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Full text of "Zeitschrift für französische Sprache und Literatur"

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Univ.  or 
Toronto 
Library 


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Zeltsclirift 


für 


französisck  Sprache  und  litteratur 


begründet  von 

Dr.  G.  Koerting    und    Dr.  E.  Koschwitz 

Professor  a.  d.  Universität  z.  Kiel        weil.  Professor  a.d.Univers.z.  Königsberg i.Pr. 

herausgegeben 


Dr.  D.  Behrens, 

Professor  an  der  Universität  zu  Giessen. 


Band  XXXI. 


Chemnitz  und  Leipzig. 

Verlag  von  Wilhelm  Gronau. 
1907. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Zeitsclirift 


für 


französisclie  Sprache  unl  Litteratur 

begründet  von 

Dr.  G.  Kcerting    und    Dr.  E.  Koschwitz 

Professor  a.  d.  Universität  z.  Kiel  weil. Professor  a.d.Univers.z.Königsbergi.Pr. 

herausgegeben 


Dr.  D.  Behrens, 

Professor  an  der  Universität  zu  Giessen, 


Band  XXXI. 
Erste  Hälfte:  Abhandlungren. 


Chemnitz  und  Leipzig. 

Verlag  von  Wilhelm  Gronau. 
1907. 


Inhalt. 


Abhandlungen.  c^.. 

Baist,  G.     Wortgeschichtliches     ....         146 

Behrens,  D.     Wortgeschichtliches 148,  282 

Brugger,  E.    L'Enserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.   II.  Die 

Version  des  Prosa-Lancelot  (L.)  (Schlufs) 239 

Glaser,     K.      Beiträge    zur    Geschichte    der    politischen    Literatur 

Frankreichs  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts   .     .     .  102 

Hausknecht,  E.     Luge 294 

Holthausen,  F.     mailh,  poele 301 

Johnston,  Olivier  M.     The  episode  of  Yvain,  the  Lion,  and  the 

Serpent  in  Chretien  de  Troies 157 

Karl,  L.    Aimeri  de  Narbonne  und  die  Heirat  Andreas  II.  von  Ungarn 

mit  Beatrix 31 

Küchler,  W.    Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles  II 39 

Schneegans,  H.     Die  Sprache  des  Alexanderromans  von  Eustache 

von  Kent 1 

Stenhagen,  A.    helvetique 302 

Toldo,  Pietro.    L'Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne   .    .  167 


Die  Sprache  des  Alexanderromaus 
von  Eiistache  von  Keiit. 


Nachdem  wir  im  vorhergehenden  Artikel  (diese  Zeitschr.  XXX  i, 
S.  240  ff.)  die  handschriftlichen  Verhältnisse  des  Romans  auseinander- 
gesetzt haben,  können  wir  nunmehr  dazu  übergehen  die  Sprache  de^ 
Dichters  darzustellen.  Den  betonten  Vokalismus  hatte  ich  bereits  in 
der  Festschrift  zum  XII  Allgemeinen  deutschen  NeupMlologentag 
in  Ilänchen,  Pfingsten  1906,  Erlangen,  Fr.  Junge,  p.  1 — 19  behandelt. 
Deshalb  wird  es  mir  wolil  gestattet  sein,  an  dieser  Stelle  etwas  zu 
kürzen,  und  namentlich  hinsichtlich  der  Beispiele  betreffs  des  Ver- 
haltens von  e  und  ie  auf  meine  frühere  Abhandlung  hinzuweisen. 

A.   Betonter  Vokalismus. 

Vit.  a. 

I.  Auf  den  ersten  Blick  scheint  es,  als  ob  a  unter  dem  Ein- 
fluß vorhergehender  Palatalen,  geradeso  wie  in  freier  Stellung  zu  e 
würde.  Ganze  Tiraden  auf  -ie  haben  wir  nirgends.  Nur  hie  und 
da  begegnen  uns  —  und  namentlich  bei  P  —  im  Reime  -ie  Fälle. 
Doch  läßt  sich  bei  genauerem  Zusehen  erkennen,  daß  e  aus  a  unter 
palatalem  Einfluß  nicht  identisch  war  mit  e  aus  reinem  a.  Denn 
die  einzelnen  Tiraden  trennen  sich  scharf  in  reine  und  palatale 
Tiraden.  Ja,  die  übrig  bleibenden  -ie  in  letzteren  sind  wohl  nur  der 
letzte  Rest  von  früheren  durchgehend  auf  -ie  auslautenden  Reimen. 
Im  Ganzen    haben   wir  40  reine  Tiraden    gegenüber    37  palatalen.  i) 

Die  Fälle,  in  denen  gegen  die  allgemeine  Regel  in  reinen  Tiraden 
palatale  Fälle  und  umgekehrt  in  palatalen  Tiraden  reine  vorkommen, 
sind  verhältnismäßig  selten  und  beschränken  sich  gewöhnlich  nur  auf 
die  eine  oder  andere  Hs.,  können  also  durch  die  eine  oder  andere 
richtig  gestellt  werden.     So  kanri  in  reinen  Tiraden: 


1)  Hinsichtlich  der  Belege  cf.  c.  I.  p.  3/4, 

5^tschr.  f.  frz.  Si>r.  u.  Litt.  XXXI  >. 


•2  Heinrich  Schneegans. 

V.  95       P  regnee      durch  D      cite  berichtigt  werden  -) 

V.  5411  P  aprocier  „              environer  „  „ 

V.  6517  P  mester  „             fmer  „  „ 

V.  5809  P  ptaierent  „  CD  najfrerent  „  „ 

V.  G93     D  treyichee  „  P    colpee  „  „ 

V.  5641  D  haitez  „  CP  desreez  „  „ 

V.  5287  D  avancer  ..  P    auner  „  „ 

V,  7162  D  travailler      ,,  P    pener  „  „ 

In  den  palatalen  Tiraden: 

V.  5099  D     deciree  durch  P    fruissiee  „              „ 

V.  6406  CD  naffre  „  P   'piaie  „ 

V.  6411  CD  7'eturne  „  P    repaire  „               „ 

V.  6423   P    safre  „  CD  maille  „ 

V.  4980  D    demandez  „  P    jugez 

V.  5012  D    irez  „  P    corruciez  „               „ 

V.  8270   P    7iafrez  „  D    iZ^cez  ^              „ 

V.  385     D    demander  „  P    enveier  „              „ 

V.  4549  CD  demander  „  P    chalenger  „ 

V.  745      P    porter  ,,  D    gaiter  ,,               ,, 

V.  6160   P    tumhler  „  CD  trehiicher  „               „     etc. 

(cf.  noch  zahlreiche  Beispiele  /.  c.  p.  4/5.) 

Daß  das  Gedicht  ursprünglich  in  palatalen  Tiraden  -ie  hatte, 
dürfte  schließhch  auch  daraus  hervorgehen,  daß  uns  dieser  Laut  in 
nicht  geringen  Fällen  in  palatalen  Tiraden  erhalten  ist.  Ich  habe 
/,  c.  auf  nicht  weniger  denn  159  Fälle  hingewiesen,  in  denen  P  in 
palatalen  Tiraden  -ie  aufweist.  Für  C  konnte  ich  nur  25,  für  D  nur 
19  Fälle  nachweisen.  D  bietet  hie  und  da  umgekehrte  Schreibungen, 
ein  Beweis,  daß  für  den  Schreiber  dieser  Hs.  zwischen  ie  und  e  ein 
Unterschied  nicht  bestand.  So  haben  wir  in  D  auch  in  reinen  Tiraden 
hie  und  da  -^>,  wo  es  etymologisch  absolut  unzulässig  wäre.  So 
5292  pi«'  (parem),  8630,  5433  pier  (pares).  mier  (mare)  5280, 
6837,  7168,  10250  hier  (baro),  pier  (patrem)  7179  usw.  Sehr 
bezeichnend  ist  es  auch,  daß  in  den  von  D  selbständig,  also  von 
einem  späteren  Redaktor  hinzugefügten  Tiraden,  die  sich  sonst  nicht 
im  Gedicht  vorfinden,  reine  und  palatale  Reime  bunt  durch  einander 
gcwtirfelt  sind.  So  finden  wir  in  der  Tirade  7034 — 7092  13  palatale 
Fälle  :  frengez,  preisez,  enqinez,  sachez  usw.  neben  45  andern:  alez, 
redotez,  nomez  etc.;  in  Tirade  11609— 11625  3  palatale,  11640—1 1649 
2  palatale.  In  der  -er  Tirade  7093 — 7116  haben  wir  9  palatale 
Fälle  auf  16  andere.  Wie  verwildert  bei  D  die  Sprache  ist,  zeigen 
Fälle  wie  euer  (cor),  pier  (patrem)  7098,  voluntier  7107,  die  sich 
neben  den   andern  finden,   dann   in  Tir.   11545 — 11567   andere   15 


2j  Da  wo  C  nicht  erwähnt  wird,  fehlt  es  an  der  Stelle. 


Die  Sprache  des  Alexatiderromans.  3 

Fälle  auf  -er,  7  mit  palatalem  -er.  In  den  von  P  selbstäudig  hin- 
zugefügten Versen,  die  also  auch  nicht  auf  den  Dichter  zurückgehen,  haben 
wir  neben  fier  auch  demorer,  oier  =  oir  (Pal.  Tir.  10465 — 10487.) 
Aus  unserer  Untersuchung  dürfte  wohl  hervorgehen,  daß  der 
Verfasser  ganz  gewiß  zwischen  -ie  und  -e  schied.  Die  Fälle,  wo  ie 
stehen  geblieben,  namentlich  in  P,  sind  die  ursprünglichen. 

II.  a  unter  dem  Einfluß  eines  nachfolgenden  Palatalen  erscheint 
in  den  Hss.  teils  als  ai,  teils  als  ei,  teils  als  e. 

1.  ö  -f  Pal  4-  t.:  ai  haben  wir  in  Tir.  10615  ff:  frait, 
agiiait,  trait  in  CDP.  In  Tir.  897 — 911  schreibt  P  -ait  gegen  D 
-et:  plet  (placitum),  retret  (retractura),  lei  (laidum),  mefct  (minus 
factum),  estret  (oxtractiim),  defet  (disfactum)  etc.  Auch  für  habeaf 
schreibt  D  est  911  =  P  ait.  Doch  hat  D  neben  dieser  Sclireibung 
auch  -eit  im  Reim,  so  in  Tir.  7585 — 7592:  ireit  (trahit),  feit  (facit), 
l'eit  (Pron.  4-  babeat),  auch  eit  (habeat)  7589.  Hier  hat  auch  P  e 
neben  ei:  tret.,  fet  neben  heit  7591.  Auch  in  Tir.  9721 — 9727 
hat  D  -eit:  feit,  neit,  agueit,  pleit  gegen  CP:  airait,  fait,  agait, 
plait,  nen  ait  9725.  So  gehen  die  Formen  bunt  durch  einander. 
Die  Aussprache  wird  aber  wohl  e  gewesen  sein.  Das  sehen  wir 
auch  daraus,  daß  D  898  met  (mittit)  mit  den  Wörtern  von  Tir. 
897 — 911  reimt  (cf.  o,).  Auch  vadit  reimt  mit  diesen  Wörtern 
bei  D  als  vet,  P  vait.  C  schreibt  ebenfalls  sen  vet  9721  =P  gegen 
D  se?!,  veit.  P  hat  auch  7586  sen  vet  gegen  D  sen  veit.  Für  D  ist 
eit  jedenfalls  =  et.  Doch  ist  eit  auch  =  ait,  cf.  Tir.  10615,  wo 
neben  vait  CDP  (vadit)  hier  auch  adreit  und  estait  von  stare  mit 
den  Wörtern  auf  -ait  reimt.  In  der  Schreibweise  wird  wahrscheinlich 
der  Verfasser  selbst  geschwankt  haben. 

2.  -aire  kommt  ebenfalls  als  -aire,  -ere  und  -eire  vor.  Neben 
-aire  finden  wir  in  einer  Triade,  die  nur  bei  C  fol.  22  v.  Sp.  2  und 
den  entsprechenden  Stellen  hei  F  yorkommt,  gramtnere,  bestiere,  f ere, 
viere,  während  P  -aire  oder  einmal  -arie  (bestiarie)  schreibt.  C  hat 
auch  zwei  Fälle  mit  ei:  escleire,  reßeire  neben  P  esclaire,  flaire. 
0  7783 — 7795  hat  nur  -aire.  Die  Aussprache  wird  gewiß  auch  hier 
-ere  gewesen  sein, 

3.  Daß  auch  aiiuni  =  es  lautete,  könnte  vielleicht  v.  9945, 
wo  wir  D  p>alois  haben,  beweisen,  doch  hat  P  an  der  Stelle  deis. 
Mit  palois  reimt  bei  D  cortois,  Roys,  conrois,  lois,  bei  P  überall 
-eis.  Die  Fälle  sind  nicht  häufig  genug,  um  sichere  Schlüsse  daraus 
zu  ziehen. 

III.  a  -f-  Nasal: 

1.  In  freier  Silbe  >  ain  oder  ein.  Beide  Schreibungen 
gehen  durcheinander:  mai7is  (manus)  v.  6824,  C  P  neben  D  meins, 
doch  meins  CDP  6828,  vileins  6828,  germeins  C  D  6826, 
sovereins  6825,  certeins  6823.  Daß  -ain=:.ein  war,  beweist  auch 
der  Reim/mns  (frenu-s)  mit  diesen  Wörtern.  Auch  Tir.  10914 — 10926 

1* 


4  Heinrich  Schneegans. 

haben  wir  -eins  für  -anus  und  -enus^  la  duce  ferne  Eveins  (mit  ver- 
stummten s  und  für  Nomin.),  neben  meins^  seins,  soverehis:  pleins,  meins. 

Ebenso  -ana  >  eine  resp.  ayne  cf.  Tir,  8072 — 8081:  serneine 
I),  semaigne  P,  seine  8074  neben  overayne  D,  overaigne  P,  8079 
soverayne  D  neben  P  soveraigne. 

2.  Pal  +  a  -|-  Xas.  >  ew,  resp.  -z'e?«:  chens  i\  chiens  1)  P 
5000,  —  C  hat  stets  die  Neigung  i  zu  unterdrücken,  auch  bei  e  -\- 
Nas.  —  ;  Macedoniens  5889,  Suliens  5893,  Arabiens  5894, 
Egypciens  5895,  Capadociens  5896,  Veniciens  5897,  Tyriens  5898: 
pe7is,  i(??is,  s<?ns,  quens,  defens  etc.  —  Ebenso  10911  :  egypcien, 
10912  yndien  :  rien  D  P  gegen  ren  C  ;  Z/ien  D  P  gegen  hen  C,  aber 
iten  C  D  P.  Wie  bei  Pal  -h  a  wird  auch  hier  ze  das  ursprüngliche 
gewesen  sein:  cf  auch  Tir.  5885  ff.  6213  ff,  8797  ff,  8815  ö^  Pal 
-j-  anas>'iencs  cf  Tir.  9787  ff':  Chaspienes  C,  caspienes  P  9787, 
sychienes  9788  C,  cychienes  P.,  ytidienes,  crestienes  und  paienes 
D  9802  gegen  p)aenes  CP. 

3.  a -p  gedecktes  w  reimt  stets  für  sich,  nie  mit  e -\-  ge- 
decktem n.  cf.  -ant  Tiraden  v.  425—447,  4587  —  4604,  4900— 
4932,  5437—5461,  6172—6206,  6443—6452.  D  hat  einmal 
mannt.  8759,  -anz  59H— 5928,  v.  9110—9116,  7827  ff'. 

IV.  a  -\- 1  A-  Cons.  ersclieint  durcheinander  als  al  -^  C.  und 
als  au  bei  D  und'P:  So  P  in  Tir.  4933-4947  -alz  {salz,  travalz, 
arvalz),  ebenso  D,  Tir.  4933 — 4947  -als  :  travals,  arsals,  auch 
Tir.  8045  ff.:  ti^avals,  /als.  Doch  haben  beide  in  andern,  sogar 
hie  und  da  i»  derselben  Tirade  auch  au.  So  D  saiiz  4933  neben 
sonstigem  -als;  P  chauz  4939,  ebenso  P  einmal  chaiit  neben 
sonstigem  -alt  5905.  P  hat  sogar  nur  -auz  in  v.  8962—8965; 
-aut  in  9490  —  9496,  neben  D  -aut  durcliweg  in  derselben  Tirade, 
in  der  folgenden  auch  mit  Ausnahme  von  hals.  C  hat  stets  auz, 
resp.  -aut  in  den  drei  Tiraden,  wo  ps  neben  D  P  vorhanden  ist. 
Nur  eine  einzige  Ausnahme  bietet  mals  4937.  Die  diphthongierten 
Formen  dürften  sicher  die  gesprochenen  sein,  -als  und  -alt  sind 
archaisierende  Schreibungen,  ales  >■  aus  reimt  auch  mit  eaus  <  ellos ; 
cf.  Tir.  5245  ff  :  reaus^  5248  C,  leaus  C  P  5255,  esmaus  5263  : 
oiseaus,  imsseaus,  monceaus,  damoiseaus.  D  hat  freilich  auch  hier 
reals  und  leals. 

Über  sonstiges  -a  i-a,  -oge,  -ages,  -alles,  -as  ist  nichts  zu 
bemerken. 

Vit.  e. 

1.  In  freier  Silbe  wird  ^  gerade  so  behandelt  wie  Pal.  -|- 
a;  es  findet  sich  in  palatalen  a  Tiraden  und  zwar  sowohl  als  e 
wie  als  ie\  P  hat  meist  die  ursprüngliche  ie  Form,  \\ährend  C 
und  vornehmlich  D  eher  e  haben,  oder  ee.  Da  aber  unbetontes  e 
bei  D  keine  lautliche  Geltung  mehr  hat,  so  ist  ee  =  e.  So  P  6404, 
6436  espie  neben  C  espe,  D  espee  mit  tm,  coveitie,  meitie  reimend 


Die  Sprache  des  Alexanderromans.  5 

}?!  Tir.  6399  —  6422.  P  espiez  5008,  6892,  8277  gegen  D  espeeZy 
auch  6139,  6122,  übrigens  auch  bei  D  wie  bei  CP  9097  :  hrisent 
eil  espie,  9103  PC  neschapa  im  pie,  5533,  8275  F  piez,  6874 
auch  C  gegen  D  pez,  6893  auch  ü  fiez,  4976  P,  5515,  7138,  10  757 
gegeu  D  fez  oder  feez;  liez  P  5010,  5520,  8273  gegen  D  lez,  leez; 
auch  C  liez  6897  gegen  D  lez\  P  hat  an  dieser  Stelle  heitiez.  ferum^ 
ferics  erscheint  immer  in  diphthongierter  Form  :  4540,  6157,  7688, 
DP  (C  fehlt)  9670,  10  625,  10687,  sogar  D  in  einer  Tirade  allein : 
fier  =  iera,  mit  Vernachlässigung  des  e,  fiers  621,  6559,  7214; 
eiitiers  I)  619,  P  enters,  7233  D  P,  8410  P,  D  enters  8415,  lautrier 
6152  CDP;  requier  CP  in  Tir.  10 150  ff  neben  D  requer,  sogar 
P  wie  C  D  10647  7'equer.  Ministerium  erscheint  in  allen  Hss.  ohne 
J}\^\x\.\\ox\g  :  mester  382,  748,  4528,  6165,  10700,  mesters  625; 
auch  moiller  738,  5218,  10150  Tir.  ff  ;  mers  haben  wir  6566  und 
miers  631b.  Auch  hier  hat  P  im  allgemeinen  häufiger  die  ursprüng- 
lichen Formen.  C  und  D  sind  von  den  anglonormannischen  Eigen- 
tümlichkeiten weit  mehr  affiziert. 

2.  «  -|-  Nasal  ist  bei  P  und  auch  meist  bei  D  durch  ie  wieder- 
eegeben,  während  C  in  den  weitaus  zahlreichsten  Fällen  e  einführt. 
So  5901  biens  DP  gegen  C  hens.  In  Tir.  6213  ft\  hat  D  und  P 
iiien  gegen  C  2  mal  hen,  freilich  doch  tien,  mien.  In  Tir.  10907  ft'. 
haben  wir  bei  DP  rien,  bien,  tien,  mien,  gegen  C  ren,  ben,  men, 
freilich  tien;  5902  tiens  DP  gegen  C  tens.  In  Tir.  6213  ff',  bietet 
ausnahmsweise  P  auch  e :  tut  le  men  gegen  riens,  tiens,  criem,  mien. 
D  hat  hier  nur  ie,  was  auch  gewiß  gesichert  ist.  Auch  Tir.  8052 
nur  ie  :  Mens,  riens  8056,  8060.  Auch  C  neben  \)V  :  criens  Tir. 
5885  ff. 

Diese  ie  Formen  reimen  mit  den  Fällen,  wo  Pal  -\-  a  -\-  Nas. 
sich  im  Reime  findet.  Die  Form  crein  CP  gegen  D  crien  in  Tir. 
10907  ff.  muß  verschrieben  sein,  oder  vielleicht  da  ei  oft  =  e  (cf. 
u.)  für  e  stehen, 

3.  ellum>-el  cf.  Tir.  5347 — 5Sß8  :ignel,  cercel,  damoisel, 
lioncel,  bei.  -ellus,  -qUos  erscheint  in  verschiedenen  Formen.  In 
Tir.  9473 — 9489  hat  D  die  archaisierende  Form  auf  -eis  :  chastels, 
ffaels,  novels  gegen  CP  chasteaus,  ßaeaus,  noveaus  u.  a.  C  hat 
Tir.  5245  nur  -eaus,  während  D  neben  3  -eis,  sonst  -eals  hat:  monceals, 
preals,  chasteals.  P  hat  neben  eis  auch  eus  :  oisseus.,  isgneus, 
ruisseus,  ciseus,  aber  das  Reimen  dieser  Wörter  mit  leaus,  reaus, 
eaus,  das  Schreiben  leus  für  leaus  (legales)  bei  P  5255  (ciim 
Chevalier  l  .  .  .)  dürfte  beweisen,  daß  auch  hier  -eaus=aus  lautete. 

4.  Endlich  wäre  die  Aussprache  einiger  besonderer  Wörter  fest- 
zustellen :  d^um  kommt  in  reiner  e  {<■  a)  Tirade  vor,  hat  also  den 
Lautwert  e  v.  6926  :  de  und  reimt  mit  e  <  atum^  atem,  prive,  bonfe, 
jure,  demostre,  parle,  honore  usw.  Dieselbe  Aussprache  haben  aber 
nicht  TItolomcii  und  die  Völkernamen  Caldeu  und  Greu  D  =  C  Griu, 


6  Heinrich  Schneegans. 

P  Grieu  oder  fieu  (feoduni)  Ö7-12,  5383.  Es  reimen  nämlich  diese 
Wörter  in  drei  Tiradcn  5739—5742,  5381—5390,  8961—8966 
mit  den  aus  locum,  iocum  hervorgegangenen  Formen:  C  giii^  liu, 
D  ie;f,  leu;  P  gieu^  leu,  lieu  —  8961  findet  sich  bei  DP  lius 
(locos),  ferner  mit  piu  (piiim),  5746  C,  pexi  D,  pieu  P.  Nun  sehen 
wir  aber  aus  v.  5789:  pus  i  metent  le  feu,  das  mit  fendii,  kernu^ 
agu,  pendu,  maintenu^  revenu  etc.  reimt,  daß  feu  =  fil  lautete.  Es 
ist  aber  nicht  wahrscheinlich,  daß  locum,  iocum  eine  andere  Ent- 
wickelung  als  focum  durchmachen.  So  werden  wir  auch  dazu  geführt 
giil^  liü  anzunehmen  und  für  die  obigen  mit  diesen  reimenden  Wörter 
ebenfalls  iL  Wenn  wir  in  der  zweiten  Vershälfte  5742  :  la  eife  e  le 
feu  =  fü,  5739  si  ad  lesse  le  ieu,  5381  nen  ont  deduit  nejeu  ■=  ja  aus- 
sprachen, so  werden  wir  auch  5390  e  eil  escu  caldeu,  5387  egypcien 
e  greu,  5739  e  dit  inerci  en  greu,  li  bon  quens  Tholomeu  ==  i'i 
aussprechen  müssen.  Daß  das  e  nicht  mehr  wie  bei  deu  betonten 
Lautwert  hatte,  sehen  wir  aus  dem  Reimen  von  eschiu  C,  eschu  D, 
escu  P,  5384,  5743,  ebenso  estriu  C,  estreu  D,  estriu  P  5744  mit 
diesen  Wörtern.  3)  Auch  aus  Tir.  8956 — 8961  ist  für  -ins  derselbe 
Schluß  zu  ziehen  ;  8956  pour  la  pour  des  Grins,  8960  e  le  duc 
Tholomeus  reimt  mit  ,,trovent  hidus  les  lius  8957,  pur  defendre 
les  lius  8957,  cum  cheveroil  eirent  eschius  P,  cum  cheverel  eirent 
eschus  D  8961,  dorgoillus  canalus  8958. 

5.    (_*  -\-  Pal  bietet  nichts  besonderes  und  lautet  i:  lit,  desdit,  repit. 

Vit.  e. 
1.    e  in  freier  Silbe: 

1.  -ere  wird  sehr  verschiedenartig  in  den  einzelnen  Hss.  dar- 
gestellt. Ja  selbst  innerhalb  derselben  Hs.  finden  wir  die  verschieden- 
artigste Entwickelung. 

D  bietet  882  —  896  -oir  neben  einem  eir  :  poeir,  freilich  ist 
-oir  bei  D  gewiß  erst  sehr  später  Entwickelung,  denn  man  sieht  in 
der  Hs.  selbst,  wie  ursprüngliches  ei  in  oi  korrigiert  worden  ist; 
manchmal  sind  mehr  ei  stehen  geblieben.  Während  Tir.  6024 — 6043. 
10310  —  10313  nur  -oir  haben,  finden  wir  Tir.  7649—7658  auf  5 
oir,  4  eir;  Tir.  10144/49  auf  3  oir,  3  eir;  Tir.  10780/91  auf 
5  oir  :  2  eir.  Jedenfalls  ist  oir  nicht  die  Aussprache  des  Autors 
gewesen.  Neben  diesen  beiden  Lauten  kommt  aber  noch  -er  vor. 
Zwar  nicht  sehr  häufig.  Immerhin  haben  wir  Tir.  10  780/91:  aver, 
veer,  poer,  saver,  remaner  neben  espoir,  voir,  voloir,  espoir,  avoir 
und  chaleir,  heir.  Endlich  reimt  7652  nombreir  (numerare)  mit  ei 
und  oi  <  e. 

•*)  P  5389  Jiompi  meint  gonfanon  e  meint  orin  esceu  wird  wobl  richtiger 
sein  als  CD  estriu,  estru;  CD  5385  irascu  eher  berechtigt  als /«'ew  P  (dohm 
«  irascu),  dagegen  scheint  5388  P  :  e  li  dux  Tkimoteu  richtiger  zu  sein  als 
CD  e  le  duc  Eumenldu  (resp.  Emenidu),  das  nicht  in  den  Vers  pafst. 


Die  Sprache  des  Alexanderromans.  7 

P  hat  -oir  nur  einmal  10  783  ;  savoir,  sonst  -eir  und  -er, 
letzteres  viel  häufiger  als  D,  so  Tir.  7640,7058  auf  4  eir  7  er 
(poer,  aver,  estover,  voler.  und  nombrer).  Tir.  10144/49  hat  sogar 
nur -er  (veer^  voler,  poer,  aver,  daver,  saver),  ebenso  Tir,  10  310/14 
(saver,  voler,  veer,  aver).  Andere  Tiraden  mischen  beide  Formen, 
so  Tir.  10  780  ff.  auf  7  eir,  3  -er,  Tir.  6024—6043  auf  14  -eir,  3 
-er  (2  Fälle  sind  nicht  klar),  Tir  882  ff.  hat  sogar  nur  ein  -er :  veier. 
loinmal,  787  kommt  espier  vor.  Da  für  den  Schreiber  sonst  ie  =  e 
(cf.  oben),  wird  dieses  ie  eine  vom  Schreiber  für  e  eingeführte  Änderung 
gewesen  sein,  geradeso  wie  I)  häufig  hier,  pier,  mier  schreibt. 

C  bietet  nur  4  ere  Tiraden  und  hat  2  mal  -oir  :  783  savoir, 
(i028  avoir,  sonst  kommt  wie  bei  P  -eir  und  -er  vor:  6024 — 6043 
11  eir  gegen  8  er;  10144/49  auf  4  eir,  2  er,  10780  —  10791, 
auf  6  eir  5  er. 

Meines  Erachtens  ist  die  Aussprache  des  Verfassers  sicher  -er 
gewesen,  nur  hat  er  sich  nicht  getraut  überall  die  phonetische 
Orthographie  statt  der  althergebrachten  einzuführen.  Für  -eir  =  -er 
spricht  nombreir  7652  D  nombrer  P  =  numerare  in  einer  -ere  Tirade, 
C  lescleir  =  VD  lescler  5284  (in  einer  are  =  er  Tirade),  ebenso 
in  einer  are  =  er  Tirade:  parleir  C  6833  =  parier  PI),  auch  P 
espier  787  =  espeir,  espoir,  ie  ist  aber  =  e;  P  883  veier  (sis  fit 
Ie  veit  V.)  ist  =  vcer  wie  es  sonst  steht;  also  auch  in  unbetonter 
Silbe  ist  eir  =  er.  D  hat  voir  an  der  Stelle,  doch  fehlt  eine 
Silbe.  ^)  Ebenso  P  6032  :  ou  ainz  demain  al  seier  =  C  seir,  D 
soir,  wo  seier  =  seer  =  ser;  C  auch  6041  cheier  =:  P  chaeir, 
wobei  ei  =  e  und  er  =  eir.  Wir  haben  häufig  in  -are  Pal.  Tiraden 
-eer  =  eier:  C  5278  osleer  =  P  osteier;  C  6151  turneer  =  D 
turnoier  P  turneier;  C(P)  6155  sondeer  (soldeer)  gegen  T)  sonder, 
auch  P  7679  soudeer,  C  6658  guerreer  D  guerrer  gegen  P  guerreier, 
aber  auch  P  7691  guerreer  =  1)  guerreier;  C  6167  enveer  gegen 
D  envoier  P  enveier.  Dai5  D  für  ee  e  schreibt,  erklärt  sich  daraus, 
daß  für  D  sonst  (z.  B.  in  der  Femininendung  -ata)  ee  =  e  ist. 

2.  Tiraden  auf  -eient  in  3  P.  PI.  Impf.  Ind.  und  3  P.  PI. 
Ind.  Praes.  der  Yerba  auf  -eier  (palmeier,  ßambeier,  enveier,  torneier 
conreier,  ebenso  3  PI.  von  veeir:  veient  und  desreient  (Stamm  redan). 
Auch  hier  sind  die  IIss.  nicht  ganz  gleich.  P  hat  nur  -eient.  D 
hatte  es  ursprünglich  auch,  wie  die  Hs.,  die  ei  sichtbar  in  oi  korrigiert 
hat,  zeigt.  Nur  einmal  desraient  von  desreer  5342.  Da  abtr 
ai  =.  e  (cf.  oben)  ist  desraient  =  desreent.  C  hat  neben  -eient 
5342  deraient  und  5341  blancheent,  welche  die  Aussprache  e  bezeugen. 

3.  -eis  und  -eiz  (aus  e  und  e  -j-  Pal.),  nur  in  Tir,  9941/45 
und  Tir.  10  330/6,  erscheint  bei  P  nur  in  dieser  Form.  D  hat  ei 
in  oi  sichtbar  korrigiert.     So  hätten  wir  corteis,    reis,  conreis,  leis. 


*)  D  hat  AUxandrt  h  vini  voir,  docb  ist  AI.  durch  sU  ß:  ZU  korrigieren, 
wobei  dann  die  1.  Silbe  fehlt. 


8  Heinricli  Schneegans. 

V.  9945  lautet  aus  in  chastels  Jors  e  palois  i),  chasteaus  paleis  e 
deis  P,  wobei  die  La.  D  wohl  die  richtige  ist.  paleis  =  palatios 
würde  aber  für  Aussprache  -ais  =  -es  sprechen .  Da  aber  C  an  der 
Stelle  fehlt  und  die  Tirade  überhaupt  sehr  kurz  ist,  würde  eine 
Konjizierung  von  -es  statt  -eis  hier  doch  zu  gewagt  sein.  —  Ähnlich 
verhält  es  sich  mit  -eiz  in  der  kurzen  Tirade  10  330/6.  P  hat  -eiz 
{deiz,  benetz  für  heneeiz,  dreiz,  feiz,  /reiz,  destreiz,  secreiz).  D  hat 
an  den  entsprechenden  Stellen  -oiz,  wobei  ofifenbar  oiz  aus  -eiz 
korrigiert  ist. 

4.  -eit  (6  Tiraden)  in  der  Impf.  Endung  3  P.  S.  und  3  P.  S. 
lud.  Präs.  von  Verben  wie  videre,  3  P.  S.  Konj.  Pr.  seit.,  3.  P.  S. 
Kond.  fereit,  ebenso  in  den  auf  -ectum  resp,  egdum  beruhenden 
Formen:  estreif.,  freit,  findet  sich  bei  P  mit  einer  einzigen  Ausnahme 
auf  oit  :  bevoit  7530  und  einer  auf  -et  :  poet  9781  gegen  C  poeit, 
J)  poit  wohl  =  pooiY,  denn  Impf,  liegt  sicher  zu  Grunde:  mes  jere 
nel  poet.  Daß  D  ursprünglich  auch  -eit  hatte  und  erst  nachträglich 
-eit  in  -oit  korrigierte,  sieht  man  aus  vielen  Stellen  der  Hs.  -eit 
ist  stehen  geblieben  in  drei  Fällen  der  Tir.  7ö  15  — 7532  und  ganz 
in  Tir.  82 — 91.  C  hat  in  den  zwei  Tiraden  auf  -eit,  die  noch  erhalten 
sind,  nur  -eit  lll'i — 7782.  In  diesen  Tiraden  findet  sich  kein  Fall 
auf  -ait.,  dagegen  wohl  in  Tir.  10615:  adrett  CD  10617  neben 
adrait  (e  getent  corps  a  .  .  .)  und  estail  10  623  in  derselben  Tirade 
neben  trait.,  vait,  fait,  ait,  lait,  agiiait.,  frait.  Es  scheint  also, 
als  ob  der  Laut  annähernd  der  gleiche  gewesen  sei;  auch  das  obige 
2?oet  von  C  spricht  dafür. 

5.  e  aus  e  in  freier  Silbe:  te,  se,  secretum,  tres  und  aus  ?  : 
ßdem,  sUim,  ebenso  wie  e  -\-  Pal.:  indeo,  debeo,  legem,  regem,  in 
6  Tiraden  erscheint  in  D  fast  durchweg  als  oi  oder  oy,  -ey  haben 
wir  nur  Tir.  7991 — 8011  in  conrey,  charey,  rosey,  sapey.,  bussey, 
ebenso  conrey,  8430  neben  lauter  -oy.  Daneben  haben  wir  aber 
auch  ay.  D  P  8008 :  jeo  dut  que  face  a  mes  bestes  lay  (lai). 
8010:  e  logent  sur  le  lay  (laij  und  8011  glay  (gladium),  also 
3  Fälle  auf  -ay. 

P  hat  meist  ei,  nur  2  mal  oy:  11441  moy,  berefroi,  dagegen 
in  Tir.  7991 — 8011  6  Fälle  auf  -ai  :  girrai,  sai,  lai,  bufai,  lai, 
glai  und  in  Tir.  8422 — 8431,  in  einem  von  P  hinzugefügten  Verse 
S^^Q^  meint  espie  de  frenai. 

C  hat  in  Tir.  11441—11453  neben  10  Fällen  auf  -ei,  2  auf 
-oi,  in  Tir.  4622 — 4642  dagegen  und  ebenso  6520/32  lauter  ai. 
So  steht  denn  in  diesen  Tiraden  lai  (legem)  lei  gegenüber,  fai  (fidem) 
neben  fei,  dai  (debeo)  neben  dei  usw.  Doch  weit  zahlreicher  sind 
bei  C  die  -ai  Fälle:    tai,  fai,  quai,  crai,  conrai,  turnai  etc. 

Schon  nach  dem  obigen  scheint  ai  denselben  Lautwert  wie  ei 
gehabt  zu  haben.  Dies  wird  noch  bezeugt  durch  die  Wiedergabe 
von  a  -\-  Pal.  durch   ei  oder  oy.     So  8004   sei  P,    soy  P  ^=  sapio, 


Die  Sprache  des  Alexanderromans.  9 

giroy  D,  girrai  P,  8006,  ebenso  8007,  la  sog  D,  sai  P.  Da  wir 
-ait  z=  et,  -aire  =  ere  fanden,  anderseits  eir  =  er,  so  läge  die  Ver- 
mutung sehr  nahe,  daß  ei,  ai  auch  =  e  lautete.  Freilich  haben 
mv  keinen  sichern  Beweis  dafür;  es  kann  auch  ai  und  ei  =  pi 
gelautet  haben. 

Die  Schreibart  von  C  in  den  zwei  betreffenden  Tiraden  gegen 
D  P  dürfen  wir  wohl  als  Eigenheit  des  Schreibers  von  C  ansehen, 
die  freilich  nicht  ganz  durchgeführt  ist. 

II.    e  -{-  Nasal. 

1.  in  freier  Silbe  >  m:  a  -',-  Nas.  So  in  Tir.  10914/26: 
pleins  (plenus),  meins  (minus):  sovereins,  meins  (manus),  seins 
(sanus),  ebenso  in  Tir.  6823:  freins  CD  frainsF:  viteins,  germeins, 
certeins',  Tir.  8072  ff.:  meine  (menat),  jyeine  (poena):  seine  (sana), 
femeine.  Doch  findet  sich  meins  D  5899  (minus)  als  mens  C  und 
miens  P  in  Tir.  5885  ff',  mit  chens,  hens,  tens  resp.  chiens,  Mens, 
tiens,  sens,  tens,  rens,  Macedoniens  etc.  Das  scheint  auf  die 
Aussprache  -eins  =  ens  hinzuweisen.  Demnach  würde  denn  auch 
vileins  =  vilens  auszusprechen  sein.  Doch  wäre  es  gewagt  aus 
diesem  vereinzelten  Fall  zuviel  schließen  zu  wollen. 

2.  in  gesclilossener  Silbe  reimt  -e7}t  nur  mit  sich  selbst,  niemals 
mit  -ant,  wie  aus  sehr  zahlreichen  Tiraden  zu  ersehen  ist.  Auch 
Kent  reimt  damit:  cf.  ki  mon  nom  demande,  Eustace  ai  non  de 
Kent.  P  hat  nur  in  einem  hinzugefügten  Verse  6389b  trenchant. 
Ebenso  reimt  -enz  nicht  mit  -anz. 

Vit.'?. 

Dieses  g  bietet  kaum  etwas  besonderes. 

I.  In  freier  Silbe  bleibt  g  vor  s  Tir.  6352  ff",  os,  os  (ausi), 
hs,  dos,  ros  und  reimt  mit  g:  clos.  argos,  gavelos,  repos. 

Wir  finden  auch  -gre  und  gre  in  derselben  Tirade  11716/26, 
so  reimt  devore,  demore  C,  devoure,  demure  D,  devore,  demoer e  P 
mit  plore,  lore,  aore,  siicore,  lahnre  C  P,  plure,  Iure,  aonrc,  socure, 
laboure  u.  a.  Liegt  dem  Worte  la  mtire,  resp.  la  more  11720,  die 
Spitze  des  Schwertes,  das  sich  auch  in  dieser  Tirade  findet,  ein  g 
oder  g  zu  Grunde? 

3.  cor  >■  euer  reimt  7101  in  einer  von  D  selbständig  hinzu- 
gefügten Tirade,  neben  voler,  mander,  demander,  adurer  und 
Palatalfällen  wie  prier,  chivalcher,  iravailler,  changer  usw.,  ebenso 
11567  bei  D  allein  mit  fier  =  fera,  pier  (patrem),  mier  (matrem) 
und  zahlreichen  Palatalfällen. 

4.  Über  Igcum,  igcum,  fgcum  cf.  p.  6. 

1.  cgmes  >■  cuens  finden  wir  in  Tir.  5885:  sens,  tens,  rengs, 
Macedoniens,  acerens,  defens,  Suliens,  arahiens,  egypciens,  capa- 
dociens,  veniciens,  tyriens,  mens  C,  meins  D,  miens  P  =  minv,<\ 
chens  C,  chiens  I)  P,  hens  C,  Mens  D  P,  tens  C,  tiens  D  P. 


10  Heinrich  Schneegans. 

II.    In  gedeckter  Stellung  bleibt  ^. 

1.  -ors  Tiraden  0905/12;  8582/86,  11174/78:  cors,  iors, 
dehors  etc,;  -orz  Tirade:  conforz^  morz,  forz  etc.  10420/27  -orte 
Tirade  8490  ff.:  -ost  Tirade  9671/6,  ost,  enclost,  post,  porte, 
foi'te,  iorte. 

2.  Vor  gedecktem  Nasal  reimt  mont,  respont,  somont  Tir- 
10078  ff.,  ebenso  Tir.  8390  auch  pont  S3SQ,  front  8387,  mit  o: 
second,  dont,  ont  <  analogem  sunt.,  vont,  fönt,  estont,  beivront; 
front,  amont  10017  ff.  mit  tnond,  sont. 

3.  Vor  mouilliertem  Na?al  1049/53  hat  D  -oigne  resp.  oijne, 
P  -onie:  Macedoigne,  sijdoyne;  sydoine  reimt  mit  appoloijne. 
armoyne,  hahiloyne. 

Vit.  o. 

I,    p  in  offener  Silbe. 

1.  -psinn  liegt  in  3  Tiraden  zu  Grunde:  1 — 31,  G328/40, 
8035/48.  C  hat  nur  -ms,  kommt  aber  freilich  nur  in  einer  Tirade 
vor.  D  hat  ganz  überwiegend  -us  :  nur  us  in  der  letzten  Tirade,  in 
der  2.  nur  eurous  6337  gegen  orguillus,  dotus,  desirus,  religius 
etc.  und  pareceus  6331,  also  2  gegen  13.,  in  der  1.  mesurous, 
pourous,  grevous,  eurous,  und  nous,  vous,  plentinous  gegen  23  Fälle 
auf  iis.  P  verhält  sich  ungleich.  Während  es  in  den  zwei  ersten 
Tiraden  ganz  überwiegend  -us  Fälle  bietet  —  in  der  ersten  haben 
wir  nur  4  -ous  und  ein  -eus  (perilleus),  in  der  zweiten  vier  Fälle 
-ous,  hat  es  in  der  letzten  Tirade  nur  1  lahorus  und  sonst  nur 
-OS  :  tresangoissos,  doleros,  dolos,  cuslos,  euros,  desiros,  curios, 
vigeros,  a  estros  (extrorsum).  Die  richtige  La.  dürfte  aber  ganz 
gewiß  -US  sein. 

2.  -ore^n  findet  sich  in  außerordentlich  vielen  Tiraden:  Tir. 
396/424,  4674/4702,  5107/30,  5592/5636,  6589/6612,  6776/98, 
7117/7133,  7692/719,  8153/84,  8822/50,  8966/70,  9169/206, 
9862/96,  10  055/70,  bei  einer  nur  in  C  fol.  32  r.  Sp.  2  vor- 
kommenden Tirade  und  der  entsprechenden  Stelle  von  P  10562/82. 
11043—11061,   11716—725. 

C  hat  im  Ganzen  nur  6  -or  Fälle  :  greignor,  seignor  2  mnl. 
guior,  meillor,  author,  enthält  aber  freilich  nur  87-2  -or  Tiraden 
auf  18,  und   1   our  :  seignour,  sonst  lauter  -ur. 

D  hat  kein  -or,  o  dagegen  12  our  Fälle:  governour,  seignour 
2  mal,  guiour  .3  mal,  superiour,  greignour,  continour,  savour. 
guerreour,  plnsour,  also  in  ganz  überwältigender  Mehrheit  -ur.  P 
hat  34  Fälle  auf  -or  und  21  auf  -our,  sonst  lauter  -vr.  Sehr 
bemerkenswert  ist,  daß  in  einer  Tirade,  die  P  fol.  45  v.  Sp.  1  allein 
hinzufügt,  dagegen  9  Fälle  auf  -or  gegen  3  auf  -ur  sich  finden.  Mit 
-crem   reimt    auch   jur,    auch    desur,    (desupra)    10  068,    snr   7711 


Die  Sprache  des  Alexanderromans.  11 

(liom  ne  put  aler  sur).  —  Nach  alledem  dürfte  ur  die  ursprüngliche 
Schreibart  seiu. 

3.  -ore  Tir.  11716/725  erscheint  bei  C  mit  -orc^  außer  in 
lahure  (laborat)  11725,  bei  P  nur  mit  -ore,  abgesehen  von  demoere. 
Dagegen  hat  merkwürdigerweise  D  nur  u  und  ou :  phire,  Iure,  socure, 
demure,  sure  auch  eure,  la  innre  neben  aoure,  devoure,  lahoure. 
Hier  dürfte  CP  -ore  gesichert  sein. 

4.  -onem  findet  sich  in  einer  ganzen  Menge  von  Tiraden: 
349/368,  448/71,  5706/17,  6452/75,  6652/68,  7862/78,  8637/64, 
8975/84,  9133/68,  9598/608,  10594/604,  11334/62,  11680/700, 
also  in  13  Tiraden,  dazu  noch  in  einer,  die  D  allein  hat. 

C,  das  nur  8  Tiraden  -onem  enthält,  hat  nur  20  Fälle,  in 
denen  -onem  >  un  wird,  sonst  wird  es  zu  -on. 

D  hat  keine  -un  Fälle.  Nur  hie  und  da  findet  sich  -oun  :  noun 
46,  co7}fusioun  74,  ymaginacioun  57,  sonn  9153.  Daß  diese 
Schreibung  vom  Schreiber  herrührt,  können  wir  wohl  ans  der  selb- 
ständig von  D  hinzugefügten  Tirade  7007/17  schließen,  wo  auf  11 
Verse  nicht  weniger  als  4  -oun  vorkommen:  do7'müouu^  avisioun, 
p?'ocessioun,  garceoun.     Sonst  hat  D  -on. 

P  hat  38  -nn  Fälle,  und  4  -oun,  resp.  -uon  Fälle;  noun  46, 
iargoun,  noun  11358.  suon  9953,  sonst  -on.  Ils  ist  also  -on 
gesichert. 

5.  -one  Tir.  830/39  ist  bei  C  nicht  vorhanden,  lautet  bei  D 
-one  (marsone,  narhone,  persone,  corone  etc.)  nur  einmal  -oune  : 
nomine  (nona  830),  P  hat  gegen  6  Fälle  -one,  4  Fälle  -une  :  mine, 
marsvne,  nerhune,  resune. 

6.  Über  -onia  >  oine  resp.  onie  cf.  o. 

II.    in   gedeckter  Silbe,   sekundär  und  primär. 

1.  -ons  kommt  in  6  Tiraden  vor:  596/606,  8185/8214, 
9314/32,  9708/720,   10099/111,  C  fol.  31  r.  Sp.  2  und  P  (D  fehltj. 

C  (nur  in  4  Tiraden)  hat  -uns  in  3  Tiraden:  somuns,  dromuns, 
devisiuns,  cyclatuns,  pavilliins  etc.,  in  einer  Tirade  9708/720 
nur  -otis. 

D  hat  hat  nur  -ons.  P  hat  in  4  Tiraden  ons,  in  Tir.  10  099/110 
aber  6  Fälle  -uns  gegen  6  -07is  und  in  der  Tir.  mit  ("  zusammen 
4  -uns  Fälle  gegen  6  -07is. 

Die  Schreibung  -ims  scheint  eher  eine  Eigentümliclikeit  des 
Schreibers  von  C  zu  sein. 

2.  -07ide,  nur  in  Tir.  31/45,  wobei  C  fehlt.  D  hat  nur  -onde: 
monde^  ronde,  desponde,  seconde  usw.  P  hat  dagegen  neben  5  Fällen 
auf  -ende  3  ounde  :  mounde,  rounde,  espounde  und  4  Fälle  -unde  : 
secunde,  fecunde,  habunde,  munde.  Wenn  man  nach  dem  sonstigen 
Verhalten  der  Hss.  bezüglich  o  schließen  darf,  hätten  wir  auch  hier 
eher  o  als  des  Autors  Aussprache  resp.  Schreibung  anzusehen. 


J2  Heinrich  Schneegans. 

;?.  -07U  ist  z.  T.  schon  oben  besprochen  worden,  insofern  es 
sich  um  die  Vermischung  von  g  und  p  handelt.  Hier  haben  wir  nur 
die  Entwickcluiig  zu  mit  oder  das  Verbleiben  des  Lautes  -ont  in 
Betracht  zu  zielien.  Yon  den  4  Tiraden,  die  den  Laut  im  Reime 
haben  8061/71,  8380/94,  10017/20,  10078/10082  hat  C  nur  die 
beiden  letzten  Verse  der  letzten  Tirade  mit  den  Reimen,  somunt, 
dunt.  D  hat  nur  -ont,  P  6  Fälle  auf  -unt,  sonst  07it.  In  diesen 
Tiraden  treffen  zusammen  Substantive  anf  -ontem  fmont,  front)  und 
Wörter  auf  -undum:  parfont^  second,  und  ?>  P.  PI.  Ind.  Pr.:  vont, 
so7it,  ont,  fönt,  auch  Fut.  beive^^ont. 

Vit.  '/. 
Dieser  Laut  bietet  nichts  Bemerkenswertes. 

1.  -i  8530/40,  6799  ff.,  9497  ff.,  sowohl  für  die  3  P.  S.  Ind. 
Perf.  rendi,  parti,  assailli,  perdi,  siioi,  ioli,  als  auch  fiir  das  Particip 
der  Verba  auf  -ir  :  escharni,  laidi;  ebenso  für  den  Obliquus  der 
Substantiva  auf  -icum:  ami,  enemi,  auch  für  -ic  :  issi,  eiisi,  für  e 
-\-  Pal.  pri  (preco)  und  e  nach  Pal.  merci.  Endlich  reimt  damit 
auch  lui  (ine  ait  encontre  hii)  6814.  D  schreibt  auch  y,  so  in  Tir. 
5131 — 5164,  combatij,  senhatii.  D  hat  überhaupt  große  Vorliebe 
für  y. 

2.  -ie  sehr  oft.  (Über  das  Verstummen  des  e  wird  beim  un- 
betonten Yokalisraus  die  Rede  sein). 

3.  -it  in  zahlreichen  Tiraden,  3  P.  Sing.  Ind.  Perf.  rit,  vit, 
reimt  auch  mit  prist,  ebenso  -ectum  :  lit,  delit,  auch  lit  von  lectum 
Part.  V.  legere  :  5507  :  h  bref  AlLv.  devant  toz  fu  lit. 

4.  -^.5(  Part.  :pm,  enquis,  devis,  auch  amis:is  aus  ivus  4748 
haben  wir  auch   Gris  =  Graecos. 

5.  -ise  :  deinise,  franchise,  prise,  conquise  usw. 

6.  -ir  in  der  Intinitivendung:  servir,  morir,  obeir,  plaisir, 
damit  reimt  auch  qnir  (coriuru)  5187,  ftiir  5199.  D  520  e  a 
chevcd  seir  wird  durch  P  e  en  cheval  saillir  korrigiert. 

7.  -ire  Infinitivendung:  occire,  eslire,  desconfire.  Subst.:  «Vö, 
CMV,  mire,   sire,  auch  matire  575. 

8.  -irent  in  der  3  Pers.  Plur.  Perf.  Ind.  d.  Verba  auf  ir. 

9.  -iz  -.fereiz,  forbiz,  piz  (über  das  Verhalten  von  z  zu  s  cf. 
unbet.  Vok.). 

10.  -ist  :  3  Pers.  S.  Perf.  Ind.:  fist,  promist,  dist,  prist  und 
Conj.  Impf.:  ve7iist,  veist. 

11.  Vor  Nasalen:  pin,  gardin,  77iastin,  veisin,  auch  mit  -im 
reimend:   Cay77i  4814,  Joachi7n  4807,  in  der  -in  Tir.  4795—4828. 

12.  -ine  :  doctri7ie,  racine,  farine,  /in«,  Royne. 

13.  -i'?j.s  :  crins,  Solins.  reisins,  sovins. 


]Jie  Sprache  des  Alexanderromans.  13 

Vit.  u. 
I.    In  offener  Silbe. 

1.  -u  für  -utum:  ienu^  destendu,  agu,  issu,  damit  reimend 
fu  (fuit)  912,   5780. 

2.  -ue'  für  -utam  :  veue,   reiidue,  abatue,   auch  remue.  argue 

3.  -ure  :  parjure,  poreture,  vesiure  etc.  Bemerkenswert  ist 
nur  6582  C  hure,  D  houre  :  vet  le  dire  a  Dayre  qui  se  coruce 
al  houre  .  .  7268:  gui  Dien  du  ciel  honoure  neben  desconßiure, 
dure  etc.  wird  durch  P  e  den  del  ciel  en  iure  korrigiert. 

IL    in  gedeckter  Silbe. 

1.  -UZ',  esmuz,  issuz.^  moluz  8501  If.  Eigentümlich  ist  in 
dieser  Tirade  gleich  darauf  folgend  D  fust,^  seusi,  fust  estust,  P  estust, 
fust,  fut,  estut,  welche  scheinbar  zu  der  Tirade  noch  gehören.  Wenn 
dies  der  Fall  ist,  so  ist  es  ein  Beweis  für  das  völlige  Verstummen 
der  Endkonsonanten  z  und  st.  —  In  einer  von  D  allein  hinzugefügten 
Tirade  reimt  -uz  <  utus  :  preuz  8738  (prodis)  und  genuz  8746 
(genuculos). 

2.  -US.  Interessant  ist  Tir.  607/18,  wo  mit/>/u5,  ius  (deorsumj, 
a  US,  phelippiis.,  sus,  confus,  auch  perius,  610  luis  1)  (ostium) 
reimt  (P  hat  unverständlich  bas  an  der  Stelle.  D  tost  Jist  overir 
luis.  P  mult  faist  overir  bas).  Unverständlich  ist  mir  auch  D:  618 
JE  Alix.  cum  Roy  salue  a  grant  frus  gegen  P:  Salue  le  come 
rei  com  seignur  cum  dus.  —  11707  ducs  CP  neben  dus  (duces), 
11709  a  rus  mit  Enienidus,  plus,  fus  (fuisti),  nuls,  Artus,  occianus, 
amirus,  rechts,  refus,  chauz,  sus.  Caulus,  Antiochus  in  derselben 
Tirade  11701/715." 

B.   Unbetonter  Vokalismus. 

Aus  den  Reimen  lassen  sich  mit  Sicherheit  nur  zwei  lautliche 
Erscheinungen  erschließen,  das  Ausfallen  resp.  Verbleiben  des  e  in 
vortoniger  Silbe  vor  Vokal,  und  dies  natürlich  unter  Berücksichtigung 
der  Silbenzahl  des  zweiten  Halbverscs,  ferner  das  Verhalten  des  aus 
a  hervorgegangenen  Auslants-e, 

I.    e  in  vortoniger  Silbe  vor  Vokal. 

Was  den  ersten  Punkt  betrifft,  muß  ich  noch  einmal  daran 
erinnern,  daß,  wie  schon  oben  öfters  hervorgehoben,  der  Verfasser 
des  Alexanders  reine  Alexandriner  schrieb.  Es  geht  dies  aus  dem 
Vergleich  der  Hss.  hervor.  Auf  eine  nähere  Auseinandersetzung 
darüber  kann  ich  hier  nicht  eingehen.  Ein  gründliches  Studium  des 
Versmaßes  in  den  einzelnen  Hss.  hat  micli  aber  zur  Überzeugung 
gebracht,  daß,  so  mangelliaft  die  Überlieferung  ist,  so  sicher  doch 
ursprünglich  die  Reinheit  der  Alexandriner  war. 

1.  e  verstummt  noch  nicht  vor  betontem  u;  gu  wird  zweisilbig 
gezählt.  So  haben  CDP  v.  5764:  ne  viis  seit  bien  seu;  5765  de 
vostre  geni  (P  orgoil)  ireu;  5781   mes  ne  sunt  resceu,  ebenso  DP, 


14:  Heinrich   Schneegans, 

wo  C  fehlt:  que  tant  en  ad  eti,  919  frelles  e  descheu  (P  deschau), 
9-16  que  (e  (cel)  curs  unt  veu;  956  sest  li  ost  esmeu  P  (D  est 
lost  esmeu).  Vielfach  hat  P  die  richtige  La.  gegen  D:  9 IG  servage 
7ie  treu  gcgoü  D  s.  n.  tru;  927  qui  bien  lont  coneu  gegen  qui  h.  l. 
comi;  D  932  e  gent  e  bien  creu  gegen  D  e  g.  e  b.  cru;  943  quil 
naveit  rtcreu  gegen  D  q.  neust  rccru.  Ausnahmsweise  haben  ('  D 
die  richtige  La, :  ne  fut  onkes  veu  gegen  P  n.  f.  unkes  nies  v.  Die 
La.  der  3  Tis?.  C  D  P  5767  receif  ore  est  treu  laßt  sich  durch 
Streichung  von  e  in  ore  sehr  leicht  in  die  richtige  verwandeln. 

Was  von  eu  gilt,  findet  auch  seine  Anwendung  auf  eue.  Nur 
wenn  am  Ende  des  Verses  eue  zweisilbig  gezählt  wird,  ist  die  zweite 
Alexandrinervershälfte  richtig.  Wir  finden  Fälle,  wo  alle  Hss.  in 
dieser  Hinsicht  übereinstimmen:  CDP  10  862:  par  li  vus  ert  seue ; 
10  8()o  seit  oie  e  creue;  10857  quil  vus  eust  seue;  10  452, 
wo  C  fehlt,  aber  D  P  eue  zweisilbig  zählen:  tme  rien  seit  seue; 
10455  wie  reso)i  creue.  Das  dürfte  auch  der  Fall  sein,  in 
V.  5727,  wo  P  D  ne  fut  (fu)  unhe  (unkes)  veue  lesen,  C  freilich 
onc  schreibt,  wodurch  der  Vers  eine  Silbe  zu  wenig  erhält,  aber  auch 
vcue  hat,  und  6733,  wo  D  grant  ijerte  ai  ioe  veue  hat.  C  P  lassen 
ioe  (hier  vielleicht  ein  bloßer  Zufall)  weg,  lesen  aber  veue.  In 
andern  Fällen  stimmen  2  Hss.  in  richtiger  Zählung  überein,  so  C  D 
5730  k'entre  vus  ad  e?<e  gegen  P  que  entre  vus  ad  eue;  CP  6731 
ad  corne  recreue  gegen  D  ad  corone  recrue.  Auch  dürfte  C  P 
5733:  par  moi  nert  veceue  die  richtige  La.  gegen  D  par  moi  nert 
la  recue  bieten.  Auch  da,  wo  C  fehlt  und  nur  D  und  P  einander 
gegenüber  stehen,  erkennt  man  sehr  gut,  daß  die  La.  richtig  ist,  die 
zweisilbig  zählt.  I5oi  einsilbiger  Zählung  wird  der  Vers  falsch.  So 
hat  P  792  das  Richtige:  grant  pawe  mest  creue  gegen  D  crue, 
ebenso  5719  e  la  barbe  encreue  gegen  D  encrue;  10  457  doit  torner 
recreue  gegen  D  recrue,  10458  auires  genz  acreue  gegen  D  acrue, 
10412  est  forment  descreue  gegen  D  descrue;  das  Richtige  hat 
auch  P  5726  ni  ad  si  coneue  gegen  C  ni  ad  si  conue  und  D  nad 
si  bien  co7iue.  Nur  6726  haben  J)  F  ue  statt  eue  gegen  C  -eue, 
freilich  auch  ohne  daß  der  Vers  deshalb  ganz  richtig  werde:  D  bele 
e  conue,  V  bele  e  coneue;  nur  bei  P  e  merveille  conue  ist  der  Vers 
richtig,  aber  diese  La.  dürfte  doch  nicht  die  beste  sein. 

Dasselbe,  was  von  eu  resp.  -eiie  gilt,  findet  auch  auf  -euz  An- 
wendung.    Über  den  lautlichen  Wert  von  z  cf.  unten. 

In  CDP  haben  wir  6541:  quil  n'est  pas  recreuz;  6548  men 
Mii  ajyerceuz.  C  P  haben  die  richtige  La.  6552  un  poi  est  mescreuz 
{mieus  er.  .  ,  .)  gegen  D  ne  sui  bien  creuz;  6538  vus  vient  rendre 
ireuz  gegen  D  v.  v.  r.  truz.  Auch  P  allein:  6550  navez  le  rei 
veuz  gegen  C  I)  n.  Alisandre  v.  P  8565  est  forment  escreuz 
gegen  D  e.  f.  escruz.  Nur  graphische  Umstellung  der  zwei  Buchstaben 
e  und  u  scheint  vorzuliegen  in  8561  P  sest  li  rois  esmuez  gegen  D 
s,  l.  r.  esmuz.    C  hat  die  richtige  La.  6554:  sui  iw  reconeuz  gegen 


Die  Sprache  des  Alexanderromans.  15 

D  s.  i.  reconuz  P  s.  i.  reis  connuz.  Auch  für  euz  zweisilbig  stimmt 
DP  8573  qiiant  les  ont  veiiz,  obgleich  eine  Silbe  im  Verse  fehlt; 
ebenso  85G9  D  P  ert  la  conenz  (couneiiz).  Nur  an  einer  einzigen 
Stelle  8568,  D  P  sotit  hien  des  giiiors  seiiz  haben  wir  scheinbar 
eil  z=  ü;  doch  ist  auch  hier  eine  Richtigstellung  durch  Streichung 
des  überflüssigen  bien  sehr  leicht  möglich. 

2.  -eure.  Hier  sind  die  Verhältnisse  nicht  ganz  so  klar  wie 
vorher,  doch  scheint  auch  e  vor  betontem  zi  ausgesprochen  worden 
zu  sein:  PD  7488  est  la  c/rape  meiire :  CP  ol'A  li poejiles  saseure 
gegen  D  /.  p.  se  asseiire.  Oft  hat  eine  H«.  die  richtige,  durch  das 
Versmaß  gesicherte  La.  gegen  die  falsche.  C  057o  tnes petit  saseiire 
gegen  D  sasure  (P  fehlt  an  der  Stelle).  P  9909  od  lungue  fxirclieure 
gegen  D  od  lunge  furcliurc.  Daß  -eure  die  richtige  La.  ist,  kann 
man  sogar  aus  Fällen  schließen,  in  denen  -ure  steht,  nämlich  da 
wo  das  Fehlen  von  e  das  Versmaß  um  eine  Silbe  kürzt. 

cf.  CD  6578  a  riche  entaillure  (P  fehlt  an  der  Stelle),  wo  entailleure, 
PD  9902  ne  sa  engendrure  „  wo  engendrenre, 

CD  6580  desiiz  sa  vesture  „  wo  vesteiire 

einzusetzen  wäre. 

Dasselbe  ist  auch  der  Fall  D  v.  9901  conut  sa  poriure^  denn 
das  i,  welches  P  vor  comit  hat,  ist  ein  Füllsel;  ebenso  8715  devient  lur 
poriure  D,  trotzdem  P  fälschlicherweise  einfügt  la  lur  p. 

Auch  V.  6748  C  a  la  harhe  meure  (P  hat  a  l.  b.  menure) 
ist  die  richtige  La.  gegen  D  a  l.  b.  mure. 

Für  die  Aussprache  -ure  sprechen  nur  8716  DP  dont  est  lur 
engendrure,  9898  de  diverse  parleiire  (parlure)  D  (P),  9899  de 
diverse  engendrure  D  P,  6587  suz  leve  sa  affeublure  D  la  affu- 
bleure  C.) 

3.  -eur  aus  -atorem^  -itoreni. 

Einiges  Schwanken  ist  auch  hier  zu  beachten,  wenn  auch  die 
Fälle,  wo  e  ausgesprochen  worden  sein  muß,  weit  zahlreicher  sind. 
So  haben  wir  empereur  als  viersilbiges  Wort  in  folgenden  Fällen: 
9866  e  tant  empereur,  C  D  P  ;  402  dun  riche  empereur  {emp>ereour) 
D(P);  8843  le  fier  empereur  DP;  11061  en  lui  dempereiir  CP 
gegen  D  en  lur  demperur-,  auch  sonst  findet  sich  die  eine  Hs.  durch 
die  andere  corrigiert.  So  haben  wir  CD  4674  Darie  lempereur 
gegen  P  emperur;  5112  Darie  lempereur  D  gegen  P  lemperur; 
5594  dit  al  empereur  C  gegen  DP  emperzir;  6776  C  au  fier  empereur 
gegen  DP  emperur,  ebenso  10  563  droit  est  demp^ereur  C  gegen  D 
d.  c.  demperur,  P  d.  c.  de  empereur.  Auch  in  einer  Tirade  von  C 
allein  fol.  32  r.  Sp.  2,  ebenso  P  le  fier  einpereiir.  Das  Fehlen  einer 
Silbe  in  einer  Tirade,  die  P  allein  hat,  fol,  45  v.  Sp.  1  prince  ou 
emperor  spricht  auch  für  die  Aussprache  cmpereor.  Nur  einmal 
9205  finden  wir  dient  del  empereur^  wo  der  Vers  nur  richtig  ist, 
wenn   wir  emperur  aussprechen.   —  Auch  robeur  finden   wir  drei- 


]  G  Heinrich  Schneegans. 

silbig:  CDP  4G80,  cum  povre  robeur;  CP  9185  iirant  e  rohetir 
{rohheour)  gegen  tirant  e  robur  D  —  pecheur  erscheint  dreisilbig : 
♦5796  me  rend  ieo  pecheur  CD  pecheor  P;  9184  nen  leice  pecheur 
CD  gegen  P  ?ie  lece  pechur,  wo  eine  Silbe  fehlt;  dagegen  hat  P 
8162  das  Riclitige  ou  furent  pechew\  wogegen  diesmal  bei  D  eine 
Silbe  fehlt.  —  5118  CP  tel  vint  mit  poigneur  gegen  Y>  j)oignur.  Diese 
La.  läßt  auch  vermuten,  daß  P  8846  richtig  liest;  eurent  li  j)oigneiü\ 
während  D  eurent  li  poignur  unrichtig  sein  dürfte.  —  5622  haben 
CDP  ne  vi  tel  iusteur.,  was  auch  die  La.  von  C  5120  C077ie  hon 
iasteur  gegenüber  der  von  D  cum  bon  iusteiir,  P  iosteor  als  richtig 
erscheinen  läßt.  —  Nicht  so  sicher  scheint  es  bei  combaiur  der  Fall 
zu  sein.  Da  linden  wir  nämlich  5599  hardi  combateur  nur  bei  P, 
dagegen  CD  tani  hardi  combatur,  eine  Aussprache,  die  gestützt  zu 
werden  scheint  durch  DP  9198  e  sunt  fier  combatur.  C  schreibt 
freilich  hier  combateur,  doch  hat  es  eine  Silbe  zu  viel.  Dafür  ist 
aber  die  Aussprache  guerreur  gesichert  cf.  5607  :  chivalers  guerreur 
CDP;  9201  e  cruel  guerreur  P  (CD  guerreour),  7123  vienge  U 
guerreur.  —  Auch  ferreur  ist  dreisilbig.  CDP  del  bon  brant 
ferreur  5621.  —  Schwanken  ist  dagegen  wiederum  zu  konstatiereu 
bei  guiour.  Einerseits  haben  wir  8168  :  li  autre  guiour  bei  D 
gegen  P  guiur,  und  DP  9885  li  sage  guiour,  dagegen  in  einer 
Tirade  von  CP  allein  :  li  ont  trove  guiur  und  vers  Inde  li  guiour 
D  guior  P.  —  Gesichert  ist  dafür  pour  (pavorem)  zweisilbig.:  CD 
6596  de  rien  nen  ai  pour;  7121  donc  poet  aver  pour  D,  2^oor  P; 
8170  en  doute  e  en  pour  DP,  8836  e  suffreite  e  pour  DP;  9889 
e  phisors  foiz  pour  DP.  Ebenso  forgeur  dreisilbig  :  9197  sunt  il 
bon  forgeur  CP  gegen  D  s.  i  bone  f.;  ebenso  curreur  :  CD  9199 
qui  sunt  bon  curreur  gegen  bons  corours  P;  menteur  9872  DP  a 
large  menteur;  10  069  li  cruel  plungeur  P  gegen  D,  das  eine  Silbe 
vermissen  läßt:  li  cruel  plungur;  auch  nour  (uatatores)  10  063  qui 
mut  sont  bon  nour  DP;  obgleich  in  v.  9204  CDP  novel  fableur 
eine  Silbe  fehlt,  ist  wohl  doch  sicher  dreisilbige  Aussprache  anzunehmen. 

—  Schwanken  ist  dagegen  bei  enginneur  zu  verzeichnen  :  viersilbig 
haben  wir  es  in  einer  Tirade  von  CP  fol.  32  r.  Sp.  2  com  coi?iit 
anginneur,  dagegen  9196  des  mains  sont  enginur  dreisilbig,  freilich 
7703  DP  par  mein  denginur  spricht  wegen  des  Fehlens  einer  Silbe 
für  viersilbige  Ausspache.  Auch  plaideur  scheint  das  Richtige  zu 
sein,  obgleich  wir  CDP  5592  finden  :  si  fut  bon  plaidur.  —  Un- 
sicherheit herrscht  in  der  Behandlung  von  coniur.  Einerseits  spricht 
CDP  4684  tu  e  ti  contur,  wo  eine  Silbe  fehlt  für  cunteur.  Auch 
7124  P  li  duc  li  contur,  würde  dasselbe  vermuten  lassen,  während 
D  li  duc  e  li  contur,  ebenso  wie  6593  ceo  veent  mi  contur  und 
6783  e  mi  riche  contur  für  die  Aussprache  ur  sprechen.  —  Ver- 
stummt erscheint  e  in  governur  4694  :  doi  estre  governour  D,  governur 
CP;  5628  par  fieble  governur,  8163  e  dit  al  governour  BF  8163 

—  Ebenso    5609    compierur  :  par  force  c  .  .  .  C.     conquerour  D; 


Die  Sprache  des  Ale.vanderronians.  17 

die  Schreibart  P's  conquereur  kann  wegen  des  Versmaßes  lücLts 
beweisen.  —  Bei  devorur  dagegen  scheint  e  gesprochen  ^Yordeu  zu 
sein,  denn  7696  Gog  le  dovorur  DF,  ebenso  wie  8157  e  cel  devorur 
DP  lassen  eine  Silbe  vermissen,  freilich  haben  wir  daneben  9186 
de  cors  sunt  devorur.  In  einer  Tirade  von  CP  allein  haben  wir 
sunt  il  hon  laburur  und  7ie  il  neu  sunt  vendur.  Immerhin  sind 
die  Fälle,  wo  e  verstummt,  selten  und  würden  vielleicht  noch  seltener 
sein,  ja  würden  ganz  verschwinden,  wenn  uns  alle  IIss.  bekannt  wären. 
Es  ist  mehr  als  wahrscheinlich,  daß  der  Verfasser  eur  zweisilbig  ge- 
sprochen haben  wird.  Überall  wo  es  durch  eine  Hs.  oder  durcli 
das  Versmaß  irgend  wie  gestützt  ist,  wäre  es  einzusetzen. 

II.    Unbetontes  e  am  Wortende. 

Daß  der  Verfasser  ein  -e  noch  aussprach,  geht  sicher  daraus 
hervor,  daß  er  männliche  und  weibliche  Tiraden  sehr  wohl  unterschied. 
So  haben  wir  5  Tiraden  auf  -i  (5131—5164,  6230—6249, 
6799  —  6823,  8530—8540,  9497—9508).  Nur  einmal  hat  D  gegen  P 
V.  8538  dona  en  partie^  während  P  das  richtige  dona  en  parti  hat. 

In  den  Tiraden  aui  -ie,  die  den  Hss.  gemeinsam  sind  (1 174 — 1207. 
4560—4576,  5542-5591,  6676  —  6702,  8506—8525,  9300—9313, 
10070-10077,  10346—10359,  10583  —  10593,  11411  —  11440), 
ebenso  in  den  Tiraden,  die  P  allein  hat  p.  368  ff  und  CP  p.  547  ef 
haben  wir  keine  Beispiele  von  Vermischung.  Nur  D  hat  in  einer 
Tirade,  die  sie  ganz  allein  bietet  8784 — 8800  neben  polie,  signefie 
usw.  auch  ieo  di.  Einmal  haben  wir  auch  conquis  par  espee,  was 
vielleicht  für  espie  steht  und  einmal  le  voir  avez  oie,  obgleich  sonst 
stets  das  femin.  Partizip  sich  regelmäßig  nach  dem  femininen  Substantiv 
richtet:  cf.  la  novele  ad  oie  v.  8505,  a  sa  gent  banie  8507,  ad 
Vespee  seisie  8524,  cest  ost  avom  banie  9306. 

Dasselbe  gilt  auch  von  den  Tiraden  auf  -u,  -ue.  In  den  ;> 
Tiraden  auf  -u  (4s54— 4899,  5381—5390,  5763—5770)  haben  wir 
nur  zweimal  bei  D  revenue^  tolue  auf  Mascuhna  bezogen  gegen  CP. 
In  den  10  Tiraden  auf  -ue  (786—815,  5718—5738,  6723  —  6742, 
7200-7215,  7749—7771,  9026—9037,  10111—10120,  10302— 
10309,  10447—10464,  10855—10  864)  haben  wir  kein  einziges 
Beispiel  von  Vermischung.  Auch  hier  wird  regelmäßig  das  Partizip 
in  das  Feminin  gesetzt,  wenn  ein  femin,  Substant.  vorangeht:  5725 
ni  ad  si  coneue  auf  une  vermaille  enseigne,  5730  qu'enfre  vus  ad 
eue  auf  ire^  6733  grant  perte  ai  ieo  veue  auf  pe7'te  bezogen. 

Der  Verfasser  wird  auch  gewiß  ein  e  und  ee  genau  unterschieden 
haben.  Denn  die  männlichen  Tiraden  sind  von  den  weiblichen  streng 
geschieden.  "Wir  haben  8  männliche  (135 — 158,  5015—5051, 
6399  —  6442,  6913—6960,  8442-8473,  9060  —  9109,  9803—9861, 
10030—10  054,  10  653—10663)  und  9  weibliche  (680—715, 
5086—5106,  5462—5484,  6295—6325,  6669—6676,  8335—8365, 
9390—9415,  10428—10446,   11142—11172)  Tiraden.    In  Tirade 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI '.  2 


18 


Heinrich  Schneegans. 


99i)9 — lOOOli  sind  4  Verse  mäniilicli,  4  weiblich.  Dagegen  werden 
die  Kopisten  den  Unterschied  nicht  mehr  klar  herausgefühlt  haben.  So 
linden  wir  denn  in  den  männlichen  Tiradcn: 


135—158  auf  23  Verse  D  8  mal  -ee  :      P   1  mal  : 
out  son  mantel  ostee  135,  le  vis  ot         pensee 
coloree   136  etc.,   4  mal  Akk,  Sing., 
2  mal  Nom.  S.,  1  mal  Neutr.  S.,  1  mal 
Nom.  Plur. 

5015 — 5051    D    mad  pris   en   mortel 
hee  5025, 

6913— 69G0   CD   nee  (nati)    gegen   P 
716  6937, 

8442—8473   Joe 
D  8455, 


9060—9090  D  ne  voient  nule  fee  9065 
gegen  C  je  in  der  Bedeutung  Mensch, 
Sklave, 


9091—9109  D  hlecee  (quil  fast  hl . 

9099 
9803—9861  D  Alisandre  fu  ne 


10030  —  10054.    Assez  ont  travaille  e 

longtemjys  ont  noee 

11  sunt    norri    en    leve   e   ieinz   en 

sunt  nee 

D  10043  Für  ceo  que  Alisandre  del 

Nil  avoit  dotee; 


10653—10663  D  und  P  haben  gegen 
C  10653  regnee  (regnatum).  C  hat 
nur  Cy  während  P  hier  abgesehen 
vom  letzten  Vers  stets  ee  hat,  sogar 
citeCy  harnee,  feutee. 


tut    en    est   res 


sui    de    Grece    nee     P 


.)      P 


P  ainz   quil   scient  passee 
5029 

P  mon  privee  6927  gegen 
CD 

dasselbe,    dazu   noch   un 
duc  alosee  8456,  le  bon 
roi  coronee  8457 
ebenso   fie,  ferner 

9085  de  lur  droit  avoee 

9086  su7it  tresqual  mur 
alee 

9087  sont  donc  arestee 
3  P.  PI. 

9088  si    sunt    a  force 
entree. 

son  haubert  desmaillee 
9093  le  liu  eisillee  9104 
;  out  son  tens  usee  9818 
ont  illoec  conversee  9819 
ne  fut  onques  osee  9821 
dont  en  ai  parlee  9823 
fremist  le  regnee  9824, 
noch  15  mal,  also  im 
Ganzen  20  mal  falsches-^^. 


bei  D  und  P  10050 

bei  D  und  P   10054 

P  10031  tr/gres  est  appelee 
10032  com  en  livre  ai 
trovee. 


Die  Sprache  des  Alea'anderromans. 


19 


D  hat  also  im  Ganzen  ca.  18  Fälle  ee,  P  46  Fälle  ee.  Also 
hier  hat  ein  späterer  Abschreiber  ganz  entschieden  die  meisten  Fälle 
hineingebracht. 


In  den  weiblichen  Tiraden 

1.  G80  — 715  ~0(^  sa  lance  leve  D  688 
od  sa  gent  armee  689 
od  lautre  est  assemble  690 
fu  forte  la  melle  691 
011  lejiseigne  est  ferme  699 
est  la  targe  quasse  700 
done  auf  tine  bezogen  703 
or  as  tu  la  cole  706 

Also  8  Fälle  bei  D 

2.5086 — 5106    cum   gent  desconseille 
D  5106 


5462—5-184, 

5472  D  repople    anf  cite  bezogen 
gent      „ 


5478 

arme 

5474 

assemble 

5475 

soude 

5476 

mene 

5477 

Jörne 

5478 

matine 

5484 

encline 

6295—6325: 

D  6295  la  melle 
6296  gent  arme 

6301   nafre      auijuverite  bezogen 
6312  assemble  „  gent  „ 

6325  cfesherife  „    Grece  statt des- 

hentee 
6669  —  6676  D  kein  Fall 


P  689  ovec   sa  qent  arme 


V  e  sa  seigne  a  dresce 
5093  false   e  desmaille 
auf      bruine      be- 
zogen 
5096  tresquele  est  com- 
mencie 
5099  mainte  targe  fru- 
issie 
5104  ad  rumpue  epescie 
P  5462  guaste  auf  cite  be- 
zogen 
5464  coyitre  stAtt  contree 


C  P  stets  das  Richtige 


P  6669  eshalcie     auf     la 
noisse  bezogen 
6672  maisnie 
6674  aprocie  auf  ost  be- 
zogen 


20  Heinrich  Schneegans. 

833Ö— 8365    D     hat     auf    30    Verse     P  nur   8349    meinte   ierre. 
17   Fälle  -e,    CS   wäre  zu  weitläufig  aqidU 

alle  Beispiele  anzuführen.  8359  en    plusors     lins 

trohle  auf  voie  be- 
zogen 
8336  iresha  la  jiirne 
8338  qui  la  veie  ont  gni" 
9390—9415    D    hat    in    8   Fällen   -e 

gegen  C  P,  die  richtig  -ee  haben. 
104-28—10446  D  hat     8  Fälle  -e  P  2 

11142 — 11172  D     „     16      „      -e  C  nur   einmal    conpe   dor>: 

P  mostrez  statt  mostre 
Im  Ganzen  haben  wir  bei  D  in  weiblichen  Tiraden  69  Fälle  ' 
statt  ee^  bei  P  nur  18;  C  hat  abgesehen  von  einem  einzigen  Fall  nur 
das  Richtige,  freilich  ist  C  nur  ab  und  zu  vertreten.  Addieren  wir 
die  Resultate  zu  denen  der  männlichen  Tiraden,  so  erhalten  wir  für 
D  87,  für  P  64  Fälle,  unberechiigten  Setzens  resp.  Eliminierens  von  e. 
Einige  schwierigere  Fälle  erfordern  noch  gesonderte  Retrachtung. 
In  der  weiblichen  Tirade  6669 --6676  scheint  -ee  an  falscher  Stelle 
auch  auf  den  Verfasser  zurückzugehen:  6671  P  Li  reis  Dario  le? 
ad  ordenee  e  rengee.  CD  haben:  Li  reis  (Ly  Roys)  les  ad  ordenee 
(ordeinez)  e  adreit  rengee.  Der  vorhergehende  Vers  lautet:  Adohent 
sei  Persant  come  gent  bien  preisee.  Die  beiden  Partizipia  auf  gen- 
zurückzubeziehen  hat  seine  Schwierigkeit.  Doch  ist  möglicherweise 
dieser  Vers,  der  für  die  Erzählung  nichts  weiter  bietet  —  v.  6672 
E  fet  dis  escheles  de  sa  fiere  maisnee  schließt  sich  an  Adohenf 
usw.  sehr  gut  an  —  von  einem  späteren  Redaktor  hinzugefügt  worden. 
der  keinen  Unterschied  zwischen  -e  und  -es  machte.  Dasselbe  wird 
wohl  auch  bei  den  V.  6952  ,,Xt  serf  oreni  estoles  de  persan: 
double  D  (CP  in  der  Endung  gleich),  auch  6946  cotes  porp>rins  al 
dos  de  pesas  corone,  in  der  männlichen  Tirade  6913 — 6960  der 
Fall  sein.     Auch  diese  Verse  scheinen  bloße  Füllsel  zu  sein. 

Bedenken  erregt  auch  die  Form  cendreeV,  cendre  CD  in  einer 
männlichen  Tirade  9803 — 9814.  —  In  der  männlichen  Tirade 
10030 — 10054  haben  wir  Etldope  e  Athlante  sont  entreus  divisee 
für  Plur.  derise.  —  Die  in  P  und  D  (C  fehlt  an  der  Stelle)  mit  -ee 
als  Endung  überlieferte  Tirade  9999 — 10  002  muß  wohl  sicher  iri 
eine  solche  mit  e  verwandelt  werden; 

Un  mostres  ad  al  regne  zephus  est  nome[e] 
Cors  ad  e  gros  che/  al  menton  est  barbe[e] 
Piez  derere  ad  cum  home  e  quisses  e  costefej 
Sicum  tneins  dorne  sunt  devant  forme[e]  nach  D. 

Dagegen  muß  die  gleich  darauffolgende  4  zeilige  Tirade,  die 
bei  D  3  mal  e  hat,  und  bei  P  3  mal  ee^  sicher  in  eine  solche  mit 
-ee  umgewandelt  werden: 


Die  Sprache  des  Alea'ünderro'iiians.  21 

Une  autre  beste  i  ad  rinoceros  nome 
Del  long  al  olifant  mes  nest  pas  si  forme 
Ainz  les  occist  sovent  par  ire  e  "par  medle 
Une  corne  ad  al  front  trenchant  com  espee. 

Daß    die  Hss.    ee  =^  e    empfinden,    gebt    auch    aus    folgendeu 
Fällen  hervor: 
?     Gl  19  ^65  heaumes  lacieez  (C  laciez^  D  lacez) 

6124  qui  tant  ert  enveisseez  (C  enveissez,  D  envoisez) 
1 1 155  pur  ceo  quil  ont  des  braz  luv  manches osteeGF  1 1 155,  Doste 
1 1 520  les  corones  quil  avoit  conquestez 

848  si  ad  ses  7nains  lavez 
8703  coroneez,  P  (coronez  D  -atus) 
8859  sis  ad  asegeez  P  (assegez  D  -atos) 
10  242  P  nomeez  (atus) 
11619  qui  fit  de  mere  necz  (D  allein) 

Noch  einige  speziellere  Fälle  für  das  Verstummen  von  e  im 
Empfinden  des  Kopisten  sind  in  folgenden  Beispielen  zu  konstatieren: 

In  Tir.  9786 — 9802,  die,  Avie  CP  zeigen,  auf  -enes  auslautet, 
schreibt  D  sehr  häufig  -ens  statt  -enes  :  9786  les  mers  caspie7is, 
Q7 87  les  eves  sichiens,  9791  as  eures  anciens^  9795  des  terres 
anciens^  9798  e  les  pleines  libiens,  9800  les  merveilles  etliiopiens. 
Einen  Schein  von  Berechtigung  hat  nur  9801  entre  les  crestiens  J) 
statt  rp  crestienes,  doch  ist  möglicherweise  ^£"7!^;  hinzuzufügen.  Sonst 
\vird  die  La  D  stets  durch  CP  korrigiert. 

2.  Daß  e  für  D  nichts  mehr  ist,  beweist  v.  472:  la  dame  a 
s.on  terme  est  mult  engrossis  in  Tir,  -is,  das  durch  P  li  venires  a, 
la  dame  a  son  terme  est  pris  ersetzt  wird. 

3.  In  einer  Tirade  von  D  allein  auf  -ez  finden  wir  grece  mit 
den  Wörtern  auf  -ez  reimend. 

4.  In  einer  Tirade  von  D  allein  auf  -er  finden  wir  unter 
lauter  aus  -are  hervorgegangenen  und  aus  matrem  patrem  kommenden 
Fällen  11522  auch  fier  (fera). 

C.  Konsonantismus. 

Aus  den  Reimen  ist  für  den  Konsonantismus  nur  das  Verstummen 
einzelner  Konsonanten  zu  konstatieren. 

1.  /'  ist  in  der  Endung  -ifs  nicht  mehr  hörbar.  Die  Adjektiva 
auf  -ivus  reimen  mit  Wörtern  mit  ursprünglichem  -is  und  treten  auch 
hie  und  da  selbst  in  der  Form  -is  auf.  So  finden  wir  neben  poestifs 
OP  11572,  CP5317,  dSU  auch  B  jyoestis  11572,  162,  492,  4732 
DP,  5317,  9334  D;  vijs  C  fol.  43.  v.  Sp.  1,  D  165,  487,  7639 
DP  neben  P  vis  165,  487,  11573  CP;  neben  cheitifs  C  fol.  43. 
V.  Sp.  1,  D  4750,  C  5327,  cheitif  P  477  auch  D  477  cheitis,  V 
caitis  4750,   DP  chaitis  5327,  neben  fuiifs  C  fol.  43.  v.  Sp.   1,  D 


22  Heinrich  Schneegans. 

4750,  C  5327,  cheitif  P  477  auch  D  477  cheiiis  P  caiiis  4750, 
])P  chaitis  5327,  uehen  futifs  C  fol.  43.  v.  Sp.  1,  D  476,  CPI) 
4741),  7G32,  auch  P  476  fuistis;  neben  mendifs  C  fol.  43.  v. 
Sp.  1,  mendifz  DC  5328  auch  P  ;n«n(Z«s  5328,  475  PD; 
neben  pensifs  1)  489,  D  Tir.  721/32,  C  4751  auch  P  pensis  489, 
Tir.  721/32,  DP  4751;  neben  antifs  C  5320,  CP  9360,  DP  anti^ 
5320,  D  9360;  esirifs  CP  Tir.  11587  neben  D  esiris.  Diese 
Wörter  reimen  alle  mit  ursprünglichem  -is.  C  fol.  43.  v.  Sp.  1: 
amis,  mis,  pais,  mencdis^  Tir.  11568ff. :  devis,  pais,  amis^  prig, 
dis  etc.  Tir.  11  587  ff.  tramis,  7iiis,  occis,  malmis,  Tir.  100 — 181 
enquis,  assis,  pais.  ris,  amis  usw.  ebenso  Tir.  472  ff.,  721  ff'.,  4732  ii., 
5313  ft'.,  7631  ff.,  9333  ff,  10289  ft\  —  nativos  findet  sich  nur  zwei- 
mal als  nais  P  5316,  DP  7645  neben  DP  10289  plentifo  :  danis, 
assis^  pais,  etc. 

2.  Daß  p  zwischen  /•  und  a-  verstummt,  ist  selbstverständlich. 
Neben  Formen  wie  corps  D  6905,  11173,  Tir.  8582/6  haben  wir 
D  6908  cors  0  cors  Tir.  11 173  ü'.  P  cors  zweimal,  Tir.  8582/6, 
und  zwar  reimend  mit  oi's^  iors,  sors  etc. 

3.  t  scheint  auch  im  Auslaut  verstummt  zu  sein,  wie  5780 
e  midt  graut  cite  fu  und  912  al  roi  (eie  fu  in  Tir.  auf-«  bezeugen. 

4.  /  vereinigt  sich  mit  dem  vorhergehenden  Vokal  in  nuh 
11704,  das  in  einer  Tirade  11701  ff',  auf  -us  im  Reime  sich  findet. 
Auch  reimen  gentils,  vils  C  fol.  43.  v.  Sp.  1.:  amis,  mis,  pais,  sotil:^ 
7634  in  Tir.  1631  ff',  -is;    10294  aisils  D:    -is. 

5.  r  in  der  Endung  -ers  findet  sich  nur  sporadisch  verstummt 
in  einigen  Hss,  wo  es  nicht  die  richtige  La.  bieten  dürfte.  So  haben 
wir  nur  in  C  6571  desirez  statt  DP  desirers  und  C  enveisez  657'-> 
gegen  DP  envoisers  in  Tir.  auf  -ers;  P  soldees  7224  neben  D 
sonders,  und  lethres  l^^l  neben  D  leg' es  in  Tir.  auf  -ers.  D  // 
Roy  dreiturels  631  neben  P  quifu  reis  dreiturers.  —  Verstummung 
des  r  haben  wir  auch  bei  D  allein  10  650:  li  prince  e  li  terre  gQgQv. 
GP  terrier\  10652  droiture  gegen  CP  dreiiurer.  Auch  falsches 
Setzen  von  -r  bezeugt  für  D  das  Verstummen  des  Lautes,  so  11239 
Tholomer. 

6.  Daß  s  -]-  t  verstummt,  bezeugt  D  188  prist  (neben  V  prit) 
in  Tir.  181  ff'.:  samit,  eslit,  habit,  rit,  ebenso  assentist  4711  D  (C 
dit,  P  fehlt)  neben  vit^  rit^  dit,  escrit  in  Tir.  4703/12.  Auch  das 
ialsche  Einfügen  von  s  in  P  5509  li  grand  e  li  petist  ir, 
Tir.  5507  ff.  ist  ein  Beweis  für  das  Verstummen  von  s.  la  Tir. 
6341/6351  haben  wir  auch  einmal  C  eslit  neben  eslist,  mist,  choisist. 
In  Tir.  339/49  haben  wir  freilich  nur  -ist. 

7.  Das  Verstummen  von  s  im  Auslaut  kann  seinerseits  durch 
zahlreiche  unberechtigte  Hinzufügungen  von  6-  im  Obliquus,  wo  es 
etymologisch  ganz  unmöglich  wäre,  erwiesen  werden.  So  finden  wir 
596  a  gratit  suspeeions,  8195  par  icest  achaisons,  10100  e  est  en. 


Die  Sprache  des  Ale.vamlerromans.  23 

suspecions,  9711  gist  en  afflictions;  in  CP  allein  C  fol.  Ml  r  Sp.  2 
V.  17:  parle  li  arhres  en  griu  a  banduns,  18  jmr  mut  grant 
traisuns,  20  iias  nule  suspeciuns.  Ebenso  5924  de  ca  le  ßum 
Jordans,  5928  D  allein,  passe  ia  un  ans;  8056  7iomer  ne  puis 
riens',  6826  Jeo  en  iur  le  soleil  e  le  ciel  sovereins;  D  allein  6832: 
pur  dieu  le  rei  hauteins.  Auch  in  Tirade  -ers  8402/15  im  Obliquus: 
8409  ont  il  grant  desirers,  8413  par  entre  parier s;  in  Tir.  6559/71, 
6562  de  mangers,  6571  de  vilein  encombrers,  6566  lianaps  d'or 
mers;  in  Tir.  619/50,  631b  le  hell  de  ßn  or  miers;  wohl  ein  von 
P  eingeschobener  Vers,  der  sich  sonst  nicht  findet.  Ebenso  420  D: 
e  ele  gete  un  cris,  wogegen  P  richtig  hat,  ele  rejete  ois;  D  allein: 
8586  ^  out  un  riche  tresors,  6225  ci  ne  frum  nus  riens  (P  allein) 
(D  C  haben  einen  andern  Vers). 

Auch  haben  wir  hie  und  da  im  Subjeklkasus  unberechtigtes  s. 
9718  la  ßere  vengeisons,  8197  pleine  en  est  la  sesons]  8200  de 
manger  est  seisons\   10919  la  duce  ferne  Eveins. 

Das  unberechtigte  Fehlen  von  -s  an  Stellen,  wo  es  nötig  wäre, 
ist  auch  für  die  Verstummung  von  ä  anzuführen:  763  ou  vienent  si 
home  a  cent  e  a  miler,   10691  volenter. 

8.  Bei  z  läßt  sich  dasselbe  wie  bei  s  konstatieren.   Wir  finden  es 

a)  an  ganz  unberechtigter  Stelle  in  der  Endung  -atem,  die 
durch  e  wiedergegeben  sein  sollte.  So  amistez  4989,  5513,  8549, 
10132,  10740,  10889;  enemistez  6904,  veritez  10234,  11488, 
11526;  eez  (aetatem)  C  fol.  31  r.  Sp.  1,  24,  10261,  8691,  aez  D,  ez 
P,  857,  10  737  volentez,  10877  deintez,  10  243  d'aniiquitez,  D  allein 
11609  autoritez,  11482  beautez,  11525  santez,  7046  citeez,  10  723 
bontez.  Ebenso  -adum:  grez  7078,  10  726.  Diescz  -ez  reimt  mit 
-ez  aus  -atus,  -atis,  auch  aii.    Die  Tiraden  gehen  ganz  durcheinander. 

b)  Für  die  Obliquusendung  -atum  =  ez,  -utum  uz,  -entem  =  enz. 
7086:  pa?'  un  eti  Grece  neez;  11617  dural  renomez;  11100  des- 
tempra  uns  herbez;  11109  en  im  vessel  dorrez;  10123  se  fei 
baud  e  haitez]  ebenso  8737  lez  im  bois  foUluz,  und  im  Objekt  8136 
dolur  e  mairemenz,  8140 /b«^  Iur  repairemenz,  8144  e  Iur  hardemenz 
D  gegen  P  hardement. 

c)  Auch  die  Endung  des  Neutrum  Singularis  -atum  findet  sich 
durch  -ez  in  Tiraden  aus  -atus,  -atis,  -aii,  -atum,  -atcvi  wieder- 
gegeben. P  5665  avant  tut  est  mostrez;  5678  tut  est  en  autre 
■siede  alez,  10710  com  li  fu  loez;  7082  /  ad  sacrißez,  7089  fu 
ceo  proplietez;  7091  bien  lad  recordez,  diese  drei  letzteren  Fülle 
bei  D  allein.  8555  ceo  vus  ert  otriez;  11662/3,  7iotez,  obliez  D 
allein;  10266  grantez.  In  Tir.  v.  C  und  P  allein  fol.  31  recto 
Sp.  1,  5,  17,  vus  est  destinez,  comandez,  P  6433*'^  E  jure  est  de 
Darie  e  par  fei  afiez  gegen  CD,  die  e  haben. 

d)  Auch  fem  -ata  wird  durch  -ez  wiedergegeben:  7037  la 
mitre    al  chief  posez;    11611    entaillez,    11611   esmerretz,  11613 


24  Heinrich  Schneegans. 

posez,  10867  e  de  a  U  reacoiniez.  Ebenso -z/Za^i :  S7 4:)i :  qui  eust 
barbe  chaniiz.  Auch  fem.  plur,  -atae  =■  ez\  11C23  les  dures  desiinez, 
1 1  024:  qiii  furent  ordinez. 

D.   Flexivische  Ersclieinimgen. 

Es  läßt  sich  darüber  streitoD,  ob  obige  Fülle  eher  zum 
Konsonantismus  gerechnet  werden  sollen,  um  das  Verstummen  des 
-5  anzudeuten  oder  zur  Formenlehre,  um  den  Verfall  der  Deklination 
nachzu\Yeisen.  Die  folgenden  dürften  wohl  eher  als  flexivische  Er- 
scheinungen zusammengefaßt  werden. 

1.  Wenn  das  Objekt  im  Akkusativ  Singularis  dem  Partizip 
vorangeht,  haben  wir  auch  häufig  ganz  unberechtigterweise  -ez  statt  e 
und  zwar  obgleich  sonst  ganz  regelmäßig  sehr  häufig  das  Partizii> 
mit  avoir  sich  nach  dem  vorangehenden  Objekt  richtet.  Daß  dies 
der  Fall  ist,  sehen  wir  deutlich  beim  Femininum  Singularis.  5090: 
senseigne  ad  eshaucee,  5092  ad  In  targe  brisee  in  Tir.  11143/93 
13  Fälle,  wo  dies  der  Fall  ist,  cf.  11156  ad  lemhiche  botee,  11157 
sa  coupe  ad  demandee,  11  158  si  li  ad  liveree  C  P  gegen 
livere  B,  11161  la  cope  ad  ins  jetee.  Ebenso  im  Femininum  Plur. : 
6048:  escheles  ont  rengees.  Ferner  im  Acc.  Masc.  Plur.  7034: 
Quant  Roys  AI.  les  ad  regardez  D  allein;  11518  Quant  AI.  ot 
les  doze  piers  casez,  11521  sis  ad  coronez]  6761  quis  ad  agraventez, 
ebenso  mehrere  Fälle  in  Tir.  6117/6144.  Auch  bei  -utos  8573: 
quand  les  ont  veiiz. 

Nichtsdestoweniger  finden  wir  sehr  häufig  die  Hegel  durch- 
brochen und  -ez  resp.  -uz  an  falscher  Stelle.  So  haben  wir  -ez  für 
•atum  nach   vorangehendem  männlichen  Objekt   in  folgenden  Fällen: 

In  Tir.  957/996  nicht  weniger  als  10  Fälle;  cf.  z.B.  987: 
Vaubert  ad  desmaillez,  dann  9518  ja  navra  darc  tret  ne  gaveloc 
lancez;  9519  ne  perere  levez  ne  berefrei  drescez;  9525  que  vaut 
que  nus  avum  tut  le  miind  cerchez]  7041:  si  ad  le  nom  dien 
devotement  adhourez  D  allein,  ebenso  7042  Le  rois  ont  saluez 
7083:  Apres  le  sacrifi.ce  le  Roys  ad  regardez,!  7 OS 5  Le  livre 
Daniel  ont  devant  lui  piortez.  Solche  Fälle  sind  namentlich  häufig 
in  Tiraden,  die  D  allein  hat,  in  denen  die  Sprache  ganz  verwildert. 
Ebenso  wird  -utum  durch  -uz  wiedergegeben,  cf.  6550  navez  le 
rci  veuz,  6449  as  diz  Vai  entenduz;  8743/4  auf  garnement  be- 
zogen: avoit  il  vestuz,  avoit  iL  iissiiz  —  in  andern  Fällen  wieder 
richtig:  923  ceo  quil  ad  perdu,  927  qui  bien  Vont  coneu.  946  qiii 
le  curs  ont  veu. 

Auch  wenn  Fem.  Obj.  Plur.  vorangeht,  haben  wir  -ez  statt  -ees: 
.S48  si  ad  ses  mainz  lavez;   11  523  les  corones  qidl  avoit  conquestez. 

Das  Durcheinander,  das  hinsichtlich  dieser  Erscheinung  herrscht, 
wird  auch  durch  das  unberechtigte  Fehlen  von  -z  erwiesen. 

So  haben  wir  für  -atos  -e  statt  -ez:  6941  Fetes  moi  amener 
deus  roneins  enseele;    6953  E  en  lu  d'anels  pois  en  gros  melle; 


IHe  ■'Spruche  des  Ale.xanderromans.  25 

504(>  Troce  les  oliphans  e  les  chasiels  ferme,  5047  Veit  les  homes 
dedanz  garniz  e  adoube,  8449  Sanglanz  les  costez  e  les  cengles 
overe;  8466  il  ad  plus  de  cent  ans  passe\  9858  les  antres  livres 
asemhle\  in  männlicher  -e  Tirade:  DP  109  les  iamhes  i  ot  plates 
e  les  pies  hien  coupe;  DP  115  a  gros  hoions  dorre;  121  sur 
•jespez  tapine;  P  139  h  vis  aveit  traitiz,  les  braz  di'eis  e  quarre 
gegen  D  quarreez  mitten  in  dieser  -e  Tirado. 

Aucb  -utos  erscheint  als  ?;;    5779  e  les  puis  plus  agti;    925 
par  les  degres  volu,  953  houhers  desmaillc  e  rompu. 
Für  ces  haben  wir  ebenfalls  e:  6945  Cotes  porpris  au  dos  de pesas 
:orone]    6952  orent  estoles  de  pesaz  double. 

Beim  vorangehenden  Obj.  Plur.  Mask.  haben  wir  auch  statt  -ez: 
6940  Deus  de  ses  marcschals  a  li  Reis  apele\  6958  ...  les  ont 
al  vis  rue;  6961  .  .  .  ad  deus  arbres  leve;  6962  La  sus  les  onf 
pendu  e  forment  encloe;  6915  E  treu  e  ferme  pes  lur  ad  a  tuz 
done  CD;  P  hat  hier  donez^  obgleich  sonst  die  Tirade  auf  -e  aus- 
lautet. 8468  {  ad  .  .  .  treis  mantels  afuble ;  9064  Mes  homes  ne 
fernes  ni  ont  dehors  trove.  9076  quarels  i  ontgefe;  9079  trenche 
!ur  ad  les  chefs,  les  pez,  les  poinz  coupe  CD  gegen  P  copez,  trotz 
der  -e  Tirade;  9080  plus  de  cent  en  ad  merz  que  nafre  que  plaie; 
ü()^\  sis  ad  toz  escrie.  In  Tir.  9803/61  haben  wir  nicht  weniger 
denn  12  Fälle,  in  denen  bei  vorangehendem  Objekt  Plur.  Mask.  eine 
Übereinstimmung  nicht  stattfindet. 

Auch  -utos  =  u;  so  83  les  haubers  ont  vestu;  939  D  qu-j 
point  7ies  ad  tenu\  bl%'l  ont  lur  p)encels  hors  j^ßndu.  Auf  voran- 
gehendes Fem.  Obj.  Plur.  richtet  sich  häufig  das  Partizip  nicht.  CP 
lur  citez  ont  fermee  (D  ferme);  9832  les  deus  parties  del  mond 
ad  prof  environe,  darauf  bezogen  e  ^:)m  c  conqueste\  10048 
delfins  e  cocdtrices  ont  avec  eus  mene.  D  6412  Sa  mere^  sa  femrne, 
ses  filles  dcrrere  ad  lesse  (CP  haben  den  Vers  nicht,  der  wohl  von 
D  selbständig  hinzugefügt  worden  sein  wird). 

2.  Beim  pronominalen  Yerb  gehen  die  Formen  mit  z  mit  den 
hindern  durcheinander.  So  finden  wir  neben  9083  del  dart  sest 
deferre;  9826  s'est  Alisandre  mult  pene',  945  sen  est  revenv^ 
956  sest  li  ost  esmeu  P  (est  lost  esmeu  D);  auch  Formen  mit  z; 
!}85  f.  au  roy  sest  alaisez,  8856  sest  veyigez,  8861  sest  Alia: 
coehez;  10267  sest  purpensez\  6125  sest  si  defreinez,  6135  qiii 
sest  derengez,  8696  sest  a  Alix.  acordez,  8739  sen  est  esbatuz, 
8741  si  sen  est  aperceuz  D,  8561   sest  li  rois  esmeuz  resp.  esmuz. 

Im  Pluralis:  9105  se  sont  la  nuit  loge^  neben  965  se  sont 
rios  c  reillez,  972  si  sont  assegez;  976  si  se  sunt  escriez,  977 
ii  se  sunt  apuiez. 

3.  Für  die  Nichtbeachtung  des  Flexions  -s,  spricht  auch  der 
Umstand,  daß  die  Endung  des  Nom.  Sing.  Part,  -atus  auch  vielfach 
.'ils  -e  statt  als  -ez  vorkommt.  Es  scheint  sich  bereits  der  neufranzösischo 
Sprachgebrauch  einführen  zu  wollen.  Neben  auL5erordentlich  zahlreichen 


26  Heinrich  Schneegans. 

-ez  <  -aius   (cf.  Tir.  847/81,   957/96,   4973/5014   usw.)   finden  wir 
nämlich  auch:  6410  Li  soleil  est  abesse  wobei  C  ahesse.z  in  einer  -e 
Tirade  hat;    6431  ainz  que  seit  desrene  (desraisne)  CjDP, 
6918  Nul  hom  en  sa  mort  en  fu  j^ius  honore 

Ne  nul  cors  ne  fut  onques  mieux  enhasme 
5035  tut  son  grand  tresor  nus  ert  abandone 
ou  iames  a  mon  tens  nert  quite  clame 
8465  pe^ti  est  de  cors  e  vielz  e  inut  barbe 
9813  deve  nen  est  mouille  ne  par  le  vent  oste 
10031  tigres  est  appele  D  (P  apellee) 
10662  ou  est  emperere  sur  trestoz  clame 
Auch   bei   -arius  finden  \\'ir  neben  sehr  zahlreichen  Fällen,    wo 
regelmäßig    -ers    entsteht    (cf.   Tir.   8402/15,    619/50    etc.)   manche 
Fälle,   wo  -arius  als  -er  erscheint. 

So  Tir.  10686/10703  nicht  weniger  denn  11  Fälle  cf.  10685: 
acostomer,  10688  messager^  10693  chivaler,  10  ßdA  primer,  etc. 
ferner  10  626  Porrus  grant  e  plener,  10645  vassal  ne  chevaler, 
10646  archer\  ebenso  369  que  dieu  seit  dreiturer,  370  ieo  sui 
son  messager;  4546  pruz piert  e  legier;  ebenso  vokativisch  gebraucht; 
Sire  reis  dreiturer^  369  mestre  eher. 

Bei  -aticus  haben  wir  neben  3  regelrechten  -ages^  8607  mut 
fut  grant  sis  ages  D  (P  age),  8913  e  ses  riches  barnages,  891"^ 
inalveis  est  eist  ostages  auch  3  -age:  5486  car  ceo  me  semble 
utrage,  5495  que  pruz  estes  e  sage.  8478  ceo  li  dit  son  barnage. 
Während  -abilis  stets  als  -ables  im  N.  S.  erscheint  —  cf.  le  riche  reis 
vaillables,  826  siecles  .  . .  deceivables,  827  e  muables^  829  .  .  .  estables, 
825  sok.  pier  (peresj  esperitables  ^  {?)\  und  -urus  als  -urs:  9207 
seiez  or  bien  seurs,  9210  qui  est  cruels  e  durs  {o^ni  p)0ple  bezogen). 
haben  wir  dagegen  -utus  >  u:  919  est  frelles  e  descheu;  920  mult 
en  fut  irascu;  931  ou  le  iref  fu  tendu;  932  t  estoit  .  .  .  descendu; 
933  e  gent  e  bien  creu;  934  estreitement  vestu;  951  il  en  ert 
honiz  e  mort  e  confondw,  952  e  malement  abatu.  955  nert  il 
defendu,  924  Alix.  est  issu. 

Schwanken  ist  bei  der  nasalen  Endung  -ans  zu  konstatieren. 
Einerseits  5914  Geroboans;  5915  soudans;  5918  li  bans,  9111 
ii  occians,  7827  li  j^oeple  est  granz,  9834  e  ganges  le  coran:. 
7860  fu  fiers  e  emprenanz,  7845  icest  popÄe  nest  iames  soioryian:, 
7847  est  lur  quer  cerchanz,  7852  qui  mult  est  conqueranz  usw. 
Anderseits  425  qui  est  lenfantDP,  427  cum  vassal  decevant, 
440  le  diiu  puissant  D  (P  hat  eine  andere  Fassung),  4603  li  sem 
en  est  mult  grant,  5437  cum  chevalier  vaillant,  6444  seit  iuge  li 
Persant;  8308  grant  cum  oliphant;  8754  est  riches  e puissant  etc. 
Bei  -enz  läßt  sich  dasselbe  beobachten.  Einerseits  -enz:  8134 
Alis,  est  dolenz]  8147  2olus  que  nest  arremenz\  8148  mult  est 
gref  eist  tormenz,  8152  maiur  li  pluremenz  —  Anderseits  5838 
mut  puis  estre  dolent:    6388   ignel  est  plus  que  vent,   5855  plus 


JJle  Sprache  des  AlecCanderromans.  27 

cruel  que  serpeni;  5879  sil  est  pruz  e  leger  e  vus  coard  e  lent. 
4763  ert  fet  V acordement. 

Nur  s  haben  wir  dagegen  bei  -aiius,  -enus:  10  914  sire  reis 
sovereiiis^  10918  li  peres  lyremereins ;  6823  soies  en  lieis  certeins, 
6831  li  frains  e  lauhert  acerens;  nur  einmal  7  911  reis  egypcien. 
Analogisches  s  in  8060  nide  nens^  ebenso  N.  S,  li  ors  (auruni) 
DP  8584. 

-ivus  erscheint  fast  nur  als  -ijs  resp.  -is  (cf.  Verstumniung  des 
f),  nur  in  Tir.  5693/5700:   ju  forment  jjensif. 

Dagegen  ist  Schwanken  zu  konstatieren  bei  -alis.  Einerseits 
5246  lesturniaus  CP  neben  D  estornels;  leaus,  CP  leals  B  5249, 
cum  seignur  naturals  D  5255;  5256  D  manteals^  C  li  manteaus, 
P  mantels,  daneben  im  Subjektkasus:  5352  un  hei  damoisel,  5353 
e  chevaler  novel,  5355  esteit  bei. 

4.  Im  Xom.  Plur.  M.  haben  wir  den  Lautregeln  gemäß  kein  6': 
in  der  Endung  -ivi.  cf.  Tir.  5693/5700:  li  fol  e  li  iolif;  ly  sage 
e  li  aidif\  rnaltalentij\  enteniif,  poestif,  freilich  einmal  auch  DP /'Z'^s 
tant  que  eimes  vifs  7639.  Auch  Endung  -iti  in  Tir.  -it  =  it. 
11  113  li  oit  niois  sont  acomplit  CD;  P  hat  acompliz. 

-uti  erscheint  h.äufig  als  -u:  5784  sunt  liors  issu;  913  messagers 
sunt  venu',  915  quil  simt  batu;  5766  i  vus  iuz  confondu  etc.,  da- 
gegen haben  wir  auch  -vz  <  uti:  8568  les  chcmins  sont  seuz\  6544 
e  li  haubert  vesiuz,  6545  li  espie  esmoluz,  6556  sunt  donc  andui 
descenduz. 

In  der  Endung  -ani  haben  wir  vielfach  kein  6';  8735  Caldeu 
e  paen;  8819  Gret«'  e  Persien;  8820  e  li  Egypcien;  8«21  e 
Macedonien,  6222  /*  mien  etc.,  daneben  5889  les  Macedoniens, 
bSdl  les  Veniciens,  ioS27  e  co sin  gei'ineins;  (iS2S  nerent pas  vileius. 

In  der  Endung  -atici  haben  wir  neben  8915  or  cessent  nos 
daviages,  8916  les  oliphans  savages,  auch  5485  li  message. 

Fast  durchweg  -ez  haben  wir  in  der  Endung  -ati:  961  ou  U 
sunt  enveez,  964,  6138  sont  bien  apareillez,  982  e  gisent  .  .  . 
najf'rez  e  ^^^a/g-s.  4984  sutnes  cu  exdlez,  4985  sumes  chacez, 
5525  estes  acoragez  usw.,  usw.  Die  Beispiele  begegnen  auf  Schritt 
und  Tritt,  auch  laeti  =zlez  5520, 

Ebenso  wird  arii  durch -ers  wiedergegeben:  7233  e  les  penccls 
entierSy   638  sen  partent  esquiers^    6564  despensers,  6565  botillers. 

-s  im  Pluralis  finden  wir  auch  in  ses  tresors  6912,  pors 
(porci)  6907  —  Analog,  s  auch  im  Nom.  Plur. :  li  oiseaus  C,  oisels 
D,  oisseus  P   5245. 

5.  In  den  aus  ursprünglicher  dritter  lateinischer  Deklination 
hervorgegangenen  Wörtern  haben  wir  auch  Schwanken  zu  konstatieren, 
•abiles  wird  zwar  durch  -ables  wiedergegeben:  820  senechals  honorables, 
821  mestre  conesiahles,  822  reisnahles;  -ales  >- aus:  9476  7nan- 
gonaus,  freilich  daneben  auch  C  D  real  5368  (P  verschrieben  ?■«('/); 
-antes    dagegen    meist  als  -ant:    430a   vaillant,   437   auquant,  441 


28  Heinrich  Schneegans. 

sergant,  4907,  6193  Peraant,  4908  Aufrikant,  (>172  com  chivaler 
vaillant,  6185  eil  espie  trenchant,  6185b  CP  li  hon  brant,  6187 
eil  espc  lusant,  6188  sergant,  6195  eil  oliphant,  daneben  aber  59lit 
Persans,  5920  Africans,  auch  Persiens  und  5900  canes  >  chiens. 

-eutes  findet  sich  teils  als  ejii:  6376  si  sunt  tuit  mi  pareni, 
6392  rompcnt  li  garnement,  6395  e  li  gue  tut  sanglent  teils  als 
-enz   8143    e  siblent  cum  serpenz^    8145    ?ie   suni  tardifs  nc  lenz. 

pares  erscheint  bei  P  8630  als  pers,  bei  D  dagegen  als  pier. 

6.  Die  Wörter  auf  -on  haben  im  Nom.  Plur.  kein  s\  nur  8203 
jlamhoient  eil  tisons  weicht  von  der  Regel  ab.  Sonst  haben  wir  46 
plusur  baron,  5702,  9136  li  baron,  5708  garcon,  5711  iel  mit 
compaignon,  6652  tuit  si  conipagnon,  6654  li  comte  e  li  baron, 
9135  li  grant  dragon,  8919  iref  e  pavillon.,  9151  grant  furent 
sis  grenon,  9165  e  li  limacon,  6453  vokativisch  oez  baron.  —  Im 
Nominativ  Singularis  schwankt  es  wieder  zwischen  Formen  mit  und 
ohne  s.  So  haben  wir:  ramj^ant  cum  dragon,  452  e  issi  un  dragon, 
7876,  9150  i^lus  neir  que  charbon,  8638  le  septentrion ;  8643  lur 
son,  9164  lur  semble  bon  pesson,  aber  10107  orible  est  li  sons, 
108  feu  flambe  e  charbons.  8191  dura  li  environs,  8204  e  vole 
li  charbons,  606  le  regne  que  iient  ore  philipons.  Ebenso  im 
Femininum:  8197  pleine  en  est  la  sesons,  8200  de  manger  est 
seisons,  8209  la  disine  lumeisons. 

7.  Die  Formen  auf  -orem  weisen  mit  der  einzigen  Ausnahme 
von  9209:  ne  fut  certes  maiurs  auf  ble  bezogen  weder  im  Nom.  Sing, 
noch  im  Nom.  Plur.  s  auf.  So  haben  wir  im  Nom.  Sing.:  Inde  maiur 
4696,  6605  almazur,  6606  vavassur,  6779  7nult  vus  ert  grant 
honur,  7123  ovreur  D  gucrreur  P,  7124  li  duc  e  li  contur,  7125 
inlein  ne  laborur,  diese  drei  Wörter  mit  dem  Prädikat  viengc,  so 
daß  wir  es  sicher  mit  Sing,  zu  tun  haben.  Bei  diesen  Singularformcu 
ist  auch  wolil  zu  beachten,  daß  die  Obliquuäform  durchgängig 
nominativisch  gebraucht  wird:  4694  doi  esire  governur,  5591  si  fu 
bon  plaidur,  6601  come  nostre  seignur,  6603  me  semblez  peur, 
6609  mes  ne  seit  pas  menur,  10  576  liquels  en  ert  seignur.  Auch 
im  Pluralis  haben  wir  Formen  ohne  -s:  7692  li  seint  e  li  autur, 
7693  e  li  autre  plusw\  8183  coe  dient  li  autur,  4675  ancessur, 
bW^  p)oigneur,  8179  seigmir  etc.  Die  Beispiele  sind  außerordentlich 
zahlreich. 

8.  Nach  dem  s.  II  gesagtem  (unbetonter  Yokalismus)  braucht 
über  die  Femininbildung  auf  -e  nichts  mehr  gesagt  zu  werden.  Die 
nasalen  Formen  bieten  im  Reim  kein  e.  So  haben  wir  im  Reime: 
429  ime  feste  grant,  8173  iine  aventure  grant  8761  vertuz  est 
gravt]  daneben  auch  7841  un  isle  mut  vaillanz. 

Rückblick. 

Es  erübrigt  uns  jetzt  nur  noch  die  Mundart  unseres  Textes  zu 
bestimmen.     Die    strenge  Trennung  von  -en   und  -an   Reimen,    das 


JJ'ie  Spraclie  des  Ale.vanderromaus.  '2\) 

Durcheinandergeheu  von  -ain  und  -«?';?,  das  Erscheinen  von  e  als  ci 
und  ai  mit  dem  Lautwert  c;,  ebenso  wie  die  Behandlung  des  ai  als 
e,  die  Entwickelung  locum,  focinti,  iocum  >  Heu,  piu,  fu  mit  dem 
Lautwert  v,  die  bei  Angler  auch:  ferne  reimt  cf.  Cloran  p.  49,  The 
Dialogues  of  Gregory  ihe  Great^  die  Wiedergabe  von  -orein  und 
■osum  durch  ~  -tir  und  -?<s,  sowie  die  Reime  jw\  demr,  sur,  sur 
(sGCurum)  mit  -ur  <  orejn,  endlich  der  Verfall  der  Deklination  lassen 
die  Vermutung  aufkommen,  daß  unser  Text  aus  England  stammt. 
Der  Umstand,  daß  der  Verfasser  den  Fall  des  -c  gar  nicht  und  den 
Schwund  des  e  im  Hiatus  meist  nicht  kennt,  ebenso  e  und  ie  im 
Reime  scheidet,  können  uns  nicht  an  dieser  Meinung  irre  werden 
lassen.  Haben  wir  doch  viele  anglonormaunische  Texte,  die  der- 
artige "Widersprüche  aufweisen.  Abgesehen  von  den  älteren  Texten 
wie  Ph,  de  Thaün,  Brandan,  Gaimar,  Lois  Guillaume  finden  wir  im 
Gedichte  über  den  S.  Thoraas  von  Cantcrbury  (cf.  Societü  des  Ajicieris 
Textes  ed.  P.  Meyer,  p.  XXIX)  trotz  sehr  schlechter  Beachtung  der 
Deklination  und  der  charakteristischen  anglonormannischen  Eigen- 
tümlichkeiten er  =z  eir,  u  (lat.  u)-.  ou  (lat.  o,  *>),  ci  :  cd  sehr  viele 
Fälle,  wo  eü  in  ü  übergeht,  und  dies  obgleich  der  Text  schon 
vielleicht  aus  dem  Anfang  des  13.  Jh.  stammt  (Paul  Meyer  setzt  ihn 
in  die  Zeit  zwischen  1198/99  und  1220).  Ebenso  finden  wir  in 
manchen  anglonormannischen  Texten,  auch  abgesehen  von  den  älteren, 
wie  Ph.  de  Thaün  (1113/19,  1125/35)  Brandan  1125,  Gaimar 
(1147 — 1151)  Trennung  von  e  und  ie.  So  namentlich  im  Adamspiel, 
das  der  2.  Hälfte  des  1 2.  Jahrhunderts  gehören  dürfte  und  ie  und  e 
durchaus  trennt,  aber  auch  bei  Angier  (Dialogues  1212,  Vie  de 
St.  Gregoire  1214)  ist  das  Vorkommen  der  Trennung  von  e  und  ie 
im  Reim  häufiger  als  die  Vereinigung  (cf.  Romania  XH,  P.  Meyer 
p.  194  ,,Za  proporiion  des  rimes  regidieres  d'e  avec  e  et  d'ie  avec 
ie  est  heaucoup  plus  eonsidSrable),  auch  Cloran  1.  c.  p.  41  sagt  nur: 
...,ze  is  sometimes  reduced  to  e",  gibt  aber  manche  Fälle  an,  wo 
es_nicht  der  Fall  ist.  Übrigens  trennt  auch  Guillaume  de  Bernevillc, 
dessen  Saint  Gilles  nach  1158  fällt,  meist  noch  ie  und  e  (p.  XXIX 
Ed.  Soc.  d.  anc.  T.  Gaston  Paris:  dans  notre  pohne,  e  et  ie  sont 
Ie  plus  souvent  distincts). 

Diese  Widersprüche  zwingen  uns  freilich  unsern  Text  in  eine 
frühere  Zeit  zu  versetzen  als  P.  Meyer  p.  294  Alexandre  Ie  Grand 
II  es  tat. 5).  Es  würde  das  Gedicht  —  wenn  man  nur  nach  diesen 
sprachlichen  Elementen  urteilen  dürfte  —  noch  in  die 
2.  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  fallen  und  ungefähr  mit  dem  Adam- 
spiel   gleichaltrig    sein.      Daß    natürlich    eine    solche   Datierung   nur 


•'')  Toutefois,  et  sans  enlrer  dans  tin  examen  de  detail  cßd,  ici,  ne  serait  pas 
u  so,  place,  je  crois  pouroir  dire  que  la  langue  d'' Eustache,  unt  fois  purgee  des  faules 
introduites  par  les  copisies,  est  encore  trop  voisine  du  jmr  franqnis  pour  lUre  piostcrkitre 
au  milieu  d>t  Xllß  siede.  Je  a-ois  dwic  qu'Eustncke  composoit  sous  Ie  roi  Jean 
(1195 — 121G)  ou  plus  probablemenl  dans  les  premicres  annces  de  Henri  III[  1210"— 1272). 


30  Heinrich  Schneeballs. 

approximativ  sein  kann,  versteht  sich  von  selbst.  Gehen  doch  gerade 
hinsichtlich  des  e  und  ie  die  Texte  sehr  durcheinander.  Bei  Fantosmc, 
der  c.  1 174  fällt,  haben  wir  bereits  durchgängig  e  :  ie,  während  Angier 
(Anfang  des  13.  Jh.)  noch  hie  und  da  trennt.  Auch  bezüglich 
unseres  Textes  gilt  das  Wort  G.  Paris'  p.XXXV  seiner  Vie  de  Saint  Gilles 
von  Guillaume  de  Berneville:  „iJanglonormcmd  n'est  pas  wi  cUalecte; 
il  71  a  Jamals  ete  quune  maniere  irnparfaite  de  parier  Je  francais''. 

Wfrpv^BURG.  Heinrich  Schneegans. 


x\iiiieri  de  Narboime  und 
die  Heirat  Andreas  II.  von  Ungarn  mit  Beatrix'). 


Das  französische  National -Epos  ist  historisch  d.  h.  es  hat 
historische  Ereignisse  zur  Grundlage,  die  durch  Einbildungskraft  und 
Tendenz  umgestaltet  wurden.  Die  einzelnen  Epen  stützen  sich  auf 
Gesänge,  die  mit  den  Ereignissen  gleichzeitig  entstanden  sind,  hat 
Gaston  Paris  behauptet.  2)  und  er  definiert  das  Epos  als  eine  poetische 
Geschichte,  die  sich  auf  eine  vorangehende  nationale  Poesie  gründet. 
Trotz  der  mannigfachen  Umgestaltung,  der  Vermischung  und  Ver- 
wirrung einzelner  geschichtlicher  Angaben  in  den  Epen,  können  sehr 
oft  die  Ereignisse  bestimmt,  geographische  Benennimgon  lokalisiert, 
Personen  identifiziert  werden.  Dieselben  kann  man  weiterhin  zur 
Feststellung  des  Dichters  und  der  Entstehungszeit  der  Dichtwerke 
verwerten. 

Die  Wilhelmssage  ist  eine  der  beliebtesten  dichterischen  Stoffe 
der  altfranzösischen  Literatur.  Trotz  der  umfassenden  wissenschaftlichen 
Behandlung,  welche  dieser  Sagenkreis  erfahren  hat,  lassen  sich  noch 
manche  Beziehungen  aufdecken,  die  unaufgeklärte  Fragen  zur  Ent- 
scheidung bringen  können,  „Aimeri  de  Narbonne'^  ist  eine  in  späterer 
Epoche  entstandene  Blüte  dieses  reichen  Stammes,  trotzdem  wurde 
seine  Entstehungszeit  nur  annähernd  innerhalb  weiterer  Grenzen  an- 
gegeben. Eine  historische  Persönlichkeit,  auf  die  schon  P.  Paris 
hinwies,  soll  im  Folgenden  den  Anknüpfungspunkt  bieten,  um  mit 
der  Hilfe  anderweitiger  geschichtlicher  Angaben  das  Entstehungsjahr 
dieser  Dichtung  genau  festzustellen  und  unter  das  allgemein  an- 
genommene erste  Viertel  des  dreizehnten  Jahrhunderts  herabzurücken. 

Bertrand  de  Bar-sur-Aube,  der  Dichter  des  Aimeri,  ist  eine 
wenig  bekannte  Persönlichkeit.  Er  wurde  wahrscheinlich  unter  Philipp 
August  geboren  3)  (1180— 1190);    sein  Todesjahr  ist  unbekannt.    Die 

^)  Benutzte  Literatur:  Paris,  G.  La  litterature  franraise 
au  moyen  äge  1890.  Aymeri  de  Narbonne,  publie  par  L.  Demaison. 
Szalay  L.  Geschichte  Ungarns  IB.  Nydri  A.  Königin  Beatrix,  die 
Gemahlin  Andreas  II.    fSzäzadok,  November  1868). 

^)  G.  Paris,  I.n    UUerature  franqaist  au  moyen  äge.     Paris,   1800.  S.  33. 

3)  Tarbe  setzt  1190  an. 


32  L.  Karl 

ältesten  Handschriften  des  Aimerl  stammen  aus  der  Mitte  des  IS. 
Jahrhunderts.  •!)  Bertrands  dichterische  Tätigkeit  fällt  somit  in  die 
erste  Hälfte  des  Jahrhunderts.  Ein  Unbekannter  schrieb  eine  An- 
merkung auf  eine  Hs.  von  Carpentras,  wonach  IJcuve  d'Hantonc,  ein 
zweites  Werk  Bertrands,  unter  Ludwig  d.  J.  1130— 1140  entstanden 
wäre,  und  der  Dichter  am  Hofe  des  Grafen  von  Champagne,  Ludwig; 
d.  Dicken,  (1152—1181)  gelebt  hätte.  Diese  Hypothese  aus  den. 
17.  Jh.  blieb  unbegründet  und  ist  unannehmbar.  Über  1205  kauii 
Aimeri  de  Narhonne  nicht  hinaufgerückt  werden,  darauf  weist  schoj. 
die  Regierungszeit  des  Königs  Andreas  H.  von  Ungarn,  (Andreus  de 
Hongrie).  Die  Geschichte  dieses  Königs  zwingt  auch  zur  Annahme, 
daß  das  Gedicht  erst  nach  1225  entstanden  ist,  und  Bertrand  de 
Bar-sur-Aube  noch  im  dritten  Jahrzehnt  des  13.  Jahrhunderts  dich- 
terisch tätig  war. 

P.  Paris  hatte  schon  festgestellt,  daß  Andreas  der  zweite  und 
und  nicht  der  erste  dieses  Namens  im  Gedicht  gemeint  ist,  w"eii 
Andreas  I.  im  11.  Jh.  (1047 — 1061)  regierte  und  der  Zeit  de- 
Dichters zu  weit  entrückt  ist,  während  Andreas  II.  in  dieselbe  fällt 
(1205  —  1235),  Die  Ereignisse  seiner  Regierung,  seine  Beziehuuger. 
zu  fremden  Höfen  und  fürstlichen  Familien  machen  diese  Annahme 
noch  wahrscheinlicher. 

In  Aimeri  wird  der  Herzog  Ace  von  Venedig  (Aces  c'a  Venice  ei. 
baillie)  als  Bewerber  um  die  Hand  der  Hermengarde  erwähnt.  Unter 
den  Dogen  von  Venedig  gibt  es  keinen,  der  diesen  Namen  fiihrt. 
Der  Dichter  dachte  wahrscheinlich  an  Azzon  VII.  5),  Marquis  von 
Este  und  Herzog  von  Ferrara,  dessen  Nichte  Beatrix  mit  dem  König 
Andreas  IL  von  Ungarn  im  Jahre  1234  verheiratet  wurde.  Die 
Geschichte  dieses  Königs  und  seiner  dritten  Gemahlin  können  mit 
Aimeris  Heirat  in  nähere  Beziehung  gebracht  werden  und  einen  weiteren 
Beweis  dafür  liefern,  daß  der  Dichter  beständig  wirkliche  Ereignisse 
vor  Augen  hatte. 

Andreas  IL  wurde  1173  geboren.  Sein  Vater,  Albert  III. 
(1173 — 1196),  hinterließ  ihm  eine  beträchtliche  Summe,  damit  er 
einen  Kreuzzug  ins  heilige  Land  unternehme.  Aber  Andreas  hat 
das  Geld  verschwendet,  um  gegen  seinen  Bruder,  den  König  Heinrich 
(1190 — 1204),  Unruhen  zu  stiften.  Der  Gesandte  des  Papstes  Konrad, 
Bischof  von  Mainz,  versöhnte  die  feindlichen  Brüder,  aber  nach  einem 
wiederholten  Aufstand  ließ  Heinrich  seinen  Bruder  einkerkern.  Trotz- 
dem ernannte  er  ihn  zum  Vormund  seines  Sohnes  Ladislaus  III. 
Nach  dem  Tode  Heinrichs  mußte  dessen  Witwe  mit  ihrem  Sohne 
vor  dem  Vormund  flüchten.  Der  frühe  Tod  des  Thronfolgers  lieF 
Andreas  IL  am  29.  Mai  1205  den  Thron  besteigen. 


^)  2  Hs,  im  British  Museum  und  eine  Hs.  in  der  Bibliotheque  nationale 
(fr.  1448  p.  in  fo,);  die  übrigen  zwei  sind  aus  dem  14.  Jh. 
■')  Demaison  sagt  irrtümlich  Azzon  VI.  (1196 — 1212). 


Aimeri  de  JSarhonne.  33 

Damals  war  er  sclion  mit  Gertrud,  der  Tochter  des  Herzogs 
von  Meran,  verheiratet,  deren  Einfluß  auf  die  Regierung  des  schwachen 
Königs  unheilbringend  war.  Als  der  König  in  Gahcien  weilte,  wo 
er  die  Macht  seines  Hauses  ausbreiten  wollte,  ermordeten  die  un- 
zufriedenen Adeliaen  die  Königin.  Nach  seiner  Rückkehr  bestrafte 
der  König  die'  Mörder.  Dieses  Ereignis  wurde  nicht  nur  in  der 
?ingarischen  Dichtung,  sondern  auch  in  der  deutschen  und  französischen 
Literatur  behandelt. 

Im  Jahre  1212  kamen  die  Boten  des  Landgrafen  Herrmann 
von  Thüringen,  um  Elisabeth,  Andreas'  Tochter,  abzuholen,  da  sie  mit 
Ludwig,  dem  minderjährigen  Sohn  Herrmanns,  verlobt  war.  Sie  wurde 
wegen  ihrer  Milde  in  der  Dichtkunst  gefeiert  und  durch  die  Kirche 
geheiligt.  So  kam  der  König  auch  durch  seine  Tochter  mit  dem 
Ausland  in  Berührung,  wozu  seine  zweite  Heirat  eine  weitere  Gelegenheit 
bot.  Er  blieb  nicht  lange  Witwer.  Im  Jahre  1216  heiratete  er  Jeanne 
de  Courtenay,  die  Tochter  des  Grafen  Peter  von  Auxerre,  der  mit  dem 
französischen  König  Philipp  August  und  mit  dem  Kaiser  von  Kon- 
stantinopel, Heinrich,  verwandt  war. 

1217  unternahm  Andreas  eine  Kreuzfahrt  mit  dem  Herzog  von 
Österreich,  Leopold.  Schon  im  folgenden  Jahre  kehrte  er  zurück, 
nachdem  er  den  Berg  Tabor  erlolglos  belagert  hatte  und  nach  Tyrus 
und  Tripolis  gezogen  war.  In  Ortnit  und  Wolfdietrich  findet  sich 
eine  Anspielung  auf  jene  Belagerung  und  läßt  vermuten,  wie  allgemein 
bekannt  Andreas'  Taten  waren.  Nachdem  er  im  Kriege  wenig  Glück 
gehabt  hatte,  trachtete  er  durch  die  Heirat  seiner  Söhne  seine  Macht 
zu  stärken.  Er  liebte  auch  Ruhm  und  glänzende  Festlichkeiten. 
Nachdem  1233  seine  zweite  Frau  gestorben  war,  scheute  er  vor 
einer  dritten  Heirat  nicht  zurück.  Dazu  bot  folgendes  Unternehmen 
Gelegenheit: 

Während  seiner  Kreuzfahrt  bedrohte  ihn  ein  Sturm  auf  der 
See.  Im  Traume  erschien  ihm  die  Gestalt  eines  ungarischen  jMiirtyrers, 
des  heihgen  Gerhart,  Bischof  von  Csanad,  und  befahl  ihm  die  Gabe 
von  30  Mark  zu  erneuern,  die  der  heilige  Stephan  für  die  Sankt 
Peters-Kirche  zu  Ravenna  stiftete.  Er  unternahm  jetzt  diese  Pilger- 
fahrt, die  nur  in  italienischen  Chroniken  erwähnt  ist.^')  Innere  Un- 
ruhen hatten  ihn  früher  daran  gehindert.  Bei  der  Rückfahrt  wollte 
er  den  Markgrafen  von  Este,  Azzo  VII.,  in  Ferrara  besuchen,  da  er 
mit  ihm  von  mütterlicher  Seite  verwandt  war,  und  ritt  zu  Pferd  von 
Stadt  zu  Stadt  gegen  Venedig  hin.  Er  wurde  überall  fürstlich 
empfangen,  und  seine  Seele  fand  darin  Trost.  Ein  junges  Weib,  das 
er  am  Hofe  Azzos  sah,  half  ihm  noch  mehr  den  Schmerz,  den  der 
Tod  seiner  zweiten  Frau  verursachte,  zu  überwinden. 

Am  Hofe  lebte  als  einzige  Prinzessin  Beatrix,  die  Tochter 
Aldobrand  I.,  der  Azzos  Stiefbruder  war.    Sie  hatte  ihre  Mutter  früh 


8)  Leonicono:    Tstorla  Atestino,  IIs.  in  der  Bibl.  zu  Modcna. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI'. 


34  L.  Karl 

verloren;  ihr  Vater  wurde  1215  vergiftet.  Mit  drei  Jahren  kam  sie 
unter  die  Vormundschaft  ihrer  Stiefgroßmutter  Alizia  und  Azzos  VII. 
Sie  verbrachte  traurige  Kiiiderjahre,  da  sie  außer  ihrer  Tante,  der 
lieil.  Beatrix  L,  keinen  Vertrauten  hatte.  Ihre  Tante  war  Nonne,  und 
sie  soll  ebenfalls  für  das  Kloster  bestimmt  gewesen  sein.  Ihre  Schönheit 
war  zu  jener  Zeit  weltbekannt.  Der  Troubadour  Peguilain  Amerigo 
saug  von  ihren  blauen  Augen  und  goldenen  Locken  7).  Ihren  reichen 
Haarschmuck  erwähnt  auch  Ariost'^).  Trotz  ihrer  vornehmen  Ab- 
stammung und  ihrer  Schönheit  war  Beatrix  noch  unverheiratet.  Die 
politischen  Ränke  des  Onkels  hinderten  ihre  Verheiratung.  Azzo  hatte 
nur  drei  Töchter  und  keinen  Thronfolger.  Seine  Schwester  Beatrix  I. 
und  seine  Nichte  hatten  Anspruch  auf  seinen  Thron.  Darum  schickte 
er  seine  Schwester  ins  Kloster  und  hatte  dieselbe  Absicht  mit  der 
Nichte,  an  deren  Widerstand  und  Zögern  die  Ausführung  seines 
Willens  scheiterte. 

Andreas  II.  fand  nur  Beatrix  am  Hofe,  da  des  Markgrafen  jüngste 
Tochter  im  Kloster  zu  Pompone  erzogen  wurde,  und  die  beiden  älteren 
verheiratet  waren.  Beatrix  war  die  Palastdame  im  Schlosse  und  der 
Mundschenk  des  vornehmen  Gastes  laut  dem  Wunsche  ihres  Onkels^). 
Der  leichtfertige  König  war  bald  in  bester  Stimmung  und  verliebte 
sich  in  das  schöne  Mädchen.  Er  hielt  um  ihre  Hand  an  und  wollte 
sie  glücklich  machen,  da  sie  wegen  ihrer  Schönheit  und  ihres  Namens 
verdiene  durch  einen  König  glücklich  zu  werden  ^o).  Azzo  gab 
seine  Einwilligung  unter  dem  Einfluß  der  politischen  Lage.  Der 
Kaiser  Friedrich  II.  war  gegen  ihn  feindselig  gestimmt,  nud  er  erhoffte 
Unterstützung  vom  Ansehen  des  ungarischen  Königs.  Anderseits  sah 
er  in  dieser  Heirat  keine  Gefahr  für  seine  Erben.  Andreas  war  damals 
sechzig  Jahre  alt,  und  aus  dieser  Heirat  w^aren  keine  Kinder  zu  er- 
warten. Azzo  nützte  sogar  den  Leichtsinn  des  Königs  aus.  Die 
Einwilligung  als  Famiiienhaupt  hatte  er  unter  dem  Vorwande,  daß 
er  die  Angelegenheiten  der  Beatrix  ordne,  so  lange  verzögert,  bis 
Andreas  den  Besitzungen  seiner  Braut  entsagte,  indem  er  sie  sogar 
bewog,  dieselben  an  Azzo  abzutreten.  In  der  Gegenwart  des  Bischofs 
von  Ferrara,  Roland,  wurde  die  Verlobung  gefeiert,  wonach  Andreas 
in  sein  Land  zurückkehrte. 

Die  Hochzeit  wurde  ein  Jahr  hindurch  verzögert.  Welche 
Hindernisse  dazwischen  traten,  ist  bisher  unbekannt.    Die  ungarische 


•)  Im  Kodex,  welchen  der  Herzog  von  Modena,  Franz  V.,  mit  sich 
nahm.  Die  Lieder  sind  auch  bei  A.  Fizzi:  Memoria  Per  la  Storia  dU  Ferrara 
orwähut. 

^)  Ariosto:    Orlando  Furioso  Cauto  1:5.  stanz.  64. 

^)  Leonicono:  I.  a.  „//  quaU  per  fargli  honore  volle  che  Beatrice^  sua 
Nipole  di  raru  Belta,  a   Tavola  lo  servisse  per  Coplera. 

^"j  Ebd.  Dicendo  poiche  porfava  il  nomo  di  Beatrice,  volerla  far  beata, 
perche  un  si  hello  aspelto,  con  si  chiaro  nome  d'allri  feci  moglie  che  d'un  Re  non 
meritava. 


Aimeti  de  Narhonnc.  35 

Gesandtschaft  kam  erst  1234  um  die  Braut  abzuholen.  Nach  einigen 
Tagen  traten  sie  den  Rückweg  an  von  Azzo  mit  200  Reitern,  den 
Adeligen  von  Treviso,  Padua  und  Mantua  begleitet.  Die  Fahrt  glich 
einem  Triumphzug;  in  Treviso  wurden  sogar  Volksfeste  gefeiert. 
Sonntag  den  L4.  Juni  fand  in  Stuhlweißenburg  (Ungarn)  die  Hochzeit 
statt.     Der  Bischof  von  Mantua,  Guido,  vollzog  die  Trauung. 

Der  Name  Andreas  II.  war  seinen  Zeitgenossen  allgemein  bekannt. 
Seine  Pilgerfahrt  nach  Italien  und  seine  Werbung  um  die  Hand  der 
Beatrix  wurden  von  italienischen  Chronisten  mit  allen  Einzelheiten 
erzählt.  Die  Schönheit  seiner  Braut  fand  sogar  dichterische  Würdigung. 
Man  kann  mit  einem  hohen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit  vermuten, 
daß  alle  diese  Tatsachen  dem  Dichter  des  Aimeri^  Bertrand  de  Bar- 
sur-Aube,  auch  bekannt  waren  und  er  aus  diesem  Grunde  den  Namen 
Andreas  II.  in  seinem  Gedichte  angeführt  hat.  Die  ersten  zwei 
Heiraten  des  ungarischen  Königs  hatten  nichts  ungewöhnliches  an 
sich.  Aber  nicht  nur  die  Art  des  Zustandekommens  dieser  dritten 
Heirat,  sondern  auch  die  späteren  Schicksale  der  einst  so  gefeierten 
schönen  Königin  waren  geeignet,  die  Aufmerksamkeit  der  Zeitgenossen 
auf  sich  zu   lenken. 

Das  Familienglüek  des  Königs  wurde  bald  von  mehreren  Seiten 
her  gestört.  Herzog  Friedrich  von  Österreich  stiftete  eine  Verschwörung, 
wobei  er  auf  die  Unterstützung  des  Kaisers  Friedrich  II.  hoffte.  Der 
Geldmangel  machte  sich  beim  König  fühlbar.  Dann  war  auch  das 
Land  mit  seiner  dritten  Heirat  unzufrieden.  Selbst  seine  Söhne  Albert 
und  Koloman  waren  dagegen,  und  Alberts  Gemahlin,  die  Griechin 
Marie,  war  gegen  Beatrix  feindselig  gestimmt.  Die  Königin  wurde 
sogar  verleumdet,  daß  sie  mit  Palatin  Dionys  ein  Verhältnis  uuter- 
halte.ii)  Andreas  starb  Ende  September  12,35,  nachdem  er  IG  Monate 
mit  Beatrix  verheiratet  war,  und  hinterließ  sie  ein  Opfer  ihren  Feinden. 
Die  Königin  war  schwanger,  und  Albert  entfernte  sie  nicht  vom  Hofe, 
wie  er  früher  beabsichtigte,  sondern  ließ  sie  bewachen.  Die  Gesandten 
Friedrichs  II.  und  Philipp,  der  Leibarzt  des  verstorbenen  Königs, 
hielten  zu  ihr,  die  in  Manneskleidern  flüchtete. 

Zuerst  hielt  sich  Beatrix  in  Kolmar  auf,  dann  in  Verda,  auf 
dem  Gute  Hermanns  und  an  dem  Wallfahrtsorte  der  heiligen  Elisabeth, 
wo  Stephan,  der  „Nachgeborene",  zur  Welt  kam.  Schließlich  kehrte 
sie  nach  Italien  zurück,  von  zwei  Dienern  begleitet  und  das  neugeborene 
Kind  in  einem  Korbe  mit  sich  führend. '2)  So  erreichte  sie  die 
Heimat,  woher  sie  vor  kurzem  im  Triumphzug  ausgezogen  war.  Im 
August  1236  kam  sie  in  Verona  an.  Sie  täuschte  sich  in  ihrem 
Onkel,   der   seinem   Geize   freien   Lauf  ließ.     In  Verona  war   sie  als 


1')  Mon.  Eist.  Ad.  Proc,  Parmensem  et  Placentinam  2>ertineniia:  „Secundo, 
quia  imposuerunt  ei  quod  ex  Dionysio  quodani  concej>erat.^ 

^-)  Gaspars  Sardi:  Bozze  .  .  .  „Et  cosi  accompcujiuda  de  dtii  serve  a  cavallo 
porto  seco  il  hambino  in  iina  cesla.''^ 


36  J..  Karl. 

Gast  eines  väteilichen  Freundes,  aber  vor  dem  Zwist  der  Montecchi 
und  Capuletti,  vielleicht  in  Angst  vor  der  nahen  Belagerung,  floh  sie 
nach  Este.  Sie  wollte  die  Ansprüche  ihres  Sohnes  auf  die  ungarische 
Krone  geltend  machen,  aber  Albert  IV.  erklärte  denselben  für  einen 
ßastard.  Beatrix  vertraute  ihre  Angelegenheit  der  Republik  Venedig 
an,  die  damals  Zara  belagerte.  Trotz  der  Einnahme  der  Stadt, 
vcr&()hnt  sich  der  Doge  Jakob  Tiepoli  durch  seine  Gesandten  Peter 
Dandolo  und  Stephan  Giustiniani  mit  dem  König  von  Ungarn,  der 
damals  in  Dalmatien  weilte,  und  laut  dem  Frieden,  der  am  6.  August 
1245  geschlossen  wurde,  nimmt  er  Beatrix  nicht  mehr  in  seinen  Schutz. 

Beatrix  war  nun  gebrochen,  zum  weiteren  Kampfe  fehlte  es  ihr 
an  Energie  und  Unterstützung,  Ihren  Sohn  schickte  sie  an  den  Hof 
Azzos  VII,  und  verlobte  ihn  mit  der  Tochter  Peters  II.  aus  der  an- 
gesehenen Familie  Traversari.  Sie  zog  sich  in  ein  Kloster  bei  Este 
zurück  und  allem  weltlichen  Ruhme  entsagend  suchte  sie  ihr  Heil  im 
Glauben.  13)  Sie  starb  in  demselben  Jahre,  und  das  Volk  bewahrte 
in  seiner  Erinnerung  das  Andenken  der  Schwester  von  Geraula, 

Wenn  auch  das  tragische  Ende  der  Königin  Beatrix  dem  Dichter 
Bertrand  de  Bar-sur-Aube  unbekannt  bheb,  so  kann  er  doch  von  ihrer 
Hochzeit  mit  Andreas  II,  vo»*  der  Abfassung  Aimeris  gehört  haben. 
Es  liegt  die  Annahme  sehr  nahe,  daß  er  unter  diesem  Einflüsse  den 
König  Andreas  II.  unter  den  Freiern  der  fabelhaften  Prinzessin  Hermen- 
garde auftreten  ließ.  Der  König  erhielt  zwar  die  Hand  der  Beatrix, 
während  in  Aimeri  Andreas  II.  zurückgewiesen  wird:  dies  ließe  sich 
indessen  durch  die  freie  dichterische  Umgestaltung  erklären  und  findet 
liberdieß  in  den  Ereignissen  seine  Erklärung.  Ein  Jahr  verfloß  bis 
Beatrix  heimgeführt  wurde,  und  diese  Verzögerung  der  Hochzeit  konnte 
in  den  Augen  der  erst  spät  oder  schlecht  unterrichteten  Zeitgenossen 
als  eine  Zurückweisung  erscheinen. 

Der  Name  Andreas  II.  wurde  um  diese  Zeit  durch  die  Heirat 
seiner  Tochter  auch  in  Frankreich  bekannter.  Vor  seinem  Tode  ver- 
lobte er  seine  Tochter,  die  von  Jeanne  de  Courtenay,  seiner  zweiten 
Gemahlin,  stammte,  mit  dem  König  von  Aragon,  Jakob  I.  Die  Hochzeit 
wurde  am  9,  September  1235  in  Barcelona  gefeiert  und  dabei  große 
Pracht  und  Reichtum  entfaltet.  Die  zweite  Heirat  des  Königs  mit 
der  französischen  Prinzessin  erregte  wenig  Aufsehen,  und  erst  43  Jahre 
alt  konnte  er  nicht  als  alter  Freier  vor  der  Seele  des  Dichters  stehen. 
Der  alte  König,  der  um  ein  junges  Mädchen  wirbt,  ist  Andreas  vor 
seiner  dritten  Heirat.  Daß  der  Dichter  unter  so  vielen  ähnflchen 
Ereignissen  eben  auf  dieses  eine  angespielt  habe,  das  könnte  die  Heirat 
seiner  Tochter  als  noch  wahrscheinlicher  erscheinen  lassen,  wenn  wir 
die  Abfassungszeit  seines  Epos  nach  1235  setzen.  Doch  würden 
hiergegen  vielleicht  andere  Gründe  sprechen,  weshalb  wir  aimehmen. 


'•*)    Thesaur,  Ant.  et  üist.  llal.:     „Cateruin  cum  Beatrix  esset  nnimo  suhlimi  et 
uollet   ulli  vivo  inferiore  tanlo  Eege  nuhere:    nttpsit  Christo,   omnium  Eegum  Domino.'^ 


Aimeri     de  Narhonne.  37 

daß   die  Heirat   des  Königs   allein   gentigte,   um  seine  Gestalt  in  der 
Erinnerung  des  Dichters  zu  wecken. 

Es  gibt  noch  andere  Züge,  die  darauf  hindeuten,  daß  der  Dichter 
Vorgänge  und  Personen,  die  mit  König  Andreas  II.  in  Beziehung 
.standen,  vor  Augen  hielt.  Aimeri  wirbt  um  Hermengarde,  und  unter 
den  zurückgewiesenen  Freiern  werden  Andreas  und  Azzo  erwähnt. 
Azzo  wurde  somit  im  Gedicht  zum  Freier,  und  an  seine  Stelle  tritt 
der  König  Bouifacius,  der  seine  Schwester  Hermengarde  an  Aimeri 
verheiratet.  Man  könnte  aber  versucht  sein  Azzos  VII.  geizigen 
Charakter  in  Bonifacius  zu  erkennen,  wenn  Hermengarde  ihm  sagt, 
daß  er  keinen  reichen  Mann  und  keinen  Reichtum  suche,  da  er  selbst 
so  schon  reich  genug  sei.  Der  Name  Azzos  unter  den  Freiern  drang 
wahrscheinlich  durch  die  Beziehungen  Azzos  VII.  zu  König  Andreas  II. 
in  das  Gedicht,  und  sein  Charakter  blieb  in  Bonifacius,  dem  Bruder 
und  Vormund  der  Hermengarde,  erhalten. 

Die  Erwähnung  des  Königs  Andreas  scheint  auch  nicht  will- 
kürlich zu  sein,  sondern  bezieht  sich  auf  Andreas  II.  in  einer  bestimmten 
Periode  seines  Lebens.  Sein  Äußeres  durch  Hermengarde  charakterisiert 
hat  nichts  individuelles,  und  die  Beschreibung  ist  tj'pisch,  wie  sie  sehr 
oft  im  französischen  Epos  zu  finden  ist.  Er  hat  einen  weißen  Bart 
(.^la  harhe  florie'')  und  eine  blasse  Gesichtsfarbe  (,J.a  cJiar  blesmie"), 
was  doch  von  seinem  Alter  zeugt  und  somit  einen  weiteren  Beweis  dafür 
liefert,  daß  der  Dichter  nur  den  alten  König  als  Freier  kannte. 

Wenn  wir  annehmen,  daß  Bertrand  zeitgenössisclie  Ereignisse 
vor  Augen  hatte,  die  er  zwar  willkürlich  in  Verbindung  brachte,  aber 
ohne  mit  den  allgemeinen  Anschauungen  seiner  Zeitgenossen  in  Wider- 
spruch zu  geraten,  so  müßen  wir  in  der  Erwähnung  Andreas  II. 
verbunden  mit  der  Heirat  Aimeris  eine  Anspielung  auf  die  Brautschau 
des  ungarischen  Königs  in  Italien  sehen.  Da  letzterer  seine  Fahrt 
nach  Ravenna  und  von  dort  nach  Ferrara  erst  1233  unternahm,  so 
kann  entweder  das  Gedicht  erst  nach  diesem  Jahre  entstanden  oder 
diese  Anspielung  erst  in  diesem  Jahre  bei  einer  endgültigen  Redaktion 
hineingeflochten  sein.  Die  Erwähnung  anderer  Epen,  die  mit  Aimeri 
in  irgendwelchem  Zusammenhange  stehen,  steht  dieser  Annahme  nicht 
im  Wege.  „Si^ge  de  Narhonne"  wird  unter  anderen  erwähnt;  daß 
„Gautier  de  Toulouse''''  nicht  vorkommt,  würde  als  negativer  Beweis 
nicht  schwer  wiegen.  Die  allgemeine  Ansicht  der  Literarhistorikei', 
wonach  Aimeri  im  ersten  Viertel  des  Jahrhunderts  entstanden  wäre, 
müßte  hiernach  berichtigt '^j  und  des  Verfassers  dichterische  Tätigkeit 
über  das  Jahr  1225  hinaus  angenommen  werden. 

Wann  das  Gedicht  nach  1233  verfaßt  wurde,  läßt  sich  nicht 
genau  bestimmen.  Andreas  II.  ist  nach  der  epischen  Anschauung  noch 
am  Leben,   und   da   er    1235    starb,   so   wäre  die  Abfassungszeit  vor 


'«)  Demaison:    1200— 1225.     Petit  de  Julleville:  1210—1220.     Gastoii 
Paris:  1210—1220.     (Erstes  Drittel  des  13.  Jahrhunderts;. 


38  L.  Karl. 

1235  anzusetzen.  Weil  ci-  als  zurückgewiesener  Freier  erscheint, 
könnte  man  das  Jahr  1 203/1 234  annelimen,  hevor  die  vollzogene 
Hochzeit  ein  ähnliches  Gerücht  widerlegte.  Anderthalb  Jahrzehnte 
verflossen  bis  zur  Entstehung  der  ältesten  uns  erhaltenen  Handschriften, 
denen  zwei  frühere  Redaktionen  zu  Grunde  lagen.  Dieser  Zeitraum 
würde  für  dieselben  genügen  und  mit  den  gezogenen  Folgerungen  nicht 
in  Widerspruch  stehen.  Die  geschichtliche  Überlieferung  würde,  die 
Richtigkeit  unserer  Annahme  vorausgesetzt,  nicht  nur  die  Entstehungs- 
/.eit  des  Epos  bestimmen,  sondern  auch  auf  die  gestaltende  Tätigkeit 
des  mittelalterlichen  Dichters  Licht  werfen,  der  in  seiner  Seele  immer 
Dichtung  mit  Wahrheit  verschmolz! 

GyöR  (Ungarn)  L.  Karl. 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles. 

IL  Kapitel, 

Die  Technik  der  Cent  NouvelleH  Nouvelles. 
A.  Stil. 

Vorbemerkung. 

Die  KenntDis  des  uns  nicht  erhaltenen  Originalmanuskriptes  der 
O.  N.  N.  wäre  für  eine  stilistische  Untersuchung,  wie  ich  sie  im 
folgenden  versuchen  will,  sicherlich  wünschenswert.  Immerhin  halte  ich 
es  für  möglich,  auf  Grund  der  von  Wright  nach  dem  einzigen  uns 
bekannten  Glasgower  Manuskript  besorgten  Ausgabe  genügend  sichere 
Ilesultate  erzielen  zu  können.  Es  handelt  sich  darum,  das  Wesen 
dieses  Stils  zu  erkennen,  zu  sehen,  welche  Ausdrucksmittel  einem 
Schwankerzähler  dieser  Zeit  zur  Verfügung  standen.  Das  Wesen 
eines  Stiles  aber,  d.  h.  jener  sichtbare  Ausdruck  der  geistigen  und 
seelischen  Verfassung  eines  Schriftstellers,  jener  Niederschlag  seiner 
besonderen  kün&tlerischen  Begabung,  jene  Einheit,  die  sich  durch  ein 
ganzes  Werk  hindurchzieht,  bleibt  diesem  Werk  auch  dann  noch 
bewahrt,  wenn  Abschreiber  oder  Drucker  seinen  ursprünglichen  Wort- 
laut nicht  mit  voller  Treue  erhalten  haben. 

1.    Das  Humoristische. 

Die  C.  N.  y.  sind  eine  Sammlung  von  Humoresken.  Man 
kann  diesen  modern  klingenden  Ausdruck  ohne  Weiteres  auf  sie  an- 
wenden. Unter  Humoreske  versteht  man  eine  Erzählung,  die  nicht 
nur  einen  humoristischen  Fall  behandelt,  sondern  ihn  auch  humoristisch 
darstellt.  Der  Erzähler  einer  Humoreske  bat  das  Bestreben,  wo  es 
angängig  ist,  seiner  ganzen  Erzählungsweise  eine  humoristische  Färbung 
zu  geben.  So  häufig  wie  möglich  sucht  er  Heiterkeit,  Lachen  oder 
Lächeln  zu  erwecken.  Um  jeden  Preis  sucht  er  mit  allen  ihm  zur 
Verfügung  stehenden  Mitteln  des  Witzes  und  Humors  komische 
Wirkungen  zu  erzielen.  Komik  im  Großen  und  in  den  Details 
gehört  zum  Wesen  der  Humoreske. 

So  betrachtet  sind  die  C  N.  N.  etwas  ganz  Neues.  Vor  ihnen 
ist  weder  in  Frankreich  noch  in  Italien  das  Genre  der  Humoreske 
so  konsequent  ausgebildet  worden. 


40  Waliher  Küchler. 

Die  Fabliaux  waren  keine  Vershumoresken.  Sie  soiltcu  aller- 
tlings  das  Gelächter  der  Zuhörer  erregen.  Das  wurde  erreicht  durch 
die  Zote  und  die  Enormität  der  vorgetragenen  Situation.  Hier  und 
da  findet  sich  in  ihnen  ein  komisch  wirkender  Schlager,  aber  es 
mangelt  ihnen  der  beständige  humoristische  Ton.  Den  grobkörnigen, 
derben  Fabliauxerfindern  und  Erzählern  war  das  Verständnis  für  das 
Schniuckhafte  und  Pikaut-Reizvolle  des  humoristischen  Details  fremd, 
wie  ihnen  überhaupt  die  Einsicht  in  das  innere  Getüge  der  Erzählung, 
der  Sinn  für  die  verweilende,  ausmalende  Einzelheit  abging.  Wo 
liier  und  da  komische  Situationen  sich  finden,  da  nutzen  die  Fabliaux- 
dichter  sie  nicht  aus;  sie  stolpern  über  sie  hinweg  oder  sehen  durch 
sie  hindurch  auf  das  Ende  mit  seiner  billigen  AUerweltsweisheit  und 
Moral.  Die  Fabliaux  verkörpern,  wie  man  nicht  mit  Unrecht  gesagt 
hat,  den  esprit  gaulois.  Das  ist  ein  Geist  gröbster  und  genügsamster 
Art,  der  seine  Befriedigung  im  wesentlichen  in  der  derben  Zote  und 
in  der  brutalen  Schadenfreude  findet.  Gerade  in  diesem  Hinzielen 
auf  das  schadenfrohe  Gelächter  liegt  ein  psychologisches  Moment  für 
die  Entstehung  und  Verbreitung  der  Fabliaux.  Humoristisch  ist 
dieses  Element  nicht.  Auf  die  Masse  der  Fabliaux  ist  Bediers 
Äußerung  durchaus  anwendbar:  „Xßs  sources  du  comique  y  sont 
superficielles,  le  rire  y  est  singulwrement  facUe.'''' ^) 

Auch  die  Novelle  des  Boccaccio  ist  nicht  im  eigentlichen 
Sinne  humoristisch.  Die  erzählten  Begebenheiten  sind  häufig  nicht 
komischer  Art.  Boccaccio  berichtet  mit  Vorliebe  von  Liebenden,  die 
durch  allerlei  Fährnisse  und  Widerwärtigkeiten  hindurch  müssen,  bis 
zuletzt  sich  das  Geschick  zum  Guten  wendet  oder  dennoch  ihnen 
gar  ein  unglückliches  Ende  bringt.  Oder  er  berichtet  von  wunder- 
baren Ereignissen,  von  demütiger  Liebe  gegenüber  grausamer  Peinigung, 
von  belohnter  Gastfreundschaft,  von  verfolgter  Unschuld,  die  zuletzt; 
doch  zu  Ehren  gelangt,  von  betrogener  Liebe,  von  Irrtum  und  Zweifel 
und  Drangsal.  Das  Schwankmässige  überwiegt  nicht.  Ein  Tag  ist 
ausschließlich  dem  Vortrag  von  Bon-Mots  gewidmet,  aber  auch  diese 
Erzählungen  sind  im  Ton  nicht  humoristisch. 

Der  Humor  mangelt  Boccaccio  nicht,  aber  er  bedient  sich  seiner 
nicht  als  Stilmittel.  Die  Erzählungskunst  Boccaccios  entbehrt  dieses 
Reizmittel  gerne.  Was  den  Italiener  zu  dem  großen  Erzähler  macht, 
ist  die  graziöse  Schmiegsamkeit,  der  gleichmäßig  ruhig  dahinziehende, 
klare  Fluß  der  Sprache.  Sicherheit  ohne  Anstrengung,  Reichtum 
ohne  Vergeudung,  Lässigkeit  ohne  Schwäche,  kunstvolle  Linienver- 
schlingung  ohne  Verwirrung  zu  erzeugen  sind  Vorzüge  von  Boccaccios 
Kunst.  Komik  und  humoristischer  Ton  als  beständiges  Stil-  und 
Stimmungsraittel  fehlen  ihr. 

Der  am  stärksten  humoristisch  veranlagte  unter  den  älteren 
italienischen  Novellisten    ist  Sacchetti.     Ihn    hat    der   Erzähler    der 


i;  Les  FaUiuux  p.  274. 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  41 

C.  N.  N.  natürlich  nicht  gekannt.  Auf  italienischen  Einfluß  kann 
man  seine  humoristische  Art  nicht  zurückführen,  sie  ist  im  Gegenteil 
Sache  der  persönlichen  Veranlagung  und  des  Willens.  Sicher  ist  er 
auch  heimischen  Einflüssen  unterworfen ;  das  komische  Element  ist  ja 
stark  in  der  französischen  Literatur  dos  XV.  Jahrhunderts  vertreten. 
In  den  Farcen,  besonders  im  Patheien,  in  den  Quinze  Joyes  de 
Mariage,  im  Evangile  des  QuenouiUes,  in  den  Gedichten  FranQois 
Villons,  in  den  Arrests  d'Amours  des  Martial  d'Auvergne  sind  die 
verschiedenen  Schattierungen  von  Witz,  Komik  und  Humor  vorhanden, 
aber  in  ihrer  Eigenart  als  kurze  humoristische  Erzählungen  nehmen 
die  C.  N.  N.  einen  selbständigen  Platz  ein. 

Eine  große  Anzahl  von  Mitteln  steht  dem  Verfasser  zur  Ver- 
fügung seinen  Stil  humoristisch  zu  gestalten.  Wir  wollen  versuchen 
das  Ganze  dieses  humoristischen  Stils  in  soine  verschiedenen  Bestand- 
teile aufzulösen. 

Verhältnismäßig  kurz  können  wir  über  den  komischen  Inhalt 
der  Erzählungen  hinweggehen,  über  die  in  den  Novellen  enthaltenen 
komischon  Motive.  Die  Quellen  des  Komischen  entströmen  für  die 
C.  N.  N'.  aus  denselben  Gründen,  aus  denen  sich  die  mittelalterliche 
Novellenliteratur  überhaupt  nährt.  Die  komischen  Verwicklungen 
und  Situationen,  die  sich  dem  Verfasser  für  seine  Darstellung  bieten, 
stammen  in  ihrer  großen  Mehrzahl  aus  der  allgemeinen  Tradition. 
Wir  kennen  sie  aus  den  Fabliaux,  aus  Poggio,  aus  so  manchen  Episoden 
älterer  Romane;  sie  können  nicht  als  Zeugnis  für  die  besondere  Art 
seiner  humoristischen  Veranlagung  gelten.  Es  ist  auch  schwer  zu 
bestimmen,  was  an  solchen  Situationen  und  Motiven,  die  sich  nicht 
aus  der  Tradition  nachweisen  lassen,  sein  Eigentum  ist.  Man  möchte 
im  Vertrauen  auf  soine  starke  humoristische  Begabung  geneigt  sein 
dem  Autor  eine  Reihe  von  Erfindungen  komischer  Situationen  zuzu- 
weisen, wenn  nicht  dennoch  manche  Gründe  dafür  sprächen  eine 
Entlehnung  aus  Vorlagen,  wenn  auch  nur  mündlicher  Art,  anzunehmen. 

Hier  wo  uns  nicht  die  Probleme  der  Entlehnung  des  stot^'lichen 
Materials,  sondern  die  Behandlung  und  Verarbeitung  dieses  Materials 
angeht,  können  wir  nur  feststellen,  daß  der  Verfasser  in  den  ihm 
bekannten  komischen  Motiven  die  entwicklungsfähigen  Keime  und 
Möglichkeiten  erfaßt  und  seinen  humoristischen  Sinn  in  der  Ausarbei- 
tung und  Entwicklung  der  Einzelheiten  bewährt  hat.  Wenn  wir  z,  B. 
die  Fassung  von  Fabliaux  mit  der  seiuigen  vergleichen,  so  finden  wir 
fast  stets  eine  viel  stärkere  Herausarbeitung  des  Komischen.  Wenn 
wohl  auch  ein  gewisser  Teil  dieser  Verbesserung  auf  Rechnung  der 
unbekannten  Kollektivarbeit  all  der  Erzähler  zu  setzen  ist,  die  im 
Laufe  der  Zeit  das  alte  Motiv  weiter  geführt  haben,  bis  es  zuletzt 
in  den  Bereich  unseres  Erzählers  gelangte,  so  wird  man  doch  in 
manchen  Fällen  mit  annähernder  Bestimmtheit  sagen  können,  dies 
und  dies  ist  Eigentum  des  Verfassers  der  C.  K.  N. 


42  WalÜier  Küchler. 

Am  sichersten  ist  sein  Eigeiituni  bei  den  Novellen,  die  sich 
direkt  aus  Facecien  Poggios  ableiten,  zu  bestimmen.  So  etwa  in  der 
12.  Novelle,  die  aus  einem  kurzen  Augenblick  bei  Poggio  eine  mit 
einer  Menge  von  komischen  Details  ausge'^tattetc  Handlung  niocht. 
Ebenso  bat  er  in  Novelle  17  eine  Facecie  Poggios  durch  Erfnidung 
einer  komischen  Situation  bis  zur  Unkenntlichkeit  vevändort. 

In  seinen  Mitteln  der  Erzielung  komischer  Wirkung,  soweit  es 
sich  um  die  Darstellung  von  Situationen,  um  ihre  komische  Ver- 
wicklung und  komische  Auflösung  handelt,  ist  der  Verfasser  skrupellos. 
Er  steht  da  vollkommen  in  der  Tradition;  der  mittelalterliche  Schwank- 
erzähler setzt  sich  unbekümmert  über  jede  Forderung  innerer  Wahr- 
scheinlichkeit hinweg.  E^s  ist  ganz  unnötig  Worte  über  diese  Tatsache 
zu  verlieren.  Hier  und  da  kommt  es  allerdings  vor,  daß  sich  der 
Verfasser  Mühe  gibt  die  Verwicklung  möglich  erscheineu  zu  lassen, 
so  in  der  Erzählung  von  den  vertauschten  Ehepaaren  (53),  aber  des- 
wegen erscheint  uns  der  sonderbare  Fall  nicht  glaubhafter.  Von 
vornherein  übrigens  besteht  ein  stillschweigendes  Übereinkommen 
zwischen  Erzähler  und  Publikum  beiderseits  über  die  Anforderung 
von  W^ahrscheinlichkeit  hinwegsehen  zu  wollen.  In  den  meisten  Fällen 
wird  die  Komik  nur  möglich  durch  gänzhches  Verziclitleistcn  auf 
Wahrscheinlichkeit. 

Auch  was  die  Derbheit  der  Darstellung  angeht,  entfernt  sich 
der  Verfasser  der  C.  N.  N.  nicht  von  dem  allgemeinen  Gebrauch. 
Eine  Komik,  die  in  erster  Linie  auf  einer  lächerlichen  Verzerrung  des 
Geschlechtlichen  beruht,  kann  der  derben  Behandlungsmittol  nicht  ent- 
behren. Wir  sehen  nicht,  daß  der  Verfasser  in  dieser  Beziehung  auf 
neuen  Bahnen  schreitet,  oder  doch  nur  ganz  selten  und  da  wahr- 
scheinlich unbewußt.  Im  Gegenteil,  oft  genug  sehen  wir  ihn  das 
übernommene  Motiv  noch  vergröbern  und  mit  einem  rohen  Behagen 
tiefer  in  den  Schlamm  des  Gemeinen  hinabsteigen. 

Unter  den  mannigfachen  derbkomischen  EÜVktmittoln,  die  wir 
hier  nicht  alle  anzuführen  brauchen,  weil  sie  für  Sammlung  und 
Verfasser  nichts  eigentümlich- Wesentliches  bedeuten,  möchte  ich  doch 
zwei  herausgreifen,  von  denen  das  eine  mit  einer  konsequenten 
Häufigkeit  auftritt,  das  andere  eine  bestimmte  Nuance  von  Komik 
darstellt. 

Das  erste  Darstelhmgsmittel  derbkomischer  Art  ist  die  Zeichnung- 
erregter ehelicher  Konflikte,  die  sich  in  gegenseitigem  Schelten  und 
Prügeln  der  Gatten  äußern;  das  zweite  ist  die  Steigerung  des  Komischen 
in  das  Ungeheuerlich-Groteske.  Das  erstere  Verfahren  stellt  ein 
recht  rohes  Genre  von  Komik  dar,  ein  Genre,  das  aber  seine  Wirkung 
auf  ein  anspruchsloses  Publikum,  das  von  jeher  seine  Freude  au 
solchen  Streitszenen  gehabt  hat,  nicht  verfehlt.  Es  ist  schon  in  den 
Fabliaux  vorhanden,  wurde  dann  mit  besonderer  Vorliebe  in  den 
Farcen  verwendet  und  findet  sich  auch  in  späterer  Zeit  häufig  genug 
in  volkstümlichen  Kasparstücken  und  Hanswurstiaden. 


Die  Cent  NouccUes  NouveUa^.  \.\ 

Eine  solche  Priigelszeno  zAvischen  einer  trotzigen  Frau,  die  ihrem 
Manne  nicht  gehorchen  will  und  ihm  außerdem  noch  höhnische 
Antwort  gibt,  bringt  z.  B.  Novelle  97.  Die  ganze  Erzählung  ist 
eigentlich  nichts  anderes  als  eine  auf  Zank,  Verwünschungen  und 
Prügel  aufgebaute  Farce.  Die  Frau  trägt  den  allegorischen  Namen 
.Pou  Paisibh'*^  einen  Namen,  der  aus  einer  Moralität  stammen 
könnte.  Es  finden  sich  ja  possenhafte  Szenen  in  ernsten  Moralitäten. 
Es  ist  gar  nicht  so  unmöglich,  daß  diese  ganz  und  gar  farcenmäßig 
angelegte  Erzählung  mit  ihrem  Schelten  und  Prügeln  die  Nachahmung 
einer  verlorenen  Farce  darstellt.  Mit  außerordentlichem  Geschick 
ist  die  Komik  der  Situation  ausgeschöpft.  Wirksam  ist  der  Kontrast 
des  anfangs  ruhigen  Mannes  mit  der  kampfbereiten  Gattin,  die  den 
aus  dem  Wirtshaus  heimkehrenden  empfängt,  gcschilderi,  dann  der 
Wortwechsel  anläßlich  eines  überkochenden  Topfes,  die  Weigerung 
der  Gattin  den  Topf  vom  Feuer  zu  entfernen,  ihre  höhnische  Ent- 
gegnung, die  Prügel,  die  sie  empfängt,  ihr  Geschrei,  die  herbeieilende 
Nachbarschaft, 

Eine  eheliche  Zankszene  von  großer  Drastik  steht  in  Novelle  .54. 
Der  Gatte  kehrt  unvermutet  zurück  und  findet  die  Situation  im  Hause 
derart,  daß  die  Untreue  seiner  Frau  offenbar  wird.  Er  schimpft  sie 
^Paillarde  nieschante'\  er  hebt  die  Bettdecke  auf,  und  es  scheint  ihm 
(jue  /e.s  pourceaux  y  ayent  couchie.  Die  schamlose  Gattin  entgegnet 
ihm  mit  ^^meschant  yvroigne,  fault-il  que  je  compare  le  trop  de  vin 
que  vosfre  (Jorge  a  entonnS?  .  .  .  Et  ne  sfay  qui  nie  tient  que  je 
fie  me  leve  et  vous  egratigne  le  visage  par  teile  fassoyi  que  toiisjour.* 
mes  aurez  memoire  de  m^avoir  sans  cause  villennh." 

Von  besonderer  Komik  ist  die  Schlußszene  in  der  ersten  Novelle. 
Die  ungetreue  Gattin  empfängt  den  heimkehrenden  Gatten  mit  ver- 
stelltem Zorn  und  bearbeitet  mit  ihrer  fiammenden,  geheuchelten 
Empörung  den  anfänglich  Wütenden  so  gut,  daß  er  auf  die  Kniee 
fallt  und  in  größter  Sanftmut  mit  zerknirschtem  Gemüt  um  Verzeihm.g 
für  seinen  schwarzen  Verdacht  bittet. 

Nicht  nur  die  Frauen  aus  dem  Volke  wissen  zu  schelten  und 
zu  prügehi,  und  nicht  sie  allein  werden  geprügelt,  auch  die  vornchmeii: 
Ehen  sind  nicht  frei  von  solch  erbaulichem,  handgreiflichen  Gezänk. 
Den  Vorhang  vor  einem  adligen  Interieur  zieht  die  39.  Novelle  hii- 
weg.  Die  Edelfrau  kehrt  aus  den  Armen  ihres  Geliebten  in  das 
eheliche  Schlafgemach  zurück  und  findet  ihre  treue  Kammerfrau  in 
Jen  Armen  ihres  Gatten.  Sie  hatte  wahrlich  Grund  stille  zu  schweigci.. 
aber  weiß  Gott!  als  sie  die  beiden  beisammen  sah,  was  sandte  sie 
jhnen  da  für  einen  Gruß.  In  solchem  Zorn  machte  sie  sich  an  die 
arme  Johanne  heran,  daß  es  schien,  als  ob  sie  den  Teufel  im  Leibe 
hätte,  mit  solch  gemeinen  Worten  schimpfte  sie  über  sie.  Ja,  sie  tat 
noch  mehr  und  schlimmer.  Sie  nahm  einen  großen  Knüttel  und 
zerbläute  ihr  recht  den  Rücken.  Aber  als  ihr  Gemahl  das  sah,  geriet 
er    in    großen  Zorn,    er    stand  auf  und   prügelte   die  gnädige  Frau 


44  Walther  Küclder. 

dermaßen,  daß  sie  sich  nicht  mehr  gerade  halten  konnte.  Aber 
schweigen  kann  die  Geschlagene  doch  noch  nicht,  nun  fällt  sie  mit 
desto  giftigeren  Worten  über  die  aime  Johanne  her,  bis  die  sich 
nicht  mehr  halten  kann  und  ihrem  Herrn  verrät,  was  für  eine  Frau 
er  habe  und  woher  sie  in  diesem  Augenblick  und  aus  wessen  Ge- 
sellschaft sie  komme. 

Die  Tatsache,  daß  solche  rohe  Szenen  in  ein  ritterliches  Milieu 
übertragen  werden  konnten,  würde  uns  merkwürdig  erscheinen,  wenn 
■wir  sie  nicht  damit  erklärten,  daß  das  Hineintragen  des  vornehmen 
Standes  in  diese  imaginäre  Welt  brutaler  Liebesabenteuer  nur  eine  leere 
Staffage  ist.  Es  ist  meist  völlig  gleichgültig,  aus  welchen  Gesellschafts- 
kreisen sich  das  Personal  dieser  Schwanke  zusammensetzt.  Was  Poggio 
von  Schneider  und  Arzt  erzählt,  schreibt  unser  Erzähler  mit  ein  wenig 
mehr  Pikanterie  Edelmann  und  Müller  zu.  Was  er  sich  im  Kreise 
biederer  Bürgersleute  zutragen  läßt,  überträgt  Brantome  hundert 
Jahre  später  in  das  Milieu  hochgeborener  Herren  aus  fürstlichem  Geblüt. 

Neben  diesen  volkstümlich-derben  Streit-  und  Prügelszenen  steht 
als  ein  anderes  Mittel  stark  wirksamer  Komik  die  Übertreibung  ins 
Groteske.  Die  Situationen,  um  die  es  sich  in  der  Sammlung  handelt, 
sind  im  allgemeinen  possenhaft.  Aber  sie  streifen  häufig  an  das 
Groteske  heran.  Das  Groteske  beginnt  da,  wo  das  Unmögliche 
anfängt. 2)  Wenn  auch  die  Komik  in  den  Siutationen  der  C.  NN. 
häufig  unmöglich  ist,  so  empfinden  wir  diese  Unmöglichkeit  meist 
nicht.  Der  Schriftsteller  gleitet  leicht  über  dieses  Bedenken  hinweg, 
und  wir  folgen  ihm  stillschweigend.  Manchmal  jedoch  verweilt  er 
mit  einem  zälieu  Behagen  derart  bei  einer  au  sich  schon  un- 
wahrscheinlichen Situation,  unterstreicht  er  sie  dermaßen  stark,  daß 
uns,  wir  mögen  wollen  oler  nicht,  das  Enorme  des  Falles  zum 
Bewußtsein  kommt,  uns  nun  auch  zum  Verweilen  zwingt  und  uns  das 
Grotesk-Phantastische  des  Moments  gewaltsam  offenbart.  Nur  in 
solchen  Fällen  möchte  ich  von  grotesker  Komik  in  unserer  Sammlung 
in  diesem  Zusammenhange  sprechen;  denn  nur  in  ihnen  wird  das 
Groteske  ein  gewolltes  Stilmittel,  in  anderen  Fällen  haben  wir  es  nur 
mit  traditionell  possenhaften,  an  das  Groteske  streifenden  Motiven 
zu  tuu. 

Eine  groteske  Übertreibung  ist  es,  wenn  der  junge  Mann  in 
Novelle  20,  der  so  lange  unwissend  uud  dumm  mit  seiner  Frau 
zusammengelebt,  dann  auf  so  merkwürdige  Weise  seine  Gattin  aus 
schwerer  Krankheit  gerettet  hat,  plötzlich  bei  einem  Freudenmahle 
aufs  stärkste  zu  weinen  anhebt  und  auf  die  allgemeinen  verwunderten 
Fragen  nur  mit  Mühe  seine  närrischen  Tränen  zurückdrängen  und 
antworten  kann:  „Helas!  .  .  .  cest  par  moy  que  mon  pbre  et  ma 
mere,  qiii  ta^it  in'aymoient.  et  triont  assemhJS  et  Jaisse  tant  de  hierin 
ne   sont  encores  en   vie,   car   Uz  ne   sont  mors  tous  deux  que  de 


'^)  H.  Schneegans :     Geschichte  der  [irotesihen   Satire  p.  4G. 


Die  Cent  Nouoelles  Nouvclles.  45 

chaulde  maladie\  et  si  je  les  eusse  aussi  bien  vouchynez  ipiand 
Uz  furent  inalades  gue  fay  fait  ma  femme^  Hz  fussent  rnaintenant 
sur  piez."'  Das  Motiv  des  geschlechtlich  unerfahrenen  Mannes  ist 
vom  Erzäiiler  in  toller  Laune  so  auf  die  Spitze  getrieben  worden,  daß 
es  in  die  groteskeste  Unmöglichkeit  umschlägt  und  in  dieser  Unmöglichkeit 
sofort  begriffen  und  gewürdigt  wird.  Grotesk  ist  die  mit  Worten  nicht 
wiederzugebende  Prüfung,  die  in  Novelle  15  eine  Nonne  mit  dem  sie 
bestürmenden  Liebhaber  anstellt,  um  festzustellen,  ob  er  würdig  ist 
ihr  zu  nahen.  Grotesk  ist  der  ungünstige  Ausgang.  Und  man  begreift, 
daß  der  Enttäuschte  mit  seinem  Gefährten  abzieht  tout  devisant  de 
cesie  adventure. 

Grotesk  ist  es,  wenn  in  Novelle  50  der  eben  heimgekehrte  P^nkei 
seine  Großmutter  vergewaltigen  will,  ein  Zug,  der  sich  nicht  in  der 
Quelle  unseres  Autors  fand  und  vielleicht  von  ihm  in  das  Motiv 
hineingebracht  wurde.  Von  außerordentlich  grotesker  Komik  ist  eine 
Situation,  die,  wenn  sie  auch  vielleicht  nicht  vom  Verfasser  erfunden 
worden  ist,  doch  wegen  der  ausführlichen  Ausgestaltung  hier  angeführt 
werden  mag.  Durch  die  unerwartete  Rückkehr  des  Gatten  ist  der 
bei  der  Gattin  weilende  Liebhaber  in  eine  schlimme  Lage  gebracht 
worden.  Le  pouvr^e  gentühoimne  rieut  aulire  advis  que  de  se  bouter 
Oll  retraict  de  la  chambrc,  esperant  en  saillir  par  quelque  voye. 
Aber  der  Gatte  will  unglücklicherweise  nicht  aus  dem  anstoßenden 
Zimmer  weichen.  Nicht  genug,  daß  der  Eingeschlossene  in  seinem 
Versteck  Hunger,  Kälte  und  Angst  ausstehen  muß,  auch  potcr  plug 
enrager  .  .  .  son  mal^  une  toux  le  va  preiidre  si  grand  et  horrible 
que  vierveiUe.  Da  der  Husten  nicht  authören  will  und  Gefahr  besteht, 
daß  der  Gatte  ihn  hören  könnte,  so  weiß  sich  der  Ärmste  keinen 
anderen  Rat  que  de  bouter  sa  teste  ou  pertuis  du  retrait,  ou  ilfut 
bien  encense  ...  de  la  conficUire  de  Uens  .  .  .  pour  übriger,  ilfut 
longtemps  la  teste  en  ce  retraict^  crachant,  mouchant  et  toussant. 
Als  dann  der  Husten  aufgehört  hat,  kann  er  nicht  wieder  aus  dem 
Loche  heraus,  quelque  peine  quil  y  inist.  11  avoit  toxit  le  cot 
escorcM  et  les  oreilles  detrencMes.  Zuletzt  wird  er  frei,  doch  wie! 
II  s'eßorfa  iant  quil  eracha  Vays  perce  du  retrait  et  le  rapportu 
ä  son  col,  und  welche  Mühe  er  sich  auch  geben  mag,  er  kann  sich 
dieser  Halskrause  nicht  mehr  entledigen.  Aber  sein  Mißgeschick  wird 
ihm  Rettung.  So  wie  er  ist,  mit  einem  kohlengeschwärzten  Gesicht, 
seinen  Degen  in  der  Hand  stürmt  er  aus  seinem  Versteck.  Der  (Jatte 
wähnt,  er  sehe  den  Teufel  und  fällt  besinnungslos  zu  Boden. 

Diese  Situation  baut  sich  auf  nur  mit  Hülfe  von  grotesken 
Uimiöglichkeiten  von  Anfang  bis  zu  Ende. 


Diesen  bisher  behandelten  objektiven  Mitteln  des  humoristischen 
Stiles  unseres  Verlassers  stehen  andere  zur  Seite,  die  mehr  subjektiver 
Natur   sind.     Es   sind    das  Mittel,    die    das  Bestreben   verraten   dem 


40  Waltitcr  Küchler. 

Slil  eine  koiitinuiilich-liunioristiscbe  Färbung  zu  geben.  Der  Autor 
verstreut  über  seine  Sammlung  eine  Menge  von  unscheinbaren  witzigen 
iiemcrkuiigen,  über  die  n.aa  wohl  bei  der  ersten  Lektüre  hinvvegliest. 
Sie  scheinen  manchmal  so  zufälliger  Art  zu  sein,  daß  man  sich  ver- 
sucht fühlen  möchte  sie  für  unbeabsichtigte  Entgleisungen  zu  halten, 
die  dem  Verfasser,  als  wenn  er  ein  wenig  geschlafen  hätte,  aus  der  Feder 
geflossen  wären.  Aber  es  sind  in  den  meisten  Fällen  beabsichtigte  Witze, 
Beispiele: 

Devant  et  apres  que  la  mort  ieust  destache  de  la  cliayne 
qui  ä  marlage  Vaccoiiploit,  le  hon  bourgois  .  .  .  nestoit  jyoint  si 
mal  löge  en  la  dicte  ville  qne  (Tj);  des  vins  et  viandes  parier  ne 
seroient  que  redittes  .  .  .  faidte  ny  avoit  que  du  trop  (lo);  cela 
fait  au  plus  bref  qu'on  peiit,  sans  soy  trop  haster  (I4);  assez 
pres  d'un  gros  et  hon  village  .  ,  .  avoit  et  encores  a  wie  montaigne 
(I73);  il  se  med  ä  l'ouvrage  et  fait  merveille  d' armes,  et  espöir 
plus  que  bon  ne  lug  fut  (Iiy);  eile  le  laissa  faire  sans  dire  ung 
.seul  mot,  ne  demy  (l228)i  tiostre  simple  mary  .  .  .  fut  hien  esbahy 
et  encores  plus  courro^ice  la  moiiie  (II ^jg);  il  liiy  fut  pardomü 
par  teile  condicion  qne  si  jamais  le  cas  luy  advenoit,  eile  fust 
mieulx  advisee  de  mettre  son  homme  aultre  part  que  ou  casier, 
cur  le  eure  en  avoit  eu  sa  rohe  en  peril  d'estre  ä  tousjours  gastee 
(II 121)  j  il  faindit  iing  jour  d'avoir  tresgrand  doleur  en  ung  doy, 
celluy  d'empres  le  poulce  qui  est  le  premier  des  quatre  en  la 
main  dextre  (II202)  5  ^'^^  bergier  se  fourre  dedens,  comme  sHl 
ne  coutast  rien  (II  [55);  de  ce  siede  tout  droit  au  paradis  des 
chiens  alla  (II 206)- 

Die  Absicht  humoristiscli  zu  wirken  hat  ferner  solche  Wendungen 
zur  Folge,  die  so  gefaßt  sind,  als  drückten  sie  die  Unsicherheit  des 
Autors  mehreren  Möglichkeiten  gegenüber  aus,  als  wüßte  er  nicht 
ganz  genau,  wie  die  Sache,  die  er  gerade  erzählt,  wirklich  gewesen 
ist,  als  täte  es  ihm,  dem  gewissenhaften  Chronisten  leid,  sie  im 
Ungewissen  zu  lassen.  So  erzählt  er  in  Novelle  2  den  Ausbrucli 
der  Krankheit  des  jungen  Mädchens  folgendermaßen:  Advini  toutes- 
fois,  ou  car  Dieu  le  perryiist,  ou  car  Fortime  le  voult  et  commenda, 
envieuse  et  mal  contente  de  la  prospent^  de  celle  belle  fiUe,  ou  de  ses 
parens  ou  de  tous  deux  ensemble,  ou  espoir  par  une  secrete  cause  et 
raison  naturelle^  dontje  laisse  Cinquisition  aux philosophes  etmedicins^ 
quelle  cheut  en  une  desplaisanie  et  dangereuse  maladie  (Ijo)- 
Ähnlich  heißt  es  von  der  Krankheit  des  dem  Cure  gehörigen  Hundes 
in  Novelle  96:  Advint  toutesfois,  je  ne  sgay  par  quel  cas,  ou  s'il 
eut  trop  chault  ou  trop  froit.,  ou  s'il  mengea  quelque  chose  qui 
mal  luy  ß st,  qiiil  devint  tresmalade  (11200);  auch  über  die  Ehrung 
des  Hundes  nach  seinem  Tode  durch  ein  Grabmal  ist  der  Verfasser 
nicht  genau  unterrichtet:  Je  ne  sgay  pas  sHl  luy  fist  ung  marbre 
et  par  dessus  engraver  une  epythapthe.,  si  m''en  tois  (ebda);  Von 
der  Flucht  des  betiügerischeu  Eremiten  heißt  es:  s'en  fnyl  en  aultre 


Die  Cent  Nouvelles  Noiwelles.  47 

pai8,  ne  scay  quel,  U7ie  aultre  femnic  ou  fiUe  clecevoir.  ou  h  desers 
(VEgipte  de  aiexir  contrit  la  jyenitence  de  son  peche  satisfaire 
(Igo).  Von  der  mangelnden  Energie  eines  Gatten  der  offenbaren 
Untreue  seiner  Gattin  gegenüber:  yi'est  encores  venu  ä  ma  cognoissance 
se  il  difera  la  cliose  ou  par  ignorance  oii  par  double  d'esclandre 
(Ij2g);  Von  der  Umarmung  zweier  Liebenden  schreibt  er:  tont  plat 
/entreaccolerent  et  baiserent  en  la  mesme  ou  semblable  fasson 
qne  celuy  du  garnier  avoit  fait  (I020)  I  ii  Novelle  5  hat  ein  Soldat 
einen  AbendmalilskcUh  au-  einer  Kirche  geraubt  und  um  guten  Preis 
verkauft,  der  Erzähler  versichert:  je  nen  scay  pas  la  juste  somme 
(Igß);  ähnliche  Fälle  sind  unter  anderen  noch  environ  wie  bonne 
henre  ou  pÄus  ou  mains  (I]5.,)|  ^^  cJieut  ä  la  reverse  et  descompta 
ne  scay  quant  degreez  (I258);  ^'en  alla  en  quelque  aidtre  village 
goigner  son  soupper;  je  ne  scay  sHl  fut  tel  que  le  disnev  (II^gQ); 
ainsi  demoura  et  est  encores;  ne  scay  je  qxiil  fera  (Ilißo)- 

Eine  bestimmte  Absicht  humoristisch  wirken  zu  wollen  ist 
häufig  am  Schlüsse  der  Erzählungen  zu  bemerken.  Der  Erzähler 
spielt  gewisserm.aßen  noch  einen  letzten  Trumpf  aus,  ehe  er 
endet,  er  sichert  sich  einen  guten  Schlußeffekt.  Der  Humor, 
der  sich  so  am  Ende  seiner  Novellen  meist  in  ganz  kurzen,  fast 
nachlässig  hingeworfenen  Bemerkungen  äußert,  hat  nichts  Aufdringliches 
an  sich.  Der  Witz  ist  trocken,  im  letzten  Atemzug  mit  halber 
Stimme  gesprochen;  er  geht  fast  unter  in  dem  Beifall  der  Zuhörer, 
in  dem  Räuspern  und  in  der  Bewegung  der  hart  am  Ende  sich 
lösenden  Spannung.  Aber  er  ist  vorhanden,  und  der  Leser  merkt 
ihn  dann  am  leichtesten,  wenn  er  sich  in  die  lebendige  Situation 
hineinversetzt,  sich  unter  die  Zuhörer  mischt. 

Wenn  z.  B.  am  Schluß  von  Novelle  1 1  der  Erzähler  es  für  nötig 
findet  hinzuzufügen:  .,3Iais  du  surplus  de  la  vie  au  jaloux,  de  ses 
afferes  et  manieres  et  rnaintiens,  ceste  histoire  se  tait-\  so  ist  das 
eine  ganz  überflüssige  Bemerkung;  denn  niemand  erwartet  nach  der  er- 
zählten Begebenheit  derartige  Nachrichten.  Die  sonderbare  Episode, 
die  soeben  ihren  Abschluß  gefunden  hatte,  genügte  den  Zuhörern 
vollauf,  in  Wirklichkeit  wäre  die  Bemerkung,  die  witziger  sein  soll 
als  sie  es  tatsächlich  ist,  untergegangen  in  dem  Gelächter,  das  dem 
eigentlichen  Schluß-  und  Höhepunkt  der  Erzählung  folgte. 

Am  Schlüsse  der  Erzählung  von  dem  Esel,  den  sein  Besitzer 
auf  so  wunderbare  Weise,  nämlich  durch  ein  ihm  von  dem  Arzt 
verordnetes  Klistir  wiederfand,  heißt  es:  ..Ainsi  avez  oy  comment 
Vasne  fut  trouve  par  ung  clütere  qui  est  chose  bien  apparente  et 
qui  souvent  advient  (n|43). 

Ein  sehr  wirksamer  witziger  Schluß  beendet  (Novelle  80),  die 
Erzählung  von  der  trostlosen  jungen  Frau,  die  mit  der  Körper- 
beschaffenheit ihres  Gatten  nicht  zufrieden  ist  und  unmögliche  An- 
ordcrungcn  stellt.     Keck  behauptet  der  Erzähler    „  Veezey  la  cause 


48  Walther  Knclder. 

des  filles  d'Alemaigne"  und  an  diese  Behauptung  Längt  er  den 
frommen  Wunsch,  der  von  seinen  Zuhörern  sicher  mit  beifälligem 
Gelächter  aufgenommen  worden  wäre  y,si  Uieti  piaist,  hien  tost  seront 
ainsi  en  France.'^ 

Mit  einem  trockenen  Witz  entläßt  er  sein  Publikum  auch,  als 
er  ihm  in  der  90.  Novelle  die  Geschichte  von  dem  Gatten  erzählt 
liat,  der  seine  kranke  Frau  heilte.  Er  sagt  „Ainsi  le  hon  marchant 
aprint  ä  gariv  sa  femme^  qui  luy  tourna  ä  grand  prejudice,  cor 
souvent  se  faindoit  malade  pour  recevoir  la  medicine." 


Die  humoristische  Tendenz  des  Erzählers  bleibt  nicht  bei 
solchen  einfacuen  witzigen  Bemerkungen  stehen,  sondern  geht  weiter 
und  fügt  ihnen  ein  neues  Element  hinzu,  das  der  Ironie.  Diese  so 
erzielte  Verbindung  von  Witz  und  Ironie  verleiht  dem  Stile  der 
C.  JS^.  JSf  sein  eigentümlich -reizvolles  Gepräge.  Diese  Eigenart  des 
Stils  hat  an  sich  nichts  mit  dem  Inhalt  der  erzählten  Begebenheiten 
zu  tun.  Die  Ironie  erhebt  den  Verfasser  über  seinen  Stoif,  sie  läßt 
ihn  beständig,  wenn  auch  in  sehr  eingeschränktem  Maße,  über  sein 
Werk  reflektieren.  Die  dargestellten  Konflikte  und  Situationen  über- 
gießt sie  mit  einer  aus  der  persönlichen,  humoristischen  Begabung 
herausfließenden,  souveränen  Laune,  sie  bekleidet  das  schon  geschaffene 
Werk  mit  einem  buntglitzernden  Gewände. 

Die  einfachste  Art,  in  der  sich  unzählige  Male  die  ironische 
Färbung  des  Stiles  ausdrückt,  ist  die  Verwendung  von  Adjektiven, 
welche  die  Personen  in  günstigem  Lichte  erscheinen  lassen,  während 
sie  doch,  wie  der  Leser  bereits  weiß  oder  noch  im  Verlauf  der  Er- 
zählung erfahren  wird,  durchaus  nicht  von  so  guter  Gesinnungsart 
.sind,  daß  sie  die  lobende  Bezeichnung  verdienten.  Solch  kurze, 
immer  wieder  auftretende  Ironisierungen  sind:  Sa  honne  femme)  nostre 
honne  gouge;  sa  trcs  parfaitc,  et  bonnefem?tie;  ceste  honne  et  entiere 
amoureuse;  ce  bon  yvroigne;  le  bon  macquerau\  la  bonne  gentil 
femme;  la  tres  saige  musniere  (die  sich  dummgläubig  auf  den  lächer- 
lichsten Grund  hin  mißbrauchen  läßt);  ce  vaillant  komme;  ceste  vaillant 
gouge;  la  vaillant  mesnagiere;  la  simple  femme;  son  loyal  cueur;  la 
devote  dame,  la  cotirtoise  noimain  und  viele  andere.  Diese  Art  der  Ironie 
äußert  sich  gelegentlich  in  ausführlicher  Breite  am  Anfang  einer  Erzähl- 
ung, indem  zur  Einführung  und  Begründung  des  Vorzutragenden  die 
Hauptperson  in  übertrieben  lobender  Form  dargestellt  wird,  z.  B.  Xay 
congneu  en  mon  temps  une  notable  et  vaillant  femme,  digne  et  de 
memoire  et  de  recommendacion,  cor  ses  vertnz  ne  doivent  estre 
cellees  nestainctes,  mais  en  commune  audience  puhlicquement  bla- 
sonnees.  Vous  orez  en  bref .  .  .  la  chose  de  quoy  fentens  amplier 
et  accroistre  sa  trheureuse  renommh  (l2is)-  ^^^  Ironie  wirkt  noch 
stärker,  wenn  sich  trotz  einer  nichts  Gutes  ahnen  la^senden  Andeutung 
eine    Fortsetzung    in    lobendem    Sinne    findet,    wie:     En    la    ducld 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  49 

d'Auvergne  demouroit  ung  gentilhomme;  et  de  son  maleur  avoit 
une  iresbelle  jeune  femme.    De  sa  bonte  devisera  mon  compte  (ll2v()- 

Diese  Neigung  des  euphemistischen  Ausdrucks  durchdringt  das 
ganze  Werk  und  äußert  sich  in  einer  wahren  Manie,  an  Stelle  des 
der  Situation  entsprechenden  Begriffs  einen  anderen  zu  setzen,  der 
unter  normalen  Verhältnissen  schönere  und  edlere  Vorstellungen  er- 
weckt, in  dem  besonderen  Zusammenhange  jedoch  den  vorhandenen 
Eindruck  in  ironischem  Sinne  modifiziert,  die  Stimmung  in  ihr  Ge- 
genteil umschlagen  läßt.  Der  Erzähler  läßt  uns  die  Situation,  die 
wir  eben  verlassen  haben  und  abgeschlossen  im  Gedächtnis  tragen, 
noch  einmal  wie  durch  ein  geschliffenes  Glas,  das  sie  in  leichter, 
amüsanter  Verzerrung  darstellt,  erblicken.  Es  ist,  als  ob  ihm  darum 
zu  tun  wäre,  den  v.ahren  Eindruck,  der  bei  genauer  Prüfung  sich 
als  wenig  erfreulich  und  recht  unangenehm  herausstellen  würde,  schnell 
wieder  zu  verwischen  und  uns  mit  hexenmeisterlicher  Fixigkeit  ein 
rosiges  Gebilde  vorzugaukeln.  Er  macht  uns  glauben,  was  er  uns  da 
soeben  erzählt  habe,  sei  gar  so  schlimm  und  gefährlich  nicht  wie  es 
aussehe.  Und  er  täuscht  uns  wirklich,  wir  lassen  uns  für  einen 
Augenblick  gefangen  nehmen,  im  nächsten  ist  er  schon  wieder  bei 
anderen  Dingen.  Sehen  wir  uns  eine  Anzahl  solcher  Taschenspieler- 
kunststücke an,  die  aus  der  ironisierenden  Laune  des  Erzählers  her- 
vorsehießen. 

Es  ist  Ironie,  wenn  durchaus  unangenehme  Dinge  als  sehr  au- 
genehm hingestellt  werden,  z.  B.  wenn  die  Eifersucht  genannt  wird 
la  doulce  rage  de  Jalousie  (II^)  oder  cest  estai  et  aise  delectahle 
(I233);  wenn  der  Verlust  des  noch  allein  gesunden  Auges  als  ce  heau 
hutin  bezeichnet  wird  (I14),  wenn  das  Netz,  in  dem  der  Ritter  den 
Priester  fängt  und  grausam   quält,    le  las  jolis  genannt  ist  (üigo). 

Es  ist  Ironie,  wenn  etwas  sehr  unschönes  als  schön  angeführt 
wird;  wenn  z.  B.  die  öffentliche  Liebe,  die  sich  verkauft,  ce  jobj 
mestier  (Ilig;)  heißt,  wenn  einer  der  schmutzigsten  Schwanke  als 
ung  hien  gracieux  cas  eingeführt  wird  (IIi28)- 

Ironie  ist  es,  wenn  höchst  profane  Dinge  mit  frommen  Begriffen 
bezeichnet  werden;  z.  B.  wenn  des  Liebeswerben  des  Priesters  im 
Beichtstuhl  ceste  devote  confession  heißt  (l276)l  Liebe,  die  sich  hinter 
religiösem  Eiler  verbirgt  devocion  (II50);  wenn  von  der  wachsenden 
Liebe  eines  Herrn  zu  seiner  Magd  ge.'-agt  wird  la  devocion  que 
tnonseigneur  avoit  aux  sains  de  sa  meschine  de  jour  en  jour 
croissoit  (I91);  wenn  es  von  einem  unter  dem  Schein  der  Frömmigkeit 
und  Andacht  bewerkstelligten  Rendezvous  heißt  tantdiz  que  madame 
achevoit  ses  heures  (l25o)i  wenn  die  Angst  der  im  Bette  ihres 
Geliebten  den  Blicken  ihres  Mannes  ausgesetzten  Frau  charakterisiert 
wird  als  grand  penitence  en  silence  (I4).  In  gleicher  Art  heißt  die 
Promenade  vor  dem  Hause  der  Geliebten  procession  (II ige),  das 
Keifen  einer  Frau  sa  grande  legende  doree  (I^q),  der  Soldat,  der 
Kirchenraub    begangen    hat,    ce    hon   pelerin    (I37),    der    betrogene 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXIi,  'i 


50  Walther  Küchler. 

Gatte  le  povre  martir  (I-,),  die  Erzälihing  von  der  Bogeguung  mit 
einem  Truiilvcubold  ein  mystere  (I41),  der  Körper  des  sinnlos  Be- 
trunkenen ce  hon  corps  saint  (I42),  die  Last  des  durstigen  Maultiers 
le  precieux  corps  de  madame  (l);)]),  die  Lebensführung  des  Cui6,, 
der  den  Frauen  nachstellt,  ceste  saincte  vie  (H^g). 

Ironie  ist  es,  wenn  höchst  obszönes  Beginnen  genannt  wird  ce 
parfond  estude  oder  ceste  gracieuse  contemplacion  (lec)^  gemeine 
Unterhaltung  ce  gracieux  debat  (1^2)1  wenn  ein  fataler  Hiistenanfall 
chanson  de  tousser  heißt  (Um)'  oder  in  derselben  Novelle  (72)  die 
Vorstellung  von  Weihrauch  und  Confiture  erweckt  wird  in  einer 
Situation  wie  sie  grotesker  kaum  gedacht  werden  kann. 

Ironischer  Euphemismus  ist  es,  wenn  der  Erzähler  mitten  in 
einer  ehelichen  Schimpfszene  uns  treuherzig  versichert  comme  Uz  se 
devisoient  ainsl  doulcement  comme  vous  oez  (11210),  oder  wenn 
er  ebenso  wohlwollend  das  nach  dem  verbotenen  üeniiß  friedlich 
eingeschlafene  Paar  von  Herr  und  Magd  la  doidce  paire,  dormans 
ä  bi'az  und  gleich  darauf  la  compaignie  des  vraiz  amans  nennt 
(1^43,  44)-  Etwas  anzüglicher  wird  seine  Ironie,  wenn  er  den  Liebhaber 
im  Verhältnis  zum  Gatten  bezeichnet  als  son  adversaire,  ou  pour 
mieux  dire,  son  compaignon  (1.30)5  oder  wenn  er  von  dem  adeligen 
Fräulein,  das  den  Hirten  liebt,  sagt  ceste  damoiselle  devenue 
hergiere  (II gg). 

Witzige  Ironie,  die  sich  wohl  auch  mit  geistreichelndera  Esprit 
belädt,  bezeichnet  vielleicht  den  Charakter  dieser  Mittel  seines 
Humors,  dessen  Beispiele  mit  den  angeführten  noch  keineswegs  er- 
schöpft sind. 

Eine  andere  Art  witziger  Ironie  ist  es,  wenn  für  die  ehe- 
brecherischen Liebeszusammenkünfte  völlig  imaginäre  Begründungen 
oder  Entschuldigungen  ins  Feld  geführt  werden.  Z.  B.  affin  que  je 
i^aye  paour  et  que  point  je  ne  ni'espante,  vous  me  ferez  compaignie., 
sHl  vous  piaist  (Igs);  l^  chapellain  de  Uens  .  .  .  se  vini  boiiter 
aiipres  d'elle  pour  ha/  faire  compagnie  affin  quelle  neust  p>aour; 
ou  espoir  pour  faire  l'essay  ou  prendre  le  disme  advenir  (Hu); 
il  monte  dessus  le  tas  pour  reoir  plus  hing  (II]3i);  hien  peut 
esire  qu'en  recompense  de  ses  maidx  la  gouge  en  eut  dcpuis  jntie, 
et,  pour  sa  conscience  acquictei\  luy  p)vesta  so7i  bedon  (ebda);  affin 
quelle  ne  s'espantast,  eile  avoit  toujours  ung  komme  qui  gardoii 
la  place  du  bon  honime  et  entretenoit  son  ouvrouer  de  pao^ir  que 
le  rouil  ne  s'i  prenist  (II 177).  Ironisch  ist  auch  die  Anuabe  warum 
einmal  ein  verbotenes  Verhältnis  entdeckt  wurde:  Et  pource  que 
dommage  eust  est/;  que  teile  devocion  et  iravail  neust  este  cogneu^ 
fortune  promist  et  vaidt  que  .  .  .  Vembusche  fut  descouverte  (II 50)- 

Wieder  eine  andere  Art  von  Ironie  ist  es,  wenn  der  Anfiing  eines 
Satzes  eine  Äußerung  enthält,  die  durch  den  Schluß  des  Satzes  auf 
ihre  wahre  Bedeutung  zurückgeführt  wird,  ein  gewisses  Versteckspiel 
des  Erzählers  mit  dem  Publikum.     Beispiele  sind: 


Die  Cent  Novvelles  Nouvellcs.  51 

Ung  jeune  compaignon  picard  .  .  .  servit  treshien  et  loyaument 
son  maistre  assez  longue  espace.  Et  entre  aultres  Services  ä  quoy 
iL  ohligea  son  dict  maistre  vers  luy,  il  fist  taut  .  .  .  que  si  avant 
fxit  en  la  grace  de  la  fille  quil  couscha  avec  eile  fl^g)-  ^on  der 
Barmherzigkeit  yon  Nonnen,  die  bereits  als  sehr  fromm  und  wohhätig 
bezeiclmet  wurden,  heißt  es  la  charite  de  la  maison  des  nonnains 
estoit  si  tresgrande  que  pou  de  gens  estoient  esconduis  de  Pamoureuse 
distribucion  (Igi);  nng  grand  clerc  et  prescheur  de  l'ordre  Saint 
Uomijiicqtie  convertit,  par  sa  sainte  et  doulce  predicacion,  la  femme 
d'icn  bouchier,  par  teile  et  si  bonne  fapon  qu'elle  Vahnoit  jylus  que 
tout  le  monde  (I.051);  et  Vaufre  tint  si  secret  son  cas  que  chascun 
en  fut  adverty  (I255);  comnie  il  est  aiijourduy  largement  de  prestres 
et  curez  qui  sont  si  gentilz  compaignons  que  nulles  des  folies  que 
fönt  .  . .  les  gens  laiz  ne  leur  sont  impossihles  ne  dificiles  (l27o)- 

Als  ein  Mittel  den  Stil  ironisch  -  witzig  zu  gestalten  kann  man 
auch  die  nicht  seltene  Gepflocienheit  bezeichnen,  die  Persönlichkeit 
oder  wenigstens  den  Namen  Gottes  in  dieses  kleinliche,  egoistisch- 
verliebte Getriebe  hineinzuziehen.  Mau  gewinnt  den  Eindruck,  daß 
der  Erzähler,  ohne  gerade  sich  der  Gotteslästerung  schuldig  zu  machen, 
dennoch  in  recht  leichtfertiger  Weise  mit  heiligen  Dingen,  die  damals 
der  Allgemeinlieit  doch  unantastbar  waren,  umspringt.  Wenn  er 
nicht  einfach  den  Skeptizismus  seines  Kreises  getreulich  wiedergibt. 
Häufig  wird  die  Aniufung  des  göttlichen  Namens  nur  eine  gedanken- 
lose Formel  sein,  aber  die  ironisch-komische  Wirkung  ist  doch  fast 
stets  vorhanden.  So  heißt  es  von  der  Gattin,  die  an  Stelle  ihrer 
Kammerfrau  den  so  getäuschten  Gatten  erwartet  madame  se  alla 
meitre  dedans  le  lict  ou  monseigneur  devoit  trouver  sa  chambriere, 
et  droit  lä  attendoit  ce  que  Dieu  luy  vouldra  envoyer  (I;-,3);  im 
Munle  von  Nonnen  ist  zwar  verständlich,  vom  Erzähler  aber  mit 
Absicht  hinge-etzt  Madame,  de  vostre  maladie,  ce  scet  Dieu,  ä  qui 
nul  ne  peut  riens  celer.  il  nous  desplaist  beaucop  (Ihq);  von  starker 
ironischer  Wirkung  ist  nach  der  Verbrennung  des  Klosters  mit  all  den 
schuldigen  Mönchen  darin  die  Bemerkung  Dieu  mesmes,  qui  n'eyi 
povoit  mais,  en  eut  bien  sa  maison  bridlee  (loos)'-,  ebenso  comme  il 
est  assez  de  coustume,  Dieu  mercy,  que  en  pluseurs  religions  y  a 
de  bons  compaignons  ä  la  pie  et  au  jeu  des  bas  iristrumens  (11201)- 

Gott  hdtt  sogar  bei  dem  Liebesabenteuer.  Der  Liebhaber  ist 
vor  Schreck  die  Treppe  hinunter  gefillen,  mais  toutesfoiz  il  neut 
garde,  tant  bien  luy  aida  Dieu  et  sa  honne  querelle  (la.-.g) ;  Pr  kennt 
seine  frommen  Einsiedler,  duldet  aber  nicht  ewig  ihren  lästerlichen 
Lebenswandel:  ung  hermife  tel  que  Dieu  scet  faisoit .  .  .  des  choses 
merveilleuses  .  .  .  jusques  ad  ce  que  Dien  plus  ne  vouloit  son 
tresdanmable  abus  permettre  ne  souffrir  (I73);  selbst  die  Zecher 
veigessen  Gott  nicht  quand  Hz  eurent  beu  et  mange,  et  fait  si 
bonne  chere  que  jusques  ä  loer  Dieu  et  aussi  usque  ad  hebreos 
la  plus  p)0.rt  (11208)^  ^"'"^^  der  Arzt  heilt  niclit  ohne  die  Hilfe  Gottes 


52  Walther  Küchler. 

le  marche  futfait  et  entreprint  garir  net  cest  cril,  Dieu  avant  (II174). 

Nicht  einmal  der  heilige  Geist  bleibt  von  der  übermütigen  Ironie 
des  Erzcälilers  verschont.  Er  hilft  sogar  der  schon  entlarvten  Ehe- 
brecherin sich  durch  eine  kecke  Lüge  aus  der  Gefahr  zu  ziehen.  So 
heißt  es  von  der  Frau,  die  im  Beichtstuhl  von  ihrem  als  Priester 
verkleideten  Gatten  schon  fast  überführt  ist  (eile)  faisoit  ä  Dieu  son 
oroison;  si  respondit  ä  chef  de  piece  comme  le  saint  esperit  Vinspira, 
et  dist  hien  p'oidement  (11139).  An  einer  anderen  Stelle  kommt  einem 
Gatten  und  seinen  Gefährten  eine  so  sicher  eintreffende  Offenbarung, 
daß   es  ist,  als  ob  der  heilige  Geist  sie  ihnen  enthüllt  habe  (II 32). 

Alle  diese  und  andere  ähnliche  "Wendungen  stammen  aus  dem 
volkstümlich  derben  Empfinden  des  Erzählers,  der  gerade  aus  dieser 
ursprünglichen,  lebensstrotzendeu  Veranlagung  die  wirksamsten  Mittel 
seines  Sprachgebrauchs  zieht.  Er  verwendet  diese  Mittel,  indem  er 
sie  mit  einem  gewissen  Raffinement,  das  halb  volkstümlich  naiv,  halb 
literarisch  gekünstelt  ist,  zu  durchdringen  versteht.  Ganz  volkstümlich 
roh,  das  respektlose  Verhältnis  der  gleichwohl  frommen  "Witwe  zu 
ihrem  Gott  ausgezeichnet  malend,  ist  die  "Wendung,  mit  der  der  Er- 
zähler ihre  Freude  charakterisiert:  la  veille,  de  joye  emprise,  cuidant 
Diev,  tenir  par  les  piez  (I77).  Gekünstelt  dagegen  und  wie  ge- 
künsteltes Streben  des  Schriftstellers  nach  einem  glücklichen  Effekt 
erscheint  es,  wenn  das  Edelfräulein  auf  die  Rede  des  Bruders,  der 
die  Einwilligung  zu  ihrer  ehelichen  Verbindung  mit  dem  armen 
Hirten  gibt,  mit   ^Amen'-''   antuortet  (II 37). 

Die  ironische  Reflexion  des  Verfassers  macht  sich  häufig  auch 
am  Schluß  seiner  Erzählungen  bemerkbar.  "Wir  hatten  schon  gesehen, 
daß  er  gern  mit  einem  "Witzwort  schließt.  Dieser  "Witz  nimmt  mit 
Vorliebe  eine  ironische  Färbung  an.  Die  Schlußwirkung  der  Erzählung 
wird  auf  diese  "Weise  noch  um  so  schlagender  und  beruht  manchmal 
auf  dem  Kunstmittel  der  Überraschung.  In  diesem  Sinne  wirkt  der 
Schluß  von  Novelle  7,  in  der  der  Verfasser  das  höchst  unanständige 
Verhalten  eines  Fuhrmannes  berichtet,  welcher  die  Nacht  im  gemein- 
samen Lager  des  Ehepaares  verbringen  durfte,  sich  dabei  der 
schlafenden  Frau  unziemlich  näherte  und  von  seinem  Gastwirt  glücklich 
geschätzt  wurde,  daß  die  Gattin  es  nicht  gemerkt  habe.  Pensez,  so 
schließt  die  Erzählung,  si  la  honne  femme  eust  sceu  le  fait  du 
chareton,  quelle  Veust  fort  plus  greve  que  son  mary  ne  disoit. 
Comhien  que  depuis  le  chareton  le  racompia  en  la  fagon  que  avez 
eye,  sinon  quelle  ne  dormoit  point:  non  p>as  que  le  veille  croire, 
ne  ce  rapport  faire  hon.  Gut  verhüllte  Ironie  ist  es,  wenn  es  am 
Schlüsse  von  Novelle  30,  weiche  den  von  drei  Mönchen  drei  Gatten 
gespielten  Streich  erzählt,  heißt,  daß  die  beteiligten  Frauen  vor 
Kummer  gestorben  wären,  wenn  sie  die  "Wahrheit  gewußt  hätten 
.„comme  on  en  voit  tous  les  jours  7norir  de  maindre  cas  et  ä  mains 
d'achoison.''  Mit  ironischer  Schadenfreude  übergießt  der  Erzähler 
den  eifersüchtigen  Gatten,  der  trotz  allen  Studiums  der  in  den  Büchern 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  53 

berichteten  Frauenlisten  getäuscht  wird:  Diesen  Streich  behielt  er  so 
gut  im  Gedächtnis,  daß  er  nicht  nötig  hatte  ihn  aufzuschreiben. 
Frisch  blieb  ihm  die  Erinnerung  die  wenigen  guten  Tage,  die  er 
noch  lebte. 

Zu  den  stilistischen  Mitteln  der  C.  N.  N.,  welche  vermöge 
einer  leichten  irDnischen  Verzerrung  eine  feinere  humoristische  Wirkung 
zu  Stande  biingen,  gehört  eine  aufifallende,  häufig  wiederkehrende 
Erscheinung,  die  sicherlich  nicht  zufällig,  sondern  beabsichtigt  ist. 
Ich  meine  die  gewissenhafte,  fast  peinliche  Anwendung  höflich - 
zeremonieller  Formen  im  Verkehr  zwischen  Liebenden,  in  Werbe- 
szenen, bei  Begrüßungen,  beim  Abschied.  In  allen  Liebeshändeln 
der  Sammlung  handelt  es  sich  doch  um  weiter  nichts,  als  möglichst  bald 
den  rein  brutalen,  physischen  Genuß  herbeizuführen.  Wenn  man  sich 
dieses  Zweckes  erinnert,  kann  man  die  übertrieben  höfliche  und 
gemessene  Sprache  und  Haltung  der  in  solchen  Szenen  beteiligten 
Personen  nicht  mehr  ernst  nehmen.  Das  galant -elegante  Gebaren 
der  vornehmen  Gesellschaftsschichten  war  dem  Verfasser  aus  seiner 
Bekanntschaft  mit  den  höheren  Kreisen  bekannt.  Ich  glaube  nicht, 
daß  er  diese  feinen  Formen  an  sich  lächerlich  machen  wollte  —  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  sind  sie  in  seinen  Novellen  sogar  berechtigt, 
da  die  Personen,  die  sie  anwenden,  meist  der  Aristokratie  angehören  — 
nur  ihre  unterschiedslose,  konsequente  Anwendung  auch  in  Situationen 
niedriger  Art  verhindert  es,  diese  graziösen  Formeln  ernst  zu  nehmen. 
Die  ironische  Absicht  des  Verfassers  tritt  zu  Tage.  Das  Gebaren 
der  Personen,,  die  so  garnichts  Platonisches  haben,  wirkt  amüsant, 
man  erkennt  bei  den  Männern  ein  süßlich  lächelndes,  aber  verzerrtes 
Faunengesicht,  bei  den  Frauen  manchmal  echte  Befangenheit,  meist 
aber  kokett  niedergeschlagene  Augen,  aus  denen  nur  mühsam  zurück- 
gehaltenes Begehren  hervorlauert. 

Die  Wirkung  im  letzten  Grade  ist  fein  humoristisch,  besonders 
dann,  wenn  man  sich  etwa  noch  einzubilden  vermag,  daß  die  Lippen 
des  Verfassers,  als  er  diese  graziösen  Sätze  schrieb,  ein  spöttisches 
Lächeln  umschwebte,  ein  Lächeln,  von  dem  die  vornehmen  Herren 
und  Damen,   die   später  seine  Erzählungen  lasen,  nichts  verspürten. 

Einige  Beispiele  mögen  die  Art  dieses  höflichen  Verkehrs 
darstellen. 

Sehr  formell  und  in  eleganten  Umgangsformen  bewegen  sich  in 
Novelle  3  Ritter  und  Müllersfrau.  Der  Chevalier  hat  sich  poiir 
passer  iemps  et  prendre  son  esbatement  die  Müllerin  ausersehen. 
Er  begegnet  ihr,  s'avanra  vers  eile  et  doulcement  la  salua;  et  eile, 
comme  sage  et  bien  aprinse,  lu//  fist  honneur  et  la  reverence  comme 
U  appartenoit.  Ein  Gespräch  beginnt,  in  dessen  Verlauf  Monseigneur 
qui  tres  courtois  et  gracieux  estoit,  rnesmement  tousjours  vers 
les  dames  die  Müllersfrau  seinen  schlimmen  Wünschen  geneigt  zu 
machen  versteht.    Ähnlich  sind  die  äußeren  Formen  bei  einer  anderen 


54  IValther  Küchler. 

Verfübniugsszene,  als  des  Grafen  Diener,  der  sich  so  gut  auf  die 
Kuppelei  versteht,  daß  der  Erzähler  ihn  doctcur  en  son  mestier 
nennt,  ein  armes  Baucrnniädchen  seinem  Herrn  gefügig  machen  möchte. 
IL  vint  devers  la  belle  fille  et  tres  courtoisement  la  salua.  Et 
eile  qui  n'estoit  pas  mains  sage  ne  bonne  que  belle.,  courtoisement 
iuy  rendit  son  salnt  (I129).  Sehr  höflicli  ist  auch  der  Schotte  mit 
der  Frau  des  Krämers,  aber  nur  so  lange  als  er  noch  werben  muß. 
Wenn  er  seine  Dame  erblickt,  so  wird  sie  humblement  saluee  et 
d^amours  doulcement  priee,  und  als  sie  ihm  Gewährung  seiner 
Wünsche  in  Aussicht  stellt,  heißt  es  eile  fut  liauliement  merciee, 
doidcewent  escout<^e,  et  de  bon  cueur  obiye  (loy,  op)-  Ebenso  ge- 
wählt, wie  ausdrücklich  betont  wird,  dankt  ein  anderer  Liebhaber 
apres  les  mercimens  gracieux  et  deuz  en  ce  cas,  dont  il  estoit  bon 
maistre  et  ouvrier,  se  part  d'elle,  et  s''en  va  atiendant  et  desirani 
l'heure  assignee  (Iiso).  Von  dem  Edelmann,  der  sich  betrügerischer 
Weise  bei  der  Geliebten  seines  Freundes  eingeschlichen  hat,  heißt 
es  comme  ü  estoit  gracieux,  courtois,  et  bien  enparU.  la  salua 
bieji  honorablement  (Iigr,)- 

An  sich  sind  derartige  Szenen  nicht  humoristisch,  besonders 
jede  einzelne  für  sich  betrachtet  ist  es  nicht.  Nur  das  stereotyp 
Formelhafte  ihres  Gebrauchs  und  die  Erwägung,  daß  nun  einmal 
ein  innerer  Widerspruch  zwischen  der  höflichen  Gemessenheit  und 
der  unehrenhaften  Absicht  obwaltet,  verleiht  ihnen  ihren  Charakter 
feinen  Humors.  Der  in  gleichem  Sinne  sich  häufig,  wiederholende 
Eindruck  wird  zum  Maßstabe  unserer  Empfindung,  nicht  eine  vei-- 
einzelte  Erscheinung. 

Auf  dem  gleichen  Prinzip  beruht  die  Empfindung,  die  wir 
haben,  wenn  der  Erzähler  gelegentlich  alte  Stilformen  gebraucht,  die 
in  der  literarischen  Liebessprachö  vor  ihm  und  zu  seiner  Zeit  ge- 
bräuchlich waren,  aber  dabei  waren,  ilircn  Klang  zu  verlieren.  Er 
verwendet  faßt  nie  die  formelhaften  Begifte  „Dangier^  oder  „Male- 
boiiche'-',  ohne  sie  zu  ironisieren.  Die  beabsichtigte  Ironie  wird  klar 
aus  dem  ganzen  Zusammenhang  oder  aus  der  fast  regelmäßigen 
Verbindung  dieser  Begriffe  mit  dem  Eigenschaftswort  maudit. 

Z.  B.  L'ainour  de  la  ynaistresse  au  clerc  et  du  clerc  d  eile 
estoit  .  .  .  si  Ircsardente  que  jamais  gens  ne  furent  plus  esprins.,  et 
n'estoit  en  la  puissance  de  Malebouche,  de  Dangier,  ne  d'aultres 
telles  viaudictcs  gens,  de  leur  bailler  ne  donner  destoxirbier  (Ißg) ; 
eine  Dame  kaim  schwer  mit  ihrem  Geliebten  zusammen  kommen  iant 
Vempeschoient  les  anciens  adversaires  et  ennemis  d'amours.  Et 
par  especial  plus  Iuy  nuysoit  son  bon  mary,  tenant  le  lieu  en  ce 
cas  du  tresmaudit  Uangier  (Ijss);  ebenso  wird  die  Liebe  zwischen 
Gerord  und  Katherine  offenbar  tant  au  pourcliaz  d'aucuns  maudictz 
et  detestables  envieux  que  pour  la  continuelle  noise  de  pluseurs  qui 
ne  scevent  faire  ce  qui  rien  oti  poii  jie  leur  touclie  {J^^s)- 


Die  Cent  NouveUes  Nouvelles.  55 

Ironisiert  ist  auch  der  Begriff  des  Liebeshofes  in  Novelle  36, 
die  trksnoble  coiirt  d'amours,  an  der  solche  Dinge  vorkommen  können, 
wie  die  Novelle  sie  berichtet. 

Einen  ironischen  Beisreschmack  hat  auch  die  einige  Male  auf- 
tretende alte  Formel  „et  dit  le  compte-,  die  natürlich  in  diesen  kurzen 
lächerlichen  Schwänken  ganz  unangebracht  ist,  so  et  dit  le  compte 
quilz  buvoient  souvent  ensemble,  nämlich  die  drei  von  ihren  Gattinnen 
betrogenen  Ehemänner  (II51);    cf.  auch  II,.q. 

2.    Das  Emj^hatische. 

Wir  sind  bei  der  Untersuchung  der  ironischen  Bestandteile  des 
Stiles  unserer  Sammlung  mehr  und  mehr  in  das  Gebiet  der  feineren 
Komik  geraten  und  fast  schon  an  den  Grenzen  der  Stilmittel,  die 
man  als  komisch  bezeichnen  darf,  angelangt.  In  den  letzten  Beispielen 
verflüchtigte  sich  bereits  das  Humoristische  und  wurde  eigentlich 
deutlich  nur  im  Zusammenhange  mit  andei'en  Erscheinungen  des 
Stils,     Es  war  nur  noch  zu  erkennen  als  eine  miterklingeude  Ironie. 

Dieses  ironische  Mittönen  ist  aber  auch  in  anderen  Eigenheiten 
des  stilistischen  Ausdruckes  der  C.  N.  JV.  zu  beobachten,  in  Eigen- 
heiten, die  auf  einem  anderen  Prinzip  der  Darstellinigsweise  beruhen, 
als  auf  dem  humoristischen,  das  uns  bisher  beschäftigte. 

Diese  andere  Eigenart  des  Stiles  ist  die  Emphase. 

Ich  fasse  unter  dieser  Bezeichnung  alle  die  stilistischen  Be- 
sonderheiten zusammen,  welche  dem  Ausdruck  in  eigenartiger  Weise 
einen  auffallenden  Nachdruck  verleihen  und  solche  Bemühungen  des 
Verfassers,  welche  die  Phrase  entweder  zierlich  und  geziert  zurecht- 
stutzen, oder  in  seltsamen  Windungen  außergewöhnlich  ausdehnen,  oder 
sie  künstlich-bombastisch  aufbauschen,  oder  im  Ton  stark  übertreiben. 

Dabei  ist  zu  bemerken,  daß  der  emphatische  Stil  häufig  im 
Gegensatz  steht  zu  dem  dargestellten  Inhalt,  und  daß  infolge  dieses 
inneren  Widerspruchs  zwischen  Ton  und  Situation  auch  der  emphatische 
Ausdruck  unseres  Erzählers  häufig  von  einem  Schimmer  feinen  Humors 
umgeben  ist. 

Der  Verfasser  besitzt  zunächst  eine  Fieihe  von  kurzen  Mitteln, 
die  seinen  Stil  nachdrücklich  gestalten. 

Zuerst  ist  der  ganz  volkstümliche  Gebrauch  von  Ausrufungen 
zu  nennen,  welche  Erzählung  und  Rede  häufig  unterbrechen,  Ausrufe 
wie  IIa!  Helasi  Par  ma  foy!  A  dya!  Voire  dya!  Far 
Dieu!  En  nom  Dieu!  Vrai  Dieu  de  paradis!  Par  la  naissance 
Dien!  Par  mon  serment!  Par  la  rnort  hieu!  Nostre  Dame! 
Saincte  Marie!  Par  la  force  Sainte  Marie!  Par  saint  Denis! 
Par  Saint  Frangois!  Par  saint  George!  Par  saint  JeJian!  Mais 
au  deahle  de  Vomme  s'il  peut  oncques  ironver  inanicre!  Mais 
au  dyable  des  deux  sil  avoit  fahn  de  boire!  Au  deable  voit 
chichete! 


56  W'alther  Küclder. 

Vcrwünscliuiisen  wie  Le  dyahU  empörte  la  gonge!  Au  deable 
hs  crapaudes!  Saint  Anthoine  arde  la  louve!  Le  feu  de  saint 
Anthoine  Varde!  Dien  mecte  en  mal  Forde  beste!  Le  gihet  y 
ait  pari! 

Sehr  Läufig  in  emphatischer  Absicht  gebraucht  uud  zugleich 
dem  Tone  reahstische  Kraft  uud  Lebhaftigkeit  verleihend  sind  kurze 
verdoppelte  Ausrufungen,  Aufforderungen  und  Entgegnungen.  Sie 
verleihen  stets  der  an  sich  schon  aftektvollen  Äußerung  einen  besonderen 
Nachdruck.  Solche  Verdoppelungen  sind:  Allez,  allez;  avant,  avant; 
appaisez-vous.  appaisez-voiis ;  hien,  bien;  bon  jow\  bon  joiir  ä 
ces  dormeurs;  coiichez-voiis,  couchez-vous;  demeure,  demeure; 
he  he;  hola,  hola;  nennt/,  nenny\  ostez,  ostez\  oiivrez,  ouvrez; 
picquez,  picquez  devant;  tirons,  tirons pais;  taut  droit,  tont  droit; 
va-t-en,  va-t-en;  vien  pa,  vien  ca\  tais  toy,  tais  toy:  ä  mort,  ä 
mort;  laissez-nioy,  laissez:  je  ne  sgay,  je  ne  scay:  je  suis  ä  toi, 
je  suis  ä  toy;  j'en  donne  ma  part  au  diable,  feji  donne  ma  pjart 
au  diable;  qne  veulx  tu,  que  veulx-tu;  je  ne  puis,  je  ne  puis;  je 
voy  cecy,  je  voy  cela,  encores  cecy,  encores  cela  und  viele  andere 
Beispiele.    Manche  der  augeführten  Ausrufe  finden  sich  mehrere  Male. 

Eine  eigene  Art  einen  nachdrücklichen  Effekt  durch  die  Wieder- 
holung zu  erzielen,  findet  sich  in  den  Novellen  33,  62  und  67.  Der 
Verfasser  bringt  nämlich  durch  die  häufige  Anwendung  derselben 
Worte  eine  sehr  wirksame  Eintönigkeit  zu  stände,  die  sich  dem  Leser 
gewaltsam  aufzwingt.  In  der  ersten  Novelle  verwendet  er  im  ganzen 
28  mal  die  Begriffe  le  premier  venu  und  le  dernier  venu  zu  einer 
Art  Schaukelspiel,  in  Novelle  67  setzt  er  16  mal  mit  einer  konstanten 
Boshaftigkeit  den  volkstümlichen  Spitznamen  „chaperoii  fourrS'' 
für  ein  Mitglied  des  Parlamentes,  von  dem  die  Erzählung  handelt. 
In  Novelle  62  erhält,  wie  schon  einmal  angedeutet,  der  Stil  durch 
die  fast  hundertmalige  Anwendung  der  den  Personen  oder  Sachen 
vorausgesetzten  Wörtchen  ledit  und  ladite  einen  juristisch-nach- 
drücklichen Ton. 

In  anderen  Fällen  erreicht  der  Verfasser  Emphase  durch  Wieder- 
holung und  Variirung,  wie  in  den  folgenden  Beispielen:  31ais  toutes 
foiz  quelque  poxirchaz,  quelque  semblant,  quelque  devoir  qiiil  sceust 
faire  pour  obtenir  sa  grace,  jamais  il  ne  peust  parvenir  d'estre 
serviteur  retenu;  dont  il  estoit  mains  que  bien  content,  attendu  que 
tant  ardement,    tant  loyallement  et  tant  entierement  Vaymoit  (Ilj^ß). 

Mehrere  Fragen  hintereinander:  Qiien  dictes  vous?  que  vous 
en  seniblef  n'est-il  pas  beau?  vaultil  p)as  bien  une  belle  fille? 
(1286)  J  ■^^-  ^naleureuse,  dist  la  mere,  comment  Vavez  vous  refusSf 
Que  vous  avoye  dit  et  monstre  pluseurs  foiz?  Vous  avoys  je 
haille  Celle  leczo7i?  (ll^-i). 

Emphatisch  wirkt  die  ziemlich  häufig  auftretende  Aneinander- 
reihung verschiedener  ähnlicher  oder  zusammengehöriger  Dinge  durch 
die  bloße  Aufzählung:  Pou  de  disners,  de  souppers^  de  boncquetz,  de 


Die  Cent  Nouvelles  Noiivelles.  57 

baings  d'estuves  et  aultres  telz  passetemps  (U);  U/ist  tantost  tirer 
les  baings,  chauffer  les  estnves,  faire  pastez,  tartres  et  ypocras,  et 
Je  surplus  des  Mens  de  Dien  (I3);  luy  estant  en  ceste  rage,  pour 
mandement,  priere,  promesse,  don,  ne  requeste  qu'il  sceust  faire, 
eile  s''appensa  (1190)1  *^'  ß^^  ^''^  bonne  femme  Vostel  apprester, 
tendre,  parer,  nectoier  et  orner  au  mieulx  qic'il  tut  possible  {II icjq) 
und  manche  andere  Fälle. 

