamem
Tode auf richterlichen Beschluß.
Und diese Elemente fehlen in den C. N. N. Die auflodernde
Leidenschaft, die im Augenblick des Affekts sich zu Gewalttätigkeiten
hinreißen läßt, gerade diese alltägliche Begleiterscheinung der sträflichen
Liebe; die ernsten Folgen, die sich aus der Übertretung der auch
im fünfzehnten Jahrhundert bestehenden gesetzlichen und gesellschaft-
lichen Schranken ergeben; die scharfen Konflikte zwischen Ehre und
Pflicht, die in solchen Momenten auftreten, derartige echt menschliche
Erscheinungen, welche den späteren Geschlechtern erwünschte Bilder
aus der kulturellen Verfassung der Zeit gegeben hätten, fehlen in
der Sammlung der 0. N. N.
"Wie fügt sich denn aber nun das Werk ein in seine Zeit?
Es kann doch nicht ganz losgelöst sein von dem Geist des Jahrhunderts,
in dem es entstand, mag es auch noch so wenig von den Realitäten
des Lebens enthalten.
Christine de Pisan sagt einmal in ihren „Prouverbes moureaula;" :
Tourner a truffe aucune foiz injure
En certain temps est scens, je Je vous jure.
Wenn ich mich nicht täusche, so ist diese Tendenz, ganz all-
gemein gefaßt, ein Symptom der Zeit, aus der heraus die C. N. N.
geboren wurden. ,,Bene vivere et Icetari'-'' verkündet die Dame
des heiles Cousines ihrem Schützling, dem JPeiit Jehan de Saintre
des Antoine de la Säle. „11 ri'est tresor que de lyesse'^ heißt es
in der Farce „des cinq sens'', „11 n'est tresor que de vivre ä so7i
aise'' ruft Frangoys Villon in einer Ballade aus. In jener harten
Zeit vergnügt zu leben war nur möglich, wenn man schwarz weiß sein
ließ, wenn man das Unrecht in einen Scherz auflöste, wenn man
lachte über die Schande, über die eigene Not spottete und die Ehre
mit Füßen trat.
,yOrdure amons, ordure nous assuit
Nous deffuyons onneur, il nous deßuit,
En ce bordeau ou tenons nostre estat" 28).
So lacht der unglückliche Vagabund über sein Elend. Es klingt
-wie ein verzweifeltes Sich-Rühmen. Auch ein Symptom der Zeit:
2'') Chastellain: Chronique. Oeuvres III p. 434 £F.
^) Villon: Ballade, de Villon et de la Grosse Margot.
7*
100 Walther Küchler.
,yTel est vanteur qui couche sur la paille;.
Voilä le traiJi, par bieu, du Temps qui court'' 29).
Die Menschen fühlen sich wohl. Die in den C. N. N. sind
Fürsten in der Unbeküramertheit ihres sorglosen Genusses. Sie lachen
und lärmen, sie schlemmen und lieben, sie necken und betrügen sich,
sie prügeln und vertragen sich. Sie rühmen sich, sie wissen selbst
nicht, welcher Dinge. Rosig erscheint ihnen die Welt, ob sie auch
auf Stroh schlafen. So sind die Menschen der Zeit, so sind sie in
den Novellen, so ist der Verfasser. Nur kein Bedenken, kein Besinnen
und Nachdenken. Genuß! Genuß! Einmal müssen wir alle sterben,
darum sparen wir nicht die Glieder, die einst in der Erde verfaulen
werden 30). Sich an ein Weib hängen, das ist das Beste, was man
tun kann, meint der Verfasser. Der Dummkopf aber, der in Melancholie
verfällt, weil sein Weib ihn betrügt. Davon wird ihm nicht besser,
spottet er an einer anderen Stelle 3i).
In dieser Stimmung treffen sich die C. JV. N. mit ihrer Zeit.
Eines unter den mannigfachen Symptomen, aus denen sich eine Zeit
zusammensetzt, spiegelt sich in diesen Novellen wieder.
Eine Zeit wird von starken Strömungen bewegt, und da wo die
Luft von ihnen ertönt rauscht es tief und gewaltig. Manche Menschen
werden von ihnen ergriffen, und ihre Werke legen Zeugniß ab von diesem
Aufruhr. Hoch oben oder in der Tiefe kreisen diese Ströaungen, zwischen
ihnen, in der Mitte ist die Luft still. Die vielen Menschen fühlen
sich wohl in dieser Atmosphäre und atmen mit Behagen eine schwere
Luft, in der die anderen ersticken würden. In dieser Luft, zwischen
den Strömungen, ohne ihren frischen Zug zu spüren, lebte auch der
Verfasser der C. N. N. Und so kommt es, daß wir sie in seinem
Werke verspüren. Der Geist der Zeit ist nicht darin, nur die
Trivialität der Mittelmäßigkeit, der Genügsamkeit, der Geist der
großen Masse, die in stumpfem Genüsse dahinlebt.
Wir kommen immer wieder zu denselben Resultaten. Die
Betrachtung der Motive, ihre Herleitung und Entwicklung hatte uns
ein zähes Festhalten an altem Gut, dem nur gelegentlich einige wenige
moderne Gegenstände gegenüber stehen, gezeigt. Ein Beharren am
Trivialen.
Die Untersuchung der formalen Behandlungsweise hatte uns
zwar mit einem äußerlich sehr gewandten stilistischen Verfahren bekannt
gemacht, aber wir vermißten jegliche Vertiefung des Übernommenen
und standen einer nur erstaunlichen Fertigkeit in technischer Beziehung
gegenüber.
^') Farce de Pou d'Acquest. Fournier p. 62 £f.
30) C. A'^, .V. XIII.
31) C. N. ^\ XLIX.
Die Cent Nouvelles Nouvelles. 101
Der kurze Blick auf den Geist der Sammlung ließ uns erkennen,
daß aus der immerhin bewegten Zeit, die Roheit und Gewalttätigkeit,
Leidenschaft und Drang zu fördern geeignet war, auch nichts in die
Sammlung eingedrungen ist, sondern, daß sie erfüllt ist von dem
Geist leidenschaftloser, trivialer Kleinheit, die im begrenzten Genüsse
lebt und leben läßt.
GIESSEN. Walther KtrcHLER.
Beiträge zur Geschichte
der politischen Literatur Frankreichs in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
I. TeU.
Die Herausbildung des politischen Charakters der
Reformationsliteratur in Frankreich.
Die vorliegende Untersuchung leitet eine Heihe von Arbeiten über
ein Gebiet der französischen Literaturgeschichte des 16. Jahrb. ein,
welches ich mit einem in der literarhistorischen Forschung bereits mehr-
fach 1) angewendeten Ausdruck als politische Literatur bezeichnet habe.
Unter der politischen Literatur ist die im Zusammenhang mit
den geschichtlichen Verhältnissen und Vorgängen entstandene Literatur-
gattung zu verstehen, welche vornehmlich die den Bedürfnissen des
realen Lebens zugewendeten Gebiete schriftstellerischer und dichterischer
Betätigung umfaßt und, indem sie in den Dienst staatlicher Fragen
und Ziele tritt, weniger künstlerische Vollkommenheit als unmittelbare
und machtvolle Wirkung auf die Öffentlichkeit anstrebt.
In der zweiten Hälfte des 1 6. Jahrb. steht die politische Literatur
in allen ihren Teilen unter dem Einfluß der Reformation und der
durch sie herbeigeführten religiösen und staatlichen Verhältnisse und
findet ihr Gegenstück in der unter dem Einfluß der Renaissance
entstandenen, „klassischen" Literatur, welche im Gegensatz zur poli-
tischen Literatur den Charakter einer antikisierenden und höfischen
Kunstpoesie trägt.
Der Gegensatz beider Richtungen der französischen Literatur,
welche sich beide um die Mitte des 16. Jahrb. ausbildeten, ist weniger
schroff, als die Verschiedenheit des Ursprungs und die Einseitigkeit
des literarischen Ziels in der einen und anderen vermuten lassen
sollte. Im Laufe unserer Untersuchungen werden wir vielmehr nicht
') Vgl. besonders Zeiss, Die Staatsidee Pierre Coj-neilles, mit einer
Einleitung über die politische Literatur Frankreichs von der Renaissance
bis auf Corneille. Leipzig. Diss. 1896.
Beiträge zur Geschichfe der polit. Literatur Franhreichs. 103
bloß die politische Literatur allein des Genaueren zu betrachten,
sondern auch die Einwirkung der politischen Literatur auf das Werk
der Plejade, wie auf die klassische Literatur überhaupt, in ihren viel-
artigen Erscheinungen zu verfolgen und die sich dabei ergebenden
Wechselbeziehungen zwischen beiden Gebieten der französischen Lite-
raturgeschichte des 16. Jahrh. im Einzelnen darzulegen haben.
Die literarhistorische Darstellung des 16. Jahrh. weist der poli-
tischen Literatur gegenüber der klassischen Literatur eine nicht anders
als untergeordnete Stellung an. Allerdings steht die politische Literatur,
soweit es sich um künstlerische und dichterische Vollkomraeiilieit
handelt, hinter der an den antiken Mustern und Vorbildern gebildeten
klassischen Literatur der Renaissance zurück; aber es hieße den Begriff
der Literaturgeschichte einseitig fassen und die Bedeutung verkennen
oder geringschätzen, welche die Geschichte eines Volks für die Gestal-
tung seiner Literatur zu beanspruchen hat, wenn man in der franzö-
sischen Literatur des 16. Jahrh. nur die Schöpfung der Renaissance
als der literarhistorischen Betrachtung und Beschäftigung würdig
gelten lassen und darüber die weitausgedehnte Literatur verkürzen
wollte, welche sich im Zusammenhang mit den stürmischen religiösen
und staatlichen Verhältnissen des 16. Jahrh. auf französischem Boden
entfaltet hat.
Als typisch für die einseitige Berücksichtigung der klassischen
Literaturrichtung in der literargeschicbtlichen Betrachtung des
16 Jahrh. mögen unter den neueren Arbeiten herausgegriffen werden die
Schriften von Reaume, Etüde historique et litt, sur A. d'Aubigne
(Paris 1883) und Wagner, liem^/ ßelleau und seine Werke (Leipzig.
Dissertation 1890), welche zwei, auch auf dem Gebiete der politischen
Literatur hervorragende Persönlichkeiten, und zwar solche entgegen-
gesetzter politischer Parteinahme behandeln. Reaume geht zwar mit
aller wünschenswerten Genauigkeit auf D'Aubignes Lebensgang und
sein literarisches Werk, namentlich auf seine Tätigkeit als Geschichts-
schreiber ein, aber dem politischen Dichter, der in dem Sänger der
„Tragiques'' steckt, widmet Reaume nur wenige Seiten, eine Lücke,
welche nur unvollkommen durch die Aufsätze von Fahre -), WarneryS),
Levallois*), und in noch geringerem Grade durch die rein biographisch
gehaltene Studie von A. von SaUs^) ausgefüllt wird 6). Auch
^) Discours sur la vie et [es auvres d'Agrippa cVAubigne, in: Revue
ckretienne. 32(1885) S. 754—767; 827-844.
3) ün soldat-poete au seizieme siede. Theodore- Agrippa d'Aubigne, in:
Bibliotheque universelle et Revue suisse. 102« anneo, VIII (1897) S. 225 — 259.
■*) D'Aubigne; les Tragiques. in: Instruction publique. 1885. S. 504 ff.,
517 ff., 643 ff.
^) D'Aubigne, eine Ilugenoltengestalt. Heidelberg 1885.
^) Zur D'Aubigne-Literatur treten neuerdings noch hinzu: Oeuvres
poetiques de D^Aubigne, publ. par Van Bever (Paris 1905) und W. Winkler,
Th. A. d'Aubigne, der Dichter, Leipzig, Diss. 1906.
104 Kurt Glaser.
H.Wagner hat Leben und Werke Belleaus unter allen möglieben Gesichts-
punkten betrachtet, aber bezeichnenderweise am allervvonissten seiner
politischen Poesieen Erwähnung getan und mit keinem Wort seines
makaronischen Gedichtes über den hugenottischen Krieg gedacht,
welches den vielgefeierten Plejadedichter auch unter den Größen der
politischen Literatur einen Platz beanspruchen läßt.
Die Nebensächlichkeit, mit welcher die politische Literatur
zumeist be^lacht worden ist, hat wiederholt schiefe Urteile über eine
ihrer bekanntesten Erscheinungen, die Satire Menippee, fällen lasseu.
Mit Recht ist namentlich L Frank wiederholt (zuletzt diese Zeit-
schrift XXIX 1, S. 246 — 273) für eine nur durch gründliche
Erforschung zu ermöglichende gerechte Beurteilung der bedeutendsten
und wirkungsvollsten Prosasatire der französischen Literatur in die
Schranken getreten und hat damit zugleich der Würdigung der
politischen Literatur überhaupt einen dankenswerten Dienst erwiesen.
Außer Frank haben sich in neuerer Zeit durch die Erforschung
der politischen Literatur des 16. Jahrh. Verdienste erworben nament-
lich Mealy durch seine Arbeit über die politische Publizistik der
Reformation in Frankreich'^), Perdrizet durch seine Studie über das
für die Geschichte der politischen Literatur und die Beuiteilung von
Ronsards literarischem Werk gleich wichtige Verhältnis Ronsards zur
Reformation ö), sowie HoU durch seine Untersuchung über das
politische und religiöse Drama des 16, Jahrh. O), welche die Rolle
darzulegen unternimmt, die das Drama in der Reformation, und die
Reformation im Drama gespielt hat.
Die Berücksichtigung der politischen Literatur in der literar-
historischen Betrachtung des 16. Jahrh. ist mit um so größerer Freude
zu begrüßen, als die politische Literarur seit der ersten Darstellung,
welche Charles Lenient vor nunmehr bereits vierzig Jahren in seinem
Werke La satire en France ou la litt, militante ati X VF siede. (Paris
1866) gegeben, keine neue zusammenhängende Bearbeitung mehr gefunden
hat. Lenient hat die Geschichte der politischen Literatur zwar mehr
in ihren Grundzügen als in den in Betracht kommenden Einzel-
erscheinungen geschildert, aber auch da, wo er den in den bände-
reichen Werken der Schriftsteller und Dichter jener Zeit versteckt
liegenden Schriften und Dichtungen politischer Richtung nachgeht
oder nur nebenher weniger bedeutende, aber gleichwohl noch immer
interessante und beachtenswerte Erscheinungen des weitaus.;edehnten
Gebietes berührt, geschieht es in einer so klaren und im Zusammen-
hang seiner ganzen Darlegungen so wolilgelungenen Weise, daß sein
Urteil im großen und ganzen noch heute Gültigkeit beanspruchen kann.
^ Les publicistes de la Rifforme sous Francois II et Charles IX. 1903.
8) Ronsard et la Reforme. Paris 1902.
^) Das politische und religiöse Drama des 1(1. Jahrh. in Frankreich.
Münchener Beiträge etc. 26 (1903).
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 105
Für neue Forschungen über die Geschichte der politischen
Literatur des 16. Jahrb. gibt Lenients Bucli noch immer die grund-
legende Arbeit ab. Indessen, der Mangel an Genauigkeit im Kleinen
und Einzelnen hat Leuient doch einer der wichtigsten Entwicklungen,
welche die politische Literatur im 16. Jahrb. durchlaufen, nicht
gerecht werden lassen, nämlich der durchgreifenden Umwandlung,
welche um die Mitte des 16. Jahrb. mit der Übertragung des Gegen-
satzes zwischen Reformation und Katholizismus auf die Literatur
weltlichen Charakters vorgegangen ist und zu der Herausbildung
eines ausgesprochenen politischen Parteicharakters in der Zeitliteratur
des 16. Jahrh. geführt hat.
Daß ich gerade die Umwandlung, welche sich mit der Heraus-
bildung des politischen Parteicharakters, gegenüber dem in der
1. Hälfte des 16. Jahrh. vorherrschenden patriotisch- nationalen und
religiösen Element in der Zeitliteratur des 16. Jahrb., vollzogen hat,
zum Ausgangspunkt meiner Untersuchungen gewählt habe, liegt in der
Bedeutung begründet, welche jene Umwandlung für die fernere
Geschichte der politischen Literatur gewonnen hat. Es wird noch
zu zeigen sein, wie die politische Literatur erst mit der Herausbildung
eines ausgesprochenen Partei- und Streitcharakters zu voller Ent-
faltung und Wirkung gelangt und in raschem Steigen zu einer
gewaltigen Hochflut emporwächst, welche in alle Gebiete der Literatur,
und selbst bis zu den von dem Renaissanceideal beherrschten Höhen
des Parnasses ihre Wellen schlägt.
Für die Darlegung jener für die Geschichte der politischen
Literatur so bedeutungsvollen Entwicklung war ein ausführlicheres
Eingehen auf die von Leuient und seinen Nachfolgern nur in wenigen
Erscheinungen berücksichtigte Kleinliteratur notwendig, als es der
mitunter ziemlich zweifelhafte literarische Wert dieser Literatur recht-
fertigen könnte. Je tiefer man in die Kleinliteratur des 16. Jahrh.
eindringt, je mehr sich das bisher von der politischen Literatur
gewonnene Bild durch die Erschließung der weitausgedehnten Literatur
zweiten oder dritten Ranges in zahlreichen einzelnen Zügen erweitert
und vervollständigt, um so mehr gewinnt man die Einsicht, daß
nicht bloß der Aufschwung der politischen Literatur, welcher die
2. Hälfte des 16. Jahrh. bezeichnet, sondern auch die durchgreifende
Wandlung, welche um die Mitte des 16. Jahrh. mit der Herausbildung
eines ausgesprochenen politischen Charakters in Wesen und Ziel der
politischen Literatur vorgeht, wesentlich durch den Aufschwung bedingt
ist, zu welchem sich die in unmittelbarstem Zusammenhang mit den
Zeitereignissen und Zeitveihältnissen entstandene prosaische und
poetische Kleiuliteratur emporarbeitet. Gerade in der 2. Hälfte
des 16. Jahrb. fehlt es an mächtigen, die politische Literatur ihrer
Zeit beherrschenden Persönlichkeiten, wie sie die 1. Hälfte des
Jahrh. in Marot und Rabelais, in Kalvin und Beza aufzuweisen
hat. Die Schriftstellcrei und Dichtun-i verbreitern sich in der
106 Kvrt Glaser.
2. Hälfte des 16. Jahr))., die Klein- und Tagesliteratur, die Volks-
dichtung, nimmt überhand, welche mehr noch als die Schöpfung
der bedeutenden Geister der ganzen Literatur die Züge einer für
die Zeit, das Leben berechneten Literatur verliehen hat.
Das weitzerstreute Material an Erzeugnissen der politischen
Kleinliteratur, das ich mit möglichster Vollständigkeit zusammenzutragen
und zu verwerten gesucht habe, liegt nur zum Teil bereits in größeren
Sammlungen gedruckt vor, und zwar ist ein Teil der zu Rate gezogenen
Prosaschriften in dem als „Memoires de Conde" bekannten Sammel-
werke vereinigt (6 Bände. 174.3 if.). Als Fortsetzung kommen in
Betracht die „Memoires de la Ligue'^ (Amsterdam 1758. 6 Bände).
Die benutzten Zeitdichtungen sind zum Teil zu finden in: Le
Laboureur. Additions aux Memoires de Micliel de Castelnau
(Bruxelles 1731); Desnoyers, Bull, de la socidte de l'histoire de
France 12 (1834) S. 261—300, Le Roux de Lincy, Recueil de
chants historiques frangais II (1842), Montaiglon-Ilothschild, Recueil
de pohies frangaises des XV^ et XVl^ siecles. 13 Bände (Paris
1855 — 1878. — abgekürzt: Rec), Schmidt, Poesies huguenotes du
XVI" siede (Strasbourg 1882), Bordier, Le chansonnier huguenot
du XVI^ siede. 2 Bände (Paris 1871); ferner an zerstreuten
Stellen der Memoires de Conde und Memoires de la Ligue und
namentlich des Bnlletiti de la sociale de Vhistoire du protestantisme
franpais (seit 1853. — abgek.: Bull.) sowie im 2. Bande der Aus-
gabe der Satyre 31enippde von Ed. Tricotel (Paris 1881).
Die von mir außerdem noch verwerteten Originaldrucke und
handschriftlichen Quellen, welche mir zumeist auf der Bibliotheque
Nationale, vereinzelt auch auf der Bibliotheque de TArsenal und der
Bibliotheque de la Societe de Thistoire du protestantisme franpais
zu Paris zugänglich geworden sind, habe ich im Laufe der Untersuchung
namhaft gemacht. Namentlich reichhaltig erwies sich die Sammlung
von politischen Poesieen in Bibliotheque Nationale fonds frangais
Ms. 22 560 — 22 565, welche der protestantische Arzt Franoois Rasse de
Noeux, der selbst an den Ereignissen der Religionskriege mehrfach
beteiligt gewesen ist, angelegt hat; ebenso der Chansomiier de
Maurepas, Bibliotheque Nationale fonds frangais Ms. 12 616 und der
Chansojinier de Clairamhaidt, Bibliotheque Nationale fonds Ms. 12687,
sowie die Sammlung von Dichtungen, welche Pierre De L'Estoile
seinem bekannten Journal beigegeben hat (= Bibliotheque Nationale
fonds frauQais Ms. 10 304).
I.
Der Gegeusatz zwischen Katholizismus und Reformation im
Zusammenhang mit der Entwicklung der politischen Literatur
des 16. Jahrhunderts.
Die politische Literatur Frankreichs in der 2. Hälfte des
16. Jahrb. ist beherrscht von dem Gegensatz zwischen Reformation
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 107
und Katholizismus, wie er sich auf religiösem und staatlichem Gebiete
gestaltet und alle Verhältnisse des damaligen Frankreichs durchdringt.
Die Reformation war für Frankreich, gerade wie für Deutschland,
nicht bloß eine religiöse Angelegenheit, sondern zugleich auch eine
politische Sache. Die durch ihre Glaiibensmeinungen getrennten
Parteien vertraten auch in ihren politischen Zielen gesonderte
Richtungen, denen die Konfession oft nur als willkommener Vorwand
ihrer Bestrebungen diente. Mit dem Anwachsen des neuen Bekenntnisses
in Frankreich gewann dieser Gegensatz eine immer deutlichere Gestalt.
Die Bekeuner der „neuen" Lehre, welche in den ersten Jahrzehnten seit
dem Eindringen der Reformation in Frankreich ein offenes politisches
Auftreten gescheut und alle Verfolgungen von selten der katholischen
Regierung geduldig über sich hatten ergehen lassen, begannen, je
mehr ihre Zahl und damit ihre Macht wuchs, zu einer festgegliederten
Partei zusammenzutreten, welche auch im Staatsleben eine Sonder-
stellung einzunehmen bestrebt war. Der unerwartete Tod Heinrichs II.
eröffnete den kalvinistischen Parteiführern, Antoine von Bourbon,
König von Navarra, und seinem Bruder Louis von Conde, die Aus-
sicht, als die durch ihre Verwandtschaft mit dem verstorbenen
Heinrich IL dem Thron am nächsten stehenden Mitglieder des könig-
lichen Hauses sich des ihnen bisher versagten Anteils an der Regierung
in Frankreich und der Vormundschaft für den jugendlichen, an Körper
und Geist gleich schwachen Sohn Heinrichs, Franz IL, bemächtigen
zu können. Mit ihren auf Erlangung des leitenden Einflusses in
Frankreich gerichteten Bestrebungen traten die Führer des Kalvinismus
in schroffen Gegensatz zu den Oberhäuptern der katholischen Mehrheit
des Volks, den beiden Brüdern Franz und Karl von Guise, welchen
es durch rasches und tatkräftiges Handeln gelang, das Regiment am
Hofe an sich zu reißen und mit einer dem Einfluß der karolingischen
Hausmeier ähnlichen Machtvollkommenheit ihren Willen dem Hofe
und dem Lande aufzuzwingen. Die Unzufriedenheit der Kalvinisten
mit der Herrschaft der Guisen, welche sich eigenmächtig in die Staats-
gewalt teilten, führte zu dem als Verschwörung von Amboise bekannten
Versuch mehrerer Edelleute, das Regiment der allmächtigen Guisen
zu entthronen. Der für die Empörer unglückliche Ausgang der Unter-
nehmung war von erneuten Gewaltmaßregeln der Guisen begleitet,
welche ihre Machtstellung gegenüber den Bestrebungen des Adels zu
stärken bemüht waren und vermeinten, durch die Gefangennahme
Condes den Widerstand der kalvinistischen Partei brechen zu können.
Der plötzliche Tod des Königs entzog den Guisen zwar vorübergehend
ihren Einfluß am Hofe und im Staate, da die Königin- Mutter,
Katharina von Medici, die vormundschaftliche Regierung für den
neuen König, den erst zehnjährigen Karl IX., selbst in die Hand
nahm; aber die Guisen gewannen den früheren Einfluß rasch wieder,
als Franz von Guise das von Katharina zur Versöhnung der kalvinisti-
schen Partei erlassene Dulduugsedikt von St. Germain (17. Januar
108 Kurt Glaser.
1562) diircli den Frevel von Vassy mutwillig brach und so den An-
stoß zu den Religionskriegen gab, \Yelclic mit kurzen Unterbrechungen
Frankreich während eines Monschenalters durchtobten.
Die politische Literatur hcält mit der Entwicklung der Dinge
in Frankreich Schritt. In der 1. Hälfte des 16. Jahrh. war die
Entfaltung einer selbständigen politischen Literatur nur in viel geringerem
Maße möglich als in der stürmischen Zeit der inneren Wirren, welche
in der 2. Hälfte des 16. Jahrh. die Leidenschaften und die Geister
entfesselten. In der 1. Hälfte des 16. Jahrh. steht die politische
Literatur noch allzu sehr unter dem maßgebenden Einfluß der die
Literatur beherrschenden Persönlichkeiten eines Marot und Rabelais,
welche, wie sie über alles und jedes geschrieben und gedichtet, auch
nicht über Staat und Kirche geschwiegen haben; aber als Erzeugnisse
der politischen Literatur können ihre Werke darum doch nicht gelten.
Marots Satire trägt rein persönlichen Charakter; J^liistoire de aes
satires"-, sagt Lenient S. 26, 27, „n'est guere que celle de ses
amours, de ses ruptures, de ses emprisonnements et de ses emls."
Eine Parteinahme in den durch das Eindringen der neuen Lehre in
Frankreich herbeigeführten Verhältnissen seiner Zeit gibt sich bei
ihm nur in dem Eifer für dia Sache der neuen Lelire zu erkennen.
Der Ehrgeiz, als politischer Dichter zu glänzen, liegt dem galanten
Säuger der Psalmen ebenso fern, wie er dem philosophischen Spott
widerstreitet, mit welchem Rabelais die Verhältnisse in Staat und
Kirche mustert.
Trotz aller Ausätze zu Satire und Polemik trägt die politische
Literatur der 1. Hälfte des 16. Jahrh. den Charakter einer patriotischen
und nationalen Literatur. Im Wettbewerb mit den sangeslustigen
Poeten des Volks stimmen die Dichter des Hofes das Lob der Fürsten
und Helden Frankreichs an und besingen die Taten der französischen
Waffen. Die Ereignisse der bewegten Regierung Franz' I. boten der
Dichtung noch reicheren Stoff als die seiner Vorgänger. Schon der
Sieg von Marignan, die erste Waffentat, durch welche sich die neue
Regierung verheißungsvoll ankündigte, rief eine Flut von Dichtungen ins
Leben, welche für sich allein an Zahl und Wert die Poesieen über-
treffen, welche die ganze Regierung Ludwig XII. und selbst der
rulimvollste Erfolg der franzödschen Waffen in Italien, die zu ihrer
Zeit viel bewunderte und viel besungene Einnahme von Genua
hervorgebracht hatte.
Der Höhepunkt in der politischen Literatur der 1. Hälfte des
16. Jahrh. wird von den Poesieen, welche die Eroberung von Calais
verherrlichen, gebildet. Selten hat eine Waffentat der französischen
Geschichte einen allgemeineren und freudigeren Wiederhall in der
Diclitung gefunden, als die Einnahme der seit mehr als zwei Jahr-
hunderten an England verloren gegangenen Kanalfestung, deren
Wiedergewinnung seit dem Tage ihres Verlustes den Wunsch und
Traum so vieler Dichter gebildet hatte. Franz von Guise, der
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 109
Eroberer von Calais, bereits seit der glorreichen Verteidigung von
Metz gegen Karl V. der Liebling der französischen Nation, wurde
mit einer fast abgöttischen Verehrung umgeben, welche ihm nachmals
seine kalviu. Feinde nicht zu verzeihen vermochten. An den Straßen-
ecken von Paris wurde in jenen Tagen ein Theaterstück gespielt, die
„Moralite nouvelie de la Prinse de Calais^, welche, in vornehmem
Tone gehalten, frei von Prahlerei und Schadenfreude die Einnahme
der Stadt behandelt lO). Große und kleine Schriftsteller ergingen
sich um die Wette in Schilderungen der glorreichen Tat, in der
fromme Gemüter den Finger Gottes zu erblicken vermeinten. In einer
Unmenge von Liedern und Poesieeu aller Art feierten die sanges-
lustigen Dichter des Volks den Erfolg des Herzogs und den Ruhm
seines Namens. Dorat, Baif und Du Bellay machten sich zu
Dolmetschern der patriotischen Freude der Plejade, und selbst der
gemessene L'Hospital schwang sich in einem lateinischen Poem zum
Lob des Siegers und zum Preis von Gottes Fügung auf'^).
Von der nationalen und patriotischen Richtung, welche die
politische Literatur in der ersten Hälfte des 16. Jahrb. einschlägt,
sind die Dichter der Plejade in höherem Maße ergriffen worden, als
es ihr auf die Nachahmung des Altertums gerichtetes Sinnen und
Dichten vermuten lassen sollte. Du Bellays Manifest der Plejade,
die „Deffence et illustration de la langue frangoyse"^ ist eine
literarische Tat, welche durch die für die Bereicheiuiig und Pflege
der französischen Sprache gegebene Anreguug auch eine beachtenswerte
nationale Bedeutung zu beanspruchen hat. Wichtiger als die immer-
hin unvollkommene praktische Bestätigung und Verwirklichung der
in dem Plejademanifest für die Pflege der französischen Sprache
gegebenen theoretischen Vorschriften war für die Herausbildung
nationaler Züge in dem antiken Charakter der Renaissancepoesie das
Interesse, mit welchem die Plejadedichter, trotz ihrer altertümelnden
Liebhabereien, die politischen Vorgänge in Frankreich verfolgten.
Der Sänger patriotischer Lobrednerei unter den Dichtern der
Plejade ist Du Bellay, der Verfasser des Plejademanifests der Deffence.
In der Dichtung Du Bellays tritt das nationale Element bald
im Zusammenhang mit anderen, den Dichter bewegenden Gefühlen
auf, bald ist sein Ausdruck der Endzweck seiner Poesie. Daß Du
Bellay aber auf die eine oder die andere Art seinen nationalen Gefühlen
einen glücklichen Ausdruck verliehen hätte, wie ihn patriotische und
politische Gesinnungen verlangen, und in so vielen Dichtungen jener
Zeit auch gefunden haben, kann man nicht behaupten. Du Bellays
Vaterlandsgesinnnng ist da, wo sie im Zusammenhang mit anderen
Gefühlen erscheint, allzusehr von dem weichlichen Charakter seiner
10) s. Holl S. 40.
") Nisard, Chansons populaires. Paris 1867, I, S. 277 ff. Lenient, la
poeeie patriotique en France dans les lemps modernes. 1894, I, S. 125 ff.
1 1 0 Kurt Glaser.
Poesie (lurclidruiigen und farblos wie seine ganze Dichtung. Am
deutlichsten tritt der weichliche Charakter von Du Bellays Poesie
hervor in seinen „Megretz''^, in welchen der Dichter die guten und
schlechten Eindrücke, die er in der heiligen Stadt empfangen, nieder-
gelegt hat, und angesichts der ihn umgebenden Laster in einer mit
Heimweh gemischten Aufwallung patriotischer Erinnerung seines Vater-
lands gedenkt'
„France, mere des arts, des armes et des loix,
„Tu ni'as nourry long temps du laict de ta mamelle:
„Ores, comme vn aigneau que sa nourrisse appelle,
„Je remplis de ton nom les untres et les bois.
„Si tu m'as pour enfant advouS quelquefois,
„Que ne nie responds-tu maintenant, 6 cruelle?
,^France, France^ responds ä ma triste querelle:
„Mais 7ml, sinon Fcho, ne respond ä ma voix." i2_^
Und auch da, wo Du Bellay sich nicht in sentimentaler Erinnerung
an die heimatliche Erde ergeht, sondern sich der Betrachtung und
Verherrlichung seiner Zeit zuwendet, ist seine Dichtung nicht viel
glücklicher und kraftvoller. Machtvolle Lyrik und wuchtige Epik ist
Du Bellays Stärke nicht, und darum gelingt ihm weder ein begeisternder
und begeisterter Ausdruck vaterländischer Gesinnung noch eine markige
und packende Verherrlichung und Schilderung geschichtlicher Vorgänge.
Du Bellays Zeitdichtung ist zudem allzu lobrednerisch gehalten, um
wirken zu können. Du Bellay erblickt seinen Beruf als Dichter zu
sehr darin, mit seiner Poesie zu gefallen und Lobbezeuguiigen mit
freigebigen Händen zu spenden. Bald bringt er dem Könige seine
Huldigungen dar, bald Margareta von Navarra, bald anderen bedeutenden
Persönlichkeiten des damaligen Frankreichs, vor allem dem Kardinal
von Guise. Überall spricht sich eine mit patriotischem Stolz gemischte
ehrfurchtsvolle Ergebenheit des Dichters vor den Großen seiner Zeit
und eine von nationaler Freude getragene Liebe zu seinem Vaterland
aus, wie sie dem sich in subjektiven Gefühlen ergehenden Charakter
seiner Poesie entspricht. Zu einem machtvollen Ausdruck politischer
Gesinnung, wie ihn die Behandlung zeitgeschichtlicher Stoffe erfordert,
vermag sich Du Bellays Dichtung nicht zu erheben. Es ist wolil kein
Zufall, daß sich Du Bellay von der Schilderung politischer Ereignisse
fast völlig ferngehalten hat^ sei es, daß er sich der Schwäche seines
dichterisclien Talents, welche ihn zu einer gerechten Würdigung zeit-
geschichtlicher Ereignisse ungeeignet machte, bewußt war oder daß
er vermeinte, seiner Pflicht gegen König und Vaterland mit seinen
Versicherungen ehrerbietiger Ergebenheit und seineu lobrednerischen
Huldigungen vor den Großen seiner Zeit Genüge geleistet zu haben;
nur eine der Waflfentaten aus der Regierung Heinrichs H., den Zug
»^ ed. Marty-Laveaux, U. S. 171.
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreich.'^. 111
des König gegen Boulognc, hat er in einer Dichtung verherrlicht, ^^)
welche wie seine ganze Poesie voll von Lobrednerei und schmeichel-
hafter Huldigungen vor dem König ist. In der Freude seines Herzens
über den Erfolg seines Königs sieht sich der Dichter bereits zu den
höchsten Erwartungen berechtigt und erträumt bereits eine Unterwei'fung
Englands unter Frankreichs Szepter, Hoffnungen, welche zwar nicht
über des Dichters patriotische Gesinnung, wohl aber über seine politische
Einsicht Zweifel gestatten. Den Poesieen, welche die Einnahme von
Calais verherrlichen, kommt Du Bellays Dichtung weder an Wucht
der Sprache noch an Natürlichkeit und Frische des Tons gleich. Die
galante Lobrednerei, welche Du Bellays Poesie erfüllt, verträgt sich
ebensowenig mit machtvoller nationaler oder patriotischer Erregung
wie mit leidenschaftlicher Parteinahme und würde sich schwerlich
den Verhältnissen und Aufgaben haben anpassen können, welche die
stürmische Zeit der Bürgerkriege Dichtern und Litteraten erwachen
lassen sollte, wenn Du Bellay jene Zeit noch erlebt hätte.
Neben der nationalen und patriotischen Richtung ist der religiöse
Charakter das Kennzeichen der Zeitliteratur in der ersten Hälfte des
16. Jahrh. Während noch die Literatur von dem Ruhm der glorreichen
Regierungen Franz' L und Heinrichs IL wiederhallt, und weltliche
Stoffe Dichter und Dichtung beschäftigen, beginnt bereits die Reformation
ihren Einfluß auf die Zeitliteratur auszuüben und durch die Zuführung
des religiösen Moments neue Stoffe und neue Gesichtspunkte zu
erschließen. Zwar tritt das religiöse Moment gegenüber dem nationalen
und patriotischen Charakter der poHtischen Literatur zunächst noch
in den Hintergrund, aber als die um die Mitte des 16. Jahrh. mit
der Ausbildung der politischen Machtstellung der Partei des neuen
Glaubens in den staatlichen Verhältnissen Frankreichs vorgehende
Umwandlung den Kampf um die Religion zu der das staatliche Leben
bewegenden Frage machte, war es unausbleiblich, daß die in dem Lager
der Bekennerschaft der neuen Lehre und ihrer Gegner entstandene
Literatur den für die Entwicklung der gesammten Literatur maßgebenden
Einfluß erlangen mußte, welchen ihr die Verhältnisse bisher versagt
hatten. Gegenüber dem anfangs überwiegenden theologischen und
religiösen Gepräge der Literatur der neuen Lehre und ihrer Gegner
beansprucht nunmehr das politische Moment eine maßgebende Bedeutung.
Zu der theologischen Erörterung und Polemik tritt die offene politische
Parteinahme, der kühne Angriff, die verwegene Invective. Die gelehrten
Kreise, an welche sich die Wortführer beider Parteien mit theologischen
Erörterungen und Streitschriften gewendet, hören auf die eigentliche
und einzige Leserwelt zu sein; die Öffentlichkeit beansprucht ihre
Rechte; die weitesten Kreise des Volkes nehmen Anteil an dem
politischen Leben. Flugschrift und Lied werden die wirksamsten
>3) „Chant triumphal sur le voymje de Boulongne, M. D, XLIX. au moyS
^'aoust". ed. Marty-Laveaux. I. S. 228—233.
112 Kurt Glaser,
Mittel des Gcdanlienausdruclis. Die Literatur -wird zu einer Waffe
der Aufldäiuiig und des Kampfes. Auf die Wirkung kommt alles an.
Alle Gattungen der Literatur hallen wieder von dem Geräusch des
Kampfes; auch das Theater wird zum Mittel, um auf die Öffentlichkeit
zu wirken, und selbst die Dichter der Renaissance ergreifen in dem
immer leidenschaftlicher entbrennenden Streit der Meinungen Partei
und schlagen Töne religiöser und politischer Leidenschaft in ihren Dich-
tungen an. Von der nationalen und patriotischen Verherrlichung der
Taten und Erfolge Franz' L und Heinrichs IL, welche in der 1. Hälfte des
16. Jahrb. ein dankbares Thema der politischen Literatur gebildet,
wendet sich die politische Literatur den brennenden Fragen der
stürmischen Regierungen von Heinrichs Söhnen zu. Im Streit religiöser
und politischer Meinungen und Ansprüche wird die politische Literatur
zu einer Partei- und Kampfesliteratur, in welcher sich mehr Streitlust
und Haß als patriotische Gesinnung ausspricht. Der Gegensatz zwischen
Reformation undKatholizismus, wie er sich auf religiösem und staatlichem
Gebiete gestaltet, tritt in den Mittelpunkt der politischen Literatur
ein. Beide Parteien, welche sich im Felde auf das Blutigste befehden,
nehmen auch auf literarischen Gebiete den Wettkampf auf. Eine
mächtige, von großen und kleinen Geistern vertretene Literatur
entfaltet sich inmitten des Ringens beider Parteien, welche das ganze
Jahrliundert erfüllt und erst mit der Herstellung geordneter Verhältnisse
durch das Edikt von Nantes zur Ruhe kommt. In den Stürmen
der Religions- und Bürgerkriege, welche die zweite Hälfte des 16. Jahrh.
erfüllen, wird die politische Literatur zu einer Kampfesliteratur,
in der patriotische und nationale Gefühle kaum noch zum Ausdruck
kommen oder nur als Hülle dienen, unter der sich niedrige Leiden-
schaften verbergen. In dem Kampfe um die staatliche Machtstellung
der katholischen und kalvinistischen Partei vollzieht sich um die Mitte
des 16. Jahrh. eine durchgreifende Umwandlung in Wesen und Ziel
der politischen Literatur, welche durch die Herausbildung eines durch
religiöse Gegensätze verschärften politischen Parteicharakters bezeichnet
wird und eine neue Periode in der Geschichte der politischen Literatur
einleitet.
IL
Die Ausbildung des Ge^eusatzes zwischen Katholizismus und
Reformation in der Zeitliteratur: religiöse Polemik.
Für die Herausbildung des politischen Charakters der unter
dem Einfluß der Reformation und der durch sie herbeigeführten
Verhältnisse entstandenen Literatur hat der religiöse Ursprung und
Charakter der Literatur eine größere Bedeutung erlangt, als die
nachmals vorwiegend politischen Fragen und Zielen zugewendete
Richtung der Literatur vermuten lassen sollte.
Die Reformationsliteratur trägt von vornherein den Doppelcharakter
theologischer Erörterung und religiöser Polemik, wie er dem Wesen
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 113
und Ziel einer aus religiösen Streitfragen liervorgegangenen kirchlichen
Neuerungsbewegung entspricht und in dem Werke der eigentlichen
Schöpfer der französischen Reformation, in dem Werke Kalvins und
Bezas, seine erste und deutlichste Ausprägunti gefunden hat.
Die Kircliengeschichte hat Kalvin als Theologen und Reformator
zu nennen ; die französische Literaturgeschichte räumt ihm als Klassiker
der französischen Prosa einen Ehrenplatz ein, und die Geschichte der
politischen Literatur hat sich des Vorbilds der Polemik und Satire
zu erinnern, das er seiner Partei gegeben hat. Mit einer an Luther
gemahnenden Leidenschaft der Sprache und des religiösen Eifers
fährt Kalvin einher, mag er einem unbedeutenden Franziskaner, der
sich seinen Zorn zugezogen, zu Leihe gehen, oder seinen Spott über
die des Christentums unvvürdiire Reliquienverehrung der katholischen
Kirche ergießen, oder mag er unfügsamen Bekennern der eigenen Partei
eine derbe, mit Spott und Hohn gewürzte Lektion erteilen. In heiligem
Zorn braust er auf gegen böswillige Verleumder wie Saconay und
Cathelan, die die Reinheit seiner Lehre und seinen guten Namen
anzutasten wagen; sein Spott kennt keine Grenzen, und bis in die
hintersten Winkel ihres la>terhaften Lebens verfolgt er seine Gegner.
Beza hat mit Kalvin die Kühnheit der Sprache und die Schärfe
der Polemik gemeinsam. Wie Kalvin gegen Saconay und Cathelan,
zieht Beza gegen Lizet zu Felde. Sein gegen Lizet gerichteter Prosa-
traktat „PassavanV bildet ein köstliches Muster von Reformations-
satire. Beza steht treu zur Sache des Reformators und fertigt in
wuchtigen Streitschriften mißvergnügte und störrige Parteigenossen
ebenso krättig ab wie unbequeme Gegner der kalvinistischen Sache.
Wie bei Kalvin paaren sich in seinen Scliriften leidenschaftliche In-
vektive und derber Spott mit reichem Wissen und ernstem Eifer für
die Sache des Glaubens. Die gelehrte Satire, welche er bald iu
ernstem ciceronianischem Stil, bald in spöttelndem malsaroni>chem
Latein reden lüßt, genügt dem mutigen Vorkämpfer der Reformation
nicht mehr. Was Beza erstrebt, ist die Wirkung auf die weiten
Kreise des Volks; die französische Spraehe, deren er nicht minder
mächtig ist, wie des gelehrten Lateins, wird dem kühnen Vorkämpfer
des Kalvinismus zur wirksamsten Waffe, und wenn auch die von
Lenient S. 186 ausgesprochene Ansicht recht behalten sollte, welche
Bezas französische Satiren an dichterischem Wert eher hinter als neben
ihre lateinischen Schwestern gesetzt wissen möchte, so entschädigt dafür
um so mehr die Wirkung, welche eine in der frischen Derbheit der
Volkssprache gehaltene Satire auf die Öttentlichkeit ausüben mußte.
Um die beiden mu.ti^^en Worifülirer der Sache des neuen Glaubens,
„dont l'un est le legislateur et le prophete, lautre le gentilhomme
et le diplomate de la Reforme'-'- ^^) (Lenient S. 187) schaart sich
'■') Vgl. auch Baird, Th. Beza, the counsdlor of (he French Reformation.
London 1900.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI i. 8
114 Kfirt Glaser.
ein walirer Schwärm streitbarer Lit(>raten, welche das von den Meistern
im Großen begonnene Werk im Kleinen und Kleinsten zu vollenden
unternehmen und ihre Aufgabe oft mit mehr Eifer und Leidenschaft
als Geschick lösen. In dem Kampf um die Religion war die Überlejienheit
von Anfang an auf der Seite der Protestanten, welche mit einer durch
die Verfolgungen nur gesteigerten Kühnheit tür die Sache ihres Glaubens
eintraten und nicht minder durch eine glückliche Anwendung der
französischen Volkssprache an Stelle des gelehrten Lateins als durch
eine ausgiebige Benutzung der Buchdriukerkunst auf die Öffentlichkeit
einzuwirken wußten. Vergebens beinülite sich die katholische Kirche
dem Gegensatz der religiösen Anschauungen eine wissenschaftliche
Gestalt zu geben und die neuen Lehransichten durch gelehi te theologische
Erörterungen und Entscheidungen abzutun. Gegenüber der Wucht
und Wirkung, mit welcher die kalvini-tisclie Literatur und Preise gegen
das katholische Kirchensystem zu Felde zog, vermochte die katholi^che
Literatur nicht mehr länger in der stolzen Unzigäiiglichkeit zu verharren,
welche sie verhinderte, mit den von den Protestanten gehamlhabten
Mitteln der Propaganda für die Reinheit und Autoriiät der durch
Jahi'hunderte geheiligten Listitutionen des Katholizismus einzutr-eten.
Wenn Claude de Sainctes noch im Jahre 1563 in der an den König
Karl IX. gerichteten Vurrede seiner ,,Declaraiion d'aucnns atheismes
de Calvin et Beze'' die Anwendung der französischen Sprache geuen-
über dem in der Gelehrtenwelt obwaltenden Brauch ausdrücklich
rechtfertigen zu müßeu glaubte, ^^) so erwies sich doch der Zug der
Dinge und die Notwendigkeit, einen die Öffentlichkeit intei'essierenden
Meinung-^austausch auch in einer für die Ölfentlichkeit vei'ständlichen
Sprache zu führen, auch auf katholischer Seite stärker als alle Tradition
und alle gelehr-ten Bedenken und Erwägungen. Zwar gewinnt mit
dem Eindringen und Ül>erwiegen der fianzösischen Sprache die
Reformationsliti'ratur an Natürlichkeit und Kraft des Ausdrucks und an
Lebeiidig!<eit der Polemik, zwar erlangt erst jetzt die ganze Reformations-
litei'atur, auch die von katholischer Seite, diejenige Wirkung auf die
weitesten Kreise des Volks, welche die kahini-chen Literaten von
Anfang an erstrebt hatten; aber man kann nicht behaupten, daß die
nähere Beziehung der Literatur zur Öffentlichkeit eine Veränderung
in ihr-em Charakter und ihrem Zid zur Folge gehabt hat: Bei aller
polemischen und satirischen Schärfe bleibt nach wie vor die Neigung
zu wissenschaftlicher Verteidigung und sachlicher Widerlegung, wie
sie Kalvin und Beza geübt, in der Refoimationsschriftst ellerei der
vorherrschende Zug. Je mehr aber die Reformation aufhörte, eine nur
enge Kreise interessierende Angelegenheit zu sein und zu einer alle
Verhältnisse bewegenden Macht- und Streitfrage wurde, um so mehr
mußie eine dem Bedürfnis der weitesten Kreise entsprechende Litei'aiur-
gattung Bedeutung gewinnen, welche unter Vermeidung theologischer
«) Vgl. Lenient S. 215. Perdrizet S. 6.
ßeiträge zur Geschichte der polit Literatur Frankreichs. 115
Elemente und Erörterungen den Gegensatz der Religionen als solchen
ins Auge fußte und den Ksimpf um die Religion, allein um des Kampfes
willen, zu führen und zu schüren be>trebt und befähigt war.
In dieser Entwicklung der Reformation liegt die eigentümliche
Bedeutung begründet, welche die religiöse Kleinliteratur und Tages-
dichtung, und namentlich der hervortretendste Zweig derselben, die
religiöse Streit- und Spottiiichtung, für die Geschichte der Reformations-
literatur zu beansprui heu hat, eine Bedeutung, welche ni.ht auf dem
dichterischen Wert, sondern auf der für die weitesten Kreise der
■Ötfentlichkeit berechneten Bestimmung der leligiösen Kleindichtung
beiuht, wie sie dem Charakter und Ziel einer aus der Mitte des Volks
hervorgegangenen Literatuigattung entspricht.
Ein näheres Eingehen auf die von Lenient nur in wonigen
Erscheinungen berücksii htiiite religiöse Kleindichtung wird nicht bloß
das bisher von der Literatur des 16. Jalirli. gewonnene Bihl noch in
■zahlrciciien einzelnen uinl interessanten Zügen an Klarheit und Schärfe
gewinnen, sondern überhaupt erst die Entwicklung und Eigentümlichkeit
einer aus Spott und KampHust schleihthin geführten religiö>en Polemik
begreifen his-cn, welche für die spätere Entwicklung der ganzen Literatur
eine größere B<deutung gewonnen hat, als die theologischen Problemen
zugewendete Streitliteratur der führenden Reformatoren.
Die Neigung zur Kleindiclitung ist unter den Bekennern der
neuen Lehre auf französisehem Boden so alt wie die neue Lehre selbst.
Schon im Jahre 1523 sah sich das Parlament zum Einschreiten
gegen die überhanilnehmeude Ketzerei veranlaßt '6), und nicht allzu
lange daiauf, in den letzten Tagen des Jaiires 1525, berichtete der
lieutenaiit general au haillage de Meaux, Jean de Clerc, an das Pariser
Parlament über drei unter den Bekennern der neuen Lehre zu Meaux
im Undauf befindliche chansons perturbatrices, deren Wortlaut er,
soweit er seiner habhaft werden konnte, seinem Bericlite beifügte.
H. Bordier hat in verdienstvoll 'i- Weise den von dem lieutenant general
ermittelten Wortlaut aus diu Registern des Pariser Parlaments in der
Yorieie seines Chansomder huguenot^^) zum ersten Mal mitgeteilt
und so die ältesten Zeugnisse religiöser Poesie im Lager der Bekenner
•der neuen Lehre zujiänglieh gemacht. '8j
Wie in Meaux, dem Sitz der ersten neuen Gemeinde auf
französischem Boden, w;ir es überall in Frankreich. Wo die neue
Lehre iure Bikenner fand, sproß die religiöse Poesie rasch in zahl-
losen Keimen empor, i-^) Die Verfolgungen, mit welchen die katholische
1«) Die Akten-iUieke eudiält Ms. Bibl. Mazariue nr. 2588.
") 8. XIII-XXIII. D.iiiicli l'icot, Revue dliUl. Uttemire de la France.
2e anuei' (I8;)5) S. 44 ff., nr. 50, 51, 52
'*) Vj|. auch France protest'. III. S. 144.
1^) Lt'b.'r, De Vviat rcel de la presse et des pamphlels., depuls Francois I""
usquii L'tuis XIV (l'aris 18 '.4) S. 75, zeigt sich über den lliuchtuin der
RefonnaUüii-spoosie scldechi unterrichtet, wenn er ihr nur „fori peu de chansons"'
zuspricht und ib. Aum. 2 aut das späie Auftreten der Chausonpoesic hinweist.
8*
IIG Kurt Glaser.
Regierung seit der berüchtigten „affaire des placards" die Bekemier
des neuen Glaubens beimsucbte, gab den frommen Sängern von Luthers
Lehre unerschöpflichen Stoß zu neuer Poesie ab, in welcher sich mit
dem Ausdruck fester religiöser Überzeugung der Ausdruck standhaften
Märtyrermutes paarte.
An dichterischem Wert, an Kraft der Sprache und Tiefe der
Gedanken freilich lassen die religiösen Dichtungen der französischen
Lutherane oftmals mehr zu wünschen übrig als an gutem Willen und Eifer
für die Sache des Glaubens. „La muse des premiers reformes.^"- sagt
Bordier, Bidl. de la soe. de Vhist. du prot. fr. XVI (1867) S. 247
^etait plus soucieuse de Vidie qiie de la forme., trop) oppress^e de
douleur pour etre toute aux delicatesses de rart; mais toujours
droite, haide, respiratd d'im souffle viril, et perdant rarement ce
cahne d'tin christianisme qui veut etre detache des jyreoccupations
terresires.'^ Weniger auf den poetischen Wert als auf die Wirkung
ihrer Poesie kommt es den Sängern der neuen Religion an, und was
den gelehrten Dichtern der Renaissance oft genug an Natürlichkeit und
Kraft der Leidenschaft und des Ausdrucks abgeht, haben die Sänger
der Reformation oft zu viel.
„Sus, ma langue, qu'on vous oye
„ Choses hautes reciter,
..^Voics pourrez par ceste voye
„Quelques autres inciter:
„Lesquels, pourvits de faconde.,
.^.^Espandront par tout le monde
^Les merveilles du Tres-Haut. '>
„Ei si vous n'en etes digne,
„Montrez leur au moins par signe.,
„Que hon vouloir n''y defauf"-^) ■
so hat ein ungenannter Sänger Wesen uud Ziel der Poesie der neuen
Lehre treffend selbst ausgesprochen.
Einförmige, oft des poetischen Schwunges entbehrende Klagen
über die Leiden und Verfolgungen, welchen die Bekenner uud Diener
der neuen Lehre ausgesetzt sind, wechseln ab mit friedfertigen Hoff-
nungen auf Beseitigung der die Gläubigen bedrohenden Gefahren
und mit Verheißungen himmlischer Freuden, welche den Qualen des
irdischen Daseins gegenübergestellt werden. Die Einförmiiikeit des
Stils beweist die wenig gereifte Selbständigkeit dichterischen Schaffen?.
Ein starker subjektiver Zug geht durch die ersten religiösen Gedichte
der französischen Lutheraner: der Dichter spricht mit Vorliebe von
-") In: „Recueil de plusieurs cliansons spiriluelles tant vieilles que nouvelles,
auec le chant sur chacune, aßn que le chreslien se puisse esiouir en son Dieu et
Vhonorev. au Heu que les infidelles le deshonorer.t par leurs chansons viondaines et
impudiques. M. D. LV. in 16". (296 S.) No. 19, S. 51; ferner Bull. XVI (18G7)
S. 247 und Chans, hwj. I. S. LXXV.
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 117
sich und in der ersten Person; er liebt es, sich in der Klage über
seine irdischen Qualen und der Versicherung seiner unverbrüchlichen
Hoffnung auf Gott zu ergehen; seine religiöse Sonderstellung tritt
gegenüber der matten Gefühlsmäßigkeit und frommen Stimmung seiner
Reimerei noch völlig zurück. Als erster uns dem Namen nach
bekannter Dichter hat Anthoine Saunier, ein Freund und Lands-
mann von Farel, der wie dieser in die Schweiz geflüchtet war und
hier eine kleine evangelische Gemeinde zu Payerne (Vaud) gründete,
den biblisch-religiösen Ton in seiner „Chanson des dix commande-
mens de Dieu'"' angeschlagen, welche 1532 gedichtet sein muß 21)
und sich als die zeitlich nächste Dichtung an die in Meaux ge-
sungenen chansons anreiht. Der gleiche religiöse Ton spricht aus
zahlreichen anderen Chansons, welche mit einer oft ermüdenden
Eintönigkeit und oft nicht zu verkennenden ünbeholfenheit dieselben
Gedanken in nahe verwandten Worten variieren. Mit der in un-
ermüdlicher Breite abgegebenen frommen Versicherung, Gott dienen
und die Schickungen und Verfolgungen des irdischen Lebens in
Geduld ertragen zu wollen, verbindet sich der Ausdruck rückhalt-
losen Vertrauens auf Gott, dem Matthieu Malingre und Eustorg
de Beaulieu eine etwas bessere Form leihen als so viele anonyme
Sänger. Die Mehrzahl dieser Poesieen ist uns durch die Angaben
eines Index, welchen ein Inquisitor des Toulouser Kircheubezirks in
den Jahren 1548 und 1549 aufgestellt hat, bekannt geworden.
Freville, dem wir seine Veröffentlichung verdanken {BulL I, S. 355
—363. 437—448; II, S. 15 — 24), hat sich der mühevollen Arbeit
unterzogen, den in dem Iudex nur in den Eingangsworten kerntlich
gemachten Liedern nachzuforschen und seine Nachforschungen noch
durch den Hinweis auf andere zeitgenößische Dichtungen zu vervoll-
stäniigen22). Die Dichtungen, welche in zahlreichen Original-
sammluugen auf uns gekommen sind und in ihren intereßantesten
Proben bei Bordier, Chansonnier hug.^ Abdruck gefunden haben '-3),
-1) Diese Datierung beruht auf der Correspondance des Jie/hvmaleurs,
ed. Herniinjard II. S 4.31 : „Nous vous envoyons nne chansson spirituelle sur les
dix commandemens, par le prcfent porleur, composee par M^. Anthoine S. qui a present
est avec nous annuncant la saincte evangil/e^' (datiert Payerne, 9. Juli 1532). Bereits
im folgPüden Jahre zum ersten Mal gedruckt in der Sammlung ^Sensuyuet
plusie.urs Indes et bonnes chansons, que les chrestiins peuuent chanter en grade ajfectiö
de cueur: pour et affin de soulager leiirs esperilz et de leur donner repos en dieu,
au nom duquel el/es sont composees par rilhmes, au plus pres de lesperit de Jesus
Christ^ cdtenu es sainctes escrintures. [Neuchätel, Pierre de Viugle, 15331 48 S.
S. pet. in-8". Bibl. zu Zürich, Gall. XXV. 1009. 3. darin No. 1. Abdruck
auch bei Bordier, Chans, hwj. S. 3 — 10.
••^2) Bidl. II. S. 15—24. Ergänzungen: Bull. III S. 417. XIX. S. 416.
-^) Die reichhaltigsten Sammlungen sind die folgenden: SemuijuZt
plusieurs helles et bonnes chansons . . ." (s. Anm. 21); darin insbesondere nr. 4
(== Bordier, Chans, hug S. 22-25, nr. V.); nr. 10 (= Bordier S. 25, nr. VI.);
nr. 11 (= Bordier S. 1.5, nr. 111.); nr. 18 (= Bordier S 42, nr. XIV). —
^^Noels nouveaulx'' (18 S.S. in-8°), enthält im Ganzen 21 noels, darunter
118 Kwt Glaser.
lejien von dem religiösen Charakter der ersten Reimereien unto^r den
Anhängern der neuen Lehre ein deutliche^ Zeugnis ab. In religiösem
Geiste bi'fan'jen, vertrauen die frommen Sänger ilire Rettung aus den
Nöten des Lebens mehr Gott als ihren eigenen Kräften und dem
Eingreifen der weltlichen 01)rigkeit an; man beruft sich mehr auf
göttliches Recht und göttliche Gnade als auf menschliches Recht und
Unrecht, Die Leiden und Verfolgungen, welche die Gläubigen zu
erdulden haben, werden als Prüfungen der Gläubigen ausgelegt, iu
denen sich ihr festes Vertrauen auf Gott bewähren soll. Man wagt
es noch nicht, den wirklichen Feind auf Erden beim Namen zu
nennen; man sucht den schlimmbten Feind in seinem eigenen
Herzen und schiebt alle Verfolgungen — unbestimmt geiuig — dem
Autichrist zu; von Gott allein erhofft man die Beseitigung der
irdischen Not. Nur vereinzelt läßt sich ein schüchterner Hiilferuf
an die weltliche Behörde vernehmen, wie in dem Schlußvers dts
Märtyrerliedos der prisonniers de Lyon, in welchem sich fünf ihres
Glaubens wegen zu Lyon in d(n Jahren 1552 und 1553 in Gefangen-
schaft gehaltene Lausanner Studenten an die Obrigkeit in Bern und
an den König von Frankreich wenden mit der Bitte:
.-.Princes Bernois, j^ous avons espcrance
,,Q>ie Dieu pav vous dotmera delicrance
..Kn href ä nous vos hninhles Ecoliers;
,,Et que serons des jy^isoiis deliez,
„S'ü piaist ä Dieu ei au bon Roy de France.
,,Ijors plus iiaurons dedans Lyon souffrayice.'' -^)
Von den Leiden der Gläubigen wissen die frommen Sänger nur
ganz allgemein zu klagen; ganz vereinzelt klingt die Bezugnahme
nr. 2 (= Bordier S. 27—30, nr. VII.) und nr. 11 (= Bordier S. 20-22,
nr. IV). — „C/ircstienne Reslovyssance, composie pav Eustorg de Bentilieu,
natif de la rille de Beaulieu: au has puys de Lymnsin. Jadis Prestre, Musicien et
OrganUte: en la faulce Kglise Papistique^ et despuis par la mistricorde de Dien,
Minisire Ecangelique: en la vraye Eglise de Jc'sus Christ . . . 1.546, nr. ?> (= Bordier
S. 32, ur. IX.); nr. 12 (= Bordier S. 33, 34, ur. X., ein religiöses chanson
du raariage); nr. 89 (= Bordier S. 22 — 25, nr. V. = „Seusuyu^t plusiewrs belks
et bunnes chansons" nr. 4. s. 0.); nr. 129 (= Bordier S. 35; hier bereits ein
Anflug von satirischer Zeichnung). — Aus dem ..Eecueil de plusieurs chanscns
.spirituelles (s. x\.fim. 20; gehören hierhin S. 127, nr. 53 (= Bordier S. 30—31,
nr. Vlll), S. 68, nr. 29 (= Bordier S. 374—378. nr. XXV), S. 221. ur. 110
(= Bordier S 372-373, nr. XXIV), S. 233, nr. 117 (= Bordier S 360),
S. 236, nr. 118 (= Bordier S. 369—372, ur. XXIII), S. 253 (== Bordier.
352-354 nr. XII).
-■') Bordier, Chans. Img. S. 366. — Die LeidensEreschichie der fünf
Studenten erzählt Crespin, üistoire des Martyrs (1564), III, S 33.0—403; vgl.
ferner Bull 111 (1855) S. 505 ff. Ein otfenliar den ,.,cinq etudiants de Lyon'-''
in den Mund gelegter Märtyrerkantns (nach P.salm 137) wird mitgeteilt Bull.
XI (1862) S. 241 aus den „Chansons spirituelles" (composees ii l'unlitc de tous
vrais r.hritiens: oii sont demontrcs plusieurs erreurs et abus). La Rochelle
M. D. CVI.
Seiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 119
auf ein einzelnes bestimmtes, die Gemüter bewegendes und erregendes
Ereignis durch. So in dem um 1545 entstandenen Märtyrerlied 25).
über die an ilen GLäubigeu der Provence, zu Cabrieros und Merindol
verübten Greuel, welche mit einer dem Märtyrerlied jener Zeit nicht
gerade gewöhnlichen Leidenschaftliclikeit der Spmclie geschildert werden.
Für die Gattung der Mäityierlieder und die Zeit der Entstehung
unseres Liedes ist es bezeichnend, daß die chanson, weit entfernt
davon, zu Rache und Vergeltung aufzufordern, vielmehr in dem an
die fiommen Bekeuner von Gottes \\'ort gerichteten biblischen Trost
gipfelt, im Unglück der Welt nicht zu verzagen, sondern sich durch
mutiges Erträgen der von Christus erduldeten Leiden das Himmel-
reich zu verdienen.
„Helas! hUas! nies freres, „Jesus Christ nous eochorte
„Ne soyez eshahis yDisant: Qiii veut venir
y,En voyant les ajf'aires .^ Apres i>ioy^ faut quil porte
„Qu' ainsi soin7nes hays: .^Sa croix pour neusuyvir.
,^Au(ant Olli fait ä Christ ,^ Ainsi serons receus
,^Ainsi qii'il est escrit. ^Au Royaume (ä sus!''
Aus der Znhl poeti-ch einförmiger Schöpfungen hebt sich eine
in dem Recueil de phisieurs chansons spirituelles (nr. 62, S. 132
= Bordier S. 368, 369) al>gediui;kte zweistrophige Dichtung hervor,
welche mit fast dramatischer Lebendigkeit den in der Literatur der
romtinischen Sprachen so beliebten Streit zwi^chen Leib und Seele^^) in
der Form eines religiösen Dialogs zwischen beiden behanlelt. Die
Dichtung ist in ihrer ersten Strophe eine Wiederholung eines Marotschen
Epigramms, 27) in welciiem der Körper nach Fortdauer seines irdischen
Daseins verlangt, während die Seeh; in der Trennung von der Welt
ihre Erlösung sieht und in der geduldigen Unterwerfung unter Gottes
Willen auf Erden ihr Los erblicUt, Die von JMarot übernommene
Fassung im Sinne religiö-er Resignation zu vervollständigen, fügte
der uns unbekannte kalvini>tische Poet eine zweite Strophe hinzu, in
welcher der Körper, von der Gegenrede der Seele überzeugt, nunmehr
seinerseits nach baldiger Erlösung durch den Tod verlangt, aber von der
Seele wiederum zu geduldiger Ausdauer in seinen irdischen Qualen
ermahnt wird.
*^) In: Recueil de plusleurs chansons spirituelles . . . nr. 1)2, S. 190 und in:
Chansons ypirituelles (composees ä rutdite de lous vrais chritietis: oü sout demontris
plusieurs erreurs et abus . La Rocbelle. M. I). CVI. = Bonlier, Chnns. hvg.
S. ;^4I-345, nr. V; vgl. auch BM. II. S 20, nr. 2. Zu Grunde liegt die
Melotlie von Mcllin de SainiGeiai^' „0 combien est heureuse'-' (erl. Blanchernain
I, S. GlJ), S. PlCiii, Eevue dliisUnre litieruire de la France VII (1900) S 409.
-8) Vgl. besonders Kleinert, Über den Streit zwischen Leib und Seele.
Halle, Diss ISSO. Die oben mitgeteilte Fassung bleibt nachzutragen.
-'') Epiyrammes IV.: „A Pierre Vuyard''', ed. D'Ilericault S. 227. MarotS
Dichtung wird von den Kef«>rmati(insdi(htprn auch sonst noch mehrfach
plagiiert, vgl. Bordier, Bull. XVI (1867) S. 254-256.
120 Kurt Glaser.
1. „Cß mesckant Corps demande guerison,
i „Älon frere eher, et l'esprit au contraire
,,Le veut laisser comme une orde prison.
„L\m tend au monde, et Vautre ä sen distraire;
„C'est grand' pitie que de les ouir hraire.
„ — Ha! dit le corps, faut-il mourir ainsi?
„ — Va, dit l'esprit, faut-il languir ici"?
„ — Ha! dit le corps, mieu,v que toy je souhaif.e.
»— Va, dit Uesprit, tu faids et moi aussi;
„Hu Seigneur fJieu la volonte seit faite.
2. „Le corps vaincu par l'esprit bien app'ris
„Mourir soudain desire incessamment,
,^Mais par l'esprit sagement est repris.
,, — Ha ! dit le corps, vien mort soudainement .
„ — JVon^ dit l'esprit, endure ce tourment.
., — Va, dit le corps, meilleure est la des faite!
„ — Va, dit l'esprit, il faut qü' entierement
..,Hu Seigneur Hieu la volonte soit faite.""
Auf den Charakter der religiösen Kleinpoesie hat nichts mehr
eingewirkt als die biblische P salter dich tu ng. Übersetzungen
des Psalters in das Französische hat es schon seit dem Ende des
15. Jahih, in größerer Menge gegeben,-^) und die ergreifenden Berichte
über die letzten Augenblicke der den Flammentod steibenden Märtyrer
des neuen Glaubens werden nicht müde zu beteuren, daß die glaubens-
treuen Opfer des religiösen Verfolgungswahns unter dem Gesänge
frommer Psalmen in den Tod gingen. Psalmensingen war so viel
wie Ketzer sein, und noch im folgenden Jaht hundert stellte der katholische
Bischof Antoine Godoau in der Vorrede (S. 8) zu seiner ^Paraphrase
des pseaumes de David'' (Paris 1656) den Bekennern der neuen
Lehre das ehrenvolle Zeugnis aus: ,.savoir les jysaumes par cceur
est, parmi les protestants, comme une marque de leur conimunion;
et, ä nostre grande honte, aux villes oü ils sont en plus grand
nombre^ on les entend reientir dans la bouche des artlsans et, ä
la campagne, dans celle des laboiireurs, tandis que les catholiques,
ou sont muets, ou chantent des chansons desho7mestes.^^''^)
Die klassische Psalmenübersetzung Marots, welche Franzi, den
vielgefeierten Dichter selbst im Jahre 1540 seinem hohen Gaste
Karl V., überreichen ließ, hat die Psalmenpoesie erst recht in der
religiösen Dichtung eingebürgert. ISIichts ist bezeichnender für das
Bedürfnis, ^yelchem Marots Psalmenübersetzung entgegenkam, und
28) Bordier, Bull. XVI (18G7) S. 249 und Douen, Clement Marot et le
Psautier hnguenot (Paris 1878) I, S 269, besonders Anm. 5.
29^ Vgl. auch Tiersot, Histoire de la chanson populaire en France (Paris
1889) S. 269.
Beiträge ziir Geschichte der j^olit. Literatur Frankreichs. 121
für die Überlegenheit, welche die religiöse Poesie der Reformation
gegenüber der religiösen Poesie der Katholiken behauptet, als die
Aufnahme, welche die Psalmendichtung des als Ketzer verdächtigten
Maiot beim Hofe fand. „Z-g roi Franfois ß''," sagt Bordier, Chans.
hug. pret". S. IX, ,.,chantait volontier s ces petits poemes., il en
recitait encore ä son lit de mort. So7i fiis Henri 11., grand
chasseur, aimait le psaumc XLII: .Comme un cerf altere brame
apres Veau courante.'' La pr^ference de Catherine etait pour le VF,
qui est le p säume de la pcnitence. Chacun dans cette cour si
persScutrice s''Stait approprie un psaume favori guHl fredonnait
habituellement.'* Die Vorliebe, welche der Hof den Psalmen Marots
entgegenbrachte, ging auf das Volk über, welches die willkommene
Poesie mit tieferem Gefühl aufnahm als der in äußerlichem und
frömmelndem Wesen befangene Hof des allcrchristlichsten Königs,
...Vous eussiez vu le dimanche'^, sagt Bernard PalissySO)^ ,Jes com-
pagnons de metier se jjromener par tes prairies, bocages et aiitres
lieux plaisants^ chantant par troupes, psaurnes, cantiques et chansons
spirituelles, lisant et s'instruisant, hm Vautre. Vous eussiez vu
les filles et vierges assises dans les jardins, qui se drlectaient
ensemble ä chanter toutes choses saintes.^'^-^) Die Anhänger der
^^) cit. nach Tiersot, Eistoire de la ckans. pnp. cn France S. 260.
^M Ahnlich äufsert sich Florimond de Remond, Histoira de la naissance
deVheresie, h vre VIII, 16; „Les inforttmez et desastreux luthericm, vagabons, errans,
qui sorlis de l'Eglise ?ie sganoknl en quel abry se mettre ä couuert des vents rjui les
pm'toient tantost en ceste rade, tantost k cet autre, ora sur nn escueil, ore siir les
ruchers Cafarez, ore dans la (jiieule des Scylles et des Caribdis, quoy qu' ils ßssent
des assemble'es qudquefois a ouuert appeUes exhortaüons, n'eurent pourtant le chant
des psaurnes en leurs presches. C'estoit assez de les lire en p>rose dans les Bibles
vulgaires. Un seid les lisoit qui estolt le diacre ou surueillant, insques k ce qu un
conrtisan. Van 1540, pousse de ne sqay quelle fureur, mit la main ä cet auure, et
leur donna la yrace qu^on y void auiourd' huy, les Iraduisant en vers franqois " — Zu
beachten ist auch die Stelle der „Legende de Charles, cardimd de Lorraine^
rlÖTö). S. 31 V. — 33 r. (= Mim. de Conde VI. S. 32-33): „ . . . estant.
av'-nu que par h Commandement du Grand Roy Fvancols, trente Psaurnes de David
furent traduits par Marot, et mis en Musiqne par divers Musiciens: car le Roy et
r Empere'ir Charles-le-Quini, priserent ceste translalion par paroles et presenfs. 3fais
si personne les aima et ambrassa estroilement et ordinairement pour les chanter et
faire chanter, c''esloit ce feune Prince Henry lors Üanphin, de maniere que les bons
en benissnyent Dieu, et ses miynons et la Seneschale mexmes faignoyent les aymer, et
luy disoyent, Monsieur, cestuy-cy ne sera-il pas mien? Vous me donnerez cestuy-lä.
a'j7 vous platt Lors il estuit bien empesche ii leur en donner k sa fanfasie et ä la
leur. Toutesfois il retint pour luy le 128. Bien heiirenx est quiconqnes sert ä Dieu
voloritiers, ßt Ivy-mesme vn chant a ce Pseavme, lequel chant estoil Jbrt bon et plaisant
et bien propre aux paroles. Le chuntoit et faisoit chanler si souvent, qu'il monstroit
avoir un yrnnd desir d'estre beni en lignee, ainsi que la description est faite en ce
Pseaume. Clnelque temps apres , . . le Cardinal de t.orraine . . . voyant que Henry
prenoit plaisir !i ces Saincts Cantiques, lesquels iwtißent la ckastete, et sont ennemis
capi'aux de toute ordure . . . commenra premierement k hlasonner la translation, et
finnlement les Pseo.umes mesmes, subrogeant au Heu les vers lascifs d'llorace, et les
f olles chansons et amours execrahlcs des Po'etes Frangois qu'il mit en credit. Alors
Ronsard, Jodelle, Baif et autres viUains Poetes commencerent k entrer en credit: et
122 Kurt Glaser.
neuen Lelire insbesondere boniäclit igten sich de^ Marotschen Psalters,
an dessen Melodieen sie :-icli, wie Bordier, Chans, hug. pref. S. X
sagt, erkannten, oline einander zu sehen, und oft ^icniig konnte
Heinrich II. von den Fenstern des Louvre aus die Menge der Gläubigen
beobachten, welche abends jenseits der Seine auf d<ni Pie-aux-Clercs
unter den Klängen des Psalters gemessen und ernst einhirwandelten.
Es liegt nicht in meiner Absicht, die Einwirkung, welche die
Psalterdichtung auf die Lieder|ioe-ie der Bekenner des neuen Glaubens
ausgeübt hat, im Einzelnen darzutun und zu zeigen, inwieweit die
frommen Liedersänger sich der Worte oder bloß der Gedanken
des Psalters, dem sie oft genug auch ihre M<'loilieen entnahmen,
bedienen. Die nahe Abhängigkeit der religiösen Reformationspoesie
von der Psalterdichtung hat Bordier Bull. XVI (1867) S. 249 bereits
in einigen ZüL'en gekennzeichnet und in die Worte zusammengefaßt:
.,Le vrai chansonnier de nos yeres est le jysantier et les pieces
composees sur son modele'^. Euie eiegehendere Untersuihnng über
diese Frage müßte im Einzelnen den Nachweis zu erbringen haben,
wie in den chan-ons oftmals die Stimmung der frommen Sänger des
Volks und die Stimmung der biblischen Psalmisten zusammenfließen,
und der biblische Psalm im Munde der frommen Sänger zur
chanson wird. 32)
Trotz des religiösen Tons, welcher in der Chansonrlichtung,
wie überhaupt in der Reformationsliteratur anfänglich voiherrscht,
sind die Ansätze zur HerausbiMung derjenigen Züge nicht zu verkennen,
welche der Reformationsliteratur den Charakter einer Zeit- und Partei-
literatur verliehen haben.
Während noch die Literaten und Dichter der Renaissance der
religiösen Bewegung ihrer Zeit, wie religiösen Fragen überhaupt, mit
Gleichgültigkeit gegenüberstehen und sich selbst in der Eefoimutions-
literatur, trt)tz aller polemischen und satirischen Tendenz, die theologiseh-
gelehrte Erörterung reli^jiöser Fragen breit macht, haben bereits mutige
Dichter und Sänger dem eiwachenden Bewustsein religiöser Partei-
geraeinschaft Ausdruck verliehen, indem sie dem unter den Bekennern
des neuen Glaubens herrschenden Unmut über die Verfolgungen, welchen
Dieu aussi ne vuulant pas que son Nora demeurast plus Ion;/- lemps ainsi propkam,
ret'ira ses loucmges pour les medre en la hauche des peiits. Les Psecntmes et AJarot
furent baiiis. Touies sortes de vilaines chansons et lasiiie Alusique vint en avant,
par Ventremise principnle du Cardnial, Afecenas de ces vilains brouilhns ... " Vfil.
Xerner Denen, Clement Alarot et le psautier hug. I. S. 709 und Tiersot, Hist. de
l" chanson popul. S. 268. 269.
*2) Es wäre das ein Teil der Aufgabe, welche die von Groth, J. A.
de ßaifs Psatdlwr {Sainmlumj franz. Neudrucke IX^, Euileitung S. XI, Anm. 2
vermilste Monngraphie über die relig. Dichtungen des XVI. Jahrb. in Frank-
reich zu lösen balle. Wertvolle V\ inke gibt auch Duuen /. c. und Tiersot
S. 267, 268. Eine Charakteristik des hugenot. Liedes, welche manche Züge
richtig hervorhebt, g\bt Allier, R. La chanson hugnenote au XV fi siede, in:
Revue chrrtlenne. XXXIII (1886), S. 462—472; .529-550.
ßeiiräge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 123
die gläubigen Bekenner voii Goites Wort ausgesetzt siiui, Ausdruck
gabeu und machtvolle Töne reliuiöscn Eifers ansclilngen, welche der
matten Mal tyn-rpoesie Leben undLeilenschaft verliehen. Deiurspiünglich
religiösen Richtung iu der neuen Poesie entspricht es, daß sich Pulemik
und Satire zunächst auf das religiös- kircldiche Gebiet übertrugen.
Das Papsttum, die katholische Geistlichkiit mit ihrer vieluerligten und
vielgeleugneteu Verweltlichung, sowie die Lehrsätze und Einrichtungen
der katholischen Kirche, gegen deren Berechtigung und Autorität die
Gelehrten der Reformation mit den Watff n der Wi-^seiisch;ift zu Felde
zogen, boten den mutigen und redegewandten Sängern von Luthers
und Kalvins Lehre treffliche Ziele für spöt'elnde Ani^ritfe. Naturgemäß
wagt sieh die satirische Polemik gegt^n den Katholizismus nicht sofort
allgemein offen hervor, und häufig genug mußten die Spött(r von
Kiiclie und Pnpsttum zu List und frommem Schein ihre Zuflucht nelimen.
Cayet berichtet in einem denkwürdig'n Brief an den Bischof von
Bazas über die Geschii klichkeit, mit welcher einige für die neue Lehre
begeisterte Gelahrten Kahiis (Vernou, ßabinot mit dem Beinamen
des ^Bon Hemme" und Veron, le „Ramasseur'''33) zu verfahren
wußti'ii^ um selbst bis an den Türen der Kirchen in l)o'f und Stadt
ihre kecken Spottlieder tiuziistimmen. „ Voylä comme Vernou et le
Bon Homme s'escritnoient dans les villes. ccpendant que leRamasseur
hatloit aii.v champs, allant par tont le pu'is de PoiioiJ, Xaintonge
et Angouniois^ .... La facon dont iisoit le Ramasscur edoit
teile, qu ä l'issue des grandes messes dans les villages, et quel-
quefois dans villes, il se mettoit ä chanttr des chansons quil oppeloit
spirituelles: entremeslees de versets de pseaumes latius; car pour
lors ils n'avoient pas encore les pseaumes rimes. Je vous en rSciteray
de deux desdites chansons, pour voir leurs formes. JJune estoit:
„O prestres , il vous faut inarier:
„Cadi enarrant gloriam Dei etc. etc.
Ainsi contimioil par certaine rymerie fort sötte ä descouvrir
les vices qu^il pensoit estre en Cordre des prestres. Ceux quHt
apercevoit y prendre gönnt, il les entreienoit ä purt de plus parti-
culiers discours, et leiir mettoit au caiur Vinimitie confre les prestres,
33) Über die Persönlichkeit dieser drei Genossen Kalvins nnd den
Ursprung der ihnen gegebenen Beinamen gilit Florimond de Roen ond,
Bisloire, de Vhcresie (Paris IGIO, liv. Vlll. chap. 11) einige Au>kuntt: .. . .
Filippe Veron, pro'ureur im sicije. Albert Babinot ^ vn hcietir de la Mi/iistrcrie
(ainsi s'anpelle la salle oii se lisinl les fusiilufes), et Jean Vernoußls, de Pnitirrs . . .
Vun (Babinot) se. f.t appeler le Bonhomme et parce (puil nvoit (te lectcur des Institutes
en la Ministrerie, Calvin et les awres le nnmmoient Monsieur le Ministre . . . Le
troificme (Veroii_) se nrnnmoit le liamnsseur, comme celui qui rouloit enireprendre de
ramasser les brehis du Seiyneur. C« Ramasseur employa plus de vin'.t ans ä ce melier,
allant, trotlant et furetant partout, portant les nouvellcs de la vcrite. Et pose eres
qu'il ne s<pit presque rien, il aroit cestf. prerotjalive d'itre exallentj siirlont <V medire
des fjens d'Eylise . . . , vgl. Bull. VI (1858/ S. 41f., 417.
124 Kwrt Glaser.
et contre toute CEglise. L'autre sorte de chansons estoit sur les
cSrSmonies de Vordre sacerdoial, comme la tonsure et semhlahles,
taxant aussi par expres leur fagon de^vivre: ü disoit aussi par
exemple:
.,0 Letabundus:
„ 0 gras iondus, etc. etc.
Aussi prenant les h)jmnes de l'Eglise, il faisoit trouver de la
contrarUie et repugnance en la vie des prestres au prix de Vordre,
et exposoit toutes les sainctes ceremonies de VEglise en risie par
ceste rymasserie. 11 ne tarda gueres que quelques maistres
d'eschole ne prinssent euvie de suivre ceste fagon, pource que le
peuple s'y amusoit, et y avoit du gain, luy aussi les instruisoit parti-
cxdierement de ce qiVils avoient ä faire ..." 3^)
Die Verfolgungen, welchen sich die Bekenuer des neuen Glaubens
ausgesetzt sahen, steigerten nur noch die Kühnheit, mit welcher die
Lästerer des Katholizismus und seiner Schäden zu Werk gingen, um
den von den gelehrten Wortführern der Reformation gegen Kirche
und Kirchcnlehre unternommeneu theologischen Kampf in die weiteren
Kreise des Volks zu tragen. Für die umständliche Erwägung und
langatmige Prüfung, mit welcher die Gelehrten der Reformation in
emsiger Forschung die Fragen von Kirche und Kirchenlelire zu ergi ünden
suchen, halten sicli die sangeslustigen Poeten des Volks durch den
auf die öifentliche Meinung berechneten kriegerisclien Ton ihrer Lieder
schadlos. Auf die Wirkung ihrer Poesie kommt ihnen alles an, und
oft genug muß der Eifer und die Leidenschaft, mit welcher die Dichter
und Sänger in den Kampf gegen Katholizismus und Hierarchie aus-
ziehen, die dichterische Befähigung und die oftmals ermüdende Ein-
förmigkeit des Inhalts und der Sprache ersetzen.
Zu den frühesten, uns im Wortlaut erhaltenen chansons, in
welchen die Feindschaft gesen Papst und Kirche zum Ausdruck kommt,
gehören zwei noch vor dem Jahre 1533 zum ersten Mal gedruckte
chansons von Matthieu Malingre^ä), welche in spöttischem Tone
■■'») Bull. VI (1858) S. 89. 90. — Eine Anspielung bei Garasse,
Rccherches des reclierchss d'Estienne Pasquiev (Paris 1622) S. 712: „Je in'eslonne
quapris la depnsilion d'Abatllavd, il (Diiralich Pasqiiier) n'ait forlifie ses preuves
par la me^se du concuhinage de Carhsiad, et par la chanson cjue les premiers
compagnons de Ccdvln, le Ramasseur et le Bonliomme, cliantoient es pories des couvents
en Poitou et Aiif/oürnois, au rapport de Cayet en son iplstre a Vevesque de Bazas, dcmt
le refrain estoit: 0 mopies, mognes, il vovs faut marier! Coeli enarrant gloriam
Del! Car elles sont de mesme ndure que les preuves emprunlees ä la vie d^Abaillard,
komme aussi dangereux que Carlostad, plus ruze que le, Ramasseur, et plus pernicieux
que le Bonkomme."' — Mit Unrecht hat man Kalvin selbst als Verfasser des
Liedes „0 moynes, o mognes" bezeichnet, vgl. Bull. VI. S, 342.
^*) in den ^Chansons nourelles danonstt'antz plusieurs erreurs ei faulsetez '.
desquelles le poure möde est reply par les ministres da Satan . . . S. 1. D. d. (Nf uchätel.
P. de Vingle, gegen 153.3) pet. in-S^». Bibl. zu Zürich, Call. XXV. 1009.
Nr. 3 ..0 prebstres, prebsires, ougez vostre chanson" (= Bordier S. 100—102) und
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 125
die „pauv7'es papistes'-'- und „prebsfres'* zur Abkelir von ihren Irr-
lehren und zur Abwendung von ihrem Abgott dem Antichrist in Rom,
auffordern. Eine besonders scharfe Abfertigung erfährt unter den
Irrlehren der katholischen Kirche auch schon hier die Messe, welche
das Unglück hatte, sich am frühesten und gründlichsten die Ungnade
der BeUenner des neuen Glaubens zuzuziehen und hinfort ein beliebtes
Thema unablässiger Spötteleien abgibt.
Den gleichen Ton witzelnden Spottes stimmt eine in einer 1542
veröffentlichten Sammlung von Chansons 36) enthaltene Dichtung an,
welche mit den an die Geistliclien der katholischen Kirche gerichteten
Worten „0 gras tondus" beginnt und zu denjenigen Liedern gehört
zu haben scheint, welche nach dem Berichte Cayets die Gefährten
Kalvins bis vor die Türen der Kirchen in Poitou sangen. Der Spott
über Papst und Kirche, über Unwissenheit und Aberglaube der
katholibclien Geistlichkeit und Christenheit, hallt in der kalvinistischeu
Liederpoesie in allen Variationen wieder ^7)^ um sich dann und wann,
wie in der „Chanson exhortant les gens des trois estats a servir
Dieu en pure vSritS" ^8), mit ernsten Mahnungen zu Besserung und
Nr. 4 „Paovres papisies retoumez vous" (= Bordier S. 97— lOOj. Vgl. auch
Rilltet- Diifour, Le catvcldsme fran^ais de Calvin, reimprime par Killiet et
Uufoiir (Geneve 1878) S. CG und CCXXVII, sowie Picot, Revue dliistoire
Utteraire de la France II. (1895) ö. 550 (nr. 63) und S. 550, 551 (nr. 64). Eine
der beiden chansons ist sogar bis nach Schweden gedrungen, vgl. Bull. VI
(1858) S. 18. Die übrigen drei chansons der Sammlung sind gleichfalls ab-
gedruckt bei Bordier S. LXXVII (nr. 111), S. 10 (ur. 11), S. 134 (nr. XIII);
zur letzteren (Spottlied auf die Messe) s. später.
"ö) Chanson demonstrantes les errcurs et abuz du temps pi-esent." s. 1. 1542.
Abgedruckt ist die Dichtung bei V\ olf, Über die Lais, Sequenzen und Leiche.
(Heidelberg 1841) S. 441; Le Itonx de Lincy II S. 130, 131. Bull. VII
(1858) S. ;^67, 368 und Bordier S. 167; vgl. auch Picot, Revue dliist. litt, de la
France VI (1899) S. 241.
3'') Am gelungensten ist die chanson yUalms est yrand de VAniechrist
Romain"' ("Bordier S. 113 — 117) sowie die folüende „chanson spirituelle^ (Bibl. Nat.
Ms. fr. 22563, f. 145 = Bordier S. 216—220), aus welcher die beiden Verse
zitiert seien :
1, Christ pour sauver ses brebis 6. Vous appeUez Iluguenots
Que si cherement il prise, Ceux qui Jesus veul/ent suivre,
Veult chasser ces lotips rabys Et nadorent vos marmots.
Qui sunt entres en V Eglise. De boys, de pierre et de cuyvre.
Hau! Hau' Papegvts, Hau! Hau! Papeiots,
Faictes place aux Huguenots. Faictes place aux Huguenots.
Einen ähnlichf^n Ton schlägt an Antonie Chaaorrier-Desmpranges in
seiner „Legende des p7-eslres et des moines composee en ri-nes et divisce par chapitres."
Geneve 1556 nn 16°) Neuausgabe 1560 (in-8") (vgl. France prot. IIP ö. 336'
und IIP- S. 1077); ebenso die Prosasatire: „Sentence decretal/c et cnndamnatoire
au fait de la paillarde Papnute: et punition de ses dementes et foi'faits, souz la
sommaire narration de longues proccdures. Imprime nouuellement 1561 in-S", pet.
(im Besitz des Buchhändlers Durel in Paris).
38) in Sensuyi-ent plusieurs belies et bonnes chansons . . . (s. 0.) nr. 15 (= Bordier
S. 106, nr. V).
I2i) Kurt Glaser.
Abwendung von dem bisln^ri^en Sündenleben zu mi-chcn. Anderen
satirisclieii Ergüssen wieder liefert das an das Treiben der Sünden-
stadt Babylon gemabiiende Lasterleben der römi-ch 'n Geistlichkeit
und die mit irdischer Hprrscb^ncht verknüpfte VerweUIiclinng der
Kirche reichen Stoff und eine Fülle frucbtiiarer Motive, welche die
„Complainte et chanson de la grande paillarde bahrjloniene de
Rome''^'^)^ sowie die in Zwöllsilblern abgefaßte Poesie eines gewissen
L. Palercee, „ßabylone, ou la rnine de la grande cite et da regne
tyrannique de la grande paillarde babi/lonieniie-' (Paris 1563. pet,
in-8, Bibl. Nat. Inv.-Res. Ye 1, 762) in wuchtige Verse bringt. Die
Minoriten (freres mineurs), und mit ihnen die Mönchsorden der
katholischen Kirche, gibt nocli im Besonderen ein im Eingang einer
Flugschrift von 1561^0) überliefertes Dizain dem Spotte preis, welches
mit boshafter Worispielerei die Minoriten als die „mineurs (Uiiter-
wühler) am Turm des wahren Glaubens hinstellt. Der Verwerflichkeit
der katholischen Lehre, der Trägheit und Lasterhaftigkeit von P;ipst
und Priesterstand wird das leuchtende Vorbild Chri-ti und die Reinheit
des neuen Glaubens und die aulopfernde, Licht und Wahrheit spendende
Tätigkeit Luthers und der Diener seiner Lehie entgegeny;elialten,4i)
der ängstlichen Zaghaftigkeit der katholischen Kirche die fiirchtlose
Kühnheit der Bekennerschaft des neuen Glaubens gegenübergestelltes).
Eustorg de Beaulieu, welcher sich im Titel seiner Clirestienne
Resiouyssance''^ als „Jadis Frestre, Musicien et Organiste : en la
faidce Eglise Papistiqne, et depiäs, par la misericorde de Dieu,
Minisire Euangelique : en la vraye Eglise de Jesus Christ^ bezeichnet,
^'') vollständig unter dem Titel: Complninic et chanson de la grande
paillarde hahylnniene de Rnme sur le chaut de Pienne. Plus mie dephratim des
cardinaux, euesques^ et tonte leur cumpaynie, pour hur mcre la messe, avec Vaccord
fait a Poissy sur 'e point de la cenf. s. J. !• Cl (pet. in-y^).
*") „Le Glaive, du i.eant Goliath, ennemy de V Eglise de Dieu . . . par lequel
il sera aise ä tous ßd<ies de conwisfre que le pape a la (jorge coupee de son prupre
glaive, jait et illustre d'annotalions par Charles Leopard, niiuistre de la
Parole de Dieu en l'isle d'Arvert." s. I. 15ßl (pet. in-80). Vgl. Bull. X (1861)
S. 40, 41.
*') Hierhin gehört namentlich eine Chanson, welche in einer Sammlung
von „Chansons spirituelles^ aus dem Jahre 15G9 enthalten ist, aber noch bei
Lebzeiten LutheiS entstamien zu sein scheint. Abilnick in Bull. X (1861)
S. 221 — 223; ferner: „Les faictz de Jesus Christ et du Pape.^ par ksqueh chascun
ponrra faciement congnoistre la qranle difference de. entre eulx; nouvellement reveuz,
corrigez et awimentez. Imprime d Romme, par Clement de Medtcis. au chas/eau
sainct Ange [Xeuchätel, gi'g^n 1Ö34, oder üeneve, geg n 1540], in - tbl.,
cit. Bull. LI (1902) 8. 44U; da-cu: ..Antithesis df, praeclaris Christi et indignis
P'pae facinorihus"' ., s. 1. (Geneve). Zacharie Durant. 1558. Vgl. Bull. LI
(190J)' ö. 444,
*'^) „La vermine mine mine
„La vermine minera;
„Le peit troppeau Indigne
„De rien ne s^espouran'era etc. in „Le second livre des chansons spirituelles,
cow/)ose'es etc. (= Bordier S. 180 — 181, nr. XXIX); vgl. damit den „Discours de
la vermine et presfraille de Lyon"' iu: Rec. VII, S. 24 ff.
Beiträge zur Geschichte der polit. Liierattir Frankreich^. 127
liat die Umwandlung, wolclie mit dem Übertrit zum neuen Glauben
in ihm S('l!)st vorgegangen ist, in einer chanson seiner „ Chrestienne
Resiouyssance'^ in begeisterten Worten ausgespioihen^s) und in einer
anileri-n chanson der glichen Sammlunti; Luthers Ehre und Lehre
mit einer Entsehiedenheit verteidigt, welche nur die auf wahrer Über-
zeugung beruhende Hingabe an die Sache des großen Reformators
zu verleihen vermag. 4^)
Bei den Angriffen auf Pajist und Kirche bleiben die sangeslnstigen
kalvinistischen Spötter nicht stehen. Der ILiß gegen die Sorbonne und
die von ihr in Sachen der Religion geübte Tyrannei war zu groß,
als di.ß der von den Wortführern der Reformation gegen die verliaßte
Hochliuig katholischer Wi~sensch;if[ gifülirte Kampf nicht auch im
Liede seinen Ausdruck gefunden hätte. Noch vor dem J;ihre 1555
entstand eine chanson, ^5) welche mit einer Fülle von Wortspielen
über die Sorbonne und ihre Leucliten, über Duns Scotus, Alain, Lyra,
Bonaventura, Aquino, Occam und Durant, und die von ihr beobachtete,
der Aufklärung und dem Evangelium feindliche Haltung loszog.
1. „Xa Sorbo7me, la bigotte 5. „7>d oii la clarte se porte
,^La Sorbonjie se taira. ,.,IJobscurite sortira.
„Son grand hoste VAristote „I/ßvaiigile qu'on rapporte
„J)e sa bände s'ostera. ,^Le Pirpisme chassera.
„Et son esco't (Scotu-!) quoT/ ^La Sorbonne la bigotte
qu'il couste, ,.,La Sorbonne se taira.
„Jamais ne la soidera
„La Sorbonne la bigotte
^^La Sorbonne se taira.
-2. „Qui a des ailes (Alain!), si 7. ,,Jesus Christ noiis reconf orte
trotte : „ Es ca>urs des siens regnera.
r,Car plus il ne volera; „Quoyque Sorbonne /agotte
„Et de Li/ra qui radotte „La l'oi plus esclairera.
„Desormais ne se lira: ^^La Sorbonne la bigotte.,
„La Sorbonne la bigotte „La Sorbonne se taira."*
..La Sorbonne se taira.
Den Ton volkstümlichen Sanges hat keiner unter den zahllosen
;kleinen Poeten des neuen Glaulx'ns be>ser und natürlicher getroffen
als Eustorg deßeaulieu. welcher mehr als andere seiner sanges-
lu>tigen Glaub'^nsgenossen, und selbst Matthieu Malingre, ein Meister
*') „Lnngtemps y a que je vy en espoir" in „Chresiieime Jiesiouyssance"
nr. 24 (= Bordier S. 104).
*■*) „Cest a grand fort que maint peuple mnrmvre^: ,^C'hresf. Am" nr. 71
(= B..nlier S 105 und Picot, Revue dhist. litt, de In Irance VII (1900)
S. 414. nr. 131).
") In demselben Jahre zum ersten Mnle gedruckt in: „/.e second livre
des Chansons spirituelles . . . M. D. LV. S. 29 = Bordier S. 162 — 105). Abdruck
mit einleitenden Worten auch in Bull.Xn (1863) S. 129, 130.
128 Kurt Glaser.
der satirischen Chanson-Dichtung genannt zu werden verdient .^6)
Einer adligen Familie des Limousin entsprossen, hatte Boaulieu schon
früh, von unwiderstehlicher Neigung zu Musik und Poesie getrieben,
die bescheidene Stelle eines Organisten der Kirche von Lectoure an-
genommen, bis er sich später der kirchlichen Laufbahn widmete,
immer noch seinen Unterhalt durch den Unterricht in seiner Lieblings-
beschäftigung, der Musik, erwerbend. Der Übertritt zur Reformation
gab Beaulieus Sangeslust neue Anregung und veranlaßte ihn hinfort
seine Kräfte als Geistlicher und kirchlicher Sänger in den Dienst der
neuen Lehre zu stellen. Beaulieus Spottdichtungen sind in einer zu-
erst 1546 erschienenen Sammlung, der bereits erwähnten „Chrestieiine
Resioui/ssance'-'' vereinigt. In dem religiös-polemischen Charakter von
Beaulieus Poesie findet die der religiösen Seite des Parteigi'gensatzes
zwischen Kalvinismus und Katholizismus zugewendete Richtung der
Reformationsliteratur einen deutliehen Ausdruck. Nirgends greift
Beaulieus Satire auf das weltliche Gebiet hinüber; um so freier aber
entfaltet sich in einer ganzen Unmenge von chansons die Wucht
seines Spotts über Papst und Kirche. Das eine Mal apostrophiert er
in scharfen Worten den Papst:
1. „Dormoy tu? 6. „Ordonnant feste sur feste
,,Dormoy tu, dy, grosseheste, ..Dormoy tu?
,.,Dormoy tu? ,,Et approuvant mainte secte
y,Dormoy tu?
4. „Eu forgeant la messe infeste 7. .^Faisant guerre de conqueste
..Dortnoy tu? y^Dormoy tu?
^Dequoy sert-ilVavoirfaicte? ,.Et faisant d'or si grand
.^Dormoy tu? Dormoy tu, dy, queste
grosse beste? ..Dormoy tu? Dormoy tu,
dy, grosse beste? ^"^y
Ein anderes Mal zieht er gegen die bewußte Täuschung zu
Felde, mit welcher die Geistlichkeit die Gläubigen in Sachen der
Religion hinters Licht führt^S); dann wieder befaßt er sicli mit den
dem Papst und der Kirche mit Vorliebe nachgesagten Untugenden
der Bestechlichkeit, Habsucht und Unzucht und gibt seinem Haß
gegen Klöster und klösterliche Kasteiungen Ausdruck, denen er den
von Gott gewollten wahren im Gebet bestehenden Gottesdienst gegen-
^^) Vgl, G. Becker, Euslory de, BeauUeic, poclc et musicien (seizieme siecle).
Paris 1880 und E. Fage, Etistnrg de Beaidieu, poHe et musicien du XV le siede. TuUe
1880 (auch in: Bull, de la societe des lettres, sciences et arts de La Correze, 1880).
47) In: ehrest. Resi. S. 123, nr. 135 (= Bordier S. 127, 128). Vgl.
ferner Picot, Revue dliist. Ht. de la France VII. (1900) S. 412.
*ä) „Cesl la rregtraille et 3roynerie" in Chrest. Resi. S. 150, nr- 153
(= Bordier S. 169-173).
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 129
überstellt^ö); ein anderes Mal wieder ergießt er seineu Spott über
das glänzende und prunkhafte äußere Auftreten des Papsttums, um
ihm in höhnischen Worten ein baldiges und klägliches Ende seiner
Herrlichkeit vorauszusagen ^Oj ; ein anderes Mal endlich ist es das
sittenlose Treiben der Mönche, das ihn empört, und in scharfen
Worten läßt er eine rechtlich denkende Frau dem sie belästigenden
Beichtvater eine derbe Lektion erteilen ^i).
Mit der letzteren chanson Beaulieus berührt sich unter so
manchen der gleichen Art am nächsten eine andere, in welcher ein
Mädchen, das sich von Mönchen in schlechter Absicht verfolgt sieht,
sich seiner lästigen Bedränger gleichfalls durch eine scharfe Zurecht-
weisung entledigt 52).
In der Satire auf das sittenlose Leben und Treiben der Geist-
lichkeit bewahrten die kalvinistischen Spötter nicht immer die dem
heiklen Gegenstand gegenüber angezeigte Beschränkung und gingen
oft genug über das schickliche Maß hinaus, indem sie sich in
schmutzigen, des Witzes entbehrenden Derbheiten verloren, welchen
die ,,chanson d'un cordelier sorboniste faisant des etifans'' (von
1566) die Krone aufsetzte 53). Von dem bei aller Derbheit köstlichen
Witz, mit welchem sich Rabelais über das Lasterleben der Geist-
lichkeit erging, lassen die kalvinistischen Spottdichtungen nicht immer
gerade viel verspüren.
Die direkte Satire genügt den Spöttern nicht. Eine willkommene
Form, ihrem Spott über Papst und Kirche Luft zu machen, bot ihnen
das schon von Jean Bouchet in seiner „Deploration de Veglise^^Y''
*3) ehrest. Eesi S. 85, nr. 100 (= Bordier S. 124-I-'G) und nr. lö
(= Bordier S. 173 — 174). Dasselbe Thema schlagen zwei andere anonyme
chansons an, welche enthalten sind in: „Le second livre des chnnsons spirituelles^
compnsces ä tiitilite de tmis vrays chrestiens; oii sont demonstrez plusieurs erreurs^
esquelz ont esie conduicts et detenus les i^ovres ignorans, par les seducteurs et faux
prophetes. M. D. LY. (pot. in-lS"). S. 6—9 (= Bordier S. 129—132) und
S. 28-29 (= Bordier S. 132 - 134).
^^) nO fjrand beaulte qui loyes cruauhe'^. chant sur le cliant de: ,0 cruaitte
logee en grand beaulte' (von Marot, ed. Jauuet II, S. 189) ; Deseription de Vexterieure]
heanlte et pompe papalle, et de sa clnite future'' ; gleichlalls in der Ckrest. Eesi.;
danach Picot, ßei-ue dliist. Ut. de la France VII, (1900) S 410—412, nr. 129;
Vgl. auch ehrest. liest. S. 118, nr. 1:^3= Picot, Bcvne etc. VII, (1900)
S. 416—418, nr. 134.
^^) „Vous mocquez voiis, moyne. de motj'?'' Ckrest Resi. nr. 138 (= Bordier
S. 175-176).
^-) „Dieu vons yard\ jemie inicelle^\ Bordier S. 176 — 179.
^■) Bibl. Nat. Ms. fr. 22560, f. 184; Ms. 12616, f. 155—162. Proben daraus
bei IjCher, De Velat rvel da la presse et des patnjMets, depuis Frani;ois /<■'' )iisqu\'i
Louis XJV. (Paris 1834) S 86 und Le Roiix de Lincyll. S. 289; cähnlich eine
chanson in Ms. 22 565, f. 1' 9 v.
^*) vollständiger Titel: „La dephralion de leylise miiitanle sur ses perse-
cutions inlcriores et extcriores, et imploration de aide en ses adversitez par eile
souslenues, en Van niil cinq cens dix ; cinq cens unze'. que presidoit en la chaire
monseignew sainct Pierre Julius secttndus. Composie par le tiaverseur des voies
perilleuses. 1512, vgl. Bull. V (1856) S. 268.
Ztschr. f frz. Spr. u. Litt. XXXI'. 9
13Ü Kurt Glaser.
befolgte Verfahren, den Angegrifleneu selbst ein Geständnis der ihm
nachgesagten Sünden ablegen zu lassen. Die kalvinistischen Spötter
gefallen sich darin, das Papsttum in eigener Person vorzuführen, wie
es in seiner Herzensangst den Teufel als letzten Helfer und Retter
um Ausrottung der überhandnehmenden Ketzerei anfleht 55), oder wie
es im Angesicht des Todes seine Kardinäle, Bischöfe, Priester, Mönche
und Jesuiten zu Hülfe ruft, um ihnen in einem mit seinem sonstigen
Auftreten wenig übereinstimmenden Kleinmut sein Leid zu klagen
und mit cynischor Offenheit die Schandtaten und Sünden seines Systems
zu enthüllen 56).
Am freiesten entfaltet sich die Satire in den spöttelnden Angriffen,
\Yelche die kalvinistischen Sänger auf die Lehrsätze der katholischen
Kirche richten. Weniger die Lelire vom Fegefeuer, die mehr gelegentlich
ihre Abfertigung findet,5'') als die Messe bildet die Zielscheibe aller
möglichen Angriffe. Vor den Augen der Spötter im Lager der Bekenner-
schaft des neuen Glaubens nimmt die Messe in dem Lehrsystem der
katholischen Kirche dieselbe Stellung ein wie das Papsttum in der
äußeren Ordnung der kirchlichen Hierarchie: sie ist die (irundlage
und Krönung des ganzen kirchlichen Lehrgebäudes. Schon im Jahre
1512 hatte sich Lefevre d'Etaples in der Vorrede zu seinen „Commen-
taires sur les epistres de Saint Paul'' gegen die Messe erklärtes, und
im Jahre 1524 hatte eine zu Genf aufgeführte Sottie in dreisten Worten
über die Messe zu spotten gewagt ;59) seitdem machte sich der Haß
der Bekenner der neuen Lehre gegen die Messe immer und immer
wieder Luft. Schon vor dem Jahr 1533 ging unter den sangeslustigen
Anhängern der Eeforraation ein Spottlied auf die Messe ura,'jO) und
kurz darauf (1534) wagten einige Heißsporne in mehreren Städten,
ja selbst an der Tür des königlichen Schlafgemachs, Plakate anzuheften,
welche in kühner und drohender Sprache die r,abolition de la messe
de cette pompeuse et orgueilleuse Messe papale" forderten. Die
schlimmen Folgen der verwegenen Tat, welche von der Mehrheit der
Bekenner der neuen Lehre nicht gebilligt, geschweige denn veranlaßt
worden war, blieben nicht aus: Franz L, bisher gegen die Bekenner
Rec. VIII. S. 274, 275.
oü sont demontres plusieurs erreurs el abus)." La Rochelle. M. D. CVI. S. 256.
(^Bordier S. 117—124;.
5') Bordier S. 161—162.
58) Lavisse. hist. generale IV (Paris 1894) S. 478, Süpfle Tb. Geschichte
des deutschen KuUurelnflusses auf Frankreich I (1886) S. 42. 242. Vgl. auch Graf,
Essai sur la vie et les ecrits de Lefevre d'Etaples. Strasbourg 1842.
59) s. Holl S 32 ff.
60) „C'est ii (jrond tort que moy messe tant dure. in: „Chansons nouuelles
denwmstrantz plusieurs erreurs st faulsetez etc (s. Anm. 37). =Bordier
S. 134—136, nr. XIIL
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 131
der neuen Lehre duldsam, begann nunmehr mit Strenge gegen sie
einzuschreiten und jene Verfolgungen ins Werk zu setzen, unter denen
die frommen Sänger so geduldig seufzten. Aber schon macht sich auch
das erstarkende religiöse Parteibewußtsein der Bekennerschaft des neuen
Glaubens in dem- Unmut über die Verfolgungen, welchen die Gläubigen
ausgesetzt sind, Luft und läßt den Spott über die Messe zu einem
stets wiederkehrenden Thema der Poesie werden.
Das schon in der chanson vom sterbenden Papsttum beobachtete
Verfahren, dem Angegriffenen selbst ein Geständnis der ihm nach-
gesagten Sünden in den Mund zu legen, findet in den gegen die Messe
gerichteten chansons wiederholt Anwendung.ßi)
Im Tone kläglichster und kleinmütigster Verzweiflung läßt man
die Messe vor ihrem nahenden Ende ein Geständnis über die Täuschung,
die sie an dem Seelenheil der Gläubigen begangen, ablegen; man
läßt sie in ihrer Seelenangst bei Gott, dem Papst und der gesamten
Geistlichkeit um Hülfe schreien und jammern, man läßt sie im Augesicht
des Todes ihre Anbeter um sich versammeln und noch sterbend mit
einem Schwall lateinischen Formelkrams zur Messehandlung schreiten,
ja selbst im Zorn ihre Stimme gegen Gott, von dem sie sich getäuscht
und verraten glaubt, erheben. Mit unverhohlener Schadenfreude gefallen
sich die kalvinistischen Spötter darin, die Messe in laugen Jararaertiraden
die Nutzlosigkeit ihres Hülferufs und den unter den Gläubigen überhand-
nehmenden Abfall von ihrer Autorität beklagen zu lassen. Die folgenden
Proben mögen genügen:
1. yA vous me jjlainds, sainct 13. „Germains montmisarriere,
Pere, ^Moy messe tant gorriere,
^,Moy messe tant gorriere „Germains nt'ontmis arrih'e
^.A vous me plainds, sainct „Et mainte nation.
Pere^
„De vostre abusion.
^, „Gregoire m'a fait faire, 14. „Franfoisnem'aymentguere,
„Moy messe tant gorriere, r.Moy messe tant gorriere,
„Gregoire rna fait faire „Francoisneniaymentguere^
„Contre la passion. „Sfachans ma fiction.
*') „C'esi ä rjrand iurt que moij messe tant dure.'^ S. 0. — „^1 vous me
plainds, sainct /Vce" in : f.e sccond liure des chansons spirituelles, coniposees ä
ViUilite de tous vrays chrestiens: oii sont demonslrez plusieurs erreurs, esquelz ont
este conduicls et detenus les poures ic/nnrans par les seducteurs et faux prophetes'* .
M. D. L V. S. 10. = „Chansons spirituelles <t rhonneur et louange de Dieu, et b
Vedification du prochain. Jieveues et corrigees de nouveau. M. D. LXIX. nr. 117
(= Bordier S. 137 — 141.) — „Que ne faittes vous diUijence^'' , gloichfalls in den
„Chansons, spirituelles"' (s. o.) sowie in den „Chansons spij-ituel/es composees ii
Vutilite de tous vrais chretiens: oii sont demontres plusieurs erreurs et abus^^ (L.l
RochcUe M. D. CVI.) S. 222—225 und darnach Bull. X (1861) S. 440-441
= Bordier S. 141 — 145. — „Spiritus, Salre, Requiem, Bordier S, 155 — 147.
9*
183
Kurt Glaser.
3. ..Je feins Christ en l'aumoire 18. „Car un chacu7i fait guerre,
„Moy messe tant gorriere., ,,A moy messe gorriere,
r,Je feins Christ en Vaumoire „Car chacun me fait guerre
^En grand" confusion. „Pour ma damnation."
1. .,Que ne faittes vous diligence
,.Mes supposts, de me secourir :
., Je suis assaillie ä outrance.,
„Je ne sgay ä qui recourir\
„Je crois qiiil me faudra
mourirl
„Caphars, caphars, moines
tondus
,.,Prestres qii'estes vous de-
venus?
2. „Regardez ma peine et souf-
france
„Et accourez de ious costez,
,,D'Espagne, Italie et de
France:
^.^Et ceste Evangile m'ostez.
„Que ces FrSdicans soyent
jetez
.,Par feu., ou nons sommes
perdus.
„Prestres questes vous de-
venus?
1. „,Spiritiis, Salve, Requiem' .
.,./e ne sgay si je diray hien.
,.Quel ^Introite'-, n' ,Oremus'
..Je prenne ; ,Sancti, Agimus!-
.^Feray-je des Martyrs ou
Vierges?
„ ,De ventre ad te clamamus!'
., Sonnez /«, allumez ces cierges:
y, Y a-t-il du pain et du vinf
4. ,,Armez vous d'espee et de
lance
„Laissez estolles etplianons;
„E'Escriture sainte s^avance
^fionire qtii pvissance n'a-
vons :
,.La ne peuvent rien nos
canons.
„ Sophistes, arguments cornus
,.,Prestres, qu'estes vous de-
venus?
7 . „ Je disoy par mon arrogan ce
,.,Avoir sur Dieu authorite,
.^jLe faire venir en presence
„Quand j'avoy' cinq mots
recitS;
..,Mais V Evangile on a cit&
., Qui monstre mes faits esire
nuls.
,,Prestres questes vous de-
venus? etc.
„Apportez ^Corpus Domhii'
,yQue fay en celle armoire
enclos.
,,Nul ne vient-il a moy"?
-Nenni.
,.,Attachez moy d\in des
saints cloux
„Que fay le chef de sainct
Macloux
..Ou des Martyrs quclque
ossement,
,.0u Vempoule qii'on serre.
et cloux
„A Reims, par mon soula
gement.
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs
9
133
„Ou est le livre et le calice
„ Pour faire Voffi.ce divin?
., (7a, cest autel, qiion letapisse !
„Helas, la piteuse police.
,,Ame ne me vient secounr,
^Sa7is Clmpelain, Moine,
Novice,
,^Afe Jaudra - il ainsi perir?
7. „Helas chantant, brayant^
virant.
„ Tant que le crime romp
et Messe
„Fuis que voy tost Vame
expirant^
„Dites au moins adieu la
Messe.
„A tous faisard mainte
promesse
„Ore ai je tont mon hien
quitte
„ Veu qu'a la mort tens et
ahaisse
„ilta Missa est'; donc ,lte,
„.Ite Missa est/''
Den gleichen Tou schlägt auch das „Adieu de la Messe'''- au,
welches in einem Lyoner Druck von 1562 6-) erhalten und in Rec.
XIII. S. 355—361 veröffentlicht worden ist. Die Dichtung, welche
unter dem Eindruck des Erfolgs der protestantischen Waffen in den
Kämpfen um Eouen entstanden ist, läßt, in Überschätzung der Bedeutung
des errungenen Erfolgs, die Messe sich von Frankreich verabschieden
und sich mit ihrem ganzen Gefolge von Klerikern und Schmarotzern
nach Italien, dem Land des Papstes, flüchten. Zu den wehmütigen
Abschiedsworten an die Hauptstätteu ihrer traurigen Wirksamkeit in
Frankreich fügt sie ein cynisches Selbstbekenntnis ihrer Sünden und
Laster, welche sie in Italien, fern von ihren protestantischen Bedrängern,
fortsetzen will.
Unter den sonstigen zahlreichen, im kalvinistischen Lager au-
gestimmten Spottliedern über die Messe verdient ein Lied besonders
hervorgehoben zu werden, welches vielfach schlechthin als „chanson
de la messe'-' bezeichnet wird. Das Lied ist der „Anatomie de la
messe," einer gegen die Messe gerichteten Flugschrift entnommen,
welche bald Vir et, bald Beza zugeschrieben wird, aber vielleicht
weder dem einen noch dem andern zugehört. ^^j Während die allzu-
weitgehenden Angriffe der „Anatomie'' selbst in den Kreisen der
kalvinistischen Gelehrten Anstoß erregten, ja schließlich zu einer
62) „L'adieu de la Messe'*. A. Lyon. 15(j"2. in- 8".
63) Vgl. Lenient S. 209. Vielleicht verbirgt sich der Name des Ver-
fassers in dem letzten Vers des Einleitungsepigramms ,.Au Lecteur'' :
„Ce A'oel, qui t'est ä cetie heui-e
„Prcsente, liest pas sans raison
„Car il faut bien que tu Vasseure
„Que voici sa droite raison:
yVirite decmivre tout."
134
Kurt Glaser.
förmlichen Verleugnung der Schrift führten, hat sich die chanson,
dank der leichten Beweglichkeit ihres Rythmus und der derben Komik
ihrer Sprache, in allen Kreisen der kalvinistisch Gesinnten einer über
das gewöhnliche Maß hinausgehenden Verbreitung zu erfreuen gehabt.
Weit entfernt davon, der Entstehungsgeschichte und der Berechtigungs-
frage der Messe mit gelehrten Waffen zu Leibe zu gehen, bietet die
chanson eine burleske Verspottung der Messezeremonie, deren leicht
bewegliche Sprache bald in aller Mund war. „Le chant de La tjiesse,'-'-
sagt Lenient S. 211, ..devint nnc sorte de ronde populaire parmi
(es ri^ormes. Les soldats le repetaient en fourhissant leurs armes,
les enfants en dansant et en. se tenant par la niain. Les tetes
blondes s'agltaient f olles et souriantes, et le le.ndemain les ijeres
s'egorgeaient en chanlant, Hart, hari Vänel^'^^)
1. ,^L'on sonne nne cloche
..Dia' ou douze coups;
,,Z/e 2jeup)le s'approche,
„Se met ä genoiuv;
Le prestre se vest.
„ ,Hari, hari l'asne, le prestre
se vest,
„ ^Hari boiiriquet!'
2. „Du pain sur la nappe,
Un calice d'or
.,11 met, prend sa chappe^
yDit : ,Confiteor.'-
,,Le peuple se taist
„ ,Hari, hariVasne, le peuple,
se taist,
„ ,Hari bouriquet!'
3. ,.Si tost qu'il acheve,
„Le peuple escoutant
,.Sa parole esleve
„Et respond autant
,,En plus haut caquet.
„ .Hari, hari Vasne en plus
haid caquet,
,, ,Hari boiiriquet!''
10.
„Du sainct Evangile
,,ll jjrend quelque endroit
„Quil couppe et nmtile,
„ Comme il est adroit
„De faire tel faict.
„ ,Hari, hari Vasne, de
faire tel faxet ^
,, ,Hari bouriquetl'
„Le , Credo' il chant e.
„En le pronongant
„De croire il se vante
„Au Dieu Tout- Puissant ;
„Mais rien il n'e?i fait
„ ,Han, hari Vasne, inais
rien il nen faict,
„ ,Ha7'i bouriquet! ^
„ Un morceau de paste
„II fait adorer;
„Le romjjt de sa p)aite
„Pour le devorer,
„I^c gourmand qu'il est.
„ .Hari, hari Vasne, le
gourmand qu'il est,
„ ,Hari boiiriquet!'
13. „Le peuple regarde
„L'yvrongne jnjiter
„Qui pourtant na garde
..De luy presenter
6') Vgl. auch Bull. V (185G) S. 391-393.
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 135
,.A hoire un seul tratet.
„ ,Hari, hari l'asne, ä boire
un seul tratet,
„ ,Hari bouriquet!'
In den Angriffen der Spötter des neuen Glaubens auf die Messe
nimmt die Verspottung der Hostie einen breiten Raum ein. Die
Theologen der Reformation bemühten sich, die göttliche Natur, welche
die Messehandlung der Hostie nach den Lehren der katholischen
Kirche beilegt, zu leugnen und zu widerlegen und die Hostie als
eine wertlose Stoffmasse darzustellen, der nur die Unwissenheit des
Priesters und der Aberglaube der Menge Ehrfurcht entgegenbringen
könne. Die großen und kleinen Schriften, in welchen diese Ansichten
bald mit religiösem Ernst und theologischer Gelehrsamkeit, bald in
cynischen Worten vorgetragen wurden, häufen sich um die Mitte des
16. Jahrb. in stattlicher Zahl an. Es konnte nicht ausbleiben, daß
sich auch die Dichtung des fruchtbaren und willkommenen Gegen-
standes bemächtigte, um den im Lager der Bekenuer der neuen Lehre
lebenden Spott über die Messe im Lied in weitere Kreise zu tragen.
An neuen Einfällen und abwechslungsreichen dichterischen Motiven
haben auch die hier zu nennenden poetischen Erzeugnisse nicht gerade
Hervorragendes geleistet; sie spotten mit Eifer und Behaglichkeit über
die vergötterte Teigmasse der Hostie, welche Papst und Priester an-
beten lassen, über Messekelch und Messeschale, die, ihrer weltlichen
Natur entkleidet, in ehrfurchtsvoller Verehrung angestaunt werden.
Ein Dizain, welches Bull. X (1861) S. 40 aus einem selten gewordenen
Druck von 3 561^5) mitgeteilt wird, spottet über den Priester als
r.ßn boulanger,'-'' der mit seinem ,.petit pain leger'-'- die armen
Gläubigen täuscht und sie um ihr teures Geld bringt, ohne ihnen
mehr als den bloßen Anblick der Hostie zu gewähren. Eine ähnliche
Sprache des Spottes reden drei „Epigrammes^'- auf die Hostie, von denen
das erste, ein Huitain, nahe an das zuletzt genannte Dizain anklingt^^).
1. ^Messire Jean est un fin boulanger
„Qui en son art est sage et bien apris;
y.11 vent bien eher son petit pain leger,
., Combien quil ait la farine ä bon pris . . .
2. „ Un jour aux champs messire Jean portoit
.,A un malade un dieu fait ä la haste;
„Mais un quidam qui de pres Vacostoit,
„LHmportuna poiir voir cc dieu de paste.
^') „Le Glaive du ijeant Golialh, einLf-my de V Eylise de Dieu... pur lequel il
sera aise u tous fideks de connoistre que le pape a la gon/e coup^e de äo?j propre
glaive, fait et illustre d'annotationa par Charles Leopard, ministre de la Parole
de Dieu en l'isle d'Arvert (s. 1. 1501).
^■6) Rec. VIII, S. 137—188.
136 Kurt Glaser.
„En le monstrant le vent V empörte ei gaste,
„Et prestre apres; il ne le peut avoir;
„Luy hien fasclie comnience ä se douloir,
y,Mais, rencontrant ä ses pieds toi naveau,
,,Il vous Vempoigne et fait de son cousteau
„Poiir son malade un dieu luisant et brave.
„Le patient, croquant ce dieu nouveau:
„ ,Mon Dieu, dit-il, que tu me sens la rave!'
3. „ Un hoidanger, un pehitre, un prestre
y,Se disoyent princes da estats,
„Pretendans que nul ne peut estre
„Sur eux.^ ny au ciel, ny ga has.
.^Raison'? L.es dieux forgent-ils jxis?
„Mais des trois qui sera le j^'i'ince?
„Le houlanger en moins que rien
„Remplira toute nne province
„De ses dieux; le peinire peut hien
„Faire des dieux de longue vie;
„S'il faut que mon avis fen die,
„Le prestre est plus que tous les deux,
„Car sans luy ne valent leurs dieux,
,,Et les siens d'un souffle il peult faire;
„Mais quels dieux f Sourds, muets, sans yeux,
.,Et qiC un coup de dent peut desfaire. ""
Die „Chanson de Jean le blanc et Jean le noir^'^y geht
noch weiter, indem sie, mit dem Eifer, AYelchen der religiöse Haß
eiDfiößt, die Hostie für die im Lande herrschenden Unruhen ver-
antwortlich macht 68). Der Sucht der Zeit entsprechend, Personen
und Dinge mit einem verhüllenden, aber gleichwohl nicht leicht
mißzuverstehenden Namen zu bezeichnen, legt der Verfasser dem
Priester den wegen seiner schwarzen Tracht leicht verständlichen
Namen Jean le noir, der Hostie den aus der weißen Farbe des
Brotes hergeleiteten Namen Jean le blanc bei^''); sein Spott trifft die
Hostie, welche, ursprünglich nichts anderes als einfaches Brot, durch
die Spitzfindigkeit des Priesters (Jean le noir) zu göttlicher Macht-
fülle gelangt ist, bis ihr wahres Wesen zum Entsetzen beider von
6') Rec. VIII, S. 122, 123; Bordier S. 158.
**) 1. „Si quelqu'nn desire savoir 2. „Qui fait que taut le monde ainsi
„Uoccasion de taut de maulx „Est mesle de Jeu et de sang,
„Et qui fait chascnn esmouvoir „Ccst Jean le noir qui fait cecij
„En guevre, combals et assavx] „Pour saurer son ßls Jean le
[blanc etc.
«'') Zur Deutung der Bezeichnungen vgl. Dardier, Bull. XVII (1868)
S. 343-34.').
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 137
Jean l'aucieü dem an den alten biblischen Anscbauungen bangenden
Christen (oder Christus selbst) entlarvt wird. Mit dieser chauson
berührt sich am nächsten eine andere, welche von Montaiglon auf-
gefunden und mit den zugehörigen Noten in Bull, XI (1862)
S. 332 — 334 veröffentlicht worden ist^oj_ i,i spöttischem Tone wird
Jean le blanc, ' ,,dieu de faritie'-', dem Papst und der ganzen Schar
seiner Anhänger das Ende ihrer Herrlichkeit in Aussicht gestellt:
,.,IIau! dorn Jean le Blanc, „Hau! pater sancte,
^,Toy, Dieu de farine, „Avec ta pantoufße,
„ Ton pouvoir sanglant „ Ton siege rente
,,'S'en va en r^iine „Ä'en va comrne ung soufße
„ Tout tire au rnanoir „ Tont tire au manoir
\.De dorn Jean le Noir. „De dorn Jean le Noir etc.
Der „Blason du gobetlet-" ^i) und der ^Blason du platellet^'-'^-),
beide aus dem Jahr 1562, übertragen den Spott über die Messe
auf Messekelch (gabelet) und Messeschale (platelet), deren Verwendung
l)ei der Messehandlung den Text zu spöttischen Bemerkungen über
die Messeceremonie abgibt. Ohne Rückhalt dringt der bittere Spott
über die abergläubische Verehrung durch, welche den Messegeräten
entgegengebracht wird, und mit herber Ironie wird die Aufforderung
gerichtet, die aus weltlichem Stoff verfertigten Geräte auch ihrer
weltlichen Bestimmung wieder zurückzugeben.
In größerer Breite erörtern dasselbe Thema endlich noch zwei
andere von Montaiglon in Rec. VIII veröffentlichte Dichtungen „La
legende vMtable de Jean le blanc'"'' (8. 105 ff.) und „Le Passe-
temps de Jean le blanc'-' (S. 126 ff.), welche von dem Herausgeber
einem Druck des Jahres 1575 entnommen worden sind, indessen
wahrscheinlich, wie die im Vorausgehenden besprochenen Dichtungen
derselben Richtung, schon einer früheren Zeit angehören ''3). Die
„Legende veritable de Jean le blanc^'' ist eine in die Form eines
dem Jean le blanc selbst in den Mund gelegten Monologs eingekleidete
Verspottung der Hostie. Jean le blanc klagt über den Spott und
die Verachtung, welche er überall findet und gibt seine ganze Lebens-
geschichte des Langen und Breiten zum Besten. Mit langatmiger
Ausführlichkeit geht Jean le blanc auf die mancherlei Schicksale ein,
denen er als schlichtes Korn und dann als profane Teigmasse unter
den Händen der Menschen ausgesetzt ist, um die ihm mit seinem
Übergang in die Hände des Priesters, Jean le noir, als Hostie plötzlich
zuteihverdende Erhöhung und Verehrung zu schildern. In einer Reihe
derb-koraischer, burlesker, im Tone glücklich getroffener Bilder zieht
die Messehandlung an uns vorüber: die Toilette des Priesters, sein
"0) Ferner Rec. VIII, S. 12-t, 12:>, und Bordier S. 1(;0, lt;i.
") Rec. XIII, S. 34.-) ff.
^2) Jiec. XIII, S. 351 ff.
") Vgl. Bull. XI (\m-2) S. 33-2.
138 Kurt Glaser.
wichtiges Gebahren während der gottcsdienstliclien Handlung, die
abergläubische Verehrung der andächtig lauschenden Gemeinde und
endlich der Augenblick, wo der Priester die Hostie im Angesicht
der mit lüsternen Blicken zu ihm emporschauendeu Menge verzehrt
und so ihrem wechselreichen Leben ein Ende bereitet. Die Moral
des über etwa 500 Siebensilbler ausgesponnenen Berichts seiner Lebens-
schicksale und seines kläglichen Endes im Bauche des Priesters faßt
Jean le blanc in die Frage nach der Berechtigung seines Anspruchs
auf göttliche Natur und göttliche Verehrung und Anbetung zusammen,
um sich mit cynischster Offenheit als wertlosen Preis des die Erde
erfüllenden Bürgerkriegs zu bezeichnen und sich in einer für ihn und
die katholische Kirche wenig schmeichelhaften Vergleichung mit den
schlimmsten heidnischen Gottheiten zusammenzustellen und mit einer
Fülle derber Verwünschungen über Papst und Kirche zu schließen.
Der ^.Pdsse-temjys de Jean le blanc", gleichfalls in der Form
eines der Hostie in den Mund gelegten Monologs abgefaßt, knüpft an
die „Legende veritable'* an, um deren Bericht über Herkunft und
Schicksal der Hostie zu vervollständigen durch eine in ähnlichem
spöttelndem Tone gehaltene Schilderung ihrer erhabenen Gewalt und
furchtbaren Macht, welche iu schroffen Widerspruch mit dem kläglichen
irdischen Schicksal gestellt wird, dem die göttliche Hostie als wert-
lose Teigraasse unterworfen ist. In witzelnden und derben Versen
entrollt die Hostie ein Bild der prunkvollen Ehrungen, die sie durch
ihre dummgläubigen Anbeter erfährt, obwohl sie nichts als ein
gewöhnlicher Stoffklumpen ist und selbst an ihrer göttlichen Natur
zweifeln muß. Wie in der „Legende veritahle^'' klingt in dem
,,Passe-temps" der Hohn über die Dummheit der Priester und den
Irrglauben der Menge an die Macht der vergötterten Hostie aus
allen Zeilen"^).
Der Spott über die Messe als ^dieu de päte'-, welchen die
Sänger der Ptcformation im 16. Jahrb. anschlagen, klingt noch in
späterer Zeit wieder. Ein Spottlied über denselben Gegenstand ist
uns aus dem Jahre 1G8S überliefert (s. Bidl. IX (1860) S. 234);
noch späterer Zeit gehören drei protestantische Lieder an, welche
Ch. Frossard aus der handschriftlichen Aufzeichnung eines pro-
testantischen Bauern zu lUies (Nord) vom Jahre 1744 unter dem
Titel „Trois chansons protestantes du siede passe'' 1854 veröffentlicht
"*) In denselben Witzeleien bewegt sich ein dem „Passe-Temps de Jean
le blanc" im Druck angefügtes versifiziertes Kätsel über die Hostie; Reo. VIII,
S. 135-137:
..Homms ne suis, Jierhe. plante^ mj beste,
„J'ai/ le Corps rowl et si nay hras ny teste;
„Je suis Sans äme, tt cependant on croit
„Que ce qui vit de moy rie recoit.
., De terre suis. Je rede viendraii lerre ;
,j Vers et souris me fönt cruelle <jiierre\ etC.
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 139
hat, ja selbst noch im Munde des sangeslustigen Volks lebt das Lied
gegen die Messe fort, welches selbst die Katlioliken mitsingen '^j.
Mit großer Geschicklichkeit haben die Spötter der Kirche und
ihrer Lehren ihrer Satire durch die Anlehnung an bestimmte politische
Ereignisse, welche zum Spott des Gegners oder zur Verherrlichung
der eignen Sache herausforderten, Naclidruck verliehen.
Das „Adieu de la Messe'' enthält schon etwas von diesem
Zug, wenn es mit einer den Spottliedern über die Messe sonst nicht
gewöhnlichen Bezugnahme auf ein bestimmtes Zeitereignis die Ver-
zweiflung der in etwas allzu eiliger Flucht aus Frankreich abziehenden
Messe mit dem Mißgeschick der Katholiken gegen die Kalvinisten
in den Kämpfen um Ronen in Verbindung bringt. Einen reichlicheren
Stoff als die nur zu bald unglücklich verlaufene Rouener Affäre gab
die Einnahme von Ljon durch die Protestanten im Jahre 1562 '^6),
welche im kalvinistischen Lager um so mehr zu hohen Hoffnungen
berechtigen konnte, als Lyon eine derjenigen Städte war, in welchen
die neue Lehre am frühesten und nachhaltigsten eingedrungen war.
(s. France prot.^ L S. 699). Namentlich bot die klägliche Flucht,
iu welcher die in der Stadt zahlreich vertretenen Mönchsorden vor
den eindringenden Protestanten die Stadt verließen, den kalvinistischen
Spöttern einen willkommenen Stoff, um ihren Hohn über das ihnen
verhaßte Mönchtum zu ergießen.
Ein uns unbekannt gebliebener Dichter, welcher sich hinter den
Initialen E. P. C. verbirgt^"), hat die Überrumpelung von Lyon zum
Gegenstand mehrerer satirischer Dichtungen gemacht. „Le piteux
Remuement des Moines, Prestres et Nonains de Lion, par lequel
est descouverte leur honte et la juste punition de Dieu sur la
vermine papate ..." {Eec. XHI. S. 305 ff.) betitelt sich eins jener
Spottgedichte, dessen luhalt der Verfasser selbst in seiner Vorrede
„Aux Lecteiirs fideles" andeutet in den Worten: „;e vous propose
par ce petit traicte, pour tesmoignage d'une si admirahle delivrance
"5) Eine Probe aus Poitou in Bull. IX (18G0) S. 339.
^6) Zeitgenössische Berichte in Bull. XXVIII (1879) S. 396 ff: 493 ff'.;
XXIX (1880) S. 18 ff., 65 ff., 205 ff"., 251 ff, Mems de Conde III, S. 339—344
(wieder abgedruckt von (Jimber und Danjou, Arckh-es curieuses de Vhistoire de
France lere serie iV, S. 175—183). In katholischem Sinne berichtet über
die Überrumpelung Claude de Rubys, lUstoire verituMe de la ville de Lyon.
1604 (in-fol.) S. 398. S. auch Monfalcon, Hlstoire de Lyon (Lyon 1847) S. 669.
"^) Der Verfasser selbst hat an den Leser die Bitte gerichtet, seiner
Person nicht weiter nachzuforschen (Vorrede „Au Lecteur", Fee. VII, S. 24,
25). Vielleicht war er ein ministre (vgl. Bcc. XIII, S. 306). Der biblische
Ton seiner Dichtungen, die an mehreren Stellen durchblickende gelehrte
Bildung und seine Vertrautheit mit Clement Marot, dessen Namen er,
offenbar in Anspielung auf eine Stelle bei Marot selbst (/■:pitre XIII, cd.
D'Hericault, Paris 1867, S. 77) mutwillig entstellt {Bec. VII, S. 36), lassen
in der Tat auf einen solchen schliefsen. Die genaue Bekanntschaft des
Verfassers mit den Vorgängen und Örtlichkeiten von Lyon lassen ihn in
dieser Stadt suchen.
140 Kurl Glaser.
defsj siens et si honteux partement de la prestaüle et vermine
papale, laquelle j'ay bien ose saluer par versetz, pour eterniser
la desolation et pitoiahle remuement de ces ventres paresseux et
reciter, comme en passant, la facilite d'un tel ouvraige, le quel
toutes les plwnes die monde ne peuvent suffisamment exalter."'
In kurzen Versen schildert der Verfasser den Abzug der durch den
unerwarteten Überfall völlig fassungslos gewordenen und jäh aus ihrem
müßigen Schlemmerleben aufgeschreckten Mönchsorden {Departement
des Parroisses" S. 310ff.), Avelche er, den einen hinter dem anderen,
in kopfloser Hast vor den Augen seiner Leser das Weite suchen
läßt. Dem kleinmütigen Verzagen der verhaßten Mönche stellt der
dem „Piteiix RemuemenP' angeschlossene „Cantigue au Seigneur
pour la victoire oUenue de sa main'' (S. 325—327) das Vertrauen
der Bekenner des neuen Glaubens auf Gott und das Lob seiner All-
macht, wie sie sich in der raschen Vertreibung der Mönchsplage
offenbart, gegenüber.
Eine Reihe anderer Gedichte desselben Verfassers, welche unter
dem Titel .^Discours de la vermine et prestraille de Lyon'"' ver-
einigt sind {Reo. VH. S. 24 ff.), gibt in ähnlicher Weise dem Spott
der Kalvinisten über die Schlappe der Katholiken, ihrem Jubel über
den Triumph der kalvinistischen Sache und ihrer Dankbarkeit für Gottes
Beistand Ausdruck. Während der Verfasser in seinem „Piteux
Remuement'^ die einzelnen Mönchsorden in langem Zuge, einen hinter
dem anderen, jeden einzelnen mit seinem Spotte begleitend, gleichsam
an dem Leser vorbeiziehen läßt, läßt er sich in seinem ,, Discours'''-
in eine Art von Dialog mit der ihm verhaßten ..Vermine" ein; er
läßt sie seinen harten Anschuldigungen gegenüber zu ihrer Recht-
fertigung das Wort ergreifen und die Hülfe des Papstes und der
Hölle anrufen {„Responce imr la Vermine"- S. 27) und läßt sie,
nachdem er ihr in Jiräftiger Entgegnung erwidert hat {L'Autheur
rSplique S. 27, 28), in verzagtem Kleinmut über ihre schwindende
Herrlichkeit und die überhandnehmende Macht der Hugenotten klagen
und jammern {,,Diploration et regreis de la Vermine'' S. 28, 29).
In schroffer Gegenrede („Sommation portant commatidement aux
moynes de vuyder incontinent'' S. 29, 30) wirft der Verfasser wieder
die Aufforderung an die Mönche zu schleunigem Abzug dazwischen,
welcher die Mönche in wehmütigen Abs 'hiedsworten au die Unzahl
der von ihnen jäh im Stich zu lassenden Ausschweifungen und
Vergnügungen nachkommen {..L' Adieu et retraite des moynes.'"
S. 30^ 31), um sich unentwegt zu einem neuen Leben voll Schand-
taten und Lastern zu entschließen {„Providence monachale pour
chercher moyen de vivre apres son departement'-'- S. 31 — 33).
Dem Abzug der Mönche aus Lyon sucht der Verfasser, in allzu vor-
eiliger Überschätzung der Wichtigkeit des mit der Einnahme von
Lyon errungenen Erfolgs der protestantischen Sache, die weitere Be-
deutung einer Niederlage der ganzen römischen Kirche beizulegen,
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 141
wenn er in der ,^Complainte de la Louve romaine^ condamnee du
Seigneur" (S. 33 — 35) die römische Kirche über den Verfall ihrer
Herrlichkeit und das Anwachsen der hugenottischen Macht klagen
und jammern und sie in ihrer Angst zu dem Heidengott Jupiter mit
der Bitte um Hülfe gegen die Hugenotten ihre Zuflucht nehmen und
im Angesicht der ihr bevorstehenden ewigen Verdamnis verzweifeln
läßt. Den Tod des Papstes bejubelt der Dichter als Erlösung der
Christenheit {^Epitaphe du pape morf-' S, 35, 36) und sieht bereits,
mit freilich allzu kühner Vorahnung, den Segen des Siegs der
protestantischen Waffen in der ruhigen Arbeit des Landmanns und
Bürgers, in dem von den Dichtern ersehnten goldenen Zeitalter des
Friedens erblühen („Recit de Voeuvre du Seigneur en la ville de
Lyon par action de gräce'' S. 36 — 39); sein Dank gilt Gott, dessen
Hand er in der den Protestanten bei der Einnahme vou Lyon
gelungenen unblutigen Vertreibung der ,,prestres salles et ords'" er-
blickt. Fromme Betrachtungen über Gottes Beistand und die Ver-
werflichkeit der katholischen Sache füllen die beiden Schlußdichtungen ^8)
aus. In einem dem „Discours'''' angefügten „Epigramme du Lieu
des papisfes'' (S. 42 — 45) ergießt der Verfasser schließlich noch
seinen Hohn über die Hostie, den „Lieu des prelatz et du pape'-''
und ergeht sich im Spott über die Entstehung der Hostie, welche
aus einer ordinären Teigmasse zu einem heiligen Gegenstand höchster
Verehrung geworden ist, aber trotzdem sich keiner der Ehrungen,
die ihm widerfahren, bewußt wird und nicht einmal der Gefahr über-
hoben ist, von einer gefräßigen Ratte verspeist zu werden. Das
Epigramm steckt voll von witzelndem und boshaftem Spott über den
"Widerspruch, welcher zwischen der weltlichen Natur und der heiligen
Bestimmung der Hostie besteht, und geht der katholischen Geisthchkeit,
welche die Verehrung der Messe mit den höchsten Strafen aufrecht erhalten
und erzwingen will, und der ganzen katholischen Messelehre zu Leibe.
Auf die Einnahme von Lyon durch die Protestanten bezieht
sich ferner die „Fatcde Mutation Lyonnoise""'^'^), ein mit dem
biblischen Motto ,,ll ha desconfit les orgueilleux en la pensee de
leur cueur. 11 ha mis ius les puissans de leurs sieges et ha esleve
les petits'' eingeleiteter triumphierender Rückblick auf die VS^andlung,
welche mit der Besetzung von Lyon durch die Protestanten vorgegangen
ist, voll harter Ausfälle gegen die mit einem blutdürstigen Wolfe
verglichene Stadt und gegen die von ihr für Papst und Kirche an
den Bekennern der neuen Lehre geübten grausamen Frevel; mit
einem mächtigen Schwall von Worten gibt der Dichter, in seinem
^8) „Continualioii, ea forme disputatice, de la delivrance des Jidi les an Seigneur''
(3 39 — 40) und „Des ^jasfeM/'s mercenaires estrangers chassez Iwrs la vüjne du
Seignettr'' (S. 40—42).
''^) „La Fatale Mutation Lyonnoise. [S. Luc. Chap. I. U ha desconjU les
orgueilleux en la pensee de leur cueur. II ha mis ins les jiuissans de leurs sieges
et ha eskvr. les petits.] A Lyon M. D. LXII. Abdruck bei Schmidt S. 19-24,
142 Kurt Glaser.
Sicgestaumel die Bedeutung der Einnahme von Lyon weit überschätzend,
seiner Freude über die Beseitigung der Laster und Greuel, für welche
er Lyon verantwortlich macht, Ausdruck und ruft Menschen und
Tiere zu Zeugen der mit Lyon seit dem Einzug der Protestanten
vorgegangenen Veränderung . zum Guten und zum Lob für Gottes
Beistand dabei auf. Derselbe Klang heller Freude hallt in einem
vermutlich demselben Verfasser angehörigen „Cantique''^^) wieder,
welcher mit einem an die Lobpsalmen gemahnenden mächtigen Schwung
zum Preise Gottes für die an der Sache der wahren Religion durch
die Eroberung von Lyon erwiesene Gnade aufruft, über die Ausrottung
der Laster und Priesterherrschaft in Lyon jubelt und bereits ein
goldenes Zeitalter auf Erden kommen sieht.
Unter den Satiren gegen Papst und Geistlichkeit zeiclinen sich
zwei inhaltlich nahestehende Dichtungen durch eine Reihe satirischer
Züge und eigener Einfälle vor so vielen anderen aus, die „Desolation
des freres de la robe grise, pour la perle de la marmite, quest
renversSe'^ ^^) (1562) und die ^Polyinachie des Marmitons, ou la
gendarmeiie du Pape'' (1563)^2)^ beide aus den kalvinistischen
Pressen zu Lyon hervorgegangen, welche nach der Eroberung der
Stadt durch die Kalvinisten eine besonders emsige Tätigkeit entfalteten.
Text und Motiv für beide Dichtungen gab die Stelle Hesekiel 24 ab,
deren 11. Vers die kalvinistischen Spötter boshaft genug umdeuteten,
indem sie die marmitte auf die Herrlichkeit des Papstes bezogen, eine
Auffassung, die ihnen in einer katholischen Prosaflugschrift „La
marmitte renversee'' ^3) sofort abgestritten wurde.
80) Schmidt S. 24. 25.
81) In: liec. VH. S. UO ff.
82) In: Rec. yU. S. 51 ff.
83) vollständiger Titel: „La marmitte renoersee et fonchce de laquelle nostre
JJieu parle par les sainctes £scritures, oü est prouvc que la secte. calvinique est la
rraye marmitte'," dazu daS Motto: „Afets la marmitte ronde sur les charbom,
afin quechauffie eile se brttsle et sefonde." Ezechiel 24, 11. Eine protest. Gegt^n-
schrift ist die des Lyoner Jean du Choul; „Vextreme onction de la marmite
papale^ petit traite auquel est amplement discouru des moyens par lesqueh la marmite
papale a este j'usques icy entretenue a proffit de mesnage." Lyon 1561. (pet. in 8")
ohne Namen des Verfassers. Zweite Auflage: „por Jo. du Ch.'' Lyon 156;-)
(in -8°); vgl. France prot. V^ S. (j43. 644. — Anspielungen: TJyende reritable
de Jean le Blanc:
„Brati pour toy^ sah marmite,
„Pour toy, Sorbonne hypocrite,
,jPovr couSj cagotz et prestraille.^
(Rec. VIII. S. 121).
Canon von Jean le blanc und Jean le noir, Vcrs 4 :
„Hau ! frere Marmot,
„ Ta marmite verse,
„La perte vons met
.. En fjrande destrease.
^ Tout tire au manoir
,,Z)e dorn Jean le Noir"
Beiträge zur Geschichte der polit. Literatur Frankreichs. 143
Während die „Desolation des freres de la rohe grise'" die
liatholische Geistlichkeit in einem in die Form einer chanson ein-
gekleideten Selbstgespräch über die schwindende Herrlichkeit ihrer
Kirche klagen und jammern läßt, zeigt die „Polymachie" etwas von
dramatischer Anlage, so daß man in ihr, sofern die Wahl der Form
nicht bloß ein nebensächliches Beiwerk ist, ein Beispiel der halb-
dramatischen Gattung der triomphes oder montres dramatiques er-
blicken darf.
Der Dichter erteilt zuerst dem in der kalvinistischen Spott-
dichtung als Gehülfen oder Schutzpatron der katholischen Kirche mit
Vorliebe verwendeten Lichtgott Lucifer das Wort zu einem im Stile
des Eingangsprologs gehaltenen „Proclamation pour lever gens de
guerre,'"'' in welcher die gesamte streitbare Miliz des Papstes zusammen-
gerufen wird, um dem von seinen Feinden hart bedrängten Papsttum
beizustehen und die von ihnen umgestürzten „mai'miie'' wieder auf-
zurichten. Der Aufmarsch der in langer Reihe vor dem Leser vor-
überziehenden hohen und niedrigen Vertreter des Katholizismus, deren
Stellung in der vom Teufel kommandierten Armee durch ein dem
Namen jedes einzelnen hinzugefügtes Attribut angedeutet wird, eröffuet
der Papst als Jieutenant gendral pour le diahle," um die Klage
über seine umgestürzte marmite anzustimmen und in ängstlichem
Kleinmut den Heerbann seiner Getreuen zu ihrer Wiederaufrichtung
zusammenzurufen. Die Kardinäle (Jegio7inaires''), Erzbischöfe
(„colonnels"), Bischöfe f^capiiaines'' ) und alle Würdenträger und
Diener bis herab zu den als „fiffres, clairons et trompettes'"'' in das
Aufgebot der katholischen Glaubenskämpen eingegliederten Organisten
folgen seiner Aufforderung mit Worten der Ermutigung und mit
prahlerischen und siegesgewissen Hinweisen auf ihren Kampfesmut
und alle die großen und kleinen Machtmittel der katholischen Kirche.
Mit Geschick und Behaglichkeit entwirft der Dichter von den ver-
schiedenartigen Typen der sich um den Papst scharenden Miliz ein
(Bull. XI. S. 333, Rec. VIII. S. 125, Bordier S. 161). vgl. dazu die Worte der
Hostie in der Legende veritable:
„Je me retire uu manoir
„De moii pl're Jean le 7ioi)'...
Contre les abtis des caphars:
^Pour voz grans abus sousienir
„ Vostre cuisine plus ne fume
„Pour la marmite entvetenir'*
etc. (Rec. VIII. S. 273, 274).
„Adieu marmite j adieu la soupe,
„Adieu bon temps^ adieu repoa,
„Adieu les verres^ et les poU,
„Adieu ptitains, adieu commeres,
„ Vous ne verrez plus les beaux peres."
•{„Comedie da Pape malade et tirant li la ßn'' ... M. D. LXI. Vgl. Holl S. 145).
144 Kurt Glaser.
treölicbes Bild, welchem er durch die Beimischung satirischer Züge
noch eine besondere Würze zu verleihen versteht, so wenn er die
Prieurs, denen er in der Militürliierarchie der katholischen Kirche
den Rang von Fähnrichen zuerkennt, dem Papst ihren Kampfesmut
und ihre treue Anhänglichkeit an die katholische Sache versichern
läßt mit den Worten:
„ Quoy qu'indispos soijons, venirus et gras,
..Si navons nous la gotitte, cramjje aux bras,
,. Comme on verra, et le devoir sfavons
„Faire tres biev, pourveu que nous beuvons;
,.Il est bien vray que, saus boire, en bataiUe,
„Nous navons pied, ne bras^ ne main qui vaille;
„Faites mener cervelas et jambons.
„Vous nous verrez avoir lors les comrs bo}is;
^^Es grans assauts, ayans farcy Ja pance,
„Nous passons tous les liommes en vaülance.^
Alle der Kirche nah und fern verbundene Vertreter der
katholischen Sache, die Orden und Inquisitoren und selbst die Huren,
die das Heer begleiten, ziehen in langer Reihe vor dem Papst auf
und unter ihnen die ,,Sorbonistes et docteurs en canoW, welche mit
einem in der kalvinistischen Literatur beliebten Wortspiel über den
Doppelsinn des Wortes canon zu „inaistres de V artiUerie'''' befördert
werden. Der Papst sieht mit Befriedigung den Heerbann seiner
Getreuen zusammentreten und ermutigt sich und die Seinen durch die
Erinnerung an Lucifers Hülfe, der dem Papst zum Schluß noch seiner-
seits Mut einflößt und Beistand und Erfolg im Kampf gegen die
Hugenotten verheißt.
Mit der Ausdehnung und Leidenschaft, zu welcher sich die
satirische und polemische Kleindichtung religiösen Charakters unter
den Händen der kalvinistischen Spötter entfaltet, steht der dichterische
Wert ihrer Erzeugnisse nicht in gleichem Verhältnis. So manche
bessere Leistung, so mancher treffliche Zug und glückliche Einfall
gelungener Satire vermag nicht für die dichterische Mittelmäßigkeit
der ganzen Gattung zu entschädigen. Doch nicht in ihrem poetischen
Wert, sondern in ihrer Wirkung, ist die Bedeutung der religiösen
Spottdichtung zu suchen. Dem Leben und der Wirklichkeit entsprossen,
trägt die religiöse Spottdichtung das Gepräge ihres ür^pru^gs in allen
ihren Zügen. Was jene Dichtungen belebt, ist die Sprache mutiger
imd witzelnder Satire, welche die Gemüter mit religiösem Eifer ent-
flammt und die katholische Kirche und ihre Lehren mit Hohn über-
schütter. Nicht die dichterische Abrundung und Vollkommenheit,
sondern die Frische und Kraft, die Derbheit und Einfachheit der
Sprache verleihen der religiösen Spottdichtung eine Wucht und Wirkung,
wie sie sonst keinem Zweig der religiösen Reformationsliteratur
gelungen ist. Während die bahnbrechenden Leistungen der führenden
jBeiträge zur Geschichte der polit, Literatur Frankreichs. 145
Geister der Reformation infolge iLres theolcgischeu und wissenscbaft-
lichen Inhalts doch nur in beschränktem Maße bei den Zeitgenossen
Interesse zu erregen vermochten, und erst von der Nachwelt in ihrer
vollen Bedeutung erkannt wurden, war die religiöse Spottdiclitung
nach Ursprung und Eigenart zur unmittelbaren Wirkung auf die
weitesten Kreise geschaffen. Der Einfluß, welchen die religiöse Klein-
literatur auf die Gemüter des Volkes, zumal der niederen Schichten,
ausübte, sicherte ihr eine um so größere Bedeutung, als die Reformation
gerade in den niederen Kreisen ihre Verbreitung und Festigkeit
gewonnen hatte zu einer Zeit, welche der Bekennerschaft des neuen
Glaubens noch ein offenes Hervortreten versagte. Während sich die
wissenschaftliche Erörterung religiöser Fragen auf den von den
Schöpfern und Wortführern der Reformation gewiesenen Bahnen
bewegte, sprießt unter dem frischen Eindruck der Zeitereignisse, fern
von dem Geräusch theologischer Erörterungen, die Dichtung empor.
Glühender religiöser Eifer und derber Spott über verhaßt gewordene
Einrichtungen und Anschauungen fließen mit matter Resignation und
frommer Ergebenheit in Gottes Willen und die Gewalt der Menschen
zu einer eigentümlichen Mischung zusammen und verleihen der religiösen
Dichtung eine Leidenschaftlichkeit der Sprache und Wirkung der
Polemik, welche die Dichtung, über ihre engere religiöse Bestimmung
hinaus, zum Kampf um die politische Bedeutung und Stellung der
Partei des neuen Glaubens befähigte.
(Fortsetzung folst.)
Marburg i. H. Kurt Glaser.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI i. 10
Wortgeschichtliches.
Barate. Nordisches alt einheimisches barätta ist Kampf,
Schlacht, aber auch Zank, Lärm, barättusamr troublesom. Die
Wendung welche afr. barate nimmt, Getümmel in der Schlacht (Jean
Bodel, Benoit etc.). Streit, Getümmel im Tagesleben (Partenop.), ist
also schon dort gegeben. Daher vom Kampf ital. baratta in Ditta-
mondo, vom Tumult bei Dante (Tommaseo), in Spanien barata P.
C. 1228 von der Verwirrung der Niederlage. Das davon abgeleitete
Verbum heißt span. baratarse vom Vermischen der feindlichen
Scharen Juan Man. Estados I, 78, ital. wenn auch selten barattare
(in Verwirrung) in die Flucht schlagen, ebenso pg. baratar bei
Sta. Rosa gewiß auf afr. Grundlage, die sich in baratter vom Stoßen
der Butter fortsetzt, woraus baratte, portug. barata Butterfaß: und
in afr. desbareter, in Verwirrung bringen (Benoit), in die Flucht
schlagen, woher früh it. sbarattare, sp, desbaratar. In der Geschäfls-
sprache war schon im 12. Jahrh. barater in der (reconstruirten) Be-
deutung streiten, hadern in sehr verständlichem Uebergang zu feilschen,
tauschen geworden, so Beroul 2744, weitere Belege bei Muret, Duc,
u. z. T. mißverstanden bei Gdf. auch in Italien und Spanien über-
nommen, engl, barter. In dem Wort klingt das Geschrei und Geraufe
des kleinen Tauschverkehrs, der damals eine ganz andere Rolle spielte
als heute, vom mittelaUerlichen Markt zu uns herüber. Wie tauschen und
täuschen zusammengehören (Franck, Etym. Woordenb., Huschen),
tritt die üble Meinung, die man vom kleineu Händler hat, schon im
12. Jahrh. beim baretier hervor, bareter zeigt im 13. und 14. Jahrb.
in steigendem Maße die Bedeutung übers Ohr hauen, betrügen, die das
Verbalsubst. barat, baret, vereinzelt noch im älteren Sinn bei Benoit
(Getümmel oder Niederlage) und später in Arras (Lustbarkeit), früh
fast ausschließlich annimmt, so schon im Barat et Haimet Jean Bodels;
auch dies im 14. Jahrh. in Italien verbreitet und bei Wolfram von
Eschenbach pariierer, parlieren. Das span. Adj. barato.^ wohlfeil,
dürfte aus dem ital. Verbalsubstantiv in Wendungen wie buon baratto,
f'ar baratto, in baratto geholt sein. Ital. baro f. baraitiere ist
eine der Schelmensprache, die auf das Wort ein Recht hat, wohl
anstehende Kürzung, daher barare und bei Duc. baranca; anzu-
merken sind auch die von Schuchardt Zts. 28, 154 und 741
WortgeschichÜiches. 147
berührten, ebenfalls der niederen Sprache angehörenden it. baraonda,
sp. bara-honda, etc. bei denen natürlich auch noch anderes in Betracht
kommt, für astur, baragafia angebl. Ort der Verwirrung z. B. afr
bargaigne. Provenz. baralhar mit sp. barajar, pg. baralhar dagegen
wird durch prov. barei=baralh auf franz. barroitr u. barer, von barre
zurückgeführt: das Rechtswort, das eigentl. bedeutet gerichtliche
Hindernisse erbeben, wird streiten, verwirren. Neupr. varalha ist
varia plus baralha. Afr. berele ist ganz verschieden.
Es ist schon bei Diez ein Versehen zu nennen, wenn er das von
Muratori gegebene evidente Etymon ablehnte. Was zu dem schon
bei ihm ausreichenden Material oben hinzukommt, lag in der Haupt-
sache für jeden, der sich darum kümmern wollte, am Weg.
Cligner, bigne, briii, briser, afr. brie, it. bugna, sp.
bunuelo. Neben der heutigen Form steht afr. nach rückwärts in
immer steigendem Verhältnis cluignier, so Marie, Fahles 60, 10 u. 33
vom Herausgeber nach den Hss. im Text bevorzugt, Wistace 124:
kemuigne, Brut 16209 u. s. w. Lautlich müssen wir sie für die ur-
sprüngliche halten, sie schließt das formal sehr unwahrscheinliche
*clineare aus. Man könnte an ein *cluneare = cideter denken,
vom ,^clunis tremulus'-'- luvenals, von dem nur cL de Voeil übrig
geblieben wäre, weil clunis aufgegeben war. Es ist cluneter als ,,cluna-
gitare^'' und nictare überliefert, die 10 duynes im Bettzeug des Herzogs
von Bourbon (1507) sind vielleicht „coxmus" zu interpretieren., auch
das Spiel der cluignette bei Froissard könnte dahin gehören. Aber
daraus wäre '^c/w^ner geworden, das nicht \on*cluin aus bestimmt werden
konnte, es wäre überdies die lat. Wortbildung bedenklich. Wir
können nur feststellen, wie duigner zu digner wurde. Mit dem Laut-
vorgang darf li = lui nicht ohne weiteres verglichen werden. Einen
Fall mit genau korrespondierender Lautumgebung kenne ich nicht,
juignet und glui nebst Ableitungen sind konstant.') Immerhin fehlt
es im heutigen Wörterbuch nicht an Zeichen der Schwäche des kon-
sonantischen Diphthongteils. Neben die bekannten cid > ki, vuide
> vide, ist zunächst buigne > bigne zu stellen. Diez hat schon mit
gewohnter Klarheit gesehen, daß dazu beignet gehört, das in dieser
Gestalt nicht auf buignet (bidgnon bei Gaut. de Coincy), sondern auf
ein nicht überliefertes boignet zurückgehen dürfte und somit auf ein
boü zurückleitet. 2) Ferner die dunkelen brin aus brühig briser aus
1) Nfr. ijindre (== Joindre), au das mich Behrens erinnert, halte ich für
Keimform auf inaindre, graindre.
2) Das oberitalienische hugna Beule, recipirt als Quaderbuckel, ist
demnach aus dem Franz. entlehnt, n wäre hier nicht u. Die Herleitung
von dem keltischen hun, bon, Wurzelstock, ist also nach dem Laute so unwahr-
scheinlich wie fern im Begriff. Eher könnte zu diesem der Bienenstock
bugno gehören, da für diese Sache vielfach alt-isolierte Benennungen bleiben.
Ganz unwahrscheinlich ist Zusammenhang eines der beiden mit dem aus
10*
148 D. Behrens.
bruisier, engl, entlehnt bruise: für welche der altfrz. Diphthong die
hergebrachten unbefriedigenden Erklärungsversuche vollends abtut;
vgl. auch afr. brie neben bruie. Dialektisches ui > i kann bei seiner
beschränkten Ausdehnung nicht in Frage kommen, es entspricht bui
< biden, ki und vide; brui> bm ist mit span. combruezo > cornbrezo
etc. gleichartig Gr. 2, 889. Man wird doch Bedenken tragen von
dem klaren phonetischen Anlasse aus, der hier gegeben i^t, in der
Verkehrssprache nicht allgemein durchdrang, eine weitgehende Er-
schütterung des ui überhaupt ausgehen zu lassen, die nur in dem
einen Wort zum Ausdruck käme. Und so werden wir cligner darauf
zurückführen, daß sich das reimende Synonym guigner zu ghigner
mit guarder^ garder verschob, ein Lautprozeß, der noch im 12. Jahrb.
in den endungsbetonten Formen begonnen zu haben scheint, im 13.
auf die Tonsilbe übergreift.
______ G. Bai ST.
alen, lychnis githago: aUn byäS, artemisia absinthium. Die
vorstehenden Angaben entnehme ich Dottins Glossaire des parters
du Bas-Maine p. 17. Es fällt auf, daß zwei so verschiedenartige
Pflanzen, wie die hier genannten, den gleichen Namen tragen, und
es verdient hervorgehoben zu werden, daß es sich nicht, wie es nach
Dottins Zusammenstellung scheint, um dasselbe Wort, sondern um
zwei von Haus aus ganz verschiedene Wörter handelt. Was zunächst
aUn in der Bedeutung artemisia angeht, so geht es ohne Zweifel auf
lat. aloxinum zurück, gleichviel ob es daraus, wie ich glaijbe (vgl.
Dotttin l. c. p. LXXI tre < trgja, kis < cQxa etc.), in lautmechanischer
Entwickelung hervorgegangen ist, oder ob es analogische Beeinflussung
erfahren hat. Nach Blatt 5 des Atlas ling. lebt aloxinum auf gallo-
romauischem Gebiet heute außer in der romanischen Schweiz in den
Departements Indre- et- Loire und Pas de Calais fort, durch vor-
stehende Konstatierung wird das Fortleben des Wortes auch für das
Departement Mayenne erwiesen. Nicht ganz so durchsichtig ist die
Herkunft von alen in der Bedeutung Ij^chnis githago. Eine ältere
Bezeichnung derselben Pflanze ist, wie Pritzel und Jessen, Die deutschen
Volksnamen der Pflanzen p. 224, s. Lychnis githago und p. 246 s.
Nigella arvensis angeben, nigella. Daß hieraus alen entstanden sein
soll, mag auf den ersten Blick sehr unwahrscheinlich scheinen, dürfte
aber ohne weiteres klar werden, wenn man auf Blatt 912 des Atlas
ling. die auf lat. nigella zurückgehenden mundartliehen französischen
Formen vergleicht. Außer nogel etc. finden sich dort in weiter Ver-
Strohzöpfen mit Brombeerzweigen geflochtenen Korb hugnola und dem ver-
mutlich dazu gehörigen Gestrüpp, wohl Brombeergestrüpp hwjnone. Für dies
könnte man an griech. ßcjvtov denken, das aber eine Doldenpflanze ist und
vom Plinius falsch übersetzt wird, also nicht gekannt war. Spanisches lunuelo
ist entlehntes buignet, obwohl es im 14. Jahrb. im Poema Alf. XI als Lieblings-
speise der Mauren belobt wird, Glanzpunkt im mohammedanischen Paradies.
Wortgeschichtliches. 149
breitung nel und nel, daneben in den Departements C6te d'Or, Yonne,
Loiret, Seiue-et-Marne. Seine-et-Oise, Loir-et-Cher, Ile-et-Vilaine len,
leyn etc. verzeichnet. Die Existenz dieser letzteren Formen wird
außerdem durch mehrere Dialekt wörteibücher bezeugt. So für das
Depart. de la Mayenne, für das sie der Sprachatlas nicht kennt, von
Dottin /. c. p. 322: Un, nielle (Andouille). S. ferner Martelliere
Gloss. du Vendömois p. 186 (Vene) und Jossier Dict. des pat.
de V Yonne p. 87 (lene). Daß nel eine mundartlich aus nigella
entwickelte Nebenform zu noyel ist, bedarf keiner besonderen
Darlegung, ebenso nicht, daß len aus 7iel durch auch sonst nicht
ganz selten nachzuweisende (vgl. z. B. meine Reziproke Metathese
p. 77) gegenseitige Umstellung von l und n entstanden ist.i) Aus
len entstand alen durch Verschmelzung mit der Form des bestimmten
Artikels: la len > Valen. Schon A. Thomas hat MSlanges p. 10 auf
anielle für 7iielle in Bas-Maine hingewiesen und für dasselbe die
zutreffende Erklärung gegeben. Auf Blatt 912 des Sprachatlas findet
man anelo für zahlreiche südfranzösische Ortschaften und außerdem
das durch Dottin für Mayenne bezeugte alen für Saint-Christophe im
Departement Eure-et-Loir angegeben. Vgl. auch die bei E. Rolland
Flore p)opulaire 11, S. 221 ff. unter Agrostemma githago zusammen-
gestellten Formen.
norm, boiieteure verzeichnet Joret Essai sur le pat. norm,
du Bessin p. 58 außer in der Bedeutung von schriftfrz. bouture in
derjenigen von mSnage : lere sa boueteure = faire sou raenage, sa
cuisine. Als Etymon gibt er mhd. bözen an. Aus dem Patois von
La Hague erwähnt Fleury Essai p. 141 .fioueture aliments bouillis"
und bemerkt dazu: ^Faire sa boiictur'-^ c'est fair cuire la soupe et
d'autres aliments analogues. Ou fait aussi une „boueture" speciale
pour les veaux. C'est le substantif du verbe bouillir pour bouilliture.
Le mha. bozen u'a rien ä voir ici. Der letzteren Bemerkung kann
man ohne weiteres zustimmen. Was die Zusammenstellung mit
bouillir angeht, so verdient dieselbe ohne Frage Beachtung, zumal
wenn man ital. bollitura, altfrz. boulture (Godefroy), nfrz. bouture
(s. Dict. ghier. bouture 2), Gucrnesey bouiture, decoction, chau-
dronnee (Metivier) vergleicht. Aus bullitura konnte unter Einwirkung
der stammbetonten Präsensformeu {je boues^ tu boues, i bouet in
La Hague) das normannische Wort in seiner von Joret und Fleury be-
zeugten Form entstehen. Gleichwohl möchte ich hier noch ein anderes
Etymon zur Erwägung stellen. Es gibt neben boissoi^\xx\(\. boite in Nord-
frankreich verbreitetes boiiure (biiicre, mit. Du Gange bibiiuria)., das
seiner durchsichtigen Herkunft entsprechend ursprüglich „Getränk,
Trank" bedeutet, dann aber auch in erweiterter Bedeutung begegnet.
1) Beachte auch die zugehörigen Verben: eneler, arracher la nele dans
les cbamps (Brie) und gleichbedeutendes elcner (Gay), mitgeteilt von
E. Guenard Lc patois de CourtüoU (Chftlons-snr-Marne~]005), p. 250.
150 1). Behrem.
So kennt es de Montessou Voc. du Haut-Maine neben boiturage in
der Bedeutung „Eau coupee avec de la fariue ou da son, poiir les
bestiaux". Dagnet & Mathuiin erklären (Le langage cancalais II, 3)
hiture mit repas tres copieux, eine Bedeutung, die auch Sachs s. v.
hiture verzeichnet. Martelliere, Glossaire du Vendvmois bemerkt zu
boiiure „Meme sens que boite, mais plus specialement liquide, melange
avec de la farine ou du son que Ton prepare pour les animaux
domostiques. Anc. fr. boyture dans Villon", Erwähnt sei noch, daß
nd., o>tfries. „Drank" eine entsprechende Bedeutungsentwickeluug durch-
gemacht hat, indem es nicht nur ..Trank, Trunks Getränk", sondern
(s. Dornkaat Koolman Wib. I, 327) auch „flüssige Nahrung, im
besonderen als Viehfutter verwendete, mit Wasser gemischte Küchen-
abfälle" bezeichnet. Der Umstand, daß als .,,boueture speciale pour
les veaux"' das normannische Wort mit boiiure im Pat. vendomois
und im Patois von Haut-Maine sich begrifflich zum mindesten nahe
berührt, legt mir den Gedanken nahe, es möge auch mit letzterem
gleichen Ursprung haben, also zum Verbum bibere gehören. Aus
bibitwa entstand lautgesetzlich *beture, wie aus bibitorium betoire
(s, diese Zeitsch. XXIIP, S. 14 und vgl. Joret Melanges p. XLVII
betouere), das (anal, bibita > bette > boiite) unter dem Einfluß der
starambetonten Formen des Verbums boire zu boiiure umgebildet
wurde. Norm, boueture (boueteure) steht, wenn meine Vermutung,
es hänge dasselbe mit den zuletzt genannten Wörtern etymologisch
zusammen, richtig ist, unter franzischem Einfluß gleich norm, boisson
neben btsson (Moisy Dict.,\^. 76), boite (ib.), demoueselle (Fleury
/. c. p. 185), voile (Joret, Essai p. 14), poil (ib.) etc. Vielleicht
auch liegt in dem normannischen Wort eine Mischung von zwei ihrem
Ursprung nach getrennten, auf lat. bibere und auf bullire zurück-
gehenden Bildungen vor.
braie de COUCOll. L. Sainean bringt Zs. f. vom. Fhil. Bei-
heft 1, S. 42 diese und ähnliche Benennungen der Primel (henneg.
catabraie, Maubeuge braille de cat, frz. brayette und braireite) mit
den Verben braiÜer, braire in Verbindung, indem er dieselben als
„cri de coucou, oiseau qui fait son apparition au printemps" erklärt.
Demgegenüber bemerkt A. Thomas Romania XXXV, 473 unter
Zurückweisung der S.'schen Auffassung, es liege gall. braca ,.culotte"
zu Grunde. Es sei hier angemerkt, daß letztere Herleitung, die
unzweifelhaft die richtige ist, in bei Nemnich Polyglotten- Lexicon s. pri-
mula veris erwähnten Bezeichnungen wie dtsch. Hosblurne (d. i. Hosen-
blume) und lettisch gailu bikses (d. i. Hahnenhose) eine Bestätigung
findet. Vgl. ferner bei Pritzel und Jessen, Die dtsch. Volksnamen
der PßanzeUy p. 309 die für Rhena angebene Bezeichnung Witbückseii
fWeißhosen) für priraula acaulis, und auf Blatt 1092 (primevere) des
Sprachatlas u. a. tsose de kuku (519) und maline de kukit (d. i.
culotte de coucou 607). Hinzuweisen ist auch darauf, daß bereits
Mistral im Tresor die von Sainean nicht erwähnten gleichbedeutenden
Wortgeschichtlich es. 151
provenzal. Benennungen hraieto-de-couguiev, hraio-de-covguUu ans
der Gestalt der gelben Primelblüte ansprechend erklärt hat.
prov. garbello, fiUe ou femme qui ne sait pas s'habiller, steht
bei Mistral, Tresor^ unter den Wörtern, welche zu lat. corbis gehören.
Ich würde es bedeutungsgeschichtlich nicht gerade für unmöglich
halten, daß ein Wort, welches ,.Korb" bedeutet, zur Bezeichnung
eines weiblichen Wesens verwandt wird, wenn ich auch einen Hinweis
auf frz. noguet, flacher Heukelkorb, und noguette, Ladenjungfer (Sachs),
hierfür noch nicht als beweisend gelten lassen möchte. Was das hier
zur Diskussion gestellte provenzalische Wort angeht, so halte ich es
für sehr wahrscheinlich, daß es zu gorbo, die Garbe, gehört, indem
ich konstatiere, daß auch einfaches garbo (s. Mistral s. v.) im
familiären Stil die Bedeutung „fille" angenommen hat, so wie daß,
worauf ich an anderem Orte hingewiesen habe, im Fikardischen heute
moie außer „meiile de foin, de ble" auch „femme grosse et pleinc
d'embonpoint" bedeutet, wälirend umgekehrt im Pat. von Bessin fiyete
(fiUete) nach Joret die Bedeutung .,Garbeiihaufen-'- annahm. Leider
läßt sich, was für eine abschließende Beurteilung des vorliegenden
etymologischen Problems erforderlich wäre, aus Mistral nicht ersehen,
ob alle oder welche von den unter garhello verzeichneten Wörtern
oder Wortformen in der erwähnten Bedeutung begegnen.
wall, gucmilie, conseil de guerre, tribunal militaire, wird von
Grandgagnage Dict. I, 247 und 355 ohne etymologische Deutung
gelassen. Ib. II, p. 600 bemerkt Scheler zu altwall, guemine in der
Anmerkung: „Je suis porte ä rattacher ce mot ä l'all. gemeine ou
gemeinde (communautö, assemblee)." Es ist vielleicht nicht überflüssig
darauf hinzuweisen, daß Schelers Vermutung zweiffellos das Richtige
trifft. Das zur Discussion stehende Wort entspricht mnl. ghemeine^
mnd. gemeine^ gemme^ mhd. u. nhd. gemeine. Wegen der der wal-
lonischen zu Grunde liegenden Bedeutung „Versammlung" vgl. Grimm
Wtb. IV, I, 2 Sp. 3234: nd. „wu dat (wie) die lansknecht gemein
hielden . . . .; an die gemein gehn (coire in concilium)." Dazu stimmt
von Godefroy belegtes ghemaine in I. Molinet's Chron. „les capitaines
de l'ost tindrent leur ghemaine a maniere d'ung palement." Was
die an die Spitze dieser Bemerkungen gestellte Form guemine angeht, jo
ist sie durch Metathese aus guimene entstanden, wie nach Granc'-
gagnage II, 351 das wallonische Wort ursprünglich lautete.
canc, guitang, poisson semblable au merlan, mais plus large
et court, wird von A. Dagnet u. I. Mathurin Le parier ou lang. po}).
cancalais. Vocab. p. 34 verzeichnet. Es handelt sich um eine m. W.
sonst nicht nachgewiesene Bezeichnung von Gadus merlangus, die etymo-
logisch in völlig durchsichtiger Weise gleichbedeutenden nord. vitti7ig,
engl, tchiting^ holl. wi/ting entspricht. Vgl. mundartlich franz. gniteau,
worüber A. Thomas Romania XXXV, 303 gehandelt hat. Beiläufig
bemerke ich, daß sich ein älteres Beispiel für guiteau als das von
152 D. Behrens.
Thomas 1. c. aus Baudrillart Dict. des peches (1837) beigebraclite
bei Nemnich Polyglotten-Lexicon (1794) s. gadus baibatiis findet.
ostfranz. lliaissuelle, maissuelle im Patois von Clairvaux sind
nach A. Baudouins Glossaire\^. 213 PfUnizenbezeichnungen: „scabieuse
commune (scabiosa arvensis). Maissuelle des bois, scabiosa succisa/'
Was die Herleitung angeht, so fragtBaudouiu: „Du vieux franc. massuette,
petite massue?-' Es sei darauf hingewiesen, daß diese Annahme un-
zweifelhaftdas Richtige trilft, abgesehen selbstverständhch davon, daß der
ostfranzösische Patoisausdruck nicht erst aus aUfrz. massuette durch
Suffixvertauschuug entstanden sein wird, sondern entweder altfrz.
maguelle (Godefroy) fortsetzt oder eine selbständige jüngere Ableitung
von dem Substantiv massue darstellt. Die zu einem von einem In-
volucruni umgebenen und von einem längeren Stiel getragenen Köpfi-hen
dicht zusammengestellten Blüten haben die genannte Bezeichnung
veranlaßt. Der bei Pritzel und Jessen Die deutschen Volksnanien
der Pflanzen p. 199 für Scabiosa (Knautia) arvensis angegebenen
schlesischen Bezeichnung ^^Nonnenkleppel-'- (in Mecklenburg Neunen-
Meppel)^ deren zweiter Bestandteil die mitteld. (niederd.) Form von
hochd. Klepfel darstellt, liegt eine ähnliche Vorstellung zu gründe.
Von anderen Benennungen seien hoton de coltin in Moyenmoutier (s.
Haillant Flore vosg. p. 100.), mhd. Äliaw/wort, Kneufvfort und mnd.
Knopviort in diesem Zusammenhang genannt.
Einige Arten der Gattung Centaurea haben im Aussehen mit
Scabiosa (Knautia) arvensis eine gewisse Ähnlichkeit und werden
dementsprechend in deutschen und in galloromanischen Mundarten
ähnlich benannt. So verzeichnen Pritzel und Jessen für centaurea
jacea u. a. die mundartlichen Namen Hart/copp, Ä'no2:>/blume, Trum-
masschlägel, für centaurea scabiosa Knauf, Knoop, Kjio pf wurzel,
Papcn/c/ö^en {Klöten = Hoden). Zum Galloromanischen s. Puitspelu
Dict. s. V. marsotta. Entsprechende Bezeichnungen aus anderen
Sprachen findet man in Neranichs Polyglotten- Lexicon der Natur-
geschichte.
francopr. mottet, moutet, kleiner Junge, Knirps. Mistral, der
moutet als im Departement Isere gebräuchlich erwähnt, verweist auf
mout (mousse), das er auf mutilus zurückzuführen scheint. Nizier
de Puitspelu verzeichnet Dict. p, 268 mottet mit der Bemerkung:
,,ap. Coch. moutet s. ra. Petit gargon. Mottette (motete) s. f. Petite
fiUe. Dph. br. motet, ette'-'- und nimmt als Etymon lat. mustum an:
„d'oü mot^ plus dim, et. La forme inoutet appartient ä la plionetique
d'o'il." Constantin und Desormeaux stellen, ohne eine etymologische
Deutung zu versuchen, daß Wort Dict. savoi/. p. 276 zu mote, qui
est Sans cornes, niotin^ tetard (arbre dont la tige a ete coupöe ä
une certaine hauteur) und geben einen Beleg für das Vorkommen
desselben aus La Muse savoisienne au XVIIe siecle: La Moquerie
Savoyarde ed. A. Constantin:
WortgeschicJdliches. 153
Me souvente donna seson,
Que Jaque Bo de Remilly
Meney son Ano vendre o marchy,
Et lo chassave devan sey
Avoy son motet Beney . . .
Motet, he fo que te montey
Dessus l'Ano . . .
[II me souvient d'une annee oü Jacques Bo, de Rumilly, menait vendre
son äne au marche; il le chassait devant lui avec son garten Benoit . .
Gargon, il faut que tu montes snr l'äne . . .]
Was die etymologischen Deutungsversuche Mistrals angeht, so
liegt auf der Hand, daß mutilus als Etymon nicht in Betracht
kommen kann. Aber auch mustus ist, glaube ich, schon deshalb
verdächtig, weil das einfache, nicht abgeleitete Wort, soweit ich sehe,
nirgends neben motet^ moutet in entsprechender Bedeutung erscheint,
vielmehr als prov. moust, mout, franz. moüt^ ital. mosto etc. mit
der Bedeutung „Most" fortexistiert. Ich glaube, daß das Etymon ein
ganz anderes, naheliegendes Wort ist. Man sagt in Südf raukreich
von einem kleinen Menschen: es pas plus aut que tres mouto. Das
hier vorliegende mouto (moto), das neufrz. motte, Erdscholle, Klumpen
entspricht und, wie es scheint, mit deutsch Mott, im Aargau die Mute
(s. Grimm Wtb. s. 3Iott), identisch ist, liegt frankoprovenzalischem
moutet, mottet zu Grunde. Die Lautform macht, soweit ich sehe,
keinerlei Schwierigkeit und für den angenommenen Bedeutungswandel
fehlt es nicht an Analoga. Um eine ähnliche Entwicklung handelt es
sich beispielsweise, wenn prov. bouset (crottin de chevre etc.) die
Bedeutung ,.petit bonhomme" angenommen hat, wenn nd. bült Hocker,
Hügel, Haufe ein kleines unbeholfenes Kind, einen Knirps bezeichnet,
oder wenn man im Deutschen einen kleinen, dicken Menschen einen
kurzen, dicken Brocken (s. Grimm s. v.) nennt. An die Bedeutungs-
entwicklung von dtsch. Klotz, Klofs, Klump u. a. ließe sich außer-
dem erinnern. Ob mit unserem Wort auch savoy. mote (qui est sans
cornes) und mötin (tetard) etymologisch irgendwie zusammenhängen,
bleibe dahingestellt. Bemerkt sei nur zum Schluß noch, daß das
neufranz. Wörterbuch ein Substantiv moutard kennt, welches Sachs
mit kleiner (unsauberer) Junge, Kind, Göhre verdeutscht. Nach
dem Dict. general ist dasselbe unbekannter Herkunft, in der Schrift-
sprache Neologismus und seit 1878 im Wörterbuch der Akademie zu
finden. Es dürfte sich um Herübernahme von gleichbedeutendem
franzprov. moutet mit Vertauschung der Endung und vielleicht auch
volksetymologischer Umdeutung handeln. Vgl. Delvau Dict. de la
langue verte p. 328 moutard: „Gamin, enfant, apprenti, — dans
l'argot du peuple qui, n'en dcplaise ä P. J. Leroux et ä M. Francisque
Michel, n'a eu qu'ü, retrardcr la chemise du premier polisson venu
pour trouver cette cxpression".
noguer, sommeiller en laissant tomber de temps en temps le
menton sur la poitrine, begegnet in der Mundart von Varennes, im
154 D. Behrens.
Departement Allier, hart an der provenzalischen Sprachgrenze. S.
P. Duchoi), Gramm, et Dictionn. du patois bourbonnais (canton
de Vareunes) S. 84. Als Etymon des Wortes, das ich sonst nicht
nachzuweisen vermag, kommt wohl nur dtsch. nucken (mit dem Kopfe
niciiend einsclilummern), appenz. nocka, tirol. nocken (halbschlummernd
beten) etc. (s. Grimm Wtb. VII s. v. nücken) in Betracht. Nicht
hierherstellen möchte ich frz. nogueite Leinwand-, Spitzenhändlerin,
Ladenjungfer, da es von zu nocken gehörigen dtsch. tirol. nock^ Bet-
schwester (nach Grimm auch ßetnock^ die halbschlummernd, nockend
betet), Schweiz, nocke. tölpisehes Frauenzimmer, in der Bedeutung
allzuweit sich entfernt. Vgl. diese Zeitschr. XXVIII i, S. 307 f.
Neben bourbon. noguer begegnet auf nordfrz. Gebiet gleich-
bedeutendes, ebenfalls aus dem Deutschen entlehntes s'anniqueye.,
faire un leger somme (einnicken), im Patois gaumet (s. Liegeois
Lexique p. 94), dazu henneg. faire un niquet, einnicken, schlummern,
im Jura niquet Mittagsschläfchen, auf die bereits Diez Et. Wtb. Ilc
nique hingewiesen hat.
wali. noper, v. tr. rosser (ChSnee). Noper ne gote (Jupille),
avaler d'un trait une goutte (de genievre). Vorstehende Angaben
entnehme ich einem Verzeichnis wallonischer Wörter, gesammelt von
Edm. Jacquemotte und Jean Lejenne, mitgeteilt in Bd. XLVI (1906)
des Bulletin de la Soc. lieg, de litt^rat. wall p. 201 f. Es handelt
sich um die durchsichtige Entlehnung von nd. nuppen. einer Ent-
sprechung von hd. knufftn. Vgl, Dnornkaat Koolman Ostfries Wtb.
unter nuppen uml gnuppen^ Grimm Wtb. V, 1516 knuffen c).
altfrz. quitte wird von Godefroy mit einem Fragezeichen ver-
sehen und einmal aus Mathieu d'Escouchy's Chroniquel, 124 belegt:
Ung quintal de sucre fin de trois quittes. Ich glaube in dem Worte
deutsches ^.,Kiste'-'' wieder erkennen zu sollen, so daß der Sinn der
Stelle wäre: „ein Zentner feinen Zucker be>tehend aus drei Kisten,
d. h. in drei Kisten verpackt." Was mich zu dieser Annahme ver-
anlaßt, ist der Umstand, daß Godefroy s. v. queste aus einem gleich-
falls pikardisrheii Texte in Bezug auf seinen Ursprung völlig durch-
sichtiges kiste nachweist, das in ähnlicher Verbindung, wie obiges
quitte begegnet. Die von Godefroy /. c. aus Memoires pour les
habitants de Douai contre le seigneur de Mortagne zitieite Stelle
lautet: Ung cabas de blancq savon, une kiste de ebnere. Eine dritte,
bereits in der Festschrift für Mu-safia p. 80 Anm. von mir angezogene
Form desselben Wortes i-t von Godefioy ebenfalls aus einem
pikardischen Texte belegtes guiste: Laye a le casse ou guiste de
Sucre. Dahin gestellt bleibe, ob etwa das an die Spitze dieser Be-
merkungen gestellte quitte für quiste verlesen oder verschrieben ist.
Ist die Überlieferung echt, so ergibt sich, daß das Wort vor Ver-
stummung von s^ons. entlehnt wurde, wie wir das mit Sicherheit
annehmen dürfen für al^geleitetes diminutives queton, das in dieser
Form im Pikardischen heute begegnet. S. Haignere Fat. boulonnais
Wortgeschichtliches. 155
Vocahulaire p. 486 queton: ,,gousse d'un coffre, compartiment ferme
de plaiiches, et reserve dans un coffre pour y serrer de petits objets,"
Es handelt sich danach um einen kleinen schließbaren Behälter, der
in eine größere Ki-te, einen Koffer, hineingearbeitet ist, wie man das
beispielsweise bei den Truhen der Dienstboten wohl heute noch auch
bei uns findet" Vgl. ferner Edmont Lexique Saint-Palois ketö und bei
Godefroy älteres queston. Andere Ableitungen desselben gei manischen
Stammwortes sind von Godefroy verzeichnete altfranzösische questel,
kestel und questier (fabricant de questes), wegen deren Provenienz
ein Zweifel nicht bestehen kann.
sanar, sane^ bezeichnen im Patois von Bas-Maine ein schlecht
geschliffenes Messer (couteau mal aiguise). S. Dottin Glossaire
p. 463 und vgl, ib. p. 626 sanet ,,petit couteau en mauvais etat.'t
In der Bedeutung „vieux couteau" begegnet sanard bei A. Dagnet
u. I. Mathurin Le langage cancalais p. 54. Die Wörter gehören zü
saner, kastrieren, das weder Dottin noch Dagnet u. Mathurin ver-
zeichnen, das aber aus westfranzösischen Mundarten sonst nachge-
wiesen ist und, wie gleichfalls bekannt (s. Zs. f. rom. Phil. XIV, 364 f.),
auf lat. sanare, heilen, zurückseht. Die Beileutungsentwickelung
ist eigenartig, aber, wie chatre-bique ,,mauvais couteau, qui ne coupe
pas" im Patois von Clairvaux (s. Baudouin Glossaire p. 110) zeigt,
nicht ohne Analogon. Hingewiesen sei noch auf chetreü (mauvais
couteau) im Pat. gaumet (Feller p. 111), chätre-chien (mauvais
couteau, eustache) in Montbeliard (nach Beauquier, Vocahulaire
p. 79), norm, cäireü de mulots {Rolland Faune \ll, 88), it. castracani.
wall, splenkc. Grandgagnage verzeichnet das Wort Dict. II,
p. 388 und bemerkt dazu:
„Selon Rm. sprenke fpour le verbe il n.'a que la forme spl.), seien Lob.
sprenyue (bille, garrot, tortoir, cheville ä tourulquet), Malm., 5j. splenk (1. it.;
2. piece qui assujetit de droite et de gaucbe le coutre d'iine charrue ä
roues). — Splenkl (1. garrottnr; 2. battre), N. id. (1; 2. assujetir le coutre
avec le splenk). Voy. aussi sprengue, gui parait etre la forme normale."
Unter sprengue findet sich ein Hinweis auf splenke. Hinzugefügt
wird sprengueler, serrer avec le garrot. Auf die Etymologie des
Wortes ist Grandgagnatie nicht eingegangen. A. Sclieler bemerkt
dazu in einer Anmerkung auf Seite 390 „Je n'oserais pas plus proposer
Fall, sprengen (faire Siiuter), que l'all. sprenkel, angl. springe (brunche
pliee, lacet pour prendre des oiseaux), qui en proviennent. — Cp.
aussi fl. Sprenkel (barreau d'une fenetre)." Zeliqzon verzeichnet Rom.
Zeitschr. XVlII, S. 263 sprek' „bois que l'on met dans la charrue
pour serrer la chaiiie'' ohne sich über die Herkunft des Wortes zu
äußern. Zu giunde liegt ohne Zweifel dtsch. Sprenkel; woraus sprenke
und, mit Umstellung der Liquiilen, splenke entstehen konnten. Ob
sprengue eine wallonische Sonderentwickelung zu sprenke darstellt
oder auf eine im Deiitsehen zu Sprenkel begegnende Nebenform Sprengel
zurückgeht, laße ich dahin gestellt sein. Was die Bedeutung angeht,
156 D. Behrens.
so ist zu beachten, daß Sjirenkel im Deutschen wohl zunächst nicht
eine aus einer umgebogenen Gerte bestehende zum Vogelfang benutzte
Falle bezeichnet, wie Scheler angibt, sondern u. a. „ein Stück Holz
zum auseinandersperren" nach ten Doornkaat-Koolman Wih. d. ostfries.
Spr. III, 288 „ein Holz, was man zwischen etwas klemmt und
feststeckt, um es fest zu setzen und so offen od. auseinander zu halten."
Auf dtsch. sprenkeln „ein Seil durch einen hindurcli gesteckten Knebel
herumdrehen und dadurch fest anziehen" weist deutlich oben erwähntes
wall, sprengueler „serrer avec le garrot." — Wegen span, esplinque
vgl. Baist Eom. Forsch. I, S. 114 f.
cbamp. vodre bezeichnet verschiedene Weidenarten. S. Heuillard
Et. sur le patois de la commune de Gay, Cahton de Sezanne
{Marne), p. 98 und vergl. A. Thomas zu Delboulle Mots ohsc. et
rares Romania XXXV, p. 423. Andere Formen desselben Wortes
sind vordre bei Littre (Supplem.) und Tarbe (Recherches 11, p. 148),
vorde bei Janel {Essai sur le pat. de Florent p. 307) und wohl
auch ourde in saux-oxirde ebd. Da ein lat. Grundwort zu fehlen
scheint, liegt es nahe, an germanische Herkunft des altfranzösischen
Dialektwortes zu denken. Es bietet sich gleichbedeutendes mhd.
v^lwer (ahd. felawa, nhd. mnndartl. Felber, auch J^alba, Falhinger
etc.), woraus sich vodre, desgl. mit Doppelung, resp. Umstellung des
r vordre., vorde gewinnen lassen. Besondere Schwierigkeit macht
der an die Stelle des anlautenden stimmlosen germanischen Spiranten
getretene stimmhafte Laut. Derselbe findet sich ebenso in dem
schweizerischen Ortsnamen Evordes (vgl. A. Thomas Romania
XXXIV, 173) und muß hier besonders auffallen, während er in nord-
französischen Entlehnungen aus dem Nieder- und Mittelfränkischen (vgl.
ds.^eifsc/ir.XXIX i, p. 309 velemene, viertel; ib. XXX p. 360 vierboete,
p. 362 verhoule) anzutreffen ist und sich hier aus dem Lautstand
der abgebenden Sprache erklären läßt. Ich muß es dahingestellt
sein lassen, ob etwa Angleichung an ein anderes, begrifflich verwandtes
Wort vorliegt, oder ob gleichzeitig mit der Entlehnung der Anlaut
der ersten Wortsilbe assimilatorisch durch den der zweiten beeinflußt
worden ist. Wer es unternimmt, der Geschichte des interessanten
Wortes weiter nachzugehen, als es mir im Augenblick möglich ist,
wird des Weiteren auf eine zweite Gruppe von in der Bedeutung
übereinstimmenden Wörtern, deren etymologische Zugehörigkeit zu
den vorstehend behandelten sich vielleicht nicht wird abweisen lassen,
sein Augenmerk zu richten haben: bress. vorge, vorgille, vorgillon,
vorgine nach L. Guillemaut Dict. pat. p. 327 = „osier sauvage,
espece de petit saule dont les jets d'une grande flexibilite sont
employes pour la vannerie . . .", dauphin. vorge, vouorge, vorze,
lyonn. vorzes, vorsines, vourzines (vgl. A. Thomas Romania XXXHI,
229), dazu nach Jaccard [Essai de ioponymie. 1906) zahlreiche
schweizerische Ortsnamen wie Vorze. ^ ^
D. Behrens.
The Episode of Yvain, the Lion,
and the Serpent
in Chretieu de Troies,
One of the many adventures of Ivain related by Chretien in
the Chevalier au Lion •) is the episode in which he delivers a lion
from a serpent coiled around his tail. The substance of this adventure
is as foUows.
As Ivain proceeded through a thick wood he heard a loud
shriek, and, making in that direction, he arrived in a Clearing where
he saw a lion whom a serpent held by the tail, and scorched with
the flame which issued from its jaws. Ivain having decided to aid
the lion on the ground that a wicked and venomous serpent deserves
no niercy, drew his sword, and protecting his face with his shield
that he might not be parched with the flame which came from the
throat of the serpent, made two halves of the snake; however, it was
necessary for him to cut a part of the lion's tail, in order to
set him free.
After Ivain had delivered the lion from the serpent, he thought
that he would have to fight a second battle; but the lion extending
his paws and kneeling, with tears of humility, Ivain saw that the
animal was grateful to him because he had saved his life. Wiping
away the poison from his sword, he put it back into the scabbard,
and resumed his journey. The lion remained by his side as a faithful
companion resolved to protect and serve him as long as he lived.
He seized a roc i)asturing and carried it to Ivain for food. A week
later they went to the fountain which belonged to Ivains lady. At
the sight of the fountainj Ivain swooued away. The sword slid from
his shield, and the point presscd his neck so that the blood fiowed
and the lion thought his companion and lord was dead. The beast
writhed and would have killed himself with the weapon which had
slain his master, but the knight came to himself, and the lion paused.
On anothcr occasion the lion scratched under a Chamber in the
Castle of Worst Adventure in order to aid liis master in a battle
») Cf. Foerster's edition, Halle, 1902, vv. 3341— 352Ö; 4219— 424'J;
4509-4565; 552G— 5627.
Ztachr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI i. 10a
158 Oliver M. Johnston.
against two servants. Again he helped bis lord to slay the Harpiü
of the Mount, änd also assisted in rescuing Lunete from the seneschal
and liis two brothers, when the Hon was wounded.
Suggestions rcgarding the source of this episode inChretiens'poem.
1. Villemarque and San-Marte have expressed the opinion2)
that the Version of the Lady of the Fountain contained in the
Mahinogion^) is the source of Cln-etiens Ivain. On this point
Gaston Paris reraarks:4) „On doit sans doute en dire autant des
trois recits gallois inseres dans les Mabinogion, mais bien differents
des autres et qui repondent anx poemes de Chretien de Troies sur
firec, Ivain et Perceval; ils ne sauraient, comrae on Ta cru autrefois,
etre la source oü a puise le poete frangais; ils ne proviennent
certainement pas non plus de ses ouvrages; ils remontent donc k
des recits semblables, mais autres, et il est tout naturel de supposer
que les redacteurs gallois ont trouve ces recits chez leurs voisins
anglo-normands".
2. In regard to the origin of onr poem, K. Simrock says:^)
^Daß dem Iwein eine deutsche volkssage, und zwar eine sehr alte,
zu gründe liegt, ist noch zu wenig erkannt; freilich findet sie sich
auch nur entstellt und nicht mehr in ihrem ganzen zusammenhange
wieder. Mit der sage von Heinrich dem Löwen, in der jene uralte
Überlieferung vollständiger erhalten ist, hat aber die aventüre des
ritters mit dem Löwen immer noch mehr gemein als nur diese tier".
3. Foerster^) and Reiffenberg'^) suggest that the episode
of Ivain, the Lion, and the Serpent was founded upon the legend of
Androclus and the Lion. After referring to the literature con-
nected with the legend of Golfier de Las Tours, Foerster adds (op.
cit. p. XLVII): „Auf diese einem Golfer de las Tors zugeschriebene
Variante geht wohl Kristian zurück".
4. With reference to this episode Baist says:^) Der dankbare
Löwe in den lateinischen und griechischen Quellen (Holland, Chretien
S. 162 ist wesentlich vollständig) scheint eine griechisch-römische
Erfindung. Die Fabel in der Heimat des Tieres scheint ihn nicht
zu kennen, da man es persönlich zu genau kannte. Dem Mittelalter
sind jene klassischen Quellen fremd; es erhielt die Tradition in zwei
verschiedenen Formen aus der Zeit des äussersten Verfalls. Der
Romulus hat die Androklesgeschichte zur Fabel von Löwe und Hirt
abgekürzt.
^ Rauch, Die Wülsche, Französische und Deutsche Bearbeitung der hvein-
sage, Berlin, 1869, p. 6.
'') The MaMnofjion, translated by Lady Cbarlotte Guest, London, 1877,
pp. 1-77.
*) IJistoire Littermre de la France, XXX, 13.
^) Altdeutsches lesebuch in nettdeutscher spräche^ p. 229.
") Cf. op. cit., p. XLVII. Coinpare also Foerster's Yvain, 1891, p. XV,
-!) Gilles de Chin, Uruxelles, 1847, p. XXXVIII.
*) Cf. Zeitschrift für romanische Philologie, XXI, 404.
Tlte Episode of Yvain. 159
5. A. Alilström explains this episode as foUows:^) „Le höros
de la Version de Graelent ötait de Cornouaille, celui de la version
de Guigemar de Leonnois (Lion, Liun). Le pere de Guigemar est
nomine „sire de Liun" (Guig., V. 30) et le fils portait naturellement
le raeme titre. Le conte fut bientot tres populaire et se propagea
rapidement dans des lieux oü le nora du petit pays de Leon n'etait
guöre connu. Mais ce qu'on connaissait partout, c'etait le mot
homophone, le lion, bien connu par les nombreux contes d'animaux.
On comprit donc ^li sire de Liun" comme le Chevalier qui etait,
pour ainsi dire, en rapport avec un lion, et on substitua au titre
sire de Lion la forme plus usitee; sire ou Chevalier au lion, II
fallait encore justifier ce nom par un detail, et le plus simple etait
sans doute de donner au höros un lion pour aide et compagnon.
Cette association d'idees se fait en effet si naturellement qu'on n'a
pas du tout besoin de la legende d'Androcles pour l'expliquer^. In
bis review of Ahlström's article Gaston Paris ^O) says in regard to
this explanation: „Cela me paralt assez force, et je crois qu'il y a
ä Tintroduction de cet episode une autre explication".
6. After referring to the gratitude of the lion delivered from
a serpent by Golfier de Las Tours Reiffenberg says; ^^) Cette anecdote
n'est rien autre chose que la tradition si connue du Chevalier au
JJon. A-t-elle passe du roman dans Thistoire, ou de l'histoire dans
le roman? Les deux opinions sont soutenables. In order to decide
whether the adventure attributed to Ivain or that attributed to
Golfier de Las Tonrs is the older it will be necessary to examine
the various versions of the legend connected with Golfier de Las Tours.
a) Prior of Vigeois^S) (ab. 1184).
In bis chronicle he speaks as follows of Golfier's adventure
with a lion and a serpent: „Gulpherius de Turribus ejusdem dioecesis,
vir memoria dignus: qui cum crebros concursus exerceret in hostes,
et multa damna de die in diem inferret, accidit una die quod rugitum
cujusdam leonis a serpente circumligati audivit; et audacter accedens,
leonem liberat. Qui, quod admirabile dictu est, memor accepti
beneficii cum sequitur, sicut unus leporarius; qui quamdiu fuit in
terra illa, nunquam recedens, multa commoda illi tulit, tarn in
venationibus quam in bellis: dabat carnes venaticas abundanter, et
adversarium domini sui cursu velocissimo prosternebat: et dum rediret,
leo ipsum dimittere noluit; sed nautis ipsum in navi recipere
^) Cf. Sur rOrgine du Chevalier au Lion (Melanges de
Philologie Romane, dedies ä Carl Wahlund. Mäcon, 1896), p. 300.
1") Cf. Komania, XXVI, lOfi.
") See Le Chevalier au Cygne et Godefroid de Boinllon, Bruxelles, 1848,
vol. II, p. XCI.
'-) Bouquet, Jiecueil des Ilistoriens des Gaules de ta France^ XII, 428.
Compare also Labbe, Nova BilUotkeca, II, 298. Jiomania, XXXIV, G2.
lOa*
160 Olive?' AI. Johnsion.
nolentibus, ut pote aniraal crudele, secutus est dominum natando,
doucc laborc quievit^.^sj
b) Magnum Chronicon Belgicum.^"*)
This is a literal reproduction of tbe story as given by the
Prior of Vigeois.^*') Paul Meyer thinks that the version in the
Magiium Chronicon belgicum was either taken from that of the
Prior of Vigeois or both are derived from a common sourceJ^)
The Prior of Vigeois, who gives the first version that I have
found of the episode of Golfier, the Hon and the serpent, was born
about 1130 and was still a Student at the Abbey de Saint-Martial
de liimogcs in 1150. According to his owu Statement, he finished
his chronicle before the end of the year 1184.1'^)
In an articio on the Chanson d'Antioche Provengale, and the
Gran Conquista de Ultramar, Gaston Paris says : i^) „Une autre
aventure, beaucoup plus celebre, de Golfier de Las Tours, Thistoire
du Hon qu'il delivra d'un serpent et qui le suivit depuis lors comme
un chien fidele ne doit pas s'etre trouvce daus le poeme. D'une
part, la Conquista la mentionnerait sans doute ä quelque occasion;
d'autre part, on ne voit pas oii eile s'intercalerait, et enfin eile est
d'un genre de merveilleux qui ne repond pas au caractere de notre
poeme. Bien anterieure ä Golfier, eile s'est attachee ä lui comme^
ä Ivain et comme ä un autre croise, le Flamand Gilles de Chin'\
The fact that the story of Golfier and the lion does not occur
in the Gran Conquista de Ultramar leads one to believe that this
adventure was not attributed to Golfier very early. It is therefore
highly probable that the Golfier legend was borrowed from the tale
of Ivain and the lion to which it bears so striking a resemblance.
15) For a later reference to this adventure compare Anecdotts Historiques
attributed to Etienne de Bourbon, published by A. Lecoy de la Marche,
Paris, 1878, p. 188: „Item ab aHo audivi quod, cum quidam eum liberasset
a serpente et sequeretur eum, ut redderet ei beneficium, cum ille intrasset
mare cum navi, leo insequtus est eum per mare, usquequo submersus est
leo dictus".
1*) Pistorius, Rerum Germanicarum Scriplores, III, 129 — oO.
i"") Our legend occurs also in Flores Chronicorum de Bernart Gui.
Compare also Fauriel, IHstoire de la Poesie Provenqah Paris 184G, 11, p. 37'J; Le
Baron de Reiffenberg, Le Chevalier au Cygne et Godefroid de Bouillon^ Bruxelles,
1848, 11, pp. XC — 111 ; Holland, Chreden von Troies. Eine Literaturgeschichtlicht
Unttrsuchmi'j. Tübingen, 1854, p. 162.
'•") Cf. Chanson de la Croisade contre les Albigeois, Paris, 1879, II. p. 379, note.
1") IHstoire littfiraire de la France^ XIV, 338.
1") Jiomauia, XXII, 358, note 1. For a further discussion of Golfier
and the lion compare A. Thomas, Iloraania, XXXIV, 56 — 65; Arbeliot,
Bull, de la Soc. bist, et arch. du Limousin, vol. XXIX. Arbeliot
says that the lion and the serpent were represented on the tomb of Golfier
and his wife and that the picture of these animals being later misunderstood
gave rise to the legend of Golfier and the lion.
The Episode of Yvain. 161
7. After referring to the first part of the Ivain as a partly
rationalized faiiy mistress storyi'') Arthur C, L. Brown says;2o) „Then
the second part of the story, beginniiig ^Yhere Ivain is cured of his
madness, ought to be in origin a journey of wonders, in which the
hero aided by a helpful beast should fight his way through terrible
dangers back" into the Other World: Fairy mistress storics in Celtic
and elsewhere are apt to eud with the happy return of the hero to
live with his supernatural wife. The second part of the Ivain would
thus be a sort of a repetition of the first. The hero after he has
lost his lady must begin all over again and fight his way anew
through the Perilous Passages into the Other World. Such is in
brief the theory wbich the following pages will discuss." Again
he says^i): That the lion was suggested to Chretien by something
in his original is therefore highly probable, though the present form
of the lion episode in the Ivain may owe much to the influence of
chivalric tales coming from the liou-hauted Orient".
The object of the present papcr is to try to find out how much
of the legend as related by Chretien was derived from these.
„chivalric tales Coming from the lion-haunted Orient" and how much
of it was taken from other sources, Mr. Brown cites several stories
in which an animal guides the hero on his journey to the Other
World, 22) but it will be remembered that in the Ivain the lion
does not serve as a guide.
A historical examination of the legend of the K night of the
Lion reveals several closely related groups of stories from which
this episode has probably been derived.
1. Oriental group.
a) Chinese Version.
In Memoires sur les Contrees Occidentales^-^) translated from
the Chinese into French by Julien, is related an adventure of a
hermit who, on returning to his native country after having visited
and adored the relics of Budha, meets a number of elephants crossing
the swamps and uttering terrible groans. The hermit climbed upon
a tree to avoid thera, but at this moment the elephants hurried to
a pond from which they drew out the water with their trunks and
poured it upon the roots of the tree, After having dug about the
tree, they overturned it. Then, taking the hermit, one of the elephants
placed him on his back and carried him in the midst of a great
1") See Arthur C. L.Brown, Iwain: A Study in the Origins of
Arthurian Romance, in Harvard Studies and Notes inPhilology
and Literature, VIII, 1 — 147.
^"j See 'The Knight of the Lion* (Publications of the Modern
Language Association of America, vol. XX, 674—75).
21) See op. cit., p. 67G.
'") See op. cit, pp. 688—700.
23) Paris, 1857, Vol. I, pp. 180—1.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI '. H
162 Oliver M. Johnston.
forest, where a sick elepbant lay sufferiug from a wouud in the foot.
The elepliant that Lad brongbt the hermit into the forest guided his
Land to the place of pain where a piece of bamboo had entered.
The hermit extracted the bamboo and applied medicinal plants to
the wound, teariug from his clothes a bandage for the elephant's
foot. In return for tbis kindness the wounded elepbant gave the
hermit a golden casket, containing a tooth of Budha. The next day
being a day of fasting, each elepbant brought the hermit rare fruits.
After he had eaten, they carried bim out of the forest, and, then,
getting upon their knees to salute him, all withdrew. 24)
Menioires sur les ContrSes Occidentales, the collection from
which this story was taken, was translated from the Sanscrit into
the Chinese in 643 by Hiouen Thsang.
b) Indian Version. 25)
According to this Indian tale the Räja's son came to a jungle
where he saw a tiger suffering great pain because of a thorn which
had been in bis foot for twelve years. The Räjä's son expressed
a willingness to remove the thorn from the animal's foot, but feared
lest the tiger might devour bim afterward. However, after the tiger
had assured bim that he would not barm bim, he at once relieved
the suffering animal by the extraction of the thorn. Thereupou the
tiger and his wife gave bim food and presents and kept him for
three days. After the wounded foot was completely healed the Rajä's
son took leave of the tigers, who told bim to think of them, if he
were ever in trouble and they would go to bim.
2. Androclus and the Lion.26)
a) Apion (preserved in Aulus Gellius, Noctes Atticae, V,
14, 10).
Apion says that he saw Androclus, a doomed slave of a Roman
«onsul, in the Circus Maxinuis at Rome, where he had been placed
to be devoured by wild beasts. A lion coming up to him wagged
his tail in the manner of a flattering dog and licked his legs and
hands. Androclus was at first frightened, but soon recovered, and,
recognizing the lion, both were fiUed with joy. This mutuai recognition
of Androclus and the lion caused murmur and excitement among the
people. Thus, Caesar asked Androclus to explain this friendship
between him and the lion. In response to this request Androclus
Said that he belonged to a Roman consul in the proviuce of Africa
where he lived until he was compelled to take refuge in the sohtudes
of the plains and sands because of the daily blows given him by
2*) For au abridgement of this Chinese version compare Benfey, Fant-
sckatantra, Leipzig, 185ü, I, 210.
2^) See Indian Fairy Tales, collected and translated by Maive Stokes,
with notes by Mary Stokes, and an introduction by W. R. S. Ralston, M.
A., London, 1880, pp. 155—15.0.
29) Cf. Baist, op. cit, p. 404; Gaidoz, Melusine, V, 73 ff.
The Episode of Yvain. 163
bis master. Then, siuce the suu was liot and beating, be entered
a secret and remote cavern, Soon a lion carae to tbis cavern, uttering
groans because of tbe pain and torment in bis wounded foot.
Androclus was frigbtened, bat tbe lion, seeing bim, approached with
bis foot uplifted to ask aid. Androclus extracted tbe thorn, pressed
out tbe pus, dried tbe wouud, and wiped off tbe blood. After tbis
relief tbe lion went to sleep. Tbe man and tbe lion lived in tbis
cave tbree Years. Wbatever wild beasts tbe lion caugbt wbile bunting
be brougbt to Androclus wbo roasted tbem in tbe mid-day sun.
Finally Androclus grew sick at beart of tbis brute-like life and left
tbe cave wbile tbe lion was off bunting. After a journey of tbree
days be was taken by soldiers and led back to bis master at Rome,
wbere be was condemned to be devoured by wild beasts. But tbe
lion from wbose foot be bad extracted tbe tboru was in tbe tbeater,
wbere be was to be given as food to tbe beasts, and spared bim
througb gratitude. At the request of tbe people Androclus was
released and tbe lion was given to bim.
b) Aeliauus, De Natura Animalium, VII, 48.
Tbe legend as related by Aelianus is almost tbe same as tbat
found in (a), tbe only importaut cbange being tbat in Aelianus tbe
lion saves Androclus's life twice. After tbe people bad observed tbe
friendsbip between Androclus and tbe lion. tbey tbougbt bim a sorcerer
and let loose a leopard to devour bim, bot the lion defends tbe man
and rends tbe leopard.-'')
One can see at a glance tbe close resemblance between tbe
Androclus legend and tbe Budhistic original. In tbe forraer tbe
elepbant bas beeu replaced by a lion. In botb sets of stories, bowever,
tbe wounded foot of au aniraal is bealed by the extractiou of a
splinter or tborn, and in botb cases tbe beast sbows bis gratitude
by giving food and aid to bis physician. In the versions of tbe story
of Aiidroclus and the Lion just given Androclus meets the lion and
extracts tbe splinter from bis foot in Libya. In Aelianus Libya is
mentioned and in Gellius the place of meeting is Africa, Libya and
Africa being used intercbaugeably. The oldest version of tbe legend
that I have been able to find is tbat of Apion preserved in Gellius,
Noctes Atticae. According to the brief biograpbical sketcb given
2') The brief account of the liou story given by Pliny in his Xatural
Blstory, VIII, 21, niay be mentioned bere also, since it is connected with a
definite personality just as in the case of the group Amhodus and the Lion.
According to Pliny's version, Mentor, a native of Syracuse, was met in Syria
by a lion, who rolled before him in a suppliant manner; thoiigh smitten
with fear and desirous to escape, the wild beast on every side opposed his
flight, and licked his feet with a fawning air. lipon this Mentor observed
on the paw of the lion a swolling and a wound, from which he extracted a
splinter. Compare also üctavian, edited by Karl VollmoUer (Alt-
französische Bibliothek, vol. III), w. 554—959; Alexander Neckam,
De Naturis rerum II, 148.
II*
164 Oliver M. Johnston.
in the Encyclopedia Britannica Apion was born at Casis in
Libya, but called himself a iiative of Alexandria, where he studied.
Apion's biographer also states that he taught rhetoric at Rome about
30 A. D. It was probably about this tinie that he wrote bis version
of the legend of Androclus and the Lion. The story may have
beeu circulated at Rome, however, sometime before it was put into
written form.
3. The Lion and the Shepherd.
The different fahles of this group are quite similar. A hon
being wouuded in the foot by a thorn or a root goes to a shepherd
who extracts it. The pain being relieved, the lion goes on bis way.
Later he is taken to au amphitheater where criminals are devoured by
wild beasts. The liou's pbysiciau is always a timid or frightened
shepherd who heals the wounded foot through kiudness. Shortly
after he effects the eure he is accused of crime and sentenccd to be
given as food to the wild beasts in the theater. It happens that
the lion whose foot the shepherd had healed is in the place where
he is to be thrown to the animals. When the shepherd is exposed
in the arena, the lion recognizing him as the one who had extracted
the thorn from bis foot, not only spares him, but is affectionate and
friendly. When the origin of the friendship between the lion and
the shepherd is known, both are set at liberty.
The oldest extant version of the Lion and the Shepherd is
that of the chronicler Ademar de CLabannes, who wrote about 1029.
However, thirty of the fahles of Aderaar are fouud in Phaedrus, and,
by a careful comparison of these with the corresponding fahles of
Phaedrus, Hervieux^s) has found that Ademar is an almost literal
translation of Phaedrus. Hence, he concludes tbat the thirty- seven
fahles of Ademar which do not occur in the collection of Phaedrus
as it has come down to us must also be Phaedrian fahles. Therefore
we are reasonably sure that our fable of the Lion and the Shepherd
dates from Phaedrus. This fable is the tirst in the third book of
Phaedrus, the composition of which Hervieux2'') places at a period when
Tiberius was still living. Hence we may place the date of the composition
of the fable of the Lion and the Shepherd at about 35 A. Dß^)
Xo one will deny that the legend of the Knight of the Lion
as related by Chretien must have been derived for the most part
from the theme contained in the three groups of stories just
analysed.31) The rescue of the lion from the serpent by Ivain, the
-ä) See Les Fabulistes Latim (deuxieme edition), Paris, 1893, Vol.I, p. 243.
-^) See op. cit., p. 23.
''^') For the sources and derivatives of the various Latin collections
from which the most of the versions of the fable ot the Lkm and the Shepherd
examined for this study were taken compare Hervieiix, op. cit., Vol. L
3') For other similar stories compare Grimm's Altdänische HeWenlitder,
Balladen imd Märchen, Heidelberg, 1811, pp. 440 — 474.
Tlie Episode of Yvain. 165
gratitude of the Hon for tbis service, the companionsbip of Ivain
and the lion, and the aid given Ivain bj' the lion during the adventures
mentioned in the second pari of the story constitute the principle
motifs of the tale as told by Chretien. The first two of these
motifs, namely, the service reudered the animal and the gratitude
of the animal are practically the same in all of these stories. The
only point of difference to be noted is that the thing that the hero
does to relieve the animal in each case is different. In Chretien
Ivain rescues the lion from a serpent, while in the other stories
cited the hero removes a thorn or splinter from the foot of a
suffering animal. The companionsbip of Ivain and the lion also
finds a parallel in Apion's version of the legend of Androclus and
the Lion, and abstract of which has already been given. According
to Apion Androclus and the lion lived together in a cave for three
years, and the lion carried to Androclus wbatever wild beasts be
caught while huuting. The aid received by Ivain from the grateful
lion seems to bave been borrowed from the theme of the cyclo of
stories, known as the Grateful Aniraals.32) A good example of
this group of stories is the one published by Stokes in Indian
Fairy Tales.33) According to this tale a prince gave to some
ants the cakes that he had carried to eat on bis journey, whereupon
the king of the ants told bim that if he vvere ever in trouble, he
would only have to think of bim (the king) and the ants would
immediately come to aid bim.« Later when the prince wanted to
marry the Princess Labam, her father had eighty pounds of mustard
seed brought in and told the prince that, if be did not press the
oil out of each grain by the next day, it would be necessary for
bim to die. The prince then thought of the king of the ants and
the ants came at once to perform the task that had been imposed
upon bim.
The theme of this cycle of stories is so widely diffused in the
literatures of different countries that it seems unnecessary to cite
any more versions of it. Suffice it to say that the manner in which
the grateful animals of this story aid the one who had rendered
tliem a service bears a striking resemblance to the way in which
the lion gave aid to Ivain in bis adventures. It is therefore highly
probable that the story of the Grateful Animals and the legend
of Androclus and the Lion furnished the principal motifs of the
^-) See Romania X, 133 — 142. Compare also the stories cited by
Mr. Brown, op. cit., pp. 702 — 705. It will be observed however that in the
stories analysed by Mr. Brown the animals do not aid the hero because of
their gratitude for a service that he had rendered thom as is the case in
Chretien. The motive for this service on the part of tho animals was
doubtloss originally the gratitude that they feit because of the aid they had
received from the hero. If this be true, the form of the legend contained
in the Ivain is older than that contained in the tales mentioned by Mr. Brown.
33) London, 1880, No. 22.
166 Oliver M. Jolinston.
tale of Ivain and tlie lion as related by Cliretien. The fact tliat
these stories were so similar rendered their fusion very easy. The
present study does not undertake to say how early this classical
and oriental story material was known in Celtic literature and how
it reached Chretien. If I liave succeeded in pointing out the groups
of stories from which Cliretien's account of the helpful lion was
derived the object of this study has been accomplished. With
reference to the origin of the theme of the grateful auimal E. Cosquin
says:3-i) „Cette idee de Services rendus ä des animaux, d'animaux
reconnaissants, est une idee tout indienne. II y a lä l'empreinte du
boudhisme. D'apres Tenseigneraent boudhique, l'animal et Thomme
sont essentiellement identiques: dans la serie indefinie de trans-
migrations par laquelle, selon cette doctrine, passe tout etre vivant,
Tauimal d'aujourd'hui sera Thomme de demain, et reciproquement.
Aussi la charite des boudhistes doit s'etendre ä tout etre vivant, et,
dans la pratique, comme l'a fait remarquer M. Benfej', les animaux
en profitent bien plus que les hommes. Quand ä la reconnaissance
des animaux, le boudhisme aime k le mettre en Opposition avec
l'ingratitude des hommes".
Oliver M. Johnston.
3*) See Romania X, 141—142.
L' Apologie pour Herodote von Henri Estienne/)
Im Avis du lihraire der Aufgabe der Apologie-) vom Jahre
1735, findet sich folgendes Gutachten von Sallengre über die mut-
maßlichen Absichten, die Estienne zur Abfassung seines Werkes
bewogen haben könnten: „ Henri £tiene, noits dit M7\ de Sallengre,
avoit imprime ä grands frais VHistoire d'Herodote. Ses enne-
mis .... qui ne cherchoient que Voccasion de le ruiner, decrierent
par taut ceite histoire, disant qu'elle etoit remplie de fahles et de
contes ä dormir debout. Henri Etiene pour prSvenir Ceffet d'une
teile occupation entreprit de se justifier . . . en puhliant l' Apologie"
und der libraire setzt auf eigene Rechnung die Behauptung hinzu,
daß das Werk, das er dem Publikum biete, den besten Be^yeis dafür
liefere, daß die Wahrhaftigkeit des griechischen Autors nicht anzugreifen
sei, nachdem aus einem Vergleich, der von Herodot gelieferten Er-
zählungen mit den Ereignissen, die zu Etienne's Zeit spielen, zur
Genüge hervorgehe, daß auch die Berichte der näher liegenden Zeit
bisweilen das Gepräge der Unwahrscheinlichkeit an sich tragen.
1) Die Übersetzung ist von unserer Mitarbeiterin Frau Dr. M. J. Minchvitz
in München nach der italienischen Niederschrift des Herrn Verfassers
hergestellt.
2) Apologie pour Uerodole ou traite de la conformüe des merveilles anciennes
avec les modernes par Henri Estienne ed. Le Duchat, zwei Bände, La Haie,
1732. Der libraire verweist auf die Memoires de Hu. de Mr. de Sallengre^
Haie, 1715, vol. I. p. 38. — Apologie pour Herodote par Henri Estienne avec
introdudion et notes par P. Ristelhuber, vol. IL, Paris 1869. — H. Dieterle,
Henri Estienne, Strassburger Dissertation, 1895.
Unter den Studien, die unserm Autor gewidmet sind, ragt besonders
Louis Clement, Henri Estienne et son amvre fra/iqaise, Paris, 1899, hervor.
Cfr. vor allem das Kap. : La satire et le Conte dans V Apologie pour Herodote.
In einigen Beziehungen erlauben wir uns jedoch anderer Ansicht zu sein
als der treffliche Verfasser, und sind überzeugt, dass er selbst beim Durch-
lesen unserer vergleichenden Anmerkungen folgendes Urteil etwas moditi-
cieren wied: „C'e?'/e«, il a Leaucoup plus tradtdt, que Marguerite de Navarre, puis
quil transcrit des passages entiers de VHeptameron (p. 93) 11 fait aussi des emprunts
aux Italiens, surtout <> Boccace, et aux contes latins de Pogge. Mais en somme, ce
gü'il a copie nest qu'une jmrtie de son recueil; pour l'autre, le recit lui appartient,
stnon toujours pour le fonds, du nioins par la mise en (tuvre et par le style.'' Auch
die Ansichten Clement's über die religiösen Ansichten Estienne'e teilen wir
nicht: wir werden eher nachzuweisen suchen, dal's er vielmehr ein Sohn
Rabelais' ist, den er so bitter bekämpft, als des starren Protestantismus,
dem die Apologie so günstig gestimmt scheint.
168 P. Joldo.
Ich kann unmöglich glauben, daß Estienne, obwohl er als
Drucker seiner Kunst leidenschaftlich ergeben und zugleich ein aus-
gezeichneter Gelehrter war, eine so ausfuhrliche Publikation einzig
und allein zu dem Zwecke unternommen haben sollte, den Ruf der
Wahrhaftigkeit des „primo pittore delle tnemorie aniiche'-'- zu ver-
teidigen. Diesem Zweck hätte eine Vorrede des gelehrten Verfassers
des Thesaurus linguae Graecae schon zur Genüge entsprochen; tat-
sächlich hatte er sich ja in dem längereu Vorwort zum lateinischen
Herodot bereits über dieses Thema hinreichend geäußert. Andrer-
seits war es Estienne sicherlich nicht entgangen, mit welcher Behut-
samkeit Herodot von einigen Legenden Bericht erstattet, die nicht viel
Wahrscheinlichkeit für sich haben. Die Geschichte von Gau da nie
z. B. wird in der Form eines mit Sprichwörtern und Sentenzen
geschmückten Zwiegesprächs zwischen Herr und Diener auseinander-
gesetzt, die über den Ernst des Erzählers einiges Bedenken weckt;
anläßlich des noch viel mehr Ueberraschung hervorrufenden Aben-
teuers des Spitzbuben Rampsinito, bemerkt Estienne in seiner
Uebersetzung (Kapitel XV) daß ^Juy mesme (d. h. Herodot) proteste^
qu'il ny adjoiiste pas foy, mais qu'ü la donne pour teile qu'on
luy a donnee'^ und er glaubt auch gar nicht, daß der König die
Ehre seiner Tochter preisgeben würde einzig und allein um die Be-
friedigung zu haben, einen abgefeimten Schurken erwischt zu sehen.
Eine zweibändige Verteidigungsrede für so geringfügigen Anlaß würde
stark an Übertreibung grenzen.
Estienne hatte also ein ganz anderes, größeres Ziel im Auge,
und viel weniger die rein klassische Absicht, die man ihm gewöhnlich
zuschreibt; Herodot kam erst in zweiter Linie in Betracht, richtiger
gesagt, er diente bloß der Satire des XVI. Jahrhunderts zum Vorwand.
Denn die Apologie ist wirklich eine satirische Schrift, in welcher
die Mängel der Gesellschaft jener Zeiten einer Musterung unterworfen
werden, um besser dartun zu können, daß die Rohheiten und Ver-
gewaltigungen aller Art, die von dem griechischen Schriftsteller
berichtet werden, wenig zu besagen haben angesichts der Vorkomm-
nisse, die inmitten der französischen Renaissance spielen. Aber Estienne
ist kein friedlicher und unparteiischer Beobachter, sodaß seine Dar-
legungen mehr Zweifel erregen müssen, als die Legenden des Verfassers
der ^^Geschichten'"'' . Er ist in der Zeit der Religionskriege auf-
gewachsen, inmitten des Hasses der Parteiungcn; er lebt in Genf,
am Herde des Protestantismus; unser Autor hegt mächtigen Groll,
ja sogar ausgesprochenste Abneigung gegen die ^tholisclie Kirche
und ihre Diener. Durch den Einfluß, den die Italiener in Frankreich
errungen hatten, ist noch ein anderer Haß in seiner Seele geweckt
worden, der Haß gegen die Italiener und alle diejenigen, die ihnen
nacheifern, sie begünstigen, oder ihre Vorzüge anerkennen.
Die Apologie ist daher eine ausführliche Invektive gegen die
„messotiers" , die ^j'^picoles" und die Nachbarn jenseits der Alpen,
L' Apologie pour Herodote von Henri Estienne. 169
unter denen er anscheinend drei Jahre lang gelebt hatte, ein Zeit-
raum, der vielleicht genügt, Mängel ausfindig zu machen, aber zu
kurz war, um das Mißtrauen und das einmal gefaßte Vorurteil zu
überwinden, wodurch er behindert wurde, auch Vorzüge zu erkennen.
Dem ungeachtet bewahrt seine Druckerkunst, seine humanistische
Bildung, sein ganzes geistiges Leben deutlich die Spuren jenes italie-
nischen Einflusses, den er in so schroffer Form bekämpft, und seinem
Geiste drängen sich jeden Augenblick Erinnerungen auf an Venedig
und die Piazza San Marco, an Padua und die reichhaltigen italienischen
Bibliotheken, aus denen er seltene Bücher erwirbt, au Genua und
„Boulogne la grasse", und an Florenz und seine Stoffe und seine
Kunst. Auf Florenz und Neapel stimmt er sogar ein Loblied an.
Die Franzosen fälschen die „sarge de Florence", und er protestiert
dagegen; die Italiener haben viele Laster, dennoch besucht er fleißig
die Vorlesungen ihrer Professoren, obwohl er zu der Gattung von
Schülern gehört, die weder ihr Geld noch ihre Zeit wegwerfen. Aus
der Musterung der Quellen der Apologie wird man in dem Folgenden
ersehen können, wie viel er den Schriftstellern der „Penisola" ver-
dankt. Aber seine Antipathie gegen die Italiener entstammte seinem
Haß gegen die Kirche von Rom; Päpste und Cardinäle sind (wenigstens
seiner Ansicht nach) italienische Souveraine und Fürstlichkeiten, die
Frankreich oft persönlich abgeneigt und, was kaum gesagt zu werden
braucht, die erklärten Gegner der Reformierten sind.
Die Apologie des Herodot ist somit nur ein Vorwand, genau
so wie bei Rabelais die Geschichte von Gargantua und seiner Familie
nur zum Vorwand dient seltsame Einfälle und scharfsinnige Betrach-
tungen hineinzuweben, oder wüe später für Fenelon die Wanderungen
des Sohnes von Odysseus Mittel und Anlaß sein werden, moralische
und paedagogische Begriffe zu entwickeln. "Wie überhaupt viele
beachtenswerte Kunstwerke, vor allem die Dante'sche Vision, das
Thema bloß zum Vorwand wählen.
Der Zw^eck der Apologie findet sich in klaren Umrissen vor-
gezeichnet im ersten Teile, verwischt und verwirrt im zweiten; über-
all Abschweifungen aller Art und Beispiele und kleine Geschichten,
die gewissen abstrakten Ideen zur Illustration dienen sollen, aber
schließlich den Leser, wenn nicht verwirren, so doch vom Haupt-
thema ablenken. Die Apologie hebt an mit dem Zeitalter Saturns
und ergeht sich in einer Art von „discows gSneral des vices et
vertus de V antiquite'' und ohne den Lobsprüchen, die von den Dichtern
dem goldenen Zeitalter gespendet werden, zuviel Glauben beizumessen,
behauptet Estienne mit der Bibel in der Hand, daß dieses Zeitalter
auf alle Fälle um vieles besser war als das nachfolgende, und daß
dieses wiederum besser war als das folgende, weil „/e monde va tou-
jours ä rempire''- und wir Modernen folglich schlechter sind als die
Menschen des verflossenen Jahrhunderts und besser als die Kinder
und künftigen Enkel. Die Beweisführung würde im vorliegenden Falle
170 P. Toldo.
des Vergleichs zwischen zwei oder mehreren bestimmt abgegrenzten
Zeiträumen bedürfen; man müßte verschiedene historische Perioden
derartig zueinander in Beziehung setzen, daß eine derartige Ver-
schlechterung der Zustände zu Tage träte, oder wenigstens das Alter-
tum und die Neuzeit gegeneinander abwägen, ein schwieriges um nicht zu
sagen thörichtes und absurdes Unterfangen, da aus Mangel an genauen
historischen und statistischen Angaben der Vergleich missglücken und
sich in hohles, rhetorisches Gerede verlieren würde. Aber bei
Estienne's Vergleich der zwei Geschichtsperioden, verdunkelt die eine,
das Altertum, die andere, d. h. die Neuzeit, fast vollständig, wächst
in ihrer Isolierung in's Riesenhafte und wird nur dem unmittelbar
darauf folgenden Zeitalter nahe gerückt: „Comment cVautant gue la
mechanceie du sihcle dernier passe est plus grande que des siecles
precedens^ d'autant la mechancete de nostre siede outrepasse celle
dudict dernier."- Um die Verfehlungen des eigenen oder des ver-
flossenen Jahrhunderts zu erwägen, greift Estienne zu dem bequemen
System der etwas willkürlichen Einteilung in Hauptsünden und spricht
von der Unzucht in einem detaillierten Kapitel, das von der So-
domiterei handelt, von der Gotteslästerung im weitesten Sinne des
Wortes, vom Diebstahl, von der Ungerechtigkeit, vom Totschlag und
von der Grausamkeit. Jedes dieser Laster hat sich sozusagen im
Laufe der Jahrhunderte verfeinert und vervollkommnet, aber jederzeit
stehen die Italiener in allen Lastern voran und sind für die Franzosen
die Lehrmeister in jeder Art der Verderbniß gewesen. Handelt es
sich um Unzucht oder paillardise? In Frankreich ist sie wahrhaftig
zur bodenlosen Frechheit angewachsen, aber das Alles ist doch nichts
im Vergleich zu dem Material, was jenseits der Alpen geboten wird.
"Was die Sodomiterei anbelangt, so lassen sich einige sporadische
Fälle in Frankreich nicht in Abrede stellen, aber der Herd der Infec-
tion befindet sich auf der „Penisola" und insbesondere, selbstverständlich
in Rom. In Paris lästert man Gott, aber diese Lästerungen sind
nicht schwer von Gewicht und gleiten ab, während sich Leistungen
nach Art der Toskaner, der Venezianer, der Römer und der Ge-
nuesen tief dem Gedächtnis einprägen. Die Diebstähle und die
Mordtaten nehmen in Frankreich ganz bedenkliche Proportionen an, aber
hier raubt man wenigstens mit eigener Lebensgefahr und tötet ein-
ander, dem Gegner in's Auge sehend; die Bewohner der Penisola
aber begehen Meuchelmord, indem sie hinterrücks verwunden und mit
lächelnder Miene entwenden 3). Kurz, die Italiener würden für den
'■') „Coelum non animum mutant qui trans mare currimt," so singt Horaz und
wiederholt unser Autor, wenn er von den Reisen spricht, die seine Lands-
leute nach Italien führten, dem Sammelplatz aller Laster und der Schule
jeglicher Verdorbenheit. Aber Estienne bedenkt nicht, dass der Vers des
römischen Dichters einfach besagen will, dass derjenige, der eine Reise tut,
deshalb seinen Sinn nicht ändert, und dass der schlechte Mensch, der aus-
zieht, ebenso schlecht zurückkehrt; wenn folglich die Franzosen bei der
L' Apologie pour Herodote von Henri Estienne. 171
Gipfel jedes Lasters gelten und den Höbepunkt aller Korruption
erklommen haben, wenn unser Autor nicht nach Äußerungen über die
Menschheit im allgemeinen ebensoviele eingehende Kapitel dem Klerus
insbesondere widmete und zwar, wie kaum bemerkt zu w'erden braucht,
ganz von seinem individuellen Standpunkt aus. A tout seigneur taut
Rückkehr von der appeniuischen Halbinsel zu jeder Schändlichkeit fähig
waren, so beweist das nur den von Anfang an vorhandenen natürlichen Hang
zur Schlechtigkeit. Über die Reisen von Franzosen in Italien und die
wichtige Rolle der Italiener von jenseits der Alpen im politischen Leben,
in Bankverhältnissen, überhaupt Handel und Wandel cfr. C. Piton, les lom-
bards en France ei ä Paris^ Favh 1892; Ernesto Monaci, GH Itallani in Fran-
cia durante il medio evo, Roma Lincei 1S95 und alles auf dieses Thema
Bezügliche hei Emile Picot, Les italiens en France au XVI^ sücle {Bulletin
Italien 1901 — 1902), Des frangais qui ont ecrit en Italien au XV I^ siede {Revue des
bibl, 1898 — 1902), Li's francais k Vuniversite de Ferrare au XV^ et au XVI^ siede
(Journal des Savatiis 1902) etc.
Den Franzosen, die über die Alpen ziehen — sagt Estienne — steht
die Wahl frei. Siena rühmt sich wegen vier Dingen:
„Dl lorri e di campane
Di bardasse e di puttane"
aber Rom besitzt die Besonderheit, dass „Männlein" das Lager und den
Tisch der erlauchtesten Prälaten und sogar der Päpste selbst teilen, und
es brüstet sich noch obendrein mit obscönen Bddern: ,,pour .... monstrer
la le^07i^ (cfr. cap. VII. Hier handelt es sich jedenfalls um Anspielungen
auf Bilder von Giulio Romano und die Sonette des Aretino). Die Sodomiterei
fühlt sich dort vollständig zu Hause: „cnr ceci ne se doit taire que Jean de la
Gase, Florentin, archevesque de Benevent a compose nn livre en rythme italienne^ oit
il dit mille louanges de ce peche (cap. XIII)". In Wirklichkeit handelt es sich
gar nicht um ein Gedicht, sondern bloss um ein Kapitel, „il Fomo", und es
ist auch nicht wahr, dass Berabo ein direktes Loblied auf dieses damals in
Italien nur allzu verbreitete Lastor anstimmt. Was die Italienerinnen noch
abgesehen von anderen Dingen betrifft: „ne fönt point conscience de sefarder:
si foni bien les Franqoises, au moins Celles qui ^sont Italianisees" (cfr. au ledeur,
ed. Rist. 1. p. 27). Unsittliche italienische Äusserungen haben auf unsern
Autor ähnlich starken Eindruck gemacht, wie schon ant Brantöme (cfr.
Gapitaines etrangers, Barth. d'Alriano), immerhin war es nicht nötig, allerhand
Flüche zu wiederholen, um dieses Laster als verabscheuungswürdig hinzu-
stellen. Wenn die katholischen und protestantischen Geistlichen nach diesem
System verfahren wollten, würde man schöne Dinge von der Kanzel herab
vernehmen können.
Auf alle Fälle hat unsere italienische ünsittlichkeit im Reden Esti-
enne stark betroffen. Ein ,,d'une putain" geschmähter Geistlicher verflucht
Christus in der rncblusesten Weise (cap. XXV), aber gewöhnlich verschleiern
Leute gesitteter Art ihre Flüche mit vom Anstandsgefühl diktiertem Geschick.
In Venedig; „un Italien , . , non pvestre, mais seculier^ en jouanl aux cartes en la
maison d'un ambassadeur du Roy . . . s'ecrie'. Venga 7 cancaro al hipo", womit er
zu verstehen geben will, dass er ihm grolle, weil er das göttliche Lamm
nicht verzehrte. (Ecce agnus Dei qui iollit peccata immdi.) Ein anderer Italiener
zeigt sich unehrerbietig durch Witze über den Esel, der Jesus nach Jeru-
salem trug, ein dritter beleidigt die Madonna u. s w. „Les Francois ....
n'ont point eu honte d^emprunter de Ui (von Italien) quelques faqons de maudire: cesie-
ci entr' autres : Te vienne le rhancre. Toutesfois ceste-ci en Ilalie est teniie pour une
des plus legeres: Te venga' l cancaro^ comme aussi ä Vtnise Te venga la ghiandussa
{la peste) Te venga'l mal di san Lazaro. Ils ont aussi accoustume en plusieurs lieux
d'Jtalit de souhaiier a ceux quHls maudissenl: il malanno e la mala Pasqua." (cap. XIV).
172 P. Toldo.
honneur. Im zweiten Teile seines Werkes kehrt der Autor zu seinem
Ausgangspunkte zurück; er hat wohl selbst gemerkt, daß in seiner
Apologie das Altertum nur wenig Raum beansprucht und daß die
Leser ihn befragen könnten, warum der Name Herodot für so viel-
fältige, weder römische noch griechische Waare als Aufschrift dient.
Ein anderer schwerer Fehler der Italiener ist die Verstellungskunst.
Im zitierten Kapitel erzählt er z. ß.. dass, wenn in Venedig die städtischen
Behörden dui'ch Abstimmung gewählt werden: Ja cousiume est qne ceux qui <mt
este frustez de hur esperance nt laissent ;;«« pourtant de remercler tous les genüls-
hommes en sortanr. Und die an ihre Nichtwahl Schuld tragen, heucheln trotz-
dem das grÖSSte Bedauern: „et ne se contentent de h leur dire simplement''' , sondern
fügen auch nocti allerhand feierliche Schwüre bei: „<Se Bio me gardi st'alma,
lautre; Se D/o ml (jarenti la mia moylie, Vaittre: Se Dio mi yarenii viiei fioli^ lautre:
se Dio me gardi sl occhi, lautre: se no, che sia appicao per la gola, lautre'. Se
no, che me vegna il cancaro".
Wenn er im fünfzehnten Kapitel von den larrecins spricht, vorsichert
unser Autor, dass: „depuis que les clmrlatans d'Ilalie ont kante la France se sont
trouvez mainz coupeurs de hourses des<juisez en gentils-kommes," Deshalb könne
man den Franzosen für die Reise über die Alpen nicht genug anempfehlen,
die Augen offen zu halten. Ein Franzose wird in Venedig unter dem Ver-
wände, ihm das Geld wechseln zu wollen, ohne einen Heller auf der Strasse
stehen gelassen; ein anderer wird von Spielern ausgeplündert; einem dritten
wird die Börse entrissen unter dem Vorwand, dass man nachsehen wollte,
ob er „U7i scorpion dans le dos" hätte, aber den Gii)fel schamloser Unver-
frorenheit erklimmt: .,nn autre Italien, qui fut pendu a ßoulogne la grosse il y a
environ onze ans''. Dieser letztere hatte sich für den Kardinal Sermoneta
ausgegeben und war mit einer gefälschten päpstlichen Bulle durch das
Gebiet von Ancona gezogen, um den Zehnten zu erheben. Es war mir nicht
möglich, die historische Quelle dieses Abenteuers, das den Anschein der
Wahrheit für sich hat, ausfindig zu macheu. Ich erinnere nur daran, dass
Cademosto von Lodi im Jahre 1514 (11. Nov.) einen ähnlichen Betrug zu
schildern unternahm: „Antonio da Plpemo, indegnamente prete et barro, si fece
fare iina lettera in raccomandazione da Angelo romano^ quäle ahitava in Napoli, a Luca
sellnro suo fratello in Roma; la quäl non parendogli scritta con quello inchioslro cli'egli
desiderava, ne contrafece un altra a suo modo, dando ad intendere al pecorone stllaro,
cliegli era il cardinale Ädriano'-'- und auf diese Weise betrügt er viele Personen,
bis er entdeckt wird und „scopaio et mitriato", die Ohren werden ihm gestutzt,
ganz ähnlich, wie es der gleichen Persönlichkeit bei Estienne ergeht Ausser
der Beschuldigung der Feigheit, die Estienne gegen die Italiener erhebt,
versichert er „que la France a appris le style d'Itnlie en matilre de tuerle'"
(cap. XVIII). Auf der appeninischen Halbinsel ist der Meuchelmord gestattet,
ohne Furcht Aufsehen zu erregen: „II avint pendant j'estois a Bome, du temps
du pape Demante dict Jules troisihne, quun Italien rencontranl un autre par la rue,
hiy demanue quand il le voidoit payer: lesquels propos j'ony en passant, sans m^arrester.
Mais je nestois pas u douze pas loin, qu^oyant yrand hruit, je retourne, et comme
j'arrire, celuy qui avoit demande de largent a lautre, tombe mort dhin coup de dague.
A linslant surviennent les gtns du barisei, qui ne se doutoyent de teile chose : mais
au Heu de leur voir faire le devoir de justice . . . ils luy donnerent passage et moyen
d'evader. Et quand j\n parlay ä quelques uns de ma congnoissance je n'eus autre
reponse sinun que cestoit la coustume." (ibid.) Und das ist noch nicht alles. In
Italien gibt es auch offizielle Meuchelmorde, die von den Regierungou be-
günstigt werden. Wenn ein Verbannter einen anderen umbringt, wird er
der Landesverweisung ledig und so geschieht es, dass der Bruder den
Bruder erschlägt und bisweilen dazu gelangt: .,d'amassar (sie) in fallo'-,
besonders wegen Verwechslungen, die durch das Tragen von Masken hervor-
Ij Apologie pour Ileroilote von Html Etstienne. 173
Deshalb beliebt es ihm, über die Verschiedenheit der Sitten und
Gebräuche, von der 'preudhommie der Alten und zugleich, um nichts
außer Acht zu lassen, von ihrer y.grossiereU''' zu plaudern; bei diesem
Anlasse sieht sich der Autor jedoch gezwungen, einen gewissen Fort-
schritt der Zeiten einzugestehen, doch handelt es sich bloß um einen
gerufen werden (ibid). „Rache" nehmen die Franzosen an Ort und Stelle;
die Italiener bereiten sie langsam, mit förmlicher Wollust, vor, und während
die Franzosen dem Gegner anempfehlen, auf der Hut zu sein, wissen die
Italiener keine andere Waffe, als die des Verrates zu handhaben: „Ca?- de-
puis quiJs ont une fois serre le bout du doigt entre !es dents par mcnace^ cJiacun
scait que s'ils prennent leur komme par devani, ce sera, faule de le pouvoir prendre
par derriere . , ." Und die Rache wird auf furchtbare Weise ausgeübt. Ein
Greis, der aus Siena flüchten musste, erzählt unserm Estieune über die
Parteikämpfe : ^J'ay veu les parens, ensanylantez du sang les uns des autres, voire
aucuns du sang de leurs propres freres, pour des querelles qui estoyetit quasi de
neant. Et puis il ajousia que la costume esloyt de tremper ses mains au sang de ceux
qn'on avoii iuez , . . ." (ibid.) Alle diese persönlichen Erinnerungen besitzen
sicherlich einen gewissen Wert, aber Estieune vergisst die entsetzliohen
Gemetzel der Bürgerkriege in Frankreich, sowie die Chroniken seines Landes,
die von Blut triefen. Andere Bemerkungen Estiennes sind weniger ernst
zu nehmen, bekunden aber unverändert die gleiche Gehässigkeit. Warum
äussert Estieune grosse Verwunderung über einen italienischen Edelmann,
weil er nicht an Gott glaubt, nachdem er selbst erst den Atheismus zweier
Franzosen, Rabelais und Des Periers scharf verurteilt hat? Welches schwere
Verbrechen begeht denn Petrus Aponus (d.h. Pietro d'Abano): „lequtl estant
professeur de medecine ii Bonlogne la grasse^ ioutes et quantes fois qu'il sortoit de la
viUe poiir aller visiter quelque malade se faisoit payer cinquanie esciis par jour'''' .
(cap. XVI)? Ich gestehe, dass ich die Kränkung nicht verstehe, die die
Italiener den Franzosen zufügen sollen, indem sie sie houtillons (cap. XXII)
nennen, obendrein noch nachdem sie ihren Brüdern jenseits der Alpen selbst
sovieles Beleidigende gesagt haben. Estieune ist im Unrecht, wenn er über
so massvolle Wiedervergeltung aufgebracht wird. Die Italiener verstehen
auch nicht wie Leute von Geschmack zu tafeln: ,,car ä Venise mesmement fay
ovy dire ä quelques seiyneurs quils avoyent appris des amhassadetirs du Roy de France
ä eux envoyez, que les perdreaux et les levrnux estoyent bons ä manger.^^ (cap. XXXIIJ)
Die Ärmsten wussten also vorher den Kebhühnern und Hasen keiuen Ge-
schmack abzugewinnen! Aber was hätte wohl der Verfasser der Apologie
dazu gesagt, wenn er bei Domenichi — der ihm vielleicht nicht völlig un-
bekannt war — gelesen hätte von jenem Franzosen, der einen Zahnstocher
verschluckt und „credendo che fosse Tultima vivanda e trovandola duro disse, che
diables /d?" (Facezie ecc, Venezia MDIC).
Beachtung verdienen die historischeu Äusserungen Estienne's. Nach-
dem er (cap. VI) vom Incest gehandelt hat, von welchem: ,.il est certain quil
s^en trouvera plus d'exemples d'Italie que d'autres pays . . . . et ce qui rend ceci
vraysemhlable, est le mulheureux proverbe c/ui est lii usitc touchant les pirts qui ont
des filks prestes ä marier" (ich bekenne, dass mir dieses Sprichwort unbekannt
ist, und da ich sehe, dass es Anderen auch so geht, steht zu hoffen, dass
mit der Zeit ausser dem Sprichwort auch das ^peccatillo^ verschwinden wird),
erwähnt er Sigismondo Malatesta „seigneur de la Romagnola" , der von seiner
eigenen Tochter einen Sohn hatte, wie Pontano berichtet. Und ferner:
„ Volaterran recite qii Antoine Cansiynore tua son frere Bartheiemi, pour jouir tont
seul de la seigneurie de Verone .... item qu'un nomme Pinus Ordelaphus tua pour
pareille occasiun son frere nomme Francois et bannit ses evfans item que Franqois et
Louys ßls de Guido Gonzayue duc de Mantoue tverent l'goli?i leur J'rire au lieu de
It'y faire bonne chere au soupper auquel ils Vavoycnt o nvie ponrce que le pcre Vavoit
174 F. Toldo.
iiiaterielleLi, nicht um moralischen Fortschritt, Fortschritt in der Zu-
bereitung der Speisen, in den Moden, in der Bequemlichkeit der
Häuser, insbesondere der Kultur, aber nicht etwa der Kultur, die
den Geist bildet und die neuen Generationen zu höherer Gesinnung
veredelt. Aber auch an dieser Stelle kommt die Genfer Einrichtung
laisse seul heritier de la ducke. Nous lisons nussi dhin Perins Fregose duc de Geimes^
<j>ti tua sonfrere nomine Nicolas^ pour h souspecon qu'il avoitqu'il ne se voulsist faire duc.
PareiUement Louys Marie fit mourir le fils de son frire, Galeace, pour jouir plus pai-
sihlement de la ducke de Milan .... Item un nomine Frisque fit mourir son pcre
duc de Ferrare pour esti-e duc.'-' Und auch Pier Luigi Farnese, Sohn Pauls III.,
hatte eine verbrecherische Zuneigung zu Cosmo Gheri, dem Erzbischof
vou Fano.
Diese historischen Angaben hat Estienne dem Werke von Battista
Fulgoso : De dictis factisque memorahilibus ecc. Mediol. 1509, sowie den Schriften
von Pontano {De imtnanitate, cap. XIII und XVII) entnommen. Auch Brau-
töme spricht in den Capit. esirangers von Sigismondo Malesta (jedoch nicht
von seinen Liebessünden), und gibt uns in demselben Werke Auskünfte über
jenen Pietro Strozzi, den unser Autor als schamlosen Atheisten und Gottes-
lästerer hinstellt. Bei Burckhardt, la civiltix del rinascimento in Italia (Firenze,
1900, II 223) findet sich eine Andeutung auf die vou Pier Luigi Farnese
versuchte Vergewaltigung des besagten Bischofs, aber ein ausführlicher
Bericht, dem gewöhnlich am meisten Glauben beigemessen wird, findet sich
bekanntlich bei Afiö, in der Vita dl Pier Lnigi Farnese. In Fn condottiere au
XVe siede, Sigismondo Malaiesta, Paris. 1882, studiert Yriarte diese Blüte der
Schurkerei, in geistvoller Weise und nicht ohne Enthusiasmus für die Kunst;
was den Jncest sowie den Anschlag auf den Sohn Robert anbetrifft, so
verfügen wir über keine andere Quelle als das bereits zitierte Werk von
Pontano (De immanitate in Opera, Napoli, 1505. vol. II. fol. 216 sgg.). Pius II.
excommunizierte den Malatesta später und erhob gegen ihn Anklage wegen
aller erdenklichen Verbrechen.
Mit Volaterran ist Jacopo da Volterra gemeint, der Verfasser des
Diario romano, das Muratori herausgegeben hat (P. Ital. Script. XXIII).
Es steht fest, dass Antonio della Scala, Herr von Verona und Vicenza, den
Bartolomeo, seinen Bruder, tötete, um die Herrschaft ganz an sich zu reissen.
(Cfr. Cipolia, Compendio della storia politica di Verona, Verona, 1900; desgleichen
das Spezialwerk von De Stefani, Bartolomeo ed Antonio della Scala, Verona,
1885). über Lodovico il Moro ist ein altes Gerücht im Umlauf, dass er
den Gian Galeazzo Maria Storza, den Herzog von Mailand^ und Sohn von
Graleazzo Maria, seinen Bruder, umgebracht habe (Cfr. P'ossati, Galeazzo
Sforza arvelenatore del Xipote? Teslimoniama di Simone del Pozzo in Arck. storico
lomhardo, 1904, vol. 2'^ fasc. 2".) Fresco war der illegitime Sohn von Azzo VIIL,
dem Marcliese von Este, und wurde in dessen letzten Lebensjahren sein
Vikar in Ferrara (1308). Der Vater starb während seiner Abwesenheit von
Ferrara und sollte nach einem im Umlauf befindlichen Gerücht von dem
Bruder Aldobrandino umgebracht worden sein, allem Anschein nach entbehrt
dieses Gerücht aber jeglicher Begründung. Fresco, der in Ferrara als
Erzieher seines Sohnes Folco, als des Erben von Azzo VIIL die Herrschaft
■vveiterführte, wurde verjagt, und musste mit seinem Sohne nach Venedig
flüchten, (Cfr. Litta, famiglie cehhri d' Italia. Este, tav. IX.) Wahrheitsgetreu
ist Estienne's Bericht über Franzesco und Luigi Gonzaga, die den Onkel
Ugolino bei einem Bankett umbringen (Cfr. Litta, op. cit. tav. II), _ aber
nicht minder wahr ist die Behauptung, dass man dann nicht wie ein gewissen-
hafter Historiker verfährt, wenn man alle Schändlichkeiten, die sich im
Leben eines Volkes vorfinden, auf wenige Seiten zusammengedrängt dar-
stellt. Wie würde sich tatsächlich die Geschichte Frankreichs ausnehmen,
L' Apologie pour Herodote von Henri Estienne. IIb
zum Durchbruch; für die Uiiwisseuhoit und Roheit werden Beispiele
aus den Reden der Geistiiclien herangezogen, sowie aus der peinlichen
Diskussion gewisser Auslegungen von Bibelstellen, aus der Unwahr-
scheinlichkeit der apokryphen Evangelien, aus den Pseudomirakeln,
den Beziehungen zwischen christlicher Legende und heidnischem
Mythus sowie der eigentümlichen nicht eben pietätvollen Ueberein-
stimmung zwischen dem Leben des heiligen Franciskus und dem Leben
Jesu.4) Verschiedene Bemerkungen des Autors bekunden viel Scharf-
sinn und sind Vorläufer der hagiographischen Kritik unserer Tage.
Einige Heilige verdanken ihre Namen der Unkenntnis des Griechischen.
Sankt Longinus ist „Santa Tifania". Der heilige Cosmos und Sankt
Damian haben Apollo's und Aesculap's Stelle eingenommen; Sankt Eloy
ist ein vorchristlicher Vulkan; Sankt Nikolaus ersetzt den Neptun;
Sankt Petrus und der Erzengel Gabriel führen die Botschaften aus,
die schon Janus und Merkur übertragen waren, und die heilige
Katharina wird bisweilen rittlinsfs auf einem Rade dargestellt wie
die heidnische Glücksgöttin, Die Papicoles leitetcten scherzhafter-
weise die Aemter der Heiligen von ihrem Namen ab; Sankt Matu-
rinus (vom ital. maito) beschützt die Geisteskranken; Mammard
heilt die Krankheiten der „mammelle'' , Sankt Acaire die acariastre,
Sankt Genou die Gicht, die ihren Sitz in den Knieen hat, Sankt
Crispin (von crespida) beschützt die Schuhmacher u. s. w. Jeder
Staat und jede Stadt rühmt sich ihres besonderen Heiligen, tutelares
dii der Alten; die Tiere selbst haben christliche Gottheiten zu
Beschützern und eine Heerschaar von Jungfrauen leiht ihren Namen
den Freuden und Schmerzen des Lebens und bevölkert Städte und
Wälder mit Legenden. 5) Und Estienne spottet über St. Doraenikus,
wenn man — von dem gebührenden Anteil absehend, der ehrenvollen und
glorreichen Thaten eingeräumt werden müsste — auf einem künstlich ge-
dunkelten Gemälde einzig und allein die Verbrechen zusammenstellen wollte,
die sie beflecken? Bei Aufstellung von Bilanzen tritt immer nur dann der
Sachbestand zu Tage, wenn Aktiva und Passiva einander gegenübergestellt
werden, und für Jemand, der so lange selbst in Italien gelebt und sich in der
Lage befunden hatte, die dortige Zivilisation und die künstlerischen Vorzüge
würdigen zu lernen, bedeutet es zum mindesten sträfliche Nachlässigkeit,
wenn er sich die aktiven Bestände entgehen lässt.
*) Unser Autor muss folgendes Werk im Auge gehabt haben: Bar-
tholomaei dePisis, de conformitate v'itae Francisci ad vil.am Domini Jesu Christi
Redemptoris nostri^ Mediolaui 1510 in f. — Mit Recht bemerkt Clemont: Meme
la vie de saint Franqois ne trouve pas grdce devant lui: il reste absohnnenl insensible
ä l'histoire des oiseaux nourris par le saint. d'nne pocsie sifraiche et si naive (1. C. p. 45).
^) Derlei Fragen wurden neuerdings von vielen behandelt; es sei mir
gestattet, auch meine Studien über das Leben und die Wunder der Heiligen
im Mittelalter in Erinnerung zu bringen (Cfr. Band XYl der Zeitschrift für'
verc/I. Literaturfieschichie, sowie die Artikelserie in Studien /, 420 u. ff.)
Neuerdings ist das gleiche Thema mit ausgeprägt katholischen Ten-
denzen aber gründlicher Gelehrsamkeit von dem „padre bollandista" H. Del-
ebaye in: Le lerjijende a<jiofjraJiche ecc. con appendice di Wilhelm Meyer, italienisch
190G in Florenz erschienen, behandelt worden. Dieser Verfasser bestätigt
176 P. Toldo.
der eine Scliaar Teufel im Leibe eines Kranken eingesperrt hatte,
über Heilige, die im Kostüme unserer Voreltern im indischen Para-
diese einherwandcrn, auch zieht er die Bußfertigkeit des heiligen
Makarius ins Lächerliche, der sich sieben Jahre lang auf Dornen
bettet, weil er einen Floh zerquetscht hat. Mithin dürfte man sagen,
daß unser Autor frei von allem Aberglauben und Sektenvorurteilen
sei, aber wer dies behauptet, scheint mir keine zuverlässige Kennt-
niß seines Werkes zu besitzen. "Wenn er im 39. Kapitel die Taten
des Pfaffen Robert Bissen (wenn anders diese Interpolation von ihm
herrührt) übersetzt, billigt er die abergläubischen "Wahngebilde von
Jean Ferael, dem Arzt Heinrichs H., der au Besessene glaubte, und
besondere Heilmittel ersann, um sie von den Dämonen zu befreien,
und in demselben Kapitel behauptet er auch, daß viele Geistliche
Diener des Geistes der Finsternis sind und direkt mit der Hölle im
Verkehr stehen. ,,Quainsi soit Van 1538 furent hridez quelques
prestres en Savoye pour estre sorciers et entr'autres fut brüle un
ä Rolle (qui est im bürg ä quatre Heues de Lausanne) ensemhle
sa paillarde qui estoit aussi sor eiere! lequel confessa avoir esti
vint quair'' ans sorcier, pendant lesquels il rCavoit laisse de chanter
ordinairement sa messe. Ce qui me fait dire qu'il y a un grand
accord entre le dieu de la messe et le diahle", eine Erwägung, die
nicht gerade für seinen kritischen Scharfsinn spricht, da er dem an-
geblichen Teufelswerk dieser armen Geistlichen Glauben beimißt und
sich somit als Kind seiner Zeit dokumentiert, ja sogar in dieser
Beziehung hinter vielen kühnen und freisinnigen Denkern des XV. Jahr-
hunderts zurücksteht.
So berichtet er auch ohne jeglichen erläuternden Zusatz das
Geschichtchen, das von Jean Fernel erzählt wird über jene Person,
die beim Verspeisen eines Apfels den Teufel mit hinunterschluckte,
welche Erzählung die Erinnerung wachruft an die im Mittelalter weit
verbreitete und u. a. von C. von Heisterbach wiedergegebene Legende
von der Nonne, die den Geist der Finsternis verschluckt, der sich
zwischen den Blättern eines gewissen Salates platt gedrückt hat, um
sich ihrer bemächtigen zu können. Ein Echo solchen Aberglaubens
(und hier handelt es sich sicher nicht um Interpolation) findet sich
auch in Kapitel XXVI, da, wo von der „rero/e" oder jener Krank-
heit die Ptcde ist, die von den Italienern als die französische und
den heidnischen Ursprung verschiedener christlicher Legenden, bekämpft
aber zugleich die seiner Ansicht nach zu weitgebenden Schlusst'olgeruugen
verschiedener Kritiker. Man vergesse nicht, dass Grangousier in Rabelais
Werke (I cap. XLV) nicht nur das heidnische Element im Heiligenkultus
konstatiert, sondern obendrein den Aberglauben von Pilgern missbilligt,
die überzeugt sind, dass der heilige Sebastian die Pest als Strafe verhängen
kann. — Cfr. auch den Artikel des Dr. H, Jolet in Revue des ctudes Rabelai-
siennes, 1906, 3" fascicule, p. 199 sqq. Der Artikel trägt den Titel: Rabelais
et les saints preposis caix maladies. — Auch im Cymbalum Mundi ist von Heiligen
die Rede, die gewisse Leiden heilen sollen und verspottet werden.
L^ Apologie pour HSrodote von Henri Estienne. 177
von den Franzosen als die neapolitanische Krankheit bezeichnet wird.
Estienne beklagt sich, daß die Aerzte nach Heilmitteln suchen, weil
dieses Leiden eine Strafe sei, mit der Gott die Sünder heimsuchen
wolle, weshalb es nicht gestattet sei, sich seinem Willen zu wider-
setzen. Da nun ein gut Teil der Leiden, von denen die Menschheit
betroffen wird, eine Folge unserer geheimen Sünden ist, so läßt sich
leicht ermessen, wohin wir schließlich gelangen würden, wenn wir
diese allerneueste Theorie ernst nehmen wollten! Auch fehlt jede
Kundgebung der milderen Sinnesart eines neuen Zeitalters in den
Ausführungen unseres Autors über schwere Bestrafungen und entsetz-
liche Torturen, die von keinem Wort des Mitleids für die armen
Opfer begleitet sind, von keinem Protest gegen die zwecklose Grau-
samkeit gewisser von den Richtern verhängter Proben der Unschuld
(Kap. XVni). Gegen die von den Katholiken angezündeten Scheiter-
haufen erhoben die Protestanten des 18. Jahrh. mit vollem Recht
ihre Stimme. Henri Estienne hat dem „Loh der Narrheit'' von
Erasmus einige Proben von Satzverstümmelungen entnommen, mit
deren Hilfe die Geistlichen die heilige Schrift anders aussagen ließen,
als sie wirklich aussagte, um die Berechtigung der Ketzerverbrennung
nachzuweisen. Aber auch Calvin ließ die Feinde seines neuen Glaubens-
bekenntnisses in den Flammen umkommen und von beiden Seiten
schienen also diese Flammen dazu bestimmt, die religiösen Ansichten
zu läutern und die Gewissen zu erleuchten. Schwach sind auch die
Argumente, die von Estienne gegen den Ritus der Katholiken ange-
führt werden, so weiß er gegen das ,,sacrifice messatique"- nichts
anderes vorzubringen, als gewisse veraltete Geschichten von Hunden,
Mäusen und Pfei'den, die, ohne vom Strafgericht des Himmels getroffen
zu werden „/g dieu de paste", d. h. die geweihte Hostie gefressen
hatten. Aber die Verfehlungen von Menschen der verschiedensten
Gattungen, sowie von Tieren, besonders da die letzteren für unver-
nünftig gelten, sind doch keine hinreichenden Beweise, den "Wert einer
Religion oder die Existenz Gottes abzuleugnen. Der Protestantismus
Estienne's hat überdies etwas unsicher Schwankendes und es ist
bekannt, daß die Calvinisten einen Prozeß gegen ihn anstrengten und
gewisse Stellen seines Buches gestrichen zu sehen verlangten. Die
Humanisten sind im Grunde genommen alle etwas heidnisch veranlagt
und das Studium der alten Philosophen beläßt ihnen selten den ein-
fachen und aufrichtigen Glauben der Demütigen an die Wahrheiten
des Christentums.
Doch dies sind noch nicht die schwersten Mängel der Apologie.
Obschon in der von ihm aufgestellten Thesis ein Körnchen "Wahrheit
zu finden ist, z. B. über die Wahrscheinlichkeit, die je nach Zeit
und Ort wechselnd, sich nicht mit der Wirklichkeit decken kann, so
steht andrerseits fest, daß der Autor nicht begriffen hat, wie die
Legenden nur Umgestaltungen wirklicher Begebenheiten sind, Um-
wandlungen, die um so tiefer greifen, je weiter sie ins ferne Altertum
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI i. 12
178 P. Toldo.
zurückreichen — und sicher noch bedeutender gestalten sich die
Veränderungen, die aus einer fernliegenden, volkstümlichen Ueber-
lieferung hervorgingen. In den Berichten, die über Griechenland und
Rom vorliegen, fordern die Gelehrten unserer Tage geduldig nach
etwaigem realen Tatbestand und die negative Arbeit der zersetzenden
Kritik hat feineren und scharfsinnigeren Richtungen Platz machen
müssen. So viel durch den Lauf der Jahrhunderte gereifter kritischer
Sinn läßt sich gerechterweise von Estienne nicht voraussetzen, aber
einiger Zweifel an der antiken Wahrheit hätte sich auch in seinem
Geiste Bahn brechen können. Ueberdies, und hier haben wir das
am schwersten belastende Moment, bestehen die Dokumente, mit deren
Hilfe er den Nachweis erbringen will, daß sein Jahrhundert, so wie
das vorhergehende schlechter sind als die verflossenen, in den aller-
meisten Fällen in kleinen Geschichten, in Anekdoten, die direkt mit
der Volkstradition oder mit von ihr inspirierten Werken in Berührung
stehen, sodaß wir die Frage aufwerfen könnten nach dem erst zu
erbringenden Beweise, ob z. B. die Frauen unserer Tage schlechter
sind als die Zeitgenossinnen von Penelope, Lucrezia (warum nicht auch
von Helena und Messalina?), wenn unser Autor die Abenteuer des
im Taubenhaus oder in einer Tonne eingesperrrten Ehemanns erzählt,
oder der Gattin, die ihrem Manne die Augen zudeckt, um dem Lieb-
haber Zeit zum Entrinnen zu verschaffen? Hier handelt es sich ja
um Erzählungen, deren Urbilder in den Schriften des uralten Indiens
zu lesen stehen, und die ihr Leben am Gestade des Nils oder Ganges
fristeten, bevor sich Herodot zur Abfassung seiner eigenen Geschichten
anschickte. Dasselbe läßt sich von der Geschichte behaupten, in der
ein Mann vorgibt eine Gottheit zu sein, um sich die geliebte Frau
leichter zu Willen zu machen, und von dem bereits im Pantschatantra
oder in den Abenteuern des Pseudoscamandro des Aeschines die
Rede ist. Und somit ist es unvermeidlich, daß unser Autor dem
Altertum als modern entgegensetzt, was einerseits nicht weniger antik
ist als die Erzählungen Herodots, und daß die Beschuldigungen, mit
denen er die Geistlichen seiner Zeit überhäuft, schon den Priestern
Buddas, Griechenlands und Aegyptens vorgehalten worden waren.
Dieselben historischen Tatsachen, zu denen Estienne greift, um seine
Streitschrift nachhaltig zu stützen, haben öfters nichts Geschichtliches
an sich, außer dem bloßen Namen, und es ist doch z. B. eine
bekannte Tatsache, welcher Wert heutzutage Legenden beizumessen
ist, die über den Papst Sylvester und die Päpstin Johanna im Um-
lauf gesetzt waren.
Und ist die Behauptung denn wirklich richtig, daß die Welt
mit zunehmendem Alter immer schlechter wird? Estienne selbst scheint
daran zu zweifeln, da er am Schlüsse seines Werkes von der Freiheit
spricht, die zu seiner Zeit die Anhänger des Protestantismus in so viel
höherem Grade genießen, auch widmet er ja verschiedene Kapitel der
in der alten Welt so allgemein verbreiteten Unwissenheit, die den
L' Apologie pour Herodote von Henri Estienne. 179
Priestern des Cliristentums es ermöglichte, mit der Herrschaft über
Leib und Seele Mißbrauch zu treiben. Der Hymnus auf die Neuzeit,
der im Fantagruel eines Rabelais so kräftig erklingt, findet einen
Wiederhall in den Schriften unseres Autors, der zur besseren Bekräftigung
seiner Doktrin die Erinnerung an den Ruhm grieschicher und römischer
Kunst und Literatur hätte Nvachrufen müssen, deren erneuten Studien
die wieder aufblühende Kultur der Renaissance zu verdanken ist. Was
ist aber im Grunde genommen diese Apologie! Ein Buch, das einen
gelehrten Mann zum Verfasser hat, der jedoch kein ernstes literarisches
Ziel ins Auge faßt, ein Buch, das infolge steter Abschweifung vom
eigentlichen Thema dem Verfasser die Möglichkeit gewährte über einen
Lieblingsautor zu reden, von Moden und Bräuchen, der Geschichte der
Vergangenheit wie der Gegenwart zu plaudern, und insbesondere aller-
hand Ausfälle gegen seine politischen Feinde, die Italiener, und seine
religiösen Gegner, die Geistlichen einzuflechten. Die Hauptbedeutung
des Werkes beruht auf dem steten Heranziehen von Beispielen, die
es Estienne ermöglichen, allerhand Erzählungen aufzutischen, die dem
Anscheine nach moralischen Zwecken dienstbar gemacht, so unflätig
wie möglich sein können, ohne den strengen Anstandssinn der Protestanten
zu beleidigen. Gelegentlich bekundet unser Autor wohl auch ein Gefühl
der Beschämung und des Widerwillens solche anstößige Anekdoten
berichten zu müssen, aber seiner zur Schau getragenen Schamhaftigkeit
ist nicht allzuviel Glauben beizumessen. Geschichten, die ihn wirldich
peinlich berührten, hätte er ja recht gut verschweigen können, denn
um darzutun, was moralisch und was unmoralisch ist, braucht man
doch nicht gerade dem Leser schlüpfrige Dinge vorzuführen und ver-
letzende oder obscöne Bilder aufzudrängen. Hierzu täte ein anderes
Verfahren not! Estienne erzählt, woher es kam, daß im Frankreich
des 16ten Jahrhunderts die Novellen so willkommene Aufnahme fanden
und somit auch der Verkauf eines Werkes gesichert erschien, das mit
Vorliebe Abenteuer in der Manier des Boccaccio berichtet, weil gerade
diese Sorte von Erzählungen die Möglichkeit bietet, nicht nur den
Klerus lächerlich zu machen sondern auch einen gewissen Hang zur
lebhaften und witzigen Stichelei zu befriedigen, den die Predigten der
Calvinisten in ihm nicht zu ersticken vermochten. Lachen ,.parce
que le rire est le propre de rhomme" und ,.bene vivere et laetaii^"
das sind Maximen Rabelais' und Des Periers', die von der zahllosen
und zügellosen Schaar der Novellisten und burlesken Dichter Frankreichs
in diesem Zeitraum wiederholt werden, nach der Beendigung so vieler
innerer und äußerer Kämpfe, nach so vielen moralischen und oekonomischen
Umwälzungen, aus denen ein allgemeines Bedürfniß erwachsen war,
endlich einmal frei aufzuatmen und die Lebenskräfte, die durch soviel
öffentliches und privates Mißgeschick geschwächt worden waren, durch
freudige Stimmung zu heben und andauernd zu kräftigen.
Aus Rabelais entnimmt unser Autor eine gewisse Manier Vokabel-
reichtum und lustige Aufzählungen anzuhäufen, eine Art von
12*
180 P. Tokio.
musikalischen crescendo, wie z. B. die Besclireibung der guten Mönchs-
■werke, die darin bestehen: „ä faire sonner, chanter, gr^inguenoter
marmoter, hrimhoter. ... ou harhoter force messes " und jene
andere von der fröldichen Abtei du Bec, einem Schnabel, der viele
gefräßige Bäuche ernährt {Äp. 11). Und erinnern die Heiligen
Pansard, Mangcard und Crevard vielleicht nicht (wie Clement scharf-
sinnig bemerkt) an Gargantua und an seine Familie? Ulmmeur du
piot erheitert öfters die Personen der Apologie und streng calvinistische
Ansichten tauchen flüchtig und unangebracht inmitten der geilen An-
klänge an Boccaccio und Poggio auf.
„Uintroduction au traite de la conformite des vierveilles an-
ciennes avec les modernes ou traite pir.paratif ä Vapologie poiir
Herodote"' trägt als Datum l'an MDLXVl au mois de novembre"" , die
Frage nach den benützten Quellen müßte sich somit leicht lösen lassen:
Estienne kann doch nur solche Werke benutzt haben, die vor diesem
Datum anzusetzen sind, und außerdem wird man ihm einen gewißcn
Zeitraum für die Abfassung und Drucklegung seines eigenen Werkes
zubilligen müßen. Jedoch finden sich in der von L. Duchat besorgten
Ausgabe der Apologie Interpolationen, die augenscheinlich späteren
Datums sind: So ist z. B. am Ende des löten Kapitels von einem
Mönchsbetrug die Rede, der sich zugetragen: „Fan mit cinq cents
soixante neuf a Ausbourg „ und dasselbe Datum liegt noch
für ein anderes Abenteuer ähnlichen Genre's vor, das im 21sten Kapitel
(p. 500 ff.) „l'(i,n niil cinq cens soixante neuf" ^) berichtet wird. You
wem stammen diese Interpolationen? Rühren sie von Estienne selbst
oder von fremder Hand her? In der Vorrede Ristelhuber's findet sich
keine Lösung dieses Problems; Le Duchat ist sogar der festen Über-
zeugung, daß alles was er veröffentlicht, aus der Feder Estienne's
geflossen ist.
Auf alle Fälle steht fest, daß die genaue Bestimmung der späteren
von Estienne selbst berührenden Zusätze zur ersten Ausgabe im höchsten
Grade wichtig ist, weil zwischen der Apologie und den Joyeux Devis,
für deren Verfasser des Periers gilt, samt seinen Mitarbeitern , Nicolas
Denisot und Jacques Peletier, Beziehungen bestehen, die sich öfters
nicht bloß auf Ähnlichkeiten beschränken, sondern völlige Überein-
stimmung nach Form und Inhalt bekunden. Les nouvelles recr^ations
et joyeux devis erschienen 1558, ungefähr vierzehn Jahre nach dem
Tode ihres mutmaßlichen Verfassers und enthielten neunzig Novellen;
zwei weitere waren der Ausgabe von 1561 beigefügt; Galiot du Pre
vermehrte die Ausgabe von 1568 um zweiundreißig Nummern und
fügte der nachfolgenden Auflage nochmals fünf hinzu, Sic stan-
tibus rebus, würde Estienne für die ersten neunzig oder höchstens
zweiundneunzig Nummern als Nachahmer zu gelten haben, für alles
*) Die beiden zitierten Erzählungen fehlen in der Ausgabe Ristelbubers.
IJ Apologie poui' Hcrodote von Henri Estienne. 181
Nachfolgende hat er selbst keine Nachahmer sondern vielmehr Ausbeuter
gefunden. Tatsächlicli dürfte man vielleicht an vorliegender Hypothese
festhalten: aus einem eingehenden Vergleich zwischen den Devis und
den Erzählungen der Apologie gewinne ich die Erkenntnis, daß bis zu
Nummer 91 der ersteren sich nirgends der Nachweis direkter Nach-
ahmung erbringen läßt, dieselbe beginnt vielmehr erst mitNummer92 und
wird immer dreister in den folgenden Nummern, um schließlich mit
seitenlanger wörtlicher Wiedergabe zu enden. Nur für den Fall, daß es
sich bei einer genaueren Prüfung sämtlicher Ausgaben der Apologie
herausstellte, daß die späteren Interpolationen von einer fremden Feder
herrühren, oder daß über den Autor der Devis neue Entdeckungen zu
Tage gefördert werden — was recht wenig wahrscheinlich ist — wird
man von der Annahme absehen dürfen, daß unser Autor, der selbst
die Schriftsteller der voraufgehenden Zeit so häufig nachahmte und sogar
abschrieb, in dem von uns angegebenen Falle über ein ganz beträchtliches
Guthaben verfügt. Im Übrigen bleibt freilich auch noch das Bedenken
bestehen, daß beide Autoren von einem dritten abschreiben, vielleicht
auch von verschiedenen, die meiner Forschung entgangen sind").
Die Ausgabe ßistelhuber's ist noch reichlicher wie die von
L. Duchat mit guten Anmerkungen ausgestattet, und die mutmaßlichen
Quellen aus Boccaccio, Poggio, Margarethe v. Navarra sowie die Über-
einstimmungen mit den Devis sind äußerst sorgfältig verzeichnet.
Aber Ptistelhuber hat es nicht für nötig befunden zu eingehenden Ver-
gleichen zu schreiten, so daß der Leser völlig im Unklaren verbleibt
über die Beschaffenheit dieser Quellen und auch ebenso wenig zu
unterscheiden vermag, ob es sich um wörtliche oder freie Nachahmung
oder bloß um ähnliche Züge handelt. Wie ersichtlich, zitiert Estienne
selbst in vielen Fällen seine Vorbilder, so daß die Aufgabe des treff-
lichen Herausgebers leicht und sicher vorgezeichnet war. Das Forschen
nach unbekannten oder zweifelhaften Quellen wäre wichtiger gewesen,
und da Ristelhuber sich nicht damit befaßt hat, so werde ich es auf
den folgenden Seiten versuchen, sei es auch nur um künftige Studien
'') Clement, der diese Frage mit viel Scharfsinn in Angriff nimmt,
gelangt zu der Schlufsfolgerung, dafs Estienne als Gläubiger zu gelten hat,
bei dem Anleihen erhoben worden. Demnach glaube ich die Annahme nicht
absolut ablehnen zu dürfen, dafs in bestimmten Fällen unser Autor und der
Verfasser der Devis einen dritten ausgeschrieben haben können, weil viele
recuells von Novellen selten geworden sind, so selten, dafs sie mir nicht
immer meinen Wünchen entsprechend zugänglich waren. Dieser Umstand
würde auch eine Erklärung dafür bieten, dafs Estienne sicli niemals über
literarische Freibeuterei heschv/ert. Seine eigenen Schulden stimmten ihn
gegen diejenigen nachsichtig, die ihm wiederum zu Dank verpflichtet waren,
auch konnte er sich doch nicht über Benachteiligung beklagen, wenn Andere
ihm nur das wieder entzogen, was er erst Anderen entzogen hatte. Übrigens
gibt CS kein stoffliches Gebiet, auf dem, was das Thema anbelangt, weniger
erfunden wird als in der Novellistik, und auch Estienne nahm, wie Moliere,
sein Gut, wo immer er es vorfand, ohne Bodenken für's Geben wie für's
Nehmen.
182 P. Toldo.
nach dieser Richtung hin zu fördern und nocli eingehender hetriebenen
Forschungen einen Dienst zu leisten 8).
Für meine Untersuchung lagen die beiden Ausgaben von L. Duchat
und Ristelhuber vor, indem ich zugleich diejenigen Erzählungen niclit
außer Betracht ließ, die sich einer zweifelhaften Vaterschaft rühmen
können und weniger Wert darauf legte, dem Ursprung und der Ausbreitung
gewisser traditioneller Stofie nachzuforschen, als vielmehr die direkte
Quelle unseres Autors festzustellen, sowie die Art und Weise, wie er
dieselbe verwertet. Auf diese Weise vermögen dergleichen historische
Forschungen das ästhetische Studium eines Literaturwerkes zu fördern,
da der Wert eines Schriftstellers sich nur dann bestimmen läßt, wenn
man eine möglichst klare Vorstellung besitzt von dem, was wirklich als
sein Eigentum bezeichnet werden kann, von dem, was Anderen zuzu-
weisen ist, und zugleich die Erkenntniss erlangt hat, ob derlei Nach-
ahmungen scharfen Verstand und natürliche Erzählerkunst bezeugen.
Möge mir, einem bereits langjährigen Erzieher der Jugend,
gestattet sein, ein Beispiel anzuführen, das der Schulerfahrung entlehnt
ist. Der Lehrer erzählt eine historische Begebenheit oder berichtet
von einer sittlich bedeutenden Tat und fordert die Schüler auf, das
Gehörte nach Gutdünken auszuarbeiten. Die jungen Leute notieren
sich die wichtigsten Daten der Erzählung und fangen dann selbst an
zu schreiben, indem sie Eigenes hinzufügen, d. h. zusetzen, weglassen
und dem weisen Ratgeber Manzoni folgend „hinzudenken". Aus der
Verschiedenheit der Gestaltung, die das Thema annimmt, erkennt ein
scharfsichtiger und sorgsamer Lehrer die geistige Beanlagung seiner
Schüler in Bezug auf Verstandesschärfe und den Charakter und kann
auch in mancher Beziehung ihr Gemüt und ihre Bestrebungen ergründen.
Das gleiche Verfahren müssen auch diejenigen einschlagen, die sich
mit dem Studium der vergleichenden Novellistik zu befassen haben,
und wenn ein überlieferter Bericht ein literarisches Gewand anlegt,
kann die historische Forschung nicht unabhängig von der ästhetischen
verfahren, sie will sich dann klar darüber werden, was der Schrift-
steller Eigenes hinzugetan hat, an neuen Bemerkungen, an der Kunst
der Rede, an der Art des Hervorhebens gewisser Momente, den scharf-
sinnigen oder gutmütigen Schlußfolgerungen, mit anderen Worten
der echten Persönlichkeit des Künstlers. So werden z. B. Boccaccio
^) Betreffs der von mir nicht angegebenen Quellen verweise ich die
Leser auf Ristelhuber, der es sieb angelegen sein liefs, die Anleihen bei den
Vüae painium, der lez/endn aurea, den Kirchenschriftstellorn, den französischen
Historikern, sowie an verschiedenen anderen Stellen, wo unser Autor Pontano
Bandello, Castiglione und Battista Fulgoso zu Dank verptlichtet ist, genau
zu bezeichnen.
Auch die Nachahmungen des oder der Verfasser der fJevis, die nach
der zweiten Auflage anzusetzen sind, also nach dem Zeitpunkt, wo Estienne
sein Werk schon veröffentlicht hatte, sind ebenfalls in der citiorten Ausgabe
Ristelbubers einzusehen.
L' Apologie pour Herodote von Henri Estienne. 183
und La Fontaine unzweifelhafte Originalität bekunden, obscbon sie
Stoffe bebandeln, die scbou von Tausenden bearbeitet sind, während
andere Novellisten, die als servile pecus zu gelten haben, Alles ver-
derben, was sie nur anrühren und die anmutigsten Erzählungen
farblos, weitschweifig und tölpisch ungeschickt umgestalten.
Estienne kann — meiner Ansicht nach — keiner der beiden
Kategorien eingereiht werden. Seine Arbeit ist überhastet, mit
polemischen Nebenansichten, es fehlt ihr die notwendige Ruhe, die
allein den Aufstieg zur wahren Kunst ermöglicht. Bisweilen erzählt
er mit großem Scharfsinn, aber noch öfter macht er Wendungen nach
rechts und nach links, kürzt ab, modifiziert, um die Novelle seiner
beabsichtigten Beweisführung anzupassen; häufig schreibt er ab und
übersetzt ohne sich daraus ein Gewissen zu machen. Gewöhnlich greift
er zum Thema, in dem er vorausschickt, ,.jetzt fällt mir eine Anekdote
ein, die gut zu dem von mir Gesagten paßt-*, oder „weil ich nun
Das einmal erzählt habe, kann ich auch noch recht gut das Andere
hinzuzufügen", und so reihen sich die Geschichten aneinander, wie
bei einer fröhlichen Unterhaltung, wo Jeder sein Teil beisteuert. Am
Eingang des XXV. Kapitels beklagt sich Estienne, daß sein Gedächtnis
ihm öfters einen schlimmen Streich spiele: „ains, me fait souvent
aitendre, et suis contraint ce pendant de traiter quelque autre
point, des exemples duqiiel je luy puis faire rendre comte.'' Kurz,
bisweilen führt der Inhalt der einzelnen Kapitel die Anknüpfung der
Erzählung herbei, bisweilen regt aber auch diese wiederum zur
Gestaltung des ganzen Kapitels an. Viel ist ihm daran gelegen, daß
seine Leser fest von der Wahrheit seines Berichtes überzeugt sein
sollen. Auch in dieser Beziehung enthält seine Vorrede sehr aus-
führliche Erklärungen. Meine Gegner werden nun behaupten: ^'ay
escrit des contes. S'ils prennent ce mot de contes ponr liistoires,
je le confesse : sHls le prennent autrement je leur nie."' Und das
genügt noch gar nicht, die Mehrzahl seiner wahren Geschichten:
,^jamais aiiparavänt n'avoyent este redigees par escrit,''^ daher erhebt
er Anspruch auf eine gewisse Originalität, auch behauptet er in Bezug
auf bekannte Novellen: „fay choisi (ceUes) qui par Vopinion de
plusieurs juges competens se trouvoyent les plus adniirables," kurz,
wir haben es mit einer wirklichen Blumenlese zu tun. In den
wenigen Fällen, wo er selbst nach Vorbildern arbeitet, gebührt ihm
doch immerhin einiges Verdienst, sei es auch nur das der Abkürzung „ . . .
serre en demie page iel conte qu'on avoit estendu en deux eyitieres."
Diese letzte Erklärung ist zugleich die einzige, die der Wahrheit
entspricht.
Nach allem, was ich über die Wahrhaftigkeit des Berichtes
unseres Autors geäußert habe, ist und bleibt es merkwürdig, daß er
selbst darauf besteht historische Dokumente von den Geistlichen zu
fordern, die Ileiligenlcgenden berichten. Eure einzige Begründung,
ruft er aus, besteht aus einem: on dit und an lit, um mich zu über-
184 P. Toldo,
zeugen, sind andere Dinge erforderlich.'') Und doch sind seine eigenen
exempla nichts anderes als Geschichten, die ganz auf dieselbe Weise
mit on dit und an Ut anheben. Wo liegt denn ein historisches
Dokument vor in dem Bericht von der Ehefrau mit dem schielenden
Gatten, oder für das Abenteuer von Messer Lambertaccio oder wie
ein Advokat zwei Klienten foppt!
Auch auf Estienne paßt die Beschuldigung, die er gegen die
Kirchen-Schriftsteller und Prediger erhebt : ,,d'accomoder leurs contes'-'
dem gerade behandelten Thema. Nur allzu wahr ist das Wort des
Evangeliums, daß man eher den Splitter im Auge des Nächsten als
den Balken im eigenen Auge sieht!
Obschou Estienne beteuert, daß er eine große Anzahl Geschichten
kennt und nur Das, was ihm am besten dünkt, ausgewählt hat, so
steht fest, daß er von ein und denselben in verschiedeneu Kapiteln
und für verschiedene Zwecke mehrmals Gebrauch macht, sodaß eine
frühlich aufgeputzte List in dem einen Fall den Beweis (d. h. Das,
was die Vertreter des Gesetzes in Frankreich la j^ißcß justi/icative
nennen) für weibliche Verderbtheit erbringen muß und anderswo
durch das gleiche Zeugnis „les larrecins de nostre temps'"' oder
„les vices rej^ris es gens d'eglise'' bloßstellt. Bisweilen linden wir
eine flüchtige Anspielung auf eine Geschichte, die an einer anderen
Stelle ausführlicher behandelt wird, sodaß es den Anschein gewinnt,
als ob den Autor im Moment, wo er sie in Angriff nimmt, die Reue
packte, sie lieber bei besserer späterer Gelegenheit verwerten zu
wollen; bisweilen finden sich auch Varianten ein und derselben
Geschichte vor, wie wenn unser Autor eine vergleichende Prüfung
derselben vorgenommen hätte.
Wir betrachten Estienne weniger als den Protestanten, der für
eine andere reinere Glaubensauffassung gegen Priester und Mönche
kämpft, im Konflikte der Gegenwart und der Vergangenheit, der
einer aufrichtigen tiefen Überzeugung entstammt, sondern vielmehr
als Vorläufer Voltaires, der analysiert und kritisiert, nicht um zu
schaffen, sondern um zu zerstören, nicht um zu crmahnen sondern
die Lachlust zu wecken. Die frommen Legenden sind lächerlich und
abgeschmackt, die Gebräuche der katholischen Kirche Allegorien ver-
drehter Art, die Geistlichen unwissend, habsüchtig, lasterhaft, die
Klöster Brutstätten aller nur denkbaren Laster usw., aber nachdem
Estienne diese Behauptungen ausgesprochen hat, erweitert, wiederholt
und dokumentiert er sie mit seineu prächtigen exempia, ohne jemals
das tröstende Wort von der Rechtfertigung durch den Glauben aus
zusprechen, oder auf das wahre Kreuz hinzuweisen, um das die echten
Gläubigen sich scharen sollen. Im Grunde genommen hatte Estienne
mit dem Papst Leo X., über den er soviel Schlimmes zu berichten
weis, und in noch höherem Grade mit den italienischen Humanisten
") Siehe Ristelhuber, 2. Band. S. 206.
L' Apologie pour Herodote von Henri Esiienne. 185
ganz wesentliche Berührungspunkte. Wie bereits gesagt wurde, hatten
ihn die Werke, die aus seiner Druckerei und aus seinem Hirn her-
vorgingen, zum Heiden gemacht, lo)
Abgesehen von einer großen Frische des Stiles und seineu her-
vorragenden linguistischen Verdiensten, besitzt unser Autor eine Gabe,
die, wie ich bemerke, von seinen Anhängern nicht beachtet worden
1") Unser Autor hat hier zweifelsohne eine gute Veranlassung sich
lustig zu macheu, und Niemand, der auch nur ein Fünkchen Verstand
besitzt, wird ihm Unrecht geben können, wenn er über allerhand Misstände
spottet, wie Reliquienhandel, bedenkliche Spässe von geistlichen Herren
und insbesondere über gewisse Bücher, die Geistliche zu Verfassern
haben oder von ihnen gepriesen werden, wie: „Le quadragesimal spiritml, c'est
assavoir la salade, les ferbres fr'des^ les poi/s passez, la puree, la lamproye^ le saff'ran,
les oranges etc." in Paris im Druck erschienen bei der Wittwe Michel le Noir,
um 1521, „avec la revue et correction de deux vcnerahles doctevrs en la faculle de
iheologie de Pai-is'- (cap. XXXVII p. 277 ed Ristelhuber). Die gedünsteten
Bohnen sollen die Beichte sowie das Gute, was sie bewirkt, bedeuten, die
„pojjs imssez" bedeuten die Busse, die ,.pitree-' ist zugleich Je propos de
sog ahsienir de peche", und in dieser tollen Weise wird die ganze Allegorie
weitergeführt. Dasselbe gilt von den Beschuldigungen, die unser Autor
gegen die Raubgelüste des Klerus erhebt (cap. XXIII), sowie den Missbrauch
des Beichtstuhles (cap. XXI) und die Unwissenheit der Geistlichkeit. Doch
ist Manches absichtlich boshaft übertrieben. Ein Verfasser von Heiligen-
geschichten schildert die Jungfrau Maria, die : „dicebat horas snas in Hehraeo'-'
und Estienne übersetzt: ,Ja vierge Marie (disoit) les heures de Notre Dame'"''
(cap. XXXIII). Mit vollem Recht spottet unser Autor in Kap. XXXV: „rfe
plusieurs sortes de quesiions, et aucunes non moins meschanies que frivoles, dont aussi
estoyent garnis lesdicts prescheurs" und ob es wohl nach der Auferstehung
möglich sein werde zu essen und zu trinken; warum Jesus lieber St. Petrus
als St. Paulus die Schlüssel der Kirche übergeben habe, oder auch; „utrum
Deus potuerit suppositare mulierem, vel diabohan, vel asinum, vel cucurbitain, vel silicem,
sowie: utrum deus posset peccare si vellet^\
Unser Autor macht sich über das Latein von Barletta nnd anderen
geistlichen Schriftstellern lustig, ohne zu beachten, dass die von ihm zitierten
Werke gar nicht für den Druck bestimmt waren, sondern bloss Anmerkungen
zu Predigten enthielten. (Cfr. Galletti, Fra Giordano da Pisa etc. in Giom.
stör, della lett. iial. XXXI. 212 if. und Luigi Mareuco, foratoria sacra
itallana nel media evo, Savoua, Ricci 1900 passim und besonders an der Stelle,
wo von Barletta die Rede ist.)
Auch sonst noch lässt sich Estienne ähnliche Scblussfolgerungen und
Maugel an kritischem Verständnis zu Schulden kommen. Es handelt sich
doch nur um vulgäre Possenreisserei, wenn er gegen die Mönchsorden
Einwände wie folgende vorbringt: gras comme un moine sagt das Si^richwort
und die nahe Beziehung zwischen „Moiiaci e maiali"- (München und Säuen)
wird an dem Umstand erwiesen, dass St. Franziskus: en sa vie ayant gouveme
vn troupeau de pourceaux „vouliit en sa viort avoir en gouvernement un troupeati de
moines''. (cap. XXII). Priester und presbittr ist nicht aus dem Griechischen
abzuleiten und ist nicht gleichbedeutend mit alt sondern vielmehr: prae aliis
hibens ter (cap. XXIX) inid um die Diener des katholischen und protestan-
tischen Kultus zu unterscheiden, — wie er bemerkt — sein Augenmerk zu
richten auf den, der : „ne paillardoit poiat, li'yvrovgnoit point, ne juroit point et . . .
alleguoit la suincte Escriture". Dieser — wie kaum bemerkt zu werden
braucht — wird der Priester des neuen, von Luther verkündeten Glaubens
sein (cap. XX).
186 P. Toldo.
ist, und die dennoch hervorragend und unbestreitbar ist: er beobachtet
scharf. Er hat Augen für die l<lcinen und großen Gebrechen des
sozialen Organismus, der sich nicht verschlechtert, wie er annimmt,
mit zunehmendem Alter, dessen dunkle Flecken um so schärfer her-
vortreten, je mehr das Licht der Zivilisation an Intensität gewinnt,
je mehr die Zahl der Verkehrswege zunimmt, mit je rascherem Flügel-
ßchlage Kunde nach allen Richtungen dringt. Estienne gleicht einem
Seine historischen Zitate beanspruchen im allgemeinen nicht viel
höheren Wert. Allgemein bekannt ist der falsche Bericht vom Tode
Heinrichs VII. (cap. XXIV), nur ein parteiisch beeinflusster Kardinal bezeugt
die Wahrhaftigkeit des abgeschmackten Berichtes von der geweihten Hostie,
die Gregor VII. in's Feuer geworfen haben soll, und was die Narretei an-
belangt, dass Julius II. die Schlüssel St. Petri in den Tiber geworfen habe,
so handelt es sich in diesem Falle bloss um ein rhetorisches Gleichnis und
Epigramm. Andere, zum Teil wahre, zum Teil falsche Anklagen bringt
Estienne gegen Alexander IL und Lucrezia vor, die eine sündhafte Neigung
miteinander verband; wie er behauptet, unterhielt Paul III. striäfliche Be-
ziehungen zu seiner eigenen Tochter Konstanze, verheiratete sie mit einem
Sforza, den er nachher aus Eifersucht umbringen liefs. Er war ausserdem
ganz offenkundig der intime Freund seiner eigenen Schwester, die er ver-
giftete, weil er zu bemerken glaubte, dass sie seine Gefühle nicht entsprechend
erwiedere. Gift ist die Waffe der Päpste: „Jesmnin Hildebrand qui pour
parvenir au papat, avoit faict mourir de poison sept ou huict papes^\ Papst Ju-
lius III. ist Sodomit und sein „Knabe" erinnert an Ganymed, wie die
Dichter ihn schildern: „ce que je dl pour l'avoir reu et contemple ä Foisir, et
7nesmement %ine fois quil estoit a table avec son Jupiter.'-'' Übrigens wird in Rom,
und insbesondere am päpstlichen Hofe die Sodomiterei als galantes Treiben
beurteilt: „Notis llsons en la vie du pape Slxte IV quil ottroja a tonte la famille
du Cardinal de S. Luce d'aroir la compiagnie ckariielle des masles durant trois mois
les plus chauds de Va^inee. Pareillement ce qu'on lit m la rie d^ Alexandre VI, qu'il
permit ä Pierre Mendozze £spag7iol, cardinal de Valence, de faire son Ganymede de
son fils haslard nomine le marquis de Valence (cap. XXXIX)."
In Kapitel XL, dem letzten Kapitel der Apologie, verbreitet sich unser
Autor eingehend über den päpstlichen Hochmut. Alexander III. forderte,
dass der Kaiser Friedrich einen Kniefall vor ihm tun sollte und setzte ihm
sogar den Fuss auf den Nacken; Clemens V. zwang den venezianischen
Gesandten Francesco Dandalo zum Tragen von: „en son col nn colier teJ quon
le niet avx chiens, et aynnt et colier (lässt er ihn einhergehen) ä quatre pieds du
long de la grand' sah du palais d'Ävignon." Hadriau IV. befiehlt Friedrich, ihm
den Steigbügel zu halten; Bonifacius VIII. misshandelt Philipp den Schönen
und excommuniziert ihn bis ins vierte Glied, und schliesslich: Jl nous faut
noter ce quescrit Mackiavelle, a scavoir que les papes se sont faicts grans par trois
choses, par excommunications, par pardons et par armes."
Diese und ähnliche Beschuldigungen liest man in den : Scriptores duo
anglici Barus et Balcus quos nsqiie ad Paulum V continuavit Lgdius (Lugd. Bat.
1615, p. 271, 506, 558 und passim) Über Alexander VI. und seine Sünden
vermeldet Pastor in seiner „Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittel-
alters'' uns nichts, das Diarium Burchardi, von Thuasne herausgegeben (der
Schreiber der Aufzeichnungen war Zeremonienmeister am päpstlichen Hofe)
berichtet hingegen zahlreiche Einzelheiten, die sicherlich nicht dazu geeignet
sind, das Haupt dieses Papstes mit der Aureole der Heiligkeit zu verklären.
Was Lucrezia anbetrifft, so hat bekanntlich Gregorovius (Lucrezia Porgia^
Stuttgart 1874) die Erkenntnis gefördert, dass die Beschuldigungen häufig
die Grenze des Wahren überschritten haben. Paul III. (Alexander Farnese)
L' Apologie poiir Ilerodote von Henri Esiienne, 187
lächeluden Zuschauer, aber bisweilen wird sein Lächeln wehmütig,
weil er recht gut weis, daß für die Übel, die er feststellt, keine Abhilfe
zu finden ist, ja nicht einmal ein lutheranisches oder kalvinistisches
Linderungsmittel. Bei anderer Gelegenheit wandelt sich das Lächeln
zu einem herzhaften Gelächter, dem sonoren Lachen Rabelais', der
ihm so zuwider ist und in dem er doch vielmehr eine verwandte Seele
begrüßen sollte. Und alsbald gleiten vor unseren Augen heimliche
Liebespaare, lächerliche und groteske Ehrenmänner, verschmitzte und
sittenlose Priester, Kaufleute mit allerhand zweifelhaften Händeln und
unwissende Ärzte vorüber. Und Estienne führt uns mit sich in die
Häuser der Bürger, auf Straßen und öffentliche Plätze. Er zeigt uns
die Münze, die im Umlauf ist und warnt uns vor den beschnittenen
und unechten Stücken; er führt uns in Magazine mit allerhand Stoffen
und enthüllt uns die Betrügereien, die sich hinter vielverheißenden
fremdländischen Beziehungen verbergen; mit ihm treten wir in
Apotheken, die Gift verabreichen, in Schreibstuben von Advokaten,
die ihre Klienten zu schröpfen wissen, zu Gerichtshöfen, die Schrecken
einflößen durch stete Chikane, prevöts, deren Gerichtsverfahren wie
Tortur wirkt, die zerfleischen und ausrauben, eine bunte, wechselvolle
Welt, die in steter Bewegung den Kampf ums Leben kämpft, nach
Geld Jiascht als dem Mittel und nach Genuß als dem eigentlichen
Endzweck. Aber die Vision, die sich unserm Blick bietet, ermüdet
und wirkt entmutigend. Nehmen wir dagegen das Decameron.
Sicher enthält es manches Verdorbene, aber es treten uns doch auch
sympathische Gestalten entgegen, wie das liebende Weib, das seine
Seele über der Leiche des Verlobten aushaucht (L), die wackere
Frau, die die sterblichen Überreste des schuldigen Gatten vor dem
Biß der wilden Tiere schützt (LXVII), die keusche Bäuerin, die den
Tod der Schande vorzieht (II), die liebevolle Gattin (XXXVIII) und
die Jungfrau, die den Verfülirungskünsten ihres Herren widersteht
(XLII). Und wenn wir den Blick auf das Jahrhundert wenden, das
der Zeit, in der unser Autor lebte, nachfolgt, so begegnen wir einem
der besten Kenner des menschlischen Herzens, Meliere, und erfreuen
uns an dem wirkungsvollen Kontrast zwischen seinem Tartuffe, seinen
ungetreuen Ehegattinnen, seinen mißratenen Söhnen, entehrten Greisen,
einfältigen Dienerinnen, die zugleich verschmitzt und liebevoll sind,
sowie Heroen, tragisch in der Schuld wie Don Juan, den der Blitz
des Himmels versehrt ohne ihn zu erschrecken, oder Ritter ohne
Furcht und Tadel, Vertreter des Ideals wie der Misanthrop, der zu
hatte tatsächlich eine Tochter Konstanze, die 1545 starb iLitta, Famiißie
celebri iVItalia tav. X). Aber für Incest liegt kein Beweis vor. Über Leo X. kann
man sich eine klare, von unserm Autor grundverschiedene Auflassung durch die
Lektüre von Nitti {La poUtica di Leone X, Florenz 1892) verschaffen, was endlich
die Geschichte von Francesco Dandolo und Clemens V anbetrifft, so verweise
ich auf Foscarini (J)dla letter. reneziana, libri Otto, Padova, 1752, L. III, nota
333), der sie energisch in Abrede stellt.
188 P. Tüldo.
eifrig und zu ehrlich ist, um sich in der relativen Ehrlichkeit der
Welt zurechtzufinden.
Das Bild, das unser Autor vorführt, hat dagegen wenig Erfreuliches
an sich, überall finden sich nur Betrug, Betrogene und Betrüger, und
selbst Lucrezia, die einzige ehrsame Vertreterin der Ehegattin, die in
der Apologie auftritt, beurteilt unser Autor mit den Worten des
heiligen Augustin: Si adultera, cur laudata? si pudica. cur occisa?
Kein buddhistischer Asket hat jemals heftigere Angriffe gegen erheuchelte
weibliche Tugend vorgebracht; Juvenal hat ganz recht sie „superlatives
cn cupidite de vengeance" und Meisterinnen jedes Lasters zu nennen,
und Plato verstand es sie sich günstig zu stimmen durch Verheißungen
von allerhand Gesclienken.
Dennoch hat diese ausgesprochene Verachtung von Frauentugend
Estienne nicht abgehalten sich dreimal zu verehelichen und vierzehn
Kindern das Dasein zu schenken und ich glaube, daß sein Skeptizismus
ihn ebensowenig hinderte liebevolle Freunde zu haben, auf die Zu-
kunft zu hoffen und Trost zu suchen in der geistigen Arbeit, deren
mächtige Wirkung auf kommende Geschlechter er verspürte. In der
Zeit der Renaissance regt sich auch in den Werken der Skeptiker
ein neuer Lebenshauch, und angesichts des Frühlings der Zivilisation
erschließen sich selbst kalte Herzen der Hoffnung. Die Maiensonne
wirkt so erfreulich nach frostigem Winternebel! Erst später, wenn
der Mensch zu der Überzeugung gelaugt ist, der Kunst und der
Wissenschaft abgerungen zu haben, was sie zu bieten vermag, wenn
das Fieber der Eroberungslust im Erlöschen ist, wird die Enttäuschung
der Romantiker und der Zweifel der Gemüter erwachen, die in der
Wirklichkeit keine Befriedigung finden. Die Apologie erscheint in
der Zeit hellströmenden Lichtes, und ein Strahl dieses geistigen
Frühlings fällt auch trotz aller anscheinenden herben Schroffheit, auf
diejenigen ihrer Blätter, die sich vorteilhaft vom übrigen Inhalt
abheben.
Vergleichende Aiimcrkuiigeu.
Fürsten, Geistliche und Gesandte.
Alexander und der Seeräuber.
(Apol. cap. XV.) Die witzige Autwort des Corsaren an den
grossen Macedonier wurde von einer großen Anzahl Geschichts-
schreibern und Novellisten wiederholt (s. Köhler, Kleinere Schriften
ed. Bolte, 2. Band, p. 559, und meinen Artikel Alpliahetum nar-
rationum im Arcli. f. d. Stud. d. neueren Sprachen 1907). Unser
Autor kann folgenden Passus von Erasmus (Lingua ed. Amsterdam,
1703 vol. IV p. 677) vor Augen gehabt haben:
{Apol.) „Or entr' atUres coursaires [Lingua) „Narrant et piratam quen-
anciens est renomme en cas de hardiesse. dam cum ad Alexandrum Magnum adduc-
celuy qui estant amene ä Alexandre et tus, rogaretur qua ßducia fuisset ausus
U Apologie pour FUrodote von Henri Estienne. 189
ayant este par luy inlerroyue comment il infesiare mare: Ego, Inqiiit, quoniavi id
osoit entrepreiidre de ienir les pnssages parvo navigio facio pirata vocor, tu cum
de la mer, et y exercer tels larrecins; idem J'acias tmmerosa c/«mc, rex appel-
„Moy [dict-il) pource quejefay cela avec /ar(s."
un seid petit vaisscau, suis appele larron :
tot/ qui Jais le pareil cn-ec un grand ncm-
hre de vatsseanx, es appele roy."
Die Hörner der Biscliofsmitra.
Im XXXVII. Kap. der Apol. finden sich zweimal Anspielungen
auf den allegorischen Sinn der Hörner der Bischofsniitra. Nach der
Ansicht einiger Theologen bedeuten sie die Kenntnis, die die Bischöfe
haben sollten und dennoch nicht haben, vom: „vieil et nouveau tes-
tamenf^. Unser Autor schließt diesem Ausspruch folgende Verse an:
„La mitre de deux part cornue,
Science certaine, absolue
Du vieil et nouveau testament,"
Köhlerei) in seinem Kommentar zu dem libro di novelle antiche (von
Zambrini^2^ herausgegeben) und speziell zu dem Berichte „wie Giotto
der Maler sich zweier Fragen zu entledigen wußte, die ihm ein
Gesandter von Bologna stellte" gibt verschiedene Parallelen an. Aber
in der Novelle des Zambrini^S) werden zwei Fragen und Antw-orten
angeführt; die erste ist die bereits oben erwähnte, die eine analoge
Lösung findet, die andere, von unserem Autor unerwähnt gelassene,
zieht auch noch die Bedeutung der beiden hinten an der Mitra herab-
hängenden Bänder in Betracht: „Giotto, der bemerkte, daß er (der
Kardinal, der die Fragen stellt) sein Wohlgefallen an ihm hatte und
ihn nur foppen wollte, sagte: Die beiden Bänder bedeuten, daß die
Mitra tragenden Hirten von heutzutage weder das alte noch das
neue Testament kennen und deshalb beides hinter sich werfen."
Vielleicht schöpfte unser Autor aus Schwank 185 a des Poggio,
von dem er wohl nur eine schwache Erinnerung bewahrt hatte, viel-
leicht weil er hier nicht wörtlich nachahmt, wie es sonst sein Brauch ist,
vielleicht aber auch, weil er mit diesem Schwank vor Augen schwerlich
den zweiten Teil ausser Acht gelassen haben würde, wo auf die Un-
wissenheit der katholischen Geistlichen gestichelt wird.
Die spaßhafte Excommunikation.
(Apol. cap. XXXVI.) Ein Pfarrherr erhält den Auftrag, alle
diejenigen zu excommunicieren, deren Namen auf einer ihm zugeschickten
") Reinhold Köhler, Kleinere Schriften, ed. Bolto, Berlin 1900. vol. 2
p. 566.
12) 72 ed. Romagnoli, Scelta di curiosita letter. disp. XCIII.
^^) Entnommen aus dem Commento alla divina Cümmedia d' Anonimo ßorentino,
X. IL p. 188, als Erläuterung zu den bekannten Versen des XI. Gesangs
des Purgatorlo:
„Credette Cimabue uella pittura
Teuer lo campo, ed ora ha Giotto il grido".
190 P. Toldo.
Liste verzeichnet sind. In der Zerstreutheit steckt der würdige Priester
die Liste in einen Spalt der Kanzel, und als er später nicht mehr
im Stande ist, sie herauszuziehen, ruft er: ich excommuniziere alle
diejenigen, die sich: dedans ce irou befinden.
Das gleiche Verfahren schlägt ein Pfarrherr in den Devis
(Nov. XXXVI der editio princeps 1558, d. h. früher als die Apol.)
ein, der mit den nämlichen Worten diejenigen excommuniziert, deren
Namen auf dem „en ce trou /d" verborgenen Blatte stehen. Estienne
fügt noch eine weitere komische Einzelheit hinzu: „II est hien vray
que tost apres ayant un peu mieux pensS ä ceux qui estoyent de-
dans le irou (cest ä dire ä ceux qui estoyent escritz au papier
lequel y esioit tombe), il dict qiCil exceptoit monsieur de Paris et
■son official.''
Von dem Prälaten, der zu fluchen pflegt.
Davon handelt cap. VI der Apol. Zitiert wird hier Barletta
als Quelle.
Ein Prälat konnte den Mund nicht öffnen, ohne die schwersten
Gotteslästerungen vorzubringen und während er flucht, beschwört er,
daß er niemals fluche. Genau so beträgt sich ein Edelmann, von dem
Domenichi in einem seiner Schwanke berichtet (eJ. Venezia MDIC
p. 238.)
Wie ein Prediger seine Zuhörer zum Lachen und
zum Weinen brachte.
(Apol. cap. XXXVI.) ^Du nomhre desquels fut un Corde-
Her, qui ayant gage de faire en wi mesme temps rire une moitie
du peuple et pleurer Vautre et ce jour du grand vendredi (autre-
ment dict la vendredi sainct) usa de ceste invention. 11 prit un
hahillement qui cstoit fort court par derriere, et ne vestit p)oint
de haut de chausses: puis estayit en une chaire posee au milieu
du peuple, et qui n'estoit point dose par derriere, quand il vint
« faire ses grandes exclamations contre les meschans Juifs, et ä
dSclarer les grands tourmens quavoit endurez nosire seigneur
Jesus C/trist, il baissa tellement la teste et les espaules en croi-
sant les bras, qu'il descouvrit toutes ses posterieures; lesquelles
voyans ceux qui estoyent derriere ceste chaire, ne se purerd tenir
de rire, au Heu que ceux qui estoyent devant estoyent esmeus ä
pleurer, tant par les propos qu'il leur tenoit, que par les simagrees
qu'il faisoit. Voilä comment il gangna la gageure, ayant faict
pleurer une partie du peuple et rire Vautre en un mesme temps,
voire en un mesme instant."'
In der XLIV. Novelle des Morlini (p. 88 ed. cit.) steht zu lesen:
„Oratoriae facultatis monachus magnae dicacitatis diem in-
dixit quo sua in oratione adstantium jyartim riderc, partim plorare,
L' Apologie pour Hcrodoie von Henri Estienne. 191
partim severos ac tristes faciuriret. Et convocatis omnium reli-
gionum oratoribiis, adest dies muneri dicatus. Tunc influunt
turhae viri feniinaeque omnis dignitaiis atque aetatis. Sicque
cavea templi plena turhae, exordire ac de passione Domini fari
inßt, et adeo fiehili vocida, adeo pie exorare coepit, quod mulieres,
senes (omnes äd plorandum hahiles) in lacrymis prorumpunt.
Juvenes vero, quum non faciliter ad lacrymas prorumpuntur,
nimia severitate tristes a concionantis ore pendere videhayitur.
Verum, quia pone suggestmn magna pars turbae abstabat, monachus,
se pronum faciens in pulpito velui aliqui incense dicturus, elevatis
in altum lacrimis, retro adstantibus dunes, anum, inguenque
ostentabat ..."
Die Streiche des Predigers Roberto Caracciolo di Lecce.
(Apol. cap. XXXVI). Unser Autor berichtet Verschiedenes und
entnimmt den Stoff nach seiner eigenen Angabe dem Werke des
Erasraus. Wir geben hier den ersten Streich wieder, zugleich mit
dem Original, das fast Avörtlich nachgeahmt ist:
„ Ü7i autre cordelier nomme par Erasme Robertus Liciensis
s'estant vante en un banquet qu'il pouvoit faire venir les larmes
aux yeux ä ses auditeurs toutes et quantesfois que hon luy
semhloit, fiit mocque par un de la compagnie, disant qu'il n'estoit
pas assez hahile komme pour faire pleurer quelques personnes
d'esprit, mais seidement piourroit faire pleurer quelques femmes
des plus idiotes^ ou les petits enfants. Alors ce moine hien
fasche de ceste mocquerie, luy dict: Vous donc, monsieur, qui
faites tant de grave, trouvez-vous demain en mon sermon en la
place que je vous assigneray vis ä vis de moy^ ä la charge que
si je ne vöus fay sortir des larmes des yeux, je donneray un
hon banquet ä la compagnie: si je vous en fay sortir, vous le
donnere s''.
Die Wette wird angenommen. Am folgenden Tage predigt unser
Robert mit aller Beredsamkeit, deren er fähig ist, dann (sich seinem
Gegner zuwendend) ruft er aus: „0 cueur plus dur que fer, 6
cueur plus dur que diamant. Lefer se fond par le feu, le diamant
est surmonte par le sang de houc: et moy quoy que je face, je
ne te puis tant amollir que tu jettes une seule lärme. Et ne se
contenta de dire tcne fois ce propos, mais le reitera tant de fois,
criant tousjours de plus fort en plus fort, qiCen lafin celuy contre
lequel il avoit gage, ne se peut garder de pleurer ..."
Und Erasmus, De ratione concioiiandi, libro III, an der Stelle,
die von Robertus Liciensis handelt: „Is quum in convivio in quo
simul acumbehat Vicarius quidamde grege observantium, vir eruditus,
pius et gravis, jactaret, se posse, quoties vellet, auditoribus excutere
lacrymas, ex eo refutare cupiens quod alter objecerat infrugiferas
esse conciones illius^ quod nee oratio ex animo proficisceretur.,
192 P. Tokio.
nee viki congruerat cum oratione: Quibus, inquit Vicarius, tu
excuteras lacrymas, nisi forte pueris aut inestis mulierculis'?*
Robert erzürnt sich und schlägt eine Wette vor, genau wie in
der obigen Version, dann begibt er sich zur Kirche und spricht als
Prediger folgendermaßen zum Vikar: 0 cor plus quam ferreum, o
cor adamante durius: fernim igni Uquescit, adamas sanguine
hircino vincitur: ego quum nihil non faciam non possum ex te
vel unam exiundere Lacrymulam. Nee desiit lianc iirgere apostrophen
magnis clamorihus., donec Vicario ermyiperent lacrymae . . .
Ein Prediger vergleicht das Leben Jesu Christi
mit dem Leben gewisser Soldaten.
(Apol. cap. XXXVI). „Aussi parlait bien profanement (en-
eore que ce ne fust sans faire rire) celuy qui disoit ä quelques
soldais quil voyoit en son presche: 11 est de vous en toutes choses
ainsi que de Jesus Christ. 11 jut pris, aussi serez vous. IL fnt
lie de eordes comme un larron, aussi serez vous. 11 fut fouette;
aussi serez vous. 11 fut mene au gibet, aussi serez vous. 11
descendit aux enfers, aussi fairez vous, mais il en revint, vous
y demeurerez.'"'
Ich weiß nicht, woher diese Geschichte stammt, die später ohne
wesentliche Abänderungen (Spitzbuben statt Soldaten) in der Elite
des contes du sieur d^Oicville (ed. Brunet, Paris, 1883 vol. I p. 280)
auftaucht: „D'im eordelier qui fut coniraint de faire une predication
ä des voleurs . . . Messieurs, je ne sgaurois traiter plus dignement
que comparer voti'e vie ä celle de N. Seigneur Jesus Christ . . .
IjCs juifs guettoient continuellement pour le prendre, le grand
prh'ost et les archers en fönt de mcme pour vous attraper. 11
fut trahi par Judas, Vun de vous auires trahira ses compagnons.
11 fut pris, mene, lie et garrot6, aussi jerez vous sans doute.
11 fut fouette de verges, aussi serez-vous, si vous ne Vavez dejä
ete. 11 fut pendu entre deux larrons: on vous verra bientöt de
meme. 11 descendit aux enftrs, aussi ferez-vous. 11 monta apres
aux cieux, mais vous ne partirez point de lä et demeurerez avec
les diables ..."
In der Elite finden sich noch andere Vergleiche zwischen Jesus
und den Spitzbuben und es erscheint ganz begreiflich, wie leicht bei
einem derartigen Thema Zusätze und Streichungen zu bewerkstelligen
waren.
Der cholerische Pfarrherr.
{Apol. cap. XXXIX) ,,A ce mesme propos il ne faut pas
oublier celuy qui chantant sa messe en un Heu qui avoit veue sur
son jardin, ainsi quil tenoit son dieu de paste par dessus sa teste,
ayant appereeu au mesme instant un garson monte sur un sien
cerisier, commenga ä erier: descen par le diable ..."
L' Apologie pour Uerodote von Henri Estienne. 193
Ganz ähnlich lautet die Nov. 89 des Sacchetti: „i^ prete di
Moni' Ughi, portando il corpo di Cristo a uno infermo, veggendo
uno SU im siio fico, con parole nuove e disoneste lo grida, poco
curandosi dei sacramento che avea tra le mani."'
Es handelt sich hier um eine kleine durch mündliche Über-
lieferung Aveitverbreitete Geschichte, die beide Autoren benützt haben
müssen.
Der verräterische Gesandte.
(Apol. cap. XV). Dequoy il me souvient avoir leu un exemple
digne de memoire en iin livre d'Erasme qu'il a intitule Lingua . . .
Es ist eine Übersetzung.
(Apol) Pendant que f estois en Angle- (Lingua), ed. cit. p, 6S4). Agebamus
tere, vint au Bog un Italien amhassadeur id iemporis in Anglia^ cum Italus quidam,
du pape Jule {deuxieme de ce nom) en- homo mire dextri ingenü, sed parum felix,
voge pour animer ce Uog ä faire la guerre eo legaius veniret Julii nomine, quo regem
aux Franqois. Or apres avoir exjpose ad bellum in Gallos accenderet. Isposte-
sa legation au conseil prive du dict prince, aquam in concilio perorasset ex more, eique
luy agant este respondu que sa majeste regis nomine responsum esset: regis qui-
estoil en bonne deliberation d'embrasser dem animum vehementer propensum esse
son parti, mais qu'il lug seroit difficile ad propugnationem dignitatis pontificiae,
d'assembler si soudain forces süffisantes caeterum Britanniae regnum jam diuturna
pour combattre un Roy si puissant, d'autant j)ace desuevisse bello, et rem fore cum
que le royaume d^Angleterre, sous une longue rege potentissimo, itaque non posse repenie
paix avoil discontinuc fexercice des armes, fieri quod peteretiir, sed opus esse temporis
un mot luy eschapa duquel il se poiiroitbien spatio ad tanti belli apparalum; ille ma-
passer, car il vint ä dire que desia il avoit gis incaute quam scelerate, cum nihil esset
remonstre cela audict Pape. Lequd pro- necesse quicquam addere, subjecit sese
pos fit enirer en souspeqon les seigneurs qui eadem praedicasse Julio, Ea vox excepta
estoyent lii, que combien que ce personnage mox suspicionem injecit inagnatibus, quod
fust ambassadeur du pape, il portoit toutes Pontijicis oratorem pi-ofessus, nonnihil fove-
fois quelque faveur au roy de France. . . " ret Gallo. ..."
Der Zweifel wird später zur Gewißheit und der unredliche Gesandte
empfängt seine Strafe.
Von dem Gesandten, der die Königin von Navarra küßt.
(Apol. cap. III). Ein Gesandter, der Margarethe von Navarra
einen Brief zu übergeben hat, erhielt zugleich den Auftrag, ihn (den
Brief) zu küssen, bevor er ihn überreiche. Er begeht den Irrtum,
die Königin selbst zu küssen.
Es kann sich um eine wirkliche Begebenheit handeln, obgleich
ich keine Spur davon im Heptameron finde. Ich erinnere daran,
daß der 104. Schwank des Poggio von einem anderen Gesandten,
einem Toskaner, handelt, der zu Johanna, der Königin von Neapel,
geschickt, sich nicht mit einem Kusse begnügt, sondern auch ein
Plätzchen in ihrem Bette begehrt. Die Königin antwortet: Haben
euch die Florentiner auch noch diesen Auftrag gegeben? Das Ver-
hältnis Poggios zur Apologie ist schwer zu bestimmen, da aus dem
Schwank des ersteren der Grund der dreisten Forderung nicht er-
sichtlich wird.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI'. 13
194 F. Toldo.
Die Justiz: Advokaten, Spitzbuben und Wucherer.
Grausamkeit eines Ricliters.
(Apol. cap. XVII). Ein Richter läßt irrtümlicher Weise einen
unschuldigen jungen Menschen zugleich mit seinem Vater, der ein
ausgemachter Spitzbube ist, an den Galgen hängen, indem er ausruft:
„Pe7idez, j^ßndez, il en feroit hien d'autres.'^ Der Bericht gemahnt
an LXI der Joyeux devis (ed. princeps 1558): „.De la sentence
que donna le prevost de Bretaigne, leguel fit pendre Jehan Trubert
et soll fils.'-'
Estienne zitiert das Witzwort seines Richters in der Vorrede
zu den Fontes juris civilis (cfr. Clement, «. a. 0. p. 102).
Die Freude an Rechtshändeln.
(Apol, cap. XVII). „Or desia du temps du Roy Loinjs on-
zieme il se irouva un evesque si amoureux de ce deduit (d. h.
der Rechtshändel) que ce Roy le voulant despesirer d\ine infinit^
de proces, il le supplia fort afectueusement de luy en laisser au
moins vingt cinq ou trente pour ses menus plaisirs."'
In dem XXXIV, der Joyeux Devis (d. h. in der editio
princeps von 1558) liest man gleichfalls: Der Bischof von Milo
war ein großer Liebhaber von Prozessen, und der König verbot ihm,
um seinem Ruin Einhalt zu tun, Klagen anzustrengen, „Quand
Vevesque veid que ses proces s'en alloyent ainsi ä neant, il s'en
vint au Roy et le suppliayit ä jointes inains qiiil ne les luy ostast
pas tous, et qiiil luy pleiist au moins luy en laisser une douzaine
des plus beaux et des medleurs pour s''esbattre."'
S. jedoch Kap. V Buch III von Rabelais i^) und die Schwanke von
Domenichi (ed. Venezia, MDIC p. 3), wo von einem Neapolitanischen
Edelmann die Rede ist, der Vorwand zu Prozessen suchte, um sich
die Zeit zu vertreiben ,^non si curando altrimenti che eile havessero
fne, perchh quando fussero state formte, sarebbe mar cito nelV
otio ..."
Von dem Geizhals, der den eigenen Sohn verklagt,
weil er zur Heilung des Vaters Geld verbraucht hat.
In Kapitel XVII der Apologie ist von einem gewissen Prevost
de la Vouste die Rede, der so geizig ist, daß er den eigenen Sohn
vor Gericht zitieren läßt, weil er Geld für seine Heilung ausgegeben hat.
Dieselbe Anekdote findet sich in der Fcatommiti von Giraldi
Cintio, Deca VIII. nov. 5 „Filopatro, essendo Filocrisio suo padre
infermo, lo vota ad Esculapio, promettendogli due ialenti, se il
") Cf. Panimjruel III. cap. VI. Panurge sagt zu Pantagruel: „Cest pour-
guoi Je vojts prirois volunüers que de debtes me laissez qtielque ceriiurie, comme le roy
Loys unziesme, jectant hors de proces Miles d'IlHers, evesque de Chartres, feut
importune luy en laisser quelqne un pour se exercer'''.
L' Apologie pour Ilerodote von Henri Estienne. 195
padre riciiperava la sua salute. Risanato il padre, ed inteso il
voio fatto dal /igliuolo adempito, l'accusa di furio al senato
Ateniense; il quäle leva la roba al padre e la da alfigliuolo;
ed egli si diporia con lui henignameyite.^'
Advokaten und Klienten,
(Apol. cap, VI). Ein Advokat, der nicht gleichzeitig die Ver-
teidigung zweier Klienten, die einen Prozess mit einander führen,
übernehmen kann, wählt sich die Sache des Ersten und schickt den
Anderen zu einem Kollegen, mit folgendem Empfehlungsbriefe: ,^Deux
chappons gras me sont venus entre les mains, desqicels ayant clioisi
le plus gras, je vous envoye Vautre : je plumeray de man coste,
plumez du vostre.'^
Etienne schreibt hier XCIX der Joyeux devis ab und
deutet die benutzte Quelle an, d. h. Olivier Maillard (20. Predigt
des Adventus)
Ein unverbesserlicher Spitzbube.
{Apol. cap. XV.) Ein zum Galgen Verurteilter wird begnadigt
und treibt es schlimmer denn je, stiehlt die Kleider von Brautleuten,
beraubt den Kerkermeister etc. Schließlich wird er ohne Gnade und
Barmherzigkeit gehängt. Diese kurze Geschichte ist die fast wört-
liche Wiedergabe von CXI der Joyeux Devis.
Man vergleiche die .37. Novelle des Morlini, die von dem selt-
samen Abenteuer eines Spitzbuben berichtet, der sich bereits mit dem
Strick am Halse noch rettet und sein Lurapenleben weiterführt, bis
er ein zweites Mal, und diesmal regelrecht, aufgehängt wird.
Der unvorsichtige Spitzbube.
{Apol. cap. XV.) Unser Autor bezeichnet Erasmus {Lingua,
ed. cit, p. 687) als Quelle, die er nachahmt oder vielmehr übersetzt,
und wird selbst wieder zum (teilweise direkt nachgebildeten) Modell
der No. CVII der Nouvelles recreations et joyeux devis; „Quod
dicam — berichtet Erasmus — accidit aput Anglos Londini, in
aedihus, in quibus tum agebam. Für quidam pier tegulas irrep-
serat in aedes venandi gratia. Nee successit venalus ; prodidit
hominem strepitus, ortus est tumuüus etiam vicinis concurrentibus.
nie videns tumidtum, miscuit se turbae, velut unus e numero vesti-
gantiiim furem atque ita fefellit. Cum putarent furem elapsum,
desitum est arcentibus, decrevit exire per ostium, credens futurum
ut illic falleret, quemadmodum fef ellerat in venatu. Et fefe Hisset,
nisi tarn parum continentem habuisset linguam; quam habebat
manus parum abstinentes. Oßendit pro foribus complures de füre
confabulantes. Et hie male precatus est furi, cujus gratia per-
didisset pilemn. Exciderat autem fugitans, pileum, quod exceptum
13*
196 F. Tokio.
est in hoc, est eins indicio für jiosset aliquando depreliendi. Ex
ea voce nata est snspicio. Caj^tus est, corifess^is est et pependif"^.
,,Erasme donc raconte — so lautet die Erklärung Estienne's —
ceci estre advenu a, Londres, en une maison en laquelle il demeii-
roit. Un larron estoit entre par le tatet en ce legis poitr voir
s'il y trouveroit point quelque hoime adveniure. Mais le bruit
qicil mena fit assembler les voisins. Ce que Ivy voyant se mesla
parmi la foule, comme estant Ihm de ceux qui cerclioyent le
larron, et par ce moyen se garda d'estre descouvert. Un peu
apres, voyant le bruit apaise, et qxCon ne cerchoit plus le larron,
d'autant quon pensoit quHl fust eschappe, se delibera de sortir
par la porte, ne craignant aucunement d'estre congnu. Mais par
faute d'estre maistre de sa langue, il se donna luy mesme ä
cognoistre, et se mit la corde au col. Car ainsi quHl pensoit
sortir, ayant rencontre ä la porte plusieurs qui devisoyent du
larron, en le maudissant, vint ä le maudire aussi, disant qiiil luy
avoit faict perdre son bonnet. Or faui-il noter que cependant
que ce rxistre taschoii ä se sauver, fuyant tafitost ga, tantost la,
son bonnet luy estoit tombe, lequel on avoit garde en esper ance
qu'il donneroit des enseignes du larron. Quand donc on luy eut
ouy dire cela, entra incontinent en souspegon; tellement quil
fut pris et ayant confesse, pendu."
Und hierzu der Verfasser der Devis: Un appreniy larron
estant entri par le toict en une maison, pour voir sHl ne trou-
veroit point quelque bonne adveniure, fut descouvert par ceux
qui estoyent dedans, ä raison du bruit quil avoit mene, y entrant:
qui fut occasion que les voisins d^entour s'assemblerent pour veoir
que c estoit; mais le larron, voyant que chascun entroit ä foiile
pour le chercher, descendit, par quelques adresses qu'il avoit
remarquees, et se vint rendre parmy la foide du peuple qui en-
troit pour le chercher, et, par ce moyen, se garda d'estre des-
couvert. Un peu apres quil eust veu le bruict appaise, et quon
ne cherchoit plus le larron, d'autant qiion pensoit qu^il fust
eschappe, se delibera de sortir par la porte, feignant estre demeure
seid pour le chercher, ne craignant aucunement d^estre congneu ;
mais, par faute d'estre maistre de sa langue, il se donna luy-
mesme ä connoistre, et se mit la corde au col; car, ainsi quil
pensoit sortir, ayant rencontre plusieurs ä la porte qui devisoient
du larron en le maudissant, vint ä le maudire aussi, disant qu'il
luy avoit fait perdre son bonnet. Or faut-il noter que, pendant
que ce rustre taschoit ä se sauver, fuyant tantost ga et tantost
lä, son bonnet luy estoit tomb^, lequel on avoit garde en esperance
qu'il donneroit des enseignes du larron. Quand donc on luy eust
ouy dire cela, on entra incontinent en soup>gon; tellement qu'il fut
prins et incontinent pendu, pour avoir trop parle.''
L' Apologie pour Hcrodote von Henri Estienne. 197
Ein anderes Spitzbubenuuternehraen ähnlichen Genres.
(ApoL cap. XY.) Auf die vorangehende Erzählung folgt in
unserem "Werke die ganz ähnlich verlaufende von den Plünderern
des Pallastempels. Auch hierfür wird Erasmus als Quelle angegeben
(Lingua, p, 688). In der Mitte des Tempels der Göttin, aus dem
die Räuber alle kostbaren Gegenstände entfernt haben, steht eine
leere Flasche, y, Facto igitur populi concursu — sagt Erasmus —
plerique disjmtabant, quid sibi vellet ea lagena'^. „ Une houteille
vuide — erklärt Estienne • — taquelle niettoit en grande admiratioyi
toxit le peuple qiii alloit voir ce qui avoit este faict en ce temple.„
Ein Unbekannter löst das Rätsel: Die Räuber hatten aus Furcht,
daß das Unternehmen vereitelt und sie abgefaßt werden könnten,
Gift getrunken. In der leeren Flasche befand sich ein Gegengift, zu
welchem die Spitzbuben ihre Zuflucht nahmen, nachdem der Dieb-
stahl geglückt war. Die Erklärung fällt so eingehend und sicher
aus, daß sie Verdacht weckt, und der geschwätzige Spitzbube wird
festgenommen.
Einem Taschendieb wird das Ohr abgeschnitten.
(ApoL cap. XV.) Ce gentil komme p)endant quHl estoit un
des spectateurs du Roy jouant a la paume (le propre jour que
feu Jan du Bellar/ prit p)Ossession de leveche de Paris) sentant
ce larron hiy couper la bourse, ne fit toutes fois semblant d'en
rien sentir, mais l'ayant laisse faire, eut puis apres Voeil sur luy,
et en la fin ne se contentant de s'estre faict rendre sa bourse,
luy coupa Voreille sur le champ.,,
Die selbe Begebenheit, die sich wirklich zugetragen haben kann,
kehrt in No. LVI der Joyeux devis wieder: En VEglise de Nostre-
Dame de Paris, un gentdhonime, estant en la presse, sentit
un lai^ron qui lui coup^poit des boutons d'or qu'il avoit aux man-
ches de sa robbe, et sans faire semblant de rien, tira sa dague
et print Coreille de ce larron et la lui couppa toute necte; et en
la luy monstrat: „Aga, dit-il, ton oreille n'est pas perdue, la vois-
tu lä? Reyids-moi mes boutons et je la ie rendray . . ."
Zu diesen Abweichungen, aus denen ersichtlich wird, daß Es-
tienne noch aus andrer Quelle [wahrscheirlich der mündlichen Über-
lieferung] schöpfte, tritt der Zusatz, daß bei unserem Autor der Edel-
mann nachher in Bedrängnis gerät, weil: „le bourreau de Paris
forma complainte contre luy, comme estant troubU en sa profession'-\
da es ihm allein zukäme Ohren abzuschneiden.
In seinen Anmerkungen zu den Devis (in Bibl. Gauloise
1858) erwähnt Jacob diese Seite der Apologie und macht dabei
einen seltsamen Gedankeusprung: (Estienne) dit que ce fut Jean
du Bellay qui coupa Voreille au larron.
198 F. Toldo.
Auch in der Elite des contes von d'Oaville (ed. cit. 1236)
findet sich die nämliche Gescliichte: ^Vun gentWiomme qui se
vengea d'iin coupeur de hourses."'
Wie ein Priester geprellt wird, der sich dazu hergibt,
einen fremden Chorrock anzuprobieren.
(Apol, cap. XV.) „En la ville d^Anvers, un hon galand,
ayant remarque un prestre portant une hourse laquelle luy sem-
hloit avoir wie grosse apostume (or estoit ceste bourse attacMe
d la ceinture), luy ayant faict une grande i'everence, luy dict quil
avoit Charge du eure de sa paroice de luy acheter xme chappe.
Et pourtant (dict-il) monsieur. que je vous voy estre totalement de
sa stature, je vous voudrois prier de me faire tant de bien que de
venir avec moy jusques en la boutique d'un marchand. Car je
scay bien que celle qui vous sera bieji faicte, sera bien faicte ä
lui aussi. Ce prestre luy ayant accorde aisement ce plaisir, ils s''en
vont en une boutique, oit on leur monstra des chappes. Le prestre
en ayant vestu une, le marchand dict quil luy sembloit qu'elle
luy estoit fort bien faicte, et quelle estoit justement de la sorte
quil la luy falloit. Le rustre qui expioit l'occasion de jouer un
tour de son mestier, apres avoir bien contempU monsieur le prestre
de tous costez, dict en la fin quil y trouvoit une faute, a-spavoir
que la chappe estoit plus courte par devant que derriere. Alors
le vendeur respond quil ne tient pas ä la chappe, mais que
la grosse bourse engarde qiielle ne s'estende uiiiement, et par cori'
sequent la fait irouver plus courte par devant, Le prestre oste
la bourse et la met Id aupres. Ce qu estant faict, ils le veulent
derechef contempler: mais le galand. pour achever de jouer son
role, pendant que le prestre se retournoit, empoigna tres bien la
bourse, et piiis monstra par experience quil n'avoit pas les gouttes
aux jambes ni aux pieds. La dessus le prestre crie: Prenez ce
larron, et le marchand: Prenez ce prestre, le galand: Arrestez ce
prestre qui est enrage. Et de vray chacun qui voyait ce prestre
courir par les rues en iel equipage, ne pouvoit juger autre chose
de luy.""
Unser Autor übersetzt aus Erasmus (Convivium fabulosum in
Colloquio familaria) „Nunc accipiie quod nuper accidit. Ant-
verpiae. Sacrificus quidam receperat illic mediocrern summam
pecuniae sed argenteae. Id impostor quidam animadverteret; adiit
sacrificum, qui gestabat in zona crumenam nummis turgidam; salutat
civiliter; narrat sibi datwn negoii^im a suis, id viel sui parocho
mercaretur novum pullium sacrum, quae summa vestis est Sacerdoti;
rem divinam peragenii. Rogaf, hac in re commodaret sibi tantillum
operae, ut secum iret ad eos, vendunt hujusmodi pallia quo videlicet ex
modo corporis ipsius. sumeret majus aut minus\ nam sibi videre
IJ Apologie poiir Herodote von Henri Estienne. 199
staturam ipsius cum parochi magnitudine vehementer congruere.
Hoc officium, cum leve videretur, facile poUicitus est sacrificus,
Adeunt aedes cujusdam. Prolatiun est pallius, sacrificus induit,
venditor affirmat mire congruere. Imposior, cum nunc a fronte,
nunc a tergo contemplatus esset sacrificum, satis probauit pallium;
sed caiisscdiis est a fronte brevius quam par esset, Ibi venditor.
ne noc procederet contractus, negat id esse palii vitium, sed cru-
menum turgidam efficere, ut ea parte off ender et brevitas. Quid
multa? Sacrificus deponit crumenam; denuo coniemplantur. Ibi
impostor averso sacrifico, crumenam arripit, ac semet in pedes
conjicit. Sacerdos arsu insequitur, ut erat palliatus, et Sacrificum
venditor. Sacrificus clamat, tenete furem: venditor clamat,
tenete Sacrificum: impostor clamat, cohibite Sacrificum
furentem; et creditum est, cum videret illum sie oryiatmn in
publica currere.''''
Ein gestohlenes Kupfergefäß, das verpfändet wird und
andere derlei Verwickelungen.
(Apol. cap. XV.) Unser Autor zitiert Erasmus als Quelle:
nie tour que je veux reciter est d'un presire de Louvain. Ce
prestre nomme Antoine, ayant convie ä disner deux bons compa-
gnons lesquels il avoit rencontrez par la rue et voyant au retour
quen sa maison il riy avoit rien si froid que Vatre {comme nous
parlons ä Paris) et que tous les prisonniers s'en estoyent fuis de
sa bourse, s'advise incontinent de cest expedieyit pour tenir pro-
messe ä ceux quil avoit conviez. 11 s'en va en la maison d\m
avec lequel il avoit quelque familiarite, et en Vabsence de la cham-
briere prend un pot de cuyvre dedans lequel cuisoit la chair, et
Vayant mis sous sa robbe, l'emporte chez soy. Estant arriv^ com-
mande ä sa cliambriere de verser le potage avec la chair en un
autre pot de terre: et apres que ce pot de cuyvre fut vuide, V ayant
fait tres bien escurer, envoye un gargon ä celuy auquel il apparte-
noit pour le prier de luy presler quelque somme d'argent, qui vint
fort bien ä point pour garnir la table du reste qiiil y falloit et
un petit mot de scedule par laquelle ce crediteur confessoit avoir
receu le pot de cuyvre en gage, sur la somme . . . ." Auch dieser
Empfangsschein dient Herrn Antoine zum Anlaß, über seinen bedauerns-
werten Nachbar Witze zu reißen.
Auch bei Erasmus nennt sich der Held Antonius, Er hat
gleichfalls zwei Freunde zu Tisch geladen: ,,Cum redisset domum
reperit culinam frigidam, nee erat nummus in loculis: quod Uli
nequaquam erat insolens. Heic opus erat celeri consilio. Sub-
duxit se tacitus: et ingressus culinam foeneratoris, quicum Uli erat
familiaritas, quod frequenter agevet cum illo: digressa famula,
subduxit unani ex ollis aeneis una cum carnibus jam coctis, ac
veste tectam deferebat domum: dat coquae; jubet protinus eff'undi
200 P. Toldo.
carnes et jus in aliam ollam fictilem, simulque foeneratoris ollam
defncari donec niteret. Eo facto rnittit j)uerum ad foeneratorern,
qui deposito pignore drachmas duas a foeneratore sumat niutuo,
sed accipiat chh'ograjyJiitm, quod testaretur talem ollam missam
ad ipsiim . . . ." Auch alles weitere ist wörtlich nachgeahmt.
Eine wörtliche Wiedergabe des Berichts unseres Autors findet
sich in der Novelle CXVIII der Nouvelles recreaiions et joyeux devis
Der Schuhmacher, der zum Nachlaufen gebracht wird.
(Apol. cap. XV). „II (d. h. Erasmus) en co?ite encores im
autre {qui). , . nha pas grand esprit, conime aussi le pays dont
iL vient ne le p)orte pas, sinon que ce soit comme par miracles,
car le tour dvquel il est quesiion fut joue par un Holandois en
une ville nommee Leiden. Ce hon compagnon en se promenant
par ceste ville, entre en la boutique d\in coiirdouannier : le maistre
Iny demande sHl y a quelque chose qui luy plaise, et Vayant ap-
perceu jetter la veue sur des hottines qui estoyent lä pendues, luy
demande sHl auroit envie d'en avoir ujie paire. Quand il eust
respondu qiiouy, il luy choisit Celles qui luy semhloyent le 7nieux
venir ä ses pieds comme les hottines ä ses jambes. Apres ceci,
au Heu de faire marcM et de payer, il vient ä demander au cor-
douannier par maniere de jaserie : Dites moy par vostre foy, ne
vous advint-il jamais que quelqu''un que vous auriez ainsi bien
equippe pour courir, s'en soit fuy sans p)ayer^ Jamais dict-il. Et
si d'adventure il advenoit que feriez-oous? Je courrois apres dit
le cordouannier. Dites-vous ceci ä bon escientf Je le dis ä bon
escient, et ne ferois point auirement, respondit le cordouannier.
11 en faut voir Vexperience, dict V autre: orsus, je nie mettray ä
courir le premier: courez apres moy. Et sur ceci commenpa ä
fuir tant quil p>eut. Alors le cordoiiannier de courir ajyres et de
crier: Arrestez le larron, arrestez le larron. Mais Vautre, voyant
que chacun sortoit des maisons, de pieur qu^on ne inist la niain
sur luy, faisant bonne mine, et comme celuy, qui ne faisoit ceci
que pour son passetemjys; Que per sonne (dict-il) ne viarreste: car
il y a grosse gageure."
Ungeachtet der Geringschätzung, die unser Autor für dieses
Geschichtchen an den Tag legt, folgt er doch seinem Vorbild Eras-
mus ^5) wörtlich nach. Dieser erwähnt einen gewissen Macco (ein
berühmter Name in den Atellane und Stammvater einer ganzen
Eeihe von Pulcinellen): Is cum venisset in civifatem quae dicitur
Leydis, ac teilet 7iovus hospes innotescere joco quoniam {nam
is erat liomini mos) ingressus est officinam calcearis : salutat. Ille
cupiens extrudere merces suas, rogat nunquid vellet. Macco con-
jicente oculos in ocreas ibi pensiles, rogat sutor num vellet ocreas.
^*) Convivium fahulosum in Colloquia familiaria.
L' Apologie pour Herodote von Henri Estienne. 201
Annuente Macco quaerit aptas tihiis illius: inveiitus alacriter
protulit, et ut solent, inducit Uli. übt jam Maccus esset eleganter
ocreatus^ Quam belle, inquit, congrnerat his ocreis j)o.f calceorum
dujylicatis soleils. Rogatus an et calceos vellet annuit. Reperti
sunt, et additi pedibus. Maccus laudabat ocreas, laudabat calceos.
Calcearius tacite gaudens, succinabat Uli laudanti, sperans pretium
aequius^ posteaquam empiori tantopere placeret merx. Et jam
erat nojinulla contracta familiaritas. Heic Maccus: Die mihi,
inquit bona fide, numquamne usu venit tibi, ut quem sie ocreis
et calceis ad cursum armasses, quemadmodum nunc armasti me,
abierit non numerato pretio ? Nunquam, ait ille. Atqui si forte
inquit, veniai usu quid tum faceresf Consequerer, inquit calcea-
rius, fugientem. Tum Maccus, Serione ista dicis, ayijoco? Plane
serio inquit alter, loquor, et serio facerem. Experiar, ait Maccus.
Pro calceis praecurro, tu cursu sequere. Simulque cum dicfo
conjecit se in pedes. Calcearius vestigio consecutus est, quantum
poterat, clamitans: Tenete furem, tenete furem. Ad hanc vocem
cum cives undique prosilissent ex aedibus, hoc commento cohibuit
illos Maccus, ne quis manum injiceret, ridens ac vidto placido,
ne quis, inquit, remoretur cursum nostruyn, certamen est de cupa
cervisiae. "
Wie ersichtlich, zeigen die beiden Versionen nur geringe Ab-
weichungen, und Estienne hat sich auch die Mühe genommen, den
Text des Erasmus zu bessern und komischer zu gestalten. Er hat
sogar meiner Ansicht nach ein Unrecht begangen, indem er die Stelle
wegließ, an der der Schuhmacher den Wunsch und die Hoffnung auf
Gewinn äußert, als wirkungsvollen Kontrast zu der Täuschung, die
seiner wartet.
Diese Novelle hat weite Verbreitung gefunden. Cfr. Köhler,
Kleinere Schriften III. (31. Andre Nachweise s. Marchesi {op. cit.
p. 188 — 189) und Pitre (Archivio III p. 380.).
Der Verfasser des Nouvelles recreations et joyeux devis (nov.
XCVI) ahmt unsern Autor wörtlich nach.
Andere Novellen handeln statt von einem Schuhmacher, von
einem in ganz ähnlicher Weise geprellten Wirt. (Cfr. Domenichi,
Facezie ecc. ed. Venezia MDIC. p. 207.)
Wie einem Geistlichen eine kleine Rüge zuteil wird.
(Apol. cap. XXI). Vor vierzig Jahren, sagt Estienne, begab
es sich, daß ein Geistlicher ein Pfarrkind tüchtig durchzuprügeln
wagte. Der Bischof verurteilt ihn dafür nur zu dreimonatlichem Fern-
bleiben aus der Kirche. Der Geprügelte holt den Rat eines pfiffigen
Rechtsbeistandes ein und teilt nun seinerseits an den Geistlichen
Schläge aus. Der Richter diktiert ihm als Strafe: „ne mettre le pied
en aucune taverne de trois mois.^
202 P. Tokio.
Dieser Bericlit weist eine gewisse Verwandtschaft mit dem Schluß
der fünften Novelle der Cent Nouveiles Nouvelles auf, „Monseigneur
Thalebot verurteilt jemand, der Kirchengeräte gestohlen hat, niemals
w ieder eine Kirche zu betreten : „dont tous ceulx qui lä estoient et
qui Voyrent eureiit grand riz , . . Et croyez quHL cuidoit bien faire
et ä bonne intencion lui faisoit.'-'-
In der Elite des contes du sieur d''Ouville findet sich ein
ähnliches Gcschichtchen: Du cordonnier qui se vengea d'un arclie-
veque ed. Brunet (I p. 230 sgg.). Ein Bischof von Toledo schlägt einen
Schumacher tot, und die geistliche Behörde verurteilt ihn: d'etre un
an Sans dire la messe. Der Sohn des Schumachers, vom König
Don Pedro dem Grausamen dazu ermutigt, tötet nun den Erzbischof,
und der König fällt das Urteil: „pour punition de ton crime, je te
commande d'etre un an entier sans faire de souliers.'-''
Ein Prediger wird von einem Wucherer aufgefordert
den Wucher zu bekämpfen.
(Apol. cap. XVIj. Auf diese Weise hofft der Betreffende alle
Konkurrenz zn beseitigen.
Eine ähnliche Anekdote steht in den Facezie von Domenichi
(ed. Venezia MDIC p. 6 — 7), dort handelt es sich um St. Bernardino
von Siena, und der Schauplatz ist nach Mailand verlegt.
Unser Autor bietet eine wörtliche Übersetzung der Fac. CLVII
von Poggio; hier stammt der Wucherer aus Vicenza.
Ärzte und Patienten.
Eine falsche Diagnose.
(Apol. cap. XVI), „Pour le moins devoit bien confesser de
n^y voir goutte, ou d'avoir mal chausse ses lunettes, un certain medecin,
auqutl ayant este portee Vurine d'un komme, et luy ayant este dict
qiielle estoit d'une femme qui se doutoit d''estre grosse, respondit
qiiil cognoissoit bien ä Vurine quelle l'estoit ..."
Im Decameron (IX. Tag, III. Nouvelle) untersucht ein Arzt
den Urin von Calandrino und erklärt ihn für geschwängert, jedoch
handelt es sich hier um einen Schwank, in den der Ai^zt allem
Anschein nach eingeweiht ist.
Eine Urinverwechslung, die zu anderen Mißverständnissen führt,
enthält die 105. Schnurre von Poggio, und G. Marchesi (Per la storia
della novella italiana nel secolo XVII, Roma, Loescher 1897,
p, 107) berichtet ähnliche Vorkommnisse bei Angeloni und Lasca.
Cfr. überdies Landau, Die Quellen des Decameron, 2. Auflage,
p, 152 sgg. Keine Version paßt sich jedoch der von Estienne gebotenen
an, deren direkte Quelle mir nicht bekannt ist.
L' Apologie pow Herodote von Henri Estienne. 203
Handelt von Einem, der das Rezept seines Arztes verspeist.
(Apol. cap. III). Von „celuy qui niangea la recepte du
medecin'-'. Es handelt sich hier bloß um eine Anspielung. Das
Gleiche berichtet DomenicLi (Facetie, motti ecc, ed. Venezia MDIC):
„Marcello da Scopeto havendo portato il segno a maestro Cocchetto
da Trievi, il medico gli diede iwa ricetta scritta in una carta,
et dissegli, che la pigliasse in ire volte : il huon Marcello, partita
quella cartuccia in Ire pezzi, ogni mattina ne prese una parte e
cosl guarV^.
Seltsame Verwechslung von Arzneien.
{Apol. cap. XVI). ,,Quel est ce Qui pro quo'? Cest celuy
par lequel ils baillent ä l' komme la medecine ordonnee pour lafemme,
et reciproquernent : au jeune la medecine du vieil, et au vieil la
medecine du jeune . . . JDe quoy sgauroit hien dire quelque chose
un jeune, komme de Savoye, auquel le jour de ses noces on hailla
le breuvage ordonne pour un qui avoit quelque fievre, au Heu de
celuy qui avoit este ordoiine pour luy, afin de le rendre plus dispos :
de Sorte questant couche aupres de son espouse il luy falut toute
la nuict faire des Operations contraires ä celles quHl pensoit faire.'-''
Wer über diese „Operations contraires'' noch mehr erfahren
möchte, lese einen Schwank des Domenichi (ed. cit. p. 151), wo von
einer „Diasatirione'"'' benannten Medizin die Rede ist: „Ora kavendolo
un vecckio ricco, che menava moglie, domandato al suo medico,
in quel medesimo tempo un giovane, il quäle kavea la fehre
domandb una mediana scaricativa. Le quai cose poicke il medico
le ebbe fatte venne a scambiarle in modo, cke al giovane diede il
diasatirione, e al vecchio la medicina solutiva.'-' Der junge Mann
■wurde die ganze Nacht von Sehnsucht nach einer lieben Gesellin
geplagt und der Alte: apparecchiandosi alla giostra amorosa, ver-
spürt dagegen die Wirkungen und Folgen des Abführmittels.