Mit  regelmäßiger  Sicherheit  stellen  sich  solche  Aufzählungen 
dann  ein,  wenn  es  sich  um  die  Einführung  von  Personen  handelt, 
die  ganz  gut  in  einem  oder  zwei  zusammenfassenden  Ausdrücken  hätten 
vorgestellt  werden  können.  Aber  der  Erzähler,  in  seiner  Absicht 
nachdrücklich  zu  wirken,  erspart  uns  ihre  Anführung  im  einzelnen  nicht. 
Z.  B.  eile  fut  ad  ce  menee  que  s'elle  ne  vouloit  estre  en  la  male 
grace  de  pere,  de  mere,  de  j^f^rens,  de  amis,  de  maistre  et  de 
maistresse  que  .  .  .  (I144);  €t  par  Jehan,  dirent  sa  mere,  sa  seur. 
sa  tante,  sa  couslne,  sa  voisine  .  .  .  (II]^4-);  ä  ceste  calonge  estoient 
foison  de  gens  de  grand  fasson,  comme  l'ofßcial,  les  promoteurs, 
les  scribe,  notaires,  advocatz  et  procureurs  (II  207)1  ähnlich  auch 
von  dem  Kaufmann,  der  seine  Seereise  autritt:  il  abandonna  sa 
belle  et  bonne  femme  et  sa  belle  maignye  d'enfans,  parens,  amis, 
heritage,  et  la  pluspart  de  sa  chevance  (Iioi)- 

In  feinerer  Art,  auch  mit  emphatischer  Wirkung,  bedient  sich 
der  Erzähler  des  Prinzips  der  Wiederholung  bestimmter  Ausdrücke, 
indem  er  zugleich  dem  Satzgefüge  eine  gewisse  architektonische 
Gliederung,  einen  systematischen  Aufbau  gibt.  Solche  immerhin 
seltene  Fälle  sind: 

Le  soir  du  lendemain  approucha,  trcs  desire  du  pouvre 
Escossais  amoureux  pour  veoir  et  joir  de  sa  dame,  tres  desire  du 
bon  mercier  p>our  la  tres  criminale  vengence  .  .  .  tres  redoubtS 
aussi  de  la  bonne  femme  qui  pour  obtir  ä  son  mary  aitend  .  .  . 
(I2,s)  oder:  La  simple  musniere,  oyant  les  par  olles  de  monseigneur 
devint  tres  abaliie  et  courroucSe,  ebahie  comment  monseigneur  povoit 
savoir  .  .  .  ce  meschef  advenir,  et  courroucee  d''oyr  la  perte  du 
meilleur  memhrc  de  son  corps  {l]-). 

Das  gleiche  Prinzip  ließ  die  nachstehenden  Anfänge  dreier 
aufeinanderfolgender  Sätze  entstehen,  welche  das  hülfsbereite  Herbei- 
eilen verschiedener  Personen  in  der  Krankheit  eines  jungen  Mädchens 
darstellen:  Or  viennent  les  parens,  amys  et  voisins  ...  Or  vient 
une  matrone  ...  Or  sont  venuz  maistre  Pierre,  maistre  Jehan, 
maistre  cy,  maistre  lä,  tant  de  j^hisiciens  que  vous  vouldrez  (I^). 

Emphatisch  drückt  in  wohlgeordneten  Konstruktionen  und 
sicherem  Aufbau  der  Gedanken  ein  Gatte  seiner  Gattin  die  Gründe  aus, 
die  ihn  veranlaßt  haben  plötzlich  heimzukehren  und  sie  zu  überraschen : 
Premier  dit  que  pour  la  suspicion  qiiil  avoit  .  .  .  Itc7n  que  cestes 
suspicion  .  .  .   Item  iwur  experimenter  S07i  ymaginacion  .  .  .  (Hng)- 


58  Walther  Kücliler. 

Wirksam  in  seinem  kunstlosen,  aber  gut  berochneten  Gefüge 
ist  auch  ein  Satz  wie  dieser,  der  uns  eine  von  ihrem  Manne  j^eprügelte 
Frau  vorfülirt:  Elle  crie,  eile  plore,  eile  se  demaine,  cest  grand 
pitie  que  de  la  veoir;  eile  maudit  qui  oncques  luy  fist  requerre 
d'esire  chevauchee  (IgYs)-  ^^^  unverbundene  Koordination  der  Satz- 
teile wirkt  hier  emphatisch. 

Die  bisher  angeführten  Mittel  den  Stil  emphatisch  zu  gestalten, 
waren  von  verhältnismäßig  einfacher  Art.  Sie  waren  z.  t.  ganz 
volkstümlichen  Charakters,  wie  die  Beteuerungen  und  Verwünschungen. 
Andere,  wie  die  AufzähluDpen,  bauen  sich  auch  auf  volkstümlicher 
Grundlage  auf;  denn  das  Volk  erzählt  gern  mit  einer  Häufung  des 
Ausdrucks,  zählt  auf,  wiederholt,  nuanziert  unbewußt,  aus  dem 
instinktiven  Bedürfnis  heraus  deutlich  und  anschaulich  und  überzeugend 
zu  berichten.  Die  literarische  Sprache  zur  Zeit  der  C.  N.  N.  hat 
gerade  in  reichstem  Maße  diesen  volkstümlichen  Gebrauch  der 
Wiederholung  und  Verdoppelung  bewahrt.  Fa^t  in  allen  Dokumenten 
des  Jahrhunderts  findet  man  oft  bis  zum  Überdruß,  oft  bis  zur 
Unlogik  gesteigert  die  Verwendung  von  Doppelausdrücken.  Diese 
Gewohnheit,  die  für  die  Wirkung  des  Stils  gänzlich  bedeutungslos 
ist,  hat  der  Verfasser  der  C.  N.  N.  auch,  aber  er  hat  sie  —  das 
haben  die  angeführten  Beispiele  hoflfentlich  gezeigt  —  dadurch,  daß 
er  die  einfache  Verdoppelung  zu  drei-,  vier-  ja  fünfiacher  Aufzählung 
gesteigert  hat,  zu  einem  wirksamen  Stilmittel,  dem  der  Emphase, 
umgewandelt. 

Literarische  Verarbeitung  ist  also  bei  diesen  Mitteln  wohl 
vorhanden,  aber  sie  erhält  den  Stil  einfach,  schlicht,  gedrungen, 
natürlich  und  bewahrt  ihm  volkstümliche  Kraft.  Dagegen  gibt  es 
eine  andere  Art  von  Mitteln  der  Emphase,  welche  aus  einer  viel 
intensiveren  Verarbeitung  hervorgegangen  ist  und  dem  Stil  ein 
gekünsteltes  Aussehen  verleiht,  das  sich  weit  von  volkstümlicher 
Schlichtheit  und  Kraft  entfernt. 

Die  Ausdrucksweise  erscheint  geziert. 

Von  einem  Eifersüchtigen  heißt  es:  „et  luy  vindrent  faire 
rapport  ses  yeulx  suspegonneux  que  nostre  gentilliomme  .  .  . 
venoit  .  .  .  ä  Voccasion  de  sa  femme^'-  (IIj)).  Von  einem  Arzt,  der 
ein  Kammermädchen  mit  Wohlgefallen  ansieht  „fichoit  ses  doulx 
regards  sur  ce  heau  poly  viaire  de  ceste  ckambri^re  (11174). 
Von  einem  Halbnarren  „27  tenoit  plus  de  coste  de  dame  folie  que 
de  raison'^  (JIi24)-  ^0^  einem  Sohne,  der  die  Ratschläge  des 
Vaters  zu  laefolgen  verspricht  „promect  d'escripre,  ses  en- 
seignemens  au  plus  profond  de  son  entendement''  (H.,).  Von 
einer  scheinbar  aufs  tiefste  entrüsteten  Frau,  die  erst  Zeit  braucht, 
um  ihrer  Empörung  Luft  zu  machen  „quand  la  langue  d'elle  eut 
povoir   s>ir  le   cuciir   i7\'s  fort   charge   dHre  et  de  courroux,  par 


Die  Cent  JVouveUes  Aoirvelles.  5^ 

semhlant  les  paroUes  quelle  descocha  .  .  .  (I^).  Vou  einer  Liebe, 
die  entsteht  ..Aniours  qid  scme  ses  vertuz  on  mieux  Iwj  piaist 
et  hon  huj  semble,  fist  allyancc  ä  une  helle  fille  .  .  .  (Ijoj).  Von 
einer  Frau,  die  in  Abwesenljeit  ihres  Gatten  einem  anderen  Ritter 
ihre  Liebe  schenkt  ,,inadame  ...  ne  fut  pus  si  rigoreuse  qiie  ä  la 
pryere  dhingentil  escuiei\  qui  d'amours  la  reqimt,  eile  ne  just 
tantost  contente  quHl  fast  lieiitenant  de  monseigneur  {l^-^.  Die 
Kammerfrau  eines  Hotels,  die  sich  einem  Ritter  für  Geld  hingegeben 
hat,  drückt  diesen  Handel  zierlich  also  aus:  Or  pa,  sii'e,  pour  le 
tres  grant  hien^  honneur  et  conrtoisie  que  fay  oy  et  veu  de  vous, 
fay  este  contente  mettre  en  vostre  oheissance  et  joisscmce  la  rlen 
que  plus  en  ce  monde  doy  eher  tenir  (Li^).  Diese  preziöse  Um- 
schreibung mag  uns  daran  erinnern,  daß  unser  Erzähler  es  überhaupt 
liebt,  in  solchen  Fällen,  in  denen  es  sich  um  geschlechtliche  Dinge 
handelt,  nicht  die  einfach  nackte  Tatsache  zu  beri*  hten,  sondern  dtiß  er 
eine  umseht  eibende  Darstellung  vorzieht.  Die  Fälle  sind  aiißerordectlich 
häufig,  manchmal  ist  die  Ausdrucksweise  so  gewählt,  daß  sie  auftallt, 
eine  sorgsame  Verarbeitung  erkennen  läßt  und  die  Abgeht  eines 
Effekts  enthüllt.  Man  hat  gelegentlich  die  natürlich  ganz  ungerecht- 
fertigte Einbildung,  es  sei  dem  Erzäh.ler  unangenehm,  über  solche 
Dinge  reden  zu  müssen  und  er  umschreibe  deswegen  den  Ausdruck 
und  verhülle  die  wirkliche  Situation.  Z.  B.  Tant  y  alla  et  tant  y 
vint  quil  eut  heure  assignee  de  dire  ä  sa  dame,  ä  pari,  le  surplus 
de  ce  quil  ne  voiddroit  dire  sinon  entre  eulx  deux  (I993); 
.  .  .  obtint  .  .  .  tout  ce  que  par  honneur  donner  luy  povoit;  et 
au  surplus,  par  force  d'armes  ad  ce  la  mena  que  refuser  ne  luy 
peut  nullement  ce  que  pluseurs  devant  et  apres  ne  peure?it  obtenir 
(1004);  ^^  coucherent  les  deux  amans  dedans  le  tresheau  lit,  bras 
ä  hras,  et  firent  ce  pour  quoy  Hz  esioient  assemblez^  qui  mieulx 
vault  estre  piense  des  lysans  quesire  note  de  Vescripvant  (I162)' 
Ein  eifersüchtiger  Gatte,  der  Grund  hatte,  an  der  Treue  seiner 
Gattin  zu  zweifeln,  s'ad.visa  quil  esprouveroit  s'il  savoit  jyar  honne 
fagon  sHl  pourroit  veoir  ce  quHl  scet  que  hicn  peu  luy  plaira: 
cestoit  de  veoir  venir  en  son  hostel,  devers  sa  feinme,  ung  ou 
pluseurs     de  ceidx  qu'on  dit  qui  sont  les  lieutenans  (L^mi)- 

Neben  der  gezierten  Ausdrucksweise  steht  die  weitschweilig-auf- 
gebauschte  Phrase,  die  sich  in  gewundenen  Perioden  künstlich  aus- 
dehnt. Man  kann  nicht  sagen,  daß  sie  stets  emphatisch  wirkt.  Sie  ist 
oft  nur  die  unglückliclic  Folge  mangelhafter  Spiachbeherrschung, 
manchmal  entstanden  aus  dem  Wunsch  recht  viel  Dinge  in  einen  Satz 
hinein^chachteln  zu  wollen,  manchmal  der  breite  AusÜuß  redseliger 
Geschwätzigkeit.  Gelegentlich  aber  erscheint  der  Wortschwall  und 
die  Weitschweitigkeit  doch  als  Absicht  dem  Iidialt  gewichtigen  Nach- 
druck zu  geben.  So  wird  die  Liebe  zwischen  einer  Frau  und  dem 
Giere  ihres  Mannes  folgendermaßen  in  ihrer  Stärke  chaiakterisiert: 
JEn  ce  tres  glorieux  estat  ei  joyeux  passetemps  se  passh'ent  plu- 


€0  WcdÜicr  Knclder. 

seurs  jours  qui  giicres  aiuv  amans  nc  darerent^  qui  tant  donnez  l'un 
■a  lautre  estoieni  qu'  ä  pou  ä  Dieu  cussent  quitU  hur  paradis 
2)our  vivre   au  monde  leur  terme  en   ceste  fasson  (I^s). 

Manche  Novellen  sind  besonders  reich  an  solchen  prunkhaft 
geschwollenen  Wendungen,  so  Novelle  2G,  deren  Ton  aber  sicher  durch 
die  verlorene  Vorlage  beeinflußt  ist.  Hier  fällt  diese  geschraubte  Sprache 
kaum  auf,  der  sentimentale  Gegenstand  verträgt  sich  gut  mit  der 
affektierten  Behandlung.  Ganz  anders  ist  es  dagegen  z.  B.  in 
Novelle  22.  Da  wird  erzählt,  wie  ein  Ritter  seine  Geliebte  verlassen 
muß,  weil  er  in  einen  Krieg  zieht  und  wie  die  beim  Abschiede  Un- 
tröstliche sich  nach  kürzester  Zeit  einem  reichen  Kaufmann  hingibt 
und  den  ersten  vergißt  usw.  Der  höchst  triviale  Gegenstand  ist  mit 
«inem  großen  Aufwand  an  klangvollen  Worten  und  Sätzen  heraus- 
geputzt und  die  lächerlich  kleine,  alltägliche  Liebelei  pathetisch  gehoben. 
Le  dieu  d\inwurs,  qui  n'est  jamais  oiseux,  Ivy  mist  en  bouche  et 
en  termes  les  haidx  Mens,  les  nobles  veriuz  et  la  ires  grand  loy- 
aulte  d'un  marchant  son  voisin,  qui  pluseurs  foiz  .  .  .  luy  avoit 
presentS  la  bataille  .  .  .  Amour  envoya  nostre  marchant  devers  sa 
paciente^  et  luy  presenta  comme  Midtrefoiz,  chiens  et  oyseaulx,  son 
Corps  et  ses  biens,  et  cent  mille  choses  que  ces  abateurs  de  femmes 
■scevent  tont  courant  et  par  cueur. 

Mit  besonderem  Nachdruck,  ganz  in  emphatischem  Sinne  sind 
vom  Verfasser  die  Tränen  behandelt.  Wo  die  Personen  Grund  zu 
weinen  haben  —  und  das  ist  in  diesen  lustigen  Erzählungen  verhältnis- 
mäßig oft  der  Fall  —  da  strömen  sogleich  die  Tränengüsse  in 
unendlicher  Flut  und  wollen  sich  kaum  stillen  lassen.  Die  Tränen 
ersticken  die  Stimme,  sie  stürzen  gewaltsam  aus  den  Augen,  ergießen 
sich  über  das  Gesicht  bis  tief  hinab  auf  den  Saum  des  Kleides. 
Nicht  nur  die  Augen  weinen,  nein,  man  weint  des  yeua-,  du  cueur  et 
de  la  teste.  In  Novelle  21  weint  das  ganze  Kloster.  Die  Aebtissin 
beginnt,  und  die  treuen  Nonnen  folgen  ihr:  ä  ces  jyarolles,  larmes 
en  grand  abwidance  saillirent  de  ses  yeux,  qui  furent  accompaignees 
cVaultres  sans  nombre,  sourdans  de  la  fontaine  du  cueur  de  son  bon 
couvent.  Ceste  plorerie  dura  assez  longuement,  et  fut  la  longtemps 
le  mesnaige  sans  parier. 

Es  ist  schwer,  bei  solchen  und  anderen  Stellen,  au  denen  un- 
gezählte Tränen  fließen,  an  die  Ernsthaftigkeit  des  Verfassers  zu 
glauben.  Die  Empfindungen  all  seiner  Personen  bleiben  so  an  der 
Oberfläche,  daß  man  ihnen  ihr  grenzenloses  Leid  nicht  glaubt.  Der 
Erzähler  übertreibt,  er  hält  selber  ihren  Schmerz  nicht  für  echt,  wie 
er  auch  ihre  Liebe  nicht  ernst  nimmt,  mag  er  sie  auch  in  noch  so 
hochtrabenden  Worten  uns  ankündigen. 

Die  Übertreibung  ist  ein  Mittel  seines  emphatischen  Stils. 
Man  sollte  meinen,  seine  Personen  seien  von  glühendster  Leidenschaft 
für  einander  beseelt,  als  gäbe  es  für  sie  nichts  anderes  auf  der  Welt 
als  diese  einzige,  große  Liebe,  die  ihr  Sinnen  und  Trachten  ausfüllte. 


Die  Cent  jS'ouvelles  youvelles.  Gl 

Wie  liebt  die  verratene  Metzgersfrau  ihren  ungetreuen  Priester  l 
Sie  liebte  ihn  mehr  als  die  ganze  Welt,  und  niemals  empfand  sie 
im  Herzen  vollkommene  Freude,  wenn  sie  nicht  in  seiner  Nähe  ^veilte. 
Von  Eifersuchtsqualcn  gepeinigt  verschmähte  sie  nicht  den  Weg  durch 
den  Schornstein,  um  zu  dem  Verräter  zu  gelangen.  Aber  sie  blieb 
in  der  Enge  stecken. 

Der  Jakobiner  liebt  seine  Nonne  ^jjIus  que  tont  le  demourani 
du  monde."-  Der  Dorfpriester  liebt  die  Bauersfrau  so  sehr  „que 
Von  ne  pourroit  plus."  Von  der  Liebe  eines  Ritters  zu  einer 
Kammerfrau  in  seinem  Schlosse  heißt  es:  Amours  si  fort  le  con- 
traignoit,  jamais  ne  savoit  sa  maniere  sans  eile,  tousjours  V entretenoit^ 
tousjoxirs  la  requeroit.  en  bref  nul  bien  sans  eile  avoit  ii  ne  povoit^ 
tant  estoit-il  au  vif  fem  de  Vamour  d'elle.  Ein  Ritter  liebt  die 
Frau  eines  Nachbaredelmannes  so  sehr  ..qu'il  n'avoit  ne  bon  jour 
ne  banne  heure  sHl  nestoit  aupres  d'elle,  ou  ä  tout  le  mains  qu'il 
en  eust  nouvelle.  Und  mit  gleicher  Liebe  wird  er  wiedergeliebt,  qui 
n^est  pas  pou  de  chose. 

Man  kann  alle  diese  Versicherungen  von  großer  Liebe  nicht 
ernst  nehmen.  Immer  wenn  man  von  solcher  Leidenschaft  liest, 
erinnert  man  sich  der  niedrigen  Absichten,  um  die  allein  es  den 
Personen  zu  tun  ist.  Auf  welch  gemeinen  Empfindungen  beruht  selbst 
die  Liebe,  die  zu  dem  unerhörten  ehelichen  Bunde  zwischen  Hirt  und 
Edelfräulein  beruht,  eine  Liebe,  die  keine  Gefahr  scheut!  Sie  entsteht, 
weil  das  Fräulein  hört,  wie  der  Hirt  sich  rühmt  il  oseroit  bien 
emprendre  de  faire  la  besoigne   VIII  ou  IX  foiz  par  nuyt." 

Wenn  man  an  diese  rohe  Grundlage  der  Liebesempfindung  denkt, 
so  wird  man  sich  des  Gegensatzes  zwischen  Darstellung  und  Wirklichkeit 
bewußt,  und  die  emphatische  Übertreibung  wirkt  humoristisch.  Da- 
gegen fühlen  wir  uns  auf  gleichem  Boden  mit  der  Wirklichkeit,  wenn 
der  Erzähler  von  der  Liebe  eines  Mönches  zu  einer  jungen  Frau  in 
folgenden,  die  Sache  getreulich  wiedergebenden  Ausdrücken  spricht: 
H^t  devint  maistre  moyne  amoureux  d^elle,  et  ne  cessoit  de  penser 
et  subtilier  voies  et  moiens  pour  parvenir  ä  ses  aitainctes,  qui,  ä  dire 
en  gros  et  en  bref,  estoieyit  pour  faire  cela  que  vous  savez  (n2oi). 

3.  Das  Wesen  des  Humors  des  Verfassers, 

Wir  haben  bis  hierher  den  Stil  in  seine  witzigen,  ironischen 
und  emphatischen  Bestandteile  zerlegt.  Es  schien  uns,  als  ob  auch 
das  Emphatische  häufig  eine  humoristische  Wirkung  auf  den  Leser 
ausübe,  daß  es  dazu  beitrage,  den  humoristischen  Ton  der  Novellen 
zu  verstärken.  Wenn  wir  in  Gedanken  alle  die  aufgeteilten  Elemente 
wieder  zu  ihrer  Gemeinsamkeit,  in  der  sie  sich  uns  ja  darstellen, 
zusammenfügen,  wenn  wir  dabei  an  die  Masse  der  Details  denken, 
welche  die  Gesamtheit  des  Stils  ausmachen  und  uns  vorstellen,  wie  sie 


62  Walther  Küchler. 

alle  in  ihrer  gekennzeichneten  Art  dazu  beitragen,  den  vollen  Ton 
des  Werkes  zu  erzeugen,  dann  können  Avir  uns  vielleicht  einbilden,  es 
tatsächlich  mit  einem  literarischen  Produkt  zu  tun  zu  haben,  dessen 
Grundstiramung  humoristisch  ist. 

Eine  Überfülle  von  Humor  ist  in  diesen  Novellen  vorhanden. 
Ein  Humor  derber,  volkstümlicher,  ungenierter  Ait,  und  ein  Humor, 
der  sich  in  preziöser  Zierlichkeit  verhüllt  oder  hinter  schwülstigem 
Bombast  versteckt.  Knappe,  treffende  Komik  und  schwerfällig  gewundene 
Verworrenheit.  Aber  die  Verschiedenheiten  verschmelzen  sich  zu  einer 
Einheit.  Es  verträgt  sich  das  Derbe  mit  dem  Eleganten,  die  Spiegelung 
der  Reflexion  mit  dem  objektiven  Fluß  der  Erzählung.  Es  bildet 
sich  ein  im  großen  und  ganzen  gleichmäßig-humoristischer  Ton,  der  fa^t 
allen  Erzählungen  gleich  ist.  Ein  Ton,  den  sich  der  Verfasser  geschaffen 
hat  und  den  er  fast  nicht  wieder  los  werden  kann.  Er  kann  garnicht 
mehr  ernst  bleiben.  Wenn  er  wirklich  einmal  ernst  wird,  so  glaubt 
mau  ihm  nicht  mehr.  Traurige  Notwendigkeit  des  Spaßmachers. 
Es  gibt  Mensclien,  die  fühlen  den  Beruf  in  sich  bei  allen  Gelogi-nheiten 
den  Witzigen  herauszukehren,  sie  fühlen  das  unbezwingliche  Bedürfnis 
ihre  Äußerungen  humoristisch  zu  gestalten.  Der  Komiker  kann  nicht 
die  Rolle  des  tragischen  Hellen  spielen,  man  würde  ihn  erkennen 
unter  der  tragischen  Maske.  Mau  erkennt  ihn  seihst  auf  der  Siraße. 
So  geht  es  auch  unserem  Autor.  Der  Schalk  lacht  aus  ihm  hervor, 
wo  immer  man  ihn   trifft. 

Wenn  er  in  den  Novellen  98  und  100  ernst  bleibt,  so  ist  es  nicht 
sein  Verdienst,  sondern  das  des  Erzählers,  der  ihm  als  Vorlage  gedient 
hat.  Ernst  bleibt  er  auch  in  Novelle  69,  in  der  er  den  Tod 
der  wiederverheirateten  Frau,  welche  die  bevorstehende  Rückkehr  ihn  s 
ersten  Gatten  erfährt,  erzählt.  Vom  ersten  bis  zum  letzten  Wort 
stört  kein  falscher  Ton  die  Harmonie.  Aber  die  beabsichtigte  Stimmung 
bleibt  aus.  Der  Verfasser  wirkt  nicht  ernst.  Der  Ton  auch  dieser 
Erzählung  ähnelt  zu  sehr  dem  lockeren  Ton  seiner  Schwaukge  chichten. 

Die  schönste  Art  des  Humors  fließt  aus  seelischen  Tiefen,  sie 
überströmt  mit  einem  sonnigen  Lächeln  das  Leid,  mit  einem  milden 
Blick  die  Verfehlung.  Dieser  Art  ist  der  Humor  des  Veifa-seis  der 
C.  N.  iV.  nicht. 

Er  ist  auch  nicht  verletzend  und  scharf.  Er  trifft  und  verwundet 
keinen  und  keines.  Er  ist  auch  nicht  der  trübe  Austi  ß  eines 
Pessimismus,  einer  Verzweiflung,  die  sich  selber  quält,  indem  sie 
sich  zu  schrillem  Lachen  zwingt. 

Der  Humor  unseres  Autors  ist  der  Ausdruck  einer  oberflächlichen 
Stimmung,  die  getragen  wird  von  einem  lässigen  Skeptizismus,  von  einer 
billigen  Lebensanschauung,  die  ihrem  Träger  keine  Mühen  und  Sciiwierig- 
keiten  auferlegt,  da  sie  nicht  beschwert  ist  mit  Fiagen  und  Gedanken 
über  das  Leben  und  seinen  Inhalt, 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  63 

Der  unbekannte  Verfasser  der  C.  N.  ÄL  war  kein  Deklassierter, 
nicht  ein  schittbrüchiger  Edelmann  3).  Er  fühlte  sich,  so  will  es  uns 
scheinen,  recht  wohl  in  seiner  Haut.  Von  dem  sicheren  Hafen,  aus 
dem  er  wahrscheinlich  nie  herausgefahren  ist,  schaut  er  vergnüglich 
auf  das  Treiben  draußen.  Eine  auf  irgend  einem  Glauben  gegründete 
seelische  Festigkeit  besitzt  er  nicht,  dagegen  eine  heitere  Selbst- 
zufriedenheit, die  den  Menschen  und  Dingen  außer  ihm  mit  einem 
bequemen  Skeptizismus,  mit  einer  spöttischen  Ironie  begegnet. 

Diese  unzweifelhafte  Behaglichkeit  seines  Wesens  hält  unseren 
Verfasser  auf  einer  moralisch  ziemlich  tiefen  Stufe.  Trotz  seiner  reichen 
formalen  Begabung  zwingt  sie  ihn  in  den  Durchschnitt  der  Menschen 
seinir  Zeit.  Er  zeigt  sich  uns  nicht  als  großer  Humorist,  der  das 
kleinliche  Hasten,  Ängsten  und  Leiden  der  Menschen,  über  dem  er 
selber  turmhoch  erhaben  wäre,  auf  dem  Grunde  einer  starken,  freudigen 
Weltiin^cliauung  mit  dem  läuternden,  versöhnlichen  Schimmer  der 
Frölilichkeit  ül)ergö?se. 

Wegen  seiner  schlappen  moralischen  Verfassung  ist  er  auch 
kein  Satiriker.  Er  fühlt  keine  Entrüstung,  wenn  ihm  die  Gemeinheit 
entgegentritt.  Er  sieht  sie  überhaupt  nicht.  Es  überkommt  ihn  kein 
Zorn  über  die  Mönche,  die  unter  dem  Mantel  der  Scheinheiligkeit 
Flauen  und  Mädchen  mißbrauchen.  Seine  Erzählungen  sind  keine 
Aiddagen,  wie  die  des  Masuccio  oder  des  Boccaccio.  Am  Ende 
der  Geschichte  von  dem  Eremiten,  der  die  Tochter  der  Witwe 
veifühite  und  mit  ihrem  Kinde  sitzen  ließ,  findet  er  nur  Worte 
gelinden  Bedauerns,  Worte,  die  charakteristisch  sind  für  die  Laxheit 
seines  Empfindens:  Quoy  qiie  sott  ou  fust,  la  poiivre  fille  fut 
deshonorh,  dont  ce  fut  grand  dommage,  car  helle,  gente  et  bonne 
estvit.  Die  zornige  P^mpörung  führt  dagegen  Masuccio  die  Feder, 
wenn  er  nach  seiner  ähnlichen  Erzählung  die  Folgerung  zieht  ,,Quale 
duvque  omai  umano  spirito  sara  bastevole  a  tante  battaglie  reparare, 
quunie  vedenw  contimiamente  con  inganni  etradimentiusare per questi 
non  non  diro  santi  frati,  ma  piü  tosto  ministri  del  grau  diavolo?"^) 

Man  wuiideit  sich  fast,  wie  er  dazu  kommt,  eine  so  furchtbare 
Rache  in  die  Novelle  32  einzuführen,  um  so  mehr  da  Poggio,  dem 
er  diese  Erzählung  entlehnt,  die-e  grausame  Strafe  nicht  hat.  Aber 
er  ist  der  Furchtlarkeit  der  Tat,  die  er  berichtet,  nicht  gewachsen: 
Ainsi  acliethrent  bien  cherernent  les  pouvres  cordeliers  le  disme  non 
accuustmne  quilz  niisrent  sus.  Das  arme,  entehrte  Mädchen,  die 
armen  Mönche,  die  ihr  Leben  lassen  müssen,  es  ist  ihm  alles  gleich. 
Keine  Satire,  kein  zorniges  Weh,  nur  Witz  und  Ironie,  Eigenschaften, 


3)  Cf.  E  Haag:  Anioine  de  la  Sole.  (Archiv  f.  d.  St.  d.  n.  Spr.  v.  Lit. 
CXIII  Bd.  p.  351). 

*)  M.isuccio  Sdlernitano:  II  NovelÜTio.  Nnvella  2  (Settembrini,  p.  36/37). 
In  dem  ersten  Tt-ile  der  Arbeit  war  bei  Behandlung  von  Novelle  14  der 
C.  A'.  iV.  irrtündich  iufulgo  eines  nicht  beachteten  Druckfehlers  auf  Novella  1 1 
des  Masuccio,  austatt  auf  Novella  2  verwiesen  worden. 


64  Walilier  Küchler. 

die  man  nicht  eiümal  frivol  nennen  kann,  so  harmlos  und  schwächlich 
sind  sie.  Und  dennoch  ist  der  Unbekannte  ein  reiches  Talent 
gewesen. 

Noch  eine  letzte  Eigenschaft  seines  Humors,  die  aus  der  Durch- 
schnittsveranlagung dieses  Menschen  zu  erklären  ist,  sei  kurz  angeführt. 
Sein  Humor  ist  manchmal  obszöner  Art.  Rabelais,  der  geniale 
Humorist,  ist  nicht  obszön.  Sein  Gelächter  ist  laut  und  stürmisch. 
Sein  Humor  ist  ein  Rausch.  Sein  Witz  gleicht  einem  „wogenden, 
im  tollsten  Laufe  Alles  mit  sich  reißenden  Strome." 5)  Da  kann  der 
obszöne  Schlamm  sich  nicht  halten,  der  sammelt  sich  nur  in  seichtem, 
sumpfigen  Wasser.  Rabelais  schrieb  nicht,  um  die  Siesta  einer 
wollüstig-satten  Gesellschaft  zu  unterhalten,  sondern  um  sie  aufzu- 
rütteln, ihr  Bewegung  zu  verschaffen,  damit  sie  gesunde.  Der  Erzähler 
der  C.  N.  N.  folgte  neben  der  volkstümlichen  Tradition  dem  Geschmacke 
seines  Publikums.  Doch  kann  man  immerhin  sagen,  daß  die  Sammlung 
nicht  so  viel  obszöne  Dinge  enthält,  als  der  Ruf  ihr  gewöhnlich  gibt. 
Für  das  Obszöne  im  Stoff  kann  man  den  Verfasser  nicht  allzusehr 
verantwortlich  machen.  Ein  solcher  schwacher  Durchschnittsmensch 
konnte  nicht  wider  den  Stachel  locken,  konnte  nicht  aus  dem 
Erzählungsmaterial,  das  er  um  sich  herum,  sogar  in  einem  lateinischen 
Autor  fand,  heraus.  Aber  er  trägt  seltener  das  Obszöne  in  den  Stoff 
hinein,  manchmal  tut  er  es,  so  vor  allen  Dingen  in  Novelle  12,  wo 
er  mit  ekelhaftem  Behagen  in  gemeiner  Schilderung  verharrt,  oder  in 
Novelle  28,  in  der  er  einer  königlichen  Hofdame  eine  zotige  Zwei- 
deutigkeit in  den  Mund  legt.  In  manchen  Fällen  überwindet  er  die 
Obszönität  des  Gegenstandes  durch  den  Witz. 

4.    Das  Lebendig-Anschauliche. 

Die  Novellen  erhalten  eine  starke  Anschaulichkeit  der  Schilderung 
dadurch,  d;iß  der  Verfasser  durch  eine  Reihe  von  Mitteln  die  Illusion 
des  mündlichen  Vortrags  erzielt.  Er  hat  darauf  verzichtet,  nach  dem 
Vorbilde  des  Decamerone  sich  einen  Kreis  von  Erzählern  einzurichten 
und,  in  Tage  eingeteilt,  die  Erzählungen  von  Personen  dieses  Kreises 
vortragen  zu  lassen.  Es  ist  fast  merkwürdig,  daß  er  es  nicht  getan 
hat.  Es  wäre  ihm  sicher  keine  Mühe  gewesen,  entweder  Boccaccio 
zu  kopieren  oder  selbst  eine  Gesellschaft  zusammenzubringen,  wie  es 
z.  B.  der  Verfasser  der  Evangiles  des  Quenouilles  in  origineller 
Weise  fertig  gebracht  hat.  Er  hat  es  wohl  nicht  gewollt,  er  hat  sieh 
eben  nicht  von  dem  Italiener  beeinflussen  lassen,  nicht  einmal  in  der 
so    nahe    liegenden   Einkleidung    seiner   Novellen    in    einen   Rahmen 

Schon  Karl  Voßler,  der  allerdings  mehr  die  objektive  Betrach- 
tungsweise des  mit  der  Feder  in  der  Hand  am  Schreibtisch  sitzenden 
Schriftstellers  in  dem  Verfahren  des  Erzählers  zu  erkennen  scheint, 


^)  H.  Schneegans:  a.a.o.  p.  258. 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  65 

hatte  darauf  hingewiesen,  daß  sich  dennoch  in  den  C  N.  N.  „fast 
auf  jeder  Seite  das  Bestreben  zu  erkennen  gibt,  einen  besseren 
Zusammenhang  zwischen  Erzählung  und  Publikum  herzustellen."  6) 
Mir  will  dieses  Bestreben  als  das  Deutlichere  erscheinen  und  das 
Schreibermäßige  mehr  als  etwas  Untergeordnetes,  das  aus  Vergeßlich- 
keit oder  anderen  Ursachen  stammt. 

Die  Illusion  des  mündlichen  Vortrags  wird  am  stärksten  dadurch 
erweckt,  daß  sich  der  Vortragende  scheinbar  an  eine  Versammlung 
von  Zuhörern  wendet.  So  beginnt  Novelle  69:  //  n^estpas  seullement 
cogneu  de  ceulx  de  La  ville  de  Gand  .  .  .  mais  de  la  plus  part 
de  ceulx  de  Flandres,  et  de  vous  qui  estes  cy  presens,  que  .  .  . 
Novelle  99  beginnt:  aS'z7  vous  piaist,  vous  orrez,  avant  quHl  soit 
plus  tard,  tont  ä  ceste  heure  ...  In  Novelle  81  heißt  es:  ...  je 
vous  feray  .  .  .  ung  bien  gracieux  compte  d'un  chevalier  que  la 
plus  pari  de  vous,  mes  bans  seigneurs,  congnoissez  de  piecä. 
Die  Vorstellung  einer  Zuhörerschaft,  aus  der  einer  nach  dem  anderen 
seine  Geschichte  erzählt,  erhält  man  sehr  deutlich,  wenn  die  Novelle  37 
mit  der  Einleitung  beginnt:  Tantdiz  que  les  aultres  penseront  et  ä 
leur  memoire  ramainront  aucuns  cas  advenuz  et  perpetrez,  habilles 
et  suffisans  d'estre  adjoustez  ä  Vystoire  prSsente,  je  vous  comp- 
teray  .  .  .  Sehr  suggestiv  beginnt  auch  Novelle  93:  Tantdiz  que 
fay  bonne  audience,  je  veil  compter  .  .  .;  ebenso  Novelle  84:  Tantdiz 
que  quelqu'ung  s''avancera  de  dire  quelque  bon  compte,  fen  feray 
ung  petit  qui  ne  vous  tiendra  gueres,  mais  il  est  veritable  et  de 
nouvel  advenu.  J''avoie  ung  mareschal  qui  bien  et  longuement 
in'avoit  servy  de  so7i  mestier  .  .  .  Gerade  der  Umstand,  daß  ein 
vornehmer  Herr  eine  Anekdote  erzählt,  die  einen  seiner  Angestellten 
anging,  wie  er  vorgibt,  und  der  Beginn  mit  „Ich  hatte"  machen  die 
Illusion  besonders  stark. 

Nicht  nur  durch  solche  Bemerkungen  vor  dem  Beginn  der 
eigentlichen  Erzählung  wird  der  Eindruck  des  mündlichen  Vortrags 
hervorgerufen,  sondern  auch  dadurch,  daß  der  Erzähler  sich  während 
seiner  Erzählung  an  Zuhörer  zu  wenden  scheint,  indem  er  sie  anredet. 
Solche  kurze  Anredeformeln  sind:  Pensez,  creez,  ne  douhtez,  or 
devez  vous  savoir,  et  veez  cy  la  fasson,  lä  veissez  une  merveilleuse 
risee,  je  vous  assure,  que  je  vous  dy,  or  pour  vous  donner  ä 
entendre,  tel  moyen  que  je  vous  diray,  toutes  foiz  vous  povez  penser, 
et  si  vous  me  demandez  ä  quel  propos  damp  moyne  ce  faisoit, 
je  vous  respons.  In  jeder  Novelle  finden  sich  meist  mehrere  solcher 
direkter  Anreden,  die  eine  unmittelbare  Beziehung  eines  Erzählenden 
zu  einer  Zuhörerschar  ausdrücken.  Es  mag  wohl  sein,  daß  der 
Verfasser  nicht  bewußt  die  Absicht  gehabt  hat,  die  Illusion  des 
Vortrags    durch    diese    Bemerkungen    zu    erwecken,    sie    sind    wohl 


^)   Slud.  zur  vergj.  Lileraiurg.  II.  p.   7. 
Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI  i. 


66  Walther  Küclder. 

Äußerungen  seines  Temperamentes,  das  sich  ungezwungen  und  offen 
gibt.    Wenn  irgend  ein  Stil  Teniperamentsache  ist,  so  ist  es  der  seine. 

Ungezwungen,  naiv-vollistümlich  und  anschaulich  wird  der  Stil 
auch  durch  den  Umstand,  daß  der  Verfasser  sich  sehr  oft  persönlich 
einführt.  Durch  diese  häufigen  Phrasen  in  der  ersten  Person  braucht 
nicht  notwendig  der  Eindruck  des  mündlichen  Vortrags  erweckt  zu 
werden.  Dagegen  erscheint  die  Sprache  ungekünstelt,  schlicht,  als  ob 
sich  der  Erzähler  keinen  Zwang  antäte.  Zur  unmittelbaren  Wirkung 
dieser  einfachen  Geschichten  trägt  diese  Gewohnheit  sehr  bei.  Einzelne 
Beispiele  sind:  Ainsi  que  puis  me  fut  compte;  que  je  sache;  jene 
dl/  jjas,  et  riay  point  sceu\  ri'est  encore  venu  ä  ma  cognoissance ; 
me  donne  mon  appetit  grand  voidoir  de  nommer  en  ma  petite 
ratelee;  je  tien,  moy;  j''espoire;  si  m'en  passe;  n'a  gueres  que  j'estois  . . . 
nous  allasmes;  le  cas  que  j'ay  ä  vous  descripre  u.  a. 

xiuch  solche  Wendungen,  die  ganz  den  Schreibenden  verraten, 
wirken  meist  nicht  schwerfällig,  sondern  tragen  mit  dazu  bei,  das 
Verhältnis  zwischen  Erzähler  und  Leser  enger  zu  knüpfen.  Z.  B.  Et 
qui  me  demanderoit  qui  le  lahoureur  mouvoit  ä  faire  ceste  sa 
question,  le  secretaire  de  ceste  histoire  respond  .  .  .,  et  si  nest 
que  viennc  d'aventure  ceste  histoire  enire  ses  mains,  jamais  rten 
ara  .  .  .  la  cognoissance,  ce  que  pour  rien  je  ne  vouldroye.  Si 
prye  aux  lisans  qui  le  cognoissent  quHlz  se  gardent  bien  de  luy 
monstrer  u.  a. 

Andere  Wendungen  haben  keinen  Einfluß  auf  die  Lebendigkeit 
der  Sprache:  Pour  accroistre  et  amplier  mon  nomhre  des  nouveUes 
que  j'ay  promis  compter  et  decripre  u.  a. 

Schwerfällig  wirkende  Schreiberphrasen  sind  Sätze,  die  als 
Überleitung  von  einem  Teil  zu  einem  anderen  dienen  wie:  et 
tantdiz  qu'ilz  se  deviserent^  nous  retournerons  ä  parier  de  la 
vieille,  qui  vint  ä  tostel  u.  a. 

Eines  der  am  häufigsten  angewendeten  Mittel  das  Tempo  der 
Rede  lebhaft  zu  gestalten,  ist  der  Infinitivus  historicus  z.  B.  et  ce  fait, 
vistement  haiser  et  accoler,  et  le  surplus  qu  apres  s'ensuyt  (129);  i^^nt 
de  ruer,  taut  de  bouter,  taut  de  parier  {I^^q);  et  monseigneur  Taltbot, 
de  son  poing  ...  de  charger  snr  la  teste  de  ce  bon  pelerin  (I3-); 
et  sa  femme  de  plorer  de  plus  belle  (II 145). 

In  den  weitaus  meisten  Fällen  ist  das  Subjekt  mit  dem  Adjektiv 
bon  verbunden  und  steht  ohne  Artikel.  Häufig  erfährt  auf  diese 
Weise  der  Ausdruck  neben  der  Eigenschaft  der  Lebendigkeit  auch 
eine  leise  Färbung  von  Komik. 

Z.  ß.  et  bon  jacobin  d'oster  sa  goune  et  son  scapulaire,  et 
de  baiser  et  accoler  bien  serrement  la  belle  nonnain  (I286)'  ^^  ^^" 
eure  de  cryer,  et  de  faire  la  plus  male  vie  que  jamais  /ist 
homme  (IIsi);  et  bon  hoste  de  saillir  avant,  et  de  recevoir  la 
compaignie  (II 85);  ^^  bonnes  gens  de  raccorder  leurs  musettes, 
et  de  parfaire  la  note  encommencee  (üiop);  et  bon  presire  de  soy 


Die  Cent  Noiioelles  Aouvelles.  67 

retirer  (IIi3i);  et  hon  homme  de  s avancer  et  lever  sus  et  chanter 
Te  Deum,  et  venir  ä  son  asne  (11143);  ^^  honne  damoiselle  de 
despoiller  sa  rohe,  et  se  mectre  en  cotte  simple,  et  le  hon  compaignon 
de  La  prendre  ä  hons  hraz  de  corps^  et  faire  ce  pourquoy  il 
vint  (I29g)- 

Häufig  tritt  auch  ein  Wechsel  in  der  Konstruktion  ein,  und  an 
die  Stelle  eines  zweiten  oder  dritten  Infinitivs  tritt  ein  historisches 
Präsens, 

Z.  B.  et  hon  chevalier  de  Vahandonner,  et  d  mo7iseigneur 
sen  reiourne  (I54);  et  hon  komme  de  se  sauver;  et  dessouhz  le  lit 
se  houte  (I30);  et  hon  mary  de  soy  courroxicer,  et  dit  (1 240)1  ^^ 
hon  ecesque  d'assaiUir  ces  perdrix  et  desmemhrer  d'entree  la 
meilleure   qui  y  fust;    et   commence    a  irencher  et  menger  (Il22'2)- 

Eine  Konstruktion,  die  ebenfalls  lebendigste  Anschaulichkeit 
zu  erzeugen  vermag,  besteht  in  der  Verbindung  des  Substantivs  mit  voici 
und  einem  unmittelbar  folgenden  Relativsatz.  Die  Verwendung  von' 
hon  ist  wieder   ein   charakteristisches   Kennzeichen   dieser  Wendung. 

Z.  B.  Tantdiz  que  ceste  grande  chiere  se  faisoit,  et  veez  cy 
ja  retourne  de  soii  twyage  hon  mary  .  .  .  qxii  heurte  hien  fort  ä 
l'hvys  (I3);  et  ä  cest  cop  veez  cy  hon  Escossois  qiti  retourne  et 
monte  arriere  les  degrez  de  la  chamhre,  et  sault  dedans  et  dit 
tout  hault  (I30);  veezcy  nostre  gueux  qui  arrive  (Im);  qiiand 
il  fut  hors  de  la  ckamhre^  veezcy  honnes  matrones  qui  viennent 
(I277);  ^^  ^*V  ^^^  gueres  este  que  veezcy  hon  jacohin  qui  attrotte  (l28r,)- 

Manchmal  steht  in  Verbindung  mit  voici  der  Infinitivus  historicus 
statt  eines  Relativsatzes. 

Z.  B.  Environ  douze  heures,  veez  cy  nostre  marcliant  venir 
(I239);  ii  ne  demoura  gueres  que  vecy  venir  nostre  gouge  (Hg,,); 
le  lendemain  .  .  .  le  hourreau  .  .  .  fut  devant  la  prison,  oii  il 
neust  gueres  este  que  veezcy  venir  le  hailhj  (II 125)  u.  a. 

Zur  Lebhaftigkeit  der  Erzählung  trägt  auch  eine  Erscheinung 
bei,  die  zwar  nicht  unserem  Autor  allein  eigentümlich  ist,  nämlich 
der  im  älteren  Französischen  häufige  Wechsel  zwischen  Präsens  und 
Perfekt  im  historicum  in  der  Erzählung.  Der  Verfasser  wendet  diesen 
Gelirauch  meist  wohl  ganz  gedankenlos  an,  und  daher  ist  auch  keine 
Wirkung  auf  den  Stil  vorhanden.  Manchmal  jedoch  erscheint  der 
Wech>el  beabsichtigt  und  dann  beeinflußt  er  das  Tempo  der  Erzählung, 
indem  er  es  beschleunigt  und  zugleich  der  Sprache  eine  erhöhte 
Anschaulichkeit  gibt. 

Einige  ßei^-piele  mögen  diesen  Wechsel  der  Tempora  zeigen. 
Es  ist  nicht  unmöglich,  daß  er  in  jedem  Falle  unbewußt  ist  und 
daß  nur  ein  Instinkt,  der  Instinkt  des  guten  Erzählers  ihn  veranlaßte. 
Die  Wirkung  ist  jedenfalls  da.  Schließlich  setzt  sich  wohl  jede 
Eigenart  aus  bewußten  und  unbewußten  Faktoren  zusammen. 

I  >  1  -bhaftem  Tempo  erzählt  der  Verfasser  das  aufgeregte  Gebaren 
des  einlaßiiegehrenden  Gatten,    dem  die  Gattin  nicht  öffnet:  .  .  .  hon 


68  Walther  Küchler. 

mary  de  se  coiirroucer;  et  fiert  .  .  .  de  son  pie  contre  la  porte, 
et  semhle  qu'd  doit  tout  abatre^  et  menace  sa  femme  .  .  .  dont  eile 
na  gueres  grand paour  —  soweit  das  Präsens,  dann  fährt  der  Erzähler 
nach  einem  lang  sich  dehnenden,  retardierenden  Satze  fort  ,,elle  ouvrit 
Vhuys'^.  Der  Rythnius  des  Satzes,  die  Situation  und  der  Tempus- 
wechsel treffen  sehr  gut  zusammen  (I7),  Ein  anderes  Beispiel.  Die 
Edelfrau  hat  ihren  Diamantring  verloren:  comme  eile  regardoit  ses 
hraz  et  ses  i7iains,  eile  ne  vit  point  son  dyamant,  si  appella  ses 
femmes.  Dann  wird  die  Situation  lebhafter  und  bewegter.  Das 
Präsens  tritt  ein :  . .  .  leur  demande  .  .  .  Chacune  dist  . . .  On  cherche 
hault  et  bas,  dedans  la  cuve,  sur  la  cuve,  et  partout;  mais  rien 
ny  vault,  on  ne  le  peut  trouver.  Und  dann  wieder  in  deutlich 
verschiedenem  Rythraus:  La  queste  de  ce  dyamant  dura  lon- 
guement  (122/23)* 

Fast  stets  folgt  das  Präsens  auf  das  Passe  defini,  wenn  es  sich 
um  einen  Abschied  und  Aufbruch  handelt:  „luy  donna  bonne  nuyt 
et  picque  et  s'en  va  (I30);  H  manda  sa  imde,  et  au  palais  s'en 
v>a,  oü  il  compta  (I95). 

Der  Tempuswechsel  scheint  auch  in  folgendem  Falle  nicht  ganz 
zufällig  zu  sein,  sondern  einen  bestimmten  Grund  zu  haben.  In 
Gesprächen,  besonders  in  Antworten,  die  indirekt  wiedergegeben  werden, 
erscheint  plötzlich  nach  einem  Imperfektum  oder  Perfektum  historicum 
das  Präsens.  Es  hat  den  Anschein,  als  ob  der  Erzähler  sich  das 
wirklich  geführte  Gespräch  in  direkter  Rede  vorstelle  und  das  in 
der  direkten  Rede  gebrauchte  Tempus  in  seine  indirekte  Erzählung 
übertrage. 

Der  um  seine  Sehkraft  gebrachte  Franziskaner  bittet  den  Vater 
des  schuldigen  Mädchens  um  eine  Entschädigung.  Le  bourgois  .  .  . 
respondit  que  .  .  .  luy  desplaisoit .  .  .  Trop  bien  est  il  content  .  .  . 
luy  faire  .  .  .  aide  .  .  .  car  ä  luy  ne  veult  en  riens  estre  tenu;  luy 
veult  ballier  etc.  (I14/15).  Ebenso:  Monseigneur  resp07idit  que 
pourtant  ne  se  remuoit  droit,  et  jasoit  qu'il  soit  jnarie,  si  nest-il 
pas  powtant  du  gracieux  service  d'amours  oste  (I57).  Ein  Tempus- 
wechsel von  lebhaftester  Anschaulichkeit  ist  folgender.  Ein  Gatte 
ist  in  eine  Truhe  gesperrt  worden:  le  baku  fut  ferme  .  .  .  prindrent 
toutes  ensemble  et  homme  et  bahu,  et  Vemporterent  ...  et  lä  le 
laisserent.  Der  unglückliche  Gatte  crye  et  se  demaine  .  .  .  mais 
c'est  pour  neant;  dann  wieder  ganz  richtig  das  Perfektum  historicum 
il  fut  lä  laissij  toute  la  belle  nuyt  (1]^]). 


Ein  drittes  Hauptraittel  Anschaulichkeit  zu  erzielen  ist  die 
Verwendung  von  Vergleichen  und  bildlichen  Redensarten.  Der  kurze, 
volkstümliche,  aus  den  allernächsten  Anschauungs-  und  Erfahrungs- 
gebieten stammende  Vergleich  ist  ziemlich  häufig: 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  69 

Nostre  boicrgois,  plus  subtil  que  ung  regnard  (I2);  l'aultre,  plus 
esveÜle  qii'un  rat  et  viste  comrne  ung  levier  (154);  monseigneur, 
qui  estoit  plus  esveilU  qü'un  rat  (1249)3*  inaistre  moyne,  plus 
eschanfe  quhm  estalon  (Iga);  s'il  nest  plus  beste  qu''un  asne  (I125); 
il  sendormit  comme  un  pjourceau  (I150);  la  face  plus  noire  que 
charbon  (11^2)5-  ^^^^  moine  qui  n'avoit  appetit  nesq'un  chien  (II 153); 
enfle  comme  ung  ticquet  (IIjgQ);  il  se  tient  plus  coy  que  ung 
feu  couvert  (Iijg);  il  .  .  .  la  fwjoit  comme  tempeste  (Iljgj);  cette 
lance  droicte  comme  ung  cornet  de  vachier  {llif^c^);  aussi  riche  que 
le  roy,  que  77ionseigneur,  et  que  tous  les  princes  chrestians  (Ing); 
estoit  plus  aise  que  ung  roy  (Iljsg);  ses  bourdes  sembloient  aussi 
veritables  comme  VEvangile  (I214); 

Nostre  yvroigne,  plus  estourdy  que  une  grive  partant  dune 
vigne  (I3P);  comme  une  beste  aux  champs  estre  enfouy  (I42);  ce 
Saint  hermite  .  .  .  n  estoit  pas  mains  luxurieux  que  ung  vieil  cinge 
est  malicieux  (I73);  comme  ung  sanglier  mis  aux  abais  de  tous 
coustez  (Iixe);  veez  cy  plus  bei  appareil"?  il  semble  que  les  pour- 
ceaux  y  ayent  couchiS  (1 221)1  ^^^  draps  du  lit  estoient  tant  sanglans 
qu'il  sembloit  que  ung  beuf  y  fut  escorche  {l24->);  nostre  bcuchiere 
plus  simple  quuri  chat  baigne  (1q-)\  il  se  tire  ä  ces  trippes  belles 
et  grasses,  et  fiert  dedaiis  comme  ung  hup  dedans  les  brebis  (II158); 
comme  une  lisse  entre  deux  douzaines  de  chiens  (Hiso);  ^^"  ff^os 
chanoine  qui  avoit  plus  d'argent  que  ung  vieil  chien  na  de 
puces  (IIig(>);  une  femme  .  .  .  qui  n  estoit  point  de  meilleur  au 
monde:  car  eile  ne  tenoit  serre,  tant  qiielle  peust  veoir  son  cop, 
et  qu'elle  trouvast  ä  qui,  neant  plus  que  une  vieille  arbaleste  (Iood/g)- 

Neben  diesen  ganz  der  volkstümlichen  Ausdrucksweise  ent- 
nommenen Vergleichen  stehen  nicht  allzuviel  Vergleiche,  bei  denen 
eine  bewußte,  literarische  Verarbeitung  zu  erkennen  ist. 

Z.  B.  les  paroUes  quelle  descocJta  ne  furent  pas  mains  tren- 
chans  que  rasoirs  de  Guingant  bien  affilez  (I7);  comme  pluseurs 
femmes  ont  larmes  a  commendement  qu'elles  espandent  toutes  foiz 
ou  le  plus  souvent  qu'elles  veident^  si  eut  ä  cest  cop  nostre  bon 
c/ß/'C  (Igg);  il  a  fait  comme  les  jeunes  enfans,  qui  voident  emploier 
leur  bature  quant  Hz  ont  deservy  le  punir  (Ijgi);  nostre  jaloux 
les  avoit  tousjours  entre  ses  mains  (Bücher,  in  denen  von  Frauenlisten 
berichtet  ist),  et  rien  estoit  pas  mains  assotte  qu'un  follastre 
de  sa  massue  (I233) '  ^^  ^^^  sonnoit  pas  ung  mot,  mais  se  tenoit 
comme  une  droite  statue  ou  une  yd ole  en  quetaille  {li-j --,)'');  comme 
ung  champion  venu  sur  les  rencs  de  bonne  heure  et  attendant  son 
ennemy,  en  Heu  de  pavillon  se  va  mettre  derriere  ung  tapis  en  la 
ruelle  de  son  lit  (I23);  Hz  estoient  si  bien  d'accord  qxioncques 
musicque  ne  fut  ponr  eulx  phis  doidce,  instrumens  ne  pourroient 


')  en  queiaüle  hat  keinen  Sinn.    Es  mufs  heifien  „entaillie."  wie  Jacob 
nach  Verards  Druck  hat. 


70  Walther  Küchler. 

mieulx  estre  accordez  que  euLv  deux  .  .  .  estoient  (II, q-);  comme 
le  poulain  s''eschavffe  sentant  la  jumenf,  et  se  dresse  et  demaine, 
aussi  faisolt  le  sien,  ievant  la  teste  contremont  si  tres  prochain 
de  Vaurfauveresse  (I44);  vous  ...  secherez  sur  terre  comme  la 
belle  herbe  dedans  le  four  chault  (I153);  comme  uvg  chien  gut  ne 
fxiult  que  escourre  la  teste  au  matin  quand  il  se  live  quil  ne  soit 
prest,  estoit  monseigneur;  car  il  ne  luy  faillit  que  une  secousse 
de  verges  ä  nettoier  sa  robe  et  ses  chausses  quil  ne  fut  vrest  (I^cß) 
u.a.    1,0.    II  161.«) 

Diese  letzten  Vergleiche  sind  bereits  ein  bewußtes  Stilmittel. 
Während  dem  Verfasser  die  zuerst  aufgeführten  Vergleiche  meist  ohne 
Weiteres  in  die  Feder  fließen,  weil  ihm  die  volkstümlich -bildliche 
Ausdrucksweise  sehr  geläufig  ist,  zeigen  diese  z,  t.  mit  fast  homerischer 
Breite  ausgeführten  Vergleiche  stilistische  Arbeit  zwecks  Erzielung 
gewollter  Effekte.  Ich  habe  mich  nicht  gescheut  fast  die  meisten 
Vergleiche  anzuführen,  besonders  auch  weil  Haag  behauptet,  der 
Vergleich  erscheine  in  den  (\  JV.  N.  ebenso  spärlich  wie  in  Saintre, 
und  das  ausgeführte  Gleichnis  fehle  ebenso  gänzlich.  Überraschend 
groß  ist  zwar  die  Anzahl  der  Vergleiche  nicht  in  den  C.  N'.  N'.,  aber  un- 
bedeutend ist  sie  auch  nicht.  Ihre  Zahl  vermehrt  sich  übrigens  noch, 
wenn  man  solche  Stellen  zu  ihnen  hinzurechnet,  welche  äußerlich 
die  Form  eines  Vergleiches  haben,  ohne  daß  immer  an  ein  bestimmtes 
tertium  comparatiouis  gedacht  wäre.  Solche  meist  volkstümliche, 
vergleichsartige  Ausdrücke  sind  z.  B. 

L'autre,  aussi  voluntiers  quon  va  au  guet  .  .  .  s'avance  (I37); 
plus  courroucie  quoncques  homme  ne  fut  joyeux  (l2io)l  l^y  dirent 
autant  de  honte  qu'oncqucs  saint  Pierre  eut  d'honneurs  {II, ^0);  sa 
response  estoit  plus  asseuree  qtie  la  plus  juste  de  cc  monde  (II  13c,); 
mademoiselle  qui  estoit  plus  ßne  que  moustarde  (U]28);  'pour  qui 
eile  ne  feroit  neani  plus  que  le  singe  pour  les  mauvais  (I130);  H 
semhloit  bien  qiielle  eust  ung  dyable  ou  ventre,  tant  luy  disoit  de 
villainnes  paroUes  (I250);  5'"^  ,A^  'f"**  esbahie  que  si  cornes  luy 
venissent  (Ii^e))  ^^*"  dcux  amoureux  se  deinenoient  tellement  Vun 
contre  Vauire  qu'il  sembloit  qu'ilz  deussent  menger  Vun  Vautre  (II^yjj). 
Hz  avoient  grand  volunte  de  mal  faire;  Uz  sembloit  quilz  voulsissent 
tuer  quaresme  {\l^-j^)\  en  son  atnour  tant  fort  le  boutoit  qu'il  eusi 
pour  eile  ung  Ogier  combatu  (II 129). 

Die  an  letzter  Stelle  aufgeführten  Vergleiche  fallen  schon  fast 
aus  dem  Gebiete  des  eigentlichen,  mit  konkreten  Mitteln  arbeitenden, 
treffenden  Vergleiches  heraus  und  weisen  hinüber  in  das  Feld  des 
bildlichen  Ausdrucks.  In  unseren  Novellen  ist  die  Verwendung  de? 
bildlichen  Ausdrucks  noch  viel  ausgebreiteter  als  der  Gebrauch  des 
Vergleichs.     Ganz   besonders  häufig,   in  üppiger  Fülle  findet  sich  der 

^)  Die  in  Novelle  100  enthaltenen  Vergleiche  sind  nicht  berücksichtigt, 
da  sie  aus  dem  lateinischen  Text  übersetzt  sind. 


Die  Cent  Nouvelles  Noucelles.  71 

Yolkstümlich-bildliche  Ausdruck,    die  bildliche  Redewendung,    die  un- 
bewußte, oft  derbe  Poesie  der  täglichen  Sprache, 

Z.  B.  tenant  le  hoc  en  Veau  pour  deviser  (I,;)  ;  il  joa  hien 
du  hec  (laß);  H  monia  sur  son  chevalet,  car  il  avoit  la  teste  chaude 
et  fumeuse  (I34);  avoit  hien  fait  le  tnauvais  clieval  et  en  maintien 
et  en  paroles  (I210)'  l'espousee  ne  tenoit  pas  ses  yexdx  en  son  sein, 
mais  .  .  .  apperceut  son  mary  parier  ä  nostre  fdle  grosse,  dotit 
la  puce  luy  entre  en  Voreille^);  monseigneur  qui  a  des  nouvelles 
estoupes  en  sa  quenoille  (I55);  lautre  qid  entendoit  son  latin  .  .  . 
s'advisa  de  batre  le  fer  tantdiz  qiiil  estoit  chault  (Igs);  luy  qui 
cognoissoit  mousche  en  lait  .  .  .  perceust  tantost  que  la  cliambnere 
estoit  fenime  qui  devoit  faire  pour  les  gens.  Si  ne  luy  cela.  gueres 
ce  quHl  avoit  sur  le  cueur,  et,  sans  aller  de  deux  en  trois.  luy 
demanda  Vaumosne  amoureuse.  11  fut  de  prinsaidt  hien  rechasse 
des  meures  (I95);  monseigneur  raroit  heurre  pour  anifs  (Igi);  ^^^'^ 
de  heau  pour  aler  courre  V agidllette  (I52);  jamais  (eile)  ne  fut 
rehourse  ä  Vesperon  (1,^4);  eile  duicte  et  faicte  ä  Vesperon  et  ä  la 
Lance  (II]2o^>  ^'^  ^^V  ^'*  forgeoit  hien  la  matere  (Ipf));  la  veille, 
cuidant  Dieu  tenir  par  les  piez  (I77);  ces  deux  maisons  voisines 
estoient,  comme  Ion  dit  de  coustume,  la  grange  et  les  hateurs  (I>si); 
luy  qui  oncques  sur  beste  crestiane  n  avoit  monte  (Ijot)  !  aimer 
pour  ses  beaulx  yeidx  (Iios)»  ^^<*'  n  estoit  pas  trop  chaidt  sur 
potaige  (Ijos)»  nostre  va  luy-dire,  qui  s'en  revint  devers  son 
maistre  ä  tout  ce  qu'il  avoit  de  poisson,  car  ä  char  avoit-il  failly 
(Ii3o);  le  vouloir  de  sa  dame  fut  hors  de  ville  (Ii72)'5  ^<^  nouveait 
marye  neust  pas  dit  ung  mot  pour  cent  francs  (I174);  on  n'oyst 
pas  JDieu  tonner  en  une  compaignie  oii  il  fust  (I175);  vous  ne 
sauUerez  jamais  dHcy  sinon  les  piez  devant,  se  vous  ne  confessez 
v6rite  (I197);  l'^utre  qui  ne  pensoit  point  avoir  compaignon,  en 
avoit  tout  au  long  du  bras  ou  autant  qu'on  en  pourroit  entasser 
ä  force  ou  cueur  d'un  amoureux  (loos)»  pour  assiete  en  Heu  de 
cresson  eile  luy  dist  (I210);  demandans  Heu  de  cuyre  et  leur  tour 
d'audience  (I219);  accompaignee  d'une  vieille  serpente  (1233)?  gaigner 
les  pardons  (I242)!  *^  happera  ce  henefice  (I264))  '^'^P  ^^^'^  clianterent 
la  leezon  ä  la,  religieuse  nonnain  (1283);  iout  ce  bagage  (I300)'  ^^ 
gentilhomme  qui  ne  glatissoit  apres  aultre  beste,  vint  2->our  se 
fourrer  dedans  (IIjiq);  luy  dist  pour  tous  poiages  (II 112)  5  «''^6'' 
estaindre  le  feu  (II  u^^;);  maistre  curS  qui  vient  pour  alumer  sa 
chandelle,  ou  pour  mieulx  dire  p>our  V estaindre;  s^en  alla  sonner 
sa  trompeite  (11,17);  i<^noit  a  pain  et  ä  pot  une  donzelle  (IIios); 
la  derreniere  et  fhiahle  grimace  (II133);  moyennant  de  qnihus  (II 13,;); 
si  tourne  bride  et  print  garin  (el)da)  ce  chevalicr  qui  tout  le  jour 
avoit  culette  la  seile  (II254);  jamais  narez  volnnte  de  marteler 
sur   enclume  femenine  (Iligj);    la   bonne  fdle  qui,  comme  Con  dU 


»)  nicht  ia  Wrights  Text. 


72  Walther  Küclder. 

communement,  jiavoii  pas  S07i  cueur  en  su  chausse  (Uj^g);  la 
maistresse  de  l'escole  (ebda);    la  hoeste  aux  caillouz  (11207)- 

Die  Zahl  der  volkstümlich-bildlichen  Ausdrücke  ist  mit  diesen 
Beispielen  nicht  erschöpft i^).  Aber  der  Reichtum,  aus  dem  der  Ver- 
fasser mühelos  schöpft,  liegt  offen  zu  Tage.  Doch  er  nimmt  nicht  nur  mit 
nachlässigen  Hcändeu  bereits  fertiges  Sprachgut,  auch  mit  neuschaffender 
Sprachkunst  schafft  er  sich  neue  Wendungen,  schlagende  Ausdrücke 
voll  Saft  und  Leben,  voll  ursprünglicher  Kraft  und  robuster  Energie. 
Wenn  man  die  vorhandenen  Beispiele  genau  ansieht,  so  erkennt 
man  —  einzelne  Irrtümer  nicht  ausgesclilossen  —  leicht,  wo  die 
selbständige  Neuschöpfung  beginnt,  man  erkennt  leicht  den  für  die  vor- 
liegende Situation  mi  Augenblick  des  Schreibens  gefundenen  Ausdruck. 

Neben  den  volkstümlichen  Wendungen  stehen  bildliche  Phrasen 
vornehmerer,  literarischer  Art  in  nicht  so  großer  Zahl,  die  den 
Verfasser  unter  dem  Einfluß  der  zünftigen  Tradition  und  wohl  auch 
eines  höfisch-zeremoniellen  Sprachgebrauchs  zeigen. 

Z.  B.  L,a  mort  l'eust  destacki  de  la  chayne  qui  ä  mariage 
Vaccouploit  (I|)  les  yeulx  d'elle,  archiers  du  cueur,  descocherent 
tant  de  ßeches  en  la  personne  dudit  hourgois  que  sans  pjrochain 
remede  son  cas  nestoit  pas  maindre  que  mortel  (I1/2);  H  parla 
hault  et  hlasonna  hien  les  armes  de  son  hon  voisin  (I4);  soubz 
umbre  du  doulx  manteau  d'ypocrisie  (I73);  vous  ne  serez  pas  en 
mon  livre  enregistre  (Ig^)/  si  luy  avoit  jeunesse  et  crainte  les  yeulx 
si  bandez  que  en  rien  il  ne  s'apercevoit  du  bien  qu'on  luy  vouloit 
<Ii26)j  qui  fut  Celle  nuyt  enregistre  ou  livre  qui  napointdenom 
(Iißp);  il  aguyse  le  cousteau  qui  sans  mercy  ä  ses  derrains  jours 
Le  mainra  (Ioi2)j"  son  dolent  cneur  portoit  la  paste  au  four  de 
ceste  maladie  infortune  (Igss)?  comme  eile  approucha  le  pas  de 
la  mort  (II7);  les  amourettes  .  .  .  estoient  si  parfond  enracinees 
es  cueurs  des  autres  deux  parties  .  .  .  que  impossible  estoit  les 
desrompre  (Hu-),-  faire  ouverture  au  clistere  qui  demandoit  la  clef 
des  chainps  (II 143);  du  baston  de  quoy  on  plante  les  hommes, 
comme  dit  Bocace  (II 144). 

Ganz  besonders  zahlreich  sind,  wie  auch  schon  Haag  hervorgehoben 
hat,  die  dem  Ritter-  und  Soldatenleben,  Turnierspiel  und  Kampf 
entlehnten  Bilder  und  Wendungen ;  sie  finden  sich  aber  nur  dann,  wenn 
es  sich  um  den  geschlechtlichen  Verkehr  der  Liebenden  handelt.  Diese 
Ausdrücke  etwa  als  ein  Merkmal  des  ritterlichen  Charakters  der  Sammlung 
ansehen  zu  wollen,  wäre  aber  ganz  verfehlt;  denn  einmal  finden  sich 
solche  Ausdrücke,  wenn  auch  nicht  so  gehäuft,  in  den  meisten  erotischen 
Werken  der  Italiener  und  Franzosen  des  XIV. — XVI.  Jahrb.  und 
dann  nehmen  sich  alle  diese  Ausdrücke  wie  Parodien  der  ritterlichen 
Phraseologie  au?.  Nur  einzelne  Beispiele,  um  die  Art  zu  charakterisieren, 
seien  angeführt. 


10)  Volkstümliche  Sprichwörter  finden  sich  I  TS,  128,  231.    II  48. 


Die  Cent  JSouvelles  Noucelles.  73 

Le  jour  des  armes  assign^es  (I52);  l'henre  (.Valler  aux 
armes  (I53);  la  lance  dont  je  entends  ä  fournir  mes  armes  (Igs); 
de  qiielles  lances  il  vouldra  jouster  encontre  son  escu  (ebda); 
Monseigneur  .  .  .  luy  haille  ung  fier  assanit,  et  tant  /ist  en  pou 
d'heure  qxiil  avoit  la  jylace  emportee  s'il  neust  este  content  de 
■parlamenter  (tgs);  on  ne  vous  peut  avoir  sans  siege.  Or  pensez 
bien  de  vous  defendre,  car  vous  estes  venue  ä  la  hataille  (I131); 
ne  fut  oncques  en  sa  puissance  de  tirer  sa  dague  pour  esprouver 
et  savoir  s'elle  pourroit  prendre  siir  ses  cuirasses  (Ino);  sans 
delay  (il)  bailla  l'assault  incontinent  ä  sa  forteresse^  et  tellement 
quen  peu  d'heure  .  .  .  il  entra  ens  et  la  gaigna;  mais  .  .  .  il  ne 
fist  pas  ceste  conqueste  sans  faire  foison  d'a7'mes  .  .  .  car  aingois 
qu'il  venist  au  donjon  du  chastel,  et  force  luy  fut  de  gaigner  et 
emjyorter  boulevars,  bailles,  et  aultres  plusieurs  fors  dont  la  place 
estoit  bien  garnye,  comme  celle  qui  jamais  navoit  este  prinse, 
dont  fust  encores  yiouvelle,  et  que  nature  avoit  mis  en  defense. 
Quand  il  fut  maistre  de  la  jjlace,  il  rompit  setdement  une  lance, 
et  lors  cessa  Vassauli  et  ploya  Vo'uvre.  Das  Bild  ist  noch  niclit 
zu  Ende,  die  obszöne  Phantasie  des  Verfassers  schwelgt  in  der 
kriegerischen  Ausgestaltung  dieses  Waffengangs,  aber  das  Obszöne 
verschwindet  fast  vor  der  Konsequenz  der  bildlichen  Schilderung  (Ina)- 
Treffend  und  ausgezeichnet  in  seiner  Kürze  ist  (Iligg)  sa  seur 
d'armes,  sowie  die  Charakterisierung  des  Liebeswerbens  als  genie 
ehasse  (Iisg). 


Die  Kunst  des  Verfassers  seinen  Erzählungen  Anschaulichkeit 
und  Lebenswahrheit  zu  verleihen  zeigt  sich  ferner  in  dem  häufig  bemerk- 
baren Bestreben  die  Begebenheiten  und  Situationen  durch  eine  Menge 
von  unscheinbaren  Details,  die  an  sich  ohne  Gefahr  für  den  Verlauf  der 
Handlung  wegfallen  könnten,  zu  beleben.  Der  Verfasser  führt  Tatsachen 
von  nebensächlicher  Bedeutung  an,  die  den  Augenblick,  um  den  es  sich 
handelt,  so  trefflich  illustrieren,  daß  wir  ihm  näher  kommen^  als  es 
ohne  diese  kleinen,  wie  im  Vorübergehen  gefallenen  Bemerkungen  der 
Fall  sein  würde. 

Der  Kummer  der  Edelfrau  über  den  Verlust  ihres  kostbaren 
Diamantringes  ist  uns  vollkommen  verständlich,  aber  wir  begreifen 
ihren  Schmerz  noch  viel  mehr,  wenn  wir  erfahren,  daß  er  ihr  des- 
wegen so  besonders  teuer  war,  weil  ihr  Gatte  ihn  ihr  am  Hochzeits- 
tage geschenkt  hatte.  Für  die  Handlung  ist  diese  willkürlich  erfundene 
Bemerkung  gänzlich  bedeutungslos,  aber  sie  ist  geschickt  an  ihren 
Platz  gestellt. 

Wir  können  uns  leicht  vorstellen,  wie  erstaunt  und  entzückt 
die  Witwe  gewesen  sein  muß,  an  deren  Ohr  nächtlicher  Weile  die 
geheimnisvolle  Botschaft  gelangte,  ihre  Tochter  werde  mit  Hülfe  eines 
gewissen  Eremiten  einen  Sohn  gebären,  der  zum  Papste  bestimmt  sei. 


74  Walther  Küchler. 

Wir  erfaliren  ilirc  Freude  und  Überraschung  auch  durch  den  Erzähler. 
Wenn  wir  außerdem  noch  liören,  daß  sie  erst  spät  wieder  ein- 
schlafen konnte  und  daß  ihr  Schlaf  nicht  fest  war,  so  verfehlt  diese 
Angabe  ihren  günstigen  Eindruck  auf  den  l^eser  nicht,  ebenso  wie 
die  andere,  daß  der  endlicli  anbrechende  Tag  sich  durch  die  Sonnen- 
strahlen, die  durch  die  Fensterscheiben  in  die  Kammer  fallen,  an- 
kündigt und  Mutter  und  Tochter  in  Hast  sich  erheben  läßt.  Wir 
linden  vielleicht  nicht  ganz  begreiflich,  aber  hören  mit  Interesse,  daß 
die  Mutter  ihrer  Tochter  erst  dann  die  Engelsbotschaft  berichtet, 
quand  prestes  furent  et  sur  piez  mises,  et  leur  pou  de  mesnage 
Ulis  ä  pomt. 

Ein  guter  Fieund  kommt  zu  Besuch  aufs  Schloß  und  wird 
vom  Herrn  und  seiner  Frau  aufs  herzlichste  empfangen.  Die  Angabe 
hätte  genügt.  Dem  Erzähler  genügt  sie  nicht;  denn  er  fügt  noch 
hinzu,  das  ganze  Haus  bemühte  sich  dem  Gast  aufs  freundlichste  zu 
begegnen;  denn  jedermann  wußte,  daß  es  Herrn  und  Herrin  Wohlgefallen 
würde.  Sicher  ist,  daß  wir  uns  die  Bemerkung  gern  gefallen  lassen, 
so  wenig  bedeutungsvoll  sie  ist.  Sie  malt  die  Situation  schärfer. 
Ausgezeichnet,  ganz  nebenbei  in  einem  Relativsatze,  deutet  der 
Erzähler  den  Hochmut  der  vornehmen  Aristokratiu  an,  die  auch  in 
einer  Versammlung  erscheinen  muß,  in  der  sämtliche  Ehepaare  der 
Stadt  zugegen  sind:  ,,Monseigneur  mesme  fist  venir  madame,  qui 
fut  toute  eshahie  de  voir  VassemhUe  de  ee  penple"  (XXXH). 

Es  tut  nichts  zur  Sache,  aber  macht  Eindruck,  wenn  der 
Erzähler  versichert,  daß  das  komische  Abenteuer  des  Rechnungs- 
kammerpräsidenten mit  der  Magd  an  einem  Montag  Morgen  sich 
ereignet  haben  soll,  oder  daß  der  Dorfcure  seinen  toten  Hund  ziemlich 
nahe  bei  der  Tür  seines  Hauses  begraben  habe,  oder  daß  der  Prinz, 
der  nächtlich  im  Vorzimmer  der  Königin  deren  Hund  ins  Ohr  zwicken 
will,  erst  mit  Händen  und  Füßen  suchen  muß,  bis  er  ihn  findet. 
Man  wird  gestehen  müssen,  es  liegt  System  in  solch  gewissen- 
hafter Behandlung  der  Details.  Die  Wirkung  bleibt  denn  auch  nicht 
aus.  Die  Situation  gelangt  zu  Anschaulichkeit  und  Lebenstreue. 
Gelegentlich  steigert  sich  die  Wirkung  durch  die  minutiöse  Beobachtung 
der  kleinsten  Details  in  überraschender  Weise,  und  der  Erzähler 
bringt  ein  Bild  von  so  verblüffender  realistischer  Wahrheit  zu  stände, 
daß  es  einem  modernen  Theoretiker  des  Naturalismus  Freude  machen 
würde.  Die  Begegnung  des  Priesters  mit  dem  Trunkenbold  in 
Novelle  6  ist,  wie  die  ganze  Erzählung,  ein  Meisterstück  realistischer 
Erzählungskunst:  Der  Prior  des  Augustinerklosters  im  Haag  ging 
neulich  gegen  Abend  bei  der  St.  Antonius -Kapelle,  die  in  einem 
Gehölz  nahe  bei  der  Stadt  liegt,  sein  Breviaire  lesend,  spazieren. 
Da  hatte  er  eine  Begegnung  mit  einem  sinnlos  betrunkenen,  holländischen 
Bauern  aus  dem  etwa  zwei  Meilen  entfernten  Dorfe  Stevelinghes. 
Der  Prior  sah  ihn  von  Weitem  kommen  und  erkannte  gleich  an 
seinem    schweren   und  unsicheren  Gang,    wie  es  mit  ihm  stand.     Als 


Die  Cent  Noiivelles  Nouvelles.  Tb 

sie  nun  beieinander  waren,  begrüßte  der  Betrunkene  zuerst  den  Priester. 
Dieser  erwiderte  den  Gruß  und  setzte,  ohne  sich  in  seiner  Andacht 
stören  zu  lassen,  seinen  Weg  fort.  Darüber  geriet  der  Trunlcene  in 
größten  Ärger,  er  kehrt  um,  hängt  sich  an  den  Priester  und  verlangt 
zu  beichten  usw.  In  dieser  minutiösen  Beliandlungsweise  ist  die  ganze 
Erzählung  geschrieben.  Der  überaus  unbedeutende  Gegenstand  ist  in 
seinen  kleinsten  Phasen,  Zug  um  Zug,  geschildert.  Der  Betrunkene 
will  nach  erlangter  Beichte  von  der  Hand  des  Priesters  getötet  werden^ 
um  sogleich  in  das  Paradies  einzugehen.  Der  bedrohte  Priester 
willigt  endlich  ein,  er  ergreift  das  Messer  und  fordert  den  Betrunkenen 
auf,  niederzuknieen.  Ja,  wenn  das  so  leicht  wäre!  .^Uyvroigne  .  .  . 
tout  ä  coup  du  hault  de  lui  tumher  se  laissa^  et  ä  chef  de  piece, 
ä  qiielque  mesclief  que  se  fust,  sur  ses  genoidz  se  releva  ..." 
Der  Priester  gibt  ihm  einen  Stoß  mit  dem  Messerrücken,  daß  er 
umfällt  und  meint,  er  wäre  tot.  Wie  er  so  daliegt,  langen  in  einem 
Wagen  eine  Anzahl  Leute  an,  die  durch  den  Priester  von  dem  Sach- 
verhalt unterrichtet  sind  und  den  vermeintlich  Toten  nach  Hause 
schallen  wollen.  Auch  dieses  zweite  Zusammentreffen  ist  mit  höchster 
realistischer  Treue  erzählt:  Quand  Uz  furent  pres  de  lui^  trSsious 
u  une  voix  par  son  nom  Vappelerent;  jnais  Uz  ont  beau  hucher, 
ü  na  garde  de  respondre ;  Uz  recommencent  ä  crier,  mais  cest pour 
neant.  Adonc  descendirent  les  aucuns  de  leur  chariot,  si  le 
prindrent  par  teste,  par  piez  et  jior  jambes,  et  tont  en  air  le 
sourderent  et  tant  le  liuckerent  qirll  ouvrit  ses  yeulx,  et  quand  ü 
jyarla  iL  dist:   „Laissez-moi/,  laissez,  je  suis  mort.'' 

Dieses  konsequente  Bestreben  der  realistischen  Detailbehandlung 
verbindet  sich  häutig  mit  dem  Bemühen  die  einzelnen  Situationen  sa 
durchzuarbeiten,  daß  sie  wie  Bilder  vor  uns  stehen,  und  zwar  wie 
szenische  Bilder;  denn  sie  sind  durch  das  Band  einer  regen  Handlun-x 
mit  einander  verbunden.  Auf  diese  Weise  erhebt  sich  der  Stil  zu 
einer  starken  dramatischen  Anschaulichkeit. 

Diese  Anschaulichkeit  wird  oft  nur  durch  eine  kurze  szenische 
Bemerkung,  die  wie  eine  Angabe  für  Schauspieler  oder  Regisseur 
aussieht,  erzielt. 

Solche  Angaben  sind  etwa:  I^t  ä  cest  cop,  tenant  la  chandelle 
en  sa  main,  se  iire  pres  du  lit  (I4) ;  le  bon  compaignon,  tousjours 
la  chandelle  e?i  sa  main,  fut  assez  longuement  sans  dire  mot  (I5); 
sa  bonne  femme,  qui  mesnageoit  par  leans,  en  main  tenant  ung 
ramon  {Iq);  la  femme  du  musnier  portant  deux  cruches  et  retournant 
de  la  riviere  (I17);  .  .  .  se  devisassent,  en  pourmenant  par  une 
salle  (Ißs);  ^^  voix  basse  et  de  plours  entremeslee  respondit  la 
fille  (I109);  i^]/  dist,  en  luy  donnant  ung  petit  coup  sur  le  chapeau 
(I201);  ce  patient  la  vient  trouver^  onvrant  de  sage,  et  ewpres  d'elle 
se  met  (H.joo)- 

Das  Charakteristische  dieser  und  anderci-  Stellen  i>t  weniger 
die   genaue,    bis   in   Ii^inzelheitcn    peiiiiiche    Darstellung,    sondern   die 


76  Walther  Küchler. 

kurze  Verdeutlichung  des  Vorganges,  die  dabei  der  Phantasie  des 
Lesers  einen  großen  Spielraum  läßt.  Wenn  z.  B.  in  Novelle  25  der 
Angeklagte  verhört  werden  soll,  so  erhalten  wir  ein  kurz  angedeutetes, 
szenisches  Bild:  Apres  ses  parolles,  le  prevost  se  vient  meltre  en 
siege  pontiUcal  ä  dextre  et  environnS  de  ses  hommes,  et  le  hon 
compaignon  fut  mis  et  assis  sur  le  petit  banc  ou  parquet,  ce 
voyant  toitt  le  peiiple  et  celle  qui  V accusoit.'-''  In  einer  anderen 
Novelle  (35)  sehen  wir  den  Aufbruch  einer  Gesellschaft  nach  Auf- 
hebung der  Tafel:  Apres  soupper,  la  compaignie  sen  ala  ä  Veshat\ 
le  Chevalier  estrange  tenant  madame  par  le  hraz.^  et  aucuns  aultres 
gentilz  hotnmes  tenans  le  surphis  des  damoiselles  de  leens.  Et  le 
seigneur  de  Vostel  vevoit  derriere;  et  enqueroit  des  *voyages  de  son 
hoste  ä  ung  ancien  gentil  homme. 

Der  Augenblick  steht  uns  mit  einer  plastischen  Deutlichkeit  vor 
den  Augen,  wenn  es  in  Novelle  32  heißt  passans  par  devant 
Veglise  .  .  .  la  cloche  de  l'Ave  Maria  sonna  tout  ä  ce  coup,  et 
le  hon  homme  s^enclina  sur  la  terre  pour  dire  ses  devocions, 
et  sa  femme  luy  dist. 

Ein  Bild  von  großer  dramatischer  Anschaulichkeit  ist  die  Szene, 
welche  in  Novelle  29  den  ganz  verstörten,  still  in  einem  Lehnstuhl 
neben  seinem  Bette  sitzenden,  jungvermählten  Gatten  mit  seinen  vergnügt 
lärmenden,  essenden  und  trinkenden  Hochzeitsgästen  kontrastiert. 
Die  Gäste,  die  sich  sein  Benehmen  nicht  erklären  können,  quälen 
ihn  mit  allerlei  spöttischen  Redensarten,  so  daß  er,  der  anfangs  wie 
ein  Steinbild  dagesessen  hat,  zuletzt  wie  ein  von  allen  Seiten  gehetzter. 
Eber  sich  ihnen  ergibt  und  ihnen  sein  kurioses  Erlebnis  berichtet 
Das  ist  eine  Handlung,  die  ungleich  dramatischer  ist  als  die  ganze' 
wirklich  auf  der  Bühne  gespielte  Farce. 

Ein  feiner,  dramatischer  Instinkt  leitet  den  Erzähler,  wenn  er 
in  der  Erzählung  von  dem  weisen  Hund  des  Cure  eine  große  Ver- 
sammlung im  bischötiichen  Palast  inszeniert,  in  deren  Mitte  mit  um 
so  größerem  Effekte  der  schlaue  Cure  den  erstaunlichen  Fall,  daß 
der  Hund  ein  Testament  zu  Gunsten  des  Bischofs  gemacht  habe, 
berichtet.  lu  keiner  der  älteren  Fassungen  findet  sich  diese  Szene, 
so  daß  sie  wohl  sicher  das  Verdienst  des  Verfassers  der  C.  AI  N.  ist. 

Beachtenswert  ist  eine  stumme  Szene  in  Novelle  27.  Die  Gattin 
sucht  mit  aller  Macht  eine  List,  um  ihren  Gatten  für  die  Nacht,  die 
sie  ihrem  Geliebten  versprochen  hat,  unschädlich  zu  machen.  Sie  ist 
tief  in  Gedanken  versunken,  ihr  Gatte  und  ihre  Dienerinneu  sind  mit 
im  Zimmer.  Dem  Gatten  fällt  ihr  Sinnen  auf.  Diese  Situation  stellt 
der  Erzähler  so  dar:  Le  pouvre  mary  voyant  sa  femme  ung  peii 
muser  et  enteniivement  penser.,  et  ne  savoit  ä  qui  ne  u  quoy,  la 
regardoit  tresfort,  puis  l'ime  puis  lautre  des  femmes  de  leans, 
et  aucunes  foiz  par  la  chambre.  Tant  regarda  saus  mot  dire 
quHl  perceut  d'aiventure  au  pii  de  la  couchette  ung  bahn  qui 
estoit  d  sa  femme.     Et  affin  de  la  faire  parier  et  s'oster  hors  de 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  77 

son  penser.  demanda  de  quoy  servoit  ce  bahu  en  la  chiunbre  etc. 
Diese  Frage  wird  ihm  zum  Verderben;  denn  ao  sie  knüpft  die  List 
der  Gattin  an. 

Es  ist  erstaunlicli,  mit  welch  geringen  Mitteln  der  Erzähler  die 
Wirkung  dramatischer  Anschaulichkeit  zu  erzielen  weiß.  Das  Geheimnis 
beruht  in  seiner  immer  regen,  inneren  Anscbauung&kraft,  die  ihn  seine 
Situtation  sehen  läßt.  Die  einfach-natürliche,  kunstlose  Wiedergabe 
seiner  eigenen  Vorstellungen  erweckt  dann  die  Phantasiethätigkeit  des 
mitarbeitenden  Lesers,  der  angeregt  wird  die  Situation  ebenso  zu  sehen 
und  sie  noch  weiter  eigenmächtig  auszugestalten.  Es  ist  der  Vorzug 
des  guten  Erzählers,  einen  solchen  beständigen  Kontakt  zwischen  sich 
selbst  und  seinem  Leser  herzustellen.  Diese  Fähigkeit  besitzt  der 
Verfasser  der  C.  N.  N.  in  reichem  Maße. 

Es  kommt  allerdings  auch  oft  genug  vor,  das  darf  nichtverschwiegen 
werden,  daß  die  Situation  in  ihren  Umrissen  nicht  so  gut  herausgearbeitet 
ist,  wie  es  der  Augenblick  verlangt.  Der  Eindruck  wird  oft  dadurch 
geschwächt,  daß  der  Autor  über  den  Vorgang  durch  ein  gleichmäßiges 
Forterzählen  hinweggleitet,  anstatt  mit  ein  par  kurzen,  andeutenden 
Strichen  seine  Besonderheit  zu  unterstreichen  und  dadurch  die  Situation 
aus  dem  Zusammenhange  schärfer  herauszuarbeiten.  Wir  haben  es 
eben  nicht  mit  einem  ausgereiften  Stil  zu  tun,  sondern  haben  eine 
impulsivere  Ausdrucksweise  vor  uns.  Es  fehlt  keineswegs  die  stilistische 
Verarbeitung  —  wir  haben  sie  konstatirt  —  aber  sie  ist  vielleicht 
mehr  ein  natürliches,  naives  Verlangen  nach  Effekten,  als  ein  auf 
bewußter  Schulung  beruhendes  Stilprinzip,  da  wenigstens  wo  sie  nicht 
unselbständiges  Nachahmen  einer  bombastisch-rhetorischen,  verkünstelten 
Literatursprache  ist,  wie  sie  gerade  die  burgundische  Schule,  in  deren 
Umgebung  unser  Autor  gelebt  hat,  züchtete. 


Als  ein  Ausfluß  der  natürlichen  Begabung  des  Erzählers  ist  auch 
das  letzte  Stilmittel,  das  den  Novellen  eine  hervorragende  dramatische 
Anschaulichkeit  verleiht,  anzusehen,  nämlich  die  Dialogführung,  die 
häufige  Anwendung  des  Gesprächs  überhaupt. 

Die  volkstümliche  Erzählungsweise  liebt  die  direkte  Rede.  Der 
einfache  Erzähler,  der  Situationen  wiedergibt,  die  auf  Unterhaltung, 
Diskussion,  Hin-  und  Herrede  beruhen,  stellt  sie  fast  nie  indirekt  dar, 
sondern  möglichst  getreu,  wie  sie  sich  in  Wirklichkeit  zugetragen 
haben.  Das  alltäghche  Erzählen  erreicht  auf  diese  Weise,  wie  man 
sich  täghch  überzeugen  kann,  eine  ungemeine  Lebendigkeit  und  An- 
schaulichkeit. 

Die  Gespräche  in  unseren  Novellen  behandeln  keine  tiefen 
Gedanken  und  Empfindungen,  sondern  nur  die  gewöhnlichen  Dinge, 
die  sich  leicht  und  ungezwungen  in  den  Kreisen  der  mittelmäßigen 
und  wenig  außerordentlichen  Begebenheiten  abspielen.  Lebhafte 
Affekte,  Zornausbrüche,  Schimpf-  und  Spottreden,  Klagen,  Tröstungen, 


78  Wdlther  Küchler. 

Vereinbarungen,  wie  ein  Stelldichein  ins  Werk  zu  setzen  sei,  eine 
Täuschung  des  Gatten  herbeigeführt  werden  könne,  Auseinandersetzungen 
und  Erklärungen,  von  Gelächter  begleitet,  lu-tig-anspruchslose  Gegen- 
stände geben  das  Material  zu  diesen  Gesprächen  her.  Sie  niederzu- 
schreiben braucht  es  keiner  besonderen  Anstrengung,  keine  Erhebung 
in  höhere  Sphären,  Nur  die  kleinen  Nuancen  des  Ewig-Gleichen,  des 
Gewöhnlichen  sind  zu  behandeln.  Nötig  ist  nur  die  schwierige, 
selten  anzutreffende  Kunst  der  Übertragung  der  Beobachtung  des 
Lebens  auf  das  Pergament.  Dieses  Können,  das  den  Eindruck  der 
absoluten  Kunstlosigkeit  hervorrufen  muß,  besitzt  unser  Erzähler, 

Diese  realistische  Kunst  der  Gesprächführung  ist  sein  eigenstes 
Verdienst.  Er  fand  keine  Beispiele  in  der  Literatur.  Er  schrieb 
-auch  sicherlich  seine  Erzählungen  nicht  so,  wie  er  sie  hörte,  er  kopierte 
nicht  einzeln  vorgetragene  Erzählungen,  er  kopierte  die  Umgangs- 
sprache des  täglichen  Lebens.  Der  Erzähler  verwendet  den  Dialog 
gewissermaßen  ganz  instinktiv.  Er  denkt  nicht  daran,  den  Dialoü  als 
eine  bewußte  Kunstform  zu  betrachten,  die  seinen  Erzählungen  einen 
vornehmen,  imposanten  Schmuck  geben  könnte.  Er  fügt  ihn  ohne 
jede  besondere  Ankündigung  in  die  Handlung  ein.  Ganz  unvermittelt 
geht  oft  die  indirekte  Rede  in  die  direkte  Rede  über  oder  die  direkte 
Rede  in  die  indirekte.  Häufig  unterbricht  die  direkte  Unterhaltung 
eine  indirekte  Fortsetzung,  die  ihrerseits  wieder  in  die  direkte  Rede 
ausläuft.  Häufig  beginnt  das  Gespräch  niclit  an  seinem  wirklichen 
Anfang  und  schließt  nicht  mit  seinem  eigentlichen  Ende. 

Manchmal  dient  der  Dialog  dazu,  die  Handlung  als  solche  in 
Fluß  zu  bringen,  am  häufigsten  ist  er  dann  angewendet,  wenn  die 
Hauptsituation  mit  möglichst  dramatischer  Anschaulichkeit  wiederge- 
geben werden  soll.  Gelegentlich  steht  auch  ein  längerer  Dialog  an 
nebensächlichen  Momenten  der  Handlung,  ohne  einen  ersichtlichen 
Grund,  lediglich  um  des  behaglichen,  leicht  retardierenden  Er- 
zählens  willen. 

Die  Dialoge  sind  im  allgemeinen  kurz.  Je  kürzer  sie  sind, 
um  so  besser  sind  sie  gewöhnlich.  Am  besten  sind  sie,  wenn  die 
Reden  und  Gegenreden  nur  aus  kurzen,  schlagartig  fallenden,  hin- 
geworfenen und  aufgenommenen  Bemerkungen  bestehen,  wenn  auf 
beiden  Seiten  eine  gewisse  Erregung  waltet,  wie  ja  z.  B,  Mann  und 
Frau  oft  genug  Gelegenheit  zu  erregten  Auseinandersetzungen  haben. 

Ein  Mittel,  welches  den  Dialog  sehr  lebhaft  und  realistisch 
gestaltet,  ist  die  Fortführung  des  Gesprächs  durch  Wiederaufnahme 
einzelner,  von  dem  Partner  bereits  verwendeter  Wörter  und  Bi'griffe, 
z.  B,  Et  quoy  donc?  —  Quo^ß  —  Voire  quoyl  i\x2(d\  J^  '^^^^ 
aller  payer.  —  Quoy  paier?  dit-il.  —  Vous  le  savez  bien,  dit-elle., 
et  si  le  demandez.  —  Que  scay-je  bien?  dit-il;  je  ne  me  mesle 
pas  de  voz  debtes.  —  Au  maitis,  dit-elle,  savez  voits  bien  quHl  me 
fault  paier  le  disme.  —  Quel  disme?  (Iipsj. 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  79 

Gelegentlich  erweitert  sich  der  Dialog  zu  Gesprächen  zwischen 
Dreien  oder  gar  Mehreren,  ganz  selten  finden  wir  auch  den  Monolog, 
einmal  mit  stark  humoristischer  Wirkung. 

Neben  den  lebhaft  geführten  Dialogen  im  volkstümlichen  Ton 
gibt  es  natürlich  auch  Gespräche  in  geschraubter  Form,  aber  sie 
treten  zurück  hinter  den  andern. 


Wir  sind  zu  Ende  mit  der  Betrachtung  der  stilistischen  Formen 
der  C.  N.  N.  Da  wir  es  nicht  mit  einem  technisch  sorgsam 
durchgearbeiteten  Stil  zu  tun  haben,  so  konnten  wohl  die  angeführten 
Bemerkungen  genügen,  um  die  originelle  Begabung  unseres  Autors 
zu  zeigen.  Diese  Be,u;abung  baut  sich  auf  —  so  erscheint  es  uns  —  auf 
einem  lebhaften,  volkstümlichen  Empfinden,  das  sich  im  allgemeinen 
in  natürliclien,  volksmäßigen  Formen  äußert.  Die  Vorzüge  des  Stils 
erklären  sich  wenigstens  alle  aus  dieser  persönlichen  Veranlagung. 
Mit  dieser  seiner  Eigenschaft  erscheint  der  Verfasser  als  ein  Vertreter 
jenes  Esprit  gaulois,  der  uns  in  den  Fabliaux  und  im  Roman 
de  Renart^  überhaupt  in  der  volkstümlichen  Schwankerzählung 
entgegentritt.  Der  Verfasser  verkörpert  jenen  rohen,  genügsamen 
Geist  der  Masse,  der  an  der  derben  Darstellung  des  Geschlechtlichen, 
der  rohen  und  ungestümen  Behandlung  des  Empfindens  seine  helle 
Freude  hat,  der  jede  Unwahrscheinlichkeit  und  Obszönität  hinnimmt, 
wenn  sie  ihm  nur  Gelegenheit  zu  schallendem  Gelächter  geben.  In 
der  innigen  Sympathie  mit  diesem  Esprit  gaulois  —  der  übrigens 
keineswegs  eine  der  gallischen  Rasse  allein  eigentümliche  Eigenschaft 
ist  —  beruht  die  ursprüngliche  Begabung  des  Verfassers  der  C.  N.  N. 

Aber  neben  dieser  starken,  volkstümlichen  Grundlage  ist  viel 
Gekünsteltes  in  den  Novellen.  Diese  gekünstelten  Formen  treten  auf 
als  die  Folgen  literarischer  und  gesellschaftlicher  Einflüsse.  Sie  sind 
eine  Konzession  an  das  rhetorisch -verfeinerte  Element,  das  sich  in 
der  burguiidischen  Literatur,  die  wohl  in  engstem  Zusammenhang  mit 
dem  gesellschaftlichen  Leben  höfischer  Kreise  stand,  breit  macht. 
Man  braucht  nur  die  Werke  Cliastellains,  des  burgundischen  Historio- 
graphen  und  die  des  Antoine  de  la  Säle,  dessen  frisches  Erzähler- 
talent auch  in  dieses  verbrämte  Gewand  gesteckt  wurde,  zu  lesen,  um 
Pomp  und  Rhetorik,  Ziererei  und  Künstelei  wiederzufinden.  In  dem 
Milieu  des  burgumli-chen  Hofes  verkehrte  auch  unser  Erzähler.  Er  hat 
vielleicht  Chastellain,  La  Säle  uml  andere  Vertreter  der  höfischen 
Literatur  gt'Uannt.  Er  eignete  sich  ganz  von  selbst  die  Ausdrucks- 
formen dieser  literarischen  und  gesellscluittliclien  Umgebung  an.  Er 
war  mitten  in  einer  Tcmletiz,  die  dem  Esprit  precieux  zustrebte. 
Wirklich  prezios  war  die  höfische  Gesellschalt  dieser  Tage  noch  nicht. 
Sie  war  noch  zu  ndi  und  zu  rauh.  Ihre  Mondänität  und  Höflichkeit 
war  nur  ein  dünner  Firnis,  wie  es  ein  Jahrhundert  vor  ihr  auch 
die  Gesellschaft  des  Chevalier  de  La  Tour  war.    Die  wirklichen  Preziösen 


80  Walther  Küchler. 

beginnen  erst  mit  der  Marquise  von  Rambouillet,  die  im  Namen  des 
weiblichen  Zartgefühls  gegen  die  männliche  Roheit  protestierte.  Nur 
die  äußeren  Umgangsformen  der  Zeit  der  C.  N.  N.  sind  in  höfischen 
Kreisen  ganz  im  Sinne  des  späteren  preziösen  Geistes  gehalten. 

Aber  das  preziöse  "Wesen  entsprach  nicht  dem  derben  Charakter 
des  Verfassers,  so  gut  er  auch  gelernt  haben  mochte  sich  ihm  äußerlich 
anzupassen.  Und  so  bleibt  denn  das  Volkstümliche,  wie  es  sich  auch 
für  den  volkstümlichen  Stoff  gehört,  das  stärkere  Element  in  seinem 
Schaffen,  und  das  Höfisch-Preziöse,  das  sich  schon  deswegen  einstellte, 
weil  er  für  höfische  Kreise  schrieb,  wird  durchsetzt  mit  einem  humoristisch- 
ironisch-parodistischem  Gewürz,  weil  die  derbe  Natur  es  nur  auf  diese 
Weise  für  sich  schmackhaft  machen  konnte. 

Ich  hoffe,  daß  es  mir  mit  Hülfe  der  [reinen  Stilbetrachtung 
gelungen  ist,  die  formale  Veranlagung  des  Verfassers  zu  verdeutlichen. 
Die  Absieht  war  es  wenigstens.  Das  Bild  wird  sich  vielleicht  ver- 
vollständigen, wenn  wir  in  einem  neuen,  der  Form  der  C.  iV.  N. 
gewidmeten  Abschnitt  das  in  ihnen  zum  Ausdruck  kommende 
Kompositionsverfahren  des  Erzählers  betrachten.  Der  Name  Kom- 
position klingt  vielleicht  etwas  hoch  für  diese  kurzen  Trug-  und 
Liebesgeschichten.  Dennoch  dürfen  wir  an  der  Sache  selbst  nicht 
vorbeigehen;  denn  es  handelt  sich  darum,  die  Anfänge  der  Kunst 
der  kurzen  Prosaerzählung,  mögen  sie  auch  unbedeutender  Art  sein, 
zu  erkennen. 

B.   Die  Komposition  der  Cent  NouTclles  Nouvelles. 

Wenn  man  die  Novellen  auf  ihre  Komposition  hin  untersucht, 
so  findet  man  bald,  daß  sie  nach  einem  ganz  bestimmten  erzählerischen 
Prinzip  aufgebaut  siud.  Von  einigen  Erzählungen  abgesehen,  hat  jede 
eine  Hauptsituation,  um  deretwillen  sie  erzählt  worden  ist.  Aber  der 
Verfasser  begnügt  sich  nicht  damit,  diese  eine  Situation  anschaulich 
herauszuarbeiten  und  die  Umstände,  die  zu  ihr  hinführen  und  sie 
ermöglichen,  kürzer  abzutun,  um  möglichst  schnell  zu  seinem  eigent- 
lichen Gegenstand  zu  gelangen.  Keineswegs.  Fast  nie  geht  er  auf 
dem  kürzesten  Wege  auf  sein  Ziel  los.  Oder  vielmehr,  er  geht  wohl 
den  direkten  Weg,  aber  er  legt  ihn  nicht  voller  Eile  zurück,  er  bleibt 
halten,  so  oft  es  geht,  er  macht  Etapen,  er  zerlegt  sich  seinen  Weg 
in  viele  Stationen,  uud  jede  ist  ihm  bedeutend  genug,  um  einen 
Augenblick  an  ihr  zu  verweilen.  Er  geht  nicht  sogleich  in  medias 
res.  Er  geht  in  Gedanken  rückwärts  bis  zu  dem  frühesten  Anfangs- 
punkt, und  von  diesem  Punkte  aus  steuert  er  dann  gemächlich,  aber 
sicher  auf  sein  Ziel  los.  Er  geht  peinlich  chronologisch  vor.  Er 
klärt  bis  ins  Einzelne  die  Vorgeschichte,  die  Vorbedingungen  des 
Falles  auf.    Wenn  er  es  manchmal  nicht  tut,  so  sind  das  Ausnahmen, 

Betrachten  wir  an  einer  Reihe  von  Novellen  die  gewöhnliche 
Art  seines  Verfahrens. 


Die  Cent  NouveUes  Nouvelles.  81 

Novelle  16  ist  die  bekannte  Erzählung  von  dem  betrogenen 
einäugigen  Gatten.  Die  uns  erhaltenen  Fassungen  behandeln  das 
Motiv  auf  das  Kürzeste.  Heimkehr  des  Gatten,  List  der  Frau, 
Entschlüpfen  des  Liebhabers.  Wie  stellt  unser  Autor  das  Motiv  dar? 
Ein  reicher,  mächtiger  Ritter  ist  mit  einer  ebenso  vornehmen  Dame 
verheiratet.  Sie  leben  lange  Jahre  friedlich  zusammen.  Da  beschließt 
einmal  der  gottesfürchtige  Ritter,  da  sein  Land  in  Frieden  lebt, 
seinen  Körper,  der  schön  und  wohlgestaltet  ist  —  nur  ein  Auge  hatte 
er  einst  in  einem  Kampfe  verloren  —  für  Gott  in  die  Schanze  zu 
schlagen.  Nach  Verabschiedung  von  seiner  Gattin  und  mehreren 
Freunden  und  Verwandten  macht  er  sich  auf  den  Weg  zu  den 
preußischen  Ordensrittern.  In  ihrem  Dienst  verrichtet  er  tapfere 
Taten,  so  daß  sich  sein  Ruhm  durch  schriftliche  und  mündliche  Kunde 
in  manche  Länder  verbreitet.  Seine  Gattin  gibt  unterdessen  den 
Bitten  eines  liebenswürdigen  Ritters  nach  und  erlaubt  ihm  Stell- 
vertreter ihres  fernen  Gatten  zu  sein.  Tandiz  que  monseigneur 
jeune  et  fait  penitence,  madame  fait  gogettes  avecques  Vescuier; 
le  plus  des  foiz  monseigneur  se  disne  et  souppe  de  hiscuit  et  de 
la  belle  fontaine^  et  madame  a  de  tous  les  biens  de  Dien  si 
largement  que  trop;  monseigneur  au  mieulx  se  couche  en  la 
paillace,  et  madame  en  ung  tres  beau  lit  avec  Vescuyer  se  repose. 
Nachdem  die  Macht  der  Sarazenen  gebrochen  ist,  beschließt  der 
Ritter  nach  Hause  zurückzukehren.  Er  sehnt  sich  nach  seiner 
Frau,  die  auch  ihm  in  mehreren  Briefen  von  ihrer  Sehnsucht 
geschrieben  hat.  Die  Ungeduld  läßt  ihn  in  Eile  reisen.  Des 
Morgens  ist  er  stets  der  erste  auf,  immer  ist  er  seinen  Leuten  vor- 
aus, manchmal  eine  Viertel  Meile.  So  langt  er  bald  zur  Nacht  allein 
im  Hofe  seines  Schlosses  an,  wo  er  einen  Knecht  findet,  der  ihm 
sein  Pferd  abnimmt.  Gestiefelt  und  gespornt  eilt  er  ins  Haus,  findet 
sein  Zimmer  aus  gutem  Grund  verschlossen  und  klopft  um  Einlaß. 
Die  Gattin,  welche  die  Stimme  ihres  Gemahls  wohl  erkannt  hat, 
stellt  sich  schlafend  und  will  lange  nicht  glauben,  daß  er  es  wirklich 
ist  usw. 

Man  sieht,  ehe  der  Autor  zu  der  List  der  Gattin  gelangt,  die 
das  eigentliche  Thema  der  Erzählung  ist,  legt  er  eine  große  Anzahl 
von  Einzelsituationen  und  Handlungsphasen  in  sie  hinein,  welche  das 
alte  Motiv  in  ein  bestimmtes  Milieu  einkleiden  und  es  zu  einem 
ganz  bestimmten  Einzelfall  gestalten.  Ohne  daß  er  der  altbekannten 
Fabel  wirklich  Neues  hinzufügt,  erweitert  er  sie  systematisch  und 
baut  eine  Reihe  von  Entwiklungsmöglichkeiten  aus,  die  von  Anfang 
an  in  ihr  lagen.  Er  gestaltet  das  kurze  Motiv  mit  seiner  Phantasie 
weitschweifig  aus.  Er  macht  es  interessant.  Wir  interessieren  uns 
für  den  braven  Ritter,  der  gegen  die  Sarazenen  kämpft,  dann  von 
Sehnsucht  gepackt  wird,  voller  Erwartung  heimeilt,  um  dann  so 
schnöde  und  lächerlich  getäuscht  zu  werden.  Wir  bedauern  ihn,  den 
wir    so    lange    begleitet   haben,    und  müssen   doch   lächeln   über  die 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI '.  6 


82  Wallher  Küchler. 

hinterlistige  Schlauheit,  der  er  zum  Opfer  fällt.  Das  bewirkt  die 
Kunst  der  Erzcählung,  die  geschickte  Komposition.  Die  Erzählungen 
der  Gesta  Romanorum  und  des  Petrus  Alphonsus  lösen  solche 
Empfindungen  nicht  aus.  Da  ist  es  nur  die  List,  die  Eindruck  auf  uns 
macht,  der  miles  läßt  uns  gleichgültig. 

Ein  anderes  Beispiel.  Poggio  erzählt  ganz  kurz  in  Facecie 
237:  Sacerdos  quidam  meridie  cum  uxore  rustici  jacebat  in  lecto 
sub  quo  latebat  rusticus,  ut  Sacerdotem  deprehenderet.  Cum 
sacerdos  labore  forsan  nimio  in  quamdam  levem  vertiginem 
incidisset^  nescius  virum  sub  lecto  absconditum:  «  Ho!  totum 
orbem  terrarum  mihi  videor  conspicere  »  inquit.  Tum  rusticus^ 
qui  i^ridie  asinum  perdiderat^  injuriarum  obliius:  «  Uo!  respice, 
quceso  »  ait,  «  an  sicubi  asimim  meum  forsan  videas.  » 

Es  dauert  recht  lange,  bis  in  Novelle  12  der  C.  N.  N.  der 
Verfasser  zu  einer  ähnlichen  Situation  gelangt  ist.  Er  erzählt:  Ein 
Narr  beschloß  das  Schlimmste  zu  tun,  was  er  tun  konnte,  nämlich 
zu  heiraten.  Als  er  verheiratet  war  —  es  war  im  Winter  —  kannte 
seine  sinnliche  Glut  keine  Grenzen.  Die  langen  Nächte  der  Jahres- 
zeit genügten  ihm  nicht,  solches  Bedürfnis  fühlte  er  nach  Nach- 
kommenschaft. Nicht  bloß  ein  oder  zwei  Monate  dauerte  seine  Glut. 
Die  Erinnerung  an  diesen  Arbeiter  wird  im  Lande  nie  aussterben. 
Die  Gattin,  gehorsam  wie  sie  war,  legte  ihrem  Gatten  kein  Hindernis 
in  den  Weg,  Einmal,  als  das  Wetter  nach  dem  Mittagessen  schön 
war,  als  die  Sonne  ihre  Strahlen  auf  die  mit  schönen  Blumen  bemalte 
und  bestickte  Erde  schickte,  kam  den  beiden  die  Lust  an,  ein  wenig 
in  den  Wald  zu  gehen.  Und  so  machten  sie  sich  auf  den  Weg,  Zu 
derselben  Zeit  hatte  ein  Bauer  sein  Kalb  verloren,  das  er  auf  einer 
Wiese  neben  dem  Wäldchen  weidete.  Überall  suchte  er  es,  in  Wald, 
Wiese  und  Feld,  aber  er  konnte  es  nicht  finden.  Da  dachte  er,  es 
könnte  sich  wohl  in  irgend  ein  Gebüsch  verkrochen  haben  oder  in 
einen  mit  Gras  bewachsenen  Graben,  aus  dem  es  mit  vollgefressenem 
Bauch  dann  wieder  herauskommen  würde.  Und  um  nicht  überall 
nach  seinem  Kalbe  suchen  zu  müssen,  wählte  er  sich  den  höchsten 
Baum  des  Gehölzes  und  stieg  auf  ihn  hinauf,  um  von  dort  Umschau 
zu  halten.  Es  war  ihm,  als  hätte  er  es  schon  halb  gefunden.  Während 
so  der  Bauer  von  seinem  Baume  aus  nach  allen  Seiten  die  Augen 
ausschickt,  sind  die  beiden  jungen  Eheleute  unter  allerlei  Gesängen 
Spielen  und  Scherzreden  commc  fönt  les  cueurs  gaiz  quand  Hz  se 
trouvent  es  plaisans  lieux  in  den  Wald  gekommen.  Wie  der  Ehe- 
mann den  schönen  Baum  sieht,  da  kommt  ihn  die  Lust  an,  sich 
unter  ihm  mit  seiner  Frau  zu  lagern  etc.  etc. 

Wieder  holt  der  Verfasser  weit  aus.  Er  beginnt  mit  dem 
Entschluß  zur  Ehe.  Nacheinander  führt  er  die  beiden  Parteien,  welche 
die  Posse  zu  spielen  haben,  vor,  und  erklärt,  gleichsam  wie  in  einer  aus 
mehreren  Szenen  bestehenden  Exposition,  wie  sie  sich  begegnen  konnten. 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  83 

In  vielen  Fcällen  ist  es  ebenso.  Da  nur  durch  die  Fülle  der 
Beispiele  das  Prinzipielle  der  Bebandlungsweise  ersichtlich  wird,  so 
seien  noch  einige  Novellen  angereiht. 

Novelle  21  hätte  ja  etwa  so  beginnen  können:  Eine  Aebtissin 
war  einmal  schwer  krank,  und  der  Arzt  hatte  ilir  vertrauten  Umgang 
mit  einem  Manne  als  einziges  Heilmittel  empfohlen.  Aber  sie  wollte 
lieber  sterben  als  .  .  .  Statt  dessen  beginnt  die  Novelle  so:  Die 
junge,  schöne  Aebtissin  einer  normannischen  Abtei  wurde  krank.  Ihre 
frommen  und  barmherzigen  Schwestern  trösteten  sie  so  oft  und  gut 
sie  konnten.  Als  aber  die  Krankheit  nicht  besser  werden  wollte, 
wurde  eine  der  Schwestern  mit  dem  Urin  der  Aebtissin  nach 
Rouen  zu  einem  berühmten  Arzte  gesandt.  Die  auserlesene  Nonne 
macht  sich  andern  Tags  auf  den  Weg,  kommt  in  Rouen  an,  zeigt  dem 
Arzt  die  mitgebrachte  Probe  und  erzählt  die  Krankheit  der  Aebtissin 
in  allerlei  Einzelheiten.  Der  Arzt  gibt  sein  Mittel  an,  die  Nonne 
möchte  voller  Schrecken  gern  ein  anderes  wissen,  aber  der  Arzt  besteht 
auf  seinem  Rat.  Die  gute  Schwester  wagt  kaum  zu  Mittag  zu  essen, 
solche  Eile  hat  sie  heimzukehren.  Mit  Hülfe  ihres  guten  Pferdes 
und  ihrer  großen  Sehnsucht  kommt  sie  so  schnell  vorwärts,  daß  die 
Aebtissin  ganz  erstaunt  ist  sie  so  bald  wieder  zu  sehen.  Wie  die 
Handlung  weitergeht,  ist  unnötig  anzuführen,  es  kam  nur  darauf  an, 
die  Exposition  zu  zeigen. 

Der  Kern  von  Novelle  35  ist,  daß  eine  Dame  ihren  Platz  im 
Schlafgemach  verläßt,  um  bei  ihrem  Freunde  weilen  zu  können.  Der 
Gatte  findet,  als  er  gegen  Morgen  aufwacht,  das  junge,  frische  Kammer- 
mädchen neben  sich,  das  die  Stelle  der  Gattin  bei  ihm  einnehmen 
sollte.  Er  läßt  die  günstige  Gelegenheit  nicht  unbenutzt  vorübergehen 
und  begrüßt  Gast  und  Gattin  im  Nebenzimmer  mit  höhnischem  Spott. 

Diese  Begebenheit  wird  nicht  ohne  eine  Vorgeschichte  erzählt. 
Ein  Ritter  verliebte  sich  in  eine  Dame  und  erhielt  von  ihr  alles,  was 
er  erbat.  Nach  einiger  Zeit  ergriff  ihn  Reiselust,  er  zog  aus  und 
ging  nach  Spanien,  wo  er  sich  so  betrug,  daß  er  bei  seiner  Rückkehr 
in  die  Heimat  mit  großen  Ehren  empfangen  wurde.  Seine  Freundin 
hatte  sich  unterdessen  an  einen  alten  Ritter,  le  vray  registre  dlionneur 
verheiratet.  Als  nun  der  ehemalige  Geliebte  aus  Spanien  zurückkehrte, 
kam  er  eines  Abends  wie  von  ungefähr  in  das  Schloß  des  Ehepaares 
und  wunle  von  dem  Gatten,  mit  dem  ihn  alte  Freundschaft  verband, 
mit  größter  Freundlichkeit  empfangen.  Er  hat  nichts  anderes  zu 
tun,  als  die  Dame  zu  bitten  ihm  wieder  die  alte  Gunst  zu  gewähren. 
Diese  ganze  Einleitung  war  für  das  Schwankmotiv  durchaus  un- 
nötig. Sie  entspricht  ganz  der  Neigung  des  Erzählers,  der  es  liebt, 
seine  Personen  große  Reisen  machen  zu  lassen.  Mehr  als  einmal 
geht  eine  Reise  der  eigentlichen  Erzählung  voraus.  So  fügt  der 
"Verfasser  der  Erzählung  vom  Schneekind  ganz  eigenmächtig  und 
überflüssig  eine  erste  Reise  des  Kaufmanns  hinzu,  während  deren 
Verlauf  die  Gattin  ihm  treu  bleibt  (Nov.  19).     Eine  Reise  muß  erst 


84  Walther  Küchler. 

der  Ritter  unternehmen,  um  später  den  Beichtiger  seiner  ungetreuen 
Frau  spielen  zu  können  (Nov.  78). 

Poggio  beginnt  Facecie  143:  Florentice,  juvenis  quidam  cum 
novercam  suhigeret,  ac  superveniens  pater  filium  etc.  Der  Erzähler 
der  C.  N.  N.  dagegen:  „Da  junge  Leute  gern  auf  Reisen  gehen  und 
Vergnügen  darin  finden,  die  Abenteuer  der  Welt  zu  sehen  und,  zu 
suchen,  so  gab  es  auch  jüngst  im  Ländchen  Lannoys  einen  Bauern- 
burschen, der  von  seinem  10,  bis  26.  Jahre  immer  außer  Landes 
war.  Während  der  ganzen  Zeit  seiner  Abwesenheit  hatten  Vater  und 
Mutter  keine  einzige  Nachricht  von  ihm,  so  daß  sie  manchmal  dachten, 
er  möchte  wohl  gestorben  sein.  Aber  zu  ihrer  größten  Freude  kam 
er  dennoch  wieder.  Am  meisten  freute  sich  seine  Großmutter,  sie 
küßte  ihn  wohl  mehr  als  fünfzig  Mal.  Als  es  zum  Schlafen  gehen 
sollte,  waren  nur  zwei  Betten  da,  und  darum  mußte  der  Sohn  bei  der 
Großmutter  schlafen  (Nov.  50).  In  diesem  Falle  trägt  die  Vorgeschichte 
vielleicht  ein  wenig  dazu  bei,  das  unglaubliche  Vorkommnis  einiger- 
maßen zu  motivieren  (Freude  der  Alten,  Vorhandensein  von  nur 
zwei  Betten). 

Mit  Überlegung  scheiiit  auch  in  Novelle  11  dem  Kern  der 
Handlung  eine  Exposition  vorangesetzt  zu  sein.  Die  Novelle  beginnt 
wie  die  Facecie  133  des  Poggio,  der  sie  nachgebildet  ist,  mit  der  Eifer- 
sucht des  Gatten.  Dann  aber  führt  sie  aus,  zu  welchen  Dingen  den 
Eifersüchtigen  seine  Pein  verleitete.  Eines  Tages,  als  er  daran  dachte, 
daß  er  nun  schon  verschiedenen  Heiligen,  darunter  auch  dem  heiligen 
Michael,  Opfer  dargebracht  habe,  fiel  ihm  ein,  er  könne  auch  dem 
eine  Gabe  bringen,  der  zu  den  Füßen  des  heiligen  Michael  dargestellt 
sei,  nämlich  dem  Teufel.  Durch  einen  seiner  Diener  läßt  er  ihm 
eine  große  Wachskerze  widmen  und  ist  gespannt  auf  den  Ausgang. 
Im  Traum  der  Nacht  erscheint  ihm  dann  auch  der  Teufel,  dankt  ihm 
für  die  Gabe  und  zeigt  sich  ihm  auf  seine  Weise  erkenntlich. 

Die  Vorgeschichte  ist  so  geschickt  in  die  grobe  Posse  hineiu- 
komponiert,    daß   man   meinen   sollte,   sie   habe   stets   zu   ihr  gehört. 

Es  könnten  noch  eine  ganze  Reihe  von  Erzählungen  angeführt 
werden,  die  dieses  Prinzip,  dem  eigentlichen  Kern  der  Handlung  eine 
kürzere  oder  längere  Vorgeschichte  voranzuschicken,  nachweisen  würden. 
Diese  Eigenart  der  Komposition  zeigt  die  Selbständigkeit,  mit  der 
der  Verfasser  seinen  Stoffen  gegenübersteht.  Er  schafft  ihnen  auf 
diese  Weise  häutig  eine  neue  Grundlage,  er  maclit  z.  B.  aus  einer 
ganzen  Facecie  des  Poggio  nur  eine  einzelne  Szene  in  einer  länger 
sich  hinziehenden  Handlung.  Es  gelingt  ihm  sogar,  durch  dieses  Ver- 
fahren seinen  Personen  Leben  einzuflößen  und  so  die  erzählte  Begeben- 
heit interessanter  zu  gestalten. 

Für  die  Technik  der  Darstellung  ist  dabei  zu  beachten,  daß 
die  meisten  dieser  Einleitungen  nicht  etwa  bloße  Zustandsschilderungen 
sind,  sondern  gerade  so  gut  handlungsmäßigen  Charakter  tragen,  wie 
der  Kern  des  Ganzen. 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  85 

Und  dieses  Auflösen  in  Handlungen  ist  nun  die  Eigenart  der 
Kompositionsweise  des  Verfassers  überhaupt.  Es  reiht  sich  Geschehnis 
an  Geschehnis,  Immer  die  Handhing  vorwärts  zu  führen  ist  der  Ver- 
fasser bedacht;  all  die  vielen,  kleinen,  subjektiven,  witzigen  und  ironischen 
Zutaten  können  die  Handlung  nicht  aufhalten.  So  kommt  ein  flottes 
Tempo  zu  stände,  es  gibt  kein  Zögern,  keine  Seitensprünge,  kein 
Fallenlassen  und  Wiederaufnehmen. 

Es  gibt  eine  Einteilung  in  Szenen,  man  könnte  manchmal,  wie 
etwa  in  Novelle  1,  32,  97  und  anderen  von  einer  Scheidung  in  Akte 
reden.  Gewiß,  die  Handlung  ist  nie  bedeutend,  aber  sie  ist  meist  reich 
an  Details,  an  fortwährend  wechselnden  Augenblicken.  Das  kommt 
daher,  daß  sich  der  Erzähler  gewöhnlich  nicht  auf  das  Was  der 
Begebenheiten,  die  Darstellung  des  Tatsächlichen  beschränkt,  sondern 
daß  er  das  Wie,  die  Art  und  Weise,  die  Mittel  und  Wege,  den  Ver- 
lauf der  Geschehnisse  vor  uns  entrollt. 

Wir  hören  in  Novelle  40  nicht,  daß  die  Metzgersfrau  erfährt, 
eine  Frau  sei  bei  ihrem  ungetreuen  Geliebten,  sondern  auf  welche  Art 
sie  es  erfährt.  Der  Leser  hat  gehört,  daß  der  Prediger  die  neue 
Geliebte  und  zwei  oder  drei  andere  Mönche  eingeladen  hat  und  daß 
es  bei  diesem  Zusammensein  hoch  hergeht  mit  Essen  und  Trinken. 
Von  dieser  Zusammenkunft  weiß  die  abgesetzte  Metzgerin  nichts. 
Wie  geht  es  zu,  daß  sie  doch  Kunde  von  ihr  erhält?  Hören  wir 
unsere  Erzählung: 

JVosire  houchiere  cognoissoit  asscz  les  gens  de  ces  prescheurs, 
qu'elle  veoit  passer  devant  sa  maison^  qui  portoient  puis  du  vin, 
puis  des  pastez,  et  puis  des  tartres,  et  tant  de  clioses  que  merveilles. 
Si  ne  se  peut  tenir  de  demander  quelle  feste  onfait  ä  leur  Hostel? 
Et  iL  luy  fut  respondu  que  ces  Mens  sont  pour  ung  tel,  cest 
nssavoir  son  moyne,  qui  a  gens  de  bien  au  d isner.  «Et  qui  sont 
Uz?  dit  eile.  —  Ma  foy  je  ne  sfay,  dit  il;  je  porte  mon  vin 
jusques  ä  Vlmys  tant  seulleme7it,  et  lä  vient  nostre  maistre  qui  me 
descharge]  je  ne  scay  qui  y  est.  —  Voire,  dit  eile,  c'est  la  secrete 
compaignie.  Or  hien  allez  vous  en  et  les  servez  bien.r>  Tantost 
passa  ung  aultre  serviteur  qu'elle  interrogo.  pareillement,  qui  luy 
dist  comme  son  compaignon,  mais  plus  avant,  car  il  dit:  «Je  pense 
qu'il  y  a  une  damoiselle  qui  ne  veult  pas  esire  veue  ne  congneue. » 
Die  Metzgersfrau  weiß  nun  genug  und  sinnt  sich  aus,  wie  sie  das 
Fest  stören  könne. 

Daß  Beispiel  zeigt  deutlich  die  Technik  des  Verfahrens,  nämlich 
das  Bestreben,  auf  handlungsmäßigem  Wege  den  Gang  und  die 
Entwicklung  der  Begebenheiten  vorzuführen. 

Ähnlich  erfahren  wir  in  Novelle  44  nicht  nur,  daß  der  von  dem 
begehrten  Mädchen  auf  die  Zeit  ihrer  Ehe  vertröstete  Priester  ihre  Ver- 
heiratung zustande  bringt,  sondern  umständlich,  wie  er  es  tut.  Er  gebt 
zuerst  zu  dem  A'ater  des  Mädchens,  bemerkt,  wie  schwer  es  sei,  ein  er- 
wachsenes junges  Mädclieu  im  Hause  zu  haben,  daß  er  einen  jungen,  braven 


86  Walther  Küchler. 

und  Heißigen  Mann  für  sie  wisse  und  bewirkt,  daß  der  Vater  voll- 
kommen mit  einer  Heirat  einverstanden  ist.  Alsdann  sucht  er  den 
Vater  des  vorgeschlagenen  Bnäutigams  auf  und  weiß  ihm  durch  hundert- 
tausend Gründe  zu  beweisen,  daß  die  Welt  verloren  sei,  wenn  sein 
Sohn  nicht  bald  heirate.  Er  schlägt  ihm  das  Mädchen  vor  und 
erlangt  schließlich  mit  Hülfe  von  zwanzig  Francs  die  Einwilligung 
dieses  Vaters,  und  so  kommt  die  Heirat  zu  stände.  Aber  dem  Cure 
sollten  seine  eifrigen  Bemühungen  nichts  fruchten;  er  wird  um  seine 
Beute  betrogen.  Die  Erzählung  dieses  Betrugs  bildet  dann  erst  den 
eigentlichen  Kern  der  Novelle.  Das  Mißgeschick  des  Pfarres  erscheint 
um  so  größer,  als  wir  Zeugen  gewesen  sind  von  der  Arbeit,  die  er 
aufgewendet  hat,  sein  Ziel  zu  erreichen. 

Noch  ein  kurzes  Beispiel:  In  der  Facecie  vom  klugen  Hund 
des  Cure  sagt  Poggio  nur  „Episcopus  .  .  .  reum  ad  se  puniendum 
vocat."  Wie  der  Cure  diese  Botschaft  aufnimmt,  erfahren  wir  nicht. 
In  der  französischen  Nacherzählung  dagegen  heißt  es:  L'evesque  .  ,  . 
le  manda  vers  luy  venir  ])ar  une  citation  que  ung  cicaneur  luy 
apporta.  ^Helasl  dist  le  eure  au  cicaneur,  et  que  ay  je  faif, 
et  qui  ma  faxt  citer  d'^office'^  Je  ne  me  sfay  trop  esbahir  que  la 
eourt  me  demande.  —  Quand  ä  moy,  dit  Vautre,  je  ne  sgay  quil 
y  a,  si  ce  nest  pour  tant  que  vous  avez  enfouy  vostre  chien  de- 
dans  Heu  saint  oü  Von  med  les  corps  des  chrestiens.  —  Ha/  ce 
pensa  le  eure,  cest  cela?" 

Man  kann  wohl  sagen,  daß  das  Kompositionsverfahren  des 
Verfassers  nichts  anderes  ist,  als  das  notwendige  Ergebnis  seiner 
stilistischen  Ausdrucksweise.  Der  Verfasser  macht  sich  keine  Dis- 
position, nach  der  er  arbeitet,  sondern  er  erzählt  frisch  darauf  los. 
Ein  inneres  Bedürfnis  nach  handlungsmäßiger  und  pittoresker  Aus- 
gestaltung führt  ihm  die  Feder;  die  innerliche  Anschauung  von  den 
Vorgängen,  die  ihn  stets  beherrscht,  läßt  ihn  bei  der  Ausmalung  der 
Details  verharren,  das  gesteigerte  Miterleben,  die  direkte  Teilnahme 
an  den  Ereignissen  gibt  ihm  die  Dialoge  seiner  Personen  ein,  und 
so  baut  er,  ohne  nachzudenken  und  zu  überlegen,  aus  der  Fülle  der 
Einzelheiten  seine  Erzählungen  auf.  Jeden  Stoff,  den  er  übernimmt, 
verbreitert  und  erweitert  er  in  diesem  handlungsmäßig-bildlichen  Sinne. 
Das  ist  das  eigenste  Wesen  seines  Stils  und  seiner  Kompositionsweise. 

Doch  begnügt  er  sich  nicht  immer  damit,  den  vorhandenen  Inhalt 
seiner  Vorlagen  in  seinen  Einzelheiten  auszubauen,  manchmal  erfindet 
er  sich  auch  ganz  neue  Szenen,  die  er  dann  dem  übernommenen 
Stoffe  anfügt.  Seine  Phantasie  ist  also  nicht  nur  tätig  gegebene 
Andeutungen  zu  entwickeln,  sondern  auch  selbständig  aus  dem  eigenen 
Schatz  heraus  neue  Szenen  zu  ersinnen. 

Eine  verhältnismäßig  unselbständige  Erweiterung  ist  es,  wenn 
er  von  dem  Mönche,  der  eine  junge  Frau  verführen  möchte, 
an  Stelle  des  kurzen  Satzes,  den  er  bei  Poggio  fand  „Cum  puderet 
aliquid    inhonestum    ab    ca  petere,    excogitavit   versutia  midierem 


Die  Cent  JSouvelles  Nouvelles.  87 

decipere,  schreibt  „maistre  moyne  ...  ne  cessoit  de  penser  et 
suhtilier  vöies  et  moiens  pour  parvenir  ä  ses  attainctes  .  .  .  Ores 
disoit:  <tJe  feray  ainsi»,  ores  concluoit  aultrement  Tant  de  propos 
luy  venoient  en  la  teste  quHl  ne  savoit  sur  lequel  s'' arrester; 
trop  hien  disoit  il  que  de  langage  n^estoit  point  de  abatre,  «car  eile 
est  trop  bonrie  et  trop  seure;  force  est  que,  si  je  veil  parvenir 
ä  mes  fins,  que  jyar  cautele  et  deception  je  la  gaigne."" 

Eine  bedeutend  selbständigere  Ausgestaltung  dagegen  nimmt  er 
mit  folgendem  Satze  der  Poggioschen  Facecie  vor:  „Pluribus  diebus 
fasciatum  detulit  indicem  digitum,  simulans  se  maximo  dolore 
torqueri.  Tandem  diutius  conquerente  illo,  rogavit  commater, 
num  quce  remedia  expertus  esset."'  In  der  französischen  Erzählung 
stellt  sich  der  Mönch  mit  verbundenem  und  salbenbestrichenen  Finger 
ein  oder  zwei  Tage,  größten  Schmerz  heuchelnd,  vor  die  Kirche,  die 
seine  Auserlesene  besucht.  Von  Mitleid  ergriffen,  fragt  sie  ihn  nach 
seinem  Übel,  und  er  erzählt  ihr  sein  Martirium.  Am  anderen  Tag 
zur  Vesperstunde  begibt  er  sich  in  ihre  Wohnung,  trifft  sie  allein  bei 
einer  Handarbeit  und  stellt  sich  wieder  schmerzgepeinigt,  so  daß  die 
Arglose  ihn  fast  mit  Tränen  in  den  Augen  fragt,  ob  er  denn  nicht 
mit  einem  Arzte  gesprochen  habe. 

Bei  Poggio  fand  der  Verfasser  nur  eine  kurze  Angabe,  ohne 
jede  nähere  Bestimmung  über  Ort  und  Zeit  oder  Ursache  des  Zu- 
sammentreffens der  beiden,  Poggio  gab  nur  das  Tatsächliche,  ohne 
die  kleinste  erzählerische  Darstellung.  Der  Nacherzähler  macht  aus 
dem  ganz  kurzen  Bericht  der  Facecie  zwei  deutlich  vor  uns  stehende 
Szenen.  Er  arbeitet  im  Gegensatz  zu  Poggio  mit  unleugbarem 
Geschick. 

Das  beste  Beispiel  für  die  Art  seines  Kompositionsverfahrens 
bietet  wohl  die  Novelle  32.  Das  Motiv  von  den  Priestern,  die  von 
den  Frauen  den  Zehnten  auch  der  ehehchen  Gemeinschaft  mit  ihren 
Gatten  fordern,  liefert  ihm  Poggio.  Weiter  aber  nichts.  Poggios 
Facecie  (155)  beginnt  so:  Brugis,  ea  nobilis  est  in  Occidente  civitas, 
in  qua  adolescentula  haud  admoduni  scita  fatebaiur  Parochiano 
peccala  sua.  llle  cum  inter  cetera  qucesisset,  an  debitas  decimas 
traderet  sacerdoti,  persuasit  etiam  coitus  decimam  esse  reddendam^ 
quam,  juvencula,  ut  se  mre  alieno  liberaret,  statim  persolvit. 

In  der  französischen  Novelle  führt  sich  zuerst  der  angenommene 
Erzähler  ein,  welcher  vorgibt  sich  durch  die  folgende  Erzählung  des 
von  ihm  geforderten  Beitrags  für  das  vorliegende  Buch  entledigen 
zu  wollen.  Er  beginnt  dann  seine  Erzählung  mit  einer  langen  Vor- 
geschichte, die  wohl  die  auffälligste  Exposition  ist,  die  sich  in  der 
Sammlung  findet.  In  der  katalonischea  Stadt  Ostellerie,  so  behauptet  er, 
kamen  einst  eine  Anzahl  Franziskanermönche  an,  die  wegen  ihres 
schlechten  Lebenswandels  aus  dem  spanischen  Königreiche  vertrieben 
worden  waren.  Sie  gewannen  die  Freundschaft  des  schon  bejahrten  Herrn 
der  Stadt  und  erlangten  von  ihm,  daß  er  ihnen  eine  sehr  schöne  Kirche 


88  "  Walther  Küchler. 

und  ein  Kloster  baute  und  .während  seines  Lebens  aufs  beste  unterhielt. 
Dem  Herrn  folgte  sein  ältester  Sohn  in  der  Regierung,  der  ihnen 
nicht  weniger  Woliltaten  erwies  als  sein  guter  Vater.  So  hatten  sie 
alles,  was  sich  Bettehnönche  nur  wünschen  konnten,  in  genügendem 
Maße.  Durch  ihre  Predigt  in  der  Stadt  und  in  den  benachbarten 
Dörfern  gewannen  sie  sich  das  ganze  Volk,  so  daß  es  nur  zu  ihnen 
zur  Beichte  kam.  Besonders  die  Frauen  fühlten  sich  wegen  der  großen 
Frömmigkeit,  die  ia  ihnen  zu  wohnen  schien,  zu  ihnen  hingezogen. 
Aber  die  Mönche  benutzten  das  Ansehen,  das  sie  genossen,  zu  einem 
schändlichen  Betrug.  Sie  forderten  nämlich  von  allen  Frauen  den 
Zehnten  „du  nomhre  des  foiz  que  voiis  couchez  charnellement 
avecques  voz  mariz."'  Alle  Frauen  bezahlten  den  Tribut,  jeder  einzelne 
Mönch  empfing  ihn  von  fünfzehn  oder  sechzehn  Frauen. 

Der  Betrug  wird  entdeckt.  Bei  Poggio  sogleich;  Domum  tardius 
reversa,  admiranti  viro  causam  morw  absque  ullo  timore  dixit.  In  der 
französischen  Novelle  geht  die  allgemeine  Zahlung  des  Tributs  eine  Zeit 
lang  fort.  Der  Frevel  wird  auf  folgende  Weise  bekannt.  Ein  jung- 
verheiratetes Ehepaar  kommt  von  einem  Essen  im  Hause  eines  Verwandten 
an  der  Franziskanerkirche  gerade  in  dem  Augenblick  des  Ave  Maria 
Läutens  vorbei.  Der  Gatte  kniet  nieder,  sein  Gebet  zu  sagen,  die  Gattin 
möchte  mit  seiner  Erlaubnis  in  die  Kirche  eintreten,  um  ein  Paternoster 
und  Ave  Maria  zu  beten.  Ein  langes,  mit  lebhaftester  Anschaulichkeit 
dargestelltes  Hin-  und  Hergerede  erfolgt,  in  dessen  Verlauf  die  Gattin 
gesteht,  daß  sie  den  Zehnten  bezahlen  wolle.  Der  Gatte  erwidert,  es 
sei  zu  spät  für  diesen  Tag  und  so  kehren  die  beiden  heim.  Dem 
Oatten  läßt  das  eigentümliche  Geständnis  keine  Ruhe,  und  als  sie  zu 
Bett  liegen,  fragt  er  die  Gattin,  ob  auch  die  anderen  Frauen  diesen 
Zehnten  bezahlen  und  erfährt  die  ganze  Ausdehnung  des  Betrugs. 
Nun  muß  die  Rache  erfolgen;  Vir  rem  dissimulans^  post  quatri- 
dium  Parochianum  ad  prandium  vocavii,  nonnuüis  adhibitis,  quo 
res  fieret  notior.  Cum  sederent  in  mensa,  vir,  narrata  prius  fabida 
ad  Sacerdotem  versus:  «Postquain,  «inquit  a  tibi  verum  omnium 
uxoris  niea'  debetur  decima,  et  hanc  quoque  accipias.::  Et  simul 
vas  stercore  et  urina  uxor  pleymm  ori  Sacerdoiis  admotum,  in 
mensa  libare  compulit. 

Die  Einladung  zum  Mahle  behält  der  französische  Erzähler  noch 
bei.  Dann  aber  läßt  er  Poggio  bei  Seite  und  erfindet  sich  einen  neuen 
Ausgang.  Frere  Eustace  erscheint  und  läßt  sichs  wohl  sein.  Er 
liebäugelt  mit  der  Hausfrau  und  verzichtet  auch  nicht  auf  das  graziöse 
Spiel  der  Füße  unter  dem  Tische  bei  der  Tafel,  ohne  daß  seinem 
Wirte  die  Sache  verborgen  bleibt.  Nach  dem  Dankgebet  führt  dieser 
den  Frater  unter  einem  Vorwand  in  ein  anderes  Zimmer,  schließt 
die  Tür,  ergreift  ein  Beil  und  erzwingt  von  dem  Erschrockenen  eine 
umfassende  Beichte.  So  erfährt  er,  daß  sogar  die  Gattin  des  Herrn 
der  Stadt  nicht  verschont  gebliehen  sei.  Dann  läßt  er  den  Mönch 
gehen.     Er  selbst  begibt  sich   zu   seinem  Herrn   und  berichtet  ihm 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  89 

die  Entdeckung.  Der  sieht  die  geringe  Meinung,  die  er  stets  von 
diesen  Mönchen  hatte,  bestätigt.  Er  verwünscht  sie  und  die  Stunde, 
in  der  sie  sein  seliger  Vater  aufgenommen  hat.  Eine  Versammlung 
der  ganzen  Untertanenschaft  wird  aufs  Schloß  berufen,  welche  nach 
einigen  Hin-  und  Herreden  beschließt  sämmtliche  Gattinnen  ersclieinen  zu 
lassen,  um  aus  ihrem  Munde  zu  hören,  wie  tief  das  Unheil  sitze.  Das 
geschieht;  alle  Frauen  der  Stadt,  auch  die  Gattin  des  Herrn,  versammeln 
sich  im  Saal.  Maistre  Jehan  muß  eins  Rede  halten,  in  welcher  alle 
Frauen,  die  etwa  nicht  den  bekannten,  schuldigen  Tribut  an  die  Mönche 
zahlen,  aufgefordert  werden,  sich  zu  melden.  Kaum  hat  der  Redner 
geendet,  rufen  mehr  als  zwanzig  Frauen  wie  mit  einer  Stimme:  „Ich 
habe  bezahlt,  ich;  ich  habe  bezahlt,  ich;  ich  schulde  nichts;  ich 
auch  nicht,  ich  auch  nicht."  Vier  oder  sechs  schöne,  junge  Frauen 
haben  sogar  schon  im  Voraus  bezahlt,  nur  ein  par  Alte  müssen  bekennen, 
daß  sie  nichts  bezahlt  haben,  weil  die  Mönche  von  ihren  nichts  wissen 
wollten.  Die  Frauen  werden  wieder  entlassen,  und  hinter  verschlossenen 
Türen  wird  der  Beschluß  gefaßt  Kloster  und  Mönche  zu  verbrennen. 
Die  Männer  steigen  hinunter  zum  Kloster,  entfernen  das  Corpus  Domini 
und  die  Reliquien  und  vollziehen  die  furchtbare  Strafe.  Mit  einer  kurzen 
ironischen  Bemerkung  schließt  der  Erzähler. 

Von  der  häßlichen  Farce  des  Poggio  ist  nicht  viel  übrig 
geblieben.  Eine  neue  Erzählung  ist  aufgebaut  worden.  Nur  zwei 
kurze  Augenblicke  innerhalb  einer  einzelnen  Familie  gab  Poggio. 
Eine  Reihe  von  Szenen  erfindet  sich  neu  der  französische  Erzähler, 
Szenen,  die  sich  nicht  um  ein  Einzelgeschick  gruppieren,  sondern 
das  Verhängnis  einer  ganzen  Stadt  darstellen. 

Ich  glaubte  das  Kompositionsverfahren  unseres  Autors  nicht 
besser  als  durch  eine  Reihe  von  Beispielen  darstellen  zu  können.  So 
nur  konnte  das  Persönliche  seiner  Arbeit  deutlich  hervortreten. 
Gerade  an  dem  Verhältnis  zu  Poggio  ließ  sich  am  leichtesten  erkennen, 
was  ihm  gehört.  Wenn  es  anginge,  an  allen  aus  Poggio  entlehnten 
Novellen  dieselbe  Analyse  vorzunehmen,  so  würden  wir  sehen,  daß  er 
überall  —  hier  mehr,  hier  weniger  —  Poggios  Facecien  mit  großer 
Selbständigkeit  behandelt.  Mit  geringen  Ausnahmen  sind  die  lateinischen 
Facecien  außerordentlich  erweitert  worden.  Diese  Erweiterung  aber, 
die  nichts  anderes  darstellt,  als  die  persönliche  Arbeitsweise  des 
Verfassers,  oder  um  allgemeiner  zu  reden,  die  Arbeit  des  ersten 
wirklichen  französischen  Novellisten,  seine  stilistischen  Fähigkeiten 
und  sein  Kompositionstalent,  diese  Erweiterung  ist  das  Wichtige  und 
Entscheidende.  Nicht  die  Tatsache  der  Entlehnung  aus  den  lateinisch 
geschriebenen  Facecien  des  Poggio  ist  bedeutsam.  Poggio  stellt  doch 
im  Grunde,  abgesehen  von  Scherzen,  die  in  seinem  Bekanntenkreise 
vorgefallen  sein  mögen  und  von  denen  der  Franzose  keinen  einzigen 
aufgenommen  hat,  Poggio  stellt  nichts  anderes  dar  als  Motive,  die 
stofflich  nicht  im  Geringsten  von  denen  verschieden  sind,  die  sich  auch 
sonst    bei    dem    Franzosen    finden.      Beide    schöpfen    aus    denselben 


90  Walther  Küchler. 

Quellen.  So  ist  prinzipiell  kein  Unterschied  zwischen  ihren  Stoffen. 
Ein  formaler  Einfluß  Poggios  ist  nicht  vorhanden.  Poggio  erzählt 
nicht.  Er  gibt  nur  einen  kunstvoll  zusammengepreßten  Extrakt  von 
Erzählungen.  Sein  Prinzip  zu  kondensieren  ist  der  direkte  Gegensatz 
zu  der  auflösenden  Technik  des  Verfassers  der  C.  JV.  N. 

Die  Arbeit  des  Erzählers  geht  noch  nicht  in  die  Tiefe.  In 
keinem  Falle  hat  er  einen  übernommenen  Stoff  zu  vertiefen  verstanden. 
Seine  Kompositionsweise  geht  ins  Breite.  Aber  sein  Schaffen  ist  ein 
Tasten  nach  eigener  Art,  die  sich  über  die  Vorlage  erheben  möchte. 
Der  Grundsatz  seiner  Erzahlungskunst  ist  noch  nicht:  multum,  non 
mnlta,  sondern  gerade  umgekehrt  nnilta,  non  nmltum. 

C.  Die  Charaktere. 

Der  Erzähler  kann  seine  Stoffe  nicht  vertiefen,  weil  er  keine 
Charaktere  darzustellen  vermag. 

In  der  gesamten  Novellenliteratur  des  Mittelalters  steht  die 
Kunst  der  Charakterisierung  auf  einer  sehr  niedrigen  Stufe.  Kein 
Wunder.  Die  Handlung  bei  weitem  des  größten  Teiles  der  Erzählungen 
besteht  aus  Situationen,  die  durch  irgend  welche  mehr  oder  minder 
zufällige,  äußere  Anstöße  modifiziert  und  entwickelt  werden.  Charaktere 
sind  dabei  überflüssig,  sie  haben  auch  gar  keine  Berechtigung  in 
diesen  meist  unmöglichen  Liebesschwänken.  Charaktere  können  nur 
in  der  Wirklichkeit  existieren,  die  mittelalterliche  Liebesnovelle  aber 
ist   auf  dem   schwanken  Boden   der  Unwahrscheinlichkeit  aufgebaut. 

Die  Personen  all  dieser  Geschichten  sind  Schemen,  die  sich 
oft  zwar  sehr  lebendig,  als  ob  sie  von  Fleisch  und  Blut  wären,  bewegen, 
die  aber  ihr  Leben  verloren  haben,  sobald  der  Schwank  zu  Ende  ist. 
Wir  erinnern  uns  meist  nicht  an  bestimmte  Individuen,  sondern  an 
bestimmte  Streiche  und  Ränke,  die  sie  einander  gespielt  und  die  uns 
einen  Augenblick  ergötzt  haben.  Wenn  uns  gelegentlich  eine  Gestalt 
näher  kommt,  so  ist  der  Grund  häufig  in  der  Menge  von  Handlungen 
oder  Schicksalen,  die  mit  ihr  verknüpft  sind,  zu  suchen. 

Auch  Boccaccio  ist  in  seinen  schwankartigen  Liebesnovellen 
nicht  zu  einer  Kunst  der  Charakterisierung  gelangt,  die  zu  seinen 
anderen  großen,  erzählerischen  Fähigkeiten  paßte.  Im  großen  und 
ganzen  sind  seine  Personen  ebenso  gut  auf  den  Superlativ,  wenn  ich 
mich  so  ausdrücken  darf,  gestellt  wie  die  der  C.  N.  N.  Eine 
Charakteristik  wie  die  folgende  findet  sich  ebenso  in  den  C.  IV.  N.: 
Era  costei  hellissima  del  corpo  e  del  viso  quanto  alcun  altra 
femina  fosse  mai,  e  giovane  e  gagliarda  e  savia  piü  che  a  donna 
j^er  avventura  non  si  richieda  (Dec.  IV j).  In  den  CN.N.  entspricht 
einem  solchen  Frauencharakter  etwa :  une  belle  fille,  jeune,  gente, 
graciense  et  en  hon  point  en  sa  fasson,  ayant  hruyt  autant  et  plus 
que  mdle  de  son  iemps,  tant  par  sa  gra?ide  et  non  pareüle  beaulte 
comme  par  ses  tres  loables  meurs  et  vertus  (XXVIII).    Von  einem 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  91 

schon  sehr  bejahrten,  verliebten  Arzte  behauptet  Boccaccio,  er  wäre 
^un  grandissimo  medico,  e  di  chiara  fama  quasi  a  tutfo'l  mondo 
(Dec.  Iip).  Der  Arzt,  der  in  Novelle  87  der  C.  iV.  N.  eingeführt 
wird,  ist  ung  tresgentil  compaignon,  le  plus  renomme  du  pais. 
Diese  Angaben  sind  ganz  konventionell  und  überflüssig  für  die 
Erzählung.  Das  Prunken  mit  der  angeblichen  Vorzüglichkeit  und 
unerreichten  Schönheit  der  Personen  ist  lediglich  ein  Kunstgriff,  um 
der  Begebenheit  ein  glänzendes  Relief  zu  geben.  Die  Personen  sind 
nach  der  Schablone  reich,  mächtig,  schön,  jung.  Der  Erzähler  der 
C  N.  N.  setzt  einmal,  sehr  naiv  diese  landläufige  Charakteristik 
illustrierend:  bonte,  beaulte,  chevance  etc"  (XX).  In  Novelle  3  sagt 
er  von  dem  Ritter,  er  war  verheiratet  „ä  une  belle  et  gente  dame'* 
und  drei  Zeilen  später  von  dem  Müller  „pareillement  ä  une  belle^ 
gente  et  jeune  femme'^. 

Groeber  hat  ganz  recht,  wenn  er  darauf  aufmerksam  macht, 
daß  die  angedeutete  Charaktereigenschaft  häufig  im  Verlaufe  der 
Erzählung  unbeachtet  bleibt.  So  wird  in  Novelle  13  ein  Clerk  als 
nicht  gerade  sehr  „subtil"  bezeichnet,  der  von  dem  Gegenteil  eine 
beachtenswerte  Probe  ablegt. 

Trotzdem  so  im  allgemeinen  die  Charakteristik  der  Personen 
in  den  C.  N.  N.  ganz  konventionell  ist,  finden  sich  doch  hier  und 
da  ein  par  Striche,  die  wenigstens  etwas  von  Individualität  zu  geben 
versuchen.  Hier  und  da  könnte  man  meinen,  der  Verfasser  denke 
an  eine  ganz  bestimmte  Persönlichkeit.  Diesen  Eindruck  hat  man 
gleich  in  der  ersten  Novelle:  .  .  .  ung  notable  bourgois,  en  son  temps 
reeeveur  de  Haynau,  lequel  entre  les  autres  fut  renommS  de  large 
et  discrete  prudence,  et  entre  ses  loables  vertuz  celle  de  liberalite 
ne  fut  pas  la  maindre  car  par  icelle  vint  en  la  grace  des  princes, 
seigneurs  et  aultres  gens  de  tous  estaz.  Für  den  Verlauf  sind  diese 
Angaben  natürlich  so  gut  wie  überflüssig.  Auch  der  alte  Präsident 
der  Rechnungskammer  erscheint  wie  aus  dem  Leben  gegriffen.  Er 
ist  ein  alter,  jovialer  Schwerenöter,  der  gern  den  Liebenswürdigen 
spielt,  besonders  gegen  Damen,  weil  noch  ein  jugendliches  Feuer  in 
ihm  flackert.  Diese  Charakteristik  behält  man  während  der  ganzen 
Erzählung  stets  im  Sinn,  und  die  einzelnen  Szenen  gewinnen  dadurch 
ein  ganz  eigenes  Leben.  Es  geht  dem  alten,  verliebten  Herrn  zwar 
recht  schlimm,  aber  er  ist  nicht  bösartig,  er  rettet  sich  so  gut  es 
geht  mit  einem  derben  Scherz  aus  der  wenig  ehrenvollen  Situation 
und  trägt  auch  der  so  heiß  umstürmten  Dienerin,  die  ihm  so  arg 
mitgespielt  hatte,  ihre  List  nicht  weiter  nach,  ja,  er  hat  kein  Bedenken 
die  Affaire  seinen  Kollegen  zu  erzählen. 

Als  einen  Schimmer  von  rudimentärer  Psychologie  könnte  man 
vielleicht  den  in  Novelle  20  unternommenen  Versuch  betrachten,  in 
einer  Person  Schwerfälligkeit,  Unwissenheit  und  Unliebenswürdigkeit 
in  Verbindung  zu  bringen  mit  Geschicklichkeit  in  der  Führung 
eines  Geschäftes. 


92  Walther  Küchler. 

Auffällig  erscheint  die  mehrmalige  Charakterisierung  von  Personen 
als  ^grand  voyagiei''^,  vielleicht  damit  zu  erklären,  daß  dem  Verfasser 
selbst  eine  große  Reiselast  in  den  Gliedern  steckte.  Spuren  von 
Kenntnis  fremder  Länderund  von  Erfahrungen,  die  auf  der  Wanderschaft 
gewonnen  geworden  wären,  finden  sich  allerdings  in  den  Novellen  nicht. 

Charaktere  erscheinen  am  leichtesten  in  den  Erzählungen,  die 
keinen  Liebeskonflikt  enthalten,  da  wo  eine  Verwicklung  fehlt  und 
die  Geschichte  weiter  nichts  ist  als  die  Darstellung  einer  merkwürdigen 
Persönlichkeit.  Erzählungen  in  diesem  Sinne  sind  die  77.,  die  uns  das 
eigenartige  Bild  des  cynischen  Sohnes  vorführt,  die  94.,  welche  von  dem 
eulenspiegelbaften,  halsstarrigen  Priester  handelt,  die  91.,  welche  über 
Poggios  Facecie  hinaus  die  unglückliche  Veranlagung  einer  überaus 
männertollen  Frau  darstellt,  die  fünfte,  welche  so  anschaulich  die 
Gerechtigkeitsliebe   und   die  leicht  erregbare  Stimmung  Talbot s  malt. 

Aber  solche  Erzählungen  sind  doch  nur  selten,  und  so  kann 
man  wohl  sagen,  daß  gerade  wegen  dieses  Mangels  der  Charakteristik 
die  C.  N.  JV.  in  das  Mittelalter  gehören.  Wie  durch  eine  Kluft  ist 
diese  Sammlung  von  der  modernen  Novelle  geschieden. 

Das  Bestreben  des  modernen  Novellisten  geht  dahin,  den  Inhalt 
seiner  Novelle  möglichst  selbst  zu  erfinden,  einen  bisher  noch  nicht 
behandelten  Konflikt  darzustellen.  Wir  haben  im  ersten  Teile  der 
Arbeit  gesehen,  in  welchem  Maße  der  Verfasser  der  C.  N.  Ä\  sich 
traditioneller  Stoffe  bedient  und  daß  er  den  Grundsatz  der  wirklichen 
Neuheit  des  Stoffes  noch  nicht  kennt.  Wir  sehen  hier,  daß  ihm  auch  die 
zweite  Wesenseigentümlichkeit  der  modernen  Novelle  noch  fremd  ist, 
nämlich  den  Aufbau  der  Handlung  auf  der  Grundlage  ganz  besonders 
eigenartig  veranlagter  Charaktere.  Die  moderne  Novelle  will  mit  Absicht 
die  möglichst  scharfe  Darstellung  eines  psychologischen  Konfliktes  sein. 
Sie  ist  komponiert,  um  diesen  Konflikt  eines  Charakters  mit  sich 
oder  anderen,  oder  mehrerer  Charaktere  untereinander  zum  Austrag 
zu  bringen. 

Die  Komposition  der  C.  N-  N.  dagegen  beruht  auf  der  Ver- 
wicklung und  Entwicklung  von  Situationen,  auf  der  Erzählung  um  des 
bloßen  Erzählens  willen.  Das  Erzählerische  ist  dem  modernen  Novellisten 
jedoch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  nur  Mittel  zum  Zweck. 

In  ihrer  Beschränkung,  als  Proben  einer  rein  formalen  Erzählungs- 
kunst, geübt  an  meist  bekannten  Stoffen  von  ethisch  und  ästhetisch 
recht  geringer  Bedeutung,  sind  aber  diese  Novellen  kleine  Meister- 
stücke. Sie  sind  ein  erstes  Zeugnis  einer  persönlichen  Erzählungskunst 
auf  französischem  Boden.  Sie  sind  ein  glänzender  Anfang.  Es  steckt 
in  ihnen  die  Kraft,  welche  die  vornehmste  Bedingung  für  die  Entwicklung 
einer  Gattung  ist:  robuste  Volkstümlichkeit.  Es  fehlt  ihnen  der  Geist, 
die  feine  Blüte  einer  innerlichen  Kultur.  Aber  dieses  edlere  Element 
bringt  die  Entwicklung  in  die  Gattung  hinein,  für  den  Beginn  ist  die 
Kraft,  meinetwegen  die  Roheit,  das  Notwendigere;  diesen  rohkräftigen 
Grund  besitzen  die  Cent  Nouvelles  Nouvelles  des  unbekannten  Verfassers. 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  95 

III.  Kapitel. 

Vom  Geiste  der  C.  N.  JST. 

und  ihrem  Verhältnis  zu  dem  Geiste  ihrer  Zeit. 

Nicht  "nur  von  dem  XIV.  Jahrb.,  auch  von  dem  größten  Teile 
des  XV.,  sicher  bis  zu  dem  Zeitpunkt,  an  dem  die  Sammhing  der 
C.  N.  N.  abgeschlossen  wurde,  gilt  das  Wort  von  Gaston  Paris: 
ceite  epoque  ctonnante  ou,  ä  lire  ceriains  textes^  il  semble  qu'on 
mene  une  fete  perpetuelle,  iayidis  que  si  on  en  consulte  (Tautres 
la  vie  semble  avoir  ete  si  horrible  quon  se  demande  comment  on 
(a  subissoit."  ^^) 

Zu  der  Zeit,  als  die  C.  N.  N.  geschrieben  wurden,  ging  der 
Krieg  zwischen  England  und  Frankreich  zu  Ende,  und  das  erschöpfte 
Land  konnte  für  einen  Augenblick  ruhen.  Es  konnte  Rast  machen 
zwischen  dem  Kampfe  für  die  nationale  Unabhängigkeit  und  der 
kommenden,  abenteuerlichen,  schlecht  geleiteten  Expansionspolitik 
gegen  Italien,  i'-) 

Es  war  eine  Ruhe  eingetreten  nach  einer  entsetzlichen  Zeit, 
nach  einer  Zeit,  die  von  Waffen  starrte  wie  der  heilige  Georg.  13) 
Verwüstet  war  das  flache  Land;  Schlösser,  Kirchen,  Abteien  und 
Dörfer  waren  niedergebrannt.  Wohl  ertönt  Klagen  und  Jammern  an 
allen  Enden,  aber  das  Volk  war  nicht  in  Blut  und  Elend  erstickt, 
sondern  hatte  sich  seine  Lebenskraft  bewahrt.  Es  stekte  voll  von 
Gesellen  wie  „ÄlieuLv  que  Deva?it"  und  „Roger  Bo7i-Te7nps",  die 
mit  Gesang  und  Lachen  durch  das  zerstampfte  Land  zogen  und  in 
den  Herzen  Hoffnung  auf  bessere  Zeiten  erweckten.  !■*) 

Nicht  in  einem  schönen,  energischen  Optimismus  aber  ruht  di& 
innerste  Wurzel  dieser  Lebenskraft  des  Volkes,  sondern  vielmehr  in 
einer  durch  die  erlittene  Drangsal  erzeugten,  stumpfen  Gleichgültigkeit 
gegenüber  dem  elenden  Zustand  des  Fremden  und  des  Eigenen.  In 
dem  rohen  Verlangen  nach  Lust  um  jeden  Preis,  über  Trümmern  und 
Leichen.  Diese  Lebenskraft  inmitten  der  Zerstörung  hat  etwas  Besti- 
alisches, sie  beruht  nicht  auf  den  edlen  Instinkten  des  Menschlichen, 
sondern  auf  wilden  Trieben  nach  Genuß  und  Betäubung.  Die  Menschen 
in  dieser  Zeit  waren  wie  das  pestkranke  Mädchen  in  einer  der  besten 
Erzählungen  der  C.  N.  JV.,  welches  den  Tod  vor  Augen  sich  in 
rasender  Liebeswut  erschöpft.  Die  Menschen  in  dieser  Zeit  waren 
wie  die  Bewohner  von  Metz  und  Umgebung,  welche,  wie  Philipp  von 
Vigneulles  über  fünfzig  Jahre  später  erzählt,  nach  einer  gerade  über- 

^')  La  Litleralure  du  XIV^  siicie.  In  La  Poesie  du  moyen-äge.  2^  scrie 
p.  206. 

'-)  La  Poijsie  au  XV"  siede.     In  La  Poesie  du  moyen  (ige.     p.  214. 

1^)  In  der  Farce  „Mestier  et  Marclmndise'*  (1440).  Foumier.  Le  ihcdtre 
frangais  avant  la  Renaissance.     Paris   1872,  p.  44  flf. 

^*)  cf.  Jlieulx  que  devant.  Bergerie.  XV.  Jahrb.  (Regne  de  Charles  VJl) 
Foumier  p.  54  ff. 


94  Walther  Küchler. 

standenen  Pest,  da  die  Erute  gut  geraten  war,  von  nichts  anderem 
sprachen  que  de  faire  la  bonne  chiere;  denn  die  Pest  hörte  auf, 
und  die  Menschen  starben  nicht  mehr.  Die  Frauen,  denen  ihre 
Männer  gestorben  waren,  und  die  Männer,  die  ihre  Frauen  verloren 
hatten,  schlössen  wieder  neue  Heiraten  comme  voullejitier  se  fait 
aprez  une  mortaulite.''  ^^) 

Kein  unterschied  war  zwischen  Vornehm  und  Gering,  sie  jagten 
alle  nach  dem  berauschenden  Vergnügen.  Die  Fürsten  in  ihren 
Schlössern  mit  ihren  Maitressen,  das  Volk  in  den  Schenken.  Der  Herzog 
von  Savoyen  verbrachte  seine  Tage  mit  Trinken,  Essen  und  Schlafen, 
immer  lag  er  oder  saß  er;  denn  er  konnte  keinen  Fuß  vor  den 
anderen  setzen  vor  Gicht  und  Podagra.  In  Faulheit  und  Wollust 
lebte  er  in  den  Zimmern  der  Frauen  und  half  ihnen  fast  bei  ihrer 
Handarbeit.  ^6) 

Von  den  Festen  am  burgundischen  Hofe  wissen  die  Chronisten 
nicht  genug  zu  erzählen.  Wohl  rühmen  sie  den  Glanz  und  die  Pracht, 
aber  sie  üben  doch  auch  Kritik  an  der  maßlosen  Verschwendung, 
die  nur  hervorgegangen  sei  aus  der  Sucht  einander  zu  übertreffen.  ^^^ 

Von  üppigen  Festen,  die  Tage  und  Nächte  sich  fortsetzen, 
berichtet  Chastellain  anläßlich  eines  Besuches  des  Herzogs  von  Burgund 
in  Gent.  Da  seien  die  Straßen  voll  gewesen  von  Tischen,  die  mit  Fleisch 
und  Wein  beladen  waren,  für  jeden  frei,  als  ob  es  nichts  kostete.  Frauen 
und  Männer  tanzten  und  sangen,  spielten  dramatische  Spiele,  machten 
die  Nacht  zum  Tage  und  verbrachten  den  Tag  in  derselben  Weise. 
Alle  Lebensmittel  waren  so  billig  als  möglich,  und  niemand  wagte  sie 
auch  nur  um  einen  Heller  zu  verteuern.  ^^) 

Mitten  im  Kriege  blühte  Burguad,  bereicherten  sich  seine  Fürsten 
und  Städte,  aber  es  war  kein  glückliches  Volk,  das  in  diesem  Reiche 
lebte.  Der  Glanz  und  die  Pracht  konnten  die  Verderbtheit  und 
Frivolität  des  allgemeinen  Lebens  nicht  verdecken.  Es  ist  sicher 
nicht  übertrieben,  wenn  Chastellain  einmal  schreibt:  „7^  est  vray 
qiies  pays  de  Flandres  et  de  Brahant  et  es  marches  lä  entour, 
a  multitude  de  jeunes  gens  huiseux,  non  querans  ä  ouvrer,  ni  faire 
labeurs,  mais  vivent  sur  jyovres  pecheresses  femmes,  et  tous  les 
jours  residamment  sont  en  tavernes  et  en  bordeaux,  comme  pleins 
de  mauvais  vices  et  prests  ä  toute  mauvaiseti  faire  qiii  les  y  veut 
semondre,  ne  craignent  ni  Dieu,  ni  homme  et  de  nul  meffaire^ 
tant  pust-il  estre  horrible,  ne  leur  prent  piti,  tuent  gens  pour 
argent  comme  bouchiers,  deviennent  brigans  et  meurdriers  de 
bois,  boutent  le  feu  es  maisons  des  povres  gens  des  villages  et  les 


'5)  Gedenkbuch  (1471—1522)  herausg.  von  Dr.  H.  Michelant.  Stuttg. 
1852.    p.  160. 

1^)  Chastellain:  Chronique.  Oeuvres  publiees  par  le  Baron  Kerv}'n  de 
Lettenhove  8  Bde.    Bruxelles  1863—66  t.  V  p.  40. 

")  Olivier  de  la  Marche:    Memoh-es  I.  Kap.  28.  cf.  auch  Kap.  29. 

18)  Chastellain:   a.  a.  o.  t.  III  p.  415  f. 


TJie  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  95 

brulent,  femmes  et  enfans,  en  leiir  lit,  quant  ne  se  veident  composer 
a  eux  etc."  i'') 

So  sind  die  Menschen  dieser  Zeit  verkommen  und  verroht  durch 
das  Übermaß  der  Not,  das  die  Drangsal  des  Kriegs  über  sie  gebracht 
hat,  und  durch  das  Übermaß  des  Reichtums,  das  den  Begünstigten 
verweichlicht  und  verdirbt,  den  Ausgeschlossenen  verhärtet  und 
auch  verdirbt. 

Was  steht  in  den  C.  N.  N.  von  dieser  Zeit  und  von  diesen 
Menschen  geschrieben? 

Von  den  Greueln  des  Krieges  steht  so  gut  wie  nichts  in  ihnen. 
In  der  fünften  Novelle  wird  allerdings  der  noch  nicht  beendete  Krieg 
zwischen  England  und  Frankreich  als  „la  mauldicte  et  pestilencieuse 
guerre'-'  bezeichnet,  aber  nur  zwei  amüsante  Anekdötchen,  die  sich 
an  die  gefürchtete  Gestalt  des  ersten  englischen  Heerführers  anknüpfen, 
weiß  der  Erzähler  zu  berichten,  nämlich  den  Bruch  eines  einem 
Franzosen  gewährten  freien  Geleites  und  die  lustige  Bestrafung  des 
schuldigen  Engländers,  sowie  den  komischen  Zorn  des  Generals  in 
einem  anderen  Falle.  Auch  Chastellain  weiß  von  einem  Treubruch 
aus  dem  englich -französischen  Kriege  zu  berichten.  Er  erzählt  in 
seiner  Chronik,  wie  einmal  eine  Schar  von  Franzosen,  die  ein  freies 
Geleit  vom  Grafen  von  Ligny  besaßen,  von  2000  Engländern  über- 
fallen und  z.  t.  getötet,  z.  t.  gefangen  genommen  wurden.  Die  Beschwerde 
des  Grafen  bei  den  englischen  Führern  blieb  aber  in  diesem  Falle 
ohne  Erfolg 20).  So  ist  der  Krieg,  nicht  so,  wie  ihn  die  Anekdote  der 
C.  N.  N.  darstellt. 

Wahr  ist  auch  nicht  die  angebliche  Episode  aus  dem  Kriege 
der  Armagnacs  und  Burguignons,  viel  Ernst  und  raube  Wirklichkeit 
ist  nicht  in  ihr  enthalten.  Auch  die  Verhandlungen  zu  Calais  über 
das  Lösegeld  des  von  den  Engländern  gefangen  gehaltenen  Herzogs 
von  Orleans  sind  eine  nur  recht  schwache  Staffage  für  die  Liebes- 
geschichte,   die   sich   von   diesem   „historischen"  Hintergrund   abhebt. 

Aber  vielleicht  ist  etwas  von  der  Wirkung  des  Krieges  auf  die 
Gemüter  der  Menschen  in  der  Sammlung  zu  spüren?  Vielleicht  gibt 
es  in  den  hundert  Novellen  ein  par  verwegene  Kerle,  die  sich  nähren 
von  Fehde  und  Raub,  die  mit  dem  fremden  Leben  und  dem  eigenen 
spielen  in  frevelhaftem  Übermut  ?  Ein  par  Verbrecher,  Gesindel,  ver- 
kommene Adelige,  kecke  Abenteurer?  Vielleicht  gibt  es  da  solche 
Müßiggänger,  Zuhälter  und  Brandstifter,  wie  sie  Chastellain  in  Flandern 
uns  bezeugt,  alles  Opfer  des  Kriegs  und  der  Kämpfe  der  Mächtigen? 
Nein,  man  sucht  vergeblich  in  diesen  Schwänkon  nach  solchen  dunklen 
Gestalten.  Nur  einmal  findet  sich  eine  elende  Diebsgeschichte,  die 
eine  der  schlechtesten  Erzählungen  in  dem  ganzen  Bucheist,  uninteressant 
und  witzlos.     Einmal  fuchtelt  auch  ein   Schotte   von   der  Leibgarde 


19)  Chastellain:    a  a.  o.  t.  III  p.  460  ff. 

20)  Chastellain:   a.  a.  o.  t.  I  p.  97  ff. 


96  Walther  Küchler. 

des  Königs  Karl  des  Siebenten  mit  seinem  großen  Schwert  in  der 
Luft  herum  und  erschreckt  einen  feigen  Krämer,  der  sich  unter  dem 
Bette  versteckt. 

Es  gil)t  nichts,  das  in  den  C.  \.  N.  an  die  Folgen  der 
rauhen  Zeit  erinnerte.  Roheit  gibt  es  genug  in  ihnen,  aber  nicht 
einen  einzigen  Zug  von  Roheit,  der  sich  mit  Kühnheit  und  Grausamkeit 
verbände,  keinen  Schurken,  der  groß  geworden  wäre  im  rücksichts- 
losen Beute-  und  Genußleben.  Es  gibt  keinen  Menschen,  der  uns 
mit  Staunen  und  Schrecken  erfüllte  wegen  seiner  unerhörten  Schand- 
tliaten,  wie  etwa  jener  Räuber  und  Mordgeselle  Denis  de  Vauru,  von 
dem  das  ,,  Journal  cVun  hourgeois  de  Paris'-'-  Schlimmes  zu  erzählen  weiß, 
ein  Entarteter,  der  in  dieser  furchtbaren  Zeit  gewiß  viele  Gesinnungs- 
genossen hatte. -^)  Es  findet  sich  in  den  C.  N.  N.  kein  Mann,  der 
wegen  der  gefühllosen  Härte,  mit  der  er  sich  selbst  behandelt,  über 
den  Durchschnitt  der  Zeitgenossen  hinwegragt,  kein  Mann,  den  man 
nur  dann  verstehen  kann,  wenn  man  au  die  Härte  der  Zeit  denkt^ 
die  auch  ihn  hart  und  gefühllos  gemacht  hat.  Kein  Manu,  wie  jener 
Henker  von  Paris,  der,  als  er  selber  hingerichtet  werden  sollte,  dem,^ 
der  das  Geschäft  verrichtete,  genau  angab,  wie  er  zu  Werke  gehen 
müsse,  und  dann  den  Kopf  ruhig  auf  den  Block  legte. 22) 

An  sich  wäre  nichts  natürlicher,  als  daß  solche  Elpisodec,  die 
mit  der  Rauheit  der  Zeit  zu  tun  hätten,  in  die  Sammlung  Aufnahme 
gefunden  hätten.  Die  Stoffe  sind  aus  dem  gewöhnlichen  Unterhaltungs- 
material aller  Schichten  der  Gesellschaft  geschöpft  worden,  es  ist 
nicht  anzunehmen,  daß  man  sich  nichts  von  Persönlichkeiten  ei  zählt 
hätte,  an  deren  Namen  sich  die  Erinnerung  an  kühne  Thaten  knüpfte, 
an  Grausamkeit,  List  und  Verschlagenheit,  Todesverachtung,  über- 
haupt an  Großzügigkeit  des  Auftretens,  das  auf  die  Menschen  Eindruck 
machte.  Sicher  hat  man  von  solchen  Menschen  gesprochen,  die 
Chroniken  und  Tagebücher  des  Jahrhunderts  beweisen  es.  Nur  hat 
sie  das  für  die  Unterhaltung  bestimmte  Werk  nicht  aufgenommen. 
Im  eng>ten  Zusammenhang  mit  Fehde,  mit  grausamer  Kriegsführung 
konnten  sich  in  früheren  Jahrhunderten  aus  volkstümlicher  Verschmelzung 
von  Wirklichkeit  und  Sage  romantische  Abenteurerromane  entwickeln, 
konnten  novellistische  Sammelgebilde  wie  Existache  le  Moine,  Truhert 
und  Foulques  Fitz  Warin  entstehen.  Die  für  Frankreich  neue 
literarische  Gattung  der  kunstmäßig  erzählten  Novelle  konnte,  so  scheint 
es,  solche  Wirklichkeit  aus  der  eigenen  Zeit  noch  nicht  aufnehmen. 
Die  Eigenart  seiner  Zeit,  selbst  die  rauhesten  und  fühlbarsten  Eigenarten 
ihres  Charakters,  sah  der  Erzähler  nicht,  oder  wenn  er  sie  sah,  so 
kam  ihm  der  Gedanke  nicht,  sie  für  seine  Erzählungen  zu  verwerten. 
Eine  Gattung  muß  schon  sehr  entwickelt  sein,  sie  muß  fast  schon 
einen  Höhepunkt   ihrer  Entwicklung  erreicht  haben,  um  mit  Erfolg 


21)  Journal  d'un  bourgeois  de  Paris  publie  par  A.  Tuetey  Paris  1881.  p.  170. 
--)  ebda.  p.  110/111. 


Die  Cent  NouveUes  Noiiveiles.  97 

wagen  zu  dürfen,  ihre  Stoffe  aus  ihrer  Umgebung  herauszuholen.  Die 
Gegenwart  läßt  sich  im  Kunstwerke  nur  realistisch  darstellen,  nur  mit 
allen  Zügen  ihres  wirklichen  Lebens.  Die  C.  N.  N.  kennen  noch 
keine  wirkliche  Realistik.  Wir  dürfen  uns  nicht  durch  die  Realistik 
der  Darstellung,  durch  die  Naturwahrheit  von  Einzelzügen,  die  entschieden 
auf  sicherer  Beobachtung  beruhen  —  das  sind  alles  rein  formale  Eigen- 
schaften —  täuschen  lassen,  die  Stoffe  dieser  Novellen  stammen  mit 
geringen  Ausnahmen  aus  der  Phantasie,  aus  der  jahrhundertelang 
tätigen  Phantasie  von  Generationen  und  aus  der  Einbildungskraft 
des  Verfassers.  Wirkliche  Persönhchkeiten  und  Ereignisse,  deren 
Eigenart  durch  den  Charakter  der  Zeit  bestimmt  worden  wäre,  finden 
sich  nicht  in  den  C.  N.  N. 

Ja,  man  kann  es  ganz  ruhig  aussprechen,  für  die  wirkliche 
Verfassung  des  Lebens  in  Frankreich  um  die  Mitte  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  lernen  wir  aus  den  C.  N.  N.  so  gut  wie  nichts.  Ebenso 
wenig,  wie  wir  aus  den  Fabliaux  die  tatsächliche  Kultur  des  zwölften 
und  dreizehnten  Jahrhunderts  erkennen  können.  Das  Gedenkbuch  des 
Metzer  Bürgers  Philipp  von  Vigneulles  gibt  uns  unschätzbare  Einblicke 
in  das  kulturelle  Leben  seiner  Zeit,  der  Wende  des  Jahrhunderts, 
aber  die  C.  N.  N.  enthüllen  uns  nur  einzelne  Symptome  aus  der 
allgemeinen  geistigen  Verfassung  der  Menschen  ihrer  Zeit;  nicht  durch 
die  W^iedergabe  wirklicher  Ereignisse  des  täglichen  Lebens,  sondern 
nur  mittelbar  durch  die  Stimmung,  die  sich  nach  unserer  Lektüre 
der  Sammlung  aus  ihr  loslöst  und  die  uns  wie  ein  Lufthauch  aus 
jener  schlimmen  Zeit  anmutet.  Wir  können  aus  den  C.  N.  N.  die 
Kultur  ihrer  Zeit  nicht  wirklich  erkennen,  sondern  wir  können  sie 
nur  rückschließend  fühlen.  Die  C.  JV.  N.  sind  nicht  wie  das  Gedenk- 
bnch  des  Philipp  von  Vigneulles,  das  Tagebuch  des  Jean  de  Roye 
und  des  Bourgeois  von  Paris  kulturgeschichtliche  Dokumente. 

Sie  geben  sogar  einen  ganz  falschen  Begriff  von  ihrer  Zeit. 
Wäre  das  fünfzehnte  Jahrhundert  so  gewesen,  wie  es  in  den  C.  N.  JSf. 
ausschaut,  wahrlich,  es  wäre  die  gemütlichste  und  sorgloseste  Zeit 
aller  Zeiten  gewesen.  Ein  Garten  aller  Faulenzer,  ein  Tummelplatz 
aller  Ehebrecher  und  Ehebrecherinnen,  es  wäre  eine  Lust  zu  leben 
gewesen  für  alle,  die  im  Leiien  Befriedigung  ihrer  Sinne  und  ihres 
Magens  suchen.  Selbst  den  Mönchen,  wenn  sie  es  gar  zu  arg  nicht 
trieben,  wäre  es  nicht  allzu  schlimm  ergangen.  Gewiß,  es  komm 
zweimal  vor,  daß  ein  betrogener  Gatte  seine  schuldige  Frau  tötet, 
mehrere  Male  auch  wird  die  leichtsinnige  verstoßen,  ein  ganzes  Kloster 
wird  sogar  verbrannt,  das  will  nichts  besagen.  Solche  Ausgänge  sind 
gewissermaßen  stillos.  Sie  sind  unecht.  Man  könnte  sie  mei-t  herunter- 
schneiden  und  andere  Schlüsse  ansetzen,  die  Erzählung  würde  nicht 
verlieren;  denn  sie  ist  meist  nicht  von  Anfang  an  auf  den  tragischen  — 
das  Wort  klingt  zu  hoch  —  Ausgang  gestimmt. 

Kein  Mensch  arbeitet  in  den  Novellen.  Nur  einmal  eilt  ein 
Schmied  vom  Blasebalg  weg  in  das  Schlatgemach,  um  Frau  und  Liebhaber 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI'.  7 


98  VValiher  Küchler. 

zu  überraschen.  Die  Menschen  leben  nur  um  zu  lieben.  Die 
Gatten,  um  sich  täuschen  zu  lassen  und  die  Dienerinnen  ihrer 
Gattinnen  zu  verführen,  die  Frauen,  um  ihre  Männer  zu  täuschen, 
die  unverheirateten  Junggesellen  und  die  Priester,  um  Mädchen  zu 
verführen.  Gewöhnlich  verzeiht  der  Gatte  seiner  Frau,  die  Frau  dem 
Gatten,  oder  dem  Gatten  ist  es  gleich,  wenn  die  Frau  ihn  betrügt. 
Er  lacht  über  den  Ehebruch  und  geht  ins  Wirtshaus.  Die  Gattin 
zeigt  der  Dienerschaft  und  den  eigenen  Kindern  ihren  Herrn  und 
Vater,  der  friedlich  in  den  Armen  der  Magd  schläft.  Der  Gatte 
tröstet  sich  mit  der  Kammerfrau,  während  er  die  Gattin  in  den 
Armen  des  Gastes  weiß.  Die  Frau  mit  zwei  Liebhabern  überliefert 
sich  dem  einen,  während  der  andere,  wie  sie  wohl  weiß,  von  seinem 
Versteck  ihr  zuschaut. 

Alle  diese  und  andere  Situationen  sind  nicht  der  Wirklichkeit 
entnommen.  Die  Sittenlosigkeit  war  groß  in  jener  Zeit,  aber  sie  war 
nicht  so  harmlos,  wie  die  C.  N'.  N.  sie  darstellen.  Es  war  denn 
doch  mehr  Leidenschaft  in  ihr  vorhanden.  Wenn  einer  ein  sträfliches 
Verhältnis  mit  der  Frau  des  Edelmannes  unterhielt,  so  wagte  er  sein 
Leben  in  Frankreich  so  gut  wie  in  Italien.  Als  der  Seneschal  der 
Normandie,  der  Graf  von  Maulcvrier,  der  mit  Charlotte  von  Frankreich, 
der  natüdichen  Tochter  Karls  des  Siebenten  und  der  Agnes  Sorel 
verheiratet  war,  einst  von  einer  Jagd  zurückkehrte,  teilte  ihm  ein 
Diener  mit,  daß  ein  Edelmann  bei  seiner  Frau  weile.  Der  Graf 
erbrach  die  Tür,  fand  den  Edelmann  im  Hemde,  tötete  ihn  sofort 
und  gab  dem  Leichnam  noch  mehr  als  hundert  Degenstöße.  Dann 
suchte  er  seine  Frau,  fand  sie  unter  einem  Bette  in  einem  anderen 
Zimmer  und  nahm  auch  ihr  das  Leben  23), 

Im  Jahre  1482  starb  in  Paris  der  berühmte  Rechtsgelehrte 
Nicolle  Bataille  im  Alter  von  44  Jahren;  wie  man  sich  erzählte,  aus 
Kummer  über  den  schh^chteu  Lebenswandel  seiner  Frau,  die,  nachdem 
sie  ihm  bereits  zwölf  Kinder  geboren  hatte,  ihn  mit  allerlei  Männern 
betrog,  darunter  sogar  mit  dem  Sohne  einer  Gemüse-  und  Fisch- 
händlerin 24), 

In  Metz  hatte  eine  Bürgersfrau  ein  Verhältnis  mit  einem  Clerk. 
Sie  töteten  den  Gatten  und  wurden  beide  dafür  hingeiichtet,  sie  wurde 
verbrannt,  ihm  wurden  erst  die  Hände,  dann  das  Haupt  abge>chlagen  25). 

Verführte  Mädchen  töten  die  Kinder,  die  sie  geboren  haben, 
und  müssen  eines  grausamen  Todes  dafür  sterben  2C). 


2')  Jean  de  Roye :  Journal  (Clironique  scandaleuse),  publie  par  Bernard  de 
Mandrot.    2  vols.  Paris  1894-96.    t.  II  p.  15  ß. 

24)  Jean  de  Roye:  Journal  t.  II  p.  114  f. 

25)  Ph.  de  Vigneulles:  Gedenkbuch  p.  8. 

««)  Ph.  de  Vigneulles:  Gedenkbuch  p.  125.  144.  291. 


Die  Cent  Nouvelles  Nouvelles.  99 

Ein  abgewiesener  Freier  verstümmelt  und  tötet  den  begünstigten 
Nebenbuhler  kurz  vor  dessen  Hochzeit  auf  die  grausamste  Weise^?), 
und  so  finden  sich  eine  große  Anzahl  von  Anekdoten  und  Episoden 
in  früheren,  gleichzeitigen  und  späteren  Dokumenten,  in  denen  die 
Sittenlosigkeit  dargestellt  wird  in  Verbindung  mit  aufgeregten  Leiden- 
schaften, mit  Verbrechen  gegen  I^eib  und  Leben,  mit  gewaltsamem 
Tode  auf  richterlichen  Beschluß. 

Und  diese  Elemente  fehlen  in  den  C.  N.  N.  Die  auflodernde 
Leidenschaft,  die  im  Augenblick  des  Affekts  sich  zu  Gewalttätigkeiten 
hinreißen  läßt,  gerade  diese  alltägliche  Begleiterscheinung  der  sträflichen 
Liebe;  die  ernsten  Folgen,  die  sich  aus  der  Übertretung  der  auch 
im  fünfzehnten  Jahrhundert  bestehenden  gesetzlichen  und  gesellschaft- 
lichen Schranken  ergeben;  die  scharfen  Konflikte  zwischen  Ehre  und 
Pflicht,  die  in  solchen  Momenten  auftreten,  derartige  echt  menschliche 
Erscheinungen,  welche  den  späteren  Geschlechtern  erwünschte  Bilder 
aus  der  kulturellen  Verfassung  der  Zeit  gegeben  hätten,  fehlen  in 
der  Sammlung  der  0.  N.  N. 

"Wie  fügt  sich  denn  aber  nun  das  Werk  ein  in  seine  Zeit? 
Es  kann  doch  nicht  ganz  losgelöst  sein  von  dem  Geist  des  Jahrhunderts, 
in  dem  es  entstand,  mag  es  auch  noch  so  wenig  von  den  Realitäten 
des  Lebens  enthalten. 

Christine  de  Pisan  sagt  einmal  in  ihren  „Prouverbes  moureaula;" : 

Tourner  a  truffe  aucune  foiz  injure 

En  certain  temps  est  scens,  je  Je  vous  jure. 

Wenn  ich  mich  nicht  täusche,  so  ist  diese  Tendenz,  ganz  all- 
gemein gefaßt,  ein  Symptom  der  Zeit,  aus  der  heraus  die  C.  N.  N. 
geboren  wurden.  ,,Bene  vivere  et  Icetari'-''  verkündet  die  Dame 
des  heiles  Cousines  ihrem  Schützling,  dem  JPeiit  Jehan  de  Saintre 
des  Antoine  de  la  Säle.  „11  ri'est  tresor  que  de  lyesse'^  heißt  es 
in  der  Farce  „des  cinq  sens'',  „11  n'est  tresor  que  de  vivre  ä  so7i 
aise''  ruft  Frangoys  Villon  in  einer  Ballade  aus.  In  jener  harten 
Zeit  vergnügt  zu  leben  war  nur  möglich,  wenn  man  schwarz  weiß  sein 
ließ,  wenn  man  das  Unrecht  in  einen  Scherz  auflöste,  wenn  man 
lachte  über  die  Schande,  über  die  eigene  Not  spottete  und  die  Ehre 
mit  Füßen  trat. 

,yOrdure  amons,  ordure  nous  assuit 
Nous  deffuyons  onneur,  il  nous  deßuit, 
En  ce  bordeau  ou  tenons  nostre  estat"  28). 

So  lacht  der  unglückliche  Vagabund  über  sein  Elend.  Es  klingt 
-wie    ein    verzweifeltes  Sich-Rühmen.     Auch   ein   Symptom    der    Zeit: 


2'')  Chastellain:  Chronique.     Oeuvres  III  p.  434  £F. 
^)  Villon:  Ballade,  de   Villon  et  de  la  Grosse  Margot. 

7* 


100  Walther  Küchler. 

,yTel  est  vanteur  qui  couche  sur  la  paille;. 

Voilä  le  traiJi,  par  bieu,  du   Temps  qui  court''  29). 

Die  Menschen  fühlen  sich  wohl.  Die  in  den  C.  N.  N.  sind 
Fürsten  in  der  Unbeküramertheit  ihres  sorglosen  Genusses.  Sie  lachen 
und  lärmen,  sie  schlemmen  und  lieben,  sie  necken  und  betrügen  sich, 
sie  prügeln  und  vertragen  sich.  Sie  rühmen  sich,  sie  wissen  selbst 
nicht,  welcher  Dinge.  Rosig  erscheint  ihnen  die  Welt,  ob  sie  auch 
auf  Stroh  schlafen.  So  sind  die  Menschen  der  Zeit,  so  sind  sie  in 
den  Novellen,  so  ist  der  Verfasser.  Nur  kein  Bedenken,  kein  Besinnen 
und  Nachdenken.  Genuß!  Genuß!  Einmal  müssen  wir  alle  sterben, 
darum  sparen  wir  nicht  die  Glieder,  die  einst  in  der  Erde  verfaulen 
werden 30).  Sich  an  ein  Weib  hängen,  das  ist  das  Beste,  was  man 
tun  kann,  meint  der  Verfasser.  Der  Dummkopf  aber,  der  in  Melancholie 
verfällt,  weil  sein  Weib  ihn  betrügt.  Davon  wird  ihm  nicht  besser, 
spottet  er  an  einer  anderen  Stelle  3i). 

In  dieser  Stimmung  treffen  sich  die  C.  JV.  N.  mit  ihrer  Zeit. 
Eines  unter  den  mannigfachen  Symptomen,  aus  denen  sich  eine  Zeit 
zusammensetzt,  spiegelt  sich  in  diesen  Novellen  wieder. 

Eine  Zeit  wird  von  starken  Strömungen  bewegt,  und  da  wo  die 
Luft  von  ihnen  ertönt  rauscht  es  tief  und  gewaltig.  Manche  Menschen 
werden  von  ihnen  ergriffen,  und  ihre  Werke  legen  Zeugniß  ab  von  diesem 
Aufruhr.  Hoch  oben  oder  in  der  Tiefe  kreisen  diese  Ströaungen,  zwischen 
ihnen,  in  der  Mitte  ist  die  Luft  still.  Die  vielen  Menschen  fühlen 
sich  wohl  in  dieser  Atmosphäre  und  atmen  mit  Behagen  eine  schwere 
Luft,  in  der  die  anderen  ersticken  würden.  In  dieser  Luft,  zwischen 
den  Strömungen,  ohne  ihren  frischen  Zug  zu  spüren,  lebte  auch  der 
Verfasser  der  C.  N.  N.  Und  so  kommt  es,  daß  wir  sie  in  seinem 
Werke  verspüren.  Der  Geist  der  Zeit  ist  nicht  darin,  nur  die 
Trivialität  der  Mittelmäßigkeit,  der  Genügsamkeit,  der  Geist  der 
großen  Masse,  die  in  stumpfem  Genüsse  dahinlebt. 


Wir  kommen  immer  wieder  zu  denselben  Resultaten.  Die 
Betrachtung  der  Motive,  ihre  Herleitung  und  Entwicklung  hatte  uns 
ein  zähes  Festhalten  an  altem  Gut,  dem  nur  gelegentlich  einige  wenige 
moderne  Gegenstände  gegenüber  stehen,  gezeigt.  Ein  Beharren  am 
Trivialen. 

Die  Untersuchung  der  formalen  Behandlungsweise  hatte  uns 
zwar  mit  einem  äußerlich  sehr  gewandten  stilistischen  Verfahren  bekannt 
gemacht,  aber  wir  vermißten  jegliche  Vertiefung  des  Übernommenen 
und  standen  einer  nur  erstaunlichen  Fertigkeit  in  technischer  Beziehung 
gegenüber. 


^')  Farce  de  Pou  d'Acquest.     Fournier  p.   62  £f. 

30)  C.  A'^,  .V.   XIII. 

31)  C.  N.  ^\  XLIX. 


Die   Cent  Nouvelles  Nouvelles.  101 

Der  kurze  Blick  auf  den  Geist  der  Sammlung  ließ  uns  erkennen, 
daß  aus  der  immerhin  bewegten  Zeit,  die  Roheit  und  Gewalttätigkeit, 
Leidenschaft  und  Drang  zu  fördern  geeignet  war,  auch  nichts  in  die 
Sammlung  eingedrungen  ist,  sondern,  daß  sie  erfüllt  ist  von  dem 
Geist  leidenschaftloser,  trivialer  Kleinheit,  die  im  begrenzten  Genüsse 
lebt  und  leben  läßt. 

GIESSEN.  Walther  KtrcHLER. 


Beiträge  zur  Geschichte 

der  politischen  Literatur  Frankreichs  in  der 

zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts. 


I.   TeU. 

Die   Herausbildung    des    politischen    Charakters    der 
Reformationsliteratur  in  Frankreich. 

Die  vorliegende  Untersuchung  leitet  eine  Heihe  von  Arbeiten  über 
ein  Gebiet  der  französischen  Literaturgeschichte  des  16.  Jahrb.  ein, 
welches  ich  mit  einem  in  der  literarhistorischen  Forschung  bereits  mehr- 
fach 1)  angewendeten  Ausdruck  als  politische  Literatur  bezeichnet  habe. 

Unter  der  politischen  Literatur  ist  die  im  Zusammenhang  mit 
den  geschichtlichen  Verhältnissen  und  Vorgängen  entstandene  Literatur- 
gattung zu  verstehen,  welche  vornehmlich  die  den  Bedürfnissen  des 
realen  Lebens  zugewendeten  Gebiete  schriftstellerischer  und  dichterischer 
Betätigung  umfaßt  und,  indem  sie  in  den  Dienst  staatlicher  Fragen 
und  Ziele  tritt,  weniger  künstlerische  Vollkommenheit  als  unmittelbare 
und  machtvolle  Wirkung  auf  die  Öffentlichkeit  anstrebt. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  1 6.  Jahrb.  steht  die  politische  Literatur 
in  allen  ihren  Teilen  unter  dem  Einfluß  der  Reformation  und  der 
durch  sie  herbeigeführten  religiösen  und  staatlichen  Verhältnisse  und 
findet  ihr  Gegenstück  in  der  unter  dem  Einfluß  der  Renaissance 
entstandenen,  „klassischen"  Literatur,  welche  im  Gegensatz  zur  poli- 
tischen Literatur  den  Charakter  einer  antikisierenden  und  höfischen 
Kunstpoesie  trägt. 

Der  Gegensatz  beider  Richtungen  der  französischen  Literatur, 
welche  sich  beide  um  die  Mitte  des  16.  Jahrb.  ausbildeten,  ist  weniger 
schroff,  als  die  Verschiedenheit  des  Ursprungs  und  die  Einseitigkeit 
des  literarischen  Ziels  in  der  einen  und  anderen  vermuten  lassen 
sollte.     Im  Laufe  unserer  Untersuchungen  werden  wir  vielmehr  nicht 


')  Vgl.  besonders  Zeiss,  Die  Staatsidee  Pierre  Coj-neilles,  mit  einer 
Einleitung  über  die  politische  Literatur  Frankreichs  von  der  Renaissance 
bis  auf  Corneille.    Leipzig.  Diss.  1896. 


Beiträge  zur  Geschichfe  der  polit.  Literatur  Franhreichs.        103 

bloß  die  politische  Literatur  allein  des  Genaueren  zu  betrachten, 
sondern  auch  die  Einwirkung  der  politischen  Literatur  auf  das  Werk 
der  Plejade,  wie  auf  die  klassische  Literatur  überhaupt,  in  ihren  viel- 
artigen Erscheinungen  zu  verfolgen  und  die  sich  dabei  ergebenden 
Wechselbeziehungen  zwischen  beiden  Gebieten  der  französischen  Lite- 
raturgeschichte des    16.  Jahrh.  im  Einzelnen  darzulegen  haben. 

Die  literarhistorische  Darstellung  des  16.  Jahrh.  weist  der  poli- 
tischen Literatur  gegenüber  der  klassischen  Literatur  eine  nicht  anders 
als  untergeordnete  Stellung  an.  Allerdings  steht  die  politische  Literatur, 
soweit  es  sich  um  künstlerische  und  dichterische  Vollkomraeiilieit 
handelt,  hinter  der  an  den  antiken  Mustern  und  Vorbildern  gebildeten 
klassischen  Literatur  der  Renaissance  zurück;  aber  es  hieße  den  Begriff 
der  Literaturgeschichte  einseitig  fassen  und  die  Bedeutung  verkennen 
oder  geringschätzen,  welche  die  Geschichte  eines  Volks  für  die  Gestal- 
tung seiner  Literatur  zu  beanspruchen  hat,  wenn  man  in  der  franzö- 
sischen Literatur  des  16.  Jahrh.  nur  die  Schöpfung  der  Renaissance 
als  der  literarhistorischen  Betrachtung  und  Beschäftigung  würdig 
gelten  lassen  und  darüber  die  weitausgedehnte  Literatur  verkürzen 
wollte,  welche  sich  im  Zusammenhang  mit  den  stürmischen  religiösen 
und  staatlichen  Verhältnissen  des  16.  Jahrh.  auf  französischem  Boden 
entfaltet  hat. 

Als  typisch  für  die  einseitige  Berücksichtigung  der  klassischen 
Literaturrichtung  in  der  literargeschicbtlichen  Betrachtung  des 
16  Jahrh.  mögen  unter  den  neueren  Arbeiten  herausgegriffen  werden  die 
Schriften  von  Reaume,  Etüde  historique  et  litt,  sur  A.  d'Aubigne 
(Paris  1883)  und  Wagner,  liem^/  ßelleau  und  seine  Werke  (Leipzig. 
Dissertation  1890),  welche  zwei,  auch  auf  dem  Gebiete  der  politischen 
Literatur  hervorragende  Persönlichkeiten,  und  zwar  solche  entgegen- 
gesetzter politischer  Parteinahme  behandeln.  Reaume  geht  zwar  mit 
aller  wünschenswerten  Genauigkeit  auf  D'Aubignes  Lebensgang  und 
sein  literarisches  Werk,  namentlich  auf  seine  Tätigkeit  als  Geschichts- 
schreiber ein,  aber  dem  politischen  Dichter,  der  in  dem  Sänger  der 
„Tragiques''  steckt,  widmet  Reaume  nur  wenige  Seiten,  eine  Lücke, 
welche  nur  unvollkommen  durch  die  Aufsätze  von  Fahre -),  WarneryS), 
Levallois*),  und  in  noch  geringerem  Grade  durch  die  rein  biographisch 
gehaltene    Studie    von    A.    von    SaUs^)     ausgefüllt    wird 6).      Auch 


^)  Discours  sur  la  vie  et  [es  auvres  d'Agrippa  cVAubigne,  in:  Revue 
ckretienne.    32(1885)  S.  754—767;    827-844. 

3)  ün  soldat-poete  au  seizieme  siede.  Theodore- Agrippa  d'Aubigne,  in: 
Bibliotheque  universelle   et  Revue  suisse.      102«   anneo,   VIII  (1897)    S.  225 — 259. 

■*)  D'Aubigne;  les  Tragiques.  in:  Instruction  publique.  1885.  S.  504  ff., 
517  ff.,  643  ff. 

^)    D'Aubigne,  eine  Ilugenoltengestalt.     Heidelberg  1885. 

^)  Zur  D'Aubigne-Literatur  treten  neuerdings  noch  hinzu:  Oeuvres 
poetiques  de  D^Aubigne,  publ.  par  Van  Bever  (Paris  1905)  und  W.  Winkler, 
Th.  A.  d'Aubigne,  der  Dichter,     Leipzig,  Diss.  1906. 


104  Kurt  Glaser. 

H.Wagner  hat  Leben  und  Werke  Belleaus  unter  allen  möglieben  Gesichts- 
punkten betrachtet,  aber  bezeichnenderweise  am  allervvonissten  seiner 
politischen  Poesieen  Erwähnung  getan  und  mit  keinem  Wort  seines 
makaronischen  Gedichtes  über  den  hugenottischen  Krieg  gedacht, 
welches  den  vielgefeierten  Plejadedichter  auch  unter  den  Größen  der 
politischen  Literatur  einen  Platz  beanspruchen  läßt. 

Die  Nebensächlichkeit,  mit  welcher  die  politische  Literatur 
zumeist  be^lacht  worden  ist,  hat  wiederholt  schiefe  Urteile  über  eine 
ihrer  bekanntesten  Erscheinungen,  die  Satire  Menippee,  fällen  lasseu. 
Mit  Recht  ist  namentlich  L  Frank  wiederholt  (zuletzt  diese  Zeit- 
schrift XXIX 1,  S.  246 — 273)  für  eine  nur  durch  gründliche 
Erforschung  zu  ermöglichende  gerechte  Beurteilung  der  bedeutendsten 
und  wirkungsvollsten  Prosasatire  der  französischen  Literatur  in  die 
Schranken  getreten  und  hat  damit  zugleich  der  Würdigung  der 
politischen  Literatur  überhaupt  einen  dankenswerten  Dienst  erwiesen. 

Außer  Frank  haben  sich  in  neuerer  Zeit  durch  die  Erforschung 
der  politischen  Literatur  des  16.  Jahrh.  Verdienste  erworben  nament- 
lich Mealy  durch  seine  Arbeit  über  die  politische  Publizistik  der 
Reformation  in  Frankreich'^),  Perdrizet  durch  seine  Studie  über  das 
für  die  Geschichte  der  politischen  Literatur  und  die  Beuiteilung  von 
Ronsards  literarischem  Werk  gleich  wichtige  Verhältnis  Ronsards  zur 
Reformation  ö),  sowie  HoU  durch  seine  Untersuchung  über  das 
politische  und  religiöse  Drama  des  16,  Jahrh.  O),  welche  die  Rolle 
darzulegen  unternimmt,  die  das  Drama  in  der  Reformation,  und  die 
Reformation  im  Drama  gespielt  hat. 

Die  Berücksichtigung  der  politischen  Literatur  in  der  literar- 
historischen Betrachtung  des  16.  Jahrh.  ist  mit  um  so  größerer  Freude 
zu  begrüßen,  als  die  politische  Literarur  seit  der  ersten  Darstellung, 
welche  Charles  Lenient  vor  nunmehr  bereits  vierzig  Jahren  in  seinem 
Werke  La  satire  en  France  ou  la  litt,  militante  ati  X  VF  siede.  (Paris 
1866)  gegeben,  keine  neue  zusammenhängende  Bearbeitung  mehr  gefunden 
hat.  Lenient  hat  die  Geschichte  der  politischen  Literatur  zwar  mehr 
in  ihren  Grundzügen  als  in  den  in  Betracht  kommenden  Einzel- 
erscheinungen geschildert,  aber  auch  da,  wo  er  den  in  den  bände- 
reichen Werken  der  Schriftsteller  und  Dichter  jener  Zeit  versteckt 
liegenden  Schriften  und  Dichtungen  politischer  Richtung  nachgeht 
oder  nur  nebenher  weniger  bedeutende,  aber  gleichwohl  noch  immer 
interessante  und  beachtenswerte  Erscheinungen  des  weitaus.;edehnten 
Gebietes  berührt,  geschieht  es  in  einer  so  klaren  und  im  Zusammen- 
hang seiner  ganzen  Darlegungen  so  wolilgelungenen  Weise,  daß  sein 
Urteil  im  großen  und  ganzen  noch  heute  Gültigkeit  beanspruchen  kann. 


^    Les  publicistes  de  la  Rifforme  sous  Francois  II  et  Charles  IX.   1903. 

8)    Ronsard  et  la  Reforme.     Paris  1902. 

^)    Das    politische    und     religiöse    Drama     des    1(1.     Jahrh.    in    Frankreich. 

Münchener  Beiträge  etc.  26  (1903). 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.         105 

Für  neue  Forschungen  über  die  Geschichte  der  politischen 
Literatur  des  16.  Jahrb.  gibt  Lenients  Bucli  noch  immer  die  grund- 
legende Arbeit  ab.  Indessen,  der  Mangel  an  Genauigkeit  im  Kleinen 
und  Einzelnen  hat  Leuient  doch  einer  der  wichtigsten  Entwicklungen, 
welche  die  politische  Literatur  im  16.  Jahrb.  durchlaufen,  nicht 
gerecht  werden  lassen,  nämlich  der  durchgreifenden  Umwandlung, 
welche  um  die  Mitte  des  16.  Jahrb.  mit  der  Übertragung  des  Gegen- 
satzes zwischen  Reformation  und  Katholizismus  auf  die  Literatur 
weltlichen  Charakters  vorgegangen  ist  und  zu  der  Herausbildung 
eines  ausgesprochenen  politischen  Parteicharakters  in  der  Zeitliteratur 
des  16.  Jahrh.  geführt  hat. 

Daß  ich  gerade  die  Umwandlung,  welche  sich  mit  der  Heraus- 
bildung   des    politischen    Parteicharakters,    gegenüber    dem    in    der 

1.  Hälfte  des  16.  Jahrh.  vorherrschenden  patriotisch- nationalen  und 
religiösen  Element  in  der  Zeitliteratur  des  16.  Jahrb.,  vollzogen  hat, 
zum  Ausgangspunkt  meiner  Untersuchungen  gewählt  habe,  liegt  in  der 
Bedeutung  begründet,  welche  jene  Umwandlung  für  die  fernere 
Geschichte  der  politischen  Literatur  gewonnen  hat.  Es  wird  noch 
zu  zeigen  sein,  wie  die  politische  Literatur  erst  mit  der  Herausbildung 
eines  ausgesprochenen  Partei-  und  Streitcharakters  zu  voller  Ent- 
faltung und  Wirkung  gelangt  und  in  raschem  Steigen  zu  einer 
gewaltigen  Hochflut  emporwächst,  welche  in  alle  Gebiete  der  Literatur, 
und  selbst  bis  zu  den  von  dem  Renaissanceideal  beherrschten  Höhen 
des  Parnasses  ihre  Wellen  schlägt. 

Für  die  Darlegung  jener  für  die  Geschichte  der  politischen 
Literatur  so  bedeutungsvollen  Entwicklung  war  ein  ausführlicheres 
Eingehen  auf  die  von  Leuient  und  seinen  Nachfolgern  nur  in  wenigen 
Erscheinungen  berücksichtigte  Kleinliteratur  notwendig,  als  es  der 
mitunter  ziemlich  zweifelhafte  literarische  Wert  dieser  Literatur  recht- 
fertigen könnte.  Je  tiefer  man  in  die  Kleinliteratur  des  16.  Jahrh. 
eindringt,  je  mehr  sich  das  bisher  von  der  politischen  Literatur 
gewonnene  Bild  durch  die  Erschließung  der  weitausgedehnten  Literatur 
zweiten  oder  dritten  Ranges  in  zahlreichen  einzelnen  Zügen  erweitert 
und  vervollständigt,  um  so  mehr  gewinnt  man  die  Einsicht,  daß 
nicht    bloß    der   Aufschwung    der   politischen   Literatur,    welcher   die 

2.  Hälfte  des  16.  Jahrh.  bezeichnet,  sondern  auch  die  durchgreifende 
Wandlung,  welche  um  die  Mitte  des  16.  Jahrh.  mit  der  Herausbildung 
eines  ausgesprochenen  politischen  Charakters  in  Wesen  und  Ziel  der 
politischen  Literatur  vorgeht,  wesentlich  durch  den  Aufschwung  bedingt 
ist,  zu  welchem  sich  die  in  unmittelbarstem  Zusammenhang  mit  den 
Zeitereignissen  und  Zeitveihältnissen  entstandene  prosaische  und 
poetische  Kleiuliteratur  emporarbeitet.  Gerade  in  der  2.  Hälfte 
des  16.  Jahrb.  fehlt  es  an  mächtigen,  die  politische  Literatur  ihrer 
Zeit  beherrschenden  Persönlichkeiten,  wie  sie  die  1.  Hälfte  des 
Jahrh.  in  Marot  und  Rabelais,  in  Kalvin  und  Beza  aufzuweisen 
hat.      Die    Schriftstellcrei    und    Dichtun-i    verbreitern    sich    in    der 


106  Kvrt  Glaser. 

2.  Hälfte  des  16.  Jahr)).,  die  Klein-  und  Tagesliteratur,  die  Volks- 
dichtung, nimmt  überhand,  welche  mehr  noch  als  die  Schöpfung 
der  bedeutenden  Geister  der  ganzen  Literatur  die  Züge  einer  für 
die  Zeit,  das  Leben  berechneten  Literatur  verliehen  hat. 

Das  weitzerstreute  Material  an  Erzeugnissen  der  politischen 
Kleinliteratur,  das  ich  mit  möglichster  Vollständigkeit  zusammenzutragen 
und  zu  verwerten  gesucht  habe,  liegt  nur  zum  Teil  bereits  in  größeren 
Sammlungen  gedruckt  vor,  und  zwar  ist  ein  Teil  der  zu  Rate  gezogenen 
Prosaschriften  in  dem  als  „Memoires  de  Conde"  bekannten  Sammel- 
werke vereinigt  (6  Bände.  174.3  if.).  Als  Fortsetzung  kommen  in 
Betracht  die  „Memoires  de  la  Ligue'^  (Amsterdam  1758.    6  Bände). 

Die  benutzten  Zeitdichtungen  sind  zum  Teil  zu  finden  in:  Le 
Laboureur.  Additions  aux  Memoires  de  Micliel  de  Castelnau 
(Bruxelles  1731);  Desnoyers,  Bull,  de  la  socidte  de  l'histoire  de 
France  12  (1834)  S.  261—300,  Le  Roux  de  Lincy,  Recueil  de 
chants  historiques  frangais  II  (1842),  Montaiglon-Ilothschild,  Recueil 
de  pohies  frangaises  des  XV^  et  XVl^  siecles.  13  Bände  (Paris 
1855  —  1878.  —  abgekürzt:  Rec),  Schmidt,  Poesies  huguenotes  du 
XVI"  siede  (Strasbourg  1882),  Bordier,  Le  chansonnier  huguenot 
du  XVI^  siede.  2  Bände  (Paris  1871);  ferner  an  zerstreuten 
Stellen  der  Memoires  de  Conde  und  Memoires  de  la  Ligue  und 
namentlich  des  Bnlletiti  de  la  sociale  de  Vhistoire  du  protestantisme 
franpais  (seit  1853.  —  abgek.:  Bull.)  sowie  im  2.  Bande  der  Aus- 
gabe der  Satyre  31enippde  von  Ed.  Tricotel  (Paris  1881). 

Die  von  mir  außerdem  noch  verwerteten  Originaldrucke  und 
handschriftlichen  Quellen,  welche  mir  zumeist  auf  der  Bibliotheque 
Nationale,  vereinzelt  auch  auf  der  Bibliotheque  de  TArsenal  und  der 
Bibliotheque  de  la  Societe  de  Thistoire  du  protestantisme  franpais 
zu  Paris  zugänglich  geworden  sind,  habe  ich  im  Laufe  der  Untersuchung 
namhaft  gemacht.  Namentlich  reichhaltig  erwies  sich  die  Sammlung 
von  politischen  Poesieen  in  Bibliotheque  Nationale  fonds  frangais 
Ms.  22  560  —  22  565,  welche  der  protestantische  Arzt  Franoois  Rasse  de 
Noeux,  der  selbst  an  den  Ereignissen  der  Religionskriege  mehrfach 
beteiligt  gewesen  ist,  angelegt  hat;  ebenso  der  Chansomiier  de 
Maurepas,  Bibliotheque  Nationale  fonds  frangais  Ms.  12  616  und  der 
Chansojinier  de  Clairamhaidt,  Bibliotheque  Nationale  fonds  Ms.  12687, 
sowie  die  Sammlung  von  Dichtungen,  welche  Pierre  De  L'Estoile 
seinem  bekannten  Journal  beigegeben  hat  (=  Bibliotheque  Nationale 
fonds  frauQais  Ms.  10  304). 

I. 

Der   Gegeusatz    zwischen   Katholizismus   und   Reformation   im 

Zusammenhang  mit  der  Entwicklung  der  politischen  Literatur 

des  16.  Jahrhunderts. 

Die  politische  Literatur  Frankreichs  in  der  2.  Hälfte  des 
16.  Jahrb.  ist   beherrscht  von   dem   Gegensatz  zwischen  Reformation 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.         107 

und  Katholizismus,  wie  er  sich  auf  religiösem  und  staatlichem  Gebiete 
gestaltet  und  alle  Verhältnisse  des  damaligen  Frankreichs  durchdringt. 
Die  Reformation  war  für  Frankreich,  gerade  wie  für  Deutschland, 
nicht  bloß  eine  religiöse  Angelegenheit,  sondern  zugleich  auch  eine 
politische  Sache.  Die  durch  ihre  Glaiibensmeinungen  getrennten 
Parteien  vertraten  auch  in  ihren  politischen  Zielen  gesonderte 
Richtungen,  denen  die  Konfession  oft  nur  als  willkommener  Vorwand 
ihrer  Bestrebungen  diente.  Mit  dem  Anwachsen  des  neuen  Bekenntnisses 
in  Frankreich  gewann  dieser  Gegensatz  eine  immer  deutlichere  Gestalt. 
Die  Bekeuner  der  „neuen"  Lehre,  welche  in  den  ersten  Jahrzehnten  seit 
dem  Eindringen  der  Reformation  in  Frankreich  ein  offenes  politisches 
Auftreten  gescheut  und  alle  Verfolgungen  von  selten  der  katholischen 
Regierung  geduldig  über  sich  hatten  ergehen  lassen,  begannen,  je 
mehr  ihre  Zahl  und  damit  ihre  Macht  wuchs,  zu  einer  festgegliederten 
Partei  zusammenzutreten,  welche  auch  im  Staatsleben  eine  Sonder- 
stellung einzunehmen  bestrebt  war.  Der  unerwartete  Tod  Heinrichs  II. 
eröffnete  den  kalvinistischen  Parteiführern,  Antoine  von  Bourbon, 
König  von  Navarra,  und  seinem  Bruder  Louis  von  Conde,  die  Aus- 
sicht, als  die  durch  ihre  Verwandtschaft  mit  dem  verstorbenen 
Heinrich  IL  dem  Thron  am  nächsten  stehenden  Mitglieder  des  könig- 
lichen Hauses  sich  des  ihnen  bisher  versagten  Anteils  an  der  Regierung 
in  Frankreich  und  der  Vormundschaft  für  den  jugendlichen,  an  Körper 
und  Geist  gleich  schwachen  Sohn  Heinrichs,  Franz  IL,  bemächtigen 
zu  können.  Mit  ihren  auf  Erlangung  des  leitenden  Einflusses  in 
Frankreich  gerichteten  Bestrebungen  traten  die  Führer  des  Kalvinismus 
in  schroffen  Gegensatz  zu  den  Oberhäuptern  der  katholischen  Mehrheit 
des  Volks,  den  beiden  Brüdern  Franz  und  Karl  von  Guise,  welchen 
es  durch  rasches  und  tatkräftiges  Handeln  gelang,  das  Regiment  am 
Hofe  an  sich  zu  reißen  und  mit  einer  dem  Einfluß  der  karolingischen 
Hausmeier  ähnlichen  Machtvollkommenheit  ihren  Willen  dem  Hofe 
und  dem  Lande  aufzuzwingen.  Die  Unzufriedenheit  der  Kalvinisten 
mit  der  Herrschaft  der  Guisen,  welche  sich  eigenmächtig  in  die  Staats- 
gewalt teilten,  führte  zu  dem  als  Verschwörung  von  Amboise  bekannten 
Versuch  mehrerer  Edelleute,  das  Regiment  der  allmächtigen  Guisen 
zu  entthronen.  Der  für  die  Empörer  unglückliche  Ausgang  der  Unter- 
nehmung war  von  erneuten  Gewaltmaßregeln  der  Guisen  begleitet, 
welche  ihre  Machtstellung  gegenüber  den  Bestrebungen  des  Adels  zu 
stärken  bemüht  waren  und  vermeinten,  durch  die  Gefangennahme 
Condes  den  Widerstand  der  kalvinistischen  Partei  brechen  zu  können. 
Der  plötzliche  Tod  des  Königs  entzog  den  Guisen  zwar  vorübergehend 
ihren  Einfluß  am  Hofe  und  im  Staate,  da  die  Königin- Mutter, 
Katharina  von  Medici,  die  vormundschaftliche  Regierung  für  den 
neuen  König,  den  erst  zehnjährigen  Karl  IX.,  selbst  in  die  Hand 
nahm;  aber  die  Guisen  gewannen  den  früheren  Einfluß  rasch  wieder, 
als  Franz  von  Guise  das  von  Katharina  zur  Versöhnung  der  kalvinisti- 
schen Partei   erlassene  Dulduugsedikt  von   St.  Germain   (17.  Januar 


108  Kurt  Glaser. 

1562)  diircli  den  Frevel  von  Vassy  mutwillig  brach  und  so  den  An- 
stoß zu  den  Religionskriegen  gab,  \Yelclic  mit  kurzen  Unterbrechungen 
Frankreich  während  eines  Monschenalters  durchtobten. 

Die  politische  Literatur  hcält  mit  der  Entwicklung  der  Dinge 
in  Frankreich  Schritt.  In  der  1.  Hälfte  des  16.  Jahrh.  war  die 
Entfaltung  einer  selbständigen  politischen  Literatur  nur  in  viel  geringerem 
Maße  möglich  als  in  der  stürmischen  Zeit  der  inneren  Wirren,  welche 
in  der  2.  Hälfte  des  16.  Jahrh.  die  Leidenschaften  und  die  Geister 
entfesselten.  In  der  1.  Hälfte  des  16.  Jahrh.  steht  die  politische 
Literatur  noch  allzu  sehr  unter  dem  maßgebenden  Einfluß  der  die 
Literatur  beherrschenden  Persönlichkeiten  eines  Marot  und  Rabelais, 
welche,  wie  sie  über  alles  und  jedes  geschrieben  und  gedichtet,  auch 
nicht  über  Staat  und  Kirche  geschwiegen  haben;  aber  als  Erzeugnisse 
der  politischen  Literatur  können  ihre  Werke  darum  doch  nicht  gelten. 
Marots  Satire  trägt  rein  persönlichen  Charakter;  J^liistoire  de  aes 
satires"-,  sagt  Lenient  S.  26,  27,  „n'est  guere  que  celle  de  ses 
amours,  de  ses  ruptures,  de  ses  emprisonnements  et  de  ses  emls." 
Eine  Parteinahme  in  den  durch  das  Eindringen  der  neuen  Lehre  in 
Frankreich  herbeigeführten  Verhältnissen  seiner  Zeit  gibt  sich  bei 
ihm  nur  in  dem  Eifer  für  dia  Sache  der  neuen  Lelire  zu  erkennen. 
Der  Ehrgeiz,  als  politischer  Dichter  zu  glänzen,  liegt  dem  galanten 
Säuger  der  Psalmen  ebenso  fern,  wie  er  dem  philosophischen  Spott 
widerstreitet,  mit  welchem  Rabelais  die  Verhältnisse  in  Staat  und 
Kirche  mustert. 

Trotz  aller  Ausätze  zu  Satire  und  Polemik  trägt  die  politische 
Literatur  der  1.  Hälfte  des  16.  Jahrh.  den  Charakter  einer  patriotischen 
und  nationalen  Literatur.  Im  Wettbewerb  mit  den  sangeslustigen 
Poeten  des  Volks  stimmen  die  Dichter  des  Hofes  das  Lob  der  Fürsten 
und  Helden  Frankreichs  an  und  besingen  die  Taten  der  französischen 
Waffen.  Die  Ereignisse  der  bewegten  Regierung  Franz'  I.  boten  der 
Dichtung  noch  reicheren  Stoff  als  die  seiner  Vorgänger.  Schon  der 
Sieg  von  Marignan,  die  erste  Waffentat,  durch  welche  sich  die  neue 
Regierung  verheißungsvoll  ankündigte,  rief  eine  Flut  von  Dichtungen  ins 
Leben,  welche  für  sich  allein  an  Zahl  und  Wert  die  Poesieen  über- 
treffen, welche  die  ganze  Regierung  Ludwig  XII.  und  selbst  der 
rulimvollste  Erfolg  der  franzödschen  Waffen  in  Italien,  die  zu  ihrer 
Zeit  viel  bewunderte  und  viel  besungene  Einnahme  von  Genua 
hervorgebracht  hatte. 

Der  Höhepunkt  in  der  politischen  Literatur  der  1.  Hälfte  des 
16.  Jahrh.  wird  von  den  Poesieen,  welche  die  Eroberung  von  Calais 
verherrlichen,  gebildet.  Selten  hat  eine  Waffentat  der  französischen 
Geschichte  einen  allgemeineren  und  freudigeren  Wiederhall  in  der 
Diclitung  gefunden,  als  die  Einnahme  der  seit  mehr  als  zwei  Jahr- 
hunderten an  England  verloren  gegangenen  Kanalfestung,  deren 
Wiedergewinnung  seit  dem  Tage  ihres  Verlustes  den  Wunsch  und 
Traum    so    vieler    Dichter    gebildet    hatte.     Franz    von    Guise,    der 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.        109 

Eroberer  von  Calais,  bereits  seit  der  glorreichen  Verteidigung  von 
Metz  gegen  Karl  V.  der  Liebling  der  französischen  Nation,  wurde 
mit  einer  fast  abgöttischen  Verehrung  umgeben,  welche  ihm  nachmals 
seine  kalviu.  Feinde  nicht  zu  verzeihen  vermochten.  An  den  Straßen- 
ecken von  Paris  wurde  in  jenen  Tagen  ein  Theaterstück  gespielt,  die 
„Moralite  nouvelie  de  la  Prinse  de  Calais^,  welche,  in  vornehmem 
Tone  gehalten,  frei  von  Prahlerei  und  Schadenfreude  die  Einnahme 
der  Stadt  behandelt  lO).  Große  und  kleine  Schriftsteller  ergingen 
sich  um  die  Wette  in  Schilderungen  der  glorreichen  Tat,  in  der 
fromme  Gemüter  den  Finger  Gottes  zu  erblicken  vermeinten.  In  einer 
Unmenge  von  Liedern  und  Poesieeu  aller  Art  feierten  die  sanges- 
lustigen Dichter  des  Volks  den  Erfolg  des  Herzogs  und  den  Ruhm 
seines  Namens.  Dorat,  Baif  und  Du  Bellay  machten  sich  zu 
Dolmetschern  der  patriotischen  Freude  der  Plejade,  und  selbst  der 
gemessene  L'Hospital  schwang  sich  in  einem  lateinischen  Poem  zum 
Lob   des  Siegers  und  zum  Preis  von  Gottes  Fügung  auf'^). 

Von  der  nationalen  und  patriotischen  Richtung,  welche  die 
politische  Literatur  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrb.  einschlägt, 
sind  die  Dichter  der  Plejade  in  höherem  Maße  ergriffen  worden,  als 
es  ihr  auf  die  Nachahmung  des  Altertums  gerichtetes  Sinnen  und 
Dichten  vermuten  lassen  sollte.  Du  Bellays  Manifest  der  Plejade, 
die  „Deffence  et  illustration  de  la  langue  frangoyse"^  ist  eine 
literarische  Tat,  welche  durch  die  für  die  Bereicheiuiig  und  Pflege 
der  französischen  Sprache  gegebene  Anreguug  auch  eine  beachtenswerte 
nationale  Bedeutung  zu  beanspruchen  hat.  Wichtiger  als  die  immer- 
hin unvollkommene  praktische  Bestätigung  und  Verwirklichung  der 
in  dem  Plejademanifest  für  die  Pflege  der  französischen  Sprache 
gegebenen  theoretischen  Vorschriften  war  für  die  Herausbildung 
nationaler  Züge  in  dem  antiken  Charakter  der  Renaissancepoesie  das 
Interesse,  mit  welchem  die  Plejadedichter,  trotz  ihrer  altertümelnden 
Liebhabereien,  die  politischen  Vorgänge  in  Frankreich  verfolgten. 

Der  Sänger  patriotischer  Lobrednerei  unter  den  Dichtern  der 
Plejade  ist  Du  Bellay,  der  Verfasser  des  Plejademanifests  der  Deffence. 

In  der  Dichtung  Du  Bellays  tritt  das  nationale  Element  bald 
im  Zusammenhang  mit  anderen,  den  Dichter  bewegenden  Gefühlen 
auf,  bald  ist  sein  Ausdruck  der  Endzweck  seiner  Poesie.  Daß  Du 
Bellay  aber  auf  die  eine  oder  die  andere  Art  seinen  nationalen  Gefühlen 
einen  glücklichen  Ausdruck  verliehen  hätte,  wie  ihn  patriotische  und 
politische  Gesinnungen  verlangen,  und  in  so  vielen  Dichtungen  jener 
Zeit  auch  gefunden  haben,  kann  man  nicht  behaupten.  Du  Bellays 
Vaterlandsgesinnnng  ist  da,  wo  sie  im  Zusammenhang  mit  anderen 
Gefühlen  erscheint,   allzusehr   von   dem   weichlichen  Charakter  seiner 


10)  s.  Holl  S.  40. 

")  Nisard,    Chansons  populaires.    Paris   1867,    I,  S.  277  ff.    Lenient,    la 
poeeie  patriotique  en  France  dans  les  lemps  modernes.    1894,    I,    S.  125  ff. 


1 1 0  Kurt  Glaser. 

Poesie  (lurclidruiigen  und  farblos  wie  seine  ganze  Dichtung.  Am 
deutlichsten  tritt  der  weichliche  Charakter  von  Du  Bellays  Poesie 
hervor  in  seinen  „Megretz''^,  in  welchen  der  Dichter  die  guten  und 
schlechten  Eindrücke,  die  er  in  der  heiligen  Stadt  empfangen,  nieder- 
gelegt hat,  und  angesichts  der  ihn  umgebenden  Laster  in  einer  mit 
Heimweh  gemischten  Aufwallung  patriotischer  Erinnerung  seines  Vater- 
lands gedenkt' 

„France,  mere  des  arts,  des  armes  et  des  loix, 
„Tu  ni'as  nourry  long  temps  du  laict  de  ta  mamelle: 
„Ores,  comme  vn  aigneau  que  sa  nourrisse  appelle, 
„Je  remplis  de  ton  nom  les  untres  et  les  bois. 
„Si  tu  m'as  pour  enfant  advouS  quelquefois, 
„Que  ne  nie  responds-tu  maintenant,  6  cruelle? 
,^France,  France^  responds  ä  ma  triste  querelle: 
„Mais  7ml,  sinon  Fcho,  ne  respond  ä  ma   voix."  i2_^ 

Und  auch  da,  wo  Du  Bellay  sich  nicht  in  sentimentaler  Erinnerung 
an  die  heimatliche  Erde  ergeht,  sondern  sich  der  Betrachtung  und 
Verherrlichung  seiner  Zeit  zuwendet,  ist  seine  Dichtung  nicht  viel 
glücklicher  und  kraftvoller.  Machtvolle  Lyrik  und  wuchtige  Epik  ist 
Du  Bellays  Stärke  nicht,  und  darum  gelingt  ihm  weder  ein  begeisternder 
und  begeisterter  Ausdruck  vaterländischer  Gesinnung  noch  eine  markige 
und  packende  Verherrlichung  und  Schilderung  geschichtlicher  Vorgänge. 
Du  Bellays  Zeitdichtung  ist  zudem  allzu  lobrednerisch  gehalten,  um 
wirken  zu  können.  Du  Bellay  erblickt  seinen  Beruf  als  Dichter  zu 
sehr  darin,  mit  seiner  Poesie  zu  gefallen  und  Lobbezeuguiigen  mit 
freigebigen  Händen  zu  spenden.  Bald  bringt  er  dem  Könige  seine 
Huldigungen  dar,  bald  Margareta  von  Navarra,  bald  anderen  bedeutenden 
Persönlichkeiten  des  damaligen  Frankreichs,  vor  allem  dem  Kardinal 
von  Guise.  Überall  spricht  sich  eine  mit  patriotischem  Stolz  gemischte 
ehrfurchtsvolle  Ergebenheit  des  Dichters  vor  den  Großen  seiner  Zeit 
und  eine  von  nationaler  Freude  getragene  Liebe  zu  seinem  Vaterland 
aus,  wie  sie  dem  sich  in  subjektiven  Gefühlen  ergehenden  Charakter 
seiner  Poesie  entspricht.  Zu  einem  machtvollen  Ausdruck  politischer 
Gesinnung,  wie  ihn  die  Behandlung  zeitgeschichtlicher  Stoffe  erfordert, 
vermag  sich  Du  Bellays  Dichtung  nicht  zu  erheben.  Es  ist  wolil  kein 
Zufall,  daß  sich  Du  Bellay  von  der  Schilderung  politischer  Ereignisse 
fast  völlig  ferngehalten  hat^  sei  es,  daß  er  sich  der  Schwäche  seines 
dichterisclien  Talents,  welche  ihn  zu  einer  gerechten  Würdigung  zeit- 
geschichtlicher Ereignisse  ungeeignet  machte,  bewußt  war  oder  daß 
er  vermeinte,  seiner  Pflicht  gegen  König  und  Vaterland  mit  seinen 
Versicherungen  ehrerbietiger  Ergebenheit  und  seineu  lobrednerischen 
Huldigungen  vor  den  Großen  seiner  Zeit  Genüge  geleistet  zu  haben; 
nur  eine  der  Waflfentaten  aus   der  Regierung  Heinrichs  H.,  den  Zug 


»^  ed.  Marty-Laveaux,   U.   S.  171. 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreich.'^.         111 

des  König  gegen  Boulognc,  hat  er  in  einer  Dichtung  verherrlicht,  ^^) 
welche  wie  seine  ganze  Poesie  voll  von  Lobrednerei  und  schmeichel- 
hafter Huldigungen  vor  dem  König  ist.  In  der  Freude  seines  Herzens 
über  den  Erfolg  seines  Königs  sieht  sich  der  Dichter  bereits  zu  den 
höchsten  Erwartungen  berechtigt  und  erträumt  bereits  eine  Unterwei'fung 
Englands  unter  Frankreichs  Szepter,  Hoffnungen,  welche  zwar  nicht 
über  des  Dichters  patriotische  Gesinnung,  wohl  aber  über  seine  politische 
Einsicht  Zweifel  gestatten.  Den  Poesieen,  welche  die  Einnahme  von 
Calais  verherrlichen,  kommt  Du  Bellays  Dichtung  weder  an  Wucht 
der  Sprache  noch  an  Natürlichkeit  und  Frische  des  Tons  gleich.  Die 
galante  Lobrednerei,  welche  Du  Bellays  Poesie  erfüllt,  verträgt  sich 
ebensowenig  mit  machtvoller  nationaler  oder  patriotischer  Erregung 
wie  mit  leidenschaftlicher  Parteinahme  und  würde  sich  schwerlich 
den  Verhältnissen  und  Aufgaben  haben  anpassen  können,  welche  die 
stürmische  Zeit  der  Bürgerkriege  Dichtern  und  Litteraten  erwachen 
lassen  sollte,  wenn  Du  Bellay  jene  Zeit  noch  erlebt  hätte. 