In einer Novelle des Ascanio de' Mori da Ceno (XI nov. ed.
1585) ist es ein junger Mann von tadellosen Sitten, daher erzielt die
Arznei bei ihm doppelt komische Wirkung: Stramba, garzone di
maestro Antonio speziale, per errore beffa inesser Simplicio (d. h.
den jungen Mann) e messer Bernardo (d. h. den Alten, der sich
verheiratet hat), dando pillole contrarie a' loro bisogni.''
Missgeschick von Brautpaaren und Liebesleuteu.
Ein friedliebender Ehemann.
Ein Ehemann kehrt unerwartet nach Hause zurück und findet
ein paar Männerschuhe vor, die ihm nicht bloß Verdacht einflößen,
sondern die Untreue der Gattin erweisen. Um seinem Zornausbruch
vorzubeugen, verläßt er das Haus wieder und hält am folgenden Tage
204 P. TolJo.
ausführliche Zwiesprache mit Freunden, denen er die Erklärung ab-
giebt, daß ein verständiger Mann nie die Besonnenheit verliert, „ccir
quand fapperceus devant le lict les soidiers de celuy gui estoit
couclie avec J7ia fenwie, il ne s'en fallut guere quo je ne misse ces
souliers en mille pieces. (Apol. cap. XY).
Dieselbe Anekdote kann man bei Domenichi nachlesen (ed. cit.
p. 55). Auch die Einzelheiten lauten übereinstimmend. In beiden
Versionen wird vom Ehemann gesagt: Jiavea qualclie sospetto della
inoglie''' — „se doutant que sa femme ne coiichoit pas seule en
son ahsence.'' In beiden: ,,non volendo correr a ficria, ma fare
le sue cose con considerazione, subito si partt.^'- — „Ce qu^ayant
dict sen alla tout hellement ecc."" Bei beiden wird die Beratung
auf den folgenden Tag verschoben: l'altro giorno havendo egli trovato
gli amici suoi, e conferito la cosa con esso loro, disse."" — „Le
lendemain matin, vint trouver ses parens et amis, et apres leic7'
avoir conte le faict : Regardez, dict-il.'-'
Zur selben Familie gehört jener Bernardino Becco, von dem
Lodovico Guicciardini (Dhore di ricreatione, ed. Venezia 1604,
p. 47) berichtet, daß er der Gattin gegenüber Beschwerde führt, weil
sie während des Beisammensein mit dem Liebhaber die Türe offen
gelassen hat.
Der geprügelte Ehemann.
(Apol. cap. XV). Ein eifersüchtiger Ehemann mißhandelt seine
Frau. Sie ist schwanger und schützt aus Rache vor, daß sie ein
Gelüste anwandle ihn durchzuprügeln. Damit das Ungeborene keinen
Schaden erleide, läßt sich der wackere Manu an eine Bank festbinden
und unbarmherzig durchbläuen.
Die direkte Quelle dürfte XLVIII der Comptes du monde
adventureux sein, ein Werk, das von Estienne und den Kommentatoren
der Apologie nie zitiert wird.
(Apol.) Tesmoin la Penyouräine, qni (Comptes etC.) Un procurettr de Feri-
estant contre V esper ance du mnri devenue <jueux (läfst sich VOn seiner Frau)
grosse, prit de lli occasion de lever si hien Her au banc . . . (die Gattin schlägt
les coi'nes, que sous couleur d'estre envieuse ihn). Le mari , . . ne se peut ienlr de
ä la maniere des femmes grosses, executa crier si hault qiiau cry les i:oysins de sa
a grans mups de fouet Venvie . . . (und maison accoururent incontinent . . . Mais
der Ehemann) pour luy complaire, pour tout le mal qu'il enduroit . . . encores
s''estoit laisse Her, garroter, et atlacher ii crioit apres eux de se donner hien garde
un banc . . . (die Gattin schlägt ihn) d'empescker sa femme, jusques ii ce que
il ne se peut tenir de crier si haut que son enviefustpassce, pour crainte de perdre
les voisins accoururent suhitement ä ce son fruit.
bruit; et toiitesfois les pria de n'empcscher
sa femme qu^elle n^eust passe son envie de
peur quii faute de ce eile ne perdist
son Jruit ...
Estienne übernimmt einige Einzelheiten und läßt andere fallen.
IJ Apologie pour Berodote von Henri Estienne. 205
Auf welche Weise eiu Eifersüchtiger
die Treue seiner Gattin erproben wollte.
{Apologie^ cap. XV.) Als Quelle wird Schwank No. 224 des
Poggio bezeichnet. Es handelt sich um nahezu wörtliche Wiedergabe.
{Apol.) Car Poge escrit qu'en nne (Poggio) Quidam in civilate Euguhi
vilie d'ltali?. nommee Eugubio, un qui es- admodum zelotipus Joannes nomine nes-
toit fort tourmente de Jalousie^ quand il ciehat quo modo animadverteret si ttxor
vit qu'il ne pouvoit congnoistre si sa/emme cum altero aliqiio consuesset. Excogi-
s'abandonnoitä autre^Vayantmenacdedelmj tatet calliditate Zelotippus digna seipsum
jouer unmauvais tour, sechaslrasogmesme, castravit eo consilio, ut si uxor post mo-
qfiti que si eile devenoit grosse puis opris, dum concepisset, in adulterio fuisse con-
elle fust incontinent convaincue d'adultcre. vlnceretur.
Aus Pogsio schöpfte gleichfalls Lodovico Guicciardini {L'Hore
di ricreatione ed. Venetia 1604 p. 41) an der Stelle, wo die Streiche
eines gewissen ,qjecorone d'Agohhio'-'' erzählt werden.
Der schielende Ehemann und die verschmitzte Ehebrecherin.
{Apol. cap. XV.) Es handelt sich um die Geschichte von dem
schielenden Ehemann, dem die Gattin das gesunde Auge zudeckt,
damit der Liebhaber Zeit findet zu entweichen (cfr. ed. Ristelhuber,
Anmerk. p. 489). Andere Nachweise außer den vom besagten Autor
angegebenen, der übrigens keine direkte Quelle verzeichnet, finden
sich in ^.Kleinere Schriften" von Köhler (11 p. 640), Sedier, les
fahlianx (1895 p. 464), Rua, le piacevoli notti dello Straparola
(p. 32) ecc. (Sowie auch in meinen Eiudes sur le tli^ätre comique
du moyen dge esiratto dagli studj di ßlologia romanza vol. IX
fasc. 2, p. 66 sqq. und in meinem Alphabetum narrationum im
Archiv für das Studium der neueren Sp. u. Lit. Band CXVII
Heft 1/2.) Es handelt sich um ein weitverbreitetes Thema, und unser
Autor erklärt, daß er hundertmal davon erzählen hörte, dennoch folgt
seine Darstellung der Version des Heptameron: ,,Pour venir donques
aiix exemples des finesses et ruses de nos femmes enteis larrecins, beau-
coup plus grandes (sehn mon opinion) que des femrnes de nos prede-
cesseurs, je commenceray par un tour lequel il me souvient avoir ouy
conter cent et cent fois ä Paris et depuis Vay trouve entre les contes
de la roine de Navarre, derniere defuncte ..." Eine uralte
Geschichte als Beweis für die moderne Verderbnis der Frauen!
Le Duchat bezeichnet irrtümlicherweise die XVI te der Cent
Nouvelles Nouvelles als direkte Quelle, i^)
{Apologie) Der Ehemann hat Ver- (Hept) „pour ce faire {le mari)fai-
dacht geschöpft und beschliefst auf gnist s'en aller en quelque Heu aiq^rcs de
der Hut zu sein: „et pourtant feignit lä pour deux ou trois jours . . .
s'en aller en quelque Heu pour deux ou Lequel (Pamant) ne /ut /jns demie
trois jours ..." heure ai-ecq eile que volcg venir le mary
^^) In der von Le Roux de Lincy und Moutaiglon besorgten Ausgabe
des Heptameron wird unter den verschiedenen Versionen auch mit Unrecht
die sechste Novelle des siebenten Tages des Decameron angeführt.
206 P. Tokio.
Die Liebenden sind beisammen, aber qui frappa bien Jort ä la porte. Mais
der Ehemann: sa7is Icur donner le loi- eile, qui le congneust, le dist ii son amr/,
sir d'esfre demie heure ensemble, estant qui fast si estonne qii'il eitt voulit estre
de retour vint frapper bien fort o la au venire de sa mere."
porte. Elle qui le cogneut en adrertit
so)i dict ami; qui fut si esperdu qu'il eust
voulu estre au venire de sa mere."
Aber in beiden Erzählungen steht die Frau auf und befiehlt
der Dienerschaft die Ruhestörer zum Schweigen zu bringen, die sie,
d. h. eine Dame aus ihren Träumen weckten.
(Apol.) „Que ne vous levez-vous et (Hept.) Que ne vons levez-vous Sl
allez faire taire ceux qui fönt ce bruit <t alles faire taire ceux qui fönt ce bruit ci
la parte? Est-ce mainienant Vheure de la porte? Est-ce mainlenant l'heure de
venir en la maison des gens de bien? Si venir aux maisons des gens de bien? Si
mon mari estoit ici, il les en garderoit man mary estoit ici/, il vous en garderoyt.
bien"".
Auch die weiteren Partien der Version Estienne's können als
Kopie aus Margarethe v. Navarra gelten, jedoch mit Ausnahme des
Abschlusses, der anders ausgeht. Bei unserem Autor läßt sich der
Gatte — wie in den meisten anderen Redaktionen vollständig düpieren;
bei Margarethe dagegen verliert er zwar das Augenlicht, aber nicht
seinen hellen Verstand: ,^Par Dien, ma femme, je ne feray jamais
le guet sur vous, car, en vous cuydant iromper, j'ai refeu la plus
fine troinperie ..."
Estiennes Held ist mehr nach der Natur gezeichnet als der
Ehemann bei Margarethe, der, sobald er den ihm gespielten Streich
erkannte, sich gar leicht der Umarmung der Gattin hätte entziehen
können, ohne bloß in so gemächlicher Weise gegen die nicht mehr
zu ändernde Tatsache zu protestieren.
Schlauheit einer Frau, die ihr Gatte in Gesellschaft
von zwei Liebhabern überrascht.
{A2:)ol. cap. XV.) Eine Frau hat zwei Liebhaber, die sich
verabreden, zu gleicher Stunde in ihrem Hause einzatretfen. Der
Gatte kommt hinzu; die Frau spiegelt ihm vor, daß sie Einen auf-
genommen habe, der von einem Feinde verfolgt werde, und die beiden
Liebhaher fördern in aller erdenklichen Weise ihre List. Unser
Autor will aus dem Decameron^') und aus den Facetie^^) des Poggio
geschöpft haben: ,.je commenceray jyar Vacte d\ine femme Floren-
tlne duquel nous avons tesmoignage par deux Ftorentins qui Vont
couclie jmr escrit j^resque en semhlahle sorte.'"'' Es kann jedoch
kein Zweifel herrschen, daß unser Autor sich nahezu au den Text
von Boccaccio angelehnt hat:
1') Decameron Giorn. VII nov. VI.
1^) Facezia 266. Callida consilia foeminae in faeinore depreJiensae.
L' Apologie j^our Herodote von Henri Esiienne. 207
(Apol.) Lvy dotic ayant faicl ainsi (Dec.) Messer Lamberluccio, messo
et Ti'ayant rien respondu au mari^ qid luy il pie nella staffa, e montato su, non disse
demandoit que c'estoit, sinon quil l'atlrap- aliro se, non al corpo di Dlo io il giugne-
peroit aiUeurs (en ajoustant tin grand rü allrove e andö via. II gentile uomo
serment) le niarl monta puis en haut, et montato su, trovu la donnn sua in capo
trouvant sa femme au dessus de la 7nontee, della scala tuifa sqomentata, e piena di
taute desconfortee et faisant Veffrayee, luy paura alla quäle egli disse: „Che cosa v
demanda: „Qu^est ceci? qui est-ce quiin quesia? cui va messer Lambertuccio cosi
tel va ainsi menacant?^ Elle s'eslant adirato minacciando?" La donna, tira-
retiree en la chambre (afin que Vautre fast verso la camera, acciö che Lennetto
qui estoit Cache en la ruelle du lict Ten- l'vdisse, rispose: „Messere io non ebbi mai
tendist) respondit: „Belas je neus Jamais simil paura a questa.'-''
en ma vie une teile frayeur^.
Man beachte, daß Boccaccio sagt, die Frau war: „jyiena di
paura'', weil ihre Lage tatsächlich etwas Furchterweckendes hatte;
Estienne dagegen denkt au ihre schamlose Geistesgegenwart und über-
setzt „faisant Veffrayee'^.
Betreffs des Ursprungs der Novelle verweisen wir auf Landau
und andere Untersuchungen des Decameron. Cfr. L. Di Francia
in Giorn. stör, della lett. ital. vol. XLIY. (fasc. 1 — 2, p. 80 sqq.)
Ich füge nur noch hinzu, daß Frangois d'Araboise (158i) dasselbe
Thema für seine Komödie Les Neapolitaines verwandte und zwar
ohne irgendwelche Einzelheiten der Fabel des Boccaccio bei Seite
zu lassen.
Der ins Taubenhaus eingesperrte Ehemann.
{Apol. cap. XY.) Die Gattin im Einverständnis mit dem Lieb-
haber, spiegelt dem Gatten vor, daß die Häscher nach ihm auf der
Suche sind und bringt ihn dazu, sich im Taubenhaus zu verstecken.
Unser Autor lehnt sich hier eng an die zehnte Posse des
Poggio an.
(Apol.) „Cesie-ci donc ayant faict (Poggio) ,4um illa subito collocato
mettre son chaland sous le lict^ s'en vint subtus lectum adultero, in maritum versa,
incontinent au devant de son mari . . , et gravlter illum increparit quem redisset;
commenca a le tancer hien fort, disant asserens veUe eiim degere in carceribus.
quil sembloii quil ne demandoit autre Modo inquit praeloris satellites ad te ca-
chose que de se mettre entre les mains des piendum tiniversam domum perscrutati
sergeans, lesquels ne faisoient que de sunt.'''
sortir de la maison.'^
Beiden Erzählungen sind einzelne Züge gemeinsam ,.que les
portes de la ville estoyent fermees''^ — „sec/ iam jiortae oppidi
clausae erant* und daß die Gattin sich beeilt die Leiter vom Tauben-
haus wegzustellen, um den Gatten am Herabsteigen zu hindern, „oste
l'eschelle" — „amotis scalis."
Doch muß unser Autor auch No. 88 der Cent Nouvelles Non-
velles gekannt haben. Betreffs der zahllosen verschiedenen Fassungen
dieser Geschichte cfr. die Version Hitopadesa (ed. BibJ. Elz. p. 228),
das daselbst angeführte Repertoire von Petit de Julleville, Romania
(1872, p. 20) und die Fahliaux von Bedicr (op. cit. p. 406), sowie
208 F. Tokio.
meinen Contrihuto p. 25 sg. Man beachte, daß die Novelle bei
DomGmdn Faceiic, motti et burle ecc, (ed. Veuctia MD IC p. 167)
zwar aus Poggio übersetzt ist, aber auffallende Übereinstimmungen
mit der Version uusers Autors zeigt.
Der Liebhaber und der Ehemann in der Tonne.
{Apol. cap. XV). „Oll conte aussi (.Vune qui jit entrer son
ami 671 un tonneau, quand eile sentit venir son mari et fit semblant
que cestoit un hemme qui esioit venu ponr l'aclieter et le vouloit
voir dedans".
Unser Autor nimmt sicher Bezug auf die zweite Novelle des
VII. Tages des Decameron: ^Peronella mette un suo amante in
IUI doglio, tornando il mariio a casa, il quäle avendo il marito
venduto, ella dice che venduto l'ha ad uno, che dentro v'e a vedere,
se saldo gli pare. 11 quäle, saltatone fuori, il fa rädere al marito,
e poi portarsenelo a casa sua.'*
Cfr. betreffs des Ursprungs dieser Geschichte Landau, Die
Quellen des Decameron^ 2^ ed. p. 311 sqq. und Letterio di Francia,
Alcune novelle del Decameron in Giorn. stör, della lett. ital. voL
XLIV p. 3 sqq.
Eine Ehefrau wird von ihrem Gatten gezwungen, einem
Kardinal zu Willen zu sein und will dann nichts mehr
von Rückkehr nach Hause wissen.
(Apol. cap. XII). Es handelt sich um eine Begebenheit aus
der Zeit des Konzils zu Trient und unser Autor bietet, ohne Einzel-
heiten auszulassen, eine ziemlich freie Wiedergabe von No. XL der
Comptes du monde adventure: ,.,Comme un gentilhomme souffreteux
prostitua sa femme ä un cardinal pour en tirer argent.'^
Der Verfasser der Comptes hat mit einer gewissen Unabhängigkeit
die 15. Novelle von Masuccio Salernitano übersetzt.
Die Rache des Ehemannes.
{Apol. XVI). Ein Florentiner Schneider kommt nach Hause
und findet seine Frau in Tränen, weil der Arzt ihr eine unerlaubte
Kur aufgezwungen hat. Er schwört Rache und fügt acht Tage später
der Gattin des Arztes, als er ihr ein Kleid anprobieren soll, dieselbe
Schmach zu.
Hier haben wir die wörtliche Wiedergabe der fac. No. 155
(Talio) des Poggio, nur ist zu bemerken, daß der italienische Erzähler
hinzufügt, daß der Schneider seine Rache vor dem Ehegatten nicht
geheim hielt.
Das gleiche Thema kehrt in einer französischen mittelalterlichen
Farce wieder: De gentilhomme, Dison, Natidet, la damoiselle. Hier
handelt es sich um einen Müller. Der gentilhomme ist Herr im Dorfe
iJApologie -pour Herodote von Henri Estienne. 209
und die Gattin Naudets fügt sich ohne viel Bedenken seinen Wünschen.
Naudet in den Kleidern des gentilhomme begibt sich zu der daraoiselle,
die auf seine Wiedervergeltiing eingeht. Die dritte der Cent Nouvelles
Nouvelles berichtet ähnliches von einem Monseigneur, der den Arzt
spielt und unter Vorspiegelung einer drohenden Gefahr die Heilung
der Müllcrfrau bewerkstelligen will. Sie erzählt Alles ihrem Manne
wieder und dieser, einen Diamanten fischend, zahlt monseigneur und
raadame mit der gleichen Münze heim. Betreffs anderer Überein-
stimmungen mit Cintio delli Fabrizi, Straparola, den Joyeux Devis,
Tortiguerri, Novellino di Majuccio (XXXVI) Tortiui (YIII), Krup-
tadia ecc, cfr. meinen Contrihuto allo studio della novella franc.
del XV. u. XVI. scc, Roma, 1895, p. 12. Cfr. auch Giorn. VIII
71017. VIII des I^ecavieron und eine orientalische Erzählung, die Landau
zum Vergleich heranzieht. S. auch Kua in Giorn. stör, della lett.
ital. XVI 249 und Giuseppe Petraglioue, sulle novelle di Anton Franc,
JJoni (Trani, 1900, p. 114 sqq.).
Außerdem erinnere ich an die fünfte Novelle von Diporti del
Parabosco: „ Valerio innamoraiosi di Beatrice, lei del suo amore
ricldede; della quäl cosa il marito divenuto consapevole, quello
in presenza di esso Valerio fa alla moglie di Ini, ch'egli alla sua
fare tentava".
Ein Ehemann läßt seine Gattin das Ilerz
ihres Liebhabers verspeisen.
Das Thema hat in Kap. XIX der Apologie breite Ausführung
gefunden, und wenn auch die Gedanken des Lesers häufig zu der
weltbekannten Novelle des Decameron abschweifen, in welcher die
Rache von Guglielmo di Rossiglione an Guglielmo Guardastagno (N. 9)
berichtet wird, so hat doch augenscheinlich unser Autor eine andere
Version vor Augen oder im Sinn gehabt.
„ Un gentilliomme portarit fort grande affectioji ä une
damoiselle mariee, s'e7i alla d la guerre ou il pria ses compagnons
que s'il mouroif, ils fissent porter son canir ä icelle (der Ritter
stirbt, seine Gefährten vollstrecken seinen letzten Willen, aber der
Gatte der Dame bemächtigt sich des Herzens und läßt es von der
Gattin verzehren,
„Alors le mari lug demanda si eile avoit trouve ceste viande
honne: et eile ayant respondu qtie ouy. „Voris ne pouvlez Jaillir,
dit-il, de la trouver honne, car cest le cueur d'un de vos nneua:-
aimez. La demoiselle ayant sgeu de qui il parloit, ne mangea
depuis morceau qui luy fist hien, et aussi neut long temps hesoin
de viande^ car eile niourut de regret peu de jours apres.'"''
In der Fassung von Boccaccio wird der Liebhaber hinterrücks
umgebracht, die Dame begeht Selbstmord, indem sie sich aus dem
Fenster stürzt und ihr Gatte entflieht aus Furcht vor der ihm
drohenden Rache.
Ztschr. f. frz. Spr. u Litt. XXXI'. 14
?10 P. Toldo.
Wir zitieren mit Köhler {Kleinere Schriften ed. Bolte 11,
559) Hagen, Gesamtabenteuer 1 CXVI, Patzig, zur Geschichte der
Herzmäre (Progr. Berlin, 1891), Cliild, Ballads, 1,839, J. Thora,
Thursos Rache {Das Neue Blatt, 1879. 589.)
Cfr. auch Lambrini, Libro di novelle anticJte (in Scelta di
curiosita letter. Disp. XCIII, nov. XII) und den Kommentar von
A. D'Ancona zu Nov. LXII des Novellino. (in Studj di critica e
storia lett p. 326.)
Die Ehebrecherin wird mit der Leiche des Liebhabers
eingesperrt.
(Apol. cap. XIX.) „Comme aussi le gentilhomme Allemand
punissoit sa femme fort rigoureusement plustost que crtiellement
de VaduUere: quand apres avoir tue le galand auquel eile s'estoit
ahandonnee, il luy ordonna au Heu de coups, le hezde la teste dHceluy."'
Die Quelle hierzu bildet die XXXII. Novelle des Heptameron:
„Bernaze, ayant connu en quelle patience et humilite une Damoisellt
d'Alemagne recevoit l'etrange p^nitence que son mary luy faisoie
faire pour son incontinence, gangna ce point sur luy quoubliant
le passe eut pitie de sa femme . . .". In der Erzählung Margarethcns
wird die Missetäterin glatt geschoren und gezwungen aus dem Ko\)i
des Liebhabers zu trinken, sowie in dem Zimmer zu schlafen, wo
sein Skelett aufgehängt ist.
Diesem Bericht läßt unser Autor noch einen zweiten nachfolgen,
den er Pontano entnommen (s. Anm. bei Ristelhuber), wo ein
Pieraonte?er Edelmann die schuldige Gattin und die alte Magd
zusammen mit der Leiche des Liebhabers einsperrt und den Unglücklichen
Brot und Wasser verabreicht, um zugleich ihr Leben und ihre Qual
zu verlängern.
Cfr. betreffs dieser Legende: Egidio Gorra, Studj di critica
letteraria^ Bologna 1892 p. 215 sqq., wo eine bekannte Novelle des
Pecorone (G. 11 N. 1) erläutert wird, die Gesta Romanorum ed.
Oesterley Kap. 56 ccc, sowie meinen Contributo p. 76 und Novelle XV
des Doiii, (mit Anmerkungen versehen von Giuseppe Petraglione,
sulle novelle di Anton Francesco Doni, Trani, 1900, p. 60: „Terri-
hile castigo dato da un marchese italiano alla moglie che gli era
stata infedele'-'. Er läßt den Kavalier ermorden und legt den ein-
balsamierten Leichnam in das Bett seiner Gattin; dann läßt er sie
mit dem Leichnam ins Gemach einmauern, jedoch in einer Form,
daß ihr Nahrung verabreicht werden kann. Sie lebt noch weitere
sieben Jahr „tuttavia piangendo la sua follia e la morte delV
amante. Perchh tra per lo puzzo e per lo dolore, ultimamente
fim in gran miseria i suoi giorni."
L' Apologie pour H/rodote von Henri Estienne. 211
Handelt von Einem, der sich selbst für momentane
Impotenz bestraft.
(Apol. cap. XV). Unser Autor bemerkt, daß er diese Geschichte
nicht niederschreiben würde, „s'il ne la tenoit d'u7i homme de bien.^
„Le conie est tet : Le bastard de la maison de Campois
j^res de Rommorantin, apres avoir sollicite une damoiselle Vespace
de deux ans, et l' avoir en la fin gangn^e, esiant avenu qua l'keure
quelle s'estoit presenth et abandonnee ä luy, il ne s'estoit trouve
dispos ä sa vilenie, se retira eii son logis ä Charis, si despite
contre soy-mesme, qu'ayant pris un rasoir chez mi barbier, il s'en
ooupa la parfie Vindisposition de laquelle ravoit frusire de son
esperance . . . Et Vayant coupee lenfenna en un bvffet."
Unser Autor versichert, es handele sich um eine wahre Begebenheit,
die sich vor 25 Jaliren zugetragen habe. Derselbe Bericht findet
sich später in den Essais von Montaigne (LIII cap. 29) und mit
einigen Abänderungen bereits früher bei Morlini (Nov. LH) ,^De
oleario qui, non Valens matronani desolare, ira genitalia incidit."
Galante Abenteuer von geistliehen Herren.
Von dem Erzbischof, der vier Füße hat.
(Apol. cap. XXXIX). „Comme aussi celuy qui sentant deux
pieds aupres des deux de S07i maistre (qui, pour observer estroite-
ment les regles episcopales, avoit sa garse couchee aupres de soy)
y alla semblablement tant ä la bojine foy quil se prit ä ci'ier par
la fenestre : Venez voir mon maistre qui a quatre pieds. "" Dies
kann als Übersetzung von Schwank 216 des Poggio bezeichnet werden.
Man beachte den Schluß: „Tum ille (der rfatuus'') fesfinus
surgens ad fenestram prodiit, magna voce exclamans . . . noster
. . . Archiepiscopus quadrupes factus est.
No. II der Joyeux Devis berichtet die nämliche Geschiebte,
bei Anlaß des „/o^' Polite und des Abtes von Bourgueil. Die Dialog-
form gestaltet sie hier noch lebendiger: „Moyne ä qui est ce pied?
— 11 est ä moy, dit l'abbe — Et cestuy-cy? — II est encore
ä moy ..." Cfr. meinen Coniributo p. 136, über die Beziehungen
zu dem Moyen de parvenir (cap. 26^) und zu Malespini Ducente
novelle, p. 1 1. n. 27.)
Ein Franziskanermönch spielt die Rolle des heiligen
Franziskus, um ein leichtgläubiges Weib zu verführen.
(Apol. cap. XXI) „Mais pour retourner aux cordeliers je
n'ay pas onblie Utistoire du cordelier soy disant sainci Eranpois,
qui Jona si bien son jjersonnage ä l'endroit d'une povre bigotte
quelle luy ßt place en son lit : mais avant quHl peust mettre en
execuiion sa bonne volonte, la farce fut achevh autrement quHl
14*
212 P. Toldo.
ne pensoit, et par ceiix desquels il ne se doutoit pas. Car S. Pierre,
comme portier de Paradis et S. Thomas . . . le vindrent cercher
jusqnes au lict et le remenerent un peu plus rudement quil riestoit
venu. „
Dies erinnert deutlich an die Vorspiegelung des frate Alberto,
der „da a vedere ad una sua donna, che VAgnolo Gahriello ^ di
lei innamorato, in forma del quäle piu volle si giace von lei.''
(Decam. G. IV. Nov. II), aber noch ähnlicher scheint mir Novelle
LXIX bei Morlini: De patricio qui, ut matronam falleret, Cristum
aeimdatus est. Dieser Patrizier stellt sich der Frau, die er liebt,
als Jesus verkleidet, «mit einem Diadem auf dem Haupte vor, aber
als er in Begriff steht, die Frucht seines Betruges zu genießen, er-
scheint ein Jüngling in einer an den heiligen Petrus gemahnenden
Kleidung vor dem Liebespaar und vereitelt die List.
Eine andere Beziehung zum gleichen Thema zeigt Morlini in
Novelle XVIII. „De monacho qui in monasterio divi Laurentii
seraphici Francisci vitam repraesentavit.'"' Bei demselben Autor
findet sieh auch der Name des heiligen Franziskus, aber zugleich
weist die Erzählung LXIX des Morlini nur einen vei kleideten St. Petrus
auf, während bei Estienne auch noch ein angeblicher St. Thomas
störend eingreift.
Cfr. auch für die Novelle von Boccaccio: Lan.lau, Die Quellen
des Decameron 2^ ed. p. 293 und ff., sowie Lettcrio di Francia,
Alcune novelle del Decameron in Giorn stör, della lelt. ital. vol.
XLIV p. 50. Ähnlich lautet der Bericht in Elite des cojites du sieur
d'Ouvillc (ed. Brunet, 11 vol. p. 291 sqq.).
Wie ein Franziskanermönch die Stelle des Bräutigam
vertrat.
(Apol. cap. XXI). Unser Autor erklärt, daß er aus Margarethe
V. Navarras Werke geschöpft habe: „Mais puisque ceste bonne
princesse nous a faict tant de Meti et ä notre posterite de voidoir
prendre la peine de rediger par escrit quelques tesmoignages de
la chastetc de ces venerahles, laisserons-nous derriere le plus notable
de tous, d'un cordelier . . .?"'
Es handelt sich tatsächlich um Nov. XLVIII des Heptam.,
weniger allerdings um Nachahmung als gedrängte Inhaltsangabe: „Le
plus vieil et malicieux de deux cordeliers, logez en une Hötellerie
QU Ion faisoit les noces de la fille de Icans, voyans dcrober la
inariee, alla ienir la place du nouveau viaryS p^^^ulant qu'il s'amusoit
ä danser avec la compagyiie.'''
Betreffs anderer Seitenstücke cfr. meinen Contribuio allo studio
della novella francese del XV e XVI sec, Roma, Loescher,
1895. p. 80.
L' Apologie pour Herodote von Henri Estiennc. 213
Handelt vom Mönch, der Hochzeit hält.
(Ap)ol. cap. XXI). In diesem Kapitel ist eine ganze Fülle von
Nachahmungen aus der Novellensammlung von Margarethe v. Navarra
angehäuft. Es handelt sich um das Abenteuer eines Geistlichen, der ein
wackeres Mädchen heiratet, das zu seiner höchsten Verwunderung
bemerkt, daß der amtierende Geistliche und ihr Gatte ein und die-
selbe Person sind.
Morlini hat dieses Thema bereits in seiner XXXVI. Novelle
(ed. elz. p. 76) De monaco qui diixit uxorem verarbeitet.
Aber unser Autor entnimmt seinen Stoff direkt der 56. Novelle
des Heptam. Die Form seiner Erzählung zeigt eine gewisse Unab-
hängigkeit, sodaß die Vermutung einer anderen Quelle nahe liegen
könnte. Der folgende Passus aber zeigt deutlich, wem unser Autor
auch im vorliegenden Falle zu Dank verpflichtet ist:
(Apol.) „eile (die Mutter der Braut) (Heptam.) „si tost que le meschanl
le vlnt trouver couchg at-cc sa femme . . .Iwj marij fut couche, arrha la vieille dame,
prit ses deux mains comme par Jeu, en luy prenant hs deux mains comme par
cependant que la fille luy ostoit sa coeffe ; Jeu ; sa ßlle luy osta sa coiff'e, ei demeura
sous laquelle s'esloil trouvee la belle arecq sa belle couronne ..."
couronne ..."
Cfr. wegen anderer Beispiele meinen Coniributo cit. pag. 80.
Unser Autor deutet dieselbe Geschichte auch in Kapitel XV seiner
Apologie an: „cornme il sera raconte si a2:>res."'
Die Hosen des heiligen St. Franziskus.
In Kapitel XXI erwähnt unser Autor die Geschichte zweimal und
zitiert Poggio (fac. 231) als Quelle. Dasselbe Thema ist auch von
Anderen bearbeitet worden und felilt kaum in einer der bekanntesten
Novellensammluugen. Cfr. Dunlop Liebrecht, Geschichte der Prosa-
dichtung (p. 207 und 333), Bedier, Les fahliaux (2"^ ed. p. 407)
etc. S. auch meine Etudes sur Ic Theätre comique frangais du
moyen dge (estr. dagli studj. di filol. romanza, vol. IX fasc. 2
p. 71) betreffs meiner Äußerungen zur Farce Erere Guillebert. S.
außerdem Letterio di Francia (Commcnto alla Nov. 20 V'- del
Sacchetti, op. cit, p. 189).
Die Reliquien des heiligen Bernhard.
{Apol. cap. XXI). Eine Dame, die Verlangen trägt, mit einem
Mönch ihrer Bekantschaft beisammen zu sein, stellt sich krank und
verlangt, daß ihr Liebhaber ihr die Reliquien des heiligen Bernhard
bringen soll. Unter dem Vorwande einer Beichte wissen der Mönch
und die Frau sich von aller störenden Gesellschaft frei zu machen,
und zum Schluß wird der Ehemann genötigt, die Reliquien zu küssen.
Es handelt sich stellenweise um nahezu wörtliche Wiedergabe
von No, XXVIII. der Comptes du monde adventureux. In beiden
Erzählungen ist der Schauplatz nach Sizilien verlegt, der Ehegatte
214 P. Tokio.
ist Arzt, die angebliche Krankheit der Dame ist die gleiche (la maire
du venire im Compte, la snffocation de la matrice in der Apologie)
und auch das Quartett spielt sich in derselben Weise ab, sobald
alle störenden Elemente vor die Tür lefördeit sind. Der Mönch
umarmt die Gattin des Arztes und sein Begleiter: apprend un alle-
lurja ä la chambriere'. Die Reliquien (d. h. die Arme des heiligen
Bernhard) werden von den Mönchen wieder mit großem Pomp ab-
geholt.
(Apol.) (Das Kloster) reiourna querir ces hrayes ä grand
branle et quarillon, de cloches avec la croix et Veau beniste.
(Comte) „ . • . a grand bransle et carillon de cloches., la
croix et Veau beniste." Auch der Schluß stimmt überein:
(Apol.) „(Der Klosterbruder) hs (Compte) . . . Ja patiente . . . avoi
(die Arme) oyant desvelopces du heau Ihuje etu:elopp^ ces bragues en un htau linge
blanc Ott cesie femme les avoil mises, les le gnrdien . . . les descouvre et fait haisev
fit baiser et toute V assistencCy et au pouvre h tont les assistens, et ä maistre Roger le
mari toul le premier,puis les ayani serrees premier, puls les unit dedans un tabernacle
en un certain tabernacle s'en retourna avec qu'il avoit opportc, ozwsi avec un si noble
ce precieux et si miraclißque joyaux.^^ Joyau, s'en i-etournerent en leur couvent,"
Quelle des Compte ist die dritte Geschichte des Novellino von
Masuccio Salerhilano, Cfr, außerdem die Anmerkungen zu der Novelle
von den Finte reliquie.
Handelt von einem Einsiedler, der mit Hilfe der Beichte
eine große Anzahl Frauen verführt.
In Kapitel XXI der Apologie wird erzählt, wie ein Eremit von
Padua „desbauchoit plusieurs femmes, mesmement des meilleiirs
maisons, par le moyen de la confession.^ Der Herzog Franz YII.
gebietet ihm die Namen dieser Frauen bekannt zu geben und der
Sekretär hat seine helle Freude an den Enthüllungen, „Verheimlicht
ja keinen einzigen Namen, drängt er: et alors ce bon ermite en
souspirant: ^Escrivez donc aussi la vostre^ Monsieur. '■'■
Als Quelle diente der Schwank No 141 von Poggio: ,,Poge
Florentin raconte.'-' Es handelt sich um bloße Übertragung.
Handelt von Frauen, die vorgeben
vom Teufel besessen zu sein.
{Apol. cap. XXp On raconte de deux ou trois (Geistlichen)
(desquels Vun demeuroit en une bourgade entre les montagnes de
Daulphin^ et de Savoye) qui donnerent ce conseil ä leurs paroici-
ennes de contrefaire les demoniacles, ä fin que les maris allans
en pelerinage pour leur delivrance, les leur recommandassent cepen-
dant, ä ce quils n'y espargnassant ni leurs estoles, ni leurs autres
instrumens."^
Mir ist keine größere Anzahl von Beispielen bekannt; auf einen
einzigen derartigen Vorfall bezieht sich No. XXXII der Comptes du
L' Apologie pour Herodoie von Henri Esiienne. 215
monde adventureux „D'un eure qui fit faire le demoniacle ä une
jeune femme pour plus facilement jouyr de sa bonne grace.""
Der Compte ist die Wiedergabe von Novelle No. 9 von Masuc-
cio Salernifano, die sich auch in den Sprichwörtern von Fabrizi wieder-
findet (cfr. Contrihuto p. 121).
Das zurückerstattete Sieb.
(Apol. cap. XV) „Ceste mesme princesse raconle aussi de
la femme dhin lahoureur . . . Margarethe berichtet diese Anecdole
in der XXIX. Novelle ihres Beptameron ... „ f/w eure surprijis
par le trop soudain retoxir d'un lahoureur avec la femme duquel
il faisoit bonne chhre, irouva promptement moyen de se saurer aux
ddpens du hon komme qui jamais ne s'en appergut."'
Unser Autor hat den ersten Teil der Erzählung von Margarethe
abgekürzt, das übrige gibt er fast wörtlich wieder. Es genügt den
Schluß zu vergleichen.
(Apol.) Der Pfarrherr wirft das (Bept.) „Et Je pauvre Lahoureur
Sieb vor die Füfse des Galten: „h- tout estonne devmnda ä sa femme:
(juel s'cstant csveille a ce bruit, et ayant „Qu^est celaV"
demande a sa femme que c'estoit, Mon Elle Iny respondif. Mon amy^ c'est
ami (dict eile) c'est vostre vau que le eure vostre vati que le eure avoyt empruncte,
acoit emprunte : il vous lest venu rendre. leqttel il vous est venu rendre,'^
Et il irouva ceste response assez Et luy^ tout en grondant, luy disf.
pertinerUe, hormis qu'il dict Cest hien lour- Cest bien rudement randre ce qu'on
dement rendu ce qu'on a emprunte: car a empruncte, ear je pcnsoys que la maison
je pensois que la maison torabast par terre." tumhast par terre.'*
Ich erinnere an die Beziehung dieser Geschichte zu dem fahleau,
das den Titel trägt: du pre-üre et de la Dame. {Recueil Motaiglou-
Raynaud II. 51) Hier stellt sich der Geistliche, als ob er (statt
des Siebes) einen Korb (corbeille) zurückgeben wolle; im Übrigen
bieten die beiden Redaktionen beträchtliche Abweichungen von einander.
Auch in den Contes et discours d'Eutrapel von Noel du Fail,
die späteren Datums sind als die Apologie, steht dasselbe Abenteuer,
(N. xn).
Wie ein Ordensbruder die Tochter eines deutschen
Herzogs hintergeht und verführt.
(Apol. cap. XXI) . . . „comme tesmoigne Vhistoire d'un cor-
delier qui negocia si dextrement avec un duc d'Allemagyie et la du-
chesse sa femme, quil leur tira de dessous l'aile leur fille, helle
eil perfection {qui estoit toute leur lignee) pour en jouir mieux
ä son aise: sous prStexte de la mettre en un monastere pource
qu'il remonstroit que de sa naiure eile estoit devotieuse.'"''
Es scheint, daß unser Autor sich an XXXV der Comptes du
monde adventureux anlehnt; „de la malice d''un religietix qui suhorna
la fille d'un duc d' Allemagne, et de la Jolie qui en avifit."
216 P. Tokio.
Der Verfasser des Compie cntlelint bei Ma&uccio Salcrnitano
(NovelUno 11). Wegen anderen Parallelen ?. meinen Contributo
p. 122.
Wie ein Franziskanermönch die Gattin eines vornehmen
Herrn dazu nötigte sich als Novize zu verkleiden.
{Apol. cap. XXIV) Es handelt sich um nahezu wörtliche
Wiedergabe von Novelle XXXI des Bepiameron. Es genügt die
Gegenüberstellung des Eingangs der beiden Erzählungen:
(ÄjioL) rt^^u tevips de Vempereitr (Ilrpfam.) „Aux ierres suhfcctes
A/nximilian prämier, il y aroit en ses ä V Empcrew Maximilian d'Aulriche y
terres vn coiivent de cordeliers fort re- aroyt uih/ conrent de corddiers fort es-
iiommt': aiipres ditquel nn gentilhomme lim/, anpres diiquel ung Gentil komme
avoit sa maison, qui portoit graiide aroyt sa maison et avoyt prin.t teile
affection aux moines d^icehiy, et leur amity^ aux Religieux de c^ans quil
faisoit de grands biens en esperance n aroyt hicn qiCil ne leur donnast pour
d'aroir part en leurs hienfaicts, jeusnes avoir part en leurs biens/aictz, jeünes
et oraisons." et disciplines."
Man erinnere sich an das fahleau Frere Denise von Rutcbeuf
(ed. Montaiglon III, an die I.X. der Cent Nouvelles Nouvelles, au
Malespini (Nachbildung des Heptameron. Duecenti novelle No. 75),
les Cordeliers de Caialogne in den Contes von La Fontaine etc.
La Roux und Montaiglon (in den Anmerkungen zu der oben
erwälmten Version Margarethes) beziehen ihre Angaben irrtümlicher-
weise nicht auf diese sondern auf eine andere Novelle von Estienne
{Ap)ol. cap. XXI), wo es sich eher um eine flüchtige Skizze dieser
breit ausgeführten Erzählung handelt. Estienne vervielfältigt die
Fälle, in denen Frauen sich als Mönche verkleiden, Verkleidungen,
die in religiösen Legenden ja sehr häufig vorkommen. (Cfr. meine
Studie: Das Spiel von der heiligen Theodora in Aus allen No-
vellen und Legenden V. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde
fasc. 1. 1904).
Handelt von einer Dame, die Selbstmord begeht, weil ein
Franziskanermönch sie mißbraucht hat.
{Apol. cap. XVIII) ,,Aussi lisons-nous es narrations de la
roine de Navarre demiere defuncie, la pitcuse mort d'une damoi-
selle, qui se pendit et estrangla pour le grand despit et regret
qu'elle avoit de ce quun cordelier avoit usS d'elle comme de sa
femine, sans qu'elle pensast esire couchee prcs autre que son mari'\
Dieser kurze Bericht wird von unserem Autor ausführlich in Cap.
XXI der Apologie verwertet, wo auch so viele andere Novellen des
Heptameron wiedererzählt sind. Die Quelle bildet augenscheinlich
die XXIII. Novelle von Margarethe: La trop grande rhhence qxCnn
Gentil homme de Pcrigord portoit ä t Ordre de Sainct Francorjs
L' Apologie pour JJcrodote von Henri Esticnne, 217
fut cause que luy, sa fcmme et son pelit enfant moururent mise-
rablement. i'')
Betreffs anderer Naclnveise cfr. meinen Coniribuio, p. 74.
Wie die Franziskanermönche von der Schifferin
geäfft wurden.
(Apol. cap. XXI) „ . . . la dicie roine de Navarre fait aussi
un plaisant conte et venant hicn ä propos de deux cordeliers qui
vouhirent forcer leur hatelicre, et la p)ayer en ce payement, pour-
ce quHls ne portent point d'aryejit". . .
Einfache Anspielung auf die fünfte Novelle des Hepiameron:
Deux Cordeliers de Nyort, passant la riviere au port de Coulon
voulurent prendre par force la Bateliere qui les passoit; mais
eile, sage et fine, les endormit si hien de paroles que, leur accor-
dant ce quHlz demandoyenf, les irompa et meit, entre les inains
de la justice, qui les rendit ä leur gardien pour en faire teile
punition qu'ils meritoient."-
Wie ein Franziskanermönch von einem eifersüchtigem
Ehemann umgebracht wurde.
{Apol. cap. XXI) „ Tesmoin le Cordelier et docteur en theo-
logie noinmS Dicquo Darnae, qid ayant de long temps prhente
son Service ä la femme d'un chevalier d'une ville d' Espagne,
nommS RJiodoric, fut en la fin estratiglc par luy [aupres duquel
il se trouva couche, pensant estre couche auptres d'elle)'''-
Es handelt sich um das gleiche Thema wie in No. XXIII der
Comptes du monde adventureux : ,,D\in moyne (Dicquo Darnae)
faisant Vamour ä la femme de messire Roderic duquel il fut es-
trangle piteusement.
Die direkte Quelle für den Verfasser der Comptes ist Masuccio
Saleruitano Nov. I. „Maestro Diego da Revalo e poriato morto
da misser Roderico al suo convento'', aber ihr Ursprung reicht
weit zurück.
Cfr. das fableau vom soucrdain, das uns Jean Ic Chapelaiu
erzählt (R. Mont. VI p. 101) und andere fableaux dieser Gattung
(ib. vol. IV. p. la, V 123, 136, VI 243). Für andere Berührungs-
punkte s. die yßahe e racconti siciliani'''' von Pitre (II, 165), die
Anmerkungen von Montaiglon (vol. IV p. 10), Bedier a. a. 0. etc.
auch meinen Contributo p. 119.
Von dem Pfaffen, der sich nur zum Scherz kastrieren
lassen will und alles Ernstes kastriert wird.
(Apol. cap. XV) In verschiedenen fahleaux ist von derlei
Bestrafung die Rede, die eifersüchtige Ehemänner sittenlosen Pfaffen
13) Unser Autor orwiUuit Novelle XXIII des Ihpinmeron auch im XVII.
Kapitel der Apologie „laquelle histoire sera recilce plus au lomj ci-aprcs.^
218 P. Toldo.
androhen oder angedeiheu lassen. (Über Coiineberi v. Montaiglon-
Raynaud V. IGO, le Prctre crucifUy Legrand d'Aussy, t. IV p. 100;
ib. Aloul I 286). Aber das einzige Vorbild für die Erzählung unseres
Autors bildet No. LXIV der ,,Cent Nouvelles Nouvelles, obwohl
auch hier beträchtliche Abweichungen zu konstatieren sind . . . Uvg
maistre eure qui faisoit raige de hien co?ifescer ses paroichiennes
— so erzählt der Verfasser der Cent Nouvelles Nouvelles — ...
estoit ung jour au disner, et faisoit honne ciliare en Vostel d'utig
sien paroichien . . ." Obwohl der unternehmende Pfarrherr bis
jetzt die Gattin seines Gastgebers mit seiner Zudringlichkeit verschont
hat, benutzt dieser die zufällige Anwesenheit eines „ Trenchecouille'' ^
dessen Name bereits seinen Beruf ankündigt, um den Pfarrer zu über-
reden, doch diese Operation zum Scherz an sich vollziehen zu lassen,
und der Unglückliche willigt ein. „Je vous diray que nous ferons,
dist maistre cur 6: je faindrai avoir grand mal en ung couillon . . .
et quant il viendra pres et il voudra voir que c'est et ouvrer de
son mestier, je luy montreray le derrihre."' Aber der Spaßmacher
fängt sich in den Schlingen seines eigenen Witzes, denn „Foste de
leans vint au irenche couille, et lui dit: Garde hien, quelque chose
que ce prestre te dye, quant tu le tiendras en tes mains, pour
ouvrer ä ses couillons, que tu lui trenches tous deux rasibus . . .
und der Operateur erfüllt den Wunsch des Ehegatten. „Or ne
fault-il pas demander si monseigneur le eure fut hien camus de
se veoir ainsi desgarny de ses instrurnens" .
Auch in der Apologie ist der Held ein Pfarrer Je curS d' Onzain,
pres d'Amboise (qui est) persuade par une hostesse, laquelle il
entretenoit, de faire sembtant (pour oster ä Vavenir tout sous-
pefon au mari) de se faire chastrer . . . par un nommS maistre
Pierre des Serpens und er stellt sich auch, als ob er sich der
Kastrirung unterziehen wolle. Es braucht kaum der Erwähnung, daß
er dem Chirurgen eingeschärft hatte, nur zum Scherz so tun, doch
der Ehemann seinerseits avoit donnS le mot du guet de faire ä
bon isclent' und so teilt er das Loos des Unglücklichen in den
Cent Nouvelles Nouvelles. Die Geschichte der Apologie wurde von
dem Verfasser von No. CXIII der Joyeux Devis abgeschrieben ^O)
Betreffs einer Erzählung, die zur selben Gruppe gehört, cfir.
No. XXV der Novellen von Franco Sacchetti (v. Di Francia op. ict.
p. 150). Dergleichen Züchtigungen bilden das Motiv zahlreicher in-
und ausländischer Novellen, so für die dritte fav. der VIII. Nacht
von Straparola, für eine Novelle von Morlini etc. Cfr. Köhler,
Kleinere Schriften ed. Bolte, vol. II p. 469 und die Anmerkungen
bei Bedier (Fabliaux, 2. ed. p. 468).
-°) In der XIII der Cent Nouvelles Nouvelles stellt sich Einer als ob er
kastriert sei, um die Wachsamkeit des Gatten der geliebten Frau einzu-
schläfern.
L'Apologie pour Herodote von Henri Estienne. 219
Die Äbtissin, die eines Priesters Hose auf dem Kopfe trägt.
{Apol. cap. XXI) „ . . . Boccace escrii aussi dCune abbaisse
au pays de Lombardie, qui se levant ä la haste d'avprh un
prestre avcc iequel eile estoit couchee, j)oiir aller surprendre une
de ses nonnains qui estoit couchee avec son ami, pensant mettre
siir sa teste certains volles, quen quelques lieux on appelle le
psautier, y mit les braycs de son prestre: dequoy la povre noyinain
sapperceiit a Vinstant mesme quelle devoit recevoir condamnation,
et Iny ayant dict (poxir ce que les lassets desdictes brayes pendoyent
des dexux cosiez) Madame je vous prie que vovz attachiez vostre
coeffe, et puis je suis contente que me disiez tout ce quHl vous
plaira, la fit appercevoir de ce qu'elle avoit mis sur sa teste par
inesgarde, et par consequent la fit changer de language."
Das Thema ist schon im Mittelalter weit verbreitet. Cfr. das
fqbleau von der Nonnete. (Bedier, op. cit. 2. ed. p. 421), meine
Etudes sur le theätre comique franfais du moyen äge ecc. (Estr.
dagli Siudi di filol. vom. vol. IX fasc. 2. p. J14 sqq) wo ich die
Farce Soexir Fesne prüfe, die aus PantagruelWl 19 V zu stammen
scheint, die Piacevoli notti dello Straparola (Rua, Roma 1898 p. 48),
die Novelle XL (ed. cit. p. 82) von Morlini: De abbatissa quae
monialis corripiens supra caput bracas tenebat,'-' und Due antichi
repertori poetici ed. von Casini (Propugnatore, 1889, P. I p. 205)
wo einige Nonnen von recht freier Sitte zur Kirche hinabsteigen, um
die Frühmette zu singen:
„ Ciascuna crede esser velata
La capo di benda usata:
Aviejio in capo brache ..."
Unzweifelhaft bildet Decameron IX 2 die Quelle für unsern
Autor und handelt es sich auch nicht um eine vage Nachahmung,
wenn Boccaccio mit der Fassung der Apologie: Levasi wia Badessa
in fretta, et al bujo, per trovar una sua Monaca, a lei accusata,
col suo amante nel letto ; et essendo con lei un Prete, credendosi
il saltero de veli aver posto in capo, le brache del Prete vi si
pose : le quali vedendo Vaccusata, e faitalane accorgere, fu diliberata,
et ebbe agio di starsi col suo amante.'' Der Schauplatz wird von
Boccaccio nach der Lombardei verlegt.
Des üblichen vorgeschriebenen Kopfputzes wird wie bei Estienne
Erwähnung getan: ^e credendosi tor certi veli piegati, li quali in
capo portano, e chiamangli il saltero, le cenner tolte le brache
del Prete,'* auch die Antwort der Nonne lautet übereinstimmend:
Madonna, se Iddio vajuti, annodatevi la cuffia, e poscia mi dite
cid che voi volete.'"' Dieses Abenteuer finde ich auch im Renard
contrefait und später als die Apologie in No. XVIII der Contes et
discours d'Eutrapel von Nocl du Fail.
220 P. Toldo.
Wie ein gcistliclicr Herr, ohne seinen Willen,
den Kupier spielt,
(Apol. cap. XY). „ Voici donc an siratageme . . . autant brave
quon pourroit songer; duquel une femme d' Orleans, qnon pense
cstre encore avjourd'huy en vie, usa 2'>our parvenir ä son Intention,
qui estoit d'attirer ä sa cordeile un jeune escholicr duquel eile
esioit amonreuse.''
Der Autor irrt sieb, wenn er annimmt, daß die \Yackere Frau
noch am Leben sein könne, denn sonst müßte man die Dauer ihres
Lebens auf Jahrhunderte ausdehnen. Sie ist schon die Heldin der
dritten Novelle des dritten Tages von Decameron „sotio spezie di
confessione, e di purissima consciemia, una donna innamorata
d\in giovane, induce ?/n solenne frate, senza avvedersene egli, a
dar modo che '/ piacer di lei avesse intero effeito.'' Ein Mönch von
solcher Harmlosigkeit inmitten sovieler, die mit ganz düsteren Farben
gemalt sind, gleicht wirklich einer weißen Fliege. Und die Frau von
Orleans treibt ihr Wesen immer unter anderen Namen weiter, in den
Lustspielen Molieres, George Dandin und VEcole des maris, sowie
auch in der Femme industrieuse von Dorimond (1661) ecc.
Unser Autor hatte jedenfalls den Bericht Boccaccios im Sinn,
jedoch streicht und modifiziert er Einzelnes zum Zwecke der Abkürzung.
Die Novelle unsers Autors kann man im großen Ganzen in den
Joyeux Devis nachlesen, die von Des Pcriers herrühren sollen (No.
CXIV). Augenseinlich handelt es sich um eine Kopie.
(Jaunereieu und Spitzbubenstreiche nianclierlei Art.
Unechte Reliquien.
(Apol. cap. XXXIX). Unser Autor bietet zwei verschiedene
Fassungen mit Quellenangabe. „(Diese Geschichte) je Vay ouy raconter
autrement que Bocace ne le raconte ... Un porteur de rogatons
<pii avoit engage ses reliqnes en la taverne, (er wettet, daß er die
Gastwirtin dazu bringen wird, ein Stück Kohle, das er vom Herd
nimmt, wie ein Heiligtum andächtig zu küssen und zeigt wirklich in
der Kirche) Icdict charbon, disant : Voyez-vous bien ce cliarbon'?
C'est un des charbons sur lesquels le glorieux sainct Laurent fut
rosti : mais il y a bien un point, c'est que ioutes lesßlles qui ont
perdu leur pucelage, et toutes les femmes, qui ont rompu la foy
ä lenrs maris, n'en doivent pas approcher : autrement elles seroient
en grand danger.'' Natürlich beeilen sich alle Frauen, Mädchen
und Gattinnen, "unter letzteren die Gastwirtin, die angebliche Reliquie
zu küssen. Unser Autor weist darauf hin, das der Franziskanerraönch
Menot hiervon Erwähnung tut: „ Voici ses pciroles au fueillet 41
col. 4 : Die de Ulis qui reliquias suas in taberna perdiderunt, et
stipitem inventum in sudario, loco reliquiarum suarum, dixerunt
Li' Apologie jwur Herodote von Henri Esiienne. 221
esse quo heaius Laurentius combustus fuit,'^ Hierauf berichtet
unser Autor die Geschichte aus dem Decaimron (G. VI nov. X) „Je
mettray maintenant l'histoire comme Boccace la recite, mais usant
de plus grande hrievesU, sans ioutes fois omettre ce qui sert ä
faire entendj-e le sfijle de impelardisme que tenoijent ces freres
frappars. "
Unser Autor hat wenig Änderungen vorgenommen. Der Name
des Pater Cipolla ist wörthch übersetzt (Oignon), desgleichen ist der
Name des Ortes beibehalten, wo sich die Begebenheit zuträgt. (Certaldo)
An einigen Stellen liürzt er ab, an anderen übersetzt er wörtlich.
Die Predigt des Pater Oignon (Cipolla).
„Messiews et meschimes, vous avez „Sifjitori, e dornte, come roi sapelc,
accostume totts les ans (de vosire yrace) rostra iisanza e di mandare o(jnanno u
d'envoi/er avx porres du haroii monsieur poreri del Bron messer sanio Antonio
sainct Antoitie, de vos hlcz et acoines, del vosiro grano, e delle rosfre hiade,
les uns plus, les autres moins, chacun chi poco, e chi assai, secondo il podere,
sehn son pouvo'r et sehn sa derotion, e lu dicozhn sna, accib che il Beato
ä ßn que le benoist sainct Antoine soit Santo Antonio vi sia (juardia de huoi,
garde de cos boeufs, asnes, pourceaux e degli asini, e de' porci e delle pecore
et brebis '. et outre ce, vous acez accous- vostre; et oltre a ciu volete pagare, e
tum^ de payer, (et ceux notamment ipti speziulemente ijuegli, die alla nostia
sont escrits en nostre ronjrairie) ce jieu compagnia scrilti sono, quel poco dehito,
de devoir quon pai/e une seule fois Tan." che ogn'atino si jntga una rolla,"
Der Schluß ist etwas abgekürzt und stimmt auch darin über-
ein, daß die Kohlen (die nachher für diejenigen zu gelten haben, auf
denen der lieilige Laurentius geröstet wurde) an die Stelle der Flügel
des Engels Gabriel treten. Den Abschnitt, in dem Boccaccio die
Wunderwerke aufzählt, die der Patriarch von Jerusalem dem Pafer
Cipolla vorzeigt, übersetzt unser Autor folgendermaßen:
„(Der Patriarch) outre plusieurs „(Der Patriarch) mi tnostrb il dto
aal/es reliques monstra vn peu du doit delto Spirito Santo cosi intero e saldo,
du S. Bsprit aussi sain et aussi entitr comefumaielilciuffettodelSeraJino,
qu'il avoit Jamals este' et le juuseati du che apparve a San Francesco, et una
Seraphin qui apparut a S Fran^ois, et delle iinghie de' Cherubini, et una delle
une des ongles du Cherubin, et une coste del Verbum caro fatti alle
des cosfes du Verbum caro, et des finestre, e de' vestimenti della Santa
hubdlemens de la saincte Foij catholique, Fe cattoUca, et alquanti de' raggi della
et quelques rayons del' estoile qui apparut Stella, che apparve a' tre Mugi in
aux trois ruis en Orient, et une pliiole Oriente, et una ampolla del sudore
de la sueur de Sainct Michel, qitand il di san Michelc, tpiai do combatte' col
combattit le diable ..." diarolo ..."
Auch die Aufzählung der Reliquien, die besagter Patriarch
dem frommen Bruder schenkt, ist die gleiche: uno de'' denti della
Santa Croce et in una ampolletta alquanto del suono delle campane
del temjno di Salomonen' Der Schluß aber stimmt nicht ganz
überein da unser Autor den Scherz des Pater Cipolla unerwähnt
läßt, der mit der dan ie Stelle dos Flügels getretenen Kolilc die
222 P. Tohlo.
Jacken und Schleier der Andächtigen mit dem Zeichen des Kreuzes
versieht, wie wenn er die allzu gutmütigen Certadesi „volesse crociare".
Cfr. über den Ursprung dieser Novelle: Landau, Die Quellen
des Decameron^ 2. Aufl. S. 92. In den ^.Porrettane" von Sabadino
degli Aienti „il prete de' Russi se fa un capo d'oca in loco di
Santa reliquia haciare a certe cittadine'"'' . Im Novellino von Masuccio
(p. I nov. 11.) zeigt ein Mönch den Griff des Messers, womit St. Petrus
getötet wurde; in den Comptes du monde adveniureux (N. XXXV)
verkauft ein Pfaffe „du foin de la creche oü nostre Saiweur . . .
coucha le jour de sa saincte nativiU'* und ein anderer Mönch zeigt
öffentlich „/a gaine du coxisieau de S. Pierre et la courroye de ses
soidiers"^. Andere Vergleiche betreffend s. meine Etudes stir le
theätre comique frangais du moyen äge {l. c. p. 117), le farse
cavaiole (Franc. Torraca in Studj. di storia leiteraria Napol.
Livorno 1884, p. 113 und Benedetto Croce, 1 teatri di JVapoH,
1891, p. 42). Auch Voltaire treibt in der Pucelle seinen Scherz
mit diesem Thema.
Die List von dei brennenden Leinwand.
(ApoL cap. XXXIX.) Ein Beitelmönch sucht einer Frau ein-
zureden, daß ihre Säue zu Grunde gehen müßten, wenn sie dem
Kloster nicht die schöne Leinwand zum Geschenk mache, auf die
er ein Auge geworfen hat. Die Frau willigt ein, aber ihr Mann,
der hinzukommt, erhebt Einwand, und der Pater schiebt eine glühende
Kohle zwischen die Leinwand, die, sobald der Ehemann sie an sich
reißt, in seinen Händen zu brennen anfängt. Alles schreit über das
Wunder, und der Ehemann in bußfertiger Zerknirschtheit, vergütet
dem Blönch den Schaden.
Es handelt sich um stellenweise wörtliche Wiedergabe von
No. XXII der Comptes du monde adveniureux.
(Apol.) Alors (der Pater) se toumant (Compfe) . . . (Der Mönch wendet
vevs son valet „C'est grand dommage sich ab) disant ä son varhf. . . . C'est
(dict'il) que cts deux belies bestes (die dommage quil faut que ces deux heiles
Säue) metirent si soudainement, bestes meurent si soudainement. Cette
Ceste femme dresse Voreille ii ce /emme, oyant parier de son dommage^ dresse
propos, et s'enqueste plus avant du beau Voreille et prie le fratre de lui declarer
pere. Lequel luy fait reponse: „M'amie, ce qu'il pensoit de ses pourceaux. „Mamye
je ne vous piiis dire autre chose s'tnon je ditz que cest grand perte de les voir
que ces deux pourceaux me fönt grand pitie, ainsi mourir: et si il ny a komme vlvant
qui s'en vont mourir soudainement: et si qui le puisse cognoistre, s^il na la grace
il n'y a komme rivant qui s'en peust du benoist sainct Anthoine, Mais il y
apperceroir s'il n'ha la grace du benoist auroit reniede si favois deux des glandz
S. Antoine. Mais il y auroit bien remide que le secretain de nostre Eglise beneis t
si favois deux des glans que le secretain tous les ans . . .
de notre eglise benit tous les ans . .
Der Compte ist der 18. Novelle des Novellino von Masuccio
Salernitano entnommen. Cfr. wegen anderer Vergleiche meinen
IJ Apologie pour Herodote von Henri Estienne. 223
Contributo p, 118 sqq und Köhler, Kleinere Schriften, ed. Bolte,
II p. 619. sowie Rua per Sercambi in Zeitschrift für Volkskunde
1890, II 7 fasc. p. 255).
Man beachte, daß unser Autor statt des Compte die DSclaration
de la regle et estat des Cordeliers von Menard zitiert.
Vorgebliche G ei sterer scheinungen.
I.
(^Apol. cap. XV.) Unser Autor entnimmt sie teilweise Erasraus
(XXII der Episteln, Ausgabe von London 1187). Ein Geistlicher
vermummt sich als Gespenst und betritt so bei Nacht das Zimmer
einer reichen Nichte „sperans fore iit mulier accerseret exorcistam
aut ipsa loqueretur (Erasnius) " ; ^or il faisoit cela, esperant que
ceste parente envoyerait querir quelque exorciste, ou hien qxCelle
lui en parleroit. (Apol.) Aber die Frau wendet sich lieber an einen
Verwandten dessen Hirn ebenso fest ist wie seine Glieder: verum
illa nimis masculo animo, dam rogavit cognatxim qtiendam, iit
unam noctem secut esset rectus in cubicido . . . Juste armatus",
„la femme qui nestoit pas des plus f olles, fit venir un autre sien
parent coucher en sa chamhre (der) tint pres de soy un bon baston",
und dem Pfaffen wird alsbald gebührend heimgezahlt.
IL
(Apol. cap. XV,) Dieses Stück ist dem Franciscanus von
Georgius Buchanan) Georgii Buchanani, Scoti poetarum sui secidi
facile Principis opera omnia ed. t. la, Edinburg, 1715, p. 16 sqq
entnommen, dessen Anfang folgendermaßen lautet:
„Campus erat late, incultus, non ßoribus horti
Arrident, non messe agri, non frondibus arbos ..."
Inmitten dieser jammervollen Zustände will einer als Gespenst
Eindruck auf das Volk machen, muß aber seinen listigen Einfall
teuer bezahlen.
in.
(Apol. cap. XV). Unser Autor erklärt, daß er die Novellen-
sammlung Margarethcs benutze: Elle fait aussi un conte d\ine cham-
brihre, laquelle pour jouir mieux d'un sien ami, serviteur en une
mesme maison (qui est par eile nommie) avoit trouvS moyen de
chasser d'icelle la damoiselle sa maistresse (en Vabsence du mari)
en luy faisant peur d^une sorte d'esprit qu^on appelle lutin."
In seiner Darstellung kürzt unser Autor in freier Form die
XXXIX. Novelle des Heptameron. „Le seigneur de Grignaux dd-
livra sa maison d'un Esprit, qid avoit tant tourmente sa femme
quelle s'en estoit absentee de deux ans.''
224 P. Toldo.
Cfr. für andere Fassungen des Themas meinen Cotüributo, p,
78 und 93, sowie die Annierkiuigcn der Herausgeber des Heptameron,
wo der 27stc Brief des siebenten Buches von Plinius dem Jüngern
sowie der 52ste Dialog von Lucian citiert wird.
Aber unser Autor erwähnt auch noch eine andere Geschichte,
die er von seiner Mutter gehört hat. Im großen Ganzen stimmt sie
mit der vorhergehenden überein: y^Lequel conte me reduit en me-
moire un autre semblable qiie j'ay oui/ souvent faire ä feu ma
mere, d'une chamhriere de son i:tere Joce Badius, laquelie pare-
Hlement pour se faire quitter la place oii eile avoit accoustiane de
se venir jouer avec un de ses serviteurs de la mesme maison, s'a-
visa de contrefaire Vesprit, et ne fut descouverte la tromperie que
par ledict Badius, son maistre, komme d? bon esprit et de grans
lettre s. . .
IV.
(Apol. cap. XXXVIII.J ,,I)e quoy noiis avons eu un fort
notable exemple en Vesprit d'' Orleans', c'est ä dire, en un cordelier
novice nomme Haicconrt qui estant cache sur la voute du temple
contrejß'aisoit Vesprit de la femme du prevost. JEt pourqxioif pour-
ce que ce prevost n'avoit donne que six escus aux Cordeliers du-
dict Heu pour enterrer sa femme. . .
Schon Erasraus hatte in der XXII. Epistel (Londoner Ausgabe
1G42, p. 1120) von einem älinlichen Betrug berichtet: Alibi visiun
est spectrum, quod a presbytero ßagiiaret absohiiionem, quis citra
confessionem decesserat, non quod deesset voluntas^ sed quod negata
fuisset sacerdotis copia.'' Die Quelle für unseren Autor bildet je-
doch die fünfte Novelle der Grand Parangon des nouvelles nouvelles:
„Des cordeliers d' Orleans qui faisoient semblant que Vesjyrit de
madame la p)revoste revenoit et commcnt ils furent jnmis."'
Wandernde Lichter, die angeblich die Seelen der
Verstorbenen vorstellen sollen.
{Apol. cap. XV). Als Quelle wird Erasmus bezeiclmet, (XXII.
der Episteln Londoner Ausgabe, 1642, p. 1187) den unser Autor
nur mit fast unmerklichen Abänderungen übersetzt:
(Apol )Erasmedit que c est ce mesme (Erasmes). Alibi parüchits quidam
cur£ ijuun jour de Penlecoste attacha sub diem Parascevus dam immisit in coe-
des petites cJiandelles de cire allumees a miterium vicos cancros, aff'i.cis ad latus
des escrevisses, et les laissa aller par le ccreolis ardentibus, qui quum reperent
cemetiere. C'estoit wie chose espoitvan- inter scpulcha, visum est noctu terribüe
table de voir la nuict ces bestes ainsi spectacuhim nee quisquam ausus est acce-
ramper autour des sepulcltres, tellement dere propius. Hinc rumor atrox, Con-
que personne u'osoit s'en approcJier. 11 sternatis omnibus, parocltus e sugyesto
en fut incontinent grand hruif. et coiiime docet popuhtm,easessedefunelorumanimas
L' Apologie poiir lUrodote von Henri Estienne. 225
chacun s'en estonnoit, le eure dit en ckaire qiiae missis et eleemosynis flagita'ciU a
que cestoyent les ames des trespassez cruciatu liberari. Fucus ita prodilus est
qui demandoyent d'estre delivrees j}ar reperti sunt tandcm itnus et alter cancer. . .
messes et attmosnes, des peines ou elles
estoyent. Ceste tromperie fitt incontinent
descouverte, car on trotira parmi les
pierres deux escrerisses que Je eure
naroit point cueilUes, et qui aroyent
eneore les ehandeUes attachees.
Jeder wird sich der von Sacchetti berichteten Geschichte er-
innern (N, 191a), wie „Bonamico dipintore, essendo chiamato da
dormire a vegliare da Tafo suo maesiro, ordina di metter e per
la camera scarafaggi con lumi addosso, e Tafo crede siano demoni.'-'-
Vasari erhebt in seinen „ Vite dei pittori (pp. 499 — 500) diese
Anekdote zur wahren Begebenheit, und Marchesi (Cfr. Per la storia
della novella italiana nel sec. XVII, Roma, Loescher, 1897, p. 92)
führt noch ein anderes Beispiel für die gleiclie Posse an, es steht in
der Arcadia di Brenta (V, Tag) „Xa lieta comitiva fa uno scherzo
a Fabrizio de Fahrizi, vüroducendo nella sua stanza dei gamheri,
con una candelina accesa sul dorso." Marchesi erwähnt auch, was
Giacomo Lunibroso über diesen Braucli der Roniagna und in den
Abnizzen berichtet (S. Scarafaggi e candeluzze im Archivio von
Pitre III p. 182 — 192) und zitiert ein Märchen von Grimm sowie
ein albaiiesisches von ürban Jarnik. In den ersten (Ki7ider und
Hausmärchen No. 192) verstreut ein Spitzbube gleichsfalls Krebse
mit angezündeten Lichtern über die Gräber auf dem Kirclihofe, um
Glauben an die Auferstehung der Toten zu wecken; im zweiten (Prag,
1843, 19. Märchen) wird berichtet, wie Zigeuner an der Leiche des
toten Juan eine Schildkröte befestigten, auf deren Rücken ein Liclit-
stümpfehen brennt.
Cfr. auch Letterio di Francia, Franco Sacchetto novelliere,
Pisa, 1902, p. 230.
Wie ein Pole die Rolle des Gesandten spielt.
(Apol. cap. XV.) „Je viens maintenant au Poidonnois,
nomme Florian . . . Dieser läßt sich Beglaubigungsschreiben und
falsche Siegel anfertigen und geht damit nach England. Hier spielt
er sich als Gesandter seines eigenen Landes auf und haut einige
Tölpel übers Ohr.
Ich erinnere daran, daß in den Contes et discours d'Eutrapel
(vol. II p. 91) von Abenteuern die Rede ist, die einen vilain gueux
für einen reichen ausländischen Gesandten ausgeben und mit ihm ins
Wirtshaus gehen, und der gueux sagt immer nur: ita, ita. Ilautc-
roche, ein Schüler Molicres, schrieb den Feint Polonais, wo ein
Liebhaber sich für einen Polen ausgibt, und sich auf diese Weise
in das Haus seiner Geliebten einführt. Desgleichen verfaßte Raymond
Ztschr. f. frz. Spr. u. Lilt. XXXI i. 15
226 P. foldo.
Poisson 1G68 ?,^m& Fcnix moscovites, wo Lubin, crieiir de noir, die
Rolle des russischen Gesandten spielt, ein anderer Gauner als
Dolmetscher figuriert, und der Gastwirt Gorgibus sich beiden schließlich
auf Gnade und Ungnade ausgeUefert sieht.
Es ist schließlich ganz begreiflich, daß unser Autor auf eine
wirkliche Begebenheit Bezug nimmt und daß auch alle anderen
Schriftsteller, die über solch einen Gaunerstreich berichten, sich auf
Tatsachen berufen.
Fromme Legenden; Aberglaube und Unwissenheit.
Wunderbare Auferstehung eines verspeisten Tieres.
(Apol. cap. XXXIV.) ,,ltem en la legende de S. Germain est
racontc qu'une fois qiCii prescJioit en Bretagne . . . un houvier
(um ihm zu essen zu geben ein Kalb schlachtete). Mais apres soiiper
S. Germain fit apporter lous les os dessus Id peait, et ayantfaict
son oraison dessus, le veau se leva sur ses pieds an mesme instant. '■'•
Diese Geschichte ist mythologischen Ursprungs. Cfr. Köhler.
Kleinere Schriften, ed. Bolte I p. 258 sqq. Das graue Schaf.
Cf. auch meine Studie: Dali Alphahetum narrationinn, Archiv für
das Studiimi der neueren Spr. u. Lit.^ 1907.
Die verwünschten Tänzer.
{Apol. cap. XV.) ,^A propos de quoi nous lisons une ehose
fort ridicule: cest que au temps du pape Jean XXI on fit courir
im hrnit au pays de Saxe que quelques %ins furent un an sans
cesser de danser, en vertu de la malediction qiiun pi^estre hur
avoit donn^e, pour ce qu'ils navoxjent point faict dlwnnenr ä son
dien de paste qiiil j^ortoit".
Cfr. auch meine Studie: DaW Alphahetum iiarrationum, im
Archiv für das Studium der neueren Spr. u. Lit., 1907.
Handelt von einer Frau, die dem heiligen Michael eine
Kerze weiht und dem Teufel eine andere.
{Apol. cap. XXXVIII.) Es handelt sich bloß um eine An-
deutung: car comme la honne femme, apres avoir donn^ une
chandelle ä Sainct Michel en donnoit aussi une au diable qui
estoit avec luy: ä sainct Michel, afin qiiHl luy /ist du hien, au
diable, afin quil ne luy fist point de mal . . .
Cfr, auch betreffs anderer Angaben meinen Cotdributo, p. 15,
da, wo ich die elfte Novelle der Cent Nouvelles Nouvelles bespreche:
„(Ein eifersüchtiger Ehegatte) offrit wie chandelle au diable quon
paint communement dessoubz saint Michel.'-'' Diese Erzählung
der Cent Nouvelles Nouvelles hat eine gewisse Verwandtschaft mit
dem Bericht unsers Autors, ohne ihm durchaus zu ähneln. Es handelt
sicli ja nur um eine bloße Variante des bekannten Abenteuers von
L' Apologie poiir Herodote von Henri Estienne. 227
Hans Carnel, das Poggio erzählt sowie Rabelais, und das von Aricst
und la Fontaine in Versen besungen wurde etc.
Volkstümlich, mehreren Religionen gemeinsam und uralt ist
der Brauch sich schlimme Gottheiten mit gleichen Mitteln geneigt
zu stimmen wie die gütigen.
Handelt von einer Frau, die begehrt von ihrem Ehemann
geprügelt zu werden.
Estienne erwähnt diese Geschichte in seinem Discours pre-
liminaire, und Le Duchat bemerkt dazu, daß eine Erzählung dieses
Inhalts sich schon bei Herbenstein, rernm moscovitarum commen-
tariis (Ausgabe von Antwerpen, 1557) findet. Eine Frau in Moskau
beklagte sich bei ihrem Gatten, weil dieser sie nicht prügelte, da es
ihr so schien, daß ohne Schläge keine Liebe vorhanden sei. Der
wackere Mann stellt sie zufrieden und prügelt sie so hart, daß die
Frau infolge der Schläge stirbt. Herberstein berichtet dieses Vor-
kommnis von einem italienischen Ehepaare. Domenichi dagegen
(a. a. 0. p. 294 — 295) verlegt den Schauplatz nach Moskau und
fügt hinzu, der Ehegatte sei ein deutscher Schmied. Unser Autor
bietet keine Angabe über den Stand des Prügelhelden und hält sich
an keine der angeführten Versionen.
Man beachte den verschieden ausklingenden Schluß:
„(Apol.) mais en la ßn un jour vint „{Domenichi.) Laqual cosa ("das
qu'il la caressa de covps si extraordinai- Prügeln) egli usd piii volle, e ßnalminte
rement qii'au hattre il liiyßt faillir Vamoitr le taßio il collo^ e le (/ambe."
arec la vie".
Auch Casalicchio berichtet dieselbe Anekdote, (cfr. Marchesi,
op. cit. p. 181.)
Sonderbare Einfalt eines Menschen, der Priester werden will.
(Apol. cap. XXIX.) „On conte aussi d'un auire qui estoit
venu pareillement pour estre faict prestre, lequel on interrogua^
pour esprouver son hon entendement., qui estoit le pere des quatre
fils Aimond. A quoy nayant sceu respondre, il fut renvoye.
Esiant retourm et ayant raconte Voccasion pour laquelle il avoit
este refusS^ son pere luy remonstrat comment il estoit bien beste
de riavoir sceu respondre qui estoit le pere des quatre ßls Aymond.
Voilä (dit-il) grand Jan le mareschal qui a quatre enfans: si
on demandoit qui est leur pere, dirois-tu pas que grand Jan le
mareschal'^ Oui, dit-il: fenten bien maintenant. La dessus s'en
retourne pour estre receu, comme ayant bien mieux appris sa lefoti
depuis. Estant donc interrogue pour la seconde fois qui estoit
le pere des quatre fils Aimond, respondit que cestoit grand
Jean le marhchal.
15*
228 ' P. Toldo.'
^ ■ ' ' Dieselbe Erzählung steht in der Elite des conies du sieur
d'OuviUe (a. a. 0. p. 282 — 283). Die einzigen Abweichungen bestehen
darin, daß hier von einem G^nllaumc le mareclial statt Jecm die
Rede ist, und in der Fassung des Schlusses: „L'heque croyant
quHl le dit par galanterie, et quil le spavoit trks-Oien, loua cette
siihtiliiS, et le regut.^''
Unwissenheit eines Geistlichen.
(Apol. XXIX.) Am unwissendsten sind die Geistlichen, gleich-
viel ob hohen, oder niedrigen Ranges: ,^tesmoin celiiy qui oyant
alleguer des loix qu'on nomma clementina et novella se mit
en trh gründe coüre de ce qu'on luy amenoit le tesmoignage
de paillardes'-^ .
Der Schwank No. 197 von Poggio ist hier in aller Kürze
wiedergegeben. Doch wolle man beachten, daß der Held von
Bracciolini kein Geistlicher sondern ein Advokat ist, folglich ist die
Unkenntnis der Gesetze für ihn noch schwerwiegender; andrerseits
geht aus dieser Verschiebung der Stände hervor, in welcher sorgsamen
Weise sich Estienne die Dokumente für seine historischen Dar-
legungen verschaffte.
Sankt Johannes wird der Verleumdung beschuldigt,
(Apol. cap. XIV.) Die Quelle dieser anmutigen kleinen Geschichte
ist in den: Piacevolezze del piovano Arlotto zu suchen, die unser
Autor in einem anderen Kapitel erwähnt. Das Abhängigkeitsverhältnis
läßt sich nicht bestreiten. Die Nachahmung fällt häufig fast wörtlich
aus. (cfr. Le facezie ecc. ed. Bacciui, Firenze 1884, p. 100.)
(Apol.) „Lequel maudisson me fait (ArloUo) ,,Come in Firenze fu nn
Souvenir d'une histoire fort plaisante, et calzolaio non molto ricco, il quaie aveva
venant hien ci propos ici. Cest d^un una divoziont di dire ogni matiina a
cousturier de Florence, lequel ayant de huorC ora cerle sue orazioni a tin altare
long temps adore avec gründe devotion che era nella chiesa di Sun Michele Bertekli
une imaye de S. Jean Baptiste, qui estoit a un San Giovanni Baüista ..."
au temple de Santo Michaele Berteldi ..."
Dieser r-cousturier" statt ,,cordonmer"^ verrät die Eile und
zugleich die Zerstreutheit des Nachahmers. Der Florentiner glaubt
sich schließlich nach soviel beten berechtigt den Heiligen in seiner
Not anzurufen:
„Je te prie de m'otiroyer ces deux „Jo ti prego che tu mi faccia due
requesies. La premiere est que je vondrois grazie; la prima vorrei sapere se la mia
aqavoir si ma femmt me fit jamais faule; donna mai mi fece fallo, e Vallra quello
la seconde, qu'il doit advenir d'un Jils che dehV essere d'un mioßgliuoh che ho" .
que fay.''
Ein boshafter Kleriker, der sich über den guten Gläubigen
lustig machen will, verbirgt sich hinter dem Bilde des Heiligen und
antwortet statt se'ner, jedoch auf eine Weise, die wenig Zufriedenheit
L'Apologie pour H^rodote von Henri Esiienne. 229
mit der Tugend der Ehegattin und der Zukunft des Sohnes hervorrufen
kann. Aber der Schubmacher läßt sicli nicht so leicht einschüchtern
und nachdem er gefragt, welcher St. Jobannes es sei, und zur Antwort
erhält „der Täufer", versetzt er mit großer Lebhaftigkeit: „Ich wundere
mich gar nicht über die Antwort, da du ja immer eine böse Zunge
hattest und dir auch Herodes aus diesem Grunde den Kopf ab-
hauen ließ." , ,;.
Unser Autor versichert, daß dieser Bericht: „a pour son
auteur (au Heu dont je Vay prise) le seigneur Piero di Cosmo
de'' Medicv' und der ,qnovano Arlotto^' zitiert auch tatsächlich die
genannte hohe Persönlichkeit als Erzähler. An einer Stelle übersetzt
Estienne nicht bloß den Text von Arlotto, sondern führt sogar direkt
ein italienisches Zitat an.
m
Wie das Bild des Jesuskindleins vergeblich
im Gebet augefleht wurde.
(Apol. cap. XXXIX.) Die Quelle ist in den bereits zitierten
Facezie del piovano Arlotio (a. a. 0. pp. 99 — 101) zu suchen,
jedoch mit dem Unterschiede, daß der farsettaio des italienischen
Textes hier zum chaircutier wird, vielleicht weil unser Autor durch
die Analogie des Ausdruckes mit dem Zeitwort farcir (vollstopfen,
das Füllsel in die „salumi^'' stecken) irregeführt wurde. Der Sohn
dieses Mannes wird krank, und der Ärmste empfiehlt sich der Gnade
eines Bildnisses des Jesuskindleins, vor dem er seit vielen Jahren
seine Andacht verrichtete. Unglücklicherweise richten seine Gebete
nichts aus, und der Jüngling stirbt. Alsdann faßt der Vater einen
Groll gegen das Heiligenbild und' hält ihm folgende Anrede:
„(Apol): Je te rennonce, et fasseure yy(Ärlotto): Jo ti dtsgrazio, ne ii
que tu ne mauras jamais auprls de toi/. voylio piü venire innanzi', tu sai che piii
Je (ay servi ßdelemetU l'espace de plus di 25 nnni ti sono stato fedele, non ti
de vint ans, et en tout ce temps je ne domandai mai piii (jrazia alcuna se non
t'ay requis que de ce seul plaisir, et encorc questa, e non nie Vhai voluta fare, nc
tu nias esconduit. Si feusse faict ceste concedere; se io avessi domandato questa
requeste ä ce grand crucefis qui est aupri'S grazia a quel Crocißsso grande che fc
de toi, je sqay hien quil me l'eust ottroyee. vicino, io sarei stato meglio esaudito e ti
Je te promets bien que loute ma vie je me prometto di mai piii m^impacciare ne teco,
gnrderay d^avoir ci faire ni avec toy, ni ne con fanciulli, che chi sHmpaccia con
avec enfant aucun, Et pour toute raison fanciulli, con fanciulli si ritrova."
ajousta ce proverbe italien : Chi s'impaccia
con fanciulli, con fanciulli si ritrova.'*
Von dem Kruzifixe, das beinahe einen armen Mann tötete.
(Apol. cap. XXXIX.) Estienne berichtet, daß ein ,,bour<juignon . . .
pres d'un village nommS Chaseide,'* seinem Beruf nach Landmaun
und Glockenläuter, seine Andacht hauptsächlich vor einem bestimmten
Kruzifix verrichtete, und weil er sich viel in seiner Nähe des Betens
halber aufhielt, traf es sich einmal, daß das Bild sich vom Nagel
230 P. Tokio.
löste, und so schwer auf ihn herabstürzte, daß er für tot verblieb.
Der Unglückliche brauchte ziemliche Zeit zu seiner Wiederherstellung,
und als er einmal an der Stelle vorüberkam, wo anstatt des alten,
beim Sturz zerborstenen Kruzifixes ein neues, mit lächelnder Miene,
aufgehängt war, machte er einen großen Bogen darum, indem er
ausrief: ^^Quelqiie helle mine que tu nie faces, si ne nie fieray-je
jamais en toy. Car si tu vis aage cVhomme, tu seras aussi nie-
schant comme ton pere qui rria cuide tuer.^'-
Man wird mit der Annahme nicht fehl gehen, daß unser Autor, da
er schon andere piacevolezze des ,,piovano Arlotto" nachgeahmt
hatte, sich auch des Schwankes erinnerte, der auf S. 222 der Ausgabe
von Baccini zu lesen steht. Ein Pater weiht einem bestimmten
Kruzifix eine besondere Andacht. Das Kruzifix stürzt auf ihn herab,
ganz wie in dem bereits angeführten Bericht, und der Unglückliche
ist dem Tode nahe. Erst nach langer Zeit erhebt er sich von seinem
Krankenlager, aber als die anderen Mönche ihm den Rat geben, zu
seiner gewohnten Andacht zurückkehren, will er nichts davon hören
und verzeiht den erlittenen Schaden mit zusammengebissenen Zähnen.
Der Schluß folglich — falls es sich nicht um eine andere mir un-
bekannte Quelle handelt — muß Estiennes Erfindungsgabe zugeschrieben
werden; der Zusatz macht den Eindruck einer witzigen, dem Moment
gut angepaßten Pointe.
Einfalt eines unerfahrenen Reiters.
(Apol. cap. III.) „(Ein Reiter) ayant receu un coup de pierre
par le dos, estani monU sur sa mule, mettoit a sus ä ceste pauvre
beste qiielle luy avoit baille un coup de pied.""
Ersichtlich bildet der CLXI. Schwank von Poggio, in wekhem
von einem Venetianer die Rede ist, der sich nach Treviso begibt und
vom Diener einen Steinwurf an das Kreuz erhält, die Quelle.
Dieselbe Person: „ayant veu cracher sus du f er ^ pow essayer
sil estoit encore cliaud, crachoit pareillement en son potage pour
esprouver s'il estoit chaud." Bereits Clement (a. a. 0.) wies auf
diese Beziehung hin zwischen diesem Geschicbtchen und dem fahleati
vom Vilain de Farbu (R. Montaiglon II. 82).
Blutschande.
Handelt von einem Pfarrherrn, der au der eigenen
Schwester Blutschande begeht.
(Apol. cap. XXI.) „Je f^ray ici le recit d'un inceste superlatif
commis par un prestre, ainsi quil est authentiquement enregistre
•es escrits de la roine de Navarre derniere defunctey si non que
fuseray de plus grande brievetS.'^
Unser Autor bietet hier eine kurze Inhaltsangabe der Novelle
XXXIII des Heptameron „Lliypocrisye d'un curi, qui, sous le
L' Apologie pour IJerodote von Henri Estienne. 231
manteau de saindcU, avoit engroissee sa seur, ful decouverte par
la sagesse dxi Comte d'Angoidesme, par le conimandement duquel
la Justice en fait punition.^''
Von der Mutter, die Blutschande begeht.
(Apol: cap. XII.) Das Thema ist identisch mit dem von
Margarethe von Navarra im Hepiameron (No. XXX) behandelten:
„MH jeune gentil komme, aage de quatorze ä quinze ans, pensant
coucher avec Vime des Uamoiselles de sa mere, coiicha avec eile
mesme, qui au hout de ncuf mois accoucha du fait de son ßls,
d'une fille, que douze ou treize ans apres il epousa, ne sachant
quelle fiit sa fille et sa seur, wj eile qxiil füt son pere et son
frere.'' Unser Autor kürzt stark ab und folgt auch sonst seinem
Vorbild nicht wörtlich nach. Margaretlia scheint einen lebenswahren
Bericht zu erstatten: au iemps du Roi Loys douziesme,^'- am Hofe
von Navarra, und erklärt den Namen der blutschänderischen Mutter
verschweigen zu wollen: ypour Vamour de sa race.'-*
Die Herausgeber des Heptameron, Le Roux de Lincy und
Montaiglou (vol. IV. p, 289) teilen diese Ansicht und verweisen auf
die darauf bezügliche Angabe Millins in seinen nationalen Antiquitäten
der von einer Inschrift meldet, die zu seinen Lebzeiten in einer Kirche
zu lesen war:
„Ci git Venfant, ci glt le pere,
Ci git la sa'ur, ci git le frere,
Ci git la femme et le mari
Et ne sont que deiix corps ici.''
Für weitere Angaben bezeichnen sie die englische Ausgabe von
Dunlop (II p. 462). Wir erinnern daran, daß auch Masuccio Salcrnitano
(nov. XXIII) und Bandello (II 35) dieses Thema behandeln, das
antiken Ursprungs ist und mit verschiedenen mittelalterlichen Legenden
sowie Aesop Beziehungen aufweist. Cfr. hierzu Alessandro d'Ancona,
La leggenda di Vergogna . . . e la leggenda di Giuda in Scelta
di curiositä letterarie, disp. XCIX, Bologna, Romagnoli, 1869) und
Köhler, Kleinere Schriften (ed. Bolte, vol. II p. 173 sqq.) Zier
Legende von Gregorius auf dem Steine. Cfr. außerdem Contes
et Romans de VEgypte ancienne par E. Amelincau, Paris, 1888,
I 165-189.
Witzige und schlagfertige Entgegnungen.
Welche Antwort ein Kardinal einem König erteilte.
{Apol. cap. XXVII) „Quoy qu'il en soit, nous lisons d'un
Cardinal d'Avignon qui se sceut bien servir de ce proverbe (quand
les rois Staient bergers) pour rendre le change ä un roy de France.
Car quand le roy, voyant les pompes de la cour du Pape, et
nommeement des cardinaux, luy cut demande si les Apostres
232 P. Tokio.
alloyent tin iel equipage: Jl est certain que no7i (dit-il); mais il
faul noter qiiils estoi/etit apostres au vicsme teiups que Ics rof/s
estoyent bergers.''
Der Stoff ist dem CCXXVlIstcu Scliwauk von Poggio eutnommcu,
aber nicht vollständig wiedergegeben. Auch Poggio läßt einen
Kardinal von Avignon und einen Kö:iig von Frankreich auftreten
und stellt die einfachen Lebenssitten der Apostel in Beziehung zu
den Fürsten, die ihre Herden hüteten. Cf. auch meine Studie:
DaW Alphahetum narrationum im Archiv für das Studium der
neueren Spr. u. Lit., 1907.
Handelt von Einem, der, sobald er Papst geworden,
nichts mehr von Bußübungen wissen wollte.
{Apol. cap. XXII) ,, . . . et de faict nous lisons d'im qui
avant qu'estre pape, souloit manger sur une rets, par une certaine
humilite devoiieuse ; estant parvenu au papat: Ostez-moy ceste rets,
dit-il: jay pesche ce que je voidois p>rendre.''
Die Büßfertigkeit, die im vorliegenden Falle in dem Brauch
bestand, aus einem Netz zu essen, scheint künstliche Erfindung des
Erzählers die dazu dienen soll die witzige Äußerung vorzubereiten.
Le Duchat bemerkt hierzu, daß solche Aussprüche von Sixtus V. im
Umlauf waren, von dem bekanntlich auch sonst viele heitere Geschichtchen
berichtet werden. In dem Kapitel Ue clave ahhatiae der Facetiae
Adelphinae (Straßburg, 1508) wird Folgendes berichtet: „Monachus
quidam maximam devotionem facie repraesentabat. Ita quod sub-
rnissa facie terram spectaret humilitatis causa.'' Als er Abt geworden
ist, richtet er den Blick vielmehr in die Höhe und antwortet Jedem,
der sich darüber verwundert: ,,ante electionem meam, clavem abba-
tiae quaerens terram semper i7ituebar".
Von derartiger Verstellungsgabe finden sich noch viel ältere
Beispiele. In den Sermoni evangelici von Franco Sacchetti (Florenz
1857, V. Scelta di curiositä letter. Bologna, Romagnoli, disponsa
XCIII p. 202 Nov. LXXVIII) wird erzählt, wie ein Abt in der Nähe
von Paris, „mostrava esser di santa vita, e digiunando spesse volte
si faceva comperare a uno suo fante sempre pesci piccolini, pik
trisii che poteva'\
Er wird zum Bischof von Paris ernannt, als sein Diener ihm
immer noch die gewohnte Speise vorsetzen will: „A cid il vescovo
biastemmiando disse, che quando era abate, e voleva de' piccolini,
gittava l'amo con quelli per pigliare de piu grossi per venire dove
era vemito, e da indi innami volea de maggiori che potea'\
Da'^selbe Argument hat Sacchetti später in der 149. Novelle verwendet.
Das gleiche Thema hat schon im XIII. Jahrb. Jacques de Vitry
(v. die Ausgabe der Exempla von Crane, London, 1890 N. LXX
p. 31) angeregt. Auch hier handelt es sich um einen Pater: „midtum
L' Apologie pour Herodote von Henri Estienne. 233
ante promotionein suam in pane et aqua jejunabat, et nee carnes
nee pisces nisi modicos manducare volebat. Cum autem factus
est ahbas, cepit magnos jnsces comedere". Und Jedem, der ihn
befragt, warum er sich so verwandelt hat, antwortet er; ^parvos
piscicidos manducabam, ut aliquando magnos manducare piossem.'"''
Cfr. auch Ernst und Schimpf von Pauli (Ed. Oesterley, App.
No. 7); Wright, Latin siories N. 93. De abbate ieiunante. Vgl.
außerdem Köhler, Kleinere Schriften. Ed. Bolte, vol. II p. 566 — 567
und Letterio di Francia, Franco Sacchetti novelliere, Pisa, 1902,
p. 78 — 79.
Ein Spaßvogel rät dem König Heinrich II. die Betten der
Ordensbrüder zu verkaufen
\Apol. cap. XXI) König Heinrich II. ist in Geldverlegenheit.
Ein gewisser Brusquet rät ihm: „qu'il commandast que les licts
de tous les moines fussent vendus, et qu'il s'en fist apporter les
deniers. Le roy luy ayant dema^ide oii coucheroyent les moines
quand ils nauroyent plus de licts: il respondit: avec les noujiains.
Mais il s''en faitt beaucoup qu'il y ait tant de nonnains que de
moines, repliqua le Roy. A quoy il eut aussi la responce toute
presie. 11 est vray, sire, mais chacune nonnain en logera bicn
pour le moins demie douzaine.
No. XCII der Joyeux Devis behandelt dasselbe Argument
mit nahezu dem gleichen Wortlaut. Man erinnere sich, daß die
editio princeps der Devis vom Jahre 1558 neunzig Novellen
enthält, wozu die Ausgabe des Jalires 1561 zwei weitere fügt, so-
daß Devis 92^ vielleicht chronologisch vor der Erzählung der
Apologie anzusetzen ist.
„Oest de Commander (respond le fol) par un edit, que
tous les licts des moines soycnt venduz par tous les pays de
vostre obeissance, et les deniers apportez es cojfres de vostre
espargne. — Sur quoy le Roy lui demanda en riant: Oit cou-
cheroyent les paiivres moines, quand on leur auroit ostc leurs
licts? — Avec nonnains — Voire 7nais, repliqua la-Roy, il y a
beaucoup plus de moines que de nonnains. — A donc le compaignon
eut sa response toute preste, et fust qiiune nonnain en logeroit
bien une demi-douzaine pour le moins.'"'-
Für Brautome cfr. die Anmerkung Ristelhubers.
Gegen die Messen für die Seelen im Fegefeuer.
(Apol. cap. XXXIX) „ Un florentiii estant importune par
quelques cordeliers de faire dire des messes pour tirer de pourga-
toire Vame d'un sien ßls: Allez, dict-il et si vous la delivrez par
vos mesmes je vous donneroi un escu. Die Ordensbrüder lesen die
Messen und fordern dann die Gebühren, aber der Florentiner protestiert:
234 P. ToUo.
Falles moy apparoir que vous lavcz dilivrce . . . Der Herzog, an
den die Franciskaner sich wenden, gibt besagtem Schlaukopf recht
und verlacht die Mörder.
{Apol. ibid) ,, Uli autre en France joua d'un autre toiir:
car quand on lui vlnt demander pai/eniod ponr messes qui avoijent
dclivre de purgatoire iine certaine ame, interrogua les prestres
si depuis qiie les ames estoyent wie foi sortiez de purgatoire,
elles n'estoyent plus en danger d'y retoarner . . . Und da die Antwort
bejahend ausfällt, ruft der wackere Mann aus, daß es übei flüssig sei
Geld für sie auszugeben. Er wird das Geld für andere Seelen auf-
heben, die in Nöten sind.
Ich erinnere zum Vergleich an das, was schon Morlini (Nov-
XXVII p. 58) berichtet hat: De filiis qni, post obilum patris, ejus
ultimam voluntatem exsequi noluere de legatis pro anima relicti).
Einer der Söhne stellt folgende Betrachtung an: Si anima geniloris
quondam nostri sepulta est m caeca cavea Tartari, vanum erit
pro ejus requie legata persolvere, quum in Inferno nuila sit
redemptio . . . Si7i autem in ßoridis campis Elysiis, uhi perpetua
et aeterna inest requies, degit, legatis nee /ideicommissis egit. 8in
vero in media circulo, ubi crimina limitate purgantur, purgatis
criminibus, certum est solvi liberarique omnino, minimeque sibi
legato prodesse."
Witzworte von zum Tode Verurteilten.
(Apol. cap. XV.) Ein Verurteilter wird zum Galgen geführt:
„Mon ami, sagt der Beichtvater, der ihm die letzte Tröstung bringt
bon courage, vous irez aujourd'huy en paradis : Ha beau pere,
il suffira bien que fy soye demain ä vespres.
In den Devis (nov. 11) scherzt ein gewisser Flaisantin, den
diesmal nur die Natur zum Tode verurteilt, gleichfalls auf dem Toten-
bette: „Mon amy — hier spricht der Geistliche — vous irez au-
jour dliui (ä Dieu), si Dieu piaist. Je voudrois bien estre asseure,
disoit-il, d'y pouvoir estre demain pour tout le jour.^'-
Estienne berichtet ferner von Scherzworten, die Verurteilte bereits
mit der Schlinge um den Hals geäußert hätten: „6^« autre dit au
hourreau estant prest ä le jetter; Regardez bien que tu feras : car
si tu me chatouilles en me touchant, tu me feras tressaillir.
In den Devis (nov. c), die 1265 mit dem Titel Nouvelles
recreations veröffentlich sind, d. h. später als das Werk unseres Autors,
tindet sich dasselbe Witzwort: Ue, maistre (der Verurteilte spricht
zum Henker) ne me passe plus lä la main. Je suis plus cliatouilleux
de la gorge que tu ne penses. Tu me feras rire et puis que diront
les gens? Que je suis mauvais chretien et que je me moque de
la justice.
L'Apologie pour Herodote von Henri Estienne. 235
In seiuem Kommentar zu dem Devis bemerkt Jacob, daß dieser
"Witz (wie alle Nacb folgen den) entnommen ist: j^^'^sque textuellement
des discoui's 71071 plus mela7icoliques que divei's (cap. X). In diesen
Unterredungen bandelt es sieb um verschiedene Personen, genau wie
in der Apologie; in den Denis dagegen kommt nur ein Einziger vor.
L'auire — fäbrt Estienne fort — ä 7nessire Jea7i qui luy
dit : Mon anii je vous asseure que vous irez soupe7' aujoui'dliui
avec Dien, respo7id, Allez-y vous-mesmes : car quant ä moy je
jeusne^ ou Allez-y soupe7' pour moy et je payerai vosire escot.'^
Und im Devis: (der fromme Bruder spricht) Tout te sera
pardonne et ii^as aujoui'd'huy soupper lä-haut e7i paradis avec les
a7iges . . . (der Büßer antwortet) Je vous p7'ie venez-moy te7iir
compagnie jusques la: Die schon erwähnten Discow^s berichten
dasselbe Witzwort. Im XIX. Schwank berichtet Poggio, daß ein
Kardinal die Soldaten zum Kampfe anfeueit, indem er ihnen verheißt,
daß sie noch am selbigen Abend im Himmel mit den Engeln speisen
werden. Die Soldaten ersuchen ihn, doch gleichfalls an dem Feste
teilnehmen zu wollen, aber der Kardinal entschuldigt sich, weil er
Abends niemals zu speisen pflege.
Und Domcnichi: (Facetie, rnotti et hurle ecc. ed. Venezia
MDIC p. 53) y,Bardella da Mtmtova essendo menato a impiccare,
gli disse nno dei co)ifortaio7n, sta di huo7i animo^ che questa sera
tu cenerai con la Fer^me Maria e con gli ApostolL Rispose
allora il Bardella : di gratia andateci voi per 7ne, che io
digiuno oggi."-
In der Arcadia in Brenta und in der Elite von d'Ouville liest
man ähnliche Witze (cfr. G. B. Marchesi, Per la sto7'ia della novella
italiana ncl secole XVll, Roma, Loescher, 1897 p. 95.)
„Mais — fährt unser Autor fort — entr'azitres co7ites qui se
fönt sur ce propos, cestuy est fort commun, du Pica7'd, auquel ja
estant, ä Vescltelle, 07i amena une piovre fille qui s'estoit mal
gouvernie, en luy pr07nettant qu''o7i luy sauveroit la vie sHl vouloit
promettre sur sa foy et sur la dammatio7i de son ame qn'il la
p7'endroit ä femme : mais e7itr'autres choses Vayant voulu voir
aller, quand il apperceut quelle estoit boiteuse, se tourna vers le
bourreau, et luy dict ; Attaque, attaque, eile cloque.
Ditso Anekdote ist sehr alter Herkunft. Alan liest sie im
iS'ovellino, im Esopns von Waldis, in einem Froverbio des Fabrizi,
im Zeloso von Don Alfonso Uz di Velasco, bei Angeloni, bei Nigra,
bei Hans Sachs u. a. m. (cfr. D'Ancona, Fonti del Novellino in Studi
di Critica et Storia lett, Bologna 1880; Liebrecht, zur Volksku7ide,
p. 433 ; Rua in Curiosita popol. tradiz. publ. per cura di G. Pitrc
vol. XII Torino 1893 p. XL sqq; Nigra, Co7iti vopol. del Pieino7ite
No. 11 und Köhler, Kleinere Schriften, ed. Bolte, vol. p. 251).
Ich füge hinzu, daß diese und andere „gaudissernes" sich
in den Essais von Montaigne (I. cap. XL) vorfinden; Un que Von
236 P. Tokio.
menoit cm gihet, disoit quon gardast de passer par teile rue,
car il y avoit danger qu'un marchand lui fist tnetire la inain snr
le collet ä cause iVune vieille debte. IJn autre disoit au hourreau
quil ne le touchast pas ä la gorge, de peur de le faire tressaillir
de rire, iant il estoit chatouilleux : Vautre respondit ä son confesseur,
qid lui promettoit, quil souperoit ce jour-lä avec Nosire Seigneur,
Allez vous y en vous, car de ma part je jeusne.
Un autre . . . Montaigne schöpft hier sicher bei unserem Autor,
um so mehr als er auch an anderer Stelle (T. II ed. 1826 p. 142)
nahezu wörtlich die schon erwähnten Antworten der zum Tode Ver-
urteilten wiederholt, die in der Wahl der Gattin zu anspruchsvoll sind.
„Chascmi a ou'i faire le conte du Picard auquel, estant ä
reschelle, on piresenta une garse . . . et apperceu qii'elle boitait.
Attache! attachel dicl-il eile cloclie. Et on dit de mcsme qu''en
Dannemarc ..."
Betreifs ähnlicher Schwanke s. auch VElite des contes du sieur
d'Ouville (ed. cit. II p. 64 ss.), auch wolle man nicht außer Acht
lassen, daß Castiglione gleichfalls an den Brauch erinnert von Ehen,
die vor dem Henker retteten : „e ridendosi di questa sua prigionia,
disse la signora Boadilla: s^gnor Alonso, a me molto pesava di
questa vostra disaventura, perche tutti quelli che vi conoscono
pensavano che 7 re dovesse farvi impiccare. — Allora Alonso
subito, Sig?iora disse, io ancor ebbi gran piemra di questo; pur
aveva speranza che voi mi dimandaste per marito. — Vedete come
questo e acuto ed ingenioso; jjerche in Spagna, come in molti
altri locht, usanza e che quando si mena uno alle forche, se una
meretrice publica Vaddimanda per marito, donasegli la vita
(Cortegiario, 1. II LXXVI cd. Cian p. 224).
Unzüchtige Spaße eines Predigers.
Unser Autor spricht davon an zwei Stellen (Apol. cap. XXI
und cap. XXXYI), indem er zuerst die Erklärung abgibt, daß er
das Paiiicr nicht mit solchen Schrautzereien besudeln möchte: pM^'s
(Der Bruder) ajousta tm propos si vilain . . . , et si indigne de
toutes chastes axireilles, qne je nen ay voxdu souiller ce papier-\
ohne zu bemerken, daß er mit dieser angeblichen Zurückhaltung der
Margueriie des Marguerites Unrecht tut, die ihn inspiriert und selbst
alles {Heptam. nov. XI) ohne soviel Umschweife auseinandersetzt.
Später läßt unser Autor aber doch noch alles Bedenken fahren und
ahmt wörtlich sein Original nach!
(Apol. cap. XXXVI.) „Or qa (dict- (fiept, nov. XI.) „Or qa, mes helles
il) mes helles dnmes tantost en caquetant Datnes, mais que vous soyez tantost a
parmi les comrneres, vous demanderes, mais cacqueter parmi les coinvih'es, vous deman-
qui est ce maistre frere qui parle si derez: 7)iais qui est ce maistre frere, qui
kardimcntf C'est quelque hon compagnon. parle si hardiment? C'est quelque hon
• — — — — — — ■ — — — — — compagnon . . .
Eh -dea messieurs et mesdames de — — — — — — — — — — —
L'' Apologie poitr Htrodote von Henri Esiienne. 237
S. Martin je vi'estonne fort De vous qui Eh dea^mcssieurs etmesdameade Saint
vous scandaliscz d'une chose quest moins Marlin, Je mestonne fort de vous qui vous
que rien, et tenez vos contes de moy par scandalisez pour moins que rien et sans
tout, et dites, Cesl 'V7i grand casi mais propos, et tenez vos compfes de moy par
qui Veust cuide que le beau pire evst tout, en disant: C est un grand cas; viais
engrossi la ßUe de son hostesse? Vraye- qui Veust cuide que le beau Pere tust
ment (dict-il) voilii hi(n de quoy s^esbatir enyrossy la Jille de son Ilostesse? l'raye-
quun moine ait engrossi une Jille.' mais ment, disl-ilvoilci bieiide quoy s'esbahirquun
venez ja heiles dames, ne devriez vous pas Moyne ait enyrossy une Jille', mais venez
bien vous estonner d^ax-antage si la Jille f«, belies Dames, ne devriez vous pas bien
avoit engrossi le moine?^ vous estonner si la ßlle avoit enyrossy
le moyne?
Warum St. Petrus und St. Paulus mit rotem Gesicht ab-
gebildet werden.
i^Apol. cap. XXXIX) ^,Toutes fois je commanceray ce dis-
coiirs par la response que fit xtn certain peintre ä un cardi7ml de
Mome. Cest liomme ayant peint S. Pierre et S. Paul si bien que
chacun s'en contentoit, un cardinal vint ä dire qu'il y trouvoit
une füllte, ä-sfavoir quil leur avoit faict les visages trop ronges!
A quoy ce peintre fit cette response sur le champ: Ceste rougeur
leur procede de lionte; car ils so)it lumteux de voir le train que
vous menez au pris de celuy quHls 07it mene.
Aus der PJlite des contes du sieur d'Ouville (ed. Briinet,
Paris, 1883, vol. I p. 236) erfahren wir auch den Namen des Malers.
„Paroles picquantes d\tn peintre ä deux cardinaux. — Tout le
monde a pu entendre parier de ce tres excellent et renomme peintre
Raphael d'Urbin, la memoire duquel vivra iternellement, ä Rome
particulierement. Se trouvant un jour avec deux cardinaux de
ses familiers amis, lesquels, pour le jncquer au vif, reprenoient
quelques fautes dans un tableau qtCil avoit fait oii sai7it Pie7Te
et Saint Paul etoient representez, disa7it quils avoient les insages
trop rouges, Raphael repartit ä rinsta7it : „Messeigneurs, ne trouvez
pas cela Strange : car je les ay pei7its de meme qu'ils sont au Ciel,
et cette rougeur que vous le7ir voyez sur le visage ne provient que
de la confusion qii'ils 07it de voir VEglise gouver7we par de tels
ho7nmes que vous.'*
Der Autor der Elite übersetzt hier, wie mich dünkt, aus
Castiglione (Cortegiano ed. Cian p. 224 — 225 1. II cap. LXXVI) aa
welcher Quelle allem Anschein nach auch unser Verfasser schöpft,
da er aus dem Cortigiano eine andere Anekdote (cnp. XXVIII) und
zwar diejenige von dem unschuldigen Edelmann, der noch mit zwanzig
Jahren neben seiner Mutter und seinen Schwestern schlief ohne zu
wissen, was Frauen sind.
Castiglione erzählt also: „Z>t questo modo rispose ancor
Rafaello pittore a dui cardinali suoi domestici, i quali, per fa7do
dire, tassava7io zn presenzia sua tina tavola che cgli avea fatta,
dove erano san Pietro e saii Paolo, dice7ido che quelle due figure
238 P. Tokio.
eran troppo rosse nel viso. Allora Rafaello subito disse: Signori,
non vi maravigliate: cliio questi lio fatto a sommo studio, perdd
e da credere che san Pietro e san Paolo siano, come qui gli
vedete, ancor in cielo cosi rossi, per vergogna che la Chiesa sua
sia governata da tali omini come sete voi."
Eine andere Anekdote, die gleichfalls Raphael betrifft und von
Giovio erzählt und von Cian in seinem Kommentar zum Cortigiano
angeführt und eine andere, die nur kurz erwähnt zu werden verdient,
entnehme ich dem Domenichi. Der große Maler hatte Julius Jiavea
molto colorito in volto" gemalt, perch^, quando tornava da Belve-
dere^i havea bevido''. Der Witz ist schaal, besonders wenn man ihn
mit dem über die Apostel vergleicht.
Handelt von Einem, der sich von seinem Diener beim
Fluchen helfen läßt,
Apol. Cap. XIV. Ein in Wut geratener Spieler stößt die
gottlosesten Flüche aus und befiehlt dann dem Diener so lange für
ihn fortzufluchen, bis das Glück ihm wieder günstig geworden ist.
Man erinnere sich an Panurge, der dem eigenen Pagen einen ganz
ähnlichen Auftrag erteilt. {Pant. III. 35).
Turin. Pietro Toldo.
L'Eiiserreineiit ]\[erliii. Studien zur Merliiisage.
II. Die Version des Prosa-Laiieelot (L).
(Schlufs. Vgl. Bd. XXXI, g. 169 ff.)
Es erübrigt noch die Erwähnung der Zeugnisse in französischer
Sprache. Ich scliließe nur diejenigen aus, die uns gar nichts an-
gehen können, sowie diejenigen, die in den nächsten Abschnitten noch
besonders besprochen werden sollen. '3') Wace, der Übersetzer von
Galfrids Historia, weiß nichts Neues von Merlin zu berichten, abgesehen
davon, daß er ihn Arthurs Ende prophezeien läßt.i32) Die uns erhaltenen
Lais ignorieren ihn. Auch die älteren Arthurromane lassen ihn nie
handelnd auftreten; nur ausnahmsweise wird seiner überhaupt Erwähnung
getan. Dies beweist, daß ihre Verfasser die Merlinsage nur aus Galfrids
Historia resp. ihren Übersetzungen kannten; und nach dieser Autorität
trat Merlin nur unter der Regierung des Wortigern, des Ambrosius
und des Uter Pendragon in den Vordergrund, während er unter
Arthurs Regierung, in die sie immer die Handlung versetzten, ent-
weder nicht mehr oder nur noch in Verborgenheit lebte. Die älteren
Romandichter wagten es nicht, zur Historia in Widerspruch zu treten
oder sie zu verbessern. Im Erec wird einmal (v. 6693) der ta7is
Merlin als eine vergangene Epoche erwähnt. Auch die späteren
Versroraandichter wagten es höchstens, den Bericht der Historia zu
vervollständigen. Im Chevalier as deus esjyees ist von einem Mantel
die Rede, auf dem portrait war, Comment Merlins Uter mxta etc.
(12181 ff.), die bekannte Geschichte von der Zeugung Arthurs.
An dasselbe Ereignis knüpft auch Gaiicher de Dourdan oder
Wmichier de Denain, wie man nach P. Meyer und G. Paris {Rom.
XXXII 585 — 86) sagen soll, in seiner Perceval- Fortsetzung an, geht
aber, ohne gerade mit der Historia in Widerspruch zu treten, doch
über dieselbe hinaus. Die Historia weiß nichts davon, daß dem
König Uter Pendragon über seinen Sohn geweissagt wurde. Li rois
avoit .1. sien devin Que li gent clamoient Merlin (34181 — 82).
*") Es müssen aber natürlich auch diejenigen berücksichtigt werden,
welche sich in jüngeren Quellen linden, wenn diese allenfalls verlorene
ältere repräsentieren können.
^■'-) Maixtre Gasse qtii Jist cesl //c/v, N'en ralt plus dire de ra fin Qu'en dist
H profetes Merlin (Brut V. K5C88 ff.).
240 E. Brugger.
Der König wünscht zu erfaliren, woran man den tapfersten Ritter
erkennen könne. Merlin will in 20 Tagen eine solche Tüchtigkeits-
probe ausfindig machen. Er verläßt den Hof und geht zum Mont
Dolerus und errichtet dort par sens et par art cVingremance (34227)
eine Säule, an der nur der tüchtigste Ritter sein Pferd anbinden
kann. Auch von dieser Säule weiß die Historia nichts; aber sie be-
richtet, wie Merlin unter Ambrosius durch Zauberei die ckorea
giganium aus Irland holte und bei Salisbury aufstellte. Sie nennt
auch den Montem Dolorosum, den sie zugleich mit der Stadt Alclitd
(Dumbarton) und dem Castellum Puellarum (Edinburgh) xon Ebraucus^
dem Eponymus von York, gegründet sein läßt und der also wohl
auch in Schottland zu suchen ist. i33) Eg empfahl sich offenbar dem
Dichter, die Wundersäule als das Werk des Zauberers Merlin hinzu-
stellen, und zu diesem Zweck sprach er wohl auch von Uter Pen-
dragon. Doch um Perceval, der die Tüchtigkeitsprobe besteht (und
indirekt auch den Leser) die Überzeugung gewinnen zu lassen, daß
die Säule wirklich Merlins Werk war, mußte er, da Merlin nicht mehr
leben konnte — denn darin hielt er sich noch ganz an die Historia,
daß er Merlins Carriere spätestens mit Uter Pendragons Tode abge-
schlossen dachte — , auf andere Weise die Authentizität seiner Aus-
sage beweisen. Darum gab er wohl der Person, welche Perceval
über die Wundersäule Auskunft geben sollte, Merlin zum Vater und,
um dies zu erklären, erfand er folgende Anekdote, welche er der
Dame vom Mo7it Dolerous in den Mund legte: Als Merlin die Säule
baute, Ma mere ert adont en s'enfance; Que plus de .XX. ans
navoit mie; Elle i sorvini, si /ist folie, Que ne se put de lui
torner Quant eile s'en quida raler; Ains fu s'amie a son voloir
(34 228 ff.). Nachdem dann Merlin dem König und seinen Rittern
Bericht erstattet hatte, kehrte er wieder nach dem Alojit Dolerous
zurück. Si vint manoir avoec ma mere Et tant ßst que il fu
nies pere {Z4:'ib\i). Mehr läßt der Dichter die Dame nicht erzählen;
er wollte ja nur beweisen, daß die Wundersäule wirklich Merlins
Werk war: Conte vous ai le voire estoire, Si vraie come jyattenostre
(34 254—55). Wenn altfranzösischc Dichter sich so ausdrücken,
dann kann man sicher sein, daß das, worauf sich diese Redensarten
beziehen, ihre eigene Erfindung ist. Die Historia berichtet keine
Liebesabenteuer Merlins; doch sie sagt auch nicht, doß er gegen
Liebe unempfindlich war. Gaucher will der Historia nicht wider-
sprechen; er will sie nur vervollständigen. Wie das 20jährige Mädchen
sich in den alten Merlin — jung kann er nicht mehr wohl gewesen sein —
verlieben konnte, fühlte sich der Dichter nicht verpflichtet, mitzuteilen.
Er nahm vielleicht an, daß seine Leser nichts davon wußten, daß
Merlin schon unter Wortigeru und Ambrosius gelebt hatte. Dieser
Teil der Historia war allerdings vor Robert de Borron den Laien kaum
^) Es ist wahrscheinlich Stlrllng gemeint.
UEnserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 241
bekannt. Es ist kein Grund vorhanden, um anzunelimen, daß Gaucher
für seine Merlin-Anekdote eine andere Quelle als die Historia benutzte.
Anders ist der Fall im Roman Fergus. Hier prophezeit der
Narr an Arthurs Hof: Ouns Chevaliers paens venroit Qui iroit en
la Nouqiieiran U Merlins sejorna maint an: Si prendroit le cor
et le guimple Qui pent au col del lioii simple Et irois fois del
cor corneroit Et puis apres se conhatroit Au chevalier noir comme
meure {2'2lb ff.). Der Verfasser des Fergus — dies wird jedem
Leser des Romans sofort klar — muß Schottland bereist haben; die
ganze Handlung ist in Schottland lokalisiert; die Topographie des
Romans ist keine fiktive; auch ein Teil der Personennamen ist
schottisch, und dürfte schottischen Sagen entnommen sein. Wir
dürfen darum auch erwarten, daß sich Merlins ehemaliger Aufent-
haltsort bestimmen läßt. La {montaigne oder forest def) Nouquetran
befindet sich bei (oder ist ein Theil) der Noire Montagne (24/21,
28); es ist ein be\\aldeter Berg oder ein Wald in sehr erhöhter Lage
(58/2, 8; 56/22 ff.). Man kann von dort aus einen Teil von Eng-
land 134^ tiberblicken. Der Wald zieht sich bis zur mer d'lllande
(58/10 — 11). Von Cardiiel (Carlisle) kann man nach unserem Roman
in einer guten Tagereise auf die Spitze des Berges gelangen. Man
passiert das castiel de Lidel (41/33) (da, wo der Fluß Liddel in
den Fluß Esk mündet; vgl. Martins Ausgabe p, XXI); und kommt
dann, nachdem man tertres und vaus parfons (5G/20) überschritten
hat, zum Fuß der Noire Montaigne oder Noziqueiran. Martin
(XXII) will Nouquetran mit New Castletoion und la Noire Mon-
taigtie mit den Blackhall liills zwischen Jedburgh und New Castletown
identifizieren. Es ist höchst zweifelhaft, ob die modernen Namen
denjenigen unseres Romans entsprechen; doch ist es sicher, daß Martin
die Lage richtig bestimmt hat. Man darf wohl annehmen, daß der
Verfasser des Fergus einer Lokalsage folgte, indem er Merlin nach
Nouquetran versetzte. Nouquetran nun lag nach der obigen Be-
schreibung nicht weit nördlich von Arthuret, dem alten Arderydd, wo
die berühmte Schlacht geschlagen wurde, an der sich nach der Vita
Merlini auch Merlin beteiligte. Doch der Verfasser des Fergus kann
dieses Werk nicht benutzt haben; denn in demselben ist nicht an-
gegeben, wo die Schlacht stattfand. Nun scheint aber Merlin in
jenem Teil der Vita in Lailokens Schuhen zu stehen. Wir müssen
also wohl annehmen, entweder daß Myrddin ebensowohl wie Lailoken
bei Arderydd kämpfte oder daß Merlin nicht erst in der Vita Lailokens
Rolle übernahm. Wie sollte man sich sonst erklären, daß Merlin
vom Verfasser des Fergus, der nicht wie andere Arthurromandichter
phantastische Geographie anwendet, gerade nach Nouquetran versetzt
wurde? Wie und wo Merlin nach der Meinung des Dichters starb,
erfahren wir nicht; doch zeigt uns jener Vers schon, daß nach seiner
^■■'*) Und von Cornwall: dies ist Übertreibung.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI '. 16
242 E. Bnigger.
Ausiclit Merlin zu Fergus' (also auch Arthurs) Zeit tot ^^ar. Auch
(lieser Dichter setzte sich also nicht in Widersi^ruch zu Galfrids
Historia, die er wohl bei seinen Lesern als bekannt voraussefzte, da
er von Merlin wie von einer bekannten Persönlichkeit si)richt.
Von außerordentlicher Wichtigkeit für die Entwicklung der
Merlinsagc war der Gralroman Roberts von Borron. "Wir besitzen
zwar von dem zweiten und dritten Teil, wo allein von Merlin die
Rede ist, von etwa 500 Versen abgesehen, nur eine Prosabearbeitung;
ja, es ist nicht einmal sicher, daß Robert überhaupt den dritten Teil
der Trilogie ausgeführt hat (über diese Frage vgl. in dieser Zeit-
schrift XXIX 68 ff.). Wir wollen aber hier den Roman der Be-
quemlichkeit halber als Roberts Werk betrachten. Robert war der
erste, der auch die vorarthurisclie Zeit zum Gegenstand eines Romans
machte, der erste darum, der dem roman hreton einen geschicht-
lichen Anstrich verlieh, den conte zum Rang der estoire erhob. Er
hat aus Galfrids Historia resp, aus der Übersetzung des Martin von
Rochester ^'^^^) alles excerpiert, was sich auf Merlin bezog, und daraus,
indem er es sehr breit trat und mit einigen Interpolationen versah,
eine neue Vita Merlini geschaffen, die den zweiten Teil der Trilogie
bildet. Er hielt sich nicht mehr skrupulös an die donntcs der Historia
resp. des Brutus; er bemühte sich nicht nur, sie zu vervollständigen,
sondern wagte bisweilen sogar den Widerspruch. Es war ihm vor
allem darum zu tun, in die heterogenen Stoffe seiner drei Romane
eine gewisse Einheit zu bringen. Merlin selbst, dessen Geschichte
das Bindeglied zwischen derjenigen Josephs und derjenigen Percevals
bildete, sollte die Einheit personifizieren. Er steht nicht nur äußer-
lich, chronologisch, zwischen diesen Personen; er ist auch gewisser-
maßen der geistige Urheber der ganzen Trilogie. Nur war Robert
denn doch zu bescheiden, um zu behaupten, daß ihm Merlin den
Inhak derselben erzählt habe. Er hätte behaupten können, daß
Merlin das Buch geschrieben habe; er zog es aber vor, einen Schreiber
einzuführen, der nach Merlins Diktat schrieb. Dieser Schreiber ist
der Eremit Blaise, der Beichtvater von Merlins Mutter, i^^) Schon
als 2V2Jähriges Kind diktiert ihm Merlin die Geschichte Josephs,
Petrus', Alains und seiner Genossen, die Schicksale des Grals und
das Geheimnis seiner eigenen Geburt (vgl. in dieser Zeitschrift XXIX
"4 a) Ich habe, als ich oben Bd. XXX i p. 182—183 über Martin
von Kochester schrieb, die Angaben Meads in seiner Einleitung zu Whcatleys
Merlin-Ausgabe übersehen. Er hat alle ihm bekannten Merlinhss. kontrolliert.
Er fand in BN fr. 105 und 9123: Mai-tins de Ueure; BM fr. 749: martins de
roecesire; Arsenal 3482: martins de roecestre; B M fr. 344 Maisire martins de
rouain ; in Lovelichs Übersetzung: Martyn de Barre (p. LXVIII; vollständige
Zitate p. CLI, CLIX, CLXI, CLXXI). Hiernach darf man den Namen
Rochester nicht mehr als gesichert betrachten.
^'-■^) Kölbing {Arthour and Merlin p. CXH f.) hat darauf hingewiesen,
dafs Merlins Verhältnis zu dem Eremiten Blaise vielleicht schon bei Layamon
vorgebildet war.
L' Enserrement Merlin. Siudien zur Merlinsage. 243
p. 82 — 83). Von da an gebt ]\Ierlin immer von Zeit zu Zeit ^u
Blaise, der nun seinen Wohnsitz in Norhomberlande (I 32, 85) auf-
schlägt, und berichtet ihm jeweils, was sieb in der Zwischenzeit er-
eignet hat. Blaise schreibt alles auf et par son escrit le savons Jios
(Ferceval p. 482). '36^ Robert hätte zwar nicht gerade nötig gehabt,
Merlins Carrlere zu verlängern. Da Merlin auch die Zukunft kannte
(Robert läßt ihn ja ein Mal ums andere prophezeien), liätte er dem
Blaise auch schon als 2 1/2 jähriges Kind die zwei letzten Drittel der
Trilogie diktieren können. Allein Robert hatte offenbar das Gefühl,
daß dies nicht ginge. Man hatte sich zu sehr daran gewöhnt, daß
die libri prophetiariim die Geschichte nur in Form von zusammen-
hangslosen Fetzen, in dunkle Sprache gehüllt, darstellten. Robert
hätte niemals Glauben gefunden, wenn er den Percevalroman als eine
Prophezeiung ausgegeben hätte, und der beständige Gebrauch des
Futurums wäre sehr unbequem geworden. So wurde der Dichter,
wenn er an der Einheit der Quelle fest halten wollte, geradezu ge-
zwungen, Merlin bis zu jener Epoche leben zu lassen, welche den
Schluß der Trilogie zu bilden hatte. Indem er dies tat, setzte er
sich noch nicht in direkten Gegensatz zum Brutus resp. zur Historia,
da hier nicht gesagt wird, daß Merlin unter Arthur nicht mehr lebte;
aber seine Darstellung widersprach wenigstens der gewöhnlichen Inter-
pretation jenes Werkes.
Robert ließ aber Merlin nicht nur Reporter sein; sondern er
ließ ihn auch die Geschicke des Reiches lenken. Er schrieb ihm
vor allem die Idee der Gründung der Tafelrunde zu, und setzte
dieses Ereignis in die Regierungszeit des Königs Uter Pendragon. i37)
Es sollte wieder ein Bindeglied zwischen den drei Romanen sein;
denn die Tafelrunde sollte eine Nachahmung der Abendmahlstafel
Christi und der auf Christi Befehl eingerichteten Tafel Josephs sein,
von denen im ersten Roman die Rede ist. Merlin, als die Ver-
körperung der Einheit der drei Romane, sollte sie gründen, und
darum wird die Gründung im zweiten Roman, dessen Held Merlin
ist, erzählt und mußte somit in Uter Pendragons Zeit verlegt werden.
Robert widerspricht auch der Historia in Bezug auf die Heirat von
i-'^) Roberts Werk, das eine Übersetzung von Blaises sein will, wird
auch direkt als Blaises ausgegeben. So schliefst der Robertsche Merlin iu
der vatikanischen Hs. Reg. 1512 mit dem Colophon: Si fenist U livres Meilin
que Jilaises ces maislres escript.
1^') Da nach unserer Annahme Robert nicht die Übersetzung des
Wace, sondern diejenige Martins von Rochester benutzte, die vielleicht der
Table lionde gar nicht Erwähnung tat, so kann man nicht ohne weiteres be-
haupten, dafs Robert willkürlich von seiner Quelle abwich. Seine Quelle
werden wohl bretonische Erzählungen, vielleicht Lais, gewesen sein, die ja
nach Waces Zeugnis sehr verbreitet waren. Aber es ist zweifellos, dafs
diese Erzählungen Arthur die Gründung der Tafelrunde zuschrieben; und
Roberts Darstellung ist also doch eine willkürliche Abweichung von der
Quelle.
16*
244 E. Brngger,
Uter und I^^erne, weil er seinem Merlin eine neue wichtige Holle
verschaffen wollte: Merlin ist es nun, der Arthur zum Thron ver-
hilft (vgl, G. Paris, Merlin I p. XVIII f.). Im dritten Roman ist er
es, der zuerst die Gral-Queste aufs Tapet biingt, dem Gral -Helden
den Weg zeigt (nicht in Huchers Text; doch vgl. Waltli. Iloffmann,
Die Quellen des Didot-Perceval 1905 p. 40), ihn wegen seiner
Verzögerung tadelt und endlich die Vollendung der Gral-Queste an
Arthurs Ilof verkündet. Am Schluß des Romans, nach der Erzäh-
lung von Arthurs Tod, nimmt Merlin Abschied von Perceval und
von Blaise, den er vorher auf die Gralburg gebracht hat, et lor
clit que nostre sire ne vouloit rnie que il demorast au jmeple, ne
il ne pooit rnie inorir decant le defßnement du siede; mes donc
avra il la joie pardurahle; et je feroi [!] dejost [!] ceste maison
(Gralburg), la dehors ceste forest, mon habitage, et la voudrai
converser et j^rophetizerai qiiant que nostre sires me voudra en-
seingnier et tot eil qui mon habitage verront, Vapeleront VEsplu-
meors Meilin; atant sen toma Merlin et fist so7i esplumi'or et
entra dedenz, ne oncques j^ws ne fast veu au siecle; ne oiicques
puis de Merlin ne doii Graal ne palla puis li contes, fors tant
solement que Merlin proia nostre Seygnor que il feist a touz
ceus nierci qui volontiers orroient son livre etc. (Ilucher, Saint-
Graal, I p. 503—5).
Robert war nicht der erste, der Merlin den König Arthur über-
leben ließ. Vor ihm tat es der Verfasser der Vita IMerlini. Robert
braucht offenbar die Idee dazu nicht von diesem geborgt zu haben,
da sie sich bei seinem Plane von selbst präsentierte. Dennoch ist
es möglich, daß er dieses Werk benutzte. Denn sein Merlin-Roman
hat mit demselben zwei von jenen Anekdoten, die man devinailles
nennen kann (diejenige von den Schuhen und diejenige von dem
dreifachen Tod) gemeinsam. Beide Werke enthalten daneben noch
andere devinailles. In der Historia ist Merlin eine durchaus ernste
Persönlichkeit, ebenso in den Pseudo-Myrddin-Gedichten. Bloß die
Vita Merlini und Roberts Merlinroman machen ihn zu einem Farceur.
Jene folgte offenbar nur der Lailokenlegende; liailoken wurde sogar
als Hofnarr dargestellt. Auch findet sich die eine von jenen zwei
devinailles wirklich in der Lailokenlegende und zwar in viel ur^prüng-
licherer Form als in der Vita Merlini. Der in der Vita enthaltenen
Fassung ist aber diejenige bei Robert ähnlich. Es ist zwar kein
triftiger Grund, den G. Paris gegen die Annahme einer Entlehnung
vorbringt (p. XV): Robert hätte sich dann auch 2 andere i)ikante
devinailles der Vita Merlini nicht entgehen lassen. Robert war kein
Feinschmecker; bei ihm ist ja das Pikante seiner Quellen in der
Regel verloren gegangen. Immerhin ist zu bedenken, daß die Vita
Merlini kein verbreitetes Werk war; und daß Robert, da er die
Historia nicht im Original benutzte, vielleicht des Lateins nicht
kundig war; eine französische Übersetzung der Vita Merlini gab es
Ij Enserrcmeiit Merlin. Studien zur Merlinsage. 245
aber jedenfalls nicht. Anderseits wird sich gegen die Annahme, daß
Robert auch mündliche Quellen für seinen Merlin benutzte, nichts
einwenden lassen, besonders wenn man ihn für einen Anglonormanncn
hält. In Großbritannien hörte man wohl sehr viel von Merlinus
Calcdouius und seinen devinailles erzählen, ^ss'^ Die Mystifikationen,
mit denen, sich Roberts Merlin amüsiert, wenn er sich den Leuten
zeigen will, gehen wahrscheinlich auf die Historia zurück; denn
schon beim Tintagcl-Abenteuer gibt er sich und seinen Begleitern
eine andere Gestalt. Roheit beutete dies aus, indem er Merlin als
Holzhauer (Merlin I GS), Hirt (G5), preuJom (66, 67), valet (72),
Greis (107), Krüppel (108), alten Bauer (Perceval 481) erscheinen
ließ. Doch erinnert uns der Waldmensch Merlin mit seiner Herde
von Tieren (Merlin I 65) an den Merlin der Vita Merlini, der mit
einer Herde von Hirschen zu Gwendoloenas Hochzeit zieht. Über-
haupt paßt der beständige Aufenthalt Merlins in den großen Wäldern
von Northumberland (z, B. Merlin 165) nicht besonders gut zu dem
Merlinus Ambrosius der Hibtoria, sondern viel eher zu dem Merlinus
Caledonius. Dieser war wohl allein der Merlin der Volkssage; der
Merlinus Ambrosius war nur eine literarische Fiktion. Wenn Robert
Volkssagcn benutzt hat, so ist es sehr wahrscheinlich, daß der Schluß
seines Perceval, für den weder in der Historia noch in der Vita ein
Vorbild voi banden war und der sicher nicht Roberts Gehirn ent-
sprang, aus einer solchen Quelle stammt. Roberts Darstellung deutet
darauf hin, daß der Esplumeors Mellin ihm schon aus einer anderen
Erzählung bekannt war. Diese Erzählung braucht nicht in fran-
zösischer Sprache verfaßt gewesen zu sein. Das Wort esplumeors
kann eine Übersetzung, vielleicht eine falsche Übersetzung sein.
Roberts Quelle für jene Partie bildete jedenfalls nicht der
Roman Meraugis, wenngleich hier auch vom Espluryieor Merlin die
Rede ist. Meraugis sucht Gauvain, weiß aber gar nicht, wo er zu
finden ist. Darum sucht er zunächst den Esplumeor, welcher —
nach der Art, wie von ihm zum erstenmal gesprochen wird, zu
schließen — schon als Informationsbureau bekannt sein mußte.
Denn es heißt: Meraugis oirre qui vet querre L'esplumeor', en
mainie terre E'a demande tant qiiau matin Joste la mer pres d'un
chemin Vit .1. röche mout grifaigne. La röche ert hing en la
montaigne, Mout haute, tote d'u7ie pierre, En toz tenz verz', qxiele
estoii dHerre Bordee cntor a la riJonde. Desus cele reche reonde
Qui ert la plus haute den mont Vit Meraugis lasus amont Bien
jusqua. XII, damoiseles. Iluec se sieent les puceles En .1. praiel
soz .1. lorier. i39) En toz tens servent de pledier. — De quoi?
"8) Doch nicht etwa iu Lais. Diese devinailles galten wohl nie als Lite-
ratur und nahmen darum wohl nie literarische Form an.
139) Vgl. die von dem ersten Herausgeber, Michelaut, reproduzierte Vig-
nctte(p. 111). Der P'els erscheint darauf allerdings sehrniedrig, kaumsohochwie
das Pferd des Meraugis; doch rührt dies eben von der falschen Perspektive her.
246 E. Brugger.
De ce qid a este? — Non pas, ja 7ien sera parle Par eles, ne
ja n^avront pes; Ainz i tienent toz tens lor plez De ce qui est a
avenir. Et eil qui pensa dou venir Est acoruz plus que le pas
Desoz la rocke; eiieslepas Ala entor^ mes il ni voit Par ou
tnonter; qu'il ni avoit Iluis ne fenestre ne degri. Ne sai se
Dieus la jist de gre. Mout estoit haute et de heau tor. Et
Meraugis ala entor Trois tors ou plus et lors cria: „Dames, par
ou irai je laP' (2633 ff.). Sie sagen, er könne nicht zu ihnen
hinaufkommen, und als sie erfahren, daß er Gauvain suche, weisen
sie ihn an einen Wegweiser bei einer nahen Kapelle. Meraugis,
nicht befriedigt, möchte wissen, Par ou j'irai phts droit cliemin
Querre l'csplumeor Merlin. Ja en orrai parier^ ce croi (2699 ff.).
Eine der puceles antwortet: Esgarde moi^ Vez-ci Vesplumeor^ j'i
sui. Assez porras muser mes hui; Que ja plus riens ne t'en
diron. Meraugis merkt endlich, daß er verspottet wird; er ist ent-
täuscht, da ihm der Zwerg (sein ehemaliger Begleiter) gesagt hat,
nur ici a cest esplumoer ^^^) (2713) könne er etwas über Gauvain
erfahren. Raoul de Houdenc liebte es leider, wie sein Vorbild Chretien
de Troyes, seinen Lesern Rätsel aufzugeben und auch den Kritikern
Sorge zu machen. Friedwagner, der zweite Herausgeber des Meraugis,
gibt zu (p. LXXII), daß er die Episode nicht recht versteht. Er
erwartet Aufklärung von andern Dokumenten, speziell von den
Prophetiae Merlini des Galfrid von Monmouth (sie!), die er noch
nicht gelesen hat. Da wird er allerdings enttäuscht werden. Und
auch der Roman, betitelt ProphÜies de Merlin, der ganz verschieden
von Galfrids Werk ist (den er vielleicht meinte), bietet nichts. Wir
können höchstens noch von neuen Belegen des Wortes esplumoer Auf-
klärung erwarten. Hier sei nur so viel betont, daß die Meraugis-
Episode den Esplujnoer Merlin als bekannt vorausgesetzt. Sie ist
auch weniger natürlich, weniger einfach, weniger in sich vollständig
als die Esplumoer-FiT^\%o&Q von Roberts Perceval: Sie könnte jeden-
falls viel eher aus der letztern erklärt werden als die letztere aus
ihr. Außerdem ist es möglich, daß Raoul im Meraugis schon Prosa-
romane benutzte (wenigstens den Lancelot, vgl. in dieser Zeitschr.
XXVin. p. 59); doch der erste Prosaromau war wohl die Bearbeitung
von Roberts Gralzyklus, i^i) Raoul mag sehr wohl Roberts Perceval
gekannt haben, allerdings nicht in der uns erhaltenen Form; doch
der Schluß des Didot-Perceval ist jedenfalls Roberts Werk; er wird ja
z. T. geradezu postuliert. Raoul bietet aber manche Züge, welche
1*") Im Reim zu Jocr. Friedwagners Ausgabe hat allerdings den
Keim: esphmäor: jor. Doch vgl. die Rezension von ü. Paris, Rom. XXVII
p. 309. Die Form esplumoer ist daher auch an den übrigen Stellen des Me-
raugis einzusetzen. Sie wurde eben wegen ihrer ungewöhnlichen Bildung
durch das natürlicher scheinende esphmeor ersetzt.
1*1) Vgl. in dieser Zeitschrift XXIX 76—77.
L'Enserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 247
der Didüt-Perccval nicht kennt, i-^^) Nach Raoiil hat man sich den
Esplumoer Merlin offenbar als im schottischen Tiefland gelegen zu
denken (vgl. auch Friedwagner, Ausgabe p. LXXIII); nach dem
Perceval befindet er sich in der Nähe des Gralschlosses; wo aber
dieses ist, wird nicht gesagt. Der Meraugis gibt uns eine genauere
Beschreibung des Esplumoer als der Perceval: Der Esplumoer ist
ein hoher Fels oder in einem solchen (er erinnert uns an la Noiiquetran
im Fergus). Dies steht nicht im Widerspruch zum Perceval. In der
altern Fassung des letztern mochte auch von einem Felsen die Rede
sein; ebenso ist es nicht unmöglich, daß jene ihn in Schottland lokali-
sierte. Daß man beim Esplumoer Merlin verspottet und enttäuscht
wird oder werden kann, ist wohl eine Erfindung Kaouls. Die ganze
Episode bat nämlich bei ihm den einzigen Zweck, den Helden zu
ärgern, und zu diesem Zweck wurde dieser von jener male creature,
dem Zwerg, dahingeschickt. Nur diesem, in den Romanen sehr
häufigen, Ärger-Motiv ist es zuzuschreiben, daß Meraugis beim
Esplumoer keine rechte Auskunft erhält. Auch der Jungfernkranz
kommt mir verdächtig vor. Er erinnert mich zu sehr an jene cour
d'amour, welche im ersten Teil des Meraugis beschrieben wii'd und
welche sicher '^3) eine Zutat Raouls ist. Au beiden Orten beschäftigen
sich die Damen mit pleidier. Raoul schrieb wohl seinen Roman für
eine Dame; denn er schmeichelt den Damen in ganz überschwäng-
licher Weise, i^^) Nach seiner Meinung sollten wohl alle wichtigen
Fragen, also auch die Zukunftsfragen, von Damen diskutiert werden.
So kam er vielleicht von selbst auf die Idee, Merlin mit einem
Kranz von Damen zu umgeben, die, statt seiner, den Ratsuchenden
prophezeien sollten. Ist es doch auch bei Robert nicht recht klar,
wie Merlin, ohne gesehen zu werden, noch weiter prophezeien will.
Seit wann sich Merlin in seinem Esplumoer befindet, sagt Raoul
nicht. Wir können nur sehen, daß er schon zu Arthurs Zeit darin
ist. In diesem Punkt weicht also Raoul von Robert ab.^^^^
"-) Die Hs. von Modena scheint hier von der Hs. Didot nicht abzu-
weichen; sonst hätte wohl Walther Iloffmaun (Die Quellen des Didot-Ferceval
1905) hiervon etwas ewähut.
'■»^) Ich werde dies einmal bei anderer Gelegenheit beweisen.
"*) Der Meraugis bildet in dieser Beziehung einen Gegensatz zu der,
auch Raoul zugeschriebenen Vengeance Raguidel. Ich halte dies jedoch nicht
für einen Grund gegen die Annahme gemeinsamer Autorschaft; denn diese
Klasse von jonghurs-tronveres gibt ihre Meinungen gern preis, wenn es ihr
Vorteil ist.
'*^) An die esplumeor-Yi^hoA^ im Meraugis erinnert auch eine Episode
der Kürzung B der romantischen Merlin- Fortsetzung ; diese Episode ist, so
viel wir bis jetzt wissen, nur in der Handschrift fr. 11'2 der Pariser National-
bibliothek, erhalten und wurde von Wechasler (Redaktionen p. 30) ange-
zogen [In der Deutschen Lileralurzeitmg XX (1899) p. 663 — 661) bemerkt
Wechssler, dafs die er/)/«??iet>r-Episode des Meraugis durch die folgende erst
verständlich werde, was ich bezweifle]: „Morhout und Gauvain geraten auf
den Jungfernfelsen (rocke as pticchs), verlieren dort sens et memoire und bleiben
248 E. Brugger.
Doch dies tatcu auch andere Autoron. Die Neuerungen Roberts,
besonders wenn sie der Historia widersprechen, wurden offenbar im
allgemeinen nicht akzeptieit.'^ß) Man hielt doch Galfried noch für
eine höhere Autorität als Robert (Vgl. auch in dieser Zeitschrift XXIX^
p, G5— 66, A. 14),
Dies zeigt auch der Perlesoaus, obschon er zu einem Zyklus
gehörte, der jedenfalls auf Robeits Trilogie aufgebaut worden war.
Der Verfasser scheint zwar außerdem noch besondere Gründe gehabt
zu haben (vgl. in dieser Zeitschrift XXIX. 84). Nach dem Perlesvaus
starb Merlin unter Arthur, wenn nicht schon unter Uter Pendragon.
Artus, Gauvain und Lancelot kamen einst nach Tintaivel; rings um das
Schloß fanden sie die Erde gespalten. Bei einer Kapelle erblickten
sie einen Sarg. Ein Priester erzählte ihnen, wie Galoes und Yguerne
durch Uter Pendragon und Merlin betrogen wurden, im Einklang mit
der Hi&toria.''^^) Dann fuhr er fort: Seignors, en cest sarqueu fu
mis li cors de Merlin; mes onqiies ne le pot Ven mesire par
dedanz la chapele, ainz li covint demorer par defors. Et sac/iih
tot de voir que li cors ne gist mie dedanz le sarqueu; car tantost
comme il i fu mis, en fu il jyartiz et fu raviz de par Dieu ou
de par Vanemi, nos ne savous lequel (p. 229 — 30). Der Parallelismus
des Merlin-Antichrist zu Christus wurde im Perlesvaus vollständig
gemacht, dadurch daß auch jenem eine Auferstehung zuteil wurde.
Merlins Grab wurde wohl nur deshalb in Tintagel lokalisiert, weil
dies der Schauplatz seiner wichtigsten Tat gewesen war. i^S)
jahrelang in diesem Zauber gefangen". Ich habe den Passus einst in der
Handschrift nachgesehen und mir daraus folgendes notiert: El de tant hur
est il mtsavenii qu'il ne leitr sovient de rkn qudz onques eiissent fait ne d'amis ne de
2)arens, ainz se jouent leans et envoysent et aprenent cnchantemcns et jeux de diverses
manieres. Das Gesprächsthema der Jungfrauen war: les choses qui estnent a
advenir; sie werden darum auch devineresses genannt. Eine Vignette zeigt
uns einen sehr hohen Felsen, worauf die Jungfrauen sind. Die Seniorin
derselben sagt zu Gaheriet, der die Helden befreien will: les autres qui y sont
n'y monterent mie, (fait eile), par eulx ne par leur enyin; ainz y furent porttz par
enchantemens, Et par enckantemens y sont Hz tenus et y demorront tant comme ellcs
vouldront. Die Befreiung gelingt dadurch, dafs Gaheriet einen Bruder der
Jungfrauen, der eine kleine Festung in der Mähe des Felsens bewohnt, im
Kampfe besiegt und ihm nur unter der Bedingung das Leben schenkt, dafs
er Gauvains und Morhouts Befreiung erwirke. Diese Episode entstand viel-
leicht durch Verschmelzung der Esplumeor- uud der Co-o^es-Episode des
Meraugis. Der Verfasser der romantischen Merlin-Fortsetzung hat nämlich
ganz sicher den Meraugis benutzt (man vgl. Balaan und Balaain).
1") Auch die Gründung der Tafelrunde durch Uter Pendragon und
Merlin nahm man im allgemeinen nicht als richtig an.
"^) In dieser fand der Verfasser auch den Namen Galoes (Goi-lois),
der bei Robert fehlt.
'■*8) Der Perlesvausdruck von 1523 (fol. 180d— 181a) weist hier eine be-
merkenswerte Abweichung auf, welche, wenn ursprünglich, den ganzen
Passus der Merlinsage entreifsen würde, nämlich : en ce sarcueil fut mis le roy
Golaas (d. h. Gorlois; röy anstatt diic). Diese Lesart möchte insofern an-
sprechender sein, als Tintagel sich besser für das Grab des Gorlois als für
L'Enserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 249
In dem späten Veisroniau Claris et Laris ersclieint Merlin
den Rittern als Greis in einem Walde (Geographie unbestimmt).
Brandaliz ist auf der Laris-Questc. Eines Nachts sah er in einem
großen Wald ein Feuer, bei dem ein alter preudons saß. Dieser
bot ihm ein bescheidenes Mahl und Herberge beim Feuer an. Der
müde Ritter, schlief bald ein. Als er am Morgen erwachte, war er
allein beim Feuer. Doch hörte er eine laute Stimme, die ihn schalt,
weil er seinen Wirt nicht nach Laris fragte: Tu avoies tel avantage.,
Que Merlins hebergie favoit, Qui tont set, tout fet et tont voif,
Comment Laris iert delivrez (v. 22 234if.). Die Stimme (Merlins?)
zählt nun Merlins Werke auf: Cest eil qui le roy Artus fist, Cest
eil., qui Vespee tramist Au pcrron^ dont fu receuz Et par ßretaingne
retenuz; Merlins /ist la roonde table etc. (22 241 ff). Dies genügt,
um zu zeigen, daß der Verfasser Robert de Borron, nicht der Historia
resp. Wace folgt. Nachher trifft auch Claris den Merlin am selben Feuer.
Er fragt ihn, wer er sei und erhält zur Antwort: Ge sid Merlins par
non clamez^ Du roy Pendrag on fui amez, Longuement fui ensemble
0 soi, Mes le monde est si piain d'anoi, Que ci ving pour espeneir
(büßen); A'gn partirai dusqu^au morir (v. 22 931 ff.). Da Claris
sich nach Laris erkundigt, gibt ihm Merlin Auskunft. Es ist be-
merkensweit, daß der Verfasser dieses Romans, trotzdem er Robert
und nicht die Hihtoria benutzt, den Schluß des Perceval ganz ignoriert.
Er läßt Merlin zwar in Arthurs Zeit noch leben, stellt aber in Aus-
sicht, daß er wirklich sterben werde, und läßt ihn vorher als Ein-
siedler Buße tun. Er scheint eine Handschrift, die nur Joseph und
Merlin enthielt, benutzt zu haben.
In den uns bekannten Versionen der Galaad-Gralqucste und
der auf sie folgenden Mort Artur hat Merlin keine aktive Rolle.
Galfrids Historia, welche Merlins Carriere vor Arthurs Regierungsantritt
abschloß, war zwar jedenfalls für sie nicht mehr maßgebend, ging
ihnen doch Roberts Merlin voraus. Dagegen hatte der Peilesvaus,
auf den die Galaad-Queste zurück geht, Merlin als tot erklärt. Als
dann der Lancelot vor den Perlesvaus trat, mochten die spätem Brauches
auf das E. M, L. Rücksicht nehmen. Doch wurde nun von einem
Überarbeiter des Cyklus eine Befreiung Merlins durch Perceval in den
Perlesvaus interpoliert, und diese Episode scheint dann mit Galaad
an Stelle von Perceval in die Galaad-Gralquesten hinübergegangen zu
sein (vgl. oben, namentlich Bd. XXIX p. 88). In den bis jetzt
bekannten Versionen der Galaad- Gralqueste ist aber das betr.
dasjenige Merlins eignet. Andererseits sieht man doch nicht, weshalb der
Leichram des Gorlois ein so ganz besonderes Schicksal gehabt haben sollte,
welches dagegen für den gottbegnadeten Teufelssohn sehr natürlich wäre.
Ein indirekter Beweis für die Richtiftkeit von I'otvins Version ist vielleicht
das in dieser Zeitschrift XXIX 88—80 gesagte. In dem folgenden Passus
des Drucks: Car si tost que il fut dedaus on ne scaijt que il der-int ou se Dicu on
dijahle Vanporta ist au in ou ZU korrigieren.
250 E. Brugger.
Abenteuer nicht inclir zu finden; und es laßt sieh deshalb nicht
mehr sagen oder auch vernmtcn, wie es ausgesehen hat, speziell auch
was aus dem befreiten jMcrlin wurde. Ohne das Abenteuer zu kennen,
können wir aucli nicht bestimmen, warum es nachher wieder gestrichen
wurde. In den Versionen der Mort Artur ist meines Wissens von
Merlin überhaupt nicht die Rede, in denen der Queste nur noch en
passant. Die Versionen der Queste wollen vor allem kund tun, daß
Ereignisse der Gralsuche von Merlin und zwar schon bei der Gründung
der Tafelrunde unter Uter Pendragon vorausgesagt worden waren. So
heißt es in der Queste des Oi-Galaadgralcyklus: Et qxiant Merlin
eilt la table ronde establie, il dist que par ceulx qui en seroijent
compaignons, sgauroit on la verite du sainct graal dont on ne peult
vcoir aidfcjun signe au temps du dit Merlin. Merlin prophezeite,
daß 3 Ritter der Tafelrunde die Wahrheit über den heiligen Gral
erfahren werden, li doi virge et li tiers castes, daß der letztere
seinen Vater übertreffen werde comme lions passe lupart; für diesen
Gralhelden schuf Merlin den seige perilleus (Lancelot-Druck von
1520, III fol. 98 d, Furnivall p. 66-68, Füeterer ed. Peter p. 287,
holländische Übersetzung v. 3304 ff.). Nachher wird Merlins Prophe-
zeiung betr. Galaad nochmals erwähnt: Ainsi dist Merlin de ce
Chevalier que voiis avez veii, celluy qui moidt sfavoit des choses
qui estoyent a advenir (Lancelotdruck III fol. 108 b, holländische Über-
setzung V. 4654; vgl. auch den kymrischen Text p. 438). Von der
Queste des O'-Galaadcyklus kenne ich nur den von Reinhardstöttner
herausgegebenen Teil der Wiener Demanda. Der schwimmende per7'on
mit dem Schwert, das nur vom besten Ritter herausgezogen werden
kann, war gemacht worden pello encantamento de Merlim, dsi como
0 conto a ja devisado (die romantische Merlinfortsetzuug, die uns
zum Teil verloren gegangen ist, wird geraeint sein); und Merlin hatte
die Inschrift auf die Schwertscheide geschrieben (p. 7). Bei dem siege-
perilleus-xVhentener wird Galaad bezeichnet als o cavallegro de que
Merlim e todo llos outros profetas fallaron (p. 1 1 ).
Im Lancelot endlich, zu dem wir nun wieder zurückkehren, wird
Merlin hie und da erwähnt: Bei der Beschreibung von Sorelois wird
gesagt, daß man nur auf zwei gefährlichen Straßen in das Land gelangen
konnte, ä partir du temps ou Aferlin prophkisait jusqau terme
des temps aventureux, cest ä dire durant mille et six cent quatre-
vingt-dix semaines (ungefähr 32 »/o Jahi'e) (RTR III 280 = Druck
von 1520, I fol. 85 d). Seine Zauberei ist bekannt: Als Morgain
von Lancelot seinen Ring verlangt, erhält sie zur Antwort: aingoys
useriez vous tous les conjuremens de Merliji et encores ne les auriez
vous spas (Druck I f. 196b = R T R IV 292, Jonckbloet II p LXXI).
Ihm wird die Erschaffung eines Zauberbettes auf der Isle des Merveiles
zugeschrieben, le lict Merlin ou nid ne se couchoit quil ne perdist
incontinent le sens, car il estoit encliante et si tost come il estoit
hors, si revenoit en son droit povoir; die ebendaselbst befindliche
L'Enserrenient Merlin. Stadien zur Merlinsage. 251
es-pce adventureuse, die niemand empoigner konnte, so groß auch seine
Hand war, wird ebenfalls Merlins Werk gewesen sein. Auch einen
perron Merlin kannte der Lancelot, verschieden von demjenigen in
der Queste und wahrscheinlich auch von demjenigen in Roberts Merlin
(R T R III 287, Jonckbloet II p. XLIX, Druck I f. 78 a). Nach R T R
III 282 würde man meinen, daß er nicht weit von Carlion sich be-
finde; aber wenn es heißt, daß er der Ort sei, wo Merlin die Zauberer
getötet habe, so wird man wohl an das von Orpheus zur Zeit Josephs
von Arimathia gegründete chasteau des enchanteurs zu denken haben,
von dem im Lancelot (Druck III f. 27 d, holländische Übersetzung v.
29 409 ff) die Rede ist und das cn la marclie d'Escosse liegen soll
(vgl. auch G. Paris, Merlin I p. XLVII). Ebenfalls in Escosse
(genauer in oder bei Gorre^ welches mit Escosse w'enigstens z. T.
identisch ist) scheint die tor Mellin gelegen zu sein, et la dedenz
sont les greignors merveilles qui soienf, ne mes cele dou Graal
(Jonckbloet II p. CXXXVIII, RTR V 191—192, Druck II f. 45 c).
Der Turm befindet sich in einem Wald, der 3 Tagereisen von Iluidesan,
einer der wichtigsten Städte von Gorre, entfernt ist. In diesem Wald
erfährt Lancelot von einem Förster über den Turm: eile est en la
fin de ce pays par devers soleil coucliant enire le Blanc Chastel
et la ville de Gazan. Die Wunder des Turmes sollen bei Lancelots
Ankunft aufhören. Laucelot aber geht direkt auf Huidesan zu, um
keine Zeit zu verlieren Meines Wissens ist nachher von der tor
Mellin nicht mehr die Rede. Auch mit Oxford ist Merlins Name
verknüpft. In einer Episode, die nach P. Paris (R T R IV 137 n.)
nur eine späte Interpolation gewisser Handschriften ist, wird unter
den 12 weisen Meistern (clcrs = magi) Galehauts an siebenter Stelle
ein Dritte genannt, welcher estoit ne du roi/aiäme de Logres d'ung
chasleciu qui estoit a six Heues anglesches pres d'illec que Merlin
(dieser war nach P. Paris le mattre de Petrone) appella le Gui des hiicz
la ou Ven disoit que [vers la fin des tempsj toute sapience descendoit . . .
le chasteau avoit nom flu du jiort (Lindenort), et le clerc avoit
noni maistre Ferroine (PetrotieJ, et par lug furent les propheties
de Merlin apprinses et mises en escript. Et ce fut celuy qui la
premicre escole en tint a moejford. (Osineford) qui vault avant
[1. autayitfj a dire comme gue des bucz^'^^) (Druck I f. 152 b,
RTR IV 118). Doch auch maitre Helie de Toulouse zitiert eine
Prophezeiung Merlins von dem dragon merveilleux (Galehaut), dem
ISopard (Lancelot) und dem serpent au chef d'or (Guenievre) (R T
R IV 122); da dieselbe auch in der pseudohistorischen Merlin-
fortsetzung und in Richards Frophesics Merlin vorkommt, so mag
sie aus einem dieser Werke in den Lancelot interpoliert worden sein.
Ich würde am ehesten an Entlehnung aus den Frophesies Merlin
1^^) Trotz dieser Erklärung vermutet P. Paris, dafs Gui des bucz
Buckingham bedeute, bucz ist natürlich entstellt aus bues.
252 E. Brugger.
denke«, wenn es eine Version dieses Werkes gab, die aucli einen
maistre Perroinc unter den Schreibern Merlins aufzäliltc. Dass
Merlin über den siege periücux proi)liezeit liattc, weiß auch der
Loncelot, doch jedenfalls nur in Anlehnung an die Qucste. Bei
einem großen artluirischen Fest in Canielot war folgende Inschrift auf
dem Sitz zu lesen: Ici covient mijounFug mourut [1. moxirir}
ßrumani VorgiieiUeux^ et se il ng meurt, Alerlin ment en ses
prophecies (Druck von 1520, Ulf. 37 d, holländische ÜbcrbCtzung v.
31398 ff., Füeterer p. 240) i^-).
Ich muß hier endlich nocli eine auf Merlin bezügliche Episode
des Lancelot erwähnen, die, wie das E. M. L. durchaus den Charakter
einer Interpolation hat. Sie ist ein Resume eines ursprünglich selbst-
stäudigen Lai Guiomar. Jonckbloct hat sie abgedruckt (Lancelot
Bd. I p. LXXI f.). Voraus geht ihr die bekannte Episode vom
Val sanz retor, worin von Morgain Folgendes gesagt wird: 11 fu
voirs qua Morgains^ la suer le roi Artu, sot moult d'enchantement
et de charoies soi' totes fames; et por la grant entente qu'ele i
mist en lessa ele et guerpi la covine des genz et conversoit et jor
et nuit es granz forez parfondes et fontainnes (1. soiitahiesj, si que
maintes genz, dont il avoit moult de foles par tot le pais, ne disoienl
mie que ce fust fame, rnes il l'apeloient Morgain la deesse (\. c. p.
LXIX). Diese Morgain hält den Lancelot im Val sanz retor
gefangen, weil er von der ihr verhaßten Königin Guenievre geliebt
wird. Der Ljai Guiamor soll nun die Uisache dieser Feindschaft
erklären. 11 fut voirs que Morguein fu jille au duc de Tintaivel et
fille Ingerne qid puis fu ra'ine de Bretaigne et fame Utcr Pandracon ;
et de lui fu nez li rois Artus qui en lui fu engendrez au vioant
le duc par la traison que Merlins fist. Quant higerne s''en vint
a Uter Pandragon qui Vesposa, si amena Morguein avec lui, sa
fille. Als Arthur König wurde und Guenievre heiratete, wurde
Morguein ihre Zofe. Sie verliebte sich in einen jungen Ritter, Neffen
des Königs '48), Guiamor de Camelide, und wurde von ihm schwanger
gemacht. Die tugendhafte Königin aber machte den Ritter von Morgain
abtrünnig. Als diese sah, daß sie nichts gegen die Königin aus-
richten konnte, si dist qu'ele serifuiroit et querroit Mellin par
totes terres tant qu'ele le troveroit; quar ele ne cuide mie trover
conseil de sa dolor par nul autre home. Tant le quist quele le
trova; et ele en avoit mcne moidt hcle chevalerie. Si s'acointa
'*") Ein seüjneur de la marchc d'Escosse, der bei P. Paris Marla'm le
?««Mra<'s (R T R V 3"22), in der holländischen Übersetzung (v. '280-41) die simple
Merlan und die vermalendide Merlan hcifst, wird im Druck von 1520 (III f 18 b)
Jferliti le simple und ^krlin le vialoit genannt.
^*8) Ursprünglich jedenfalls Neffe der Königin, die auch aus Camelide war
Nach der pseudohistorischen Merlinfortsetzung, die die Lancelotepisode be-
arbeitite, ist er denn auch cousins au roy Leodeyan (nicht Arthur!) (sc. de
Camelide) (= Sommer p. 2^9/9).
Ij Enserreme7it Merlin. Studien zur Merlinsage. 253
de Merlin, qui Vania plus que mdle rien^ si U aprist tant de
charoies et d''enchantemcnz comme eh en sof] et demora avec liä
grant piece. Et li enfes qu ele ot de Guiamor fu puis de grant
proece. Mit ihrer Zauberei schuf sie dann das Val sanz retor, wo
sie sich indirekt an Guenievre rächte. '^■^)
Abgeselien von der auf den siege j^crilleus bezüglichen Prophe-
zeiung, die jedenfalls durch die Vorbereitung auf die Queste veranlaßt
wurde, von dem Passus, den P. Paris als späte Interpolation einer
Handschriftengruppe erklärt, und von der eben erwähnten Episode
können die auf Merlin bezüglichen Stellen des Lancelot mindestens
ebenso alt sein wie das E. M. L., denn sie verraten keine Spur von
Beeinflussung durch eine der Branches des Gralcyklus, vor allem
Pioberts Merlin. Sagen von Merlinus Caledonius mögen benutzt worden
sein; daraufhin sclieint die Lokalisation in Schottland zu deuten. Die
Guiamor-Episode steht insofern im Widerspruch zu allen andern
Merlinstellen (das E. M. L, eingeschlossen) und zu Galfrids Historia,
als sie Merlin noch unter Arthur auftreten läßt. Wenn auch die
Historia Merlins Fortleben unter Arthur nicht bestreitet, so wird hier
doch eher der Einfluß von Piobeits Merlin zu erkennen sein, der
zwar Merlins Leben auch nicht über Arthurs Regierungsantritt hinaus
führt, aber doch das Weiterleben Merlins gewissermaßen postuliert. Daß
Morgain la suer le roi Artu war, steht zwar nicht in der Historia,
noch in den uns bekannten Übersetzungen derselben, aber doch nicht
zum ersten Mal in Koberts Merlin, sondern schon in Erec. Daß aber
Morgain die Tochter des Herzogs von Tintaguel war, findet sich vor
Roberts Merlin nirgends verzeichnet und scheint eine Erfindung
Roberts zu sein.
Es zeigt sich schon aus dieser Übersicht, daß die Zeugnisse in
französischer Sprache sich im Allgemeinen durchaus an den Merlin
von Galfrids Historia, an den Merlinus Ambrosius, halten. Nur wenige
Einzelheiten wurden von Merlinus Silvester geborgt, der den in Groß-
britannien lebenden französischen Dichtern auch nicht unbekannt
geblieben sein konnte. Diese hielten wohl wie Giraldus Cambrensis
und der Verfasser der Triade No. 101 die beiden Merlins nicht für
identisch, und darum bemühten sie sich nicht, wie es der Verfasser
der Vita Merlini und derjenige der Tirade 113 taten, die großen,
namentlich die Zeit und das Milieu betreffenden, Gegensätze aus-
zugleichen. Als Arthurromandichter mußten sie sich zu Gunsten des
Merlinus Ambrosius entscheiden, und von dem Merlinus Silvester
werden sie nur verstohlen einzelne Züge entnommen haben, die leicht
auf jenen übertragbar waren. Die wesentlichen Züge des letzteren,
das Bardentum und das nordbrittische Milieu, ignorirten sie offenbar
mit Vorbedacht. Die zitierten französischen Zeugnisse — und sie
"^) In Sir Gawain and the Green Kniyht (Madden p. 90) wird Morijiie la
Faye genannt pe mni/slres of Merlyn.
254 E. ßrugger.
sind die einzigen, welche der Version L des E. M. direkt oder indirekt
vorausgegangen sind, resp. vorausgegangen sein könnten — weisen
uns nie nach der Bretagne. In allen wird die Merlinsage in Groß-
britannien, entweder in Süd-Wales (Merlinus Ambrosius), oder in
Nordengland und dem schottischen Tiefland (Merlinus Silvester oder
Caledonius) lokalisiert. Auch diejenigen Züge, die nicht direkt aus
den in unsern großbritannischen Zeugnissen niedergelegten Legenden
von Merlinus Ambrosius und Merlinus Caledonius abzuleiten sind,
zeigen keinerlei Symptome, die auf bretonische Herkunft schließen
lassen. Sie beruhen entweder auf großbrittannischen Sagen, die uns
zufällig nicht durch einheimische Zeugnisse überliefert wurden, oder
es sind Erfindungen der französischen Dichter. Unser E. M. L. war
in der Tat die erste Behandlung der Merlinsage, welche Merlin,
wenigstens zeitweise in der Bretagne weilen läßt. Ich habe aber oben
gezeigt, daß diese Lokalisation offenbar eine Erfindung des Lancelot-
Interpolators war.
Zeugnisse in bretonischer Sprache scheint es nicht zu geben,
abgesehen von den Fabrikaten des vicomte Hersart de la Villemarque.
Nach Rhys {Hihbert Lectures p. 157 — 158) wird jedoch noch in Anne
Plumptre^s Narrative of a Ihree Years lUsidence in France (Lond.
1810. III 187) eine bretonische Sage erwähnt, wonach his misiress
chose to enclose htm in a tree, but nobody knows where, though
it is sometimes surmised to have been on a liitle island, off the
Bec du Raz^ called Sein, uiJiich is fahled io have been also the
scene of liis birih. Das Narrative war mir nicht zugänglich. Die
Sage wird wohl, wenn es überhaupt eine solche und nicht bloß eine
Erfindung ist, literarischen Ursprungs sein. Jedenfalls ist sie ganz
jung. Dem wälschen Myrddin mußte wohl bretonisch Merdin und
Merzin entsprechen ^^^).
Wir haben nun zu untersuchen, ob sich in den hier besproche-
nen Zeugnissen Elemente finden, die dem E. M. als Grundlage gedient
oder dasselbe beeinflußt haben mochten.
Wir beginnen mit den Beziehungen Merliu's zum weiblichen
Geschlecht. Während das vielleicht älteste Dokument der Merlinsage,
Galfrid's Historia regum Britanniae, gar keine solche Beziehungen er-
wähnt, haben wir sonst ziemlich viel Material hierfür. Von den Be-
ziehungen Merlins zu seiner Mutter in Robertos Merlin braucht hier
nicht gehandelt zu werden. Stephens {Geschichte der ivülschen
Lit. p. 164) identifizierte, allerdings ohne einen Grund anzugeben,
Gwendydd, die Schwester Myrddin's, mit der „weißen Dame" (sie!),
die „in den spätem Romaneu als die Gefährtin des Merddin Emrys
erwähnt wird". La Villemarque {Les Romans de la Table
150-) Foerster {Kan-enriuer p. CXXV) hält Mfrlin für eine bretonisebe
Form, entsprechend dem kymrischen Merddin, Myrddin. Er setzt das als be-
kannt voraus!
L" Enserrement Merlin. StuJien zur Merlinsage. 255
Ronde p. 48) sah speziell in der Ganieda der Vita Mcrlini eine
Dopi)elgängerin der Yiviaiie. Ganieda -Gwendydd ist uns aber nur
als Merlins Schwester bekannt; weder in der Vita Merlini noch
in den Pseudo-Myrddin Gedichten wird jemals auf eine blutscliün-
derische Liebe angespielt. Die Annahme, daß Niniene die Rolle der
Ganieda- Gwendydd geerbt hat, ist nur zulässig bei der Voraussetzung,
daß diese erst nachtrcäglich aus Merlins Geliebten zu Merlins Schwester
gemacht worden war. Diese Ansicht scheint L. A. Paton {Modern
Language Notes 1903 p. 167 — 169) zu haben. Wir müssen später
darauf zurückkommen.
Kur in der Vita Merlini hat Merlin eine Gattin. Seine Bezie-
hungen zu Gwendoloena sind nicht recht klar, immerhin klar genug, um
eine Ähnlichkeit zwischen ihr und Niniene vollständig auszuschließen.
Merlin rächt sich, ohne Grund zwar, an ihr, nicht sie an ihm. Sie
hat nichts von Zauberei gelernt; sie fühit nichts gegen ihn im Schild.
In Avallenau, Kyvocsi und Hoianau spicht Myrddin von einer
clnchnleian. Diese hat schon La Villemarque als Myrddins Geliebte
aufgefaßt und mit Niniene identifiziert; andere wiederholten es.
Im Dictionary of National Diograpliy {Merlin) erscheint sie eben-
falls als „i/ig fernale companion of Merlin Sihestris^. Auch der
Name Niniene wurde von chioiinlelan abgeleitet, was zur Not wohl
ginge. Jedoch beruhen diese Ansichten auch wieder nur auf einem
Mißverständnis der Texte. Ich habe oben (Z. XXX 232—233) gezeigt,
daß wir aus den beiden altern Gedichten Avallenau und Kyvoesi nur so
viel schließen können, daß die chwimleian eine Prophetin war, deren
Prophezeiungen Myrddin kannte. Es wird aber durchaus nicht gesagt,
daß er die clnnmleian selbst kannte. Wie immer der Name zu er-
klären ist, so viel steht fest, daß sie dieselbe Rolle wie Sibylla
hat. Wir sahen (ibid.), daß sie dasselbe prophezeit wie Sibylla
in Galfrids Historia. In dem Vaticiniuni Gildae (vgt. San Marte,
Sagen p. 56) werden die Prophezeiungen der prisca Sibylla
unmittelbar au diejenigen Merlins angeknüpft. Brunetto Latini sagt:
Et ce Merlins ou lai Sebile dient veriteit, on trueve en lour livres
que en cestui (Friedrich II.) doit defineir li emperolle (o <au)
dignefei (zitiert aus Car. Gull. Müller: Diss. de Brmione Florentino p. 6
m Index lectionum in Univers. Bern. 1844). In Richards Pro^/^^c^Vs
Merlin erscheint Sibile Vajichanteresce sogar als Merlins Schülerin
und Geliebte. Auch in der pseudohistorischen Merlinfortsetzung
wird eine Prophezeiung der ro'ine Sebile erwähnt (Sommer p. 457/9).
In Roberts Perceval (Ilucher, Saint Graal I. 417) ,sagt Merlin
zu Artus: sachiez Que la reine Sibile prophetiza et dit que
vous seriez le tierz kons qui reis en seroit et apres le dit
Salemon et je [suij le tierz qui le vous di. In ganz derselben
Weise bezieht sich in Avallenau und Kyvoesi Myrddin auf die cinoimleian.
Erst in dem Gedicht Hoianau, das wahrscheinlich noch jünger ist
als das E. M. und das wohl nicht direkt aus der Sage schöpfte,
256 E. Bmgger.
sondern nur Avallenau und Kyvoesi als Quellen hatte, ^vird gesagt,
daß die clnoimleian Myrddin Prophezeiungen mitteilte. Der Verfasser
von Hoianau hat entweder wie die erwähnten Kritiker die betreffenden
Stellen in Avallenau oder Kyvoesi mißverstanden, oder er hat sein
„Mitteilen" nicht in buchstäblichem Sinn brauchen wollen. Wir haben
nach alledem nicht den geringsten Grund zu der Annahme, daß eine
Beziehung zwischen der chwindeian und ISUniene bestand. San
Marte (Sagen p. 87) und nach ihm Grant (ScoUish Revieio 1892
p. 328) haben die chwindeian (das Wort wird von jenem mit „Nymphe"
übersetzt) mit Glo^/wedd, der Schutzgüttin (?) der Apfelbäume in
Avallenau identifiziert, natürlich auch in Folge eines Mißverständnisses.
Gloyiüedd erscheint aber nur in einer interpolierten Strophe, und es
wird nichts von ihren Beziehungen zu Myrddin gesagt. Was sollen
wir mit ihr anfangen!
Viele Helden werden von Feen, die sie lieben, in ihr Land
gelockt. In der Triade 113 (vgl. oben Bd. XXX 236) wird keineswegs
gesagt, daß Myrddin, als er über's Meer fuhr, eine Geliebte hatte. Und
wenn auch diese Triade wirklich auf einen erotischen Imram Bezug
nähme, so wäre immer noch keine Ähnlichkeit mit dem F. M. vor-
handen, wie ich ob^n schon gezeigt habe. Übrigens kann die Triade
113 sehr wohl jünger sein als das E. M. ^^i) Vor Philipot fand schon
La Villemarque {Romans de la Table Ronde p. 43) in dieser
^disparition"' le germe de V enclianiement eternel auquel se devoue
Merlin pour jdaire ä son amie Viviane. An die in dieser Triade
erwähnte disparition Myrddins schließt sich vielleicht die Bardsey-
Legende in ihrer Jüngern Form an {tertinm comparationis: Glashaus
auf einer Insel) (vgl. oben Bd. XXX 238). Diese Legende ist uns in voll-
ständiger Form überliefert; aber ein Weib kommt darin nicht vor.
Eine Art Imram war vicllciiht ursprünglich auch die Episode
von den verzauberten Äpfeln in der Vita Mcrlini (vgl. oben Bd. XXX i
255 f.). Nur wäre sie dann unter den Namen des Maeldin zu
setzen; Merlin hätte ursprünglich keine Bolle darin gehabt und so ginge
uns die Geschichte überhaupt nichts mehr an I5i)_ Doch nehmen
wir sie in der Form, in der sie uns überliefert ist, mit Maeldin als
Statisten! Der einzige gemeinsame Zug zwischen dem E. M. und ihr
ist dann, daß von einer Dame, zu der Merlin Beziehungen hatte, der
Versuch gemacht wurde, Merlin zu Grunde zu richten. Alle andern
Züge sind verschieden, geradezu entgegengesetzt. Hier liebt eine
'■''') rhillimore, eine Autorität auf dem Gebiete der kymrischen Literatur,
bezeichnet die Triade als ti-orthJess (vgl. Meads Fiinleituiig zu Wheatleys
Merlin -Ausgabe p. C). Immerhin liatte nach dem Mabinogi von Brau wen
eine Insel zwischen Irland und Merionethshire den Is'amen Clas MerJdin
(Loth, Mab. I C9 — 70). Auch der Barde Taliessin j^rofesses to liave been in
Caer Sidi (einem irdischen Paradies) (md the Glass Fo?-tress (vgl. Khys, Hibbert
Lectures p. 550). Die Merlinsagc wurde auch sonst der Taliessinsage an-
geglichen.
VEnserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 257
Dame Merlin, dort liebt Merlin eine Dame. Hier befriedigt Merlin
die in ihn verliebte Dame eine Zeit lang, dann läßt er sie im Stich;
dort läßt die Dame Merlin glauben, daß sie ihn befriedige, dami
richtet sie ihn zu Grunde. Hier will ihn die Dame zu Grunde richten,
weil er sie im Stiche gelassen, dort aber, weil er ihr lästig war.
Hier mißlingt der Versuch, dort gelingt er. Hier ist Merlin ver-
nünftig, dort ein Tor; und doch ist er dort ein Zauberer und hier
nicht. Die Dame dagegen versteht hier etwas von Zauberei; dort
dagegen muß sie erst darin unterrichtet werden. Hier hat Merlin
Gefährten, die eine notwendige Rolle spielen (das Motiv von der
Hundswut ist charalderisch für die ganze Episode); dort ist er allein
und soll es auch sein. Hier sucht die Dame Merlin zu vergiften
resp. toll zu machen, dort nur für immer einzuschläfern. Ich glaube,
nun, alle Züge, welche die zwei Episoden zusammensetzen, namhaft
gemacht, und, so gut es geht, einander gegenübergestellt zu haben.
Man sieht, daß sie alle bis auf einen, sehr allgemeinen, von einander
ganz verschieden sind. Dennoch sagt Lot (Annales de Bretagne
1900 p, 533): Le § XI (histoire du fou et des pommes empoi-
sonnSes) peut etre de Vinvention de Gaufrei. Mais il est ega-
lement possible que la maliresse delaissh qui se venge soit un
hlio dSform^ des rapports de Merlin et de Niniane qu'on retrouve
dans les romans franfais en prose. Beides ist gleich unmöglich.
Eine Episode wie die von Maeldinus erfindet man nicht. Kein Gott
kann aus nichts etwas machen. Es lag ja keine Analogie vor.
Anderseits könnte man kaum zwei galante Abenteuer ausfindig machen,
die weniger gemeinsame Züge htätten als jene und das E, M. Das merk-
würdigste ist aber bei Lot, daß er jene aus diesem ableiten will,
nicht umgekehrt. Er müsste zu diesem Zwecke auch noch die Chrono-
logie über den Haufen werfen und beweisen, daß das E. M., dem
wir zum ersten Mal im Prosa- Lancelot begegnen, schon in die erste
Hälfte des 12. Jahrhunderts zurückgeht. L. A. Paton (!. c.) macht
wenigstens keinen Verstoß gegen die Chronologie, Doch, wie schon
gesagt, kann, wenn der Maeldinus-Episode ein Imram zu Grunde lag,
dies nur ein Imram Maeldin, nicht ein Imram Merlin gewesen sein.
Die fair sportive maid, mit der Myrddin nach Avallenau (s. oben
Bd.XXXi 231) in seiner Jugend verkehrte, kann natürlich die mulier der
Maeldinus-Episode sein, wenn der Verfasser von Avallenau — was
sehr wahrscheinlich ist — die Vita Merlini benutzte. Aber auch,
wenn sie es nicht wäre, so hätte man trotzdem nicht das Recht, sie
ohne weiteres mit der Niniene des E. M, zu identifizieren, wie Grant
(1, c, p, 326—327) es tat (a fair sportive maid . . . ivJio is after-
loards to blossom into the Vivien of romance). Es ist keine Ähn-
lichkeit vorhanden.
Nach Kyvoesi prophezeit Myrddin gern den Jungfrauen (vgl.
oben Dd,XXX 233); nach dem Meraugis ist Merlin in seinem esplumeor
von einem Jungfernkranz umgeben, der statt seiner mit dem Publikum
Ztschr, f. frz. Spr. u. Litt. XXXU.
17
Ö5Ö E. Bnigger.
verkehrt. Diese Angaben sind nicht besonders zuverlässig; sie tragen
offenbar nicht zur Erklärung des E. M. bei.
Etwas anstößig ist Merlins Rolle vielleicht bei Gaucher de
Denaiii. Aber ich habe schon gezeigt, daß die Episode wahr-
scheinlich zu einem bestimmten Zweck erfunden wurde. Merlin
war wohl nicht mehr jung, als er zum Mont JJoIeroiis kam;
sodann scheint die Dame ihm mehr als er ihr zugetan gewesen zu sein.
Der Coitus wird nicht verhindert; Merlin wird nicht bestraft, nicht
einmal getadelt. Alles dies ist im Widerspruch zum E. M. Gauchcr
hat wohl das E, M. nicht gekannt; sein Werk war aber dem Ver-
fasser des letzteren auch fremd.
Anders ist der Fall bei der Jior^am-Episode des Prosa-
Lancelot. Diese Episode und das E. M. besitzen wichtige gemein-
same Züge, die nicht wohl unabhängig in beide eingedrungen sein
können, zumal da die beiden Erzählungen zu einem und demselben Roman
gehören. Morgain und Niniene sind rationalistisch aufgefaßte Feen; sie
wurden erst durch Merlin zu Zauberinnen gemacht; in beide verliebt
sich Merlin, während sie ihn nur auszubeuten suchen. Morgain mußte
wohl — es ist nicht anders denkbar — ihrem Liebhaber denselben
Preis für seinen Unterricht bezahlen wie Niniene. Merlin wird hier
wie dort als wollüstig dargestellt, ein Zug, welcher der älteren Merlin-
tradition fremd ist. Die Einleitungen zu den beiden Erzählungen zeigen
ähnliche Züge : den verächtlichen Hinweis auf die memie resp. fole
geilt, den aus Martin von Rochester stammenden duc de Tintaivd,
die Beurteilung des Streichs von Tintaivel als tra'ison und die Ab-
neigung gegen Merlin, die sich hierin kund tut (sonst heißt es nur:
par Cart de Merlin). Natürlich konnte der Schluß des E. M. im
Lancelot nicht nochmals gebracht werden. Die Merlin-Morgain-Epi-
sode ist auch eine Interpolation des Lancelot, die nie eine selbständige
Existenz hatte; sie fungiert nur als Bindeglied zwischen der Episode
vom Val sanz retour und dem Imram Guiomar, und gehört weder
zu diesem noch zu jenem als integrierender Bestandteil. Jene beiden
Episoden sind ihrerseits Interpolationen. Es ist wohl auf den ersten Blick
klar, daß das E. M,, die was Merlin betrifft vollständigere Erzählung,
nicht auf der Merlin -Morgain -Episode beruhen, nicht einmal von
ihr beeinflußt worden sein kann; entweder ist das E. M. vor dieser
oder gleichzeitig mit dieser, d. h. vom selben Redaktor, in den Lancelot
interpoliert worden. Letzteres möchte deshalb einleuchtender sein,
weil die Imitation des E. M. zum Teil unfreiwillig aussieht. Dagegen
spricht sehr für die erstere Annahme der oben erwähnte Um-
stand, daß die Merlin- Morgain -Episode den Einfluß von Roberts
Merlinroman zeigt, der dem Interpolator des E. M. noch nicht bekannt
war. Übrigens scheint die Merlin-Morgain-Episode den donnees des
E. M. zu widersprechen; was sich auch besser erklärt, wenn man
nicht beide demselben Interpolator zuschreibt. Wir haben gesehen,
daß der Interpolator des E. M. ebenso wie seine Quelle, Galfrids
V Enserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 259
Historia resp. Martins Brutus^ nichts davon weiß, daß Merlin unter
Arthur lebte. Wenn auch letzteres nicht direkt ausgeschlossen wird,
so muß man doch aus der Nichterwähnung den Schluß ziehen, daß
Merlins Bekanntschaft mit der Bretonin in Uterpendragons Zeit fiel;
anderseits, da nirgends gesagt wird, daß Merlin mehrmals nach
Kleinbritanien ging, gewinnt der Leser eigentlich den Eindruck, daß
auch das Enserrement noch unter Uterpendragons Regierung stattfand
oder daß wenigstens Merlin unter Arthur nicht in Großbritannien
lebte. Allerdings ein absoluter terminus ad quem für das Eiiserrement
ist nur die in Arthurs Regierungszeit fallende Geburt Lancelots oder
genauer die Entführung des kleinen Lancelot. Die Merlin-Morgain-
Episode nun nimmt nur auf diesen absoluten terminus ad quem Rücksicht,
nicht aber auf den Eindruck, den der unbefangene Leser des E. M.
gewinnt. Sie schließt sich chronologisch an den Lai Guiomar an, welch
letzterer die Feindschaft zwischen Morgain und Guenievre zu erklären
hat. Sie muß also Guenievre als Königin voraussetzen, folglich die
Liebschaft Merlins und Morgains in Arthurs Regierungszeit versetzen.
Chronologisch muß aber diese Liebschaft, wenn nicht der Bekannt-
schaft Merlins und Ninienens, so doch dem Enserrement.^ das Merlins
Carriere abschließt, vorausgegangen sein. Ging sie der Bekanntschaft
Merlins und Ninienens voraus, so muß letztere in Arthurs Regierungs-
zeit fallen; um so mehr muß dann die Nichterwähnung Arthurs auf-
fallen. Fiel sie aber zwischen die erste Begegnung Merlins und Ninienens
und das Enserrement, so vermißt man sehr, daß von den mehrfachen
Reisen Merlins nach Kleinbritannien nicht die Rede war. Nur
einem Kopisten sind die Widersprüche aufgefallen, demselben der
auch an den Widersprüchen zwischen Roberts Merlin und der dem
E. M. L. vorausgehenden F>zählung von der Zeugung Merlins Anstoß
genommen hatte, und dessen Kopie uns die Handschrift B N fr. 754
überlieferte. Er flocht in das E. M. einen kurzen Passus ein, in
welchem er von Merlins Verhältnis mit Morgain erzählte, das er als
ein Intermezzo in dem Liebesdrama, dessen Heldin Niniene war, auf-
faßte (vgl. die Varianten oben Bd. XXX i p. 174).
Was ist endlich von jener schottischen Nachricht zu halten,
nach welcher Merlin von einem bösen Weib „ruiniert" wurde (vgl.
oben Bd. XXX^ p. 239)? Sie stimmt offenbar sehr genau zum E. M.;
doch sie stammt aus einer Zeit, in welcher das letztere in Groß-
britannien schon längst bekannt war. Der Wert dieses Zeugnisses ist
darum gleich Null. Der craige on Cormoel cost ist wohl die cave
(offenbar Fels höhle) in dem gefährlichen Wald qui marcliist a la
mer de Cornouaiile im E. M. L,
Wir haben nun erkannt, daß in denjenigen Zeugnissen, welche
älter als das E. M. L. sind oder sein können, ein Verhältnis wie
dasjenige zwischen Merhn und Niniene nicht zu finden ist. Nirgends
tretien wir da Merlin als widrigen Wollüstling. Doch das E. M. L.
postuliert durchaus nicht, daß dieser Typus schon in der alten Merlin-
17*
260 E. Brngger.
sage existierte. Es ist ein neuer zum ersten Mal im E. M. L.
geschaffener Mcrlintypus, der in Folge der Einführung Merlins in
die bekannte Fabliauformel entstand (ähnlich wie der verliebte
Aristoteles, Hippocrates, Virgil).
Wenn auch das besondere Verhältnis zwischen Merlin und
Niniene nicht in der Sage wurzelt, so mag doch gerne zugegeben
werden, daß der Lancelot-Interpolator rcsp. der Verfasser des un-
abhängigen H M. aus der Sage eine Liebschaft Merlins kennen mochte,
die dann wohl die Einführung Merlins in die Fabliauformel begünstigte.
Nur wird man erkennen, daß unter allen Liebschaften, die uns
die oben besprochenen Zeugnisse überliefern, auch nicht eine irgend-
wie berühmt gewesen zu sein scheint. Das einzige Weib, das in der
echten Merlinsage eine wichtige Rolle gespielt zu haben scheint, ist
Merlins Schwester Gwendydd-Gajneda. Sie erscheint nicht nur in
einigen (darunter auch den ältesten) Pseudo-Myrddin- Gedichten,
sondern ist auch von einem lateinisch schreibenden Dichter, dem
Verfasser der Vita Merlini, nicht verschmäht worden. Und wo sie
erscheint, wird sie nicht nebensächlich behandelt. In Kyvoesi ist sie
es, die Myrddin kurz vor seinem Tode aufsucht und vor den Mauern
seines Kerkers verweilt. In der Vita Merlini ist sie es wiedei", die,
zugleich mit Taliessin und Maeldin, im Walde bei Merlin bis zu
seinem Tode bleiben will. Es ist wahrscheinlich, daß in der altern
Version der Vita Merlini Taliessin und Maeldin noch nicht vorkamen,
jene also auch hier seine einzige letzte Gefährtin war. Wenn der
Palast, den sie ihm baute, in der altern Version der letzte Auf-
enthaltsort Merlins war, so ist es wohl möglich, daß auch sie
in oder bei demselben wohnte. Aber bei der Lektüre der Vita
Merlini und besonders der Pseudo-Myrddin-Gedichte bekommt man
unwillkürlich den Eindruck, das innige Verhältnis zwischen Merlin
undGauieda-Gwendydd sei ursprünglich kein geschwisterliches gewesen.
Dies ist auch die Ansicht L. A. Patons (Modern Language Notes
1903 p. 167 ff.) Es kann sehr wohl Gwendydd-Ganieda in der-
selben Weise und aus demselben Grunde aus Myrddins Geliebten
zu seiner Schwester gemacht worden sein wie Morgain aus Arthurs
Geliebten zu seiner Schwester wurde. Doch L. A. Patons Ansicht,
daß jene eine Fee, die Erzählung von ihren Beziehungen zu Merlin
eine Art Imram war, halte ich für nicht begründet. Mir scheint
Gwendydd-Ganieda wie Myrddin eine historische Persönlichkeit zu sein,
nämlich König Rhydderchs Gemahlin, dieselbe, die Joceline Langueth
nennt (vgl. Bd. XXX i A. 107). Die Frage, ob das Verhältnis Merlins zu
Gwendydd-Ganieda dem Lancelot-Interpolator resp. dem Verfasser des
selbständigen E. M. vorschwebte, als er das E. M. schuf, scheint mir
aber durchaus von einer anderen Frage abzuhängen, die L. A. Palon
nicht aufwarf, nämlicli ob der Name von Merlins Geliebten im E. M. L.
aus dem Namen Gwendydd-Ganieda abgeleitet werden darf. Je nach-
dem diese letztere Frage entschieden wird, möchte ich die erstere
L' Enserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 261
bejahen oder verneinen. Es ist zu beachten, daß der Name von
Merlins Gclieblen vom Standpunkt eines selbständigen E. M. aus durch-
aus überflüssig wäre, und daß, wenn das Fräulein vom See im ursprüng-
lichen Lancelotroman keinen Namen brauchte, ein solcher für Merlins
Geliebte ebenso unnötig war. Es besteht darum die Wahrschein-
lichkeit, daß der Name, falls er nicht vor der Interpolation schon
dem Fräulein vom See im Lancelot zukam, vom Interpolator resp.
vom Verfasser des selbständigen E. M. der Mcrlinsage entnommen wurde.
Schon mehrere Gelehrte haben Erklärungen des Namens i52j
vorgeschlagen. G. Paris [Merlin t. I p. XLV. n. 1) sagt: le nom
de Ninienne a une physionomie tout ä fait celtique: Ninianiis
est le nom d'un saint bi'eton, qui passe pour avoir Ste au V^ siede
Vapötre des Pictes. Dieses Argument ist schwach. So könnte man
natürlich auch aus dem häufigen Vorkommen des Männernamens
Morgan in Wales auf den wälschen Ursprung der Fee Morgue(n)
(Morgana) schließen. Im Keltischen und Germanischen konnte man
früher nicht, wie man es jetzt in Analogie zu den romanischen
Sprachen tut, zu jedem Männernamen einen Frauennamen auf öCresp. e)
bilden. Männer- und Frauennamen entsprachen einander nicht. Das
Vorkommen des Männernamens Niniati in Schottland spricht wohl
geradezu dafür, daß es dort keinen Fraucnnamen Niniana gab. i53^
Andere Gelehrte leiteten den Namen Niniene aus Hwimleian
ab. Dies läßt sich noch eher hören. Hioimleian, wenn es ein Eigen-
name ist, bezeichnet wenigstens ein weibliches Wesen, und, da der
Name zusammen mit Myrddins vorkommt, so mochte man ja denken,
daß Hwimleian Myrddins Geliebte war. Doch, da einerseits die
1'^-) Die Varianten des Namens (lange Liste bei L. A. Paton, Fair?/
Mythology p. 24G— 247) sind sehr zahlreich, lassen sich aber auf einen Typus
yiy.ienne, in welchem die Kreuze durch n oder v ausgefüllt werden können,
reduzieren; n und v wechseln graphisch beständig; e vor n kann durch
n oder durch ni ersetzt werden, in späteren Texten l durch //; n kann ver-
doppelt werden; für ni oder ui können m oder ju eintreten. So entsteht
eine grofse Menge von Variationen.
U3j \\Qx\n man sich auf so schwache Argumente stützen wollte, so
könnte man ebruso gut von der Form Vivkne ausgehen und sie von dem
französischen Männernamen Vivicn ableiten. Auch möchte dann darauf
hingewiesen werden, dafs es in der Bretagne {Cötes du Nord) einen Flufs,
genannt Nininn, gibt. Eine bretonische Heilige heifst Ninnoc, in lateinischen
Dokumenten auch Xinnoca. Sie war die Tochter des Brochan, Königs von
Cambrien; sie zog mit den flüchtigen Britten nach Armorka (vgl, Loth, Emi-
gration bretonne p. lOG, 186, 187, 212, 251). Vielleicht gab es neben Ninnoc
auch eine Form Ninnan, da die Suffixe -an und -oc zu wechseln scheinen
(vgl. Zimmer Z«. f. Jz. Sp. XIII 41). Ich hätte mich bei dem haltlosen Argument
nicht lange aufzuhalten brauchen, wenn es nicht aus G. Paris' Feder stammte;
aus dem letzteren Grunde nämlich hat es bereits Anklang gefunden, z. B.
bei Sommer (Aforie darthnr III p. 120 A. 1) und Jeanroy (Artikel Merlin in
der Grande Enc;/clopcdie); und Niniene hat nun ohne Grund die früher akzeptierte
Form Yiviane (Villemarque und P. Paris) verdrängt. Wenn ein uuberühmter
Gelehrter jenes Argument vorgebracht hätte, es wäre sicher von den andern
Kritikern ganz ignoriert worden,
262 E. Brugger.
Texte diese Ansicht nicht stützen, im Gegenteil die Uwimlcian als
eine Art Sibylle erscheinen lassen, von der Myrddin nichts als einige
Prophezeiungen kannte, und da anderseits zwischen jenen Texten und
dem E. M. sonst keine, nicht einmal indirekte, Beziehungen bestanden
zu haben scheinen, und da endlich die Ähnlichkeit der Namen
Hwimleian und Niniene (Viviane) nicht gerade frappant ist, so ruht
die Hypothese auf sehr schwacher Grundlage.
Rhys (Studies in the Arthurian legend p. 284) kommt von
dem kymrischen Namen RMannon auf Niniane. Rbiannon ist aus
einem Mabinogi bekannt. Wenn auch die formellen Schwierigkeiten
zu überwinden wären, so ist doch die Ähnlichkeit zwischen Niniane und
Rbiannon so gut wie Null. Rh5's' Identifikationen sind in der Regel
Luftschlösser.
Zuletzt hat L. A. Paton den Namen von Merlins Geliebten zu
erklären gesucht (Fairy Mythology p. 243 ff). Sie glaubt, in der
irischen Imramfee Niamh das Prototyp von Niniane gefunden zu
haben. Von Niamh [jnh spirantisch) gelangt sie zunächst über Niave
zu Niane; die Existenz der letzteren Form soll durch die in der
pseudohistorischen Merlinfortsetzung gegebene Etymologie (Viviane . . .
ce est un nom en kardeu qui sonne autant en franchois com s''ele
disoit noiant ne ferai) gesichert sein. Dann müßte man, meint sie,
annehmen, daß die Erzählung durch ein lateinisches „inediimi'-'' hindurch-
gegangen sei; * Niane wäre durch Vorschlag eines ni in derselben Weise zu
Niniana geworden wie das kymrische oder gälische Nenn zu Niniajius.
Es wäre ferner die irische Schlachtgöttin Nemaji mit Niamh, endlich
noch Diana mit *Niane konfundiert worden. Auch diese Erklärung
ist nicht akzeptierbar. Die Etymologie, welche die pseudohistorische
Merlinfortsetzung für den Namen Niniene gibt, ist wertlos, da dieser
Text den Namen dem E. M. L. entlehnt hat, wo keine Etymologie
gegeben wird. Niniene mochte übrigens fast ebenso gut an nient
als Etymon erinnern wie *Niene\ aber es ist ganz unwahrscheinlich,
daß noiant fnient) absichtlich gewählt wurde; das Etymon soll ja
chaldäisch, nicht französisch sein. Die Etymologie ist sicher die
eigene Erfindung des Merhnfortsetzers. Ganz bedenklich ist auch der
Vorschlag von ni. Ohne Keltist zu sein, glaube ich, daß entweder
Nenn durch Kontraktion aus Ninian oder daß Ninianus durch
Addition des Suffixes -ianus aus Ne7in entstanden sein muß. Aus
*Niane hätte in dieser Weise *Nianiana entstehen müssen. Ich glaube
jedoch, daß *Niane einfach zu *Nia7ia latinisiert worden wäre. Aber
sogar, wenn man Niniene nicht so gewaltsam, sondern leicht aus Niamh
ableiten könnte, so würde die Erklärung nicht weniger abzuweisen sein,
vorausgesetzt, daß man, wie L. A. Paton es tut, Niniene nicht so sehr als
den Namen von Lancelots Erzieherin, sondern als denjenigen von
Merlins Geliebten auffaßt. Denn Merlins Geliebte ist keine Fee,
das E. M. kein Imram. Auch mit Neman und Diana wurde Niniene
nach meiner Meinung niemals konfundiert.
L' Enserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 263
Wenn man die Einführung des Namens Niniene nicht dem
Verfasser des Laucelot, sondern dem Lancelot-Interpolator resp. dem
Verfasser des selbständigen E. M. zuschreiben will, so liegt m, E.
keine Erklärung näher als die Ableitung aus Gioendijdd-Ganieda.
Lot (1. c. p. 520) sieht zwar schon in der Umgestaltung von
Gioendydd zu Ganieda eine bedeutende Schwierigkeit. Ich verstehe
dies nicht: kymrisches y (mit dem Lautwert e) wird lateinisch regel-
mäßig zu e (Myrddin-Merlinus etc.); kymrisch Gioen- wird häufig
zu Givan- (vgl. Gwcnhicyvar ^ Giianhuinara::^- Ganievre); kymrisch
nd kann zu nn werden (Gwendoleu > Guennolous); die einzige
Unregelmäßigkeit besteht also darin, daß n?i zu ni wurde; dies ist
aber eine nicht seltene graphische Entstellung: es ging ein Strich
verloren. Übrigens mag ie als Ersatz für y eingetreten sein, viel-
leicht wie im Givenliwyvar-Guenievre. Neben Ganieda konnte aber
auch die Variante Guenieda bestehen, da ive nicht notwendig durch
a ersetzt werden mußte (vgl. Guennolous), und im Keltisch-Latei-
nischen wie im Germanisch -Romanischen Gio und v (iv) häufig
wechseln (vgl. Gioynedd- Venedoda, Gwrtheyrn- Vortegirnus i54j. Aus
Venieda mochte ein französisches Viniede entstehen {e > i wie z. B.
in Guened > Goinnec; V erhalten wie in Vertigier), das, weil Frauen-
namen auf -de selten waren, den viel häufigeren auf -ne (Galiene,
Laudine, Lidoine etc.) angeglichen wurde. ^55) go kommen wir zu
der Form Viniene'^^^), ohne von irgend welchen schwierigen und
unnatürlichen Voraussetzungen Gebrauch gemacht zu haben. Anstatt
von einer lateinischen Zwischenstufe, mag der Name Viniene auch
direkt von Gwendydd abgeleitet werden, wenn man voraussetzt, daß
ebenso gut wie der Lateiner die Endung a, so der Franzose die
Endung e anfügen konnte.
Diese ganze Hypothese gilt nur unter der Voraussetzung, daß
der Name Viniene vom Lancelot-interpolator in den Lancelot ein-
geführt wurde. Wenn wir dagegen voraussetzen wollen, daß der
Name schon vor der Interpolation des E. M. im Lancelot vorhanden
war, als Name von Lancelots Pflegemutter, so fällt natürlich
die Hypothese dahin. Dann muß mau sein Prototyp unter den
Feennameu suchen; dann ist aber auch die ganze Frage für
unser Tliema bedeutungslos. Nun ist jedoch zu bemerken, daß
im Lancelot der Name zum ersten Mal in der E.-M.-Episode er-
scheint, trotzdem schon vorher viel von der Fee die Rede war, die
hier, als Merlins Geliebte, Niniene resp. Viniene genannt wird. Sie
1**) Das ursprüngliche war w, welches im 9. Jahrh. zu (jw wurde (vgl.
Loth, Emigration brclonne p. 90).
1") Das Suffix -ine wird ja noch in moderner Zeit zu Neubildungen
verwendet: Josephine, Albertine etC.
1^^) Es ist merkwürdig, dafs gerade diese Variante nirgends zu belegen
zu sein scheint. Doch ist dieser Umstand von keiner Bedeutung, da alle
Versionen, die den Namen nennen, auf den Lancelot zurückgehen, wo er
nur 2 mal vorkommt.
26i E. Brugger.
wurde bis dahin nur la damoisele (damc) del lac genannt. Ist
dies schon sehr verdächtig, so ist es noch auffallender, daß auch in
der Folge der Name Niniene resp. Viniene fast nie gebraucht,
sondern die alte Bezeichnung la damoisele (dame) del lac beibehalten
wird. Dies läßt es als wahrscheinlich erscheinen, daß der Name
ebenso wie das E. M. eine Interpolation ist resp. zur E. M.-Inter-
polation gehört. Dem Interpolator war es wohl zu mühsam, ihn
überall an Stelle von la damoisele (dame) del lac einzusetzen; und
wenn, was wahrscheinlich ist, letztere Bezeichnung bereits populär
geworden war, so mochte es nicht ratsam sein, sie zu verdrängen.
Ich kenne außer dem E. M. nur noch eine Stelle im Lancelot, wo
der Name Viniene erwähnt wird. In einem Liouelabenteuer heißt es
(Ms. B. N. fr. 339 = anc. 6959 3, fol. 54 d; Druck von 1520 I fol.
121c; vgl. auch Jonckbloct, Lancelot II p. XII, A. 14): £t ce estoit
la damoisele qui le garanti, quant l'espee li fu [Brnck ad. : misej
sur la teste por [Druck ad. V] ocirre; si avoit non Celice, et la
dame [Druck: eile estoit a la dame qui] avoit non Nimainne et
icele Nimainne fu ce qui [Druck non — qui ausgelassen] iiorri
Lancelot au lac^^"^).
Von Merlins Ende ist in Galfrids Historia garnicht die Rede.
Der Eindruck, den der Leser dieses Werkes bekommen mußte, war,
daß Merlin noch unter Uter Pendragon starb. Dies beweisen die
französischen Romane (vgl. oben). Die Vita Merlini stellt bestimmt einen
natürlichen Tod Merlins in Aussicht. In diesem Werk hat Merlinus über-
haupt nichts Übernatürhches an sich; er ist nur vorübergehend geistes-
krank, von Gott oder vom Teufel inspiriert. Geheilt von seiner Krankheit,
will er den Rest seines Lebens in der Einsamkeit des kaledonischen
Waldes zubringen; er will fasten und Buße tun; damit er des ewigen
Lebens im Ilimmef teilhaftig werde (vgl. oben). Er prophezeit nicht
mehr, weil er die Wahrsagekunst mit seiner Krankheit verloren hat.
Giraldus, der eine ältere Vita Merlini benutzt zu haben scheint, ließ
Merlin auch seinen Lebensabend im kaledonischen Walde zubringen,
sagte aber nichts von der Heilung und dem Verlust seiner Sehergabo,
vielleicht allerdings bloß, weil er keine Details bringen wollte (vgl.
Bd. XXXI p. 228). Ähnlich ist endlieh auch die Stelle in Claris
et Laris; Merlin lebt hier noch unter Arthur; auch besitzt er natürlich
noch seine Allwissenheit (vgl. oben). Hier sind eben Merlinus
15-) Ebenso in Ms. B. N. fr. 768, anc. 7185 fol. 152 L. A. Paton sagt
fälschlich (Fainj Mytholo(jtj p. 239—240), dafs der Passus nur in einem
Manuskript zu belegen sei. Er ist vermutlich in allen Mss. vorhanden.
Ich habe Zs. XXVllI p. 1—2 auf die mögliche Identität von Wolframs Imane
mit Viniene hingewiesen. Imane hat die Rolle der Guenievre im Meleagant-
Abenteuer. Vielleicht handelte es sich nur um eine Vertauschung der ähnlich
geschriebenen Namen Viniene und Gm^iievre (statt Gu auch y. Vanora, Wander:
vgl. in dieser Zeitschrift 28 p. 66; auch J, z.B. Gtnevre, Jenovre im
holländischen Lancelot). Nur bleibt dann der Beiname von der Beafontane
unerklärt.
L'Enserrement Merlin. Studien znr Merlinsage. 265
Silvester und Mcrlinus Ambrosius verschmolzen. Der Wald, wo
Merlin sterben will, ist vielleicht nicht mehr der kaledonische; die
Geographie ist weg. Es gab aber wohl auch eine Tradition, welche
Merlin vollständig mit Lailoken identifizierte und ihn eines gewaltsamen
Todes sterben ließ (vgl. Bd. XXX • p. 223). Man zeigte Merlins Grab
in Drumelzier, wo Lailoken gestorben sein soll. Vielleicht dachte man
sich sein Grab auch in Nouquetran in der Nähe von Arderydd, wo man
die berühmte Schlacht geschlagen wurde, an der Myrddin teil genommen
haben soll. Die Wälschen versetzten Merlins Grab nach Nevyn
(vgl. BJ. XXXI p, 238), wahrscheinlich weil Giraldus erklärte,
daß er dort den Merlinus Silvestris gefunden habe (vgl. Bd. XXX ^
p. 228), und weil dort die Wortigcrn-Sage lokalisiert war; oder in
die benachbarte Insel Bardsey (= bard's island) (vgl. Bd. XXX ^
p. 220, 238) oder nach Carmarthen, dem Geburtsort des Merlinus
Ambrosius der Historia. Ein Franzose, der Galfrids Historia ergänzen
wollte, ließ ihn in Tintagil, dem Schauplatz seiner Haupttat, begraben
sein (Perlesvaus). Alle diese Zeugnisse wissen nichts von einem
enserrement, und die ausführlicheren unter ihnen scheinen ein solches
geradezu auszuschließen.
Es gab aber auch Traditionen, wonach Merlin nicht starb.
Alle diese scheinen von Merlinus Ambrosius auszugehen oder Merlinus
Silvester mit jenem zu verschmelzen, wie es schon die Vita Merlini
getan hatte. Man stellte Merlin (natürlich Ambrosius) zu Arthur in
Parallele, ließ ihn wie diesen einen Zauberschlaf tun, aus dem er
zugleich mit ihm wieder erwachen würde, um zu seinen ßritten zurück-
zukehren (jüngere Bardscylegeude vgl. Bd. XXXi p. 238); oder
man ließ ihn wie Arthur nach einer Wunderinscl fahren (Triade 113).
Diese Traditionen stehen in keiner Beziehung zum E. M. Wenn im
ktzteren Merlin einen Zauberschlaf tut, so war es — und dies ist
wesentlich — einer, aus dem er nie wieder erwachen kann und soll; er
kommt dem Tode gleich. Übrigens können jene 2 Traditionen sehr wohl
jünger sein als das E. M., sind aber ihrerseits von diesem nicht
beeinflußt. Der Verfasser des Perlesvaus ließ dem Merlinus (natürlich
wieder Ambrosius), weil er mit Christus Ähnlichkeit hat, auch eine
körperliche Auferstehung und Himmel- (resp. Höllen-) fahrt angedeihen.
Wenn man annahm, daß Merlin nicht vor dem Weltuntergang, dem
jüngsten Gericht, sterben würde (Robert von Borron), so stützte man
sich auch auf seine teuflische Abstammung: man dachte, daß ein
Teufelssohn nicht wie ein normaler Mensch sterben könnte. Um aber
glaubhaft zu machen, daß Merlin noch immer auf dieser Erde, in
Britannien, lebe, mußte man annehmen, daß er sich unsichtbar machte.
Wie man zur Vorstellung des espliimcor gelangte, können wir nicht
eher bestimmen, als bis die Bedeutung dieses Wortes bekannt ist.
Das Wort ist bis jetzt nur in den oben zitierten Stellen belegt worden.
A. Tobler (Zeitschrift f. vergl. Sprachforschung JSF HI 417) er-
wähnt als außerordentlich häufig den Übergang von eoi zu oie (oe)
266 E. Brugger.
fovri'oir (*opcra atriiim) < ovroerj. Die in Meraugis durch den
Reim gesicherte Form esphimocr entstand also aus esplumcoir
(* explumatorium). Man kann so wenigstens konstatieren, daß
csplumeor nicht ein nomen ageniis ist^ss). Das Suftix -orium bezeichnet
den Ort, wo die im Stamm ausgedrückte Handlung stattfindet. Esplurner
ist zu belegen im Sinn von „rupfen"; ein esplumcoir sollte also
einen Ort bezeichnen, wo gerupft wird. G, Paris (Rom. XXVII 309)
schlägt als Übersetzung vor: mue, cage, oü les oiseaux sont enfermes
pendant la mue, deutsch: Mauserkäfig. Aber merkwürdig ist, daß
das Wort in den zahlreichen Abhandlungen über und Anspielungen auf
die Jagd nicht belegt wurde. Die Tatsache, daß die Kopisten dem
Worte esplumeoir auch die phonetisch falsche Form esplumeor gaben,
ist wohl ein Beweis, daß sie selbst das Wort nicht verstanden, daß
dieses also nicht mehr gebräuchlich war. Wir wollen hier nur kon-
statieren, daß der esplumeoir ein „hahitage"' ist, wo man den Menschen
unsichtbar sein, aber doch noch zu ihnen sprechen kann; nach dem
Zeugnis des Meraugis wäre er in einen Felsen gebaut, also wohl ein
Gewölbe, wahrscheinlich durch Zauberkunst geschaffen (Robert sagt
ja, daß Merlin seine Wohnung selbst schuf), vielleicht geradezu, wenn
man so sagen kann, ein unterirdischer Palast. Da Merlin von hier aus
weissagt (direkt nach dem Perceval, indirekt nach dem Meraugis),
so erinnert uns dieses esplumeoir nicht wenig an die Orakelstätte zu
Delphi. Vielleicht kannte Giraldus eine ähnliche Tradition, wenn er
sagt: cum (sc. Merlinum) potius Pytlionico spiritu locutum esse
plerique conjectant (Camhriae descripiio C. XVI; vgl. San Marte,
Sagen p. 47). Der Lorbeerbaum im Meraugis erinnert sogar an den
Lorbeerhain und den mit Lorbeer geschmückten Dreifuß in Delphi.
Wenn der demens Lailoken prophezeien wollte, sedehat super quandam
rupem proclivam que eminet transtorrentem Mellodonor (Ward 1. c.
p. 516). Auf einem Felsen soll Merlinus Ambrosius vor Wortigern
prophezeit haben (vgl. San Marte, Sagen p. 1 2). Thomas von Erceldoune,
der sich in mancher Beziehung mit Merlin vergleichen läßt, hat seine
Prophezeiungen in einem Berge {Eildon Bill bei Melrose in Schottland)
aus dem Munde einer Fee vernommen. Auch die weissagenden
Sibyllen bewohnten gewöhnlich Felshöhlen. Giraldus kannte eine Vita
Merlini, die ursprünglicher war als die uns erhaltenen. In der letztern
ist von einem palastartigen Observatorium die Rede, welches Ganieda
auf Merlins Geheiß im kaledonischen Walde baute resp. bauen ließ.
Dies sieht mir wie eine Entstellung einer altern Tradition aus. In
einer altern Vita Merlini dürfte Merlin selbst sich in einem Felsen
ein Observatorium haben bauen lassen (Merlinus Silvestris war ja nicht
Zauberer), wo er bis zu seinem Lebensende (Merlinus Silvester mußte
sterben, war er doch nichts als ein gewöhnlicher Mensch) prophezeien
wollte. Davon, daß er von seiner prophetischen rahies geheilt wurde
^^8) Als solches fafste es Godefroy auf.
L' Enserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 267
weiß ja niemand als die uns erLaltcne Vita Merlini. Gerade Giraldus und
die kymrischen Pseudo-Myrddin-Gediclite wissen nichts davon, und
die letzteren stehen zum Teil im Widerspruch zu einer solchen Vor-
aussetzung. Es ist darum wahrscheinlich, daß in der postulierten
älteren Vita Merlini Merlin die Sehergabe nie verlor und Ganieda sie
nie erlangte. ' Der Verfasser der uns erhaltenen Vita Merlini wollte
einfach seinem libellum den Anschein der Vollständigkeit verleihen,
und ließ darum, als er es abschließen wollte, Merlin aufhören, zu
prophezeien (vgl. seine Bemerkung v. 1522). Merlin prophezeit
übrigens nach der Vita Merlini nicht nur als Besessener, sondern
auch als Astrologe. Dies war wohl nicht eine Spezialität der Vita.
Noch in dem späteren ßoman Meister Richards, les Frophecies de
Merlin, der garnichts von der Vita geborgt hat, linden wir den Propheten
Merlin als Sterndeuter. Vielleicht beschäftigte sich Merlin in dem
tür- und feusterreichen Palast auch mit Ornithomantie; und dieser
Umstand möchte dann zur Erklärung des Namens espliimeoir bei-
tragen. Natürlich müßte man sich das Felsengewölbe, welches als
Observatorium (und esplumeoir?) benutzt werden sollte, entsprechend
vorstellen; die Fenster müßten jedenfalls oben sein, um den Anblick
des Himmels zn ermöglichen. Nach Meraugis ist denn auch der
esplumeoir in einem hohen Felsen (vgl. auch la Nouquetran im
Fergus!). Wir haben uns vielleicht Merlins Jiahitage^'- ähnlich vor-
zustellen wie die Grotte der Sibylla in Cumae nach Virgils Beschreibung
(Aeneidos lih. VI. v. 41 ff.); Excisum Euhoicae latus ingens rupis
in antrum, Quo lati ducant aditus centum, ostia centum; Unde
ruunt totidem voces, responsa Sibyllae. An diese Stelle erinnert
wohl die eben erwähnte der Vita Merlini: {domus) Chi sex dena
decem dahis hostia totque fenestras, Per qiias ignivomum videam
cum Venere Phoehum etc. (v. 566). Da Virgils Aeneis im Mittel-
alter eines der am meisten gelesenen Bücher war und Sibylla sich
großer Popularität erfreute und Merlin nicht selten mit ihr zusammen
genannt wurde, es anderseits im kaledonischen Walde meines Wissens
keine solche Grotten gab, so ist es nicht unmöglich, daß unsere Sage
literarischen Ursprungs ist (vgl. die von Antoine de la Salc erzählte
italienische Legende, und dazu L. A. Paton 1. c. p. 52 — 53). Aus
einer älteren Vita Merlini möchte nicht nur Giraldus, sondern auch
Robert de Borron geschöpft haben. Aus ihr möchte der esplumeoir
des Merlinus Silvestris entlehnt worden sein^^o)^ während das Fortleben
Merlins bis zum jüngsten Gericht aus der teuflischen Abstammung
1^') Da esplumeoir möglicherweise die Bedeutung enge hat, so mag man
sich an den oben (Bd. XXX' p. 204) zitierten Passus aus Deschamps, nach
welchem Merlin e» caüje war. erinnern. Man hat sich vielleicht Merlins
Gefängnis einem Mauserkäfig ähnlich vorgestellt. Doch sagt auch Deschamps
soulz h lombel] und en cni'je mag die unschuldige Bedeutung „im Gefängnis"
haben. In schweizerischen Dialekten wird „im clievi" sehr häufig in dieser
Bedeutung gebraucht.
268 E. Brugger.
des Merlinus Ambrosiiis abgeleitet wurde. Wie Robert in seinem
Merlin die Schergabc Merlins der Gnade Gottes zuschreibt, so Ijißt
er im Perccval Älcrlins Seele durch dieselbe Gnade der joie pardurahle
teilhaftig werden.
Zwei Pseudo-Myrddiu-Gedichte, Kyvoesi und Gwasgardgerdd, von
denen aber das zweite auf den donnees des ersteren aufgebaut zu
sein scheint, berichten ebenfalls, daß Myrddin noch von dem Oitc
aus, wo er eingeschlossen bis zu seinem Tode blieb, prophezeite (vgl.
oben Bd. XXX' p. 232). Doch sind im Übrigen die Veihältnisse sehr
verschieden. Myrddin was placed tinder carth hy a sovercign, und
von da aus unterhielt er sich noch mit seiner Schwester Gwcndydd.
Er befand sich also in einem unterirdischen Kerker eines Fürsten;
man kann die Stelle vernünftiger Weise nicht anders deuten. Die
Kerker der Burgen waren häufig unterirdisch. Ein Gefangener konnte
sich häufig mit außerhalb der Burgmauer stehenden Leuten unter-
halten. Man erinnere sich an die Sage von Blondcl und Richard
Löwenherz. In Claris et Laris kommen Gauvain und Claris zu einer
unterirdischen voute und unterhalten sich mit einem Gefangenen (v.
25476 ft'.); andere Beispiele ließen sich wohl noch genug finden. Ich
möchte nur zeigen, daß die Situation in Kyvoesi ganz natürlich, gar nicht
wunderbar, ist. Das Gedicht deutet au, daß Myrddin in seinem Gefängnis
bald sterben soll. So kann denn Gwasgardgerdd das Gefängnis sein Grab
nennen. 160) yAwq ähnliche Tradition finden wir nirgends; aber man
kann sich doch vorstellen, wie sie entstand. In der Vita Merlini wird
Merlin in Lailokens Rolle auch von einem Fürsten (Rhydderch) gekettet
ins Gefängnis gebracht. Doch in der späteren Lailokenlegende finden
wir, daß der Fürst, der Lailoken gefangen setzt, nicht mehr Rhydderch,
sondern Meldred ist. Dieser, der Eponymus von Drumelzier, ist es
auch, dessen Hirten Lailoken erschlugen. Lailokens Gefängnis und
Grab befanden sich nach der Legende in Drumelzier. Später aber
wurde „Lailokens Grab" durch „Merlins Grab" ersetzt. Man mochte
darum annehmen, daß auch das Gefängnis, in dem Merlin eingesperrt
war, sich in Drumelzier befand. Indem man den dreifachen gewalt-
samen Tod vergaß, und sich nur daran erinnerte, daß Merlin in
Drumelzier eingekerkert war und starb, kam man schließlich zu der
Ansicht, daß er im Kerker starb, daß sein Kerker sein Grab wurde.
Auch wenn diese Tradition, die erst in den jüngeren Strophen von
Kyvoesi erscheint, alt sein sollte, so stünde sie doch in keinem
Zusammenhang mit der Esplumeor-Tr^AMion. Die Situation der
ersteren Tradition erklärt sich ohne Zuhülfenahmc derjenigen der
letzteren Tradition und vice versa. Außerdem sind die Differenzen viel
zu groß im Vergleich zur Ähnlichkeit. Im einen Fall wird Merlin
^^) lu der Galaadqueste 0, ist die Rede von nne voix qui yH d'uiie tombe
et est de teile vertu que nul ne Voyt qui ne perde la force et le povoir (Druck V.
1520 III f. 89 a).
VEnserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 269
mit Gewalt eingesperrt; im andern baut er sieb selbst sein Grab,
wenn man den habitage überhaupt so nennen darf, und begibt sich
frei\^illig hinein, ohne gezwungen zu sein, zu bleiben. Im einen Fall
stirbt er voraussichtlich bald nach dem enserrement, zu Lebzeiten
seiner Schwester Gwendydd, im andern erst beim Weltuntergang.
Wie verhält sich nun das E. M. zu diesen Traditionen? Mit
der durch Kyvocsi und Gwasgardgerdd repräsentierten hat es gemeinsam
das enserrement: Hier wie dort ist Merlin wirklich enserri in einem
Oit unter der Erde- den er nicht wieder verlassen kann, also geradezu
entomhS] und dieser Umstand hat Stephens (Geschichte d. wälschen
Lit. p. 173) und San Marte (Sagen p. 206) dazu verführt, Beein-
flussung anzunehmen. Doch wie ganz verschieden sind alle anderen
Züge! Im einen Fall ist es ein Fürst, der Merlin zum Gefangenen
macljt, im andern Fall eine von ilim geliebte Dame. Jener tut es
auf ganz gewöhnliche Weise, diese durch Zauberei. Dort prophezeit
er noch vom Grabe aus; hier schläft er von Anfang an, um nie
wieder aufzuwachen. Wenn wir auch noch bedenken, daß die kymrische
Tradition ganz vereinzelt dasteht, und das E. M, leicht ohne Hülfe
der Sage erklärt werden kann, so müssen wir jene als Quelle der-
selben abweisen. Umgekehrt kann das E. M. natürlich auch nicht
die Quelle der kymrischen Tradition sein.
Die Ähnlichkeit zwischen dem E. M. und der Esplumeoir-
Episode ist etwas größer. Doch darf man die gewaltigen Differenzen
nicht übersehen. In der letzteren ist Merlin garnicht im eigentlichen
Sinn enserrL Er ist freiwillig in den esphimeoir gegangen, und
nirgends wird gesagt, daß er, wenn er wollte, nicht wieder hinaus-
gehen konnte! Wohl scheint in der Esplumeoir-'E.\)\%o^e wie im E. M.
Zauberei im Spiele zu sein; doch es fehlt dort vollständig das Weib,
das hier die Zauberei betreibt. Man möchte vielleicht sagen, daß im
Meraugis eine der Damen beim esplumeoir Vinione sein mochte,
während die anderen dann als ihre Gespielinnen aufzufassen wären.
Doch sieht jedermann leicht, daß die Version des Perceval im Ganzen
urspiünglicher ist. Wenn man also wirklich in einer jener Damen
Yiniene erkennen wollte, so müßte man annehmen, daß die Version
des Meraugis unter dem Einfluß des E. M. aus der alten Version der
Esphtmeoir-E\nsodc entstanden wäre. Ich glaube aber, wie schon
gesagt, daß der Jungfcrnkranz anders zu erklären ist. Während nach
dem E. M. Merlin in der Felsenhöhle von Anfang an schläft, um
nicht wieder zu erwachen, ist er nach der Esplumeoir-Einsode
beständig wach und tätig, er prophezeit und soll nicht sterben bis
zum jüngsten Gericht, Die Unterschiede zwischen dem E. M. und
der Esplumeoir-Eitisodc sind also so durchgreifend, daß es niemals
anginge, die eine dieser Erzählungen aus der anderen abzuleiten.
Wir dürfen höchstens Beeinflussung annehmen. Eine solche wäre
offenbar hier schon deshalb eher möglich, weil beide Erzählungen in
französischen Versionen existierten.
^70 E. Briigger.
Eine Beeinflussung der jE'sp^wmfozV-Episode durch das E. M.
ist sehr un\Yahrscheinlich; sie ginge uns übrigens liier nichts an; ich
brauche darum die Frage nicht zu erörtern. Dagegen mag das E.
M. vielleicht einiges der J^spliuneoir -EiVisode verdanken, darunter
das etiserrer-MoÜY. Nach Robert von Borron hat sich Merlin
selbst gewissermaßen enserrL Da Merlin den esplumeoir nie mehr
verließ, so mochte leicht die Freiwilligkeit des enserrer in Ver-
gessenheit geraten. Aus der Meraugisepisode ist sie bereits nicht
mehr ersichtlich. Dann drängte sich einem als das Natürlichste die
Annahme auf, daß Merlin enserrd wurde. Da mochte dem Lance-
lotinterpolator resp. dem Verfasser des selbständigen E. M. der Ge-
danke naheliegen, das enserr€me7it-'M.oti\ für den Abschluß des
Fabliau zu verwenden, da doch das durch die Hauptquelle über-
lieferte Vergiftungsmotiv unannehmbar war. Das für die esplumeoir-
Episode charakteristische Fortleben und Weiterprophezeien Merlins
eignete sich für das E, M, nicht, da ein fortlebender und mit den
Menschen verkehrender Merlin für Viniene eine beständige Gefahr
gebildet hätte; Merlin mußte für immer unschädlich gemacht werden,
wenn nicht die ganze List des Mädchens umsonst sein sollte. Daher
das Versenken in den ewigen Schlaf, das seeler ^^^), und die Unauf-
findbarkeit des letzten Aufenthaltsortes Merlins. Die Felshöhle (denn
das war doch wohl die cave des E. M. L.) ist vom Standpunkt des
E. M. aus ein unwesentliches Moment: es war kein Grund vorhanden,
weshalb der Ort, wo Merlin eingeschlossen wurde, gerade eine cave
sein sollte. Vielleicht hat auch hier die röche der esplumeoir-
Episode bestimmend eingewirkt. Wo die^e Episode mit dem E. M.
übereinstimmt, da ist es die Meraugis-, nicht die Percevalvcision ;
doch werden wir kaum Benutzung des Meraugis voraussetzen dürfen.
Da der Lancelot-Interpolator sicher Volkssagen gekannt hat, so wird
man wohl auch hier anzunehmen haben, daß er ebenso wie der Ver-
fasser des Perceval und derjenige des Meraugis die Esplumeoir-
Episode direkt aus der Volkssage schöpfte. Gerade der Umstand,
daß das Wort esplumeoir schon in altfranzösischer Zeit obsolet
war, deutet darauf hin, daß die Sage, in der es vorkommt, schon
alt war.
Unter den geographischen Namen des E. M. L. ist zunächst
la Peilte Bretagne als Heimat der Geliebten Merlins auszuscheiden;
denn diese Lokalisation, war, wie oben (Bd. XXX^ p. 193) gezeigt wurde,
durch den Anschluß ans Vorausgehende bedingt. In einem unabhängigen
Merlinfabliau wäre gewiß Großbritannien als Ort der Handlung gewählt
1"') Das e/isei'rement Merlins erinnert etwas an die Einmauerung Josephs
bei Robert von Borron, der das Wort seeler dabei zweimal gebraucht (v. 7(6,
912). Die Prosahandschrift von Modena sagt (Weidner 270): et pcn- dessus
(sc. la chartre) seelerent une piere, und alle Prosahandschriften fügen hinzu:
en tel maniere que, se nus le venist querre, que ne le peust trover. Deshalb braucht
man aber noch nicht Beeinflussung des E. M. durch den Joseph anzunehmen.
L' Enserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 271
worden. Dem Anfang des E. M. L. scheint der Scliluß zu wider-
sprechen. Während Merling Geliebte in Kleinbritannien wohnt, schließt
sie ihn an eiuem Ort ein, der sich unfern vom Königreich Sorelois
befand. Letzteres galt allgemein und, wie es scheint, ausnahmslos als
ein Reich in, Schottland und zwar im nordwestlichen Teile (vgl. diese
Ztschr. XXVIII 1 p. 16). Es ist zum ersten Mal im Prosa-Lancelot
zu belegen, hat aber hier gleich eine sehr wichtige Kolle erhalten.
Da der Lancelot-Interpolator Sorelois im Lancelot sehr häufig genannt
fand, während es in keinem altern Text zu belegen ist, so wird man
wohl kaum fehlgehen mit der Annahme, er habe den Namen Sorelois
nicht einer Merlinsage, sondern dem Lancelot entnommen. Nun wird
im ganzen E. M. L. nie gesagt, daß das bretonische Mädchen nach
Großbritannien kam, was doch hätte gesagt werden müssen, wenn es
nach Ansicht des Verfassers der Fall gewesen wäre. Außerdem,
wenn das Mädchen sich von Merlin hätte nach Großbritannien ent-
führen lassen, so hätte es keinen Sinn mehr gehabt, daß sie vorgab,
sie müßte ihren Vater einschläfern, damit er von ihren Zusammen-
künften nichts merke. Es klappt also offenbar etwas nicht. Ver-
scliiedene Hypothesen, aber eben nur Hypothesen, mögen die
Verhältnisse erklären. Man kann z. B. annehmen, Sorelois sei von
einem spätem Übeiarbeiter des Lancelot, aber nicht von einem sehr
späten (denn Sorelois erscheint auch in der Handschrift 754, die
nach unserer Ansicht den Lancclot-Perlesvaus-Gialzyklus repiäsentiert),
an die Stelle eines andern, und zwar bretonischen, Namens gesetzt
worden; Cornouaille wäre dann die bretonische Provinz dieses Namens;
und die perilleuse forest de Darnantes wäre in der Bretagne zu
suchen. Ich möchte dann an graphische Entstellung aus Dovarnenez
denken. Die Stadt Douarnenez liegt am Meer, an der Baie de
Douarnenez. Zwischen ihr und der Stadt Briec befindet sich die
große foret du Duc, sich anschließend an den südlichen Teil der
Montagnes Noires. Alle diese Orte und Gebiete liegen mitten in
der Provinz Cornouaille. Wir würden annehmen, daß der Lancelot-
Interpolator, weil er, wie wir oben sahen, die Heldin dos E. M. zu
einer Bretonin machen mußte, auch die Handlung in der Bretagne
lokalisieren wollte. Er mochte die Bretagne selbst kennen, oder aber
— und dies wäre naheliegender — die forest de Douarnejiez -mochte
in Frankreich bereits durch bretonische Sagen bekannt geworden sein.
Ich denke speziell an die Tristansage; denn gerade vor Douarnenez
findet sich die Isle Tristan und ganz in der Nähe auch Plo'marcli,
und noch heute ist dort die Tristansage lebendig (vgl. Loth, Revue
celtique XIII 485). Im Walde von Douarnenez mochten nach bre-
tonischen Sagen Tristan und Iscut zusammengelebt haben. Andere
Hypothesen mögen den Widerspruch zwischen Anfang und Schluß
des E. M. hinnehmen mit dem Hinweis auf die Häufigkeit derartiger
Widersprüche, wo immer verschiedene Quellen benutzt wurden. Es
mag angenommen werden, daß die geographischen Angaben am Schluß
272 E. Brugger.
im selbständigen E. M. bereits bestanden (der Widerspruch mag dann
seinerseits als Argument für die Annahme eines selbständigen E. M.
angeführt werden), oder daß sie der Lancelot-IuteriJolator in der
Sage als gegeben vorfand und nicht ändern wollte, oder daß sie ein
späterer Lancelot-Interpolator im Anschluß an ihm bekannte Sagen
nachträglich interpolierte. Mann würde dann wohl zunächst Cornou-
aille mit Cornwall indentifizieren wollen und darauf hinweisen,
daß es Überlieferungen gibt, wonach Merlin in Cornwall endete.
Womit man in diesem Fall Darnantes zu identifizieren hätte, weiß
ich nicht. Namentlich würde aber Sorelois wieder Schwierigkeiten
machen; denn dasselbe wird in der Überliefernng konsequent nach
Schottland verlegt. Man müßte also wohl wieder zur Annahme greifen,
daß Sorelois erst nachträglich an Stelle eines ihm ähnlichen (kornischen)
Namens getreten wäre. Man kann aber auch voraussetzen, daß Sorelois
relativ ursprünglich ist und daß Cornouaille entweder später hinzu-
getreten ist oder etwas anderes bezeichnet als die Provinz Cornouaille
in der Bretagne oder Cornwall in Großbritannien. Cornavii, angel-
sächsisch Cormoealas, mochten die Bewohner irgend einer keltischen
Halbinsel (com) genannt werden (vgl. Rh5s, Celtic Britain p. 221), also
z. B. auch die Bewohner von Südwestschottland (Galloway); dann
mochte der Firth of Clyde als mer de Cornouaille gelten. Es ist
ferner zu bedenken, daß in gewissen Romanen durch die Ignoranz
der Autoren (die zwar schwer zu begreifen ist bei Franzosen ebenso
wie bei Engländern) das bekannte Cornwall nach Schottland verlogt
wird. Vor allem ist hier die pseudohistorische Merlinfortsetzung zu
nennen. In Sommers Ausgabe p. 203/2 z. B. ist von Arondel
(== Arundel in Sussex) die Rede; es heißt: Arondel en Cornouaille
par devers Bredigan (so im Druck von 1498 und in dem von
Wheatley herausgegebenen englischen Merlin; bei Sommer allerdings
nur Arondel); aber auch in Sommer p. 204/5 heißt es: enti^e le
chastel d' Arondel et Bedingran, und diese Orte gelten als benachbart
der terre le roy Yder de Corneivaile. Bedingan ist aus dem Merlin
bekannt als ein Ort im Norden Großbritanniens. So erscheint denn
auch in Sommer p. 134/9 Cornwall in folgender Umgebung: les marces
de Galone et Gorre et devers Cornouaille et devers Orcanie
(= Orkneys), und Sommer p. 211/22 heißt es: en la marce d'Escoche
al chastel d' Arondel, und gleich nachher (Sommer p. 211/29) wird
das chastel d'Arondel als in oder bei der terre de Loenois
(= Lothian in Schottland) gelegen geschildert. Auch im Prosa-
Tristan finden wir: Le Loonois (in Großbritannien) marchissoit au
royaume de Cornouaille (vgl. Bedier, Tristan II 123 n.). Wenn
Cornouaille in der Nähe von Bedingran gedacht wurde, so erfahren
wir aus dem Lancelot etwas näheres über die Lage (Druck von 1520,
I f. IGOb): (Bedingan), c'est le dernier chasteau par devers Yrlande
par dela (statt p>ar depaf, nämlich notwendig in Großbritannien).
Bedingan liegt auch in der Nähe des Schlosses Vicebroc, lequel estoit
L'Ensero'ement, Merlin. Studien zur Merlinsage. 273
en la fiyi de sow (Arthurs) royaiime es (zu verbessern : par devers
lest) loingtaines isles par devers Yrlande (vgl. auch P. Paris R.
T.M. IV 143). Dies zeigt, daß Bedingan, dem nach der Merlinfortsetzung
Coruouaille benachbart war, als in der Nähe von Sorelois gelegen
gedacht wurde. So erklärt sich wohl am besten die Verbindung von
Coruouaille und Sorelois im E. M. L. Was nun noch für diese letztere
Hypothese spricht, ist der Umstand, daß die forest de Darnantes auch
im Grand- Saint- Gr aal erwähnt wird und zwar als schottisches Gebiet.
Daß der Name aus dem Grand-Saint-Graal in das E. M. L. gelangte,
ist ausgeschlossen; denn das E. M, L. ist, wie oben bewiesen wurde,
älter als der Grand-Saiut-Graal; und der Name Darnantes ist auch
in der Handschrift B. N. fr. 754, die den Lancelot-Perlesvaus-Gral-
cyklus zu repräsentieren scheint, vorhanden, könnte also nicht wohl
eine späte Interpolation sein. Eher könnte man annehmen, daß der Grand-
Saint-Graal den Namen aus dem Lancelot geborgt hätte: doch ist
dies sehr unwahrscheinlich, da der Name im Laucelot nur an einer
einzigen sehr unauffälligen und für den ganzen Romankomplex sehr
unwichtigen Stelle, eben im E. M. L., erscheint, wo außerdem die
Lokalisation, wie wir eben sehen, sehr unklar ist. Im Grand-Saint-
Graal erscheint die forest de Darnantes weder in Verbindung mit
CornouaiUe noch mit Sorelois; letzteres kommt im Grand-Saint-
Graal überhaupt nicht vor. Die forest de Daryiantes hat in diesem
Roman eine ziemlich wichtige Rolle. In diesem Wald finden u. a.
Joseph und seine Genossen den von Teufeln entführten Moys wiedei',
von Flammen umgeben (vgl. Hucher III 223 ff., 700 ff.). Die Gral-
gesellschafft kam von der Westküste Schottlands her in die forest
de Darnantes, und, wie sie diese wieder verließen, entrerent adont
ou royaume Escotois (1. c. 229), d. h. offenbar in das Reich Escossc,
früher Alhania, d. h. das piktisclie Königreich im Nordosten Schottlands,
trotzdem bemerkt wird: si n'estoit tnie issi apieles pour gou que
fou fust Escosse, mais pour gou que li roys avoit issi non (nämlich
Escos); Escos ist ja nur der Eponymus von Escosse^^-). Die
forest de Darnantes liegt also nach dem Grand-Saint-Graal an der
westlichen Grenze (marchej von Escosse; Escosse aber, das wohl
auch Gorre genannt wurde (vgl. diese Zeitschrift 28 p. 65), grenzt
im Westen an das Gebiet von Sorelois, wozu wohl häufig auch das
schottische (d. h. irische) Argyll (Dalriada), das der Grand-Saint-
Graal Terre Foraine zu nennen scheint (vgl. diese Zeitschrift 29
p. 104), gerechnet wurde, (vgl. diese Zeitschrift 28 p. 19). Die
Grenze zwischen dem piktischen Teil Schottlands einerseits (Alhania-
Escosse) und dem schottischen (ivhchen) (Dalriada) und in späterer Zeit
dem skandinavischen (Sorelois) anderseits bildete die wahrscheinlich
früher bewaldete Driunalban genannte Gebirgskette (vgl. Rh5p, Cellic
1^-) Vgl. ebenso im Graud-Saint-üraal: CeliJoini-Caleilonia, Orcans Orcanie
C'alaad- Gales.
Ztschr. f. frz. Spr. u. I.itt. XXXIK 18
274 E. Brugger.
Bntain^. 157). Es scheint mir nicht unmöglich, daß aus Driimalhan
[> französisch '^'Dromauban(s) > *Dormanbes?] Darnantes ^^'^) ent-
standen ibt. Dmmalban war das Grenzgebiet zwischen Escosse
und Sorelois; zwischen der Lokalisation des Grand-Saint-Graal, der
Darnantes an Escosse grenzen läßt, und dem E. M. L., wonach
Darnantes an das Königreich Sorelois grenzt, besteht kein eigentlicher
Widerspruch. Die Kette von Drumalban scheint sich bis an den
Firth of Clyde gezogen zu haben, der vielleicht mer de Comouaille
genannt w'erden konnte. Wir haben oben (Bd. XXX ^ p. 209) gesehen,
daß der Laucelotinterpolator Merlin aus der marche (Grenzgebiet)
d" Escosse et d'Irlande (= Dalriada) stammen läßt; diese marche ist
aber jedenfalls keine andere als die marche d'Escosse et de Sorelois,
welche nach dem Grand-Saint-Graal und dem E. M. L. von der forest
de Darnantes gebildet wird. Es ist darum wahrscheinlich, daß derselbe
Lancelot-Interpolator, welcher den Ort, wo Merlin geboren wurde, an-
zugeben v/ußte, auch das enserrement, Merlins Ende, lokalisierte. Merlin
endete also nach dem Lancelot-Interpolator ungefähr da, wo er
geboren wurde; und wenn dies etwa der Sage nicht entsprechen sollte,
so ist nicht anzunehmen, daß die Geburt bestimmend auf das Ende
einwirkte, sondern das Umgekehrte. Die Sage, die der Lancelot-
Interpolator benutzte, war offenbar diejenige von Merlinus Caledonius,
dem im kaledonischen Wald hausenden Propheten. In Frankreich
dürfte sie kaum bekannt gewesen sein; er wird sie in Großbritannien
kennen gelernt haben, wo sie jedenfalls sehr verbreitet und namentlich
der menue gent viel geläufiger gewesen sein muß als die rein
literarische von Merlinus Ambrosius aus Denietia. Es wäre recht
seltsam, weun der sagenberühmte kaledonische Wald in den französischen
Arthurromanen, die doch so reich an schottischen Orts- und Länder-
namen sind, ganz fehlen sollte. Es ist anzunehmen, daß er unter
einem andern Namen versteckt ist; und dies dürfte der Name forest
de Darnantes sein. Der kaledonische Wald liegt ja nicht weit von der
Gebirgskette von Drumalban ab, die ihm also wohl ihren Namen geben
konnte. Beginnend im Süden beim Loch Lomond, wie das Gebirge
von Drumalban, also an der Grenze von Escosse und Irlande- Sorelois,
zieht er sich nach Nordosten, tief in das Reich Escosse und gerade
auch in denjenigen Teil von Escosse hinein, den ich speziell Gorre
zu nennen mich für berechtigt hielt ic-ij (yg], die Karte in Rhys,
Celtic Britain). Eine perilleuse forest (so wird ([\q forest de Darnantes
im E. M. L. genannt) ist ein abeuteuerreicher Wald, und dies war
der kaledonische Wald in hohem Grade. Es ist darum sehr wahr-
scheinlich, daß die im Prosa-Lancelot und den von diesem abhängigen
•6^) Hucher III 223 Variante Darmantes, ebenso in der von Wheatley
herausgegebenen englischen Merliuübersetzung.
1**) Der Name Gorre wurde zwar wohl auch mit Escosse identifizirt.
(vgl. in dieser Zeitschrilt 28 p. 65).
L' Enserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 275
Romanen eine bedeutende Rolle spielende perilleuse forest, die nach
diesen Romanen in Gorre zu suchen ist, keine andere als die
perilleuse forest de Darnantes ist. Der Redaktor des Prosa-Lancelot
scheint den Namen Darnantes vergessen oder ausgelassen zu haben,
den nachher einer seiner Interpolatoren in der Sage wieder fand.
Es mag noch darauf hingewiesen werden, daß sich nach dem Meraugis
auch der esplumeoir Merlin in Schottland befand.
Das Ergebnis unserer Untersuchung ist, daß das E. M. L. von
der alten Merlinsage zum mindesten ziemlich unabhänging ist. Es
ist möglich, daß gewisse unwesentliche Züge dem Verfasser, der, in
diesem Fall, wenigstens vorübergehend, in Großbritannien gelebt haben
muß, aus der Sage zukamen. Mit Sicherheit läßt es sich wohl von
keinem einzigen beweisen. Ich betrachte es als wahrscheinlich, daß
der Verfasser des E. M. von Merlins Aufenthalt im kaledonischen
Wald wußte, daß er ein Liebesverhältnis zwischen Myrddin und Gwendydd,
deren Namen in Vinieno noch erhalten sein mag, kannte, daß er von
einer Esjyhimeoir sage gehört hatte, wonach Merlin die letzte Zeit
seiner irdischen Existenz, in einer Felzhöhle eingeschlossen, zubrachte.
Aber daß Merlin von seiner Geliebten eingeschlossen wurde, war der
alten Sage jedenfalls fremd. Die Hauptsache in der ganzen Erzählung,
die Überlistung des großen Zauberers durch ein einfaches Mädchen,
war ein allgemein verbreitetes Fabliaumotiv. Am nächsten steht
dem E. M. unter den uns bekannten Erzählungen dieser Art die
zweite Ypocras-Erzählung. Die Abweichungen des E. M. von der
letzteren sind größtenteils Anpassungen an die Situation, die der
Lancelotroman präsentierte. Ich halte es für höchst wahrscheinlich,
wenn nicht für sicher, daß das E. M. nie eine Sonderexistenz hatte,
daß es keine ältere Version gab als das E. M. L., daß das E. M.
einer ganz zufälligen Ursache seine Existenz verdankt, nämlich dem
Bestreben eines Lancelotüberarbeiters, die Fee, welche Lancelot erzog,
zu „entgöttern". Folgendes spricht dafür: 1) Ein selbständiges E. M.
wird dui'ch nichts postuliert; ein solches wäre übrigens den Fabliaux
ähnlicher gewesen als dem E. M. L. ; denn die wichtigsten Abweichungen
des E. M. L. von der Ypocras-Erzählung sind Anpassungen an die
durch den Lancelotroman gegebene Situation. Ein enserrement wäre
vielleicht in der selbständigen Erzählung garnicht vorgekommen. 2) Es
ist ganz gegen die Gewohnheit von Fabliauxdichtern, Sagen zu benutzen;
anderseits geht es kaum an, vorauszusetzen, daß der Lancelotüber-
arbeiter sich noch die Mühe nahm, eine bereits fertige Erzählung
der Sage anzupassen. Dagegen ist es sehr leicht zu verstehen, daß
der Lancelotüberarbeiter, wenn er selbst die Erzählung konstruieren
mußte, an die Sage anknüpfte; und daß er Sagen von Merlinus
Caledonius kannte, geht aus demjenigen Teil seiner Interpolation her-
vor, der nicht zum E. M. gehört, 3) Es ist kaum möglich, daß ein
selbständiges E. M. nicht berühmt wurde, ja unbekannt blieb. Daß
dagegen das E. M. L. keine große Verbreitung finden konnte, ist leicht
18*
276 E. Brugger.
zu begreifen in Anbetracht der ganz nebensächlichen Bedeutung, die
CS in dem großen Lancelotkomplex hat.
Was die Abfassungszeit des E. M. L. betrifft, so läßt sich
folgendes feststellen: 1) In dem ursprünglichen, von Walter Map
verfaßten, Lancelotronian existierte es noch nicht. 2) Es gehörte
zum Lancelotronian, ehe dieser als Branche in den Gralcyklus auf-
genommen wurde. Die Entstehung des E. M. L. dürfte demnach in
das letzte Viertel des 12. Jahrhunderts fallen. Noch genaueres läßt
sich vielleicht sagen, wenn die Entstehungszeit von Roberts Gralcyklus
bestimmt ist. Ich möchte behaupten, daß das E. M. L. älter ist als
dieser. Ich habe oben gezeigt, daß die vom Lancelotinterpolator
verfaßte Geschichte der Zeugung Merlins in einer Weise von Roberts
Merlin abweicht, die jeglichen Einfluß, ja selbst die Kenntnis dieses
Romans, ausschließt. Die Vergleichung der JSsplurneoir-EinsodQ von
Roberts Perceval mit dem E. M. L. führt zu einem analogen Resultat.
Letzteres hat noch mehr Ähnlichkeit mit der JSsplumeoir -'Episode
des Meraugis als mit derjenigen des Perceval. Mit Rücksicht auf
den vollen Erfolg, den Roberts Gralcyklus von Anfang an erzielt
hatte i65j^ ist die Annahme kaum möglich, daß ein zeitgenössischer
Autor denselben nicht kannte und den von Robert behandelten Stoff
oder auch nur einen Teil desselben bearbeitete, ohne auf Robert
Bezug zu nehmen oder sich von ihm beeinflussen zu lassen. Daß
aber das unscheinbare E. M. L. Robert entgehen oder von ihm nicht
für beachtenswert oder acht gehalten werden mochte, dürfte niemand
Wunder nehmen. Wenn aber das E. M. L. älter ist als Roberts
Gralcyklus, so wird es kaum erst gegen das Ende des 12. Jahihunderts
entstanden sein ^^^), und wenn meine im ersten Abschnitt Anmerkung 27
vorgebrachte Ansicht, daß die Prosaauflösuiig von Roberts Gralcyklus
der erste französische Prosaroman war, richtig ist, so folgt, daß das
E. M. L. ebenso wie die übrigen gleich alten und altern Teile des
Lancelot ursprünglich in Versen geschrieben war. Ich kann allerdings
^^^) Die Tatsache, dafs derselbe nur in einer Handschrift und als
Fragment, in Prosa aufgelöst vollständig auch nur in zwei Handschriften
und unvollständig (2-branchig) in einer nicht grade grofsen Zahl von Hand-
schriften erhalten ist, spricht nicht gegen meine Behauptung. Er wurde
eben von den Jüngern Gralcyklen verdrängt, über nur aus dem Grunde, weil
diese als Roberts Werke ausgegeben wurden und weil ihnen gegenüber der alte
Cyklus nur als ein Auszug erschien. Hätte Roberts Werk keinen vollen
Erfolg gehabt, so wäre es entweder in Ruhe gelassen worden oder die Über-
arbeiter desselben hätten sich nicht mit Roberts Namen gedeckt, sondern
im Gegenteil gegen Robert polemisirt.
166) Wenn auch das E. M. wohl das letzte Glied der Kette Aristote —
Ypocras I (Virgile) — Ypocras II ist, und der Lai d'Aristote des Henri d'Andeli
kaum lange vor dem Ende des 12. Jahrhunderts verfafst worden sein kann
(denn Henri ist auch der Verfasser eines DU auf den Tod des Philippe de
Greve f 1236), so können wir doch unsere Ansicht aufrecht halten; denn
es ist nicht wahrscheinlich, dafs die uns erhaltenen Versionen jener Fabliaux
die ältesten sind.
L' Enserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 211
ans dem uns überlieferten Text keine Verse mehr herauslesen; doch
dies beweist nichts. Wenn ich ebenso vorgehen wollte wie z. B.
Weidner in seiner Ausgabe des Prosa-Josepb, so würde es mir wohl
auch gelingen, je nach Wunsch zu beweisen, daß das E. M. L.
ursprünglich in gereimten Kouplets oder in Tiraden geschrieben war.
Auhaug.
Zu Bd. XXXI p. 187.
Aus Hs. BN fr. 754 (anc. 7173 5) fol. 10c— 13d (entsprechend
Jonckbloet, Lancelot II p. XI Zeile 6 ff.).
II fu voirs que en la marche d'Escoce et d'Irlande ot jadis un preu-
dome vavassor gentilhome et riebe. Icil preuzdom si avoit de sa fame trois
filles et im fil petit aiifant qui gisoit encore en brioz [!]. L'espouse a ce
preiidome si cstoit moult male famc; si li ala li deiables moult environ. Et
li anemi avoient entr'aus pris un parlement et avoient divise [1. devise] 5
que il angenderroient un aufant en une fame qui savroit lor art et lor angin,
par qu[i]il engigneroient l'autre pueple qu'il avoient perdu par la resurrection
de Jhesu Crist lou fil de la Virge, par la cui nativite nos somes rescox de
la pardurable raort d'Anfer, se nostre pechiö ne la nos tost. Or vos repaurrai
[=repaurai?) a m,a matiere que ge vos avoie entrelaissiee per ices chosos 10
raconter qui bien fönt a entendre; car autrement n'entendist nus la raison(s)
por quoi ce eust este fait.
Sil vavassor dont go vos parole, si avoit a non Älerlins en son droit
non, et il estoit molt preuzdom et de boenne vie. Si vit bien li deiables
qu'il ne lou porroit pas decevoir legierement, se par grant corroz ne 15
l'angignoit. Si viut li deiables; si ala as chans a ses bestes et l'ani*'') ocist
molt de grant mervoille. Et qnant li pastor virent la grant mortalite, si
lou vinrent dire a lor seignor. Si en fu molt dolanz; et dou duel que il
en ot, dist une molt fole parole qui trop li nut; car il dist que maleoiz
grez en eust eil Sires qui l'avoit fait naistre, et que mal po'ist il joir de tot 20
quancque il avoit. De ceste parole fu molt liez li deiables. Si ne demora
pas grantment que il li ocist polains ne sai quant trop biaus que il avoit.
Et quant li preuzdom lou sot, si par en fu trop dolanz. Apres avint un
soir a la mie nuit que li deiables li estrangla son fil en son brecuel, trop
bei anfant; et lors ne fu mie de mervoille se li preuzdom en fu dolanz. 25
Et quant li deiables ot issi espleitie, si nel vost mie atant laissier; angois
prist la fame a ce preudome et la mena en lor celier sus une [hujche et [li iist]
metre une corde au planchier et la li tist lacier entor son col; si l'estrangla.
Et quant la maisniee alerent^^^) ou celier, si la troverent pandant. Et lors
adonc fu molt granz la parole par lou pais de ces aventures qui avenoient 30
a ce preudome. Et il en fu taut dolanz et tant s'en adola que maladie
li[sic!] prist; si en fu morz. Et lors vint li deiables et dist que encor
n'avoit il rien esploitie de ce par quoi il avoit ce encomancie. Si s'an vint
a la mainsnee des filles qui molt estoit bele et simple et la souleva fant
que ele s'acointa a un vallet dou pais, et tant que il en fist sa volonte. 35
Mais Deiables qui n'a eure de celee, les aluma tant de jor au jor que lor
vie fu seue tot plainnemont. Si i envoierent li jugc de la terro por faire
la jostice. Car lors avoient en costume que Pen ardoit toz cels ou lapidoit
a pierres qui estoient pris en avoltire fors que en une maniere que ge vos
dirai. S'il avenoit que fame feist mauveitie de son cors et ele se livrast 40
167) /• = //.
168) Der Plural ist auffallig, trotzdem ein CoUcktiv Subjekt ist.
278 E. Briiggcr.
a tot lou pncple abandonneemcnt, ele n'ciist [= cl(c) en eust?] garde; mais
s'ele fust cn avoltire a im seul homc coleement et cle en fast restec""'^),
si en feist en la jostice tele com je vos ai dit.
Ensinc fu envoiee prandre la damoisele con ge vos ai dit. Si en fu
45 faitc la jostise; car il la firent ardoir en feii. Et li vallez s'au foi, qu'il
ne pot estre conseuz. De ceste aventure sc merveillierent molt tuit eil dou
pais et molt en parlerent. Et neporqnant Deiablcs qui pas ne se repose,
ne s'oblia mie; ainz fu toz jors en agait comraant il porroit les autres deus
sereurs decevoir, et molt i pena. Mais il avoit im molt preudome ou pais,
50 Saint hermite, messe chantant en un hermitage. Or l'ainznee des sereurs
[11?] ala parier mainte feiee, et si i mena sa sucr avoc li par pluseurs foiz.
Et li preuzdom les chastioit et andoctrinoit au mielz que il savoit. Et quant
li deiables vit que il les avoit issi perdues, si prist uue fame Richosti'")
et l'enveia parier a la mainsnee des sereurs et la comraemja a prier par
55 amors de par un vallet de la vile. Que vos iroie ge devisant : tant i
luita'") que vaincue fu la dammoisele. Si se correga un soir a sa sereur
et s'an fo'i de maison et s'abandona a tot lou pucple communement par lou
consoil de la vielle. Et quant li deiables vit ce, si fu molt liez et dist
que ancore angigneroit il l'autre.
60 Quant la suers ainznee vit que ele ot sa seror ainsin perdue, si en
fu molt effr[e?]ee et dist que ore ne savoit ele mais que faire. Si s'an
rala parier au saint ermite entre li et une soe veisine. Et quant ele i fu
venue, si li cria merci am plorant et li conta l'aventure de sa sereur ''-) que
ele avoit issi perdue. Et li preuzdom li dist que ancor estoit pechiez entor
65 el[e]s. Si la chastia molt et andcctrina dou miauz que il sot, et li ancharja
a dire ce qu'ele savoit de bien [1. buen?J chascun soir en son lit ainz
qu'ele savoit de bien [1. buen?J chascun soir en son lit ainz qu'ele
s'endormist, et si li commanda que une lampe ardist toz les soirs
devant son lit en sa chambre. Lors s'en revint la pucele en sa meison,
quant li preuzdom Tot bien auseigniee, et se demeua molt siraplement.
70 Longuement se tint la pucele en ceste maniere. Et quant li deiables vit
que il l'ot issi perdue, si en fu molt dolanz et dist que ancor ne la lairoit
il mie atant. Lors s'an vint a sa sereur au bordel ou ele estoit a un samedi
a(s)soir, si la prist et la mena a l'ostel sa seror, et avoc li alerent granz
tropeaus de gar^ons qui la porsivoieut Et quant la pucele la vit venir, si
75 fremi trestote de hideur, et li vint a l'ancontre et li dist: „Bele tres douce
suer, par Deu! vos feites molt grant pechie de venir sus moi en tel maniere.
Vos n'i deussie[z] mie venir tant con vos menez ceste vie; et vos me feroiz
avoir mauveis blasme, dont ge n'eusse nul mestier".
Quant cele Toi ensinc parier, si se commen^a a correcier et li ame-
80 saamer [1. meuacier?] molt durenient come cele qui avoit l'afnejmi el cors,
et li commenga a reprochier lou preudome son confessor, et li dist que pis
faisoit ele que ele; car ele s'estoit abendonee a un veillart porri; et que
autresin bien devoit ele estre en cele maison comme ele; car autresin fu
ele son pere comme lou suen. i") Quant cele l'oi issi parier, si se correga
85 et la prist par les espaules come cele qui plus granz et forz estoit, et la
vost giter fors de la meison. Et cele fu ardanz; si se rcvencha de son
pooir. Et li gar^on qui avoc li estoient venu, li aidieront et corrurent sus
169^ __ retee.
"°) Der Name Richout?
"1) Die beiden letzten Worte sind nicht ganz sicher. Herr Enander
notierte: */ ujta mit Fragezeichen.
*"^) Ms. seceur.
1") Denn das Haus (ele) gehörte ebenso ihrem (der Sprechenden, d.
h. der jüngeren Schwester) Vater wie dem ihrigen (dem Vater der An-
geredeten, d. h. der älteren Schwester).
iJEnserrement Merlin. Studien zur Merlinsage. 279
a la grant et la batircnt molt dolereusement. Et cele fist tant quo de lor
mains se prist a eschaper et se feri en une chambre ou ele gisoit et ferma
l'uis sor li. Et lors commenga a(f) feire molt grant dnel; et en ce duel que 90
ele demenoit, s'endormi acebetes [/. aneslepas?] et oblia tot ice que li preuz-
dom li avoit anjoint a dire chascun soir. Et lors entra en un molt grant
songe merveilleux. Et quant li deiables vit ce, si an fu molt liez et dist:
„Ore est ceste, bien atornee! Or porrons nos bien en cesti enjanrer nostre
home." Lors li corrut sus; si la sofla et anchanta et la conman^a a prier 95
tot en dorment et a meneier autresinc con [1. com] uns hom feist une fame; et cele
se deffandoit comme fame endormie tant que eil l'eschaufa tant et lassa que
ele se consanti a son talant; et menerent tant lou geu que ele perdi et pucelage
et virginite; si con^ut un oir maslo en tel raaniere com vos oez. Et lors s'esveilla
si tost come ce li fu avenu. Et lors si dist: „Sainte Marie, dame, aidiez! 100
Qu'est ce que m'est avenu? Je sui ampiriee d'icele come ge me couchai." ^^^j
Lors seleva et cercha par tote sa chambre por querre celui qui l'avoit despu-
celee; mais por neiant lou queroit; car ce n'estoit raie chose que l'an poist santir.
Au matin se leva la pucele, cele a cui li anemis avoit geu, et s'en
ala a Termite si tost come sa suer s'en fu alee. Et quant ele vint devant 105
Uli, si li conta tot ice qui avenu li estoit, et quant li preuzdom i'oi, si s'en
merveilla trop duremcnt, ne onques croire ne la pot. Et tote voie la con-
fessa et chastia et dona penitance, et si li dona a boivre de l'iaue beneoite.
Et cele s'en rala et mena molt sainte vie sanz fauser. Et tote voie angrois-
sa de jor en jor et tant que restee fu des juges et menee au juise. Et HO
li sainz ermites i vint et fist tant et dist i"^) que respitiee fu jusque apres
sa gecinc. Et fu mise en une tor et gardee molt bien et tant ^'"^) que li
anfes fu uez et fu enveiez bauptizier; et en'") demend[a]"'') a la mere
coment il avroit nou; [et] '^8) ele dist: ainsinc con ses aiaus; si fu baup-
tiziez et ot a non Merlins. Et puis refu portez a sa mere, et tant lou norri 115
que maintes foiz se merveillierent les genz de sa contenauce — car il par-
la a trois mois et a. V.'^^) — et tant que sa mere refu prise et menee devant
les juges por ardoir. Et li anfes fist tant et dist,^''^) si petiz com il estoit,
qu'il la gari de mort; et resta la mere au maistre juge a plus desleial ''")
que la soe mere n'estoit, par quoi li juges li quita lou meflfeit de sa mere. 120
Et si i fu li sainz hermites qui molt se merveilla coment eil anfes pooit ices
choses savoir, et lou traist a consoil et si li demenda molt amiablement et
lou conjura de qnancqu'il pot de Deui^i] que il l'an dist verite.
,,Maistre", dist Merlins, „ore antan bien ce que ge te dirai ! Et totes
les vertuz dont tu m'as coujure'"'), me soient nuisant a l'ame se ge t'en 125
'"^) „Ich bin schlimmer als diejenige, die ich war, als ich mich nieder-
legte." Bemerkenswerte Construktion ! Der Comparativ pire bedingt die
Konstruktion des Verbums empirier mit ik. Bei Godefroy und Littre finden
sich keine Belege dafür.
^''*) Das tant gehört ebenso zu dist wie zu ßst.
i"*"') et tant Steht Wohl in solchen Fällen einfach für ntant.
1"') en = on.
''*j Hier ist die Handschrift etwas zerrissen.
1") Hier mufs etwas unrichtig sein; nach der Hs. Huth, nach Sommers
Hs. und derjenigen von Modena hat Merlin dis et uit moix, als er zum ersten
Mal spricht. Wir werden daher hier am ehesten lesen : « dis mois et a . VIII.
'8^) reter aiicun a desleial ist identisch mit dem gewöhnlichen reter au-
cun de desleiautc. Godefroy und Littre kennen jene Konstruktion nicht. Sie
entstand nach Analogie von lenir aucun a desleial, etc.
i^>) Gewöhnlich sagte man conjwer par. Bei Godefroy und Littr6
fanden sich keine Belege für conjurer de; de quancqu'il pot ist nicht direkte
Ergänzung von conjura; de hat hier die gewöhnliche Bedeutung „in Beziehung
auf" (also: so viel er nur konnte),
280 E. Brucfger.
mcut! Et si voil ancore que li raaistres des jugcs l'oie aujaus [/. avcques?]
toi" (Fjt Merlins apeloit toz jorz rcrmite inaistre por ce que il avoit estc
maistre a sa mere). Lors s'en eutrerent en une meson il troi, et si i fii la
mere Merlin; et lors lor dist: „Seignor, ore antendez! Vos volez savoir
130 qui ge sui et qui fu ines peres. Or sachiez quo ge sui filz d'un auemi qui
a nou Cubedcs qui m'engenra en ma mere lou soir que ma tente la fist bati-e ;
car ele fu correciee; si oblia a dire et a fere ce que vos li aviez anjoint,
et s'andormi en corroz et en ire; si sonja tote nuit que uns hom la prioit
d'amors et maneoit tant que ele se consenti a lui en dorment; et lors fui
135 ge engenrez ; et por cc que ge sui engenrez d'anemi, sai ge totes les choses
feites et dites et alees; et por la boenne repantence de ma mere et por
lou oaptoisme que j'ai regeu velt nostres sires que ge sache des choses qui
sont a avenir la plus grant partie, por ce que il ne velt perdre en moi
l'esperit; ainz velt que ge sache et lou bien et lou mal; or si me tenrei
140 a celui qui miauz vaudra se ge sui sages; ne li auemis ne m'engenra fors
por ce qu'il vost que par moi fussient angiguie et deceu li home terrien et
totes les faraes, et vossisent bien que je les preechasse tant que ge les feisse
pechier et a reneier Deu ; mais de ce sont il deceu; car nostres Sires m'a
done tant de san et de memoire que ge ne ferai ja chose ou crestientez ait
145 nul domage; ainz les destornerai de pechier a mou pooir.
„Ore avez o"i", dist Merlins, „qui ge sui". Et quant eil- l'oirent,
si s'en merveillierent molt, et longuement an parlerent en maintes manieres.
Et apres totes ices choses fist Merlins randre sa mere en une abaie de
nonains; et ele fu de molt boenne vie et de molt sainte. Et li hermitcs
150 meismes dont ge vos ai parle, i vint ester et fist leians son servise autresinc
com en son hermitage. Et si mist totes ices choses en escrit que il avoit
o'ies et veues de l'anfant. Et il estoit molt boens clers et molt soutis; si
l'essaia par maintes foiz et desputoit a lui tot seul a seul; et quant plus
l'essaioit, et plus i trovoit, et tant que molt s'entr' emmerent et que Merlins
155 li dist molt de choses qui estoient avenues et de celes qui estoient a avenir;
et il les mist totes en escrit, et par lui les savons nos ancores; car il s'en
ala avoc lui an Bretaigne an Northumberlande et illuec conversa molt
longuement.
Quant Merlins ot. VII. anz, si fu enveiez querre por un devinail faire
160 por une tor qui ne pooit tenir que li rois Vertigiers faisoit faire. Si fu
tant quis que trovez fu et menez devant Vertigier qui ocirre l'avoit comende
por metre son sanc el fondement de la tor, si com li clerc li avoient dit.
Mais tant fist par son san que il s'an delivra et que bien fist la tor tenir.
Et puis devisa a Vertigier la senefiance des deus dragons qui senef ierent
165 sa mort. Et quant il se fu dou roi delivrez, si s'an rala a Blaise ot i se-
jorna longuement tant que Vertigiers fu morz; et lors tiudrent la terre li
dui frere Pandragons et Uter, dont il fu molt acointes et de lor prive
consoil. Et eil l'araerent molt qui molt lou troverent de boenne foi. Et
apres la mort Pandragon avint que au chief de l'an que Merlins ot. XII.
170 anz, si viat a Uter Pandragon, si com l'estoire de ses oevres lou devise,
et conversa molt longuement environ lui. Si avint en ce tens que Uters
ot prise guerre au duc de Tintaivel par l'acoison de sa fame que il amoit,
Yguerne; si l'ot assis en un chastel a siege. Et lors s'en parti li rois un
soir et Merlins et Ulfins, et s'an alerent au chastel la ou la duchesse estoit,
175 et fist tant Merlins que li rois jut a li lou soir par son anchantement. Et
ce soir fu angenrez li boens rois Artus. Et lou soir que li rois jut a la
duchesse fu ocis li dux, ses sires, devant lou chastel d'Aquintenion tres
dessus le pont, et ancor gisoit li rois avoc la duchesse quant les novcles
de sa mort en vinrent a Tintaivel. Et lors s'en partirent eil au plus tost
180 que il porent et chevauchierent jusqu'en l'ost. Itex fu li uns des servises
que Merlins fist a Uter de ses amors.
L' Enserremeyit Merlin. Stuclien zur Merlinsage. 281
Quant vint apres ce que la pais ot este faite del roi et des barons,
et il ot prisc a famo Yguerne par lou consoil Ulfin son conseillier, si s'en
fii alez Merlins converser es foretz granz, parfondes et enciennes. II fu
de la nature son pere, dccevanz et desleiaus, et maintes foiz iere qu'il en 185
ovroit plus qu'il ne deust, ja soit ce que 11 scust et lou bien et lou mal
ne tenir nc s'an pooit'^-). II sot quancque cuers porroit savoir de tote
perverse science.
Zürich. E. Brugger.
18-) TTbersetzung: obwohl er das Gute und Böse kannte (d. h. unter-
scheiden konnte); doch er konnte sich nicht daran halten. Der letztere Satz
ist unlogischer Weise dem ersten koordiniert worden.
Wortgeschichtliclies.
billoilliee, Jas von Haillant Flore pop. des Vosges p. 24
allgemein als vulgäifranzösische Bezeichnung von ficaria ranuncoloides
(ranunculus ficaria) aufgeführt wird, begegnet nach Rolland Flore I,
r)2 im Centre (nach Boreau Flore du Centre) und in Anjou (nach
Desvaux Flore). Etymologisch gehört es ohne Zweifel zu hillon,
testicule, das A. Thibault Glossaire du pays hlaisois p. 71 nach-
weist und worin eine Ableitung von hille, Kügelchen, nicht schwer zu
erkennen ist. Billon bezeichnet nach Thibault in der Umgegend von
Blois heute ausschließlich Hahnenhoden, ist aber nach einem von ihm
mitgeteilten Beleg in allgemeinerer Verwendung gewesen: Mademoiselle
efant venue au jardin . , . vit un prunier de ccs pruncs qu'on appellc
billons d'äne (Moyen de parvenir II, 84). Beachte auch quiqnehilles
bei Puitspelu Dict. Stymol. du pat. lyonnais p. 334. Die als
billonnee bezeichnete Pflanze hat ihren Namen nach der knolligen
Beschaffenheit ihrer Wurzeln, woher sich mehrere andere bei Rolland
aufgeführte Benennungen derselben wie testicidus sacerdoialis, testi-
culi prespiteri, couillons de prestre, couille ä l'evcsqiie; ital. coglie
di prete; dtsch. pfaffenhötlin, biberhödlein, pfafenhoden; hell.
haneklootjes (testicules de coq); serbocroat. macji mud (testicules
de Chat) erklären. Auch npr. boutoun de gat (Rolland /. c. p. 62)
dürfte hierher gehören, d. h. als „Katzenhoden" zu erklären sein.
Vgl. Mistral unter boutoun. Von Rolland p. 64 nach Nemnich er-
wähntes Rannenhödlein ist = Rammenhödlein (s. Pritzel u. Jessen
Die deutschen Volksnamen der Pflanzen p. 325).
cade wird von Godefroy im Complement seines Wörterbuches
seit dem 16. Jahrhundert belegt und mit „espece de genevrier" er-
klärt. Ebenfalls seit dem 16. Jahrhundert begegnet cade nach Aus-
weis von Murrays A New Engl. Dict. im Englischen. Nach Littre
stammt das französische Wort aus dem Provenzalischen. Das Dict.
general bemerkt s. v. cade (1) „Emprunte du proveng. cade, ra.
s. d'origiue iuconnue". Zuletzt hat, soweit ich sehe, über cade A.
Thomas Nouveaux Essais p. 188-190 gehandelt. Thomas geht
der Geschichte des Wortes weiter nach und gelangt zur Annahme
eines ursprünglichen Typus *cdtanus, das er in einer gegen Ende des
7*®° Jahrhunderts in Spanien redigierten Glossensammluug {Corpus
Wo rtges ch ichtlicltes, 283
glossarum lat. V. 179,6) erhalten glaubt. Zum Schluß bemerkt er:
„La s'arretent mes iuformations sur Tetymologie de cade. Suppose
qui voudra que catanum est celtique ou iberique: je n'ai rien ä
dire ni pour ni contre cettre hypothesc". Meinerseits bin ich eben-
so wenig im Stande, das vorliegende etymologische Problem zu lösen,
halte es aber nicht für ausgeschlossen, daß die Lösung desselben in
einer anderen Richtung zu suchen ist als da, wo Thomas dieselbe
zu vermuten scheint. Schlägt man Nemnichs Polyglotten- Lexicon
der I^aturgeschichte auf, so findet man unter Juniperus oxcycedrus
Vulgärfranz, le cade und spanisch cada, unter Juniperus communis
frz. cadenelo neben dtsch. Kaddich, Kattich, ehstn. kaddakas,
finnl. katajic verzeichnet. Nach H. Graßraann Deutsche Pfla^izen-
namen p. 210 scheint Kaddik aus den finnischen Sprachen durch
Vermittelung des htauischen kad<igys ins Deutsche übergegangen
zu sein. Mehr vergl. man in Grimms Wörterbuch s. v. Kaddig
und bei H. Frischbier Preufsisches Wörterbuch (Berlin 188-3) s.
Kaddig, Kaddik. Mir wird es schwer zu glauben, daß die genann-
ten deutschen und finnischen Ausdrücke zu den nach Form und Be-
deutung ähnlichen romanischen in etymologischer Beziehung nicht stehen.
Caillebot, caillebotte, wilder Schneeball (viburnum opulus)
nach Sachs, nach Rolland Flo^^e VI, 261 viburnum opulus sterile.
Ich würde das Wort hier nicht zur Diskussion stelleUj wenn nicht bei
Littre eine etymologische Notiz überhaupt fehlte, und das Dictionnaire
general die Herkunft desselben als unbekannt bezeichnete. Homo-
nymes caillebotte (masse caill6e. Special!, masse de lait caillee,
Sorte de fromage blanc. Dtsch. Quark) wird im Dict. giner. auf das
Verbum caillebotter (coaguler) zurückgeführt und zu Letzterem be-
mcikt: „Compose de caille 1, radical de cailler 1 [coagularc],
et botter, pour bouter [dtsch. bota7i\ mettre". Es kann keinem
Zweifel unterliegen, daß die beiden lautlich übereinstimmenden Wörter
auch etymologisch zusammengehören, und cailleboi(te), Schneeball, eine
übertragene Bedeutung von caillebotte, masse de lait caillee, darstellt.
H. Coulabin bemerkt p. 68 seines Dictionnaire des locuiions popu-
laires du bon pays de Rennes en Bretagne zu caillibottes (especc
de fromage au lait cuit, puis divises par carres dans la forme d'un
damier): „Le peuple donne aussi le nom de caillibottes ä la boule
de neige, fleur de Tobier (Viburnum opulus) ä cause de la blancheur
et de la forme arrondie de cette fleur". Daß es hier nicht etwa
bloß um eine Art volksetymologischer Zurechtleguug Coulabins sich
handelt, sondern um eine richtige Auffassung von der etymologischen
Zusammengehörigkeit beider Wörter, wird durch andere Bezeichnungen
des Schneeballs, wie man sie jetzt bequem bei Rolland /. c. zu-
sammengestellt findet, klar bewiesen. Erwähnt seien nur pic. blan
fromache in Valencienues und wall, matons ( = grumeau de lait;
vgl. auch Grandgagnage Dict. II, 06), die beide als Bezeichnung
der Schnecballblütc begegnen. Angemerkt sei, daß nach Rolland
284 . D. Behrens.
caiUeboUe auch eine Art Labkraut (galium verum; s. Flo7'e VI, 249)
und eine weiß blühende Wasserpflanze (die Wassernuß, frapa natans;
s. Flore VII, 8) l)ezeiclinct, sowie dnß nach A. DellbouUc Gloss. de
la Vallee cV Ycres p. 58 caillcbotter von der kümmerlicl» entwickel-
ten Apfclblüte gebraucht wird: „sc dit des pomniicrs, lorsqu'ils
lleurissent lentemcnt, sans vigueur, et que Icurs fcuilles sont attaquees
par les chenilles". Lait haiiu (Buttermilch) nennt man in einem
Teil des pikardiscben Sprachgebietes (s. Rolland /. c. I, 238) das
Wiesenschaumkraut, cardaminc pratense „ . . • dont les fleurs d'un
violet tendre", wie Haignerc Dict. II, 353 nach Ilecart bemerkt,
„ont le couleur du lait de bcurre". — Das älteste mir bekannte
Zeugnis für caillehotie in der Bedeutung „Schneeball" bietet
Schmidlins Catholicon (1772).
COiriau wird von A. Delboullc Romania XXXI, 372 als mot
obscur et rare aus dem 15. Jahrhundert einmal belegt: A Jehan Lapensa,
voirier, pour avoir remis et refait trois coiriatLV et demi de verrieres
(Arch. hospitalieres de Bcthune, 62, Loriquet). Nach G. Paris ist es
ein Diminutivum von coier = qnaternum, cahier. Liegt es nicht näher,
darin eine Schreibvariante zu mundartl. quariau = kuario = schriftfrz.
carreau (de vitre) zu sehen? Vgl. wall, quarai bei Graudgagnage.
Das Wort würde hiernach einer Gegend angehören, in der lat. qu als
kio erhalten bleibt und -ellum zu -io sich entwickelt. Die graphische
Darstellung der etymologischen Gruppe qua durch coi begegnet
gelegentlich auch sonst. So verzeichnet Graudgagnage unter qiiaremai
(careme-prenant) die Schreibung coirmai bei de Jacr. Hecart
schreibt {Dict. roiichi-franfais^ p. 120): coile (wall, quaillc; schriftfrz.
caille). Angemerkt seien hier auch die Schreibungen coitche = dtsch.
Quetsche bei Varenne-Fenille 31^ni. s. Vadministr. forest. 1807, III,
87 (Rolland Flore V. 380j und soirze = dsch. schwarz bei Graud-
gagnage Dict. II, 372, wozu man Festschrift für Mussafia p. 84 f.
oirseUe vergleiche.
COUet. Littre verzeichnet das Wort mit der Bemerkung
„Terme de marine. Nom de certaines grosses cordes de vaisseau,
qui s'amarrent aux volles et qui sont difförentes des ^coutes." Zur
Etymologie des Wortes äußert sich Littre nicht. Diez, Scheler und
Körting verzeichnen dasselbe überhaupt nicht. Im Dict. gSneral liest
man „Autre forme de ccoute 2 (V. ce mot.) Cotgrave donne escoiiette
pour t^coutCj et d'autres dictionnaires ccoiiet pour coiiet." Es folgt
ein Hinweis auf Godefroy. Ecoute führen die Verfasser des Dict.
ghih'al auf niedl. schoote (dtsch. Schote) zurück. Die Identifizierung
von couet mit ecoute findet sich bereits in Jal's Glossaire nautique.
Hier heißt es unter couet „fr. auc. s. m. (Corrompu d''Escouet [V.])
Amure ..." Unter escouet liest mau ebd. „fr. anc. s. m. (Du holl.
Schoot, fait de l'isl. Skaut [V.] Amure. — V. Coüet, ficoit, ficouet."
Ecoit wird als orthographische Variante von econet erklärt und aus
Aubins 1702 erschienenem Dict. de marine belegt. Ecouet ist nach
Wortgescliichtliches. 285
Jal eine „contraction" aus escouet und war bereits Ende des
18. Jalirlniuderts veraltet. Zu diesen Angaben ist zu bemerken, daß
couet, escouel, ecouet und ecoit, die in der Bedeutung übereinstimmen,
obne Zweifel gleichen Ursprung haben, daß aber ganz und gar nicht
zu verstehen ist, wie dieselben aus ecoute sich hätten entwickeln
sollen. Hinzukommt, daß, wie Littre ausdrücklich bemerkt, couet mit
i'coides in der Bedeutung nicht übereinstimmt. Auch Jal übersetzt
couet nicht mit „ecoute", sondern mit y.amure,''^ dem in der deutschen
Seemannssprache die Bezeichnung Hals (Plural Halsen) entspricht.
Vergl. zu dem deutschen Wort Goedel Etymol. Wörterbuch d.
deutschen Seemannssprache (Kiel und Leipzig 1902) S. 186, wo
bemerkt wird: „so heißen die unteren Ecken der Untersegel und die
vorderen Ecken der Stagsegel, Schratsegel und Bootssegel ; so heißen
auch die daran befestigten Taue, mit denen die Untersegol nach vorne
geholt werden und (an der Luvseite) steif gesetzt werden, (während
die an gleicher Stelle angebrachten Schroten das Segel nach hinten
zu festhalten). Bei Besansegeln, Stagsegeln etc. etc. wird der Hals
allerdings „geholt," aber die Vermutung Breusings, der Name des
Halses käme von diesem Holen oder Haien, ist doch nicht naheliegend
genug. Jedenfalls liegt die gewöhnliche Bedeutung von Hals näher
und genügt zur Erklärung vollständig. Der Hals bildet ja nicht bloß
das kürzere oder längere bewegliche Verbindungsglied zwischen Kopf
und Schultern, sondern auch an leblosen Dingen das dünne, lange,
gerade oder gebogene, vorgestreckte Ende; man denke an den Hals
einer Flasche, einer Kanne, eines Ankers ..." Diese Ausführungen
Goedels sind, scheint mir, überzeugend. Sie enthalten zugleich die
etymologische Erklärung von franz. couet. Dasselbe i:t eine mit dem
Suffiz -et gebildete Ableitung von cou (Hals). Escouet (ecouet) ist
aus couet durch Verschmelzung mit dem bestimmten Artikel im Plural
entstanden: V escouet = les conets., ein Vorgang, der bekanntlich in
der Entwicklung des Französischen durchaus nicht selten beobachtet
W'ird. Ich verweise auf meine Ausführungen Zs. f. rom. Phil. XIII
(1889), S. 407 f. und Festschrift für W. Foerster (elhiguet).
Vgl. weiter u. a. Tappolet Bulletin du Gloss. des patois de la
Suisse Romande II, S. 3 ff. und J. Desormaux Rev. de philologie
franc. et de litter at. XX, S. 1G8 ff.
wallon. or^telai. Grandgaguage erklärt das Wort iJict. I,
p. 140 mit „faux-pli. ride." Für Namur gibt er crUia an, das ich
bei L. Piersoul in dessen Wörterbuch der Mundart von Namur nicht
verzeichnet finde, und erwähnt als zugehöriges Verbum creteler:
„grimacer, etre plisse de travers, goder, N. id., trans. plisser de
travers(?)." St. Bormans führt im Glossaire tech?iologi<jue du mitier
des drapiers p. 254 als der Mundart von Lüttich angehörig creteler
auf, das er mit „faii'c de faux plis dans unc etotfc" erläutert und
^YOvon er das Substantiv cretelai „faux plis" ableitet. Ferner sei
verwiesen auf Reraacle Dictionnaire wallon. fran^ais 2. Aufl., wo
286 D. Behrens.
sich II, 220 iiibezug auf unser Wort die folgenden Angaben finden:
„Kretlai, s. Bide. — luhercule, excroissance tres raboteuse qui se
forme k la racine de certaincs plantes; et qui survient aux feuilles.
Les truflfes, les pommes-de-terre, appelee vitelottes, sont tuberculeuses."
^.KretU, V. adj. RiiU. — Ttiberculeiuc. — Si vizeg si kretlaie:
Sa figure, son visage se ride. — 11 a l fron krelU komn inn kag:
II a le front ridc commc une pomme, une poire tapöe." Auf die
Etymologie geht Remacle nicht ein. Bormans l. c. fragt, ob lat.
crisia (crete) zu Grunde liege. Gegen die Richtigkeit einer solchen
Annahme spricht nicht nur die Bedeutung, sondern, da s vor Konsonant
im Wallonischen nicht schwindet, auch der Laut. Nach Grandgagnage
l. c. käme das wallonische Wort, mit dem er auch arencret (toile
d'araignee) in Verbindung bringt, wahrscheinlich von gleichbedeutendem
holländ. kreukelen. Auf den Unterschied im Yokalismus geht er dabei
nicht ein und den Wechsel von k und i bezeichnet er als etwas
Gewöhnliches. Die Beispiele, die er für diesen Übergang gibt, sind
teils ihrer Ableitung nach unsicher, teils besonders geartet, und daher
im ganzen wenig geeignet, die Zusammengehörigkeit von wallonisch
crekelai mit ndl. kreukelen als wahrscheinlich zu erweisen. Beachtet
man weiter, daß neben ndl. kreuk, nd, krökel mit gleicher Bedeutung
nd. k7'äte. krete (mnd. cretele? Vgl. Schiller und Lübbeu Wtb. s. v.),
ostfries. kräte krete krät kret (Runzel, Furche, Falte, Kerbe, Ritze
etc.) stehen, so wird man geneigt sein, in diesen die etymologische
Grundlage des zur Diskussion stehenden Wortes zu sehen, zumal sie
mit demselben außer im Konsonantismus auch in Bezug auf den Vokal
des Stammes übereinstimmen. Beachte noch lothring. kra-ti gerunzelt
(v. Weizen infolge von Nässe) bei L. Zeliqzon Lothringische Mund-
arten p. 92.
Grandgagnage führt 1. c. zwei Wörter auf, deren Verwandtschaft
mit crhteJai er als nicht unwahrscheinlich bezeichnet:
1. crete^ carre de petits pains cuits ensemble: crete dl miclioz,
di pisanz tortaiz, awall. crette.
2. cT'ete, pile de büches disposees par lits croises.
Die Grundbedeutung beider wäre: „objet en forme de croix,
ou presentant des lignes croisees". Ich will mich über No. 2 nicht
äußern. Was das an erster Stelle genannte crete angeht, so möchte
ich einer Andeutung Schelers (Grandgagnage Vict. II, 575 Anm. zu
altwall, crette) folgend, versuchen es abweichend von Grandgagnage
zu erklären. In ostfranzösischen Mundarten bezeichnet gre (gres),
ein Körbchen, in das man in der Bäckerei den Teig tut. Vgl.
Beauquier Vocab. p. 162 gn^: „Vase, corbillon oü Ton met la päte
dans les boulangeries. II est ordinairement en osier. C'est la
vannotte . . ." Unter vannotte wird bemerkt: „Petite corbeille, cor-
billon. C'est le petit panier rond, en osier dans lequel on met la
päte du pain avant de Tenfourner. Aussi dit-on » que le pain sent
la vannotte« pour designer cette odeur particuliere de la päte
WortgeschichtlicJies. 287
echauffee, ou des cirons qui ?e mettent dans rosiei»^). S. fernei*
Contejean Gloss. du paiois de Monthtliard p. 333 gres: „Panier
rond en o>ier, dans lequel on fait lever la päte d'une micbe de
pain". Nach Grammont Le patois de la Franche-Montagne p. 213
kommt das ostfrz. Wort von *crateUu „avec changement de l'initiale
sourde en "sonore". Mir scheint es, ohne daß ich für die Richtigkeit
einer solchen Auffassung den positiven Nachweis zu erbringen ver-
mochte, wohl möglich, daß wall, crete — dessen heutige Bedeutung
„carre de petits pains cuits ensemble" zu derjenigen von cretelai
auf jeden Fall schlecht stimmt — ursprünglich dasselbe bedeutete
wie ostfrauz. gre{s). Ist dies der Fall, so bietet sich als naheliegendes
Etymon alid. creUo (mhd. greite), Korb, worüber man Grimm Wth.
s. V. Kraiie nachlese, und worauf Grandgagnage mit Recht bereits
wall, creiin (bassin de fer blaue; Rouchi kertin, panier d'osier ä
anses) zurückgeführt hat. Dahingestellt bleibe, ob ostfrauz. gre(s),
wie Grammont annimmt, lat, craieUu entspricht, oder ob es zu dtsch.
krcUze, Korb, gehört und demnach auch etymologisch mit wallonisch
crete zusammengehört.
crotiere. Delboulle zitiert Romania XXXI, 375 einen ver-
einzelten Beleg für dieses Wort aus dem 18. Jahrb.: üne boutique
de marechal, savoir 2 enclumes, 2 soufflets, 4 estos, .1, bigorue,
.1. crotiere (Cite ap. Babeau, Vie riirah dans l'ancienne France,
148). Es handelt sich um eine mundartliche Variante zu nfrz.
cloutiere Nagel(sortier)kasten, Nageleisen (s. Littre und Sachs s. v.),
d. i. clou-t-iere. Der Übergang von anlautendem cl in er findet sich
ebenso in wallon. (s. L. Pirsoul Dict. wall, fr., dialecte naniurois
I, 170) crauere neben clawere, moule servant ä faire des rivets,
boulons ou clüus.
glietine ist nach Sachs (Supplement) ein Provinzialismus des
Nordens mit der Bedeutung „Apfel, der infolge eines Insektenstiches
abfällt". Das Wort ist normannisch und mag, in der Voraussetzung,
daß es richtig überliefert ist, als Beleg für den Übergang von anlaut.
k in g hier verzeichnet werden. Sachs' Quelle ist vermutlich Littre,
der, ohne über das Etymon sich zu äußern, im Supplement seines Wörter-
buchs gueiine mit der Erläuterung „Nom donne, en Normandie, aux
pommes qui tombent par suite de la piqfire des insectes" aus les
Primes d'/ionneurs (Paris 1874) anführt. Die mir vorliegenden
Mundart\sörterbücher verzeichnen ausnahmslos queiine. Als Etymon
wird von den Herausgebern derselben meist richtig lat. cadere angegeben.
^) Vgl. im Vendömois i)aillo7i „Corbeille de paille tressee ou d'osier,
qui sert ä mouler le pain pour lui douner sa forme avant de le mettre au
four" (P. Martcllicre Glossaire pg. 230). Lyonnais benon, corbeille pour mettre
le pain en pate (J. M. Villefranche F.ssai de grammnire du patois lyonnais p.
105). Beachte auch crete in einem von Grandgagnage Gloss. de Vuncien wallon
(Dict. 11) p. 562 s. V. brosder gegebenen IJeleg: „ine crete de michez po brosder
söchez," in welchem brosder der Aufklärung bedürftig bleibt.
288 D. Behrens.
S. Metivier Dict. p. 414 quetines; Joret Essai p. 149 gukSne,
quetine; Flcury Essai p. 287 qmtynes. Nur Moisy schwankt Dict.
p. 532, indem er unter quetine bemerkt „litteralement fruits quis
ou cais (tombes)"*. Vgl. bezüglich der Entwickelung der Form ds.
Zeiisclir. XXIIP, S. 43: qxuie. Eine dialektische Variante zu quetine
ist chkiiie, das Rolland Flore pop. V, 76 für Cherrueix (lUe-et-Vil.)
nachweist 2).
wall, hamiulett verzeichnet Remacle Dict."^ II, p. 78 mit
folgender Bemerkung „Alumelle, petite, mechante lame de couteau. —
I fret tan disskoutai kinn li d'meurret k'inn hammlett: A force
d'abuser de ses paissances physiques, il deviendra victime de son
incontinence. Les dict. disent quo le mot alumelle est vieux. C'est
rajeuni qu'ils devraient dire". Die Auffassung Rcmacles, wonach
hammlett auf alumelle zurückgeht, vertritt, wie es scheint, auch
Grandgagnage Dict. I, p. 270: „Hajnelete ou halemete (mauvais
lame de couteau). Cp. fr. alumelle'^. Deutlicher heißt es ib. II,
p. XXIX ,,Hamelete ou: halemete. Cette seconde forme est la plus
usitee. A Verviers, ou dit: halemene. II suit de ces deux observations
que l'identite de notre mot avcc le fr. alumelle est probable". Gegen
die Richtigkeit einer solchen Annahme sprechen in gleicher Weise
Form und Bedeutung des wallonischen Wortes: die Bedeutung, insofern
alumelle m. W. niemals gleich wall, hammlett in pejorativem Sinne
begegnet; die Form, um von anderem zu schweigen, insofern das
anlautende aspirierte h von hammlett in der angenommenen ety-
mologischen Grundlage keine Entsprechung findet. Es kann, worauf
mich brieflich auch Prof. J. Haust in Lüttich hinweist, nach den in
dieser Zeitschrift XXXP p. 155 unter sanar gemachten Ausführungen
nicht zweifelhaft sein, daß das zur Diskussion gestellte Wort eine
Ableitung vom wall. Verbum hameler (chätrer) ist, das man auf
dtsch. liammeln (beschneiden) mit Recht zurückgeführt hat.
altfrz. haiple, das Godefroy mit einem Fragezeichen versieht,
indem er es aus dem Glossaire de Salerne (alabrum haijyle) zitiert,
ist, wie sich ohne weiteres ergibt, dtsch. Haspel also bei Godefroy
unter hasple, haple, hesple etc. einzuordnen.
ostfrz. Iiouillie wird als Bezeichnung des Hauslauchs (Semper-
vivum tectorum) von Ch. Beauquier Voc. kymol. p. 175 für die
Franche-Comte bezeugt ohne eine Bemerkung über die Herkunft. Das
Wort fehlt in der von Beauquier mitgeteilten Form bei Rolland Flore
VI, p. 92 ff., ist aber mit Hilfe des hier verzeichneten reichen Materials
leicht zu bR:-timmen. Rolland erwähnt p. 97 gleichbedeutende breton.
houaye („du fran^. ome; ou emploie cette plante contre les affections
d'oreille-') und drouh er scouarn (mal d'oreille: „la feuille pilee et
') Von Rolland id. verzeichnetes gleichbedeutendes youees ist in
grouees zu ändern, wie bei Robin Dict. du pat. norm. p. 211 und Moisy Dict.
de pat. norm. p. 337 (hier auch crouee) das Wort lautet.
Wortgescliichtliches. S'Sd
melee ä de la bouse de vache seit ä guerir les maux d'oreille").
Houillie ist hiernach offenbar durch die Schreibung entstelltes uii
(audita), das zusammen mit älterem franz. ouye und ostfrz. oy
(Rolland l. c. p. 96) eine Gruppe bildet. Man wird nicht fehl gehen,
wenn man auch von Rolland erwähntes gleichbedeutendes ostfrz, louis
dazustellt, dessen anlautendes l der agglutinierte bestimmte Artikel
ist, desgl. petit louis uud saint louis, die volksetymologische Ura-
deutung klar erkennen lassen. Beachte schließlich noch von Rolland
aufgeführtes lori in Chateauneuf (Charente), das schriftfrz, Voreille
entspricht. Wegen der mundartlichen Entwickelung des Part. Prät.
von audire im Osten des französischen Sprachgebietes vgl, AÜ. linguisf.
Bl. 466 (entendu). Hauslauch oder Hauswurz begegnet als Heilmittel
bei Erkrankung der Ohren auch in dem deutschen „Artzney Buch'-'-
Christopher Wirsungs vom Jahre 1568, wo p. 96 unter „Ohren ver-
stopfen" bemerkt wird: ,,Nim Lattichwasser | von geschnitten Reben-
wasser I vermischt oder jedes allein. Es nutzt sonderlich eklopftes
eyerklar mit frawen millich die ein Magdlein seuget. Hauswurtz-
safft allein oder anderm gemischt." Ebenso heißt es p. 89 unter
„Ohrenschmertz": „Nim HaussivurfzsaEt \ vermischs mit frawenmilch |
trcuffe es ein..." und: „Item | Nim hatcssunirtzsaSt | rosenöle jedens
1. lot I essig 1/2 lot I mischs. Nim rosensafft \ hausswuHz&[\^t jedens
1 lot I Leindotterole '/g ^ot | vermischs."
lardiche, die Meise. Sachs verzeichnet das Wort unter Hin-
weis auf lardenne, das er mit „Kohlmeise" (Parus major) verdeutscht,
NYofür ebenfalls die Bezeichnungen lardere und lardeUe von ihm an-
gegeben werden. Nach Sachs erwähnt Horning Zs. f. rom. Phil.
XX, 343 lardiche unter den Repräsentanten fransösischer Appellativa
mit dem Suffix -iche = -icca. Weder Horning noch Sachs äußern
sich über die Etymologie von lardiche. Unter den zahlreichen anderen
Benennungen der Meise steht demselben arderiche in der Mundart
von Berry nahe, das von Hugue Lapaire Le paiois herrichon p. 42.
nicht ober von Rolland Faune H, 304 ff., auch nicht auf Blatt 844
(mSsange) des Atlas linguist. verzeichnet wird. Von den beiden
Formen ardriche und lardiche wurde, soviel dürfte ohne weiteres
klar sein, die erstere um den mit dem bestimmten Artikel verwechselten
Anlaut /, die zw'eite um r, dessen Verlust auf Dissimilation beruht,
gekürzt. Beiden liegt älteres lardriche (= lard(i)ere -f- iche) zu
gründe, das P. Dupon Fatois bourbonnais p. 74 für Moulins bezeugt.
In Bezug auf die Herleitung von lard(i)ere, das, wie schon Sachs
erwähnt, gleichfalls als Bezeichnung der Meise begegnet, stehen sich
zwei Auffassungen gegenüber. Diejenige von Mistral, der unter lardiero
etc. auf lardiS, -ero „qui aime le lard, qui en mange" als etymologische
Grundlage hinweist, und diejenige Puitspelus, der sich im Dict. äymol.
du pat lyonnais p. 229 unter lardero wie folgt äußert:
De lardd, larder, piquer avec une aiguille, un objet pointu; larder nne
pointe, planter un clou en biais. A lardo s'cst ajoute le suff. era qui a 6t6
ZtBchr. f. frz. Sjpr. u. Litt. XXXI i. 19
290 D. Behrens.
aira..., applicable aux pi-ofessions. La hrrdera est celle qui /arrfe les oreilles,
h. cause de son cri strident et repete comme celui d'ime lime qui dechire
les oreilles. Par la mßme raison, en b. dph. eile est nommee le serrurier. Le
pr. lardie appuie l'etyin. Cependant il ne serait pas absolunient impossible
que, comme la mesange attaqiie ä coups de bec l'ecorce des arbres pour
en faire sortir les insectes, on y cüt vu l'idee de larder le bois. Dans la forme
lardenne, je suppose qu'il y a eu Substitution du suff. d'oil aiue, de ««a,
passe ä enne.
Da keiner der Rezensenten von Puitspelus Wörterbuch an dessen
Auffassung Anstoß genommen zu haben scheint, und noch Constantin
und Desormaux in ihrem Dict. savoyard unter lärdera die Ansicht
Puitspelus ohne ein Wort der Kritik wiedergeben, so ist es wohl nicht
überflüssig hervorzuheben, daß Mistrals Auffassung ohne Frage den
Vorzug verdient. Um das zu erhärten, dürfte der bloße Hinweis auf
die von Brehm (Tierleben'^ Vögel I, 172) für Parus major angegebenen
Benennungen: Speck-, Schinken-, Talgmeise genügen, die eine Doppel-
deutung nicht zulassen. Beachte im besondern noch Brehm l. c.
pg. 174, wo es von der Ernährung der Meise heißt: „Wenn im Winter
ein Schwein geschlachtet wird, ist sie gleich bei der Hand und zerrt
sich hier mögUchst große Stücke herunter." Zwar gibt Brehm l. c.
172 auch die Bezeichnung „Pickmeise." Wollte man aber im
Französischen die dem entsprechende Anschauung wiedergeben, so
lagen andere Wörter ungleich näher als das weit hergeholte larder,
das „spicken", nicht „picken" bedeutet.
Was die anderen von lard abgeleiteten Bezeichnungen der Meise
angeht, über die man bei Rolland /. c. und auf Blatt 844 des Atlas
ling. sich orientieren kann, so dürfte ihre Erklärung in den meisten
Fällen keine besondere Schwierigkeit mehr machen. Der Form lardelle
wird lard(e)relle [lard(i)er -\- eile], das Godefroy aus altfranzösischen
Texten belegt, vorangegangen sein. Neben lardenne, lardine, die mir
in ihrer Bildungsweise am wenigsten durchsichtig scheinen, vermag
ich lard(e)renne, lard(e)rine nicht nachzuweisen. Lerdäj, das nach
dem Atl. ling. im Departement Sa6ne-et- Loire begegnet, zeigt in seiner
Endung Angleichung an mizäj, das ebenda vorkommt. Dardanche,
das Richenet Pat. de Petit- Noir p. 161 nach Desire Monuier
Vocahulaire de la langue rustique et popid. de la SSquanie als
Nebenform zu lardanche (mesange jaune) erwähnt, ist aus letzterem
mit Assimilation des Wortanlauts an den Anlaut der zweiten Wort-
silbe zu erklären. Auf weitere Einzelheiten soll hier nicht eingegangen
werden. Angemerkt sei, daß nach Rolland die verschiedenen Arten
der Gattung Meise oft unter denselben allgemeinen Bezeichnungen
wiederkehren.
lothr. mosa, billon, bout de tronc destine ä etre fendu en
bardeau, begegnet nach Adam Pat. Lorr. p. 271 in Saint- Am6. S.
auch Xavier Thiriat La vailSe de Cleurie p. 441. Es gehört zu
den Zs. XXIX i, 146 f. unter möze behandelten Wörtern. Vgl. außer
der daselbst angegebenen Literatur noch Martin und Lienhart Wörterh.
WortgescMchtliches. 291
d. elsäss. Mundarten I, 725 müsel. Gehört hierher auch von Sachs
verzeichnetes mundartlich franz. mousard, geköpfte Eiche?
poiirfie. Über von DelbouUe Romania XXXIII, 597 als
obscur et rare verzeichnetes porfi habe ich ds. Ztschr. XXIX ^,
S. 305 f. - ausführhch gehandelt. Ich vermag heute einen Beleg aus
dem Anfang des 16. Jahrhunderts nachzutragen, der sich bei Godefroy
s. v. doMe findet: „Se aucuns se veuUent entremettre de boucherie
en ladite ville, il iie pourra tuer bestes qu'elles ne soient bonnes et
loyaux, et si ce sont bestes a cornes et elles ont /ie et pourfie . . .
ceux qui les tueroient et mettroient a estal, ilz en seroient punis
(1507, Prev. de Beauquesne, Cout. loc. du baill. d'Amiens, 11, 264,
Bouthors)". Dieser Beleg verdient schon um deswegen besonders
hervorgehoben zu werden, weil daraus hervorgeht, daß das zur Dis-
kussion gestellte Wort auch eine Erkrankung bei Tieren (hier im
Speziellen des Hornviehs) bezeichnen kann. Aus dem Vokal der
ersten Silbe von pourfie wird man einen Grund gegen die Richtigkeit
meiner Ableitung aus porcu -j- ficu nicht herleiten wollen. Derselbe
erklärt sich wie ou in pourceau, also vermutlich aus der Unbetont-
heit 3), — Angemerkt sei noch die Verwendung des Wortes in der
botanischen Terminologie: yep^ du pouerfi (oder einfach pouerfi) ist
nach Rolland Flore populaire VI, 54 die wallonische Bezeichnung
einer Pflanze der Gattung Herniaria, yehe di pouarfi nach derselben
Quelle V, 221 die in der Lütticher Mundart gebräuchliche Benennung
des St. Benedictenkraut (Geum urbanum).
Über die Bildungsweise von frz. porfi (porcu -f ficu) bin ich
mir ebensowenig wie über diejenige des entsprechenden deutschen
Schweinsheule (s. ds. Ztschr. XXIX i, 305) völlig im klaren. Am
nächsten liegt es wohl, dieselben zu erklären als „Geschwüre oder
Beulen, wie man solche beim Schwein findet". Aus dem Deutschen
ließe sich noch anführen Schtveinspocke oder Schweinsblatter, womit
man nach Grimms Wörierb. eine Art der Kinderblattern bezeichnet.
Zusammenrückung oder Zusammenfügung zweier Substantive, deren
erstes das zweite näher bestimmt, begegnen in der französischen
Wortbildung bekannthch nicht ganz selten. Zu gründe Hegen denselben
zweifellos z. T. ältere oder jüngere lateinische Verbindungen, wie
beispielsweise in lundi < lunae diem, arentele < araneae tela, gel. lat.
8) Ou begegnet ebenso in altwall, pourpeix, Schweinfisch (eine Del-
phineuart, porcus piscis. S. Grandgagnage Dict. II, 629 und vgl. raittellat.
porco piscis in A late dght- Century ladn anglo-taxoii glossary hrsgb. VOn Hessels
Cambridge 1906,
Weibliches porca als Fisehbenennung s. Romania XXXV, 167 Anm.
5 und dazu Schuchardt. Zs. f. rom. Phil. XXX, 726 f. Beiläufig sei bemerkt,
dafs von Schuchardt vermilstes südfranz. trutjo von Nemnich Polyglottm-Lexicon
s. Zeus Faber für Marseille in der Variante troueje verzeichnet wird. Altwall.
porcque als Fischname s. Grandgagnage Dict. II, 628.
19*
292 D. Behrens.
caprifolium > ch^vrefeuille, über die man Mcyer-Lübl<c Rom. Gram.
II, § 545 f. und § 554 vergleiche. Daß porfi nach dem Muster der-
artiger auf lat. Grundlage beruhender Bildungen entstanden ist, ist
möglich, ebenso möglich aber scheint mir, daß es in Übereinstimmung
mitnoch einer Anzahl anderer französischer Ausdrücke unter germanischem
Einfluß gebildet wurde. In nord- und ostfranzösischen Mundarten
begegnet man nicht selten Entlehnungen germanischer Woitzusammen-
setzungen wie:
vassersac, in Montbeliard: pompe ou reservoir pour le jus dans
une pipe allemande, dtsch. Wassersack. S. Contejean.
paiquebairbe ib.: favori, dtsch. Backenbart. Contejean.
mouchetic ib.: cxtremite en corne ou eu ambre du tuyau d'une
l)ipe, dtsch. Mmiclsiüch. Contejean.
7nailecoste ib.: grand coffre h farine, ä avoine, dtsch. MeMkasten.
Contejean.
poutreveque ib.: petit pain mollet au bcurre; dtsch. Butter-
werk. Contejean.
felmouse ib.: compote depommes; dtsch. Äpfelnmfs. Contejean.
grÖ(.Vbir\o{\\\\ (Zeliqzon): mundartl. dtsch. Grundbirne (Kartoffel.)
garloine Mons. Instrument compose d'un grand nombre de lames
de bois tournant sur axe et au moyen duquel on reduit en pelotons
des echevaux dn fil; dtsch. Garmoinde. Sigart.
boutrane Mons; tartine, beuree. Fläm. boterham. Sigart.
boucancoiique Mons: gftteau de sarrasin. Fläm. boehoeiikoek.
Sigart.
topzele wall.: volle au haute du mät. Fläm. topseyl. Grandgagnage.
potekese wall.: sorte de fromage aigre et fortement ^pice.
Niederd. Potkes, d. i. Topfkäse, Grandgagnage.
Die Liste dieses Wörter ließ sich ohne große Mühe ver-
vollständigen. Einige unter ihnen wie marsouin, colza (ndl. koolzad),
ernote (s. A. Thomas MÜanges p. 81 f.) begegnen heute in weiterer
Verbreitung. Erwägt man, daß in Nordfrankreich eine Anzahl nach
Art von porfi. gebildeter romanischer Wortverbindungen überwiegend
oder ausschließlich auf solchen Gebieten begegnen, die germanischem
Einfluß besonders ausgesetzt sind oder waren, so liegt es nahe die-
selben als unter diesem Einfluß entstanden aufzufassen. Ich rechne
dahin u. a. :
terre-noix (bunium bulbocastanum), das ganz nach dem Muster
des gleichbedeutenden gerra. ernoW (Erdnuß) gebildet wurde und über-
dies hybrides tarnoti' neben sich hat. Zu den bei Rolland Flore VI
p. I65f. verzeichneten Ausdrücken füge noch tanote Gloss du pat.
de Chanssin par Grosjean et Briot p. 51.
piesenie, Fußpfad, begegnet im Normannischen, Pikardischen,
Wallonischen und Lothringischen und ist schon in altfranzösischer
Zeit häufig zu belegen. Vgl. u. a. Godefroy s. v.
Wortgeschicktliches. 293
cocrete, Hahnenkamm (alectorolophus crista galli), s, N. Haillant
Flore populaire des Vosges p. 135 s. Rhinanthiis minor. Ch. Joret
Flore pop. de la Normandie p. 144.
chienqiieue, chienqoue, chinqueue, clilnquoue etc. (iiielanipyrum
arveuse et prateuse), s. A. Baiidouiu Glossahx du pat. de la Foret
de Clairvaiu p. 112.
arboua (sorbus aiicuparia) = bois d'arc im Lothringischen.
S. RoUauu Flore V, 119 „le bois seit ä faire des arcs, etant souplc
et trcs dur".
liondent, Löwenzahn (leontodon). S. N. Haillant /. c, p. 11 2.
cacoue, Katzenschwanz. S. diese Zeitschrift XXYll-, p. 103 f.
racouet, Rittensch.vänzchen. S. meine Bemerkungen über das
Wort in der Festschrift für Chabanean.
chiendent. Hundszahn, dient zur Bezeichnung verschiedener Pflanzen .
Vgl. u. a. Joret 1. c: pg. 212 chiendent-ä-oignons, chiendent-ä-
ckapelets und ib. p. 211 chiendent-bosse, chienderd-ho^de als
Buennungen für arrhcuatherum elatius; ib. pg. 289 cliiendent-de-
Paris für Digitaria sanguinalis Ksel.; Haillant 1. c. : p. 113 chiendot
für taraxacum officinale; ib. pg. 193 chindot, ckindal etc. für Agro-
pyrum repens (Triticum repens L.); ib. pg. 185 chiendent digitc
für Cynodon dactylon (Panicon Dactylon L.).
cavaqueue^ Equisetum. S. Joret 1. c. pg. 225f.
chevrecoue, Hartriegel, Liguster, in Doragermaiu. S. Adam Fat.
lorr. pg. 239.
wallon. fäinain (manche de faux), crohnain (manche de croc)
nach Graudgagnage Dict. H, XVH und 574.
pic. trotrollc s. f., femme incapable, malpropre, quelquefois
meme de mauvaise conduite: Enne trotroUe. Haignere, dessen
Vocahidaire des Patois houlonnais ich diese Angabe entnehme,
bemerkt dazu: „Semble forme du meme radical que drouille, par
duplicatioD." Unter drouille heißt es: „femme malpropre, coureuse
ou de mauvaise conduite. On dit droule cn Picard et Rouchi, et
trouille en Normanl Trouille a le sens de truie en Wallon". Eher
als drouille, scheint es mir möglich, von Haignere erwähntes pik.
droule, das u. a. auch Cb. Doutrepont (diese Zs. XXH^, p. 83) in
der Bideutung „femme de reputation douteuse" aufführt, mit trotrolle
in etymologischen Zusammenhang zu bringen. Das Etymon des
Letzteren sehe ich in dtsch. Trolle, Trulle, DroUc etc. (eine rohe,
gemeine, bäuerische Weibsperson, eine träge Schlampe, eine die dick,
fett und rund ist), worüber man in Grimms Wörterbuch unter .^Drolle'*
nachlese. Über die Reduplication des Silbenanlautes vgl. W. Foerster
Zs. f. rom. Phil. XXH, S. 283 ff. Dieselbe begegnet außer in der
Kindersprache und in Rufnamen gelegentlich, wie in trotrolle, zur
Bezeichnung weiblicher Wesen in pejorativem Sinn. Vgl. tutuie (tillc
294 E. Hausknecht.
de joio) Grandgagnage Dict II, 457 toutouie (malpropie, dcbauche,
qui se livre ä la debauche) bei A. Body Voc. des poissardes p. 238^),
touiouiUe (grosse femme) A. Delboulle Gloss. de la vallee d' Yeres p. 328.
D. Behrens.
Luge. — II a neige hier toute la joiirnee en Valais. Nous
sommes de nouveau au gel. Les turbines ne marchent pas, mais les
rues seilt propres et les luges marchent d'autant mieiix. — Avis aux
lugeurs et skienrs: Piste ä i)roximite du Chalet-ä-Gobet. Bonne
restauration ä l'Auberge du Chalet. Location de luges, — Piste de
luge, skis, patinage. — Sports d'hiver: luge, skis, patinage — Pistes
pour luges et skis. — Train (Eisenbahnzug) pour higeurs. — Costumes
de lugeurs. — Aus der Daily Mail, Continental Edition. Monday,
January 7, 1907: Colder conditions set in yesterday, accompanied
by a heavy fall of snow, and to-day lugeing has been resumed in all
directions. . . . The Championship meeting of the Canton de Vaud for
bobsleighs and luges takes place on Monday and Tuesday next, on the
well-known Col de Sonloup-Les Avant s course. — Aus der Gazette de
Lausanne, jeudi 10 janvier 1907: 'Les courses de bobsleigh
(5 sitziger, im Vorderteil lenkbarer Mannschaftsschlitten) pour le
championnat du canton de Vaud ont ete courues lundi et mardi sur
la piste du col de Sonloup aux Avants') En meme temps devaient
etre courues les courses de luges pour le meme championnat; mais
les equipes de 'bobs' etaient si uombreuses que le comite a ete
oblige de supprimer les courses de luges, qui auront Heu aujour-
d'hui 10 janvier.'
Obige, hiesigen Zeitungen (sowie der Kontinentausgabe der
Londoner Daily Mail) entnommenen Anführungen zeigen zwei in
der französischen Schweiz viel gebrauchte Wörter. Eines dieser
Wörter {la luge) ist anscheinend echt romanisches Sprachgut, ähnlich
wie das ursprünglich waadtländische piolet (eigentlich = '■petite hache\
jetzt: die beim Erklettern steiler Bergwände zum Einhauen von Stufen
verwandte Pickaxt, deren Stiel unten mit Eispickel versehen, so lang
ist, daß sie nötigenfalls spazierstockartig zur Stütze beim Steigen
dient) wird la luge binnen kurzem unter dem Einflüsse der Sport-
zeitungen und der französischen Alpinisten allgemein französisch werden.
*) Von Haignere verglichenes wall. trouUle ist phonetisch irui <: trpja
in durchsichtiger Entwicklung (s. Niederländer Eom. Zs. XXIV, 27 und Sigart
Gloss.") p. 362) und sowohl von pic. wall, drouille wie von norm, trouille, auf
deren etymologische Bestimmung ich vielleicht bei späterer Gelegenheit
zurückkomme, zu trennen. Sehr auffallend ist iröuU = iruie (in nicht über-
tragener Bedeutung) bei Hecart Dict.^ p. 469, während man geneigt sein
kann, ebenda verzeichnetes trouJe „femme de mauvaise vie, vagabonde" und
troule „grosse femme sale et degoutante" zu dtsch. Trulle zu stellen.
') Les Avants ist eine Ortschaft oberhalb von Montreux im
Waadtlande.
Wortgeschichtliches. 295
Das andere Wort (restauration) hingegen, ist, wie mir Professor
Bernard Bouvier in Genf sagt, in dem hier gebrauchten Sinne
('Verabreichung von warmen Speisen') ein sich neuerdings unter dem
Einflüsse der zahh'eichen deutschschweizerischen Hotelbesitzer ein-
schleichender Germanismus. In der Tat findet man häufig Wirts-
hausschilder oder Zeitungsannoncen wie die folgenden: Restaurant
Müller. Restauration ä toute heure.
La luge der niedrige (meist 20 — 25 cm hohe, 30 — 36 cm
breite, 60 — 100 cm lange, zum Hinunterschlittern auf Bergabhängen
oder abschüssigen Stellen verwendete) Handschlitten; — se luger auf
einer luge eine abschüssige Schneebahn hinuntersausen (englisch to
tohoggan oder to coast; mit Beziehung auf den eigenartig schweizerischen
Wintersport findet man neuerdings neben coasting oder tohogganning
auch luge-ing, ähnlich wie man ski-ing (skee-ing) gebildet hat); — le lu-
geur, la lugeuse; — les lugeons die Schlittenkufen, die horizontalen
Schlittenläufer = les patins du tralneau: les lugeons pli6s ä la vapeur.
La luge fehlt bei Littrö. Larousse in seinem Grand diction-
naire du XIX siede hat das Wort in der ersten Auflage (1873)
noch nicht, bringt es aber in der Neubearbeitung (dem Nouveau
Larousse illustrS). Es heißt da: Luge n. f. Sorte de petit traineau
en usage en Suisse, paticulierement dans le canton des Grisons; —
Encycl. : Xa luge est formee d'un siege bas supporte par deux
patins; celui qui s'en sert a dans chaque main un court bäton ferre
qui lui sert ä se diriger et aussi ä faire avancer la luge lorsque
la pente est trop faible'.
Hierzu bemerke ich, daß nach meiner eigenen Beobachtung,
die ich durch wiederholte Umfrage bestätigt finde, la luge in Genf,
im Waadtlande (canton de Vaud) und in Wallis (le Valais)ganz all-
gemein im Gebrauch ist und daß mir bisher niemand hat erklären
können, weshalb gerade Graubünden (les Grisons) als die besondere
Heimat der luge bezeichnet werden soll. La luge ist durchaus
nicht einmal ein nur in der französischen Schweiz bekannter Ausdruck,
es ist ganz ebenso gebräuchlich drüben in Savoyen, in der Franche-
Comtö und im Dauphine, also überall da auf ostfranzösischem Sprach-
gebiet, wo Berge und regelmäßig jeden Winter eintretender Schnee-
fall diesen Schneesport ermöglichen und zu einer Volksvergnügung
für Jung und Alt machen.
Neben se luger sagt man sehr häufig faire de la luge. In
dieser Redewendung, die genau so gebildet ist wie faire du jjatiti
(= patiner), faire du ski (= aller en skis, skier), faire de la
bicyclette (= aller ä bicyclette^), steht das Werkzeug für den damit
2) Man sagt beides: aller a bicyclette und aller en bicyclette (radeln).
Aller ä bicyclette ist gebildet wie aller ä äne, aller ä cheval; aller en bicyclette lehnt
sich an aller en voiture^ en hateati. Vor einigen Jahren stritten die französischen
Zeitungen über die Richtigkeit der beiden Ausdrücke; neuerdings hat aller
ä bicyclette den Vorrang gewonnen.
296 E. Hausknecht.
gemachten Gebrauch. Aus der Wendung faire de la luge, neben
der aucli die Redensarten praiiquer la luge und faire une partie de
luge bestehen, entwickelt sich dann für la luge die (bei Larousse
nicht angegebene, aber) sehr gebräuchliche Bedeutung 'das Sclilitten-
fahren'. Xa luge est un plaisir des i)lus agreablcs, La luge a
raarchö graiid train cet hiver = nous en avons fait bcaucoup. II
fait un clair de lune süperbe, profitons-en pour faire de la luge
(pour nous luger). En hiver mon sport prefere c'est la luge, je
preconise la luge. Pour pratiqucr la luge, il ne faut pas craindre
les accidents. Plus on est nombreux en pratiquant la luge, plus
l'animation est grande. Les sensations qu'on eprouve en faisant de
la luge, sont delicieuses. Les hivers ne sont pas tous favorables ä
la luge. En Suisse des Tage le plus tendre les eufants fönt de la luge.
Ce ne sont pas seuleraent les eufants mais les personnes de tout age
qui s'amusent ä la luge. Les Anglais qui vieuneut en Suisse en
hiver, usent et abusent de la luge.
'Un jeune homme de 17 ans, habitant Collonges sur Montreux,
descendait en luge, lorsque, pres de l'hötel du Righi, il vint se jeter
contre un mur. II a une jambe brisce en deux eudroits. II a ete
transporte ä l'Hopital cantonal'. (Gazette de Lausanne, Mercredi
19 d^cembre 1906). — 'A Mont sur Rolle, lundi soir, ä la sortie
des classes, deux gargonnets de 8 ä 9 ans descendaieut en luge le
chemin rapide qui conduit de la maison de ville au village, Ils
manqu^rent un contour et vinrent s'ecraser contre un mur. L'un
d'eux se releva sans contusions, Tautre s'est casse la jambe' (ebenda).
Gleichbedeutend mit, doch weniger gebräuchlich als la luge
(das Schlittenfahren) ist le lugeage. Dieses Wort fehlt bei Larousse.
Le lugeage est un sport agreable siir une pente par trop dangcreuse.
Nous avons des localites en Suisse oü le lugeage se pratique en
grand. II y a des trains speciaux qui conduisent les lugeurs et les
spectateurs aux pentes de lugeage (aux pistes rescrvöes au lugeage).
A Lausanne le lugeage se pratique plus qu'ä Gcneve parce que les
pentes [favorables ä la luge] y sont plus frequentes. Les hivers
neigeux sont fort apprccies par les amateurs de lugeage.
Larousse bringt als Illustration die Abbildung einer hige. Diese
stimmt insofern nicht überein mit der von ihm gegebenen Wort-
erklärung, als der auf der luge sitzende Mann nur einen Stab (Eis-
pickel) hat, und zwar einen ziemlich langen, während die Wort-
erklärung von zwei kurzen Stäben spricht, einem in jeder Hand.
Nach meiner Beobachtung und Erkundigung bedient man sich eines
Stabes selten, für ge^^öhnlich nur der (nach vorn gestreckten) Beine
zum Lenken und Aufhalten des Schlittens, zuweilen auch noch (wenn
die Bahn nach rechts und links frei ist) der Hände. Das Aufhalten
freilich ist auf langen, oft recht abschüssigen Bahnen, eine mißliche
Sache, wie denn la luge oder le lugeage ziemlich viel Unglücksfälle
xur Folge hat. Die von Larousse gegebene Zeichnung einer luge
WortgeschichÜiches. 297
stimmt nicht mit den hier in Lausanne üblichen Formen überein.
Wie mau jetzt hier jeden Tag sehen kann, und wie verschiedene
Kaufhäuser sie hier in ihren Schaufestern und in Plahaten mit Ab-
bildungen zeigen, sind hauptsächlich drei Formen der luge üblich,
1. die von Lausanne (modele Lausanne), 2. die von Montreux, 3. die
von Bern. Diese drei Formen ähneln sich sehr; keine jedoch hat
die in der Abbildung bei Larousse vorhandenen vorn nach oben
gebogenen langen Kufenausläufer. Ein mir vorliegender Katalog eines
großen Sportgeschäftes offeriert auch 'Roddel' und fügt als Übersetzung
in Klammern bei: 'luge iijrolienne.^ Roddel und luge sind der Form
nach fast ganz gleicli.
Außer diesen drei nur unbedeutend von einander abweichenden
auijcnblicklich hier gangbaren Modeformen gibt es sicherlich noch
mehr. Dies zeigt auch nicht bloß die Zeichnung, die als Vignette
die reizende Erzählung La Surprise du Cceur von M. et M™® Georges
Renard (in dem von ihnen veröffentlichten Sammelbaude: Auiour des
Alpes, Contes Roses et Noirs, Lausanne, F. Payot, 1892) ziert
(Seite 240), sondern auch folgende Stelle aus dieser Erzählung:
«Hurrah! voici les luges! — Les luges arrivaient, en effet, apportees
de la rcserve oü on les tenait durant Tete, et les pensionnaires du
Grand Botel des Ava7its — uu de ces hoteis suisses oü Ton fait
des eures d'air pur et de courses en pleine montagne — s'empressaient,
curieux de les examiner. II y en avait de toute espece et de toute
provenance. La classique luge suisse, simple planchette de bois
montee sur deux solides patins de fer qui se recourbaieut ä l'avant
comme des cous de cygnes, cotoyait l'elegaute et svelte norvegienne
en sapin verni, vraie luge modele si plate qu'on etait assis presque
ä ras de terre, si longue qu'on pouvait aisemeut s'y teuir trois ou
quatrc ä la fois."
Nach dem vorstehend Gesagten werden die folgenden der
Gazette de Lausanne (jeudi 20 decembrc 1906) entnommeneu Conseils
d'un vieux lugeur verständlich sein.
Sois chausse de souliers ferres. Fixe lout au moins des crampons
solides ä tes talons.
Avant de te risquer sur n'importe quelle peute, i'emoute-la eu observant
tous les accidents qui peuvcut s'y rencontrer.
Quand le lieu choisi pour tes ebats est uue p/ste dejä glacee par le
passage des luges, parcours-en les diverses sections separcment. Tu etudieras
avec une attention toute particuliere la piste aux contours, au voisinage des
murs, aux points oü la route bombee n'est pas contenue, ä droito et ä gauche,
par un ourlet de neige süffisant. Si besoin est, tu parcourras ces sections
dangereuses ä diverses reprises, avec des vitesses croissantes, de maniere ä
etre sür des mouvements que tu as ä exccuter.
Ne parcours jamais une piste pour la premiere fois dans son entier
en surchargeant ta luge d'un compagnon ou d'une compagne; doubler le
poids, c'est presque decupler le danger. Que ton compagnon ou ta compagne
ait pratique, pour son comptc, les meraes exerciccs prcliminaires auxquels
tu t'es astreint.
298 E. Hausknecht.
La police devrait interdirc, selon les pcntcs, le lugeage ä plusieurs,
meme le liigeage ä deux sur des pistes dangereuses. Elle devrait formellement
interdire l'tisage du patin pour guide aiix liigeiirs: Ic piod arme du patin
a ete dans plus d'un cas uu instrument meurtrier.
Obeis spontancment aux rögles de prudence que la police neglige
d'imposer. Avertis, avec politesse et en attirant leur attention sur les dangers
qu'ils fönt courir ä leurs compagnons de plaisir, les lugeurs et les lugeuses
que ton experience t'autorise h conseiller. II n'est pas necossaire, pour
pratiquer un sport bienfaisant, de s'y abandonner dans des conditions qui
peuvent mettre en deuil des peres et des mores.
Durch die voraufgehenden Zeilen glaube ich den Sprachgebrauch
von luge und seiner Sippe {la luge, se luger. lugeur, lugeuse^ lugeage,
lugeon) gezeigt und hinlänglich dargetan zu haben, daß das Wort,
welches auch sein Ursprung sein mag, das französische Bürgerrecht
auch in der gebildeten Umgangssprache bereits erworben hat.
Nicht der gebildeten Umgangssprache angehörig ist der hier
im Waadtland auf dem Lande übliche Gebrauch des Wortes luge auch
für den Lastschlitten, also für Schlitten überhaupt. Jeden gewöhnlichen
Schlitten bezeichnet der Städter, wie der gebildete Schweizer überhaupt,
stets mit traineau, auch die Schlitten der Droschkenkutscher an
schnecreichen Tagen heißen traineaux, in der Sprache der Gebildeten
niemals Inges. Luges sind im Französisch der Gebildeten eben nur
die kleinen Handschlitten, die Rod(d)el. Ebenfalls nicht der Sprache
der Gebildeten angehörig ist das Wort calugeon (= une luge tres
plate et tres longue dont les patins sont faits d'un seul morceau).
In der Fuhrmanssprache (nicht in der der Gebildeten) besteht auch
das Wort caluger 'zur Seite rutschen', von einem Lastwagen gesagt,
der oder dessen Hinterräder bei glattem, schlüpfrigem Fahrdamra nicht
der vom Fuhrmann gewollten Richtung nach vorn folgen.
Und nun die Herkunft des Wortes luge? gehört es nur der
franko-provenzalischen Sprachgruppe an oder erstreckt es sich weiter?
Nicht vom Substantiv luge, sondern vom Verb luger scheint aus-
gegangen werden zu müssen. Die Romanisten der hiesigen Universität,
die Herren Taverney und Professor J. Bonnard, dachten beide, als
ich sie nach der Etymologie von luger fragte, au das lateinische
lubricare. Diese Ansicht teilt und bestätigt ('sans examen approfondi
de la question') Professor L. Gauchat, an den als den Vorsitzenden
des die Herausgabe eines Glossaire des patois de la Suisse romande
bezweckenden Vereins sich Herr Bonnard brieflich gewandt hat und
dessen Antwortschreiben er mir in liebenswürdigster Weise mitgeteilt
hat. Gauchat erblickt einen Beweis für die Herkunft aus lubricare
in den von A. Thomas in seinen Nouveaux Essais de philologie
franfaise (Paris, E. Bouillon, 1905) auf Seite 293 mitgeteilten
Formen mit r: lourgier, leurgier, lergier. Thomas weist nach, daß
lubricare, für das allerdings ein volkstümliches *lübricare anzusetzen
sei, auch im Französischen weiter bestehe und nicht, wie Körting
annimmt, auf das Rumänisch-Italienische und Spanisch-Portugiesische
Wortifeschichtliches. 299
beschränkt sei. „Godefruy a releve, dans la traduction lorraine des
Dialogues et des Moralites sxir Joh de Gregoire le Grand trois
exemples de participe lovergeant, loverjatit qui suppose Texistence,
ä fin du douzieme siecle, du verbe frangais lovergier, corrcspondant
ä lubricare, comme favergier (Variante de forger) corrospond ä
fahricare'^. Thomas erwähnt dann die in der heutigen Mundart der
Saintonge nachgewiesenen Formen lleurgheous (= glissant, lubricus)
und Ueurgher (= glisscr malgre soi). Für die Formen lourgier,
leurgier, lergier beruft sich Thomas auf drei Lexikographen der
Mundarten der Freigrafschaft Burgund, auf Dartois (in den Mem.
de CÄcadSmie de Besangon, annee 1850), auf Poulet, Vocabid. du
patois de Plancher-les-Mines, und auf Roussey, Paiois de Bournois,
p. 192 und 389. Er fuhrt weiter die Form lergS{= petit traineau)
an, die Grammont in Dan)prichard (Doubs) angetroffen habe. — Im
Savoyischen sind diese Formen mit r unbekannt, wenigstens geben
weder Gillieron noch Constantin-Desormaux irgend ein Beispiel
dafür. In der Revue des Patois gallo-romands (I, 46) sagt J. Gillieron,
das Wort traineau sei in den savoyischen Mundarten nicht vorhanden:
„traineau ... n'a pas de formes en Savoie, il y est remplace par
leze, Izh, loeze, Ide, Ize, Uze, Uze, liöez, luedz, live, Veyvye.'* In
ihrem Dictionnaire savoyard (Paris, E. Bouillon, 1902) bringen
A. Constantin und J. Desormaux unter 'luge' mehr als zwanzig
Varianten: liujhe (jh bezeichnet das englische d) lujhe, luze, lüSze,
lüMze, liüSdze, lijhe, Uze, live, Uivie, lejhe, leze, lUze, lezä, leuse,
ledze, liMze, Ijhe, IjM, IjM, Ijhen, Ide. — Herr Professor S. Charlety
(Historiker) an der Universität Lyon schreibt mir unterm 15.2.07:
„je crois, informations prises aupres des gens competents, que luge
et se luger sont d'importation recente ä Lyon. Ces mots ne figurent
pas dans les dictionnaires des dialectes lyonnais. Par contre, on le
dit couramment en Savoie et en Dauphine, mais sous la forme l^ge
autant que sous la forme luge; on rencontre anssi iSgier (glisser) . . .
On dit ä Hauteville (Ain) luette = petit traineau. II n'existe aucune
forme avec r (lurgier etc.) dans la region." — Herr E. Barraud,
gebürtig aus Chambery, Professor am College vou St.- Claude (Jura),
der bis vor kurzem die gleiche Stellung in Embrun bekleidete, schreibt
mir, in der Gegend von Embrun sei das Wort luge erst neuerdings
durch die Zeitungen bekannt geworden, mundartlich käme es seines
Wissens dort nicht vor. „Quant ä la region de la Savoie et de l'Ain,
eile connait ce mot : on appelle populairement et en patois aussi une
luge une lege, et ce mot lege est tres anciennement connu dans ces
pays . . . Quant ä la forme avec r (lurger, lorger, etc.), eile m'est
totalcment inconnue. Dans la region que j'habite maintenant
(St-Claude), Ic mot luge n'est quo d'importation recente due ä
Tinfluence des journaux. Le mot du peuple designaut le petit
traineau est berrot et Ton dit se berrotter. (NB. les montants
verticaux du traineau s'appellent ici: les ligeons). Le mot luge est
300 D. Behrens.
tres employe et depiils longtcraps (populairemont) daiis la regiou de
Gcx. Enfin il paraltrait quo du cotc de Lons-Ie-Saulnier lo mot
luge existerait aussi populairement." (Das Wort herrot besteht nach
Mittcillung von Herrn Taverney auch liier im Waadtländischen, aller-
dings niclit in der Bedeutung 'Sciilittcn/ sondern = char, vehicule,
z. B. un herrot (herroion) de foin eine kleine Fuhre Heu).
Die von A. Tiiomas erwähnte, von Grammont in Damprichard
(Doubs) festgestellte Form mit r (lerge) besteht auch in der Gegend von
Besan^on (Doubs). DerRoraauist Herr 0. Bloch, professeur au lycec
de Besan^on, schreibt mir darüber Folgendes: „1. I) 'apres M. Vernier,
l)rofesseur ä la Faculte et qui connalt bien les patois du pays, luge
est un mot recent. II connait le verbe lairzt ( = glisscr) repandu
daus toute la region. 2. M. Vuillau, professeur au lycee, originairc
d'Arbois, nie dit que dans son pays et, ajoute-t-il, ici le mot popu-
laire est lü (ce qui ue s'accorde pas avec ce que dit M. Vernier),
A Arbois on dit pour glisser sf rlüse (et, dit-il, aussi s^ rlüce), ä
Mesuay, village voisiu, on dit sf rlitsi.'-''
Lausanne. Emil Hausknecht.
Die Herkunft von luge muß auch nach den vorstehenden ein-
gehenden und sorgsamen Darlegungen Hausknechts als unbekannt
bezeichnet werden. Meinerseits bin ich ebensowenig wie er im stände,
das vorliegende etymologische Problem zu lösen. Nur auf einiges
weitere Material möchte ich noch hinweisen, das demjenigen, der der
Etymologie des interessanten "Wortes weiter nachzugehen beabsichtigt,
vielleicht von Nutzen sein kann. Mistral erwähnt Ti^esor H, 214:
„lieio (a.), liso (g.), lieujo, leujo, Uuso, Uudo (rouerg.), (1. lat.
leyha [?]), s. f. Traineau, sorte de lit ou de brancard dont on sc
sert dans les montagnes pour charrier les gerbes ou le fumier , . ."
Zur Herlcitung bemerkt er ib. „Le gase, liso, aliso, tralne pour
aplanir un labour, scmblc deriver du v. alisa, lisser; mais dans les
Alpes le V. hata signifiant „traluer sur le neige", lieio parait n'etre
qu'uue forme feminine de /zV, lit". Ch, Beauquier, Voc. kymol. des
jyrovincialismes usites dans le dSpart. du Douhs p. 185, verzeichnet
leue, lu, lue, ou glieu, s. f. traineau, und bemerkt dazu „En patois
de Montbeliard. on dit tme Hotte. Ce mot est de la montagne. A
Geneve et dans toutes les alpes de la Suisse romande, on rencontre
luge. Lucher., en patois jurassien, signifle glisser. On dit se lutchi.
Etym.: lisser . . . Allemand glitschen ... Du Gange a Lezia, espece
de char. Dans certains de nos patois, glisser sc dit leze, lezie, luchie.
La lettre / mouillee peut laisser supposer un radical gli, glieu, comme
on Ic prononce encore dans certains patois de la montagne". Aus
Z^liqzon's Glossar über die Mundart von Malm6dg (Zs. f. rom.
Phil, XVHI, p. 247 if.) notierte ich ligi, auf dem Eise glitschen, und
WortgesoJdchtliches. 301
lik' Eisbahn, kleiner Schlitten; letzteres u. a. auch Grandgagnage
Dict. II, 539. Nach Bodj' Voc. des charrons, charpentiers et
menuisiers p. 102 bedeutet in der Mundart der Ardennen ligue eine
gewöhnlich mit einem Pferde bespannte Schlitten- Art, die zum Trans-
port von Fässern, Holz u. dgl. dient. Vgl. die Abbildung bei Body
Tafel XIII, Figur 5. Von Zeliqzon Lothringische Mundarten p, 88
verzeichnetes gir^si/e, glir^sj/^, auf dem Eise glitschen (z. Vergnügen),
geht sicher auf gleichbedeutendes nd. glinsen (vgl. Th. Braune Zs.
f. rotn. Phil. XX, 367) zurück. Glichoire, glissoire, in Mons, wird
von Sigard Gloss.^ p. 197 zu dtscb. glitschen gestellt. Auf
rätoromanischem Gebiet begegnet man luso, kleiner Schlitten,
mit welchem sich die Kinder zur Zeit des Schnees unterhalten. Alton,
der dns Wort Lad. Idiome p. 249 mitteilt, bemerkt dazu noch:
„ferner haben diesen Namen auch größere Schlitten, mit welchem
im Winter das im Sommer gemähte Gras von den Alpen wie in
Schlittenfahrt nach Hause gebracht wird; das Etymon dürfte ludere-
lusum sein; gr. lueso, augm. luson, b. luesa, a. liosa, f. ISsd; vgl.
Schneller p. 239, der jedoch kein Etymon gibt". Gärtner Die
Gredner Mundart verzeichnet p. 134, gleichfalls unter Hinweis auf
Schneller, h'ieza Schlitten, insb. Handschlitten zum Holzfahren, und
luzör^ Schlittgestell, das für je ein Paar Räder (oder für die Vorder-
räder allein) dem Wagen untergesetzt wird. Wie viele der genannten
romanischen Wörter den gleichen Ursprung haben, bleibe hier dahin-
gestellt. Meinerseits halte ich germanische Herkunft zum mindesten
bei einer Anzahl derselben für nicht ausgeschlossen. Auf keinen
Fall kann, wie nicht näher ausgeführt zu werden braucht, das
von Alton vorgeschlagene ludere-hsum als Etymon in Betracht
kommen.
D. Behrens.
Iliaille 'Hacke', westf. mele 'Schaufel'. — Ndd. westf.
mele f. 'Kornscliaufel' (Woeste) beruht wohl auf frz. niaille f. 'breite,
spitzige Hacke'. Geht letzteres auf gr. [jl^/sX-/] f. 'Hacke, Schaufel,
Spaten' (durch vulg. lat. *macla) zurück?
poele 'Leichentuch, Schleier', ndd. nl. pel. — Mnd, pel m.
n. 'Tragring auf dem Kopfe; Kopfbinde; Brautkranz', nnl. peel f.
'Turban, breites Haarband' dürfte auf frz. poele m. 'Leichentuch;
Trauschleier; Thronhimmel' beruhen, dessen Etymon nach dem Biet,
gineral lat. pallium ist, vgl. nprov. pali, pail, pel bei Mistral. Der
Tragring war ursprünglich wohl nur ein zusammengelegtes Tuch!
Kiel. F. Holthausen.
302 A. Stenhagen.
Iielv^tique. In den Annales politiques et litUraires vom
28. Oktober 1906 bespricht M""® Yvonne Sarcey le Concours des
Dots und schreibt unter anderm Folgendes: Z,es mots: Fragile et
Manuscrits, voisinant cöte ä cöte, dureni heiller les inquietudes
lielvHiques\ le bizarre assemhlage de ces dSsignations contra-
dictoires donna sans doute ä penser quon tenait le fil d\m com-
plot et, pour le moins, toutes les bombes nihilistes. Der Zusammen-
hang gibt an die Hand, daß les inquietudes helvetiques "höllische",
d. h. "gräßliche", "kolossale" Besorgnisse bedeutet. Der Ausdruck
scheint wie pousser les hauts cris gebildet zu sein. Da indessen
helvitique einen ganz andern Sinn hat und sich nur auf die
schweizerische Republik bezieht, muß die Verfasserin irgendwoher
beeinflußt worden sein. Dann fragt es sich, ob es möglich wäre,
daß das schwedische Wort ^'helvetisk'^ im Sinne von "gräßlich",
"kolossal" der Verfasserin bekannt gewesen sei und ihr unbewußt
vorgeschwebt habe. Wie ist sonst dieser Ausdruck zu erklären?
NoRRKöPiNQ. Alfred Stenhagen.
Zeitschrift
für
französisck Sprache und litteratur
begründet von
Dr. G. Koerting und Dr. E. Koschwitz
Professor a. d. Universität z. Kiel •weil.Professora.d.Univers.z.Königabergi.Pr.
herausgegeben
Dr. D. Behrens,
Professor an der Universität zu Giessen.
Band XXXI.
Zweite Hälfte: Referate und Rezensionen.
Chemnitz und Leipzig.
Verlag von AVilhelra Gronau.
1907.
Inhalt.
Refkrate und Rezensionen.
Seite
Amic, H. Correspondance entre George Sand et Gustave Flaubert
(H. Gillot) 175
Barjols, — Le troubadour Elias Barjols p p. St. Stronski (E. Stengel). 19
Baur., A. Maurice Sceve et la Renaissance Lyonnaise (K. Glaser) . 39
Bayoi, A. Fragments de manuscrits trouves aux Archives du royaume
(D. Behrens) 26
Boissier, G. L'Academie Fran^aise (M. J. Minckwitz) 190
Brinkmann, Fr. Syntax des Französischen und Englischen in ver-
gleichender Darstellung (W. Horu) 121^
Brunetiire, F. Honore de Balzac (J. Haas) 59
Brunot, F. Histoire de la langue francaise des origines ä 1900 I
(E.Herzog) ° 5
Bulletin du dictionnaii-e generale de la langue wallonne (D. Behrens) 35
Crebillon der Jüngere, das Spiel des Zufalls am Kaminfeuer, deutsch von
K.Brandt (W. Golther) 164
Floire et Blancheflor s. Reinhold.
Franz, A. Das literarische Porträt in Frankreich im Zeitalter Richelieus
und Mazarins (W. Küchler) 52
Gassier, E. Les Cinq Cens Immorteis. Histoire de l'Academie Frangaise
(M. J. Minckwitz) 190
Godet, Ph. Madame de Charriere et ses amis (E. Ritter) 169
Guerlin de Guer, Ch. Atlas dialectologique de Normandie (H. Urtel) . 37
Guiraut von Calanso. — W. Keller. Das Sirventes „Fadet joglar" des
Guiraut von Calanso. (E. Stengel) 23
Huguet, E. La couleur, la lumiere et l'ombre dans les metaphores de
Victor Hugo (W. Küchler) 172
Kristian von Troyes, Yvain. Textausgabe mit Einleitung . . . hrsgb. von
W, Foerster 3© vermehrte Auflage (W. Golther) 162
Le Bourgeois, F. Postes, telegraphes, telephones (W. Küchler) . . . 205
Lemme, E. Die Syntax des Demonstrativpronomens im Französischen
(D.Behrens) SW
Lettres de Flaubert ä sa niece (H. Gillot) 175
Marolles, G. de. Langage et termes de venerie (D. Behrens) . . . 27
Massis, H. Commeut Emile Zola composait ses romans (W. Küchler) 57
Masson, M. Fenelon et madame Guyon (E.Ritter) 167
M^moires de la Societe neophilologique a Helsingfors (E. Herzog) . . 1
Nicolin, E. Les expressions figurees d'origine cynegetique en fran^ais
(D.Behrens) 28
Paris, G. Esquisse historique de la litterature frangaise au moyen äge
(E.Stengel) 15
Passy, P. Petite phonetique comparee des principales langues europeennes
(Ph. Wagner) 77
Seite
Poggio. — Die Schwanke und Schnurren des Florentiners Gian-Francesco
Por/gio Braccioltni, deutsch von A. Semerau (W. Gother) . . . 1G4
Fünfer, ./. und H'. Knhie, Lehrbuch der französischen Sprache für Lehrer-
bildungsanstalten (P. Dessoulavy) 107
Rabelais, Fr. Gargantua verdeutscht von E. Ilec/auer und Dr. Owlgass
(Joseph Fr an k) IG.")
Rabelais, Fr. Pantagruel. Erstes Buch. Verdeutscht von E. ikgauer
und Dr. Owlgass (Jose ph Frank) 165
Reinhold, J. Floire et Blancheflor (W. Golther) 163
Rochellave, S. George Sand et sa fille d'apres leur correspondance
(H. Gillot) 175
Rockel, K. Goupil. Eine semasiologische Untersuchung (D. Behrens) 29
Rolland, E. Faune populaire de la France VII (D.Behrens) . . . 119
Romanische Schelmenromane deutsch von J. Ulrich (W. Golther) . . . 164
Schulausgaben ( W. Kalbfl ei sch und W. Küchler) 200
Schultz- Goi-a, 0. Altprovenzalisches Elementarbuch (L. Gauchat) . 115
Schwend, F. Zum tranzösischen Unterricht an Oberklassen
(E. ühlemann) 80
Sieinweg C. Corneille. Kompositionsstudien zum Cid, Horace, Cinna,
Polyeucte (W. Küchler) 43
Suchier, H, Die französische und provenzalische Sprache und ihre
Mundarten (J. Huber) 107
Thomas, Louis. La maladie et la mort de Maupassant (W. Küchler) 174
Waidberg, Max Freiherr von. Der empfindsame Roman in Frankreich
(W. Küchler) 46
Weston, Jessie L., The legend of Sir Perceval 1 {E. Brugger) . . . 122
Zangroniz, J. de. Montaigne, Amyot et Saliat (W. Martini) ... 42
MiSZELLE.
Hausknecht, E. Dr. phil 82
NOVITÄTENVERZEICHNIS 83. 207
Gebhardt, Jahn & Landt G. m. b. H., Berlin W.- Schöneberg.
Referate und RezeDsionen.
M^moires de la Soci6te n^o-pliilologique ä Helsingfors
IV. Helsiugfors, Wasenins (1906). 409 SS. 8».
Oiva Joh. Tallgren, Las z y 5 del antiguo castellano ini-
ciales de silaba, esiudiadas en la inedita ''Gaya de Segovia S. 1 — 50,
dazu Nachträge und Verbesserungen S. 397 — 401, untersucht im
Anschluß au die Studien von Cuervo und Ford auf die beiden Pala-
tale hin das Material, das von dem in einer Madrider Hs. enthaltenen
Traktat Gaya ö Consonantes de fPero Guill^n de] Segovia aus
dem letzten Viertel des 15. Jahrb. geboten wird. Dieses "Werk scheidet
die beiden Laute noch ziemlich genau, doch kommen bereits Ver-
mischungen vor (S. 33). Das Hauptinteresse liegt naturgemäß in der
Darstellung von lat. ti und ci zwischen Vokalen. Während das ton
Ford für tj aufgestellte Resultat z (unabhängig vom Akzent) sich
bestätigt — an neuen sicheren Beispielen kommt allerdings außei-
zahlreichen Wörtern mit Suffix -eza nur hezo^ hezar VITIU hinzu — ,
gelangt er zu einer anderen Auflassung bezüglich ci. Hier hatte Ford
als regelmäßige Entsprechung g angenommen und die Ausnahmen
mehr oder weniger wahrscheinlich zu deuten gewußt. T. hält dagegen
auch hier z für das richtige Ergebnis; doch kommen außer mehreren
neuen Wörtern mit Suffix a(^o und igo nur hinzu: fazana, das nichts
beweist, da es, wenn die Ableitung von *FACIANIA überhaupt richtig
ist, von fazer beeinflußt sein kann, erizo und das wichtige lizo
LiCIU. Die widerstreitenden Worte mit f sucht er durch Annahme
einer Entlehnung aus anderen romanischen Sprachen — nicht für
alle Fälle sehr wahrscheinlich — zu erklären. Immerhin bleiben:
coragon, ferner pedaco, asp. amenaca etc. neben amenaza, judensp.
amenasar^ neben -zar-, judensp. laso neben azo, riso neben rizo;
und eigentümlich ist es, daß die Bildungen auf -iceu, -aceu, die
erweisbar lateinisch sind, c entweder allein oder neben ~ aufweisen:
^) Sllbak, Judenspan, aus Saloidki. S. 11.
2) Die übrigen judenspan. Belege aus der gründlicheu Studie von Subak,
Z.f. r. Phil. XXX (161 ff.). Auch dieser nimmt gleiche Behandlung für die
beiden Lautgrnppen, jedoch Verschiedenheit nach der Tonstolle an: nachtonig
s, vortonig z. Jedoch ist seine Erklärung des Suffixes -eza, forner von koras&n
kaum annehmbar.
Ztschr. f frz. Spr. u. Litt. XXXI . 1
2 lieferaie und Rezensionen. E. Herzog.
coraga^ pellipa, peraga neben peraza, dazu wahrscheinlich das nach
der Verbreitung in den romanischen Sprachen sich alt erweisende
cedaco, judensp. sedaso, während die andern F<älle durchwegs jüngere
Jiildungen sind. Die schwierige Frage bleibt also bis auf weiteres
otreu. — Die Herausgabe des Traktats, aus dem T. geschöpft hat,
wäre jedenfalls wünschenswert, da noch in anderen Punkten wichtige
Aufklärungen zu erwarten sind.
Torsten Söderhjelm, J)ie Sprache in dem altfrz. Martins-
leben des PSan Gatineau aus Tours, eine Untersuchung über Laut-
verhältnisse und Flexion., Vers und Wortschatz SS. 51 — 233, gibt
eingehenden und sachkundigen Aufschluß über die Sprache und Metrik
des in mancher Beziehung eigentümlichen Denkmals. Schade nur, daß
S. nicht auch die in manchen Punkten beachtenswerten syntaktischen
Besonderheiten in den Kreis seiner Untersuchung einbezogen hat.
Trotz der Ausführlichkeit wünschte man über manche Punkte noch
bestimmtere Auskunft; so möchte man gern wissen, welches die drei
Fälle sind, in denen das Dativpronomen li sein i vor anderen Wörtern
als en elidiert (S. 86), ferner wie sich li als nom. plur. in Bezug
auf Elision und Nicht-Elision verhält; auch wären wohl die Fälle
genau anzuführen gewesen, wo sich in der Hs. die Schreibung ei für
a nach Palatal findet (104): wenn man die Fälle von ei für ie aus e
(S. 115) dazuhält, so scheint mir, als ob die Schreibungen nicht wie
S. will, an bestimmte Bedingungen geknüpft sind.
Einige wenige Bemerkungen im Einzelnen: S. 94, die Form
clief, die S. sonst nicht angetroffen hat, findet sich mit ähnlichen in
Mace de la Charite, Hs. P, (vgl. meine Untersuchungen S. 16), die
überhaupt in der Sprache manche Ähnlichkeit mit Pean de Gat. hat.
— S. 130. Daß cesse auf cessat zurückgeht, ist um so wahrschein-
licher, da sich in pik. Hss. ciese u. ä. findet. — S. 144. Vortonig
Q -\- n^ >- ä. Genauer: g -}- m, denn Belege existieren nur für
eommeatu, comput-, unbet. homo vor konsonantischem Anlaut. —
S. 147 pui 3104, 5095 natürlich nicht PUTEU, sondern PODIU;
pois 510 deverbal zu peser. — S. 151 puist statt piiis in der
zweiten Ausgabe offenbar Druckfehler. — S. 152. Die beiden Fälle
von t> d nicht an gewisse vorhergehende Konsonanten gebunden;
sondern laisarde Suffixtausch, rende abweichendes Datum der Synkope
des Zwischenvokals (vgl, aragier, pefrjge). — S. 154 cercha ist
doch keine Ausnahme von c"'>ch. — S, 170 doivent 3560 muß
nicht Konj. sein. — S. 188 romanz ist der ursp. richtige Oblicus.