Neben  der  nationalen  und  patriotischen  Richtung  ist  der  religiöse 
Charakter  das  Kennzeichen  der  Zeitliteratur  in  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrh.  Während  noch  die  Literatur  von  dem  Ruhm  der  glorreichen 
Regierungen  Franz'  L  und  Heinrichs  IL  wiederhallt,  und  weltliche 
Stoffe  Dichter  und  Dichtung  beschäftigen,  beginnt  bereits  die  Reformation 
ihren  Einfluß  auf  die  Zeitliteratur  auszuüben  und  durch  die  Zuführung 
des  religiösen  Moments  neue  Stoffe  und  neue  Gesichtspunkte  zu 
erschließen.  Zwar  tritt  das  religiöse  Moment  gegenüber  dem  nationalen 
und  patriotischen  Charakter  der  poHtischen  Literatur  zunächst  noch 
in  den  Hintergrund,  aber  als  die  um  die  Mitte  des  16.  Jahrh.  mit 
der  Ausbildung  der  politischen  Machtstellung  der  Partei  des  neuen 
Glaubens  in  den  staatlichen  Verhältnissen  Frankreichs  vorgehende 
Umwandlung  den  Kampf  um  die  Religion  zu  der  das  staatliche  Leben 
bewegenden  Frage  machte,  war  es  unausbleiblich,  daß  die  in  dem  Lager 
der  Bekennerschaft  der  neuen  Lehre  und  ihrer  Gegner  entstandene 
Literatur  den  für  die  Entwicklung  der  gesammten  Literatur  maßgebenden 
Einfluß  erlangen  mußte,  welchen  ihr  die  Verhältnisse  bisher  versagt 
hatten.  Gegenüber  dem  anfangs  überwiegenden  theologischen  und 
religiösen  Gepräge  der  Literatur  der  neuen  Lehre  und  ihrer  Gegner 
beansprucht  nunmehr  das  politische  Moment  eine  maßgebende  Bedeutung. 
Zu  der  theologischen  Erörterung  und  Polemik  tritt  die  offene  politische 
Parteinahme,  der  kühne  Angriff,  die  verwegene  Invective.  Die  gelehrten 
Kreise,  an  welche  sich  die  Wortführer  beider  Parteien  mit  theologischen 
Erörterungen  und  Streitschriften  gewendet,  hören  auf  die  eigentliche 
und  einzige  Leserwelt  zu  sein;  die  Öffentlichkeit  beansprucht  ihre 
Rechte;  die  weitesten  Kreise  des  Volkes  nehmen  Anteil  an  dem 
politischen  Leben.     Flugschrift    und  Lied    werden    die   wirksamsten 


>3)  „Chant   triumphal  sur  le  voymje  de  Boulongne,     M.  D,  XLIX.  au  moyS 

^'aoust".    ed.  Marty-Laveaux.   I.   S.  228—233. 


112  Kurt  Glaser, 

Mittel  des  Gcdanlienausdruclis.  Die  Literatur  -wird  zu  einer  Waffe 
der  Aufldäiuiig  und  des  Kampfes.  Auf  die  Wirkung  kommt  alles  an. 
Alle  Gattungen  der  Literatur  hallen  wieder  von  dem  Geräusch  des 
Kampfes;  auch  das  Theater  wird  zum  Mittel,  um  auf  die  Öffentlichkeit 
zu  wirken,  und  selbst  die  Dichter  der  Renaissance  ergreifen  in  dem 
immer  leidenschaftlicher  entbrennenden  Streit  der  Meinungen  Partei 
und  schlagen  Töne  religiöser  und  politischer  Leidenschaft  in  ihren  Dich- 
tungen an.  Von  der  nationalen  und  patriotischen  Verherrlichung  der 
Taten  und  Erfolge  Franz'  L  und  Heinrichs  IL,  welche  in  der  1.  Hälfte  des 
16.  Jahrb.  ein  dankbares  Thema  der  politischen  Literatur  gebildet, 
wendet  sich  die  politische  Literatur  den  brennenden  Fragen  der 
stürmischen  Regierungen  von  Heinrichs  Söhnen  zu.  Im  Streit  religiöser 
und  politischer  Meinungen  und  Ansprüche  wird  die  politische  Literatur 
zu  einer  Partei-  und  Kampfesliteratur,  in  welcher  sich  mehr  Streitlust 
und  Haß  als  patriotische  Gesinnung  ausspricht.  Der  Gegensatz  zwischen 
Reformation  undKatholizismus,  wie  er  sich  auf  religiösem  und  staatlichem 
Gebiete  gestaltet,  tritt  in  den  Mittelpunkt  der  politischen  Literatur 
ein.  Beide  Parteien,  welche  sich  im  Felde  auf  das  Blutigste  befehden, 
nehmen  auch  auf  literarischen  Gebiete  den  Wettkampf  auf.  Eine 
mächtige,  von  großen  und  kleinen  Geistern  vertretene  Literatur 
entfaltet  sich  inmitten  des  Ringens  beider  Parteien,  welche  das  ganze 
Jahrliundert  erfüllt  und  erst  mit  der  Herstellung  geordneter  Verhältnisse 
durch  das  Edikt  von  Nantes  zur  Ruhe  kommt.  In  den  Stürmen 
der  Religions-  und  Bürgerkriege,  welche  die  zweite  Hälfte  des  16.  Jahrh. 
erfüllen,  wird  die  politische  Literatur  zu  einer  Kampfesliteratur, 
in  der  patriotische  und  nationale  Gefühle  kaum  noch  zum  Ausdruck 
kommen  oder  nur  als  Hülle  dienen,  unter  der  sich  niedrige  Leiden- 
schaften verbergen.  In  dem  Kampfe  um  die  staatliche  Machtstellung 
der  katholischen  und  kalvinistischen  Partei  vollzieht  sich  um  die  Mitte 
des  16.  Jahrh.  eine  durchgreifende  Umwandlung  in  Wesen  und  Ziel 
der  politischen  Literatur,  welche  durch  die  Herausbildung  eines  durch 
religiöse  Gegensätze  verschärften  politischen  Parteicharakters  bezeichnet 
wird  und  eine  neue  Periode  in  der  Geschichte  der  politischen  Literatur 
einleitet. 

IL 

Die  Ausbildung   des   Ge^eusatzes  zwischen   Katholizismus  und 
Reformation  in  der  Zeitliteratur:  religiöse  Polemik. 

Für  die  Herausbildung  des  politischen  Charakters  der  unter 
dem  Einfluß  der  Reformation  und  der  durch  sie  herbeigeführten 
Verhältnisse  entstandenen  Literatur  hat  der  religiöse  Ursprung  und 
Charakter  der  Literatur  eine  größere  Bedeutung  erlangt,  als  die 
nachmals  vorwiegend  politischen  Fragen  und  Zielen  zugewendete 
Richtung  der  Literatur  vermuten  lassen  sollte. 

Die  Reformationsliteratur  trägt  von  vornherein  den  Doppelcharakter 
theologischer  Erörterung  und  religiöser  Polemik,   wie  er  dem  Wesen 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.         113 

und  Ziel  einer  aus  religiösen  Streitfragen  liervorgegangenen  kirchlichen 
Neuerungsbewegung  entspricht  und  in  dem  Werke  der  eigentlichen 
Schöpfer  der  französischen  Reformation,  in  dem  Werke  Kalvins  und 
Bezas,  seine  erste  und  deutlichste  Ausprägunti  gefunden  hat. 

Die  Kircliengeschichte  hat  Kalvin  als  Theologen  und  Reformator 
zu  nennen ;  die  französische  Literaturgeschichte  räumt  ihm  als  Klassiker 
der  französischen  Prosa  einen  Ehrenplatz  ein,  und  die  Geschichte  der 
politischen  Literatur  hat  sich  des  Vorbilds  der  Polemik  und  Satire 
zu  erinnern,  das  er  seiner  Partei  gegeben  hat.  Mit  einer  an  Luther 
gemahnenden  Leidenschaft  der  Sprache  und  des  religiösen  Eifers 
fährt  Kalvin  einher,  mag  er  einem  unbedeutenden  Franziskaner,  der 
sich  seinen  Zorn  zugezogen,  zu  Leihe  gehen,  oder  seinen  Spott  über 
die  des  Christentums  unvvürdiire  Reliquienverehrung  der  katholischen 
Kirche  ergießen,  oder  mag  er  unfügsamen  Bekennern  der  eigenen  Partei 
eine  derbe,  mit  Spott  und  Hohn  gewürzte  Lektion  erteilen.  In  heiligem 
Zorn  braust  er  auf  gegen  böswillige  Verleumder  wie  Saconay  und 
Cathelan,  die  die  Reinheit  seiner  Lehre  und  seinen  guten  Namen 
anzutasten  wagen;  sein  Spott  kennt  keine  Grenzen,  und  bis  in  die 
hintersten  Winkel  ihres  la>terhaften  Lebens  verfolgt  er  seine  Gegner. 

Beza  hat  mit  Kalvin  die  Kühnheit  der  Sprache  und  die  Schärfe 
der  Polemik  gemeinsam.  Wie  Kalvin  gegen  Saconay  und  Cathelan, 
zieht  Beza  gegen  Lizet  zu  Felde.  Sein  gegen  Lizet  gerichteter  Prosa- 
traktat „PassavanV  bildet  ein  köstliches  Muster  von  Reformations- 
satire. Beza  steht  treu  zur  Sache  des  Reformators  und  fertigt  in 
wuchtigen  Streitschriften  mißvergnügte  und  störrige  Parteigenossen 
ebenso  krättig  ab  wie  unbequeme  Gegner  der  kalvinistischen  Sache. 
Wie  bei  Kalvin  paaren  sich  in  seinen  Scliriften  leidenschaftliche  In- 
vektive  und  derber  Spott  mit  reichem  Wissen  und  ernstem  Eifer  für 
die  Sache  des  Glaubens.  Die  gelehrte  Satire,  welche  er  bald  iu 
ernstem  ciceronianischem  Stil,  bald  in  spöttelndem  malsaroni>chem 
Latein  reden  lüßt,  genügt  dem  mutigen  Vorkämpfer  der  Reformation 
nicht  mehr.  Was  Beza  erstrebt,  ist  die  Wirkung  auf  die  weiten 
Kreise  des  Volks;  die  französische  Spraehe,  deren  er  nicht  minder 
mächtig  ist,  wie  des  gelehrten  Lateins,  wird  dem  kühnen  Vorkämpfer 
des  Kalvinismus  zur  wirksamsten  Waffe,  und  wenn  auch  die  von 
Lenient  S.  186  ausgesprochene  Ansicht  recht  behalten  sollte,  welche 
Bezas  französische  Satiren  an  dichterischem  Wert  eher  hinter  als  neben 
ihre  lateinischen  Schwestern  gesetzt  wissen  möchte,  so  entschädigt  dafür 
um  so  mehr  die  Wirkung,  welche  eine  in  der  frischen  Derbheit  der 
Volkssprache   gehaltene  Satire   auf  die  Öttentlichkeit  ausüben  mußte. 

Um  die  beiden  mu.ti^^en  Worifülirer  der  Sache  des  neuen  Glaubens, 
„dont  l'un  est  le  legislateur  et  le  prophete,  lautre  le  gentilhomme 
et  le  diplomate   de  la  Reforme'-'- ^^)    (Lenient  S.  187)   schaart  sich 


'■')  Vgl.    auch    Baird,    Th.  Beza,    the   counsdlor  of  (he  French  Reformation. 
London  1900. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI  i.  8 


114  Kfirt  Glaser. 

ein  walirer  Schwärm  streitbarer  Lit(>raten,  welche  das  von  den  Meistern 
im  Großen  begonnene  Werk  im  Kleinen  und  Kleinsten  zu  vollenden 
unternehmen  und  ihre  Aufgabe  oft  mit  mehr  Eifer  und  Leidenschaft 
als  Geschick  lösen.  In  dem  Kampf  um  die  Religion  war  die  Überlejienheit 
von  Anfang  an  auf  der  Seite  der  Protestanten,  welche  mit  einer  durch 
die  Verfolgungen  nur  gesteigerten  Kühnheit  tür  die  Sache  ihres  Glaubens 
eintraten  und  nicht  minder  durch  eine  glückliche  Anwendung  der 
französischen  Volkssprache  an  Stelle  des  gelehrten  Lateins  als  durch 
eine  ausgiebige  Benutzung  der  Buchdriukerkunst  auf  die  Öffentlichkeit 
einzuwirken  wußten.  Vergebens  beinülite  sich  die  katholische  Kirche 
dem  Gegensatz  der  religiösen  Anschauungen  eine  wissenschaftliche 
Gestalt  zu  geben  und  die  neuen  Lehransichten  durch  gelehi  te  theologische 
Erörterungen  und  Entscheidungen  abzutun.  Gegenüber  der  Wucht 
und  Wirkung,  mit  welcher  die  kalvini-tisclie  Literatur  und  Preise  gegen 
das  katholische  Kirchensystem  zu  Felde  zog,  vermochte  die  katholi^che 
Literatur  nicht  mehr  länger  in  der  stolzen  Unzigäiiglichkeit  zu  verharren, 
welche  sie  verhinderte,  mit  den  von  den  Protestanten  gehamlhabten 
Mitteln  der  Propaganda  für  die  Reinheit  und  Autoriiät  der  durch 
Jahi'hunderte  geheiligten  Listitutionen  des  Katholizismus  einzutr-eten. 
Wenn  Claude  de  Sainctes  noch  im  Jahre  1563  in  der  an  den  König 
Karl  IX.  gerichteten  Vurrede  seiner  ,,Declaraiion  d'aucnns  atheismes 
de  Calvin  et  Beze''  die  Anwendung  der  französischen  Sprache  geuen- 
über  dem  in  der  Gelehrtenwelt  obwaltenden  Brauch  ausdrücklich 
rechtfertigen  zu  müßeu  glaubte,  ^^)  so  erwies  sich  doch  der  Zug  der 
Dinge  und  die  Notwendigkeit,  einen  die  Öffentlichkeit  intei'essierenden 
Meinung-^austausch  auch  in  einer  für  die  Ölfentlichkeit  vei'ständlichen 
Sprache  zu  führen,  auch  auf  katholischer  Seite  stärker  als  alle  Tradition 
und  alle  gelehr-ten  Bedenken  und  Erwägungen.  Zwar  gewinnt  mit 
dem  Eindringen  und  Ül>erwiegen  der  fianzösischen  Sprache  die 
Reformationsliti'ratur  an  Natürlichkeit  und  Kraft  des  Ausdrucks  und  an 
Lebeiidig!<eit  der  Polemik,  zwar  erlangt  erst  jetzt  die  ganze  Reformations- 
litei'atur,  auch  die  von  katholischer  Seite,  diejenige  Wirkung  auf  die 
weitesten  Kreise  des  Volks,  welche  die  kahini-chen  Literaten  von 
Anfang  an  erstrebt  hatten;  aber  man  kann  nicht  behaupten,  daß  die 
nähere  Beziehung  der  Literatur  zur  Öffentlichkeit  eine  Veränderung 
in  ihr-em  Charakter  und  ihrem  Zid  zur  Folge  gehabt  hat:  Bei  aller 
polemischen  und  satirischen  Schärfe  bleibt  nach  wie  vor  die  Neigung 
zu  wissenschaftlicher  Verteidigung  und  sachlicher  Widerlegung,  wie 
sie  Kalvin  und  Beza  geübt,  in  der  Refoimationsschriftst ellerei  der 
vorherrschende  Zug.  Je  mehr  aber  die  Reformation  aufhörte,  eine  nur 
enge  Kreise  interessierende  Angelegenheit  zu  sein  und  zu  einer  alle 
Verhältnisse  bewegenden  Macht-  und  Streitfrage  wurde,  um  so  mehr 
mußie  eine  dem  Bedürfnis  der  weitesten  Kreise  entsprechende  Litei'aiur- 
gattung  Bedeutung   gewinnen,  welche  unter  Vermeidung  theologischer 


«)  Vgl.  Lenient  S.  215.    Perdrizet  S.  6. 


ßeiträge  zur  Geschichte  der  polit  Literatur  Frankreichs.         115 

Elemente  und  Erörterungen  den  Gegensatz  der  Religionen  als  solchen 
ins  Auge  fußte  und  den  Ksimpf  um  die  Religion,  allein  um  des  Kampfes 
willen,  zu  führen  und  zu  schüren  be>trebt  und   befähigt  war. 

In  dieser  Entwicklung  der  Reformation  liegt  die  eigentümliche 
Bedeutung  begründet,  welche  die  religiöse  Kleinliteratur  und  Tages- 
dichtung,  und  namentlich  der  hervortretendste  Zweig  derselben,  die 
religiöse  Streit-  und  Spottiiichtung,  für  die  Geschichte  der  Reformations- 
literatur zu  beansprui heu  hat,  eine  Bedeutung,  welche  ni.ht  auf  dem 
dichterischen  Wert,  sondern  auf  der  für  die  weitesten  Kreise  der 
■Ötfentlichkeit  berechneten  Bestimmung  der  leligiösen  Kleindichtung 
beiuht,  wie  sie  dem  Charakter  und  Ziel  einer  aus  der  Mitte  des  Volks 
hervorgegangenen  Literatuigattung  entspricht. 

Ein  näheres  Eingehen  auf  die  von  Lenient  nur  in  wonigen 
Erscheinungen  berücksii  htiiite  religiöse  Kleindichtung  wird  nicht  bloß 
das  bisher  von  der  Literatur  des  16.  Jalirli.  gewonnene  Bihl  noch  in 
■zahlrciciien  einzelnen  uinl  interessanten  Zügen  an  Klarheit  und  Schärfe 
gewinnen,  sondern  überhaupt  erst  die  Entwicklung  und  Eigentümlichkeit 
einer  aus  Spott  und  KampHust  schleihthin  geführten  religiö>en  Polemik 
begreifen  his-cn,  welche  für  die  spätere  Entwicklung  der  ganzen  Literatur 
eine  größere  B<deutung  gewonnen  hat,  als  die  theologischen  Problemen 
zugewendete  Streitliteratur  der  führenden  Reformatoren. 

Die  Neigung  zur  Kleindiclitung  ist  unter  den  Bekennern  der 
neuen  Lehre  auf  französisehem  Boden  so  alt  wie  die  neue  Lehre  selbst. 

Schon  im  Jahre  1523  sah  sich  das  Parlament  zum  Einschreiten 
gegen  die  überhanilnehmeude  Ketzerei  veranlaßt '6),  und  nicht  allzu 
lange  daiauf,  in  den  letzten  Tagen  des  Jaiires  1525,  berichtete  der 
lieutenaiit  general  au  haillage  de  Meaux,  Jean  de  Clerc,  an  das  Pariser 
Parlament  über  drei  unter  den  Bekennern  der  neuen  Lehre  zu  Meaux 
im  Undauf  befindliche  chansons  perturbatrices,  deren  Wortlaut  er, 
soweit  er  seiner  habhaft  werden  konnte,  seinem  Bericlite  beifügte. 
H.  Bordier  hat  in  verdienstvoll 'i-  Weise  den  von  dem  lieutenant  general 
ermittelten  Wortlaut  aus  diu  Registern  des  Pariser  Parlaments  in  der 
Yorieie  seines  Chansomder  huguenot^^)  zum  ersten  Mal  mitgeteilt 
und  so  die  ältesten  Zeugnisse  religiöser  Poesie  im  Lager  der  Bekenner 
•der  neuen  Lehre  zujiänglieh  gemacht. '8j 

Wie  in  Meaux,  dem  Sitz  der  ersten  neuen  Gemeinde  auf 
französischem  Boden,  w;ir  es  überall  in  Frankreich.  Wo  die  neue 
Lehre  iure  Bikenner  fand,  sproß  die  religiöse  Poesie  rasch  in  zahl- 
losen Keimen  empor,  i-^)    Die  Verfolgungen,  mit  welchen  die  katholische 

1«)  Die  Akten-iUieke  eudiält  Ms.  Bibl.  Mazariue  nr.  2588. 
")  8.    XIII-XXIII.      D.iiiicli   l'icot,    Revue   dliUl.    Uttemire   de    la  France. 
2e  anuei'  (I8;)5)  S.  44  ff.,  nr.  50,  51,  52 

'*)   Vj|.  auch   France  protest'.      III.  S.    144. 

1^)  Lt'b.'r,  De  Vviat  rcel  de  la  presse  et  des  pamphlels.,  depuls  Francois  I"" 
usquii  L'tuis  XIV  (l'aris  18 '.4)  S.  75,  zeigt  sich  über  den  lliuchtuin  der 
RefonnaUüii-spoosie  scldechi  unterrichtet,  wenn  er  ihr  nur  „fori  peu  de  chansons"' 
zuspricht  und  ib.  Aum.  2  aut  das  späie  Auftreten  der  Chausonpoesic  hinweist. 

8* 


IIG  Kurt  Glaser. 

Regierung  seit  der  berüchtigten  „affaire  des  placards"  die  Bekemier 
des  neuen  Glaubens  beimsucbte,  gab  den  frommen  Sängern  von  Luthers 
Lehre  unerschöpflichen  Stoß  zu  neuer  Poesie  ab,  in  welcher  sich  mit 
dem  Ausdruck  fester  religiöser  Überzeugung  der  Ausdruck  standhaften 
Märtyrermutes  paarte. 

An  dichterischem  Wert,  an  Kraft  der  Sprache  und  Tiefe  der 
Gedanken  freilich  lassen  die  religiösen  Dichtungen  der  französischen 
Lutherane  oftmals  mehr  zu  wünschen  übrig  als  an  gutem  Willen  und  Eifer 
für  die  Sache  des  Glaubens.  „La  muse  des  premiers  reformes.^"-  sagt 
Bordier,  Bidl.  de  la  soe.  de  Vhist.  du  prot.  fr.  XVI  (1867)  S.  247 
^etait  plus  soucieuse  de  Vidie  qiie  de  la  forme.,  trop)  oppress^e  de 
douleur  pour  etre  toute  aux  delicatesses  de  rart;  mais  toujours 
droite,  haide,  respiratd  d'im  souffle  viril,  et  perdant  rarement  ce 
cahne  d'tin  christianisme  qui  veut  etre  detache  des  jyreoccupations 
terresires.'^  Weniger  auf  den  poetischen  Wert  als  auf  die  Wirkung 
ihrer  Poesie  kommt  es  den  Sängern  der  neuen  Religion  an,  und  was 
den  gelehrten  Dichtern  der  Renaissance  oft  genug  an  Natürlichkeit  und 
Kraft  der  Leidenschaft  und  des  Ausdrucks  abgeht,  haben  die  Sänger 
der  Reformation  oft  zu  viel. 

„Sus,  ma  langue,  qu'on  vous  oye 

„  Choses  hautes  reciter, 

..^Voics  pourrez  par  ceste  voye 

„Quelques  autres  inciter: 

„Lesquels,  pourvits  de  faconde., 

.^.^Espandront  par  tout  le  monde 

^Les  merveilles  du   Tres-Haut.  '> 

„Ei  si  vous  n'en  etes  digne, 

„Montrez  leur  au  moins  par  signe., 

„Que  hon  vouloir  n''y  defauf"-^)  ■ 

so  hat  ein  ungenannter  Sänger  Wesen  uud  Ziel  der  Poesie  der  neuen 
Lehre  treffend  selbst  ausgesprochen. 

Einförmige,  oft  des  poetischen  Schwunges  entbehrende  Klagen 
über  die  Leiden  und  Verfolgungen,  welchen  die  Bekenner  uud  Diener 
der  neuen  Lehre  ausgesetzt  sind,  wechseln  ab  mit  friedfertigen  Hoff- 
nungen auf  Beseitigung  der  die  Gläubigen  bedrohenden  Gefahren 
und  mit  Verheißungen  himmlischer  Freuden,  welche  den  Qualen  des 
irdischen  Daseins  gegenübergestellt  werden.  Die  Einförmiiikeit  des 
Stils  beweist  die  wenig  gereifte  Selbständigkeit  dichterischen  Schaffen?. 
Ein  starker  subjektiver  Zug  geht  durch  die  ersten  religiösen  Gedichte 
der   französischen  Lutheraner:    der  Dichter   spricht  mit  Vorliebe  von 


-")  In:  „Recueil  de  plusieurs  cliansons  spiriluelles  tant  vieilles  que  nouvelles, 
auec  le  chant  sur  chacune,  aßn  que  le  chreslien  se  puisse  esiouir  en  son  Dieu  et 
Vhonorev.  au  Heu  que  les  infidelles  le  deshonorer.t  par  leurs  chansons  viondaines  et 
impudiques.  M.  D.  LV.  in  16".  (296  S.)  No.  19,  S.  51;  ferner  Bull.  XVI  (18G7) 
S.  247  und  Chans,  hwj.  I.  S.  LXXV. 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.         117 

sich  und  in  der  ersten  Person;  er  liebt  es,  sich  in  der  Klage  über 
seine  irdischen  Qualen  und  der  Versicherung  seiner  unverbrüchlichen 
Hoffnung  auf  Gott  zu  ergehen;  seine  religiöse  Sonderstellung  tritt 
gegenüber  der  matten  Gefühlsmäßigkeit  und  frommen  Stimmung  seiner 
Reimerei  noch  völlig  zurück.  Als  erster  uns  dem  Namen  nach 
bekannter  Dichter  hat  Anthoine  Saunier,  ein  Freund  und  Lands- 
mann von  Farel,  der  wie  dieser  in  die  Schweiz  geflüchtet  war  und 
hier  eine  kleine  evangelische  Gemeinde  zu  Payerne  (Vaud)  gründete, 
den  biblisch-religiösen  Ton  in  seiner  „Chanson  des  dix  commande- 
mens  de  Dieu'"'  angeschlagen,  welche  1532  gedichtet  sein  muß  21) 
und  sich  als  die  zeitlich  nächste  Dichtung  an  die  in  Meaux  ge- 
sungenen chansons  anreiht.  Der  gleiche  religiöse  Ton  spricht  aus 
zahlreichen  anderen  Chansons,  welche  mit  einer  oft  ermüdenden 
Eintönigkeit  und  oft  nicht  zu  verkennenden  ünbeholfenheit  dieselben 
Gedanken  in  nahe  verwandten  Worten  variieren.  Mit  der  in  un- 
ermüdlicher Breite  abgegebenen  frommen  Versicherung,  Gott  dienen 
und  die  Schickungen  und  Verfolgungen  des  irdischen  Lebens  in 
Geduld  ertragen  zu  wollen,  verbindet  sich  der  Ausdruck  rückhalt- 
losen Vertrauens  auf  Gott,  dem  Matthieu  Malingre  und  Eustorg 
de  Beaulieu  eine  etwas  bessere  Form  leihen  als  so  viele  anonyme 
Sänger.  Die  Mehrzahl  dieser  Poesieen  ist  uns  durch  die  Angaben 
eines  Index,  welchen  ein  Inquisitor  des  Toulouser  Kircheubezirks  in 
den  Jahren  1548  und  1549  aufgestellt  hat,  bekannt  geworden. 
Freville,  dem  wir  seine  Veröffentlichung  verdanken  {BulL  I,  S.  355 
—363.  437—448;  II,  S.  15  —  24),  hat  sich  der  mühevollen  Arbeit 
unterzogen,  den  in  dem  Iudex  nur  in  den  Eingangsworten  kerntlich 
gemachten  Liedern  nachzuforschen  und  seine  Nachforschungen  noch 
durch  den  Hinweis  auf  andere  zeitgenößische  Dichtungen  zu  vervoll- 
stäniigen22).  Die  Dichtungen,  welche  in  zahlreichen  Original- 
sammluugen  auf  uns  gekommen  sind  und  in  ihren  intereßantesten 
Proben  bei  Bordier,   Chansonnier  hug.^  Abdruck  gefunden  haben '-3), 


-1)  Diese  Datierung  beruht  auf  der  Correspondance  des  Jie/hvmaleurs, 
ed.  Herniinjard  II.  S  4.31 :  „Nous  vous  envoyons  nne  chansson  spirituelle  sur  les 
dix  commandemens,  par  le  prcfent  porleur,  composee  par  M^.  Anthoine  S.  qui  a  present 
est  avec  nous  annuncant  la  saincte  evangil/e^'  (datiert  Payerne,  9.  Juli  1532).  Bereits 
im  folgPüden  Jahre  zum  ersten  Mal  gedruckt  in  der  Sammlung  ^Sensuyuet 
plusie.urs  Indes  et  bonnes  chansons,  que  les  chrestiins  peuuent  chanter  en  grade  ajfectiö 
de  cueur:  pour  et  affin  de  soulager  leiirs  esperilz  et  de  leur  donner  repos  en  dieu, 
au  nom  duquel  el/es  sont  composees  par  rilhmes,  au  plus  pres  de  lesperit  de  Jesus 
Christ^  cdtenu  es  sainctes  escrintures.  [Neuchätel,  Pierre  de  Viugle,  15331  48  S. 
S.  pet.  in-8".  Bibl.  zu  Zürich,  Gall.  XXV.  1009.  3.  darin  No.  1.  Abdruck 
auch  bei  Bordier,  Chans,  hwj.  S.  3 — 10. 

••^2)  Bidl.  II.  S.  15—24.    Ergänzungen:  Bull.  III  S.  417.  XIX.  S.  416. 

-^)  Die  reichhaltigsten  Sammlungen  sind  die  folgenden:  SemuijuZt 
plusieurs  helles  et  bonnes  chansons  .  .  ."  (s.  Anm.  21);  darin  insbesondere  nr.  4 
(==  Bordier,  Chans,  hug  S.  22-25,  nr.  V.);  nr.  10  (=  Bordier  S.  25,  nr.  VI.); 
nr.  11  (=  Bordier  S.  1.5,  nr.  111.);  nr.  18  (=  Bordier  S  42,  nr.  XIV).  — 
^^Noels   nouveaulx''    (18  S.S.    in-8°),    enthält   im  Ganzen   21   noels,   darunter 


118  Kwt  Glaser. 

lejien  von  dem  religiösen  Charakter  der  ersten  Reimereien  unto^r  den 
Anhängern  der  neuen  Lehre  ein  deutliche^  Zeugnis  ab.  In  religiösem 
Geiste  bi'fan'jen,  vertrauen  die  frommen  Sänger  ilire  Rettung  aus  den 
Nöten  des  Lebens  mehr  Gott  als  ihren  eigenen  Kräften  und  dem 
Eingreifen  der  weltlichen  01)rigkeit  an;  man  beruft  sich  mehr  auf 
göttliches  Recht  und  göttliche  Gnade  als  auf  menschliches  Recht  und 
Unrecht,  Die  Leiden  und  Verfolgungen,  welche  die  Gläubigen  zu 
erdulden  haben,  werden  als  Prüfungen  der  Gläubigen  ausgelegt,  iu 
denen  sich  ihr  festes  Vertrauen  auf  Gott  bewähren  soll.  Man  wagt 
es  noch  nicht,  den  wirklichen  Feind  auf  Erden  beim  Namen  zu 
nennen;  man  sucht  den  schlimmbten  Feind  in  seinem  eigenen 
Herzen  und  schiebt  alle  Verfolgungen  —  unbestimmt  geiuig  —  dem 
Autichrist  zu;  von  Gott  allein  erhofft  man  die  Beseitigung  der 
irdischen  Not.  Nur  vereinzelt  läßt  sich  ein  schüchterner  Hiilferuf 
an  die  weltliche  Behörde  vernehmen,  wie  in  dem  Schlußvers  dts 
Märtyrerliedos  der  prisonniers  de  Lyon,  in  welchem  sich  fünf  ihres 
Glaubens  wegen  zu  Lyon  in  d(n  Jahren  1552  und  1553  in  Gefangen- 
schaft gehaltene  Lausanner  Studenten  an  die  Obrigkeit  in  Bern  und 
an  den  König  von  Frankreich  wenden  mit  der  Bitte: 

.-.Princes   Bernois,  j^ous  avons  espcrance 

,,Q>ie  Dieu  pav  vous  dotmera  delicrance 

..Kn  href  ä  nous  vos  hninhles  Ecoliers; 

,,Et  que  serons  des  jy^isoiis  deliez, 

„S'ü  piaist  ä  Dieu  ei  au  bon  Roy  de  France. 

,,Ijors  plus  iiaurons  dedans  Lyon  souffrayice.''  -^) 

Von  den  Leiden  der  Gläubigen  wissen  die  frommen  Sänger  nur 
ganz    allgemein    zu    klagen;    ganz   vereinzelt   klingt   die    Bezugnahme 

nr.  2  (=  Bordier  S.  27—30,  nr.  VII.)  und  nr.  11  (=  Bordier  S.  20-22, 
nr.  IV).  —  „C/ircstienne  Reslovyssance,  composie  pav  Eustorg  de  Bentilieu, 
natif  de  la  rille  de  Beaulieu:  au  has  puys  de  Lymnsin.  Jadis  Prestre,  Musicien  et 
OrganUte:  en  la  faulce  Kglise  Papistique^  et  despuis  par  la  mistricorde  de  Dien, 
Minisire  Ecangelique:  en  la  vraye  Eglise  de  Jc'sus  Christ  .  .  .  1.546,  nr.  ?>  (=  Bordier 
S.  32,  ur.  IX.);  nr.  12  (=  Bordier  S.  33,  34,  ur.  X.,  ein  religiöses  chanson 
du  raariage);  nr.  89  (=  Bordier  S.  22 — 25,  nr.  V.  =  „Seusuyu^t  plusiewrs  belks 
et  bunnes  chansons"  nr.  4.  s.  0.);  nr.  129  (=  Bordier  S.  35;  hier  bereits  ein 
Anflug  von  satirischer  Zeichnung).  —  Aus  dem  ..Eecueil  de  plusieurs  chanscns 
.spirituelles  (s.  x\.fim.  20;  gehören  hierhin  S.  127,  nr.  53  (=  Bordier  S.  30—31, 
nr.  Vlll),  S.  68,  nr.  29  (=  Bordier  S.  374—378.  nr.  XXV),  S.  221.  ur.  110 
(=  Bordier  S  372-373,  nr.  XXIV),  S.  233,  nr.  117  (=  Bordier  S  360), 
S.  236,  nr.  118  (=  Bordier  S.  369—372,  ur.  XXIII),  S.  253  (==  Bordier. 
352-354  nr.  XII). 

-■')  Bordier,  Chans.  Img.  S.  366.  —  Die  LeidensEreschichie  der  fünf 
Studenten  erzählt  Crespin,  üistoire  des  Martyrs  (1564),  III,  S  33.0—403;  vgl. 
ferner  Bull  111  (1855)  S.  505  ff.  Ein  otfenliar  den  ,.,cinq  etudiants  de  Lyon'-'' 
in  den  Mund  gelegter  Märtyrerkantns  (nach  P.salm  137)  wird  mitgeteilt  Bull. 
XI  (1862)  S.  241  aus  den  „Chansons  spirituelles"  (composees  ii  l'unlitc  de  tous 
vrais  r.hritiens:  oii  sont  demontrcs  plusieurs  erreurs  et  abus).  La  Rochelle 
M.  D.  CVI. 


Seiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.        119 

auf  ein  einzelnes  bestimmtes,  die  Gemüter  bewegendes  und  erregendes 
Ereignis  durch.  So  in  dem  um  1545  entstandenen  Märtyrerlied 25). 
über  die  an  ilen  GLäubigeu  der  Provence,  zu  Cabrieros  und  Merindol 
verübten  Greuel,  welche  mit  einer  dem  Märtyrerlied  jener  Zeit  nicht 
gerade  gewöhnlichen  Leidenschaftliclikeit  der  Spmclie  geschildert  werden. 
Für  die  Gattung  der  Mäityierlieder  und  die  Zeit  der  Entstehung 
unseres  Liedes  ist  es  bezeichnend,  daß  die  chanson,  weit  entfernt 
davon,  zu  Rache  und  Vergeltung  aufzufordern,  vielmehr  in  dem  an 
die  fiommen  Bekeuner  von  Gottes  \\'ort  gerichteten  biblischen  Trost 
gipfelt,  im  Unglück  der  Welt  nicht  zu  verzagen,  sondern  sich  durch 
mutiges  Erträgen  der  von  Christus  erduldeten  Leiden  das  Himmel- 
reich zu  verdienen. 

„Helas!    hUas!   nies  freres,  „Jesus   Christ  nous  eochorte 

„Ne  soyez  eshahis  yDisant:    Qiii  veut  venir 

y,En  voyant  les  ajf'aires  .^  Apres  i>ioy^  faut  quil  porte 

„Qu'  ainsi  soin7nes  hays:  .^Sa  croix  pour  neusuyvir. 

,^Au(ant  Olli  fait  ä   Christ  ,^ Ainsi  serons  receus 

,^Ainsi  qii'il  est  escrit.  ^Au  Royaume  (ä  sus!'' 

Aus  der  Znhl  poeti-ch  einförmiger  Schöpfungen  hebt  sich  eine 
in  dem  Recueil  de  phisieurs  chansons  spirituelles  (nr.  62,  S.  132 
=  Bordier  S.  368,  369)  al>gediui;kte  zweistrophige  Dichtung  hervor, 
welche  mit  fast  dramatischer  Lebendigkeit  den  in  der  Literatur  der 
romtinischen  Sprachen  so  beliebten  Streit  zwi^chen  Leib  und  Seele^^)  in 
der  Form  eines  religiösen  Dialogs  zwischen  beiden  behanlelt.  Die 
Dichtung  ist  in  ihrer  ersten  Strophe  eine  Wiederholung  eines  Marotschen 
Epigramms, 27)  in  welciiem  der  Körper  nach  Fortdauer  seines  irdischen 
Daseins  verlangt,  während  die  Seeh;  in  der  Trennung  von  der  Welt 
ihre  Erlösung  sieht  und  in  der  geduldigen  Unterwerfung  unter  Gottes 
Willen  auf  Erden  ihr  Los  erblicUt,  Die  von  JMarot  übernommene 
Fassung  im  Sinne  religiö-er  Resignation  zu  vervollständigen,  fügte 
der  uns  unbekannte  kalvini>tische  Poet  eine  zweite  Strophe  hinzu,  in 
welcher  der  Körper,  von  der  Gegenrede  der  Seele  überzeugt,  nunmehr 
seinerseits  nach  baldiger  Erlösung  durch  den  Tod  verlangt,  aber  von  der 
Seele  wiederum  zu  geduldiger  Ausdauer  in  seinen  irdischen  Qualen 
ermahnt  wird. 


*^)  In:  Recueil  de  plusleurs  chansons  spirituelles  .  .  .  nr.  1)2,  S.  190  und  in: 
Chansons  ypirituelles  (composees  ä  rutdite  de  lous  vrais  chritietis:  oü  sout  demontris 
plusieurs  erreurs  et  abus  .  La  Rocbelle.  M.  I).  CVI.  =  Bonlier,  Chnns.  hvg. 
S.  ;^4I-345,  nr.  V;  vgl.  auch  BM.  II.  S  20,  nr.  2.  Zu  Grunde  liegt  die 
Melotlie  von  Mcllin  de  SainiGeiai^'  „0  combien  est  heureuse'-'  (erl.  Blanchernain 
I,  S.  GlJ),  S.  PlCiii,  Eevue  dliisUnre  litieruire  de  la  France  VII  (1900)  S   409. 

-8)  Vgl.  besonders  Kleinert,  Über  den  Streit  zwischen  Leib  und  Seele. 
Halle,  Diss    ISSO.     Die  oben  mitgeteilte  Fassung  bleibt  nachzutragen. 

-'')   Epiyrammes  IV.:   „A   Pierre    Vuyard''',  ed.  D'Ilericault  S.  227.    MarotS 

Dichtung   wird    von    den   Kef«>rmati(insdi(htprn   auch   sonst  noch  mehrfach 
plagiiert,  vgl.  Bordier,  Bull.  XVI  (1867)  S.  254-256. 


120  Kurt  Glaser. 

1.  „Cß  mesckant  Corps  demande  guerison, 

i  „Älon  frere  eher,  et  l'esprit  au  contraire 

,,Le  veut  laisser  comme  une  orde  prison. 
„L\m  tend  au  monde,  et  Vautre  ä  sen  distraire; 
„C'est  grand'  pitie  que  de  les  ouir  hraire. 
„ —  Ha!  dit  le  corps,  faut-il  mourir  ainsi? 
„ —    Va,  dit  l'esprit,  faut-il  languir  ici"? 
„ —  Ha!  dit  le  corps,  mieu,v  que  toy  je  souhaif.e. 
»—    Va,  dit  Uesprit,  tu  faids  et  moi  aussi; 
„Hu  Seigneur  fJieu  la  volonte  seit  faite. 

2.  „Le  corps  vaincu  par  l'esprit  bien  app'ris 
„Mourir  soudain  desire  incessamment, 
,^Mais  par  l'esprit  sagement  est  repris. 

,,  —  Ha !  dit  le  corps,  vien  mort  soudainement . 
„ —  JVon^  dit  l'esprit,  endure  ce  tourment. 
.,  —    Va,  dit  le  corps,  meilleure  est  la  des  faite! 
„ —    Va,  dit  l'esprit,  il  faut  qü'  entierement 
..,Hu  Seigneur  Hieu  la  volonte  soit  faite."" 

Auf  den  Charakter  der  religiösen  Kleinpoesie  hat  nichts  mehr 
eingewirkt  als  die  biblische  P  salter  dich  tu  ng.  Übersetzungen 
des  Psalters  in  das  Französische  hat  es  schon  seit  dem  Ende  des 
15.  Jahih,  in  größerer  Menge  gegeben,-^)  und  die  ergreifenden  Berichte 
über  die  letzten  Augenblicke  der  den  Flammentod  steibenden  Märtyrer 
des  neuen  Glaubens  werden  nicht  müde  zu  beteuren,  daß  die  glaubens- 
treuen Opfer  des  religiösen  Verfolgungswahns  unter  dem  Gesänge 
frommer  Psalmen  in  den  Tod  gingen.  Psalmensingen  war  so  viel 
wie  Ketzer  sein,  und  noch  im  folgenden  Jaht  hundert  stellte  der  katholische 
Bischof  Antoine  Godoau  in  der  Vorrede  (S.  8)  zu  seiner  ^Paraphrase 
des  pseaumes  de  David''  (Paris  1656)  den  Bekennern  der  neuen 
Lehre  das  ehrenvolle  Zeugnis  aus:  ,.savoir  les  jysaumes  par  cceur 
est,  parmi  les  protestants,  comme  une  marque  de  leur  conimunion; 
et,  ä  nostre  grande  honte,  aux  villes  oü  ils  sont  en  plus  grand 
nombre^  on  les  entend  reientir  dans  la  bouche  des  artlsans  et,  ä 
la  campagne,  dans  celle  des  laboiireurs,  tandis  que  les  catholiques, 
ou  sont  muets,  ou  chantent  des  chansons  desho7mestes.^^''^) 

Die  klassische  Psalmenübersetzung  Marots,  welche  Franzi,  den 
vielgefeierten  Dichter  selbst  im  Jahre  1540  seinem  hohen  Gaste 
Karl  V.,  überreichen  ließ,  hat  die  Psalmenpoesie  erst  recht  in  der 
religiösen  Dichtung  eingebürgert.  ISIichts  ist  bezeichnender  für  das 
Bedürfnis,    ^yelchem    Marots    Psalmenübersetzung    entgegenkam,    und 


28)  Bordier,  Bull.  XVI  (18G7)  S.  249  und  Douen,  Clement  Marot  et  le 
Psautier  hnguenot  (Paris  1878)  I,  S  269,  besonders  Anm.  5. 

29^  Vgl.  auch  Tiersot,  Histoire  de  la  chanson  populaire  en  France  (Paris 
1889)  S.  269. 


Beiträge  ziir  Geschichte  der  j^olit.  Literatur  Frankreichs.         121 

für  die  Überlegenheit,  welche  die  religiöse  Poesie  der  Reformation 
gegenüber  der  religiösen  Poesie  der  Katholiken  behauptet,  als  die 
Aufnahme,  welche  die  Psalmendichtung  des  als  Ketzer  verdächtigten 
Maiot  beim  Hofe  fand.  „Z-g  roi  Franfois  ß'',"  sagt  Bordier,  Chans. 
hug.  pret".  S.  IX,  ,.,chantait  volontier s  ces  petits  poemes.,  il  en 
recitait  encore  ä  son  lit  de  mort.  So7i  fiis  Henri  11.,  grand 
chasseur,  aimait  le  psaumc  XLII:  .Comme  un  cerf  altere  brame 
apres  Veau  courante.''  La  pr^ference  de  Catherine  etait  pour  le  VF, 
qui  est  le  p säume  de  la  pcnitence.  Chacun  dans  cette  cour  si 
persScutrice  s''Stait  approprie  un  psaume  favori  guHl  fredonnait 
habituellement.'*  Die  Vorliebe,  welche  der  Hof  den  Psalmen  Marots 
entgegenbrachte,  ging  auf  das  Volk  über,  welches  die  willkommene 
Poesie  mit  tieferem  Gefühl  aufnahm  als  der  in  äußerlichem  und 
frömmelndem  Wesen  befangene  Hof  des  allcrchristlichsten  Königs, 
...Vous  eussiez  vu  le  dimanche'^,  sagt  Bernard  PalissySO)^  ,Jes  com- 
pagnons  de  metier  se  jjromener  par  tes  prairies,  bocages  et  aiitres 
lieux  plaisants^  chantant  par  troupes,  psaurnes,  cantiques  et  chansons 
spirituelles,  lisant  et  s'instruisant,  hm  Vautre.  Vous  eussiez  vu 
les  filles  et  vierges  assises  dans  les  jardins,  qui  se  drlectaient 
ensemble  ä   chanter  toutes   choses  saintes.^'^-^)     Die  Anhänger    der 


^^)  cit.  nach  Tiersot,  Eistoire  de  la  ckans.  pnp.  cn  France  S.  260. 

^M  Ahnlich  äufsert  sich  Florimond  de  Remond,  Histoira  de  la  naissance 
deVheresie,  h vre  VIII,  16;  „Les  inforttmez  et  desastreux  luthericm,  vagabons,  errans, 
qui  sorlis  de  l'Eglise  ?ie  sganoknl  en  quel  abry  se  mettre  ä  couuert  des  vents  rjui  les 
pm'toient  tantost  en  ceste  rade,  tantost  k  cet  autre,  ora  sur  nn  escueil,  ore  siir  les 
ruchers  Cafarez,  ore  dans  la  (jiieule  des  Scylles  et  des  Caribdis,  quoy  qu'  ils  ßssent 
des  assemble'es  qudquefois  a  ouuert  appeUes  exhortaüons,  n'eurent  pourtant  le  chant 
des  psaurnes  en  leurs  presches.  C'estoit  assez  de  les  lire  en  p>rose  dans  les  Bibles 
vulgaires.  Un  seid  les  lisoit  qui  estolt  le  diacre  ou  surueillant,  insques  k  ce  qu  un 
conrtisan.  Van  1540,  pousse  de  ne  sqay  quelle  fureur,  mit  la  main  ä  cet  auure,  et 
leur  donna  la  yrace  qu^on  y  void  auiourd' huy,  les  Iraduisant  en  vers  franqois  "  —  Zu 
beachten  ist  auch  die  Stelle  der  „Legende  de  Charles,  cardimd  de  Lorraine^ 
rlÖTö).  S.  31  V.  —  33  r.  (=  Mim.  de  Conde  VI.  S.  32-33):  „  .  .  .  estant. 
av'-nu  que  par  h  Commandement  du  Grand  Roy  Fvancols,  trente  Psaurnes  de  David 
furent  traduits  par  Marot,  et  mis  en  Musiqne  par  divers  Musiciens:  car  le  Roy  et 
r Empere'ir  Charles-le-Quini,  priserent  ceste  translalion  par  paroles  et  presenfs.  3fais 
si  personne  les  aima  et  ambrassa  estroilement  et  ordinairement  pour  les  chanter  et 
faire  chanter,  c''esloit  ce  feune  Prince  Henry  lors  Üanphin,  de  maniere  que  les  bons 
en  benissnyent  Dieu,  et  ses  miynons  et  la  Seneschale  mexmes  faignoyent  les  aymer,  et 
luy  disoyent,  Monsieur,  cestuy-cy  ne  sera-il  pas  mien?  Vous  me  donnerez  cestuy-lä. 
a'j7  vous  platt  Lors  il  estuit  bien  empesche  ii  leur  en  donner  k  sa  fanfasie  et  ä  la 
leur.  Toutesfois  il  retint  pour  luy  le  128.  Bien  heiirenx  est  quiconqnes  sert  ä  Dieu 
voloritiers,  ßt  Ivy-mesme  vn  chant  a  ce  Pseavme,  lequel  chant  estoil  Jbrt  bon  et  plaisant 
et  bien  propre  aux  paroles.  Le  chuntoit  et  faisoit  chanler  si  souvent,  qu'il  monstroit 
avoir  un  yrnnd  desir  d'estre  beni  en  lignee,  ainsi  que  la  description  est  faite  en  ce 
Pseaume.  Clnelque  temps  apres  ,  .  .  le  Cardinal  de  t.orraine  .  .  .  voyant  que  Henry 
prenoit  plaisir  !i  ces  Saincts  Cantiques,  lesquels  iwtißent  la  ckastete,  et  sont  ennemis 
capi'aux  de  toute  ordure  .  .  .  commenra  premierement  k  hlasonner  la  translation,  et 
finnlement  les  Pseo.umes  mesmes,  subrogeant  au  Heu  les  vers  lascifs  d'llorace,  et  les 
f olles  chansons  et  amours  execrahlcs  des  Po'etes  Frangois  qu'il  mit  en  credit.  Alors 
Ronsard,   Jodelle,   Baif  et  autres  viUains  Poetes  commencerent  k  entrer  en  credit:    et 


122  Kurt  Glaser. 

neuen  Lelire  insbesondere  boniäclit igten  sich  de^  Marotschen  Psalters, 
an  dessen  Melodieen  sie  :-icli,  wie  Bordier,  Chans,  hug.  pref.  S.  X 
sagt,  erkannten,  oline  einander  zu  sehen,  und  oft  ^icniig  konnte 
Heinrich  II.  von  den  Fenstern  des  Louvre  aus  die  Menge  der  Gläubigen 
beobachten,  welche  abends  jenseits  der  Seine  auf  d<ni  Pie-aux-Clercs 
unter  den  Klängen  des  Psalters  gemessen  und  ernst  einhirwandelten. 
Es  liegt  nicht  in  meiner  Absicht,  die  Einwirkung,  welche  die 
Psalterdichtung  auf  die  Lieder|ioe-ie  der  Bekenner  des  neuen  Glaubens 
ausgeübt  hat,  im  Einzelnen  darzutun  und  zu  zeigen,  inwieweit  die 
frommen  Liedersänger  sich  der  Worte  oder  bloß  der  Gedanken 
des  Psalters,  dem  sie  oft  genug  auch  ihre  M<'loilieen  entnahmen, 
bedienen.  Die  nahe  Abhängigkeit  der  religiösen  Reformationspoesie 
von  der  Psalterdichtung  hat  Bordier  Bull.  XVI  (1867)  S.  249  bereits 
in  einigen  ZüL'en  gekennzeichnet  und  in  die  Worte  zusammengefaßt: 
.,Le  vrai  chansonnier  de  nos  yeres  est  le  jysantier  et  les  pieces 
composees  sur  son  modele'^.  Euie  eiegehendere  Untersuihnng  über 
diese  Frage  müßte  im  Einzelnen  den  Nachweis  zu  erbringen  haben, 
wie  in  den  chan-ons  oftmals  die  Stimmung  der  frommen  Sänger  des 
Volks  und  die  Stimmung  der  biblischen  Psalmisten  zusammenfließen, 
und  der  biblische  Psalm  im  Munde  der  frommen  Sänger  zur 
chanson  wird.  32) 

Trotz  des  religiösen  Tons,  welcher  in  der  Chansonrlichtung, 
wie  überhaupt  in  der  Reformationsliteratur  anfänglich  voiherrscht, 
sind  die  Ansätze  zur  HerausbiMung  derjenigen  Züge  nicht  zu  verkennen, 
welche  der  Reformationsliteratur  den  Charakter  einer  Zeit-  und  Partei- 
literatur verliehen  haben. 

Während  noch  die  Literaten  und  Dichter  der  Renaissance  der 
religiösen  Bewegung  ihrer  Zeit,  wie  religiösen  Fragen  überhaupt,  mit 
Gleichgültigkeit  gegenüberstehen  und  sich  selbst  in  der  Eefoimutions- 
literatur,  trt)tz  aller  polemischen  und  satirischen  Tendenz,  die  theologiseh- 
gelehrte  Erörterung  reli^jiöser  Fragen  breit  macht,  haben  bereits  mutige 
Dichter  und  Sänger  dem  eiwachenden  Bewustsein  religiöser  Partei- 
geraeinschaft  Ausdruck  verliehen,  indem  sie  dem  unter  den  Bekennern 
des  neuen  Glaubens  herrschenden  Unmut  über  die  Verfolgungen,  welchen 


Dieu  aussi  ne  vuulant  pas  que  son  Nora  demeurast  plus  Ion;/-  lemps  ainsi  propkam, 
ret'ira  ses  loucmges  pour  les  medre  en  la  hauche  des  peiits.  Les  Psecntmes  et  AJarot 
furent  baiiis.  Touies  sortes  de  vilaines  chansons  et  lasiiie  Alusique  vint  en  avant, 
par  Ventremise  principnle  du  Cardnial,  Afecenas  de  ces  vilains  brouilhns  ...  "  Vfil. 
Xerner  Denen,  Clement  Alarot  et  le  psautier  hug.  I.  S.  709  und  Tiersot,  Hist.  de 
l"  chanson  popul.  S.  268.  269. 

*2)  Es  wäre  das  ein  Teil  der  Aufgabe,  welche  die  von  Groth,  J.  A. 
de  ßaifs  Psatdlwr  {Sainmlumj  franz.  Neudrucke  IX^,  Euileitung  S.  XI,  Anm.  2 
vermilste  Monngraphie  über  die  relig.  Dichtungen  des  XVI.  Jahrb.  in  Frank- 
reich zu  lösen  balle.  Wertvolle  V\  inke  gibt  auch  Duuen  /.  c.  und  Tiersot 
S.  267,  268.  Eine  Charakteristik  des  hugenot.  Liedes,  welche  manche  Züge 
richtig  hervorhebt,  g\bt  Allier,  R.  La  chanson  hugnenote  au  XV fi  siede,  in: 
Revue  chrrtlenne.    XXXIII  (1886),  S.  462—472;    .529-550. 


ßeiiräge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.         123 

die  gläubigen  Bekenner  voii  Goites  Wort  ausgesetzt  siiui,  Ausdruck 
gabeu  und  machtvolle  Töne  reliuiöscn  Eifers  ansclilngen,  welche  der 
matten  Mal  tyn-rpoesie  Leben  undLeilenschaft  verliehen.  Deiurspiünglich 
religiösen  Richtung  iu  der  neuen  Poesie  entspricht  es,  daß  sich  Pulemik 
und  Satire  zunächst  auf  das  religiös-  kircldiche  Gebiet  übertrugen. 
Das  Papsttum,  die  katholische  Geistlichkiit  mit  ihrer  vieluerligten  und 
vielgeleugneteu  Verweltlichung,  sowie  die  Lehrsätze  und  Einrichtungen 
der  katholischen  Kirche,  gegen  deren  Berechtigung  und  Autorität  die 
Gelehrten  der  Reformation  mit  den  Watff  n  der  Wi-^seiisch;ift  zu  Felde 
zogen,  boten  den  mutigen  und  redegewandten  Sängern  von  Luthers 
und  Kalvins  Lehre  treffliche  Ziele  für  spöt'elnde  Ani^ritfe.  Naturgemäß 
wagt  sieh  die  satirische  Polemik  gegt^n  den  Katholizismus  nicht  sofort 
allgemein  offen  hervor,  und  häufig  genug  mußten  die  Spött(r  von 
Kiiclie  und  Pnpsttum  zu  List  und  frommem  Schein  ihre  Zuflucht  nelimen. 
Cayet  berichtet  in  einem  denkwürdig'n  Brief  an  den  Bischof  von 
Bazas  über  die  Geschii  klichkeit,  mit  welcher  einige  für  die  neue  Lehre 
begeisterte  Gelahrten  Kahiis  (Vernou,  ßabinot  mit  dem  Beinamen 
des  ^Bon  Hemme"  und  Veron,  le  „Ramasseur'''33)  zu  verfahren 
wußti'ii^  um  selbst  bis  an  den  Türen  der  Kirchen  in  l)o'f  und  Stadt 
ihre  kecken  Spottlieder  tiuziistimmen.  „  Voylä  comme  Vernou  et  le 
Bon  Homme  s'escritnoient  dans  les  villes.  ccpendant  que  leRamasseur 
hatloit  aii.v  champs,  allant  par  tont  le  pu'is  de  PoiioiJ,  Xaintonge 
et  Angouniois^  ....  La  facon  dont  iisoit  le  Ramasscur  edoit 
teile,  qu  ä  l'issue  des  grandes  messes  dans  les  villages,  et  quel- 
quefois  dans  villes,  il  se  mettoit  ä  chanttr  des  chansons  quil  oppeloit 
spirituelles:  entremeslees  de  versets  de  pseaumes  latius;  car  pour 
lors  ils  n'avoient  pas  encore  les  pseaumes  rimes.  Je  vous  en  rSciteray 
de  deux  desdites  chansons,  pour  voir  leurs  formes.     JJune  estoit: 

„O  prestres  ,  il  vous  faut  inarier: 
„Cadi  enarrant  gloriam  Dei  etc.  etc. 

Ainsi  contimioil  par  certaine  rymerie  fort  sötte  ä  descouvrir 
les  vices  qu^il  pensoit  estre  en  Cordre  des  prestres.  Ceux  quHt 
apercevoit  y  prendre  gönnt,  il  les  entreienoit  ä  purt  de  plus  parti- 
culiers  discours,  et  leiir  mettoit  au  caiur  Vinimitie  confre  les  prestres, 


33)  Über  die  Persönlichkeit  dieser  drei  Genossen  Kalvins  nnd  den 
Ursprung  der  ihnen  gegebenen  Beinamen  gilit  Florimond  de  Roen  ond, 
Bisloire,  de  Vhcresie  (Paris  IGIO,  liv.  Vlll.  chap.  11)  einige  Au>kuntt:  ..  .  . 
Filippe  Veron,  pro'ureur  im  sicije.  Albert  Babinot ^  vn  hcietir  de  la  Mi/iistrcrie 
(ainsi  s'anpelle  la  salle  oii  se  lisinl  les  fusiilufes),  et  Jean  Vernoußls,  de  Pnitirrs  .  .  . 
Vun  (Babinot)  se.  f.t  appeler  le  Bonhomme  et  parce  (puil  nvoit  (te  lectcur  des  Institutes 
en  la  Ministrerie,  Calvin  et  les  awres  le  nnmmoient  Monsieur  le  Ministre  .  .  .  Le 
troificme  (Veroii_)  se  nrnnmoit  le  liamnsseur,  comme  celui  qui  rouloit  enireprendre  de 
ramasser  les  brehis  du  Seiyneur.  C«  Ramasseur  employa  plus  de  vin'.t  ans  ä  ce  melier, 
allant,  trotlant  et  furetant  partout,  portant  les  nouvellcs  de  la  vcrite.  Et  pose  eres 
qu'il  ne  s<pit  presque  rien,  il  aroit  cestf.  prerotjalive  d'itre  exallentj  siirlont  <V  medire 
des  fjens  d'Eylise  .  .  .  ,  vgl.  Bull.  VI  (1858/  S.  41f.,  417. 


124  Kwrt  Glaser. 

et  contre  toute  CEglise.  L'autre  sorte  de  chansons  estoit  sur  les 
cSrSmonies  de  Vordre  sacerdoial,  comme  la  tonsure  et  semhlahles, 
taxant  aussi  par  expres  leur  fagon  de^vivre:  ü  disoit  aussi  par 
exemple: 

.,0  Letabundus: 

„  0  gras  iondus,   etc.  etc. 

Aussi  prenant  les  h)jmnes  de  l'Eglise,  il  faisoit  trouver  de  la 
contrarUie  et  repugnance  en  la  vie  des  prestres  au  prix  de  Vordre, 
et  exposoit  toutes  les  sainctes  ceremonies  de  VEglise  en  risie  par 
ceste  rymasserie.  11  ne  tarda  gueres  que  quelques  maistres 
d'eschole  ne  prinssent  euvie  de  suivre  ceste  fagon,  pource  que  le 
peuple  s'y  amusoit,  et  y  avoit  du  gain,  luy  aussi  les  instruisoit  parti- 
cxdierement  de  ce  qiVils  avoient  ä  faire  ..."  3^) 

Die  Verfolgungen,  welchen  sich  die  Bekenuer  des  neuen  Glaubens 
ausgesetzt  sahen,  steigerten  nur  noch  die  Kühnheit,  mit  welcher  die 
Lästerer  des  Katholizismus  und  seiner  Schäden  zu  Werk  gingen,  um 
den  von  den  gelehrten  Wortführern  der  Reformation  gegen  Kirche 
und  Kirchcnlehre  unternommeneu  theologischen  Kampf  in  die  weiteren 
Kreise  des  Volks  zu  tragen.  Für  die  umständliche  Erwägung  und 
langatmige  Prüfung,  mit  welcher  die  Gelehrten  der  Reformation  in 
emsiger  Forschung  die  Fragen  von  Kirche  und  Kirchenlelire  zu  ergi  ünden 
suchen,  halten  sicli  die  sangeslustigen  Poeten  des  Volks  durch  den 
auf  die  öifentliche  Meinung  berechneten  kriegerisclien  Ton  ihrer  Lieder 
schadlos.  Auf  die  Wirkung  ihrer  Poesie  kommt  ihnen  alles  an,  und 
oft  genug  muß  der  Eifer  und  die  Leidenschaft,  mit  welcher  die  Dichter 
und  Sänger  in  den  Kampf  gegen  Katholizismus  und  Hierarchie  aus- 
ziehen, die  dichterische  Befähigung  und  die  oftmals  ermüdende  Ein- 
förmigkeit des  Inhalts  und  der  Sprache  ersetzen. 

Zu  den  frühesten,  uns  im  Wortlaut  erhaltenen  chansons,  in 
welchen  die  Feindschaft  gesen  Papst  und  Kirche  zum  Ausdruck  kommt, 
gehören  zwei  noch  vor  dem  Jahre  1533  zum  ersten  Mal  gedruckte 
chansons  von  Matthieu  Malingre^ä),   welche  in  spöttischem  Tone 


■■'»)  Bull.  VI  (1858)  S.  89.  90.  —  Eine  Anspielung  bei  Garasse, 
Rccherches  des  reclierchss  d'Estienne  Pasquiev  (Paris  1622)  S.  712:  „Je  in'eslonne 
quapris  la  depnsilion  d'Abatllavd,  il  (Diiralich  Pasqiiier)  n'ait  forlifie  ses  preuves 
par  la  me^se  du  concuhinage  de  Carhsiad,  et  par  la  chanson  cjue  les  premiers 
compagnons  de  Ccdvln,  le  Ramasseur  et  le  Bonliomme,  cliantoient  es  pories  des  couvents 
en  Poitou  et  Aiif/oürnois,  au  rapport  de  Cayet  en  son  iplstre  a  Vevesque  de  Bazas,  dcmt 
le  refrain  estoit:  0  mopies,  mognes,  il  vovs  faut  marier!  Coeli  enarrant  gloriam 
Del!  Car  elles  sont  de  mesme  ndure  que  les  preuves  emprunlees  ä  la  vie  d^Abaillard, 
komme  aussi  dangereux  que  Carlostad,  plus  ruze  que  le,  Ramasseur,  et  plus  pernicieux 
que  le  Bonkomme."'  —  Mit  Unrecht  hat  man  Kalvin  selbst  als  Verfasser  des 
Liedes  „0  moynes,  o  mognes"  bezeichnet,  vgl.  Bull.  VI.  S,  342. 

^*)  in  den  ^Chansons  nourelles  danonstt'antz  plusieurs  erreurs  ei  faulsetez '. 
desquelles  le  poure  möde  est  reply  par  les  ministres  da  Satan  .  .  .  S.  1.  D.  d.  (Nf  uchätel. 
P.  de  Vingle,  gegen  153.3)  pet.  in-S^».  Bibl.  zu  Zürich,  Call.  XXV.  1009. 
Nr.  3  ..0  prebstres,  prebsires,  ougez  vostre  chanson"   (=  Bordier  S.  100—102)  und 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.        125 

die  „pauv7'es  papistes'-'-  und  „prebsfres'*  zur  Abkelir  von  ihren  Irr- 
lehren und  zur  Abwendung  von  ihrem  Abgott  dem  Antichrist  in  Rom, 
auffordern.  Eine  besonders  scharfe  Abfertigung  erfährt  unter  den 
Irrlehren  der  katholischen  Kirche  auch  schon  hier  die  Messe,  welche 
das  Unglück  hatte,  sich  am  frühesten  und  gründlichsten  die  Ungnade 
der  BeUenner  des  neuen  Glaubens  zuzuziehen  und  hinfort  ein  beliebtes 
Thema  unablässiger  Spötteleien  abgibt. 

Den  gleichen  Ton  witzelnden  Spottes  stimmt  eine  in  einer  1542 
veröffentlichten  Sammlung  von  Chansons 36)  enthaltene  Dichtung  an, 
welche  mit  den  an  die  Geistliclien  der  katholischen  Kirche  gerichteten 
Worten  „0  gras  tondus"  beginnt  und  zu  denjenigen  Liedern  gehört 
zu  haben  scheint,  welche  nach  dem  Berichte  Cayets  die  Gefährten 
Kalvins  bis  vor  die  Türen  der  Kirchen  in  Poitou  sangen.  Der  Spott 
über  Papst  und  Kirche,  über  Unwissenheit  und  Aberglaube  der 
katholibclien  Geistlichkeit  und  Christenheit,  hallt  in  der  kalvinistischeu 
Liederpoesie  in  allen  Variationen  wieder  ^7)^  um  sich  dann  und  wann, 
wie  in  der  „Chanson  exhortant  les  gens  des  trois  estats  a  servir 
Dieu  en  pure  vSritS"  ^8),   mit  ernsten  Mahnungen  zu  Besserung  und 


Nr.  4  „Paovres  papisies  retoumez  vous"  (=  Bordier  S.  97— lOOj.  Vgl.  auch 
Rilltet- Diifour,  Le  catvcldsme  fran^ais  de  Calvin,  reimprime  par  Killiet  et 
Uufoiir  (Geneve  1878)  S.  CG  und  CCXXVII,  sowie  Picot,  Revue  dliistoire 
Utteraire  de  la  France  II.  (1895)  ö.  550  (nr.  63)  und  S.  550,  551  (nr.  64).  Eine 
der  beiden  chansons  ist  sogar  bis  nach  Schweden  gedrungen,  vgl.  Bull.  VI 
(1858)  S.  18.  Die  übrigen  drei  chansons  der  Sammlung  sind  gleichfalls  ab- 
gedruckt bei  Bordier  S.  LXXVII  (nr.  111),  S.  10  (ur.  11),  S.  134  (nr.  XIII); 
zur  letzteren  (Spottlied  auf  die  Messe)  s.  später. 

"ö)  Chanson  demonstrantes  les  errcurs  et  abuz  du  temps  pi-esent."  s.  1.  1542. 
Abgedruckt  ist  die  Dichtung  bei  V\  olf,  Über  die  Lais,  Sequenzen  und  Leiche. 
(Heidelberg  1841)  S.  441;  Le  Itonx  de  Lincy  II  S.  130,  131.  Bull.  VII 
(1858)  S.  ;^67,  368  und  Bordier  S.  167;  vgl.  auch  Picot,  Revue  dliist.  litt,  de  la 
France  VI  (1899)  S.  241. 

3'')  Am  gelungensten  ist  die  chanson  yUalms  est  yrand  de  VAniechrist 
Romain"'  ("Bordier  S.  113  — 117)  sowie  die  folüende  „chanson  spirituelle^  (Bibl.  Nat. 
Ms.  fr.  22563,  f.  145  =  Bordier  S.  216—220),  aus  welcher  die  beiden  Verse 
zitiert  seien : 

1,    Christ  pour  sauver  ses  brebis  6.     Vous  appeUez  Iluguenots 

Que  si  cherement  il  prise,  Ceux  qui  Jesus  veul/ent  suivre, 

Veult  chasser  ces  lotips  rabys  Et  nadorent  vos  marmots. 

Qui  sunt  entres  en  V Eglise.  De  boys,  de  pierre  et  de  cuyvre. 

Hau!  Hau'  Papegvts,  Hau!  Hau!  Papeiots, 

Faictes  place  aux  Huguenots.  Faictes  place  aux  Huguenots. 

Einen  ähnlichf^n  Ton  schlägt  an  Antonie  Chaaorrier-Desmpranges  in 
seiner  „Legende  des  p7-eslres  et  des  moines  composee  en  ri-nes  et  divisce  par  chapitres." 
Geneve  1556  nn  16°)  Neuausgabe  1560  (in-8")  (vgl.  France  prot.  IIP  ö.  336' 
und  IIP-  S.  1077);  ebenso  die  Prosasatire:  „Sentence  decretal/c  et  cnndamnatoire 
au  fait  de  la  paillarde  Papnute:  et  punition  de  ses  dementes  et  foi'faits,  souz  la 
sommaire  narration  de  longues  proccdures.  Imprime  nouuellement  1561  in-S",  pet. 
(im  Besitz  des  Buchhändlers  Durel  in  Paris). 

38)  in  Sensuyi-ent  plusieurs  belies  et  bonnes  chansons  . .  .  (s.  0.)  nr.  15  (=  Bordier 
S.  106,  nr.  V). 


I2i)  Kurt  Glaser. 

Abwendung  von  dem  bisln^ri^en  Sündenleben  zu  mi-chcn.  Anderen 
satirisclieii  Ergüssen  wieder  liefert  das  an  das  Treiben  der  Sünden- 
stadt  Babylon  gemabiiende  Lasterleben  der  römi-ch 'n  Geistlichkeit 
und  die  mit  irdischer  Hprrscb^ncht  verknüpfte  VerweUIiclinng  der 
Kirche  reichen  Stoff  und  eine  Fülle  frucbtiiarer  Motive,  welche  die 
„Complainte  et  chanson  de  la  grande  paillarde  bahrjloniene  de 
Rome''^'^)^  sowie  die  in  Zwöllsilblern  abgefaßte  Poesie  eines  gewissen 
L.  Palercee,  „ßabylone,  ou  la  rnine  de  la  grande  cite  et  da  regne 
tyrannique  de  la  grande  paillarde  babi/lonieniie-'  (Paris  1563.  pet, 
in-8,  Bibl.  Nat.  Inv.-Res.  Ye  1,  762)  in  wuchtige  Verse  bringt.  Die 
Minoriten  (freres  mineurs),  und  mit  ihnen  die  Mönchsorden  der 
katholischen  Kirche,  gibt  nocli  im  Besonderen  ein  im  Eingang  einer 
Flugschrift  von  1561^0)  überliefertes  Dizain  dem  Spotte  preis,  welches 
mit  boshafter  Worispielerei  die  Minoriten  als  die  „mineurs  (Uiiter- 
wühler)  am  Turm  des  wahren  Glaubens  hinstellt.  Der  Verwerflichkeit 
der  katholischen  Lehre,  der  Trägheit  und  Lasterhaftigkeit  von  P;ipst 
und  Priesterstand  wird  das  leuchtende  Vorbild  Chri-ti  und  die  Reinheit 
des  neuen  Glaubens  und  die  aulopfernde,  Licht  und  Wahrheit  spendende 
Tätigkeit  Luthers  und  der  Diener  seiner  Lehie  entgegeny;elialten,4i) 
der  ängstlichen  Zaghaftigkeit  der  katholischen  Kirche  die  fiirchtlose 
Kühnheit  der  Bekennerschaft  des  neuen  Glaubens  gegenübergestelltes). 
Eustorg  de  Beaulieu,  welcher  sich  im  Titel  seiner  Clirestienne 
Resiouyssance''^  als  „Jadis  Frestre,  Musicien  et  Organiste  :  en  la 
faidce  Eglise  Papistiqne,  et  depiäs,  par  la  misericorde  de  Dieu, 
Minisire  Euangelique :  en  la  vraye  Eglise  de  Jesus  Christ^  bezeichnet, 


^'')  vollständig  unter  dem  Titel:  Complninic  et  chanson  de  la  grande 
paillarde  hahylnniene  de  Rnme  sur  le  chaut  de  Pienne.  Plus  mie  dephratim  des 
cardinaux,  euesques^  et  tonte  leur  cumpaynie,  pour  hur  mcre  la  messe,  avec  Vaccord 
fait  a  Poissy  sur  'e  point  de  la  cenf.  s.  J.  !•  Cl    (pet.   in-y^). 

*")  „Le  Glaive,  du  i.eant  Goliath,  ennemy  de  V Eglise  de  Dieu  .  .  .  par  lequel 
il  sera  aise  ä  tous  ßd<ies  de  conwisfre  que  le  pape  a  la  (jorge  coupee  de  son  prupre 
glaive,  jait  et  illustre  d'annotalions  par  Charles  Leopard,  niiuistre  de  la 
Parole  de  Dieu  en  l'isle  d'Arvert."  s.  I.  15ßl  (pet.  in-80).  Vgl.  Bull.  X  (1861) 
S.  40,  41. 

*')  Hierhin  gehört  namentlich  eine  Chanson,  welche  in  einer  Sammlung 
von  „Chansons  spirituelles^  aus  dem  Jahre  15G9  enthalten  ist,  aber  noch  bei 
Lebzeiten  LutheiS  entstamien  zu  sein  scheint.  Abilnick  in  Bull.  X  (1861) 
S.  221 — 223;  ferner:  „Les  faictz  de  Jesus  Christ  et  du  Pape.^  par  ksqueh  chascun 
ponrra  faciement  congnoistre  la  qranle  difference  de.  entre  eulx;  nouvellement  reveuz, 
corrigez  et  awimentez.  Imprime  d  Romme,  par  Clement  de  Medtcis.  au  chas/eau 
sainct  Ange  [Xeuchätel,  gi'g^n  1Ö34,  oder  üeneve,  geg  n  1540],  in  -  tbl., 
cit.  Bull.  LI  (1902)  8.  44U;  da-cu:  ..Antithesis  df,  praeclaris  Christi  et  indignis 
P'pae  facinorihus"' .,  s.  1.  (Geneve).  Zacharie  Durant.  1558.  Vgl.  Bull.  LI 
(190J)'  ö.  444, 

*'^)  „La  vermine  mine  mine 
„La  vermine  minera; 
„Le  peit  troppeau  Indigne 

„De  rien  ne  s^espouran'era  etc.  in  „Le  second  livre  des  chansons  spirituelles, 
cow/)ose'es  etc.  (=  Bordier  S.  180 — 181,  nr.  XXIX);  vgl.  damit  den  „Discours  de 
la  vermine  et  presfraille  de  Lyon"'  iu:    Rec.  VII,  S.  24  ff. 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Liierattir  Frankreich^.         127 

liat  die  Umwandlung,  wolclie  mit  dem  Übertrit  zum  neuen  Glauben 
in  ihm  S('l!)st  vorgegangen  ist,  in  einer  chanson  seiner  „  Chrestienne 
Resiouyssance'^  in  begeisterten  Worten  ausgespioihen^s)  und  in  einer 
anileri-n  chanson  der  glichen  Sammlunti;  Luthers  Ehre  und  Lehre 
mit  einer  Entsehiedenheit  verteidigt,  welche  nur  die  auf  wahrer  Über- 
zeugung beruhende  Hingabe  an  die  Sache  des  großen  Reformators 
zu  verleihen  vermag. 4^) 

Bei  den  Angriffen  auf  Pajist  und  Kirche  bleiben  die  sangeslnstigen 
kalvinistischen  Spötter  nicht  stehen.  Der  ILiß  gegen  die  Sorbonne  und 
die  von  ihr  in  Sachen  der  Religion  geübte  Tyrannei  war  zu  groß, 
als  di.ß  der  von  den  Wortführern  der  Reformation  gegen  die  verliaßte 
Hochliuig  katholischer  Wi~sensch;if[  gifülirte  Kampf  nicht  auch  im 
Liede  seinen  Ausdruck  gefunden  hätte.  Noch  vor  dem  J;ihre  1555 
entstand  eine  chanson, ^5)  welche  mit  einer  Fülle  von  Wortspielen 
über  die  Sorbonne  und  ihre  Leucliten,  über  Duns  Scotus,  Alain,  Lyra, 
Bonaventura,  Aquino,  Occam  und  Durant,  und  die  von  ihr  beobachtete, 
der  Aufklärung  und  dem  Evangelium  feindliche  Haltung  loszog. 

1.  „Xa  Sorbo7me,  la  bigotte  5.  „7>d  oii  la  clarte  se  porte 

,^La  Sorbonjie  se  taira.  ,.,IJobscurite  sortira. 

„Son  grand  hoste  VAristote  „I/ßvaiigile  qu'on  rapporte 

„J)e  sa  bände  s'ostera.  ,^Le  Pirpisme  chassera. 
„Et  son  esco't  (Scotu-!)  quoT/  ^La  Sorbonne  la  bigotte 

qu'il  couste,  ,.,La  Sorbonne  se  taira. 

„Jamais  ne  la  soidera 
„La  Sorbonne  la  bigotte 
^^La  Sorbonne  se  taira. 

-2.   „Qui  a  des  ailes  (Alain!),  si      7.  ,,Jesus  Christ  noiis  reconf orte 

trotte :  „  Es  ca>urs  des  siens  regnera. 

r,Car  plus  il  ne  volera;  „Quoyque  Sorbonne  /agotte 

„Et  de  Li/ra  qui  radotte  „La  l'oi  plus  esclairera. 

„Desormais  ne  se  lira:  ^^La  Sorbonne  la  bigotte., 

„La  Sorbonne  la  bigotte  „La  Sorbonne  se  taira."* 
..La  Sorbonne  se  taira. 

Den  Ton  volkstümlichen  Sanges  hat  keiner  unter  den  zahllosen 
;kleinen  Poeten  des  neuen  Glaulx'ns  be>ser  und  natürlicher  getroffen 
als  Eustorg  deßeaulieu.  welcher  mehr  als  andere  seiner  sanges- 
lu>tigen  Glaub'^nsgenossen,  und  selbst  Matthieu  Malingre,  ein  Meister 

*')  „Lnngtemps  y  a  que  je  vy  en  espoir"  in  „Chresiieime  Jiesiouyssance" 
nr.  24  (=  Bordier  S.  104). 

*■*)  „Cest  a  grand  fort  que  maint  peuple  mnrmvre^:  ,^C'hresf.  Am"  nr.  71 
(=  B..nlier  S  105  und  Picot,  Revue  dhist.  litt,  de  In  Irance  VII  (1900) 
S.  414.  nr.  131). 

")  In  demselben  Jahre  zum  ersten  Mnle  gedruckt  in:  „/.e  second  livre 
des  Chansons  spirituelles  .  .  .  M.  D.  LV.  S.  29  =  Bordier  S.  162  —  105).  Abdruck 
mit  einleitenden  Worten  auch  in  Bull.Xn  (1863)  S.  129,  130. 


128  Kurt  Glaser. 

der  satirischen  Chanson-Dichtung  genannt  zu  werden  verdient  .^6) 
Einer  adligen  Familie  des  Limousin  entsprossen,  hatte  Boaulieu  schon 
früh,  von  unwiderstehlicher  Neigung  zu  Musik  und  Poesie  getrieben, 
die  bescheidene  Stelle  eines  Organisten  der  Kirche  von  Lectoure  an- 
genommen, bis  er  sich  später  der  kirchlichen  Laufbahn  widmete, 
immer  noch  seinen  Unterhalt  durch  den  Unterricht  in  seiner  Lieblings- 
beschäftigung, der  Musik,  erwerbend.  Der  Übertritt  zur  Reformation 
gab  Beaulieus  Sangeslust  neue  Anregung  und  veranlaßte  ihn  hinfort 
seine  Kräfte  als  Geistlicher  und  kirchlicher  Sänger  in  den  Dienst  der 
neuen  Lehre  zu  stellen.  Beaulieus  Spottdichtungen  sind  in  einer  zu- 
erst 1546  erschienenen  Sammlung,  der  bereits  erwähnten  „Chrestieiine 
Resioui/ssance'-''  vereinigt.  In  dem  religiös-polemischen  Charakter  von 
Beaulieus  Poesie  findet  die  der  religiösen  Seite  des  Parteigi'gensatzes 
zwischen  Kalvinismus  und  Katholizismus  zugewendete  Richtung  der 
Reformationsliteratur  einen  deutliehen  Ausdruck.  Nirgends  greift 
Beaulieus  Satire  auf  das  weltliche  Gebiet  hinüber;  um  so  freier  aber 
entfaltet  sich  in  einer  ganzen  Unmenge  von  chansons  die  Wucht 
seines  Spotts  über  Papst  und  Kirche.  Das  eine  Mal  apostrophiert  er 
in  scharfen  Worten  den  Papst: 

1.   „Dormoy  tu?  6.   „Ordonnant  feste  sur  feste 

,,Dormoy  tu,  dy,  grosseheste,  ..Dormoy  tu? 

,.,Dormoy  tu?  ,,Et  approuvant  mainte  secte 

y,Dormoy  tu? 

4.   „Eu  forgeant  la  messe  infeste      7.   .^Faisant  guerre  de  conqueste 

..Dortnoy  tu?  y^Dormoy  tu? 

^Dequoy sert-ilVavoirfaicte?  ,.Et    faisant    d'or    si  grand 

.^Dormoy  tu?  Dormoy  tu,  dy,  queste 

grosse  beste?  ..Dormoy    tu?    Dormoy  tu, 

dy,    grosse  beste? ^"^y 

Ein  anderes  Mal  zieht  er  gegen  die  bewußte  Täuschung  zu 
Felde,  mit  welcher  die  Geistlichkeit  die  Gläubigen  in  Sachen  der 
Religion  hinters  Licht  führt^S);  dann  wieder  befaßt  er  sicli  mit  den 
dem  Papst  und  der  Kirche  mit  Vorliebe  nachgesagten  Untugenden 
der  Bestechlichkeit,  Habsucht  und  Unzucht  und  gibt  seinem  Haß 
gegen  Klöster  und  klösterliche  Kasteiungen  Ausdruck,  denen  er  den 
von  Gott  gewollten  wahren  im  Gebet  bestehenden  Gottesdienst  gegen- 


^^)  Vgl,  G.  Becker,  Euslory  de,  BeauUeic,  poclc  et  musicien  (seizieme  siecle). 
Paris  1880  und  E.  Fage,  Etistnrg  de  Beaidieu,  poHe  et  musicien  du  XV le  siede.  TuUe 
1880  (auch  in:     Bull,  de  la  societe  des  lettres,  sciences  et  arts  de  La  Correze,  1880). 

47)  In:  ehrest.  Resi.  S.  123,  nr.  135  (=  Bordier  S.  127,  128).  Vgl. 
ferner  Picot,  Revue  dliist.  Ht.  de  la  France  VII.  (1900)  S.  412. 

*ä)  „Cesl  la  rregtraille  et  3roynerie"  in  Chrest.  Resi.  S.  150,  nr-  153 
(=  Bordier  S.  169-173). 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.        129 

überstellt^ö);  ein  anderes  Mal  wieder  ergießt  er  seineu  Spott  über 
das  glänzende  und  prunkhafte  äußere  Auftreten  des  Papsttums,  um 
ihm  in  höhnischen  Worten  ein  baldiges  und  klägliches  Ende  seiner 
Herrlichkeit  vorauszusagen  ^Oj ;  ein  anderes  Mal  endlich  ist  es  das 
sittenlose  Treiben  der  Mönche,  das  ihn  empört,  und  in  scharfen 
Worten  läßt  er  eine  rechtlich  denkende  Frau  dem  sie  belästigenden 
Beichtvater  eine  derbe  Lektion  erteilen  ^i). 

Mit  der  letzteren  chanson  Beaulieus  berührt  sich  unter  so 
manchen  der  gleichen  Art  am  nächsten  eine  andere,  in  welcher  ein 
Mädchen,  das  sich  von  Mönchen  in  schlechter  Absicht  verfolgt  sieht, 
sich  seiner  lästigen  Bedränger  gleichfalls  durch  eine  scharfe  Zurecht- 
weisung entledigt  52). 

In  der  Satire  auf  das  sittenlose  Leben  und  Treiben  der  Geist- 
lichkeit bewahrten  die  kalvinistischen  Spötter  nicht  immer  die  dem 
heiklen  Gegenstand  gegenüber  angezeigte  Beschränkung  und  gingen 
oft  genug  über  das  schickliche  Maß  hinaus,  indem  sie  sich  in 
schmutzigen,  des  Witzes  entbehrenden  Derbheiten  verloren,  welchen 
die  ,,chanson  d'un  cordelier  sorboniste  faisant  des  etifans''  (von 
1566)  die  Krone  aufsetzte 53).  Von  dem  bei  aller  Derbheit  köstlichen 
Witz,  mit  welchem  sich  Rabelais  über  das  Lasterleben  der  Geist- 
lichkeit erging,  lassen  die  kalvinistischen  Spottdichtungen  nicht  immer 
gerade  viel  verspüren. 

Die  direkte  Satire  genügt  den  Spöttern  nicht.  Eine  willkommene 
Form,  ihrem  Spott  über  Papst  und  Kirche  Luft  zu  machen,  bot  ihnen 
das    schon  von  Jean  Bouchet  in  seiner  „Deploration  de  Veglise^^Y'' 


*3)  ehrest.  Eesi  S.  85,  nr.  100  (=  Bordier  S.  124-I-'G)  und  nr.  lö 
(=  Bordier  S.  173 — 174).  Dasselbe  Thema  schlagen  zwei  andere  anonyme 
chansons  an,  welche  enthalten  sind  in:  „Le  second  livre  des  chnnsons  spirituelles^ 
compnsces  ä  tiitilite  de  tmis  vrays  chrestiens;  oii  sont  demonstrez  plusieurs  erreurs^ 
esquelz  ont  esie  conduicts  et  detenus  les  i^ovres  ignorans,  par  les  seducteurs  et  faux 
prophetes.  M.  D.  LY.  (pot.  in-lS").  S.  6—9  (=  Bordier  S.  129—132)  und 
S.  28-29  (=  Bordier  S.  132  -  134). 

^^)  nO  fjrand  beaulte  qui  loyes  cruauhe'^.  chant  sur  le  cliant  de:  ,0  cruaitte 
logee  en  grand  beaulte'  (von  Marot,  ed.  Jauuet  II,  S.  189) ;  Deseription  de  Vexterieure] 
heanlte  et  pompe  papalle,  et  de  sa  clnite  future'' ;  gleichlalls  in  der  Ckrest.  Eesi.; 
danach  Picot,  ßei-ue  dliist.  Ut.  de  la  France  VII,  (1900)  S  410—412,  nr.  129; 
Vgl.  auch  ehrest.  liest.  S.  118,  nr.  1:^3=  Picot,  Bcvne  etc.  VII,  (1900) 
S.  416—418,  nr.  134. 

^^)  „Vous  mocquez  voiis,  moyne.  de  motj'?''  Ckrest  Resi.  nr.  138  (=  Bordier 
S.  175-176). 

^-)  „Dieu  vons  yard\  jemie  inicelle^\  Bordier  S.   176 — 179. 

^■)  Bibl.  Nat.  Ms.  fr.  22560,  f.  184;  Ms.  12616,  f.  155—162.  Proben  daraus 
bei  IjCher,  De  Velat  rvel  da  la  presse  et  des  patnjMets,  depuis  Frani;ois  /<■''  )iisqu\'i 
Louis  XJV.  (Paris  1834)  S  86  und  Le  Roiix  de  Lincyll.  S.  289;  cähnlich  eine 
chanson  in  Ms.  22  565,  f.  1'  9  v. 

^*)  vollständiger  Titel:  „La  dephralion  de  leylise  miiitanle  sur  ses  perse- 
cutions  inlcriores  et  extcriores,  et  imploration  de  aide  en  ses  adversitez  par  eile 
souslenues,  en  Van  niil  cinq  cens  dix  ;  cinq  cens  unze'.  que  presidoit  en  la  chaire 
monseignew  sainct  Pierre  Julius  secttndus.  Composie  par  le  tiaverseur  des  voies 
perilleuses.    1512,  vgl.  Bull.  V  (1856)  S.  268. 

Ztschr.  f  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI'.  9 


13Ü  Kurt   Glaser. 

befolgte  Verfahren,  den  Angegrifleneu  selbst  ein  Geständnis  der  ihm 
nachgesagten  Sünden  ablegen  zu  lassen.  Die  kalvinistischen  Spötter 
gefallen  sich  darin,  das  Papsttum  in  eigener  Person  vorzuführen,  wie 
es  in  seiner  Herzensangst  den  Teufel  als  letzten  Helfer  und  Retter 
um  Ausrottung  der  überhandnehmenden  Ketzerei  anfleht  55),  oder  wie 
es  im  Angesicht  des  Todes  seine  Kardinäle,  Bischöfe,  Priester,  Mönche 
und  Jesuiten  zu  Hülfe  ruft,  um  ihnen  in  einem  mit  seinem  sonstigen 
Auftreten  wenig  übereinstimmenden  Kleinmut  sein  Leid  zu  klagen 
und  mit  cynischor  Offenheit  die  Schandtaten  und  Sünden  seines  Systems 
zu  enthüllen  56). 

Am  freiesten  entfaltet  sich  die  Satire  in  den  spöttelnden  Angriffen, 
\Yelche  die  kalvinistischen  Sänger  auf  die  Lehrsätze  der  katholischen 
Kirche  richten.  Weniger  die  Lelire  vom  Fegefeuer,  die  mehr  gelegentlich 
ihre  Abfertigung  findet,5'')  als  die  Messe  bildet  die  Zielscheibe  aller 
möglichen  Angriffe.  Vor  den  Augen  der  Spötter  im  Lager  der  Bekenner- 
schaft  des  neuen  Glaubens  nimmt  die  Messe  in  dem  Lehrsystem  der 
katholischen  Kirche  dieselbe  Stellung  ein  wie  das  Papsttum  in  der 
äußeren  Ordnung  der  kirchlichen  Hierarchie:  sie  ist  die  (irundlage 
und  Krönung  des  ganzen  kirchlichen  Lehrgebäudes.  Schon  im  Jahre 
1512  hatte  sich  Lefevre  d'Etaples  in  der  Vorrede  zu  seinen  „Commen- 
taires  sur  les  epistres  de  Saint  Paul''  gegen  die  Messe  erklärtes,  und 
im  Jahre  1524  hatte  eine  zu  Genf  aufgeführte  Sottie  in  dreisten  Worten 
über  die  Messe  zu  spotten  gewagt  ;59)  seitdem  machte  sich  der  Haß 
der  Bekenner  der  neuen  Lehre  gegen  die  Messe  immer  und  immer 
wieder  Luft.  Schon  vor  dem  Jahr  1533  ging  unter  den  sangeslustigen 
Anhängern  der  Eeforraation  ein  Spottlied  auf  die  Messe  ura,'jO)  und 
kurz  darauf  (1534)  wagten  einige  Heißsporne  in  mehreren  Städten, 
ja  selbst  an  der  Tür  des  königlichen  Schlafgemachs,  Plakate  anzuheften, 
welche  in  kühner  und  drohender  Sprache  die  r,abolition  de  la  messe 
de  cette  pompeuse  et  orgueilleuse  Messe  papale"  forderten.  Die 
schlimmen  Folgen  der  verwegenen  Tat,  welche  von  der  Mehrheit  der 
Bekenner  der  neuen  Lehre  nicht  gebilligt,  geschweige  denn  veranlaßt 
worden  war,  blieben  nicht  aus:  Franz  L,  bisher  gegen  die  Bekenner 


Rec.  VIII.  S.  274,  275. 


oü   sont   demontres  plusieurs   erreurs  el  abus)."     La  Rochelle.  M.  D.  CVI.   S.  256. 
(^Bordier  S.  117—124;. 

5')  Bordier  S.  161—162. 

58)  Lavisse.  hist.  generale  IV  (Paris  1894)  S.  478,  Süpfle  Tb.  Geschichte 
des  deutschen  KuUurelnflusses  auf  Frankreich  I  (1886)  S.  42.  242.  Vgl.  auch  Graf, 
Essai  sur  la  vie  et  les  ecrits  de  Lefevre  d'Etaples.     Strasbourg  1842. 

59)  s.  Holl  S   32  ff. 

60)  „C'est  ii  (jrond  tort  que  moy  messe  tant  dure.  in:  „Chansons  nouuelles 
denwmstrantz  plusieurs  erreurs  st  faulsetez  etc  (s.  Anm.  37).  =Bordier 
S.  134—136,  nr.  XIIL 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.        131 

der  neuen  Lehre  duldsam,  begann  nunmehr  mit  Strenge  gegen  sie 
einzuschreiten  und  jene  Verfolgungen  ins  Werk  zu  setzen,  unter  denen 
die  frommen  Sänger  so  geduldig  seufzten.  Aber  schon  macht  sich  auch 
das  erstarkende  religiöse  Parteibewußtsein  der  Bekennerschaft  des  neuen 
Glaubens  in  dem-  Unmut  über  die  Verfolgungen,  welchen  die  Gläubigen 
ausgesetzt  sind,  Luft  und  läßt  den  Spott  über  die  Messe  zu  einem 
stets  wiederkehrenden  Thema  der  Poesie  werden. 

Das  schon  in  der  chanson  vom  sterbenden  Papsttum  beobachtete 
Verfahren,  dem  Angegriffenen  selbst  ein  Geständnis  der  ihm  nach- 
gesagten Sünden  in  den  Mund  zu  legen,  findet  in  den  gegen  die  Messe 
gerichteten  chansons  wiederholt  Anwendung.ßi) 

Im  Tone  kläglichster  und  kleinmütigster  Verzweiflung  läßt  man 
die  Messe  vor  ihrem  nahenden  Ende  ein  Geständnis  über  die  Täuschung, 
die  sie  an  dem  Seelenheil  der  Gläubigen  begangen,  ablegen;  man 
läßt  sie  in  ihrer  Seelenangst  bei  Gott,  dem  Papst  und  der  gesamten 
Geistlichkeit  um  Hülfe  schreien  und  jammern,  man  läßt  sie  im  Augesicht 
des  Todes  ihre  Anbeter  um  sich  versammeln  und  noch  sterbend  mit 
einem  Schwall  lateinischen  Formelkrams  zur  Messehandlung  schreiten, 
ja  selbst  im  Zorn  ihre  Stimme  gegen  Gott,  von  dem  sie  sich  getäuscht 
und  verraten  glaubt,  erheben.  Mit  unverhohlener  Schadenfreude  gefallen 
sich  die  kalvinistischen  Spötter  darin,  die  Messe  in  laugen  Jararaertiraden 
die  Nutzlosigkeit  ihres  Hülferufs  und  den  unter  den  Gläubigen  überhand- 
nehmenden Abfall  von  ihrer  Autorität  beklagen  zu  lassen.  Die  folgenden 
Proben  mögen  genügen: 

1.    yA  vous  me  jjlainds,  sainct  13.  „Germains  montmisarriere, 

Pere,  ^Moy   messe  tant  gorriere, 

^,Moy  messe  tant  gorriere  „Germains  nt'ontmis  arrih'e 

^.A   vous  me  plainds,  sainct  „Et  mainte  nation. 

Pere^ 
„De  vostre  abusion. 

^,   „Gregoire  m'a  fait  faire,  14.   „Franfoisnem'aymentguere, 

„Moy  messe  tant  gorriere,  r.Moy    messe   tant  gorriere, 

„Gregoire  rna  fait  faire  „Francoisneniaymentguere^ 

„Contre  la  passion.  „Sfachans  ma  fiction. 


*')  „C'esi  ä  rjrand  iurt  que  moij  messe  tant  dure.'^  S.  0.  —  „^1  vous  me 
plainds,  sainct  /Vce"  in :  f.e  sccond  liure  des  chansons  spirituelles,  coniposees  ä 
ViUilite  de  tous  vrays  chrestiens:  oii  sont  demonslrez  plusieurs  erreurs,  esquelz  ont 
este  conduicls  et  detenus  les  poures  ic/nnrans  par  les  seducteurs  et  faux  prophetes'* . 
M.  D.  L  V.  S.  10.  =  „Chansons  spirituelles  <t  rhonneur  et  louange  de  Dieu,  et  b 
Vedification  du  prochain.  Jieveues  et  corrigees  de  nouveau.  M.  D.  LXIX.  nr.  117 
(=  Bordier  S.  137  —  141.)  —  „Que  ne  faittes  vous  diUijence^'' ,  gloichfalls  in  den 
„Chansons,  spirituelles"'  (s.  o.)  sowie  in  den  „Chansons  spij-ituel/es  composees  ii 
Vutilite  de  tous  vrais  chretiens:  oii  sont  demontres  plusieurs  erreurs  et  abus^^  (L.l 
RochcUe  M.  D.  CVI.)  S.  222—225  und  darnach  Bull.  X  (1861)  S.  440-441 
=  Bordier    S.  141  — 145.    —  „Spiritus,    Salre,    Requiem,    Bordier   S,  155 — 147. 

9* 


183 


Kurt  Glaser. 


3.  ..Je  feins  Christ  en  l'aumoire  18.    „Car  un  chacu7i  fait  guerre, 

„Moy  messe  tant  gorriere.,  ,,A     moy     messe    gorriere, 

r,Je  feins  Christ  en  Vaumoire  „Car  chacun  me  fait  guerre 

^En  grand"  confusion.  „Pour  ma  damnation." 


1.   .,Que  ne  faittes  vous  diligence 

,.Mes  supposts,  de  me  secourir : 

.,  Je  suis  assaillie  ä  outrance., 

„Je  ne  sgay  ä  qui  recourir\ 

„Je    crois    qiiil    me   faudra 

mourirl 

„Caphars,     caphars,     moines 

tondus 

,.,Prestres    qii'estes    vous    de- 

venus? 


2.   „Regardez  ma  peine  et  souf- 

france 

„Et  accourez  de  ious  costez, 

,,D'Espagne,     Italie     et    de 

France: 

^.^Et    ceste    Evangile  m'ostez. 

„Que    ces    FrSdicans    soyent 

jetez 

.,Par   feu.,    ou   nons   sommes 

perdus. 

„Prestres    questes    vous    de- 

venus? 


1.  „,Spiritiis,  Salve,  Requiem' . 
.,./e  ne  sgay  si  je  diray  hien. 
,.Quel  ^Introite'-,  n'  ,Oremus' 
..Je  prenne ;  ,Sancti,  Agimus!- 
.^Feray-je  des  Martyrs  ou 
Vierges? 
„  ,De  ventre  ad  te  clamamus!' 
.,  Sonnez  /«,  allumez  ces  cierges: 
y,  Y  a-t-il  du  pain  et  du  vinf 


4.  ,,Armez   vous    d'espee  et  de 

lance 

„Laissez  estolles  etplianons; 

„E'Escriture  sainte  s^avance 

^fionire    qtii  pvissance  n'a- 

vons : 

,.La    ne   peuvent    rien    nos 

canons. 

„  Sophistes,  arguments  cornus 

,.,Prestres,   qu'estes  vous  de- 

venus? 

7 .  „  Je  disoy  par  mon  arrogan  ce 

,.,Avoir  sur  Dieu  authorite, 

.^jLe  faire  venir  en  presence 

„Quand    j'avoy'    cinq    mots 

recitS; 

..,Mais  V  Evangile   on  a  cit& 

.,  Qui  monstre  mes  faits  esire 

nuls. 

,,Prestres   questes  vous  de- 

venus?  etc. 


„Apportez  ^Corpus  Domhii' 

,yQue  fay   en  celle  armoire 

enclos. 

,,Nul    ne    vient-il  a   moy"? 

-Nenni. 

,.,Attachez     moy     d\in    des 

saints  cloux 

„Que  fay  le  chef  de  sainct 

Macloux 

..Ou    des    Martyrs    quclque 

ossement, 

,.0u    Vempoule   qii'on   serre. 

et  cloux 

„A  Reims,  par   mon  soula 

gement. 


Beiträge  zur   Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs 

9 


133 


„Ou  est  le  livre  et  le  calice 
„  Pour  faire  Voffi.ce  divin? 
.,  (7a,  cest  autel,  qiion  letapisse  ! 
„Helas,  la  piteuse  police. 
,,Ame  ne  me  vient  secounr, 
^Sa7is  Clmpelain,  Moine, 
Novice, 
,^Afe  Jaudra  -  il  ainsi  perir? 


7.   „Helas    chantant,    brayant^ 

virant. 

„  Tant   que  le    crime    romp 

et  Messe 

„Fuis    que    voy    tost   Vame 

expirant^ 

„Dites    au  moins   adieu  la 

Messe. 

„A     tous    faisard    mainte 

promesse 

„Ore    ai   je   tont  mon  hien 

quitte 

„  Veu   qu'a   la   mort  tens  et 

ahaisse 

„ilta  Missa  est';  donc  ,lte, 

„.Ite  Missa  est/'' 


Den  gleichen  Tou  schlägt  auch  das  „Adieu  de  la  Messe'''-  au, 
welches  in  einem  Lyoner  Druck  von  1562 6-)  erhalten  und  in  Rec. 
XIII.  S.  355—361  veröffentlicht  worden  ist.  Die  Dichtung,  welche 
unter  dem  Eindruck  des  Erfolgs  der  protestantischen  Waffen  in  den 
Kämpfen  um  Eouen  entstanden  ist,  läßt,  in  Überschätzung  der  Bedeutung 
des  errungenen  Erfolgs,  die  Messe  sich  von  Frankreich  verabschieden 
und  sich  mit  ihrem  ganzen  Gefolge  von  Klerikern  und  Schmarotzern 
nach  Italien,  dem  Land  des  Papstes,  flüchten.  Zu  den  wehmütigen 
Abschiedsworten  an  die  Hauptstätteu  ihrer  traurigen  Wirksamkeit  in 
Frankreich  fügt  sie  ein  cynisches  Selbstbekenntnis  ihrer  Sünden  und 
Laster,  welche  sie  in  Italien,  fern  von  ihren  protestantischen  Bedrängern, 
fortsetzen  will. 

Unter  den  sonstigen  zahlreichen,  im  kalvinistischen  Lager  au- 
gestimmten Spottliedern  über  die  Messe  verdient  ein  Lied  besonders 
hervorgehoben  zu  werden,  welches  vielfach  schlechthin  als  „chanson 
de  la  messe'-'  bezeichnet  wird.  Das  Lied  ist  der  „Anatomie  de  la 
messe,"  einer  gegen  die  Messe  gerichteten  Flugschrift  entnommen, 
welche  bald  Vir  et,  bald  Beza  zugeschrieben  wird,  aber  vielleicht 
weder  dem  einen  noch  dem  andern  zugehört. ^^j  Während  die  allzu- 
weitgehenden Angriffe  der  „Anatomie''  selbst  in  den  Kreisen  der 
kalvinistischen  Gelehrten  Anstoß    erregten,    ja    schließlich    zu    einer 


62)  „L'adieu  de  la  Messe'*.     A.  Lyon.    15(j"2.  in- 8". 

63)  Vgl.  Lenient  S.  209.     Vielleicht  verbirgt  sich  der  Name  des  Ver- 
fassers in  dem  letzten  Vers  des  Einleitungsepigramms  ,.Au  Lecteur'' : 

„Ce  A'oel,  qui  t'est  ä  cetie  heui-e 
„Prcsente,  liest  pas  sans  raison 
„Car  il  faut  bien  que  tu  Vasseure 
„Que  voici  sa  droite  raison: 
yVirite  decmivre  tout." 


134 


Kurt  Glaser. 


förmlichen  Verleugnung  der  Schrift  führten,  hat  sich  die  chanson, 
dank  der  leichten  Beweglichkeit  ihres  Rythmus  und  der  derben  Komik 
ihrer  Sprache,  in  allen  Kreisen  der  kalvinistisch  Gesinnten  einer  über 
das  gewöhnliche  Maß  hinausgehenden  Verbreitung  zu  erfreuen  gehabt. 
Weit  entfernt  davon,  der  Entstehungsgeschichte  und  der  Berechtigungs- 
frage der  Messe  mit  gelehrten  Waffen  zu  Leibe  zu  gehen,  bietet  die 
chanson  eine  burleske  Verspottung  der  Messezeremonie,  deren  leicht 
bewegliche  Sprache  bald  in  aller  Mund  war.  „Le  chant  de  La  tjiesse,'-'- 
sagt  Lenient  S.  211,  ..devint  nnc  sorte  de  ronde  populaire  parmi 
(es  ri^ormes.  Les  soldats  le  repetaient  en  fourhissant  leurs  armes, 
les  enfants  en  dansant  et  en.  se  tenant  par  la  niain.  Les  tetes 
blondes  s'agltaient  f olles  et  souriantes,  et  le  le.ndemain  les  ijeres 
s'egorgeaient  en  chanlant,  Hart,  hari  Vänel^'^^) 


1.  ,^L'on  sonne  nne  cloche 
..Dia'  ou  douze  coups; 
,,Z/e  2jeup)le  s'approche, 
„Se  met  ä  genoiuv; 

Le  prestre  se  vest. 
„  ,Hari,  hari  l'asne,  le  prestre 
se  vest, 
„  ^Hari  boiiriquet!' 

2.  „Du  pain  sur  la  nappe, 
Un  calice  d'or 

.,11  met,  prend  sa  chappe^ 
yDit  :  ,Confiteor.'- 
,,Le  peuple  se  taist 
„  ,Hari,  hariVasne,  le  peuple, 
se  taist, 
„  ,Hari  bouriquet!' 

3.  ,.Si  tost  qu'il  acheve, 
„Le  peuple  escoutant 
,.Sa  parole  esleve 
„Et  respond  autant 
,,En  plus  haut  caquet. 

„  .Hari,  hari  Vasne  en  plus 
haid  caquet, 
,,  ,Hari  boiiriquet!'' 


10. 


„Du  sainct  Evangile 
,,ll  jjrend  quelque  endroit 
„Quil  couppe  et  nmtile, 
„  Comme  il  est  adroit 
„De  faire  tel  faict. 
„  ,Hari,     hari     Vasne,     de 
faire  tel  faxet ^ 
,,   ,Hari  bouriquetl' 

„Le  ,  Credo'  il  chant e. 
„En  le  pronongant 
„De  croire  il  se  vante 
„Au  Dieu  Tout- Puissant ; 
„Mais  rien  il  n'e?i  fait 
„  ,Han,    hari  Vasne,   inais 
rien  il  nen  faict, 
„  ,Ha7'i  bouriquet!  ^ 

„  Un  morceau  de  paste 
„II  fait  adorer; 
„Le  romjjt  de  sa  p)aite 
„Pour  le  devorer, 
„I^c  gourmand  qu'il  est. 
„     .Hari,     hari    Vasne,     le 
gourmand  qu'il  est, 
„   ,Hari  boiiriquet!' 


13.   „Le  peuple  regarde 
„L'yvrongne  jnjiter 
„Qui  pourtant  na  garde 
..De  luy  presenter 

6')  Vgl.  auch  Bull.  V  (185G)  S.  391-393. 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.        135 

,.A  hoire  un  seul  tratet. 
„  ,Hari,  hari  l'asne,  ä  boire 
un   seul  tratet, 
„  ,Hari  bouriquet!' 

In  den  Angriffen  der  Spötter  des  neuen  Glaubens  auf  die  Messe 
nimmt  die  Verspottung  der  Hostie  einen  breiten  Raum  ein.  Die 
Theologen  der  Reformation  bemühten  sich,  die  göttliche  Natur,  welche 
die  Messehandlung  der  Hostie  nach  den  Lehren  der  katholischen 
Kirche  beilegt,  zu  leugnen  und  zu  widerlegen  und  die  Hostie  als 
eine  wertlose  Stoffmasse  darzustellen,  der  nur  die  Unwissenheit  des 
Priesters  und  der  Aberglaube  der  Menge  Ehrfurcht  entgegenbringen 
könne.  Die  großen  und  kleinen  Schriften,  in  welchen  diese  Ansichten 
bald  mit  religiösem  Ernst  und  theologischer  Gelehrsamkeit,  bald  in 
cynischen  Worten  vorgetragen  wurden,  häufen  sich  um  die  Mitte  des 
16.  Jahrb.  in  stattlicher  Zahl  an.  Es  konnte  nicht  ausbleiben,  daß 
sich  auch  die  Dichtung  des  fruchtbaren  und  willkommenen  Gegen- 
standes bemächtigte,  um  den  im  Lager  der  Bekenuer  der  neuen  Lehre 
lebenden  Spott  über  die  Messe  im  Lied  in  weitere  Kreise  zu  tragen. 
An  neuen  Einfällen  und  abwechslungsreichen  dichterischen  Motiven 
haben  auch  die  hier  zu  nennenden  poetischen  Erzeugnisse  nicht  gerade 
Hervorragendes  geleistet;  sie  spotten  mit  Eifer  und  Behaglichkeit  über 
die  vergötterte  Teigmasse  der  Hostie,  welche  Papst  und  Priester  an- 
beten lassen,  über  Messekelch  und  Messeschale,  die,  ihrer  weltlichen 
Natur  entkleidet,  in  ehrfurchtsvoller  Verehrung  angestaunt  werden. 
Ein  Dizain,  welches  Bull.  X  (1861)  S.  40  aus  einem  selten  gewordenen 
Druck  von  3  561^5)  mitgeteilt  wird,  spottet  über  den  Priester  als 
r.ßn  boulanger,'-''  der  mit  seinem  ,.petit  pain  leger'-'-  die  armen 
Gläubigen  täuscht  und  sie  um  ihr  teures  Geld  bringt,  ohne  ihnen 
mehr  als  den  bloßen  Anblick  der  Hostie  zu  gewähren.  Eine  ähnliche 
Sprache  des  Spottes  reden  drei  „Epigrammes^'-  auf  die  Hostie,  von  denen 
das  erste,  ein  Huitain,  nahe  an  das  zuletzt  genannte  Dizain  anklingt^^). 

1.  ^Messire  Jean  est  un  fin  boulanger 
„Qui  en  son  art  est  sage  et  bien  apris; 
y.11  vent  bien  eher  son  petit  pain  leger, 

.,  Combien  quil  ait  la  farine  ä  bon  pris  .  .  . 

2.  „  Un  jour  aux  champs  messire  Jean  portoit 
.,A  un  malade  un  dieu  fait  ä  la  haste; 
„Mais  un  quidam  qui  de  pres  Vacostoit, 
„LHmportuna  poiir  voir  cc  dieu  de  paste. 


^')  „Le  Glaive  du  ijeant  Golialh,  einLf-my  de  V Eylise  de  Dieu...  pur  lequel  il 
sera  aise  u  tous  fideks  de  connoistre  que  le  pape  a  la  gon/e  coup^e  de  äo?j  propre 
glaive,  fait  et  illustre  d'annotationa  par  Charles  Leopard,  ministre  de  la  Parole 
de  Dieu  en  l'isle  d'Arvert  (s.  1.  1501). 

^■6)  Rec.  VIII,  S.  137—188. 


136  Kurt  Glaser. 

„En  le  monstrant  le  vent  V empörte  ei  gaste, 
„Et  prestre  apres;    il  ne  le  peut  avoir; 
„Luy  hien  fasclie  comnience  ä  se  douloir, 
y,Mais,  rencontrant  ä  ses  pieds  toi  naveau, 
,,Il  vous  Vempoigne  et  fait  de  son  cousteau 
„Poiir  son  malade  un  dieu  luisant  et  brave. 
„Le  patient,  croquant  ce  dieu  nouveau: 
„  ,Mon  Dieu,  dit-il,  que  tu  me  sens  la  rave!' 

3.   „  Un  hoidanger,  un  pehitre,  un  prestre 
y,Se  disoyent  princes  da  estats, 
„Pretendans  que  nul  ne  peut  estre 
„Sur  eux.^  ny  au  ciel,  ny  ga  has. 
.^Raison'?    L.es  dieux  forgent-ils  jxis? 
„Mais  des  trois  qui  sera  le  j^'i'ince? 
„Le  houlanger  en  moins  que  rien 
„Remplira  toute  nne  province 
„De  ses  dieux;    le  peinire  peut  hien 
„Faire  des  dieux  de  longue  vie; 
„S'il  faut  que  mon  avis  fen  die, 
„Le  prestre  est  plus  que  tous  les  deux, 
„Car  sans  luy  ne  valent  leurs  dieux, 
,,Et  les  siens  d'un  souffle  il  peult  faire; 
„Mais  quels  dieux f    Sourds,  muets,  sans  yeux, 
.,Et  qiC  un  coup  de  dent  peut  desfaire. "" 


Die  „Chanson  de  Jean  le  blanc  et  Jean  le  noir^'^y  geht 
noch  weiter,  indem  sie,  mit  dem  Eifer,  AYelchen  der  religiöse  Haß 
eiDfiößt,  die  Hostie  für  die  im  Lande  herrschenden  Unruhen  ver- 
antwortlich macht 68).  Der  Sucht  der  Zeit  entsprechend,  Personen 
und  Dinge  mit  einem  verhüllenden,  aber  gleichwohl  nicht  leicht 
mißzuverstehenden  Namen  zu  bezeichnen,  legt  der  Verfasser  dem 
Priester  den  wegen  seiner  schwarzen  Tracht  leicht  verständlichen 
Namen  Jean  le  noir,  der  Hostie  den  aus  der  weißen  Farbe  des 
Brotes  hergeleiteten  Namen  Jean  le  blanc  bei^'');  sein  Spott  trifft  die 
Hostie,  welche,  ursprünglich  nichts  anderes  als  einfaches  Brot,  durch 
die  Spitzfindigkeit  des  Priesters  (Jean  le  noir)  zu  göttlicher  Macht- 
fülle gelangt   ist,  bis   ihr  wahres  Wesen  zum  Entsetzen  beider  von 


6')  Rec.  VIII,  S.  122,  123;   Bordier  S.  158. 

**)      1.    „Si    quelqu'nn    desire   savoir  2.  „Qui  fait  que  taut  le  monde  ainsi 

„Uoccasion  de  taut  de  maulx  „Est  mesle  de  Jeu  et  de  sang, 

„Et  qui  fait  chascnn  esmouvoir  „Ccst  Jean  le  noir  qui  fait  cecij 

„En  guevre,    combals  et  assavx]  „Pour     saurer     son  ßls    Jean    le 

[blanc  etc. 

«'')  Zur  Deutung  der  Bezeichnungen  vgl.  Dardier,  Bull.  XVII  (1868) 
S.  343-34.'). 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.         137 

Jean  l'aucieü  dem  an  den  alten  biblischen  Anscbauungen  bangenden 
Christen  (oder  Christus  selbst)  entlarvt  wird.  Mit  dieser  chauson 
berührt  sich  am  nächsten  eine  andere,  welche  von  Montaiglon  auf- 
gefunden und  mit  den  zugehörigen  Noten  in  Bull,  XI  (1862) 
S.  332 — 334  veröffentlicht  worden  ist^oj_  i,i  spöttischem  Tone  wird 
Jean  le  blanc,  ' ,,dieu  de  faritie'-',  dem  Papst  und  der  ganzen  Schar 
seiner  Anhänger    das   Ende   ihrer   Herrlichkeit   in  Aussicht   gestellt: 

,.,IIau!  dorn  Jean  le  Blanc,  „Hau!  pater  sancte, 

^,Toy,  Dieu  de  farine,  „Avec  ta  pantoufße, 

„  Ton  pouvoir  sanglant  „  Ton  siege  rente 

,,'S'en  va  en  r^iine  „Ä'en  va  comrne  ung  soufße 

„  Tout  tire  au  rnanoir  „  Tont  tire  au  manoir 

\.De  dorn  Jean  le  Noir.  „De  dorn  Jean  le  Noir  etc. 

Der  „Blason  du  gobetlet-"  ^i)  und  der  ^Blason  du  platellet^'-'^-), 
beide  aus  dem  Jahr  1562,  übertragen  den  Spott  über  die  Messe 
auf  Messekelch  (gabelet)  und  Messeschale  (platelet),  deren  Verwendung 
l)ei  der  Messehandlung  den  Text  zu  spöttischen  Bemerkungen  über 
die  Messeceremonie  abgibt.  Ohne  Rückhalt  dringt  der  bittere  Spott 
über  die  abergläubische  Verehrung  durch,  welche  den  Messegeräten 
entgegengebracht  wird,  und  mit  herber  Ironie  wird  die  Aufforderung 
gerichtet,  die  aus  weltlichem  Stoff  verfertigten  Geräte  auch  ihrer 
weltlichen  Bestimmung  wieder  zurückzugeben. 

In  größerer  Breite  erörtern  dasselbe  Thema  endlich  noch  zwei 
andere  von  Montaiglon  in  Rec.  VIII  veröffentlichte  Dichtungen  „La 
legende  vMtable  de  Jean  le  blanc'"''  (8.  105  ff.)  und  „Le  Passe- 
temps  de  Jean  le  blanc'-'  (S.  126  ff.),  welche  von  dem  Herausgeber 
einem  Druck  des  Jahres  1575  entnommen  worden  sind,  indessen 
wahrscheinlich,  wie  die  im  Vorausgehenden  besprochenen  Dichtungen 
derselben  Richtung,  schon  einer  früheren  Zeit  angehören ''3).  Die 
„Legende  veritable  de  Jean  le  blanc^''  ist  eine  in  die  Form  eines 
dem  Jean  le  blanc  selbst  in  den  Mund  gelegten  Monologs  eingekleidete 
Verspottung  der  Hostie.  Jean  le  blanc  klagt  über  den  Spott  und 
die  Verachtung,  welche  er  überall  findet  und  gibt  seine  ganze  Lebens- 
geschichte des  Langen  und  Breiten  zum  Besten.  Mit  langatmiger 
Ausführlichkeit  geht  Jean  le  blanc  auf  die  mancherlei  Schicksale  ein, 
denen  er  als  schlichtes  Korn  und  dann  als  profane  Teigmasse  unter 
den  Händen  der  Menschen  ausgesetzt  ist,  um  die  ihm  mit  seinem 
Übergang  in  die  Hände  des  Priesters,  Jean  le  noir,  als  Hostie  plötzlich 
zuteihverdende  Erhöhung  und  Verehrung  zu  schildern.  In  einer  Reihe 
derb-koraischer,  burlesker,  im  Tone  glücklich  getroffener  Bilder  zieht 
die  Messehandlung  an   uns  vorüber:   die  Toilette  des  Priesters,  sein 


"0)  Ferner  Rec.  VIII,  S.  12-t,  12:>,  und  Bordier  S.  1(;0,  lt;i. 

")  Rec.  XIII,  S.  34.-)  ff. 

^2)  Jiec.  XIII,  S.  351  ff. 

")  Vgl.  Bull.  XI  (\m-2)  S.  33-2. 


138  Kurt  Glaser. 

wichtiges  Gebahren  während  der  gottcsdienstliclien  Handlung,  die 
abergläubische  Verehrung  der  andächtig  lauschenden  Gemeinde  und 
endlich  der  Augenblick,  wo  der  Priester  die  Hostie  im  Angesicht 
der  mit  lüsternen  Blicken  zu  ihm  emporschauendeu  Menge  verzehrt 
und  so  ihrem  wechselreichen  Leben  ein  Ende  bereitet.  Die  Moral 
des  über  etwa  500  Siebensilbler  ausgesponnenen  Berichts  seiner  Lebens- 
schicksale und  seines  kläglichen  Endes  im  Bauche  des  Priesters  faßt 
Jean  le  blanc  in  die  Frage  nach  der  Berechtigung  seines  Anspruchs 
auf  göttliche  Natur  und  göttliche  Verehrung  und  Anbetung  zusammen, 
um  sich  mit  cynischster  Offenheit  als  wertlosen  Preis  des  die  Erde 
erfüllenden  Bürgerkriegs  zu  bezeichnen  und  sich  in  einer  für  ihn  und 
die  katholische  Kirche  wenig  schmeichelhaften  Vergleichung  mit  den 
schlimmsten  heidnischen  Gottheiten  zusammenzustellen  und  mit  einer 
Fülle   derber  Verwünschungen   über   Papst   und  Kirche   zu   schließen. 

Der  ^.Pdsse-temjys  de  Jean  le  blanc",  gleichfalls  in  der  Form 
eines  der  Hostie  in  den  Mund  gelegten  Monologs  abgefaßt,  knüpft  an 
die  „Legende  veritable'*  an,  um  deren  Bericht  über  Herkunft  und 
Schicksal  der  Hostie  zu  vervollständigen  durch  eine  in  ähnlichem 
spöttelndem  Tone  gehaltene  Schilderung  ihrer  erhabenen  Gewalt  und 
furchtbaren  Macht,  welche  iu  schroffen  Widerspruch  mit  dem  kläglichen 
irdischen  Schicksal  gestellt  wird,  dem  die  göttliche  Hostie  als  wert- 
lose Teigraasse  unterworfen  ist.  In  witzelnden  und  derben  Versen 
entrollt  die  Hostie  ein  Bild  der  prunkvollen  Ehrungen,  die  sie  durch 
ihre  dummgläubigen  Anbeter  erfährt,  obwohl  sie  nichts  als  ein 
gewöhnlicher  Stoffklumpen  ist  und  selbst  an  ihrer  göttlichen  Natur 
zweifeln  muß.  Wie  in  der  „Legende  veritahle^''  klingt  in  dem 
,,Passe-temps"  der  Hohn  über  die  Dummheit  der  Priester  und  den 
Irrglauben  der  Menge  an  die  Macht  der  vergötterten  Hostie  aus 
allen  Zeilen"^). 

Der  Spott  über  die  Messe  als  ^dieu  de  päte'-,  welchen  die 
Sänger  der  Ptcformation  im  16.  Jahrb.  anschlagen,  klingt  noch  in 
späterer  Zeit  wieder.  Ein  Spottlied  über  denselben  Gegenstand  ist 
uns  aus  dem  Jahre  1G8S  überliefert  (s.  Bidl.  IX  (1860)  S.  234); 
noch  späterer  Zeit  gehören  drei  protestantische  Lieder  an,  welche 
Ch.  Frossard  aus  der  handschriftlichen  Aufzeichnung  eines  pro- 
testantischen Bauern  zu  lUies  (Nord)  vom  Jahre  1744  unter  dem 
Titel  „Trois  chansons  protestantes  du  siede  passe''  1854  veröffentlicht 


"*)  In  denselben  Witzeleien  bewegt  sich  ein  dem  „Passe-Temps  de  Jean 
le  blanc"  im  Druck  angefügtes  versifiziertes  Kätsel  über  die  Hostie;  Reo.  VIII, 
S.  135-137: 

..Homms  ne  suis,  Jierhe.  plante^  mj  beste, 

„J'ai/  le  Corps  rowl  et  si  nay  hras  ny  teste; 

„Je  suis  Sans  äme,  tt  cependant  on  croit 

„Que  ce  qui  vit  de  moy  rie  recoit. 

.,  De  terre  suis.  Je  rede  viendraii  lerre ; 

,j  Vers  et  souris  me  fönt  cruelle  <jiierre\  etC. 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.        139 

hat,  ja  selbst  noch  im  Munde  des  sangeslustigen  Volks  lebt  das  Lied 
gegen  die  Messe  fort,  welches  selbst  die  Katlioliken  mitsingen '^j. 

Mit  großer  Geschicklichkeit  haben  die  Spötter  der  Kirche  und 
ihrer  Lehren  ihrer  Satire  durch  die  Anlehnung  an  bestimmte  politische 
Ereignisse,  welche  zum  Spott  des  Gegners  oder  zur  Verherrlichung 
der  eignen  Sache  herausforderten,  Naclidruck  verliehen. 

Das  „Adieu  de  la  Messe''  enthält  schon  etwas  von  diesem 
Zug,  wenn  es  mit  einer  den  Spottliedern  über  die  Messe  sonst  nicht 
gewöhnlichen  Bezugnahme  auf  ein  bestimmtes  Zeitereignis  die  Ver- 
zweiflung der  in  etwas  allzu  eiliger  Flucht  aus  Frankreich  abziehenden 
Messe  mit  dem  Mißgeschick  der  Katholiken  gegen  die  Kalvinisten 
in  den  Kämpfen  um  Ronen  in  Verbindung  bringt.  Einen  reichlicheren 
Stoff  als  die  nur  zu  bald  unglücklich  verlaufene  Rouener  Affäre  gab 
die  Einnahme  von  Ljon  durch  die  Protestanten  im  Jahre  1562 '^6), 
welche  im  kalvinistischen  Lager  um  so  mehr  zu  hohen  Hoffnungen 
berechtigen  konnte,  als  Lyon  eine  derjenigen  Städte  war,  in  welchen 
die  neue  Lehre  am  frühesten  und  nachhaltigsten  eingedrungen  war. 
(s.  France  prot.^  L  S.  699).  Namentlich  bot  die  klägliche  Flucht, 
iu  welcher  die  in  der  Stadt  zahlreich  vertretenen  Mönchsorden  vor 
den  eindringenden  Protestanten  die  Stadt  verließen,  den  kalvinistischen 
Spöttern  einen  willkommenen  Stoff,  um  ihren  Hohn  über  das  ihnen 
verhaßte  Mönchtum  zu  ergießen. 

Ein  uns  unbekannt  gebliebener  Dichter,  welcher  sich  hinter  den 
Initialen  E.  P.  C.  verbirgt^"),  hat  die  Überrumpelung  von  Lyon  zum 
Gegenstand  mehrerer  satirischer  Dichtungen  gemacht.  „Le  piteux 
Remuement  des  Moines,  Prestres  et  Nonains  de  Lion,  par  lequel 
est  descouverte  leur  honte  et  la  juste  punition  de  Dieu  sur  la 
vermine  papate  ..."  {Eec.  XHI.  S.  305  ff.)  betitelt  sich  eins  jener 
Spottgedichte,  dessen  luhalt  der  Verfasser  selbst  in  seiner  Vorrede 
„Aux  Lecteiirs  fideles"  andeutet  in  den  Worten:  „;e  vous  propose 
par  ce  petit  traicte,  pour  tesmoignage  d'une  si  admirahle  delivrance 


"5)  Eine  Probe  aus  Poitou  in  Bull.  IX  (18G0)  S.  339. 

^6)  Zeitgenössische  Berichte  in  Bull.  XXVIII  (1879)  S.  396  ff:  493  ff'.; 
XXIX  (1880)  S.  18  ff.,  65  ff.,  205  ff".,  251  ff,  Mems  de  Conde  III,  S.  339—344 
(wieder  abgedruckt  von  (Jimber  und  Danjou,  Arckh-es  curieuses  de  Vhistoire  de 
France  lere  serie  iV,  S.  175—183).  In  katholischem  Sinne  berichtet  über 
die  Überrumpelung  Claude  de  Rubys,  lUstoire  verituMe  de  la  ville  de  Lyon. 
1604  (in-fol.)  S.  398.    S.  auch  Monfalcon,  Hlstoire  de  Lyon  (Lyon  1847)  S.  669. 

"^)  Der  Verfasser  selbst  hat  an  den  Leser  die  Bitte  gerichtet,  seiner 
Person  nicht  weiter  nachzuforschen  (Vorrede  „Au  Lecteur",  Fee.  VII,  S.  24, 
25).  Vielleicht  war  er  ein  ministre  (vgl.  Bcc.  XIII,  S.  306).  Der  biblische 
Ton  seiner  Dichtungen,  die  an  mehreren  Stellen  durchblickende  gelehrte 
Bildung  und  seine  Vertrautheit  mit  Clement  Marot,  dessen  Namen  er, 
offenbar  in  Anspielung  auf  eine  Stelle  bei  Marot  selbst  (/■:pitre  XIII,  cd. 
D'Hericault,  Paris  1867,  S.  77)  mutwillig  entstellt  {Bec.  VII,  S.  36),  lassen 
in  der  Tat  auf  einen  solchen  schliefsen.  Die  genaue  Bekanntschaft  des 
Verfassers  mit  den  Vorgängen  und  Örtlichkeiten  von  Lyon  lassen  ihn  in 
dieser  Stadt  suchen. 


140  Kurl   Glaser. 

defsj  siens  et  si  honteux  partement  de  la  prestaüle  et  vermine 
papale,  laquelle  j'ay  bien  ose  saluer  par  versetz,  pour  eterniser 
la  desolation  et  pitoiahle  remuement  de  ces  ventres  paresseux  et 
reciter,  comme  en  passant,  la  facilite  d'un  tel  ouvraige,  le  quel 
toutes  les  plwnes  die  monde  ne  peuvent  suffisamment  exalter."' 
In  kurzen  Versen  schildert  der  Verfasser  den  Abzug  der  durch  den 
unerwarteten  Überfall  völlig  fassungslos  gewordenen  und  jäh  aus  ihrem 
müßigen  Schlemmerleben  aufgeschreckten  Mönchsorden  {Departement 
des  Parroisses"  S.  310ff.),  Avelche  er,  den  einen  hinter  dem  anderen, 
in  kopfloser  Hast  vor  den  Augen  seiner  Leser  das  Weite  suchen 
läßt.  Dem  kleinmütigen  Verzagen  der  verhaßten  Mönche  stellt  der 
dem  „Piteiix  RemuemenP'  angeschlossene  „Cantigue  au  Seigneur 
pour  la  victoire  oUenue  de  sa  main''  (S.  325—327)  das  Vertrauen 
der  Bekenner  des  neuen  Glaubens  auf  Gott  und  das  Lob  seiner  All- 
macht, wie  sie  sich  in  der  raschen  Vertreibung  der  Mönchsplage 
offenbart,  gegenüber. 

Eine  Reihe  anderer  Gedichte  desselben  Verfassers,  welche  unter 
dem  Titel  .^Discours  de  la  vermine  et  prestraille  de  Lyon'"'  ver- 
einigt sind  {Reo.  VH.  S.  24  ff.),  gibt  in  ähnlicher  Weise  dem  Spott 
der  Kalvinisten  über  die  Schlappe  der  Katholiken,  ihrem  Jubel  über 
den  Triumph  der  kalvinistischen  Sache  und  ihrer  Dankbarkeit  für  Gottes 
Beistand  Ausdruck.  Während  der  Verfasser  in  seinem  „Piteux 
Remuement'^  die  einzelnen  Mönchsorden  in  langem  Zuge,  einen  hinter 
dem  anderen,  jeden  einzelnen  mit  seinem  Spotte  begleitend,  gleichsam 
an  dem  Leser  vorbeiziehen  läßt,  läßt  er  sich  in  seinem  ,, Discours'''- 
in  eine  Art  von  Dialog  mit  der  ihm  verhaßten  ..Vermine"  ein;  er 
läßt  sie  seinen  harten  Anschuldigungen  gegenüber  zu  ihrer  Recht- 
fertigung das  Wort  ergreifen  und  die  Hülfe  des  Papstes  und  der 
Hölle  anrufen  {„Responce  imr  la  Vermine"-  S.  27)  und  läßt  sie, 
nachdem  er  ihr  in  Jiräftiger  Entgegnung  erwidert  hat  {L'Autheur 
rSplique  S.  27,  28),  in  verzagtem  Kleinmut  über  ihre  schwindende 
Herrlichkeit  und  die  überhandnehmende  Macht  der  Hugenotten  klagen 
und  jammern  {,,Diploration  et  regreis  de  la  Vermine''  S.  28,  29). 
In  schroffer  Gegenrede  („Sommation  portant  commatidement  aux 
moynes  de  vuyder  incontinent''  S.  29,  30)  wirft  der  Verfasser  wieder 
die  Aufforderung  an  die  Mönche  zu  schleunigem  Abzug  dazwischen, 
welcher  die  Mönche  in  wehmütigen  Abs 'hiedsworten  au  die  Unzahl 
der  von  ihnen  jäh  im  Stich  zu  lassenden  Ausschweifungen  und 
Vergnügungen  nachkommen  {..L' Adieu  et  retraite  des  moynes.'" 
S.  30^  31),  um  sich  unentwegt  zu  einem  neuen  Leben  voll  Schand- 
taten und  Lastern  zu  entschließen  {„Providence  monachale  pour 
chercher  moyen  de  vivre  apres  son  departement'-'-  S.  31  —  33). 
Dem  Abzug  der  Mönche  aus  Lyon  sucht  der  Verfasser,  in  allzu  vor- 
eiliger Überschätzung  der  Wichtigkeit  des  mit  der  Einnahme  von 
Lyon  errungenen  Erfolgs  der  protestantischen  Sache,  die  weitere  Be- 
deutung   einer  Niederlage    der  ganzen  römischen  Kirche  beizulegen, 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.        141 

wenn  er  in  der  ,^Complainte  de  la  Louve  romaine^  condamnee  du 
Seigneur"  (S.  33  —  35)  die  römische  Kirche  über  den  Verfall  ihrer 
Herrlichkeit  und  das  Anwachsen  der  hugenottischen  Macht  klagen 
und  jammern  und  sie  in  ihrer  Angst  zu  dem  Heidengott  Jupiter  mit 
der  Bitte  um  Hülfe  gegen  die  Hugenotten  ihre  Zuflucht  nehmen  und 
im  Angesicht  der  ihr  bevorstehenden  ewigen  Verdamnis  verzweifeln 
läßt.  Den  Tod  des  Papstes  bejubelt  der  Dichter  als  Erlösung  der 
Christenheit  {^Epitaphe  du  pape  morf-'  S,  35,  36)  und  sieht  bereits, 
mit  freilich  allzu  kühner  Vorahnung,  den  Segen  des  Siegs  der 
protestantischen  Waffen  in  der  ruhigen  Arbeit  des  Landmanns  und 
Bürgers,  in  dem  von  den  Dichtern  ersehnten  goldenen  Zeitalter  des 
Friedens  erblühen  („Recit  de  Voeuvre  du  Seigneur  en  la  ville  de 
Lyon  par  action  de  gräce''  S.  36 — 39);  sein  Dank  gilt  Gott,  dessen 
Hand  er  in  der  den  Protestanten  bei  der  Einnahme  vou  Lyon 
gelungenen  unblutigen  Vertreibung  der  ,,prestres  salles  et  ords'"  er- 
blickt. Fromme  Betrachtungen  über  Gottes  Beistand  und  die  Ver- 
werflichkeit der  katholischen  Sache  füllen  die  beiden  Schlußdichtungen ^8) 
aus.  In  einem  dem  „Discours''''  angefügten  „Epigramme  du  Lieu 
des  papisfes''  (S.  42 — 45)  ergießt  der  Verfasser  schließlich  noch 
seinen  Hohn  über  die  Hostie,  den  „Lieu  des  prelatz  et  du  pape'-'' 
und  ergeht  sich  im  Spott  über  die  Entstehung  der  Hostie,  welche 
aus  einer  ordinären  Teigmasse  zu  einem  heiligen  Gegenstand  höchster 
Verehrung  geworden  ist,  aber  trotzdem  sich  keiner  der  Ehrungen, 
die  ihm  widerfahren,  bewußt  wird  und  nicht  einmal  der  Gefahr  über- 
hoben ist,  von  einer  gefräßigen  Ratte  verspeist  zu  werden.  Das 
Epigramm  steckt  voll  von  witzelndem  und  boshaftem  Spott  über  den 
"Widerspruch,  welcher  zwischen  der  weltlichen  Natur  und  der  heiligen 
Bestimmung  der  Hostie  besteht,  und  geht  der  katholischen  Geisthchkeit, 
welche  die  Verehrung  der  Messe  mit  den  höchsten  Strafen  aufrecht  erhalten 
und  erzwingen  will,  und  der  ganzen  katholischen  Messelehre  zu  Leibe. 
Auf  die  Einnahme  von  Lyon  durch  die  Protestanten  bezieht 
sich  ferner  die  „Fatcde  Mutation  Lyonnoise""'^'^),  ein  mit  dem 
biblischen  Motto  ,,ll  ha  desconfit  les  orgueilleux  en  la  pensee  de 
leur  cueur.  11  ha  mis  ius  les  puissans  de  leurs  sieges  et  ha  esleve 
les  petits''  eingeleiteter  triumphierender  Rückblick  auf  die  VS^andlung, 
welche  mit  der  Besetzung  von  Lyon  durch  die  Protestanten  vorgegangen 
ist,  voll  harter  Ausfälle  gegen  die  mit  einem  blutdürstigen  Wolfe 
verglichene  Stadt  und  gegen  die  von  ihr  für  Papst  und  Kirche  an 
den  Bekennern  der  neuen  Lehre  geübten  grausamen  Frevel;  mit 
einem   mächtigen   Schwall   von   Worten   gibt   der   Dichter,   in   seinem 


^8)  „Continualioii,  ea  forme  disputatice,  de  la  delivrance  des Jidi les  an  Seigneur'' 
(3  39 — 40)  und  „Des  ^jasfeM/'s  mercenaires  estrangers  chassez  Iwrs  la  vüjne  du 
Seignettr''   (S.  40—42). 

''^)  „La  Fatale  Mutation  Lyonnoise.  [S.  Luc.  Chap.  I.  U  ha  desconjU  les 
orgueilleux  en  la  pensee  de  leur  cueur.  II  ha  mis  ins  les  jiuissans  de  leurs  sieges 
et  ha  eskvr.   les  petits.]     A  Lyon   M.  D.  LXII.    Abdruck  bei  Schmidt  S.  19-24, 


142  Kurt  Glaser. 

Sicgestaumel  die  Bedeutung  der  Einnahme  von  Lyon  weit  überschätzend, 
seiner  Freude  über  die  Beseitigung  der  Laster  und  Greuel,  für  welche 
er  Lyon  verantwortlich  macht,  Ausdruck  und  ruft  Menschen  und 
Tiere  zu  Zeugen  der  mit  Lyon  seit  dem  Einzug  der  Protestanten 
vorgegangenen  Veränderung .  zum  Guten  und  zum  Lob  für  Gottes 
Beistand  dabei  auf.  Derselbe  Klang  heller  Freude  hallt  in  einem 
vermutlich  demselben  Verfasser  angehörigen  „Cantique''^^)  wieder, 
welcher  mit  einem  an  die  Lobpsalmen  gemahnenden  mächtigen  Schwung 
zum  Preise  Gottes  für  die  an  der  Sache  der  wahren  Religion  durch 
die  Eroberung  von  Lyon  erwiesene  Gnade  aufruft,  über  die  Ausrottung 
der  Laster  und  Priesterherrschaft  in  Lyon  jubelt  und  bereits  ein 
goldenes  Zeitalter  auf  Erden  kommen  sieht. 

Unter  den  Satiren  gegen  Papst  und  Geistlichkeit  zeiclinen  sich 
zwei  inhaltlich  nahestehende  Dichtungen  durch  eine  Reihe  satirischer 
Züge  und  eigener  Einfälle  vor  so  vielen  anderen  aus,  die  „Desolation 
des  freres  de  la  robe  grise,  pour  la  perle  de  la  marmite,  quest 
renversSe'^  ^^)  (1562)  und  die  ^Polyinachie  des  Marmitons,  ou  la 
gendarmeiie  du  Pape''  (1563)^2)^  beide  aus  den  kalvinistischen 
Pressen  zu  Lyon  hervorgegangen,  welche  nach  der  Eroberung  der 
Stadt  durch  die  Kalvinisten  eine  besonders  emsige  Tätigkeit  entfalteten. 
Text  und  Motiv  für  beide  Dichtungen  gab  die  Stelle  Hesekiel  24  ab, 
deren  11.  Vers  die  kalvinistischen  Spötter  boshaft  genug  umdeuteten, 
indem  sie  die  marmitte  auf  die  Herrlichkeit  des  Papstes  bezogen,  eine 
Auffassung,  die  ihnen  in  einer  katholischen  Prosaflugschrift  „La 
marmitte  renversee''  ^3)  sofort  abgestritten  wurde. 


80)  Schmidt  S.  24.  25. 

81)  In:    liec.  VH.  S.  UO  ff. 

82)  In:    Rec.  yU.  S.  51  ff. 

83)  vollständiger  Titel:  „La  marmitte  renoersee  et  fonchce  de  laquelle  nostre 
JJieu  parle  par  les  sainctes  £scritures,  oü  est  prouvc  que  la  secte.  calvinique  est  la 
rraye  marmitte',"  dazu  daS  Motto:  „Afets  la  marmitte  ronde  sur  les  charbom, 
afin  quechauffie  eile  se  brttsle  et  sefonde."  Ezechiel  24,  11.  Eine  protest.  Gegt^n- 
schrift  ist  die  des  Lyoner  Jean  du  Choul;  „Vextreme  onction  de  la  marmite 
papale^  petit  traite  auquel  est  amplement  discouru  des  moyens  par  lesqueh  la  marmite 
papale  a  este  j'usques  icy  entretenue  a  proffit  de  mesnage."  Lyon  1561.  (pet.  in  8") 
ohne  Namen  des  Verfassers.  Zweite  Auflage:  „por  Jo.  du  Ch.''  Lyon  156;-) 
(in -8°);  vgl.  France  prot.  V^  S.  (j43.  644.  —  Anspielungen:  TJyende  reritable 
de  Jean  le  Blanc: 

„Brati  pour  toy^  sah  marmite, 
„Pour  toy,  Sorbonne  hypocrite, 
,jPovr  couSj   cagotz  et  prestraille.^ 

(Rec.  VIII.  S.  121). 
Canon  von  Jean  le  blanc  und  Jean  le  noir,  Vcrs  4 : 

„Hau  !  frere  Marmot, 
„  Ta  marmite  verse, 
„La  perte  vons  met 
..  En  fjrande  destrease. 
^  Tout  tire  au  manoir 
,,Z)e  dorn  Jean  le  Noir" 


Beiträge  zur  Geschichte  der  polit.  Literatur  Frankreichs.         143 

Während  die  „Desolation  des  freres  de  la  rohe  grise'"  die 
liatholische  Geistlichkeit  in  einem  in  die  Form  einer  chanson  ein- 
gekleideten Selbstgespräch  über  die  schwindende  Herrlichkeit  ihrer 
Kirche  klagen  und  jammern  läßt,  zeigt  die  „Polymachie"  etwas  von 
dramatischer  Anlage,  so  daß  man  in  ihr,  sofern  die  Wahl  der  Form 
nicht  bloß  ein  nebensächliches  Beiwerk  ist,  ein  Beispiel  der  halb- 
dramatischen Gattung  der  triomphes  oder  montres  dramatiques  er- 
blicken darf. 

Der  Dichter  erteilt  zuerst  dem  in  der  kalvinistischen  Spott- 
dichtung  als  Gehülfen  oder  Schutzpatron  der  katholischen  Kirche  mit 
Vorliebe  verwendeten  Lichtgott  Lucifer  das  Wort  zu  einem  im  Stile 
des  Eingangsprologs  gehaltenen  „Proclamation  pour  lever  gens  de 
guerre,'"''  in  welcher  die  gesamte  streitbare  Miliz  des  Papstes  zusammen- 
gerufen wird,  um  dem  von  seinen  Feinden  hart  bedrängten  Papsttum 
beizustehen  und  die  von  ihnen  umgestürzten  „mai'miie''  wieder  auf- 
zurichten. Der  Aufmarsch  der  in  langer  Reihe  vor  dem  Leser  vor- 
überziehenden hohen  und  niedrigen  Vertreter  des  Katholizismus,  deren 
Stellung  in  der  vom  Teufel  kommandierten  Armee  durch  ein  dem 
Namen  jedes  einzelnen  hinzugefügtes  Attribut  angedeutet  wird,  eröffuet 
der  Papst  als  Jieutenant  gendral  pour  le  diahle,"  um  die  Klage 
über  seine  umgestürzte  marmite  anzustimmen  und  in  ängstlichem 
Kleinmut  den  Heerbann  seiner  Getreuen  zu  ihrer  Wiederaufrichtung 
zusammenzurufen.  Die  Kardinäle  (Jegio7inaires''),  Erzbischöfe 
(„colonnels"),  Bischöfe  f^capiiaines'' )  und  alle  Würdenträger  und 
Diener  bis  herab  zu  den  als  „fiffres,  clairons  et  trompettes'"''  in  das 
Aufgebot  der  katholischen  Glaubenskämpen  eingegliederten  Organisten 
folgen  seiner  Aufforderung  mit  Worten  der  Ermutigung  und  mit 
prahlerischen  und  siegesgewissen  Hinweisen  auf  ihren  Kampfesmut 
und  alle  die  großen  und  kleinen  Machtmittel  der  katholischen  Kirche. 
Mit  Geschick  und  Behaglichkeit  entwirft  der  Dichter  von  den  ver- 
schiedenartigen Typen    der   sich    um  den  Papst  scharenden  Miliz  ein 


(Bull.  XI.  S.  333,  Rec.  VIII.  S.  125,  Bordier  S.  161).  vgl.  dazu  die  Worte  der 

Hostie  in  der  Legende  veritable: 

„Je  me  retire  uu  manoir 
„De  moii  pl're  Jean  le  7ioi)'... 

Contre  les  abtis  des  caphars: 

^Pour  voz  grans  abus  sousienir 
„  Vostre  cuisine  plus  ne  fume 
„Pour  la  marmite  entvetenir'* 

etc.  (Rec.  VIII.  S.  273,  274). 

„Adieu  marmite j  adieu  la  soupe, 
„Adieu  bon  temps^  adieu  repoa, 
„Adieu  les  verres^  et  les  poU, 
„Adieu  ptitains,  adieu  commeres, 
„  Vous  ne  verrez  plus  les  beaux  peres." 

•{„Comedie  da   Pape  malade  et  tirant  li  la  ßn''  ...    M.  D.  LXI.  Vgl.   Holl  S.  145). 


144  Kurt  Glaser. 

treölicbes  Bild,  welchem  er  durch  die  Beimischung  satirischer  Züge 
noch  eine  besondere  Würze  zu  verleihen  versteht,  so  wenn  er  die 
Prieurs,  denen  er  in  der  Militürliierarchie  der  katholischen  Kirche 
den  Rang  von  Fähnrichen  zuerkennt,  dem  Papst  ihren  Kampfesmut 
und  ihre  treue  Anhänglichkeit  an  die  katholische  Sache  versichern 
läßt  mit  den  Worten: 

„  Quoy  qu'indispos  soijons,  venirus  et  gras, 
..Si  navons  nous  la  gotitte,  cramjje  aux  bras, 
,.  Comme  on  verra,  et  le  devoir  sfavons 
„Faire  tres  biev,  pourveu  que  nous  beuvons; 
,.Il  est  bien  vray  que,  saus  boire,  en  bataiUe, 
„Nous  navons  pied,  ne  bras^  ne  main  qui  vaille; 
„Faites  mener  cervelas  et  jambons. 
„Vous  nous  verrez  avoir  lors  les  comrs  bo}is; 
^^Es  grans  assauts,  ayans  farcy  Ja  pance, 
„Nous  passons  tous  les  liommes  en  vaülance.^ 

Alle  der  Kirche  nah  und  fern  verbundene  Vertreter  der 
katholischen  Sache,  die  Orden  und  Inquisitoren  und  selbst  die  Huren, 
die  das  Heer  begleiten,  ziehen  in  langer  Reihe  vor  dem  Papst  auf 
und  unter  ihnen  die  ,,Sorbonistes  et  docteurs  en  canoW,  welche  mit 
einem  in  der  kalvinistischen  Literatur  beliebten  Wortspiel  über  den 
Doppelsinn  des  Wortes  canon  zu  „inaistres  de  V artiUerie''''  befördert 
werden.  Der  Papst  sieht  mit  Befriedigung  den  Heerbann  seiner 
Getreuen  zusammentreten  und  ermutigt  sich  und  die  Seinen  durch  die 
Erinnerung  an  Lucifers  Hülfe,  der  dem  Papst  zum  Schluß  noch  seiner- 
seits Mut  einflößt  und  Beistand  und  Erfolg  im  Kampf  gegen  die 
Hugenotten  verheißt. 

Mit  der  Ausdehnung  und  Leidenschaft,  zu  welcher  sich  die 
satirische  und  polemische  Kleindichtung  religiösen  Charakters  unter 
den  Händen  der  kalvinistischen  Spötter  entfaltet,  steht  der  dichterische 
Wert  ihrer  Erzeugnisse  nicht  in  gleichem  Verhältnis.  So  manche 
bessere  Leistung,  so  mancher  treffliche  Zug  und  glückliche  Einfall 
gelungener  Satire  vermag  nicht  für  die  dichterische  Mittelmäßigkeit 
der  ganzen  Gattung  zu  entschädigen.  Doch  nicht  in  ihrem  poetischen 
Wert,  sondern  in  ihrer  Wirkung,  ist  die  Bedeutung  der  religiösen 
Spottdichtung  zu  suchen.  Dem  Leben  und  der  Wirklichkeit  entsprossen, 
trägt  die  religiöse  Spottdichtung  das  Gepräge  ihres  ür^pru^gs  in  allen 
ihren  Zügen.  Was  jene  Dichtungen  belebt,  ist  die  Sprache  mutiger 
imd  witzelnder  Satire,  welche  die  Gemüter  mit  religiösem  Eifer  ent- 
flammt und  die  katholische  Kirche  und  ihre  Lehren  mit  Hohn  über- 
schütter. Nicht  die  dichterische  Abrundung  und  Vollkommenheit, 
sondern  die  Frische  und  Kraft,  die  Derbheit  und  Einfachheit  der 
Sprache  verleihen  der  religiösen  Spottdichtung  eine  Wucht  und  Wirkung, 
wie  sie  sonst  keinem  Zweig  der  religiösen  Reformationsliteratur 
gelungen  ist.    Während  die  bahnbrechenden  Leistungen  der  führenden 


jBeiträge  zur  Geschichte  der  polit,  Literatur  Frankreichs.        145 

Geister  der  Reformation  infolge  iLres  theolcgischeu  und  wissenscbaft- 
lichen  Inhalts  doch  nur  in  beschränktem  Maße  bei  den  Zeitgenossen 
Interesse  zu  erregen  vermochten,  und  erst  von  der  Nachwelt  in  ihrer 
vollen  Bedeutung  erkannt  wurden,  war  die  religiöse  Spottdiclitung 
nach  Ursprung  und  Eigenart  zur  unmittelbaren  Wirkung  auf  die 
weitesten  Kreise  geschaffen.  Der  Einfluß,  welchen  die  religiöse  Klein- 
literatur auf  die  Gemüter  des  Volkes,  zumal  der  niederen  Schichten, 
ausübte,  sicherte  ihr  eine  um  so  größere  Bedeutung,  als  die  Reformation 
gerade  in  den  niederen  Kreisen  ihre  Verbreitung  und  Festigkeit 
gewonnen  hatte  zu  einer  Zeit,  welche  der  Bekennerschaft  des  neuen 
Glaubens  noch  ein  offenes  Hervortreten  versagte.  Während  sich  die 
wissenschaftliche  Erörterung  religiöser  Fragen  auf  den  von  den 
Schöpfern  und  Wortführern  der  Reformation  gewiesenen  Bahnen 
bewegte,  sprießt  unter  dem  frischen  Eindruck  der  Zeitereignisse,  fern 
von  dem  Geräusch  theologischer  Erörterungen,  die  Dichtung  empor. 
Glühender  religiöser  Eifer  und  derber  Spott  über  verhaßt  gewordene 
Einrichtungen  und  Anschauungen  fließen  mit  matter  Resignation  und 
frommer  Ergebenheit  in  Gottes  Willen  und  die  Gewalt  der  Menschen 
zu  einer  eigentümlichen  Mischung  zusammen  und  verleihen  der  religiösen 
Dichtung  eine  Leidenschaftlichkeit  der  Sprache  und  Wirkung  der 
Polemik,  welche  die  Dichtung,  über  ihre  engere  religiöse  Bestimmung 
hinaus,  zum  Kampf  um  die  politische  Bedeutung  und  Stellung  der 
Partei  des  neuen  Glaubens  befähigte. 

(Fortsetzung  folst.) 
Marburg  i.  H.  Kurt  Glaser. 


Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI  i.  10 


Wortgeschichtliches. 


Barate.  Nordisches  alt  einheimisches  barätta  ist  Kampf, 
Schlacht,  aber  auch  Zank,  Lärm,  barättusamr  troublesom.  Die 
Wendung  welche  afr.  barate  nimmt,  Getümmel  in  der  Schlacht  (Jean 
Bodel,  Benoit  etc.).  Streit,  Getümmel  im  Tagesleben  (Partenop.),  ist 
also  schon  dort  gegeben.  Daher  vom  Kampf  ital.  baratta  in  Ditta- 
mondo,  vom  Tumult  bei  Dante  (Tommaseo),  in  Spanien  barata  P. 
C.  1228  von  der  Verwirrung  der  Niederlage.  Das  davon  abgeleitete 
Verbum  heißt  span.  baratarse  vom  Vermischen  der  feindlichen 
Scharen  Juan  Man.  Estados  I,  78,  ital.  wenn  auch  selten  barattare 
(in  Verwirrung)  in  die  Flucht  schlagen,  ebenso  pg.  baratar  bei 
Sta.  Rosa  gewiß  auf  afr.  Grundlage,  die  sich  in  baratter  vom  Stoßen 
der  Butter  fortsetzt,  woraus  baratte,  portug.  barata  Butterfaß:  und 
in  afr.  desbareter,  in  Verwirrung  bringen  (Benoit),  in  die  Flucht 
schlagen,  woher  früh  it.  sbarattare,  sp,  desbaratar.  In  der  Geschäfls- 
sprache  war  schon  im  12.  Jahrh.  barater  in  der  (reconstruirten)  Be- 
deutung streiten,  hadern  in  sehr  verständlichem  Uebergang  zu  feilschen, 
tauschen  geworden,  so  Beroul  2744,  weitere  Belege  bei  Muret,  Duc, 
u.  z.  T.  mißverstanden  bei  Gdf.  auch  in  Italien  und  Spanien  über- 
nommen, engl,  barter.  In  dem  Wort  klingt  das  Geschrei  und  Geraufe 
des  kleinen  Tauschverkehrs,  der  damals  eine  ganz  andere  Rolle  spielte 
als  heute,  vom  mittelaUerlichen  Markt  zu  uns  herüber.  Wie  tauschen  und 
täuschen  zusammengehören  (Franck,  Etym.  Woordenb.,  Huschen), 
tritt  die  üble  Meinung,  die  man  vom  kleineu  Händler  hat,  schon  im 
12.  Jahrh.  beim  baretier  hervor,  bareter  zeigt  im  13.  und  14.  Jahrb. 
in  steigendem  Maße  die  Bedeutung  übers  Ohr  hauen,  betrügen,  die  das 
Verbalsubst.  barat,  baret,  vereinzelt  noch  im  älteren  Sinn  bei  Benoit 
(Getümmel  oder  Niederlage)  und  später  in  Arras  (Lustbarkeit),  früh 
fast  ausschließlich  annimmt,  so  schon  im  Barat  et  Haimet  Jean  Bodels; 
auch  dies  im  14.  Jahrh.  in  Italien  verbreitet  und  bei  Wolfram  von 
Eschenbach  pariierer,  parlieren.  Das  span.  Adj.  barato.^  wohlfeil, 
dürfte  aus  dem  ital.  Verbalsubstantiv  in  Wendungen  wie  buon  baratto, 
f'ar  baratto,  in  baratto  geholt  sein.  Ital.  baro  f.  baraitiere  ist 
eine  der  Schelmensprache,  die  auf  das  Wort  ein  Recht  hat,  wohl 
anstehende  Kürzung,  daher  barare  und  bei  Duc.  baranca;  anzu- 
merken   sind    auch    die    von    Schuchardt    Zts.    28,    154    und    741 


WortgeschichÜiches.  147 

berührten,  ebenfalls  der  niederen  Sprache  angehörenden  it.  baraonda, 
sp.  bara-honda,  etc.  bei  denen  natürlich  auch  noch  anderes  in  Betracht 
kommt,  für  astur,  baragafia  angebl.  Ort  der  Verwirrung  z.  B.  afr 
bargaigne.  Provenz.  baralhar  mit  sp.  barajar,  pg.  baralhar  dagegen 
wird  durch  prov.  barei=baralh  auf  franz.  barroitr  u.  barer,  von  barre 
zurückgeführt:  das  Rechtswort,  das  eigentl.  bedeutet  gerichtliche 
Hindernisse  erbeben,  wird  streiten,  verwirren.  Neupr.  varalha  ist 
varia  plus  baralha.     Afr.  berele  ist  ganz  verschieden. 

Es  ist  schon  bei  Diez  ein  Versehen  zu  nennen,  wenn  er  das  von 
Muratori  gegebene  evidente  Etymon  ablehnte.  Was  zu  dem  schon 
bei  ihm  ausreichenden  Material  oben  hinzukommt,  lag  in  der  Haupt- 
sache für  jeden,  der  sich  darum  kümmern  wollte,  am  Weg. 

Cligner,  bigne,  briii,  briser,  afr.  brie,  it.  bugna,  sp. 
bunuelo.  Neben  der  heutigen  Form  steht  afr.  nach  rückwärts  in 
immer  steigendem  Verhältnis  cluignier,  so  Marie,  Fahles  60,  10  u.  33 
vom  Herausgeber  nach  den  Hss.  im  Text  bevorzugt,  Wistace  124: 
kemuigne,  Brut  16209  u.  s.  w.  Lautlich  müssen  wir  sie  für  die  ur- 
sprüngliche halten,  sie  schließt  das  formal  sehr  unwahrscheinliche 
*clineare  aus.  Man  könnte  an  ein  *cluneare  =  cideter  denken, 
vom  ,^clunis  tremulus'-'-  luvenals,  von  dem  nur  cL  de  Voeil  übrig 
geblieben  wäre,  weil  clunis  aufgegeben  war.  Es  ist  cluneter  als  ,,cluna- 
gitare^''  und  nictare  überliefert,  die  10  duynes  im  Bettzeug  des  Herzogs 
von  Bourbon  (1507)  sind  vielleicht  „coxmus"  zu  interpretieren.,  auch 
das  Spiel  der  cluignette  bei  Froissard  könnte  dahin  gehören.  Aber 
daraus  wäre '^c/w^ner  geworden,  das  nicht  \on*cluin  aus  bestimmt  werden 
konnte,  es  wäre  überdies  die  lat.  Wortbildung  bedenklich.  Wir 
können  nur  feststellen,  wie  duigner  zu  digner  wurde.  Mit  dem  Laut- 
vorgang darf  li  =  lui  nicht  ohne  weiteres  verglichen  werden.  Einen 
Fall  mit  genau  korrespondierender  Lautumgebung  kenne  ich  nicht, 
juignet  und  glui  nebst  Ableitungen  sind  konstant.')  Immerhin  fehlt 
es  im  heutigen  Wörterbuch  nicht  an  Zeichen  der  Schwäche  des  kon- 
sonantischen Diphthongteils.  Neben  die  bekannten  cid  >  ki,  vuide 
>  vide,  ist  zunächst  buigne  >  bigne  zu  stellen.  Diez  hat  schon  mit 
gewohnter  Klarheit  gesehen,  daß  dazu  beignet  gehört,  das  in  dieser 
Gestalt  nicht  auf  buignet  (bidgnon  bei  Gaut.  de  Coincy),  sondern  auf 
ein  nicht  überliefertes  boignet  zurückgehen  dürfte  und  somit  auf  ein 
boü  zurückleitet. 2)     Ferner  die  dunkelen  brin  aus  brühig   briser  aus 

1)  Nfr.  ijindre  (==  Joindre),  au  das  mich  Behrens  erinnert,  halte  ich  für 

Keimform  auf  inaindre,  graindre. 

2)  Das  oberitalienische  hugna  Beule,  recipirt  als  Quaderbuckel,  ist 
demnach  aus  dem  Franz.  entlehnt,  n  wäre  hier  nicht  u.  Die  Herleitung 
von  dem  keltischen  hun,  bon,  Wurzelstock,  ist  also  nach  dem  Laute  so  unwahr- 
scheinlich wie  fern  im  Begriff.  Eher  könnte  zu  diesem  der  Bienenstock 
bugno  gehören,  da  für  diese  Sache  vielfach  alt-isolierte  Benennungen  bleiben. 
Ganz  unwahrscheinlich  ist  Zusammenhang   eines   der   beiden  mit  dem  aus 

10* 


148  D.  Behrens. 

bruisier,  engl,  entlehnt  bruise:  für  welche  der  altfrz.  Diphthong  die 
hergebrachten  unbefriedigenden  Erklärungsversuche  vollends  abtut; 
vgl.  auch  afr.  brie  neben  bruie.  Dialektisches  ui  >  i  kann  bei  seiner 
beschränkten  Ausdehnung  nicht  in  Frage  kommen,  es  entspricht  bui 
<  biden,  ki  und  vide;  brui>  bm  ist  mit  span.  combruezo  >  cornbrezo 
etc.  gleichartig  Gr.  2,  889.  Man  wird  doch  Bedenken  tragen  von 
dem  klaren  phonetischen  Anlasse  aus,  der  hier  gegeben  i^t,  in  der 
Verkehrssprache  nicht  allgemein  durchdrang,  eine  weitgehende  Er- 
schütterung des  ui  überhaupt  ausgehen  zu  lassen,  die  nur  in  dem 
einen  Wort  zum  Ausdruck  käme.  Und  so  werden  wir  cligner  darauf 
zurückführen,  daß  sich  das  reimende  Synonym  guigner  zu  ghigner 
mit  guarder^  garder  verschob,  ein  Lautprozeß,  der  noch  im  12.  Jahrb. 
in  den  endungsbetonten  Formen  begonnen  zu  haben  scheint,  im  13. 
auf  die  Tonsilbe  übergreift. 

______  G.  Bai  ST. 

alen,  lychnis  githago:  aUn  byäS,  artemisia  absinthium.  Die 
vorstehenden  Angaben  entnehme  ich  Dottins  Glossaire  des  parters 
du  Bas-Maine  p.  17.  Es  fällt  auf,  daß  zwei  so  verschiedenartige 
Pflanzen,  wie  die  hier  genannten,  den  gleichen  Namen  tragen,  und 
es  verdient  hervorgehoben  zu  werden,  daß  es  sich  nicht,  wie  es  nach 
Dottins  Zusammenstellung  scheint,  um  dasselbe  Wort,  sondern  um 
zwei  von  Haus  aus  ganz  verschiedene  Wörter  handelt.  Was  zunächst 
aUn  in  der  Bedeutung  artemisia  angeht,  so  geht  es  ohne  Zweifel  auf 
lat.  aloxinum  zurück,  gleichviel  ob  es  daraus,  wie  ich  glaijbe  (vgl. 
Dotttin  l.  c.  p.  LXXI  tre  <  trgja,  kis  <  cQxa  etc.),  in  lautmechanischer 
Entwickelung  hervorgegangen  ist,  oder  ob  es  analogische  Beeinflussung 
erfahren  hat.  Nach  Blatt  5  des  Atlas  ling.  lebt  aloxinum  auf  gallo- 
romauischem  Gebiet  heute  außer  in  der  romanischen  Schweiz  in  den 
Departements  Indre- et- Loire  und  Pas  de  Calais  fort,  durch  vor- 
stehende Konstatierung  wird  das  Fortleben  des  Wortes  auch  für  das 
Departement  Mayenne  erwiesen.  Nicht  ganz  so  durchsichtig  ist  die 
Herkunft  von  alen  in  der  Bedeutung  Ij^chnis  githago.  Eine  ältere 
Bezeichnung  derselben  Pflanze  ist,  wie  Pritzel  und  Jessen,  Die  deutschen 
Volksnamen  der  Pflanzen  p.  224,  s.  Lychnis  githago  und  p.  246  s. 
Nigella  arvensis  angeben,  nigella.  Daß  hieraus  alen  entstanden  sein 
soll,  mag  auf  den  ersten  Blick  sehr  unwahrscheinlich  scheinen,  dürfte 
aber  ohne  weiteres  klar  werden,  wenn  man  auf  Blatt  912  des  Atlas 
ling.  die  auf  lat.  nigella  zurückgehenden  mundartliehen  französischen 
Formen  vergleicht.    Außer  nogel  etc.  finden  sich  dort  in  weiter  Ver- 

Strohzöpfen  mit  Brombeerzweigen  geflochtenen  Korb  hugnola  und  dem  ver- 
mutlich dazu  gehörigen  Gestrüpp,  wohl  Brombeergestrüpp  hwjnone.  Für  dies 
könnte  man  an  griech.  ßcjvtov  denken,  das  aber  eine  Doldenpflanze  ist  und 
vom  Plinius  falsch  übersetzt  wird,  also  nicht  gekannt  war.  Spanisches  lunuelo 
ist  entlehntes  buignet,  obwohl  es  im  14.  Jahrb.  im  Poema  Alf.  XI  als  Lieblings- 
speise  der  Mauren  belobt  wird,  Glanzpunkt  im  mohammedanischen  Paradies. 


Wortgeschichtliches.  149 

breitung  nel  und  nel,  daneben  in  den  Departements  C6te  d'Or,  Yonne, 
Loiret,  Seiue-et-Marne.  Seine-et-Oise,  Loir-et-Cher,  Ile-et-Vilaine  len, 
leyn  etc.  verzeichnet.  Die  Existenz  dieser  letzteren  Formen  wird 
außerdem  durch  mehrere  Dialekt wörteibücher  bezeugt.  So  für  das 
Depart.  de  la  Mayenne,  für  das  sie  der  Sprachatlas  nicht  kennt,  von 
Dottin  /.  c.  p.  322:  Un,  nielle  (Andouille).  S.  ferner  Martelliere 
Gloss.  du  Vendömois  p.  186  (Vene)  und  Jossier  Dict.  des  pat. 
de  V  Yonne  p.  87  (lene).  Daß  nel  eine  mundartlich  aus  nigella 
entwickelte  Nebenform  zu  noyel  ist,  bedarf  keiner  besonderen 
Darlegung,  ebenso  nicht,  daß  len  aus  7iel  durch  auch  sonst  nicht 
ganz  selten  nachzuweisende  (vgl.  z.  B.  meine  Reziproke  Metathese 
p.  77)  gegenseitige  Umstellung  von  l  und  n  entstanden  ist.i)  Aus 
len  entstand  alen  durch  Verschmelzung  mit  der  Form  des  bestimmten 
Artikels:  la  len  >  Valen.  Schon  A.  Thomas  hat  MSlanges  p.  10  auf 
anielle  für  7iielle  in  Bas-Maine  hingewiesen  und  für  dasselbe  die 
zutreffende  Erklärung  gegeben.  Auf  Blatt  912  des  Sprachatlas  findet 
man  anelo  für  zahlreiche  südfranzösische  Ortschaften  und  außerdem 
das  durch  Dottin  für  Mayenne  bezeugte  alen  für  Saint-Christophe  im 
Departement  Eure-et-Loir  angegeben.  Vgl.  auch  die  bei  E.  Rolland 
Flore  p)opulaire  11,  S.  221  ff.  unter  Agrostemma  githago  zusammen- 
gestellten Formen. 

norm,  boiieteure  verzeichnet  Joret  Essai  sur  le  pat.  norm, 
du  Bessin  p.  58  außer  in  der  Bedeutung  von  schriftfrz.  bouture  in 
derjenigen  von  mSnage  :  lere  sa  boueteure  =  faire  sou  raenage,  sa 
cuisine.  Als  Etymon  gibt  er  mhd.  bözen  an.  Aus  dem  Patois  von 
La  Hague  erwähnt  Fleury  Essai  p.  141  .fioueture  aliments  bouillis" 
und  bemerkt  dazu:  ^Faire  sa  boiictur'-^  c'est  fair  cuire  la  soupe  et 
d'autres  aliments  analogues.  Ou  fait  aussi  une  „boueture"  speciale 
pour  les  veaux.  C'est  le  substantif  du  verbe  bouillir  pour  bouilliture. 
Le  mha.  bozen  u'a  rien  ä  voir  ici.  Der  letzteren  Bemerkung  kann 
man  ohne  weiteres  zustimmen.  Was  die  Zusammenstellung  mit 
bouillir  angeht,  so  verdient  dieselbe  ohne  Frage  Beachtung,  zumal 
wenn  man  ital.  bollitura,  altfrz.  boulture  (Godefroy),  nfrz.  bouture 
(s.  Dict.  ghier.  bouture  2),  Gucrnesey  bouiture,  decoction,  chau- 
dronnee  (Metivier)  vergleicht.  Aus  bullitura  konnte  unter  Einwirkung 
der  stammbetonten  Präsensformeu  {je  boues^  tu  boues,  i  bouet  in 
La  Hague)  das  normannische  Wort  in  seiner  von  Joret  und  Fleury  be- 
zeugten Form  entstehen.  Gleichwohl  möchte  ich  hier  noch  ein  anderes 
Etymon  zur  Erwägung  stellen.  Es  gibt  neben  boissoi^\xx\(\.  boite  in  Nord- 
frankreich verbreitetes  boiiure  (biiicre,  mit.  Du  Gange  bibiiuria).,  das 
seiner  durchsichtigen  Herkunft  entsprechend  ursprüglich  „Getränk, 
Trank"  bedeutet,  dann  aber  auch  in  erweiterter  Bedeutung  begegnet. 


1)  Beachte  auch  die  zugehörigen  Verben:  eneler,  arracher  la  nele  dans 
les  cbamps  (Brie)  und  gleichbedeutendes  elcner  (Gay),  mitgeteilt  von 
E.  Guenard  Lc  patois  de  CourtüoU  (Chftlons-snr-Marne~]005),  p.  250. 


150  1).  Behrem. 

So  kennt  es  de  Montessou  Voc.  du  Haut-Maine  neben  boiturage  in 
der  Bedeutung  „Eau  coupee  avec  de  la  fariue  ou  da  son,  poiir  les 
bestiaux".  Dagnet  &  Mathuiin  erklären  (Le  langage  cancalais  II,  3) 
hiture  mit  repas  tres  copieux,  eine  Bedeutung,  die  auch  Sachs  s.  v. 
hiture  verzeichnet.  Martelliere,  Glossaire  du  Vendvmois  bemerkt  zu 
boiiure  „Meme  sens  que  boite,  mais  plus  specialement  liquide,  melange 
avec  de  la  farine  ou  du  son  que  Ton  prepare  pour  les  animaux 
domostiques.  Anc.  fr.  boyture  dans  Villon",  Erwähnt  sei  noch,  daß 
nd.,  o>tfries.  „Drank"  eine  entsprechende  Bedeutungsentwickeluug  durch- 
gemacht hat,  indem  es  nicht  nur  ..Trank,  Trunks  Getränk",  sondern 
(s.  Dornkaat  Koolman  Wib.  I,  327)  auch  „flüssige  Nahrung,  im 
besonderen  als  Viehfutter  verwendete,  mit  Wasser  gemischte  Küchen- 
abfälle" bezeichnet.  Der  Umstand,  daß  als  .,,boueture  speciale  pour 
les  veaux"'  das  normannische  Wort  mit  boiiure  im  Pat.  vendomois 
und  im  Patois  von  Haut-Maine  sich  begrifflich  zum  mindesten  nahe 
berührt,  legt  mir  den  Gedanken  nahe,  es  möge  auch  mit  letzterem 
gleichen  Ursprung  haben,  also  zum  Verbum  bibere  gehören.  Aus 
bibitwa  entstand  lautgesetzlich  *beture,  wie  aus  bibitorium  betoire 
(s,  diese  Zeitsch.  XXIIP,  S.  14  und  vgl.  Joret  Melanges  p.  XLVII 
betouere),  das  (anal,  bibita  >  bette  >  boiite)  unter  dem  Einfluß  der 
starambetonten  Formen  des  Verbums  boire  zu  boiiure  umgebildet 
wurde.  Norm,  boueture  (boueteure)  steht,  wenn  meine  Vermutung, 
es  hänge  dasselbe  mit  den  zuletzt  genannten  Wörtern  etymologisch 
zusammen,  richtig  ist,  unter  franzischem  Einfluß  gleich  norm,  boisson 
neben  btsson  (Moisy  Dict.,\^.  76),  boite  (ib.),  demoueselle  (Fleury 
/.  c.  p.  185),  voile  (Joret,  Essai  p.  14),  poil  (ib.)  etc.  Vielleicht 
auch  liegt  in  dem  normannischen  Wort  eine  Mischung  von  zwei  ihrem 
Ursprung  nach  getrennten,  auf  lat.  bibere  und  auf  bullire  zurück- 
gehenden Bildungen  vor. 

braie  de  COUCOll.  L.  Sainean  bringt  Zs.  f.  vom.  Fhil.  Bei- 
heft 1,  S.  42  diese  und  ähnliche  Benennungen  der  Primel  (henneg. 
catabraie,  Maubeuge  braille  de  cat,  frz.  brayette  und  braireite)  mit 
den  Verben  braiÜer,  braire  in  Verbindung,  indem  er  dieselben  als 
„cri  de  coucou,  oiseau  qui  fait  son  apparition  au  printemps"  erklärt. 
Demgegenüber  bemerkt  A.  Thomas  Romania  XXXV,  473  unter 
Zurückweisung  der  S.'schen  Auffassung,  es  liege  gall.  braca  ,.culotte" 
zu  Grunde.  Es  sei  hier  angemerkt,  daß  letztere  Herleitung,  die 
unzweifelhaft  die  richtige  ist,  in  bei  Nemnich  Polyglotten- Lexicon  s.  pri- 
mula  veris  erwähnten  Bezeichnungen  wie  dtsch.  Hosblurne  (d.  i.  Hosen- 
blume) und  lettisch  gailu  bikses  (d.  i.  Hahnenhose)  eine  Bestätigung 
findet.  Vgl.  ferner  bei  Pritzel  und  Jessen,  Die  dtsch.  Volksnamen 
der  PßanzeUy  p.  309  die  für  Rhena  angebene  Bezeichnung  Witbückseii 
fWeißhosen)  für  priraula  acaulis,  und  auf  Blatt  1092  (primevere)  des 
Sprachatlas  u.  a.  tsose  de  kuku  (519)  und  maline  de  kukit  (d.  i. 
culotte  de  coucou  607).  Hinzuweisen  ist  auch  darauf,  daß  bereits 
Mistral  im  Tresor  die  von  Sainean  nicht  erwähnten  gleichbedeutenden 


Wortgeschichtlich  es.  151 

provenzal.  Benennungen   hraieto-de-couguiev,    hraio-de-covguUu  ans 
der  Gestalt  der  gelben  Primelblüte  ansprechend  erklärt  hat. 

prov.  garbello,  fiUe  ou  femme  qui  ne  sait  pas  s'habiller,  steht 
bei  Mistral,  Tresor^  unter  den  Wörtern,  welche  zu  lat.  corbis  gehören. 
Ich  würde  es  bedeutungsgeschichtlich  nicht  gerade  für  unmöglich 
halten,  daß  ein  Wort,  welches  ,.Korb"  bedeutet,  zur  Bezeichnung 
eines  weiblichen  Wesens  verwandt  wird,  wenn  ich  auch  einen  Hinweis 
auf  frz.  noguet,  flacher  Heukelkorb,  und  noguette,  Ladenjungfer  (Sachs), 
hierfür  noch  nicht  als  beweisend  gelten  lassen  möchte.  Was  das  hier 
zur  Diskussion  gestellte  provenzalische  Wort  angeht,  so  halte  ich  es 
für  sehr  wahrscheinlich,  daß  es  zu  gorbo,  die  Garbe,  gehört,  indem 
ich  konstatiere,  daß  auch  einfaches  garbo  (s.  Mistral  s.  v.)  im 
familiären  Stil  die  Bedeutung  „fille"  angenommen  hat,  so  wie  daß, 
worauf  ich  an  anderem  Orte  hingewiesen  habe,  im  Fikardischen  heute 
moie  außer  „meiile  de  foin,  de  ble"  auch  „femme  grosse  et  pleinc 
d'embonpoint"  bedeutet,  wälirend  umgekehrt  im  Pat.  von  Bessin  fiyete 
(fiUete)  nach  Joret  die  Bedeutung  .,Garbeiihaufen-'-  annahm.  Leider 
läßt  sich,  was  für  eine  abschließende  Beurteilung  des  vorliegenden 
etymologischen  Problems  erforderlich  wäre,  aus  Mistral  nicht  ersehen, 
ob  alle  oder  welche  von  den  unter  garhello  verzeichneten  Wörtern 
oder  Wortformen  in  der  erwähnten  Bedeutung  begegnen. 

wall,  gucmilie,  conseil  de  guerre,  tribunal  militaire,  wird  von 
Grandgagnage  Dict.  I,  247  und  355  ohne  etymologische  Deutung 
gelassen.  Ib.  II,  p.  600  bemerkt  Scheler  zu  altwall,  guemine  in  der 
Anmerkung:  „Je  suis  porte  ä  rattacher  ce  mot  ä  l'all.  gemeine  ou 
gemeinde  (communautö,  assemblee)."  Es  ist  vielleicht  nicht  überflüssig 
darauf  hinzuweisen,  daß  Schelers  Vermutung  zweiffellos  das  Richtige 
trifft.  Das  zur  Discussion  stehende  Wort  entspricht  mnl.  ghemeine^ 
mnd.  gemeine^  gemme^  mhd.  u.  nhd.  gemeine.  Wegen  der  der  wal- 
lonischen zu  Grunde  liegenden  Bedeutung  „Versammlung"  vgl.  Grimm 
Wtb.  IV,  I,  2  Sp.  3234:  nd.  „wu  dat  (wie)  die  lansknecht  gemein 
hielden  .  .  .  .;  an  die  gemein  gehn  (coire  in  concilium)."  Dazu  stimmt 
von  Godefroy  belegtes  ghemaine  in  I.  Molinet's  Chron.  „les  capitaines 
de  l'ost  tindrent  leur  ghemaine  a  maniere  d'ung  palement."  Was 
die  an  die  Spitze  dieser  Bemerkungen  gestellte  Form  guemine  angeht,  jo 
ist  sie  durch  Metathese  aus  guimene  entstanden,  wie  nach  Granc'- 
gagnage  II,  351   das  wallonische  Wort  ursprünglich  lautete. 

canc,  guitang,  poisson  semblable  au  merlan,  mais  plus  large 
et  court,  wird  von  A.  Dagnet  u.  I.  Mathurin  Le  parier  ou  lang.  po}). 
cancalais.  Vocab.  p.  34  verzeichnet.  Es  handelt  sich  um  eine  m.  W. 
sonst  nicht  nachgewiesene  Bezeichnung  von  Gadus  merlangus,  die  etymo- 
logisch in  völlig  durchsichtiger  Weise  gleichbedeutenden  nord.  vitti7ig, 
engl,  tchiting^  holl.  wi/ting  entspricht.  Vgl.  mundartlich  franz.  gniteau, 
worüber  A.  Thomas  Romania  XXXV,  303  gehandelt  hat.  Beiläufig 
bemerke   ich,  daß   sich   ein  älteres  Beispiel   für  guiteau  als  das  von 


152  D.  Behrens. 

Thomas  1.  c.    aus  Baudrillart  Dict.  des  peches  (1837)  beigebraclite 
bei  Nemnich  Polyglotten-Lexicon   (1794)   s.    gadus  baibatiis  findet. 

ostfranz.  lliaissuelle,  maissuelle  im  Patois  von  Clairvaux  sind 
nach  A.  Baudouins  Glossaire\^.  213  PfUnizenbezeichnungen:  „scabieuse 
commune  (scabiosa  arvensis).  Maissuelle  des  bois,  scabiosa  succisa/' 
Was  die  Herleitung  angeht,  so  fragtBaudouiu:  „Du  vieux  franc.  massuette, 
petite  massue?-'  Es  sei  darauf  hingewiesen,  daß  diese  Annahme  un- 
zweifelhaftdas  Richtige  trilft,  abgesehen  selbstverständhch  davon,  daß  der 
ostfranzösische  Patoisausdruck  nicht  erst  aus  aUfrz.  massuette  durch 
Suffixvertauschuug  entstanden  sein  wird,  sondern  entweder  altfrz. 
maguelle  (Godefroy)  fortsetzt  oder  eine  selbständige  jüngere  Ableitung 
von  dem  Substantiv  massue  darstellt.  Die  zu  einem  von  einem  In- 
volucruni  umgebenen  und  von  einem  längeren  Stiel  getragenen  Köpfi-hen 
dicht  zusammengestellten  Blüten  haben  die  genannte  Bezeichnung 
veranlaßt.  Der  bei  Pritzel  und  Jessen  Die  deutschen  Volksnanien 
der  Pflanzen  p.  199  für  Scabiosa  (Knautia)  arvensis  angegebenen 
schlesischen  Bezeichnung  ^^Nonnenkleppel-'-  (in  Mecklenburg  Neunen- 
Meppel)^  deren  zweiter  Bestandteil  die  mitteld.  (niederd.)  Form  von 
hochd.  Klepfel  darstellt,  liegt  eine  ähnliche  Vorstellung  zu  gründe. 
Von  anderen  Benennungen  seien  hoton  de  coltin  in  Moyenmoutier  (s. 
Haillant  Flore  vosg.  p.  100.),  mhd.  Äliaw/wort,  Kneufvfort  und  mnd. 
Knopviort  in  diesem  Zusammenhang  genannt. 

Einige  Arten  der  Gattung  Centaurea  haben  im  Aussehen  mit 
Scabiosa  (Knautia)  arvensis  eine  gewisse  Ähnlichkeit  und  werden 
dementsprechend  in  deutschen  und  in  galloromanischen  Mundarten 
ähnlich  benannt.  So  verzeichnen  Pritzel  und  Jessen  für  centaurea 
jacea  u.  a.  die  mundartlichen  Namen  Hart/copp,  Ä'no2:>/blume,  Trum- 
masschlägel,  für  centaurea  scabiosa  Knauf,  Knoop,  Kjio pf wurzel, 
Papcn/c/ö^en  {Klöten  =  Hoden).  Zum  Galloromanischen  s.  Puitspelu 
Dict.  s.  V.  marsotta.  Entsprechende  Bezeichnungen  aus  anderen 
Sprachen  findet  man  in  Neranichs  Polyglotten-  Lexicon  der  Natur- 
geschichte. 

francopr.  mottet,  moutet,  kleiner  Junge,  Knirps.  Mistral,  der 
moutet  als  im  Departement  Isere  gebräuchlich  erwähnt,  verweist  auf 
mout  (mousse),  das  er  auf  mutilus  zurückzuführen  scheint.  Nizier 
de  Puitspelu  verzeichnet  Dict.  p,  268  mottet  mit  der  Bemerkung: 
,,ap.  Coch.  moutet  s.  ra.  Petit  gargon.  Mottette  (motete)  s.  f.  Petite 
fiUe.  Dph.  br.  motet,  ette'-'-  und  nimmt  als  Etymon  lat.  mustum  an: 
„d'oü  mot^  plus  dim,  et.  La  forme  inoutet  appartient  ä  la  plionetique 
d'o'il."  Constantin  und  Desormeaux  stellen,  ohne  eine  etymologische 
Deutung  zu  versuchen,  daß  Wort  Dict.  savoi/.  p.  276  zu  mote,  qui 
est  Sans  cornes,  niotin^  tetard  (arbre  dont  la  tige  a  ete  coupöe  ä 
une  certaine  hauteur)  und  geben  einen  Beleg  für  das  Vorkommen 
desselben  aus  La  Muse  savoisienne  au  XVIIe  siecle:  La  Moquerie 
Savoyarde  ed.  A.  Constantin: 


WortgeschicJdliches.  153 

Me  souvente  donna  seson, 
Que  Jaque  Bo  de  Remilly 
Meney  son  Ano  vendre  o  marchy, 
Et  lo  chassave  devan  sey 
Avoy  son  motet  Beney  .  .  . 
Motet,  he  fo  que  te  montey 
Dessus  l'Ano  .  . . 

[II  me  souvient  d'une  annee  oü  Jacques  Bo,  de  Rumilly,  menait  vendre 
son  äne  au  marche;  il  le  chassait  devant  lui  avec  son  garten  Benoit  . . 
Gargon,  il  faut  que  tu  montes  snr  l'äne  .  .  .] 

Was  die  etymologischen  Deutungsversuche  Mistrals  angeht,  so 
liegt  auf  der  Hand,  daß  mutilus  als  Etymon  nicht  in  Betracht 
kommen  kann.  Aber  auch  mustus  ist,  glaube  ich,  schon  deshalb 
verdächtig,  weil  das  einfache,  nicht  abgeleitete  Wort,  soweit  ich  sehe, 
nirgends  neben  motet^  moutet  in  entsprechender  Bedeutung  erscheint, 
vielmehr  als  prov.  moust,  mout,  franz.  moüt^  ital.  mosto  etc.  mit 
der  Bedeutung  „Most"  fortexistiert.  Ich  glaube,  daß  das  Etymon  ein 
ganz  anderes,  naheliegendes  Wort  ist.  Man  sagt  in  Südf raukreich 
von  einem  kleinen  Menschen:  es  pas  plus  aut  que  tres  mouto.  Das 
hier  vorliegende  mouto  (moto),  das  neufrz.  motte,  Erdscholle,  Klumpen 
entspricht  und,  wie  es  scheint,  mit  deutsch  Mott,  im  Aargau  die  Mute 
(s.  Grimm  Wtb.  s.  3Iott),  identisch  ist,  liegt  frankoprovenzalischem 
moutet,  mottet  zu  Grunde.  Die  Lautform  macht,  soweit  ich  sehe, 
keinerlei  Schwierigkeit  und  für  den  angenommenen  Bedeutungswandel 
fehlt  es  nicht  an  Analoga.  Um  eine  ähnliche  Entwicklung  handelt  es 
sich  beispielsweise,  wenn  prov.  bouset  (crottin  de  chevre  etc.)  die 
Bedeutung  ,.petit  bonhomme"  angenommen  hat,  wenn  nd.  bült  Hocker, 
Hügel,  Haufe  ein  kleines  unbeholfenes  Kind,  einen  Knirps  bezeichnet, 
oder  wenn  man  im  Deutschen  einen  kleinen,  dicken  Menschen  einen 
kurzen,  dicken  Brocken  (s.  Grimm  s.  v.)  nennt.  An  die  Bedeutungs- 
entwicklung von  dtsch.  Klotz,  Klofs,  Klump  u.  a.  ließe  sich  außer- 
dem erinnern.  Ob  mit  unserem  Wort  auch  savoy.  mote  (qui  est  sans 
cornes)  und  mötin  (tetard)  etymologisch  irgendwie  zusammenhängen, 
bleibe  dahingestellt.  Bemerkt  sei  nur  zum  Schluß  noch,  daß  das 
neufranz.  Wörterbuch  ein  Substantiv  moutard  kennt,  welches  Sachs 
mit  kleiner  (unsauberer)  Junge,  Kind,  Göhre  verdeutscht.  Nach 
dem  Dict.  general  ist  dasselbe  unbekannter  Herkunft,  in  der  Schrift- 
sprache Neologismus  und  seit  1878  im  Wörterbuch  der  Akademie  zu 
finden.  Es  dürfte  sich  um  Herübernahme  von  gleichbedeutendem 
franzprov.  moutet  mit  Vertauschung  der  Endung  und  vielleicht  auch 
volksetymologischer  Umdeutung  handeln.  Vgl.  Delvau  Dict.  de  la 
langue  verte  p.  328  moutard:  „Gamin,  enfant,  apprenti,  —  dans 
l'argot  du  peuple  qui,  n'en  dcplaise  ä  P.  J.  Leroux  et  ä  M.  Francisque 
Michel,  n'a  eu  qu'ü,  retrardcr  la  chemise  du  premier  polisson  venu 
pour  trouver  cette  cxpression". 

noguer,  sommeiller  en  laissant  tomber  de  temps  en  temps  le 
menton   sur  la  poitrine,   begegnet  in  der  Mundart  von  Varennes,   im 


154  D.  Behrens. 

Departement  Allier,  hart  an  der  provenzalischen  Sprachgrenze.  S. 
P.  Duchoi),  Gramm,  et  Dictionn.  du  patois  bourbonnais  (canton 
de  Vareunes)  S.  84.  Als  Etymon  des  Wortes,  das  ich  sonst  nicht 
nachzuweisen  vermag,  kommt  wohl  nur  dtsch.  nucken  (mit  dem  Kopfe 
niciiend  einsclilummern),  appenz.  nocka,  tirol.  nocken  (halbschlummernd 
beten)  etc.  (s.  Grimm  Wtb.  VII  s.  v.  nücken)  in  Betracht.  Nicht 
hierherstellen  möchte  ich  frz.  nogueite  Leinwand-,  Spitzenhändlerin, 
Ladenjungfer,  da  es  von  zu  nocken  gehörigen  dtsch.  tirol.  nock^  Bet- 
schwester (nach  Grimm  auch  ßetnock^  die  halbschlummernd,  nockend 
betet),  Schweiz,  nocke.  tölpisehes  Frauenzimmer,  in  der  Bedeutung 
allzuweit  sich  entfernt.     Vgl.  diese  Zeitschr.  XXVIII  i,  S.  307  f. 

Neben  bourbon.  noguer  begegnet  auf  nordfrz.  Gebiet  gleich- 
bedeutendes, ebenfalls  aus  dem  Deutschen  entlehntes  s'anniqueye., 
faire  un  leger  somme  (einnicken),  im  Patois  gaumet  (s.  Liegeois 
Lexique  p.  94),  dazu  henneg.  faire  un  niquet,  einnicken,  schlummern, 
im  Jura  niquet  Mittagsschläfchen,  auf  die  bereits  Diez  Et.  Wtb.  Ilc 
nique  hingewiesen  hat. 

wali.  noper,  v.  tr.  rosser  (ChSnee).  Noper  ne  gote  (Jupille), 
avaler  d'un  trait  une  goutte  (de  genievre).  Vorstehende  Angaben 
entnehme  ich  einem  Verzeichnis  wallonischer  Wörter,  gesammelt  von 
Edm.  Jacquemotte  und  Jean  Lejenne,  mitgeteilt  in  Bd.  XLVI  (1906) 
des  Bulletin  de  la  Soc.  lieg,  de  litt^rat.  wall  p.  201  f.  Es  handelt 
sich  um  die  durchsichtige  Entlehnung  von  nd.  nuppen.  einer  Ent- 
sprechung von  hd.  knufftn.  Vgl,  Dnornkaat  Koolman  Ostfries  Wtb. 
unter  nuppen  uml  gnuppen^  Grimm    Wtb.  V,   1516  knuffen  c). 

altfrz.  quitte  wird  von  Godefroy  mit  einem  Fragezeichen  ver- 
sehen und  einmal  aus  Mathieu  d'Escouchy's  Chroniquel,  124  belegt: 
Ung  quintal  de  sucre  fin  de  trois  quittes.  Ich  glaube  in  dem  Worte 
deutsches  ^.,Kiste'-''  wieder  erkennen  zu  sollen,  so  daß  der  Sinn  der 
Stelle  wäre:  „ein  Zentner  feinen  Zucker  be>tehend  aus  drei  Kisten, 
d.  h.  in  drei  Kisten  verpackt."  Was  mich  zu  dieser  Annahme  ver- 
anlaßt, ist  der  Umstand,  daß  Godefroy  s.  v.  queste  aus  einem  gleich- 
falls pikardisrheii  Texte  in  Bezug  auf  seinen  Ursprung  völlig  durch- 
sichtiges kiste  nachweist,  das  in  ähnlicher  Verbindung,  wie  obiges 
quitte  begegnet.  Die  von  Godefroy  /.  c.  aus  Memoires  pour  les 
habitants  de  Douai  contre  le  seigneur  de  Mortagne  zitieite  Stelle 
lautet:  Ung  cabas  de  blancq  savon,  une  kiste  de  ebnere.  Eine  dritte, 
bereits  in  der  Festschrift  für  Mu-safia  p.  80  Anm.  von  mir  angezogene 
Form  desselben  Wortes  i-t  von  Godefioy  ebenfalls  aus  einem 
pikardischen  Texte  belegtes  guiste:  Laye  a  le  casse  ou  guiste  de 
Sucre.  Dahin  gestellt  bleibe,  ob  etwa  das  an  die  Spitze  dieser  Be- 
merkungen gestellte  quitte  für  quiste  verlesen  oder  verschrieben  ist. 
Ist  die  Überlieferung  echt,  so  ergibt  sich,  daß  das  Wort  vor  Ver- 
stummung von  s^ons.  entlehnt  wurde,  wie  wir  das  mit  Sicherheit 
annehmen  dürfen  für  al^geleitetes  diminutives  queton,  das  in  dieser 
Form  im  Pikardischen  heute  begegnet.    S.  Haignere  Fat.  boulonnais 


Wortgeschichtliches.  155 

Vocahulaire  p.  486  queton:  ,,gousse  d'un  coffre,  compartiment  ferme 
de  plaiiches,  et  reserve  dans  un  coffre  pour  y  serrer  de  petits  objets," 
Es  handelt  sich  danach  um  einen  kleinen  schließbaren  Behälter,  der 
in  eine  größere  Ki-te,  einen  Koffer,  hineingearbeitet  ist,  wie  man  das 
beispielsweise  bei  den  Truhen  der  Dienstboten  wohl  heute  noch  auch 
bei  uns  findet"  Vgl.  ferner  Edmont  Lexique  Saint-Palois  ketö  und  bei 
Godefroy  älteres  queston.  Andere  Ableitungen  desselben  gei manischen 
Stammwortes  sind  von  Godefroy  verzeichnete  altfranzösische  questel, 
kestel  und  questier  (fabricant  de  questes),  wegen  deren  Provenienz 
ein  Zweifel  nicht  bestehen  kann. 

sanar,  sane^  bezeichnen  im  Patois  von  Bas-Maine  ein  schlecht 
geschliffenes  Messer  (couteau  mal  aiguise).  S.  Dottin  Glossaire 
p.  463  und  vgl,  ib.  p.  626  sanet  ,,petit  couteau  en  mauvais  etat.'t 
In  der  Bedeutung  „vieux  couteau"  begegnet  sanard  bei  A.  Dagnet 
u.  I.  Mathurin  Le  langage  cancalais  p.  54.  Die  Wörter  gehören  zü 
saner,  kastrieren,  das  weder  Dottin  noch  Dagnet  u.  Mathurin  ver- 
zeichnen, das  aber  aus  westfranzösischen  Mundarten  sonst  nachge- 
wiesen ist  und,  wie  gleichfalls  bekannt  (s.  Zs.  f.  rom.  Phil.  XIV,  364  f.), 
auf  lat.  sanare,  heilen,  zurückseht.  Die  Beileutungsentwickelung 
ist  eigenartig,  aber,  wie  chatre-bique  ,,mauvais  couteau,  qui  ne  coupe 
pas"  im  Patois  von  Clairvaux  (s.  Baudouin  Glossaire  p.  110)  zeigt, 
nicht  ohne  Analogon.  Hingewiesen  sei  noch  auf  chetreü  (mauvais 
couteau)  im  Pat.  gaumet  (Feller  p.  111),  chätre-chien  (mauvais 
couteau,  eustache)  in  Montbeliard  (nach  Beauquier,  Vocahulaire 
p.  79),  norm,  cäireü  de  mulots  {Rolland  Faune  \ll,  88),  it.  castracani. 

wall,  splenkc.  Grandgagnage  verzeichnet  das  Wort  Dict.  II, 
p.  388  und  bemerkt  dazu: 

„Selon  Rm.  sprenke  fpour  le  verbe  il  n.'a  que  la  forme  spl.),  seien  Lob. 
sprenyue  (bille,  garrot,  tortoir,  cheville  ä  tourulquet),  Malm.,  5j.  splenk  (1.  it.; 
2.  piece  qui  assujetit  de  droite  et  de  gaucbe  le  coutre  d'iine  charrue  ä 
roues).  —  Splenkl  (1.  garrottnr;  2.  battre),  N.  id.  (1;  2.  assujetir  le  coutre 
avec  le  splenk).     Voy.  aussi  sprengue,  gui  parait  etre  la  forme  normale." 

Unter  sprengue  findet  sich  ein  Hinweis  auf  splenke.  Hinzugefügt 
wird  sprengueler,  serrer  avec  le  garrot.  Auf  die  Etymologie  des 
Wortes  ist  Grandgagnatie  nicht  eingegangen.  A.  Sclieler  bemerkt 
dazu  in  einer  Anmerkung  auf  Seite  390  „Je  n'oserais  pas  plus  proposer 
Fall,  sprengen  (faire  Siiuter),  que  l'all.  sprenkel,  angl.  springe  (brunche 
pliee,  lacet  pour  prendre  des  oiseaux),  qui  en  proviennent.  —  Cp. 
aussi  fl.  Sprenkel  (barreau  d'une  fenetre)."  Zeliqzon  verzeichnet  Rom. 
Zeitschr.  XVlII,  S.  263  sprek'  „bois  que  l'on  met  dans  la  charrue 
pour  serrer  la  chaiiie''  ohne  sich  über  die  Herkunft  des  Wortes  zu 
äußern.  Zu  giunde  liegt  ohne  Zweifel  dtsch.  Sprenkel;  woraus  sprenke 
und,  mit  Umstellung  der  Liquiilen,  splenke  entstehen  konnten.  Ob 
sprengue  eine  wallonische  Sonderentwickelung  zu  sprenke  darstellt 
oder  auf  eine  im  Deiitsehen  zu  Sprenkel  begegnende  Nebenform  Sprengel 
zurückgeht,  laße  ich  dahin  gestellt   sein.    Was  die  Bedeutung  angeht, 


156  D.  Behrens. 

so  ist  zu  beachten,  daß  Sjirenkel  im  Deutschen  wohl  zunächst  nicht 
eine  aus  einer  umgebogenen  Gerte  bestehende  zum  Vogelfang  benutzte 
Falle  bezeichnet,  wie  Scheler  angibt,  sondern  u.  a.  „ein  Stück  Holz 
zum  auseinandersperren"  nach  ten  Doornkaat-Koolman  Wih.  d.  ostfries. 
Spr.  III,  288  „ein  Holz,  was  man  zwischen  etwas  klemmt  und 
feststeckt,  um  es  fest  zu  setzen  und  so  offen  od.  auseinander  zu  halten." 
Auf  dtsch.  sprenkeln  „ein  Seil  durch  einen  hindurcli  gesteckten  Knebel 
herumdrehen  und  dadurch  fest  anziehen"  weist  deutlich  oben  erwähntes 
wall,  sprengueler  „serrer  avec  le  garrot."  —  Wegen  span,  esplinque 
vgl.  Baist  Eom.  Forsch.  I,  S.  114  f. 

cbamp.  vodre  bezeichnet  verschiedene  Weidenarten.  S.  Heuillard 
Et.  sur  le  patois  de  la  commune  de  Gay,  Cahton  de  Sezanne 
{Marne),  p.  98  und  vergl.  A.  Thomas  zu  Delboulle  Mots  ohsc.  et 
rares  Romania  XXXV,  p.  423.  Andere  Formen  desselben  Wortes 
sind  vordre  bei  Littre  (Supplem.)  und  Tarbe  (Recherches  11,  p.  148), 
vorde  bei  Janel  {Essai  sur  le  pat.  de  Florent  p.  307)  und  wohl 
auch  ourde  in  saux-oxirde  ebd.  Da  ein  lat.  Grundwort  zu  fehlen 
scheint,  liegt  es  nahe,  an  germanische  Herkunft  des  altfranzösischen 
Dialektwortes  zu  denken.  Es  bietet  sich  gleichbedeutendes  mhd. 
v^lwer  (ahd.  felawa,  nhd.  mnndartl.  Felber,  auch  J^alba,  Falhinger 
etc.),  woraus  sich  vodre,  desgl.  mit  Doppelung,  resp.  Umstellung  des 
r  vordre.,  vorde  gewinnen  lassen.  Besondere  Schwierigkeit  macht 
der  an  die  Stelle  des  anlautenden  stimmlosen  germanischen  Spiranten 
getretene  stimmhafte  Laut.  Derselbe  findet  sich  ebenso  in  dem 
schweizerischen  Ortsnamen  Evordes  (vgl.  A.  Thomas  Romania 
XXXIV,  173)  und  muß  hier  besonders  auffallen,  während  er  in  nord- 
französischen Entlehnungen  aus  dem  Nieder-  und  Mittelfränkischen  (vgl. 
ds.^eifsc/ir.XXIX  i,  p.  309  velemene,  viertel;  ib.  XXX  p.  360  vierboete, 
p.  362  verhoule)  anzutreffen  ist  und  sich  hier  aus  dem  Lautstand 
der  abgebenden  Sprache  erklären  läßt.  Ich  muß  es  dahingestellt 
sein  lassen,  ob  etwa  Angleichung  an  ein  anderes,  begrifflich  verwandtes 
Wort  vorliegt,  oder  ob  gleichzeitig  mit  der  Entlehnung  der  Anlaut 
der  ersten  Wortsilbe  assimilatorisch  durch  den  der  zweiten  beeinflußt 
worden  ist.  Wer  es  unternimmt,  der  Geschichte  des  interessanten 
Wortes  weiter  nachzugehen,  als  es  mir  im  Augenblick  möglich  ist, 
wird  des  Weiteren  auf  eine  zweite  Gruppe  von  in  der  Bedeutung 
übereinstimmenden  Wörtern,  deren  etymologische  Zugehörigkeit  zu 
den  vorstehend  behandelten  sich  vielleicht  nicht  wird  abweisen  lassen, 
sein  Augenmerk  zu  richten  haben:  bress.  vorge,  vorgille,  vorgillon, 
vorgine  nach  L.  Guillemaut  Dict.  pat.  p.  327  =  „osier  sauvage, 
espece  de  petit  saule  dont  les  jets  d'une  grande  flexibilite  sont 
employes  pour  la  vannerie  .  .  .",  dauphin.  vorge,  vouorge,  vorze, 
lyonn.  vorzes,  vorsines,  vourzines  (vgl.  A.  Thomas  Romania  XXXHI, 
229),    dazu  nach    Jaccard  [Essai  de   ioponymie.    1906)    zahlreiche 

schweizerische  Ortsnamen  wie   Vorze.  ^    ^ 

D.  Behrens. 


The  Episode  of  Yvain,  the  Lion, 

and  the  Serpent 

in  Chretieu  de  Troies, 


One  of  the  many  adventures  of  Ivain  related  by  Chretien  in 
the  Chevalier  au  Lion  •)  is  the  episode  in  which  he  delivers  a  lion 
from  a  serpent  coiled  around  his  tail.  The  substance  of  this  adventure 
is  as  foUows. 

As  Ivain  proceeded  through  a  thick  wood  he  heard  a  loud 
shriek,  and,  making  in  that  direction,  he  arrived  in  a  Clearing  where 
he  saw  a  lion  whom  a  serpent  held  by  the  tail,  and  scorched  with 
the  flame  which  issued  from  its  jaws.  Ivain  having  decided  to  aid 
the  lion  on  the  ground  that  a  wicked  and  venomous  serpent  deserves 
no  niercy,  drew  his  sword,  and  protecting  his  face  with  his  shield 
that  he  might  not  be  parched  with  the  flame  which  came  from  the 
throat  of  the  serpent,  made  two  halves  of  the  snake;  however,  it  was 
necessary  for  him  to  cut  a  part  of  the  lion's  tail,  in  order  to 
set  him  free. 

After  Ivain  had  delivered  the  lion  from  the  serpent,  he  thought 
that  he  would  have  to  fight  a  second  battle;  but  the  lion  extending 
his  paws  and  kneeling,  with  tears  of  humility,  Ivain  saw  that  the 
animal  was  grateful  to  him  because  he  had  saved  his  life.  Wiping 
away  the  poison  from  his  sword,  he  put  it  back  into  the  scabbard, 
and  resumed  his  journey.  The  lion  remained  by  his  side  as  a  faithful 
companion  resolved  to  protect  and  serve  him  as  long  as  he  lived. 
He  seized  a  roc  i)asturing  and  carried  it  to  Ivain  for  food.  A  week 
later  they  went  to  the  fountain  which  belonged  to  Ivains  lady.  At 
the  sight  of  the  fountainj  Ivain  swooued  away.  The  sword  slid  from 
his  shield,  and  the  point  presscd  his  neck  so  that  the  blood  fiowed 
and  the  lion  thought  his  companion  and  lord  was  dead.  The  beast 
writhed  and  would  have  killed  himself  with  the  weapon  which  had 
slain  his  master,  but  the  knight  came  to  himself,  and  the  lion  paused. 

On  anothcr  occasion  the  lion  scratched  under  a  Chamber  in  the 
Castle   of  Worst  Adventure   in    order   to   aid    liis  master  in  a  battle 


»)  Cf.   Foerster's  edition,  Halle,   1902,  vv.   3341— 352Ö;   4219— 424'J; 
4509-4565;    552G— 5627. 

Ztachr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI i.  10a 


158  Oliver  M.  Johnston. 

against  two  servants.  Again  he  helped  bis  lord  to  slay  the  Harpiü 
of  the  Mount,  änd  also  assisted  in  rescuing  Lunete  from  the  seneschal 
and  liis  two  brothers,  when  the  Hon  was  wounded. 

Suggestions  rcgarding  the  source  of  this  episode  inChretiens'poem. 

1.  Villemarque  and  San-Marte  have  expressed  the  opinion2) 
that  the  Version  of  the  Lady  of  the  Fountain  contained  in  the 
Mahinogion^)  is  the  source  of  Cln-etiens  Ivain.  On  this  point 
Gaston  Paris  reraarks:4)  „On  doit  sans  doute  en  dire  autant  des 
trois  recits  gallois  inseres  dans  les  Mabinogion,  mais  bien  differents 
des  autres  et  qui  repondent  anx  poemes  de  Chretien  de  Troies  sur 
firec,  Ivain  et  Perceval;  ils  ne  sauraient,  comrae  on  Ta  cru  autrefois, 
etre  la  source  oü  a  puise  le  poete  frangais;  ils  ne  proviennent 
certainement  pas  non  plus  de  ses  ouvrages;  ils  remontent  donc  k 
des  recits  semblables,  mais  autres,  et  il  est  tout  naturel  de  supposer 
que  les  redacteurs  gallois  ont  trouve  ces  recits  chez  leurs  voisins 
anglo-normands". 

2.  In  regard  to  the  origin  of  onr  poem,  K.  Simrock  says:^) 
^Daß  dem  Iwein  eine  deutsche  volkssage,  und  zwar  eine  sehr  alte, 
zu  gründe  liegt,  ist  noch  zu  wenig  erkannt;  freilich  findet  sie  sich 
auch  nur  entstellt  und  nicht  mehr  in  ihrem  ganzen  zusammenhange 
wieder.  Mit  der  sage  von  Heinrich  dem  Löwen,  in  der  jene  uralte 
Überlieferung  vollständiger  erhalten  ist,  hat  aber  die  aventüre  des 
ritters  mit  dem  Löwen  immer  noch  mehr  gemein  als  nur  diese  tier". 

3.  Foerster^)  and  Reiffenberg'^)  suggest  that  the  episode 
of  Ivain,  the  Lion,  and  the  Serpent  was  founded  upon  the  legend  of 
Androclus  and  the  Lion.  After  referring  to  the  literature  con- 
nected with  the  legend  of  Golfier  de  Las  Tours,  Foerster  adds  (op. 
cit.  p.  XLVII):  „Auf  diese  einem  Golfer  de  las  Tors  zugeschriebene 
Variante  geht  wohl  Kristian  zurück". 

4.  With  reference  to  this  episode  Baist  says:^)  Der  dankbare 
Löwe  in  den  lateinischen  und  griechischen  Quellen  (Holland,  Chretien 
S.  162  ist  wesentlich  vollständig)  scheint  eine  griechisch-römische 
Erfindung.  Die  Fabel  in  der  Heimat  des  Tieres  scheint  ihn  nicht 
zu  kennen,  da  man  es  persönlich  zu  genau  kannte.  Dem  Mittelalter 
sind  jene  klassischen  Quellen  fremd;  es  erhielt  die  Tradition  in  zwei 
verschiedenen  Formen  aus  der  Zeit  des  äussersten  Verfalls.  Der 
Romulus  hat  die  Androklesgeschichte  zur  Fabel  von  Löwe  und  Hirt 
abgekürzt. 


^  Rauch,  Die  Wülsche,  Französische  und  Deutsche  Bearbeitung  der  hvein- 
sage,  Berlin,  1869,  p.  6. 

'')  The  MaMnofjion,  translated  by  Lady  Cbarlotte  Guest,  London,  1877, 
pp.  1-77. 

*)  IJistoire  Littermre  de  la   France,  XXX,   13. 

^)  Altdeutsches  lesebuch  in  nettdeutscher  spräche^  p.  229. 

")  Cf.  op.  cit.,  p.  XLVII.  Coinpare  also  Foerster's  Yvain,  1891,  p.  XV, 

-!)  Gilles  de  Chin,  Uruxelles,  1847,   p.  XXXVIII. 

*)  Cf.  Zeitschrift  für  romanische  Philologie,  XXI,  404. 


Tlte  Episode  of  Yvain.  159 

5.  A.  Alilström  explains  this  episode  as  foUows:^)  „Le  höros 
de  la  Version  de  Graelent  ötait  de  Cornouaille,  celui  de  la  version 
de  Guigemar  de  Leonnois  (Lion,  Liun).  Le  pere  de  Guigemar  est 
nomine  „sire  de  Liun"  (Guig.,  V.  30)  et  le  fils  portait  naturellement 
le  raeme  titre.  Le  conte  fut  bientot  tres  populaire  et  se  propagea 
rapidement  dans  des  lieux  oü  le  nora  du  petit  pays  de  Leon  n'etait 
guöre  connu.  Mais  ce  qu'on  connaissait  partout,  c'etait  le  mot 
homophone,  le  lion,  bien  connu  par  les  nombreux  contes  d'animaux. 
On  comprit  donc  ^li  sire  de  Liun"  comme  le  Chevalier  qui  etait, 
pour  ainsi  dire,  en  rapport  avec  un  lion,  et  on  substitua  au  titre 
sire  de  Lion  la  forme  plus  usitee;  sire  ou  Chevalier  au  lion,  II 
fallait  encore  justifier  ce  nom  par  un  detail,  et  le  plus  simple  etait 
sans  doute  de  donner  au  höros  un  lion  pour  aide  et  compagnon. 
Cette  association  d'idees  se  fait  en  effet  si  naturellement  qu'on  n'a 
pas  du  tout  besoin  de  la  legende  d'Androcles  pour  l'expliquer^.  In 
bis  review  of  Ahlström's  article  Gaston  Paris  ^O)  says  in  regard  to 
this  explanation:  „Cela  me  paralt  assez  force,  et  je  crois  qu'il  y  a 
ä  Tintroduction  de  cet  episode  une  autre  explication". 

6.  After  referring  to  the  gratitude  of  the  lion  delivered  from 
a  serpent  by  Golfier  de  Las  Tours  Reiffenberg  says;  ^^)  Cette  anecdote 
n'est  rien  autre  chose  que  la  tradition  si  connue  du  Chevalier  au 
JJon.  A-t-elle  passe  du  roman  dans  Thistoire,  ou  de  l'histoire  dans 
le  roman?  Les  deux  opinions  sont  soutenables.  In  order  to  decide 
whether  the  adventure  attributed  to  Ivain  or  that  attributed  to 
Golfier  de  Las  Tonrs  is  the  older  it  will  be  necessary  to  examine 
the  various  versions  of  the  legend  connected  with  Golfier  de  Las  Tours. 

a)  Prior  of  Vigeois^S)  (ab.  1184). 

In  bis  chronicle  he  speaks  as  follows  of  Golfier's  adventure 
with  a  lion  and  a  serpent:  „Gulpherius  de  Turribus  ejusdem  dioecesis, 
vir  memoria  dignus:  qui  cum  crebros  concursus  exerceret  in  hostes, 
et  multa  damna  de  die  in  diem  inferret,  accidit  una  die  quod  rugitum 
cujusdam  leonis  a  serpente  circumligati  audivit;  et  audacter  accedens, 
leonem  liberat.  Qui,  quod  admirabile  dictu  est,  memor  accepti 
beneficii  cum  sequitur,  sicut  unus  leporarius;  qui  quamdiu  fuit  in 
terra  illa,  nunquam  recedens,  multa  commoda  illi  tulit,  tarn  in 
venationibus  quam  in  bellis:  dabat  carnes  venaticas  abundanter,  et 
adversarium  domini  sui  cursu  velocissimo  prosternebat:  et  dum  rediret, 
leo    ipsum     dimittere    noluit;     sed    nautis    ipsum    in    navi    recipere 


^)  Cf.    Sur    rOrgine    du   Chevalier    au    Lion    (Melanges   de 
Philologie  Romane,  dedies  ä  Carl  Wahlund.    Mäcon,  1896),  p.  300. 

1")  Cf.  Komania,  XXVI,  lOfi. 

")  See    Le  Chevalier  au  Cygne  et  Godefroid  de  Boinllon,    Bruxelles,   1848, 
vol.  II,  p.  XCI. 

'-)  Bouquet,    Jiecueil    des   Ilistoriens    des    Gaules   de    ta  France^    XII,  428. 
Compare  also  Labbe,  Nova  BilUotkeca,  II,  298.     Jiomania,  XXXIV,  G2. 

lOa* 


160  Olive?'  AI.  Johnsion. 

nolentibus,    ut    pote    aniraal  crudele,   secutus   est  dominum  natando, 
doucc  laborc  quievit^.^sj 

b)  Magnum  Chronicon  Belgicum.^"*) 

This  is  a  literal  reproduction  of  tbe  story  as  given  by  the 
Prior  of  Vigeois.^*')  Paul  Meyer  thinks  that  the  version  in  the 
Magiium  Chronicon  belgicum  was  either  taken  from  that  of  the 
Prior  of  Vigeois  or  both  are  derived  from  a  common  sourceJ^) 

The  Prior  of  Vigeois,  who  gives  the  first  version  that  I  have 
found  of  the  episode  of  Golfier,  the  Hon  and  the  serpent,  was  born 
about  1130  and  was  still  a  Student  at  the  Abbey  de  Saint-Martial 
de  liimogcs  in  1150.  According  to  his  owu  Statement,  he  finished 
his  chronicle  before  the  end  of  the  year  1184.1'^) 

In  an  articio  on  the  Chanson  d'Antioche  Provengale,  and  the 
Gran  Conquista  de  Ultramar,  Gaston  Paris  says :  i^)  „Une  autre 
aventure,  beaucoup  plus  celebre,  de  Golfier  de  Las  Tours,  Thistoire 
du  Hon  qu'il  delivra  d'un  serpent  et  qui  le  suivit  depuis  lors  comme 
un  chien  fidele  ne  doit  pas  s'etre  trouvce  daus  le  poeme.  D'une 
part,  la  Conquista  la  mentionnerait  sans  doute  ä  quelque  occasion; 
d'autre  part,  on  ne  voit  pas  oii  eile  s'intercalerait,  et  enfin  eile  est 
d'un  genre  de  merveilleux  qui  ne  repond  pas  au  caractere  de  notre 
poeme.  Bien  anterieure  ä  Golfier,  eile  s'est  attachee  ä  lui  comme^ 
ä  Ivain  et  comme  ä  un  autre   croise,   le   Flamand  Gilles  de  Chin'\ 

The  fact  that  the  story  of  Golfier  and  the  lion  does  not  occur 
in  the  Gran  Conquista  de  Ultramar  leads  one  to  believe  that  this 
adventure  was  not  attributed  to  Golfier  very  early.  It  is  therefore 
highly  probable  that  the  Golfier  legend  was  borrowed  from  the  tale 
of  Ivain   and   the   lion  to  which  it  bears  so  striking  a  resemblance. 


15)  For  a  later  reference  to  this  adventure  compare  Anecdotts  Historiques 
attributed  to  Etienne  de  Bourbon,  published  by  A.  Lecoy  de  la  Marche, 
Paris,  1878,  p.  188:  „Item  ab  aHo  audivi  quod,  cum  quidam  eum  liberasset 
a  serpente  et  sequeretur  eum,  ut  redderet  ei  beneficium,  cum  ille  intrasset 
mare  cum  navi,  leo  insequtus  est  eum  per  mare,  usquequo  submersus  est 
leo  dictus". 

1*)  Pistorius,  Rerum   Germanicarum  Scriplores,  III,   129 — oO. 

i"")  Our  legend  occurs  also  in  Flores  Chronicorum  de  Bernart  Gui. 
Compare  also  Fauriel,  IHstoire  de  la  Poesie  Provenqah  Paris  184G,  11,  p.  37'J;  Le 
Baron  de  Reiffenberg,  Le  Chevalier  au  Cygne  et  Godefroid  de  Bouillon^  Bruxelles, 
1848,  11,  pp.  XC — 111  ;  Holland,  Chreden  von  Troies.  Eine  Literaturgeschichtlicht 
Unttrsuchmi'j.     Tübingen,  1854,  p.  162. 

'•")  Cf.  Chanson  de  la  Croisade  contre  les  Albigeois,  Paris,  1879,  II.  p.  379,  note. 

1")  IHstoire  littfiraire  de  la  France^  XIV,  338. 

1")  Jiomauia,  XXII,  358,  note  1.  For  a  further  discussion  of  Golfier 
and  the  lion  compare  A.  Thomas,  Iloraania,  XXXIV,  56 — 65;  Arbeliot, 
Bull,  de  la  Soc.  bist,  et  arch.  du  Limousin,  vol.  XXIX.  Arbeliot 
says  that  the  lion  and  the  serpent  were  represented  on  the  tomb  of  Golfier 
and  his  wife  and  that  the  picture  of  these  animals  being  later  misunderstood 
gave  rise  to  the  legend  of  Golfier  and  the  lion. 


The  Episode  of  Yvain.  161 

7.  After  referring  to  the  first  part  of  the  Ivain  as  a  partly 
rationalized  faiiy  mistress  storyi'')  Arthur  C,  L.  Brown  says;2o)  „Then 
the  second  part  of  the  story,  beginniiig  ^Yhere  Ivain  is  cured  of  his 
madness,  ought  to  be  in  origin  a  journey  of  wonders,  in  which  the 
hero  aided  by  a  helpful  beast  should  fight  his  way  through  terrible 
dangers  back"  into  the  Other  World:  Fairy  mistress  storics  in  Celtic 
and  elsewhere  are  apt  to  eud  with  the  happy  return  of  the  hero  to 
live  with  his  supernatural  wife.  The  second  part  of  the  Ivain  would 
thus  be  a  sort  of  a  repetition  of  the  first.  The  hero  after  he  has 
lost  his  lady  must  begin  all  over  again  and  fight  his  way  anew 
through  the  Perilous  Passages  into  the  Other  World.  Such  is  in 
brief  the  theory  wbich  the  following  pages  will  discuss."  Again 
he  says^i):  That  the  lion  was  suggested  to  Chretien  by  something 
in  his  original  is  therefore  highly  probable,  though  the  present  form 
of  the  lion  episode  in  the  Ivain  may  owe  much  to  the  influence  of 
chivalric  tales  coming  from  the  liou-hauted  Orient". 

The  object  of  the  present  papcr  is  to  try  to  find  out  how  much 
of  the  legend  as  related  by  Chretien  was  derived  from  these. 
„chivalric  tales  Coming  from  the  lion-haunted  Orient"  and  how  much 
of  it  was  taken  from  other  sources,  Mr.  Brown  cites  several  stories 
in  which  an  animal  guides  the  hero  on  his  journey  to  the  Other 
World, 22)  but  it  will  be  remembered  that  in  the  Ivain  the  lion 
does  not  serve  as  a  guide. 

A  historical  examination  of  the  legend  of  the  K night  of  the 
Lion  reveals  several  closely  related  groups  of  stories  from  which 
this  episode  has  probably  been  derived. 

1.    Oriental  group. 

a)  Chinese  Version. 

In  Memoires  sur  les  Contrees  Occidentales^-^)  translated  from 
the  Chinese  into  French  by  Julien,  is  related  an  adventure  of  a 
hermit  who,  on  returning  to  his  native  country  after  having  visited 
and  adored  the  relics  of  Budha,  meets  a  number  of  elephants  crossing 
the  swamps  and  uttering  terrible  groans.  The  hermit  climbed  upon 
a  tree  to  avoid  thera,  but  at  this  moment  the  elephants  hurried  to 
a  pond  from  which  they  drew  out  the  water  with  their  trunks  and 
poured  it  upon  the  roots  of  the  tree,  After  having  dug  about  the 
tree,  they  overturned  it.  Then,  taking  the  hermit,  one  of  the  elephants 
placed    him    on   his   back   and   carried   him  in  the  midst  of  a  great 


1")  See  Arthur  C.  L.Brown,  Iwain:  A  Study  in  the  Origins  of 
Arthurian  Romance,  in  Harvard  Studies  and  Notes  inPhilology 
and  Literature,  VIII,  1 — 147. 

^"j  See  'The  Knight  of  the  Lion*  (Publications  of  the  Modern 
Language  Association  of  America,  vol.  XX,  674—75). 

21)  See  op.  cit.,  p.  67G. 

'")  See  op.  cit,  pp.  688—700. 

23)  Paris,  1857,  Vol.  I,  pp.  180—1. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI '.  H 


162  Oliver  M.  Johnston. 

forest,  where  a  sick  elepbant  lay  sufferiug  from  a  wouud  in  the  foot. 
The  elepliant  that  Lad  brongbt  the  hermit  into  the  forest  guided  his 
Land  to  the  place  of  pain  where  a  piece  of  bamboo  had  entered. 
The  hermit  extracted  the  bamboo  and  applied  medicinal  plants  to 
the  wound,  teariug  from  his  clothes  a  bandage  for  the  elephant's 
foot.  In  return  for  tbis  kindness  the  wounded  elepbant  gave  the 
hermit  a  golden  casket,  containing  a  tooth  of  Budha.  The  next  day 
being  a  day  of  fasting,  each  elepbant  brought  the  hermit  rare  fruits. 
After  he  had  eaten,  they  carried  bim  out  of  the  forest,  and,  then, 
getting  upon  their  knees  to  salute  him,  all  withdrew.  24) 

Menioires  sur  les  ContrSes  Occidentales,  the  collection  from 
which  this  story  was  taken,  was  translated  from  the  Sanscrit  into 
the  Chinese  in  643  by  Hiouen  Thsang. 

b)  Indian  Version. 25) 

According  to  this  Indian  tale  the  Räja's  son  came  to  a  jungle 
where  he  saw  a  tiger  suffering  great  pain  because  of  a  thorn  which 
had  been  in  bis  foot  for  twelve  years.  The  Räjä's  son  expressed 
a  willingness  to  remove  the  thorn  from  the  animal's  foot,  but  feared 
lest  the  tiger  might  devour  bim  afterward.  However,  after  the  tiger 
had  assured  bim  that  he  would  not  barm  bim,  he  at  once  relieved 
the  suffering  animal  by  the  extraction  of  the  thorn.  Thereupou  the 
tiger  and  his  wife  gave  bim  food  and  presents  and  kept  him  for 
three  days.  After  the  wounded  foot  was  completely  healed  the  Rajä's 
son  took  leave  of  the  tigers,  who  told  bim  to  think  of  them,  if  he 
were  ever  in  trouble  and  they  would  go  to  bim. 

2.    Androclus  and  the  Lion.26) 

a)  Apion  (preserved  in  Aulus  Gellius,  Noctes  Atticae,  V, 
14,  10). 

Apion  says  that  he  saw  Androclus,  a  doomed  slave  of  a  Roman 
«onsul,  in  the  Circus  Maxinuis  at  Rome,  where  he  had  been  placed 
to  be  devoured  by  wild  beasts.  A  lion  coming  up  to  him  wagged 
his  tail  in  the  manner  of  a  flattering  dog  and  licked  his  legs  and 
hands.  Androclus  was  at  first  frightened,  but  soon  recovered,  and, 
recognizing  the  lion,  both  were  fiUed  with  joy.  This  mutuai  recognition 
of  Androclus  and  the  lion  caused  murmur  and  excitement  among  the 
people.  Thus,  Caesar  asked  Androclus  to  explain  this  friendship 
between  him  and  the  lion.  In  response  to  this  request  Androclus 
Said  that  he  belonged  to  a  Roman  consul  in  the  proviuce  of  Africa 
where  he  lived  until  he  was  compelled  to  take  refuge  in  the  sohtudes 
of  the  plains   and   sands   because   of  the   daily   blows  given  him  by 


2*)  For  au  abridgement  of  this  Chinese  version  compare  Benfey,  Fant- 
sckatantra,  Leipzig,  185ü,  I,  210. 

2^)  See  Indian  Fairy  Tales,  collected  and  translated  by  Maive  Stokes, 
with  notes  by  Mary  Stokes,  and  an  introduction  by  W.  R.  S.  Ralston,  M. 
A.,  London,  1880,  pp.  155—15.0. 

29)  Cf.  Baist,  op.  cit,  p.  404;   Gaidoz,  Melusine,  V,  73 ff. 


The  Episode  of  Yvain.  163 

bis  master.  Then,  siuce  the  suu  was  liot  and  beating,  be  entered 
a  secret  and  remote  cavern,  Soon  a  lion  carae  to  tbis  cavern,  uttering 
groans  because  of  tbe  pain  and  torment  in  bis  wounded  foot. 
Androclus  was  frigbtened,  bat  tbe  lion,  seeing  bim,  approached  with 
bis  foot  uplifted  to  ask  aid.  Androclus  extracted  tbe  thorn,  pressed 
out  tbe  pus,  dried  tbe  wouud,  and  wiped  off  tbe  blood.  After  tbis 
relief  tbe  lion  went  to  sleep.  Tbe  man  and  tbe  lion  lived  in  tbis 
cave  tbree  Years.  Wbatever  wild  beasts  tbe  lion  caugbt  wbile  bunting 
be  brougbt  to  Androclus  wbo  roasted  tbem  in  tbe  mid-day  sun. 
Finally  Androclus  grew  sick  at  beart  of  tbis  brute-like  life  and  left 
tbe  cave  wbile  tbe  lion  was  off  bunting.  After  a  journey  of  tbree 
days  be  was  taken  by  soldiers  and  led  back  to  bis  master  at  Rome, 
wbere  be  was  condemned  to  be  devoured  by  wild  beasts.  But  tbe 
lion  from  wbose  foot  be  bad  extracted  tbe  tboru  was  in  tbe  tbeater, 
wbere  be  was  to  be  given  as  food  to  tbe  beasts,  and  spared  bim 
througb  gratitude.  At  the  request  of  tbe  people  Androclus  was 
released  and  tbe  lion  was  given  to  bim. 

b)    Aeliauus,  De  Natura  Animalium,  VII,  48. 

Tbe  legend  as  related  by  Aelianus  is  almost  tbe  same  as  tbat 
found  in  (a),  tbe  only  importaut  cbange  being  tbat  in  Aelianus  tbe 
lion  saves  Androclus's  life  twice.  After  tbe  people  bad  observed  tbe 
friendsbip  between  Androclus  and  tbe  lion.  tbey  tbougbt  bim  a  sorcerer 
and  let  loose  a  leopard  to  devour  bim,  bot  the  lion  defends  tbe  man 
and  rends  tbe  leopard.-'') 

One  can  see  at  a  glance  tbe  close  resemblance  between  tbe 
Androclus  legend  and  tbe  Budhistic  original.  In  tbe  forraer  tbe 
elepbant  bas  beeu  replaced  by  a  lion.  In  botb  sets  of  stories,  bowever, 
tbe  wounded  foot  of  au  aniraal  is  bealed  by  the  extractiou  of  a 
splinter  or  tborn,  and  in  botb  cases  tbe  beast  sbows  bis  gratitude 
by  giving  food  and  aid  to  bis  physician.  In  the  versions  of  tbe  story 
of  Aiidroclus  and  the  Lion  just  given  Androclus  meets  the  lion  and 
extracts  tbe  splinter  from  bis  foot  in  Libya.  In  Aelianus  Libya  is 
mentioned  and  in  Gellius  the  place  of  meeting  is  Africa,  Libya  and 
Africa  being  used  intercbaugeably.  The  oldest  version  of  tbe  legend 
that  I  have  been  able  to  find  is  tbat  of  Apion  preserved  in  Gellius, 
Noctes  Atticae.     According  to  the   brief  biograpbical  sketcb  given 


2')  The  brief  account  of  the  liou  story  given  by  Pliny  in  his  Xatural 
Blstory,  VIII,  21,  niay  be  mentioned  bere  also,  since  it  is  connected  with  a 
definite  personality  just  as  in  the  case  of  the  group  Amhodus  and  the  Lion. 
According  to  Pliny's  version,  Mentor,  a  native  of  Syracuse,  was  met  in  Syria 
by  a  lion,  who  rolled  before  him  in  a  suppliant  manner;  thoiigh  smitten 
with  fear  and  desirous  to  escape,  the  wild  beast  on  every  side  opposed  his 
flight,  and  licked  his  feet  with  a  fawning  air.  lipon  this  Mentor  observed 
on  the  paw  of  the  lion  a  swolling  and  a  wound,  from  which  he  extracted  a 
splinter.  Compare  also  üctavian,  edited  by  Karl  VollmoUer  (Alt- 
französische  Bibliothek,  vol.  III),  w.  554—959;  Alexander  Neckam, 
De  Naturis  rerum  II,  148. 

II* 


164  Oliver  M.  Johnston. 

in  the  Encyclopedia  Britannica  Apion  was  born  at  Casis  in 
Libya,  but  called  himself  a  iiative  of  Alexandria,  where  he  studied. 
Apion's  biographer  also  states  that  he  taught  rhetoric  at  Rome  about 
30  A.  D.  It  was  probably  about  this  tinie  that  he  wrote  bis  version 
of  the  legend  of  Androclus  and  the  Lion.  The  story  may  have 
beeu  circulated  at  Rome,  however,  sometime  before  it  was  put  into 
written  form. 

3.    The  Lion  and  the  Shepherd. 

The  different  fahles  of  this  group  are  quite  similar.  A  hon 
being  wouuded  in  the  foot  by  a  thorn  or  a  root  goes  to  a  shepherd 
who  extracts  it.  The  pain  being  relieved,  the  lion  goes  on  bis  way. 
Later  he  is  taken  to  au  amphitheater  where  criminals  are  devoured  by 
wild  beasts.  The  liou's  pbysiciau  is  always  a  timid  or  frightened 
shepherd  who  heals  the  wounded  foot  through  kiudness.  Shortly 
after  he  effects  the  eure  he  is  accused  of  crime  and  sentenccd  to  be 
given  as  food  to  the  wild  beasts  in  the  theater.  It  happens  that 
the  lion  whose  foot  the  shepherd  had  healed  is  in  the  place  where 
he  is  to  be  thrown  to  the  animals.  When  the  shepherd  is  exposed 
in  the  arena,  the  lion  recognizing  him  as  the  one  who  had  extracted 
the  thorn  from  bis  foot,  not  only  spares  him,  but  is  affectionate  and 
friendly.  When  the  origin  of  the  friendship  between  the  lion  and 
the  shepherd  is  known,  both  are  set  at  liberty. 

The  oldest  extant  version  of  the  Lion  and  the  Shepherd  is 
that  of  the  chronicler  Ademar  de  CLabannes,  who  wrote  about  1029. 
However,  thirty  of  the  fahles  of  Aderaar  are  fouud  in  Phaedrus,  and, 
by  a  careful  comparison  of  these  with  the  corresponding  fahles  of 
Phaedrus,  Hervieux^s)  has  found  that  Ademar  is  an  almost  literal 
translation  of  Phaedrus.  Hence,  he  concludes  tbat  the  thirty- seven 
fahles  of  Ademar  which  do  not  occur  in  the  collection  of  Phaedrus 
as  it  has  come  down  to  us  must  also  be  Phaedrian  fahles.  Therefore 
we  are  reasonably  sure  that  our  fable  of  the  Lion  and  the  Shepherd 
dates  from  Phaedrus.  This  fable  is  the  tirst  in  the  third  book  of 
Phaedrus,  the  composition  of  which  Hervieux2'')  places  at  a  period  when 
Tiberius  was  still  living.  Hence  we  may  place  the  date  of  the  composition 
of  the   fable    of  the   Lion    and   the   Shepherd   at   about    35  A.  Dß^) 

Xo  one  will  deny  that  the  legend  of  the  Knight  of  the  Lion 
as  related  by  Chretien  must  have  been  derived  for  the  most  part 
from  the  theme  contained  in  the  three  groups  of  stories  just 
analysed.31)     The  rescue  of  the  lion  from  the  serpent  by  Ivain,  the 


-ä)  See  Les  Fabulistes  Latim  (deuxieme  edition),  Paris,  1893,  Vol.I,  p.  243. 

-^)  See  op.  cit.,  p.  23. 

''^')  For  the  sources  and  derivatives  of  the  various  Latin  collections 
from  which  the  most  of  the  versions  of  the  fable  ot  the  Lkm  and  the  Shepherd 
examined  for  this  study  were  taken  compare  Hervieiix,  op.  cit.,  Vol.  L 

3')  For  other  similar  stories  compare  Grimm's  Altdänische  HeWenlitder, 
Balladen  imd  Märchen,  Heidelberg,   1811,  pp.  440 — 474. 