— S. 191 jenvres etc. keine Komparativform, vgl. 8373 (das Kichtige
auf S. 160). — S. 224 reboner, 1. rebondre.
Hugo Pipping, Zur Theorie der Analogiebildung, S. 235
bis 318, unterscheidet zwei Arten der Analogiebildung, die „erhaltende"
und die „schaffende". Er nennt „erhaltende" diejenige, die bewirkt,
daß eine Form unverändert bewahrt wird, obwohl sie sich nach den
Normen der regulären Lautentwickelung verändern müßte. Erhaltende
Memoires de la Societe neo-pJdlologique ä Helsingfors IV. 3
Analogiebildung wäre es also z. B. nach P., wenn das Verb /iazr,
häissons nach dem Muster der andern Inchoativa seine Silbenanzahl
beNvahrt trotz lidine > haifie, raiz > rai[fort] oder wenn pleni ebenso
viie plenu, plenos etc. im altfrz. mit ei erscheint, trotzdem wir nach
veni > vin *plin erwarten müßten. Bei der „schaffenden" Analogie-
bildung tritt eine Form zutage, die bis dorthin nicht vorhanden war;
ein frz. Beispiel wäre also aimez für amez etc.
P. behauptet nun, daß die erhaltende Analogiebildung eine
größere Kraft besitze als die schaffende. Durch diese stärkere
Wirkung sucht er eine große Reihe von Inkonsequenzen, die sich bei
der Durchführung des Umlauts in den altnordischen Kompositis, ferner
in der altnordischen Deklination und Konjugation ergeben haben, zu
erklären. Es kann nun nicht meine Aufgabe sein, in ein mir fern-
liegendes Fach eindringend, die Richtigkeit der Auffassung des Vf.
zu prüfen; auch würde eine derartige Untersuchung außerhalb des
Rahmens dieser Zs. liegen. Immerhin möchte ich die Bemerkung
nicht unterdrücken, daß z. B. eine Verschiedenheit, wie sie zwischen
hiarg und herghüi besteht, sich vielleicht doch auch noch anders
befriedigend erklären läßt — selbst wenn man die Ansicht des Vf.
teilt, daß in der Komposition berga- das a früher verloren ging als
im Simplex, und daß zu jener Zeit, wo a im Kompositum fiel und e
zu ia hätte werden sollen, dieser Wandel durch das Simplex verhindert
wurde. Man muß nicht, wie ich glaube, annehmen, daß dann, als das
Simplex seinerseits zu biarg wurde, eine Beeinflussung von diesem
Worte nicht mehr hätte ausgehen können, weil dies eine schaffende
Analogiebildung, also nach P. eine solche von geringerer Kraft, gewesen
wäre. Die Bestandteile eines Kompositums schließen sich ja immer
im Laufe der Zeit enger aneinander — besonders leicht, wenn Silben-
verlust eintritt — , das Gefühl der Einheitlichkeit des Wortes festigt
sich; dadurch wird naturgemäß der Zusammenhang mit dem Simplex
etwas gelockert, und das reicht hin, um das Nichteintreten einer
zweiten aualogischen Beeinflußung zu verstehen.
Das eine darf man wohl jedenfalls behaupten, daß es ein wenig
gewagt ist, Belege für einen erst zu beweisenden prinzipiellen Satz
von ziemlicher Tragweite in einer Epoche zu suchen, für die wir
nahezu keinerlei schriftliches Material haben, für die wir also auf
Rekonstruktion angewiesen sind. Nach meiner Ansicht wäre es
methodischer gewesen, die Richtigkeit dieses Satzes erst an
Hand von Erfahrungen aus lebenden Mundarten oder zum mindesten
von Belegen aus einer längeren Epoche einer Sprachentwickelung,
über die wir durch Literaturdenkmäler orientiert sind, zu erproben.
A priori hat die These Pippings unzweifelhaft manches für sich. Ein
Romanist aber fragt sich doch: wie ist es dann überhaupt zu einer
Form leve < lavat gekommen, die dann später durch eine schaffende
.Analogiebildung wieder beseitigt werden mußte? wenn die erhaltende
stärker ist als die schaffende, warum hat sie nicht von allem Anfang
1*
4 Referate und Rezensionen. E. Herzog.
an die Bildung eines leve verhindert und an dem a des lateinischen
festhalten lassen? Analoge Beispiele würden sich gewiß auch in
dem engeren Gebiet Pippings ergeben haben.
Arthur LTingfors, Li 'Ave Marict en rounians par Huon
le Roi de Cambrai, pxibli(^ ponr la premiere fois, S. 319 — 362,
gibt eine kritische Ausgabe dieses Denkmals. Es ist das eine Art
Paraphrase des lateinischen Ave Maria in achtsilbigen äquivok
gereimten Verspaaren, in der jedes lateinische "Wort dieses Textes
als Ausgangspunkt für religiöse Betrachtungen dient. Von demselben
Dichter ist auch ein analoges Werk: „li abeces par ekivochc et li
significations des lettres" bekannt, ferner .,11 regres No^tre Dame",
„li ver de Ic mort" und ein .Leben und Märtyrertum St. Quentius'.
Das Ave Maria existiert in 2 Hss., deren Sprache L. in der Einleitung
untersucht, im Anhang zu seiner Ausgabe folgt eine Notiz über andere
Ave-Mariaparaphrasen, der Abdruck einer zweiten anonymen Dichtung
in Heliuandstrophen und ein kurzes Glossar zu beiden Gedichten.
Zu dieser Ausgabe hat bereits Toblcr wertvolle Anmerkungen
in der Zs. f. r. Ph. XXX .oSO f. veröffentlicht. Hier nur noch ein
paar Kleinigkeiten.
83 S'enclus estiens taut et rendu ')
Ne li^) ariemes re^idu
Ja 7nais meris les tormens fers.
Tobler will ja mais in ne ja ändern. Das ist wohl nicht nöiig,
mens könnte prädikativ sein 'wir würden sie ihm als vergoltene nicht
zurückerstattet haben', wie etwa iwove in den folgenden Beispielen:
Si tost con Volcanus le sot Qiii pris provez ('als überwiesene')
andeus les ot, s. Godefroy s. prover, donc ne vos mend)re Que ge
hersoir en ceste chambre Pris pronve vostre lecheor Des tresces
Bartsch LL 62434, iions Vavons tote provee Avec un jovencel trovee,
Mace d. 1. Ch. 19391. — 241 ist mit 11 voirre zu lesen vgl. 243. —
289 Oest Ave Maria defin
Par TUI qrii est en la pn.
Besser Cest: depn l.Pers. Präs. — III 10 clous 1. cleus, pikardische
Form. Pikardisch ist ja auch encoire (: croire)., wie der Heraus-
geber selbst erwähnt.
Zum Glossar: aport 57 nicht 'souticn', sondern 'das Gebrachte,
Herbeigetragene", gemmer 189 wäre zu erwähnen gewesen, da
Godefroy {g. 1) blos ein Beispiel gibt, ebenso ^ri = 'Ruf' (Fama) 198.
J. Poirot, Quantite et accent dynamique (iravail du laboratoire
de Physiologie ä Vuniversite de Helsirigfors, section de pli07i€tique
expirimentale) S. 363 — 396, bekämpft die Theorie Rosengrens, nach
der der dynamische Akzent, mit dem die heutige Philologie arbeitet,.
') 'Wenn wir alle Klausner und Ortlensbrüder wären' Tohler.
-J Jesus Christus.
F. Brunot. Histoire de la Langue francaise. 5
nicht auf Wabrnchiuung einer giößeren Ton- oder Druckstärke, sondern
auf der Wabruelimung der Quantität beruht, auf der relativen Distanz
eines Soiioritätsniaximura vom andern. Dieser hatte sich bei seiner
Behauptuncr auf folgendes Experiment gestützt: Die Lautverbindungen
sörrägls, qttigäs, in den Phonograph hineingesprochen und mit ver-
kehrter Walze reproduziert, ergaben nicht wie man meinen könnte,
sigarrös, sagiitd, sondern sigdrros, sagitta. P. bat nun für die
Lautgruppen sätas, sätas, sättas mit genauen Registrierapparaten die
musikalische Höhe und die rela'ive Stärke im Verlauf der Artikulation
der Vokale verfolgt, außerdem für die Lautgruppen dpa, dpa, äppa
den Lippendruck und die Muskelspannung im Verlauf der Artikulation
der Konsonanten, Das Resultat der mühevollen Untersuchungen und
Berechnungen ist, daß die Wahrnehmung der Stärke bei dem
dynamischen Akzent tatsächlich eine Rolle spielt; wenn man die
Kurven und Zahlen verfolgt, sieht man auch den Unterschied zwischen
betonten und unbetonten Vokalen deutlich. Er gesteht andrerseits
R. zu, daß auch die Quantität in den Sprachen mit dynamischem
Akzent eine große Rolle spiele, ohne aber diesen Punkt näher zu
berühren und ohne uns zu sagen, ob dieses Eingeständnis durch seine
experimentellen Erfahrungen veranlaßt wurde. Die von R. beobachtete
Erscheinung [sigdrroa etc.) erklärt sich durch den Umstand, daß
bei Aussprache von Doppelkonsonanten die Energie der Artikulation
sich in dem vorhergehenden Vokal steigert, in dem Doppelkonsonanten
ihr Maxiraum erreicht, im nachfolgenden Vokal wieder abnimmt. Es
scheint also unter Umständen eine Steigerung des Druckes als Akzent,
eine Abnahme als Tonlosigkeit empfunden zu werden, Interessaiit
ist übrigens, daß jenes Maximum in Doppelkonsonanten — • wenigstens
bei der Aussprache Poirots und bei jenen ad hoc geschaffenen und
gesprochenen Gruppen — eigentlich aus zwei Maxima besteht, wo-
durch der Verfasser die von Sievers ausgesprochene Auffassung: Druck-
grenze in der Mitte der Doppelkonsonanten, bestätigt siebt.
Den Band beschließt eine von M. Wasenius aufgestellte Liste
von Arbeiten, die in den Jahren 1902 — 1905 in Finnland über
moderne Sprachen und Literaturen veröffentlicht wurden,
Wien, E. Herzog.
Brunot, F. Histoire de la Langiie frangaise des origines d 1900.
Tome I: De l'epoque latine i\ la Renaissance, Paris, Arm,
Colin 1905. XXXVHI u, 547 pp, 8^.
Brunots Geschichte der französischen Sprache ist aus den
Artikeln hervorgewachsen, mit denen er Petit de JuUevilles Literatur-
geschichte begleitet hat. Sie sind aber vielfach erweitert, verbessert,
ergänzt worden, haben mit einem Wort eine so gründliche Umarbeitung
erfahren, daß der Ursprung zum großen Teil verwischt ist. Immerhin
6 Referate und Rezensionen. E. Herzog.
war durch diese Entstehungsweise der allgemeine Plan vorgezeichuet
und durch diesen Plan unterscheidet sich Brunots Werk wesentlich
von den beiden andern historischen Grammatiken, die bis jetzt verfaßt
worden sind, der von Darmesteter und der von Nyrop. Sie ist
nämlich nach chronologischen Abschnitten und nicht nach grammatischen
Kategorien: Lautlehre, Formenlehre etc. angeordnet. Es zerfällt alsa
der bis jetzt vorliegende erste Band im ganzen großen in vier Teile;
der erste beliandelt das Vulgärlatein, der zweite das Altfranzosische
bis zum 12. Jahrh. inkl., der dritte das 13, Jahrb., der vierte das
14. u. 15. Jahrh. Erst jeder dieser Teile ist wieder in Laut-,
Formenlehre, Syntax und Lexikologie eingeteilt. Außerdem wird der
Leser in einem voraus- oder nachgestellten Kapitel über die äußere
Geschichte der Epoche und Dinge allgemeiner Art informiert.
Dieser Plan hat unleugbar manches für sich: Der Leser er-
hält ein abgeschlossenes Bild von den einzelnen Perioden; er orientiert
sich besser über die Chronologie der Vorgänge; bei dem innigen
Zusammenhang, der zwischen den einzelnen Partien der Grammatik
herrscht, ist es oft nötig, daß er z. B. in die Formenlehre und Syntax
der vorhergehenden Periode eingeweiht sei, um lautliche Verschiebungen
und besonders die Ausnahmen der lautlichen Entwicklung der nächsten
Periode zu verstehen. Andrerseits hat aber diese Einteilung auch
ihre Nachteile: sie setzt voraus, daß die Wissenschaft sich auch in
den Details zu einer chronologischen Sicherheit durchgerungen hat,
von der sie zumeist noch weit entfernt ist, daß sie, mit andern
Worten, sichere Daten über das erste Auftreten, über die Verbreitung,
über das Absterben der Formen, Wörter, Fügungen biete, was sehr
oft leider nicht der Fall ist. Und so ergeben sich bei dieser Be-
handlung notwendig allerhand Unklarheiten, Widersprüche, Wieder-
holungen. Dies macht sich auch in Brunots Buch fühlbar und so-
gar mehr als es vielleicht nötig gewesen wäre. Denn nach meinem
Dafürhalten ist die Sonderstellung, die die Sprache des 13. Jahrh.
hier einnimmt, keineswegs berechtigt; das Französische ist während
des 12. 13. Jahrh. und der ersten Hälfte des 14. Jahrh. relativ
ziemlich stationär gewesen und diese Periode ist nun in drei ver-
schiedene Kapitel zerzogen. Anderseits hätte der Abschnitt über das
Mittelfranzösische wohl ohne großen Schaden das 16. Jahrh. mit-
umfassen können; zum mindesten scheinen mir die Gründe, mit denen
der Verfasser S. 533 den Abschluß des ersten Bandes an der Schwelle
desselben zu rechtfertigen sucht, keineswegs stichhältig.
Abgesehen davon verdient die Gründlichkeit und Sachlichkeit
des Gebotenen Lob. Br. hat einen guten Blick für das Wichtige
und Unwichtige. Überall waltet ein kritisch abwägender Geist; stets
wird vor zu weit gehenden Verallgemeinerungen gewarnt. Manchmal
freilich werden vorher ausgesprochene Behauptungen durch derartige
kritische Erwägungen so sehr reduziert und eingeengt, daß man sich
nur mehr schwer zurechtfindet, z. B. wenn er S. 108 (ähnlich schon
F. Brunot. Histoire de la Langue frangaise. 7
S. Vni) mit dem Prinzip operiert, daß gar zu kurze Wörter wenig
Lebensfähigkeit hätten, auf derselben Seite aucli behauptet, daß
Homonymität der Grund für den Verlust mancher Wörter gewesen sei
und beide Behauptungen in Fußnoten wieder nahezu zurücknimmt.
Dies zeigt .sich besonders in den Abschnitten, die von der äußern
Geschichte der Sprache handeln. Diese sind sehr instruktiv und bieten
reicheres Material, als man es sonst findet — freilich nur insofern
als Vorarbeiten vorhanden waren, aus denen Br. schöpfen konnte;
deshalb fehlt grade so wie bei Nyrop in dem Kapitel, das die Verbreitung
des Altfranzösischen außerhalb des französischen Gebiets behandelt,
ein Abschnitt über den Einfluß der französischen Sprache und Literatur
auf der iberischen Halbinsel, ferner über Französisch auf provenzalischem
Sprachgebiet, worüber manches hätte gesagt werden können und müssen,
da Südfrankreich damals ein schriftsprachlich getrenntes Gebiet
war; ebenso vermißt man einen Abschnitt über die Grenzen des
französischen Sprachgebiets in Vergangenheit und Gegenwart — . Hier
nun bei der Darstellung der Gesammtgescbichte der Sprache, ist man
bei der Beurteilung des historischen Verlaufs oft mehr auf gewisse
Anzeichen als auf ein sicheres Tatsachenmaterial angewiesen und
diese Anzeichen, verschieden gedeutet und gewertet, konnten ganz
verschiedene Bilder der Vorgänge hervorrufen. Ein Beispiel bietet das
Kapitel über die Latinisierung Galliens. Die verschiedenen sich
gegenüberstehenden Ansichten werden von Br. einer sehr skeptischen
Prüfung unterzogen und die Zeugnisse der lateinischen Schriftsteller
auf das genaueste geprüft. Dieses Abwägen ist ja gewiß von Nutzen
und förderte allerhand neue Momente zutage; nur wünschte man, daß
sich die Ansichten des Verfassers unter den kritischen Schleiern,
die sie maskieren, deutlicher abheben als es der Fall ist.
Was den grammatischen Teil selbst betrifft, so hat sich der
Verfasser nicht damit begnügt, die vorhandene Literatur recht sorgfältig
heranzuziehen; er hat sich auch dort, wo sie Lücken läßt — und das
war besonders für die syntaktischen und lexikalischen Teile der Fall,
ferner in der mittelfranzösischen Periode in jeder Beziehung — durch
eigene umfangreiche Sammlungen das nötige Material versorgt und da-
durch manche neue und wichtige Erkenntnis ermöglicht. In Discussionen
über strittige Punkte läßt sich der Verfasser — in hinsieht der haupt-
sächlich didaktischen Zwecke, die er verfolgt, mit Recht — nur in
Ausnahmsfällen ein. Überhaupt ist es ihm mehr um die Konstatiruug
als um die Erklärung der Tatsachen zu tun. Freilich begegnen ihm
manchmal, wenn auch im ganzen selten, mehr oder minder bedenkliche
Entgleisungen, die zeigen, daß er den Stoff mehr äußerlich aufgenommen
als innerlich verarbeitet hat und daß er besonders in der alten Sprache
nicht so sattelfest ist, wie man es wünschte und wie es sich für den
Autor eines solchen Buches eigentlich von selbst verstünde. Das werden
manche der Einzelheiten beweisen, die ich mir bei der Benützung
des Buches notiert habe und die ich nun vorführe.
8 Referate und Rezensionen. E. Herzog.
S. 64. Ann). 4. Es ist nicht recht klar, wie der Grammatiker
Consentius die Form trinta meinen konnte, als er die Aussprache
triginta tadelte.
S. 69. 'ce ne fut guero que dans TEst de la Ganle qu'il {w)
sc pronon^a tel quel.' Auch im Norden; vgl. Gil. Atl. 626, 672.
Nichtig auf S. 311.
S. 70. Die Ansicht, daß der Wandel von intervokalisch h> v
dadurch daß er Futur und Perfekt zusammenfallen ließ, zum Untergang
des ersteren beigetragen hat, wäre an und für sich kaum haltbar und
stimmt auch deshalb nicht, weil das vulgärlateinische Perfectum der
I. Konjug. in der 3. Sg. — aut (oder \. — a?;^?), — at aufwies, ent-
sprechend wol in der 1. PI. und das sind die einzigen Formen, die
in betracht kämen.
S. 73. Die Vermutung, daß es sich in Fällen wie veclum
statt vetulum um einen Sufiixtausch handelt, wird Beispielen wie
stloppus > "^sdoppus {praeter schqmverit Lex Sah), stlitis > sclitis
nicht gerecht.
S. 74. Es scheint, daß man sich auf spanisch encia nicht berufen
kann, um eine dissimilierte Form *cfinciva für gwgiva wahrscheinlich
zu machen; es hieß vermutlich altsp. enzia, Tallgren, Mem. de la
Sog. nSoph. a Hels. IV 19. enzia > encia wie senziello < sencillo
Ford, Old span. sib. 27 f.
S. 75. Warum schon vulgärlt. dictu > dlctu, also eine so
frühe Abtrennung der südöstlichen Mundarten in diesem Punkt?
S. 77. .,Toutefois il semble quo des cette cpoque (latin parle)
la forme neutre etait bien indistincte dans les noms et les adjectifs."
Das Neutrum der Adjectiva existierte doch bis weit in die altfranzösische
Zeit hinein, wie richtig S. 183 konstatiert wird.
Ebda, carcer war doch kein Neutrum!
S. 78. fortia und wahrscheinlich auch campania waren nicht
ursprünglich neutra plur.
S. 79. Anmerkung 1. sedcs ist doch kein Wort der b.,socrus
keines der 3. Deklination.
S. 80. Die Diskussionen, die sich zwischen den lateinischen
Grammatikern erhoben, wie viele Endungen es im Nominativ Singul.
gäbe, beweisen bloß, daß sie noch nicht die induktive, auf möglichst
viel Material gestützte Methode der modernen Linguistik kannten.
Die Grammatiker werden denn doch für jedes schriftlateinische
Wort die Endung gut genug gewußt haben, um sich nicht durch die
Analogiebildungen der Vulgärsprachen verwirren zu lassen.
S. 80. Die Annahme, daß im vulgärlateinischcn das Gerundium
(g6rondif) im schwinden begriüen war, ist mir unverständlich.
S. 88. Man weiß jetzt, daß ein nigrescire statt nigrescere
nie bestanden hat.
S. 89. tenire, nocere fürs Vulgärlateinische anzusetzen, besteht
kein Grund.
F. Brunot. Histoire df la Ijcwgiie francaise. 0
S. 90. f. Wendungen wie properant sanctae, civitatis prosterna-
mus terrae^ terrae decuhuerunt, die wir bei spätlateinischen Autoren
linden, legen wohl nicht Zeugenschaft für die Ausbreitung des Dativs im
vulgärlateinischen ab. Es dürfte sich im Gegenteil um verkehrte
Sprechweisen handeln; da in der Vulgärsprache ad oft eintrat, wo
man im klassischen Latein Dativ setzte, so vergriff man sich wohl
gelegentlich bei dem Bestreben, sich von der vulgären Ausdrucksweise
zu entfernen.
S. 96. In eo anno u. dgl. gut lateinisch.
S. 97. Daß die mit ecce verbundenen Formen des Dem.- Pron.
allein demonstrative Kraft bewahrten, durfte mit Rücksicht auf den
S. 233, 462 erwähiiten Gebrauch von altfrz. Je und das vereinzelte
Fortleben von istu {est) und ipsu {es) nicht gesagt werden.
S. 106. In der Liste der vulgärlateinischen Wörter, die in andern
rom. Sprachen erhalten sind, im französischem aber nicht, sind zu
tilgen intivgcre (afr. enteindre), tincta {leinte), trihida (Gdfr. triihle 1),
absentia (sp. ausencia gelehrt!); unsicher sind actu (das spanische
Wort sicher, das italienische Wort wahrscheinlicli gelehrt), timore
uva turrna (altfranzösisch dialektisch temour uve torme nicht notwendig
gelehrt).
S. 108. Daß je ein JMoment kam, respektive gekommen wäre,
wo hospitium und auspiciimi zusammenfielen, wird mancher billig
bezweifeln.
S. 109. Der Verfasser spricht von den Verlusten der vulgär-
lateinischen Sprache, der Verarmung, die dadurch erzeugt wurde, dem oft
fehlenden oder nur unvollständigen Ersatz für verloren gegangenes Gut.
Aber hier sieht er die Vorgänge entschieden nicht im rechten Licht und
vergißt ganz ihre andere Seite, nämlich den Zuwachs, den die vulgäre
Sprache durch Ableitung, Entlehnung, vielleicht auch Neuschöpfung
erfahren hat. Gewiß sind diese Gewinnste der Sprache nicht darauf
zurückzuführen, daß sie früher Verluste erlitten hat, die nun ersetzt
werden mußten; sondern offenbar hat in vielen Fällen gerade der Reich-
tum, der £0 entstanden war, eine Auswahl des Lebensfähigsten veranlaßt
und damit Aufgeben von lateinischem Gut. W^enn Dr. z. F.. sagt: ,^vir
etait insuffisamment remplace par ]wmo\ splendorem et nitorem par
claritatem; tenehras et obsciiritatem i)ar nigritatem; litliis, oj^am et
ripam par le seul ri'pam\ alia, cetera, reliqua par le seul altera"',
so ist ja einiges davon nicht unrichtig; aber es ist nicht zu übersehen,
daß a) andererseits ein Teil der Gebrauchssfäre von vir durch haro,
ein anderer durch maritus gedeckt wurde, welch letzteres, ursprünglich
Adjektiv, in dieser Verwendung wieder von sposiis, maritaius abgelöst
wurde; b) splendore ist vielleicht nicht völlig aufgegeben worden,
sondern erst von esplendissor verdrängt worden als das Verbum selbst
die inchoative Gestalt angenonmien hatte, ähnlich wie resplendissance
ein älteres '*resplendance (prov. resplandm^a aus resphndentia,
10 Referate und Rezensionen. E. Herzog.
[August,]; fehlt bei Körting) verdrängt haben mag; dann hat es jeden-
falls auf die Bildung von resplendor Einfluß gehabt, neben dem in
gleicher Weise resptendissor zustande kam. Für nitore haben wir das
jedenfalls schon lateiniscbe Hucore, vielleicht auch *relucentia, auch
lucerna berührte sich z. T. c) obscuritate besteht als oscurte weiter;
an seiner Volkstümlichkeit zu zweifeln haben wir keinen Grund; was
aber ienehras betrifft, so wissen wir nicht, ob sich die Sache so verhält,
daß das Wort für einige Zeit ganz verschwunden wäre, und dann
wieder in der Gestalt tenebres aus dem lateinischen entlehnt wurde.
Es könnte sich auch ganz gut so verhalten haben, daß ursprünglich
neben einem volkstümlichen *tenevras> *tenievres oder ä. eine gelehrte
Form tenebres bestanden hat, von der dann tenebror weiter gebildet
wurde, wie etwa im altfranzosischen die Formen verte und verite
einträchtig nebeneinander hergehen. Das Fortleben von tenebras in volks-
tümlicher Gestalt in andern romanischen Sprachen, das Weiterbestehen
von tenebricu > tenerge spricht vielleicht eher für die zweite Möglichkeit.
Dann hätten wir aber statt der angeblichen Armut im Gegenteil Reichtum,,
sogar Überfluß, d) für das verloren gegangene littus haben wir an
Neubildungen zu verzeichnen *ripaiicu, *ripale, ripariu, -a; ora
ist überhaupt nicht verloren gegangen, ein Beispiel bringt Gdfr. ore
3, und jedenfalls besteht die männliche Form eur, ferner '^orida >
orle; daneben hat costa und costaria die in Frage stehende Bedeutung
übernommen. Nun läßt sich allerdings nicht feststellen, wie weit diese
Neubildungen, respektive Bedeutungsverschiebuugen zurückreichen, aber
auch nicht wie lange das lateinische litus bestanden hat. e) wenn
auch alia nicht mehr besteht, so ist doch noch alid, vorhanden, das
sich in der Verwendung z. T. damit deckt. In die Sfäre von cetera^
reliqua teilen sich im altfranzösischen le sourplus, le sourfait, le demev-
rant. Wann diese Ausdrücke aufkommen, die andern absterben, ist eben-
falls unsicher. — Ich bin näher auf diesen Punkt eingegangen, weil ich
es für gewagt halte, ein Urteil über Wortreichtum oder Wortarmut
einer Periode abzugeben, deren Sprache sich in keinerlei Denkmälern
getreu wiederspiegelt. Dasselbe gilt dann auch für die auf S. 110.
erwähnten angeblich ohne Ersatz verschwundenen Wörter. Wenn vieles
davon auch auf den ersten Anblick richtig scheint, so ist doch nicht
zu vergessen, daß oft eine Idee, die früher durch ein Wort der einen
Wortkategorie ausgedrückt wurde, nun bei veränderter Konstruktion
in einer anderen Wortart wiedergegeben sein mag, ein Substantiv durch
ein Verb, ein Adjektiv durch ein Substantiv etc. Was der Lateiner
durch eine Fügung mit opinio ausdrückte, konnte im altfranzosischen
ganz anders gewendet mit croire, sembler^ vis est, a vis est etc.
gesagt werden, was dem Lateiner necessarium schien, für das bestand
beim Franzosen ein mestier, oder auch Fügungen mit estovoir, avoir
a, estre a, devoir konnten das lateinische Adjektiv ersetzen. Eine
Sprache mag noch so reich sein, wenn man aus einer anderen in sie über-
setzt, wird man oft zu ähnlichem Konstruktionswechsel greifen müssen.
F. Brunot. Histoire de la Langue franpaise. 1 1
"Was die Abstrakta betrifft, so ist ja gewiß kein Zweifel daran möglich,
daß die Vulgärsprache daran ärmer war als die klassische; aber
wenn auch manches unersetzt bleibt, so ist doch wieder daran zu er-
innern, daß sich manches herausbildet, das wieder in der klassischen
Sprache schwerlich eine genaue Entsprechung findet; ich erinnere an
altfranzösisch estre und nonchaloir, an franchise und cointise, etiui,
felonie, fiance^ mesure etc. Und noch einmal: wenn wir nicht wissen,
wann diese Ausdrücke mit den ihnen eigenen Bedeutungen entstanden
sind, so wissen wir auch nicht, wann die klassisch lateinischen verloren
gingen, wissen ferner nicht, ob in der Zwischenzeit von mehr als
einem halben Jahrtausend, über die wir so schlecht orientiert sind,
weil die Autoren, die lateinisch schreiben, mit Bewußtsein sich der
aufkommenden Neologismen zu enthalten trachten, nicht mancherlei
anstanden ist und gelebt hat, was nachher wieder verschwand, ohne
eine Spur zu hinterlassen.
S. 111. Brunot spricht vom Suölxtausch. Als Anhang: 'le
phenomene se produit parfois par analogie . . .": immer.
S. 114, mitricia. Kein Stern.
S. 117. pausare ist kein Frequentativ zu ponere, wenn es auch
später als solches empfunden wurde.
S. 127. jplevir (irrtümlich mit Stern). Die Etymologie germ.
plehan mehr als fraglich.
S. 140. Wie manatiat das frz. menace besser erklären soll als
minatiat, verstehe ich nicht.
S. 154. Die Vorgänge, die sich abspielten, wenn auf den betonten
Vokat ein jotazierter Laut folgt, sind nicht sehr verständlich dargestellt.
Man begreift nicht, wie hier von Deckung und Nicht-Deckung durch
y gesprochen werden konnte.
S. 156. 'tserc(e)no (quercinum)^cerne\ Kaum annehmbar.
Wieso e in der ersten Silbe?
ebda. '11 est arrive qu'une voyelle s'est trouvee entre uu y
anterieur et un y posterieur. Elle s'est etranglee entre les deux, . . .
et a disparu.' Das gilt denn doch nicht für alle Vokale? junxi::>-
joins; gaudia > joie.
S. 164. 'Le changemcnt (Die zweite Palatalisieruug des c, campu,
caru) fut assez rapide pour etre accompli avant que a passät ä e,
sans quoi cabo (capiU) devenu cebo aurait donne sief et non chief.
Es ist unglaublich, wie zähe sich dieser gedankenlose Fehlschluß
erhält! Auch Nyrop hat ihn noch in der zweiten Auflage §171,
253, trotzdem ich schon Littbl. 1900 Sp. (S^ darauf hinwies. Wenn
das dort Gesagte noch nicht genügt, so erlaube ich mir auf pik.
caru > kier, kapu > /«V/, franca > franke hinzuweisen, wo über-
haupt keine Assibilation stattfand, um endlich das Unsinnige der
Folgerung ad oculos zu demonstrieren.
12 Referate und Rezensionen. E. Herzog.
S. 196. Per Verfasser spricht vom Verschwinden des zweiten
Imperativs, des Supins, des Part, fut., des Inf. fut. 'Peu apres, le
vicux plns-quc-parfait disparut ä son tour'. Da könnten etwa 5 — 6
Jahrhunderte dazwischen liegen.
S. 199. ' jiotyo kann mit Rücksicht auf den Konjunktiv praes.,
der nicht davon getrennt werden darf, nicht die Grundform von puis sein.
S. 210. öS ^M, ez tu wohl irrtümlich; ich finde bloß aste (tei).,
ete {toi) u. ä.
S. 211. doresnavant für dores en avant scheint nicht vor dem
1 5. Jahrh. zu begegnen.
S. 213. Volifan car sunez ist doch keine 'affirraation'.
S. 221. 'Le dativ a ete remplace par l'accusatif: . . . que son
fradre Karlo jvrat . . . ; Veinpereor si toldrat la curone ... 'Es
ist aber die Frage, ob wir es hier mit einer syntaktischen oder einer
morphologischen Erscheinung zu tun haben. Da das letztere an-
genommen werden mußj so ist 'remplace' nicht das richtige Wort
und die Bemerkung gehört überhaupt nicht dorthin, wo sie steht.
S. 228. Dctreffs der betonten Obl.-Form in se lui piaist u.
dgl. s. Rj'dberg, Zur Gesch. des frz. d Il525flf. Die Lektüre dieses
IJuches hätte dem Verfasser gezeigt, daß hier doch nicht so ein Wirr-
warr besteht, wie er glaubt.
S. 232. 70 ne fui a l'estur commencier u. dgl. gehört nicht
in die Rubrik 'Infinitiv und Artikel.'
S. 237. Es wird über reflexive Verba gesprochen, die zum in-
transitiven Gebrauch übergehen. Von den Beispielen ist gewiß zu
streichen: Teds Olivier, wo der intransitive Gebrauch der ältere ist,
aus demselben Grund wahrscheinlich A halte voiz 2?rist li pedre a
rrider. Anch die ursprünglich passive Fügung il fut levez gehört
in ein andres Kapitel, wenn auch von hier ans sich die hier behan-
delten Schwankungen vermutlich erklären.
S. 246. Es ist kaum richtig zu sagen, daß das part. praes.
gewisse Funktionen des lat. Gerundiums geerbt hat; in a espandant
etc. haben wir wohl eine direkte Fortsetzung desselben zu erblicken
(Tobler, VB. Vbl).
S. 252. Port wo Br, über die Bedingungssätze spricht, heißt es
zum Schluß: 'la coujonction peut etre omise: Fast i li reis, ni
(1. nH) öussum damage . . .' So wird der ursprünglich interrogative
Charakter des ersten Satzes gänzlich verkannt.
S. 264 ff. Das Kapitel über die Wortstellung im altfrz. ist
eines der 'v9rworrcnsten und unklarsten. Einerseits und besonders
deshalb, weil der Vf. statt sich an Prosadenkmäler zu halten, fast
durchwegs poetische herangezogen hat, die natürlich unter dem Zwang
der Metrik stehen, andererseits weil Br. die Stelle des Verbunis (ob
1. oder 2. Platz) nicht genügend beachtet und nicht zum Mittelpunkt
jF. Brunot. Histoire de la Langue francaise. 13
der ganzen Untersuchung gemacht hat. Die ünterscheidnugen, die
er aufstellt, sind sehr äußerlich und gehen nirgends auf den Kern der
Sache ein. So heißt es S. 271 über das unhet. Pronomen: In
Behauptungssätzen gewöhnlich vor dem Verb, in Befehlsätzeu vor dem
negativen, nach dem positiven Imperativ, aber Ausnahmen von der
letzten Regel häufig: ca vos traiiez etc. Der Vf. scheint nicht zu
ahnen, daß die Unterscheidung, ob Behauptungs- oder Befehlsatz, ob
positiv oder negativ, in jener Periode gar keine Rolle spielt, sondern
daß die Stellung des Pronomens einzig von der Stelle des Verbs
abhängt.
S. 306. Das über intervok. d im provz. Gesagte ist irreführend.
d im Boeci mag ein altertümlicher Zug sein. Sonst aber haben wir
dialektliche Verschiedenheiten: d zum Teil bis heute bewahrt, z. T.
> z, z. T. Schwund. Vgl. z. B. Gil. Ail. 359, 364, 1067.
S. 311. g bleibt im pikard. statt zu j zu werden; lies: g vor a.
S. 316. Betreffs der Behandlung a > ie im Burg, mußten
Einschränkungen gemacht werden: curiez, jurie zeigt tatsächlich eine
andere Behandlung, als das franzische, wegen des vorhergehenden
ür; die gleiche Abweichung bekanntlich im lothring. ; commandieres
aber ist Analogiebildung.
S. 329. Das Chrestien de Troyes in hohem Maß dem Einfluß
der Pariser Sprache unterliegt und von seinem Champagnisch nur
einige Besonderheiten bewahrt, ist eine Behauptung, die man nicht
so ohne jeden Beweis aufstellen darf.
S. 332. Wieso in perillex l'estor zwei sicli widersprechende
Schreibungen?
S. 338. Man trifft im 13. Jahrh. li (pers. prou.) wo mau le
erwartete. Beispiele: Qui laborer faille li voüle: li der bekannte
unbetonte Subjektsdativ bei faire -f infin.; pur li quere: li bekannte
Nebenform des betonten lui vor Infinitiv.
S. 352 A. 1. Veve levons, achete achetons sind keine Reste
der altfrz. Ablautsverhältnisse.
S. 384. Französische Einflüsse, spez. bei Kürenberg, müßten
doch wohl erst nachgewiesen werden. Savelingen 1. Sevelingen.
S. 405. Reime wie matere: retrere, pere beweisen nicht
ie>'e; matere kann in dieser Form aus dem lat. entlehnt sein.
Ebensowenig beweist der Reim traittee - nuittee.
S. 407. apparcoivent u. ä., car können doch nicht als Bei-
spiele für den mittelfrz. Wandel des e vor r zu a angeführt werden.
S. 410. Als Beispiele für tfw > €m werden angeführt: desseure{I);
reput, deput, urent {!). Ähnlich schon S. 197 rectut, S. 449 firent^
virent als 'formes nouvelles'.
S. 412. Daß sich die Auflösung der alten Inklinationen A;«'*-, sis
etc. durch den Einfluß der Orthographie und der Prosodie erklärt,
ist unwahrscheinlich.
14 Rejeraie und Rezensionen. E. Herzog.
S. 439. Die Form arestit im Aue. und sonst darf nicht als
Beweis für die Konjugationsmiscliung im Perf. angeführt werden.
•esiit = ^stetiiit.
Ebda. Vf. si)richt von einer Ausbreitung des Infinitivs auf -iV,
zu Ungunsten von -ei\ Aber von den Beispielen, die er gibt, ist
aveuglir eine von Anfang an bestehende Nebenform zu aveugler,
beides denominale Bildungen, und die drei anderen Beispiele aus
Greban hat Br. offenbar aus dem der Ausgabe beigegebenen Glossar
ausgeschrieben, ohne die Stellen selbst nachzuschlagen, denn an keiner
iindet sich ein Infinitiv: mxirrmirirent gehört in das Kapitel über das
Perf., deposti kommt von einem denominalen Verb despoestir, das
selten, aber immer noch häufiger begegnet als despoester; bleibt das
Part, desevrg (28651), gegen das ich übrigens auch Bedenken habe.
Vielleicht ist mit Rücksicht auf die anderen Reime der Helinand-
strophe deservi zu lesen: Or fönt de vie deservi mit einer Be-
deutung, wie sie ähnlich im Ave Maria von Huon de Cambrai (Mein. See.
neoph. Helsingf. IV 336, v. 78) und in der von Tobler Z. f. rom.
Phil. XXX 581 zitierten Stelle vorkommt.
S. 443. Oue7it ist die ältere Form, obwohl oijent dem lat.
audiunt zu entsprechen scheint (nur scheinbar! vgl. die späteren
Formen 2. oi's, 3. oit).
S. 450. quest verschwindet nicht erst im mittelfrz. vor -quis.
S. 458. In den Beispielen für mon ton son statt m' t' s'
(man weiß übrigens nicht recht, wie das in die Syntax kommt) ist
Chev. au 1, 5713 (=5721 Fö) zu tilgen: mon cssoine ne mon afaire;
beide Wörter sind mask., vgl. 2590, 2598.
S. 489. daß Chr. de Tr. fet (mit e) schrieb, ist eine kühne
Behauptung.
Ebda. Daß belle^ celle in Eul. latinisierende Graphien sind,
mag man bezweifeln. Eul. schreibt übrigens nicht nulle., sondern
niule. Diesen Unterschied hätte v. Ettmayer in seinem interessanten
Artikel über U (Gröbers Z, XXX 524 f) immerhin nicht stillschweigend
übergehen sollen; vgl, diese Ztscli. XXVP 197.
Ebda. Br. gibt eine Stelle aus Cliges in phonetischer Um-
schrift, um das Verhalten von Aussprache und Orthographie zu jener
Zeit zu zeigen. Für ^st mit g stützt er sich auf den Reim mit prest
(Yv. 2602), aber dieses Wort halte vermutlich e. Besser geeignet
wäre est: plest (L. 291), aber die Stelle ist kritisch äußerst unsicher.
Wer freilich mit Foerster annimmt, daß bei Chr. e und ^ durchwegs
unter ^ zusammengefallen sind, braucht überhaupt keine Reime anzu-
führen. Ob Br. das Richtige trifft, wenn er bereits für Chr. c (^pucele,
ce) durchwegs = s setzt, weiß ich nicht.
S. o06. rohes Unges ist keine 'coraposition par apposition',
sondern l. hat hier seine alte adjektivische Geltung bewahrt.
Wenn ich das Gesagte noch in ein Gesamturteil zusammenfassen
soll, so würde ich sagen, daß Br.s Buch heute das brauchbarste
Gaston Paris. Esquisse historique de la litteraiure frangaise. 15
Hilfsmittel ist, wenn es sich darum handelt, einen Gesaratüberblick
über die Entwicklung der frz. Sprache in deren einzelnen Perioden
zu gewinnen. Die Details dagegen kann man, wie die obigen Be-
merkungen zeigen, — es konnte naturgemäß nur eine Auswahl
geboten werden — nur mit äußerster Vorsicht und nach gründlicher
Überprüfung _ benutzen,
Wien. E. Herzog.
Paris, Gaston. Esquisse historique de la litiSrature frangaise
au moyen age (depuis les orgincs jusqu'ä la flu du XVe
s.) Paris, Armand Colin 1907 8° XH u. 320 S. Pr.: 3 fr. 50.
Das letzte Werk, das G. Paris geschrieben hat und das nun erst
in vollständigem Originaltext vorliegt, darf schon an und für sich
des lebhaftesten Interesses weitester Kreise sicher sein. Aber auch
ihrer selbst wegen ist diese historische Skizze der altfranzösischen
Literatur äußerst lesenswert. Bietet sie uns doch nicht etwa, wie
so viele andere, welche einen ähnlichen Titel tragen, einen armseligen
Auszug, oder eine Compilation zweiter oder dritter Hand aus aus-
führlicheren Darstellungen, die selbst wieder der Hauptsache nach auf
fremder Forschung beruhen, sundern gewissermaßen das Resume der
rund 40 -jährigen überaus fruchtbaren und vielseitigen Lebensarbeit
des Verfassers. Das Avant-propos betont, daß G. Paris diese Arbeit nicht
als eine eigentliche Geschichte der französischen Literatur im Mittel-
alter angesehen haben möchte. Er habe sich vielmehr attache sur-
tout ä faire ressortir les traits vraiment signißcatifs de la production
intellectuelle et artistique du moyen äge francais, habe sich bemüht
ä relever dans cette production les amvres qui faraissent le mieux
exprimer le genie 7iational, l'esprit d'une epoque et d'une sociStS, ou
encore celles qui ont agi sur le developpement littSraire des autres
nations. Niemand war zu einer solchen Arbeit mehr befähigt als gerade
G. Paris, dessen zahlreiche grundlegende Einzeluntersuchungen und Aus-
gaben eine zusammenfassende Darstellung und Beurteilung überhaupt erst
ermöglicht haben. Überall bei der Lektüre des Buches steht der
Leser unter dem Eindrucke, daß der Verfasser über die breiteste
Kenntniß verfügt, mit voller Kompetenz urteilt und, wie die Herausgeber
mit Recht bemerken, beim Schreiben n''avait d'effort a faire que pour
se restraindre. So wird denn auch des Lesers Wißbegierde nirgends
eigentlich befriedigt sondern ihm vielmehr Anregung zu weiteren und vor
allem zu selbständigen Studien gegeben. Die ganze Anlage des Werkes,
diese Betrachtungsweise aus der Vogelperspektive macht die Lektüre
auch für den Fortgeschritteneren wie für den eigentlichen Fachmann
zu einer reichen Gewinn und hohen Genuß bringenden.
Mancher wird zunächst die Esquisse für im wesentlichen identisch
mit der seit 1888 in 3 Auflagen eischieneuen „Littirature francaise au
moyen-äge'-' desselben Verfassers halten. Letztere hat ja so ziemlich den
16 Referate und Rezensionen. JE. Stengel,
selben Umfang und wiirtlc von G. Paris selbst auch als eine esquisse
de la liiterature fran^aise au moyen ä(/e bezeichnet. Sie will aber
im Gegensatz zur Esquisse wesentlich akademischen Unterrichtszwecken
dienen und ist aus Vorlesungen in der Ecole des hautes ^tudes her-
voi'gegangen. Sie beabsichtigt, vorwiegend französischen Studierenden
eine erste Orientierung zu ermöglichen und ihnen gleichzeitig die
Kenntnis des derzeitigen Standes der Forschung in den einzelnen Gebieten
und Fragen zu vermitteln, kurz sie verfolgt im wesentlichen dasselbe
Ziel, das neuerdings speziell für angehende deutsche Romanisten
C. Voretzsch mit seiner umfangreicheren Einführung in das Studium
der altfranzösischen Literatur im Auge hat. Die Esquisse dagegen
ist im Sommer 1901 in Cerisy-la-Salle in einem Zuge niedergeschrieben
und zwar auf Veranlasseng eines englischen Verlegers und auch zu-
erst in dessen Sammlung der Temple Cyclopädic Primers in englischer
etwas verkürzter Übertragung erschienen. Während die LittSrature
tunlichst vollständig die uns bekannten Literaturerzeugnisse des älteren
Frankreich verzeichnen und kurz charakterisieren will und den
gesammten Stoff nach Literaturgattungen (profane und religiöse Literatur,
jede in 4 Sektionen, die erzählende, didaktische, lyrische, dramatische
und diese wieder in verschiedene Kapitel gegliedert) behandelt, hat
die Esquisse grundsätzlich davon abgesehen ä donner des poetes
et des ^cnvains., non plus que des nombreuses oeuvres anonymes
de V ancienne France une enumSration quelque peu compVete, betrachtet
vielmehr die Literatur und ihre einzelnen Erscheinungen spicialement
sous son aspect social et dans sa signification historique, und stellt
sie demgemäß auch nach historischen Perioden dar. Sie unterscheidet
deren 7: fepoque merovigienne, carolingienne, des premiers CapÜiens,
douzihne et treizihne, treizieme et quatorzieme siecles, phnode de
la guevre des Cent Ans und quinzieme siede apres la guerre de
Cent Ans. Die literarischen Erzeugnisse der beiden letzten Perioden
werden erst in der Esquisse in die Darstellung einbezogen, und gerade
über sie war es bisher verhältnismäßig noch am schwersten sich ein
Gesammtbild zu verschaffen.
G.Paris hatte sich von vornherein vorbehalten neben der englischen
Ausgabe auch eine französische erscheinen zu lassen, wollte für letztere
aber sein Ms. einer erneuten Revision unterziehen. Dazu ist er leider
nur noch teilweise gekommen. So haben denn Paul Desjardin und
Paul Meyer die Herausgabe besorgt und sie hielten sich natürlich nur
berechtigtdieunerläßlichsten Glättungen, Ergänzungen undBerichtigungen
an Paris Manuscript vorzunehmen. Immerhin bietet der vorliegende
Band gegenüber dem englischen Shilling- Primer, abgesehen von weiterem
Satz, ParagraphenzähluugundKapitelinlialtsangaben noch rund 25 Seiten
Text mehr, die vordem aus Raummangel unterdrückt waren, ferner eine
Anzahl Anmerkungen, die bis zu § 160 vom Verfasser selbst herrühren,
von da an aber durch bibliographische Nachweise Meyers zu dem
Rest des Textes ergänzt sind, und endlich einen ausführlichen Iudex.
Gaston Paris. Esquisse liistorlque de la Utterature frangaise. 17
Um noch einige Einzellieiten zu erwähnen oder nachzutragen
sei Folgendes angeführt: S. 70 f. deutet G.Paris seine Ansicht ül)er
die Vorstufen der uns erlialtenen Roland-Redaktion, die sich für ihn
aus Turpin und dem Carmen ermitteln ließen, mit keinem Worte
mehr an. Wenn wir damit eine Äußerung im Vorwort der 7. Auflage
(der letzten,, welche er besorgen konnte) seiner Extraits de la Chanson
de Roland in Verbinduug bringen, welche lautet les questions relatives
ä la date, ä VeiSment historique, ä la genese meme de notr" poeme
national, sont en ce moment ä Vordre du jour et fai inoi-meme
essayS d^orietifer les recherches dans iine voie en partie nouveUe
(s. Revue de Paris 1900 15. Sept.) . . . L'introduction de Vedition
'prochaine, si je puis la donner sera saus doute serieusement remanie,
so scheint es fast, als wenn er an der Richtigkeit seiner früheren
Ansicht zweifelhaft geworden wäre. Ich benutze diesen Anlaß auch, um
gleich auf eine die Rolandsage betreffende Bemerkung in einem
jüngst erschienenen Aufsatz M. Tangls: „Das Testament Fulrads von
Saint-Denis" (abgedr. im Neuen Archiv d. Gesellsch. f. ältere deutsche
Geschichtskunde 1906 B. 32 S. 169 — 217) wenigstens kurz hinzuweisen.
Unter der angeblich aus dem Jahr 777 stammenden, aber nach Tangl
erst am Ende des 9. oder am Anfange des 10. Jahrhs. gefälschten
Urkunde (Paris Arch. nat. K. 7 n. P), mittelst deren Abt Fulrad
von St-Denis an das Kloster Leberau seinen Besitz schenkt, findet
sich neben vielen anderen Zeut^enunterschriften auch das „Signum
Rotlani comitis.'* Dieser Name, bemerkt Tangl S. 206, sei überein-
stimmend auf den Titelhelden des Rolandsliedes gedeutet worden,
und da der Fälscher die Unterschrift gemeinsam mit der Karls
des Großen selbst als Aufputz seinem Machwerk einfügte, bleibe
wohl darüber auch kein Zweifel Damit werde aber die Urkunde
wohl zum frühesten bestimmten Zeugnis für Ausbildung und Verbreitung
der Rolandsage, wenn man nämlich Rolands Erwähnung in Eiiihards
Vita Karoli, die auffälliger Weise in der wichtigen B-Klas^e der Hss.
fehlt, noch als ausreichendes Zeugais für die historische Exi^tenz
dieser Persönlichkeit ansehen wolle. Nur ein Bedenken möchte ich
dagegen ueltend machen: Man sollte erwarten, daß es in der Urkunde,
nicht Signum Rotlani sondern Signum Rotlandi heiße. Über dieses
Bedenken wird schwer hinwegzukommen sein. — S. 147 Die Angabe,
von der Vie de sainte Foi d'Agen sei nur der Anfang erhalten, trifft
nicht mehr zu, seitdem der wertvolle Text in Leyden wieder aufgefunden
und Rom. XXXI 177 ff. abgedruckt worden ist. — S. 150. Entsprechend
der tatsächlichen Textüberlieferung und in Übereinstimmung mit der
allgemeinen bisherigen Ansicht bemerkt P. hinsichtlich J. Bodels Jeu
de s. Nicolai, daß es offre tour ä tour deux aspects: l'un hSroique
et grand . . . l'autre populaire et rSaiiste. Sämmtliclie Kneip-, Spiel-
und andere Szenen, welche letzteren Charakter an sich tragen, lassen
sich aber ohne Schwierigkeit aus dem von nur einer Hs. ül)erlief(,'rten
Texte ausscheiden upd geben sich auch durch eine metrische Neuerung
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI». 2
18 Referate und Rezensionen. JE. Stengel,
als jüngere Zusätze zu erkennen. Sie sind nämlich sämtlich nicht
nur in S-silbigon Reimpaaren abgefaßt, sondern zeigen auch schon die
wirklich erst bei Rustebuef und Adan de la Haie übliche Reimverkettung
der einzelnen Reden, la regle ancienJie, die G. Paris S. 268 erwähnt.
Von Stellen, die diese Eigi'utündichkeit aufweisen, la>sen sich einzig
die 12 Zeilen 1341 — 1352 der Manzscheu Ausgabe nicht gut beseitigen.
Ich nehme aber an, daß die zweimalige Reimverkettung, welche sich
hier zeigt, eine rein zufällige ist. Sonst entsteht nach Tilgung der
Z. 115 — 170, 251—314,^339—348, 595—998, 1029 — 1190,
1281 — 1296, 1307—1340, 1353—1384, 1475 — 1518, d.h. von im
ganzen 722 Zeilen auf eine Gesaratzahl von 1540, eine in sich ge-
schlossene Szenenkette, welche das Mirakel ohne unnötiges Beiwerk
völlig ausreichend zur Darstellung bringt. Beachtenswert ist besonders,
daß die Stelle 999 — 1028, die inmitten der langen Trinker- und
Spielerszenen 595 — 1190 steht, aber im Gegensatz zu ihrer Um-
gebung in der für die echten Szenen charakteristischen 6-zeiligen
Strophe (aab aab) abgefaßt ist, für den alten Text nicht entbehrt
werden kann. Ein gewisses Bedenken erwecken nur die Zeilen
1023 — 1028, die, obwohl in der Schweifreimstrophe abgefaßt, doch
als unächt anzusehen sind, weil nämlich 1024 deutlich auf die der
Interpolation zugehörigen Verse 992 Bezug nimmt. Bemerken will ich
schließlich, daß auch sprachlich sich die alten von den jüngeren Partien
des Stückes ziemlich deutlich abheben, wie sich das schon aus den
betreffenden Zusammenstellungen in Manz's Einleitung erkennen läßt.
— S. 161. Es ist ein Versehen, wenn der Donat proensal gegenüber
Raimon Vidals Rasos als jünger hingestellt wird, vielleicht nur unab-
sichtlich ist Uc Faidit niclit als Verfasser des Donat genannt. Seine
Autorschaft wird füglich nicht weiter in Zweifel gezogen werden
können. — S. 164 f. Auffällig kurz scheint mir die volkstümlichere
altfranzösische Lyrik behandelt zu sein. Auch an späteren Stellen
werden weder die wichtigen Oxforder Balletes noch die von G. Paris
selbst herausgegebenen Chansons du KV. siede irgendwie erwähnt.
— S. 202 f. Eine ähnliche Vermutung wie bezüglich des Jeu de s.
j\^colas möchte ich betreffs des Jeu de la Feuillie von Adam de
la Haie aussprechen. Obwohl uns das Stück teilweise in drei Hss.
überkommen ist, scheint doch der allen Hss. zu Grunde liegende Text
bereits jüngere Zusätze aufzuweisen. Als ein solcher kennzeichnet
sich inhaltlich recht deutlich der Abschluß der Feens^ene (836— 873
des Rambeauschen Textes). Er ist in 6-zeiligen 8-Silbner Strophen
verfaßt. Die gleiche Form zeigen nur noch die Zeilen 33 — 182, welche
die langatmige Schilderung Adams von den ehemaligen Reizen seiner
Frau und von ihrer derzeitigen Häßlichkeit enthalten und die Z.
1091 — 96 mit den entbehrlichen Schlußworten des Mönchs. Durch
die Entfernung aller drei Stellen würde das Stück nur gewinnen.
— S. 273 ist 1542 durch Druckfehler statt 1548 als das Jahr
angegeben, in welchem das Parlamentsverbot der Mysterienaufführungeu
Elias Barjols. Le troubadour Elias Barjols. 19
erlassen wurde. Irreführender ist das Versehen ebenda, wonach gegen
1420 Eustache Marcade eine Passion verfußt hätte und gegen 1440
eine zweite derartige Dichtung in Arras aufgeführt worden wäre. Es
handelt sich natürlich nur um einen und denselben Text, dessen
Autorschaft ich aber noch jetzt Eustache Marcade absprechen möchte.
— S. 281 Von J. Milet sollen wir nur seine Histoire de Troye
besitzen. Hiergegen möchte ich auf das Gedicht Forest de Tristesse
hinweisen, das Plaget wiedergefunden zu haben glaulit, und woraus
er auch bereits in Rom. XXII 23Tff. Proben mitgeteilt hat. Vergleiche
dazu überdies Roman. Jahresbericht IW^ 133 — Ebenda wird la
moralite de Grisüidis (1480) angeführt, dasselbe Stück, welches
bereits S. 239 als jeu de Giiseldis (1395) genannt war. Es ist
die von Groeneveld 1888 abgedruckte Estoire de Griseldis aus dem
Jahre 1395, welche in einem undatierten Inkunabeldruck mystere de
Griselidis betitelt wird. — In den bibliographischen Anmerkungen
vermisse ich zu § 179 die Angabe von Groenevelds eben erwähnter
Ausgabe, ebenso zu § 198 die der anonymen Ausgabe von Eloys de
Amerval Grand Diablerie aus dem Jahre 1884, zu § 202 die von
E. Roys Buch über das Passionsmyster in Frankreich im 14. u. 15. Jh.
Die Angabe zu § 189: Le recueil de contes de Philippe de
VigneuUes existe en son entier en un ms. autographe qui appartient
ä un particulier erregt die Wißbegierde des Lesers ohne ihre Be-
friedigung irgendwie zu ermöglichen. Wer ist der glückliche Besitzer?
Etwa derselbe, dem auch eine Hs. von Phil, de VigneuUes Prosabe-
arbeitung der Lothringergeste gehört?
Greifswald. E. Stengel.
Elias Barjols. Le troubadour Elias Barjols edition critique
publice avec une introduction des Notes et un Glossaire par
Stanilas *S^ron.'/a Toulouse, E. Privat 1906 8" LIV 159 S.
(Bibliotheque meridionale F® serie IX).
Vorliegende recht sorgfältige Einzelausgabe der Lieder von
Elias Barjols hat sich der Unterstützung von A. Thomas und A. Jeanroy
zu erfreuen gehabt, Sie bietet zunächst eine Introduction, dann
S. 1 — 40 den Text von 12 Liedern, 1 Partimen und 2 Descorts,
deren Autorschaft der Herausgeber für Elias Barjols gesichert oder
wenigstens wahrscheinlich hält, weiterhin einen recht umfangreichen
Kommentar (S. 41 — 110) und schließlich ein, wie es scheint, er-
schöpfendes Glossaire nebst Namenindex. Vermißt habe ich eine
übersichtliche Zusammenstellung der verwendeten Strophenformen, die
namentlich bei der Entscheiilung darüber, auf welche Lieder Elias
Barjols Anspruch erheben kann, wesentliche Dienste zu leisten vermag
Ich setze sie darum gleich hier her:
2'
20 Referate und Rezensionen, K. Stengel.
Vn abba|cddc: 5 Str., Durchreim: -ut, -en, -ensa, -ah;
7 887 7> 8 8 7- 2 Torn.; c' d d c'; B. Gr. 132, 1.
VI 8 7 8 7 I 8 7' 7' 8 : 5 Str., Durclir.: -an, -os, -e, -aire; 2 Torn.;
B. Gr. 106, 9;
XII 7 5 7 5 I 8 7' 7' 8 : 5 Str.. Durclir.: -or, -ir, -e, -aire; 2 Tom.;
B. Gr. 132, 4;
X 7 7 8 7 I 7 7' 7' 7 : 5 Str., Durchr. : -e, -ai, -en, -ansa; 2 Torn.;
B. Gr. 132, 11;
XI 7 7 8 7 1 7' 7 7 7' : 5 Str., Durchr.: -es, -ors, -ia, -ir; 2 Torn.;
B. Gr. 132, 9; nur in CR;
VIII abba|cccc: Str. 1. 3. 5. Torn. 2; B. Gr. 132, 7;
'7787 7' 7 7 7'
112 3
I c c c c : Str. 2. 4. Torn. 1 : -atz^ -os, -ire, -ir\
Im Str.- Abschluß zeigen abwechselnd die ersten oder letzten
beiden Zeilen bis auf den Geschlechts-Unterschied gleiche Reimworte.
I a'bba'bbcc:5 Str., Durchr. : -ia, -os, -an; B. Gr. 132, 5
7 B 7 7 7 7 1010 „ur In CE
XIII a b b a I c' c' d d : 7 Silbn., 5 Str. Durchr.: -o, -as, -ida, -cns
1 Torn.; B. Gr. 132, 2; nur Ea^;
XrV abba|c'c'dd : 5 Str. Durchr.: -o, -ir, -ia, -ai; 2 Torn.;
8 8 8 8 8 8 1010 B. Gr. 132, 8; Elias de B. CE, Falquet de
Romans C reg. R 2.
V abbac'dd|c'ee:5 Str., Durchr.: -er, -ir, -aire, -ieus, -en\
8 88 8 10 1010 101010 i Tom.; B. Gr. 132, 10; nur in CR.
n a b b c' c' I d c' d d : 5 Str., Durchr.: -ag, -e, -ia, -er] 1 Torn.;
8 8 8 10 10 10 10 10 10 B. Gr. 132, 3; nur in C. (Vgl. 240, 4 u. 5
unten)
IX ab c' d I d eef f : 5 Str. Durchr.: -ieus, -or, -ida, -en, -es,
77 7 8 88 86 10 .{re; B. Gr. 132, 6; nur in CR.
XV a'b a'b a' b I a' b a' : 10 S., 4 Str., Reimwechsel: -uga, -enz;
-enda, -o; -ire, -an; -enza, -es; 2 Torn.; B. Gr. 131, 2;
nur in a; Partimen.
m 1. a'a'a'b a' a' a' b 2. c' b c' b c' b c' b 3. d' d' e d'd'e
4667 4667 585 8 5858 455 455
-enta, -ai; -ia, -ai; -ansa, -en;
d'd'e d'd'e 4. ffg gffg | f f g gffg
455 455 5625562 5525552
-ia, es; 1 Torn.: ffg gffg; B. Gr.
132, 13; Descort.
IV 1. a V a b' a b' a V 2. c d' c d' c d' c d' 3. e' f e f e' f e' f
7575 7575 7575 7575 66666 6 66
'ieu, -ira, -i, -ansa; -aya, -aire;
Elias Barjols. Le trouhadour Elias Barjols. 21
4. g g g h g g g h s g h g g h : -ai, -e
44444444448448
88 88 88 88
Tora 1 : f f f res.; Torn 2 : h h h h h h 8 S.; ß. Gr. 132, 12 ; Descort.
Man ersieht aus der Tabelle, daß die Doppel-Vierzeile mit
Schließreim die Grundform der Lieder von Elias Barjols bildet, daß
er gern das Silbenschema, welches für die Melodie allein maßgebend
ist, mit der Reimformel in Widerspruch setzt und dann noch dazu
den Stropbengruudstock disharmonisch gestaltet.
Die Einleitung erörtert zunächst die ziemlich dürftigen
biographischen Daten aus der alten Lebensbeschreibung und den
Gedichten. Ich gehe darauf weiter nicht ein, um spezieller die Dar-
legungen Stronskis nachprüfen zu können, welche die Echtheit oder
Unechtheit der dem Dichter zugeschriebenen Lieder betreffen. Die
sich danach für die Biographie ergebenden Konsequenzen mögen späteren
Erwägungen überlassen bleiben. Zweifel sollen nach St. nur hinsichtlich
derjenigen Stücke bestehen, welche „dans certains manuscrits, plus ou
moins nomhreux sont donnees comme anonymes ou appartenant ä
d^autres troubadours.'' Doch scheint mir auch für die Lieder, welche
uns nur durch eine einzige Hs. oder eine bestimmte Hs.-Gruppe über-
liefert sind, die Zugehörigkeit keineswegs von vornherein gesichert zu
sein. In vorstehender Tabelle habe ich durch Beifügung der fraglichen
Hs3. die derartigen Lieder kenntlich gemacht. Bei XI wird man nun
zwar, auch von Seiten der strophischen Form aus, wegen der engen
Verwandschaft mit X und VIII keinerlei Bedenken erheben können.
Auch I wird aus ähnlichem Grunde als Eigentum Elias Barjols, als ein
Jugendwerk anerkannt werden können, wenn auch die zweite Vierzeile
hier nicht Schließreime, sondern paarweise gebundene zeigt. Weiter
entfernt sich von des Trobadors Technik aber die ganz banale Form
XIII, bei der auch die Disharmonie des Silbenschemas in der ersten
Vierzeile fehlt. Dasselbe gilt von der Form V, deren Doppel- Vier-
zeile ein weiteres Reimpaar ist. Bei II und IX handelt es sich dann
überhaupt nicht mehr um eine Doppel- Vierzeile. Es muß also wenigstens
bei II und IX, wahrscheinlich aber auch bei XIII und V unseres
Dichters Autorschaft als recht zweifelhaft erscheinen, um so mehr
als 1, der Versteckname Ses-Enjan II 46 sich nirgends sonst bei ihm
findet (cf. S. XVI und 43), 2. auf die contessa de Savoia der Tornada
von IX, zwar auch in Tornada 1 von X angespielt wird, aber die
Echtheit dieser nur von einer Hss.-Gruppe KI Du überlieferten Tornada
selbst zweifelhaft bleibt, 3. XIII zwar von zwei scheinbar nicht zu-
sammengehörigen Hss. Ea überliefert wird, in beiden aber als letztes
Lied unseres Dichters unmittelbar vor denen seines Namensvetters
Elias Cairel eingetragen ist, und als die im Texte enthaltenen Au-
spiegelungen durchaus nicht im Zusammenhang mit Elias Barjols zu
stehen brauchen (ürigcns vermisse ich la comtessa Biairis XIII
46—47 im Index), 4. die pros comtessa von V 51 durchaus nicht
22 Referate und Rezensionen. E. Siengel.
mit der valen comtessa de Proenssa in VI— VIII identifiziert zu
werden braucht. Ich kann also der entj^egcngesctzten Ansicht St. 's
hinsichtlich II, V, IX, XIII in der Anm. zu S. XXV nicht zustimmen.
Von den Gedichten, für welche die Hss. verschiedene Attrioutionen
bieten, will Str. die Nummern III, IV, VI, VII, VIII, X, XII un-
bedenklich Ehas Cairel zuschreiben, und sehe auch ich nichts, was sich
vom Standpunkte ihrer Strophenformen dagegen geltend machen ließe.
Zweifelhaft erscheinen ihm XIV und XV. E. B.'s Autorschaft an XV
scheint ihm jedoch höchst wahrscheinlich und ich stimme ihm bei, da die
ziemlich abweichende, aber ziemlich einfache Strophenform bei einem
Parümen unanstößig erscheint. Anders liegt die Sache bei XIV. Hier hat
schon St. selbst ein metrisches Moment hervorgehoben, das gegen
Elias B. und für Folquet Romans in die Wagschalo fällt : die häufigen
und starken Vers-Enjambements. Ich glaube, daß die Strophenform
den Ausschlag für letzteren gibt. Man vergleiche insbesondere Folquet
Romans' Lied IV in Zenkers Ausgabe (Halle 1896) = B. Gr. 156, 3.
Umgekehrt entscheidet sich der Herausgeber entschieden gegen
Elias B.'s Autorschaft bei den Liedern B. Gr. 240, 6; 249, 5; 326, 1;
366, 2. Bei den letzten drei mit vollem Recht, ob aber auch bei 240, 6 will
mir recht zweifelhaft erscheinen. Zwar teilt dies Lied nur D unserra
Dichter zu, aber auch die Attribution sowohl an Giraldo lo Ros wie an
Peire Vidal findet sich nur in je einer bestimmten Hss.-Gruppe. Der
Text ist nach CIR von Bartsch S. 129 f. seiner Peire Vidal-Ausgabe
gedruckt, Cobla 3 und 2 stehen übrigens auch anonym unter den
Coblas esparsas von J Bl. 13 b no. 23 und 24 (s. Savj-Lopez Abdruck
n Studj di fil. rom. IX). Weder hier noch in D 51a, von dessen Text
ch Abschrift besitze, zeigt der Text besonders beachtenswerte (und
gegenüber denen von I abweichende) Varianten. Inhaltlich bemerkt St.
S. XXXII: „Cette chanson ne contient aucun nom propre ... et n'a rien
de frappant dans son contenu (assez rapproche d'ailleurs de celui de la
plupart des chansons d'Elias)." Ungenau \>i die dazwischen geschobene
Bemerkung: „eile a la forme la plus simple et la plus frequente de
la cohla encadenada'"'- ; denn die Strophenforra lautet:
abba c'ddc':5 Str., Durchreim: -ors, -atz, -ia, -ans; keine
8 7 8 8 7 8 8 7 Toruada.
Sie läßt also deutlich die Eigenheiten der Strophe von Elias
Barjols (Doppelvierzeile mit Schließreim und Widerspruch zwischen
Silbenschema und Reimformel, mit ausgeprägter Disharmonie in der
ersten Vierzeile) erkennen und ist keineswegs die einfachste und
häufigste Form der cobla encadenada, (Maus uo. 579 ig hat aller-
dings das Silbenschema ebenso wie bei den entsprechenden anderen
Liedern uuseres Dichters verkannt). In schroffem Gegensatz zu ihr
stehen die Formen der weiteren 7 Lieder, welche Bartsch unter Guiraudo
lo Ros verzeichnet. Ich setze sie hierher.
240, 7a'bba' ccdd: 10 S.; 4 Str., Durchr.: -ansa, -ans, -es, ir;
keine Torn. (vgl. M. W. 3. 171; D 368)
Guiraxd von Calanso. Das Sirrenies „?adet joglar'-'. 23
2 a b b a c' c' d d c' : 5 Str., Durchr.: -or, -anli, -ensa, -ir; keine
7 7 77 10 10 101010 Xorn. (M. W. 3, 172)
1 abbalc'deed: Str. 1. 3. 5. Tom.: -ors, -e, -eya, -ai, -ens
d ee d c'abba : Str. 2. 4. 6.; (M. W. 3, 170; J) 369)
3 a' b a- b c' c' d d I c' e c' e c' e c' e : 2 Str., Durchr.: -et/a, -07i,
7777 7778 77 77 77 78 .gnclü (-enga, -euta, -ensa),
-{, -is, 1 Torn.; allein in € (M. G. 209)
8 a a b' c d d e' c c b' : 4 Str., Durchr.: -ens, -ura, -es, -os, -atge;
keine Torn. (M. G. 575 I)
4 a' b b c c I a' d d : 10 S.; 6 Str., Durchr.: -ia, -at^ -ens, -os;
2 Torn. (M.W 3, 173; D 370); vgl. 132, 3 oben.
5 a b b c' c' I d d : 6 Str., Durchr.: -o, -e, -aya, -ös; 2 Tornaden
8 8 810 10 1010 ('M. W. 3, 174, M. G. 576 R).
Danach wird man nicht wohl daran zweifeln, daß Elias Barjols
der Verfasser von Lied 240, 6 gewesen ist; der Text wäre also ia
St.s Ausgabe aufzunehmen gewesen.
Endlich hätte auch noch eine Tenzone, welche ein Bernart mit
einem Elias gewechselt hat (B. Gr. 52, 4 und 131, 1) daraufhin
geprüft werden sollen, ob unser Elias daran beteiligt war, ebensogut
wie Partimen B. Gr. 131, 2 (das S. XLI übrigens mit ihm verwechselt
ist). Die strophische Form kann hier natürlich nicht in Frage
kommen, da ja Elias der Angeredete ist. Aus dem Inhalt des Ab-
drucks von M (M. G. 1014) vermag ich auch keine Entscheidung
zu treffen.
So wird sich also, nach Abzug von 5 und nach Hinzufügung von
1 (2) Liede (-ern), die Zahl von Elias Barjols Liedern auf 11
reduzieren.
Von einer speziellen Nachprüfung der Texte, des Kommentars
und Glossfirs muß ich leider aus Zeitmangel absehen, habe aber den
Eindruck gewonnen, daß sie mit großer Umsicht und peinlicher Sorg-
falt aufgestellt und ausgearbeitet sind. Der Kommentar besonders
bekundet eine ausgedehnte Kenntnis der einschlägigen Literatur. Man
kann dem Verfasser zu dieser Leistung aufrichtig Glück wünschen
und hoffen, daß er uns noch mit weiteren ähnlich wertvollen Arbeiten
beschenkt.
Greifswald. E. Stengel.
Guiraut von Calanso. — Keller, Wilhelm. Das Sirventes
„Fadet joglar^des Guiraut von Calanso. Versuch eines
kritischen Textes. Mit Einleitung, Anmerkungen, Glossar und
Indices. Züricher Dissertation. Erlangen, Junge und Sohn
1906 80 142S.
Der Verfasser dieser umfangreichen Dissertation beabsichtigte
ursprünglich eine vollständige Spezialausgabe der Gedichte Guirauts
24 Referate und Rczensiojien. E. Stengel.
von Calanso zu liefern, hat aber wegen mangelnder Zeit den die
lyrischen Lieder und die allegorische Kanzone umfassenden Teil
einstweilen beiseite gelegt und sich auf eine Neuausgabe der vordem
von Bartsch in seinen Denkmälern der provenzalischen Literatur und
auch in Mahns Gedichten der Tronbadours gedruckten Dichtung
scheinbar lehrhaften Cliarakters, welche an Fadet joglar gerichtet ist,
beschränkt.
Das Gedicht ist uns in einer Pariser Hs. (R) und in einer Modenaer
(D) überliefert. Mahn hatte einen einfachen Abdruck der Hs.
R gegeben, Bartsch zwar beide Hss. verwertet, D aber nur nach einer
fehlerhaften Pariser Abschrift. Auch selbst Mussafias Kollation war
nicht erschöpfend. K. hat R neu kopiert und von D eine neue Kopie
durch Ercole Sola in Modena erhalten. Er gibt nun gegenüber-
stehend einen genauen Abdruck beider Texte und darunter, einen
kritischen Text, Da ich mir vor 34 Jahren eine selbständige Kollation
zon D mit Bartsch's Text angefertigt habe, bin ich einigermaßen im
Stande, die Genauigkeit von Kellers Wiedergabe dieser Hs. zu
controUieren. Ich notiere nachstehend sowohl die von mir verzeichneten
Varianten von B. welche K.'s Abdruck widersprechen, wie die Worte, zu
denen meine Kollation nichts bemerkt, oder doch nur teilweise K.'s Ab-
weichungen notiert. Die letzteren mache ich durch beigesetztes (?)
kenntlich, da ich hier öfter wohl nur unterlassen liabe die Variante
zu notieren: 3 aquo, 9 cel, escrire (?), ]4 tombar (?), 19 pomols (?),
30 ben [204a] auzir, 34.Fii/., 35 beiz, 37 sapchas, 45 totz, (?),
cascavelz, 61 entorn, 62 sauta (?), 66 cambal (?), 75 que, premier ('?),
78 qiierir (?), 80 do, 90 faras .X. cordas, 92 saitan (?), 111 querir
<?), 117 com (?), 127 [204 b] raacabieu (?), 138 com (?), 141 que
(?), 143 ques (?), 147 conquerir (?), 150 com (?), amor, 156 159
com (?), 160 vergier (?), 162 quel (?), escontir (?), 164 com (?),
168 que, 174 sap, trai, 176 sill, 183 canc, 184 hietus, 188 deleus,
192 com (?), 195 juvencel, 208 des, carrels (?) 211 dacier (?), 220
com . . . briu (?), 223 enguans (?), 224 grans (?), 225 lo, sieus (?),
226 del (?). Die vielen com statt con werden lediglich auf ver-
schiedener Wiedergabe von handschriftlich cö beruhen. Wichtigere
Varianten sind nur die zu 34, 37, 90, 183, 184, 188 notierten.
Auch gegenüber K.'s Abdruck von R zeigt der in Mahns Ge-
dichten, den auch K. Bartsch ausschließlich seinem Varianten-
apparat zu Grunde gelegt hat, verschiedene Abweichungen. Es wäre
empfehlenswert gewesen, daß K. sie zusammengestellt hätte, schon
um den Leser vor etwa in seinen Abdruck eingeschlichenen Druck-
fehlern sicher zu stellen. Ich verzeichne hier nur die wichtigeren
(Fälle wie que st. ge, com st. con erklären sich wohl einfach durch
verschiedene Auflösung handschriftlicher Abkürzungen): 18 sem sonia,
19 poniels, 56 saguelli, 57 en dir, 72 requier las que bels re vuelh
dir, 92 saran, 104 dulaires, 105 com la uenus, 121 leri, 122 lomperi,
126 foro, 153 buou, 168 deuzis, 180 uidas, 182 gulis, 236 layssar,
Guiraut von Calnnso. Das Sirventes „Fadet joglar''. 25
240 fas. — Bei einigen dieser Lesarten handelt es sich nur um paläo-
graphisch schwer zu unterscheidende Buchstaben. Bemerken will ich
gleich hier, daß dem kritischen Texte auch eine Konkordanz der Seiten
und Zeilenzählung hätte beigegeben werden sollen, schon um die
Auffindung älterer Textzitate auch in der neuen Ausgabe ohne
Schwirigkeit zu ermöglichen. Gegen die S. 8 — 11 dargelegte sprach-
liche Regelung im kritischen Text habe ich prinzipiell nichts einzu-
wenden, und das umso weniger als ich K.s Ansicht teile, diiß das
Gedicht uns immer weniger wegen seiner Sprache als wegen seines
Inhalts wertvoll sein wird. Auch auf seine detaillierten Ausführungen
und Vermutungen über die Grundbedeutung der Bezeichnung sirventh
welche Guiraus selbst seiner Dichtung beigelegt hat, lasse ich mich
schon deshalb nicht ein, weil ich den mittelalterlichen Terminologien
überhaupt keiaen großen Wert beilege. Icli verweise dafür nur auf
das hier B. XYIIH 91 und im Jahresbericht IV I 375 gesagte.
Zur metrischen Form unseres Gedichtes (81 dreizeilige Schweif-
reime: aabccbddb usw.) macht K. S. 18 mit Recht auf den lyrischen
448 448 448
Versschluß einer ganzen Anzahl 4-Silbner als einer im Provenzalischen
und überhaupt nur seltenen Erscheinung aufmerksam, er hätte aber
noch präziser angeben sollen, daß Guiraus in seinen 4-Silbnern
bei weiblichen Reimen grundsätzlich nur lyrischen Verschluß, also
gar keinen epischen verwendet. Auch in seinem kritischen Texte
hätte sich der Herausgeber also streng an diesen Brauch halten
müssen, durfte also Z. 32 nicht wohl lesen: E fax la rota, statt
Fai la rota D; denn Verschleifung des anlautenden E mit auslau-
tendem a von nota 31, wie 28, 29: Manicorda Ah una corda ist
nicht angängig, da dann der Reim zu ungenau werden würde. An-
gemerkt konnte bei G.s metrischem Brauch auch werden, daß er jedes
Strophenenjambement vermeidet, also immer nach dem 8-Silber eine
stärkere Satzpause eintreten läßt. Diese Beobachtung gibt wenigstens
ein Mal den Ausschlag, welcher von beiden Hss. der Vorzug zu geben
ist, Z. 6 — 10 las Bartsch mit R: E gardals motz ße tras que
totz ; De cels quen Girant fes escrir Non sai le quart, Keller
dagegen 2 ff. mit D: Co potz pregar ... 4 Quades te do Sirventes
ho ... 6 Em gart delz motz ße de trastotz De sels qu^en
Guiraut fes escrir'? No sai lo cart, Mas Vuna part T'en dirai . . .
In der dazu gehörigen Anmerkung wendet er gegen B. nur ein: „Da
Guiraut de Calanso tatsächlich seineu Vorgänger nirgends wiederholt,
so ist gewiß nicht zu verstehen wie Bartsch [mit seiner Interpunktion]
andeutet; darnach würde ja unser Dichter doch l'una part von dem
bereits [durch Guiraut de Cabreira] aufgezählten Stoff abermals
bringen," ohne auch auf das bei B.'s Text erforderliche aber für unsern
Dichter unzulässige Strophenenjambement hinzuweisen.
Sehr ausführlich ist mit Recht der Inhalt des Gedichtes, die
Aufzählung der von einem tüchtigen Joglar zu verlangenden Künste
26 Referate und Rezensionen. 1). Behrens.
und insbesondere auch seines literarischen Repertoirs beliandelt. Der
schlechte Zustand der Überlieferung hat liier die oft vielleicht schon
ur.-prünglich unklaren Anspielungen und entstellten Namen vielfach
bis zur Unkenntlichkeit verderbt. Der Herausgeber hat sich sowohl
in der Einleitung, wie namentlich in den sehr weit ausgcsi)onnenen
Anmerkungen redlich bemüht die bisherigen Deutungen auf ihre Zu-
lässigkeit zu prüfen und wo erforderlich, soweit angängig, durch neue
zu ersetzen oder neue hinzuzufügen. Eine Einzeldiskussion würde
hier zu weit führen, mir auch aus Zeitmangel unmöglieh sein. Im
Ganzen habe ich den Eindruck erhalten, daß K.'s Darlegungen volle
Beachtung verdienen und daß er sich der für einen Anfänger fast zu
schwierigen Aufgabe in durchaus lobenswerter und verdienstlicher
Weise entledigt hat.
Greifswald. E. Stengel.
Bayot, A. Fragments de manuscrits irouves aux Archives
generales du royaume [In: Revue des Bibliotheques et Archives
de Belgiqiie IV, 281—298, 411—449 (auch separat: 18
und 39 S. Bruxelles, Misch & Thron 1906. Hors Commerce)].
Die dankenswerte Publikation enthält die Beschreibung einer
Anzahl kurzer Handschriftfragmente, welche von den Herrn Cuvelicr.
van der Mynsbrugge und Nelis in den Archives generales du Royaume
in Brüssel aufgefunden wurden:
A. 1. Aspremont. 2. Les vers de la 7nort, d'Helinant de
Froidmont. B. teilt die auf dem Doppeiblatt einer der 2. Hälfte
des 13. Jahrb. angehörenden Handschrift enthaltenen Fragmente einer
gekürzten Version der Chanson d' Aspremont vollständig und von
dem sich anschließenden etwa 20 Strophen umfassenden Bruchstück
von Helinants Vers de la mort einzelne Varianten mit.
B. Le Roman de Troie, de ßenoit de ISainte- Maure.
Den Versen 4129 — 4288 der Constans'schen Ausgabe entsprechendes
Bruchstück einer der Mitte des 13. Jahrb. angehörenden Handschrift,
deren Stedung zur Gesamtüberlieferung B. unter Mitteilung einer
Anzahl Varianten darlegt.
C. Lancelot en prose. Doppelblatt einer Handschrift aus
der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts. B. teilt Anfang und Ende der
Kapitel 74 und 79 bei P. Paris (Les romans de la table ronde
mis en nouveau langage IV) entsprechenden Fragmente mit.
D. Dictiomiaire medical arahe-latin. Blatt einer dem Ende
des 13. oder dem Anfang des 14. Jahrb. angehörenden Handschrift,
Anfang und Ende des Bruchstücks werden mitgeteilt.
E. Raoul de Camhrai. Zwei aus einem Doppelblatt und
dem unteren Teil eines Blattes bestehende, vermutlich dem letzten
Drittel des 13. Jahrb. angehörende wertvolle Handschriftfragmente,
von denen das erste v. 1 — 105 und 847 — 980 der Ausgabe von
G, de Marolles. Langage et termes de venerie. 27
P. Meyer und Lognon entspricht, das zweite eine Entsprechung in
der Ausgabe nicht hat. B. druckt die Fragmente vollständig ab und
sucht ihre literargeschichtliche Bedeutung zu bestimmen.
F. Le roman en vers de Baudouin de Flandre. B. druckt
die auf dem Blatt einer Handschrift des 14. Jahrh. enthaltenen
160 Verse vollständig ab. unter Beifügung orientierender Bemerkungen
über den literargeschichtlich interessanten Text.
G. Chanson de geste du XIII" siede. Kurzes Fragment
einer unbekannten Dichtung. Um die Bestimmung derselben zu
erleichtern, teilt B, die Eigennamen enthaltenden Stellen mit.
H. Marques de Rome. Zwei Bruchstücke einer der I.Hälfte
des 13. Jahrh. angehörenden Handschrift, denen in Altons Ausgabe
S. 14, Z. 26 bis S. 21, Z. 24 und S. 35, Z. 2 bis S. 35, Z. 12 ent-
sprechen. B. teilt Anfang un 1 Ende der Stellen mit und sucht die
Provenienz der Handschrift auf Grund sprachlicher Kriterien zu
bestimmen.
I. Lancelot en prose. Die um 1300 geschriebenen Hand-
schriftreste gehören einem anderen Lanzelot als dem oben unter C
erwähnten an. Anfang und Ende der Stellen werden mitgeteilt. Dem
ersten, um.fangreichen Fragment entsprechen Kapitel 48 — 50 bei
P. Paris 1. c.
J. L'Ovide moralise attribue ä Chretien Le Gouais. 14 Jahrli.
Doppelblatt. Anfang und Schluß werden mitgeteilt.
K. Le DScret de Gratien. Drei Fragmente einer um 1300
geschriebenen, mit No. 9084 der Bibl. roy. de Belgique gleiche Aus-
führung zeigenden Handschrift, deren Inhalt angegeben wird.
L. La Regle de Saint Benoit. Vier Blätter, von denen
zwei doppelt und zwei einfach. 14. Jahrh. Anfang und Ende der
Stellen werden mitgeteilt.
M. Les exemples des mauvaises femmes. Doppelblatt.
15. Jahrh. Inhaltsangabe.
N. La Fleur des histoires, de Jean Mansel. Blatt einer
Handschrift aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhs. Anfang und
Schluß des Fragments werden mitgeteilt.
Die Verwaltung der Archives geueralcs du Royaume beabsichtigt
die aufgeführten Fragmente mit Ausschluß des unter D genannten,
zu einer Sammlung zu vereinigen, welche No. 1411 des Fonds des
cartulaires et manuscrits bilden wird.
D. Behrens.
Marolles, G. de. Langage et termes de venerie. £tude historique,
philologique et critique. Paris, Romain 1906. III, 336 S.
gr. 40, Preis: 35 frcs.
Wer durch den Zusatz des Titels „Etüde historique, philologique
et critique'^ verleitet das vorliegende umfangreiche Prachtwerk nut
28 Referate und Rezensionen. D. Behrens.
besonderen Erwartungen zur Hand nimmt, indem er darin eine
wissenschaftliche Bearbeitung der französischen Weidmannssprache zu
finden huflft, wird dasselbe bald enttäuscht zur Seite legen. Mag der des
Weidwerkes kundige Herr Verfasser, Lieutenant de MaroUes, an philo-
logischen und historischen Betrachtungen auch viel gefallen finden, so fehlt
ihm doch als unerläßliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Bearbeitung
seines Themas philologisch-historische Schulung durchaus. Der
Philologe wird seine Freude haben an dem dem Werke beigegebenen
reichen Bilderschmuck, mit Interesse auch wird er von den auf die
Ausübung der Jagd, das Wild u, dergl. bezüglichen Ausführungen
Notiz nehmen, aber den die Sprache betreffenden Darlegungen des
Verfassers wird er einen anderen Wert als den einer durchaus un-
kritischen Materialsammlung nicht zu zuerkennen vermögen. Die Kapitel-
überschriften seien mitgeteilt: Sources p. I— HI. Considerations
gSnerales sur le langage de la chasse et ses origines p. 2 — 9.
Expressions tirees de la chasse : faticonnerie, vhierie, chasses
diverses p. 11 — 45. Earpressions abregees p. 47 — 52. Caracteristique
et source des termes p. 53 — 109. Usages, couleurs, cris, devises,
honneurs, etc. p. 111 — 122. Influence nefaste des hommes de
leiires, peintres et sculpteurs non animaliers et „etrangers au deduit'^
sur le sens propre des termes p. 123 — 172. Legende de Saint
Hubert p. 173 — 193. Etymologie des termes interessants „d'origine
savante'^ ou „corrompus^ p. 195 — 293. Appendice : Etymologies
de quelques termes dliippologie devant interesser Sgalement lliomme
de cheval, r,soldat ou veneur" p. 295 — 300. Noms de Heu
p. 301 — 318. Aperfu retrospectif p. 319 — 333.
D. Behrens.
IVicolin, E. Les expressions figuries d'origine cynighique en
franfais, These pour le doctorat. Upsal 1906. Imprimerie
Almquist & Wiksell. 92 S. 8^.
Verfasser der vorliegenden Studie hat sich die Aufgabe gestellt^
den Einfluß der Weidmannssprache auf die französische Literatur-
und Umgangssprache zu untersuchen. Er schöpfte sein Material im
wesentlichen aus lexikographischen Werken wie Godefroy, Littre, Sachs
und ordnete dasselbe nach folgenden Gesichtspunkten: I. E.rpressions
qui se rapportent au chasseur, ä ses actes ou ä ses engins.
II. Expressions qui se rapportent au chien et au faucon. III, Ex-
vressions qui se rapportent au gihier et ä ses moeurs. In den so
sich ergebenden 3 Abschnitten verzeichnet er unter einzelnen Stich-
wörtern jedesmal zunächst deren Bedeutung in der Jägersprache,
dann die hierauf beruhende übertragende Bedeutung in der Gemein-
sprache. Belegstellen fügt er hinzu, soweit die erwähnten lexiko-
graphischen Hülfsmittel solche bieten. In der bezüglich des Quellen-
materials selbstgewählten Beschränkung hat Vf. sein Thema mit Fleiß
K. Rockel. Goupil, Eine systematische Monographie. 29
und Umsicht behandelt. Einzelne Wörter zwar wie chaperonner
(fig. chaperonner une jeune personne, ein junges Mädchen in die
Welt einführen), botte (Fig. tenir ä la hotte; vgl. de Marolles, Lan-
gage et termes de la venerie p. 17) wird man in seinen Zusammen-
stellungen vermissen, andere wie tirer, viser darin zu finden nicht
erwarten. Was diese letzteren Ausdrücke angeht, so bemerkt N.
selbst in der Einleitung, daß es oft zweifelhaft bleibe, ob der figür-
liche Gebrauch eines Wortes von der Jagd oder einer verwandten
Betätigung hergenommen sei. Weitere Aufschlüsse in dieser Richtung,
sowie in Bezug auf chronologische Bestimmung der in Frage stehenden
Bedeutungsübergänge, lassen sich nur von selbständiger, über die vor-
handenen lexikographischen Hülfsmittel hinausgehender Durchforschung
des in Betracht kommenden Quellenmaterials erwarten. Eine solche
weitergehende Untersuchung bleibt zu führen. Wer sie unternimmt,
wird Nicolin's Dissertation als nützliche Vorarbeit mit Dank verwerten.
D. Behrens.
Rockel, K. Goupil. Eine semasiologische Monographie. Breslauer
Dissertation. In Kommission bei Trewendt & Granier,
Breslau 1906. 116 S. 8» und eine Tabelle. Pr. 2 M.
Neben franz. goupil trat als Bezeichnung des Fuchses seit dem
12. Jahrb. renard, das sich durch den Einfluß der Renart-Dichtung
rasch einbürgerte. Rockel hat die Geschichte beider Wörter studiert
und legt unter vorstehend verzeichnetem Titel zunächst den ersten,
goupil betreffenden Teil seiner Untersuchung vor. Er hat darin eine
aus einer stattlichen Zahl von Wörterbüchern — mit besonderer
Berücksichtigung auch der Dialekt- und Argot- Wörterbücher —
zusammengetragenes Material mit bemerkenswerter Umsicht uud Kritik
verarbeitet. Das Ergebnis ist, daß goupil (dessen anlautendes g
zuverlässiger Deutung harrt) von Eigennamen abgesehen dem Gallo-
romanischen heute nahezu alihanden gekommen ist, indem eine größere
Anzahl Wörter, wie goupillon „Wedel", goupille „Nietstift", gou-
pillon „Baumwollenstrauch" und goupillon „Kommis", die man mit
dem Namen des Fuchses in etymologischen Zusammenhang gebracht
hat, mit demselben nichts zu tun haben. Zu Einzelheiten vgl. jetzt
A. Tobler Lthlt. f. g. u. r. Phil. XXVIII, Sp. 18 f. Meinerseits
mache ich auf Folgendes aufmerksam: S. 15. Beachte auch Baist, der
Zs. f. r. Phil. XXVIII (1904), S. 94 werpil, goupil durch Ein-
wirkung von germ hwelp erklären möchte. — S. 25. Daß in vi-
hurnum > viorne, pavonem > paon, pavorem > paour der wort-
anlantendo Labial den Schwund des inlautenden Labials veranlaßte,
wie Vf. anzunelimen scheint, ist, wenn man tabonem > taon, tributum
> afz. treu, sahucum > afrz. seu, debutum > deu, du vergleiclit,
recht unwahrscheinlich. Überall hat hier folgender labialer Vokal
Ausfall, resp. Assimilation des b bewirkt. — S. 29. Godefroy's Angabe,
80 Referate und Rezensionen. D. Behrens.
goiipil begegne in den Ardennen, geht, wenn ich richtig vermute,
auf eine entsprechende Bemerkung Tarbe's im Glossaire de Cham-
pagne p. G9 zurück. Nun bezeichnet Tarbe selbst sein Glossaire
ausdrücklich als „ancien et modern", so daß man nicht berechtigt
ist, auf das Fortleben der darin verzeichneten Wörter in der Gegen-
wart ohne weiteres zu schließen. — S. 29. Außer in dem hier
verzeichneten „a goupil endormi rien ne chet en la gueule^' begegnet
goupil nach Lacurue de Ste. Palaye's Dict. hist. VI, 408 noch in
einem anderen Sprichwort: „L'on ne prend mie lou ne goupil souz
son baue'-'. Ich entnehme diese Angabe einer im Bulletin de la
Soc. liSg. de litterature wallonne (Deuxieme serie, t. VIII, p. 78
bis 98) unter der Überschrift Goupil et Renart erschienenen Sludie
E. Pasquet's, die R. entgangen ist. — S. 35. Was hier und auf
S. 57 f. über Ortsnamen, die auf den alten Namen des Fuchses
zurückgehen oder davon abgeleitet sind, gesagt wird, wäre mit Hülfe
des Diclionnaire topographique de la France zu ergänzen, wobei
eine geographische Abgrenzung der mit v und g anlautenden Namens-
formeu über die Entstehungsgeschichte des Grundwortes Licht ver-
breiteu könnte. — S, 39. Daß der deutsche Ausdruck „kälbern" im
Sinne von „vome7'e'' auf Schallnachahmung beruht, bezweifle ich. Sollte
nicht hier die Vorstellung des Sichablösens, Sichloslösens (wie
das Kalb von der Kuh sich trennt) vorgeherrscht haben, wie dies
Zeitschr. XXIV ^ S. 218 für eine Anzalil cähnlicher Ausdrücke des
Deutschen, Französischen und Englischen angenommen worden ist.
Ich erwähne noch die deutsche Ausdrucksweise kalben vom Gletscher:
der Gletscher „kalbt" ins Meer und verweise auf prov. catouna,
gatilha (faire de petits chats > voniir) bei Rockel p. 36 und von
Sainean Mem. de la soc. de ling. de Paris XIV, S. 243 erwähnte
faire les chiens (vomir) in Berry, prov. cadelä (und faire le cadel),
piem. fh i cagnet = vomere. — S, 45. Daß goupille „Nietstift"
etc. von copula komme, ist gewiß eine beachtenswerte Hypothese.
Wenn aber Vf. meint, die vereinzelt auftauchenden Formen mit dem
Anlaut c: Schweiz, coupille (L.). wallon. coupille, coupige (Sigart),
prov. coupilha machten die Herleitung unseres Wortes von copula
zweifellos, so vermag ich ihm nicht zu folgen. S. 60 wirft er selbst
die Frage auf, ob nicht dort, wo anlautendes k zu g werde, gelegent-
lich eiumal anlautendes g in k übergehen könne. — S. 85. Wenn
R. bemerkt, es habe im Streit um die Vorherrschaft renard im Laufe
des 13. Jahrh. über goupil bereits auf der ganzen Linie gesiegt, im
14. oder gar 15. Jahrh. aber könne von einem lebenden ^0Mpz7 kaum
mehr gesprochen werden, so vermisse ich eine eingehende Darlegung
dieses Tatbestandes an der Hand der Texte. Vorläufig sei auf
Pasquet hingewiesen, der in seiner eben erwähnten Abhandlung mit
Rücksicht auf das 14. Jahrh. zu folgendem Schluß kommt: „renard
gagne du terraiu; la plupart des ecrivains lui donnent la preference
raais on emploic eiicore l'ancien niot . . . Des la tin du XIV®
E. Lemme. Die Syntax des Demonstrativspronomens. 3 1
siecle, goupil est l'cxception; dans la secoude inoitie du XV®
il di;-parait completenient". Interessant ist, daß in dem von Scbeler
herausgegebenen Liller Glossar des 15. Jahrb. vulpes mit regnard über-
setzt wird, während Jaques de Fouilloux in seiner Venerie vom
Jahre 1573 goupii noch als gebräuchliches Wort zu kennen scheint.
Die betreflfende von Pasquet zitierte Stelle der Venerie lautet: „Tout
ainsi qu'il y La deux cspeces de Bassetz, il y ha semblablement deux
ebpeces de Te?sons et de Regnards: sgavoir est des Tessons, de
Porchins et de cbenins; et des Regnards, de grands et de petits
goupils". In dem der ersten Ausgabe von Gauchets Le plaisir des
champs beigegebenem Recueil des mots, dictons et manieres de
parier en Vart de venerie finde ich goxipil mit „renard gisant es
taiini^res" umschrieben. Wenn in Caseneuves Origines de la
langue frangaise (1G94) goupil mit une espece de petit Renard
erklärt wird, so dürfen wir darin vielleicht einen durch Jacque de
Fouilloux veranlassten Irrtum sehen. lu Pomays Grand dictionnaire
royal wird goupil erklärt als „espece de Renard plus petit, vulpes
canicularia vel subterranea, eine Art eines Fuchses, so aber kleiner
ist". Vgl. hierzu Pasquet l. c. p. 95. In Rockeis Darlegungen
vermisse ich eine Erwäbnung der ebengenannten und anderer Angaben
älterer Lexikographen. — S. 54, 8G f. Daß goupillon eine rein
lautmechanische Entwickelung aus roupion darstellt, halte ich nicht
für erwiesen, solange für den Übergang von r in g nicht andere,
unzweideutige Belege beigebracht werden. Ebenso wird es mir
schwer an die S. 86 vom Vf. vorgetragene Erklärung von goupillon
„Wedel" als das Resultat einer Kreuzung von guipillon und ecou-
villon zu glauben. Wenn R. p. 87 meint, goulpete „tromperie, finesse,
subtilite" bei Roquefort sei wohl gleichzusetzen goulpete < *vulpitatem,
so möchte ich auf champ. goupette „fraude'' verweisen, das Tarbe
Recherches II neben gouper „duper, mystifier" aufführt.
D. Behrens.
Lemme, E. Die Syntax des Demonstrativpronomens im
Französischen. Göttinger Dissertation Rostock, Carl
Hinstorffs Buchdruckerei. 1906. XXIV, 151 S. 8°.
Verfasser dieser fleißigen und wertvollen Arbeit behandelt den
Gebrauch des französischen Demonstrativums von den Anfängen der
literarischen Überlieferung bis auf die Gegenwart unter den folgenden
13 Kapitelüberschriften: 1, Substantiviscber und adjektivischer Gebrauch
des Demonstrativpronomens. 2. Demonstrativ und Substantiv. 2. Die
Partikeln ci und lä. 4. Wiederholung und Auslassung. 5. Vertretung
des Demonstrativs. 6, Gegensätzliche Gegenüberstellung. 7. Gebrauch
von ecce iste. 8. Ecce iste statt anderer attributiver Bestimmungen
eines Substaiitiva oder statt sonstiger Wörter. 9. Gebrauch von ecce
nie. iü. Ecce ille in Vertretung. 11. Das Demonstrativ ecce ille.
32 Referate und Rezensiojien. 1). Behrens.
12. Das neutrale Demonstrativ ecce hoc. 13. Das neutrale Determinativ,
Das der Untersuchung zu Grunde liegende Material besteht im
"Wesentlichen aus Literaturdenkmälern, sei es daß Verfasser dieselben
selbständig durchfor:»chte oder von anderen gewonnene Forschungs-
ergebnisse für seine Darstellung verwertete. Nicht völlig außer Acht
gelassen, aber doch nur gelegentlich und in wenig ausgiebiger Weise
verwendet wurden Grammatikerzeugnisse und lebende Mundarten.
Eine Ergänzung des Materials nacli diesen beiden Richtungen wäre
wüusclienswert gewesen und hätte den Wert der schon in dei' vor-
liegenden Gestalt ergebnisreichen Studie erhöht. Was die lebenden
Mundarten angeht, so bemerkt Verfasser in der Einleitung, daß er
sie auf Grund einschlägiger Werke und Abhandlungen berücksichtigt
habe. Benutzt wurde außer den Untersuchungen von Siede (Synt.
Eigentümlichkeiten weniger gebildeter Pariser beobachtet in „ Scenes
populaires'^ von Monier), Caro (Synt. Eigentümlichkeiten der frz.
Bauernsprache im .„Roman champetre""), Pfau (Ein Beitrag zur
Kenntnis der modernen frz. Volkssprache), Bonnier (Les lettres de
Soldat) und Lanusse (De rivßuence du dialecte gascon sur la langue
frg. de la fin du XVl^ siede ä la seconde nioitie du XVII^)
nur Jorets Abhandlung „Emploi du pron. possessif ä la place de
iadjectif demonstratif en JSormand (Romania VI, 134 — 135). Aus
diesen Arbeiten allein läßt sich, wie nicht weiter ausgeführt zu werden
braucht, eine genügende Vorstellung von dem Sprachgebrauch der
neufranzösischen Mundarten nicht gewinnen. Ich lasse hier ein paar
aus anderen Quellen geschöpfte Bemerkungen über den mundartliclieu
Sprachgebrauch folgen, indem ich bei der Anführung derselben der
vom Verfasser gewählten Anordnung des Stoffes folge. Vgl. jetzt auch
E. Herzog Neufranzösische Dialekttexte § 523 — 529.
S. 3 ff. Cist und ceste, die nach Lemme in substantivischer
Verwendung im 15., resp. 17. Jahrb. erloschen wären, haben sich in
den Mundarten, wie am bequemsten ein Blick auf Karte No. 207 f.
des von L. nicht erwähnten Atlas linguisiique lehrt, in substantivischem
Gebrauch in weiter Verbreitung erhalten. S. ebenda über das Fort-
leben von stubstantivischem cest(u)i u. a. Im Vorbeigehen sei bemerkt,
daß Lemmes Angabe (S. 14), ist finde sich nicht mehr nach dem
12 Jahrb. nach T. Cloran The Dialogues of Gregorg the Great
transtated into Anglo-Norman French by Angier (Straßburger
Dissert. 1901) S. 57 für das Anglonormannische nicht zutrifft.
S. 28. Adjektivisch gebrauchte eil, celle, die nach L. seit dem
16. Jahih. ausgestorben, resp. völlig veraltet sind, begegnen heute
auf pikardischem Gebiet. Vgl. Haignere Le Patois Boulonnais
I, p. 285.
S. 43 ff. Daß ici, ilä, die sich statt -«', -la, nach L. beim
Volke „gewisser Beliebtheit" erfreuen, heute auf weitem Gellet die
üblichen Verstärkungsformen des Deraonstrativums bilden, läßt sich
teils auf Karte 207 des Atlas linguistique ablesen, teils aus Unter-
E. Lemme. Die Syntax des Demonstrativpronomens. 33
suchuDgen über die lebenden Mundarten ersehen. Vgl. u. a. J. Fleury
JPatois de la Hague p. 69, Dottin Gloss. du Bas- Maine p. CHI,
Dottin et Langouet Gloss. de Plechätei p. CXIII, Besonders bemerkt
zu werden verdient, daß, wie wieder der Atlas linguistique bequem
erkennen läßt, auch auf nordfranzösischem Gebiet statt mit ecce mit
eccu gebildete -ki und -iki als Verstärkungswörter erscheinen. Über
die wallonischen Bildungen sivosi sivbla = cil-vois-ci, cil-vois-lä
vgl. u. a. Doutrepont et Haust Müanges wallons p. 35 f., über Vaute-
si (Vautre-ci ■= celui-cij, Vaide-sitte (celle-ci), Vaute-lä (celui lä),
Vaute-latte (celle lä) mit besonderer Femininbildung zu ci und lä
in Schnierlach (Hante-Alsace) s. Simon Grammaire p. 140 f.
S. 57. Sehr beachtenswert ist der heutige lothringische Gebrauch,
statt des adjektivischen Dcmonstrativums den durch -ci, -la verstärkten
bestimmten Artikel zu verwenden, wofür ich bei L. einen Beleg aus
der älteren Sprache nicht finde. Vgl. Adam Fat. lorr. p. 55 f.,
Labourasse Glossaire p. 45, Simon l. c. p. 194 f.
S. 61. Auch statt des ein Substantiv vertretenen Demonstrativs
begegnet heute in lothringischen Mundarten der bestimmte Artikel.
Vgl. Haillant Essai III, 10: J^ai töte de Nicolas et lai Tunat (la
tartine de Nicolas et celle de Fortunat). Lo vörre de Joson et lo
Chälot (le verre de Joseph et celui de Charles). S. Simon l. c.
p. 173, 192. Einen Beleg dafür, daß bei Vertretung des substantivischen
Demonstrativs durch den Artikel hinter letzterem die besitzanzeigende
Präposition steht, gibt auch Moisy Dict. de pat. norm. p. LXXVII
„Le 17 noveuibre 1553, Gnillaunie Mesnage vinst au soyer (au soir),
pour raccoustrer nies bottes et les de Symonet . . . (Journ. du S.
de Gouberville, p. 102."
S. 64. Wenn L. unter Hinweis auf Joret Romania VI, 134 f.
bemerkt „nur dem normannischen Dialect eigentündich ist der Ersatz
des Determinativuras celui ((]uij durch das Possessivum . . . Ch'es
Fsiin ä son pere," so ist dazu zunächst zu bemerken, daß die von
Joret u. a. vertretene Auffassung, es handele sich hier um das
Possessivum, nicht von allen Forsebern geteilt wird. Vgl. Fleury
Essai s. le pat. norm, de la Hague p. 71 f. Was dann die Ver-
breitung dieser Ersatzform angeht, so begegnet dieselbe keineswegs
ausschließlich im Normannischen. Vgl. Loroux Patois de Mie p. 19c
le suin qui viendra (celui qui viendra); de Montesson Voc. du Hautr
Maine p. 424: le sien qui a fait ^a; Dottin Gloss. des parlers du
Bas Maine p. CHI; Jaubirt Gloss. du Centre p. 617: j'ai vendu
deux vaches ä la foirc, la menne et la senne de mon voisin. Dann
auch li sen (celle). le s^n (celles) in N;imur. Niederländer, der die
wallonisclie Form Zs. f. rom. Phil. XXIV, S. 276 erwähnt, eiklärt
dieselbe aus dem Denionstrativum, indem er lautorganischen Wandel
von l zu n annimmt. Vgl. noch el sien (celui) in Mons, das Sigart
Gloss-. p. 327 verzeiclinet.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI ä. 3
34 Referate und Rezensionen. D. Behrens.
S. 82. Das adjektivische Demonstrativ in der Anrede begegnet
heute im Pikardischen. Vgl. Rev. des pat. galllo. rom. I, 102: oz
alö rir, tye kÖmärät (Nous allons rire, ces canierades); ib. 110 si
cela m'arrange, ce maitre. Haignere Pat. boulonnais I, 286: Dis
donc, che caron; — Quoi qu'os faites, che maricha; — Bonjour,
che cordonnier.
S. 85 ft"., 103 ff. Für die heutige Mundart der Pikardie ist
auch der Gebrauch des adjektivischen Demonstrativums an Stelle des
Artikels charakteristisch. Belege hierfür bieten u. a. die in der Rev.
des pat. gallo-rom. I abgedruckten pikardischen Dialektproben in
großer Zahl. Vgl. ferner Haignere Pat. boulonnais I, S, 264 f., 286.
Bezüglich der alten Sprache vermisse ich bei L. einen Hinweis auf
Mussafia Sitzungsberichte der Äk. der Wissensch. in Wien CXXI,
No. XIII S. 44 und auf E. Stengel Zs. f. frz. Spr. XIIP, S. 12.
Vgl. auch Zs. f. frz. Spr. XVII i, S 76 f.
S. 117. "Was L. hier über den Gebrauch des Determinativs
mit dem Artikel in der heutigen Volkssprache bemerkt, läßt sich
durch weitere Angaben leicht ergänzen. Es handelt sich um eine
verbreitete Erscheinung, auf die in zahlreichen Arbeiten über die
lebenden Mundarten hingewiesen wurde. Vgl. z. B. Jaubert Gloss.
p. 133 („Souvent pour donner plus de force ou d'agrement ä la
phrase, on ajoute l'article k ces pronoms: la celle, les ceux, ce qui
les rend equivalents de celles-lä, ceux-lä ..."), Labourasse l. c. p. 46,
Adam l. c. p. 58 f., Fleury /. c. p. 70, de Montesson l. c. p. 124
(„ceux . . . ne s'emploie que precede de l'article les: les ceux qui
ont fait ga . . ."), Doutrepont et Haust Melanges wallons p. 36,
Duranton La Puysaye, Annuaire de VYonne (1862) p. 128: Les
pronoms deraonstratits celle (employe au masculin comme au feminin),
Celles sont invariablement precedes de Tarticle le, la, les, suivant
les cas. Ainsi le celle, la celle, les celles etc.
S. 127. Auch bezüglich des Gebrauchs des neutralen Demonstrativs
bieten die heutigen Mundarten interessant^ Abweichungen von der schrift-
sprachlichen Entwicklung, von denen ich nur die Verwendung von pa
als grammatisches Subjekt bei unpersönlichen Verben im Patois du
Centre (s. Jaubert l. c. p. 117) hervorheben will: fa pleut ben, pa
tonne, ga coule etc. Ungern vermißt man in den Ausführungen des
Verfassers auch hier eine Verwertung des Atlas linguistique (Karte
No. 188). Zum neutralen Demonstrativum ce/, icel vgl. G. Paris
Romania XXHI, 171 ff.
Daß es in einer früheren Zeit im Französischen ganz ebenso
wie heute auf dem Gebiet der Syntax dialektische Unterschiede gegeben
hat, darüber kann ein Zweifel wohl nicht bestehen. Zu untersuchen
bleibt, in welchem Umfange in der Sprache der uns überlieferten
Literaturdenkmäler diese dialektischen Unterschiede zum Ausdruck
kommen.
Bulletin du dictionnaire generale de la langue loallonne. 35
Von geringerem Belang als die lebenden Mundarten sind für die
Geschichte der Demonstrativa im Französischen die im Ganzen ziemlich
dürftigen Angaben der alten Grammatiker, auf die oben hingewiesen
wurde. Immerhin hätten auch sie eingehendere Berücksichtigung ver-
dient als ihnen Verfasser hat zuteil werden lassen. Vgl. jetzt die
einschlägigen Bemerkungen bei Brunot Hist. de la langue frangaise
II, S. 315 f.
D. Behrens.
Bulletin du dictionnaire generale de la langue wallonne
publie par la Societe Liegeoise de Literature tcallonne.
Liege, H. Vaillant-Carmanne 1906.
Die sehr rührige und verdienstliche Societe Liegeoise de
Literature wallonne, die es sich seit 50 Jahren zur Aufgabe macht,
wallonische Literaturbestrebungen sowie das Studium der romanischen
Mundarten Belgiens zu fördern, läßt seit Jahresfrist außer den bisher
regelmäßig von ihr herausgegebenen Bulletin und Annaire ein
besonderes Bulletin du dictionnaire general de la langue wallonne
in jährlich 4 Heften erscheinen. Nach den Ausführungen des aus
den Herren Auguste Doutrepont, Jules Feller und Jean Haust
bestehenden Redaktionskomites ist der Zweck der neuen Veröffentlichung,
weitere Kreise für das in Vorbereitung befindliche Dictionnaire
general (vgl. ds. Zeitschr. XXVIII 2, S. 73 f.) zu interessieren und
die Materialbeschaffung für dasselbe zu erleichtern. Es handelt sich
somit um ein ähnliches Unternehmen, wie es das 1902 ins Leben
gerufene Bulletin du Glossaire des patois de la Suisse romande
darstellt, und es scheint wie dieses vortrefflich geeignet, seiner Be-
stimmung gerecht zu werden. Den Inhalt der bis jetzt vorliegenden
4 Hefte bilden abgesehen von einem Aufruf an die Leser, einem Bericht
über die erste Versammlung der Correspondants du Dictionnaire wallon
vom 9. September 1905 u. a. : S. 6 — 13 J. Feller Instructions ä
nos correspondants; S. 29 — 32 Nos modeles et questionnaires ;
S. 33 — 35 J. Hens La prSparation du vinaigre, de la farine et
du lin ä Vielsalm (Beschreibung im Patois nebst Erläuterung der
in derselben begegnenden technischen Ausdrücke); S. 36 f. A. Carlier
Les carrieres d'Ecaussines (ä suivre); Questionnaires: 1. Les vents,
2. Salutations, souhaits, impr^cations, 3. L'abeille et la ruche,
4. Le jeu de quilles, 5. Les outils du faucheur^ 6. Le reuet;
5. 45 — 64 A. Doutrepont, J. Feller, J. Haust Vocabulaire
general de la langue wallonne („Qu'on veuille bien ne pas confondre
cet essai de Vocabulaire general avec le Dictionnaire general . . .
Sous la forme premiere que nous lui donnons aujourd'hui, le Voca-
bulaire est avant tout un questionnaire qui nous servira 1^ a
completor nos dossiers pour le Dictionnaire; 20 ä completer le
Vocabulaire lui-raeme pour en composer une edition definitive).
3*
S6 Referate und Rezensionen. D. Behrens.
S, 89 — 140 Premier suppUment au vocabulaire questionnaire AB.
S. 141 — 143 Questionnaires: 7. La sucrerie; 8. Le foyer. S. 144 —
147 Archives dialectales: 2. A. Carlier Les carrieres
d'Ecaussines (-iuitc), 3. N. Out er La ichesse au bos (Dialecte de
Virton). S, 150 — 158 Notes d'li^tymoloiiie et de Semaiitique;
J. Fe 11 er 1. djavan, 2. cir ou sir; J. Haust 3. etait, 4. abeur,
abur (?). Über das au zweiter Stelle von Feller behandelte sir (dr)
möge hier eine Bemerkung folgen. F. belegt das „rätselhafte, bisher
in keinem Wörterbuch behandelte" Wort in einer Anzahl Redensarten
und Wendungen wie: Ci n^est qu^ sir boton (oder botons?) so V
rosi, on ne voit que boutous sur le rosier. Qu n'est qu' sir galon
(oder galo7isf), son habit est tout galonne, cc n'est qu'iui galon.
Mu stovmac n'esteüt quone stre playe, ma poitrine n'etait qu'une
plaie. Ci n'est quHne sire nivaye, on ne voit que neige partout,
c'est une plaine de neige. Dasselbe ist vermutlich wieder zu erkennen
u. a. in älterem, bei Grandgagnage Dict. II, 568 s. v. commines in
einer Textstelle des 16. Jahrh. belegtem cire : cire weaze, warance,
crapes et commines pareilles. Man wird F. darin zustimmen dürfen,
daß es aller Wahrscheinlichkeit nach adjektivisch zu fassen sei, und
die Bedeutung „rein, unvermischt-' habe: „szV s'explique au mieux
comme adjectif, avec le sens de »pur« pris dans la signification
quantitative de » entier, au complet, sans restriction «, comme dans
>pure bonte, pure uature, une pure sottise«. Ainsi compris, on sir
boton est »un bouton d'un bout ä l'autre«; on ne distingue pas
plusieurs boutous de fleurs sur l'arbre, il u'y en a qu'un seul, immense.
Ine sir nivaye signifie »neige partout« : la campagne est pleine de
neige . . . Cire loeaze signifiera »pure guede« . . ." Was die
Etymologie angeht, so gebe ich F. darin recht, daß sir weder mit
cir ~.~ ciel sich identifizieren lasse, noch auch dtsch. zier, fläm. sier
in zieraffe, sierplant etc. entspreche. Dagegen vermag ich seiner
Auffassung nicht beizutreten, es liege dem Worte dtsch. scr, fläro.
zeer zu Grunde. F. bemerkt hierzu: „II y a Taucien adjectif
allemand ser, flamand zeer. Autrefois ser signifiait douloureux,
cuisant, schmerzlich. C'est le mot qu'on s'est babitue h employer
dans le sens quantitatif de heftig, et qui en allemand moderne n'a plus
qu'un emploi adverbial sous la forme sehr. Mais le flamand zeer,
qui est reste adjec'if, a conserve toute l'etendae de sens du ser
ancien". Daß diese Auffassung durch altfrz. zweisilbiges sire, das
Godefroy ganz vereinzelt in der Verbindung bien et sire aus Phil.
Mousquets Reimchronik belegt, eine wesentliche Bestätiyiung erhalte,
vermag ich nicht zuzusehen. Woran ich aber be^onders Anstoß
nehme, ist, daß die Bedeutung des angenommenen germanisciien
Grundworts zu der des wallonischen Wortes nach Fellers eigener
Definition nur recht ungenau stimmt, insofern doch „schmerzlich,
heftig'' und „rein, unvermischt" keineswegs dasselbe besagen. Ich
finde nur ein deutsches Wort, das an das neuwallouische lautlich
Ch. Guerlin de Guer. Atlas Dialectologique de Normandie. 37
anklingt und in der Bedeutung mit ihm sich völlig zu decken scheint:
schier. Dasselbe hat nach Grimm Wtb. IX, 27 u. a. die Bedeutung
„unverraiseht, lauter, nichts als" und begegnet in Verbindungen wie:
schieres körn, schierer hafer., schiere butter, dann auch adverbial:
der Hafer steht recht schier. Vgl. noch Doornkaat-Koolman Ostfries.
Wtb. schir. Das anlautende seh steht der Identifizierung des deutschen
Wortes mit dem wallonischen kaum im Wege, da auch in anderen
Wörtern anlautendes deutsches s im Wallonischen als s erscheint.
Ich verweise auf wall, senker etc. (schenken, s. Grandgagnage Biet.
II, 355), wall, sopme (chopiiie, s. Grandgagnage /. c. II, 375),
malm. sgpe?i (Zeliqzon Zs. f. rom. Fhil. XVII, 430).
D. Behrens.
Guer, Ch. Guerlin de, Atlas Dialectologique de Normandie,
pr Fascicule, Region de Caen ä la Mer. Paris, Welter, 1903.
Der vorliegende Atlas normannischer Mundarten erscheint als
erster Band einer Reihe von Monographien, in denen nach und nach
die sprachlichen Eigentümlichkeiten des ganzen normannischen Dialekt-
gebietes zur Darstellung kommen sollen. Hier handelt es sich um
den Meerdistrikt, der an der großen Bucht zwischen den Städten
Caen und Bayeux liegt, genauer gesagt, um die 52 Gemeinden des
Departement Calvados, die zwischen den Flüssen Orne und Seulles,
nördlich von der Straße Cherbourg-Paris bis zum Meere sich aus-
dehnen. Es ist sehr dankenswert, daß der Verfasser sein Gebiet
räumlich so eng begrenzt hat; denn nur so läßt sich bei der ver-
wirrenden Fülle durcheinander greifender dialektischer Eigentümlich-
keiten einigermaßen ein Bild gewinnen. Hier kann es sich also vor-
läufig nicht darum handeln, in großen Zügen Grenzlinien, d. h,
dialektische Gruppen festzulegen und etwa deren Zusammenfallen mit
ethnographischen Scheidelinien zu konstatieren, sondern es kommt
nur eine Gegenüberstellung der ,traits caracteristiques' in Frage. So
werden denn auf kleinstem Gebiete die einzelnen Lautdifferenzen
dieses viereckigen Distrikts kartographisch dargestellt. Zwei Gründe
mochten den Verfasser bestimmen gerade mit der Untersuchung der
Meerbezirke zu beginnen; einmal gewährte die ewig fest stehende
Küstenlinie eine sichere Ausgangsbasis, dann aber geboten die Ge-
faiiren, die der sprachlichen Integrität jenes Striches von den jährlich
an Zahl zunehmenden Badegästen der Großstädte drohten, eine baldige
Untersuchung. Bis heute freilich hat sich die Patois redende Be-
völkerung von den Badenden — den „Parisiens", wie sie genannt
werden — in ihrer Sprache nicht stören lassen.
Andere trennende Faktoren, wie etwa physikalische Hindernisse
— deren Bedeutung als Dialcktgrenzen, wie die neuere Forschung ge-
zeigt hat, bisher erheblich überschätzt wurden — liegen hier nicht vor.
38 Referate und Rezensionen. Hermann UrieL
Und doch lassen sich — das synthetische Bedürfnis ist um so stärker,
je größer die scheinbare Regellosigkeit — auch auf diesem kleinen
Gebiete gewisse Gemeinsamkeiten heraus finden, deren Ursachen
freilich nicht ohne weiteres klar sind. Vor allem scheint mir eines
auffällig. Die Seegemeinden (besonders Luc) zeigen im Vokalismus
oft den offenen Vokal, wo er im Innern geschlossen bleibt. Man
vgl. Taf. S. 10: mgr (maturum), S. 11: dolgr, S. 12: sgr (securum),
S. 59: rg (rota), S. 63: ygr ygl (oleum), freilich ebcndort auch yör
(wo man die genauere Lokalisierung vermißt), S. 28: fft (pisum)
fy^hl (flebilem), deren lokale Sonderentwickelung in sehr starkem
Gegensatz zu mensem (S. 26) steht. Wie ist diese Neigung zum
offenen Vokal bei verschiedenster Provenienz auf diesem Gebiete zu
erklären? Merkwürdig ist auch, daß mio^ (mensem) nur am Kanal
inOuistrcham erscheint, wo auch sicesät (sexaginta) vorkommt, daß jenes
aber noch weitere Gebiete umfaßt als dieses. Angemerkt sei immer-
hin, daß im Gebiete von mw^ (übrigens pisum überall pe oder p^
Einwirkungen des Labials auf den folgenden Vokal sonst nicht zu
finden sind, vgl. magistrum (84), main (85), die hier ma^tr. mit
(Benouville), mäy, möy, lauten; dieLabialisierungen sind recht eigentlich
in der Südwestecke des Bezirks zu Hause ; auf gleichem oder benach-
bartem Gebiete, wo mwetr und miüe erscheinen, finden sich auch
mwoje (manducare) und tutwcye.
Die Nebeneinanderstellung von ahlatum, ad-eccistum-serum,
articlum ergibt, daß auch hier die Strandgemeinden am weitesten
zum offenen Vokal fortgeschritten sind: 6Za, asa, orta in Langrune,
Hermanville, Ouistreham blae, asae, ortae, bl^, ase, orte in den übrigen.
Im Konsonantismus fällt uns die völlig ungleiche Behandlung von anl.
c vor Vokal (s. 99—102) auf. Da läßt sich gar kein einheitliches
Bild gewinnen; es heißt z, B. im Strandbezirk St. Aubin kcüre
(curatum), kyerhö (carbonem), kyö (cor), tcös (coxa) und im benach-
barten Bernieres: hyüre, k^rbö, kyö, kyös. Ist für kc nicht überall
t'ö einzusetzen?
Den lexikographischen Abschnitt wünschte man noch etwas
reichhaltiger; wie groß die Verschiedenheiten innerhalb eines so
kleinen Gebietes sein können, zeigt die Karte über pomme de terre.
Auffällig ist, daß eine Gemeinde wie Anguerny im Zentrum des Be-
zirks mit den Ausdrücken für bas de porte (108) und glisser (113)
allein steht. Ein Blick auf die Ortsnamenkarte (146) endlich lehrt
uns, daß deutsche Namen fast ausschließlich am Ornefluß vertreten
sind. Ist nun dieser Teil des Landes auch im Wortschatze stärker
mit germanischen Elementen durchsetzt, als andere Teile?
So ist mit dieser höchst verdienstlichen Untersuchung, auch
wenn die übrigen Sektionen einmal vorliegen, doch nur ein erster
Schritt getan. Eine in gleichen Grenzen sich bewegende Durchprüfung
der einzelnen Gemeinden auf Gebräuche, Sagen, Sprichwörter, überhaupt
Albert Baur. Maurice Sceve et la Renaissance Lyonnaise. 39
alles geistige eigentümliche Leben hin, muß angestellt ^\erden, damit
noch mehr Licht als bisher auf Entstehen, Schichtung und Wanderung
auch kleinerer Nuancen im sprachlichen Leben falle.
Hamburg. Hermann Urtel,
Baur, Albert. Maurice Sceve et la Renaissance Lyonnaise.
£tude d'histoire litteraire. Paris, Honore Champion, 1906.
Die Arbeit Baurs behandelt ein interessantes Kapitel aus der
Literaturgeschichte des 16. Jahrh. Der Verf. stellt noch eine Fort-
setzung seiner Untersuchungen unter dem Titel „Xgs wuvres poetiques
de Maurice Sceve" in Aussicht, in der er namentlich Aufklärung zu
geben verspricht über „quelques points obscurs de l'histoire de la
pohie lyrique en France^ et en particulier de Vevolution de la
podsie marotique ä la poesie de la Pleiade'"'. Schon die jetzt vor-
liegende Schrift, welche auf 128 sehr eng gedruckten Seiten eine
Fülle von wertvollem Material verarbeitet, ist eine beachtenswerte
Leistung. Mit Glück ist der Verf. überall bestrebt, die Schilderung
und Beurteilung Sceves, seines Lebens und seiner Dichtung, in
Zusammenhang mit den Verhältnissen der Zeit und der Entwicklung
der Literatur zu bringen und das Bild des Dichters zu einem Bild
der Renaissancebewegung, welche in jenen Tagen Lyon zu einem
Bildungszentrum ersten Ranges gemacht hat, zu erweitern. Die Lyoner
Renaissance, deren Ursprung und Entwicklung Baur bis auf Sceve im
ersten Artikel seiner Arbeit (S. 1 — 21) darlegt, wird S. 6 charakterisiert:
„notons le bien, cette Renaissance nest pas venue par des livres
ou par nne societS de savants, par une espece d'academie; eile
s'est indroduite par la vie sociale^ par des rapports directs avec
des hommes du nionde. des banquiers^ des marchands, des industriels,
et eile s'est devcloppee sous Vinßuence de l'art et du luxe italiens,
dans une societe qui s'adonnait ä la gaiete et ä des fetes auxquelles
les femmes prenaint part. Voilä pourquoi la Renaissance lyonnaise
est polie^ galante, sans aucune inclinaiion ä la gauloiserie du
moyen-äge, bien differente de celle du nord de la France qui a fait
naitre Rabelais et la plupart des humanistes frangais. DansVäme
de ceux-ci, Veveil s'' est fait par suite de lectures assidues des auteurs
grecs et romains et par Vetude soignee de la jurisprudence et de la
medecine. Voilä aussi pourquoi les femmes prennent une part si vive
ä la vie litteraire de Lyon^ beaucoup plus que dans aucune autre ville
de la France'-\ Gerade dem geistigen Leben zu Lyon, welchem die
Einführung der Buchdruckerkunst neuen Aufschwung verlieh, verdankt
Sceve die reichsten Anregungen. Zuerst (1533) erwarb sich Sceve
durch die Auffindung des — angeblichen — Grabes von Petrarcas
Laura einen Ruhm, welcher ihm von seinen für Petrarca schwärmenden
Zeitgenossen nicht vergessen wurde (noch 12 Jahre darauf widmete
40 Referate und Rezensionen. Kurt Glaser.
ihm Jean de Tournes in Erinnerung an jenen Fund seine Ausgabe
der Diclitungen Petrarcas). Zwei Jahre später trat Sceve mit seiner
ersten literarischen Leistung, dem sentimentalen Roman „La deplourahle
fin de Flamete'' hervor. Die kühle Aufnulime, welche der Roman
fand, wurde noch in demselben Jahre durch den Triumph wieder
wettgemacht, welchen seine im Stil von Marots „Epigramme du heau
Tetin" gehaltenen „Blasons du Front, du SourcM, de la Lärme,
du Soupir et de la Gorge'^ namentlich bei der Damenwelt fanden.
Sceve wurde zum Lohne für seine Dichtung von einem Gerichtshof
kunstsinniger Damen, an deren Spitze Renee von Frankreich stand,
durch die Verleihung des Dichterlorbeers ausgezeichnet. Das plötzliche
Ende des Dauphin Franz, welches Lyon zum Schauplatz der grausamen
Hinrichtung seines Mörders, Seba^^tien de Montecucculi, machte, ver-
anlaßte Sceve, im Verein mit anderen Humanisten (insbesondere Dulet)
zu einer Anzahl von lateinischen und französischen Poesieen, in
welchen er das traurige Schicksal des hoffnungsvollen Dauphin beklagt.
Sceves Dichtungen über den Tod des Dauphin, namentlich sein ganz
in mythologischer Allegorie gehaltener „Arion" zeigen ihn uns schon
an der Spitze der literarischen Bewegung von Lyon, inmitten der
humanistischen Dichtertätigkeit, welche die nächsten Jahre seines
Lebens erfüllt. Und schon wird Sceve zum Gegenstand des Lobes
und der dichterischen Verherrlichung durch seine Freunde. Als
dann aber das Eindringen tler Reformation in Frankreich und die
religiösen Verfolgungen und Kämpfe, welche sie im Gefolge hatte, die
Blüte der Renaissance in Lyon zerstörten, als Dolet auf dem Scheiter-
haufen endigte, als Bonaveuture Desperiers sich freiwillig den Tod
gab und Marot in die Verbannung gehen mußte, wandte sich Sceve
der platonisierenden Poesie zu, wie sie durch Margaretha von Navarra
in Frankreich Mode geworden war. Sein Hauptwerk, die „Delie'^
(1544), ist ein Meisterwerk platonischer und petrarkisierender Liebes-
erotik. Die DMie ist nach den Ausführungen Baurs au Pernette du
(iuillet, eine auch als Dichterin bekannte vornehme Dame von Lyon,
gerichtet, während sonst auch die Annahme begegnet, daß in der
Dichtung bloß eine ersonnene Geliebte gefeiert wird (Birch-Hirsch-
feld, Geschichte der franz. Literatur. 1900. S. 321). Vielleicht wird
Baur Veranlassung nehmen, in den weiteren Unter>uchungen, welche
er über die ,.,DeUe'' in Aussicht stellt, noch größere Klarlieit über
diesen Punkt zu bringen. Neben der „Delie" bezeichnet die „Saul-
saye^ eglogue de la vie solitaire"" (1547) die Höhe von Sceves
dichterischem Schaffen. Voll Melancholie über den frühen Verlust
seiner jugendlichen Geliebten, spiegelt die Dichtung zugleich etwas
von der trüben Stimmung, in welche der Tod von Franz L, dem
Beschützer von Literatur und Kunst, den Dichter versetzt hat.
Der feierliche und pomphafte Einzug, welchen Franz I. Nachfolger,
Heinrich IL, im Jahre 1548 zu Lyon hielt, gab Sceve den Anlaß zu
einer in amtlichem Auftrag angefertigten ausführlichen Beschreibung
Albert Baur. Maurice Sceve et la Renaissance Lijonnaise. 41
der glänzenden Veranstaltungen, an denen er selbst als Leiter einen
wichtigen Anteil genommen hatte.
Zu den interessantesten Fragen, welche Baur in seiner Studie
aufwirft, gehört die des Verhältnisses von Sceve zur Plejade. Sceve
hat wie Baur andeutet (auch hier eine spätere Ergänzung in Aussicht
stellend), in seinen der ^^Deffence'' Du Bellays vorausliegenden Dich-
tungen schon die wesentlichsten der von der Plejade erhobenen
Forderungen erfüllt; er ist so ziemlich der einzi2;e Dichter jener Zeit,
der vor den Augen des strengen Verfasser der „Z^^^Wzcg" Gnade gefunden
hat, und einer der wenigen, den Ronsard als einen seiner Vorläufer
gelten lassen wollte, i) Der Gegenschrift von Barthelemy Aiieau „Quin-
til Horatian''\ steht Sceve fern, und Baurs Darlegungen bezwecken
zu zeigen, daß die Schrift überhaupt nicht die Stimmung des Lyoner
Dichterkreiies, welchem ihr Verfasser angehörte, wiedergibt. Über
die Jahre, welche Sc6ves letztem Werk, dem philosophischen Gedicht
y, Micro CO smC vorausgehen, ist uns nichts bekannt. Wir wissen nur
aus einer Stelle des Eingangssonetts des y^Microcosme'-'-, daß der
Dichter „divers paW durchreist hat. Der „Microcosmc^' erschien
in dem für die Geschichte von Lyon so stürmischen Jahr
1562, vielleicht kurz vor der Eroberung der Stadt durch die Pro-
testanten am 30. April 1562. Im Widerspruch zu der Ansicht, daß
Sceve in Lyon gestorben sei (F. Brunetiere, Grande EncyclopMie,
Art, Sceve\ macht Baur wahrscheinlich, daß unser Dichter während
der Kriegswirren, welche über Lyon kamen, die Stadt verlassen hat
und in der Fremde gestorben ist.
Schon aus diesen kurzen Mitteilungen über die Hauptergebnisse
von Baurs Schrift erhellt, daß Baur in vielen Punkten unsere Kenntnis
von Sceves Leben und Werken erweitert hat, währerd er in anderen
Punkten zu Resultaten gelangt ist, welche von der bisherigen Forschung
abweichen. Namentlich bedeutet die Darlegung Baurs über das Ver-
hältnis der Plejade zum Lyoner Dichterkreis einen wertvollen Beitrag
zur Literaturgeschichte des 16. Jahrb. (vgl. auch Bourciez. Le> mceurs
polies et la littSrature de cour saus Henri II. S. 126 ff.) Weniger
als auf Sceve? Leben und die Entwicklung seiner Dichtung ist Baur
bisher auf Sceves Dichtungen selbst, ihren Inhalt und Charakter,
eingegangen. Diese durch die dunkele und schwülstige Schreibweise
Sceves erschwerte Aufgabe bleibt der Fortsetzung seiner Studie vor-
behalten, von der wir noch manche interessante Aufschlüsse erwarten
dürfen.
An Einzelheiten — von den oft störenden Druckfehlern ab-
gesehen — notierte icli noch zu S. 7, Anm. 1: Reuro (l'abbe) La
presse politique ä Lyon pendant la Ligue. Lyon 1898; zu S. 4
1) Zu Ronsards Lob über Sceve vgl. auch Ilochambcau, La famille de
Ronsard (Paris ISfiSj S. 200, 251.
42 Referate und Rezensionen. Wolfgang Martini.
Anm, 1 : ^^La Reformation des Dames de Paris faicte par les
Lyonnaises" in Montaiglon-Rothschild, Recueil de pohes franpaises
des XV' et XVP siecles, VIII. S. 244—252; „La Replique faicte
par les dames de Paris contre Celles de Lr/on'', ib. S.^253 — 257.
Marburg i. H. Kurt Glaser.
Zangroniz, Joseph de. Montaigne, Amyot et Saliat. £tude
sur les sources des Essais. Paris, Honore Champion, 1906. —
Tome septieme de la ,,Bibliotheque litieraire de la Re-
7iaissance" dirigee par P. de Nolhac et L. Dorez. XVI u.
196 p. in- 8«. Prix: 6 fr.
Der Haupttitel entspricht nicht genau dem Inhalt: das Buch
bietet weniger, denn es ist eine ganz spezielle Quellenstudie zu
Montaignes „£'ssazs", während die Übersetzer Amyot und Saliat
ausschließlich als Inspiratoren Montaignes in Betracht kommen; und
es bietet mehr, denn es ist auf dem somit enger umgrenzten Gebiete
nahezu erschöpfend und beschränkt sich durchaus nicht auf die im
Titel genannten Autoreu. Der Verfasser stellt die wesentlichsten
der ungemein zahlreichen Entlehnungen Montaignes und den Text
der Originalstellen neben einander. Freilich war es nicht möghch,
alle Plagiate in dieser Weise zu behandeln, ohne ein Werk von der
Größe der „Essais" zu schreiben. Es sind hauptsächlich Plutarch
und Diodorus Siculus in der Übersetzung von Amyot, und Herodot
in der von Saliat, aber auch Seneca, Caesar, Tacitus, Livius, Cicero
etc., denen Montaigne seine Weisheit entnimmt. Es ist das Verdienst
des Verfassers, an wörtlichen und stilistischen Übereinstimmungen
nachgewiesen zu haben, wie genau sich Montaigne an die französischen
Übersetzer der genannten griechischen Autoren anlehnt. Alle die
zahlreichen bisherigen kommentierten Ausgaben der „Essais^' verweisen
an solchen Stellen auf moderne Übersetzungen z. B. des Plutarch, die
natürlich von der charakteristischen Übertragung Amyots wesentlich
verschieden sind. Montaigne, der nicht Griechisch verstand, ist aber
durchaus von Amyot abhängig. Die neuste, von Strowski vorbereitete
fidition definitive (sous la direction des Archives Municipales de
Bordeaux) wird diese Resultate praktisch verwerten.
Der Verfasser untersucht nach einander die drei an Umfang
sehr verschiedenen Ausgaben der „Essais" (1580, 1588, 1595) und
stellt, hauptsächlich an den Differenzen in den Entlehnungen, aber
auch durch Originalzitate die innere Entwicklungsgeschichte von
Montaignes Anschauungen in den letzten 20 Jahren seines Lebens fest.
Die eifrigen Bemühungen des Verfassers, die Plagiate zu ent-
schuldigen, sind für den historisch Denkenden unnötig. An geistiges
Eigentum in unserem Sinne war in jener Zeit weder juristisch noch
morali:>ch zu denken. Montaigne plündert sicherlich mit gutem
Gewissen, auch wo er seinen Gewährsmann nicht nennt. Das beweist
Carl Steinweg. Corneille. Kompositions Studien zum Cid. 43
im Sinne seiner Zeit nichts gegen seine Moral, wohl aher gegen
seine Originalität. Die Plagiate sind allzu wenig innerlich verarbeitet,
großenteils nachlässig und fehlerhaft oder höchstens ein paar Mal in
den historischen Tatsachen absichtlich gefälscht, um eine stärkere
Wirkung zu erzielen: „Gasconnaden" nennt das de Zangroniz unter
Anspielung auf Montaignes südfranzösische Herkunft (p. 37 f., 43, 58).
Wir haben infolge dieser Nachweise um so mehr Grund, die traditionelle
Überschätzung dieses wenig selbständigen und in allen Dingen der
Mittelmäßigkeit huldigenden Denkers auf eine angemessenere Beurteilung
zurückzuführen. De Zangroniz zieht diese Konsequenz nicht aus-
drückhch, aber sie ist implicite in seiner Arbeit enthalten. Trotzdem
ist er nicht frei von der Neigung fast aller Autoren, ihren Helden
zu überschätzen. So ist die Behauptung, Kaut verdanke Montaigne
viel betreffs seines transcendentalen Idealismus (p. 111 f.), durch nichts
gerechtfertigt. Kant ging von Humes Skepsis aus, nicht von der,
die Montaigne aus zweiter und dritter Quelle den Sophisten des
Altertums nachredet, oder gar von dem ziemlich oberflächlichen
Stoizismus, den er Seneca entlehnt.
Neben dem dankenswerten Index der Autorennamen wäre in
diesem zitatenreicheu Buche eine Bibliographie erwünscht gewesen.
Mehrere Zitate lese ich in meinen Ausgaben anders (z. B. p. 109,
D. 1: Herodot YII. 10, (wo auch Druckfehler: ia und ecuuiov muß
es heißen) und p. 129 das Zitat aus Terenz).
Leipzig. Wolfgang Martini.
Steinweg, Carl. Corneille. Kompositionsstudien zum Cid,
Horace, Cinna, Polyeucte. Ein Beitrag zur Geschichte des
französischen Dramas. Halle a. S. Verlag von Max
Niemeyer. 1905. VHI + 303 S. 8°.
Studien über Komposition von Kunstwerken sind wohl eher
geeignet über die Kuustanscbauuiig verschiedener Zeiten und Systeme
aufzuklären, als das Wesen des Kunstwerkes selbst zu enthüllen. Solche
Studien können wohl in exakter Weise zeigen, welche künstlerischen
Mittel einer Zeit oder einer Persönlichkeit zu plastischem Ausdruck
zur Verfügung standen, sie können auch häufig die ganz originelle,
formal-bedeutsame Veranlagung eines Künstlers zeigen, ja, sie sind
sogar manchmal im Stande uns auf bestimmte seelische Zustände des
Schaffenden zurückzuführen — aber das Wesen des Kunstwerkes
an sich erklären solche Untersuchungen nicht.
Sicher ist es auch nicht angängig, den letzten Wert von Kunst-
werken nach technisch-kompositionellen Eigenschaften zu bestimmen.
Man kann wohl sagen, daß dieses Stück besser komponiert ist als
jenes, daß es straffer zusammengehalten, durch eine wohlberechnete
Bühnenwirkung ausgezeichnet ist — aber der innerste, wahre Gehalt
44 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
einer Schöpfung wird niclit durch eine solrijo, noch so richtige und
vernünftige Kritik berührt.
Der aUe Balzac ist allen Kritikern des CornGÜle von Scuderi
bis auf Steinweg dadurch überlegen, daß er sich nicht scheute au3-
zuNprechen: ,,Wenn Ihr alle auch unwiderleglich recht hättet, so könnte
sich Corneille dennoch ruhmvoll über den Verlust seines Prozesses
trösten und Euch lehren, daß es mehr wert ist ein ganzes Königreich
zufrieden gestellt zu haben, als ein regelrechtes Stück zu schreiben.'-
Und er fügt hinzu ,.,11 y a des beauth parfaites, qui sont effacSes
par d'autres heautis qui ont plus d'agrenient et nioins de perfection;
et., parceque Vacquis nest pas si noble que le naturel., ni le travail
des hommes que les dons du ciel, on vous pourrait encore dire que
savoir Vart de plaire ne vaut pas tant que savoir plaire sans art.'^
Diese freie und schöne Auffassung Balzacs mangelt den Untersuchungen
Steinwegs; sie enden mit einer energischen Zensurerteilung: Corneille
hat eigentlich nur ein Stück geschrieben, die Iloratier, zu denen Cid
die Vorstufe war. Der literarhistorischen Bedeutung des Cid wegen,
auch um des Hcrderschen Cid willen, wird man nicht gut um die
Lektüre dieses Stückes auf unseren höheren Biliungsanstalten herum-
kommen, auch auf höheren Töchterschulen gegen die Lektüre des
Polyeuct nichts einwenden können, den Cinna aber sollte man absetzen
und Horace vor allen anderen bevorzugen; er gibt uns Corneille als
Tragöden.
Warum ist Horace das beste Stück? Weil angeblich nur in den
Horatiern die Handlung durch Verbindung mit einer Idee künstlerisch
gehoben ist und weil die Befolgung des von Steinweg entdeckten fünf-
teiligen Schemas a-|-b-j-c-l-b-j-a in diesem Werke bis zur Virtuosität
ausgebildet ist. Andere Gründe für diese Wertschätzung vermag ich
in Steinwegs Kompositionsstudien nicht zu entdecken. Aber die Un-
antastbarkeit dieses positiven Urteils scheint mir nach Steinwegs
eigenen Ausführungen nicht gar so sicher. Wie kann Horace das
absolut beste, das einzige Werk sein, wenn die von Corneille über-
nommenen Bühnentypen „in ihrer Charakterzeichnung von Stück zu
Stück höher entwickelt werden" und „in immer verfeinerter und er-
hobener Bearbeitung" erscheinen, oder wenn der Dialog im Polyeuct „die
übrigen Stücke an Lebendigkeit bei weitem übertrifft." Demnach
haben also Dramen, die nach dem Horace geschaffen sind, Vorzüge
aufzuweisen, die diesem Werke abgehen. Die Urteile Steinwegs er-
scheinen somit unsicher und widerspruchsvoll.
Auch sonst fehlt es nicht an Widersprüchen. Der auffallendste
ist der: Auf S. 64/65 meint der Verfasser, das künstlerische Vorbild
der gotischen Kathedrale sei für den Dichter bei der Komposition
des Horace geradezu maßgebend gewesen. Für den in Ronen, einer
der Hauptstätten gotischer Baukunst, geborenen Corneille und seine
so hervorragende architektonische Begabung seien die gotischen Formen
wohl nicht ohne Eindruck geblieben.
Carl Steinweg. Corneille. Kompositionsstudien zum Cid. 45
Auf Seite QQ bezeichnet er Leonardo da Vincis heiliges Abend-
mahl als die ideale Illustration der Kompositionsweise Corneilles, des
geistigen Nachkommen jener unvergleichlichen Cinquecentisten, besonders
was sein architektonisches Empfinden angeht. Entweder ist Corneille
ein Schüler der Gotik oder ein Nachkomme der Renaissance, beides
zugleich scheint mir unmöglich. Auf Seite 245 haben die Figuren
Corneilles „auch mehr Barockcharakter, als daß sie . . . romantisch
wären." Warum wohl Barockcharakter? „Ihre riesenhaften Leiber
werfen schwere Schlagschatten auf ihren Hintergrund, der noch dazu
durch die Kontrastfiguren extra für sie zurecht gemacht wurde."
Sicherlich, ein warmes Empfinden für die Werke der Kunst
und der unleugbar richtige Gedanke von den engen Beziehungen
zwischen den Darstellungen der bildenden Kunst und den Werken der
Dichtung haben den Verfasser der Kompositionsstudien geleitet, aber
ein enger Schematismus auf der einen Seite, kühne Phantasie auf der
andern haben ihm seine Arbeit getrübt.
Durchaus unhaltbar ist die Konstruktion des Schemas
a-|-b4 c-|-b+a. Corneille soll, besonders im Horace, eine Reihe
von Versabteilungen so komponiert haben, daß in der Mitte ein kurzes
Haupt- und Kernstück, Omphalos, steht, um das herum vier Stücke
so gruppiert sind, daß sie sich dem Inhalt symmetrisch entsprechen.
Das erste so komponierte Stück im Horace ist die Erzählung der
Camilla von Orakclspruch und Traum (vers 163 ff.). Um zu der
Fünfteilung zu gelangen, wird von Steinweg zuerst die „Einleitung
zur Traumerzählung'* abgetrennt. Dann erhält er das Schema:
a) Verlobung 20 Verse
b) Orakel 10 „
c) Freude darüber 4 „
b^) Begegnung mit Valere 12 „
ai) Traum 8
„Die äußeren Teile ... die von der Verlobung und vom Traum
der Camilla reden, enthalten das, was Furcht und Schrecken erregt,
die inneren, das Orakel und die Begegnung mit Valere, den Grund
und die Wirkung der Freude. Die 4 Verse der Mitte aber befassen
sich ausschließlich mit der Person selber, deren Freude alles Auf-
fällige in ihrem Wesen erklären soll."
Die Hauptsache in dieser Erzählung, die Teile, die das dramatische
Interesse am stärksten an sich fesseln, sind Orakel und Traum, das zwei-
deutig gehaltene, die Ahnung erregende Oiakel und der die bange
Ahnung verstärkende, schlimme Traum. Die mit der Naclit verflogene
Freude der Camilla über das mißverstandene Orakel, die im Augen-
blick der Erzählung schon wieder der Angst Platz gemacht hat, ist
nur eine Begleiterscheinung gegenüber dem Gefühl der dramatischen
Spannung, das zu erregen Corneilles einzige Absicht in dieser Stelle war.
46 Referate und Rezensionen. Waliher Küchler.
Wie in diesem Falle, so ist es stets. Das Schema a-|-b-f-c-}-b+a
hält nirgendwo einer unbefangenen Prüfung stand. Wie sollte auch
Corneille dazu kommen, sich ein solch verzwicktes Schema auszuklügeln!
Nach Steinweg soll auch die Komposition der Szenen zu Akten,
schließlich das Gerüst der Akte selbst „dem schematisch-symmetrischen
Prinzip des Dichter-Arcliitektcn zum Opfer gefallen" sein. Aber
auch diese Behauptung muß ich bestreiten.
Eine Besprechung des Steinwegschen Buches an anderem Orte
rühmt seine deutsche Gründlichkeit. Steinwegs Buch ist sicher gut
gemeint, aber seine Gründlichkeit ist Tüftelei. Seien wir sparsam mit
dem Lobe unserer deutschen Gründlichkeit.
GIESSEN. Walther Küchler.
Waldber^, Max, Freiherr von: Der empfindsame Roman in
Frankreich. Erster Teil. Die Anfänge bis zum Beginne
des XVm. Jahrb. XIII u. 489 S. 8^^. Straßburg und Berlin.
Verlag von Karl J. Trübner. 1906. Preis: 6 M.
Meiner Überzeugung nach muß die Darstellung der Geschichte
des empfindsamen Romans in Frankreich mit „Xe Grand Cyrus"'
der Mademoiselle de Scudery einsetzen. Fast alle empfindsamen
Elemente, die von Waldberg in den von ihm zu seiner Untersucliung
herangezogenen Romanen hervorhebt, sind entweder in gleicher Stärke,
zum mindesten aber im Keime in diesem Werke vorhanden. Eine
ganze Reihe von Motiven, die von Waldberg als neu z. B. in den
Romanen der Mademoiselle de la Force entdeckt hat, sind im „ Grand
Cyrus'-'- nachzuweisen. Nicht nur einzelne, in der Ungeheuern Masse
des Romans verstreute empfindsame Elemente weist der „Grand
Cyrus'' auf, sondern die Motive und Konflikte einer Reihe der in
den weiten Rahmen des Romans eingestreuten, selbständigen Er-
zählungen sind entschieden sentimentaler Art. Diese kleinen Romane
stehen an psychologischer Bedeutung weit über der sie umspannenden
Cyrusgeschichte, und keiner der späteren empfindsamen Romane bis
in das 18. Jahrb. hinein übertrifft sie an Innerlichkeit des
Gegenstandes.
Ein Roman wie die „Uistoire de la Reine de Navarre'-'' der
Mademoiselle de la Force kommt in seiner Anlage (Rahmenerzählung,
abenteuerliche Ereignisse, eingestreute Episoden) nicht über die des
„Grand Cyrus"" hinaus. Mögen auch in Einzelheiten Fortscliritte in
der Technik des Erzählens vorhanden sein, so sind diese Fortschritte
doch nicht so erheblich oder so neuen, bisher unbekannten Charakters,
daß eine historische Darstellung der „Entwicklungsgeschichte" des
empfindsamen Romans nicht über sie hinaus auf das unmittelbar wirkende
Vorbild hätte zurückgehen müssen. Es ist aber ganz unzweifelhaft, daß
die Romanschreiber und Schreiberinnen der von Waldberg behandelten
Max Waldberg. Der empfindsame Roman in Frankreich. 47
Zeit in mannigfacher Beziehung von Mlle de Scudery abhängig sind.
Sicher war die Reaktion gegen sie stark, mochte sie nun von
ästhetischen Kritikern oder von den Verfassern der realistischen Romane
kommen. Sicher wurden ihre Romanuugetüme verspottet und sicher
trug sie selbst mit dazu bei, die Gattung, die sie pflegte, in Verruf
zu bringen. Aber ebenso sicher ist auch, daß die Generation der
Mme de Sevigne in dem Geiste, der aus ihren Romanen, besonders
aus dem „Grand Cyrus'-^ atmete, aufwuchs und ihre Kunst mit
ehrlicher Hingabe bewunderte. Das Unsinnige in ihrem Werke, die
endlose Länge, wurde bald erkannt. Dieser Ausdehnung wurde bald
eine Grenze gesetzt. Aber im Grunde war mit diesem ganz natür-
lichen Fortschritt nichts wesentlich Neues gewonnen. Man brauchte
nur den ,,G7'and Cyrus'-'' in Stücke zu schlagen, und man hatte
mindestens ein Dutzend ganz annehmbarer „empfindsamer" Romane.
Ich glaube nicht, daß ich mich täusche. Man muß nur einmal
den Roman lesen oder wenigstens die eingestreuten Einzelromane, und
man wird sich überzeugen, daß man es in ihnen keineswegs nur mit steifen
Paradepuppen zu tun hat. Allerdings steckt auch in diesen Erzählungen
ein gutes Stück Manier und Preziosität, aber wer wird leugnen, daß es
die noch nicht entarteten Preziösen gewesen sind, die zuerst die moderne
Empfindsamkeit gekannt haben. Ich darf wohl darauf verzichten, in
dieser Besprechung Beweise für das behauptete Vorhandensein von
Empfindsamkeit im ,,Grand Cyrus"- zu erbringen, ich werde in Kürze
an anderer Stelle die Frage ausführlicher behandeln, als es hier der
Fall sein kann. Es kam mir hier nur darauf an, festzustellen, daß
der empfindsame Roman in Frankreich sich nicht im Gegensatz zu
dem sogenannten „heroisch -galanten" Roman entwickelt hat. Was
absterben mußte aus dieser Gattung, das starb ab. Was aus ihr
erhalten blieb, was sich weiter entwickelte und verinnerlichte, das
waren gerade die Elemente, die den „heroisch-galanten" Roman am
stärksten und innigsten mit der Kultur seiner Zeit verbanden, nämlich
sein empfindsamer Gehalt, der Versuch das Rein-Seelische und Mensch-
liche zu erfassen und künstlerisch wiederzugeben.
Herr von Waldberg bringt mit großem Geschick eine Reihe
von Strömungen, Stimmungen, Tendenzen, Geschmacks- und Glaubens-
wandlungen aus verschiedenen Gebieten menschlicher Betätigungen
und Anschauungen, aus verschiedenen sozialen und gesellschaftlichen
Schichten herbei, die alle von Einfluß gewesen sind auf die Entwicklung
des empfindsamen Romans, er stellt auf diese Weise das Wachsen
der Gattung in engen Zusammenhang mit dem Zustand der sie
bedingenden Kultur, aber so weit und umfassend der Kreis seiner
Forschung auch ist, er hätte ihn noch weiter ausdehnen können und
die so gewonnenen Gebiete noch intensiver für seine Zwecke bearbeiten
und fruchtbar machen können. Es mag wohl auch sein, d;iß er zu
Gunsten der von ihm behandelten Zeit, trotz der so reichlichen und
stets so außerordentlich anregenden Exkurse in frühere Zeiten das
48 Referate und Rezensionen. WaJther Küclder.
früher Gealmte und Geleistete etwas uuter^chätzt und deshalb nicht
genügend ausnutzt. Hätte z. B. von Waldberg bei irgend einem
Autor in einem Werke, sagen wir aus dem Jahre 1695, einen Aus-
spruch gefunden wie den folgenden „X^s esprits müancoliques regoi-
vent an centre ce gni ne tauche les autres quen VextSrieur'-^, so
würde er wohl, von diesem Gedanken ausgehend, allerlei gute und
belehrende Ausfuhrungen gegeben haben, und mit Recht; denn dieses
Wort enthüllt uns eine feine seelische Disposition, die auf modernes
Empfinden gestimmt ist. Aber es ist bedeutend älter, Malherbe schreibt
es in einem Briefe an Caliste.
Oder, um bei dem zweifelhaften „es hätte sein können" nicht
stehen zu bleiben, v. Waldberg gibt an einer Stelle seines Buches
dankenswerte Informationen über jenen vagen Ausdruck .^Je ne sgay
quov\ mit dem man eine Menge von unbestimmten Empfindungen
und Eindrücken bezeichne, über die man sich nicht klar Rechenschaft
geben könne. Er zitiert Stellen aus den späteren Jahrzehnten des
17. Jahrh, oder gar aus dem 18. Jahrb., um zu zeigen, welche Be-
deutung diese Phrase um diese Zeit gewonnen habe. Er hat ohne
Zweifel recht, und es ist sehr interessant zu sehen, daß der Abbe
Bouhours in seinen „Entretiens d'Ariste et d^Eugene'-'' (1671) eine
ganze Unterhaltung diesem „Jg ne scay qvoy'-^ gewi(-met hat. Er
zitiert fokende Stelle, die ich hier wiedergeben will: ,,Ces impressions,
ces penchans, ces instincts, ces sentime?is, ces si/mpathies, ses parentez,
sont de beaux mots que les spavans ont inventez pour flatter leur
ignorance, et pour tromper les autres, apres s'esire trompez eux-
mesmes. Un de nos Poetes en a mieux parle que tous les
Philosophes: il decide la chose en un mot.
11 est des jueuds secrets, il est des sympathies,
' Dont par le doux rapport les ames assorties
S\ittaclient l'une ä Vautre, et se laissent piquer
Par ces je ne sgay quoy quon ne peut expliquer.'' (p. 344)
Eine Stelle aus „Le Grand Cyrus"- gibt diesen Gedanken und
die ihm zu Grunde liegende Empfindung ebenso deutlich wieder und
hat den Vorzug noch um fast 20 Jalire älter zu Fein. Sie steht in
der im zweiten Buche des neunten Bandes erzählten Geschichte von
Aglatonice und Iphicrate. Aglatonicc^ wird von ihrer Freundin Par-
thenopee aufgefordert, sich über den Grund zu äußern, der sie ver-
hindere, Iphicrate zu lieben. Um die Situation etwas deutlicher zu
machen, will ich noch hinzufügen, daß die beiden Freundinnen in
einem einsamen Park auf Rasensitzen am Strande des Meeres ruhen,
daß Aglatonice träumerisch über die Wogen schaut und lieber ihrem
Murmtln zuhört als den Worten der Freundin. Eine Situation also,
wie sie empfindsamer auch in Romanen der Mademoiselle de la Force
kaum zu finden ist. Aglatonice aber entschließt sich doch zu ant-
worten. Sie sagt, sie wisse den Grund selber nicht. Sie müsse
Max Waldberg. Der empfindsame Roman in Frankreich. 49
zugestehen, daßlphicrate tausend gute Eigenschaften und keine schlechten
habe. ^Mais apres tout, comme il y a ie ne scay quoy qui fait
aimer, ie suis persuadee quil y a aussi ie 7ie sgay quoy qui fait
hair." Parthenopee gibt diese Möghchkeit zu, sie meint aber, die
Vernunft müsse dieses ^ie ne sgay quoy chimerique'' überwinden.
Wrnn sie überzeugt wäre, daß der eine Liebhaber nur gute, der
andere nur schlechte Eigenschaften habe, so würde sie doch lieber
ihrer eigenen Überzeugung glauben, als diesem „ie ne sguy quoy
qu'on ne peut dire comment il est fait; quon cherche par tout;
et quon ne trouve en nulle part; et qui est enfin d'une si bizarre
nature quon ne Ie spauroit deffinir"". Auch in den Porträts des
,.Grand Cyrus" wird das ,,ie ne spay quoy" nicht selten verwertet.
In der Lyrik ist es nicht nur im ]7. Jahrb., sondern auch schon
bei Marot und Ronsard zu finden.
So ist es mit einer Reihe von Motiven, die von Waldberg als
neu einführt. Bei der Besprechung des Einflusses der Racine'schen
Tragödie auf den zeitgenössischen Roman erwälint er die Tendenz der
Erzähler den Mechanismus der „Vertrauten" aus den Bühnenwerken
zu übernehmen. Den von ihm zum Beweis angeführten Roman
Gabriel de Bremonds ,,La Princesse de Monferrat'^ (1677) kenne
ich nicht und weiß daher nicht, bis zu welchem Grade die Verwendung
der „Vertrauten" in ihm etwa durchgeführt ist, aber etwas Neues ist
sie nicht, mehrere Einzelerzählungen im ,,Grand Cyrus'* haben die
„Vertrauten", wie auch Cyrus und Mandane selbst.
Gerade da es dem Verfasser auf die Darstellung seines Themas
in entwicklungsgeschichthchem Sinne ankam, weil er nachweisen wollte,
wie sich die Entwicklung der französischen Erzählungskunst „fast
mit der Exaktheit eines Naturgesetzes vollzog", hätte er mit etwas
peinlicherer Genauigkeit die chronologische Aufeinanderfolge berück-
sichtigen müssen. Schon um das Verdienst der einzelnen Autoren
um den Fortschritt genauer bemessen zu können. Er rühmt einmal
die Kunst der sinnlichen Dar^tellungsweise, die Mademoiselle de la
Furce entfaltet. Er lühit zum Belege die Schilderung einer Schönen
an, die auf einem Porter sitzend, sich auf die Kniee einer auf einem
Rul:ebette Lagernden stützte. ,^Elle n'etait vetuii que d'nne eioße
legere : ses cheveu.v etoient negligemment repris derriere sa tete,
et rattaches avec des cordons de couleur vive.'' Diese Schilderung
findet si<'li in dem Roman „Gustave Vasa, Histoire de Suede"",
aus dem Jahre 1697. Ich finde in dem kleinen Roman der Mine de
Villedii'U „Annales galantes de Grece'\ der mir allerdings nur in
der Aufgabe der Werke der Mme du Villedieu aus dem Jahre 1720
(Bund VII) vorliegt, der aber doch wohl zu den im Jahre 1670 zu-
erst veiüü'entlichten ,, Annales galantes" (siehe Waldberg p. 159)
gehört, eine Stelle, die eine noch größere Kunst dieser reabstisch-
sinnlichen Diirstellnufisweise verrät. Es wäre also angebrachter
gewesen, diese Stelle der Mme de Villedieu anstatt die der Mlle de
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXll 4
50 Referate und Rezennonen. WaUher Küchler.
la Force zu zitieren. Sie lautet im Auszug folgendermaßen: „Z,e
Marchand fut introduit jusques ä la ruelle du lit de Phronine.
. . . Quand il la vit dans cette fraicheur que le sommeil inet
siir le teint de jeunes personnes, les hras nuds, la gorge ä demi
dicouverte, sur laquelle tomboient deux ou trois houcles de che-
veux noirSy et lustrez, qui s'Hoient Schappez des frisures, il fut
st surpris de cet objet, quil en demeura comme immobile . , .
eile lui demanda ä voir les Diamans que la Reine invoioit lui
inontrer\ eile avoit un ton de voix doux et raisonnant^ qui alloit
droit au ctpur; et La necessite de changer souvent de Situation,
tantöt pour ouvrir une ßoiite que Themiste lui presetitoit, et tantöt
pour mettre les Diamans dans leur jour, laissoit malgre la cou-
verture, remarquer ä Themiste la forme d'un corps admirable"
(p. 381—3).
Eine solclie Empfindung für die natürliche Schönheit ohne
Prunk der Kleidung und des Schmuckes ist übrigens auch der
Mlle de Scudery, von der die Villedieu trotz mancher persönlicher
vorteilhafter Besonderheiten, die sie aufweisen kann, vieles über-
nommen hat, nicht fremd gewesen. Als noch früher, aber als eben-
so realistisch und künstlerisch zugleich, mag an die Beschreibung der
am Rande einer Quelle in einer Grotte eingeschlafenen Prinzessin
Statira in de la Calprenede's Cassandre (Suitte de la premiere partie
p. 22 f. Paris 1643) erinnert werden.
Wenn nun auch eine mehr historisch-exakte Bearbeitung des
anziehenden Problems vielleicht besser am Platze gewesen wäre, als
die bis zu einem gewissen Grade unausbleiblich willkürlich-auswählende
Art der Darstellung, die der Verfasser gewählt liat, so muß doch freudig
anerkannt werden, daß das Buch, so wie es uns nun vorliegt (zur Er-
gänzung wird noch ein zweiter Band hinzutreten, der die religiösen
Einwirkungen uud die spanischen Einflüsse u. a. behandeln soll), in
mancher Beziehung hohes Lob verdient. Daß es eine außerordentlich
große Belesenheit verrät, ist noch der geringere Vorzug. Es enthüllt
uns vor allen Dingen eine sehr stark ausgebildete Gabe des Schaueus
uud Beobachtens, des Entdeckens und Nutzbarmachens. Es lehrt, wie
man lesen soll, nämlich genießend und spürend zugleich, voll von
suchender Freude, getragen von dem Wunsche zu erkennen, die
großen Zusammenhänge zu verstehen und in die feinsten Windungen
der sich kreuzenden menschlichen Geistesbetätigungen einzudringen.
Neben diese schöne, gerade für den Literarhistoriker so sehr
erforderliche Gabe, reiht sich noch eine große Kunst in der Dar-
stellung des aus weiten Gebieten zusammengetragenen Materials, eine
im höchsten Grade anregende Behandlung, die den dargebotenen Stoff
in eindrucksvollster Form übermittelt und die Lektüre des Buches
zu einem wirklichen Genuß gestaltet.
Aber diese Meisterschaft hat ihre Grenzen, Es darf nicht
verschwiegen werden, daß sie unter Umständen verhängnisvoll wird
Max Waldherg. Der empfindsame Roman in Frankreich. 51
für den, der sich allzu willig von ihr leiten läßt. Für Autor und
Leser. Es liegt in ihr eine illusorische Kraft, ein verschönender
Zauber. Sie steigert gelegentlich die Freude des Schauens und
Genießens auf Kosten der Wirklichkeit. Sie reißt mit sich fort und
umgaukelt verführerisch die EinbiMungskraft. So wird leicht die
Eigenschaft, welche die Bedingung des Guten war, ein Hemmnis für
das unbedingt Vortreffliche. Von Waldberg begeht hier und da einen
Fehler, den der unparteiische, ruhig urteilende Historiker ebenso
gewissenhaft vermeiden muß wie den entgegengesetzten, die Sucht des
kleinlichen Kritisierens, des griesgrämigen, verneinenden Nörgeins.
Nämlich, da er so gut sieht, sieht er wohl auch einmal zu viel, da
er sich so gerne hingibt, überschätzt er bisweilen. Er redet fast stets
in einem gehobenen Tone, während der wahre Wert des Eingeschätzten
fast durchgehends ein par Töne tiefer liegt. So wird der nachprüfende
Leser häufig in die Lage versetzt, ein wenig dunkler zu schattieren,
als es der Verfasser gethan hat. Man kann nicht beistimmen, wenn
einmal eine allerdings recht fein gezeichnete Frauengestalt der Mlle de
la Force mit einer „jener vornehm zatten, vom Weh der Seele
vergeistigten Gestalten eines Bildes van Dycks" verglichen wird. Ein
solcher Vergleich beruht allzusehr auf einer persönlichen Empfindung,
er erscheint als Ausfluß einer Stimmung, die subjektiv berechtigt sein
mag, die aber der, dem es vergönnt ist, sie zu genießen, besser in
sich verschließt. Ich bin fest überzeugt, von Waldberg schrieb diesen
Vergleich nicht aus der Manier zierlichen Stilisierens heraus, er gibt
vielmehr ein durchaus wahres Gefühl wieder. Aber, so meine ich,
je wahrer er im Au.i^enblick gewesen ist, um so vager, flüchtiger und
ungreifbarer ist er auch gewesen. Er verliert seine Wahrheit, sobald
ihn die Feder aufs Papier gebannt hat.
Sicher ist auch übertrieben, wenn ein anderes Mal bei derselben
Schriftstellerin von „Ausmeißelung" ihrer Figuren gesprochen wird.
Wenn Mlle de la Force ihre Gestalten „meißelt", was tun dann die
Großen und Größten? Und wenn sich wirklich unter der Masse
ihrer Personen einige von dem Reiz der Königin von Navarra finden,
so verschwinden sie fast völlig unter den zahllosen, die unin-
dividuell bleiben.
Zu mancherlei anderen Gedanken und Auseinandersetzungen mit
der von ihm behandelten Frage regt das Buch von Waldbergs an.
Gerade in der Fülle von Gesichtspunkten, die der Verfasser wie mühe-
los fast auf jeder Seite uns darbietet, gerade in der Mannigfaltigkeit
der Funde und Erkenntnisse, die nur ein wohlbewanderter Kenner und
reifer Geist zu Ta^e fördern konnte, in der künstlerischen Fähigkeit
das Interesse beständig neu zu beleben und den willigen Loser zu
fruchtbringender Diskussion einzuladen, in diesen und älinlichen Dingen
sind die schönsten Vorzüge des Buches zu suchen. Von Waldberg spricht
in seiner Vorrede von dem Zagen, mit dem er ein Gebiet betreten habe,
auf dem er sich als ungebetener Gast fühle. Solche Gäste aber, mit
4*
52 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
denen man so ersprießliche Unterhaltung pflegen kann, finden wohl
stets ein freundliches Willkommen. Und so sei es gestattet, ihn von
neuem einzuladen und zu bitten als Geschenk den zweiten Teil der
Geschichte des empfindsamen Romans in Frankreich mitzubringen.
GIESSEN. "Walther KiJchler.
Franz, Arthur: Das literarische Porträt in Frankreich im
Zeitalter Richelieus U7id Mazarins. Leipziger Inaugural-
Dissertation. (Berlin, Leipzig, Chemnitz. Wilhelm Gronau
1906. 57 S. 80. (Dazu eine Beilage, Zitate enthaltend,
32 S. Als Dissertation nicht mit erschienen.)
Die philosophische Fakultät der Universität Leipzig hat mit
diesem Thema eine schöne und einer gründlichen Untersuchung würdige
Preisaufgabe gestellt. Der Verfasser hat den ersten Preis erhalten.
Er hat jedoch, und darüber ist er sich selbst nicht im Unklaren, die
Frage nicht im entferntesten erschöpfend zu lösen vermocht. Wie
sollte auch ein Anfänger, dem nur eine immerhin beschränkte Spanne
Zeit zur Verfügung stand, dahin gelangen können, bis auf den Grund
eines Problems zu dringen, dessen Fäden bis in die geheimsten Tiefen
des Geistes- und Sinnenlebens einer Zeit hinein reichen. Wie sollte
es ihm möglich sein, sich Rechenschaft abzulegen über all die zarten
und feinen Linien, welche zwischen künstlerischem Empfinden und
Darstellungsverraögen gehen, welche die langsam sich enthüllenden
und entwickelnden Erkenntnisse der Seelenkunde verbinden mit der
Fähigkeit des rein physischen, körperlichen Anschauens, Begreifens
und Genießens. Nur die Beherrschung des gesamten Materials innerhalb
der zu behandelnden Zeit kann eine gültige Aufklärung über die
Frage geben, wie die Schriftsteller dieser Zeit es verstanden haben,
in ihren Werken Menschen darzustellen, uns ihre äußere Erscheinung
und ihr inneres Wesen zu veranschaulichen.
Es ist zu bedauern, daß es der Verfasser nicht über sich gebracht
hat, sein Thema in anderer Weise, als er es getan hat, einzuschränken.
Anstatt sich kühn in das schier endlose Meer des literarischen Stoffes
zu stürzen und ziellos hin und her zu schwimmen, um dann doch
fast immer vor den eigentlichen Kernpunkten der Sache umzukehren
und sein Einhalten mit nicht ausreichenden Gründen zu entschuldigen,
hätte er sich ein einziges Stoffgebiet, etwa die Romane der Zeit
oder die Memoiren oder auch nur die Porträtsammlung der
M^'® de Montpensier auswählen und dann sicher und methodisch dem
so begienztcn Thema zu Leibe gehen sollen. Auf diese Weise würde
er im Kleinen ohne Zw'eifel erfreuliche Resultate erzielt haben. So
aber, da er diese weise Kunst der Beschränkung — wohl verführt
durch das nun einmal in die bestimmte Form gekleidete Thema der
Aufgabe — nicht geübt hat, bleil)t seine Arbeit notgedrungen im
Fragmentarischen stecken; trotz allen rühmlichen Fleißes, trotz einer
Arthur Franz. Das literarische Porträt in Frankreich. 53
nicht gewöhnlichen Reife der Anschauung und des Urteils, die dem
Verfasser gerne zugestanden sein soll.
Neben dieser ersten Forderung der Beschränkung, steht als
zweite die eines methodischen Vorgehens.
In einem kurzen, aber an guten Belehrungen und Hinweisen
reichen Aufsatz spricht sich Walter Goetz (nicht Goertz, wie Franz
mehrere Male schreibt) über die bei Untersuchungen über das liter-
arische Porträt zu befolgende Methode folgendermaßen aus: „Indem
man . , . innerhalb einer nationalen Kultur von der Biographie und
der absichtslosen, nach Wahrheit strebenden Charakterschilderung
ausgeht, stellt mau sich auf festen Boden. Von da aus muß zur
allgemeinen Geschichtsschreibung und zu allen anderen Gebieten des
literarischen Lebens weiter gegangen werden, unter stetiger Berück-
siclitigung der Zwecke, die auf jedem einzelnen Gebiete mit dem
literarischen Porträt verfolgt werden" i). Diesen Rat hätte sich Franz,
dem ja der Aufsatz von Goetz nicht unbekannt geblieben ist, zu
Nutze ziehen sollen. Nicht zwar in dem Sinne, daß er den von
Goetz für den Historiker vorgeschriebenen Weg getreulich geschritten
wäre, sondern daß er, der Literarhistoriker, innerhalb seiner zu
betrachtenden literarischen Produktionen von Stoffgebiet zu Stoffgebiet
gewandert wäre. Hätte er das getan, so wäre ihm sicher auch die
schon angedeutete Beschränkung auf ein Gebiet leichter geworden.
Er hat es vorgezogen, sich sein Material weniger natürlich, mehr
von oben herab, etwas willkürlich einzuteilen. Er läßt uns im Anfange
seiner Arbeit vermuten, daß er in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen
die mehrere Male unter verschiedenem Titel aufgelegte Porträtsammlung
der M^'^ de Montpensier stellen werde. Wir lesen denn auch auf
etwa vier Seiten allerlei textkritische, auf die verschiedenen Auflagen
bezügliche Bemerkungen, dann aber verläßt der Verfasser diese
Richtung, wendet sich anderen Dingen zu, und erst am Schluß, auf
etwa sechs Seiten, hören wir wieder einige, durchaus unzureichende
Angaben über M"^ de Montpensier und die Porträts ihres Kreises.
So steht sie also nicht im Mittelpunkt, sondern im Anfang und am
Schluß der Betrachtung.