Tlie  Episode  of   Yvain.  165 

gratitude  of  the  Hon  for  tbis  service,  the  companionsbip  of  Ivain 
and  the  lion,  and  the  aid  given  Ivain  bj'  the  lion  during  the  adventures 
mentioned  in  the  second  pari  of  the  story  constitute  the  principle 
motifs  of  the  tale  as  told  by  Chretien.  The  first  two  of  these 
motifs,  namely,  the  service  reudered  the  animal  and  the  gratitude 
of  the  animal  are  practically  the  same  in  all  of  these  stories.  The 
only  point  of  difference  to  be  noted  is  that  the  thing  that  the  hero 
does  to  relieve  the  animal  in  each  case  is  different.  In  Chretien 
Ivain  rescues  the  lion  from  a  serpent,  while  in  the  other  stories 
cited  the  hero  removes  a  thorn  or  splinter  from  the  foot  of  a 
suffering  animal.  The  companionsbip  of  Ivain  and  the  lion  also 
finds  a  parallel  in  Apion's  version  of  the  legend  of  Androclus  and 
the  Lion,  and  abstract  of  which  has  already  been  given.  According 
to  Apion  Androclus  and  the  lion  lived  together  in  a  cave  for  three 
years,  and  the  lion  carried  to  Androclus  wbatever  wild  beasts  be 
caught  while  huuting.  The  aid  received  by  Ivain  from  the  grateful 
lion  seems  to  bave  been  borrowed  from  the  theme  of  the  cyclo  of 
stories,  known  as  the  Grateful  Aniraals.32)  A  good  example  of 
this  group  of  stories  is  the  one  published  by  Stokes  in  Indian 
Fairy  Tales.33)  According  to  this  tale  a  prince  gave  to  some 
ants  the  cakes  that  he  had  carried  to  eat  on  bis  journey,  whereupon 
the  king  of  the  ants  told  bim  that  if  he  vvere  ever  in  trouble,  he 
would  only  have  to  think  of  bim  (the  king)  and  the  ants  would 
immediately  come  to  aid  bim.«  Later  when  the  prince  wanted  to 
marry  the  Princess  Labam,  her  father  had  eighty  pounds  of  mustard 
seed  brought  in  and  told  the  prince  that,  if  be  did  not  press  the 
oil  out  of  each  grain  by  the  next  day,  it  would  be  necessary  for 
bim  to  die.  The  prince  then  thought  of  the  king  of  the  ants  and 
the  ants  came  at  once  to  perform  the  task  that  had  been  imposed 
upon  bim. 

The  theme  of  this  cycle  of  stories  is  so  widely  diffused  in  the 
literatures  of  different  countries  that  it  seems  unnecessary  to  cite 
any  more  versions  of  it.  Suffice  it  to  say  that  the  manner  in  which 
the  grateful  animals  of  this  story  aid  the  one  who  had  rendered 
tliem  a  service  bears  a  striking  resemblance  to  the  way  in  which 
the  lion  gave  aid  to  Ivain  in  bis  adventures.  It  is  therefore  highly 
probable  that  the  story  of  the  Grateful  Animals  and  the  legend 
of  Androclus   and  the  Lion   furnished   the   principal    motifs   of  the 


^-)  See  Romania  X,  133  —  142.  Compare  also  the  stories  cited  by 
Mr.  Brown,  op.  cit.,  pp.  702 — 705.  It  will  be  observed  however  that  in  the 
stories  analysed  by  Mr.  Brown  the  animals  do  not  aid  the  hero  because  of 
their  gratitude  for  a  service  that  he  had  rendered  thom  as  is  the  case  in 
Chretien.  The  motive  for  this  service  on  the  part  of  tho  animals  was 
doubtloss  originally  the  gratitude  that  they  feit  because  of  the  aid  they  had 
received  from  the  hero.  If  this  be  true,  the  form  of  the  legend  contained 
in  the  Ivain  is  older  than  that  contained  in  the  tales  mentioned  by  Mr.  Brown. 

33)  London,  1880,  No.  22. 


166  Oliver  M.  Jolinston. 

tale  of  Ivain  and  tlie  lion  as  related  by  Cliretien.  The  fact  tliat 
these  stories  were  so  similar  rendered  their  fusion  very  easy.  The 
present  study  does  not  undertake  to  say  how  early  this  classical 
and  oriental  story  material  was  known  in  Celtic  literature  and  how 
it  reached  Chretien.  If  I  liave  succeeded  in  pointing  out  the  groups 
of  stories  from  which  Cliretien's  account  of  the  helpful  lion  was 
derived  the  object  of  this  study  has  been  accomplished.  With 
reference  to  the  origin  of  the  theme  of  the  grateful  auimal  E.  Cosquin 
says:3-i)  „Cette  idee  de  Services  rendus  ä  des  animaux,  d'animaux 
reconnaissants,  est  une  idee  tout  indienne.  II  y  a  lä  l'empreinte  du 
boudhisme.  D'apres  Tenseigneraent  boudhique,  l'animal  et  Thomme 
sont  essentiellement  identiques:  dans  la  serie  indefinie  de  trans- 
migrations  par  laquelle,  selon  cette  doctrine,  passe  tout  etre  vivant, 
Tauimal  d'aujourd'hui  sera  Thomme  de  demain,  et  reciproquement. 
Aussi  la  charite  des  boudhistes  doit  s'etendre  ä  tout  etre  vivant,  et, 
dans  la  pratique,  comme  l'a  fait  remarquer  M.  Benfej',  les  animaux 
en  profitent  bien  plus  que  les  hommes.  Quand  ä  la  reconnaissance 
des  animaux,  le  boudhisme  aime  k  le  mettre  en  Opposition  avec 
l'ingratitude  des  hommes". 

Oliver  M.  Johnston. 


3*)  See  Romania  X,  141—142. 


L' Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne/) 

Im  Avis  du  lihraire  der  Aufgabe  der  Apologie-)  vom  Jahre 
1735,  findet  sich  folgendes  Gutachten  von  Sallengre  über  die  mut- 
maßlichen Absichten,  die  Estienne  zur  Abfassung  seines  Werkes 
bewogen  haben  könnten:  „ Henri  £tiene,  noits  dit  M7\  de  Sallengre, 
avoit  imprime  ä  grands  frais  VHistoire  d'Herodote.  Ses  enne- 
mis  ....  qui  ne  cherchoient  que  Voccasion  de  le  ruiner,  decrierent 
par  taut  ceite  histoire,  disant  qu'elle  etoit  remplie  de  fahles  et  de 
contes  ä  dormir  debout.  Henri  Etiene  pour  prSvenir  Ceffet  d'une 
teile  occupation  entreprit  de  se  justifier  .  .  .  en  puhliant  l' Apologie" 
und  der  libraire  setzt  auf  eigene  Rechnung  die  Behauptung  hinzu, 
daß  das  Werk,  das  er  dem  Publikum  biete,  den  besten  Be^yeis  dafür 
liefere,  daß  die  Wahrhaftigkeit  des  griechischen  Autors  nicht  anzugreifen 
sei,  nachdem  aus  einem  Vergleich,  der  von  Herodot  gelieferten  Er- 
zählungen mit  den  Ereignissen,  die  zu  Etienne's  Zeit  spielen,  zur 
Genüge  hervorgehe,  daß  auch  die  Berichte  der  näher  liegenden  Zeit 
bisweilen  das  Gepräge  der  Unwahrscheinlichkeit  an  sich  tragen. 

1)  Die  Übersetzung  ist  von  unserer  Mitarbeiterin  Frau  Dr.  M.  J.  Minchvitz 
in  München  nach  der  italienischen  Niederschrift  des  Herrn  Verfassers 
hergestellt. 

2)  Apologie  pour  Uerodole  ou  traite  de  la  conformüe  des  merveilles  anciennes 
avec  les  modernes  par  Henri  Estienne  ed.  Le  Duchat,  zwei  Bände,  La  Haie, 
1732.  Der  libraire  verweist  auf  die  Memoires  de  Hu.  de  Mr.  de  Sallengre^ 
Haie,  1715,  vol.  I.  p.  38.  —  Apologie  pour  Herodote  par  Henri  Estienne  avec 
introdudion  et  notes  par  P.  Ristelhuber,  vol.  IL,  Paris  1869.  —  H.  Dieterle, 
Henri  Estienne,  Strassburger  Dissertation,  1895. 

Unter  den  Studien,  die  unserm  Autor  gewidmet  sind,  ragt  besonders 
Louis  Clement,  Henri  Estienne  et  son  amvre  fra/iqaise,  Paris,  1899,  hervor. 
Cfr.  vor  allem  das  Kap. :  La  satire  et  le  Conte  dans  V Apologie  pour  Herodote. 
In  einigen  Beziehungen  erlauben  wir  uns  jedoch  anderer  Ansicht  zu  sein 
als  der  treffliche  Verfasser,  und  sind  überzeugt,  dass  er  selbst  beim  Durch- 
lesen unserer  vergleichenden  Anmerkungen  folgendes  Urteil  etwas  moditi- 
cieren  wied:  „C'e?'/e«,  il  a  Leaucoup  plus  tradtdt,  que  Marguerite  de  Navarre,  puis 
quil  transcrit  des  passages  entiers  de  VHeptameron  (p.  93)  11  fait  aussi  des  emprunts 
aux  Italiens,  surtout  <>  Boccace,  et  aux  contes  latins  de  Pogge.  Mais  en  somme,  ce 
gü'il  a  copie  nest  qu'une  jmrtie  de  son  recueil;  pour  l'autre,  le  recit  lui  appartient, 
stnon  toujours  pour  le  fonds,    du  nioins  par  la  mise  en  (tuvre  et  par  le  style.''    Auch 

die  Ansichten  Clement's  über  die  religiösen  Ansichten  Estienne'e  teilen  wir 
nicht:  wir  werden  eher  nachzuweisen  suchen,  dal's  er  vielmehr  ein  Sohn 
Rabelais'  ist,  den  er  so  bitter  bekämpft,  als  des  starren  Protestantismus, 
dem  die  Apologie  so  günstig  gestimmt  scheint. 


168  P.   Joldo. 

Ich  kann  unmöglich  glauben,  daß  Estienne,  obwohl  er  als 
Drucker  seiner  Kunst  leidenschaftlich  ergeben  und  zugleich  ein  aus- 
gezeichneter Gelehrter  war,  eine  so  ausfuhrliche  Publikation  einzig 
und  allein  zu  dem  Zwecke  unternommen  haben  sollte,  den  Ruf  der 
Wahrhaftigkeit  des  „primo  pittore  delle  tnemorie  aniiche'-'-  zu  ver- 
teidigen. Diesem  Zweck  hätte  eine  Vorrede  des  gelehrten  Verfassers 
des  Thesaurus  linguae  Graecae  schon  zur  Genüge  entsprochen;  tat- 
sächlich hatte  er  sich  ja  in  dem  längereu  Vorwort  zum  lateinischen 
Herodot  bereits  über  dieses  Thema  hinreichend  geäußert.  Andrer- 
seits war  es  Estienne  sicherlich  nicht  entgangen,  mit  welcher  Behut- 
samkeit Herodot  von  einigen  Legenden  Bericht  erstattet,  die  nicht  viel 
Wahrscheinlichkeit  für  sich  haben.  Die  Geschichte  von  Gau  da  nie 
z.  B.  wird  in  der  Form  eines  mit  Sprichwörtern  und  Sentenzen 
geschmückten  Zwiegesprächs  zwischen  Herr  und  Diener  auseinander- 
gesetzt, die  über  den  Ernst  des  Erzählers  einiges  Bedenken  weckt; 
anläßlich  des  noch  viel  mehr  Ueberraschung  hervorrufenden  Aben- 
teuers des  Spitzbuben  Rampsinito,  bemerkt  Estienne  in  seiner 
Uebersetzung  (Kapitel  XV)  daß  ^Juy  mesme  (d.  h.  Herodot)  proteste^ 
qu'il  ny  adjoiiste  pas  foy,  mais  qu'ü  la  donne  pour  teile  qu'on 
luy  a  donnee'^  und  er  glaubt  auch  gar  nicht,  daß  der  König  die 
Ehre  seiner  Tochter  preisgeben  würde  einzig  und  allein  um  die  Be- 
friedigung zu  haben,  einen  abgefeimten  Schurken  erwischt  zu  sehen. 
Eine  zweibändige  Verteidigungsrede  für  so  geringfügigen  Anlaß  würde 
stark  an  Übertreibung  grenzen. 

Estienne  hatte  also  ein  ganz  anderes,  größeres  Ziel  im  Auge, 
und  viel  weniger  die  rein  klassische  Absicht,  die  man  ihm  gewöhnlich 
zuschreibt;  Herodot  kam  erst  in  zweiter  Linie  in  Betracht,  richtiger 
gesagt,  er  diente  bloß  der  Satire  des  XVI.  Jahrhunderts  zum  Vorwand. 
Denn  die  Apologie  ist  wirklich  eine  satirische  Schrift,  in  welcher 
die  Mängel  der  Gesellschaft  jener  Zeiten  einer  Musterung  unterworfen 
werden,  um  besser  dartun  zu  können,  daß  die  Rohheiten  und  Ver- 
gewaltigungen aller  Art,  die  von  dem  griechischen  Schriftsteller 
berichtet  werden,  wenig  zu  besagen  haben  angesichts  der  Vorkomm- 
nisse, die  inmitten  der  französischen  Renaissance  spielen.  Aber  Estienne 
ist  kein  friedlicher  und  unparteiischer  Beobachter,  sodaß  seine  Dar- 
legungen mehr  Zweifel  erregen  müssen,  als  die  Legenden  des  Verfassers 
der  ^^Geschichten'"'' .  Er  ist  in  der  Zeit  der  Religionskriege  auf- 
gewachsen, inmitten  des  Hasses  der  Parteiungcn;  er  lebt  in  Genf, 
am  Herde  des  Protestantismus;  unser  Autor  hegt  mächtigen  Groll, 
ja  sogar  ausgesprochenste  Abneigung  gegen  die  ^tholisclie  Kirche 
und  ihre  Diener.  Durch  den  Einfluß,  den  die  Italiener  in  Frankreich 
errungen  hatten,  ist  noch  ein  anderer  Haß  in  seiner  Seele  geweckt 
worden,  der  Haß  gegen  die  Italiener  und  alle  diejenigen,  die  ihnen 
nacheifern,  sie  begünstigen,  oder  ihre  Vorzüge  anerkennen. 

Die  Apologie  ist  daher  eine  ausführliche  Invektive  gegen  die 
„messotiers" ,  die  ^j'^picoles"  und  die  Nachbarn  jenseits  der  Alpen, 


L' Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne.  169 

unter  denen  er  anscheinend  drei  Jahre  lang  gelebt  hatte,  ein  Zeit- 
raum, der  vielleicht  genügt,  Mängel  ausfindig  zu  machen,  aber  zu 
kurz  war,  um  das  Mißtrauen  und  das  einmal  gefaßte  Vorurteil  zu 
überwinden,  wodurch  er  behindert  wurde,  auch  Vorzüge  zu  erkennen. 
Dem  ungeachtet  bewahrt  seine  Druckerkunst,  seine  humanistische 
Bildung,  sein  ganzes  geistiges  Leben  deutlich  die  Spuren  jenes  italie- 
nischen Einflusses,  den  er  in  so  schroffer  Form  bekämpft,  und  seinem 
Geiste  drängen  sich  jeden  Augenblick  Erinnerungen  auf  an  Venedig 
und  die  Piazza  San  Marco,  an  Padua  und  die  reichhaltigen  italienischen 
Bibliotheken,  aus  denen  er  seltene  Bücher  erwirbt,  au  Genua  und 
„Boulogne  la  grasse",  und  an  Florenz  und  seine  Stoffe  und  seine 
Kunst.  Auf  Florenz  und  Neapel  stimmt  er  sogar  ein  Loblied  an. 
Die  Franzosen  fälschen  die  „sarge  de  Florence",  und  er  protestiert 
dagegen;  die  Italiener  haben  viele  Laster,  dennoch  besucht  er  fleißig 
die  Vorlesungen  ihrer  Professoren,  obwohl  er  zu  der  Gattung  von 
Schülern  gehört,  die  weder  ihr  Geld  noch  ihre  Zeit  wegwerfen.  Aus 
der  Musterung  der  Quellen  der  Apologie  wird  man  in  dem  Folgenden 
ersehen  können,  wie  viel  er  den  Schriftstellern  der  „Penisola"  ver- 
dankt. Aber  seine  Antipathie  gegen  die  Italiener  entstammte  seinem 
Haß  gegen  die  Kirche  von  Rom;  Päpste  und  Cardinäle  sind  (wenigstens 
seiner  Ansicht  nach)  italienische  Souveraine  und  Fürstlichkeiten,  die 
Frankreich  oft  persönlich  abgeneigt  und,  was  kaum  gesagt  zu  werden 
braucht,  die  erklärten  Gegner  der  Reformierten  sind. 

Die  Apologie  des  Herodot  ist  somit  nur  ein  Vorwand,  genau 
so  wie  bei  Rabelais  die  Geschichte  von  Gargantua  und  seiner  Familie 
nur  zum  Vorwand  dient  seltsame  Einfälle  und  scharfsinnige  Betrach- 
tungen hineinzuweben,  oder  wüe  später  für  Fenelon  die  Wanderungen 
des  Sohnes  von  Odysseus  Mittel  und  Anlaß  sein  werden,  moralische 
und  paedagogische  Begriffe  zu  entwickeln.  "Wie  überhaupt  viele 
beachtenswerte  Kunstwerke,  vor  allem  die  Dante'sche  Vision,  das 
Thema  bloß  zum  Vorwand  wählen. 

Der  Zw^eck  der  Apologie  findet  sich  in  klaren  Umrissen  vor- 
gezeichnet im  ersten  Teile,  verwischt  und  verwirrt  im  zweiten;  über- 
all Abschweifungen  aller  Art  und  Beispiele  und  kleine  Geschichten, 
die  gewissen  abstrakten  Ideen  zur  Illustration  dienen  sollen,  aber 
schließlich  den  Leser,  wenn  nicht  verwirren,  so  doch  vom  Haupt- 
thema ablenken.  Die  Apologie  hebt  an  mit  dem  Zeitalter  Saturns 
und  ergeht  sich  in  einer  Art  von  „discows  gSneral  des  vices  et 
vertus  de  V antiquite''  und  ohne  den  Lobsprüchen,  die  von  den  Dichtern 
dem  goldenen  Zeitalter  gespendet  werden,  zuviel  Glauben  beizumessen, 
behauptet  Estienne  mit  der  Bibel  in  der  Hand,  daß  dieses  Zeitalter 
auf  alle  Fälle  um  vieles  besser  war  als  das  nachfolgende,  und  daß 
dieses  wiederum  besser  war  als  das  folgende,  weil  „/e  monde  va  tou- 
jours  ä  rempire''-  und  wir  Modernen  folglich  schlechter  sind  als  die 
Menschen  des  verflossenen  Jahrhunderts  und  besser  als  die  Kinder 
und  künftigen  Enkel.     Die  Beweisführung  würde  im  vorliegenden  Falle 


170  P.   Toldo. 

des  Vergleichs  zwischen  zwei  oder  mehreren  bestimmt  abgegrenzten 
Zeiträumen  bedürfen;  man  müßte  verschiedene  historische  Perioden 
derartig  zueinander  in  Beziehung  setzen,  daß  eine  derartige  Ver- 
schlechterung der  Zustände  zu  Tage  träte,  oder  wenigstens  das  Alter- 
tum und  die  Neuzeit  gegeneinander  abwägen,  ein  schwieriges  um  nicht  zu 
sagen  thörichtes  und  absurdes  Unterfangen,  da  aus  Mangel  an  genauen 
historischen  und  statistischen  Angaben  der  Vergleich  missglücken  und 
sich  in  hohles,  rhetorisches  Gerede  verlieren  würde.  Aber  bei 
Estienne's  Vergleich  der  zwei  Geschichtsperioden,  verdunkelt  die  eine, 
das  Altertum,  die  andere,  d.  h.  die  Neuzeit,  fast  vollständig,  wächst 
in  ihrer  Isolierung  in's  Riesenhafte  und  wird  nur  dem  unmittelbar 
darauf  folgenden  Zeitalter  nahe  gerückt:  „Comment  cVautant  gue  la 
mechanceie  du  sihcle  dernier  passe  est  plus  grande  que  des  siecles 
precedens^  d'autant  la  mechancete  de  nostre  siede  outrepasse  celle 
dudict  dernier."-  Um  die  Verfehlungen  des  eigenen  oder  des  ver- 
flossenen Jahrhunderts  zu  erwägen,  greift  Estienne  zu  dem  bequemen 
System  der  etwas  willkürlichen  Einteilung  in  Hauptsünden  und  spricht 
von  der  Unzucht  in  einem  detaillierten  Kapitel,  das  von  der  So- 
domiterei  handelt,  von  der  Gotteslästerung  im  weitesten  Sinne  des 
Wortes,  vom  Diebstahl,  von  der  Ungerechtigkeit,  vom  Totschlag  und 
von  der  Grausamkeit.  Jedes  dieser  Laster  hat  sich  sozusagen  im 
Laufe  der  Jahrhunderte  verfeinert  und  vervollkommnet,  aber  jederzeit 
stehen  die  Italiener  in  allen  Lastern  voran  und  sind  für  die  Franzosen 
die  Lehrmeister  in  jeder  Art  der  Verderbniß  gewesen.  Handelt  es 
sich  um  Unzucht  oder  paillardise?  In  Frankreich  ist  sie  wahrhaftig 
zur  bodenlosen  Frechheit  angewachsen,  aber  das  Alles  ist  doch  nichts 
im  Vergleich  zu  dem  Material,  was  jenseits  der  Alpen  geboten  wird. 
"Was  die  Sodomiterei  anbelangt,  so  lassen  sich  einige  sporadische 
Fälle  in  Frankreich  nicht  in  Abrede  stellen,  aber  der  Herd  der  Infec- 
tion  befindet  sich  auf  der  „Penisola"  und  insbesondere,  selbstverständlich 
in  Rom.  In  Paris  lästert  man  Gott,  aber  diese  Lästerungen  sind 
nicht  schwer  von  Gewicht  und  gleiten  ab,  während  sich  Leistungen 
nach  Art  der  Toskaner,  der  Venezianer,  der  Römer  und  der  Ge- 
nuesen tief  dem  Gedächtnis  einprägen.  Die  Diebstähle  und  die 
Mordtaten  nehmen  in  Frankreich  ganz  bedenkliche  Proportionen  an,  aber 
hier  raubt  man  wenigstens  mit  eigener  Lebensgefahr  und  tötet  ein- 
ander, dem  Gegner  in's  Auge  sehend;  die  Bewohner  der  Penisola 
aber  begehen  Meuchelmord,  indem  sie  hinterrücks  verwunden  und  mit 
lächelnder  Miene  entwenden 3).     Kurz,    die  Italiener  würden   für  den 


'■')    „Coelum  non  animum  mutant  qui  trans  mare  currimt,"   so  singt  Horaz  und 

wiederholt  unser  Autor,  wenn  er  von  den  Reisen  spricht,  die  seine  Lands- 
leute nach  Italien  führten,  dem  Sammelplatz  aller  Laster  und  der  Schule 
jeglicher  Verdorbenheit.  Aber  Estienne  bedenkt  nicht,  dass  der  Vers  des 
römischen  Dichters  einfach  besagen  will,  dass  derjenige,  der  eine  Reise  tut, 
deshalb  seinen  Sinn  nicht  ändert,  und  dass  der  schlechte  Mensch,  der  aus- 
zieht,   ebenso  schlecht  zurückkehrt;   wenn  folglich   die  Franzosen  bei  der 


L' Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne.  171 

Gipfel  jedes  Lasters  gelten  und  den  Höbepunkt  aller  Korruption 
erklommen  haben,  wenn  unser  Autor  nicht  nach  Äußerungen  über  die 
Menschheit  im  allgemeinen  ebensoviele  eingehende  Kapitel  dem  Klerus 
insbesondere  widmete  und  zwar,  wie  kaum  bemerkt  zu  w'erden  braucht, 
ganz  von  seinem  individuellen  Standpunkt  aus.     A  tout  seigneur  taut 

Rückkehr  von  der  appeniuischen  Halbinsel  zu  jeder  Schändlichkeit  fähig 
waren,  so  beweist  das  nur  den  von  Anfang  an  vorhandenen  natürlichen  Hang 
zur  Schlechtigkeit.  Über  die  Reisen  von  Franzosen  in  Italien  und  die 
wichtige  Rolle  der  Italiener  von  jenseits  der  Alpen  im  politischen  Leben, 
in  Bankverhältnissen,  überhaupt  Handel  und  Wandel  cfr.  C.  Piton,  les  lom- 
bards  en  France  ei  ä  Paris^  Favh  1892;  Ernesto  Monaci,  GH  Itallani  in  Fran- 
cia  durante  il  medio  evo,  Roma  Lincei  1S95  und  alles  auf  dieses  Thema 
Bezügliche  hei  Emile  Picot,  Les  italiens  en  France  au  XVI^  sücle  {Bulletin 
Italien  1901 — 1902),  Des  frangais  qui  ont  ecrit  en  Italien  au  XV I^  siede  {Revue  des 
bibl,  1898 — 1902),  Li's  francais  k  Vuniversite  de  Ferrare  au  XV^  et  au  XVI^  siede 
(Journal  des  Savatiis  1902)  etc. 

Den  Franzosen,  die  über  die  Alpen  ziehen  —  sagt  Estienne  —  steht 
die  Wahl  frei.     Siena  rühmt  sich  wegen  vier  Dingen: 

„Dl  lorri  e  di  campane 

Di  bardasse  e  di  puttane" 
aber  Rom  besitzt  die  Besonderheit,  dass  „Männlein"  das  Lager  und  den 
Tisch  der  erlauchtesten  Prälaten  und  sogar  der  Päpste  selbst  teilen,  und 
es  brüstet  sich  noch  obendrein  mit  obscönen  Bddern:  ,,pour  ....  monstrer 
la  le^07i^  (cfr.  cap.  VII.  Hier  handelt  es  sich  jedenfalls  um  Anspielungen 
auf  Bilder  von  Giulio  Romano  und  die  Sonette  des  Aretino).  Die  Sodomiterei 
fühlt  sich  dort  vollständig  zu  Hause:  „cnr  ceci  ne  se  doit  taire  que  Jean  de  la 
Gase,  Florentin,  archevesque  de  Benevent  a  compose  nn  livre  en  rythme  italienne^  oit 
il  dit  mille  louanges  de  ce  peche  (cap.  XIII)".  In  Wirklichkeit  handelt  es  sich 
gar  nicht  um  ein  Gedicht,  sondern  bloss  um  ein  Kapitel,  „il  Fomo",  und  es 
ist  auch  nicht  wahr,  dass  Berabo  ein  direktes  Loblied  auf  dieses  damals  in 
Italien  nur  allzu  verbreitete  Lastor  anstimmt.  Was  die  Italienerinnen  noch 
abgesehen  von  anderen  Dingen  betrifft:  „ne  fönt  point  conscience  de  sefarder: 
si  foni  bien  les  Franqoises,  au  moins  Celles  qui ^sont  Italianisees"  (cfr.  au  ledeur, 
ed.  Rist.  1.  p.  27).  Unsittliche  italienische  Äusserungen  haben  auf  unsern 
Autor  ähnlich  starken  Eindruck  gemacht,  wie  schon  ant  Brantöme  (cfr. 
Gapitaines  etrangers,  Barth.  d'Alriano),  immerhin  war  es  nicht  nötig,  allerhand 
Flüche  zu  wiederholen,  um  dieses  Laster  als  verabscheuungswürdig  hinzu- 
stellen. Wenn  die  katholischen  und  protestantischen  Geistlichen  nach  diesem 
System  verfahren  wollten,  würde  man  schöne  Dinge  von  der  Kanzel  herab 
vernehmen  können. 

Auf  alle  Fälle  hat  unsere  italienische  ünsittlichkeit  im  Reden  Esti- 
enne stark  betroffen.  Ein  ,,d'une  putain"  geschmähter  Geistlicher  verflucht 
Christus  in  der  rncblusesten  Weise  (cap.  XXV),  aber  gewöhnlich  verschleiern 
Leute  gesitteter  Art  ihre  Flüche  mit  vom  Anstandsgefühl  diktiertem  Geschick. 
In  Venedig;  „un  Italien  ,  .  ,  non  pvestre,  mais  seculier^  en  jouanl  aux  cartes  en  la 
maison  d'un  ambassadeur  du  Roy  .  .  .  s'ecrie'.  Venga  7  cancaro  al  hipo",  womit  er 
zu  verstehen  geben  will,  dass  er  ihm  grolle,  weil  er  das  göttliche  Lamm 
nicht  verzehrte.  (Ecce  agnus  Dei  qui  iollit  peccata  immdi.)  Ein  anderer  Italiener 
zeigt  sich  unehrerbietig  durch  Witze  über  den  Esel,  der  Jesus  nach  Jeru- 
salem trug,  ein  dritter  beleidigt  die  Madonna  u.  s   w.     „Les  Francois  .... 

n'ont  point  eu  honte  d^emprunter  de  Ui  (von  Italien)  quelques  faqons  de  maudire:  cesie- 
ci  entr'  autres :  Te  vienne  le  rhancre.  Toutesfois  ceste-ci  en  Ilalie  est  teniie  pour  une 
des  plus  legeres:  Te  venga' l  cancaro^  comme  aussi  ä  Vtnise  Te  venga  la  ghiandussa 
{la  peste)  Te  venga'l  mal  di  san  Lazaro.  Ils  ont  aussi  accoustume  en  plusieurs  lieux 
d'Jtalit  de  souhaiier  a  ceux  quHls  maudissenl:  il  malanno  e  la  mala  Pasqua."    (cap.  XIV). 


172  P.   Toldo. 

honneur.  Im  zweiten  Teile  seines  Werkes  kehrt  der  Autor  zu  seinem 
Ausgangspunkte  zurück;  er  hat  wohl  selbst  gemerkt,  daß  in  seiner 
Apologie  das  Altertum  nur  wenig  Raum  beansprucht  und  daß  die 
Leser  ihn  befragen  könnten,  warum  der  Name  Herodot  für  so  viel- 
fältige, weder  römische  noch  griechische  Waare  als  Aufschrift  dient. 


Ein  anderer  schwerer  Fehler  der  Italiener  ist  die  Verstellungskunst. 
Im  zitierten  Kapitel  erzählt  er  z.  ß..  dass,  wenn  in  Venedig  die  städtischen 
Behörden  dui'ch  Abstimmung  gewählt  werden:  Ja  cousiume  est  qne  ceux  qui  <mt 
este  frustez  de  hur  esperance  nt  laissent  ;;««  pourtant  de  remercler  tous  les  genüls- 
hommes  en  sortanr.  Und  die  an  ihre  Nichtwahl  Schuld  tragen,  heucheln  trotz- 
dem das  grÖSSte  Bedauern:  „et  ne  se  contentent  de  h  leur  dire  simplement''' ,  sondern 
fügen  auch  nocti  allerhand  feierliche  Schwüre  bei:  „<Se  Bio  me  gardi  st'alma, 
lautre;  Se  D/o  ml  (jarenti  la  mia  moylie,  Vaittre:  Se  Dio  mi  yarenii  viiei  fioli^  lautre: 
se  Dio  me  gardi  sl  occhi,  lautre:  se  no,  che  sia  appicao  per  la  gola,  lautre'.  Se 
no,  che  me  vegna  il  cancaro". 

Wenn  er  im  fünfzehnten  Kapitel  von  den  larrecins  spricht,  vorsichert 
unser  Autor,  dass:  „depuis  que  les  clmrlatans  d'Ilalie  ont  kante  la  France  se  sont 
trouvez  mainz  coupeurs  de  hourses  des<juisez  en  gentils-kommes,"  Deshalb  könne 
man  den  Franzosen  für  die  Reise  über  die  Alpen  nicht  genug  anempfehlen, 
die  Augen  offen  zu  halten.  Ein  Franzose  wird  in  Venedig  unter  dem  Ver- 
wände, ihm  das  Geld  wechseln  zu  wollen,  ohne  einen  Heller  auf  der  Strasse 
stehen  gelassen;  ein  anderer  wird  von  Spielern  ausgeplündert;  einem  dritten 
wird  die  Börse  entrissen  unter  dem  Vorwand,  dass  man  nachsehen  wollte, 
ob  er  „U7i  scorpion  dans  le  dos"  hätte,  aber  den  Gii)fel  schamloser  Unver- 
frorenheit erklimmt:  .,nn  autre  Italien,  qui  fut  pendu  a  ßoulogne  la  grosse  il  y  a 
environ  onze  ans''.  Dieser  letztere  hatte  sich  für  den  Kardinal  Sermoneta 
ausgegeben  und  war  mit  einer  gefälschten  päpstlichen  Bulle  durch  das 
Gebiet  von  Ancona  gezogen,  um  den  Zehnten  zu  erheben.  Es  war  mir  nicht 
möglich,  die  historische  Quelle  dieses  Abenteuers,  das  den  Anschein  der 
Wahrheit  für  sich  hat,  ausfindig  zu  macheu.  Ich  erinnere  nur  daran,  dass 
Cademosto  von  Lodi  im  Jahre  1514  (11.  Nov.)  einen  ähnlichen  Betrug  zu 
schildern  unternahm:  „Antonio  da  Plpemo,  indegnamente  prete  et  barro,  si  fece 
fare  iina  lettera  in  raccomandazione  da  Angelo  romano^  quäle  ahitava  in  Napoli,  a  Luca 
sellnro  suo  fratello  in  Roma;  la  quäl  non  parendogli  scritta  con  quello  inchioslro  cli'egli 
desiderava,  ne  contrafece  un  altra  a  suo  modo,  dando  ad  intendere  al  pecorone  stllaro, 
cliegli  era  il  cardinale  Ädriano'-'-  und  auf  diese  Weise  betrügt  er  viele  Personen, 
bis  er  entdeckt  wird  und  „scopaio  et  mitriato",  die  Ohren  werden  ihm  gestutzt, 
ganz  ähnlich,  wie  es  der  gleichen  Persönlichkeit  bei  Estienne  ergeht  Ausser 
der  Beschuldigung  der  Feigheit,  die  Estienne  gegen  die  Italiener  erhebt, 
versichert  er  „que  la  France  a  appris  le  style  d'Itnlie  en  matilre  de  tuerle'" 
(cap.  XVIII).  Auf  der  appeninischen  Halbinsel  ist  der  Meuchelmord  gestattet, 
ohne  Furcht  Aufsehen  zu  erregen:  „II  avint  pendant  j'estois  a  Bome,  du  temps 
du  pape  Demante  dict  Jules  troisihne,  quun  Italien  rencontranl  un  autre  par  la  rue, 
hiy  demanue  quand  il  le  voidoit  payer:  lesquels  propos  j'ony  en  passant,  sans  m^arrester. 
Mais  je  nestois  pas  u  douze  pas  loin,  qu^oyant  yrand  hruit,  je  retourne,  et  comme 
j'arrire,  celuy  qui  avoit  demande  de  largent  a  lautre,  tombe  mort  dhin  coup  de  dague. 
A  linslant  surviennent  les  gtns  du  barisei,  qui  ne  se  doutoyent  de  teile  chose :  mais 
au  Heu  de  leur  voir  faire  le  devoir  de  justice  .  .  .  ils  luy  donnerent  passage  et  moyen 
d'evader.  Et  quand  j\n  parlay  ä  quelques  uns  de  ma  congnoissance  je  n'eus  autre 
reponse  sinun  que  cestoit  la  coustume."  (ibid.)  Und  das  ist  noch  nicht  alles.  In 
Italien  gibt  es  auch  offizielle  Meuchelmorde,  die  von  den  Regierungou  be- 
günstigt werden.  Wenn  ein  Verbannter  einen  anderen  umbringt,  wird  er 
der  Landesverweisung  ledig  und  so  geschieht  es,  dass  der  Bruder  den 
Bruder  erschlägt  und  bisweilen  dazu  gelangt:  .,d'amassar  (sie)  in  fallo'-, 
besonders  wegen  Verwechslungen,  die  durch  das  Tragen  von  Masken  hervor- 


Ij  Apologie  pour  Ileroilote  von  Html  Etstienne.  173 

Deshalb  beliebt  es  ihm,  über  die  Verschiedenheit  der  Sitten  und 
Gebräuche,  von  der  'preudhommie  der  Alten  und  zugleich,  um  nichts 
außer  Acht  zu  lassen,  von  ihrer  y.grossiereU'''  zu  plaudern;  bei  diesem 
Anlasse  sieht  sich  der  Autor  jedoch  gezwungen,  einen  gewissen  Fort- 
schritt der  Zeiten  einzugestehen,  doch  handelt  es  sich  bloß  um  einen 


gerufen  werden  (ibid).  „Rache"  nehmen  die  Franzosen  an  Ort  und  Stelle; 
die  Italiener  bereiten  sie  langsam,  mit  förmlicher  Wollust,  vor,  und  während 
die  Franzosen  dem  Gegner  anempfehlen,  auf  der  Hut  zu  sein,  wissen  die 
Italiener  keine  andere  Waffe,  als  die  des  Verrates  zu  handhaben:  „Ca?-  de- 
puis  quiJs  ont  une  fois  serre  le  bout  du  doigt  entre  !es  dents  par  mcnace^  cJiacun 
scait  que  s'ils  prennent  leur  komme  par  devani,  ce  sera,  faule  de  le  pouvoir  prendre 
par  derriere  .  ,  ."  Und  die  Rache  wird  auf  furchtbare  Weise  ausgeübt.  Ein 
Greis,  der  aus  Siena  flüchten  musste,  erzählt  unserm  Estieune  über  die 
Parteikämpfe :  ^J'ay  veu  les  parens,  ensanylantez  du  sang  les  uns  des  autres,  voire 
aucuns  du  sang  de  leurs  propres  freres,  pour  des  querelles  qui  estoyetit  quasi  de 
neant.  Et  puis  il  ajousia  que  la  costume  esloyt  de  tremper  ses  mains  au  sang  de  ceux 
qn'on  avoii  iuez  ,  .  .  ."  (ibid.)  Alle  diese  persönlichen  Erinnerungen  besitzen 
sicherlich  einen  gewissen  Wert,  aber  Estieune  vergisst  die  entsetzliohen 
Gemetzel  der  Bürgerkriege  in  Frankreich,  sowie  die  Chroniken  seines  Landes, 
die  von  Blut  triefen.  Andere  Bemerkungen  Estiennes  sind  weniger  ernst 
zu  nehmen,  bekunden  aber  unverändert  die  gleiche  Gehässigkeit.  Warum 
äussert  Estieune  grosse  Verwunderung  über  einen  italienischen  Edelmann, 
weil  er  nicht  an  Gott  glaubt,  nachdem  er  selbst  erst  den  Atheismus  zweier 
Franzosen,  Rabelais  und  Des  Periers  scharf  verurteilt  hat?  Welches  schwere 
Verbrechen  begeht  denn  Petrus  Aponus  (d.h.  Pietro  d'Abano):  „lequtl  estant 
professeur  de  medecine  ii  Bonlogne  la  grasse^  ioutes  et  quantes  fois  qu'il  sortoit  de  la 
viUe  poiir  aller  visiter  quelque  malade  se  faisoit  payer  cinquanie  esciis  par  jour'''' . 
(cap.  XVI)?  Ich  gestehe,  dass  ich  die  Kränkung  nicht  verstehe,  die  die 
Italiener  den  Franzosen  zufügen  sollen,  indem  sie  sie  houtillons  (cap.  XXII) 
nennen,  obendrein  noch  nachdem  sie  ihren  Brüdern  jenseits  der  Alpen  selbst 
sovieles  Beleidigende  gesagt  haben.  Estieune  ist  im  Unrecht,  wenn  er  über 
so  massvolle  Wiedervergeltung  aufgebracht  wird.  Die  Italiener  verstehen 
auch  nicht  wie  Leute  von  Geschmack  zu  tafeln:  ,,car  ä  Venise  mesmement  fay 
ovy  dire  ä  quelques  seiyneurs  quils  avoyent  appris  des  amhassadetirs  du  Roy  de  France 
ä  eux  envoyez,  que  les  perdreaux  et  les  levrnux  estoyent  bons  ä  manger.^^  (cap.  XXXIIJ) 
Die  Ärmsten  wussten  also  vorher  den  Kebhühnern  und  Hasen  keiuen  Ge- 
schmack abzugewinnen!  Aber  was  hätte  wohl  der  Verfasser  der  Apologie 
dazu  gesagt,  wenn  er  bei  Domenichi  —  der  ihm  vielleicht  nicht  völlig  un- 
bekannt war  —  gelesen  hätte  von  jenem  Franzosen,  der  einen  Zahnstocher 
verschluckt  und  „credendo  che  fosse  Tultima  vivanda  e  trovandola  duro  disse,  che 
diables  /d?"  (Facezie  ecc,  Venezia  MDIC). 

Beachtung  verdienen  die  historischeu  Äusserungen  Estienne's.  Nach- 
dem er  (cap.  VI)  vom  Incest  gehandelt  hat,  von  welchem:  ,.il  est  certain  quil 
s^en  trouvera  plus  d'exemples  d'Italie  que  d'autres  pays  .  .  .  .  et  ce  qui  rend  ceci 
vraysemhlable,    est  le  mulheureux  proverbe    c/ui   est  lii    usitc    touchant  les  pirts  qui  ont 

des  filks  prestes  ä  marier"  (ich  bekenne,  dass  mir  dieses  Sprichwort  unbekannt 
ist,  und  da  ich  sehe,  dass  es  Anderen  auch  so  geht,  steht  zu  hoffen,  dass 
mit  der  Zeit  ausser  dem  Sprichwort  auch  das  ^peccatillo^  verschwinden  wird), 
erwähnt  er  Sigismondo  Malatesta  „seigneur  de  la  Romagnola" ,  der  von  seiner 
eigenen  Tochter  einen  Sohn  hatte,  wie  Pontano  berichtet.  Und  ferner: 
„  Volaterran  recite  qii  Antoine  Cansiynore  tua  son  frere  Bartheiemi,  pour  jouir  tont 
seul  de  la  seigneurie  de  Verone  ....  item  qu'un  nomme  Pinus  Ordelaphus  tua  pour 
pareille  occasiun  son  frere  nomme  Francois  et  bannit  ses  evfans  item  que  Franqois  et 
Louys  ßls  de  Guido  Gonzayue  duc  de  Mantoue  tverent  l'goli?i  leur  J'rire  au  lieu  de 
It'y  faire  bonne  chere  au  soupper  auquel  ils  Vavoycnt  o  nvie  ponrce  que  le  pcre  Vavoit 


174  F.   Toldo. 

iiiaterielleLi,  nicht  um  moralischen  Fortschritt,  Fortschritt  in  der  Zu- 
bereitung der  Speisen,  in  den  Moden,  in  der  Bequemlichkeit  der 
Häuser,  insbesondere  der  Kultur,  aber  nicht  etwa  der  Kultur,  die 
den  Geist  bildet  und  die  neuen  Generationen  zu  höherer  Gesinnung 
veredelt.     Aber  auch  an  dieser  Stelle  kommt  die  Genfer  Einrichtung 


laisse  seul  heritier  de  la  ducke.  Nous  lisons  nussi  dhin  Perins  Fregose  duc  de  Geimes^ 
<j>ti  tua  sonfrere  nomine  Nicolas^  pour  h  souspecon  qu'il  avoitqu'il  ne  se  voulsist  faire  duc. 
PareiUement  Louys  Marie  fit  mourir  le  fils  de  son  frire,  Galeace,  pour  jouir  plus  pai- 
sihlement  de  la  ducke  de  Milan  ....  Item  un  nomine  Frisque  fit  mourir  son  pcre 
duc  de  Ferrare  pour  esti-e  duc.'-'  Und  auch  Pier  Luigi  Farnese,  Sohn  Pauls  III., 
hatte  eine  verbrecherische  Zuneigung  zu  Cosmo  Gheri,  dem  Erzbischof 
vou  Fano. 

Diese  historischen  Angaben  hat  Estienne  dem  Werke  von  Battista 
Fulgoso :  De  dictis  factisque  memorahilibus  ecc.  Mediol.  1509,  sowie  den  Schriften 
von  Pontano  {De  imtnanitate,  cap.  XIII  und  XVII)  entnommen.  Auch  Brau- 
töme  spricht  in  den  Capit.  esirangers  von  Sigismondo  Malesta  (jedoch  nicht 
von  seinen  Liebessünden),  und  gibt  uns  in  demselben  Werke  Auskünfte  über 
jenen  Pietro  Strozzi,  den  unser  Autor  als  schamlosen  Atheisten  und  Gottes- 
lästerer hinstellt.  Bei  Burckhardt,  la  civiltix  del  rinascimento  in  Italia  (Firenze, 
1900,  II  223)  findet  sich  eine  Andeutung  auf  die  vou  Pier  Luigi  Farnese 
versuchte  Vergewaltigung  des  besagten  Bischofs,  aber  ein  ausführlicher 
Bericht,  dem  gewöhnlich  am  meisten  Glauben  beigemessen  wird,  findet  sich 
bekanntlich  bei  Afiö,  in  der  Vita  dl  Pier  Lnigi  Farnese.  In  Fn  condottiere  au 
XVe  siede,  Sigismondo  Malaiesta,  Paris.  1882,  studiert  Yriarte  diese  Blüte  der 
Schurkerei,  in  geistvoller  Weise  und  nicht  ohne  Enthusiasmus  für  die  Kunst; 
was  den  Jncest  sowie  den  Anschlag  auf  den  Sohn  Robert  anbetrifft,  so 
verfügen  wir  über  keine  andere  Quelle  als  das  bereits  zitierte  Werk  von 
Pontano  (De  immanitate  in  Opera,  Napoli,  1505.  vol.  II.  fol.  216  sgg.).  Pius  II. 
excommunizierte  den  Malatesta  später  und  erhob  gegen  ihn  Anklage  wegen 
aller  erdenklichen  Verbrechen. 

Mit  Volaterran  ist  Jacopo  da  Volterra  gemeint,  der  Verfasser  des 
Diario  romano,  das  Muratori  herausgegeben  hat  (P.  Ital.  Script.  XXIII). 
Es  steht  fest,  dass  Antonio  della  Scala,  Herr  von  Verona  und  Vicenza,  den 
Bartolomeo,  seinen  Bruder,  tötete,  um  die  Herrschaft  ganz  an  sich  zu  reissen. 
(Cfr.  Cipolia,  Compendio  della  storia  politica  di  Verona,  Verona,  1900;  desgleichen 
das  Spezialwerk  von  De  Stefani,  Bartolomeo  ed  Antonio  della  Scala,  Verona, 
1885).  über  Lodovico  il  Moro  ist  ein  altes  Gerücht  im  Umlauf,  dass  er 
den  Gian  Galeazzo  Maria  Storza,  den  Herzog  von  Mailand^  und  Sohn  von 
Graleazzo  Maria,  seinen  Bruder,  umgebracht  habe  (Cfr.  P'ossati,  Galeazzo 
Sforza  arvelenatore  del  Xipote?  Teslimoniama  di  Simone  del  Pozzo  in  Arck.  storico 
lomhardo,  1904,  vol.  2'^  fasc.  2".)  Fresco  war  der  illegitime  Sohn  von  Azzo  VIIL, 
dem  Marcliese  von  Este,  und  wurde  in  dessen  letzten  Lebensjahren  sein 
Vikar  in  Ferrara  (1308).  Der  Vater  starb  während  seiner  Abwesenheit  von 
Ferrara  und  sollte  nach  einem  im  Umlauf  befindlichen  Gerücht  von  dem 
Bruder  Aldobrandino  umgebracht  worden  sein,  allem  Anschein  nach  entbehrt 
dieses  Gerücht  aber  jeglicher  Begründung.  Fresco,  der  in  Ferrara  als 
Erzieher  seines  Sohnes  Folco,  als  des  Erben  von  Azzo  VIIL  die  Herrschaft 
■vveiterführte,  wurde  verjagt,  und  musste  mit  seinem  Sohne  nach  Venedig 
flüchten,  (Cfr.  Litta,  famiglie  cehhri  d' Italia.  Este,  tav.  IX.)  Wahrheitsgetreu 
ist  Estienne's  Bericht  über  Franzesco  und  Luigi  Gonzaga,  die  den  Onkel 
Ugolino  bei  einem  Bankett  umbringen  (Cfr.  Litta,  op.  cit.  tav.  II),  _  aber 
nicht  minder  wahr  ist  die  Behauptung,  dass  man  dann  nicht  wie  ein  gewissen- 
hafter Historiker  verfährt,  wenn  man  alle  Schändlichkeiten,  die  sich  im 
Leben  eines  Volkes  vorfinden,  auf  wenige  Seiten  zusammengedrängt  dar- 
stellt.    Wie  würde  sich  tatsächlich  die  Geschichte  Frankreichs  ausnehmen, 


L' Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne.  IIb 

zum  Durchbruch;  für  die  Uiiwisseuhoit  und  Roheit  werden  Beispiele 
aus  den  Reden  der  Geistiiclien  herangezogen,  sowie  aus  der  peinlichen 
Diskussion  gewisser  Auslegungen  von  Bibelstellen,  aus  der  Unwahr- 
scheinlichkeit  der  apokryphen  Evangelien,  aus  den  Pseudomirakeln, 
den  Beziehungen  zwischen  christlicher  Legende  und  heidnischem 
Mythus  sowie  der  eigentümlichen  nicht  eben  pietätvollen  Ueberein- 
stimmung  zwischen  dem  Leben  des  heiligen  Franciskus  und  dem  Leben 
Jesu.4)  Verschiedene  Bemerkungen  des  Autors  bekunden  viel  Scharf- 
sinn und  sind  Vorläufer  der  hagiographischen  Kritik  unserer  Tage. 
Einige  Heilige  verdanken  ihre  Namen  der  Unkenntnis  des  Griechischen. 
Sankt  Longinus  ist  „Santa  Tifania".  Der  heilige  Cosmos  und  Sankt 
Damian  haben  Apollo's  und  Aesculap's  Stelle  eingenommen;  Sankt  Eloy 
ist  ein  vorchristlicher  Vulkan;  Sankt  Nikolaus  ersetzt  den  Neptun; 
Sankt  Petrus  und  der  Erzengel  Gabriel  führen  die  Botschaften  aus, 
die  schon  Janus  und  Merkur  übertragen  waren,  und  die  heilige 
Katharina  wird  bisweilen  rittlinsfs  auf  einem  Rade  dargestellt  wie 
die  heidnische  Glücksgöttin,  Die  Papicoles  leitetcten  scherzhafter- 
weise die  Aemter  der  Heiligen  von  ihrem  Namen  ab;  Sankt  Matu- 
rinus  (vom  ital.  maito)  beschützt  die  Geisteskranken;  Mammard 
heilt  die  Krankheiten  der  „mammelle'' ,  Sankt  Acaire  die  acariastre, 
Sankt  Genou  die  Gicht,  die  ihren  Sitz  in  den  Knieen  hat,  Sankt 
Crispin  (von  crespida)  beschützt  die  Schuhmacher  u.  s.  w.  Jeder 
Staat  und  jede  Stadt  rühmt  sich  ihres  besonderen  Heiligen,  tutelares 
dii  der  Alten;  die  Tiere  selbst  haben  christliche  Gottheiten  zu 
Beschützern  und  eine  Heerschaar  von  Jungfrauen  leiht  ihren  Namen 
den  Freuden  und  Schmerzen  des  Lebens  und  bevölkert  Städte  und 
Wälder  mit  Legenden. 5)     Und  Estienne  spottet  über  St.  Doraenikus, 


wenn  man  —  von  dem  gebührenden  Anteil  absehend,  der  ehrenvollen  und 
glorreichen  Thaten  eingeräumt  werden  müsste  —  auf  einem  künstlich  ge- 
dunkelten  Gemälde  einzig  und  allein  die  Verbrechen  zusammenstellen  wollte, 
die  sie  beflecken?  Bei  Aufstellung  von  Bilanzen  tritt  immer  nur  dann  der 
Sachbestand  zu  Tage,  wenn  Aktiva  und  Passiva  einander  gegenübergestellt 
werden,  und  für  Jemand,  der  so  lange  selbst  in  Italien  gelebt  und  sich  in  der 
Lage  befunden  hatte,  die  dortige  Zivilisation  und  die  künstlerischen  Vorzüge 
würdigen  zu  lernen,  bedeutet  es  zum  mindesten  sträfliche  Nachlässigkeit, 
wenn  er  sich  die  aktiven  Bestände  entgehen  lässt. 

*)  Unser  Autor  muss  folgendes  Werk  im  Auge  gehabt  haben:  Bar- 

tholomaei  dePisis,  de  conformitate  v'itae  Francisci  ad  vil.am  Domini  Jesu  Christi 
Redemptoris  nostri^  Mediolaui  1510  in  f.  —  Mit  Recht  bemerkt  Clemont:  Meme 
la  vie  de  saint  Franqois  ne  trouve  pas  grdce  devant  lui:  il  reste  absohnnenl  insensible 
ä  l'histoire  des  oiseaux  nourris  par  le  saint.  d'nne  pocsie  sifraiche  et  si  naive  (1.  C.  p.  45). 

^)  Derlei  Fragen  wurden  neuerdings  von  vielen  behandelt;  es  sei  mir 
gestattet,  auch  meine  Studien  über  das  Leben  und  die  Wunder  der  Heiligen 
im  Mittelalter  in  Erinnerung  zu  bringen  (Cfr.  Band  XYl  der  Zeitschrift  für' 
verc/I.  Literaturfieschichie,  sowie  die  Artikelserie  in  Studien  /,  420  u.  ff.) 

Neuerdings  ist  das  gleiche  Thema  mit  ausgeprägt  katholischen  Ten- 
denzen aber  gründlicher  Gelehrsamkeit  von  dem  „padre  bollandista"  H.  Del- 
ebaye  in:   Le  lerjijende  a<jiofjraJiche  ecc.   con  appendice  di  Wilhelm  Meyer,  italienisch 

190G  in  Florenz  erschienen,  behandelt  worden.    Dieser  Verfasser  bestätigt 


176  P.   Toldo. 

der  eine  Scliaar  Teufel  im  Leibe  eines  Kranken  eingesperrt  hatte, 
über  Heilige,  die  im  Kostüme  unserer  Voreltern  im  indischen  Para- 
diese einherwandcrn,  auch  zieht  er  die  Bußfertigkeit  des  heiligen 
Makarius  ins  Lächerliche,  der  sich  sieben  Jahre  lang  auf  Dornen 
bettet,  weil  er  einen  Floh  zerquetscht  hat.  Mithin  dürfte  man  sagen, 
daß  unser  Autor  frei  von  allem  Aberglauben  und  Sektenvorurteilen 
sei,  aber  wer  dies  behauptet,  scheint  mir  keine  zuverlässige  Kennt- 
niß  seines  Werkes  zu  besitzen.  "Wenn  er  im  39.  Kapitel  die  Taten 
des  Pfaffen  Robert  Bissen  (wenn  anders  diese  Interpolation  von  ihm 
herrührt)  übersetzt,  billigt  er  die  abergläubischen  "Wahngebilde  von 
Jean  Ferael,  dem  Arzt  Heinrichs  H.,  der  au  Besessene  glaubte,  und 
besondere  Heilmittel  ersann,  um  sie  von  den  Dämonen  zu  befreien, 
und  in  demselben  Kapitel  behauptet  er  auch,  daß  viele  Geistliche 
Diener  des  Geistes  der  Finsternis  sind  und  direkt  mit  der  Hölle  im 
Verkehr  stehen.  ,,Quainsi  soit  Van  1538  furent  hridez  quelques 
prestres  en  Savoye  pour  estre  sorciers  et  entr'autres  fut  brüle  un 
ä  Rolle  (qui  est  im  bürg  ä  quatre  Heues  de  Lausanne)  ensemhle 
sa  paillarde  qui  estoit  aussi  sor eiere!  lequel  confessa  avoir  esti 
vint  quair''  ans  sorcier,  pendant  lesquels  il  rCavoit  laisse  de  chanter 
ordinairement  sa  messe.  Ce  qui  me  fait  dire  qu'il  y  a  un  grand 
accord  entre  le  dieu  de  la  messe  et  le  diahle",  eine  Erwägung,  die 
nicht  gerade  für  seinen  kritischen  Scharfsinn  spricht,  da  er  dem  an- 
geblichen Teufelswerk  dieser  armen  Geistlichen  Glauben  beimißt  und 
sich  somit  als  Kind  seiner  Zeit  dokumentiert,  ja  sogar  in  dieser 
Beziehung  hinter  vielen  kühnen  und  freisinnigen  Denkern  des  XV.  Jahr- 
hunderts zurücksteht. 

So  berichtet  er  auch  ohne  jeglichen  erläuternden  Zusatz  das 
Geschichtchen,  das  von  Jean  Fernel  erzählt  wird  über  jene  Person, 
die  beim  Verspeisen  eines  Apfels  den  Teufel  mit  hinunterschluckte, 
welche  Erzählung  die  Erinnerung  wachruft  an  die  im  Mittelalter  weit 
verbreitete  und  u.  a.  von  C.  von  Heisterbach  wiedergegebene  Legende 
von  der  Nonne,  die  den  Geist  der  Finsternis  verschluckt,  der  sich 
zwischen  den  Blättern  eines  gewissen  Salates  platt  gedrückt  hat,  um 
sich  ihrer  bemächtigen  zu  können.  Ein  Echo  solchen  Aberglaubens 
(und  hier  handelt  es  sich  sicher  nicht  um  Interpolation)  findet  sich 
auch  in  Kapitel  XXVI,  da,  wo  von  der  „rero/e"  oder  jener  Krank- 
heit die  Ptcde  ist,    die  von    den    Italienern    als  die  französische   und 


den  heidnischen  Ursprung  verschiedener  christlicher  Legenden,  bekämpft 
aber  zugleich  die  seiner  Ansicht  nach  zu  weitgebenden  Schlusst'olgeruugen 
verschiedener  Kritiker.  Man  vergesse  nicht,  dass  Grangousier  in  Rabelais 
Werke  (I  cap.  XLV)  nicht  nur  das  heidnische  Element  im  Heiligenkultus 
konstatiert,  sondern  obendrein  den  Aberglauben  von  Pilgern  missbilligt, 
die  überzeugt  sind,  dass  der  heilige  Sebastian  die  Pest  als  Strafe  verhängen 
kann.  —  Cfr.  auch  den  Artikel  des  Dr.  H,  Jolet  in  Revue  des  ctudes  Rabelai- 
siennes,  1906,  3"  fascicule,  p.  199  sqq.  Der  Artikel  trägt  den  Titel:  Rabelais 
et  les  saints  preposis  caix  maladies.  —  Auch  im  Cymbalum  Mundi  ist  von  Heiligen 
die  Rede,  die  gewisse  Leiden  heilen  sollen  und  verspottet  werden. 


L^ Apologie  pour  HSrodote  von  Henri  Estienne.  177 

von  den  Franzosen  als  die  neapolitanische  Krankheit  bezeichnet  wird. 
Estienne  beklagt  sich,  daß  die  Aerzte  nach  Heilmitteln  suchen,  weil 
dieses  Leiden  eine  Strafe  sei,  mit  der  Gott  die  Sünder  heimsuchen 
wolle,  weshalb  es  nicht  gestattet  sei,  sich  seinem  Willen  zu  wider- 
setzen. Da  nun  ein  gut  Teil  der  Leiden,  von  denen  die  Menschheit 
betroffen  wird,  eine  Folge  unserer  geheimen  Sünden  ist,  so  läßt  sich 
leicht  ermessen,  wohin  wir  schließlich  gelangen  würden,  wenn  wir 
diese  allerneueste  Theorie  ernst  nehmen  wollten!  Auch  fehlt  jede 
Kundgebung  der  milderen  Sinnesart  eines  neuen  Zeitalters  in  den 
Ausführungen  unseres  Autors  über  schwere  Bestrafungen  und  entsetz- 
liche Torturen,  die  von  keinem  Wort  des  Mitleids  für  die  armen 
Opfer  begleitet  sind,  von  keinem  Protest  gegen  die  zwecklose  Grau- 
samkeit gewisser  von  den  Richtern  verhängter  Proben  der  Unschuld 
(Kap.  XVni).  Gegen  die  von  den  Katholiken  angezündeten  Scheiter- 
haufen erhoben  die  Protestanten  des  18.  Jahrh.  mit  vollem  Recht 
ihre  Stimme.  Henri  Estienne  hat  dem  „Loh  der  Narrheit''  von 
Erasmus  einige  Proben  von  Satzverstümmelungen  entnommen,  mit 
deren  Hilfe  die  Geistlichen  die  heilige  Schrift  anders  aussagen  ließen, 
als  sie  wirklich  aussagte,  um  die  Berechtigung  der  Ketzerverbrennung 
nachzuweisen.  Aber  auch  Calvin  ließ  die  Feinde  seines  neuen  Glaubens- 
bekenntnisses in  den  Flammen  umkommen  und  von  beiden  Seiten 
schienen  also  diese  Flammen  dazu  bestimmt,  die  religiösen  Ansichten 
zu  läutern  und  die  Gewissen  zu  erleuchten.  Schwach  sind  auch  die 
Argumente,  die  von  Estienne  gegen  den  Ritus  der  Katholiken  ange- 
führt werden,  so  weiß  er  gegen  das  ,,sacrifice  messatique"-  nichts 
anderes  vorzubringen,  als  gewisse  veraltete  Geschichten  von  Hunden, 
Mäusen  und  Pfei'den,  die,  ohne  vom  Strafgericht  des  Himmels  getroffen 
zu  werden  „/g  dieu  de  paste",  d.  h.  die  geweihte  Hostie  gefressen 
hatten.  Aber  die  Verfehlungen  von  Menschen  der  verschiedensten 
Gattungen,  sowie  von  Tieren,  besonders  da  die  letzteren  für  unver- 
nünftig gelten,  sind  doch  keine  hinreichenden  Beweise,  den  "Wert  einer 
Religion  oder  die  Existenz  Gottes  abzuleugnen.  Der  Protestantismus 
Estienne's  hat  überdies  etwas  unsicher  Schwankendes  und  es  ist 
bekannt,  daß  die  Calvinisten  einen  Prozeß  gegen  ihn  anstrengten  und 
gewisse  Stellen  seines  Buches  gestrichen  zu  sehen  verlangten.  Die 
Humanisten  sind  im  Grunde  genommen  alle  etwas  heidnisch  veranlagt 
und  das  Studium  der  alten  Philosophen  beläßt  ihnen  selten  den  ein- 
fachen und  aufrichtigen  Glauben  der  Demütigen  an  die  Wahrheiten 
des  Christentums. 

Doch  dies  sind  noch  nicht  die  schwersten  Mängel  der  Apologie. 
Obschon  in  der  von  ihm  aufgestellten  Thesis  ein  Körnchen  "Wahrheit 
zu  finden  ist,  z.  B.  über  die  Wahrscheinlichkeit,  die  je  nach  Zeit 
und  Ort  wechselnd,  sich  nicht  mit  der  Wirklichkeit  decken  kann,  so 
steht  andrerseits  fest,  daß  der  Autor  nicht  begriffen  hat,  wie  die 
Legenden  nur  Umgestaltungen  wirklicher  Begebenheiten  sind,  Um- 
wandlungen, die  um  so  tiefer  greifen,  je  weiter  sie  ins  ferne  Altertum 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI  i.  12 


178  P.  Toldo. 

zurückreichen  —  und  sicher  noch  bedeutender  gestalten  sich  die 
Veränderungen,  die  aus  einer  fernliegenden,  volkstümlichen  Ueber- 
lieferung  hervorgingen.  In  den  Berichten,  die  über  Griechenland  und 
Rom  vorliegen,  fordern  die  Gelehrten  unserer  Tage  geduldig  nach 
etwaigem  realen  Tatbestand  und  die  negative  Arbeit  der  zersetzenden 
Kritik  hat  feineren  und  scharfsinnigeren  Richtungen  Platz  machen 
müssen.  So  viel  durch  den  Lauf  der  Jahrhunderte  gereifter  kritischer 
Sinn  läßt  sich  gerechterweise  von  Estienne  nicht  voraussetzen,  aber 
einiger  Zweifel  an  der  antiken  Wahrheit  hätte  sich  auch  in  seinem 
Geiste  Bahn  brechen  können.  Ueberdies,  und  hier  haben  wir  das 
am  schwersten  belastende  Moment,  bestehen  die  Dokumente,  mit  deren 
Hilfe  er  den  Nachweis  erbringen  will,  daß  sein  Jahrhundert,  so  wie 
das  vorhergehende  schlechter  sind  als  die  verflossenen,  in  den  aller- 
meisten Fällen  in  kleinen  Geschichten,  in  Anekdoten,  die  direkt  mit 
der  Volkstradition  oder  mit  von  ihr  inspirierten  Werken  in  Berührung 
stehen,  sodaß  wir  die  Frage  aufwerfen  könnten  nach  dem  erst  zu 
erbringenden  Beweise,  ob  z.  B.  die  Frauen  unserer  Tage  schlechter 
sind  als  die  Zeitgenossinnen  von  Penelope,  Lucrezia  (warum  nicht  auch 
von  Helena  und  Messalina?),  wenn  unser  Autor  die  Abenteuer  des 
im  Taubenhaus  oder  in  einer  Tonne  eingesperrrten  Ehemanns  erzählt, 
oder  der  Gattin,  die  ihrem  Manne  die  Augen  zudeckt,  um  dem  Lieb- 
haber Zeit  zum  Entrinnen  zu  verschaffen?  Hier  handelt  es  sich  ja 
um  Erzählungen,  deren  Urbilder  in  den  Schriften  des  uralten  Indiens 
zu  lesen  stehen,  und  die  ihr  Leben  am  Gestade  des  Nils  oder  Ganges 
fristeten,  bevor  sich  Herodot  zur  Abfassung  seiner  eigenen  Geschichten 
anschickte.  Dasselbe  läßt  sich  von  der  Geschichte  behaupten,  in  der 
ein  Mann  vorgibt  eine  Gottheit  zu  sein,  um  sich  die  geliebte  Frau 
leichter  zu  Willen  zu  machen,  und  von  dem  bereits  im  Pantschatantra 
oder  in  den  Abenteuern  des  Pseudoscamandro  des  Aeschines  die 
Rede  ist.  Und  somit  ist  es  unvermeidlich,  daß  unser  Autor  dem 
Altertum  als  modern  entgegensetzt,  was  einerseits  nicht  weniger  antik 
ist  als  die  Erzählungen  Herodots,  und  daß  die  Beschuldigungen,  mit 
denen  er  die  Geistlichen  seiner  Zeit  überhäuft,  schon  den  Priestern 
Buddas,  Griechenlands  und  Aegyptens  vorgehalten  worden  waren. 
Dieselben  historischen  Tatsachen,  zu  denen  Estienne  greift,  um  seine 
Streitschrift  nachhaltig  zu  stützen,  haben  öfters  nichts  Geschichtliches 
an  sich,  außer  dem  bloßen  Namen,  und  es  ist  doch  z.  B.  eine 
bekannte  Tatsache,  welcher  Wert  heutzutage  Legenden  beizumessen 
ist,  die  über  den  Papst  Sylvester  und  die  Päpstin  Johanna  im  Um- 
lauf gesetzt  waren. 

Und  ist  die  Behauptung  denn  wirklich  richtig,  daß  die  Welt 
mit  zunehmendem  Alter  immer  schlechter  wird?  Estienne  selbst  scheint 
daran  zu  zweifeln,  da  er  am  Schlüsse  seines  Werkes  von  der  Freiheit 
spricht,  die  zu  seiner  Zeit  die  Anhänger  des  Protestantismus  in  so  viel 
höherem  Grade  genießen,  auch  widmet  er  ja  verschiedene  Kapitel  der 
in    der   alten   Welt  so   allgemein   verbreiteten  Unwissenheit,   die  den 


L' Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne.  179 

Priestern  des  Cliristentums  es  ermöglichte,  mit  der  Herrschaft  über 
Leib  und  Seele  Mißbrauch  zu  treiben.  Der  Hymnus  auf  die  Neuzeit, 
der  im  Fantagruel  eines  Rabelais  so  kräftig  erklingt,  findet  einen 
Wiederhall  in  den  Schriften  unseres  Autors,  der  zur  besseren  Bekräftigung 
seiner  Doktrin  die  Erinnerung  an  den  Ruhm  grieschicher  und  römischer 
Kunst  und  Literatur  hätte  Nvachrufen  müssen,  deren  erneuten  Studien 
die  wieder  aufblühende  Kultur  der  Renaissance  zu  verdanken  ist.  Was 
ist  aber  im  Grunde  genommen  diese  Apologie!  Ein  Buch,  das  einen 
gelehrten  Mann  zum  Verfasser  hat,  der  jedoch  kein  ernstes  literarisches 
Ziel  ins  Auge  faßt,  ein  Buch,  das  infolge  steter  Abschweifung  vom 
eigentlichen  Thema  dem  Verfasser  die  Möglichkeit  gewährte  über  einen 
Lieblingsautor  zu  reden,  von  Moden  und  Bräuchen,  der  Geschichte  der 
Vergangenheit  wie  der  Gegenwart  zu  plaudern,  und  insbesondere  aller- 
hand Ausfälle  gegen  seine  politischen  Feinde,  die  Italiener,  und  seine 
religiösen  Gegner,  die  Geistlichen  einzuflechten.  Die  Hauptbedeutung 
des  Werkes  beruht  auf  dem  steten  Heranziehen  von  Beispielen,  die 
es  Estienne  ermöglichen,  allerhand  Erzählungen  aufzutischen,  die  dem 
Anscheine  nach  moralischen  Zwecken  dienstbar  gemacht,  so  unflätig 
wie  möglich  sein  können,  ohne  den  strengen  Anstandssinn  der  Protestanten 
zu  beleidigen.  Gelegentlich  bekundet  unser  Autor  wohl  auch  ein  Gefühl 
der  Beschämung  und  des  Widerwillens  solche  anstößige  Anekdoten 
berichten  zu  müssen,  aber  seiner  zur  Schau  getragenen  Schamhaftigkeit 
ist  nicht  allzuviel  Glauben  beizumessen.  Geschichten,  die  ihn  wirldich 
peinlich  berührten,  hätte  er  ja  recht  gut  verschweigen  können,  denn 
um  darzutun,  was  moralisch  und  was  unmoralisch  ist,  braucht  man 
doch  nicht  gerade  dem  Leser  schlüpfrige  Dinge  vorzuführen  und  ver- 
letzende oder  obscöne  Bilder  aufzudrängen.  Hierzu  täte  ein  anderes 
Verfahren  not!  Estienne  erzählt,  woher  es  kam,  daß  im  Frankreich 
des  16ten  Jahrhunderts  die  Novellen  so  willkommene  Aufnahme  fanden 
und  somit  auch  der  Verkauf  eines  Werkes  gesichert  erschien,  das  mit 
Vorliebe  Abenteuer  in  der  Manier  des  Boccaccio  berichtet,  weil  gerade 
diese  Sorte  von  Erzählungen  die  Möglichkeit  bietet,  nicht  nur  den 
Klerus  lächerlich  zu  machen  sondern  auch  einen  gewissen  Hang  zur 
lebhaften  und  witzigen  Stichelei  zu  befriedigen,  den  die  Predigten  der 
Calvinisten  in  ihm  nicht  zu  ersticken  vermochten.  Lachen  ,.parce 
que  le  rire  est  le  propre  de  rhomme"  und  ,.bene  vivere  et  laetaii^" 
das  sind  Maximen  Rabelais'  und  Des  Periers',  die  von  der  zahllosen 
und  zügellosen  Schaar  der  Novellisten  und  burlesken  Dichter  Frankreichs 
in  diesem  Zeitraum  wiederholt  werden,  nach  der  Beendigung  so  vieler 
innerer  und  äußerer  Kämpfe,  nach  so  vielen  moralischen  und  oekonomischen 
Umwälzungen,  aus  denen  ein  allgemeines  Bedürfniß  erwachsen  war, 
endlich  einmal  frei  aufzuatmen  und  die  Lebenskräfte,  die  durch  soviel 
öffentliches  und  privates  Mißgeschick  geschwächt  worden  waren,  durch 
freudige   Stimmung  zu  heben  und  andauernd  zu  kräftigen. 

Aus  Rabelais  entnimmt  unser  Autor  eine  gewisse  Manier  Vokabel- 
reichtum    und     lustige    Aufzählungen     anzuhäufen,     eine     Art     von 

12* 


180  P.  Tokio. 

musikalischen  crescendo,  wie  z.  B.  die  Besclireibung  der  guten  Mönchs- 
■werke,  die   darin   bestehen:    „ä  faire  sonner,  chanter,   gr^inguenoter 

marmoter,  hrimhoter.  ...  ou  harhoter  force  messes "  und  jene 

andere  von  der  fröldichen  Abtei  du  Bec,  einem  Schnabel,  der  viele 
gefräßige  Bäuche  ernährt  {Äp.  11).  Und  erinnern  die  Heiligen 
Pansard,  Mangcard  und  Crevard  vielleicht  nicht  (wie  Clement  scharf- 
sinnig bemerkt)  an  Gargantua  und  an  seine  Familie?  Ulmmeur  du 
piot  erheitert  öfters  die  Personen  der  Apologie  und  streng  calvinistische 
Ansichten  tauchen  flüchtig  und  unangebracht  inmitten  der  geilen  An- 
klänge an  Boccaccio  und  Poggio  auf. 

„Uintroduction  au  traite  de  la  conformite  des  vierveilles  an- 
ciennes  avec  les  modernes  ou  traite  pir.paratif  ä  Vapologie  poiir 
Herodote"'  trägt  als  Datum  l'an  MDLXVl  au  mois  de  novembre"" ,  die 
Frage  nach  den  benützten  Quellen  müßte  sich  somit  leicht  lösen  lassen: 
Estienne  kann  doch  nur  solche  Werke  benutzt  haben,  die  vor  diesem 
Datum  anzusetzen  sind,  und  außerdem  wird  man  ihm  einen  gewißcn 
Zeitraum  für  die  Abfassung  und  Drucklegung  seines  eigenen  Werkes 
zubilligen  müßen.  Jedoch  finden  sich  in  der  von  L.  Duchat  besorgten 
Ausgabe  der  Apologie  Interpolationen,  die  augenscheinlich  späteren 
Datums  sind:  So  ist  z.  B.  am  Ende  des  löten  Kapitels  von  einem 
Mönchsbetrug    die  Rede,  der  sich  zugetragen:    „Fan  mit   cinq   cents 

soixante  neuf  a    Ausbourg „    und   dasselbe  Datum   liegt  noch 

für  ein  anderes  Abenteuer  ähnlichen  Genre's  vor,  das  im  21sten  Kapitel 
(p.  500  ff.)  „l'(i,n  niil  cinq  cens  soixante  neuf"  ^)  berichtet  wird.  You 
wem  stammen  diese  Interpolationen?  Rühren  sie  von  Estienne  selbst 
oder  von  fremder  Hand  her?  In  der  Vorrede  Ristelhuber's  findet  sich 
keine  Lösung  dieses  Problems;  Le  Duchat  ist  sogar  der  festen  Über- 
zeugung, daß  alles  was  er  veröffentlicht,  aus  der  Feder  Estienne's 
geflossen  ist. 

Auf  alle  Fälle  steht  fest,  daß  die  genaue  Bestimmung  der  späteren 
von  Estienne  selbst  berührenden  Zusätze  zur  ersten  Ausgabe  im  höchsten 
Grade  wichtig  ist,  weil  zwischen  der  Apologie  und  den  Joyeux  Devis, 
für  deren  Verfasser  des  Periers  gilt,  samt  seinen  Mitarbeitern  , Nicolas 
Denisot  und  Jacques  Peletier,  Beziehungen  bestehen,  die  sich  öfters 
nicht  bloß  auf  Ähnlichkeiten  beschränken,  sondern  völlige  Überein- 
stimmung nach  Form  und  Inhalt  bekunden.  Les  nouvelles  recr^ations 
et  joyeux  devis  erschienen  1558,  ungefähr  vierzehn  Jahre  nach  dem 
Tode  ihres  mutmaßlichen  Verfassers  und  enthielten  neunzig  Novellen; 
zwei  weitere  waren  der  Ausgabe  von  1561  beigefügt;  Galiot  du  Pre 
vermehrte  die  Ausgabe  von  1568  um  zweiundreißig  Nummern  und 
fügte  der  nachfolgenden  Auflage  nochmals  fünf  hinzu,  Sic  stan- 
tibus rebus,  würde  Estienne  für  die  ersten  neunzig  oder  höchstens 
zweiundneunzig  Nummern   als  Nachahmer   zu   gelten   haben,  für  alles 


*)  Die  beiden  zitierten  Erzählungen  fehlen  in  der  Ausgabe  Ristelbubers. 


IJ Apologie  poui'  Hcrodote  von  Henri  Estienne.  181 

Nachfolgende  hat  er  selbst  keine  Nachahmer  sondern  vielmehr  Ausbeuter 
gefunden.  Tatsächlicli  dürfte  man  vielleicht  an  vorliegender  Hypothese 
festhalten:  aus  einem  eingehenden  Vergleich  zwischen  den  Devis  und 
den  Erzählungen  der  Apologie  gewinne  ich  die  Erkenntnis,  daß  bis  zu 
Nummer  91  der  ersteren  sich  nirgends  der  Nachweis  direkter  Nach- 
ahmung erbringen  läßt,  dieselbe  beginnt  vielmehr  erst  mitNummer92  und 
wird  immer  dreister  in  den  folgenden  Nummern,  um  schließlich  mit 
seitenlanger  wörtlicher  Wiedergabe  zu  enden.  Nur  für  den  Fall,  daß  es 
sich  bei  einer  genaueren  Prüfung  sämtlicher  Ausgaben  der  Apologie 
herausstellte,  daß  die  späteren  Interpolationen  von  einer  fremden  Feder 
herrühren,  oder  daß  über  den  Autor  der  Devis  neue  Entdeckungen  zu 
Tage  gefördert  werden  —  was  recht  wenig  wahrscheinlich  ist  —  wird 
man  von  der  Annahme  absehen  dürfen,  daß  unser  Autor,  der  selbst 
die  Schriftsteller  der  voraufgehenden  Zeit  so  häufig  nachahmte  und  sogar 
abschrieb,  in  dem  von  uns  angegebenen  Falle  über  ein  ganz  beträchtliches 
Guthaben  verfügt.  Im  Übrigen  bleibt  freilich  auch  noch  das  Bedenken 
bestehen,  daß  beide  Autoren  von  einem  dritten  abschreiben,  vielleicht 
auch  von  verschiedenen,  die  meiner  Forschung  entgangen  sind"). 

Die  Ausgabe  ßistelhuber's  ist  noch  reichlicher  wie  die  von 
L.  Duchat  mit  guten  Anmerkungen  ausgestattet,  und  die  mutmaßlichen 
Quellen  aus  Boccaccio,  Poggio,  Margarethe  v.  Navarra  sowie  die  Über- 
einstimmungen mit  den  Devis  sind  äußerst  sorgfältig  verzeichnet. 
Aber  Ptistelhuber  hat  es  nicht  für  nötig  befunden  zu  eingehenden  Ver- 
gleichen zu  schreiten,  so  daß  der  Leser  völlig  im  Unklaren  verbleibt 
über  die  Beschaffenheit  dieser  Quellen  und  auch  ebenso  wenig  zu 
unterscheiden  vermag,  ob  es  sich  um  wörtliche  oder  freie  Nachahmung 
oder  bloß  um  ähnliche  Züge  handelt.  Wie  ersichtlich,  zitiert  Estienne 
selbst  in  vielen  Fällen  seine  Vorbilder,  so  daß  die  Aufgabe  des  treff- 
lichen Herausgebers  leicht  und  sicher  vorgezeichnet  war.  Das  Forschen 
nach  unbekannten  oder  zweifelhaften  Quellen  wäre  wichtiger  gewesen, 
und  da  Ristelhuber  sich  nicht  damit  befaßt  hat,  so  werde  ich  es  auf 
den  folgenden  Seiten  versuchen,  sei  es  auch  nur  um  künftige  Studien 


'')  Clement,  der  diese  Frage  mit  viel  Scharfsinn  in  Angriff  nimmt, 
gelangt  zu  der  Schlufsfolgerung,  dafs  Estienne  als  Gläubiger  zu  gelten  hat, 
bei  dem  Anleihen  erhoben  worden.  Demnach  glaube  ich  die  Annahme  nicht 
absolut  ablehnen  zu  dürfen,  dafs  in  bestimmten  Fällen  unser  Autor  und  der 
Verfasser  der  Devis  einen  dritten  ausgeschrieben  haben  können,  weil  viele 
recuells  von  Novellen  selten  geworden  sind,  so  selten,  dafs  sie  mir  nicht 
immer  meinen  Wünchen  entsprechend  zugänglich  waren.  Dieser  Umstand 
würde  auch  eine  Erklärung  dafür  bieten,  dafs  Estienne  sicli  niemals  über 
literarische  Freibeuterei  heschv/ert.  Seine  eigenen  Schulden  stimmten  ihn 
gegen  diejenigen  nachsichtig,  die  ihm  wiederum  zu  Dank  verpflichtet  waren, 
auch  konnte  er  sich  doch  nicht  über  Benachteiligung  beklagen,  wenn  Andere 
ihm  nur  das  wieder  entzogen,  was  er  erst  Anderen  entzogen  hatte.  Übrigens 
gibt  CS  kein  stoffliches  Gebiet,  auf  dem,  was  das  Thema  anbelangt,  weniger 
erfunden  wird  als  in  der  Novellistik,  und  auch  Estienne  nahm,  wie  Moliere, 
sein  Gut,  wo  immer  er  es  vorfand,  ohne  Bodenken  für's  Geben  wie  für's 
Nehmen. 


182  P.   Toldo. 

nach  dieser  Richtung  hin  zu  fördern  und  nocli  eingehender  hetriebenen 
Forschungen  einen  Dienst  zu  leisten  8). 

Für  meine  Untersuchung  lagen  die  beiden  Ausgaben  von  L.  Duchat 
und  Ristelhuber  vor,  indem  ich  zugleich  diejenigen  Erzählungen  niclit 
außer  Betracht  ließ,  die  sich  einer  zweifelhaften  Vaterschaft  rühmen 
können  und  weniger  Wert  darauf  legte,  dem  Ursprung  und  der  Ausbreitung 
gewisser  traditioneller  Stofie  nachzuforschen,  als  vielmehr  die  direkte 
Quelle  unseres  Autors  festzustellen,  sowie  die  Art  und  Weise,  wie  er 
dieselbe  verwertet.  Auf  diese  Weise  vermögen  dergleichen  historische 
Forschungen  das  ästhetische  Studium  eines  Literaturwerkes  zu  fördern, 
da  der  Wert  eines  Schriftstellers  sich  nur  dann  bestimmen  läßt,  wenn 
man  eine  möglichst  klare  Vorstellung  besitzt  von  dem,  was  wirklich  als 
sein  Eigentum  bezeichnet  werden  kann,  von  dem,  was  Anderen  zuzu- 
weisen ist,  und  zugleich  die  Erkenntniss  erlangt  hat,  ob  derlei  Nach- 
ahmungen  scharfen  Verstand   und   natürliche  Erzählerkunst  bezeugen. 

Möge  mir,  einem  bereits  langjährigen  Erzieher  der  Jugend, 
gestattet  sein,  ein  Beispiel  anzuführen,  das  der  Schulerfahrung  entlehnt 
ist.  Der  Lehrer  erzählt  eine  historische  Begebenheit  oder  berichtet 
von  einer  sittlich  bedeutenden  Tat  und  fordert  die  Schüler  auf,  das 
Gehörte  nach  Gutdünken  auszuarbeiten.  Die  jungen  Leute  notieren 
sich  die  wichtigsten  Daten  der  Erzählung  und  fangen  dann  selbst  an 
zu  schreiben,  indem  sie  Eigenes  hinzufügen,  d.  h.  zusetzen,  weglassen 
und  dem  weisen  Ratgeber  Manzoni  folgend  „hinzudenken".  Aus  der 
Verschiedenheit  der  Gestaltung,  die  das  Thema  annimmt,  erkennt  ein 
scharfsichtiger  und  sorgsamer  Lehrer  die  geistige  Beanlagung  seiner 
Schüler  in  Bezug  auf  Verstandesschärfe  und  den  Charakter  und  kann 
auch  in  mancher  Beziehung  ihr  Gemüt  und  ihre  Bestrebungen  ergründen. 
Das  gleiche  Verfahren  müssen  auch  diejenigen  einschlagen,  die  sich 
mit  dem  Studium  der  vergleichenden  Novellistik  zu  befassen  haben, 
und  wenn  ein  überlieferter  Bericht  ein  literarisches  Gewand  anlegt, 
kann  die  historische  Forschung  nicht  unabhängig  von  der  ästhetischen 
verfahren,  sie  will  sich  dann  klar  darüber  werden,  was  der  Schrift- 
steller Eigenes  hinzugetan  hat,  an  neuen  Bemerkungen,  an  der  Kunst 
der  Rede,  an  der  Art  des  Hervorhebens  gewisser  Momente,  den  scharf- 
sinnigen oder  gutmütigen  Schlußfolgerungen,  mit  anderen  Worten 
der  echten  Persönlichkeit  des  Künstlers.    So  werden  z.  B.  Boccaccio 


^)  Betreffs  der  von  mir  nicht  angegebenen  Quellen  verweise  ich  die 
Leser  auf  Ristelhuber,  der  es  sieb  angelegen  sein  liefs,  die  Anleihen  bei  den 
Vüae  painium,  der  lez/endn  aurea,  den  Kirchenschriftstellorn,  den  französischen 
Historikern,  sowie  an  verschiedenen  anderen  Stellen,  wo  unser  Autor  Pontano 
Bandello,  Castiglione  und  Battista  Fulgoso  zu  Dank  verptlichtet  ist,  genau 
zu  bezeichnen. 

Auch  die  Nachahmungen  des  oder  der  Verfasser  der  fJevis,  die  nach 
der  zweiten  Auflage  anzusetzen  sind,  also  nach  dem  Zeitpunkt,  wo  Estienne 
sein  Werk  schon  veröffentlicht  hatte,  sind  ebenfalls  in  der  citiorten  Ausgabe 
Ristelbubers  einzusehen. 


L' Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne.  183 

und  La  Fontaine  unzweifelhafte  Originalität  bekunden,  obscbon  sie 
Stoffe  bebandeln,  die  scbou  von  Tausenden  bearbeitet  sind,  während 
andere  Novellisten,  die  als  servile  pecus  zu  gelten  haben,  Alles  ver- 
derben, was  sie  nur  anrühren  und  die  anmutigsten  Erzählungen 
farblos,  weitschweifig  und  tölpisch  ungeschickt  umgestalten. 

Estienne  kann  —  meiner  Ansicht  nach  —  keiner  der  beiden 
Kategorien  eingereiht  werden.  Seine  Arbeit  ist  überhastet,  mit 
polemischen  Nebenansichten,  es  fehlt  ihr  die  notwendige  Ruhe,  die 
allein  den  Aufstieg  zur  wahren  Kunst  ermöglicht.  Bisweilen  erzählt 
er  mit  großem  Scharfsinn,  aber  noch  öfter  macht  er  Wendungen  nach 
rechts  und  nach  links,  kürzt  ab,  modifiziert,  um  die  Novelle  seiner 
beabsichtigten  Beweisführung  anzupassen;  häufig  schreibt  er  ab  und 
übersetzt  ohne  sich  daraus  ein  Gewissen  zu  machen.  Gewöhnlich  greift 
er  zum  Thema,  in  dem  er  vorausschickt,  ,.jetzt  fällt  mir  eine  Anekdote 
ein,  die  gut  zu  dem  von  mir  Gesagten  paßt-*,  oder  „weil  ich  nun 
Das  einmal  erzählt  habe,  kann  ich  auch  noch  recht  gut  das  Andere 
hinzuzufügen",  und  so  reihen  sich  die  Geschichten  aneinander,  wie 
bei  einer  fröhlichen  Unterhaltung,  wo  Jeder  sein  Teil  beisteuert.  Am 
Eingang  des  XXV.  Kapitels  beklagt  sich  Estienne,  daß  sein  Gedächtnis 
ihm  öfters  einen  schlimmen  Streich  spiele:  „ains,  me  fait  souvent 
aitendre,  et  suis  contraint  ce  pendant  de  traiter  quelque  autre 
point,  des  exemples  duqiiel  je  luy  puis  faire  rendre  comte.''  Kurz, 
bisweilen  führt  der  Inhalt  der  einzelnen  Kapitel  die  Anknüpfung  der 
Erzählung  herbei,  bisweilen  regt  aber  auch  diese  wiederum  zur 
Gestaltung  des  ganzen  Kapitels  an.  Viel  ist  ihm  daran  gelegen,  daß 
seine  Leser  fest  von  der  Wahrheit  seines  Berichtes  überzeugt  sein 
sollen.  Auch  in  dieser  Beziehung  enthält  seine  Vorrede  sehr  aus- 
führliche Erklärungen.  Meine  Gegner  werden  nun  behaupten:  ^'ay 
escrit  des  contes.  S'ils  prennent  ce  mot  de  contes  ponr  liistoires, 
je  le  confesse  :  sHls  le  prennent  autrement  je  leur  nie."'  Und  das 
genügt  noch  gar  nicht,  die  Mehrzahl  seiner  wahren  Geschichten: 
,^jamais  aiiparavänt  n'avoyent  este  redigees  par  escrit,''^  daher  erhebt 
er  Anspruch  auf  eine  gewisse  Originalität,  auch  behauptet  er  in  Bezug 
auf  bekannte  Novellen:  „fay  choisi  (ceUes)  qui  par  Vopinion  de 
plusieurs  juges  competens  se  trouvoyent  les  plus  adniirables,"  kurz, 
wir  haben  es  mit  einer  wirklichen  Blumenlese  zu  tun.  In  den 
wenigen  Fällen,  wo  er  selbst  nach  Vorbildern  arbeitet,  gebührt  ihm 
doch  immerhin  einiges  Verdienst,  sei  es  auch  nur  das  der  Abkürzung  „ . . . 
serre  en  demie  page  iel  conte  qu'on  avoit  estendu  en  deux  eyitieres." 
Diese  letzte  Erklärung  ist  zugleich  die  einzige,  die  der  Wahrheit 
entspricht. 

Nach  allem,  was  ich  über  die  Wahrhaftigkeit  des  Berichtes 
unseres  Autors  geäußert  habe,  ist  und  bleibt  es  merkwürdig,  daß  er 
selbst  darauf  besteht  historische  Dokumente  von  den  Geistlichen  zu 
fordern,  die  Ileiligenlcgenden  berichten.  Eure  einzige  Begründung, 
ruft  er  aus,  besteht  aus  einem:  on  dit  und  an  lit,  um  mich  zu  über- 


184  P.   Toldo, 

zeugen,  sind  andere  Dinge  erforderlich.'')  Und  doch  sind  seine  eigenen 
exempla  nichts  anderes  als  Geschichten,  die  ganz  auf  dieselbe  Weise 
mit  on  dit  und  an  Ut  anheben.  Wo  liegt  denn  ein  historisches 
Dokument  vor  in  dem  Bericht  von  der  Ehefrau  mit  dem  schielenden 
Gatten,  oder  für  das  Abenteuer  von  Messer  Lambertaccio  oder  wie 
ein  Advokat  zwei  Klienten  foppt! 

Auch  auf  Estienne  paßt  die  Beschuldigung,  die  er  gegen  die 
Kirchen-Schriftsteller  und  Prediger  erhebt :  ,,d'accomoder  leurs  contes'-' 
dem  gerade  behandelten  Thema.  Nur  allzu  wahr  ist  das  Wort  des 
Evangeliums,  daß  man  eher  den  Splitter  im  Auge  des  Nächsten  als 
den  Balken  im  eigenen  Auge  sieht! 

Obschou  Estienne  beteuert,  daß  er  eine  große  Anzahl  Geschichten 
kennt  und  nur  Das,  was  ihm  am  besten  dünkt,  ausgewählt  hat,  so 
steht  fest,  daß  er  von  ein  und  denselben  in  verschiedeneu  Kapiteln 
und  für  verschiedene  Zwecke  mehrmals  Gebrauch  macht,  sodaß  eine 
frühlich  aufgeputzte  List  in  dem  einen  Fall  den  Beweis  (d.  h.  Das, 
was  die  Vertreter  des  Gesetzes  in  Frankreich  la  j^ißcß  justi/icative 
nennen)  für  weibliche  Verderbtheit  erbringen  muß  und  anderswo 
durch  das  gleiche  Zeugnis  „les  larrecins  de  nostre  temps'"'  oder 
„les  vices  rej^ris  es  gens  d'eglise''  bloßstellt.  Bisweilen  linden  wir 
eine  flüchtige  Anspielung  auf  eine  Geschichte,  die  an  einer  anderen 
Stelle  ausführlicher  behandelt  wird,  sodaß  es  den  Anschein  gewinnt, 
als  ob  den  Autor  im  Moment,  wo  er  sie  in  Angriff  nimmt,  die  Reue 
packte,  sie  lieber  bei  besserer  späterer  Gelegenheit  verwerten  zu 
wollen;  bisweilen  finden  sich  auch  Varianten  ein  und  derselben 
Geschichte  vor,  wie  wenn  unser  Autor  eine  vergleichende  Prüfung 
derselben  vorgenommen  hätte. 

Wir  betrachten  Estienne  weniger  als  den  Protestanten,  der  für 
eine  andere  reinere  Glaubensauffassung  gegen  Priester  und  Mönche 
kämpft,  im  Konflikte  der  Gegenwart  und  der  Vergangenheit,  der 
einer  aufrichtigen  tiefen  Überzeugung  entstammt,  sondern  vielmehr 
als  Vorläufer  Voltaires,  der  analysiert  und  kritisiert,  nicht  um  zu 
schaffen,  sondern  um  zu  zerstören,  nicht  um  zu  crmahnen  sondern 
die  Lachlust  zu  wecken.  Die  frommen  Legenden  sind  lächerlich  und 
abgeschmackt,  die  Gebräuche  der  katholischen  Kirche  Allegorien  ver- 
drehter Art,  die  Geistlichen  unwissend,  habsüchtig,  lasterhaft,  die 
Klöster  Brutstätten  aller  nur  denkbaren  Laster  usw.,  aber  nachdem 
Estienne  diese  Behauptungen  ausgesprochen  hat,  erweitert,  wiederholt 
und  dokumentiert  er  sie  mit  seineu  prächtigen  exempia,  ohne  jemals 
das  tröstende  Wort  von  der  Rechtfertigung  durch  den  Glauben  aus 
zusprechen,  oder  auf  das  wahre  Kreuz  hinzuweisen,  um  das  die  echten 
Gläubigen  sich  scharen  sollen.  Im  Grunde  genommen  hatte  Estienne 
mit  dem  Papst  Leo  X.,  über  den  er  soviel  Schlimmes  zu  berichten 
weis,  und  in  noch  höherem  Grade  mit  den  italienischen  Humanisten 


")  Siehe  Ristelhuber,  2.  Band.    S.  206. 


L' Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Esiienne.  185 

ganz  wesentliche  Berührungspunkte.  Wie  bereits  gesagt  wurde,  hatten 
ihn  die  Werke,  die  aus  seiner  Druckerei  und  aus  seinem  Hirn  her- 
vorgingen, zum  Heiden  gemacht,  lo) 

Abgesehen  von  einer  großen  Frische  des  Stiles  und  seineu  her- 
vorragenden linguistischen  Verdiensten,  besitzt  unser  Autor  eine  Gabe, 
die,   wie  ich  bemerke,   von    seinen  Anhängern   nicht  beachtet  worden 


1")  Unser  Autor  hat  hier  zweifelsohne  eine  gute  Veranlassung  sich 
lustig  zu  macheu,  und  Niemand,  der  auch  nur  ein  Fünkchen  Verstand 
besitzt,  wird  ihm  Unrecht  geben  können,  wenn  er  über  allerhand  Misstände 
spottet,  wie  Reliquienhandel,  bedenkliche  Spässe  von  geistlichen  Herren 
und  insbesondere  über  gewisse  Bücher,  die  Geistliche  zu  Verfassern 
haben  oder  von  ihnen  gepriesen  werden,  wie:  „Le  quadragesimal  spiritml,  c'est 
assavoir  la  salade,  les  ferbres  fr'des^  les poi/s  passez,  la  puree,  la  lamproye^  le  saff'ran, 
les  oranges  etc."  in  Paris  im  Druck  erschienen  bei  der  Wittwe  Michel  le  Noir, 
um  1521,  „avec  la  revue  et  correction  de  deux  vcnerahles  doctevrs  en  la  faculle  de 
iheologie  de  Pai-is'-  (cap.  XXXVII  p.  277  ed  Ristelhuber).  Die  gedünsteten 
Bohnen  sollen  die  Beichte  sowie  das  Gute,  was  sie  bewirkt,  bedeuten,  die 
„pojjs  imssez"  bedeuten  die  Busse,  die  ,.pitree-'  ist  zugleich  Je  propos  de 
sog  ahsienir  de  peche",  und  in  dieser  tollen  Weise  wird  die  ganze  Allegorie 
weitergeführt.  Dasselbe  gilt  von  den  Beschuldigungen,  die  unser  Autor 
gegen  die  Raubgelüste  des  Klerus  erhebt  (cap.  XXIII),  sowie  den  Missbrauch 
des  Beichtstuhles  (cap.  XXI)  und  die  Unwissenheit  der  Geistlichkeit.  Doch 
ist  Manches  absichtlich  boshaft  übertrieben.  Ein  Verfasser  von  Heiligen- 
geschichten schildert  die  Jungfrau  Maria,  die :  „dicebat  horas  snas  in  Hehraeo'-' 
und  Estienne  übersetzt:  ,Ja  vierge  Marie  (disoit)  les  heures  de  Notre  Dame'"'' 
(cap.  XXXIII).  Mit  vollem  Recht  spottet  unser  Autor  in  Kap.  XXXV:  „rfe 
plusieurs  sortes  de  quesiions,  et  aucunes  non  moins  meschanies  que  frivoles,  dont  aussi 
estoyent  garnis  lesdicts  prescheurs"  und  ob  es  wohl  nach  der  Auferstehung 
möglich  sein  werde  zu  essen  und  zu  trinken;  warum  Jesus  lieber  St.  Petrus 
als  St.  Paulus  die  Schlüssel  der  Kirche  übergeben  habe,  oder  auch;  „utrum 
Deus  potuerit  suppositare  mulierem,  vel  diabohan,  vel  asinum,  vel  cucurbitain,  vel  silicem, 
sowie:  utrum  deus  posset  peccare  si  vellet^\ 

Unser  Autor  macht  sich  über  das  Latein  von  Barletta  nnd  anderen 
geistlichen  Schriftstellern  lustig,  ohne  zu  beachten,  dass  die  von  ihm  zitierten 
Werke  gar  nicht  für  den  Druck  bestimmt  waren,  sondern  bloss  Anmerkungen 
zu  Predigten  enthielten.  (Cfr.  Galletti,  Fra  Giordano  da  Pisa  etc.  in  Giom. 
stör,  della  lett.  iial.  XXXI.  212  if.  und  Luigi  Mareuco,  foratoria  sacra 
itallana  nel  media  evo,  Savoua,  Ricci  1900  passim  und  besonders  an  der  Stelle, 
wo  von  Barletta  die  Rede  ist.) 

Auch  sonst  noch  lässt  sich  Estienne  ähnliche  Scblussfolgerungen  und 
Maugel  an  kritischem  Verständnis  zu  Schulden  kommen.  Es  handelt  sich 
doch  nur  um  vulgäre  Possenreisserei,  wenn  er  gegen  die  Mönchsorden 
Einwände  wie  folgende  vorbringt:  gras  comme  un  moine  sagt  das  Si^richwort 
und  die  nahe  Beziehung  zwischen  „Moiiaci  e  maiali"-  (München  und  Säuen) 
wird  an  dem  Umstand  erwiesen,  dass  St.  Franziskus:  en  sa  vie  ayant  gouveme 
vn  troupeau    de   pourceaux    „vouliit  en  sa  viort  avoir  en  gouvernement  un  troupeati  de 

moines''.  (cap.  XXII).  Priester  und  presbittr  ist  nicht  aus  dem  Griechischen 
abzuleiten  und  ist  nicht  gleichbedeutend  mit  alt  sondern  vielmehr:  prae  aliis 
hibens  ter  (cap.  XXIX)  inid  um  die  Diener  des  katholischen  und  protestan- 
tischen Kultus  zu  unterscheiden,  —  wie  er  bemerkt  —  sein  Augenmerk  zu 
richten  auf  den,  der :  „ne  paillardoit  poiat,  li'yvrovgnoit  point,  ne  juroit  point  et .  .  . 
alleguoit  la  suincte  Escriture".  Dieser  —  wie  kaum  bemerkt  zu  werden 
braucht  —  wird  der  Priester  des  neuen,  von  Luther  verkündeten  Glaubens 
sein  (cap.  XX). 


186  P.   Toldo. 

ist,  und  die  dennoch  hervorragend  und  unbestreitbar  ist:  er  beobachtet 
scharf.  Er  hat  Augen  für  die  l<lcinen  und  großen  Gebrechen  des 
sozialen  Organismus,  der  sich  nicht  verschlechtert,  wie  er  annimmt, 
mit  zunehmendem  Alter,  dessen  dunkle  Flecken  um  so  schärfer  her- 
vortreten, je  mehr  das  Licht  der  Zivilisation  an  Intensität  gewinnt, 
je  mehr  die  Zahl  der  Verkehrswege  zunimmt,  mit  je  rascherem  Flügel- 
ßchlage  Kunde  nach  allen  Richtungen  dringt.    Estienne  gleicht  einem 

Seine  historischen  Zitate  beanspruchen  im  allgemeinen  nicht  viel 
höheren  Wert.  Allgemein  bekannt  ist  der  falsche  Bericht  vom  Tode 
Heinrichs  VII.  (cap.  XXIV),  nur  ein  parteiisch  beeinflusster  Kardinal  bezeugt 
die  Wahrhaftigkeit  des  abgeschmackten  Berichtes  von  der  geweihten  Hostie, 
die  Gregor  VII.  in's  Feuer  geworfen  haben  soll,  und  was  die  Narretei  an- 
belangt, dass  Julius  II.  die  Schlüssel  St.  Petri  in  den  Tiber  geworfen  habe, 
so  handelt  es  sich  in  diesem  Falle  bloss  um  ein  rhetorisches  Gleichnis  und 
Epigramm.  Andere,  zum  Teil  wahre,  zum  Teil  falsche  Anklagen  bringt 
Estienne  gegen  Alexander  IL  und  Lucrezia  vor,  die  eine  sündhafte  Neigung 
miteinander  verband;  wie  er  behauptet,  unterhielt  Paul  III.  striäfliche  Be- 
ziehungen zu  seiner  eigenen  Tochter  Konstanze,  verheiratete  sie  mit  einem 
Sforza,  den  er  nachher  aus  Eifersucht  umbringen  liefs.  Er  war  ausserdem 
ganz  offenkundig  der  intime  Freund  seiner  eigenen  Schwester,  die  er  ver- 
giftete, weil  er  zu  bemerken  glaubte,  dass  sie  seine  Gefühle  nicht  entsprechend 
erwiedere.  Gift  ist  die  Waffe  der  Päpste:  „Jesmnin  Hildebrand  qui  pour 
parvenir  au  papat,  avoit  faict  mourir  de  poison  sept  ou  huict  papes^\  Papst  Ju- 
lius III.  ist  Sodomit  und  sein  „Knabe"  erinnert  an  Ganymed,  wie  die 
Dichter  ihn  schildern:  „ce  que  je  dl  pour  l'avoir  reu  et  contemple  ä  Foisir,  et 
7nesmement  %ine  fois  quil  estoit  a  table  avec  son  Jupiter.'-''  Übrigens  wird  in  Rom, 
und  insbesondere  am  päpstlichen  Hofe  die  Sodomiterei  als  galantes  Treiben 
beurteilt:  „Notis  llsons  en  la  vie  du  pape  Slxte  IV  quil  ottroja  a  tonte  la  famille 
du  Cardinal  de  S.  Luce  d'aroir  la  compiagnie  ckariielle  des  masles  durant  trois  mois 
les  plus  chauds  de  Va^inee.  Pareillement  ce  qu'on  lit  m  la  rie  d^ Alexandre  VI,  qu'il 
permit  ä  Pierre  Mendozze  £spag7iol,  cardinal  de  Valence,  de  faire  son  Ganymede  de 
son  fils  haslard  nomine  le  marquis  de    Valence  (cap.  XXXIX)." 

In  Kapitel  XL,  dem  letzten  Kapitel  der  Apologie,  verbreitet  sich  unser 
Autor  eingehend  über  den  päpstlichen  Hochmut.  Alexander  III.  forderte, 
dass  der  Kaiser  Friedrich  einen  Kniefall  vor  ihm  tun  sollte  und  setzte  ihm 
sogar  den  Fuss  auf  den  Nacken;  Clemens  V.  zwang  den  venezianischen 
Gesandten  Francesco  Dandalo  zum  Tragen  von:  „en  son  col  nn  colier  teJ  quon 
le  niet  avx  chiens,  et  aynnt  et  colier  (lässt  er  ihn  einhergehen)  ä  quatre  pieds  du 
long  de  la  grand'  sah  du  palais  d'Ävignon."  Hadriau  IV.  befiehlt  Friedrich,  ihm 
den  Steigbügel  zu  halten;  Bonifacius  VIII.  misshandelt  Philipp  den  Schönen 
und  excommuniziert  ihn  bis  ins  vierte  Glied,  und  schliesslich:  Jl  nous  faut 
noter  ce  quescrit  Mackiavelle,  a  scavoir  que  les  papes  se  sont  faicts  grans  par  trois 
choses,  par  excommunications,  par  pardons  et  par  armes." 

Diese  und  ähnliche  Beschuldigungen  liest  man  in  den :   Scriptores  duo 

anglici   Barus    et    Balcus    quos    nsqiie    ad   Paulum    V  continuavit    Lgdius  (Lugd.  Bat. 

1615,  p.  271,  506,  558  und  passim)  Über  Alexander  VI.  und  seine  Sünden 
vermeldet  Pastor  in  seiner  „Geschichte  der  Päpste  seit  dem  Ausgang  des  Mittel- 
alters''  uns  nichts,  das  Diarium  Burchardi,  von  Thuasne  herausgegeben  (der 
Schreiber  der  Aufzeichnungen  war  Zeremonienmeister  am  päpstlichen  Hofe) 
berichtet  hingegen  zahlreiche  Einzelheiten,  die  sicherlich  nicht  dazu  geeignet 
sind,  das  Haupt  dieses  Papstes  mit  der  Aureole  der  Heiligkeit  zu  verklären. 
Was  Lucrezia  anbetrifft,  so  hat  bekanntlich  Gregorovius  (Lucrezia  Porgia^ 
Stuttgart  1874)  die  Erkenntnis  gefördert,  dass  die  Beschuldigungen  häufig 
die  Grenze  des  Wahren  überschritten  haben.    Paul  III.  (Alexander  Farnese) 


L' Apologie  poiir  Ilerodote  von  Henri  Esiienne,  187 

lächeluden  Zuschauer,  aber  bisweilen  wird  sein  Lächeln  wehmütig, 
weil  er  recht  gut  weis,  daß  für  die  Übel,  die  er  feststellt,  keine  Abhilfe 
zu  finden  ist,  ja  nicht  einmal  ein  lutheranisches  oder  kalvinistisches 
Linderungsmittel.  Bei  anderer  Gelegenheit  wandelt  sich  das  Lächeln 
zu  einem  herzhaften  Gelächter,  dem  sonoren  Lachen  Rabelais',  der 
ihm  so  zuwider  ist  und  in  dem  er  doch  vielmehr  eine  verwandte  Seele 
begrüßen  sollte.  Und  alsbald  gleiten  vor  unseren  Augen  heimliche 
Liebespaare,  lächerliche  und  groteske  Ehrenmänner,  verschmitzte  und 
sittenlose  Priester,  Kaufleute  mit  allerhand  zweifelhaften  Händeln  und 
unwissende  Ärzte  vorüber.  Und  Estienne  führt  uns  mit  sich  in  die 
Häuser  der  Bürger,  auf  Straßen  und  öffentliche  Plätze.  Er  zeigt  uns 
die  Münze,  die  im  Umlauf  ist  und  warnt  uns  vor  den  beschnittenen 
und  unechten  Stücken;  er  führt  uns  in  Magazine  mit  allerhand  Stoffen 
und  enthüllt  uns  die  Betrügereien,  die  sich  hinter  vielverheißenden 
fremdländischen  Beziehungen  verbergen;  mit  ihm  treten  wir  in 
Apotheken,  die  Gift  verabreichen,  in  Schreibstuben  von  Advokaten, 
die  ihre  Klienten  zu  schröpfen  wissen,  zu  Gerichtshöfen,  die  Schrecken 
einflößen  durch  stete  Chikane,  prevöts,  deren  Gerichtsverfahren  wie 
Tortur  wirkt,  die  zerfleischen  und  ausrauben,  eine  bunte,  wechselvolle 
Welt,  die  in  steter  Bewegung  den  Kampf  ums  Leben  kämpft,  nach 
Geld  Jiascht  als  dem  Mittel  und  nach  Genuß  als  dem  eigentlichen 
Endzweck.  Aber  die  Vision,  die  sich  unserm  Blick  bietet,  ermüdet 
und  wirkt  entmutigend.  Nehmen  wir  dagegen  das  Decameron. 
Sicher  enthält  es  manches  Verdorbene,  aber  es  treten  uns  doch  auch 
sympathische  Gestalten  entgegen,  wie  das  liebende  Weib,  das  seine 
Seele  über  der  Leiche  des  Verlobten  aushaucht  (L),  die  wackere 
Frau,  die  die  sterblichen  Überreste  des  schuldigen  Gatten  vor  dem 
Biß  der  wilden  Tiere  schützt  (LXVII),  die  keusche  Bäuerin,  die  den 
Tod  der  Schande  vorzieht  (II),  die  liebevolle  Gattin  (XXXVIII)  und 
die  Jungfrau,  die  den  Verfülirungskünsten  ihres  Herren  widersteht 
(XLII).  Und  wenn  wir  den  Blick  auf  das  Jahrhundert  wenden,  das 
der  Zeit,  in  der  unser  Autor  lebte,  nachfolgt,  so  begegnen  wir  einem 
der  besten  Kenner  des  menschlischen  Herzens,  Meliere,  und  erfreuen 
uns  an  dem  wirkungsvollen  Kontrast  zwischen  seinem  Tartuffe,  seinen 
ungetreuen  Ehegattinnen,  seinen  mißratenen  Söhnen,  entehrten  Greisen, 
einfältigen  Dienerinnen,  die  zugleich  verschmitzt  und  liebevoll  sind, 
sowie  Heroen,  tragisch  in  der  Schuld  wie  Don  Juan,  den  der  Blitz 
des  Himmels  versehrt  ohne  ihn  zu  erschrecken,  oder  Ritter  ohne 
Furcht  und  Tadel,  Vertreter  des  Ideals  wie  der  Misanthrop,  der  zu 


hatte  tatsächlich  eine  Tochter  Konstanze,  die  1545  starb  iLitta,  Famiißie 
celebri  iVItalia  tav.  X).  Aber  für  Incest  liegt  kein  Beweis  vor.  Über  Leo  X.  kann 
man  sich  eine  klare,  von  unserm  Autor  grundverschiedene  Auflassung  durch  die 
Lektüre  von  Nitti  {La  poUtica  di  Leone  X,  Florenz  1892)  verschaffen,  was  endlich 
die  Geschichte  von  Francesco  Dandolo  und  Clemens  V  anbetrifft,  so  verweise 
ich  auf  Foscarini  (J)dla  letter.  reneziana,  libri  Otto,  Padova,  1752,  L.  III,  nota 
333),  der  sie  energisch  in  Abrede  stellt. 


188  P.   Tüldo. 

eifrig  und  zu  ehrlich  ist,  um  sich  in  der  relativen  Ehrlichkeit  der 
Welt  zurechtzufinden. 

Das  Bild,  das  unser  Autor  vorführt,  hat  dagegen  wenig  Erfreuliches 
an  sich,  überall  finden  sich  nur  Betrug,  Betrogene  und  Betrüger,  und 
selbst  Lucrezia,  die  einzige  ehrsame  Vertreterin  der  Ehegattin,  die  in 
der  Apologie  auftritt,  beurteilt  unser  Autor  mit  den  Worten  des 
heiligen  Augustin:  Si  adultera,  cur  laudata?  si  pudica.  cur  occisa? 
Kein  buddhistischer  Asket  hat  jemals  heftigere  Angriffe  gegen  erheuchelte 
weibliche  Tugend  vorgebracht;  Juvenal  hat  ganz  recht  sie  „superlatives 
cn  cupidite  de  vengeance"  und  Meisterinnen  jedes  Lasters  zu  nennen, 
und  Plato  verstand  es  sie  sich  günstig  zu  stimmen  durch  Verheißungen 
von  allerhand  Gesclienken. 

Dennoch  hat  diese  ausgesprochene  Verachtung  von  Frauentugend 
Estienne  nicht  abgehalten  sich  dreimal  zu  verehelichen  und  vierzehn 
Kindern  das  Dasein  zu  schenken  und  ich  glaube,  daß  sein  Skeptizismus 
ihn  ebensowenig  hinderte  liebevolle  Freunde  zu  haben,  auf  die  Zu- 
kunft zu  hoffen  und  Trost  zu  suchen  in  der  geistigen  Arbeit,  deren 
mächtige  Wirkung  auf  kommende  Geschlechter  er  verspürte.  In  der 
Zeit  der  Renaissance  regt  sich  auch  in  den  Werken  der  Skeptiker 
ein  neuer  Lebenshauch,  und  angesichts  des  Frühlings  der  Zivilisation 
erschließen  sich  selbst  kalte  Herzen  der  Hoffnung.  Die  Maiensonne 
wirkt  so  erfreulich  nach  frostigem  Winternebel!  Erst  später,  wenn 
der  Mensch  zu  der  Überzeugung  gelaugt  ist,  der  Kunst  und  der 
Wissenschaft  abgerungen  zu  haben,  was  sie  zu  bieten  vermag,  wenn 
das  Fieber  der  Eroberungslust  im  Erlöschen  ist,  wird  die  Enttäuschung 
der  Romantiker  und  der  Zweifel  der  Gemüter  erwachen,  die  in  der 
Wirklichkeit  keine  Befriedigung  finden.  Die  Apologie  erscheint  in 
der  Zeit  hellströmenden  Lichtes,  und  ein  Strahl  dieses  geistigen 
Frühlings  fällt  auch  trotz  aller  anscheinenden  herben  Schroffheit,  auf 
diejenigen  ihrer  Blätter,  die  sich  vorteilhaft  vom  übrigen  Inhalt 
abheben. 

Vergleichende  Aiimcrkuiigeu. 

Fürsten,  Geistliche  und  Gesandte. 

Alexander  und  der  Seeräuber. 

(Apol.  cap.  XV.)  Die  witzige  Autwort  des  Corsaren  an  den 
grossen  Macedonier  wurde  von  einer  großen  Anzahl  Geschichts- 
schreibern und  Novellisten  wiederholt  (s.  Köhler,  Kleinere  Schriften 
ed.  Bolte,  2.  Band,  p.  559,  und  meinen  Artikel  Alpliahetum  nar- 
rationum  im  Arcli.  f.  d.  Stud.  d.  neueren  Sprachen  1907).  Unser 
Autor  kann  folgenden  Passus  von  Erasmus  (Lingua  ed.  Amsterdam, 
1703  vol.  IV  p.  677)  vor  Augen  gehabt  haben: 

{Apol.)     „Or  entr'  atUres  coursaires  [Lingua)   „Narrant  et  piratam  quen- 

anciens  est  renomme  en  cas  de  hardiesse.  dam  cum  ad  Alexandrum  Magnum  adduc- 
celuy   qui    estant    amene    ä    Alexandre   et       tus,    rogaretur   qua  ßducia  fuisset    ausus 


U Apologie  pour  FUrodote  von  Henri  Estienne.  189 

ayant  este  par  luy  inlerroyue    comment  il       infesiare  mare:   Ego,    Inqiiit,   quoniavi   id 
osoit    entrepreiidre   de   ienir   les  pnssages       parvo  navigio  facio  pirata  vocor,    tu  cum 
de   la   mer,    et  y    exercer   tels   larrecins;       idem  J'acias    tmmerosa  c/«mc,    rex  appel- 
„Moy  [dict-il)  pource  quejefay  cela  avec       /ar(s." 
un   seid  petit  vaisscau,  suis  appele  larron : 
tot/  qui  Jais  le  pareil  cn-ec  un  grand  ncm- 
hre  de  vatsseanx,  es  appele  roy." 

Die  Hörner  der  Biscliofsmitra. 
Im  XXXVII.  Kap.  der  Apol.  finden  sich  zweimal  Anspielungen 
auf  den  allegorischen  Sinn  der  Hörner  der  Bischofsniitra.  Nach  der 
Ansicht  einiger  Theologen  bedeuten  sie  die  Kenntnis,  die  die  Bischöfe 
haben  sollten  und  dennoch  nicht  haben,  vom:  „vieil  et  nouveau  tes- 
tamenf^.     Unser  Autor  schließt  diesem  Ausspruch  folgende  Verse  an: 

„La  mitre  de  deux  part  cornue, 

Science  certaine,  absolue 

Du  vieil  et  nouveau  testament," 
Köhlerei)  in  seinem  Kommentar  zu  dem  libro  di  novelle  antiche  (von 
Zambrini^2^  herausgegeben)  und  speziell  zu  dem  Berichte  „wie  Giotto 
der  Maler  sich  zweier  Fragen  zu  entledigen  wußte,  die  ihm  ein 
Gesandter  von  Bologna  stellte"  gibt  verschiedene  Parallelen  an.  Aber 
in  der  Novelle  des  Zambrini^S)  werden  zwei  Fragen  und  Antw-orten 
angeführt;  die  erste  ist  die  bereits  oben  erwähnte,  die  eine  analoge 
Lösung  findet,  die  andere,  von  unserem  Autor  unerwähnt  gelassene, 
zieht  auch  noch  die  Bedeutung  der  beiden  hinten  an  der  Mitra  herab- 
hängenden Bänder  in  Betracht:  „Giotto,  der  bemerkte,  daß  er  (der 
Kardinal,  der  die  Fragen  stellt)  sein  Wohlgefallen  an  ihm  hatte  und 
ihn  nur  foppen  wollte,  sagte:  Die  beiden  Bänder  bedeuten,  daß  die 
Mitra  tragenden  Hirten  von  heutzutage  weder  das  alte  noch  das 
neue  Testament  kennen  und  deshalb  beides  hinter  sich  werfen." 

Vielleicht  schöpfte  unser  Autor  aus  Schwank  185  a  des  Poggio, 
von  dem  er  wohl  nur  eine  schwache  Erinnerung  bewahrt  hatte,  viel- 
leicht weil  er  hier  nicht  wörtlich  nachahmt,  wie  es  sonst  sein  Brauch  ist, 
vielleicht  aber  auch,  weil  er  mit  diesem  Schwank  vor  Augen  schwerlich 
den  zweiten  Teil  ausser  Acht  gelassen  haben  würde,  wo  auf  die  Un- 
wissenheit der  katholischen  Geistlichen  gestichelt  wird. 

Die  spaßhafte  Excommunikation. 
(Apol.  cap.  XXXVI.)     Ein  Pfarrherr  erhält  den  Auftrag,   alle 
diejenigen  zu  excommunicieren,  deren  Namen  auf  einer  ihm  zugeschickten 


")  Reinhold  Köhler,  Kleinere  Schriften,  ed.  Bolto,  Berlin  1900.  vol.  2 
p.  566. 

12)  72  ed.  Romagnoli,  Scelta  di  curiosita  letter.  disp.  XCIII. 
^^)  Entnommen  aus  dem  Commento  alla  divina  Cümmedia  d' Anonimo ßorentino, 
X.  IL  p.  188,    als  Erläuterung  zu  den  bekannten  Versen  des  XI.  Gesangs 
des  Purgatorlo: 

„Credette  Cimabue  uella  pittura 

Teuer  lo  campo,  ed  ora  ha  Giotto  il  grido". 


190  P.  Toldo. 

Liste  verzeichnet  sind.  In  der  Zerstreutheit  steckt  der  würdige  Priester 
die  Liste  in  einen  Spalt  der  Kanzel,  und  als  er  später  nicht  mehr 
im  Stande  ist,  sie  herauszuziehen,  ruft  er:  ich  excommuniziere  alle 
diejenigen,  die  sich:  dedans  ce  irou  befinden. 

Das  gleiche  Verfahren  schlägt  ein  Pfarrherr  in  den  Devis 
(Nov.  XXXVI  der  editio  princeps  1558,  d.  h.  früher  als  die  Apol.) 
ein,  der  mit  den  nämlichen  Worten  diejenigen  excommuniziert,  deren 
Namen  auf  dem  „en  ce  trou  /d"  verborgenen  Blatte  stehen.  Estienne 
fügt  noch  eine  weitere  komische  Einzelheit  hinzu:  „II  est  hien  vray 
que  tost  apres  ayant  un  peu  mieux  pensS  ä  ceux  qui  estoyent  de- 
dans le  irou  (cest  ä  dire  ä  ceux  qui  estoyent  escritz  au  papier 
lequel  y  esioit  tombe),  il  dict  qiCil  exceptoit  monsieur  de  Paris  et 
■son  official.'' 

Von  dem  Prälaten,  der  zu  fluchen  pflegt. 

Davon  handelt  cap.  VI  der  Apol.  Zitiert  wird  hier  Barletta 
als  Quelle. 

Ein  Prälat  konnte  den  Mund  nicht  öffnen,  ohne  die  schwersten 
Gotteslästerungen  vorzubringen  und  während  er  flucht,  beschwört  er, 
daß  er  niemals  fluche.  Genau  so  beträgt  sich  ein  Edelmann,  von  dem 
Domenichi  in  einem  seiner  Schwanke  berichtet  (eJ.  Venezia  MDIC 
p.  238.) 

Wie  ein  Prediger  seine  Zuhörer  zum  Lachen  und 
zum  Weinen  brachte. 

(Apol.  cap.  XXXVI.)  ^Du  nomhre  desquels  fut  un  Corde- 
Her,  qui  ayant  gage  de  faire  en  wi  mesme  temps  rire  une  moitie 
du  peuple  et  pleurer  Vautre  et  ce  jour  du  grand  vendredi  (autre- 
ment  dict  la  vendredi  sainct)  usa  de  ceste  invention.  11  prit  un 
hahillement  qui  cstoit  fort  court  par  derriere,  et  ne  vestit  p)oint 
de  haut  de  chausses:  puis  estayit  en  une  chaire  posee  au  milieu 
du  peuple,  et  qui  n'estoit  point  dose  par  derriere,  quand  il  vint 
«  faire  ses  grandes  exclamations  contre  les  meschans  Juifs,  et  ä 
dSclarer  les  grands  tourmens  quavoit  endurez  nosire  seigneur 
Jesus  C/trist,  il  baissa  tellement  la  teste  et  les  espaules  en  croi- 
sant  les  bras,  qu'il  descouvrit  toutes  ses  posterieures;  lesquelles 
voyans  ceux  qui  estoyent  derriere  ceste  chaire,  ne  se  purerd  tenir 
de  rire,  au  Heu  que  ceux  qui  estoyent  devant  estoyent  esmeus  ä 
pleurer,  tant  par  les  propos  qu'il  leur  tenoit,  que  par  les  simagrees 
qu'il  faisoit.  Voilä  comment  il  gangna  la  gageure,  ayant  faict 
pleurer  une  partie  du  peuple  et  rire  Vautre  en  un  mesme  temps, 
voire  en  un  mesme  instant."' 

In  der  XLIV.  Novelle  des  Morlini  (p.  88  ed.  cit.)  steht  zu  lesen: 

„Oratoriae  facultatis  monachus  magnae  dicacitatis  diem  in- 

dixit  quo  sua  in  oratione  adstantium  jyartim  riderc,  partim  plorare, 


L' Apologie  pour  Hcrodoie  von  Henri  Estienne.  191 

partim  severos  ac  tristes  faciuriret.  Et  convocatis  omnium  reli- 
gionum  oratoribiis,  adest  dies  muneri  dicatus.  Tunc  influunt 
turhae  viri  feniinaeque  omnis  dignitaiis  atque  aetatis.  Sicque 
cavea  templi  plena  turhae,  exordire  ac  de  passione  Domini  fari 
inßt,  et  adeo  fiehili  vocida,  adeo  pie  exorare  coepit,  quod  mulieres, 
senes  (omnes  äd  plorandum  hahiles)  in  lacrymis  prorumpunt. 
Juvenes  vero,  quum  non  faciliter  ad  lacrymas  prorumpuntur, 
nimia  severitate  tristes  a  concionantis  ore  pendere  videhayitur. 
Verum,  quia  pone  suggestmn  magna  pars  turbae  abstabat,  monachus, 
se  pronum  faciens  in  pulpito  velui  aliqui  incense  dicturus,  elevatis 
in  altum  lacrimis,  retro  adstantibus  dunes,  anum,  inguenque 
ostentabat  ..." 

Die  Streiche  des  Predigers  Roberto  Caracciolo   di  Lecce. 

(Apol.  cap.  XXXVI).  Unser  Autor  berichtet  Verschiedenes  und 
entnimmt  den  Stoff  nach  seiner  eigenen  Angabe  dem  Werke  des 
Erasraus.  Wir  geben  hier  den  ersten  Streich  wieder,  zugleich  mit 
dem  Original,  das  fast  Avörtlich  nachgeahmt  ist: 

„  Ü7i  autre  cordelier  nomme par Erasme  Robertus  Liciensis 
s'estant  vante  en  un  banquet  qu'il  pouvoit  faire  venir  les  larmes 
aux  yeux  ä  ses  auditeurs  toutes  et  quantesfois  que  hon  luy 
semhloit,  fiit  mocque  par  un  de  la  compagnie,  disant  qu'il  n'estoit 
pas  assez  hahile  komme  pour  faire  pleurer  quelques  personnes 
d'esprit,  mais  seidement  piourroit  faire  pleurer  quelques  femmes 
des  plus  idiotes^  ou  les  petits  enfants.  Alors  ce  moine  hien 
fasche  de  ceste  mocquerie,  luy  dict:  Vous  donc,  monsieur,  qui 
faites  tant  de  grave,  trouvez-vous  demain  en  mon  sermon  en  la 
place  que  je  vous  assigneray  vis  ä  vis  de  moy^  ä  la  charge  que 
si  je  ne  vöus  fay  sortir  des  larmes  des  yeux,  je  donneray  un 
hon  banquet  ä  la  compagnie:  si  je  vous  en  fay  sortir,  vous  le 
donnere  s''. 

Die  Wette  wird  angenommen.  Am  folgenden  Tage  predigt  unser 
Robert  mit  aller  Beredsamkeit,  deren  er  fähig  ist,  dann  (sich  seinem 
Gegner  zuwendend)  ruft  er  aus:  „0  cueur  plus  dur  que  fer,  6 
cueur  plus  dur  que  diamant.  Lefer  se  fond  par  le  feu,  le  diamant 
est  surmonte  par  le  sang  de  houc:  et  moy  quoy  que  je  face,  je 
ne  te  puis  tant  amollir  que  tu  jettes  une  seule  lärme.  Et  ne  se 
contenta  de  dire  tcne  fois  ce  propos,  mais  le  reitera  tant  de  fois, 
criant  tousjours  de  plus  fort  en  plus  fort,  qiCen  lafin  celuy  contre 
lequel  il  avoit  gage,  ne  se  peut  garder  de  pleurer  ..." 

Und  Erasmus,  De  ratione  concioiiandi,  libro  III,  an  der  Stelle, 
die  von  Robertus  Liciensis  handelt:  „Is  quum  in  convivio  in  quo 
simul  acumbehat  Vicarius  quidamde  grege  observantium,  vir  eruditus, 
pius  et  gravis,  jactaret,  se  posse,  quoties  vellet,  auditoribus  excutere 
lacrymas,  ex  eo  refutare  cupiens  quod  alter  objecerat  infrugiferas 
esse    conciones   illius^    quod  nee   oratio   ex  animo  proficisceretur., 


192  P.  Tokio. 

nee  viki  congruerat  cum  oratione:  Quibus,  inquit  Vicarius,  tu 
excuteras  lacrymas,  nisi  forte  pueris  aut  inestis  mulierculis'?* 
Robert  erzürnt  sich  und  schlägt  eine  Wette  vor,  genau  wie  in 
der  obigen  Version,  dann  begibt  er  sich  zur  Kirche  und  spricht  als 
Prediger  folgendermaßen  zum  Vikar:  0  cor  plus  quam  ferreum,  o 
cor  adamante  durius:  fernim  igni  Uquescit,  adamas  sanguine 
hircino  vincitur:  ego  quum  nihil  non  faciam  non  possum  ex  te 
vel  unam  exiundere  Lacrymulam.  Nee  desiit  lianc  iirgere  apostrophen 
magnis  clamorihus.,  donec    Vicario  ermyiperent  lacrymae  .  .  . 

Ein  Prediger  vergleicht  das  Leben  Jesu  Christi 
mit  dem  Leben  gewisser  Soldaten. 

(Apol.  cap.  XXXVI).  „Aussi  parlait  bien  profanement  (en- 
eore  que  ce  ne  fust  sans  faire  rire)  celuy  qui  disoit  ä  quelques 
soldais  quil  voyoit  en  son  presche:  11  est  de  vous  en  toutes  choses 
ainsi  que  de  Jesus  Christ.  11  jut  pris,  aussi  serez  vous.  IL  fnt 
lie  de  eordes  comme  un  larron,  aussi  serez  vous.  11  fut  fouette; 
aussi  serez  vous.  11  fut  mene  au  gibet,  aussi  serez  vous.  11 
descendit  aux  enfers,  aussi  fairez  vous,  mais  il  en  revint,  vous 
y  demeurerez.'"' 

Ich  weiß  nicht,  woher  diese  Geschichte  stammt,  die  später  ohne 
wesentliche  Abänderungen  (Spitzbuben  statt  Soldaten)  in  der  Elite 
des  contes  du  sieur  d^Oicville  (ed.  Brunet,  Paris,  1883  vol.  I  p.  280) 
auftaucht:  „D'im  eordelier  qui  fut  coniraint  de  faire  une  predication 
ä  des  voleurs  .  .  .  Messieurs,  je  ne  sgaurois  traiter  plus  dignement 
que  comparer  voti'e  vie  ä  celle  de  N.  Seigneur  Jesus  Christ  .  .  . 
IjCs  juifs  guettoient  continuellement  pour  le  prendre,  le  grand 
prh'ost  et  les  archers  en  fönt  de  mcme  pour  vous  attraper.  11 
fut  trahi  par  Judas,  Vun  de  vous  auires  trahira  ses  compagnons. 
11  fut  pris,  mene,  lie  et  garrot6,  aussi  jerez  vous  sans  doute. 
11  fut  fouette  de  verges,  aussi  serez-vous,  si  vous  ne  Vavez  dejä 
ete.  11  fut  pendu  entre  deux  larrons:  on  vous  verra  bientöt  de 
meme.  11  descendit  aux  enftrs,  aussi  ferez-vous.  11  monta  apres 
aux  cieux,  mais  vous  ne  partirez  point  de  lä  et  demeurerez  avec 
les  diables  ..." 

In  der  Elite  finden  sich  noch  andere  Vergleiche  zwischen  Jesus 
und  den  Spitzbuben  und  es  erscheint  ganz  begreiflich,  wie  leicht  bei 
einem  derartigen  Thema  Zusätze  und  Streichungen  zu  bewerkstelligen 
waren. 

Der  cholerische  Pfarrherr. 

{Apol.  cap.  XXXIX)  ,,A  ce  mesme  propos  il  ne  faut  pas 
oublier  celuy  qui  chantant  sa  messe  en  un  Heu  qui  avoit  veue  sur 
son  jardin,  ainsi  quil  tenoit  son  dieu  de  paste  par  dessus  sa  teste, 
ayant  appereeu  au  mesme  instant  un  garson  monte  sur  un  sien 
cerisier,  commenga  ä  erier:  descen  par  le  diable  ..." 


L' Apologie  pour  Uerodote  von  Henri  Estienne.  193 

Ganz  ähnlich  lautet  die  Nov.  89  des  Sacchetti:  „i^  prete  di 
Moni'  Ughi,  portando  il  corpo  di  Cristo  a  uno  infermo,  veggendo 
uno  SU  im  siio  fico,  con  parole  nuove  e  disoneste  lo  grida,  poco 
curandosi  dei  sacramento  che  avea  tra  le  mani."' 

Es  handelt  sich  hier  um  eine  kleine  durch  mündliche  Über- 
lieferung Aveitverbreitete  Geschichte,  die  beide  Autoren  benützt  haben 
müssen. 

Der  verräterische  Gesandte. 

(Apol.  cap.  XV).  Dequoy  il  me  souvient  avoir  leu  un  exemple 
digne  de  memoire  en  iin  livre  d'Erasme  qu'il  a  intitule  Lingua  .  .  . 
Es  ist  eine  Übersetzung. 

(Apol)  Pendant  que  f  estois  en  Angle-  (Lingua),  ed.  cit.  p,  6S4).  Agebamus 
tere,  vint  au  Bog  un  Italien  amhassadeur  id  iemporis  in  Anglia^  cum  Italus  quidam, 
du  pape  Jule  {deuxieme  de  ce  nom)  en-  homo  mire  dextri  ingenü,  sed  parum  felix, 
voge  pour  animer  ce  Uog  ä  faire  la  guerre  eo  legaius  veniret  Julii  nomine,  quo  regem 
aux  Franqois.  Or  apres  avoir  exjpose  ad  bellum  in  Gallos  accenderet.  Isposte- 
sa legation  au  conseil  prive  du  dict  prince,  aquam  in  concilio  perorasset  ex  more,  eique 
luy  agant  este  respondu  que  sa  majeste  regis  nomine  responsum  esset:  regis  qui- 
estoil  en  bonne  deliberation  d'embrasser  dem  animum  vehementer  propensum  esse 
son  parti,  mais  qu'il  lug  seroit  difficile  ad  propugnationem  dignitatis  pontificiae, 
d'assembler  si  soudain  forces  süffisantes  caeterum  Britanniae  regnum  jam  diuturna 
pour  combattre  un  Roy  si  puissant,  d'autant  j)ace  desuevisse  bello,  et  rem  fore  cum 
que  le  royaume  d^Angleterre,  sous  une  longue  rege  potentissimo,  itaque  non  posse  repenie 
paix  avoil  discontinuc  fexercice  des  armes,  fieri  quod  peteretiir,  sed  opus  esse  temporis 
un  mot  luy  eschapa  duquel  il  se  poiiroitbien  spatio  ad  tanti  belli  apparalum;  ille  ma- 
passer,  car  il  vint  ä  dire  que  desia  il  avoit  gis  incaute  quam  scelerate,  cum  nihil  esset 
remonstre  cela  audict  Pape.  Lequd  pro-  necesse  quicquam  addere,  subjecit  sese 
pos  fit  enirer  en  souspeqon  les  seigneurs  qui  eadem  praedicasse  Julio,  Ea  vox  excepta 
estoyent  lii,  que  combien  que  ce  personnage  mox  suspicionem  injecit  inagnatibus,  quod 
fust  ambassadeur  du  pape,  il  portoit  toutes  Pontijicis  oratorem  pi-ofessus,  nonnihil  fove- 
fois  quelque  faveur  au  roy  de  France.  .  . "  ret  Gallo.  ..." 

Der  Zweifel  wird  später  zur  Gewißheit  und  der  unredliche  Gesandte 
empfängt  seine  Strafe. 

Von   dem   Gesandten,  der  die  Königin  von  Navarra  küßt. 

(Apol.  cap.  III).  Ein  Gesandter,  der  Margarethe  von  Navarra 
einen  Brief  zu  übergeben  hat,  erhielt  zugleich  den  Auftrag,  ihn  (den 
Brief)  zu  küssen,  bevor  er  ihn  überreiche.  Er  begeht  den  Irrtum, 
die  Königin  selbst  zu  küssen. 

Es  kann  sich  um  eine  wirkliche  Begebenheit  handeln,  obgleich 
ich  keine  Spur  davon  im  Heptameron  finde.  Ich  erinnere  daran, 
daß  der  104.  Schwank  des  Poggio  von  einem  anderen  Gesandten, 
einem  Toskaner,  handelt,  der  zu  Johanna,  der  Königin  von  Neapel, 
geschickt,  sich  nicht  mit  einem  Kusse  begnügt,  sondern  auch  ein 
Plätzchen  in  ihrem  Bette  begehrt.  Die  Königin  antwortet:  Haben 
euch  die  Florentiner  auch  noch  diesen  Auftrag  gegeben?  Das  Ver- 
hältnis Poggios  zur  Apologie  ist  schwer  zu  bestimmen,  da  aus  dem 
Schwank  des  ersteren  der  Grund  der  dreisten  Forderung  nicht  er- 
sichtlich wird. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI'.  13 


194  F.  Toldo. 

Die  Justiz:   Advokaten,  Spitzbuben  und  Wucherer. 

Grausamkeit  eines  Ricliters. 

(Apol.  cap.  XVII).  Ein  Richter  läßt  irrtümlicher  Weise  einen 
unschuldigen  jungen  Menschen  zugleich  mit  seinem  Vater,  der  ein 
ausgemachter  Spitzbube  ist,  an  den  Galgen  hängen,  indem  er  ausruft: 
„Pe7idez,  j^ßndez,  il  en  feroit  hien  d'autres.'^  Der  Bericht  gemahnt 
an  LXI  der  Joyeux  devis  (ed.  princeps  1558):  „.De  la  sentence 
que  donna  le  prevost  de  Bretaigne,  leguel  fit  pendre  Jehan  Trubert 
et  soll  fils.'-' 

Estienne  zitiert  das  Witzwort  seines  Richters  in  der  Vorrede 
zu  den  Fontes  juris  civilis  (cfr.  Clement,  «.  a.  0.  p.  102). 

Die  Freude  an  Rechtshändeln. 

(Apol,  cap.  XVII).  „Or  desia  du  temps  du  Roy  Loinjs  on- 
zieme  il  se  irouva  un  evesque  si  amoureux  de  ce  deduit  (d.  h. 
der  Rechtshändel)  que  ce  Roy  le  voulant  despesirer  d\ine  infinit^ 
de  proces,  il  le  supplia  fort  afectueusement  de  luy  en  laisser  au 
moins  vingt  cinq  ou  trente  pour  ses  menus  plaisirs."' 

In  dem  XXXIV,  der  Joyeux  Devis  (d.  h.  in  der  editio 
princeps  von  1558)  liest  man  gleichfalls:  Der  Bischof  von  Milo 
war  ein  großer  Liebhaber  von  Prozessen,  und  der  König  verbot  ihm, 
um  seinem  Ruin  Einhalt  zu  tun,  Klagen  anzustrengen,  „Quand 
Vevesque  veid  que  ses  proces  s'en  alloyent  ainsi  ä  neant,  il  s'en 
vint  au  Roy  et  le  suppliayit  ä  jointes  inains  qiiil  ne  les  luy  ostast 
pas  tous,  et  qiiil  luy  pleiist  au  moins  luy  en  laisser  une  douzaine 
des  plus  beaux  et  des  medleurs  pour  s''esbattre."' 

S.  jedoch  Kap.  V  Buch  III  von  Rabelais  i^)  und  die  Schwanke  von 
Domenichi  (ed.  Venezia,  MDIC  p.  3),  wo  von  einem  Neapolitanischen 
Edelmann  die  Rede  ist,  der  Vorwand  zu  Prozessen  suchte,  um  sich 
die  Zeit  zu  vertreiben  ,^non  si  curando  altrimenti  che  eile  havessero 
fne,  perchh  quando  fussero  state  formte,  sarebbe  mar  cito  nelV 
otio  ..." 

Von  dem  Geizhals,  der  den  eigenen  Sohn  verklagt, 
weil  er  zur  Heilung  des  Vaters  Geld  verbraucht  hat. 

In  Kapitel  XVII  der  Apologie  ist  von  einem  gewissen  Prevost 
de  la  Vouste  die  Rede,  der  so  geizig  ist,  daß  er  den  eigenen  Sohn 
vor  Gericht  zitieren  läßt,  weil  er  Geld  für  seine  Heilung  ausgegeben  hat. 

Dieselbe  Anekdote  findet  sich  in  der  Fcatommiti  von  Giraldi 
Cintio,  Deca  VIII.  nov.  5  „Filopatro,  essendo  Filocrisio  suo  padre 
infermo,    lo  vota   ad  Esculapio,   promettendogli  due  ialenti,   se  il 

")  Cf.  Panimjruel  III.  cap.  VI.  Panurge  sagt  zu  Pantagruel:  „Cest  pour- 
guoi  Je  vojts  prirois  volunüers  que  de  debtes  me  laissez  qtielque  ceriiurie,  comme  le  roy 
Loys  unziesme,  jectant  hors  de  proces  Miles  d'IlHers,  evesque  de  Chartres,  feut 
importune  luy  en  laisser  quelqne  un  pour  se  exercer'''. 


L' Apologie  pour  Ilerodote  von  Henri  Estienne.  195 

padre  riciiperava  la  sua  salute.  Risanato  il  padre,  ed  inteso  il 
voio  fatto  dal  /igliuolo  adempito,  l'accusa  di  furio  al  senato 
Ateniense;  il  quäle  leva  la  roba  al  padre  e  la  da  alfigliuolo; 
ed  egli  si  diporia  con  lui  henignameyite.^' 

Advokaten  und  Klienten, 

(Apol.  cap,  VI).  Ein  Advokat,  der  nicht  gleichzeitig  die  Ver- 
teidigung zweier  Klienten,  die  einen  Prozess  mit  einander  führen, 
übernehmen  kann,  wählt  sich  die  Sache  des  Ersten  und  schickt  den 
Anderen  zu  einem  Kollegen,  mit  folgendem  Empfehlungsbriefe:  ,^Deux 
chappons  gras  me  sont  venus  entre  les  mains,  desqicels  ayant  clioisi 
le  plus  gras,  je  vous  envoye  Vautre  :  je  plumeray  de  man  coste, 
plumez  du  vostre.'^ 

Etienne  schreibt  hier  XCIX  der  Joyeux  devis  ab  und 
deutet  die  benutzte  Quelle  an,  d.  h.  Olivier  Maillard  (20.  Predigt 
des  Adventus) 

Ein  unverbesserlicher  Spitzbube. 

{Apol.  cap.  XV.)  Ein  zum  Galgen  Verurteilter  wird  begnadigt 
und  treibt  es  schlimmer  denn  je,  stiehlt  die  Kleider  von  Brautleuten, 
beraubt  den  Kerkermeister  etc.  Schließlich  wird  er  ohne  Gnade  und 
Barmherzigkeit  gehängt.  Diese  kurze  Geschichte  ist  die  fast  wört- 
liche Wiedergabe  von  CXI  der  Joyeux  Devis. 

Man  vergleiche  die  .37.  Novelle  des  Morlini,  die  von  dem  selt- 
samen Abenteuer  eines  Spitzbuben  berichtet,  der  sich  bereits  mit  dem 
Strick  am  Halse  noch  rettet  und  sein  Lurapenleben  weiterführt,  bis 
er  ein  zweites  Mal,  und  diesmal  regelrecht,  aufgehängt  wird. 

Der  unvorsichtige  Spitzbube. 

{Apol.  cap.  XV.)  Unser  Autor  bezeichnet  Erasmus  {Lingua, 
ed.  cit,  p.  687)  als  Quelle,  die  er  nachahmt  oder  vielmehr  übersetzt, 
und  wird  selbst  wieder  zum  (teilweise  direkt  nachgebildeten)  Modell 
der  No.  CVII  der  Nouvelles  recreations  et  joyeux  devis;  „Quod 
dicam  —  berichtet  Erasmus  —  accidit  aput  Anglos  Londini,  in 
aedihus,  in  quibus  tum  agebam.  Für  quidam  pier  tegulas  irrep- 
serat  in  aedes  venandi  gratia.  Nee  successit  venalus ;  prodidit 
hominem  strepitus,  ortus  est  tumuüus  etiam  vicinis  concurrentibus. 
nie  videns  tumidtum,  miscuit  se  turbae,  velut  unus  e  numero  vesti- 
gantiiim  furem  atque  ita  fefellit.  Cum  putarent  furem  elapsum, 
desitum  est  arcentibus,  decrevit  exire  per  ostium,  credens  futurum 
ut  illic  falleret,  quemadmodum  fef ellerat  in  venatu.  Et  fefe Hisset, 
nisi  tarn  parum  continentem  habuisset  linguam;  quam  habebat 
manus  parum  abstinentes.  Oßendit  pro  foribus  complures  de  füre 
confabulantes.  Et  hie  male  precatus  est  furi,  cujus  gratia  per- 
didisset  pilemn.    Exciderat  autem  fugitans,  pileum,  quod  exceptum 

13* 


196  F.   Tokio. 

est  in  hoc,   est  eins  indicio  für  jiosset  aliquando  depreliendi.     Ex 
ea  voce  nata  est  snspicio.     Caj^tus  est,  corifess^is  est  et  pependif"^. 

,,Erasme  donc  raconte  —  so  lautet  die  Erklärung  Estienne's  — 
ceci  estre  advenu  a,  Londres,  en  une  maison  en  laquelle  il  demeii- 
roit.  Un  larron  estoit  entre  par  le  tatet  en  ce  legis  poitr  voir 
s'il  y  trouveroit  point  quelque  hoime  adveniure.  Mais  le  bruit 
qicil  mena  fit  assembler  les  voisins.  Ce  que  Ivy  voyant  se  mesla 
parmi  la  foule,  comme  estant  Ihm  de  ceux  qui  cerclioyent  le 
larron,  et  par  ce  moyen  se  garda  d'estre  descouvert.  Un  peu 
apres,  voyant  le  bruit  apaise,  et  qxCon  ne  cerchoit  plus  le  larron, 
d'autant  quon  pensoit  quHl  fust  eschappe,  se  delibera  de  sortir 
par  la  porte,  ne  craignant  aucunement  d'estre  congnu.  Mais  par 
faute  d'estre  maistre  de  sa  langue,  il  se  donna  luy  mesme  ä 
cognoistre,  et  se  mit  la  corde  au  col.  Car  ainsi  quHl  pensoit 
sortir,  ayant  rencontre  ä  la  porte  plusieurs  qui  devisoyent  du 
larron,  en  le  maudissant,  vint  ä  le  maudire  aussi,  disant  qiiil  luy 
avoit  faict  perdre  son  bonnet.  Or  faui-il  noter  que  cependant 
que  ce  rxistre  taschoii  ä  se  sauver,  fuyant  tafitost  ga,  tantost  la, 
son  bonnet  luy  estoit  tombe,  lequel  on  avoit  garde  en  esper ance 
qu'il  donneroit  des  enseignes  du  larron.  Quand  donc  on  luy  eut 
ouy  dire  cela,  entra  incontinent  en  souspegon;  tellement  quil 
fut  pris  et  ayant  confesse,  pendu." 

Und  hierzu  der  Verfasser  der  Devis:  Un  appreniy  larron 
estant  entri  par  le  toict  en  une  maison,  pour  voir  sHl  ne  trou- 
veroit point  quelque  bonne  adveniure,  fut  descouvert  par  ceux 
qui  estoyent  dedans,  ä  raison  du  bruit  quil  avoit  mene,  y  entrant: 
qui  fut  occasion  que  les  voisins  d^entour  s'assemblerent  pour  veoir 
que  c  estoit;  mais  le  larron,  voyant  que  chascun  entroit  ä  foiile 
pour  le  chercher,  descendit,  par  quelques  adresses  qu'il  avoit 
remarquees,  et  se  vint  rendre  parmy  la  foide  du  peuple  qui  en- 
troit pour  le  chercher,  et,  par  ce  moyen,  se  garda  d'estre  des- 
couvert. Un  peu  apres  quil  eust  veu  le  bruict  appaise,  et  quon 
ne  cherchoit  plus  le  larron,  d'autant  qiion  pensoit  qu^il  fust 
eschappe,  se  delibera  de  sortir  par  la  porte,  feignant  estre  demeure 
seid  pour  le  chercher,  ne  craignant  aucunement  d^estre  congneu ; 
mais,  par  faute  d'estre  maistre  de  sa  langue,  il  se  donna  luy- 
mesme  ä  connoistre,  et  se  mit  la  corde  au  col;  car,  ainsi  quil 
pensoit  sortir,  ayant  rencontre  plusieurs  ä  la  porte  qui  devisoient 
du  larron  en  le  maudissant,  vint  ä  le  maudire  aussi,  disant  qu'il 
luy  avoit  fait  perdre  son  bonnet.  Or  faut-il  noter  que,  pendant 
que  ce  rustre  taschoit  ä  se  sauver,  fuyant  tantost  ga  et  tantost 
lä,  son  bonnet  luy  estoit  tomb^,  lequel  on  avoit  garde  en  esperance 
qu'il  donneroit  des  enseignes  du  larron.  Quand  donc  on  luy  eust 
ouy  dire  cela,  on  entra  incontinent  en  soup>gon;  tellement  qu'il  fut 
prins  et  incontinent  pendu,  pour  avoir  trop  parle.'' 


L' Apologie  pour  Hcrodote  von  Henri  Estienne.  197 

Ein  anderes  Spitzbubenuuternehraen  ähnlichen  Genres. 

(ApoL  cap.  XY.)  Auf  die  vorangehende  Erzählung  folgt  in 
unserem  "Werke  die  ganz  ähnlich  verlaufende  von  den  Plünderern 
des  Pallastempels.  Auch  hierfür  wird  Erasmus  als  Quelle  angegeben 
(Lingua,  p,  688).  In  der  Mitte  des  Tempels  der  Göttin,  aus  dem 
die  Räuber  alle  kostbaren  Gegenstände  entfernt  haben,  steht  eine 
leere  Flasche,  y,  Facto  igitur  populi  concursu  —  sagt  Erasmus  — 
plerique  disjmtabant,  quid  sibi  vellet  ea  lagena'^.  „  Une  houteille 
vuide  —  erklärt  Estienne  • —  taquelle  niettoit  en  grande  admiratioyi 
toxit  le  peuple  qiii  alloit  voir  ce  qui  avoit  este  faict  en  ce  temple.„ 
Ein  Unbekannter  löst  das  Rätsel:  Die  Räuber  hatten  aus  Furcht, 
daß  das  Unternehmen  vereitelt  und  sie  abgefaßt  werden  könnten, 
Gift  getrunken.  In  der  leeren  Flasche  befand  sich  ein  Gegengift,  zu 
welchem  die  Spitzbuben  ihre  Zuflucht  nahmen,  nachdem  der  Dieb- 
stahl geglückt  war.  Die  Erklärung  fällt  so  eingehend  und  sicher 
aus,  daß  sie  Verdacht  weckt,  und  der  geschwätzige  Spitzbube  wird 
festgenommen. 

Einem  Taschendieb  wird  das  Ohr  abgeschnitten. 

(ApoL  cap.  XV.)  Ce  gentil  komme  p)endant  quHl  estoit  un 
des  spectateurs  du  Roy  jouant  a  la  paume  (le  propre  jour  que 
feu  Jan  du  Bellar/  prit  p)Ossession  de  leveche  de  Paris)  sentant 
ce  larron  hiy  couper  la  bourse,  ne  fit  toutes  fois  semblant  d'en 
rien  sentir,  mais  l'ayant  laisse  faire,  eut  puis  apres  Voeil  sur  luy, 
et  en  la  fin  ne  se  contentant  de  s'estre  faict  rendre  sa  bourse, 
luy  coupa  Voreille  sur  le  champ.,, 

Die  selbe  Begebenheit,  die  sich  wirklich  zugetragen  haben  kann, 
kehrt  in  No.  LVI  der  Joyeux  devis  wieder:  En  VEglise  de  Nostre- 
Dame  de  Paris,  un  gentdhonime,  estant  en  la  presse,  sentit 
un  lai^ron  qui  lui  coup^poit  des  boutons  d'or  qu'il  avoit  aux  man- 
ches de  sa  robbe,  et  sans  faire  semblant  de  rien,  tira  sa  dague 
et  print  Coreille  de  ce  larron  et  la  lui  couppa  toute  necte;  et  en 
la  luy  monstrat:  „Aga,  dit-il,  ton  oreille  n'est  pas  perdue,  la  vois- 
tu  lä?     Reyids-moi  mes  boutons  et  je  la  ie  rendray  .  .  ." 

Zu  diesen  Abweichungen,  aus  denen  ersichtlich  wird,  daß  Es- 
tienne noch  aus  andrer  Quelle  [wahrscheirlich  der  mündlichen  Über- 
lieferung] schöpfte,  tritt  der  Zusatz,  daß  bei  unserem  Autor  der  Edel- 
mann nachher  in  Bedrängnis  gerät,  weil:  „le  bourreau  de  Paris 
forma  complainte  contre  luy,  comme  estant  troubU  en  sa profession'-\ 
da  es  ihm  allein  zukäme  Ohren  abzuschneiden. 

In  seinen  Anmerkungen  zu  den  Devis  (in  Bibl.  Gauloise 
1858)  erwähnt  Jacob  diese  Seite  der  Apologie  und  macht  dabei 
einen  seltsamen  Gedankeusprung:  (Estienne)  dit  que  ce  fut  Jean 
du  Bellay  qui  coupa  Voreille  au   larron. 


198  F.   Toldo. 

Auch  in  der  Elite  des  contes  von  d'Oaville  (ed.  cit.  1236) 
findet  sich  die  nämliche  Gescliichte:  ^Vun  gentWiomme  qui  se 
vengea  d'iin  coupeur  de  hourses."' 

Wie  ein  Priester  geprellt  wird,  der  sich  dazu  hergibt, 
einen  fremden  Chorrock  anzuprobieren. 

(Apol,  cap.  XV.)  „En  la  ville  d^Anvers,  un  hon  galand, 
ayant  remarque  un  prestre  portant  une  hourse  laquelle  luy  sem- 
hloit  avoir  wie  grosse  apostume  (or  estoit  ceste  bourse  attacMe 
d  la  ceinture),  luy  ayant  faict  une  grande  i'everence,  luy  dict  quil 
avoit  Charge  du  eure  de  sa  paroice  de  luy  acheter  xme  chappe. 
Et  pourtant  (dict-il)  monsieur.  que  je  vous  voy  estre  totalement  de 
sa  stature,  je  vous  voudrois  prier  de  me  faire  tant  de  bien  que  de 
venir  avec  moy  jusques  en  la  boutique  d'un  marchand.  Car  je 
scay  bien  que  celle  qui  vous  sera  bieji  faicte,  sera  bien  faicte  ä 
lui  aussi.  Ce  prestre  luy  ayant  accorde  aisement  ce  plaisir,  ils  s''en 
vont  en  une  boutique,  oit  on  leur  monstra  des  chappes.  Le  prestre 
en  ayant  vestu  une,  le  marchand  dict  quil  luy  sembloit  qu'elle 
luy  estoit  fort  bien  faicte,  et  quelle  estoit  justement  de  la  sorte 
quil  la  luy  falloit.  Le  rustre  qui  expioit  l'occasion  de  jouer  un 
tour  de  son  mestier,  apres  avoir  bien  contempU  monsieur  le  prestre 
de  tous  costez,  dict  en  la  fin  quil  y  trouvoit  une  faute,  a-spavoir 
que  la  chappe  estoit  plus  courte  par  devant  que  derriere.  Alors 
le  vendeur  respond  quil  ne  tient  pas  ä  la  chappe,  mais  que 
la  grosse  bourse  engarde  qiielle  ne  s'estende  uiiiement,  et  par  cori' 
sequent  la  fait  irouver  plus  courte  par  devant,  Le  prestre  oste 
la  bourse  et  la  met  Id  aupres.  Ce  qu  estant  faict,  ils  le  veulent 
derechef  contempler:  mais  le  galand.  pour  achever  de  jouer  son 
role,  pendant  que  le  prestre  se  retournoit,  empoigna  tres  bien  la 
bourse,  et  piiis  monstra  par  experience  quil  n'avoit  pas  les  gouttes 
aux  jambes  ni  aux  pieds.  La  dessus  le  prestre  crie:  Prenez  ce 
larron,  et  le  marchand:  Prenez  ce  prestre,  le  galand:  Arrestez  ce 
prestre  qui  est  enrage.  Et  de  vray  chacun  qui  voyait  ce  prestre 
courir  par  les  rues  en  iel  equipage,  ne  pouvoit  juger  autre  chose 
de  luy."" 

Unser  Autor  übersetzt  aus  Erasmus  (Convivium  fabulosum  in 
Colloquio  familaria)  „Nunc  accipiie  quod  nuper  accidit.  Ant- 
verpiae.  Sacrificus  quidam  receperat  illic  mediocrern  summam 
pecuniae  sed  argenteae.  Id  impostor  quidam  animadverteret;  adiit 
sacrificum,  qui gestabat  in  zona  crumenam  nummis  turgidam;  salutat 
civiliter;  narrat  sibi  datwn  negoii^im  a  suis,  id  viel  sui  parocho 
mercaretur  novum  pullium  sacrum,  quae  summa  vestis  est  Sacerdoti; 
rem  divinam  peragenii.  Rogaf,  hac  in  re  commodaret  sibi  tantillum 
operae,  ut  secum  iret  ad  eos,  vendunt  hujusmodi  pallia  quo  videlicet  ex 
modo  corporis  ipsius.  sumeret  majus  aut  minus\  nam  sibi  videre 


IJ Apologie  poiir  Herodote  von  Henri  Estienne.  199 

staturam  ipsius  cum  parochi  magnitudine  vehementer  congruere. 
Hoc  officium,  cum  leve  videretur,  facile  poUicitus  est  sacrificus, 
Adeunt  aedes  cujusdam.  Prolatiun  est  pallius,  sacrificus  induit, 
venditor  affirmat  mire  congruere.  Imposior,  cum  nunc  a  fronte, 
nunc  a  tergo  contemplatus  esset  sacrificum,  satis  probauit  pallium; 
sed  caiisscdiis  est  a  fronte  brevius  quam  par  esset,  Ibi  venditor. 
ne  noc  procederet  contractus,  negat  id  esse  palii  vitium,  sed  cru- 
menum  turgidam  efficere,  ut  ea  parte  off  ender  et  brevitas.  Quid 
multa?  Sacrificus  deponit  crumenam;  denuo  coniemplantur.  Ibi 
impostor  averso  sacrifico,  crumenam  arripit,  ac  semet  in  pedes 
conjicit.  Sacerdos  arsu  insequitur,  ut  erat  palliatus,  et  Sacrificum 
venditor.  Sacrificus  clamat,  tenete  furem:  venditor  clamat, 
tenete  Sacrificum:  impostor  clamat,  cohibite  Sacrificum 
furentem;  et  creditum  est,  cum  videret  illum  sie  oryiatmn  in 
publica  currere.'''' 

Ein  gestohlenes  Kupfergefäß,  das  verpfändet  wird  und 
andere  derlei  Verwickelungen. 
(Apol.  cap.  XV.)  Unser  Autor  zitiert  Erasmus  als  Quelle: 
nie  tour  que  je  veux  reciter  est  d'un  presire  de  Louvain.  Ce 
prestre  nomme  Antoine,  ayant  convie  ä  disner  deux  bons  compa- 
gnons  lesquels  il  avoit  rencontrez  par  la  rue  et  voyant  au  retour 
quen  sa  maison  il  riy  avoit  rien  si  froid  que  Vatre  {comme  nous 
parlons  ä  Paris)  et  que  tous  les  prisonniers  s'en  estoyent  fuis  de 
sa  bourse,  s'advise  incontinent  de  cest  expedieyit  pour  tenir  pro- 
messe ä  ceux  quil  avoit  conviez.  11  s'en  va  en  la  maison  d\m 
avec  lequel  il  avoit  quelque  familiarite,  et  en  Vabsence  de  la  cham- 
briere  prend  un  pot  de  cuyvre  dedans  lequel  cuisoit  la  chair,  et 
Vayant  mis  sous  sa  robbe,  l'emporte  chez  soy.  Estant  arriv^  com- 
mande  ä  sa  cliambriere  de  verser  le  potage  avec  la  chair  en  un 
autre  pot  de  terre:  et  apres  que  ce  pot  de  cuyvre  fut  vuide,  V ayant 
fait  tres  bien  escurer,  envoye  un  gargon  ä  celuy  auquel  il  apparte- 
noit  pour  le  prier  de  luy  presler  quelque  somme  d'argent,  qui  vint 
fort  bien  ä  point  pour  garnir  la  table  du  reste  qiiil  y  falloit  et 
un  petit  mot  de  scedule  par  laquelle  ce  crediteur  confessoit  avoir 
receu  le  pot  de  cuyvre  en  gage,  sur  la  somme  .  .  .  ."  Auch  dieser 
Empfangsschein  dient  Herrn  Antoine  zum  Anlaß,  über  seinen  bedauerns- 
werten Nachbar  Witze  zu  reißen. 

Auch  bei  Erasmus  nennt  sich  der  Held  Antonius,  Er  hat 
gleichfalls  zwei  Freunde  zu  Tisch  geladen:  ,,Cum  redisset  domum 
reperit  culinam  frigidam,  nee  erat  nummus  in  loculis:  quod  Uli 
nequaquam  erat  insolens.  Heic  opus  erat  celeri  consilio.  Sub- 
duxit  se  tacitus:  et  ingressus  culinam  foeneratoris,  quicum  Uli  erat 
familiaritas,  quod  frequenter  agevet  cum  illo:  digressa  famula, 
subduxit  unani  ex  ollis  aeneis  una  cum  carnibus  jam  coctis,  ac 
veste  tectam  deferebat  domum:  dat  coquae;  jubet  protinus  eff'undi 


200  P.   Toldo. 

carnes  et  jus  in  aliam  ollam  fictilem,  simulque  foeneratoris  ollam 
defncari  donec  niteret.  Eo  facto  rnittit  j)uerum  ad  foeneratorern, 
qui  deposito  pignore  drachmas  duas  a  foeneratore  sumat  niutuo, 
sed  accipiat  chh'ograjyJiitm,  quod  testaretur  talem  ollam  missam 
ad  ipsiim  .  .  .  ."     Auch  alles  weitere  ist  wörtlich  nachgeahmt. 

Eine  wörtliche  Wiedergabe  des  Berichts  unseres  Autors  findet 
sich  in  der  Novelle  CXVIII  der  Nouvelles  recreaiions  et  joyeux  devis 

Der  Schuhmacher,  der  zum  Nachlaufen  gebracht  wird. 

(Apol.  cap.  XV).  „II  (d.  h.  Erasmus)  en  co?ite  encores  im 
autre  {qui).  ,  .  nha  pas  grand  esprit,  conime  aussi  le  pays  dont 
iL  vient  ne  le  p)orte  pas,  sinon  que  ce  soit  comme  par  miracles, 
car  le  tour  dvquel  il  est  quesiion  fut  joue  par  un  Holandois  en 
une  ville  nommee  Leiden.  Ce  hon  compagnon  en  se  promenant 
par  ceste  ville,  entre  en  la  boutique  d\in  coiirdouannier :  le  maistre 
Iny  demande  sHl  y  a  quelque  chose  qui  luy  plaise,  et  Vayant  ap- 
perceu  jetter  la  veue  sur  des  hottines  qui  estoyent  lä  pendues,  luy 
demande  sHl  auroit  envie  d'en  avoir  ujie  paire.  Quand  il  eust 
respondu  qiiouy,  il  luy  choisit  Celles  qui  luy  semhloyent  le  7nieux 
venir  ä  ses  pieds  comme  les  hottines  ä  ses  jambes.  Apres  ceci, 
au  Heu  de  faire  marcM  et  de  payer,  il  vient  ä  demander  au  cor- 
douannier  par  maniere  de  jaserie :  Dites  moy  par  vostre  foy,  ne 
vous  advint-il  jamais  que  quelqu''un  que  vous  auriez  ainsi  bien 
equippe  pour  courir,  s'en  soit  fuy  sans  p)ayer^  Jamais  dict-il.  Et 
si  d'adventure  il  advenoit  que  feriez-oous?  Je  courrois  apres  dit 
le  cordouannier.  Dites-vous  ceci  ä  bon  escientf  Je  le  dis  ä  bon 
escient,  et  ne  ferois  point  auirement,  respondit  le  cordouannier. 
11  en  faut  voir  Vexperience,  dict  V autre:  orsus,  je  nie  mettray  ä 
courir  le  premier:  courez  apres  moy.  Et  sur  ceci  commenpa  ä 
fuir  tant  quil  p>eut.  Alors  le  cordoiiannier  de  courir  ajyres  et  de 
crier:  Arrestez  le  larron,  arrestez  le  larron.  Mais  Vautre,  voyant 
que  chacun  sortoit  des  maisons,  de  pieur  qu^on  ne  inist  la  niain 
sur  luy,  faisant  bonne  mine,  et  comme  celuy,  qui  ne  faisoit  ceci 
que  pour  son  passetemjys;  Que  per  sonne  (dict-il)  ne  viarreste:  car 
il  y  a  grosse  gageure." 

Ungeachtet  der  Geringschätzung,  die  unser  Autor  für  dieses 
Geschichtchen  an  den  Tag  legt,  folgt  er  doch  seinem  Vorbild  Eras- 
mus ^5)  wörtlich  nach.  Dieser  erwähnt  einen  gewissen  Macco  (ein 
berühmter  Name  in  den  Atellane  und  Stammvater  einer  ganzen 
Eeihe  von  Pulcinellen):  Is  cum  venisset  in  civifatem  quae  dicitur 
Leydis,  ac  teilet  7iovus  hospes  innotescere  joco  quoniam  {nam 
is  erat  liomini  mos)  ingressus  est  officinam  calcearis :  salutat.  Ille 
cupiens  extrudere  merces  suas,  rogat  nunquid  vellet.  Macco  con- 
jicente  oculos  in  ocreas  ibi  pensiles,  rogat  sutor  num  vellet  ocreas. 

^*)   Convivium  fahulosum  in   Colloquia  familiaria. 


L' Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne.  201 

Annuente  Macco  quaerit  aptas  tihiis  illius:  inveiitus  alacriter 
protulit,  et  ut  solent,  inducit  Uli.  übt  jam  Maccus  esset  eleganter 
ocreatus^  Quam  belle,  inquit,  congrnerat  his  ocreis  j)o.f  calceorum 
dujylicatis  soleils.  Rogatus  an  et  calceos  vellet  annuit.  Reperti 
sunt,  et  additi  pedibus.  Maccus  laudabat  ocreas,  laudabat  calceos. 
Calcearius  tacite  gaudens,  succinabat  Uli  laudanti,  sperans  pretium 
aequius^  posteaquam  empiori  tantopere  placeret  merx.  Et  jam 
erat  nojinulla  contracta  familiaritas.  Heic  Maccus:  Die  mihi, 
inquit  bona  fide,  numquamne  usu  venit  tibi,  ut  quem  sie  ocreis 
et  calceis  ad  cursum  armasses,  quemadmodum  nunc  armasti  me, 
abierit  non  numerato  pretio  ?  Nunquam,  ait  ille.  Atqui  si  forte 
inquit,  veniai  usu  quid  tum  faceresf  Consequerer,  inquit  calcea- 
rius, fugientem.  Tum  Maccus,  Serione  ista  dicis,  ayijoco?  Plane 
serio  inquit  alter,  loquor,  et  serio  facerem.  Experiar,  ait  Maccus. 
Pro  calceis  praecurro,  tu  cursu  sequere.  Simulque  cum  dicfo 
conjecit  se  in  pedes.  Calcearius  vestigio  consecutus  est,  quantum 
poterat,  clamitans:  Tenete  furem,  tenete  furem.  Ad  hanc  vocem 
cum  cives  undique  prosilissent  ex  aedibus,  hoc  commento  cohibuit 
illos  Maccus,  ne  quis  manum  injiceret,  ridens  ac  vidto  placido, 
ne  quis,  inquit,  remoretur  cursum  nostruyn,  certamen  est  de  cupa 
cervisiae. " 

Wie  ersichtlich,  zeigen  die  beiden  Versionen  nur  geringe  Ab- 
weichungen, und  Estienne  hat  sich  auch  die  Mühe  genommen,  den 
Text  des  Erasmus  zu  bessern  und  komischer  zu  gestalten.  Er  hat 
sogar  meiner  Ansicht  nach  ein  Unrecht  begangen,  indem  er  die  Stelle 
wegließ,  an  der  der  Schuhmacher  den  Wunsch  und  die  Hoffnung  auf 
Gewinn  äußert,  als  wirkungsvollen  Kontrast  zu  der  Täuschung,  die 
seiner  wartet. 

Diese  Novelle  hat  weite  Verbreitung  gefunden.  Cfr.  Köhler, 
Kleinere  Schriften  III.  (31.  Andre  Nachweise  s.  Marchesi  {op.  cit. 
p.  188  —  189)  und  Pitre  (Archivio  III  p.  380.). 

Der  Verfasser  des  Nouvelles  recreations  et  joyeux  devis  (nov. 
XCVI)  ahmt  unsern  Autor  wörtlich  nach. 

Andere  Novellen  handeln  statt  von  einem  Schuhmacher,  von 
einem  in  ganz  ähnlicher  Weise  geprellten  Wirt.  (Cfr.  Domenichi, 
Facezie  ecc.  ed.  Venezia  MDIC.  p.  207.) 

Wie  einem  Geistlichen  eine  kleine  Rüge  zuteil  wird. 

(Apol.  cap.  XXI).  Vor  vierzig  Jahren,  sagt  Estienne,  begab 
es  sich,  daß  ein  Geistlicher  ein  Pfarrkind  tüchtig  durchzuprügeln 
wagte.  Der  Bischof  verurteilt  ihn  dafür  nur  zu  dreimonatlichem  Fern- 
bleiben aus  der  Kirche.  Der  Geprügelte  holt  den  Rat  eines  pfiffigen 
Rechtsbeistandes  ein  und  teilt  nun  seinerseits  an  den  Geistlichen 
Schläge  aus.  Der  Richter  diktiert  ihm  als  Strafe:  „ne  mettre  le  pied 
en  aucune  taverne  de  trois  mois.^ 


202  P.  Tokio. 

Dieser  Bericlit  weist  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit  dem  Schluß 
der  fünften  Novelle  der  Cent  Nouveiles  Nouvelles  auf,  „Monseigneur 
Thalebot  verurteilt  jemand,  der  Kirchengeräte  gestohlen  hat,  niemals 
w  ieder  eine  Kirche  zu  betreten :  „dont  tous  ceulx  qui  lä  estoient  et 
qui  Voyrent  eureiit  grand  riz  ,  .  .  Et  croyez  quHL  cuidoit  bien  faire 
et  ä  bonne  intencion  lui  faisoit.'-'- 

In  der  Elite  des  contes  du  sieur  d''Ouville  findet  sich  ein 
ähnliches  Gcschichtchen:  Du  cordonnier  qui  se  vengea  d'un  arclie- 
veque  ed.  Brunet  (I  p.  230  sgg.).  Ein  Bischof  von  Toledo  schlägt  einen 
Schumacher  tot,  und  die  geistliche  Behörde  verurteilt  ihn:  d'etre  un 
an  Sans  dire  la  messe.  Der  Sohn  des  Schumachers,  vom  König 
Don  Pedro  dem  Grausamen  dazu  ermutigt,  tötet  nun  den  Erzbischof, 
und  der  König  fällt  das  Urteil:  „pour  punition  de  ton  crime,  je  te 
commande  d'etre  un  an  entier  sans  faire  de  souliers.'-'' 

Ein  Prediger  wird  von  einem  Wucherer  aufgefordert 
den  Wucher  zu  bekämpfen. 

(Apol.  cap.  XVIj.  Auf  diese  Weise  hofft  der  Betreffende  alle 
Konkurrenz  zn  beseitigen. 

Eine  ähnliche  Anekdote  steht  in  den  Facezie  von  Domenichi 
(ed.  Venezia  MDIC  p.  6 — 7),  dort  handelt  es  sich  um  St.  Bernardino 
von  Siena,  und  der  Schauplatz  ist  nach  Mailand  verlegt. 

Unser  Autor  bietet  eine  wörtliche  Übersetzung  der  Fac.  CLVII 
von  Poggio;  hier  stammt  der  Wucherer  aus  Vicenza. 

Ärzte  und  Patienten. 

Eine  falsche  Diagnose. 

(Apol.  cap.  XVI),  „Pour  le  moins  devoit  bien  confesser  de 
n^y  voir  goutte,  ou  d'avoir  mal  chausse  ses  lunettes,  un  certain  medecin, 
auqutl  ayant  este  portee  Vurine  d'un  komme,  et  luy  ayant  este  dict 
qiielle  estoit  d'une  femme  qui  se  doutoit  d''estre  grosse,  respondit 
qiiil  cognoissoit  bien  ä  Vurine  quelle  l'estoit  ..." 

Im  Decameron  (IX.  Tag,  III.  Nouvelle)  untersucht  ein  Arzt 
den  Urin  von  Calandrino  und  erklärt  ihn  für  geschwängert,  jedoch 
handelt  es  sich  hier  um  einen  Schwank,  in  den  der  Ai^zt  allem 
Anschein  nach  eingeweiht  ist. 

Eine  Urinverwechslung,  die  zu  anderen  Mißverständnissen  führt, 
enthält  die  105.  Schnurre  von  Poggio,  und  G.  Marchesi  (Per  la  storia 
della  novella  italiana  nel  secolo  XVII,  Roma,  Loescher  1897, 
p,  107)  berichtet  ähnliche  Vorkommnisse  bei  Angeloni  und  Lasca. 

Cfr.  überdies  Landau,  Die  Quellen  des  Decameron,  2.  Auflage, 
p,  152  sgg.  Keine  Version  paßt  sich  jedoch  der  von  Estienne  gebotenen 
an,  deren  direkte  Quelle  mir  nicht  bekannt  ist. 


L' Apologie  pow  Herodote  von  Henri  Estienne.  203 

Handelt  von  Einem,  der  das  Rezept  seines  Arztes  verspeist. 

(Apol.  cap.  III).  Von  „celuy  qui  niangea  la  recepte  du 
medecin'-'.  Es  handelt  sich  hier  bloß  um  eine  Anspielung.  Das 
Gleiche  berichtet  DomenicLi  (Facetie,  motti  ecc,  ed.  Venezia  MDIC): 
„Marcello  da  Scopeto  havendo  portato  il  segno  a  maestro  Cocchetto 
da  Trievi,  il  medico  gli  diede  iwa  ricetta  scritta  in  una  carta, 
et  dissegli,  che  la  pigliasse  in  ire  volte  :  il  huon  Marcello,  partita 
quella  cartuccia  in  Ire  pezzi,  ogni  mattina  ne  prese  una  parte  e 
cosl  guarV^. 

Seltsame  Verwechslung  von  Arzneien. 

{Apol.  cap.  XVI).  ,,Quel  est  ce  Qui  pro  quo'?  Cest  celuy 
par  lequel  ils  baillent  ä  l' komme  la  medecine  ordonnee pour  lafemme, 
et  reciproquernent  :  au  jeune  la  medecine  du  vieil,  et  au  vieil  la 
medecine  du  jeune  .  .  .  JDe  quoy  sgauroit  hien  dire  quelque  chose 
un  jeune,  komme  de  Savoye,  auquel  le  jour  de  ses  noces  on  hailla 
le  breuvage  ordonne  pour  un  qui  avoit  quelque  fievre,  au  Heu  de 
celuy  qui  avoit  este  ordoiine  pour  luy,  afin  de  le  rendre  plus  dispos  : 
de  Sorte  questant  couche  aupres  de  son  espouse  il  luy  falut  toute 
la  nuict  faire  des  Operations  contraires  ä  celles  quHl  pensoit  faire.'-'' 

Wer  über  diese  „Operations  contraires''  noch  mehr  erfahren 
möchte,  lese  einen  Schwank  des  Domenichi  (ed.  cit.  p.  151),  wo  von 
einer  „Diasatirione'"''  benannten  Medizin  die  Rede  ist:  „Ora  kavendolo 
un  vecckio  ricco,  che  menava  moglie,  domandato  al  suo  medico, 
in  quel  medesimo  tempo  un  giovane,  il  quäle  kavea  la  fehre 
domandb  una  mediana  scaricativa.  Le  quai  cose  poicke  il  medico 
le  ebbe  fatte  venne  a  scambiarle  in  modo,  cke  al  giovane  diede  il 
diasatirione,  e  al  vecchio  la  medicina  solutiva.'-'  Der  junge  Mann 
■wurde  die  ganze  Nacht  von  Sehnsucht  nach  einer  lieben  Gesellin 
geplagt  und  der  Alte:  apparecchiandosi  alla  giostra  amorosa,  ver- 
spürt dagegen  die  Wirkungen  und  Folgen  des  Abführmittels. 

In  einer  Novelle  des  Ascanio  de'  Mori  da  Ceno  (XI  nov.  ed. 
1585)  ist  es  ein  junger  Mann  von  tadellosen  Sitten,  daher  erzielt  die 
Arznei  bei  ihm  doppelt  komische  Wirkung:  Stramba,  garzone  di 
maestro  Antonio  speziale,  per  errore  beffa  inesser  Simplicio  (d.  h. 
den  jungen  Mann)  e  messer  Bernardo  (d.  h.  den  Alten,  der  sich 
verheiratet  hat),  dando  pillole  contrarie  a'  loro  bisogni.'' 

Missgeschick  von  Brautpaaren  und  Liebesleuteu. 

Ein  friedliebender  Ehemann. 

Ein  Ehemann  kehrt  unerwartet  nach  Hause  zurück  und  findet 
ein  paar  Männerschuhe  vor,  die  ihm  nicht  bloß  Verdacht  einflößen, 
sondern  die  Untreue  der  Gattin  erweisen.  Um  seinem  Zornausbruch 
vorzubeugen,  verläßt  er  das  Haus  wieder  und  hält  am  folgenden  Tage 


204  P.   TolJo. 

ausführliche  Zwiesprache  mit  Freunden,  denen  er  die  Erklärung  ab- 
giebt,  daß  ein  verständiger  Mann  nie  die  Besonnenheit  verliert,  „ccir 
quand  fapperceus  devant  le  lict  les  soidiers  de  celuy  gui  estoit 
couclie  avec  J7ia  fenwie,  il  ne  s'en  fallut  guere  quo  je  ne  misse  ces 
souliers  en  mille  pieces.    (Apol.  cap.  XY). 

Dieselbe  Anekdote  kann  man  bei  Domenichi  nachlesen  (ed.  cit. 
p.  55).  Auch  die  Einzelheiten  lauten  übereinstimmend.  In  beiden 
Versionen  wird  vom  Ehemann  gesagt:  Jiavea  qualclie  sospetto  della 
inoglie'''  —  „se  doutant  que  sa  femme  ne  coiichoit  pas  seule  en 
son  ahsence.''  In  beiden:  ,,non  volendo  correr  a  ficria,  ma  fare 
le  sue  cose  con  considerazione,  subito  si  partt.^'-  —  „Ce  qu^ayant 
dict  sen  alla  tout  hellement  ecc.""  Bei  beiden  wird  die  Beratung 
auf  den  folgenden  Tag  verschoben:  l'altro  giorno  havendo  egli  trovato 
gli  amici  suoi,  e  conferito  la  cosa  con  esso  loro,  disse.""  —  „Le 
lendemain  matin,  vint  trouver  ses  parens  et  amis,  et  apres  leic7' 
avoir  conte  le  faict  :  Regardez,  dict-il.'-' 

Zur  selben  Familie  gehört  jener  Bernardino  Becco,  von  dem 
Lodovico  Guicciardini  (Dhore  di  ricreatione,  ed.  Venezia  1604, 
p.  47)  berichtet,  daß  er  der  Gattin  gegenüber  Beschwerde  führt,  weil 
sie  während  des  Beisammensein  mit  dem  Liebhaber  die  Türe  offen 
gelassen  hat. 

Der  geprügelte  Ehemann. 

(Apol.  cap.  XV).  Ein  eifersüchtiger  Ehemann  mißhandelt  seine 
Frau.  Sie  ist  schwanger  und  schützt  aus  Rache  vor,  daß  sie  ein 
Gelüste  anwandle  ihn  durchzuprügeln.  Damit  das  Ungeborene  keinen 
Schaden  erleide,  läßt  sich  der  wackere  Manu  an  eine  Bank  festbinden 
und  unbarmherzig  durchbläuen. 

Die  direkte  Quelle  dürfte  XLVIII  der  Comptes  du  monde 
adventureux  sein,  ein  Werk,  das  von  Estienne  und  den  Kommentatoren 
der  Apologie  nie  zitiert  wird. 

(Apol.)    Tesmoin  la  Penyouräine,  qni  (Comptes  etC.)  Un  procurettr  de  Feri- 

estant  contre  V esper ance  du  mnri  devenue  <jueux    (läfst    sich    VOn    seiner    Frau) 

grosse,  prit  de  lli  occasion  de  lever  si  hien  Her    au   banc  .  .  .    (die    Gattin    schlägt 

les  coi'nes,  que  sous  couleur  d'estre  envieuse  ihn).  Le   mari  ,  .  .  ne  se  peut  ienlr  de 

ä  la  maniere  des  femmes  grosses,  executa  crier  si  hault  qiiau  cry  les  i:oysins  de  sa 

a  grans  mups  de  fouet  Venvie  .  .  .  (und  maison   accoururent  incontinent  .  .  .  Mais 

der     Ehemann)     pour     luy     complaire,  pour  tout  le  mal  qu'il  enduroit .  .  .  encores 

s''estoit  laisse  Her,  garroter,  et  atlacher  ii  crioit  apres  eux  de  se  donner  hien  garde 

un  banc  .  .  .  (die  Gattin  schlägt  ihn)  d'empescker  sa  femme,  jusques   ii   ce  que 

il  ne   se  peut   tenir   de  crier  si  haut  que  son  enviefustpassce,  pour  crainte  de  perdre 

les    voisins    accoururent    suhitement    ä    ce  son  fruit. 
bruit;  et  toiitesfois  les  pria  de  n'empcscher 
sa  femme  qu^elle  n^eust  passe  son  envie  de 
peur    quii  faute    de    ce    eile    ne   perdist 
son  Jruit  ... 

Estienne  übernimmt  einige  Einzelheiten  und  läßt  andere  fallen. 


IJ Apologie  pour  Berodote  von  Henri  Estienne.  205 

Auf  welche  Weise  eiu  Eifersüchtiger 
die  Treue  seiner  Gattin  erproben  wollte. 

{Apologie^  cap.  XV.)  Als  Quelle  wird  Schwank  No.  224  des 
Poggio  bezeichnet.    Es  handelt  sich  um  nahezu  wörtliche  Wiedergabe. 

{Apol.)     Car    Poge   escrit   qu'en  nne  (Poggio)     Quidam  in  civilate  Euguhi 

vilie  d'ltali?.  nommee  Eugubio,  un  qui  es-  admodum    zelotipus   Joannes   nomine   nes- 

toit  fort   tourmente   de  Jalousie^    quand  il  ciehat    quo   modo   animadverteret   si   ttxor 

vit  qu'il  ne  pouvoit  congnoistre  si  sa/emme  cum    altero    aliqiio    consuesset.      Excogi- 

s'abandonnoitä  autre^Vayantmenacdedelmj  tatet    calliditate   Zelotippus    digna   seipsum 

jouer  unmauvais  tour,  sechaslrasogmesme,  castravit  eo  consilio,   ut  si  uxor  post  mo- 

qfiti  que  si  eile  devenoit  grosse  puis  opris,  dum   concepisset,   in   adulterio  fuisse  con- 

elle  fust  incontinent  convaincue  d'adultcre.  vlnceretur. 

Aus  Pogsio  schöpfte  gleichfalls  Lodovico  Guicciardini  {L'Hore 
di  ricreatione  ed.  Venetia  1604  p.  41)  an  der  Stelle,  wo  die  Streiche 
eines  gewissen  ,qjecorone  d'Agohhio'-''  erzählt  werden. 

Der  schielende  Ehemann  und  die  verschmitzte  Ehebrecherin. 

{Apol.  cap.  XV.)  Es  handelt  sich  um  die  Geschichte  von  dem 
schielenden  Ehemann,  dem  die  Gattin  das  gesunde  Auge  zudeckt, 
damit  der  Liebhaber  Zeit  findet  zu  entweichen  (cfr.  ed.  Ristelhuber, 
Anmerk.  p.  489).  Andere  Nachweise  außer  den  vom  besagten  Autor 
angegebenen,  der  übrigens  keine  direkte  Quelle  verzeichnet,  finden 
sich  in  ^.Kleinere  Schriften"  von  Köhler  (11  p.  640),  Sedier,  les 
fahlianx  (1895  p.  464),  Rua,  le  piacevoli  notti  dello  Straparola 
(p.  32)  ecc.  (Sowie  auch  in  meinen  Eiudes  sur  le  tli^ätre  comique 
du  moyen  dge  esiratto  dagli  studj  di  ßlologia  romanza  vol.  IX 
fasc.  2,  p.  66  sqq.  und  in  meinem  Alphabetum  narrationum  im 
Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Sp.  u.  Lit.  Band  CXVII 
Heft  1/2.)  Es  handelt  sich  um  ein  weitverbreitetes  Thema,  und  unser 
Autor  erklärt,  daß  er  hundertmal  davon  erzählen  hörte,  dennoch  folgt 
seine  Darstellung  der  Version  des  Heptameron:  ,,Pour  venir  donques 
aiix  exemples  des  finesses  et  ruses  de nos  femmes enteis larrecins,  beau- 
coup  plus  grandes  (sehn  mon  opinion)  que  des  femrnes  de  nos  prede- 
cesseurs,  je  commenceray  par  un  tour  lequel  il  me  souvient  avoir  ouy 
conter  cent  et  cent  fois  ä  Paris  et  depuis  Vay  trouve  entre  les  contes 
de  la  roine  de  Navarre,  derniere  defuncte  ..."  Eine  uralte 
Geschichte  als  Beweis  für  die  moderne  Verderbnis  der  Frauen! 

Le  Duchat  bezeichnet  irrtümlicherweise  die  XVI  te  der  Cent 
Nouvelles  Nouvelles  als  direkte  Quelle,  i^) 

{Apologie)  Der  Ehemann  hat  Ver-  (Hept)  „pour  ce  faire  {le  mari)fai- 

dacht   geschöpft   und    beschliefst  auf  gnist  s'en  aller  en  quelque  Heu  aiq^rcs  de 

der   Hut   zu    sein:    „et  pourtant  feignit  lä  pour  deux  ou  trois  jours  .  .  . 

s'en   aller   en   quelque   Heu  pour  deux  ou  Lequel    (Pamant)    ne   /ut  /jns    demie 

trois  jours  ..."  heure  ai-ecq  eile  que  volcg  venir  le  mary 


^^)  In  der  von  Le  Roux  de  Lincy  und  Moutaiglon  besorgten  Ausgabe 
des  Heptameron  wird  unter  den  verschiedenen  Versionen  auch  mit  Unrecht 
die  sechste  Novelle  des  siebenten  Tages  des  Decameron  angeführt. 


206  P.   Tokio. 

Die  Liebenden  sind  beisammen,  aber      qui  frappa  bien  Jort  ä  la  porte.     Mais 
der  Ehemann:  sa7is  Icur  donner  le  loi-       eile,   qui  le  congneust,   le  dist  ii  son  amr/, 
sir    d'esfre    demie   heure   ensemble,   estant       qui  fast   si  estonne   qii'il  eitt   voulit  estre 
de    retour    vint  frapper    bien  fort   o   la       au  venire  de  sa  mere." 
porte.      Elle    qui    le    cogneut   en   adrertit 
so)i  dict  ami;  qui  fut  si  esperdu  qu'il  eust 
voulu  estre  au  venire  de  sa  mere." 

Aber  in  beiden  Erzählungen  steht  die  Frau  auf  und  befiehlt 
der  Dienerschaft  die  Ruhestörer  zum  Schweigen  zu  bringen,  die  sie, 
d.  h.  eine  Dame  aus  ihren  Träumen  weckten. 

(Apol.)    „Que  ne   vous    levez-vous  et  (Hept.)     Que   ne   vons   levez-vous    Sl 

allez  faire  taire  ceux  qui  fönt  ce  bruit  <t  alles  faire  taire  ceux  qui  fönt  ce  bruit  ci 

la    parte?      Est-ce  mainienant  Vheure  de  la  porte?      Est-ce   mainlenant  l'heure   de 

venir  en  la  maison  des  gens  de  bien?    Si  venir  aux  maisons  des  gens  de  bien?     Si 

mon   mari   estoit  ici,    il  les   en  garderoit  man  mary  estoit  ici/,  il  vous  en  garderoyt. 
bien"". 

Auch  die  weiteren  Partien  der  Version  Estienne's  können  als 
Kopie  aus  Margarethe  v.  Navarra  gelten,  jedoch  mit  Ausnahme  des 
Abschlusses,  der  anders  ausgeht.  Bei  unserem  Autor  läßt  sich  der 
Gatte  —  wie  in  den  meisten  anderen  Redaktionen  vollständig  düpieren; 
bei  Margarethe  dagegen  verliert  er  zwar  das  Augenlicht,  aber  nicht 
seinen  hellen  Verstand:  ,^Par  Dien,  ma  femme,  je  ne feray  jamais 
le  guet  sur  vous,  car,  en  vous  cuydant  iromper,  j'ai  refeu  la  plus 
fine  troinperie  ..." 

Estiennes  Held  ist  mehr  nach  der  Natur  gezeichnet  als  der 
Ehemann  bei  Margarethe,  der,  sobald  er  den  ihm  gespielten  Streich 
erkannte,  sich  gar  leicht  der  Umarmung  der  Gattin  hätte  entziehen 
können,  ohne  bloß  in  so  gemächlicher  Weise  gegen  die  nicht  mehr 
zu  ändernde  Tatsache  zu  protestieren. 

Schlauheit  einer  Frau,  die  ihr  Gatte  in  Gesellschaft 
von  zwei  Liebhabern  überrascht. 

{A2:)ol.  cap.  XV.)  Eine  Frau  hat  zwei  Liebhaber,  die  sich 
verabreden,  zu  gleicher  Stunde  in  ihrem  Hause  einzatretfen.  Der 
Gatte  kommt  hinzu;  die  Frau  spiegelt  ihm  vor,  daß  sie  Einen  auf- 
genommen habe,  der  von  einem  Feinde  verfolgt  werde,  und  die  beiden 
Liebhaher  fördern  in  aller  erdenklichen  Weise  ihre  List.  Unser 
Autor  will  aus  dem  Decameron^')  und  aus  den  Facetie^^)  des  Poggio 
geschöpft  haben:  ,.je  commenceray  jyar  Vacte  d\ine  femme  Floren- 
tlne  duquel  nous  avons  tesmoignage  par  deux  Ftorentins  qui  Vont 
couclie  jmr  escrit  j^resque  en  semhlahle  sorte.'"''  Es  kann  jedoch 
kein  Zweifel  herrschen,  daß  unser  Autor  sich  nahezu  au  den  Text 
von  Boccaccio  angelehnt  hat: 


1')  Decameron  Giorn.  VII  nov.   VI. 

1^)  Facezia  266.     Callida  consilia  foeminae  in  faeinore  depreJiensae. 


L' Apologie  j^our  Herodote  von  Henri  Esiienne.  207 

(Apol.)     Lvy   dotic   ayant  faicl  ainsi  (Dec.)     Messer   Lamberluccio,   messo 

et  Ti'ayant  rien  respondu  au  mari^  qid  luy  il  pie  nella  staffa,  e  montato  su,  non  disse 

demandoit  que  c'estoit,  sinon  quil  l'atlrap-  aliro  se,  non  al  corpo  di  Dlo  io  il  giugne- 

peroit    aiUeurs    (en    ajoustant    tin    grand  rü   allrove   e  andö   via.     II  gentile   uomo 

serment)   le   niarl  monta  puis  en  haut,    et  montato   su,    trovu    la    donnn  sua  in  capo 

trouvant  sa  femme  au  dessus  de  la  7nontee,  della   scala   tuifa   sqomentata,    e  piena  di 

taute  desconfortee  et  faisant  Veffrayee,  luy  paura  alla  quäle  egli  disse:   „Che  cosa  v 

demanda:    „Qu^est  ceci?   qui  est-ce  quiin  quesia?    cui  va  messer  Lambertuccio  cosi 

tel    va    ainsi    menacant?^      Elle    s'eslant  adirato      minacciando?"     La  donna,  tira- 

retiree    en    la    chambre    (afin   que   Vautre  fast    verso   la  camera,    acciö  che  Lennetto 

qui  estoit  Cache  en  la  ruelle  du  lict  Ten-  l'vdisse,  rispose:  „Messere  io  non  ebbi  mai 

tendist)  respondit:   „Belas  je  neus  Jamais  simil  paura  a  questa.'-'' 
en  ma  vie  une  teile  frayeur^. 

Man  beachte,  daß  Boccaccio  sagt,  die  Frau  war:  „jyiena  di 
paura'',  weil  ihre  Lage  tatsächlich  etwas  Furchterweckendes  hatte; 
Estienne  dagegen  denkt  au  ihre  schamlose  Geistesgegenwart  und  über- 
setzt „faisant  Veffrayee'^. 

Betreffs  des  Ursprungs  der  Novelle  verweisen  wir  auf  Landau 
und  andere  Untersuchungen  des  Decameron.  Cfr.  L.  Di  Francia 
in  Giorn.  stör,  della  lett.  ital.  vol.  XLIY.  (fasc.  1 — 2,  p.  80  sqq.) 
Ich  füge  nur  noch  hinzu,  daß  Frangois  d'Araboise  (158i)  dasselbe 
Thema  für  seine  Komödie  Les  Neapolitaines  verwandte  und  zwar 
ohne  irgendwelche  Einzelheiten  der  Fabel  des  Boccaccio  bei  Seite 
zu  lassen. 

Der  ins  Taubenhaus  eingesperrte  Ehemann. 

{Apol.  cap.  XY.)  Die  Gattin  im  Einverständnis  mit  dem  Lieb- 
haber, spiegelt  dem  Gatten  vor,  daß  die  Häscher  nach  ihm  auf  der 
Suche  sind  und  bringt  ihn  dazu,  sich  im  Taubenhaus  zu  verstecken. 

Unser  Autor  lehnt  sich  hier  eng  an  die  zehnte  Posse  des 
Poggio  an. 

(Apol.)     „Cesie-ci    donc    ayant  faict  (Poggio)      ,4um   illa   subito    collocato 

mettre   son    chaland  sous  le  lict^  s'en  vint  subtus  lectum  adultero,  in  maritum  versa, 

incontinent  au  devant  de  son  mari  .  .  ,  et  gravlter    illum    increparit    quem   redisset; 

commenca    a    le    tancer   hien  fort,    disant  asserens   veUe   eiim    degere   in  carceribus. 

quil    sembloii    quil    ne    demandoit    autre  Modo  inquit  praeloris  satellites  ad  te  ca- 

chose  que  de  se  mettre  entre  les  mains  des  piendum     tiniversam     domum     perscrutati 

sergeans,     lesquels     ne  faisoient    que    de  sunt.''' 
sortir  de  la  maison.'^ 

Beiden  Erzählungen  sind  einzelne  Züge  gemeinsam  ,.que  les 
portes  de  la  ville  estoyent  fermees''^  —  „sec/  iam  jiortae  oppidi 
clausae  erant*  und  daß  die  Gattin  sich  beeilt  die  Leiter  vom  Tauben- 
haus wegzustellen,  um  den  Gatten  am  Herabsteigen  zu  hindern,  „oste 
l'eschelle"   —  „amotis  scalis." 

Doch  muß  unser  Autor  auch  No.  88  der  Cent  Nouvelles  Non- 
velles  gekannt  haben.  Betreffs  der  zahllosen  verschiedenen  Fassungen 
dieser  Geschichte  cfr.  die  Version  Hitopadesa  (ed.  BibJ.  Elz.  p.  228), 
das  daselbst  angeführte  Repertoire  von  Petit  de  Julleville,  Romania 
(1872,  p.  20)  und  die  Fahliaux  von  Bedicr  (op.  cit.  p.  406),  sowie 


208  F.   Tokio. 

meinen  Contrihuto  p.  25  sg.  Man  beachte,  daß  die  Novelle  bei 
DomGmdn  Faceiic,  motti  et  burle  ecc,  (ed.  Veuctia  MD  IC  p.  167) 
zwar  aus  Poggio  übersetzt  ist,  aber  auffallende  Übereinstimmungen 
mit  der  Version  uusers  Autors  zeigt. 

Der  Liebhaber  und  der  Ehemann  in  der  Tonne. 

{Apol.  cap.  XV).  „Oll  conte  aussi  (.Vune  qui  jit  entrer  son 
ami  671  un  tonneau,  quand  eile  sentit  venir  son  mari  et  fit  semblant 
que  cestoit  un  hemme  qui  esioit  venu  ponr  l'aclieter  et  le  vouloit 
voir  dedans". 

Unser  Autor  nimmt  sicher  Bezug  auf  die  zweite  Novelle  des 
VII.  Tages  des  Decameron:  ^Peronella  mette  un  suo  amante  in 
IUI  doglio,  tornando  il  mariio  a  casa,  il  quäle  avendo  il  marito 
venduto,  ella  dice  che  venduto  l'ha  ad  uno,  che  dentro  v'e  a  vedere, 
se  saldo  gli  pare.  11  quäle,  saltatone  fuori,  il  fa  rädere  al  marito, 
e  poi  portarsenelo  a  casa  sua.'* 

Cfr.  betreffs  des  Ursprungs  dieser  Geschichte  Landau,  Die 
Quellen  des  Decameron^  2^  ed.  p.  311  sqq.  und  Letterio  di  Francia, 
Alcune  novelle  del  Decameron  in  Giorn.  stör,  della  lett.  ital.  voL 
XLIV  p.  3  sqq. 

Eine   Ehefrau    wird    von    ihrem   Gatten   gezwungen,    einem 

Kardinal    zu    Willen    zu    sein   und   will    dann   nichts   mehr 

von  Rückkehr  nach  Hause  wissen. 

(Apol.  cap.  XII).  Es  handelt  sich  um  eine  Begebenheit  aus 
der  Zeit  des  Konzils  zu  Trient  und  unser  Autor  bietet,  ohne  Einzel- 
heiten auszulassen,  eine  ziemlich  freie  Wiedergabe  von  No.  XL  der 
Comptes  du  monde  adventure:  ,.,Comme  un  gentilhomme  souffreteux 
prostitua  sa  femme  ä  un  cardinal  pour  en  tirer  argent.'^ 

Der  Verfasser  der  Comptes  hat  mit  einer  gewissen  Unabhängigkeit 
die  15.  Novelle  von  Masuccio  Salernitano  übersetzt. 

Die  Rache  des  Ehemannes. 

{Apol.  XVI).  Ein  Florentiner  Schneider  kommt  nach  Hause 
und  findet  seine  Frau  in  Tränen,  weil  der  Arzt  ihr  eine  unerlaubte 
Kur  aufgezwungen  hat.  Er  schwört  Rache  und  fügt  acht  Tage  später 
der  Gattin  des  Arztes,  als  er  ihr  ein  Kleid  anprobieren  soll,  dieselbe 
Schmach  zu. 

Hier  haben  wir  die  wörtliche  Wiedergabe  der  fac.  No.  155 
(Talio)  des  Poggio,  nur  ist  zu  bemerken,  daß  der  italienische  Erzähler 
hinzufügt,  daß  der  Schneider  seine  Rache  vor  dem  Ehegatten  nicht 
geheim  hielt. 

Das  gleiche  Thema  kehrt  in  einer  französischen  mittelalterlichen 
Farce  wieder:  De  gentilhomme,  Dison,  Natidet,  la  damoiselle.  Hier 
handelt  es  sich  um  einen  Müller.    Der  gentilhomme  ist  Herr  im  Dorfe 


iJApologie  -pour  Herodote  von   Henri  Estienne.  209 

und  die  Gattin  Naudets  fügt  sich  ohne  viel  Bedenken  seinen  Wünschen. 
Naudet  in  den  Kleidern  des  gentilhomme  begibt  sich  zu  der  daraoiselle, 
die  auf  seine  Wiedervergeltiing  eingeht.  Die  dritte  der  Cent  Nouvelles 
Nouvelles  berichtet  ähnliches  von  einem  Monseigneur,  der  den  Arzt 
spielt  und  unter  Vorspiegelung  einer  drohenden  Gefahr  die  Heilung 
der  Müllcrfrau  bewerkstelligen  will.  Sie  erzählt  Alles  ihrem  Manne 
wieder  und  dieser,  einen  Diamanten  fischend,  zahlt  monseigneur  und 
raadame  mit  der  gleichen  Münze  heim.  Betreffs  anderer  Überein- 
stimmungen mit  Cintio  delli  Fabrizi,  Straparola,  den  Joyeux  Devis, 
Tortiguerri,  Novellino  di  Majuccio  (XXXVI)  Tortiui  (YIII),  Krup- 
tadia  ecc,  cfr.  meinen  Contrihuto  allo  studio  della  novella  franc. 
del  XV.  u.  XVI.  scc,  Roma,  1895,  p.  12.  Cfr.  auch  Giorn.  VIII 
71017.  VIII  des  I^ecavieron  und  eine  orientalische  Erzählung,  die  Landau 
zum  Vergleich  heranzieht.  S.  auch  Kua  in  Giorn.  stör,  della  lett. 
ital.  XVI  249  und  Giuseppe  Petraglioue,  sulle  novelle  di  Anton  Franc, 
JJoni  (Trani,   1900,  p.   114  sqq.). 

Außerdem  erinnere  ich  an  die  fünfte  Novelle  von  Diporti  del 
Parabosco:  „  Valerio  innamoraiosi  di  Beatrice,  lei  del  suo  amore 
ricldede;  della  quäl  cosa  il  marito  divenuto  consapevole,  quello 
in  presenza  di  esso  Valerio  fa  alla  moglie  di  Ini,  ch'egli  alla  sua 
fare  tentava". 

Ein  Ehemann  läßt  seine  Gattin  das  Ilerz 
ihres  Liebhabers  verspeisen. 

Das  Thema  hat  in  Kap.  XIX  der  Apologie  breite  Ausführung 
gefunden,  und  wenn  auch  die  Gedanken  des  Lesers  häufig  zu  der 
weltbekannten  Novelle  des  Decameron  abschweifen,  in  welcher  die 
Rache  von  Guglielmo  di  Rossiglione  an  Guglielmo  Guardastagno  (N.  9) 
berichtet  wird,  so  hat  doch  augenscheinlich  unser  Autor  eine  andere 
Version  vor  Augen  oder  im  Sinn  gehabt. 

„  Un  gentilliomme  portarit  fort  grande  affectioji  ä  une 
damoiselle  mariee,  s'e7i  alla  d  la  guerre  ou  il  pria  ses  compagnons 
que  s'il  mouroif,  ils  fissent  porter  son  canir  ä  icelle  (der  Ritter 
stirbt,  seine  Gefährten  vollstrecken  seinen  letzten  Willen,  aber  der 
Gatte  der  Dame  bemächtigt  sich  des  Herzens  und  läßt  es  von  der 
Gattin  verzehren, 

„Alors  le  mari  lug  demanda  si  eile  avoit  trouve  ceste  viande 
honne:  et  eile  ayant  respondu  qtie  ouy.  „Voris  ne  pouvlez  Jaillir, 
dit-il,  de  la  trouver  honne,  car  cest  le  cueur  d'un  de  vos  nneua:- 
aimez.  La  demoiselle  ayant  sgeu  de  qui  il  parloit,  ne  mangea 
depuis  morceau  qui  luy  fist  hien,  et  aussi  neut  long  temps  hesoin 
de  viande^  car  eile  niourut  de  regret  peu  de  jours  apres.'"'' 

In  der  Fassung  von  Boccaccio  wird  der  Liebhaber  hinterrücks 
umgebracht,  die  Dame  begeht  Selbstmord,  indem  sie  sich  aus  dem 
Fenster  stürzt  und  ihr  Gatte  entflieht  aus  Furcht  vor  der  ihm 
drohenden  Rache. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u    Litt.  XXXI'.  14 


?10  P.   Toldo. 

Wir  zitieren  mit  Köhler  {Kleinere  Schriften  ed.  Bolte  11, 
559)  Hagen,  Gesamtabenteuer  1  CXVI,  Patzig,  zur  Geschichte  der 
Herzmäre  (Progr.  Berlin,  1891),  Cliild,  Ballads,  1,839,  J.  Thora, 
Thursos  Rache  {Das  Neue  Blatt,   1879.    589.) 

Cfr.  auch  Lambrini,  Libro  di  novelle  anticJte  (in  Scelta  di 
curiosita  letter.  Disp.  XCIII,  nov.  XII)  und  den  Kommentar  von 
A.  D'Ancona  zu  Nov.  LXII  des  Novellino.  (in  Studj  di  critica  e 
storia  lett  p.  326.) 

Die    Ehebrecherin    wird    mit    der    Leiche    des   Liebhabers 

eingesperrt. 

(Apol.  cap.  XIX.)  „Comme  aussi  le  gentilhomme  Allemand 
punissoit  sa  femme  fort  rigoureusement  plustost  que  crtiellement 
de  VaduUere:  quand  apres  avoir  tue  le  galand  auquel  eile  s'estoit 
ahandonnee,  il  luy  ordonna  au  Heu  de  coups,  le  hezde  la  teste  dHceluy."' 

Die  Quelle  hierzu  bildet  die  XXXII.  Novelle  des  Heptameron: 
„Bernaze,  ayant  connu  en  quelle  patience  et  humilite  une  Damoisellt 
d'Alemagne  recevoit  l'etrange  p^nitence  que  son  mary  luy  faisoie 
faire  pour  son  incontinence,  gangna  ce  point  sur  luy  quoubliant 
le  passe  eut  pitie  de  sa  femme  .  .  .".  In  der  Erzählung  Margarethcns 
wird  die  Missetäterin  glatt  geschoren  und  gezwungen  aus  dem  Ko\)i 
des  Liebhabers  zu  trinken,  sowie  in  dem  Zimmer  zu  schlafen,  wo 
sein  Skelett  aufgehängt  ist. 

Diesem  Bericht  läßt  unser  Autor  noch  einen  zweiten  nachfolgen, 
den  er  Pontano  entnommen  (s.  Anm.  bei  Ristelhuber),  wo  ein 
Pieraonte?er  Edelmann  die  schuldige  Gattin  und  die  alte  Magd 
zusammen  mit  der  Leiche  des  Liebhabers  einsperrt  und  den  Unglücklichen 
Brot  und  Wasser  verabreicht,  um  zugleich  ihr  Leben  und  ihre  Qual 
zu  verlängern. 

Cfr.  betreffs  dieser  Legende:  Egidio  Gorra,  Studj  di  critica 
letteraria^  Bologna  1892  p.  215  sqq.,  wo  eine  bekannte  Novelle  des 
Pecorone  (G.  11  N.  1)  erläutert  wird,  die  Gesta  Romanorum  ed. 
Oesterley  Kap.  56  ccc,  sowie  meinen  Contributo  p.  76  und  Novelle  XV 
des  Doiii,  (mit  Anmerkungen  versehen  von  Giuseppe  Petraglione, 
sulle  novelle  di  Anton  Francesco  Doni,  Trani,  1900,  p.  60:  „Terri- 
hile  castigo  dato  da  un  marchese  italiano  alla  moglie  che  gli  era 
stata  infedele'-'.  Er  läßt  den  Kavalier  ermorden  und  legt  den  ein- 
balsamierten Leichnam  in  das  Bett  seiner  Gattin;  dann  läßt  er  sie 
mit  dem  Leichnam  ins  Gemach  einmauern,  jedoch  in  einer  Form, 
daß  ihr  Nahrung  verabreicht  werden  kann.  Sie  lebt  noch  weitere 
sieben  Jahr  „tuttavia  piangendo  la  sua  follia  e  la  morte  delV 
amante.  Perchh  tra  per  lo  puzzo  e  per  lo  dolore,  ultimamente 
fim  in  gran  miseria  i  suoi  giorni." 


L' Apologie  pour  H/rodote  von   Henri  Estienne.  211 

Handelt     von    Einem,     der    sich     selbst    für    momentane 
Impotenz  bestraft. 

(Apol.  cap.  XV).  Unser  Autor  bemerkt,  daß  er  diese  Geschichte 
nicht  niederschreiben  würde,   „s'il  ne  la  tenoit  d'u7i  homme  de  bien.^ 

„Le  conie  est  tet  :  Le  bastard  de  la  maison  de  Campois 
j^res  de  Rommorantin,  apres  avoir  sollicite  une  damoiselle  Vespace 
de  deux  ans,  et  l' avoir  en  la  fin  gangn^e,  esiant  avenu  qua  l'keure 
quelle  s'estoit  presenth  et  abandonnee  ä  luy,  il  ne  s'estoit  trouve 
dispos  ä  sa  vilenie,  se  retira  eii  son  logis  ä  Charis,  si  despite 
contre  soy-mesme,  qu'ayant  pris  un  rasoir  chez  mi  barbier,  il  s'en 
ooupa  la  parfie  Vindisposition  de  laquelle  ravoit  frusire  de  son 
esperance  .  .  .  Et  Vayant  coupee  lenfenna  en  un  bvffet." 

Unser  Autor  versichert,  es  handele  sich  um  eine  wahre  Begebenheit, 
die  sich  vor  25  Jaliren  zugetragen  habe.  Derselbe  Bericht  findet 
sich  später  in  den  Essais  von  Montaigne  (LIII  cap.  29)  und  mit 
einigen  Abänderungen  bereits  früher  bei  Morlini  (Nov.  LH)  ,^De 
oleario  qui,  non  Valens  matronani  desolare,  ira  genitalia  incidit." 

Galante  Abenteuer  von  geistliehen  Herren. 

Von  dem  Erzbischof,  der  vier  Füße  hat. 

(Apol.  cap.  XXXIX).  „Comme  aussi  celuy  qui  sentant  deux 
pieds  aupres  des  deux  de  S07i  maistre  (qui,  pour  observer  estroite- 
ment  les  regles  episcopales,  avoit  sa  garse  couchee  aupres  de  soy) 
y  alla  semblablement  tant  ä  la  bojine  foy  quil  se  prit  ä  ci'ier  par 
la  fenestre  :  Venez  voir  mon  maistre  qui  a  quatre  pieds. ""  Dies 
kann  als  Übersetzung  von  Schwank  216  des  Poggio  bezeichnet  werden. 

Man  beachte  den  Schluß:  „Tum  ille  (der  rfatuus'')  fesfinus 
surgens  ad  fenestram  prodiit,  magna  voce  exclamans  .  .  .  noster 
.  .  .  Archiepiscopus  quadrupes  factus  est. 

No.  II  der  Joyeux  Devis  berichtet  die  nämliche  Geschiebte, 
bei  Anlaß  des  „/o^'  Polite  und  des  Abtes  von  Bourgueil.  Die  Dialog- 
form gestaltet  sie  hier  noch  lebendiger:  „Moyne  ä  qui  est  ce pied? 
—  11  est  ä  moy,  dit  l'abbe  —  Et  cestuy-cy?  —  II  est  encore 
ä  moy  ..."  Cfr.  meinen  Coniributo  p.  136,  über  die  Beziehungen 
zu  dem  Moyen  de  parvenir  (cap.  26^)  und  zu  Malespini  Ducente 
novelle,  p.  1 1.    n.  27.) 

Ein    Franziskanermönch    spielt    die    Rolle    des    heiligen 
Franziskus,    um    ein    leichtgläubiges   Weib   zu   verführen. 

(Apol.  cap.  XXI)  „Mais  pour  retourner  aux  cordeliers  je 
n'ay  pas  onblie  Utistoire  du  cordelier  soy  disant  sainci  Eranpois, 
qui  Jona  si  bien  son  jjersonnage  ä  l'endroit  d'une  povre  bigotte 
quelle  luy  ßt  place  en  son  lit  :  mais  avant  quHl  peust  mettre  en 
execuiion   sa    bonne  volonte,   la  farce  fut  achevh  autrement  quHl 

14* 


212  P.   Toldo. 

ne  pensoit,  et  par  ceiix  desquels  il  ne  se  doutoit  pas.  Car  S.  Pierre, 
comme  portier  de  Paradis  et  S.  Thomas  .  .  .  le  vindrent  cercher 
jusqnes  au  lict  et  le  remenerent  un  peu  plus  rudement  quil  riestoit 
venu.  „ 

Dies  erinnert  deutlich  an  die  Vorspiegelung  des  frate  Alberto, 
der  „da  a  vedere  ad  una  sua  donna,  che  VAgnolo  Gahriello  ^  di 
lei  innamorato,  in  forma  del  quäle  piu  volle  si  giace  von  lei.'' 
(Decam.  G.  IV.  Nov.  II),  aber  noch  ähnlicher  scheint  mir  Novelle 
LXIX  bei  Morlini:  De  patricio  qui,  ut  matronam  falleret,  Cristum 
aeimdatus  est.  Dieser  Patrizier  stellt  sich  der  Frau,  die  er  liebt, 
als  Jesus  verkleidet,  «mit  einem  Diadem  auf  dem  Haupte  vor,  aber 
als  er  in  Begriff  steht,  die  Frucht  seines  Betruges  zu  genießen,  er- 
scheint ein  Jüngling  in  einer  an  den  heiligen  Petrus  gemahnenden 
Kleidung  vor  dem  Liebespaar  und  vereitelt  die  List. 

Eine  andere  Beziehung  zum  gleichen  Thema  zeigt  Morlini  in 
Novelle  XVIII.  „De  monacho  qui  in  monasterio  divi  Laurentii 
seraphici  Francisci  vitam  repraesentavit.'"'  Bei  demselben  Autor 
findet  sieh  auch  der  Name  des  heiligen  Franziskus,  aber  zugleich 
weist  die  Erzählung  LXIX  des  Morlini  nur  einen  vei  kleideten  St.  Petrus 
auf,  während  bei  Estienne  auch  noch  ein  angeblicher  St.  Thomas 
störend  eingreift. 

Cfr.  auch  für  die  Novelle  von  Boccaccio:  Lan.lau,  Die  Quellen 
des  Decameron  2^  ed.  p.  293  und  ff.,  sowie  Lettcrio  di  Francia, 
Alcune  novelle  del  Decameron  in  Giorn  stör,  della  lelt.  ital.  vol. 
XLIV  p.  50.  Ähnlich  lautet  der  Bericht  in  Elite  des  cojites  du  sieur 
d'Ouvillc  (ed.  Brunet,   11  vol.  p.  291  sqq.). 

Wie    ein    Franziskanermönch    die    Stelle    des    Bräutigam 

vertrat. 

(Apol.  cap.  XXI).  Unser  Autor  erklärt,  daß  er  aus  Margarethe 
V.  Navarras  Werke  geschöpft  habe:  „Mais  puisque  ceste  bonne 
princesse  nous  a  faict  tant  de  Meti  et  ä  notre  posterite  de  voidoir 
prendre  la  peine  de  rediger  par  escrit  quelques  tesmoignages  de 
la  chastetc  de  ces  venerahles,  laisserons-nous  derriere  le  plus  notable 
de  tous,  d'un  cordelier  .  .  .?"' 

Es  handelt  sich  tatsächlich  um  Nov.  XLVIII  des  Heptam., 
weniger  allerdings  um  Nachahmung  als  gedrängte  Inhaltsangabe:  „Le 
plus  vieil  et  malicieux  de  deux  cordeliers,  logez  en  une  Hötellerie 
QU  Ion  faisoit  les  noces  de  la  fille  de  Icans,  voyans  dcrober  la 
inariee,  alla  ienir  la  place  du  nouveau  viaryS  p^^^ulant  qu'il  s'amusoit 
ä  danser  avec  la  compagyiie.''' 

Betreffs  anderer  Seitenstücke  cfr.  meinen  Contribuio  allo  studio 
della  novella  francese  del  XV  e  XVI  sec,  Roma,  Loescher, 
1895.     p.  80. 


L' Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estiennc.  213 

Handelt  vom  Mönch,  der  Hochzeit  hält. 

(Ap)ol.  cap.  XXI).  In  diesem  Kapitel  ist  eine  ganze  Fülle  von 
Nachahmungen  aus  der  Novellensammlung  von  Margarethe  v.  Navarra 
angehäuft.  Es  handelt  sich  um  das  Abenteuer  eines  Geistlichen,  der  ein 
wackeres  Mädchen  heiratet,  das  zu  seiner  höchsten  Verwunderung 
bemerkt,  daß  der  amtierende  Geistliche  und  ihr  Gatte  ein  und  die- 
selbe Person  sind. 

Morlini  hat  dieses  Thema  bereits  in  seiner  XXXVI.  Novelle 
(ed.  elz.  p.  76)  De  monaco  qui  diixit  uxorem  verarbeitet. 

Aber  unser  Autor  entnimmt  seinen  Stoff  direkt  der  56.  Novelle 
des  Heptam.  Die  Form  seiner  Erzählung  zeigt  eine  gewisse  Unab- 
hängigkeit, sodaß  die  Vermutung  einer  anderen  Quelle  nahe  liegen 
könnte.  Der  folgende  Passus  aber  zeigt  deutlich,  wem  unser  Autor 
auch  im  vorliegenden  Falle  zu  Dank  verpflichtet  ist: 

(Apol.)  „eile  (die  Mutter  der  Braut)  (Heptam.)    „si   tost    que   le  meschanl 

le  vlnt  trouver  couchg  at-cc  sa  femme  .  .  .Iwj  marij  fut  couche,    arrha  la  vieille  dame, 

prit    ses    deux    mains    comme    par  Jeu,  en  luy  prenant  hs  deux  mains  comme  par 

cependant  que  la  fille  luy  ostoit  sa  coeffe ;  Jeu ;    sa  ßlle  luy  osta  sa  coiff'e,  ei  demeura 

sous     laquelle     s'esloil     trouvee    la     belle  arecq  sa  belle  couronne  ..." 
couronne  ..." 

Cfr.  wegen  anderer  Beispiele  meinen  Coniributo  cit.  pag.  80. 
Unser  Autor  deutet  dieselbe  Geschichte  auch  in  Kapitel  XV  seiner 
Apologie  an:    „cornme  il  sera  raconte  si  a2:>res."' 

Die  Hosen  des  heiligen  St.  Franziskus. 

In  Kapitel  XXI  erwähnt  unser  Autor  die  Geschichte  zweimal  und 
zitiert  Poggio  (fac.  231)  als  Quelle.  Dasselbe  Thema  ist  auch  von 
Anderen  bearbeitet  worden  und  felilt  kaum  in  einer  der  bekanntesten 
Novellensammluugen.  Cfr.  Dunlop  Liebrecht,  Geschichte  der  Prosa- 
dichtung (p.  207  und  333),  Bedier,  Les  fahliaux  (2"^  ed.  p.  407) 
etc.  S.  auch  meine  Etudes  sur  Ic  Theätre  comique  frangais  du 
moyen  dge  (estr.  dagli  studj.  di  filol.  romanza,  vol.  IX  fasc.  2 
p.  71)  betreffs  meiner  Äußerungen  zur  Farce  Erere  Guillebert.  S. 
außerdem  Letterio  di  Francia  (Commcnto  alla  Nov.  20  V'-  del 
Sacchetti,  op.  cit,  p.  189). 

Die  Reliquien  des  heiligen  Bernhard. 

{Apol.  cap.  XXI).  Eine  Dame,  die  Verlangen  trägt,  mit  einem 
Mönch  ihrer  Bekantschaft  beisammen  zu  sein,  stellt  sich  krank  und 
verlangt,  daß  ihr  Liebhaber  ihr  die  Reliquien  des  heiligen  Bernhard 
bringen  soll.  Unter  dem  Vorwande  einer  Beichte  wissen  der  Mönch 
und  die  Frau  sich  von  aller  störenden  Gesellschaft  frei  zu  machen, 
und   zum  Schluß  wird  der  Ehemann  genötigt,  die  Reliquien  zu  küssen. 

Es  handelt  sich  stellenweise  um  nahezu  wörtliche  Wiedergabe 
von  No,  XXVIII.  der  Comptes  du  monde  adventureux.  In  beiden 
Erzählungen   ist  der  Schauplatz  nach  Sizilien  verlegt,   der  Ehegatte 


214  P.   Tokio. 

ist  Arzt,  die  angebliche  Krankheit  der  Dame  ist  die  gleiche  (la  maire 
du  venire  im  Compte,  la  snffocation  de  la  matrice  in  der  Apologie) 
und  auch  das  Quartett  spielt  sich  in  derselben  Weise  ab,  sobald 
alle  störenden  Elemente  vor  die  Tür  lefördeit  sind.  Der  Mönch 
umarmt  die  Gattin  des  Arztes  und  sein  Begleiter:  apprend  un  alle- 
lurja  ä  la  chambriere'.  Die  Reliquien  (d.  h.  die  Arme  des  heiligen 
Bernhard)  werden  von  den  Mönchen  wieder  mit  großem  Pomp  ab- 
geholt. 

(Apol.)  (Das  Kloster)  reiourna  querir  ces  hrayes  ä  grand 
branle  et  quarillon,  de  cloches  avec  la  croix  et  Veau  beniste. 

(Comte)  „  .  •  .  a  grand  bransle  et  carillon  de  cloches.,  la 
croix  et  Veau  beniste."     Auch  der  Schluß  stimmt  überein: 

(Apol.)   „(Der   Klosterbruder)   hs  (Compte)  .  .  .  Ja  patiente  .  .  .  avoi 

(die  Arme)  oyant  desvelopces  du  heau  Ihuje  etu:elopp^  ces    bragues    en  un  htau  linge 

blanc   Ott   cesie  femme  les  avoil  mises,  les  le  gnrdien  .  .  .  les  descouvre  et  fait  haisev 

fit  baiser  et  toute  V assistencCy  et  au  pouvre  h  tont  les  assistens,  et  ä  maistre  Roger  le 

mari  toul  le  premier,puis  les  ayani  serrees  premier,  puls  les  unit  dedans  un  tabernacle 

en  un  certain  tabernacle  s'en  retourna  avec  qu'il  avoit  opportc,  ozwsi  avec  un  si  noble 

ce    precieux    et    si    miraclißque  joyaux.^^  Joyau,  s'en  i-etournerent  en  leur  couvent," 

Quelle  des  Compte  ist  die  dritte  Geschichte  des  Novellino  von 
Masuccio  Salerhilano,  Cfr,  außerdem  die  Anmerkungen  zu  der  Novelle 
von  den  Finte  reliquie. 

Handelt   von   einem  Einsiedler,   der  mit  Hilfe  der  Beichte 
eine  große  Anzahl  Frauen  verführt. 

In  Kapitel  XXI  der  Apologie  wird  erzählt,  wie  ein  Eremit  von 
Padua  „desbauchoit  plusieurs  femmes,  mesmement  des  meilleiirs 
maisons,  par  le  moyen  de  la  confession.^  Der  Herzog  Franz  YII. 
gebietet  ihm  die  Namen  dieser  Frauen  bekannt  zu  geben  und  der 
Sekretär  hat  seine  helle  Freude  an  den  Enthüllungen,  „Verheimlicht 
ja  keinen  einzigen  Namen,  drängt  er:  et  alors  ce  bon  ermite  en 
souspirant:    ^Escrivez  donc  aussi  la  vostre^  Monsieur. '■'■ 

Als  Quelle  diente  der  Schwank  No  141  von  Poggio:  ,,Poge 
Florentin  raconte.'-'     Es  handelt  sich  um  bloße  Übertragung. 

Handelt  von  Frauen,  die  vorgeben 
vom  Teufel  besessen  zu  sein. 

{Apol.  cap.  XXp  On  raconte  de  deux  ou  trois  (Geistlichen) 
(desquels  Vun  demeuroit  en  une  bourgade  entre  les  montagnes  de 
Daulphin^  et  de  Savoye)  qui  donnerent  ce  conseil  ä  leurs  paroici- 
ennes  de  contrefaire  les  demoniacles,  ä  fin  que  les  maris  allans 
en  pelerinage  pour  leur  delivrance,  les  leur  recommandassent  cepen- 
dant,  ä  ce  quils  n'y  espargnassant  ni  leurs  estoles,  ni  leurs  autres 
instrumens."^ 

Mir  ist  keine  größere  Anzahl  von  Beispielen  bekannt;  auf  einen 
einzigen  derartigen  Vorfall  bezieht  sich  No.  XXXII  der  Comptes  du 


L' Apologie  pour  Herodoie  von  Henri  Esiienne.  215 

monde  adventureux  „D'un  eure  qui  fit  faire  le  demoniacle  ä  une 
jeune  femme  pour  plus  facilement  jouyr  de  sa  bonne  grace."" 

Der  Compte  ist  die  Wiedergabe  von  Novelle  No.  9  von  Masuc- 
cio  Salernifano,  die  sich  auch  in  den  Sprichwörtern  von  Fabrizi  wieder- 
findet (cfr.   Contrihuto  p.  121). 

Das  zurückerstattete  Sieb. 

(Apol.  cap.  XV)  „Ceste  mesme  princesse  raconle  aussi  de 
la  femme  dhin  lahoureur  .  .  .  Margarethe  berichtet  diese  Anecdole 
in  der  XXIX.  Novelle  ihres  Beptameron  ...  „  f/w  eure  surprijis 
par  le  trop  soudain  retoxir  d'un  lahoureur  avec  la  femme  duquel 
il  faisoit  bonne  chhre,  irouva  promptement  moyen  de  se  saurer  aux 
ddpens  du  hon  komme  qui  jamais  ne  s'en  appergut."' 

Unser  Autor  hat  den  ersten  Teil  der  Erzählung  von  Margarethe 
abgekürzt,  das  übrige  gibt  er  fast  wörtlich  wieder.  Es  genügt  den 
Schluß  zu  vergleichen. 

(Apol.)     Der  Pfarrherr  wirft  das  (Bept.)     „Et    Je  pauvre  Lahoureur 

Sieb  vor  die  Füfse  des  Galten:    „h-  tout  estonne  devmnda  ä  sa  femme: 
(juel   s'cstant  csveille  a  ce  bruit,  et  ayant  „Qu^est  celaV" 

demande    a   sa  femme   que    c'estoit,    Mon  Elle   Iny   respondif.    Mon   amy^  c'est 

ami  (dict  eile)  c'est  vostre  vau  que  le  eure  vostre    vati   que   le  eure  avoyt  empruncte, 

acoit  emprunte :  il  vous  lest  venu  rendre.  leqttel  il  vous  est  venu  rendre,'^ 

Et    il    irouva    ceste    response    assez  Et   luy^   tout   en  grondant,    luy  disf. 

pertinerUe,  hormis  qu'il  dict  Cest  hien  lour-  Cest  bien  rudement  randre  ce  qu'on 

dement   rendu   ce   qu'on  a  emprunte:    car  a  empruncte,  ear  je  pcnsoys  que  la  maison 

je pensois  que  la  maison  torabast  par  terre."  tumhast  par  terre.'* 

Ich  erinnere  an  die  Beziehung  dieser  Geschichte  zu  dem  fahleau, 
das  den  Titel  trägt:  du  pre-üre  et  de  la  Dame.  {Recueil  Motaiglou- 
Raynaud  II.  51)  Hier  stellt  sich  der  Geistliche,  als  ob  er  (statt 
des  Siebes)  einen  Korb  (corbeille)  zurückgeben  wolle;  im  Übrigen 
bieten  die  beiden  Redaktionen  beträchtliche  Abweichungen  von  einander. 

Auch  in  den  Contes  et  discours  d'Eutrapel  von  Noel  du  Fail, 
die  späteren  Datums  sind  als  die  Apologie,  steht  dasselbe  Abenteuer, 

(N.  xn). 

Wie  ein  Ordensbruder  die  Tochter  eines  deutschen 
Herzogs  hintergeht  und  verführt. 

(Apol.  cap.  XXI)  .  .  .  „comme  tesmoigne  Vhistoire  d'un  cor- 
delier  qui  negocia  si  dextrement  avec  un  duc  d'Allemagyie  et  la  du- 
chesse  sa  femme,  quil  leur  tira  de  dessous  l'aile  leur  fille,  helle 
eil  perfection  {qui  estoit  toute  leur  lignee)  pour  en  jouir  mieux 
ä  son  aise:  sous  prStexte  de  la  mettre  en  un  monastere  pource 
qu'il  remonstroit  que  de  sa  naiure  eile  estoit  devotieuse.'"'' 

Es  scheint,  daß  unser  Autor  sich  an  XXXV  der  Comptes  du 
monde  adventureux  anlehnt;  „de  la  malice  d''un  religietix  qui  suhorna 
la  fille  d'un  duc  d' Allemagne,  et  de  la  Jolie  qui  en  avifit." 


216  P.   Tokio. 

Der  Verfasser  des  Compie  cntlelint  bei  Ma&uccio  Salcrnitano 
(NovelUno  11).  Wegen  anderen  Parallelen  ?.  meinen  Contributo 
p.  122. 

Wie  ein  Franziskanermönch   die  Gattin   eines  vornehmen 
Herrn  dazu  nötigte  sich  als  Novize  zu  verkleiden. 

{Apol.  cap.  XXIV)  Es  handelt  sich  um  nahezu  wörtliche 
Wiedergabe  von  Novelle  XXXI  des  Bepiameron.  Es  genügt  die 
Gegenüberstellung  des  Eingangs  der  beiden  Erzählungen: 

(ÄjioL)     rt^^u    tevips    de  Vempereitr  (Ilrpfam.)     „Aux    ierres     suhfcctes 

A/nximilian  prämier,    il  y   aroit   en  ses  ä   V Empcrew   Maximilian   d'Aulriche  y 

terres   vn    coiivent  de  cordeliers  fort  re-  aroyt  uih/  conrent  de  corddiers  fort  es- 

iiommt':    aiipres   ditquel   nn  gentilhomme  lim/,    anpres   diiquel   ung    Gentil  komme 

avoit    sa    maison,     qui    portoit    graiide  aroyt    sa    maison    et    avoyt   prin.t    teile 

affection    aux    moines    d^icehiy,    et    leur  amity^    aux    Religieux    de    c^ans    quil 

faisoit    de    grands    biens     en    esperance  n  aroyt   hicn    qiCil  ne  leur  donnast  pour 

d'aroir  part  en  leurs  hienfaicts,  jeusnes  avoir   part    en   leurs    biens/aictz,  jeünes 

et  oraisons."  et  disciplines." 

Man  erinnere  sich  an  das  fahleau  Frere  Denise  von  Rutcbeuf 
(ed.  Montaiglon  III,  an  die  I.X.  der  Cent  Nouvelles  Nouvelles,  au 
Malespini  (Nachbildung  des  Heptameron.  Duecenti  novelle  No.  75), 
les  Cordeliers  de  Caialogne  in  den   Contes  von  La  Fontaine  etc. 

La  Roux  und  Montaiglon  (in  den  Anmerkungen  zu  der  oben 
erwälmten  Version  Margarethes)  beziehen  ihre  Angaben  irrtümlicher- 
weise nicht  auf  diese  sondern  auf  eine  andere  Novelle  von  Estienne 
{Ap)ol.  cap.  XXI),  wo  es  sich  eher  um  eine  flüchtige  Skizze  dieser 
breit  ausgeführten  Erzählung  handelt.  Estienne  vervielfältigt  die 
Fälle,  in  denen  Frauen  sich  als  Mönche  verkleiden,  Verkleidungen, 
die  in  religiösen  Legenden  ja  sehr  häufig  vorkommen.  (Cfr.  meine 
Studie:  Das  Spiel  von  der  heiligen  Theodora  in  Aus  allen  No- 
vellen und  Legenden  V.  Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde 
fasc.  1.  1904). 

Handelt  von  einer  Dame,  die  Selbstmord  begeht,  weil  ein 
Franziskanermönch  sie  mißbraucht  hat. 

{Apol.  cap.  XVIII)  ,,Aussi  lisons-nous  es  narrations  de  la 
roine  de  Navarre  demiere  defuncie,  la  pitcuse  mort  d'une  damoi- 
selle,  qui  se  pendit  et  estrangla  pour  le  grand  despit  et  regret 
qu'elle  avoit  de  ce  quun  cordelier  avoit  usS  d'elle  comme  de  sa 
femine,  sans  qu'elle  pensast  esire  couchee  prcs  autre  que  son  mari'\ 
Dieser  kurze  Bericht  wird  von  unserem  Autor  ausführlich  in  Cap. 
XXI  der  Apologie  verwertet,  wo  auch  so  viele  andere  Novellen  des 
Heptameron  wiedererzählt  sind.  Die  Quelle  bildet  augenscheinlich 
die  XXIII.  Novelle  von  Margarethe:  La  trop  grande  rhhence  qxCnn 
Gentil  homme  de  Pcrigord  portoit  ä  t Ordre  de  Sainct  Francorjs 


L' Apologie  pour  JJcrodote  von  Henri  Esticnne,  217 

fut  cause  que  luy,  sa  fcmme  et  son  pelit  enfant  moururent  mise- 
rablement.  i'') 

Betreffs  anderer  Naclnveise  cfr.  meinen  Coniribuio,  p.  74. 