In den übrigen Teilen seiner Schrift stellt nun Franz gewisser-
maßen die Entwicklung des literarischen Porträts bis zu M^^^ de
Montpensier einschließlich dar und zwar behandelt er diese Entwicklung
„nach den verschiedenen literarischen, oder besser rhetorischen und
technischen Mitteln, die zur Hervorbringung eines literarischen Porträts
verwendet werden". Es ergibt sich ihm „eine Dreiteilung in das
hyperbolische, das metaphorische und das schematisch-individualistische
Porträt". Diese Dreiteilung bezeichnet zugleich drei Perioden der
Entwicklung, die jedoch „chronologisch nicht streng zu scheiden'
') ,.Zur Geschichte des literarischen Porträts'^. Historische Zeitschrift
92. Band (Neue Folge 56) p. 61 ff.
54 Referate und Rezensionen. Walther Küchter.
sind. Die Grundtendenzen dieser drei Perioden sollen sich mit denen
der drei berühmtesten Salons der Zeit decken, nämlich mit dem
Salon der Marquise de Rambouillet, dem der Mademoiselle de Scudery
und dem der Mademoiselle de Montpensier. Eine Behauptung, die
sich mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht deckt.
Ich halte diese Disposition fiir verfehlt. Wenigstens läßt sich
die Entwicklung niclit an der Hand dieser Dreiteilung darstellen.
Wenn die drei Schlagworte drei Entwicklungsmomente bedeuten sollen,
so müßte man drei von einander verschiedene Porträtgattungen, die
diesen Unterscheidungsmerkmaleu entsprächen, die noch zudem zeitlich
aufeinander folgten, erkennen können. Das ist aber nicht der Fall.
Schon lange vor der von Franz behandelten Periode haben wir
Menschenschilderungen, die zugleich hyperbolisch und metaphorisch
sind. Von Anfang an sind diese beiden Elemente fast nie von einander
zu trennen, sicher nicht in der Zeit, die der Verfasser uns vorführt.
Und auch als sich dann plötzlich dic^e hyperbolisch-metaphorischen, mcir-t
naturgemäß recht unanschaulichen Schilderungen zu individualistisciien
Porträts verdichten, bleibt diese lyrisch -überschwengliche Manier
bestehen und hält sich auch nicht von jener auf treue Wiedergabe
des Persönlichen bedachten Art der Menschendarstellung fern.
Die Ausführungen des Verfassers vermögen uns denn auch die
behauptete Aufeinanderfolge nicht zu erweisen. In den Kapiteln über
das hyperbolische und das metaphorische Porträt gehen zeitlich nicht
voneinander zu trennende Zitate nebeneinander her, so daß wir nicht
einen Augenblick die Vorstellung von einer sich vollziehenden
Entwicklung gewinnen. Bunt durcheinander gewürfelte Hinweise aus
Lyrik, Drama, idealistischem, realistischem Roman, Briefliteratur, ernster
und humoristischer Literatur ziehen an uns vorüber, ohne uns aus-
reichend über das Wesen des literarischen Porträts in Frankreich in
der behandelten Zeit aufzuklären. Der Mangel an greifbaren Resultaten
liegt in dem Umstand, daß der Verfasser innerhalb seiner gewählten
Disposition wähl- und ziellos zu Werke geht, Erwägungen anstellt,
die entbelirlich gewesen wären und sich nicht bewußt wird, daß er
an die „Astrh" z. B. mit ganz anderen Voraussetzungen heranzugehen
hat, als an die Histoire comique de Francion von Sorel. Was
man etwa als Resultate aus diesen beiden Kapiteln erfahren kann,
liegt auf ganz verschiedenen Gebieten. Als Ergebnis des ersten
Kapitels über das hyperbolische Porträt habe ich die Behauptung
herausgelesen, daß in den meisten Romanen der ersten Zeit wirkliche
Porträts von Zeitgenossen fehlen; als Ergebnis der Ausführungen über
das metaphorische Porträt die Tatsache, daß das metaphorische Porträt
durch die Beeinflussung der Anschauung durch den Begritf der Malerei
charakterisiert werde. Wo die Entwicklung liegt, sieht mau nicht,
ebensowenig wie nun die Entwicklung hinübergeführt wird zu dem
schematisch-individualistischen Porträt, das der Verfasser in dem
letzten Teil seiner Arbeit behandelt.
Artliur Franz. Das literarische Porträt in Frankreich, bb
Scberaatisch und individualistisch sind zwei Begriffe, die auch
nach des Verfassers Ansicht sich zu widersprechen sc'neinen. Die
Vereinigung aber dieser Begriffe soll andeuten, daß „ein vorhandenes
Schema, eine Mode die Leute erst auf den Gedanken bringt, die
Darstellung ihrer Persönlichkeit, die sie wohl sonst dem gesellschaftlichen
Idealtypus gegenüber als etwas wenig Wichtiges angesehen hatten,
für eine ersprießliche literarische Betätigung zu halten'-. Ja, aber
wie kam denn die Mode auf, woher stellt sich denn das Schema
ein? Es ist doch nicht mit einem Male da. Das ist eine außer-
ordentlich schwere Frage; ich weiß sie auch noch nicht zu beantworten.
Der Verfasser meint, bei diesem Teil seiner Arbeit brauche er
die Bescbriinkung, die ihm der Raum der Arbeit einem so großsn
Material gegenüber auferlege, nicht zu bedauern, da die meisten
Erscheinungen sich mit Hülfe der prinzipiellen Erörterungen über das
hyperbolische und metaphorische Porträt erklären ließen. Eine solche
Anschauung ist mir unklar. Jetzt sollte, so meine ich, erst die
eigentliche Arbeit beginnen; denn erst mit den Porträts der M'^^ de
Scudery und M^'® de Montpensier nähern wir uns dem Begriffe des
eigentlichen literarischen Porträts. Hyperbolische und metaphorische
Schilderungen gibt es schon seit Jahihunderten, aber die Porträts
des „ Grand Cyrus'* sind etwas ganz Neues, und die gesellschaftliche
Unterhaltung hatte bisher nie solche Selbstporträts zu Tage gefördert^
wie wir es im Salon der M'^° de Montpensier sehen.
Ich habe die Absicht mich an anderer Stelle ausführlicher über
die Porträts im „Grand Cyrus^' zu äußern, hier möchte ich nur
kurz andeuten, in welcher Weise der Verfasser an die Sammlung,
die sich an den Namen der M^'^ de Montpensier anschließt, hätte
herangehen sollen. Der Verfasser der vorliegenden Arbeit unterläßt
es gänzlich, auch nur einige der wichtigeren Porträts zu untersuchen,
mit der merkwürdigen Begründung, daß er sonst unvermeidlich eine
große Menge von Fragen mitbehandeln müsse, die in den Rahmen
seiner Arbeit nicht hineingehörten. Um einen Begriff' von dem Wesen
dieser Sammlung zu geben, hätte es sich zunächst darum gehandelt,
zu zeigen, welcher Art denn das Schema dieser Porträts ist, die
Elemente anzuführen, aus welchen sie sich zusammensetzen. Sodann
hätte man sich bei jedem einzelnen Porträt zu fragen gehabt, was
ist hier rein schematisch und was ist individuell. Da die porträtierenden
Personen im allgemeinen fast nur die günstigen Eigenschaften von
sich selbst und den andern behandeln oder sich wenigstens in ein
möglichst günstiges Licht zu setzen suchen, so hätte sich auf diese
Weise feststellen lassen, ein wie geartetes Bild des Idealmenschen den
Personen, die sich uns da mit einer eigenartigen, aus naiver Auf-
richtigkeit und berechneter Künstelei gemischten Vertraulichkeit ent-
hüllen, vorschwebte, bis zu welchem Grade sie in das eigene und
fremde Innenleben eingedrungen sind, auf welche für die harmonische
Ausbildung des .Jionncle komme'* notwendige Eigenschaften sie Wert
56 Referale und Rezensionen. Walther Küchler.
gelegt haben. Wir würden so aufs innigste bekannt geworden sein
mit einer Menge von Empfindungen, Neigungen, Idealen, Gewohnheiten
aus ihrem alltäglichen Leben und Treiben. Eine große Zahl der viel-
vcrschlungenen Bestandteile, aus denen sich Menschencharaktere
zusammensetzen, hätten wir kennen gelernt.
Wenn man so, bis in das Einzelste und Kleinste, sorgsam
prüfend diesen Selbstda^^telluIlgen und Versuchen, dem Wesen anderer
gerecht zu werden, nachgeht, so gewinnen diese Spielereien ein
bedeutend erhöhtes Interesse. Sie enthüllen uns die Fähigkeit der
Menschen dieser Zeit für die eigene und fremde psychologische
Erkenntnis. Mit Hilfe dieser Charakterschilderungen vermögen wir
uns dann das sittliche Bewußtsein dieser Menschen vorzustellen.
Das literarische Porträt wird ein Maßstab für die Erkenntnis und
Bewertung der geistigen Verfassung der in Frage stehenden gesell-
schaftlichen Schicht.
Man darf sich nicht beirren lassen von der schönfärberischen
Tendenz, man muß durch sie hindurchdringen wie durch einen ver-
lockenden Schimmer, der uns verhindern möchte, die Realitäten der
Dinge zu sehen, man muß durch die Entschuldigungen, Verschönerungen
und Bemäntelungen hindurch auf die Fehler, die entschuldigt, die
Flecken, die verschönt, die Blößen, die bemäntelt werden sollen,
liindurchzuschauen trachten, dann erkennt man die tatsächlichen
Verhältnisse.
Man muß vor allen Dingen sich von dem Schema unabhängig
machen können, es als eine unvermeidliche Form betrachten, welche
die Menschen, die noch so wenig im stände waren sich von Vorbildern
und Regeln aller Art zu befreien, nun einmal nicht durchbrechen
konnten, so daß sie notwendigerweise auch ihr Persönlichstes, auch
das nur leise und schüchtern von dem allgemein Gültigen Abweichende
in diese schematisierende Form einschließen mußten. Man muß trotz
des Schemas das Individuelle erkennen.
Man braucht deswegen den Herren und Damen, die sich da
abkonterfeien, nicht alles aufs Wort zu glauben. Man muß milde
und nachsichtig mit ihnen sein und sich darüber freuen, daß sie doch
wenigstens versuchten über sich selber ins Klare zu kommen. Es
fiel ihnen oft gar nicht so leicht. Sie standen einer ganz ungewohnten
Betätigung gegenüber, sie wagten sich an ganz unbekannte Gebiete
heran, sie fingen doch erst an sich über seelische Qualitäten Rechen-
schaft abzulegen und über die Geheimnisse persönHchen Lebens
nachzusinnen. Mehrere Male betonen im Eingange ihrer Schilderungen
die Porträtierenden die Schwierigkeiten, die sich der Wiedergabe
ihrer Eindrücke entgegenstellen: „Comrnc c'est les beautcs de Vatne
que je veux representer., je me trouve hien empechee, ny ayant
ni couleur ni paroles qui puissent depeindre Celles dont je veux
parier'^ so schrtibt die Tochter des Grafen von Brienne, als sie
daran geht, das Bild ihres Vaters zu entwerfen.
Henri Massis. Comment Emile Zola composait ses romans. 57
Die Bekenntnisse solcher Schwierigkeiten zeigen doch wohl den
Ernst der Versuche, mochteu diese bisweilen auch noch so lächerliche
Formen annehmen. Wenn auch einmal in einer Porträtschilderung
die Verbreitung der Manier spöttisch betitelt wird mit den Worten:
Aujx)urd'hui Portraits a foison
Se fönt voir siir notre horison.
Et sont les heaux objets de tonte VEloquence.
11 n''est point de petit garfon
Qui neu donne au Public quelqu'un de sa fago7i:
11 nest point de fille ou de femme
Qui ne nous depeigne son ame,
Et qui ne fasse voir ä nu
Ce qiielle a de plus inconnu.
so erkennt man dennoch durch den Spott hindurch das Neue
und das Wertvolle, welches diese Mode den Menschen der Zeit zum
Bewußtsein gebracht hat.
Ich muß mich mit .Andeutungen begnügen und kann nur hin-
weisen auf den reichen Schatz von Material, der in dieser Sammlung
der M^^® de Montpensier für den Seelenforscher — und das soll doch
auch der Literarhistoriker sein — aufgespeichert liegt. Ich weiß
wohl, daß der Verfasser der besprochenen Arbeit sich sein Ziel nicht
so weit und tief gesteckt hat. Er hat von vornherein „nicht einen
Foitschritt in dem psychischen Vermögen des porträtierenden Schrift-
stellers konstatieren" wollen. Diese Beschränkung an und für sich
hätte ihm zugestanden werden können, wenn ihm die Behandlung der
rein formalen Seite seiner Frage auch nur als ein bescheidener Teil
des Problems erschienen wäre. Es scheint jedoch, als ob er die so
deutliche Vertiefung in seelischer Hinsicht überhaupt nicht anerkennt;
denn er behauptet „die Entwicklung liegt nach einer anderen Richtung
hin, nach der, wohin die Zeit überhaupt neigt, nach der Ausbildung
der künstlerischen Mittel, die man zur Wiedergabe der Persönlichkeit
für erfordeilich hält". Durch diese Annahme verleitet, bleibt er also
nur an der Oberfläche seiner Aufgabe haften und unterdrückt außer-
dem ihre wichtigsten Teile.
GIESSEN. Walther KtrcHLER.
Massis, Henri. Comment Emile Zola composait ses romans.
D'' apres ses notes personnelles et inediies. Paris, Bibliotlieque
Cliarpentier 1906. XII u. 346 S. 3,50 frcs. '
In der französischen Nationalbibliothek lagern, neunzig Bände
stark, die Manuskripte Zolas, nicht nur die endgültigen Nieilerschriften
seiner Romane, sondern unzählige Notizen und Dokumente, die er in
seiner unermüdlichen Sammelarbeit zu dem Aufbau seines Werkes
zusammengetragen hat.
58 Referate und Rezensionen. Walllier Küchler.
Für viele ist Zola gefallen mit seiner Doktrin. Als die kurze
Stunde des Naturalismus geschlagen hatte, da hatte auch Zola, der
konsequenteste Verkünder der naturalistischen Kunstlehre, ausgespielt.
Doch nur für die, welche in ihm lediglich den Theoretiker sahen oder
für die, welche über neuen Sclilagworten das alte, dem sie soeben
noch eifrig zugestimmt hatten, vergaßen.
Wer Zola unbefangen gegenübertrat und seine Werke, losgelöst
von dem künstlich-willkürlichen System, in das er sie eingeschnürt
hatte, betrachtete, dem war es wohl schon klar geworden, daß sich
hinter diesem starkstimmigen Doktrinär ein bildender Künstler, ein
auswählender Gestalter verbarg, ein Dichter, dem es vergönnt war,
die gestaltlose Masse zu ergreifen und zu imposanter Gesamtwirkung
zu formen.
Zola gehört zu der Gattung von Talenten, deren Stärke nicht im
Erfinden, dafür aber im Finden liegt. Er mußte leibliaftig sehen,
er brauchte die Fülle der Erscheinungen, er brauchte das Gewirr und
das Gewoge von Menschen und Dingen, von Häßlichem und Schönen,
von Verbrechen und Laster, von Elend und Gemeinheit, von Licht
und Schatten. Was überhaupt lebte und liebte, flog und kroch und
sich am Boden wand, das mußte er sich durch Zusehen, Aufnehmen
und Sammeln zu eigen machen. Was seine Zeit an starken (und
gerade deswegen z. t. einseitigen) wissenschaftlichen Bestrebungen,
Forschungen und Theorien, an sozialen und politischen Strömungen
barg, alle jene vielfältigen Äußerungen, oft leidenschaftlich brausenden
Bewegungen, welche in ihrer Gesamtheit die Weltanschauung einer
Zeit ausmachen, waren ihm von Nöten, lieferten seinem Temperamente
das notwendige große Bassin, aus dem er nur schöpfen konnte. Er
suchte, fand, verband und gestaltete. Das ist sein persönliches Genie.
Die Anlehnung an eine tönende, aufregende Theorie, eben die der
Vererbung, der Anschluß an die moderne Physiologie und Experimental-
medizin war für ihn ein suggestiver Zwang, eine fixe Idee. Aber
innerhalb dieser Schranken, die ihm seine Begeisterung und zugleich
sein praktischer, auf den großen Massenerfolg ausgehender Wille auf-
erlegte, schaltete der künstlerische Arbeiter.
Diese Erkenntnis von Zolas Eigenart war aus der Betrachtung
seines Gesamtwerkes wohl zu gewinnen. Die Veröffentlichung der
Dokumente aus Zolas Nachlaß, die sich auf den Plan zu dem Roman-
zyclus der Rougon- Macquart und auf die Vorstudien zu dieser
Conception des naturalistischen Romans, sowie im besonderen auf die
Komposition des Romans „JuAssommoir'', beziehen, bestätigen und
befestigen diese Erkenntnis auf das Beste. Der Wert der Arbeit von
Henri Massis liegt vor allen Dingen in der Tatsache, daß sie auf
das Deutlichste sehen läßt, wie abhängig Zola von seiner einmal als
Ausgangspunkt genommenen Theorie war, mit welch leidenschaftlicher
Gewissenhaftigkeit er die Dokumente, d. h. die seiner Überzeugung
nach wissenschaftlich unumstößlich richtigen Belege für die
Ferdinand Brünettere. Honorc de Balzac. 59
Darstellung seiner Menschenschicksale, zusammentrug und mit welcher
künstlerischen Überlegung er bei der endlichen Ausarbeitung seiner
Romane zu Werke ging.
Der Respekt vor Zolas Schaffen wird durch die Lektüre dieser
Aufzeichnungen, die uns mitten hinein in die Werkstatt seiner Arbeit
versetzen und uns ein rastloses Erwägen und Überlegen, eine stete Willens-
kraft es so gut wie möglich machen zu wollen, enthüllen, die Achtung
vor diesem künstlerischen Schaffen wird durch die intime Kenntnis des
allmählichen Vollendens bedeutend erhöbt. Man erkennt nämlich deuthch,
wie in Zolas Bewußtsein zwei Begierden mit einander kämpfen.
Die eine Begierde ist das Heischen nach dem lauten Beifall der
Menge, eine Sucht nach dem Applaus, der das Publikum in Atem
zu halten sucht durch das Ungeheuerliche und Eindrucksvolle der dar-
gestellten Fälle. Es ist sein stürmisches Temperament, das ihn treibt,
das auf Kampf und Feldgeschrei und Sieg erpicht ist, das mit ihm
durchgehen möchte, ihn wohl zu groben Theatereffekten sentimentaler
Art hätte verleiten können, wenn die andere Begierde in seiner Seele,
nämlich ein strenger künstlerischer Ehrgeiz, der ihn zu unermüdlicher
Selbstzucht in Fragen der Komposition antrieb, diesen gröberen Instinkten
nicht erfolgreich entgegengearbeitet hätte. So erkennt man, wie Zula sich
bewacht und kontrolliert, sich seine Wege und Mittel vorschreibt, so wie
es etwa Stendhal tat, der auch eine unstillbare Angst vor dem Falschen,
Sentimentalen, Aufgeputzten und Geschminkten halte. Auch Stendhal
stellte wie Zola das Außergewöhnliche dar, trotz allen Anschlusses
an Leben und Wirklichkeit, aber in der Wahl der Mittel war er von
einer kühlen, immer wachsamen Vorsicht und Selbstkritik, getrieben
durch den Drang nach feinster und wahrster künstlerischer Vollendung.
Dieser gleiche Drang, wenn auch nicht ganz so stark wie bei Stendhal,
wenn auch ohne jene Beimischung von Lonie und Menschenverachtung,
die dem Verfasser der ..Chartreuse de Parme'^ seine Überlegenheit
verleiht, erhellt auch t'iir Zola aus dieser Veröffentlichung, die uns
Massis gegeben hat. Ebenso wie auch die große Einheit in Zolas
Schaffen, die vom Anfang bis zum Ende deutliche, wenn auch
manchmal bestrittene Einheit, aus dieser Menge von Einzeldokunienten
siegreich hervorleuchtet.
Der Wert der veröffentlichten Zeugnisse wird übrigens durch
die Tatsache nicht unwesentlich erhöht, daß Massis durch manche
gute und treffende Bemerkungen sie miteinander verbinden und sie in
ihrer Bedeutung für die Arbeitsweise Zolas zu bestimmen weiß.
GIESSEN. Walther KtrcHLER.
Bruneti^re, Ferdinand. Honori de Balzac. 1799-1850
Paris. Calmann-Lev)'. 1906. VI u. 330 SS. Frs 3. 50.
Die Persönlichkeit des Verfassers, der durch die autoritäre
Aufstellung seiner Ansichten sich so großes Ansehen erworben hat,
60 Referafe muJ Rezensionen. J. Haas.
verleiht diesem Buch ein größeres Interesse als es vielleicht wegen
seines Inhalts verdient. Der Hauptfehler an dem Buch ist, daß
darin zu wenig bewiesen und zu viel behauptet wird. Von den Be-
hauptungen sind ja zweifellos viele richtig, einzelne mit Meisterschaft
entwickelt; aber viele sind dagegen teils sehr zweifelhaft, teils fal-ch.
Die ganze Betrachtung ist niclit voraussctzungslos vorgenommen,
sondern Brunetiere ist unter Voraussetzung von dogmatischen
Sätzen an die Betrachtung Balzacs herangetreten. Der eine ist in
der Vorrede und auch einmal im Buch angesprochen p. IV f: Car
je ne sais pas aujourdliui sHl y a une <thierarchie des genresf-^
Mais que les € genres lütcraires >■ existent, et qu'ils aient des
caracteres diterniints; que ces caracteres evolueni; ei, comme
les caracteres des especes dans la nature, quen holuant, ils
s'expriment ou se rSalisent, sehn les circonstances, avec plus ou
moins de honheur, de force ou de precision, de cela fen suis
sür; -et je voudrais que dans ce volume on en trouvdt la preuve.
Dieser erste Satz ist also von fundamentaler Bedeutung für
das Buch, da seine Anlage durch die Aufstellung dieses Satzes bedingt
ist und die Betrachtung Balzacs ein weiterer Stein zur Vollendung
des Gebäudes sein soll, d. h. der großen Erfindung oder Entdeckung
Bruuetieres von der Evolution des Genres.
Der zweite Satz, der für die Betrachtung Balzacs durch
Brunetiere nicht unwesentlich, aber doch für die Anlage des Buchs
nicht von so fundamentaler Bedeutung ist, wie der erste, ist die be-
kannte Brunetieresche Aufstellung der Auflassung der französischen
sog. Romantik als einer spezifisch individualistischen Literatur.
Da fällt denn auf, daß mit Eüsksicht auf das erste Axiom
nicht ein Buch (oder mehrere Bücher) erscheint mit dem Titel Les
JEpoques du Roman francais oder V Evolution du Roman franpais.
Es hat zwar den Anschein, wenn man das Einleitungskapitel liest,
als ob Brunetiere die Absicht zu einem solchen Werke gehabt habe;
es ist aber zu vermuten, daß die vor Balzac entstandenen Romane
ihm zu unbedeutend geschienen haben, so daß er die Hauptstufen
der Entwickelung der Gattung bis zu ihrem Kulminationspunkt nicht
gefunden hätte. Das als Vermutung ausgesprochen; denn daß ein
anderer eine Geschichte des französischen Romans in den letzten
Jaiiren geschrieben hat, konnte Brunetiere gewiß nicht abhalten, da
es ihn ja auch nicht abgehalten hat, sein Buch über Balzac fast
zu gleicher Zeit zu publizieren, als A. Le Breton.
Es scheint mir also Brunetieres Buch nur ein Fragment, und
zwar ein Fragment, das darum nicht ergänzt ist, weil die Ergänzungen
Brunetiere nicht bedeutend genug schienen und — ich füge dies
als eine der Behauptungen hinzu, die ich hier nicht beweisen will,
um diese Besprechung nicht zu einem Buch anschwellen zu lassen; sie
sollen später in der Fortsetzung meiner Balzacstudien ihre Beweise
Ferdinand Brünettere. Uonorc de Balzac. 61
finden — daß sie Brunetiere nicht bedeutend genug schienen, rührt da-
her, daß seine Methode der Beurteilung der Eutwickelung des Romans
durchaus ungenügend ist.
Wenn man viel behauptet, ohne sich an gegebene Tatsachen
zu halten, so mag es vorkommen, daß man die Dinge das eine Mal
unter einem andern Gesichtswinkel betrachtet als das andere; man
scheint dann sich Widersprüche zu schulden kommen zu lassen; oder
man stellt Behauptungen auf unter Eindruck von bestimmten Tat-
sachen, die dem. Leser nicht gerade gegenwärtig sind und ihm zu
eng oder aber falsch scheinen. Jeder Leser des Buches von
Brunetiere wird diese Wahrnehmung machen; ich führe nur einige
Stellen an, bevor ich den Gedankengang des Buches wiedergebe.
p. 213 iieißt es: Non seulement il nest pas vrai, en fait,
que chaque chose apparaisse ä chacun de nous sous un aspect
different, que determinerait son r,idios2/ncrasie'^ , ei il riy a lä
quune prodigieuse et impertinente Illusion de Vorgueil; mais la
meine realite sHmpose ä toutes les intelligences\ et, de chaque
chose^ il ny a quune vision qui soit exacte et ^.^conforme a Cobjet'''
de meme que, de chaque fait, il ny a qu^une formule qui soit
scientifique.
Dieser Satz ist an sich schon sehr interessant: man wird jetzt
wohl einsehen, daß ich oben nicht unabsichtlich von dogmatischen
Sätzen gesprochen habe. Wenn hier die theoretische Begründung für
diesen Ausdruck liegt, so folgt jetzt die praktische durch Anführung
von zwei Stellen, von denen die erste die Fortsetzung zum eben
gegebenen Zitat ist.
p. 213f.: Le pere Grandet «ressemble» ou il «ne ressemhle
'pas'»\ madame de Mortsauf est «vraie» ou eile nest pas €vraie:> ;
on ne saurait formuler deux jugements sur Celestin Crevel ou sur
Cesar Birotteau; et contre cette evidence il n'y a ni sophisme — ni
inßrmitS — qui puisse prevaloir.
Wer oder was entscheidet darüber? Diese Auskunft findet in
dem zweiten Zitat:
p. 196 f. : ... une sdrie d'arrivistes . . . dont la critique
s'ohstine, je ne sais pour(]uoi, ä votiloir voir le modele ou
Vincarnaiion dans le Jidien Sorel de Stendhal. Mais en comparaison
de ce qiie sont les heros de l'energie dans le roman de Balzac,
ce Julien Sorel nest quun fantoche, en qui je ne voudrais pas
decider ce quHl convient d'admirer le plus, de l'incoherence du
personnage, ou de la fatuite de son auteur. Le seul Rastignac
de Balzac est plus vrai dans un de ses gestes que Julien Sorel
dans toute sa personne.
Nun sind ja auch andere Urteile über Julien Sorel gefällt
worden. Wer entscheidet also über die Richtigkeit der einzigen
„exakten Vision"? Brunetiöre ganz allein.
62 Referate und Rezensionen. J. Haas.
Etwas auifallend wird man auch die beiden folgenden Stellen
finden:
p. 31. Les Jwinmes de g6nie savent beauconp de citoses sans
les avoir apprises, et n07is qui ne savons les nicmes choses qu'a
la condition de les avoir etudices, nous voidons qiCils les aient
apprises comme nons. Novs avons tortl Balzac nous anrait
demandi volontiers ä quelle ecole, et sur quel champ de bataille le
vainqueur d' Areola et de Rivoli avait appris l'art de la guerref
Dagegen liest man p. 153 f. : Car, on dira ce qu'on voudra
du genie des grand romantiques, et nous-memes rious ne leur
mesurerons en toute autrf occurcnce, ni la louange ni F admiration^
mais leur ecole a cte, de son vrai nom, celle de l'ignorance et
de la presomption. Lies grands romantiques, dune maniere generale,
ne SB sont pas contenth, comme Von dit, de «croire en eux»,
ce qui est le droit de tout ecrivaiii, . . . 7nais ils ont cru que leur
g^nie, lui tout seid, suffisait en quelque sorte ä leur tacke; et c'est
justement en quoi leur presomption na eu d'Sgale que leur igno-
rance. . . . Qui/ a-t-il de plus superficiel que €la science-» de
George Sand, ä moins que ce ne soit «Verudition» d'Hugof . . .
11 en est autrement de Balzac, et son intelligente curiosite s'est
dtendue ä tout ce qui pourait intSresser un Jiomme de son temps.
In Bezug auf Balzac's politische und religiöse Ansichten finden
sich im Buche Brunetieres einige Stellen, die nicht ganz harmoniereu.
So schreibt er p. 188: Quand no^is parlons de la portee sociale
du roman de Balzac, nous ii avons donc point d^egard ä ses opi-
nions politiques ou religieuses qui nont rien eu de tres profond ni
de tres original; et surtout qui n'ont que d'assez lointains
rapports avec la qualite de son oeuvre, et la nature de son gSnie.
Je veux dire par la que, si Balzac, au Heu de se declarer
y.catholique'^ et „royaliste'"'' avait professi des opinions exactement
contraires, je ne vois pas hien ce qu'il y aurait de change dans
la conception de son Pere Goriot ou dans ledessin de son Cousin JPons.
Und p. 190: Cest pourquoi lorsquil affirme, par exemple,
que le christianisme, et surtout le catholicisme, kant un Systeme
complet de rSpression de tendances dSpravee de lliomme, est le
plus grand Slement d'ordre social, „nous entendons bien ce quil
veut dire — et il se peut qiCil ait raison, comme il se peut quil
ait fort, — mais on serait itonnS si nous discutions serieusement
son ajfirmation! 11 ne faut pas non plus nous le dissimuler:
une aj)ologie du christianisme sera toujours suspecte sous la plume
de Vauteur de Splendeurs et Miseres des Courtisanes, pour ne rien
dire des Petites Miseres de la Vie conjugale ou de la Physiologie
du Mariage, qui sont des livres parfaitement indecents. Mais
quand Balzac ne serait pas Vauteur de quelques-uns de ses
romans, il nous sufirait de connaitre Vhistoire de sa vie, pour
etre bien assurSs qii'entre la negociation de deux traites de librairie
Ferdinand Brunetiere. Sonore de Balzac. 63
ou Vachat de devx meubles de Boulle, nayant jamais sans doute
etudie s^rieusernent le catholicisme ou le christianisme, ce qiiil en
a pu dire ne saurait donc passer la porüe d'une houtade; et son
autoritS n^en est vraiment pas une.
Dagegen schreibt Brunetiere p. 205 : Je consens d'ailleurs
que, dans la, mesure ou il nest pas indifferent ä une doctrine de
pouvoir se reclamer ou s'auioriser de Vadhesion d'un grand esprit,
on elende un peu au-delä de ces conchisions, la ..portee sociale'*
des r Omans de Balzac. S'il est donc une fois bien entendu
qu' avec tout son genie — qui, par ailleurs Celeve si fort au-
dessus d'un M. de Boiiald ou d'un Joseph de Maistre — Balzac
nest cependant ni Vun ni Vautre de ces deiur grands esprits, il y
a lieu, non j^^is de discuter, nous Vavons dit, mais de relever, ou
d'enregisfrer quelques-unes de ses opinions. Elles ne sont denuees
ni de quelque justesse, ni meme en depit de la maniere dont il
les a formees, c est-ä-dire sans grande etude ni reßexion, de quel'
que profondtur.
Außerdem p. 209 : Je ne voudrais pas encore traiter trop
negligemment quelques-unes des vues quHl a exprimces sur le
catholicisme, et qui fönt de lui, avec JLamennais, un des precurseurs
de ce que l'on a depuis lors appele le „catholicisme social".
Und p. 211: Encore moins meconnaitrons-nous qua dd-
faut dhine connaissance approfondie des veritis de la religion
— quil ne semble pas que Balzac ait posskU — ce meme Pro-
gramme implique une singuliere intelligence des conditions qui
etaient aux environs de 1840 les conditions nScessaires de la rino-
vation sociale du catholicisme.
Es kommt vor, daß p. 24 gesagt wird, Adophe sei kein Roman,
und p. 108 Adolphe sei ein roman beaucoup plus disiingue [ironisch]
qu'une Tenebreuse Affaire.
Um die Reihe der Aussprüche, die teils bedenklich, teils unklar
sind, zu schließen, führe ich nur noch die folgenden drei an:
p. 161: II ne faut point faire grand fond sur les comparai-
sons d'un art ä un autre art, et je ne sache rien de phis döcevant
que ce quon appelait naguere Vesthkique generale 1
p. 152 f.: Et la «litterature personnelle» c'est enfin d'imposer
aux objets la vision que nous nous en formons, sans essayer de
la reformer, sous le preiexte ridicule que nous ne saurions jamais
sortir de nous-memes, et que, toutes choses nexistant que dans
la mesure ou nous les percevons, les impressions que nous en
recevons en epuisent donc pour nous toute la realite.
p. 159 ff.: Mais des descriptions ou, pour mieux dire, des
monographies de ce genre, caracterisent elles-memes un changement
total d'attitude du peintre ä Vcgard de son modele. Nous nous
degageons enfin du romantisme, et meme, en un certain sens, du
classicisme. Le peintre a fait dhormais abdication de ses goüts,
64 Referate und liezensionen. J. Haas.
et, par principe, — de dessein principal et forme, il ne s'appligue
ni ä representer «ce quil aime> ni ce gu' il croit pouvoir «gm-
bellir»; mais il reproduit miiquemeni «ce qui est-i> et «parce que
cela est-». Le savant, le zoologiste, Geoffroy Saint- Hilaire, ßlainville,
ou Cuvier font-ils un choix parnii les animaux'? S appliquent-ils
ä Vetude ou ä Vanaiomie des uns en negligeant ou en dedaignant
Celles des auiresf SHnteressent-ils ä ceux-ci en raison de leur heauti,
ou ä ceux-lä en raison de Vutilite dont ils peuvent etre ä thomme?
Oetait encore le point de vue de ßuffon, et c^etait ce qui lui permettait
d'icrire la phrase: „Xa plus noble conquete que V komme ait
jam.ais faite est celle de ce fier animal ..." Mais il ne s'agit
plus mainteymnt d'utilite ni de conquete! II faut prendre les clioses
telles qu'elles nous sont donnaes. Comprenons-les, si nous pouvons,
et tächons de percer le mystere dont elles s'enveloppent! Rendons-
nous compte, nous le devons, des rapports qu elles contiennent
toutes entre elles, et sans quelque intelligence desquels nous ne
saurions elles-memes les entenJre. Ettidions-les, sans parti pris,
ni secrete intention, sans prStention siirtout de les «embelltr», comme
an disait jadis, ou de les redresser, et ainsi de leur apprendre ce
qu'elles devaient etre. La Subordination, ou, comme on dira
bientöt, l'entihre soumission de Vobservateur ä l'objet de son
Observation, c'est la methode qui a renouvele la science: eile
inaugure avec Balzac un renouvellement de Vart du thedire et
de celui du roman Ou pluiöt encore, eile ramene le roman ä ses
vSritables conditions, quil meconnaissait depuis 250 ans; eile
efface en lui ce qui survivait encore de ses origines epiques; et
eile lui donne la possibilitc de se developper conforniement ä une
loi qui soit proprement la sienne, et non plus la loi commune du
drame ou de la comedie.
Rlan würde daraufhin erwarten, daß Brunetiere Zolas Teorien
und Romanen eine hohe Bedeutung zuschiebe, aber weit entfernt da-
von; Zola spricht er p. 10 geschichtliches Verständnis (le sens de
Vhistoire) ab, und p. 55 nennt er ihn einen Romantiker. Das ist
so ziemlich das Schlimmste, was Brunetiere von einem Roman-
schriftsteller sa^en kann.
Daß auch Balzac seinem Stoff gegenüber nicht so gleichgiltig ist,
daß aucli er wählt, sehr wohl auswählt und zwar in einem vielleicht nicht
so sehr weit begrenzten Kreis auswählt, das möge festgestellt sein;
Brunetiere sagt es übiigens selbst, ohne es zu wissen, und zwar
p. 283 ff., wo er im Schlußwort ausdrücklich feststellt, daß von den
mit Balzac zeitgenössischen Gesellschaftskreisen und -klassen ganze
Gruppen oder Berufskategorien entweder fehlen, oder teils in zu
geringer, teils in zu großer Zahl in der ComMie Humaine vertreten
sind. Woher käme das. wenn Balzac nicht seine Stoffe wählte?
Ich werde an anderem Orte auf diese Frage wieder zurückkommen.
Ferdinand Brunetüre, Honore de Balzac. 65
Ich gebe jetzt im folgenden den wesentlichen Gedankengang
der einzelnen Kapitel des Buches, die wichtigeren Kapitell, IV und V
werden etwas genauer berücksichtigt; ich werde mich begnügen, unter
ev. Vorbehalt späteren Beweises einstweilen meine Einwendungen
möglichst kurz zu machen, wo Brunetiere mir geirrt zu haben scheint.^)
Nach Brunetiere hat es im Jahre 1819 zwei Formen des
Romans gegeben. Zunächst kommt der Ich-Roman in Betracht, der
aus Spanien ursprünglich importiert, in Le Sage einen Hauptvertreter
gefunden hat. [Man könnte darauf hinweisen, daß im XVIL Jahrb.
die in den Schachtelromanen eingefügten Episoden vielfach Ich-Romane
sind, daß also die Einführung in Frankreich nicht so neu ist; auch
ist die Definition, die Brunetiere p. 2 gibt, zu eng; sie schließt
unbedingt die Marianne und den Paysan parvenu von Marivaux aus.]
Im XVIII. Jahih. ist bis Richardson der Ich-Roman die beliebteste
Erzählungsforni ; diese Vorliebe rührt daher, daß die Ereignisse wahr-
scheinlicher werden: par Vintermediaire du roman personnel s'in-
troduit dans le roman U7i accent de r^alite qui le rapproche de
sa deßnition.
Der Briefroman, der nur eine besondere Form des Ich-Romans
ist, unterbrach trotz seines Erfolges die Beliebtheit des roman per-
sonnel nicht ; er wendet ihn aber ab von seinem Zwecke zur psycho-
logischen Aüaly>e d. h. zu Ausnahmefällen. So wendet sich der
Roman zur Darstellung des Besonderen im Ich, und da dieses nie so
ist, wie man möchte, so wird ein revolutionäres und hochmütiges
Element in den roman personnel eindringen; die Gegensätze, die
sich zwischen dem Ich und den Schranken der Umgebung bilden,
führen dann zur Apotheose des Ich in der Romantik.
Einen gewaltigen Einfiuß hätten in der Geschichte des Romans
Corinne und die Martyrs ausgeübt, dadurch daß sie le sens de
Vexotisme und le sens de l'histoire weckten. Daher entsteht der
historische Roman Walter Scotts. Vor Chateaubriand hat es
wohl auch historische Romane gegeben, aber in diesen fehlen die
Beziehungen zu Gewohnheiten, Gebräuchen, Gesetzen der betr. Zeit,
Chateaubriand und nach ihm Walter Scott haben bemerkt, daß
ein Zeitgenosse Ludwigs XIV. in vielen Dingen anders denkt und
fühlt als ein Zeitgenosse eines Merowingers.
Es konnten also bis dahin die Romane eine genaue Darstellung
der Wirklichkeit daium nicht sein, weil die Würde der Gattung am
Ideal der Tragölie gemessen wurde, der Roman für eine minderwertige
Gattung gehalten wurde, und weil Details als zu vulgär verschwiegen
wurden, die zum Aufdruck des Lebens gerade nötig sind; das sind
z. B. Mobiliar, Kleidung, alltägliche Verrichtungen, Essensweise, die
Spiele usw. Davon aber hängt die Einführung des plein sens de la
realiU ab. Das hat W. Scott gesehen und getan.
^) Meine Bemerkungen sind in eckigen Klammern.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI».
66 Referate und Rezensionen. J. Haas.
Von da zur Anwendung auf die Gegenwart war nur ein Schritt;
darum konnte der historische Roman nur eine Übergangsgattung sein.
Es ist also der realistische Roman aus dem historischen Roman entstanden,
dagegen ist eine Abhängigkeit von Ducray-Duminil und Pigault-
Lebrun nicht glaubhaft. Immerhin konnte man aus dem Erfolg des
melodramatischen Romans die Notwendigkeit einer Intrige für den
Roman ersehen. Tatsächlich ist die Verwicklung der Intrige das
hauptsächlichste Mittel, das Interesse zu fesseln; eine Intrige ist
also für den Roman ein unbedingtes Erfordernis. RenS, Adolphe,
Obermann haben keine Intrige, also sind sie keine Romane; Delphine
Corinne, Indiana sind dagegen aus dem entgegengesetzten Grunde
Romane. Und aus seinen melodramatischen Jugendromanen hat
Balzac die Notwendigkeit einer Intrige gelernt. Diese, die aventures, die
der Dichter erzählt, sind das Hauptmittel, um den Leser zu fesseln.
Diese Berichte von aventures, die Romane, werden vor Balzac als
eine minderwertige Gattung betrachtet; Balzac hat dem Roman zu
seiner literarischen Würdigung verholfen.
Nach dieser Übersicht, die das I. Kapitel bildet, will ich aus dem
vorwiegend biographischen II. Kapitel nur wenige Dinge hervorheben.
Brunetiere leugnet für die spätere literarische Tätigkeit Balzacs
den Einfluß seiner juristischen Studien und seiner Tätigkeit bei einem
Notar. Er kann eine absprechende Bemerkung über Andrieux Anspruch
in bezug auf Balzacs Cromwell nicht unterdrücken; und doch hat die
Zukunft gezeigt, daß Andrieux recht hatte; denn Balzac hat auf dem
Theater nie Erfolge erzielt.
Dagegen haben Balzac, nach Brunetiere, seine geschäftlichen
Unternehmungen und der darauffolgende Krach in die Prozeduren des
Konkurses eingeweiht, und manches in seinen Werken ist darauf zurück
zuführen. Diese Lebenserfahrung, die Balzac erworben hat, zeichnet ihn
vor allen anderen Schriftstellern aus; vor ihnen fehlt dem Roman
Leben, das geschäftliche Element des Lebens. Wegen dieser Erfahrung
hat Balzac sich späterhin um Handel und Industrie gekümmert, da-
her in seinen Romanen die Richter und Notare, die Bankiers und
Kaufleute.
Was sein Verhältnis zu M™^ de Berny betrifft, so wiederholt
auch Brunetiere. daß Balzac ihr die lebendige Kenntnis des ancien
regime und seine politischen Ansichten verdankt, was ja nicht richtig
ist. Wohl aber mag richtig sein, daß M™® de Berny Balzac [es
scheint mir indessen durchaus nicht sicher] gesellschaftlichen Schliff'
gegeben und seineu Geschmack gebildet hat. Ihr verdanke Balzac
außerdem die erste Kenntnis der Liebe.
An der Liebe Balzacs zu Frau von Hanska glaubt Bru-
netiere, von den beiden ersten Jahren abgesehen, nicht recht und
er mag mit seiner Ansicht nicht fehlgehen. Daß Balzac diese
Korrespondenz gepflegt, um jemand seine Freuden und Leiden erzählen
zu können, dafür müßte man doch bei Balzac zuerst ein Bedürfnis
Ferdinand Brünettere. Ilonore de Balzac. 67
nachweisen; und der dritte Grund, daß Balzac dieses Verhältnis
gepflegt, weil er in Frau von Hanska ein treffliches, öfters verwendetes
Modell fand, ist nicht recht plausibel; denn an Modellen hat es dem
Dichter gewiß nicht gefehlt; anders mit dem zweiten Grund,-|daß
Balzac ein Verhältnis zu einer vornehmen, fremden Dame reizte, die
ihm einmal als seine Lebensgefährtin die vornehmen Kreise öffnen und
dort eine ebenbürtige Aufnahme sichern sollte.
Aber von der Zeit an, wo er shriftstellerisch tätig war, haben
ihn nach Brunetiere seine Liebeshändel nie von seiner Arbeit
abgehalten; im Gegenteil, seine Kunst hat aus den Lehren seiner
Liebeserfahrung sich bereichert. [Wenn Brunetiere von Musset und
G.Sand sagt, daß deren Liebesverhältnisse ihrer poetischen Tätigkeit
geschadet haben, so vergißt er, welcher Abstand die ^Nächte'- von
Rolla oder gar den früheren Gedichten trennt; in G. Sands Werken
ist ein nicht minder großer Fortschritt zu konstatieren].
Im Gegensatz zu Sainte-Beuve (in der Zeit des ersten Lundis),
zu Flaubert, zu Zola, kümmert sich Balzac nach Brunetiere
um Kunsttheorien nicht ; sa phüosophie de Vart est hien simple :
le genie cree la fortune, et la fortune prouve le genie. Balzacs
Werke sind geschaffen mit Mitteln, die denen der Natur gleichen.
Darum sind in seiner Korrespondenz ästhetische Erörterungen so selten.
[Das kann aber auch von dem Glauben an der Unübertrefflichkeit
seiner Werke herrühren, kann auch einen anderen Grund haben, der
auch die Erklärung abgäbe für die von Brunetiere später aufgestellte
Behauptung, daß ein Fortschritt von der Eugenie Grandel bis zum
Cousin Pons nicht wahrzunehmen sei].
Während die subjektive Literatur nur zu verstehen ist, wenn
man der chronologischen Ordnung der Werke folgt, weil diese die
Folge des Affektlebens der Verfasser ist, ist der Charakter der Werke
Balzacs die Objektivität des Verfassers; die Wahl seiner Werke
ist nie auf Gründe persönlich intimer Art zurückzuführen. Seine
Stoffe drängen sich ihm auf; er hat mehrere Romanentwürfe im Kopfe,
die nach und nach reifen und Stoffe zu noch viel mehr Werken.
Daher kommt dann die rasche Niederschrift des einmal gereiften
"Werkes; daher auch der Anschein der Notwendigkeit, der seinen
großen Romanen eigen ist [?], daher sind sie lebendig, daher kommen
die Beziehungen, die sie alle mit einander haben. So ist die ComSdie
humaine nach und nach herausgewachsen. Jeder der Romane Balzacs
hat nur Wert, insofern er mit den anderen Werken der ComMie
humaine in Beziehung steht [?J.
Wenn man nun das Verzeichnis der Werke ansieht, die die ComSdie
humaine nach Balzacs Absicht 1845 bilden sollten, so sind darin
eine Reihe von Werken verzeichnet, die nie geschrieben wurden; [dies
bringt Brunetiere nicht in Verbindung mit Balzacs Wortbrüchigkeit
den Redakteuren und Verlegern gegenüber, sondern] er findet diese
Titelaufzählung systematisch, künstlich; die Stoffe sind nicht Folge
68 Referate und Rezensionen. J. Haas.
der Inspiration dmcli Beobachtung; darum ist nicht zu bedauern,
daß Balzac sein Programm nicht vollendet hat. Balzac selbst hätte
sich an diese Aufzählung nicht für gebunden erachtet; denn die
Cousine Bette und der Cousin Rons, die 1846 — 47 geschrieben
sind, sind in der Zusammenstellung von 1845 gar nicht erwähnt.
Der Cousin Rons und die Cousine Bette, zwei seiner guten
Komane nach Brunetiere, sind aber entschieden nicht besser als
la Recherche de VAhsolu oder Eagenie Gründet. Die Reihenfolge der
Werke im Buchhandel ist gleichgiltig, von 1833 an ist in unbestimmter
"Weise Balzacs Werk ganz in seinem Kopfe vorhanden.. [Indem
Brunetiere die Frage nach der Technik des Romans ganz eliminiert,
und von dem Roman nur fordert, daß er das wirkliche Leben, aber
in allen Kleinigkeiten und Einzelheiten, darstelle, kommt er zu diesem
Resultat; aber Balzacs Werke sind keine poncifs nach der Eugenie
Gründet, dem Phre Goriot, oder der Recherche de UAbsolu; es
ist ein Fortschritt von 1833 — 1846 zu konstatieren, so groß zwar
nicht wie von 1829 — 1833, aber darum ist er doch da].
Das folgende Kapitel handelt von der historischen Bedeutung
der Romane Balzacs. Diese liegt nicht darin, daß die von Balzac
erzählten Geschichten wahr sind: au Heu d'etre d'admirables rornans,
si la Cousine Bette ou un MSnage de Gargon Siaient de
vraies .Jiistoires'-'^, quel hien, je veux dire, quel honnenr croit-on
quHl en revint ä Balzac? . . . Les romans de Balzac ne sont
pas de Vhistoire, ni surtout des romans historiques ... (p. 1 1 7 f.).
Aber sie haben eine historische Bedeutung, einen historischen Wert.
[Diese Behauptungen sind durchaus fraglich.]
Zunächst sind die Romane streng lokalisiert; das zeitgenössische
Paris spielt eine gioße Rolle; aber von der Provinz ist früher in den
Romanen nicht die Rede. Diese Einführung der Geographie Frank-
reichs war zu jener Zeit vollständig neu [Nicht gau/].
Freilich unterscheiden sich Balzacs Schilderungen von den
poetischen Schilderungen. Diese sind sich Selbstzweck. Jene haben
immer ihren Grund zu sein außer sich selber. Poetische Schilderung
und Romanschilderung sind für Balzac zweierlei. Die Schilderungen
enthalten die Ursachen, die die Personen fa^onniert haben, s-o haben
werden lassen, wie sie sind. Sie haben also historischen Charakter.
Die Schilderungen Balzacs erreichen ihren Zweck nicht immer;
sie scheinen dann zu lang. Aber theoretisch ist das Milieu von
Wichtigkeit, und obwohl z. B. Eng. Grandet, statt in Saumur^
ebenso gut auch anderswo spielen könnte, so behalten darum die
Schilderungen doch ihren Wert. [Diese oberflächlichen Ausführungen,
die die Technik der Schilderung gar nicht berühren, treffen eben
deswegen den Kern der Fraise nicht.]
Balzac ist also von 1830 — 1850 der universellste Ma'er des
Provinzlebens, und wenn die Ähnlichkeit nicht vorhanden wäre, so
haben wir doch jeweils ganz verschiedene Bilder, und schon darum
Ferdinand Brunetiere. Honore de Balzac. 69
ist ihnen le sens de Vhistoire eigen; denn dieser ist nichts anderes
als le sens de la diversite des epoqnes ou des lieux [?] , . . Diese
Verschiedenheiten können nur durch Nebeneinanderstellung oder in
ihrer Zeitfolge aufgefaßt werden.
Aber der historische Charakter der Romane Balzacs beruht
nicht allein darin.
Die Chouans, Une ThiSbreuse Affaire, Cesar Birotteau, die
Rehouilleuse, die Cousine Bette haben alle ihren geschichtlichen
Hintergrund und geben einen Beitrag zur französischen Sittengeschichte
unter dem Konsulat, dem Kaisertum, der Restauration und dem
Jiilikönigtum.
Die Chouans geben bei allen ihren Schwächen ein vortreffliches
Bild von den Verhältnissen der Bauernbevölkerung und von der
damaligen Kriegsführung.
Nirgends besser als in Une Ihiehreuse Affaire finden sich drei
Dinge dargestellt: die drückende Atmosphäre infolge der tyrannischen
Allmacht Napoleons von 1804—1812, die Unbeständigkeit des Systems
infolge des verhaltenen Grolls vieler Unzufriedener und das zweideutige
Spiel von einzelnen Hochgestellten, die an den Bestand der napoleonischen
Herrschafft nicht glaubten.
In Cesar Birotteau ist in den Verhältnissen eines Genrebildes
die ganze Restauration dargestellt; 20 Jahre älter wäre Birotteau
Ragon; um 20 Jahre jünger, wäre ei' Crevel.
Noch zur Zeit der Restauration, etwas später als Char
Birotteau spielt die Rabouilleuse; hier ist es nicht allein Philippe
Bridau, dessen Persönlichkeit dem Roman historisches Interesse verleiht;
sondern überhaupt die typischen Gestalten der unter der Restauration
pensionierten napoleonischen Offiziere charakterisieren die Zeit. Einige
haben im Heer, andere als Beamte Unterkunft gefunden; wieder andere,
di'corant de fidelite au grand homme leur incapacite de se sou-
mettre ä auciine regle, trieben sich von Cafe zu Cafe herum, und,
ohne einem Streit auszuweichen, jagten sie nur dem Genüsse nach.
Diese Menschen gehören zu einem Ensemble von Umständen, die es
nur einmal gegeben hat, und deren Geschöpfe sie waren, bevor sie
deren „Ausdruck" wurden. Dieses Gemälde wird vervollständigt durch
den Armeelieferanten Du Bousquier und den B'^" du Chätelet.
Ebenso groß ist der historische Wert der Cousine Bette; ein
Vergleich von Crevel mit Birotteau ist ein Beweis dafür. Birotteau's
Eitelkeit beugt sich noch vor der Autorität; aber Crevel erkennt
keine mehr an. Seit 1830 ist er, der reiche Bourgeois, der sein
Vermögen selbst erworben, der dadurch sich Achtung errungen hat.
der Abgeordneter und Pair werden kann, den größten Männern
ebenbürtig. So erstehen in diesen Romanen die verschiedenen Phasen
der französischen Geschichte von der Revolution bis zum Julikönigtum.
70 Referate und Rezensioyien. J. Haas.
Der vielfach Balzac gemachte Vorwurf des ühergroßeu Einflusses
der Polizei in seinen Romanen ist nicht begründet; wenn man geschicht-
liche Werke über die betreffende Zeit vergleicht, so findet man, daß die
Polizeimittel der Fruchtbarkeit seiner Phantasie weniger Ehre machen,
als der Treue seiner Beobachtung.
[Diesen Behauptungen über Crevel und ßirotteau, über Bridau
und Gilet als Repräsentanten ihrer Zeit kann ich nicht ohne weiteres
beipflichten; es ist aber ganz besonders aus diesem Kapitel eine falsche
Auffassung zu rügen, die die literarische Persönlichkeit Balzacs
richtig zu erfassen verhindert. P. 120 führt Brunetiere die Stelle
aus der Vorrede zur Comedie himaine an, in der Balzac sagt, daß
die unbekannte Schlacht, die in einem Tal des Indre zwischen Ji'"" de
Mortsauf und der Leidenschaft geliefert werde, vielleicht ebenso
gewaltig sei, wie die berühmteste der bekannten Schlachten. Diese
so wichtige Stelle hat Brunetiere falsch verstanden; er fügt hinzu,
diese Schlacht interessiere niemand als sie selbst und den großen
y.Dummkopf-' Felix Vandenesse uud er deutet sie folgendermaßen:
11 {^Balzac) a cru, pour Vavoir ohservS que nos actions, meme
publiques, Staient toujours, comme on dit aujourdhui, €conditionmes-»
par les circonstances de notre vie privSe. 11 a crii que Ics causes,
qui dans iin cas donnc determinaient les actions d'zcn komme en
un sens, et Celles d'mi autre komme dans un autre sens, etaient
siiides en general plus loin et plus profondement qiion ne le pense,
et ne dependaient pas tant de Vkeure ou de la circonstance, que d'une
longue p>remeditation des acteurs, inconsciente, mais non pas pour
cela taut ä fait ni precisiment involontaire. Brunetiere findet
darin die moderne Auffassung des historischeu Determinismus und findet
einen erneuten Beweis für die historische Bedeutung der Balzacschen
Werke. Die Stelle ist aber, wie gesagt, ganz falsch aufgefaßt; aber sie steht
auch in schroffem Widerspruch mit der Auffassung von C. Birotteau und
Crevel (p. 109 ff. und 114 ff.), die in folgende Satz Brunetieres
zusammengefaßt werden kann: Plus vieux d'une vingtaine d'atinees,
Cesar Birotteau ne serait pas Cesar, mais JRagon, son predecesseur
ä Venseigne de la Reine des Roses; et, plus jeune de vingt ans,
il y serait son propre successeur, le triompkant Crevel.]
Das folgende Kapitel V ist dem ästhetischen Wert des Balz a cscheu
Romans gewidmet. Wenn man als Erfordernisse des Romans die
Kraft der Erfindung, die Fähigkeit Wahres darzustellen, die Kunst
des Pathetischen bezeichnet, so hat Balzac die erste Bedingung
manchmal erfüllt, die dritte auch; das haben aber auch E. Sue und
A. Dumas getan; der zweiten Bedingung genügt er wie kein anderer.
Aber diese drei Bedingungen sind nicht die eigentlichen Elemente
des Romans, diesci' teilt diese Forderungen mit dem Drama und dem
Lustspiel. Balzacs Roman ist etwas anderes als der seiner Vorgänger,
und zwar ist er nicht bloß erzähltes Lustspiel oder Drama. Auch
die Charaktere Balzacs haben nichts spezifisches; Grandet und
Ferdinand Brünettere. UonorS de Balzac. 71
Gobseck mit Harpagon zu vergleichen, oder seine Ehrgeizigen neben
die Cor nein es zu stellen, führt nicht zum Grund der Unterscheidung.
Balzac bat auch Züge eines Romantikers, als solchen charak-
terisieren ihn die Wahl von Stoffen wie z. B. La derniere Incarnation
de Vautrin, die Übertreibung einiger Charaktere, die deklamatoirsche
Sensibilität, die die ersten Seiten des Lys dans la ValUe diktiert hat
[ein diesbezügliches Zitat p. 130 f. scheint mir sehr streng beurteilt],
und die anspruchsvolle swedenborgische Philosophie Louis Lamberts,
und Seraphitas (ni Balzac ni le romantisme nont de raison de
s'en vanter p. 131).
Wenn man aber in der Romantik die Kunstdoktrin erblickt»
die danach strebt, die Schönheit zu verwirklichen oder die Wirklichkeit
zu verschönern (Victor Hugos Gedichte, der G. Sand erste Romane
z. B. Indiana, Valentine, Jacques, Dumas Dramen), eine Kunst-
doktrin, die unvermeidlich zu dem Bestreben führt das Seltene, Außer-
ordentliche (den heroischen Räuber, die trotz ihrer Ausschweifungen
naiv verHebte Kurtisane u. dgl.) darzustellen, so ist Balzac diese
Kuustdoktrin ganz fremd geblieben. Trotzdem er viele Ausnahms-
menschen gezeichnet, ist die Darstellung immer eine Rehabilitation
der Wirklichkeit, der „bescheidenen alltäglichen Wahrheit" [?].
Wenn ferner für die Romantik als besonderes Kennzeichen gilt»
daß systematisch das Schauspiel der weiten Welt auf die persönliche
Vision des Dichters reduziert wird, so zeigt im Gegenteil Balzacs
ganzes Werk das Bestreben, seine individuelle Art — die notwendig
eng und als individuell nach Einfachheit strebt — der Kontrolle einer
Wirklichkeit zu unterordnen, die ex definitione außerhalb von ihr ist,
vor ihr existiert und über ihr steht,
Balzac ist also kein Romantiker, sondern er war Naturalist,
Er ist Naturalist in naturwissenschaftlichem Sinn [was unbewiesen
bleibt und zwar aus guten Gründen] und er ist es auch im ästhetischen
Sinne. Denn
1. sind seine Personen genau determiniert, was vor ihm in den
Romanen nicht der Fall war. Die Darstellung dessen, was den täglichen
Lauf des Lebens ausmacht und für alle Menschen von Bedeutung ist, ist
das erste Gesetz einer Gattung, die das Leben getreu darstellen will,
Balzacs OriginaUtät ist es, das verstanden zu haben, Balzac hat zuerst
gezeigt, wie Geld verdient wird ; dashalb mußte er die Mittel dazu
angeben, sie wahrscheinlich machen, d. h, den ganzen Betrieb eines
Geschäfts oder Berufs zeigen. Das Geld ist also in seinen Romanen
von großer Wichtigkeit, aber es ist doch die Hauptsache nicht; es
verleiht nur der Erzählung einen Anschein von Genauigkeit, den sie
ohne das Geld nicht hätte. Aus dieser Lokalisierung der Personen
und Begebenheiten entsteht die Lebendigkeit, die Wahrheit der so
ungeheuer verzweigten Masse von Personen, die manchmal kaum
skizziert sind.
72 Referate und Rezensionen. J. Haas.
2. Die Fülle, die Genauigkeit, die Präzision des Details
bestimmen in Balzacs Romanen genau den Stand der Personen.
Haus, Mobiliar, Kleidung schildert Balzac mit größter Sachkenntnis;
diese Schilderungen sind manchmal zu lang; ohne sie gingen aber die
Personen ihres Charakters verlustig. Hier ist Balzac durchaus
Neuerer; seither bilden diese Schilderungen einen integrierenden
Bestandteil der Romane.
Balzac ist also zu jener Zeit der einzige, der das Gefühl der
Objektivität oder der Unpersönlichkeit besaß. Wohl macht er
Digressionen, spielt sich als Reformator, als Philosoph, als komme
d'esprit auf; aber das sind Schwächen, namentlich ist er in letzterem
Bestreben unerträglich.
Aber zur „persönlichen subjektiven Literatur" (litUrature
personnelle) gehört das nicht, wenn jemand in seinem Werke seine
Ansichten mitteilt, wenn man sein Talent in den Dienst seiner
Ideen stellt.
Die littSrature personnelle nimmt das Ich als mehr oder weniger
offensichlichen Gegenstand seines Werkes, ruft den unbekannten Leser
als Zeugen an, wegen unerfüllter Träume und verletzten Ehrgeizes
(Hugo im Ruy Blas, Vigry in Chatterton und Stello, im Samson
und Mo'ise). Ferner wird in der litterature personnelle alles auf
das Ich als den Mittelpunkt bezogen und endlich den Dingen die
Vision, die der Schriftsteller von ihnen hat, auferlegt, unter dem
lächerlichen Vorwand, wir könnten nie aus uns heraus.
Dabei ist die charakteristische Eigentümlichkeit der Romantiker
Ignoranz und Anmassung: ils ont cru que leur genie, lui tont seid,
sufßsait en quelque sorte ä leur tacke, [Brunetiere berührt hier
eine, vielleiclit allen Romantikern gemeinsame Eigentümlichkeit; sie
ist aber nicht nur falsch formuliert, sondern ganz falsch aufgefaßt].
Balzac aber ist eine außerordentliche Wißbegier eigen und
seine Kenntnise, obwohl oft oberflächlich, sind ungeheuer ausgedehnt,
Sie erhöhen nicht nur die Ähnlichkeit seiner Romane mit dem Leben,
sondern sie geben seinem ganzen Werke einen Gehalt, den man als
„wissenschaftlich" bezeichnen kann, und zwar ist das so zu verstehen,
daß die meisten Balzacschcn Romane Enqueten oder Dokumenten-
sammlungen sind. Das war nur möglich durch sein Bestreben sich
möglichst universelle Kenntnisse anzueignen; und diese setzten ihn in
den Stand die Personen in ihrem Milieu der Wirklichkeit entsprechend
darzustellen. 2) So haben ihn auch seine medizinischen Kenntnisse
'-) Sehr interessant ist eine beiläufige Bemerkung (p. 156—158)
Brunetieres über die eingestreuten Biographien, die zuweilen von qual-
voller Länge sind. Aufser der Biographie des Titelhelden sind im Cousin
Ports noch mehrere vollständige Biographieen eingestreut; diese stören
zweifellos den Fortgang der Erzählung. Zwei davon (Brunner und Poulain)
bezeichnet Brunetiöre, m. E. mit Unrecht, als « peu prcs etrangh-es ou
inutiles ä Vaction. Aber, sagt er, obwohl ihre Rolle ganz nebensächlich ist,
Ferdinand Bruneiiere. Honore de Balzac. 73
iu den Stand gesetzt, der Krankheit im Roman den Raum zu geben,
den sie im Leben einnimmt, obwohl er zuweilen seine medizinischen
Kenntnisse mißbraucht. [Daß die Verwendung seiner medizinischen
Kenntnis den Romanen Balzacs irgend welchen Wert verleiht, kann
man durchaus bezweifeln und das, was Brunetiere einen Mißbrauch
nennt, ist nichts anderes als die Verwendung falscher Ansichten,
die sogar dem Laien einen peinlichen, manchmal auch erheiternden
Eindruck machen].
So bringt Balzac eine neue Kunstrichtung auf, die von der
Romantik, auch in gewissem Sinne vom Klassizismus frei macht. Der
Künstler hat künftighin auf seinen Geschmack verzichtet, uud grund-
sätzlich stellt er nicht mehr dar, was er liebt, oder was er glaubt,
schöner gestalten zu können; er gibt nur wieder, was ist. Die großen
Zoologen wählen auch nicht unter den Tieren aus; der Begriff der
Utilität kommt nicht mehr in betracht. Man nehme die Dinge, wie
sie sind; man verstehe sie, man erfasse die Beziehungen, die sie unter
einander haben; man studiere sie ohne Rücksicht auf die eigene
Vorlieb?.
Diese Unterordnung des Beobachters unter seinen Stoff ist die
Grundlage der Methode, die die Wissenschaft erneuert hat, und mit
Balzac bringt sie eine Erneuerung der Kunst, des Romans und später-
hin der dramatischen Kunst.
Diese Revolution hat Balzac in der Kunst bewirkt, dadurch
daß er sich solcher Kunstmittel bediente, die man bis dahin als der
Kunst unwürdig angesehen hatte. Daher sind iu der Comcdie Humaine
manche Szenen, die viele aus seinen Werken entfernt wünschen, aber
die Darstellung bedingt, wenn sie vollständig sein soll, eben alle Teile
des Lebens und während Balzac allen diesen Teilen des Lebens
seine Beobachtung widmet, macht er uns zu Richtern der Wahrheit
seiner Vision.
Als wichtigste Konsequenz der Gleichgültigkeit des Dichters
seinem Stoff gegenüber ergibt sich, daß kein Stoff an sich einen ab-
soluten Wert hat, und Brunetiere schließt daraus [uud das ist
eine Folge der verhängnisvollen, falschen Auffassung der p. 120
zitierten auf Felix von Vandenesse und M™® de Mortsauf bezüglichen
so müssen ihre wenigen Handluugen genau bestimmt, determiniert sein,
nicht durch die Phantasie des Schriftstellers, sondern durch ihre Persönlichkeit.
Man mufs sie also kennen. Aufserdem dienen sie zur Rekonstruktion des
Milieus [auch Brunner::], das die Handlung bestimmt. Also sind diese
Biographien nötig und berechtigt. Semper ad evintum fesünet, mag — obwohl
Brunetiere auch dies nicht zugiebt — für das Drama gelten; für den
Roman gilt dieses Gesetz nicht. Le denouement ne doil inmrds <Ure la raison du
recit. [Hier liegt ein falscher Schlul's vor. Der richtige Grundsatz Le denoue-
ment ne doit jamais etre la raison du rrcit kann unter keinen Umstünden zur
Rechtfertigung der schweren Verstöfse Balzacs gegen die stilvolle Ein-
heitlichkeit der Erzählung dienen. So liefsen sich alle Fehler rechtfertigen].
74 Referate und Rezensionen. J. Haas.
Stellen], daß das Interesse, das wir an einem Stoff nehmen, großen-
teils von seinen Beziehungen zu anderen Stoffen abhängt, und
darum ist nach Brunetiere als Konsequenz des Balzac sehen Natu-
ralismus die Comedie Humaine die vollständig adäquate Form des
Balzacschen Romans. [Diese Deduktion ist absolut falsch; die Come-
die Humaine ist keine Analyse der Gesellschaft durch ein Genie mit
umfassender Welt- und Menschenkenntnis, sondern eine nachträg-
liche, künstliche Synthese von einzelnen Analysen, deren jede als Roman
für sie bestehen kann, von dem ungleichen Wert der einzelnen Werke
ganz abgesehen,]
Das sieht auch Brunetiere ein; er sagt: Ces distinctions
soni bien subtiles et il faut convenir qu'on ne les aperyoit pas
aussi nettes que Balzac les aurait voulues! Und doch setzt ei-
hinzu: Mais elles n'ont p)^^ moins leur raison d'etre, et cette
raison d'etre est qu'en s'eclairant les unes les autres, Sc'enes de
la Vie de province ou Scenes de la Vie parisienne, elles fönt
participer le detail ä la vie des ensembles; et non seulement ce
quon eilt pu croire insignißant ne l'est plus, mais rien n'est
insignifant, et, comme en Zoologie, tont se met en place, s'ordonne
et se classe (p. 167).
Da Balzac in dem Punkte, in dem Brunetiere ihn als
Original und Neuerer bezeichnet, sich von allen Zeitgenossen unter-
scheidet, kann er auch von ihnen nicht abhängig sein. [Brunetiere
betont dies besonders, macht sich freilich teils den Beweis sehr leicht,
teils erbringt er gar keinen.] Dagegen hat Balzacs Roman wegen
der Einfachheit und Fruchtbarkeit des Prinzips der Unterordnung
unter den Stoff einen außerordentlich wirksamen Einfluß ausgeübt.
Die Gattungen evoluieren oder verändern sich; die Veränderungen
gehen nur unter bestimmten Umständen und Bedingungen vor sich;
wie es in der Natur einen höchsten Punkt der Entwicklung der
Gattung gibt, so auch in der Evolution der literarischen Gattung.
Das sind für Brunetiere drei Axiome — er sagt Tatsachen, und
er sagt [etwas lakonisch], Balzac habe mehr als einmal diesen Höhe-
punkt der Entwicklung erreicht. Ferner hat Balzac als erster über
die Forderungen der klassischen Ästhetik triumphiert und dem Roman
zu seiner Bedeutung verholfen [?] Diese Höhe der Entwicklung hat
Balzac durch .die Eingebung seines Genies ohne es zu wissen, nicht
infolge von ausgearbeiteten Theorien, erreicht.
Da Balzac eine ganze Zivilisation, eine vollständige Gesellschaft
nachahmt, so geht die Treue der Nachahmung weiter als diese selbst
und die Darstellung des Lebens wird zu einer Sittenstudie oder zu
einer sozialen Studie. Der Pere Goriot, die Cousine Bette bedingen
eine Analyse der französi^^chen Familie im XIX. Jahrb. ; im Cure de
Village, im MMecin de Campagne ist der intime Bau dieser Ge-
sellschaft dargestellt. So kommt Brunetiere auf die soziale Trag-
Ferdinand ßruneiitre. Honore de Balzac. 75
weite des Balzacsclieu Romans zu sprechen. Man darf sich natürlich
Balzac nicht als docteur es sciences sociales vorstellen; sondern
die soziale Bedeutung der Comedie hiimaine beruht in der Zeichnung
einer vollständigen oder fast vollständigen Gesellschaft mit all ihren
Organen, diese jeweils in allen ihren Beziehungen zum Ganzen und zu
den andern, ohne daß sie einzeln, in ihrer Unabhängigkeit betrachtet
würden.
Vor Balzac war der Roman gefälscht. Die einzige Frage, um
die er sich drehte, war die Liebe, Balzac bat die andern Leiden-
schaften eingeführt und dadurch die Möglichkeit gewonnen, ein ge-
treues Bild der Gesellschaft zu erzeugen.
Außerdem beruht die soziale Bedeutung des Balzac sehen
Romans darin, daß er mit der Beschreibung dieser Gesellschaft
es verstanden hat, im Mechanismus des täglichen Wirkens die Trieb-
federn in Tätigkeit zu zeigen, deren Grund er zuerst bloßgelegt hat
und so die nächsten Veränderungen dieser Gesellschaft ahnen zu lassen
[Das stimmt durchaus nicht.] Darunter versteht Brunetiere nur
den Individualismus, der die Folge der Revolution ist und die alte
Familie zerstört; die moderne Gesellschaft geht einem Zustand der
Dinge entgegen, wo die Tyrannei des Gesetzes sich allgemein geltend
macht, ohne Hemmnis, ohne Vermittlung, und so \Yird es da zwischen
dem anarchischen Individualismus und dem Erdrücken des Individuums
durch die anonyme Kollektivität kein Mittel mehr geben.
Darauf wendet sich Brunetiere (Kap. VII) zu der Frage
nach der Moralität der Romane Balzacs: diese sind weder moralisch,
noch unmoralisch, sondern eben, was sie sein mußten als Darstellung
des Lebens. Sie sind unmoralisch, wie die Geschichte und das
Leben, d. h. ebenso moralisch wie sie. Es ist zwar zweifelhaft, ob
es ihr Zweck ist, Lehren zu geben; aber wenn überhaupt, so sind
ihre Lehren nicht die besten und auch keine wahren Lehren, die
zu befolgen wären. Doch kann dem daraus ein Vorwurf nicht er-
wachsen, der sich darauf beschränkt hat, sie zu verzeichnen. Dieser
Fall aber ist nicht eine Frage nach der Moralität, sondern nach der
künstlerischen Auffassung des Beobachters, und diese Frage hat
Brunetiere ja schon beantwortet.
Was den Einfluß Balzacs betrifft, so werden, wenn man von
der Behauptung absieht, Balzac verdanke seinen Ruhm, großenteils
dem bekannten Aufsatz von Taine, von Brunetiere teils alte
Dinge behauptet, teils solche, in denen ich ihm nicht zu folgen ver-
mag. [Viele Behauptungen, wenig Beweis.]
In einem Schlußkapitel faßt Brunetiere seine Ansichten
folgendermaßen zusammen:
1. Die Comidie liumaine ist disproportioniert; die Darstellung
ist unvollständig; das Bauernleben kommt zu kurz, der Handwerker
76 Referate und Rezensionen. J. Haas.
fehlt, Advoliate, Professoren sind ungenügend vertreten; dagegen sind
die Notare, Avoues, Bankiers, Geldverleiher, Kurtisanen und Verbrecher
in zu großer Zahl vorhanden.
2. Die einzelnen Teile der Comedie humaine sind sehr un-
gleich; die Ursache liegt teih darin, daß Balzac die einzelnen
Romane nicht genügend hat reifen lassen, teils darin, daß er zu schnell
gearbeitet hat, teils darin, daß er verschiedene Teile, die zu ver-
schiedener Zeit entstanden sind, zusammengeschweißt hat [?].
3. Die wahre Liebe und die Mutterliebe zu zeichnen, ist
Balzac unfähig.
4. Er hat keinen Esprit.
Diese Schwächen gibt Brunetiere zu; er gibt auch zu, daß
Balzac kein Stilist ersten Ranges; er gehört nicht zu denen, nach denen
man nicht mehr schreibt wie vorher; aber was er darstellt, lebt.
Als Romanschriftsteller steht Balzac wohl unerreicht da [?]. Sein
Name ist untrennbar mit der Geschichte der Gattung verbunden.
Er hat das Muster der Gattung festgestellt, keine Veränderung der
Mode oder des Geschmacks kann gegen sein Werk aufkommen.
Leider will Brunetiere in Balzac einen Philosophen erblicken;
die betreffenden Ausführungen linden sich p. 304 — 309; mir scheint
ihnen mit ihrer Erwähnung schon zu viel Ehre getan.
Brunetiere gebührt Anerkennung, daß er Balzac gewürdigt
hat, und daß er ihn, trotz der Verkleinerungen, die von akademischer
Seite in Frankreich gegen den Verfasser der ConiMie liumaine aus-
gegangen sind, als einen der großen Franzosen des XIX. Jahrh. erklärt.
Das Buch aber ist im Ganzen und in vielen Teilen verfehlt, einzelne
Partien sind dagegen meisterhaft.
Der Stil, obwohl immer schön und brillant und etwas rhetorisch,
ist nicht immer von der Klarheit, die man von einem Brunetiere
erwartet; z. B. p. 68: Par exemple, cest en 1842, au lendemain
de la puhlication d\m Menage de Garron (la Rahouilleuse).,
un aiitre encore de ses chefs d'ceuvre, quil a definitivement ..ablmS'',
si je Vose dire, sa Femme de trente A71S, si lieureusement commencie
en 1831. — p. 120: 11 a crn que les causes, qui dans un cas
donne determinaient les aciions d'un komme en un sens et celles
dhtn autre komme dans un autre sens, 6taient situees en generai
plus loin et plus profondement qiion ne le pense, et ne dependaient
pas tant de Hieure ou de la circonsiance que d'une lojigue preme-
ditation des acteurs, inconscienfe, 77ia{s non pas pour cela tont ä
fait, ni prtcisement involontaire.
Am Schluß des Buches ist eine kurze Bibliographie beigegeben.
Ein Index fehlt.
Freiburg i. Br. J. Haas.
Paul Passy. Peilte Phonetique Comparee. 77
Passy, Paul. Petite Phonetique Comparee des principales langues
europeennes. Leipsic et Berlii]. B. G. Teubner. 1906.
132 S. M. 1,80.
Der zweite Teil des Titels verspricht zu viel und zu wenig;
zuviel, insofern als nur die französischen, englischen und deutschen
Sprachlaute einigermaßen ausführlich behandelt, diejenigen des Itali-
enischen, Spanischen, Portugiesischen, Holländischen, Norwegischen
und Russischen dagegen nur kurz berührt sind; zu wenig, insofern
als auch die Sprache der Tschechen, Kroaten, Bulgaren, Kaffern,
Hottentotten, Busclimänner, Madegassen, Araber, Jakuten u. a. Beachtung
linden. Ob letzteres in einem für Lehrer der modernen Sprachen
bestimmten, populär gehaltenen Kleinoktavbändchen von nur 132 Seiten
erforderlich war, erscheint mir zweifelhaft. Doch wird mancher Leser
bewundernd ausrufen: Monsieur parle Persan! comment peut-on parier
Persan! Von größerem Werte ist es, daß Passy die wichtigsten
Dialekte der drei Hauptspraclien berücksichtigt; auch werden die
Eigentümlichkeiten der Sprache öffentlicher Redner, der Kanzelredner,
der Straßeuhändler und der Kinder, sowie der Unterschiede in der
Aussprache des jungen und des alten Geschlechts da und dort herbei-
gezogen. Von uns Süddeutschen scheint der Verf. keine besonders
hohe Meinung zu haben; glücklicherweise weiß er noch nicht, daß
wir bis zum 40. Jahre blind sind. Er sagt gleich auf S. 1: Un
Allemand du Sud ne vianque pas de dire, quand il commence ä
pleuvoir, 11 plnit des chuts (dejä), iL tomhe (also doch //!) des
peius couteaux, und in etwas milderer Form S. 2: la plnpai't des
Allemands du Sud sont incapables de savoir si vous dites pain
ou hain. Er hat dabei die Gnade, uns bezüglich unserer Begabung
für Erlernung der Fieradspraclien auf eine Stufe mit einer von ihm
öfters erwähnten, offenbar besonders klugen „jungen Engländerin'* zu
stellen. Bei der weiten Verbn^itung, die das Büchlein des in allen
Weltteilen bekannten Phonetikers Passy mit Recht finden wird, halte
ich es für notwendig, zunächst einiges urkundliche Material beizubringen,
um einer Vermehrung der etwas sonderbaren Ansichten, die ohnehin
gegen die Süildeutschen bestehen, entgegenzutreten.
Ein Erlaß des Württembergischen Ministeriums des
Kirchen- und Schulwesens vom 24. November 1858 teilt dem
K. Studienrate mit, daß es die K. Gesandtschaft in Paiis angewiesen
habe, denjenigen Lehramtskandidaten, die sich bei ihr diesfalls legi-
timieren, nach Kräften zum Zutiitt in den verschiedenen Bildungs-
anstalten zu verhelfen und ihnen überhaupt ihre Unterstützung zur
Erreichung ihres Reisezweckes zu teil werden zu lassen. Am 3 Oktober
1869 schreibt der französische Unterrichtsminister Bourbeau,
nachdem der Austauscli von 3 wiii'tti'mbi'rici-^ehen Lehramtskandidaten
gegen ebenso viele französisclie Kandidaten l)e\veikstelliLtt worden
war, an den Direktor Roux von Cluny: Monsieur le Directeur,
78 Referate und Rezensionen. Philipp Wagner.
Je vous remercie de la communication que vous avez hien voulii
ine faire des documents que vous avez regus du Gouvernement
du Wurtemherg au sujet des ileves-maitres que nous envoyons
dans ce pays. Je vois avec plaisir les exceilentes dispositions que
les autoritds du Wurtemherg niontrent en faveur de nos jeunes
gens. Je vous prie, Monsieur le Directeur, de ne rien negliger
de notre cote pour que les jeunes Wurtemh ergeois qui nous
sont envoyes en echange, trouvent dans votre ecole tous les
soins et toute la sollicitude qiCils meriient. Lorsqu''un Gouvernement
comprend les intereis de l'instruction et de Vklucation aussi hien
que celui du royaume de Wurtemherg, la France doit etre heureuse
de s^associer ä ses eforts et de favoriser leur succes.
"Wenn ich weiter hinzufüge, daß weder bei uns in Württemberg
noch in unserem ohnehin an der Spitze des Fortschrittes marschierenden
Nachbarlande Baden irgend ein Lehrer fremdsprachlichen Unterricht
erteilt, der nicht wiederholt kürzere oder längere Zeit im Ausland
studiert hat, so wird der Verf. mir glauben, daß wir Süddeutsche,
wenn wir überhaupt Fremdsprachen erlernen, nicht nur niu: von mE:,
sondern auch pa von ba, /a von ^a unterscheiden und im Notfalle
sogar die weibliche Form des Eigenschaftswortes „petit" aussprechen
können.
Als ein Mangel des Werkchens wird zunächst das empfunden
werden, daß die physikalischen Grundlagen der Phonetik darin zu
wenig Beachtung finden. Was Passy S. 95 über die Mitwirkung des
relativen und absoluten Moments andeutet, genügt nicht, um dem
Leser eine klare Vorstellung über die Natur der Vokale zn geben.
Auch die S. 58 über den tonischen Accent und über die Quantität
von Vokalen und Konsonanten gemachten Angaben dürften gründlicher
und ausführlicher sein. Nach A. Meyer ist beispielsweise die Dauer
eines englischen Vokals nicht nur durch die Natur des abschließenden
Konsonanten, sondern auch durch die eigene Natur des Vokals
bedingt, je nach dem Spannungsgrad der Zunge und der Höhe der
für den Vokal erforderliciien Zungenstellung. Ob in gewölinlicher
Rede die als geminiert bezeichneten französischen Konsonanten tat-
sächlich von der Beschaffenheit einfacher Konsonanten so wesentlich
abweichen, wie Passy S. 56 es behauptet, erscheint mir nach meinen
eigenen Untersuchungen mit den Lautmassen eiiies jungen Parisers
zweifelhaft. Auch in deutschen Wörtern wie Schifffahrt, unnötig etc.
kann ich in gewöhnlicher Aussprache keine unechten Gerainaten ent-
decken. Was S. 84 über die Bildung der /-Laute gesagt wird, ist
nicht ganz richtig. Die Artikulationsstelle des / liegt nicht nur
weiter nach hinten als die der s, sie ist vor allem viel breiter.
Wenige Versuche mit Grützners Karminmethode würden hierüber
Klarheit verschaffen. Es ist ja wohl zu begreifen, daß Passy und
andere Sprachforscher die Untersuchung über die physikalische Natur
Paul Passy. Petite Phonetique Comparee 79
der Sprachlaute ganz dem Physiker und Physiologen zuweisen, allein
die sicheren Ergebnisse der rein anatomisch-physiologischen und auch
der physikalischen Untersuchungen sollten doch von den Philologen
ernstlich berücksichtigt werden.
Im einzelnen wäre noch zu bemerken, daß wir Süddeutsche
den Kehlkopfverschlußlaut nicht kennen, dagegen wird bei uns eine
palatale stimmlose Lenis (palatales ^), und eine palatale aspirierte
Fortis gesprochen, und zwar erstere besonders im Aulaute vor vor-
deren Vokalen und im Auslaute nach solchen, letztere nur im Anlaute
vor vorderen Vokalen. Auch w, allerdings ohne ?<- Hebung der
Zunge, und das palatele p nach e im Auslaute und nach anlautendem
stimmlosem palatalem g sind bei uns gebräuchlich. Aus meinem
Kurvenmaterial ersehe ich auch, daß mein früherer Schüler Jean
Brindeau aus Paris für vetdo, vettrioa, etc. vepdo, veptrioa etc.
spricht. Nasale i habe ich auch in der Nähe von Gerardmer gehört,
man spricht dort z. B. sipc für se: k.
Eine allgemein gültige Regel für den Schwund des Vokals d
zu finden, ist offenbar kaum möglich. Die auf S. 119 und S. 122
gebrauchten Formen gartfä : pz : tr und msnce'.j brijä stimmen mit
der von Beyer -Passy S. 81 gegebenen Regel überein, nach der die
unmittelbare Aufeinanderfolge dreier Konsonanten im Inlaute nur
zulässig ist, wenn der erste oder letzte der Gruppe rlivyj ist, allein
sie widersprechen der S. 107 gegebenen Anweisung unseres Buchs.
Der hohe Wert der Petite Phonetique besteht darin, daß sie
in abgeklärter Form alles das darbietet, was ein scharfer Beobachter
lautlicher Erscheinungen und einer der bedeutendsten Phonetiker
unserer Zeit über die Sprachlaute der wichtigsten europäischen
Sprachen zu sagen weiß. Passy läßt sich in seinem Urteil nicht
durch andere beeinflussen, bei ihm beruht alles auf eigener Beobachtung;
seine langjährige Tätigkeit als Lehrer an der Ecole des Hautes
Etudes, die ihm Schüler aus allen Weltteilen zuführte, und seine
vielen Reisen ins Ausland boten ihm dazu reichlich Gelegenheit. Er
ist dabei ein praktischer Schulmann, der auch jungen Leuten schon
Sprachunterricht erteilt hat und darum treffliche Winke betreffs der
Schwierigkeiten zu geben weiß, die bei der Erzeugung der einzelnen
Laute zu überwinden sind. Die von ihm gewählte Schrift, die, wie
die gegebene Probe zeigt, auch geschrieben recht deutlich und hübsch
erscheint, ist natürlich die der Association Phonetique internationale.
Sie ist auf der ganzen Welt bekannt und leicht zu lernen. Den
Erfolg dieses Büchleins, das kein Lehrer der neueren Sprachen ent-
behren kann, wird derselbe sein wie der der „Sons du Franpais"
desselben Verfassers.
Stuttgart. Philipp Wagner.
80 Referate und Rezensionen. E. Uhlemann.
Scliweild, Friedrich. Zum französischen Unterricht ein Ober-
klassen. Wissenschaftliclie Abhandlung zum Programm der
K. Friedricli-Eugens-Plealschule in Stuttgart zum Schlüsse
des Schuljahres 1905/06. Stuttgart 1906. Buchdruckerei
der PauHncnpflege. 38 S. 4«.
„Au Oberklasscn!" Diese Losung reizt vielleicht auch manchen,
den bittere Enttäuschungen zu dem bedenklichen Entschlüsse gebracht
haben, so leicht keine Arbeit über Methodik des neusprachlichen
Unterrichts wieder aufzuschlagen, doch einmal eine Ausnahme zu
machen, selbst wenn der Titel der Abhandlung sonst auch noch so
wenig verlockend erscheint.
Um solchen den Mut zu stärken, sei es gleich gesagt: nichts
Geringeres als Auswahl und Behandlung der Lektüre steht zur Dis-
kussion. Und so meint es der Verfasser: Die französische Lektüre
ist dergestalt auszuwählen, daß sie in innige Verbindung mit dem
geschichtlichen und deutschen Unterricht gebracht werden kann. Des-
halb behandle man in OII das siebzehnte, in UI das achtzehnte und
in Ol das neunzehnte Jahrhundert. — Alle Einzelausgaben sind zu
verbannen. Zum Ersatz dafür schaffe man ein ausführliches Lese-
buch, das den drei Klassenstufen entsprechend in drei Abteilungen
zu zerlegen sein würde. Die Grenzsteine seien Descartes — La
Rochefoucauld, Bayle — Cheuier, Chateaubriand — Maeterlinck.
Und die Methode? „Den gediegenen Herrn Grammatikern, den
gelehrten Spraclihistorikern, den gewandten Gesprächskünstlern . . .,
den fortschrittlichen Realisten '^^j jedem werden seine Sünden vorgerückt,
jeder bekommt eine bittere Pille zu schlucken, wenn auch mit einer
menschenfreundlichen Dosis gesunden Humors überzuckert, jeder wird
schließlich dankend bei Seite geschoben; Gnade findet nur ein „ana-
lytischer" Lektürebetrieb, dessen erstes Ziel ist, die Schüler zu
historischem, ethischem und ästhetischem Urteil zu erziehen, nach
diesen Seiten hin ihren Gesichtskreis zu erweitern und ihre Kennt-
nisse zu bereichern.
Wie das im einzelnen einzurichten sei, das muß mau in der
Abhandlung selbst nachlesen; und wem bei all den einzelnen Rat-
schlägen etwas wirr im Kopfe werden sollte, der halte sich an die
interessanten beigegebenen Lehrproben, denen Stellen aus Mme de
Staels Curinne, Flauberts Madame Bovary und Coppees Le Naufragö
zu Grunde gelegt sind.
Daß jeder Leser sich des Verfassers Ideen mit Leib und Seele
verschreiben werde, steht nicht zu erwarten, dazu sind die leidigen
Fachgenossen — auch der Referent rechnet sich dazu — zu eigen-
sinnige und rechthaberische Menschenkinder. Aber selbst die, die sich
vielleicht in ilirer heihgsten Überzeugung durch Schwends Tadel
gekränkt fühlen, sie sollten und müßten einmal unparteiisch die Fülle
von Anregungen nachprüfen und wägen, die der Verfasser mit frei-
Friedrich Sehwend. Zum franz. Unterricht an Oberklassen. 81
gebiger Hand vor uns ausbreitet. Ganz ohne Nutzen dürfte keiner
eine solche Arbeit erledigen, wenn sie auch einige Selbstverleugnung
und Anstrengung erheischen möchte — oder gerade deshalb.
Zwar ist der Verfasser nach eignem Zeugnis (S. 20) nur ein
.,ganz bescheidener Neuphilolog, der das romanische Seminar mit
konstanter Bosheit schwänzte, .... der nur etwas moderne Gram-
matik und in Genf und Paris lesen lernte und als Vorbereitung zur
Stunde keinen Klöpper und keinen Bädeker mitbringt . . . ."; dem
Referenten ist er aber doch in erheblich weniger düsterem Lichte
erschienen: als ein Mann, der trotz der schwer zu beklagenden aka-
demischen Jugendsünden sich trefflich auf historische und Schulgram-
matik versteht, der alle Phasen des Methodenstreites mit lebhafter
Teilnahme verfolgt, der sich dabei aber seinen guten Humor gerettet
und durch eigenes Studium und Nachdenken einen reichen Schatz an
historischem, psychologischem und ästhetischem Wissen erarbeitet hat,
aus dem zu schöpfen eine wirkliche Freude ist.
Göttingen. E, Uhlemann.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI>.
Miszelle.
Dr. phil. Seitdem unter dem Einflufs der neusprachlichen Reform-
bewegung einzelne Buchhandlungen die für deutsche Schulen bestimmten
französischen Schriftsteller mit franzosich geschriebenen Erläuterungen
herausgeben, hat auf dem Titelblatt auch der etwaige deutsche Doktortitel
des französisch- schreibenden deutschen Bearbeiters französisch ausgedrückt
werden müssen. Hierbei ist in doppelter Weise fehlgegriffen worden. Aus
der nicht unbeträchtlichen Zahl derer, die hierbei fehlgegriffen haben, wähle
ich die folgenden drei nur deshalb aus, weil mir hier, wo ich dies schreibe,
nur wenige Bücher zur Hand sind, und weil, was zur Sache gesagt werden
mufs, sich an wenigen Beispielen klar machen läfst. Der erste Titel lautet:
La Guerre ISlO/Tl. Scenes et episodes caracteristiques. Choisies et annotees
par Dr. A. Mühlan, Oberlehrer au lycee Royal de Glatz". Leipzig (Rofs-
berg) 1903. Der zweite Titel hat die Fassung: Les Provinces fran^aises . . .
par ...A. Mühlan, Do et eurös-Lettres, Professeur au Lycee Royal
de Glatz. Berlin (Weidmann) 1906. Titel Nummer drei ist so gefafst :
Extraits de journaux, Tahleaiix de la vie moderne en France par Ernst Dann-
heisser, Dr. en phil., Prof. ä l'Ecole Reale de Ludwigshafen.
Leipzig (R. Gerhard) 1906. Hierzu ist Folgendes zu bemerken.
Die Fassung '■par Dr. A. J/.' im ersten Titel ist französisch unzulässig;
die Fortlassung des Artikels ist ein grammatischer Fehler, zum Mindesten
ein Barbarismus. Setzt man aber den Artikel, so ist zwar der Grammatik
genügt; im gewöhnlichen Leben denkt man jedoch im Französischen, es sei
denn, dafs man dem He doctew'- noch das Wort ^monsieur^ voranstellt, bei
par le docteur A. M. meist an einen Arzt. Der nicht-medizinische Doktor-
titel spielt eben in Frankreich, wo Titel überhaupt hinter dem universellen
und stets höflichen einfachen '■monsieur' zurücktreten, in der Umgangssprache
keine groi'se Rolle. Dies hat Dr. Mühlan auch wohl selbst empfunden, und
drei Jahre später (1906) wählt er die oben unter Nummer 2 angeführte
Wiedergabe seines deutschen Titels. Par A. J/., docteur es-kttres ist sprach-
lich richtig und ganz dem Französischen Sprachgebrauch entsprechend, aber
sachlich richtig ist es keineswegs. Richtig wäre es nur, wenn der franzö-
sische 'docteur es-letires'- genau dem deutschen doctor philosophiae entspräche.
Dies ist aber keineswegs der Fall. Die Anforderungen im Examen, über-
haupt die ganze Einrichtung dieser beiden akademischen Würden sind so
verschieden, dafs die Franzosen schon längst für den deutschen Dr. phil.
die in französischen akademischen Kreisen und auch im gebildeten Publikum
allgemein bekannte Bezeichnung 'docteur en pMhsophie'' eingeführt haben. Da
aber A. Mühlan nicht in Frankreich, sondern in Deutschland promoviert ist,
kommt ihm die Bezeichnung '■docteur cs-httres' nicht zu. Daunheisser, der
dies richtig aufgefafst hat, hat sich (oben in Titel Nummer drei) richtig
auch als '■docteur en jMlosophie'^ bezeichnet; nur entspricht die von ihm gewählte
Abkürzung nicht der in Frankreich üblichen; die Franzosen schreiben in
der Abkürzung meist: Dr. en philos., nicht Dr. en phil.
Lausanne. Emil Hausknecht.
Novitätenverzeichnis.
(Abgeschlossen am 15. März 1907.)
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ler, conserve au musee de Louvre. In-8, 20 p. et 5 planches. Paris 1906.
[Extrait des «Memoires de la Societe nationale des antiquaires de France»
T. 65.]
üoinet A. — []n bibliophile du XYe siäcle. Le Grand Bätard de Bourgogne ;
In-8, 17 p. et 3 planches. Paris, 1906. [Extrait de la « Bibliotheque de
l'Ecole des chartes ». Annee 1906. T. 67.]
Catalogue general des livres imprimes de la Bibliotheque nationale. Auteurs.
T. 27: Charp-Chernoviz. ln-8. ä 2 col. Paris, Impr. nationale. 1906.
[Ministere de Finstruction publique et des beaux-arts.]
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[In: Rev. d'Hist. litt, de la Fr. XUI, 3. S. 501—504].
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Notices et Extraiis des manuscrits de la Bibliotheque nationale et autres
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Nardin, L. — Jaques FoiUet, iniprimeur, libraire et papetier (1554-1619).
Ses peregrinations ä Lyon, üeiiöve, Constance, Bäle, Courcelles-les-Mout-
beliard, Besangon et Montbeliard, d'apres des documents inedits. Avec
l'inventaire de ses biens, catalogue detaille de sa librairie, des fac-similes
6*
84 Novitätetiverzeichnis.
d'autographes, les iiligraues de ses papeteries, etc. Lc tout accompague
de notes, commentaires et eclaircissements. In-8, 287 p. Paris, Champion
1906.
2. Enzyklopädie, Sammelwerke, Gelehrtengeschichte.
Annales de la Societe Jean-Jacques Rousseau II fl9(6) [Darin: E. Ritter,
J. J. Rousseau et madame d'IIoudetot. A. Michel, Deiix portraits de
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Annuaire de la soc. lieg, de litterature wallonne. 1906— No. XIX. Soc. An.'
Imprimerie H. Vaillant-Carmanne. Rue St. Adalbert 8. Liege 1906.
(Enthält u. a. Mundartproben).
Bulletin de la societe liegeoise de litterature wallonne, T. XLVI. Societe
Anonyme. H. Vaillant-Carmanne, 8, rue Saint-Adalbert, 8, Liege 1906
[Darin: I. Litterature wallonne. S. 5—163. II. Philologie: Vocabulaires
technologiques (2« concours). Rapport de A'^. Laquarri p. 167 — 174.
Vocabulaire du Tailleur d'habits ä Verviers (extraits) p. Camille Feller p.
175—177. Vocabulaire du Pinsoni (extraits) p, Edm. Jacquemoite et Jean
Lejeune p. 179 — 180. Vocabulaire de l'Ardoisier ä Vielsalm \). Joseph Hens
p, 181 — 191. Vocabulaire de la Sage-Femme (extraits) p. Edm. Jacquemotie
et Jean Lejeune p 193 — 198. Mots wallons divers (4e concours). Rapport
de J. Baust p. 199 f. Mots wallons divers, recueillis par E. Jacquemotie et
J. Lejeune p. 201 — 202. Prosodie wallonne (6« conc). Rapport A'Aug.
Doutrepont p. 203—206. Toponymie wallonne (8e conc). Rapport de
A^. Lequarre p. 207—210. Toponymie de Francorchamps p. Albert Counson
p. 211-268. Appendice p. 269—280.
Neuphilologische Mitteilungen. 1907 No. 1/2 [Inhalt; J. Poirof. Ferdinand
ßrunetiere S. 1 — Artur Lhnnfors: Un dit d'amours S, 5 — J. Pnirot:
Über die Bedingungen der Sprachentwickelung S. 19 — H. Suolahti:
Miszellen S. 27 — Besprechungen: Ferdinand Bnmot., Histoire de la langue
frangaise des origines ä 1900, von ^. Wallensköld S. 2d — Mauritz Boheman
Precis de l'histoire de la litterature des Felibres, von A. W. S. 30 —
Friedrich Kluge, Unser Deutsch, von E. Suolahti S. 30 — A. Bahnhof. Der
Nibelungen Not in 9 Erzählungen, von M. W. S. 31 — Protokolle des
Neuphilologischen Vereins S. 31 — Eingesandte Literatur S. 32 — Mit
teilungen S. 32].
Rev. des Etudes Rahelaisiennes IV, 4 [Somraaire: Les voyages merveilleux de
Cyrano de Bergerac et de Swift et leurs rapports avec l'oeuvre de
Rabelais, par Pietro Toldo. P, 295. — Rabelais, les Sainte-Marthe et
1' «enraige» Putherbe, par Abel Lefranc. P. 335. Melanges: Rabelais
et Sprvius, par W. F. Smith. P. 349. Topographie rabelaisienue, par
H. Patry. P. 369. — Tiraqueau et Rabelais, par J. Plattard. P. 384. —
Origine du mot «Gargantua», par le "Dr. Albard. P. 390. — La Deviniere
contre la Deviniere, par Henri Clouzot. P. 394. — Licentiatus pro doctore
an habeatur? pur J. Plattard. P. 396. Comptes-Rondus. P. 398: fimlle Picot,
de l'Institut. LesFran<^ais italianisants auXVIe Liecie. (Jacques Boulenger).
— Albert Haur. Maurice Sceve et la renaissance italipnne. (Ifl). — Drs
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las tieiros de l'Ariejo, Aouto-Garouno, Aoudo, etc. In-16, 64 p. avec grav.
Foix, impr. Latent de Sentenac. 1907. 15 cent.
Almanac patoues illustrat de l'Ariejo per l'annado 1907 (Dese-setiemo annado),
countenen fieiros, coursos de la Inno, etc. Petit in-16, 36 p. Foix. impr.
Gadrat aine. 1907. 15 cent.
Almanach de l'Ariege, pour 1907 (Contes patois; catalogue des foires ; Calen-
drier; Annonces). Petit in-16, 48 p. avec grav. Foix, Pomies. 1907. 10 cent.
Almanac illustrat de Toulouso e del Mietjoun (gascou et lengodoucian), per
1907. (4° annado.) In-16, 64 p. Toulouse, Maurel et Causse. 1907. 15 cent.
Annana prouvenco per lou bei au de Dieu 1907 adouba e publica de la
man di felibre porto joio,soulas e passo-töms en tout lou pople dou Mie-
jour. An cinquauto-tresen döu felibrige. Petit in-8 carre, 112 p. avec
musique. Paris, Fontemoing; Taride; Flammarion et Yaillant. 1907.
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Charles de Tourtoulon, etc., et completees par une version en prose
frangaise. T. ler les Matinadas. Eglogas. L'Estanc de l'Ort, avec la
notation musicale des airs composes ou recueilis par Langlade. In-8,
LVI-381 p. avec musique et portrait. Montpellier, Impr. generale du
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face de A. Vermenouze, capistol de l'Ecole auver^nate. In-16, XXXIV-
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Le Midi et le Nord. Decentralisateur litteraire artistique frangais-provengal.
Directeur. Adm. A. Chiron fils. Directlou: 68, Avenue de Paris, Niort
(Deux-Sevrcs). Redaction: 73 Rue Dutot Paris. Paraissant le 30 de
chaque mois. Abonnements 6 fr. par an.
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VIII, 186 S. 8°. Halle, Hendel.
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Charriere, Madame de, und ihre Stellung zur Frage der sozialen Lage der
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(68 S.) kl. 8». Berlin, Oesterheld & Co. '07. 2,50.
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2» ed. Rom. Bocca. 708 S. 8«. fr. 12,50.
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(In Veranlassung von J. Popper Voltaire. Eine Charakteranalyse. Vgl,
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[In : Rev. d'Hist. litt, de la Fr. XIII, 4. S. 693-697].
— H. Droysen. Die „Montperniaden" in Lessings Epigramm auf Voltaire [In:
• Euphorion XIII, S. 764—766].
Zola. — Literatur, die. Sammlung illustr. Einzeldarstellgn. Hrsg. v. Geo.
Brandes, kl. 8". Berlin, Bard, Marquardt & Co. 28. Bd. Conrad, Mich.
Geo.: Emile Zola. Mit 7 Vollbildern in Touätzg. u. 2 Fksms. (100 S.) ('06).
7. Ausgaben. Ei'läuteruugsschrifteu. Übersetzungen.
Anthologie de la Societe des poetes frangais. Grand in Iß, LXXV-116 p,
Paris, Bibliotheque generale, 78, rue Taitbout. 1907. 3 fr. 50.
Anthologie des poetes frangais contemporains. Le Parnasse et les Ecoles
posterieures au Parnasse (1866—1906;. Morceaux choisis, accompagnes
de notices bio- et bibliographiques et de nombreux autographes; par
G. Walch. Preface de SuUy Prudhomme. T. 2, In- 18, 559 p. Paris,
Delagrave. 3 fr. 50.
Biblioiheca romanica. kl. 8°. Strafsburg, J. H. E. Heitz. Jedes Heft — 40.
23.24. Bibliotheque frangaise. Beaumarchais: Oeuvres, Le barbier de
Seville (120 S.) ('06.j 25. Biblioteca portuguesa. Camöes, Luis de: Obras.
Os Lusiadas III, IV. (76 S) (,06.) 26—28. Bibliotheque frangaise. Musset,
Altr. de: Theätre. Comedies et proverbes. La nuit venitienne. Andrö
del Sarto. Les caprices de Marianne. Fantasie. On ne badine pas avec
l'amour. (225 S.) ('06.) 29. Bibliotheque frangaise. Corneille, Pierre:
Oeuvres, Horace. Tragedie. 1640. (79 S.) ('06.) 30.31. Biblioteca italiana.
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1040 S. oben p. 85 Meyer.
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Ronsard et la Pleiade, with selcctions from their poetry and some transla-
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la Taille. Diss. Greifswald 1906. 56 S. 8".
Vidal, A. Douze coraptes consulaires d'Albi du XIV e siöcle. Paris, Tou-
louse et Albi, 1906. VIII, 378 S. 8" [Archives historiques de l'Albigeois,
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(Scblufs folgt)].
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ßologne, tip. Monti 1906. [per nozza Bozelli-Dalla Rosa].
Beroul. — A. Tobler. Zu Murets Ausgabe von Berouls Tristan [In : Zs. für
rom. Phil. XXX, 741—745].
The Brnt or the Chronicles of England, edited from Ms. Rawl. B 171, Bod-
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UEstnire Joseph hrsgb. von Ernst Sass 118 S. 8°. [Gesellschaft für rom. Lite-
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(Upsala universitets Arsskrift. Filosofi, spräkvetenskap och historiska
vetenskaper). 2 Kr.
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Guiraut von Calanzo. — W. Keller, das Sirventes „Fadet joglar" des Guiraut
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Jean Bnudouin de Rosieres-aux-Salins, L'instruction de la vie mortelle. Par
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Lancelot. — G. Baist, Der spanische Lancelot [In: Rom. Forsch. XXII, 1. S.
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Bourges. Analyse des Schlufsteils, Text der Joieuse-Tristouce- Episode
Novitäienverzeichns. 97
(Sage vom Mädchen mit der abgehauenen Haud). Diss. Greifswald
1906. 108 S. 8".
Manekine S. oben Popovic.
Marie de France — C. William Prett//ma/i, Peter von Staufeuberg and Marie
de France [In: Mod. Lang. Notes XXI, 7. Sp. 204— 208J.
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Studi Medievali II. 1].
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Cordebeuf [In": Romania XXXV, 604 f.].
Motette, die altfranzosiscJuu, der Bamberger Handschr. nebst einem Anhang,
enthaltend altfi-anz. JNIotette aus anderen deutschen Handschriften, mit
Anmerkungen und Glossar hrsgb. von A. Stimmimj. XXXVII, 229 S. 8"
[Gesellsch. f. rom. Lit. Bd. 13].
.Visiere du siege d' Orleans. — Meijer, Alfr.: Das Kulturhistorische in „Le
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& Co. '06.
Nicola da C'asula. — Giulio Bertuni e Cesare Foligno La „Guerra d'Attila", poema
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Xobla Leifon. — Aiit. de Stefano Un nuovo testo della Nobla Lei("on [In: Studi
Medievali II, Ij.
Partmojjeiis in Catalonia and Spain by A. Trampe Bodtl-er [In : Mod. Lang.
Notes. Dcc. 1906. S. 234-235].
La Passion Nostre Dame p. p. A. Boselli [In: Rev. d. 1. rom. Nov.-dec. 1906.
S. 495—520].
Paielin. — A rabinical analogue to Patelin von D. Klein [In: Mod. lang,
notes XXII, 1. S. 12-13].
Percejoresi. — La Troselegaute Delicieuse 1 Melliflue et tresplaisante Hystoire
du tresnoble | Victoricux et excellentissime roy Perceforest | Roy de la
grand Bretaigne | fundateur du Franc palais et du temple du souuerain
dieu. En laquelle le Iccteur pourra veoir la fource & decoratiou de
tonte Chevalerie | Culture de Vraie Noblesse | Prouesses & conquestes
iufinies | acöplies des le temps du conquerant Alexandre le graut | &
de Julius cesar an par auant la natiuite de nostre saulueur Jesuchrist
Auecqs plusieurs Prophetics | Comptes Damans et leurs diuerses fortuues.
Auec Priuilege du Roy nostre sire. On les vend a Paris pres le Palais
a lenseigne de la Gatlee | et au premier pillier de la grant salle dudit
• Palais en la bouti(iue de Galliot du pre Libraire iure de Luniversite.
Mil Ciuq cens XXVllI. (Von H. Vaganay besorgter Neudruck der ersten
15 Kapitel des ersten Buches nach den Ausgaben von 1528 und 1531).
Perceval. — S. oben p. 83 Aitze und Sommer.
— ./. L. Westont et ./. Bedier. Tristan Menestrel. Extrait de la continuation
de Perceval par Gerbert [In: Romania XXXV, 497 — 530].
Les quatre fils Agmon p. p. F. Castets. Introduction (suite) [In: Rev. d. 1. rom.
XLIX. Sept.-octobre 1906].
Die Reichenauer Glossen der Handschrift Karlsruhe 115. Herausgegeben und
erklärt von L. Staker. [Sitzungsberichte der Kais. Ak. d. Wissenschaften
in Wien. Phil.-hist. Klasse. Bd. CLH. 1906. 172 S. 8o.]-
Renard. — Willems. L. Notes sur la querelle des Blauvoets et des Isengrins
[In: Bull, der Maatschappij van Geschied- en Oiidkeidkunde te Gent.
XIV, 6. S. 2.53—290).
Das Seerecht von Oleron nach der Handschrift Troyes (1386). Diplomatischer
Abdruck nebst deutscher Übersetzung, Einleitung, Glossar und einer
llandschriftenprobe hrsgb. von IJ. Zeller. Mainz, J. Diemer. VI, 43 S. 8'.
Ztsclir. f. fiz. Spr. u. Litt. XXXIA 7
98 Novitätenverzeichnis.
Sermons hiiins. — /'. Mei/er. Extraits d'un recucil de sermons latins composes
en Angletcrrc [In: " Romania XXXY, S. 591— 59G].
Sme de Nansai et la Noi'vöge p. Kr. Nyi-op [In: Romania XXXV, 555 — 569].
Tnngdnlus. — Visiou (la) de Tondale (Tnudgal). Textes fran^ais, anglo-
normand et irlandais publies par V. II. Friedel et Kuno Meyer. In-8, XX-
163 p. Paris, Champion. 1907.
Tristan. — IT. Goliher^ Das älteste französische Tristangedicht [In: Neue
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V. Loth. Schmidt. Mit 7 Bildern von Frz. v. Bayros. (XLIII, 375 S.)
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In- 16, LXIX-275 p. Paris, Hachette et Cis. 1907. ;j fr. .50. [Edition
publice par la Societe proprietaire des (Euvres de Lamartine.]
Louis h Jars. S. oben p. 96. Schlensot/.
Moliire. — OEuvrcs conipletcs. T. 1er. In-16, XXIV-419 p. Paris, Ilaclieltc
et C'P. 1906. 1 fr. 2.5. [Les Prineipaux Ecrivains fran^ais.]
— Les (Euvres de J. B. P. Moliere accompagnees d'une Vie de Meliere,
de Variantes et d'un Glossaire, par Anaioh France. T. 7. Petit in-8,
XL-366p. Paris, Lemerre. 1906. [Collection Lemerre (Classiqiies fran(;ais).J
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Montaigne. S. p. 99. Discours de la servifude rohndaire.
— Essais (Self-edition). Texte original, aecompagne de la ti-aduction en
langage de nos jours, par le general Michaiid. Icr vokime. Iu-8,
IV-694 p. avec portrait. Mesuil (Eure), impr. Firmin-Didot et C'e. Paris,
libr. de la meme maison. 1907. 15 fr.
— Essais precedes d'une lettre de A. M. Villemain sur l'eloge de Montaigne;
par P. Christian. T. 2. In-16, 333 p. Paris, Hachette et C'e. 1906.
1 fr. 25. [Les Prineipaux Ecrivains frangais.J
— Journal de voyago, de Montaigne, public avec uue introductiou, des notes,
une table des noms propres et la traduction du texte Italien; par Louis
Lautrcy. Petit in-8, .539 p. Paris, Hachette, et C'e. 1906. 25 fr.
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le bon usage des maladies. Sur la conversion du pecheur. Eutretien
avec M. de Saci sur Epictete et Montaigne. Fragments d'une Conference
ä Port-Royal. Sur la religion. Les üeux Infinis. Les Trois Ordres.
Lc Pari. Edition uouvelle, revue sur les manuscrits et les meilleurs
textcs avec une introduction et des notes par IVctor Giraud. Iu-16, 80 p.
Paris, Blond et C'e. 1907, 60 cent. [Science et Religion. Etndes pour
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— Pensees sur la religion et sur quelques autres sujets. Edition de Port-
Royal, corrigee et completee d'apres les manuscrits originaux avec une
introduction et des notes; par A. Gazier. Iu-16, 613 p. avec grav. et
Portrait. Poitiei's, Societe fran^aise d'imprimerie et de librairie. Paris,
libr. de la memo maison. 1907.
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edition illustree de six portraits avec notes et aiipendices, par DesireLacroix.
lu-18 Jesus, 506 p. Paris, Garnier freres. [Bibliotheque de Meraoires
historiques et militaires sur la Revolution, le Cousulat et l'Empire].
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Rrouikowski. 8°. Jena, E. Diderichs. 3. Bd. Über die Liebe. (De
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132 S.) '07. 4,—.
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et collationnes de uouveau pour cette edition sur le manuscrit antographe,
avec uuc notice de M. Sainte-Beuve. Nouvelle edition. T. 7. In- 16,
487 p. Paris, Hachette et Cie. 19J6. 3 fr. 50. [Bibliotheque variee].
— Memoires complets et authentiques sur le siecle de Louis XIV et la
regence, collationnes sur le manuscrit original par M. Cheruel, et precedes
d'une notice par M. Saiüt-Beuve, T. 10. Iu-16, 436 p. Paris, Hachette
et Cie. 1905. 1 fr. 25. [Les Priucipaux Ecrivains frangais].
Taine. — Vgl. Madelin Napoleon uouveau [Le Correspondant. 1906. lOjuin].
TaUemant des Rcaux. — Historiettes : Henri IV. La Reine Marguerite. Mal-
herbe. Luynes. Richelieu. Louis XIII. La Fontaine. La Marquise de
Rambouillet. Voiture. Bassompierre. Mesdames de Rohan. Marion de
l'Orme. Pascal. Madame de Montbazon, etc. Avec uue notice. £»
edition. In-18 Jesus, XVI, 380 p. Poitiers, impr. Blais et Roy. Paris,
Societe du Mercure de Frauce, 26, rue de Conde. 1906. 3 fr. 50.
[CoUection des plus belies pages].
Verlaine., Paul : Ausgewählte Gedichte. Übertr. von Graf Wolf v. Kalckreuth.
(Titel, Vignetten u. Einband zeichnete H. Wilh. Wulff.) (159 S.) 8".
Leipzig, Insel-Verlag '06. 4,—.
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les notes intimes d'Alfred de Vigny, par Louis Ratisbonne. Edition
definitive. In-18 Jesus, 323 p. Paris, Delagrave. o fr. 50.
Voltaire. — (Euvres completes de Voltaire. T. 32. In -16, 447 p. Paris,
Hachette et Cie. 1906. 1 fr. 25. [Les Principaux Ecrivains fran^ais.]
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Le traducteur, Französisch-Deutsch. 15, Jahrgang. La-Chaux-de-Fonds'
Verlag des „Traducteur". Ilalbjährl. fr. 2,50; jährlich fr. 5.
VesOui-Si. Englisch, Französisch, Italienisch durch leichtes u. anreg. Selbst-
studium. Illustrierte Wochenschrift, red. vom internationalen Red. -Komitee:
K. Bouyer, Fr. Carle, C. Hosken u. G. B. Valente. 1. Jahrgang 1907.
Englische, französ. u. Italien. Ausg. Je ^)'2 Nrn. (Je Nr. 1. 8 S.)
30X-->5 cm. München.
Beaux, Th. de: Lehrbuch der französischen Sprache f. Handels- u. Realschulen
2., verb. Aufl. (XI, 368 S.) 8^. Leipzig, M. Hesse ('07). 3.60.
ßoerner, Otto u. liud. Di/iUer DD.: Lehrbuch der französischen Sprache. Mit
besond. ßeiücksicht. der Übgn. im mündl. u. schriftl. freien Gebrauch
der Sprache. Ausg. E f. Fortbildungs- u. Gewerbeschulen. 2. Tl. Mit
e. Plan v. Paris, e. Hölzelschen Vollbild „Die Stadt" u. e. Münztafel.
(Prof. Dr. Boerners neusprachl. Uuterrichtswerk, nach den neuen Lehr-
Novitätenverzeichnis. 10?»
planen beail). Französischer Tl.) 2. verb. Aufl. (VI, 202 S. ni. 4 Taf.)
8". Leipzig, B. G. Teubner '07. 2,60.
— Clem. Pilz u. Max Rosenthal: Lehrbuch der französischen Sprache f. 2>i'euf3.
Präparandenanstalten u. Seminare nach den Bestimmungen vom 1. VIL
1901. (Prof. Dr. Boerners neuspraehl. Unterrichtswerk nach den neuen
Lehrplänen bearb. (Französischer Tl.) 111. Tl.: Übungsbuch f. Seminare.
Mit dem Hölzelschen Bilde der Grol'sstadt. e. Karte v. Frankreich, e.
Plane u. 8 Ansichten v. Paris. (VIII, 167 S.) 8". Leipzig, B. G. Teubner
'07. 1.80.
— Clem. Pilz u. 3Iax Rosenthal: Lehrbuch der französischen Sprache f. preufs.
Präparandenanstalten u. Seminare nach den Bestimmungen vom 1. VII.
1901. (Prof. Dr. Boerners neuspraehl. Unterrichts werk, nach den neuen
Lehrplänen bearb. Französischer Tl.) IL Tl. : 2. u. 1. Klasse der Präpa-
randenanstalten. Mit den Hölzelschen Bildern der Jahreszeiten, e. Karte
V. Frankreich, dem Plane v. Paris u. e. Tafel der französ. Münzen.
(VIII, 290 S.) 8". Leipzig, B. G. Teubner '06. 3,20.
— u. Ernst Stiehler: Lehrbuch der französischen Sprache. Ausg. G f. Gym-
nasien u. Realgymnasien. Unter Mitarbeit v. Leitritz hrsg. (Boerners
neuspraehl. Unterrichtswerk, nach den neuen Lehrplänen bearb. Franzö-
sischer Tl.) I.Tl. mit e. Hölzelschen Vollbild: L'hiver. (X, 232 S.) 8".
Ebd. '06. Geb. 2,40.
Boerner^ Otto. Ciemem Pilz u. Max Rosenihnl: Französisch - deutsch u. deutsch-
französisches Wörterbuch zum III. Tle. des Lehrbuchs der französischen
Sprache. (Prof. Dr. Boerners neuspraehl. Unterrichtswerk, nach den
neuen Lehrplänen bearb. Französischer Tl.) (138 S.) 8". Leipzig. B. G.
Teubner 07.
ßrunot et Bonij. — Methode de langue fran^aise: Deuxieme livre-maitre,
destine au cours elementaire et ä la Ire annee du cours moyen
(Grammaire; Analyse; Conjugaison; Ortographe; Vocabulaire; Langage;
Lecture; Recitation,- Composition fran^aise; Conseils, Constructions de
phrases, redactions, etc ). Petit in-8, XXllI-427 p. avec illustrations par
Rene Victor Meunier. Paris. Colin. 1906. 1 fr. 80. [Enseignement pri-
maire elementaire].
Jfuhislav, Georg, u. Panl, Boelr. Methodischer Lehrgang . der französischen
Sprache für höhere Lehranstalten. Französisches Übungsbuch. Ausg.
C. Für die Klassen 111. II, I der Realschulen, sowie für Untertertia,
Obertertia, Untersekunda der Oberrealschulen u. Reformschulen. Mit e.
Karte v. Frankreich. (VIII, 330 S.) gr. 8". Berlin, Weidmann '07.
Diibislar, Geo., und Paul Boek: Elementarbuch der französischen Sprache.
(Methodischer Lehrgang der französ. Spr. f. höhere Lehranstalten.) Ausg.
A. P'ür Gymnasien u. Progymnasiem. Quarta, Untertertia u. Obertertia.
Mit 2 Karten u. 1 Münztaf. (VIII, 267 S.) 8°. Berlin, Weidmann
'06. 2,60.
— — dasselbe. Ausg. B. Für Realgymnasien u. Realprogymnasien. Quarta,
Untertertia u. Obertertia. Mit 2 Karten u. 1 Münztaf. (VIII, 268 S.) S".
Ebd. '06. 2,60.
— — dasselbe. Ausg. C. Für Realschuleu. Oberrealschulen u. Reform-
schulen. 8". Ebd. 1. Tl. Sexta. 6. Klasse. (VIII. 107 S.) '06. Geb. 1,20. —
2. Tl. Quinta u. Quarta. 5. u. 4. Klasse. Mit 2 Karton u. 1 Münztaf.
(VIII, 2.34 S.) '06. Geb. 2,60.
— — Schulgrammatik der französischen Sprache f. höhere Lehranstalten.
(Methodischer Lehrgang der französ. Sprache f. höhere Lehranstalten.)
(IV, 12.') S.) 8». Ebd. '06. 1,40.
Fischer, IJerni., u. Geo. Dust: Französische Texthefte zu Hirts Anschauungs-
bildern (Küustlersteinzeichnungen v, Walther Georg!), nach logisch-
grammat. Gesichtspunkten bearb. 14x22,.i) cm. Breslau, F. Hirt. I.Heft.
Der Frühling v. D. (4.') S. ni. 1 farl). Taf.) '07. Kart. — ,80.
104 Novitätenverzeichnis,
llalierlaiuVs Untei-v.-Hriefe. Lpzg. Haberland. Französisch. 26 — 28. Brief.
Je — ,75.
lluHenhenj^ H. Fransk skolgrammatik. Stockholm 190G.
JarillarJ. — L'Orthographe renduo facile. Etudo niethodiqne des sons.
Exorciccs et dictöes. In-lS, 173 p. Saiut-Ch)nd. impr. Belin treres.
Paris, libr. de la njeme maisoii. 190G. 1 fr.
Juraiiril/e, M^e C. — La Conjugaison enseignee par la pratique. Textes
suivis reufermaut des verbes de meme terminaison, devoirs, d'inventions,
dictecs, permutations, conjugaison de tous les verbes presentant des
diflfucultes. Livre du raaitre. In- 12, 240 p. Paris, Larousse. 1 fr. 50.
Labor, C. J. — Grammaire simplifiee. Revision des regles et notions d'ety-
mologie, notions elementaires de liiterature. Cours superieur. Livre du
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L(i(jarde, Louis et Aug. Miiller: A travers la vie pratique. Exercices de con-
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Le Bozü-tjeois, F. Postes, telegraphes, telephones. Freiburg (Baden). J. Biele-
felds Verlag. Geb. 3,50.
ZJeurer, Karl: Französische Synonymik. Mit Beispielen, etymolog. Angaben
ü. zwei Wortregistern. Für die oberen Klassen höherer Schulen bearb.
5. sehr verb. Auti. (VIII, 18.3S.) 8". Leipzig, H. Bredt '07. 2,—.
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Germani. (VIII, 56 S.) gr. 8°. Leipzig, J. Püttmann ('07), — ,80.
Xeumann v. Spallart, Dr. A.: Französische Sprechübungen auf Grund von
Auschauuugsbildern. gr. 8°. Wien, A. Pichler's Wwe. & Sohn. Jedes
Heft — ,40. II. Der Weihnachtsmarkt. (Meinholds Auschauungsbild
,,Winter'".) Mit der verkleinerten Wiedergabe des Anschauungsbildes
,; Winter". (18 S.) '06. — III. Die Stadt. (Meinholds Anschauungsbild
„Verkehr".; Mit der verkleinerten Wiedergabe des Anschauungsbildes
„Verkehr" (22 S.) '06-
Xotions usuelles 'Tetymologie suivies d'exercicos pratiques, ä l'usage des classes
de l'enseiguement sccondaire et des cours complementaires et superieurs
de l'enseignement primaire. Livre du maitre. Iu-16. 112 p. Tours,
Marne et lils. Paris, Ve Poussielgue; los principaux libr. [Colleciion
d'ouvrages classiques i-ediges en cours gradues ]
Pagot, C. — Sept langues (grec, latin, francais, espagno!, Italien, allemand,
anglais) enseigcees en meme temps par la grammaire comparee et par
l'etymologie. Avec une preface sur « l'Enseignement des langues ;>. T. l<^'\
In-8 oblong, XIV-93 p. Versailles, imprimerie Luce. Paris, 6, rue Herran.
1906. 3 fr. 50. [CEuvre des Etudes grecques et latines rendues
interessantes.]
Plattnev, Ph.: Ausführliche Grammatik der französischen Sprache. Eine
Darstellg. des modernen französ. Sprachgebrauchs mit Berücksicht. der
Volkssprache. III. Tl.: Ergänzungen. 2. Heft: Das Pronomen und die
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2., völlig neu bearb. Aufl. der „Kleineren französ. Schulgrammatik f. die
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Novitätenverzeichn is. 105
Stiei\ Geo.: Le coUegien fraucais. Lehrbuch der fraiizös. Sprache f. höhere
Lehranstalten. 2. Tl. (XV,''263 S. m. Abbildgn.) 8". Bielefeld, Velhagen u.
Klasing '07. 2,50.
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cinqui^me A et R. lu-18 Jesus, 120 p. Paris, Delagrave. [Cours de
grammaire fran^aise public soiis ia direction de Leopold Sudre].
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(1870—1871). Zum Übersetzen aus dem Deutschen in das Französische
bearb, von Eucjene Bestaux. (X. 175 S.) '06. Geb. 1. GO. Übungsbibliothek,
französische, kl. S'\ Dresden, L. Ehlermann.
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rUniversite de Besangen, aux etudianis etrangers. ln-8, 52 p. Besangon,
impr. Dodivei'S. 190G.
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üöhl&\ Emil: Coup d'oeil sur l'hibtoire de la litterature frang-aise. Kurzer
Überblick über die Geschichte der französ. Literatur. Für den Schul-
gebrauch bearb. 10. Aufl. (28 S.) 8°. Ballenstedt '06. Dresden, L. Ehlermann.
Krebs, Elvira: Abrege de l'histoire de la litterature frangaise de Corneille
ä uos jours. A l'usage des ecoles. (V, 63 S.) 8". Leipzig, B. G, Teubner '07.
Precis d'histoire litteraire. Litterature fran^aise, suivie d'un apergu des litteratures
etrangeres anciennes et modernes; par une reunion de professeurs.
In- 16, VllI-431 p. Tours, Marne et fils. Paris, Ve Poussielgue; les
principaux libr. 1907. [CoUection d'ouvrages classiques rediges en cours
gradues].
Bibliotheque franqatse. kl. 8". Dresden, G. Kühtmann. 81. Bd. Moliere: Les
femmes savantes. Mit Einleitg., Anmerkg. u. Wörterbuch zum Schul-
gebrauch hrsg. V. Oberlehr. Dr. Bahn. (VIII, 108, 36 u. 26 S.) '07 1.20.
— dasselbe, kl. 8". Ebd. 40. u. 41. Bd. Pressense. Madame E. de:
Petite mfere. Im Auszuge mit Anmerkgn. u. Fragen nebst e. Wörter-
buch zum Schulgebrauch hrsg. v. Prof. Dr. C. Th. Lion. 7. Aufl. (151,
40 u. 50 S.) '07 1. 50. 65. Bd. Zola, Emile: La catastrophe de Sedan.
Auszug aus „La debäcle". Mit Anmerkgn. u. Fragen nebst e. Wörter-
buche zum Schulgebrauche hrsg. v. Prof. Dr. Rieh. Ackermann. Mit 1
Karte. 2. Aufl. (V, 55, 20 u. 33 S.) '07. 1,20.
Bruno, G. Francinet, livre de lecture courante. Livre du maitre, entierement
revue et orne de 335 gravures instructives. Cours moyen et cours
superieur. In-12, 612 p. Saint-Cloud, impr. Belin freres. Paris, libr. de
la meme maison. 2 fr. 50.
CoUection des auteurs celebres. A l'usage des classes superieures. kl. 8".
Karlsruhe, F. Gutsch. VII. Contes choisis d'auteurs modernes. Avec
notes biographiques par Dr. 0. Glöde. (97 S.) ('07).
Corneilh, P. Theätre choisi. Edition specialement annotee pour l'enseignemeut
secondaire et renseigiiement primaire superieur; par Edouard Bailly. In-
16, II, 379 p. Paris, Paclot et Cie.
Ernncillon, Cyprieu; Par-ci, par-lä. Causeries ä l'usage des ecoles et de
l'enseignement privee pour faciliter l'etudes de la laugue parlee. (IV,
400 S.) 8^ Leipzig, Renger '07. 4,—.
Kühn, Dr. Ä"., u. s. CharUty: La France litteraire. Extraits et histoire. Zum
Schulgebrauch hrsg. Mit e. (färb.) Plan v. Paris, e. (färb.) Karte der
Umgebg. V. Paris u. e. (färb.) Karte v, Frankreich. (VIII, 376 S.). 8".
Bielefeld, Velhagen 8c Klasing '06. 3,50.
Leciures courantes faisant suite au premier livre de lecture. Cours eleraentaire ;
par une reunion de professeurs. In-12, 124 p. Tours, Marne et fils.
Paris, Ve Poussielgue; les principaux libr. [CoUection d'ouvrages classiques
rediges eu cours gradues].
1 06 Novitätenverzeiciüds.
Marlin, ./. et .1. Lemoine. — Lectiu'Os choisics d'autours fraii(;ais (Murale et
Recitatioii). Le^ons. Lcctures. Recitation. Exerciccis (['Observation et
crelocutioii sur l'iniage. Vocabulaire; cours elernentaire. Iii-IG, 176 p.
avec ;3.") grav. de Denis-Desroches. Paris, Libr. d'ediication nationale.
1906. 80 Cent.
Refoi-mbibliothek, neusprachliclie, Hrsg.: DD. Dir. Bernh. Hubert n. Max Fr.
Mann. 8°. Leipzig, Rossbergschc Verlagsbuchh. 30. Bd. Pages choisies
du rouian fraii^ais au XIXe siccle, avec comnaentaires, notices, analyses
et uu tableau soramaire de l'histoire du roman frangais par Charles
Glauser et Alfr. Graz. 4. serie. Le roman contemporaiu. (VIH, 108 S.)
'06. Geb. u. geh. 1,50.
iSchriftsteUer, englische u. französische, der neueren Zeit. Für Schule u. Haus
hrsg. V. J. Klapperieb. (Ausg. A Einleitung u. Anmerkgn. in deutscher,
Ausg. B in engl. od. französ. Sprache.) 8". Glogau, C. Flemming. 42.
Bdchn. Klöpper, Clem : Chapitres choisis de l'histoire des institutions
et des moeurs de la France. Ausgewählt u, erläutert. (Ausg. A.) (VH.
91 S.) ('06) 1,20.
Schulbibliothek, französische u. englische. Hrsg. v. Otto E. A. Dickmanii.
Reihe A: Prosa. 8". Leipzig, Renger. 1,52. Bd. Zola, Emile: La
bataille de Sedan. Für den Schulgebrauch erklärt v. Frdr. Lotsch. Mit
1 Karte. (XIV. 83 S.) '06. 1,40.
— dasselbe. (Neue Aufl.) 8'^. Ebd. 65. Bd. Merimee, Prosper: Coloraba.
Für den Schulgebrauch erklärt v. Jobs. Leitritz. 3. vcrb. Aufl. (XII,
135 S.) '06. 1,30.
Theäire, fran^ais. Ausg. A mit Anmerkgn. zum Scbulgebrauch unter dem
Text; Ausg. B mit Anmerkgn. in e. Anh. kl. S'^. Bielefeld, Velhagcn u.
Klasing. Geb. 71. Lfg. Rostand, Edm. : La Samaritaine. Hrsg. v
Therese Kempf. Ausg. B. (XXVIII, 83 u. 23 S.) '06. 1,—.
Referate und Rezensionen.
Sucllier, H. Die fravzüsische und provenzalisclie Sprache und ihre
Mundarten. [Sonderabdruck aus der zweiten Auflage des
I. Bd. von Gr Obers Grundriss d. rom. Phil.] Straßburg,
Trübner 1906, 130 S. 8°, mit zwölf Karten.
Mit der 2. Auflage von Gröbers Grundriss (1905) ist Suchier's
obgenannte Abhandlung in „zweiter verbesserter und vermehrter Auflage"
erschienen. Gleichzeitig wurde die Arbeit auch als „Sonderabdruck"
einem größeren Publikum zugänglich gemacht. Aus diesem Grunde
verlangt die Arbeit, nach meiner Ansicht, um ihr wirklich gerecht
werden zu können, eine doppelte Beurteilung: einmal als integrierender
Bestandteil des „Grundrisses", zweitens als alleinstehendes, vom „Grdr."
losgetrenntes Buch.
Als Teil des „Grdr." betrachtet, wird man stets geteilter Ansicht
sein, da in Anlage und Ausführung — von kleinen Einzelheiten ab-
gesehen — gegenüber der 1. Auflage (1887) nichts geändert wurde.
Schon vor 15 Jahren — vgl. Vollmöller's Krit. Jahresher. I 148 — ist
die ungleichartige Behandlung der roman. Einzelsprachen im Grdr.
hervorgehoben worden, unter denen Cornu's „Portugiesische Gramm.""
als die methodisch bestgelungene Arbeit bezeichnet wurde; sie ist es
auch in der neuen Auflage geblieben. Der Proportionsfehler, der sich
in Bezug auf Auswahl und Anordnung des Stoffes bemerkbar macht
und der schon a. a. 0. I 305 an Siichier's Abschnitt gerügt wurde,
ist in der verbesserten Ausgabe nicht verschwunden. Noch immer
ist die lautliche Entwicklung der Sprache zu knapp gehalten, in-
sofern dieselbe doch den Schlüssel zur Formenlehre = angewandten
Lautlehre bilden soll. Umso mehr muß sich dieser Mangel fühlbar
machen, wenn in dem Kapitel über die „Flexionsformen" nur die
„associativen Veränderungen" besprochen werden. Wer ferner z. B.
die historische Kenntnis der altprovenzalischen Sprache — vom Neu-
provcnzalischen gar nicht zu reden — aus diesem Buche allein sich
verschaffen wollte, der würde dabei sehr zu kurz kommen und sich
noch anderweitig umsehen müssen. Aber selbst wenn er nur solche
bibliographische Angaben in diesem Abschnitte eines „Grund-
risses" suchte, so könnte er nicht ausreichend befrieJigt werden
Es wäre auch zu wünschen gewesen, daß bei biblio3rai)hischeu.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI2. 7a
108 Referate und Rezensionen. Joseph Huher.
Angaben (die, wie gesagt, reichlicher hätten ausfallen können) auch
betreffende Rezensionen verzeichnet worden wären, wenn sie schon
nicht mit eigenen kritischen Noten begleitet wurden.
Trotzdem wird man aber Suchier's Arbeit nicht von dem
praktisch -beschränkten Standpunkte eines (kompilatorischen) Nach-
schlagebuches betrachten wollen, der natürlich mehr fordert, als auf
dem gegebenen Räume überhaupt an Stoff hätte geboten werden können.
Sie wird sogar als ein gefäUiger Teil des „Grundrisses" betrachtet
werden müssen, der, schon seinem Titel entsprechend, nicht ein kom-
plettes, in allen Teilen vollendetes Gebäude der romanischen Sprachen
bieten will, sondern das zu bearbeitende Material in erkennbaren Zügen
beschreibt, in erster Linie das Fundament legt und den Gesamtplan
skizziert, nach welchem in großen Zügen der Rohbau ausgeführt wird,
welcher — da schon mit einer syntaktischen Arabeske, dort mit ety-
mologischen Figuren versehen — den Gesamteindruck zu vermitteln
imstande ist, während im einzelnen noch manches mangelt und anderes
wieder abgeändert werden kann.
So treten denn bei Suchier die einzelnen phonetischen Probleme —
welche er immer noch in einem eigenen Buche „Die Lautentwickelung
der französischen Sprache von der Romanisierung Galliens bis zur
Gegenwart" zu behandeln verspricht (vgl. S. 778) — in den Hintergrund;
das allgemein wichtigere sprachgeschichtliche Moment wird stärker
betont. Nicht unbeeinflußt von H. Paul's „Prinzipien der Sprach-
geschichte.," wie er selbst {S. 793) bekennt, bat Suchier versucht, —
im Gegensatze zu den übrigen Darstellungen im „Grdr." — den Sprach-
stoft' nach höheren Gesichtspunkten zu gruppieren und — in unschwer
zu erkennender Anlehnung an Paul's „Prinzipien^'' — in einzelnen
Kapiteln über die Wort-, Formen- und Satzgeschichte des Französischen
(und Prov.) zu handeln. Von Tiktins trockenen Zusammenstellungen
über die rumänische Syntax abgesehen — ist Suchiers Grammatik unter
allen des „Grdr." die einzige, in welcher der syntaktischen Erscheinungen
in größerem Umfange und in ansprechender Form gedacht ist. Hatte
Meyer-Lübke {Krit. Jb. I 114) von seiner „Roman. Gramm.'-' gesagt,
daß sie zum Nachschlagen und nicht zum Lesen bestimmt sei, so
gilt hier gerade das Gegenteil. Unter den (wenigen) grammatikalischen
Arbeiten, die sich durch Form und Stil auszeichnen, nimmt Suchier's
Arbeit einen der ersten Plätze ein. Sie ist zum Lesen gleichsam
bestimmt, und deshalb ist ihr durch die nur zu begrüßende Sonder-
ausgabe erst der rechte Weg eröffnet worden. Die aphoristische
Behandlung des Stoffes ist so recht dazu angetan — und scheinbar
mit Absicht — den Leser anzuziehen und sein Interesse für noch
halb- und ungelöste Fragen zu gewinnen. Die Darstellung wirkt
nicht ermüdend, da nicht eine Masse gleichwertiger Beispiele den Leser
betäubt. An einigen wenigen, oft zu wenigen Beispielen wird ihm
die Erklärung veranschaulicht, so daß er immer noch gleichsam zwischen
den Zeilen lesen muß. Seiner eigenen Denkarbeit und Lust zu weiteren
H. Suchier. Die französische und provenzalisclie Sprache. 109
Untersuchungen und Modifizierungen ist somit hinreichend Spielraum
gewährt, ohne daß ihm etwa vorenthalten wäre, von welchem Staud-
punkte aus stehengebliebene Lücken etwa auszufüllen sind.
Da Suchier's Abschnitt wie in der 1. Auflage mit den Worten
beginnt: „Die Frage, wie viele romanische Sprachen es eigentlich gibt,...
ist nicht von großem Belang, und einstweilen wäre es vielleicht das
einfachste, wenn nur von einer romanischen Sprache geredet würde,
die in zahlreichen Mundarten lebendig ist" — so hätte man sich
gewiß erwartet, daß Suchier, diesen Satz für sein Untergebiet Gallien
anwendend, auch nur von einer galloromanischeu Sprache handeln
werde, deren dialektale Entwicklung und Veränderungen er, gemäß
der chronologischen Aufeinanderfolge und gemäß der geographischen
Ausbreitung der Erscheinungen, in vertikalem (entwicklungsgeschicht-
lichem) Schnitte und in horizontaler (räumlicher) Ausdehnung wenigstens
zu skizzieren versuchen werde, da eine solche ausführliche
Darstellung nach seiner Ansicht (S. 726) „innerhalb der einem ,.Grdr.
d. rom. Phil."' gesteckten Grenzen zur Zeit nicht auszuführen" ist.
Daß eine solche in den einzelnen Partien ungleich hätte aus-
fallen müssen, begreift jeder, der die Ungleichheit der vorhandenen
Materialien kennt. Dies war aber noch nicht Grund genug, sie
überhaupt noch nicht zu versuchen. Daß sie sogar im Rahmen eines
„Grdr." möglich (weil eben ausschließlich vorzuziehen) ist, hat Meyer-
Lübke in der Behandlung der italienischen Sprache und Mundarten
ebendort gezeigt. Dieser Versuch einer „galloroman. Grammatik"
wäre umso eher zu skizzieren gewesen, als etwas derartiges bis jetzt
überhaupt noch nicht existiert i), und weil gerade durch eine dadurch
bedingte Zusammenfassung des bisher Geleisteten und wirklich Ver-
wendbaren gezeigt worden wäre, wie weit wir bis heute in dieser
Hinsicht gekommen, wieviele Lücken — und wären es doch nur
Lücken! — noch auszufüllen sind, au welchen Stelleu und von
welchen Gesichtspunkten aus die Einzelforschung noch einzugreifen
hat. Dadurch wäre das Buch eine neue Quelle vielseitiger Anregung
geworden, deren Früchte nicht ausgeblieben wären; denn sie hätten
sich gewiß eingestellt, die Kärrner, die zu tun haben, wenn die
Könige bauen.
1) Von dem Stuttgarter Realschulprogramm: Bertrand, Sur /es
idiomes et les dialectes de la France 1880 und 1891 (41 und 36 S.) darf hier
natürlich gar nicht die Rede sein. — Jetzt wäre nach Meyer-Lübke's .^Roman.
Grammatik" — an erster Stelle die 75 S. zählende „Einleitung" von E. Herzog
zu seinen „Neufranzös. Dialekttexten" Leipzig 1906, ZU nennen, obwohl darin
auf die geographische Verbreitung der Erscheinungen gar nicht Rücksicht
genommen ist.
Referent wird in absehbarer Zeit den Vorsuch einer „Galloromanischen
Grammatik" vorlegen, welcher das ganze im „Atlas linguistique" von Gillieron
und Edmont gebotene Spraclimaterial zu Grunde liegt. Natürlich werden
auch mehrere Karten dem Buche beigegeben werden, da besonders das
Verbreitungsgebiet der einzelnen ICrscheinungen festgestellt werden soll.
7a*
110 Referate und Rezensionen. Joseph Iluher.
Durch eine solche Darstellung Wcäre ein einheitlicher Grund-
gedanke und Plan in das Ganze gekommen und die von Suchier
(wie von J. Gillieron) mit Recht betonte geographische Ausdehnung
einzelner Erscheinungen wäre 1. in weiterem Umfange und 2. in
übersichtlichem Vergleiche zur Geltung gebracht worden. Und Suchier
selbst wäre in noch besserer Weise zu dem Ziele gelaugt, auf das
er — wenigstens in den lautgeschichtlichen Kapiteln — hinarbeitet.
Ihm ist es nämlich nicht so sehr darum zu tun, die geographische
Ausdehnung der verschiedensten lautlichen Erscheinungen in dem
romanischen Gallien festzustellen, als vielmehr an der Hand einzelner
„Leitformen" (S. 758) Mundartengrenzen oder Grenzzonen zwischen
einzelnen Mundarteugebieten zu ermitteln. Die Grenzen hätten sich
in diesem Falle von selbst ausgeschieden. Das Resultat der
gemachten Rechnung hätte sich leichter überblicken und kontrollieren
lassen und dadurch überzeugender gewirkt. Es w'äre dann auch
H. Suchier von niemand mehr vorgehalten worden, daß ein paar
,jLeitwörter" doch nicht immer zu solchem Zwecke ausreichen. Er
wäre bei der angedeuteten Behandlung auf viele „Einzelheiten" auf-
merksam geworden, die „bei einer Entwicklung, wo alles ineinander
greift, nicht vernachlässigt werden dürfen" (S. 752). Und ^die Forschung
darf erst da Halt machen, wo das zur Verfügung stehende Material
versagt" (S. 752).
Hervorgehoben zu werden verdient, daß Suchier bei der Fest-
stellung der Dialektgebiete und ihrer Grenzzonen nicht die modernen
Verhältnisse allein berücksichtigt, sondern auch die älteren mund-
artlichen Texte seit der Mitte des 1.3. Jahrb. herangezogen und dadurch
in richtiger Erkenntnis der Sachlage die ganze Frage unter den
Gesichtswinkel der historischen Entwicklung gestellt hat.
In erfreulicher Weise erhielt das Kapitel über die Mundarten
eine Erweiterung, in dem zugleich in anregender Form methodische
Winke vereinigt wurden. Mit vollstem Rechte durfte und mußte
hier jenes, nicht mit geringen Opfern zu erhaltende, monumentale
Werk gewürdigt werden, welches J. Gillieron und Edmont der
romanischen Sprachwissenschaft liefern und welches leider manchmal
von nicht zu erwartender Seite mit scheelen Augen und über die
Achseln angesehen wird 2).
-) So schrieb z. B. E. W. Sa-iplure, ein praktischer Amerikaner, in
Bezug auf den Atlas linc/uistique de la France in Vollmöllers Krit. Jahresher.
VI (1903) 48 ff.: „Durch phonetische Transkription kann man dem Leser
nur eine blafse Ahnung des gehörten Lautes geben. Auch gehen beim
Notieren die Einzelheiten der gesprochenen Laute fast völlig verloren.
Nur auf einem Wege kann mau eine solche Aufgabe endgültig lösen.
Die Wörter müssen von einem Phonographen oder Gramophone aufgenommen
werden, von den Aufnahmen unzerstörbare Metallmatrizen gemacht werden.
Von diesen macht man so viele Kopien, Wachs oder Hartgummi, wie für
den Gebrauch nötig sind. Die Matrizen selbst bewahrt man in feuersicheren (!)
Tresors auf. Mit den neuen Sprechmaschinen kann mau ganz tadellose
H. Suchier. Die französische und provenzalische Sprache. 111
Suchier trennte, was wir gern vereinigt gesehen hätten,
indem er von S. 726 — 52 über die lautliche Entwicklung der Schrift-
sprache, von S. 752 — 69 über die der Ma. handelt. Wie sehr es
sich aber empfohlen hätte, eine die Schriftsprache und Ma. umfassende
einheitliche Darstellung zu skizzieren, lehrt Suchiers Behandlung selbst,
indem er in den Kapiteln über die- „Schriftsprache" nicht umhin
kann, dialektische Verschiedenheiten anzuführen, die indessen — was
entschieden hätte vermieden werden sollen — meist ganz allgemein
gehalten und lokal unbestimmt gelassen werden. Vgl. z. B. S .728: „im
Prov. wenigstens mundartlich" — „in einem Teile Nordfrankreichs"
S. 783: „dialektisch noch jetzt".
Im Folgenden seien noch einzelne Bemerkungen nach der Seiten-
zahl aneinandergereiht.
Sprachaufnahmen machen, welche die Wörter mit völligster (?) Deutlichkeit
wiedergeben: man hat also das wirkliche Wort für das Ohr, statt einer
Transkription für das Auge. Solche Autnahmen kann man mit den neuen
Methoden auf Papier schreiben [also doch für das Auge !! ] in solcher Gröfse,
dafs jede Welle eines Vokales in grofsem Mafsstabe vorkommt. Von solchen
Sprachkurven kann man selbst die Einzelheiten über die Tätigkeit der
Sprachorgane in jedem Augenblicke durch Messen erforschen. Merk-
würdigerweise (?) kann man heutzutage die ganze „Survey" in der Form
einer Sammlung von Phonographenzylindern mit derselben Anzahl Wörter
zu einem billigeren (?) Preise liefern als in der Form eines Atlas mit blofs
gedruckten Wörtern". —
Nur weil dies in dem ersten kritischen Organe der roman. Philologie
gedruckt steht u. weil bis jetzt noch von keiner Seite darauf erwidert
wurde, sei es gestattet, hier ein für allemal darauf zu entgegnen. Fürs
erste sei erwähnt, dafs die von Scripture gerühmte Methode doch nicht so
einfach, sondern weit umständlicher u. viel kostspieliger ist, wie aus seinen
eigenen Ausführungen Krit. Jahresber. VJI (1905) 31 ff. hervorgeht. Dafs
die phonograph. Aufnahme auch ihre unangenehmen Nachteile hat, darüber
siehe Hermann, Über das Verhalten der Vokale am neuen Edison'schen
Phonographen, im Archiv f. d. gesammte Physiologie XLVII 42. — Nur
nebenbei sei bemerkt, dafs die Transkription eines Wortes auf derselben
Stufe steht wie die musikalische Notierung. Jedermann weifs, dafs die Note
kein Ton ist, sondern nur einen Ton bezeichnet. Und doch verstehen sich
die Musiker der ganzen Welt, selbst bis auf die feinsten Nuancen, wenn
sie sich auch nur Noten gegenseitig schicken. — Die ganze Auffassung
Scripture's zeigt aber eine völlige Verkennung des Wertes und der Bedeutung
des Atlas linguistiquc (er heifst nicht = phonetique). Die Herausgeber
wäre es ohne Zweifel billiger zu stehen gekommen, wenn sie den gesammelten
Wort- und Formenschatz in der Form eines Wörterbuches mit Hinzufügung
einer einzigen Karte veröffentlich hätten. Aber hier galt es in erster Linie
die geographische Ausdehnung von Erscheinungen, nicht blofs in rein
lautlicher, als vielmehr in morphologischer und lexikalischer Hinsicht einmal
direkt und klar vor Augen zuführen. So bildet denn der Atlas, zumal
nach der Auffassung seines Urhebers Gillieron, nicht gerade die Grundlage
für einzelphonetische Untersuchungen, als vielmehr den Ausgangspunkt für
morphologische und insbosonders wortgeschichtliche, semasiologische
Studien, die oft dazu angetan sind, den Ergebnissen rein abstrakter
phonetischer Forschung auf Grund der geographie linguistique den
Boden der Wirklichkeit, d. h. der Berechtigung zu entziehen.
1 1 2 Referate und Rezensioneyi. Joseph Iluher,
S. 712 — 26. Auf diesen Seiten findet man am besten vereinigt,
was über die Ausdehnung des französischen Sprachgebietes und über
die sprachlichen Verschiebungen an seiner Grenze in statistischen und
andern Aufsätzen zerstreut liegt. Die Angaben wurden natürlich nach
den neueren Aufnahmen und Zählungen berichtigt. Im Verhältnis zur
Statistik 3) der 1. Auflage (1887) haben die französisch Sprechenden um
etwas mehr als 2 Millionen zugenommen. Interessant ist die verhältnis-
mäßig rasche Französierung der Bretagne. Selbst wenn man die Ziffern
Sebillots (1886) etwas abzurunden berechtigt ist, so ergibt sich doch
im Vergleiche zu den Angaben Zimmers (1898) ein ziemlich schnelles
Umsichgreifen des Französischen, Der französischen Organisierung und
Zentralisation kommt nämlich ein wichtiger Faktor zu statten, der noch
nicht erwähnt wurde. Es ist der Sommer, der jährlich eine große Anzahl
von Fremden an die Küsten der Bretagne mitbringt. Der Bretone weiß
ganz gut diese Erwerbsquelle einzuschätzen, die ihm eigentlich nur dann
zugute kommt, wenn er französisch sprechen kann. Um ihretwillen lernt
er französisch oder läßt es wenigstens seine Kinder lernen. Wenn es
bei Suchier (S. 713) heißt, daß das Dep. Finisterre ganz bretonisch
ist, so ist das nur in gewissem Sinne zuzugeben. Der Zersetzungs-
prozeß hat natürlich auch hier schon begonnen, von den Küsten- und
Verkehrslinienorten ausgehend. Die Männer sind meist bilingues, schon
weil sie meist den Militärdienst hinter sich haben. In den abgelegeneren
Orten dagegen — wie ich aus eigener Erfahrung beifügen kann —
trifft man allerdings Leute und insbesondere Frauen an, welche noch
kein Wort Französisch verstehen.
S. 729. Suchier macht gegen Meyer-Lübke, Rom. Gramm. I
70 [und Bonnard-Salmon, Gramm, sommaire de l'anc. fr. Paris
1904'*)] — der den Lautwandel m > w für so spät hält, daß er auch
im 11. Jahrh. noch nicht ganz (d. h. wohl — nicht überall) durch-
geführt gewesen sei, — geltend, daß „hierbei ein Grundprinzip der
romanischen (?) Lautentwicklung außer Acht gelassen" sei, dem zu-
folge dieser Wandel „nicht später eingetreten sein kann als im
4. Jahrh. n. Chr." „Wenn die Catalanen und nördlichen Anglo-
normannen für ü wieder den lateinischen Laut eingeführt haben, so
handelt es sich um Lautsubstitutioneu unter dem Einflüsse fremder
Lautsysteme." Dies mag für die nördlichen Anglonormannen und
das Gebiet „von Waremme südwärts bis Marche und Bastogne" seine
Eichtigkeit haben. Das katalanische und altsüdprovenzalische Gebiet
sind davon aber entschieden auszunehmen. Lienig, Gramm.
p. 54 — 58 wird gar nicht zitiert. Da auch für Suchier die Erklärung
Ascolis, der den Übergang von ü > ü auf eine keltische Eigenheit
zurückführt, „heute noch die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat,"
3) Auffällig ist nur, das die Ziffern auf S. 723 sich mit denen auf
S. 543 dessellDen Grundrisses nicht vollkommen decken. In der L Aufl.
wurde dieser Maugel wenigstens entschuldigt.
*) Im Grofsen und Ganzen eine Kompilation.
//. Suchier. Die französische und provenzalische Sprache, 113
so muß er mindestens zugeben, daß seine Annahme nur für die Gebiete
Gültigkeit haben kann, die ursprünglich eine keltische Bevölkerung
aufzuweisen haben. Für das Provenzalische und natürhch für das
noch südlicher gelegene Katalanische aber haben wir „lauter Gebiet,
in welchem ursprünglich nicht keltische Stämme vorherrschten
oder wenigstens einen erheblichen Teil der Bevölkerung ausmachten",
vgl. E. Windisch, Die keltische Sprache in G. Grdr. l- 379.
Wenn Suchier ferner behauptet, daß das, „was über die allmähliche
Ausbreitung des ü gesagt wird, aus der Luft gegriffen ist," so sei hier
nur angemerkt, das auch Suchier es unterlassen hat, seine Behauptung
durch Beweise zu unterstützen.
S. 732 — 34. Sonderbar ist, daß das Kapitel über die „unbetonten
Vokale", das wohl größer als das über die „betonten Vokale" sein
dürfte, keine eigentliche Erweiterung erfahren hat — wenn auch
Suchier das, was er in der 1. Auflage vortrug, noch heute ungeändert
lassen konnte. Auffällig ist aber der gänzliche Mangel lautchrono-
logischer Bemerkungen, die hier am Platze gewesen wären.
S. 733. In prov. falses < falsus, verses < versus acc, plur.
soll u, „wenn von s eingeschlossen", sich als e erhalten haben.
Weil in Romania XXI, 16 falses als Nom. sg. angezweifelt wird,
so beruft sich Suchier mit Recht auf Flamenca 4284; damit ist aber
seine Annahme, daß der lat. Nom. -us direkt hier vorliegt, noch nicht
bewiesen und eine Verallgemeinerung des Satzes (auf Grund kaum
zählender Beispiele) schon gar nicht erlaubt, weil man sich dann
doch fragen muß, Avarum passus > pas, versus > vers u. v. a. nicht
durchgehends als pases usw. begegnen. Bei verses handelt es sich
ebenso um eine sekundäre analog. Bildung, wie bei meses, faises,
corses, und ein Nom. Sg. falses sclieint mir nicht weniger sekundär
als ein Nom. Sg. prezes < pretium (vgl. Diteraturblatt f. germ. u.
rom. Phil. 1888. S. 269). Vgl. auch noch A. Thomas, Essais
de phil. franf. S, 28 Anra. 4.
S. 733. Kis < kils < gui (il)los darf nicht mit prov. pus> plus
in Bezug auf den Verlust des l zusammengestellt werden, da / sich doch
in zwei ganz verschiedenen Stellungen befindet. Auch die proklitische
Stellung ist für plus > pus nicht allein ausschlaggebend. Nach den
Leys d'ajnors III 60 tönte / (u. r) in Verbindung mit einer Muta „ayssi
flacamen'-' , daß man die „aspretat de so'' nicht erkennen konnte;
so erklären sich dann Reime wie neblas : tenebras, sempre : temple
und so wohl auch der Schwund des l (vor u) in plus.
S. 734. Daß ausl. m im 11. Jahrb. zu n wurde, hätte in dem
Kapitel über die konsonantischen Veränderungen vor dem 12. Jahrb.
und nicht erst nebenbei auf S. 793 erwähnt werden können.
S. 736. Das Alter der Palatalisierung von c vor e, i ist als
eine der vorromanischen Gramm, angehörige Frage nicht untersucht
worden. Der einzige darauf Bezug nehmende Satz: „die ältesten in-
schriftlichen Zeugnisse tauchen gegen Ende des 6. Jahrh. auf" läßt
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI ä. 8
114 Referate und Rezensionen. Joseph Huher.
erkennen, daß Suchier sich der Ansicht von G. Paris anschließt, dem
zufolge die Palatalisierung nicht vor dem 6. Jahrh. eingetreten ist.
Immerhin hätte dazu Meyer-Lübke, Einf. S. 115 — 117 zitiert werden
sollen. Jetzt sei noch auf das Arch. f. lat. Lex. XIV (1906) S. 112
hingewiesen, wo 0. Hey aus einem Epigramm zu schließen geneigt
wäre, daß in Gallien im 4. Jahrh. der Assibilierungsprozeß im
wesentlichen vollzogen war. — Bei der Besprechung von ci, ti im
Französischen hätten vielleicht Herzogs ^Streitfragen I, die speziell
dieser Frage gewidmet sind, auch erwähnt werden können.
S. 742 unten. Zu dem Satze: „Das Prov. unterscheidet beim
Verbum ant, ont, enf^ gehört in Klammern : ^Mit Ausnahme des
Limousinischen", weil hier schon im Boethius für -ont konsequent
-en eingetreten ist.
S. 747. In dem Absätzchen über „Haplologie" hätte sich ein
Hinweis auf Nyrop's Gramm, hist. I §§5ll — 515 empfohlen, wo
meines Wissens die zahlreichsten hierhergehörigen Beispiele zusammen-
gestellt sind. Nebenbei sei erwähnt, daß diese Erscheinung zu all-
gemeinen Erörterungen Anlaß gegeben hat in Zs. d. Deutsch.
Morgenland. GeseUsch. Bd. LIX 629, LX 246, 326; vgl. auch
Brugmann, Kurze vgl. Gramm. S. 337.
S. 774. In § 48 hätte vielleicht erwähnt werden können, daß
Jaisons eine nach dem Imperfekt faisoie < faciebam geschaffene Neu-
bildung ist wie auch die Formen disons, duisons.
S. 775. Suchier will jetzt noch seine auch von M. Breal und
Vising vertretene Ansicht, daß -ons sich aus lat. -amus regelrecht
durch Lautwandel entwickelt habe, aufrecht halten und nicht gegen die
entschieden bessere z. B. von Meyer-Lübke und G. Paris (Rom. XXI
337 — 60) vertretene Erklärung umtauschen. Vgl. Risop im Krit.
Jahresher. II 146.
S. 782. Daß in § 52 „von der Bildung des Futurs", wo
gleichzeitig statt „unter einer andern Rubrik" kürzer und deuthcher
„§ 94 S. 825" hätte gesetzt werden sollen, und in § 94 noch weiteres
über das Futurum anzumerken war, will mir nach den Ausführungen
Risop's in „Stiid. z. Gesch. der frz. Konjug. auf -ir" (vgl. auch
Krit. Jb. II 138 ff.) nicht fraglich erscheinen. — Ebenso ließen sich
zu andern Absätzen (z. B. über die Inchoativbildung usw.) Ergänzungen
und Nachträge liefern.
S. 783. In das Kapitel über den „Subj. des Präsens" wäre
gewiß auch die Arbeit von Ivan Uschakoff: „Zur Erklärung einiger
frz. Verbalformen" in Mem. de la Soc. nSophil. Helsingsfors 1893
hineiuzubeziehen gewesen.
S. 793. Zvi^/^^dn < stagnum wurde — und nicht mit Unrecht —
noch *stanneum angesetzt, wobl in Rücksicht auf bain, für welches
Densusianu, Histoire de la langue roumaine I. S. 119 (Paris, 1901)
ein *banneum ansetzt. Vgl. noch Meyer-Jjübke, Litbl. f. germ. u.
rom. Phil. 1901, S. 801.
0. Schultz-Gora. Altprovenzalisches Elementarhuch. 115
S. 794, Bei der „sprachüblichen Form" fon neben fo < fuit
erklärt sich das n nicht als schließlich üblich gewordener Hiatustilger
vor folgendem volialischera Anlaut, sondern wohl zunächst als in Analogie
zu der Verbalendung -on (z. B. ven < venit^ daneben ve wie hon — bo)
entstanden. Daß dies das wahrscheinlichere ist, scheint der Umstand
zu beweisen, daß fon (fun) auch vor Konsonant begegnet; vgl. z, B.
Gir. de Ross. : qui fun vertaz.
S. 796. lieu erklärt Suchier aus einer Kreuzung von lÖcum
mit kelt. (bret.) lech Ort. — Ich bin jetzt sehr geneigt, für das
altfrz. tref „tente" einen Einfluß des gall. tref ,,maison" (vgl.
Revue celtique XXVII (1906) S. 194) anzunehmen, zumal da
Suchier schon früher einmal an ags. traf gedacht hat, das mit
dem gall. tref urverwandt ist; vgl. Indogerman. Forsclig. XVIII
215—18.
Paris, Weihnacht 1906. Joseph Huber.
Schultz-Gora, 0. Altprovenzalisches Elementarhuch [in der
Sammlung romanischer Elementarhücher, herausgeg. von
W. Mejer-Lübke, I.Reihe: Grammatiken "i^o. S], Heidelberg,
1906, X 187 S.
Auf einmal ist das Studium der Troubadoursprache durch das
Erscheinen dreier vortrefflicher Lehrbücher wesentlich erleichtert
worden. Das Heimatland der Dichter hat freilich keinen Anteil an
diesem Fortschritt. Aber die Italiener besitzen nun in der zweiten
Auflage von Crescinis Manualetto provenzale (1905) eine recht gute
Einführung ins Provenzalische, die Engländer eine solche in Grand-
gent's Outline of the phonology a7id morphology of old provencal
(Boston, 1905), und deutsche Studierende haben jetzt in dem Elementar-
buch von Schultz-Gora die richtige Grundlage.
Man wird von einem Elementarbuch nicht verlangen wollen,
daß es viel Neues bringt, sondern daß es die gesicherten Resultate
der Forschung möglichst faßlich und übersichtlich darstellt. Diese
Forderungen sind in hohem Maße erfüllt; an der Komposition des
Buches ist kaum etwas auszusetzen. Es enthält eine für Anfänger
ausreichende Bibliographie, ein einleitendes Kapitel über Ausdehnung,
Ursprung und Charakter der Troubadoursprache, eine Lautlehre,
Formenlehre, eine natürlich elementar gehaltene Wortbildungslehre,
eine kurze aber gehaltvolle Syntax, 18 Nummern Texte nach sorgfältigen
Ausgaben, ein Wörterverzeichnis zu den Texten, in dem man nur
weniges vermißt, und ein Wörterverzeichnis zum grammatischen Teil.
Auch eine kleine phonetique ascendante ist vorhanden, §§ 37 — 46,
wo gezeigt wird, auf welche Quellen die betonten provcnzalischen
Vokale zurückgehen. Sehr willkommen ist die Aufnahme der Syntax,
für die der Verfasser das Material selber zusammentragen mußte, und
8*
116 Referate und Rezensionen. L. Gauchai.
die den originellsten Teil des Buches bildet. In der Lautlehre ist
zu loben, daß den unbetonten Vokalen der gebührende Platz ein-
geräumt wurde, und daß bei den Konsonanten das Bild der Entwicklung
nicht durch Auseinanderreißen der Behandlung im An-, In- und
Auslaute gestört ist. Die Texte reichen wohl für ein Semester aus. Sie
sind mit großem Geschick gewählt. Leichtverständlichkeit und künst-
lerischer Wert sind schön vereinigt. Auch literarhistorische Rück-
sichten waren bei der Auswahl maßgebend, indem jede der wichtigeren
Gattungen der provenzalischen Poesie vertreten ist. Vielleicht wäre
ein synoptisches Tableau der Formen von aver (anarl) nicht über-
flüssig gewesen, da sie sich in Tabellenform besser einprägen, als in
Zeilenform (p. 97).
Die Anlage des Buches verdient also volle Anerkennung. Und
doch frage ich mich, ob der Autor nicht hie und da etwas höher
hätte greifen können. Ist es gut, daß die alten und neuen Dialekte
so systematisch ausgeschieden werden? Da, wo z. B. vom beweglichen
n gesprochen wird (p. 57), hätte angeführt werden können, daß die
Provence dieses -n nicht fallen läßt, und folglich, da die Troubadours
meist ma, nicht man (manum) sagen, die Literatursprache des
französischen Südens nicht aus diesem Laudesteil hervorgehen konnte,
der Bezeichnung langue provengale zum Trotz, die ja nicht die einzige
ist. Ein Verweis auf die Karte VII von Suchier (im Grundriss) oder
eine der Karten des Gillieronschen Atlas, z. B. 796 main, mains,
wäre anregend gewesen. Man braucht im Anfangsunterricht vor
solchen Seitensprüngen nicht ängstlich zu sein. Die Hauptsache ist
die lebendige Anschauung, die durch Karten in hervorragendem
Maße vermittelt wird. Ein anderer Fall betrifft das Verbreitungs-
gebiet von ca = cha, das p. 48 wenig präzis als nördlich von
Languedoc und der eigentlichen Provence befindlich angegeben wird.
Es hätte wohl nicht geschadet, wenn mit Hilfe der nicht angeführten
wichtigen Untersuchungen von P. Meyer (Rom. XXIV und XXX)
und des Atlas Unguistique wiederum — warum das prächtige und
bequeme Werk nicht möglichst heranziehen? — diese wichtige Er-
scheinung genauer lokalisiert worden wäre. Der Student würde
erfahren, auf welchem Wege die Ausdehnung einzelner Sprachzüge
im Mittelalter und in der Gegenwart gemessen wird; er würde lernen,
daß solche Grenzlinien beweglich sind, daß die ca-c/m- Grenze
sich früher nach Süden ausdehnte und heute nach Norden zurückzieht,
was schon aus den Aufsätzen P. Meyers deutlich hervorgeht. So
würden lebendigere Vorstellungen vom eigentlichen Sprachprozeß
erweckt, als wenn wir dem Lernenden nur ein starres corpus juris
von Regeln in die Hand geben. Nebenbei werfen solche Schwankungen
auf die Inkonsequenzen der alten Orthographie ein Licht. Auch der
aufmerksame Anfänger kann ja oft merken, daß es mit unsern Regeln
nicht weit her ist. Wenn er p. 51 liest: „Vor e, i wird es (nämlich
das ^), wie auslautend zum c/i-Laut, oder zu i, das vielleicht ein
0. Schultz- Gora. Altprovenzalisches Elementarhucli. 117
^-Laut vor: sagitta > sageta, saieta . . . oder aber es geht noch
einen Schritt weiter und schwindet ganz: *pagenseni >pags, etc.",
so wird er sich mit Recht fragen, ob solche Konfusion den Namen
Wissenschaft verdient. Wie soll er in einem Wirrwarr wie rigi-
dum^- rege, frigidum > /mf, d\ gitum >- det sich zurechtfinden,
wenn ihm nicht durch Grundlegung richtiger Anschauung vom Sprach-
leben der Schlüssel zu solchen Widersprüchen in die Hand gegeben
wird? Solche Aufklärung wäre besonders denen willkommen, die etwa
das Buch als Autodidakten studieren. Im akademischen Unterricht
lassen sich je nach den Zuhörern die Anforderungen leicht höher
oder niedriger spannen.
Der Verfasser, dem wir so viele literarhistorische Nachweise
zu den Troubadours verdanken, zeigt, daß er auch die sprachliche
Seite beherrscht. Nur hie und da regt sich im Leser der Wider-
spruch oder der Wunsch nach Ergänzungen. So verstehe ich nicht
recht, welche phonetische Vorstellung der Bemerkung von j, das zu i
wurde (p. 16 in Wörtern wie troja > trueia) zu Grunde liegt. Es
dürfte auch gesagt werden, was unter geschlossenem und offenem a
gemeint ist (p. 11, 17). Der Satz „^ wird erweicht" (zu l: p. 49)
könnte moderner formuliert werden. Es wäre gut, darauf hinzuweisen,
daß die Troubadours zwei r und zwei l besaßen, Buchstaben und
Laute könnten oft schärfer auseinandergehalten werden, so vor allem
p. 44, wo der Anschein erweckt wird, daß in silvaticum> salvatje
das t erhalten blieb; cf. p. 34: viatcum für viaticum > viatje, für
welches p. 50 richtig die Aussprache viadze angenommen wird. P. 42
wird aus der Form salv des Boethius der Schluß gezogen, daß der
Wandel zu salf noch nicht vollzogen war; das -d- desselben Textes
beweist auch nicht, daß man noch -d- sprach; die Zwischenstufe d
war jedenfalls längst vorhanden.
Einige Male finde ich den Ausdruck nicht gerade glücklich.
Z. B. p, 51: „Vor ursprünglichem o hat es (das g) sich zu c ver-
härtet: Hugo > üc", wo die Verhärtung doch erst nach dem Abfall
des -o eintreten konnte. Die Bemerkung (p. 31) -i fiel zuletzt, „da
es noch Zeit hatte den Vokal umzulauten (illi>il)" ist zu bean-
standen, da die Umlautung längst vor dem Abfall der andern Vokale,
-e, etc. stattfand, wie die italienischen Dialekte zeigen. Nach dieser
Regel sollten wir übrigens aus *ve7idesti nicht vendest, sondern vendist
erwarten (p. 86). Mißverständlich ist der Ausdruck 1. Person des
Imperativs (p. 80), oder unas letras, unas novas, „Plural, wenn es
sich um mehrere gleichartige Dinge handelt" (p. 76). Es heißt
richtiger p, J16: pluraletantum.
Ich zähle noch einige Kleinigkeiten auf, wo ich mit dem Verfasser
nicht einig gehe: *negrum > nier ist bedenklich; adipsum = ad^s
ist unmöglich, nicht wegen des o (metipsimus zeigt dialektisch auf
großen Gebieten g und seine Fortsetzer), aber wegen des -d- (p. 19);
warum soll dius in quandius nicht volkstümlich sein (p. 21)? Salvioni
118 Referate und tlezensionen. L. Gauchat.
hat das Fortleben von diu auch im Altmailändischen nachgewiesen
(Miscell. Graf). Das Wort sirven hat sein i nicht durch Dissimihation,
sondern vom lliatus -i in servientem bezogen, cf. Avenione =
Avignon, etc. Agatha = Agda ist ein schlechtes Beispiel für
den Stützvokal (p. 32), da -a überhaupt nicht fällt. Oste hat
seinen Stützvokal nicht wegen des p, sondern als Proparoxytonon
(p. 33), Perda, venda, renda sehe ich als die richtigen Fortsetzer
von perdita, etc. an, nicht als Postverbalia (p. 34, 106). Frevol
stammt sicherlich von flebilis, cf. avol von habilis. Die Gruppe
mn verlangt keine Stütze, cf. p. 36: som, so?}, dan, aus soranum,
damnum. Die Metathese *nacsere, *conocsere halte ich nicht für er-
wiesen. Der Konsonant p kann vor s nicht nur zu i, sondern auch zu u
werden: mezeis, niezeus; neis, neus, wohl nach Dialekten, wie Grand-
pent, p. 77 angibt. Warum wird *vecinu angenommen, und nicht
auch *devinu (p. 27), warum durchgehends cansö geschrieben, aber
seizen etc. (p. 71)? Sollte man sich nicht einmal darüber einigen,
wie die enklitischen Pronomina orthographisch wiederzugeben sind?
Man schreibt ieu fam, no men cal, aber no.us ai vist, p. 136:
fai.l acupar a guisa de lairo. Auch in der Appelschen Chresto-
mathie findet man solche Ungleichheiten : no.s ave ex; ieu mesfors.
In Hinsicht auf die altromanische Syntax wäre ieut am, nom en
cal, etc. vorzuziehen, auch del an, wie im Spanischen oder Italienischen,
aber tot m'avetz conques, mori m'a e per mort li respon. Die
Frage bedarf zwar noch der Aufklärung.
In der arius-Frage nehme ich einen ganz andern Standpunkt
ein, als der Verfasser, will aber den meinigen nicht als den einzig
möglichen hinstellen.
In der Formenlehre sehe ich verschiedenes anders an. So ist
gewiß perdem, p)erdetz (p. 85, cf. p. 14) nicht durch Akzentschub von
perdimus, perditiszu *perdimus, *perditis entstanden. Perdem
geht so wenig als fr. perdons, it. p>erdiarno direkt auf die lat. Form
zurück, sondern ist durch analogische Ausdehnung von [habjemus
zu erklären. Und perdetz zeigt schon durch sein f, daß die Form
nach av^tz gebildet ist, das sich seinerseits nach ^tz=: estis gerichtet
hatte. Ebensowenig geht traissem, (p. 91) auf 'Hraximus zurück.
Ich glaube auch nicht an Zurückziehung des Akzents in ardre, moure
(p. 93), die analogische Bildungen sind. Die Formen reiyiason,
receubon (p. 92) haben nicht ihr r abgeworfen, sondern sind = Singular
+ on. Die verbreitete Ansicht, daß *ibat die Endungen des Imperfekts
der Konjugation auf -er verdrängt habe, ist aus verschiedenen Gründen
unhaltbar: erstens ist *ibat nicht lateinisch, zweitens ist nicht ein-
zusehen, welches wichtige Wort auf -ir imstande gewesen sein sollte,
das übermächtige habe bat umzugestalten, drittens erklärt sich der
dissimilatorische Schwund des einen b nur in habebat, viertens
trennt man durch diese Annahme gewaltsam nordfranzösisches aveit
und südfranzösisches avia, fünftens wird diese Ausflucht ganz unnütz
E. Rolland. Faune populaire de la France. 119
durch das Gesetz der Vokalsteigerung im Hiat (via = *i'ea = ma),
das alle rom. Sprachen kennen, die im Imperfektum -ia aufweisen.
Es ist nicht ersichthch, warum mit Schultz-Gora ein vulgärl. *mia
[=1 mea) angenommen werden sollte. Auch ligat = lia läßt sich
auf diesem Wege eher lösen, als durch Zuhilfenahme des gedanklich
weitabliegenden castigat etc.
In den Literaturangaben könnte ein Wink über die Anlage und
Benutzungsart von Kaynouard's Lexique hinzugefügt werden. Von Thomas
wären die Aufsätze über die loi Darmesieter en provengal {Rom.
XXI, 7) und über das Perfektum auf -et {Rom. XXIII, 141) eher
zu zitieren gewesen, als seine Studie über -arius {Rom. XXXI), die
durch den Artikel in der Festschrift Mussafia annulliert wird. Der
Paragraph über die Entstehung der Troubadoursprache ist auch gar
zu summarisch. Wenigstens hätte angeführt werden sollen, daß diese
Sprache keinen ganz einheitlichen Charakter besitzt und Varianten,
wie foc — fuec, etc. zuläßt.
Zu den Texten habe ich wenig zu bemerken. Heißt prendre
a captienh (p. 143) nicht eher: als Schutzherrn anerkennen, als
hochhaltend Und könnte man in dem bekannten Liede des Peire Vidal
Ah Valen tir vas me Vaire die Schlußworte: neis quan de hon cor
consire nicht übersetzen: selbst icemi ich herzlich traurig hin?
Zürich. L. Gauchat.
Rolland, E. Faune populaire de la France. VII. Les mammiferes
sauvages, complement. Paris, chez l'auteur, 5, rue des
Chantiers (V^ arrondissemeut), 1906. 271. S. 8°. Pr. 8 fr.
Das rühmlich bekannte Werk des unermüdlichen Verfassers
hat im Jahre 1877 zu erscheinen angefangen. Band 6, der den
vorläufigen Abschluß brachte, war 1883 zur Ausgabe gelangt. Der
jetzt vorliegende siebente Band stellt sich als „complement" des
ersten Bandes dar und übertrifft diesen an Umfang erheblich, während
er ihm in Anlage und Ausführung gleicht. Der hohe Wert, den
das Rolland'sche Werk für Sprachforschung und Volkskunde besitzt,
besteht, wie längst anerkannt, in der Mitteilung eines überaus reichen
Materials, das aus zahlreichen, z. T. schwer zugänglichen, gedruckten
Quellen zusammengetragen oder aus dem Volksmunde direkt gesammelt
wurde. Von einer Erläuterung seines Materials hat Verf. auch jetzt
zumeist abgesehen. Wo er eine solche versucht, wird man seinen
Ausführungen nicht immer zustimmen können. Auf einiges hat
A. Thomas Romania XXXVI, 122 f. hingewiesen. Einige weitere
Bemerkungen mögen hier folgen:
S. 25 f. Die Auffassung, daß tauper, toper in den Bedeutungen
schlagen, einschlagen („consentir ä unc chose en se frappant reci-
proquement dans la main") mit talpa (Maulwurf) zusammenhängen,
dürfte Zustimmung schwerlich finden.
120 Referate und Rezensionen. D. Behrens.
S. 48. In dem Zitat aus Dottin: „On appelle migritte (musaraigne)
Uli enfant chetif" muß es mizgrit oder mizrit (s. Gloss. des pari,
du Bas-Maine p. 353 f.) statt migritte heißen.
S. 140 Anm. 2. Daß futene in faire la futene = faire Tecole
buissonniere nichts mit fouinc, Marder zu tun hat, ist so sicher, daß
darüber kein Wort zu verlieren war. Die Etymologie von futene,
das man zu fuite gestellt hat, bleibt zu untersuchen. Ein älterer
Nachweis als der von Rolland gegebene findet sich bei P. I. Grosley
Ephemerides II, 172: „futairie, fuite, escapade d'ecolier". S. ferner
Tarbe Recherches II, 65 futaine, fuite, escapade; Littre s. futaine,
etoffe de fil et de coton: coiirir la futaine = raener une vie oisive,
vagabonde, passer le temps en promenades inutiles.
S. 143 erwähnt Rolland aus Conversation de maltre Guillaume
avec la princesse de Conti, 1631, pg. 98, die Redensart: JPrendre
Murt pour Nart mit der Bemerkung: „Y a-t-il lä une allusion ä
un personnage appele Nart ou une faute d'impression". Weder das
eine noch das andere ist der Fall, sondern es erklärt sich, wie leicht
zu erkennen, nart als Verkürzung von r'nard, dessen anlautendes
r im Satzzusammenhang hinter pour verloren ging: pour r'nard>-
pour nard, pour Nart. „Pre7idre Mart pour Nart" ist somit die
Umkehrung des von Rolland /. c. ebenfalls verzeichneten Dictums
„Prendre renard pour marthe"-, den Fuchs für den Marder nehmen,
d. h. sich gröblich täuschen. Die Schreibung „pour Nart" läßt
erkennen, daß der urspüngliche Wortlaut des Dictums nicht mehr
verstanden wurde. Satzphonetische Veränderungen an der Wortgrenze
sind eine so bekannte Erscheinung, daß darauf heute nicht mehr
eingegangen zu werden braucht. Erwähnt sei wall, a7idi, das aus
der Verbindung souc candi (sucre candi) losgelöst wurde, bei
Remacle Biet. I, pg. 82 und Semertier Voc. des houlangers etc.
p. 240.
S. 166 wird laie, die Bache, auf mlat. lea zurückgeführt und
dann einige Zeilen weiter unten bemerkt „ce mot [afrz. laie'\ vient
d'une forme hypothetique *lega pour leva". Nützlicher wäre ein Hin-
weis auf Diez E. W. p. 623 gewesen.
S. 168. Miroirs, das Rolland in der Bedeutung „Wildschweins-
hauer" aus Duez (1664) nachweist, begegnet so bereits in Hulsius
Wörterbuch aus dem Jahre 1597: „les miroirs d'un senglier die
Seiten Zähne eines wilden Schweines". Vgl. dazu Zs. f. rom. BMI.
XXVI, 660.
S. 227. Statt damtiers (les testicules du cerf), das R. aus
Jubinal Nouv. rec. de contes (1839) I, 167 notiert, ist vermutlich
mit Godefroy Biet. II, 412 daintiez zu lesen. Die von Godefroy
ebenda aus anderer Quelle noch angegebenen Formen deyties und
dentes hätten verzeichnet werden können.
Fr. Brinkmann. Syntax des Französischen u. Englischen. 121
S. 235. Zu der Angabe von Daez ,., Aller au gagnage se dit
des betes fauves qui vont brouter dans les bles pendant la nuit"
bemerkt R. in einer Anmerkung: Le gaim est le ble selon Duez,
1664. — Le ble est ainsi appele parce qu'il est le gain, le profit
par excellence du laboureur". Ich vermag an die Existenz einer
Form gaim -nicht zu glauben und vermute darin einen Druck- oder
Lesefehler für grain. Das von R. in der liste des auteurs
cites p, 259 aufgeführte Dictionnaire franpois-allemand-latin von
N. Duez liegt mir nicht vor, wohl aber das im gleichen Jahr (1664)
erschienene Teutsch \ Französisch \ und Lateinisch Dictionarium
desselben Autors. Unter Korn, getreid heißt es hier p. 287: „Du
froment, du bled, ou du ble, du grain'-'. Ähnlich heißt es p.
196 unter Getreid oder getreide: „Le ble, ou les bles, toute sorte
de ble ou de grain*"'.
S. 242 bemerkt R. „La chair qu'on leve entre les cuisses du
cerf est appele nomble" und dazu in einer Fußnote „Cest le mot
nombril". Es ist klar, daß die beiden Wörter nichts mit einander
zu tun haben. Nomhle ist, wie längst erkannt wurde, = lat.
lumhulus, nomhril = lat. umhiliculum.
D. Behrens.
Brinkmann, Friedrich. Syntax des Französischen und
Englischen in vergleichender Darstellung, Zweite un-
veränderte wohlfeile Ausgabe des 1884 (1885) erschienenen
Werkes. I. Bd. XVII und 628 S. IL Bd. VII und 930 S.
Gr. 80. 12 M. Braunschweig, F. Vieweg, 1906.
Das umfangreiche Buch ist eine billige Titelauflage des 1884
bis 1885 erschienenen Werkes. Es will denen, die Französisch und
Englisch neben einander lernen oder lehren, die Arbeit erleichtern
durch eine vergleichende Darstellung der Syntax beider Sprachen.
Über Brinkmanns Plan und dessen Ausführung hat seiner Zeit
Klinghardt im Literaturblatt für germanische und romanische
Philologie VII, 16 absprechend geurteilt, während Thura in den
Englischen Studien IX, 123 sich im Ganzen anerkennend geäußert
hat. Klinghardts Ausstellungen sind im Grunde berechtigt. Ich glaube
aber trotzdem, daß der Lehrer der beiden fremden Sprachen an der
Hand dieses Buches, wenn es auch nicht auf fester wissenschaftlicher
Grundlage ruht, auf manche Beziehung zwischen englischen und
französischen Spracherscheinungen aufmerksam gemacht wird. Freilich
rühren diese Ähnlichkeiten nicht in so ausgedehntem Maß, wie der
Verfasser meint, daher, daß „das Französische lange eine dominierende
Stellung auf dem Boden Englands eingenommen hat" (Bd. I, S. VIII).
GIESSEN. Wilhelm Hörn.
122 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
Weston, Jessie L. The legend of Sir Ferceval; vol. I. Chrelien
de Troyes and Wauchier de Denain (Grimm Library XVII).
London 1906. 8». XXVI -j- 344 pp.
Perceval ist der dritte Held der Arthursage, dem J. L. Weston
eine Monographie widmet. Eine Vergleichung der drei Monographien
ist interessant; sie zeigt eine auffallende Entwicklung. Schon die
Seiteuzahlen sind sprechend. The legend of Sir Gawain ließ sich
mit 1 1 7 Seiten abtun. The legend of Sir Lancelot du Lac bean-
spruchte 252 Seiten. Auf 344 Seiten konnte nur der erste Teil der
Legend of Sir Perceval erledigt werden; wie viel noch folgen soll,
erfahren wir nicht. Dieses Zahlenverhältnis entspricht nicht etwa dem
Umfang der betr. Sagen resp. der betr. Überlieferung. Es deutet
nur an, daß die Verfasserin ihrem Gegenstand jeweils größeres Interesse
entgegenbrachte und ein Eingehen ins Einzelne immer mehr als not-
wendig empfand. Damit ging auch eine Vertiefung der Forschung
Hand in Hand. Der Gawain ist ein unreifes und unselbständiges
Werk. Der Lancelot zeigt einen bedeutenden Fortschritt. Der
Perceval ist, soweit er einstweilen geht, eine auf selbständiges Studium
gegründete und mit viel Einsicht und Begabung durchgeführte Arbeit, zu
der die Fachgelehrten Stellung nehmen müssen. Mit Rücksicht auf
die Wichtigkeit des Buches mag eine etwas ausführlichere Besprechung
desselben nicht unstatthaft sein. Es ist auch gut, wenn Irrtümer
gleich anfangs aufgedeckt werden, bevor sie von Buch zu Buch wandern.
Mit der Art und Weise, wie J. Weston das Gebiet der arthurischen
Sage und Literatur zerlegt, bin ich nicht einverstanden. Sie hielt es
für nötig (in der Einleitung zum Lancelot spricht sie sich darüber
aus), die Legenden der einzelnen Helden nach einander monographisch
zu behandeln, um dadurch einen Überblick über das ganze Gebiet zu
bekommen. Nach meiner Meinung ist der einzige Weg, der zu diesem
Ziel führt, die Anordnung des Materials nach stofflicher Verwandtschaft
(nach Motiven und Formeln) und daneben als Erzänzung die Kritik
der einzelnen Literaturwerke. Die Enfances Lancelot und die Enfances
Perceval z. B. sollten jedenfalls eher in einem Buch vereinigt werden
als z. B. die Erzählung von der Befreiung der Königin Guenievre
durch Lancelot und diejenige von der Erlegung des Hirsches mit dem
weißen Fuß durch Lancelot. An zahlreichen Beispielen aus der
arthurischen Literatur läßt es sich nachweisen, daß die Namen der
Helden ganz gewöhnlich von einem Abenteuer auf das andere über-
tragen werden. Den variabelsten Faktor hat J. Weston als Einteilungs-
prinzip gewählt. Wie unpraktisch dies ist, lehren am besten ihre
eigenen Werke. In ihrem Gaxvain bespricht sie nicht etwa alle
Gawain-Abenteuer, sondern nur eine Auswahl, nur was sie für ur-
sprünglich hält. Daß aber in Bezug auf die Ursprünglichkeit der
Sagenstoffe die Ansichten individuell verschieden sind, wird sie wohl
zugeben müssen. Wenn sich nun auch für Gawain wenigstens etwas,
wenigstens sein übernatürlicher Kraftwechsel, als fast sicher ursprünglich
Jessi L. Weston. The legend of Sir Ferceval. 123
vindizieren läßt, so steht es dagegen bei Lancelot ganz schlimm.
Alles, was von ihm berichtet wird, wird auch andern Helden zu-
geschrieben, vielleicht mit ebensoviel Recht. W. selbst gesteht
denn auch mehr oder weniger unumwunden, daß sich eine eigentliche
Laucelotsage nicht nachweisen läßt. Sie kann nur von relativ ur-
sprünglichen Lancelotabenteuern sprechen, und die Richtigkeit ihrer
Auswahl mag man in Frage ziehen. Mit Perceval steht es nicht
besser als mit Lancelot. Doch hier hat sich W. durch eine
Frontschwenkung aus der Klemme gezogen, übrigens ohne ein Wort
zu sagen. Ihre Monographienserie sollte wohl ursprüglich Vulgarisations-
z'.v-ecken dienen. W. schrieb jedenfalls ihre Legend of Sir Gawain
zunächst für dasselbe Publikum, für welches sie eine Anzahl mittel-
alterlicher arthurischer Texte ins Englische übersetzte, für die in
England so zahlreichen Leser Malory's, Tennyson's, Swinburne's etc.
Dies zeigt ja schon das im Titel gebrauchte liomehj Wort Sir, das
sich in einer wissenschaftlichen Arbeit eigentlich lächerlich ausnimmt.
Von diesem Gesichtspunkt aus hätte ihr Gaicain betrachtet und
daher weniger herb beurteilt werden sollen. Dem Geschmack des
großen Publikums bequemte sich wohl auch das Einteilungsprinzip
an ; denn dieses Publikum wünscht alles bequem verpackt zu bekommen,
in a nutshell. Sei es, weil der erhoffte Erfolg hier ausblieb, sei
es, weil sie wie Gauvain die eigene Kraft wachsen fühlte: W.
wandte sich schon in ihrem nächsten Werk mehr an die Fachgelehrten.
Wenigstens muß die zweite Hälfte desselben jenem allgemeinen
Publikum wie unverdauliches Gemüse vorkommen. Sie paßt aber
auch nicht zum Titel; denn eine ganz spezielle Untersuchung
der verschiedenen Versionen des Gral-Lancelotcyklus sollte in einem
Buch über the legend of Lancelot höchstens beiläufig Platz finden,
W. hat aber hier wenigstens die Notwendigkeit der literar-
historischen Untersuchung erkannt. In dem folgenden Bändchen,
betitelt The three days tournament, behandelt sie eine einzelne
Erzählungsformel. Sie nennt das Bändchen an Appendix to the
Legend of Sir Lancelot ; sie hätte es aber ebenso gut an Appendix
to the Legend of Sir Cliges nennen können, wenn sie diesem Helden
eine Monographie gewidmet hätte. Im Perceval endlich handelt der
erste Band nur von dem Werk Chretiens und Gauchers; d. h. hier
ist das literarhistorische Prinzip zum Durchbruch gelangt, wie dort
das stoffgeschichtliche. Fast die Hälfte des Bandes ist den Gauvain
betreffenden Abschnitten des Percevalromans gewidmet, hat also mit
the legend of Perceval gar nichts zu tun. Das alte Einteilungsprinzip hat
sich, mit dem trauten Wörtchen /SiV, nur noch im Titel erhalten; sonst
ist es abgetan. W's Plan ist nun to examine critically, one hy one, and
finally group scientifically, all the romayices comp)Osing the Perceval
cycle (p. XXII). Ist das eine Abhandlung über die „Percevalsage"?
Indem ich nun zur Einzelbesprechung übergehe, muß ich gleich
bemerken, daß ich hier meine von W. abweichenden Ansichten
124 Referate und Rezensionen. E. Briigger.
in der Regel nicht ausführlich, oft gar nicht begründen kann; sonst
würde die Besjjrechung umfangreicher als ihr Buch.
In einer Einleitung klassifiziert sie die führenden Gelehrten
etwas oberflächlich und parteiisch nach ihrer Stellungnahme zur
kymrischen und armorikanischen Theorie (von ihr Insular und
Continental tlieory genannt) und gibt den Plan ihres Werkes kund
(vgl. das obige Zitat) i).
Eine Analyse von Chretiens und Gauchers Perceval leitet zu
Kapitel I über, welches eine Übersicht über die Überlieferung der
Percevalsage und speziell des großen Versromans gibt. W. war in
der glücklichen Lage, alle Handschriften desselben benutzen zu können,
und sie hat sich — was ihr hoch anzurechnen ist — die Mühe nicht
verdrießen lassen, dieses gewaltige und zerstreute Material durchzu-
sehen, um ihre Studien auf möglichst sicherer Basis aufbauen zu
können. Sie hat dabei verschiedene Entdeckungen gemacht, deren
Tragweite sie allerdings nach meiner Ansicht etwas überschätzt. Ihre
Angaben über die Hss. sind zwar sehr kurz, aber bieten doch gegen-
über denjenigen von Potvin und Waitz manches Neue. Sie gibt dann
auch eine provisorische Gruppierung der Hss., die von derjenigen
Waitzens wesentlich differiert. Sie hält nicht wie dieser die kürzeste
Redaktion, sondern die mittlere, deren beste Repräsentantin die Hs.
B. N. fr. 12576 (E bei Waitz) ist und die wir auch ziemlich gut
aus Wisse und Colin's Übersetzung rekonstruieren können, für die
ursprünglichste. Um den Leser zu überzeugen, müßte aber die Argu-
mentation viel ausführlicher sein. Ganz vergessen wurde Türlins
Crone, welche ebenso wie der von W. angeführte holländische Lancelot
eine Version derjenigen Gauvain-Abenteuer repräsentiert, die W. die
Chastel-ÄferveiUous-Gru^-pe nennt.
Kapitel II handelt von The hero's birth and parentage. Hier
zunächst eine Bemerkung über die Methode, welche in diesem und
den folgenden Kapiteln angewendet wird. W. stellt die verschiedenen
Versionen auf gleiche Linie. Es ist ja zu loben, daß sie ohne
Voreingenommenheit an sie herantritt; aber wenn es als sicher
oder wahrscheinlich sich nachweisen läßt, oder bereits nachgewiesen
ist, daß die einen von den andern abhängig sind, so muß man diese
Verhältnisse berücksichtigen und auch den Leser in dieselben einweihen.
So ist es z. B. selbstverständlich, daß Chretien's Fortsetzer Chretien,
Gaucher's Fortsetzer auch Gaucher gekannt und benutzt haben. Es
ist fast sicher, daß Chretien auch Kiot- Wolfram bekannt war; die
Erwähnung Chretien's in Wolframs Parzival ist kaum anders zu
1) Bei drr Gruppierung der Percevalversionen verstehe ich nicht, wie
das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von cmsadlng inßuence (p. XXIV)
zum Einteilungsprinzip erhoben werden kann. Jeder Autor, der zur Zeit
der Kreuzzüge schrieb, konnte doch, unabhängig von andern, diesen EinÜufs
aufweisen. Doch warten wir den zweiten Band des Werkes ab, welcher wohl
Aufschlufs geben wird!
Jessi L. Weston. The legend of Sir Perceval. 125
erklären. Es ist auch höchst wahrscheinhch, daß Robert de Borron,
resp. der Überarbeiter seines Perceval, aus Gaueber und Chretien
abschrieb (vgl. diese Zeitschrift XXIX p. 69 — 70). Der Perediir^
welcher, abgesehen von Auslassungen und Kymrisierungen, ungefähr
dieselben Abenteuer bietet wie Chretien und Gaueber, muß schon
aus diesem Grund als eine Bearbeitung des französischen Perceval-
romans angesehen werden, da es schon auf den ersten Blick, noch
mehr aber bei näherer Betrachtung als unmöglich erscheinen dürfte,
daß Chretiens und Gauchers Material vor diesen bereits vereinigt war.
Daß der nordische, der holländische, der flämische, der elsässische
Perceval nur den Wert von Handschriften des französischen Textes
haben, wird wohl von niemand bestritten werden; u. s. f. Auch wo
sich nichts gewisses sagen läßt, muß immer die Möglichkeit, düß
der eine Text von einem anderen erhaltenen abhängig ist, berücksichtigt
werden, falls sich nicht die Unmöglickeit jener Annahmen nachweisen
läßt. Es folgt daraus, daß einerseits wo ein Abhängigkeitsverhältnis
besteht, nur die Abweichungen des abhängigen Textes, nicht auch die
Übereinstimmungen, kritisch verwendbar sind, anderseits, wo die Un-
möglichkeit einer Abhängigkeit nicht nachzuweisen ist, die Überein-
stimmungen auch nur bedingten Wert haben. W. schickt nicht nur
nichts voraus über das Verhältnis der Versionen zu einander, sondern
sie behandelt tatsächlich in der Regel die Versionen als unabhängig 2).
Was den Peredur betrifft, so ist W. zwar, aßer much thought
and study (p. XXIV), dazu gekommen, den von den Vertretern der
kymrischen Theorie in ihr Credo eingeschlossenen und von W.
früher auch geglaubten besonders primitiven Charakter des Werkes ver-
neinen zu müssen (vgl. noch p. 93, 223) (wir würdigen diese Objektivität
und hoffen, daß es ihr mit andern in jenem Credo enthaltenen Dogmen
einmal ebenso gehe, wenn sie eigenes Studium an Stelle des Autoritäts-
glaubens treten lassen kann) ; aber an der Unabhängigkeit des kymrischen
Werkes hält sie merkwürdigerweise doch fest, einstweilen ohne Be-
gründung. Indem sie das Hirschabenteuer bespricht, bringt sie neben
Gauchers Version auch diejenige Robert's und die kymrische, ohne
die Möglichkeit, daß diese aus jener stammen, auch nur anzudeuten
(p. 109 — 110). Auch das 2. Kapitel liefert bereits ein eklatantes
Beispiel für den eben gerügten Fehler (p. 68 ff.). Es soll eine Tradition
gegeben haben, nach welcher Perceval eine Schwester hatte. Eine
solche kennen Gaucher, Robert, Gerbert, Perlesvaus und Queste.'^)
W. wird aber doch auch zugeben, daß die der „Percevalsage" zu
Grunde liegenden Motive und Formeln eine Schwester des Helden nicht
nur nicht postulieren, sondern eher ausschließen; und die ältesten
~) Die oben erwähnte Gruppierung der Versionen betrifft nicht das,
was ich eben hervorgehoben habe.
s) P. 229 betont W., dafs die Existenz der Schwester a trau witnessed
bij the major ity of versions sei. Kommt es auf die majority an?
126 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
Repräsentanten der Überlieferung, Sir Percyvelle, Chretien, Kiot-
Wolfram und der Verfasser des Bliocadrans-Prologs kennen denn auch
keine Schwester. Ist es da nicht wahrscheinlich, daß dieselbe von
einem Dichter, der den Sinn der Sage nicht mehr verstand, erfunden
wurde? Da ist zuerst an Gaucher zu denken. Eine Art poetischer
Gerechtigkeit verlangte, daß der Held wieder an diejenigen Orte zu-
rückkommen sollte, die für sein Schicksal entscheidend gewesen waren.
Darum ließen ihn Gaucher, dann nochmals Manessier und Gerbert,
auch Kiot-Wolfram und sogar der nordische Übersetzer, der sich gewiß
nicht auf eine besondere Tradition stützen konnte, wieder nach Bel-
Repaire, dem Schloß seiner Geliebten, zurückkommen. Aber ebenso
lag es nahe, ihn wieder zufällig in die Heimat gelangen zu lassen,
wenn auch seine Mutter gestorben war. Es war aber kaum zu erwarten,
daß Gaucher, indem er dies tat, den Helden in der einsamen Wildnis
einen Monolog halten ließ. Es mußte eine Person da sein, die ihm
Auskunft geben konnte. Ein Bruder, allein in der Wildnis lebend,
war nicht denkbar. Wie leicht fiel da der Gedanke auf eine Schwester!
Von Gaucher gelangte diese einerseits zu Gerbert, anderseits in Roberts
Rerceval, aus diesem in den Perlesvans, aus diesem in die Queste,
wo sie zu einer wichtigen Persönlichkeit gemacht wurde (über das
Verhältnis dieser Romane zu einander vgl. diese Zeitschrift XXIX^
p. 69 ff.). Auch ein anderes Argument W.'s hält nicht Stand. Sie
zitiert (p. 68) einen Passus aus den Enfances, worin der Knabe
nicht nur angibt, Max fils genannt worden zu sein, sondern auch
biau frere und biau sire. Der Passus findet sich aber nur in
2 Handschriften, welche die kürzeste Redaktion repräsentieren und nur
Chretiens und Gauchers Werk enthalten. W. selbst nennt ihn eine
Interpolation. Wenn er das ist, so verliert er offenbar seine Beweis-
kraft vollständig. Denn der dichtende Kopist muß Gaucher gekannt,
also auch Percevars Schwester bei ihm gefunden haben. Außerdem
ist die weitere Bedeutung von frere hier doch nicht ganz ausgeschlossen.
Am Schluß des Kapitels weist W. auf die enge Verwandschaft des
Bliocadrans-Prologs mit dem entsprechenden Teil y on Vi oUvams Parzival
hin, und möchte daraus schheßen, daß ersterer auf die gemeinsame
Quelle von Chretien und Kiot, das Buch des Grafen Philipp von Flandern,4)
zurückgehe. Kann er nicht ebenso gut auf Guiot zurückgehen? Ich
finde nichts, das dagegen spräche. Ich vermisse in diesem Kapitel
einen Versuch, die Namen von Percevals Verwandten zu erklären und
etwaige historische Elemente aufzudecken. Da die Motive und Formeln
der arthurischen Erzählungen in der Regel universellen Charakter
haben, so sind es fast nur die Eigennamen, welche uns über die
Herkunft des Stoffes und über seine Verbindung mit historischen
*) Kiot braucht aber nicht, wie W. meint, seine Vorlage auch vom
Grafen Philipp empfangen zu haben; das betr. Werk kann ja in mehreren
Hss. erhalten gewesen sein, von denen der Graf nur eine besafs.
Jessi L. Weston. The legend of Sir Perceval. 127
Elementen Auskunft geben können. Gerade bei der „Percevalsage"
läßt sich dieses Gebiet noch bebauen. 5)
Das dritte Kapitel behandelt the Perceval Enfances. W. zeigt
hier, daß sie ein gutes Gefühl hat zur Unterscheidung des Ur-
sprünglichen vom Spätem, des Volkstümlichen vom Literarischen. Mit
Bezug auf den Bliocadrans-Vvo\og kommt sie hier wieder zum selben
Schluß wie in Kapitel II (s. o.). Als diejenige Version, die der
ursprünglichen am nächsten kommt, erweist sich der englische Sir
Percyvelle. Der Glaube an Chretiens Superiorität, der übrigens nicht,
wie W. meint, fast allgemein ist, wird schon hier gründlich wider-
legt. Ich konnte, seit ich mich mit der Percevalsage resp. den
Percevalromanen beschäftigte, nicht verstehen, daß ein solcher Glaube
überhaupt Boden fassen konnte, und habe mich auch gelegentlich
dagegen ausgesprochen (z. B, in dieser Zeitschrift XXVIII ^ p. 4 mit
A. 4; XXIX 1 p. 58). Der immer selbständige und ohne Quellen
arbeitende, aber allen andern als Quelle dienende Chretien hat nie
existiert. Ich habe nie einen Grund finden können, weshalb Chretien
anders als die übrigen Arthurdichter behandelt werden sollte, und
kann das Argument, womit Foerster und Golther nicht selten operierten:
Diese oder jene Hypothese sei abzuweisen, weil sie mit Chretiens
„Genie" nicht vereinbar sei, weil sie ihn (was übrigens übertrieben
ist) zu einem bloßen Abschreiber, zu einem Stümper, erniedrigen
würde, nicht als zulässig anerkennen.
Das 4. Kapitel, betitelt the loves of the hero, ist in der Haupt-
sache verfehlt. Es werden hier das Blancheflor-Abenteuer Chretiens
und das Hirschjagdabenteuer Gauchers mit einander verglichen und
dann identifiziert. Ich glaube, beweisen zu können, aber nicht bei
dieser Gelegenheit, daß Gauchers Quelle für sein Hirschabenteuer
und alles, was drum und dran hängt, also für den Hauptteil seines
Werkes, ein Roman war, dessen Protagonist nicht Perceval hieß.
Auch im übrigen Teil seines Romankomplexes habe ich nirgends etwas
*) Vgl. meinen Alain de Gomeret, Beitrafj zur Festschrift für H. Morf
1905 ! Ich habe daselbst einen Namen von Percevals Vater nicht erwähnt,
Dämlich Gates U Gaus, den er bei Gerbert führt (W. p. 61). Ein Ritter dieses
Namens kommt häufig vor in den Namenlisten der Tafelrunde. Es ist daher
sehr wahrscheinlich, dafs dieser Name von Gerbert für einen andern ähnlich
lautenden Namen des Vaters Perceval's substituiert 'wurde. Ich vermute,
es war Alains U Gros. So setzten Perlesvaushss. die Namen Julian resp. Vilain
für Alain ein, die Percevalhs. von Mons Garahies (<; Gaharies) für Eliaures
(W. p. 39) (die Zwischenform Galeries ist auch zu belegen); gewisse Perceval-
hss. Bleobleheris resp. Brandeiis iür Bleheris (W. p. 241); gewisse Percevalhss.
Segramor für offenbar ursprünglicheres Secjuin (W. p. 21); Wolfram unter dem
Einflufs des Erek Lac für Frolac und (in P^olge davon) Kamant für Cothoatre
(vgl. W. p. 143, 147); derselbe Wolfram Jofreit (= Gottfried) für Giflet {W.
p. 212). Andere Beispiele in diefer Zeitschrift XXX ^ p. 210. Es liefson
sich noch viele finden. Ich habe nicht gesammelt. Neben Pellehan und
Pellinor hätte von mir auch noch Pelks genannt werden sollen, der im Lancelot
als Percevals Vater erscheint (vgl. diese Zeitschrift XXX^ p. 177).
128 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
finden können, das sich als ursprüngliches Percevalmaterial erwiese.
W. macht nicht einmal den Versuch zu beweisen, daß Gaucher außer
Chretiens Roman noch Percevalmaterial kannte 6). Der Percevalroman
nimmt unter den Versromanen dieselbe Stellung ein wie der Lancelot
und der Tristan unter den Prosaroraanen. Diese Romanungeheuer
entstanden durch Zusammentragen alles möglichen Materials, in das
sich meistens der Romanheld mit einigen andern berühmten Rittern
teilte. W. selbst scheint der Ansicht zu sein (vgl. ihre Legend oj
Sir Lancelot), daß unter den vielen Lancelotabenteuern des großen
Gralcyklus nur wenige sind, deren Held Lancelot schon war, bevor
sie dem großen Komplex einverleibt wurden. Ja, zeitweise wenigstens
scheint sie auch den Perceval nicht anders beurteilt zu haben. Oder
was bedeuten sonst die Worte (p. 118): the Stag-hunt . . . does not
appear to liave ever formed an integral part of a Perceval poem.
Wherever it is introduced into such, it confuses and complicaies
the action! Gauchers Quelle war doch nach W's Ansicht auch ein
poem (vgl. auch p. 275). Wenn sie aber nicht eine Percevaldichtung
war, so ists aus mit der Identität von Hirschjagdabenteuer und
Blancheflor-Abenteuer. W. zieht dann auch den I^ai Tyolet herau
und zwar zunächst dessen zweiten Teil, der eine Hirschjagd enthält.
Aber es ist klar, daß dadurch nicht bewiesen wird, daß die Hirsch-
jagd ursprünglich ein Percevalabenteuer war. Hat doch übrigens W.
selbst in ihrer Legend of Sir Lancelot diese selbe Hirschjagd als
integrirenden Teil der Lancelotsage behandelt! Nun enthält der
Tyolet allerdings in seinem ersten Teil, der mit dem Perceval
Ähnlichkeit hat, noch ein Hirschabenteuer, das der ersten Begegnung
mit Rittern im Perceval entspricht. Es handelt sich da um die
Verwandlung eines Hirsches in einen Ritter, um etwas von der
Hirschjagd ganz verschiedenes. Um mit W. folgern zu können, daß
auch die Hirschverwandlung ursprünglich zur Percevalsage gehörte,
müßte erst bewiesen werden, daß der Tyolet hier ursprünglicher ist
als der Perceval (wo die betr. Scene lückenlos ist) und daß in der
gemeinsamen Quelle von Tyolet und Perceval der Held Perceval hieß.
Sonst dürfen wir die Hirschverwandlung im Tyolet als einen, übrigens
geschmacklosen, Zusatz (mit Benutzung eines bekannten Motivs)
betrachten.'^) W. geht sogar so weit, auch die Hirschjagd als ein
entstelltes transformation tale zu erklären, und zwar nicht nur die-
jenige in Gauchers Perceval, sondern (nach Singers Suggestion) auch
diejenige im Erec, wo ursprünglich der Hirsch durch den glücklichen
Jäger zum schönsten Weib entzaubert worden sei, von der jener den
ß) Der Didot-Perceval und der Peredur beweisen nichts, weil von Gaucher
abhängig (zu p. 109).
'') Die Verbindung von Hirschverwandlung und Hirschjagd im Tyolet
ist eine rein zufällige, wie überhaupt der erste und zweite Teil dieses sog.
Lai einander gar nichts angehen und ursprünglich jedenfalls nicht zusammen-
gehörten (vgl. auch diese Zeitschrift XX' p. 139).
Jessie L. Weston. The legend of Sir Perceval. 129
Kuß als Belohnung (sie!) erhalten hcätte. Diese Hypothese ist nicht
nur ein Luftschloß (es ist auch nicht der geringste Anhaltspunkt für
sie vorhanden), sondern sie erscheint sogar auf den ersten Blick un-
möglich. Wird denn bei Verwandlungen auch das Geschlecht geändert?
Wird ein Weib in einen Hirsch (cerj), ein Mann in eine Hirschkuh
(biche) verwandelt? §) Und wie kann das Küssen eines schönen
Weibes oder eines Hirsches als höchst gefährlich bezeichnet werden?
Aber gerade diese Gefährlichkeit muß ursprünglich sein, da sie
Chretien nicht m.ehr verstanden und dafür eine törichte Erklärung
gegeben hat, W. befindet sich hier offenbar auf einer ganz falschen
Fährte. Tatsache ist, daß der Hirsch zum ersten Mal bei Gaucher
in Verbindung mit Perceval erscheint, und zwar in einem Abenteuer,
welches höchst wahrscheinlich erst von Gaucher zu einem Perceval-
abenteuer gemacht worden war. Von Gaucher gelangte er einerseits in
den Peredur, anderseits ebenso wie Percevals Schwester in Koberts
Perceval, von da in den Perlesvaus, von da in die Queste, wo er,
wieder ebenso wie Percevals Schwester, heilig gemacht wurde. In
diesem Roman geriet ja fast alles unter die Herrschaft der christlichen
Symbohk (vgl. diese Zeitschrift XXIX ^ p. 107). Ein Tier von
weißer Farbe eignete sich von vorn herein am besten als Symbol des
reinen Gottessohns. Daß sich ein Symbol in die Person oder die
Sache, die es vorstellte, verwandeln konnte, ist ja natürlich und
bekannt (vgl. Brot und Wein beim Abendmahl); und der ganz un-
ursprüngliche weiße Hirsch der Queste ist daher auch nicht, wie W.
(p. 113) meint, ein Beiveis dafür, daß die Hirschjagd ein trans-
formation tale war. Mit dem Hirschjagdabenteuer wird nun das
Blancheflor-Abenteuer identifiziert. Hier soll die Fee zur Sterblichen
geworden und der /o//:ia/g- Charakter abgestreift worden sein.
Doch worin besteht denn die Ähnlichkeit, die zur Identifikation
berechtigt? Beides sind Liebesabenteuer Percevals, Weiter gar
nichts ! Dann müssen wohl auch die zahlreichen Liebesabenteuer
Gauvains ursprünglich identisch gewesen sein? Nach demselben
Prinzip wird denn anch ein Passus des Caradoc-Romans ^), wonach
Perceval die Schwester Aalardins, die wohl eine Fee gewesen sein
mag, zur Frau erhielt, ohne weiteres als a survival of the original
tradition which bestoioed on him (Perceval) a fairy mistress, erklärt
8) Der Hirsch mit dem Eberkopf, den Finn jagt (W. p. 112), ist ein
Mann, ebenso der Hirsch, der sich vor Tyolets Augen verwandelt. Der
wunderbare Hirsch der Queste verwandelt sich in Christus, nicht etwa in die
heilige Jungfrau. Anderseits war das deer, :n welches Oisins Mutter ver-
wandelt wurde (W. p. 114), offenbar weiblichen Gerschlechts, da es Oisin
gebar! Im Orlando furivso (43, 98) heilst es, es sei allgemeines Los der
Feen: Ch'oyni settimo (jiorno c certo che la sua forma in biscia si converta (zitiert
nach R. Köhler Kl. Schriften III 264). Vgl. auch die Erzählung La biche
blanche in Cosquins Contes populaires de Lorraijie.
") W. selbst gibt zu, dafs dieser mit dem Perceval ursprünglich nichts
zu tun hatte.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI a. 9
130 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
(p. 125). Daß Blancheflor eine Fee war, ist erst zu beweisen. Ein
anderes survival dieser Art soll die im Moriaen vorausgesetzte Ver-
bindung Percevals mit einer Mohrenfürstin gewesen sein (vgl. bierzu
meinen Alain de Gomeret p. 15 — 16). Konstatieren wir also, daß nichts
die Identifizierung dieser Abenteuer rechtfertigt, daß weder Blancheflor-
noch Hirscbjagdabenteuer erklärt wm'den, ja daß nicht einmal etwas
beigebracht wurde, das die Erklärung derselben fördern könnte.
W. stellte sich dann auch die Frage, wie Chretien wohl das
Blanchetlor-Abenteuer abgeschlossen hätte. Sie meint, er hätte Perceval
zu BlancheÜor zurückgeführt und sie heiraten lassen, Sie stützt sich
auf die Übereinstimmung von Gerbert und Kiot-Wolfram. Ich bin
auch der Meinung, daß Gerbert außer Chretiens Perceval mit Fort-
setzung noch einen Percevalroman gekannt hat. Die Connektion
Percevals mit dem Schwanritter bei Gerbert und Wolfram beweist,
daß jener Roman entweder Kiots Perceval oder die gemeinsame
Quelle von Chretien und Kiot (das Buch des Grafen Philipp?) war.
Zwischen diesen Alternativen zu entscheiden, ist in den meisten Fällen
unmöglich, da uns beide Werke verloren gingen. Hier aber möchte
ich doch folgendes zu bedenken geben. Es ist kaum zweifelhaft,
daß Kiot, d. h. Guiot de Provins, es war, der die Geschichte von
Belacane und Feirefiz dem Perceval einverleibte; sonst wäre sie bei
Chretien nicht spurlos verschwunden. Feirefiz war aber jedenfalls
ursprünglich nicht der Bruder, sondern der Sohn Percevals, ungefähr
identisch mit Morien (vgl. meinen Alain de Go7neret p. 17). Wir
wissen also von Guiot, nicht aber vom Verfasser der Quelle Guiots
und Chretiens, daß er, zwar nicht eine Sage, aber einen Roman kannte,
dessen Held ein Sohn Percevals war^O). Dieser hatte mit der
Schwanrittersage noch nichts zu tun; aber es ist fast zweifellos,
daß die Herstellung einer solchen Verbindung, die nur durch Wolfram-
Gerbert, aber durch keinen der zahlreichen alten und jungen Berichte
über die Schwanrittersage, bezeugt wird, literarischen Ursprungs ist.
Es war ein kühner Griff eines Dichters, den Schwanritter zum Solm des
Gralhelden zu machen. Wer war dazu eher fähig als Guiot, der in
ebenso kühner Weise das Haus Aujou, das sicher ursprünglich außer-
halb der mauere de Bretagne stand, sowie neukymrische Ereignisse
in die Percevalgeschicbte verwob (vgl. /. c. p. 22 — 25), der nicht
nur, wie wir sahen, aus einem andern Roman einen Sohn Percevals
kannte, sondern auch, weil er aus besondern Gründen (vgl. l. c. p. 17)
diesen Sohn zum Bruder Percevals machte, am ehesten Anlaß hatte,
Perceval einen neuen Sohn zu geben, dessen Geschichte bereits
bekannt war^^). Kein anderer Dichter des 12. Jahrh. zeigte eine
1°) Es liegt kein Grund zu der Annahme vor, dafs dieser Zug in der
Sage wurzelt; vgl. l. c. p. 15 — 16.
11) Perceval erhielt übrigens bei Kiot noch einen zweiten Sohn, dem
das weltliche Erbe zufallen sollte. Dieser fehlt natürlich bei Gerbert,
der von Anjou nichts wufste, resp. nichts wissen wollte.
Jessie L. Weston. The legend of Sir Perceval. 131
solche Kühnheit der Kombination und eine solche Berücksichtigung
des Aktuellen, keiner eine solche Frechheit wie Guiot de Provius.
Er hatte auch das nordöstliche Frankreich durchreist, wo er den
nur im Niederländischen erhaltenen Morien-Roman am ehesten entdeckt
und auch die in ganz Frankreich bekannte Schwanrittersage am ehesten
mit dem deutschen (flämischen?) Namen Lorengrin {Loherangrin)
kennen gelernt haben mag. Er war der Mann, um dem von ihm
verherrlichten Haus Anjou auch dadurch noch zu schmeicheln, daß
er den berühmtesten Kreuzzugshelden, den ersten König von Jerusalem,
von diesem Haus abstammen ließ, das eine so wichtige Rolle in der
Geschichte des lateinischen Orients hatte. Der Verfasser von Graf
Philipps Buch dagegen ist ein unbeschriebenes Blatt. Dieses Buch
braucht übrigens nicht im nordöstlichen Frankreich verfaßt worden
zu sein. Auch weiß mau nicht, was Graf Philipp für ein Interesse
an der Verherrlichung des Hauses Bouillon rcsp. Brabaot gehabt
hätte 12). Man möchte es daher für wahrscheinlich halten, daß
Guiots Roman dem Gerbert vorlag ^3). Natürlich bekamen die Söhne
Percevals bei Guiot nicht mehr eine heidnische Fürstin zur Mutter;
eine solche war ja dem Bruder Percevals, Feirefiz, zugeteilt worden.
Nichts war natürlicher als daß Condwiramurs, Chretiens Blancheflor,
die Rolle der Mutter erhielt. Diesem Zwecke diente dann die
Rückkehr Percevals zu seiner Geliebten. Guiot mochte also leicht
auf eine solche Episode verfallen, wenn sie seine Quelle noch nicht
enthielt. Wenn Gerbert Guiot benutzte, so ist offenbar seine Über-
einstimmung mit diesem für die Kritik belanglos. So lange nicht
bewiesen wird, daß auch der letzte Teil von Kiot- Wolframs Perceval
auf Chretiens Vorlage zurückgeht, können wir nicht wissen, ob Chretieu
die Blancheflor-Episode wieder aufgenommen hätte. Daß die Arthur-
helden ihre Geliebten gewöhnlich bald wieder verlassen, ist in der
Technik der Romane begründet. Falls ein Dichter seinen Helden
nach der Erlangung des Gegenstandes seiner Liebe noch für andere
Abenteuer brauchte, so mußte er ihn eben unter irgend einem nichtigen
Vorwand weiter ziehen lassen, wenn er nicht stets zu dem umständlichen
Motiv des Verliegens (vgl. Erec und Yvain) Zufluclit nehmen wollte.
Die schiefe moralische Stellung, in die der Held dadurch geriet, kam
wohl weder dem Dichter noch seinem weltlichen Publikum zum
Bewußtsein. Nur der kritischer veranlagte Klerus entdeckte solche
Blößen und nahm Anstoß daran. Der für den Bischof von Cambrai
schreibende Verfasser des Perlesvaus tilgte darum die Liebesabenteuer.
Im 5. Kapitel bespricht W. das Gralabeuteuer, zwar nicht
in seiner Gcsammtheit; sie greift, aus dem Leser nicht ganz klaren
Gründen, nur 2 Punkte heraus, diese allerdings von großer Wichtigkeit:
12) Graf Philipp von Flandern war übrigens auch Gönner Guiots.
13) Aufser Gcrbert und dem Verfasser des Bliocadrans- Prologs ist
als Benutzer von Guiots Perceval resp. von dessen Quelle der Verfasser
das Atre Perillous zu nennen (vgl. /. c. p. 18 ff.).
9*
1 32 Referate und Rezensionen. JE ßrugger.
Schwert und Gral. Im ersten Abschnitt bringt sie nicht nur neues
Material aus bisher noch nicht genug bekannten Hss. sondern bekundet
auch viel Geschick in der Verwertung desselben. Es zeigt sich, daß
Chretiens Bericht über das Schwert durch Gerberts Angaben treffend
ergänzt wird, ohne daß man annehmen könnte, daß letztere, in An-
lehnung an Chretien, erfunden wären. In Wolframs Parzival wird
die Schwertgeschichte auch kompletiert, aber in etwas anderer Weise,
bei der bloße Erfindung nicht ausgeschlossen ist, Gerbert ist hier
ursprünglicher als Wolfram. Dies scheint allerdings eher dafür zu
sprechen, daß Gerbert nicht Guiot benutzt hat. Wenn aber W.
für Gerbert und Guiot eine gemeinsame Quelle annimmt, so müßte
sie doch voraussetzen, daß Guiot den Bericht dieser Quelle entstellt
hat. Kann aber nicht ebensogut Wolfram den Bericht Guiots entstellt
haben? Wenn ja, so könnte doch Guiot als Gerberts Quelle zugelassen
werden. Das Motiv, daß Perceval mit dem Schwert an die Pforte
des Paradieses schlug, als es zerbrach, mußte der Auslassung leicht
anheimfallen. Dies war gewiß in den Augen vieler ein zu gewagter
Wunder. Daß das Schwert bei Wolfram irgend etwas mit eines
keltischen „Sonnenwaffe" zu tun hätte (p. 147 — 48, 152), ist un-
glaublich. Der Bericht bei Wolfram ist einfach entstellt, teils absichtlich^
teils in Folge von Mißverständnissen. An der Richtigkeit von W's
Hypothese, daß das Schwertmotiv (wenigstens teilweise) nordischen
(normannischen) Ursprungs ist, und daß in dem Schmied Trebuchet
Wieland (französisch gewöhnlich Galan(t) genannt) zu erkennen ist,
kann man kaum zweifeln i^). Es fällt mir auf, daß noch niemand
an die Ähnlichkeit des Garlan der romantischen Merlinfortsetzung
mit T7'ebuchet gedacht hat. Sein Name dürfte mit Wiela?id identisch
sein (Galan > Gallan [vg\. Vallandus in Maurus' Diss. p. 24,
Villand ibid. p. 24, 25, Galland ibid. p. 43] > Garlan^^); Garlan
ist zwar nicht mehr ein Schmied, wie Trebuchet -Wieland; aber er
ist Avenigstens noch ein Zauberer (er kann sich unsichtbar machen)
und wird zu einem Schwert, das bei einem wichtigen Hiebe bricht,
in Beziehung gebracht. W. sagt von Trebuchet: The smitlts life is
in some unexplained manner connected with the sword; he dies
after having re- forged it (p. 144), also auch nachdem es zerbrochen
^*) Sie hätte bei dieser Gelegenheit auch auf Schofield, The lays of
Graelent and Lanval and the sioi'y of Wailand in Puhl. of the Mod. Language Ass,
of Am. vol. XV (dessen Identifikation von Graelent und Wailand ich zwar nicht
zustimmen kann) und auf P. Maurus, Die Wielandsage in der Literatur, Münchener
Diss. 1901/2 (erweitert als Band 25 der MUnchener Beiträge zur rom. u. engl.
Fhil.), dem übrigens keine Zeugnisse aus der arthurischen Literatur bekannt
waren, verweisen können.
1'') Nach Analogie von Karies — KaUes; Merlin — Mellin, Melin; — Perles-
vatts — Pellesvaus; Pelles — Perles; Melusine, Jlellusine — Merlusine (Mcre
Lusine); Gates, Galles — Garles (Sommers Merlin p. 133/37) etc.; parlefroi neben
pallefroi, palefroi etc, Vgl. übrigens anch schon Verland in nordischen
Heldenliedern (Maurus /. c p, 23, 25), anderseits auch Gallan in Merlin H 25.
Jessie L. Weston. The legend of Sir Perceval. 133
worden. In einer neuindischen Erzählung finde ich eine ähnliche
Situation; ich zitiere aus Cosquin's Analyse (in den Bemerkungen
zu Jean de VOurs] Contes pop. de Lorraine I p. 25): la vie du
prince est attachee ä une certaiiie epee; si cette epee est brisee, il
mourra; eine böse Alte zerbricht das Schwert und der Prinz stirbt.
Als das Schwert von einem Freunde wieder geschmiedet wurde, kehrt
das Leben in ihn zurück. Offenbar war die Seele des Prinzen in
dem Schwert, Das Schwert Trebuchets sollte nach seiner Weissagung
nur in einem einzigen peril brechen, der ihm bekannt ist. Es bricht in
der Tat, als Perceval In einem Abenteuer an die Pforte des Paradieses
schlägt; Perceval gelangt nachher zu Trebuchet, der es ihm wieder
schmieden, aber gleich darauf sterben muß (vgl. auch Potvin VI, 163
bis 166). Ursprünglich hatte wohl Trebuchet, um sich unsterblich
zu macheu, seine Seele in das SchAvert geblasen, das er so trelflich
machte, daß es nur in einem einzigen, höchst unwahrscheinlichen Fall,
brechen konnte ^^a). im Merlin wird der Zauberer vom Helden getötet;
sein Schwert bricht erst darauf, aber gewissermaßen in Folge davon.
Der Held Balaain nämlich hat an Arthurs Hof von einer Jungfrau
ein Schwert erhalten, das sie umgegürtet hatte und das nur der
beste Ritter losmachen konnte; so erhielt auch Perceval am Hofe
des Gralkönigs das Zauberschwert, das la sore pucele, des Königs
Nichte, gesandt hatte, weil es für ihn jugie et destinee war, d. h. wohl
auch, weil er der "Würdigste war. Mit dem Zauberschwert erschlug
Balaain den Zauberer Galan, der sich lauge gut zu schützen gewußt
hatte, indem er sich unsichtbar gemacht hatte (durch die nordische
Tarnkappe?) 16). Das Schwert aber brach entzwei als der Gralkönig
Pellehan mit dem seinigen darauf schlug. Dies hatte gleich darauf
den verhängnisvollen Hieb zur Folge, den Balaain mit der heiligen
Lanze gegen den Gralkönig führte, den berühmten coup dolerous,
der den Gralkönig zum roi meliaignie machte, das ganze Land ins
Verderben stürzte und die Reihe der arthurischen Gralabenteuer
einleitete. War nicht etwa das Gralreich oder das Gralschloß das
Paradies der Gerbert'schen Allusion? Der Gralkönig ist Garlans
Bruder ebenso wie Trebuchets. Ich möchte mit W. dafür halten,
daß Trebuchet nur ein auf die Lahmheit des germanischen Hephaistos
anspielendes sohriquet ist. Pellehan scheint auch die Rolle des Königs
Frolac vom Seeschloß Cothoatre (Wolframs König Lac von Karnant)
zu haben, dem die in der Nähe befindliche Schmiede, in welcher Trebuchet
i^a) Analoges ist in Märchen ziemlich häufig anzutrefi"on. Ich erwähne
als Beispiel die von Cosquin (I 174) erwähnte orientalische Erzählung:
T/iossakan, roi de Ceylon, pouvait, (jräce ä son arl magique, faire sortier son äme de
son Corps et Venfermer dans une boite quil laissait dans la maison pendant quHl allait
en cjuerre, ce qui le rendait invulnerable. Als aber einst durch seinen Feind
diese Schachtel zerdrückt wird, stirbt er.
"5) Trebuchet hatte sich geschützt, indem er seine Schmiede durch
zwei Drachen hatte bewachen lassen.
134 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
arbeitete, gehörte; denn Garlan wohnte bei Pellehan. Man dürfte sich
fragen, ob nicht der aus den Prosaroinaneu bekannte Name des Gral-
schlosses, Corhenic zu Cothoatre^'^) gehört. i^) Der in die romantische
Merlinfortsetzung einverleibte Balaain-'Romsin ist eine Contamination des
Meriaduec oder Chevalier as deus espees resp. (und dies ist
ziemlich sicher) seiner Quelle und des Meraugis resp. seiner Quelle.
Der letztere Roman geht uns hier nichts an, wohl aber der erstere.
Balaain ist wie Meriaduec ein Ritter mit zwei Schwertern, deren eines
eine besondere, in manchen Punkten ähnliche, Funktion hat^ö).
Der Meriaduec hat auch sonst viel Ähnlichkeit mit dem Percevalroman.
Direkte Benutzung eines solchen ist auch, oder außerdem, noch, möglich;
wenigstens kennt der Meriaduec Percevals Vater Alai7i le gros des vaiis
de Kamelot (ebenso genannt im Perlesvaus) und die aus dem Perceval-
roman bekannten Namen Gernemant {de JS'Oi'hombeUande), Lore de
Branlant und Dynasdaron. Die Rolle Garlans hat im Meriaduec
Gaus, Sohn des Königs von Norval (= Norgalesf), ein Arthurritter,
Mit dem Namen Norval weiß ich nichts anzufangen. Der Name Gaus
könnte aus Galans (> Galens^^ Gales::> Gales^ Galsz> Gaus) ent-
stellt sein. Im Meriaduec selbst (v. 2609) wird auch Gaus de
Galefroi als Arthurritter erwähnt. Dieser ist natürlich identisch mit
Gaudin de Valesfroiz in der romantisch-pseudohistorischen Merlin-
fortsetzung (Analyse von Freymond § 70) (der ziemlich häufige Name
Gaudin ist wohl für den ähnlich lautenden seltenen Namen Gaus
subsituiert worden); G. de V. ist der Freier der Landesherrin Lore
de Branlant, ein Pendant zu dem auch im Merlin auftretenden Maduc
le noir, der aus der Vengeance Raguidel als Freier der dame del
Gautdestroit bekannt ist. Mit dieser ist aber die Lore de Bran-
lant des Merlin identisch; und es ist auch zweifellos, daß Gautdes-
troit (holländisch Galesiroet) mit Valesfroiz- Galefroi identisch ist
(weiteres über diesen Namen vgl. diese Zeitschrift XXIX i p. 102 — 3).
Der Name Lore de Branlant ist, wie schon erwähnt, auch noch dem
Perceval und dem Meriaduec bekannt. Im Durmart nun treffen wir
noch einen Grafen Galans del Gautdestroit an, wodurch die Be-
rechtigung meiner Identifizierung von Galans und Gaus gesichert ist.
Ob und eventuell wie weit der Name des häufig erwähnten Arthur-
ritters Gales li chaus den Übergang von Galans zu Gaus und die
Umwandlung des Schmiedes und Zauberers in einen Arthurritter be-
'") Dieser Name sieht englisch aus: 1. th; 2. oatre = ?vater.
18) Dafs Ga(r)lan selbst durch das (ursprünglich von ihm verfertigte)
Schwert getötet wurde, ist kaum ursprünglich. Er sollte nicht durch,
sondern gleichzeitig mit dem Schwert zu Grunde gehen, in welchem
seine Seele war. Die der Schwertererzählung jedenfalls zu Grunde liegenden
auimistischen Vorstellungen waren aber natürlich den Arthurdichtern ganz
fremd und darum machten sie sich die Situation durch Änderungen ver-
ständlich.
1^) Beide Romane beginnen mit einer Erzählung von König Ris.
Jessie L. Weston. The legend of Sir Perceval. 135
günstigt hat, wage ich nicht zu entscheiden; die Frage hat auch
einstweilen kein Interesse. Was den Meriaduec betrifft, so ist noch
zu bemerken, daß hier in Bezug auf das Schwert eine Konfusion
eingetreten ist, Meriaduec ist ja eigentlich ein Ritter mit drei
Schwertern; er besitzt erstens das Schwert, das er von Arthur bei
der Ritterweihe erhielt; zweitens dasjenige, das er der Jungfrau los-
gürtete und mit dem er die Vaterrache vollzog; drittens das mit den
unauslöschbaren Blutflecken behaftete Schwert, durch welches Gaus
von einem ungenannten, gefeiten Ritter verwundet worden war und
nachher vom Helden geheilt wurde. Offenbar, damit Meriaduec den
Beinamen Chevalier as deus espees noch beibehalten könnte, läßt
ihn der Dichter das erste Schwert ablegen, nachdem er in den Be-
sitz des dritten gekommen war. Wahrscheinlich wurde das letztere
ursprünglich nicht von ihm gefunden, sondern es war dasjenige, das
er von der Dame losgegürtet hatte. Dies zeigt schon die Vergleichung
mit dem Balaain. Die Vaterrache, bei der auch ein besonderes
Schwert nötig gewesen sein mag, war eine Episode für sich. Gaus
scheint durch Konfusion auch die Rolle seines Bruders, des Gralkönigs,
übernommen zu haben; als solcher ist er mehaignie. Das
dritte Schwert wurde jedenfalls auch mit der heiligen Lanze kou-
fundiert; daher die Blutflecken, die ursprünglich wohl von Christi
Blut herrührten. Die Wunderquelle, an die sich Gaus jede Nacht
tragen läßt, dürfte dem See ßrumhane entsprechen, wo der Gral-
könig Fische zu fangen pflegte. Das Motiv vom Brechen des
Schwertes ist im Meriaduec verloren gegangen. Die Rolle von
Garlans- Gaus hat bei Manessier Goons Desert (roi du desert), der
Bruder des Gralkönigs; er wurde von einem Ritter, Namens Partinel,
erschlagen; dabei brach dessen Schwert entzwei; der Gralkönig, in
dessen Schloß der Leichnam mit den zwei Schwertstücken getragen
wurde, verwundete sich unvorsichtigerweise mit dem einen Schwert-
stück (entsprechend dem coup dolerous, aber weniger ursprünglich);
er wurde erst wieder gesund, als Perceval nicht nur die zwei Stücke
zusammengefügt, sondern auch Partinel erschlagen hatte. Ist es da
bloß zufällig, daß die Namen Goons und Gaus-Galans eine gewisse
Ähnlichkeit aufweisen? Alle drei Versionen sind entstellt; doch jede
hat besondere ursprüngliche Züge; die Balaainversiou dürfte dem
Original am nächsten kommen. Nur fehlt hier natürlich die Heilung
des verwundeten Gralkönigs. Ich bin auf diesen Gegenstand etwas
näher eingetreten, in der Hoffnung, daß W. im zweiten Band ihrer
Percevalstudien oder in einem besonderen Band auf das Gralabenteuer
zurückkommen und dabei auch dem Meriaduec und Balaain die
gebührende Beachtung schenke.
Der zweite Abschnitt des Kapitels, der uns die Ei'klärung des
Gral bringen sollte, bringt nur Enttäuschung. W. fand einen Passus
(der in der Hs. von Mons entstellt ist), worin Gaucher sich auf einen
conte als Quelle beruft, qui a Fescans est ioz escris. Die Entdeckung
vi 36 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
ist ja interessant; aber sie verleitete W. zu ganz ungerechtfertigten
Schlüssen. Die normannische Abtei Fecanip besaß, wie viele andere
Klöster, eine Blutreliquie und darum auch eine Blutlegende. Reliquien-
legenden sind alle über denselben Leisten geschlagen; sie hatten ja
ähnliche Ursachen und entstanden unter ähnlichen Verhältnissen. Daß
die Legende vom Gral, einem heiligen Kelch, der wahrscheinlich bereits
vor Gaucher Blutreliquie war, mit der Blutlegende von Fecamp eine
gewisse allgemeine Ähnlichkeit hatte 20), ist natürlich; und sie mochte
wohl genügen, um Gaucher aufzufallen, und ihm den Gedanken ein-
zugeben, sich auf ein Buch (denn das bedeutet hier conte offenbar) in
Fecamp zu berufen, und zwar nicht etwa bloß für die Gralgeschichte,
sondern (dies war ganz Jongleur-Art) für seinen und Chretiens ganzen
Roman ; denn die Abenteuer, die in diesem Roman mit der Gralgeschichte
verknüpft sind, mußten es auch in der Quelle sein, wenn die Dichter
nicht als Geschichtsfälscher erscheinen sollten. Darum steht denn
auch jener Passus nicht etwa im Gralabenteuer, sondern in dem der
Grallegende fernstehenden Percevalabenteuer vom Moni Dolerous.
Sollen wir dem Verfasser des Lai de CEspine glauben, wenn er
behauptet, die den Lais zu Grunde liegenden estores seien im
Kloster Saint-Aaron in Arthurs Residenzstadt Carlion aufbewahrt,
oder dem Guiot de Provins, wenn er vorgibt, daß er für seinen
Roman (der mit orientalischen Elementen nicht wenig gespickt ist),
ein Buch benutzt habe, das in Toledo (dem Hauptsitz der orien-
tahschen Wissenschaft) zu finden sei? Warum sollen wir denn
Gaucher glauben, wenn er einen ähnlichen Unsinn kundgibt? W.
ist naiv genug, zu sagen: There can he little douht that il (das
Buch von Fecamp) was a fully developed Christian- Grail romance
(p. 156), a Percevai- Grail romance, die Quelle von Chretiens und
Kiot-Wolframs und natürlich auch von Gauchers Percevai (p. 275).
Haben wir Ursache, den Quellenangaben der epischen Dichter zu
glauben? Nichts ist mehr verdächtig. Ganz echt ritterliche Abenteuer
wie dasjenige vom Mont Dolerous und die meisten andern sollen im
Kloster verfaßt worden sein? Es wird übrigens unten gezeigt werden,
daß das Mont-Dolerous-Abenteuer ursprünglich wabrscheinlieh kein
Percevalabenteuer war und aus einem Gauvainromau stammt, den W.
nicht in Fecamp, sondern in Wales entstanden sein läßt. Wir kennen
die Saint-Sang tradition von Fecamp, preserved in a fairly large
number of Latin and Frencli MSS., and finally developed into
a French poem (W. p. 156). Warum ignorieren alle diese Versionen
vollständig den in der Abtei aufbewahrten Percevalroman, der nach
W. eine Bearbeitung derselben Legende enthält? Warum ignorieren
umgekehrt die uns erhaltenen Gralroraane alles, was für die Saint-
2") Es ist fast mehr als eine krasse Übertreibung, wenn W. behauptet
(p. 229), die Fecamp-Legende sei identical in all respects, save name, with (he
Grail „Earhj Uistory" (ebenso nochmals p. 328).
Jessie L. Weston. The legend of Sir Perceval. 137
Sang-Legende von Fecamp charakteristisch ist, vor allen den wunder-
baren Feigenbaurastamm?2i) Ist dies alles Zufall? W. betont auch, daß
die Abtei seit ihrer Gründung eine confrerie von Jongleurs unterhielt.
Aber wie kann sie ohne Begründung die a priori unwahrscheinliche
Behauptung aufstellen, daß the ohject of ihe existence of such a
<;onfraternity can hardly have been other than that of exjjloiting,
for ihe henefit of the ahbey, the legends connected therewith
{p. 167)? Es ist auch sehr merkwürdig, wie sie sagen kann, daß
tke earliest Grail poem we possess refers to a hook at Fescamp
(p. 168, ebenso schon p. 156). Sie weiß doch, daß Gauchers Perceval
nicht unser ältester Gralroman ist. Das einzige, was W. als Einfluß
der Fecamp-Legende auf die Gralabentener deuten kann, sind die
zwei Messer bei Wolfram (p. 162)._ Heinzel hatte bereits in einer
Anmerkung zu diesem Passus {Vier Wolfram von Eschenbachs
Perceval p. 14 und Franzosische Gralromane p. 40) auf die Fecamp-
Legende hingewiesen, doch vorsichtigerweise keinen Schluß gezogen.
Die Ähnlichkeit ist nicht groß. Zum Abschaben von geronnenem
Blut und Eiter wurden wohl gewöhnlich Messer verwendet. Darum
kann sich in Erzählungen, in denen Blut und eitrige Wunden eine
Holle spielen, leicht die Erwähnung von Messern einstellen 22). Einen
einigermaßen plausiblen Grund für die Beeinflussung der Grallegende
durch die Fecamp-Legende und für die Existenz des in Fecamp ver-
faßten Percevalromans konnte W. nicht beibringen. Ich bin mit ihr der
Ansicht, daß schon in Chretiens Perceval und in seiner Quelle der
Gral eine christhche Reliquie war (vgl, diese Zeitschrift XXIX i
p. 58 — 59). Bevor er unter den Einfluß der Fecamplegende kommen
konnte, mußte er auch nach ihrer Ansicht mit der Passion Christi
in Verbindung gebracht worden sein (p. 169); das heißt doch wohl,
der Gral war dem Endstadium seiner Entwicklung nahe, und die
Fecamplegende hatte nicht mehr viel abzugeben. Sagen wir statt
nicht viel lieber nichts! W's Hypothese ist, gelinde gesagt, eine
Verirrung. Tatsache ist nur, daß Gaucher, der zwischen der Gral-
legende und der Saint-Sang-Legende von Fecamp eine gewisse Ähn-
lichkeit (Blut) fand, ein Buch in Fecamp als Quelle seines Romans
ausgab, und so, absichtlich oder unabsichtlich, für die Abtei Propaganda
machte, ähnlich wie der Interpolator eines Gauvain-Gralabenteuers
die Geschichte des Volto Santo von Lucca (den Ort nannte er zwar
nicht) erwähnen zu müssen glaubte und so der dortigen Kirche einen
Dienst leistete 23). Es ist natürlich theoretisch möglich, daß sich
Gaucher, der die Fecamp-Legende kannte, durch diese beeinflussen
'^) In der Legende heifst es sogar: Fescamp pour le ßguier nommee.
22) Es ist auch ganz wohl möglich, dafs Guiots Version entsprechend
Chretiens „ww tailleor" „deus iailleors" hatte, woraus Wolfram vielleicht aus
Mifsverständnis zwei Messer machte (vgl. auch Heinzel 1. c).
-3) W. zitiert den Passus (p. 163—165, vgl. noch Appendix), der
W. Foerster (Le Saint Vou de Luqi(es, 1906) unbekannt geblieben ist.
138 Referate und Rezensionen. JE. Brugger.
ließ, auch, daß spätere Dichter, die durch Gauchcr auf dieselbe auf-
merksam gemacht wurden, unter ihren Einfluß gerieten; aber, daß
dies geschah, wäre erst nachzuweisen. Ältere Dichter kommen schon
gar nicht in Betracht.
Die übrigen Percevalabenteuer des Chretienschen Romans werden
von W. nicht besprochen. Sie verdienen aber ebenso gut eine
Besprechung wie die bisher behandelten Abenteuer und haben mehr
Anspruch darauf als die nächstfolgenden. Die Gornemant-Episode, die
Sigune-Episode und das Jeschute-Orguellous-Abeuteuer sind nicht spätere
Zusätze, sondern sind ebenso früh mit Percevals Namen verknüpft
wie irgend ein anderes Abenteuer. Vielmehr ist die Bluttropfenepisode,
die W. als ursprünglich vindizieren will (p. 173 — 174), wahrscheinlich
ein späterer Einschub, wenn gleich keltischen Ursprungs. Das
Jeschute-Orguellous-Abenteuer gehört sicher nicht, wie "W. beiläufig
behauptet (p. 88, 136, 173), ursprünglich zur Griseldis- Familie.
Beweise kann ich hier nicht geben, und so stehen einstweilen
Behauptungen gegen Behauptungen.
Die folgenden Kapitel sind dem großen Gauvainkomplex gewidmet,
der sagengeschichtlich, zum Teil auch literarisch, viel bedeutsamer
ist als der glatt gehobelte Percevalkomplex. In Kapitel VI stellt
W. eine wichtige Hypothese auf (p. 178 — 179): TJie Perceval story,
hefore it reached the hands of Chretien, had iindergone two
successive contaminations with independent versions of the Gawain
legend; it first came in coniact with, and icas incorporated into,
a group of short episodic poems, which, for convenience sake, we
loill call front the title of the central episode, the Chastel
Orguellous group. This group represents, 1 helieve, the earliest
Stratum of the ArtJmrian romantic tradition we as yet possess,
and may not improhahlij go back as far as the tenth Century . . .
The character of this gr'oiq? was that of populär folk-tale rather
than of deliberate and inventive literature. The second „Gaicain""
is of an entirely different character. It was an elaborate poem
of considerable litei'ary merit, which, from its central episode,
toe call the „Chastel MerveiUeus^'- '^^). The origin of this central
incident was of equally primitive and archaic character with the
story themes of the first group, but its treatment was much later.
It loas undoubtedly loell knoion, not only to Wauchier, but to
the literary world of the time in genei^al, and the copyists of
Chretien s poem used it freehj and independently. Zum Ausgangs-
punkt dieser Hypothese macht W. mit Recht jenen Passus von
Chretiens Dichtung, in welchem eine häßliche Jungfrau, offenbar eine
Graljungfrau, an Arthurs Hof kommt und, nachdem sie Perceval wegen
seines Gralbesuches gescholten hat, die Arthurritter zum Bestehen
-*) Besser, weil im Einklang mit der Überlieterung, wäre die Bezeichnung
Chastel de la Merveille gewesen.
Jessie L. Weston. The legend of Sir Perceval. 139
von drei Abenteuern: Castel Orguellous, Mont Esclaire und (ur-
sprünglich auch) Mont Dolerous anfeuert, worauf der Ritter
Guigambresil erscheint und Gauvain auffordert nach Escavalon zu
kommen. Der Passus dürfte auf die gemeinsame Quelle von Chretien
und Kiot-Wolfram zurückgehen^^); ebenso weit reichen alle diejenigen
Gauvain-Abenteuer zurück, die letzterer mit ersterm gemein hat;
denn Kiot kann sie nicht von Chretien abgeschrieben haben, da sie
bei ihm ursprüngliche Züge enthalten, vermutlich sogar mehr als bei
Chretien. Die drei zuerst genannten Abenteuer gehören W's Chastel-
Orgueillous-Komjjlex an. das Escavalon -Abenteuer "W's Chastel-
Merveillous-Komplex. Der Dichter, der die vier Abenteuer in einem
Atemzug erwähnte, beabsichtigte offenbar, sie alle, samt dem, was
drum und dran hing, nach einander zu schildern. Dieser Dichter
aber war offenbar auch derjenige, der sie zuerst dem Percevalroman
einverleibte, also vermutlich der Verfasser von Chretiens und Guiots
Quelle. Dann kann man aber nicht mit W. behaupten, daß die
beiden Komplexe nach einander Teile des Perceval wurden. Sie
wurden es vielmehr gleichzeitig. Und sollte die Erwähnung der drei
Chastel-Orgueillous-Abenteuer und deren wirkliche oder beabsichtigte
Ausführung nicht auf die gemeinsame Quelle zurückgehen, sondern
zuerst bei Chretien oder einer Zwischenstufe zwischen jener und diesem
sich finden, so wäre der Chastel-Merveillous-Komplex früher mit dem
Perceval verbunden worden als der Chastel-Orgueillous-Komplex 26).
Sind aber die beiden Komplexe gleichzeitig dem Perceval einverleibt
worden, so ist als wahrscheinlich anzunehmen, daß sie der betr.
Dichter bereits in einem Komplex vereinigt fand; und es ist dann
fraglich, ob dieser eine Komplex einmal aus zwei Komplexen hervor-
gegangen ist oder ob nicht die Chastel-Merveillous- Gruppe den
einzelnen Teilen der sog. Chastel-Orgueillous-Gruppe (die gar nicht
eiuheithch ist) koordiniert war. Die Verschiedenheit des Tons in
den beiden Gruppen ist kaum so groß, daß sie sich nicht schon
daraus erklären könnte, daß uns die beiden Gruppen zufällig in
verschiedener dichterischer Bearbeitung überliefert sind. Die Ein-
führung der Gauvain-Abenteuer in den Perceval durch den Verfasser
''*'■) Kiot-Wolfram erwähnt zwar die ersten drei Abenteuer nicht; da
sie nicht ausgeführt wurden, wurde wohl auch die Ankündigung derselben
als sinnlos ausgelassen. Dagegen kündigt hier die häfsliche Jungfrau,
Kundrie, das Abenteuer von Schäiel Mervcil an, was keinen Sinn hat, und
sagt, dafs sie dort hingehen müsse; ebenso mufs Chretiens Botin nach
Chastel Orrjueillom gehen. Es ist fast zweifellos, dafs Kiot hier Chastel de
MerveiUe an Stelle von Chastel Orr/ueillous treten liefs.
^^) Ich weifs nicht, ob W. bei ihrer entgegengesetzten Behauptung
an die Verbindung des Chastel-Orgueillous-Komplexes mit Gauchers Perceval-
abenteuern, die sie „Perceval-interpolationen in den Ch.-O.- Komplex" nennt,
dachte. Meiner Ansicht nach sind aber, wie ich schon oben bemerkt habe,
diese Abenteuer nicht eher Percevalabeuteuer gewesen, als bis sie Gaucher
zur Fortsetzung des Percevalroman s verwendete.
140 Referate ^ind Rezensionen. E. Brugger.
von Chretiens und Guiots Quelle erkläre ich mir anders als W.,
deren Argument (p. 182) mir nicht plausibel erscheint. Der Grund
lag meiner Ansicht nach in der Zweiteilung des Gralabenteuers,
welches ursprünglich wohl nur einen Besuch des Helden kannte.
Es handelte sich dann darum, die notwendig lange Zeit zwischen den
zwei Besuchen mit Abenteuern auszufüllen; aber Percevalmaterial war
nicht mehr vorhanden; so verfiel der sklavisch arbeitende Dichter
auf den großen Gauvainroman, der eine Fülle von Material bot;
dem Dichter war es wohl zu mühsam, die verschiedenen Abenteuer
zu Percevalabenteuern umzugestalten; denn dies war nicht so einfach,
da auf die besonderen Verhältnisse, in denen sich Perceval damals
befand, Rücksicht genommen werden mußte. So machte er sichs
bequem, und schrieb die Gauvain-Abenteuer einfach ab (vielleicht
mit Änderungen, die wir nicht mehr konstatieren können). Ich halte
es für wahrscheinlich, daß er von Zeit zu Zeit die Gauvain-Abenteuer
durch eine mehr oder weniger erfundene kurze Percevalepisode unter-
brach, damit der Hörer den Protagonisten nicht aus den Augen
verlieren sollte; eine solche ist in dem uns erhaltenen Teil die
Charfreitagsepisode, die durch Chretien und Guiot bezeugt ist. Auf
den Gauvainkomplex folgte wohl in diesem Percevalroman der zweite
Gralbesuch Percevals, dann vielleicht als Schlußepisode die Heirat
Percevals -^).
Die zwei folgenden Kapitel werden dem Chastel-Merveillous-
Komplex gewidmet. Eine literatur- und sagengeschichtliche Erklärung
der wichtigsten Episoden, Tintaguel-, Escavalon-, Galvoie-, Greoreas-,
Chastel-de-la-Merveille- und öi«Vo?neZani- Abenteuer wird leider
nicht gegeben. Nur vom Chastel-de-la- Merveille- Abenteuer, wozu
sie auch die Galvoie- und die Guiromela7it- Episode zu rechnen
scheint, gibt sie die kurze Erklärung (ilie wir schon aus The legend
of Sir Gawaiii kennen), daß es represents a visit to the Other-
world (p. 190). Ich glaube, nachweisen zu können, daß dies nicht
der ursprüngliche Sinn des Abenteuers war, daß jenes Motiv nur
durch Konfusion anderswoher eingeführt wurde. W. meint behaupten
zu dürfen, daß der Chastel-Merveillous-Komplex of insular origin
sei (p. 192, und allgemeiner p. 224 n., 230). Sie beruft sich auf
den Namen Galvoie, der allerdings Galloway bedeutet. Dieses
Gebiet galt wohl ebenso wie die ihm benachbarten Gebiete Gorre
und Sorelois (vgl. hierüber diese Zeitschrift XXVIID p. 1 S.) als
ein Totenreich. Warum sollen die aus Großbritannien ausgewanderten
2') Dafs der Chastel-Orgueillous- Komplex zu Gunsten des Chastel-
Merveillous-Komplexes displaced wurde, wie W. (p. 182, 184) behauptet, kann
kaum richtig sein. Es ist charakteristisch für das in Kompilationen übliche
Einschachtelungssystem, dafs Abenteuer angekündigt oder auch begonnen
werden, gleich darauf aber durch eine plötzliche Wendung neue Abenteuer
sich vordrängen, wodurch dann erstere leicht zu Rahmenabenteuern der
letzteren werden.
Jessie L. Weston. Tlie Legend of Sir Perceval. 141
Bretonen die Tradition von Galloway als Totenreich, die nach Ws
eigener 'Ansicht sehr alt sein muß, nicht bewahrt haben? Müssen
sie denn alle Sagen ihrer Vorfahren vergessen haben 2S)? Auch
Tintaguel muß wieder einmal herhalten; darüber habe ich nun schon
genug geschrieben, um nicht hier nochmals darauf eingehen zu müssen
(vgl. diese Zeitschrift XX i, XXVII i). W. geniert sich nicht, sogar
Nottingham-on- Trent zu nennen. Soll dieser Name auch auf die
altkeltische Sage zurückgehen? Es ist ja klar, daß die französischen
Dichter, die (unter Galfrids Einfluß) die Arthursagen in Großbritannien
lokalisierten, nicht kontinentale, sondern großbritannische Ortsnamen
einführten.
Von besonderer Wichtigkeit ist der Chastel-Merveillous-Komplex
des französischen Perceval, weil der uns erhaltene Text von zwei
verschiedenen Autoren herrührt. Chretien bricht ab kurz vor dem Schluß
der Guiromelantepisode, und ein anderer Autor tritt in den Riß.
Man war gewohnt, nach G. Paris' Vorgang, Gaucher de Denain, der
sich in einem Perceval-Abenteuer nennt, erst da einsetzen zu lassen,
wo die Geschichte Percevals wieder aufgenommen wird. Das da-
zwischenliegende Material schrieb man einem unbekannten Fortsetzer
zu, den man Pseudo-Gaucher nannte. W. lehnt Pseudo-Gaucher ab
und schreibt Gaucher alles zwischen Chretien und Gerbert resp.
Manessier befindliche Material zu (p. 183). Der Umstand, daß sich
in einem Abenteuer des sog. Pseudo-Gaucher und in einem Abenteuer
des „echten" Gaucher eine Berufung auf dieselbe Quelle (Bleheris, bis-
her nicht bekannt) findet (vgl. p. 235), scheint ihr Recht zu geben.
Die Coincidenz ließe sich kaum anders erklären. Woher bekam nun
Gaucher sein Material? Die namentlich für den Schluß des Chastel-
Merveillous-Komplexes von G. Paris aufgestellte, von Waitz adoptierte
Notizentheorie wird von W. (p. 181) mit Recht abgewiesen. Nach
Notizen komponierte ein Zola, aber kein mittelalterlicher Dichter. Die
Quelle war natürlich ein Versroman oder zwei oder mehrere solche.
"^) L. c. glaube ich es wahrscheinlich gemacht zu haben, dafs wenigstens
die mit Gorre verknüpfte auch in Grofsbritannien erhaltene Sage den
Franzosen durch die Vermittlung der Bretonen zukam. W. verwies mir
zwar in einer Anmerkung ihrer Legend of Sir Lancelot, dafs ich, indem ich
vom Ursprung der Sagen spreche, das Wort in einem sekundären statt in
einem primären Sinn auflFasse. Ich habe Gründe genug, um bei meiner
Definition zu bleiben. Bei der Kritik eines französischen Literaturwerkes
handelt es sich für mich in erster Linie darum, zu wissen, von welchem
Volk die Franzosen den Stotf überkommen haben. Von sekundärem
Interesse ist es für mich, woher jenes Volk den Stoß: geholt hat und so ad
inßnitum. Es ist ja gut, zwei Arten bretonischer Sagen zu unterscheiden:
1. solche, welche die Bretonen aus ihrer überseeischen Heimat mitbrachten
oder nachher überkamen (z. B. Arthur, Tristan, Caradoc), 2. solche, welche
in ihrer neuen Heimat entstanden (z. B. Guingamor, GraeUnt, Erec, Tidorcl,
Alain de Gomeret). Sagen der letzteren Klasse sind natürlich in den Romanen
viel leichter als sicher bretonisch nachzuweisen; die ersteren waren aber
in Wirklichkeit jedenfalls viel zahlreicher.
142 Referate und Rezensionen. E. Bmgger.
Im Gegensatz zu W. (wenn ich sie recht verstehe), halte ich dafür,
daß es eine einzige Quelle war, woraus Gaucher sowohl den Schluß
des Chastel-Merveillous-Komplexes als den Chastel-Orguellous-Komplex
bezog. Ich kann es nicht für wahrscheinlich halten, daß Chretiens
und Guiots Quelle und Gaucher je zwei Komplexe dieser Art für
ihren Perceval benutzten. Ich glaube, wie ich schon oben sagte, daß
diese Komplexe, wenn auch nicht von Anfang an, vereinigt waren.
War Gauchers Quelle identisch mit derjenigen der Quelle Chretiens
und Guiots? W. spricht sich auch hierüber nicht deutlich aus (vgl.
p. 181, 235). Es kann jedenfalls nur mit Reserve behauptet werden,
that although Wauchier lorote later than Chretien tlie sources
foUowed hy Mm were earlier. Für den Chastel-Merveillous-Komplex
kann dies schon nicht begründet werden, noch weniger aber für den
Chastel-Orguellous-Komplex; denn da wissen wir über Chretiens Quelle
garnichts. Die Ankündigung durch die häßliche Jungfrau ist alles,
was uns Chretien davon erhalten hat; und Kiot- Wolfram hat es leider
ebenfalls für gut gefunden, jenen Komplex der Einheit des Romans
zu opfern. Einen interessanten einzigen Überrest desselben, der
wenigstens das Vorhandensein in der Quelle beweist, hat W. (p. 212)
nachgewiesen 29). Wir können aber wohl mit Sicherheit behaupten, daß
Gauchers Quelle nicht identisch mit derjenigen Chretiens war; sonst
hätten wir in den Percevalabenteuern, speziell auch im Gralabenteuer
Percevals bei Gaucher viel mehr Ähnlichkeit mit Chretien und Wolfram.
Es ist auch höchst unwahrscheinlich, daß Chretiens und Kiots Quelle
den ungeheuren Abenteuerkomplex, der mit Perceval nichts zu tun hatte,
enthielt. Der Verfasser dieser Quelle hätte zum mindesten von Zeit
zu Zeit eine Percevalepiso^e, wie die oben erwähnte Charfreitags-
episode, eingeführt. Aus der Ankündigung der häßlichen Jungfrau
ist nur zu entnehmen, daß jener Roman drei Abenteuer des
€hastel-Orguellous-Komplexes enthielt. Sehr viel mehr wird er kaum
enthalten haben, jedenfalls keine andern als Gauvainabenteuer (oder
höchstens noch unechte Percevalabenteuer, d. h. solche, in die erst
von jenem Dichter Perceval eingeführt wurde). Gaucher wurde offen-
bar durch die Erwähnung der drei Abenteuer des Chastel-Orguellous-
Komplexes in Chretiens Roman, und, wenn, wie wir annahmen, der
Chastel-Merveillous-Komplex schon mit jenem Komplex vereint
existierte, auch durch ihn auf den großen Gauvainroman aufmerksam
gemacht: er traf, abgesehen von jenen drei Abenteuern, eine andere
Auswahl, oder er schnitt sich einfach ohne Wahl ein größeres Stück
heraus, zu dem jene drei Abenteuer gehörten. Gauchers Quelle mag
zudem eine andere Redaktion des Gauvainromans gewesen sein als
die Quelle von Chretien und Guiot. Der letzte, von Gaucher bearbeitete
29) Warum figuriert denn eigentlich in dem Stammbaum p. 324 der
Castel-Orguellous-Komplex nicht auch als Quelle von Chretiens und Kiots
Quelle?
Jessie L. Weston. The legend of Sir Perceval. 143
Teil des Chastel-Merveillous-Komplexes ist in zwei Redaktionen über-
liefert, von denen die kürzere offenbar aus der längern entstellt ist.
Die in der letzteren enthaltenen, in der ersteren fehlenden Abenteuer
werden in Kapitel VIII besprochen. Ich sehe nicht ein, weshalb sie
nicht alle aus dem großen Gauvainroman stammen sollten (W.
p. 226 — 227); Sie haben allerdings weder sehr primitiven Charakter
noch besondern literarischen Wert; aber dasselbe gilt auch von sichern
Partien des Chastel-Merveillous-Komplexes (z. B, Tintaguel-Episode).
Nur das Mont-Esclaire-Abenteuer gehörte wobl ursprünglich zum
Chastel-Orguellous-Komplex. Soll Gaucher es ohne Grund versetzt
haben? Sonst bekommt man von Gaucher den Eindruck, daß er ohne
Zwang an seiner Quelle nichts änderte. Wenn man aber von Gaucher
die Verantwortlichkeit abwälzt, so kommt man wieder zu der An-
nahme, daß schon in Gauchers Quelle die beiden Komplexe vereinigt
waren. lu der Scblußpartie der Guiromelantepisode zeigen die Hss.
merkwürdig viele und starke Abweichungen von einander, aber
doch a general uniformity in ilie midst of diversity (p. 180).
Statt hier mit G. Paris die Benutzung von Chretiens „Notizen" durch
die Kopisten anzunehmen, glaubt W., daß der Chastel-Merveillous-
Komplex, weil sehr verbreitet, den Kopisten in verschieden Versionen
zugänglich war (p. 181). Dem gegenüber ist doch zu bemerken, daß
im übrigen Teil des Chastel-Merveillous-Komplexes die Varianten un-
bedeutend sind (was W. als Variauten zitiert, ist ganz gewöhnlicher
Art), und daß vermutlich der besondere Charakter des Schlußteils
der Guiromelantepisode zu Variationen herausforderte. Nirgends sonst
war die Gelegenheit zu Reflektionen, wie sie seit Chretien beliebt
waren, so günstig. Gerade die von W. zitierten Stücke, Gauvains
Beichte und die Klage der Clarissanz, die nur in einer einzigen Hs.,
B. N. 1450, vorkommen, sich übrigens an berühmte Muster anlehnen,
halte ich einstweilen noch für Ausschmückungen eines Kopisten, der
das Zeug zum Dichten hatte. Die Handschriftenkritik muß hier
Ordnung schaffen. Bei der Kritik des Chastel-Merveillous-Komplexes
hätte unbedingt auch Türlins Crone benutzt werden sollen, vielleicht
auch noch die Merlinfortsetzung der Hs. B. N. fr. 337 (Freymond).
Am Schluß des Kapitels VIII nimmt W. von Chretien Abschied mit
einer meiner Ansicht nach im Ganzen treffenden Charakteristik seiner
Tätigkeit und literarischen Bedeutung. Es ist natürlich kein Loblied
auf den Dichter. Chretiens Quelle war ein literarisches Werk, ein
arthurischer Versroman, vermutlich nicht sehr verschieden von seinem
Perceval. Ich bin bei allen arthurischen Romanen, die ich auf ihre
Quellen hin untersuchte (und ich glaube, 6s ist mir keiner entgangen),
immer zu einem und demselben Schluß hingedrängt worden, daß ihre
Quellen Arthurroraane ungefähr derselben Art waren wie sie selbst -^^^
'") Nur für gewisse Prosaromane {Merlm, Mort Artur, Joseph, Saint-
Graal gilt dies nicht (vgl. diese Zeitschrift XXIX i).
l-i-l Referate und Rezensionen. E. Brugger.
(vgl. auch diese Zeitschrift 'K'KWW^ p. 3 — 4). Ihre Verfasser waren
remanieurs, aber geschickter und gebildeter als die remanieurs der
Chansons de geste. Die eigentlichen produktiven Epiker, die Verfasser
der Lais wie der kleinern Romane, lebten viel früher, in der ersten
Hälfte des 12., vielleicht sogar auch schon am Ende 11. Jahrhunderts.
Chretien hat nicht nur nicht den Arthurroman geschaifen, sondern
ist ein Dichter der Dekadenz. Dies macht ihn vielleicht in den
Augen vieler interessanter.
Die folgenden Kapitel behandeln den Chastel Orguellous-Kom^lex.
In Kapitel IX werden die Abenteuer Gauvains, Guinglains und Garahiets
kurz besprochen. Zahlreiche Zitate, die besonders auf Gauchers Quelle
Bezug haben, machen dieses Kapitel interessant. Gauchers Quelle
war hiernach eine Sammlung von meist längeren Erzählungen {branches-
genannt), die einander kaum in anderer Weise etwas angehen als daß-
sie Gauvain oder seine Verwandten zu Helden haben, und die meist noch
einen sehr archaischen Charakter haben, folglich von Gaucher kaum
stark überarbeitet worden sein können. Gauchers Quelle war das
Manuskript eines Jongleurs von Loudun; daß dessen naive Einschiebsel
von Gaucher nicht gestrichen wurden, zeigt deutlich, wie nachlässig-
dieser sogenannte Dichter hier vorging; aber Dank dieser seiner
Stümperei sind uns viele kraftvolle und echt poetische Stücke unverfälscht
erhalten worden, die ein Chretien oder Guiot gewiß schrecklich entstellt
hätte, so namentlich der Kampf zwischen Gauvain und Brandeiis, den
ich auch schon längst für einen der großartigsten Überreste der
altfranzösischen Literatur hielt, der aber noch in keiner Literatur-
geschichte auch nur erwähnt wurde. Leider ist uns wohl nur ein
geringer Teil dieses großen Gauvainromans, le grant conte, den zu
abregier (so bezeichnet er selbst seine Tätigkeit) Gaucher für nötig
hielt, durch ihn erhalten worden. Ich denke, daß wir mit Hülfe
von Türlins Crone, die eine französische Kompilation ähnlicher Art,
auch mit Gauvain als Helden, voraussetzt und noch vieles sehr altes
Material enthält, uns am ehesten einen Begriff von dem verlorenen
Roman machen können. Daß die Namen Gaheries und Guerehes
für Gauvains Bruder ursprünglich identisch waren, glaube ich mit
W". (p. 247 — 248); es ist möglieb, daß die Kopisten des Perceval
die beiden Formen indiscriminately verwenden; aber darauf kommt's
nicht an; die Autoren machen durchwegs den Unterschied; in den
Versromanen zählt der erste Name immer als viersilbig ^i). Lot hat
traditionally nicht vier Söhne, sondern fünf, außer den beiden genannten
und Modred noch Agravain, den W. nicht zu kennen scheint. Weil
in Gauchers Gaheries-Branche dem Helden mehrmals zugerufen wird:
dehait ait li vostre biau cors, meint W., daß sich in dieser Weise
31) Unrichtig ist, was W. (Legend of Sir Lancelot p. 198) behauptet, dafs
der Name Guerehes fast nur im Prosa-Lancelot und den von ihm abhängigen.
Prosaromanen vorkomme.
Jessie L. Weston. The legend of Sir Percevah 145
der Name Beacurs erklärt, den Gauvains (einziger) Bruder bei Wolfram
hat. Es ist aber kaum zu bezweifeln, daß Beacurs aus Biaus Coars
(schon im Erec erwähnt), allerdings durch konfundierenden Einfluß
von biau cors, entstanden ist. Biaus Coars ist gleichbedeutend
mit Biaus Mavais; aus letzterem Namen entstand aber, wie schon
G. Paris vermutete, Malory's Beaumains, und dies ist der Name
von Gauvains Bruder Gareth^-).
In Kapitel 10 werden Gauchers Percevalabenteuer
besprochen. Nach "W. würden sie in 3 Gruppen zerfallen: 1, solche,
die wahrscheinlich schon zur Chastel-Orgueillous-Konipilation gehörten;
2. solche, die aus einem Perceval-Gralroraan stammten, 3. solche,
die entweder unbekannter Herkunft oder von Gaucher erfunden sind
(p. 253). Die Abenteuer der ersten Gruppe waren nach W. in Gauchers
Quelle Interpolationen, ursprünglich unabhängige Perceval-Lais. W.
nimmt es für ganz selbstverständlich an, daß alle Perceval-Abenteuer,
die einen etwas primitiven Charakter zeigen, von Anfang an Perceval-
abenteuer waren (vgl, auch p. 235). Nach ihrer Ansicht sind wohl
die Eigennamen und speziell der Name des Protagonisten, das Rückgrat
der Abenteuer, das bei allen Metamorphosen der letztern stabil bleibt.
Tatsache ist, wie ich schon oben gesagt habe, das gerade Gegenteil hiervon.
Erwägen wir nun aber folgendes: 1. die große Unbeständigkeit der
Eigennamen (besonders der Namen der Protagonisten), 2. die Tatsache,
daß die zahlreichen Percevalabenteuer Gauchers allen ursprünglichen
Percevalromanen (Chretien, Guiot, Sir Percyvelle), die doch (abgesehen
von demjenigen Chretieiis) vollständig zu sein scheinen, total fremd
sind 33)^ 3. den Umstand, daß Gaucher, als Fortsetzer eines Perceval-
lomans, Percevalabenteuer bringen mußte, folglich, wenn er außer
(lern Chretienschen keine solche kannte, wenn es kaum solche gab,
die Chretien nicht hatte, erfinden mußte, oder falls dies zu mühsam
32) Die Art der Entstellung bei Wolfram und Malory ist ganz ähnlich :
Biaus Coars ; ßiau Cors = Biaus Mavais : Biaus [sie!] Mains. Man sieht
auch an diesem Beispiel, wie ein Beiname den eigentlichen Namen verdrängen
kann (bei Malory noch nicht, wohl aber bei Wolfram). So halte ich auch
Percevaus (SO ursprünglich wohl auch im Accusativ) für einen Beinamen, der
den eigentlichen JMaraen verloren gehen liefs; vgl. auch oben Galan- Trehuchet.
Der Biaus Mauvais bei Gaucher und der Biaus Coars im Perlesvaus haben
andere Rollen als Garehies bei Gaucher und Gareth bei Malory (vgl. W. p. 259,
261). Ersterer soll der Sohn des Grafen von Gauvoie sein; für Gauvains
Bruder würde dies passen, wenn, wie W, glaubt, Gauvain zu Galloway gehörte.
3*) Ausgenommen sind nur die Rückkehr zu Blancheflor, die Rückkehr
in die Heimat, der Besuch beim Einsiedler-Onkel, die Begegnung mit dem
Bruder des roten Ritters und das Perceval-Gralabenteuer, den neuen Verhält-
nissen angepafste Wiederholungen Chretienscher Episoden. Die erstereu
beiden habe ich oben besprochen; die Schwester Percevals findet s. ich zwar
bei Chretien nicht; aber des Widerspruchs war sich vielleicht nicht einmal
Gaucher, geschweige sein Publikuni bewufst; denn Chretien sagt nicht, dafs
Perceval keine Schwester hatte. Ähnlich erklärt sich die Fortsetzung des
Abenteuers mit dem roten Ritter ; Gerbert ist auf denselben Gedanken
verfallen wie Gaucher. Auch der Besuch beim Eremiten verdankt sein Dasein
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXP. 10
146 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
war, die Abenteuer anderer Helden zu Percevalabenteuern machen
mußte: erwägen wir dies, sage ich, haben wir dann nicht ein Recht,
an der ürsprünglichkeit seiner Percevalabenteuer als solcher zu zwei-
feln, ist ilire Unursprünglichkeit in diesem Sinne nicht a priori das
wahrscheinlichere? Nun sind noch einige Momente zu erwähnen, die
uns einen Fingerzeig geben: 1. Unter Gauchers Percevalabenteuern
findet sich auch die Mont-Dolerous-E^\?,odiQ, die, wie W. wohl weiß,
als zum unabhängigen Chastel-Orgueillous-Komplex gehörig durch eine
Allusion Chretiens gesichert ist; doch nach Chretien müßte nicht
Perceval der Held dieses Abenteuers sein, sondern Kahedin. Nach
W. (p. 272 n. 1) wären Kahedin und Keu (welcher das Abenteuer
auch versucht hat) verwechselt worden. Ist nicht einfach Perceval
von Gaucher au Kahedins Stelle gesetzt worden ^4)? 2. Percevals
Gralabeuteuer schließt sich nach W/ s eigener Ansicht sehr den Gauvain-
Gralabenteuern an (p. 272 — 273; vgl. dazu p. 262). Lag ihm nicht
ein solches zu Grunde? 3. Die sogenannte Elucidation, die nach
W.'s Ansicht zu einer Version der Chastel-Orgueillous-Kompilation
gehörte, berichtet, daß Arthurs Feinde errichteten: le rice Castel as
Pucieles, le Pont Perillous et le grant Castel Orguellous (p. 280).
Diese drei Einrichtungen scheinen also zusammengehört zu haben,
folglich auch die sie betreffenden Abenteuer. Gauchers Perceval section
bringt in der Tat ein Castel-as- Pucieles- Ah&wiQWQT und bald darauf
ein Pont- Per iUous-KhQniQWQr^ womit ein Turnier beim Castel Orguellous
verbunden ist. Das eigentliche Chastel-Orgueillous-Abenteuer aber
findet sich in der Gauvain section. Gehörten die drei Abenteuer
von Anfang an zusammen, so waren auch jene zwei Percevalabenteuer
ebenso wie das letztere, Teile der ältesten Chastel-Orgueillous-Kompilation,
die, wie W. sagt, nur Abenteuer Gauvains und seiner nächsten Verwandten
enthielt. 4. Zu den englischen Gauvaindichtungen, die nach W.'s
Ansicht (p. 286) ebenfalls auf die Chastel-Orgueillous-Kompilation
zurückgehen, gehört auch The Weddynge of Sir Gaioayne. Nach
W. würden diese Dichtungen sogar auf eine ganz alte Version zurück-
gehen, welche die sogenannte Perceval -Interpolation noch nicht enthielt.
Denn sie sagt ausdrücklich : We have nothing corresponding in any
demselben Gedankengang des Autors. Der Eremit ist hier Onkel väterlicher-
seits, bei Chretien mütterlicherseits ; derartige Konfusionen sind sehr häufig,
üaucher dürfte sich nicht genau an Chretien erinnert haben; er gab sich
überhaupt nicht viel Mühe, mit diesem übereinzustimmen, wie W. selbst
zugibt (p. 261). Das Gralabenteuer ist etwas an Chretien's Version angeglichen
worden : da aber das Gralabenteuer kein spezifisches Percevalabenteuer
ist, im Gegenteil, wie W. mit Recht bemerkt, Gauvain als Gralheld älter
ist, so ist auch die Ursprünglichkeit von Gauchers Perceval-Gralabenteuer
sehr zweifelhaft.
3*) Galt auch Kahedin als Gauvains Verwandter? Ist der Name etwa
iilr Kaheries substituiert (vgl. oben A.5)? Ein Kahedin erscheint sonst meines
Wissens nur noch im Tristan und in der pseudohistorsichen Merlinfortsetzung,
wo er als der Neffe des Keus cC Estraus gilt (Sommer p. 184).
Jessie L. Weston. The legend of Sir Perceval. 147
waij io ihe Perceval sections of Wauchier (p. 287). Doch sie selbst
hatte vorher (p. 260—261, 285) mit Recht behauptet, daß die
zur Perceval section gehörende Rosete -Epi'^ode ein mißverstandener
Überrest einer Loathly-Ladi/ -Evzählung, wie es The Weddi/nge of
Sir Gawayne ibt, sein müsse. Sie hat sogar darauf hingewiesen, daß
in diesem Percevalabenteuer Gauvoie (Galloway) genannt sei, welches
sonst immer mit Gauvain assoziiert sei. Hinzugefügt könnte noch
werden, daß der hier vorkommende Biaus Maiivais Gaheriet, Gauvains
Bruder, sein könnte (s. oben), der offenbar eher in einem Gauvain-
als in einem Pei'cevalabenteuer am richtigen Platze ist. Die englischen
Dichtungen zeigen also gegenüber drei der Gauvain section ent-
sprechenden Episoden wenigstens eine der Perceval section ent-
sprechende. Aber in ihrer Quelle figurierte offenbar diese Episode
noch als Gauvain-Episode^ä). 5. Die Begegnung mit dem an einen
Baum gefesselten ßagommedes (= Baudemagus) finde ich auch in
der romantischen Merlinfortsetzung (vgl. die Analyse von Wechssler,
Redaktionen des Graal-Lancelotcijclus p. 43) ; hier ist aber der
Held nicht Perceval, sondern (zufällig?) Gauvains Bruder, Gaheriet.
€. Icli glaube, wie schon gesagt, auch beweisen zu können, daß das
Hirscbjagdabenteuer mit Zubehör ursprünglich kein Percevalabenteuer
war. Eine Version desselben ist, was W. nicht gesehen hat, auch in
der romantischen Merlinfortsetzung (s. Merlin-Huth) enthalten. Nur ist
€S hier in drei Parallelabenteuer mit drei Helden zerteilt worden;
die drei Helden sind Gauvain, Tor und Pellinor. Mein Beweis fußt
übrigens nicht hierauf. 7. Der Verfasser der Quelle von Chretien
und Guiot kannte die Chastel-Orgueillous-Kompilation mit dem Mont-
jDoZeroMs-Abenteuer. Wenn dieses ursprünglich ein Percevalabenteuer
gewesen wäre, so wäre wohl die Folgerung erlaubt, daß jene Kompilation
bereits die große Perceval-Interpolatioii enthielt. Ist es dann wahr-
scheinlich, daß der Autor des Percevalromans davon ganz unbeein-
flußt blieb? 36) Und warum holte er sich lauter Gauvainabentcuer
wie Chastel de la Merveille, Chastel Orgueillous, Mont Esclaire,
■wenn ihm Percevalabenteuer zur Verfügung standen? Seine Mo7it-
Doleroics-ET^isode kann kaum ein Percevalabenteuer gewesen sein;
sonst hätte sie Guiot gewiß nicht gestrichen. Es sind also Gründe
genug vorhanden, um anzunehmen, daß eiu Teil von Gauchers Perceval-
abenteueru ursprünglich nicht Percevalabenteuer waren. Wir sahen
anderseits (und W. äußert ja dieselbe Meinung), daß gerade diese
•■^^) Dafä Gaucher das weddynge und andere Züge der Erzählung nicht
auf Perceval übertragen konnte, ist leicht verständlich. So blieb denn vom
Ursprünglichen fast nichts mehr übrig. Ich glaube, dafs Gaucher in seiner
Quelle eine Blaus- Mauvais- und eine Äcse/e-Episode (jene vielleicht ähnlich
der i?iat/s-Coars-Episode des Perlesvaus und zugleich ein Bruderkampf) neben
«inander fand und sie dann vereinigte.
•'5*) W. wird mir die Blancheßor-'E.^x^oAQ als Nachahmung der Hirsch-
Jagd entgegen halten wollen; aber diese Auffassung ist einfach lächerlich
•und eigentlich undiskutierbar.
10*
148 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
ebenso primitiv sind wie die Gauvainabenter der Chastel-Orguellous-
Kompilation, und schon in dieser enthalten gewesen sein müssen.
Wer aber hatte Anlaß wie Gaucher, Perceval als Protagonisten ein-
zuführen? Es kann darum als ziemlich sicher gelten, daß jene
Abenteuer in der Chastel-Orgueillous-Kompilation noch nicht Perceval-
abenteuer waren, daß sie erst Gaucher zu solchen gemacht hat. "Wir
dürfen aber wohl auch, solange wir alles mit dieser Theorie im Ein-
klang finden, verallgemeinernd sagen, daß jene Kompilation noch keine
Percevalabenteuer enthielt, daß Gaucher keinen Percevalroman außer
Chretiens kannte, und daß er all sein Material aus jener Gauvain-
Kompilation, mit der wohl auch der Chastel-Merveillous- Komplex
vereinigt war (resp., wenn letzteres nicht der Fall war, aus zwei
Gauvainkompilationen), bezog, soweit er nicht selbst erfand. Außer
den oben zitierten Wiederholungen von Chretienschen Motiven und
Anlehnungen an solche dürfte eine Anzahl kleinerer Perceval-Episoden,
die recht inhaltsleer und bedeutungslos sind, mit W. als Gauchers
eigene Dichtungen aufgefaßt werden. Es muß aber bemerkt werden,
daß es auch in der Gawain section, die Gaucher jedenfalls nur aus
der Quelle abschrieb, unbedeutende Episoden gibt, wenn auch nicht
so viele wie in der (übrigens längern) Perceval section. Die Gauvain-
kompilation mag also auch schon derartiges enthalten haben. Da
Gaucher in der Perceval section sich nicht einfach mit gedankenlosem
Abschreiben und abregier begnügen konnte, weil er überall Perceval
einführen mußte, was sich oft nicht ohne Änderungen machen ließ,
so können wir wohl verstehen, daß hier mehr unbedeutende Episoden
entstanden, sei es daß Gaucher selbst bei jener Arbeit etwas Dichter-
fieber bekam, sei es daß er oft in seiner Vorlage gerade das
Bedeutende streichen zu müssen glaubte 37), Es ist auch begreiflich,
daß bei der hier nötigen genauem Revision der Vorlage alle-
jene Jongleur- Phrasen und die direkte Anrede des Publikums, die
der Gawain section ein besonders archaisches Aussehen gaben, weil
nicht mehr zeitgemäß, getilgt wurden ^^j.
Kapitel 11 handelt von den Beziehungen von Gauchers Quelle
zu andern Texten, nämlich a) zur Elucidatio7i, b) zu den englischen
Gawaingedichten. Die Elucidation nennt denselben Autor als Quelle
wie Gaucher und gibt eine Übersicht über die einzelnen BrancheSy
die zu dessen Werk gehören, von denen wenigstens zwei mit Gaucliers
Brauches übereinstimmen. Es wird auch eine Lancelot- und eine
Tristan-Branche zitiert, die offenbar Interpolationen sind. Daß die
Abenteuer vom Chastel as Puceles, vom Pont Perillons und vom
^■') So z. B. sicher in der Äose^e-Episode.
^^) W. behauptet (p. 266), dafs die Gawain sections constantly auf den
grant conte verweisen; aber in ihren Zitaten finde ich diesen Verweis nur
drei Mal! In den Perceval sections finden wir wenigstens eine allgemeine
Bezugnahme auf die estoires oder ijons lirres als Quelle (W. p. 265), dazu die
Allusion auf das Buch von Fecamp; dies genügt.
Jessie L. Weston. The legend of Sir PercevaL. 149
Chastel Orguellous, auf welche die Elucidatioii anspielt, erst bei
Gaucher zu Percevalabeuteuern wurden, habe ich eben zu beweisen
gesucht. Die Allusion anf Chretiens Perceval-Gralabenteuer ist, wie
W. zugibt (p. 282), eine späte Interpolation. Die Kompilation, zu
Avelcher die Elucidation als Einleitung gehört, war jedenfalls dieselbe
wie Gauchers Quelle, aber in etwas späterer Redaktion. W. zeigt,
daß die englischen Gawaindichtungen Abenteuer behandeln, die auch
in den Branches von Gauchers Chastel- Orgueillous- Komplex ihre
Parallelen haben. Es ist auch zuzugeben, daß jene meist einen
primitiveren Charakter haben als diese, so daß sie also nicht aus
Gaucher selbst stammen können 3i*). Ich wäre daher mit W.
einverstanden, wenn sie sich damit begnügte zu sagen, tliat we are
dealing in the Perceval, the Elucidation and Sir Gawayne ivith
one and the same collection of tales (p. 286). Aber sie scheint
(im Widerspruch hierzu) andeuten zu wollen, daß die englischen
Gawaindichtungen eigentlich nicht auf diese collection, die Chastel-
Orgueillous-Kompilation, zurückgehen, sondern direkt auf die einzelnen
unabhängigen Dichtungen, welche nachher in dieser Kompilation ver-
einigt wurden. Nur so ist es verständlich, daß sie betont: The
English jwems are not all of one date, or one autliorsMp, hui
were composed at different periods, and, judging from the dialect^
in different paiis of this island. It is scarcely likely that a number
of individual writers, widely separated in time and place^ should
all have looked for inspiration to one text, a text moreover to
which our literature presents no other parallel (p. 287). An einer
spätem Stelle (p. 323) ist die Sprache deutlicher: It further seems
extremely probable that our vernacular Arthurian poems, the great
majority of which find parallels in this section of the Perceval,
are independent, and. later, workings over of the individual members
of this cycle. Wohin dies zielt, zeigt das folgende Kapitel. Ich
möchte aber hier gleich die Unrichtigkeit dieser Argumentation nach-
weisen. Einmal ist es allgemein herrschende Ansicht der Auglisten,
daß jene Gedichte nicht nur in Bezug auf den Stoff, sondern auch
in Bezug auf ihre literarische Behandlung enge zusammenhangen (vgl.
z. B. Ten Brink I 420—21, Pauls Grundrifs IP p. 662, 664 f.,
697, 712 und Schotield, E?iglish Literature from the Norman Conquest
to Chaucer p. 214 ff.). Für zwei läßt sogar W. denselben Autor zu.
Sie wird auch nicht behaupten wollen, daß z. B. die fragmentarische
Dichtung The Jeaste of Syr Gaioayne, die uns in einer Hs. des
16, Jahrhunderts erhalten ist, erst aus dieser Zeit stammt. Diese
Gedichte hatten eben auch in englicher Sprache ihre Entwicklung;
dies zeigt sich schon darin, daß die einen in zwei oder mehreren
^®) Man mufs sich zwar davor hüten, die Robheit immer für primitiv
anzusehen; auch rein höfische Dichtungen mufsten in den Händen der
englischen Jongleurs „primitiv'' werden.
150 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
Redaktionen erhalten sind. Aus dem Dialekt und dem Datum der
Hss. ist daher nichts zu schließen; und nichts steht der Annahme
entgegen, daß die Chastel-Orgueillous- Kompilation selbst (in einer
alten Redaktion) von einem Dichter ganz oder teilweise ins Englische
übertragen, aber, weil der englische Jongleur nur kurze Erzählungen
brauchen konnte, in ihre einzelnen Teile aufgelöst wurde, von denen
jeder dann sein besonderes Schicksal hatte. Ich war auch schon
längst überzeugt, daß die kürzern episodischen Gauvaindichtungen in
französischer Sprache, La Mule sans frein, Le Chevalier ä l'epee,
Gauvain et Humhaut etc. auf eine Gaavain-Kompilation zurückgehen;
Parallelversionen sind ja noch in einer solchen. Türlins Crone,
erhalten 40).
Kapitel XII handelt endlich von dem Verfasser des grant conte,
der Chastel-Orgueillous -Kompilation. Gaucher nennt als solchen
zweimal in den Gawain sections einen Bleheris, und sagt das eine
Mal von ihm : qui fu nes et engenuis En Gales, dont (i. e. de
Bleheri) je cont le conte E qui si le contoit au conte De Roitiers
qui amoit Vesioire E le tenoit en grant memoire Plus que nul
autre ne faisoit. Auch die Elucidation erwähnt als Gewährsmann
einen Maistre Blihis; Blihis ist zweifellos aus Bliheris entstanden
(Ausfall der Sigle von er ist sehr häufig). Diese interessante Entdeckung
(die Stellen bei Gaucher waren bisher unbekannt, die Elucidation
war unbeachtet geblieben) scheint W., ebenso wie die Fecamp-
Entdeckung ganz verwirrt zu haben, so daß sie auf entsetzliche
Abwege geriet. Die Insular Iheory ist nun nicht mehr Theorie,
sondern ihre Thesen sind feststehende Tatsachen geworden ^^i). Dazu
kommen noch andere Tatsachen von größter Wichtigkeit, die bisher
gar nicht geahnt wurden, aber nun auf einmal klar hervortreten im
Lichte jener Entdeckung. Leider zeigt es sich aber, daß W. den
Leser ins Reich der Phantasie führt. Wenn man ihm die Binde
von den Augen nimmt, so muß er erkennen, daß alles nur ein Trug-
bild war. Von all den schönen Schlüssen bleibt nichts, gar nichts,
übrig. Es wird mir als Anhänger der Continental Theory, die hier
wie vom Blitz getroffen erscheint, erlaubt sein, auf die Prüfung der
^°) The Türke and Gawain, und namentlich die zwei Versionen des
Carle oj Carhjle hätten in diesem Kapitel auch erwähnt werden sollen.
Letztere Dichtung ist ja ein Pendant zum Chei-aHer ä Vepee und einem
Abenteuer der Crone. Die Chastel-Orgueillous -Kompilation mag in ihrer
englischen Übersetzung als Geste of Sir Gawain bekannt gewesen sein; aber
es geht nicht an, wie W. es tun möchte, diese Bezeichnung auf das
französische Original zu übertragen; denn nur die Engländer, die zwischen
Chansons de Geste und Abenteuerromanen keinen Unterschied mehr zu erkennen
vermochten, machten sich der mifsbräuchlicben Anwendung des Wortes
gesie schuldig (vgl. Schofield, Engl. Lit. p. 148),
*i) Vgl. Z. B. p. 230: clear and categorical proof\ p. 326: Wauchier's reference
io Bleheris proves once and for all that the Compilers of ihe Ärthurian rornances
had access to WeJsh sources (ähnliches p. 234, 287).
Jessie L. Wesion. The legend of Sir Perceval. 151
Argumente W's einzutreten •i^-j^ -^ idenfiziert Blelieris mit Bledhe-
ricus, dem von Giraldus Cambrensis erwähnten /awio^^s ille fabulator,
und mit Breri, der von Thomas im Tristan genannten Autorität. Bledhe-
ricus und Breri waren bereits von G. Paris identifiziert worden. Ich
habe (in dieser Zeitschrift XX^ p. 136 ff.) diese Identifikation als
ungenügend begründet und prima facie unwahrscheinlich erklärt,
und Bedier (Ausgabe des Tristan II 96) hat mir beigestimmt. Die
Entdeckung des Bleheris durch W. scheint auch mir zu beweisen,
daß G. Paris Recht hatte, wie wohl die Tatsache, daß seine Identifikation
auf sehr schwachen Füßen stand, bestehen bleibt. Zwischen den
Breri, der einen französischen Roman bretonischer Herkunft (wegen
der bretonischen Elemente im Tristan) verfaßt haben soll und den
kj'mrischen fahulator Bledhericus, über dessen literarische Tätigkeit
nichts bestimmtes bekannt war, tritt nun als verbindendes Zwischenglied
der Kymre Bleheris, der Verfasser eines französischen Arthur-
Romans. Es ist kein Grund vorhanden, um in Bezug auf die von W.
postulierte Chastel-Orgueillous-Kompilation an der Autorschaft desBledri
zu zweifeln; ebenso gut wie einen Gauvainroman mag dieser aber auch
einen Tristanroman komponiert oder besser kompiliert haben (also
vielleicht die Quelle von Thomas und Bervul?)'^^). W. fragt sich nun
(p. 296), in welcher Sprache Bledris Gauvainkompilation wohl abgefaßt,
war, und antwortet: We have little or no evidence o?i this jjoint. Es
gehört viel dazu, um so etwas zu behaupten. Die Frage hätte nicht
gestellt werden sollen, weil ihre Entscheidung selbstverständlich ist.
Bledri stand natürlich im selben Verhältnis zum Grafen von Poitiers
wie z. B Chretien zum Grafen von Flandern. Er schrieb sein Werk
im Auftrag des Grafen, und auch in der Sprache des Grafen ; diese
aber war, wer immer der Graf sein mochte, französisch. Bledri war
also ein französischer Dichter; er war, wenn auch in Wales geboren,
doch ganz französiert, also gewissermaßen ein Anglonormanne; er
hatte sich jedenfalls auch in Frankreich, am Hofe des Grafen von
Poitiers, aufgehalten. Bledri tritt also neben Marie de France, die.
*-) W. war früher selbst eher Anhängerin der Continental Theory und
stützte sich dabei gerade auf den Perceval (vgl. z. B. The Legend of Sir
Gawain p. 53).
*3) Bediers Zweifel wurc'en nicht einmal durch die Entdeckung des
Bleheris, wovon ihn W. in Kenntnis gesetzt hatte, gehoben. Er sagt (/. c.
p. 98): Siynifient-ils (i. e. die Verse Gauchers, in denen Bleheris genannt
wird) que ce Breri ou Blelieri avait compose un roman de Perceval (es handelt
sich aber um einen Gauvain-, nicht einen Perceval-Roman !)? Pas plus quhm
roman de Tristan. Ou que le continuateur de Perceval (oder eher seine Quelle
Bleheris?) a ete directement au contact avec des oiiginaux gallois? II n'est necessaire
de le supposer ni de lui ni de Thomas. Man könnte vielleicht annehmen, dafs
Thomas sich auf Bledri als Autor des Gauvainronians, der in einer späteren
Redaktion (vgl. Elucidation) wenigstens eine Tristanbranche enthalten zu
haben scheint, berief. leb würde diese Hypothese aber nicht für eine
natürliche halten. Vielleicht wurde Bledri auch aufs Geratewohl als Gewährs-
mann genannt wie später Chretien de Troyes (z. B. in Türlins Crone).
152 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
obwohl ihr ständiger Aufenthaltsort England war, doch bretonische
Lais sammelte, neben den Anglonormannen Robert de Borron, der
(ungefähr wie BledriJ in Collaboration mit einem kontinentalfranzösischen
Scigneur mit reichlicher Benutzung gelehrten Materials einen fran-
zösischen Percevalroman bretonischer Herkunft umdichtete, neben
Thomas, den Anglonormannen oder in England ansässigen Franzosen,
der sich als seinen Nachahmer ausgibt, namentlich aber neben
Walter Map, der, auch in Wales geboren, einen französischen Roman
schrieb, dessen Held ein Bretone, der Sohn eines Grafen von Vannes
war (vgl. diese Zeitschrift XXIX^ p, 90 ff.), von welchem W.
(Legend of Sir Lancelot p. 10) selbst gesagt hatte: „i^or my own
pari 1 unhesitatingly accept Prof. Förster'' s dictum: Lancelot ist
den Kymren gänzlich unbekannt, und ist unter alle?i Uinständen
kontinentaler Herkunft'^ Wenn die insular theory sich darauf
beschränkte zu behaupten, daß es auch anglonormannische Arthur-
dichter gab, so wäre sie wohl fast unbefehdet. Die normannischen
und angevinischen Könige Englands waren der schönen Literatur
außerordentlich zugetan, weit mehr als die Könige von Frankreich,
und wenige französische Dichter werden sich eine Reise nach England
versagt haben; viele werden sich daselbst dauernd niedergelassen
haben. Warum sollen da nicht einige Anglonormannen sich in
französischer Kunstepik versucht haben, obwohl ihr nüchtern praktisches
Genie sie mehr zur Geschichtschreibung trieb! Wir protestieren nur
gegen die Paris'sche Annahme, daß es ein ganzes Heer anglo-
normannischer Arthurdichter gab, und daß sie alle ihre Stoffe von
den Kymren überkamen und dann an die Kontinentalfranzosen ab-
heferten. W. scheint selbst gefühlt zu haben, daß ihre Beweisführung
über gewisse Haken nicht recht weg kommt. Sie sucht dieselben
so viel als möghch zu verdecken; sie gleitet auffällig schnell über
die Hauptfrage hinweg. Sie gibt zu : From the verbal correspondence
existing beticeen Wauchier and the Elucidation, it seems clear
that the tico toriters must have had access [sie!] to a French
Version, or rather to French versions, of the tales . . . Also,
there are indications that some [sie!] of our English Arthurian poenis,
notably Syr Gawayne and the Grene Knyghte, had a French
source at root^'^) (p. 296). Doch dieser französische Archetypus
war wohl noch nicht Bledris Werk, sondern eine Übersetzung desselben.
Das Original war — „vielleicht lateinisch" ; und hinter diesem standen
die einzelnen Erzählungen, deren Sprache (W. hielt es für überflüssig,
es dem Leser zu sagen, der es sich ja selbst sagen mußte) natürlich
kymrisch war. Um dieser Theorie eine Stütze zu geben, wollte sie,
im Widerspruch zu eigenen Aussagen, dem Leser die Meinung bei-
bringen, daß die englischen Gawaindichtungen, die bis jetzt noch alle
Anhänger der insular theory, vor allem G. Paris, als Übersetzungen
"•*) Ähnlich wieder p. 326, aber ohne tome!
Jessie L. Weston. The legend of Sir Perceval. 153
aus dem Französischen erklärt hatten, nicht auf Bledris Werk, sondern
direkt auf seine Quellen zurückgingen, die dann natürlich, weil bloß
noch in England erhalten, kymrisch sein mußten'*'). Wenn nur nicht
■dieser lästige Graf von Poitiers wäre! Dann hätte man einfach gesagt:
Selbstverständlich hat der Kymre Bledri seine Dichtung kymrisch
geschrieben! Jetzt aber kann man nicht leicht behaupten, daß er
für den Grafen von Poitiers eine kyrarische Kompilation dichtete
und sie ihm sogar in kymrischer Sprache vortrug. Jetzt soll sie
lateinisch gewesen sein, weil man eben französisch nicht will. Für
Vorurteilslose ist zuverlässige evidence da, daß Bledri französisch
schrieb. Little or no evidence haben wir nur in Bezug auf seine
<5uellen. Da sein Werk nur eine Kompilation ist, so ist es a priori
wahrscheinlich, daß die einzelnen Erzählungen in derselben Sprache
abgefaßt waren. Wir sahen, daß andere anglonormannische oder in
England wohnende Arthurdichter, sogar ein Kymre, französische
Quellen bearbeiteten, die vermutlich ursprünglich aus der Bretagne
stammten. Anderseits sind noch keine französiche Dichtungen nach-
gewiesen worden, die auf kyrarischen Volksdichtungen basieren. Dem
Bledri selbst, der so französisiert war, daß er französisch dichtete
und der vermutlich in Frankreich gelebt hatte, stand wohl Frankreich
literarisch näher als seine Heimat. Zeitweise ist W. etwas nüchterner,
so wenn sie sagt (p. 297): For tlie moment we must rest content
witli the ascertained facts that iliere was a story-teller of Welsh
hirth named ßleheris, who loas the source ichence Waiichier de
Denain drew much of the subject matter of his Perceval, and
that he had for patron a Count of Poitiers. Aber warum, wenn
dies alles ist, verkündet sie denn so laut den Sieg der kymrischen
Theorie? 46)
Wo möglich noch bedenklicher ist W's Beweisführung betreffend
die Zeit, in der Bledri sein Werk schrieb. Zunächst (p. 289) weist
sie darauf hin, daß in der Elucidation, die den Maistre Blihis als
Autor nennt, auch von einem Ritter Namens Blihos Bliheris die
Rede sei; und da es von diesem heißt: si tres hons contes savoit
Que nus ne se peust lasser De ses paroles escouter, fragt sie, ob
nicht dieser und der fabulator Bledhericus one and the same per-
sonality seien. Nach ihrer Ansicht wären nämlich die Namen des
maistre- fabulator und des Ritters identisch: My vieiv is simply that
Blihis or Blehis is but a shortened form of the original name
which, by error of a copyist, has become attached to the im-shor-
iened form. Der Unterschied zwischen i und o zählt für sie nicht.
*'") Als Zwischenstufe werden, G. Paris zu Liebe, auch Anglo-Norman
poems zugelassen (p. 32G).
*^) Mit einem Pathos, tcorihi/ of a better cause, fordert sie (p. 327)
Foerster heraus: Will he, face to face with WaucMer's testimony as to the native
land of Bleheris, repeat that „ Während alles für Bretagne sprach, spricht alles
gegen Wales"?
154 Referate und Rezensionen. E. Bnigger.
Ein Ritter, Namens Bliohlieris, offenbar identisch mit Blilios Bliherisj
erscheint sehr häufig in der ganzen arthurischen Litteratur. Man
müßte also annehmen, daß alle anderen Romane den Namen aus einer
bestimmten Handschrift der Bledri-Kompilation bezogen hätten, deren
Kopist der dreifachen Dummheit schuldig war, den Namen Bliheris
doppelt gesetzt, das erste Mal zu Blihis „verkürzt" und dann noch
das 0 in i verwandelt zu haben. Die Hypothese ist ebenso unhaltbar
wie naiv. Der Name Bliho(6)bliheris ist ein Doppelname wie Gorvain
Cadrut, Mahon Evrain (= Mahonagrain) etc. Beide Komponenten
kommen in anderer Funktion allein vor, Blihos wohl weniger häufig
als Bliheris'^"). Ein Doppelname konnte wohl der Kürze halber
durch einen seiner Komponenten wiedergegben werden; aber nicht
anders als durch Konfusion konnte ein Doppelname an Stelle des
einfachen gesetzt werden. In der Tat haben 2 Handschriften in dem
einen Passus von Gaucher Bleohlelieris resp. Bliohliheri statt Bleheris
(W. p. 241); aber dies beweist keineswegs, wie W. (p. 288) meint,
daß diese Namen identisch seien; es handelt sich hier nur um
Substitution aneinander anklingender Namen in Folge von Konfusion;
so setzte ja ein anderer Kopist Brandeiis für Bleheris (ähnliche
Fälle s, oben A. 5). Bei Gaucher selbst, in der Elucidation, bei Thomas,
bei Giraldus hat der Name des Dichters immer die einfache Form
Bleheris resp. eine damit äquivalente; der Ritter heißt ebenso regel-
mäßig Bli(h)o(s)hU(h)eris. Die beiden Namen sind nicht eher identisch
als Wilhelm und Friedrich Wilhelm. Anderseits ist es in den Romanen
gäng und gäbe, daß Ritter Geschichten erzählen. Wenn sie von ihren
Fahrten an Arthur's Hof zurückkehren oder unterwegs jemand begegnen
oder bei jemand einkehren, erzählen sie in der Regel ihre Erlebnisse.
Wenn einer besiegt und gefangen wird, muß er nicht nur dem Sieger
seine Geschichte erzählen, sondern außerdem nochmals an Arthur's
Hof. Ein solcher gefangener Ritter, der an Arthur's Hof gebracht
wird, ist Blihos Bliheris in der Elucidation; er erzählt dort von
seiner wunderbaren Herkunft. Er ist so viel und so wenig ein cojiteur,
ein fabidator wie alle andern Ritter. Nach W. (p. 291) wäre aus
dieser Umwandlung des Arthurdichters in einen Arthurritter zu schließen,
daß Bledri sehr früh gelebt hat! Um diese Ansicht aufrecht erhalten
zu können, muß sie dem Bledhericus-Passus des Giraldus Cambrensis
Gewalt antun. Giraldus sagt : qiii tempora nostra paulo praevenit.
„Kurz vor unserer Zeit" kann, wenn man natürlich spricht und
^") Vgl. Bleheris, Vater des Protagonisten im Chevalier as deus espees,
Bleheris, Turnierritter im Caradoc (Potviu v. 13945, 54), Pleherin in Eilharts
Tristan (s. Register); vielleicht auch Blaaris, ßlleul des Königs Bohort von
Gaunes in der pseudohistorischeu Merlinfortsetzung (Sommer p. 126/22;
157/40; der Druck von 1498 hat Bkris); Blihos del Cassel in demselben
Text (Sommer p. 117, 485, P. Paris RTR II 144, 145, 365; vgl. auch das
Namenregister von Wheatley's Ausgabe). Man denke auch an den Namen
Brios (im Perceval); denn vgl. Blians neben Brians (Perlesvaus p. 252).
Jessie L. Weston. Tlie legend of Sir Perceval. 155
natürlich versteht, nur bedeuten: eine Generation (oder etwas mehr)
vor der Zeit der Publikation des Buches. Auf das Alter des Giraldus
kommt es garnicht an; denn der Autor mußte sich auf den Staud-
punkte des Lesers stellen, der sein Alter nicht zu kennen brauchte.
Tempora nosira muß ungefähr die Zeit bezeichnen, in welcher die
Descriptio Cambriae erschien, d. h. wenn ich recht unterrichtet bin,
das zweite Dezennium des loten Jahrhundert's'**^). Rechnet man von
hier aus paulum rückwärts, so kommt man allerhöchstens bis zur
Mitte des 12ten Jahrhunderts. Die Blütezeit Bledris und die Ab-
fassungszeit des Gauvain mag dann noch etwas weiter zurück gehen.
W. aber sagt (p. 290): This may mean anytlmig, from a few
decades to a Century, oder sogar einfach: es may mean anything.
Wenn Giraldus zurechnungsfähig war, so kann er nicht Angaben gemacht
haben, die anytliing bedeuten konnten. Seine Angabe ist nicht genau
und sollte es auch nicht sein; aber wer sie verstehen will, kann
sie verstehen. W. meint ferner: Wenn Bledri nicht lange vor dem
12ten Jahrhundert gelebt hätte, so wäre es höchst unwahrscheinlich,
that loe should have so Utile direct testimony as to Ins eodstence
and loork, ivhile at the same time his name should he so frequently
met toith as that of a fictitious personage (als Arthurritter) (p. 291).
Ich würde meinen, die Erwähnung des Dichters Bledri in 4 Texten
und die Erhaltung eines großen Teils seiner Werke in Bearbeitungen
wäre mehr als genug. Von vielen Dichtern und Werken aus der
zweiten Hälfte des 12ten Jahrhunderts wissen wir garnichts, oder fast
nichts mehr. Auch zwingt der archaische Charakter des Gauvainromans
nicht zur Annahme einer sehr frühen Abfassungszeit; denn dieser
Roman ist ja kein Originalwerk, sondern nur eine Kompilation. Einem
Passus in Bale ist auch eine schöne Interpretation durch W. zu teil
geworden; es ist darin von einem Jllremita quidam Britannus^ cujus
ignoratur nomen, die Rede, welcher ein Werk betitelt Sanctum Graal
schrieb, uw^^^juxta Vincentium^ im Jahre 720 blülite. Bale behauptet
zwar, Fragmente des Werkes gesehen zu haben; aber, wenn er den
Anfang desselben gelesen hätte, so hätte er sich nicht auf Vincentius
Bellovacensis berufen müssen; die Angabe des letztern geht auf
Helinandus zurück; und die Autorität des Helinandus ist, wie ich in
dieser Zeitschrift XXIXi p. 108 gezeigt habe, der Galaad-Gralcyklus.
Als Autorität hätte also von W. nur der Sanctum Graal in Betracht
gezogen werden sollen. Was Bale mehr hat als Helinandus, muß ein
Zusatz sein, der wahrscheinlich von einem herrührte, der auch den
*^) Ich kann nicht begreifen, warum G. Paris {Rovi. VIII 428) bei
seiner Folgerung auf das Alter des Giraldus Rücksicht nimmt: Giraut etant
ne vers llöO^ Breri, dont il dit qui temporu nostra . . . detail ßeurir sous le regne
d^Etienne, et c'est ga7is duute peu de temps aprts, prohahleimnt entre J15U et 1110
qu'a ete covipose le poivie de Thomas.
*^) Es heilst nämlich, dafs der eremila schrieb praecipue de üluslrisslmo
Britannoruni rege Arthuro, atque ejua /ncnsa rotimda ; de Lanceloto etiam, Morgano,
156 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
Sanctum Graal, aber nur zum Teil, gelesen hatte,-^'') vielleiclit von einem
Interpolator einer Vincentiushs, oder von Bale selbst. Eine pbantastische
Ausschmückung ist wohl die Angabe, daß der Eremit inter Cambros 5f)
natus et ab ipsa infantia nutritus sei und die Astronomie und die
Geschichte der Barden studirt habe. W. findet Beziehungen zwischen
dem Einsiedler und Bleheris-BIedhericus: auch jener war mter Cambros
natus und fabidaior; darum sagt sie von dem Passus (p. 293):
it appears to offer clear evidence of the belief, on the pari ofthir-
teenth cejitury zoriters (Vincentius?), of the existence of an early
collection of Artimrian tales, and their conviction that they were
drawing uitimately upon insidar sources. Warum wollte sie nicht
den Einsiedler grade mit Bledri identifizieren? Warum mißachtete
sie die bestimmte Angabe des Chronisten und des Grand-Saint-Graal,
daß jener im Jahre 720 blühte (clandt)? Wie verlockend wäre es
doch gewesen zu zeigen, daß in Wales schon im Jahr 720 Bledris
große arthurische Compilation existiert halte! Wenn nur der leidige
Graf von Poitiers nicht wäre, der damals noch gar nicht existieren
konnte! Es ist sehr bequem, aus den Zeugnissen gerade das zu
holen, was man gut brauchen kann, und das Widersprechende zu
ignorieren 51). Nachdem sie so ihre Leser für alles empfänglich
gemacht zu haben glaubte, verkündete W., den wahren Bledri wahr-
scheinlich entdeckt zu haben; es ist ein Bischof von Llandaff; denn
(hören wir die Gründe!) er hieß auch Bledri 5-); er war auch Kymre ;
er lebte auch früh (er war Bischof von 983 bis 1023, seinem Todes-
jahr: tempora nostra paulo pripvenit konnte Giraldus im zweiten
Dezennium des zwölften Jahrhunderts wohl sagen!); und er war
— last, not least — (auch ?) 7io niean scholar (p. 294) ! Wenn
die Kritik auf diesem Wege weiter geht, so stellt es sich schließlich
heraus, daß wir die ganze ritterliche Poesie Bischöfen verdanken.
Ungefähr zur selben Zeit, als W. dem Bischof von Llandaff auf der
Spur war, fand Hagen (Kiot und Wolfram in Zs. f. d. Phil. 38),
daß der Percevaldichter „Kiot-* ein englischer Bischof war. Nächstens
wird sich wohl Chretien de Troyes als Bischof entpuppen. W.
Percevallo, Galyvano, Bertramo et aliis fortissimis hominibus. Morgano ist Wohl ver-
schrieben für Morgana; ein Beriramus ist in der ganzen arthurischen Literatur
unbekannt; ich vermute, dafs der im Lancelot eine wichtige Rolle spielende
Bertolais gemeint ist. Was der Verfasser dieses Passus kannte, war vermutlich
nur der Lancelot, jedenfalls nicht die ilueste; sonst hätte Galaad in der Liste
figurieren müssen.
*°) Dies mag sich auch auf die Angabe des Grand-Saint-Graal stützen,
dafs der Einsiedler bei Aqvl plains de Fa/ iJstoc (Variante Walestog. Walescog)
gewohnt habe.
^1) Ich habe in dieser Zet7scÄn/i! XXIX* p. 104flf eine Vermutung über
den Einsiedler ausgesprochen.
^-) W. selbst weifs aber (p. 289 n. 1), dafs der Name in Wales ver-
breitet war. Den Bischof von Llandaff hat VV. bei Loth (Mahinogion I p. 22)
gefunden, der aber nicht im entferntesten an eine Identifikation mit dem
Bledhericus des Giraldus dachte.
Jessie L. Weston. Tlie legend of Sir Perceval. 157
erinnert auch an geistliche "Würdenträger kymrischer Herkunft wie
Galfrid von Monmouth, Giraldus Cambrensis und Walter Map.
Aber diese Fälle sind doch etwas verschieden. Map war überhaupt
mehr Höfling als Geistlicher und schrieb darum auch nugae curialium\
seinen Lancelot verfaßte er jedenfalls, als er noch clerc und fröhlicher
Genosse des vergnügenliebenden Königs Heinrich H. war. Galfrid
und Giraldus aber waren nicht fabulatores ; ihre Werke waren nach
ihrer eigenen Ansicht und derjenigen der Zeitgenossen keine nugae,
sondern galten als wissenschaftlich. Warum wird Bledri von den
französischen Dichtern nicht Bischof, sondern nur maistre genannt?
Wie kann Giraldus seinen um die Wissenschaft hochverdienten
Kollegen höhnisch famosus ille fahulator nennen? Unter den Grafen
von Poitiers werden von W. nur zwei berücksichtigt, nämlich
Wilhelm VII., der Troubadour (1086 — 1126), und Wilhelm der Große
(990 — 1029). Letzterer wird, als der Zeitgenosse des Bischofs
Bledri, zunächst bevorzugt, trotzdem er, wie W. sagt fp. 294), mehr
für klassische und geistliche als für volkstümliche Literatur sich
interessiert zu haben scheint. Stellen wir uns nun einmal vor, wie
am Ende des 10. Jahrhunderts der Bischof von Llandaff mit seiner
im Auftrag des Grafen von Poitiers in lateinischen Versen verfaßten
Gauvainkompilation nach Poitiers zieht und die große Dichtung dem
Grafen vorträgt, vielleicht von Zeit zu Zeit unterbrechend: Puis
nous ferez le vin doner! Kein Wunder, daß man damals dem
Weltuntergang nahe zu sein wähnte! W. wagte es doch nicht, uns
dieses köstliche Bild vorzumalen. Im letzten Augenblick kehrt sie
um und erklärt (p. 295): On the other hand, it is also possible,
and perhaps even more probable^ that a tater Welsh bard may
have versißed traditions collected und er the auspices of the
famous bishop, and made them known (wie vorsichtig aus-
gedrückt!) to the Troubadour Count of Poitiers. So wäre denn
also der wahre Dichter ein Unbekannter; Bischof Bledri hätte ihn
mit seinem Namen verdeckt! Dies sieht aus, wie eine Anticipation
des Shakespeare- Bacon -Mythus. Mythus ists auf jeden Fall.
Schließlich gibt W. den Historikern noch den Auftrag, bei ihren
Forschungen etwas auf diesen Bischof Bledri, diesen tenth Century
Bishop Fercy (p. 329), aufzupassen. Hoffentlich geht keiner in die
Falle. Das einzige sichere Resultat, zu dem W.'s Entdeckung führt,
das sie aber ihre Voreingenommenheit nicht finden ließ, ist, daß die
große Gauvainkompilation im zweiten oder dritten Viertel des
12. Jahrhunderts enstand. Unter den Grafen von Poitiers ist nicht
nur Wilhelm der Große ganz ausgeschlossen, sondern fast sicher
auch Wilhelm VII., der Troubadour. In der genannten Periode
regierten Wilhelm VIIL (1127-1137), die beiden Gatten der
Eleonore: Ludwig VII. von Frankreich (1137 — 1152) und Heinrich
von Anjoii (1152 — 1170), König von England seit 1154, und dessen
Sohn Richard (1171 — 1196), König von England seit 1189. Unter
158 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
diesen kann wohl Ludwig nicht in Betracht kommen; denn er wäre
kaum Graf von Poitiers genannt worden. Dadurch wird fast die
ganze von G. Paris für Bledri abgegrenzte Periode ausgeschlossen.
Wenn wir das paullo möglichst weit ausdehnen, so kämen wir auf
Wilhelm VIII, der als Sohn des Troubadours und Vater der Eleonore
genügend literarische Beziehungen haben konnte, wenn er auch selbst
als Mäcen nicht nachgewiesen ist (was aber von Wilhelm dem
Großen und Wilhelm VII. auch gilt)53). Richard möchte ich nicht
ganz ausschließen, wenn gleich das Zeugnis des Thomas dann
Schwierigkeiten macht. G. Paris hob mit Recht hervor, daß letzterer
von Breri in der Vergangenheit spricht, woraus hervorginge, daß
Breri damals tot war. Für den Tristan des Thomas setzt man aber
gewöhnlich als terminus ad quem gerade das Jahr 1170 an; aber so
ganz sicher ist diese Datierung nicht. Heinrich hat gegenüber
Richard und Wilhelm den Vorzug, daß er chronologisch keine
Schwierigkeiten macht, gegenüber Wilhelm außerdem den großen Vor-
zug, daß er als Mäcen den bedeutendsten Namen hat und daß sich
Bledris Beziehungen zu ihm auf die natürlichste Weise erklären
würden. Denn Heinrich hatte schon, bevor er König von England
war, die intimsten Beziehungen zu Großbritannien; war er doch der
Enkel König Heinrichs I. und Prätendent auf den Thron. An seinen
Hof in Poitiers werden sich die Gegner König Stephans oft genug
zurückgezogen haben, und er wird sich Mühe gegeben haben, sich
in England populär zu machen. Mag er sich nicht zu diesem Zweck
auch anglonormannischer Trouveres und Jongleurs bedient haben?
Aber wie sollte der Kymre Bledri gerade von Wilhelm von Poitiers
fiinen Auftrag bekommen haben? Hier fehlen alle Zwischenglieder.
Wenn wir uns für Heinrich entscheiden, so werden wir wohl die
Zeit von 1154 — 1170, während welcher er König von England war,
ausschließen müssen; es bleiben dann nur noch die Jahre 1152 — 1154
übrig, die sich aber gewiß als Abfassungszeit von Bledris Gauvain
in jeder Beziehung gut eignen. Dieses Resultat ist nun allerdings
nicht so revolutionär wie dasjenige, zu dem W. gelangt ist. s-i)
Über das Alter der Quellen von Bledris Kompilation läßt sich
gar nichts sagen. Das Werk ist, wie W. richtig sagte (z. B. p. 251),
not one story, wliich must, loe feel, end in one particalar way,
but a coUection of independent episodic poems, connected only by
the personality of the hero. Dieser Gauvainroman ist der älteste
^^') Es ist bezeichnend, dafs W. ein Jahr vor dem Erscheinen ihrer
Percevalstudien für Wilhelhm VIII. eintrat und in Bezug auf Bledri sagte:
/ do not think we can fairly date him later than the ßrst half of the twelflh Century
{Romania 34, p. l02). Damals war der Bischof von Llandafif noch nicht
entdeckt.
**) Loudun ist nicht weit von Poitiers entfernt, so dafs es wohl
möglich ist, dafs eil de Lodun, der Jongleur, welcher das von Gaucher be-
nutzte Manuskript schrieb, Bledris Werk in Poitiers von Heinrich selbst
^ur Benutzung erhielt.
Jessie L. Weslon. The legend of Sir Perceval. 159
der direkt erschließbaren, man möclite fast sagen der erhaltenen
Romane. Seine Enstehung ist noch klar ersichtlich: die einzelnen
Erzählungen (Lais und auch schon kleinere Romane) sind einfach an ein-
ander gereiht worden. Der Chastel-Merveillous-Koraplex anderseits
entstand durch Ineinanderschachteln einzelner unabhängiger Erzählungen.
Ich habe schon vor 10 Jahren auf diese Entstehung der Romane „durch
Aneinanderreihen oder Ineinanderschachteln von Lais" hingewiesen
(in dieser Zeitschrift XX ^ p, 150 f). Ich hatte, indem ich das
schrieb, speziell die Gauvainkomplexe des Perceval im Auge und war
überhaupt von der frühen Existenz eines großen Gauvainromans oder
mehrerer solcher schon längst überzeugt, und habe darum auch schon
damals die Wiclitigkeit Gauvains betont. W. hat in einer Anmerkung
zu ihrer Legend of Sir Lancelot meine Theorie von der Entstehung
der Arthurromane, die sie automatisch nannte (warum, ist mir nicht
klar), von sich gewiesen. Will sie dies auch jetzt noch tun, nach-
dem sie die Art der Komposition von Bledris Roman erkannt hat?
W. ist bei ihrem heiligen Respekt für die Eigennamen und ihrem
Glauben an die Beständigkeit derselben natürlich der Ansicht, daß
die einzelnen Erzählungen des Gauvainromans von Anfang an mit
Gauvain verknüpft waren. Ich glaube, daß Gauvain in den meisten,
wenn nicht in allen unursprünglich ist, und, wie ich schon 1. c. sagte,
erst unter dem Einfluß von Galfrids Historia eingeführt wurde. Bei W's
Datierung von Bledris Kompilation ist letzteres natürlich nicht möglich.
Ich glaube jetzt sogar, daß erst der Kompilator Bledri Gauvain
in die einzelnen Erzählungen eingeführt hat. Diese haben inhaltlich
nicht die geringsten Beziehungen zu einander, so daß anzunehmen
ist, daß sie einander ursprünglich garnichts angingen. Greifen wir
aber Sagenhelden wie Achilleus, Dietrich, Cuchulinn etc. heraus, so
sehen wir, daß die einzelnen ihnen gewidmeten Erzählungen im großen
Ganzen zu einander passen, indem eben die spätem immer auf die
frühern Rücksicht nehmen. Was immer die ursprüngliche Gauvain-
sage war, ich glaube nicht, daß uns in den arthurischen Erzählungen,
deren Held er ist, viel, wenn überhaupt etwas, davon erhalten ist.
Wer die ursprünglichen Helden derselben waren, läßt sich nicht
mehr bestimmen. Es ist wohl möglich, daß in manchen von ihnen
der Held nicht mit Namen genannt wurde, was ja in alten Märchen
häufig genug der Fall ist. Gauvain hatte ursprünglich keine Geschwister
und keine Kinder, Später erhielt er beides und zwar zunächst einen
Sohn und einen Bruder. Der Guinglaiuroman war ursprünglich
selbstständig. Die in ilim verwendete Erzählungsformel postuherte
für den Helden einen berühmten Vater. In der Zeit als Gauvain
als der berühmteste Held galt, wurde er wohl in die kurze VateiToUe
eingesetzt; dies konnte um so eher geschehen, als Gauvain in einer
anderen Erzählung (Brandeiis) der Vater eines Knaben war. Gahariet-
Guerehet hatte ursprünglich einen Roman oder mehrere Romane für
sich. Er galt wohl schon da als Arthurs Schwestersohn. Diese Art
160 Referate und Rezensionen. E. Brugger.
der Verwandtscliaft des Helden mit dem Landesfürsten ist einer
sehr großen Zahl von Erzählungen aller Völker eigen und weist auf
eine Zeit zurück, in welcher noch das Mutterrecht galt (vgl. z. B.
Potter, Sohrab and Rüstern: Grimm Library XIV; in der
französischen Karlssage Aiol und Roland, in der spanischen
Bernardo de Carpio). Bei der Arthurisierung der Lais wurde
nun immer Arthur in die Kolle des (ursprünglich gewöhnlich
ungenannten) Landesfürsten eingesetzt und wurde so aller Welts
Onkel. Auch Gauvain wurde vermutlich auf diese Weise Arthurs
Schwestersohn. Die Lais- oder Romandichter, welche Galfrids
Historia kannten, die Arthur nur eine Schwester, dieser nur
einen Sohn gab, hatten die Wahl, ihrem Helden, wenn er
Arthurs Schwestersohn sein sollte, entweder eine andere Schwester
Arthurs zur Mutter zu geben, oder ihn zum zweiten Sohn der
einen Schwester zu machen. Auf diese Weise dürfte Gahariet-Gueheret
Gauvains Bruder geworden sein^^). Es ist wohl möglich, daß schon
Bledri die Guinglain- und Gahariet-Guerehet- Erzählungen in seine
Kompilation aufnahm, nachdem ihre Helden zu Verwandten Gauvains
gemacht worden waren. Der Gauvainroman, der Türlins Crone zu
Grunde lag, enthält noch keine andern als Gauvaiuerzählungen.
Diese Kompilation ist eine der interessantesten; sie war es vielleicht,
aus der der Chastel-Merveillous-Komplex stammte (falls die darin
enthaltene Version der betreffenden Abenteuer sich als ursprünglich
erweist). Durch Gauvains Stellung in diesen alten Kompilationen
erklärt sich die Tatsache, daß er auch in den spätem Romanen noch
immer dem Protagonisten gleich gestellt wird.
In den Kapiteln XIH und XIV werden noch die ^ran/an^episode
und der Carac?oskomplex untersucht. Beide werden als Interpolationen,
sei es in Gauchers Text sei es in seine Quelle, erklärt. Die Branlatit-
episode halte ich für einen alten Bestandteil von Bledris Kompilation;
sie ist ein Gauvain -Abenteuer und ist den echten Abenteuern des
Chastel-Orgueillous- Komplexes in Bezug auf Styl ähnlich (vgl. dazu
noch die Anrede Saignor W. p. 300); es werden keine triftigen Gründe
gegen die Echtheit der Episode ins Feld geführt. Die auffällige
Charakteristik Keu's hat in Wolfram's Parzival und nur hier ihr
Pendant (W. p. 300). Dies dürfte dafür sprechen, daß die Branlant-
^^) Bei Wolfram erscheinen neben Beacurs auch Gaherjet und Garel; nur
der erstere ist Gauvains Bruder; aber die letzteren (wenigstens Gaherjet)
sind doch auch Arthurs Schwestersöhne; vgl. Parzival Xlll 1140, XIV 1382 ff.).
Modred ist schon bei Galfrid Gauvains Bruder. Diese Verwandtschaft ergab
sich wohl dadurch, dafs sowohl Gauvain wie Modred, unabhängig von ein-
ander, mit dem Piktenfürsten Lot in nähere Beziehungen gebracht wurden.
Die französischen Romane, die nicht Bearbeitungen von Galfrids Historia
sind, scheinen dieses Verhältnis nicht zu kennen. Modred wird ein einziges
Mal erwähnt (im Bei Desconiu v. 5474), als König (was Galfrid widerspricht?),
allerdings unmittelbar nach Gauvain, aber nicht als sein Bruder; er hat
vielmehr Segrantes zum Bruder.
Jessie L. Weston, The legend of Sir Perceval. 161
episode auch schon in Guiots und Chretiens gemeinsamer Quelle
vorhanden war. Die Branlant- Episode und die Brandelis-Episode
hätten unabhängig von einander erklärt werden sollen. Nach meiner
Ansicht ist der die beiden Episoden verbindende Passus eine Inter-
polation, auf Erfindung beruhend (mit Benutzung eines bekannten
Motivs). Den Caradockomplex halte auch ich für eine Interpolation,
die aber schon in Gauchers Quelle vorhanden war. Die Helden dieses
Komplexes, Caradoc und Cador, werden auch in der Beschreibung
des Turniers von Chastel Orgueillous erwähnt (W. p. 268). Es ist
möglich, daß, wie W. (p. 317) meint, der Caradockomplex an Stelle
einer Episode wie der in Syr Gawayne and tlie Grene Knyglite
geschilderten gesetzt wurde; es kann aber auch sein, daß Caradoc
als „Neffe" Arthurs, folglich als Verwandter Gauvains, in die große
Kompilation aufgenommen wurde.
Das Schlußkapitel XV bringt ein Resume mit Stammbaum;
auch wird der Versuch gemacht, die Grallegende aus dem Folklore
abzuleiten; sie soll in altheidnischen religiösen Gebräuchen wurzeln.
Der Namenindex am Schluß mag gute Dienste leisten, scheint aber,
nach Stichproben zu schließen, nicht vollständig zu sein. Eine
Bibliographie wäre ge\Yiß vielen Lesern auch angenehm gewesen.
Besonders amerikanische und französische Gelehrte haben uns in
dieser Beziehung verwöhnt; auch einzelne Bände der Grimm Library
bieten diese Annehmlichkeit, die darum in "W's Werken um so mehr
vermißt wird. Sic hätte aus Panzers Bibliographie zu Wolfram von
Eschenbach (1897) das wichtigste ausziehen und das seither erschienene
liinzufügen können. Diesem Mangel könnte im zweiten Band noch
abgeholfen werden. Recht unangenehm ist die häufige Unvollständigkeit
der Zitate. So wird p. 84 in einer Weise auf Löseths Tristan
verwiesen, daß trotz dem Index dieses Werkes die Auffindung des
betr. Passus Mühe macht 56); p. 156 wird wohl erwähnt, was die
Hs. von Mons an Stelle von a Fescans hat; aber da die Verszahl
von Potvins Ausgabe nicht augegeben wird, kann der Leser Stunden
lang suchen; p, 179 wird der Name Chastel de la Merveiiie aus
dem Livre Artus [sie!], B. N. 337, zitiert; der Leser kann nun
Freymonds Analyse (die übrigens nicht erwähnt wird) ganz durchlesen;
p. 261 wird einfach eine Suggestion Dr. Nitzes erwähnt; der betr.
Gelehrte hat schon verschiedene Arbeiten geschrieben; von W. erfährt
man weder Titel noch Seitenzahl, Dies ist etwas rücksichtslos.
W. begibt sich selten auf linguistisches Gebiet; wenn sie's tut,
ohne (ilück. So verwendet sie zur Beantwortung literarhistorischer
Fragen den Unterschied zwischen Bei- Repaire und Biau-Repaire.
Sie will wissen, daß Guiot und Gerbert Bei Repaire schrieben,
56) Ich bezweifle übrigens die Richtigkeit der betr. Bemerkung W's;
es handelt sich doch nicht blofs um ein Manuskript. Der betr. Abschnitt
des Tristan stammt übrigens aus dem Gralcyklus (Lancelot).
Ztschr. f. frz. Spr. u. I.itt. XXXI«. H
162 Referate und Rezensionen. W. Golther.
Chretien dagegen Biau-Repaire {]). 121)! Gauebers Guinglain,
genannt Li Biax Desconeus, soll mit der englischen Version dieses
Romans übereinstimmen. Die französiscbe habe Inconnu (p. 250)!
Dies ist doch kein altfranzösisches Wort; es rührt nur vom Heraus-
geber her. Sie scheint den Text noch nie gelesen zu haben. In
dem von W. (p. 195) gedichteten Vers 7ie nui ocis en traison fehlt
n' vor ocis. Die Phonetik, welche the softening of s into o before
(the second) h lehrt, hat noch einen recht archaischen Charakter.
Darum wird man auch in le noiivel loi (p. 118), Livre Artus (p. 179),
le Biax Mauvais und le biaus coart (p. 261, ersteres auch p. 259)
nicht ohne weiteres Druckfehler erblicken dürfen. Humbert (p. 286
und 316) steht für Bunbaiä; p. 280 wurde durch Konfusion mit
einem andern Abenteuer des Lanzelet Chastel Limors für Chastel
Le Mort geschrieben. Glücklicherweise wurden die zahlreichen Zitate
aus Manuskripten teils von P. Meyer kopiert teils von Bedier
revidiert (p. XXV).
Trotz nicht wenigen Fehlern und Mängeln, großen und kleinen,
ist W's Buch eine sehr anerkennenswerte Leistung. Es zieht ein
frischer Wind durch dasselbe. W. packt die wichtigsten Probleme,
die bisher meist liegen gelassen wurden, keck an, und betrachtet
dieselben, wie auch die Details, von einer höhern Warte aus, als es
bisher geschah. Wir können daher dem zweiten Teil ihres Werkes
mit Spannung entgegensehen.
Zürich. E. Brugger.
Kristian von Troyes, Yvain. Textausgabe mit Einleitung, er-
klärenden Anmerkungen und vollständigem Glossar, heraus-
gegeben von W. Foerster. Dritte vermehrte Auflage
(Roman. Bibl. Nr. 5). Halle, Niemeyer 1906. LXIV,
275 S. 80. Preis: 6 M.
Die dritte Auflage bietet im Vergleich zur zweiten (vgl. Zeit-
schrift 252 S. 138 ff.) nur wenig Veränderungen. Der Text ist von
einigen Druckfehlern gesäubert, das Wörterbuch in Kleinigkeiten ver-
bessert. Die Anmerkungen sind aber erheblich erweitert. Die vorige
Auflage enthielt nur textkritische Anmerkungen, die neue außerdem
noch erklärende „die alles, was dem Anfänger, der die historische
französische und insonderheit die altfranzösische Laut- und Formeu-
lehre durchgenommen hat, Schwierigkeiten bereiten kann, in größter
Knappheit behandeln." Diese Zugabe ist ,.aus der Praxis für die
Praxis hervorgewachsen" und erhöht die Brauchbarkeit der aus-
gezeichneten Handausgabe. In der Einleitung wahrt Foerster voll-
kommen seinen Standpunkt. Vermehrt sind S. XXVI ff. die Zeugnisse
Joachim Reinliold. Floire et ßlanclieflor. 163
über die Quelle von Berenton. Ferner kam S. XLIX ff. eine An-
merkung hinzu, worin Foerster Browns Ivainstudien (vgl, Zeitschrift
28 2 s. 34 ff.) zurückweist und eine eingehende Erörterung in der
Zeitschrift für romanische Philologie verheißt.
Rostock. W. Golther.
Reinhold, Joachim. Floire et Blancheflor, etude de litterature
comparee. Paris, Larose-Geuthner 1906. 176 S. 8°.
Reinhold gelangt zu drei neuen Ergebnissen : er bringt die ver-
schiedenen Texte und Übersetzungen der ersten Fassung („version
aristo er atique'^) zu einander ins richtige Verhältnis, er leitet die
zweite Fassung (,,version populaire'-^) aus der ersten ab, er sucht
die Quellen der Geschichte von Floire und Blancheflor zu bestimmen.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die mit verlorenen Vorlagen und
Zwischenstufen der überlieferten Texte rechneten, erkennt Reinhold
in den Quellen selber die Entwicklungsgeschichte des Romans. Ich
bin durchaus derselben Meinung wie Reinhold, daß auf dem Gebiete
der mittelalterlichen Literatur- und Sagenforschung die „verlorenen^
Bearbeitungen eine viel zu große Rolle spielen. Die Entwicklung
vollzieht sich in der Regel unmittelbar in den Denkmälern vor unsern
Augen, keineswegs in geheimnisvollem Halbdunkel hinter ihnen. Jede
Arbeit die diesen Grundsatz verständig und sachlich durchführt,
begrüße ich mit besonderer Freude. Ein verlorener Text darf immer
nur aus zwingenden Gründen, unsre letzte Zuflucht, nicht aber wie
gewöhnlich eine nächstbeste bequeme Ausflucht sein. Der erste Teil
der Arbeit, der die Untersuchungen von Sundmacher, Herzog, Hausknecht
ergänzt und berichtigt und S. 75 die französischen und fremden Texte
iü einem übersichtlichen Stammbaum vereinigt, darf wohl als sicheres
Ergebnis betrachtet werden. Die Handschrift B, die du Meril ver-
nachlässigt, bringt Reinhold mit mehreren wichtigen ja entscheidenden
Lesarten zur gehörigen Geltung. Über das Verhältnis der ersten und
zweiten Fassung war man sich bisher nicht klar. Reinhold meint :
„la Version populaire n'est qu'un remaniement executS de memoire
d apres la premiere version.'-'- Damit erledigt sich die Annahme,
daß die zweite Fassung, die mit der ersten aus einer verlorenen
gemeinsamen Urquelle abstammen sollte, gelegentlich ältere Züge
bewahrt habe. Reinhold kann freilich nur einen Wahrscheinlichkeits-
beweis erbringen, dadurch daß die Beschait'enheit der zweiten Wendung
sich auf diese Art zwanglos erklären läßt. Der Verfasser sei ver-
mutlich ein Spielmann gewesen, der für die Pilger nach San Jago
di Compostella die Geschichte von Floire und Blancheflor zurecht
machte. „Ce qui est pourtant incontestable, cest quil ne connait
en dehors de la version aristocratique aucune autre redaction de
11*
164 Referate und Rezensionen. W. Goltlier.
Floire et ßlancJieflor et qu'il travaille de memoire, soit apres avoir
eniendu raconter lliistoire de nos Mros, soit apres avoir lu lui-
meme nn nianuscrit de notre poeme, ce qui est plus probable; en
tont cas, au moment oii il ^crit son poeme, le poete ne dispose
2Jlus d'aucun texte auquel il pourrait recourir'-'- (S. 118).
Als Quelle wurde bisher ein byzantinischer Roman oder ein
arabisches Märchen angenommen. Reinhold setzt dafür wirkliche
literarische Vorlagen ein: die Geschichte von Amor und Psyche, das
Buch Esther und Apolonius von Tyrus, also lauter allbekannte und
vielgelesene Werke, während weder der byzantinische Floreroman
noch das arabische Märchen nachweisbar sind. Amor und Psyche
ergab die Grundzüge der ganzen Handlung (vgl. S. I5l ff.), wobei nur
ein Rollentausch stattfand, indem Flore die Geliebte aufsucht,
während in der Quelle Psyche ihrem verschwundenen Freund nach-
zieht. Die Schilderung des Harems leitet Reinhold aus dem Buch
Esther ab (vgl. S. 160 f.), für das Kenotaph der Blancheflor verweist
er auf den Apoloniusroman (S. 163). Ein sicherer Beweis ist auch
hier kaum möglich, aber die Übereinstimmung des Floreromans mit
diesen tatsächlich vorhandenen Vorlagen ist zweifellos größer als die
mit den mühsam zusammengesuchten Einzelheiten arabischer Märchen
oder byzantinischer Romane. Darnach wäre Floire und Blancheflor
eine durchaus bewußte literarische Schöpfung eines wohl belesenen
französischen Dichters. Sein Werk ist eben die erste und ursprüngliche
Fassung, die „version aristo er atique'' , deren Umarbeitung in der
zweiten Fassung, der „version populaire^' vorliegt.
Rostock. W. Golther.
Roiiianisclie Meistererzähler herausg. von F. S. Krauss.
n. Romanische Schelmenromane deutsch von Jacob Ulrich,
Leipzig, deutsche Verlagsaktieugesellschaft 1905 XLIII,
235 S. 80.
HI. Crebillon der Jüngere das Spiel des Zufalls am Kamin-
feuer, deutsch von K. Brandt, ebda 1905 X, 83 S. 8°.
IV. Die Schioänke und Schnurren des Florentiners Gian-Fran-
cesco Poggio Bracciolini, deutsch von Alfred Semerau,
ebda 1905 244 S. 8 o.
Die drei vorliegenden Bände der Romanischen Meistererzähler
(vgl, Zeltschrift 28 S. 172) enthalten solche Denkmäler, die um
der galanten Stellen willen nur als Privatdrucke, nicht öffentlich im
Buchhandel ausgegeben werden. J. Ulrich bietet sehr geschickt und
anschaulich die Geschichte des Schelmenromans in Beispielen, Die
Einleitung greift auf indische Erzählungen (der geprellte Brahraane,
der Weber als Wischnu), auf Herodot (Schatz des Rhampsenit) und
Frangois Rabelais. 165
Homer (Polyphem) zurück und führt über türkische und sizilianische
Schwanke zum ersten französischen Schelmenroman des 13. Jahrb.,
zum Truhert des Douin de Laverne, worin ein Märchen durch aller-
lei rohe und gemeine Szenen erweitert wurde. Dann folgen kürzere
französische und italienische Schwanke (Barat und Haimet, Boivin von
Provins, der Metzger von Abbeville, die drei Blinden von Compiegne,
der Bauer von Bailleul, der Schatz von Venedig, der Dieb von
Perugia usw.), endlich die Grundlage des picaresken Romans, der
1554 erschienene Lazarillo de Torraes. So gewährt der Band ein
vielseitiges, unterhaltendes, literar- u. kulturgeschichtlich anziehendes
Bild. Der Schatz von Venedig (S. 102 ff) enthält u. a. die Episode,
die auch in Eilharts Tristan bei der Geschichte mit der Sensenfalle
vorkommt, worüber Huet, Eomania 36, S. 50ff zu vergleichen ist.
Semer au übersetzt Poggios 273 Schwanke und Schnurren und
umrahmt sie mit lehrreichen Einleitungen und Anmerkungen. Zu-
nächst werden wir über Poggio selber und die Entstehung, Verbreitung
und Wirkung der Schwanksammlung belehrt. Die 66. Facetia wird
im lateinischen Text und in Jakob Freys deutscher (1556) und
Tardifs französischer (1480) Bearbeitung mitgeteilt. Die Anmerkungen
unterrichten über die in den Facetien genannten Personen, die
literarischen Nachweise geben die entsprechenden weiteren Belege zu
den einzelnen Geschichten. So ist ausreichend für das Verständnis
des Werkes und seine volkskundliche Verwertung gesorgt.
K. Brandt verdeutscht Crebillous „le hasard an coin du
few' = das Spiel des Zufalls am Kaminfeuer, jene geistreiche
Causerie, worin zwei hochstehende Damen mit einem Herzog sich
unterhalten. Dabei entrollt sich ein Bild der Hofgesellschaft zur
Zeit Ludwigs XV.
Rostock i. M. Wolfgang Golther.
Des Fran^ois Rabelais weiland Arznei-Doktors und Pfarrers zu
Meudon Gargantua. Verdeutscht von Engelbert Hegaur
und Dr. Owlgass. Verlegt bei Albert Langen. München 1905.
Des Fran^ois Rabelais Pantagruel. Erstes Buch. Verdeutscht
von demselben. Verlegt ebendaselbst 1907.
Welcher Kenner liebt ihn nicht, den „archibeaic sacrosancte
et immense Rabelais'-^ den trotz allen Rauhreifs des Alters innerlich
junggebliebenen Meister des echten Welthumors! Trotz aller seiner
Stillosigkeit und grotesken Übertreibung, trotz seiner sprunghalt
episodischen Manier und allen Mangels eines festen Gerüstes und
künstlerischer Oekonomie, trotz aller bizarren Subjektivität des Aus-
drucks und der unserem Goschmacke widerstrebenden, virtuosenhaften
Wortspielcreicn haben ihm doch die Jahre nichts anhaben können,
weil nur das Gcfallsamo, Förderliche von der Zeit überflutet wird,
166 Referate und Rezensionen. Joseph Frank.
alles Schöpferische aber mächtig über die Gewässer der Jahrhunderte
hinausragt. Denn in Rabelais' von sinnhcher Kraft der Anschauung,
ungestümer Leidenschaft des Ausdrucks und machtvoller Phantasie
erfüllten Sprache wogt und sprudelt es von elementaren Empfindungen
uud Gedanken, von einer Springflut von Bildern, aus deren anscheinend
wirrem Durcheinander sich doch immer organisches Leben losringt.
Wenn auch die sich stoßenden und überstürzenden Sätze in freiem
Aufbau und loser Verknüpfung zuweilen sich aufeinander türmen „wie ein
Haufen Austernschalen", so fehlt es doch nirgends an dem einigenden
Bande der Idee, denn Rabelais' durch die zünftigen Regeln noch
ungebrochene Schriftstellernatur sucht mehr ethische Wahrheiten als
äußeren Glanz und Feinheit des Ausdrucks und man kann ihm nach-
rühmen, daß er über seine Zeit weit hinausblickeud ewige sittliche
Werte geprägt hat. Er ist nicht nur ein geschworener Feind aller
Pedanterie, ein Zopfabschneider und Perrückenausstäuber sondergleichen,
er ist auch einer der großen Revolutionäre des Gedankens, die den
Zaun zu brechen sich vornahmen, den Vorurteile und Dogmen um
den Baum der menschlichen Erkenntnis gezogen haben. Es hat den
Wert seines Werkes nicht wesentlich beeinträchtigt, daß er dabei
notgedrungen das schwarze Predigerbarett oft mit der scheckigen
Schalkskappe vertauschte, ja nicht einmal, daß er allenthalben einer
derben Sinnlichkeit die Zügel schießen ließ. Denn diese hat nichts
an sich von krankhafter Lüsternheit, mit der die berechnende Gemeinheit
moderner Schriftsteller auf die Gemeinheit ihrer Leser zu spekulieren
pflegt. Meister Franz Rabelais versteht es vielmehr auch das
geschlechtlich Sinnliche in die Höhe des unendlichen Weltzusammenhangs
hinaufzurücken, ohne eine trockene Lehrhaftigkeit in ungelöstem
Zwiespalt gegenüberzustellen. Mit allem versöhnt sein sieghaft durch-
brechender Humor, der sich das Herz nicht erkälten und den Blick
nicht trüben läßt, und hinter dessen grimmigen Ein- und Ausfällen
ein frommes und fröhliches Gemüt sich verbirgt; der ihn weinend
lachen und zornig lustig spotten läßt über diese Welt, in der überall
etwas lottert und schlottert, ohne daß man darum gleich folgern
muß, es sei alles nichts.
Jeder Sachkundige weiß nun, welche ganz außerordentliche
Schwierigkeiten Rabelais dem Übersetzer entgegengestellt. Wenn
es schon im allgemeinen zugegeben werden kann, daß die Lektüre
eines Originalwerks sich zum Lesen der Übersetzung so verhält wie
eine wirkliche Reise in fremde Länder zum Studium der Reise-
beschreibung, so gilt dies ganz besonders im vorliegenden Falle.
Hier liegt die Gefahr besonders nahe, daß die Übersetzung eine
Versündigung gegen den Geist zweier Sprachen bedeute und Vauquelin
Recht behalte:
Qui veut trop curienx une langue iraduire
Vcut la langue estrangere et La sienne destruire!
Maurice Masson. Fhielon et madame Guyon. 167
Selbst im Falle des Gelingens wird man man mit Montesquieu
sagen müssen: „Die Übersetzungen gleichen den Kupfermünzen, die
zwar mit den goldenen Sorten einen gleichen Stempel führen und
den gemeinen Leuten einen guten Nutzen schaffen, sie bleiben aber
doch alle Zeit von schlechtem Schrot und Korn!" Unter diesen
Einschränkungen kann man zugeben, daß unsere Übersetzer ihre
Aufgabe ziemlich gut gelöst haben. Auch mit den vorgenommenen
Kürzungen kann man sich im ganzen einverstanden erklären und
zugeben, daß diese zugestutzte Form nicht einem Prokrustesbette
gleiche, in dem dem Autor nicht nur die allzulangen Beine, sondern
auch zuweilen der Kopf abgeschnitten wurde. Nur selten erscheint
auch manche goldene Rücksichtslosigkeit in ihrer frischen Gewitter Wirkung
ermattet. Der wahre Rabelaisverehrer wird freilich manches schmerzlich
vermissen und auf das Original zurückgreifend es so machen wie
mit den Kirschenkörben der Frau von Sevigne: erst nahm man die
besten, dann wieder die besten und zuletzt alle! So wahr es ist,
daß das Stachelgitter eines langatmigen Kommentars manchen Lese-
lustigen vom Eintritte in das Werk abzuhalten geeignet wäre, wird
man es doch verheben müssen, daß der auch in dieser Verdeutschung
oft noch sehr erklärungsbedürftige Autor ohne jede erläuternde Anmerkung
geblieben ist. Und so wollen wir schließlich der Hoffnung der
Übersetzer nicht widersprechen, „daß ihre chirurgischen und ortho-
pädischen Bestrebungen nicht auf das bekannte Resultat hinauslaufen:
„Operation glänzend gelungen; Patient tot", sondern daß sie „dem
Humanisten- und Scholastikerzöpflein etwas an die Haare" gegangen,
ohne „eine Kastration in majorem philisterii gloriam vorzunehmen".
Die äußere Ausstattung der beiden Bändchen ist eine vorzügliche.
WiEN-HiETziNG. Josef Frank.
Masson, Maurice. Fenelon et madame Guyon, documents
nouveaux et inedits. Paris, lib. Hachette. 1907. XCV
et 379 pages.
En 1768, un pietiste vaudois, Dutoit, i) avait publie, ä la suite
d'une seconde edition des Lettres chretiennes et spirituelles de madame
Guyon, un volume complementaire qui contenait entre autres "la
Correspondance secrete de M. de Fenelon avec l'auteur" : c'est ä dire
une centaine de lettres de madame Guyon, et trente-huit de Fenelon,
inedites ; le tont etant donne, ä ce qu'il semble, non pas d'apres les
originaux, mais d'apres des cahiers de copies „La Providence a permis,
disait Dutoit, que le manuscrit authentique nous soit tombe entre
les mains. Elle y a meme concouru par ce qu'on pourrait appeler
un tissu de miracles."
^) Sur ce personnage, on peut lire le livre de M. Jules Chavannes:
Uutoit, sa w'e, son caractere et ses doclrines, Lausanne, 1865. 362 pageS.
168 Referate und Rezensionen. Eughie Ritter.
Cette publication, faite en province, et destinee par l'editeur
ä redification d'un petit groiipe de pictistes, n'attira l'attention de
personne, ä cctte epoque.
Soixante ans plus tard, M. Fabbe Gosselin, — dont les
Souvenirs cCenfance et de jeunesse, de Renan, ont fait revivre la
figure line et sympathique, — ayant donne une cdition nouvelle et
tres augmentee de la Correspondance de Fcnelon, il ne voulut pas
y faire entrer les lettres que Dutoit avait mises au jour; il les jugeait
"manifestement supposees, en tout ou en partie.,,
II y a quinze ans, ayant eu l'occasion de faire quelques
recberches sur le sejour de madame Guyon dans le diocese de
Geueve,'-) je dus lire les documents mis au jour par Dutoit; et
rauthenticite des lettres de Fenelon m'apparut evidente. Je crus
bien faire en reimprimant ces lettres dans la Revue de l' enseignement
(juillet et septembre 1892) avec quelques pages d'avaut-propos, oü
j'essayais de refuter les arguments sur lesquels M. Gosselin s'etait
appuye pour les declarer inauthentiques. J'esperais que cette publication
attirerait l'attention : eile ne fit pas plus de bruit qu'une prune qui
tombe de l'arbre dans la mousse; et seul, le regrette M. Brunetiere,
dans l'article Fenelon de la Grande Encyclopedie, en a fait niention,
en disant que l'authenticite de ces lettres, sans etre tout ä fait
prouvee, lui paraissait infiuiment probable.
Les eboses en etaient lä quand, il y a deux ans, M, Maurice
Massen aj'ant fait ä l'üniversite de Fribourg en Suisse un cours sur
Fenelon, eut l'occasion de lire ä son tour les lettres en question : lui
aussi, il les jugea anthentiques. II entreprit alors de les comparer
attentivement avec les autres parties, incontestees, de la Correspondance
de Fenelon; il a reussi ä etablir qu'il y a, entre les unes et les
autres, une evidente parente, parfois meme une presque identite de
pensee et d'expression. L'etude des manuscrits conserves dans les
seminaires de Saint- Suli)ice et de Versailles, lui procura aussi
quelques arguments en faveur de sa tbese, qu'il a developpee dans
riutroduction qui est en tete de son livre. Celui-ci contient toutes
les lettres echangees entre madame Guyon et Fenelon; leurs dates
s'echelonnent depuis les dernieres semaines de 1688 jusqu'ä la fin
de 1689 : ce n'est evidemment qu'un debris, seul conserve, d'une
correspondance qui a du etre bien plus longue et plus ample.
A vrai dire, ce n'est pas dans ces lettres que les deux
correspondants se presentent au lecteur sous leur plus beau jour.
Fenelon y parait soucieux; et madame Guyon, fatigante dans son
role de precheuse. On sait oü trouver les belles pages de Fenelon.
Quant ä maclame Guyon, les meilleures qu'elle ait ecrites sont eparses
2) it/me Guyon et Geneve, danS les Etrennes chredennes, Geneve, 1891. —
M>ne Guyon et le pere Lacomhe, dans la Beime savoisienne, Annecy, 1893.
Philippe Godet. Madame de Charriere et ses amis. 169
dans son autobiographie, dans le livre des Torrents, 3) et dans quelques-
unes des autres lettres qu'on a d'elle : celle, par exemple, qui est
adressee ä M. Monod, ä Morges. C'est lä ce qu'il faut lirc, pour
saisir quelque reflet encore visible de l'attrait personnel quelle a
possede ä un si haut degre.
Eugene Ritter.
Godet, Pllilipi)e. Madame de Charriere et ses amis, d' apres
de nomhreux documents inedits (1740 — 1805) avec
portraiis, vues, autographes, etc. Geneve, lib. A. JuUien.