Wie  die  Franziskanermönche  von  der  Schifferin 
geäfft  wurden. 

(Apol.  cap.  XXI)  „  .  .  .  la  dicie  roine  de  Navarre  fait  aussi 
un  plaisant  conte  et  venant  hicn  ä  propos  de  deux  cordeliers  qui 
vouhirent  forcer  leur  hatelicre,  et  la  p)ayer  en  ce  payement,  pour- 
ce  quHls  ne  portent  point  d'aryejit".  .  . 

Einfache  Anspielung  auf  die  fünfte  Novelle  des  Hepiameron: 
Deux  Cordeliers  de  Nyort,  passant  la  riviere  au  port  de  Coulon 
voulurent  prendre  par  force  la  Bateliere  qui  les  passoit;  mais 
eile,  sage  et  fine,  les  endormit  si  hien  de  paroles  que,  leur  accor- 
dant  ce  quHlz  demandoyenf,  les  irompa  et  meit,  entre  les  inains 
de  la  justice,  qui  les  rendit  ä  leur  gardien  pour  en  faire  teile 
punition  qu'ils  meritoient."- 

Wie  ein  Franziskanermönch  von  einem  eifersüchtigem 
Ehemann  umgebracht  wurde. 

{Apol.  cap.  XXI)  „  Tesmoin  le  Cordelier  et  docteur  en  theo- 
logie  noinmS  Dicquo  Darnae,  qid  ayant  de  long  temps  prhente 
son  Service  ä  la  femme  d'un  chevalier  d'une  ville  d' Espagne, 
nommS  RJiodoric,  fut  en  la  fin  estratiglc  par  luy  [aupres  duquel 
il  se  trouva  couche,  pensant  estre  couche  auptres  d'elle)'''- 

Es  handelt  sich  um  das  gleiche  Thema  wie  in  No.  XXIII  der 
Comptes  du  monde  adventureux :  ,,D\in  moyne  (Dicquo  Darnae) 
faisant  Vamour  ä  la  femme  de  messire  Roderic  duquel  il  fut  es- 
trangle  piteusement. 

Die  direkte  Quelle  für  den  Verfasser  der  Comptes  ist  Masuccio 
Saleruitano  Nov.  I.  „Maestro  Diego  da  Revalo  e  poriato  morto 
da  misser  Roderico  al  suo  convento'',  aber  ihr  Ursprung  reicht 
weit  zurück. 

Cfr.  das  fableau  vom  soucrdain,  das  uns  Jean  Ic  Chapelaiu 
erzählt  (R.  Mont.  VI  p.  101)  und  andere  fableaux  dieser  Gattung 
(ib.  vol.  IV.  p.  la,  V  123,  136,  VI  243).  Für  andere  Berührungs- 
punkte s.  die  yßahe  e  racconti  siciliani''''  von  Pitre  (II,  165),  die 
Anmerkungen  von  Montaiglon  (vol.  IV  p.  10),  Bedier  a.  a.  0.  etc. 
auch  meinen  Contributo  p.  119. 

Von  dem  Pfaffen,  der  sich  nur  zum  Scherz  kastrieren 
lassen  will  und  alles  Ernstes  kastriert  wird. 
(Apol.    cap.  XV)     In    verschiedenen  fahleaux  ist   von   derlei 
Bestrafung  die  Rede,    die  eifersüchtige  Ehemänner  sittenlosen  Pfaffen 


13)  Unser  Autor  orwiUuit  Novelle  XXIII  des  Ihpinmeron  auch  im  XVII. 
Kapitel  der  Apologie  „laquelle  histoire  sera  recilce  plus  au  lomj  ci-aprcs.^ 


218  P.   Toldo. 

androhen  oder  angedeiheu  lassen.  (Über  Coiineberi  v.  Montaiglon- 
Raynaud  V.  IGO,  le  Prctre  crucifUy  Legrand  d'Aussy,  t.  IV  p.  100; 
ib.  Aloul  I  286).  Aber  das  einzige  Vorbild  für  die  Erzählung  unseres 
Autors  bildet  No.  LXIV  der  ,,Cent  Nouvelles  Nouvelles,  obwohl 
auch  hier  beträchtliche  Abweichungen  zu  konstatieren  sind  .  .  .  Uvg 
maistre  eure  qui  faisoit  raige  de  hien  co?ifescer  ses  paroichiennes 
—  so  erzählt  der  Verfasser  der  Cent  Nouvelles  Nouvelles  —  ... 
estoit  ung  jour  au  disner,  et  faisoit  honne  ciliare  en  Vostel  d'utig 
sien  paroichien  .  .  ."  Obwohl  der  unternehmende  Pfarrherr  bis 
jetzt  die  Gattin  seines  Gastgebers  mit  seiner  Zudringlichkeit  verschont 
hat,  benutzt  dieser  die  zufällige  Anwesenheit  eines  „  Trenchecouille'' ^ 
dessen  Name  bereits  seinen  Beruf  ankündigt,  um  den  Pfarrer  zu  über- 
reden, doch  diese  Operation  zum  Scherz  an  sich  vollziehen  zu  lassen, 
und  der  Unglückliche  willigt  ein.  „Je  vous  diray  que  nous  ferons, 
dist  maistre  cur 6:  je  faindrai  avoir  grand  mal  en  ung  couillon  . . . 
et  quant  il  viendra  pres  et  il  voudra  voir  que  c'est  et  ouvrer  de 
son  mestier,  je  luy  montreray  le  derrihre."'  Aber  der  Spaßmacher 
fängt  sich  in  den  Schlingen  seines  eigenen  Witzes,  denn  „Foste  de 
leans  vint  au  irenche  couille,  et  lui  dit:  Garde  hien,  quelque  chose 
que  ce  prestre  te  dye,  quant  tu  le  tiendras  en  tes  mains,  pour 
ouvrer  ä  ses  couillons,  que  tu  lui  trenches  tous  deux  rasibus  .  .  . 
und  der  Operateur  erfüllt  den  Wunsch  des  Ehegatten.  „Or  ne 
fault-il  pas  demander  si  monseigneur  le  eure  fut  hien  camus  de 
se  veoir  ainsi  desgarny  de  ses  instrurnens" . 

Auch  in  der  Apologie  ist  der  Held  ein  Pfarrer  Je  curS  d'  Onzain, 
pres  d'Amboise  (qui  est)  persuade  par  une  hostesse,  laquelle  il 
entretenoit,  de  faire  sembtant  (pour  oster  ä  Vavenir  tout  sous- 
pefon  au  mari)  de  se  faire  chastrer  .  .  .  par  un  nommS  maistre 
Pierre  des  Serpens  und  er  stellt  sich  auch,  als  ob  er  sich  der 
Kastrirung  unterziehen  wolle.  Es  braucht  kaum  der  Erwähnung,  daß 
er  dem  Chirurgen  eingeschärft  hatte,  nur  zum  Scherz  so  tun,  doch 
der  Ehemann  seinerseits  avoit  donnS  le  mot  du  guet  de  faire  ä 
bon  isclent'  und  so  teilt  er  das  Loos  des  Unglücklichen  in  den 
Cent  Nouvelles  Nouvelles.  Die  Geschichte  der  Apologie  wurde  von 
dem   Verfasser  von   No.  CXIII  der  Joyeux  Devis  abgeschrieben  ^O) 

Betreffs  einer  Erzählung,  die  zur  selben  Gruppe  gehört,  cfir. 
No.  XXV  der  Novellen  von  Franco  Sacchetti  (v.  Di  Francia  op.  ict. 
p.  150).  Dergleichen  Züchtigungen  bilden  das  Motiv  zahlreicher  in- 
und  ausländischer  Novellen,  so  für  die  dritte  fav.  der  VIII.  Nacht 
von  Straparola,  für  eine  Novelle  von  Morlini  etc.  Cfr.  Köhler, 
Kleinere  Schriften  ed.  Bolte,  vol.  II  p.  469  und  die  Anmerkungen 
bei  Bedier  (Fabliaux,  2.  ed.  p.  468). 


-°)  In  der  XIII  der  Cent  Nouvelles  Nouvelles  stellt  sich  Einer  als  ob  er 
kastriert  sei,  um  die  Wachsamkeit  des  Gatten  der  geliebten  Frau  einzu- 
schläfern. 


L'Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne.  219 

Die  Äbtissin,  die  eines  Priesters  Hose  auf  dem  Kopfe  trägt. 

{Apol.  cap.  XXI)  „  .  .  .  Boccace  escrii  aussi  dCune  abbaisse 
au  pays  de  Lombardie,  qui  se  levant  ä  la  haste  d'avprh  un 
prestre  avcc  iequel  eile  estoit  couchee,  j)oiir  aller  surprendre  une 
de  ses  nonnains  qui  estoit  couchee  avec  son  ami,  pensant  mettre 
siir  sa  teste  certains  volles,  quen  quelques  lieux  on  appelle  le 
psautier,  y  mit  les  braycs  de  son  prestre:  dequoy  la povre  noyinain 
sapperceiit  a  Vinstant  mesme  quelle  devoit  recevoir  condamnation, 
et  Iny  ayant  dict  (poxir  ce  que  les  lassets  desdictes  brayes  pendoyent 
des  dexux  cosiez)  Madame  je  vous  prie  que  vovz  attachiez  vostre 
coeffe,  et  puis  je  suis  contente  que  me  disiez  tout  ce  quHl  vous 
plaira,  la  fit  appercevoir  de  ce  qu'elle  avoit  mis  sur  sa  teste  par 
inesgarde,  et  par  consequent  la  fit  changer  de  language." 

Das  Thema  ist  schon  im  Mittelalter  weit  verbreitet.  Cfr.  das 
fqbleau  von  der  Nonnete.  (Bedier,  op.  cit.  2.  ed.  p.  421),  meine 
Etudes  sur  le  theätre  comique  franfais  du  moyen  äge  ecc.  (Estr. 
dagli  Siudi  di  filol.  vom.  vol.  IX  fasc.  2.  p.  J14  sqq)  wo  ich  die 
Farce  Soexir  Fesne  prüfe,  die  aus  PantagruelWl  19  V  zu  stammen 
scheint,  die  Piacevoli  notti  dello  Straparola  (Rua,  Roma  1898  p.  48), 
die  Novelle  XL  (ed.  cit.  p.  82)  von  Morlini:  De  abbatissa  quae 
monialis  corripiens  supra  caput  bracas  tenebat,'-'  und  Due  antichi 
repertori  poetici  ed.  von  Casini  (Propugnatore,  1889,  P.  I  p.  205) 
wo  einige  Nonnen  von  recht  freier  Sitte  zur  Kirche  hinabsteigen,  um 
die  Frühmette  zu  singen: 

„  Ciascuna  crede  esser  velata 
La  capo  di  benda  usata: 
Aviejio  in  capo  brache  ..." 

Unzweifelhaft  bildet  Decameron  IX  2  die  Quelle  für  unsern 
Autor  und  handelt  es  sich  auch  nicht  um  eine  vage  Nachahmung, 
wenn  Boccaccio  mit  der  Fassung  der  Apologie:  Levasi  wia  Badessa 
in  fretta,  et  al  bujo,  per  trovar  una  sua  Monaca,  a  lei  accusata, 
col  suo  amante  nel  letto  ;  et  essendo  con  lei  un  Prete,  credendosi 
il  saltero  de  veli  aver  posto  in  capo,  le  brache  del  Prete  vi  si 
pose  :  le  quali  vedendo  Vaccusata,  e  faitalane  accorgere,  fu  diliberata, 
et  ebbe  agio  di  starsi  col  suo  amante.''  Der  Schauplatz  wird  von 
Boccaccio  nach  der  Lombardei  verlegt. 

Des  üblichen  vorgeschriebenen  Kopfputzes  wird  wie  bei  Estienne 
Erwähnung  getan:  ^e  credendosi  tor  certi  veli  piegati,  li  quali  in 
capo  portano,  e  chiamangli  il  saltero,  le  cenner  tolte  le  brache 
del  Prete,'*  auch  die  Antwort  der  Nonne  lautet  übereinstimmend: 
Madonna,  se  Iddio  vajuti,  annodatevi  la  cuffia,  e  poscia  mi  dite 
cid  che  voi  volete.'"'  Dieses  Abenteuer  finde  ich  auch  im  Renard 
contrefait  und  später  als  die  Apologie  in  No.  XVIII  der  Contes  et 
discours  d'Eutrapel  von  Nocl  du  Fail. 


220  P.   Toldo. 

Wie  ein  gcistliclicr  Herr,  ohne  seinen  Willen, 
den  Kupier  spielt, 

(Apol.  cap.  XY).  „  Voici  donc  an  siratageme  .  .  .  autant  brave 
quon  pourroit  songer;  duquel  une  femme  d' Orleans,  qnon  pense 
cstre  encore  avjourd'huy  en  vie,  usa  2'>our  parvenir  ä  son  Intention, 
qui  estoit  d'attirer  ä  sa  cordeile  un  jeune  escholicr  duquel  eile 
esioit  amonreuse.'' 

Der  Autor  irrt  sieb,  wenn  er  annimmt,  daß  die  \Yackere  Frau 
noch  am  Leben  sein  könne,  denn  sonst  müßte  man  die  Dauer  ihres 
Lebens  auf  Jahrhunderte  ausdehnen.  Sie  ist  schon  die  Heldin  der 
dritten  Novelle  des  dritten  Tages  von  Decameron  „sotio  spezie  di 
confessione,  e  di  purissima  consciemia,  una  donna  innamorata 
d\in  giovane,  induce  ?/n  solenne  frate,  senza  avvedersene  egli,  a 
dar  modo  che  '/  piacer  di  lei  avesse  intero  effeito.''  Ein  Mönch  von 
solcher  Harmlosigkeit  inmitten  sovieler,  die  mit  ganz  düsteren  Farben 
gemalt  sind,  gleicht  wirklich  einer  weißen  Fliege.  Und  die  Frau  von 
Orleans  treibt  ihr  Wesen  immer  unter  anderen  Namen  weiter,  in  den 
Lustspielen  Molieres,  George  Dandin  und  VEcole  des  maris,  sowie 
auch  in  der  Femme  industrieuse  von  Dorimond  (1661)  ecc. 

Unser  Autor  hatte  jedenfalls  den  Bericht  Boccaccios  im  Sinn, 
jedoch  streicht  und  modifiziert  er  Einzelnes  zum  Zwecke  der  Abkürzung. 

Die  Novelle  unsers  Autors  kann  man  im  großen  Ganzen  in  den 
Joyeux  Devis  nachlesen,  die  von  Des  Pcriers  herrühren  sollen  (No. 
CXIV).     Augenseinlich  handelt  es  sich  um  eine  Kopie. 

(Jaunereieu  und  Spitzbubenstreiche  nianclierlei  Art. 

Unechte  Reliquien. 

(Apol.  cap.  XXXIX).  Unser  Autor  bietet  zwei  verschiedene 
Fassungen  mit  Quellenangabe.  „(Diese  Geschichte)  je  Vay  ouy  raconter 
autrement  que  Bocace  ne  le  raconte  ...  Un  porteur  de  rogatons 
<pii  avoit  engage  ses  reliqnes  en  la  taverne,  (er  wettet,  daß  er  die 
Gastwirtin  dazu  bringen  wird,  ein  Stück  Kohle,  das  er  vom  Herd 
nimmt,  wie  ein  Heiligtum  andächtig  zu  küssen  und  zeigt  wirklich  in 
der  Kirche)  Icdict  charbon,  disant  :  Voyez-vous  bien  ce  cliarbon'? 
C'est  un  des  charbons  sur  lesquels  le  glorieux  sainct  Laurent  fut 
rosti :  mais  il  y  a  bien  un  point,  c'est  que  ioutes  lesßlles  qui  ont 
perdu  leur  pucelage,  et  toutes  les  femmes,  qui  ont  rompu  la  foy 
ä  lenrs  maris,  n'en  doivent  pas  approcher  :  autrement  elles  seroient 
en  grand  danger.''  Natürlich  beeilen  sich  alle  Frauen,  Mädchen 
und  Gattinnen,  "unter  letzteren  die  Gastwirtin,  die  angebliche  Reliquie 
zu  küssen.  Unser  Autor  weist  darauf  hin,  das  der  Franziskanerraönch 
Menot  hiervon  Erwähnung  tut:  „  Voici  ses  pciroles  au  fueillet  41 
col.  4  :  Die  de  Ulis  qui  reliquias  suas  in  taberna  perdiderunt,  et 
stipitem  inventum  in  sudario,    loco  reliquiarum  suarum,   dixerunt 


Li' Apologie  jwur  Herodote  von  Henri  Esiienne.  221 

esse  quo  heaius  Laurentius  combustus  fuit,'^  Hierauf  berichtet 
unser  Autor  die  Geschichte  aus  dem  Decaimron  (G.  VI  nov.  X)  „Je 
mettray  maintenant  l'histoire  comme  Boccace  la  recite,  mais  usant 
de  plus  grande  hrievesU,  sans  ioutes  fois  omettre  ce  qui  sert  ä 
faire  entendj-e  le  sfijle  de  impelardisme  que  tenoijent  ces  freres 
frappars. " 

Unser  Autor  hat  wenig  Änderungen  vorgenommen.  Der  Name 
des  Pater  Cipolla  ist  wörthch  übersetzt  (Oignon),  desgleichen  ist  der 
Name  des  Ortes  beibehalten,  wo  sich  die  Begebenheit  zuträgt.  (Certaldo) 
An  einigen  Stellen  liürzt  er  ab,  an  anderen  übersetzt  er  wörtlich. 

Die  Predigt  des  Pater  Oignon  (Cipolla). 

„Messiews  et  meschimes,  vous  avez  „Sifjitori,  e  dornte,  come  roi  sapelc, 

accostume  totts  les  ans  (de  vosire  yrace)  rostra  iisanza  e  di  mandare  o(jnanno  u 

d'envoi/er  avx  porres  du  haroii  monsieur  poreri    del  Bron   messer    sanio   Antonio 

sainct   Antoitie,   de    vos   hlcz  et  acoines,  del   vosiro   grano,    e   delle    rosfre  hiade, 

les   uns  plus,   les   autres   moins,    chacun  chi  poco,  e  chi  assai,  secondo  il  podere, 

sehn   son  pouvo'r   et   sehn   sa  derotion,  e    lu   dicozhn    sna,    accib    che   il  Beato 

ä  ßn   que  le  benoist  sainct  Antoine  soit  Santo  Antonio   vi  sia  (juardia  de    huoi, 

garde    de    cos   boeufs,    asnes,   pourceaux  e   degli  asini,  e  de'  porci  e  delle  pecore 

et  brebis  '.  et  outre  ce,  vous  acez  accous-  vostre;   et   oltre   a   ciu    volete  pagare,    e 

tum^  de  payer,   (et  ceux  notamment  ipti  speziulemente     ijuegli,     die    alla    nostia 

sont   escrits  en  nostre  ronjrairie)  ce  jieu  compagnia  scrilti  sono,  quel  poco  dehito, 

de  devoir  quon  pai/e  une  seule  fois  Tan."  che  ogn'atino  si  jntga  una  rolla," 

Der  Schluß  ist  etwas  abgekürzt  und  stimmt  auch  darin  über- 
ein, daß  die  Kohlen  (die  nachher  für  diejenigen  zu  gelten  haben,  auf 
denen  der  lieilige  Laurentius  geröstet  wurde)  an  die  Stelle  der  Flügel 
des  Engels  Gabriel  treten.  Den  Abschnitt,  in  dem  Boccaccio  die 
Wunderwerke  aufzählt,  die  der  Patriarch  von  Jerusalem  dem  Pafer 
Cipolla  vorzeigt,  übersetzt  unser  Autor  folgendermaßen: 

„(Der  Patriarch)    outre  plusieurs  „(Der  Patriarch)  mi  tnostrb  il  dto 

aal/es    reliques   monstra  vn  peu  du  doit  delto  Spirito  Santo    cosi   intero   e  saldo, 

du  S.  Bsprit   aussi  sain   et  aussi  entitr  comefumaielilciuffettodelSeraJino, 

qu'il   avoit  Jamals  este'  et  le  juuseati  du  che   apparve   a    San   Francesco,    et   una 

Seraphin  qui  apparut  a  S   Fran^ois,  et  delle  iinghie  de'   Cherubini,  et  una  delle 

une   des   ongles    du   Cherubin,   et    une  coste     del     Verbum     caro    fatti    alle 

des   cosfes    du     Verbum   caro,   et  des  finestre,    e  de'  vestimenti  della   Santa 

hubdlemens  de  la  saincte  Foij  catholique,  Fe  cattoUca,  et  alquanti  de'  raggi  della 

et  quelques  rayons  del' estoile  qui  apparut  Stella,     che     apparve    a'     tre     Mugi    in 

aux    trois    ruis    en   Orient,  et  une  pliiole  Oriente,      et      una     ampolla    del     sudore 

de  la  sueur  de  Sainct  Michel,   qitand  il  di    san    Michelc,    tpiai  do    combatte'    col 

combattit  le  diable  ..."  diarolo   ..." 

Auch  die  Aufzählung  der  Reliquien,  die  besagter  Patriarch 
dem  frommen  Bruder  schenkt,  ist  die  gleiche:  uno  de''  denti  della 
Santa  Croce  et  in  una  ampolletta  alquanto  del  suono  delle  campane 
del  temjno  di  Salomonen'  Der  Schluß  aber  stimmt  nicht  ganz 
überein  da  unser  Autor  den  Scherz  des  Pater  Cipolla  unerwähnt 
läßt,   der   mit   der    dan    ie  Stelle   dos   Flügels   getretenen    Kolilc   die 


222  P.  Tohlo. 

Jacken  und  Schleier  der  Andächtigen  mit  dem  Zeichen  des  Kreuzes 
versieht,  wie  wenn  er  die  allzu  gutmütigen  Certadesi  „volesse  crociare". 
Cfr.  über  den  Ursprung  dieser  Novelle:  Landau,  Die  Quellen 
des  Decameron^  2.  Aufl.  S.  92.  In  den  ^.Porrettane"  von  Sabadino 
degli  Aienti  „il  prete  de'  Russi  se  fa  un  capo  d'oca  in  loco  di 
Santa  reliquia  haciare  a  certe  cittadine'"'' .  Im  Novellino  von  Masuccio 
(p.  I  nov.  11.)  zeigt  ein  Mönch  den  Griff  des  Messers,  womit  St.  Petrus 
getötet  wurde;  in  den  Comptes  du  monde  adveniureux  (N.  XXXV) 
verkauft  ein  Pfaffe  „du  foin  de  la  creche  oü  nostre  Saiweur  .  .  . 
coucha  le  jour  de  sa  saincte  nativiU'*  und  ein  anderer  Mönch  zeigt 
öffentlich  „/a  gaine  du  coxisieau  de  S.  Pierre  et  la  courroye  de  ses 
soidiers"^.  Andere  Vergleiche  betreffend  s.  meine  Etudes  stir  le 
theätre  comique  frangais  du  moyen  äge  {l.  c.  p.  117),  le  farse 
cavaiole  (Franc.  Torraca  in  Studj.  di  storia  leiteraria  Napol. 
Livorno  1884,  p.  113  und  Benedetto  Croce,  1  teatri  di  JVapoH, 
1891,  p.  42).  Auch  Voltaire  treibt  in  der  Pucelle  seinen  Scherz 
mit  diesem  Thema. 


Die  List  von  dei  brennenden  Leinwand. 

(ApoL  cap.  XXXIX.)  Ein  Beitelmönch  sucht  einer  Frau  ein- 
zureden, daß  ihre  Säue  zu  Grunde  gehen  müßten,  wenn  sie  dem 
Kloster  nicht  die  schöne  Leinwand  zum  Geschenk  mache,  auf  die 
er  ein  Auge  geworfen  hat.  Die  Frau  willigt  ein,  aber  ihr  Mann, 
der  hinzukommt,  erhebt  Einwand,  und  der  Pater  schiebt  eine  glühende 
Kohle  zwischen  die  Leinwand,  die,  sobald  der  Ehemann  sie  an  sich 
reißt,  in  seinen  Händen  zu  brennen  anfängt.  Alles  schreit  über  das 
Wunder,  und  der  Ehemann  in  bußfertiger  Zerknirschtheit,  vergütet 
dem  Blönch  den  Schaden. 

Es  handelt  sich  um  stellenweise  wörtliche  Wiedergabe  von 
No.  XXII  der  Comptes  du  monde  adveniureux. 

(Apol.)  Alors  (der  Pater)  se  toumant  (Compfe)  . .  .  (Der  Mönch  wendet 

vevs    son    valet    „C'est    grand    dommage  sich  ab)  disant  ä  son  varhf.  .  .  .  C'est 

(dict'il)    que    cts   deux    belies   bestes   (die  dommage    quil  faut  que   ces    deux    heiles 

Säue)  metirent  si  soudainement,  bestes     meurent    si    soudainement.       Cette 

Ceste    femme    dresse    Voreille    ii    ce  /emme,  oyant  parier  de  son  dommage^  dresse 

propos,    et  s'enqueste  plus  avant  du  beau  Voreille   et  prie   le  fratre  de  lui  declarer 

pere.    Lequel  luy  fait  reponse:   „M'amie,  ce  qu'il pensoit  de  ses  pourceaux.    „Mamye 

je    ne    vous   piiis   dire   autre    chose  s'tnon  je   ditz   que   cest  grand  perte  de  les  voir 

que  ces  deux  pourceaux  me  fönt  grand  pitie,  ainsi  mourir:   et  si  il  ny  a  komme  vlvant 

qui  s'en   vont  mourir  soudainement:    et  si  qui  le  puisse  cognoistre,    s^il  na  la  grace 

il    n'y    a    komme    rivant    qui    s'en    peust  du    benoist    sainct    Anthoine,      Mais    il   y 

apperceroir   s'il  n'ha  la  grace  du  benoist  auroit   reniede   si  favois  deux  des  glandz 

S.  Antoine.    Mais  il  y  auroit  bien  remide  que   le   secretain   de  nostre  Eglise  beneis  t 

si  favois  deux  des  glans  que  le  secretain  tous  les  ans  .  .  . 
de  notre  eglise  benit  tous  les  ans  .  . 

Der  Compte  ist  der  18.  Novelle  des  Novellino  von  Masuccio 
Salernitano    entnommen.       Cfr.     wegen    anderer     Vergleiche    meinen 


IJ Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne.  223 

Contributo   p,  118  sqq   und  Köhler,   Kleinere  Schriften,   ed.  Bolte, 
II  p.   619.    sowie  Rua  per  Sercambi   in  Zeitschrift  für   Volkskunde 
1890,  II  7  fasc.  p.  255). 

Man  beachte,  daß  unser  Autor  statt  des  Compte  die  DSclaration 
de  la  regle  et  estat  des  Cordeliers  von  Menard  zitiert. 

Vorgebliche  G ei sterer scheinungen. 
I. 

(^Apol.  cap.  XV.)  Unser  Autor  entnimmt  sie  teilweise  Erasraus 
(XXII  der  Episteln,  Ausgabe  von  London  1187).  Ein  Geistlicher 
vermummt  sich  als  Gespenst  und  betritt  so  bei  Nacht  das  Zimmer 
einer  reichen  Nichte  „sperans  fore  iit  mulier  accerseret  exorcistam 
aut  ipsa  loqueretur  (Erasnius) " ;  ^or  il  faisoit  cela,  esperant  que 
ceste  parente  envoyerait  querir  quelque  exorciste,  ou  hien  qxCelle 
lui  en  parleroit.  (Apol.)  Aber  die  Frau  wendet  sich  lieber  an  einen 
Verwandten  dessen  Hirn  ebenso  fest  ist  wie  seine  Glieder:  verum 
illa  nimis  masculo  animo,  dam  rogavit  cognatxim  qtiendam,  iit 
unam  noctem  secut  esset  rectus  in  cubicido  .  .  .  Juste  armatus", 
„la  femme  qui  nestoit  pas  des  plus  f olles,  fit  venir  un  autre  sien 
parent  coucher  en  sa  chamhre  (der)  tint  pres  de  soy  un  bon  baston", 
und  dem  Pfaffen  wird  alsbald  gebührend  heimgezahlt. 

IL 

(Apol.  cap.  XV,)  Dieses  Stück  ist  dem  Franciscanus  von 
Georgius  Buchanan)  Georgii  Buchanani,  Scoti  poetarum  sui  secidi 
facile  Principis  opera  omnia  ed.  t.  la,  Edinburg,  1715,  p.  16  sqq 
entnommen,  dessen  Anfang  folgendermaßen  lautet: 

„Campus  erat  late,  incultus,  non  ßoribus  horti 
Arrident,  non  messe  agri,  non  frondibus  arbos  ..." 

Inmitten  dieser  jammervollen  Zustände  will  einer  als  Gespenst 
Eindruck  auf  das  Volk  machen,  muß  aber  seinen  listigen  Einfall 
teuer  bezahlen. 

in. 

(Apol.  cap.  XV).  Unser  Autor  erklärt,  daß  er  die  Novellen- 
sammlung Margarethcs  benutze:  Elle  fait  aussi  un  conte  d\ine  cham- 
brihre,  laquelle  pour  jouir  mieux  d'un  sien  ami,  serviteur  en  une 
mesme  maison  (qui  est  par  eile  nommie)  avoit  trouvS  moyen  de 
chasser  d'icelle  la  damoiselle  sa  maistresse  (en  Vabsence  du  mari) 
en  luy  faisant  peur  d^une  sorte  d'esprit  qu^on  appelle  lutin." 

In  seiner  Darstellung  kürzt  unser  Autor  in  freier  Form  die 
XXXIX.  Novelle  des  Heptameron.  „Le  seigneur  de  Grignaux  dd- 
livra  sa  maison  d'un  Esprit,  qid  avoit  tant  tourmente  sa  femme 
quelle  s'en  estoit  absentee  de  deux  ans.'' 


224  P.   Toldo. 

Cfr.  für  andere  Fassungen  des  Themas  meinen  Cotüributo,  p, 
78  und  93,  sowie  die  Annierkiuigcn  der  Herausgeber  des  Heptameron, 
wo  der  27stc  Brief  des  siebenten  Buches  von  Plinius  dem  Jüngern 
sowie  der  52ste  Dialog  von  Lucian  citiert  wird. 

Aber  unser  Autor  erwähnt  auch  noch  eine  andere  Geschichte, 
die  er  von  seiner  Mutter  gehört  hat.  Im  großen  Ganzen  stimmt  sie 
mit  der  vorhergehenden  überein:  y^Lequel  conte  me  reduit  en  me- 
moire un  autre  semblable  qiie  j'ay  oui/  souvent  faire  ä  feu  ma 
mere,  d'une  chamhriere  de  son  i:tere  Joce  Badius,  laquelie  pare- 
Hlement  pour  se  faire  quitter  la  place  oii  eile  avoit  accoustiane  de 
se  venir  jouer  avec  un  de  ses  serviteurs  de  la  mesme  maison,  s'a- 
visa  de  contrefaire  Vesprit,  et  ne  fut  descouverte  la  tromperie  que 
par  ledict  Badius,  son  maistre,  komme  d?  bon  esprit  et  de  grans 
lettre s.  .  . 

IV. 

(Apol.  cap.  XXXVIII.J  ,,I)e  quoy  noiis  avons  eu  un  fort 
notable  exemple  en  Vesprit  d'' Orleans',  c'est  ä  dire,  en  un  cordelier 
novice  nomme  Haicconrt  qui  estant  cache  sur  la  voute  du  temple 
contrejß'aisoit  Vesprit  de  la  femme  du  prevost.  JEt  pourqxioif  pour- 
ce  que  ce  prevost  n'avoit  donne  que  six  escus  aux  Cordeliers  du- 
dict  Heu  pour  enterrer  sa  femme.  .  . 

Schon  Erasraus  hatte  in  der  XXII.  Epistel  (Londoner  Ausgabe 
1G42,  p.  1120)  von  einem  älinlichen  Betrug  berichtet:  Alibi  visiun 
est  spectrum,  quod  a  presbytero  ßagiiaret  absohiiionem,  quis  citra 
confessionem  decesserat,  non  quod  deesset  voluntas^  sed  quod  negata 
fuisset  sacerdotis  copia.''  Die  Quelle  für  unseren  Autor  bildet  je- 
doch die  fünfte  Novelle  der  Grand  Parangon  des  nouvelles  nouvelles: 
„Des  cordeliers  d' Orleans  qui  faisoient  semblant  que  Vesjyrit  de 
madame  la  p)revoste  revenoit  et  commcnt  ils  furent  jnmis."' 

Wandernde  Lichter,  die  angeblich  die  Seelen  der 
Verstorbenen  vorstellen  sollen. 

{Apol.  cap.  XV).  Als  Quelle  wird  Erasmus  bezeiclmet,  (XXII. 
der  Episteln  Londoner  Ausgabe,  1642,  p.  1187)  den  unser  Autor 
nur  mit  fast  unmerklichen  Abänderungen  übersetzt: 

(Apol )Erasmedit  que  c  est  ce  mesme  (Erasmes).     Alibi  parüchits  quidam 

cur£    ijuun  jour    de    Penlecoste   attacha  sub  diem  Parascevus  dam  immisit  in  coe- 

des  petites  cJiandelles  de  cire  allumees  a  miterium  vicos  cancros,  aff'i.cis  ad  latus 

des  escrevisses,  et  les  laissa  aller  par  le  ccreolis    ardentibus,    qui    quum   reperent 

cemetiere.     C'estoit  wie    chose  espoitvan-  inter  scpulcha,  visum  est  noctu  terribüe 

table   de   voir  la  nuict   ces   bestes   ainsi  spectacuhim  nee  quisquam  ausus  est  acce- 

ramper   autour   des  sepulcltres,  tellement  dere  propius.     Hinc  rumor  atrox,    Con- 

que  personne   u'osoit   s'en   approcJier.  11  sternatis   omnibus,   parocltus   e   sugyesto 

en  fut  incontinent  grand  hruif.    et  coiiime  docet popuhtm,easessedefunelorumanimas 


L' Apologie  poiir  lUrodote  von  Henri  Estienne.         225 

chacun  s'en  estonnoit,  le  eure  dit  en  ckaire       qiiae   missis  et  eleemosynis  flagita'ciU  a 
que    cestoyent   les   ames   des   trespassez       cruciatu  liberari.    Fucus  ita  prodilus  est 
qui    demandoyent    d'estre    delivrees   j}ar       reperti  sunt  tandcm  itnus  et  alter  cancer.  .  . 
messes  et  attmosnes,  des  peines   ou   elles 
estoyent.     Ceste    tromperie  fitt  incontinent 
descouverte,    car    on    trotira    parmi   les 
pierres    deux    escrerisses     que    Je    eure 
naroit    point    cueilUes,    et    qui    aroyent 
eneore   les   ehandeUes   attachees. 

Jeder  wird  sich  der  von  Sacchetti  berichteten  Geschichte  er- 
innern (N,  191a),  wie  „Bonamico  dipintore,  essendo  chiamato  da 
dormire  a  vegliare  da  Tafo  suo  maesiro,  ordina  di  metter e  per 
la  camera  scarafaggi  con  lumi  addosso,  e  Tafo  crede  siano  demoni.'-'- 
Vasari  erhebt  in  seinen  „  Vite  dei  pittori  (pp.  499 — 500)  diese 
Anekdote  zur  wahren  Begebenheit,  und  Marchesi  (Cfr.  Per  la  storia 
della  novella  italiana  nel  sec.  XVII,  Roma,  Loescher,  1897,  p.  92) 
führt  noch  ein  anderes  Beispiel  für  die  gleiclie  Posse  an,  es  steht  in 
der  Arcadia  di  Brenta  (V,  Tag)  „Xa  lieta  comitiva  fa  uno  scherzo 
a  Fabrizio  de  Fahrizi,  vüroducendo  nella  sua  stanza  dei  gamheri, 
con  una  candelina  accesa  sul  dorso."  Marchesi  erwähnt  auch,  was 
Giacomo  Lunibroso  über  diesen  Braucli  der  Roniagna  und  in  den 
Abnizzen  berichtet  (S.  Scarafaggi  e  candeluzze  im  Archivio  von 
Pitre  III  p.  182  —  192)  und  zitiert  ein  Märchen  von  Grimm  sowie 
ein  albaiiesisches  von  ürban  Jarnik.  In  den  ersten  (Ki7ider  und 
Hausmärchen  No.  192)  verstreut  ein  Spitzbube  gleichsfalls  Krebse 
mit  angezündeten  Lichtern  über  die  Gräber  auf  dem  Kirclihofe,  um 
Glauben  an  die  Auferstehung  der  Toten  zu  wecken;  im  zweiten  (Prag, 
1843,  19.  Märchen)  wird  berichtet,  wie  Zigeuner  an  der  Leiche  des 
toten  Juan  eine  Schildkröte  befestigten,  auf  deren  Rücken  ein  Liclit- 
stümpfehen  brennt. 

Cfr.  auch  Letterio  di  Francia,  Franco  Sacchetto  novelliere, 
Pisa,  1902,  p.  230. 

Wie  ein  Pole  die  Rolle  des  Gesandten  spielt. 

(Apol.  cap.  XV.)  „Je  viens  maintenant  au  Poidonnois, 
nomme  Florian  .  .  .  Dieser  läßt  sich  Beglaubigungsschreiben  und 
falsche  Siegel  anfertigen  und  geht  damit  nach  England.  Hier  spielt 
er  sich  als  Gesandter  seines  eigenen  Landes  auf  und  haut  einige 
Tölpel  übers  Ohr. 

Ich  erinnere  daran,  daß  in  den  Contes  et  discours  d'Eutrapel 
(vol.  II  p.  91)  von  Abenteuern  die  Rede  ist,  die  einen  vilain  gueux 
für  einen  reichen  ausländischen  Gesandten  ausgeben  und  mit  ihm  ins 
Wirtshaus  gehen,  und  der  gueux  sagt  immer  nur:  ita,  ita.  Ilautc- 
roche,  ein  Schüler  Molicres,  schrieb  den  Feint  Polonais,  wo  ein 
Liebhaber  sich  für  einen  Polen  ausgibt,  und  sich  auf  diese  Weise 
in  das  Haus  seiner  Geliebten  einführt.    Desgleichen  verfaßte  Raymond 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Lilt.  XXXI  i.  15 


226  P.  foldo. 

Poisson  1G68  ?,^m&  Fcnix  moscovites,  wo  Lubin,  crieiir  de  noir,  die 
Rolle  des  russischen  Gesandten  spielt,  ein  anderer  Gauner  als 
Dolmetscher  figuriert,  und  der  Gastwirt  Gorgibus  sich  beiden  schließlich 
auf  Gnade  und  Ungnade  ausgeUefert  sieht. 

Es  ist  schließlich  ganz  begreiflich,  daß  unser  Autor  auf  eine 
wirkliche  Begebenheit  Bezug  nimmt  und  daß  auch  alle  anderen 
Schriftsteller,  die  über  solch  einen  Gaunerstreich  berichten,  sich  auf 
Tatsachen  berufen. 

Fromme  Legenden;  Aberglaube  und  Unwissenheit. 

Wunderbare  Auferstehung  eines  verspeisten  Tieres. 

(Apol.  cap.  XXXIV.)  ,,ltem  en  la  legende  de  S.  Germain  est 
racontc  qu'une  fois  qiCii  prescJioit  en  Bretagne  .  .  .  un  houvier 
(um  ihm  zu  essen  zu  geben  ein  Kalb  schlachtete).  Mais  apres  soiiper 
S.  Germain  fit  apporter  lous  les  os  dessus  Id  peait,  et  ayantfaict 
son  oraison  dessus,  le  veau  se  leva  sur  ses  pieds  an  mesme  instant. '■'• 
Diese  Geschichte  ist  mythologischen  Ursprungs.  Cfr.  Köhler. 
Kleinere  Schriften,  ed.  Bolte  I  p.  258  sqq.  Das  graue  Schaf. 
Cf.  auch  meine  Studie:  Dali  Alphahetum  narrationinn,  Archiv  für 
das  Studiimi  der  neueren  Spr.  u.  Lit.^   1907. 

Die  verwünschten  Tänzer. 

{Apol.  cap.  XV.)  ,^A  propos  de  quoi  nous  lisons  une  ehose 
fort  ridicule:  cest  que  au  temps  du  pape  Jean  XXI  on  fit  courir 
im  hrnit  au  pays  de  Saxe  que  quelques  %ins  furent  un  an  sans 
cesser  de  danser,  en  vertu  de  la  malediction  qiiun  pi^estre  hur 
avoit  donn^e,  pour  ce  qu'ils  navoxjent  point  faict  dlwnnenr  ä  son 
dien  de  paste  qiiil  j^ortoit". 

Cfr.  auch  meine  Studie:  DaW  Alphahetum  iiarrationum,  im 
Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Spr.  u.  Lit.,   1907. 

Handelt   von   einer  Frau,    die    dem   heiligen  Michael   eine 
Kerze  weiht  und  dem  Teufel  eine  andere. 

{Apol.  cap.  XXXVIII.)  Es  handelt  sich  bloß  um  eine  An- 
deutung: car  comme  la  honne  femme,  apres  avoir  donn^  une 
chandelle  ä  Sainct  Michel  en  donnoit  aussi  une  au  diable  qui 
estoit  avec  luy:  ä  sainct  Michel,  afin  qiiHl  luy  /ist  du  hien,  au 
diable,  afin  quil  ne  luy  fist  point  de  mal  .  .  . 

Cfr,  auch  betreffs  anderer  Angaben  meinen  Cotdributo,  p.  15, 
da,  wo  ich  die  elfte  Novelle  der  Cent  Nouvelles  Nouvelles  bespreche: 
„(Ein  eifersüchtiger  Ehegatte)  offrit  wie  chandelle  au  diable  quon 
paint  communement  dessoubz  saint  Michel.'-''  Diese  Erzählung 
der  Cent  Nouvelles  Nouvelles  hat  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit 
dem  Bericht  unsers  Autors,  ohne  ihm  durchaus  zu  ähneln.  Es  handelt 
sicli  ja   nur   um   eine  bloße  Variante   des  bekannten  Abenteuers  von 


L' Apologie  poiir  Herodote  von  Henri  Estienne.         227 

Hans  Carnel,  das  Poggio  erzählt  sowie  Rabelais,  und  das  von  Aricst 
und  la  Fontaine  in  Versen  besungen  wurde  etc. 

Volkstümlich,  mehreren  Religionen  gemeinsam  und  uralt  ist 
der  Brauch  sich  schlimme  Gottheiten  mit  gleichen  Mitteln  geneigt 
zu  stimmen  wie  die  gütigen. 

Handelt  von  einer  Frau,  die  begehrt  von  ihrem  Ehemann 
geprügelt  zu  werden. 

Estienne  erwähnt  diese  Geschichte  in  seinem  Discours  pre- 
liminaire,  und  Le  Duchat  bemerkt  dazu,  daß  eine  Erzählung  dieses 
Inhalts  sich  schon  bei  Herbenstein,  rernm  moscovitarum  commen- 
tariis  (Ausgabe  von  Antwerpen,  1557)  findet.  Eine  Frau  in  Moskau 
beklagte  sich  bei  ihrem  Gatten,  weil  dieser  sie  nicht  prügelte,  da  es 
ihr  so  schien,  daß  ohne  Schläge  keine  Liebe  vorhanden  sei.  Der 
wackere  Mann  stellt  sie  zufrieden  und  prügelt  sie  so  hart,  daß  die 
Frau  infolge  der  Schläge  stirbt.  Herberstein  berichtet  dieses  Vor- 
kommnis von  einem  italienischen  Ehepaare.  Domenichi  dagegen 
(a.  a.  0.  p.  294  —  295)  verlegt  den  Schauplatz  nach  Moskau  und 
fügt  hinzu,  der  Ehegatte  sei  ein  deutscher  Schmied.  Unser  Autor 
bietet  keine  Angabe  über  den  Stand  des  Prügelhelden  und  hält  sich 
an  keine  der  angeführten  Versionen. 

Man  beachte  den  verschieden  ausklingenden  Schluß: 

„(Apol.)  mais  en  la  ßn  un  jour  vint  „{Domenichi.)      Laqual     cosa     ("das 

qu'il  la  caressa  de  covps  si  extraordinai-  Prügeln)  egli  usd  piii  volle,    e  ßnalminte 

rement  qii'au  hattre  il  liiyßt  faillir  Vamoitr  le  taßio  il  collo^  e  le  (/ambe." 
arec  la  vie". 

Auch  Casalicchio  berichtet  dieselbe  Anekdote,  (cfr.  Marchesi, 
op.  cit.  p.  181.) 

Sonderbare  Einfalt  eines  Menschen,  der  Priester  werden  will. 

(Apol.  cap.  XXIX.)  „On  conte  aussi  d'un  auire  qui  estoit 
venu  pareillement  pour  estre  faict  prestre,  lequel  on  interrogua^ 
pour  esprouver  son  hon  entendement.,  qui  estoit  le  pere  des  quatre 
fils  Aimond.  A  quoy  nayant  sceu  respondre,  il  fut  renvoye. 
Esiant  retourm  et  ayant  raconte  Voccasion  pour  laquelle  il  avoit 
este  refusS^  son  pere  luy  remonstrat  comment  il  estoit  bien  beste 
de  riavoir  sceu  respondre  qui  estoit  le  pere  des  quatre ßls  Aymond. 
Voilä  (dit-il)  grand  Jan  le  mareschal  qui  a  quatre  enfans:  si 
on  demandoit  qui  est  leur  pere,  dirois-tu  pas  que  grand  Jan  le 
mareschal'^  Oui,  dit-il:  fenten  bien  maintenant.  La  dessus  s'en 
retourne  pour  estre  receu,  comme  ayant  bien  mieux  appris  sa  lefoti 
depuis.  Estant  donc  interrogue  pour  la  seconde  fois  qui  estoit 
le  pere  des  quatre  fils  Aimond,  respondit  que  cestoit  grand 
Jean  le  marhchal. 

15* 


228  '  P.  Toldo.' 

^  ■  ' '  Dieselbe  Erzählung  steht  in  der  Elite  des  conies  du  sieur 
d'OuviUe  (a.  a.  0.  p.  282 — 283).  Die  einzigen  Abweichungen  bestehen 
darin,  daß  hier  von  einem  G^nllaumc  le  mareclial  statt  Jecm  die 
Rede  ist,  und  in  der  Fassung  des  Schlusses:  „L'heque  croyant 
quHl  le  dit  par  galanterie,  et  quil  le  spavoit  trks-Oien,  loua  cette 
siihtiliiS,  et  le  regut.^'' 

Unwissenheit  eines  Geistlichen. 

(Apol.  XXIX.)  Am  unwissendsten  sind  die  Geistlichen,  gleich- 
viel ob  hohen,  oder  niedrigen  Ranges:  ,^tesmoin  celiiy  qui  oyant 
alleguer  des  loix  qu'on  nomma  clementina  et  novella  se  mit 
en  trh  gründe  coüre  de  ce  qu'on  luy  amenoit  le  tesmoignage 
de  paillardes'-^ . 

Der  Schwank  No.  197  von  Poggio  ist  hier  in  aller  Kürze 
wiedergegeben.  Doch  wolle  man  beachten,  daß  der  Held  von 
Bracciolini  kein  Geistlicher  sondern  ein  Advokat  ist,  folglich  ist  die 
Unkenntnis  der  Gesetze  für  ihn  noch  schwerwiegender;  andrerseits 
geht  aus  dieser  Verschiebung  der  Stände  hervor,  in  welcher  sorgsamen 
Weise  sich  Estienne  die  Dokumente  für  seine  historischen  Dar- 
legungen verschaffte. 

Sankt  Johannes  wird  der  Verleumdung  beschuldigt, 

(Apol.  cap.  XIV.)  Die  Quelle  dieser  anmutigen  kleinen  Geschichte 
ist  in  den:  Piacevolezze  del  piovano  Arlotto  zu  suchen,  die  unser 
Autor  in  einem  anderen  Kapitel  erwähnt.  Das  Abhängigkeitsverhältnis 
läßt  sich  nicht  bestreiten.  Die  Nachahmung  fällt  häufig  fast  wörtlich 
aus.  (cfr.  Le  facezie  ecc.  ed.  Bacciui,  Firenze  1884,  p.  100.) 

(Apol.)    „Lequel    maudisson    me  fait  (ArloUo)     ,,Come    in    Firenze  fu   nn 

Souvenir   d'une   histoire  fort  plaisante,   et  calzolaio  non  molto  ricco,  il  quaie  aveva 

venant    hien    ci    propos    ici.       Cest    d^un  una   divoziont   di   dire   ogni  matiina   a 

cousturier  de  Florence,  lequel  ayant  de  huorC  ora    cerle  sue  orazioni  a  tin  altare 

long    temps    adore    avec  gründe    devotion  che  era  nella  chiesa  di  Sun  Michele  Bertekli 

une  imaye  de  S.  Jean  Baptiste,  qui  estoit  a  un  San   Giovanni  Baüista  ..." 
au  temple  de  Santo  Michaele  Berteldi ..." 

Dieser  r-cousturier"  statt  ,,cordonmer"^  verrät  die  Eile  und 
zugleich  die  Zerstreutheit  des  Nachahmers.  Der  Florentiner  glaubt 
sich  schließlich  nach  soviel  beten  berechtigt  den  Heiligen  in  seiner 
Not  anzurufen: 

„Je   te  prie   de   m'otiroyer   ces  deux  „Jo    ti  prego   che   tu   mi  faccia  due 

requesies.    La  premiere  est  que  je  vondrois  grazie;   la  prima  vorrei  sapere  se  la  mia 

aqavoir  si  ma  femmt  me  fit  jamais  faule;  donna   mai  mi  fece  fallo,    e  Vallra  quello 

la    seconde,    qu'il    doit    advenir   d'un  Jils  che  dehV  essere  d'un  mioßgliuoh  che  ho" . 
que  fay.'' 

Ein  boshafter  Kleriker,  der  sich  über  den  guten  Gläubigen 
lustig  machen  will,  verbirgt  sich  hinter  dem  Bilde  des  Heiligen  und 
antwortet  statt  se'ner,  jedoch  auf  eine  Weise,  die  wenig  Zufriedenheit 


L'Apologie  pour  H^rodote  von  Henri  Esiienne.  229 

mit  der  Tugend  der  Ehegattin  und  der  Zukunft  des  Sohnes  hervorrufen 
kann.  Aber  der  Schubmacher  läßt  sicli  nicht  so  leicht  einschüchtern 
und  nachdem  er  gefragt,  welcher  St.  Jobannes  es  sei,  und  zur  Antwort 
erhält  „der  Täufer",  versetzt  er  mit  großer  Lebhaftigkeit:  „Ich  wundere 
mich  gar  nicht  über  die  Antwort,  da  du  ja  immer  eine  böse  Zunge 
hattest  und  dir  auch  Herodes  aus  diesem  Grunde  den  Kopf  ab- 
hauen ließ."  , ,;. 

Unser  Autor  versichert,  daß  dieser  Bericht:  „a  pour  son 
auteur  (au  Heu  dont  je  Vay  prise)  le  seigneur  Piero  di  Cosmo 
de''  Medicv'  und  der  ,qnovano  Arlotto^'  zitiert  auch  tatsächlich  die 
genannte  hohe  Persönlichkeit  als  Erzähler.  An  einer  Stelle  übersetzt 
Estienne  nicht  bloß  den  Text  von  Arlotto,  sondern  führt  sogar  direkt 
ein  italienisches  Zitat  an. 

m 

Wie  das  Bild  des  Jesuskindleins  vergeblich 
im  Gebet  augefleht  wurde. 

(Apol.  cap.  XXXIX.)  Die  Quelle  ist  in  den  bereits  zitierten 
Facezie  del  piovano  Arlotio  (a.  a.  0.  pp.  99  — 101)  zu  suchen, 
jedoch  mit  dem  Unterschiede,  daß  der  farsettaio  des  italienischen 
Textes  hier  zum  chaircutier  wird,  vielleicht  weil  unser  Autor  durch 
die  Analogie  des  Ausdruckes  mit  dem  Zeitwort  farcir  (vollstopfen, 
das  Füllsel  in  die  „salumi^''  stecken)  irregeführt  wurde.  Der  Sohn 
dieses  Mannes  wird  krank,  und  der  Ärmste  empfiehlt  sich  der  Gnade 
eines  Bildnisses  des  Jesuskindleins,  vor  dem  er  seit  vielen  Jahren 
seine  Andacht  verrichtete.  Unglücklicherweise  richten  seine  Gebete 
nichts  aus,  und  der  Jüngling  stirbt.  Alsdann  faßt  der  Vater  einen 
Groll  gegen  das  Heiligenbild  und' hält  ihm  folgende  Anrede: 

„(Apol):  Je  te  rennonce,  et  fasseure  yy(Ärlotto):     Jo    ti    dtsgrazio,    ne    ii 

que  tu  ne  mauras  jamais  auprls  de  toi/.  voylio  piü  venire  innanzi',    tu  sai  che  piii 

Je    (ay   servi  ßdelemetU   l'espace  de  plus  di   25   nnni  ti  sono  stato  fedele,    non  ti 

de  vint   ans,    et   en  tout  ce  temps  je  ne  domandai   mai  piii   (jrazia   alcuna  se  non 

t'ay  requis  que  de  ce  seul  plaisir,  et  encorc  questa,    e    non   nie   Vhai   voluta  fare,    nc 

tu   nias   esconduit.     Si  feusse  faict  ceste  concedere;    se  io  avessi  domandato  questa 

requeste  ä  ce  grand  crucefis  qui  est  aupri'S  grazia    a  quel    Crocißsso  grande   che   fc 

de  toi,  je  sqay  hien  quil  me  l'eust  ottroyee.  vicino,    io   sarei  stato  meglio  esaudito  e  ti 

Je  te  promets  bien  que  loute  ma  vie  je  me  prometto  di  mai  piii  m^impacciare  ne  teco, 

gnrderay  d^avoir  ci  faire  ni  avec  toy,   ni  ne   con  fanciulli,    che    chi  sHmpaccia  con 

avec  enfant  aucun,    Et  pour  toute  raison  fanciulli,  con  fanciulli  si  ritrova." 
ajousta  ce  proverbe  italien  :  Chi  s'impaccia 
con  fanciulli,   con  fanciulli  si  ritrova.'* 

Von  dem  Kruzifixe,  das  beinahe  einen  armen  Mann  tötete. 

(Apol.  cap.  XXXIX.)  Estienne  berichtet,  daß  ein  ,,bour<juignon  .  .  . 
pres  d'un  village  nommS  Chaseide,'*  seinem  Beruf  nach  Landmaun 
und  Glockenläuter,  seine  Andacht  hauptsächlich  vor  einem  bestimmten 
Kruzifix  verrichtete,  und  weil  er  sich  viel  in  seiner  Nähe  des  Betens 
halber   aufhielt,   traf  es  sich   einmal,    daß   das  Bild  sich  vom  Nagel 


230  P.  Tokio. 

löste,  und  so  schwer  auf  ihn  herabstürzte,  daß  er  für  tot  verblieb. 
Der  Unglückliche  brauchte  ziemliche  Zeit  zu  seiner  Wiederherstellung, 
und  als  er  einmal  an  der  Stelle  vorüberkam,  wo  anstatt  des  alten, 
beim  Sturz  zerborstenen  Kruzifixes  ein  neues,  mit  lächelnder  Miene, 
aufgehängt  war,  machte  er  einen  großen  Bogen  darum,  indem  er 
ausrief:  ^^Quelqiie  helle  mine  que  tu  nie  faces,  si  ne  nie  fieray-je 
jamais  en  toy.  Car  si  tu  vis  aage  cVhomme,  tu  seras  aussi  nie- 
schant  comme  ton  pere  qui  rria  cuide  tuer.^'- 

Man  wird  mit  der  Annahme  nicht  fehl  gehen,  daß  unser  Autor,  da 
er  schon  andere  piacevolezze  des  ,,piovano  Arlotto"  nachgeahmt 
hatte,  sich  auch  des  Schwankes  erinnerte,  der  auf  S.  222  der  Ausgabe 
von  Baccini  zu  lesen  steht.  Ein  Pater  weiht  einem  bestimmten 
Kruzifix  eine  besondere  Andacht.  Das  Kruzifix  stürzt  auf  ihn  herab, 
ganz  wie  in  dem  bereits  angeführten  Bericht,  und  der  Unglückliche 
ist  dem  Tode  nahe.  Erst  nach  langer  Zeit  erhebt  er  sich  von  seinem 
Krankenlager,  aber  als  die  anderen  Mönche  ihm  den  Rat  geben,  zu 
seiner  gewohnten  Andacht  zurückkehren,  will  er  nichts  davon  hören 
und  verzeiht  den  erlittenen  Schaden  mit  zusammengebissenen  Zähnen. 
Der  Schluß  folglich  —  falls  es  sich  nicht  um  eine  andere  mir  un- 
bekannte Quelle  handelt  —  muß  Estiennes  Erfindungsgabe  zugeschrieben 
werden;  der  Zusatz  macht  den  Eindruck  einer  witzigen,  dem  Moment 
gut  angepaßten  Pointe. 

Einfalt  eines  unerfahrenen  Reiters. 

(Apol.  cap.  III.)  „(Ein  Reiter)  ayant  receu  un  coup  de  pierre 
par  le  dos,  estani  monU  sur  sa  mule,  mettoit  a  sus  ä  ceste  pauvre 
beste  qiielle  luy  avoit  baille  un  coup  de  pied."" 

Ersichtlich  bildet  der  CLXI.  Schwank  von  Poggio,  in  wekhem 
von  einem  Venetianer  die  Rede  ist,  der  sich  nach  Treviso  begibt  und 
vom  Diener  einen  Steinwurf  an  das  Kreuz  erhält,  die  Quelle. 

Dieselbe  Person:  „ayant  veu  cracher  sus  du  f er ^  pow  essayer 
sil  estoit  encore  cliaud,  crachoit  pareillement  en  son  potage  pour 
esprouver  s'il  estoit  chaud."  Bereits  Clement  (a.  a.  0.)  wies  auf 
diese  Beziehung  hin  zwischen  diesem  Geschicbtchen  und  dem  fahleati 
vom    Vilain  de  Farbu  (R.  Montaiglon  II.   82). 

Blutschande. 

Handelt  von  einem  Pfarrherrn,  der  au  der  eigenen 
Schwester  Blutschande  begeht. 

(Apol.  cap.  XXI.)  „Je  f^ray  ici  le  recit  d'un  inceste  superlatif 
commis  par  un  prestre,  ainsi  quil  est  authentiquement  enregistre 
•es  escrits  de  la  roine  de  Navarre  derniere  defunctey  si  non  que 
fuseray  de  plus  grande  brievetS.'^ 

Unser  Autor  bietet  hier  eine  kurze  Inhaltsangabe  der  Novelle 
XXXIII   des   Heptameron    „Lliypocrisye  d'un  curi,    qui,    sous   le 


L' Apologie  pour  IJerodote  von  Henri  Estienne.  231 

manteau  de  saindcU,  avoit  engroissee  sa  seur,  ful  decouverte  par 
la  sagesse  dxi  Comte  d'Angoidesme,  par  le  conimandement  duquel 
la  Justice  en  fait  punition.^'' 

Von  der  Mutter,  die  Blutschande  begeht. 

(Apol:  cap.  XII.)  Das  Thema  ist  identisch  mit  dem  von 
Margarethe  von  Navarra  im  Hepiameron  (No.  XXX)  behandelten: 
„MH  jeune  gentil  komme,  aage  de  quatorze  ä  quinze  ans,  pensant 
coucher  avec  Vime  des  Uamoiselles  de  sa  mere,  coiicha  avec  eile 
mesme,  qui  au  hout  de  ncuf  mois  accoucha  du  fait  de  son  ßls, 
d'une  fille,  que  douze  ou  treize  ans  apres  il  epousa,  ne  sachant 
quelle  fiit  sa  fille  et  sa  seur,  wj  eile  qxiil  füt  son  pere  et  son 
frere.''  Unser  Autor  kürzt  stark  ab  und  folgt  auch  sonst  seinem 
Vorbild  nicht  wörtlich  nach.  Margaretlia  scheint  einen  lebenswahren 
Bericht  zu  erstatten:  au  iemps  du  Roi  Loys  douziesme,^'-  am  Hofe 
von  Navarra,  und  erklärt  den  Namen  der  blutschänderischen  Mutter 
verschweigen  zu  wollen:    ypour  Vamour  de  sa  race.'-* 

Die  Herausgeber  des  Heptameron,  Le  Roux  de  Lincy  und 
Montaiglou  (vol.  IV.  p,  289)  teilen  diese  Ansicht  und  verweisen  auf 
die  darauf  bezügliche  Angabe  Millins  in  seinen  nationalen  Antiquitäten 
der  von  einer  Inschrift  meldet,  die  zu  seinen  Lebzeiten  in  einer  Kirche 
zu  lesen  war: 

„Ci  git  Venfant,  ci  glt  le  pere, 

Ci  git  la  sa'ur,  ci  git  le  frere, 

Ci  git  la  femme  et  le  mari 

Et  ne  sont  que  deiix  corps  ici.'' 

Für  weitere  Angaben  bezeichnen  sie  die  englische  Ausgabe  von 
Dunlop  (II  p.  462).  Wir  erinnern  daran,  daß  auch  Masuccio  Salcrnitano 
(nov.  XXIII)  und  Bandello  (II  35)  dieses  Thema  behandeln,  das 
antiken  Ursprungs  ist  und  mit  verschiedenen  mittelalterlichen  Legenden 
sowie  Aesop  Beziehungen  aufweist.  Cfr.  hierzu  Alessandro  d'Ancona, 
La  leggenda  di  Vergogna  .  .  .  e  la  leggenda  di  Giuda  in  Scelta 
di  curiositä  letterarie,  disp.  XCIX,  Bologna,  Romagnoli,  1869)  und 
Köhler,  Kleinere  Schriften  (ed.  Bolte,  vol.  II  p.  173  sqq.)  Zier 
Legende  von  Gregorius  auf  dem  Steine.  Cfr.  außerdem  Contes 
et  Romans  de  VEgypte  ancienne  par  E.  Amelincau,  Paris,  1888, 
I  165-189. 

Witzige  und  schlagfertige  Entgegnungen. 

Welche  Antwort  ein  Kardinal  einem  König  erteilte. 

{Apol.  cap.  XXVII)  „Quoy  qu'il  en  soit,  nous  lisons  d'un 
Cardinal  d'Avignon  qui  se  sceut  bien  servir  de  ce  proverbe  (quand 
les  rois  Staient  bergers)  pour  rendre  le  change  ä  un  roy  de  France. 
Car  quand  le  roy,  voyant  les  pompes  de  la  cour  du  Pape,  et 
nommeement    des    cardinaux,    luy    cut    demande    si   les  Apostres 


232  P.  Tokio. 

alloyent  tin  iel  equipage:  Jl  est  certain  que  no7i  (dit-il);  mais  il 
faul  noter  qiiils  estoi/etit  apostres  au  vicsme  teiups  que  Ics  rof/s 
estoyent  bergers.'' 

Der  Stoff  ist  dem  CCXXVlIstcu  Scliwauk  von  Poggio  eutnommcu, 
aber  nicht  vollständig  wiedergegeben.  Auch  Poggio  läßt  einen 
Kardinal  von  Avignon  und  einen  Kö:iig  von  Frankreich  auftreten 
und  stellt  die  einfachen  Lebenssitten  der  Apostel  in  Beziehung  zu 
den  Fürsten,  die  ihre  Herden  hüteten.  Cf.  auch  meine  Studie: 
DaW  Alphahetum  narrationum  im  Archiv  für  das  Studium  der 
neueren  Spr.  u.  Lit.,  1907. 

Handelt  von  Einem,  der,  sobald  er  Papst  geworden, 
nichts  mehr  von  Bußübungen  wissen  wollte. 

{Apol.  cap.  XXII)  ,,  .  .  .  et  de  faict  nous  lisons  d'im  qui 
avant  qu'estre  pape,  souloit  manger  sur  une  rets,  par  une  certaine 
humilite  devoiieuse ;  estant  parvenu  au  papat:  Ostez-moy  ceste  rets, 
dit-il:  jay  pesche  ce  que  je  voidois  p>rendre.'' 

Die  Büßfertigkeit,  die  im  vorliegenden  Falle  in  dem  Brauch 
bestand,  aus  einem  Netz  zu  essen,  scheint  künstliche  Erfindung  des 
Erzählers  die  dazu  dienen  soll  die  witzige  Äußerung  vorzubereiten. 
Le  Duchat  bemerkt  hierzu,  daß  solche  Aussprüche  von  Sixtus  V.  im 
Umlauf  waren,  von  dem  bekanntlich  auch  sonst  viele  heitere  Geschichtchen 
berichtet  werden.  In  dem  Kapitel  Ue  clave  ahhatiae  der  Facetiae 
Adelphinae  (Straßburg,  1508)  wird  Folgendes  berichtet:  „Monachus 
quidam  maximam  devotionem  facie  repraesentabat.  Ita  quod  sub- 
rnissa  facie  terram  spectaret  humilitatis  causa.''  Als  er  Abt  geworden 
ist,  richtet  er  den  Blick  vielmehr  in  die  Höhe  und  antwortet  Jedem, 
der  sich  darüber  verwundert:  ,,ante  electionem  meam,  clavem  abba- 
tiae  quaerens  terram  semper  i7ituebar". 

Von  derartiger  Verstellungsgabe  finden  sich  noch  viel  ältere 
Beispiele.  In  den  Sermoni  evangelici  von  Franco  Sacchetti  (Florenz 
1857,  V.  Scelta  di  curiositä  letter.  Bologna,  Romagnoli,  disponsa 
XCIII  p.  202  Nov.  LXXVIII)  wird  erzählt,  wie  ein  Abt  in  der  Nähe 
von  Paris,  „mostrava  esser  di  santa  vita,  e  digiunando  spesse  volte 
si  faceva  comperare  a  uno  suo  fante  sempre  pesci  piccolini,  pik 
trisii  che  poteva'\ 

Er  wird  zum  Bischof  von  Paris  ernannt,  als  sein  Diener  ihm 
immer  noch  die  gewohnte  Speise  vorsetzen  will:  „A  cid  il  vescovo 
biastemmiando  disse,  che  quando  era  abate,  e  voleva  de'  piccolini, 
gittava  l'amo  con  quelli  per  pigliare  de  piu  grossi  per  venire  dove 
era  vemito,  e  da  indi  innami  volea  de  maggiori  che  potea'\ 
Da'^selbe  Argument  hat  Sacchetti  später  in  der  149.  Novelle  verwendet. 

Das  gleiche  Thema  hat  schon  im  XIII.  Jahrb.  Jacques  de  Vitry 
(v.  die  Ausgabe  der  Exempla  von  Crane,  London,  1890  N.  LXX 
p.  31)  angeregt.    Auch  hier  handelt  es  sich  um  einen  Pater:  „midtum 


L' Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne.  233 

ante  promotionein  suam  in  pane  et  aqua  jejunabat,  et  nee  carnes 
nee  pisces  nisi  modicos  manducare  volebat.  Cum  autem  factus 
est  ahbas,  cepit  magnos  jnsces  comedere".  Und  Jedem,  der  ihn 
befragt,  warum  er  sich  so  verwandelt  hat,  antwortet  er;  ^parvos 
piscicidos  manducabam,  ut  aliquando  magnos  manducare  piossem.'"'' 
Cfr.  auch  Ernst  und  Schimpf  von  Pauli  (Ed.  Oesterley,  App. 
No.  7);  Wright,  Latin  siories  N.  93.  De  abbate  ieiunante.  Vgl. 
außerdem  Köhler,  Kleinere  Schriften.  Ed.  Bolte,  vol.  II  p.  566 — 567 
und  Letterio  di  Francia,  Franco  Sacchetti  novelliere,  Pisa,  1902, 
p.  78  —  79. 

Ein  Spaßvogel    rät  dem  König  Heinrich  II.  die  Betten  der 
Ordensbrüder  zu  verkaufen 

\Apol.  cap.  XXI)  König  Heinrich  II.  ist  in  Geldverlegenheit. 
Ein  gewisser  Brusquet  rät  ihm:  „qu'il  commandast  que  les  licts 
de  tous  les  moines  fussent  vendus,  et  qu'il  s'en  fist  apporter  les 
deniers.  Le  roy  luy  ayant  dema^ide  oii  coucheroyent  les  moines 
quand  ils  nauroyent  plus  de  licts:  il  respondit:  avec  les  noujiains. 
Mais  il  s''en  faitt  beaucoup  qu'il  y  ait  tant  de  nonnains  que  de 
moines,  repliqua  le  Roy.  A  quoy  il  eut  aussi  la  responce  toute 
presie.  11  est  vray,  sire,  mais  chacune  nonnain  en  logera  bicn 
pour  le  moins  demie  douzaine. 

No.  XCII  der  Joyeux  Devis  behandelt  dasselbe  Argument 
mit  nahezu  dem  gleichen  Wortlaut.  Man  erinnere  sich,  daß  die 
editio  princeps  der  Devis  vom  Jahre  1558  neunzig  Novellen 
enthält,  wozu  die  Ausgabe  des  Jalires  1561  zwei  weitere  fügt,  so- 
daß  Devis  92^  vielleicht  chronologisch  vor  der  Erzählung  der 
Apologie  anzusetzen  ist. 

„Oest  de  Commander  (respond  le  fol)  par  un  edit,  que 
tous  les  licts  des  moines  soycnt  venduz  par  tous  les  pays  de 
vostre  obeissance,  et  les  deniers  apportez  es  cojfres  de  vostre 
espargne.  —  Sur  quoy  le  Roy  lui  demanda  en  riant:  Oit  cou- 
cheroyent les  paiivres  moines,  quand  on  leur  auroit  ostc  leurs 
licts?  —  Avec  nonnains  —  Voire  7nais,  repliqua  la-Roy,  il  y  a 
beaucoup  plus  de  moines  que  de  nonnains.  —  A  donc  le  compaignon 
eut  sa  response  toute  preste,  et  fust  qiiune  nonnain  en  logeroit 
bien  une  demi-douzaine  pour  le  moins.'"'- 

Für  Brautome  cfr.  die  Anmerkung  Ristelhubers. 

Gegen  die  Messen  für  die  Seelen  im  Fegefeuer. 

(Apol.  cap.  XXXIX)  „  Un  florentiii  estant  importune  par 
quelques  cordeliers  de  faire  dire  des  messes  pour  tirer  de  pourga- 
toire  Vame  d'un  sien  ßls:  Allez,  dict-il  et  si  vous  la  delivrez  par 
vos  mesmes  je  vous  donneroi  un  escu.  Die  Ordensbrüder  lesen  die 
Messen  und  fordern  dann  die  Gebühren,  aber  der  Florentiner  protestiert: 


234  P.  ToUo. 

Falles  moy  apparoir  que  vous  lavcz  dilivrce  .  .  .  Der  Herzog,  an 
den  die  Franciskaner  sich  wenden,  gibt  besagtem  Schlaukopf  recht 
und  verlacht  die  Mörder. 

{Apol.  ibid)  ,,  Uli  autre  en  France  joua  d'un  autre  toiir: 
car  quand  on  lui  vlnt  demander  pai/eniod  ponr  messes  qui  avoijent 
dclivre  de  purgatoire  iine  certaine  ame,  interrogua  les  prestres 
si  depuis  qiie  les  ames  estoyent  wie  foi  sortiez  de  purgatoire, 
elles  n'estoyent  plus  en  danger  d'y  retoarner  .  .  .  Und  da  die  Antwort 
bejahend  ausfällt,  ruft  der  wackere  Mann  aus,  daß  es  übei flüssig  sei 
Geld  für  sie  auszugeben.  Er  wird  das  Geld  für  andere  Seelen  auf- 
heben, die  in  Nöten  sind. 

Ich  erinnere  zum  Vergleich  an  das,  was  schon  Morlini  (Nov- 
XXVII  p.  58)  berichtet  hat:  De  filiis  qni,  post  obilum  patris,  ejus 
ultimam  voluntatem  exsequi  noluere  de  legatis  pro  anima  relicti). 
Einer  der  Söhne  stellt  folgende  Betrachtung  an:  Si  anima  geniloris 
quondam  nostri  sepulta  est  m  caeca  cavea  Tartari,  vanum  erit 
pro  ejus  requie  legata  persolvere,  quum  in  Inferno  nuila  sit 
redemptio  .  .  .  Si7i  autem  in  ßoridis  campis  Elysiis,  uhi  perpetua 
et  aeterna  inest  requies,  degit,  legatis  nee  /ideicommissis  egit.  8in 
vero  in  media  circulo,  ubi  crimina  limitate  purgantur,  purgatis 
criminibus,  certum  est  solvi  liberarique  omnino,  minimeque  sibi 
legato  prodesse." 

Witzworte  von  zum  Tode  Verurteilten. 

(Apol.  cap.  XV.)  Ein  Verurteilter  wird  zum  Galgen  geführt: 
„Mon  ami,  sagt  der  Beichtvater,  der  ihm  die  letzte  Tröstung  bringt 
bon  courage,  vous  irez  aujourd'huy  en  paradis  :  Ha  beau  pere, 
il  suffira  bien  que  fy  soye  demain  ä  vespres. 

In  den  Devis  (nov.  11)  scherzt  ein  gewisser  Flaisantin,  den 
diesmal  nur  die  Natur  zum  Tode  verurteilt,  gleichfalls  auf  dem  Toten- 
bette: „Mon  amy  —  hier  spricht  der  Geistliche  —  vous  irez  au- 
jour  dliui  (ä  Dieu),  si  Dieu  piaist.  Je  voudrois  bien  estre  asseure, 
disoit-il,  d'y  pouvoir  estre  demain  pour  tout  le  jour.^'- 

Estienne  berichtet  ferner  von  Scherzworten,  die  Verurteilte  bereits 
mit  der  Schlinge  um  den  Hals  geäußert  hätten:  „6^«  autre  dit  au 
hourreau  estant  prest  ä  le  jetter;  Regardez  bien  que  tu  feras  :  car 
si  tu  me  chatouilles  en  me  touchant,  tu  me  feras  tressaillir. 

In  den  Devis  (nov.  c),  die  1265  mit  dem  Titel  Nouvelles 
recreations  veröffentlich  sind,  d.  h.  später  als  das  Werk  unseres  Autors, 
tindet  sich  dasselbe  Witzwort:  Ue,  maistre  (der  Verurteilte  spricht 
zum  Henker)  ne  me  passe  plus  lä  la  main.  Je  suis  plus  cliatouilleux 
de  la  gorge  que  tu  ne  penses.  Tu  me  feras  rire  et  puis  que  diront 
les  gens?  Que  je  suis  mauvais  chretien  et  que  je  me  moque  de 
la  justice. 


L'Apologie  pour  Herodote  von  Henri  Estienne.  235 

In  seiuem  Kommentar  zu  dem  Devis  bemerkt  Jacob,  daß  dieser 
"Witz  (wie  alle  Nacb  folgen  den)  entnommen  ist:  j^^'^sque  textuellement 
des  discoui's  71071  plus  mela7icoliques  que  divei's  (cap.  X).  In  diesen 
Unterredungen  bandelt  es  sieb  um  verschiedene  Personen,  genau  wie 
in  der  Apologie;  in  den  Denis  dagegen  kommt  nur  ein  Einziger  vor. 

L'auire  —  fäbrt  Estienne  fort  —  ä  7nessire  Jea7i  qui  luy 
dit  :  Mon  anii  je  vous  asseure  que  vous  irez  soupe7'  aujoui'dliui 
avec  Dien,  respo7id,  Allez-y  vous-mesmes  :  car  quant  ä  moy  je 
jeusne^  ou  Allez-y  soupe7'  pour  moy  et  je  payerai  vosire  escot.'^ 

Und  im  Devis:  (der  fromme  Bruder  spricht)  Tout  te  sera 
pardonne  et  ii^as  aujoui'd'huy  soupper  lä-haut  e7i  paradis  avec  les 
a7iges  .  .  .  (der  Büßer  antwortet)  Je  vous  p7'ie  venez-moy  te7iir 
compagnie  jusques  la:  Die  schon  erwähnten  Discow^s  berichten 
dasselbe  Witzwort.  Im  XIX.  Schwank  berichtet  Poggio,  daß  ein 
Kardinal  die  Soldaten  zum  Kampfe  anfeueit,  indem  er  ihnen  verheißt, 
daß  sie  noch  am  selbigen  Abend  im  Himmel  mit  den  Engeln  speisen 
werden.  Die  Soldaten  ersuchen  ihn,  doch  gleichfalls  an  dem  Feste 
teilnehmen  zu  wollen,  aber  der  Kardinal  entschuldigt  sich,  weil  er 
Abends  niemals  zu  speisen  pflege. 

Und  Domcnichi:  (Facetie,  rnotti  et  hurle  ecc.  ed.  Venezia 
MDIC  p.  53)  y,Bardella  da  Mtmtova  essendo  menato  a  impiccare, 
gli  disse  nno  dei  co)ifortaio7n,  sta  di  huo7i  animo^  che  questa  sera 
tu  cenerai  con  la  Fer^me  Maria  e  con  gli  ApostolL  Rispose 
allora  il  Bardella  :  di  gratia  andateci  voi  per  7ne,  che  io 
digiuno  oggi."- 

In  der  Arcadia  in  Brenta  und  in  der  Elite  von  d'Ouville  liest 
man  ähnliche  Witze  (cfr.  G.  B.  Marchesi,  Per  la  sto7'ia  della  novella 
italiana  ncl  secole  XVll,  Roma,  Loescher,  1897  p.  95.) 

„Mais  —  fährt  unser  Autor  fort  —  entr'azitres  co7ites  qui  se 
fönt  sur  ce  propos,  cestuy  est  fort  commun,  du  Pica7'd,  auquel  ja 
estant,  ä  Vescltelle,  07i  amena  une  piovre  fille  qui  s'estoit  mal 
gouvernie,  en  luy  pr07nettant  qu''o7i  luy  sauveroit  la  vie  sHl  vouloit 
promettre  sur  sa  foy  et  sur  la  dammatio7i  de  son  ame  qn'il  la 
p7'endroit  ä  femme  :  mais  e7itr'autres  choses  Vayant  voulu  voir 
aller,  quand  il  apperceut  quelle  estoit  boiteuse,  se  tourna  vers  le 
bourreau,  et  luy  dict  ;  Attaque,  attaque,  eile  cloque. 

Ditso  Anekdote  ist  sehr  alter  Herkunft.  Alan  liest  sie  im 
iS'ovellino,  im  Esopns  von  Waldis,  in  einem  Froverbio  des  Fabrizi, 
im  Zeloso  von  Don  Alfonso  Uz  di  Velasco,  bei  Angeloni,  bei  Nigra, 
bei  Hans  Sachs  u.  a.  m.  (cfr.  D'Ancona,  Fonti  del  Novellino  in  Studi 
di  Critica  et  Storia  lett,  Bologna  1880;  Liebrecht,  zur  Volksku7ide, 
p.  433 ;  Rua  in  Curiosita  popol.  tradiz.  publ.  per  cura  di  G.  Pitrc 
vol.  XII  Torino  1893  p.  XL  sqq;  Nigra,  Co7iti  vopol.  del  Pieino7ite 
No.  11   und  Köhler,  Kleinere  Schriften,  ed.  Bolte,  vol.  p.  251). 

Ich  füge  hinzu,  daß  diese  und  andere  „gaudissernes"  sich 
in   den  Essais   von  Montaigne  (I.  cap.  XL)  vorfinden;   Un  que  Von 


236  P.  Tokio. 

menoit  cm  gihet,  disoit  quon  gardast  de  passer  par  teile  rue, 
car  il  y  avoit  danger  qu'un  marchand  lui  fist  tnetire  la  inain  snr 
le  collet  ä  cause  iVune  vieille  debte.  IJn  autre  disoit  au  hourreau 
quil  ne  le  touchast  pas  ä  la  gorge,  de  peur  de  le  faire  tressaillir 
de  rire,  iant  il  estoit  chatouilleux :  Vautre  respondit  ä  son  confesseur, 
qid  lui  promettoit,  quil  souperoit  ce  jour-lä  avec  Nosire  Seigneur, 
Allez  vous  y  en  vous,  car  de  ma  part  je  jeusne. 

Un  autre  .  .  .  Montaigne  schöpft  hier  sicher  bei  unserem  Autor, 
um  so  mehr  als  er  auch  an  anderer  Stelle  (T.  II  ed.  1826  p.  142) 
nahezu  wörtlich  die  schon  erwähnten  Antworten  der  zum  Tode  Ver- 
urteilten wiederholt,  die  in  der  Wahl  der  Gattin  zu  anspruchsvoll  sind. 

„Chascmi  a  ou'i  faire  le  conte  du  Picard  auquel,  estant  ä 
reschelle,  on  piresenta  une  garse  .  .  .  et  apperceu  qii'elle  boitait. 
Attache!  attachel  dicl-il  eile  cloclie.  Et  on  dit  de  mcsme  qu''en 
Dannemarc  ..." 

Betreifs  ähnlicher  Schwanke  s.  auch  VElite  des  contes  du  sieur 
d'Ouville  (ed.  cit.  II  p.  64  ss.),  auch  wolle  man  nicht  außer  Acht 
lassen,  daß  Castiglione  gleichfalls  an  den  Brauch  erinnert  von  Ehen, 
die  vor  dem  Henker  retteten :  „e  ridendosi  di  questa  sua  prigionia, 
disse  la  signora  Boadilla:  s^gnor  Alonso,  a  me  molto  pesava  di 
questa  vostra  disaventura,  perche  tutti  quelli  che  vi  conoscono 
pensavano  che  7  re  dovesse  farvi  impiccare.  —  Allora  Alonso 
subito,  Sig?iora  disse,  io  ancor  ebbi  gran  piemra  di  questo;  pur 
aveva  speranza  che  voi  mi  dimandaste  per  marito.  —  Vedete  come 
questo  e  acuto  ed  ingenioso;  jjerche  in  Spagna,  come  in  molti 
altri  locht,  usanza  e  che  quando  si  mena  uno  alle  forche,  se  una 
meretrice  publica  Vaddimanda  per  marito,  donasegli  la  vita 
(Cortegiario,  1.  II  LXXVI  cd.  Cian  p.  224). 

Unzüchtige  Spaße  eines  Predigers. 

Unser  Autor  spricht  davon  an  zwei  Stellen  (Apol.  cap.  XXI 
und  cap.  XXXYI),  indem  er  zuerst  die  Erklärung  abgibt,  daß  er 
das  Paiiicr  nicht  mit  solchen  Schrautzereien  besudeln  möchte:  pM^'s 
(Der  Bruder)  ajousta  tm  propos  si  vilain  .  .  . ,  et  si  indigne  de 
toutes  chastes  axireilles,  qne  je  nen  ay  voxdu  souiller  ce  papier-\ 
ohne  zu  bemerken,  daß  er  mit  dieser  angeblichen  Zurückhaltung  der 
Margueriie  des  Marguerites  Unrecht  tut,  die  ihn  inspiriert  und  selbst 
alles  {Heptam.  nov.  XI)  ohne  soviel  Umschweife  auseinandersetzt. 
Später  läßt  unser  Autor  aber  doch  noch  alles  Bedenken  fahren  und 
ahmt  wörtlich  sein  Original  nach! 

(Apol.  cap.  XXXVI.)     „Or  qa  (dict-  (fiept,  nov.  XI.)  „Or  qa,  mes  helles 

il)   mes    helles  dnmes  tantost  en  caquetant  Datnes,    mais    que    vous    soyez    tantost    a 

parmi  les  comrneres,  vous  demanderes,  mais  cacqueter  parmi  les  coinvih'es,  vous  deman- 

qui    est    ce    maistre    frere    qui   parle    si  derez:    7)iais  qui  est  ce  maistre  frere,  qui 

kardimcntf    C'est  quelque  hon  compagnon.  parle    si    hardiment?     C'est  quelque    hon 

• —    —    —    —    —  — ■  —  —   —   —   —  compagnon  .  .  . 

Eh  -dea    messieurs   et  mesdames    de  —    —  —  —   —  —  —  —  —  —  — 


L'' Apologie  poitr  Htrodote  von  Henri  Esiienne.  237 

S.  Martin  je  vi'estonne  fort  De  vous  qui  Eh  dea^mcssieurs  etmesdameade  Saint 

vous   scandaliscz   d'une  chose  quest  moins  Marlin,  Je  mestonne  fort  de  vous  qui  vous 

que   rien,  et  tenez  vos  contes  de  moy  par  scandalisez  pour   moins   que   rien   et  sans 

tout,   et   dites,   Cesl  'V7i  grand  casi    mais  propos,   et  tenez  vos  compfes  de  moy  par 

qui    Veust    cuide    que    le    beau   pire   evst  tout,  en  disant:    C est  un  grand  cas;    viais 

engrossi  la  ßUe  de   son  hostesse?     Vraye-  qui    Veust    cuide    que    le    beau    Pere   tust 

ment   (dict-il)  voilii   hi(n  de  quoy  s^esbatir  enyrossy  la  Jille  de  son  Ilostesse?    l'raye- 

quun   moine    ait   engrossi  une  Jille.'   mais  ment,  disl-ilvoilci  bieiide  quoy s'esbahirquun 

venez  ja  heiles  dames,  ne  devriez  vous  pas  Moyne  ait  enyrossy  une  Jille',    mais  venez 

bien   vous   estonner   d^ax-antage   si   la  Jille  f«,  belies  Dames,  ne  devriez  vous  pas  bien 

avoit  engrossi  le  moine?^  vous    estonner    si    la  ßlle    avoit   enyrossy 

le  moyne? 

Warum    St.  Petrus   und   St.   Paulus    mit  rotem  Gesicht   ab- 
gebildet werden. 

i^Apol.  cap.  XXXIX)  ^,Toutes  fois  je  commanceray  ce  dis- 
coiirs  par  la  response  que  fit  xtn  certain  peintre  ä  un  cardi7ml  de 
Mome.  Cest  liomme  ayant  peint  S.  Pierre  et  S.  Paul  si  bien  que 
chacun  s'en  contentoit,  un  cardinal  vint  ä  dire  qu'il  y  trouvoit 
une  füllte,  ä-sfavoir  quil  leur  avoit  faict  les  visages  trop  ronges! 
A  quoy  ce  peintre  fit  cette  response  sur  le  champ:  Ceste  rougeur 
leur  procede  de  lionte;  car  ils  so)it  lumteux  de  voir  le  train  que 
vous  menez  au  pris  de  celuy  quHls  07it  mene. 

Aus  der  PJlite  des  contes  du  sieur  d'Ouville  (ed.  Briinet, 
Paris,  1883,  vol.  I  p.  236)  erfahren  wir  auch  den  Namen  des  Malers. 
„Paroles  picquantes  d\tn  peintre  ä  deux  cardinaux.  —  Tout  le 
monde  a  pu  entendre  parier  de  ce  tres  excellent  et  renomme  peintre 
Raphael  d'Urbin,  la  memoire  duquel  vivra  iternellement,  ä  Rome 
particulierement.  Se  trouvant  un  jour  avec  deux  cardinaux  de 
ses  familiers  amis,  lesquels,  pour  le  jncquer  au  vif,  reprenoient 
quelques  fautes  dans  un  tableau  qtCil  avoit  fait  oii  sai7it  Pie7Te 
et  Saint  Paul  etoient  representez,  disa7it  quils  avoient  les  insages 
trop  rouges,  Raphael  repartit  ä  rinsta7it  :  „Messeigneurs,  ne  trouvez 
pas  cela  Strange  :  car  je  les  ay  pei7its  de  meme  qu'ils  sont  au  Ciel, 
et  cette  rougeur  que  vous  le7ir  voyez  sur  le  visage  ne  provient  que 
de  la  confusion  qii'ils  07it  de  voir  VEglise  gouver7we  par  de  tels 
ho7nmes  que  vous.'* 

Der  Autor  der  Elite  übersetzt  hier,  wie  mich  dünkt,  aus 
Castiglione  (Cortegiano  ed.  Cian  p.  224  —  225  1.  II  cap.  LXXVI)  aa 
welcher  Quelle  allem  Anschein  nach  auch  unser  Verfasser  schöpft, 
da  er  aus  dem  Cortigiano  eine  andere  Anekdote  (cnp.  XXVIII)  und 
zwar  diejenige  von  dem  unschuldigen  Edelmann,  der  noch  mit  zwanzig 
Jahren  neben  seiner  Mutter  und  seinen  Schwestern  schlief  ohne  zu 
wissen,  was  Frauen  sind. 

Castiglione  erzählt  also:  „Z>t  questo  modo  rispose  ancor 
Rafaello  pittore  a  dui  cardinali  suoi  domestici,  i  quali,  per  fa7do 
dire,  tassava7io  zn  presenzia  sua  tina  tavola  che  cgli  avea  fatta, 
dove  erano  san  Pietro  e  saii  Paolo,  dice7ido  che  quelle  due  figure 


238  P.  Tokio. 

eran  troppo  rosse  nel  viso.  Allora  Rafaello  subito  disse:  Signori, 
non  vi  maravigliate:  cliio  questi  lio  fatto  a  sommo  studio,  perdd 
e  da  credere  che  san  Pietro  e  san  Paolo  siano,  come  qui  gli 
vedete,  ancor  in  cielo  cosi  rossi,  per  vergogna  che  la  Chiesa  sua 
sia  governata  da  tali  omini  come  sete  voi." 

Eine  andere  Anekdote,  die  gleichfalls  Raphael  betrifft  und  von 
Giovio  erzählt  und  von  Cian  in  seinem  Kommentar  zum  Cortigiano 
angeführt  und  eine  andere,  die  nur  kurz  erwähnt  zu  werden  verdient, 
entnehme  ich  dem  Domenichi.  Der  große  Maler  hatte  Julius  Jiavea 
molto  colorito  in  volto"  gemalt,  perch^,  quando  tornava  da  Belve- 
dere^i  havea  bevido''.  Der  Witz  ist  schaal,  besonders  wenn  man  ihn 
mit  dem  über  die  Apostel  vergleicht. 

Handelt    von    Einem,    der   sich    von    seinem   Diener    beim 
Fluchen  helfen  läßt, 

Apol.  Cap.  XIV.  Ein  in  Wut  geratener  Spieler  stößt  die 
gottlosesten  Flüche  aus  und  befiehlt  dann  dem  Diener  so  lange  für 
ihn  fortzufluchen,  bis  das  Glück  ihm  wieder  günstig  geworden  ist. 
Man  erinnere  sich  an  Panurge,  der  dem  eigenen  Pagen  einen  ganz 
ähnlichen  Auftrag  erteilt.     {Pant.   III.  35). 

Turin.  Pietro  Toldo. 


L'Eiiserreineiit  ]\[erliii.   Studien  zur  Merliiisage. 


II.    Die  Version  des  Prosa-Laiieelot  (L). 

(Schlufs.    Vgl.  Bd.  XXXI,  g.  169  ff.) 

Es  erübrigt  noch  die  Erwähnung  der  Zeugnisse  in  französischer 
Sprache.  Ich  scliließe  nur  diejenigen  aus,  die  uns  gar  nichts  an- 
gehen können,  sowie  diejenigen,  die  in  den  nächsten  Abschnitten  noch 
besonders  besprochen  werden  sollen. '3')  Wace,  der  Übersetzer  von 
Galfrids  Historia,  weiß  nichts  Neues  von  Merlin  zu  berichten,  abgesehen 
davon,  daß  er  ihn  Arthurs  Ende  prophezeien  läßt.i32)  Die  uns  erhaltenen 
Lais  ignorieren  ihn.  Auch  die  älteren  Arthurromane  lassen  ihn  nie 
handelnd  auftreten;  nur  ausnahmsweise  wird  seiner  überhaupt  Erwähnung 
getan.  Dies  beweist,  daß  ihre  Verfasser  die  Merlinsage  nur  aus  Galfrids 
Historia  resp.  ihren  Übersetzungen  kannten;  und  nach  dieser  Autorität 
trat  Merlin  nur  unter  der  Regierung  des  Wortigern,  des  Ambrosius 
und  des  Uter  Pendragon  in  den  Vordergrund,  während  er  unter 
Arthurs  Regierung,  in  die  sie  immer  die  Handlung  versetzten,  ent- 
weder nicht  mehr  oder  nur  noch  in  Verborgenheit  lebte.  Die  älteren 
Romandichter  wagten  es  nicht,  zur  Historia  in  Widerspruch  zu  treten 
oder  sie  zu  verbessern.  Im  Erec  wird  einmal  (v.  6693)  der  ta7is 
Merlin  als  eine  vergangene  Epoche  erwähnt.  Auch  die  späteren 
Versroraandichter  wagten  es  höchstens,  den  Bericht  der  Historia  zu 
vervollständigen.  Im  Chevalier  as  deus  esjyees  ist  von  einem  Mantel 
die  Rede,  auf  dem  portrait  war,  Comment  Merlins  Uter  mxta  etc. 
(12181  ff.),  die  bekannte  Geschichte  von  der  Zeugung  Arthurs. 

An  dasselbe  Ereignis  knüpft  auch  Gaiicher  de  Dourdan  oder 
Wmichier  de  Denain,  wie  man  nach  P.  Meyer  und  G.  Paris  {Rom. 
XXXII  585  —  86)  sagen  soll,  in  seiner  Perceval- Fortsetzung  an,  geht 
aber,  ohne  gerade  mit  der  Historia  in  Widerspruch  zu  treten,  doch 
über  dieselbe  hinaus.  Die  Historia  weiß  nichts  davon,  daß  dem 
König  Uter  Pendragon  über  seinen  Sohn  geweissagt  wurde.  Li  rois 
avoit  .1.  sien  devin  Que  li  gent  clamoient  Merlin   (34181 — 82). 

*")  Es  müssen  aber  natürlich  auch  diejenigen  berücksichtigt  werden, 
welche  sich  in  jüngeren  Quellen  linden,  wenn  diese  allenfalls  verlorene 
ältere  repräsentieren  können. 

^■'-)  Maixtre  Gasse  qtii  Jist  cesl  //c/v,  N'en  ralt  plus  dire  de  ra  fin  Qu'en  dist 
H  profetes  Merlin  (Brut  V.   K5C88  ff.). 


240  E.  Brugger. 

Der  König  wünscht  zu  erfaliren,  woran  man  den  tapfersten  Ritter 
erkennen  könne.  Merlin  will  in  20  Tagen  eine  solche  Tüchtigkeits- 
probe ausfindig  machen.  Er  verläßt  den  Hof  und  geht  zum  Mont 
Dolerus  und  errichtet  dort  par  sens  et  par  art  cVingremance  (34227) 
eine  Säule,  an  der  nur  der  tüchtigste  Ritter  sein  Pferd  anbinden 
kann.  Auch  von  dieser  Säule  weiß  die  Historia  nichts;  aber  sie  be- 
richtet, wie  Merlin  unter  Ambrosius  durch  Zauberei  die  ckorea 
giganium  aus  Irland  holte  und  bei  Salisbury  aufstellte.  Sie  nennt 
auch  den  Montem  Dolorosum,  den  sie  zugleich  mit  der  Stadt  Alclitd 
(Dumbarton)  und  dem  Castellum  Puellarum  (Edinburgh)  xon  Ebraucus^ 
dem  Eponymus  von  York,  gegründet  sein  läßt  und  der  also  wohl 
auch  in  Schottland  zu  suchen  ist. i33)  Eg  empfahl  sich  offenbar  dem 
Dichter,  die  Wundersäule  als  das  Werk  des  Zauberers  Merlin  hinzu- 
stellen, und  zu  diesem  Zweck  sprach  er  wohl  auch  von  Uter  Pen- 
dragon.  Doch  um  Perceval,  der  die  Tüchtigkeitsprobe  besteht  (und 
indirekt  auch  den  Leser)  die  Überzeugung  gewinnen  zu  lassen,  daß 
die  Säule  wirklich  Merlins  Werk  war,  mußte  er,  da  Merlin  nicht  mehr 
leben  konnte  —  denn  darin  hielt  er  sich  noch  ganz  an  die  Historia, 
daß  er  Merlins  Carriere  spätestens  mit  Uter  Pendragons  Tode  abge- 
schlossen dachte  — ,  auf  andere  Weise  die  Authentizität  seiner  Aus- 
sage beweisen.  Darum  gab  er  wohl  der  Person,  welche  Perceval 
über  die  Wundersäule  Auskunft  geben  sollte,  Merlin  zum  Vater  und, 
um  dies  zu  erklären,  erfand  er  folgende  Anekdote,  welche  er  der 
Dame  vom  Mo7it  Dolerous  in  den  Mund  legte:  Als  Merlin  die  Säule 
baute,  Ma  mere  ert  adont  en  s'enfance;  Que  plus  de  .XX.  ans 
navoit  mie;  Elle  i  sorvini,  si  /ist  folie,  Que  ne  se  put  de  lui 
torner  Quant  eile  s'en  quida  raler;  Ains  fu  s'amie  a  son  voloir 
(34  228 ff.).  Nachdem  dann  Merlin  dem  König  und  seinen  Rittern 
Bericht  erstattet  hatte,  kehrte  er  wieder  nach  dem  Alojit  Dolerous 
zurück.  Si  vint  manoir  avoec  ma  mere  Et  tant  ßst  que  il  fu 
nies pere  {Z4:'ib\i).  Mehr  läßt  der  Dichter  die  Dame  nicht  erzählen; 
er  wollte  ja  nur  beweisen,  daß  die  Wundersäule  wirklich  Merlins 
Werk  war:  Conte  vous  ai  le  voire  estoire,  Si  vraie  come  jyattenostre 
(34  254—55).  Wenn  altfranzösischc  Dichter  sich  so  ausdrücken, 
dann  kann  man  sicher  sein,  daß  das,  worauf  sich  diese  Redensarten 
beziehen,  ihre  eigene  Erfindung  ist.  Die  Historia  berichtet  keine 
Liebesabenteuer  Merlins;  doch  sie  sagt  auch  nicht,  doß  er  gegen 
Liebe  unempfindlich  war.  Gaucher  will  der  Historia  nicht  wider- 
sprechen; er  will  sie  nur  vervollständigen.  Wie  das  20jährige  Mädchen 
sich  in  den  alten  Merlin  —  jung  kann  er  nicht  mehr  wohl  gewesen  sein  — 
verlieben  konnte,  fühlte  sich  der  Dichter  nicht  verpflichtet,  mitzuteilen. 
Er  nahm  vielleicht  an,  daß  seine  Leser  nichts  davon  wußten,  daß 
Merlin  schon  unter  Wortigeru  und  Ambrosius  gelebt  hatte.  Dieser 
Teil  der  Historia  war  allerdings  vor  Robert  de  Borron  den  Laien  kaum 


^)  Es  ist  wahrscheinlich  Stlrllng  gemeint. 


UEnserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         241 

bekannt.  Es  ist  kein  Grund  vorhanden,  um  anzunelimen,  daß  Gaucher 
für  seine  Merlin-Anekdote  eine  andere  Quelle  als  die  Historia  benutzte. 
Anders  ist  der  Fall  im  Roman  Fergus.  Hier  prophezeit  der 
Narr  an  Arthurs  Hof:  Ouns  Chevaliers  paens  venroit  Qui  iroit  en 
la  Nouqiieiran  U  Merlins  sejorna  maint  an:  Si  prendroit  le  cor 
et  le  guimple  Qui  pent  au  col  del  lioii  simple  Et  irois  fois  del 
cor  corneroit  Et  puis  apres  se  conhatroit  Au  chevalier  noir  comme 
meure  {2'2lb  ff.).  Der  Verfasser  des  Fergus  —  dies  wird  jedem 
Leser  des  Romans  sofort  klar  —  muß  Schottland  bereist  haben;  die 
ganze  Handlung  ist  in  Schottland  lokalisiert;  die  Topographie  des 
Romans  ist  keine  fiktive;  auch  ein  Teil  der  Personennamen  ist 
schottisch,  und  dürfte  schottischen  Sagen  entnommen  sein.  Wir 
dürfen  darum  auch  erwarten,  daß  sich  Merlins  ehemaliger  Aufent- 
haltsort bestimmen  läßt.  La  {montaigne  oder  forest  def)  Nouquetran 
befindet  sich  bei  (oder  ist  ein  Theil)  der  Noire  Montagne  (24/21, 
28);  es  ist  ein  be\\aldeter  Berg  oder  ein  Wald  in  sehr  erhöhter  Lage 
(58/2,  8;  56/22  ff.).  Man  kann  von  dort  aus  einen  Teil  von  Eng- 
land 134^  tiberblicken.  Der  Wald  zieht  sich  bis  zur  mer  d'lllande 
(58/10 — 11).  Von  Cardiiel  (Carlisle)  kann  man  nach  unserem  Roman 
in  einer  guten  Tagereise  auf  die  Spitze  des  Berges  gelangen.  Man 
passiert  das  castiel  de  Lidel  (41/33)  (da,  wo  der  Fluß  Liddel  in 
den  Fluß  Esk  mündet;  vgl.  Martins  Ausgabe  p,  XXI);  und  kommt 
dann,  nachdem  man  tertres  und  vaus  parfons  (5G/20)  überschritten 
hat,  zum  Fuß  der  Noire  Montaigne  oder  Noziqueiran.  Martin 
(XXII)  will  Nouquetran  mit  New  Castletoion  und  la  Noire  Mon- 
taigtie  mit  den  Blackhall  liills  zwischen  Jedburgh  und  New  Castletown 
identifizieren.  Es  ist  höchst  zweifelhaft,  ob  die  modernen  Namen 
denjenigen  unseres  Romans  entsprechen;  doch  ist  es  sicher,  daß  Martin 
die  Lage  richtig  bestimmt  hat.  Man  darf  wohl  annehmen,  daß  der 
Verfasser  des  Fergus  einer  Lokalsage  folgte,  indem  er  Merlin  nach 
Nouquetran  versetzte.  Nouquetran  nun  lag  nach  der  obigen  Be- 
schreibung nicht  weit  nördlich  von  Arthuret,  dem  alten  Arderydd,  wo 
die  berühmte  Schlacht  geschlagen  wurde,  an  der  sich  nach  der  Vita 
Merlini  auch  Merlin  beteiligte.  Doch  der  Verfasser  des  Fergus  kann 
dieses  Werk  nicht  benutzt  haben;  denn  in  demselben  ist  nicht  an- 
gegeben, wo  die  Schlacht  stattfand.  Nun  scheint  aber  Merlin  in 
jenem  Teil  der  Vita  in  Lailokens  Schuhen  zu  stehen.  Wir  müssen 
also  wohl  annehmen,  entweder  daß  Myrddin  ebensowohl  wie  Lailoken 
bei  Arderydd  kämpfte  oder  daß  Merlin  nicht  erst  in  der  Vita  Lailokens 
Rolle  übernahm.  Wie  sollte  man  sich  sonst  erklären,  daß  Merlin 
vom  Verfasser  des  Fergus,  der  nicht  wie  andere  Arthurromandichter 
phantastische  Geographie  anwendet,  gerade  nach  Nouquetran  versetzt 
wurde?  Wie  und  wo  Merlin  nach  der  Meinung  des  Dichters  starb, 
erfahren  wir  nicht;  doch  zeigt  uns  jener  Vers  schon,  daß  nach  seiner 

^■■'*)  Und  von  Cornwall:  dies  ist  Übertreibung. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI '.  16 


242  E.  Bnigger. 

Ausiclit  Merlin  zu  Fergus'  (also  auch  Arthurs)  Zeit  tot  ^^ar.  Auch 
(lieser  Dichter  setzte  sich  also  nicht  in  Widersi^ruch  zu  Galfrids 
Historia,  die  er  wohl  bei  seinen  Lesern  als  bekannt  voraussefzte,  da 
er  von  Merlin  wie  von  einer  bekannten  Persönlichkeit  si)richt. 

Von  außerordentlicher  Wichtigkeit  für  die  Entwicklung  der 
Merlinsagc  war  der  Gralroman  Roberts  von  Borron.  "Wir  besitzen 
zwar  von  dem  zweiten  und  dritten  Teil,  wo  allein  von  Merlin  die 
Rede  ist,  von  etwa  500  Versen  abgesehen,  nur  eine  Prosabearbeitung; 
ja,  es  ist  nicht  einmal  sicher,  daß  Robert  überhaupt  den  dritten  Teil 
der  Trilogie  ausgeführt  hat  (über  diese  Frage  vgl.  in  dieser  Zeit- 
schrift XXIX  68 ff.).  Wir  wollen  aber  hier  den  Roman  der  Be- 
quemlichkeit halber  als  Roberts  Werk  betrachten.  Robert  war  der 
erste,  der  auch  die  vorarthurisclie  Zeit  zum  Gegenstand  eines  Romans 
machte,  der  erste  darum,  der  dem  roman  hreton  einen  geschicht- 
lichen Anstrich  verlieh,  den  conte  zum  Rang  der  estoire  erhob.  Er 
hat  aus  Galfrids  Historia  resp,  aus  der  Übersetzung  des  Martin  von 
Rochester  ^'^^^)  alles  excerpiert,  was  sich  auf  Merlin  bezog,  und  daraus, 
indem  er  es  sehr  breit  trat  und  mit  einigen  Interpolationen  versah, 
eine  neue  Vita  Merlini  geschaffen,  die  den  zweiten  Teil  der  Trilogie 
bildet.  Er  hielt  sich  nicht  mehr  skrupulös  an  die  donntcs  der  Historia 
resp.  des  Brutus;  er  bemühte  sich  nicht  nur,  sie  zu  vervollständigen, 
sondern  wagte  bisweilen  sogar  den  Widerspruch.  Es  war  ihm  vor 
allem  darum  zu  tun,  in  die  heterogenen  Stoffe  seiner  drei  Romane 
eine  gewisse  Einheit  zu  bringen.  Merlin  selbst,  dessen  Geschichte 
das  Bindeglied  zwischen  derjenigen  Josephs  und  derjenigen  Percevals 
bildete,  sollte  die  Einheit  personifizieren.  Er  steht  nicht  nur  äußer- 
lich, chronologisch,  zwischen  diesen  Personen;  er  ist  auch  gewisser- 
maßen der  geistige  Urheber  der  ganzen  Trilogie.  Nur  war  Robert 
denn  doch  zu  bescheiden,  um  zu  behaupten,  daß  ihm  Merlin  den 
Inhak  derselben  erzählt  habe.  Er  hätte  behaupten  können,  daß 
Merlin  das  Buch  geschrieben  habe;  er  zog  es  aber  vor,  einen  Schreiber 
einzuführen,  der  nach  Merlins  Diktat  schrieb.  Dieser  Schreiber  ist 
der  Eremit  Blaise,  der  Beichtvater  von  Merlins  Mutter,  i^^)  Schon 
als  2V2Jähriges  Kind  diktiert  ihm  Merlin  die  Geschichte  Josephs, 
Petrus',  Alains  und  seiner  Genossen,  die  Schicksale  des  Grals  und 
das  Geheimnis  seiner  eigenen  Geburt  (vgl.  in  dieser  Zeitschrift  XXIX 


"4  a)  Ich  habe,  als  ich  oben  Bd.  XXX  i  p.  182—183  über  Martin 
von  Kochester  schrieb,  die  Angaben  Meads  in  seiner  Einleitung  zu  Whcatleys 
Merlin-Ausgabe  übersehen.  Er  hat  alle  ihm  bekannten  Merlinhss.  kontrolliert. 
Er  fand  in  BN  fr.  105  und  9123:  Mai-tins  de  Ueure;  BM  fr.  749:  martins  de 
roecesire;  Arsenal  3482:  martins  de  roecestre;  B  M  fr.  344  Maisire  martins  de 
rouain ;  in  Lovelichs  Übersetzung:  Martyn  de  Barre  (p.  LXVIII;  vollständige 
Zitate  p.  CLI,  CLIX,  CLXI,  CLXXI).  Hiernach  darf  man  den  Namen 
Rochester  nicht  mehr  als  gesichert  betrachten. 

^'-■^)  Kölbing  {Arthour  and  Merlin  p.  CXH  f.)  hat  darauf  hingewiesen, 
dafs  Merlins  Verhältnis  zu  dem  Eremiten  Blaise  vielleicht  schon  bei  Layamon 
vorgebildet  war. 


L' Enserrement  Merlin.    Siudien  zur  Merlinsage.         243 

p.  82  —  83).  Von  da  an  gebt  ]\Ierlin  immer  von  Zeit  zu  Zeit  ^u 
Blaise,  der  nun  seinen  Wohnsitz  in  Norhomberlande  (I  32,  85)  auf- 
schlägt, und  berichtet  ihm  jeweils,  was  sieb  in  der  Zwischenzeit  er- 
eignet hat.  Blaise  schreibt  alles  auf  et  par  son  escrit  le  savons  Jios 
(Ferceval  p.  482). '36^  Robert  hätte  zwar  nicht  gerade  nötig  gehabt, 
Merlins  Carrlere  zu  verlängern.  Da  Merlin  auch  die  Zukunft  kannte 
(Robert  läßt  ihn  ja  ein  Mal  ums  andere  prophezeien),  liätte  er  dem 
Blaise  auch  schon  als  2 1/2  jähriges  Kind  die  zwei  letzten  Drittel  der 
Trilogie  diktieren  können.  Allein  Robert  hatte  offenbar  das  Gefühl, 
daß  dies  nicht  ginge.  Man  hatte  sich  zu  sehr  daran  gewöhnt,  daß 
die  libri  prophetiariim  die  Geschichte  nur  in  Form  von  zusammen- 
hangslosen Fetzen,  in  dunkle  Sprache  gehüllt,  darstellten.  Robert 
hätte  niemals  Glauben  gefunden,  wenn  er  den  Percevalroman  als  eine 
Prophezeiung  ausgegeben  hätte,  und  der  beständige  Gebrauch  des 
Futurums  wäre  sehr  unbequem  geworden.  So  wurde  der  Dichter, 
wenn  er  an  der  Einheit  der  Quelle  fest  halten  wollte,  geradezu  ge- 
zwungen, Merlin  bis  zu  jener  Epoche  leben  zu  lassen,  welche  den 
Schluß  der  Trilogie  zu  bilden  hatte.  Indem  er  dies  tat,  setzte  er 
sich  noch  nicht  in  direkten  Gegensatz  zum  Brutus  resp.  zur  Historia, 
da  hier  nicht  gesagt  wird,  daß  Merlin  unter  Arthur  nicht  mehr  lebte; 
aber  seine  Darstellung  widersprach  wenigstens  der  gewöhnlichen  Inter- 
pretation jenes  Werkes. 

Robert  ließ  aber  Merlin  nicht  nur  Reporter  sein;  sondern  er 
ließ  ihn  auch  die  Geschicke  des  Reiches  lenken.  Er  schrieb  ihm 
vor  allem  die  Idee  der  Gründung  der  Tafelrunde  zu,  und  setzte 
dieses  Ereignis  in  die  Regierungszeit  des  Königs  Uter  Pendragon.  i37) 
Es  sollte  wieder  ein  Bindeglied  zwischen  den  drei  Romanen  sein; 
denn  die  Tafelrunde  sollte  eine  Nachahmung  der  Abendmahlstafel 
Christi  und  der  auf  Christi  Befehl  eingerichteten  Tafel  Josephs  sein, 
von  denen  im  ersten  Roman  die  Rede  ist.  Merlin,  als  die  Ver- 
körperung der  Einheit  der  drei  Romane,  sollte  sie  gründen,  und 
darum  wird  die  Gründung  im  zweiten  Roman,  dessen  Held  Merlin 
ist,  erzählt  und  mußte  somit  in  Uter  Pendragons  Zeit  verlegt  werden. 
Robert  widerspricht   auch   der  Historia  in  Bezug  auf  die  Heirat  von 


i-'^)  Roberts  Werk,  das  eine  Übersetzung  von  Blaises  sein  will,  wird 
auch  direkt  als  Blaises  ausgegeben.  So  schliefst  der  Robertsche  Merlin  iu 
der  vatikanischen  Hs.  Reg.  1512  mit  dem  Colophon:  Si  fenist  U  livres  Meilin 
que  Jilaises  ces  maislres  escript. 

1^')  Da  nach  unserer  Annahme  Robert  nicht  die  Übersetzung  des 
Wace,  sondern  diejenige  Martins  von  Rochester  benutzte,  die  vielleicht  der 
Table  lionde  gar  nicht  Erwähnung  tat,  so  kann  man  nicht  ohne  weiteres  be- 
haupten, dafs  Robert  willkürlich  von  seiner  Quelle  abwich.  Seine  Quelle 
werden  wohl  bretonische  Erzählungen,  vielleicht  Lais,  gewesen  sein,  die  ja 
nach  Waces  Zeugnis  sehr  verbreitet  waren.  Aber  es  ist  zweifellos,  dafs 
diese  Erzählungen  Arthur  die  Gründung  der  Tafelrunde  zuschrieben;  und 
Roberts  Darstellung  ist  also  doch  eine  willkürliche  Abweichung  von  der 
Quelle. 

16* 


244  E.  Brngger, 

Uter  und  I^^erne,  weil  er  seinem  Merlin  eine  neue  wichtige  Holle 
verschaffen  wollte:  Merlin  ist  es  nun,  der  Arthur  zum  Thron  ver- 
hilft  (vgl,  G.  Paris,  Merlin  I  p.  XVIII  f.).  Im  dritten  Roman  ist  er 
es,  der  zuerst  die  Gral-Queste  aufs  Tapet  biingt,  dem  Gral -Helden 
den  Weg  zeigt  (nicht  in  Huchers  Text;  doch  vgl.  Waltli.  Iloffmann, 
Die  Quellen  des  Didot-Perceval  1905  p.  40),  ihn  wegen  seiner 
Verzögerung  tadelt  und  endlich  die  Vollendung  der  Gral-Queste  an 
Arthurs  Ilof  verkündet.  Am  Schluß  des  Romans,  nach  der  Erzäh- 
lung von  Arthurs  Tod,  nimmt  Merlin  Abschied  von  Perceval  und 
von  Blaise,  den  er  vorher  auf  die  Gralburg  gebracht  hat,  et  lor 
clit  que  nostre  sire  ne  vouloit  rnie  que  il  demorast  au  jmeple,  ne 
il  ne  pooit  rnie  inorir  decant  le  defßnement  du  siede;  mes  donc 
avra  il  la  joie  pardurahle;  et  je  feroi  [!]  dejost  [!]  ceste  maison 
(Gralburg),  la  dehors  ceste  forest,  mon  habitage,  et  la  voudrai 
converser  et  j^rophetizerai  qiiant  que  nostre  sires  me  voudra  en- 
seingnier  et  tot  eil  qui  mon  habitage  verront,  Vapeleront  VEsplu- 
meors  Meilin;  atant  sen  toma  Merlin  et  fist  so7i  esplumi'or  et 
entra  dedenz,  ne  oncques  j^ws  ne  fast  veu  au  siecle;  ne  oiicques 
puis  de  Merlin  ne  doii  Graal  ne  palla  puis  li  contes,  fors  tant 
solement  que  Merlin  proia  nostre  Seygnor  que  il  feist  a  touz 
ceus  nierci  qui  volontiers  orroient  son  livre  etc.  (Ilucher,  Saint- 
Graal,  I  p.  503—5). 

Robert  war  nicht  der  erste,  der  Merlin  den  König  Arthur  über- 
leben ließ.  Vor  ihm  tat  es  der  Verfasser  der  Vita  IMerlini.  Robert 
braucht  offenbar  die  Idee  dazu  nicht  von  diesem  geborgt  zu  haben, 
da  sie  sich  bei  seinem  Plane  von  selbst  präsentierte.  Dennoch  ist 
es  möglich,  daß  er  dieses  Werk  benutzte.  Denn  sein  Merlin-Roman 
hat  mit  demselben  zwei  von  jenen  Anekdoten,  die  man  devinailles 
nennen  kann  (diejenige  von  den  Schuhen  und  diejenige  von  dem 
dreifachen  Tod)  gemeinsam.  Beide  Werke  enthalten  daneben  noch 
andere  devinailles.  In  der  Historia  ist  Merlin  eine  durchaus  ernste 
Persönlichkeit,  ebenso  in  den  Pseudo-Myrddin-Gedichten.  Bloß  die 
Vita  Merlini  und  Roberts  Merlinroman  machen  ihn  zu  einem  Farceur. 
Jene  folgte  offenbar  nur  der  Lailokenlegende;  liailoken  wurde  sogar 
als  Hofnarr  dargestellt.  Auch  findet  sich  die  eine  von  jenen  zwei 
devinailles  wirklich  in  der  Lailokenlegende  und  zwar  in  viel  ur^prüng- 
licherer  Form  als  in  der  Vita  Merlini.  Der  in  der  Vita  enthaltenen 
Fassung  ist  aber  diejenige  bei  Robert  ähnlich.  Es  ist  zwar  kein 
triftiger  Grund,  den  G.  Paris  gegen  die  Annahme  einer  Entlehnung 
vorbringt  (p.  XV):  Robert  hätte  sich  dann  auch  2  andere  i)ikante 
devinailles  der  Vita  Merlini  nicht  entgehen  lassen.  Robert  war  kein 
Feinschmecker;  bei  ihm  ist  ja  das  Pikante  seiner  Quellen  in  der 
Regel  verloren  gegangen.  Immerhin  ist  zu  bedenken,  daß  die  Vita 
Merlini  kein  verbreitetes  Werk  war;  und  daß  Robert,  da  er  die 
Historia  nicht  im  Original  benutzte,  vielleicht  des  Lateins  nicht 
kundig  war;    eine   französische  Übersetzung   der  Vita  Merlini  gab  es 


Ij  Enserrcmeiit  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         245 

aber  jedenfalls  nicht.  Anderseits  wird  sich  gegen  die  Annahme,  daß 
Robert  auch  mündliche  Quellen  für  seinen  Merlin  benutzte,  nichts 
einwenden  lassen,  besonders  wenn  man  ihn  für  einen  Anglonormanncn 
hält.  In  Großbritannien  hörte  man  wohl  sehr  viel  von  Merlinus 
Calcdouius  und  seinen  devinailles  erzählen,  ^ss'^  Die  Mystifikationen, 
mit  denen, sich  Roberts  Merlin  amüsiert,  wenn  er  sich  den  Leuten 
zeigen  will,  gehen  wahrscheinlich  auf  die  Historia  zurück;  denn 
schon  beim  Tintagcl-Abenteuer  gibt  er  sich  und  seinen  Begleitern 
eine  andere  Gestalt.  Roheit  beutete  dies  aus,  indem  er  Merlin  als 
Holzhauer  (Merlin  I  GS),  Hirt  (G5),  preuJom  (66,  67),  valet  (72), 
Greis  (107),  Krüppel  (108),  alten  Bauer  (Perceval  481)  erscheinen 
ließ.  Doch  erinnert  uns  der  Waldmensch  Merlin  mit  seiner  Herde 
von  Tieren  (Merlin  I  65)  an  den  Merlin  der  Vita  Merlini,  der  mit 
einer  Herde  von  Hirschen  zu  Gwendoloenas  Hochzeit  zieht.  Über- 
haupt paßt  der  beständige  Aufenthalt  Merlins  in  den  großen  Wäldern 
von  Northumberland  (z,  B.  Merlin  165)  nicht  besonders  gut  zu  dem 
Merlinus  Ambrosius  der  Hibtoria,  sondern  viel  eher  zu  dem  Merlinus 
Caledonius.  Dieser  war  wohl  allein  der  Merlin  der  Volkssage;  der 
Merlinus  Ambrosius  war  nur  eine  literarische  Fiktion.  Wenn  Robert 
Volkssagcn  benutzt  hat,  so  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  der  Schluß 
seines  Perceval,  für  den  weder  in  der  Historia  noch  in  der  Vita  ein 
Vorbild  voi  banden  war  und  der  sicher  nicht  Roberts  Gehirn  ent- 
sprang, aus  einer  solchen  Quelle  stammt.  Roberts  Darstellung  deutet 
darauf  hin,  daß  der  Esplumeors  Mellin  ihm  schon  aus  einer  anderen 
Erzählung  bekannt  war.  Diese  Erzählung  braucht  nicht  in  fran- 
zösischer Sprache  verfaßt  gewesen  zu  sein.  Das  Wort  esplumeors 
kann  eine  Übersetzung,  vielleicht  eine  falsche  Übersetzung  sein. 

Roberts  Quelle  für  jene  Partie  bildete  jedenfalls  nicht  der 
Roman  Meraugis,  wenngleich  hier  auch  vom  Espluryieor  Merlin  die 
Rede  ist.  Meraugis  sucht  Gauvain,  weiß  aber  gar  nicht,  wo  er  zu 
finden  ist.  Darum  sucht  er  zunächst  den  Esplumeor,  welcher  — 
nach  der  Art,  wie  von  ihm  zum  erstenmal  gesprochen  wird,  zu 
schließen  —  schon  als  Informationsbureau  bekannt  sein  mußte. 
Denn  es  heißt:  Meraugis  oirre  qui  vet  querre  L'esplumeor',  en 
mainie  terre  E'a  demande  tant  qiiau  matin  Joste  la  mer  pres  d'un 
chemin  Vit  .1.  röche  mout  grifaigne.  La  röche  ert  hing  en  la 
montaigne,  Mout  haute,  tote  d'u7ie  pierre,  En  toz  tenz  verz',  qxiele 
estoii  dHerre  Bordee  cntor  a  la  riJonde.  Desus  cele  reche  reonde 
Qui  ert  la  plus  haute  den  mont  Vit  Meraugis  lasus  amont  Bien 
jusqua.  XII,  damoiseles.  Iluec  se  sieent  les  puceles  En  .1.  praiel 
soz  .1.   lorier.  i39)     En  toz  tens  servent  de  pledier.    —  De  quoi? 


"8)  Doch  nicht  etwa  iu  Lais.  Diese  devinailles  galten  wohl  nie  als  Lite- 
ratur und  nahmen  darum  wohl  nie  literarische  Form  an. 

139)  Vgl.  die  von  dem  ersten  Herausgeber,  Michelaut,  reproduzierte  Vig- 
nctte(p.  111).  Der  P'els  erscheint  darauf  allerdings  sehrniedrig,  kaumsohochwie 
das  Pferd  des  Meraugis;  doch  rührt  dies  eben  von  der  falschen  Perspektive  her. 


246  E.  Brugger. 

De  ce  qid  a  este?  —  Non  pas,  ja  7ien  sera  parle  Par  eles,  ne 
ja  n^avront  pes;  Ainz  i  tienent  toz  tens  lor  plez  De  ce  qui  est  a 
avenir.  Et  eil  qui  pensa  dou  venir  Est  acoruz  plus  que  le  pas 
Desoz  la  rocke;  eiieslepas  Ala  entor^  mes  il  ni  voit  Par  ou 
tnonter;  qu'il  ni  avoit  Iluis  ne  fenestre  ne  degri.  Ne  sai  se 
Dieus  la  jist  de  gre.  Mout  estoit  haute  et  de  heau  tor.  Et 
Meraugis  ala  entor  Trois  tors  ou  plus  et  lors  cria:  „Dames,  par 
ou  irai  je  laP'  (2633 ff.).  Sie  sagen,  er  könne  nicht  zu  ihnen 
hinaufkommen,  und  als  sie  erfahren,  daß  er  Gauvain  suche,  weisen 
sie  ihn  an  einen  Wegweiser  bei  einer  nahen  Kapelle.  Meraugis, 
nicht  befriedigt,  möchte  wissen,  Par  ou  j'irai  phts  droit  cliemin 
Querre  l'csplumeor  Merlin.  Ja  en  orrai  parier^  ce  croi  (2699 ff.). 
Eine  der  puceles  antwortet:  Esgarde  moi^  Vez-ci  Vesplumeor^  j'i 
sui.  Assez  porras  muser  mes  hui;  Que  ja  plus  riens  ne  t'en 
diron.  Meraugis  merkt  endlich,  daß  er  verspottet  wird;  er  ist  ent- 
täuscht, da  ihm  der  Zwerg  (sein  ehemaliger  Begleiter)  gesagt  hat, 
nur  ici  a  cest  esplumoer  ^^^)  (2713)  könne  er  etwas  über  Gauvain 
erfahren.  Raoul  de  Houdenc  liebte  es  leider,  wie  sein  Vorbild  Chretien 
de  Troyes,  seinen  Lesern  Rätsel  aufzugeben  und  auch  den  Kritikern 
Sorge  zu  machen.  Friedwagner,  der  zweite  Herausgeber  des  Meraugis, 
gibt  zu  (p.  LXXII),  daß  er  die  Episode  nicht  recht  versteht.  Er 
erwartet  Aufklärung  von  andern  Dokumenten,  speziell  von  den 
Prophetiae  Merlini  des  Galfrid  von  Monmouth  (sie!),  die  er  noch 
nicht  gelesen  hat.  Da  wird  er  allerdings  enttäuscht  werden.  Und 
auch  der  Roman,  betitelt  ProphÜies  de  Merlin,  der  ganz  verschieden 
von  Galfrids  Werk  ist  (den  er  vielleicht  meinte),  bietet  nichts.  Wir 
können  höchstens  noch  von  neuen  Belegen  des  Wortes  esplumoer  Auf- 
klärung erwarten.  Hier  sei  nur  so  viel  betont,  daß  die  Meraugis- 
Episode  den  Esplujnoer  Merlin  als  bekannt  vorausgesetzt.  Sie  ist 
auch  weniger  natürlich,  weniger  einfach,  weniger  in  sich  vollständig 
als  die  Esplumoer-FiT^\%o&Q  von  Roberts  Perceval:  Sie  könnte  jeden- 
falls viel  eher  aus  der  letztern  erklärt  werden  als  die  letztere  aus 
ihr.  Außerdem  ist  es  möglich,  daß  Raoul  im  Meraugis  schon  Prosa- 
romane benutzte  (wenigstens  den  Lancelot,  vgl.  in  dieser  Zeitschr. 
XXVin.  p.  59);  doch  der  erste  Prosaromau  war  wohl  die  Bearbeitung 
von  Roberts  Gralzyklus,  i^i)  Raoul  mag  sehr  wohl  Roberts  Perceval 
gekannt  haben,  allerdings  nicht  in  der  uns  erhaltenen  Form;  doch 
der  Schluß  des  Didot-Perceval  ist  jedenfalls  Roberts  Werk;  er  wird  ja 
z.  T.  geradezu  postuliert.     Raoul  bietet  aber  manche  Züge,  welche 


1*")  Im  Reim  zu  Jocr.  Friedwagners  Ausgabe  hat  allerdings  den 
Keim:  esphmäor:  jor.  Doch  vgl.  die  Rezension  von  ü.  Paris,  Rom.  XXVII 
p.  309.  Die  Form  esplumoer  ist  daher  auch  an  den  übrigen  Stellen  des  Me- 
raugis einzusetzen.  Sie  wurde  eben  wegen  ihrer  ungewöhnlichen  Bildung 
durch  das  natürlicher  scheinende  esphmeor  ersetzt. 

1*1)  Vgl.  in  dieser  Zeitschrift  XXIX  76—77. 


L'Enserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         247 

der  Didüt-Perccval  nicht  kennt,  i-^^)  Nach  Raoiil  hat  man  sich  den 
Esplumoer  Merlin  offenbar  als  im  schottischen  Tiefland  gelegen  zu 
denken  (vgl.  auch  Friedwagner,  Ausgabe  p.  LXXIII);  nach  dem 
Perceval  befindet  er  sich  in  der  Nähe  des  Gralschlosses;  wo  aber 
dieses  ist,  wird  nicht  gesagt.  Der  Meraugis  gibt  uns  eine  genauere 
Beschreibung  des  Esplumoer  als  der  Perceval:  Der  Esplumoer  ist 
ein  hoher  Fels  oder  in  einem  solchen  (er  erinnert  uns  an  la  Noiiquetran 
im  Fergus).  Dies  steht  nicht  im  Widerspruch  zum  Perceval.  In  der 
altern  Fassung  des  letztern  mochte  auch  von  einem  Felsen  die  Rede 
sein;  ebenso  ist  es  nicht  unmöglich,  daß  jene  ihn  in  Schottland  lokali- 
sierte. Daß  man  beim  Esplumoer  Merlin  verspottet  und  enttäuscht 
wird  oder  werden  kann,  ist  wohl  eine  Erfindung  Kaouls.  Die  ganze 
Episode  bat  nämlich  bei  ihm  den  einzigen  Zweck,  den  Helden  zu 
ärgern,  und  zu  diesem  Zweck  wurde  dieser  von  jener  male  creature, 
dem  Zwerg,  dahingeschickt.  Nur  diesem,  in  den  Romanen  sehr 
häufigen,  Ärger-Motiv  ist  es  zuzuschreiben,  daß  Meraugis  beim 
Esplumoer  keine  rechte  Auskunft  erhält.  Auch  der  Jungfernkranz 
kommt  mir  verdächtig  vor.  Er  erinnert  mich  zu  sehr  an  jene  cour 
d'amour,  welche  im  ersten  Teil  des  Meraugis  beschrieben  wii'd  und 
welche  sicher  '^3)  eine  Zutat  Raouls  ist.  Au  beiden  Orten  beschäftigen 
sich  die  Damen  mit  pleidier.  Raoul  schrieb  wohl  seinen  Roman  für 
eine  Dame;  denn  er  schmeichelt  den  Damen  in  ganz  überschwäng- 
licher  Weise,  i^^)  Nach  seiner  Meinung  sollten  wohl  alle  wichtigen 
Fragen,  also  auch  die  Zukunftsfragen,  von  Damen  diskutiert  werden. 
So  kam  er  vielleicht  von  selbst  auf  die  Idee,  Merlin  mit  einem 
Kranz  von  Damen  zu  umgeben,  die,  statt  seiner,  den  Ratsuchenden 
prophezeien  sollten.  Ist  es  doch  auch  bei  Robert  nicht  recht  klar, 
wie  Merlin,  ohne  gesehen  zu  werden,  noch  weiter  prophezeien  will. 
Seit  wann  sich  Merlin  in  seinem  Esplumoer  befindet,  sagt  Raoul 
nicht.  Wir  können  nur  sehen,  daß  er  schon  zu  Arthurs  Zeit  darin 
ist.     In  diesem  Punkt  weicht  also  Raoul  von  Robert  ab.^^^^ 


"-)  Die  Hs.  von  Modena  scheint  hier  von  der  Hs.  Didot  nicht  abzu- 
weichen; sonst  hätte  wohl  Walther  Iloffmaun  (Die  Quellen  des  Didot-Ferceval 
1905)  hiervon  etwas  ewähut. 

'■»^)  Ich  werde  dies  einmal  bei  anderer  Gelegenheit  beweisen. 

"*)  Der  Meraugis  bildet  in  dieser  Beziehung  einen  Gegensatz  zu  der, 
auch  Raoul  zugeschriebenen  Vengeance  Raguidel.  Ich  halte  dies  jedoch  nicht 
für  einen  Grund  gegen  die  Annahme  gemeinsamer  Autorschaft;  denn  diese 
Klasse  von  jonghurs-tronveres  gibt  ihre  Meinungen  gern  preis,  wenn  es  ihr 
Vorteil  ist. 

'*^)  An  die  esplumeor-Yi^hoA^  im  Meraugis  erinnert  auch  eine  Episode 
der  Kürzung  B  der  romantischen  Merlin- Fortsetzung ;  diese  Episode  ist,  so 
viel  wir  bis  jetzt  wissen,  nur  in  der  Handschrift  fr.  11'2  der  Pariser  National- 
bibliothek, erhalten  und  wurde  von  Wechasler  (Redaktionen  p.  30)  ange- 
zogen [In  der  Deutschen  Lileralurzeitmg  XX  (1899)  p.  663  —  661)  bemerkt 
Wechssler,  dafs  die  er/)/«??iet>r-Episode  des  Meraugis  durch  die  folgende  erst 
verständlich  werde,  was  ich  bezweifle]:  „Morhout  und  Gauvain  geraten  auf 
den  Jungfernfelsen  (rocke  as  pticchs),  verlieren  dort  sens  et  memoire  und  bleiben 


248  E.  Brugger. 

Doch  dies  tatcu  auch  andere  Autoron.  Die  Neuerungen  Roberts, 
besonders  wenn  sie  der  Historia  widersprechen,  wurden  offenbar  im 
allgemeinen  nicht  akzeptieit.'^ß)  Man  hielt  doch  Galfried  noch  für 
eine  höhere  Autorität  als  Robert  (Vgl.  auch  in  dieser  Zeitschrift  XXIX^ 
p,  G5— 66,  A.  14), 

Dies  zeigt  auch  der  Perlesoaus,  obschon  er  zu  einem  Zyklus 
gehörte,  der  jedenfalls  auf  Robeits  Trilogie  aufgebaut  worden  war. 
Der  Verfasser  scheint  zwar  außerdem  noch  besondere  Gründe  gehabt 
zu  haben  (vgl.  in  dieser  Zeitschrift  XXIX.  84).  Nach  dem  Perlesvaus 
starb  Merlin  unter  Arthur,  wenn  nicht  schon  unter  Uter  Pendragon. 
Artus,  Gauvain  und  Lancelot  kamen  einst  nach  Tintaivel;  rings  um  das 
Schloß  fanden  sie  die  Erde  gespalten.  Bei  einer  Kapelle  erblickten 
sie  einen  Sarg.  Ein  Priester  erzählte  ihnen,  wie  Galoes  und  Yguerne 
durch  Uter  Pendragon  und  Merlin  betrogen  wurden,  im  Einklang  mit 
der  Hi&toria.''^^)  Dann  fuhr  er  fort:  Seignors,  en  cest  sarqueu  fu 
mis  li  cors  de  Merlin;  mes  onqiies  ne  le  pot  Ven  mesire  par 
dedanz  la  chapele,  ainz  li  covint  demorer  par  defors.  Et  sac/iih 
tot  de  voir  que  li  cors  ne  gist  mie  dedanz  le  sarqueu;  car  tantost 
comme  il  i  fu  mis,  en  fu  il  jyartiz  et  fu  raviz  de  par  Dieu  ou 
de  par  Vanemi,  nos  ne  savous  lequel  (p.  229  —  30).  Der  Parallelismus 
des  Merlin-Antichrist  zu  Christus  wurde  im  Perlesvaus  vollständig 
gemacht,  dadurch  daß  auch  jenem  eine  Auferstehung  zuteil  wurde. 
Merlins  Grab  wurde  wohl  nur  deshalb  in  Tintagel  lokalisiert,  weil 
dies  der  Schauplatz  seiner  wichtigsten  Tat  gewesen  war.  i^S) 


jahrelang  in  diesem  Zauber  gefangen".  Ich  habe  den  Passus  einst  in  der 
Handschrift  nachgesehen  und  mir  daraus  folgendes  notiert:  El  de  tant  hur 
est  il  mtsavenii  qu'il  ne  leitr  sovient  de  rkn  qudz  onques  eiissent  fait  ne  d'amis  ne  de 
2)arens,  ainz  se  jouent  leans   et   envoysent  et  aprenent  cnchantemcns  et  jeux  de  diverses 

manieres.  Das  Gesprächsthema  der  Jungfrauen  war:  les  choses  qui  estnent  a 
advenir;  sie  werden  darum  auch  devineresses  genannt.  Eine  Vignette  zeigt 
uns  einen  sehr  hohen  Felsen,  worauf  die  Jungfrauen  sind.  Die  Seniorin 
derselben  sagt  zu  Gaheriet,  der  die  Helden  befreien  will:  les  autres  qui  y  sont 

n'y  monterent  mie,  (fait  eile),  par  eulx  ne  par  leur  enyin;  ainz  y  furent  porttz  par 
enchantemens,  Et  par  enckantemens  y  sont  Hz  tenus  et  y  demorront  tant  comme  ellcs 
vouldront.  Die  Befreiung  gelingt  dadurch,  dafs  Gaheriet  einen  Bruder  der 
Jungfrauen,  der  eine  kleine  Festung  in  der  Mähe  des  Felsens  bewohnt,  im 
Kampfe  besiegt  und  ihm  nur  unter  der  Bedingung  das  Leben  schenkt,  dafs 
er  Gauvains  und  Morhouts  Befreiung  erwirke.  Diese  Episode  entstand  viel- 
leicht durch  Verschmelzung  der  Esplumeor-  uud  der  Co-o^es-Episode  des 
Meraugis.  Der  Verfasser  der  romantischen  Merlin-Fortsetzung  hat  nämlich 
ganz  sicher  den  Meraugis  benutzt  (man  vgl.  Balaan  und  Balaain). 

1")  Auch  die  Gründung  der  Tafelrunde  durch  Uter  Pendragon  und 
Merlin  nahm  man  im  allgemeinen  nicht  als  richtig  an. 

"^)  In  dieser  fand  der  Verfasser  auch  den  Namen  Galoes  (Goi-lois), 
der  bei  Robert  fehlt. 

'■*8)  Der  Perlesvausdruck  von  1523  (fol.  180d— 181a)  weist  hier  eine  be- 
merkenswerte Abweichung  auf,  welche,  wenn  ursprünglich,  den  ganzen 
Passus  der  Merlinsage  entreifsen  würde,  nämlich :  en  ce  sarcueil  fut  mis  le  roy 
Golaas  (d.  h.  Gorlois;  röy  anstatt  diic).  Diese  Lesart  möchte  insofern  an- 
sprechender sein,  als  Tintagel  sich  besser  für  das  Grab  des  Gorlois  als  für 


L'Enserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         249 

In  dem  späten  Veisroniau  Claris  et  Laris  ersclieint  Merlin 
den  Rittern  als  Greis  in  einem  Walde  (Geographie  unbestimmt). 
Brandaliz  ist  auf  der  Laris-Questc.  Eines  Nachts  sah  er  in  einem 
großen  Wald  ein  Feuer,  bei  dem  ein  alter  preudons  saß.  Dieser 
bot  ihm  ein  bescheidenes  Mahl  und  Herberge  beim  Feuer  an.  Der 
müde  Ritter,  schlief  bald  ein.  Als  er  am  Morgen  erwachte,  war  er 
allein  beim  Feuer.  Doch  hörte  er  eine  laute  Stimme,  die  ihn  schalt, 
weil  er  seinen  Wirt  nicht  nach  Laris  fragte:  Tu  avoies  tel  avantage., 
Que  Merlins  hebergie  favoit,  Qui  tont  set,  tout  fet  et  tont  voif, 
Comment  Laris  iert  delivrez  (v.  22  234if.).  Die  Stimme  (Merlins?) 
zählt  nun  Merlins  Werke  auf:  Cest  eil  qui  le  roy  Artus  fist,  Cest 
eil.,  qui  Vespee  tramist  Au  pcrron^  dont  fu  receuz  Et  par  ßretaingne 
retenuz;  Merlins  /ist  la  roonde  table  etc.  (22  241  ff).  Dies  genügt, 
um  zu  zeigen,  daß  der  Verfasser  Robert  de  Borron,  nicht  der  Historia 
resp.  Wace  folgt.  Nachher  trifft  auch  Claris  den  Merlin  am  selben  Feuer. 
Er  fragt  ihn,  wer  er  sei  und  erhält  zur  Antwort:  Ge  sid  Merlins  par 
non  clamez^  Du  roy  Pendrag on  fui  amez,  Longuement  fui  ensemble 
0  soi,  Mes  le  monde  est  si  piain  d'anoi,  Que  ci  ving  pour  espeneir 
(büßen);  A'gn  partirai  dusqu^au  morir  (v.  22  931  ff.).  Da  Claris 
sich  nach  Laris  erkundigt,  gibt  ihm  Merlin  Auskunft.  Es  ist  be- 
merkensweit, daß  der  Verfasser  dieses  Romans,  trotzdem  er  Robert 
und  nicht  die  Hihtoria  benutzt,  den  Schluß  des  Perceval  ganz  ignoriert. 
Er  läßt  Merlin  zwar  in  Arthurs  Zeit  noch  leben,  stellt  aber  in  Aus- 
sicht, daß  er  wirklich  sterben  werde,  und  läßt  ihn  vorher  als  Ein- 
siedler Buße  tun.  Er  scheint  eine  Handschrift,  die  nur  Joseph  und 
Merlin  enthielt,  benutzt  zu  haben. 

In  den  uns  bekannten  Versionen  der  Galaad-Gralqucste  und 
der  auf  sie  folgenden  Mort  Artur  hat  Merlin  keine  aktive  Rolle. 
Galfrids  Historia,  welche  Merlins  Carriere  vor  Arthurs  Regierungsantritt 
abschloß,  war  zwar  jedenfalls  für  sie  nicht  mehr  maßgebend,  ging 
ihnen  doch  Roberts  Merlin  voraus.  Dagegen  hatte  der  Peilesvaus, 
auf  den  die  Galaad-Queste  zurück  geht,  Merlin  als  tot  erklärt.  Als 
dann  der  Lancelot  vor  den  Perlesvaus  trat,  mochten  die  spätem  Brauches 
auf  das  E.  M,  L.  Rücksicht  nehmen.  Doch  wurde  nun  von  einem 
Überarbeiter  des  Cyklus  eine  Befreiung  Merlins  durch  Perceval  in  den 
Perlesvaus  interpoliert,  und  diese  Episode  scheint  dann  mit  Galaad 
an  Stelle  von  Perceval  in  die  Galaad-Gralquesten  hinübergegangen  zu 
sein  (vgl.  oben,  namentlich  Bd.  XXIX  p.  88).  In  den  bis  jetzt 
bekannten    Versionen     der    Galaad- Gralqueste    ist    aber    das    betr. 


dasjenige  Merlins  eignet.  Andererseits  sieht  man  doch  nicht,  weshalb  der 
Leichram  des  Gorlois  ein  so  ganz  besonderes  Schicksal  gehabt  haben  sollte, 
welches  dagegen  für  den  gottbegnadeten  Teufelssohn  sehr  natürlich  wäre. 
Ein  indirekter  Beweis  für  die  Richtiftkeit  von  I'otvins  Version  ist  vielleicht 
das  in  dieser  Zeitschrift  XXIX  88—80  gesagte.  In  dem  folgenden  Passus 
des  Drucks:  Car  si  tost  que  il fut  dedaus  on  ne  scaijt  que  il  der-int  ou  se  Dicu  on 
dijahle  Vanporta  ist  au  in  ou  ZU  korrigieren. 


250  E.  Brugger. 

Abenteuer  nicht  inclir  zu  finden;  und  es  laßt  sieh  deshalb  nicht 
mehr  sagen  oder  auch  vernmtcn,  wie  es  ausgesehen  hat,  speziell  auch 
was  aus  dem  befreiten  jMcrlin  wurde.  Ohne  das  Abenteuer  zu  kennen, 
können  wir  aucli  nicht  bestimmen,  warum  es  nachher  wieder  gestrichen 
wurde.  In  den  Versionen  der  Mort  Artur  ist  meines  Wissens  von 
Merlin  überhaupt  nicht  die  Rede,  in  denen  der  Queste  nur  noch  en 
passant.  Die  Versionen  der  Queste  wollen  vor  allem  kund  tun,  daß 
Ereignisse  der  Gralsuche  von  Merlin  und  zwar  schon  bei  der  Gründung 
der  Tafelrunde  unter  Uter  Pendragon  vorausgesagt  worden  waren.  So 
heißt  es  in  der  Queste  des  Oi-Galaadgralcyklus:  Et  qxiant  Merlin 
eilt  la  table  ronde  establie,  il  dist  que  par  ceulx  qui  en  seroijent 
compaignons,  sgauroit  on  la  verite  du  sainct  graal  dont  on  ne  peult 
vcoir  aidfcjun  signe  au  temps  du  dit  Merlin.  Merlin  prophezeite, 
daß  3  Ritter  der  Tafelrunde  die  Wahrheit  über  den  heiligen  Gral 
erfahren  werden,  li  doi  virge  et  li  tiers  castes,  daß  der  letztere 
seinen  Vater  übertreffen  werde  comme  lions  passe  lupart;  für  diesen 
Gralhelden  schuf  Merlin  den  seige  perilleus  (Lancelot-Druck  von 
1520,  III  fol.  98 d,  Furnivall  p.  66-68,  Füeterer  ed.  Peter  p.  287, 
holländische  Übersetzung  v.  3304  ff.).  Nachher  wird  Merlins  Prophe- 
zeiung betr.  Galaad  nochmals  erwähnt:  Ainsi  dist  Merlin  de  ce 
Chevalier  que  voiis  avez  veii,  celluy  qui  moidt  sfavoit  des  choses 
qui  estoyent  a  advenir  (Lancelotdruck  III  fol.  108  b,  holländische  Über- 
setzung V.  4654;  vgl.  auch  den  kymrischen  Text  p.  438).  Von  der 
Queste  des  O'-Galaadcyklus  kenne  ich  nur  den  von  Reinhardstöttner 
herausgegebenen  Teil  der  Wiener  Demanda.  Der  schwimmende  per7'on 
mit  dem  Schwert,  das  nur  vom  besten  Ritter  herausgezogen  werden 
kann,  war  gemacht  worden  pello  encantamento  de  Merlim,  dsi  como 
0  conto  a  ja  devisado  (die  romantische  Merlinfortsetzuug,  die  uns 
zum  Teil  verloren  gegangen  ist,  wird  geraeint  sein);  und  Merlin  hatte 
die  Inschrift  auf  die  Schwertscheide  geschrieben  (p.  7).  Bei  dem  siege- 
perilleus-xVhentener  wird  Galaad  bezeichnet  als  o  cavallegro  de  que 
Merlim  e  todo  llos  outros  profetas  fallaron  (p.  1 1 ). 

Im  Lancelot  endlich,  zu  dem  wir  nun  wieder  zurückkehren,  wird 
Merlin  hie  und  da  erwähnt:  Bei  der  Beschreibung  von  Sorelois  wird 
gesagt,  daß  man  nur  auf  zwei  gefährlichen  Straßen  in  das  Land  gelangen 
konnte,  ä  partir  du  temps  ou  Aferlin  prophkisait  jusqau  terme 
des  temps  aventureux,  cest  ä  dire  durant  mille  et  six  cent  quatre- 
vingt-dix  semaines  (ungefähr  32  »/o  Jahi'e)  (RTR  III  280  =  Druck 
von  1520,  I  fol.  85  d).  Seine  Zauberei  ist  bekannt:  Als  Morgain 
von  Lancelot  seinen  Ring  verlangt,  erhält  sie  zur  Antwort:  aingoys 
useriez  vous  tous  les  conjuremens  de  Merliji  et  encores  ne  les  auriez 
vous  spas  (Druck  I  f.  196b  =  R  T  R  IV  292,  Jonckbloet  II  p  LXXI). 
Ihm  wird  die  Erschaffung  eines  Zauberbettes  auf  der  Isle  des  Merveiles 
zugeschrieben,  le  lict  Merlin  ou  nid  ne  se  couchoit  quil  ne  perdist 
incontinent  le  sens,  car  il  estoit  encliante  et  si  tost  come  il  estoit 
hors,  si   revenoit  en  son  droit  povoir;   die  ebendaselbst  befindliche 


L'Enserrenient  Merlin.    Stadien  zur  Merlinsage.         251 

es-pce  adventureuse,  die  niemand  empoigner  konnte,  so  groß  auch  seine 
Hand  war,  wird  ebenfalls  Merlins  Werk  gewesen  sein.  Auch  einen 
perron  Merlin  kannte  der  Lancelot,  verschieden  von  demjenigen  in 
der  Queste  und  wahrscheinlich  auch  von  demjenigen  in  Roberts  Merlin 
(R  T  R  III  287,  Jonckbloet  II  p.  XLIX,  Druck  I  f.  78  a).  Nach  R  T  R 
III  282  würde  man  meinen,  daß  er  nicht  weit  von  Carlion  sich  be- 
finde; aber  wenn  es  heißt,  daß  er  der  Ort  sei,  wo  Merlin  die  Zauberer 
getötet  habe,  so  wird  man  wohl  an  das  von  Orpheus  zur  Zeit  Josephs 
von  Arimathia  gegründete  chasteau  des  enchanteurs  zu  denken  haben, 
von  dem  im  Lancelot  (Druck  III  f.  27  d,  holländische  Übersetzung  v. 
29  409  ff)  die  Rede  ist  und  das  cn  la  marclie  d'Escosse  liegen  soll 
(vgl.  auch  G.  Paris,  Merlin  I  p.  XLVII).  Ebenfalls  in  Escosse 
(genauer  in  oder  bei  Gorre^  welches  mit  Escosse  w'enigstens  z.  T. 
identisch  ist)  scheint  die  tor  Mellin  gelegen  zu  sein,  et  la  dedenz 
sont  les  greignors  merveilles  qui  soienf,  ne  mes  cele  dou  Graal 
(Jonckbloet  II  p.  CXXXVIII,  RTR  V  191—192,  Druck  II  f.  45  c). 
Der  Turm  befindet  sich  in  einem  Wald,  der  3  Tagereisen  von  Iluidesan, 
einer  der  wichtigsten  Städte  von  Gorre,  entfernt  ist.  In  diesem  Wald 
erfährt  Lancelot  von  einem  Förster  über  den  Turm:  eile  est  en  la 
fin  de  ce  pays  par  devers  soleil  coucliant  enire  le  Blanc  Chastel 
et  la  ville  de  Gazan.  Die  Wunder  des  Turmes  sollen  bei  Lancelots 
Ankunft  aufhören.  Laucelot  aber  geht  direkt  auf  Huidesan  zu,  um 
keine  Zeit  zu  verlieren  Meines  Wissens  ist  nachher  von  der  tor 
Mellin  nicht  mehr  die  Rede.  Auch  mit  Oxford  ist  Merlins  Name 
verknüpft.  In  einer  Episode,  die  nach  P.  Paris  (R  T  R  IV  137  n.) 
nur  eine  späte  Interpolation  gewisser  Handschriften  ist,  wird  unter 
den  12  weisen  Meistern  (clcrs  =  magi)  Galehauts  an  siebenter  Stelle 
ein  Dritte  genannt,  welcher  estoit  ne  du  roi/aiäme  de  Logres  d'ung 
chasleciu  qui  estoit  a  six  Heues  anglesches  pres  d'illec  que  Merlin 
(dieser  war  nach  P.  Paris  le  mattre  de  Petrone)  appella  le  Gui  des  hiicz 
la  ou  Ven  disoit  que  [vers  la  fin  des  tempsj  toute  sapience  descendoit . . . 
le  chasteau  avoit  nom  flu  du  jiort  (Lindenort),  et  le  clerc  avoit 
noni  maistre  Ferroine  (PetrotieJ,  et  par  lug  furent  les  propheties 
de  Merlin  apprinses  et  mises  en  escript.  Et  ce  fut  celuy  qui  la 
premicre  escole  en  tint  a  moejford.  (Osineford)  qui  vault  avant 
[1.  autayitfj  a  dire  comme  gue  des  bucz^'^^)  (Druck  I  f.  152  b, 
RTR  IV  118).  Doch  auch  maitre  Helie  de  Toulouse  zitiert  eine 
Prophezeiung  Merlins  von  dem  dragon  merveilleux  (Galehaut),  dem 
ISopard  (Lancelot)  und  dem  serpent  au  chef  d'or  (Guenievre)  (R  T 
R  IV  122);  da  dieselbe  auch  in  der  pseudohistorischen  Merlin- 
fortsetzung und  in  Richards  Frophesics  Merlin  vorkommt,  so  mag 
sie  aus  einem  dieser  Werke  in  den  Lancelot  interpoliert  worden  sein. 
Ich    würde  am    ehesten   an  Entlehnung  aus   den  Frophesies  Merlin 


1^^)   Trotz   dieser   Erklärung    vermutet   P.  Paris,   dafs    Gui   des  bucz 
Buckingham  bedeute,    bucz  ist  natürlich  entstellt  aus  bues. 


252  E.  Brugger. 

denke«,  wenn  es  eine  Version  dieses  Werkes  gab,  die  aucli  einen 
maistre  Perroinc  unter  den  Schreibern  Merlins  aufzäliltc.  Dass 
Merlin  über  den  siege  periücux  proi)liezeit  liattc,  weiß  auch  der 
Loncelot,  doch  jedenfalls  nur  in  Anlehnung  an  die  Qucste.  Bei 
einem  großen  artluirischen  Fest  in  Canielot  war  folgende  Inschrift  auf 
dem  Sitz  zu  lesen:  Ici  covient  mijounFug  mourut  [1.  moxirir} 
ßrumani  VorgiieiUeux^  et  se  il  ng  meurt,  Alerlin  ment  en  ses 
prophecies  (Druck  von  1520,  Ulf.  37 d,  holländische  ÜbcrbCtzung  v. 
31398  ff.,  Füeterer  p.  240)  i^-). 

Ich  muß  hier  endlich  nocli  eine  auf  Merlin  bezügliche  Episode 
des  Lancelot  erwähnen,  die,  wie  das  E.  M.  L.  durchaus  den  Charakter 
einer  Interpolation  hat.  Sie  ist  ein  Resume  eines  ursprünglich  selbst- 
stäudigen  Lai  Guiomar.  Jonckbloct  hat  sie  abgedruckt  (Lancelot 
Bd.  I  p.  LXXI  f.).  Voraus  geht  ihr  die  bekannte  Episode  vom 
Val  sanz  retor,  worin  von  Morgain  Folgendes  gesagt  wird:  11  fu 
voirs  qua  Morgains^  la  suer  le  roi  Artu,  sot  moult  d'enchantement 
et  de  charoies  soi'  totes  fames;  et  por  la  grant  entente  qu'ele  i 
mist  en  lessa  ele  et  guerpi  la  covine  des  genz  et  conversoit  et  jor 
et  nuit  es  granz  forez  parfondes  et  fontainnes  (1.  soiitahiesj,  si  que 
maintes  genz,  dont  il  avoit  moult  de  foles  par  tot  le  pais,  ne  disoienl 
mie  que  ce  fust  fame,  rnes  il  l'apeloient  Morgain  la  deesse  (\.  c.  p. 
LXIX).  Diese  Morgain  hält  den  Lancelot  im  Val  sanz  retor 
gefangen,  weil  er  von  der  ihr  verhaßten  Königin  Guenievre  geliebt 
wird.  Der  Ljai  Guiamor  soll  nun  die  Uisache  dieser  Feindschaft 
erklären.  11  fut  voirs  que  Morguein  fu  jille  au  duc  de  Tintaivel  et 
fille  Ingerne  qid  puis  fu  ra'ine  de  Bretaigne  et  fame  Utcr  Pandracon ; 
et  de  lui  fu  nez  li  rois  Artus  qui  en  lui  fu  engendrez  au  vioant 
le  duc  par  la  traison  que  Merlins  fist.  Quant  higerne  s''en  vint 
a  Uter  Pandragon  qui  Vesposa,  si  amena  Morguein  avec  lui,  sa 
fille.  Als  Arthur  König  wurde  und  Guenievre  heiratete,  wurde 
Morguein  ihre  Zofe.  Sie  verliebte  sich  in  einen  jungen  Ritter,  Neffen 
des  Königs  '48),  Guiamor  de  Camelide,  und  wurde  von  ihm  schwanger 
gemacht.  Die  tugendhafte  Königin  aber  machte  den  Ritter  von  Morgain 
abtrünnig.  Als  diese  sah,  daß  sie  nichts  gegen  die  Königin  aus- 
richten konnte,  si  dist  qu'ele  serifuiroit  et  querroit  Mellin  par 
totes  terres  tant  qu'ele  le  troveroit;  quar  ele  ne  cuide  mie  trover 
conseil  de  sa  dolor  par  nul  autre  home.  Tant  le  quist  quele  le 
trova;    et  ele  en  avoit  mcne  moidt   hcle  chevalerie.     Si  s'acointa 


'*")  Ein  seüjneur  de  la  marchc  d'Escosse,  der  bei  P.  Paris  Marla'm  le 
?««Mra<'s  (R  T  R  V  3"22),  in  der  holländischen  Übersetzung  (v.  '280-41)  die  simple 
Merlan  und  die  vermalendide  Merlan  hcifst,  wird  im  Druck  von  1520  (III  f  18  b) 
Jferliti  le  simple  und  ^krlin  le  vialoit  genannt. 

^*8)  Ursprünglich  jedenfalls  Neffe  der  Königin,  die  auch  aus  Camelide  war 
Nach  der  pseudohistorischen  Merlinfortsetzung,  die  die  Lancelotepisode  be- 
arbeitite,  ist  er  denn  auch  cousins  au  roy  Leodeyan  (nicht  Arthur!)  (sc.  de 
Camelide)  (=  Sommer  p.  2^9/9). 


Ij  Enserreme7it  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         253 

de  Merlin,  qui  Vania  plus  que  mdle  rien^  si  U  aprist  tant  de 
charoies  et  d''enchantemcnz  comme  eh  en  sof]  et  demora  avec  liä 
grant  piece.  Et  li  enfes  qu  ele  ot  de  Guiamor  fu  puis  de  grant 
proece.  Mit  ihrer  Zauberei  schuf  sie  dann  das  Val  sanz  retor,  wo 
sie  sich  indirekt  an  Guenievre  rächte.  '^■^) 

Abgeselien  von  der  auf  den  siege  j^crilleus  bezüglichen  Prophe- 
zeiung, die  jedenfalls  durch  die  Vorbereitung  auf  die  Queste  veranlaßt 
wurde,  von  dem  Passus,  den  P.  Paris  als  späte  Interpolation  einer 
Handschriftengruppe  erklärt,  und  von  der  eben  erwähnten  Episode 
können  die  auf  Merlin  bezüglichen  Stellen  des  Lancelot  mindestens 
ebenso  alt  sein  wie  das  E.  M.  L.,  denn  sie  verraten  keine  Spur  von 
Beeinflussung  durch  eine  der  Branches  des  Gralcyklus,  vor  allem 
Pioberts  Merlin.  Sagen  von  Merlinus  Caledonius  mögen  benutzt  worden 
sein;  daraufhin  sclieint  die  Lokalisation  in  Schottland  zu  deuten.  Die 
Guiamor-Episode  steht  insofern  im  Widerspruch  zu  allen  andern 
Merlinstellen  (das  E.  M.  L,  eingeschlossen)  und  zu  Galfrids  Historia, 
als  sie  Merlin  noch  unter  Arthur  auftreten  läßt.  Wenn  auch  die 
Historia  Merlins  Fortleben  unter  Arthur  nicht  bestreitet,  so  wird  hier 
doch  eher  der  Einfluß  von  Piobeits  Merlin  zu  erkennen  sein,  der 
zwar  Merlins  Leben  auch  nicht  über  Arthurs  Regierungsantritt  hinaus 
führt,  aber  doch  das  Weiterleben  Merlins  gewissermaßen  postuliert.  Daß 
Morgain  la  suer  le  roi  Artu  war,  steht  zwar  nicht  in  der  Historia, 
noch  in  den  uns  bekannten  Übersetzungen  derselben,  aber  doch  nicht 
zum  ersten  Mal  in  Koberts  Merlin,  sondern  schon  in  Erec.  Daß  aber 
Morgain  die  Tochter  des  Herzogs  von  Tintaguel  war,  findet  sich  vor 
Roberts  Merlin  nirgends  verzeichnet  und  scheint  eine  Erfindung 
Roberts  zu  sein. 

Es  zeigt  sich  schon  aus  dieser  Übersicht,  daß  die  Zeugnisse  in 
französischer  Sprache  sich  im  Allgemeinen  durchaus  an  den  Merlin 
von  Galfrids  Historia,  an  den  Merlinus  Ambrosius,  halten.  Nur  wenige 
Einzelheiten  wurden  von  Merlinus  Silvester  geborgt,  der  den  in  Groß- 
britannien lebenden  französischen  Dichtern  auch  nicht  unbekannt 
geblieben  sein  konnte.  Diese  hielten  wohl  wie  Giraldus  Cambrensis 
und  der  Verfasser  der  Triade  No.  101  die  beiden  Merlins  nicht  für 
identisch,  und  darum  bemühten  sie  sich  nicht,  wie  es  der  Verfasser 
der  Vita  Merlini  und  derjenige  der  Tirade  113  taten,  die  großen, 
namentlich  die  Zeit  und  das  Milieu  betreffenden,  Gegensätze  aus- 
zugleichen. Als  Arthurromandichter  mußten  sie  sich  zu  Gunsten  des 
Merlinus  Ambrosius  entscheiden,  und  von  dem  Merlinus  Silvester 
werden  sie  nur  verstohlen  einzelne  Züge  entnommen  haben,  die  leicht 
auf  jenen  übertragbar  waren.  Die  wesentlichen  Züge  des  letzteren, 
das  Bardentum  und  das  nordbrittische  Milieu,  ignorirten  sie  offenbar 
mit  Vorbedacht.     Die    zitierten  französischen   Zeugnisse  —   und   sie 


"^)  In  Sir  Gawain  and  the  Green  Kniyht  (Madden  p.  90)  wird  Morijiie  la 
Faye  genannt  pe  mni/slres  of  Merlyn. 


254  E.  ßrugger. 

sind  die  einzigen,  welche  der  Version  L  des  E.  M.  direkt  oder  indirekt 
vorausgegangen  sind,  resp.  vorausgegangen  sein  könnten  —  weisen 
uns  nie  nach  der  Bretagne.  In  allen  wird  die  Merlinsage  in  Groß- 
britannien, entweder  in  Süd-Wales  (Merlinus  Ambrosius),  oder  in 
Nordengland  und  dem  schottischen  Tiefland  (Merlinus  Silvester  oder 
Caledonius)  lokalisiert.  Auch  diejenigen  Züge,  die  nicht  direkt  aus 
den  in  unsern  großbritannischen  Zeugnissen  niedergelegten  Legenden 
von  Merlinus  Ambrosius  und  Merlinus  Caledonius  abzuleiten  sind, 
zeigen  keinerlei  Symptome,  die  auf  bretonische  Herkunft  schließen 
lassen.  Sie  beruhen  entweder  auf  großbrittannischen  Sagen,  die  uns 
zufällig  nicht  durch  einheimische  Zeugnisse  überliefert  wurden,  oder 
es  sind  Erfindungen  der  französischen  Dichter.  Unser  E.  M.  L.  war 
in  der  Tat  die  erste  Behandlung  der  Merlinsage,  welche  Merlin, 
wenigstens  zeitweise  in  der  Bretagne  weilen  läßt.  Ich  habe  aber  oben 
gezeigt,  daß  diese  Lokalisation  offenbar  eine  Erfindung  des  Lancelot- 
Interpolators  war. 

Zeugnisse  in  bretonischer  Sprache  scheint  es  nicht  zu  geben, 
abgesehen  von  den  Fabrikaten  des  vicomte  Hersart  de  la  Villemarque. 
Nach  Rhys  {Hihbert  Lectures  p.  157  — 158)  wird  jedoch  noch  in  Anne 
Plumptre^s  Narrative  of  a  Ihree  Years  lUsidence  in  France  (Lond. 
1810.  III  187)  eine  bretonische  Sage  erwähnt,  wonach  his  misiress 
chose  to  enclose  htm  in  a  tree,  but  nobody  knows  where,  though 
it  is  sometimes  surmised  to  have  been  on  a  liitle  island,  off  the 
Bec  du  Raz^  called  Sein,  uiJiich  is  fahled  io  have  been  also  the 
scene  of  liis  birih.  Das  Narrative  war  mir  nicht  zugänglich.  Die 
Sage  wird  wohl,  wenn  es  überhaupt  eine  solche  und  nicht  bloß  eine 
Erfindung  ist,  literarischen  Ursprungs  sein.  Jedenfalls  ist  sie  ganz 
jung.  Dem  wälschen  Myrddin  mußte  wohl  bretonisch  Merdin  und 
Merzin  entsprechen  ^^^). 

Wir  haben  nun  zu  untersuchen,  ob  sich  in  den  hier  besproche- 
nen Zeugnissen  Elemente  finden,  die  dem  E.  M.  als  Grundlage  gedient 
oder  dasselbe  beeinflußt  haben  mochten. 

Wir  beginnen  mit  den  Beziehungen  Merliu's  zum  weiblichen 
Geschlecht.  Während  das  vielleicht  älteste  Dokument  der  Merlinsage, 
Galfrid's  Historia  regum  Britanniae,  gar  keine  solche  Beziehungen  er- 
wähnt, haben  wir  sonst  ziemlich  viel  Material  hierfür.  Von  den  Be- 
ziehungen Merlins  zu  seiner  Mutter  in  Robertos  Merlin  braucht  hier 
nicht  gehandelt  zu  werden.  Stephens  {Geschichte  der  ivülschen 
Lit.  p.  164)  identifizierte,  allerdings  ohne  einen  Grund  anzugeben, 
Gwendydd,  die  Schwester  Myrddin's,  mit  der  „weißen  Dame"  (sie!), 
die  „in  den  spätem  Romaneu  als  die  Gefährtin  des  Merddin  Emrys 
erwähnt    wird".       La    Villemarque    {Les    Romans    de    la     Table 


150-)  Foerster  {Kan-enriuer  p.  CXXV)  hält  Mfrlin  für  eine  bretonisebe 
Form,  entsprechend  dem  kymrischen  Merddin,  Myrddin.  Er  setzt  das  als  be- 
kannt voraus! 


L" Enserrement  Merlin.     StuJien  zur  Merlinsage.         255 

Ronde  p.  48)  sah  speziell  in  der  Ganieda  der  Vita  Mcrlini  eine 
Dopi)elgängerin  der  Yiviaiie.  Ganieda -Gwendydd  ist  uns  aber  nur 
als  Merlins  Schwester  bekannt;  weder  in  der  Vita  Merlini  noch 
in  den  Pseudo-Myrddin  Gedichten  wird  jemals  auf  eine  blutscliün- 
derische  Liebe  angespielt.  Die  Annahme,  daß  Niniene  die  Rolle  der 
Ganieda- Gwendydd  geerbt  hat,  ist  nur  zulässig  bei  der  Voraussetzung, 
daß  diese  erst  nachtrcäglich  aus  Merlins  Geliebten  zu  Merlins  Schwester 
gemacht  worden  war.  Diese  Ansicht  scheint  L.  A.  Paton  {Modern 
Language  Notes  1903  p.  167 — 169)  zu  haben.  Wir  müssen  später 
darauf  zurückkommen. 

Kur  in  der  Vita  Merlini  hat  Merlin  eine  Gattin.  Seine  Bezie- 
hungen zu  Gwendoloena  sind  nicht  recht  klar,  immerhin  klar  genug,  um 
eine  Ähnlichkeit  zwischen  ihr  und  Niniene  vollständig  auszuschließen. 
Merlin  rächt  sich,  ohne  Grund  zwar,  an  ihr,  nicht  sie  an  ihm.  Sie 
hat  nichts  von  Zauberei  gelernt;  sie  fühit  nichts  gegen  ihn  im  Schild. 
In  Avallenau,  Kyvocsi  und  Hoianau  spicht  Myrddin  von  einer 
clnchnleian.  Diese  hat  schon  La  Villemarque  als  Myrddins  Geliebte 
aufgefaßt  und  mit  Niniene  identifiziert;  andere  wiederholten  es. 
Im  Dictionary  of  National  Diograpliy  {Merlin)  erscheint  sie  eben- 
falls als  „i/ig  fernale  companion  of  Merlin  Sihestris^.  Auch  der 
Name  Niniene  wurde  von  chioiinlelan  abgeleitet,  was  zur  Not  wohl 
ginge.  Jedoch  beruhen  diese  Ansichten  auch  wieder  nur  auf  einem 
Mißverständnis  der  Texte.  Ich  habe  oben  (Z.  XXX  232—233)  gezeigt, 
daß  wir  aus  den  beiden  altern  Gedichten  Avallenau  und  Kyvoesi  nur  so 
viel  schließen  können,  daß  die  chwimleian  eine  Prophetin  war,  deren 
Prophezeiungen  Myrddin  kannte.  Es  wird  aber  durchaus  nicht  gesagt, 
daß  er  die  clnnmleian  selbst  kannte.  Wie  immer  der  Name  zu  er- 
klären ist,  so  viel  steht  fest,  daß  sie  dieselbe  Rolle  wie  Sibylla 
hat.  Wir  sahen  (ibid.),  daß  sie  dasselbe  prophezeit  wie  Sibylla 
in  Galfrids  Historia.  In  dem  Vaticiniuni  Gildae  (vgt.  San  Marte, 
Sagen  p.  56)  werden  die  Prophezeiungen  der  prisca  Sibylla 
unmittelbar  au  diejenigen  Merlins  angeknüpft.  Brunetto  Latini  sagt: 
Et  ce  Merlins  ou  lai  Sebile  dient  veriteit,  on  trueve  en  lour  livres 
que  en  cestui  (Friedrich  II.)  doit  defineir  li  emperolle  (o  <au) 
dignefei  (zitiert  aus  Car.  Gull.  Müller:  Diss.  de  Brmione  Florentino  p.  6 
m  Index  lectionum  in  Univers.  Bern.  1844).  In  Richards  Pro^/^^c^Vs 
Merlin  erscheint  Sibile  Vajichanteresce  sogar  als  Merlins  Schülerin 
und  Geliebte.  Auch  in  der  pseudohistorischen  Merlinfortsetzung 
wird  eine  Prophezeiung  der  ro'ine  Sebile  erwähnt  (Sommer  p.  457/9). 
In  Roberts  Perceval  (Ilucher,  Saint  Graal  I.  417)  ,sagt  Merlin 
zu  Artus:  sachiez  Que  la  reine  Sibile  prophetiza  et  dit  que 
vous  seriez  le  tierz  kons  qui  reis  en  seroit  et  apres  le  dit 
Salemon  et  je  [suij  le  tierz  qui  le  vous  di.  In  ganz  derselben 
Weise  bezieht  sich  in  Avallenau  und  Kyvoesi  Myrddin  auf  die  cinoimleian. 
Erst  in  dem  Gedicht  Hoianau,  das  wahrscheinlich  noch  jünger  ist 
als    das   E.   M.    und    das   wohl    nicht   direkt   aus   der  Sage  schöpfte, 


256  E.  Bmgger. 

sondern  nur  Avallenau  und  Kyvoesi  als  Quellen  hatte,  ^vird  gesagt, 
daß  die  clnoimleian  Myrddin  Prophezeiungen  mitteilte.  Der  Verfasser 
von  Hoianau  hat  entweder  wie  die  erwähnten  Kritiker  die  betreffenden 
Stellen  in  Avallenau  oder  Kyvoesi  mißverstanden,  oder  er  hat  sein 
„Mitteilen"  nicht  in  buchstäblichem  Sinn  brauchen  wollen.  Wir  haben 
nach  alledem  nicht  den  geringsten  Grund  zu  der  Annahme,  daß  eine 
Beziehung  zwischen  der  chwindeian  und  ISUniene  bestand.  San 
Marte  (Sagen  p.  87)  und  nach  ihm  Grant  (ScoUish  Revieio  1892 
p.  328)  haben  die  chwindeian  (das  Wort  wird  von  jenem  mit  „Nymphe" 
übersetzt)  mit  Glo^/wedd,  der  Schutzgüttin  (?)  der  Apfelbäume  in 
Avallenau  identifiziert,  natürlich  auch  in  Folge  eines  Mißverständnisses. 
Gloyiüedd  erscheint  aber  nur  in  einer  interpolierten  Strophe,  und  es 
wird  nichts  von  ihren  Beziehungen  zu  Myrddin  gesagt.  Was  sollen 
wir  mit  ihr  anfangen! 

Viele  Helden  werden  von  Feen,  die  sie  lieben,  in  ihr  Land 
gelockt.  In  der  Triade  113  (vgl.  oben  Bd.  XXX  236)  wird  keineswegs 
gesagt,  daß  Myrddin,  als  er  über's  Meer  fuhr,  eine  Geliebte  hatte.  Und 
wenn  auch  diese  Triade  wirklich  auf  einen  erotischen  Imram  Bezug 
nähme,  so  wäre  immer  noch  keine  Ähnlichkeit  mit  dem  F.  M.  vor- 
handen, wie  ich  ob^n  schon  gezeigt  habe.  Übrigens  kann  die  Triade 
113  sehr  wohl  jünger  sein  als  das  E.  M.  ^^i)  Vor  Philipot  fand  schon 
La  Villemarque  {Romans  de  la  Table  Ronde  p.  43)  in  dieser 
^disparition"'  le  germe  de  V enclianiement  eternel  auquel  se  devoue 
Merlin  pour  jdaire  ä  son  amie  Viviane.  An  die  in  dieser  Triade 
erwähnte  disparition  Myrddins  schließt  sich  vielleicht  die  Bardsey- 
Legende  in  ihrer  Jüngern  Form  an  {tertinm  comparationis:  Glashaus 
auf  einer  Insel)  (vgl.  oben  Bd.  XXX  238).  Diese  Legende  ist  uns  in  voll- 
ständiger Form   überliefert;    aber  ein  Weib   kommt   darin  nicht  vor. 

Eine  Art  Imram  war  vicllciiht  ursprünglich  auch  die  Episode 
von  den  verzauberten  Äpfeln  in  der  Vita  Mcrlini  (vgl.  oben  Bd.  XXX i 
255  f.).  Nur  wäre  sie  dann  unter  den  Namen  des  Maeldin  zu 
setzen;  Merlin  hätte  ursprünglich  keine  Bolle  darin  gehabt  und  so  ginge 
uns  die  Geschichte  überhaupt  nichts  mehr  an  I5i)_  Doch  nehmen 
wir  sie  in  der  Form,  in  der  sie  uns  überliefert  ist,  mit  Maeldin  als 
Statisten!  Der  einzige  gemeinsame  Zug  zwischen  dem  E.  M.  und  ihr 
ist  dann,  daß  von  einer  Dame,  zu  der  Merlin  Beziehungen  hatte,  der 
Versuch  gemacht  wurde,  Merlin  zu  Grunde  zu  richten.  Alle  andern 
Züge    sind    verschieden,    geradezu    entgegengesetzt.     Hier    liebt  eine 


'■''')  rhillimore,  eine  Autorität  auf  dem  Gebiete  der  kymrischen  Literatur, 
bezeichnet  die  Triade  als  ti-orthJess  (vgl.  Meads  Fiinleituiig  zu  Wheatleys 
Merlin -Ausgabe  p.  C).  Immerhin  liatte  nach  dem  Mabinogi  von  Brau  wen 
eine  Insel  zwischen  Irland  und  Merionethshire  den  Is'amen  Clas  MerJdin 
(Loth,  Mab.  I  C9 — 70).  Auch  der  Barde  Taliessin  j^rofesses  to  liave  been  in 
Caer  Sidi  (einem  irdischen  Paradies)  (md  the  Glass  Fo?-tress  (vgl.  Khys,  Hibbert 
Lectures  p.  550).  Die  Merlinsagc  wurde  auch  sonst  der  Taliessinsage  an- 
geglichen. 


VEnserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         257 

Dame  Merlin,  dort  liebt  Merlin  eine  Dame.  Hier  befriedigt  Merlin 
die  in  ihn  verliebte  Dame  eine  Zeit  lang,  dann  läßt  er  sie  im  Stich; 
dort  läßt  die  Dame  Merlin  glauben,  daß  sie  ihn  befriedige,  dami 
richtet  sie  ihn  zu  Grunde.  Hier  will  ihn  die  Dame  zu  Grunde  richten, 
weil  er  sie  im  Stiche  gelassen,  dort  aber,  weil  er  ihr  lästig  war. 
Hier  mißlingt  der  Versuch,  dort  gelingt  er.  Hier  ist  Merlin  ver- 
nünftig, dort  ein  Tor;  und  doch  ist  er  dort  ein  Zauberer  und  hier 
nicht.  Die  Dame  dagegen  versteht  hier  etwas  von  Zauberei;  dort 
dagegen  muß  sie  erst  darin  unterrichtet  werden.  Hier  hat  Merlin 
Gefährten,  die  eine  notwendige  Rolle  spielen  (das  Motiv  von  der 
Hundswut  ist  charalderisch  für  die  ganze  Episode);  dort  ist  er  allein 
und  soll  es  auch  sein.  Hier  sucht  die  Dame  Merlin  zu  vergiften 
resp.  toll  zu  machen,  dort  nur  für  immer  einzuschläfern.  Ich  glaube, 
nun,  alle  Züge,  welche  die  zwei  Episoden  zusammensetzen,  namhaft 
gemacht,  und,  so  gut  es  geht,  einander  gegenübergestellt  zu  haben. 
Man  sieht,  daß  sie  alle  bis  auf  einen,  sehr  allgemeinen,  von  einander 
ganz  verschieden  sind.  Dennoch  sagt  Lot  (Annales  de  Bretagne 
1900  p,  533):  Le  §  XI  (histoire  du  fou  et  des  pommes  empoi- 
sonnSes)  peut  etre  de  Vinvention  de  Gaufrei.  Mais  il  est  ega- 
lement  possible  que  la  maliresse  delaissh  qui  se  venge  soit  un 
hlio  dSform^  des  rapports  de  Merlin  et  de  Niniane  qu'on  retrouve 
dans  les  romans  franfais  en  prose.  Beides  ist  gleich  unmöglich. 
Eine  Episode  wie  die  von  Maeldinus  erfindet  man  nicht.  Kein  Gott 
kann  aus  nichts  etwas  machen.  Es  lag  ja  keine  Analogie  vor. 
Anderseits  könnte  man  kaum  zwei  galante  Abenteuer  ausfindig  machen, 
die  weniger  gemeinsame  Züge  htätten  als  jene  und  das  E,  M.  Das  merk- 
würdigste ist  aber  bei  Lot,  daß  er  jene  aus  diesem  ableiten  will, 
nicht  umgekehrt.  Er  müsste  zu  diesem  Zwecke  auch  noch  die  Chrono- 
logie über  den  Haufen  werfen  und  beweisen,  daß  das  E.  M.,  dem 
wir  zum  ersten  Mal  im  Prosa- Lancelot  begegnen,  schon  in  die  erste 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  zurückgeht.  L.  A.  Paton  (!.  c.)  macht 
wenigstens  keinen  Verstoß  gegen  die  Chronologie,  Doch,  wie  schon 
gesagt,  kann,  wenn  der  Maeldinus-Episode  ein  Imram  zu  Grunde  lag, 
dies  nur  ein  Imram  Maeldin,  nicht  ein  Imram  Merlin  gewesen  sein. 
Die  fair  sportive  maid,  mit  der  Myrddin  nach  Avallenau  (s.  oben 
Bd.XXXi  231)  in  seiner  Jugend  verkehrte,  kann  natürlich  die  mulier  der 
Maeldinus-Episode  sein,  wenn  der  Verfasser  von  Avallenau  —  was 
sehr  wahrscheinlich  ist  —  die  Vita  Merlini  benutzte.  Aber  auch, 
wenn  sie  es  nicht  wäre,  so  hätte  man  trotzdem  nicht  das  Recht,  sie 
ohne  weiteres  mit  der  Niniene  des  E.  M,  zu  identifizieren,  wie  Grant 
(1,  c,  p,  326—327)  es  tat  (a  fair  sportive  maid  .  .  .  ivJio  is  after- 
loards  to  blossom  into  the  Vivien  of  romance).  Es  ist  keine  Ähn- 
lichkeit vorhanden. 

Nach  Kyvoesi  prophezeit  Myrddin  gern  den  Jungfrauen  (vgl. 
oben  Dd,XXX  233);  nach  dem  Meraugis  ist  Merlin  in  seinem  esplumeor 
von  einem  Jungfernkranz  umgeben,  der  statt  seiner  mit  dem  Publikum 


Ztschr,  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.    XXXU. 


17 


Ö5Ö  E.  Bnigger. 

verkehrt.  Diese  Angaben  sind  nicht  besonders  zuverlässig;  sie  tragen 
offenbar  nicht  zur  Erklärung  des  E.  M.  bei. 

Etwas  anstößig  ist  Merlins  Rolle  vielleicht  bei  Gaucher  de 
Denaiii.  Aber  ich  habe  schon  gezeigt,  daß  die  Episode  wahr- 
scheinlich zu  einem  bestimmten  Zweck  erfunden  wurde.  Merlin 
war  wohl  nicht  mehr  jung,  als  er  zum  Mont  JJoIeroiis  kam; 
sodann  scheint  die  Dame  ihm  mehr  als  er  ihr  zugetan  gewesen  zu  sein. 
Der  Coitus  wird  nicht  verhindert;  Merlin  wird  nicht  bestraft,  nicht 
einmal  getadelt.  Alles  dies  ist  im  Widerspruch  zum  E.  M.  Gauchcr 
hat  wohl  das  E,  M.  nicht  gekannt;  sein  Werk  war  aber  dem  Ver- 
fasser des  letzteren  auch  fremd. 

Anders  ist  der  Fall  bei  der  Jior^am-Episode  des  Prosa- 
Lancelot.  Diese  Episode  und  das  E.  M.  besitzen  wichtige  gemein- 
same Züge,  die  nicht  wohl  unabhängig  in  beide  eingedrungen  sein 
können,  zumal  da  die  beiden  Erzählungen  zu  einem  und  demselben  Roman 
gehören.  Morgain  und  Niniene  sind  rationalistisch  aufgefaßte  Feen;  sie 
wurden  erst  durch  Merlin  zu  Zauberinnen  gemacht;  in  beide  verliebt 
sich  Merlin,  während  sie  ihn  nur  auszubeuten  suchen.  Morgain  mußte 
wohl  —  es  ist  nicht  anders  denkbar  —  ihrem  Liebhaber  denselben 
Preis  für  seinen  Unterricht  bezahlen  wie  Niniene.  Merlin  wird  hier 
wie  dort  als  wollüstig  dargestellt,  ein  Zug,  welcher  der  älteren  Merlin- 
tradition fremd  ist.  Die  Einleitungen  zu  den  beiden  Erzählungen  zeigen 
ähnliche  Züge :  den  verächtlichen  Hinweis  auf  die  memie  resp.  fole 
geilt,  den  aus  Martin  von  Rochester  stammenden  duc  de  Tintaivd, 
die  Beurteilung  des  Streichs  von  Tintaivel  als  tra'ison  und  die  Ab- 
neigung gegen  Merlin,  die  sich  hierin  kund  tut  (sonst  heißt  es  nur: 
par  Cart  de  Merlin).  Natürlich  konnte  der  Schluß  des  E.  M.  im 
Lancelot  nicht  nochmals  gebracht  werden.  Die  Merlin-Morgain-Epi- 
sode  ist  auch  eine  Interpolation  des  Lancelot,  die  nie  eine  selbständige 
Existenz  hatte;  sie  fungiert  nur  als  Bindeglied  zwischen  der  Episode 
vom  Val  sanz  retour  und  dem  Imram  Guiomar,  und  gehört  weder 
zu  diesem  noch  zu  jenem  als  integrierender  Bestandteil.  Jene  beiden 
Episoden  sind  ihrerseits  Interpolationen.  Es  ist  wohl  auf  den  ersten  Blick 
klar,  daß  das  E.  M,,  die  was  Merlin  betrifft  vollständigere  Erzählung, 
nicht  auf  der  Merlin -Morgain -Episode  beruhen,  nicht  einmal  von 
ihr  beeinflußt  worden  sein  kann;  entweder  ist  das  E.  M.  vor  dieser 
oder  gleichzeitig  mit  dieser,  d.  h.  vom  selben  Redaktor,  in  den  Lancelot 
interpoliert  worden.  Letzteres  möchte  deshalb  einleuchtender  sein, 
weil  die  Imitation  des  E.  M.  zum  Teil  unfreiwillig  aussieht.  Dagegen 
spricht  sehr  für  die  erstere  Annahme  der  oben  erwähnte  Um- 
stand, daß  die  Merlin- Morgain -Episode  den  Einfluß  von  Roberts 
Merlinroman  zeigt,  der  dem  Interpolator  des  E.  M.  noch  nicht  bekannt 
war.  Übrigens  scheint  die  Merlin-Morgain-Episode  den  donnees  des 
E.  M.  zu  widersprechen;  was  sich  auch  besser  erklärt,  wenn  man 
nicht  beide  demselben  Interpolator  zuschreibt.  Wir  haben  gesehen, 
daß    der  Interpolator   des    E.  M.    ebenso   wie  seine   Quelle,   Galfrids 


V Enserrement  Merlin.     Studien  zur  Merlinsage.         259 

Historia  resp.  Martins  Brutus^  nichts  davon  weiß,  daß  Merlin  unter 
Arthur  lebte.  Wenn  auch  letzteres  nicht  direkt  ausgeschlossen  wird, 
so  muß  man  doch  aus  der  Nichterwähnung  den  Schluß  ziehen,  daß 
Merlins  Bekanntschaft  mit  der  Bretonin  in  Uterpendragons  Zeit  fiel; 
anderseits,  da  nirgends  gesagt  wird,  daß  Merlin  mehrmals  nach 
Kleinbritanien  ging,  gewinnt  der  Leser  eigentlich  den  Eindruck,  daß 
auch  das  Enserrement  noch  unter  Uterpendragons  Regierung  stattfand 
oder  daß  wenigstens  Merlin  unter  Arthur  nicht  in  Großbritannien 
lebte.  Allerdings  ein  absoluter  terminus  ad  quem  für  das  Eiiserrement 
ist  nur  die  in  Arthurs  Regierungszeit  fallende  Geburt  Lancelots  oder 
genauer  die  Entführung  des  kleinen  Lancelot.  Die  Merlin-Morgain- 
Episode  nun  nimmt  nur  auf  diesen  absoluten  terminus  ad  quem  Rücksicht, 
nicht  aber  auf  den  Eindruck,  den  der  unbefangene  Leser  des  E.  M. 
gewinnt.  Sie  schließt  sich  chronologisch  an  den  Lai  Guiomar  an,  welch 
letzterer  die  Feindschaft  zwischen  Morgain  und  Guenievre  zu  erklären 
hat.  Sie  muß  also  Guenievre  als  Königin  voraussetzen,  folglich  die 
Liebschaft  Merlins  und  Morgains  in  Arthurs  Regierungszeit  versetzen. 
Chronologisch  muß  aber  diese  Liebschaft,  wenn  nicht  der  Bekannt- 
schaft Merlins  und  Ninienens,  so  doch  dem  Enserrement.^  das  Merlins 
Carriere  abschließt,  vorausgegangen  sein.  Ging  sie  der  Bekanntschaft 
Merlins  und  Ninienens  voraus,  so  muß  letztere  in  Arthurs  Regierungs- 
zeit fallen;  um  so  mehr  muß  dann  die  Nichterwähnung  Arthurs  auf- 
fallen. Fiel  sie  aber  zwischen  die  erste  Begegnung  Merlins  und  Ninienens 
und  das  Enserrement,  so  vermißt  man  sehr,  daß  von  den  mehrfachen 
Reisen  Merlins  nach  Kleinbritannien  nicht  die  Rede  war.  Nur 
einem  Kopisten  sind  die  Widersprüche  aufgefallen,  demselben  der 
auch  an  den  Widersprüchen  zwischen  Roberts  Merlin  und  der  dem 
E.  M.  L.  vorausgehenden  F>zählung  von  der  Zeugung  Merlins  Anstoß 
genommen  hatte,  und  dessen  Kopie  uns  die  Handschrift  B  N  fr.  754 
überlieferte.  Er  flocht  in  das  E.  M.  einen  kurzen  Passus  ein,  in 
welchem  er  von  Merlins  Verhältnis  mit  Morgain  erzählte,  das  er  als 
ein  Intermezzo  in  dem  Liebesdrama,  dessen  Heldin  Niniene  war,  auf- 
faßte (vgl.   die  Varianten  oben  Bd.  XXX  i  p.  174). 

Was  ist  endlich  von  jener  schottischen  Nachricht  zu  halten, 
nach  welcher  Merlin  von  einem  bösen  Weib  „ruiniert"  wurde  (vgl. 
oben  Bd.  XXX^  p.  239)?  Sie  stimmt  offenbar  sehr  genau  zum  E.  M.; 
doch  sie  stammt  aus  einer  Zeit,  in  welcher  das  letztere  in  Groß- 
britannien schon  längst  bekannt  war.  Der  Wert  dieses  Zeugnisses  ist 
darum  gleich  Null.  Der  craige  on  Cormoel  cost  ist  wohl  die  cave 
(offenbar  Fels  höhle)  in  dem  gefährlichen  Wald  qui  marcliist  a  la 
mer  de  Cornouaiile  im  E.  M.  L, 

Wir  haben  nun  erkannt,  daß  in  denjenigen  Zeugnissen,  welche 
älter  als  das  E.  M.  L.  sind  oder  sein  können,  ein  Verhältnis  wie 
dasjenige  zwischen  Merhn  und  Niniene  nicht  zu  finden  ist.  Nirgends 
tretien  wir  da  Merlin  als  widrigen  Wollüstling.  Doch  das  E.  M.  L. 
postuliert  durchaus  nicht,  daß  dieser  Typus  schon  in  der  alten  Merlin- 

17* 


260  E.  Brngger. 

sage  existierte.  Es  ist  ein  neuer  zum  ersten  Mal  im  E.  M.  L. 
geschaffener  Mcrlintypus,  der  in  Folge  der  Einführung  Merlins  in 
die  bekannte  Fabliauformel  entstand  (ähnlich  wie  der  verliebte 
Aristoteles,  Hippocrates,  Virgil). 

Wenn  auch  das  besondere  Verhältnis  zwischen  Merlin  und 
Niniene  nicht  in  der  Sage  wurzelt,  so  mag  doch  gerne  zugegeben 
werden,  daß  der  Lancelot-Interpolator  rcsp.  der  Verfasser  des  un- 
abhängigen H  M.  aus  der  Sage  eine  Liebschaft  Merlins  kennen  mochte, 
die  dann  wohl  die  Einführung  Merlins  in  die  Fabliauformel  begünstigte. 
Nur  wird  man  erkennen,  daß  unter  allen  Liebschaften,  die  uns 
die  oben  besprochenen  Zeugnisse  überliefern,  auch  nicht  eine  irgend- 
wie berühmt  gewesen  zu  sein  scheint.  Das  einzige  Weib,  das  in  der 
echten  Merlinsage  eine  wichtige  Rolle  gespielt  zu  haben  scheint,  ist 
Merlins  Schwester  Gwendydd-Gajneda.  Sie  erscheint  nicht  nur  in 
einigen  (darunter  auch  den  ältesten)  Pseudo-Myrddin- Gedichten, 
sondern  ist  auch  von  einem  lateinisch  schreibenden  Dichter,  dem 
Verfasser  der  Vita  Merlini,  nicht  verschmäht  worden.  Und  wo  sie 
erscheint,  wird  sie  nicht  nebensächlich  behandelt.  In  Kyvoesi  ist  sie 
es,  die  Myrddin  kurz  vor  seinem  Tode  aufsucht  und  vor  den  Mauern 
seines  Kerkers  verweilt.  In  der  Vita  Merlini  ist  sie  es  wiedei",  die, 
zugleich  mit  Taliessin  und  Maeldin,  im  Walde  bei  Merlin  bis  zu 
seinem  Tode  bleiben  will.  Es  ist  wahrscheinlich,  daß  in  der  altern 
Version  der  Vita  Merlini  Taliessin  und  Maeldin  noch  nicht  vorkamen, 
jene  also  auch  hier  seine  einzige  letzte  Gefährtin  war.  Wenn  der 
Palast,  den  sie  ihm  baute,  in  der  altern  Version  der  letzte  Auf- 
enthaltsort Merlins  war,  so  ist  es  wohl  möglich,  daß  auch  sie 
in  oder  bei  demselben  wohnte.  Aber  bei  der  Lektüre  der  Vita 
Merlini  und  besonders  der  Pseudo-Myrddin-Gedichte  bekommt  man 
unwillkürlich  den  Eindruck,  das  innige  Verhältnis  zwischen  Merlin 
undGauieda-Gwendydd  sei  ursprünglich  kein  geschwisterliches  gewesen. 
Dies  ist  auch  die  Ansicht  L.  A.  Patons  (Modern  Language  Notes 
1903  p.  167  ff.)  Es  kann  sehr  wohl  Gwendydd-Ganieda  in  der- 
selben Weise  und  aus  demselben  Grunde  aus  Myrddins  Geliebten 
zu  seiner  Schwester  gemacht  worden  sein  wie  Morgain  aus  Arthurs 
Geliebten  zu  seiner  Schwester  wurde.  Doch  L.  A.  Patons  Ansicht, 
daß  jene  eine  Fee,  die  Erzählung  von  ihren  Beziehungen  zu  Merlin 
eine  Art  Imram  war,  halte  ich  für  nicht  begründet.  Mir  scheint 
Gwendydd-Ganieda  wie  Myrddin  eine  historische  Persönlichkeit  zu  sein, 
nämlich  König  Rhydderchs  Gemahlin,  dieselbe,  die  Joceline  Langueth 
nennt  (vgl.  Bd.  XXX  i  A.  107).  Die  Frage,  ob  das  Verhältnis  Merlins  zu 
Gwendydd-Ganieda  dem  Lancelot-Interpolator  resp.  dem  Verfasser  des 
selbständigen  E.  M.  vorschwebte,  als  er  das  E.  M.  schuf,  scheint  mir 
aber  durchaus  von  einer  anderen  Frage  abzuhängen,  die  L.  A.  Palon 
nicht  aufwarf,  nämlicli  ob  der  Name  von  Merlins  Geliebten  im  E.  M.  L. 
aus  dem  Namen  Gwendydd-Ganieda  abgeleitet  werden  darf.  Je  nach- 
dem  diese   letztere  Frage   entschieden    wird,    möchte   ich   die  erstere 


L' Enserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         261 

bejahen  oder  verneinen.  Es  ist  zu  beachten,  daß  der  Name  von 
Merlins  Gclieblen  vom  Standpunkt  eines  selbständigen  E.  M.  aus  durch- 
aus überflüssig  wäre,  und  daß,  wenn  das  Fräulein  vom  See  im  ursprüng- 
lichen Lancelotroman  keinen  Namen  brauchte,  ein  solcher  für  Merlins 
Geliebte  ebenso  unnötig  war.  Es  besteht  darum  die  Wahrschein- 
lichkeit, daß  der  Name,  falls  er  nicht  vor  der  Interpolation  schon 
dem  Fräulein  vom  See  im  Lancelot  zukam,  vom  Interpolator  resp. 
vom  Verfasser  des  selbständigen  E.  M.  der  Mcrlinsage  entnommen  wurde. 

Schon  mehrere  Gelehrte  haben  Erklärungen  des  Namens  i52j 
vorgeschlagen.  G.  Paris  [Merlin  t.  I  p.  XLV.  n.  1)  sagt:  le  nom 
de  Ninienne  a  une  physionomie  tout  ä  fait  celtique:  Ninianiis 
est  le  nom  d'un  saint  bi'eton,  qui  passe  pour  avoir  Ste  au  V^  siede 
Vapötre  des  Pictes.  Dieses  Argument  ist  schwach.  So  könnte  man 
natürlich  auch  aus  dem  häufigen  Vorkommen  des  Männernamens 
Morgan  in  Wales  auf  den  wälschen  Ursprung  der  Fee  Morgue(n) 
(Morgana)  schließen.  Im  Keltischen  und  Germanischen  konnte  man 
früher  nicht,  wie  man  es  jetzt  in  Analogie  zu  den  romanischen 
Sprachen  tut,  zu  jedem  Männernamen  einen  Frauennamen  auf  öCresp.  e) 
bilden.  Männer-  und  Frauennamen  entsprachen  einander  nicht.  Das 
Vorkommen  des  Männernamens  Niniati  in  Schottland  spricht  wohl 
geradezu  dafür,    daß   es  dort  keinen  Fraucnnamen  Niniana  gab.  i53^ 

Andere  Gelehrte  leiteten  den  Namen  Niniene  aus  Hwimleian 
ab.  Dies  läßt  sich  noch  eher  hören.  Hioimleian,  wenn  es  ein  Eigen- 
name ist,  bezeichnet  wenigstens  ein  weibliches  Wesen,  und,  da  der 
Name  zusammen  mit  Myrddins  vorkommt,  so  mochte  man  ja  denken, 
daß  Hwimleian  Myrddins   Geliebte    war.     Doch,    da  einerseits   die 


1'^-)  Die  Varianten  des  Namens  (lange  Liste  bei  L.  A.  Paton,  Fair?/ 
Mythology  p.  24G— 247)  sind  sehr  zahlreich,  lassen  sich  aber  auf  einen  Typus 
yiy.ienne,  in  welchem  die  Kreuze  durch  n  oder  v  ausgefüllt  werden  können, 
reduzieren;  n  und  v  wechseln  graphisch  beständig;  e  vor  n  kann  durch 
n  oder  durch  ni  ersetzt  werden,  in  späteren  Texten  l  durch  //;  n  kann  ver- 
doppelt werden;  für  ni  oder  ui  können  m  oder  ju  eintreten.  So  entsteht 
eine  grofse  Menge  von  Variationen. 

U3j  \\Qx\n  man  sich  auf  so  schwache  Argumente  stützen  wollte,  so 
könnte  man  ebruso  gut  von  der  Form  Vivkne  ausgehen  und  sie  von  dem 
französischen  Männernamen  Vivicn  ableiten.  Auch  möchte  dann  darauf 
hingewiesen  werden,  dafs  es  in  der  Bretagne  {Cötes  du  Nord)  einen  Flufs, 
genannt  Nininn,  gibt.  Eine  bretonische  Heilige  heifst  Ninnoc,  in  lateinischen 
Dokumenten  auch  Xinnoca.  Sie  war  die  Tochter  des  Brochan,  Königs  von 
Cambrien;  sie  zog  mit  den  flüchtigen  Britten  nach  Armorka  (vgl,  Loth,  Emi- 
gration bretonne  p.  lOG,  186,  187,  212,  251).  Vielleicht  gab  es  neben  Ninnoc 
auch  eine  Form  Ninnan,  da  die  Suffixe  -an  und  -oc  zu  wechseln  scheinen 
(vgl.  Zimmer  Z«.  f.  Jz.  Sp.  XIII  41).  Ich  hätte  mich  bei  dem  haltlosen  Argument 
nicht  lange  aufzuhalten  brauchen,  wenn  es  nicht  aus  G.  Paris'  Feder  stammte; 
aus  dem  letzteren  Grunde  nämlich  hat  es  bereits  Anklang  gefunden,  z.  B. 
bei  Sommer  (Aforie  darthnr  III  p.  120  A.  1)  und  Jeanroy  (Artikel  Merlin  in 
der  Grande  Enc;/clopcdie);  und  Niniene  hat  nun  ohne  Grund  die  früher  akzeptierte 
Form  Yiviane  (Villemarque  und  P.  Paris)  verdrängt.  Wenn  ein  uuberühmter 
Gelehrter  jenes  Argument  vorgebracht  hätte,  es  wäre  sicher  von  den  andern 
Kritikern  ganz  ignoriert  worden, 


262  E.  Brugger. 

Texte  diese  Ansicht  nicht  stützen,  im  Gegenteil  die  Uwimlcian  als 
eine  Art  Sibylle  erscheinen  lassen,  von  der  Myrddin  nichts  als  einige 
Prophezeiungen  kannte,  und  da  anderseits  zwischen  jenen  Texten  und 
dem  E.  M.  sonst  keine,  nicht  einmal  indirekte,  Beziehungen  bestanden 
zu  haben  scheinen,  und  da  endlich  die  Ähnlichkeit  der  Namen 
Hwimleian  und  Niniene  (Viviane)  nicht  gerade  frappant  ist,  so  ruht 
die  Hypothese  auf  sehr  schwacher  Grundlage. 

Rhys  (Studies  in  the  Arthurian  legend  p.  284)  kommt  von 
dem  kymrischen  Namen  RMannon  auf  Niniane.  Rbiannon  ist  aus 
einem  Mabinogi  bekannt.  Wenn  auch  die  formellen  Schwierigkeiten 
zu  überwinden  wären,  so  ist  doch  die  Ähnlichkeit  zwischen  Niniane  und 
Rbiannon  so  gut  wie  Null.  Rh5's'  Identifikationen  sind  in  der  Regel 
Luftschlösser. 

Zuletzt  hat  L.  A.  Paton  den  Namen  von  Merlins  Geliebten  zu 
erklären  gesucht  (Fairy  Mythology  p.  243  ff).  Sie  glaubt,  in  der 
irischen  Imramfee  Niamh  das  Prototyp  von  Niniane  gefunden  zu 
haben.  Von  Niamh  [jnh  spirantisch)  gelangt  sie  zunächst  über  Niave 
zu  Niane;  die  Existenz  der  letzteren  Form  soll  durch  die  in  der 
pseudohistorischen  Merlinfortsetzung  gegebene  Etymologie  (Viviane  .  .  . 
ce  est  un  nom  en  kardeu  qui  sonne  autant  en  franchois  com  s''ele 
disoit  noiant  ne  ferai)  gesichert  sein.  Dann  müßte  man,  meint  sie, 
annehmen,  daß  die  Erzählung  durch  ein  lateinisches  „inediimi'-''  hindurch- 
gegangen sei;  *  Niane  wäre  durch  Vorschlag  eines  ni  in  derselben  Weise  zu 
Niniana  geworden  wie  das  kymrische  oder  gälische  Nenn  zu  Niniajius. 
Es  wäre  ferner  die  irische  Schlachtgöttin  Nemaji  mit  Niamh,  endlich 
noch  Diana  mit  *Niane  konfundiert  worden.  Auch  diese  Erklärung 
ist  nicht  akzeptierbar.  Die  Etymologie,  welche  die  pseudohistorische 
Merlinfortsetzung  für  den  Namen  Niniene  gibt,  ist  wertlos,  da  dieser 
Text  den  Namen  dem  E.  M.  L.  entlehnt  hat,  wo  keine  Etymologie 
gegeben  wird.  Niniene  mochte  übrigens  fast  ebenso  gut  an  nient 
als  Etymon  erinnern  wie  *Niene\  aber  es  ist  ganz  unwahrscheinlich, 
daß  noiant  fnient)  absichtlich  gewählt  wurde;  das  Etymon  soll  ja 
chaldäisch,  nicht  französisch  sein.  Die  Etymologie  ist  sicher  die 
eigene  Erfindung  des  Merhnfortsetzers.  Ganz  bedenklich  ist  auch  der 
Vorschlag  von  ni.  Ohne  Keltist  zu  sein,  glaube  ich,  daß  entweder 
Nenn  durch  Kontraktion  aus  Ninian  oder  daß  Ninianus  durch 
Addition  des  Suffixes  -ianus  aus  Ne7in  entstanden  sein  muß.  Aus 
*Niane  hätte  in  dieser  Weise  *Nianiana  entstehen  müssen.  Ich  glaube 
jedoch,  daß  *Niane  einfach  zu  *Nia7ia  latinisiert  worden  wäre.  Aber 
sogar,  wenn  man  Niniene  nicht  so  gewaltsam,  sondern  leicht  aus  Niamh 
ableiten  könnte,  so  würde  die  Erklärung  nicht  weniger  abzuweisen  sein, 
vorausgesetzt,  daß  man,  wie  L.  A.  Paton  es  tut,  Niniene  nicht  so  sehr  als 
den  Namen  von  Lancelots  Erzieherin,  sondern  als  denjenigen  von 
Merlins  Geliebten  auffaßt.  Denn  Merlins  Geliebte  ist  keine  Fee, 
das  E.  M.  kein  Imram.  Auch  mit  Neman  und  Diana  wurde  Niniene 
nach  meiner  Meinung  niemals  konfundiert. 


L' Enserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         263 

Wenn  man  die  Einführung  des  Namens  Niniene  nicht  dem 
Verfasser  des  Laucelot,  sondern  dem  Lancelot-Interpolator  resp.  dem 
Verfasser  des  selbständigen  E.  M.  zuschreiben  will,  so  liegt  m,  E. 
keine  Erklärung  näher  als  die  Ableitung  aus  Gioendijdd-Ganieda. 
Lot  (1.  c.  p.  520)  sieht  zwar  schon  in  der  Umgestaltung  von 
Gioendydd  zu  Ganieda  eine  bedeutende  Schwierigkeit.  Ich  verstehe 
dies  nicht:  kymrisches  y  (mit  dem  Lautwert  e)  wird  lateinisch  regel- 
mäßig zu  e  (Myrddin-Merlinus  etc.);  kymrisch  Gioen-  wird  häufig 
zu  Givan-  (vgl.  Gwcnhicyvar  ^  Giianhuinara::^- Ganievre);  kymrisch 
nd  kann  zu  nn  werden  (Gwendoleu  >  Guennolous);  die  einzige 
Unregelmäßigkeit  besteht  also  darin,  daß  n?i  zu  ni  wurde;  dies  ist 
aber  eine  nicht  seltene  graphische  Entstellung:  es  ging  ein  Strich 
verloren.  Übrigens  mag  ie  als  Ersatz  für  y  eingetreten  sein,  viel- 
leicht wie  im  Givenliwyvar-Guenievre.  Neben  Ganieda  konnte  aber 
auch  die  Variante  Guenieda  bestehen,  da  ive  nicht  notwendig  durch 
a  ersetzt  werden  mußte  (vgl.  Guennolous),  und  im  Keltisch-Latei- 
nischen wie  im  Germanisch -Romanischen  Gio  und  v  (iv)  häufig 
wechseln  (vgl.  Gioynedd-  Venedoda,  Gwrtheyrn-  Vortegirnus  i54j.  Aus 
Venieda  mochte  ein  französisches  Viniede  entstehen  {e  >  i  wie  z.  B. 
in  Guened  >  Goinnec;  V  erhalten  wie  in  Vertigier),  das,  weil  Frauen- 
namen auf  -de  selten  waren,  den  viel  häufigeren  auf  -ne  (Galiene, 
Laudine,  Lidoine  etc.)  angeglichen  wurde.  ^55)  go  kommen  wir  zu 
der  Form  Viniene'^^^),  ohne  von  irgend  welchen  schwierigen  und 
unnatürlichen  Voraussetzungen  Gebrauch  gemacht  zu  haben.  Anstatt 
von  einer  lateinischen  Zwischenstufe,  mag  der  Name  Viniene  auch 
direkt  von  Gwendydd  abgeleitet  werden,  wenn  man  voraussetzt,  daß 
ebenso  gut  wie  der  Lateiner  die  Endung  a,  so  der  Franzose  die 
Endung  e  anfügen  konnte. 

Diese  ganze  Hypothese  gilt  nur  unter  der  Voraussetzung,  daß 
der  Name  Viniene  vom  Lancelot-interpolator  in  den  Lancelot  ein- 
geführt wurde.  Wenn  wir  dagegen  voraussetzen  wollen,  daß  der 
Name  schon  vor  der  Interpolation  des  E.  M.  im  Lancelot  vorhanden 
war,  als  Name  von  Lancelots  Pflegemutter,  so  fällt  natürlich 
die  Hypothese  dahin.  Dann  muß  mau  sein  Prototyp  unter  den 
Feennameu  suchen;  dann  ist  aber  auch  die  ganze  Frage  für 
unser  Tliema  bedeutungslos.  Nun  ist  jedoch  zu  bemerken,  daß 
im  Lancelot  der  Name  zum  ersten  Mal  in  der  E.-M.-Episode  er- 
scheint, trotzdem  schon  vorher  viel  von  der  Fee  die  Rede  war,  die 
hier,  als  Merlins  Geliebte,  Niniene  resp.  Viniene  genannt  wird.     Sie 

1**)  Das  ursprüngliche  war  w,  welches  im  9.  Jahrh.  zu  (jw  wurde  (vgl. 

Loth,  Emigration  brclonne  p.  90). 

1")  Das  Suffix  -ine  wird  ja  noch  in  moderner  Zeit  zu  Neubildungen 

verwendet:    Josephine,   Albertine  etC. 

1^^)  Es  ist  merkwürdig,  dafs  gerade  diese  Variante  nirgends  zu  belegen 
zu  sein  scheint.  Doch  ist  dieser  Umstand  von  keiner  Bedeutung,  da  alle 
Versionen,  die  den  Namen  nennen,  auf  den  Lancelot  zurückgehen,  wo  er 
nur  2  mal  vorkommt. 


26i  E.  Brugger. 

wurde  bis  dahin  nur  la  damoisele  (damc)  del  lac  genannt.  Ist 
dies  schon  sehr  verdächtig,  so  ist  es  noch  auffallender,  daß  auch  in 
der  Folge  der  Name  Niniene  resp.  Viniene  fast  nie  gebraucht, 
sondern  die  alte  Bezeichnung  la  damoisele  (dame)  del  lac  beibehalten 
wird.  Dies  läßt  es  als  wahrscheinlich  erscheinen,  daß  der  Name 
ebenso  wie  das  E.  M.  eine  Interpolation  ist  resp.  zur  E.  M.-Inter- 
polation  gehört.  Dem  Interpolator  war  es  wohl  zu  mühsam,  ihn 
überall  an  Stelle  von  la  damoisele  (dame)  del  lac  einzusetzen;  und 
wenn,  was  wahrscheinlich  ist,  letztere  Bezeichnung  bereits  populär 
geworden  war,  so  mochte  es  nicht  ratsam  sein,  sie  zu  verdrängen. 
Ich  kenne  außer  dem  E.  M.  nur  noch  eine  Stelle  im  Lancelot,  wo 
der  Name  Viniene  erwähnt  wird.  In  einem  Liouelabenteuer  heißt  es 
(Ms.  B.  N.  fr.  339  =  anc.  6959  3,  fol.  54  d;  Druck  von  1520  I  fol. 
121c;  vgl.  auch  Jonckbloct,  Lancelot  II  p.  XII,  A.  14):  £t  ce  estoit 
la  damoisele  qui  le  garanti,  quant  l'espee  li  fu  [Brnck  ad. :  misej 
sur  la  teste  por  [Druck  ad.  V]  ocirre;  si  avoit  non  Celice,  et  la 
dame  [Druck:  eile  estoit  a  la  dame  qui]  avoit  non  Nimainne  et 
icele  Nimainne  fu  ce  qui  [Druck  non  —  qui  ausgelassen]  iiorri 
Lancelot  au  lac^^"^). 

Von  Merlins  Ende  ist  in  Galfrids  Historia  garnicht  die  Rede. 
Der  Eindruck,  den  der  Leser  dieses  Werkes  bekommen  mußte,  war, 
daß  Merlin  noch  unter  Uter  Pendragon  starb.  Dies  beweisen  die 
französischen  Romane  (vgl.  oben).  Die  Vita  Merlini  stellt  bestimmt  einen 
natürlichen  Tod  Merlins  in  Aussicht.  In  diesem  Werk  hat  Merlinus  über- 
haupt nichts  Übernatürhches  an  sich;  er  ist  nur  vorübergehend  geistes- 
krank, von  Gott  oder  vom  Teufel  inspiriert.  Geheilt  von  seiner  Krankheit, 
will  er  den  Rest  seines  Lebens  in  der  Einsamkeit  des  kaledonischen 
Waldes  zubringen;  er  will  fasten  und  Buße  tun;  damit  er  des  ewigen 
Lebens  im  Ilimmef  teilhaftig  werde  (vgl.  oben).  Er  prophezeit  nicht 
mehr,  weil  er  die  Wahrsagekunst  mit  seiner  Krankheit  verloren  hat. 
Giraldus,  der  eine  ältere  Vita  Merlini  benutzt  zu  haben  scheint,  ließ 
Merlin  auch  seinen  Lebensabend  im  kaledonischen  Walde  zubringen, 
sagte  aber  nichts  von  der  Heilung  und  dem  Verlust  seiner  Sehergabo, 
vielleicht  allerdings  bloß,  weil  er  keine  Details  bringen  wollte  (vgl. 
Bd.  XXXI  p.  228).  Ähnlich  ist  endlieh  auch  die  Stelle  in  Claris 
et  Laris;  Merlin  lebt  hier  noch  unter  Arthur;  auch  besitzt  er  natürlich 
noch    seine    Allwissenheit    (vgl.    oben).      Hier    sind    eben    Merlinus 


15-)  Ebenso  in  Ms.  B.  N.  fr.  768,  anc.  7185  fol.  152  L.  A.  Paton  sagt 
fälschlich  (Fainj  Mytholo(jtj  p.  239—240),  dafs  der  Passus  nur  in  einem 
Manuskript  zu  belegen  sei.  Er  ist  vermutlich  in  allen  Mss.  vorhanden. 
Ich  habe  Zs.  XXVllI  p.  1—2  auf  die  mögliche  Identität  von  Wolframs  Imane 
mit  Viniene  hingewiesen.  Imane  hat  die  Rolle  der  Guenievre  im  Meleagant- 
Abenteuer.  Vielleicht  handelte  es  sich  nur  um  eine  Vertauschung  der  ähnlich 
geschriebenen  Namen  Viniene  und  Gm^iievre  (statt  Gu  auch  y.  Vanora,  Wander: 
vgl.  in  dieser  Zeitschrift  28  p.  66;  auch  J,  z.B.  Gtnevre,  Jenovre  im 
holländischen  Lancelot).  Nur  bleibt  dann  der  Beiname  von  der  Beafontane 
unerklärt. 


L'Enserrement  Merlin.     Studien  znr  Merlinsage.         265 

Silvester  und  Mcrlinus  Ambrosius  verschmolzen.  Der  Wald,  wo 
Merlin  sterben  will,  ist  vielleicht  nicht  mehr  der  kaledonische;  die 
Geographie  ist  weg.  Es  gab  aber  wohl  auch  eine  Tradition,  welche 
Merlin  vollständig  mit  Lailoken  identifizierte  und  ihn  eines  gewaltsamen 
Todes  sterben  ließ  (vgl.  Bd.  XXX  •  p.  223).  Man  zeigte  Merlins  Grab 
in  Drumelzier,  wo  Lailoken  gestorben  sein  soll.  Vielleicht  dachte  man 
sich  sein  Grab  auch  in  Nouquetran  in  der  Nähe  von  Arderydd,  wo  man 
die  berühmte  Schlacht  geschlagen  wurde,  an  der  Myrddin  teil  genommen 
haben  soll.  Die  Wälschen  versetzten  Merlins  Grab  nach  Nevyn 
(vgl.  BJ.  XXXI  p,  238),  wahrscheinlich  weil  Giraldus  erklärte, 
daß  er  dort  den  Merlinus  Silvestris  gefunden  habe  (vgl.  Bd.  XXX  ^ 
p.  228),  und  weil  dort  die  Wortigcrn-Sage  lokalisiert  war;  oder  in 
die  benachbarte  Insel  Bardsey  (=  bard's  island)  (vgl.  Bd.  XXX  ^ 
p.  220,  238)  oder  nach  Carmarthen,  dem  Geburtsort  des  Merlinus 
Ambrosius  der  Historia.  Ein  Franzose,  der  Galfrids  Historia  ergänzen 
wollte,  ließ  ihn  in  Tintagil,  dem  Schauplatz  seiner  Haupttat,  begraben 
sein  (Perlesvaus).  Alle  diese  Zeugnisse  wissen  nichts  von  einem 
enserrement,  und  die  ausführlicheren  unter  ihnen  scheinen  ein  solches 
geradezu  auszuschließen. 

Es  gab  aber  auch  Traditionen,  wonach  Merlin  nicht  starb. 
Alle  diese  scheinen  von  Merlinus  Ambrosius  auszugehen  oder  Merlinus 
Silvester  mit  jenem  zu  verschmelzen,  wie  es  schon  die  Vita  Merlini 
getan  hatte.  Man  stellte  Merlin  (natürlich  Ambrosius)  zu  Arthur  in 
Parallele,  ließ  ihn  wie  diesen  einen  Zauberschlaf  tun,  aus  dem  er 
zugleich  mit  ihm  wieder  erwachen  würde,  um  zu  seinen  ßritten  zurück- 
zukehren (jüngere  Bardscylegeude  vgl.  Bd.  XXXi  p.  238);  oder 
man  ließ  ihn  wie  Arthur  nach  einer  Wunderinscl  fahren  (Triade  113). 
Diese  Traditionen  stehen  in  keiner  Beziehung  zum  E.  M.  Wenn  im 
ktzteren  Merlin  einen  Zauberschlaf  tut,  so  war  es  —  und  dies  ist 
wesentlich  —  einer,  aus  dem  er  nie  wieder  erwachen  kann  und  soll;  er 
kommt  dem  Tode  gleich.  Übrigens  können  jene  2  Traditionen  sehr  wohl 
jünger  sein  als  das  E.  M.,  sind  aber  ihrerseits  von  diesem  nicht 
beeinflußt.  Der  Verfasser  des  Perlesvaus  ließ  dem  Merlinus  (natürlich 
wieder  Ambrosius),  weil  er  mit  Christus  Ähnlichkeit  hat,  auch  eine 
körperliche  Auferstehung  und  Himmel-  (resp.  Höllen-)  fahrt  angedeihen. 
Wenn  man  annahm,  daß  Merlin  nicht  vor  dem  Weltuntergang,  dem 
jüngsten  Gericht,  sterben  würde  (Robert  von  Borron),  so  stützte  man 
sich  auch  auf  seine  teuflische  Abstammung:  man  dachte,  daß  ein 
Teufelssohn  nicht  wie  ein  normaler  Mensch  sterben  könnte.  Um  aber 
glaubhaft  zu  machen,  daß  Merlin  noch  immer  auf  dieser  Erde,  in 
Britannien,  lebe,  mußte  man  annehmen,  daß  er  sich  unsichtbar  machte. 
Wie  man  zur  Vorstellung  des  espliimcor  gelangte,  können  wir  nicht 
eher  bestimmen,  als  bis  die  Bedeutung  dieses  Wortes  bekannt  ist. 
Das  Wort  ist  bis  jetzt  nur  in  den  oben  zitierten  Stellen  belegt  worden. 
A.  Tobler  (Zeitschrift  f.  vergl.  Sprachforschung  JSF  HI  417)  er- 
wähnt als   außerordentlich  häufig  den  Übergang  von  eoi  zu  oie  (oe) 


266  E.  Brugger. 

fovri'oir  (*opcra  atriiim)  <  ovroerj.  Die  in  Meraugis  durch  den 
Reim  gesicherte  Form  esphimocr  entstand  also  aus  esplumcoir 
(* explumatorium).  Man  kann  so  wenigstens  konstatieren,  daß 
csplumeor  nicht  ein  nomen  ageniis  ist^ss).  Das  Suftix  -orium  bezeichnet 
den  Ort,  wo  die  im  Stamm  ausgedrückte  Handlung  stattfindet.  Esplurner 
ist  zu  belegen  im  Sinn  von  „rupfen";  ein  esplumcoir  sollte  also 
einen  Ort  bezeichnen,  wo  gerupft  wird.  G,  Paris  (Rom.  XXVII  309) 
schlägt  als  Übersetzung  vor:  mue,  cage,  oü  les  oiseaux  sont  enfermes 
pendant  la  mue,  deutsch:  Mauserkäfig.  Aber  merkwürdig  ist,  daß 
das  Wort  in  den  zahlreichen  Abhandlungen  über  und  Anspielungen  auf 
die  Jagd  nicht  belegt  wurde.  Die  Tatsache,  daß  die  Kopisten  dem 
Worte  esplumeoir  auch  die  phonetisch  falsche  Form  esplumeor  gaben, 
ist  wohl  ein  Beweis,  daß  sie  selbst  das  Wort  nicht  verstanden,  daß 
dieses  also  nicht  mehr  gebräuchlich  war.  Wir  wollen  hier  nur  kon- 
statieren, daß  der  esplumeoir  ein  „hahitage"'  ist,  wo  man  den  Menschen 
unsichtbar  sein,  aber  doch  noch  zu  ihnen  sprechen  kann;  nach  dem 
Zeugnis  des  Meraugis  wäre  er  in  einen  Felsen  gebaut,  also  wohl  ein 
Gewölbe,  wahrscheinlich  durch  Zauberkunst  geschaffen  (Robert  sagt 
ja,  daß  Merlin  seine  Wohnung  selbst  schuf),  vielleicht  geradezu,  wenn 
man  so  sagen  kann,  ein  unterirdischer  Palast.  Da  Merlin  von  hier  aus 
weissagt  (direkt  nach  dem  Perceval,  indirekt  nach  dem  Meraugis), 
so  erinnert  uns  dieses  esplumeoir  nicht  wenig  an  die  Orakelstätte  zu 
Delphi.  Vielleicht  kannte  Giraldus  eine  ähnliche  Tradition,  wenn  er 
sagt:  cum  (sc.  Merlinum)  potius  Pytlionico  spiritu  locutum  esse 
plerique  conjectant  (Camhriae  descripiio  C.  XVI;  vgl.  San  Marte, 
Sagen  p.  47).  Der  Lorbeerbaum  im  Meraugis  erinnert  sogar  an  den 
Lorbeerhain  und  den  mit  Lorbeer  geschmückten  Dreifuß  in  Delphi. 
Wenn  der  demens  Lailoken  prophezeien  wollte,  sedehat  super  quandam 
rupem  proclivam  que  eminet  transtorrentem  Mellodonor  (Ward  1.  c. 
p.  516).  Auf  einem  Felsen  soll  Merlinus  Ambrosius  vor  Wortigern 
prophezeit  haben  (vgl.  San  Marte,  Sagen  p.  1 2).  Thomas  von  Erceldoune, 
der  sich  in  mancher  Beziehung  mit  Merlin  vergleichen  läßt,  hat  seine 
Prophezeiungen  in  einem  Berge  {Eildon  Bill  bei  Melrose  in  Schottland) 
aus  dem  Munde  einer  Fee  vernommen.  Auch  die  weissagenden 
Sibyllen  bewohnten  gewöhnlich  Felshöhlen.  Giraldus  kannte  eine  Vita 
Merlini,  die  ursprünglicher  war  als  die  uns  erhaltenen.  In  der  letztern 
ist  von  einem  palastartigen  Observatorium  die  Rede,  welches  Ganieda 
auf  Merlins  Geheiß  im  kaledonischen  Walde  baute  resp.  bauen  ließ. 
Dies  sieht  mir  wie  eine  Entstellung  einer  altern  Tradition  aus.  In 
einer  altern  Vita  Merlini  dürfte  Merlin  selbst  sich  in  einem  Felsen 
ein  Observatorium  haben  bauen  lassen  (Merlinus  Silvestris  war  ja  nicht 
Zauberer),  wo  er  bis  zu  seinem  Lebensende  (Merlinus  Silvester  mußte 
sterben,  war  er  doch  nichts  als  ein  gewöhnlicher  Mensch)  prophezeien 
wollte.    Davon,  daß  er  von  seiner  prophetischen  rahies  geheilt  wurde 


^^8)  Als  solches  fafste  es  Godefroy  auf. 


L' Enserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         267 

weiß  ja  niemand  als  die  uns  erLaltcne  Vita  Merlini.  Gerade  Giraldus  und 
die  kymrischen  Pseudo-Myrddin-Gediclite  wissen  nichts  davon,  und 
die  letzteren  stehen  zum  Teil  im  Widerspruch  zu  einer  solchen  Vor- 
aussetzung. Es  ist  darum  wahrscheinlich,  daß  in  der  postulierten 
älteren  Vita  Merlini  Merlin  die  Sehergabe  nie  verlor  und  Ganieda  sie 
nie  erlangte. '  Der  Verfasser  der  uns  erhaltenen  Vita  Merlini  wollte 
einfach  seinem  libellum  den  Anschein  der  Vollständigkeit  verleihen, 
und  ließ  darum,  als  er  es  abschließen  wollte,  Merlin  aufhören,  zu 
prophezeien  (vgl.  seine  Bemerkung  v.  1522).  Merlin  prophezeit 
übrigens  nach  der  Vita  Merlini  nicht  nur  als  Besessener,  sondern 
auch  als  Astrologe.  Dies  war  wohl  nicht  eine  Spezialität  der  Vita. 
Noch  in  dem  späteren  ßoman  Meister  Richards,  les  Frophecies  de 
Merlin,  der  garnichts  von  der  Vita  geborgt  hat,  linden  wir  den  Propheten 
Merlin  als  Sterndeuter.  Vielleicht  beschäftigte  sich  Merlin  in  dem 
tür-  und  feusterreichen  Palast  auch  mit  Ornithomantie;  und  dieser 
Umstand  möchte  dann  zur  Erklärung  des  Namens  espliimeoir  bei- 
tragen. Natürlich  müßte  man  sich  das  Felsengewölbe,  welches  als 
Observatorium  (und  esplumeoir?)  benutzt  werden  sollte,  entsprechend 
vorstellen;  die  Fenster  müßten  jedenfalls  oben  sein,  um  den  Anblick 
des  Himmels  zn  ermöglichen.  Nach  Meraugis  ist  denn  auch  der 
esplumeoir  in  einem  hohen  Felsen  (vgl.  auch  la  Nouquetran  im 
Fergus!).  Wir  haben  uns  vielleicht  Merlins  Jiahitage^'-  ähnlich  vor- 
zustellen wie  die  Grotte  der  Sibylla  in  Cumae  nach  Virgils  Beschreibung 
(Aeneidos  lih.  VI.  v.  41  ff.);  Excisum  Euhoicae  latus  ingens  rupis 
in  antrum,  Quo  lati  ducant  aditus  centum,  ostia  centum;  Unde 
ruunt  totidem  voces,  responsa  Sibyllae.  An  diese  Stelle  erinnert 
wohl  die  eben  erwähnte  der  Vita  Merlini:  {domus)  Chi  sex  dena 
decem  dahis  hostia  totque  fenestras,  Per  qiias  ignivomum  videam 
cum  Venere  Phoehum  etc.  (v.  566).  Da  Virgils  Aeneis  im  Mittel- 
alter eines  der  am  meisten  gelesenen  Bücher  war  und  Sibylla  sich 
großer  Popularität  erfreute  und  Merlin  nicht  selten  mit  ihr  zusammen 
genannt  wurde,  es  anderseits  im  kaledonischen  Walde  meines  Wissens 
keine  solche  Grotten  gab,  so  ist  es  nicht  unmöglich,  daß  unsere  Sage 
literarischen  Ursprungs  ist  (vgl.  die  von  Antoine  de  la  Salc  erzählte 
italienische  Legende,  und  dazu  L.  A.  Paton  1.  c.  p.  52 — 53).  Aus 
einer  älteren  Vita  Merlini  möchte  nicht  nur  Giraldus,  sondern  auch 
Robert  de  Borron  geschöpft  haben.  Aus  ihr  möchte  der  esplumeoir 
des  Merlinus  Silvestris  entlehnt  worden  sein^^o)^  während  das  Fortleben 
Merlins    bis   zum  jüngsten  Gericht   aus   der   teuflischen  Abstammung 


1^')  Da  esplumeoir  möglicherweise  die  Bedeutung  enge  hat,  so  mag  man 
sich  an  den  oben  (Bd.  XXX'  p.  204)  zitierten  Passus  aus  Deschamps,  nach 
welchem  Merlin  e»  caüje  war.  erinnern.  Man  hat  sich  vielleicht  Merlins 
Gefängnis  einem  Mauserkäfig  ähnlich  vorgestellt.  Doch  sagt  auch  Deschamps 
soulz  h  lombel]  und  en  cni'je  mag  die  unschuldige  Bedeutung  „im  Gefängnis" 
haben.  In  schweizerischen  Dialekten  wird  „im  clievi"  sehr  häufig  in  dieser 
Bedeutung  gebraucht. 


268  E.  Brugger. 

des  Merlinus  Ambrosiiis  abgeleitet  wurde.  Wie  Robert  in  seinem 
Merlin  die  Schergabc  Merlins  der  Gnade  Gottes  zuschreibt,  so  Ijißt 
er  im  Perccval  Älcrlins  Seele  durch  dieselbe  Gnade  der  joie  pardurahle 
teilhaftig  werden. 

Zwei  Pseudo-Myrddiu-Gedichte,  Kyvoesi  und  Gwasgardgerdd,  von 
denen  aber  das  zweite  auf  den  donnees  des  ersteren  aufgebaut  zu 
sein  scheint,  berichten  ebenfalls,  daß  Myrddin  noch  von  dem  Oitc 
aus,  wo  er  eingeschlossen  bis  zu  seinem  Tode  blieb,  prophezeite  (vgl. 
oben  Bd.  XXX'  p.  232).  Doch  sind  im  Übrigen  die  Veihältnisse  sehr 
verschieden.  Myrddin  was  placed  tinder  carth  hy  a  sovercign,  und 
von  da  aus  unterhielt  er  sich  noch  mit  seiner  Schwester  Gwcndydd. 
Er  befand  sich  also  in  einem  unterirdischen  Kerker  eines  Fürsten; 
man  kann  die  Stelle  vernünftiger  Weise  nicht  anders  deuten.  Die 
Kerker  der  Burgen  waren  häufig  unterirdisch.  Ein  Gefangener  konnte 
sich  häufig  mit  außerhalb  der  Burgmauer  stehenden  Leuten  unter- 
halten. Man  erinnere  sich  an  die  Sage  von  Blondcl  und  Richard 
Löwenherz.  In  Claris  et  Laris  kommen  Gauvain  und  Claris  zu  einer 
unterirdischen  voute  und  unterhalten  sich  mit  einem  Gefangenen  (v. 
25476  ft'.);  andere  Beispiele  ließen  sich  wohl  noch  genug  finden.  Ich 
möchte  nur  zeigen,  daß  die  Situation  in  Kyvoesi  ganz  natürlich,  gar  nicht 
wunderbar,  ist.  Das  Gedicht  deutet  au,  daß  Myrddin  in  seinem  Gefängnis 
bald  sterben  soll.  So  kann  denn  Gwasgardgerdd  das  Gefängnis  sein  Grab 
nennen.  160)  yAwq  ähnliche  Tradition  finden  wir  nirgends;  aber  man 
kann  sich  doch  vorstellen,  wie  sie  entstand.  In  der  Vita  Merlini  wird 
Merlin  in  Lailokens  Rolle  auch  von  einem  Fürsten  (Rhydderch)  gekettet 
ins  Gefängnis  gebracht.  Doch  in  der  späteren  Lailokenlegende  finden 
wir,  daß  der  Fürst,  der  Lailoken  gefangen  setzt,  nicht  mehr  Rhydderch, 
sondern  Meldred  ist.  Dieser,  der  Eponymus  von  Drumelzier,  ist  es 
auch,  dessen  Hirten  Lailoken  erschlugen.  Lailokens  Gefängnis  und 
Grab  befanden  sich  nach  der  Legende  in  Drumelzier.  Später  aber 
wurde  „Lailokens  Grab"  durch  „Merlins  Grab"  ersetzt.  Man  mochte 
darum  annehmen,  daß  auch  das  Gefängnis,  in  dem  Merlin  eingesperrt 
war,  sich  in  Drumelzier  befand.  Indem  man  den  dreifachen  gewalt- 
samen Tod  vergaß,  und  sich  nur  daran  erinnerte,  daß  Merlin  in 
Drumelzier  eingekerkert  war  und  starb,  kam  man  schließlich  zu  der 
Ansicht,  daß  er  im  Kerker  starb,  daß  sein  Kerker  sein  Grab  wurde. 
Auch  wenn  diese  Tradition,  die  erst  in  den  jüngeren  Strophen  von 
Kyvoesi  erscheint,  alt  sein  sollte,  so  stünde  sie  doch  in  keinem 
Zusammenhang  mit  der  Esplumeor-Tr^AMion.  Die  Situation  der 
ersteren  Tradition  erklärt  sich  ohne  Zuhülfenahmc  derjenigen  der 
letzteren  Tradition  und  vice  versa.  Außerdem  sind  die  Differenzen  viel 
zu   groß   im  Vergleich   zur  Ähnlichkeit.     Im   einen  Fall    wird   Merlin 


^^)  lu  der  Galaadqueste  0,  ist  die  Rede  von  nne  voix  qui  yH  d'uiie  tombe 
et  est  de  teile  vertu  que  nul  ne  Voyt  qui  ne  perde  la  force  et  le  povoir  (Druck  V. 
1520  III  f.  89  a). 


VEnserrement  Merlin.     Studien  zur  Merlinsage.         269 

mit  Gewalt  eingesperrt;  im  andern  baut  er  sieb  selbst  sein  Grab, 
wenn  man  den  habitage  überhaupt  so  nennen  darf,  und  begibt  sich 
frei\^illig  hinein,  ohne  gezwungen  zu  sein,  zu  bleiben.  Im  einen  Fall 
stirbt  er  voraussichtlich  bald  nach  dem  enserrement,  zu  Lebzeiten 
seiner  Schwester   Gwendydd,    im    andern    erst    beim   Weltuntergang. 

Wie  verhält  sich  nun  das  E.  M.  zu  diesen  Traditionen?  Mit 
der  durch  Kyvocsi  und  Gwasgardgerdd  repräsentierten  hat  es  gemeinsam 
das  enserrement:  Hier  wie  dort  ist  Merlin  wirklich  enserri  in  einem 
Oit  unter  der  Erde-  den  er  nicht  wieder  verlassen  kann,  also  geradezu 
entomhS]  und  dieser  Umstand  hat  Stephens  (Geschichte  d.  wälschen 
Lit.  p.  173)  und  San  Marte  (Sagen  p.  206)  dazu  verführt,  Beein- 
flussung anzunehmen.  Doch  wie  ganz  verschieden  sind  alle  anderen 
Züge!  Im  einen  Fall  ist  es  ein  Fürst,  der  Merlin  zum  Gefangenen 
macljt,  im  andern  Fall  eine  von  ilim  geliebte  Dame.  Jener  tut  es 
auf  ganz  gewöhnliche  Weise,  diese  durch  Zauberei.  Dort  prophezeit 
er  noch  vom  Grabe  aus;  hier  schläft  er  von  Anfang  an,  um  nie 
wieder  aufzuwachen.  Wenn  wir  auch  noch  bedenken,  daß  die  kymrische 
Tradition  ganz  vereinzelt  dasteht,  und  das  E.  M,  leicht  ohne  Hülfe 
der  Sage  erklärt  werden  kann,  so  müssen  wir  jene  als  Quelle  der- 
selben abweisen.  Umgekehrt  kann  das  E.  M.  natürlich  auch  nicht 
die  Quelle  der  kymrischen  Tradition  sein. 

Die  Ähnlichkeit  zwischen  dem  E.  M.  und  der  Esplumeoir- 
Episode  ist  etwas  größer.  Doch  darf  man  die  gewaltigen  Differenzen 
nicht  übersehen.  In  der  letzteren  ist  Merlin  garnicht  im  eigentlichen 
Sinn  enserrL  Er  ist  freiwillig  in  den  esphimeoir  gegangen,  und 
nirgends  wird  gesagt,  daß  er,  wenn  er  wollte,  nicht  wieder  hinaus- 
gehen konnte!  Wohl  scheint  in  der  Esplumeoir-'E.\)\%o^e  wie  im  E.  M. 
Zauberei  im  Spiele  zu  sein;  doch  es  fehlt  dort  vollständig  das  Weib, 
das  hier  die  Zauberei  betreibt.  Man  möchte  vielleicht  sagen,  daß  im 
Meraugis  eine  der  Damen  beim  esplumeoir  Vinione  sein  mochte, 
während  die  anderen  dann  als  ihre  Gespielinnen  aufzufassen  wären. 
Doch  sieht  jedermann  leicht,  daß  die  Version  des  Perceval  im  Ganzen 
urspiünglicher  ist.  Wenn  man  also  wirklich  in  einer  jener  Damen 
Yiniene  erkennen  wollte,  so  müßte  man  annehmen,  daß  die  Version 
des  Meraugis  unter  dem  Einfluß  des  E.  M.  aus  der  alten  Version  der 
Esphtmeoir-E\nsodc  entstanden  wäre.  Ich  glaube  aber,  wie  schon 
gesagt,  daß  der  Jungfcrnkranz  anders  zu  erklären  ist.  Während  nach 
dem  E.  M.  Merlin  in  der  Felsenhöhle  von  Anfang  an  schläft,  um 
nicht  wieder  zu  erwachen,  ist  er  nach  der  Esplumeoir-Einsode 
beständig  wach  und  tätig,  er  prophezeit  und  soll  nicht  sterben  bis 
zum  jüngsten  Gericht,  Die  Unterschiede  zwischen  dem  E.  M.  und 
der  Esplumeoir-Eitisodc  sind  also  so  durchgreifend,  daß  es  niemals 
anginge,  die  eine  dieser  Erzählungen  aus  der  anderen  abzuleiten. 
Wir  dürfen  höchstens  Beeinflussung  annehmen.  Eine  solche  wäre 
offenbar  hier  schon  deshalb  eher  möglich,  weil  beide  Erzählungen  in 
französischen  Versionen  existierten. 


^70  E.  Briigger. 

Eine  Beeinflussung  der  jE'sp^wmfozV-Episode  durch  das  E.  M. 
ist  sehr  un\Yahrscheinlich;  sie  ginge  uns  übrigens  liier  nichts  an;  ich 
brauche  darum  die  Frage  nicht  zu  erörtern.  Dagegen  mag  das  E. 
M.  vielleicht  einiges  der  J^spliuneoir -EiVisode  verdanken,  darunter 
das  etiserrer-MoÜY.  Nach  Robert  von  Borron  hat  sich  Merlin 
selbst  gewissermaßen  enserrL  Da  Merlin  den  esplumeoir  nie  mehr 
verließ,  so  mochte  leicht  die  Freiwilligkeit  des  enserrer  in  Ver- 
gessenheit geraten.  Aus  der  Meraugisepisode  ist  sie  bereits  nicht 
mehr  ersichtlich.  Dann  drängte  sich  einem  als  das  Natürlichste  die 
Annahme  auf,  daß  Merlin  enserrd  wurde.  Da  mochte  dem  Lance- 
lotinterpolator  resp.  dem  Verfasser  des  selbständigen  E.  M.  der  Ge- 
danke naheliegen,  das  enserr€me7it-'M.oti\  für  den  Abschluß  des 
Fabliau  zu  verwenden,  da  doch  das  durch  die  Hauptquelle  über- 
lieferte Vergiftungsmotiv  unannehmbar  war.  Das  für  die  esplumeoir- 
Episode  charakteristische  Fortleben  und  Weiterprophezeien  Merlins 
eignete  sich  für  das  E,  M,  nicht,  da  ein  fortlebender  und  mit  den 
Menschen  verkehrender  Merlin  für  Viniene  eine  beständige  Gefahr 
gebildet  hätte;  Merlin  mußte  für  immer  unschädlich  gemacht  werden, 
wenn  nicht  die  ganze  List  des  Mädchens  umsonst  sein  sollte.  Daher 
das  Versenken  in  den  ewigen  Schlaf,  das  seeler  ^^^),  und  die  Unauf- 
findbarkeit des  letzten  Aufenthaltsortes  Merlins.  Die  Felshöhle  (denn 
das  war  doch  wohl  die  cave  des  E.  M.  L.)  ist  vom  Standpunkt  des 
E.  M.  aus  ein  unwesentliches  Moment:  es  war  kein  Grund  vorhanden, 
weshalb  der  Ort,  wo  Merlin  eingeschlossen  wurde,  gerade  eine  cave 
sein  sollte.  Vielleicht  hat  auch  hier  die  röche  der  esplumeoir- 
Episode  bestimmend  eingewirkt.  Wo  die^e  Episode  mit  dem  E.  M. 
übereinstimmt,  da  ist  es  die  Meraugis-,  nicht  die  Percevalvcision ; 
doch  werden  wir  kaum  Benutzung  des  Meraugis  voraussetzen  dürfen. 
Da  der  Lancelot-Interpolator  sicher  Volkssagen  gekannt  hat,  so  wird 
man  wohl  auch  hier  anzunehmen  haben,  daß  er  ebenso  wie  der  Ver- 
fasser des  Perceval  und  derjenige  des  Meraugis  die  Esplumeoir- 
Episode  direkt  aus  der  Volkssage  schöpfte.  Gerade  der  Umstand, 
daß  das  Wort  esplumeoir  schon  in  altfranzösischer  Zeit  obsolet 
war,  deutet  darauf  hin,  daß  die  Sage,  in  der  es  vorkommt,  schon 
alt  war. 

Unter  den  geographischen  Namen  des  E.  M.  L.  ist  zunächst 
la  Peilte  Bretagne  als  Heimat  der  Geliebten  Merlins  auszuscheiden; 
denn  diese  Lokalisation,  war,  wie  oben  (Bd.  XXX^  p.  193)  gezeigt  wurde, 
durch  den  Anschluß  ans  Vorausgehende  bedingt.  In  einem  unabhängigen 
Merlinfabliau  wäre  gewiß  Großbritannien  als  Ort  der  Handlung  gewählt 


1"')  Das  e/isei'rement  Merlins  erinnert  etwas  an  die  Einmauerung  Josephs 
bei  Robert  von  Borron,  der  das  Wort  seeler  dabei  zweimal  gebraucht  (v.  7(6, 
912).  Die  Prosahandschrift  von  Modena  sagt  (Weidner  270):  et  pcn-  dessus 
(sc.  la  chartre)  seelerent  une  piere,  und  alle  Prosahandschriften  fügen  hinzu: 
en  tel  maniere  que,  se  nus  le  venist  querre,  que  ne  le  peust  trover.     Deshalb  braucht 

man  aber  noch  nicht  Beeinflussung  des  E.  M.  durch  den  Joseph  anzunehmen. 


L' Enserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         271 

worden.  Dem  Anfang  des  E.  M.  L.  scheint  der  Scliluß  zu  wider- 
sprechen. Während  Merling  Geliebte  in  Kleinbritannien  wohnt,  schließt 
sie  ihn  an  eiuem  Ort  ein,  der  sich  unfern  vom  Königreich  Sorelois 
befand.  Letzteres  galt  allgemein  und,  wie  es  scheint,  ausnahmslos  als 
ein  Reich  in, Schottland  und  zwar  im  nordwestlichen  Teile  (vgl.  diese 
Ztschr.  XXVIII 1  p.  16).  Es  ist  zum  ersten  Mal  im  Prosa-Lancelot 
zu  belegen,  hat  aber  hier  gleich  eine  sehr  wichtige  Kolle  erhalten. 
Da  der  Lancelot-Interpolator  Sorelois  im  Lancelot  sehr  häufig  genannt 
fand,  während  es  in  keinem  altern  Text  zu  belegen  ist,  so  wird  man 
wohl  kaum  fehlgehen  mit  der  Annahme,  er  habe  den  Namen  Sorelois 
nicht  einer  Merlinsage,  sondern  dem  Lancelot  entnommen.  Nun  wird 
im  ganzen  E.  M.  L.  nie  gesagt,  daß  das  bretonische  Mädchen  nach 
Großbritannien  kam,  was  doch  hätte  gesagt  werden  müssen,  wenn  es 
nach  Ansicht  des  Verfassers  der  Fall  gewesen  wäre.  Außerdem, 
wenn  das  Mädchen  sich  von  Merlin  hätte  nach  Großbritannien  ent- 
führen lassen,  so  hätte  es  keinen  Sinn  mehr  gehabt,  daß  sie  vorgab, 
sie  müßte  ihren  Vater  einschläfern,  damit  er  von  ihren  Zusammen- 
künften nichts  merke.  Es  klappt  also  offenbar  etwas  nicht.  Ver- 
scliiedene  Hypothesen,  aber  eben  nur  Hypothesen,  mögen  die 
Verhältnisse  erklären.  Man  kann  z.  B.  annehmen,  Sorelois  sei  von 
einem  spätem  Übeiarbeiter  des  Lancelot,  aber  nicht  von  einem  sehr 
späten  (denn  Sorelois  erscheint  auch  in  der  Handschrift  754,  die 
nach  unserer  Ansicht  den  Lancclot-Perlesvaus-Gialzyklus  repiäsentiert), 
an  die  Stelle  eines  andern,  und  zwar  bretonischen,  Namens  gesetzt 
worden;  Cornouaille  wäre  dann  die  bretonische  Provinz  dieses  Namens; 
und  die  perilleuse  forest  de  Darnantes  wäre  in  der  Bretagne  zu 
suchen.  Ich  möchte  dann  an  graphische  Entstellung  aus  Dovarnenez 
denken.  Die  Stadt  Douarnenez  liegt  am  Meer,  an  der  Baie  de 
Douarnenez.  Zwischen  ihr  und  der  Stadt  Briec  befindet  sich  die 
große  foret  du  Duc,  sich  anschließend  an  den  südlichen  Teil  der 
Montagnes  Noires.  Alle  diese  Orte  und  Gebiete  liegen  mitten  in 
der  Provinz  Cornouaille.  Wir  würden  annehmen,  daß  der  Lancelot- 
Interpolator,  weil  er,  wie  wir  oben  sahen,  die  Heldin  dos  E.  M.  zu 
einer  Bretonin  machen  mußte,  auch  die  Handlung  in  der  Bretagne 
lokalisieren  wollte.  Er  mochte  die  Bretagne  selbst  kennen,  oder  aber 
—  und  dies  wäre  naheliegender  —  die  forest  de  Douarnejiez -mochte 
in  Frankreich  bereits  durch  bretonische  Sagen  bekannt  geworden  sein. 
Ich  denke  speziell  an  die  Tristansage;  denn  gerade  vor  Douarnenez 
findet  sich  die  Isle  Tristan  und  ganz  in  der  Nähe  auch  Plo'marcli, 
und  noch  heute  ist  dort  die  Tristansage  lebendig  (vgl.  Loth,  Revue 
celtique  XIII  485).  Im  Walde  von  Douarnenez  mochten  nach  bre- 
tonischen Sagen  Tristan  und  Iscut  zusammengelebt  haben.  Andere 
Hypothesen  mögen  den  Widerspruch  zwischen  Anfang  und  Schluß 
des  E.  M.  hinnehmen  mit  dem  Hinweis  auf  die  Häufigkeit  derartiger 
Widersprüche,  wo  immer  verschiedene  Quellen  benutzt  wurden.  Es 
mag  angenommen  werden,  daß  die  geographischen  Angaben  am  Schluß 


272  E.  Brugger. 

im  selbständigen  E.  M.  bereits  bestanden  (der  Widerspruch  mag  dann 
seinerseits  als  Argument  für  die  Annahme  eines  selbständigen  E.  M. 
angeführt  werden),  oder  daß  sie  der  Lancelot-IuteriJolator  in  der 
Sage  als  gegeben  vorfand  und  nicht  ändern  wollte,  oder  daß  sie  ein 
späterer  Lancelot-Interpolator  im  Anschluß  an  ihm  bekannte  Sagen 
nachträglich  interpolierte.  Mann  würde  dann  wohl  zunächst  Cornou- 
aille  mit  Cornwall  indentifizieren  wollen  und  darauf  hinweisen, 
daß  es  Überlieferungen  gibt,  wonach  Merlin  in  Cornwall  endete. 
Womit  man  in  diesem  Fall  Darnantes  zu  identifizieren  hätte,  weiß 
ich  nicht.  Namentlich  würde  aber  Sorelois  wieder  Schwierigkeiten 
machen;  denn  dasselbe  wird  in  der  Überliefernng  konsequent  nach 
Schottland  verlegt.  Man  müßte  also  wohl  wieder  zur  Annahme  greifen, 
daß  Sorelois  erst  nachträglich  an  Stelle  eines  ihm  ähnlichen  (kornischen) 
Namens  getreten  wäre.  Man  kann  aber  auch  voraussetzen,  daß  Sorelois 
relativ  ursprünglich  ist  und  daß  Cornouaille  entweder  später  hinzu- 
getreten ist  oder  etwas  anderes  bezeichnet  als  die  Provinz  Cornouaille 
in  der  Bretagne  oder  Cornwall  in  Großbritannien.  Cornavii,  angel- 
sächsisch Cormoealas,  mochten  die  Bewohner  irgend  einer  keltischen 
Halbinsel  (com)  genannt  werden  (vgl.  Rh5s,  Celtic  Britain  p.  221),  also 
z.  B.  auch  die  Bewohner  von  Südwestschottland  (Galloway);  dann 
mochte  der  Firth  of  Clyde  als  mer  de  Cornouaille  gelten.  Es  ist 
ferner  zu  bedenken,  daß  in  gewissen  Romanen  durch  die  Ignoranz 
der  Autoren  (die  zwar  schwer  zu  begreifen  ist  bei  Franzosen  ebenso 
wie  bei  Engländern)  das  bekannte  Cornwall  nach  Schottland  verlogt 
wird.  Vor  allem  ist  hier  die  pseudohistorische  Merlinfortsetzung  zu 
nennen.  In  Sommers  Ausgabe  p.  203/2  z.  B.  ist  von  Arondel 
(==  Arundel  in  Sussex)  die  Rede;  es  heißt:  Arondel  en  Cornouaille 
par  devers  Bredigan  (so  im  Druck  von  1498  und  in  dem  von 
Wheatley  herausgegebenen  englischen  Merlin;  bei  Sommer  allerdings 
nur  Arondel);  aber  auch  in  Sommer  p.  204/5  heißt  es:  enti^e  le 
chastel  d' Arondel  et  Bedingran,  und  diese  Orte  gelten  als  benachbart 
der  terre  le  roy  Yder  de  Corneivaile.  Bedingan  ist  aus  dem  Merlin 
bekannt  als  ein  Ort  im  Norden  Großbritanniens.  So  erscheint  denn 
auch  in  Sommer  p.  134/9  Cornwall  in  folgender  Umgebung:  les  marces 
de  Galone  et  Gorre  et  devers  Cornouaille  et  devers  Orcanie 
(=  Orkneys),  und  Sommer  p.  211/22  heißt  es:  en  la  marce  d'Escoche 
al  chastel  d' Arondel,  und  gleich  nachher  (Sommer  p.  211/29)  wird 
das  chastel  d'Arondel  als  in  oder  bei  der  terre  de  Loenois 
(=  Lothian  in  Schottland)  gelegen  geschildert.  Auch  im  Prosa- 
Tristan  finden  wir:  Le  Loonois  (in  Großbritannien)  marchissoit  au 
royaume  de  Cornouaille  (vgl.  Bedier,  Tristan  II  123  n.).  Wenn 
Cornouaille  in  der  Nähe  von  Bedingran  gedacht  wurde,  so  erfahren 
wir  aus  dem  Lancelot  etwas  näheres  über  die  Lage  (Druck  von  1520, 
I  f.  IGOb):  (Bedingan),  c'est  le  dernier  chasteau  par  devers  Yrlande 
par  dela  (statt  p>ar  depaf,  nämlich  notwendig  in  Großbritannien). 
Bedingan  liegt  auch  in  der  Nähe  des  Schlosses  Vicebroc,  lequel  estoit 


L'Ensero'ement,  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         273 

en  la  fiyi  de  sow  (Arthurs)  royaiime  es  (zu  verbessern :  par  devers 
lest)  loingtaines  isles  par  devers  Yrlande  (vgl.  auch  P.  Paris  R. 
T.M.  IV  143).  Dies  zeigt,  daß  Bedingan,  dem  nach  der  Merlinfortsetzung 
Coruouaille  benachbart  war,  als  in  der  Nähe  von  Sorelois  gelegen 
gedacht  wurde.  So  erklärt  sich  wohl  am  besten  die  Verbindung  von 
Coruouaille  und  Sorelois  im  E.  M.  L.  Was  nun  noch  für  diese  letztere 
Hypothese  spricht,  ist  der  Umstand,  daß  die  forest  de  Darnantes  auch 
im  Grand- Saint-  Gr aal  erwähnt  wird  und  zwar  als  schottisches  Gebiet. 
Daß  der  Name  aus  dem  Grand-Saint-Graal  in  das  E.  M.  L.  gelangte, 
ist  ausgeschlossen;  denn  das  E.  M,  L.  ist,  wie  oben  bewiesen  wurde, 
älter  als  der  Grand-Saiut-Graal;  und  der  Name  Darnantes  ist  auch 
in  der  Handschrift  B.  N.  fr.  754,  die  den  Lancelot-Perlesvaus-Gral- 
cyklus  zu  repräsentieren  scheint,  vorhanden,  könnte  also  nicht  wohl 
eine  späte  Interpolation  sein.  Eher  könnte  man  annehmen,  daß  der  Grand- 
Saint-Graal  den  Namen  aus  dem  Lancelot  geborgt  hätte:  doch  ist 
dies  sehr  unwahrscheinlich,  da  der  Name  im  Laucelot  nur  an  einer 
einzigen  sehr  unauffälligen  und  für  den  ganzen  Romankomplex  sehr 
unwichtigen  Stelle,  eben  im  E.  M.  L.,  erscheint,  wo  außerdem  die 
Lokalisation,  wie  wir  eben  sehen,  sehr  unklar  ist.  Im  Grand-Saint- 
Graal  erscheint  die  forest  de  Darnantes  weder  in  Verbindung  mit 
CornouaiUe  noch  mit  Sorelois;  letzteres  kommt  im  Grand-Saint- 
Graal  überhaupt  nicht  vor.  Die  forest  de  Daryiantes  hat  in  diesem 
Roman  eine  ziemlich  wichtige  Rolle.  In  diesem  Wald  finden  u.  a. 
Joseph  und  seine  Genossen  den  von  Teufeln  entführten  Moys  wiedei', 
von  Flammen  umgeben  (vgl.  Hucher  III  223  ff.,  700  ff.).  Die  Gral- 
gesellschafft  kam  von  der  Westküste  Schottlands  her  in  die  forest 
de  Darnantes,  und,  wie  sie  diese  wieder  verließen,  entrerent  adont 
ou  royaume  Escotois  (1.  c.  229),  d.  h.  offenbar  in  das  Reich  Escossc, 
früher  Alhania,  d.  h.  das  piktisclie  Königreich  im  Nordosten  Schottlands, 
trotzdem  bemerkt  wird:  si  n'estoit  tnie  issi  apieles  pour  gou  que 
fou  fust  Escosse,  mais  pour  gou  que  li  roys  avoit  issi  non  (nämlich 
Escos);  Escos  ist  ja  nur  der  Eponymus  von  Escosse^^-).  Die 
forest  de  Darnantes  liegt  also  nach  dem  Grand-Saint-Graal  an  der 
westlichen  Grenze  (marchej  von  Escosse;  Escosse  aber,  das  wohl 
auch  Gorre  genannt  wurde  (vgl.  diese  Zeitschrift  28  p.  65),  grenzt 
im  Westen  an  das  Gebiet  von  Sorelois,  wozu  wohl  häufig  auch  das 
schottische  (d.  h.  irische)  Argyll  (Dalriada),  das  der  Grand-Saint- 
Graal  Terre  Foraine  zu  nennen  scheint  (vgl.  diese  Zeitschrift  29 
p.  104),  gerechnet  wurde,  (vgl.  diese  Zeitschrift  28  p.  19).  Die 
Grenze  zwischen  dem  piktischen  Teil  Schottlands  einerseits  (Alhania- 
Escosse)  und  dem  schottischen  (ivhchen)  (Dalriada)  und  in  späterer  Zeit 
dem  skandinavischen  (Sorelois)  anderseits  bildete  die  wahrscheinlich 
früher  bewaldete  Driunalban  genannte  Gebirgskette  (vgl.  Rh5p,  Cellic 


1^-)   Vgl.  ebenso  im  Graud-Saint-üraal:  CeliJoini-Caleilonia,  Orcans  Orcanie 
C'alaad-  Gales. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  I.itt.  XXXIK  18 


274  E.  Brugger. 

Bntain^.  157).  Es  scheint  mir  nicht  unmöglich,  daß  aus  Driimalhan 
[>  französisch  '^'Dromauban(s)  >  *Dormanbes?]  Darnantes  ^^'^)  ent- 
standen ibt.  Dmmalban  war  das  Grenzgebiet  zwischen  Escosse 
und  Sorelois;  zwischen  der  Lokalisation  des  Grand-Saint-Graal,  der 
Darnantes  an  Escosse  grenzen  läßt,  und  dem  E.  M.  L.,  wonach 
Darnantes  an  das  Königreich  Sorelois  grenzt,  besteht  kein  eigentlicher 
Widerspruch.  Die  Kette  von  Drumalban  scheint  sich  bis  an  den 
Firth  of  Clyde  gezogen  zu  haben,  der  vielleicht  mer  de  Comouaille 
genannt  w'erden  konnte.  Wir  haben  oben  (Bd.  XXX  ^  p.  209)  gesehen, 
daß  der  Laucelotinterpolator  Merlin  aus  der  marche  (Grenzgebiet) 
d" Escosse  et  d'Irlande  (=  Dalriada)  stammen  läßt;  diese  marche  ist 
aber  jedenfalls  keine  andere  als  die  marche  d'Escosse  et  de  Sorelois, 
welche  nach  dem  Grand-Saint-Graal  und  dem  E.  M.  L.  von  der  forest 
de  Darnantes  gebildet  wird.  Es  ist  darum  wahrscheinlich,  daß  derselbe 
Lancelot-Interpolator,  welcher  den  Ort,  wo  Merlin  geboren  wurde,  an- 
zugeben v/ußte,  auch  das  enserrement,  Merlins  Ende,  lokalisierte.  Merlin 
endete  also  nach  dem  Lancelot-Interpolator  ungefähr  da,  wo  er 
geboren  wurde;  und  wenn  dies  etwa  der  Sage  nicht  entsprechen  sollte, 
so  ist  nicht  anzunehmen,  daß  die  Geburt  bestimmend  auf  das  Ende 
einwirkte,  sondern  das  Umgekehrte.  Die  Sage,  die  der  Lancelot- 
Interpolator  benutzte,  war  offenbar  diejenige  von  Merlinus  Caledonius, 
dem  im  kaledonischen  Wald  hausenden  Propheten.  In  Frankreich 
dürfte  sie  kaum  bekannt  gewesen  sein;  er  wird  sie  in  Großbritannien 
kennen  gelernt  haben,  wo  sie  jedenfalls  sehr  verbreitet  und  namentlich 
der  menue  gent  viel  geläufiger  gewesen  sein  muß  als  die  rein 
literarische  von  Merlinus  Ambrosius  aus  Denietia.  Es  wäre  recht 
seltsam,  weun  der  sagenberühmte  kaledonische  Wald  in  den  französischen 
Arthurromanen,  die  doch  so  reich  an  schottischen  Orts-  und  Länder- 
namen sind,  ganz  fehlen  sollte.  Es  ist  anzunehmen,  daß  er  unter 
einem  andern  Namen  versteckt  ist;  und  dies  dürfte  der  Name  forest 
de  Darnantes  sein.  Der  kaledonische  Wald  liegt  ja  nicht  weit  von  der 
Gebirgskette  von  Drumalban  ab,  die  ihm  also  wohl  ihren  Namen  geben 
konnte.  Beginnend  im  Süden  beim  Loch  Lomond,  wie  das  Gebirge 
von  Drumalban,  also  an  der  Grenze  von  Escosse  und  Irlande- Sorelois, 
zieht  er  sich  nach  Nordosten,  tief  in  das  Reich  Escosse  und  gerade 
auch  in  denjenigen  Teil  von  Escosse  hinein,  den  ich  speziell  Gorre 
zu  nennen  mich  für  berechtigt  hielt ic-ij  (yg],  die  Karte  in  Rhys, 
Celtic  Britain).  Eine  perilleuse  forest  (so  wird  ([\q  forest  de  Darnantes 
im  E.  M.  L.  genannt)  ist  ein  abeuteuerreicher  Wald,  und  dies  war 
der  kaledonische  Wald  in  hohem  Grade.  Es  ist  darum  sehr  wahr- 
scheinlich, daß  die  im  Prosa-Lancelot  und  den  von  diesem  abhängigen 


•6^)  Hucher  III  223  Variante  Darmantes,  ebenso  in  der  von  Wheatley 
herausgegebenen  englischen  Merliuübersetzung. 

1**)  Der  Name  Gorre  wurde  zwar  wohl  auch  mit  Escosse  identifizirt. 
(vgl.  in  dieser  Zeitschrilt  28  p.  65). 


L' Enserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         275 

Romanen  eine  bedeutende  Rolle  spielende  perilleuse  forest,  die  nach 
diesen  Romanen  in  Gorre  zu  suchen  ist,  keine  andere  als  die 
perilleuse  forest  de  Darnantes  ist.  Der  Redaktor  des  Prosa-Lancelot 
scheint  den  Namen  Darnantes  vergessen  oder  ausgelassen  zu  haben, 
den  nachher  einer  seiner  Interpolatoren  in  der  Sage  wieder  fand. 
Es  mag  noch  darauf  hingewiesen  werden,  daß  sich  nach  dem  Meraugis 
auch  der  esplumeoir  Merlin  in  Schottland  befand. 

Das  Ergebnis  unserer  Untersuchung  ist,  daß  das  E.  M.  L.  von 
der  alten  Merlinsage  zum  mindesten  ziemlich  unabhänging  ist.  Es 
ist  möglich,  daß  gewisse  unwesentliche  Züge  dem  Verfasser,  der,  in 
diesem  Fall,  wenigstens  vorübergehend,  in  Großbritannien  gelebt  haben 
muß,  aus  der  Sage  zukamen.  Mit  Sicherheit  läßt  es  sich  wohl  von 
keinem  einzigen  beweisen.  Ich  betrachte  es  als  wahrscheinlich,  daß 
der  Verfasser  des  E.  M.  von  Merlins  Aufenthalt  im  kaledonischen 
Wald  wußte,  daß  er  ein  Liebesverhältnis  zwischen  Myrddin  und  Gwendydd, 
deren  Namen  in  Vinieno  noch  erhalten  sein  mag,  kannte,  daß  er  von 
einer  Esjyhimeoir sage  gehört  hatte,  wonach  Merlin  die  letzte  Zeit 
seiner  irdischen  Existenz,  in  einer  Felzhöhle  eingeschlossen,  zubrachte. 
Aber  daß  Merlin  von  seiner  Geliebten  eingeschlossen  wurde,  war  der 
alten  Sage  jedenfalls  fremd.  Die  Hauptsache  in  der  ganzen  Erzählung, 
die  Überlistung  des  großen  Zauberers  durch  ein  einfaches  Mädchen, 
war  ein  allgemein  verbreitetes  Fabliaumotiv.  Am  nächsten  steht 
dem  E.  M.  unter  den  uns  bekannten  Erzählungen  dieser  Art  die 
zweite  Ypocras-Erzählung.  Die  Abweichungen  des  E.  M.  von  der 
letzteren  sind  größtenteils  Anpassungen  an  die  Situation,  die  der 
Lancelotroman  präsentierte.  Ich  halte  es  für  höchst  wahrscheinlich, 
wenn  nicht  für  sicher,  daß  das  E.  M.  nie  eine  Sonderexistenz  hatte, 
daß  es  keine  ältere  Version  gab  als  das  E.  M.  L.,  daß  das  E.  M. 
einer  ganz  zufälligen  Ursache  seine  Existenz  verdankt,  nämlich  dem 
Bestreben  eines  Lancelotüberarbeiters,  die  Fee,  welche  Lancelot  erzog, 
zu  „entgöttern".  Folgendes  spricht  dafür:  1)  Ein  selbständiges  E.  M. 
wird  dui'ch  nichts  postuliert;  ein  solches  wäre  übrigens  den  Fabliaux 
ähnlicher  gewesen  als  dem  E.  M.  L. ;  denn  die  wichtigsten  Abweichungen 
des  E.  M.  L.  von  der  Ypocras-Erzählung  sind  Anpassungen  an  die 
durch  den  Lancelotroman  gegebene  Situation.  Ein  enserrement  wäre 
vielleicht  in  der  selbständigen  Erzählung  garnicht  vorgekommen.  2)  Es 
ist  ganz  gegen  die  Gewohnheit  von  Fabliauxdichtern,  Sagen  zu  benutzen; 
anderseits  geht  es  kaum  an,  vorauszusetzen,  daß  der  Lancelotüber- 
arbeiter  sich  noch  die  Mühe  nahm,  eine  bereits  fertige  Erzählung 
der  Sage  anzupassen.  Dagegen  ist  es  sehr  leicht  zu  verstehen,  daß 
der  Lancelotüberarbeiter,  wenn  er  selbst  die  Erzählung  konstruieren 
mußte,  an  die  Sage  anknüpfte;  und  daß  er  Sagen  von  Merlinus 
Caledonius  kannte,  geht  aus  demjenigen  Teil  seiner  Interpolation  her- 
vor, der  nicht  zum  E.  M.  gehört,  3)  Es  ist  kaum  möglich,  daß  ein 
selbständiges  E.  M.  nicht  berühmt  wurde,  ja  unbekannt  blieb.  Daß 
dagegen  das  E.  M.  L.  keine  große  Verbreitung  finden  konnte,  ist  leicht 

18* 


276  E.  Brugger. 

zu  begreifen  in  Anbetracht  der  ganz  nebensächlichen  Bedeutung,    die 
CS  in  dem  großen  Lancelotkomplex  hat. 

Was  die  Abfassungszeit  des  E.  M.  L.  betrifft,  so  läßt  sich 
folgendes  feststellen:  1)  In  dem  ursprünglichen,  von  Walter  Map 
verfaßten,  Lancelotronian  existierte  es  noch  nicht.  2)  Es  gehörte 
zum  Lancelotronian,  ehe  dieser  als  Branche  in  den  Gralcyklus  auf- 
genommen wurde.  Die  Entstehung  des  E.  M.  L.  dürfte  demnach  in 
das  letzte  Viertel  des  12.  Jahrhunderts  fallen.  Noch  genaueres  läßt 
sich  vielleicht  sagen,  wenn  die  Entstehungszeit  von  Roberts  Gralcyklus 
bestimmt  ist.  Ich  möchte  behaupten,  daß  das  E.  M.  L.  älter  ist  als 
dieser.  Ich  habe  oben  gezeigt,  daß  die  vom  Lancelotinterpolator 
verfaßte  Geschichte  der  Zeugung  Merlins  in  einer  Weise  von  Roberts 
Merlin  abweicht,  die  jeglichen  Einfluß,  ja  selbst  die  Kenntnis  dieses 
Romans,  ausschließt.  Die  Vergleichung  der  JSsplurneoir-EinsodQ  von 
Roberts  Perceval  mit  dem  E.  M.  L.  führt  zu  einem  analogen  Resultat. 
Letzteres  hat  noch  mehr  Ähnlichkeit  mit  der  JSsplumeoir -'Episode 
des  Meraugis  als  mit  derjenigen  des  Perceval.  Mit  Rücksicht  auf 
den  vollen  Erfolg,  den  Roberts  Gralcyklus  von  Anfang  an  erzielt 
hatte  i65j^  ist  die  Annahme  kaum  möglich,  daß  ein  zeitgenössischer 
Autor  denselben  nicht  kannte  und  den  von  Robert  behandelten  Stoff 
oder  auch  nur  einen  Teil  desselben  bearbeitete,  ohne  auf  Robert 
Bezug  zu  nehmen  oder  sich  von  ihm  beeinflussen  zu  lassen.  Daß 
aber  das  unscheinbare  E.  M.  L.  Robert  entgehen  oder  von  ihm  nicht 
für  beachtenswert  oder  acht  gehalten  werden  mochte,  dürfte  niemand 
Wunder  nehmen.  Wenn  aber  das  E.  M.  L.  älter  ist  als  Roberts 
Gralcyklus,  so  wird  es  kaum  erst  gegen  das  Ende  des  12.  Jahihunderts 
entstanden  sein  ^^^),  und  wenn  meine  im  ersten  Abschnitt  Anmerkung  27 
vorgebrachte  Ansicht,  daß  die  Prosaauflösuiig  von  Roberts  Gralcyklus 
der  erste  französische  Prosaroman  war,  richtig  ist,  so  folgt,  daß  das 
E.  M.  L.  ebenso  wie  die  übrigen  gleich  alten  und  altern  Teile  des 
Lancelot  ursprünglich  in  Versen  geschrieben  war.    Ich  kann  allerdings 


^^^)  Die  Tatsache,  dafs  derselbe  nur  in  einer  Handschrift  und  als 
Fragment,  in  Prosa  aufgelöst  vollständig  auch  nur  in  zwei  Handschriften 
und  unvollständig  (2-branchig)  in  einer  nicht  grade  grofsen  Zahl  von  Hand- 
schriften erhalten  ist,  spricht  nicht  gegen  meine  Behauptung.  Er  wurde 
eben  von  den  Jüngern  Gralcyklen  verdrängt,  über  nur  aus  dem  Grunde,  weil 
diese  als  Roberts  Werke  ausgegeben  wurden  und  weil  ihnen  gegenüber  der  alte 
Cyklus  nur  als  ein  Auszug  erschien.  Hätte  Roberts  Werk  keinen  vollen 
Erfolg  gehabt,  so  wäre  es  entweder  in  Ruhe  gelassen  worden  oder  die  Über- 
arbeiter desselben  hätten  sich  nicht  mit  Roberts  Namen  gedeckt,  sondern 
im  Gegenteil  gegen  Robert  polemisirt. 

166)  Wenn  auch  das  E.  M.  wohl  das  letzte  Glied  der  Kette  Aristote  — 
Ypocras  I  (Virgile)  —  Ypocras  II  ist,  und  der  Lai  d'Aristote  des  Henri  d'Andeli 
kaum  lange  vor  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts  verfafst  worden  sein  kann 
(denn  Henri  ist  auch  der  Verfasser  eines  DU  auf  den  Tod  des  Philippe  de 
Greve  f  1236),  so  können  wir  doch  unsere  Ansicht  aufrecht  halten;  denn 
es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dafs  die  uns  erhaltenen  Versionen  jener  Fabliaux 
die  ältesten  sind. 


L' Enserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.         211 

ans  dem  uns  überlieferten  Text  keine  Verse  mehr  herauslesen;  doch 
dies  beweist  nichts.  Wenn  ich  ebenso  vorgehen  wollte  wie  z.  B. 
Weidner  in  seiner  Ausgabe  des  Prosa-Josepb,  so  würde  es  mir  wohl 
auch  gelingen,  je  nach  Wunsch  zu  beweisen,  daß  das  E.  M.  L. 
ursprünglich  in  gereimten  Kouplets  oder  in  Tiraden  geschrieben  war. 


Auhaug. 

Zu  Bd.  XXXI  p.  187. 
Aus  Hs.    BN    fr.    754    (anc.   7173  5)   fol.    10c— 13d    (entsprechend 
Jonckbloet,  Lancelot  II  p.  XI  Zeile  6  ff.). 

II  fu  voirs  que  en  la  marche  d'Escoce  et  d'Irlande  ot  jadis  un  preu- 
dome  vavassor  gentilhome  et  riebe.  Icil  preuzdom  si  avoit  de  sa  fame  trois 
filles  et  im  fil  petit  aiifant  qui  gisoit  encore  en  brioz  [!].  L'espouse  a  ce 
preiidome  si  cstoit  moult  male  famc;  si  li  ala  li  deiables  moult  environ.  Et 
li  anemi  avoient  entr'aus  pris  un  parlement  et  avoient  divise  [1.  devise]  5 
que  il  angenderroient  un  aufant  en  une  fame  qui  savroit  lor  art  et  lor  angin, 
par  qu[i]il  engigneroient  l'autre  pueple  qu'il  avoient  perdu  par  la  resurrection 
de  Jhesu  Crist  lou  fil  de  la  Virge,  par  la  cui  nativite  nos  somes  rescox  de 
la  pardurable  raort  d'Anfer,  se  nostre  pechiö  ne  la  nos  tost.  Or  vos  repaurrai 
[=repaurai?)  a  m,a  matiere  que  ge  vos  avoie  entrelaissiee  per  ices  chosos  10 
raconter  qui  bien  fönt  a  entendre;  car  autrement  n'entendist  nus  la  raison(s) 
por  quoi  ce  eust  este  fait. 

Sil  vavassor  dont  go  vos  parole,  si  avoit  a  non  Älerlins  en  son  droit 
non,  et  il  estoit  molt  preuzdom  et  de  boenne  vie.  Si  vit  bien  li  deiables 
qu'il  ne  lou  porroit  pas  decevoir  legierement,  se  par  grant  corroz  ne  15 
l'angignoit.  Si  viut  li  deiables;  si  ala  as  chans  a  ses  bestes  et  l'ani*'')  ocist 
molt  de  grant  mervoille.  Et  qnant  li  pastor  virent  la  grant  mortalite,  si 
lou  vinrent  dire  a  lor  seignor.  Si  en  fu  molt  dolanz;  et  dou  duel  que  il 
en  ot,  dist  une  molt  fole  parole  qui  trop  li  nut;  car  il  dist  que  maleoiz 
grez  en  eust  eil  Sires  qui  l'avoit  fait  naistre,  et  que  mal  po'ist  il  joir  de  tot  20 
quancque  il  avoit.  De  ceste  parole  fu  molt  liez  li  deiables.  Si  ne  demora 
pas  grantment  que  il  li  ocist  polains  ne  sai  quant  trop  biaus  que  il  avoit. 
Et  quant  li  preuzdom  lou  sot,  si  par  en  fu  trop  dolanz.  Apres  avint  un 
soir  a  la  mie  nuit  que  li  deiables  li  estrangla  son  fil  en  son  brecuel,  trop 
bei  anfant;  et  lors  ne  fu  mie  de  mervoille  se  li  preuzdom  en  fu  dolanz.  25 
Et  quant  li  deiables  ot  issi  espleitie,  si  nel  vost  mie  atant  laissier;  angois 
prist  la  fame  a  ce  preudome  et  la  mena  en  lor  celier  sus  une  [hujche  et  [li  iist] 
metre  une  corde  au  planchier  et  la  li  tist  lacier  entor  son  col;  si  l'estrangla. 
Et  quant  la  maisniee  alerent^^^)  ou  celier,  si  la  troverent  pandant.  Et  lors 
adonc  fu  molt  granz  la  parole  par  lou  pais  de  ces  aventures  qui  avenoient  30 
a  ce  preudome.  Et  il  en  fu  taut  dolanz  et  tant  s'en  adola  que  maladie 
li[sic!]  prist;  si  en  fu  morz.  Et  lors  vint  li  deiables  et  dist  que  encor 
n'avoit  il  rien  esploitie  de  ce  par  quoi  il  avoit  ce  encomancie.  Si  s'an  vint 
a  la  mainsnee  des  filles  qui  molt  estoit  bele  et  simple  et  la  souleva  fant 
que  ele  s'acointa  a  un  vallet  dou  pais,  et  tant  que  il  en  fist  sa  volonte.  35 
Mais  Deiables  qui  n'a  eure  de  celee,  les  aluma  tant  de  jor  au  jor  que  lor 
vie  fu  seue  tot  plainnemont.  Si  i  envoierent  li  jugc  de  la  terro  por  faire 
la  jostice.  Car  lors  avoient  en  costume  que  Pen  ardoit  toz  cels  ou  lapidoit 
a  pierres  qui  estoient  pris  en  avoltire  fors  que  en  une  maniere  que  ge  vos 
dirai.    S'il  avenoit  que  fame  feist  mauveitie  de  son  cors  et  ele  se  livrast    40 


167)  /•    =    //. 

168)  Der  Plural  ist  auffallig,  trotzdem  ein  CoUcktiv  Subjekt  ist. 


278  E.  Briiggcr. 

a  tot  lou  pncple  abandonneemcnt,  ele  n'ciist  [=  cl(c)  en  eust?]  garde;  mais 
s'ele  fust  cn  avoltire  a  im  seul  homc  coleement  et  cle  en  fast  restec""'^), 
si  en  feist  en  la  jostice  tele  com  je  vos  ai  dit. 

Ensinc  fu  envoiee  prandre  la  damoisele  con  ge  vos  ai  dit.     Si  en  fu 

45  faitc  la  jostise;  car  il  la  firent  ardoir  en  feii.  Et  li  vallez  s'au  foi,  qu'il 
ne  pot  estre  conseuz.  De  ceste  aventure  sc  merveillierent  molt  tuit  eil  dou 
pais  et  molt  en  parlerent.  Et  neporqnant  Deiablcs  qui  pas  ne  se  repose, 
ne  s'oblia  mie;  ainz  fu  toz  jors  en  agait  comraant  il  porroit  les  autres  deus 
sereurs  decevoir,  et  molt  i  pena.    Mais  il  avoit  im  molt  preudome  ou  pais, 

50  Saint  hermite,  messe  chantant  en  un  hermitage.  Or  l'ainznee  des  sereurs 
[11?]  ala  parier  mainte  feiee,  et  si  i  mena  sa  sucr  avoc  li  par  pluseurs  foiz. 
Et  li  preuzdom  les  chastioit  et  andoctrinoit  au  mielz  que  il  savoit.  Et  quant 
li  deiables  vit  que  il  les  avoit  issi  perdues,  si  prist  uue  fame  Richosti'") 
et  l'enveia  parier  a  la  mainsnee  des  sereurs  et  la  comraemja  a  prier  par 

55  amors  de  par  un  vallet  de  la  vile.  Que  vos  iroie  ge  devisant  :  tant  i 
luita'")  que  vaincue  fu  la  dammoisele.  Si  se  correga  un  soir  a  sa  sereur 
et  s'an  fo'i  de  maison  et  s'abandona  a  tot  lou  pucple  communement  par  lou 
consoil  de  la  vielle.  Et  quant  li  deiables  vit  ce,  si  fu  molt  liez  et  dist 
que  ancore  angigneroit  il  l'autre. 

60  Quant  la  suers  ainznee  vit  que  ele  ot  sa  seror  ainsin  perdue,  si  en 

fu  molt  effr[e?]ee  et  dist  que  ore  ne  savoit  ele  mais  que  faire.  Si  s'an 
rala  parier  au  saint  ermite  entre  li  et  une  soe  veisine.  Et  quant  ele  i  fu 
venue,  si  li  cria  merci  am  plorant  et  li  conta  l'aventure  de  sa  sereur ''-)  que 
ele  avoit  issi  perdue.    Et  li  preuzdom  li  dist  que  ancor  estoit  pechiez  entor 

65  el[e]s.  Si  la  chastia  molt  et  andcctrina  dou  miauz  que  il  sot,  et  li  ancharja 
a  dire  ce  qu'ele  savoit  de  bien  [1.  buen?J  chascun  soir  en  son  lit  ainz 
qu'ele  savoit  de  bien  [1.  buen?J  chascun  soir  en  son  lit  ainz  qu'ele 
s'endormist,  et  si  li  commanda  que  une  lampe  ardist  toz  les  soirs 
devant  son  lit  en  sa  chambre.  Lors  s'en  revint  la  pucele  en  sa  meison, 
quant   li   preuzdom   Tot   bien  auseigniee,   et  se  demeua  molt  siraplement. 

70  Longuement  se  tint  la  pucele  en  ceste  maniere.  Et  quant  li  deiables  vit 
que  il  l'ot  issi  perdue,  si  en  fu  molt  dolanz  et  dist  que  ancor  ne  la  lairoit 
il  mie  atant.  Lors  s'an  vint  a  sa  sereur  au  bordel  ou  ele  estoit  a  un  samedi 
a(s)soir,  si  la  prist  et  la  mena  a  l'ostel  sa  seror,  et  avoc  li  alerent  granz 
tropeaus  de  gar^ons  qui  la  porsivoieut     Et  quant  la  pucele  la  vit  venir,  si 

75  fremi  trestote  de  hideur,  et  li  vint  a  l'ancontre  et  li  dist:  „Bele  tres  douce 
suer,  par  Deu!  vos  feites  molt  grant  pechie  de  venir  sus  moi  en  tel  maniere. 
Vos  n'i  deussie[z]  mie  venir  tant  con  vos  menez  ceste  vie;  et  vos  me  feroiz 
avoir  mauveis  blasme,  dont  ge  n'eusse  nul  mestier". 

Quant  cele  Toi  ensinc  parier,  si  se  commen^a  a  correcier  et  li  ame- 

80  saamer  [1.  meuacier?]  molt  durenient  come  cele  qui  avoit  l'afnejmi  el  cors, 
et  li  commenga  a  reprochier  lou  preudome  son  confessor,  et  li  dist  que  pis 
faisoit  ele  que  ele;  car  ele  s'estoit  abendonee  a  un  veillart  porri;  et  que 
autresin  bien  devoit  ele  estre  en  cele  maison  comme  ele;  car  autresin  fu 
ele  son  pere  comme  lou  suen.  i")    Quant  cele  l'oi  issi  parier,  si  se  correga 

85  et  la  prist  par  les  espaules  come  cele  qui  plus  granz  et  forz  estoit,  et  la 
vost  giter  fors  de  la  meison.  Et  cele  fu  ardanz;  si  se  rcvencha  de  son 
pooir.    Et  li  gar^on  qui  avoc  li  estoient  venu,  li  aidieront  et  corrurent  sus 


169^  __  retee. 

"°)  Der  Name  Richout? 

"1)  Die  beiden  letzten  Worte  sind  nicht  ganz  sicher.  Herr  Enander 
notierte:   */  ujta  mit  Fragezeichen. 

*"^)  Ms.  seceur. 

1")  Denn  das  Haus  (ele)  gehörte  ebenso  ihrem  (der  Sprechenden,  d. 
h.  der  jüngeren  Schwester)  Vater  wie  dem  ihrigen  (dem  Vater  der  An- 
geredeten, d.  h.  der  älteren  Schwester). 


iJEnserrement  Merlin.    Studien  zur  Merlinsage.  279 

a  la  grant  et  la  batircnt  molt  dolereusement.  Et  cele  fist  tant  quo  de  lor 
mains  se  prist  a  eschaper  et  se  feri  en  une  chambre  ou  ele  gisoit  et  ferma 
l'uis  sor  li.  Et  lors  commenga  a(f)  feire  molt  grant  dnel;  et  en  ce  duel  que  90 
ele  demenoit,  s'endormi  acebetes  [/.  aneslepas?]  et  oblia  tot  ice  que  li  preuz- 
dom  li  avoit  anjoint  a  dire  chascun  soir.  Et  lors  entra  en  un  molt  grant 
songe  merveilleux.  Et  quant  li  deiables  vit  ce,  si  an  fu  molt  liez  et  dist: 
„Ore  est  ceste,  bien  atornee!  Or  porrons  nos  bien  en  cesti  enjanrer  nostre 
home."  Lors  li  corrut  sus;  si  la  sofla  et  anchanta  et  la  conman^a  a  prier  95 
tot  en  dorment  et  a  meneier  autresinc  con  [1.  com]  uns  hom  feist  une  fame;  et  cele 
se  deffandoit  comme  fame  endormie  tant  que  eil  l'eschaufa  tant  et  lassa  que 
ele  se  consanti  a  son  talant;  et  menerent  tant  lou  geu  que  ele  perdi  et  pucelage 
et  virginite;  si  con^ut  un  oir  maslo  en  tel  raaniere  com  vos  oez.  Et  lors  s'esveilla 
si  tost  come  ce  li  fu  avenu.  Et  lors  si  dist:  „Sainte  Marie,  dame,  aidiez!  100 
Qu'est  ce  que  m'est  avenu?  Je  sui  ampiriee  d'icele  come  ge  me  couchai."  ^^^j 
Lors  seleva  et  cercha  par  tote  sa  chambre  por  querre  celui  qui  l'avoit  despu- 
celee;  mais  por  neiant  lou  queroit;  car  ce  n'estoit  raie  chose  que  l'an  poist  santir. 

Au  matin   se   leva  la  pucele,  cele  a  cui  li  anemis  avoit  geu,  et  s'en 
ala  a  Termite  si  tost  come  sa  suer  s'en  fu  alee.    Et  quant  ele  vint  devant     105 
Uli,  si  li  conta  tot  ice  qui  avenu  li  estoit,  et  quant  li  preuzdom  i'oi,  si  s'en 
merveilla  trop  duremcnt,  ne  onques  croire  ne  la  pot.     Et  tote  voie  la  con- 
fessa  et  chastia  et  dona  penitance,  et  si  li  dona  a  boivre  de  l'iaue  beneoite. 
Et  cele  s'en  rala  et  mena  molt  sainte  vie  sanz  fauser.  Et  tote  voie  angrois- 
sa  de  jor  en  jor   et  tant  que  restee   fu  des  juges  et  menee  au  juise.     Et     HO 
li  sainz  ermites  i  vint  et  fist  tant  et  dist  i"^)  que  respitiee  fu  jusque  apres 
sa  gecinc.     Et  fu  mise  en  une  tor  et  gardee  molt  bien  et  tant  ^'"^)  que  li 
anfes  fu  uez  et  fu  enveiez  bauptizier;   et  en'")  demend[a]"'')  a  la  mere 
coment  il  avroit  nou;   [et] '^8)  ele  dist:  ainsinc  con  ses  aiaus;    si  fu  baup- 
tiziez  et  ot  a  non  Merlins.   Et  puis  refu  portez  a  sa  mere,  et  tant  lou  norri     115 
que  maintes  foiz  se  merveillierent  les  genz  de  sa  contenauce  —  car  il  par- 
la  a  trois  mois  et  a.  V.'^^)  —  et  tant  que  sa  mere  refu  prise  et  menee  devant 
les  juges  por  ardoir.  Et  li  anfes  fist  tant  et  dist,^''^)  si  petiz  com  il  estoit, 
qu'il  la  gari  de  mort;  et  resta  la  mere  au  maistre  juge  a  plus  desleial ''") 
que  la  soe  mere  n'estoit,  par  quoi  li  juges  li  quita  lou  meflfeit  de  sa  mere.     120 
Et  si  i  fu  li  sainz  hermites  qui  molt  se  merveilla  coment  eil  anfes  pooit  ices 
choses  savoir,  et  lou  traist  a  consoil  et  si  li  demenda  molt  amiablement  et 
lou  conjura  de  qnancqu'il  pot  de  Deui^i]  que  il  l'an  dist  verite. 

,,Maistre",  dist  Merlins,  „ore  antan  bien  ce  que  ge  te  dirai !    Et  totes 
les   vertuz  dont  tu  m'as  coujure'"'),  me   soient  nuisant  a  l'ame  se  ge  t'en     125 


'"^)  „Ich  bin  schlimmer  als  diejenige,  die  ich  war,  als  ich  mich  nieder- 
legte." Bemerkenswerte  Construktion !  Der  Comparativ  pire  bedingt  die 
Konstruktion  des  Verbums  empirier  mit  ik.  Bei  Godefroy  und  Littre  finden 
sich  keine  Belege  dafür. 

^''*)  Das  tant  gehört  ebenso  zu  dist  wie  zu  ßst. 

i"*"')  et  tant  Steht  Wohl  in  solchen  Fällen  einfach  für  ntant. 

1"')  en  =  on. 

''*j  Hier  ist  die  Handschrift  etwas  zerrissen. 

1")  Hier  mufs  etwas  unrichtig  sein;  nach  der  Hs.  Huth,  nach  Sommers 
Hs.  und  derjenigen  von  Modena  hat  Merlin  dis  et  uit  moix,  als  er  zum  ersten 
Mal  spricht.    Wir  werden  daher  hier  am  ehesten  lesen :  «  dis  mois  et  a  .  VIII. 

'8^)  reter  aiicun  a  desleial  ist  identisch  mit  dem  gewöhnlichen  reter  au- 
cun  de  desleiautc.  Godefroy  und  Littre  kennen  jene  Konstruktion  nicht.  Sie 
entstand  nach  Analogie  von  lenir  aucun  a  desleial,  etc. 

i^>)  Gewöhnlich  sagte  man  conjwer  par.  Bei  Godefroy  und  Littr6 
fanden  sich  keine  Belege  für  conjurer  de;  de  quancqu'il  pot  ist  nicht  direkte 
Ergänzung  von  conjura;  de  hat  hier  die  gewöhnliche  Bedeutung  „in  Beziehung 
auf"  (also:  so  viel  er  nur  konnte), 


280  E.  Brucfger. 

mcut!  Et  si  voil  ancore  que  li  raaistres  des  jugcs  l'oie  aujaus  [/.  avcques?] 
toi"  (Fjt  Merlins  apeloit  toz  jorz  rcrmite  inaistre  por  ce  que  il  avoit  estc 
maistre  a  sa  mere).  Lors  s'en  eutrerent  en  une  meson  il  troi,  et  si  i  fii  la 
mere  Merlin;    et  lors  lor  dist:    „Seignor,  ore  antendez!    Vos  volez  savoir 

130  qui  ge  sui  et  qui  fu  ines  peres.  Or  sachiez  quo  ge  sui  filz  d'un  auemi  qui 
a  nou  Cubedcs  qui  m'engenra  en  ma  mere  lou  soir  que  ma  tente  la  fist  bati-e  ; 
car  ele  fu  correciee;  si  oblia  a  dire  et  a  fere  ce  que  vos  li  aviez  anjoint, 
et  s'andormi  en  corroz  et  en  ire;  si  sonja  tote  nuit  que  uns  hom  la  prioit 
d'amors  et  maneoit  tant  que  ele  se  consenti  a  lui  en  dorment;    et  lors  fui 

135  ge  engenrez ;  et  por  cc  que  ge  sui  engenrez  d'anemi,  sai  ge  totes  les  choses 
feites  et  dites  et  alees;  et  por  la  boenne  repantence  de  ma  mere  et  por 
lou  oaptoisme  que  j'ai  regeu  velt  nostres  sires  que  ge  sache  des  choses  qui 
sont  a  avenir  la  plus  grant  partie,  por  ce  que  il  ne  velt  perdre  en  moi 
l'esperit;    ainz  velt  que  ge  sache  et  lou  bien  et  lou  mal;    or  si  me  tenrei 

140  a  celui  qui  miauz  vaudra  se  ge  sui  sages;  ne  li  auemis  ne  m'engenra  fors 
por  ce  qu'il  vost  que  par  moi  fussient  angiguie  et  deceu  li  home  terrien  et 
totes  les  faraes,  et  vossisent  bien  que  je  les  preechasse  tant  que  ge  les  feisse 
pechier  et  a  reneier  Deu ;  mais  de  ce  sont  il  deceu;  car  nostres  Sires  m'a 
done  tant  de  san  et  de  memoire  que  ge  ne  ferai  ja  chose  ou  crestientez  ait 

145    nul  domage;   ainz  les  destornerai  de  pechier  a  mou  pooir. 

„Ore  avez  o"i",  dist  Merlins,  „qui  ge  sui".  Et  quant  eil-  l'oirent, 
si  s'en  merveillierent  molt,  et  longuement  an  parlerent  en  maintes  manieres. 
Et  apres  totes  ices  choses  fist  Merlins  randre  sa  mere  en  une  abaie  de 
nonains;  et  ele  fu  de  molt  boenne  vie  et  de  molt  sainte.    Et  li  hermitcs 

150  meismes  dont  ge  vos  ai  parle,  i  vint  ester  et  fist  leians  son  servise  autresinc 
com  en  son  hermitage.  Et  si  mist  totes  ices  choses  en  escrit  que  il  avoit 
o'ies  et  veues  de  l'anfant.  Et  il  estoit  molt  boens  clers  et  molt  soutis;  si 
l'essaia  par  maintes  foiz  et  desputoit  a  lui  tot  seul  a  seul;  et  quant  plus 
l'essaioit,  et  plus  i  trovoit,  et  tant  que  molt  s'entr'  emmerent  et  que  Merlins 

155  li  dist  molt  de  choses  qui  estoient  avenues  et  de  celes  qui  estoient  a  avenir; 
et  il  les  mist  totes  en  escrit,  et  par  lui  les  savons  nos  ancores;  car  il  s'en 
ala  avoc  lui  an  Bretaigne  an  Northumberlande  et  illuec  conversa  molt 
longuement. 

Quant  Merlins  ot.  VII.  anz,  si  fu  enveiez  querre  por  un  devinail  faire 

160  por  une  tor  qui  ne  pooit  tenir  que  li  rois  Vertigiers  faisoit  faire.  Si  fu 
tant  quis  que  trovez  fu  et  menez  devant  Vertigier  qui  ocirre  l'avoit  comende 
por  metre  son  sanc  el  fondement  de  la  tor,  si  com  li  clerc  li  avoient  dit. 
Mais  tant  fist  par  son  san  que  il  s'an  delivra  et  que  bien  fist  la  tor  tenir. 
Et  puis  devisa  a  Vertigier  la  senefiance  des  deus  dragons  qui  senef  ierent 

165  sa  mort.  Et  quant  il  se  fu  dou  roi  delivrez,  si  s'an  rala  a  Blaise  ot  i  se- 
jorna  longuement  tant  que  Vertigiers  fu  morz;  et  lors  tiudrent  la  terre  li 
dui  frere  Pandragons  et  Uter,  dont  il  fu  molt  acointes  et  de  lor  prive 
consoil.  Et  eil  l'araerent  molt  qui  molt  lou  troverent  de  boenne  foi.  Et 
apres  la  mort  Pandragon   avint  que  au  chief  de  l'an  que  Merlins  ot.  XII. 

170  anz,  si  viat  a  Uter  Pandragon,  si  com  l'estoire  de  ses  oevres  lou  devise, 
et  conversa  molt  longuement  environ  lui.  Si  avint  en  ce  tens  que  Uters 
ot  prise  guerre  au  duc  de  Tintaivel  par  l'acoison  de  sa  fame  que  il  amoit, 
Yguerne;  si  l'ot  assis  en  un  chastel  a  siege.  Et  lors  s'en  parti  li  rois  un 
soir  et  Merlins  et  Ulfins,  et  s'an  alerent  au  chastel  la  ou  la  duchesse  estoit, 

175  et  fist  tant  Merlins  que  li  rois  jut  a  li  lou  soir  par  son  anchantement.  Et 
ce  soir  fu  angenrez  li  boens  rois  Artus.  Et  lou  soir  que  li  rois  jut  a  la 
duchesse  fu  ocis  li  dux,  ses  sires,  devant  lou  chastel  d'Aquintenion  tres 
dessus  le  pont,  et  ancor  gisoit  li  rois  avoc  la  duchesse  quant  les  novcles 
de  sa  mort  en  vinrent  a  Tintaivel.     Et  lors  s'en  partirent  eil  au  plus  tost 

180  que  il  porent  et  chevauchierent  jusqu'en  l'ost.  Itex  fu  li  uns  des  servises 
que  Merlins  fist  a  Uter  de  ses  amors. 


L' Enserremeyit  Merlin.     Stuclien  zur  Merlinsage.         281 

Quant  vint  apres  ce  que  la  pais  ot  este  faite  del  roi  et  des  barons, 
et  il  ot  prisc  a  famo  Yguerne  par  lou  consoil  Ulfin  son  conseillier,  si  s'en 
fii  alez  Merlins  converser  es  foretz  granz,  parfondes  et  enciennes.  II  fu 
de  la  nature  son  pere,  dccevanz  et  desleiaus,  et  maintes  foiz  iere  qu'il  en  185 
ovroit  plus  qu'il  ne  deust,  ja  soit  ce  que  11  scust  et  lou  bien  et  lou  mal 
ne  tenir  nc  s'an  pooit'^-).  II  sot  quancque  cuers  porroit  savoir  de  tote 
perverse  science. 

Zürich.  E.  Brugger. 


18-)  TTbersetzung:  obwohl  er  das  Gute  und  Böse  kannte  (d.  h.  unter- 
scheiden konnte);  doch  er  konnte  sich  nicht  daran  halten.  Der  letztere  Satz 
ist  unlogischer  Weise  dem  ersten  koordiniert  worden. 


Wortgeschichtliclies. 


billoilliee,  Jas  von  Haillant  Flore  pop.  des  Vosges  p.  24 
allgemein  als  vulgäifranzösische  Bezeichnung  von  ficaria  ranuncoloides 
(ranunculus  ficaria)  aufgeführt  wird,  begegnet  nach  Rolland  Flore  I, 
r)2  im  Centre  (nach  Boreau  Flore  du  Centre)  und  in  Anjou  (nach 
Desvaux  Flore).  Etymologisch  gehört  es  ohne  Zweifel  zu  hillon, 
testicule,  das  A.  Thibault  Glossaire  du  pays  hlaisois  p.  71  nach- 
weist und  worin  eine  Ableitung  von  hille,  Kügelchen,  nicht  schwer  zu 
erkennen  ist.  Billon  bezeichnet  nach  Thibault  in  der  Umgegend  von 
Blois  heute  ausschließlich  Hahnenhoden,  ist  aber  nach  einem  von  ihm 
mitgeteilten  Beleg  in  allgemeinerer  Verwendung  gewesen:  Mademoiselle 
efant  venue  au  jardin  .  ,  .  vit  un  prunier  de  ccs  pruncs  qu'on  appellc 
billons  d'äne  (Moyen  de  parvenir  II,  84).  Beachte  auch  quiqnehilles 
bei  Puitspelu  Dict.  Stymol.  du  pat.  lyonnais  p.  334.  Die  als 
billonnee  bezeichnete  Pflanze  hat  ihren  Namen  nach  der  knolligen 
Beschaffenheit  ihrer  Wurzeln,  woher  sich  mehrere  andere  bei  Rolland 
aufgeführte  Benennungen  derselben  wie  testicidus  sacerdoialis,  testi- 
culi  prespiteri,  couillons  de  prestre,  couille  ä  l'evcsqiie;  ital.  coglie 
di  prete;  dtsch.  pfaffenhötlin,  biberhödlein,  pfafenhoden;  hell. 
haneklootjes  (testicules  de  coq);  serbocroat.  macji  mud  (testicules 
de  Chat)  erklären.  Auch  npr.  boutoun  de  gat  (Rolland  /.  c.  p.  62) 
dürfte  hierher  gehören,  d.  h.  als  „Katzenhoden"  zu  erklären  sein. 
Vgl.  Mistral  unter  boutoun.  Von  Rolland  p.  64  nach  Nemnich  er- 
wähntes Rannenhödlein  ist  =  Rammenhödlein  (s.  Pritzel  u.  Jessen 
Die  deutschen    Volksnamen  der  Pflanzen  p.  325). 

cade  wird  von  Godefroy  im  Complement  seines  Wörterbuches 
seit  dem  16.  Jahrhundert  belegt  und  mit  „espece  de  genevrier"  er- 
klärt. Ebenfalls  seit  dem  16.  Jahrhundert  begegnet  cade  nach  Aus- 
weis von  Murrays  A  New  Engl.  Dict.  im  Englischen.  Nach  Littre 
stammt  das  französische  Wort  aus  dem  Provenzalischen.  Das  Dict. 
general  bemerkt  s.  v.  cade  (1)  „Emprunte  du  proveng.  cade,  ra. 
s.  d'origiue  iuconnue".  Zuletzt  hat,  soweit  ich  sehe,  über  cade  A. 
Thomas  Nouveaux  Essais  p.  188-190  gehandelt.  Thomas  geht 
der  Geschichte  des  Wortes  weiter  nach  und  gelangt  zur  Annahme 
eines  ursprünglichen  Typus  *cdtanus,  das  er  in  einer  gegen  Ende  des 
7*®°  Jahrhunderts  in  Spanien  redigierten  Glossensammluug  {Corpus 


Wo  rtges  ch  ichtlicltes,  283 

glossarum  lat.  V.  179,6)  erhalten  glaubt.  Zum  Schluß  bemerkt  er: 
„La  s'arretent  mes  iuformations  sur  Tetymologie  de  cade.  Suppose 
qui  voudra  que  catanum  est  celtique  ou  iberique:  je  n'ai  rien  ä 
dire  ni  pour  ni  contre  cettre  hypothesc".  Meinerseits  bin  ich  eben- 
so wenig  im  Stande,  das  vorliegende  etymologische  Problem  zu  lösen, 
halte  es  aber  nicht  für  ausgeschlossen,  daß  die  Lösung  desselben  in 
einer  anderen  Richtung  zu  suchen  ist  als  da,  wo  Thomas  dieselbe 
zu  vermuten  scheint.  Schlägt  man  Nemnichs  Polyglotten- Lexicon 
der  I^aturgeschichte  auf,  so  findet  man  unter  Juniperus  oxcycedrus 
Vulgärfranz,  le  cade  und  spanisch  cada,  unter  Juniperus  communis 
frz.  cadenelo  neben  dtsch.  Kaddich,  Kattich,  ehstn.  kaddakas, 
finnl.  katajic  verzeichnet.  Nach  H.  Graßraann  Deutsche  Pfla^izen- 
namen  p.  210  scheint  Kaddik  aus  den  finnischen  Sprachen  durch 
Vermittelung  des  htauischen  kad<igys  ins  Deutsche  übergegangen 
zu  sein.  Mehr  vergl.  man  in  Grimms  Wörterbuch  s.  v.  Kaddig 
und  bei  H.  Frischbier  Preufsisches  Wörterbuch  (Berlin  188-3)  s. 
Kaddig,  Kaddik.  Mir  wird  es  schwer  zu  glauben,  daß  die  genann- 
ten deutschen  und  finnischen  Ausdrücke  zu  den  nach  Form  und  Be- 
deutung ähnlichen  romanischen  in  etymologischer  Beziehung  nicht  stehen. 
Caillebot,  caillebotte,  wilder  Schneeball  (viburnum  opulus) 
nach  Sachs,  nach  Rolland  Flo^^e  VI,  261  viburnum  opulus  sterile. 
Ich  würde  das  Wort  hier  nicht  zur  Diskussion  stelleUj  wenn  nicht  bei 
Littre  eine  etymologische  Notiz  überhaupt  fehlte,  und  das  Dictionnaire 
general  die  Herkunft  desselben  als  unbekannt  bezeichnete.  Homo- 
nymes caillebotte  (masse  caill6e.  Special!,  masse  de  lait  caillee, 
Sorte  de  fromage  blanc.  Dtsch.  Quark)  wird  im  Dict.  giner.  auf  das 
Verbum  caillebotter  (coaguler)  zurückgeführt  und  zu  Letzterem  be- 
mcikt:  „Compose  de  caille  1,  radical  de  cailler  1  [coagularc], 
et  botter,  pour  bouter  [dtsch.  bota7i\  mettre".  Es  kann  keinem 
Zweifel  unterliegen,  daß  die  beiden  lautlich  übereinstimmenden  Wörter 
auch  etymologisch  zusammengehören,  und  cailleboi(te),  Schneeball,  eine 
übertragene  Bedeutung  von  caillebotte,  masse  de  lait  caillee,  darstellt. 
H.  Coulabin  bemerkt  p.  68  seines  Dictionnaire  des  locuiions  popu- 
laires  du  bon  pays  de  Rennes  en  Bretagne  zu  caillibottes  (especc 
de  fromage  au  lait  cuit,  puis  divises  par  carres  dans  la  forme  d'un 
damier):  „Le  peuple  donne  aussi  le  nom  de  caillibottes  ä  la  boule 
de  neige,  fleur  de  Tobier  (Viburnum  opulus)  ä  cause  de  la  blancheur 
et  de  la  forme  arrondie  de  cette  fleur".  Daß  es  hier  nicht  etwa 
bloß  um  eine  Art  volksetymologischer  Zurechtleguug  Coulabins  sich 
handelt,  sondern  um  eine  richtige  Auffassung  von  der  etymologischen 
Zusammengehörigkeit  beider  Wörter,  wird  durch  andere  Bezeichnungen 
des  Schneeballs,  wie  man  sie  jetzt  bequem  bei  Rolland  /.  c.  zu- 
sammengestellt findet,  klar  bewiesen.  Erwähnt  seien  nur  pic.  blan 
fromache  in  Valencienues  und  wall,  matons  ( =  grumeau  de  lait; 
vgl.  auch  Grandgagnage  Dict.  II,  06),  die  beide  als  Bezeichnung 
der   Schnecballblütc    begegnen.      Angemerkt    sei,    daß  nach   Rolland 


284  .        D.  Behrens. 

caiUeboUe  auch  eine  Art  Labkraut  (galium  verum;  s.  Flo7'e  VI,  249) 
und  eine  weiß  blühende  Wasserpflanze  (die  Wassernuß,  frapa  natans; 
s.  Flore  VII,  8)  l)ezeiclinct,  sowie  dnß  nach  A.  DellbouUc  Gloss.  de 
la  Vallee  cV  Ycres  p.  58  caillcbotter  von  der  kümmerlicl»  entwickel- 
ten Apfclblüte  gebraucht  wird:  „sc  dit  des  pomniicrs,  lorsqu'ils 
lleurissent  lentemcnt,  sans  vigueur,  et  que  Icurs  fcuilles  sont  attaquees 
par  les  chenilles".  Lait  haiiu  (Buttermilch)  nennt  man  in  einem 
Teil  des  pikardiscben  Sprachgebietes  (s.  Rolland  /.  c.  I,  238)  das 
Wiesenschaumkraut,  cardaminc  pratense  „  .  .  •  dont  les  fleurs  d'un 
violet  tendre",  wie  Haignerc  Dict.  II,  353  nach  Ilecart  bemerkt, 
„ont  le  couleur  du  lait  de  bcurre".  —  Das  älteste  mir  bekannte 
Zeugnis  für  caillehotie  in  der  Bedeutung  „Schneeball"  bietet 
Schmidlins   Catholicon  (1772). 

COiriau  wird  von  A.  Delboullc  Romania  XXXI,  372  als  mot 
obscur  et  rare  aus  dem  15.  Jahrhundert  einmal  belegt:  A  Jehan  Lapensa, 
voirier,  pour  avoir  remis  et  refait  trois  coiriatLV  et  demi  de  verrieres 
(Arch.  hospitalieres  de  Bcthune,  62,  Loriquet).  Nach  G.  Paris  ist  es 
ein  Diminutivum  von  coier  =  qnaternum,  cahier.  Liegt  es  nicht  näher, 
darin  eine  Schreibvariante  zu  mundartl.  quariau  =  kuario  =  schriftfrz. 
carreau  (de  vitre)  zu  sehen?  Vgl.  wall,  quarai  bei  Graudgagnage. 
Das  Wort  würde  hiernach  einer  Gegend  angehören,  in  der  lat.  qu  als 
kio  erhalten  bleibt  und  -ellum  zu  -io  sich  entwickelt.  Die  graphische 
Darstellung  der  etymologischen  Gruppe  qua  durch  coi  begegnet 
gelegentlich  auch  sonst.  So  verzeichnet  Graudgagnage  unter  qiiaremai 
(careme-prenant)  die  Schreibung  coirmai  bei  de  Jacr.  Hecart 
schreibt  {Dict.  roiichi-franfais^  p.  120):  coile  (wall,  quaillc;  schriftfrz. 
caille).  Angemerkt  seien  hier  auch  die  Schreibungen  coitche  =  dtsch. 
Quetsche  bei  Varenne-Fenille  31^ni.  s.  Vadministr.  forest.  1807,  III, 
87  (Rolland  Flore  V.  380j  und  soirze  =  dsch.  schwarz  bei  Graud- 
gagnage Dict.  II,  372,  wozu  man  Festschrift  für  Mussafia  p.  84  f. 
oirseUe  vergleiche. 

COUet.  Littre  verzeichnet  das  Wort  mit  der  Bemerkung 
„Terme  de  marine.  Nom  de  certaines  grosses  cordes  de  vaisseau, 
qui  s'amarrent  aux  volles  et  qui  sont  difförentes  des  ^coutes."  Zur 
Etymologie  des  Wortes  äußert  sich  Littre  nicht.  Diez,  Scheler  und 
Körting  verzeichnen  dasselbe  überhaupt  nicht.  Im  Dict.  gSneral  liest 
man  „Autre  forme  de  ccoute  2  (V.  ce  mot.)  Cotgrave  donne  escoiiette 
pour  t^coutCj  et  d'autres  dictionnaires  ccoiiet  pour  coiiet."  Es  folgt 
ein  Hinweis  auf  Godefroy.  Ecoute  führen  die  Verfasser  des  Dict. 
ghih'al  auf  niedl.  schoote  (dtsch.  Schote)  zurück.  Die  Identifizierung 
von  couet  mit  ecoute  findet  sich  bereits  in  Jal's  Glossaire  nautique. 
Hier  heißt  es  unter  couet  „fr.  auc.  s.  m.  (Corrompu  d''Escouet  [V.]) 
Amure  ..."  Unter  escouet  liest  mau  ebd.  „fr.  anc.  s.  m.  (Du  holl. 
Schoot,  fait  de  l'isl.  Skaut  [V.]  Amure.  —  V.  Coüet,  ficoit,  ficouet." 
Ecoit  wird  als  orthographische  Variante  von  econet  erklärt  und  aus 
Aubins  1702  erschienenem  Dict.  de  marine  belegt.    Ecouet  ist  nach 


Wortgescliichtliches.  285 

Jal  eine  „contraction"  aus  escouet  und  war  bereits  Ende  des 
18.  Jalirlniuderts  veraltet.  Zu  diesen  Angaben  ist  zu  bemerken,  daß 
couet,  escouel,  ecouet  und  ecoit,  die  in  der  Bedeutung  übereinstimmen, 
obne  Zweifel  gleichen  Ursprung  haben,  daß  aber  ganz  und  gar  nicht 
zu  verstehen  ist,  wie  dieselben  aus  ecoute  sich  hätten  entwickeln 
sollen.  Hinzukommt,  daß,  wie  Littre  ausdrücklich  bemerkt,  couet  mit 
i'coides  in  der  Bedeutung  nicht  übereinstimmt.  Auch  Jal  übersetzt 
couet  nicht  mit  „ecoute",  sondern  mit  y.amure,''^  dem  in  der  deutschen 
Seemannssprache  die  Bezeichnung  Hals  (Plural  Halsen)  entspricht. 
Vergl.  zu  dem  deutschen  Wort  Goedel  Etymol.  Wörterbuch  d. 
deutschen  Seemannssprache  (Kiel  und  Leipzig  1902)  S.  186,  wo 
bemerkt  wird:  „so  heißen  die  unteren  Ecken  der  Untersegel  und  die 
vorderen  Ecken  der  Stagsegel,  Schratsegel  und  Bootssegel ;  so  heißen 
auch  die  daran  befestigten  Taue,  mit  denen  die  Untersegol  nach  vorne 
geholt  werden  und  (an  der  Luvseite)  steif  gesetzt  werden,  (während 
die  an  gleicher  Stelle  angebrachten  Schroten  das  Segel  nach  hinten 
zu  festhalten).  Bei  Besansegeln,  Stagsegeln  etc.  etc.  wird  der  Hals 
allerdings  „geholt,"  aber  die  Vermutung  Breusings,  der  Name  des 
Halses  käme  von  diesem  Holen  oder  Haien,  ist  doch  nicht  naheliegend 
genug.  Jedenfalls  liegt  die  gewöhnliche  Bedeutung  von  Hals  näher 
und  genügt  zur  Erklärung  vollständig.  Der  Hals  bildet  ja  nicht  bloß 
das  kürzere  oder  längere  bewegliche  Verbindungsglied  zwischen  Kopf 
und  Schultern,  sondern  auch  an  leblosen  Dingen  das  dünne,  lange, 
gerade  oder  gebogene,  vorgestreckte  Ende;  man  denke  an  den  Hals 
einer  Flasche,  einer  Kanne,  eines  Ankers  ..."  Diese  Ausführungen 
Goedels  sind,  scheint  mir,  überzeugend.  Sie  enthalten  zugleich  die 
etymologische  Erklärung  von  franz.  couet.  Dasselbe  i:t  eine  mit  dem 
Suffiz  -et  gebildete  Ableitung  von  cou  (Hals).  Escouet  (ecouet)  ist 
aus  couet  durch  Verschmelzung  mit  dem  bestimmten  Artikel  im  Plural 
entstanden:  V escouet  =  les  conets.,  ein  Vorgang,  der  bekanntlich  in 
der  Entwicklung  des  Französischen  durchaus  nicht  selten  beobachtet 
W'ird.  Ich  verweise  auf  meine  Ausführungen  Zs.  f.  rom.  Phil.  XIII 
(1889),  S.  407  f.  und  Festschrift  für  W.  Foerster  (elhiguet). 
Vgl.  weiter  u.  a.  Tappolet  Bulletin  du  Gloss.  des  patois  de  la 
Suisse  Romande  II,  S.  3  ff.  und  J.  Desormaux  Rev.  de  philologie 
franc.  et  de  litter at.  XX,  S.  1G8  ff. 

wallon.  or^telai.  Grandgaguage  erklärt  das  Wort  iJict.  I, 
p.  140  mit  „faux-pli.  ride."  Für  Namur  gibt  er  crUia  an,  das  ich 
bei  L.  Piersoul  in  dessen  Wörterbuch  der  Mundart  von  Namur  nicht 
verzeichnet  finde,  und  erwähnt  als  zugehöriges  Verbum  creteler: 
„grimacer,  etre  plisse  de  travers,  goder,  N.  id.,  trans.  plisser  de 
travers(?)."  St.  Bormans  führt  im  Glossaire  tech?iologi<jue  du  mitier 
des  drapiers  p.  254  als  der  Mundart  von  Lüttich  angehörig  creteler 
auf,  das  er  mit  „faii'c  de  faux  plis  dans  unc  etotfc"  erläutert  und 
^YOvon  er  das  Substantiv  cretelai  „faux  plis"  ableitet.  Ferner  sei 
verwiesen   auf  Reraacle  Dictionnaire  wallon.  fran^ais   2.  Aufl.,   wo 


286  D.  Behrens. 

sich  II,  220  iiibezug  auf  unser  Wort  die  folgenden  Angaben  finden: 
„Kretlai,  s.  Bide.  —  luhercule,  excroissance  tres  raboteuse  qui  se 
forme  k  la  racine  de  certaincs  plantes;  et  qui  survient  aux  feuilles. 
Les  truflfes,  les  pommes-de-terre,  appelee  vitelottes,  sont  tuberculeuses." 
^.KretU,  V.  adj.  RiiU.  —  Ttiberculeiuc.  —  Si  vizeg  si  kretlaie: 
Sa  figure,  son  visage  se  ride.  —  11  a  l  fron  krelU  komn  inn  kag: 
II  a  le  front  ridc  commc  une  pomme,  une  poire  tapöe."  Auf  die 
Etymologie  geht  Remacle  nicht  ein.  Bormans  l.  c.  fragt,  ob  lat. 
crisia  (crete)  zu  Grunde  liege.  Gegen  die  Richtigkeit  einer  solchen 
Annahme  spricht  nicht  nur  die  Bedeutung,  sondern,  da  s  vor  Konsonant 
im  Wallonischen  nicht  schwindet,  auch  der  Laut.  Nach  Grandgagnage 
l.  c.  käme  das  wallonische  Wort,  mit  dem  er  auch  arencret  (toile 
d'araignee)  in  Verbindung  bringt,  wahrscheinlich  von  gleichbedeutendem 
holländ.  kreukelen.  Auf  den  Unterschied  im  Yokalismus  geht  er  dabei 
nicht  ein  und  den  Wechsel  von  k  und  i  bezeichnet  er  als  etwas 
Gewöhnliches.  Die  Beispiele,  die  er  für  diesen  Übergang  gibt,  sind 
teils  ihrer  Ableitung  nach  unsicher,  teils  besonders  geartet,  und  daher 
im  ganzen  wenig  geeignet,  die  Zusammengehörigkeit  von  wallonisch 
crekelai  mit  ndl.  kreukelen  als  wahrscheinlich  zu  erweisen.  Beachtet 
man  weiter,  daß  neben  ndl.  kreuk,  nd,  krökel  mit  gleicher  Bedeutung 
nd.  k7'äte.  krete  (mnd.  cretele?  Vgl.  Schiller  und  Lübbeu  Wtb.  s.  v.), 
ostfries.  kräte  krete  krät  kret  (Runzel,  Furche,  Falte,  Kerbe,  Ritze 
etc.)  stehen,  so  wird  man  geneigt  sein,  in  diesen  die  etymologische 
Grundlage  des  zur  Diskussion  stehenden  Wortes  zu  sehen,  zumal  sie 
mit  demselben  außer  im  Konsonantismus  auch  in  Bezug  auf  den  Vokal 
des  Stammes  übereinstimmen.  Beachte  noch  lothring.  kra-ti  gerunzelt 
(v.  Weizen  infolge  von  Nässe)  bei  L.  Zeliqzon  Lothringische  Mund- 
arten p.  92. 

Grandgagnage  führt  1.  c.  zwei  Wörter  auf,  deren  Verwandtschaft 
mit  crhteJai  er  als  nicht  unwahrscheinlich  bezeichnet: 

1.  crete^  carre  de  petits  pains  cuits  ensemble:  crete  dl  miclioz, 
di  pisanz  tortaiz,  awall.  crette. 

2.  cT'ete,  pile  de  büches  disposees  par  lits  croises. 

Die  Grundbedeutung  beider  wäre:  „objet  en  forme  de  croix, 
ou  presentant  des  lignes  croisees".  Ich  will  mich  über  No.  2  nicht 
äußern.  Was  das  an  erster  Stelle  genannte  crete  angeht,  so  möchte 
ich  einer  Andeutung  Schelers  (Grandgagnage  Vict.  II,  575  Anm.  zu 
altwall,  crette)  folgend,  versuchen  es  abweichend  von  Grandgagnage 
zu  erklären.  In  ostfranzösischen  Mundarten  bezeichnet  gre  (gres), 
ein  Körbchen,  in  das  man  in  der  Bäckerei  den  Teig  tut.  Vgl. 
Beauquier  Vocab.  p.  162  gn^:  „Vase,  corbillon  oü  Ton  met  la  päte 
dans  les  boulangeries.  II  est  ordinairement  en  osier.  C'est  la 
vannotte  .  .  ."  Unter  vannotte  wird  bemerkt:  „Petite  corbeille,  cor- 
billon. C'est  le  petit  panier  rond,  en  osier  dans  lequel  on  met  la 
päte  du  pain  avant  de  Tenfourner.  Aussi  dit-on  » que  le  pain  sent 
la    vannotte«    pour    designer    cette    odeur    particuliere    de  la  päte 


WortgeschichtlicJies.  287 

echauffee,  ou  des  cirons  qui  ?e  mettent  dans  rosiei»^).  S.  fernei* 
Contejean  Gloss.  du  paiois  de  Monthtliard  p.  333  gres:  „Panier 
rond  en  o>ier,  dans  lequel  on  fait  lever  la  päte  d'une  micbe  de 
pain".  Nach  Grammont  Le  patois  de  la  Franche-Montagne  p.  213 
kommt  das  ostfrz.  Wort  von  *crateUu  „avec  changement  de  l'initiale 
sourde  en  "sonore".  Mir  scheint  es,  ohne  daß  ich  für  die  Richtigkeit 
einer  solchen  Auffassung  den  positiven  Nachweis  zu  erbringen  ver- 
mochte, wohl  möglich,  daß  wall,  crete  —  dessen  heutige  Bedeutung 
„carre  de  petits  pains  cuits  ensemble"  zu  derjenigen  von  cretelai 
auf  jeden  Fall  schlecht  stimmt  —  ursprünglich  dasselbe  bedeutete 
wie  ostfrauz.  gre{s).  Ist  dies  der  Fall,  so  bietet  sich  als  naheliegendes 
Etymon  alid.  creUo  (mhd.  greite),  Korb,  worüber  man  Grimm  Wth. 
s.  V.  Kraiie  nachlese,  und  worauf  Grandgagnage  mit  Recht  bereits 
wall,  creiin  (bassin  de  fer  blaue;  Rouchi  kertin,  panier  d'osier  ä 
anses)  zurückgeführt  hat.  Dahingestellt  bleibe,  ob  ostfrauz.  gre(s), 
wie  Grammont  annimmt,  lat,  craieUu  entspricht,  oder  ob  es  zu  dtsch. 
krcUze,  Korb,  gehört  und  demnach  auch  etymologisch  mit  wallonisch 
crete  zusammengehört. 

crotiere.  Delboulle  zitiert  Romania  XXXI,  375  einen  ver- 
einzelten Beleg  für  dieses  Wort  aus  dem  18.  Jahrb.:  üne  boutique 
de  marechal,  savoir  2  enclumes,  2  soufflets,  4  estos,  .1,  bigorue, 
.1.  crotiere  (Cite  ap.  Babeau,  Vie  riirah  dans  l'ancienne  France, 
148).  Es  handelt  sich  um  eine  mundartliche  Variante  zu  nfrz. 
cloutiere  Nagel(sortier)kasten,  Nageleisen  (s.  Littre  und  Sachs  s.  v.), 
d.  i.  clou-t-iere.  Der  Übergang  von  anlautendem  cl  in  er  findet  sich 
ebenso  in  wallon.  (s.  L.  Pirsoul  Dict.  wall,  fr.,  dialecte  naniurois 
I,  170)  crauere  neben  clawere,  moule  servant  ä  faire  des  rivets, 
boulons  ou  clüus. 

glietine  ist  nach  Sachs  (Supplement)  ein  Provinzialismus  des 
Nordens  mit  der  Bedeutung  „Apfel,  der  infolge  eines  Insektenstiches 
abfällt".  Das  Wort  ist  normannisch  und  mag,  in  der  Voraussetzung, 
daß  es  richtig  überliefert  ist,  als  Beleg  für  den  Übergang  von  anlaut. 
k  in  g  hier  verzeichnet  werden.  Sachs'  Quelle  ist  vermutlich  Littre, 
der,  ohne  über  das  Etymon  sich  zu  äußern,  im  Supplement  seines  Wörter- 
buchs gueiine  mit  der  Erläuterung  „Nom  donne,  en  Normandie,  aux 
pommes  qui  tombent  par  suite  de  la  piqfire  des  insectes"  aus  les 
Primes  d'/ionneurs  (Paris  1874)  anführt.  Die  mir  vorliegenden 
Mundart\sörterbücher  verzeichnen  ausnahmslos  queiine.  Als  Etymon 
wird  von  den  Herausgebern  derselben  meist  richtig  lat.  cadere  angegeben. 


^)  Vgl.  im  Vendömois  i)aillo7i  „Corbeille  de  paille  tressee  ou  d'osier, 
qui  sert  ä  mouler  le  pain  pour  lui  douner  sa  forme  avant  de  le  mettre  au 
four"  (P.  Martcllicre  Glossaire  pg.  230).   Lyonnais  benon,  corbeille  pour  mettre 

le    pain    en    pate   (J.  M.   Villefranche   F.ssai   de   grammnire    du   patois  lyonnais  p. 

105).  Beachte  auch  crete  in  einem  von  Grandgagnage  Gloss.  de  Vuncien  wallon 
(Dict.  11)  p.  562  s.  V.  brosder  gegebenen  IJeleg:  „ine  crete  de  michez  po  brosder 
söchez,"  in  welchem  brosder  der  Aufklärung  bedürftig  bleibt. 


288  D.  Behrens. 

S.  Metivier  Dict.  p.  414  quetines;  Joret  Essai  p.  149  gukSne, 
quetine;  Flcury  Essai  p.  287  qmtynes.  Nur  Moisy  schwankt  Dict. 
p.  532,  indem  er  unter  quetine  bemerkt  „litteralement  fruits  quis 
ou  cais  (tombes)"*.  Vgl.  bezüglich  der  Entwickelung  der  Form  ds. 
Zeiisclir.  XXIIP,  S.  43:  qxuie.  Eine  dialektische  Variante  zu  quetine 
ist  chkiiie,  das  Rolland  Flore  pop.  V,  76  für  Cherrueix  (lUe-et-Vil.) 
nachweist  2). 

wall,  hamiulett  verzeichnet  Remacle  Dict."^  II,  p.  78  mit 
folgender  Bemerkung  „Alumelle,  petite,  mechante  lame  de  couteau.  — 
I  fret  tan  disskoutai  kinn  li  d'meurret  k'inn  hammlett:  A  force 
d'abuser  de  ses  paissances  physiques,  il  deviendra  victime  de  son 
incontinence.  Les  dict.  disent  quo  le  mot  alumelle  est  vieux.  C'est 
rajeuni  qu'ils  devraient  dire".  Die  Auffassung  Rcmacles,  wonach 
hammlett  auf  alumelle  zurückgeht,  vertritt,  wie  es  scheint,  auch 
Grandgagnage  Dict.  I,  p.  270:  „Hajnelete  ou  halemete  (mauvais 
lame  de  couteau).  Cp.  fr.  alumelle'^.  Deutlicher  heißt  es  ib.  II, 
p.  XXIX  ,,Hamelete  ou:  halemete.  Cette  seconde  forme  est  la  plus 
usitee.  A  Verviers,  ou  dit:  halemene.  II  suit  de  ces  deux  observations 
que  l'identite  de  notre  mot  avcc  le  fr.  alumelle  est  probable".  Gegen 
die  Richtigkeit  einer  solchen  Annahme  sprechen  in  gleicher  Weise 
Form  und  Bedeutung  des  wallonischen  Wortes:  die  Bedeutung,  insofern 
alumelle  m.  W.  niemals  gleich  wall,  hammlett  in  pejorativem  Sinne 
begegnet;  die  Form,  um  von  anderem  zu  schweigen,  insofern  das 
anlautende  aspirierte  h  von  hammlett  in  der  angenommenen  ety- 
mologischen Grundlage  keine  Entsprechung  findet.  Es  kann,  worauf 
mich  brieflich  auch  Prof.  J.  Haust  in  Lüttich  hinweist,  nach  den  in 
dieser  Zeitschrift  XXXP  p.  155  unter  sanar  gemachten  Ausführungen 
nicht  zweifelhaft  sein,  daß  das  zur  Diskussion  gestellte  Wort  eine 
Ableitung  vom  wall.  Verbum  hameler  (chätrer)  ist,  das  man  auf 
dtsch.  liammeln  (beschneiden)  mit  Recht  zurückgeführt  hat. 

altfrz.  haiple,  das  Godefroy  mit  einem  Fragezeichen  versieht, 
indem  er  es  aus  dem  Glossaire  de  Salerne  (alabrum  haijyle)  zitiert, 
ist,  wie  sich  ohne  weiteres  ergibt,  dtsch.  Haspel  also  bei  Godefroy 
unter  hasple,  haple,  hesple  etc.  einzuordnen. 

ostfrz.  Iiouillie  wird  als  Bezeichnung  des  Hauslauchs  (Semper- 
vivum  tectorum)  von  Ch.  Beauquier  Voc.  kymol.  p.  175  für  die 
Franche-Comte  bezeugt  ohne  eine  Bemerkung  über  die  Herkunft.  Das 
Wort  fehlt  in  der  von  Beauquier  mitgeteilten  Form  bei  Rolland  Flore 
VI,  p.  92  ff.,  ist  aber  mit  Hilfe  des  hier  verzeichneten  reichen  Materials 
leicht  zu  bR:-timmen.  Rolland  erwähnt  p.  97  gleichbedeutende  breton. 
houaye  („du  fran^.  ome;  ou  emploie  cette  plante  contre  les  affections 
d'oreille-')  und  drouh  er  scouarn  (mal  d'oreille:    „la  feuille  pilee  et 


')  Von  Rolland  id.  verzeichnetes  gleichbedeutendes  youees  ist  in 
grouees  zu  ändern,  wie  bei  Robin  Dict.  du  pat.  norm.  p.  211  und  Moisy  Dict. 
de  pat.  norm.  p.  337  (hier  auch  crouee)  das  Wort  lautet. 


Wortgescliichtliches.  S'Sd 

melee  ä  de  la  bouse  de  vache  seit  ä  guerir  les  maux  d'oreille"). 
Houillie  ist  hiernach  offenbar  durch  die  Schreibung  entstelltes  uii 
(audita),  das  zusammen  mit  älterem  franz.  ouye  und  ostfrz.  oy 
(Rolland  l.  c.  p.  96)  eine  Gruppe  bildet.  Man  wird  nicht  fehl  gehen, 
wenn  man  auch  von  Rolland  erwähntes  gleichbedeutendes  ostfrz,  louis 
dazustellt,  dessen  anlautendes  l  der  agglutinierte  bestimmte  Artikel 
ist,  desgl.  petit  louis  uud  saint  louis,  die  volksetymologische  Ura- 
deutung  klar  erkennen  lassen.  Beachte  schließlich  noch  von  Rolland 
aufgeführtes  lori  in  Chateauneuf  (Charente),  das  schriftfrz,  Voreille 
entspricht.  Wegen  der  mundartlichen  Entwickelung  des  Part.  Prät. 
von  audire  im  Osten  des  französischen  Sprachgebietes  vgl,  AÜ.  linguisf. 
Bl.  466  (entendu).  Hauslauch  oder  Hauswurz  begegnet  als  Heilmittel 
bei  Erkrankung  der  Ohren  auch  in  dem  deutschen  „Artzney  Buch'-'- 
Christopher  Wirsungs  vom  Jahre  1568,  wo  p.  96  unter  „Ohren  ver- 
stopfen" bemerkt  wird:  ,,Nim  Lattichwasser  |  von  geschnitten  Reben- 
wasser I  vermischt  oder  jedes  allein.  Es  nutzt  sonderlich  eklopftes 
eyerklar  mit  frawen  millich  die  ein  Magdlein  seuget.  Hauswurtz- 
safft  allein  oder  anderm  gemischt."  Ebenso  heißt  es  p.  89  unter 
„Ohrenschmertz":  „Nim  HaussivurfzsaEt  \  vermischs  mit  frawenmilch  | 
trcuffe  es  ein..."  und:  „Item  |  Nim  hatcssunirtzsaSt  |  rosenöle  jedens 
1.  lot  I  essig  1/2  lot  I  mischs.  Nim  rosensafft  \  hausswuHz&[\^t  jedens 
1  lot  I  Leindotterole  '/g  ^ot  |  vermischs." 

lardiche,  die  Meise.  Sachs  verzeichnet  das  Wort  unter  Hin- 
weis auf  lardenne,  das  er  mit  „Kohlmeise"  (Parus  major)  verdeutscht, 
NYofür  ebenfalls  die  Bezeichnungen  lardere  und  lardeUe  von  ihm  an- 
gegeben werden.  Nach  Sachs  erwähnt  Horning  Zs.  f.  rom.  Phil. 
XX,  343  lardiche  unter  den  Repräsentanten  fransösischer  Appellativa 
mit  dem  Suffix  -iche  =  -icca.  Weder  Horning  noch  Sachs  äußern 
sich  über  die  Etymologie  von  lardiche.  Unter  den  zahlreichen  anderen 
Benennungen  der  Meise  steht  demselben  arderiche  in  der  Mundart 
von  Berry  nahe,  das  von  Hugue  Lapaire  Le  paiois  herrichon  p.  42. 
nicht  ober  von  Rolland  Faune  H,  304  ff.,  auch  nicht  auf  Blatt  844 
(mSsange)  des  Atlas  linguist.  verzeichnet  wird.  Von  den  beiden 
Formen  ardriche  und  lardiche  wurde,  soviel  dürfte  ohne  weiteres 
klar  sein,  die  erstere  um  den  mit  dem  bestimmten  Artikel  verwechselten 
Anlaut  /,  die  zw'eite  um  r,  dessen  Verlust  auf  Dissimilation  beruht, 
gekürzt.  Beiden  liegt  älteres  lardriche  (=  lard(i)ere  -f-  iche)  zu 
gründe,  das  P.  Dupon  Fatois  bourbonnais  p.  74  für  Moulins  bezeugt. 
In  Bezug  auf  die  Herleitung  von  lard(i)ere,  das,  wie  schon  Sachs 
erwähnt,  gleichfalls  als  Bezeichnung  der  Meise  begegnet,  stehen  sich 
zwei  Auffassungen  gegenüber.  Diejenige  von  Mistral,  der  unter  lardiero 
etc.  auf  lardiS,  -ero  „qui  aime  le  lard,  qui  en  mange"  als  etymologische 
Grundlage  hinweist,  und  diejenige  Puitspelus,  der  sich  im  Dict.  äymol. 
du  pat  lyonnais  p.  229  unter  lardero  wie  folgt  äußert: 

De  lardd,  larder,  piquer  avec  une  aiguille,  un  objet  pointu;  larder  nne 
pointe,  planter  un  clou  en  biais.    A  lardo  s'cst  ajoute  le  suff.  era  qui  a  6t6 

ZtBchr.  f.  frz.  Sjpr.  u.  Litt.  XXXI  i.  19 


290  D.  Behrens. 

aira...,  applicable  aux  pi-ofessions.  La  hrrdera  est  celle  qui /arrfe  les  oreilles, 
h.  cause  de  son  cri  strident  et  repete  comme  celui  d'ime  lime  qui  dechire 
les  oreilles.  Par  la  mßme  raison,  en  b.  dph.  eile  est  nommee  le  serrurier.  Le 
pr.  lardie  appuie  l'etyin.  Cependant  il  ne  serait  pas  absolunient  impossible 
que,  comme  la  mesange  attaqiie  ä  coups  de  bec  l'ecorce  des  arbres  pour 
en  faire  sortir  les  insectes,  on  y  cüt  vu  l'idee  de  larder  le  bois.  Dans  la  forme 
lardenne,  je  suppose  qu'il  y  a  eu  Substitution  du  suff.  d'oil  aiue,  de  ««a, 
passe  ä  enne. 

Da  keiner  der  Rezensenten  von  Puitspelus  Wörterbuch  an  dessen 
Auffassung  Anstoß  genommen  zu  haben  scheint,  und  noch  Constantin 
und  Desormaux  in  ihrem  Dict.  savoyard  unter  lärdera  die  Ansicht 
Puitspelus  ohne  ein  Wort  der  Kritik  wiedergeben,  so  ist  es  wohl  nicht 
überflüssig  hervorzuheben,  daß  Mistrals  Auffassung  ohne  Frage  den 
Vorzug  verdient.  Um  das  zu  erhärten,  dürfte  der  bloße  Hinweis  auf 
die  von  Brehm  (Tierleben'^  Vögel  I,  172)  für  Parus  major  angegebenen 
Benennungen:  Speck-,  Schinken-,  Talgmeise  genügen,  die  eine  Doppel- 
deutung nicht  zulassen.  Beachte  im  besondern  noch  Brehm  l.  c. 
pg.  174,  wo  es  von  der  Ernährung  der  Meise  heißt:  „Wenn  im  Winter 
ein  Schwein  geschlachtet  wird,  ist  sie  gleich  bei  der  Hand  und  zerrt 
sich  hier  mögUchst  große  Stücke  herunter."  Zwar  gibt  Brehm  l.  c. 
172  auch  die  Bezeichnung  „Pickmeise."  Wollte  man  aber  im 
Französischen  die  dem  entsprechende  Anschauung  wiedergeben,  so 
lagen  andere  Wörter  ungleich  näher  als  das  weit  hergeholte  larder, 
das   „spicken",  nicht  „picken"  bedeutet. 

Was  die  anderen  von  lard  abgeleiteten  Bezeichnungen  der  Meise 
angeht,  über  die  man  bei  Rolland  /.  c.  und  auf  Blatt  844  des  Atlas 
ling.  sich  orientieren  kann,  so  dürfte  ihre  Erklärung  in  den  meisten 
Fällen  keine  besondere  Schwierigkeit  mehr  machen.  Der  Form  lardelle 
wird  lard(e)relle  [lard(i)er  -\-  eile],  das  Godefroy  aus  altfranzösischen 
Texten  belegt,  vorangegangen  sein.  Neben  lardenne,  lardine,  die  mir 
in  ihrer  Bildungsweise  am  wenigsten  durchsichtig  scheinen,  vermag 
ich  lard(e)renne,  lard(e)rine  nicht  nachzuweisen.  Lerdäj,  das  nach 
dem  Atl.  ling.  im  Departement  Sa6ne-et- Loire  begegnet,  zeigt  in  seiner 
Endung  Angleichung  an  mizäj,  das  ebenda  vorkommt.  Dardanche, 
das  Richenet  Pat.  de  Petit- Noir  p.  161  nach  Desire  Monuier 
Vocahulaire  de  la  langue  rustique  et  popid.  de  la  SSquanie  als 
Nebenform  zu  lardanche  (mesange  jaune)  erwähnt,  ist  aus  letzterem 
mit  Assimilation  des  Wortanlauts  an  den  Anlaut  der  zweiten  Wort- 
silbe zu  erklären.  Auf  weitere  Einzelheiten  soll  hier  nicht  eingegangen 
werden.  Angemerkt  sei,  daß  nach  Rolland  die  verschiedenen  Arten 
der  Gattung  Meise  oft  unter  denselben  allgemeinen  Bezeichnungen 
wiederkehren. 

lothr.  mosa,  billon,  bout  de  tronc  destine  ä  etre  fendu  en 
bardeau,  begegnet  nach  Adam  Pat.  Lorr.  p.  271  in  Saint- Am6.  S. 
auch  Xavier  Thiriat  La  vailSe  de  Cleurie  p.  441.  Es  gehört  zu 
den  Zs.  XXIX  i,  146  f.  unter  möze  behandelten  Wörtern.  Vgl.  außer 
der  daselbst  angegebenen  Literatur  noch  Martin  und  Lienhart  Wörterh. 


WortgescMchtliches.  291 

d.  elsäss.  Mundarten  I,  725  müsel.    Gehört  hierher  auch  von  Sachs 
verzeichnetes  mundartlich  franz.  mousard,  geköpfte  Eiche? 

poiirfie.  Über  von  DelbouUe  Romania  XXXIII,  597  als 
obscur  et  rare  verzeichnetes  porfi  habe  ich  ds.  Ztschr.  XXIX  ^, 
S.  305  f.  -  ausführhch  gehandelt.  Ich  vermag  heute  einen  Beleg  aus 
dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  nachzutragen,  der  sich  bei  Godefroy 
s.  v.  doMe  findet:  „Se  aucuns  se  veuUent  entremettre  de  boucherie 
en  ladite  ville,  il  iie  pourra  tuer  bestes  qu'elles  ne  soient  bonnes  et 
loyaux,  et  si  ce  sont  bestes  a  cornes  et  elles  ont  /ie  et  pourfie  .  .  . 
ceux  qui  les  tueroient  et  mettroient  a  estal,  ilz  en  seroient  punis 
(1507,  Prev.  de  Beauquesne,  Cout.  loc.  du  baill.  d'Amiens,  11,  264, 
Bouthors)".  Dieser  Beleg  verdient  schon  um  deswegen  besonders 
hervorgehoben  zu  werden,  weil  daraus  hervorgeht,  daß  das  zur  Dis- 
kussion gestellte  Wort  auch  eine  Erkrankung  bei  Tieren  (hier  im 
Speziellen  des  Hornviehs)  bezeichnen  kann.  Aus  dem  Vokal  der 
ersten  Silbe  von  pourfie  wird  man  einen  Grund  gegen  die  Richtigkeit 
meiner  Ableitung  aus  porcu  -j-  ficu  nicht  herleiten  wollen.  Derselbe 
erklärt  sich  wie  ou  in  pourceau,  also  vermutlich  aus  der  Unbetont- 
heit 3),  —  Angemerkt  sei  noch  die  Verwendung  des  Wortes  in  der 
botanischen  Terminologie:  yep^  du  pouerfi  (oder  einfach  pouerfi)  ist 
nach  Rolland  Flore  populaire  VI,  54  die  wallonische  Bezeichnung 
einer  Pflanze  der  Gattung  Herniaria,  yehe  di  pouarfi  nach  derselben 
Quelle  V,  221  die  in  der  Lütticher  Mundart  gebräuchliche  Benennung 
des  St.  Benedictenkraut  (Geum  urbanum). 

Über  die  Bildungsweise  von  frz.  porfi  (porcu  -f  ficu)  bin  ich 
mir  ebensowenig  wie  über  diejenige  des  entsprechenden  deutschen 
Schweinsheule  (s.  ds.  Ztschr.  XXIX  i,  305)  völlig  im  klaren.  Am 
nächsten  liegt  es  wohl,  dieselben  zu  erklären  als  „Geschwüre  oder 
Beulen,  wie  man  solche  beim  Schwein  findet".  Aus  dem  Deutschen 
ließe  sich  noch  anführen  Schtveinspocke  oder  Schweinsblatter,  womit 
man  nach  Grimms  Wörierb.  eine  Art  der  Kinderblattern  bezeichnet. 
Zusammenrückung  oder  Zusammenfügung  zweier  Substantive,  deren 
erstes  das  zweite  näher  bestimmt,  begegnen  in  der  französischen 
Wortbildung  bekannthch  nicht  ganz  selten.  Zu  gründe  Hegen  denselben 
zweifellos  z.  T.  ältere  oder  jüngere  lateinische  Verbindungen,  wie 
beispielsweise  in  lundi  <  lunae  diem,  arentele  <  araneae  tela,  gel.  lat. 


8)  Ou  begegnet  ebenso  in  altwall,  pourpeix,  Schweinfisch  (eine  Del- 
phineuart, porcus  piscis.  S.  Grandgagnage  Dict.  II,  629  und  vgl.  raittellat. 
porco  piscis  in  A  late  dght- Century  ladn  anglo-taxoii  glossary  hrsgb.  VOn  Hessels 
Cambridge  1906, 

Weibliches  porca  als  Fisehbenennung  s.  Romania  XXXV,  167  Anm. 
5  und  dazu  Schuchardt.  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXX,  726  f.  Beiläufig  sei  bemerkt, 
dafs  von  Schuchardt  vermilstes  südfranz.  trutjo  von  Nemnich  Polyglottm-Lexicon 
s.  Zeus  Faber  für  Marseille  in  der  Variante  troueje  verzeichnet  wird.  Altwall. 
porcque  als  Fischname  s.  Grandgagnage  Dict.  II,  628. 

19* 


292  D.  Behrens. 

caprifolium  >  ch^vrefeuille,  über  die  man  Mcyer-Lübl<c  Rom.  Gram. 
II,  §  545  f.  und  §  554  vergleiche.  Daß  porfi  nach  dem  Muster  der- 
artiger auf  lat.  Grundlage  beruhender  Bildungen  entstanden  ist,  ist 
möglich,  ebenso  möglich  aber  scheint  mir,  daß  es  in  Übereinstimmung 
mitnoch  einer  Anzahl  anderer  französischer  Ausdrücke  unter  germanischem 
Einfluß  gebildet  wurde.  In  nord-  und  ostfranzösischen  Mundarten 
begegnet  man  nicht  selten  Entlehnungen  germanischer  Woitzusammen- 
setzungen  wie: 

vassersac,  in  Montbeliard:  pompe  ou  reservoir  pour  le  jus  dans 
une  pipe  allemande,  dtsch.    Wassersack.     S.  Contejean. 

paiquebairbe  ib.:    favori,  dtsch.  Backenbart.  Contejean. 

mouchetic  ib.:  cxtremite  en  corne  ou  eu  ambre  du  tuyau  d'une 
l)ipe,  dtsch.  Mmiclsiüch.  Contejean. 

7nailecoste  ib.:  grand  coffre  h  farine,  ä  avoine,  dtsch.  MeMkasten. 
Contejean. 

poutreveque  ib.:  petit  pain  mollet  au  bcurre;  dtsch.  Butter- 
werk.     Contejean. 

felmouse  ib.:  compote  depommes;  dtsch.  Äpfelnmfs.  Contejean. 

grÖ(.Vbir\o{\\\\  (Zeliqzon):  mundartl.  dtsch.  Grundbirne  (Kartoffel.) 

garloine  Mons.  Instrument  compose  d'un  grand  nombre  de  lames 
de  bois  tournant  sur  axe  et  au  moyen  duquel  on  reduit  en  pelotons 
des  echevaux  dn  fil;    dtsch.   Garmoinde.  Sigart. 

boutrane  Mons;    tartine,  beuree.     Fläm.  boterham.  Sigart. 

boucancoiique  Mons:  gftteau  de  sarrasin.  Fläm.  boehoeiikoek. 
Sigart. 

topzele  wall.:  volle  au  haute  du  mät.  Fläm.  topseyl.  Grandgagnage. 

potekese  wall.:  sorte  de  fromage  aigre  et  fortement  ^pice. 
Niederd.  Potkes,  d.  i.  Topfkäse,    Grandgagnage. 

Die  Liste  dieses  Wörter  ließ  sich  ohne  große  Mühe  ver- 
vollständigen. Einige  unter  ihnen  wie  marsouin,  colza  (ndl.  koolzad), 
ernote  (s.  A.  Thomas  MÜanges  p.  81  f.)  begegnen  heute  in  weiterer 
Verbreitung.  Erwägt  man,  daß  in  Nordfrankreich  eine  Anzahl  nach 
Art  von  porfi.  gebildeter  romanischer  Wortverbindungen  überwiegend 
oder  ausschließlich  auf  solchen  Gebieten  begegnen,  die  germanischem 
Einfluß  besonders  ausgesetzt  sind  oder  waren,  so  liegt  es  nahe  die- 
selben als  unter  diesem  Einfluß  entstanden  aufzufassen.  Ich  rechne 
dahin  u.  a. : 

terre-noix  (bunium  bulbocastanum),  das  ganz  nach  dem  Muster 
des  gleichbedeutenden  gerra.  ernoW  (Erdnuß)  gebildet  wurde  und  über- 
dies hybrides  tarnoti'  neben  sich  hat.  Zu  den  bei  Rolland  Flore  VI 
p.  I65f.  verzeichneten  Ausdrücken  füge  noch  tanote  Gloss  du  pat. 
de  Chanssin  par  Grosjean  et  Briot  p.  51. 

piesenie,  Fußpfad,  begegnet  im  Normannischen,  Pikardischen, 
Wallonischen  und  Lothringischen  und  ist  schon  in  altfranzösischer 
Zeit  häufig  zu  belegen.     Vgl.  u.  a.  Godefroy  s.  v. 


Wortgeschicktliches.  293 

cocrete,  Hahnenkamm  (alectorolophus  crista  galli),  s,  N.  Haillant 
Flore  populaire  des  Vosges  p.  135  s.  Rhinanthiis  minor.  Ch.  Joret 
Flore  pop.  de  la  Normandie  p.   144. 

chienqiieue,  chienqoue,  chinqueue,  clilnquoue  etc.  (iiielanipyrum 
arveuse  et  prateuse),  s.  A.  Baiidouiu  Glossahx  du  pat.  de  la  Foret 
de  Clairvaiu  p.   112. 

arboua  (sorbus  aiicuparia)  =  bois  d'arc  im  Lothringischen. 
S.  RoUauu  Flore  V,  119  „le  bois  seit  ä  faire  des  arcs,  etant  souplc 
et  trcs  dur". 

liondent,   Löwenzahn   (leontodon).     S.  N.  Haillant  /.  c,  p.  11 2. 

cacoue,  Katzenschwanz.    S.  diese  Zeitschrift  XXYll-,  p.  103  f. 

racouet,  Rittensch.vänzchen.  S.  meine  Bemerkungen  über  das 
Wort  in  der  Festschrift  für  Chabanean. 

chiendent.  Hundszahn,  dient  zur  Bezeichnung  verschiedener  Pflanzen . 
Vgl.  u.  a.  Joret  1.  c:  pg.  212  chiendent-ä-oignons,  chiendent-ä- 
ckapelets  und  ib.  p.  211  chiendent-bosse,  chienderd-ho^de  als 
Buennungen  für  arrhcuatherum  elatius;  ib.  pg.  289  cliiendent-de- 
Paris  für  Digitaria  sanguinalis  Ksel.;  Haillant  1.  c. :  p.  113  chiendot 
für  taraxacum  officinale;  ib.  pg.  193  chindot,  ckindal  etc.  für  Agro- 
pyrum  repens  (Triticum  repens  L.);  ib.  pg.  185  chiendent  digitc 
für  Cynodon  dactylon  (Panicon  Dactylon  L.). 

cavaqueue^  Equisetum.  S.  Joret  1.  c.  pg.  225f. 

chevrecoue,  Hartriegel,  Liguster,  in  Doragermaiu.  S.  Adam  Fat. 
lorr.  pg.  239. 

wallon.  fäinain  (manche  de  faux),  crohnain  (manche  de  croc) 
nach  Graudgagnage  Dict.  H,  XVH  und  574. 

pic.  trotrollc  s.  f.,  femme  incapable,  malpropre,  quelquefois 
meme  de  mauvaise  conduite:  Enne  trotroUe.  Haignere,  dessen 
Vocahidaire  des  Patois  houlonnais  ich  diese  Angabe  entnehme, 
bemerkt  dazu:  „Semble  forme  du  meme  radical  que  drouille,  par 
duplicatioD."  Unter  drouille  heißt  es:  „femme  malpropre,  coureuse 
ou  de  mauvaise  conduite.  On  dit  droule  cn  Picard  et  Rouchi,  et 
trouille  en  Normanl  Trouille  a  le  sens  de  truie  en  Wallon".  Eher 
als  drouille,  scheint  es  mir  möglich,  von  Haignere  erwähntes  pik. 
droule,  das  u.  a.  auch  Cb.  Doutrepont  (diese  Zs.  XXH^,  p.  83)  in 
der  Bideutung  „femme  de  reputation  douteuse"  aufführt,  mit  trotrolle 
in  etymologischen  Zusammenhang  zu  bringen.  Das  Etymon  des 
Letzteren  sehe  ich  in  dtsch.  Trolle,  Trulle,  DroUc  etc.  (eine  rohe, 
gemeine,  bäuerische  Weibsperson,  eine  träge  Schlampe,  eine  die  dick, 
fett  und  rund  ist),  worüber  man  in  Grimms  Wörterbuch  unter  .^Drolle'* 
nachlese.  Über  die  Reduplication  des  Silbenanlautes  vgl.  W.  Foerster 
Zs.  f.  rom.  Phil.  XXH,  S.  283  ff.  Dieselbe  begegnet  außer  in  der 
Kindersprache  und  in  Rufnamen  gelegentlich,  wie  in  trotrolle,  zur 
Bezeichnung  weiblicher  Wesen  in  pejorativem  Sinn.    Vgl.  tutuie  (tillc 


294  E.  Hausknecht. 

de  joio)  Grandgagnage  Dict  II,  457  toutouie  (malpropie,  dcbauche, 
qui  se  livre  ä  la  debauche)  bei  A.  Body  Voc.  des  poissardes  p.  238^), 
touiouiUe  (grosse  femme)  A.  Delboulle  Gloss.  de  la  vallee  d'  Yeres  p.  328. 

D.  Behrens. 


Luge.  —  II  a  neige  hier  toute  la  joiirnee  en  Valais.  Nous 
sommes  de  nouveau  au  gel.  Les  turbines  ne  marchent  pas,  mais  les 
rues  seilt  propres  et  les  luges  marchent  d'autant  mieiix.  —  Avis  aux 
lugeurs  et  skienrs:  Piste  ä  i)roximite  du  Chalet-ä-Gobet.  Bonne 
restauration  ä  l'Auberge  du  Chalet.  Location  de  luges,  —  Piste  de 
luge,  skis,  patinage.  —  Sports  d'hiver:  luge,  skis,  patinage  —  Pistes 
pour  luges  et  skis.  —  Train  (Eisenbahnzug)  pour  higeurs.  —  Costumes 
de  lugeurs.  —  Aus  der  Daily  Mail,  Continental  Edition.  Monday, 
January  7,  1907:  Colder  conditions  set  in  yesterday,  accompanied 
by  a  heavy  fall  of  snow,  and  to-day  lugeing  has  been  resumed  in  all 
directions.  .  .  .  The  Championship  meeting  of  the  Canton  de  Vaud  for 
bobsleighs  and  luges  takes  place  on  Monday  and  Tuesday  next,  on  the 
well-known  Col  de  Sonloup-Les  Avant s  course.  —  Aus  der  Gazette  de 
Lausanne,  jeudi  10  janvier  1907:  'Les  courses  de  bobsleigh 
(5  sitziger,  im  Vorderteil  lenkbarer  Mannschaftsschlitten)  pour  le 
championnat  du  canton  de  Vaud  ont  ete  courues  lundi  et  mardi  sur 
la  piste  du  col  de  Sonloup  aux  Avants')  En  meme  temps  devaient 
etre  courues  les  courses  de  luges  pour  le  meme  championnat;  mais 
les  equipes  de  'bobs'  etaient  si  uombreuses  que  le  comite  a  ete 
oblige  de  supprimer  les  courses  de  luges,  qui  auront  Heu  aujour- 
d'hui  10  janvier.' 

Obige,  hiesigen  Zeitungen  (sowie  der  Kontinentausgabe  der 
Londoner  Daily  Mail)  entnommenen  Anführungen  zeigen  zwei  in 
der  französischen  Schweiz  viel  gebrauchte  Wörter.  Eines  dieser 
Wörter  {la  luge)  ist  anscheinend  echt  romanisches  Sprachgut,  ähnlich 
wie  das  ursprünglich  waadtländische  piolet  (eigentlich  =  '■petite  hache\ 
jetzt:  die  beim  Erklettern  steiler  Bergwände  zum  Einhauen  von  Stufen 
verwandte  Pickaxt,  deren  Stiel  unten  mit  Eispickel  versehen,  so  lang 
ist,  daß  sie  nötigenfalls  spazierstockartig  zur  Stütze  beim  Steigen 
dient)  wird  la  luge  binnen  kurzem  unter  dem  Einflüsse  der  Sport- 
zeitungen und  der  französischen  Alpinisten  allgemein  französisch  werden. 


*)  Von  Haignere  verglichenes  wall.  trouUle  ist  phonetisch  irui  <:  trpja 
in  durchsichtiger  Entwicklung  (s.  Niederländer  Eom.  Zs.  XXIV,  27  und  Sigart 
Gloss.")  p.  362)  und  sowohl  von  pic.  wall,  drouille  wie  von  norm,  trouille,  auf 
deren  etymologische  Bestimmung  ich  vielleicht  bei  späterer  Gelegenheit 
zurückkomme,  zu  trennen.  Sehr  auffallend  ist  iröuU  =  iruie  (in  nicht  über- 
tragener Bedeutung)  bei  Hecart  Dict.^  p.  469,  während  man  geneigt  sein 
kann,  ebenda  verzeichnetes  trouJe  „femme  de  mauvaise  vie,  vagabonde"  und 
troule  „grosse  femme  sale  et  degoutante"  zu  dtsch.  Trulle  zu  stellen. 

')  Les  Avants  ist  eine  Ortschaft  oberhalb  von  Montreux  im 
Waadtlande. 


Wortgeschichtliches.  295 

Das  andere  Wort  (restauration)  hingegen,  ist,  wie  mir  Professor 
Bernard  Bouvier  in  Genf  sagt,  in  dem  hier  gebrauchten  Sinne 
('Verabreichung  von  warmen  Speisen')  ein  sich  neuerdings  unter  dem 
Einflüsse  der  zahh'eichen  deutschschweizerischen  Hotelbesitzer  ein- 
schleichender Germanismus.  In  der  Tat  findet  man  häufig  Wirts- 
hausschilder  oder  Zeitungsannoncen  wie  die  folgenden:  Restaurant 
Müller.     Restauration  ä  toute  heure. 

La  luge  der  niedrige  (meist  20 — 25  cm  hohe,  30 — 36  cm 
breite,  60 — 100  cm  lange,  zum  Hinunterschlittern  auf  Bergabhängen 
oder  abschüssigen  Stellen  verwendete)  Handschlitten;  —  se  luger  auf 
einer  luge  eine  abschüssige  Schneebahn  hinuntersausen  (englisch  to 
tohoggan  oder  to  coast;  mit  Beziehung  auf  den  eigenartig  schweizerischen 
Wintersport  findet  man  neuerdings  neben  coasting  oder  tohogganning 
auch  luge-ing,  ähnlich  wie  man  ski-ing  (skee-ing)  gebildet  hat);  —  le  lu- 
geur,  la  lugeuse;  —  les  lugeons  die  Schlittenkufen,  die  horizontalen 
Schlittenläufer  =  les  patins  du  tralneau:  les  lugeons  pli6s  ä  la  vapeur. 

La  luge  fehlt  bei  Littrö.  Larousse  in  seinem  Grand  diction- 
naire  du  XIX  siede  hat  das  Wort  in  der  ersten  Auflage  (1873) 
noch  nicht,  bringt  es  aber  in  der  Neubearbeitung  (dem  Nouveau 
Larousse  illustrS).  Es  heißt  da:  Luge  n.  f.  Sorte  de  petit  traineau 
en  usage  en  Suisse,  paticulierement  dans  le  canton  des  Grisons;  — 
Encycl.  :  Xa  luge  est  formee  d'un  siege  bas  supporte  par  deux 
patins;  celui  qui  s'en  sert  a  dans  chaque  main  un  court  bäton  ferre 
qui  lui  sert  ä  se  diriger  et  aussi  ä  faire  avancer  la  luge  lorsque 
la  pente  est  trop  faible'. 

Hierzu  bemerke  ich,  daß  nach  meiner  eigenen  Beobachtung, 
die  ich  durch  wiederholte  Umfrage  bestätigt  finde,  la  luge  in  Genf, 
im  Waadtlande  (canton  de  Vaud)  und  in  Wallis  (le  Valais)ganz  all- 
gemein im  Gebrauch  ist  und  daß  mir  bisher  niemand  hat  erklären 
können,  weshalb  gerade  Graubünden  (les  Grisons)  als  die  besondere 
Heimat  der  luge  bezeichnet  werden  soll.  La  luge  ist  durchaus 
nicht  einmal  ein  nur  in  der  französischen  Schweiz  bekannter  Ausdruck, 
es  ist  ganz  ebenso  gebräuchlich  drüben  in  Savoyen,  in  der  Franche- 
Comtö  und  im  Dauphine,  also  überall  da  auf  ostfranzösischem  Sprach- 
gebiet, wo  Berge  und  regelmäßig  jeden  Winter  eintretender  Schnee- 
fall diesen  Schneesport  ermöglichen  und  zu  einer  Volksvergnügung 
für  Jung  und  Alt  machen. 

Neben  se  luger  sagt  man  sehr  häufig  faire  de  la  luge.  In 
dieser  Redewendung,  die  genau  so  gebildet  ist  wie  faire  du  jjatiti 
(=  patiner),  faire  du  ski  (=  aller  en  skis,  skier),  faire  de  la 
bicyclette  (=  aller  ä  bicyclette^),  steht  das  Werkzeug  für  den  damit 


2)  Man  sagt  beides:  aller  a  bicyclette  und  aller  en  bicyclette  (radeln). 
Aller  ä  bicyclette  ist  gebildet  wie  aller  ä  äne,  aller  ä  cheval;  aller  en  bicyclette  lehnt 
sich  an  aller  en  voiture^  en  hateati.  Vor  einigen  Jahren  stritten  die  französischen 
Zeitungen  über  die  Richtigkeit  der  beiden  Ausdrücke;  neuerdings  hat  aller 
ä  bicyclette  den  Vorrang  gewonnen. 


296  E.  Hausknecht. 

gemachten  Gebrauch.  Aus  der  Wendung  faire  de  la  luge,  neben 
der  aucli  die  Redensarten  praiiquer  la  luge  und  faire  une  partie  de 
luge  bestehen,  entwickelt  sich  dann  für  la  luge  die  (bei  Larousse 
nicht  angegebene,  aber)  sehr  gebräuchliche  Bedeutung  'das  Sclilitten- 
fahren'.  Xa  luge  est  un  plaisir  des  i)lus  agreablcs,  La  luge  a 
raarchö  graiid  train  cet  hiver  =  nous  en  avons  fait  bcaucoup.  II 
fait  un  clair  de  lune  süperbe,  profitons-en  pour  faire  de  la  luge 
(pour  nous  luger).  En  hiver  mon  sport  prefere  c'est  la  luge,  je 
preconise  la  luge.  Pour  pratiqucr  la  luge,  il  ne  faut  pas  craindre 
les  accidents.  Plus  on  est  nombreux  en  pratiquant  la  luge,  plus 
l'animation  est  grande.  Les  sensations  qu'on  eprouve  en  faisant  de 
la  luge,  sont  delicieuses.  Les  hivers  ne  sont  pas  tous  favorables  ä 
la  luge.  En  Suisse  des  Tage  le  plus  tendre  les  eufants  fönt  de  la  luge. 
Ce  ne  sont  pas  seuleraent  les  eufants  mais  les  personnes  de  tout  age 
qui  s'amusent  ä  la  luge.  Les  Anglais  qui  vieuneut  en  Suisse  en 
hiver,  usent  et  abusent  de  la  luge. 

'Un  jeune  homme  de  17  ans,  habitant  Collonges  sur  Montreux, 
descendait  en  luge,  lorsque,  pres  de  l'hötel  du  Righi,  il  vint  se  jeter 
contre  un  mur.  II  a  une  jambe  brisce  en  deux  eudroits.  II  a  ete 
transporte  ä  l'Hopital  cantonal'.  (Gazette  de  Lausanne,  Mercredi 
19  d^cembre  1906).  —  'A  Mont  sur  Rolle,  lundi  soir,  ä  la  sortie 
des  classes,  deux  gargonnets  de  8  ä  9  ans  descendaieut  en  luge  le 
chemin  rapide  qui  conduit  de  la  maison  de  ville  au  village,  Ils 
manqu^rent  un  contour  et  vinrent  s'ecraser  contre  un  mur.  L'un 
d'eux  se  releva  sans  contusions,  Tautre  s'est  casse  la  jambe'  (ebenda). 

Gleichbedeutend  mit,  doch  weniger  gebräuchlich  als  la  luge 
(das  Schlittenfahren)  ist  le  lugeage.  Dieses  Wort  fehlt  bei  Larousse. 
Le  lugeage  est  un  sport  agreable  siir  une  pente  par  trop  dangcreuse. 
Nous  avons  des  localites  en  Suisse  oü  le  lugeage  se  pratique  en 
grand.  II  y  a  des  trains  speciaux  qui  conduisent  les  lugeurs  et  les 
spectateurs  aux  pentes  de  lugeage  (aux  pistes  rescrvöes  au  lugeage). 
A  Lausanne  le  lugeage  se  pratique  plus  qu'ä  Gcneve  parce  que  les 
pentes  [favorables  ä  la  luge]  y  sont  plus  frequentes.  Les  hivers 
neigeux  sont  fort  apprccies  par  les  amateurs  de  lugeage. 

Larousse  bringt  als  Illustration  die  Abbildung  einer  hige.  Diese 
stimmt  insofern  nicht  überein  mit  der  von  ihm  gegebenen  Wort- 
erklärung, als  der  auf  der  luge  sitzende  Mann  nur  einen  Stab  (Eis- 
pickel) hat,  und  zwar  einen  ziemlich  langen,  während  die  Wort- 
erklärung von  zwei  kurzen  Stäben  spricht,  einem  in  jeder  Hand. 
Nach  meiner  Beobachtung  und  Erkundigung  bedient  man  sich  eines 
Stabes  selten,  für  ge^^öhnlich  nur  der  (nach  vorn  gestreckten)  Beine 
zum  Lenken  und  Aufhalten  des  Schlittens,  zuweilen  auch  noch  (wenn 
die  Bahn  nach  rechts  und  links  frei  ist)  der  Hände.  Das  Aufhalten 
freilich  ist  auf  langen,  oft  recht  abschüssigen  Bahnen,  eine  mißliche 
Sache,  wie  denn  la  luge  oder  le  lugeage  ziemlich  viel  Unglücksfälle 
xur  Folge   hat.     Die   von   Larousse   gegebene  Zeichnung  einer  luge 


WortgeschichÜiches.  297 

stimmt  nicht  mit  den  hier  in  Lausanne  üblichen  Formen  überein. 
Wie  mau  jetzt  hier  jeden  Tag  sehen  kann,  und  wie  verschiedene 
Kaufhäuser  sie  hier  in  ihren  Schaufestern  und  in  Plahaten  mit  Ab- 
bildungen zeigen,  sind  hauptsächlich  drei  Formen  der  luge  üblich, 
1.  die  von  Lausanne  (modele  Lausanne),  2.  die  von  Montreux,  3.  die 
von  Bern.  Diese  drei  Formen  ähneln  sich  sehr;  keine  jedoch  hat 
die  in  der  Abbildung  bei  Larousse  vorhandenen  vorn  nach  oben 
gebogenen  langen  Kufenausläufer.  Ein  mir  vorliegender  Katalog  eines 
großen  Sportgeschäftes  offeriert  auch  'Roddel'  und  fügt  als  Übersetzung 
in  Klammern  bei:  'luge  iijrolienne.^  Roddel  und  luge  sind  der  Form 
nach  fast  ganz  gleicli. 

Außer  diesen  drei  nur  unbedeutend  von  einander  abweichenden 
auijcnblicklich  hier  gangbaren  Modeformen  gibt  es  sicherlich  noch 
mehr.  Dies  zeigt  auch  nicht  bloß  die  Zeichnung,  die  als  Vignette 
die  reizende  Erzählung  La  Surprise  du  Cceur  von  M.  et  M™®  Georges 
Renard  (in  dem  von  ihnen  veröffentlichten  Sammelbaude:  Auiour  des 
Alpes,  Contes  Roses  et  Noirs,  Lausanne,  F.  Payot,  1892)  ziert 
(Seite  240),  sondern  auch  folgende  Stelle  aus  dieser  Erzählung: 
«Hurrah!  voici  les  luges!  —  Les  luges  arrivaient,  en  effet,  apportees 
de  la  rcserve  oü  on  les  tenait  durant  Tete,  et  les  pensionnaires  du 
Grand  Botel  des  Ava7its  —  uu  de  ces  hoteis  suisses  oü  Ton  fait 
des  eures  d'air  pur  et  de  courses  en  pleine  montagne  —  s'empressaient, 
curieux  de  les  examiner.  II  y  en  avait  de  toute  espece  et  de  toute 
provenance.  La  classique  luge  suisse,  simple  planchette  de  bois 
montee  sur  deux  solides  patins  de  fer  qui  se  recourbaieut  ä  l'avant 
comme  des  cous  de  cygnes,  cotoyait  l'elegaute  et  svelte  norvegienne 
en  sapin  verni,  vraie  luge  modele  si  plate  qu'on  etait  assis  presque 
ä  ras  de  terre,  si  longue  qu'on  pouvait  aisemeut  s'y  teuir  trois  ou 
quatrc  ä  la  fois." 

Nach  dem  vorstehend  Gesagten  werden  die  folgenden  der 
Gazette  de  Lausanne  (jeudi  20  decembrc  1906)  entnommeneu  Conseils 
d'un  vieux  lugeur  verständlich  sein. 

Sois  chausse  de  souliers  ferres.  Fixe  lout  au  moins  des  crampons 
solides  ä  tes  talons. 

Avant  de  te  risquer  sur  n'importe  quelle  peute,  i'emoute-la  eu  observant 
tous  les  accidents  qui  peuvcut  s'y  rencontrer. 

Quand  le  lieu  choisi  pour  tes  ebats  est  uue  p/ste  dejä  glacee  par  le 
passage  des  luges,  parcours-en  les  diverses  sections  separcment.  Tu  etudieras 
avec  une  attention  toute  particuliere  la  piste  aux  contours,  au  voisinage  des 
murs,  aux  points  oü  la  route  bombee  n'est  pas  contenue,  ä  droito  et  ä  gauche, 
par  un  ourlet  de  neige  süffisant.  Si  besoin  est,  tu  parcourras  ces  sections 
dangereuses  ä  diverses  reprises,  avec  des  vitesses  croissantes,  de  maniere  ä 
etre  sür  des  mouvements  que  tu  as  ä  exccuter. 

Ne  parcours  jamais  une  piste  pour  la  premiere  fois  dans  son  entier 
en  surchargeant  ta  luge  d'un  compagnon  ou  d'une  compagne;  doubler  le 
poids,  c'est  presque  decupler  le  danger.  Que  ton  compagnon  ou  ta  compagne 
ait  pratique,  pour  son  comptc,  les  meraes  exerciccs  prcliminaires  auxquels 
tu  t'es  astreint. 


298  E.  Hausknecht. 

La  police  devrait  interdirc,  selon  les  pcntcs,  le  lugeage  ä  plusieurs, 
meme  le  liigeage  ä  deux  sur  des  pistes  dangereuses.  Elle  devrait  formellement 
interdire  l'tisage  du  patin  pour  guide  aiix  liigeiirs:  Ic  piod  arme  du  patin 
a  ete  dans  plus  d'un  cas  uu  instrument  meurtrier. 

Obeis  spontancment  aux  rögles  de  prudence  que  la  police  neglige 
d'imposer.  Avertis,  avec  politesse  et  en  attirant  leur  attention  sur  les  dangers 
qu'ils  fönt  courir  ä  leurs  compagnons  de  plaisir,  les  lugeurs  et  les  lugeuses 
que  ton  experience  t'autorise  h  conseiller.  II  n'est  pas  necossaire,  pour 
pratiquer  un  sport  bienfaisant,  de  s'y  abandonner  dans  des  conditions  qui 
peuvent  mettre  en  deuil  des  peres  et  des  mores. 

Durch  die  voraufgehenden  Zeilen  glaube  ich  den  Sprachgebrauch 
von  luge  und  seiner  Sippe  {la  luge,  se  luger.  lugeur,  lugeuse^  lugeage, 
lugeon)  gezeigt  und  hinlänglich  dargetan  zu  haben,  daß  das  Wort, 
welches  auch  sein  Ursprung  sein  mag,  das  französische  Bürgerrecht 
auch  in  der  gebildeten  Umgangssprache  bereits  erworben  hat. 

Nicht  der  gebildeten  Umgangssprache  angehörig  ist  der  hier 
im  Waadtland  auf  dem  Lande  übliche  Gebrauch  des  Wortes  luge  auch 
für  den  Lastschlitten,  also  für  Schlitten  überhaupt.  Jeden  gewöhnlichen 
Schlitten  bezeichnet  der  Städter,  wie  der  gebildete  Schweizer  überhaupt, 
stets  mit  traineau,  auch  die  Schlitten  der  Droschkenkutscher  an 
schnecreichen  Tagen  heißen  traineaux,  in  der  Sprache  der  Gebildeten 
niemals  Inges.  Luges  sind  im  Französisch  der  Gebildeten  eben  nur 
die  kleinen  Handschlitten,  die  Rod(d)el.  Ebenfalls  nicht  der  Sprache 
der  Gebildeten  angehörig  ist  das  Wort  calugeon  (=  une  luge  tres 
plate  et  tres  longue  dont  les  patins  sont  faits  d'un  seul  morceau). 
In  der  Fuhrmanssprache  (nicht  in  der  der  Gebildeten)  besteht  auch 
das  Wort  caluger  'zur  Seite  rutschen',  von  einem  Lastwagen  gesagt, 
der  oder  dessen  Hinterräder  bei  glattem,  schlüpfrigem  Fahrdamra  nicht 
der  vom  Fuhrmann  gewollten   Richtung  nach  vorn  folgen. 

Und  nun  die  Herkunft  des  Wortes  luge?  gehört  es  nur  der 
franko-provenzalischen  Sprachgruppe  an  oder  erstreckt  es  sich  weiter? 
Nicht  vom  Substantiv  luge,  sondern  vom  Verb  luger  scheint  aus- 
gegangen werden  zu  müssen.  Die  Romanisten  der  hiesigen  Universität, 
die  Herren  Taverney  und  Professor  J.  Bonnard,  dachten  beide,  als 
ich  sie  nach  der  Etymologie  von  luger  fragte,  au  das  lateinische 
lubricare.  Diese  Ansicht  teilt  und  bestätigt  ('sans  examen  approfondi 
de  la  question')  Professor  L.  Gauchat,  an  den  als  den  Vorsitzenden 
des  die  Herausgabe  eines  Glossaire  des  patois  de  la  Suisse  romande 
bezweckenden  Vereins  sich  Herr  Bonnard  brieflich  gewandt  hat  und 
dessen  Antwortschreiben  er  mir  in  liebenswürdigster  Weise  mitgeteilt 
hat.  Gauchat  erblickt  einen  Beweis  für  die  Herkunft  aus  lubricare 
in  den  von  A.  Thomas  in  seinen  Nouveaux  Essais  de  philologie 
franfaise  (Paris,  E.  Bouillon,  1905)  auf  Seite  293  mitgeteilten 
Formen  mit  r:  lourgier,  leurgier,  lergier.  Thomas  weist  nach,  daß 
lubricare,  für  das  allerdings  ein  volkstümliches  *lübricare  anzusetzen 
sei,  auch  im  Französischen  weiter  bestehe  und  nicht,  wie  Körting 
annimmt,  auf  das  Rumänisch-Italienische  und  Spanisch-Portugiesische 


Wortifeschichtliches.  299 

beschränkt  sei.  „Godefruy  a  releve,  dans  la  traduction  lorraine  des 
Dialogues  et  des  Moralites  sxir  Joh  de  Gregoire  le  Grand  trois 
exemples  de  participe  lovergeant,  loverjatit  qui  suppose  Texistence, 
ä  fin  du  douzieme  siecle,  du  verbe  frangais  lovergier,  corrcspondant 
ä  lubricare,  comme  favergier  (Variante  de  forger)  corrospond  ä 
fahricare'^.  Thomas  erwähnt  dann  die  in  der  heutigen  Mundart  der 
Saintonge  nachgewiesenen  Formen  lleurgheous  (=  glissant,  lubricus) 
und  Ueurgher  (=  glisscr  malgre  soi).  Für  die  Formen  lourgier, 
leurgier,  lergier  beruft  sich  Thomas  auf  drei  Lexikographen  der 
Mundarten  der  Freigrafschaft  Burgund,  auf  Dartois  (in  den  Mem. 
de  CÄcadSmie  de  Besangon,  annee  1850),  auf  Poulet,  Vocabid.  du 
patois  de  Plancher-les-Mines,  und  auf  Roussey,  Paiois  de  Bournois, 
p.  192  und  389.  Er  fuhrt  weiter  die  Form  lergS{=  petit  traineau) 
an,  die  Grammont  in  Dan)prichard  (Doubs)  angetroffen  habe.  —  Im 
Savoyischen  sind  diese  Formen  mit  r  unbekannt,  wenigstens  geben 
weder  Gillieron  noch  Constantin-Desormaux  irgend  ein  Beispiel 
dafür.  In  der  Revue  des  Patois  gallo-romands  (I,  46)  sagt  J.  Gillieron, 
das  Wort  traineau  sei  in  den  savoyischen  Mundarten  nicht  vorhanden: 
„traineau  ...  n'a  pas  de  formes  en  Savoie,  il  y  est  remplace  par 
leze,  Izh,  loeze,  Ide,  Ize,  Uze,  Uze,  liöez,  luedz,  live,  Veyvye.'*  In 
ihrem  Dictionnaire  savoyard  (Paris,  E.  Bouillon,  1902)  bringen 
A.  Constantin  und  J.  Desormaux  unter  'luge'  mehr  als  zwanzig 
Varianten:  liujhe  (jh  bezeichnet  das  englische  d)  lujhe,  luze,  lüSze, 
lüMze,  liüSdze,  lijhe,  Uze,  live,  Uivie,  lejhe,  leze,  lUze,  lezä,  leuse, 
ledze,  liMze,  Ijhe,  IjM,  IjM,  Ijhen,  Ide.  —  Herr  Professor  S.  Charlety 
(Historiker)  an  der  Universität  Lyon  schreibt  mir  unterm  15.2.07: 
„je  crois,  informations  prises  aupres  des  gens  competents,  que  luge 
et  se  luger  sont  d'importation  recente  ä  Lyon.  Ces  mots  ne  figurent 
pas  dans  les  dictionnaires  des  dialectes  lyonnais.  Par  contre,  on  le 
dit  couramment  en  Savoie  et  en  Dauphine,  mais  sous  la  forme  l^ge 
autant  que  sous  la  forme  luge;  on  rencontre  anssi  iSgier  (glisser)  .  .  . 
On  dit  ä  Hauteville  (Ain)  luette  =  petit  traineau.  II  n'existe  aucune 
forme  avec  r  (lurgier  etc.)  dans  la  region."  —  Herr  E.  Barraud, 
gebürtig  aus  Chambery,  Professor  am  College  vou  St.- Claude  (Jura), 
der  bis  vor  kurzem  die  gleiche  Stellung  in  Embrun  bekleidete,  schreibt 
mir,  in  der  Gegend  von  Embrun  sei  das  Wort  luge  erst  neuerdings 
durch  die  Zeitungen  bekannt  geworden,  mundartlich  käme  es  seines 
Wissens  dort  nicht  vor.  „Quant  ä  la  region  de  la  Savoie  et  de  l'Ain, 
eile  connait  ce  mot  :  on  appelle  populairement  et  en  patois  aussi  une 
luge  une  lege,  et  ce  mot  lege  est  tres  anciennement  connu  dans  ces 
pays  .  .  .  Quant  ä  la  forme  avec  r  (lurger,  lorger,  etc.),  eile  m'est 
totalcment  inconnue.  Dans  la  region  que  j'habite  maintenant 
(St-Claude),  Ic  mot  luge  n'est  quo  d'importation  recente  due  ä 
Tinfluence  des  journaux.  Le  mot  du  peuple  designaut  le  petit 
traineau  est  berrot  et  Ton  dit  se  berrotter.  (NB.  les  montants 
verticaux  du  traineau  s'appellent  ici:  les  ligeons).    Le  mot  luge  est 


300  D.  Behrens. 

tres  employe  et  depiils  longtcraps  (populairemont)  daiis  la  regiou  de 
Gcx.  Enfin  il  paraltrait  quo  du  cotc  de  Lons-Ie-Saulnier  lo  mot 
luge  existerait  aussi  populairement."  (Das  Wort  herrot  besteht  nach 
Mittcillung  von  Herrn  Taverney  auch  liier  im  Waadtländischen,  aller- 
dings niclit  in  der  Bedeutung  'Sciilittcn/  sondern  =  char,  vehicule, 
z.  B.  un  herrot  (herroion)  de  foin  eine  kleine  Fuhre  Heu). 

Die  von  A.  Tiiomas  erwähnte,  von  Grammont  in  Damprichard 
(Doubs)  festgestellte  Form  mit  r  (lerge)  besteht  auch  in  der  Gegend  von 
Besan^on  (Doubs).  DerRoraauist  Herr  0.  Bloch,  professeur  au  lycec 
de  Besan^on,  schreibt  mir  darüber  Folgendes:  „1.  I) 'apres  M.  Vernier, 
l)rofesseur  ä  la  Faculte  et  qui  connalt  bien  les  patois  du  pays,  luge 
est  un  mot  recent.  II  connait  le  verbe  lairzt  (  =  glisscr)  repandu 
daus  toute  la  region.  2.  M.  Vuillau,  professeur  au  lycee,  originairc 
d'Arbois,  nie  dit  que  dans  son  pays  et,  ajoute-t-il,  ici  le  mot  popu- 
laire  est  lü  (ce  qui  ue  s'accorde  pas  avec  ce  que  dit  M.  Vernier), 
A  Arbois  on  dit  pour  glisser  sf  rlüse  (et,  dit-il,  aussi  s^  rlüce),  ä 
Mesuay,  village  voisiu,  on  dit  sf  rlitsi.'-'' 

Lausanne.  Emil  Hausknecht. 


Die  Herkunft  von  luge  muß  auch  nach  den  vorstehenden  ein- 
gehenden und  sorgsamen  Darlegungen  Hausknechts  als  unbekannt 
bezeichnet  werden.  Meinerseits  bin  ich  ebensowenig  wie  er  im  stände, 
das  vorliegende  etymologische  Problem  zu  lösen.  Nur  auf  einiges 
weitere  Material  möchte  ich  noch  hinweisen,  das  demjenigen,  der  der 
Etymologie  des  interessanten  "Wortes  weiter  nachzugehen  beabsichtigt, 
vielleicht  von  Nutzen  sein  kann.  Mistral  erwähnt  Ti^esor  H,  214: 
„lieio  (a.),  liso  (g.),  lieujo,  leujo,  Uuso,  Uudo  (rouerg.),  (1.  lat. 
leyha  [?]),  s.  f.  Traineau,  sorte  de  lit  ou  de  brancard  dont  on  sc 
sert  dans  les  montagnes  pour  charrier  les  gerbes  ou  le  fumier  ,  .  ." 
Zur  Herlcitung  bemerkt  er  ib.  „Le  gase,  liso,  aliso,  tralne  pour 
aplanir  un  labour,  scmblc  deriver  du  v.  alisa,  lisser;  mais  dans  les 
Alpes  le  V.  hata  signifiant  „traluer  sur  le  neige",  lieio  parait  n'etre 
qu'uue  forme  feminine  de  /zV,  lit".  Ch,  Beauquier,  Voc.  kymol.  des 
jyrovincialismes  usites  dans  le  dSpart.  du  Douhs  p.  185,  verzeichnet 
leue,  lu,  lue,  ou  glieu,  s.  f.  traineau,  und  bemerkt  dazu  „En  patois 
de  Montbeliard.  on  dit  tme  Hotte.  Ce  mot  est  de  la  montagne.  A 
Geneve  et  dans  toutes  les  alpes  de  la  Suisse  romande,  on  rencontre 
luge.  Lucher.,  en  patois  jurassien,  signifle  glisser.  On  dit  se  lutchi. 
Etym.:  lisser  .  .  .  Allemand  glitschen  ...  Du  Gange  a  Lezia,  espece 
de  char.  Dans  certains  de  nos  patois,  glisser  sc  dit  leze,  lezie,  luchie. 
La  lettre  /  mouillee  peut  laisser  supposer  un  radical  gli,  glieu,  comme 
on  Ic  prononce  encore  dans  certains  patois  de  la  montagne".  Aus 
Z^liqzon's  Glossar  über  die  Mundart  von  Malm6dg  (Zs.  f.  rom. 
Phil,  XVHI,  p.  247  if.)  notierte  ich  ligi,  auf  dem  Eise  glitschen,  und 


WortgesoJdchtliches.  301 

lik'  Eisbahn,  kleiner  Schlitten;  letzteres  u.  a.  auch  Grandgagnage 
Dict.  II,  539.  Nach  Bodj'  Voc.  des  charrons,  charpentiers  et 
menuisiers  p.  102  bedeutet  in  der  Mundart  der  Ardennen  ligue  eine 
gewöhnlich  mit  einem  Pferde  bespannte  Schlitten- Art,  die  zum  Trans- 
port von  Fässern,  Holz  u.  dgl.  dient.  Vgl.  die  Abbildung  bei  Body 
Tafel  XIII,  Figur  5.  Von  Zeliqzon  Lothringische  Mundarten  p,  88 
verzeichnetes  gir^si/e,  glir^sj/^,  auf  dem  Eise  glitschen  (z.  Vergnügen), 
geht  sicher  auf  gleichbedeutendes  nd.  glinsen  (vgl.  Th.  Braune  Zs. 
f.  rotn.  Phil.  XX,  367)  zurück.  Glichoire,  glissoire,  in  Mons,  wird 
von  Sigard  Gloss.^  p.  197  zu  dtscb.  glitschen  gestellt.  Auf 
rätoromanischem  Gebiet  begegnet  man  luso,  kleiner  Schlitten, 
mit  welchem  sich  die  Kinder  zur  Zeit  des  Schnees  unterhalten.  Alton, 
der  dns  Wort  Lad.  Idiome  p.  249  mitteilt,  bemerkt  dazu  noch: 
„ferner  haben  diesen  Namen  auch  größere  Schlitten,  mit  welchem 
im  Winter  das  im  Sommer  gemähte  Gras  von  den  Alpen  wie  in 
Schlittenfahrt  nach  Hause  gebracht  wird;  das  Etymon  dürfte  ludere- 
lusum  sein;  gr.  lueso,  augm.  luson,  b.  luesa,  a.  liosa,  f.  ISsd;  vgl. 
Schneller  p.  239,  der  jedoch  kein  Etymon  gibt".  Gärtner  Die 
Gredner  Mundart  verzeichnet  p.  134,  gleichfalls  unter  Hinweis  auf 
Schneller,  h'ieza  Schlitten,  insb.  Handschlitten  zum  Holzfahren,  und 
luzör^  Schlittgestell,  das  für  je  ein  Paar  Räder  (oder  für  die  Vorder- 
räder allein)  dem  Wagen  untergesetzt  wird.  Wie  viele  der  genannten 
romanischen  Wörter  den  gleichen  Ursprung  haben,  bleibe  hier  dahin- 
gestellt. Meinerseits  halte  ich  germanische  Herkunft  zum  mindesten 
bei  einer  Anzahl  derselben  für  nicht  ausgeschlossen.  Auf  keinen 
Fall  kann,  wie  nicht  näher  ausgeführt  zu  werden  braucht,  das 
von  Alton  vorgeschlagene  ludere-hsum  als  Etymon  in  Betracht 
kommen. 

D.  Behrens. 


Iliaille  'Hacke',  westf.  mele  'Schaufel'.  —  Ndd.  westf. 
mele  f.  'Kornscliaufel'  (Woeste)  beruht  wohl  auf  frz.  niaille  f.  'breite, 
spitzige  Hacke'.  Geht  letzteres  auf  gr.  [jl^/sX-/]  f.  'Hacke,  Schaufel, 
Spaten'  (durch  vulg.  lat.  *macla)  zurück? 

poele  'Leichentuch,  Schleier',  ndd.  nl.  pel.  —  Mnd,  pel  m. 
n.  'Tragring  auf  dem  Kopfe;  Kopfbinde;  Brautkranz',  nnl.  peel  f. 
'Turban,  breites  Haarband'  dürfte  auf  frz.  poele  m.  'Leichentuch; 
Trauschleier;  Thronhimmel'  beruhen,  dessen  Etymon  nach  dem  Biet, 
gineral  lat.  pallium  ist,  vgl.  nprov.  pali,  pail,  pel  bei  Mistral.  Der 
Tragring  war  ursprünglich  wohl  nur  ein  zusammengelegtes  Tuch! 

Kiel.  F.  Holthausen. 


302  A.  Stenhagen. 

Iielv^tique.  In  den  Annales  politiques  et  litUraires  vom 
28.  Oktober  1906  bespricht  M""®  Yvonne  Sarcey  le  Concours  des 
Dots  und  schreibt  unter  anderm  Folgendes:  Z,es  mots:  Fragile  et 
Manuscrits,  voisinant  cöte  ä  cöte,  dureni  heiller  les  inquietudes 
lielvHiques\  le  bizarre  assemhlage  de  ces  dSsignations  contra- 
dictoires  donna  sans  doute  ä  penser  quon  tenait  le  fil  d\m  com- 
plot  et,  pour  le  moins,  toutes  les  bombes  nihilistes.  Der  Zusammen- 
hang gibt  an  die  Hand,  daß  les  inquietudes  helvetiques  "höllische", 
d.  h.  "gräßliche",  "kolossale"  Besorgnisse  bedeutet.  Der  Ausdruck 
scheint  wie  pousser  les  hauts  cris  gebildet  zu  sein.  Da  indessen 
helvitique  einen  ganz  andern  Sinn  hat  und  sich  nur  auf  die 
schweizerische  Republik  bezieht,  muß  die  Verfasserin  irgendwoher 
beeinflußt  worden  sein.  Dann  fragt  es  sich,  ob  es  möglich  wäre, 
daß  das  schwedische  Wort  ^'helvetisk'^  im  Sinne  von  "gräßlich", 
"kolossal"  der  Verfasserin  bekannt  gewesen  sei  und  ihr  unbewußt 
vorgeschwebt  habe.     Wie  ist  sonst  dieser  Ausdruck  zu  erklären? 

NoRRKöPiNQ.  Alfred  Stenhagen. 


Zeitschrift 


für 


französisck  Sprache  und  litteratur 


begründet  von 

Dr.  G.  Koerting    und    Dr.  E.  Koschwitz 

Professor  a.  d.  Universität  z.  Kiel        •weil.Professora.d.Univers.z.Königabergi.Pr. 

herausgegeben 


Dr.  D.  Behrens, 

Professor  an  der  Universität  zu  Giessen. 


Band  XXXI. 
Zweite  Hälfte:  Referate  und  Rezensionen. 


Chemnitz  und  Leipzig. 

Verlag  von  AVilhelra  Gronau. 
1907. 


Inhalt. 


Refkrate  und  Rezensionen. 

Seite 

Amic,  H.     Correspondance   entre   George   Sand   et   Gustave   Flaubert 

(H.  Gillot) 175 

Barjols,  —  Le  troubadour  Elias  Barjols  p  p.  St.  Stronski  (E.  Stengel).  19 
Baur.,  A.  Maurice  Sceve  et  la  Renaissance  Lyonnaise  (K.  Glaser)  .  39 
Bayoi,  A.    Fragments  de  manuscrits  trouves  aux  Archives  du  royaume 

(D.  Behrens) 26 

Boissier,  G.    L'Academie  Fran^aise  (M.  J.  Minckwitz) 190 

Brinkmann,    Fr.     Syntax   des   Französischen   und   Englischen   in   ver- 
gleichender Darstellung  (W.  Horu) 121^ 

Brunetiire,  F.    Honore  de  Balzac  (J.  Haas) 59 

Brunot,  F.     Histoire    de    la   langue   francaise    des    origines   ä    1900  I 

(E.Herzog) ° 5 

Bulletin  du  dictionnaii-e  generale  de  la  langue  wallonne  (D.  Behrens)  35 
Crebillon  der  Jüngere,  das  Spiel  des  Zufalls  am  Kaminfeuer,  deutsch  von 

K.Brandt  (W.  Golther) 164 

Floire  et  Blancheflor  s.  Reinhold. 

Franz,  A.    Das  literarische  Porträt  in  Frankreich  im  Zeitalter  Richelieus 

und  Mazarins  (W.  Küchler) 52 

Gassier,  E.    Les  Cinq  Cens  Immorteis.    Histoire  de  l'Academie  Frangaise 

(M.  J.  Minckwitz) 190 

Godet,  Ph.    Madame  de  Charriere  et  ses  amis  (E.  Ritter) 169 

Guerlin  de  Guer,  Ch.  Atlas  dialectologique  de  Normandie  (H.  Urtel)  .  37 
Guiraut  von  Calanso.  —    W.  Keller.     Das  Sirventes   „Fadet  joglar"    des 

Guiraut  von  Calanso.     (E.  Stengel) 23 

Huguet,  E.    La  couleur,  la  lumiere  et  l'ombre  dans  les  metaphores  de 

Victor  Hugo  (W.  Küchler) 172 

Kristian  von  Troyes,  Yvain.    Textausgabe  mit  Einleitung  .  .  .  hrsgb.  von 

W,  Foerster  3©  vermehrte  Auflage  (W.  Golther) 162 

Le  Bourgeois,  F.  Postes,  telegraphes,  telephones  (W.  Küchler)  .  .  .  205 
Lemme,  E.    Die  Syntax  des  Demonstrativpronomens  im  Französischen 

(D.Behrens) SW 

Lettres  de  Flaubert  ä  sa  niece  (H.  Gillot) 175 

Marolles,  G.  de.  Langage  et  termes  de  venerie  (D.  Behrens)  .  .  .  27 
Massis,  H.    Commeut  Emile  Zola  composait  ses  romans  (W.  Küchler)      57 

Masson,  M.    Fenelon  et  madame  Guyon  (E.Ritter) 167 

M^moires  de  la  Societe  neophilologique  a  Helsingfors  (E.  Herzog)  .  .  1 
Nicolin,  E.    Les  expressions  figurees  d'origine  cynegetique  en  fran^ais 

(D.Behrens) 28 

Paris,  G.    Esquisse  historique  de  la  litterature  frangaise  au  moyen  äge 

(E.Stengel) 15 

Passy,  P.  Petite  phonetique  comparee  des  principales  langues  europeennes 

(Ph.  Wagner) 77 


Seite 

Poggio.  —  Die  Schwanke  und  Schnurren  des  Florentiners  Gian-Francesco 

Por/gio  Braccioltni,     deutsch  von  A.  Semerau  (W.  Gother)    .     .      .  1G4 
Fünfer, ./.  und  H'.  Knhie,  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  für  Lehrer- 
bildungsanstalten (P.  Dessoulavy) 107 

Rabelais,    Fr.     Gargantua    verdeutscht    von  E.  Ilec/auer   und  Dr.  Owlgass 

(Joseph  Fr  an k) IG.") 

Rabelais,  Fr.     Pantagruel.     Erstes  Buch.     Verdeutscht   von  E.  ikgauer 

und  Dr.  Owlgass  (Jose ph  Frank) 165 

Reinhold,  J.    Floire  et  Blancheflor  (W.  Golther) 163 

Rochellave,    S.     George   Sand  et  sa  fille   d'apres  leur  correspondance 

(H.  Gillot) 175 

Rockel,  K.     Goupil.    Eine  semasiologische  Untersuchung  (D.  Behrens)  29 

Rolland,  E.     Faune  populaire  de  la  France  VII  (D.Behrens)   .     .     .  119 

Romanische  Schelmenromane  deutsch  von  J.  Ulrich  (W.   Golther)     .     .     .  164 

Schulausgaben  ( W.  Kalbfl ei sch  und  W.  Küchler) 200 

Schultz- Goi-a,  0.    Altprovenzalisches  Elementarbuch  (L.  Gauchat)     .  115 
Schwend,     F.       Zum      tranzösischen      Unterricht      an      Oberklassen 

(E.  ühlemann) 80 

Sieinweg    C.    Corneille.    Kompositionsstudien  zum  Cid,  Horace,  Cinna, 

Polyeucte  (W.  Küchler) 43 

Suchier,   H,     Die   französische    und   provenzalische  Sprache  und  ihre 

Mundarten  (J.  Huber) 107 

Thomas,  Louis.    La  maladie  et  la  mort  de  Maupassant  (W.  Küchler)  174 
Waidberg,  Max  Freiherr  von.     Der  empfindsame  Roman  in  Frankreich 

(W.  Küchler) 46 

Weston,  Jessie  L.,  The  legend  of  Sir  Perceval  1  {E.  Brugger)     .     .     .  122 

Zangroniz,  J.  de.    Montaigne,   Amyot  et  Saliat  (W.  Martini)     ...  42 

MiSZELLE. 

Hausknecht,  E.     Dr.  phil 82 

NOVITÄTENVERZEICHNIS 83.  207 


Gebhardt,  Jahn  &  Landt  G.  m.  b.  H.,  Berlin  W.- Schöneberg. 


Referate  und  RezeDsionen. 


M^moires  de  la  Soci6te  n^o-pliilologique  ä  Helsingfors 

IV.  Helsiugfors,  Wasenins  (1906).     409  SS.  8». 

Oiva  Joh.  Tallgren,  Las  z  y  5  del  antiguo  castellano  ini- 
ciales  de  silaba,  esiudiadas  en  la  inedita  ''Gaya  de  Segovia  S.  1 — 50, 
dazu  Nachträge  und  Verbesserungen  S.  397 — 401,  untersucht  im 
Anschluß  au  die  Studien  von  Cuervo  und  Ford  auf  die  beiden  Pala- 
tale hin  das  Material,  das  von  dem  in  einer  Madrider  Hs.  enthaltenen 
Traktat  Gaya  ö  Consonantes  de  fPero  Guill^n  de]  Segovia  aus 
dem  letzten  Viertel  des  15.  Jahrb.  geboten  wird.  Dieses  "Werk  scheidet 
die  beiden  Laute  noch  ziemlich  genau,  doch  kommen  bereits  Ver- 
mischungen vor  (S.  33).  Das  Hauptinteresse  liegt  naturgemäß  in  der 
Darstellung  von  lat.  ti  und  ci  zwischen  Vokalen.  Während  das  ton 
Ford  für  tj  aufgestellte  Resultat  z  (unabhängig  vom  Akzent)  sich 
bestätigt  —  an  neuen  sicheren  Beispielen  kommt  allerdings  außei- 
zahlreichen  Wörtern  mit  Suffix  -eza  nur  hezo^  hezar  VITIU  hinzu  — , 
gelangt  er  zu  einer  anderen  Auflassung  bezüglich  ci.  Hier  hatte  Ford 
als  regelmäßige  Entsprechung  g  angenommen  und  die  Ausnahmen 
mehr  oder  weniger  wahrscheinlich  zu  deuten  gewußt.  T.  hält  dagegen 
auch  hier  z  für  das  richtige  Ergebnis;  doch  kommen  außer  mehreren 
neuen  Wörtern  mit  Suffix  a(^o  und  igo  nur  hinzu:  fazana,  das  nichts 
beweist,  da  es,  wenn  die  Ableitung  von  *FACIANIA  überhaupt  richtig 
ist,  von  fazer  beeinflußt  sein  kann,  erizo  und  das  wichtige  lizo 
LiCIU.  Die  widerstreitenden  Worte  mit  f  sucht  er  durch  Annahme 
einer  Entlehnung  aus  anderen  romanischen  Sprachen  —  nicht  für 
alle  Fälle  sehr  wahrscheinlich  —  zu  erklären.  Immerhin  bleiben: 
coragon,  ferner  pedaco,  asp.  amenaca  etc.  neben  amenaza,  judensp. 
amenasar^  neben  -zar-,  judensp.  laso  neben  azo,  riso  neben  rizo; 
und  eigentümlich  ist  es,  daß  die  Bildungen  auf  -iceu,  -aceu,  die 
erweisbar  lateinisch  sind,    c  entweder  allein  oder  neben  ~  aufweisen: 


^)  Sllbak,  Judenspan,  aus  Saloidki.     S.    11. 

2)  Die  übrigen  judenspan.  Belege  aus  der  gründlicheu  Studie  von  Subak, 
Z.f.  r.  Phil.  XXX  (161  ff.).  Auch  dieser  nimmt  gleiche  Behandlung  für  die 
beiden  Lautgrnppen,  jedoch  Verschiedenheit  nach  der  Tonstolle  an:  nachtonig 
s,  vortonig  z.  Jedoch  ist  seine  Erklärung  des  Suffixes  -eza,  forner  von  koras&n 
kaum  annehmbar. 

Ztschr.  f  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI  .  1 


2  lieferaie  und  Rezensionen.     E.  Herzog. 

coraga^  pellipa,  peraga  neben  peraza,  dazu  wahrscheinlich  das  nach 
der  Verbreitung  in  den  romanischen  Sprachen  sich  alt  erweisende 
cedaco,  judensp.  sedaso,  während  die  andern  F<älle  durchwegs  jüngere 
Jiildungen  sind.  Die  schwierige  Frage  bleibt  also  bis  auf  weiteres 
otreu.  —  Die  Herausgabe  des  Traktats,  aus  dem  T.  geschöpft  hat, 
wäre  jedenfalls  wünschenswert,  da  noch  in  anderen  Punkten  wichtige 
Aufklärungen  zu  erwarten  sind. 

Torsten  Söderhjelm,  J)ie  Sprache  in  dem  altfrz.  Martins- 
leben des  PSan  Gatineau  aus  Tours,  eine  Untersuchung  über  Laut- 
verhältnisse und  Flexion.,  Vers  und  Wortschatz  SS.  51 — 233,  gibt 
eingehenden  und  sachkundigen  Aufschluß  über  die  Sprache  und  Metrik 
des  in  mancher  Beziehung  eigentümlichen  Denkmals.  Schade  nur,  daß 
S.  nicht  auch  die  in  manchen  Punkten  beachtenswerten  syntaktischen 
Besonderheiten  in  den  Kreis  seiner  Untersuchung  einbezogen  hat. 
Trotz  der  Ausführlichkeit  wünschte  man  über  manche  Punkte  noch 
bestimmtere  Auskunft;  so  möchte  man  gern  wissen,  welches  die  drei 
Fälle  sind,  in  denen  das  Dativpronomen  li  sein  i  vor  anderen  Wörtern 
als  en  elidiert  (S.  86),  ferner  wie  sich  li  als  nom.  plur.  in  Bezug 
auf  Elision  und  Nicht-Elision  verhält;  auch  wären  wohl  die  Fälle 
genau  anzuführen  gewesen,  wo  sich  in  der  Hs.  die  Schreibung  ei  für 
a  nach  Palatal  findet  (104):  wenn  man  die  Fälle  von  ei  für  ie  aus  e 
(S.  115)  dazuhält,  so  scheint  mir,  als  ob  die  Schreibungen  nicht  wie 
S.  will,  an  bestimmte  Bedingungen  geknüpft  sind. 

Einige  wenige  Bemerkungen  im  Einzelnen:  S.  94,  die  Form 
clief,  die  S.  sonst  nicht  angetroffen  hat,  findet  sich  mit  ähnlichen  in 
Mace  de  la  Charite,  Hs.  P,  (vgl.  meine  Untersuchungen  S.  16),  die 
überhaupt  in  der  Sprache  manche  Ähnlichkeit  mit  Pean  de  Gat.  hat. 

—  S.  130.  Daß  cesse  auf  cessat  zurückgeht,  ist  um  so  wahrschein- 
licher, da  sich  in  pik.  Hss.  ciese  u.  ä.  findet.  —  S.  144.  Vortonig 
Q  -\-  n^  >-  ä.  Genauer:  g  -}-  m,  denn  Belege  existieren  nur  für 
eommeatu,  comput-,  unbet.  homo  vor  konsonantischem  Anlaut.  — 
S.  147  pui  3104,  5095  natürlich  nicht  PUTEU,  sondern  PODIU; 
pois  510  deverbal  zu  peser.  —  S.  151  puist  statt  piiis  in  der 
zweiten  Ausgabe  offenbar  Druckfehler.  —  S.  152.  Die  beiden  Fälle 
von  t>  d  nicht  an  gewisse  vorhergehende  Konsonanten  gebunden; 
sondern  laisarde  Suffixtausch,  rende  abweichendes  Datum  der  Synkope 
des  Zwischenvokals  (vgl,  aragier,  pefrjge).  —  S.  154  cercha  ist 
doch  keine  Ausnahme  von  c"'>ch.  —  S,  170  doivent  3560  muß 
nicht  Konj.  sein.   —  S.  188  romanz  ist   der  ursp.  richtige  Oblicus. 

—  S.  191  jenvres  etc.  keine  Komparativform,  vgl.  8373  (das  Kichtige 
auf  S.   160).   —  S.  224  reboner,  1.  rebondre. 

Hugo  Pipping,  Zur  Theorie  der  Analogiebildung,  S.  235 
bis  318,  unterscheidet  zwei  Arten  der  Analogiebildung,  die  „erhaltende" 
und  die  „schaffende".  Er  nennt  „erhaltende"  diejenige,  die  bewirkt, 
daß  eine  Form  unverändert  bewahrt  wird,  obwohl  sie  sich  nach  den 
Normen  der  regulären  Lautentwickelung  verändern  müßte.    Erhaltende 


Memoires  de  la  Societe  neo-pJdlologique  ä  Helsingfors  IV.  3 

Analogiebildung  wäre  es  also  z.  B.  nach  P.,  wenn  das  Verb  /iazr, 
häissons  nach  dem  Muster  der  andern  Inchoativa  seine  Silbenanzahl 
beNvahrt  trotz  lidine  >  haifie,  raiz  >  rai[fort]  oder  wenn  pleni  ebenso 
viie  plenu,  plenos  etc.  im  altfrz.  mit  ei  erscheint,  trotzdem  wir  nach 
veni  >  vin  *plin  erwarten  müßten.  Bei  der  „schaffenden"  Analogie- 
bildung tritt  eine  Form  zutage,  die  bis  dorthin  nicht  vorhanden  war; 
ein  frz.  Beispiel  wäre  also  aimez  für  amez  etc. 

P.  behauptet  nun,  daß  die  erhaltende  Analogiebildung  eine 
größere  Kraft  besitze  als  die  schaffende.  Durch  diese  stärkere 
Wirkung  sucht  er  eine  große  Reihe  von  Inkonsequenzen,  die  sich  bei 
der  Durchführung  des  Umlauts  in  den  altnordischen  Kompositis,  ferner 
in  der  altnordischen  Deklination  und  Konjugation  ergeben  haben,  zu 
erklären.  Es  kann  nun  nicht  meine  Aufgabe  sein,  in  ein  mir  fern- 
liegendes Fach  eindringend,  die  Richtigkeit  der  Auffassung  des  Vf. 
zu  prüfen;  auch  würde  eine  derartige  Untersuchung  außerhalb  des 
Rahmens  dieser  Zs.  liegen.  Immerhin  möchte  ich  die  Bemerkung 
nicht  unterdrücken,  daß  z.  B.  eine  Verschiedenheit,  wie  sie  zwischen 
hiarg  und  herghüi  besteht,  sich  vielleicht  doch  auch  noch  anders 
befriedigend  erklären  läßt  —  selbst  wenn  man  die  Ansicht  des  Vf. 
teilt,  daß  in  der  Komposition  berga-  das  a  früher  verloren  ging  als 
im  Simplex,  und  daß  zu  jener  Zeit,  wo  a  im  Kompositum  fiel  und  e 
zu  ia  hätte  werden  sollen,  dieser  Wandel  durch  das  Simplex  verhindert 
wurde.  Man  muß  nicht,  wie  ich  glaube,  annehmen,  daß  dann,  als  das 
Simplex  seinerseits  zu  biarg  wurde,  eine  Beeinflussung  von  diesem 
Worte  nicht  mehr  hätte  ausgehen  können,  weil  dies  eine  schaffende 
Analogiebildung,  also  nach  P.  eine  solche  von  geringerer  Kraft,  gewesen 
wäre.  Die  Bestandteile  eines  Kompositums  schließen  sich  ja  immer 
im  Laufe  der  Zeit  enger  aneinander  —  besonders  leicht,  wenn  Silben- 
verlust eintritt  — ,  das  Gefühl  der  Einheitlichkeit  des  Wortes  festigt 
sich;  dadurch  wird  naturgemäß  der  Zusammenhang  mit  dem  Simplex 
etwas  gelockert,  und  das  reicht  hin,  um  das  Nichteintreten  einer 
zweiten  aualogischen  Beeinflußung  zu  verstehen. 

Das  eine  darf  man  wohl  jedenfalls  behaupten,  daß  es  ein  wenig 
gewagt  ist,  Belege  für  einen  erst  zu  beweisenden  prinzipiellen  Satz 
von  ziemlicher  Tragweite  in  einer  Epoche  zu  suchen,  für  die  wir 
nahezu  keinerlei  schriftliches  Material  haben,  für  die  wir  also  auf 
Rekonstruktion  angewiesen  sind.  Nach  meiner  Ansicht  wäre  es 
methodischer  gewesen,  die  Richtigkeit  dieses  Satzes  erst  an 
Hand  von  Erfahrungen  aus  lebenden  Mundarten  oder  zum  mindesten 
von  Belegen  aus  einer  längeren  Epoche  einer  Sprachentwickelung, 
über  die  wir  durch  Literaturdenkmäler  orientiert  sind,  zu  erproben. 
A  priori  hat  die  These  Pippings  unzweifelhaft  manches  für  sich.  Ein 
Romanist  aber  fragt  sich  doch:  wie  ist  es  dann  überhaupt  zu  einer 
Form  leve  <  lavat  gekommen,  die  dann  später  durch  eine  schaffende 
.Analogiebildung  wieder  beseitigt  werden  mußte?  wenn  die  erhaltende 
stärker  ist  als  die  schaffende,  warum  hat  sie  nicht  von  allem  Anfang 

1* 


4  Referate  und  Rezensionen.     E.  Herzog. 

an  die  Bildung  eines  leve  verhindert  und  an  dem  a  des  lateinischen 
festhalten  lassen?  Analoge  Beispiele  würden  sich  gewiß  auch  in 
dem  engeren  Gebiet  Pippings  ergeben  haben. 

Arthur  LTingfors,  Li  'Ave  Marict  en  rounians  par  Huon 
le  Roi  de  Cambrai,  pxibli(^  ponr  la  premiere  fois,  S.  319 — 362, 
gibt  eine  kritische  Ausgabe  dieses  Denkmals.  Es  ist  das  eine  Art 
Paraphrase  des  lateinischen  Ave  Maria  in  achtsilbigen  äquivok 
gereimten  Verspaaren,  in  der  jedes  lateinische  "Wort  dieses  Textes 
als  Ausgangspunkt  für  religiöse  Betrachtungen  dient.  Von  demselben 
Dichter  ist  auch  ein  analoges  Werk:  „li  abeces  par  ekivochc  et  li 
significations  des  lettres"  bekannt,  ferner  .,11  regres  No^tre  Dame", 
„li  ver  de  Ic  mort"  und  ein  .Leben  und  Märtyrertum  St.  Quentius'. 
Das  Ave  Maria  existiert  in  2  Hss.,  deren  Sprache  L.  in  der  Einleitung 
untersucht,  im  Anhang  zu  seiner  Ausgabe  folgt  eine  Notiz  über  andere 
Ave-Mariaparaphrasen,  der  Abdruck  einer  zweiten  anonymen  Dichtung 
in  Heliuandstrophen  und  ein  kurzes  Glossar  zu  beiden  Gedichten. 

Zu  dieser  Ausgabe  hat  bereits  Toblcr  wertvolle  Anmerkungen 
in  der  Zs.  f.  r.  Ph.  XXX  .oSO  f.  veröffentlicht.  Hier  nur  noch  ein 
paar  Kleinigkeiten. 

83     S'enclus  estiens  taut  et  rendu ') 
Ne  li^)  ariemes  re^idu 
Ja  7nais  meris  les  tormens  fers. 

Tobler  will  ja  mais  in  ne  ja  ändern.  Das  ist  wohl  nicht  nöiig, 
mens  könnte  prädikativ  sein  'wir  würden  sie  ihm  als  vergoltene  nicht 
zurückerstattet  haben',  wie  etwa  iwove  in  den  folgenden  Beispielen: 
Si  tost  con  Volcanus  le  sot  Qiii  pris  provez  ('als  überwiesene') 
andeus  les  ot,  s.  Godefroy  s.  prover,  donc  ne  vos  mend)re  Que  ge 
hersoir  en  ceste  chambre  Pris  pronve  vostre  lecheor  Des  tresces 
Bartsch  LL  62434,  iions  Vavons  tote  provee  Avec  un  jovencel  trovee, 
Mace  d.  1.  Ch.  19391.  —  241  ist  mit  11  voirre  zu  lesen  vgl.  243.  — 

289      Oest  Ave  Maria  defin 

Par   TUI  qrii  est  en  la  pn. 

Besser  Cest:  depn  l.Pers.  Präs.  — III 10  clous  1.  cleus,  pikardische 
Form.  Pikardisch  ist  ja  auch  encoire  (:  croire).,  wie  der  Heraus- 
geber selbst  erwähnt. 

Zum  Glossar:  aport  57  nicht  'souticn',  sondern  'das  Gebrachte, 
Herbeigetragene",  gemmer  189  wäre  zu  erwähnen  gewesen,  da 
Godefroy  {g.  1)  blos  ein  Beispiel  gibt,  ebenso  ^ri  =  'Ruf'  (Fama)  198. 

J.  Poirot,  Quantite  et  accent  dynamique  (iravail  du  laboratoire 
de  Physiologie  ä  Vuniversite  de  Helsirigfors,  section  de  pli07i€tique 
expirimentale)  S.  363  —  396,  bekämpft  die  Theorie  Rosengrens,  nach 
der  der  dynamische  Akzent,  mit  dem  die  heutige  Philologie  arbeitet,. 

')  'Wenn  wir  alle  Klausner  und  Ortlensbrüder  wären'  Tohler. 
-J  Jesus  Christus. 


F.  Brunot.     Histoire  de  la  Langue  francaise.  5 

nicht  auf  Wabrnchiuung  einer  giößeren  Ton-  oder  Druckstärke,  sondern 
auf  der  Wabruelimung  der  Quantität  beruht,  auf  der  relativen  Distanz 
eines  Soiioritätsniaximura  vom  andern.  Dieser  hatte  sich  bei  seiner 
Behauptuncr  auf  folgendes  Experiment  gestützt:  Die  Lautverbindungen 
sörrägls,  qttigäs,  in  den  Phonograph  hineingesprochen  und  mit  ver- 
kehrter Walze  reproduziert,  ergaben  nicht  wie  man  meinen  könnte, 
sigarrös,  sagiitd,  sondern  sigdrros,  sagitta.  P.  bat  nun  für  die 
Lautgruppen  sätas,  sätas,  sättas  mit  genauen  Registrierapparaten  die 
musikalische  Höhe  und  die  rela'ive  Stärke  im  Verlauf  der  Artikulation 
der  Vokale  verfolgt,  außerdem  für  die  Lautgruppen  dpa,  dpa,  äppa 
den  Lippendruck  und  die  Muskelspannung  im  Verlauf  der  Artikulation 
der  Konsonanten,  Das  Resultat  der  mühevollen  Untersuchungen  und 
Berechnungen  ist,  daß  die  Wahrnehmung  der  Stärke  bei  dem 
dynamischen  Akzent  tatsächlich  eine  Rolle  spielt;  wenn  man  die 
Kurven  und  Zahlen  verfolgt,  sieht  man  auch  den  Unterschied  zwischen 
betonten  und  unbetonten  Vokalen  deutlich.  Er  gesteht  andrerseits 
R.  zu,  daß  auch  die  Quantität  in  den  Sprachen  mit  dynamischem 
Akzent  eine  große  Rolle  spiele,  ohne  aber  diesen  Punkt  näher  zu 
berühren  und  ohne  uns  zu  sagen,  ob  dieses  Eingeständnis  durch  seine 
experimentellen  Erfahrungen  veranlaßt  wurde.  Die  von  R.  beobachtete 
Erscheinung  [sigdrroa  etc.)  erklärt  sich  durch  den  Umstand,  daß 
bei  Aussprache  von  Doppelkonsonanten  die  Energie  der  Artikulation 
sich  in  dem  vorhergehenden  Vokal  steigert,  in  dem  Doppelkonsonanten 
ihr  Maxiraum  erreicht,  im  nachfolgenden  Vokal  wieder  abnimmt.  Es 
scheint  also  unter  Umständen  eine  Steigerung  des  Druckes  als  Akzent, 
eine  Abnahme  als  Tonlosigkeit  empfunden  zu  werden,  Interessaiit 
ist  übrigens,  daß  jenes  Maximum  in  Doppelkonsonanten  — •  wenigstens 
bei  der  Aussprache  Poirots  und  bei  jenen  ad  hoc  geschaffenen  und 
gesprochenen  Gruppen  —  eigentlich  aus  zwei  Maxima  besteht,  wo- 
durch der  Verfasser  die  von  Sievers  ausgesprochene  Auffassung:  Druck- 
grenze in  der  Mitte  der  Doppelkonsonanten,  bestätigt  siebt. 

Den  Band  beschließt  eine  von  M.  Wasenius  aufgestellte  Liste 
von  Arbeiten,  die  in  den  Jahren  1902 — 1905  in  Finnland  über 
moderne  Sprachen  und  Literaturen  veröffentlicht  wurden, 

Wien,  E.  Herzog. 


Brunot,  F.  Histoire  de  la  Langiie  frangaise  des  origines  d  1900. 
Tome  I:  De  l'epoque  latine  i\  la  Renaissance,  Paris,  Arm, 
Colin   1905.     XXXVHI  u,   547  pp,  8^. 

Brunots  Geschichte  der  französischen  Sprache  ist  aus  den 
Artikeln  hervorgewachsen,  mit  denen  er  Petit  de  JuUevilles  Literatur- 
geschichte begleitet  hat.  Sie  sind  aber  vielfach  erweitert,  verbessert, 
ergänzt  worden,  haben  mit  einem  Wort  eine  so  gründliche  Umarbeitung 
erfahren,  daß  der  Ursprung  zum  großen  Teil  verwischt  ist.    Immerhin 


6  Referate  und  Rezensionen.    E.  Herzog. 

war  durch  diese  Entstehungsweise  der  allgemeine  Plan  vorgezeichuet 
und  durch  diesen  Plan  unterscheidet  sich  Brunots  Werk  wesentlich 
von  den  beiden  andern  historischen  Grammatiken,  die  bis  jetzt  verfaßt 
worden  sind,  der  von  Darmesteter  und  der  von  Nyrop.  Sie  ist 
nämlich  nach  chronologischen  Abschnitten  und  nicht  nach  grammatischen 
Kategorien:  Lautlehre,  Formenlehre  etc.  angeordnet.  Es  zerfällt  alsa 
der  bis  jetzt  vorliegende  erste  Band  im  ganzen  großen  in  vier  Teile; 
der  erste  beliandelt  das  Vulgärlatein,  der  zweite  das  Altfranzosische 
bis  zum  12.  Jahrh.  inkl.,  der  dritte  das  13,  Jahrb.,  der  vierte  das 
14.  u.  15.  Jahrh.  Erst  jeder  dieser  Teile  ist  wieder  in  Laut-, 
Formenlehre,  Syntax  und  Lexikologie  eingeteilt.  Außerdem  wird  der 
Leser  in  einem  voraus-  oder  nachgestellten  Kapitel  über  die  äußere 
Geschichte  der  Epoche  und  Dinge  allgemeiner  Art  informiert. 

Dieser  Plan  hat  unleugbar  manches  für  sich:  Der  Leser  er- 
hält ein  abgeschlossenes  Bild  von  den  einzelnen  Perioden;  er  orientiert 
sich  besser  über  die  Chronologie  der  Vorgänge;  bei  dem  innigen 
Zusammenhang,  der  zwischen  den  einzelnen  Partien  der  Grammatik 
herrscht,  ist  es  oft  nötig,  daß  er  z.  B.  in  die  Formenlehre  und  Syntax 
der  vorhergehenden  Periode  eingeweiht  sei,  um  lautliche  Verschiebungen 
und  besonders  die  Ausnahmen  der  lautlichen  Entwicklung  der  nächsten 
Periode  zu  verstehen.  Andrerseits  hat  aber  diese  Einteilung  auch 
ihre  Nachteile:  sie  setzt  voraus,  daß  die  Wissenschaft  sich  auch  in 
den  Details  zu  einer  chronologischen  Sicherheit  durchgerungen  hat, 
von  der  sie  zumeist  noch  weit  entfernt  ist,  daß  sie,  mit  andern 
Worten,  sichere  Daten  über  das  erste  Auftreten,  über  die  Verbreitung, 
über  das  Absterben  der  Formen,  Wörter,  Fügungen  biete,  was  sehr 
oft  leider  nicht  der  Fall  ist.  Und  so  ergeben  sich  bei  dieser  Be- 
handlung notwendig  allerhand  Unklarheiten,  Widersprüche,  Wieder- 
holungen. Dies  macht  sich  auch  in  Brunots  Buch  fühlbar  und  so- 
gar mehr  als  es  vielleicht  nötig  gewesen  wäre.  Denn  nach  meinem 
Dafürhalten  ist  die  Sonderstellung,  die  die  Sprache  des  13.  Jahrh. 
hier  einnimmt,  keineswegs  berechtigt;  das  Französische  ist  während 
des  12.  13.  Jahrh.  und  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrh.  relativ 
ziemlich  stationär  gewesen  und  diese  Periode  ist  nun  in  drei  ver- 
schiedene Kapitel  zerzogen.  Anderseits  hätte  der  Abschnitt  über  das 
Mittelfranzösische  wohl  ohne  großen  Schaden  das  16.  Jahrh.  mit- 
umfassen können;  zum  mindesten  scheinen  mir  die  Gründe,  mit  denen 
der  Verfasser  S.  533  den  Abschluß  des  ersten  Bandes  an  der  Schwelle 
desselben  zu  rechtfertigen  sucht,  keineswegs  stichhältig. 

Abgesehen  davon  verdient  die  Gründlichkeit  und  Sachlichkeit 
des  Gebotenen  Lob.  Br.  hat  einen  guten  Blick  für  das  Wichtige 
und  Unwichtige.  Überall  waltet  ein  kritisch  abwägender  Geist;  stets 
wird  vor  zu  weit  gehenden  Verallgemeinerungen  gewarnt.  Manchmal 
freilich  werden  vorher  ausgesprochene  Behauptungen  durch  derartige 
kritische  Erwägungen  so  sehr  reduziert  und  eingeengt,  daß  man  sich 
nur  mehr  schwer  zurechtfindet,  z.  B.  wenn  er  S.  108  (ähnlich  schon 


F.  Brunot.     Histoire  de  la  Langue  frangaise.  7 

S.  Vni)  mit  dem  Prinzip  operiert,  daß  gar  zu  kurze  Wörter  wenig 
Lebensfähigkeit  hätten,  auf  derselben  Seite  aucli  behauptet,  daß 
Homonymität  der  Grund  für  den  Verlust  mancher  Wörter  gewesen  sei 
und  beide  Behauptungen  in  Fußnoten  wieder  nahezu  zurücknimmt. 
Dies  zeigt  .sich  besonders  in  den  Abschnitten,  die  von  der  äußern 
Geschichte  der  Sprache  handeln.  Diese  sind  sehr  instruktiv  und  bieten 
reicheres  Material,  als  man  es  sonst  findet  —  freilich  nur  insofern 
als  Vorarbeiten  vorhanden  waren,  aus  denen  Br.  schöpfen  konnte; 
deshalb  fehlt  grade  so  wie  bei  Nyrop  in  dem  Kapitel,  das  die  Verbreitung 
des  Altfranzösischen  außerhalb  des  französischen  Gebiets  behandelt, 
ein  Abschnitt  über  den  Einfluß  der  französischen  Sprache  und  Literatur 
auf  der  iberischen  Halbinsel,  ferner  über  Französisch  auf  provenzalischem 
Sprachgebiet,  worüber  manches  hätte  gesagt  werden  können  und  müssen, 
da  Südfrankreich  damals  ein  schriftsprachlich  getrenntes  Gebiet 
war;  ebenso  vermißt  man  einen  Abschnitt  über  die  Grenzen  des 
französischen  Sprachgebiets  in  Vergangenheit  und  Gegenwart  — .  Hier 
nun  bei  der  Darstellung  der  Gesammtgescbichte  der  Sprache,  ist  man 
bei  der  Beurteilung  des  historischen  Verlaufs  oft  mehr  auf  gewisse 
Anzeichen  als  auf  ein  sicheres  Tatsachenmaterial  angewiesen  und 
diese  Anzeichen,  verschieden  gedeutet  und  gewertet,  konnten  ganz 
verschiedene  Bilder  der  Vorgänge  hervorrufen.  Ein  Beispiel  bietet  das 
Kapitel  über  die  Latinisierung  Galliens.  Die  verschiedenen  sich 
gegenüberstehenden  Ansichten  werden  von  Br.  einer  sehr  skeptischen 
Prüfung  unterzogen  und  die  Zeugnisse  der  lateinischen  Schriftsteller 
auf  das  genaueste  geprüft.  Dieses  Abwägen  ist  ja  gewiß  von  Nutzen 
und  förderte  allerhand  neue  Momente  zutage;  nur  wünschte  man,  daß 
sich  die  Ansichten  des  Verfassers  unter  den  kritischen  Schleiern, 
die  sie  maskieren,  deutlicher  abheben  als  es  der  Fall  ist. 

Was  den  grammatischen  Teil  selbst  betrifft,  so  hat  sich  der 
Verfasser  nicht  damit  begnügt,  die  vorhandene  Literatur  recht  sorgfältig 
heranzuziehen;  er  hat  sich  auch  dort,  wo  sie  Lücken  läßt  —  und  das 
war  besonders  für  die  syntaktischen  und  lexikalischen  Teile  der  Fall, 
ferner  in  der  mittelfranzösischen  Periode  in  jeder  Beziehung  —  durch 
eigene  umfangreiche  Sammlungen  das  nötige  Material  versorgt  und  da- 
durch manche  neue  und  wichtige  Erkenntnis  ermöglicht.  In  Discussionen 
über  strittige  Punkte  läßt  sich  der  Verfasser  —  in  hinsieht  der  haupt- 
sächlich didaktischen  Zwecke,  die  er  verfolgt,  mit  Recht  —  nur  in 
Ausnahmsfällen  ein.  Überhaupt  ist  es  ihm  mehr  um  die  Konstatiruug 
als  um  die  Erklärung  der  Tatsachen  zu  tun.  Freilich  begegnen  ihm 
manchmal,  wenn  auch  im  ganzen  selten,  mehr  oder  minder  bedenkliche 
Entgleisungen,  die  zeigen,  daß  er  den  Stoff  mehr  äußerlich  aufgenommen 
als  innerlich  verarbeitet  hat  und  daß  er  besonders  in  der  alten  Sprache 
nicht  so  sattelfest  ist,  wie  man  es  wünschte  und  wie  es  sich  für  den 
Autor  eines  solchen  Buches  eigentlich  von  selbst  verstünde.  Das  werden 
manche  der  Einzelheiten  beweisen,  die  ich  mir  bei  der  Benützung 
des  Buches  notiert  habe  und  die  ich  nun  vorführe. 


8  Referate  und  Rezensionen.     E.  Herzog. 

S.  64.  Ann).  4.  Es  ist  nicht  recht  klar,  wie  der  Grammatiker 
Consentius  die  Form  trinta  meinen  konnte,  als  er  die  Aussprache 
triginta  tadelte. 

S.  69.  'ce  ne  fut  guero  que  dans  TEst  de  la  Ganle  qu'il  {w) 
sc  pronon^a  tel  quel.'  Auch  im  Norden;  vgl.  Gil.  Atl.  626,  672. 
Nichtig  auf  S.  311. 

S.  70.  Die  Ansicht,  daß  der  Wandel  von  intervokalisch  h>  v 
dadurch  daß  er  Futur  und  Perfekt  zusammenfallen  ließ,  zum  Untergang 
des  ersteren  beigetragen  hat,  wäre  an  und  für  sich  kaum  haltbar  und 
stimmt  auch  deshalb  nicht,  weil  das  vulgärlateinische  Perfectum  der 
I.  Konjug.  in  der  3.  Sg.  — aut  (oder  \.  — a?;^?),  — at  aufwies,  ent- 
sprechend wol  in  der  1.  PI.  und  das  sind  die  einzigen  Formen,  die 
in  betracht  kämen. 

S.  73.  Die  Vermutung,  daß  es  sich  in  Fällen  wie  veclum 
statt  vetulum  um  einen  Sufiixtausch  handelt,  wird  Beispielen  wie 
stloppus  >  "^sdoppus  {praeter schqmverit  Lex  Sah),  stlitis  >  sclitis 
nicht  gerecht. 

S.  74.  Es  scheint,  daß  man  sich  auf  spanisch  encia  nicht  berufen 
kann,  um  eine  dissimilierte  Form  *cfinciva  für  gwgiva  wahrscheinlich 
zu  machen;  es  hieß  vermutlich  altsp.  enzia,  Tallgren,  Mem.  de  la 
Sog.  nSoph.  a  Hels.  IV  19.  enzia  >  encia  wie  senziello  <  sencillo 
Ford,  Old  span.  sib.  27  f. 

S.  75.  Warum  schon  vulgärlt.  dictu  >  dlctu,  also  eine  so 
frühe  Abtrennung  der  südöstlichen  Mundarten  in  diesem  Punkt? 

S.  77.  .,Toutefois  il  semble  quo  des  cette  cpoque  (latin  parle) 
la  forme  neutre  etait  bien  indistincte  dans  les  noms  et  les  adjectifs." 
Das  Neutrum  der  Adjectiva  existierte  doch  bis  weit  in  die  altfranzösische 
Zeit  hinein,  wie  richtig  S.   183  konstatiert  wird. 

Ebda,  carcer  war  doch  kein  Neutrum! 

S.  78.  fortia  und  wahrscheinlich  auch  campania  waren  nicht 
ursprünglich  neutra  plur. 

S.  79.  Anmerkung  1.  sedcs  ist  doch  kein  Wort  der  b.,socrus 
keines  der  3.  Deklination. 

S.  80.  Die  Diskussionen,  die  sich  zwischen  den  lateinischen 
Grammatikern  erhoben,  wie  viele  Endungen  es  im  Nominativ  Singul. 
gäbe,  beweisen  bloß,  daß  sie  noch  nicht  die  induktive,  auf  möglichst 
viel  Material  gestützte  Methode  der  modernen  Linguistik  kannten. 
Die  Grammatiker  werden  denn  doch  für  jedes  schriftlateinische 
Wort  die  Endung  gut  genug  gewußt  haben,  um  sich  nicht  durch  die 
Analogiebildungen  der  Vulgärsprachen  verwirren  zu  lassen. 

S.  80.  Die  Annahme,  daß  im  vulgärlateinischcn  das  Gerundium 
(g6rondif)  im  schwinden  begriüen  war,  ist  mir  unverständlich. 

S.  88.  Man  weiß  jetzt,  daß  ein  nigrescire  statt  nigrescere 
nie  bestanden  hat. 

S.  89.  tenire,  nocere  fürs  Vulgärlateinische  anzusetzen,  besteht 
kein  Grund. 


F.  Brunot.     Histoire  df  la  Ijcwgiie  francaise.  0 

S.  90.  f.  Wendungen  wie  properant  sanctae,  civitatis  prosterna- 
mus  terrae^  terrae  decuhuerunt,  die  wir  bei  spätlateinischen  Autoren 
linden,  legen  wohl  nicht  Zeugenschaft  für  die  Ausbreitung  des  Dativs  im 
vulgärlateinischen  ab.  Es  dürfte  sich  im  Gegenteil  um  verkehrte 
Sprechweisen  handeln;  da  in  der  Vulgärsprache  ad  oft  eintrat,  wo 
man  im  klassischen  Latein  Dativ  setzte,  so  vergriff  man  sich  wohl 
gelegentlich  bei  dem  Bestreben,  sich  von  der  vulgären  Ausdrucksweise 
zu  entfernen. 

S.  96.     In  eo  anno  u.  dgl.  gut  lateinisch. 

S.  97.  Daß  die  mit  ecce  verbundenen  Formen  des  Dem.-  Pron. 
allein  demonstrative  Kraft  bewahrten,  durfte  mit  Rücksicht  auf  den 
S.  233,  462  erwähiiten  Gebrauch  von  altfrz.  Je  und  das  vereinzelte 
Fortleben  von  istu  {est)  und  ipsu  {es)  nicht  gesagt  werden. 

S.  106.  In  der  Liste  der  vulgärlateinischen  Wörter,  die  in  andern 
rom.  Sprachen  erhalten  sind,  im  französischem  aber  nicht,  sind  zu 
tilgen  intivgcre  (afr.  enteindre),  tincta  {leinte),  trihida  (Gdfr.  triihle  1), 
absentia  (sp.  ausencia  gelehrt!);  unsicher  sind  actu  (das  spanische 
Wort  sicher,  das  italienische  Wort  wahrscheinlicli  gelehrt),  timore 
uva  turrna  (altfranzösisch  dialektisch  temour  uve  torme  nicht  notwendig 
gelehrt). 

S.  108.  Daß  je  ein  JMoment  kam,  respektive  gekommen  wäre, 
wo  hospitium  und  auspiciimi  zusammenfielen,  wird  mancher  billig 
bezweifeln. 

S.  109.  Der  Verfasser  spricht  von  den  Verlusten  der  vulgär- 
lateinischen Sprache,  der  Verarmung,  die  dadurch  erzeugt  wurde,  dem  oft 
fehlenden  oder  nur  unvollständigen  Ersatz  für  verloren  gegangenes  Gut. 
Aber  hier  sieht  er  die  Vorgänge  entschieden  nicht  im  rechten  Licht  und 
vergißt  ganz  ihre  andere  Seite,  nämlich  den  Zuwachs,  den  die  vulgäre 
Sprache  durch  Ableitung,  Entlehnung,  vielleicht  auch  Neuschöpfung 
erfahren  hat.  Gewiß  sind  diese  Gewinnste  der  Sprache  nicht  darauf 
zurückzuführen,  daß  sie  früher  Verluste  erlitten  hat,  die  nun  ersetzt 
werden  mußten;  sondern  offenbar  hat  in  vielen  Fällen  gerade  der  Reich- 
tum, der  £0  entstanden  war,  eine  Auswahl  des  Lebensfähigsten  veranlaßt 
und  damit  Aufgeben  von  lateinischem  Gut.  W^enn  Dr.  z.  F..  sagt:  ,^vir 
etait  insuffisamment  remplace  par  ]wmo\  splendorem  et  nitorem  par 
claritatem;  tenehras  et  obsciiritatem  i)ar  nigritatem;  litliis,  oj^am  et 
ripam  par  le  seul  ri'pam\  alia,  cetera,  reliqua  par  le  seul  altera"', 
so  ist  ja  einiges  davon  nicht  unrichtig;  aber  es  ist  nicht  zu  übersehen, 
daß  a)  andererseits  ein  Teil  der  Gebrauchssfäre  von  vir  durch  haro, 
ein  anderer  durch  maritus  gedeckt  wurde,  welch  letzteres,  ursprünglich 
Adjektiv,  in  dieser  Verwendung  wieder  von  sposiis,  maritaius  abgelöst 
wurde;  b)  splendore  ist  vielleicht  nicht  völlig  aufgegeben  worden, 
sondern  erst  von  esplendissor  verdrängt  worden  als  das  Verbum  selbst 
die  inchoative  Gestalt  angenonmien  hatte,  ähnlich  wie  resplendissance 
ein    älteres    '*resplendance    (prov.    resplandm^a    aus    resphndentia, 


10  Referate  und  Rezensionen.     E.  Herzog. 

[August,];  fehlt  bei  Körting)  verdrängt  haben  mag;  dann  hat  es  jeden- 
falls auf  die  Bildung  von  resplendor  Einfluß  gehabt,  neben  dem  in 
gleicher  Weise  resptendissor  zustande  kam.  Für  nitore  haben  wir  das 
jedenfalls  schon  lateiniscbe  Hucore,  vielleicht  auch  *relucentia,  auch 
lucerna  berührte  sich  z.  T.  c)  obscuritate  besteht  als  oscurte  weiter; 
an  seiner  Volkstümlichkeit  zu  zweifeln  haben  wir  keinen  Grund;  was 
aber  ienehras  betrifft,  so  wissen  wir  nicht,  ob  sich  die  Sache  so  verhält, 
daß  das  Wort  für  einige  Zeit  ganz  verschwunden  wäre,  und  dann 
wieder  in  der  Gestalt  tenebres  aus  dem  lateinischen  entlehnt  wurde. 
Es  könnte  sich  auch  ganz  gut  so  verhalten  haben,  daß  ursprünglich 
neben  einem  volkstümlichen  *tenevras>  *tenievres  oder  ä.  eine  gelehrte 
Form  tenebres  bestanden  hat,  von  der  dann  tenebror  weiter  gebildet 
wurde,  wie  etwa  im  altfranzosischen  die  Formen  verte  und  verite 
einträchtig  nebeneinander  hergehen.  Das  Fortleben  von  tenebras  in  volks- 
tümlicher Gestalt  in  andern  romanischen  Sprachen,  das  Weiterbestehen 
von  tenebricu  >  tenerge  spricht  vielleicht  eher  für  die  zweite  Möglichkeit. 
Dann  hätten  wir  aber  statt  der  angeblichen  Armut  im  Gegenteil  Reichtum,, 
sogar  Überfluß,  d)  für  das  verloren  gegangene  littus  haben  wir  an 
Neubildungen  zu  verzeichnen  *ripaiicu,  *ripale,  ripariu,  -a;  ora 
ist  überhaupt  nicht  verloren  gegangen,  ein  Beispiel  bringt  Gdfr.  ore 
3,  und  jedenfalls  besteht  die  männliche  Form  eur,  ferner  '^orida  > 
orle;  daneben  hat  costa  und  costaria  die  in  Frage  stehende  Bedeutung 
übernommen.  Nun  läßt  sich  allerdings  nicht  feststellen,  wie  weit  diese 
Neubildungen,  respektive  Bedeutungsverschiebuugen  zurückreichen,  aber 
auch  nicht  wie  lange  das  lateinische  litus  bestanden  hat.  e)  wenn 
auch  alia  nicht  mehr  besteht,  so  ist  doch  noch  alid,  vorhanden,  das 
sich  in  der  Verwendung  z.  T.  damit  deckt.  In  die  Sfäre  von  cetera^ 
reliqua  teilen  sich  im  altfranzösischen  le  sourplus,  le  sourfait,  le  demev- 
rant.  Wann  diese  Ausdrücke  aufkommen,  die  andern  absterben,  ist  eben- 
falls unsicher.  —  Ich  bin  näher  auf  diesen  Punkt  eingegangen,  weil  ich 
es  für  gewagt  halte,  ein  Urteil  über  Wortreichtum  oder  Wortarmut 
einer  Periode  abzugeben,  deren  Sprache  sich  in  keinerlei  Denkmälern 
getreu  wiederspiegelt.  Dasselbe  gilt  dann  auch  für  die  auf  S.  110. 
erwähnten  angeblich  ohne  Ersatz  verschwundenen  Wörter.  Wenn  vieles 
davon  auch  auf  den  ersten  Anblick  richtig  scheint,  so  ist  doch  nicht 
zu  vergessen,  daß  oft  eine  Idee,  die  früher  durch  ein  Wort  der  einen 
Wortkategorie  ausgedrückt  wurde,  nun  bei  veränderter  Konstruktion 
in  einer  anderen  Wortart  wiedergegeben  sein  mag,  ein  Substantiv  durch 
ein  Verb,  ein  Adjektiv  durch  ein  Substantiv  etc.  Was  der  Lateiner 
durch  eine  Fügung  mit  opinio  ausdrückte,  konnte  im  altfranzosischen 
ganz  anders  gewendet  mit  croire,  sembler^  vis  est,  a  vis  est  etc. 
gesagt  werden,  was  dem  Lateiner  necessarium  schien,  für  das  bestand 
beim  Franzosen  ein  mestier,  oder  auch  Fügungen  mit  estovoir,  avoir 
a,  estre  a,  devoir  konnten  das  lateinische  Adjektiv  ersetzen.  Eine 
Sprache  mag  noch  so  reich  sein,  wenn  man  aus  einer  anderen  in  sie  über- 
setzt, wird  man  oft  zu  ähnlichem  Konstruktionswechsel  greifen  müssen. 


F.  Brunot.     Histoire  de  la  Langue  franpaise.  1 1 

"Was  die  Abstrakta  betrifft,  so  ist  ja  gewiß  kein  Zweifel  daran  möglich, 
daß  die  Vulgärsprache  daran  ärmer  war  als  die  klassische;  aber 
wenn  auch  manches  unersetzt  bleibt,  so  ist  doch  wieder  daran  zu  er- 
innern, daß  sich  manches  herausbildet,  das  wieder  in  der  klassischen 
Sprache  schwerlich  eine  genaue  Entsprechung  findet;  ich  erinnere  an 
altfranzösisch  estre  und  nonchaloir,  an  franchise  und  cointise,  etiui, 
felonie,  fiance^  mesure  etc.  Und  noch  einmal:  wenn  wir  nicht  wissen, 
wann  diese  Ausdrücke  mit  den  ihnen  eigenen  Bedeutungen  entstanden 
sind,  so  wissen  wir  auch  nicht,  wann  die  klassisch  lateinischen  verloren 
gingen,  wissen  ferner  nicht,  ob  in  der  Zwischenzeit  von  mehr  als 
einem  halben  Jahrtausend,  über  die  wir  so  schlecht  orientiert  sind, 
weil  die  Autoren,  die  lateinisch  schreiben,  mit  Bewußtsein  sich  der 
aufkommenden  Neologismen  zu  enthalten  trachten,  nicht  mancherlei 
anstanden  ist  und  gelebt  hat,  was  nachher  wieder  verschwand,  ohne 
eine  Spur  zu  hinterlassen. 

S.  111.  Brunot  spricht  vom  Suölxtausch.  Als  Anhang:  'le 
phenomene  se  produit  parfois  par  analogie  .  .  .":    immer. 

S.  114,  mitricia.     Kein  Stern. 

S.  117.  pausare  ist  kein  Frequentativ  zu  ponere,  wenn  es  auch 
später  als  solches  empfunden  wurde. 

S.  127.  jplevir  (irrtümlich  mit  Stern).  Die  Etymologie  germ. 
plehan  mehr  als  fraglich. 

S.  140.  Wie  manatiat  das  frz.  menace  besser  erklären  soll  als 
minatiat,  verstehe  ich  nicht. 

S.  154.  Die  Vorgänge,  die  sich  abspielten,  wenn  auf  den  betonten 
Vokat  ein  jotazierter  Laut  folgt,  sind  nicht  sehr  verständlich  dargestellt. 
Man  begreift  nicht,  wie  hier  von  Deckung  und  Nicht-Deckung  durch 
y  gesprochen  werden  konnte. 

S.  156.  'tserc(e)no  (quercinum)^cerne\  Kaum  annehmbar. 
Wieso  e  in  der  ersten  Silbe? 

ebda.  '11  est  arrive  qu'une  voyelle  s'est  trouvee  entre  uu  y 
anterieur  et  un  y  posterieur.  Elle  s'est  etranglee  entre  les  deux,  .  .  . 
et  a  disparu.'  Das  gilt  denn  doch  nicht  für  alle  Vokale?  junxi::>- 
joins;    gaudia  >  joie. 

S.  164.  'Le  changemcnt  (Die  zweite  Palatalisieruug  des  c,  campu, 
caru)  fut  assez  rapide  pour  etre  accompli  avant  que  a  passät  ä  e, 
sans  quoi  cabo  (capiU)  devenu  cebo  aurait  donne  sief  et  non  chief. 
Es  ist  unglaublich,  wie  zähe  sich  dieser  gedankenlose  Fehlschluß 
erhält!  Auch  Nyrop  hat  ihn  noch  in  der  zweiten  Auflage  §171, 
253,  trotzdem  ich  schon  Littbl.  1900  Sp.  (S^  darauf  hinwies.  Wenn 
das  dort  Gesagte  noch  nicht  genügt,  so  erlaube  ich  mir  auf  pik. 
caru  >  kier,  kapu  >  /«V/,  franca  >  franke  hinzuweisen,  wo  über- 
haupt keine  Assibilation  stattfand,  um  endlich  das  Unsinnige  der 
Folgerung  ad  oculos  zu  demonstrieren. 


12  Referate  und  Rezensionen.     E.  Herzog. 

S.  196.  Per  Verfasser  spricht  vom  Verschwinden  des  zweiten 
Imperativs,  des  Supins,  des  Part,  fut.,  des  Inf.  fut.  'Peu  apres,  le 
vicux  plns-quc-parfait  disparut  ä  son  tour'.  Da  könnten  etwa  5  —  6 
Jahrhunderte  dazwischen  liegen. 

S.  199.  ' jiotyo  kann  mit  Rücksicht  auf  den  Konjunktiv  praes., 
der  nicht  davon  getrennt  werden  darf,  nicht  die  Grundform  von  puis  sein. 

S.  210.  öS  ^M,  ez  tu  wohl  irrtümlich;  ich  finde  bloß  aste  (tei)., 
ete  {toi)  u.  ä. 

S.  211.  doresnavant  für  dores  en  avant  scheint  nicht  vor  dem 
1 5.  Jahrh.  zu  begegnen. 

S.  213.  Volifan  car  sunez  ist  doch  keine  'affirraation'. 

S.  221.  'Le  dativ  a  ete  remplace  par  l'accusatif:  .  .  .  que  son 
fradre  Karlo  jvrat  .  .  .  ;  Veinpereor  si  toldrat  la  curone  ...  'Es 
ist  aber  die  Frage,  ob  wir  es  hier  mit  einer  syntaktischen  oder  einer 
morphologischen  Erscheinung  zu  tun  haben.  Da  das  letztere  an- 
genommen werden  mußj  so  ist  'remplace'  nicht  das  richtige  Wort 
und  die  Bemerkung  gehört  überhaupt  nicht  dorthin,  wo  sie  steht. 

S.  228.  Dctreffs  der  betonten  Obl.-Form  in  se  lui  piaist  u. 
dgl.  s.  Rj'dberg,  Zur  Gesch.  des  frz.  d  Il525flf.  Die  Lektüre  dieses 
IJuches  hätte  dem  Verfasser  gezeigt,  daß  hier  doch  nicht  so  ein  Wirr- 
warr besteht,  wie  er  glaubt. 

S.  232.  70  ne  fui  a  l'estur  commencier  u.  dgl.  gehört  nicht 
in  die  Rubrik  'Infinitiv  und  Artikel.' 

S.  237.  Es  wird  über  reflexive  Verba  gesprochen,  die  zum  in- 
transitiven Gebrauch  übergehen.  Von  den  Beispielen  ist  gewiß  zu 
streichen:  Teds  Olivier,  wo  der  intransitive  Gebrauch  der  ältere  ist, 
aus  demselben  Grund  wahrscheinlich  A  halte  voiz  2?rist  li  pedre  a 
rrider.  Anch  die  ursprünglich  passive  Fügung  il  fut  levez  gehört 
in  ein  andres  Kapitel,  wenn  auch  von  hier  ans  sich  die  hier  behan- 
delten Schwankungen  vermutlich  erklären. 

S.  246.  Es  ist  kaum  richtig  zu  sagen,  daß  das  part.  praes. 
gewisse  Funktionen  des  lat.  Gerundiums  geerbt  hat;  in  a  espandant 
etc.  haben  wir  wohl  eine  direkte  Fortsetzung  desselben  zu  erblicken 
(Tobler,    VB.  Vbl). 

S.  252.  Port  wo  Br,  über  die  Bedingungssätze  spricht,  heißt  es 
zum  Schluß:  'la  coujonction  peut  etre  omise:  Fast  i  li  reis,  ni 
(1.  nH)  öussum  damage  .  .  .'  So  wird  der  ursprünglich  interrogative 
Charakter  des  ersten  Satzes  gänzlich  verkannt. 

S.  264  ff.  Das  Kapitel  über  die  Wortstellung  im  altfrz.  ist 
eines  der  'v9rworrcnsten  und  unklarsten.  Einerseits  und  besonders 
deshalb,  weil  der  Vf.  statt  sich  an  Prosadenkmäler  zu  halten,  fast 
durchwegs  poetische  herangezogen  hat,  die  natürlich  unter  dem  Zwang 
der  Metrik  stehen,  andererseits  weil  Br.  die  Stelle  des  Verbunis  (ob 
1.  oder  2.  Platz)  nicht  genügend  beachtet  und  nicht  zum  Mittelpunkt 


jF.  Brunot.     Histoire  de  la  Langue  francaise.  13 

der  ganzen  Untersuchung  gemacht  hat.  Die  ünterscheidnugen,  die 
er  aufstellt,  sind  sehr  äußerlich  und  gehen  nirgends  auf  den  Kern  der 
Sache  ein.  So  heißt  es  S.  271  über  das  unhet.  Pronomen:  In 
Behauptungssätzen  gewöhnlich  vor  dem  Verb,  in  Befehlsätzeu  vor  dem 
negativen,  nach  dem  positiven  Imperativ,  aber  Ausnahmen  von  der 
letzten  Regel  häufig:  ca  vos  traiiez  etc.  Der  Vf.  scheint  nicht  zu 
ahnen,  daß  die  Unterscheidung,  ob  Behauptungs-  oder  Befehlsatz,  ob 
positiv  oder  negativ,  in  jener  Periode  gar  keine  Rolle  spielt,  sondern 
daß  die  Stellung  des  Pronomens  einzig  von  der  Stelle  des  Verbs 
abhängt. 

S.  306.  Das  über  intervok.  d  im  provz.  Gesagte  ist  irreführend. 
d  im  Boeci  mag  ein  altertümlicher  Zug  sein.  Sonst  aber  haben  wir 
dialektliche  Verschiedenheiten:  d  zum  Teil  bis  heute  bewahrt,  z.  T. 
>  z,  z.  T.  Schwund.     Vgl.  z.  B.   Gil.  Ail.  359,  364,  1067. 

S.   311.     g  bleibt  im  pikard.  statt  zu  j  zu  werden;  lies:  g  vor  a. 

S.  316.  Betreffs  der  Behandlung  a  >  ie  im  Burg,  mußten 
Einschränkungen  gemacht  werden:  curiez,  jurie  zeigt  tatsächlich  eine 
andere  Behandlung,  als  das  franzische,  wegen  des  vorhergehenden 
ür;  die  gleiche  Abweichung  bekanntlich  im  lothring. ;  commandieres 
aber  ist  Analogiebildung. 

S.  329.  Das  Chrestien  de  Troyes  in  hohem  Maß  dem  Einfluß 
der  Pariser  Sprache  unterliegt  und  von  seinem  Champagnisch  nur 
einige  Besonderheiten  bewahrt,  ist  eine  Behauptung,  die  man  nicht 
so  ohne  jeden  Beweis  aufstellen  darf. 

S.  332.  Wieso  in  perillex  l'estor  zwei  sicli  widersprechende 
Schreibungen? 

S.  338.  Man  trifft  im  13.  Jahrh.  li  (pers.  prou.)  wo  mau  le 
erwartete.  Beispiele:  Qui  laborer  faille  li  voüle:  li  der  bekannte 
unbetonte  Subjektsdativ  bei  faire  -f  infin.;  pur  li  quere:  li  bekannte 
Nebenform  des  betonten  lui  vor  Infinitiv. 

S.  352  A.  1.  Veve  levons,  achete  achetons  sind  keine  Reste 
der  altfrz.  Ablautsverhältnisse. 

S.  384.  Französische  Einflüsse,  spez.  bei  Kürenberg,  müßten 
doch  wohl  erst  nachgewiesen  werden.     Savelingen  1.  Sevelingen. 

S.  405.  Reime  wie  matere:  retrere,  pere  beweisen  nicht 
ie>'e;  matere  kann  in  dieser  Form  aus  dem  lat.  entlehnt  sein. 
Ebensowenig  beweist  der  Reim  traittee  -  nuittee. 

S.  407.  apparcoivent  u.  ä.,  car  können  doch  nicht  als  Bei- 
spiele für  den  mittelfrz.  Wandel  des  e  vor  r  zu  a  angeführt  werden. 

S.  410.  Als  Beispiele  für  tfw  >  €m  werden  angeführt:  desseure{I); 
reput,  deput,  urent  {!).  Ähnlich  schon  S.  197  rectut,  S.  449  firent^ 
virent  als  'formes  nouvelles'. 

S.  412.  Daß  sich  die  Auflösung  der  alten  Inklinationen  A;«'*-,  sis 
etc.  durch  den  Einfluß  der  Orthographie  und  der  Prosodie  erklärt, 
ist  unwahrscheinlich. 


14  Rejeraie  und  Rezensionen.     E.  Herzog. 

S.  439.  Die  Form  arestit  im  Aue.  und  sonst  darf  nicht  als 
Beweis  für  die  Konjugationsmiscliung  im  Perf.  angeführt  werden. 
•esiit  =  ^stetiiit. 

Ebda.  Vf.  si)richt  von  einer  Ausbreitung  des  Infinitivs  auf  -iV, 
zu  Ungunsten  von  -ei\  Aber  von  den  Beispielen,  die  er  gibt,  ist 
aveuglir  eine  von  Anfang  an  bestehende  Nebenform  zu  aveugler, 
beides  denominale  Bildungen,  und  die  drei  anderen  Beispiele  aus 
Greban  hat  Br.  offenbar  aus  dem  der  Ausgabe  beigegebenen  Glossar 
ausgeschrieben,  ohne  die  Stellen  selbst  nachzuschlagen,  denn  an  keiner 
iindet  sich  ein  Infinitiv:  mxirrmirirent  gehört  in  das  Kapitel  über  das 
Perf.,  deposti  kommt  von  einem  denominalen  Verb  despoestir,  das 
selten,  aber  immer  noch  häufiger  begegnet  als  despoester;  bleibt  das 
Part,  desevrg  (28651),  gegen  das  ich  übrigens  auch  Bedenken  habe. 
Vielleicht  ist  mit  Rücksicht  auf  die  anderen  Reime  der  Helinand- 
strophe  deservi  zu  lesen:  Or  fönt  de  vie  deservi  mit  einer  Be- 
deutung, wie  sie  ähnlich  im  Ave  Maria  von  Huon  de  Cambrai  (Mein.  See. 
neoph.  Helsingf.  IV  336,  v.  78)  und  in  der  von  Tobler  Z.  f.  rom. 
Phil.  XXX  581   zitierten  Stelle  vorkommt. 

S.  443.  Oue7it  ist  die  ältere  Form,  obwohl  oijent  dem  lat. 
audiunt  zu  entsprechen  scheint  (nur  scheinbar!  vgl.  die  späteren 
Formen  2.  oi's,  3.  oit). 

S.  450.     quest  verschwindet  nicht  erst  im  mittelfrz.  vor  -quis. 

S.  458.  In  den  Beispielen  für  mon  ton  son  statt  m'  t'  s' 
(man  weiß  übrigens  nicht  recht,  wie  das  in  die  Syntax  kommt)  ist 
Chev.  au  1,  5713  (=5721  Fö)  zu  tilgen:  mon  cssoine  ne  mon  afaire; 
beide  Wörter  sind  mask.,  vgl.  2590,  2598. 

S.  489.  daß  Chr.  de  Tr.  fet  (mit  e)  schrieb,  ist  eine  kühne 
Behauptung. 

Ebda.  Daß  belle^  celle  in  Eul.  latinisierende  Graphien  sind, 
mag  man  bezweifeln.  Eul.  schreibt  übrigens  nicht  nulle.,  sondern 
niule.  Diesen  Unterschied  hätte  v.  Ettmayer  in  seinem  interessanten 
Artikel  über  U  (Gröbers  Z,  XXX  524  f)  immerhin  nicht  stillschweigend 
übergehen  sollen;  vgl,  diese  Ztscli.  XXVP  197. 

Ebda.  Br.  gibt  eine  Stelle  aus  Cliges  in  phonetischer  Um- 
schrift, um  das  Verhalten  von  Aussprache  und  Orthographie  zu  jener 
Zeit  zu  zeigen.  Für  ^st  mit  g  stützt  er  sich  auf  den  Reim  mit  prest 
(Yv.  2602),  aber  dieses  Wort  halte  vermutlich  e.  Besser  geeignet 
wäre  est:  plest  (L.  291),  aber  die  Stelle  ist  kritisch  äußerst  unsicher. 
Wer  freilich  mit  Foerster  annimmt,  daß  bei  Chr.  e  und  ^  durchwegs 
unter  ^  zusammengefallen  sind,  braucht  überhaupt  keine  Reime  anzu- 
führen. Ob  Br.  das  Richtige  trifft,  wenn  er  bereits  für  Chr.  c  (^pucele, 
ce)  durchwegs  =  s  setzt,  weiß  ich  nicht. 

S.  o06.  rohes  Unges  ist  keine  'coraposition  par  apposition', 
sondern  l.  hat  hier  seine  alte  adjektivische  Geltung  bewahrt. 

Wenn  ich  das  Gesagte  noch  in  ein  Gesamturteil  zusammenfassen 
soll,    so    würde  ich    sagen,    daß  Br.s  Buch  heute  das  brauchbarste 


Gaston  Paris.    Esquisse  historique  de  la  litteraiure  frangaise.     15 

Hilfsmittel  ist,  wenn  es  sich  darum  handelt,  einen  Gesaratüberblick 
über  die  Entwicklung  der  frz.  Sprache  in  deren  einzelnen  Perioden 
zu  gewinnen.  Die  Details  dagegen  kann  man,  wie  die  obigen  Be- 
merkungen zeigen,  —  es  konnte  naturgemäß  nur  eine  Auswahl 
geboten  werden  —  nur  mit  äußerster  Vorsicht  und  nach  gründlicher 
Überprüfung  _  benutzen, 

Wien.  E.  Herzog. 

Paris,  Gaston.  Esquisse  historique  de  la  litiSrature  frangaise 
au  moyen  age  (depuis  les  orgincs  jusqu'ä  la  flu  du  XVe 
s.)  Paris,  Armand  Colin  1907   8°  XH  u.  320  S.  Pr.:  3  fr.  50. 

Das  letzte  Werk,  das  G.  Paris  geschrieben  hat  und  das  nun  erst 
in  vollständigem  Originaltext  vorliegt,  darf  schon  an  und  für  sich 
des  lebhaftesten  Interesses  weitester  Kreise  sicher  sein.  Aber  auch 
ihrer  selbst  wegen  ist  diese  historische  Skizze  der  altfranzösischen 
Literatur  äußerst  lesenswert.  Bietet  sie  uns  doch  nicht  etwa,  wie 
so  viele  andere,  welche  einen  ähnlichen  Titel  tragen,  einen  armseligen 
Auszug,  oder  eine  Compilation  zweiter  oder  dritter  Hand  aus  aus- 
führlicheren Darstellungen,  die  selbst  wieder  der  Hauptsache  nach  auf 
fremder  Forschung  beruhen,  sundern  gewissermaßen  das  Resume  der 
rund  40 -jährigen  überaus  fruchtbaren  und  vielseitigen  Lebensarbeit 
des  Verfassers.  Das  Avant-propos  betont,  daß  G.  Paris  diese  Arbeit  nicht 
als  eine  eigentliche  Geschichte  der  französischen  Literatur  im  Mittel- 
alter angesehen  haben  möchte.  Er  habe  sich  vielmehr  attache  sur- 
tout  ä  faire  ressortir  les  traits  vraiment  signißcatifs  de  la  production 
intellectuelle  et  artistique  du  moyen  äge  francais,  habe  sich  bemüht 
ä  relever  dans  cette  production  les  amvres  qui  faraissent  le  mieux 
exprimer  le  genie  7iational,  l'esprit  d'une  epoque  et  d'une  sociStS,  ou 
encore  celles  qui  ont  agi  sur  le  developpement  littSraire  des  autres 
nations.  Niemand  war  zu  einer  solchen  Arbeit  mehr  befähigt  als  gerade 
G.  Paris,  dessen  zahlreiche  grundlegende  Einzeluntersuchungen  und  Aus- 
gaben eine  zusammenfassende  Darstellung  und  Beurteilung  überhaupt  erst 
ermöglicht  haben.  Überall  bei  der  Lektüre  des  Buches  steht  der 
Leser  unter  dem  Eindrucke,  daß  der  Verfasser  über  die  breiteste 
Kenntniß  verfügt,  mit  voller  Kompetenz  urteilt  und,  wie  die  Herausgeber 
mit  Recht  bemerken,  beim  Schreiben  n''avait  d'effort  a  faire  que  pour 
se  restraindre.  So  wird  denn  auch  des  Lesers  Wißbegierde  nirgends 
eigentlich  befriedigt  sondern  ihm  vielmehr  Anregung  zu  weiteren  und  vor 
allem  zu  selbständigen  Studien  gegeben.  Die  ganze  Anlage  des  Werkes, 
diese  Betrachtungsweise  aus  der  Vogelperspektive  macht  die  Lektüre 
auch  für  den  Fortgeschritteneren  wie  für  den  eigentlichen  Fachmann 
zu   einer   reichen  Gewinn    und   hohen  Genuß   bringenden. 

Mancher  wird  zunächst  die  Esquisse  für  im  wesentlichen  identisch 
mit  der  seit  1888  in  3  Auflagen  eischieneuen  „Littirature  francaise  au 
moyen-äge'-'  desselben  Verfassers  halten.  Letztere  hat  ja  so  ziemlich  den 


16  Referate  und  Rezensionen.     JE.  Stengel, 

selben  Umfang  und  wiirtlc  von  G.  Paris  selbst  auch  als  eine  esquisse 
de  la  liiterature  fran^aise  au  moyen  ä(/e  bezeichnet.  Sie  will  aber 
im  Gegensatz  zur  Esquisse  wesentlich  akademischen  Unterrichtszwecken 
dienen  und  ist  aus  Vorlesungen  in  der  Ecole  des  hautes  ^tudes  her- 
voi'gegangen.  Sie  beabsichtigt,  vorwiegend  französischen  Studierenden 
eine  erste  Orientierung  zu  ermöglichen  und  ihnen  gleichzeitig  die 
Kenntnis  des  derzeitigen  Standes  der  Forschung  in  den  einzelnen  Gebieten 
und  Fragen  zu  vermitteln,  kurz  sie  verfolgt  im  wesentlichen  dasselbe 
Ziel,  das  neuerdings  speziell  für  angehende  deutsche  Romanisten 
C.  Voretzsch  mit  seiner  umfangreicheren  Einführung  in  das  Studium 
der  altfranzösischen  Literatur  im  Auge  hat.  Die  Esquisse  dagegen 
ist  im  Sommer  1901  in  Cerisy-la-Salle  in  einem  Zuge  niedergeschrieben 
und  zwar  auf  Veranlasseng  eines  englischen  Verlegers  und  auch  zu- 
erst in  dessen  Sammlung  der  Temple  Cyclopädic  Primers  in  englischer 
etwas  verkürzter  Übertragung  erschienen.  Während  die  LittSrature 
tunlichst  vollständig  die  uns  bekannten  Literaturerzeugnisse  des  älteren 
Frankreich  verzeichnen  und  kurz  charakterisieren  will  und  den 
gesammten  Stoff  nach  Literaturgattungen  (profane  und  religiöse  Literatur, 
jede  in  4  Sektionen,  die  erzählende,  didaktische,  lyrische,  dramatische 
und  diese  wieder  in  verschiedene  Kapitel  gegliedert)  behandelt,  hat 
die  Esquisse  grundsätzlich  davon  abgesehen  ä  donner  des  poetes 
et  des  ^cnvains.,  non  plus  que  des  nombreuses  oeuvres  anonymes 
de  V ancienne France  une  enumSration  quelque peu  compVete,  betrachtet 
vielmehr  die  Literatur  und  ihre  einzelnen  Erscheinungen  spicialement 
sous  son  aspect  social  et  dans  sa  signification  historique,  und  stellt 
sie  demgemäß  auch  nach  historischen  Perioden  dar.  Sie  unterscheidet 
deren  7:  fepoque  merovigienne,  carolingienne,  des  premiers  CapÜiens, 
douzihne  et  treizihne,  treizieme  et  quatorzieme  siecles,  phnode  de 
la  guevre  des  Cent  Ans  und  quinzieme  siede  apres  la  guerre  de 
Cent  Ans.  Die  literarischen  Erzeugnisse  der  beiden  letzten  Perioden 
werden  erst  in  der  Esquisse  in  die  Darstellung  einbezogen,  und  gerade 
über  sie  war  es  bisher  verhältnismäßig  noch  am  schwersten  sich  ein 
Gesammtbild  zu  verschaffen. 

G.Paris  hatte  sich  von  vornherein  vorbehalten  neben  der  englischen 
Ausgabe  auch  eine  französische  erscheinen  zu  lassen,  wollte  für  letztere 
aber  sein  Ms.  einer  erneuten  Revision  unterziehen.  Dazu  ist  er  leider 
nur  noch  teilweise  gekommen.  So  haben  denn  Paul  Desjardin  und 
Paul  Meyer  die  Herausgabe  besorgt  und  sie  hielten  sich  natürlich  nur 
berechtigtdieunerläßlichsten  Glättungen,  Ergänzungen  undBerichtigungen 
an  Paris  Manuscript  vorzunehmen.  Immerhin  bietet  der  vorliegende 
Band  gegenüber  dem  englischen  Shilling- Primer,  abgesehen  von  weiterem 
Satz,  ParagraphenzähluugundKapitelinlialtsangaben  noch  rund  25  Seiten 
Text  mehr,  die  vordem  aus  Raummangel  unterdrückt  waren,  ferner  eine 
Anzahl  Anmerkungen,  die  bis  zu  §  160  vom  Verfasser  selbst  herrühren, 
von  da  an  aber  durch  bibliographische  Nachweise  Meyers  zu  dem 
Rest  des  Textes  ergänzt  sind,  und  endlich  einen  ausführlichen  Iudex. 