1906, grand in 8^. Tome premier. XIII et 519 pages.
Tome second. 448 pages.
Habent sua fata libelli. La destinee des romans de madame
de Charriere nous fait toucher au doigt la verite de ce vieux proverbe.
Ils avaient eu la plupart plusieurs editions, de 1784 ä 1808;
ils avaient ete favorablement apprecies par d'excellents juges : Meister,
dans la Correspondance litieraire; madame de Stael; mademoiselle
Pauline de Meulan, dans le Puhliciste, cet excellent Journal des
premieres annees du 19^ siecle. Mais bientot apres la mort de
madame de Charriere, on cessa de reimprimer ses oeuvres; et Foubli
allait venir, quand une chance heureuse amena un sauveur, qui
coiijura le mauvais sort.
On connait le concours de circonstances, i) qui amena Sainte-
Beuve ä faire un long sejour ä Lausanne, pendant Thiver de 1837
ä 1838. II avait dejä lu Caliste; il entendit parier de Tauteur par
des vieillards qui l'avaient connue; il put etudier sa vie, et il lui fit
une place dans la galerie des Portraits de femmes (article de
la Revue des denx rnondes, 15 mars 1839). En 1844, avec la
collaboration d'un erudit neuchätelois, M. Gaullieur, ilpubliad'aboudants
extraits de sa correspondance avec Benjamin Constant. En 1845
enfin, il donna une nouvelle editiou de Caliste. Sainte-Beuve a
rendu ainsi a madame de Charriere le raeme service qu'ä Vinet et
ä Töpffer : tous trois lui doivent leur entree dans la notoriete
definitive.
A vrai dire, la notice biographique si gracieusement ecrite par
Sainte-Beuve n'etait qu'une legere esquisse; la vie de madame de
Charriere, assez vide d'evenements, mais tres riebe de pensees,
d'experiences et de sentiments, appelait de nouvelles recherches, et
demandait un long expose. Un litterateur neuchätelois, M. Charles
Berthoud, s'etait proposc cette täche, et l'avait ebauchce, ä un moment
3) Michelet a donne de cet ouvrage une analyse emue et sympathique
dans son livre: le Pretre, la femvie et la famiUe, 1845; prämiere partie,
chapitre 7«.
^) On peut lire ä ce sujet le volume de M. Seche: Correspondance
inedite de Sainte-Beuve avec M. et J/'»« Juste Olivier. Paris, 1904.
170 Referate und Rezensionen. Eugene Ritter.
oü dejä la vieillesse etait arrivee pour lui. Le poids de Tage raleutissait
sa marche; il finit par ceder Tentreprise ä son jeune et actif
compatriote, M. Philippe Godet, qui est dejä connu par un beau
livre : son Histoire litteraire de la Suisse franfaise"^).
Avec zele, avec ardeur, M, Godet a etudie un sujet dont
l'etendue s'est accrue ä mesure qu'il le considerait de plus pres : aussi
a-t-il mis vingt annees de travail ä epuiser les sources de renseigne-
ments qui se sont offertes ä lui, avec plus d'abondance qu'il ne l'avait
espere d'abord. Son livre, lentement prcpare, lestement ecrit, tres
bien ordonne, est vraiment un modele de biographie. En racontant
cette vie, oü il y a plus d'un chapitre delicat, M. Godet a toujours
dit la verite sans reticence. On est captive par son recit toujours
alerte; on lit avec interet les lettres de madame de Cliarriere, d'un
tour si net, d'un sens si juste; autour d'elle, on voit se derouler un
long cortege, foule variee et non pas confuse, oü tous les rangs se
coudoient : paysans, bourgeois et gentilshommes; une femme de
chambre; l'epouse d'un roi. Des episodes se succedent avec une variete
piquante, et la destinee de ces personnages divers s'entrelace ä la
marche des annees qui conduisent la figure principale, de son
adolescence toute fleurie de promesses, aux jours sombres de son
declin,
La vie de madame de Charriere se partage nettement en
quatre periodes.
Elle est nee en Hollande, le 20 octobre 1740; sa famille etait
noble et riebe; son esprit, tres vif, son caractere, assez facilement
degoüte. Aussi sa jeunesse s'est passee ä effeuiller, comme eile eüt
fait d'une marguerite, la touffe des pretendants qui s'offraient ä eile.
Pour chacuu d'eux, on la voit dire successivement : Je l'aime un
peu, . . . bien peu, . . . pas du tout! jusqu'au moment oü eile se
decide pour le plus- modeste de tous, et celui qui lui promettait le
sort le plus tranquille. Elle se maria, agee de trente aus, le 17
fevrier 1771, avec un gentilhomme du pays de Vaud, M. de Charriere
ä qui eile apporta une belle dot; mais eile ne lui donua pas le
bonheur. — Viennent ensuite douze annees qui s'ecoulent paisiblement
au village de Colombier, dans la principaute de Neuchätel, oü son
mari et ses belles-soeurs avaient une propriete. — Puis arrive l'orage:
un malheureux amour, un amour malheureux. Saepe venit magno
foenore tardus amor. Pour s'en distraire, madame de Charriere,
fait ce qu'on appelle aujourd'hui des eures d'isolement. Elle trouve
ensuite une meilleure distraction dans la composition de ses romans
(Lettres neuchäteloises, 1784; Lettres de mistriss Henlei/, meme
annee; Lettres ecrites de Lausanne, 1785; Caliste, 1787) et dans
la connaissance qu'elle fait ä Paris, au printemps de 1787, d'un
') Premiere edition. Neuchätel, 1890. — Seconde edition, revue et
augmentee. Neuchätel, 1895.
Philippe Godet. Madame de Charriere et ses amis. 171
jeune homme d'esprit et d'un grand avenir : Benjamin de Constant.
II a 27 ans de moins qu'elle; et pendant plus de sept ans eile le
domine, jusquä ce qiie madame de Stael le lui enleve, dans l'au-
tomne de 1794. — Alors dejä la vieillesse est venue, de tres bonne
heure ; et les onze dernieres annees de la vie de madame de Charriere
sont comme des semaines d"automne, oü les feuilles jaunies joncbent
le sol, oü le ciel est couvert et gris, oü Ton sent partout Tapproche
de rhiver. La pauvre femme vit venir sans regrets la mort, qui
Fatteignit le 27 decembre 1805. — Pour le lecteur allemand, cette
derniere periode öftre uu interet particulier: il y suivra avec curiosite
les aveutures de la comtesse Dönboft', epouse morganatique du roi
de Prusse Frederic-Guillaume II, et le roman singuiier du litterateur
Huber avec Tberese Forster.
Diverses illustrations, et surtout des portraits, sont repandues ä
foison dans les pages de ces deux volumes, et rendent, pour ainsi
dire, plus presents au lecteur les personnages qui figurent dans le
recit. On remarquera les deux beaux portraits de madame de
Charriere, qui tranchent en faveur de Sainte-Beuve^) la question qui
etait restee pendante entre M. Gaullieur et lui : Etait-elle jolie?
Le succes du beau livre de M. Philippe Godet, publie l'an
dernier, a ete assez vif pour que l'auteur se soit vu encourage ä
poursuivre son eflort, en vue de faire revivre madame de Charriere
et ses Oeuvres : il vient de reediter en un joli volume les deux parties
des Lettres ecrites de Lausanne : VHistoire de Cccile, et Caliste'^):
ces romans etaient devenus quasi introuvables, comme au reste tous
les ouvrages de madame de Charriere.
II me reste ä faire quelques remarques critiques; et d'avance
je dois reconnaitre que le peu d'oublis et d'erreurs que je releve,
apies une lecture attentive, dans un ouvrage qui a pres d'un millier
de pages, fait un tres grand eloge de l'exactitude de l'auteur.
I, 38, note 2. M. Godet, en enumerant les lettres de Voltaire
ä Constant d'Hermenches, a laisse de cote la premiere, qui a ete
publice par Jean Menos (Lettres de Benjamin Constant ä sa famille,
Paris, 1888, page 71.) Elle n'a pas de date; mais eile a ete ecrite
peu de jours apres la mort (qui eut lieu au mois de mars 1766)
de la premiere femme de Samuel de Constant.
I, 167. Pourquoi vieillir la mariee? Que le lecteur se reporte
aux dates indiquees plus haut : il verra qu'au moment de son mariage,
3) «M. de Brenles, ecrivait Sainte-Beuve ä Gaullieur, est coupable de
m'avoir dit qu'elle etait peu jolie; et j'avoue que j'ai peino ä croire, d'apres
ce qui m'est revenu encore d'ailleurs, qu'elle ait ete ce qu'on appelle une
beaute. Elle etait Sans doute ä cette limite oü las adorateurs peuvent
dire le mot, et les indifferents le refuser. »
*} Lettres ecrites de Lausanne, par madame de Charriere, avec une
preface de Philippe Godet. Geneve, lib. JuUien. 1907. XX et 230 pages
in-16.
1 72 Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
madame de Cliarriere n'avait pas encore 31 ans, comme le dit
M. Godet; pas meme encore trente ans et quatre mois.
I, 330: Une note de Grimm ... — Lisez : de Meister.
Depuis une quinzaine d'annees, il avait remplace Grimm dans la
redaction de la Correspondance litteraire.
I, 345: Gaullieur, en lisant l'article manuscrit s'aclioppa ä
ce mot mar ra ine. — Lisez : Gaullieur s'etait achoppe au mot de
marraine, qu'il avait lu dans l'article de Sainte-Beuve (Revue des
deux niondes, 15 mars 1839).
II, 75. "Si je connaissais quelqu'un de jeune et de robuste,
qui vous aimfit autant que je vous aime, et ne füt pas plus bete que
moi, j'aurais la generosite de vous dire: Allez aupres de cette
personne • lä. „ Voilä ce que madame de Charriere ecrivait ä
Benjamin Constant, avec une naive assurance : n'y avait-il pas lieu
de s'arreter ä ce passage, qui contraste si fort, et si litteralement, avec ce
qu'elle eprouva quand se presenta madame de Slael, qui etait jeune
et robuste, qui aimait Benjamin Constant autant que l'aimait madame
de Charriere, et qui n'etait pas plus bete qu'elle, assurement?
II, 138. „La Fayette etait alors prisonuier dans la forteresse
d'Olmtitz." — Lisez : de Magdebourg, puisque nous sommes en 1793.
II, 145, uote. II me semble que M. Godet aurait du reproduire
la lettre de madame de Stael, de 23 octobre 1793, teile que l'a
doimee Sainte-Beuve dans son edition de Caliste, page 335; et
donner ensuite, comrae etaut du commencement de 1794, les lignes
que Gaullieur s'est permis d'y intercaler : „Vous avez eu la
bonte ... ä la dixieme lecture", lignes qu'il a empruntees ä une
lettre posterieure, dont l'original autographe se trouve aujourd'hui
on ne sait oü.
II, 342. De la morue apres sa mort, — Lisez : du saumon
apres sa mort.
II, 402. J'ai sous les yeux une edition des Lettres de mistriss
Henley, que M. Godet n'a pas citee: Le mari sentimental, ou le
mari comme il y en a quelques-uns ; suivi des Lpitres de mistriss
Henley, publikes par son amie Madame de C*** de Z**'''; et de
la Justification de M. Henley, adressee ä Vamie de sa femme.
A Geneve, chez J,-J. Paschoud. 1803. in-12. 310 p. — Les Lettres
de mistriss Henley occupent les pages 196 ä 256.
Geneve. Eugene Ritter.
Huguet; Edinoiul: La couleur, la lumiere et l'ombre dans (.es
mStaphores de Victor Hugo. Paris, Hachette et C'® 1905.
VIII 4- 379 S. 8». 7,50 frcs.
Auch durch diese zweite Veröffentlichung Huguets wird klar,
daß Victor Hugos Auge scharf in die Erscheinungen der Natur ein-
zudringen vermochte, daß er, ebenso wie die Form der Dinge, auch
Edmond Hucjuet. La couleur, la lumiere et Vomhre. 173
die Spiele der Farben, des Lichtes und des Schattens in der Welt
sah; aber ebenso klar wird auch, daß er das Geschaute nicht einfach
so wiedergab, wie es sich seinem Auge darbot. Sein Zusehen war
kein rohes Schauen, sein Genießen war nicht ein reines, naiv-gläubiges
Hinnehmen der Objekte. Und die Verarbeitung des Geschauten in
die Sprache war bei ihm nicht ein rein künstlerisches Übertragen
des deutlich Gesehenen und Empfundenen in die plastisch wirkende
Anschaulichkeit, sondern der Eindruck, der sich ihm bot, ging in
den meisten Fällen durch die dichterische Einbildungskraft und dia
gedankliche Geistestätigkeit hindurch und wurde neu geschaffen in
dem dichterisch-gedanklichen Bilde.
Die Erscheinungen sind für Victor Hugo im letzten Grunde nur
Symbole. Die Dinge sind beseelt oder gewinnen ihre Seele in dem nach-
denklichen Betrachter, der die Formen und Gestalten nur sieht und deutet
im Zusammenhang mit der Existenz des Menschen, mit all den Problemen,
•die ihn an die Welt knüpfen, mit all den wechselnden Erscheinungen
der Wirklichkeit und mit all den Geheimnissen des Lebens.
Die mannigfaltig sich bietenden Erscheinungen des Augenblicks,
ein Felsblock, der sich ihm wuchtig entgegenstellte, ein zitternder
Tautropfen im Kelche einer Blume, ein in der Dämmerung aufflammender
Stern, das Gleißen eines Fensters in der Sonne, das Schimmern eines
hellen Gewandes im Dunkel, das Ziehen einer Wolke am Abend-
himmcl, ein ruhender Vogel auf dem Baum, das Glänzen des Haars
auf dem Haupt eines Kindes, flatternde Fetzchen weißen Papiers in
der Luft — alle diese Eindrücke gehen durch das äußere Gesicht
hindurch in die innere Anschauung, in das dichterische Sehvermögen,
in die gedankliche Reflexion,
Oder auch die ganz subjektive Stimmung, die gerade die Brust des
Dichters erfüllt, veranlaßt ihn das leibhaftig geschaute Objekt in
eigenartiger Weise sj'mbolisch zu verbildlichen; denn immer schafft
Victor Hugo im Banne dichterischer Erregung, nur selten mit der
feinen Sicherheit des malenden Künstlers, dem Formen nun einmal
Formen, Farben auch wirklich Farben sind.
Seine Gesichte verschwimmen oder verklären sich ihm zu
Visionen, ein Eindruck löst in ihm das Spielen der Phantasie, die
äußerliche Berührung gleitet in ihn hinein und findet ihr Ende in
einer innerlichen, seelischen Empfindung.
Seine poetischen Metaphern sind daher nicht angethan den
sinnlichen Eindruck dem Leser deutlicher und anschaulicher zu
vermitteln, sondern sie übertragen ihn vielmehr aus seiner Wirklichkeit
in die Sphäre geistig-symbolicher Bildlichkeit.
Die beiden Veröffentlichungen üuguets „Xe sens de la forme
dans les mStaphores de Victor Hugo" (Paris 1904)') und „Xa
1) Cf. die Besprechung von J. Haas in dieser Zeitschrift Bd. XXIX
Zweite Hälfte p. 57 f.
174 Referate und Rezensionen. Wcdtlier Küclder.
couleur, la lumiere et Vomhre dans les metapliores de Victor
Ilugo'-'' stellen in gründlicher und gewissenhafter Arbeit all die Stellen
aus den Werken des Dichters zusammen, welche uns seinen Sinn
für die Form, die Farbe, das Licht und den Schatten, sowie den
dichterischen Ausdruck dieses Sinnes verkörpern. Diese beiden
vortrefflichen Bücher sind als Materialsammlung zu betrachten und
zugleich als Vorarbeiten zu einem Werk, das der Verfasser über
die Metaphern Victor Hugos zu schreiben beabsichtigt.
Die beiden stattlichen Bände stecken voll von Anregungen.
Ganz richtig vergleicht der Verfasser den dargeboteneu Stoff mit den
Schätzen eines Museums. Wir müssen ihm dankbar sein, daß er
sorgsam aus dem so weiten Schaffen Victor Hugos eine so reiche
Fülle von dichterischen Schönheiten bequem zusammengestellt und
mit wertvollen Anmerkungen versehen hat. Aber hinter diesem
Museum, es überragend und überschattend, steht das Werk des Dichters
unzerteilt, zusammenhängend, das einheitliche Werk aus Jünglings-,.
Mannes- und Greisenalter, und zu diesem Werk muß sich doch immer
wieder der Blick des Genießenden und Erkennenden wenden.
GIESSEN. Walther Küchler.
Tliomas, Louis: La Maladie et la Mort de Maupassant.
Bruges, Arthur Herbert Ltd. 1906. 101 S. 2,50 fr.
In einem Buche „Souvenirs sur Maupassant"- ^) hat der Baron
Albert Lumbroso eine große Menge von Zeugnissen über Maupassant
und die zu seinem Tode führende Krankheit zusammengestellt, Briefe
von der Mutter des Schriftstellers, Berichte von Freunden und
Ärzten, alle Belege, deren er habhaft werden konnte, um über den
Zusammenbruch des unglücklichen Mannes Aufschluß zu erlangen.
Mit Hülfe des in diesem Buche verstreuten Materials und gestützt
auf Mitteilungen, die er von Personen, die Maupassant während
seiner Krankheit nahe getreten sind, erhalten hat, erzählt Thomas
in der uns vorliegenden Broschüre die Ursachen und den Verlauf
der Krankheit des großen Novellisten, soweit es überhaupt möglich
ist, in dieses Krankheitsbild einzudringen.
Der Eindruck, den man von der Schrift empfängt, ist recht
peinlich. Es ist, so will uns dünken, etwas anderes, ob ein Arzt
auf Grund gewissenhaftester, persönlicher Beobachtung und gesichert
durch die Methode objektiv-wissenschaftlicher Forschung ohne Scheu,
in harter und grausamer Wahrhaftigkeit die allmähliche Zersetzung
eines dem Verfall geweihten Menschenlebens vorführt, oder ob ein
gebildeter Dilettant mit ästhetischen, literarischen, raedizinisch-phy-
1) Rome (Bocca) und Paris (Champion) 1905. Mir leider nicht
zugänglich.
H. Amte. Correspondance entre G. Sand et G. Flaubert. 175
siologiscben Interessen einen halb dichterisch-warm empfundenen, halb
polemisch -kritischen Essai schreibt und in luxuriöser Ausgabe auf
Büttenpapier druckt.
Was bei dem einen ein notwendiges, das wissenschaftliche
Problem aufklärende Material ist, dient dem andern zur Fundgrube
für eine ebenso tendenziöse als kunstvolle, doch nur auf dem Prinzip
der Auswahl beruhende Darstellung. Der Essayist begeht un-
entschuldbare Indiskretionen und verletzt Zartheiten — ohne zwingenden
Grund. Er hat nicht das Recht brutal zu werden, wie der Arzt,
der beobachtet und notiert, weil es seine Pflicht ist. Mit welchem
Recht druckt Thomas in seiner Broschüre die Anmerkung II „Mau-
passant et Bourget ä la Maison Teilier'^ ab? Lumbroso, der nichts
weiter sein will, als ein Materialsammler, mag diese Anekdote mit
aufnehmen. Ein taktvoller Essayist hätte sie ohne Schaden für seine
Darstellung entbehren können.
Ich bitte Herrn Thomas mich nicht falsch zu verstehen. Daß
er die Krankheitsgeschichte Maupassants erzählt, ist sein gutes Recht.
Aber er hätte sie anders erzählen können, unpersönlicher, barmherziger
auch gegen die unglückliche Mutter des unglücklichen Sohnes. "Wenn
ich eine Geschichte der Krankheit Maupassants zu schreiben hätte,
so würde ich die Frage, ob auch die Syphilis zu ihren Ursachen zu
rechnen sei, in einem Satze oder zwei abmachen und würde damit
völlig genug getan haben. Thomas bauscht unnötigerweise die Sache
zu einem ganzen Kapitel auf.
Die in Klein-Oktav gedruckte Broschüre kostet 2,50 fr. Von
den 101 Seiten sind 32 ganz weiß. Das ist nur eine unwichtige
aber bezeichnende Äußerlichkeit^).
GIESSEN. Walther KtrcHLER.
Amic, H. Correspondance entre George Sand et Gustave Flaubert.
Paris. Calmann-Levy. 1904. in-S^.
Roclieblave S. George Sand et sa fille d'apres leur correspondance.
Paris. Calmann-Levy 1905. in-S^.
Lettres de Flaubert ä sa niece Caroline. Paris. 1906. in-S^.
Charpentier.
„L'individu nomme George Sand", ecrit G. Sand ä Flaubert, „se
porte bien. II savoure le merveilleux hiver qui regne en Berry,
cueille des fleurs, Signale les anomalies botaniques interessantes, coud
2) Die hier als Broschüre vorliegende Arbeit entspricht in ihren
wesentlichen Bestandteilen einem das gleiche Thema behandelnden, von
Thomas im Mercure de France (1. Juni 1905, nicht lö. Juni 190.J, wie er
selbst irrtümlich angibt) veröffentlichten Aufsatze. Über die F'rage der
Bedeutung der Syphilis für Maupassants Krankheit ist der Verfasser in
seiner Broschüre zu anderer Ansicht als in dem Artikel des Mercure de
France gelangt.
176 Referate und Rezensionen. Hubert Gillot.
des robcs et des manteaux pour sa belle-fille, des costumes de
marionnettes, decoupe des decors, habille des poiipees, lit de la musique,
mais surtüut passe des heures avec la petite Aurore qui est une
fiUette charmante. II n'y a pas d'etre plus calme et plus heureux
dans son Interieur que ce vieux troubadour retire des affaires, qui
chante de temps en temps sa petite romance ä la lune sans grand
souci de bien ou mal chanter, pourvu qu'il dise le motif qui lui passe
par la tete, et qui, le reste du temps, Üäne delicieusement. Qa u'a
pas toujours ete aussi bien que ga. II a eu la botise d'etre jeune,
mais comme il n'a pas fait de mal ni connu les mauvaises passions»
ni vecu pour la vanite, il a le bonbeur d'etre paisible et de s'amuser
de tout. Ce pale personnage a le grand plaisir de t'aimer de tout
son coeur, de ne point passer de jour sans penser ä l'autre vicux
troubadour confine dans sa solitude en artiste enrage, dedaigneux
de tous les plaisirs de ce monde, ennemi de la Loupe et de ses
douceurs. Nous somraes, je crois, les deux travailleurs les plus
differents qui existent, mais puisqu'on s'aime comme ga, tout va
bien. Puisqu'on pense Tun ä l'autre ä la menie heure, c'est qu'on a besoin
de son contraire; on se complete en s'identifiant par moraent ä ce
qui n'est pas soi".
Ce passage d'une lettre du 17 janvier 1863 pourrait servir de
motto anx nombreuses correspondances que des mains pieuses ont,
en ces derniers temps, livrecs ä la publicite: lettres de G. Sand ä
sa fille; lettres de Flaubert a sa niece; correspondance de G. Sand
et de G. Flaubert; celle-ci resumant celles-lä, et resumant avec concisiou
les traits essentiels de deux physionomies caracteristiques, Ici et lä,
dans les lettres de G. Sand une serenite qui s'ouvre largement ä
tout ce qui est humain, pratique la vie comme une täche allegre,
et dans cet exercice de la bonte, trouve un bonbeur sain fait
d'harmonie avec le reel. Ici et la dans Celles de Flaubert un
pessimisme morbide, et ä coup sür douloureux, ennemi de lui-mcme
et ennemi des hommes, s'exasperant finalement en un mccontentement
universel. Les grands evenements de l'histoire d'hier forment Farriere-
plan sur lequel se detachent, avec un relief energique, deux individualites
trop extremes pour ne point s'attirer et se completer, et s'aimer d'une
franche et vigoureuse Sympathie. „Cette correspondance,,, ecrit l'editeur
des Lettres de G. Sand et de G. Flaubert, Henri Amic, „eclairera
peut-etre un jour le XIX" siecle, autant que celle de Voltaire et
de ses correspondants eclaire le XVIII®."
* *
*
„Je ne me crois pas destinee ä faire de bien vieux os. II faut
se depecher d'aimer," ecrit G. Sand le 6 avril 1867. La seule craiute
qui vienue troubler Tallegresse de la septuagenaire, est de temoigner
trop peu d'affection peut-etre ä ceux qui lui tiennent au coeur de
lein ou de pres. Sa sagesse, une sagesse toute pratique qui ne
H. Amic. Correspondance entre G. Sand et G. Flaubert. 177
s'embarrasse guere de philosopliie, se resume d'un mot: depouiller de
plus en plus tout ego'isme pour ne penser "qu'aux autres". „Les
autres," c'est-ä-dire la petite Aurore, l'enfant aux grands yeux noirs
dont eile suit avcc emerveillemeut Teveil ä la vie, sa bru, la petite-
fille de Houdon, son admiratrice passionnee; son fils Maurice, romancier,
auteur dramatique, savant entomologiste, l'ingenieux machiniste des
petites feeries qui, sur la scene minuscule de Nohant, encbantent les
soirees d'hiver.
Dans la chaude atraosphere familiale, parmi la grande natura
qui entoure son beau chäteau de Nobant, en Berry, l'aieule se sent
de plus en plus envabie par cette sereuite qui, de tout temps, avait
fait le fond de sa natiire sainement equilibree, et qu'avaient troublee,
sans r^branler les malheurs et les orages de la jeunesse. G. Sand
s'est mise en regle avec la destinee, sans effort de volonte, sans
lutte violente de pensee, n'ayant pour sc trouver en barnionie avec
Tau delä qu'ä suivre les inspirations de sa sagesse impulsive. II
ne saiirait etre, estime-t-elle, question d'aneantissement total pour
l'etre bumain, et la vie par delä le reel, ajoute-t-elle, sera bonne,
pourvu que Dieu lui permette d'aimer et d'etre bonne comme dans
celle-ci. Et eile entrevoit lealise parmi des affections sans fin cet
autre reve de sa vie: reve de paix au sein d'une bumanite simple
et primitive et vertueuse. Sa vision d'au delä est une vision d'idylle
que vivrait l'auteur de la mare au Diablo au milieu de Fadettes et
de Frangois le Cbampi, parmi des Cbamps-Elysees qui, ^ans doute,
lui rappelleraient ses cberes "traines" du Berry. Au fond, l'aieule aux
bandeaux noirs et aux yeux noirs inoubliables ä quiconque a vu
ou connu la Sand de vieillesse, a conserve l'beureux optimisme de
la jeuue fiUe qui, toute penetree de la lecture de Rousseau, et de
TEvangile, imbue des illusions reformatrices de la Revolution, s'etait
prise ä esperer la regeneration d'une societe dessecbee et egoiste par
la toute-puissance de l'amour, dont la femme mure devait proclamer
i'Evangile dans le Meunier d'Angibaiit. "Ne ris pas, errit-elle ä
Flauber, des principes d'enfant tres candides qui me sont restes ä
travers tout, ä travers Lelia, et l'epoque romantique, ä travers l'amour
et le doute, les entbousiasmes et des desenchantements: aimer, se sacri-
fier, ne se reprendre que quand le sacrifice est nuisible ä ceux qui
en sont l'objet, et se sacrifier encore dans l'espoir de servir une cause
vraie, l'amour ... Je n'ai plus que quinze ans et tout me paralt pour le
mieux dans le meilleur des mondes possibles. Ce sont des acces
d'innocence, oü l'oubli du mal equivaut ä l'inexperience de l'äge d'or."
La "fenime en bois" qu'un bain glace suflit ä remettre des inevitables
indispositions de vieillesse, l'ecrivain "au fond de Bobeme insouciante",
peu en peine des necessitcs materielles que conjure la coUaboration
assidue ä la Revue des Deux-Mondes, possede le secret de la jeunesse:
le don de tourner tout en bonheur. La seule fa^on de supporter
la vie, u'est-elle point de faire comme le voyageur qui nc renonce
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXia. 12
178 Referate und Rezensionen. Hubert Gillot.
point ä cueillir la violette odorante, mcme si eile se caclie dans les
epines du buisson? Mais, faire taire ainsi ses repulsions pour ne
trouver partout que des raisons de Sympathie, n'est-ce point faire
peu ä peu abstraction de soi-meme, en arriver ä vivre hors de soi?
La conteniplation de la vraie nature revele ä l'äme qui s'y plonge
un ordre, uue suite, une placidite de revolutions, dont le spectac'e
l'apaise et l'epure. Mesurant la fragilite et la petitesse de soi-meme
a la grandeur de Tunivers, buvant ä la coupe du vrai eternel, l'homme
cesse de se passionner pour ou contre le vrai ephemere et relatif.
La contemplation de toute chose "sous Tappareuce de Teternite" le
ramene ä la vraie sagesse.
Cette serenite indulgente, cet olympisme qui conduit Thomme
conscient de Teternelle harmonie ä sortir de plus en plus de lui-meme
pour s'absorber dans Timmensite des choses, c'est la ce qu'ignore le
plus l'äme inquiete, tourmeiitee, orageuse de G. Flaubert. En vain
G. Sand qui sait si merveilleusement Tart d'etre vieille, epuise-t-elle
ä l'endroit de „l'eufant quinquagenaire" les ressources de son art
de consolatrice. Elle ne reussit point ä detacher son regard des
coütingences qui le heurtent et le blessent jusqu'ä la douleur. En
vain insiste-t-elle pour qu'il fasse treve un moment ä son labeur et
s'en vienne se detendre dans l'atraosphere joyeuse de Nohant. Ce
serait, lui repond-il, renoncer pour des semaines au labeur acharne
qu'il s'est impose. Le souvenir d'hier serait plus fort que la volonte
du moment. Faible volonte impuissante ä lutter contre les irritations
d'une sensibilite toujours ä vif! Le visage reste impassible, car il
s'est fait un masque d'energie vis-ä-vis d'autrui. Mais la nature
violentee, gä et lä, reprend ses droits. Flaubert a des crises de larmes
qui l'abattent, le desespereut, „L'ombre m' envahit, comme dirait
V. Hugo."
L'homme est la victime de Tartiste. Avec uue perspicacite toute
feminine G. Sand a devine la cause du mal: une vie hors nature
contribue plus encore ä l'hypocondrie croissante du malade que
Tabus du tabac auquel les medecins voudraient imputer tout le mal.
Ne pour les fatigues physiques, pour la vie en pleine air, Flaubert,
ce geant bäti comrae un "pirate scandinave", pratique le metier
litteraire ä la fagon d'un ascetisme, se condamnant ä la claustration
volontaire pendant des mois, des aunees que remplit une lutte deses-
peree avec les difficultes de la phrase ou du style, passant parfois
quatorze heures courbe sur sa table de travail, oü viendra le terrasser
l'apoplexie dans la pleine maturite de ses forces intellectuelles, Trop
vigoureux pour se laisser ainsi spiritualiser, le corps se venge. Mais
c'est surtout le moral qui souffre de cette contrainte. Replie sur
lui-meme, sans autre societe intime qu'une mere malade, isole du
raonde en sa retraite de Croisset, pres Ronen, au bord de la Seine,
H. Amic. Correspondance entre G. Sand et G. Flaubert. 179
Flaubert devient etranger ä autrui. Lui qui, par nature, n'etait que
trop enclin ä juger severement les hommes, se prend ä les hair
d'autant plus äprement que, vivaut loin d'eux il perd peu ä peu la
mesure de Thumanite. „Je ne dcviens pas facile ä vivre, ecrit-il. Je
suis bien fatigue de ma cervelle, ou plutot eile est bien bas pour
le quart d'heure. — Toute m'irrite et me blesse. Pardonnez-moi
cette faiblesse, vous qui etes si forte et si tolerante. Je sens enfin
une chose tout nouvelle: Tapproche de la vieillesse." Et G. Sand
de lui repondre, moitie consolante, moitie grondeuse : „Je ne veux pas
de cela, tu n'entres pas dans la vieillesse. II n"y a pas de vieillesse
dans le sens hargneux et misanthrope. Au contraire, quand on est
bon, on devient meilleur, et corame dejä tu es meilleur que les autres,
tu dois devenir exquis. Tu te vante?, au reste, quand tu te proposes
d'etre en colere contre tout et tous. Tu ne pourrais pas. Tu es
faible devant le chagrin comme tous ceux qui sont tendre«. Les
forts sont ceux qui n'aiment pas. Tu ne seras jamais fort, et c'est
tant mieux . . . Tes coleres d'un nioment sont bonnes. EUes sont
le resultat d'un temperament genereux, et comme elles ne sont ni
meebantes ni baineuses, je les aime, mais ta tristesse, tes heures de
spieen, je ne les comprends pas, je te les reprocbe. Je crois ä trop
d'isolement, ä trop de detachement des liens de la vie. Je ne veux
point que tu te consumes. Tu as cinquante ans, mon fils aussi.
II est dans la force de l'äge, dans son meilleur developpement, toi
aussi si tu ne chauffes pas trop le four aux idees. Pourquoi dis-tu
si souvent que tu voudrais etre mort? Tu ne crois donc pas ä ton
ceuvre? Tu te laisses donc influencer par ceci ou cela des choses
presentes? Ecoute-moi; je t'airae tendrement, je pense ä toi tous
les jours, et ä tout propos. Pense aussi que mon esprit est souvent
pres du tieu, et qu'il te veut une longue vie et une Inspiration feconde
en jouissances vraies."
Les conseils si tendrement maternels de G. Sand se heurtent
il des partis pris qu'ils ne convaincront point. Une idee haute
Flaubert, l'idee de la decadence irremediable de Tepoque presente.
Decadence du goüt: ses lettres fourmillent d'invectives contre le peu
de sens litteraire d'une epoque qui prefere Terudition ä l'art, la
connaissance des langues, de l'arcbeologie, de l'histoire k la contem-
plation pure et simple de la beaute. L'on ccsse de se preoccuper
de Toeuvre elle-meme pour en etudier les entours. La critique
historique tue la critique litteraire. Les gloses deviennent plus
importantes que le texte. „L'on fait plus de cas des bequilles que
des jambes," Fausse maniere de juger de la part des lettres, goüt
du mcdiocre de la part du public: le crepuscule de la poesie nc
saurait manquer de suivre cette eclipse du goüt litteraire. La poesie
ne perira pas, mais le sommeil en sera long. Dans dix ans, il n'y
aura plus un seul poete. L'aveneinent de plus en plus triomphant
du positivisme sous sa forme la plus vulgaire, l'industrialisme et
12*
180 Referate und Rezensionen. Hubert Gillot.
ramericanisrae ne saurait qu'C'tre fatal au culte des Muses. Conclusion
pour le poete: se separer d'un monde oü il n'y a plus de place pour
lui et „comme le Rbinoceros se retirer dans sa solitude en attendant
la crevaison." Et le misanthrope de tourner le dos ä rimmanite
qu'il meprise, non sans un injuste orgueil, d'etre trop peu eclairee
pour comprendre le beau, et d'exhaler son mepris en „gueulant" dans
son coin, en „rugissant" contre la betise buraaine, et puis et finalement
de souffrir douloureusement ä se sentir devenir ainsi "feroce" au
spectacle des tristes moeurs presentes.
* *
Les eveneuements de 70 vinrent donner raison au pessimiste
qui n'avait point attendu le dement! sanglant inflige a roptimisme
frivole de l'epoque pour proclamer Thomme uu etre mechant et
denier ä Thumanite toute possibilite d'un perfectionnement durable.
Ils justifierent surtout les predictions sinistres qu'avait inspires ä
Flaubert comrae ä tant d'autres grands esprits du temps le spectacle
de la legerete et de la veulerie du Second Empire." „Le plus grand
crime d'Isidore (Napoleon), ecrit Flaubert en mai 1869, est la crasse
oü il laisse notre belle patrie". II voit la France s'acheminer vers
un cataclysme oü sombreront ses grandes traditions et sa vitalite.
L'orage eclate. II ecrit ä la veille de la catastroplie [juillet 1870]:
"L'irremediable barbarie de Phumauite m'emplit d'une tristesse
noire, Cet entbousiasrae qui n'a pour mobile aucune idee me donne
envie de crever pour ne plus le voir. Le bon Frangais veut se battre.
1° parce qu'il se croit provoque par la Prusse; 2° par ce que Tetat
uaturel de l'bomme est la sauvagerie; 3^ parce que la guerre contient
en soi un element mystique qui transporte les foules. En sommes
nous revenus aux gusrres de race? J'en ai peur. L'effroyable
boucberie qui se prepare n'a pas meme un pretexte. C'est l'envie
de se battre pour se battre. Je pleure les ponts coupes, les tunnels
defonces, tout le travail humain perdu, enfin une negation si radicale.
Le congres de la paix a tort pour le moment. La civilisation me parait
loin. Hobbes avait raison: ^IJojno hominilupus.'' Etleslettressesuivent
debordant d'une tristesse de plus en plus desolee ä mesure que
les eveuements se precipitent vers la Solution tragique et que, sous
rhomme civilise auquel avait cru, malgre tout, ä son insu, le pess-
imiste, apparait l'homme natural.
Et les consequences de cette guerre qui semble h Flaubert "un
grand bouleversement de la nature, digne de ces catastropbes comme
il en arrive tous les 5 000 ans"? Elles s'appellent pour la France
l'instabilite politique au milieu d'une demoralisation qui empecliera
le Fran^ais de rester fidele ä sa republique, et le precipitera quel-
que jour sous la botte d'un troisieme empereur; la reaction clericale
qui etranglera toutes les libertes: la guerre de Prusse termine la
Revolution frangaise et la detruit, Pour l'Allemague, une recrudes-
H. Amte. Correspondance entre G. Sand et G. Flaubert. 181
cence du militarisrae suivie peut-etre de quelque epuisement lent
qui en fera un jour la proie de la Russie. Comme la France sous
Louis XIV et Napoleon, la Prusse tend ä s'hypertrophier. N'entre-
t-il point dans les desseins de la Providence de courber tour ä tour
les nations^ qui se dressent trop menagantes? Jusque lä, c'est la
civilisatiou compromise par la Barbarie. Toute l'Europe imitera la
Prusse et portera Tuniforme. La Russie a pour l'instant 4 millions
de soldats. Si la France prend sa revanche, eile sera ultra feroce.
Et la France ne pensera qu'ä se venger. Le gouverneraent quel qu'il
seit, ne pourra se maintenir qu'en speculant sur cette passion popu-
laire." Le meurtre en grand va etre le but de tous uos efforts,
Tideal de la France!, ecrit Flaubert. Les guerres de race vont
peut-etre recommencer, On verra avant un siecle plusieurs millions
d'homraes s'entretuer en une seance. Tont l'Orient contre toute l'Europe,
l'ancien monde contre le nouveau. Pourquoi pas? Les grands tra-
vaux coUectifs comme Tlsthme de Suez sont peut-etre, sous une autre
forme, des ebauches et des preparations de ces couflits monstrueux
dont nous n'avons pas Tidee."
Pagauisme; Catbolicisme, Muflisme, ainsi se resument les grandes
etapes de evolution universelle/' II est triste de se trouver au debut
de la troisieme, ojoute Flaubert, et, conclut-il: j'ai eu de mau-
vais moments dans ma vie. J'ai subi de grandos pertes, j'ai beaucoup
pleure, j'ai ravale beaucoup d'angoisses. Eh bien, toutes ces douleurs
accumulees ne sont rien en comparaison de celles-ci. Et je n'en
reviens pas! Je n'ai aucune esperancel Ah! Comme je suis
triste! Je sens que le monde s'en va." — Cette fois encore le
desespoir entraiue Flaubert aux extremes du pire. Comme toujours,
l'optimisme de G. Sand s'efforce vainement de faire luire un peu
d'e^perance dans les teuebres oü s'enferme complaisamment et dou-
loureusement Thypocondre. Un instant ebranlee dans sa foi, eile
aussi, eile se reprend bien vite ä la confiance. La France se relevera.
Ses malheurs presents sont le cbätiment salutaire, Ils sont le coup
de fouet qui reveillera ses energies si tenaces. Pas plus qu'ils
n'autorisent le Frangais ä desesperer de sa race, ils ne sauraient
rien prouver contre les lois de l'eternel progres. Tout raisonnement
qui conclut ä l'abstention necessaire des interet? collectifs pour l'indi-
viuu superieur ecoeure par le spectacle lamentable du temps present
n'est qu'un sophisme coupable. Contre l'avocat du diable G. Sand
se fait le defenseur de l'universelle harmonie. "Eh, quoi, ecrit-elle
dans la longue lettre du 14 sept. 1870 — eile parut dans le Temps du
30 oct. 1871 et peut etre regardee comme le testament spirituel de
la romanciere — tu veux que je cesse d'aimer? Tu veux que je dise
que je me suis trompce toute ma vie, que riiumanite est meprisable,
haissable, qu'elle a toujours etc, qu'clle sera toujours ainsi V Et tu
me reproches ma douleur comme une faiblesse, comme le pueril regret
d'une Illusion perdue! Tu aft'irmes que le peuple a toujours ete
182 Referate und Rezensionen. Hubert GiÜot.
feroce, le pretre toujours hypocrite, le bourgeois toujours lache, le
Soldat toujours brigand, le paysan toujours stupide. Tu dis que tu
savais tout cela des ta jounesse, et tu te rejouis de ii'en avoir jaraais
doute par ce quo Tilge mür ne t'a apporte aucune deception! Tu
n'as donc pas ete jeune? Ah, nous differons bien, car je n'ai
pas cesse de l'etre, si c'est etre jeune que d'aimer toujours. Tout
cela etait prevu . . . Oui, certes, je l'avais prevu aussi bien que qui
que ce soit. Je voyais raonter Torage. . . . Est-ce une consolation
de voir se tordre dans la souffrance le malade dont ou connait la
maladie? Non, non, on ne s'isole pas, on ne rompt pas les liens
du sang, on ne maudit pas, on ne nieprise pas son espece! L'huma-
nite n'est pas un vain mot. Notre vie est faite d'amour, et ne plus
aimer, c'est ne plus vivre. Laisse-moi souffrir, va! ga vaut mieux
que de voir "l'injustice avec un visage serein", comme dit Shakespeare.
Quand j'aurai epuise la coupe d'amertume, je me releverai. Je suis
femme. J'ai des tendresses, des pities, des coleres. Je ne serai
Jamals un sage, ni un savant." — "Le miUeu de votre lettre, lui repond
Flaubert, m'a fait verser un pleur, sans me convertir, bien entendu.
J'ai ete emu; voilä tout, mais non persuade". —
"Nous sommes deux antinomies," ecrit une fois G. Sand ä
Flaubert. Deux mentalites se heurtent: la mentalite romantique,
dont le representaiit potentie est V. Hugo, la mentalite scientißque,
Celle qu'illustreront les Auguste Comte, les Renan, les Taine, les Leconte
de Lisle. Or, la nouvelle generation pretend preciseraent reviser les
valeurs admises par son ainee. Que Ton se souvienne, par exemple,
des attaques de Nietzsche contre un certain Romantisme, dont il
verra le heraut en Hugo, le "pretre", le "flambeau," le "mage", le
"prophete", auquel il reprochera son attitude platement demagogique,
sa fagon theätralc de se faire Tavocat de tous les misereux du
monde, bref ses compromis avec Thomme de troupeau." Er ist flach
und demagogisch, vor allen großen Worten und Gebärden auf dem
Bauch liegend, ein Volksschmeichler, der mit der Stimme eines Evangelisten
zu allen Niedrigen, Unterdrückten, Mißrathenen, Verkrüppelten redet
und nicht einen Hauch davon weiß, was Zucht und Redlichkeit des
Geistes, was intellektuelles Gewissen ist; im Ganzen ein unbewußter
Schauspieler, wie fast alle Künstler der demokratischen Bewegung."
L'intelligence s'est solidarisee aveclamasseanonymecontrelespretentions
qu' eleve une bourgeoisie riebe et constituee en aristocratie privile-
giee, ä accaparer l'Etat au profit de son egoisme. Mais eile combat
avec non moins d'acharnement son alliee: l'Eglise, l'ennemie juree des
lumieres interessee elle-meme ä entretenir la foule des non possedants
dans cette minorite intellectuelle qui lui garantit la domination spirituelle,
comme ä celle-lä la domination temporelle et la jouissance paisible de la
richesse. Les apotres du credo democratique inspire fortement par
H. Amic. Correspondance entre G. Sand et G. Flaubert. 183
Tevangile saint-simonien, ont herite de la Revolution les tendances
egalitaires et libertaires, bref le republicanisme, et du XVIIP siecle la
confiance en la fecondite du verbe, la conviction que l'humanite peut etre
regeneree par la theorie. Leur conviction est une foi. Comme le
XVIIP siecle, ils croient ä un progres iudefini de Thumanite, ä l'a-
venement necessaire de la verite et de la justice. Comme le
XVIIP siecle, il posent volontiers noble, pretre et roi, comme sy-
nomymes d'oppresseurs de l'humanite et ne leur reconnaissent dans
l'oeuvre de civilisation d'autre role que celui d'ouvriers de tenebres.
Le XVIIP siecle qui leur a legue son optimisme un peu naif et
superficiel, leur a transmis aussi sa vision exclusive et bornee de
l'histoire. La '* Legende des Siecles"" reprend sous une forme splendide
et grandiosement poetique, plus d'un des prejuges du Ratioualisme,
et il ne faudrait point laire violence aux faits pour presenter en Hugo
l'avatar de Voltaire, Tauteur de l'Essai sur les Moeurs et Vesprit
des Nations. Comme le XVIIP siecle enfin, ils croient ä l'avenement
de la masse, ä la regeneration de la societe par la base. Ils in-
vestissent la literature d'une fonction sociale. L'art n'est legitime
que s'il est utile et s'il se propose, comme le dira Alexandre Dumas
fils, pour but de travailler ä la "plus value humaine." Or, ä cette
generation, desireuse d'agir, elevant le metier litteraire ä la dignite
de sacerdoce social, succede une generation qui considfere toute com-
munion de l'art avec la foule comme une decheance, et sc refuse avec
Leconte de Lisle ä "danser sur le treteau banal, de la plebe" avec „ses
histrions et ses prostituees," et dira avec Flaubert: "Quand un homrae
de style s'abaisse ä l'action, il dechoit et doit etre puni." Cette sagesse
d'abstention que formulera avec une intransigeance si hautaine Leconte
de Lisle, s'appuie sur la croyance ä l'inutilite de tout efi'ort pour
catechiser les foules. Le peuple, estime Flaubert, est un eternel mi-
neur et, sur la vaste echelle qu'est la bierarchie sociale, il ne saura
Jamals qu'occuper l'echelon inferieur car il est le nombre, l'illimite.
En trois ans la France toute entiere peut savoir lire. Qu'y aura-t-elle
gagne? Le peuple lira le Petit Journal qui lui tiendra lieu de toute
autre lecture comme il en tient lieu au bourgeois qui, lui aussi, sait
lire et contente ses besoins intellectuels en lisant les articles de ce
„gar^on de magasin de l'esprit," qui s'appelle le journaliste paye. La
presse est une ecole d'abrutissement, car eile dispense de penser.
C'est ä cette ecole que convient la masse, ceux qui se sont faits
les apötres de son emancipation. Peu Importe donc quo beaucoup
de paysans sachent lire et n'aillent plus ecouter leur eure, mais il
Importe infiniment que beaucoup d'hommes comme Reuan ou Littre
puissent vivre et etre 6coutes. Le salut est dans une "aristocratie
legitime," "j'entends, ajoute Flaubert, une majorite qui se compose
d'autre chose que de chiffres. . .; je peuse que la foule, le troupeau
sera toujours haissable. II n'y a d'important qu'un petit groupe d'es-
prits, toujours les memes, et qui sc repassent le Hambeau." — Autre
184 Referate und Rezensionen. Hubert Gillot,
mal: le suffrage universel, "la bonte de l'esprit Immaiu." Accordant
a tous les Fran^ais, sans distinction, la valeur d'unites legales, il ue
signifie rien, car il fait i)revaloir le nombre sur l'esprit, Tinstruction
sur la race et meme sur l'argent qui, pense Flaubert, vaut mieux
que le nombre.
Est-ce ä dire que Flaubert soit avcc la reaction contre les
hommes eclaires qui, s'inspirant de la grande tradition de 89, revent
d'un Etat libre constitue par des citoyens libres? Non point. Ce
serait meconnaltre sa pensee que d'en faire un obscurantiste ä la
faQon du bourgeois regnant. Pas plus qu'il ne conteste les droits
du peuple au bonbeur materiel, il ne songe ä uier ses droits ä la
lumiere. Ce qu'il veut, c'est protester contre les tendances des
democrates qui voient dans Femancipation du peuple la panacee
universelle et estiment qu'il suffira que le peuple sacbe, pour qu'il
soit capable de resoudre pratiquement les plus bauts i^roblemes de
l'Etat. "II faut, ecrira-t-il dans sa reponse ä la grande profession
de foi que lui adressait G. Sand le 14 septembre 1871, rospecter la
masse, si inepte qu'elle soit, parce qu'elle contient les germes d'une
fecondite incalculable. Donnez-lui la liberte, mais non le pouvoir." —
Une tbeorie a fait son temps, celle qui consiste ä parquer l'buraanite
dans des castes distinctes en se basant sur ces criteres exterieurs
qui s'appellent la naissance et la fortune. Mais une inegalite subsistera
toujours entre les individus: celle qu' etablissent entre eux les ditfe-
rences d'intelligence ou de culture, Flaubert ne denie point aux
M" Homais le droit de s'enorgueillir de leur demi-savoir, mais il leur
conteste le droit de gouverner les meilleurs et les plus eclaires.
L'experience recente n'a-t-elle pas montre ce que valent les trois
degres de l'instruction? "L'instruction superieure a donne ä la Prusse
la victoire sur la France. L'instruction secondaire qui s'adrcssait
ä la bourgeoisie a produit les bommes du 4 septembre: l'instruction
primaire, la Commune. Elle avait pour ministre de l'instruction
publique Valles qui se vantait de m^priser Homere!"
Flaubert, tout comme les Leconte de Lisle ou les Renan, se
garde donc contre un double danger: l'accaparement du pouvoir par
le bons sens ä courte vue du "bourgeois", de ÄF Josepb Prud'homme,
qu'il definira quelque part "celui qui a une fa§on basse de penser
et de sentir". A lui s'adressent ses attaques jamais lassees. De sa
mediocrite pretentieuse et süffisante qu'il iucarna pour toujours en
la personne de M'' Homais, il verra le representant officiel en Thiers,
dont il ecrit avec une amüsante, mais si injuste Ironie: "Peut-on voir
un plus triomphant imbecile, un croütard plus abject? Non, rien
ne peut donner Tidee du vomissement que m'inspire ce vieux melon
diplomatique arrondissant sa betise sur le furnier de la Bourgeoisie.
Est-il possible de traiter avec un sans fa^on plus na'if la pbilosophie
H. Amic. Correspondance entre G. Sand et G. Flaubert. 185
la religioD, les peuples, la liberte, le passe et l'avenir, l'histoire et
l'histoire naturelle, tout et le reste. II me semble eternel comrae
la mediocrite: il m'ecrase." — Mais il se defend avec une non moindre
energie contre Ngalüarisme, c'est-ä-dire les pretentions de la masse
instruite, ä reduire la collectivite au niveau de sa mediocrite tyrannique.
Substituer une Republique deraocratique ä une monarcbie, ce serait
changer de maitre, sans changer de servitude. Car tout le reve de
la democratie, c'est d'elever le peuple au niveau de la betise du
bourgeois. Conclusion douc: ou elever le bourgeois qui est presen-
tement le plus fort, par ce qu'il est le possedant; Commencer la reforme
de la societe par la tete. Ou bien, et c'est lä proprement le reve
des hommes des anuees 60 et 70, reudre au peuple "ses chefs
naturels, qui sont les mandarins", constituer uu vaste parti de ce
que Balzac appelait les "intelligentiels", de ce qui s'appellera de nos
jours les intellectuels et, pour Tinstant, s'intitule "l'aristocratie de
Tintelligence"; d'un mot, substituer au gouverneraent du nombre et
de la mediocrite une sorte de theocratie constituee par les capacites.
Theorie oü Ton sent le regret des epoques favorables ä Tepanouissement
des individualites fortes. Le regret des siecles de culture aristo-
cratique qu'inspirera ä Nitzsche Tinvasion mena^ante de la "bete
de troupeau", trouve son expression ä plus d'une page de la Corres-
pondance. Ce n'est point un hasard que nous la trouvions dans
raaint ecrit du temps, dans les "Questions Conteniporaines" de Renan,
par exemple.
Or, Tinvasion du pan-bourgeoisisme ne sera refoulee que par
la force croissante du pan-democratisme. Tout au plus l'avenir
donnera-t-il, sur certains points, satisfaction aux desirs de Flaubert
qui soubaitait voir succeder ä l'esprit qui inspirait le dogmatisme
romantique une methode plus conforme aux exigences d'une mentalite
transforraee. Flaubert ne se lasse point de reagir contre ce qu'il
appelle "l'esprit de rehabilitation", Findulgentisme moral qui fleurit
p. ex, dans le theätre de Hugo, l'on pourrait dire, dans une partie,
la plus grande partie de l'oeuvre du choryphee romantique. Democrate
en morale, ce romantisme pretend, en quelque sorte, traiter riiumanite
par le pardon. S'il nivelle les differences sociales, et courbe la tete
du puissant sous la magnanimite de Tbomme du peuple, opposant ä
la corruption des grands d'Espagne rberoisme desinteresse du plebeien
Ruy Blas, il se plait aussi ä niveler les sanctions morales, en plaidaut
avec une bienveillance toujours prete, les ciroonstances attonuantes,
pour ce que la societe appelle la faute ou le crime. II pardonne
ä Lucrece Borgia scs forfaits, en consideration du sentiment pur
qui lui fait aimer Gennaro, son fils, ou absout de ses crimes
le Sultan sanguinaire, parce qu'il a pris en pitie un vil animal. Or pareil
sentimentalisme herite du XYIIP siecle sensible et humanitaire est
186 Referate und Rezensionen. Hubert GiUot.
immoral. Car, renversant les limites du bien et du mal, il supprime
par lä mSnie toute norme d'appreciation de l'acte humain et logi-
quement en arrivc ä ne plus faire de difterence entre l'honnete liomme
et le coquin, Le conseil de guerre de Versailles condamne un pauvre
Soldat pour une faute legere et pardonne aux Communards, qu'une
justice exacte eut du condamner ä deblayer les ruines de Paris, la
corde au cou, comme des for^ats. La doctrine de la gräce tue la
doctrine du droit et de la justice.
A ce laisser-aller moral, ä cette frivolite qui se dcguise preten-
tieusement sous des formules bien sonnantes: Huraanitarisme, gräce,
sentiment, correspond dans le domaine des faits sociaux et politiques,
Tabus des grands mots, du geste, la manie raetapliysique. L'a-
priorisme tient lieu de l'etude rigoureuse des faits. La Revolution
compromise par la reaction a ete non moins compromise par le
philosopbisme, berite, lui aussi, du XVIII® siecle. L'on elabore des
tbeories; Ton proclame, par exemple, le droit de tous les etrcs
bumains ä une sorarae de bonbeur egale. L'on precbe aux ricbes
le mepris de la richesse, et aux pauvres Tamour du riebe, bref,
Ton pretend resoudre les antinomies sociales ou politiques k l'aide
da sentiment et des formules. Le politicien croit avoir reforme TEtat
quand il a change son etiquette comme si les mots Republique et
Monarcbie, Empire, ne recouvraient point des choses identiques dans
le pratique. L'on s'imagine porter remede aux maux qui travaillent
la France, en pronongant les grands mots de suffrage universel et
gouvernement du peuple; Ton attribue ä ces nouvelles idoles une sorte
de puissance mystique. Le socialisme des Saints-Simouiens qui n'est
au fond, Flaubert s'en reud compte, qu'un sentimentalisme bumani-
taire, a pour equivalent en politique ce qu'il appelle la "politique
d'inspiration et de formules". Conclusion, ajoute Flaubert, ne croire
ä rien est le commencemeut de la sagesse, se defaire des principes
et entrer dans l'examen.
Or, substituer ä l'indulgence superficielle dont abuse le raoraliste,
l'appreciation exacte de l'acte bumain, et sur le terrain social et
politique l'examen attentif du pbenomene au doctrinarisme, qu'est-ce,
sinon appliquer la science ä la morale et ä la politique, d'un mot
substituer au roraantisme le positivisme? Nous nous expliquons, des
lors, l'aversion que professe Fiaubert ä l'endroit de la politique.
Elle n'est point degoüt de l'action en soi, mais degoüt provisoire
de l'action, parce qu'inutile aussi longtemps que ne seront point
transformees les conditions oü eile serait appelee ä s'exercer. L'ex-
perience du siecle a demontre ä satiete qu'aucune forme politique
ne contient le bien en soi. Orleanisme, republique ou empire, autant
de formules usees, puisque les idees les plus contradictoires peuvent
entrer en cbacune d'elles. Discuter sur la meilleure forme de
gouvernement, c'est discuter sur des formules, comme autrefois les
tbeologiens sur la gräce efficace ou la gräce efficiente. La politique
H. Amic. Correspondance enire G. Sand et G. Flaubert. 187
est morte lout comnie la theologie. II faut qu'elle devienne une
dependance de la science; eile ne sera qu'un ramassis de "blagues
ecoeurantes" tant que le gouvernement du pays ne sera pas une
section de l'Institut. "II faut que la Revolution frangaise cesse d'etre
un dograe et qu'elle rentre dans la science."
Mais si les malheurs de 70 inspirent ä Flaubert une teile haine
contre ses compatriotes, ne serait-ce point justemeut qu'ils lui sembleut
merites parce qu'il appelle Tabus du sentiment, de la metaphj'sique,
de feticbisme des formules? Si Ton eut ete plus savant, raisonne-t-il,
on n'aurait pas cru qu'il suffit de Tentbousiasme pour refouler un
ennemi nombreux, bien prepare et bien discipline. On n'eüt point
cru qu'il sufflt de brandir le mot de Republique, pour qu'immediate-
ment se renouvellent les exploits des hommes de 92; car l'on eüt
su ce qu'avaint ete les volontaires de 92 et l'on se füt rappele la
retraite de Brunswick gagnee ä prix d'argent par Danton et Wester-
mann. 70 consacre le triompbe de la science, du "realisme" oü il
ne reste plus ä la France qu'ä s'engagar si eile veut reprendre sa
place d'honneur parmi les nations.
A la science enfin de regenerer la litterature, tout comme il lui
appartient de regenerer la morale et la politique. L'ecole d'hier
professait avec Musset que la qualite d'une oeuvre d'art est en Pro-
portion de sa valeur emotive et subordonnait son degre d'interet ä
ce qu'elle nous apprend de son auteur. Abus du subjectivisme, exal-
tation du fond au detriment de la forme, ainsi s'appellent les moin-
dres consequences d'une theorie comraode ä une generation qui affecte
de preferer l'improvisation de l'inspire au labeur ingrat de la forme
achevee, Cet etalage du moi, cette "poetische Bequemlichkeit", qui
indigneront si fort Leconte de Lisle et lui iiispireront son energique
profession de foi des "Moutreurs", trouvent en Flaubert un adversaire
dont l'acharnement deconcerte G. Sand. Rien ne raontre mieux la
difference des temps que les redstances de cette representante de
la "litterature facile", de celle que Nietzsche appellera si joliment
une "lactea Ubertas", ä accepter cette theorie de l'impersonnalite, de
l'impassibilite absolues qui revient ä toutes les pages de la corres-
pondance de G. Flaubert et lui inspira un jour cette declaration qui,
malheureusement pour son auteur, n'etait pas un paradoxe: "Un pen-
seur ne doit avoir ni religion, ni patrie, ni meme aucune conviction
sociale. Faire partie de n'importe quoi, entrer dans un corps quel-
conque, dans n'importe quelle confrerie ou boutique, meme prendre un
titre, quel qu'il soit, c'est se deshonorer, c'est s'avilir ... Tu peindras
le vin, Tamour, la gloire ä condition que tu ne sois ni ivrogne, ni
mari, ni tourlourou. Mele ä la vie, on la voit mal, on en souffre,
ou on en jouit trop. L'artiste doit s'arranger de fagon ä faire croire
ä la posterite qu'il n'a pas vecu."
Que l'artiste donc s'abstraie de sa creation, qu'il "laisse son
oeil etre lumiere", qu'il donne ä son oeuvre cette entiere objectivite
188 Referate und Rezensionen. Hubert Gillot.
qu'a la formule oü le savant condense les resultats de son enquete,
s'efforgant lui aussi d'atteiiidre ä cette generalite qu'ä la loi formulee
par l'homme de science, eft'aQant de son (Kuvre le particulier, Tacci-
dentel, assignaiit pour but ä son art la representation du general, du
typique, d'nn mot, qu'il vise ä cette qualite superieure de toute oeuvre
classique, la siraplicite . . . Nous tenons Ic secret des sympathies
enthousiastes que professe Flaubert pour l'art simple et general par
excellence, pour l'art des Grecs. Lasse du subjectivisme et de la
fantaisie dont avait vecu la poesie romantique, le siecle assagi, dis-
cipline revieut ä la beaute generale et simple des Anciens. II reprend
le "chemin de Faros". Qu'il abjure par la bouche de Th. Gautier,
Tauteur d'Emaux et Camees, ses admirations "gothiques", ou qu'il
exalte dans la "Friere sur l'Acropole" la raison souveraine de Fallas
Athene, il se declare converti ä cette beaute rationelle, matliematique
du teniple d'Hellas ou de la tragedie de Sophocle, dont Leconte de
Lisle imitera la majestueuse barraouie dans cette oeuvre marmoreenne
des Poemes antiques. "Est-ce qu'il n'est pas temps, ecrit Flaubert,
(saus date) de faire entrer la justice dans l'art? L'impartialite de
la peinture atteindrait alors ä la majeste de la loi, et ä la precision
de la science". La "precision de la science"; c'est-ä-dire que s'il y a,
corame le croit Flaubert, un rapport necessaire eutre le mot juste et
le mot musical, une idee n'est susceptible que d'une expression uni-
que, qui, une fois realisee, constitue en quelque sorte, un absolu.
Arriver ä la forme parfaite, c'est donc, pour l'artiste, faire oeuvre
comparable ä celle du savant qui exprime en une formule, la seule
formule possible, les resultats de son enquete. Mais c'est, aussi, du
meme coup, realiser la beaute teile que la concevaient les Anciens
et teile que Tadmirent les modernes en Toeuvre grecque. "Je me
souviens, ecrit Flaubert le 3 avril 1870, d'avoir eu des battements
de coeur, d'avoir ressenti un plaisir violent en contemplant un mur
de l'Acropole, un mur (celui qui e-t ä gauche quand on monte aux
Propylees.) Eh bien! je rae demande si un livre, independamment
de ce qu'il dit, ne peut pas produire le meme effet? Dans la pre-
cision des assemblages, la raretedel, des Clements, le poli de la surface,
Tharmonie de l'ensemble, n'y a-t il pas une vertu iutrinseque, une
espece de force divine, quelque cliose d'eternel corame un principe?
(je parle en platonicien.) Ainsi, pourquoi y a-t-il un rapport necessaire
entre le mot juste et le mot musical? Pourquoi arrive-t-on toujours
ä faire un vers quand on resserre trop la pensee? La loi des nom-
bres gouverne donc les sentiments et les Images, et ce qui parait etre
l'exterieur est tout bonnement le dedans?"
Mais, proscrire le subjectivisme de l'oeuvre litteraire, et viser
ä l'adequation complete de la forme a l'objet, donner tous ses soins
ä la recherche de l'expression parfaite dans l'ffiuvre d'art. c'est-ä-dire
de la beaute sans souci de l'utilite, quelle qu'elle seit, eriger la sim-
plicite en qualite essentielle de la repreäentation artistique, n'est-ce
H. Amic. Correspondance entre G. Sand et G. Flaubert. 189
point, d'un mot, revenir ä la plus pure tradition du classicisme, tel
que le formulait Pascal proclamant "le moi haissable" ou un Boileau
edictant que toute ceuvre d'art n'emprunte que de la raison "son
lustre et son prix" et prescrivant au poete de polir sans cesse son
ceuvre, tel enfin que le pratiquait un Eacine dans son Theätre et
par de lä le XVIIle siecle renouer la grande tradition de la Renais-
sance et de rHellenisnie?
Et, nous demanderons- nous en terminant, n'est-ce point lä ce
que l'on pourrait appeler "le cas tragique" de Flaubert: ce contraste
entre les aspirations de l'homme et de l'artiste et les conditions oü,
de par les contingences historiques, il se trouve place? Vivaut en un
teraps de democratisme ä outrance, Flaubert cherche, mais en vain, ä
remonter le courant, et par delä Tinstant present ä revenir ä la tradition
de "l'honnete bomme" dont Nietzscbe, le representant des memes ten-
dances, verra le type acbeve en La Rocbefoucauld? Haute nature, portee
d'instinct ä faire de la distinction la vertu sociale de rhonirae, il assiste ä
l'accaparement de la societe par la mediocrite pretentieuse, desireuse
d'imposer ä la coUectivite la vulgarite de ses goüts et son culte de la
matiere, au trioraphe du positivisme sous sa forme la plus prosaique,
rindustrialisme. Et, comme si ce n'etait pas assez pour eile de reduire
les cboses de Tintelligence et de Part au niveau de sa "petite raison", eile
eleve ä la bauteur d'une tbeorie la necessite pour la litterature de
s'asservir ä des fins pratiques et iramediates. Au codelulte de l'art pour
Tart et de la beaute desinteressee succede la theorie de Part ä tbese
et du beau del serviteiir du vrai et du bien. Bref, Tbomme est en con-
tradiction avec son temps, comme il est en contradiction avec lui
meme. Ne ä une epoque oü le Romantisme bat son plein, ce "vieux
Romantique", comme il sappelle, porte tout au fond de lui la nos-
talgie des epoques disparues, des lointains bistoriques qui seduisent
l'imagination par Tberoique des passions qui s'y jouent et le pitto-
resque d'un decor plus grandiose. Mais grandi ä une epoque qui,
de plus en plus professe le culte du fait social, et met son orgueil
dans l'etude et la reproduction exacte de la realite procbaine, il se
trouve empörte malgre lui vers le spectacle des moeurs contempo-
raines qui interessant Tobservateur, repugnent ä Thomme et ä l'artiste.
Ecrivant ce cbef-d'oeuvre du realisme, M™® Bovary, il avait ressenti
de veritables souftrances ä vivre en un monde si diflferent de cette
Canhage, oü se complaira Tautcur de Salambo. Depeignant dans
l'Education sentimentale des bourgeois modernes et frangais, qui lui
"puent au nez etrangement", dit-il avec cette energie un peu apre et
parfois brutale dont est contumier son laugage, il aspire comme ä un
soulagement pbysique au moment oü l'ceuvre realiste finie, il pourra
en toute volupte, se donner au sujet qui le baute, un sujet roman-
tique et fantastique, la Tentation de Saint-Antoine. Nature exube-
rante enfin, portee ä parier librement et haut de toute chose, il se
trouve condamme de par ses volontes d'artiste h taire ses opinions
190 Referate und Rezensionen. M. L Minckwitz.
sur les homraes et sur les choscs, et, comme si ce n'etait point assez
de ce supplicc qui coiisiste ä imposer silence ä son moi et comme
il le dit si pittoresquement, "ä mourir d'opinions rentrees", il se
fait l'esclave d'une tlieorie qui proclame que Tart et la vie sont in-
compatibles et que pour faire ceuvre litteraire, il faut renoncer ä
tous les devoirs et ä toutes les joies de Tliumanite. II s'astreaint ä
une discipline qui contraint un temperament fougueux, desireux de
se depenser et d'agir, ä se refouler sur soi-meme, ä se supprimer lui-
nieme. Enfin, recrivain qui fait consister le secret de Tart dans la
perfection d'une forme impeccable, estime cbose sacree un effet de
style, et se donne pour täche de faire des "phrases harmouieuses en
6vitant les assonnances", manque de la faculte essentielle ä l'ecri-
vain: la facilite de travail et Tallegresse du labeur. Sa severite vis-
a-vis de lui-m6me et vis-ä-vis de l'ideal ä realiser transforme pour lui
la creation litteraire en un supplice, fait de lui une sorte de martyr
de la litterature. Les "afircs du style", "les angoisses litteraires"
emplissent la vie du travailleur qui passe quelquefois, ecrit-il ä G. Sand,
des jours entiers ä tourner, ä retourner un paragraphe sans en venir
ä bout, reste toute une journee "la tete dans ses deux mains ä se
presser la cervelle pour trouver un mot", traine ä la fa^on du forgat
son beulet, l'oeuvre pesante "comme la lourde charrette de moellons."
* *
*
Tu aimes trop la litterature, ecrivait G. Sand ä son grand
ami Flaubert, eile te tuera et tu ne tueras pas la betise bumaine.
Pauvre cbere betise que je ne bais pas moi et que je regarde avec
des yeux maternels ; car c'est une enfance et toute enfance est sacree , . .
Tu as trop de savoir et d'intelligence: Tu oublies qu'il y a quelque
cbose au dessus de l'art, ä savoir: la sagesse dont l'art ä son apogee
n'est jamais que l'expression. La sogesse comprend tout: le beau,
le vrai, le bien, l'entbousiasme par consequent .... Moi je n'ai
plus assez d'orage en moi pour que tu me comprcnnes."
Strassburg I. E. Hubert GiLLOT.
Gassier, Emile. Les Cinq Cetits Immortels. Histoire de
CAcadimie Frangaise 1634 — 1906. Preface de M. Jules
Lemaitre. Paris, Henri Jouve, 491 p. 8*^. (Corrections et
additions retrouvees, depuis l'impression du corps de l'ouvrage
dans les papiers de Tauteur, VH p.)
Boissier, Gaston. L'AcadSmie Frangaise. (Extrait de Touvrage
sous presse: IJ Institut de France, H. Laurens, Editeur.)
32 p. 1906.
Die posthume Veröffentlicbung aus dem Nachlasse Gassiers
kann sicherlich keinen Anspruch auf klassischen Wert erheben, da
die rein geschichtlichen Abschnitte nicht immer übersichtlich genug
Eyyiile Gassier. Les Cinq Cents Immorfels. 191
wirken. Aber mit großem Fleiße ist eine Fülle neuen wichtigen
Materials zusammengetragen worden, die für Jeden in Betracht
kommen muß, der sich eingehender mit der Geschichte der französischen
Akademie zu beschäftigen gedenkt. Beträchtlichen positiven Wert
besitzen eigentlich nur einige Partien des Anhangs (p. 390 ff.), ins-
besondere der Abdruck der nicht Jedermann zugänglichen ^Pieces
jiisti/icatives"'. Von großem Nutzen ist auch die „Liste alphabetique
des 500 Academiciens'^ , die nicht bloß dem Ausländer bequemere
Auskunft vermittelt. Unter den Notices pariiculieres beansprucht der
Abschnitt „Les Cinq Cents Immorteis dans Vordre de leur admission'-'-
verhältnismäßig zuviel Raum. Der Verfasser hat augenscheinlich
nicht die letzte Hand daran legen können, um eine gründliche
Sichtung des absolut Notwendigen zu bewirken. Der Paragraph
„Voltaire" z. B. enthält völlig überflüssige Angaben. An anderen
Stellen vermißt man dringend nötige Auskunft. Der Geburtsort ist
nicht konsequent angegeben: er fehlt z. B. bei Gaston Paris, Faguet,
Gebhardt, Ernest Lamy. Gelegentlich ist auch das Geburtsjahr über-
gangen. In Paris war die nötige Auskunft doch recht leicht zu be-
schaffen. Auch die Erwähnung wirklich wichtiger Werke von
Akademikern ist recht willkürlich ausgefallen. Besonders empfindlich
wirken die Lücken in der Angabe von Daten, wenn bei neugewählten
Mitgliedern nicht auch der Tag der offiziellen Aufnahmesitzung
bezeichnet wird. Wer sich für die „Discours de rdception"' des
19. Jahrh. interessiert und dieselben im Auslande in den einzelnen
Jahrgängen amtlicher französischer Zeitungen nachlesen muß, verliert
(wie ich aus eigener Erfahrung bezeugen kann) wegen der willkürlich
langen Pausen zwischen Wahl und Aufnahmetag unsäglich viel Zeit
mit dem unvermeidlichen Durchblättern ganzer Jahresinhalte. Eine
Neuauflage wird hoffentlich dieser Inconsequenz des einmal ein-
geschlagenen Verfahrens abhelfen, im Interesse derjenigen Forscher,
denen nicht die Fülle der Pariser Hilfsquellen zu Gebote steht, i)
Ich gehe zur Musterung der geschichtlichen persönlichen Leistung
Gassiers über. Voraus geschickt ist eine teilweise naiv anmutende
Introduction, sowie eine Übersicht der Societes iMtSraires en
France^ die reclit gut unterblieben wäre. Denn sie bietet zugleich
zuviel und zu wenig, nicht hierher gehöriges und Lücken. Ähnlich
ist die Stellung, die Gassier als Geschichtsschreiber der französischen
Akademie einnimmt. In seiner Darstellung der Neuzeit schwankt er
sogar von einem sich darbietenden Ausblick zum anderen, ohne Meister
des komplicicrten Stoffes zu werden. Es kann ja kein Zweifel dar-
über herrschen, daß sich gerade auf diesem schwierigen Gebiete viele
Klippen in den Weg stellen, wenn allen berechtigten Wünschen
Rechnung getragen werden soll. Zunächst kommt die Quellen frage
1) Vor Allem die bei Didot erschienenen Sammlungen der ^Discours
de rectption''\
192 Referate und Rezensionen. M. I. Minchwitz.
in Betracht. Im Vergleich zu seinen Vorgängern des 19. Jahrh. hat
Gassi er den Vorteil genossen die 1895 veröffentlichten ,,Regist7'es
de V Academie Frangoise (1672 — 1793), die allerdings bedauerliche
Lücken aufweisen, in bequem zugänglicher Form benutzen zu dürfen.
Ganz einsichtsvollen Gebrauch dieser Vergünstigung kann man ihm
nicht nachrühmen. In der Fachliteratur Frankreichs ist er leidlich
gut bewandert, \Yenigstens in derjenigen, die ich als „direkte"
bezeichnen möchte. ~) Das Ausland kennt er entweder nicht, oder
ignoriert es geflissentlich, indem er stillschweigend den bekannten
Ausspruch Ste-Beuves dahin modifiziert und erweitert, daß nicht
ausschließlich ein Mitglied der französischen Akademie sondern
wenigstens überhaupt ein Franzose dazu berechtigt ist, dieses spezifisch
für Frankreich wichtige Thema verständnisvoll zu behandeln. Ob
auch in diesem Falle aber der außernationale, mehr objektive Fern-
blick völlig zu entbehren ist?
Auf alle Fälle hat Gassier nicht die Umsicht besessen, auch
alle diejenigen Hilfstruppen annähernd vollzählig um sich zu ver-
sammeln, auf die es im vorliegenden Falle doch ankommt. In erster
Linie die Korrespondenzen (und zwar nicht bloß von Mitgliedern
der Akademie, die übrigens auch noch wie z, B. diejenigen von
Chapelain und Voltaire eingehender zu berücksichtigen waren).
Auch der französischen Akademie seitab gedrängte und absichtlich
fernstehende Geistesgrößen äußern sich lehrreich über sie. Nicht zu
verachtende Fundgruben bilden ja überdies die Memoiren und
eigentlichen Geschichtswerke. — Gassi er kennt Vieles, aber nicht
genug, um die Gefahr einseitiger Beleuchtung definitiv zu beseitigen.
Aber ursprünglich lag es wohl überhaupt nicht in der
bescheidenen Absicht des Verfassers, so weittragende Ansprüche zu
befriedigen. Sein Material wäre sonst für seine Zwecke zu sehr an-
geschwollen. Wer alle Faktoren berücksichtigt, schreitet an eine alle
Kraft usurpierende Lebensaufgabe heran, die unendlich viel Selbst-
verleugnung fordert. Jede Nebeuherleistung bleibt auch auf diesem
Gebiet zu beanstandendes Stückwerk. Der Stoff verhält sich gegen
den gelegentlichen Beschauer gewaltig spröde. Es ist hier ebenso
schwierig, innerste Zustände genau nach ihrem Ursprung zu beurteilen
als den beeinflussenden Zustrom von außen richtig nach seiner Trag-
weite zu bemessen. Leicht verfällt der Schilderer der Akademie in
ein unruhiges Umhertasten, das selbst den eifrigsten Leser irreführen
muß. Hier sollen im geschlossenen geschichtlichen Anßenrahmen
Persönlichkeiten auftauchen, deren Genie oder eventuelle Einseitigkeit
bestimmten Zeiträumen ein eigenartiges Gepräge aufdrückt. Regierungs-
formen, Weltereignisse, die elektrisch zur Akademie hinüberleiten,
2) p. 85 bei der Erwähnung der Aufuahmerede La Bruyeres fehlt
aber z. B. der Hinweis auf Gaston Boi ssiers 1897 (15. Juni) in der
Revue des cleux Mondes veröffentlichten Artikel: V Academie Fran^aise au XVII e
Sude.
Emile Gassier. Les Cinq Cents Immorteis. 193
Streitfragen kultureller Art, Errungenschaften von Kunst und Wissen-
schaften, die althergebrachte Ansichten aus den Angeln heben. Neben-
fragen auch pekuniärer Art (zur Förderung der Sitzungstätigkeit),
wechselnde Formulierung und Durchführung von Arbeitsplänen etc.,
alles beansprucht sorgfältige Berücksichtigung. Selbst eine so flüchtige
Aufzählung wesentlicher Momente führt notgedrungen zu der Er-
kenntnis, daß der psychologische Standpunkt hier ebenso stark vor-
wirken muß wie der summarische historische Bericht. Beide
Gesichtspunkte lassen sich nicht haarscharf von einander spalten.
Immerhin sollte die Übersicht des äußeren Geschickes gesondert
bleiben von den Arbeitszielen und von dem für die Geschichte der
französischen Literatur so wichtigen Glaubensbekenntnis der Vertreter
der Akademie, soweit es sich in den discours de rheption spiegelt.
Gassier streift Vieles, dringt aber nur vereinzelt tiefer in seinen Stoff
ein. Was er berichtet, ruft oft den Eindruck hervor, als ob ihn nicht
die Wichtigkeit des jeweiligen Themas sondern der Zufall lenke, der
ihn nicht gleichmäßig mit Material begünstigt hat.
Seine Darstellung zerfällt in zwei Hauptteile: I. L'Ancienne
AcademieFrangaise, 1634 — 1793; II. L'Institut et l'Academie
Frangaise. Für die ältere Akademie: Fondation et etablissement
de rÄcademie (I. Protectorat de Richelieu (1634 — 1642),
II. Protectorat de Seguier (1642—1672), III. Protectorat de
Louis XIV (1672—1715) IV. Protectorat de Louis XV.
(1715—1774), V. Protectorat de Louis XVL (1774—1792).
Daran schließt sich die Suppression de TAcademie (1793).
Der wichtige Zeitraum bis zum Jahre 1792 wird in reichlich achtzig
Seiten geschildert. Bis zum Beginn des 18. Jahrb. hat sich Gassier
mit viel Gescliick dem Bericht von Pellisson und D'Olivet angelehnt,
sodaß er dank diesen Vorbildern eine im ganzen nützlich wirkende
Übersicht erzielt hat. Immerhin verrät dieselbe keine eingehende
Vertrautheit mit den wichtigsten literarischen Zeitströmungeu. Die
Seitenlichter fallen meist unklar aus. Es fehlt der Stempel überlegener
Beherrschung des Stoffes, wenn auch wichtige Quellen, wie z. B.
V. Rigault, Hlstoire de la querelle des anciens et des modernes
citiert werden. Perraults Rolle ist weitschweifig, aber ohne Schärfe
der Kritik behandelt. Von großem Scharfsinn zeugt hingegen die
Bemerkung über Colberts Bedeutung für die Akademie auf Seite 67:
// ne nous parait pas qu'aucun de ces Jiistoriens ait fait si(ffi-
samment ressortir l'inßuence grandissante de Colbert, qui fut ä
notre avis, le veritahle protecteur de V Academie loyigtemps avant
la mort de Seguier, et qui le demeura jusqiiä la sienne, sans en
avoir jamais eu le titre . . .
Für die Angabe über die unwürdige Rolle, die Racine 3) bei der
^) Nach den Angaben der Re.(jister hat Kacine Corneille im Leben
wie im Tode hohe VerehruDg erwiesen; er safs gern neben seinem grol'sen
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI«. 13
194 Referate und Rezensionen. M. I. Minckwitz.
Wahl des Nachfolgers von Corneille gespielt haben soll (p. 76),
vermißt man die quellengeschichtliche Begründung.
Für die Regierungszeit Ludwigs XV ist die Dreiteilung
chronologischer Art (p. 88: la Regence (1715 — 1723) et le
ministere du duc de Bourbon (1723 — 1726), la duree du
ministere du cardinal Fleury (1724 — 1743), sowie der
Zeitraum vom Tode Fleurys bis zum Tode des Königs (1743 — 1774)
recht einsichtsvoll.
Für die Ausstoßung des Abbe St. -Pierre erfahren die Angaben
der Register (die Gassier unbeachtet gelassen hat) eine wichtige
Illustration durch die wiederum leider nicht dokumentierte Angabe,
daß Fleury einen Erben seines Hasses hinterlassen habe; „ . . . landen
Sveque de Mirepoix, qui s'opposa ä ce que Maupertuis, Slu en
remplacement de l'abbe de Saint- Pierre, pronongat son eloge (p. 90.)
Mit vollem Recht verweilt Gassier bei der Wahl Montesquieu's
und den sie begleitenden Nebenumständen. Er schenkt der Legende
von den verstümmelten Lettres persanes unbedingt Glauben, fügt aber
dem Spürsinn Fleury's Rechnung tragend, erklärend hinzu: Fleury
feignit d'etre la dupe de cette fable et declara quHl se desintSressait
de la lutt (p. 94.). Bezeichnend für die Unsicherheit dieser Tradition
ist dagegen die ausdrückliche Erklärung Gaston Boissier's. . . Mon-
tesquieu, qui parvint^ on ne sait trop comment, ä faire oublier
le scandale des Lettres Persanes.'^ ^) Gassier ist übrigens der Ansicht
d'Olivet's, die auch ich teile : „ Cette aßaire (die Wahl Montesquieu's)
n'a pas laissS que de faire du bruit dans Paris. '■'■ Trotz der kühlen
Aufnahme und dem überhäufigen Fernbleiben Montesquieu's^) aus
den Sitzungen, ist seine Aufnahme hoch bedeutsam: Son election
n'en fut pas moins un ev^nement d'une tres grande portee: c'^etait
pour l'esprit nouveau, la revanche de Vexclusion de Vabbe de Saint-
Pierre, et un triomphe pour le libre examen p. 95.). Über Duclos
Voltaire, d'Alembert enthalten die Schlußseiten dieses Abschnittes
nur einige wesentliche Angaben, an einer gründlicheren Behandlung
des Einflusses dieser wichtigen Persönlichkeiten hinderte den Verfasser
augenscheinlich der Wunsch, auch nebensächlichen Stoff zu berück-
sichtigen.
Ludwigs XVI. Zeit wird nur kurz gestreift. Ich vermisse hier
u. a. die Charakterisierung der Schwächung der Königsmacht, soweit
sie sich innerhalb der Akademie durch allerlei Anzeichen kundgibt.
Schon mit Hilfe der Register hätte sich eine schärfere Beleuchtung
Rivalen und forderte energisch die strenge Einhaltung der Trauerfrist für
den Dahingeschiedenen, als sofort rücksichtslos zur Neuwahl geschritten
werden sollte.
*) Cf- G. Boissier, L'Academie Fran^aise {Extrait de Vouvrage sous presse:
V Institut de France, H. Laurens, Paris (p. 17).
^) Cf. diese Zeitschrift^ t. XXIX, p. 121, Anm. 4.
Emile Gassier. Les Cinq Cents Iminortels. 195
der Übergangszeit zur Revolution erzielen lassen. Das denkwürdige
Jahr 1793 ist Dank den Memoiren von Morellet verbältnißmäßig besser
charakterisiert.
Für die Neuzeit hat sich Gassier nur wenig Raum vorbehalten.
In fünfzig Seiten schildert er I. L' Institut 1795 — 1816, II. La
Restauration, Protectorats de LouisXVIII et de CharlesX,
1816 — 1830, III. Protectorat de Louis - Philippe 1830—1848
IV. DeuxieraeRepublique. (Second Empire. — Protectorat de
Napoleon III) 1848 — 1870, V. Troisieme Republique. de
1870 ä nos jours. Die flüchtigen Skizzen wirken anregend und
bieten auch einige neue Aufschlüsse. Gerade diese Zeitabschnitte harren
trotz vereinzelter Versuche (wie von Paul Mesnard) sorgfältigeren
Ausbaues. Viel UnenthüUtes birgt noch die Zeit Napoleons I. Politische
Einflüsse trüben mehr und mehr das rein literarische Interesse. Der
reactionäre Geist der Bourbonen spiegelt sich auch in mancher un-
wirschen Stimmung, die sich in den Discours de reception" mehr
oder weniger rückhaltlos zum Ausdruck drängt. Ich ei innere an Thiers,
der 1843 kühn an die eiserne Energie des großen Corsen gemahnt.
Je mehr sich Gassier der Gegenwart nähert, um so blasser
wirkt sein Pinsel. Er hat auf alle Fälle Neues gewagt, besonders
im Schliißkapitel. Vielleicht aber wäre hier im Anschlagen gewisser
Töne mehr Vorsicht geboten gewesen. Die Stellung und Spaltung
der Akademie angesichts des Drey(us - Prozesses ist noch zu frisch
in Aller Erinnerung^ um völlig objektiv beurteilt werden zu können.
Auch hier läßt es Gassier an erwünschten Angaben fehlen und übersieht
aus Parteiinteresse (Jules Lemaltre! hat das kurze Vorwort zu dem
vorliegenden Werke verfaßt) die Äußerungen wahrhaft edler Patrioten
wie Gaston Paris.
Der gewaltige Stoff, an den sich Gassier gewagt hatte, wird viel-
leicht erst dann die richtige Bearbeitung finden, wenn die einzelnen
Zeiträume von Spezialforschern getrennt in Angriff genommen werden.
Historiker und Literaturhistoriker müssen sich hier helfend die Hand
reichen. — Inzwischen hat der geistige Bestand der Akademie schon
wieder durch mehrere Todesfälle Verschiebung wesentlicher Art erfahren.
Am 9 Dec. ist Brunetiere aus dem Leben geschieden, am 20 Dec.
hat M. Alexandre Ribot die Gedächtnißrede auf seinen Vorgänger,
den Herzog d'Audif fret-Pasquier gehalten, am 17, Januar und
T.Februar 1907 finden die Aufnahmesitzungen für M, Maurice Barrys
und den Kardinal Mathieu statt. Enfin l'expose des titres des
candidats aux deiux fauteuils vacants de M. M. Sorel et Rousse
aura Heu Je mardi 12 fevrier, et la double Slection le surlendemain
14 fevrier."
Wer Gassier als unentbehrliches Nachschlagewerk benutzt,
wird gut daran tun, Nachträge unvermeidlicher Art alljährlich auf
ein paar weißen Blättern im Anhang sorgfältig einzutragen.
13*
196 Referate und Rezensioneyi. M. I. Mlnckwitz.
Gaston Boissier's dem Druck übergebeiier Auszug aus dem
großen angekündigten Werke Vlnstitut de France versetzt in eine
erwartungsvolle Spannung. Auf kaum dreißig Seiten erscheint alt-
vertrauter StoÜ' öfters iu neue Beleuchtung gerückt. Der greise Secretaire
perpetuel der Akademie legt indessen in dieser summarischen Ankündigung
weniger Wert auf Tatsachen und Ereignisse, als auf Charakteristiken
ganzer Zeiträume und wichtiger Persönlichkeiten. Und diese sind
ihm in altgewohnter Meisterschaft gelungen. Er spricht vom 17.,
vom 18., vom 19. Jahrhundert. Vom 17. am ausführlichsten: ,^Je
me decide ä insister jyrmcipalejnent sur les 07'igines et les remiers
temps: c'est ce quHl Importe surtout de savoir. Elle a toujours
conserve ses anciens usages; eile vit du passe; la maniere dont
ses menibres sont Mus, les travaux qui Vocciipent ses rapports avec
le chef de VEtat . . . S07it restes ä peu pres les meines.''' An-
schaulich wird die Stimmung der Geister geschildert, der Ja socieie
de Cojirart'''- ihren Ursprung verdankt, Richelieu's unerwünschte Da-
zwischenkunft gebührend uacli ihrem nationalen Verdienst gewürdigt.
Den echt königlichen Einfluß Ludwigs XIV, sobald er das Protektorat
übernahm, umgrenzt Boissier mit markanten Contouren: Uailleurs
il est hon que le protecteur ne soit pas ires pres du protege, il
p>ese moins sur lui sHl est place ä quelque distance ... fp. 12 ff.).
Ebenso objectiv wirkt die prüfende Besichtigung der „premüre g^neration
academique'-'' (p. 16).
Für den philosophischen Geist der Akademie des 18. Jahrh.
wird Voltaire ia den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt 6). Als
1746 seine hartnäckige Kandidatur glückt, folgt im gleichen Jahre
Duclos und 1754 d'Alembert: c' etait la victoire complete du
parti philo sopldque. Bei dieser Glanzzeit der französischen Akademie
und ihrer Bedeutung für ganz Europa verweilt Boissier mit sichtlichem
Behagen. Duclos und D'Alembert's Portrait zeichnet er mit liebe-
voller Sympathie. Um so jäher wirkt die Schilderung der Ent-
täuschung über den von Condorcet prophezeihten Sieg „der Vernunft"
in der Revolutionszeit. Übersichtlich ist die knappe Schilderung der
Übergangsmetamorphosc zum 19. Jahrhundert (p. 24) ausgefallen.
Für das 19. Jahrh. eröffnet Boissier eine ganze Reihe neuer
Gesichtspunkte. Er stellt z.B. Richelieu und Napoleonl. in
Vergleich: Richelieu d'ahord, puls Napoleon, qui pensaient que
la litterature doit eire, comme le reste, soumise ä une autorite
qui la dirige, avaient pretendu faire d'elle un tribunal souverain,
qui jugerait les ecrits et donnerait des raugs aux auteurs. Le
premier lui imposa la critique du Cid, Vautre la chargea de de-
cerner les prix decennaux'). Der siegreiche Einzug der romantischen
6) Doch hebt auch Boissier die Wahl Monte s qui eu's als
bedeutsam hervor.
') Bei Gassier sind (p. 452—456) wichtige auf die prix decennaux be-
zügliche Urkunden zum Abdruck gelaugt.
J. Pünjer u. W. Kahle. Lehrbuch d. fronzös. Sprache. 197
Schule in die Akademie (1841 wird Victor Hugo gewählt) ist das
letzte große Ereignis, das Boissier mit Wärme feiert. Die zweite
Hälfte des 19. Jahrhunderts charakterisiert er nur ganz allgemein:
noiis entrons dans Vhistoire contemporame. Die Schlußworte sind
den Gesichtspunkten gewidmet, die bei den Wahlen den Ausschlag geben.
Die Akademie nentend pas etre tout ä fait une societe de gens
de letires. Denn: Les sodeies de ce genre sont e.vposees ä deve-
nir des coteries; le souci des interets per sonneis, les amiiies, les
jalousies y prennent trop dHmportance; ä la longue tout s'y rape-
tisse et s'y retrecit. Dees le prenner jotir, Videal de V Acadernie
fut d'etre la representation de l'esprit francais . . .
Zum Schlüsse nennt Boissier eine Reihe hoher Zeitgenossen, von
Guizot und Thiers bis zu Taine, in deren Mitte er den Akademie-
sitzungen beigewohnt hat. Warum fehlt unter diesen Geisteszierden
Gaston Paris, von dem Brunetiere mit gerechtem Sinn erklärt hat:
11 avait bien p)lus que des clarth ou des lueurs de tout, et sa
co7iversation m'a donni souvent ä songer qu au Heu d'etre Gaston Paris
il n'eüt dependu que de lui d'etre Taine ou Ernest Renan'? . . .
(Publikationen des Institut de France, 12 mars 1903).
MtJNCHEN. M. I. MiNCKWITZ.
Piiujei', J. und yV. Kähl6. Lehrbuch der französischen Sprache für Lehrer-
bildvnqsanstalten. 1. Teil: für Präparandenanstalten. 1905. YIII,
258S. 8'\ 2. Teil: für Lehrerseminare. 1906. VIT, 302 S. Verlag
von Carl Meyer, Hannover und Berlin.
L'ouvrage se compose de deux volnmes, destines l'un aux classes
elementaires des ecoles normales (Präparandenanstalten), l'autre aux classes
superieures (Lehrerseminare). La methode pmployee daos les deux
volumes est identique; aussi nos critiques s'appliqueut-elles ä l'un et h l'autre
indifteremment.
Le plan general de Touvrage parait bon; heureuse en particulier
cette division parallele en exercices pratiques d'une part, regles de grammaire
d'autre pai-t, redigees d'abord en allemand, puis en francais. Laissant de
cöte les lexiques de la fin, lesquels n'oifrent rien de plus que les avantages . . .
et les inconvenients inherents ä cc genre de vocabulaires, examinons de
plus pres les deux premieres parties. appelees par les auteurs d'une fa^on
un peu barbare : Partie A et Partie B.
Partie A. La premiere comprend, classes par legons les exercices
pratiques. La methode parait assez judicieuse, suffisamment intuitive et
variee. Ici cependant il y aurait deja des reserves ä faire en ce qui con-
cerne le choix des raorceaux, souvent plats ou bourres de ,,mots k apprendre",
qui doivent les rendre prodigieusemeiit ennuyeux. Les „enigmes", en parti-
culier, genre dejä tres peu francais par lui-meme, sont representees par des
echantillons d'une platitude ou d'une faussete deplorables.
On ne voit pas bien, d'autre part, pourquoi certains morceaux empruntes
ä des auteurs fran(;ais ont ete remanies et transformes sans pour cela que
la lecture en ait ete rendue plus facile. Ainsi I p. 110 le morceau „Comment
Buffon devint matineux'" (sie) apparait avec tous ses verbes au present de
l'indicatif, ce qui, Joint ä quelques autres retouches, rend le sens k peu pres
198 Jif'ferate und Rezensionen. F. Dessonlavy.
insaisissable et defigure bien inutilement toute la narration. II eüt mieux
valu mettre les verbes k l'infinitif et laisser l'elöve les retablir en leur temps
propre en respectant le reste du texte.
Encore ce morceau reste-t-il ä peu pres correct ... grammaticalement
parlant. II en est d'autres oü les auteurs ont ete moins heureux, — sans
doute lorsqu'ils ont cru pouvoir se fier ä leur propre plume. Yoir 171
la relation epistolaire d'un „Voyage ä Hambourg." On y lit qu'Hambourg
est un soi disant port franc, locution specialement recommandee ä l'attention
des eleves dans la „Recapitulation des locutions" p. 17-2, sous cette forme:
Un soi-disant „franc port," ein sogenannter „Freihafen." On y voit encore
des phrases telles que celles-ci: „Le port de Hambourg se compose de phsi-
turs quais..." On y voit un quai d'Amerique, un quai d'Asie, nn port de
bdtimenU ä voiles etc... De vastes magasins se Uvcnt en partie derriere les
rails... Un nombre de grues ...Uvent des halles... des ;joWefaix portent de
lourds f&Tdeaux sur leur dos ou les transportent... aux poulies mou/iees qui les
levent dans hs differents etages des magasins; ... les sifßets des bateaux ä vapeur
fönt entendre des cris pergants... etc etc et cela est signe „H. Constans."
Je crois que „Punjer" serait plus exact.
Des fautes pareilles se retrouvent sonvent, trop souvent, toutes les fois
semble-t-il, que les auteurs ont voulu voler de leurs propres alles et cru
pouvoir se permettre d'ecrire saas secours et sans modele en fran^ais. Ainsi :
I 76 78 102 etc. II 58 95 etc. picce pour morceau.
I 79 un plan de vie II 32 l'ordre de retraite 89 fin de volume 102
pensees ... de pedagogie 113 l'air de soldat 164 l'administration d'in-
struction etc.
I 88 qu'il se chargca sur les epaules.
I 118 transformez le recit ... de maniöre que deux mouches ont
l'aventure. De meme II 61 100. Au reste les auteurs ne semblent pas
ferres sur l'emploi du subjonctif. Cf. II 33. Ecrivez dix phrases oü il y a
un adverbe de maniere.
I 145 Prenez de vos sacs II 38 village au departement 79 outre eile
98 morte ä l'echafaud 101 s'accorde au complement direct 139 capable ä
comprendre.
I 155. C'est une rudesse que de maudire quelqu'un.
I 158 son revenu accrott.
I 160 „L'anecdote ci-dessus est ä repeter de maniere que d'abord le
domeslique et puis le maitre raconte du diner dans la cour." Raconter de
qqch. se retrouve sans cesse, ainsi II 7 30 35 (racontes-en. Kaconte m'en.
Raconte m'y en) 91 etc.
I 165 nous vous subviendrons.
I 168 cous'/t.
II 4 Que de helles etoiles y a-t-il au ciel!
5 depuis la Mediterranee jusqu'au golfe de Gascogue; 101 depuis
Lyon jusqu'ä Paris
6 son Industrie et commerce II 38 de Lhomond et ßurnouf 144
emaille de grec ou latin
13 c'est l'or qui est plus precieux 277 c'est de la Caüfornie que
vient beaucoup d'or.
13 La plupart de ces rögles sont connues aux eleves depuis long-
temps. Concernant ces rcgles il nc s'agit ici que d'une repetition.
14 comparaison de l'adjectif.
18 quelques marchands . . . debarquaient ... a un Heu oü . . .
21 histoire riebe d'evenements
22 fit h Louvre le palais oflTiciel 151 il est le devoir de Fenelon
27 aux expressions „du veau röti," du porc röti, du boeuf röti j'a-
jouterais ä tout le moins „du röti", „du bouilli".
27 de jeunes pommes de terre.
J. Piinjer u. W. Kahle. Lehrbuch d. französ. Sprache. 199
38 quelle classe est „sixiöme" au lycee frangais?
50 Veducation des nioutons 131 häiit les orgues 159 la bataille
rapprochante 163 instruire les SCicnceS.
69 regrettaient h plus vivement
73 Vous n'avez qu'une seule. Par contre 141 „Moliere s'en chargea
d'un röle".
83 je commence ä (au Heu de par) me nourrir.
90 je voudrais que vous tächassiez A^aspirer ä votre fille le goüt d'une
vraie moderation.
101 se mefiant du droh etranger.
123 II faut payer de l'argent ( = la douane?) pour heaucoup de
marchandises.
151 eleve, ckacun qui reQoit les le^ons. Id. Voi?a le contenu du
morceau ci-dessus.
On pourrait multiplier les exemples. D'autres fois les auteurs nous
donnent des expressions qui, pour n'etre pas precitement incorrectes, n'en
sont pas plus fran^aises. Ainsi cet exemple d'adjectif „le haut arbre" et
ceux de pronoms combines avec l'imperatif "Interesse t'y donc" „racontes-
y-en" etc.
Partie B. Nous aurions egalement quelques reproches ä faire dans la
partie purement grammaticale. Nos griefs s'appliqueraient d'ailleurs ä la
plupart des grammaires frangaises elaborees par des Allemands et viseraient
plutöt encore, sans deute, ces „Preufsische Bestimmungen", auxquelles les
auteurs du present ouvrage se targuent d'etre restes si scrupuleusement
fideles. Ce grief est la complication certainement inutile et probablement
nuisible (ne serait-ce que par la perte de temps et l'eflfort impose ä la
memoire Sans resultat appreciable) de certaines rögles de grammaire. Notons
au hasard: les regles sur la place du prouom personnel (I 183 II 211) ou
les soi-disant principea (^a ce sont des soi-disant principes) de la place de
l'adjectif (I 179 II 196). Regle parfaitement fausse et par dessus le marche
difiicile ä retenir et ä appliquer: Voir II 197 un haut ebene 16 un franc
mot, une franche reponse, le Hon fier, 20 la precieuse soie. II 122 l'auteur
insiste trop sur pas un, qui ne s'emploie guere en frangais. Et ces phrases :
„il n'y a pas un homme qui soit sans defaut" — „je ne connais pas un homme
de cette compagnie'-, sonnent etrangcment ä l'oreille d'un Fran^ais. De
meme dans les exercices II 53 la phrase „pas un homme ne m'est connu
ici" est un germanisme, inacceptable en frangais.
II 214. Pourquoi qui est-il accusatif dans pour qui, genitif dans de
qui, datif dans ä qui? avec cette remarque contradictoire: qui mit vorher-
gehender Präposition ist Akkusativ. Id. „dans fou que tö es", que n'est
pas nominatif.
221. II n'y a aucun exemple ä l'appui du mot quiconque, comme
on en trouve aux exercices (51) et reciproquement la partie „exercices"
manque d'exemples se rapportant aux tournures si . . . que, tout . . . que.
Du reste la question si difficile des phrases concessives nous parait in-
suffisamment elucidee dans les deux parties.
223. Une remarque sur l'emploi tres limite de tel dans le sens de
„solcher" serait en place.
225. l'auteur se tait sur la prononciation de la consonne finale dans
sept Cents francs.
234. Est-il vrai que le present du subjonctif soit forme de la 3^6 p.
du pl. de l'indic. present en changeant ent en e, es, etc.?
233. La terminologie de parfait defini, indetini etc. n'est plus re^ue
aujourd'hui, de meme 241 verbe pronominal.
237. Les formes punis-je, reponds-je, sont non seulement rares, mais
inusitces.
200 Referate und Rezensionen. W. KalhfleiscJi.
2Ö1. Noiis voudrions ici, comme dans les exercices (p. 59 ec. GO) plus
de dctails sur Temploi du parfait, qui tend de nos jours ä supplanter
le preterit.
260. „II faut s'etonner que le roi prit des mesures," viole la
„concordance des tomps".
262. La construction „il nous taut aller" est plutöt rare.
Nous ne citerons que pour memoire les maladresses de style, in-
advertances, fautes d'accent, d'impression etc., qui fourmillent dans les deux
volumes. Aiiisi:
I 92 un souital. 104 qu'est qu'un affluent? 111 le cendre. 117 la notre
(pour la vötre). 133 s'assesoir. 14.5 je le (pour la). 135 täches (p. taches).
165 souffrait-t-il? II 19 des tuuiques bigarre's. 22 la manufacture ... et
l'observatoire furent fondees. 37 quand je vivrais aussi vieux que ... id. c'est
^ce jour lä que moi je fis mon entree. 40 la source est un trou dans la terre.
48 arrauge (p. amenage). 49 que fönt ces ,Proverbe3'* dans le chapitre des
pronoms demonstratifs? 73 l'education . . . serait meilleur 89 cette 27 me
legon ne coutient point de verbe avec .,de", comrae l'annonce le titre.
99. Ce morceau „conclusion de la paix" serait mieux en place au
chapitre „Condiiionnel" (p, 03). 121 h hamecon. 137 derniere modele,
162 professioraelle (nouvelle orthographe?) 218 ces sont. 222 il faut qua les
frere et soeur aiment l'uu l'autre. 225 une mille = eine Meile. 253, passe
defini de rire = rUs, etc. etc.
Rendons justice aux auteurs qui se sont efforces, dans le second
volume surtout, d'agrementer leur ouvrage de synonymes, d'homouymes, de
derives, de proverbes (maximes, adages, dictons) eu general fort bien venus.
La partie litteraire n'est pas negligee nou plus, quoique, ä notre avis, les
biographies de Voltaire et de Rousseau eussent merite plus qu'une simple
mention en note. Disons entin ä la louange des auteurs quo, si les passages
bibliques semblent un peu nombreux, leur ouvrage est entierement exempt
de chauvinisme, ä en juger d'apres les chants patriotiques fran^ais qu'on
rencontre qh et lä (I 113 122 123 161), signes meme du nom de Deroulede.
Conclusion. Toutns les observations que nous avons faites sur ces deux
volumes, et dont nous n'avons donne que les plus caracteristiques, nous
amenent ä cette conclusion que l'ouvrage de Punjer et Kahle est bien ordonne,
judicieusement divise et tres propre dans son ensemble ä conduire ä une
connaissance methodiquement approfondie de la langue fran^aise. Mais (et
c'est un gros mais), pour pouvoir etre reellement recommande comme un
guide sur, il serait absolument uecessaire que les deux volumes fussent relus,
revus et corriges page apres page par unFrangais, qui en elaguerait les
fautes de grammaire d'abord, les fautes de style ensuite et pour tinir les
fautes de goiit.
Neochatel P. Dessoülavt,
Schulausgaben.
Rousseau, Jeau-Jaque.«. Morceaux choisis. Herausgeg. von K. Rudolph.
Mit einem Porträt. XIV u. 128 S.; 31 S. Anhang und Wörter-
buch. Bielefeld und Leipzig, Velhagen und Klasing. Preis 1.20.
[Pros. Iran?. 159 B].
Seit einiger Zeit macht sich das Bestreben geltend, im neusprachlichen
Unterricht neben geschichtlichen und literarischen Werken auch solche
philosophischen Charakters zu behandeln. Nachdem nunmehr fast in ganz
Deutschland die Realanstalten als Vorbereitungsstätten für die Universitäten
anerkannt worden sind, kann es in der Tat keinem Zweifel unterliegen, dafs
der neusprachliche Unterricht an diesen Anstalten mehr, als es bis jetzt
Schulausgaben. 201
geschehen ist, dazu beitragen mufs, unsere Schüler an philosophisches Denken
zu gewöhnen. Endgültig kann diese Frage u. E. jedoch erst dann gelöst
werden, wenn die andere entschieden ist: inwieweit kann an unseren höheren
Schulen philosophische Propädeutik gelehrt werden Besonders Ruska (s.
Ztschrift für frz. u. emjl. Uiilerr. IV S. 97/3 V. S. 19) hat in letzter Zeit die
Lektüre französischer und englischer grofser Denker verlangt. Er hat auch
im Verein mit anderen eine Anzahl davon für die Schule bearbeitet (Verlag
V. C. Winter, Heidelberg). Auch der Verlag von Velhagen und Klasing ist
bereits in dieser Richtung vorgegangen. Den von ihm herausgegebenen
Bändchen reiht sich das vorliegende an. Sein Bearbeiter gibt uns eine Auswahl
aus den Werken Rousseau's, die vorzüglich geeignet erscheint, dem Schüler
einen Einblick in die Bedeutung dieses Philosophen für die verschiedensten
Gebiete des geistigen Lebens zu geben. Die gewählten Abschnitte (Sa vie,
la nature, la socicd, l'Etat, les sciences, V educatlon, la morale, la reHijion) können
auch heute noch bei unserer Jugend auf Teilnahme rechnen. Die Lektüre
dieses sehr geschickt zusammengestellten Bändchons kann warm empfohlen
werden. Das Bändchen ist geschmückt mit einem Porträt Rousseau's und
gibt als Anhang einen Auszug aus Chuquet: Uinfluence de Jean- Jacques
Rousseau, der die Bedeutung Rousseau's für seine Zeit und die folgenden
Geschlechter klarlegt.
Mit den Anmerkungen wird man sich überall einverstanden erklären
können; nur vermifst Rez. zu S. 105/106 einen kurzen Hinweii's auf
den Determinismus und den Indeterminismus.
Dem Geiste nach ist mit diesem Bändcheu verwandt:
Fuchs. M. Anthologie des prosateurs fraiirais. Handbuch der franz. Prosa vom
17. Jahrh. bis auf die Gegenwart. Mit 12 Porträts. 1905. 384
Seiten 8". Dazu Ergänzungsband mit Erläuterungen. Bielefeld
und Leipzig, Velhagen und Klasing. [Pros. Iran?. 158 B.].
Der Herausgeber will ebenfalls zeigen, dafs die Beschäftigung mit
dem Französischen durchaus geeignet ist, jene höhere Geistesbildung und
jene humanistische Lebensauffassung zu übermitteln, die nach einer ver-
breiteten Auifassung nur die alten Sprachen und allenfalls die Muttersprache
zu vermitteln vermögen. Das Buch wird sieber seinen Zweck erfüllen. Es
gibt uns eine Auswahl aus den hervorragendsten Schriftstellern der letzten
drei Jahrhunderte. Die Gesichtspunkte, von denen der Herausgeber sich
hat leiten lassen, sind durchaus zu billigen. Er hat Stücke herangezogen,
die wichtig sind als Selbstzeugnisse der Autoren über ihre Entwicklung, die
literarische Manifeste oder pogrammartige Auslassungen enthalten. Ferner
sind solche Stücke gewählt, die französische oder deutsche Kultur-
verhältnisse beleuchten oder die mit anderen Unterrichtsfächern in
Beziehung stehen. Die dramatische Produktion ist ausgeschieden, sie
wird ja an unseren höheren Schulen meist ausreichend gepflegt; ebenso
ist die poetische Literatur, für die schon ausgezeichnete Sammlungen
vorliegen (in der Velhagen'schen Sammlung: Engwer, Antholoi/ie des
poetes f'ranqais), ausgeschieden.
Das Buch entspricht allen Anforderungen, die man an eine Chrestomathie
für Oberklassen stellen mufs (cf. Sturmfels: Lehrproben u. Lehrgämje H. 65
S 79). Es dürfte daher allen Neusprachlern willkommen sein. Diejenigen,
die seither trotz aller Forderungen der Reform am Lesebuch festgehalten
haben, werden ihm den Vorzug geben, da es nicht so umfangreich und
infolge dessen billiger ist, als die älteren Bücher dieser Art (Ploetz' Manuel
u. Ilerrig-Burguy). Auch diejenigen, welche nur bestimmte Schriftsteller
lesen, aber den Blick des Schülers auf gleichzeitige und verwandte Er-
scheinungen lenken wollen, werden die Anthologie von Fuchs benutzen
können, da sie gröfsere Proben aus Werken enthält, die sonst kaum im
Unterricht zur Geltung kommen (Bossuet, M^e do Sevignö, La Bruyöre,
202 Referate zmd Rezensionen. W. Kalbßeisch.
Montesquieu, Voltaire, Buifon, Diderot, Rousseau, Chateaubriand, G. Sand,
Michelet, Sainte-Beuve, Renan, Taine). Für Anstalten endlich, die, wie z. B.
die Lehrerinnenseminarien, die französische Literatur eingehender behandeln
und nicht blofs Namen, Titel, Urteile und Jahreszahlen vorführen wollen,
wird die Fuchs'sche Anthologie treffliche Dienste als Beispielsammlung zur
Geschichte der franzüs. Prosaliteratur leisten.
In einem Anhang werden in fninzösischer Sprache die notwendigsten
literarhistorischen Notizen gegeben. Ein Ergänzungsband enthält die
sachlichen nnd sprachlichen Anmerkungen; hier finden wir auch, da wo es
notwendig ist, eine knappe, aber klare Einleitung, die auch den grofsen
Zusammenhang darlegt, in den das betr. Stück gehört.
Der Verlag hat das Buch mit Porträts von zwölf der im Buch
genannten Autoren geschmückt.
Monod, A. His/oire de France IV 4" 224 S. Bielefeld und Leipzig, Velhagen
u. Klasing. [Pros, frang. 160 B ].
Auf Grund guter Quellen wie Driault-Monod, Lavisse, Seignobos hat
A. Monod, der Bruder des bekannten Historikers G. Monod, dieses Bändchen
für junge Deutsche zusammengestellt. Die Kriegsgeschichte ist sehr kurz
behandelt., das Hauptgewicht ist auf die Kulturgeschichte gelegt, die mit
der politischen Geschichte verbunden ist. Am Schlufs eines jeden Kapitels
findet der Leser die Hauptquellen, die für ein genaueres Studium des betr.
Zeitabschnitts in Betracht kommen. Um einzelne Epochen zu veranschaulichen,
sind in einem zweiten Teil eiue Reihe von kurzen Lesestücken aus
klassischen Werken zusammengestellt; so das bekannte Tabkau de la France
von Michelet, Mort de Jeanne IfArc von demselben, Lever du roi nach St.
Simon U. Taine, la Vie mondaine söus Luis XV nach Taine, le Serment du Jeu
de paume nach Quinct, Exicution des Girondins nach Lamartine usw.
Ein Anhang mit sprachlichen und sachlichen Anmerkungen ist zu
diesem Bändchen nicht erschienen; beigegeben ist eine Karte des heutigen
Frankreichs, sowie eine von Gallien zu Cäsar's Zeiten.
Rostaud, Edmond. La Samaritaine. Herausgeg. von Therese Kempf.
XXVI -f 83; 23 S. Anhang. Bielefeld und Leipzig, Velhagen
und Klasing. [Theätre frangais 71 B.].
Dieses Rostand'sche Stück beruht auf dem im neuen Testament (Job. 4)
überlieferten Gespräch zwischen Jesus und der Samariterin. Obwohl dieses
eigenartige Schauspiel in einzelnen Teilen grofse Schönheiten aufweist (s.
0. Mügge: Edm. Rostand als Dramatiker. Progr. Friedeberg i. Nm. 1903),
scheint es als Klassenlektüre nicht geeignet. Es führt den Schüler in eine
ihm ganz fern liegende Kulturwelt ein, in die er sich erst einarbeiten mufs,
denn das Stück setzt eine viel genauere Kenntnis der altjüdischen Kultur-
verhältnisse voraus, als sie ihm, allenfalls in der Religionsstunde, über-
mittelt worden ist. Bei den vielen Anforderungen aber, die an den
französischen Unterricht gestellt werden, ist unbedingt Konzentration auf
die französische Kultur geboten. Wer daher seine Schüler mit Rostand'scher
Poesie bekannt machen will, wird zu Cyrano de Beryerac oder der Princesse
lointaine (s. Neuere Sprachen Xlllg u. XIV4) greifen. In diesen Werken zeigt
sich die Kunst des Dichters auf dem Höhepunkt, dem Schüler werden aber
auch durch ihre Lektüre zwei grofse, wichtige Epochen der französischen
Kulturgeschichte nahegebracht; sie zeigen ihm die Ideen u. Gedanken, von
denen diese Zeiten belebt sind, anschaulicher, fafsbarer als es eine Kultur-
geschichte tun könnte.
Masset, Alfred de. Pages choisics. Herausgeg. von E. B. Rüssel. VI 4-
105 S. ; 29 S. Anhang. Velhagen und Klasing, Bielefeld und
Leipzig. [Pros. Frang. 157.].
Wir erhalten hier eine Auswahl aus den Werken Musset's, die sehr gut
geeignet ist, dem Schüler die Eigenart dieses Dichters zu zeigen, der „nur
Schulausgaben. 203
sich gekannt, nur seine Geschichte erzählt hat." Dafs Fantasio aufgenommen
ist, gereicht der Sammlung gewifs nicht zum Schaden, ist doch die Unter-
haltung des Helden des Stückes mit Spark im I. Akt eine Perle der
Literatur. Wo sonst ist das Wesen der Fantasie in der Poesie schöner
dargestellt worden, als es Musset hier tut. Immerhin dürften nur gereiftere
Schüler diese Schönheit völlig geniefsen.
Unter den Gedichten sollte nicht: le Rkin alkmand (Nous Vavons eu
Volre Rkin allemand, 11 la tenu dans notre verre USW.) fehlen. Obwohl es stark
chauvinistisch ist, nimmt es doch in der Geschichte des Einflusses der
deutschen Literatur auf die französische im 19. Jahrh. eine besondere
Stellung ein. Die geistigen Beziehungen zwischen Deutschland und Frank-
reich waren trotz der Feindschaft Napoleons L gegen deutsche literarische
Erzeugnisse im ersten Drittel des 19. Jahrh. sehr lebhaft. Die Primaner
kennen doch Madame de Stael's Buch über Deutschland und haben erfahren,
wie eifrig damals die Werke unserer grofsen Denker von unseren westlichen
Nachbarn studiert wurden. Die Lektüre Mussets bietet nun die beste
Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dafs etwa mit dem Jahr 1840 sich ein
Umschwung vollzieht. Der offene Bruch wird durch Mussets Antwort aut
Beckers Lied gekennzeichnet und daher sollte es in der vorliegenden
Sammlung nicht fehlen.
Wychram, J. Ckoix de nouvelles modernes. Ed. k l'usage des ecoles. fid.
fran?aise par Rene Riegel, licencie hs lettres VI + 13 S., 26
S. Anhang. Bielefeld und Leipzig, Velhagen und Klasing.
[Reform- Ausg. No. 11.].
Daudet, A. Omes recits tires des Lettres de mon moulin et des contes du lundi
par J. Wychgräm. Traduetion et revision par G. Dansac,
licencie es lettres. VlI -\- 77 S., 59 S. Anhang, ib. [Reform-Ausg.
No. 13].
Moliere: VAvare, fid ä l'usage des ecoles par W. Scheffler et J. Combes.
Biographie et notice par M. Rene Riegel, licencie es lettres.
Avec 3 illustrations. XYIII -f 99; 41 S. Anhang, ib. [Reform-
Ausg. No. 14].
Wie bei den von Dörr, Juuker und Walter besorgten Reformausgaben
ist ein Franzose bei der Bearbeitung zugezogen. Dieses Verfahren hat
zweifellos den Vorteil, dafs einerseits die Bedürfnisse unserer Schüler in
jeder Weise berücksichtigt werden, andererseits wird die Sprachrichtigkeit
gewährleistet. Wer also grundsätzlich auf dem Standpunkt der Reform-
ausgaben steht, wird gerne nach diesen gediegen ausgestatteten Bändchen
greifen. Unter den Anmerkungen lassen sich Erklärungen finden, bei denen
es fraglich ist, ob sie im Bewufstsein des Schülers die entsprechenden
Begriffe hervorrufen werden; bei anderen sind Worte gebraucht, die selbst
einem Primaner kaum bekannt sein dürften, also ihrerseits zunächst erklärt
werden müssen und so die Arbeit von Lehrer und Schüler vermehren. Im
grofsen und ganzen aber zeichnen sich die Anmerkungen durch ihre
geschickte Fassung aus; auch geben sie dem Schüler mancherlei Anregungen
und werden sicher zur Belebung des Unterrichts viel beitragen. Besonders
hervorgehoben sei No. ,13. Die Bändchen können daher selbst dem
empfohlen werden, der sich nicht gerade zu den Reformern zählt, aber doch
darnach strebt, die fremde Sprache möglichst als Unterrichtssprache zu»
gebrauchen.
Die Avare-Ausgabe ist mit drei Illustrationen geschmückt: mit einem
Bildnis des Dichters, mit einer Innenansicht des Theaters Molieres (Längs-
schnitt, — Rekonstrudtion v. W. Scheffler) und mit dem Bilde eines Gigerls
aus dem 17. Jahrh.
Der reinen Erzählungsliteratur gehören die beiden folgenden
Bändchen an.
20t Referate und Rezensionen. Walther Küchler.
Sand, G. La petiu Fadette. Herausgeg. von Max Kosenthai, (XI -j-
118 S.; 37 S. Anhang. Bielefeld und Leipzig, Velhageu und
Klasing.
Der bekannte Roman der G. Sand ist hier für unsere Jugend bearbeitet
worden. Wenn auch die Bearbeitung an und für sich sehr geschickt gemacht
ist, so können wir sie doch nicht als Klassenlektüre empfehlen. Die Sprache
des Romans ist reich an Ausdrücken, die entweder nur sehr selten vor-
kommen, oder der vulgären Sprache oder dem Patois von Berry angehören.
Dadurch erhcält der Roman für den Franzosen einen eigenartigen Reiz, für
die Lektüre junger Leute, die doch erst in die französische bprache ein-
geführt werden sollen, ist er nicht geeignet.
In der Anmerkung zu 33^ mufs es rouije sombre (statt sombre ronge) heifsen.
Cliatelain, A. Cunies du Soir. Herausgeg. von K. Sach?. IV -|- 116 S.,
16 S. Anhaug. Bielefeld und Leipzig, Velhageu und Klasing.
[Pros. Frang. 164 Bd.].
Der Verfasser, der in diesem Bändchen wiedergegebenen Erzählungen,
gehört der Schweiz an. Er offenbart sich uns als feinsinniger Erzähler,
dessen goldiger Humor und grofse Innigkeit sicher auch von der Jugend
verstanden und gewürdigt werden wird.
Ein etwas störender Druckfehler sei angeführt. S. l^ mufs es heifsen
les belies annees (statt des . . .). S. 25j9 dürfte nach vieiUe ein Komma
fehlen. S. 61i, hätte der für Franzosen anstöfsige Pleonasmus ericore toujours
beseitigt werden sollen.
Darm STADT. W. Kalbfleisch.
Gautier, Theophile. Voyarje en Italic. Extrait ä l'usage des classes
superieurej. Mit Einleitung und Commentar herausgegebeu von
Prof. Dr. Richard Ackermann. Nürnberg 1907. C. Kochs
Verlagsbuchhandlung. VI -\- 74 S. Anmerkungen 32 S.
Die Ausgabe ist als Ergänzung gedacht zu der auch in dieser Zeit-
schrift besprochenen Auswahl aus (jautiers „/to/w", die der Amerikaner
V. Payen-Payue getroffen hat. Payen-Payne beschränkte sich auf Venedig,
die Auswahl Ackermanns berücksichtigt neben Venedig auch diejenigen
Teile des Buches, die sich auf den Genfer See, Mailand, Verona, Padua,
Ferrara, Bologna und Florenz beziehen.
Es mag hier nochmals betont werden, wie geeignet der aufserordentlich
lebendige und pittoreske Stil Gautiers auch für den Lernenden ist, wie er
gleichzeitig das Sprachgefühl verfeinern und das Anschauungsvermögen
anregen kann, wie bildend er auf das künstlerische Empflnden einwirkt
und die Phantasie in Tätigkeit setzt. Schon aus diesem Gruude kann die
fieifsige Benutzung der dargebotenen Ausgabe eindringlich empfohlen
werden.
Von den Anmerkungen hätte sich wohl die Hälfte entbehren lassen.
Es kann nicht oft genug betont werden: Eher zu wenig als zu viel! Gautier
schreibt „ Veroiie, dont ön ne peut prononcer le nom scms penser a Romeo et Julittte,
dont le yenie de Shakspeare a fall deitx elres rieh que Phistoire voudrait accepter"
«etp. Der Herausgeber gibt zu dieser Stelle folgende Anmerkung: „Romeo
und Julia, das berühmte Liebespaar aus den Familien der Montecchi und
Cappuletti in Verona, bekanntlich die Ilauptgestalten der gleichnamigen
Tragödie Shakespeares." Welchen Zweck hat diese Mitteilung? Sie
wiederholt die Aussage Gautiers. Sie fügt noch die Familiennamen hinzu,
die der Lehrer, wenn er es für nötig hält, selbst den Schülern mitteilen
kann. Aul'serdem erklärt der Herausgeber, dal's Romeo und Julia „bekanntlich"
die Hauptgestalten der gleichnamigen Tragödie Shakespeares seien, also war
F. L. Bourgeois. Postes, TSUgraphes, TeUphones. 205
es doppelt und dreifach unnötig, diese bekannte Tatsache nochmals ab-
zudrucken. Ebenso gibt er zu Seite 23 an, dafs „bekanntlich" der Campanile
vor einigen Jahren eingestürzt sei und nun wieder von Grund aus aufgebaut
werde. Gleich überflüssig ist zu Seite 2, zu den Worten Gautiers „Le mont
SaUve"' die Anmerkung „le mont Saleve, 1304 m., prächtiger Aussichtspunkt
südöstl. von Genf, zu dem jetzt eine elektrische Bergbahn führt."
Anmerkungen wie „basilique f. Basilika, gröfsere Kirche" sollten
vermieden werden. Eine ganze Anzahl von Wörtern und Wendungen,
deren Übersetzungen gegeben sind, müssen den Schülern der oberen Klassen,
an die sich doch diese Ausgabe ausdrücklich wendet, geläufig sein, so z. B.
passage (Übergang), pelerin (Pilger), demeure (Wohnung), ruc (Blick, Aussicht),
donner sur (hinausgehen auf), Jambe (Beiu)_und viele andere mehr.
Die allzuvielen Anmerkungen und Übersetzungen erschweren übrigens
dem Schüler die Arbeit ganz beträchtlich, sie erleichtern sie keineswegs.
Will er sich nämlich gewissenhaft vorbereiten, so wird er, Avenn er den
reichen Schatz der Anmerkungen vorhanden weifs, auch in solchen Fällen
diese Anmerkungen zu Rate ziehen, in denen er seinen Text auch ohne sie
versteht, in der Absicht ganz sicher zu gehen. Natürlich findet er die
Anmerkung aus der Masse nicht immer gleich heraus, manchmal sucht er
vergebens; denn es ist überhaupt keine da, in vielen Phallen sieht er, dafs
er Recht hatte mit seiner Übersetzung und dann ärgert er sich mit Grund
darüber, dafs er so lange gesucht hatte, was er längst wufste. Diese
Bemerkungen über die Zahl und den Wert der Anmerkungen sind hervor-
gegangen aus dem skeptischen Standpunkte, den ich den Anmerkungen
gegenüber grundsätzlich einnehme. Die Brauchbarkeit des vorliegenden
Textes wird durch diese Ausführungen durchaus nicht berührt Im Gegen-
teil, ich halte diese Ausgabe für einen sehr glücklichen Grifi" und die
getroffene Auswahl für sehr zweckentsprechend. Nur glaube ich allerdings
betonen zu sollen, dafs die Schüler der oberen Klassen fähig sein müssen
ohne die beigegebenen Anmerkungen, die teilweise doch nur ein Spezial-
wörterbuch darstellen, auszukommen.
Gjessen. Waltiier Küchler.
F. Le Bourgeois. Pos/es, Telegraphes, Telephoncs. Freiburg (Baden),
J. Bielefelds Verlag. 1907, XV + 280 SS. Preis 3,50 M. geb.
Diese Veröffentlichung des um die praktische Erlernung der fremden
Sprachen verdienten Verlags wendet sich besonders an die Beamten der
Postverwaltung. Sie will ihnen das Studium der technischen Sprache ihres
Gebietes erleichtern und ihnen so ein wertvolles Hilfsmittel für die
Beherrschung des so vielseitigen, internationalen Verkehrs geben. Aber
auch für das allgemeine Publikum, besonders den Kaufmannsstand ist das
Büchlein geeignet, da es über die Organisation einer Einrichtung orientiert,
die fast ein jeder täglich zu allen möglichen Zwecken in Anspruch nimmt,
ohne sich vielleicht aller Vorteile und Bequemlichkeiten, die ihm im
heimischen und internationalen Verkehr geboten werden, genau bewufst
zu sein.
Der Verfasser behandelt alle Zweige des postalischen Betriebs,
Zusammensetzung der Verwaltung, Bewältigung der ihr gestellten Aufgaben
im Brief-, Wert- und Geldseudungsverkehr, Paketverkehr- und Zeitungswesen.
Er führt in die verschiedenen Möglichkeiten der Telegraphie ein, macht uns
genau bekannt mit dem Material und den Funktionen der einzelnen Apparate,
mit der Praxis der Telegraphie, den verschiedenen Arten der Telegramme
und den Gebühren. Ebenso erlangen wir eingehende Kenntnis vom Telephon
und seiner Anwendung. In einem zweiten Teile wird die Organisation des
206 Referate und Rezensionen. Walther Küclder.
Postbetriebes in einzelnen Ländern, nämlich in Frankreich, Deutschland,
Belgien und der Schweiz dargestellt. Ein deutsch-französisches Verzeichnis
der technischen Ausdrücke beschliefst das I5uch, das wegen seiner aus-
führlichen und die neuesten Erscheinungen und Bestimmungen im Postwesen
berücksichtigenden Darstellung sicher von gutem Nutzen sein wird für den
Fachmann, die Kaufmanns- und Handelswelt, aber auch für den Studierenden
der neueren Sprachen, der sich auch für Sprachgebiete interessiert, die
seinem engeren Fachstudium etwas ferner liegen.
GIESSEN. W. Klchler.
Novitätenverzeichnis.
(Abgeschlossen am 1. Juli 1907.)
1. Bibliographie und Handschriftenkunde.
La Bibliotheque Nationale par Henry Marcel., Henri Bouchot, Ernest Babelon,
Paul Marchai et Camille Couderc. Paris, H. Laurent. 7 fr. [Les grands
Institutions de France].
Catalogtie des üvres et manuscrits du fonds dauphinois de la bibliotheque
raunicipale de Grenoble, dresse et public par Edmond Maignien, conser-
vateur de la bibliotheque, T. 1er. Grenoble, impr. Allier freres. 1906.
In-8 ä 2 col., XI-502 p.
Baldensperger F. — Bibliographie critique de Goethe en France. Lyon.
Kachelte et Cie. 1907. In-8, IX-252 p.
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de la Societe des Etudes rabelaisiennes, P. 1. — L'art militaire dans
Rabelais, par Steph.-C. Gigon. P. 3. — Les voyages merveilleux de Cyrano
de Bergerac et de Swift et leurs rapports avec l'ceuvre de Rabelais
Csuite et fin), par Fietro Toldo. P. 24, — Melanges: Les traditions popu-
laires dans l'ceuvre de Rabelais, par Abel Lefranc. P. 45. — Sur quelques
amis de Rabelais par Abel Lefranc. P. 52. — Tapographie rabelaisienne
(Touraine), par Henry Grimuud. P. 57. — Notes pour le commentaire, par
le Dr. Paul Dorveaux. P. 84. — Ballets tires de Rabelais au XVIIe
siecle, par H.-E. Clouzot. P. 90. — « Avoir la pusse en l'oreille «,
par J. ßarat. P. 98. — Deux vocables rabelaisiens avant Rabelais, par
Hugiies Vaganay. P. 102. — ün nouvel exemplaire du « Testament de
Cuspidius >. P. 104, — Les plus anciennes menüons du ■<: Gargantua »
et du « Pantagruel », par A. L. P. 105. Compte-Rendu. P. 106 : Henri
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compagnon; gai, joyeux; galimatias, uou- sens; jaser, babiller; morgue, mine
fiere; morpion, pou de pubis; petaud (roij; salmis, sorte de ragoüt; souhelin,
exquis; h-iquenique, bagatelle. 2. proven^al: chlfont, chenapan ; escauto.
pelote de fil; farfadet, lutin; gavach, gavot, montagnard; gimb(e)leto,
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Voiture Vincent. Stances Sonnets, Rondeaux et Chansons choisis et precedes
d'une uotice par Alexandre Amoux, portrait froutispice. Paris, E. Sansot
et Cie. 2 fr.
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Erste Hälfte: Dante. Milton. Voltaire. Berlin, Trowitsch & Sohn 1907.
— S. G. Tallentijre, The friends of Voltaire. With Portraits. 314 S. 8". London
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Novitätenverzeichnis. 22 1
7. Ausgaben. Erläuterungsschriften. Übersetzungen.
AU/ranzösiches Übungsbtich, zum Gebrauch bei Vorlesungen und Seminarübungen
hrsgb. von W. Foerster und E. KoschiL-Hz. Dritte Auflage besorgt von
Wendelin Foerster. Leipzig, 0. K. Reisland 1907. V, 264 Sp.
Aubry, F. Estampies et Danses royales. Les plus anciens textes de musi-
que instrunentale au moyen äge. 35 S. 8". Avec musique. Paris, Fisch-
bacher 1907.
Corpus inscriptionum Jatinarum, consilio et auctoritate academiae litterarum regiae
borussicae editum. 40,5X29 cm. Berlin, G. Reimer. Vol. XIII, partis
II fasc. II. Inscriptiones trium Galliarum et Germaniarum latinae, edd.
Otto Hirschfeld et Carol. Zangemeister. Partis II fasc. IL Inscriptiones
Germaniae inferioris ed. Alfr. Domaszewski. Miliaria Galliarum et Germani-
arum edd. Th. Mommsen(f), 0. Hirschfeld, A. Domazewski. (S. 31—38
u. 505—713.1 '07. Kart. 23—.
Inventaire du mobilier du chäteau de la Mothe-Chaudenier en 1530 p. p.
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Les Plus Anciens Monuments de la langue fran^aise p. pour les cours univer-
sitaires p. E. Koschidtz Textes diplomatiques. Notices bibliographiques
et corrections. Septieme edition revue et augmentee. Avec deux fac -
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Villard, H. Jean Cassc, armateur et marchand Marseillais du XIV Siecle:
Sa maison, son comptoir, sa bastide. Piices justificatives [In: Annales de
la Soc. d'Etudes Provengales IV. No. 2. Mars-avril 1907. S. 73— 117].
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Bernhard v. Rouvenac, e._ provenzalischer Dichter des XIII. Jahrh. Kritische
Ausg. m. Einleitg., Übersetzg., Kommentar u. Glossar v. Günth. Bosdorff.
[Aus: „Roman. Forschgn.."] (75 S.) gr. 8°. Erlangen, (F. Junge)
'07. 2, — .
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Bodel, Jehan. — A. Heins. Über das Verhältnis der Redaktion TL zur
Redaktion A, B, im ersten Abschnitt des zweiten Teils von Jehan Rodels
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Chardon. — E. Suchier. Der Minnesänger Chardon [In: Zs. f. rom. Phil.
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Chevalier de La Tour-Landry. — The Book of the knight of I^a Tour-Landry,
compiled for the Instruction of his daughters, translated from the original
222 Novitäten verzeich nis.
Fronch iuto English . . . cdited . . . by Th. Wrlijhv^ reviscd edition, 1906
[Early English Text Society[.
Li Confrere d\Uvours, poeiue avcc refraius (Bibl. Nat. Fr. 837) p. p. A. Lunijfors
[lü: Romania XXXVI. 29-35].
ün contrat de mariaye gascoii du XV^ siecle p. p. ü. Millardet [In: Annales
du Midi XIX, 65-72].
Dieu Omnipotent. — P. Meyer. Sur la picce Strophique Dieu omnipotent [In:
Romania XXXVI, 111—114].
Evamße des femmes. — P. Meyer. Deux nouveaux manuscrits de l'Evangile
des femnios [lu: Romania XXXVI, 1 — 11].
Hl. Fides von Agen S. oben p. 209 Gröber,
f'looventj s. oben p. 214 Brockstedt.
Gace ßrule s. oben P. Meyer.
Girant de BorneUi. — Sämtliche Lieder des Trobadors G. de B. mit Über-
setzung, Kommentar und Glossar kritisch herausgegeben von A. Koken.
Bd. I, Heft 1. Halle, M. Niemeyer. 8«. 1907. M. 3.
Girard de Roussillon. — 8. oben p. 214 Bedier.
Guibert de Xogent. Histoire de sa vie (1053—1124); par lui-meme. Publiee
par Georges Bourgin, archiviste aux Archives nationales, lu-8, LXIII-
258 p. Paris, Picard et tiis. 1907. 7 fr. [CoUection de textes pour
servir a l'etude et ä l'enseignement de l'histoire.]
Guillaume d" Orange. — J. Bedier. Kecherches sur le cycle de Guillaume
d'Orange L Saint Guillaume de Gellone [In: Annales du Midi XIX, 5—39].
Guillaume de Palerne. — II „Guillaume de Palerne" e i suoi dati di luogo e
di tempo. Palermo, stabilimento Verzi 1906 [Estratto dalla Miscellanea
di Archeologia dedicata al Prof. A. Salinas].
Guy of Warwick. — S. oben p. 221 Robinson.
HaimonsUnder. — F. Cas/eis. Les quatre Fils Aymon. Introduction (Suite et
fin) [In: Rev. des 1. rom. Mars-avril 1907. S. 97—182].
— Les Quatre fils Aimou. Essai d'analyse lilteraire p. Leo Jordan [In:
Wallonia XIV, 10. Octobre 190G. S. 289—304].
Karls des Grofsen Reise nach Jerusalem und Constantinopel. Ein altfranzÖS. Helden-
gedicht hrsgb. von E. Koschwitz. Fünfte, verbesserte Auflage besorgt von
G. Tfmrau. Leipzig, 0. R. Reisland. XL, 129 S. 8°.
— Etudes sur l'ancien poeme fran^ais Voyage de Charlemagne en Orient p.
J. Coulet. Coulet et tils Montpellier. 15 fr. [Tome XIX des PubUcations de
la Soc. des Langues Romanes^.
Lothringer. — K. Koebe, Die Lothringer Handschrift L und ihre Stellung zur
übrigen Überlieferung. Diss. Greifswald 1906. 71 S. 8".
Mainet. — P. Riebe, Über die verschiedenen P''afsungen der Mainetsage nebst
Textprobe aus Girarts von Amiens Charlemagne. Diss. Greifswald 1906.
58 S. 8".
Merlin. S. oben p. 215 Paton.
Mysterienspiele, s. obeu p. 215 Ed. Schneegans.
Mönch von JM'mtaudon. — S. Stronski, Sur deux passagGS du moine de Montaudon
et de Torcafol [In: Annales du Midi. Avril 1907J..
3Iorte d'Arthur. — J. Douglas Bruce. A reply to Df Sommer concerning the
relations of Malory's „Morte d'Arthur" and the Middle English romance
„Le Morte Arthur', preserved ia the Harleian MS 2252 [In: Anglia
XXX, 209—216].
Ofßdum von Gevona. — J. Coulet fitude sur l'Ofüce de Girone en l'honneur
de Saint-Charlemague. 165 S. Grofs 8°. Montpellier, Coulet et Fils.
[Tome XX des PubUcations de la Societe des Langues Komanes].
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de Fontaines. Von W. Suchier [In: Melanges Chabancau S. 395— 400].
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(fonds fran^ais) of the bibliothöque nationale de Paris. Diss. Strafsb.
1906. 63 S. 8'\
Robert Biquets. "Lai du Cor" mit einer Einleitung über Sprache und
Abfassungszeit von //. Dömer. Strafsburger Diss. 65 S. 8°.
Roland. — K. Steitz. Zur Textkritik der Rolandüberlieferung in den skandi-
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Universitäts Buchdruckerei Junge & Sohn. 44 S. 8°.
Remy de Beauvais /•'., S. oben p. 210 Dittmer.
— La Chanson de Roland a modern French translation of Theodor Muller's
text of the Oxford manuscript, with introduction, bibliography, notes and
index, map, illustrations and manuscript readings, by J. Geddes. New York,
Macmillian 1906. CLX. 317 S. 12«.
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Paris, impr. Berthaud freres, No. 4°, 18 pages et 66 planches.
Anthologie des poetes francais contemporains. Le Parnasse et les ecoles
posterieures au Parnasse (1866—1906). Morceaux choisis, accompagnes
de noticos bio et bibliographiques et de nombreux autographes; par G.
Walch. Preface de Sully Prudhomme. T. 3. Paris, Delagrave. 1907. In-8,
600 p. 3 fr. 50.
Les Chansonniers de Montmarire Douze fascicules illustres par les Maitres du
crayon avec la Biographie des chansonniers Aristide Bruant, Paul
Delmet, Maurice Boukay, Xanrof, Jules Jouy, Jacques Ferny, Galten
Coute, Xavier Privas, Georges Cbarton, Les Quat' z' Arts (ses poötes et
ses Chansonniers), Jeban Rictus, Eugene Lemercier. Paris, Librairie
Universelle, rue de Provence 33. Jede Nummer 1 Ir.
Correspondance entre Alexis de Tocqueville et Arthur de Gobineau, premiere
partie (1843—1857) [In: Rev. d, deu.K mondes 1er juin ]907].
Beaumarchais : Der Barbior v. Sevilla od. Alle Vorsicht umsonst. Komödie.
Ubers. v. Jos. Kainz. (88 S.) gr. 8^ Berlin, F. Fontane & Co. '07.
Büigne 3/me de — Memoires de la Comtesse de Boigne p. apres le manus-
crit original, par Charles Nicoulaud. I, 1781—1814. Paris, Plön et
Nourrit. Pr. 7 fr. 50.
Chant du depart. — A. Lieby, La date de la composition du „Cbant du depart"
[In: La Revolution frangaiso 1907, 14 fevr. Vgl. ib. 14 mars: ./. Guillaume,
Un dernier a propus du „Chaut du depart].
Cliateaubriand, s. oben p. 208 Duchemin.
224 Novitätenverzeichnis.
Colle. — La Partie de chasse de Henri IV, comcdie de Cotle; par Henri
Cordier. Paris, Ledere. 1907. In-8 carre, 31 p. fAuch Bulletin du Biblio-
phile 15 fevr. 1907].
Benjamin Constani. Le "cahier rüUge" par L. Conslant de Rebecque. Paris.
L. Carteret.
Daudet, A. (Euvres completes. Le Petit Chose. Fascicule 29. Paris,
Fayard. Petit in-8, p. 1 ä 24. Un fascicule, 10 cent.
Des Barreaux S. oben p. 218.
Desjnasures, L. Tragedies saintes. David combattant — David triomphant
— David fugitiv. Edition critique p. p. Ch. Comte. Paris, 1907. IV,
279 S. 8". 7 fr. [Societe des textes franc^ais modernes].
Du Bos. — Vingt lettres inedites, de l'abbe J.-B. Du Bos p.p. P. B. [In:
Rev. d'Hist. litter. de la France XIV, 1).
Qohineau, Graf: ^Jachgelassene Schriften, hrsg. v. Ludw. Schemann. Prosa-
schriften. I. La troisieme republique fran^aise et ce qu'elle vaut. (XI,
12.5 8.) 8 f. Strafsburg, K. J. Trübner '07. 2,50.
— F. Hildebrand, Alexandre le Macedonien. Drama des Grafen Gobineau in
metrischer Übersetzung. Progr. Osterode 1907. 78 S. 8°.
Hugo, Vict.: Der Glöckner v. Notre-Dame. Roman in 8 Büchern n. e. Vor-
wort. Ins Deutsche übertr. u. m. Einleitg. versehen v. Philipp Wanderer.
(663 S. m. Bildnis.) 8". Berlin, A. Weichert ('07). 3—.
La Bruyire. — A. Collignon. Note sur l'onomastique de la Bruyere [In:
Rev. d'Hist. litter. de la France XIV, 1.].
Lamartine, A. de. Jocelyn, episode (Journal trouve chez un eure de village).
Paris, Hachette et Cie. 1907. In-16, XXI-333 p. 3 fr. 50.
Moliere, s. oben p. 217 Toldo.
Montaigne, Essais de. (Selfedition) Par le General Michaud. T. 2e. Paris,
Firmin Didot et Cie. Jeder Band 15 fr.
— Theätre complet T. 2. Paris, Flammarion. In-18 Jesus, 460 p. 95 cent.
Montesquieu. — Une lettre inedite de M. p. p. Louis Gazier [lu: Rev. d'Hist.
litt, de la Fr. XlV,lj.
Moreau, ff. — Documents inedits : Une lettre d'Hegesippe Moreau [In:
Annales Romantiques IV, 1].
Musset, A. de. Correspondance 1827—1857. Recueillie et annotee p. L. Seche.
Paris, Librairie du Mercure de France. 300 S. 8°. 7 fr. 50.
— Le cinquantenaire de la mort d'A. de Musset. Extraits de sa corres-
pondance inedite p. L. Seche [In: Annales Romantiques IV, 2].
— Premieres Poesies (1829-1835). Paris, Larousse. Petit in-8, 240 p.
avec Portrait. 1 fr.
Mystere du Viel Testament S. oben p. 209 B. Meyer.
Pascal. — Les Provinciales (texte de 1656— 1657). In-18 Jesus, 340 p. Paris
Flammarion. 95 cent. [Les meilleurs auteurs classiques fran^ais et
etrangers.]
Pasquier, E. — Deux discours manuscrits d'Estienne Pasquier p. K. Glaser
[In: Rpy. de la Renaissance Jan v. -fevr. 1907].
Pinchesne, Etienne Martin de. La Cronique des Chapons et des Gelinottes
du Mans publice sur le manuscrit original de la Bibliothöque Nationale
par Frederic Ijachevre. Frontispice ä l'eau-forte grave par H. Manesse.
Paris, H. Ledere. Pr. 12 fr. [Poete et Goinfre du XVIIle siede].
Prudhomme, Sully, analyse de quelques iines de ses poesies p. Weher. Progr.
d. Französ. Gymnasiums, Berlin. 16 S. 4°.
Quinet, E. — Lettres inedites ü' Edgar Quinet [In: La Revue des Revues
15 avrilj.
— //. Monln. Etüde critique sur le texte des „Lettres d'exil" d'Edgar Quinet
[In: Rev. d'Hist. litter. de la Fr. XIV, 1].
Rabelais s. unten p. 225 Ronsard.
Novitätenverzeichnis. 225
Renan, E. Nouveaux Cahiers de Jeunesse [In: Rev. Bleue 25 mai, 1er et
15 juin 1907].
Ronsard. — L. Foulet. Un emprunt de Ronsard ä Rabelais [In: Rev. d'Hist.
litt, de la France XIV, 1].
— Die Elegien Pierre de Ronsarts. Ein Beitrag zum Studium der Plejade
von Dr. phil. Consiantin Bauer. Leipzig, Dr. Seele & Co 1907. VIII,
66 S. 8«.
— Schönfelder, W. Die Vorstellung in den poetischen Werken Pierre de
Ronsards. Diss. Leipzig 1906. 80 S. 8".
Rousseau, J.-J.: Bekenntnisse. Unverkürzt aus dem Franz. übertr. v. Ernst Eardt.
Zierleisten v. A. Gratz. (870 S. m. Bildnis.) kl. 8». Berlin, Wiegandt
& Grieben '07. Geb. in Ldr. 10,—.
— (Euvres completes T. 11. In-lö 438 p. Paris, Hachette et C'e. 1906.
1 fr. 25. [Les principaux ecrivains fran^ais.]
— Th. Dufour. Le testament de Jean- Jacques Rousseau [In: Bull, de la
soc. d'hist. et d'archeol. de Geneve. T. III, livr. 1. Geneve 1907.
S. 39—54].
Sainte-Beuve. — Lettres inedites de S.-B. ä Edmond Scherer [In: Rev. des
Rev. 1 fevr.].
Scarron. — J. Janicki. Les comedies de Paul Scarron. Contribution ä l'histoire
des relatious litteraires franco-espagnoles au XVII« siecle. Progr. Posen.
14 S. 4°.
Sedaine. CEuvres choisies : le Philosophe sans le savoir; la Gageure imprevue;
le Diable ä quatre; le Roi et le Fermier; les Sabots; le Deserteur; Rose
et Colas; le Magnifique, etc. In-16, lV-ö75 p. Paris, Hachette et Cie.
1906. 1 fr. 25. [Les principaux ecrivains fran^ais.]
Sevigne, il/'»« de, Lettres recueillies et commentees par Leo Claretie. Grand
in-4, 320 p. avec illustrations de C. Cbalus. Paris, Juven.
Stendhal. — Correspondance inedite de Stendhal. Precedee d'une introduction
par Prosper Merimee. Paris, Calmann-Levy. 2 vol. in-18 Jesus. T. 1%
XXIV-336 p.; t. 2. 321 p. Le vol. 3 fr. 50.
Taine. — Lettres de H. Taine sur la Revolution [In: Rev. d. deux mondes.
15 avril 1907].
Theuriet, A. ä Bois.-Fleuri p. Fr. Loliee [In: Revue Bleue 4 mai 1907].
Thory, R. — Curiosites poetiques du XVI« siecle : Rene Thory p. Camille Ballu
[In: Rev. de la Renaissance. Janv. - fevr. 1907].
Verlaine, Paul Voyage en France par un Frangais publie d'apres le manuscrit
inedit. Preface de Louis Loviot. Paris, L. Vanier — 3 fr. 50.
Vigmj A. d. — Helena, poeme en trois chants; Reimprime en entier sur
l'edition de 1822. Avec une introduction et des notes (these); par ^dmoncZ
Esteve. Paris, Hachette et Cie. 1907. In-8, LXVII- 76 p.
— Sur quelques erreurs de date du ..Journal d'un poete" p. Isaac Roney
[In: Rev. d'Hist. litt, de la Fr. XIV,1].
Voltaire. — Böttcher, E. Der englische Ursprung des Comte de Boursoufle.
Diss. Rostock 1906. 87 S. 8 '.
— Prince de Lljne Lettres de Voltaire [In: Revue de Paris 15 avril 1907].
Zola, E. Correspondance. Lettres de Jeunesse — Paris, E. Fasquelle. 3 fr. 50.
— Gorminal (I lavoratori sotterranei). Milano, Societä ed. milanese 1907. 8°.
fig. p. 753. L. 7.
8. Geschichte und Theorie des Unterrichts.
Bernhard, F. W. Wie kann der französische Unterricht auf der Oberstufe
noch mehr für die Erziehung zu selbständigem Denken nutzbar gemacht
werden? Prog. Neumünster 1907. 3 S. 4''.
Biehler, H. Gesichtspunkte für das Übersetzen aus dem Französischen. Progr.
Freiburg i. B. 1906. 21 S. 4«.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXI>. 15
226 A'o vitalen verzeiclin is.
Budde, Gtrh.: Die Theorie des fromdsprachlicben Untorrichts in der Horbart-
schen Schule. Eine historisch-krit. Studie, nebst e. Vorschlag zu e. Neu-
gestalte, des gesamten fremdsprachl. Unterrichts nach e. einheitl. Prinzip.
(VIII, VA S.) ..gr. 8". Hannover, Hahn .".— .
Duschinsky, W. Über die Tätigkeit und die Ziele des Wiener „neu-
philologischen Vereines" [In: Zs f. dasRealschulwesenXXXH, S. 129— 145].
Hammer, M'. A. Natürliche Anschauungsmittel für den neusprachlicheu Unter-
richt. [In: Zs. f. d. Realschulwesen XXXII, G. S. 321— ;>37J.
Hast, A. Pädagogischer Kleinkram [In: Zs. f. franz. u. engl. Unterricht VI,
3. S. 239— 248j.
Koschwiiz, Eduard: Anleitung zum Studium der französischen Philologie f.
Studierende, Lehrer u. Lehrerinnen. 3., verm. u. verb. Aufl. v. Gvst. Thurau.
(VIII. 268 S.) 8°. Marburg, N. G. Elwert's Verl. '07. 4—.
Kraft, Fr. Rostands Princesse lointaine als Schullektüre. Beilage zum
Jahresbericht der Grofshzgl. Ober - Realschule zu Worms. Über das
Schuljahr 1906/07. Worms. Druck von A. K. Boeninger 1907. 62 S. 8°.
Krücjer. H. Welches ist der Wert der Grammatik und wie mufs sie betrieben
werden [In: Zz. f. franz. und engl. Unterricht, VI, 2].
Puhner, I. Line Studienreise nach Frankreich. Progr. Stendal. 1907. 13 S. 8".
Ratgeber f. das Studium des Französischen u. Englischen. Mit besond.
Berücksicht. v. Fachlehrerprüfgn. in Sachsen. Hrsg. vom Vorstande der
Vereinigg. f. fremdsprachl. Unterricht (Abteiig. des sächs. Lehrervereins).
(.51.S.) 8°. Dresden, (C. Winter) '07. —
Roeth Über die ßildungsaufgabe und das Bildungsziel des neusprachlichen
Unterrichts am Gymnasium [In; Zs. f. franz. und engl. Unterricht VI, 2].
Salverdu de Grave, J. J. Quelques observations sur l'evolution de la philo-
logie romane depuis 1884. Discours prononce le lef mai 1907, ä l'occasion
de son installation comme professeur ordinaire ä la facnlte des lettres
de l'Universite de Groningue. Leide, Van der Hoek freres 1907. 40 S. 8".
Stahl. A.: Ein Fericnkursus in Saint- Valery-en-Caux, zugleich e. Beitrag
, zum Verständnis des Küstenstrichs. Progr. (32 S.) Lex. 8". Greifswald,
(Brunken & C;;.) '07. —80.
Zimmermann. R. Über den Unterricht der neueren Sprachen in Rufsland
[In : Zs. f. franz. u. engl. Unterricht VI, 3. S. 228—283].
9. Lehrmittel für den frauzösischen Unterricht,
a. Grammatiken, Übungsbücher etc.
Afsfahl, K.: Je 50 französische u. englische Übungsstücke, welche bei der
württ. Zentralprüfg. f. den Einjährig-Freiwilligen-Dienst in den J. 1905
— 1907 m. Genehmigg. der k. Prüfungskommission gegeben wurden.
4. Serie. (64 S.) 8". Stuttgart, A. ßonz & Co. '07. —SO
Beaux, Th. de: Französische Handelskorrespondenz. Neudr. (VII, 144 S.) '07.
[Sammlung Göschen]
Bechtel, Adf u. Ch. Glauser: Sammlung französischer Aufsatzthemata (m.
Disposition u. Vokabular). Recueil de sujets de composition. I. Tl. f.
die unteren u. mittleren Klassen höherer Lehranstalten. 2., rev., der
amtl. Rechtschreibg. v. 1902 angepafste Aufl. (XVI, 180 S.) gr. 8°. Wien,
Manz '06. 2, 20
Bock, Frz.: Choix de lettres frangaises. Recueillies et annotees. (55 S.) kl.
80. Nürnberg, C. Koch '07. — 80
Boerner. Otto: Lehrbuch der französischen Sprache. Mit besond. Berücksicht.
der Übgn. im mündl. u. schriftl. freien Gebrauch der Sprache. (Prof.
Dr. Boerners neusprachl. Unterrichtswerk, nach den neuen Lehrplänen
bearb. Französischer Tl.; Ausg. C. (In 2 Abtlg.) II. Abtlg. Mit 2
Hölzelschen Vollbildern (Herbst u. Winter), 1 Karte v. Frankreich,
1 Plane v. Paris u. 1 Münztaf. In Tasche: Französisch-deutsches und
Novltütenverzeiclinis. 227
dentsch-frauzös. Wörterbuch. 4. Doppel- Aufl. (X. 268 u. 72 S.) gr. 8»
Leipzig, B. G. Teubner '07. 2.80
— dasselbe. Ausgabe 1), f. preufs. Realanslalten u. ähnl. Schulgattgn.
Mitbearb. v. Realprogymn.-Dir. Dr. Frdr. Schmitz. II. AbtIg. Mittelstufe.
Mit o Hölzelscbcn Vollbildern: Frühling, Sommer u. Herbst, e. Karte v.
Frankreich, e. Plane v, Paris u. Münztaf. In Tasche: Französisch-
deutsches u. deutsch- französ. Wörterbuch. 2. verb. Aufl. (X, 252 u.
76 S.) gr. 8 0. 2. 80
Boerner. Ono; Lehrbuch der französischen Sprache. Mit besond. Berücksicht.
der Übgn. im ri.ündl. u. schriftl. freien Gebrauch der Sprache. Unter
Mitarbeit von St. v. Napolski u. M. v. Napolski. Vereinfachte Cearbeitg,
der Ausg. B f. Mädchenschulen. (Prof. Dr. Boerners neusprachl.
Unterrichtswerk, nach den neuen Lehrplänen bearb. Französischer Tl.)
8°. Leipzig, B. G. Teubner. [V. Tl. (Syntax). Mit e. Hölzelsrhen Voll-
bild: „Paris", 8 Ansichten v. Paris, e. Plane v. Paris, e. Karte v. Frankreich
u. e. französ. Münztftfol. Hirrzu als Beiheft in Tasche: Abrege d'histoire
de la litterature frangaise. (VIU, 272 u. 4-2 S.) '07. 3,20].
Bcerner, Otto u. Rwl. DinUer. Lehrbuch der französisclien Sprache. Mit
besond. Berücksicht. der Übgn. im mündl. u. schriftl. freien Gebrauch
der Sprache. Unter Mitarbeit v. Bürgersch.-Dir. Dr. Herrn.. Heller hrsg.
(Prof. Dr. Boerners neusprachl. Unterrichtswerk, nach den neuen Lehr-
plänen bearb.) Ausg. H f. Bürger- n. Mittelschulen. II. Tl. 2. verm. u.
verb. Aufl. Mit 4 VollMldern v. Paris. (VI. 194 S.) 8". Leipzig, B. G.
Teubner '07. 1.80
Curtius, Anna. Der französische iVufsatz im deutschen Schulunterricht. Eine
Anleitung zur Ge^taltung der fi eien schriftlichen Arbeiten im fransösischen
Sprach- und Literaturunterricht. Leipzig, Verlag der Dürrschen Buch-
handlung. VHI, 296 S. 80. Preis geh. 4 M. geb. 4M. 80 Pf.
DuUslav, Geo.^ u. Paul Boeh: Methodischer Lehrgang der französischen
Sprache f. höhere Lehranstalten. Französisches Übungsbuch. Ausg. A
u. B. Für Sekunda u. Prima der Gymnasien, sowie f. Obertertia. Sekunda
u. Prima der Kealgymnasieu. Mit e. Karte v. Frankreich. (X, 262 S.)
gr. 8°. Berlin, Weidmann '07.
Dussoiicketj J. Cours primaire de grammaire francaise, redige conformement
aux programmes officiels. Grammaiie eufantine illustree. Paris, Ilachette
et Cie. 1907. In-16, 80 p. 40 cent.
Forest, Jules: Exercices de phraseologie et de style. iVIII, 214 S.) 8". Leipzig,
Renger '07. 2. 80
Fricke, Rieh.: Le laugage de nos enfants. Cours primaire de fran^ais.
Französisch für Anfänger. I. Cours elementaire. 1. Teil (Für Sexta.)
(X, 202S.) 8». Wien, F. Tempsky. — Leipzig, G. Freytag '06. 2 —
Link, Thdr.: Grammaire de recapitulaiion de la hmgue frangaise ä l'usage
des ecoles secondaires. Französische Repetionsgraromatik für Mittel-
schulen. Ausg. B. (VIII, 184 S.) 8". München, R. Oldenbourg '07. 2—.
Maaijen, Vict. v.: Wie man Kinder in einer fremden Sprache und in der
Grammatik unterrichten mufs. Musterlektioueu der französ. Sprache,
gültig für alle Sprachen, für tote und lebende, nebst einer Sammlung
leichter Erzählungen zum Unterrichte in den drei ersten Klassen.
(45 S.) 8". Riga '06. (Reval, Klage & Ströhm ) 2 —
Mar7ieij, Toreau de: Toujours pret. Nouvelle. Avec un abrege de grammaire
et un vocabulaire frauQais-allemand. (Violets Sprachlehrnovellen.) (V,
97 S.) 8". Stuttgart, W. Violet '07. 1.20
Metzger, Fr., tt. 0. Uanzmann: Lehrbuch der französischen Sprache auf Grund-
lage der Handlung und des Erlebnisses. Ausg. A. Für Realanstalten,
Reform- und höhere Mädchenschulen. 8". Berlin, Rcuther & Reichard.
1. Stufe (f Sexta) Mit Zeichnungen v. Helhnnt Eichrodt. o. verb.
Aufl. (XII, 168 S.) '07. Geb. 1.60. — 2. Stufe (f. Quinta u. Quarta).
15*
228 No vitäten Verzeichnis .
Mit Zeichnungen v. Ilellmut Eichrodt, sowie o. (faib.) Karte v. Europa
und e. (färb.) Plane von Pari-:. 2. verb. Aufl. (VIII, 379 S.) '07. 3.20.
dasselbe. Ausg. B. Für Bürger-, Töchterschulen (Mittelschulen) und
erweiterte Volksschulen. 1. Stufe f. das 1. u. 2. Jahr). Mit Zoichngn.
von Hcllniut Eichrodt. 3. verb. Aufl. (XII, 2.50 S.) 8». Ebd. '07. 2 —
Miihry, M.: Praktische Einführung in den französischen Anfangsunterricht
für mittlere und höhere Mädchenschulen, sowie für lateinlose u. Reform-
Knabenschulen. Im Auschlufs an die Bücher v. Kühn und Kühn-Diehl.
(20 S.) 8». Frankfurt a/M., M. Diesterweg '07. —40
Pierre, A., A. Minet et i/"« A. Mariin. — Cours de langue fran^aise (.Grammaire
et Vocabulaire; 200 lectures et recitations; 2.50 causeries et compositions;
plus de 1000 exercices varies; 3e edition, revue et corrigee. Cours moyen.
Cours superieur. Paris, Nathan. 1907. In-16, 344 p. avec grav.
riatiner, Ph.: Ausführlicho Grammatik der französischen Sprache. Eine
Darsteljg, des modernen französ. Sprachgebrauchs mit Berücksicht. der
Volkssprache. IV. Tl.: Ergänzungen. Präpositionen und Adverbien mit
Einschlufs der Negation, sowie Syntax des Adjektivs. (286 S.) 8°.
Freiburg i/B., J. Bielefeldt '07. 4, — ; geb. ."),^^ (Vollständig, zusammen-
bezogen: 25, — ; in 4 Leinw.-Bdn. 27, — ; mit Übungsbuch 29,-).__
Schaefer, Curt. Lehrgang für den französischen Unterricht. IV. Tl. Übungs-
buch 1. Hälfte. 2., völlig neubearb. Aufl. der „Kleineren französischen
Schulgrammatik für die Oberstufe IL Tl." (III, L60 u. XXXV S.) gr. 8^
Berlin, Winckelmann & Söhne "07 1,60.
Sdiulthess, J. Übungsstücke zum Übersetzen aus dem Deutscheu ins
Französische bestehend in Erzählungen, Parabeln, Anekdoten, kleinen
Schauspielen und Briefen für den Schul- und Privatgebrauch. Sechzehnte,
durchgesehene Auflage. Zürich, Schulihefs & Co. 1907. 204 S. 8°. M. 1,40.
Tanty, F.: Grammatica france/;a (grammaire frangaise ä l'usage des Portugals
et Bresiliens) com themas e exercicios de leitura e conversa^äo. (Methodo
Gaspey- Otto -Sauer.) 2, ed. Rev. por Gaston Le Boucher e Carolina
Micha'elis de Vasconcellos. (VIII, 499 S. mit l Karte und 1 Plan.) 8».
Heidelberg, J. Groos '07. Geb. 4,— ; chave. (49 S.) Kart. 1,60.
Weitzenböck, G. Lehrbuch der franz. Sprache für Mädchenlyzeen, Lehrerinnen-
bildungs-Anstalten. L Teil mit einer Münztafel. 3. Aufl. Wien, F. Tempskv
1907. Pr. geb. 2 K 90_h.
— dasselbe. IL Teil. A. Übungsbuch. Mit 24 Abbildungen, einem Kärtchen
von Frankreich und einem Plan von Paris. Pr. geb. 3 K 80 h.
b. Literaturgeschichte, Schulausgaben, Lesebücher.
Auieurs francais. 8°. Trier, J. Lintz. L Wershoven, F. J.: Napoleon ler.
Sa vio, son histoire depuis sa mort, ses poetes. Mit 5 Abbildgn. (HI,
107 S.) '07. 1,10. H. Lanfrey, Duruy, Rousset: Jena, Waterloo,
Sedan. Hrsg. v. Prof. Dr. F. J. Wershoven. Mit 2 .\bbildgn u. 3 Karten.
(82 S.) '07. — 90; Wörterbuch. (25 S.) — 20. 111. Daudet, Theuriet,
Maupassant, Leniaitre: Kriegsnovellen (1870—1871). Ausgewählt
und erklärt von F. J. Wershoven. Mit 2 Abbildgn. und 1 Karte. (88 S.)
'07. — 90. IV. Michelet, J.: Jeanne d'Arc. Hrsg. und erklärt von
F. J. Wershoven. Mit 1 Abbildgn. (VIII, 88 S.) '07. — 90._ _
Boriieeque, Henri, et Benno Röttgers, Recueil de morceaux choisis d'auteurs
francais. Livre de lecture consacre plus specialement au XlXme siöcle
et destine ä l'enseignement inductif de la litterature frangaise moderne
et contemporaine. (XVI, 515 S.) gr. 8°. Berlin, Weidmann '07. 5—;
commenlaire litteraire. (III, 118 S.) '07. 2.80.
Clarelie, L. Nos grands ecrivains racontes a nos petits Frangais; Preface
par M. G. Ilnnotaux, Paris, Gedalge et Cie. In 8, 255 p. avec grav. et
portraits dans le texte.
Novitätenverzeichnis. 229
Daudet, Alphonse: Lettres de mon moulin. Wörterverzeichnis. (24 S.) kl. 8°.
Leipzig, Dr. P. Stolte '07. — 30.
Erckmann-Chatrian: Watsrloo. Suite du conscrit de 1813. Für den Schul-
gebrauch hrsg. vou Eugene Pariselle. (120 S. mit Titelbild und 4 Karten.)
8°. Leipzig, G. Freytag. — Wien, F. Tempsky '07. 1.20; Wörterbuch.
(33 S.) — 40.
F7-ßrec«7fow, Cyprien : La conversation fran^aise nebst Schlüssel zum „Fran^ais
pratique." (VI, 3.32 S.) 8'^. Leipzig, Pi,enger '06.
Gautiei; Thi'nphih: Jettatura. Mit Wort- und Sacherklärungen hrsg. von
Aug. Geist. (Koch's neusprachl. Schullektüre, französ. Ausg.) (VII. 103
und 23 S.) kl. 8". Nürnberg, C. Koch '07. 1,—.
Guechoi. Deuxieme livre de lecture expliquee. Vocabulaire et Composition.
Formation du raisonnement par l'observation directe et la reflexion.
Cours moyen. Petit in-8, 160 p. avec vign. Paris, Hachette et Cs. 1907.
Hartmann. Marl.: Schulausgaben (französischer Schriftsteller). (Neue Aufl.)
8°. Leipzig, Dr. P. Stolte. Nr. 7. Meliere: Le bourgeois gentilhomme.
Mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von C. Humbert. 2.
verbesserte Auflage (XX, 90 und 39 S.) '07. 1.—.
Jones, Dan., M. A.: 100 poesies enfantines (avec maximes et proverbes).
Recueillies et mises en transcription phonetique. lUustrations par Elinor
M. Pugh. (VI, 106 S.) kl. 80. Leipzig, B. G. Teubner '07. 1.80.
Moliere: L'Avare. Comedie. Für den Schulgebrauch hrsg. v. Willi Splettstösser.
(116 S. mit Titelbild und 1 Abbildung.) 8°. Leipzig, G. Freytag. — Wien,
F. Tempsky '07. 1.20.
Parisien, le petit. Illustriertes französ. Witzblatt für deutsche Leser zur
Fortbildung in der französ. Sprache. 1. Jahrg. 4. Vierteljahr Januar —
März 1907. 6 Nummern. (Nr. 24. S. 185—192.) 30,5X23 cm. Hamburg,
H. Paustian.
— dasselbe. 2. Jahrg. April 1907-März 1908. 24 Nummern. (Nr. 1. 8 S.)
30,5X23 cm. Ebd. Vierteljährlich 1 20.
Prosateurs francais. Ausgabe A mit Anmerkungen zum Schulgebrauch unter
dem Text. Ausgabe B mit Anmerkungen in einem Anhang kl. 8°.
Bielefeld., Velhagen & Klasing. 167. Lfg. Chailey-Bert, Jos.: Tu
seras commer^ant. Ausgabe für kaufmännische Lehranstalten von Ludw.
Voigt (Ausg. B.) (VII, 116 S.) 1907. 1,—. 168. Lfg. Girault P.:
Tony ä Paris. Mit Anmerkgn. zum Scbulgebrauch hrsg. v. J. Niederländer.
Mit 9 lUustr. u. 1 Karte v. Paris. (Ausg. B.) (IV. 190 u. 72 S.) '07. 1.80.
169. Lfg. Chuquet, Arth.: La guerre de 1870—1871. In Auszügen
mit Anmerkgn. zum Schulgebrauch hrsg. v. Leon Wespv. Mit 1 Über-
sichtskarte. (Ausg. ß.) (V, 148 u. 78 S.) '07. 1.40. 170." Lfg. Guizot,
F.: Histoire de la civilisation en Europe. Le peuple et le gouvernement.
Auszug mit Anmerkgn. f. den Schulgebrauch hrsg. v. Herm. Gi-öhler
(Ausg. B.) (VIII, 129 u. 47 S.) '07. 1.20. 171. Lfg. Goncourt, Edmond
de, et Jules de Goncourt: Histoire de la societe fran^aise pendant la
revolution et le directoire. Mit Anmerkgn. zum Schulgebrauch hrsg v.
Wilh. Kalbfleisch. Mit 1 Übersichtskarte. (Ausg. B.) (IV, 107 u. 35 S.)
'07. 1.10.
Rostands princesse lointaine als Schullektüre. Zur Einführg. u. Ergänzg.
der Schulausg. von Fr. Kraft. (62 S.) 8". Marburg, 0. Ehrhardt '07.
Sand, George: La petite fadette. Nach der Pariser Ausgabe der Oeuvres
illustrees de George Sand. Michel Levy Freres 1869. Hrsg. u. erläutert
v. K. Sachs. 2. Aufl, (III, 173 u. 32 S.) 8«. Berlin, Weidmann '07. I.SO.
Steffen, Max: La France. Choix de lectures de geographie. Für den Schul-
gebrauch hrsg. (109 S. m. 5 eiugedr. Karten.) 8°. Leipzig, G. Freytag. —
Wien, F. Tempsky '06.
SteinmüUer, Geo.: Auswahl V. 50 französischen Gedichten f. den Scbulgebrauch.
2 30 Novitätenverzeichnis.
Zusammengestellt und erläutert, uebst einem Wörterbuch. 3. Auflage
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Scht/lbibliothek französischer und englischer Prosaschriften ans der neueren Zeit.
Mit besoud. Uerücksicht. der Fordergn, der neuen Lehrpläne hrsg. v. L.
Bahlsen u. J. Hengesbach. 1. Abtlg. : Französische Schriften. 8". Berlin,
Weidmann. öS Bdchn. Chalamet, A. : A travers la France, in gekürzter
Fassg. u. ra. Kommentar hrsg. v. Realgymn.- Oberlehr. Dr. Max Plänzel.
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Blandy, S.: Mont Salvage. Mit Anmerkgn. zum Schulgebrauch u. e.
Wörterbuch versehen v. F. Mersmaun. (164, 22 u. 31 S.) C'07.) 1.60. 5.
Bdchn. Blandy. S. : Desireo et Violette. (Fortsetzung v. Mont Salvage).
Mit Anmerkgn. zum Schulgebrauch u.e. Wörterbuch versehenv.F. Mersman.
(118, 18 u. 27 S.) ('07.) I.ÖO.
Schulbibliothek . französische und englische. Hrsg. von Otto E. A. Dickmaun.
Reihe A: Prosa. 8°. Leipzig, Renger. 1.54. Bd. Compayre, Gabr. :
YvaQ Gall, le pupille de la marine. Für den Schulgebrauch ausgewählt
■ und erklärt von E. Wirtz. Mit 10 Abbildungen (IV, 128 S.) 1907. 1.30.
Schulbibliothek, französische und englische. Hrsg. von Otto E. A. Dickmann.
Reihe A: Prosa. 8". Leipzig, Renger. ,57. Taine, H. : Les origines
de la France contemporaine. Für den Schulgebrauch ausgewählt und
erklärt von Otto Hoffmann. 8. Aufl. (VI, 12.5 S.) '07. 1.20. 94. Daudet,
Alphonse: Le petit chose. Für den Schulgebrauch erklärt v. Jos. Aymeric.
4. Aufl. (VIII, 130 S.) '07. 1.30. — Reihe B: Poesie. 8°. Ebd.
— dasselbe. Reihe C. (Für Mädchenschulen.) Prosa und Poesie. 8". Ebd.
1. Paresseux, Ic petit. — Witt, Mme. de. nee Guizol: Premier voyage
du petit Louis. — Bersier, Mme.: Histoire d'une petite fiUe heureuse.
Für den Schulgebrauch bearb. v. M. Mühry. 4. Aufl. (60 S. '07. — 70.
2. Bersier, Mme.: Les myrtilles. Für den Schulgebrauch bearb. von
M. Mühry. 2. Auflage (78 S.) '07, — 70. 4. Colom b, Mme.: La fiUe
de Cariles. Für den Schulgebrauch bearb. v. M. Mühry. 8. Aufl. (96 S.)
'07. — 90.
— dasselbe. Reihe B: Poesie 8°. Ebd. 31. Bd. Rostand, Edm.; Princesse
Lointaine. Publice ä l'usage des classes par Fr. Kraft et L. Marchand.
Dictionnaire explicatif. (28 S.) '07. — 30.
Thiers^ A. : Expedition d'£gypte. Für den Schulgebrauch hrsg. v. Oberrealsch.
Oberlehr. Dr. Frdr. Weyel. (127 S. m. 3 Abbildgn. u. 4 Karten.) 8».
Leipzig, G. Freytag.. —Wien, F.Tempsky 'OG. 1.50; Würlerbuch.(;54S.)— 40.
Vocabularien, französische u. englische, zur Benutzung bei den Sprechübungen
üb. Vorkommnisse des täglichen Lebens. (Dr. Ew. Goerlich's frauzös.
u. engl. Vokabularien.) I. Französische Vokabularien, kl. 8". Leipzig,
Reuger. 8. Wallcnfels, Herrn.: Der Bauernhof, zugleich im Anschlufs
an das bei Ed. Hölzel in Wien erschienene Anschauungsbild: Der
Bauernhof. (35 S.) '07. — 40.
Die 49. Versairmlun^ deutscher Philologen und Schulmäuner
wird von Montag, den 23. bis Freitag, den 28. September \90t in Basel
stattfinden. Für die romanistische Sektion wurden die folgenden
Vorträge angemeldet: 1. G. Baist Arabische Beziehungen vor den Kreuz-
zügen. — 2 Ph. A. Becker. Girart de Roussijjon. — 3. G. Bertoni.
La poesia franco-italiana. — 4. L. Gauchat. Über die Bedeutung der
Wortzonen. — 5. A. Piagot. Le Miroir aux dames, un poeme iuedit du
XVe siecle. — 6. H. Schneegans. Die neuere französische Literatur-
geschichte im Seminarbetrieb unserer Universitäten. — 7. 0. Voretzsch. Die
neueren Forschungen über die deutschen Rolandbilder. — 8. Ed. Wechssler.
Mystik und Minnegesang.
PC
2003
Z5
BdOi
Zeitschrift für französische
Sprache und Literatur
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WILLrAM IHIGGS
nm
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