Gaston  Paris.    Esquisse  liistorlque  de  la  Utterature  frangaise.      17 

Um  noch  einige  Einzellieiten  zu  erwähnen  oder  nachzutragen 
sei  Folgendes  angeführt:  S.  70  f.  deutet  G.Paris  seine  Ansicht  ül)er 
die  Vorstufen  der  uns  erlialtenen  Roland-Redaktion,  die  sich  für  ihn 
aus  Turpin  und  dem  Carmen  ermitteln  ließen,  mit  keinem  Worte 
mehr  an.  Wenn  wir  damit  eine  Äußerung  im  Vorwort  der  7.  Auflage 
(der  letzten,,  welche  er  besorgen  konnte)  seiner  Extraits  de  la  Chanson 
de  Roland  in  Verbinduug  bringen,  welche  lautet  les  questions  relatives 
ä  la  date,  ä  VeiSment  historique,  ä  la  genese  meme  de  notr"  poeme 
national,  sont  en  ce  moment  ä  Vordre  du  jour  et  fai  inoi-meme 
essayS  d^orietifer  les  recherches  dans  iine  voie  en  partie  nouveUe 
(s.  Revue  de  Paris  1900  15.  Sept.)  .  .  .  L'introduction  de  Vedition 
'prochaine,  si  je  puis  la  donner  sera  saus  doute  serieusement  remanie, 
so  scheint  es  fast,  als  wenn  er  an  der  Richtigkeit  seiner  früheren 
Ansicht  zweifelhaft  geworden  wäre.  Ich  benutze  diesen  Anlaß  auch,  um 
gleich  auf  eine  die  Rolandsage  betreffende  Bemerkung  in  einem 
jüngst  erschienenen  Aufsatz  M.  Tangls:  „Das  Testament  Fulrads  von 
Saint-Denis"  (abgedr.  im  Neuen  Archiv  d.  Gesellsch.  f.  ältere  deutsche 
Geschichtskunde  1906  B.  32  S.  169 — 217)  wenigstens  kurz  hinzuweisen. 
Unter  der  angeblich  aus  dem  Jahr  777  stammenden,  aber  nach  Tangl 
erst  am  Ende  des  9.  oder  am  Anfange  des  10.  Jahrhs.  gefälschten 
Urkunde  (Paris  Arch.  nat.  K.  7  n.  P),  mittelst  deren  Abt  Fulrad 
von  St-Denis  an  das  Kloster  Leberau  seinen  Besitz  schenkt,  findet 
sich  neben  vielen  anderen  Zeut^enunterschriften  auch  das  „Signum 
Rotlani  comitis.'*  Dieser  Name,  bemerkt  Tangl  S.  206,  sei  überein- 
stimmend auf  den  Titelhelden  des  Rolandsliedes  gedeutet  worden, 
und  da  der  Fälscher  die  Unterschrift  gemeinsam  mit  der  Karls 
des  Großen  selbst  als  Aufputz  seinem  Machwerk  einfügte,  bleibe 
wohl  darüber  auch  kein  Zweifel  Damit  werde  aber  die  Urkunde 
wohl  zum  frühesten  bestimmten  Zeugnis  für  Ausbildung  und  Verbreitung 
der  Rolandsage,  wenn  man  nämlich  Rolands  Erwähnung  in  Eiiihards 
Vita  Karoli,  die  auffälliger  Weise  in  der  wichtigen  B-Klas^e  der  Hss. 
fehlt,  noch  als  ausreichendes  Zeugais  für  die  historische  Exi^tenz 
dieser  Persönlichkeit  ansehen  wolle.  Nur  ein  Bedenken  möchte  ich 
dagegen  ueltend  machen:  Man  sollte  erwarten,  daß  es  in  der  Urkunde, 
nicht  Signum  Rotlani  sondern  Signum  Rotlandi  heiße.  Über  dieses 
Bedenken  wird  schwer  hinwegzukommen  sein.  —  S.  147  Die  Angabe, 
von  der  Vie  de  sainte  Foi  d'Agen  sei  nur  der  Anfang  erhalten,  trifft 
nicht  mehr  zu,  seitdem  der  wertvolle  Text  in  Leyden  wieder  aufgefunden 
und  Rom.  XXXI  177  ff.  abgedruckt  worden  ist.  —  S.  150.  Entsprechend 
der  tatsächlichen  Textüberlieferung  und  in  Übereinstimmung  mit  der 
allgemeinen  bisherigen  Ansicht  bemerkt  P.  hinsichtlich  J.  Bodels  Jeu 
de  s.  Nicolai,  daß  es  offre  tour  ä  tour  deux  aspects:  l'un  hSroique 
et  grand  .  .  .  l'autre  populaire  et  rSaiiste.  Sämmtliclie  Kneip-,  Spiel- 
und  andere  Szenen,  welche  letzteren  Charakter  an  sich  tragen,  lassen 
sich  aber  ohne  Schwierigkeit  aus  dem  von  nur  einer  Hs.  ül)erlief(,'rten 
Texte  ausscheiden  upd  geben  sich  auch  durch  eine  metrische  Neuerung 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI».  2 


18  Referate  und  Rezensionen.     JE.  Stengel, 

als  jüngere  Zusätze  zu  erkennen.  Sie  sind  nämlich  sämtlich  nicht 
nur  in  S-silbigon  Reimpaaren  abgefaßt,  sondern  zeigen  auch  schon  die 
wirklich  erst  bei  Rustebuef  und  Adan  de  la  Haie  übliche  Reimverkettung 
der  einzelnen  Reden,  la  regle  ancienJie,  die  G.  Paris  S.  268  erwähnt. 
Von  Stellen,  die  diese  Eigi'utündichkeit  aufweisen,  la>sen  sich  einzig 
die  12  Zeilen  1341 — 1352  der  Manzscheu  Ausgabe  nicht  gut  beseitigen. 
Ich  nehme  aber  an,  daß  die  zweimalige  Reimverkettung,  welche  sich 
hier  zeigt,  eine  rein  zufällige  ist.  Sonst  entsteht  nach  Tilgung  der 
Z.  115  —  170,  251—314,^339—348,  595—998,  1029  —  1190, 
1281  —  1296,  1307—1340,  1353—1384,  1475  —  1518,  d.h.  von  im 
ganzen  722  Zeilen  auf  eine  Gesaratzahl  von  1540,  eine  in  sich  ge- 
schlossene Szenenkette,  welche  das  Mirakel  ohne  unnötiges  Beiwerk 
völlig  ausreichend  zur  Darstellung  bringt.  Beachtenswert  ist  besonders, 
daß  die  Stelle  999  —  1028,  die  inmitten  der  langen  Trinker-  und 
Spielerszenen  595  —  1190  steht,  aber  im  Gegensatz  zu  ihrer  Um- 
gebung in  der  für  die  echten  Szenen  charakteristischen  6-zeiligen 
Strophe  (aab  aab)  abgefaßt  ist,  für  den  alten  Text  nicht  entbehrt 
werden  kann.  Ein  gewisses  Bedenken  erwecken  nur  die  Zeilen 
1023 — 1028,  die,  obwohl  in  der  Schweifreimstrophe  abgefaßt,  doch 
als  unächt  anzusehen  sind,  weil  nämlich  1024  deutlich  auf  die  der 
Interpolation  zugehörigen  Verse  992  Bezug  nimmt.  Bemerken  will  ich 
schließlich,  daß  auch  sprachlich  sich  die  alten  von  den  jüngeren  Partien 
des  Stückes  ziemlich  deutlich  abheben,  wie  sich  das  schon  aus  den 
betreffenden  Zusammenstellungen  in  Manz's  Einleitung  erkennen  läßt. 

—  S.  161.  Es  ist  ein  Versehen,  wenn  der  Donat  proensal  gegenüber 
Raimon  Vidals  Rasos  als  jünger  hingestellt  wird,  vielleicht  nur  unab- 
sichtlich ist  Uc  Faidit  niclit  als  Verfasser  des  Donat  genannt.  Seine 
Autorschaft  wird  füglich  nicht  weiter  in  Zweifel  gezogen  werden 
können.  —  S.  164  f.  Auffällig  kurz  scheint  mir  die  volkstümlichere 
altfranzösische  Lyrik  behandelt  zu  sein.  Auch  an  späteren  Stellen 
werden  weder  die  wichtigen  Oxforder  Balletes  noch  die  von  G.  Paris 
selbst  herausgegebenen   Chansons    du  KV.   siede  irgendwie  erwähnt. 

—  S.  202  f.  Eine  ähnliche  Vermutung  wie  bezüglich  des  Jeu  de  s. 
j\^colas  möchte  ich  betreffs  des  Jeu  de  la  Feuillie  von  Adam  de 
la  Haie  aussprechen.  Obwohl  uns  das  Stück  teilweise  in  drei  Hss. 
überkommen  ist,  scheint  doch  der  allen  Hss.  zu  Grunde  liegende  Text 
bereits  jüngere  Zusätze  aufzuweisen.  Als  ein  solcher  kennzeichnet 
sich  inhaltlich  recht  deutlich  der  Abschluß  der  Feens^ene  (836— 873 
des  Rambeauschen  Textes).  Er  ist  in  6-zeiligen  8-Silbner Strophen 
verfaßt.  Die  gleiche  Form  zeigen  nur  noch  die  Zeilen  33 — 182,  welche 
die  langatmige  Schilderung  Adams  von  den  ehemaligen  Reizen  seiner 
Frau  und  von  ihrer  derzeitigen  Häßlichkeit  enthalten  und  die  Z. 
1091 — 96  mit  den  entbehrlichen  Schlußworten  des  Mönchs.  Durch 
die   Entfernung    aller    drei   Stellen    würde  das   Stück   nur  gewinnen. 

—  S.  273  ist  1542  durch  Druckfehler  statt  1548  als  das  Jahr 
angegeben,  in  welchem  das  Parlamentsverbot  der  Mysterienaufführungeu 


Elias  Barjols.     Le  troubadour  Elias  Barjols.  19 

erlassen  wurde.  Irreführender  ist  das  Versehen  ebenda,  wonach  gegen 
1420  Eustache  Marcade  eine  Passion  verfußt  hätte  und  gegen  1440 
eine  zweite  derartige  Dichtung  in  Arras  aufgeführt  worden  wäre.  Es 
handelt  sich  natürlich  nur  um  einen  und  denselben  Text,  dessen 
Autorschaft  ich  aber  noch  jetzt  Eustache  Marcade  absprechen  möchte. 
—  S.  281  Von  J.  Milet  sollen  wir  nur  seine  Histoire  de  Troye 
besitzen.  Hiergegen  möchte  ich  auf  das  Gedicht  Forest  de  Tristesse 
hinweisen,  das  Plaget  wiedergefunden  zu  haben  glaulit,  und  woraus 
er  auch  bereits  in  Rom.  XXII  23Tff.  Proben  mitgeteilt  hat.  Vergleiche 
dazu  überdies  Roman.  Jahresbericht  IW^  133  —  Ebenda  wird  la 
moralite  de  Grisüidis  (1480)  angeführt,  dasselbe  Stück,  welches 
bereits  S.  239  als  jeu  de  Giiseldis  (1395)  genannt  war.  Es  ist 
die  von  Groeneveld  1888  abgedruckte  Estoire  de  Griseldis  aus  dem 
Jahre  1395,  welche  in  einem  undatierten  Inkunabeldruck  mystere  de 
Griselidis  betitelt  wird.  —  In  den  bibliographischen  Anmerkungen 
vermisse  ich  zu  §  179  die  Angabe  von  Groenevelds  eben  erwähnter 
Ausgabe,  ebenso  zu  §  198  die  der  anonymen  Ausgabe  von  Eloys  de 
Amerval  Grand  Diablerie  aus  dem  Jahre  1884,  zu  §  202  die  von 
E.  Roys  Buch  über  das  Passionsmyster  in  Frankreich  im  14.  u.  15.  Jh. 
Die  Angabe  zu  §  189:  Le  recueil  de  contes  de  Philippe  de 
VigneuUes  existe  en  son  entier  en  un  ms.  autographe  qui  appartient 
ä  un  particulier  erregt  die  Wißbegierde  des  Lesers  ohne  ihre  Be- 
friedigung irgendwie  zu  ermöglichen.  Wer  ist  der  glückliche  Besitzer? 
Etwa  derselbe,  dem  auch  eine  Hs.  von  Phil,  de  VigneuUes  Prosabe- 
arbeitung der  Lothringergeste  gehört? 

Greifswald.  E.  Stengel. 


Elias  Barjols.  Le  troubadour  Elias  Barjols  edition  critique 
publice  avec  une  introduction  des  Notes  et  un  Glossaire  par 
Stanilas  *S^ron.'/a  Toulouse,  E.  Privat  1906  8"  LIV  159  S. 
(Bibliotheque  meridionale  F®  serie  IX). 

Vorliegende  recht  sorgfältige  Einzelausgabe  der  Lieder  von 
Elias  Barjols  hat  sich  der  Unterstützung  von  A.  Thomas  und  A.  Jeanroy 
zu  erfreuen  gehabt,  Sie  bietet  zunächst  eine  Introduction,  dann 
S.  1 — 40  den  Text  von  12  Liedern,  1  Partimen  und  2  Descorts, 
deren  Autorschaft  der  Herausgeber  für  Elias  Barjols  gesichert  oder 
wenigstens  wahrscheinlich  hält,  weiterhin  einen  recht  umfangreichen 
Kommentar  (S.  41 — 110)  und  schließlich  ein,  wie  es  scheint,  er- 
schöpfendes Glossaire  nebst  Namenindex.  Vermißt  habe  ich  eine 
übersichtliche  Zusammenstellung  der  verwendeten  Strophenformen,  die 
namentlich  bei  der  Entscheiilung  darüber,  auf  welche  Lieder  Elias 
Barjols  Anspruch  erheben  kann,  wesentliche  Dienste  zu  leisten  vermag 
Ich  setze  sie  darum  gleich  hier  her: 

2' 


20  Referate  und  Rezensionen,     K.  Stengel. 

Vn    abba|cddc:    5  Str.,    Durchreim:     -ut,    -en,    -ensa,    -ah; 
7  887     7>  8  8  7-  2  Torn.;    c' d  d  c';  B.  Gr.  132,  1. 

VI    8  7  8  7  I  8  7'  7'  8  :  5  Str.,  Durclir.:  -an,  -os,  -e,  -aire;  2  Torn.; 
B.  Gr.  106,  9; 

XII    7  5  7  5  I  8  7'  7'  8  :  5  Str..  Durclir.:   -or,  -ir,  -e,  -aire;    2  Tom.; 
B.  Gr.  132,  4; 

X    7  7  8  7  I  7  7'  7'  7  :  5  Str.,  Durchr. :  -e,  -ai,  -en,  -ansa;  2  Torn.; 
B.  Gr.  132,   11; 

XI    7  7  8  7  1  7'  7  7  7'  :  5  Str.,  Durchr.:    -es,  -ors,  -ia,  -ir;    2  Torn.; 
B.  Gr.  132,  9;    nur  in  CR; 

VIII    abba|cccc:  Str.   1.  3.  5.  Torn.  2;    B.  Gr.   132,  7; 

'7787       7'  7  7  7' 
112  3 

I  c  c  c  c  :  Str.  2.  4.  Torn.  1 :    -atz^   -os,  -ire,  -ir\ 
Im   Str.- Abschluß    zeigen   abwechselnd   die   ersten   oder   letzten 
beiden  Zeilen  bis  auf  den  Geschlechts-Unterschied  gleiche  Reimworte. 

I    a'bba'bbcc:5  Str.,  Durchr. :    -ia,  -os,  -an;   B.  Gr.  132,  5 

7  B  7  7  7  7  1010  „ur  In  CE 

XIII    a  b  b  a  I  c' c' d  d  :  7  Silbn.,  5  Str.  Durchr.:   -o,  -as,  -ida,  -cns 

1   Torn.;  B.  Gr.  132,  2;    nur  Ea^; 
XrV    abba|c'c'dd  :  5  Str.  Durchr.:    -o,  -ir,  -ia,  -ai;    2  Torn.; 

8  8  8  8      8  8  1010    B.  Gr.   132,   8;    Elias  de  B.  CE,  Falquet  de 

Romans  C  reg.  R  2. 

V    abbac'dd|c'ee:5  Str.,  Durchr.:   -er,  -ir,  -aire,  -ieus,  -en\ 
8  88  8  10  1010    101010    i  Tom.;    B.  Gr.  132,    10;    nur   in  CR. 

n    a  b  b  c'  c'  I  d  c'  d  d  :  5  Str.,  Durchr.:   -ag,  -e,  -ia,  -er]    1  Torn.; 
8  8  8  10  10    10  10  10  10  B.  Gr.  132,  3;   nur  in  C.  (Vgl.  240,  4  u.  5 

unten) 

IX    ab  c'  d  I  d  eef  f  :  5  Str.  Durchr.:    -ieus,   -or,   -ida,   -en,  -es, 
77  7    8     88  86  10  .{re;    B.  Gr.   132,    6;    nur  in  CR. 

XV    a'b  a'b  a' b  I  a' b  a'  :  10  S.,  4  Str.,  Reimwechsel:  -uga,  -enz; 
-enda,  -o;    -ire,   -an;    -enza,  -es;    2  Torn.;    B.  Gr.   131,    2; 

nur  in  a;    Partimen. 
m    1.    a'a'a'b    a' a' a' b    2.    c' b  c' b    c' b  c' b    3.    d' d' e    d'd'e 

4667       4667  585  8       5858  455      455 

-enta,  -ai;  -ia,  -ai;  -ansa,  -en; 

d'd'e  d'd'e     4.    ffg  gffg  |  f  f  g  gffg 

455     455  5625562        5525552 

-ia,  es;     1  Torn.:    ffg  gffg;    B.  Gr. 
132,  13;    Descort. 

IV    1.    a  V  a  b'  a  b'  a  V     2.    c  d'  c  d'  c  d'  c  d'    3.    e'  f  e  f  e'  f  e'  f 

7575  7575       7575   7575       66666  6  66 

'ieu,        -ira,  -i,        -ansa;  -aya,     -aire; 


Elias  Barjols.     Le  trouhadour  Elias  Barjols.  21 

4.    g  g  g  h  g  g  g  h  s  g  h  g  g  h :    -ai, -e 

44444444448448 
88        88        88       88 

Tora  1 :  f  f  f  res.;  Torn  2 :  h  h  h  h  h  h  8  S.;  ß.  Gr.  132,  12 ;  Descort. 

Man  ersieht  aus  der  Tabelle,  daß  die  Doppel-Vierzeile  mit 
Schließreim  die  Grundform  der  Lieder  von  Elias  Barjols  bildet,  daß 
er  gern  das  Silbenschema,  welches  für  die  Melodie  allein  maßgebend 
ist,  mit  der  Reimformel  in  Widerspruch  setzt  und  dann  noch  dazu 
den  Stropbengruudstock  disharmonisch  gestaltet. 

Die  Einleitung  erörtert  zunächst  die  ziemlich  dürftigen 
biographischen  Daten  aus  der  alten  Lebensbeschreibung  und  den 
Gedichten.  Ich  gehe  darauf  weiter  nicht  ein,  um  spezieller  die  Dar- 
legungen Stronskis  nachprüfen  zu  können,  welche  die  Echtheit  oder 
Unechtheit  der  dem  Dichter  zugeschriebenen  Lieder  betreffen.  Die 
sich  danach  für  die  Biographie  ergebenden  Konsequenzen  mögen  späteren 
Erwägungen  überlassen  bleiben.  Zweifel  sollen  nach  St.  nur  hinsichtlich 
derjenigen  Stücke  bestehen,  welche  „dans  certains  manuscrits,  plus  ou 
moins  nomhreux  sont  donnees  comme  anonymes  ou  appartenant  ä 
d^autres  troubadours.''  Doch  scheint  mir  auch  für  die  Lieder,  welche 
uns  nur  durch  eine  einzige  Hs.  oder  eine  bestimmte  Hs.-Gruppe  über- 
liefert sind,  die  Zugehörigkeit  keineswegs  von  vornherein  gesichert  zu 
sein.  In  vorstehender  Tabelle  habe  ich  durch  Beifügung  der  fraglichen 
Hs3.  die  derartigen  Lieder  kenntlich  gemacht.  Bei  XI  wird  man  nun 
zwar,  auch  von  Seiten  der  strophischen  Form  aus,  wegen  der  engen 
Verwandschaft  mit  X  und  VIII  keinerlei  Bedenken  erheben  können. 
Auch  I  wird  aus  ähnlichem  Grunde  als  Eigentum  Elias  Barjols,  als  ein 
Jugendwerk  anerkannt  werden  können,  wenn  auch  die  zweite  Vierzeile 
hier  nicht  Schließreime,  sondern  paarweise  gebundene  zeigt.  Weiter 
entfernt  sich  von  des  Trobadors  Technik  aber  die  ganz  banale  Form 
XIII,  bei  der  auch  die  Disharmonie  des  Silbenschemas  in  der  ersten 
Vierzeile  fehlt.  Dasselbe  gilt  von  der  Form  V,  deren  Doppel- Vier- 
zeile ein  weiteres  Reimpaar  ist.  Bei  II  und  IX  handelt  es  sich  dann 
überhaupt  nicht  mehr  um  eine  Doppel- Vierzeile.  Es  muß  also  wenigstens 
bei  II  und  IX,  wahrscheinlich  aber  auch  bei  XIII  und  V  unseres 
Dichters  Autorschaft  als  recht  zweifelhaft  erscheinen,  um  so  mehr 
als  1,  der  Versteckname  Ses-Enjan  II  46  sich  nirgends  sonst  bei  ihm 
findet  (cf.  S.  XVI  und  43),  2.  auf  die  contessa  de  Savoia  der  Tornada 
von  IX,  zwar  auch  in  Tornada  1  von  X  angespielt  wird,  aber  die 
Echtheit  dieser  nur  von  einer  Hss.-Gruppe  KI  Du  überlieferten  Tornada 
selbst  zweifelhaft  bleibt,  3.  XIII  zwar  von  zwei  scheinbar  nicht  zu- 
sammengehörigen Hss.  Ea  überliefert  wird,  in  beiden  aber  als  letztes 
Lied  unseres  Dichters  unmittelbar  vor  denen  seines  Namensvetters 
Elias  Cairel  eingetragen  ist,  und  als  die  im  Texte  enthaltenen  Au- 
spiegelungen  durchaus  nicht  im  Zusammenhang  mit  Elias  Barjols  zu 
stehen  brauchen  (ürigcns  vermisse  ich  la  comtessa  Biairis  XIII 
46—47    im  Index),   4.   die  pros  comtessa  von  V  51  durchaus  nicht 


22  Referate  und  Rezensionen.     E.  Siengel. 

mit  der  valen  comtessa  de  Proenssa  in  VI— VIII  identifiziert  zu 
werden  braucht.  Ich  kann  also  der  entj^egcngesctzten  Ansicht  St. 's 
hinsichtlich  II,  V,  IX,  XIII  in  der  Anm.  zu  S.  XXV  nicht  zustimmen. 

Von  den  Gedichten,  für  welche  die  Hss.  verschiedene  Attrioutionen 
bieten,  will  Str.  die  Nummern  III,  IV,  VI,  VII,  VIII,  X,  XII  un- 
bedenklich Ehas  Cairel  zuschreiben,  und  sehe  auch  ich  nichts,  was  sich 
vom  Standpunkte  ihrer  Strophenformen  dagegen  geltend  machen  ließe. 
Zweifelhaft  erscheinen  ihm  XIV  und  XV.  E.  B.'s  Autorschaft  an  XV 
scheint  ihm  jedoch  höchst  wahrscheinlich  und  ich  stimme  ihm  bei,  da  die 
ziemlich  abweichende,  aber  ziemlich  einfache  Strophenform  bei  einem 
Parümen  unanstößig  erscheint.  Anders  liegt  die  Sache  bei  XIV.  Hier  hat 
schon  St.  selbst  ein  metrisches  Moment  hervorgehoben,  das  gegen 
Elias  B.  und  für  Folquet  Romans  in  die  Wagschalo  fällt :  die  häufigen 
und  starken  Vers-Enjambements.  Ich  glaube,  daß  die  Strophenform 
den  Ausschlag  für  letzteren  gibt.  Man  vergleiche  insbesondere  Folquet 
Romans'  Lied  IV  in  Zenkers  Ausgabe  (Halle  1896)  =  B.  Gr.  156,  3. 

Umgekehrt  entscheidet  sich  der  Herausgeber  entschieden  gegen 
Elias  B.'s  Autorschaft  bei  den  Liedern  B.  Gr.  240,  6;  249,  5;  326,  1; 
366, 2.  Bei  den  letzten  drei  mit  vollem  Recht,  ob  aber  auch  bei  240,  6  will 
mir  recht  zweifelhaft  erscheinen.  Zwar  teilt  dies  Lied  nur  D  unserra 
Dichter  zu,  aber  auch  die  Attribution  sowohl  an  Giraldo  lo  Ros  wie  an 
Peire  Vidal  findet  sich  nur  in  je  einer  bestimmten  Hss.-Gruppe.  Der 
Text  ist  nach  CIR  von  Bartsch  S.  129  f.  seiner  Peire  Vidal-Ausgabe 
gedruckt,  Cobla  3  und  2  stehen  übrigens  auch  anonym  unter  den 
Coblas  esparsas  von  J  Bl.  13  b  no.  23  und  24  (s.  Savj-Lopez  Abdruck 
n  Studj  di  fil.  rom.  IX).  Weder  hier  noch  in  D  51a,  von  dessen  Text 
ch  Abschrift  besitze,  zeigt  der  Text  besonders  beachtenswerte  (und 
gegenüber  denen  von  I  abweichende)  Varianten.  Inhaltlich  bemerkt  St. 
S.  XXXII:  „Cette  chanson  ne  contient  aucun  nom  propre  ...  et  n'a  rien 
de  frappant  dans  son  contenu  (assez  rapproche  d'ailleurs  de  celui  de  la 
plupart  des  chansons  d'Elias)."  Ungenau  \>i  die  dazwischen  geschobene 
Bemerkung:  „eile  a  la  forme  la  plus  simple  et  la  plus  frequente  de 
la  cohla  encadenada'"'- ;    denn  die  Strophenforra  lautet: 

abba  c'ddc':5  Str.,  Durchreim:  -ors,  -atz,  -ia,  -ans;  keine 

8  7  8  8  7  8  8  7  Toruada. 

Sie  läßt  also  deutlich  die  Eigenheiten  der  Strophe  von  Elias 
Barjols  (Doppelvierzeile  mit  Schließreim  und  Widerspruch  zwischen 
Silbenschema  und  Reimformel,  mit  ausgeprägter  Disharmonie  in  der 
ersten  Vierzeile)  erkennen  und  ist  keineswegs  die  einfachste  und 
häufigste  Form  der  cobla  encadenada,  (Maus  uo.  579  ig  hat  aller- 
dings das  Silbenschema  ebenso  wie  bei  den  entsprechenden  anderen 
Liedern  uuseres  Dichters  verkannt).  In  schroffem  Gegensatz  zu  ihr 
stehen  die  Formen  der  weiteren  7  Lieder,  welche  Bartsch  unter  Guiraudo 
lo  Ros  verzeichnet.     Ich  setze  sie  hierher. 

240, 7a'bba'  ccdd:  10  S.;    4  Str.,  Durchr.:    -ansa,  -ans,  -es,  ir; 
keine  Torn.  (vgl.  M.  W.  3.  171;  D  368) 


Guiraxd  von   Calanso.     Das  Sirrenies   „?adet  joglar'-'.       23 

2  a  b  b  a  c'  c'  d  d  c'  :  5  Str.,  Durchr.:  -or,  -anli,  -ensa,  -ir;  keine 

7  7  77  10  10  101010  Xorn.  (M.  W.   3,   172) 

1    abbalc'deed:  Str.   1.  3.  5.  Tom.:  -ors,  -e,  -eya,  -ai,  -ens 
d  ee  d     c'abba  :  Str.  2.  4.  6.;  (M.  W.  3,  170;  J)  369) 

3  a'  b  a-  b  c'  c'  d  d  I  c'  e  c'  e  c'  e  c'  e  :  2  Str.,  Durchr.:   -et/a,  -07i, 
7777    7778      77    77    77    78    .gnclü  (-enga,  -euta,  -ensa), 

-{,  -is,   1  Torn.;   allein  in  €  (M.  G.  209) 

8    a  a  b'  c  d  d  e'  c  c  b'  :  4  Str.,  Durchr.:  -ens,  -ura,  -es,  -os,  -atge; 

keine  Torn.  (M.  G.  575  I) 

4  a' b  b  c  c  I  a' d  d  :   10  S.;    6  Str.,   Durchr.:    -ia,  -at^  -ens,  -os; 

2  Torn.  (M.W    3,  173;   D  370);   vgl.    132,  3  oben. 

5  a  b  b  c' c'  I  d  d  :  6  Str.,  Durchr.:   -o,  -e,  -aya,  -ös;  2  Tornaden 

8  8  810  10     1010  ('M.  W.  3,   174,  M.  G.  576  R). 

Danach  wird  man  nicht  wohl  daran  zweifeln,  daß  Elias  Barjols 
der  Verfasser  von  Lied  240,  6  gewesen  ist;  der  Text  wäre  also  ia 
St.s  Ausgabe  aufzunehmen  gewesen. 

Endlich  hätte  auch  noch  eine  Tenzone,  welche  ein  Bernart  mit 
einem  Elias  gewechselt  hat  (B.  Gr.  52,  4  und  131,  1)  daraufhin 
geprüft  werden  sollen,  ob  unser  Elias  daran  beteiligt  war,  ebensogut 
wie  Partimen  B.  Gr.  131,  2  (das  S.  XLI  übrigens  mit  ihm  verwechselt 
ist).  Die  strophische  Form  kann  hier  natürlich  nicht  in  Frage 
kommen,  da  ja  Elias  der  Angeredete  ist.  Aus  dem  Inhalt  des  Ab- 
drucks von  M  (M.  G.  1014)  vermag  ich  auch  keine  Entscheidung 
zu  treffen. 

So  wird  sich  also,  nach  Abzug  von  5  und  nach  Hinzufügung  von 
1  (2)  Liede  (-ern),  die  Zahl  von  Elias  Barjols  Liedern  auf  11 
reduzieren. 

Von  einer  speziellen  Nachprüfung  der  Texte,  des  Kommentars 
und  Glossfirs  muß  ich  leider  aus  Zeitmangel  absehen,  habe  aber  den 
Eindruck  gewonnen,  daß  sie  mit  großer  Umsicht  und  peinlicher  Sorg- 
falt aufgestellt  und  ausgearbeitet  sind.  Der  Kommentar  besonders 
bekundet  eine  ausgedehnte  Kenntnis  der  einschlägigen  Literatur.  Man 
kann  dem  Verfasser  zu  dieser  Leistung  aufrichtig  Glück  wünschen 
und  hoffen,  daß  er  uns  noch  mit  weiteren  ähnlich  wertvollen  Arbeiten 
beschenkt. 

Greifswald.  E.  Stengel. 

Guiraut  von  Calanso.  —  Keller,  Wilhelm.  Das  Sirventes 
„Fadet  joglar^des  Guiraut  von  Calanso.  Versuch  eines 
kritischen  Textes.  Mit  Einleitung,  Anmerkungen,  Glossar  und 
Indices.  Züricher  Dissertation.  Erlangen,  Junge  und  Sohn 
1906  80  142S. 

Der  Verfasser  dieser  umfangreichen  Dissertation  beabsichtigte 
ursprünglich   eine   vollständige   Spezialausgabe   der  Gedichte  Guirauts 


24  Referate  und  Rczensiojien.     E.  Stengel. 

von  Calanso  zu  liefern,  hat  aber  wegen  mangelnder  Zeit  den  die 
lyrischen  Lieder  und  die  allegorische  Kanzone  umfassenden  Teil 
einstweilen  beiseite  gelegt  und  sich  auf  eine  Neuausgabe  der  vordem 
von  Bartsch  in  seinen  Denkmälern  der  provenzalischen  Literatur  und 
auch  in  Mahns  Gedichten  der  Tronbadours  gedruckten  Dichtung 
scheinbar  lehrhaften  Cliarakters,  welche  an  Fadet  joglar  gerichtet  ist, 
beschränkt. 

Das  Gedicht  ist  uns  in  einer  Pariser  Hs.  (R)  und  in  einer  Modenaer 
(D)  überliefert.  Mahn  hatte  einen  einfachen  Abdruck  der  Hs. 
R  gegeben,  Bartsch  zwar  beide  Hss.  verwertet,  D  aber  nur  nach  einer 
fehlerhaften  Pariser  Abschrift.  Auch  selbst  Mussafias  Kollation  war 
nicht  erschöpfend.  K.  hat  R  neu  kopiert  und  von  D  eine  neue  Kopie 
durch  Ercole  Sola  in  Modena  erhalten.  Er  gibt  nun  gegenüber- 
stehend einen  genauen  Abdruck  beider  Texte  und  darunter,  einen 
kritischen  Text,  Da  ich  mir  vor  34  Jahren  eine  selbständige  Kollation 
zon  D  mit  Bartsch's  Text  angefertigt  habe,  bin  ich  einigermaßen  im 
Stande,  die  Genauigkeit  von  Kellers  Wiedergabe  dieser  Hs.  zu 
controUieren.  Ich  notiere  nachstehend  sowohl  die  von  mir  verzeichneten 
Varianten  von  B.  welche  K.'s  Abdruck  widersprechen,  wie  die  Worte,  zu 
denen  meine  Kollation  nichts  bemerkt,  oder  doch  nur  teilweise  K.'s  Ab- 
weichungen notiert.  Die  letzteren  mache  ich  durch  beigesetztes  (?) 
kenntlich,  da  ich  hier  öfter  wohl  nur  unterlassen  liabe  die  Variante 
zu  notieren:  3  aquo,  9  cel,  escrire  (?),  ]4  tombar  (?),  19  pomols  (?), 
30  ben  [204a]  auzir,  34.Fii/.,  35  beiz,  37  sapchas,  45  totz,  (?), 
cascavelz,  61  entorn,  62  sauta  (?),  66  cambal  (?),  75  que,  premier  ('?), 
78  qiierir  (?),  80  do,  90  faras  .X.  cordas,  92  saitan  (?),  111  querir 
<?),  117  com  (?),  127  [204  b]  raacabieu  (?),  138  com  (?),  141  que 
(?),  143  ques  (?),  147  conquerir  (?),  150  com  (?),  amor,  156  159 
com  (?),  160  vergier  (?),  162  quel  (?),  escontir  (?),  164  com  (?), 
168  que,  174  sap,  trai,  176  sill,  183  canc,  184  hietus,  188  deleus, 
192  com  (?),  195  juvencel,  208  des,  carrels  (?)  211  dacier  (?),  220 
com  .  .  .  briu  (?),  223  enguans  (?),  224  grans  (?),  225  lo,  sieus  (?), 
226  del  (?).  Die  vielen  com  statt  con  werden  lediglich  auf  ver- 
schiedener Wiedergabe  von  handschriftlich  cö  beruhen.  Wichtigere 
Varianten  sind  nur  die  zu  34,  37,  90,   183,  184,  188  notierten. 

Auch  gegenüber  K.'s  Abdruck  von  R  zeigt  der  in  Mahns  Ge- 
dichten, den  auch  K.  Bartsch  ausschließlich  seinem  Varianten- 
apparat zu  Grunde  gelegt  hat,  verschiedene  Abweichungen.  Es  wäre 
empfehlenswert  gewesen,  daß  K.  sie  zusammengestellt  hätte,  schon 
um  den  Leser  vor  etwa  in  seinen  Abdruck  eingeschlichenen  Druck- 
fehlern sicher  zu  stellen.  Ich  verzeichne  hier  nur  die  wichtigeren 
(Fälle  wie  que  st.  ge,  com  st.  con  erklären  sich  wohl  einfach  durch 
verschiedene  Auflösung  handschriftlicher  Abkürzungen):  18  sem  sonia, 
19  poniels,  56  saguelli,  57  en  dir,  72  requier  las  que  bels  re  vuelh 
dir,  92  saran,  104  dulaires,  105  com  la  uenus,  121  leri,  122  lomperi, 
126  foro,    153  buou,    168  deuzis,    180  uidas,    182  gulis,   236  layssar, 


Guiraut  von   Calnnso.     Das  Sirventes  „Fadet  joglar''.       25 

240  fas.  —  Bei  einigen  dieser  Lesarten  handelt  es  sich  nur  um  paläo- 
graphisch  schwer  zu  unterscheidende  Buchstaben.  Bemerken  will  ich 
gleich  hier,  daß  dem  kritischen  Texte  auch  eine  Konkordanz  der  Seiten 
und  Zeilenzählung  hätte  beigegeben  werden  sollen,  schon  um  die 
Auffindung  älterer  Textzitate  auch  in  der  neuen  Ausgabe  ohne 
Schwirigkeit  zu  ermöglichen.  Gegen  die  S.  8  — 11  dargelegte  sprach- 
liche Regelung  im  kritischen  Text  habe  ich  prinzipiell  nichts  einzu- 
wenden, und  das  umso  weniger  als  ich  K.s  Ansicht  teile,  diiß  das 
Gedicht  uns  immer  weniger  wegen  seiner  Sprache  als  wegen  seines 
Inhalts  wertvoll  sein  wird.  Auch  auf  seine  detaillierten  Ausführungen 
und  Vermutungen  über  die  Grundbedeutung  der  Bezeichnung  sirventh 
welche  Guiraus  selbst  seiner  Dichtung  beigelegt  hat,  lasse  ich  mich 
schon  deshalb  nicht  ein,  weil  ich  den  mittelalterlichen  Terminologien 
überhaupt  keiaen  großen  Wert  beilege.  Icli  verweise  dafür  nur  auf 
das  hier  B.  XYIIH  91   und  im  Jahresbericht  IV  I  375  gesagte. 

Zur  metrischen  Form  unseres  Gedichtes  (81  dreizeilige  Schweif- 
reime: aabccbddb  usw.)  macht  K.  S.  18  mit  Recht  auf  den  lyrischen 

448   448   448 

Versschluß  einer  ganzen  Anzahl  4-Silbner  als  einer  im  Provenzalischen 
und  überhaupt  nur  seltenen  Erscheinung  aufmerksam,  er  hätte  aber 
noch  präziser  angeben  sollen,  daß  Guiraus  in  seinen  4-Silbnern 
bei  weiblichen  Reimen  grundsätzlich  nur  lyrischen  Verschluß,  also 
gar  keinen  epischen  verwendet.  Auch  in  seinem  kritischen  Texte 
hätte  sich  der  Herausgeber  also  streng  an  diesen  Brauch  halten 
müssen,  durfte  also  Z.  32  nicht  wohl  lesen:  E  fax  la  rota,  statt 
Fai  la  rota  D;  denn  Verschleifung  des  anlautenden  E  mit  auslau- 
tendem a  von  nota  31,  wie  28,  29:  Manicorda  Ah  una  corda  ist 
nicht  angängig,  da  dann  der  Reim  zu  ungenau  werden  würde.  An- 
gemerkt konnte  bei  G.s  metrischem  Brauch  auch  werden,  daß  er  jedes 
Strophenenjambement  vermeidet,  also  immer  nach  dem  8-Silber  eine 
stärkere  Satzpause  eintreten  läßt.  Diese  Beobachtung  gibt  wenigstens 
ein  Mal  den  Ausschlag,  welcher  von  beiden  Hss.  der  Vorzug  zu  geben 
ist,  Z.  6 — 10  las  Bartsch  mit  R:  E  gardals  motz  ße  tras  que 
totz ;  De  cels  quen  Girant  fes  escrir  Non  sai  le  quart,  Keller 
dagegen  2  ff.  mit  D:  Co  potz  pregar  ...  4  Quades  te  do  Sirventes 
ho  ...  6  Em  gart  delz  motz  ße  de  trastotz  De  sels  qu^en 
Guiraut  fes  escrir'?  No  sai  lo  cart,  Mas  Vuna  part  T'en  dirai  .  .  . 
In  der  dazu  gehörigen  Anmerkung  wendet  er  gegen  B.  nur  ein:  „Da 
Guiraut  de  Calanso  tatsächlich  seineu  Vorgänger  nirgends  wiederholt, 
so  ist  gewiß  nicht  zu  verstehen  wie  Bartsch  [mit  seiner  Interpunktion] 
andeutet;  darnach  würde  ja  unser  Dichter  doch  l'una  part  von  dem 
bereits  [durch  Guiraut  de  Cabreira]  aufgezählten  Stoff  abermals 
bringen,"  ohne  auch  auf  das  bei  B.'s  Text  erforderliche  aber  für  unsern 
Dichter  unzulässige  Strophenenjambement  hinzuweisen. 

Sehr    ausführlich   ist   mit   Recht   der  Inhalt   des  Gedichtes,   die 
Aufzählung  der   von    einem   tüchtigen  Joglar  zu  verlangenden  Künste 


26  Referate  und  Rezensionen.     1).  Behrens. 

und  insbesondere  auch  seines  literarischen  Repertoirs  beliandelt.  Der 
schlechte  Zustand  der  Überlieferung  hat  liier  die  oft  vielleicht  schon 
ur.-prünglich  unklaren  Anspielungen  und  entstellten  Namen  vielfach 
bis  zur  Unkenntlichkeit  verderbt.  Der  Herausgeber  hat  sich  sowohl 
in  der  Einleitung,  wie  namentlich  in  den  sehr  weit  ausgcsi)onnenen 
Anmerkungen  redlich  bemüht  die  bisherigen  Deutungen  auf  ihre  Zu- 
lässigkeit  zu  prüfen  und  wo  erforderlich,  soweit  angängig,  durch  neue 
zu  ersetzen  oder  neue  hinzuzufügen.  Eine  Einzeldiskussion  würde 
hier  zu  weit  führen,  mir  auch  aus  Zeitmangel  unmöglieh  sein.  Im 
Ganzen  habe  ich  den  Eindruck  erhalten,  daß  K.'s  Darlegungen  volle 
Beachtung  verdienen  und  daß  er  sich  der  für  einen  Anfänger  fast  zu 
schwierigen  Aufgabe  in  durchaus  lobenswerter  und  verdienstlicher 
Weise  entledigt  hat. 

Greifswald.  E.  Stengel. 

Bayot,  A.  Fragments  de  manuscrits  irouves  aux  Archives 
generales  du  royaume  [In:  Revue  des  Bibliotheques  et  Archives 
de  Belgiqiie  IV,  281—298,  411—449  (auch  separat:  18 
und  39  S.  Bruxelles,  Misch  &  Thron  1906.  Hors  Commerce)]. 

Die  dankenswerte  Publikation  enthält  die  Beschreibung  einer 
Anzahl  kurzer  Handschriftfragmente,  welche  von  den  Herrn  Cuvelicr. 
van  der  Mynsbrugge  und  Nelis  in  den  Archives  generales  du  Royaume 
in  Brüssel  aufgefunden  wurden: 

A.  1.  Aspremont.  2.  Les  vers  de  la  7nort,  d'Helinant  de 
Froidmont.  B.  teilt  die  auf  dem  Doppeiblatt  einer  der  2.  Hälfte 
des  13.  Jahrb.  angehörenden  Handschrift  enthaltenen  Fragmente  einer 
gekürzten  Version  der  Chanson  d' Aspremont  vollständig  und  von 
dem  sich  anschließenden  etwa  20  Strophen  umfassenden  Bruchstück 
von  Helinants  Vers  de  la  mort  einzelne  Varianten  mit. 

B.  Le  Roman  de  Troie,  de  ßenoit  de  ISainte-  Maure. 
Den  Versen  4129 — 4288  der  Constans'schen  Ausgabe  entsprechendes 
Bruchstück  einer  der  Mitte  des  13.  Jahrb.  angehörenden  Handschrift, 
deren  Stedung  zur  Gesamtüberlieferung  B.  unter  Mitteilung  einer 
Anzahl  Varianten  darlegt. 

C.  Lancelot  en  prose.  Doppelblatt  einer  Handschrift  aus 
der  1.  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts.  B.  teilt  Anfang  und  Ende  der 
Kapitel  74  und  79  bei  P.  Paris  (Les  romans  de  la  table  ronde 
mis  en  nouveau  langage  IV)  entsprechenden  Fragmente  mit. 

D.  Dictiomiaire  medical  arahe-latin.  Blatt  einer  dem  Ende 
des  13.  oder  dem  Anfang  des  14.  Jahrb.  angehörenden  Handschrift, 
Anfang  und  Ende  des  Bruchstücks  werden  mitgeteilt. 

E.  Raoul  de  Camhrai.  Zwei  aus  einem  Doppelblatt  und 
dem  unteren  Teil  eines  Blattes  bestehende,  vermutlich  dem  letzten 
Drittel  des  13.  Jahrb.  angehörende  wertvolle  Handschriftfragmente, 
von    denen    das   erste    v.  1  — 105    und   847 — 980    der  Ausgabe  von 


G,  de  Marolles.     Langage  et  termes  de  venerie.  27 

P.  Meyer  und  Lognon  entspricht,  das  zweite  eine  Entsprechung  in 
der  Ausgabe  nicht  hat.  B.  druckt  die  Fragmente  vollständig  ab  und 
sucht  ihre  literargeschichtliche  Bedeutung  zu  bestimmen. 

F.  Le  roman  en  vers  de  Baudouin  de  Flandre.  B.  druckt 
die  auf  dem  Blatt  einer  Handschrift  des  14.  Jahrh.  enthaltenen 
160  Verse  vollständig  ab.  unter  Beifügung  orientierender  Bemerkungen 
über  den  literargeschichtlich  interessanten  Text. 

G.  Chanson  de  geste  du  XIII"  siede.  Kurzes  Fragment 
einer  unbekannten  Dichtung.  Um  die  Bestimmung  derselben  zu 
erleichtern,  teilt  B,  die  Eigennamen  enthaltenden  Stellen  mit. 

H.  Marques  de  Rome.  Zwei  Bruchstücke  einer  der  I.Hälfte 
des  13.  Jahrh.  angehörenden  Handschrift,  denen  in  Altons  Ausgabe 
S.  14,  Z.  26  bis  S.  21,  Z.  24  und  S.  35,  Z.  2  bis  S.  35,  Z.  12  ent- 
sprechen. B.  teilt  Anfang  un  1  Ende  der  Stellen  mit  und  sucht  die 
Provenienz  der  Handschrift  auf  Grund  sprachlicher  Kriterien  zu 
bestimmen. 

I.  Lancelot  en  prose.  Die  um  1300  geschriebenen  Hand- 
schriftreste gehören  einem  anderen  Lanzelot  als  dem  oben  unter  C 
erwähnten  an.  Anfang  und  Ende  der  Stellen  werden  mitgeteilt.  Dem 
ersten,  um.fangreichen  Fragment  entsprechen  Kapitel  48  —  50  bei 
P.  Paris  1.  c. 

J.  L'Ovide  moralise  attribue  ä  Chretien  Le  Gouais.  14  Jahrli. 
Doppelblatt.     Anfang  und  Schluß  werden  mitgeteilt. 

K.  Le  DScret  de  Gratien.  Drei  Fragmente  einer  um  1300 
geschriebenen,  mit  No.  9084  der  Bibl.  roy.  de  Belgique  gleiche  Aus- 
führung zeigenden  Handschrift,  deren  Inhalt  angegeben  wird. 

L.  La  Regle  de  Saint  Benoit.  Vier  Blätter,  von  denen 
zwei  doppelt  und  zwei  einfach.  14.  Jahrh.  Anfang  und  Ende  der 
Stellen  werden  mitgeteilt. 

M.  Les  exemples  des  mauvaises  femmes.  Doppelblatt. 
15.  Jahrh.  Inhaltsangabe. 

N.  La  Fleur  des  histoires,  de  Jean  Mansel.  Blatt  einer 
Handschrift  aus  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhs.  Anfang  und 
Schluß  des  Fragments  werden  mitgeteilt. 

Die  Verwaltung  der  Archives  geueralcs  du  Royaume  beabsichtigt 
die  aufgeführten  Fragmente  mit  Ausschluß  des  unter  D  genannten, 
zu  einer  Sammlung  zu  vereinigen,  welche  No.  1411  des  Fonds  des 
cartulaires  et  manuscrits  bilden  wird. 

D.  Behrens. 

Marolles,  G.  de.  Langage  et  termes  de  venerie.  £tude  historique, 
philologique  et  critique.  Paris,  Romain  1906.  III,  336  S. 
gr.  40,     Preis:    35  frcs. 

Wer  durch  den  Zusatz  des  Titels  „Etüde  historique,  philologique 
et  critique'^    verleitet   das   vorliegende   umfangreiche  Prachtwerk   nut 


28  Referate  und  Rezensionen.     D.  Behrens. 

besonderen  Erwartungen  zur  Hand  nimmt,  indem  er  darin  eine 
wissenschaftliche  Bearbeitung  der  französischen  Weidmannssprache  zu 
finden  huflft,  wird  dasselbe  bald  enttäuscht  zur  Seite  legen.  Mag  der  des 
Weidwerkes  kundige  Herr  Verfasser,  Lieutenant  de  MaroUes,  an  philo- 
logischen und  historischen  Betrachtungen  auch  viel  gefallen  finden,  so  fehlt 
ihm  doch  als  unerläßliche  Voraussetzung  für  eine  erfolgreiche  Bearbeitung 
seines  Themas  philologisch-historische  Schulung  durchaus.  Der 
Philologe  wird  seine  Freude  haben  an  dem  dem  Werke  beigegebenen 
reichen  Bilderschmuck,  mit  Interesse  auch  wird  er  von  den  auf  die 
Ausübung  der  Jagd,  das  Wild  u,  dergl.  bezüglichen  Ausführungen 
Notiz  nehmen,  aber  den  die  Sprache  betreffenden  Darlegungen  des 
Verfassers  wird  er  einen  anderen  Wert  als  den  einer  durchaus  un- 
kritischen Materialsammlung  nicht  zu  zuerkennen  vermögen.  Die  Kapitel- 
überschriften seien  mitgeteilt:  Sources  p.  I— HI.  Considerations 
gSnerales  sur  le  langage  de  la  chasse  et  ses  origines  p.  2 — 9. 
Expressions  tirees  de  la  chasse  :  faticonnerie,  vhierie,  chasses 
diverses  p.  11 — 45.  Earpressions  abregees  p.  47  —  52.  Caracteristique 
et  source  des  termes  p.  53 — 109.  Usages,  couleurs,  cris,  devises, 
honneurs,  etc.  p.  111 — 122.  Influence  nefaste  des  hommes  de 
leiires,  peintres  et  sculpteurs  non  animaliers  et  „etrangers  au  deduit'^ 
sur  le  sens  propre  des  termes  p.  123 — 172.  Legende  de  Saint 
Hubert  p.  173 — 193.  Etymologie  des  termes  interessants  „d'origine 
savante'^  ou  „corrompus^  p.  195 — 293.  Appendice  :  Etymologies 
de  quelques  termes  dliippologie  devant  interesser  Sgalement  lliomme 
de  cheval,  r,soldat  ou  veneur"  p.  295  —  300.  Noms  de  Heu 
p.  301  —  318.     Aperfu  retrospectif  p.  319 — 333. 

D.  Behrens. 

IVicolin,  E.  Les  expressions  figuries  d'origine  cynighique  en 
franfais,  These  pour  le  doctorat.  Upsal  1906.  Imprimerie 
Almquist  &  Wiksell.     92  S.  8^. 

Verfasser  der  vorliegenden  Studie  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt^ 
den  Einfluß  der  Weidmannssprache  auf  die  französische  Literatur- 
und  Umgangssprache  zu  untersuchen.  Er  schöpfte  sein  Material  im 
wesentlichen  aus  lexikographischen  Werken  wie  Godefroy,  Littre,  Sachs 
und  ordnete  dasselbe  nach  folgenden  Gesichtspunkten:  I.  E.rpressions 
qui  se  rapportent  au  chasseur,  ä  ses  actes  ou  ä  ses  engins. 
II.  Expressions  qui  se  rapportent  au  chien  et  au  faucon.  III,  Ex- 
vressions  qui  se  rapportent  au  gihier  et  ä  ses  moeurs.  In  den  so 
sich  ergebenden  3  Abschnitten  verzeichnet  er  unter  einzelnen  Stich- 
wörtern jedesmal  zunächst  deren  Bedeutung  in  der  Jägersprache, 
dann  die  hierauf  beruhende  übertragende  Bedeutung  in  der  Gemein- 
sprache. Belegstellen  fügt  er  hinzu,  soweit  die  erwähnten  lexiko- 
graphischen Hülfsmittel  solche  bieten.  In  der  bezüglich  des  Quellen- 
materials selbstgewählten  Beschränkung  hat  Vf.  sein  Thema  mit  Fleiß 


K.  Rockel.      Goupil,  Eine  systematische  Monographie.      29 

und  Umsicht  behandelt.  Einzelne  Wörter  zwar  wie  chaperonner 
(fig.  chaperonner  une  jeune  personne,  ein  junges  Mädchen  in  die 
Welt  einführen),  botte  (Fig.  tenir  ä  la  hotte;  vgl.  de  Marolles,  Lan- 
gage  et  termes  de  la  venerie  p.  17)  wird  man  in  seinen  Zusammen- 
stellungen vermissen,  andere  wie  tirer,  viser  darin  zu  finden  nicht 
erwarten.  Was  diese  letzteren  Ausdrücke  angeht,  so  bemerkt  N. 
selbst  in  der  Einleitung,  daß  es  oft  zweifelhaft  bleibe,  ob  der  figür- 
liche Gebrauch  eines  Wortes  von  der  Jagd  oder  einer  verwandten 
Betätigung  hergenommen  sei.  Weitere  Aufschlüsse  in  dieser  Richtung, 
sowie  in  Bezug  auf  chronologische  Bestimmung  der  in  Frage  stehenden 
Bedeutungsübergänge,  lassen  sich  nur  von  selbständiger,  über  die  vor- 
handenen lexikographischen  Hülfsmittel  hinausgehender  Durchforschung 
des  in  Betracht  kommenden  Quellenmaterials  erwarten.  Eine  solche 
weitergehende  Untersuchung  bleibt  zu  führen.  Wer  sie  unternimmt, 
wird  Nicolin's  Dissertation  als  nützliche  Vorarbeit  mit  Dank  verwerten. 

D.  Behrens. 

Rockel,  K.  Goupil.  Eine  semasiologische  Monographie.  Breslauer 
Dissertation.  In  Kommission  bei  Trewendt  &  Granier, 
Breslau  1906.   116  S.  8»  und  eine  Tabelle.     Pr.  2  M. 

Neben  franz.  goupil  trat  als  Bezeichnung  des  Fuchses  seit  dem 
12.  Jahrb.  renard,  das  sich  durch  den  Einfluß  der  Renart-Dichtung 
rasch  einbürgerte.  Rockel  hat  die  Geschichte  beider  Wörter  studiert 
und  legt  unter  vorstehend  verzeichnetem  Titel  zunächst  den  ersten, 
goupil  betreffenden  Teil  seiner  Untersuchung  vor.  Er  hat  darin  eine 
aus  einer  stattlichen  Zahl  von  Wörterbüchern  —  mit  besonderer 
Berücksichtigung  auch  der  Dialekt-  und  Argot- Wörterbücher  — 
zusammengetragenes  Material  mit  bemerkenswerter  Umsicht  uud  Kritik 
verarbeitet.  Das  Ergebnis  ist,  daß  goupil  (dessen  anlautendes  g 
zuverlässiger  Deutung  harrt)  von  Eigennamen  abgesehen  dem  Gallo- 
romanischen  heute  nahezu  alihanden  gekommen  ist,  indem  eine  größere 
Anzahl  Wörter,  wie  goupillon  „Wedel",  goupille  „Nietstift",  gou- 
pillon  „Baumwollenstrauch"  und  goupillon  „Kommis",  die  man  mit 
dem  Namen  des  Fuchses  in  etymologischen  Zusammenhang  gebracht 
hat,  mit  demselben  nichts  zu  tun  haben.  Zu  Einzelheiten  vgl.  jetzt 
A.  Tobler  Lthlt.  f.  g.  u.  r.  Phil.  XXVIII,  Sp.  18  f.  Meinerseits 
mache  ich  auf  Folgendes  aufmerksam:  S.  15.  Beachte  auch  Baist,  der 
Zs.  f.  r.  Phil.  XXVIII  (1904),  S.  94  werpil,  goupil  durch  Ein- 
wirkung von  germ  hwelp  erklären  möchte.  —  S.  25.  Daß  in  vi- 
hurnum  >  viorne,  pavonem  >  paon,  pavorem  >  paour  der  wort- 
anlantendo  Labial  den  Schwund  des  inlautenden  Labials  veranlaßte, 
wie  Vf.  anzunelimen  scheint,  ist,  wenn  man  tabonem  >  taon,  tributum 
>  afz.  treu,  sahucum  >  afrz.  seu,  debutum  >  deu,  du  vergleiclit, 
recht  unwahrscheinlich.  Überall  hat  hier  folgender  labialer  Vokal 
Ausfall,  resp.  Assimilation  des  b  bewirkt.  —  S.  29.  Godefroy's  Angabe, 


80  Referate  und  Rezensionen.     D.  Behrens. 

goiipil  begegne    in   den   Ardennen,    geht,    wenn   ich   richtig  vermute, 
auf  eine   entsprechende  Bemerkung  Tarbe's  im   Glossaire  de  Cham- 
pagne  p.    G9    zurück.     Nun   bezeichnet   Tarbe  selbst  sein   Glossaire 
ausdrücklich   als    „ancien  et  modern",    so  daß   man   nicht  berechtigt 
ist,  auf  das  Fortleben  der  darin  verzeichneten  Wörter  in  der  Gegen- 
wart  ohne   weiteres    zu  schließen.  —  S.  29.     Außer    in    dem    hier 
verzeichneten   „a  goupil  endormi  rien  ne  chet  en  la  gueule^'  begegnet 
goupil  nach  Lacurue  de  Ste.    Palaye's  Dict.   hist.  VI,   408    noch  in 
einem  anderen  Sprichwort:   „L'on  ne  prend  mie  lou  ne  goupil  souz 
son  baue'-'.     Ich   entnehme    diese   Angabe    einer  im   Bulletin   de  la 
Soc.  liSg.  de  litterature   wallonne  (Deuxieme   serie,   t.   VIII,    p.    78 
bis  98)  unter  der  Überschrift  Goupil  et  Renart  erschienenen  Sludie 
E.  Pasquet's,    die  R.  entgangen  ist.   —   S.  35.    Was   hier   und  auf 
S.  57  f.   über  Ortsnamen,    die   auf    den    alten   Namen   des   Fuchses 
zurückgehen  oder  davon  abgeleitet  sind,  gesagt  wird,  wäre  mit  Hülfe 
des  Diclionnaire  topographique  de  la    France   zu    ergänzen,    wobei 
eine  geographische  Abgrenzung  der  mit  v  und  g  anlautenden  Namens- 
formeu   über   die   Entstehungsgeschichte    des  Grundwortes  Licht  ver- 
breiteu  könnte.  —  S,  39.  Daß  der  deutsche  Ausdruck   „kälbern"  im 
Sinne  von  „vome7'e''  auf  Schallnachahmung  beruht,  bezweifle  ich.    Sollte 
nicht    hier     die    Vorstellung    des    Sichablösens,     Sichloslösens    (wie 
das  Kalb  von   der  Kuh   sich  trennt)    vorgeherrscht   haben,    wie   dies 
Zeitschr.  XXIV ^  S.    218  für    eine   Anzalil    cähnlicher  Ausdrücke  des 
Deutschen,    Französischen  und  Englischen    angenommen    worden   ist. 
Ich  erwähne  noch  die  deutsche  Ausdrucksweise  kalben  vom  Gletscher: 
der   Gletscher   „kalbt"    ins    Meer    und    verweise    auf    prov.  catouna, 
gatilha   (faire   de   petits    chats  >  voniir)   bei    Rockel  p.  36  und  von 
Sainean  Mem.  de  la  soc.  de  ling.  de  Paris  XIV,  S.  243  erwähnte 
faire  les  chiens  (vomir)  in  Berry,  prov.  cadelä  (und  faire  le  cadel), 
piem.  fh  i  cagnet  =  vomere.   —  S,  45.    Daß   goupille  „Nietstift" 
etc.  von  copula   komme,    ist   gewiß    eine   beachtenswerte   Hypothese. 
Wenn  aber  Vf.  meint,  die  vereinzelt  auftauchenden  Formen  mit  dem 
Anlaut  c:    Schweiz,  coupille  (L.).  wallon.  coupille,    coupige  (Sigart), 
prov.  coupilha  machten   die   Herleitung   unseres  Wortes  von  copula 
zweifellos,  so  vermag  ich  ihm  nicht  zu  folgen.     S.  60  wirft  er  selbst 
die  Frage  auf,  ob  nicht  dort,  wo  anlautendes  k  zu  g  werde,  gelegent- 
lich  eiumal   anlautendes  g  in   k  übergehen  könne.  —  S.  85.    Wenn 
R.  bemerkt,  es  habe  im  Streit  um  die  Vorherrschaft  renard  im  Laufe 
des  13.  Jahrh.  über  goupil  bereits  auf  der  ganzen  Linie  gesiegt,   im 
14.  oder  gar  15.  Jahrh.  aber  könne  von  einem  lebenden  ^0Mpz7  kaum 
mehr  gesprochen  werden,   so  vermisse  ich  eine  eingehende  Darlegung 
dieses    Tatbestandes    an    der    Hand    der    Texte.     Vorläufig    sei    auf 
Pasquet  hingewiesen,    der  in   seiner   eben  erwähnten  Abhandlung  mit 
Rücksicht  auf  das  14.  Jahrh.  zu  folgendem  Schluß  kommt:   „renard 
gagne   du  terraiu;  la  plupart  des  ecrivains  lui  donnent  la  preference 
raais    on    emploic    eiicore    l'ancien    niot  .  .  .     Des  la  tin  du  XIV® 


E.  Lemme.     Die  Syntax  des  Demonstrativspronomens.      3 1 

siecle,  goupil  est  l'cxception;  dans  la  secoude  inoitie  du  XV® 
il  di;-parait  completenient".  Interessant  ist,  daß  in  dem  von  Scbeler 
herausgegebenen  Liller  Glossar  des  15.  Jahrb.  vulpes  mit  regnard  über- 
setzt wird,  während  Jaques  de  Fouilloux  in  seiner  Venerie  vom 
Jahre  1573  goupii  noch  als  gebräuchliches  Wort  zu  kennen  scheint. 
Die  betreflfende  von  Pasquet  zitierte  Stelle  der  Venerie  lautet:  „Tout 
ainsi  qu'il  y  La  deux  cspeces  de  Bassetz,  il  y  ha  semblablement  deux 
ebpeces  de  Te?sons  et  de  Regnards:  sgavoir  est  des  Tessons,  de 
Porchins  et  de  cbenins;  et  des  Regnards,  de  grands  et  de  petits 
goupils".  In  dem  der  ersten  Ausgabe  von  Gauchets  Le  plaisir  des 
champs  beigegebenem  Recueil  des  mots,  dictons  et  manieres  de 
parier  en  Vart  de  venerie  finde  ich  goxipil  mit  „renard  gisant  es 
taiini^res"  umschrieben.  Wenn  in  Caseneuves  Origines  de  la 
langue  frangaise  (1G94)  goupil  mit  une  espece  de  petit  Renard 
erklärt  wird,  so  dürfen  wir  darin  vielleicht  einen  durch  Jacque  de 
Fouilloux  veranlassten  Irrtum  sehen.  lu  Pomays  Grand  dictionnaire 
royal  wird  goupil  erklärt  als  „espece  de  Renard  plus  petit,  vulpes 
canicularia  vel  subterranea,  eine  Art  eines  Fuchses,  so  aber  kleiner 
ist".  Vgl.  hierzu  Pasquet  l.  c.  p.  95.  In  Rockeis  Darlegungen 
vermisse  ich  eine  Erwäbnung  der  ebengenannten  und  anderer  Angaben 
älterer  Lexikographen.  —  S.  54,  8G  f.  Daß  goupillon  eine  rein 
lautmechanische  Entwickelung  aus  roupion  darstellt,  halte  ich  nicht 
für  erwiesen,  solange  für  den  Übergang  von  r  in  g  nicht  andere, 
unzweideutige  Belege  beigebracht  werden.  Ebenso  wird  es  mir 
schwer  an  die  S.  86  vom  Vf.  vorgetragene  Erklärung  von  goupillon 
„Wedel"  als  das  Resultat  einer  Kreuzung  von  guipillon  und  ecou- 
villon  zu  glauben.  Wenn  R.  p.  87  meint,  goulpete  „tromperie,  finesse, 
subtilite"  bei  Roquefort  sei  wohl  gleichzusetzen  goulpete  <  *vulpitatem, 
so  möchte  ich  auf  champ.  goupette  „fraude''  verweisen,  das  Tarbe 
Recherches  II  neben  gouper  „duper,  mystifier"  aufführt. 

D.  Behrens. 

Lemme,  E.  Die  Syntax  des  Demonstrativpronomens  im 
Französischen.  Göttinger  Dissertation  Rostock,  Carl 
Hinstorffs  Buchdruckerei.     1906.     XXIV,   151  S.     8°. 

Verfasser  dieser  fleißigen  und  wertvollen  Arbeit  behandelt  den 
Gebrauch  des  französischen  Demonstrativums  von  den  Anfängen  der 
literarischen  Überlieferung  bis  auf  die  Gegenwart  unter  den  folgenden 
13  Kapitelüberschriften:  1,  Substantiviscber  und  adjektivischer  Gebrauch 
des  Demonstrativpronomens.  2.  Demonstrativ  und  Substantiv.  2.  Die 
Partikeln  ci  und  lä.  4.  Wiederholung  und  Auslassung.  5.  Vertretung 
des  Demonstrativs.  6,  Gegensätzliche  Gegenüberstellung.  7.  Gebrauch 
von  ecce  iste.  8.  Ecce  iste  statt  anderer  attributiver  Bestimmungen 
eines  Substaiitiva  oder  statt  sonstiger  Wörter.  9.  Gebrauch  von  ecce 
nie.     iü.  Ecce  ille  in  Vertretung.     11.  Das  Demonstrativ  ecce  ille. 


32  Referate  und  Rezensiojien.     1).  Behrens. 

12.  Das  neutrale  Demonstrativ  ecce  hoc.  13.  Das  neutrale  Determinativ, 
Das  der  Untersuchung  zu  Grunde  liegende  Material  besteht  im 
"Wesentlichen  aus  Literaturdenkmälern,  sei  es  daß  Verfasser  dieselben 
selbständig  durchfor:»chte  oder  von  anderen  gewonnene  Forschungs- 
ergebnisse für  seine  Darstellung  verwertete.  Nicht  völlig  außer  Acht 
gelassen,  aber  doch  nur  gelegentlich  und  in  wenig  ausgiebiger  Weise 
verwendet  wurden  Grammatikerzeugnisse  und  lebende  Mundarten. 
Eine  Ergänzung  des  Materials  nacli  diesen  beiden  Richtungen  wäre 
wüusclienswert  gewesen  und  hätte  den  Wert  der  schon  in  dei'  vor- 
liegenden Gestalt  ergebnisreichen  Studie  erhöht.  Was  die  lebenden 
Mundarten  angeht,  so  bemerkt  Verfasser  in  der  Einleitung,  daß  er 
sie  auf  Grund  einschlägiger  Werke  und  Abhandlungen  berücksichtigt 
habe.  Benutzt  wurde  außer  den  Untersuchungen  von  Siede  (Synt. 
Eigentümlichkeiten  weniger  gebildeter  Pariser  beobachtet  in  „  Scenes 
populaires'^  von  Monier),  Caro  (Synt.  Eigentümlichkeiten  der  frz. 
Bauernsprache  im  .„Roman  champetre""),  Pfau  (Ein  Beitrag  zur 
Kenntnis  der  modernen  frz.  Volkssprache),  Bonnier  (Les  lettres  de 
Soldat)  und  Lanusse  (De  rivßuence  du  dialecte  gascon  sur  la  langue 
frg.  de  la  fin  du  XVl^  siede  ä  la  seconde  nioitie  du  XVII^) 
nur  Jorets  Abhandlung  „Emploi  du  pron.  possessif  ä  la  place  de 
iadjectif  demonstratif  en  JSormand  (Romania  VI,  134 — 135).  Aus 
diesen  Arbeiten  allein  läßt  sich,  wie  nicht  weiter  ausgeführt  zu  werden 
braucht,  eine  genügende  Vorstellung  von  dem  Sprachgebrauch  der 
neufranzösischen  Mundarten  nicht  gewinnen.  Ich  lasse  hier  ein  paar 
aus  anderen  Quellen  geschöpfte  Bemerkungen  über  den  mundartliclieu 
Sprachgebrauch  folgen,  indem  ich  bei  der  Anführung  derselben  der 
vom  Verfasser  gewählten  Anordnung  des  Stoffes  folge.  Vgl.  jetzt  auch 
E.  Herzog  Neufranzösische  Dialekttexte  §  523 — 529. 

S.  3  ff.  Cist  und  ceste,  die  nach  Lemme  in  substantivischer 
Verwendung  im  15.,  resp.  17.  Jahrb.  erloschen  wären,  haben  sich  in 
den  Mundarten,  wie  am  bequemsten  ein  Blick  auf  Karte  No.  207  f. 
des  von  L.  nicht  erwähnten  Atlas  linguisiique  lehrt,  in  substantivischem 
Gebrauch  in  weiter  Verbreitung  erhalten.  S.  ebenda  über  das  Fort- 
leben von  stubstantivischem  cest(u)i  u.  a.  Im  Vorbeigehen  sei  bemerkt, 
daß  Lemmes  Angabe  (S.  14),  ist  finde  sich  nicht  mehr  nach  dem 
12  Jahrb.  nach  T.  Cloran  The  Dialogues  of  Gregorg  the  Great 
transtated  into  Anglo-Norman  French  by  Angier  (Straßburger 
Dissert.  1901)  S.  57  für  das  Anglonormannische  nicht  zutrifft. 

S.  28.  Adjektivisch  gebrauchte  eil,  celle,  die  nach  L.  seit  dem 
16.  Jahih.  ausgestorben,  resp.  völlig  veraltet  sind,  begegnen  heute 
auf  pikardischem  Gebiet.  Vgl.  Haignere  Le  Patois  Boulonnais 
I,  p.  285. 

S.  43  ff.  Daß  ici,  ilä,  die  sich  statt  -«',  -la,  nach  L.  beim 
Volke  „gewisser  Beliebtheit"  erfreuen,  heute  auf  weitem  Gellet  die 
üblichen  Verstärkungsformen  des  Deraonstrativums  bilden,  läßt  sich 
teils  auf  Karte  207  des  Atlas  linguistique  ablesen,  teils  aus  Unter- 


E.  Lemme.     Die  Syntax  des  Demonstrativpronomens.       33 

suchuDgen  über  die  lebenden  Mundarten  ersehen.  Vgl.  u.  a.  J.  Fleury 
JPatois  de  la  Hague  p.  69,  Dottin  Gloss.  du  Bas- Maine  p.  CHI, 
Dottin  et  Langouet  Gloss.  de  Plechätei  p.  CXIII,  Besonders  bemerkt 
zu  werden  verdient,  daß,  wie  wieder  der  Atlas  linguistique  bequem 
erkennen  läßt,  auch  auf  nordfranzösischem  Gebiet  statt  mit  ecce  mit 
eccu  gebildete  -ki  und  -iki  als  Verstärkungswörter  erscheinen.  Über 
die  wallonischen  Bildungen  sivosi  sivbla  =  cil-vois-ci,  cil-vois-lä 
vgl.  u.  a.  Doutrepont  et  Haust  Müanges  wallons  p.  35  f.,  über  Vaute- 
si  (Vautre-ci  ■=  celui-cij,  Vaide-sitte  (celle-ci),  Vaute-lä  (celui  lä), 
Vaute-latte  (celle  lä)  mit  besonderer  Femininbildung  zu  ci  und  lä 
in  Schnierlach  (Hante-Alsace)  s.  Simon  Grammaire  p.  140  f. 

S.  57.  Sehr  beachtenswert  ist  der  heutige  lothringische  Gebrauch, 
statt  des  adjektivischen  Dcmonstrativums  den  durch  -ci,  -la  verstärkten 
bestimmten  Artikel  zu  verwenden,  wofür  ich  bei  L.  einen  Beleg  aus 
der  älteren  Sprache  nicht  finde.  Vgl.  Adam  Fat.  lorr.  p.  55  f., 
Labourasse   Glossaire  p.  45,  Simon  l.  c.  p.  194  f. 

S.  61.  Auch  statt  des  ein  Substantiv  vertretenen  Demonstrativs 
begegnet  heute  in  lothringischen  Mundarten  der  bestimmte  Artikel. 
Vgl.  Haillant  Essai  III,  10:  J^ai  töte  de  Nicolas  et  lai  Tunat  (la 
tartine  de  Nicolas  et  celle  de  Fortunat).  Lo  vörre  de  Joson  et  lo 
Chälot  (le  verre  de  Joseph  et  celui  de  Charles).  S.  Simon  l.  c. 
p.  173,  192.  Einen  Beleg  dafür,  daß  bei  Vertretung  des  substantivischen 
Demonstrativs  durch  den  Artikel  hinter  letzterem  die  besitzanzeigende 
Präposition  steht,  gibt  auch  Moisy  Dict.  de  pat.  norm.  p.  LXXVII 
„Le  17  noveuibre  1553,  Gnillaunie  Mesnage  vinst  au  soyer  (au  soir), 
pour  raccoustrer  nies  bottes  et  les  de  Symonet  .  .  .  (Journ.  du  S. 
de  Gouberville,  p.  102." 

S.  64.  Wenn  L.  unter  Hinweis  auf  Joret  Romania  VI,  134  f. 
bemerkt  „nur  dem  normannischen  Dialect  eigentündich  ist  der  Ersatz 
des  Determinativuras  celui  ((]uij  durch  das  Possessivum  .  .  .  Ch'es 
Fsiin  ä  son  pere,"  so  ist  dazu  zunächst  zu  bemerken,  daß  die  von 
Joret  u.  a.  vertretene  Auffassung,  es  handele  sich  hier  um  das 
Possessivum,  nicht  von  allen  Forsebern  geteilt  wird.  Vgl.  Fleury 
Essai  s.  le  pat.  norm,  de  la  Hague  p.  71  f.  Was  dann  die  Ver- 
breitung dieser  Ersatzform  angeht,  so  begegnet  dieselbe  keineswegs 
ausschließlich  im  Normannischen.  Vgl.  Loroux  Patois  de  Mie  p.  19c 
le  suin  qui  viendra  (celui  qui  viendra);  de  Montesson  Voc.  du  Hautr 
Maine  p.  424:  le  sien  qui  a  fait  ^a;  Dottin  Gloss.  des  parlers  du 
Bas  Maine  p.  CHI;  Jaubirt  Gloss.  du  Centre  p.  617:  j'ai  vendu 
deux  vaches  ä  la  foirc,  la  menne  et  la  senne  de  mon  voisin.  Dann 
auch  li  sen  (celle).  le  s^n  (celles)  in  N;imur.  Niederländer,  der  die 
wallonisclie  Form  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXIV,  S.  276  erwähnt,  eiklärt 
dieselbe  aus  dem  Denionstrativum,  indem  er  lautorganischen  Wandel 
von  l  zu  n  annimmt.  Vgl.  noch  el  sien  (celui)  in  Mons,  das  Sigart 
Gloss-.  p.  327  verzeiclinet. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI ä.  3 


34  Referate  und  Rezensionen.     D.  Behrens. 

S.  82.  Das  adjektivische  Demonstrativ  in  der  Anrede  begegnet 
heute  im  Pikardischen.  Vgl.  Rev.  des  pat.  galllo.  rom.  I,  102:  oz 
alö  rir,  tye  kÖmärät  (Nous  allons  rire,  ces  canierades);  ib.  110  si 
cela  m'arrange,  ce  maitre.  Haignere  Pat.  boulonnais  I,  286:  Dis 
donc,  che  caron;  —  Quoi  qu'os  faites,  che  maricha;  —  Bonjour, 
che  cordonnier. 

S.  85  ft".,  103  ff.  Für  die  heutige  Mundart  der  Pikardie  ist 
auch  der  Gebrauch  des  adjektivischen  Demonstrativums  an  Stelle  des 
Artikels  charakteristisch.  Belege  hierfür  bieten  u.  a.  die  in  der  Rev. 
des  pat.  gallo-rom.  I  abgedruckten  pikardischen  Dialektproben  in 
großer  Zahl.  Vgl.  ferner  Haignere  Pat.  boulonnais  I,  S,  264  f.,  286. 
Bezüglich  der  alten  Sprache  vermisse  ich  bei  L.  einen  Hinweis  auf 
Mussafia  Sitzungsberichte  der  Äk.  der  Wissensch.  in  Wien  CXXI, 
No.  XIII  S.  44  und  auf  E.  Stengel  Zs.  f.  frz.  Spr.  XIIP,  S.  12. 
Vgl.  auch  Zs.  f.  frz.  Spr.  XVII i,  S  76  f. 

S.  117.  "Was  L.  hier  über  den  Gebrauch  des  Determinativs 
mit  dem  Artikel  in  der  heutigen  Volkssprache  bemerkt,  läßt  sich 
durch  weitere  Angaben  leicht  ergänzen.  Es  handelt  sich  um  eine 
verbreitete  Erscheinung,  auf  die  in  zahlreichen  Arbeiten  über  die 
lebenden  Mundarten  hingewiesen  wurde.  Vgl.  z.  B.  Jaubert  Gloss. 
p.  133  („Souvent  pour  donner  plus  de  force  ou  d'agrement  ä  la 
phrase,  on  ajoute  l'article  k  ces  pronoms:  la  celle,  les  ceux,  ce  qui 
les  rend  equivalents  de  celles-lä,  ceux-lä  ..."),  Labourasse  l.  c.  p.  46, 
Adam  l.  c.  p.  58  f.,  Fleury  /.  c.  p.  70,  de  Montesson  l.  c.  p.  124 
(„ceux  .  .  .  ne  s'emploie  que  precede  de  l'article  les:  les  ceux  qui 
ont  fait  ga  .  .  ."),  Doutrepont  et  Haust  Melanges  wallons  p.  36, 
Duranton  La  Puysaye,  Annuaire  de  VYonne  (1862)  p.  128:  Les 
pronoms  deraonstratits  celle  (employe  au  masculin  comme  au  feminin), 
Celles  sont  invariablement  precedes  de  Tarticle  le,  la,  les,  suivant 
les  cas.  Ainsi  le  celle,  la  celle,  les  celles  etc. 

S.  127.  Auch  bezüglich  des  Gebrauchs  des  neutralen  Demonstrativs 
bieten  die  heutigen  Mundarten  interessant^  Abweichungen  von  der  schrift- 
sprachlichen Entwicklung,  von  denen  ich  nur  die  Verwendung  von  pa 
als  grammatisches  Subjekt  bei  unpersönlichen  Verben  im  Patois  du 
Centre  (s.  Jaubert  l.  c.  p.  117)  hervorheben  will:  fa  pleut  ben,  pa 
tonne,  ga  coule  etc.  Ungern  vermißt  man  in  den  Ausführungen  des 
Verfassers  auch  hier  eine  Verwertung  des  Atlas  linguistique  (Karte 
No.  188).  Zum  neutralen  Demonstrativum  ce/,  icel  vgl.  G.  Paris 
Romania  XXHI,  171  ff. 

Daß  es  in  einer  früheren  Zeit  im  Französischen  ganz  ebenso 
wie  heute  auf  dem  Gebiet  der  Syntax  dialektische  Unterschiede  gegeben 
hat,  darüber  kann  ein  Zweifel  wohl  nicht  bestehen.  Zu  untersuchen 
bleibt,  in  welchem  Umfange  in  der  Sprache  der  uns  überlieferten 
Literaturdenkmäler  diese  dialektischen  Unterschiede  zum  Ausdruck 
kommen. 


Bulletin  du  dictionnaire  generale  de  la  langue  loallonne.     35 

Von  geringerem  Belang  als  die  lebenden  Mundarten  sind  für  die 
Geschichte  der  Demonstrativa  im  Französischen  die  im  Ganzen  ziemlich 
dürftigen  Angaben  der  alten  Grammatiker,  auf  die  oben  hingewiesen 
wurde.  Immerhin  hätten  auch  sie  eingehendere  Berücksichtigung  ver- 
dient als  ihnen  Verfasser  hat  zuteil  werden  lassen.  Vgl.  jetzt  die 
einschlägigen  Bemerkungen  bei  Brunot  Hist.  de  la  langue  frangaise 
II,  S.  315  f. 

D.  Behrens. 


Bulletin  du  dictionnaire  generale  de  la  langue  wallonne 

publie    par    la   Societe  Liegeoise  de   Literature  tcallonne. 
Liege,  H.  Vaillant-Carmanne   1906. 

Die  sehr  rührige  und  verdienstliche  Societe  Liegeoise  de 
Literature  wallonne,  die  es  sich  seit  50  Jahren  zur  Aufgabe  macht, 
wallonische  Literaturbestrebungen  sowie  das  Studium  der  romanischen 
Mundarten  Belgiens  zu  fördern,  läßt  seit  Jahresfrist  außer  den  bisher 
regelmäßig  von  ihr  herausgegebenen  Bulletin  und  Annaire  ein 
besonderes  Bulletin  du  dictionnaire  general  de  la  langue  wallonne 
in  jährlich  4  Heften  erscheinen.  Nach  den  Ausführungen  des  aus 
den  Herren  Auguste  Doutrepont,  Jules  Feller  und  Jean  Haust 
bestehenden  Redaktionskomites  ist  der  Zweck  der  neuen  Veröffentlichung, 
weitere  Kreise  für  das  in  Vorbereitung  befindliche  Dictionnaire 
general  (vgl.  ds.  Zeitschr.  XXVIII 2,  S.  73  f.)  zu  interessieren  und 
die  Materialbeschaffung  für  dasselbe  zu  erleichtern.  Es  handelt  sich 
somit  um  ein  ähnliches  Unternehmen,  wie  es  das  1902  ins  Leben 
gerufene  Bulletin  du  Glossaire  des  patois  de  la  Suisse  romande 
darstellt,  und  es  scheint  wie  dieses  vortrefflich  geeignet,  seiner  Be- 
stimmung gerecht  zu  werden.  Den  Inhalt  der  bis  jetzt  vorliegenden 
4  Hefte  bilden  abgesehen  von  einem  Aufruf  an  die  Leser,  einem  Bericht 
über  die  erste  Versammlung  der  Correspondants  du  Dictionnaire  wallon 
vom  9.  September  1905  u.  a. :  S.  6 — 13  J.  Feller  Instructions  ä 
nos  correspondants;  S.  29 — 32  Nos  modeles  et  questionnaires ; 
S.  33  —  35  J.  Hens  La  prSparation  du  vinaigre,  de  la  farine  et 
du  lin  ä  Vielsalm  (Beschreibung  im  Patois  nebst  Erläuterung  der 
in  derselben  begegnenden  technischen  Ausdrücke);  S.  36  f.  A.  Carlier 
Les  carrieres  d'Ecaussines  (ä  suivre);  Questionnaires:  1.  Les  vents, 
2.   Salutations,    souhaits,   impr^cations,    3.    L'abeille  et  la  ruche, 

4.  Le  jeu   de   quilles,    5.   Les   outils  du  faucheur^   6.   Le  reuet; 

5.  45  —  64  A.  Doutrepont,  J.  Feller,  J.  Haust  Vocabulaire 
general  de  la  langue  wallonne  („Qu'on  veuille  bien  ne  pas  confondre 
cet  essai  de  Vocabulaire  general  avec  le  Dictionnaire  general  .  .  . 
Sous  la  forme  premiere  que  nous  lui  donnons  aujourd'hui,  le  Voca- 
bulaire est  avant  tout  un  questionnaire  qui  nous  servira  1^  a 
completor  nos  dossiers  pour  le  Dictionnaire;  20  ä  completer  le 
Vocabulaire    lui-raeme    pour    en    composer    une    edition   definitive). 

3* 


S6  Referate   und  Rezensionen.     D.  Behrens. 

S,  89 — 140  Premier  suppUment  au  vocabulaire  questionnaire  AB. 
S.  141 — 143  Questionnaires:  7.  La  sucrerie;  8.  Le  foyer.  S.  144 — 
147  Archives  dialectales:  2.  A.  Carlier  Les  carrieres 
d'Ecaussines  (-iuitc),  3.  N.  Out  er  La  ichesse  au  bos  (Dialecte  de 
Virton).  S,  150 — 158  Notes  d'li^tymoloiiie  et  de  Semaiitique; 
J.  Fe  11  er  1.  djavan,  2.  cir  ou  sir;  J.  Haust  3.  etait,  4.  abeur, 
abur  (?).  Über  das  au  zweiter  Stelle  von  Feller  behandelte  sir  (dr) 
möge  hier  eine  Bemerkung  folgen.  F.  belegt  das  „rätselhafte,  bisher 
in  keinem  Wörterbuch  behandelte"  Wort  in  einer  Anzahl  Redensarten 
und  Wendungen  wie:  Ci  n^est  qu^  sir  boton  (oder  botons?)  so  V 
rosi,  on  ne  voit  que  boutous  sur  le  rosier.  Qu  n'est  qu'  sir  galon 
(oder  galo7isf),  son  habit  est  tout  galonne,  cc  n'est  qu'iui  galon. 
Mu  stovmac  n'esteüt  quone  stre  playe,  ma  poitrine  n'etait  qu'une 
plaie.  Ci  n'est  quHne  sire  nivaye,  on  ne  voit  que  neige  partout, 
c'est  une  plaine  de  neige.  Dasselbe  ist  vermutlich  wieder  zu  erkennen 
u.  a.  in  älterem,  bei  Grandgagnage  Dict.  II,  568  s.  v.  commines  in 
einer  Textstelle  des  16.  Jahrh.  belegtem  cire  :  cire  weaze,  warance, 
crapes  et  commines  pareilles.  Man  wird  F.  darin  zustimmen  dürfen, 
daß  es  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  adjektivisch  zu  fassen  sei,  und 
die  Bedeutung  „rein,  unvermischt-'  habe:  „szV  s'explique  au  mieux 
comme  adjectif,  avec  le  sens  de  »pur«  pris  dans  la  signification 
quantitative  de  » entier,  au  complet,  sans  restriction «,  comme  dans 
>pure  bonte,  pure  uature,  une  pure  sottise«.  Ainsi  compris,  on  sir 
boton  est  »un  bouton  d'un  bout  ä  l'autre«;  on  ne  distingue  pas 
plusieurs  boutous  de  fleurs  sur  l'arbre,  il  u'y  en  a  qu'un  seul,  immense. 
Ine  sir  nivaye  signifie  »neige  partout«  :  la  campagne  est  pleine  de 
neige  .  .  .  Cire  loeaze  signifiera  »pure  guede«  .  .  ."  Was  die 
Etymologie  angeht,  so  gebe  ich  F.  darin  recht,  daß  sir  weder  mit 
cir  ~.~  ciel  sich  identifizieren  lasse,  noch  auch  dtsch.  zier,  fläm.  sier 
in  zieraffe,  sierplant  etc.  entspreche.  Dagegen  vermag  ich  seiner 
Auffassung  nicht  beizutreten,  es  liege  dem  Worte  dtsch.  scr,  fläro. 
zeer  zu  Grunde.  F.  bemerkt  hierzu:  „II  y  a  Taucien  adjectif 
allemand  ser,  flamand  zeer.  Autrefois  ser  signifiait  douloureux, 
cuisant,  schmerzlich.  C'est  le  mot  qu'on  s'est  babitue  h  employer 
dans  le  sens  quantitatif  de  heftig,  et  qui  en  allemand  moderne  n'a  plus 
qu'un  emploi  adverbial  sous  la  forme  sehr.  Mais  le  flamand  zeer, 
qui  est  reste  adjec'if,  a  conserve  toute  l'etendae  de  sens  du  ser 
ancien".  Daß  diese  Auffassung  durch  altfrz.  zweisilbiges  sire,  das 
Godefroy  ganz  vereinzelt  in  der  Verbindung  bien  et  sire  aus  Phil. 
Mousquets  Reimchronik  belegt,  eine  wesentliche  Bestätiyiung  erhalte, 
vermag  ich  nicht  zuzusehen.  Woran  ich  aber  be^onders  Anstoß 
nehme,  ist,  daß  die  Bedeutung  des  angenommenen  germanisciien 
Grundworts  zu  der  des  wallonischen  Wortes  nach  Fellers  eigener 
Definition  nur  recht  ungenau  stimmt,  insofern  doch  „schmerzlich, 
heftig''  und  „rein,  unvermischt"  keineswegs  dasselbe  besagen.  Ich 
finde  nur  ein   deutsches  Wort,    das   an   das  neuwallouische  lautlich 


Ch.  Guerlin  de  Guer.     Atlas  Dialectologique  de  Normandie.     37 

anklingt  und  in  der  Bedeutung  mit  ihm  sich  völlig  zu  decken  scheint: 
schier.  Dasselbe  hat  nach  Grimm  Wtb.  IX,  27  u.  a.  die  Bedeutung 
„unverraiseht,  lauter,  nichts  als"  und  begegnet  in  Verbindungen  wie: 
schieres  körn,  schierer  hafer.,  schiere  butter,  dann  auch  adverbial: 
der  Hafer  steht  recht  schier.  Vgl.  noch  Doornkaat-Koolman  Ostfries. 
Wtb.  schir.  Das  anlautende  seh  steht  der  Identifizierung  des  deutschen 
Wortes  mit  dem  wallonischen  kaum  im  Wege,  da  auch  in  anderen 
Wörtern  anlautendes  deutsches  s  im  Wallonischen  als  s  erscheint. 
Ich  verweise  auf  wall,  senker  etc.  (schenken,  s.  Grandgagnage  Biet. 
II,  355),  wall,  sopme  (chopiiie,  s.  Grandgagnage  /.  c.  II,  375), 
malm.  sgpe?i  (Zeliqzon  Zs.  f.  rom.  Fhil.  XVII,  430). 

D.  Behrens. 


Guer,    Ch.    Guerlin   de,    Atlas  Dialectologique  de  Normandie, 
pr  Fascicule,  Region  de  Caen  ä  la  Mer.    Paris,  Welter,  1903. 

Der  vorliegende  Atlas  normannischer  Mundarten  erscheint  als 
erster  Band  einer  Reihe  von  Monographien,  in  denen  nach  und  nach 
die  sprachlichen  Eigentümlichkeiten  des  ganzen  normannischen  Dialekt- 
gebietes zur  Darstellung  kommen  sollen.  Hier  handelt  es  sich  um 
den  Meerdistrikt,  der  an  der  großen  Bucht  zwischen  den  Städten 
Caen  und  Bayeux  liegt,  genauer  gesagt,  um  die  52  Gemeinden  des 
Departement  Calvados,  die  zwischen  den  Flüssen  Orne  und  Seulles, 
nördlich  von  der  Straße  Cherbourg-Paris  bis  zum  Meere  sich  aus- 
dehnen. Es  ist  sehr  dankenswert,  daß  der  Verfasser  sein  Gebiet 
räumlich  so  eng  begrenzt  hat;  denn  nur  so  läßt  sich  bei  der  ver- 
wirrenden Fülle  durcheinander  greifender  dialektischer  Eigentümlich- 
keiten einigermaßen  ein  Bild  gewinnen.  Hier  kann  es  sich  also  vor- 
läufig nicht  darum  handeln,  in  großen  Zügen  Grenzlinien,  d.  h, 
dialektische  Gruppen  festzulegen  und  etwa  deren  Zusammenfallen  mit 
ethnographischen  Scheidelinien  zu  konstatieren,  sondern  es  kommt 
nur  eine  Gegenüberstellung  der  ,traits  caracteristiques'  in  Frage.  So 
werden  denn  auf  kleinstem  Gebiete  die  einzelnen  Lautdifferenzen 
dieses  viereckigen  Distrikts  kartographisch  dargestellt.  Zwei  Gründe 
mochten  den  Verfasser  bestimmen  gerade  mit  der  Untersuchung  der 
Meerbezirke  zu  beginnen;  einmal  gewährte  die  ewig  fest  stehende 
Küstenlinie  eine  sichere  Ausgangsbasis,  dann  aber  geboten  die  Ge- 
faiiren,  die  der  sprachlichen  Integrität  jenes  Striches  von  den  jährlich 
an  Zahl  zunehmenden  Badegästen  der  Großstädte  drohten,  eine  baldige 
Untersuchung.  Bis  heute  freilich  hat  sich  die  Patois  redende  Be- 
völkerung von  den  Badenden  —  den  „Parisiens",  wie  sie  genannt 
werden  —  in  ihrer  Sprache  nicht  stören  lassen. 

Andere  trennende  Faktoren,  wie  etwa  physikalische  Hindernisse 
—  deren  Bedeutung  als  Dialcktgrenzen,  wie  die  neuere  Forschung  ge- 
zeigt hat,  bisher  erheblich  überschätzt  wurden  —  liegen  hier  nicht  vor. 


38  Referate  und  Rezensionen.     Hermann   UrieL 

Und  doch  lassen  sich  —  das  synthetische  Bedürfnis  ist  um  so  stärker, 
je  größer  die  scheinbare  Regellosigkeit  —  auch  auf  diesem  kleinen 
Gebiete  gewisse  Gemeinsamkeiten  heraus  finden,  deren  Ursachen 
freilich  nicht  ohne  weiteres  klar  sind.  Vor  allem  scheint  mir  eines 
auffällig.  Die  Seegemeinden  (besonders  Luc)  zeigen  im  Vokalismus 
oft  den  offenen  Vokal,  wo  er  im  Innern  geschlossen  bleibt.  Man 
vgl.  Taf.  S.  10:  mgr  (maturum),  S.  11:  dolgr,  S.  12:  sgr  (securum), 
S.  59:  rg  (rota),  S.  63:  ygr  ygl  (oleum),  freilich  ebcndort  auch  yör 
(wo  man  die  genauere  Lokalisierung  vermißt),  S.  28:  fft  (pisum) 
fy^hl  (flebilem),  deren  lokale  Sonderentwickelung  in  sehr  starkem 
Gegensatz  zu  mensem  (S.  26)  steht.  Wie  ist  diese  Neigung  zum 
offenen  Vokal  bei  verschiedenster  Provenienz  auf  diesem  Gebiete  zu 
erklären?  Merkwürdig  ist  auch,  daß  mio^  (mensem)  nur  am  Kanal 
inOuistrcham  erscheint,  wo  auch  sicesät  (sexaginta)  vorkommt,  daß  jenes 
aber  noch  weitere  Gebiete  umfaßt  als  dieses.  Angemerkt  sei  immer- 
hin, daß  im  Gebiete  von  mw^  (übrigens  pisum  überall  pe  oder  p^ 
Einwirkungen  des  Labials  auf  den  folgenden  Vokal  sonst  nicht  zu 
finden  sind,  vgl.  magistrum  (84),  main  (85),  die  hier  ma^tr.  mit 
(Benouville),  mäy,  möy,  lauten;  dieLabialisierungen  sind  recht  eigentlich 
in  der  Südwestecke  des  Bezirks  zu  Hause ;  auf  gleichem  oder  benach- 
bartem Gebiete,  wo  mwetr  und  miüe  erscheinen,  finden  sich  auch 
mwoje  (manducare)  und  tutwcye. 

Die  Nebeneinanderstellung  von  ahlatum,  ad-eccistum-serum, 
articlum  ergibt,  daß  auch  hier  die  Strandgemeinden  am  weitesten 
zum  offenen  Vokal  fortgeschritten  sind:  6Za,  asa,  orta  in  Langrune, 
Hermanville,  Ouistreham  blae,  asae,  ortae,  bl^,  ase,  orte  in  den  übrigen. 
Im  Konsonantismus  fällt  uns  die  völlig  ungleiche  Behandlung  von  anl. 
c  vor  Vokal  (s.  99—102)  auf.  Da  läßt  sich  gar  kein  einheitliches 
Bild  gewinnen;  es  heißt  z,  B.  im  Strandbezirk  St.  Aubin  kcüre 
(curatum),  kyerhö  (carbonem),  kyö  (cor),  tcös  (coxa)  und  im  benach- 
barten Bernieres:  hyüre,  k^rbö,  kyö,  kyös.  Ist  für  kc  nicht  überall 
t'ö  einzusetzen? 

Den  lexikographischen  Abschnitt  wünschte  man  noch  etwas 
reichhaltiger;  wie  groß  die  Verschiedenheiten  innerhalb  eines  so 
kleinen  Gebietes  sein  können,  zeigt  die  Karte  über  pomme  de  terre. 
Auffällig  ist,  daß  eine  Gemeinde  wie  Anguerny  im  Zentrum  des  Be- 
zirks mit  den  Ausdrücken  für  bas  de  porte  (108)  und  glisser  (113) 
allein  steht.  Ein  Blick  auf  die  Ortsnamenkarte  (146)  endlich  lehrt 
uns,  daß  deutsche  Namen  fast  ausschließlich  am  Ornefluß  vertreten 
sind.  Ist  nun  dieser  Teil  des  Landes  auch  im  Wortschatze  stärker 
mit  germanischen  Elementen  durchsetzt,  als  andere  Teile? 

So  ist  mit  dieser  höchst  verdienstlichen  Untersuchung,  auch 
wenn  die  übrigen  Sektionen  einmal  vorliegen,  doch  nur  ein  erster 
Schritt  getan.  Eine  in  gleichen  Grenzen  sich  bewegende  Durchprüfung 
der  einzelnen  Gemeinden  auf  Gebräuche,  Sagen,  Sprichwörter,  überhaupt 


Albert  Baur.     Maurice  Sceve  et  la  Renaissance  Lyonnaise.      39 

alles  geistige  eigentümliche  Leben  hin,  muß  angestellt  ^\erden,  damit 
noch  mehr  Licht  als  bisher  auf  Entstehen,  Schichtung  und  Wanderung 
auch  kleinerer  Nuancen  im  sprachlichen  Leben  falle. 

Hamburg.  Hermann  Urtel, 


Baur,  Albert.     Maurice    Sceve   et  la  Renaissance    Lyonnaise. 
£tude  d'histoire  litteraire.    Paris,  Honore  Champion,  1906. 

Die  Arbeit  Baurs  behandelt  ein  interessantes  Kapitel  aus  der 
Literaturgeschichte  des  16.  Jahrh.  Der  Verf.  stellt  noch  eine  Fort- 
setzung seiner  Untersuchungen  unter  dem  Titel  „Xgs  wuvres  poetiques 
de  Maurice  Sceve"  in  Aussicht,  in  der  er  namentlich  Aufklärung  zu 
geben  verspricht  über  „quelques  points  obscurs  de  l'histoire  de  la 
pohie  lyrique  en  France^  et  en  particulier  de  Vevolution  de  la 
podsie  marotique  ä  la  poesie  de  la  Pleiade'"'.  Schon  die  jetzt  vor- 
liegende Schrift,  welche  auf  128  sehr  eng  gedruckten  Seiten  eine 
Fülle  von  wertvollem  Material  verarbeitet,  ist  eine  beachtenswerte 
Leistung.  Mit  Glück  ist  der  Verf.  überall  bestrebt,  die  Schilderung 
und  Beurteilung  Sceves,  seines  Lebens  und  seiner  Dichtung,  in 
Zusammenhang  mit  den  Verhältnissen  der  Zeit  und  der  Entwicklung 
der  Literatur  zu  bringen  und  das  Bild  des  Dichters  zu  einem  Bild 
der  Renaissancebewegung,  welche  in  jenen  Tagen  Lyon  zu  einem 
Bildungszentrum  ersten  Ranges  gemacht  hat,  zu  erweitern.  Die  Lyoner 
Renaissance,  deren  Ursprung  und  Entwicklung  Baur  bis  auf  Sceve  im 
ersten  Artikel  seiner  Arbeit  (S.  1  —  21)  darlegt,  wird  S.  6  charakterisiert: 
„notons  le  bien,  cette  Renaissance  nest  pas  venue  par  des  livres 
ou  par  nne  societS  de  savants,  par  une  espece  d'academie;  eile 
s'est  indroduite  par  la  vie  sociale^  par  des  rapports  directs  avec 
des  hommes  du  nionde.  des  banquiers^  des  marchands,  des  industriels, 
et  eile  s'est  devcloppee  sous  Vinßuence  de  l'art  et  du  luxe  italiens, 
dans  une  societe  qui  s'adonnait  ä  la  gaiete  et  ä  des  fetes  auxquelles 
les  femmes prenaint  part.  Voilä  pourquoi  la  Renaissance  lyonnaise 
est  polie^  galante,  sans  aucune  inclinaiion  ä  la  gauloiserie  du 
moyen-äge,  bien  differente  de  celle  du  nord  de  la  France  qui  a  fait 
naitre  Rabelais  et  la  plupart  des  humanistes  frangais.  DansVäme 
de  ceux-ci,  Veveil  s'' est  fait  par  suite  de  lectures  assidues  des  auteurs 
grecs  et  romains  et  par  Vetude  soignee  de  la  jurisprudence  et  de  la 
medecine.  Voilä  aussi  pourquoi  les  femmes  prennent  une  part  si  vive 
ä  la  vie  litteraire  de  Lyon^  beaucoup  plus  que  dans  aucune  autre  ville 
de  la  France'-\  Gerade  dem  geistigen  Leben  zu  Lyon,  welchem  die 
Einführung  der  Buchdruckerkunst  neuen  Aufschwung  verlieh,  verdankt 
Sceve  die  reichsten  Anregungen.  Zuerst  (1533)  erwarb  sich  Sceve 
durch  die  Auffindung  des  —  angeblichen  —  Grabes  von  Petrarcas 
Laura  einen  Ruhm,  welcher  ihm  von  seinen  für  Petrarca  schwärmenden 
Zeitgenossen  nicht  vergessen  wurde  (noch  12  Jahre   darauf   widmete 


40  Referate  und  Rezensionen.     Kurt  Glaser. 

ihm  Jean  de  Tournes  in  Erinnerung  an  jenen  Fund  seine  Ausgabe 
der  Diclitungen  Petrarcas).  Zwei  Jahre  später  trat  Sceve  mit  seiner 
ersten  literarischen  Leistung,  dem  sentimentalen  Roman  „La  deplourahle 
fin  de  Flamete''  hervor.  Die  kühle  Aufnulime,  welche  der  Roman 
fand,  wurde  noch  in  demselben  Jahre  durch  den  Triumph  wieder 
wettgemacht,  welchen  seine  im  Stil  von  Marots  „Epigramme  du  heau 
Tetin"  gehaltenen  „Blasons  du  Front,  du  SourcM,  de  la  Lärme, 
du  Soupir  et  de  la  Gorge'^  namentlich  bei  der  Damenwelt  fanden. 
Sceve  wurde  zum  Lohne  für  seine  Dichtung  von  einem  Gerichtshof 
kunstsinniger  Damen,  an  deren  Spitze  Renee  von  Frankreich  stand, 
durch  die  Verleihung  des  Dichterlorbeers  ausgezeichnet.  Das  plötzliche 
Ende  des  Dauphin  Franz,  welches  Lyon  zum  Schauplatz  der  grausamen 
Hinrichtung  seines  Mörders,  Seba^^tien  de  Montecucculi,  machte,  ver- 
anlaßte  Sceve,  im  Verein  mit  anderen  Humanisten  (insbesondere  Dulet) 
zu  einer  Anzahl  von  lateinischen  und  französischen  Poesieen,  in 
welchen  er  das  traurige  Schicksal  des  hoffnungsvollen  Dauphin  beklagt. 
Sceves  Dichtungen  über  den  Tod  des  Dauphin,  namentlich  sein  ganz 
in  mythologischer  Allegorie  gehaltener  „Arion"  zeigen  ihn  uns  schon 
an  der  Spitze  der  literarischen  Bewegung  von  Lyon,  inmitten  der 
humanistischen  Dichtertätigkeit,  welche  die  nächsten  Jahre  seines 
Lebens  erfüllt.  Und  schon  wird  Sceve  zum  Gegenstand  des  Lobes 
und  der  dichterischen  Verherrlichung  durch  seine  Freunde.  Als 
dann  aber  das  Eindringen  tler  Reformation  in  Frankreich  und  die 
religiösen  Verfolgungen  und  Kämpfe,  welche  sie  im  Gefolge  hatte,  die 
Blüte  der  Renaissance  in  Lyon  zerstörten,  als  Dolet  auf  dem  Scheiter- 
haufen endigte,  als  Bonaveuture  Desperiers  sich  freiwillig  den  Tod 
gab  und  Marot  in  die  Verbannung  gehen  mußte,  wandte  sich  Sceve 
der  platonisierenden  Poesie  zu,  wie  sie  durch  Margaretha  von  Navarra 
in  Frankreich  Mode  geworden  war.  Sein  Hauptwerk,  die  „Delie'^ 
(1544),  ist  ein  Meisterwerk  platonischer  und  petrarkisierender  Liebes- 
erotik. Die  DMie  ist  nach  den  Ausführungen  Baurs  au  Pernette  du 
(iuillet,  eine  auch  als  Dichterin  bekannte  vornehme  Dame  von  Lyon, 
gerichtet,  während  sonst  auch  die  Annahme  begegnet,  daß  in  der 
Dichtung  bloß  eine  ersonnene  Geliebte  gefeiert  wird  (Birch-Hirsch- 
feld,  Geschichte  der  franz.  Literatur.  1900.  S.  321).  Vielleicht  wird 
Baur  Veranlassung  nehmen,  in  den  weiteren  Unter>uchungen,  welche 
er  über  die  ,.,DeUe''  in  Aussicht  stellt,  noch  größere  Klarlieit  über 
diesen  Punkt  zu  bringen.  Neben  der  „Delie"  bezeichnet  die  „Saul- 
saye^  eglogue  de  la  vie  solitaire""  (1547)  die  Höhe  von  Sceves 
dichterischem  Schaffen.  Voll  Melancholie  über  den  frühen  Verlust 
seiner  jugendlichen  Geliebten,  spiegelt  die  Dichtung  zugleich  etwas 
von  der  trüben  Stimmung,  in  welche  der  Tod  von  Franz  L,  dem 
Beschützer  von  Literatur  und  Kunst,  den  Dichter  versetzt  hat. 
Der  feierliche  und  pomphafte  Einzug,  welchen  Franz  I.  Nachfolger, 
Heinrich  IL,  im  Jahre  1548  zu  Lyon  hielt,  gab  Sceve  den  Anlaß  zu 
einer  in   amtlichem  Auftrag  angefertigten   ausführlichen  Beschreibung 


Albert  Baur.     Maurice  Sceve  et  la  Renaissance  Lijonnaise.      41 

der  glänzenden  Veranstaltungen,   an   denen  er  selbst  als  Leiter  einen 
wichtigen  Anteil  genommen  hatte. 

Zu  den  interessantesten  Fragen,  welche  Baur  in  seiner  Studie 
aufwirft,  gehört  die  des  Verhältnisses  von  Sceve  zur  Plejade.  Sceve 
hat  wie  Baur  andeutet  (auch  hier  eine  spätere  Ergänzung  in  Aussicht 
stellend),  in  seinen  der  ^^Deffence''  Du  Bellays  vorausliegenden  Dich- 
tungen schon  die  wesentlichsten  der  von  der  Plejade  erhobenen 
Forderungen  erfüllt;  er  ist  so  ziemlich  der  einzi2;e  Dichter  jener  Zeit, 
der  vor  den  Augen  des  strengen  Verfasser  der  „Z^^^Wzcg"  Gnade  gefunden 
hat,  und  einer  der  wenigen,  den  Ronsard  als  einen  seiner  Vorläufer 
gelten  lassen  wollte,  i)  Der  Gegenschrift  von  Barthelemy  Aiieau  „Quin- 
til  Horatian''\  steht  Sceve  fern,  und  Baurs  Darlegungen  bezwecken 
zu  zeigen,  daß  die  Schrift  überhaupt  nicht  die  Stimmung  des  Lyoner 
Dichterkreiies,  welchem  ihr  Verfasser  angehörte,  wiedergibt.  Über 
die  Jahre,  welche  Sc6ves  letztem  Werk,  dem  philosophischen  Gedicht 
y,  Micro  CO  smC  vorausgehen,  ist  uns  nichts  bekannt.  Wir  wissen  nur 
aus  einer  Stelle  des  Eingangssonetts  des  y^Microcosme'-'-,  daß  der 
Dichter  „divers  paW  durchreist  hat.  Der  „Microcosmc^'  erschien 
in  dem  für  die  Geschichte  von  Lyon  so  stürmischen  Jahr 
1562,  vielleicht  kurz  vor  der  Eroberung  der  Stadt  durch  die  Pro- 
testanten am  30.  April  1562.  Im  Widerspruch  zu  der  Ansicht,  daß 
Sceve  in  Lyon  gestorben  sei  (F.  Brunetiere,  Grande  EncyclopMie, 
Art,  Sceve\  macht  Baur  wahrscheinlich,  daß  unser  Dichter  während 
der  Kriegswirren,  welche  über  Lyon  kamen,  die  Stadt  verlassen  hat 
und  in  der  Fremde  gestorben  ist. 

Schon  aus  diesen  kurzen  Mitteilungen  über  die  Hauptergebnisse 
von  Baurs  Schrift  erhellt,  daß  Baur  in  vielen  Punkten  unsere  Kenntnis 
von  Sceves  Leben  und  Werken  erweitert  hat,  währerd  er  in  anderen 
Punkten  zu  Resultaten  gelangt  ist,  welche  von  der  bisherigen  Forschung 
abweichen.  Namentlich  bedeutet  die  Darlegung  Baurs  über  das  Ver- 
hältnis der  Plejade  zum  Lyoner  Dichterkreis  einen  wertvollen  Beitrag 
zur  Literaturgeschichte  des  16.  Jahrb.  (vgl.  auch  Bourciez.  Le>  mceurs 
polies  et  la  littSrature  de  cour  saus  Henri  II.  S.  126  ff.)  Weniger 
als  auf  Sceve?  Leben  und  die  Entwicklung  seiner  Dichtung  ist  Baur 
bisher  auf  Sceves  Dichtungen  selbst,  ihren  Inhalt  und  Charakter, 
eingegangen.  Diese  durch  die  dunkele  und  schwülstige  Schreibweise 
Sceves  erschwerte  Aufgabe  bleibt  der  Fortsetzung  seiner  Studie  vor- 
behalten, von  der  wir  noch  manche  interessante  Aufschlüsse  erwarten 
dürfen. 

An  Einzelheiten  —  von  den  oft  störenden  Druckfehlern  ab- 
gesehen —  notierte  icli  noch  zu  S.  7,  Anm.  1:  Reuro  (l'abbe)  La 
presse  politique  ä  Lyon  pendant  la  Ligue.     Lyon   1898;   zu  S.  4 


1)  Zu  Ronsards  Lob  über  Sceve  vgl.  auch  Ilochambcau,  La  famille  de 
Ronsard  (Paris  ISfiSj  S.  200,  251. 


42  Referate  und  Rezensionen.      Wolfgang  Martini. 

Anm,  1 :  ^^La  Reformation  des  Dames  de  Paris  faicte  par  les 
Lyonnaises"  in  Montaiglon-Rothschild,  Recueil  de  pohes  franpaises 
des  XV'  et  XVP  siecles,  VIII.  S.  244—252;  „La  Replique  faicte 
par  les  dames  de  Paris  contre  Celles  de  Lr/on'',  ib.  S.^253 — 257. 
Marburg  i.  H.  Kurt  Glaser. 

Zangroniz,  Joseph  de.  Montaigne,  Amyot  et  Saliat.  £tude 
sur  les  sources  des  Essais.  Paris,  Honore  Champion,  1906.  — 
Tome  septieme  de  la  ,,Bibliotheque  litieraire  de  la  Re- 
7iaissance"  dirigee  par  P.  de  Nolhac  et  L.  Dorez.  XVI  u. 
196  p.  in- 8«.     Prix:  6  fr. 

Der  Haupttitel  entspricht  nicht  genau  dem  Inhalt:  das  Buch 
bietet  weniger,  denn  es  ist  eine  ganz  spezielle  Quellenstudie  zu 
Montaignes  „£'ssazs",  während  die  Übersetzer  Amyot  und  Saliat 
ausschließlich  als  Inspiratoren  Montaignes  in  Betracht  kommen;  und 
es  bietet  mehr,  denn  es  ist  auf  dem  somit  enger  umgrenzten  Gebiete 
nahezu  erschöpfend  und  beschränkt  sich  durchaus  nicht  auf  die  im 
Titel  genannten  Autoreu.  Der  Verfasser  stellt  die  wesentlichsten 
der  ungemein  zahlreichen  Entlehnungen  Montaignes  und  den  Text 
der  Originalstellen  neben  einander.  Freilich  war  es  nicht  möghch, 
alle  Plagiate  in  dieser  Weise  zu  behandeln,  ohne  ein  Werk  von  der 
Größe  der  „Essais"  zu  schreiben.  Es  sind  hauptsächlich  Plutarch 
und  Diodorus  Siculus  in  der  Übersetzung  von  Amyot,  und  Herodot 
in  der  von  Saliat,  aber  auch  Seneca,  Caesar,  Tacitus,  Livius,  Cicero 
etc.,  denen  Montaigne  seine  Weisheit  entnimmt.  Es  ist  das  Verdienst 
des  Verfassers,  an  wörtlichen  und  stilistischen  Übereinstimmungen 
nachgewiesen  zu  haben,  wie  genau  sich  Montaigne  an  die  französischen 
Übersetzer  der  genannten  griechischen  Autoren  anlehnt.  Alle  die 
zahlreichen  bisherigen  kommentierten  Ausgaben  der  „Essais^'  verweisen 
an  solchen  Stellen  auf  moderne  Übersetzungen  z.  B.  des  Plutarch,  die 
natürlich  von  der  charakteristischen  Übertragung  Amyots  wesentlich 
verschieden  sind.  Montaigne,  der  nicht  Griechisch  verstand,  ist  aber 
durchaus  von  Amyot  abhängig.  Die  neuste,  von  Strowski  vorbereitete 
fidition  definitive  (sous  la  direction  des  Archives  Municipales  de 
Bordeaux)  wird  diese  Resultate  praktisch  verwerten. 

Der  Verfasser  untersucht  nach  einander  die  drei  an  Umfang 
sehr  verschiedenen  Ausgaben  der  „Essais"  (1580,  1588,  1595)  und 
stellt,  hauptsächlich  an  den  Differenzen  in  den  Entlehnungen,  aber 
auch  durch  Originalzitate  die  innere  Entwicklungsgeschichte  von 
Montaignes  Anschauungen  in  den  letzten  20  Jahren  seines  Lebens  fest. 

Die  eifrigen  Bemühungen  des  Verfassers,  die  Plagiate  zu  ent- 
schuldigen, sind  für  den  historisch  Denkenden  unnötig.  An  geistiges 
Eigentum  in  unserem  Sinne  war  in  jener  Zeit  weder  juristisch  noch 
morali:>ch  zu  denken.  Montaigne  plündert  sicherlich  mit  gutem 
Gewissen,  auch  wo  er  seinen  Gewährsmann  nicht  nennt.    Das  beweist 


Carl  Steinweg.     Corneille.     Kompositions  Studien  zum  Cid.         43 

im  Sinne  seiner  Zeit  nichts  gegen  seine  Moral,  wohl  aher  gegen 
seine  Originalität.  Die  Plagiate  sind  allzu  wenig  innerlich  verarbeitet, 
großenteils  nachlässig  und  fehlerhaft  oder  höchstens  ein  paar  Mal  in 
den  historischen  Tatsachen  absichtlich  gefälscht,  um  eine  stärkere 
Wirkung  zu  erzielen:  „Gasconnaden"  nennt  das  de  Zangroniz  unter 
Anspielung  auf  Montaignes  südfranzösische  Herkunft  (p.  37  f.,  43,  58). 
Wir  haben  infolge  dieser  Nachweise  um  so  mehr  Grund,  die  traditionelle 
Überschätzung  dieses  wenig  selbständigen  und  in  allen  Dingen  der 
Mittelmäßigkeit  huldigenden  Denkers  auf  eine  angemessenere  Beurteilung 
zurückzuführen.  De  Zangroniz  zieht  diese  Konsequenz  nicht  aus- 
drückhch,  aber  sie  ist  implicite  in  seiner  Arbeit  enthalten.  Trotzdem 
ist  er  nicht  frei  von  der  Neigung  fast  aller  Autoren,  ihren  Helden 
zu  überschätzen.  So  ist  die  Behauptung,  Kaut  verdanke  Montaigne 
viel  betreffs  seines  transcendentalen  Idealismus  (p.  111  f.),  durch  nichts 
gerechtfertigt.  Kant  ging  von  Humes  Skepsis  aus,  nicht  von  der, 
die  Montaigne  aus  zweiter  und  dritter  Quelle  den  Sophisten  des 
Altertums  nachredet,  oder  gar  von  dem  ziemlich  oberflächlichen 
Stoizismus,  den  er  Seneca  entlehnt. 

Neben  dem  dankenswerten  Index  der  Autorennamen  wäre  in 
diesem  zitatenreicheu  Buche  eine  Bibliographie  erwünscht  gewesen. 
Mehrere  Zitate  lese  ich  in  meinen  Ausgaben  anders  (z.  B.  p.  109, 
D.  1:  Herodot  YII.  10,  (wo  auch  Druckfehler:  ia  und  ecuuiov  muß 
es  heißen)  und  p.  129  das  Zitat  aus  Terenz). 

Leipzig.  Wolfgang  Martini. 


Steinweg,  Carl.  Corneille.  Kompositionsstudien  zum  Cid, 
Horace,  Cinna,  Polyeucte.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des 
französischen  Dramas.  Halle  a.  S.  Verlag  von  Max 
Niemeyer.     1905.     VHI  +   303  S.  8°. 

Studien  über  Komposition  von  Kunstwerken  sind  wohl  eher 
geeignet  über  die  Kuustanscbauuiig  verschiedener  Zeiten  und  Systeme 
aufzuklären,  als  das  Wesen  des  Kunstwerkes  selbst  zu  enthüllen.  Solche 
Studien  können  wohl  in  exakter  Weise  zeigen,  welche  künstlerischen 
Mittel  einer  Zeit  oder  einer  Persönlichkeit  zu  plastischem  Ausdruck 
zur  Verfügung  standen,  sie  können  auch  häufig  die  ganz  originelle, 
formal-bedeutsame  Veranlagung  eines  Künstlers  zeigen,  ja,  sie  sind 
sogar  manchmal  im  Stande  uns  auf  bestimmte  seelische  Zustände  des 
Schaffenden  zurückzuführen  —  aber  das  Wesen  des  Kunstwerkes 
an  sich  erklären  solche  Untersuchungen  nicht. 

Sicher  ist  es  auch  nicht  angängig,  den  letzten  Wert  von  Kunst- 
werken nach  technisch-kompositionellen  Eigenschaften  zu  bestimmen. 
Man  kann  wohl  sagen,  daß  dieses  Stück  besser  komponiert  ist  als 
jenes,  daß  es  straffer  zusammengehalten,  durch  eine  wohlberechnete 
Bühnenwirkung  ausgezeichnet  ist  —  aber  der  innerste,  wahre  Gehalt 


44  Referate   und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

einer  Schöpfung  wird  niclit  durch  eine  solrijo,  noch  so  richtige  und 
vernünftige  Kritik  berührt. 

Der  aUe  Balzac  ist  allen  Kritikern  des  CornGÜle  von  Scuderi 
bis  auf  Steinweg  dadurch  überlegen,  daß  er  sich  nicht  scheute  au3- 
zuNprechen:  ,,Wenn  Ihr  alle  auch  unwiderleglich  recht  hättet,  so  könnte 
sich  Corneille  dennoch  ruhmvoll  über  den  Verlust  seines  Prozesses 
trösten  und  Euch  lehren,  daß  es  mehr  wert  ist  ein  ganzes  Königreich 
zufrieden  gestellt  zu  haben,  als  ein  regelrechtes  Stück  zu  schreiben.'- 
Und  er  fügt  hinzu  ,.,11  y  a  des  beauth  parfaites,  qui  sont  effacSes 
par  d'autres  heautis  qui  ont  plus  d'agrenient  et  nioins  de  perfection; 
et.,  parceque  Vacquis  nest  pas  si  noble  que  le  naturel.,  ni  le  travail 
des  hommes  que  les  dons  du  ciel,  on  vous  pourrait  encore  dire  que 
savoir  Vart  de  plaire  ne  vaut  pas  tant  que  savoir  plaire  sans  art.'^ 
Diese  freie  und  schöne  Auffassung  Balzacs  mangelt  den  Untersuchungen 
Steinwegs;  sie  enden  mit  einer  energischen  Zensurerteilung:  Corneille 
hat  eigentlich  nur  ein  Stück  geschrieben,  die  Iloratier,  zu  denen  Cid 
die  Vorstufe  war.  Der  literarhistorischen  Bedeutung  des  Cid  wegen, 
auch  um  des  Hcrderschen  Cid  willen,  wird  man  nicht  gut  um  die 
Lektüre  dieses  Stückes  auf  unseren  höheren  Biliungsanstalten  herum- 
kommen, auch  auf  höheren  Töchterschulen  gegen  die  Lektüre  des 
Polyeuct  nichts  einwenden  können,  den  Cinna  aber  sollte  man  absetzen 
und  Horace  vor  allen  anderen  bevorzugen;  er  gibt  uns  Corneille  als 
Tragöden. 

Warum  ist  Horace  das  beste  Stück?  Weil  angeblich  nur  in  den 
Horatiern  die  Handlung  durch  Verbindung  mit  einer  Idee  künstlerisch 
gehoben  ist  und  weil  die  Befolgung  des  von  Steinweg  entdeckten  fünf- 
teiligen Schemas  a-|-b-j-c-l-b-j-a  in  diesem  Werke  bis  zur  Virtuosität 
ausgebildet  ist.  Andere  Gründe  für  diese  Wertschätzung  vermag  ich 
in  Steinwegs  Kompositionsstudien  nicht  zu  entdecken.  Aber  die  Un- 
antastbarkeit dieses  positiven  Urteils  scheint  mir  nach  Steinwegs 
eigenen  Ausführungen  nicht  gar  so  sicher.  Wie  kann  Horace  das 
absolut  beste,  das  einzige  Werk  sein,  wenn  die  von  Corneille  über- 
nommenen Bühnentypen  „in  ihrer  Charakterzeichnung  von  Stück  zu 
Stück  höher  entwickelt  werden"  und  „in  immer  verfeinerter  und  er- 
hobener Bearbeitung"  erscheinen,  oder  wenn  der  Dialog  im  Polyeuct  „die 
übrigen  Stücke  an  Lebendigkeit  bei  weitem  übertrifft."  Demnach 
haben  also  Dramen,  die  nach  dem  Horace  geschaffen  sind,  Vorzüge 
aufzuweisen,  die  diesem  Werke  abgehen.  Die  Urteile  Steinwegs  er- 
scheinen somit  unsicher  und  widerspruchsvoll. 

Auch  sonst  fehlt  es  nicht  an  Widersprüchen.  Der  auffallendste 
ist  der:  Auf  S.  64/65  meint  der  Verfasser,  das  künstlerische  Vorbild 
der  gotischen  Kathedrale  sei  für  den  Dichter  bei  der  Komposition 
des  Horace  geradezu  maßgebend  gewesen.  Für  den  in  Ronen,  einer 
der  Hauptstätten  gotischer  Baukunst,  geborenen  Corneille  und  seine 
so  hervorragende  architektonische  Begabung  seien  die  gotischen  Formen 
wohl  nicht  ohne  Eindruck  geblieben. 


Carl  Steinweg.     Corneille.     Kompositionsstudien  zum  Cid.        45 

Auf  Seite  QQ  bezeichnet  er  Leonardo  da  Vincis  heiliges  Abend- 
mahl als  die  ideale  Illustration  der  Kompositionsweise  Corneilles,  des 
geistigen  Nachkommen  jener  unvergleichlichen  Cinquecentisten,  besonders 
was  sein  architektonisches  Empfinden  angeht.  Entweder  ist  Corneille 
ein  Schüler  der  Gotik  oder  ein  Nachkomme  der  Renaissance,  beides 
zugleich  scheint  mir  unmöglich.  Auf  Seite  245  haben  die  Figuren 
Corneilles  „auch  mehr  Barockcharakter,  als  daß  sie  .  .  .  romantisch 
wären."  Warum  wohl  Barockcharakter?  „Ihre  riesenhaften  Leiber 
werfen  schwere  Schlagschatten  auf  ihren  Hintergrund,  der  noch  dazu 
durch  die  Kontrastfiguren  extra  für  sie  zurecht  gemacht  wurde." 

Sicherlich,  ein  warmes  Empfinden  für  die  Werke  der  Kunst 
und  der  unleugbar  richtige  Gedanke  von  den  engen  Beziehungen 
zwischen  den  Darstellungen  der  bildenden  Kunst  und  den  Werken  der 
Dichtung  haben  den  Verfasser  der  Kompositionsstudien  geleitet,  aber 
ein  enger  Schematismus  auf  der  einen  Seite,  kühne  Phantasie  auf  der 
andern  haben  ihm  seine  Arbeit  getrübt. 

Durchaus  unhaltbar  ist  die  Konstruktion  des  Schemas 
a-|-b4  c-|-b+a.  Corneille  soll,  besonders  im  Horace,  eine  Reihe 
von  Versabteilungen  so  komponiert  haben,  daß  in  der  Mitte  ein  kurzes 
Haupt-  und  Kernstück,  Omphalos,  steht,  um  das  herum  vier  Stücke 
so  gruppiert  sind,  daß  sie  sich  dem  Inhalt  symmetrisch  entsprechen. 
Das  erste  so  komponierte  Stück  im  Horace  ist  die  Erzählung  der 
Camilla  von  Orakclspruch  und  Traum  (vers  163  ff.).  Um  zu  der 
Fünfteilung  zu  gelangen,  wird  von  Steinweg  zuerst  die  „Einleitung 
zur  Traumerzählung'*   abgetrennt.     Dann  erhält  er  das  Schema: 

a)  Verlobung  20  Verse 

b)  Orakel  10      „ 

c)  Freude  darüber  4  „ 
b^)  Begegnung  mit  Valere  12  „ 
ai)  Traum  8 

„Die  äußeren  Teile  ...  die  von  der  Verlobung  und  vom  Traum 
der  Camilla  reden,  enthalten  das,  was  Furcht  und  Schrecken  erregt, 
die  inneren,  das  Orakel  und  die  Begegnung  mit  Valere,  den  Grund 
und  die  Wirkung  der  Freude.  Die  4  Verse  der  Mitte  aber  befassen 
sich  ausschließlich  mit  der  Person  selber,  deren  Freude  alles  Auf- 
fällige in  ihrem  Wesen  erklären  soll." 

Die  Hauptsache  in  dieser  Erzählung,  die  Teile,  die  das  dramatische 
Interesse  am  stärksten  an  sich  fesseln,  sind  Orakel  und  Traum,  das  zwei- 
deutig gehaltene,  die  Ahnung  erregende  Oiakel  und  der  die  bange 
Ahnung  verstärkende,  schlimme  Traum.  Die  mit  der  Naclit  verflogene 
Freude  der  Camilla  über  das  mißverstandene  Orakel,  die  im  Augen- 
blick der  Erzählung  schon  wieder  der  Angst  Platz  gemacht  hat,  ist 
nur  eine  Begleiterscheinung  gegenüber  dem  Gefühl  der  dramatischen 
Spannung,  das  zu  erregen  Corneilles  einzige  Absicht  in  dieser  Stelle  war. 


46  Referate  und  Rezensionen.     Waliher  Küchler. 

Wie  in  diesem  Falle,  so  ist  es  stets.  Das  Schema  a-|-b-f-c-}-b+a 
hält  nirgendwo  einer  unbefangenen  Prüfung  stand.  Wie  sollte  auch 
Corneille  dazu  kommen,  sich  ein  solch  verzwicktes  Schema  auszuklügeln! 
Nach  Steinweg  soll  auch  die  Komposition  der  Szenen  zu  Akten, 
schließlich  das  Gerüst  der  Akte  selbst  „dem  schematisch-symmetrischen 
Prinzip  des  Dichter-Arcliitektcn  zum  Opfer  gefallen"  sein.  Aber 
auch  diese  Behauptung  muß  ich  bestreiten. 

Eine  Besprechung  des  Steinwegschen  Buches  an  anderem  Orte 
rühmt  seine  deutsche  Gründlichkeit.  Steinwegs  Buch  ist  sicher  gut 
gemeint,  aber  seine  Gründlichkeit  ist  Tüftelei.  Seien  wir  sparsam  mit 
dem    Lobe  unserer    deutschen   Gründlichkeit. 

GIESSEN.  Walther  Küchler. 


Waldber^,  Max,  Freiherr  von:  Der  empfindsame  Roman  in 
Frankreich.  Erster  Teil.  Die  Anfänge  bis  zum  Beginne 
des  XVm.  Jahrb.  XIII  u.  489  S.  8^^.  Straßburg  und  Berlin. 
Verlag  von  Karl  J.  Trübner.     1906.     Preis:  6  M. 

Meiner  Überzeugung  nach  muß  die  Darstellung  der  Geschichte 
des  empfindsamen  Romans  in  Frankreich  mit  „Xe  Grand  Cyrus"' 
der  Mademoiselle  de  Scudery  einsetzen.  Fast  alle  empfindsamen 
Elemente,  die  von  Waldberg  in  den  von  ihm  zu  seiner  Untersucliung 
herangezogenen  Romanen  hervorhebt,  sind  entweder  in  gleicher  Stärke, 
zum  mindesten  aber  im  Keime  in  diesem  Werke  vorhanden.  Eine 
ganze  Reihe  von  Motiven,  die  von  Waldberg  als  neu  z.  B.  in  den 
Romanen  der  Mademoiselle  de  la  Force  entdeckt  hat,  sind  im  „  Grand 
Cyrus'-'-  nachzuweisen.  Nicht  nur  einzelne,  in  der  Ungeheuern  Masse 
des  Romans  verstreute  empfindsame  Elemente  weist  der  „Grand 
Cyrus''  auf,  sondern  die  Motive  und  Konflikte  einer  Reihe  der  in 
den  weiten  Rahmen  des  Romans  eingestreuten,  selbständigen  Er- 
zählungen sind  entschieden  sentimentaler  Art.  Diese  kleinen  Romane 
stehen  an  psychologischer  Bedeutung  weit  über  der  sie  umspannenden 
Cyrusgeschichte,  und  keiner  der  späteren  empfindsamen  Romane  bis 
in  das  18.  Jahrb.  hinein  übertrifft  sie  an  Innerlichkeit  des 
Gegenstandes. 

Ein  Roman  wie  die  „Uistoire  de  la  Reine  de  Navarre'-''  der 
Mademoiselle  de  la  Force  kommt  in  seiner  Anlage  (Rahmenerzählung, 
abenteuerliche  Ereignisse,  eingestreute  Episoden)  nicht  über  die  des 
„Grand  Cyrus""  hinaus.  Mögen  auch  in  Einzelheiten  Fortscliritte  in 
der  Technik  des  Erzählens  vorhanden  sein,  so  sind  diese  Fortschritte 
doch  nicht  so  erheblich  oder  so  neuen,  bisher  unbekannten  Charakters, 
daß  eine  historische  Darstellung  der  „Entwicklungsgeschichte"  des 
empfindsamen  Romans  nicht  über  sie  hinaus  auf  das  unmittelbar  wirkende 
Vorbild  hätte  zurückgehen  müssen.  Es  ist  aber  ganz  unzweifelhaft,  daß 
die  Romanschreiber  und  Schreiberinnen  der  von  Waldberg  behandelten 


Max  Waldberg.     Der  empfindsame  Roman  in  Frankreich.         47 

Zeit  in  mannigfacher  Beziehung  von  Mlle  de  Scudery  abhängig  sind. 
Sicher  war  die  Reaktion  gegen  sie  stark,  mochte  sie  nun  von 
ästhetischen  Kritikern  oder  von  den  Verfassern  der  realistischen  Romane 
kommen.  Sicher  wurden  ihre  Romanuugetüme  verspottet  und  sicher 
trug  sie  selbst  mit  dazu  bei,  die  Gattung,  die  sie  pflegte,  in  Verruf 
zu  bringen.  Aber  ebenso  sicher  ist  auch,  daß  die  Generation  der 
Mme  de  Sevigne  in  dem  Geiste,  der  aus  ihren  Romanen,  besonders 
aus  dem  „Grand  Cyrus'-^  atmete,  aufwuchs  und  ihre  Kunst  mit 
ehrlicher  Hingabe  bewunderte.  Das  Unsinnige  in  ihrem  Werke,  die 
endlose  Länge,  wurde  bald  erkannt.  Dieser  Ausdehnung  wurde  bald 
eine  Grenze  gesetzt.  Aber  im  Grunde  war  mit  diesem  ganz  natür- 
lichen Fortschritt  nichts  wesentlich  Neues  gewonnen.  Man  brauchte 
nur  den  ,,G7'and  Cyrus'-''  in  Stücke  zu  schlagen,  und  man  hatte 
mindestens    ein  Dutzend   ganz  annehmbarer  „empfindsamer"  Romane. 

Ich  glaube  nicht,  daß  ich  mich  täusche.  Man  muß  nur  einmal 
den  Roman  lesen  oder  wenigstens  die  eingestreuten  Einzelromane,  und 
man  wird  sich  überzeugen,  daß  man  es  in  ihnen  keineswegs  nur  mit  steifen 
Paradepuppen  zu  tun  hat.  Allerdings  steckt  auch  in  diesen  Erzählungen 
ein  gutes  Stück  Manier  und  Preziosität,  aber  wer  wird  leugnen,  daß  es 
die  noch  nicht  entarteten  Preziösen  gewesen  sind,  die  zuerst  die  moderne 
Empfindsamkeit  gekannt  haben.  Ich  darf  wohl  darauf  verzichten,  in 
dieser  Besprechung  Beweise  für  das  behauptete  Vorhandensein  von 
Empfindsamkeit  im  ,,Grand  Cyrus"-  zu  erbringen,  ich  werde  in  Kürze 
an  anderer  Stelle  die  Frage  ausführlicher  behandeln,  als  es  hier  der 
Fall  sein  kann.  Es  kam  mir  hier  nur  darauf  an,  festzustellen,  daß 
der  empfindsame  Roman  in  Frankreich  sich  nicht  im  Gegensatz  zu 
dem  sogenannten  „heroisch -galanten"  Roman  entwickelt  hat.  Was 
absterben  mußte  aus  dieser  Gattung,  das  starb  ab.  Was  aus  ihr 
erhalten  blieb,  was  sich  weiter  entwickelte  und  verinnerlichte,  das 
waren  gerade  die  Elemente,  die  den  „heroisch-galanten"  Roman  am 
stärksten  und  innigsten  mit  der  Kultur  seiner  Zeit  verbanden,  nämlich 
sein  empfindsamer  Gehalt,  der  Versuch  das  Rein-Seelische  und  Mensch- 
liche zu  erfassen  und  künstlerisch  wiederzugeben. 

Herr  von  Waldberg  bringt  mit  großem  Geschick  eine  Reihe 
von  Strömungen,  Stimmungen,  Tendenzen,  Geschmacks-  und  Glaubens- 
wandlungen aus  verschiedenen  Gebieten  menschlicher  Betätigungen 
und  Anschauungen,  aus  verschiedenen  sozialen  und  gesellschaftlichen 
Schichten  herbei,  die  alle  von  Einfluß  gewesen  sind  auf  die  Entwicklung 
des  empfindsamen  Romans,  er  stellt  auf  diese  Weise  das  Wachsen 
der  Gattung  in  engen  Zusammenhang  mit  dem  Zustand  der  sie 
bedingenden  Kultur,  aber  so  weit  und  umfassend  der  Kreis  seiner 
Forschung  auch  ist,  er  hätte  ihn  noch  weiter  ausdehnen  können  und 
die  so  gewonnenen  Gebiete  noch  intensiver  für  seine  Zwecke  bearbeiten 
und  fruchtbar  machen  können.  Es  mag  wohl  auch  sein,  d;iß  er  zu 
Gunsten  der  von  ihm  behandelten  Zeit,  trotz  der  so  reichlichen  und 
stets  so  außerordentlich    anregenden  Exkurse   in  frühere  Zeiten   das 


48  Referate  und  Rezensionen.     WaJther  Küclder. 

früher  Gealmte  und  Geleistete  etwas  uuter^chätzt  und  deshalb  nicht 
genügend  ausnutzt.  Hätte  z.  B.  von  Waldberg  bei  irgend  einem 
Autor  in  einem  Werke,  sagen  wir  aus  dem  Jahre  1695,  einen  Aus- 
spruch gefunden  wie  den  folgenden  „X^s  esprits  müancoliques  regoi- 
vent  an  centre  ce  gni  ne  tauche  les  autres  quen  VextSrieur'-^,  so 
würde  er  wohl,  von  diesem  Gedanken  ausgehend,  allerlei  gute  und 
belehrende  Ausfuhrungen  gegeben  haben,  und  mit  Recht;  denn  dieses 
Wort  enthüllt  uns  eine  feine  seelische  Disposition,  die  auf  modernes 
Empfinden  gestimmt  ist.  Aber  es  ist  bedeutend  älter,  Malherbe  schreibt 
es  in  einem  Briefe  an  Caliste. 

Oder,  um  bei  dem  zweifelhaften  „es  hätte  sein  können"  nicht 
stehen  zu  bleiben,  v.  Waldberg  gibt  an  einer  Stelle  seines  Buches 
dankenswerte  Informationen  über  jenen  vagen  Ausdruck  .^Je  ne  sgay 
quov\  mit  dem  man  eine  Menge  von  unbestimmten  Empfindungen 
und  Eindrücken  bezeichne,  über  die  man  sich  nicht  klar  Rechenschaft 
geben  könne.  Er  zitiert  Stellen  aus  den  späteren  Jahrzehnten  des 
17.  Jahrh,  oder  gar  aus  dem  18.  Jahrb.,  um  zu  zeigen,  welche  Be- 
deutung diese  Phrase  um  diese  Zeit  gewonnen  habe.  Er  hat  ohne 
Zweifel  recht,  und  es  ist  sehr  interessant  zu  sehen,  daß  der  Abbe 
Bouhours  in  seinen  „Entretiens  d'Ariste  et  d^Eugene'-''  (1671)  eine 
ganze  Unterhaltung  diesem  „Jg  ne  scay  qvoy'-^  gewi(-met  hat.  Er 
zitiert  fokende  Stelle,  die  ich  hier  wiedergeben  will:  ,,Ces  impressions, 
ces  penchans,  ces  instincts,  ces  sentime?is,  ces  si/mpathies,  ses  parentez, 
sont  de  beaux  mots  que  les  spavans  ont  inventez  pour  flatter  leur 
ignorance,  et  pour  tromper  les  autres,  apres  s'esire  trompez  eux- 
mesmes.  Un  de  nos  Poetes  en  a  mieux  parle  que  tous  les 
Philosophes:  il  decide  la  chose  en  un  mot. 

11  est  des  jueuds  secrets,  il  est  des  sympathies, 
'  Dont  par  le  doux  rapport  les  ames  assorties 

S\ittaclient  l'une  ä  Vautre,  et  se  laissent  piquer 

Par  ces  je  ne  sgay  quoy  quon  ne  peut  expliquer.''     (p.  344) 

Eine  Stelle  aus  „Le  Grand  Cyrus"-  gibt  diesen  Gedanken  und 
die  ihm  zu  Grunde  liegende  Empfindung  ebenso  deutlich  wieder  und 
hat  den  Vorzug  noch  um  fast  20  Jalire  älter  zu  Fein.  Sie  steht  in 
der  im  zweiten  Buche  des  neunten  Bandes  erzählten  Geschichte  von 
Aglatonice  und  Iphicrate.  Aglatonicc^  wird  von  ihrer  Freundin  Par- 
thenopee  aufgefordert,  sich  über  den  Grund  zu  äußern,  der  sie  ver- 
hindere, Iphicrate  zu  lieben.  Um  die  Situation  etwas  deutlicher  zu 
machen,  will  ich  noch  hinzufügen,  daß  die  beiden  Freundinnen  in 
einem  einsamen  Park  auf  Rasensitzen  am  Strande  des  Meeres  ruhen, 
daß  Aglatonice  träumerisch  über  die  Wogen  schaut  und  lieber  ihrem 
Murmtln  zuhört  als  den  Worten  der  Freundin.  Eine  Situation  also, 
wie  sie  empfindsamer  auch  in  Romanen  der  Mademoiselle  de  la  Force 
kaum  zu  finden  ist.  Aglatonice  aber  entschließt  sich  doch  zu  ant- 
worten.     Sie   sagt,    sie   wisse   den   Grund    selber  nicht.      Sie    müsse 


Max  Waldberg.     Der  empfindsame  Roman  in  Frankreich.         49 

zugestehen,  daßlphicrate  tausend  gute  Eigenschaften  und  keine  schlechten 
habe.  ^Mais  apres  tout,  comme  il  y  a  ie  ne  scay  quoy  qui  fait 
aimer,  ie  suis  persuadee  quil  y  a  aussi  ie  7ie  sgay  quoy  qui  fait 
hair."  Parthenopee  gibt  diese  Möghchkeit  zu,  sie  meint  aber,  die 
Vernunft  müsse  dieses  ^ie  ne  sgay  quoy  chimerique''  überwinden. 
Wrnn  sie  überzeugt  wäre,  daß  der  eine  Liebhaber  nur  gute,  der 
andere  nur  schlechte  Eigenschaften  habe,  so  würde  sie  doch  lieber 
ihrer  eigenen  Überzeugung  glauben,  als  diesem  „ie  ne  sguy  quoy 
qu'on  ne  peut  dire  comment  il  est  fait;  quon  cherche  par  tout; 
et  quon  ne  trouve  en  nulle  part;  et  qui  est  enfin  d'une  si  bizarre 
nature  quon  ne  Ie  spauroit  deffinir"".  Auch  in  den  Porträts  des 
,.Grand  Cyrus"  wird  das  ,,ie  ne  spay  quoy"  nicht  selten  verwertet. 
In  der  Lyrik  ist  es  nicht  nur  im  ]7.  Jahrb.,  sondern  auch  schon 
bei  Marot  und  Ronsard  zu  finden. 

So  ist  es  mit  einer  Reihe  von  Motiven,  die  von  Waldberg  als 
neu  einführt.  Bei  der  Besprechung  des  Einflusses  der  Racine'schen 
Tragödie  auf  den  zeitgenössischen  Roman  erwälint  er  die  Tendenz  der 
Erzähler  den  Mechanismus  der  „Vertrauten"  aus  den  Bühnenwerken 
zu  übernehmen.  Den  von  ihm  zum  Beweis  angeführten  Roman 
Gabriel  de  Bremonds  ,,La  Princesse  de  Monferrat'^  (1677)  kenne 
ich  nicht  und  weiß  daher  nicht,  bis  zu  welchem  Grade  die  Verwendung 
der  „Vertrauten"  in  ihm  etwa  durchgeführt  ist,  aber  etwas  Neues  ist 
sie  nicht,  mehrere  Einzelerzählungen  im  ,,Grand  Cyrus'*  haben  die 
„Vertrauten",  wie  auch  Cyrus  und  Mandane  selbst. 

Gerade  da  es  dem  Verfasser  auf  die  Darstellung  seines  Themas 
in  entwicklungsgeschichthchem  Sinne  ankam,  weil  er  nachweisen  wollte, 
wie  sich  die  Entwicklung  der  französischen  Erzählungskunst  „fast 
mit  der  Exaktheit  eines  Naturgesetzes  vollzog",  hätte  er  mit  etwas 
peinlicherer  Genauigkeit  die  chronologische  Aufeinanderfolge  berück- 
sichtigen müssen.  Schon  um  das  Verdienst  der  einzelnen  Autoren 
um  den  Fortschritt  genauer  bemessen  zu  können.  Er  rühmt  einmal 
die  Kunst  der  sinnlichen  Dar^tellungsweise,  die  Mademoiselle  de  la 
Furce  entfaltet.  Er  lühit  zum  Belege  die  Schilderung  einer  Schönen 
an,  die  auf  einem  Porter  sitzend,  sich  auf  die  Kniee  einer  auf  einem 
Rul:ebette  Lagernden  stützte.  ,^Elle  n'etait  vetuii  que  d'nne  eioße 
legere  :  ses  cheveu.v  etoient  negligemment  repris  derriere  sa  tete, 
et  rattaches  avec  des  cordons  de  couleur  vive.''  Diese  Schilderung 
findet  si<'li  in  dem  Roman  „Gustave  Vasa,  Histoire  de  Suede"", 
aus  dem  Jahre  1697.  Ich  finde  in  dem  kleinen  Roman  der  Mine  de 
Villedii'U  „Annales  galantes  de  Grece'\  der  mir  allerdings  nur  in 
der  Aufgabe  der  Werke  der  Mme  du  Villedieu  aus  dem  Jahre  1720 
(Bund  VII)  vorliegt,  der  aber  doch  wohl  zu  den  im  Jahre  1670  zu- 
erst veiüü'entlichten  ,, Annales  galantes"  (siehe  Waldberg  p.  159) 
gehört,  eine  Stelle,  die  eine  noch  größere  Kunst  dieser  reabstisch- 
sinnlichen  Diirstellnufisweise  verrät.  Es  wäre  also  angebrachter 
gewesen,  diese  Stelle  der  Mme  de  Villedieu  anstatt  die  der  Mlle  de 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXll  4 


50  Referate  und  Rezennonen.      WaUher  Küchler. 

la  Force  zu  zitieren.  Sie  lautet  im  Auszug  folgendermaßen:  „Z,e 
Marchand  fut  introduit  jusques  ä  la  ruelle  du  lit  de  Phronine. 
.  .  .  Quand  il  la  vit  dans  cette  fraicheur  que  le  sommeil  inet 
siir  le  teint  de  jeunes  personnes,  les  hras  nuds,  la  gorge  ä  demi 
dicouverte,  sur  laquelle  tomboient  deux  ou  trois  houcles  de  che- 
veux  noirSy  et  lustrez,  qui  s'Hoient  Schappez  des  frisures,  il  fut 
st  surpris  de  cet  objet,  quil  en  demeura  comme  immobile  .  ,  . 
eile  lui  demanda  ä  voir  les  Diamans  que  la  Reine  invoioit  lui 
inontrer\  eile  avoit  un  ton  de  voix  doux  et  raisonnant^  qui  alloit 
droit  au  ctpur;  et  La  necessite  de  changer  souvent  de  Situation, 
tantöt  pour  ouvrir  une  ßoiite  que  Themiste  lui  presetitoit,  et  tantöt 
pour  mettre  les  Diamans  dans  leur  jour,  laissoit  malgre  la  cou- 
verture,  remarquer  ä  Themiste  la  forme  d'un  corps  admirable" 
(p.  381—3). 

Eine  solclie  Empfindung  für  die  natürliche  Schönheit  ohne 
Prunk  der  Kleidung  und  des  Schmuckes  ist  übrigens  auch  der 
Mlle  de  Scudery,  von  der  die  Villedieu  trotz  mancher  persönlicher 
vorteilhafter  Besonderheiten,  die  sie  aufweisen  kann,  vieles  über- 
nommen hat,  nicht  fremd  gewesen.  Als  noch  früher,  aber  als  eben- 
so realistisch  und  künstlerisch  zugleich,  mag  an  die  Beschreibung  der 
am  Rande  einer  Quelle  in  einer  Grotte  eingeschlafenen  Prinzessin 
Statira  in  de  la  Calprenede's  Cassandre  (Suitte  de  la  premiere  partie 
p.  22  f.  Paris  1643)  erinnert  werden. 

Wenn  nun  auch  eine  mehr  historisch-exakte  Bearbeitung  des 
anziehenden  Problems  vielleicht  besser  am  Platze  gewesen  wäre,  als 
die  bis  zu  einem  gewissen  Grade  unausbleiblich  willkürlich-auswählende 
Art  der  Darstellung,  die  der  Verfasser  gewählt  liat,  so  muß  doch  freudig 
anerkannt  werden,  daß  das  Buch,  so  wie  es  uns  nun  vorliegt  (zur  Er- 
gänzung wird  noch  ein  zweiter  Band  hinzutreten,  der  die  religiösen 
Einwirkungen  uud  die  spanischen  Einflüsse  u.  a.  behandeln  soll),  in 
mancher  Beziehung  hohes  Lob  verdient.  Daß  es  eine  außerordentlich 
große  Belesenheit  verrät,  ist  noch  der  geringere  Vorzug.  Es  enthüllt 
uns  vor  allen  Dingen  eine  sehr  stark  ausgebildete  Gabe  des  Schaueus 
uud  Beobachtens,  des  Entdeckens  und  Nutzbarmachens.  Es  lehrt,  wie 
man  lesen  soll,  nämlich  genießend  und  spürend  zugleich,  voll  von 
suchender  Freude,  getragen  von  dem  Wunsche  zu  erkennen,  die 
großen  Zusammenhänge  zu  verstehen  und  in  die  feinsten  Windungen 
der  sich   kreuzenden    menschlichen  Geistesbetätigungen   einzudringen. 

Neben  diese  schöne,  gerade  für  den  Literarhistoriker  so  sehr 
erforderliche  Gabe,  reiht  sich  noch  eine  große  Kunst  in  der  Dar- 
stellung des  aus  weiten  Gebieten  zusammengetragenen  Materials,  eine 
im  höchsten  Grade  anregende  Behandlung,  die  den  dargebotenen  Stoff 
in  eindrucksvollster  Form  übermittelt  und  die  Lektüre  des  Buches 
zu  einem  wirklichen  Genuß  gestaltet. 

Aber  diese  Meisterschaft  hat  ihre  Grenzen,  Es  darf  nicht 
verschwiegen  werden,    daß   sie  unter  Umständen  verhängnisvoll  wird 


Max  Waldherg.     Der  empfindsame  Roman  in  Frankreich.         51 

für  den,  der  sich  allzu  willig  von  ihr  leiten  läßt.  Für  Autor  und 
Leser.  Es  liegt  in  ihr  eine  illusorische  Kraft,  ein  verschönender 
Zauber.  Sie  steigert  gelegentlich  die  Freude  des  Schauens  und 
Genießens  auf  Kosten  der  Wirklichkeit.  Sie  reißt  mit  sich  fort  und 
umgaukelt  verführerisch  die  EinbiMungskraft.  So  wird  leicht  die 
Eigenschaft,  welche  die  Bedingung  des  Guten  war,  ein  Hemmnis  für 
das  unbedingt  Vortreffliche.  Von  Waldberg  begeht  hier  und  da  einen 
Fehler,  den  der  unparteiische,  ruhig  urteilende  Historiker  ebenso 
gewissenhaft  vermeiden  muß  wie  den  entgegengesetzten,  die  Sucht  des 
kleinlichen  Kritisierens,  des  griesgrämigen,  verneinenden  Nörgeins. 
Nämlich,  da  er  so  gut  sieht,  sieht  er  wohl  auch  einmal  zu  viel,  da 
er  sich  so  gerne  hingibt,  überschätzt  er  bisweilen.  Er  redet  fast  stets 
in  einem  gehobenen  Tone,  während  der  wahre  Wert  des  Eingeschätzten 
fast  durchgehends  ein  par  Töne  tiefer  liegt.  So  wird  der  nachprüfende 
Leser  häufig  in  die  Lage  versetzt,  ein  wenig  dunkler  zu  schattieren, 
als  es  der  Verfasser  gethan  hat.  Man  kann  nicht  beistimmen,  wenn 
einmal  eine  allerdings  recht  fein  gezeichnete  Frauengestalt  der  Mlle  de 
la  Force  mit  einer  „jener  vornehm  zatten,  vom  Weh  der  Seele 
vergeistigten  Gestalten  eines  Bildes  van  Dycks"  verglichen  wird.  Ein 
solcher  Vergleich  beruht  allzusehr  auf  einer  persönlichen  Empfindung, 
er  erscheint  als  Ausfluß  einer  Stimmung,  die  subjektiv  berechtigt  sein 
mag,  die  aber  der,  dem  es  vergönnt  ist,  sie  zu  genießen,  besser  in 
sich  verschließt.  Ich  bin  fest  überzeugt,  von  Waldberg  schrieb  diesen 
Vergleich  nicht  aus  der  Manier  zierlichen  Stilisierens  heraus,  er  gibt 
vielmehr  ein  durchaus  wahres  Gefühl  wieder.  Aber,  so  meine  ich, 
je  wahrer  er  im  Au.i^enblick  gewesen  ist,  um  so  vager,  flüchtiger  und 
ungreifbarer  ist  er  auch  gewesen.  Er  verliert  seine  Wahrheit,  sobald 
ihn  die  Feder  aufs  Papier  gebannt  hat. 

Sicher  ist  auch  übertrieben,  wenn  ein  anderes  Mal  bei  derselben 
Schriftstellerin  von  „Ausmeißelung"  ihrer  Figuren  gesprochen  wird. 
Wenn  Mlle  de  la  Force  ihre  Gestalten  „meißelt",  was  tun  dann  die 
Großen  und  Größten?  Und  wenn  sich  wirklich  unter  der  Masse 
ihrer  Personen  einige  von  dem  Reiz  der  Königin  von  Navarra  finden, 
so  verschwinden  sie  fast  völlig  unter  den  zahllosen,  die  unin- 
dividuell bleiben. 

Zu  mancherlei  anderen  Gedanken  und  Auseinandersetzungen  mit 
der  von  ihm  behandelten  Frage  regt  das  Buch  von  Waldbergs  an. 
Gerade  in  der  Fülle  von  Gesichtspunkten,  die  der  Verfasser  wie  mühe- 
los fast  auf  jeder  Seite  uns  darbietet,  gerade  in  der  Mannigfaltigkeit 
der  Funde  und  Erkenntnisse,  die  nur  ein  wohlbewanderter  Kenner  und 
reifer  Geist  zu  Ta^e  fördern  konnte,  in  der  künstlerischen  Fähigkeit 
das  Interesse  beständig  neu  zu  beleben  und  den  willigen  Loser  zu 
fruchtbringender  Diskussion  einzuladen,  in  diesen  und  älinlichen  Dingen 
sind  die  schönsten  Vorzüge  des  Buches  zu  suchen.  Von  Waldberg  spricht 
in  seiner  Vorrede  von  dem  Zagen,  mit  dem  er  ein  Gebiet  betreten  habe, 
auf  dem  er  sich  als  ungebetener  Gast  fühle.     Solche  Gäste  aber,  mit 

4* 


52  Referate  und  Rezensionen.      Walther  Küchler. 

denen  man  so  ersprießliche  Unterhaltung  pflegen  kann,  finden  wohl 
stets  ein  freundliches  Willkommen.  Und  so  sei  es  gestattet,  ihn  von 
neuem  einzuladen  und  zu  bitten  als  Geschenk  den  zweiten  Teil  der 
Geschichte  des  empfindsamen  Romans  in  Frankreich  mitzubringen. 
GIESSEN.  "Walther  KiJchler. 


Franz,    Arthur:    Das   literarische    Porträt    in    Frankreich    im 

Zeitalter  Richelieus  U7id  Mazarins.     Leipziger  Inaugural- 

Dissertation.     (Berlin,  Leipzig,  Chemnitz.     Wilhelm  Gronau 

1906.      57  S.   80.      (Dazu   eine   Beilage,   Zitate   enthaltend, 

32  S.     Als  Dissertation  nicht  mit  erschienen.) 

Die   philosophische   Fakultät   der   Universität  Leipzig   hat    mit 

diesem  Thema  eine  schöne  und  einer  gründlichen  Untersuchung  würdige 

Preisaufgabe  gestellt.     Der  Verfasser  hat   den   ersten  Preis   erhalten. 

Er  hat  jedoch,  und  darüber  ist  er  sich  selbst  nicht  im  Unklaren,  die 

Frage   nicht  im    entferntesten   erschöpfend   zu   lösen  vermocht.     Wie 

sollte  auch  ein  Anfänger,  dem  nur  eine  immerhin  beschränkte  Spanne 

Zeit  zur  Verfügung  stand,  dahin  gelangen  können,  bis  auf  den  Grund 

eines  Problems  zu  dringen,  dessen  Fäden  bis  in  die  geheimsten  Tiefen 

des  Geistes-  und  Sinnenlebens  einer  Zeit  hinein  reichen.     Wie  sollte 

es  ihm  möglich  sein,  sich  Rechenschaft  abzulegen  über  all  die  zarten 

und    feinen   Linien,    welche  zwischen   künstlerischem   Empfinden   und 

Darstellungsverraögen    gehen,    welche   die   langsam   sich   enthüllenden 

und   entwickelnden  Erkenntnisse   der  Seelenkunde   verbinden   mit  der 

Fähigkeit    des  rein   physischen,   körperlichen  Anschauens,   Begreifens 

und  Genießens.    Nur  die  Beherrschung  des  gesamten  Materials  innerhalb 

der    zu    behandelnden   Zeit    kann   eine   gültige   Aufklärung  über    die 

Frage  geben,    wie  die  Schriftsteller  dieser  Zeit  es  verstanden  haben, 

in  ihren  Werken  Menschen  darzustellen,  uns  ihre  äußere  Erscheinung 

und  ihr  inneres  Wesen  zu  veranschaulichen. 

Es  ist  zu  bedauern,  daß  es  der  Verfasser  nicht  über  sich  gebracht 
hat,  sein  Thema  in  anderer  Weise,  als  er  es  getan  hat,  einzuschränken. 
Anstatt  sich  kühn  in  das  schier  endlose  Meer  des  literarischen  Stoffes 
zu  stürzen  und  ziellos  hin  und  her  zu  schwimmen,  um  dann  doch 
fast  immer  vor  den  eigentlichen  Kernpunkten  der  Sache  umzukehren 
und  sein  Einhalten  mit  nicht  ausreichenden  Gründen  zu  entschuldigen, 
hätte  er  sich  ein  einziges  Stoffgebiet,  etwa  die  Romane  der  Zeit 
oder  die  Memoiren  oder  auch  nur  die  Porträtsammlung  der 
M^'®  de  Montpensier  auswählen  und  dann  sicher  und  methodisch  dem 
so  begienztcn  Thema  zu  Leibe  gehen  sollen.  Auf  diese  Weise  würde 
er  im  Kleinen  ohne  Zw'eifel  erfreuliche  Resultate  erzielt  haben.  So 
aber,  da  er  diese  weise  Kunst  der  Beschränkung  —  wohl  verführt 
durch  das  nun  einmal  in  die  bestimmte  Form  gekleidete  Thema  der 
Aufgabe  —  nicht  geübt  hat,  bleil)t  seine  Arbeit  notgedrungen  im 
Fragmentarischen  stecken;  trotz  allen  rühmlichen  Fleißes,  trotz  einer 


Arthur  Franz.     Das  literarische  Porträt  in  Frankreich.      53 

nicht  gewöhnlichen  Reife  der  Anschauung  und  des  Urteils,  die  dem 
Verfasser  gerne  zugestanden  sein  soll. 

Neben  dieser  ersten  Forderung  der  Beschränkung,  steht  als 
zweite  die  eines  methodischen  Vorgehens. 

In  einem  kurzen,  aber  an  guten  Belehrungen  und  Hinweisen 
reichen  Aufsatz  spricht  sich  Walter  Goetz  (nicht  Goertz,  wie  Franz 
mehrere  Male  schreibt)  über  die  bei  Untersuchungen  über  das  liter- 
arische Porträt  zu  befolgende  Methode  folgendermaßen  aus:  „Indem 
man  .  ,  .  innerhalb  einer  nationalen  Kultur  von  der  Biographie  und 
der  absichtslosen,  nach  Wahrheit  strebenden  Charakterschilderung 
ausgeht,  stellt  mau  sich  auf  festen  Boden.  Von  da  aus  muß  zur 
allgemeinen  Geschichtsschreibung  und  zu  allen  anderen  Gebieten  des 
literarischen  Lebens  weiter  gegangen  werden,  unter  stetiger  Berück- 
siclitigung  der  Zwecke,  die  auf  jedem  einzelnen  Gebiete  mit  dem 
literarischen  Porträt  verfolgt  werden"  i).  Diesen  Rat  hätte  sich  Franz, 
dem  ja  der  Aufsatz  von  Goetz  nicht  unbekannt  geblieben  ist,  zu 
Nutze  ziehen  sollen.  Nicht  zwar  in  dem  Sinne,  daß  er  den  von 
Goetz  für  den  Historiker  vorgeschriebenen  Weg  getreulich  geschritten 
wäre,  sondern  daß  er,  der  Literarhistoriker,  innerhalb  seiner  zu 
betrachtenden  literarischen  Produktionen  von  Stoffgebiet  zu  Stoffgebiet 
gewandert  wäre.  Hätte  er  das  getan,  so  wäre  ihm  sicher  auch  die 
schon    angedeutete  Beschränkung    auf  ein   Gebiet  leichter  geworden. 

Er  hat  es  vorgezogen,  sich  sein  Material  weniger  natürlich,  mehr 
von  oben  herab,  etwas  willkürlich  einzuteilen.  Er  läßt  uns  im  Anfange 
seiner  Arbeit  vermuten,  daß  er  in  den  Mittelpunkt  seiner  Betrachtungen 
die  mehrere  Male  unter  verschiedenem  Titel  aufgelegte  Porträtsammlung 
der  M^'^  de  Montpensier  stellen  werde.  Wir  lesen  denn  auch  auf 
etwa  vier  Seiten  allerlei  textkritische,  auf  die  verschiedenen  Auflagen 
bezügliche  Bemerkungen,  dann  aber  verläßt  der  Verfasser  diese 
Richtung,  wendet  sich  anderen  Dingen  zu,  und  erst  am  Schluß,  auf 
etwa  sechs  Seiten,  hören  wir  wieder  einige,  durchaus  unzureichende 
Angaben  über  M"^  de  Montpensier  und  die  Porträts  ihres  Kreises. 
So  steht  sie  also  nicht  im  Mittelpunkt,  sondern  im  Anfang  und  am 
Schluß  der  Betrachtung. 

In  den  übrigen  Teilen  seiner  Schrift  stellt  nun  Franz  gewisser- 
maßen die  Entwicklung  des  literarischen  Porträts  bis  zu  M^^^  de 
Montpensier  einschließlich  dar  und  zwar  behandelt  er  diese  Entwicklung 
„nach  den  verschiedenen  literarischen,  oder  besser  rhetorischen  und 
technischen  Mitteln,  die  zur  Hervorbringung  eines  literarischen  Porträts 
verwendet  werden".  Es  ergibt  sich  ihm  „eine  Dreiteilung  in  das 
hyperbolische,  das  metaphorische  und  das  schematisch-individualistische 
Porträt".  Diese  Dreiteilung  bezeichnet  zugleich  drei  Perioden  der 
Entwicklung,    die    jedoch    „chronologisch    nicht   streng   zu   scheiden' 


')   ,.Zur    Geschichte    des    literarischen    Porträts'^.      Historische    Zeitschrift 

92.  Band  (Neue  Folge  56)  p.  61  ff. 


54  Referate  und  Rezensionen.      Walther  Küchter. 

sind.  Die  Grundtendenzen  dieser  drei  Perioden  sollen  sich  mit  denen 
der  drei  berühmtesten  Salons  der  Zeit  decken,  nämlich  mit  dem 
Salon  der  Marquise  de  Rambouillet,  dem  der  Mademoiselle  de  Scudery 
und  dem  der  Mademoiselle  de  Montpensier.  Eine  Behauptung,  die 
sich  mit  den  tatsächlichen  Verhältnissen  nicht  deckt. 

Ich  halte  diese  Disposition  fiir  verfehlt.  Wenigstens  läßt  sich 
die  Entwicklung  niclit  an  der  Hand  dieser  Dreiteilung  darstellen. 
Wenn  die  drei  Schlagworte  drei  Entwicklungsmomente  bedeuten  sollen, 
so  müßte  man  drei  von  einander  verschiedene  Porträtgattungen,  die 
diesen  Unterscheidungsmerkmaleu  entsprächen,  die  noch  zudem  zeitlich 
aufeinander  folgten,  erkennen  können.  Das  ist  aber  nicht  der  Fall. 
Schon  lange  vor  der  von  Franz  behandelten  Periode  haben  wir 
Menschenschilderungen,  die  zugleich  hyperbolisch  und  metaphorisch 
sind.  Von  Anfang  an  sind  diese  beiden  Elemente  fast  nie  von  einander 
zu  trennen,  sicher  nicht  in  der  Zeit,  die  der  Verfasser  uns  vorführt. 
Und  auch  als  sich  dann  plötzlich  dic^e  hyperbolisch-metaphorischen,  mcir-t 
naturgemäß  recht  unanschaulichen  Schilderungen  zu  individualistisciien 
Porträts  verdichten,  bleibt  diese  lyrisch -überschwengliche  Manier 
bestehen  und  hält  sich  auch  nicht  von  jener  auf  treue  Wiedergabe 
des  Persönlichen  bedachten  Art  der  Menschendarstellung  fern. 

Die  Ausführungen  des  Verfassers  vermögen  uns  denn  auch  die 
behauptete  Aufeinanderfolge  nicht  zu  erweisen.  In  den  Kapiteln  über 
das  hyperbolische  und  das  metaphorische  Porträt  gehen  zeitlich  nicht 
voneinander  zu  trennende  Zitate  nebeneinander  her,  so  daß  wir  nicht 
einen  Augenblick  die  Vorstellung  von  einer  sich  vollziehenden 
Entwicklung  gewinnen.  Bunt  durcheinander  gewürfelte  Hinweise  aus 
Lyrik,  Drama,  idealistischem,  realistischem  Roman,  Briefliteratur,  ernster 
und  humoristischer  Literatur  ziehen  an  uns  vorüber,  ohne  uns  aus- 
reichend über  das  Wesen  des  literarischen  Porträts  in  Frankreich  in 
der  behandelten  Zeit  aufzuklären.  Der  Mangel  an  greifbaren  Resultaten 
liegt  in  dem  Umstand,  daß  der  Verfasser  innerhalb  seiner  gewählten 
Disposition  wähl-  und  ziellos  zu  Werke  geht,  Erwägungen  anstellt, 
die  entbelirlich  gewesen  wären  und  sich  nicht  bewußt  wird,  daß  er 
an  die  „Astrh"  z.  B.  mit  ganz  anderen  Voraussetzungen  heranzugehen 
hat,  als  an  die  Histoire  comique  de  Francion  von  Sorel.  Was 
man  etwa  als  Resultate  aus  diesen  beiden  Kapiteln  erfahren  kann, 
liegt  auf  ganz  verschiedenen  Gebieten.  Als  Ergebnis  des  ersten 
Kapitels  über  das  hyperbolische  Porträt  habe  ich  die  Behauptung 
herausgelesen,  daß  in  den  meisten  Romanen  der  ersten  Zeit  wirkliche 
Porträts  von  Zeitgenossen  fehlen;  als  Ergebnis  der  Ausführungen  über 
das  metaphorische  Porträt  die  Tatsache,  daß  das  metaphorische  Porträt 
durch  die  Beeinflussung  der  Anschauung  durch  den  Begritf  der  Malerei 
charakterisiert  werde.  Wo  die  Entwicklung  liegt,  sieht  mau  nicht, 
ebensowenig  wie  nun  die  Entwicklung  hinübergeführt  wird  zu  dem 
schematisch-individualistischen  Porträt,  das  der  Verfasser  in  dem 
letzten  Teil  seiner  Arbeit  behandelt. 


Artliur  Franz.     Das  literarische  Porträt  in  Frankreich,      bb 

Scberaatisch  und  individualistisch  sind  zwei  Begriffe,  die  auch 
nach  des  Verfassers  Ansicht  sich  zu  widersprechen  sc'neinen.  Die 
Vereinigung  aber  dieser  Begriffe  soll  andeuten,  daß  „ein  vorhandenes 
Schema,  eine  Mode  die  Leute  erst  auf  den  Gedanken  bringt,  die 
Darstellung  ihrer  Persönlichkeit,  die  sie  wohl  sonst  dem  gesellschaftlichen 
Idealtypus  gegenüber  als  etwas  wenig  Wichtiges  angesehen  hatten, 
für  eine  ersprießliche  literarische  Betätigung  zu  halten'-.  Ja,  aber 
wie  kam  denn  die  Mode  auf,  woher  stellt  sich  denn  das  Schema 
ein?  Es  ist  doch  nicht  mit  einem  Male  da.  Das  ist  eine  außer- 
ordentlich schwere  Frage;  ich  weiß  sie  auch  noch  nicht  zu  beantworten. 

Der  Verfasser  meint,  bei  diesem  Teil  seiner  Arbeit  brauche  er 
die  Bescbriinkung,  die  ihm  der  Raum  der  Arbeit  einem  so  großsn 
Material  gegenüber  auferlege,  nicht  zu  bedauern,  da  die  meisten 
Erscheinungen  sich  mit  Hülfe  der  prinzipiellen  Erörterungen  über  das 
hyperbolische  und  metaphorische  Porträt  erklären  ließen.  Eine  solche 
Anschauung  ist  mir  unklar.  Jetzt  sollte,  so  meine  ich,  erst  die 
eigentliche  Arbeit  beginnen;  denn  erst  mit  den  Porträts  der  M'^^  de 
Scudery  und  M^'®  de  Montpensier  nähern  wir  uns  dem  Begriffe  des 
eigentlichen  literarischen  Porträts.  Hyperbolische  und  metaphorische 
Schilderungen  gibt  es  schon  seit  Jahihunderten,  aber  die  Porträts 
des  „  Grand  Cyrus'*  sind  etwas  ganz  Neues,  und  die  gesellschaftliche 
Unterhaltung  hatte  bisher  nie  solche  Selbstporträts  zu  Tage  gefördert^ 
wie  wir  es  im  Salon  der  M'^°  de  Montpensier  sehen. 

Ich  habe  die  Absicht  mich  an  anderer  Stelle  ausführlicher  über 
die  Porträts  im  „Grand  Cyrus^'  zu  äußern,  hier  möchte  ich  nur 
kurz  andeuten,  in  welcher  Weise  der  Verfasser  an  die  Sammlung, 
die  sich  an  den  Namen  der  M^'^  de  Montpensier  anschließt,  hätte 
herangehen  sollen.  Der  Verfasser  der  vorliegenden  Arbeit  unterläßt 
es  gänzlich,  auch  nur  einige  der  wichtigeren  Porträts  zu  untersuchen, 
mit  der  merkwürdigen  Begründung,  daß  er  sonst  unvermeidlich  eine 
große  Menge  von  Fragen  mitbehandeln  müsse,  die  in  den  Rahmen 
seiner  Arbeit  nicht  hineingehörten.  Um  einen  Begriff'  von  dem  Wesen 
dieser  Sammlung  zu  geben,  hätte  es  sich  zunächst  darum  gehandelt, 
zu  zeigen,  welcher  Art  denn  das  Schema  dieser  Porträts  ist,  die 
Elemente  anzuführen,  aus  welchen  sie  sich  zusammensetzen.  Sodann 
hätte  man  sich  bei  jedem  einzelnen  Porträt  zu  fragen  gehabt,  was 
ist  hier  rein  schematisch  und  was  ist  individuell.  Da  die  porträtierenden 
Personen  im  allgemeinen  fast  nur  die  günstigen  Eigenschaften  von 
sich  selbst  und  den  andern  behandeln  oder  sich  wenigstens  in  ein 
möglichst  günstiges  Licht  zu  setzen  suchen,  so  hätte  sich  auf  diese 
Weise  feststellen  lassen,  ein  wie  geartetes  Bild  des  Idealmenschen  den 
Personen,  die  sich  uns  da  mit  einer  eigenartigen,  aus  naiver  Auf- 
richtigkeit und  berechneter  Künstelei  gemischten  Vertraulichkeit  ent- 
hüllen, vorschwebte,  bis  zu  welchem  Grade  sie  in  das  eigene  und 
fremde  Innenleben  eingedrungen  sind,  auf  welche  für  die  harmonische 
Ausbildung  des  .Jionncle  komme'*  notwendige  Eigenschaften  sie  Wert 


56  Referale  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

gelegt  haben.  Wir  würden  so  aufs  innigste  bekannt  geworden  sein 
mit  einer  Menge  von  Empfindungen,  Neigungen,  Idealen,  Gewohnheiten 
aus  ihrem  alltäglichen  Leben  und  Treiben.  Eine  große  Zahl  der  viel- 
vcrschlungenen  Bestandteile,  aus  denen  sich  Menschencharaktere 
zusammensetzen,  hätten  wir  kennen  gelernt. 

Wenn  man  so,  bis  in  das  Einzelste  und  Kleinste,  sorgsam 
prüfend  diesen  Selbstda^^telluIlgen  und  Versuchen,  dem  Wesen  anderer 
gerecht  zu  werden,  nachgeht,  so  gewinnen  diese  Spielereien  ein 
bedeutend  erhöhtes  Interesse.  Sie  enthüllen  uns  die  Fähigkeit  der 
Menschen  dieser  Zeit  für  die  eigene  und  fremde  psychologische 
Erkenntnis.  Mit  Hilfe  dieser  Charakterschilderungen  vermögen  wir 
uns  dann  das  sittliche  Bewußtsein  dieser  Menschen  vorzustellen. 
Das  literarische  Porträt  wird  ein  Maßstab  für  die  Erkenntnis  und 
Bewertung  der  geistigen  Verfassung  der  in  Frage  stehenden  gesell- 
schaftlichen Schicht. 

Man  darf  sich  nicht  beirren  lassen  von  der  schönfärberischen 
Tendenz,  man  muß  durch  sie  hindurchdringen  wie  durch  einen  ver- 
lockenden Schimmer,  der  uns  verhindern  möchte,  die  Realitäten  der 
Dinge  zu  sehen,  man  muß  durch  die  Entschuldigungen,  Verschönerungen 
und  Bemäntelungen  hindurch  auf  die  Fehler,  die  entschuldigt,  die 
Flecken,  die  verschönt,  die  Blößen,  die  bemäntelt  werden  sollen, 
liindurchzuschauen  trachten,  dann  erkennt  man  die  tatsächlichen 
Verhältnisse. 

Man  muß  vor  allen  Dingen  sich  von  dem  Schema  unabhängig 
machen  können,  es  als  eine  unvermeidliche  Form  betrachten,  welche 
die  Menschen,  die  noch  so  wenig  im  stände  waren  sich  von  Vorbildern 
und  Regeln  aller  Art  zu  befreien,  nun  einmal  nicht  durchbrechen 
konnten,  so  daß  sie  notwendigerweise  auch  ihr  Persönlichstes,  auch 
das  nur  leise  und  schüchtern  von  dem  allgemein  Gültigen  Abweichende 
in  diese  schematisierende  Form  einschließen  mußten.  Man  muß  trotz 
des  Schemas  das  Individuelle  erkennen. 

Man  braucht  deswegen  den  Herren  und  Damen,  die  sich  da 
abkonterfeien,  nicht  alles  aufs  Wort  zu  glauben.  Man  muß  milde 
und  nachsichtig  mit  ihnen  sein  und  sich  darüber  freuen,  daß  sie  doch 
wenigstens  versuchten  über  sich  selber  ins  Klare  zu  kommen.  Es 
fiel  ihnen  oft  gar  nicht  so  leicht.  Sie  standen  einer  ganz  ungewohnten 
Betätigung  gegenüber,  sie  wagten  sich  an  ganz  unbekannte  Gebiete 
heran,  sie  fingen  doch  erst  an  sich  über  seelische  Qualitäten  Rechen- 
schaft abzulegen  und  über  die  Geheimnisse  persönHchen  Lebens 
nachzusinnen.  Mehrere  Male  betonen  im  Eingange  ihrer  Schilderungen 
die  Porträtierenden  die  Schwierigkeiten,  die  sich  der  Wiedergabe 
ihrer  Eindrücke  entgegenstellen:  „Comrnc  c'est  les  beautcs  de  Vatne 
que  je  veux  representer.,  je  me  trouve  hien  empechee,  ny  ayant 
ni  couleur  ni  paroles  qui  puissent  depeindre  Celles  dont  je  veux 
parier'^  so  schrtibt  die  Tochter  des  Grafen  von  Brienne,  als  sie 
daran  geht,  das  Bild  ihres  Vaters  zu  entwerfen. 


Henri  Massis.     Comment  Emile  Zola  composait  ses  romans.     57 

Die  Bekenntnisse  solcher  Schwierigkeiten  zeigen  doch  wohl  den 
Ernst  der  Versuche,  mochteu  diese  bisweilen  auch  noch  so  lächerliche 
Formen  annehmen.  Wenn  auch  einmal  in  einer  Porträtschilderung 
die  Verbreitung   der  Manier  spöttisch  betitelt  wird  mit  den  Worten: 

Aujx)urd'hui  Portraits  a  foison 

Se  fönt  voir  siir  notre  horison. 

Et  sont  les  heaux  objets  de  tonte  VEloquence. 

11  n''est  point  de  petit  garfon 

Qui  neu  donne  au  Public  quelqu'un  de  sa  fago7i: 

11  nest  point  de  fille  ou  de  femme 

Qui  ne  nous  depeigne  son  ame, 

Et  qui  ne  fasse  voir  ä  nu 

Ce  qiielle  a  de  plus  inconnu. 

so  erkennt  man  dennoch  durch  den  Spott  hindurch  das  Neue 
und  das  Wertvolle,  welches  diese  Mode  den  Menschen  der  Zeit  zum 
Bewußtsein  gebracht  hat. 

Ich  muß  mich  mit  .Andeutungen  begnügen  und  kann  nur  hin- 
weisen auf  den  reichen  Schatz  von  Material,  der  in  dieser  Sammlung 
der  M^^®  de  Montpensier  für  den  Seelenforscher  —  und  das  soll  doch 
auch  der  Literarhistoriker  sein  —  aufgespeichert  liegt.  Ich  weiß 
wohl,  daß  der  Verfasser  der  besprochenen  Arbeit  sich  sein  Ziel  nicht 
so  weit  und  tief  gesteckt  hat.  Er  hat  von  vornherein  „nicht  einen 
Foitschritt  in  dem  psychischen  Vermögen  des  porträtierenden  Schrift- 
stellers konstatieren"  wollen.  Diese  Beschränkung  an  und  für  sich 
hätte  ihm  zugestanden  werden  können,  wenn  ihm  die  Behandlung  der 
rein  formalen  Seite  seiner  Frage  auch  nur  als  ein  bescheidener  Teil 
des  Problems  erschienen  wäre.  Es  scheint  jedoch,  als  ob  er  die  so 
deutliche  Vertiefung  in  seelischer  Hinsicht  überhaupt  nicht  anerkennt; 
denn  er  behauptet  „die  Entwicklung  liegt  nach  einer  anderen  Richtung 
hin,  nach  der,  wohin  die  Zeit  überhaupt  neigt,  nach  der  Ausbildung 
der  künstlerischen  Mittel,  die  man  zur  Wiedergabe  der  Persönlichkeit 
für  erfordeilich  hält".  Durch  diese  Annahme  verleitet,  bleibt  er  also 
nur  an  der  Oberfläche  seiner  Aufgabe  haften  und  unterdrückt  außer- 
dem ihre  wichtigsten  Teile. 

GIESSEN.  Walther   KtrcHLER. 


Massis,  Henri.  Comment  Emile  Zola  composait  ses  romans. 
D'' apres  ses  notes  personnelles  et  inediies.  Paris,  Bibliotlieque 
Cliarpentier  1906.     XII  u.  346  S.     3,50  frcs.  ' 

In  der  französischen  Nationalbibliothek  lagern,  neunzig  Bände 
stark,  die  Manuskripte  Zolas,  nicht  nur  die  endgültigen  Nieilerschriften 
seiner  Romane,  sondern  unzählige  Notizen  und  Dokumente,  die  er  in 
seiner  unermüdlichen  Sammelarbeit  zu  dem  Aufbau  seines  Werkes 
zusammengetragen  hat. 


58  Referate  und  Rezensionen.      Walllier  Küchler. 

Für  viele  ist  Zola  gefallen  mit  seiner  Doktrin.  Als  die  kurze 
Stunde  des  Naturalismus  geschlagen  hatte,  da  hatte  auch  Zola,  der 
konsequenteste  Verkünder  der  naturalistischen  Kunstlehre,  ausgespielt. 
Doch  nur  für  die,  welche  in  ihm  lediglich  den  Theoretiker  sahen  oder 
für  die,  welche  über  neuen  Sclilagworten  das  alte,  dem  sie  soeben 
noch  eifrig  zugestimmt  hatten,  vergaßen. 

Wer  Zola  unbefangen  gegenübertrat  und  seine  Werke,  losgelöst 
von  dem  künstlich-willkürlichen  System,  in  das  er  sie  eingeschnürt 
hatte,  betrachtete,  dem  war  es  wohl  schon  klar  geworden,  daß  sich 
hinter  diesem  starkstimmigen  Doktrinär  ein  bildender  Künstler,  ein 
auswählender  Gestalter  verbarg,  ein  Dichter,  dem  es  vergönnt  war, 
die  gestaltlose  Masse  zu  ergreifen  und  zu  imposanter  Gesamtwirkung 
zu  formen. 

Zola  gehört  zu  der  Gattung  von  Talenten,  deren  Stärke  nicht  im 
Erfinden,  dafür  aber  im  Finden  liegt.  Er  mußte  leibliaftig  sehen, 
er  brauchte  die  Fülle  der  Erscheinungen,  er  brauchte  das  Gewirr  und 
das  Gewoge  von  Menschen  und  Dingen,  von  Häßlichem  und  Schönen, 
von  Verbrechen  und  Laster,  von  Elend  und  Gemeinheit,  von  Licht 
und  Schatten.  Was  überhaupt  lebte  und  liebte,  flog  und  kroch  und 
sich  am  Boden  wand,  das  mußte  er  sich  durch  Zusehen,  Aufnehmen 
und  Sammeln  zu  eigen  machen.  Was  seine  Zeit  an  starken  (und 
gerade  deswegen  z.  t.  einseitigen)  wissenschaftlichen  Bestrebungen, 
Forschungen  und  Theorien,  an  sozialen  und  politischen  Strömungen 
barg,  alle  jene  vielfältigen  Äußerungen,  oft  leidenschaftlich  brausenden 
Bewegungen,  welche  in  ihrer  Gesamtheit  die  Weltanschauung  einer 
Zeit  ausmachen,  waren  ihm  von  Nöten,  lieferten  seinem  Temperamente 
das  notwendige  große  Bassin,  aus  dem  er  nur  schöpfen  konnte.  Er 
suchte,  fand,  verband  und  gestaltete.  Das  ist  sein  persönliches  Genie. 
Die  Anlehnung  an  eine  tönende,  aufregende  Theorie,  eben  die  der 
Vererbung,  der  Anschluß  an  die  moderne  Physiologie  und  Experimental- 
medizin  war  für  ihn  ein  suggestiver  Zwang,  eine  fixe  Idee.  Aber 
innerhalb  dieser  Schranken,  die  ihm  seine  Begeisterung  und  zugleich 
sein  praktischer,  auf  den  großen  Massenerfolg  ausgehender  Wille  auf- 
erlegte, schaltete  der  künstlerische  Arbeiter. 

Diese  Erkenntnis  von  Zolas  Eigenart  war  aus  der  Betrachtung 
seines  Gesamtwerkes  wohl  zu  gewinnen.  Die  Veröffentlichung  der 
Dokumente  aus  Zolas  Nachlaß,  die  sich  auf  den  Plan  zu  dem  Roman- 
zyclus  der  Rougon- Macquart  und  auf  die  Vorstudien  zu  dieser 
Conception  des  naturalistischen  Romans,  sowie  im  besonderen  auf  die 
Komposition  des  Romans  „JuAssommoir'',  beziehen,  bestätigen  und 
befestigen  diese  Erkenntnis  auf  das  Beste.  Der  Wert  der  Arbeit  von 
Henri  Massis  liegt  vor  allen  Dingen  in  der  Tatsache,  daß  sie  auf 
das  Deutlichste  sehen  läßt,  wie  abhängig  Zola  von  seiner  einmal  als 
Ausgangspunkt  genommenen  Theorie  war,  mit  welch  leidenschaftlicher 
Gewissenhaftigkeit  er  die  Dokumente,  d.  h.  die  seiner  Überzeugung 
nach      wissenschaftlich      unumstößlich      richtigen      Belege     für      die 


Ferdinand  Brünettere.     Honorc  de  Balzac.  59 

Darstellung  seiner  Menschenschicksale,  zusammentrug  und  mit  welcher 
künstlerischen  Überlegung  er  bei  der  endlichen  Ausarbeitung  seiner 
Romane  zu  Werke  ging. 

Der  Respekt  vor  Zolas  Schaffen  wird  durch  die  Lektüre  dieser 
Aufzeichnungen,  die  uns  mitten  hinein  in  die  Werkstatt  seiner  Arbeit 
versetzen  und  uns  ein  rastloses  Erwägen  und  Überlegen,  eine  stete  Willens- 
kraft es  so  gut  wie  möglich  machen  zu  wollen,  enthüllen,  die  Achtung 
vor  diesem  künstlerischen  Schaffen  wird  durch  die  intime  Kenntnis  des 
allmählichen  Vollendens  bedeutend  erhöbt.  Man  erkennt  nämlich  deuthch, 
wie  in  Zolas  Bewußtsein  zwei  Begierden  mit  einander  kämpfen. 

Die  eine  Begierde  ist  das  Heischen  nach  dem  lauten  Beifall  der 
Menge,  eine  Sucht  nach  dem  Applaus,  der  das  Publikum  in  Atem 
zu  halten  sucht  durch  das  Ungeheuerliche  und  Eindrucksvolle  der  dar- 
gestellten Fälle.  Es  ist  sein  stürmisches  Temperament,  das  ihn  treibt, 
das  auf  Kampf  und  Feldgeschrei  und  Sieg  erpicht  ist,  das  mit  ihm 
durchgehen  möchte,  ihn  wohl  zu  groben  Theatereffekten  sentimentaler 
Art  hätte  verleiten  können,  wenn  die  andere  Begierde  in  seiner  Seele, 
nämlich  ein  strenger  künstlerischer  Ehrgeiz,  der  ihn  zu  unermüdlicher 
Selbstzucht  in  Fragen  der  Komposition  antrieb,  diesen  gröberen  Instinkten 
nicht  erfolgreich  entgegengearbeitet  hätte.  So  erkennt  man,  wie  Zula  sich 
bewacht  und  kontrolliert,  sich  seine  Wege  und  Mittel  vorschreibt,  so  wie 
es  etwa  Stendhal  tat,  der  auch  eine  unstillbare  Angst  vor  dem  Falschen, 
Sentimentalen,  Aufgeputzten  und  Geschminkten  halte.  Auch  Stendhal 
stellte  wie  Zola  das  Außergewöhnliche  dar,  trotz  allen  Anschlusses 
an  Leben  und  Wirklichkeit,  aber  in  der  Wahl  der  Mittel  war  er  von 
einer  kühlen,  immer  wachsamen  Vorsicht  und  Selbstkritik,  getrieben 
durch  den  Drang  nach  feinster  und  wahrster  künstlerischer  Vollendung. 
Dieser  gleiche  Drang,  wenn  auch  nicht  ganz  so  stark  wie  bei  Stendhal, 
wenn  auch  ohne  jene  Beimischung  von  Lonie  und  Menschenverachtung, 
die  dem  Verfasser  der  ..Chartreuse  de  Parme'^  seine  Überlegenheit 
verleiht,  erhellt  auch  t'iir  Zola  aus  dieser  Veröffentlichung,  die  uns 
Massis  gegeben  hat.  Ebenso  wie  auch  die  große  Einheit  in  Zolas 
Schaffen,  die  vom  Anfang  bis  zum  Ende  deutliche,  wenn  auch 
manchmal  bestrittene  Einheit,  aus  dieser  Menge  von  Einzeldokunienten 
siegreich   hervorleuchtet. 

Der  Wert  der  veröffentlichten  Zeugnisse  wird  übrigens  durch 
die  Tatsache  nicht  unwesentlich  erhöht,  daß  Massis  durch  manche 
gute  und  treffende  Bemerkungen  sie  miteinander  verbinden  und  sie  in 
ihrer  Bedeutung  für  die  Arbeitsweise  Zolas  zu  bestimmen  weiß. 

GIESSEN.  Walther  KtrcHLER. 

Bruneti^re,  Ferdinand.     Honori   de  Balzac.    1799-1850 

Paris.      Calmann-Lev)'.      1906.      VI  u.  330  SS.     Frs  3.  50. 

Die    Persönlichkeit    des  Verfassers,    der    durch   die    autoritäre 

Aufstellung   seiner   Ansichten   sich   so   großes  Ansehen   erworben  hat, 


60  Referafe  muJ  Rezensionen.     J.  Haas. 

verleiht  diesem  Buch  ein  größeres  Interesse  als  es  vielleicht  wegen 
seines  Inhalts  verdient.  Der  Hauptfehler  an  dem  Buch  ist,  daß 
darin  zu  wenig  bewiesen  und  zu  viel  behauptet  wird.  Von  den  Be- 
hauptungen sind  ja  zweifellos  viele  richtig,  einzelne  mit  Meisterschaft 
entwickelt;  aber  viele  sind  dagegen  teils  sehr  zweifelhaft,  teils  fal-ch. 

Die  ganze  Betrachtung  ist  niclit  voraussctzungslos  vorgenommen, 
sondern  Brunetiere  ist  unter  Voraussetzung  von  dogmatischen 
Sätzen  an  die  Betrachtung  Balzacs  herangetreten.  Der  eine  ist  in 
der  Vorrede  und  auch  einmal  im  Buch  angesprochen  p.  IV  f:  Car 
je  ne  sais  pas  aujourdliui  sHl  y  a  une  <thierarchie  des  genresf-^ 
Mais  que  les  €  genres  lütcraires  >■  existent,  et  qu'ils  aient  des 
caracteres  diterniints;  que  ces  caracteres  evolueni;  ei,  comme 
les  caracteres  des  especes  dans  la  nature,  quen  holuant,  ils 
s'expriment  ou  se  rSalisent,  sehn  les  circonstances,  avec  plus  ou 
moins  de  honheur,  de  force  ou  de  precision,  de  cela  fen  suis 
sür;    -et  je  voudrais  que  dans  ce  volume  on  en  trouvdt  la  preuve. 

Dieser  erste  Satz  ist  also  von  fundamentaler  Bedeutung  für 
das  Buch,  da  seine  Anlage  durch  die  Aufstellung  dieses  Satzes  bedingt 
ist  und  die  Betrachtung  Balzacs  ein  weiterer  Stein  zur  Vollendung 
des  Gebäudes  sein  soll,  d.  h.  der  großen  Erfindung  oder  Entdeckung 
Bruuetieres  von  der  Evolution  des  Genres. 

Der  zweite  Satz,  der  für  die  Betrachtung  Balzacs  durch 
Brunetiere  nicht  unwesentlich,  aber  doch  für  die  Anlage  des  Buchs 
nicht  von  so  fundamentaler  Bedeutung  ist,  wie  der  erste,  ist  die  be- 
kannte Brunetieresche  Aufstellung  der  Auflassung  der  französischen 
sog.  Romantik  als  einer  spezifisch  individualistischen  Literatur. 

Da  fällt  denn  auf,  daß  mit  Eüsksicht  auf  das  erste  Axiom 
nicht  ein  Buch  (oder  mehrere  Bücher)  erscheint  mit  dem  Titel  Les 
JEpoques  du  Roman  francais  oder  V Evolution  du  Roman  franpais. 
Es  hat  zwar  den  Anschein,  wenn  man  das  Einleitungskapitel  liest, 
als  ob  Brunetiere  die  Absicht  zu  einem  solchen  Werke  gehabt  habe; 
es  ist  aber  zu  vermuten,  daß  die  vor  Balzac  entstandenen  Romane 
ihm  zu  unbedeutend  geschienen  haben,  so  daß  er  die  Hauptstufen 
der  Entwickelung  der  Gattung  bis  zu  ihrem  Kulminationspunkt  nicht 
gefunden  hätte.  Das  als  Vermutung  ausgesprochen;  denn  daß  ein 
anderer  eine  Geschichte  des  französischen  Romans  in  den  letzten 
Jaiiren  geschrieben  hat,  konnte  Brunetiere  gewiß  nicht  abhalten,  da 
es  ihn  ja  auch  nicht  abgehalten  hat,  sein  Buch  über  Balzac  fast 
zu  gleicher  Zeit  zu  publizieren,  als  A.  Le  Breton. 

Es  scheint  mir  also  Brunetieres  Buch  nur  ein  Fragment,  und 
zwar  ein  Fragment,  das  darum  nicht  ergänzt  ist,  weil  die  Ergänzungen 
Brunetiere  nicht  bedeutend  genug  schienen  und — ich  füge  dies 
als  eine  der  Behauptungen  hinzu,  die  ich  hier  nicht  beweisen  will, 
um  diese  Besprechung  nicht  zu  einem  Buch  anschwellen  zu  lassen;  sie 
sollen  später  in   der  Fortsetzung   meiner  Balzacstudien   ihre  Beweise 


Ferdinand  Brünettere.     Uonorc  de  Balzac.  61 

finden  —  daß  sie  Brunetiere  nicht  bedeutend  genug  schienen,  rührt  da- 
her, daß  seine  Methode  der  Beurteilung  der  Eutwickelung  des  Romans 
durchaus  ungenügend  ist. 

Wenn  man  viel  behauptet,  ohne  sich  an  gegebene  Tatsachen 
zu  halten,  so  mag  es  vorkommen,  daß  man  die  Dinge  das  eine  Mal 
unter  einem  andern  Gesichtswinkel  betrachtet  als  das  andere;  man 
scheint  dann  sich  Widersprüche  zu  schulden  kommen  zu  lassen;  oder 
man  stellt  Behauptungen  auf  unter  Eindruck  von  bestimmten  Tat- 
sachen, die  dem.  Leser  nicht  gerade  gegenwärtig  sind  und  ihm  zu 
eng  oder  aber  falsch  scheinen.  Jeder  Leser  des  Buches  von 
Brunetiere  wird  diese  Wahrnehmung  machen;  ich  führe  nur  einige 
Stellen  an,  bevor  ich  den  Gedankengang  des  Buches  wiedergebe. 

p.  213  iieißt  es:  Non  seulement  il  nest  pas  vrai,  en  fait, 
que  chaque  chose  apparaisse  ä  chacun  de  nous  sous  un  aspect 
different,  que  determinerait  son  r,idios2/ncrasie'^ ,  ei  il  riy  a  lä 
quune  prodigieuse  et  impertinente  Illusion  de  Vorgueil;  mais  la 
meine  realite  sHmpose  ä  toutes  les  intelligences\  et,  de  chaque 
chose^  il  ny  a  quune  vision  qui  soit  exacte  et  ^.^conforme  a  Cobjet''' 
de  meme  que,  de  chaque  fait,  il  ny  a  qu^une  formule  qui  soit 
scientifique. 

Dieser  Satz  ist  an  sich  schon  sehr  interessant:  man  wird  jetzt 
wohl  einsehen,  daß  ich  oben  nicht  unabsichtlich  von  dogmatischen 
Sätzen  gesprochen  habe.  Wenn  hier  die  theoretische  Begründung  für 
diesen  Ausdruck  liegt,  so  folgt  jetzt  die  praktische  durch  Anführung 
von  zwei  Stellen,  von  denen  die  erste  die  Fortsetzung  zum  eben 
gegebenen  Zitat  ist. 

p.  213f.:  Le  pere  Grandet  «ressemble»  ou  il  «ne  ressemhle 
'pas'»\  madame  de  Mortsauf  est  «vraie»  ou  eile  nest  pas  €vraie:> ; 
on  ne  saurait  formuler  deux  jugements  sur  Celestin  Crevel  ou  sur 
Cesar  Birotteau;  et  contre  cette  evidence  il  n'y  a  ni  sophisme  —  ni 
inßrmitS  —  qui  puisse  prevaloir. 

Wer  oder  was  entscheidet  darüber?  Diese  Auskunft  findet  in 
dem  zweiten  Zitat: 

p.  196  f. :  ...  une  sdrie  d'arrivistes  .  .  .  dont  la  critique 
s'ohstine,  je  ne  sais  pour(]uoi,  ä  votiloir  voir  le  modele  ou 
Vincarnaiion  dans  le  Jidien  Sorel  de  Stendhal.  Mais  en  comparaison 
de  ce  qiie  sont  les  heros  de  l'energie  dans  le  roman  de  Balzac, 
ce  Julien  Sorel  nest  quun  fantoche,  en  qui  je  ne  voudrais  pas 
decider  ce  quHl  convient  d'admirer  le  plus,  de  l'incoherence  du 
personnage,  ou  de  la  fatuite  de  son  auteur.  Le  seul  Rastignac 
de  Balzac  est  plus  vrai  dans  un  de  ses  gestes  que  Julien  Sorel 
dans  toute  sa  personne. 

Nun  sind  ja  auch  andere  Urteile  über  Julien  Sorel  gefällt 
worden.  Wer  entscheidet  also  über  die  Richtigkeit  der  einzigen 
„exakten  Vision"?     Brunetiöre  ganz  allein. 


62  Referate  und  Rezensionen.     J.  Haas. 

Etwas  auifallend  wird  man  auch  die  beiden  folgenden  Stellen 
finden: 

p.  31.  Les  Jwinmes  de  g6nie  savent  beauconp  de  citoses  sans 
les  avoir  apprises,  et  n07is  qui  ne  savons  les  nicmes  choses  qu'a 
la  condition  de  les  avoir  etudices,  nous  voidons  qiCils  les  aient 
apprises  comme  nons.  Novs  avons  tortl  Balzac  nous  anrait 
demandi  volontiers  ä  quelle  ecole,  et  sur  quel  champ  de  bataille  le 
vainqueur  d' Areola  et  de  Rivoli  avait  appris  l'art  de  la  guerref 

Dagegen  liest  man  p.  153  f. :  Car,  on  dira  ce  qu'on  voudra 
du  genie  des  grand  romantiques,  et  nous-memes  rious  ne  leur 
mesurerons  en  toute  autrf  occurcnce,  ni  la  louange  ni  F admiration^ 
mais  leur  ecole  a  cte,  de  son  vrai  nom,  celle  de  l'ignorance  et 
de  la  presomption.  Lies  grands  romantiques,  dune  maniere  generale, 
ne  SB  sont  pas  contenth,  comme  Von  dit,  de  «croire  en  eux», 
ce  qui  est  le  droit  de  tout  ecrivaiii,  .  .  .  7nais  ils  ont  cru  que  leur 
g^nie,  lui  tout  seid,  suffisait  en  quelque  sorte  ä  leur  tacke;  et  c'est 
justement  en  quoi  leur  presomption  na  eu  d'Sgale  que  leur  igno- 
rance.  .  .  .  Qui/  a-t-il  de  plus  superficiel  que  €la  science-»  de 
George  Sand,  ä  moins  que  ce  ne  soit  «Verudition»  d'Hugof  .  .  . 
11  en  est  autrement  de  Balzac,  et  son  intelligente  curiosite  s'est 
dtendue  ä  tout  ce  qui  pourait  intSresser  un  Jiomme  de  son  temps. 

In  Bezug  auf  Balzac's  politische  und  religiöse  Ansichten  finden 
sich  im  Buche  Brunetieres  einige  Stellen,  die  nicht  ganz  harmoniereu. 
So  schreibt  er  p.  188:  Quand  no^is  parlons  de  la  portee  sociale 
du  roman  de  Balzac,  nous  ii  avons  donc  point  d^egard  ä  ses  opi- 
nions  politiques  ou  religieuses  qui  nont  rien  eu  de  tres  profond  ni 
de  tres  original;  et  surtout  qui  n'ont  que  d'assez  lointains 
rapports  avec  la  qualite  de  son  oeuvre,  et  la  nature  de  son  gSnie. 
Je  veux  dire  par  la  que,  si  Balzac,  au  Heu  de  se  declarer 
y.catholique'^  et  „royaliste'"''  avait  professi  des  opinions  exactement 
contraires,  je  ne  vois  pas  hien  ce  qu'il  y  aurait  de  change  dans 
la  conception  de  son  Pere  Goriot  ou  dans  ledessin  de  son  Cousin  JPons. 

Und  p.  190:  Cest  pourquoi  lorsquil  affirme,  par  exemple, 
que  le  christianisme,  et  surtout  le  catholicisme,  kant  un  Systeme 
complet  de  rSpression  de  tendances  dSpravee  de  lliomme,  est  le 
plus  grand  Slement  d'ordre  social,  „nous  entendons  bien  ce  quil 
veut  dire  —  et  il  se  peut  qiCil  ait  raison,  comme  il  se  peut  quil 
ait  fort,  —  mais  on  serait  itonnS  si  nous  discutions  serieusement 
son  ajfirmation!  11  ne  faut  pas  non  plus  nous  le  dissimuler: 
une  aj)ologie  du  christianisme  sera  toujours  suspecte  sous  la  plume 
de  Vauteur  de  Splendeurs  et  Miseres  des  Courtisanes,  pour  ne  rien 
dire  des  Petites  Miseres  de  la  Vie  conjugale  ou  de  la  Physiologie 
du  Mariage,  qui  sont  des  livres  parfaitement  indecents.  Mais 
quand  Balzac  ne  serait  pas  Vauteur  de  quelques-uns  de  ses 
romans,  il  nous  sufirait  de  connaitre  Vhistoire  de  sa  vie,  pour 
etre  bien  assurSs  qii'entre  la  negociation  de  deux  traites  de  librairie 


Ferdinand  Brunetiere.     Sonore  de  Balzac.  63 

ou  Vachat  de  devx  meubles  de  Boulle,  nayant  jamais  sans  doute 
etudie  s^rieusernent  le  catholicisme  ou  le  christianisme,  ce  qiiil  en 
a  pu  dire  ne  saurait  donc  passer  la  porüe  d'une  houtade;  et  son 
autoritS  n^en  est  vraiment  pas  une. 

Dagegen  schreibt  Brunetiere  p.  205 :  Je  consens  d'ailleurs 
que,  dans  la,  mesure  ou  il  nest  pas  indifferent  ä  une  doctrine  de 
pouvoir  se  reclamer  ou  s'auioriser  de  Vadhesion  d'un  grand  esprit, 
on  elende  un  peu  au-delä  de  ces  conchisions,  la  ..portee  sociale'* 
des  r Omans  de  Balzac.  S'il  est  donc  une  fois  bien  entendu 
qu'  avec  tout  son  genie  —  qui,  par  ailleurs  Celeve  si  fort  au- 
dessus  d'un  M.  de  Boiiald  ou  d'un  Joseph  de  Maistre  —  Balzac 
nest  cependant  ni  Vun  ni  Vautre  de  ces  deiur  grands  esprits,  il  y 
a  lieu,  non  j^^is  de  discuter,  nous  Vavons  dit,  mais  de  relever,  ou 
d'enregisfrer  quelques-unes  de  ses  opinions.  Elles  ne  sont  denuees 
ni  de  quelque  justesse,  ni  meme  en  depit  de  la  maniere  dont  il 
les  a  formees,  c  est-ä-dire  sans  grande  etude  ni  reßexion,  de  quel' 
que  profondtur. 

Außerdem  p.  209 :  Je  ne  voudrais  pas  encore  traiter  trop 
negligemment  quelques-unes  des  vues  quHl  a  exprimces  sur  le 
catholicisme,  et  qui  fönt  de  lui,  avec  JLamennais,  un  des  precurseurs 
de   ce  que  l'on  a  depuis  lors  appele  le  „catholicisme  social". 

Und  p.  211:  Encore  moins  meconnaitrons-nous  qua  dd- 
faut  dhine  connaissance  approfondie  des  veritis  de  la  religion 
—  quil  ne  semble  pas  que  Balzac  ait  posskU  —  ce  meme  Pro- 
gramme implique  une  singuliere  intelligence  des  conditions  qui 
etaient  aux  environs  de  1840  les  conditions  nScessaires  de  la  rino- 
vation  sociale  du  catholicisme. 

Es  kommt  vor,  daß  p.  24  gesagt  wird,  Adophe  sei  kein  Roman, 
und  p.  108  Adolphe  sei  ein  roman  beaucoup  plus  disiingue  [ironisch] 
qu'une   Tenebreuse  Affaire. 

Um  die  Reihe  der  Aussprüche,  die  teils  bedenklich,  teils  unklar 
sind,  zu  schließen,  führe  ich  nur  noch  die  folgenden  drei  an: 

p.  161:  II  ne  faut  point  faire  grand  fond  sur  les  comparai- 
sons  d'un  art  ä  un  autre  art,  et  je  ne  sache  rien  de  phis  döcevant 
que  ce  quon  appelait  naguere  Vesthkique  generale  1 

p.  152 f.:  Et  la  «litterature  personnelle»  c'est  enfin  d'imposer 
aux  objets  la  vision  que  nous  nous  en  formons,  sans  essayer  de 
la  reformer,  sous  le  preiexte  ridicule  que  nous  ne  saurions  jamais 
sortir  de  nous-memes,  et  que,  toutes  choses  nexistant  que  dans 
la  mesure  ou  nous  les  percevons,  les  impressions  que  nous  en 
recevons  en  epuisent  donc  pour  nous  toute  la  realite. 

p.  159  ff.:  Mais  des  descriptions  ou,  pour  mieux  dire,  des 
monographies  de  ce  genre,  caracterisent  elles-memes  un  changement 
total  d'attitude  du  peintre  ä  Vcgard  de  son  modele.  Nous  nous 
degageons  enfin  du  romantisme,  et  meme,  en  un  certain  sens,  du 
classicisme.     Le  peintre  a  fait  dhormais  abdication  de  ses  goüts, 


64  Referate  und  liezensionen.     J.  Haas. 

et,  par  principe,  —  de  dessein  principal  et  forme,  il  ne  s'appligue 
ni  ä  representer  «ce  quil  aime>  ni  ce  gu'  il  croit  pouvoir  «gm- 
bellir»;  mais  il  reproduit  miiquemeni  «ce  qui  est-i>  et  «parce  que 
cela  est-».  Le  savant,  le  zoologiste,  Geoffroy  Saint- Hilaire,  ßlainville, 
ou  Cuvier  font-ils  un  choix  parnii  les  animaux'?  S appliquent-ils 
ä  Vetude  ou  ä  Vanaiomie  des  uns  en  negligeant  ou  en  dedaignant 
Celles  des  auiresf  SHnteressent-ils  ä  ceux-ci  en  raison  de  leur  heauti, 
ou  ä  ceux-lä  en  raison  de  Vutilite  dont  ils  peuvent  etre  ä  thomme? 
Oetait  encore  le  point  de  vue  de  ßuffon,  et  c^etait  ce  qui  lui  permettait 
d'icrire  la  phrase:  „Xa  plus  noble  conquete  que  V komme  ait 
jam.ais  faite  est  celle  de  ce  fier  animal  ..."  Mais  il  ne  s'agit 
plus  mainteymnt  d'utilite  ni  de  conquete!  II  faut  prendre  les  clioses 
telles  qu'elles  nous  sont  donnaes.  Comprenons-les,  si  nous  pouvons, 
et  tächons  de  percer  le  mystere  dont  elles  s'enveloppent!  Rendons- 
nous  compte,  nous  le  devons,  des  rapports  qu  elles  contiennent 
toutes  entre  elles,  et  sans  quelque  intelligence  desquels  nous  ne 
saurions  elles-memes  les  entenJre.  Ettidions-les,  sans  parti  pris, 
ni  secrete  intention,  sans  prStention  siirtout  de  les  «embelltr»,  comme 
an  disait  jadis,  ou  de  les  redresser,  et  ainsi  de  leur  apprendre  ce 
qu'elles  devaient  etre.  La  Subordination,  ou,  comme  on  dira 
bientöt,  l'entihre  soumission  de  Vobservateur  ä  l'objet  de  son 
Observation,  c'est  la  methode  qui  a  renouvele  la  science:  eile 
inaugure  avec  Balzac  un  renouvellement  de  Vart  du  thedire  et 
de  celui  du  roman  Ou  pluiöt  encore,  eile  ramene  le  roman  ä  ses 
vSritables  conditions,  quil  meconnaissait  depuis  250  ans;  eile 
efface  en  lui  ce  qui  survivait  encore  de  ses  origines  epiques;  et 
eile  lui  donne  la  possibilitc  de  se  developper  conforniement  ä  une 
loi  qui  soit  proprement  la  sienne,  et  non  plus  la  loi  commune  du 
drame  ou  de  la  comedie. 

Rlan  würde  daraufhin  erwarten,  daß  Brunetiere  Zolas  Teorien 
und  Romanen  eine  hohe  Bedeutung  zuschiebe,  aber  weit  entfernt  da- 
von; Zola  spricht  er  p.  10  geschichtliches  Verständnis  (le  sens  de 
Vhistoire)  ab,  und  p.  55  nennt  er  ihn  einen  Romantiker.  Das  ist 
so  ziemlich  das  Schlimmste,  was  Brunetiere  von  einem  Roman- 
schriftsteller sa^en  kann. 

Daß  auch  Balzac  seinem  Stoff  gegenüber  nicht  so  gleichgiltig  ist, 
daß  aucli  er  wählt,  sehr  wohl  auswählt  und  zwar  in  einem  vielleicht  nicht 
so  sehr  weit  begrenzten  Kreis  auswählt,  das  möge  festgestellt  sein; 
Brunetiere  sagt  es  übiigens  selbst,  ohne  es  zu  wissen,  und  zwar 
p.  283  ff.,  wo  er  im  Schlußwort  ausdrücklich  feststellt,  daß  von  den 
mit  Balzac  zeitgenössischen  Gesellschaftskreisen  und  -klassen  ganze 
Gruppen  oder  Berufskategorien  entweder  fehlen,  oder  teils  in  zu 
geringer,  teils  in  zu  großer  Zahl  in  der  ComMie  Humaine  vertreten 
sind.  Woher  käme  das.  wenn  Balzac  nicht  seine  Stoffe  wählte? 
Ich   werde   an  anderem  Orte   auf  diese  Frage  wieder  zurückkommen. 


Ferdinand  Brunetüre,     Honore  de  Balzac.  65 

Ich  gebe  jetzt  im  folgenden  den  wesentlichen  Gedankengang 
der  einzelnen  Kapitel  des  Buches,  die  wichtigeren  Kapitell,  IV  und  V 
werden  etwas  genauer  berücksichtigt;  ich  werde  mich  begnügen,  unter 
ev.  Vorbehalt  späteren  Beweises  einstweilen  meine  Einwendungen 
möglichst  kurz  zu  machen,  wo  Brunetiere  mir  geirrt  zu  haben  scheint.^) 

Nach  Brunetiere  hat  es  im  Jahre  1819  zwei  Formen  des 
Romans  gegeben.  Zunächst  kommt  der  Ich-Roman  in  Betracht,  der 
aus  Spanien  ursprünglich  importiert,  in  Le  Sage  einen  Hauptvertreter 
gefunden  hat.  [Man  könnte  darauf  hinweisen,  daß  im  XVIL  Jahrb. 
die  in  den  Schachtelromanen  eingefügten  Episoden  vielfach  Ich-Romane 
sind,  daß  also  die  Einführung  in  Frankreich  nicht  so  neu  ist;  auch 
ist  die  Definition,  die  Brunetiere  p.  2  gibt,  zu  eng;  sie  schließt 
unbedingt  die  Marianne  und  den  Paysan parvenu  von  Marivaux  aus.] 

Im  XVIII.  Jahih.  ist  bis  Richardson  der  Ich-Roman  die  beliebteste 
Erzählungsforni ;  diese  Vorliebe  rührt  daher,  daß  die  Ereignisse  wahr- 
scheinlicher werden:  par  Vintermediaire  du  roman  personnel  s'in- 
troduit  dans  le  roman  U7i  accent  de  r^alite  qui  le  rapproche  de 
sa  deßnition. 

Der  Briefroman,  der  nur  eine  besondere  Form  des  Ich-Romans 
ist,  unterbrach  trotz  seines  Erfolges  die  Beliebtheit  des  roman  per- 
sonnel nicht ;  er  wendet  ihn  aber  ab  von  seinem  Zwecke  zur  psycho- 
logischen Aüaly>e  d.  h.  zu  Ausnahmefällen.  So  wendet  sich  der 
Roman  zur  Darstellung  des  Besonderen  im  Ich,  und  da  dieses  nie  so 
ist,  wie  man  möchte,  so  wird  ein  revolutionäres  und  hochmütiges 
Element  in  den  roman  personnel  eindringen;  die  Gegensätze,  die 
sich  zwischen  dem  Ich  und  den  Schranken  der  Umgebung  bilden, 
führen  dann  zur  Apotheose  des  Ich  in  der  Romantik. 

Einen  gewaltigen  Einfiuß  hätten  in  der  Geschichte  des  Romans 
Corinne  und  die  Martyrs  ausgeübt,  dadurch  daß  sie  le  sens  de 
Vexotisme  und  le  sens  de  l'histoire  weckten.  Daher  entsteht  der 
historische  Roman  Walter  Scotts.  Vor  Chateaubriand  hat  es 
wohl  auch  historische  Romane  gegeben,  aber  in  diesen  fehlen  die 
Beziehungen  zu  Gewohnheiten,  Gebräuchen,  Gesetzen  der  betr.  Zeit, 
Chateaubriand  und  nach  ihm  Walter  Scott  haben  bemerkt,  daß 
ein  Zeitgenosse  Ludwigs  XIV.  in  vielen  Dingen  anders  denkt  und 
fühlt  als  ein  Zeitgenosse  eines  Merowingers. 

Es  konnten  also  bis  dahin  die  Romane  eine  genaue  Darstellung 
der  Wirklichkeit  daium  nicht  sein,  weil  die  Würde  der  Gattung  am 
Ideal  der  Tragölie  gemessen  wurde,  der  Roman  für  eine  minderwertige 
Gattung  gehalten  wurde,  und  weil  Details  als  zu  vulgär  verschwiegen 
wurden,  die  zum  Aufdruck  des  Lebens  gerade  nötig  sind;  das  sind 
z.  B.  Mobiliar,  Kleidung,  alltägliche  Verrichtungen,  Essensweise,  die 
Spiele  usw.  Davon  aber  hängt  die  Einführung  des  plein  sens  de  la 
realiU  ab.     Das  hat  W.  Scott  gesehen  und  getan. 


^)  Meine  Bemerkungen  sind  in  eckigen  Klammern. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI». 


66  Referate  und  Rezensionen.     J.  Haas. 

Von  da  zur  Anwendung  auf  die  Gegenwart  war  nur  ein  Schritt; 
darum  konnte  der  historische  Roman  nur  eine  Übergangsgattung  sein. 
Es  ist  also  der  realistische  Roman  aus  dem  historischen  Roman  entstanden, 
dagegen  ist  eine  Abhängigkeit  von  Ducray-Duminil  und  Pigault- 
Lebrun  nicht  glaubhaft.  Immerhin  konnte  man  aus  dem  Erfolg  des 
melodramatischen  Romans  die  Notwendigkeit  einer  Intrige  für  den 
Roman  ersehen.  Tatsächlich  ist  die  Verwicklung  der  Intrige  das 
hauptsächlichste  Mittel,  das  Interesse  zu  fesseln;  eine  Intrige  ist 
also  für  den  Roman  ein  unbedingtes  Erfordernis.  RenS,  Adolphe, 
Obermann  haben  keine  Intrige,  also  sind  sie  keine  Romane;  Delphine 
Corinne,  Indiana  sind  dagegen  aus  dem  entgegengesetzten  Grunde 
Romane.  Und  aus  seinen  melodramatischen  Jugendromanen  hat 
Balzac  die  Notwendigkeit  einer  Intrige  gelernt.  Diese,  die  aventures,  die 
der  Dichter  erzählt,  sind  das  Hauptmittel,  um  den  Leser  zu  fesseln. 
Diese  Berichte  von  aventures,  die  Romane,  werden  vor  Balzac  als 
eine  minderwertige  Gattung  betrachtet;  Balzac  hat  dem  Roman  zu 
seiner  literarischen  Würdigung  verholfen. 

Nach  dieser  Übersicht,  die  das  I.  Kapitel  bildet,  will  ich  aus  dem 
vorwiegend  biographischen  II.  Kapitel  nur  wenige  Dinge  hervorheben. 
Brunetiere  leugnet  für  die  spätere  literarische  Tätigkeit  Balzacs 
den  Einfluß  seiner  juristischen  Studien  und  seiner  Tätigkeit  bei  einem 
Notar.  Er  kann  eine  absprechende  Bemerkung  über  Andrieux  Anspruch 
in  bezug  auf  Balzacs  Cromwell  nicht  unterdrücken;  und  doch  hat  die 
Zukunft  gezeigt,  daß  Andrieux  recht  hatte;  denn  Balzac  hat  auf  dem 
Theater  nie  Erfolge  erzielt. 

Dagegen  haben  Balzac,  nach  Brunetiere,  seine  geschäftlichen 
Unternehmungen  und  der  darauffolgende  Krach  in  die  Prozeduren  des 
Konkurses  eingeweiht,  und  manches  in  seinen  Werken  ist  darauf  zurück 
zuführen.  Diese  Lebenserfahrung,  die  Balzac  erworben  hat,  zeichnet  ihn 
vor  allen  anderen  Schriftstellern  aus;  vor  ihnen  fehlt  dem  Roman 
Leben,  das  geschäftliche  Element  des  Lebens.  Wegen  dieser  Erfahrung 
hat  Balzac  sich  späterhin  um  Handel  und  Industrie  gekümmert,  da- 
her in  seinen  Romanen  die  Richter  und  Notare,  die  Bankiers  und 
Kaufleute. 

Was  sein  Verhältnis  zu  M™^  de  Berny  betrifft,  so  wiederholt 
auch  Brunetiere.  daß  Balzac  ihr  die  lebendige  Kenntnis  des  ancien 
regime  und  seine  politischen  Ansichten  verdankt,  was  ja  nicht  richtig 
ist.  Wohl  aber  mag  richtig  sein,  daß  M™®  de  Berny  Balzac  [es 
scheint  mir  indessen  durchaus  nicht  sicher]  gesellschaftlichen  Schliff' 
gegeben  und  seineu  Geschmack  gebildet  hat.  Ihr  verdanke  Balzac 
außerdem  die  erste  Kenntnis  der  Liebe. 

An  der  Liebe  Balzacs  zu  Frau  von  Hanska  glaubt  Bru- 
netiere, von  den  beiden  ersten  Jahren  abgesehen,  nicht  recht  und 
er  mag  mit  seiner  Ansicht  nicht  fehlgehen.  Daß  Balzac  diese 
Korrespondenz  gepflegt,  um  jemand  seine  Freuden  und  Leiden  erzählen 
zu  können,  dafür  müßte  man  doch  bei  Balzac  zuerst  ein  Bedürfnis 


Ferdinand  Brünettere.     Ilonore  de  Balzac.  67 

nachweisen;  und  der  dritte  Grund,  daß  Balzac  dieses  Verhältnis 
gepflegt,  weil  er  in  Frau  von  Hanska  ein  treffliches,  öfters  verwendetes 
Modell  fand,  ist  nicht  recht  plausibel;  denn  an  Modellen  hat  es  dem 
Dichter  gewiß  nicht  gefehlt;  anders  mit  dem  zweiten  Grund,-|daß 
Balzac  ein  Verhältnis  zu  einer  vornehmen,  fremden  Dame  reizte,  die 
ihm  einmal  als  seine  Lebensgefährtin  die  vornehmen  Kreise  öffnen  und 
dort  eine  ebenbürtige  Aufnahme  sichern  sollte. 

Aber  von  der  Zeit  an,  wo  er  shriftstellerisch  tätig  war,  haben 
ihn  nach  Brunetiere  seine  Liebeshändel  nie  von  seiner  Arbeit 
abgehalten;  im  Gegenteil,  seine  Kunst  hat  aus  den  Lehren  seiner 
Liebeserfahrung  sich  bereichert.  [Wenn  Brunetiere  von  Musset  und 
G.Sand  sagt,  daß  deren  Liebesverhältnisse  ihrer  poetischen  Tätigkeit 
geschadet  haben,  so  vergißt  er,  welcher  Abstand  die  ^Nächte'-  von 
Rolla  oder  gar  den  früheren  Gedichten  trennt;  in  G.  Sands  Werken 
ist   ein  nicht  minder  großer  Fortschritt  zu  konstatieren]. 

Im  Gegensatz  zu  Sainte-Beuve  (in  der  Zeit  des  ersten  Lundis), 
zu  Flaubert,  zu  Zola,  kümmert  sich  Balzac  nach  Brunetiere 
um  Kunsttheorien  nicht ;  sa  phüosophie  de  Vart  est  hien  simple : 
le  genie  cree  la  fortune,  et  la  fortune  prouve  le  genie.  Balzacs 
Werke  sind  geschaffen  mit  Mitteln,  die  denen  der  Natur  gleichen. 
Darum  sind  in  seiner  Korrespondenz  ästhetische  Erörterungen  so  selten. 

[Das  kann  aber  auch  von  dem  Glauben  an  der  Unübertrefflichkeit 
seiner  Werke  herrühren,  kann  auch  einen  anderen  Grund  haben,  der 
auch  die  Erklärung  abgäbe  für  die  von  Brunetiere  später  aufgestellte 
Behauptung,  daß  ein  Fortschritt  von  der  Eugenie  Grandel  bis  zum 
Cousin  Pons  nicht  wahrzunehmen  sei]. 

Während  die  subjektive  Literatur  nur  zu  verstehen  ist,  wenn 
man  der  chronologischen  Ordnung  der  Werke  folgt,  weil  diese  die 
Folge  des  Affektlebens  der  Verfasser  ist,  ist  der  Charakter  der  Werke 
Balzacs  die  Objektivität  des  Verfassers;  die  Wahl  seiner  Werke 
ist  nie  auf  Gründe  persönlich  intimer  Art  zurückzuführen.  Seine 
Stoffe  drängen  sich  ihm  auf;  er  hat  mehrere  Romanentwürfe  im  Kopfe, 
die  nach  und  nach  reifen  und  Stoffe  zu  noch  viel  mehr  Werken. 
Daher  kommt  dann  die  rasche  Niederschrift  des  einmal  gereiften 
"Werkes;  daher  auch  der  Anschein  der  Notwendigkeit,  der  seinen 
großen  Romanen  eigen  ist  [?],  daher  sind  sie  lebendig,  daher  kommen 
die  Beziehungen,  die  sie  alle  mit  einander  haben.  So  ist  die  ComSdie 
humaine  nach  und  nach  herausgewachsen.  Jeder  der  Romane  Balzacs 
hat  nur  Wert,  insofern  er  mit  den  anderen  Werken  der  ComMie 
humaine  in  Beziehung  steht  [?J. 

Wenn  man  nun  das  Verzeichnis  der  Werke  ansieht,  die  die  ComSdie 
humaine  nach  Balzacs  Absicht  1845  bilden  sollten,  so  sind  darin 
eine  Reihe  von  Werken  verzeichnet,  die  nie  geschrieben  wurden;  [dies 
bringt  Brunetiere  nicht  in  Verbindung  mit  Balzacs  Wortbrüchigkeit 
den  Redakteuren  und  Verlegern  gegenüber,  sondern]  er  findet  diese 
Titelaufzählung  systematisch,    künstlich;   die   Stoffe   sind   nicht  Folge 


68  Referate  und  Rezensionen.     J.  Haas. 

der  Inspiration  dmcli  Beobachtung;  darum  ist  nicht  zu  bedauern, 
daß  Balzac  sein  Programm  nicht  vollendet  hat.  Balzac  selbst  hätte 
sich  an  diese  Aufzählung  nicht  für  gebunden  erachtet;  denn  die 
Cousine  Bette  und  der  Cousin  Rons,  die  1846 — 47  geschrieben 
sind,    sind   in    der  Zusammenstellung   von    1845    gar   nicht  erwähnt. 

Der  Cousin  Rons  und  die  Cousine  Bette,  zwei  seiner  guten 
Komane  nach  Brunetiere,  sind  aber  entschieden  nicht  besser  als 
la  Recherche  de  VAhsolu  oder  Eagenie  Gründet.  Die  Reihenfolge  der 
Werke  im  Buchhandel  ist  gleichgiltig,  von  1833  an  ist  in  unbestimmter 
"Weise  Balzacs  Werk  ganz  in  seinem  Kopfe  vorhanden..  [Indem 
Brunetiere  die  Frage  nach  der  Technik  des  Romans  ganz  eliminiert, 
und  von  dem  Roman  nur  fordert,  daß  er  das  wirkliche  Leben,  aber 
in  allen  Kleinigkeiten  und  Einzelheiten,  darstelle,  kommt  er  zu  diesem 
Resultat;  aber  Balzacs  Werke  sind  keine  poncifs  nach  der  Eugenie 
Gründet,  dem  Phre  Goriot,  oder  der  Recherche  de  UAbsolu;  es 
ist  ein  Fortschritt  von  1833 — 1846  zu  konstatieren,  so  groß  zwar 
nicht  wie  von  1829  —  1833,  aber  darum  ist  er  doch  da]. 

Das  folgende  Kapitel  handelt  von  der  historischen  Bedeutung 
der  Romane  Balzacs.  Diese  liegt  nicht  darin,  daß  die  von  Balzac 
erzählten  Geschichten  wahr  sind:  au  Heu  d'etre  d'admirables  rornans, 
si  la  Cousine  Bette  ou  un  MSnage  de  Gargon  Siaient  de 
vraies  .Jiistoires'-'^,  quel  hien,  je  veux  dire,  quel  honnenr  croit-on 
quHl  en  revint  ä  Balzac?  .  .  .  Les  romans  de  Balzac  ne  sont 
pas  de  Vhistoire,  ni  surtout  des  romans  historiques  ...  (p.  1 1 7  f.). 
Aber  sie  haben  eine  historische  Bedeutung,  einen  historischen  Wert. 
[Diese  Behauptungen  sind  durchaus  fraglich.] 

Zunächst  sind  die  Romane  streng  lokalisiert;  das  zeitgenössische 
Paris  spielt  eine  gioße  Rolle;  aber  von  der  Provinz  ist  früher  in  den 
Romanen  nicht  die  Rede.  Diese  Einführung  der  Geographie  Frank- 
reichs war  zu  jener  Zeit  vollständig  neu  [Nicht  gau/]. 

Freilich  unterscheiden  sich  Balzacs  Schilderungen  von  den 
poetischen  Schilderungen.  Diese  sind  sich  Selbstzweck.  Jene  haben 
immer  ihren  Grund  zu  sein  außer  sich  selber.  Poetische  Schilderung 
und  Romanschilderung  sind  für  Balzac  zweierlei.  Die  Schilderungen 
enthalten  die  Ursachen,  die  die  Personen  fa^onniert  haben,  s-o  haben 
werden    lassen,   wie  sie  sind.     Sie  haben  also  historischen  Charakter. 

Die  Schilderungen  Balzacs  erreichen  ihren  Zweck  nicht  immer; 
sie  scheinen  dann  zu  lang.  Aber  theoretisch  ist  das  Milieu  von 
Wichtigkeit,  und  obwohl  z.  B.  Eng.  Grandet,  statt  in  Saumur^ 
ebenso  gut  auch  anderswo  spielen  könnte,  so  behalten  darum  die 
Schilderungen  doch  ihren  Wert.  [Diese  oberflächlichen  Ausführungen, 
die  die  Technik  der  Schilderung  gar  nicht  berühren,  treffen  eben 
deswegen  den  Kern  der  Fraise  nicht.] 

Balzac  ist  also  von  1830 — 1850  der  universellste  Ma'er  des 
Provinzlebens,  und  wenn  die  Ähnlichkeit  nicht  vorhanden  wäre,  so 
haben   wir   doch  jeweils  ganz  verschiedene  Bilder,   und  schon  darum 


Ferdinand  Brunetiere.     Honore  de  Balzac.  69 

ist  ihnen  le  sens  de  Vhistoire  eigen;  denn  dieser  ist  nichts  anderes 
als  le  sens  de  la  diversite  des  epoqnes  ou  des  lieux  [?]  ,  .  .  Diese 
Verschiedenheiten  können  nur  durch  Nebeneinanderstellung  oder  in 
ihrer  Zeitfolge  aufgefaßt  werden. 

Aber  der  historische  Charakter  der  Romane  Balzacs  beruht 
nicht  allein  darin. 

Die  Chouans,  Une  ThiSbreuse  Affaire,  Cesar  Birotteau,  die 
Rehouilleuse,  die  Cousine  Bette  haben  alle  ihren  geschichtlichen 
Hintergrund  und  geben  einen  Beitrag  zur  französischen  Sittengeschichte 
unter  dem  Konsulat,  dem  Kaisertum,  der  Restauration  und  dem 
Jiilikönigtum. 

Die  Chouans  geben  bei  allen  ihren  Schwächen  ein  vortreffliches 
Bild  von  den  Verhältnissen  der  Bauernbevölkerung  und  von  der 
damaligen  Kriegsführung. 

Nirgends  besser  als  in  Une  Ihiehreuse  Affaire  finden  sich  drei 
Dinge  dargestellt:  die  drückende  Atmosphäre  infolge  der  tyrannischen 
Allmacht  Napoleons  von  1804—1812,  die  Unbeständigkeit  des  Systems 
infolge  des  verhaltenen  Grolls  vieler  Unzufriedener  und  das  zweideutige 
Spiel  von  einzelnen  Hochgestellten,  die  an  den  Bestand  der  napoleonischen 
Herrschafft  nicht  glaubten. 

In  Cesar  Birotteau  ist  in  den  Verhältnissen  eines  Genrebildes 
die  ganze  Restauration  dargestellt;  20  Jahre  älter  wäre  Birotteau 
Ragon;  um  20  Jahre  jünger,  wäre  ei'   Crevel. 

Noch  zur  Zeit  der  Restauration,  etwas  später  als  Char 
Birotteau  spielt  die  Rabouilleuse;  hier  ist  es  nicht  allein  Philippe 
Bridau,  dessen  Persönlichkeit  dem  Roman  historisches  Interesse  verleiht; 
sondern  überhaupt  die  typischen  Gestalten  der  unter  der  Restauration 
pensionierten  napoleonischen  Offiziere  charakterisieren  die  Zeit.  Einige 
haben  im  Heer,  andere  als  Beamte  Unterkunft  gefunden;  wieder  andere, 
di'corant  de  fidelite  au  grand  homme  leur  incapacite  de  se  sou- 
mettre  ä  auciine  regle,  trieben  sich  von  Cafe  zu  Cafe  herum,  und, 
ohne  einem  Streit  auszuweichen,  jagten  sie  nur  dem  Genüsse  nach. 
Diese  Menschen  gehören  zu  einem  Ensemble  von  Umständen,  die  es 
nur  einmal  gegeben  hat,  und  deren  Geschöpfe  sie  waren,  bevor  sie 
deren  „Ausdruck"  wurden.  Dieses  Gemälde  wird  vervollständigt  durch 
den  Armeelieferanten  Du  Bousquier  und  den  B'^"  du   Chätelet. 

Ebenso  groß  ist  der  historische  Wert  der  Cousine  Bette;  ein 
Vergleich  von  Crevel  mit  Birotteau  ist  ein  Beweis  dafür.  Birotteau's 
Eitelkeit  beugt  sich  noch  vor  der  Autorität;  aber  Crevel  erkennt 
keine  mehr  an.  Seit  1830  ist  er,  der  reiche  Bourgeois,  der  sein 
Vermögen  selbst  erworben,  der  dadurch  sich  Achtung  errungen  hat. 
der  Abgeordneter  und  Pair  werden  kann,  den  größten  Männern 
ebenbürtig.  So  erstehen  in  diesen  Romanen  die  verschiedenen  Phasen 
der  französischen  Geschichte  von  der  Revolution  bis  zum  Julikönigtum. 


70  Referate  und  Rezensioyien.     J.  Haas. 

Der  vielfach  Balzac  gemachte  Vorwurf  des  ühergroßeu  Einflusses 
der  Polizei  in  seinen  Romanen  ist  nicht  begründet;  wenn  man  geschicht- 
liche Werke  über  die  betreffende  Zeit  vergleicht,  so  findet  man,  daß  die 
Polizeimittel  der  Fruchtbarkeit  seiner  Phantasie  weniger  Ehre  machen, 
als  der  Treue  seiner  Beobachtung. 

[Diesen  Behauptungen  über  Crevel  und  ßirotteau,  über  Bridau 
und  Gilet  als  Repräsentanten  ihrer  Zeit  kann  ich  nicht  ohne  weiteres 
beipflichten;  es  ist  aber  ganz  besonders  aus  diesem  Kapitel  eine  falsche 
Auffassung  zu  rügen,  die  die  literarische  Persönlichkeit  Balzacs 
richtig  zu  erfassen  verhindert.  P.  120  führt  Brunetiere  die  Stelle 
aus  der  Vorrede  zur  Comedie  himaine  an,  in  der  Balzac  sagt,  daß 
die  unbekannte  Schlacht,  die  in  einem  Tal  des  Indre  zwischen  Ji'""  de 
Mortsauf  und  der  Leidenschaft  geliefert  werde,  vielleicht  ebenso 
gewaltig  sei,  wie  die  berühmteste  der  bekannten  Schlachten.  Diese 
so  wichtige  Stelle  hat  Brunetiere  falsch  verstanden;  er  fügt  hinzu, 
diese  Schlacht  interessiere  niemand  als  sie  selbst  und  den  großen 
y.Dummkopf-'  Felix  Vandenesse  uud  er  deutet  sie  folgendermaßen: 
11  {^Balzac)  a  cru,  pour  Vavoir  ohservS  que  nos  actions,  meme 
publiques,  Staient  toujours,  comme  on  dit  aujourdhui,  €conditionmes-» 
par  les  circonstances  de  notre  vie  privSe.  11  a  crii  que  Ics  causes, 
qui  dans  iin  cas  donnc  determinaient  les  actions  d'zcn  komme  en 
un  sens,  et  Celles  d'mi  autre  komme  dans  un  autre  sens,  etaient 
siiides  en  general  plus  loin  et  plus  profondement  qiion  ne  le  pense, 
et  ne  dependaient  pas  tant  de  Vkeure  ou  de  la  circonstance,  que  d'une 
longue  p>remeditation  des  acteurs,  inconsciente,  mais  non  pas  pour 
cela  taut  ä  fait  ni  precisiment  involontaire.  Brunetiere  findet 
darin  die  moderne  Auffassung  des  historischeu  Determinismus  und  findet 
einen  erneuten  Beweis  für  die  historische  Bedeutung  der  Balzacschen 
Werke.  Die  Stelle  ist  aber,  wie  gesagt,  ganz  falsch  aufgefaßt;  aber  sie  steht 
auch  in  schroffem  Widerspruch  mit  der  Auffassung  von  C.  Birotteau  und 
Crevel  (p.  109  ff.  und  114  ff.),  die  in  folgende  Satz  Brunetieres 
zusammengefaßt  werden  kann:  Plus  vieux  d'une  vingtaine  d'atinees, 
Cesar  Birotteau  ne  serait  pas  Cesar,  mais  JRagon,  son  predecesseur 
ä  Venseigne  de  la  Reine  des  Roses;  et,  plus  jeune  de  vingt  ans, 
il  y  serait  son  propre  successeur,  le  triompkant  Crevel.] 

Das  folgende  Kapitel  V  ist  dem  ästhetischen  Wert  des  Balz  a  cscheu 
Romans  gewidmet.  Wenn  man  als  Erfordernisse  des  Romans  die 
Kraft  der  Erfindung,  die  Fähigkeit  Wahres  darzustellen,  die  Kunst 
des  Pathetischen  bezeichnet,  so  hat  Balzac  die  erste  Bedingung 
manchmal  erfüllt,  die  dritte  auch;  das  haben  aber  auch  E.  Sue  und 
A.  Dumas  getan;  der  zweiten  Bedingung  genügt  er  wie  kein  anderer. 
Aber  diese  drei  Bedingungen  sind  nicht  die  eigentlichen  Elemente 
des  Romans,  diesci'  teilt  diese  Forderungen  mit  dem  Drama  und  dem 
Lustspiel.  Balzacs  Roman  ist  etwas  anderes  als  der  seiner  Vorgänger, 
und  zwar  ist  er  nicht  bloß  erzähltes  Lustspiel  oder  Drama.  Auch 
die  Charaktere  Balzacs    haben    nichts    spezifisches;    Grandet   und 


Ferdinand  Brünettere.     UonorS  de  Balzac.  71 

Gobseck  mit  Harpagon  zu  vergleichen,  oder  seine  Ehrgeizigen  neben 
die  Cor  nein  es  zu  stellen,  führt  nicht  zum  Grund  der  Unterscheidung. 

Balzac  bat  auch  Züge  eines  Romantikers,  als  solchen  charak- 
terisieren ihn  die  Wahl  von  Stoffen  wie  z.  B.  La  derniere  Incarnation 
de  Vautrin,  die  Übertreibung  einiger  Charaktere,  die  deklamatoirsche 
Sensibilität,  die  die  ersten  Seiten  des  Lys  dans  la  ValUe  diktiert  hat 
[ein  diesbezügliches  Zitat  p.  130  f.  scheint  mir  sehr  streng  beurteilt], 
und  die  anspruchsvolle  swedenborgische  Philosophie  Louis  Lamberts, 
und  Seraphitas  (ni  Balzac  ni  le  romantisme  nont  de  raison  de 
s'en  vanter  p.  131). 

Wenn  man  aber  in  der  Romantik  die  Kunstdoktrin  erblickt» 
die  danach  strebt,  die  Schönheit  zu  verwirklichen  oder  die  Wirklichkeit 
zu  verschönern  (Victor  Hugos  Gedichte,  der  G.  Sand  erste  Romane 
z.  B.  Indiana,  Valentine,  Jacques,  Dumas  Dramen),  eine  Kunst- 
doktrin, die  unvermeidlich  zu  dem  Bestreben  führt  das  Seltene,  Außer- 
ordentliche (den  heroischen  Räuber,  die  trotz  ihrer  Ausschweifungen 
naiv  verHebte  Kurtisane  u.  dgl.)  darzustellen,  so  ist  Balzac  diese 
Kuustdoktrin  ganz  fremd  geblieben.  Trotzdem  er  viele  Ausnahms- 
menschen gezeichnet,  ist  die  Darstellung  immer  eine  Rehabilitation 
der  Wirklichkeit,  der  „bescheidenen  alltäglichen  Wahrheit"  [?]. 

Wenn  ferner  für  die  Romantik  als  besonderes  Kennzeichen  gilt» 
daß  systematisch  das  Schauspiel  der  weiten  Welt  auf  die  persönliche 
Vision  des  Dichters  reduziert  wird,  so  zeigt  im  Gegenteil  Balzacs 
ganzes  Werk  das  Bestreben,  seine  individuelle  Art  —  die  notwendig 
eng  und  als  individuell  nach  Einfachheit  strebt  —  der  Kontrolle  einer 
Wirklichkeit  zu  unterordnen,  die  ex  definitione  außerhalb  von  ihr  ist, 
vor  ihr  existiert  und  über  ihr  steht, 

Balzac  ist  also  kein  Romantiker,  sondern  er  war  Naturalist, 
Er  ist  Naturalist  in  naturwissenschaftlichem  Sinn  [was  unbewiesen 
bleibt  und  zwar  aus  guten  Gründen]  und  er  ist  es  auch  im  ästhetischen 
Sinne.     Denn 

1.  sind  seine  Personen  genau  determiniert,  was  vor  ihm  in  den 
Romanen  nicht  der  Fall  war.  Die  Darstellung  dessen,  was  den  täglichen 
Lauf  des  Lebens  ausmacht  und  für  alle  Menschen  von  Bedeutung  ist,  ist 
das  erste  Gesetz  einer  Gattung,  die  das  Leben  getreu  darstellen  will, 
Balzacs  OriginaUtät  ist  es,  das  verstanden  zu  haben,  Balzac  hat  zuerst 
gezeigt,  wie  Geld  verdient  wird ;  dashalb  mußte  er  die  Mittel  dazu 
angeben,  sie  wahrscheinlich  machen,  d.  h,  den  ganzen  Betrieb  eines 
Geschäfts  oder  Berufs  zeigen.  Das  Geld  ist  also  in  seinen  Romanen 
von  großer  Wichtigkeit,  aber  es  ist  doch  die  Hauptsache  nicht;  es 
verleiht  nur  der  Erzählung  einen  Anschein  von  Genauigkeit,  den  sie 
ohne  das  Geld  nicht  hätte.  Aus  dieser  Lokalisierung  der  Personen 
und  Begebenheiten  entsteht  die  Lebendigkeit,  die  Wahrheit  der  so 
ungeheuer  verzweigten  Masse  von  Personen,  die  manchmal  kaum 
skizziert  sind. 


72  Referate  und  Rezensionen.     J.  Haas. 

2.  Die  Fülle,  die  Genauigkeit,  die  Präzision  des  Details 
bestimmen  in  Balzacs  Romanen  genau  den  Stand  der  Personen. 
Haus,  Mobiliar,  Kleidung  schildert  Balzac  mit  größter  Sachkenntnis; 
diese  Schilderungen  sind  manchmal  zu  lang;  ohne  sie  gingen  aber  die 
Personen  ihres  Charakters  verlustig.  Hier  ist  Balzac  durchaus 
Neuerer;  seither  bilden  diese  Schilderungen  einen  integrierenden 
Bestandteil  der  Romane. 

Balzac  ist  also  zu  jener  Zeit  der  einzige,  der  das  Gefühl  der 
Objektivität  oder  der  Unpersönlichkeit  besaß.  Wohl  macht  er 
Digressionen,  spielt  sich  als  Reformator,  als  Philosoph,  als  komme 
d'esprit  auf;  aber  das  sind  Schwächen,  namentlich  ist  er  in  letzterem 
Bestreben  unerträglich. 

Aber  zur  „persönlichen  subjektiven  Literatur"  (litUrature 
personnelle)  gehört  das  nicht,  wenn  jemand  in  seinem  Werke  seine 
Ansichten  mitteilt,  wenn  man  sein  Talent  in  den  Dienst  seiner 
Ideen  stellt. 

Die  littSrature  personnelle  nimmt  das  Ich  als  mehr  oder  weniger 
offensichlichen  Gegenstand  seines  Werkes,  ruft  den  unbekannten  Leser 
als  Zeugen  an,  wegen  unerfüllter  Träume  und  verletzten  Ehrgeizes 
(Hugo  im  Ruy  Blas,  Vigry  in  Chatterton  und  Stello,  im  Samson 
und  Mo'ise).  Ferner  wird  in  der  litterature  personnelle  alles  auf 
das  Ich  als  den  Mittelpunkt  bezogen  und  endlich  den  Dingen  die 
Vision,  die  der  Schriftsteller  von  ihnen  hat,  auferlegt,  unter  dem 
lächerlichen  Vorwand,  wir  könnten  nie  aus  uns  heraus. 

Dabei  ist  die  charakteristische  Eigentümlichkeit  der  Romantiker 
Ignoranz  und  Anmassung:  ils  ont  cru  que  leur  genie,  lui  tont  seid, 
sufßsait  en  quelque  sorte  ä  leur  tacke,  [Brunetiere  berührt  hier 
eine,  vielleiclit  allen  Romantikern  gemeinsame  Eigentümlichkeit;  sie 
ist   aber   nicht   nur  falsch  formuliert,   sondern  ganz  falsch  aufgefaßt]. 

Balzac  aber  ist  eine  außerordentliche  Wißbegier  eigen  und 
seine  Kenntnise,  obwohl  oft  oberflächlich,  sind  ungeheuer  ausgedehnt, 
Sie  erhöhen  nicht  nur  die  Ähnlichkeit  seiner  Romane  mit  dem  Leben, 
sondern  sie  geben  seinem  ganzen  Werke  einen  Gehalt,  den  man  als 
„wissenschaftlich"  bezeichnen  kann,  und  zwar  ist  das  so  zu  verstehen, 
daß  die  meisten  Balzacschcn  Romane  Enqueten  oder  Dokumenten- 
sammlungen sind.  Das  war  nur  möglich  durch  sein  Bestreben  sich 
möglichst  universelle  Kenntnisse  anzueignen;  und  diese  setzten  ihn  in 
den  Stand  die  Personen  in  ihrem  Milieu  der  Wirklichkeit  entsprechend 
darzustellen.  2)     So   haben   ihn   auch    seine   medizinischen   Kenntnisse 


'-)  Sehr  interessant  ist  eine  beiläufige  Bemerkung  (p.  156—158) 
Brunetieres  über  die  eingestreuten  Biographien,  die  zuweilen  von  qual- 
voller Länge  sind.  Aufser  der  Biographie  des  Titelhelden  sind  im  Cousin 
Ports  noch  mehrere  vollständige  Biographieen  eingestreut;  diese  stören 
zweifellos  den  Fortgang  der  Erzählung.  Zwei  davon  (Brunner  und  Poulain) 
bezeichnet  Brunetiöre,  m.  E.  mit  Unrecht,  als  «  peu  prcs  etrangh-es  ou 
inutiles  ä  Vaction.    Aber,   sagt  er,  obwohl  ihre  Rolle  ganz  nebensächlich  ist, 


Ferdinand  Bruneiiere.     Honore  de  Balzac.  73 

iu  den  Stand  gesetzt,  der  Krankheit  im  Roman  den  Raum  zu  geben, 
den  sie  im  Leben  einnimmt,  obwohl  er  zuweilen  seine  medizinischen 
Kenntnisse  mißbraucht.  [Daß  die  Verwendung  seiner  medizinischen 
Kenntnis  den  Romanen  Balzacs  irgend  welchen  Wert  verleiht,  kann 
man  durchaus  bezweifeln  und  das,  was  Brunetiere  einen  Mißbrauch 
nennt,  ist  nichts  anderes  als  die  Verwendung  falscher  Ansichten, 
die  sogar  dem  Laien  einen  peinlichen,  manchmal  auch  erheiternden 
Eindruck  machen]. 

So  bringt  Balzac  eine  neue  Kunstrichtung  auf,  die  von  der 
Romantik,  auch  in  gewissem  Sinne  vom  Klassizismus  frei  macht.  Der 
Künstler  hat  künftighin  auf  seinen  Geschmack  verzichtet,  uud  grund- 
sätzlich stellt  er  nicht  mehr  dar,  was  er  liebt,  oder  was  er  glaubt, 
schöner  gestalten  zu  können;  er  gibt  nur  wieder,  was  ist.  Die  großen 
Zoologen  wählen  auch  nicht  unter  den  Tieren  aus;  der  Begriff  der 
Utilität  kommt  nicht  mehr  in  betracht.  Man  nehme  die  Dinge,  wie 
sie  sind;  man  verstehe  sie,  man  erfasse  die  Beziehungen,  die  sie  unter 
einander  haben;  man  studiere  sie  ohne  Rücksicht  auf  die  eigene 
Vorlieb?. 

Diese  Unterordnung  des  Beobachters  unter  seinen  Stoff  ist  die 
Grundlage  der  Methode,  die  die  Wissenschaft  erneuert  hat,  und  mit 
Balzac  bringt  sie  eine  Erneuerung  der  Kunst,  des  Romans  und  später- 
hin der  dramatischen  Kunst. 

Diese  Revolution  hat  Balzac  in  der  Kunst  bewirkt,  dadurch 
daß  er  sich  solcher  Kunstmittel  bediente,  die  man  bis  dahin  als  der 
Kunst  unwürdig  angesehen  hatte.  Daher  sind  iu  der  Comcdie  Humaine 
manche  Szenen,  die  viele  aus  seinen  Werken  entfernt  wünschen,  aber 
die  Darstellung  bedingt,  wenn  sie  vollständig  sein  soll,  eben  alle  Teile 
des  Lebens  und  während  Balzac  allen  diesen  Teilen  des  Lebens 
seine  Beobachtung  widmet,  macht  er  uns  zu  Richtern  der  Wahrheit 
seiner  Vision. 

Als  wichtigste  Konsequenz  der  Gleichgültigkeit  des  Dichters 
seinem  Stoff  gegenüber  ergibt  sich,  daß  kein  Stoff  an  sich  einen  ab- 
soluten Wert  hat,  und  Brunetiere  schließt  daraus  [uud  das  ist 
eine  Folge  der  verhängnisvollen,  falschen  Auffassung  der  p.  120 
zitierten  auf  Felix  von  Vandenesse  und  M™®  de  Mortsauf  bezüglichen 


so  müssen  ihre  wenigen  Handluugen  genau  bestimmt,  determiniert  sein, 
nicht  durch  die  Phantasie  des  Schriftstellers,  sondern  durch  ihre  Persönlichkeit. 
Man  mufs  sie  also  kennen.  Aufserdem  dienen  sie  zur  Rekonstruktion  des 
Milieus  [auch  Brunner::],  das  die  Handlung  bestimmt.  Also  sind  diese 
Biographien  nötig  und  berechtigt.  Semper  ad  evintum  fesünet,  mag  —  obwohl 
Brunetiere  auch  dies  nicht  zugiebt  —  für  das  Drama  gelten;  für  den 
Roman  gilt  dieses  Gesetz  nicht.  Le  denouement  ne  doil  inmrds  <Ure  la  raison  du 
recit.  [Hier  liegt  ein  falscher  Schlul's  vor.  Der  richtige  Grundsatz  Le  denoue- 
ment ne  doit  jamais  etre  la  raison  du  rrcit  kann  unter  keinen  Umstünden  zur 
Rechtfertigung  der  schweren  Verstöfse  Balzacs  gegen  die  stilvolle  Ein- 
heitlichkeit der  Erzählung  dienen.    So  liefsen  sich  alle  Fehler  rechtfertigen]. 


74  Referate  und  Rezensionen.     J.  Haas. 

Stellen],  daß  das  Interesse,  das  wir  an  einem  Stoff  nehmen,  großen- 
teils von  seinen  Beziehungen  zu  anderen  Stoffen  abhängt,  und 
darum  ist  nach  Brunetiere  als  Konsequenz  des  Balzac  sehen  Natu- 
ralismus die  Comedie  Humaine  die  vollständig  adäquate  Form  des 
Balzacschen  Romans.  [Diese  Deduktion  ist  absolut  falsch;  die  Come- 
die Humaine  ist  keine  Analyse  der  Gesellschaft  durch  ein  Genie  mit 
umfassender  Welt-  und  Menschenkenntnis,  sondern  eine  nachträg- 
liche, künstliche  Synthese  von  einzelnen  Analysen,  deren  jede  als  Roman 
für  sie  bestehen  kann,  von  dem  ungleichen  Wert  der  einzelnen  Werke 
ganz  abgesehen,] 

Das  sieht  auch  Brunetiere  ein;  er  sagt:  Ces  distinctions 
soni  bien  subtiles  et  il  faut  convenir  qu'on  ne  les  aperyoit  pas 
aussi  nettes  que  Balzac  les  aurait  voulues!  Und  doch  setzt  ei- 
hinzu:  Mais  elles  n'ont  p)^^  moins  leur  raison  d'etre,  et  cette 
raison  d'etre  est  qu'en  s'eclairant  les  unes  les  autres,  Sc'enes  de 
la  Vie  de  province  ou  Scenes  de  la  Vie  parisienne,  elles  fönt 
participer  le  detail  ä  la  vie  des  ensembles;  et  non  seulement  ce 
quon  eilt  pu  croire  insignißant  ne  l'est  plus,  mais  rien  n'est 
insignifant,  et,  comme  en  Zoologie,  tont  se  met  en  place,  s'ordonne 
et  se  classe  (p.  167). 

Da  Balzac  in  dem  Punkte,  in  dem  Brunetiere  ihn  als 
Original  und  Neuerer  bezeichnet,  sich  von  allen  Zeitgenossen  unter- 
scheidet, kann  er  auch  von  ihnen  nicht  abhängig  sein.  [Brunetiere 
betont  dies  besonders,  macht  sich  freilich  teils  den  Beweis  sehr  leicht, 
teils  erbringt  er  gar  keinen.]  Dagegen  hat  Balzacs  Roman  wegen 
der  Einfachheit  und  Fruchtbarkeit  des  Prinzips  der  Unterordnung 
unter   den  Stoff  einen   außerordentlich  wirksamen   Einfluß    ausgeübt. 

Die  Gattungen  evoluieren  oder  verändern  sich;  die  Veränderungen 
gehen  nur  unter  bestimmten  Umständen  und  Bedingungen  vor  sich; 
wie  es  in  der  Natur  einen  höchsten  Punkt  der  Entwicklung  der 
Gattung  gibt,  so  auch  in  der  Evolution  der  literarischen  Gattung. 
Das  sind  für  Brunetiere  drei  Axiome  —  er  sagt  Tatsachen,  und 
er  sagt  [etwas  lakonisch],  Balzac  habe  mehr  als  einmal  diesen  Höhe- 
punkt der  Entwicklung  erreicht.  Ferner  hat  Balzac  als  erster  über 
die  Forderungen  der  klassischen  Ästhetik  triumphiert  und  dem  Roman 
zu  seiner  Bedeutung  verholfen  [?]  Diese  Höhe  der  Entwicklung  hat 
Balzac  durch  .die  Eingebung  seines  Genies  ohne  es  zu  wissen,  nicht 
infolge  von  ausgearbeiteten  Theorien,  erreicht. 

Da  Balzac  eine  ganze  Zivilisation,  eine  vollständige  Gesellschaft 
nachahmt,  so  geht  die  Treue  der  Nachahmung  weiter  als  diese  selbst 
und  die  Darstellung  des  Lebens  wird  zu  einer  Sittenstudie  oder  zu 
einer  sozialen  Studie.  Der  Pere  Goriot,  die  Cousine  Bette  bedingen 
eine  Analyse  der  französi^^chen  Familie  im  XIX.  Jahrb. ;  im  Cure  de 
Village,  im  MMecin  de  Campagne  ist  der  intime  Bau  dieser  Ge- 
sellschaft dargestellt.     So  kommt  Brunetiere  auf  die  soziale  Trag- 


Ferdinand  ßruneiitre.     Honore  de  Balzac.  75 

weite  des  Balzacsclieu  Romans  zu  sprechen.  Man  darf  sich  natürlich 
Balzac  nicht  als  docteur  es  sciences  sociales  vorstellen;  sondern 
die  soziale  Bedeutung  der  Comedie  hiimaine  beruht  in  der  Zeichnung 
einer  vollständigen  oder  fast  vollständigen  Gesellschaft  mit  all  ihren 
Organen,  diese  jeweils  in  allen  ihren  Beziehungen  zum  Ganzen  und  zu 
den  andern,  ohne  daß  sie  einzeln,  in  ihrer  Unabhängigkeit  betrachtet 
würden. 

Vor  Balzac  war  der  Roman  gefälscht.  Die  einzige  Frage,  um 
die  er  sich  drehte,  war  die  Liebe,  Balzac  bat  die  andern  Leiden- 
schaften eingeführt  und  dadurch  die  Möglichkeit  gewonnen,  ein  ge- 
treues Bild  der  Gesellschaft  zu  erzeugen. 

Außerdem  beruht  die  soziale  Bedeutung  des  Balzac  sehen 
Romans  darin,  daß  er  mit  der  Beschreibung  dieser  Gesellschaft 
es  verstanden  hat,  im  Mechanismus  des  täglichen  Wirkens  die  Trieb- 
federn in  Tätigkeit  zu  zeigen,  deren  Grund  er  zuerst  bloßgelegt  hat 
und  so  die  nächsten  Veränderungen  dieser  Gesellschaft  ahnen  zu  lassen 
[Das  stimmt  durchaus  nicht.]  Darunter  versteht  Brunetiere  nur 
den  Individualismus,  der  die  Folge  der  Revolution  ist  und  die  alte 
Familie  zerstört;  die  moderne  Gesellschaft  geht  einem  Zustand  der 
Dinge  entgegen,  wo  die  Tyrannei  des  Gesetzes  sich  allgemein  geltend 
macht,  ohne  Hemmnis,  ohne  Vermittlung,  und  so  \Yird  es  da  zwischen 
dem  anarchischen  Individualismus  und  dem  Erdrücken  des  Individuums 
durch  die  anonyme  Kollektivität  kein  Mittel  mehr  geben. 

Darauf  wendet  sich  Brunetiere  (Kap.  VII)  zu  der  Frage 
nach  der  Moralität  der  Romane  Balzacs:  diese  sind  weder  moralisch, 
noch  unmoralisch,  sondern  eben,  was  sie  sein  mußten  als  Darstellung 
des  Lebens.  Sie  sind  unmoralisch,  wie  die  Geschichte  und  das 
Leben,  d.  h.  ebenso  moralisch  wie  sie.  Es  ist  zwar  zweifelhaft,  ob 
es  ihr  Zweck  ist,  Lehren  zu  geben;  aber  wenn  überhaupt,  so  sind 
ihre  Lehren  nicht  die  besten  und  auch  keine  wahren  Lehren,  die 
zu  befolgen  wären.  Doch  kann  dem  daraus  ein  Vorwurf  nicht  er- 
wachsen, der  sich  darauf  beschränkt  hat,  sie  zu  verzeichnen.  Dieser 
Fall  aber  ist  nicht  eine  Frage  nach  der  Moralität,  sondern  nach  der 
künstlerischen  Auffassung  des  Beobachters,  und  diese  Frage  hat 
Brunetiere  ja  schon  beantwortet. 

Was  den  Einfluß  Balzacs  betrifft,  so  werden,  wenn  man  von 
der  Behauptung  absieht,  Balzac  verdanke  seinen  Ruhm,  großenteils 
dem  bekannten  Aufsatz  von  Taine,  von  Brunetiere  teils  alte 
Dinge  behauptet,  teils  solche,  in  denen  ich  ihm  nicht  zu  folgen  ver- 
mag.    [Viele  Behauptungen,  wenig  Beweis.] 

In  einem  Schlußkapitel  faßt  Brunetiere  seine  Ansichten 
folgendermaßen  zusammen: 

1.  Die  Comidie  liumaine  ist  disproportioniert;  die  Darstellung 
ist  unvollständig;  das  Bauernleben  kommt  zu  kurz,  der  Handwerker 


76  Referate  und  Rezensionen.     J.  Haas. 

fehlt,  Advoliate,  Professoren  sind  ungenügend  vertreten;  dagegen  sind 
die  Notare,  Avoues,  Bankiers,  Geldverleiher,  Kurtisanen  und  Verbrecher 
in  zu  großer  Zahl  vorhanden. 

2.  Die  einzelnen  Teile  der  Comedie  humaine  sind  sehr  un- 
gleich; die  Ursache  liegt  teih  darin,  daß  Balzac  die  einzelnen 
Romane  nicht  genügend  hat  reifen  lassen,  teils  darin,  daß  er  zu  schnell 
gearbeitet  hat,  teils  darin,  daß  er  verschiedene  Teile,  die  zu  ver- 
schiedener Zeit  entstanden  sind,  zusammengeschweißt  hat  [?]. 

3.  Die  wahre  Liebe  und  die  Mutterliebe  zu  zeichnen,  ist 
Balzac  unfähig. 

4.  Er  hat  keinen  Esprit. 

Diese  Schwächen  gibt  Brunetiere  zu;  er  gibt  auch  zu,  daß 
Balzac  kein  Stilist  ersten  Ranges;  er  gehört  nicht  zu  denen,  nach  denen 
man  nicht  mehr  schreibt  wie  vorher;  aber  was  er  darstellt,  lebt. 
Als  Romanschriftsteller  steht  Balzac  wohl  unerreicht  da  [?].  Sein 
Name  ist  untrennbar  mit  der  Geschichte  der  Gattung  verbunden. 
Er  hat  das  Muster  der  Gattung  festgestellt,  keine  Veränderung  der 
Mode  oder  des  Geschmacks  kann  gegen  sein  Werk  aufkommen. 

Leider  will  Brunetiere  in  Balzac  einen  Philosophen  erblicken; 
die  betreffenden  Ausführungen  linden  sich  p.  304 — 309;  mir  scheint 
ihnen  mit  ihrer  Erwähnung  schon  zu  viel  Ehre  getan. 

Brunetiere  gebührt  Anerkennung,  daß  er  Balzac  gewürdigt 
hat,  und  daß  er  ihn,  trotz  der  Verkleinerungen,  die  von  akademischer 
Seite  in  Frankreich  gegen  den  Verfasser  der  ConiMie  liumaine  aus- 
gegangen sind,  als  einen  der  großen  Franzosen  des  XIX.  Jahrh.  erklärt. 
Das  Buch  aber  ist  im  Ganzen  und  in  vielen  Teilen  verfehlt,  einzelne 
Partien  sind  dagegen  meisterhaft. 

Der  Stil,  obwohl  immer  schön  und  brillant  und  etwas  rhetorisch, 
ist  nicht  immer  von  der  Klarheit,  die  man  von  einem  Brunetiere 
erwartet;  z.  B.  p.  68:  Par  exemple,  cest  en  1842,  au  lendemain 
de  la  puhlication  d\m  Menage  de  Garron  (la  Rahouilleuse)., 
un  aiitre  encore  de  ses  chefs  d'ceuvre,  quil  a  definitivement  ..ablmS'', 
si  je  Vose  dire,  sa  Femme  de  trente  A71S,  si  lieureusement  commencie 
en  1831.  —  p.  120:  11  a  crn  que  les  causes,  qui  dans  un  cas 
donne  determinaient  les  aciions  d'un  komme  en  un  sens  et  celles 
dhtn  autre  komme  dans  un  autre  sens,  6taient  situees  en  generai 
plus  loin  et  plus  profondement  qiion  ne  le  pense,  et  ne  dependaient 
pas  tant  de  Hieure  ou  de  la  circonsiance  que  d'une  lojigue  preme- 
ditation  des  acteurs,  inconscienfe,  77ia{s  non  pas  pour  cela  tont  ä 
fait,  ni  prtcisement  involontaire. 

Am  Schluß  des  Buches  ist  eine  kurze  Bibliographie  beigegeben. 
Ein  Index  fehlt. 

Freiburg  i.  Br.  J.  Haas. 


Paul  Passy.     Peilte  Phonetique  Comparee.  77 

Passy,  Paul.  Petite  Phonetique  Comparee  des  principales  langues 
europeennes.  Leipsic  et  Berlii].  B.  G.  Teubner.  1906. 
132  S.     M.  1,80. 

Der  zweite  Teil  des  Titels  verspricht  zu  viel  und  zu  wenig; 
zuviel,  insofern  als  nur  die  französischen,  englischen  und  deutschen 
Sprachlaute  einigermaßen  ausführlich  behandelt,  diejenigen  des  Itali- 
enischen, Spanischen,  Portugiesischen,  Holländischen,  Norwegischen 
und  Russischen  dagegen  nur  kurz  berührt  sind;  zu  wenig,  insofern 
als  auch  die  Sprache  der  Tschechen,  Kroaten,  Bulgaren,  Kaffern, 
Hottentotten,  Busclimänner,  Madegassen,  Araber,  Jakuten  u.  a.  Beachtung 
linden.  Ob  letzteres  in  einem  für  Lehrer  der  modernen  Sprachen 
bestimmten,  populär  gehaltenen  Kleinoktavbändchen  von  nur  132  Seiten 
erforderlich  war,  erscheint  mir  zweifelhaft.  Doch  wird  mancher  Leser 
bewundernd  ausrufen:  Monsieur  parle  Persan!  comment  peut-on  parier 
Persan!  Von  größerem  Werte  ist  es,  daß  Passy  die  wichtigsten 
Dialekte  der  drei  Hauptspraclien  berücksichtigt;  auch  werden  die 
Eigentümlichkeiten  der  Sprache  öffentlicher  Redner,  der  Kanzelredner, 
der  Straßeuhändler  und  der  Kinder,  sowie  der  Unterschiede  in  der 
Aussprache  des  jungen  und  des  alten  Geschlechts  da  und  dort  herbei- 
gezogen. Von  uns  Süddeutschen  scheint  der  Verf.  keine  besonders 
hohe  Meinung  zu  haben;  glücklicherweise  weiß  er  noch  nicht,  daß 
wir  bis  zum  40.  Jahre  blind  sind.  Er  sagt  gleich  auf  S.  1:  Un 
Allemand  du  Sud  ne  vianque  pas  de  dire,  quand  il  commence  ä 
pleuvoir,  11  plnit  des  chuts  (dejä),  iL  tomhe  (also  doch  //!)  des 
peius  couteaux,  und  in  etwas  milderer  Form  S.  2:  la  plnpai't  des 
Allemands  du  Sud  sont  incapables  de  savoir  si  vous  dites  pain 
ou  hain.  Er  hat  dabei  die  Gnade,  uns  bezüglich  unserer  Begabung 
für  Erlernung  der  Fieradspraclien  auf  eine  Stufe  mit  einer  von  ihm 
öfters  erwähnten,  offenbar  besonders  klugen  „jungen  Engländerin'*  zu 
stellen.  Bei  der  weiten  Verbn^itung,  die  das  Büchlein  des  in  allen 
Weltteilen  bekannten  Phonetikers  Passy  mit  Recht  finden  wird,  halte 
ich  es  für  notwendig,  zunächst  einiges  urkundliche  Material  beizubringen, 
um  einer  Vermehrung  der  etwas  sonderbaren  Ansichten,  die  ohnehin 
gegen  die  Süildeutschen  bestehen,  entgegenzutreten. 

Ein  Erlaß  des  Württembergischen  Ministeriums  des 
Kirchen-  und  Schulwesens  vom  24.  November  1858  teilt  dem 
K.  Studienrate  mit,  daß  es  die  K.  Gesandtschaft  in  Paiis  angewiesen 
habe,  denjenigen  Lehramtskandidaten,  die  sich  bei  ihr  diesfalls  legi- 
timieren, nach  Kräften  zum  Zutiitt  in  den  verschiedenen  Bildungs- 
anstalten zu  verhelfen  und  ihnen  überhaupt  ihre  Unterstützung  zur 
Erreichung  ihres  Reisezweckes  zu  teil  werden  zu  lassen.  Am  3  Oktober 
1869  schreibt  der  französische  Unterrichtsminister  Bourbeau, 
nachdem  der  Austauscli  von  3  wiii'tti'mbi'rici-^ehen  Lehramtskandidaten 
gegen  ebenso  viele  französisclie  Kandidaten  l)e\veikstelliLtt  worden 
war,  an  den  Direktor  Roux  von  Cluny:  Monsieur  le  Directeur, 


78  Referate  und  Rezensionen.     Philipp  Wagner. 

Je  vous  remercie  de  la  communication  que  vous  avez  hien  voulii 
ine  faire  des  documents  que  vous  avez  regus  du  Gouvernement 
du  Wurtemherg  au  sujet  des  ileves-maitres  que  nous  envoyons 
dans  ce  pays.  Je  vois  avec  plaisir  les  exceilentes  dispositions  que 
les  autoritds  du  Wurtemherg  niontrent  en  faveur  de  nos  jeunes 
gens.  Je  vous  prie,  Monsieur  le  Directeur,  de  ne  rien  negliger 
de  notre  cote  pour  que  les  jeunes  Wurtemh  ergeois  qui  nous 
sont  envoyes  en  echange,  trouvent  dans  votre  ecole  tous  les 
soins  et  toute  la  sollicitude  qiCils  meriient.  Lorsqu''un  Gouvernement 
comprend  les  intereis  de  l'instruction  et  de  Vklucation  aussi  hien 
que  celui  du  royaume  de  Wurtemherg,  la  France  doit  etre  heureuse 
de  s^associer  ä  ses  eforts  et  de  favoriser  leur  succes. 

"Wenn  ich  weiter  hinzufüge,  daß  weder  bei  uns  in  Württemberg 
noch  in  unserem  ohnehin  an  der  Spitze  des  Fortschrittes  marschierenden 
Nachbarlande  Baden  irgend  ein  Lehrer  fremdsprachlichen  Unterricht 
erteilt,  der  nicht  wiederholt  kürzere  oder  längere  Zeit  im  Ausland 
studiert  hat,  so  wird  der  Verf.  mir  glauben,  daß  wir  Süddeutsche, 
wenn  wir  überhaupt  Fremdsprachen  erlernen,  nicht  nur  niu:  von  mE:, 
sondern  auch  pa  von  ba,  /a  von  ^a  unterscheiden  und  im  Notfalle 
sogar  die  weibliche  Form  des  Eigenschaftswortes  „petit"  aussprechen 
können. 

Als  ein  Mangel  des  Werkchens  wird  zunächst  das  empfunden 
werden,  daß  die  physikalischen  Grundlagen  der  Phonetik  darin  zu 
wenig  Beachtung  finden.  Was  Passy  S.  95  über  die  Mitwirkung  des 
relativen  und  absoluten  Moments  andeutet,  genügt  nicht,  um  dem 
Leser  eine  klare  Vorstellung  über  die  Natur  der  Vokale  zn  geben. 
Auch  die  S.  58  über  den  tonischen  Accent  und  über  die  Quantität 
von  Vokalen  und  Konsonanten  gemachten  Angaben  dürften  gründlicher 
und  ausführlicher  sein.  Nach  A.  Meyer  ist  beispielsweise  die  Dauer 
eines  englischen  Vokals  nicht  nur  durch  die  Natur  des  abschließenden 
Konsonanten,  sondern  auch  durch  die  eigene  Natur  des  Vokals 
bedingt,  je  nach  dem  Spannungsgrad  der  Zunge  und  der  Höhe  der 
für  den  Vokal  erforderliciien  Zungenstellung.  Ob  in  gewölinlicher 
Rede  die  als  geminiert  bezeichneten  französischen  Konsonanten  tat- 
sächlich von  der  Beschaffenheit  einfacher  Konsonanten  so  wesentlich 
abweichen,  wie  Passy  S.  56  es  behauptet,  erscheint  mir  nach  meinen 
eigenen  Untersuchungen  mit  den  Lautmassen  eiiies  jungen  Parisers 
zweifelhaft.  Auch  in  deutschen  Wörtern  wie  Schifffahrt,  unnötig  etc. 
kann  ich  in  gewöhnlicher  Aussprache  keine  unechten  Gerainaten  ent- 
decken. Was  S.  84  über  die  Bildung  der /-Laute  gesagt  wird,  ist 
nicht  ganz  richtig.  Die  Artikulationsstelle  des  /  liegt  nicht  nur 
weiter  nach  hinten  als  die  der  s,  sie  ist  vor  allem  viel  breiter. 
Wenige  Versuche  mit  Grützners  Karminmethode  würden  hierüber 
Klarheit  verschaffen.  Es  ist  ja  wohl  zu  begreifen,  daß  Passy  und 
andere  Sprachforscher  die  Untersuchung  über  die  physikalische  Natur 


Paul  Passy.     Petite  Phonetique   Comparee  79 

der  Sprachlaute  ganz  dem  Physiker  und  Physiologen  zuweisen,  allein 
die  sicheren  Ergebnisse  der  rein  anatomisch-physiologischen  und  auch 
der  physikalischen  Untersuchungen  sollten  doch  von  den  Philologen 
ernstlich  berücksichtigt  werden. 

Im  einzelnen  wäre  noch  zu  bemerken,  daß  wir  Süddeutsche 
den  Kehlkopfverschlußlaut  nicht  kennen,  dagegen  wird  bei  uns  eine 
palatale  stimmlose  Lenis  (palatales  ^),  und  eine  palatale  aspirierte 
Fortis  gesprochen,  und  zwar  erstere  besonders  im  Aulaute  vor  vor- 
deren Vokalen  und  im  Auslaute  nach  solchen,  letztere  nur  im  Anlaute 
vor  vorderen  Vokalen.  Auch  w,  allerdings  ohne  ?<- Hebung  der 
Zunge,  und  das  palatele  p  nach  e  im  Auslaute  und  nach  anlautendem 
stimmlosem  palatalem  g  sind  bei  uns  gebräuchlich.  Aus  meinem 
Kurvenmaterial  ersehe  ich  auch,  daß  mein  früherer  Schüler  Jean 
Brindeau  aus  Paris  für  vetdo,  vettrioa,  etc.  vepdo,  veptrioa  etc. 
spricht.  Nasale  i  habe  ich  auch  in  der  Nähe  von  Gerardmer  gehört, 
man  spricht  dort  z.  B.  sipc  für  se:  k. 

Eine  allgemein  gültige  Regel  für  den  Schwund  des  Vokals  d 
zu  finden,  ist  offenbar  kaum  möglich.  Die  auf  S.  119  und  S.  122 
gebrauchten  Formen  gartfä  :  pz  :  tr  und  msnce'.j  brijä  stimmen  mit 
der  von  Beyer -Passy  S.  81  gegebenen  Regel  überein,  nach  der  die 
unmittelbare  Aufeinanderfolge  dreier  Konsonanten  im  Inlaute  nur 
zulässig  ist,  wenn  der  erste  oder  letzte  der  Gruppe  rlivyj  ist,  allein 
sie   widersprechen    der   S.  107    gegebenen   Anweisung  unseres  Buchs. 

Der  hohe  Wert  der  Petite  Phonetique  besteht  darin,  daß  sie 
in  abgeklärter  Form  alles  das  darbietet,  was  ein  scharfer  Beobachter 
lautlicher  Erscheinungen  und  einer  der  bedeutendsten  Phonetiker 
unserer  Zeit  über  die  Sprachlaute  der  wichtigsten  europäischen 
Sprachen  zu  sagen  weiß.  Passy  läßt  sich  in  seinem  Urteil  nicht 
durch  andere  beeinflussen,  bei  ihm  beruht  alles  auf  eigener  Beobachtung; 
seine  langjährige  Tätigkeit  als  Lehrer  an  der  Ecole  des  Hautes 
Etudes,  die  ihm  Schüler  aus  allen  Weltteilen  zuführte,  und  seine 
vielen  Reisen  ins  Ausland  boten  ihm  dazu  reichlich  Gelegenheit.  Er 
ist  dabei  ein  praktischer  Schulmann,  der  auch  jungen  Leuten  schon 
Sprachunterricht  erteilt  hat  und  darum  treffliche  Winke  betreffs  der 
Schwierigkeiten  zu  geben  weiß,  die  bei  der  Erzeugung  der  einzelnen 
Laute  zu  überwinden  sind.  Die  von  ihm  gewählte  Schrift,  die,  wie 
die  gegebene  Probe  zeigt,  auch  geschrieben  recht  deutlich  und  hübsch 
erscheint,  ist  natürlich  die  der  Association  Phonetique  internationale. 
Sie  ist  auf  der  ganzen  Welt  bekannt  und  leicht  zu  lernen.  Den 
Erfolg  dieses  Büchleins,  das  kein  Lehrer  der  neueren  Sprachen  ent- 
behren kann,  wird  derselbe  sein  wie  der  der  „Sons  du  Franpais" 
desselben  Verfassers. 

Stuttgart.  Philipp  Wagner. 


80  Referate  und  Rezensionen.     E.    Uhlemann. 

Scliweild,  Friedrich.  Zum  französischen  Unterricht  ein  Ober- 
klassen. Wissenschaftliclie  Abhandlung  zum  Programm  der 
K.  Friedricli-Eugens-Plealschule  in  Stuttgart  zum  Schlüsse 
des  Schuljahres  1905/06.  Stuttgart  1906.  Buchdruckerei 
der  PauHncnpflege.     38  S.    4«. 

„Au  Oberklasscn!"  Diese  Losung  reizt  vielleicht  auch  manchen, 
den  bittere  Enttäuschungen  zu  dem  bedenklichen  Entschlüsse  gebracht 
haben,  so  leicht  keine  Arbeit  über  Methodik  des  neusprachlichen 
Unterrichts  wieder  aufzuschlagen,  doch  einmal  eine  Ausnahme  zu 
machen,  selbst  wenn  der  Titel  der  Abhandlung  sonst  auch  noch  so 
wenig  verlockend  erscheint. 

Um  solchen  den  Mut  zu  stärken,  sei  es  gleich  gesagt:  nichts 
Geringeres  als  Auswahl  und  Behandlung  der  Lektüre  steht  zur  Dis- 
kussion. Und  so  meint  es  der  Verfasser:  Die  französische  Lektüre 
ist  dergestalt  auszuwählen,  daß  sie  in  innige  Verbindung  mit  dem 
geschichtlichen  und  deutschen  Unterricht  gebracht  werden  kann.  Des- 
halb behandle  man  in  OII  das  siebzehnte,  in  UI  das  achtzehnte  und 
in  Ol  das  neunzehnte  Jahrhundert.  —  Alle  Einzelausgaben  sind  zu 
verbannen.  Zum  Ersatz  dafür  schaffe  man  ein  ausführliches  Lese- 
buch, das  den  drei  Klassenstufen  entsprechend  in  drei  Abteilungen 
zu  zerlegen  sein  würde.  Die  Grenzsteine  seien  Descartes  —  La 
Rochefoucauld,  Bayle  —  Cheuier,  Chateaubriand  —  Maeterlinck. 

Und  die  Methode?  „Den  gediegenen  Herrn  Grammatikern,  den 
gelehrten  Spraclihistorikern,  den  gewandten  Gesprächskünstlern  .  .  ., 
den  fortschrittlichen  Realisten '^^j  jedem  werden  seine  Sünden  vorgerückt, 
jeder  bekommt  eine  bittere  Pille  zu  schlucken,  wenn  auch  mit  einer 
menschenfreundlichen  Dosis  gesunden  Humors  überzuckert,  jeder  wird 
schließlich  dankend  bei  Seite  geschoben;  Gnade  findet  nur  ein  „ana- 
lytischer" Lektürebetrieb,  dessen  erstes  Ziel  ist,  die  Schüler  zu 
historischem,  ethischem  und  ästhetischem  Urteil  zu  erziehen,  nach 
diesen  Seiten  hin  ihren  Gesichtskreis  zu  erweitern  und  ihre  Kennt- 
nisse zu  bereichern. 

Wie  das  im  einzelnen  einzurichten  sei,  das  muß  mau  in  der 
Abhandlung  selbst  nachlesen;  und  wem  bei  all  den  einzelnen  Rat- 
schlägen etwas  wirr  im  Kopfe  werden  sollte,  der  halte  sich  an  die 
interessanten  beigegebenen  Lehrproben,  denen  Stellen  aus  Mme  de 
Staels  Curinne,  Flauberts  Madame  Bovary  und  Coppees  Le  Naufragö 
zu  Grunde  gelegt  sind. 

Daß  jeder  Leser  sich  des  Verfassers  Ideen  mit  Leib  und  Seele 
verschreiben  werde,  steht  nicht  zu  erwarten,  dazu  sind  die  leidigen 
Fachgenossen  —  auch  der  Referent  rechnet  sich  dazu  —  zu  eigen- 
sinnige und  rechthaberische  Menschenkinder.  Aber  selbst  die,  die  sich 
vielleicht  in  ilirer  heihgsten  Überzeugung  durch  Schwends  Tadel 
gekränkt  fühlen,  sie  sollten  und  müßten  einmal  unparteiisch  die  Fülle 
von  Anregungen   nachprüfen  und  wägen,   die   der  Verfasser   mit  frei- 


Friedrich  Sehwend.     Zum  franz.  Unterricht  an   Oberklassen.      81 

gebiger  Hand  vor  uns  ausbreitet.  Ganz  ohne  Nutzen  dürfte  keiner 
eine  solche  Arbeit  erledigen,  wenn  sie  auch  einige  Selbstverleugnung 
und  Anstrengung  erheischen  möchte  —  oder  gerade  deshalb. 

Zwar  ist  der  Verfasser  nach  eignem  Zeugnis  (S.  20)  nur  ein 
.,ganz  bescheidener  Neuphilolog,  der  das  romanische  Seminar  mit 
konstanter  Bosheit  schwänzte,  ....  der  nur  etwas  moderne  Gram- 
matik und  in  Genf  und  Paris  lesen  lernte  und  als  Vorbereitung  zur 
Stunde  keinen  Klöpper  und  keinen  Bädeker  mitbringt  .  .  .  .";  dem 
Referenten  ist  er  aber  doch  in  erheblich  weniger  düsterem  Lichte 
erschienen:  als  ein  Mann,  der  trotz  der  schwer  zu  beklagenden  aka- 
demischen Jugendsünden  sich  trefflich  auf  historische  und  Schulgram- 
matik versteht,  der  alle  Phasen  des  Methodenstreites  mit  lebhafter 
Teilnahme  verfolgt,  der  sich  dabei  aber  seinen  guten  Humor  gerettet 
und  durch  eigenes  Studium  und  Nachdenken  einen  reichen  Schatz  an 
historischem,  psychologischem  und  ästhetischem  Wissen  erarbeitet  hat, 
aus  dem  zu  schöpfen  eine  wirkliche  Freude  ist. 

Göttingen.  E,  Uhlemann. 


Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI>. 


Miszelle. 


Dr.  phil.  Seitdem  unter  dem  Einflufs  der  neusprachlichen  Reform- 
bewegung einzelne  Buchhandlungen  die  für  deutsche  Schulen  bestimmten 
französischen  Schriftsteller  mit  franzosich  geschriebenen  Erläuterungen 
herausgeben,  hat  auf  dem  Titelblatt  auch  der  etwaige  deutsche  Doktortitel 
des  französisch- schreibenden  deutschen  Bearbeiters  französisch  ausgedrückt 
werden  müssen.  Hierbei  ist  in  doppelter  Weise  fehlgegriffen  worden.  Aus 
der  nicht  unbeträchtlichen  Zahl  derer,  die  hierbei  fehlgegriffen  haben,  wähle 
ich  die  folgenden  drei  nur  deshalb  aus,  weil  mir  hier,  wo  ich  dies  schreibe, 
nur  wenige  Bücher  zur  Hand  sind,  und  weil,  was  zur  Sache  gesagt  werden 
mufs,  sich  an  wenigen  Beispielen  klar  machen  läfst.  Der  erste  Titel  lautet: 
La  Guerre  ISlO/Tl.  Scenes  et  episodes  caracteristiques.  Choisies  et  annotees 
par  Dr.  A.  Mühlan,  Oberlehrer  au  lycee  Royal  de  Glatz".  Leipzig  (Rofs- 
berg)  1903.  Der  zweite  Titel  hat  die  Fassung:  Les  Provinces  fran^aises  .  .  . 
par  ...A.  Mühlan,  Do  et  eurös-Lettres,  Professeur  au  Lycee  Royal 
de  Glatz.  Berlin  (Weidmann)  1906.  Titel  Nummer  drei  ist  so  gefafst : 
Extraits  de  journaux,  Tahleaiix  de  la  vie  moderne  en  France  par  Ernst  Dann- 
heisser,  Dr.  en  phil.,  Prof.  ä  l'Ecole  Reale  de  Ludwigshafen. 
Leipzig  (R.  Gerhard)  1906.     Hierzu  ist  Folgendes  zu  bemerken. 

Die  Fassung  '■par  Dr.  A.  J/.'  im  ersten  Titel  ist  französisch  unzulässig; 
die  Fortlassung  des  Artikels  ist  ein  grammatischer  Fehler,  zum  Mindesten 
ein  Barbarismus.  Setzt  man  aber  den  Artikel,  so  ist  zwar  der  Grammatik 
genügt;  im  gewöhnlichen  Leben  denkt  man  jedoch  im  Französischen,  es  sei 
denn,  dafs  man  dem  He  doctew'-  noch  das  Wort  ^monsieur^  voranstellt,  bei 
par  le  docteur  A.  M.  meist  an  einen  Arzt.  Der  nicht-medizinische  Doktor- 
titel spielt  eben  in  Frankreich,  wo  Titel  überhaupt  hinter  dem  universellen 
und  stets  höflichen  einfachen  '■monsieur'  zurücktreten,  in  der  Umgangssprache 
keine  groi'se  Rolle.  Dies  hat  Dr.  Mühlan  auch  wohl  selbst  empfunden,  und 
drei  Jahre  später  (1906)  wählt  er  die  oben  unter  Nummer  2  angeführte 
Wiedergabe  seines  deutschen  Titels.  Par  A.  J/.,  docteur  es-kttres  ist  sprach- 
lich richtig  und  ganz  dem  Französischen  Sprachgebrauch  entsprechend,  aber 
sachlich  richtig  ist  es  keineswegs.  Richtig  wäre  es  nur,  wenn  der  franzö- 
sische 'docteur  es-letires'-  genau  dem  deutschen  doctor  philosophiae  entspräche. 
Dies  ist  aber  keineswegs  der  Fall.  Die  Anforderungen  im  Examen,  über- 
haupt die  ganze  Einrichtung  dieser  beiden  akademischen  Würden  sind  so 
verschieden,  dafs  die  Franzosen  schon  längst  für  den  deutschen  Dr.  phil. 
die  in  französischen  akademischen  Kreisen  und  auch  im  gebildeten  Publikum 
allgemein  bekannte  Bezeichnung  'docteur  en  pMhsophie''  eingeführt  haben.  Da 
aber  A.  Mühlan  nicht  in  Frankreich,  sondern  in  Deutschland  promoviert  ist, 
kommt  ihm  die  Bezeichnung  '■docteur  cs-httres'  nicht  zu.  Daunheisser,  der 
dies  richtig  aufgefafst  hat,  hat  sich  (oben  in  Titel  Nummer  drei)  richtig 
auch  als  '■docteur  en  jMlosophie'^  bezeichnet;  nur  entspricht  die  von  ihm  gewählte 
Abkürzung  nicht  der  in  Frankreich  üblichen;  die  Franzosen  schreiben  in 
der  Abkürzung  meist:  Dr.  en  philos.,  nicht  Dr.  en  phil. 

Lausanne.  Emil  Hausknecht. 


Novitätenverzeichnis. 

(Abgeschlossen  am  15.  März  1907.) 


1.  Bibliographie  und  Haudscliriftenkunde. 

Boinet  A.  —  Le  Livre  d'heures  de  Marguerite  de  Valois,  soeur  de  Fran^ois 

ler,  conserve  au  musee  de  Louvre.   In-8,  20  p.  et  5  planches.   Paris  1906. 

[Extrait  des  «Memoires  de  la  Societe  nationale  des  antiquaires  de  France» 

T.  65.] 
üoinet  A.  —  []n  bibliophile  du  XYe  siäcle.   Le  Grand  Bätard  de  Bourgogne ; 

In-8,  17  p.  et  3  planches.   Paris,  1906.   [Extrait  de  la  «  Bibliotheque  de 

l'Ecole  des  chartes  ».    Annee  1906.  T.  67.] 
Catalogue  general  des  livres  imprimes  de  la  Bibliotheque  nationale.   Auteurs. 

T.    27:    Charp-Chernoviz.    ln-8.   ä  2  col.  Paris,  Impr.  nationale.   1906. 

[Ministere  de  Finstruction  publique  et  des  beaux-arts.] 
Chollet,  P.     Un    livre  ignore  de  l'epoque  romantique:     „Le  fruit  defendu" 

[In:    Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  Fr.  XUI,  3.  S.  501—504]. 

Bayof,   A.     Fragments    de  Manuscrits  trouves  aux  Archives  Generales  du 

Rovaume.     [Aus :    Revue  des  Bibliotheques  des  Archives  de  Belgique 

T.  IV,  fasc.  4.  18  S.  8«.   Hors  Commerce]. 
—  —  Fragments  de  Manuscrits  trouves  aux  Archives  Generales  du  Royaurae 

[Aus:     Rev.    des    Bibl.    Arch.    de   Belgique.    T.    IV,   fasc.    5—6.    39  S. 

8°.  Hors  Commerce]. 
Gärtner,  Tb.     Bruchstücke  einer  Girbert. -Handschrift.   [In:  Zs.  f.  vom.  Phil. 

XXX,  S  733—740]. 
Meyer,  P.   Notice    du  Ms.   Bodley    57    (Oxford,  Bodleienne)   [In:    Romania 

XXXV,  570-582]. 
Niize,   W.  A.    Dr.  Sommers  alleged  discovery  of  a  new  manuscript  [In:  Mod. 

lang,  notes  XXII,  1.  S.  26  f.]. 
Notices   et  Extraiis   des   manuscrits   de    la  Bibliotheque  nationale  et  autres 

bibliotheques  publiees  par  l'Academie  des  inscriptions  et  helles  lettres. 

T.  38.  2e  partie.  In-4.  p.  397  ä  793.  Paris,  C.  Klincksieck.  190G. 
Parducci,  A.    Notizia  di  un  ms.  contenente  componimenti  religiös!  in  antico 

dialetto  piccardo  [In:    Zs.  f.  rom.  Phil.  XXX,  660  —  674]. 
Pellet,  M.    Les  manuscrits  de  J.-J.  Rousseau  au  Palais  Bourbon   [In:    La 

Revolution     fran^aise.  1906.  14  sept.]. 
Sommer,   Oskar  H.    An  unknown  manuscript  and  two  early  printed  editions 

of  the  Prose-Percival  [In:   Mod.  Lang.  Notes.  December  1906]. 


Duine,  F.  Histoire  du  livre  ä  Dol  du  XVe  au  XVIlIe  siecle  [In:  Annales 
de  Bretagne  XXI,  4.    Juillet  1906.  S.  411.  ff.]. 

Nardin,  L.  —  Jaques  FoiUet,  iniprimeur,  libraire  et  papetier  (1554-1619). 
Ses  peregrinations  ä  Lyon,  üeiiöve,  Constance,  Bäle,  Courcelles-les-Mout- 
beliard,  Besangon  et  Montbeliard,  d'apres  des  documents  inedits.  Avec 
l'inventaire  de  ses  biens,  catalogue  detaille  de  sa  librairie,  des  fac-similes 

6* 


84  Novitätetiverzeichnis. 

d'autographes,  les  iiligraues  de  ses  papeteries,  etc.  Lc  tout  accompague 
de  notes,  commentaires  et  eclaircissements.  In-8,  287  p.  Paris,  Champion 
1906. 

2.  Enzyklopädie,  Sammelwerke,  Gelehrtengeschichte. 

Annales  de  la  Societe  Jean-Jacques  Rousseau  II  fl9(6)  [Darin:  E.  Ritter, 
J.  J.  Rousseau  et  madame  d'IIoudetot.  A.  Michel,  Deiix  portraits  de 
Rousseau.    Th,  Dufour,  Pages  inedites  de  J.  J.  Rousseau.   Deuxieme  serie]^ 

Annuaire  de  la  soc.  lieg,  de  litterature  wallonne.  1906—  No.  XIX.  Soc.  An.' 
Imprimerie  H.  Vaillant-Carmanne.  Rue  St.  Adalbert  8.  Liege  1906. 
(Enthält  u.  a.  Mundartproben). 

Bulletin  de  la  societe  liegeoise  de  litterature  wallonne,  T.  XLVI.  Societe 
Anonyme.  H.  Vaillant-Carmanne,  8,  rue  Saint-Adalbert,  8,  Liege  1906 
[Darin:  I.  Litterature  wallonne.  S.  5—163.  II.  Philologie:  Vocabulaires 
technologiques  (2«  concours).  Rapport  de  A'^.  Laquarri  p.  167 — 174. 
Vocabulaire  du  Tailleur  d'habits  ä  Verviers  (extraits)  p.  Camille  Feller  p. 
175—177.  Vocabulaire  du  Pinsoni  (extraits)  p,  Edm.  Jacquemoite  et  Jean 
Lejeune  p.  179  —  180.  Vocabulaire  de  l'Ardoisier  ä  Vielsalm  \).  Joseph  Hens 
p,  181  — 191.  Vocabulaire  de  la  Sage-Femme  (extraits)  p.  Edm.  Jacquemotie 
et  Jean  Lejeune  p  193 — 198.  Mots  wallons  divers  (4e  concours).  Rapport 
de  J.  Baust  p.  199  f.  Mots  wallons  divers,  recueillis  par  E.  Jacquemotie  et 
J.  Lejeune  p.  201 — 202.  Prosodie  wallonne  (6«  conc).  Rapport  A'Aug. 
Doutrepont  p.  203—206.  Toponymie  wallonne  (8e  conc).  Rapport  de 
A^.  Lequarre  p.  207—210.  Toponymie  de  Francorchamps  p.  Albert  Counson 
p.  211-268.     Appendice  p.  269—280. 

Neuphilologische  Mitteilungen.  1907  No.  1/2  [Inhalt;  J.  Poirof.  Ferdinand 
ßrunetiere  S.  1  —  Artur  Lhnnfors:  Un  dit  d'amours  S,  5  —  J.  Pnirot: 
Über  die  Bedingungen  der  Sprachentwickelung  S.  19  —  H.  Suolahti: 
Miszellen  S.  27  —  Besprechungen:  Ferdinand  Bnmot.,  Histoire  de  la  langue 
frangaise  des  origines  ä  1900,  von  ^.  Wallensköld  S.  2d  —  Mauritz  Boheman 
Precis  de  l'histoire  de  la  litterature  des  Felibres,  von  A.  W.  S.  30  — 

Friedrich  Kluge,  Unser  Deutsch,  von  E.  Suolahti  S.  30  —  A.  Bahnhof.  Der 
Nibelungen  Not  in  9  Erzählungen,  von  M.  W.  S.  31  —  Protokolle  des 
Neuphilologischen  Vereins  S.  31  —  Eingesandte  Literatur  S.  32  —  Mit 
teilungen  S.  32]. 
Rev.  des  Etudes  Rahelaisiennes  IV,  4  [Somraaire:  Les  voyages  merveilleux  de 
Cyrano  de  Bergerac  et  de  Swift  et  leurs  rapports  avec  l'oeuvre  de 
Rabelais,  par  Pietro  Toldo.  P,  295.  —  Rabelais,  les  Sainte-Marthe  et 
1'  «enraige»  Putherbe,  par  Abel  Lefranc.  P.  335.  Melanges:  Rabelais 
et  Sprvius,  par  W.  F.  Smith.  P.  349.  Topographie  rabelaisienue,  par 
H.  Patry.  P.  369.  —  Tiraqueau  et  Rabelais,  par  J.  Plattard.  P.  384.  — 
Origine  du  mot  «Gargantua»,  par  le  "Dr.  Albard.  P.  390.  —  La  Deviniere 
contre  la  Deviniere,  par  Henri  Clouzot.  P.  394.  —  Licentiatus  pro  doctore 
an  habeatur?  pur  J.  Plattard.  P.  396.  Comptes-Rondus.  P.  398:  fimlle  Picot, 
de  l'Institut.  LesFran<^ais  italianisants  auXVIe  Liecie.  (Jacques  Boulenger). 
—  Albert  Haur.  Maurice  Sceve  et  la  renaissance  italipnne.  (Ifl).  —  Drs 
Cabaiies  et  Barraud.  Remedes  de  bonnes  femmes.  (H.  C.)  Chronique. 
P.  404—411.     Table  des  Matieres:   P.  412] 


Ebert.  —  L.  Frchilel.  Adolf  Ebert  der  Literarhistoriker.  Zugleich  ein  Bei- 
trag zur  Geschichte  der  neueren  Philologie.  Tl.  I.  Progr.  München 
1906.  27  S.  80 

Les  reqistres  de  VAcademie  frangaise  1672  — 179\  Tome  4«.  Documents  et  table 

analytique.  Paris,  Firniin-Didot  et  C'».  Fr.  12.  [Institut  de  France], 

3.  SprachsescLichte,  Grammatik,  Lexikographie. 

Paris,  G.  Melanges  linguisliques  p.  p.  M.  Rnques.  Fascicule  II:  Langue 
Frangaise,  Paris  1906,     [Societe  amicale  Gaston  Paris]. 


Novitätenverzeicfmis.  85 

Buudei,  M.    Foiilholes:    ses  coseigneurs  et  sa  chapellenie,-    la  langue  usuelle 

de   la   haute    societe   des   moutagnes    au   XVe   siöcle   [lu:    Rev.    de    la 

Haute  Auvergne  1905.  S.  ail— 340]. 
LmjcA-,  K.    Beiträge  zur  englischen    Grammatik.  V.    Zur  Quantitierung  der 

romanischen  Lehnwörter  und  den  Quantitätsgesetzen  überhaupt  [In:  Anglia. 

N.  F.  XVIII,  S.  1-55J. 
Monroe,  B.  S.     Frcnch   words  in  Lavamon  [In:    Modern  Philology.   IV,   3. 

S.  559  ff.]. 
Salverda  de  Grave.     De  franse  woorden  in  het  Nederlands.    Verhandelingen 

der  Koninklijke  Akademie  van  Wetenschappen  te  Amsterdam.    Afdeeling 

Letterkuiide.    Nieuwe  reeks.    Deel  VII.  Amsterdam,  J.  Müller.  December 

1906.    394  S.    80. 
—  Franse  spreektaal   buiten  Frankrijk.     [In:    Taal   en  Letteren  XVI  6/7]. 
8kcat   W.    W.     Proveugal   words  in  English  [In:    The  Mod.  Lang.  Review 

II,  1  S.  60  f.]. 


La  Grasserie  R,  de.  Etudes  de  linguistique  et  de  psychologie.  Particularites 
linguistiques  des  noms  subjectifs  (Parties  du  corps:  Armes  et  Outils; 
Animaux  domestiques;  Noms  propres;  Pronoms);  In- 18  Jesus,  226  p. 
Paris,  Leroux.  1906.  G  fr. 


Brunoi,  F.    Histoire  de  la  langue   fran^aise  des  origines  a  1900;    T.  2  :  le 

XVIe  siecle.    In-8,  XXXI-505  p.  Paris  Colin.  1906,  15  fr. 
C'ledat,  L.  —  Grammaire  raisonnee  de  la  langue  frangaise ;    8e  edition.    Ia-18 

Jesus,  XVI-240  p.  Paris,  Le  Sondier.  1907.  3  fr.  50. 
Meyer,  lt.  A.    Französische  Lieder  aus  der  Florentiner  Handschrift  Strozzi- 

Magliabecchiana    Gl.    VJI.    1040.      Versuch    einer    kritischen   Ausgabe. 

Teil    I.    Metrische    und    sprachliche    Untersuchungen.     Diss.    Strafsburg 

1906  41  S.  80. 


Etiiiuiyer,  K.    Zur  Aussprache  des  lateinischen  l  [In:   Zs.  f.  rom.  Phil.  XXX, 

648-659], 
Nyrop,  Kr.    Etude  sur  las  onomatopees  [Academie  royale  des  sciences  et 

lettres    de   Danemark.     Extrait    du   JBulletin    de    l'annee    1906.    No.  6. 

S.  329—  346]. 
Schubert,  R.    Probleme  der  historischen  französischen  Formenlehre.    Erster 

Teil.    Berlin,   E.  Ehering  1907  [Romanische  Studien  Reit  VII]. 

Barbier ßls,  P.     Sur  un  group"  de  la  famille  de  „caput"  (suite  et  fin)  [In: 

Rev.  de  phil.  fran?.  XX,  4.  S.  241—264], 
hradley,  H.     The  WOrd   „moillei-c^^  in  Piers  tlie  Ploioman.     [In:    The  mod.  lang. 

review.  II,  2.  Jannary  1907.     S.  163  f.]. 
EmauU,  E.     Sur   l'etymologie  bretonne   [In :    Rev.  Celtique  XXVII  3/4  (ä 

suivre)]  (Vf.  handelt  U.  a.  über  rancune,  gremiller,  galerne,  Gargantua,  goulaf're, 

Gargamelle,    allouvi,   loubier,  jacole,    melancolie,  gobie,  gobier^   mahon,   mahonner), 
Henry,   V.    marisopa  [In:    Romania  XXXV,  605J. 
Jeanjaquet,  J.    Etymologie.     Vaiulois  satdmo,  chatdmo,  repas  de  funerailles  [In : 

Bull,  du  Gloss.  des  Pat.  de  la  Suisse  Romande  V  -/j]. 
Jeanroy,  A.    Etymologies  fran^aises:  frang.  pop.  blague,  blaguer  [In:  Rev.  de 

phil.    XX,   4.    S.  2S8— 291].      (Vgl.    blaguer    und    blagueur    im  Dict,    du    bas- 

lanfjage,  Paris  1808,  S.  94). 
Leri,  Ä.    La  famiglia  di  fanfarone  [In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXX,  675-680.]. 
Rockel,  K.    Goupil,  eine  semasiologische  Monographie.    Breslauer  Dissertation 

1906.     116  S.  80  und  2  Tafeln. 
Saindan,  L.   —  Les  uoms  romans  du  chien  et  leurs  applications  metaphoriques 

In-8,  66  p.  Paris,  Impr.  nationale.  1906.    [Extrait  des  «Memoires  de  la 

Societe  de  linguistique  de  Paris  »,  t.  14]. 


86  Novitätenverzeichnis. 

Schuchardt,   H.     Zur   Methodik   der   Wortgeschichte  [In:   Zs.  f.  rora.  Phil. 

XXXI,  S.  107—109]. 

—  Zu  den  Fischnamen  des  Polemins  Silvius  [In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXX, 
712—731]. 

—  Zur   romanischen   Wortgeschichte:   Altital.   ciofo\   negozza,   nassa;    Mark. 

troeniare;   Lat.  (jrnmmatica  und   -us\   Franz.   epingh ;  h&t.  hystriculus ;  Graub.- 

lad.  salip,  mark,  salippo  „Heuschrecke" ;  Faluppa,  *calupa  (-fa);  Span,  hahazorro; 
Lat.  locusta,  „Hummer";  Maulwurfsgrille  im  Rom;  Lat.  caucus.  Ital.  tecomeco; 
Span.  port.  amorio;  Berg.  lecna.,  eg'na,  ecna  „Epheu".  Keltobaskisches 
[In:  Zs.  für  rom.  Phil.  XXXI,  S.  1—35].' 
Th[omas],  A.  anc.  fr.  casigan,  -ingan,  (jasigan^  -ingan  [In :  Romauia  XXXV, 
598—600]. 

—  L'article  balani  de  Godefroy  [In:  Romania  XXXV,^  S.  601  fj. 

Toynbee,  P.  „Connoissance^  in  the  New  English  Dictionnary.  [In:  The  mod. 
lang,  review  11,2.  January  1907.  S.  166]. 

Waldmann,  A.  Die  begriffliche  Entwicklung  des  lateinischen  „Svper^  („Supra'^) 
und  stirsum  im  Französischen.  Mit  Berücksichtigung  der  übrigen  roma- 
nischen Sprachen.    Diss.  Leipzig  1906.  106  S.  8". 


Marolles,  G.  de.  —  Langage  et  Termes  de  venerie.  Etüde  historique,  philo- 
logique  et  critique.  Grand  in-4,  III.347  p.  avec  grav.,  croquis  schemati- 
que  et  planches.    Paris,  Romain.  1906. 

Nicolin,  E.  Les  expressions  figurees  d'origine  cynegetique  en  frangais. 
Upsal  1906  (Thesej.     92  S.  8°. 


CTe'rfaC,  L.    Etudes  de  syntaxe  fran^aise:  L'anterieur  au  futur.     [In:  Rev.  de 

phil.  fran?..  XX,4.  S.  265-282]. 
Johnston,   Oliver  M.     Use  of  de  and  que  after  the  comparative  in  old  French 

[In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXX,  641— 647J. 
Schönfelder.   Die  Wortstellung  in  den  poetischen  Werken  Pierre  de  Ronsards. 

Diss.  Leipzig  1906.  80  S.  8». 
Schulze,  W.    Über  die  Stellung  des  Possessivpronomens  in  den  germanischen 

und   den  romanischen  Sprachen   [In:   Sitzungsber.  der  Kgl.  Preufs.  Ak. 

der  Wissensch.  1906.  Phil.  bist.  Klasse  No.  37].     (Kurze  Notiz). 


Counson,  A.    Toponymie  de  P'rancorchamp.     Vgl.  oben  p.  84  Bull,  de  la  soc. 

lieg,  de  litt.  wall. 
Schätzer,  J.    Herkunft  und  Gestaltung  der  französischen  Heiligennamen  [In: 

Rom.  Forsch.  XXII,1.     S.  1—96]. 
Villard,  E:     Recherches    toponymiques    sur   les  anciens   „Grand"   et  „Petit 

mont  Redon"   de  la  Baie  de  Tlluveaune  (pres  Marseille)   sur  les  noms 

de  „Rose",  de  „Voire"  etc.  [In.-  Annales  de  la  Soc.  d'Etudes  Prov.  IIL4. 

Juillet-aoüt  1906]. 


Brunot,  F.     La   simplification  de  l'orthographe  II  [In:  La  Revue  de  Paris 

15  nov.  1906]. 
Butens,  A.    Etüde  sur  la  simplification  de  l'ortographe.     Paris,  de  Rudeval, 

1906.    483  S.     8^ 
Grammont,  M.    La  simplification  de  l'ortografe  frangaise  [In :  Rev.  d.  1.  rom. 

Nov.-dec.  1906.     S.  537-545]. 
Pasiy,  P.    Petit  phouftique  comparee  des  principales  langues  europeennes. 

Leipzig  et  Berlin,  B.  G.  Teubner  1906.     Pr.  1,80. 
Salverda  de  Grave,  J.  J.   Spellingkwesties  in  Frankrijk  en  Italie  [In :  Taal  en 

Letteren  XVI,  6/7]. 


Novitätenverzeichnis.  87 

Fonteca,  S.  da.  Novo  Vocabalario  contendo  todas  as  palavras  usuaes  com 
a  pronuncia  figurada.  Portuguez-Francez.  In-32|_ä  2  cd..  396  p.  Paris. 
Garnier  freres.    [Vocabularios  Garnier.] 

—  Nouveau  Vocabulaire  contenant  tous  les  mots  usuels  avec  lern  pronon- 
ciation  figuree.  Frangais-Portugais.  In-32  ä  2  col.,  396  p.  Paris.  Garnier 
freres.     [Vocabulaires  Garnier.] 

Tvon,  B.  A  propos  du  dictionnaire  de  l'Academie  [In :  Kev.  de  phil.  XX,  4. 
S.  283—287-]. 

4.  Metrik,  Stilistik,  Poetik,  Rhetorik. 

Cassagne,  A.    Versification  et  metrique  de  Ch.  Baudelaire.    Paris,  Hachette 

et  Cie.    Fr.  3. 
Gladow,  Johs.    Vom  französischen  Versbau  neuerer  Zeit  [In:  Rom.  Forsch. 

XXII,  1  S.  239—310.    Vgl.  Zi'itschr.  XXX2  215]. 

5.  Moderne  Dialekte  und  Volkskunde. 

Bi^kiin  de  la  soc.  liegeoise  de  litterature  wallonne  s.  oben  p.  84. 

Cuny,  A.    Les  spirantes  palatales  et  velaires  dans  la  vallee  de  la  Meurthe. 

[In:  Rev.  d.  1.  rem.  Mov.-dec.  1906.     S.  521—536]. 
Feller,  J.    Regles  d'Ortographe  wallonne  adoptees  par  la  Soc.  lieg,  de  litt. 

wallonne.    Deuxieme  edition.     [Soc.  lieg,  de  litt,  wallonne].     1905. 
Fridelance,  F.    Fragment  d'uu  glossaire  de  l'Ajoie  [In:  Bull,  du  Gloss.  des 

Pat.  de  la  Suisse  Romande  V  2/3]. 
Gauchat,  L.     Sprachgeschichte    eines  Alpenübergangs  (Furka-Oberalp)    [In: 

Arch.  f.  n.  Spr.  Bd.  117.     S.  345 — 361]     (Vortrag,  gehalten  am   ersten 

schweizerischen  Roraanistentag  in  Zürich  am  3.  März  1906.) 
Gatichatj  L.    Langue   et  patois  de  la  Suisse  Romande.     Neuchätel,  Attinger 

Freres  1907.    11  S.  8°.    [Aus:  „Dictionnaire  geographique  de  la  Suisse"] 

(Vortrefflich  orientierender,  inhaltreicher  Aufsatz). 
Glossaire  des  patois  de  la  Suisse  Romande.    Huitieme  rapport  annuel  de  la 

redaction.  ..1906.     Neuchätel,  impr.  Attinger  1907.     18  S.  8". 
Jaberg,  Karl.   Über  die  assoziativen  Erscheinungen  in  der  Verbalflexion  einer 

südostfranzösischen  Dialektgruppe.     Eine  prinzipielle  Untersuchg.  (XX, 

133  S.)     Lex.  8°.     Aarau,  H.  R.  Sauerländer  &  Co.    '06. 
Metay,  A.     Etude  sur  le  patois  et  le  pays  bas-poitevin.     In-8,  24  p.  avec 

musique.    Vannes,  impr.  Lafolje  freres.     1906.     [Extrait  de  la  «Revue 

du  Bas-Poitou».] 
Rolland,  E.  —  Flore  populaire  ou  Histoire  naturelle  des  plantes  dans  leurs 

rapports  avec  la  linguistique  et  le  folklore.    T.  6.    In-8,  311  p.  Chartres, 

impr.  Garnier.    Paris,  l'auteur,  5,  rue  des  Chantiers.     1906.    7  fr. 

—  Faune  populaire  de  la  France.  T.  7  :  les  iMammiföres  sauvages,  com- 
plement.  In-8,  276  p.  Chartres,  impr.  Gai'nier.  Paris,  l'auteur,  5,  rue 
des  Chantiers.     1906.     8  fr. 

Sarrien,  B.  Le  parier  de  Bagneres-de-Luchon  et  de  sa  Vallee.  Appendice  III 
(fin)  [In:  Rev.  d.  1.  rom.    Nov.-dec.  1906.     S.  465-494]. 

Theelen,  J.  Die  pikardische  Mundart  von  Saint-Pol  (Pas- de- Calais)  auf 
Grund  von  Edmonts  Lexique  Saint-Polois.     Diss.  Halle  1906.     96  S.  8». 


Baguet,  II.  Autour  de  Jacquemart.  Chansons  et  Monologues  moulinois,  sui- 
vis  de  :  Dans  la  puree,  et  d'un  glossaire  ai-qotique  In-16,  142  p.  Moulins, 
Baguet  1906.     3  fr.  50. 

Petit,  Dictvrmaire  d''argot  parisien.    In-18,  8  p.  Paris.     V^  Hayard. 

Bokeman,  M.     Precis  de  l'histoire  de  la  litterature  des  Felibres,  traduit  p. 

Christian  Lange.    Avignon,  J.  Roumanllle.  1906.  63  S. 
c'onsians.  —  Les  Jeux  floraux  de  Rodez  au  XVIII «  siecle.     In-18,  30  p. 

Rodez,  Carr^re.  1907. 


88  Novitätenverzeichnis. 

Ähnauac  noubjl  de  l'Ariejo  per  l'annado  1907,  claoufit  de  couates  patoues, 
las  tieiros  de  l'Ariejo,  Aouto-Garouno,  Aoudo,  etc.  In-16,  64  p.  avec  grav. 
Foix,  impr.  Latent  de  Sentenac.  1907.     15  cent. 

Almanac  patoues  illustrat  de  l'Ariejo  per  l'annado  1907  (Dese-setiemo  annado), 
countenen  fieiros,  coursos  de  la  Inno,  etc.  Petit  in-16,  36  p.  Foix.  impr. 
Gadrat  aine.    1907.  15  cent. 

Almanach  de  l'Ariege,  pour  1907  (Contes  patois;  catalogue  des  foires ;  Calen- 
drier;  Annonces).    Petit  in-16,  48  p.  avec  grav.  Foix,  Pomies.  1907.  10  cent. 

Almanac  illustrat  de  Toulouso  e  del  Mietjoun  (gascou  et  lengodoucian),  per 
1907.    (4°  annado.)   In-16,  64  p.  Toulouse,  Maurel  et  Causse.  1907.  15  cent. 

Annana  prouvenco  per  lou  bei  au  de  Dieu  1907  adouba  e  publica  de  la 
man  di  felibre  porto  joio,soulas  e  passo-töms  en  tout  lou  pople  dou  Mie- 
jour.  An  cinquauto-tresen  döu  felibrige.  Petit  in-8  carre,  112  p.  avec 
musique.     Paris,  Fontemoing;  Taride;  Flammarion  et  Yaillant.  1907. 

Armanac  Nigart,  per  1907.  (Troisiema  annada.)  In-8,  136  p.  et  planches. 
Nice,  J.  Eynaudi,  edit.  1907. 

Armanac  de  Louzei'o  per  lou  bei  on  de  Dien,  1907.  (53 '^  annado  del  Feli- 
brige.)   In-16,  64  p.  Mende,  impr.  Pauc.  1907.    25  cent. 

Berriat  Saint-Prix,  J.  Douze  noels  d'apres  les  Limanici  idiomatis  vindicise 
de  Pabbe  Taillandier.    In-8,  80  p.  Ciermont-Fcrrand,  impr.  Dumont.  1906. 

Cheze,  J.-B.,  L.  Branchet  et  Pluntadis  Poesies  populaires  du  Bas-Limousin  [In : 
Lemouzi,  nos   127  et  128.     S  229  und  244]. 

Courtois,  L.-J.  Dialecte  de  Perwez.  Poesies.  Vocab.  p.  L.  Dory  et  J.  Haust 
[Soc.  lieg,  de  litt,  wall.]     Liege  1905.     47  S.  8». 

Denis,  T.  Petits  Tableaux  rustiques  en  patois  d'un  coin  de  la  Flandre  fran- 
gaise  6"  fascicule,  avec  une  preface,  par  Henri  Potez.  In-8,  lX-35  p. 
Cayeux-sur-Mer  (Somme),  impr.  Ollivier.  1907. 

Gauchat,  L.  Le  Conte  du  Craizu  [In:  Bull,  du  Gloss  des  Pat.  de  la  Suisse 
Romande  V,  ^a]- 

Langlade,  A.  Poesies  languedociennes  publiees  avec  une  introduction  biblio- 
graphique  et  litteraire  d'Alphonse  Roque-Ferrier  des  etudes  critiques 
dues  ä  MM.  J.  Charles-Brun,  Paul  Ginisty,  Eugene  Pintard,  C.  Pontier, 
Charles  de  Tourtoulon,  etc.,  et  completees  par  une  version  en  prose 
frangaise.  T.  ler  les  Matinadas.  Eglogas.  L'Estanc  de  l'Ort,  avec  la 
notation  musicale  des  airs  composes  ou  recueilis  par  Langlade.  In-8, 
LVI-381  p.  avec  musique  et  portrait.  Montpellier,  Impr.  generale  du 
Midi;  aux  bureaux  du  «  Felibrige  latin  ».  Lansargues  (Herault),  M. 
Germain  Langlade.  1906. 

La  Salle  de  Rochemaure,  de.  Recits  carladeziens.  Dialecte  du  Carladez.  Pre- 
face de  A.  Vermenouze,  capistol  de  l'Ecole  auver^nate.  In-16,  XXXIV- 
432  p.  Aurillac,  Imp.  moderne.     1906. 

Le  Midi  et  le  Nord.  Decentralisateur  litteraire  artistique  frangais-provengal. 
Directeur.  Adm.  A.  Chiron  fils.  Directlou:  68,  Avenue  de  Paris,  Niort 
(Deux-Sevrcs).  Redaction:  73  Rue  Dutot  Paris.  Paraissant  le  30  de 
chaque  mois.     Abonnements  6  fr.  par  an. 

Mistral,  Fr.  Mireio.  Provenzalisches  Epos.  Deutsch  von  Franziska  Steinitz 
VIII,  186  S.  8°.     Halle,  Hendel. 

Rouquet,  J.  B.  (CEuvres.  Poesies  et  prose  en  patois  du  Quercy,  du  Languedoc 
et  en  France.  Avant-propos  et  lettre  de  V.  Mistral,  preface  du  comte 
de  Toulouse-Lautrec.  In-8  carre,  409  p.  et  portrait  de  l'auteur.  Cahors, 
Girma.     Toulouse,  Privat.  1907    3  fr.  50. 


Buckel,  0.    Psychologie  der  Volksdichtung.     Leipzig,  Teubner  1907.    V,432 

S.  80.    M.  7. 
hähnhardt,  0.   Beiträge  zur  vergleichenden  Sagenforschung.    II :  Naturdeutuug 

und  Sagenentwicklung  [In  :  Zs.  d.  Vereins  f.  Volkskunde  17.  Jahrg.  1907. 

S.  1—16]. 


Novitätenverzeichms.  89 

Fassin,  E.     La  legende  territoriale  du  pavs  d'Arles.    Monrefrecli  [In :  Bull. 

de   la   soc.    des    Amis   du    viel  ArW  I  (1903     1904),  S.  192—194.     II 

(1904— 1905),  S.  54— 56.     III  (1905-1906),  S.  110— 111.] 
I' fassin],  E.    Les  proverbes  du  pays   d'Arles  [In :    Bull  de  la  Soc.  des  Amis 

du   vieil  Arles  I    (1903—1904).    S.  43-47.     146—148.    II  (1904-1905), 

S.  25—27.    117—119.    17-2—176.    111  (1905—1906),   S.   38-41.    94—98. 

195—199.  560-266.] 
Frayse,  C.  Le  Folk-lore  du  Baugeois,  recueil  de  legendes,  traditions,  croyances 

et  superstitions  populaires.    Bauge,  Dangin,  1906,  196  p. 
Rolland  s.  oben  p.  87, 
Schnurren  u.  Sclmünke  (Umschlag:    Schwanke  u.  Märchen)  des  französischen 

Bauernvolkes.     Deutsch  von  E.  K.  Blümml.    214  S.   '06.  4   —  [Roman. 

Meistererzähler  Bd.  X]. 

6.  Literatxirgescidchte. 
a.  (ie«aintdarstellungeii. 

Asmus,  li.  Hvpatia  in  Tradition  und  Dichtung  [In:  Stud.  x.  vgl.  Literatur- 
geschichte VII,  1.  S.  11—44]. 

Bimj,  Jst.  Europas  Literaturhistorie  i  det  19«  Aarhuudrede.  Kjobenhavn, 
1906.  8«.    412  pp.  M.  2,25. 

Claretie,  Leo.  Histoire  de  la  Litterature  francaise  900  —  1900.  III:  Le  dix- 
huitieme  siecle.     Paris,  P.  Olleiidorf.  7  fr.  50. 

Histoire  litteraire  de  la  France.     XXXIII.    Paris  C.  Klincksieck.    25  fr. 

Jacob,  Frz.  Die  Fabel  von  Atreus  und  Thyestes  in  den  wichtigsten  Tragödien 
der  englischen,  französischen  und  italienischen  Literatur.  (XVI,  151  S.) 
'07.  4  —  [In:  Beiträge,  Münchener  zur  romanischen  u.  englischen  Philo- 
logie. Hrsg.  V.  H.  Breymanu  u.  J.  Schick,  gr.  8°.  Leipzig,  A.  Deichert 
Nachf.] 

Riibio  Curdona,  Jos.  1'..  Compendio  de  historia  general  literaria.  Madrid, 
1906.     8".    22.5.  1  pp. 

'Jobler,  B.  Der  Schuster  und  der  Reiche  [In:  Arch.  f.  n.  Sprachen  Bd.  117. 
S.  328-344]. 


Baumstark,  Ant  :  Abendländische  Palästinapilger  des  ersten  Jahrtausends  und 

ihre  Berichte.    Eine  kulturgeschichtl.  Skizze.     (VJ,  87  S.)  gr.  8".  Köln. 

(J.  P.  Bachern)  '06     M.  1,50. 
Champion,  L.     Les  Chevaux   et   les  Cavaliers  de  la  tapisserie  de  Bayeux. 

In-18  Jesus,  158  p.  avec  12  illustrations  dont  4  hors  texte.  Caen,  Jouan. 

1907.  3  fr.  50. 
Chirone,  F.     Saggio   di  ricerche  sulla  satira  contro  il  clero  nei  Fableaux. 

Faenza.  tip.  Sociale  1906.    79  S.  16». 
E/iler,  H.    Recht  und  Staat  in  den  Romanen  des  Crestien  von  Troyes.    Diss. 

Marburg  1906.  129  S.  8». 
Felice,  P.  de.  —  L'autre  Monde,  Mythes  et  Legendes.    Le  Purgatoire  de  saint 

Patrice.    In-8,  197  p.  Paris,  Champion.  1906. 
Fouht,  L.    Le  prologue  du  Franklins  Tale  et  les  Lais  bretons  [In :  Zs.  f.  rom 

Phil.  XXX,  698—711]. 
llermant.  P.     Le  seutimeut  amoureux  dans  la  litterature  medievale.    Etüde 

psychologique  et  sociale  [In:    Rev.  de  syuthese  historique  1906.    Avril]. 
.lordan,  E.      Studien    zur    fränkischen    Sagengeschichte.      IV.    Der    falsche 

Merowinger  Guudovald  und  die  epischen  Quellen  Gregors  [In:  Arch.  f.  n. 

Spr.  Bd.  117.  S.  304-327J. 
Lepvre-Portalis,  E.     Les   Influences    normandcs  au  Xle  et  au  Xlle  siecles 

dans  le  nord  de  la  France.     In-8,  39  p.  avec  grav.  et  planches.    Caen, 

Deslesques.    1906.    [Extrait  du  «Bulletin  monumental»,  1906]. 
Marsh,  G.  L.    Sources  and  analogues  of  „The  fiower  and  the  leaf".    Part 

U.    [In:    Modern  Philology  IV,  2.  S.  281—327]. 


90  Novitätenverzeichnis. 

Morrison,  Alfred  J.,  The  Kreuch  novel  of  intrigue  from  1150  to  1300.  I  [In: 

Mod.  lang.  Notes.     Dec.  190G.  S.  241-244  (To  be  continued)]. 
Paul,  A.     Les  cours  d'amour  en  Provence  [In:  Revue  de  Provence  No,  86]. 
Popovic,  P.    La  Mauekine  grecque  et  sa  source  italienne  [In:  Byzantinische 

Zeitschrift  XVI,  1/2.    S.  1.50—15.51. 
Savj-Lopez,  P.   Trovatori  e  poeti:  studi  di  lirica  antica.    Palermo,  B.  Sandron 

(fratelli  Vena),  1900.     245  S.    16°  L.  3  [Biblioteca  Sandron  di  scienze  e 

lettere,  n«  30]. 
Schoßeid,  W.  H.    English  literature  from  the  Norman  Conquest  to  Chaucer. 

London,  Macmillan  and  Co.     1906.     XIII,  500  S.  8". 
Schubert,  Carl,    üer  Pflegesohn  (nourri)  im  französischen  Heldenepos.    (54  S.) 

gr.  8".    Marburg,  N.  G.  Elwerts  Verl.  '06. 
Settegast,  F.     Floovaut  u.  Julian.    Nebst  e.  Anh.  üb.  die  Oktaviansage,  (V, 

67  S.)  '06.    Subskr.-Pr.  ?,— ;  Einzelpr.  2,40.  [Beiheft  9  der  Zs.  f.  rom.  Phil.] 
S(ro7iski,  S.   Recherch^s  historiques  sur  quelques  protecteurs  des  troubadours 

[In:  Annales  du  Midi  XVm.     Oct.  1906.     S.  473-493  (ä  suivre)]. 
Toldo,  A.    Dal'  Alphabetum  uarrationum  (Fortsetzung)  [In:  Arch.  f.  n.  Spr. 

Bd.  117.    S.  287-303]. 
Vedel,   V.    Ridderromantiken  i  fransk  og  tysk  Middelalder.    Köbenhavn  1906. 
Wallensköld,  A.     Le  conte  de  la  femme  chaste  convoitee  par  son  beau-fröre. 

fitude  de  litterature  compareo.     Helsingfors,  1907.    Impr.  de  la  Soc.  de 

litter.  finnoise.     172  S.  4  [Acta  Societatis  Scientiarum  Fennicae.     Tom. 

XXXIV.    No.  1]. 
Warren,  F.  M.    A  possible  refrain  of  a  lost  Mediseval  French  Poem  [In: 

Mod.  Lang.  Notes.     Dec.  1906]. 
Wohlgemuih,  F.     Riesen   und  Zwerge   in   der   altfranzösischen   erzählenden 

Dichtung.    Tübinger  Dissertation  109  S.  8°. 


Arnould,  L.     Quelques   poetes:    Malherbe   —  Racan    —   Gontant  —  Andre 

Chenier  —  Hugo  —  Sully  Prudhomme.    Paris,  1906.     12°.    3,50. 
Ascoli,  G.   Essai  sur  l'histoire  des  idees  feministes  en  France,  du  XVIe  siecle 

ä,  la  Revolution  I  [In:  Rev.  de  synthäse  historique  1906  Aoüt.] 
Bire.,  E.  —  Chateaubriand;  Victor  Hugo;  H.  de  Balzac.   In-8,  362  p.    Lyon, 

Vitte.    Paris,  libr.  de  la  meme  maison.     1907. 
Blennerhasseit.    Schiller  und  Frankreich  [In :  Deutsche  Rundschau  XXXIII,  3]. 
Boissy,  G.    Les  spectacles  de  plein-air  et  le  peuple  [In:  Mercure  de  France. 

1er  fevr.  1907.     S.  449—466]. 
Bordeaux,  H.  —  Pelerinages  litteraires  (Maurice  Barres;  Pierre  Loti;  Sainte- 

Beuve,-  Alphonse  Daudet;  Emile  Faguet;  Emile  Gebhart;  Paul  Bourget; 

Edouard  Rod;  Taine;  Ruskin;  d'Annunzio;  Mme  de  Noailles;  Jean  Moreas; 

Henri  de  Regnier;  Charles  Guerin,  etc.).    Petit  in  8,  VII-428  p.    Paris, 

Fontemoing.    3  fr.  50.     [Collection  «Minerva».] 
Breuillac,  M.     Hoffmann    en  France.     Etlide    de    litterature  comparee  [In: 

Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  France  XIII,  3.    S.  427—457  (ä  suivre)]. 
Bruner,  J.     The   subsequent   union    of   dying   dramatic   lovers   [Mod.  lang. 

notes  XXIL  1.     S.  11—12]. 
Brunetiere,  F.    Les  philosophes  et  la  societe  frangaise   [In:  Rev.  des  deux 

mondes  1er  (jcc.  1906.    S.  604  ff.]  (In  Veranlassung  von  Roustans  Thfese, 

s.  unten^. 
Cascio,  A.    L'influenza  del  teatro  tragico  francese  in  quello  italiano  della 

decadenza.    Castelvetrano,  tip.  L.  S.  Lentini,  1906.     8».   p.  72.     L.  1,50. 
Cassagne,  A.     La  theorie   de   l'art  pour  l'art  en   France  chez  les  derniers 

romantiques  et  les  premiers  realistes.    Paris,  Hachetto  et  Cie.    Fr.  3,50. 
Charlanne,  L.     L'influence   fran^aise    en  Angleterre    au  XVIIe   siecle.     Le 

theätre   et  la  critique.     Etüde  sur  les  relations  litteraires  de  la  France 

et  de  l'Angleterre  surtout  daus  la  seconde  moitie  du  XVIIe  siecle.    Paris, 

Soc.  frang.  d'imprimerie  et  de  librairie  1906.    These.    374  S.  S'*. 


Novitätenverzeichnis.  9 1 

Cräzenach,  W.  Ein  Bericht  über  Festaufführungen  zu  Ehren  der  Bartholomäus- 
nacht [In:  Studien  zur  vergl.  Literaturgesch.  VII,  1.     S.  1 — 10]. 

Daub,  G.  Der  Parallelismus  zwischen  Chateaubriand  und  Lamartine.  Eine 
literargeschichtliche  Untersuchung.    Kieler  Diss.  1906.     101  S.  8^ 

Dimier,  L.  —  Les  Maitres  de  la  contre-revolution  au  XIXe  siecle  (Maistre, 
Bonald,  Rivarol,  Balzac,  Courier,  Sainte-Beuve,  Taine,  Kenan,  Fustel  de 
Coulanges,  he  Play,  Proudhon,  les  Goncourt,  Veuillot).  LeQons  donnees 
a  l'Institut  d'action  frangaise.  Chaire  Rivarol.  Fevrier-juin  1906.  In-18 
Jesus,  359  p.  Paris,  Libr.  des  Saints- Peres;  Nouvelle  Libr.  nationale, 
1907.     3  fr.  50. 

Faguet,  E.   —   Amours    d'hommes    de   lettres    (Pascal;    Corneille;    Voltaire; 
'Mirabeau;    Chateaubriand;   Lamartine;   Guizot;  Merimee;   Sainte-Beuve; 
George  Sand  et  Musset).    Iu-16,  507  p.     Paris,  1907.     3  fr.  50. 

Fürst,  B.  Die  Frauen  und  der  empfindsame  Roman  in  Frankreich  [Sonntags- 
beilage zur  Vossischen  Zeitung  1906  No.  45]. 

Giraud,  Victor.  Livres  et  questions  d'aujourd'hui:  Pascal  et  la  critique 
contemporaine  —  Bossuet  et  son  dernier  historien  —  Les  principaux 
courants  de  la  litterature  frangaise  au  XlXe  siecle  —  L'oeuvre  de  Sainte- 
Beuve  —  La  troisieme  France  —  Anticlericalisme  et  catholicisme  —  Notes 
sur  la  litterature  suisse  contemporaine.    Paris,  Hachette  et  C'e.    3  fr.  50. 

Grappe,  G.  Quelques  notes  sur  le  Symbolisme  [In:  Mercure  de  France 
1er  janv.  1907.     S.  70—77]. 

Grisdle.  Le  ton  de  la  predication  avant  Bourdaloue.  Beauchesne  1906, 
320  S. 

Joannides,  A.  —  La  Comedie-Franfaise  (1906).  Avec  une  preface  de  Pierre 
Laugier.     In-8,  VIII-119  p.     Paris,  Plön,  Nourril  et  C'e.    1907.    7  fr.  50. 

La  Chesnals,  P.  G.  La  poesie  frangaise  du  XIXe  siecle  jugee  par  un  Danois 
[In:  Mercure  de  France  15  nov.  1906J.  (Über  Christian  Rimestad  Fransk 
Poesie  i  det  nittende  aarhundrede.  200  S.  8°.  Kopenhagen,  Det 
Schubotheske  forlag.) 

Lasserre,  Pierre.  Le  romantisme  frangais,  essai  sur  la  revolution  dans  les 
sentiments  et  dans  les  idees  au  XIXe  siecle.  Paris.  Ed.  du  Mercure  de 
France.     Pr.  7  fr.  50. 

Lecigne  C.  —  Influeuce  litteraire  des  femmes  au  XVII e  siecle.  In-8,  20  p. 
Arras,  Sueur  Charruey.  Paris,  libr.  de  la  meme  maison.  1906.  [Extrait 
de  la  «Revue  de  Lille».] 

Lecomie,  L.  H.  —  Histoire  des  Theätres  de  Paris.  Le  Theätre  National,  le 
Theätre  de  l'Egalite  (1793— 1794).  In-16,  164  p.  et  grav.  Paris,  Daragon. 
1907.     6  fr. 

Lemoyne.,  G.  Le  roman  autobiographique  [In:  La  Revue  des  Lettres  I,  1. 
Bibliotheque  independante  d'Edition.     Paris,  Rue  Victor-Massee  17]. 

Loliee,  F.  —  La  Comedie-FrauQaise.  Histoire  de  la  Maison  de  Moliere,  de 
1658  ä  1907.  Preface  de  Paul  Hervieu.  In-4,  VII-.523  p.  avec  34  planches 
sur  cuivre  et  200  gravures  sur  bois  dont  100  compositions  de  Georges 
Scott.    Paris,  Laveur.     1907. 

Atarmatide,  R.  de.  La  litterature  au  pays  de  Jacques  Cartier  [In:  Mercure 
de  France  ler  noverabrc  190G.     S.  21—33]. 

Marquardt,  R.  Die  Beseelung  des  Leblosen  bei  französischen  Dichtern  des 
XIX  Jahrh.    Diss.  Marburg  1906.     95  8.8». 

Marsan,  J.  La  formation  de  la  Pastorale  frangaise  (suite  et  fin)  [In:  Revii^ 
de  la  Renaissance  VI  (1906),  S.  87  ff .  121  ff]. 

—  Notes  sur  la  bataille  romantique  (1813—1826)  [In:  Rev.  d'Hist.  litt,  de 
la  France  XIII,  4.     S.  .573-605], 

Michaut,  G.  Le  „La  Bruyere"  de  Sainte-Beuve  [In:  Rev.  d'Hist.  litt,  de  la 
France  XIII,  3.     S.  ,505-544,  XIII,  4  S.  714-726]. 

Mon-ison,  A.  J.  The  French  novel  of  intrigue  from  1150  —  1300.  II  [In:  Med. 
Lang.  Notes  XXII,  1.     S.  6—11]. 


92  No  vitäten  ver  zeich  n  is. 

Petersen,  K.    Die  Urteile  ßoileaus  über  die  Dichter  seiner  Zeit.     Diss.  Kiel 

1906.     1Ü2  S.  80. 
Potez,  H.     Deux    annees   de    la    Renaissance   (d'apres   une   correspondance 

inedite)  [In:  Rev.  d'Hist.   litt,   de  la  Fr.  Xlll,  S.  458-498,  658—692]. 
Foupe,  E.    Le  Theätre  ä  Toulon  (1791—1792).    Petit  in-8,  7  p.    Pari?,  Impr. 

nationale.    1906.    [Extrait  du  «Bulletin  historique  et  philologique»,  1905.] 
Schulze,  P.     Lucian  in  der  Literatur  und  Kunst  der  Renaissance.     Progr. 

Dessau  1906.     19  S.  4". 
ßoubies,  A.     Almanach    des    spectacles  continuant  l'ancien   «Almanach  des 

spectacles»  (1752  ä  1815).   Annee  1905.    T.  35  de  la  nouvelle  coUection. 

In-32,  163  p.  et  eau-forte  par  Lalauze.     Paris,  Flanimarion.    1906.    5  fr. 
StempUnger,  Eduard.  Das  Fortleben  der  Horazischeu  Lyrik  seit  der  Renaissance. 

(XVIII,  476  S.  ni.  9  Abbildungen)  8^'.    Leipzig,  B.  G.  Teubner  '06.    8—. 
Weidenkaf,  K.    Die  Anschauungen  der  Franzosen  über  die  geistige  Kultur 

der  Deutschen  im  Verlaufe  des  18.  und  zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts. 

Leipziger  Dissert.     1906.     55  S.  8». 

b.  Einzelne  Autoren. 

Alain  Charüer.  —  A.   ThfomasJ.     ün    document  pcu  connu  sur  Alain  Chartier 

(5  juillet  1425).     [In:  Romania  XXXV,  603  f.]. 
4\-llembert.  —  U.  Cisotti,  Sul  paradosso  di  d'Alembert:  nota  II  [In:  Atti  del 

reale  istituto  veneto  di  sc.  lett.  ed.  arti.     T.  LXV,  serie  VIII,  disp.  4]. 
Arvers.  —  Le  centc::.aire  de  Felix  Arvers,  p.  J.  de  la  Rouxiere  [In:  Annales 

Romantiques  III,  4]. 
Balzac.  H.  de,  S.   oben  p.   9Ü  Bire. 

Balzac  peint  par  lui-meme  p.  E.  Gilbert  [In:  Revue  generale.    Juiu  1906J. 
Baudelaire  s.  p.  90   Cassar/ne. 
Bernardln  de  Saint-Pierre.  —  Notes  sur  ßeruardin  de  Saint-Pierre,  d'apres  des 

documents  inedits  de  la  bibliotheque  de  Besangen;  par  M.  Georges  Gazier. 

In-8,   10  p.   Besangon,  Jimpr.  Dodivers.     1906.     [Extrait  des  €  Memoires 

de  la  Societe  d'emulation  du  Doubs  )>  (7°  serie,  t.  10,  1905)]. 
Boileau  s.  oben  Petersen. 
Bois  de  Chesne,  Hurjues.     Poete  et  chroniquour  montbeliardais  (1586  —  1671), 

d'apres  des   documents  inedits;  par  Julien  Mauveaux.    In-8,   31  p.  et  fac- 

simile.    Monlbeliard,  Societe  anonyme  d'imprimerie  montbeliardaise.  1906. 

[Extrait  des  «  Memoires  de  la  Societe  d'emulation  de  Montbeliard  »]. 
Bossuet   et  M'ie    de  Mauleon,    etude    critique   sur   le   pretendu   mariage  de 

Bossuet  p.  Ch.   Urhain  [In:  Revue  du  clerge  frangais.     Paris,  Letouzey 

et  Ane,  1906]. 
Bourdeloue.   —  Griselle.     Le  ton  dc  la  predication  avant  Bourdaloue.     Beau- 

chesne   1906.     320  S.   (Vgl.  Th.  Scholl  Bulletin  de  la  Soc.  de  l'hist.  du 

protestantisme  frang.    LV.  Nov.-dec.  1906.     S.  570). 
Brueys  und  Palaprat  und  ihre  dramatischen  Werke  von  J.  Koch.    Dlss.  Leip- 
zig.    1906.     140  S.  8" 
Camus.  —  A.  Bayer.    Jean  Pierre  Camus.     Sein  Leben   und  seine  Romane. 

Diss.  Leipzig  1906.    93  S.  8". 
Charriere,   Madame  de,  und  ihre   Stellung  zur  Frage  der  sozialen  Lage  der 

Frau  von  R.  P.  Rdnhächel.    Diss.  Leipzig  1906.     106  S.  8'\ 
Chateaubriand  S.   oben  p.   91   Daub  und  p.   90  ßire. 
Cliateaubriand.  —  E.  Dick.    Plagiats  de  Ch    1  Le  voyage  en  Ameriquc.     II. 

Comment  Ch.   s'est  servi  de  Gibbon.     Le  genie  du  Christianisme,  Les 

martyrs,  Discours  sur  la  chute  de  l'empire  Romain.    Progr.  Chur  n.  Diss. 

Bern  1906.    80  S.  4°. 
—  Ch.  de  Lomenie  La  mission  de  Chateaubriand  h  Berlin  [In:  Le  Correspondant 

1906.     25  octobre]. 
Chenier,  M.-J,  Anecdoto  sur,  p.  J.-E.  Poccard.     [In:  Annales  Romantiques 

III,  5.  S.  378 f.]. 


Novitätenverzeichnis.  95 

Cons'auf.   —  Lc   cafner  rouge  de  Benjamin   Coiistant.     Ma   vie  (1767—1787). 

[In:  Rev.  des  deux  Mondes  1er  et  15  Janv.  1907]. 
Corneille.  —  A.  Gazier,  Pierre  Corneille  et  le  theätre  frangais.    [In:  Kev.  des 

cours  et  Conferences  XV,  6,  7,  9.] 

—  La  Vieillesse  de  Corneille;  par  Arnold  Boulle,  In-16,  44  p.  Dijon,  Huin- 
bert-Droz.     1906. 

—  Le  Troisieme  Centenaire  de  Corneille  (1606—1906);  par  Th.  Delmont.  In-8, 
76  p.  Arras,  Sueur-Charruey.  Paris,  libr.  de  la  meme  maison.  1906. 
[Extrait  de  la  «  Revue  de  Lille  »]. 

—  Quelques  documents  sur  Pierre  Corneille  publies  du  troisieme  centenaire 
de  sa  naissance  par  la  Societe  Rouennaise  de  bibliophiles.  XVI,  16  S. 
in  8°  carre.    Ronen,  impr.  Leipzig  1906. 

—  Pierre  Corneille,  A-propos-Apotheose  (en  vers);  par  J.  de  Peretli.  In-18 
Jesus,  IV-32  p.  Paris,  Lemerre.     1906.     1  fr.     [Bibliotheque  dramatique.] 

Flaubert.  Wassermann,  Julie:  P'laubert,  Ein  Selbstporträt  nach  seinen  Briefen. 

(68  S.)  kl.  8».    Berlin,  Oesterheld  &  Co.     '07.     2,50. 
Des  Autels.  —  Guillaume  des  Autels  p.  G.  Colletet  p.  p.  Ad.  BfeverJ  [In:  Revue 

de  la  Renaissance  VII,  193—223.] 
Descartes,   his    Life    and   Times    p.  ä.  S.  Haidane.     London,  Murraj'.     1906. 

428  S.     80. 
Fenelon  et  Mme  Guyon  p.  M.  Massen.    Paris.    Hachette  et  Cie.  3  fr.  50. 
Fromentin,    Eugene   von    W.  Küchler   [In:     Süddeutsche    Monatshefte    III,    12. 

S.  589-604]. 
Bugo,  V.     S.  oben  p.  90  Bire. 
Hugo,    V.,  mennaisien  d'apres  quelques  pensees  inedites  du  „Journal   d'un 

revolutionnaire  de  1830"  [In:  Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  Fr.  XIII,  3.    S.  499  f.j. 

—  Notes  sur  mon  village.  Villegiature  de  la  famille  Hugo  k  Saint-Prix 
p,  Auguste  Rey.    Paris,  H.  Champion.     31  S. 

—  Anuees  d'eufance;  par  Gvstav  Simon.  2e  editinn.  In-8,  188  p.  avec  10 
grav.  Paris,  Hachette  et  Cip.  1906.  2  fr.  [Bibliotheque  des  ecoles  et 
des  familles.] 

—  ä  vingt  ans  p.  Pierre  Dufay  [In:    Annales  Romantiques  III,  5]. 

—  G.  Simon,  Victor  Hugo,  le  Duc  et  la  Duchesse  d'Orleans  [In :  La  Revue 
de  Paris  15  nov.     19u6J. 

Jottnoult    —  C.  Ballu.     Curiosites  poetiques  du  XVIe  siecle  :  Jean  Jounault 

[In:    Rev.  de  la  Renaissance  VI  (1906),  S.  165—168]. 
La  Fontaine  et  Beriiier,   discours  prononce  ä  la  Fete  des  roses,  ä  Fontenay, 

le    4  juin    1905;     par   le  docteur  E.  T.  Hamy.     In-8,    9  p.    [Extrait  du 

«Bulletin  de  la  Societe  academique  de  Boulogne-sur-Mer»,  t.  7.] 
Lamartine  s.  oben  p.  91  Dauh. 
Lamnrtin    et    VArenir    (de    Lamennais),    par   Christian   Marechal  [In:     Annales 

Romantiques  III,  5]. 

—  Le  sejour  d'Elvire  ä  Aix-Ies-Bains  lettres  de  Rene  Doumic  et  L^on  Seche 
[In :    Annales  Romantiques  III,  4] 

—  Sarah  Galante.  Le  sentiment  chez  Lamartine.  Pistole,  impr.  Flori,  1906. 
15  S.     8". 

Marcade,  Kusiache.  —  A.  Thomas.    Notice  biograpbique  sur  Eustache  Marcade 

[In:    Romania  XXXV,  S.  582— 590]. 
Maupassant,  La  maladie   et  la  mort  de,  par  Louis  Thomas.     Bruges,  Arthur 

Herbert  1906.     104  S.     12.  Pr    2  fr.  50  [Collection  du  spectateurj. 

—  Souvenirs  sur  Maupassant.  Sa  derniere  maladie.  Sa  mort.  p.  A.  Lumbroso 
2»  ed.  Rom.  Bocca.     708  S.     8«.     fr.  12,50. 

Millevoye.  —  E.  Faguet,  Les  poetes  fraiigais  du  temps   du  premier  empire 

Millevoye.     [In:    Revue  df^s  cours  et  Conferences  XV]. 
Mistral  et  son   oeu^'re  p.  Leopold  Constans  [In:    Annales  de  la  soc.  d'etudes 

proven^ales  III,  6.    S.  321—382]. 


94  Novitätenverzeichnis. 

Molure.  —  A.  Lcfranc.     La   vie   et  Ics  oiivrages   de   Moliere  [In :    Rev.   des 

cours  et  Conferences  XV]. 
Montaigne.   —   G.  Montorgveil,   Une  mystification  de  Montaigne   [In:    l'Eclair. 

9juin  1906.]  (Vgl.  Rev.  de  la  Renaissance  VI,  115  f.). 
Musset,    A.    de,    ä  l'Aisenal    ot    au   Cenacle.    —    L'ami   Alfred  Tattet.     Par 

L.  Scclie  [In:    Aniiales  Romanliques  III,  4]. 

—  L.  Seche,  Les  amies  d'  A.  de  Musset :  Rachel  [In :  Les  Annales  romantiques 
III,  5]. 

Musset,  Alf.   et  Pmd  de,  p.  /..  Seche  [In:    La  Revue  de  Paris  ler  dec.     1906. 

1er  janv.  1907.] 
Pascal  et  son  teraps.     le  parde.     De  Montaigne  ä   Pascal  p.   F.  Strowski. 

Paris,  Plon-Nourrit  et  Cie.  Pr.  3  fr.  50.  [Histoire  du  sentiment  religieux 
;,     en  France  au  XVIIe  siecle]. 

—  Pascal  et  l'Experience  du  Puv-de-Dome  I.  Par  F.  Matlüeu  [In:  Rev.  de 
Paris  1er  mars  1907]. 

—  A.  Lefranc.  Defense  de  Pascal.  Pascal  est-il  un  faussaire?  [In:  Revue 
Bleue  11.  18.  25  aout  et  8  sept.  1906]. 

—  K.  Bornhausen,  die  Ethik  Paskals.  Diss.  Heidelberg  1906.    83  S.    8°. 

—  A.  Köster.  Die  Ethik  Pascals.  Eine  historische  Studie.  Tübingen,  J.  C. 
B.  Mohr  (Paul  Siebeck),  1907.     XV,  172  S.     8«.     M.  3,50. 

Perrault  —  P.  Bonnefon.  Les  derniers  annees  de  Charles  Perrault  [In:    Rev. 

d'Hist.  litt,  de  la  France  XIII,  4.     S.  606—657],. 
Quinet.  —  0.  Wenderoth,  der  junge  Quinet  und  seine  Übersetzung  von  Herders 

„Ideen".    Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  literarischen  Wechselbeziehung 

zwischen    Frankreich   und    Deutschland.     Tübinger  Dissert.     Erlangen, 

Junge  1906.     88  S.     8°. 
Rabelais  s.  oben  p.  84. 
Benan.  —  Le  Systeme  historique  de  Renan;  par  G.  Sorel.    IV.  les  Premiers 

temps  apostoliques.     In-8,  p.  337  ä  475.    Paris,  Jacques  3  fr. 
Ronsard.  —  P.  Dufay.     A  propos  de   Cassandre.     La  Cassandre  de  Ronsard 

et  Cassandre  Salviati  [In:    Revue  de  la  Renaissance  VII,  S.  177—192]. 
Rousseau,  J.  J.   s.  oben  p.  84. 

—  F.  Macdonald,  Joan  Jacques  Rousseau.  A  New  Criticism.  London,  Chapmau 
u.  Hall.  2  Bde  (Vgl.  Kölnische  Zeitung  1907  No.  123.  Erste  Beilage  zur 
Sonntags- Ausgabe). 

—  Beicourt,  V.  Petite  vie  du  Grand  Jean-Jacques  Rousseau  Paris,  P.  Rosier. 
1  fr.  50. 

Sand.  —  Le  procea  en  Separation  de  George  Sand  p.  E.  Maynial  [In:  Mercure 

de  France  1er  dec.  1906]. 
ßainte-Beuve.  —   G,  Michaut,   „Le  Roman  de   Saiute-Beuve"   [In:    La  Revue 

latine  25  dec.  1906]. 

—  Une  Amie  de  Sainte-Beuve.  Lettres,  Entretiens  et  Souvenirs  p.  p.  M. 
Jules  Trouhat  [In:  Mercure  de  France  15  dec.  1906  et  lor  janv.  1907J. 

Scribe  et  sou  tbeätre;  par  M.  le  chanoine  C.  Lcciyne.  Iu-8,  20  p.  Arras,  Sueur- 
Charruey.  Paris,  libr.  de  la  meme  riiaison.  1906.  [Extrait  de  la  «Revue 
de  Lille»]. 

Senancour.  —  J.  Merlant,  L'evolution  religieuse  de  S.  [In:  Rev.  d'Hist.  litt. 
de  la  Fr.  XIII,  3.     S.  381-426]. 

—  J.  Merlant  Les  idees  de  l'anteur  d'Oberman  sur  le  romantisme  et  la 
litterature  (1804—1833)  [In:    Revue  Bleue  15  dec.  1906]. 

Sevifjne,  M>ne  de.  —  Les  Idees  morales  de  Mme  de  Sevigne  par  J.  Calvet,  ln-16, 
127  p.  Paris,  impr.  Bletit;  lib.  Bloud  et  Cie.  1907.  [Science  et  Religion. 
Etudes  pour  le  temps  present,  uos  416--417.] 

Stendhal.  —  F.  Costa,  Stendhaliana  [In:    Nuova  Antologia  1906.     827]. 

Taine.  Historien  de  la  Revolution  frangaise  p.  A.  Aulard.  IV  les  Jacobins 
[In:  La  Revolution  frangaise  1906  14  aoüt,  14  sept.]. 


Novitätenverzeichnis.  95 

—  Taine  et  ses  critiques  p.  Ed.  Rod  [lu:  Le  Correspondant  1906.  10  nov.]. 
Talkmant  des  Reaux  [In:  Mercure  de  France  1er  novembre  1906.  S.  68—74]. 
Tyard.  —  L.  Seche,     ün   monument    ä  Pontus   du  Tyard   [Tn:  Rev.    de    la 

Renaissance  VII,  235—238]. 
Vigny,  A.  de.   —    Les   derniers   moments   d'Alfred    de   Vigny   [In:    Annales 

Romantiques  III,  4]. 
Villedieu,  M^e  de.  —  A.  Seche  et  J.  Bertaut.    Une  aventuriere  des  lettres  au 

XVIIe  siecle  [In:  Mercure  de  France  15.  fevr.  1907]. 
Villon,  F.    (1431—?);     conferenza    teniita    all'    Istituto    sociale    di   Brescia 

p.  Giulia  Conti.    Brescia,  tip.  fratelli  üeroldi,  1906.     16  S.  8^. 
Voltaire  von  J.  Frank  [Aus:  Zs.  f.   die  österr.  üymn.  1907.     1.  Heft.     8  S.] 

(In  Veranlassung  von  J.  Popper  Voltaire.     Eine  Charakteranalyse.     Vgl, 

Zeitschrift  XXX  2,  S.  44  flf.). 

—  P.  Bonnefon.  A  propos  des  restes  de  Voltaire  [In:  Revue  Bleue.  16  fevr 
1907]. 

—  G.  Lanson.  Deux  voyages  en  Angleterre.  Voltaire  et  Cesar  de  Saussure 
[In :  Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  Fr.  XIII,  4.    S.  693-697]. 

—  H.  Droysen.  Die  „Montperniaden"  in  Lessings  Epigramm  auf  Voltaire  [In: 
•      Euphorion  XIII,  S.  764—766]. 

Zola.  —  Literatur,  die.  Sammlung  illustr.  Einzeldarstellgn.  Hrsg.  v.  Geo. 
Brandes,  kl.  8".  Berlin,  Bard,  Marquardt  &  Co.  28.  Bd.  Conrad,  Mich. 
Geo.:  Emile  Zola.   Mit  7  Vollbildern  in  Touätzg.  u.  2  Fksms.  (100  S.)  ('06). 

7.  Ausgaben.    Ei'läuteruugsschrifteu.    Übersetzungen. 

Anthologie  de  la  Societe  des  poetes  frangais.  Grand  in  Iß,  LXXV-116  p, 
Paris,  Bibliotheque  generale,  78,  rue  Taitbout.     1907.     3  fr.  50. 

Anthologie  des  poetes  frangais  contemporains.  Le  Parnasse  et  les  Ecoles 
posterieures  au  Parnasse  (1866—1906;.  Morceaux  choisis,  accompagnes 
de  notices  bio-  et  bibliographiques  et  de  nombreux  autographes;  par 
G.  Walch.  Preface  de  SuUy  Prudhomme.  T.  2,  In- 18,  559  p.  Paris, 
Delagrave.    3  fr.  50. 

Biblioiheca  romanica.  kl.  8°.  Strafsburg,  J.  H.  E.  Heitz.  Jedes  Heft  —  40. 
23.24.  Bibliotheque  frangaise.  Beaumarchais:  Oeuvres,  Le  barbier  de 
Seville  (120  S.)  ('06.j  25.  Biblioteca  portuguesa.  Camöes,  Luis  de:  Obras. 
Os  Lusiadas  III,  IV.  (76  S)  (,06.)  26—28.  Bibliotheque  frangaise.  Musset, 
Altr.  de:  Theätre.  Comedies  et  proverbes.  La  nuit  venitienne.  Andrö 
del  Sarto.  Les  caprices  de  Marianne.  Fantasie.  On  ne  badine  pas  avec 
l'amour.  (225  S.)  ('06.)  29.  Bibliotheque  frangaise.  Corneille,  Pierre: 
Oeuvres,  Horace.  Tragedie.  1640.  (79  S.)  ('06.)  30.31.  Biblioteca  italiana. 
Dante:  Opere.  Divina  commedia  III.  Paradiso.  (155  S.)  ('06.) 

Bondurand,  E.  Deux  testanients  du  XVe  siecle,  en  langue  d'oc.  In-8,  8  p. 
Nimes,  impr.  Chastanier.  1906.  (Extrait  des  «  Memoires  de  l'Academie 
de  Nimes  »]. 

Bozelli^  A.  Due  poesie  religiöse  in  antico  francese.  Bologna  (Nozze  Ronna- 
Bevilacqua).     Succ.  Monti,  1906.     14  S. 

Le  coutumier  hourijuignon  de  Montpellier  p.  p.  E.  Champeaux  [In  :  Nouv.  revue 
histor.  de  droit  fran?.  et  etranger  XXX,  6.  S.  781—807  (ä  suivre)]. 

Französische  Lieder  aus  der  Florentiner  Hs.  Strozzi-Magliabechiana  Cl.  VII. 
1040   S.   oben  p.  85   Meyer. 

Lettres  de  divers  ecvivains  francais,  mises  en  ordre  et  publiees  par  L.  G.  Pelis- 
sier.  In-8,  72  p.  Vendöme,  impr.  Empaytaz.  Paris,  libr.  Ledere.  1907. 
[Quinze  paquets  de  lettres  erudites,  familiäres  et  politiques  tirees  de  di- 
verses biblidthöques.     P'.xtrait  du  «Bulletin  du  bibliophile»]. 

Ronsard  et  la  Pleiade,  with  selcctions  from  their  poetry  and  some  transla- 
tions  in  the  original  metrcs.  London,  Macmillan  &  Co.  1906.  VI,  266 
S.  8«. 


96  jS'ocitätcnverzeichnis. 

Schlemog,  11.  Lucelle,  tragicomedie  en  prose  fran^aise  von  Louis  Ic  Jars. 
(1576)  und  Lucelle,  tragicomedie  niise  en  vers  tran^ais  von  Jacques  Du- 
hamel (1()07)  nebst  einem  Anhang  de  l'Art  de  la  Tragedie  von  Jean  de 
la  Taille.     Diss.     Greifswald  1906.     56  S.  8". 

Vidal,  A.  Douze  coraptes  consulaires  d'Albi  du  XIV e  siöcle.  Paris,  Tou- 
louse et  Albi,  1906.  VIII,  378  S.  8"  [Archives  historiques  de  l'Albigeois, 
fasc.  VIII]. 

Alexander.  —  Das  syrische  Alexanderlied  hrsgb.  und  übersetzt  von  C.  Hunnius 
[In:  Zs.  der  Deutschen  Morgenland.  Gesellschaft  LX,  S.  209ff.  559  flf. 
(Scblufs  folgt)]. 

—  El  libro  de  Alixandre.  Manuscrit  esp.  488  de  la  Bibl.  Nat.  de  Paris  p. 
p.  A.  Morel-Fatio  [Gesellsch.  f.  rom.  Literatur  Bd.  10]. 

Alphabetum  narrationum.     S.   oben  p.   90  Toldo. 

Antichrist.  —  Some  Old  French  poems  on  the  Antichrist  II.  III.  by  L.  E. 
Kastner  [In:  The  Mod.  Lang.  Review  II,  1.  S.  26—33]. 

Aucassin  et  Nicohtte.  Texte  critique  accompagne  de  paradigmes  et  d'un  lexi- 
que  par  Herrn.  Suchier.  6eme  ed.  partiellement  refondue.  Traduction 
frangaise  par  Alb.  Counson.  X,  135  S.  gr.  8".  Paderborn,  F.  Schöningh  '06. 

—  A.  Bozelli  Aucassin  6  .Nicoletta.  Saggio  di  traduzione  dall'antico  francese. 
ßologne,  tip.  Monti  1906.     [per  nozza  Bozelli-Dalla  Rosa]. 

Beroul.  —  A.  Tobler.    Zu  Murets  Ausgabe  von  Berouls  Tristan  [In :  Zs.  für 

rom.  Phil.  XXX,  741—745]. 
The  Brnt  or  the  Chronicles  of  England,  edited  from  Ms.  Rawl.  B  171,  Bod- 

leian  Library,   etc.  by  Friedrich  W.  D.  Brie  with  introduction,  notes,  and 

glossary.     Part  I  1906.     [Early  English  Text  Society.     Original  Series, 

131]. 
Le  Codi  et  le  droit  proven^al  au  Xlle  siecle  p.  R.  Caillemer  [In :  Annales  du 

Midi  XVIII,  Oct.  1906.     S.  494-507]. 
Crestien.   —  Evler,  H.    Recht  und  Staat  in   den  Romanen   des  Crestien  von 

Troyes.     Marburger  Dissertation.     Marburg,  Bauer.  1906.     129  S.  8°. 
Un  dii  d'nmours  p.  p.  A.  Lanqfors  s.  oben  p.  84  Neuphil.  Mitteil. 
Li  dis  dou  vrai  nniel.  —  B.  Heller,     Zur  Geschichte  der  Parabel  vom  echten 

Ringe  [In:  Zs.  f.  vgl.  Literaturgesch.  N.  F.  Band  XVI,  Heft  6.  S.  479 ff). 
UEstnire  Joseph  hrsgb.  von  Ernst  Sass  118  S.  8°.  [Gesellschaft  für  rom.  Lite- 
ratur Bd.  12]  (Vgl.  Zeitschr.  XXX2,  S.  105). 
Etienne  de  Fongtres.  —  Hard  nf  Segerslad  (Kerstin),  Quelques  commentaires  sur 

la  plus  aucienne  chanson  d'etats  frangaise;  le  Livre  des  manieres  d'Eti- 

enne    de    Fougeres.     (2).    Upsala,   Akad.    bokhandel,    1907.    102  S.  -8°. 

(Upsala   universitets   Arsskrift.    Filosofi,   spräkvetenskap  och  historiska 

vetenskaper).     2  Kr. 
Floovant  s.  oben  p.  90  Settegast. 
Gerbert  S.  p.   97   Perceval. 
Girbert.  —  S.  oben   p.  83   Gärtner. 
Guiraut  von  Calanzo.  —   W.  Keller,  das  Sirventes  „Fadet  joglar"  des  Guiraut 

von  Calanzo  [In:  Rom.  Forsch.  XXII,  1.     Vgl.  Zeitsch.  XXIX 2,  224]. 
nie  ei  Galeron.  —  Afatzke,  J.  E.    Source  and  Composition  of  Ille  et  Galeron 

[In:  Modern  Philology  IV,  3.     S.  471—488]. 
Jean  Bnudouin  de  Rosieres-aux-Salins,  L'instruction  de  la  vie  mortelle.     Par 

P.  Meyer  [In:  Romania  XXXV,  531 — 554]. 
Joinville.  —  Ethel  Wedgwood  The  memoirs  of  the  Lord  of    Joinville.     A  new 

English  Version.    428  S.  8°.    London,  J.  Murray. 
Lancelot.  —  G.  Baist,  Der  spanische  Lancelot  [In:  Rom.  Forsch.   XXII,  1.  S. 

97-98]. 
Lion  de  Bouryes.   —  E.  Hüdepohl,   Weitere  Studien  zur  Chanson  de  Lion  de 

Bourges.    Analyse  des  Schlufsteils,  Text  der  Joieuse-Tristouce- Episode 


Novitäienverzeichns.  97 

(Sage    vom   Mädchen    mit   der   abgehauenen    Haud).     Diss.   Greifswald 

1906.     108  S.  8". 
Manekine  S.  oben  Popovic. 
Marie  de  France    —  C.   William  Prett//ma/i,  Peter  von  Staufeuberg  and  Marie 

de  France  [In:   Mod.  Lang.  Notes  XXI,  7.  Sp.  204— 208J. 

—  0.  M.  Johnston.  The  Story  ot'  the  Blue  Bird  and  the  Lay  of  Yoncc  [In : 
Studi  Medievali  II.  1]. 

Mars  et  Justice.    Moralite.    (Ms.  Paris,  Bibliotheque  national,  fonds  fr.  24340. 

4*^.).     Herausgegeben  und  mit  Einleitung  versehen  von  F.  Holl.    Pogr. 

Schwabach  1906.  50  S.  8«. 
^rerUn  de  Cordebevf.    —  A.    Th[omas].     Note  complementaire  sur  Merlin  de 

Cordebeuf  [In":    Romania  XXXV,  604  f.]. 
Motette,  die  altfranzosiscJuu,  der  Bamberger  Handschr.   nebst  einem  Anhang, 

enthaltend  altfi-anz.  JNIotette  aus  anderen   deutschen  Handschriften,  mit 

Anmerkungen  und  Glossar  hrsgb.  von   A.  Stimmimj.    XXXVII,  229  S.  8" 

[Gesellsch.  f.  rom.  Lit.  Bd.  13]. 
.Visiere   du   siege   d' Orleans.    —  Meijer,  Alfr.:    Das  Kulturhistorische   in  „Le 

Mystere  du  siege  d'ürleans".     Diss.  (IV,   195  S.)  8°.  Leipzig,  Dr.  Seele 

&  Co.  '06. 
Nicola  da  C'asula.   —  Giulio  Bertuni  e  Cesare  Foligno  La  „Guerra  d'Attila",  poema 

franco-italiano  di  N.  da  C.  Torino,  Clausen  1906  [Aus:  Memorie  della 
K.  Accaderaia  delle  scienze  di  Torino,  serie  II,  vol.  XLVI]. 

Xobla  Leifon.  —  Aiit.  de  Stefano  Un  nuovo  testo  della  Nobla  Lei("on  [In:  Studi 
Medievali  II,  Ij. 

Partmojjeiis  in  Catalonia  and  Spain  by  A.  Trampe  Bodtl-er  [In :  Mod.  Lang. 
Notes.    Dcc.  1906.    S.  234-235]. 

La  Passion  Nostre  Dame  p.  p.  A.  Boselli  [In:  Rev.  d.  1.  rom.  Nov.-dec.  1906. 
S.  495—520]. 

Paielin.  —  A  rabinical  analogue  to  Patelin  von  D.  Klein  [In:  Mod.  lang, 
notes  XXII,  1.  S.  12-13]. 

Percejoresi.  —  La  Troselegaute  Delicieuse  1  Melliflue  et  tresplaisante  Hystoire 
du  tresnoble  |  Victoricux  et  excellentissime  roy  Perceforest  |  Roy  de  la 
grand  Bretaigne  |  fundateur  du  Franc  palais  et  du  temple  du  souuerain 
dieu.  En  laquelle  le  Iccteur  pourra  veoir  la  fource  &  decoratiou  de 
tonte  Chevalerie  |  Culture  de  Vraie  Noblesse  |  Prouesses  &  conquestes 
iufinies  |  acöplies  des  le  temps  du  conquerant  Alexandre  le  graut  |  & 
de  Julius  cesar  an  par  auant  la  natiuite  de  nostre  saulueur  Jesuchrist 
Auecqs  plusieurs  Prophetics  |  Comptes  Damans  et  leurs  diuerses  fortuues. 
Auec  Priuilege  du  Roy  nostre  sire.  On  les  vend  a  Paris  pres  le  Palais 
a  lenseigne  de  la  Gatlee  |  et  au  premier  pillier  de  la  grant  salle  dudit 
•  Palais  en  la  bouti(iue  de  Galliot  du  pre  Libraire  iure  de  Luniversite. 
Mil  Ciuq  cens  XXVllI.  (Von  H.  Vaganay  besorgter  Neudruck  der  ersten 
15  Kapitel  des   ersten  Buches  nach  den  Ausgaben  von  1528  und  1531). 

Perceval.  —  S.  oben  p.  83  Aitze  und   Sommer. 

—  ./.  L.  Westont  et  ./.  Bedier.  Tristan  Menestrel.  Extrait  de  la  continuation 
de  Perceval  par  Gerbert  [In:   Romania  XXXV,  497 — 530]. 

Les  quatre  fils  Agmon  p.  p.  F.  Castets.    Introduction  (suite)  [In:    Rev.  d.  1.  rom. 

XLIX.  Sept.-octobre  1906]. 
Die  Reichenauer  Glossen  der  Handschrift  Karlsruhe  115.     Herausgegeben  und 

erklärt  von  L.  Staker.    [Sitzungsberichte  der  Kais.  Ak.  d.  Wissenschaften 

in  Wien.    Phil.-hist.    Klasse.    Bd.  CLH.     1906.     172  S.  8o.]- 
Renard.  —   Willems.  L.    Notes  sur  la  querelle  des  Blauvoets  et  des  Isengrins 

[In:    Bull,   der  Maatschappij   van  Geschied-  en  Oiidkeidkunde  te  Gent. 

XIV,  6.  S.  2.53—290). 
Das  Seerecht  von  Oleron  nach  der  Handschrift  Troyes  (1386).    Diplomatischer 

Abdruck   nebst   deutscher  Übersetzung,   Einleitung,   Glossar   und   einer 

llandschriftenprobe  hrsgb.  von  IJ.  Zeller.   Mainz,  J.  Diemer.    VI,  43  S.  8'. 

Ztsclir.  f.  fiz.  Spr.  u.  Litt.  XXXIA  7 


98  Novitätenverzeichnis. 

Sermons  hiiins.  —  /'.  Mei/er.  Extraits  d'un  recucil  de  sermons  latins  composes 

en  Angletcrrc  [In: "  Romania  XXXY,  S.  591— 59G]. 
Sme  de  Nansai  et  la  Noi'vöge  p.  Kr.  Nyi-op  [In:    Romania  XXXV,  555  —  569]. 
Tnngdnlus.  —  Visiou    (la)    de  Tondale  (Tnudgal).     Textes    fran^ais,    anglo- 

normand  et  irlandais  publies  par  V.  II.  Friedel  et  Kuno  Meyer.    In-8,  XX- 

163  p.  Paris,  Champion.  1907. 
Tristan.   —    IT.  Goliher^    Das  älteste  französische  Tristangedicht  [In:    Neue 

Jahrbücher  f.  d.  Klass.  Altertum  etc.  I.  Abt.  XVII.  Bd.  S.  692—703]. 

—  Tristan  et  iseui  p.  F.  Bruneticre  [In:  Rev.  d.  deux  mondes  l^r  novembre 
1906.    S.  87—1141. 

—  F.  Lot^  Un  faux  Tristan  wurtembergeois  en  807  [In:  Romania  XXXV, 
596  f]. 

—  Godoine  p.  F.  Lot  [lu:    Romania  XXXV,  605—607]. 

^  Amours  d'Iseult.  Recit  du  XlVe  siecle;  par  Louis  Gastine.  In-18  Jesus, 
304  p.  avec  illustrations  par  Edouard  Zier.    Paris,  Per  Lamm.  1906. 

Visio  Pauli.  —  P.  Sarj-I^opez  Una  redazione  francese  della  „Visio  Pauli"  in 
Catania  [In:    Arclaivio  storico  per  la  Sicilia  Orientale  III,  1]. 

—  Les  versions  francaises  inedites  de  la  descente  de  Saint  Paul  en  Enfer 
(suite)  p.  T..  E.  Kästner.    [In:    Rev.  d.  1.  rom.  XLIX  Sept.-octobre  1906]. 


Balzac,  H.  de.  Lettre  sur  le  travail  [In.-  Rev.  d.  deux  mondes  lef  sept.  1906. 

S.  51—62]. 
Barclay,  .Jean.  —  A.  Collirjnon,  Le  portrait  des  Esprits  (Icon  animorum)  de 

Jean  Barclay  [In:  Memoires  de  l'Academie  de  Stanislas.    (Je  serie,  t.  III. 

S.  67-140].' 
Baudelaire,  Ch.  —  Quelques  lettre.s  p.  p.  H.  Cordier  [In:  Mercure  de  France 

15.  fevr.  1907]. 

—  Lettres  (1841—1866).  658  p.  et  portrait  en  heliogravure.  Paris,  Societe 
du  Mercure  de  France,  26,  rue  de  Conde.     1906.     7  fr.  50. 

—  Werke.  In  deutscher  Ausg.  v.  Max  Bruns.  4.  Bd.  Zur  Ästhetik  der 
Malerei  und  der  bild.  Kunst.  Übers,  v.  Max  Bruns.  XV,  328  S.  8". 
Minden,  J.  G.  C  Bruns  ('06).    2,50. 

Beaumarchais  s.   oben  p.  95  Bibliotheca  Romanica. 

Benoist  de  Cerisay.  —  C.  Bullu,  Curiosites   poetiques  du  XVI^  siöcle  :  Benoist 

de  Cerisay  [In:  Rev.  de  la  Renaissance  Vll,  224 — 227]. 
Beranger.   —  Moritz  Levi,  Mpn  Habit  [In:  Mod.  Lang.  Notes    Dec.   1906].    (Vf. 

vergleicht  das  in  der  Überschritt  genannte  Lied  Berangers  mit  Carl  von 

Holteis  Der  alte  Reiter  und  sein  Mantel:     „Schier  dreifsig  Jahre  bist  du 

alt  .  . .  "). 
Bernardin  de  Saiut-Pitrre.  —  }V/ö  Hirn,  Bernardin  de  Saint-Pierre  „Observations 

sur  la  Finlande."     [ür  Svenska  Litteratursällskapets  Förhandlingar  och 

üppsatser,  19].    Ilelsingfors,  Tidnings  &  Tryckeri-aktiebolagets  tryckeri 

1906.     54  S.     8». 

—  Paul  et  Virginie:  la  Chaumiere  Indienne.  Suivi  de :  les  Origines  de  Paul 
et  Virginie.  In-18  Jesus,  324  p.  avec  autographe.  Paris,  Flammarion. 
95  cenf.     [Les  meilleurs  auteurs  classiques  trangais  et  etrangers]. 

Boileau.  —  Les  salires  de  Boileau  commentes  par  lui-meme  et  publiees  avec 
des  notes  par  Frederic  Lachh-re.  Reproduction  du  commentaire  inedit  de 
Pierre  Le  Verrier  avec  les  corrections  autographes  de  Despreaux.  Le 
Vesinet  (Seine-et-Oise)  et  Courmenil  (Orne),   1906.     Gr.  8".    XII,  164  S. 

Bourdaloue.  —  Un  sermon  inedit  de  Bourdaloue  p.  p.  E.  Griselle  [In:  Rev. 
d'Hist.  litt,  de  France  XIII,  4.    S.  698—713]. 

Boyssonne.  —  Deux  lettres  inedites  de  Jean  de  Boyssonne  [In:  Rev.  de  la 
Renaissance  VII,  228—232]. 

Bretonneau.  —  C.  Ballu.  Curiosites  poetiques  du  XVIe  siecle:  Rene  Bretonnayau 
[In:   Rev.  de  la  Renaissance  VI  (1906),  S.  152^164]. 


Noviiätenverzeichnis.  9  9 

Chateaubriand.  —  Atala.  Keproduction  de  1  editiou  originale,  avec  uue  Etüde 
sur  la  jeunessc  de  Chateaubriand,  d'apres  des  documents  inedits,  par 
Victor  Giraud  et  Joseph  Girardin.  In-18,  LXXXVI,  210  p.  Paris,  Fon- 
temoing.     1906. 

Corneille  S.  oben  p.  95  Bibllolhcca  romanica 

—  Lettre  et  poesie  de  Pierre  Corneille  sur  le  Champignon  p.  p.  G.  Vincent 
[In:  la  Revue  15  juin  190(iJ. 

—  (Euvres  compl6tes  de  P.  Corneille  et  ffiuvres  choisies  de  Thomas  Corneille. 
2  vol.  in-16.  T.  2,  511  p,;  t.  5.  424  p.  Paris,  Hachette  et  Cie.  1906.  Le 
vol.  1  fr.  25.     [Les  Principaux  Ecrivains  fran^ais]. 

—  Le  Cid.  Edited  with  Introductiou  and  Notes  by  H.  W.  Eve,  M.  A.,  Cambridge 
Univorsity  Press  1906. 

Demachy.  —  Histoires  et  Contes  de  J.  F.  Demachy  Maitre  Apothicairc  de 
Pari?.  Demonstrateur  au  College  de  Pharmacie  de  Paris  Censeur  royal 
(1728 — 1803)  Precedes  d'une  Etüde  historique,  anecdotique  et  critique 
sur  J.  F.  Demachy  et  ses  ffiuvres  et  accompagnös  de  Notes  et  Commentaires 
par  L.  G.  Toraude.    Paris,  Ch.  Carrington. 

Des  Auteb  s.  oben  p.  93. 

Diderot,  Denis:  Die  Nonne.  Kulturgeschichtlicher  Roman  aus  dem  französ. 
Klosterleben  im  18  Jahrb.  Aus  dem  Franz.  v.  Dr.  Adph.  Conrad. 
(Bibliothek  der  Siltengemäldo.)  (192  S.)  S''.  Berliu-(Schöneberg), 
ß.  Jacobstal  ('06;.     1,50. 

—  Die  geschwätzigen  Kleinode.  Nach  e.  Übersetzg.  des  18.  Jahrb.  neu  hi'sg. 
V.  Loth.  Schmidt.  Mit  7  Bildern  von  Frz.  v.  Bayros.  (XLIII,  375  S.) 
kl.  8«.    München,  G.  Müller  ('06).     Geb.  14,— 

Discours  de  la  servitude  volontaire.  —  Le  veritable  auteur  du  „Discours  de  la 

servitude  volontaire"  Montaigne  ou  La  Boetie?    Pierre  Villey  et  B.  Bonnefon 

[In:   Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  France  XIII,  4.    S.  727— 741 J. 
Du  Bellay.    —   Divers   poemes   de   J.  du  Bellay,   partie   inventions,   partie 

traductions,  reveuz  et  corrigez  de  nouveau  [Rev.  de  la  Renaissance  VI. 

153-200]. 
Duhamel,  J.     S.  oben  p.  96   Schiensog. 
Flaiibert,  Gast.:  Drei  Erzählungen.    (Ein  schlichtes  Herz.   Die  Sage  v.  Sankt 

Julianus.     Herodias.)     (Deutsche  Übertragg.    v.  Ernst  Hardt.     Initialen 

V.   Heinr.  Vogeler-Worpswede.)    2.  [Titel-lAufl.  (v.  Ein  schlichtes  Herz). 

(170  S.)  8°.    Leipzig,  Insel-Verlag  ['04]  '07.    3,50. 
Hcrauli  de  Se'chelles.  —  CEuvres  litteraires  publiees  avec  une  preface  et  des 

notes;  pur  Emile  Dard.   Ia-16,  XIII-263  p.  et  portrait,   Paris,  Perrin  et  Cie. 

1907.    3  fr.  50. 
Huyo,  V.  —  Lanson,  G.    „Carre  par  la  base"  [In:  Annales  Romantiques  III, 

5.    S.  377  f.]. 

—  „Carre  par  la  Base"  post-scriptum  ä  „Une  soiree  chez  Victor  Hugo" 
p.  Louis  Arnould  [In:  Anuales  Romantiques  III,  4]. 

—  (Euvres  completes.  Poesie.  VI,  la  Legende  des  siecles,  t.  2.  In-8,  593  p 
et  grav.     Paris,  OUendorff.     1906.     10  fr. 

—  La  Legende  des  Siecles  de  Victor  Hugo,  notes  et  fragraents  inedits  [In: 
Le  Temps.    24  sept.  1906J. 

Jean  de  la    Taille  S.   oben   p.  96   Schlensoij. 
La  Bu^iie,  S.   oben   Discours  de  la  servitude  volontaire. 
La  Bruya-e.    S.  oben  p.  91   G.  Michaut. 

Lafontaine.  —  A.  A.  Licingstun.  Peler  le  geai  (Note  to  La  Fontainc's  Fahles) 
[In:  Mod.  laug,  notes  XXII,  1.     S.  30  ff.]. 

—  Der  Schuster  und  der  Reiche  von  R.  Tobler  [In:  Arch.  f.  n.  Spr.  Bd.  117. 
S.  328—344]. 

—  (Euvres  coniplötes.  T.  2,  In- 16,  449  p.  Paris,  Hachette  et  Cie.  1906. 
l  fr.  25.     [Les  Piincipau.x  Ecrivains  fran^ais.] 


1 00  Novitätenverzeichnis. 

Lumartine.  —  Trois  lettres  incdites  de  Lamartine:  I.  ä  Jiatuonuais;  II.  ä 
Ch.  Nodier;  III.  ä  Boucher  de  Perthes  [In:  Annales  Ron)autiques  111,  4]. 

— ■  .ly.  Bomenichini.  L'aniore  nella  urica  di  A.  de  Lamartine  e  A.  de  Musset. 
Padova,  tip.  fratelli  Gallina,  1906.     87  S.  16".    L.  1. 

—  Premieres  Meditations  poetiques  avec  commentaires.  La  Mort  de  Socrate. 
In- 16,  LXIX-275  p.  Paris,  Hachette  et  Cis.  1907.  ;j  fr.  .50.  [Edition 
publice  par  la  Societe  proprietaire  des  (Euvres  de  Lamartine.] 

Louis  h  Jars.     S.   oben  p.  96.     Schlensot/. 

Moliire.  —  OEuvrcs  conipletcs.  T.  1er.  In-16,  XXIV-419  p.  Paris,  Ilaclieltc 
et  C'P.     1906.     1  fr.  2.5.     [Les  Prineipaux  Ecrivains  fran^ais.] 

—  Les  (Euvres  de  J.  B.  P.  Moliere  accompagnees  d'une  Vie  de  Meliere, 
de  Variantes  et  d'un  Glossaire,  par  Anaioh  France.  T.  7.  Petit  in-8, 
XL-366p.  Paris,  Lemerre.  1906.  [Collection  Lemerre  (Classiqiies  fran(;ais).J 

—  K.  MaJdalenu.  Scene  e  figure  molieresche  imitate  dal  Goldoni  [In:  Kivista 
teatrale  italiana  X,  3/5]. 

—  A.  John.  Les  traits  conventionuels  des  domestiques  et  des  paj'saus  dans 
les  comedies  de  Moliere.     Progr.  Scbleusingen  1906.     12  S.  4". 

Montaigne.    S.   p.   99.      Discours  de  la  servifude  rohndaire. 

—  Essais  (Self-edition).  Texte  original,  aecompagne  de  la  ti-aduction  en 
langage  de  nos  jours,  par  le  general  Michaiid.  Icr  vokime.  Iu-8, 
IV-694  p.  avec  portrait.  Mesuil  (Eure),  impr.  Firmin-Didot  et  C'e.  Paris, 
libr.  de  la  meme  maison.     1907.     15  fr. 

—  Essais  precedes  d'une  lettre  de  A.  M.  Villemain  sur  l'eloge  de  Montaigne; 
par  P.  Christian.  T.  2.  In-16,  333  p.  Paris,  Hachette  et  C'e.  1906. 
1  fr.  25.     [Les  Prineipaux  Ecrivains  frangais.J 

—  Journal  de  voyago,  de  Montaigne,  public  avec  uue  introductiou,  des  notes, 
une  table  des  noms  propres  et  la  traduction  du  texte  Italien;  par  Louis 
Lautrcy.    Petit  in-8,  .539  p.  Paris,  Hachette,  et  C'e.     1906.    25  fr. 

Musset.      S.  oben   La/nartine  und  p.  95    Bibliothcca   roiuanica. 

Musset  —    Un    Souper   chez  Mademoiselle  Rachel,    par  Alfred   de   Musset. 

Variantes  relevees  sur  le  manuscrit  original  [In:    Aunales  Romantiques 

III,  5]. 
Pascal,  ßiaise,  Briefe  gegen  die  Jesuiten  (Lettres  Provinciales;.    Jena,  Eugen 

Diederichs  1907.    XXXII,  356.    8". 

—  Opuscules  choisis.  Le  Memorial.  Le  Mystere  de  Jesus.  Priere  pour 
le  bon  usage  des  maladies.  Sur  la  conversion  du  pecheur.  Eutretien 
avec  M.  de  Saci  sur  Epictete  et  Montaigne.  Fragments  d'une  Conference 
ä  Port-Royal.  Sur  la  religion.  Les  üeux  Infinis.  Les  Trois  Ordres. 
Lc  Pari.  Edition  uouvelle,  revue  sur  les  manuscrits  et  les  meilleurs 
textcs  avec  une  introduction  et  des  notes  par  IVctor  Giraud.  Iu-16,  80  p. 
Paris,  Blond  et  C'e.  1907,  60  cent.  [Science  et  Religion.  Etndes  pour 
le  temps  present,  n«  383]. 

—  Pensees  sur  la  religion  et  sur  quelques  autres  sujets.  Edition  de  Port- 
Royal,  corrigee  et  completee  d'apres  les  manuscrits  originaux  avec  une 
introduction  et  des  notes;  par  A.  Gazier.  Iu-16,  613  p.  avec  grav.  et 
Portrait.  Poitiei's,  Societe  fran^aise  d'imprimerie  et  de  librairie.  Paris, 
libr.  de  la  memo  maison.     1907. 

/Verce  de  la  Primaudayi^.  —  c.  Ballu.  Curiosites  poetiques  du  XVIe  siecle : 
Pierre  de  la  Primaudaye  [In:  Rev.  de  la  Renaissance  VI  (1906),  S.  110  ff.]. 

Rabelais,  des  Fran^ois,  Pantagruel.  1.  Bd.  Verdeutscht  v.  Engelb.  Hegaur 
u.  Dr.  Owiglafs.    (139  8.)    8".    München,  A.  Langen  '07. 

—  Pierre-Paul  Plan,  Rabelais  et  les  ,,Moraulx  de  Phitarque",  _ä  propos  d'un 
ex-libris  [In:  Melanges  d'archeologie  et  d'histoire  p.  p.  l'Ecole  fran^aise 
de  Rome.    Mai-aoüt  1906,  p.  19.51. 

—  A.  Tillei/  The  authorship  of  th(!  „Isle  Sounantc"  (To  be  concluded)  [In:  The 
Mod.  Lang.  Review  11,  1,  21. 


I^ovitätenverzeichnis.  1 0 1 

Renan.  —  L'imperialisaic  germaniste  dans  l'ceuvre  de  Renan  p.  E.  SeiUih-e 
[lu:  Rev.  des  dcux  inondcs  15  uov.  1906J. 

—  Nouvcaux  cahiers  de  Jeunesse  [In:  Revue  Bleue  ö.  12.  19.  -itj. 
Jan.  1907]. 

Kickepin.  —  Kr.  Nyrop.    Remarques  grammaticales  sur  quelques  vers  de  M. 

Jean  Richepin  [Academie  Rovale  des  scieuces  et  des  lettres  de  Dänemark. 

Extrait  du  Bulletin  de  l'annee  1906.     No.  6,    S.  324—328]. 
Ronsard  S.   SchönfelJer. 
Rousseau,  J.  J.  s.  oben  p.  83  Pelltt, 
Sainte-Beuve.  —  Lettre   de  Sainte-Beuve  ä  M.  Talbot  [lu :    La  Revue  latiue 

25  dec.  1906]. 
s/ut'l  (M'ne  de).  —  Dix  aunees  d'exil  precede  d'uue  notice  sur  la  vie  et  les 

ouvrages  de  M^io  de  Stacl;    par  Mme  Neckcr  de  Saussure.     Nouvelle 

edition  illustree  de  six  portraits  avec  notes  et  aiipendices,  par  DesireLacroix. 

lu-18  Jesus,  506  p.     Paris,   Garnier  freres.     [Bibliotheque  de  Meraoires 

historiques  et  militaires  sur  la  Revolution,  le  Cousulat  et  l'Empire]. 
r.  Stendhal- Heiirij   Beule:    Ausgewählte  Werke.     Hrsg.  ^yon  P'rdr.  v.  Oppehi- 

Rrouikowski.     8°.     Jena,  E.  Diderichs.     3.  Bd.     Über  die   Liebe.     (De 

Tamour.)    Übertr.  v.  Artli.  Schurig.    2.  durchges.  u.  verm.  AuÜ.    (XXIV, 

132  S.)  '07.     4,—. 

—  Coniment  Stendhal  ecrivit  sou  Histoire  de  la  Peinture  en  Italie  p.  P.  Arhelet 
[In:  Mercure  de  France  15  nov.  1906]. 

Saint  Simon  (de).  —  Memoires  publies  par  MM.  Cberuel  et  Ad.  Regnier  tils 
et  collationnes  de  uouveau  pour  cette  edition  sur  le  manuscrit  antographe, 
avec  uuc  notice  de  M.  Sainte-Beuve.  Nouvelle  edition.  T.  7.  In- 16, 
487  p.     Paris,  Hachette  et  Cie.     19J6.     3  fr.  50.     [Bibliotheque  variee]. 

—  Memoires  complets  et  authentiques  sur  le  siecle  de  Louis  XIV  et  la 
regence,  collationnes  sur  le  manuscrit  original  par  M.  Cheruel,  et  precedes 
d'une  notice  par  M.  Saiüt-Beuve,  T.  10.  Iu-16,  436  p.  Paris,  Hachette 
et  Cie.     1905.     1  fr.  25.     [Les  Priucipaux  Ecrivains  frangais]. 

Taine.  —  Vgl.  Madelin  Napoleon  uouveau  [Le  Correspondant.    1906.    lOjuin]. 

TaUemant  des  Rcaux.  —  Historiettes  :  Henri  IV.  La  Reine  Marguerite.  Mal- 
herbe. Luynes.  Richelieu.  Louis  XIII.  La  Fontaine.  La  Marquise  de 
Rambouillet.  Voiture.  Bassompierre.  Mesdames  de  Rohan.  Marion  de 
l'Orme.  Pascal.  Madame  de  Montbazon,  etc.  Avec  uue  notice.  £» 
edition.  In-18  Jesus,  XVI,  380  p.  Poitiers,  impr.  Blais  et  Roy.  Paris, 
Societe  du  Mercure  de  Frauce,  26,  rue  de  Conde.  1906.  3  fr.  50. 
[CoUection  des  plus  belies  pages]. 

Verlaine.,  Paul :  Ausgewählte  Gedichte.  Übertr.  von  Graf  Wolf  v.  Kalckreuth. 
(Titel,  Vignetten  u.  Einband  zeichnete  H.  Wilh.  Wulff.)  (159  S.)  8". 
Leipzig,  Insel-Verlag  '06.     4,—. 

lV(/«y,  A.  de.  QCuvres  completes.  Journal  d'un  poete  recueilli  et  publie  sur 
les  notes  intimes  d'Alfred  de  Vigny,  par  Louis  Ratisbonne.  Edition 
definitive.     In-18  Jesus,  323  p.    Paris,  Delagrave.    o  fr.  50. 

Voltaire.  —  (Euvres  completes  de  Voltaire.  T.  32.  In -16,  447  p.  Paris, 
Hachette  et  Cie.     1906.     1  fr.  25.     [Les  Principaux  Ecrivains  fran^ais.] 

—  HuKserl.  M.:  Examen  des  tragedies  de  Voltaire.  Esquisse  litteraire. 
Progr.  (36  S.)  gr.  8".     Wien,  C.  Fromme  '06.     -,80. 

—  L.  Fräser.  A  studv  in  literary  genealogy  [In:  Mod.  Lang.  Notes.  Bec. 
1906.    S.  p.  245-247]  (Betrifft  Voltaires  Zadij). 

8.  (beschichte  iiud  Theorie  des  lluterrichts. 

Aschaicer,  E.     Der   internationale   Briefwechsel  auf  der  Mittelstufe.     Progr. 

Troppau  1!)06.     5  S.  8". 
Iiatt.   K     Der  französische  Anfangsunterricht  [In:  Zs.  f.  d.  Gymnasialwesen 

LXI  (1907),  S.  1-12]. 


1 0  2  Novitätenverzeichnis, 

Ureul,  K.  Tbc  Teachiiig  of  Modern  Foreign  Languages  and  the  Training 
of  Teachers.  Third  Edition  Kevised  and  Enlarged.  Cambridge  Univcrsity 
Press  l!t06. 

Jiudilc,  G.  Auswabl,  Umfang  und  didaktiscbe  ßebandlung  der  ncuspracblicbeu 
Lektüre  auf  der  Oberstufe  [In:  Zs.  f.  franz.  und  engl.  Unterricht  V,  S. 
493-500]. 

Doederhln,  J/.  Im  Auslande.  Erfahrungen  und  Ratschläge.  Progr.  Memmingen 
1906.     9  S.  8s. 

l'cIL-euberg,  Willi.  :  Ziele  u.  Wege  f.  den  neuspracblichen  Unterricht,  Methoden 
u.  Lehrpläne  f.  den  neusprachl.  Unterricht  an  höheren  Lehranstalten  u. 
P'achschulen.  Der  Privat-  u.  Selbstunterricht  u.  der  Aufenthalt  im  Aus- 
lande.   (IV,  108  S.j  8",  Cöthen,  0.  Schulze  Verl.  '07.     1,25. 

Fiut/er,  Michael:  Der  fremdsprachliche  Unterricht  in  den  Lehrerbildungsan- 
stalten.    ((j8  S.)  gr.  8°.     Leipzig,  Dürr'schc  Buchh.  '07. 

J/cinu<.  Willi.:  Wie  erlernt  man  fremde  Sprachen?  Winke  f.  den  Selbstun- 
terricht, zugleich  e.  Beitrag  zur  Methodik  des  Studiums  fremder  Sprachen 
f.  prakt.  Zwecke.     3.  Aufl.  (80  S.)  8".  Leipzig,  W.  Heims  '07. 

Jantzen,  II.  Mädchenschulreform  und  fremde  Sprachen  [In:  Zs.  f.  franz.  u. 
engl.  Unterricht  V,  S.  481—492]. 

Ohhrt,  Arn. :  Die  Umformungen  im  fremdsprachlichen  Unterricht.  Französisch 
(1.  Tl.).  Die  Lautgesetze  als  Grundlage  des  Unterrichts  im  französ.  Verb. 
2  Programme  1905  u.  1906.     (44  S.)  8".  Hannover,  C.  Meyer  '07. 

J'oirot,  J.  Sur  l'euseignement  de  la  prononciation  dans  les  ecoles  (In:  Neu- 
phil. Mitteilungen  No.  '/a  '^06.  S.  143—147]. 

Rtiska,  J.  Neue  Wege  zu  alten  Zielen  [In:  Zs.  f.  franz.  und  engl.  Unter- 
richt VI,  1]. 

Scharschmidt,  E.  Bericht  Über  eine  Studienreise  nach  Frankreich  [In :  Neue 
Jahrbücher  f.  d.  Klass.  Altert,  etc.     II.  Abt.  XVIII  Bd.  S.  565-577]. 

Schneeyans,  11.  Die  Ideale  der  neueren  Philologie  [In:  die  neueren  Sprachen 
XIV,  6J. 

-Se/fe,  F.  Der  Elberfelder  Sprachmeister  Nicolas  de  Londose.  Ein  Beitrag 
zur  Geschichte  des  französischen  Unterrichts  am  Niederrhein  [In:  Zs. 
des  Bergischen  Geschichtsvereins  39]. 

Walter.^  M.  Aneignung  und  Verarbeitung  des  Wortschatzes  im  neusprach- 
lichen Unterricht  [In:  Die  neueren  Sprachen  XIV,  9]. 

Wii.ktrhause.r.,  Natalie.  Die  neuphilologische  Bewegung  und  ihre  Einwirkung 
auf  Östreich-Ungarn  [In:  Zs.  f.  Österreich.  Gymnasien  1906,  11.  Heft.  S. 
1017—1027,  XII,  1119-1129]. 

9.  Lehrmittel  für  den  französischen  Unterricht, 
a.  Grammatiken,  Übungsbücher  etc. 

Le  traducteur,  Französisch-Deutsch.  15,  Jahrgang.  La-Chaux-de-Fonds' 
Verlag  des  „Traducteur".     Ilalbjährl.  fr.  2,50;  jährlich  fr.  5. 

VesOui-Si.  Englisch,  Französisch,  Italienisch  durch  leichtes  u.  anreg.  Selbst- 
studium. Illustrierte  Wochenschrift,  red.  vom  internationalen  Red. -Komitee: 
K.  Bouyer,  Fr.  Carle,  C.  Hosken  u.  G.  B.  Valente.  1.  Jahrgang  1907. 
Englische,  französ.  u.  Italien.  Ausg.  Je  ^)'2  Nrn.  (Je  Nr.  1.  8  S.) 
30X-->5  cm.     München. 

Beaux,  Th.  de:  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  f.  Handels-  u.  Realschulen 
2.,  verb.  Aufl.  (XI,  368  S.)  8^.  Leipzig,  M.  Hesse  ('07).  3.60. 

ßoerner,  Otto  u.  liud.  Di/iUer  DD.:  Lehrbuch  der  französischen  Sprache.  Mit 
besond.  ßeiücksicht.  der  Übgn.  im  mündl.  u.  schriftl.  freien  Gebrauch 
der  Sprache.  Ausg.  E  f.  Fortbildungs-  u.  Gewerbeschulen.  2.  Tl.  Mit 
e.  Plan  v.  Paris,  e.  Hölzelschen  Vollbild  „Die  Stadt"  u.  e.  Münztafel. 
(Prof.  Dr.  Boerners  neusprachl.  Uuterrichtswerk,  nach  den  neuen  Lehr- 


Novitätenverzeichnis.  10?» 

planen   beail).    Französischer  Tl.)   2.  verb.  Aufl.    (VI,  202  S.  ni.  4  Taf.) 
8".   Leipzig,  B.  G.  Teubner  '07.     2,60. 

—  Clem.  Pilz  u.  Max  Rosenthal:  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  f.  2>i'euf3. 
Präparandenanstalten  u.  Seminare  nach  den  Bestimmungen  vom  1.  VIL 
1901.  (Prof.  Dr.  Boerners  neuspraehl.  Unterrichtswerk  nach  den  neuen 
Lehrplänen  bearb.  (Französischer  Tl.)  111.  Tl.:  Übungsbuch  f.  Seminare. 
Mit  dem  Hölzelschen  Bilde  der  Grol'sstadt.  e.  Karte  v.  Frankreich,  e. 
Plane  u.  8  Ansichten  v.  Paris.  (VIII,  167  S.)  8".  Leipzig,  B.  G.  Teubner 
'07.     1.80. 

—  Clem.  Pilz  u.  3Iax  Rosenthal:  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  f.  preufs. 
Präparandenanstalten  u.  Seminare  nach  den  Bestimmungen  vom  1.  VII. 
1901.  (Prof.  Dr.  Boerners  neuspraehl.  Unterrichts  werk,  nach  den  neuen 
Lehrplänen  bearb.  Französischer  Tl.)  IL  Tl. :  2.  u.  1.  Klasse  der  Präpa- 
randenanstalten. Mit  den  Hölzelschen  Bildern  der  Jahreszeiten,  e.  Karte 
V.  Frankreich,  dem  Plane  v.  Paris  u.  e.  Tafel  der  französ.  Münzen. 
(VIII,  290  S.)  8".    Leipzig,  B.  G.  Teubner  '06.    3,20. 

—  u.  Ernst  Stiehler:  Lehrbuch  der  französischen  Sprache.  Ausg.  G  f.  Gym- 
nasien u.  Realgymnasien.  Unter  Mitarbeit  v.  Leitritz  hrsg.  (Boerners 
neuspraehl.  Unterrichtswerk,  nach  den  neuen  Lehrplänen  bearb.  Franzö- 
sischer Tl.)  I.Tl.  mit  e.  Hölzelschen  Vollbild:  L'hiver.  (X,  232  S.)  8". 
Ebd.  '06.  Geb.  2,40. 

Boerner^  Otto.  Ciemem  Pilz  u.  Max  Rosenihnl:  Französisch  -  deutsch  u.  deutsch- 
französisches  Wörterbuch  zum  III.  Tle.  des  Lehrbuchs  der  französischen 
Sprache.  (Prof.  Dr.  Boerners  neuspraehl.  Unterrichtswerk,  nach  den 
neuen  Lehrplänen  bearb.  Französischer  Tl.)  (138  S.)  8".  Leipzig.  B.  G. 
Teubner  07. 

ßrunot  et  Bonij.  —  Methode  de  langue  fran^aise:  Deuxieme  livre-maitre, 
destine  au  cours  elementaire  et  ä  la  Ire  annee  du  cours  moyen 
(Grammaire;  Analyse;  Conjugaison;  Ortographe;  Vocabulaire;  Langage; 
Lecture;  Recitation,-  Composition  fran^aise;  Conseils,  Constructions  de 
phrases,  redactions,  etc ).  Petit  in-8,  XXllI-427  p.  avec  illustrations  par 
Rene  Victor  Meunier.  Paris.  Colin.  1906.  1  fr.  80.  [Enseignement  pri- 
maire  elementaire]. 

Jfuhislav,  Georg,  u.  Panl,  Boelr.  Methodischer  Lehrgang .  der  französischen 
Sprache  für  höhere  Lehranstalten.  Französisches  Übungsbuch.  Ausg. 
C.  Für  die  Klassen  111.  II,  I  der  Realschulen,  sowie  für  Untertertia, 
Obertertia,  Untersekunda  der  Oberrealschulen  u.  Reformschulen.  Mit  e. 
Karte  v.  Frankreich.     (VIII,  330  S.)  gr.  8".  Berlin,  Weidmann  '07. 

Diibislar,  Geo.,  und  Paul  Boek:  Elementarbuch  der  französischen  Sprache. 
(Methodischer  Lehrgang  der  französ.  Spr.  f.  höhere  Lehranstalten.)  Ausg. 
A.  P'ür  Gymnasien  u.  Progymnasiem.  Quarta,  Untertertia  u.  Obertertia. 
Mit  2  Karten  u.  1  Münztaf.  (VIII,  267  S.)  8°.  Berlin,  Weidmann 
'06.     2,60. 

—  —  dasselbe.  Ausg.  B.  Für  Realgymnasien  u.  Realprogymnasien.  Quarta, 
Untertertia  u.  Obertertia.  Mit  2  Karten  u.  1  Münztaf.  (VIII,  268  S.)  S". 
Ebd.  '06.    2,60. 

—  —  dasselbe.  Ausg.  C.  Für  Realschuleu.  Oberrealschulen  u.  Reform- 
schulen. 8".  Ebd.  1.  Tl.  Sexta.  6.  Klasse.  (VIII.  107  S.)  '06.  Geb.  1,20.  — 
2.  Tl.  Quinta  u.  Quarta.  5.  u.  4.  Klasse.  Mit  2  Karton  u.  1  Münztaf. 
(VIII,  2.34  S.)  '06.     Geb.  2,60. 

—  —  Schulgrammatik  der  französischen  Sprache  f.  höhere  Lehranstalten. 
(Methodischer  Lehrgang  der  französ.  Sprache  f.  höhere  Lehranstalten.) 
(IV,  12.')  S.)  8».    Ebd.  '06.     1,40. 

Fischer,  IJerni.,  u.  Geo.  Dust:  Französische  Texthefte  zu  Hirts  Anschauungs- 
bildern  (Küustlersteinzeichnungen  v,  Walther  Georg!),  nach  logisch- 
grammat.  Gesichtspunkten  bearb.  14x22,.i)  cm.  Breslau,  F.  Hirt.  I.Heft. 
Der  Frühling  v.  D.  (4.')  S.  ni.  1  farl).  Taf.)  '07.     Kart.  — ,80. 


104  Novitätenverzeichnis, 

llalierlaiuVs  Untei-v.-Hriefe.  Lpzg.  Haberland.  Französisch.  26 — 28.  Brief. 
Je  — ,75. 

lluHenhenj^  H.     Fransk  skolgrammatik.     Stockholm   190G. 

JarillarJ.  —  L'Orthographe  renduo  facile.  Etudo  niethodiqne  des  sons. 
Exorciccs  et  dictöes.  In-lS,  173  p.  Saiut-Ch)nd.  impr.  Belin  treres. 
Paris,  libr.  de  la  njeme  maisoii.     190G.     1  fr. 

Juraiiril/e,  M^e  C.  —  La  Conjugaison  enseignee  par  la  pratique.  Textes 
suivis  reufermaut  des  verbes  de  meme  terminaison,  devoirs,  d'inventions, 
dictecs,  permutations,  conjugaison  de  tous  les  verbes  presentant  des 
diflfucultes.    Livre  du  raaitre.     In- 12,  240  p.     Paris,  Larousse.    1  fr.  50. 

Labor,  C.  J.  —  Grammaire  simplifiee.  Revision  des  regles  et  notions  d'ety- 
mologie,  notions  elementaires  de  liiterature.  Cours  superieur.  Livre  du 
maitre.     In- 18  Jesus,  XIll-522  p.     Paris,  Garnier  fröres. 

L(i(jarde,  Louis  et  Aug.  Miiller:  A  travers  la  vie  pratique.  Exercices  de  con- 
versation  sur  Paris,  Berlin  et  autres  sujets,  avcc  vocabulairc.  2.  ed. 
soigneusement  revue  et  corrigee.  (V,  200  S.)  S".  Berlin,  Weidmann, 
'CG.     2,40. 

Le  Bozü-tjeois,  F.  Postes,  telegraphes,  telephones.  Freiburg  (Baden).  J.  Biele- 
felds Verlag.    Geb.  3,50. 

ZJeurer,  Karl:  Französische  Synonymik.  Mit  Beispielen,  etymolog.  Angaben 
ü.  zwei  Wortregistern.  Für  die  oberen  Klassen  höherer  Schulen  bearb. 
5.  sehr  verb.  Auti.  (VIII,  18.3S.)  8".    Leipzig,  H.  Bredt  '07.    2,—. 

Mohnaar,  B.:  Gramatik  de  Universal  pro  Italiani,  Franzesi,  Spanioli,  Auglesi, 
Germani.     (VIII,  56  S.)  gr.  8°.     Leipzig,  J.  Püttmann  ('07),     — ,80. 

Xeumann  v.  Spallart,  Dr.  A.:  Französische  Sprechübungen  auf  Grund  von 
Auschauuugsbildern.  gr.  8°.  Wien,  A.  Pichler's  Wwe.  &  Sohn.  Jedes 
Heft  — ,40.  II.  Der  Weihnachtsmarkt.  (Meinholds  Auschauungsbild 
,,Winter'".)  Mit  der  verkleinerten  Wiedergabe  des  Anschauungsbildes 
,; Winter".  (18  S.)  '06.  —  III.  Die  Stadt.  (Meinholds  Anschauungsbild 
„Verkehr".;  Mit  der  verkleinerten  Wiedergabe  des  Anschauungsbildes 
„Verkehr"  (22  S.)  '06- 

Xotions  usuelles  'Tetymologie  suivies  d'exercicos  pratiques,  ä  l'usage  des  classes 
de  l'enseiguement  sccondaire  et  des  cours  complementaires  et  superieurs 
de  l'enseignement  primaire.  Livre  du  maitre.  Iu-16.  112  p.  Tours, 
Marne  et  lils.  Paris,  Ve  Poussielgue;  los  principaux  libr.  [Colleciion 
d'ouvrages  classiques  i-ediges  en  cours  gradues  ] 

Pagot,  C.  —  Sept  langues  (grec,  latin,  francais,  espagno!,  Italien,  allemand, 
anglais)  enseigcees  en  meme  temps  par  la  grammaire  comparee  et  par 
l'etymologie.  Avec  une  preface  sur  «  l'Enseignement  des  langues  ;>.  T.  l<^'\ 
In-8  oblong,  XIV-93  p.  Versailles,  imprimerie  Luce.  Paris,  6,  rue  Herran. 
1906.  3  fr.  50.  [CEuvre  des  Etudes  grecques  et  latines  rendues 
interessantes.] 

Plattnev,  Ph.:  Ausführliche  Grammatik  der  französischen  Sprache.  Eine 
Darstellg.  des  modernen  französ.  Sprachgebrauchs  mit  Berücksicht.  der 
Volkssprache.  III.  Tl.:  Ergänzungen.  2.  Heft:  Das  Pronomen  und  die 
Zahlwörter.     (210  S.)    8".     Freiburg  i.  B.,  J.  Bielefeld  '07.     3,20.. 

L'loeiz,  Gust..,  u.  Kares:  Kurzer  Lehrgang  der  französischen  Sprache.  Übungs- 
buch. Gekürzte  Ausg.  C.  Verf.  v.  Dr.  Gust.  Ploetz.  (144  S.)  8».  Berlin, 
F.  A.  Ilerbig  '07.  2,—. 

Rayon,  E.  —  Exercices  francais  sur  le  cours  superieur  de  grammaire:  Livre 
du  maitre.     In-16,  512  p.  Paris,  Ve  Poussielgue.  1906. 

Schaefer,  Curt:  Lehrgang  f.  den  französischen  Unterricht.  III.  Tl.  Grammatik. 
2.,  völlig  neu  bearb.  Aufl.  der  „Kleineren  französ.  Schulgrammatik  f.  die 
Oberstufe  I.  Tl."  (XV,  282  S.)  gr.  8°.  Berlin,  Winckelmann  &  Söhne 
'06.     2,40. 


Novitätenverzeichn  is.  105 

Stiei\  Geo.:  Le  coUegien  fraucais.  Lehrbuch  der  fraiizös.  Sprache  f.  höhere 
Lehranstalten.  2.  Tl.  (XV,''263  S.  m.  Abbildgn.)  8".  Bielefeld,  Velhagen  u. 
Klasing  '07.     2,50. 

Sudve,  L.  Exercices  de  gramuiaire  fran^aise.  Cours  moyen.  Classe  de 
cinqui^me  A  et  R.  lu-18  Jesus,  120  p.  Paris,  Delagrave.  [Cours  de 
grammaire  fran^aise  public  soiis  ia  direction  de  Leopold  Sudre]. 

Wiehert,  Ernst:  Ein  Schritt  vom  Wege.  Lustspiel  in  4  Aufzügen 
(1870—1871).  Zum  Übersetzen  aus  dem  Deutschen  in  das  Französische 
bearb,  von  Eucjene  Bestaux.  (X.  175  S.)  '06.  Geb.  1.  GO.  Übungsbibliothek, 
französische,    kl.  S'\  Dresden,  L.  Ehlermann. 

Vinidaele,  H.  —  Syntaxe  des  temps  et  des  modes  en  fran^ais.  Cours  fait,  ä 
rUniversite  de  Besangen,  aux  etudianis  etrangers.  ln-8,  52  p.  Besangon, 
impr.  Dodivei'S.  190G. 

b.  Literaturgeschichte,  Schulausgaben,  Lesebücher. 

üöhl&\  Emil:  Coup  d'oeil  sur  l'hibtoire  de  la  litterature  frang-aise.  Kurzer 
Überblick  über  die  Geschichte  der  französ.  Literatur.  Für  den  Schul- 
gebrauch bearb.  10.  Aufl.  (28  S.)  8°.  Ballenstedt  '06.  Dresden,  L.  Ehlermann. 

Krebs,  Elvira:  Abrege  de  l'histoire  de  la  litterature  frangaise  de  Corneille 
ä  uos  jours.    A  l'usage  des  ecoles.  (V,  63  S.)  8".  Leipzig,  B.  G,  Teubner  '07. 

Precis  d'histoire  litteraire.  Litterature  fran^aise,  suivie  d'un  apergu  des  litteratures 
etrangeres  anciennes  et  modernes;  par  une  reunion  de  professeurs. 
In- 16,  VllI-431  p.  Tours,  Marne  et  fils.  Paris,  Ve  Poussielgue;  les 
principaux  libr.  1907.  [CoUection  d'ouvrages  classiques  rediges  en  cours 
gradues]. 

Bibliotheque  franqatse.  kl.  8".  Dresden,  G.  Kühtmann.  81.  Bd.  Moliere:  Les 
femmes  savantes.  Mit  Einleitg.,  Anmerkg.  u.  Wörterbuch  zum  Schul- 
gebrauch hrsg.  V.  Oberlehr.  Dr.  Bahn.  (VIII,  108,  36  u.  26  S.)  '07  1.20. 
—  dasselbe,  kl.  8".  Ebd.  40.  u.  41.  Bd.  Pressense.  Madame  E.  de: 
Petite  mfere.  Im  Auszuge  mit  Anmerkgn.  u.  Fragen  nebst  e.  Wörter- 
buch zum  Schulgebrauch  hrsg.  v.  Prof.  Dr.  C.  Th.  Lion.  7.  Aufl.  (151, 
40  u.  50  S.)  '07  1.  50.  65.  Bd.  Zola,  Emile:  La  catastrophe  de  Sedan. 
Auszug  aus  „La  debäcle".  Mit  Anmerkgn.  u.  Fragen  nebst  e.  Wörter- 
buche zum  Schulgebrauche  hrsg.  v.  Prof.  Dr.  Rieh.  Ackermann.  Mit  1 
Karte.    2.  Aufl.     (V,  55,  20  u.  33  S.)  '07.  1,20. 

Bruno,  G.  Francinet,  livre  de  lecture  courante.  Livre  du  maitre,  entierement 
revue  et  orne  de  335  gravures  instructives.  Cours  moyen  et  cours 
superieur.  In-12,  612  p.  Saint-Cloud,  impr.  Belin  freres.  Paris,  libr.  de 
la  meme  maison.    2  fr.  50. 

CoUection  des  auteurs  celebres.  A  l'usage  des  classes  superieures.  kl.  8". 
Karlsruhe,  F.  Gutsch.  VII.  Contes  choisis  d'auteurs  modernes.  Avec 
notes  biographiques  par  Dr.  0.  Glöde.    (97  S.)  ('07). 

Corneilh,  P.  Theätre  choisi.  Edition  specialement  annotee  pour  l'enseignemeut 
secondaire  et  renseigiiement  primaire  superieur;  par  Edouard  Bailly.  In- 
16,  II,  379  p.  Paris,  Paclot  et  Cie. 

Ernncillon,  Cyprieu;  Par-ci,  par-lä.  Causeries  ä  l'usage  des  ecoles  et  de 
l'enseignement  privee  pour  faciliter  l'etudes  de  la  laugue  parlee.  (IV, 
400  S.)     8^     Leipzig,  Renger  '07.     4,—. 

Kühn,  Dr.  Ä".,  u.  s.  CharUty:  La  France  litteraire.  Extraits  et  histoire.  Zum 
Schulgebrauch  hrsg.  Mit  e.  (färb.)  Plan  v.  Paris,  e.  (färb.)  Karte  der 
Umgebg.  V.  Paris  u.  e.  (färb.)  Karte  v,  Frankreich.  (VIII,  376  S.).  8". 
Bielefeld,  Velhagen  8c  Klasing  '06.     3,50. 

Leciures  courantes  faisant  suite  au  premier  livre  de  lecture.  Cours  eleraentaire ; 
par  une  reunion  de  professeurs.  In-12,  124  p.  Tours,  Marne  et  fils. 
Paris,  Ve  Poussielgue;  les  principaux  libr.  [CoUection  d'ouvrages  classiques 
rediges  eu  cours  gradues]. 


1 06  Novitätenverzeiciüds. 

Marlin,  ./.  et  .1.  Lemoine.  —  Lectiu'Os  choisics  d'autours  fraii(;ais  (Murale  et 
Recitatioii).  Le^ons.  Lcctures.  Recitation.  Exerciccis  (['Observation  et 
crelocutioii  sur  l'iniage.  Vocabulaire;  cours  elernentaire.  Iii-IG,  176  p. 
avec  ;3.")  grav.  de  Denis-Desroches.  Paris,  Libr.  d'ediication  nationale. 
1906.     80  Cent. 

Refoi-mbibliothek,  neusprachliclie,  Hrsg.:  DD.  Dir.  Bernh.  Hubert  n.  Max  Fr. 
Mann.  8°.  Leipzig,  Rossbergschc  Verlagsbuchh.  30.  Bd.  Pages  choisies 
du  rouian  fraii^ais  au  XIXe  siccle,  avec  comnaentaires,  notices,  analyses 
et  uu  tableau  soramaire  de  l'histoire  du  roman  frangais  par  Charles 
Glauser  et  Alfr.  Graz.  4.  serie.  Le  roman  contemporaiu.  (VIH,  108  S.) 
'06.     Geb.  u.  geh.  1,50. 

iSchriftsteUer,  englische  u.  französische,  der  neueren  Zeit.  Für  Schule  u.  Haus 
hrsg.  V.  J.  Klapperieb.  (Ausg.  A  Einleitung  u.  Anmerkgn.  in  deutscher, 
Ausg.  B  in  engl.  od.  französ.  Sprache.)  8".  Glogau,  C.  Flemming.  42. 
Bdchn.  Klöpper,  Clem  :  Chapitres  choisis  de  l'histoire  des  institutions 
et  des  moeurs  de  la  France.  Ausgewählt  u,  erläutert.  (Ausg.  A.)  (VH. 
91  S.)  ('06)  1,20. 

Schulbibliothek,  französische  u.  englische.  Hrsg.  v.  Otto  E.  A.  Dickmanii. 
Reihe  A:  Prosa.  8".  Leipzig,  Renger.  1,52.  Bd.  Zola,  Emile:  La 
bataille  de  Sedan.  Für  den  Schulgebrauch  erklärt  v.  Frdr.  Lotsch.  Mit 
1  Karte.     (XIV.  83  S.)  '06.     1,40. 

—  dasselbe.  (Neue  Aufl.)  8'^.  Ebd.  65.  Bd.  Merimee,  Prosper:  Coloraba. 
Für  den  Schulgebrauch  erklärt  v.  Jobs.  Leitritz.  3.  vcrb.  Aufl.  (XII, 
135  S.)  '06.  1,30. 

Theäire,  fran^ais.  Ausg.  A  mit  Anmerkgn.  zum  Scbulgebrauch  unter  dem 
Text;  Ausg.  B  mit  Anmerkgn.  in  e.  Anh.  kl.  S'^.  Bielefeld,  Velhagcn  u. 
Klasing.  Geb.  71.  Lfg.  Rostand,  Edm. :  La  Samaritaine.  Hrsg.  v 
Therese  Kempf.    Ausg.  B.    (XXVIII,  83  u.  23  S.)  '06.     1,—. 


Referate  und  Rezensionen. 


Sucllier,  H.  Die  fravzüsische  und provenzalisclie  Sprache  und  ihre 

Mundarten.     [Sonderabdruck   aus   der   zweiten  Auflage   des 

I.    Bd.    von   Gr Obers    Grundriss   d.   rom.   Phil.]   Straßburg, 

Trübner  1906,  130  S.  8°,  mit  zwölf  Karten. 

Mit  der  2.  Auflage  von  Gröbers  Grundriss  (1905)  ist  Suchier's 

obgenannte  Abhandlung  in  „zweiter  verbesserter  und  vermehrter  Auflage" 

erschienen.     Gleichzeitig  wurde  die  Arbeit  auch  als  „Sonderabdruck" 

einem   größeren  Publikum   zugänglich   gemacht.     Aus   diesem  Grunde 

verlangt   die  Arbeit,   nach  meiner  Ansicht,   um  ihr   wirklich   gerecht 

werden  zu  können,  eine  doppelte  Beurteilung:  einmal  als  integrierender 

Bestandteil  des  „Grundrisses",  zweitens  als  alleinstehendes,  vom  „Grdr." 

losgetrenntes  Buch. 

Als  Teil  des  „Grdr."  betrachtet,  wird  man  stets  geteilter  Ansicht 
sein,  da  in  Anlage  und  Ausführung  —  von  kleinen  Einzelheiten  ab- 
gesehen —  gegenüber  der  1.  Auflage  (1887)  nichts  geändert  wurde. 
Schon  vor  15  Jahren  —  vgl.  Vollmöller's  Krit.  Jahresher.  I  148  —  ist 
die  ungleichartige  Behandlung  der  roman.  Einzelsprachen  im  Grdr. 
hervorgehoben  worden,  unter  denen  Cornu's  „Portugiesische  Gramm."" 
als  die  methodisch  bestgelungene  Arbeit  bezeichnet  wurde;  sie  ist  es 
auch  in  der  neuen  Auflage  geblieben.  Der  Proportionsfehler,  der  sich 
in  Bezug  auf  Auswahl  und  Anordnung  des  Stoffes  bemerkbar  macht 
und  der  schon  a.  a.  0.  I  305  an  Siichier's  Abschnitt  gerügt  wurde, 
ist  in  der  verbesserten  Ausgabe  nicht  verschwunden.  Noch  immer 
ist  die  lautliche  Entwicklung  der  Sprache  zu  knapp  gehalten,  in- 
sofern dieselbe  doch  den  Schlüssel  zur  Formenlehre  =  angewandten 
Lautlehre  bilden  soll.  Umso  mehr  muß  sich  dieser  Mangel  fühlbar 
machen,  wenn  in  dem  Kapitel  über  die  „Flexionsformen"  nur  die 
„associativen  Veränderungen"  besprochen  werden.  Wer  ferner  z.  B. 
die  historische  Kenntnis  der  altprovenzalischen  Sprache  —  vom  Neu- 
provcnzalischen  gar  nicht  zu  reden  —  aus  diesem  Buche  allein  sich 
verschaffen  wollte,  der  würde  dabei  sehr  zu  kurz  kommen  und  sich 
noch  anderweitig  umsehen  müssen.  Aber  selbst  wenn  er  nur  solche 
bibliographische  Angaben  in  diesem  Abschnitte  eines  „Grund- 
risses" suchte,  so  könnte  er  nicht  ausreichend  befrieJigt  werden 
Es    wäre    auch    zu    wünschen    gewesen,    daß    bei    biblio3rai)hischeu. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI2.  7a 


108  Referate  und  Rezensionen.    Joseph  Huher. 

Angaben  (die,  wie  gesagt,  reichlicher  hätten  ausfallen  können)  auch 
betreffende  Rezensionen  verzeichnet  worden  wären,  wenn  sie  schon 
nicht  mit  eigenen  kritischen  Noten  begleitet  wurden. 

Trotzdem  wird  man  aber  Suchier's  Arbeit  nicht  von  dem 
praktisch -beschränkten  Standpunkte  eines  (kompilatorischen)  Nach- 
schlagebuches betrachten  wollen,  der  natürlich  mehr  fordert,  als  auf 
dem  gegebenen  Räume  überhaupt  an  Stoff  hätte  geboten  werden  können. 
Sie  wird  sogar  als  ein  gefäUiger  Teil  des  „Grundrisses"  betrachtet 
werden  müssen,  der,  schon  seinem  Titel  entsprechend,  nicht  ein  kom- 
plettes, in  allen  Teilen  vollendetes  Gebäude  der  romanischen  Sprachen 
bieten  will,  sondern  das  zu  bearbeitende  Material  in  erkennbaren  Zügen 
beschreibt,  in  erster  Linie  das  Fundament  legt  und  den  Gesamtplan 
skizziert,  nach  welchem  in  großen  Zügen  der  Rohbau  ausgeführt  wird, 
welcher  —  da  schon  mit  einer  syntaktischen  Arabeske,  dort  mit  ety- 
mologischen Figuren  versehen  —  den  Gesamteindruck  zu  vermitteln 
imstande  ist,  während  im  einzelnen  noch  manches  mangelt  und  anderes 
wieder  abgeändert  werden  kann. 

So  treten  denn  bei  Suchier  die  einzelnen  phonetischen  Probleme  — 
welche  er  immer  noch  in  einem  eigenen  Buche  „Die  Lautentwickelung 
der  französischen  Sprache  von  der  Romanisierung  Galliens  bis  zur 
Gegenwart"  zu  behandeln  verspricht  (vgl.  S.  778)  —  in  den  Hintergrund; 
das  allgemein  wichtigere  sprachgeschichtliche  Moment  wird  stärker 
betont.  Nicht  unbeeinflußt  von  H.  Paul's  „Prinzipien  der  Sprach- 
geschichte.," wie  er  selbst  {S.  793)  bekennt,  bat  Suchier  versucht,  — 
im  Gegensatze  zu  den  übrigen  Darstellungen  im  „Grdr."  —  den  Sprach- 
stoft'  nach  höheren  Gesichtspunkten  zu  gruppieren  und  —  in  unschwer 
zu  erkennender  Anlehnung  an  Paul's  „Prinzipien^''  —  in  einzelnen 
Kapiteln  über  die  Wort-,  Formen-  und  Satzgeschichte  des  Französischen 
(und  Prov.)  zu  handeln.  Von  Tiktins  trockenen  Zusammenstellungen 
über  die  rumänische  Syntax  abgesehen  —  ist  Suchiers  Grammatik  unter 
allen  des  „Grdr."  die  einzige,  in  welcher  der  syntaktischen  Erscheinungen 
in  größerem  Umfange  und  in  ansprechender  Form  gedacht  ist.  Hatte 
Meyer-Lübke  {Krit.  Jb.  I  114)  von  seiner  „Roman.  Gramm.'-'  gesagt, 
daß  sie  zum  Nachschlagen  und  nicht  zum  Lesen  bestimmt  sei,  so 
gilt  hier  gerade  das  Gegenteil.  Unter  den  (wenigen)  grammatikalischen 
Arbeiten,  die  sich  durch  Form  und  Stil  auszeichnen,  nimmt  Suchier's 
Arbeit  einen  der  ersten  Plätze  ein.  Sie  ist  zum  Lesen  gleichsam 
bestimmt,  und  deshalb  ist  ihr  durch  die  nur  zu  begrüßende  Sonder- 
ausgabe erst  der  rechte  Weg  eröffnet  worden.  Die  aphoristische 
Behandlung  des  Stoffes  ist  so  recht  dazu  angetan  —  und  scheinbar 
mit  Absicht  —  den  Leser  anzuziehen  und  sein  Interesse  für  noch 
halb-  und  ungelöste  Fragen  zu  gewinnen.  Die  Darstellung  wirkt 
nicht  ermüdend,  da  nicht  eine  Masse  gleichwertiger  Beispiele  den  Leser 
betäubt.  An  einigen  wenigen,  oft  zu  wenigen  Beispielen  wird  ihm 
die  Erklärung  veranschaulicht,  so  daß  er  immer  noch  gleichsam  zwischen 
den  Zeilen  lesen  muß.    Seiner  eigenen  Denkarbeit  und  Lust  zu  weiteren 


H.  Suchier.     Die  französische  und  provenzalisclie  Sprache.      109 

Untersuchungen  und  Modifizierungen  ist  somit  hinreichend  Spielraum 
gewährt,  ohne  daß  ihm  etwa  vorenthalten  wäre,  von  welchem  Staud- 
punkte aus  stehengebliebene  Lücken  etwa  auszufüllen  sind. 

Da  Suchier's  Abschnitt  wie  in  der  1.  Auflage  mit  den  Worten 
beginnt:  „Die  Frage,  wie  viele  romanische  Sprachen  es  eigentlich  gibt,... 
ist  nicht  von  großem  Belang,  und  einstweilen  wäre  es  vielleicht  das 
einfachste,  wenn  nur  von  einer  romanischen  Sprache  geredet  würde, 
die  in  zahlreichen  Mundarten  lebendig  ist"  —  so  hätte  man  sich 
gewiß  erwartet,  daß  Suchier,  diesen  Satz  für  sein  Untergebiet  Gallien 
anwendend,  auch  nur  von  einer  galloromanischeu  Sprache  handeln 
werde,  deren  dialektale  Entwicklung  und  Veränderungen  er,  gemäß 
der  chronologischen  Aufeinanderfolge  und  gemäß  der  geographischen 
Ausbreitung  der  Erscheinungen,  in  vertikalem  (entwicklungsgeschicht- 
lichem) Schnitte  und  in  horizontaler  (räumlicher)  Ausdehnung  wenigstens 
zu  skizzieren  versuchen  werde,  da  eine  solche  ausführliche 
Darstellung  nach  seiner  Ansicht  (S.  726)  „innerhalb  der  einem  ,.Grdr. 
d.  rom.  Phil."'    gesteckten  Grenzen   zur  Zeit  nicht  auszuführen"   ist. 

Daß  eine  solche  in  den  einzelnen  Partien  ungleich  hätte  aus- 
fallen müssen,  begreift  jeder,  der  die  Ungleichheit  der  vorhandenen 
Materialien  kennt.  Dies  war  aber  noch  nicht  Grund  genug,  sie 
überhaupt  noch  nicht  zu  versuchen.  Daß  sie  sogar  im  Rahmen  eines 
„Grdr."  möglich  (weil  eben  ausschließlich  vorzuziehen)  ist,  hat  Meyer- 
Lübke  in  der  Behandlung  der  italienischen  Sprache  und  Mundarten 
ebendort  gezeigt.  Dieser  Versuch  einer  „galloroman.  Grammatik" 
wäre  umso  eher  zu  skizzieren  gewesen,  als  etwas  derartiges  bis  jetzt 
überhaupt  noch  nicht  existiert  i),  und  weil  gerade  durch  eine  dadurch 
bedingte  Zusammenfassung  des  bisher  Geleisteten  und  wirklich  Ver- 
wendbaren gezeigt  worden  wäre,  wie  weit  wir  bis  heute  in  dieser 
Hinsicht  gekommen,  wieviele  Lücken  —  und  wären  es  doch  nur 
Lücken!  —  noch  auszufüllen  sind,  au  welchen  Stelleu  und  von 
welchen  Gesichtspunkten  aus  die  Einzelforschung  noch  einzugreifen 
hat.  Dadurch  wäre  das  Buch  eine  neue  Quelle  vielseitiger  Anregung 
geworden,  deren  Früchte  nicht  ausgeblieben  wären;  denn  sie  hätten 
sich  gewiß  eingestellt,  die  Kärrner,  die  zu  tun  haben,  wenn  die 
Könige  bauen. 


1)  Von  dem  Stuttgarter  Realschulprogramm:  Bertrand,  Sur  /es 
idiomes  et  les  dialectes  de  la  France  1880  und  1891  (41  und  36  S.)  darf  hier 
natürlich  gar  nicht  die  Rede  sein.  —  Jetzt  wäre  nach  Meyer-Lübke's  .^Roman. 
Grammatik"  — an  erster  Stelle  die  75  S.  zählende  „Einleitung"  von  E.  Herzog 
zu  seinen  „Neufranzös.  Dialekttexten"  Leipzig  1906,  ZU  nennen,  obwohl  darin 
auf  die  geographische  Verbreitung  der  Erscheinungen  gar  nicht  Rücksicht 
genommen  ist. 

Referent  wird  in  absehbarer  Zeit  den  Vorsuch  einer  „Galloromanischen 
Grammatik"  vorlegen,  welcher  das  ganze  im  „Atlas  linguistique"  von  Gillieron 
und  Edmont  gebotene  Spraclimaterial  zu  Grunde  liegt.  Natürlich  werden 
auch  mehrere  Karten  dem  Buche  beigegeben  werden,  da  besonders  das 
Verbreitungsgebiet  der  einzelnen  ICrscheinungen  festgestellt  werden  soll. 

7a* 


110  Referate  und  Rezensionen.    Joseph  Iluher. 

Durch  eine  solche  Darstellung  Wcäre  ein  einheitlicher  Grund- 
gedanke und  Plan  in  das  Ganze  gekommen  und  die  von  Suchier 
(wie  von  J.  Gillieron)  mit  Recht  betonte  geographische  Ausdehnung 
einzelner  Erscheinungen  wäre  1.  in  weiterem  Umfange  und  2.  in 
übersichtlichem  Vergleiche  zur  Geltung  gebracht  worden.  Und  Suchier 
selbst  wäre  in  noch  besserer  Weise  zu  dem  Ziele  gelaugt,  auf  das 
er  —  wenigstens  in  den  lautgeschichtlichen  Kapiteln  —  hinarbeitet. 
Ihm  ist  es  nämlich  nicht  so  sehr  darum  zu  tun,  die  geographische 
Ausdehnung  der  verschiedensten  lautlichen  Erscheinungen  in  dem 
romanischen  Gallien  festzustellen,  als  vielmehr  an  der  Hand  einzelner 
„Leitformen"  (S.  758)  Mundartengrenzen  oder  Grenzzonen  zwischen 
einzelnen  Mundarteugebieten  zu  ermitteln.  Die  Grenzen  hätten  sich 
in  diesem  Falle  von  selbst  ausgeschieden.  Das  Resultat  der 
gemachten  Rechnung  hätte  sich  leichter  überblicken  und  kontrollieren 
lassen  und  dadurch  überzeugender  gewirkt.  Es  w'äre  dann  auch 
H.  Suchier  von  niemand  mehr  vorgehalten  worden,  daß  ein  paar 
,jLeitwörter"  doch  nicht  immer  zu  solchem  Zwecke  ausreichen.  Er 
wäre  bei  der  angedeuteten  Behandlung  auf  viele  „Einzelheiten"  auf- 
merksam geworden,  die  „bei  einer  Entwicklung,  wo  alles  ineinander 
greift,  nicht  vernachlässigt  werden  dürfen"  (S.  752).  Und  ^die  Forschung 
darf  erst  da  Halt  machen,  wo  das  zur  Verfügung  stehende  Material 
versagt"   (S.  752). 

Hervorgehoben  zu  werden  verdient,  daß  Suchier  bei  der  Fest- 
stellung der  Dialektgebiete  und  ihrer  Grenzzonen  nicht  die  modernen 
Verhältnisse  allein  berücksichtigt,  sondern  auch  die  älteren  mund- 
artlichen Texte  seit  der  Mitte  des  1.3.  Jahrb.  herangezogen  und  dadurch 
in  richtiger  Erkenntnis  der  Sachlage  die  ganze  Frage  unter  den 
Gesichtswinkel   der  historischen  Entwicklung  gestellt  hat. 

In  erfreulicher  Weise  erhielt  das  Kapitel  über  die  Mundarten 
eine  Erweiterung,  in  dem  zugleich  in  anregender  Form  methodische 
Winke  vereinigt  wurden.  Mit  vollstem  Rechte  durfte  und  mußte 
hier  jenes,  nicht  mit  geringen  Opfern  zu  erhaltende,  monumentale 
Werk  gewürdigt  werden,  welches  J.  Gillieron  und  Edmont  der 
romanischen  Sprachwissenschaft  liefern  und  welches  leider  manchmal 
von  nicht  zu  erwartender  Seite  mit  scheelen  Augen  und  über  die 
Achseln  angesehen  wird 2). 


-)  So  schrieb  z.  B.  E.  W.  Sa-iplure,  ein  praktischer  Amerikaner,  in 
Bezug  auf  den  Atlas  linc/uistique  de  la  France  in  Vollmöllers  Krit.  Jahresher. 
VI  (1903)  48  ff.:  „Durch  phonetische  Transkription  kann  man  dem  Leser 
nur  eine  blafse  Ahnung  des  gehörten  Lautes  geben.  Auch  gehen  beim 
Notieren  die  Einzelheiten  der  gesprochenen  Laute  fast  völlig  verloren. 
Nur  auf  einem  Wege  kann  mau  eine  solche  Aufgabe  endgültig  lösen. 
Die  Wörter  müssen  von  einem  Phonographen  oder  Gramophone  aufgenommen 
werden,  von  den  Aufnahmen  unzerstörbare  Metallmatrizen  gemacht  werden. 
Von  diesen  macht  man  so  viele  Kopien,  Wachs  oder  Hartgummi,  wie  für 
den  Gebrauch  nötig  sind.  Die  Matrizen  selbst  bewahrt  man  in  feuersicheren  (!) 
Tresors    auf.     Mit    den  neuen  Sprechmaschinen  kann  mau  ganz   tadellose 


H.  Suchier.     Die  französische  und  provenzalische  Sprache.      111 

Suchier  trennte,  was  wir  gern  vereinigt  gesehen  hätten, 
indem  er  von  S.  726 — 52  über  die  lautliche  Entwicklung  der  Schrift- 
sprache, von  S.  752  —  69  über  die  der  Ma.  handelt.  Wie  sehr  es 
sich  aber  empfohlen  hätte,  eine  die  Schriftsprache  und  Ma.  umfassende 
einheitliche  Darstellung  zu  skizzieren,  lehrt  Suchiers  Behandlung  selbst, 
indem  er  in  den  Kapiteln  über  die- „Schriftsprache"  nicht  umhin 
kann,  dialektische  Verschiedenheiten  anzuführen,  die  indessen  —  was 
entschieden  hätte  vermieden  werden  sollen  —  meist  ganz  allgemein 
gehalten  und  lokal  unbestimmt  gelassen  werden.  Vgl.  z.  B.  S  .728:  „im 
Prov.  wenigstens  mundartlich"  —  „in  einem  Teile  Nordfrankreichs" 
S.  783:  „dialektisch  noch  jetzt". 

Im  Folgenden  seien  noch  einzelne  Bemerkungen  nach  der  Seiten- 
zahl aneinandergereiht. 


Sprachaufnahmen  machen,  welche  die  Wörter  mit  völligster  (?)  Deutlichkeit 
wiedergeben:  man  hat  also  das  wirkliche  Wort  für  das  Ohr,  statt  einer 
Transkription  für  das  Auge.  Solche  Autnahmen  kann  man  mit  den  neuen 
Methoden  auf  Papier  schreiben  [also  doch  für  das  Auge !!  ]  in  solcher  Gröfse, 
dafs  jede  Welle  eines  Vokales  in  grofsem  Mafsstabe  vorkommt.  Von  solchen 
Sprachkurven  kann  man  selbst  die  Einzelheiten  über  die  Tätigkeit  der 
Sprachorgane  in  jedem  Augenblicke  durch  Messen  erforschen.  Merk- 
würdigerweise (?)  kann  man  heutzutage  die  ganze  „Survey"  in  der  Form 
einer  Sammlung  von  Phonographenzylindern  mit  derselben  Anzahl  Wörter 
zu  einem  billigeren  (?)  Preise  liefern  als  in  der  Form  eines  Atlas  mit  blofs 
gedruckten  Wörtern".  — 

Nur  weil  dies  in  dem  ersten  kritischen  Organe  der  roman.  Philologie 
gedruckt  steht  u.  weil  bis  jetzt  noch  von  keiner  Seite  darauf  erwidert 
wurde,  sei  es  gestattet,  hier  ein  für  allemal  darauf  zu  entgegnen.  Fürs 
erste  sei  erwähnt,  dafs  die  von  Scripture  gerühmte  Methode  doch  nicht  so 
einfach,  sondern  weit  umständlicher  u.  viel  kostspieliger  ist,  wie  aus  seinen 
eigenen  Ausführungen  Krit.  Jahresber.  VJI  (1905)  31  ff.  hervorgeht.  Dafs 
die  phonograph.  Aufnahme  auch  ihre  unangenehmen  Nachteile  hat,  darüber 
siehe  Hermann,  Über  das  Verhalten  der  Vokale  am  neuen  Edison'schen 
Phonographen,  im  Archiv  f.  d.  gesammte  Physiologie  XLVII  42.  —  Nur 
nebenbei  sei  bemerkt,  dafs  die  Transkription  eines  Wortes  auf  derselben 
Stufe  steht  wie  die  musikalische  Notierung.  Jedermann  weifs,  dafs  die  Note 
kein  Ton  ist,  sondern  nur  einen  Ton  bezeichnet.  Und  doch  verstehen  sich 
die  Musiker  der  ganzen  Welt,  selbst  bis  auf  die  feinsten  Nuancen,  wenn 
sie  sich  auch  nur  Noten  gegenseitig  schicken.  —  Die  ganze  Auffassung 
Scripture's  zeigt  aber  eine  völlige  Verkennung  des  Wertes  und  der  Bedeutung 
des  Atlas  linguistiquc  (er  heifst  nicht  =  phonetique).  Die  Herausgeber 
wäre  es  ohne  Zweifel  billiger  zu  stehen  gekommen,  wenn  sie  den  gesammelten 
Wort-  und  Formenschatz  in  der  Form  eines  Wörterbuches  mit  Hinzufügung 
einer  einzigen  Karte  veröffentlich  hätten.  Aber  hier  galt  es  in  erster  Linie 
die  geographische  Ausdehnung  von  Erscheinungen,  nicht  blofs  in  rein 
lautlicher,  als  vielmehr  in  morphologischer  und  lexikalischer  Hinsicht  einmal 
direkt  und  klar  vor  Augen  zuführen.  So  bildet  denn  der  Atlas,  zumal 
nach  der  Auffassung  seines  Urhebers  Gillieron,  nicht  gerade  die  Grundlage 
für  einzelphonetische  Untersuchungen,  als  vielmehr  den  Ausgangspunkt  für 
morphologische  und  insbosonders  wortgeschichtliche,  semasiologische 
Studien,  die  oft  dazu  angetan  sind,  den  Ergebnissen  rein  abstrakter 
phonetischer  Forschung  auf  Grund  der  geographie  linguistique  den 
Boden  der  Wirklichkeit,  d.  h.  der  Berechtigung  zu  entziehen. 


1 1 2  Referate  und  Rezensioneyi.    Joseph  Iluher, 

S.  712 — 26.  Auf  diesen  Seiten  findet  man  am  besten  vereinigt, 
was  über  die  Ausdehnung  des  französischen  Sprachgebietes  und  über 
die  sprachlichen  Verschiebungen  an  seiner  Grenze  in  statistischen  und 
andern  Aufsätzen  zerstreut  liegt.  Die  Angaben  wurden  natürlich  nach 
den  neueren  Aufnahmen  und  Zählungen  berichtigt.  Im  Verhältnis  zur 
Statistik 3)  der  1.  Auflage  (1887)  haben  die  französisch  Sprechenden  um 
etwas  mehr  als  2  Millionen  zugenommen.  Interessant  ist  die  verhältnis- 
mäßig rasche  Französierung  der  Bretagne.  Selbst  wenn  man  die  Ziffern 
Sebillots  (1886)  etwas  abzurunden  berechtigt  ist,  so  ergibt  sich  doch 
im  Vergleiche  zu  den  Angaben  Zimmers  (1898)  ein  ziemlich  schnelles 
Umsichgreifen  des  Französischen,  Der  französischen  Organisierung  und 
Zentralisation  kommt  nämlich  ein  wichtiger  Faktor  zu  statten,  der  noch 
nicht  erwähnt  wurde.  Es  ist  der  Sommer,  der  jährlich  eine  große  Anzahl 
von  Fremden  an  die  Küsten  der  Bretagne  mitbringt.  Der  Bretone  weiß 
ganz  gut  diese  Erwerbsquelle  einzuschätzen,  die  ihm  eigentlich  nur  dann 
zugute  kommt,  wenn  er  französisch  sprechen  kann.  Um  ihretwillen  lernt 
er  französisch  oder  läßt  es  wenigstens  seine  Kinder  lernen.  Wenn  es 
bei  Suchier  (S.  713)  heißt,  daß  das  Dep.  Finisterre  ganz  bretonisch 
ist,  so  ist  das  nur  in  gewissem  Sinne  zuzugeben.  Der  Zersetzungs- 
prozeß hat  natürlich  auch  hier  schon  begonnen,  von  den  Küsten-  und 
Verkehrslinienorten  ausgehend.  Die  Männer  sind  meist  bilingues,  schon 
weil  sie  meist  den  Militärdienst  hinter  sich  haben.  In  den  abgelegeneren 
Orten  dagegen  —  wie  ich  aus  eigener  Erfahrung  beifügen  kann  — 
trifft  man  allerdings  Leute  und  insbesondere  Frauen  an,  welche  noch 
kein  Wort  Französisch  verstehen. 

S.  729.  Suchier  macht  gegen  Meyer-Lübke,  Rom.  Gramm.  I 
70  [und  Bonnard-Salmon,  Gramm,  sommaire  de  l'anc.  fr.  Paris 
1904'*)]  —  der  den  Lautwandel  m  >  w  für  so  spät  hält,  daß  er  auch 
im  11.  Jahrh.  noch  nicht  ganz  (d.  h.  wohl  —  nicht  überall)  durch- 
geführt gewesen  sei,  —  geltend,  daß  „hierbei  ein  Grundprinzip  der 
romanischen  (?)  Lautentwicklung  außer  Acht  gelassen"  sei,  dem  zu- 
folge dieser  Wandel  „nicht  später  eingetreten  sein  kann  als  im 
4.  Jahrh.  n.  Chr."  „Wenn  die  Catalanen  und  nördlichen  Anglo- 
normannen  für  ü  wieder  den  lateinischen  Laut  eingeführt  haben,  so 
handelt  es  sich  um  Lautsubstitutioneu  unter  dem  Einflüsse  fremder 
Lautsysteme."  Dies  mag  für  die  nördlichen  Anglonormannen  und 
das  Gebiet  „von  Waremme  südwärts  bis  Marche  und  Bastogne"  seine 
Eichtigkeit  haben.  Das  katalanische  und  altsüdprovenzalische  Gebiet 
sind  davon  aber  entschieden  auszunehmen.  Lienig,  Gramm. 
p.  54 — 58  wird  gar  nicht  zitiert.  Da  auch  für  Suchier  die  Erklärung 
Ascolis,  der  den  Übergang  von  ü  >  ü  auf  eine  keltische  Eigenheit 
zurückführt,  „heute  noch  die  größte  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat," 


3)  Auffällig  ist  nur,  das  die  Ziffern  auf  S.  723  sich  mit  denen  auf 
S.  543  dessellDen  Grundrisses  nicht  vollkommen  decken.  In  der  L  Aufl. 
wurde  dieser  Maugel  wenigstens  entschuldigt. 

*)  Im  Grofsen  und  Ganzen  eine  Kompilation. 


//.  Suchier.     Die  französische  und  provenzalische  Sprache,      113 

so  muß  er  mindestens  zugeben,  daß  seine  Annahme  nur  für  die  Gebiete 
Gültigkeit  haben  kann,  die  ursprünglich  eine  keltische  Bevölkerung 
aufzuweisen  haben.  Für  das  Provenzalische  und  natürhch  für  das 
noch  südlicher  gelegene  Katalanische  aber  haben  wir  „lauter  Gebiet, 
in  welchem  ursprünglich  nicht  keltische  Stämme  vorherrschten 
oder  wenigstens  einen  erheblichen  Teil  der  Bevölkerung  ausmachten", 
vgl.  E.  Windisch,  Die  keltische  Sprache  in  G.  Grdr.  l-  379. 
Wenn  Suchier  ferner  behauptet,  daß  das,  „was  über  die  allmähliche 
Ausbreitung  des  ü  gesagt  wird,  aus  der  Luft  gegriffen  ist,"  so  sei  hier 
nur  angemerkt,  das  auch  Suchier  es  unterlassen  hat,  seine  Behauptung 
durch  Beweise  zu  unterstützen. 

S.  732 — 34.  Sonderbar  ist,  daß  das  Kapitel  über  die  „unbetonten 
Vokale",  das  wohl  größer  als  das  über  die  „betonten  Vokale"  sein 
dürfte,  keine  eigentliche  Erweiterung  erfahren  hat  —  wenn  auch 
Suchier  das,  was  er  in  der  1.  Auflage  vortrug,  noch  heute  ungeändert 
lassen  konnte.  Auffällig  ist  aber  der  gänzliche  Mangel  lautchrono- 
logischer Bemerkungen,  die  hier  am  Platze  gewesen  wären. 

S.  733.  In  prov.  falses  <  falsus,  verses  <  versus  acc,  plur. 
soll  u,  „wenn  von  s  eingeschlossen",  sich  als  e  erhalten  haben. 
Weil  in  Romania  XXI,  16  falses  als  Nom.  sg.  angezweifelt  wird, 
so  beruft  sich  Suchier  mit  Recht  auf  Flamenca  4284;  damit  ist  aber 
seine  Annahme,  daß  der  lat.  Nom.  -us  direkt  hier  vorliegt,  noch  nicht 
bewiesen  und  eine  Verallgemeinerung  des  Satzes  (auf  Grund  kaum 
zählender  Beispiele)  schon  gar  nicht  erlaubt,  weil  man  sich  dann 
doch  fragen  muß,  Avarum  passus  >  pas,  versus  >  vers  u.  v.  a.  nicht 
durchgehends  als  pases  usw.  begegnen.  Bei  verses  handelt  es  sich 
ebenso  um  eine  sekundäre  analog.  Bildung,  wie  bei  meses,  faises, 
corses,  und  ein  Nom.  Sg.  falses  sclieint  mir  nicht  weniger  sekundär 
als  ein  Nom.  Sg.  prezes  <  pretium  (vgl.  Diteraturblatt  f.  germ.  u. 
rom.  Phil.  1888.  S.  269).  Vgl.  auch  noch  A.  Thomas,  Essais 
de  phil.  franf.  S,  28  Anra.  4. 

S.  733.  Kis  <  kils  <  gui  (il)los  darf  nicht  mit  prov.  pus>  plus 
in  Bezug  auf  den  Verlust  des  l  zusammengestellt  werden,  da  /  sich  doch 
in  zwei  ganz  verschiedenen  Stellungen  befindet.  Auch  die  proklitische 
Stellung  ist  für  plus  >  pus  nicht  allein  ausschlaggebend.  Nach  den 
Leys  d'ajnors  III  60  tönte  /  (u.  r)  in  Verbindung  mit  einer  Muta  „ayssi 
flacamen'-' ,  daß  man  die  „aspretat  de  so''  nicht  erkennen  konnte; 
so  erklären  sich  dann  Reime  wie  neblas  :  tenebras,  sempre  :  temple 
und  so  wohl  auch  der  Schwund  des  l  (vor  u)  in  plus. 

S.  734.  Daß  ausl.  m  im  11.  Jahrb.  zu  n  wurde,  hätte  in  dem 
Kapitel  über  die  konsonantischen  Veränderungen  vor  dem  12.  Jahrb. 
und  nicht  erst  nebenbei  auf  S.  793  erwähnt  werden  können. 

S.  736.  Das  Alter  der  Palatalisierung  von  c  vor  e,  i  ist  als 
eine  der  vorromanischen  Gramm,  angehörige  Frage  nicht  untersucht 
worden.  Der  einzige  darauf  Bezug  nehmende  Satz:  „die  ältesten  in- 
schriftlichen Zeugnisse   tauchen   gegen  Ende  des   6.  Jahrh.   auf"    läßt 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI  ä.  8 


114  Referate  und  Rezensionen.    Joseph  Huher. 

erkennen,  daß  Suchier  sich  der  Ansicht  von  G.  Paris  anschließt,  dem 
zufolge  die  Palatalisierung  nicht  vor  dem  6.  Jahrh.  eingetreten  ist. 
Immerhin  hätte  dazu  Meyer-Lübke,  Einf.  S.  115 — 117  zitiert  werden 
sollen.  Jetzt  sei  noch  auf  das  Arch.  f.  lat.  Lex.  XIV  (1906)  S.  112 
hingewiesen,  wo  0.  Hey  aus  einem  Epigramm  zu  schließen  geneigt 
wäre,  daß  in  Gallien  im  4.  Jahrh.  der  Assibilierungsprozeß  im 
wesentlichen  vollzogen  war.  —  Bei  der  Besprechung  von  ci,  ti  im 
Französischen  hätten  vielleicht  Herzogs  ^Streitfragen  I,  die  speziell 
dieser  Frage  gewidmet  sind,  auch  erwähnt  werden  können. 

S.  742  unten.  Zu  dem  Satze:  „Das  Prov.  unterscheidet  beim 
Verbum  ant,  ont,  enf^  gehört  in  Klammern :  ^Mit  Ausnahme  des 
Limousinischen",  weil  hier  schon  im  Boethius  für  -ont  konsequent 
-en  eingetreten  ist. 

S.  747.  In  dem  Absätzchen  über  „Haplologie"  hätte  sich  ein 
Hinweis  auf  Nyrop's  Gramm,  hist.  I  §§5ll — 515  empfohlen,  wo 
meines  Wissens  die  zahlreichsten  hierhergehörigen  Beispiele  zusammen- 
gestellt sind.  Nebenbei  sei  erwähnt,  daß  diese  Erscheinung  zu  all- 
gemeinen Erörterungen  Anlaß  gegeben  hat  in  Zs.  d.  Deutsch. 
Morgenland.  GeseUsch.  Bd.  LIX  629,  LX  246,  326;  vgl.  auch 
Brugmann,  Kurze  vgl.   Gramm.  S.  337. 

S.  774.  In  §  48  hätte  vielleicht  erwähnt  werden  können,  daß 
Jaisons  eine  nach  dem  Imperfekt  faisoie  <  faciebam  geschaffene  Neu- 
bildung ist  wie  auch  die  Formen  disons,  duisons. 

S.  775.  Suchier  will  jetzt  noch  seine  auch  von  M.  Breal  und 
Vising  vertretene  Ansicht,  daß  -ons  sich  aus  lat.  -amus  regelrecht 
durch  Lautwandel  entwickelt  habe,  aufrecht  halten  und  nicht  gegen  die 
entschieden  bessere  z.  B.  von  Meyer-Lübke  und  G.  Paris  (Rom.  XXI 
337 — 60)  vertretene  Erklärung  umtauschen.  Vgl.  Risop  im  Krit. 
Jahresher.  II  146. 

S.  782.  Daß  in  §  52  „von  der  Bildung  des  Futurs",  wo 
gleichzeitig  statt  „unter  einer  andern  Rubrik"  kürzer  und  deuthcher 
„§  94  S.  825"  hätte  gesetzt  werden  sollen,  und  in  §  94  noch  weiteres 
über  das  Futurum  anzumerken  war,  will  mir  nach  den  Ausführungen 
Risop's  in  „Stiid.  z.  Gesch.  der  frz.  Konjug.  auf  -ir"  (vgl.  auch 
Krit.  Jb.  II  138  ff.)  nicht  fraglich  erscheinen.  —  Ebenso  ließen  sich 
zu  andern  Absätzen  (z.  B.  über  die  Inchoativbildung  usw.)  Ergänzungen 
und  Nachträge  liefern. 

S.  783.  In  das  Kapitel  über  den  „Subj.  des  Präsens"  wäre 
gewiß  auch  die  Arbeit  von  Ivan  Uschakoff:  „Zur  Erklärung  einiger 
frz.  Verbalformen"  in  Mem.  de  la  Soc.  nSophil.  Helsingsfors  1893 
hineiuzubeziehen  gewesen. 

S.  793.  Zvi^/^^dn  <  stagnum  wurde  —  und  nicht  mit  Unrecht  — 
noch  *stanneum  angesetzt,  wobl  in  Rücksicht  auf  bain,  für  welches 
Densusianu,  Histoire  de  la  langue  roumaine  I.  S.  119  (Paris,  1901) 
ein  *banneum  ansetzt.  Vgl.  noch  Meyer-Jjübke,  Litbl.  f.  germ.  u. 
rom.  Phil.   1901,  S.  801. 


0.  Schultz-Gora.     Altprovenzalisches  Elementarhuch.       115 

S.  794,  Bei  der  „sprachüblichen  Form"  fon  neben  fo  <  fuit 
erklärt  sich  das  n  nicht  als  schließlich  üblich  gewordener  Hiatustilger 
vor  folgendem  volialischera  Anlaut,  sondern  wohl  zunächst  als  in  Analogie 
zu  der  Verbalendung  -on  (z.  B.  ven  <  venit^  daneben  ve  wie  hon  —  bo) 
entstanden.  Daß  dies  das  wahrscheinlichere  ist,  scheint  der  Umstand 
zu  beweisen,  daß  fon  (fun)  auch  vor  Konsonant  begegnet;  vgl.  z,  B. 
Gir.  de  Ross. :  qui  fun  vertaz. 

S.  796.  lieu  erklärt  Suchier  aus  einer  Kreuzung  von  lÖcum 
mit  kelt.  (bret.)  lech  Ort.  —  Ich  bin  jetzt  sehr  geneigt,  für  das 
altfrz.  tref  „tente"  einen  Einfluß  des  gall.  tref  ,,maison"  (vgl. 
Revue  celtique  XXVII  (1906)  S.  194)  anzunehmen,  zumal  da 
Suchier  schon  früher  einmal  an  ags.  traf  gedacht  hat,  das  mit 
dem  gall.  tref  urverwandt  ist;  vgl.  Indogerman.  Forsclig.  XVIII 
215—18. 

Paris,  Weihnacht  1906.  Joseph  Huber. 


Schultz-Gora,  0.  Altprovenzalisches  Elementarhuch  [in  der 
Sammlung  romanischer  Elementarhücher,  herausgeg.  von 
W.  Mejer-Lübke,  I.Reihe:  Grammatiken "i^o.  S],  Heidelberg, 
1906,  X  187  S. 

Auf  einmal  ist  das  Studium  der  Troubadoursprache  durch  das 
Erscheinen  dreier  vortrefflicher  Lehrbücher  wesentlich  erleichtert 
worden.  Das  Heimatland  der  Dichter  hat  freilich  keinen  Anteil  an 
diesem  Fortschritt.  Aber  die  Italiener  besitzen  nun  in  der  zweiten 
Auflage  von  Crescinis  Manualetto  provenzale  (1905)  eine  recht  gute 
Einführung  ins  Provenzalische,  die  Engländer  eine  solche  in  Grand- 
gent's  Outline  of  the  phonology  a7id  morphology  of  old  provencal 
(Boston,  1905),  und  deutsche  Studierende  haben  jetzt  in  dem  Elementar- 
buch von  Schultz-Gora  die  richtige  Grundlage. 

Man  wird  von  einem  Elementarbuch  nicht  verlangen  wollen, 
daß  es  viel  Neues  bringt,  sondern  daß  es  die  gesicherten  Resultate 
der  Forschung  möglichst  faßlich  und  übersichtlich  darstellt.  Diese 
Forderungen  sind  in  hohem  Maße  erfüllt;  an  der  Komposition  des 
Buches  ist  kaum  etwas  auszusetzen.  Es  enthält  eine  für  Anfänger 
ausreichende  Bibliographie,  ein  einleitendes  Kapitel  über  Ausdehnung, 
Ursprung  und  Charakter  der  Troubadoursprache,  eine  Lautlehre, 
Formenlehre,  eine  natürlich  elementar  gehaltene  Wortbildungslehre, 
eine  kurze  aber  gehaltvolle  Syntax,  18  Nummern  Texte  nach  sorgfältigen 
Ausgaben,  ein  Wörterverzeichnis  zu  den  Texten,  in  dem  man  nur 
weniges  vermißt,  und  ein  Wörterverzeichnis  zum  grammatischen  Teil. 
Auch  eine  kleine  phonetique  ascendante  ist  vorhanden,  §§  37 — 46, 
wo  gezeigt  wird,  auf  welche  Quellen  die  betonten  provcnzalischen 
Vokale  zurückgehen.  Sehr  willkommen  ist  die  Aufnahme  der  Syntax, 
für  die  der  Verfasser  das  Material  selber  zusammentragen  mußte,  und 

8* 


116  Referate  und  Rezensionen.     L.   Gauchai. 

die  den  originellsten  Teil  des  Buches  bildet.  In  der  Lautlehre  ist 
zu  loben,  daß  den  unbetonten  Vokalen  der  gebührende  Platz  ein- 
geräumt wurde,  und  daß  bei  den  Konsonanten  das  Bild  der  Entwicklung 
nicht  durch  Auseinanderreißen  der  Behandlung  im  An-,  In-  und 
Auslaute  gestört  ist.  Die  Texte  reichen  wohl  für  ein  Semester  aus.  Sie 
sind  mit  großem  Geschick  gewählt.  Leichtverständlichkeit  und  künst- 
lerischer Wert  sind  schön  vereinigt.  Auch  literarhistorische  Rück- 
sichten waren  bei  der  Auswahl  maßgebend,  indem  jede  der  wichtigeren 
Gattungen  der  provenzalischen  Poesie  vertreten  ist.  Vielleicht  wäre 
ein  synoptisches  Tableau  der  Formen  von  aver  (anarl)  nicht  über- 
flüssig gewesen,  da  sie  sich  in  Tabellenform  besser  einprägen,  als  in 
Zeilenform  (p.  97). 

Die  Anlage  des  Buches  verdient  also  volle  Anerkennung.  Und 
doch  frage  ich  mich,  ob  der  Autor  nicht  hie  und  da  etwas  höher 
hätte  greifen  können.  Ist  es  gut,  daß  die  alten  und  neuen  Dialekte 
so  systematisch  ausgeschieden  werden?  Da,  wo  z.  B.  vom  beweglichen 
n  gesprochen  wird  (p.  57),  hätte  angeführt  werden  können,  daß  die 
Provence  dieses  -n  nicht  fallen  läßt,  und  folglich,  da  die  Troubadours 
meist  ma,  nicht  man  (manum)  sagen,  die  Literatursprache  des 
französischen  Südens  nicht  aus  diesem  Laudesteil  hervorgehen  konnte, 
der  Bezeichnung  langue  provengale  zum  Trotz,  die  ja  nicht  die  einzige 
ist.  Ein  Verweis  auf  die  Karte  VII  von  Suchier  (im  Grundriss)  oder 
eine  der  Karten  des  Gillieronschen  Atlas,  z.  B.  796  main,  mains, 
wäre  anregend  gewesen.  Man  braucht  im  Anfangsunterricht  vor 
solchen  Seitensprüngen  nicht  ängstlich  zu  sein.  Die  Hauptsache  ist 
die  lebendige  Anschauung,  die  durch  Karten  in  hervorragendem 
Maße  vermittelt  wird.  Ein  anderer  Fall  betrifft  das  Verbreitungs- 
gebiet von  ca  =  cha,  das  p.  48  wenig  präzis  als  nördlich  von 
Languedoc  und  der  eigentlichen  Provence  befindlich  angegeben  wird. 
Es  hätte  wohl  nicht  geschadet,  wenn  mit  Hilfe  der  nicht  angeführten 
wichtigen  Untersuchungen  von  P.  Meyer  (Rom.  XXIV  und  XXX) 
und  des  Atlas  Unguistique  wiederum  —  warum  das  prächtige  und 
bequeme  Werk  nicht  möglichst  heranziehen?  —  diese  wichtige  Er- 
scheinung genauer  lokalisiert  worden  wäre.  Der  Student  würde 
erfahren,  auf  welchem  Wege  die  Ausdehnung  einzelner  Sprachzüge 
im  Mittelalter  und  in  der  Gegenwart  gemessen  wird;  er  würde  lernen, 
daß  solche  Grenzlinien  beweglich  sind,  daß  die  ca-c/m- Grenze 
sich  früher  nach  Süden  ausdehnte  und  heute  nach  Norden  zurückzieht, 
was  schon  aus  den  Aufsätzen  P.  Meyers  deutlich  hervorgeht.  So 
würden  lebendigere  Vorstellungen  vom  eigentlichen  Sprachprozeß 
erweckt,  als  wenn  wir  dem  Lernenden  nur  ein  starres  corpus  juris 
von  Regeln  in  die  Hand  geben.  Nebenbei  werfen  solche  Schwankungen 
auf  die  Inkonsequenzen  der  alten  Orthographie  ein  Licht.  Auch  der 
aufmerksame  Anfänger  kann  ja  oft  merken,  daß  es  mit  unsern  Regeln 
nicht  weit  her  ist.  Wenn  er  p.  51  liest:  „Vor  e,  i  wird  es  (nämlich 
das  ^),   wie   auslautend   zum   c/i-Laut,   oder   zu  i,   das  vielleicht  ein 


0.  Schultz- Gora.     Altprovenzalisches  Elementarhucli.       117 

^-Laut  vor:  sagitta  >  sageta,  saieta  .  .  .  oder  aber  es  geht  noch 
einen  Schritt  weiter  und  schwindet  ganz:  *pagenseni  >pags,  etc.", 
so  wird  er  sich  mit  Recht  fragen,  ob  solche  Konfusion  den  Namen 
Wissenschaft  verdient.  Wie  soll  er  in  einem  Wirrwarr  wie  rigi- 
dum^-  rege,  frigidum  > /mf,  d\  gitum  >-  det  sich  zurechtfinden, 
wenn  ihm  nicht  durch  Grundlegung  richtiger  Anschauung  vom  Sprach- 
leben der  Schlüssel  zu  solchen  Widersprüchen  in  die  Hand  gegeben 
wird?  Solche  Aufklärung  wäre  besonders  denen  willkommen,  die  etwa 
das  Buch  als  Autodidakten  studieren.  Im  akademischen  Unterricht 
lassen  sich  je  nach  den  Zuhörern  die  Anforderungen  leicht  höher 
oder  niedriger  spannen. 

Der  Verfasser,  dem  wir  so  viele  literarhistorische  Nachweise 
zu  den  Troubadours  verdanken,  zeigt,  daß  er  auch  die  sprachliche 
Seite  beherrscht.  Nur  hie  und  da  regt  sich  im  Leser  der  Wider- 
spruch oder  der  Wunsch  nach  Ergänzungen.  So  verstehe  ich  nicht 
recht,  welche  phonetische  Vorstellung  der  Bemerkung  von  j,  das  zu  i 
wurde  (p.  16  in  Wörtern  wie  troja  >  trueia)  zu  Grunde  liegt.  Es 
dürfte  auch  gesagt  werden,  was  unter  geschlossenem  und  offenem  a 
gemeint  ist  (p.  11,  17).  Der  Satz  „^  wird  erweicht"  (zu  l:  p.  49) 
könnte  moderner  formuliert  werden.  Es  wäre  gut,  darauf  hinzuweisen, 
daß  die  Troubadours  zwei  r  und  zwei  l  besaßen,  Buchstaben  und 
Laute  könnten  oft  schärfer  auseinandergehalten  werden,  so  vor  allem 
p.  44,  wo  der  Anschein  erweckt  wird,  daß  in  silvaticum>  salvatje 
das  t  erhalten  blieb;  cf.  p.  34:  viatcum  für  viaticum  >  viatje,  für 
welches  p.  50  richtig  die  Aussprache  viadze  angenommen  wird.  P.  42 
wird  aus  der  Form  salv  des  Boethius  der  Schluß  gezogen,  daß  der 
Wandel  zu  salf  noch  nicht  vollzogen  war;  das  -d-  desselben  Textes 
beweist  auch  nicht,  daß  man  noch  -d-  sprach;  die  Zwischenstufe  d 
war  jedenfalls  längst  vorhanden. 

Einige  Male  finde  ich  den  Ausdruck  nicht  gerade  glücklich. 
Z.  B.  p,  51:  „Vor  ursprünglichem  o  hat  es  (das  g)  sich  zu  c  ver- 
härtet: Hugo  >  üc",  wo  die  Verhärtung  doch  erst  nach  dem  Abfall 
des  -o  eintreten  konnte.  Die  Bemerkung  (p.  31)  -i  fiel  zuletzt,  „da 
es  noch  Zeit  hatte  den  Vokal  umzulauten  (illi>il)"  ist  zu  bean- 
standen, da  die  Umlautung  längst  vor  dem  Abfall  der  andern  Vokale, 
-e,  etc.  stattfand,  wie  die  italienischen  Dialekte  zeigen.  Nach  dieser 
Regel  sollten  wir  übrigens  aus  *ve7idesti  nicht  vendest,  sondern  vendist 
erwarten  (p.  86).  Mißverständlich  ist  der  Ausdruck  1.  Person  des 
Imperativs  (p.  80),  oder  unas  letras,  unas  novas,  „Plural,  wenn  es 
sich  um  mehrere  gleichartige  Dinge  handelt"  (p.  76).  Es  heißt 
richtiger  p,  J16:  pluraletantum. 

Ich  zähle  noch  einige  Kleinigkeiten  auf,  wo  ich  mit  dem  Verfasser 
nicht  einig  gehe:  *negrum  >  nier  ist  bedenklich;  adipsum  =  ad^s 
ist  unmöglich,  nicht  wegen  des  o  (metipsimus  zeigt  dialektisch  auf 
großen  Gebieten  g  und  seine  Fortsetzer),  aber  wegen  des  -d-  (p.  19); 
warum  soll  dius  in  quandius  nicht  volkstümlich  sein  (p.  21)?  Salvioni 


118  Referate  und  tlezensionen.     L.   Gauchat. 

hat  das  Fortleben  von  diu  auch  im  Altmailändischen  nachgewiesen 
(Miscell.  Graf).  Das  Wort  sirven  hat  sein  i  nicht  durch  Dissimihation, 
sondern  vom  lliatus  -i  in  servientem  bezogen,  cf.  Avenione  = 
Avignon,  etc.  Agatha  =  Agda  ist  ein  schlechtes  Beispiel  für 
den  Stützvokal  (p.  32),  da  -a  überhaupt  nicht  fällt.  Oste  hat 
seinen  Stützvokal  nicht  wegen  des  p,  sondern  als  Proparoxytonon 
(p.  33),  Perda,  venda,  renda  sehe  ich  als  die  richtigen  Fortsetzer 
von  perdita,  etc.  an,  nicht  als  Postverbalia  (p.  34,  106).  Frevol 
stammt  sicherlich  von  flebilis,  cf.  avol  von  habilis.  Die  Gruppe 
mn  verlangt  keine  Stütze,  cf.  p.  36:  som,  so?},  dan,  aus  soranum, 
damnum.  Die  Metathese  *nacsere,  *conocsere  halte  ich  nicht  für  er- 
wiesen. Der  Konsonant  p  kann  vor  s  nicht  nur  zu  i,  sondern  auch  zu  u 
werden:  mezeis,  niezeus;  neis,  neus,  wohl  nach  Dialekten,  wie  Grand- 
pent,  p.  77  angibt.  Warum  wird  *vecinu  angenommen,  und  nicht 
auch  *devinu  (p.  27),  warum  durchgehends  cansö  geschrieben,  aber 
seizen  etc.  (p.  71)?  Sollte  man  sich  nicht  einmal  darüber  einigen, 
wie  die  enklitischen  Pronomina  orthographisch  wiederzugeben  sind? 
Man  schreibt  ieu  fam,  no  men  cal,  aber  no.us  ai  vist,  p.  136: 
fai.l  acupar  a  guisa  de  lairo.  Auch  in  der  Appelschen  Chresto- 
mathie findet  man  solche  Ungleichheiten :  no.s  ave  ex;  ieu  mesfors. 
In  Hinsicht  auf  die  altromanische  Syntax  wäre  ieut  am,  nom  en 
cal,  etc.  vorzuziehen,  auch  del  an,  wie  im  Spanischen  oder  Italienischen, 
aber  tot  m'avetz  conques,  mori  m'a  e  per  mort  li  respon.  Die 
Frage  bedarf  zwar  noch  der  Aufklärung. 

In  der  arius-Frage  nehme  ich  einen  ganz  andern  Standpunkt 
ein,  als  der  Verfasser,  will  aber  den  meinigen  nicht  als  den  einzig 
möglichen  hinstellen. 

In  der  Formenlehre  sehe  ich  verschiedenes  anders  an.  So  ist 
gewiß  perdem,  p)erdetz  (p.  85,  cf.  p.  14)  nicht  durch  Akzentschub  von 
perdimus,  perditiszu  *perdimus,  *perditis  entstanden.  Perdem 
geht  so  wenig  als  fr.  perdons,  it.  p>erdiarno  direkt  auf  die  lat.  Form 
zurück,  sondern  ist  durch  analogische  Ausdehnung  von  [habjemus 
zu  erklären.  Und  perdetz  zeigt  schon  durch  sein  f,  daß  die  Form 
nach  av^tz  gebildet  ist,  das  sich  seinerseits  nach  ^tz=:  estis  gerichtet 
hatte.  Ebensowenig  geht  traissem,  (p.  91)  auf  'Hraximus  zurück. 
Ich  glaube  auch  nicht  an  Zurückziehung  des  Akzents  in  ardre,  moure 
(p.  93),  die  analogische  Bildungen  sind.  Die  Formen  reiyiason, 
receubon  (p.  92)  haben  nicht  ihr  r  abgeworfen,  sondern  sind  =  Singular 
+  on.  Die  verbreitete  Ansicht,  daß  *ibat  die  Endungen  des  Imperfekts 
der  Konjugation  auf  -er  verdrängt  habe,  ist  aus  verschiedenen  Gründen 
unhaltbar:  erstens  ist  *ibat  nicht  lateinisch,  zweitens  ist  nicht  ein- 
zusehen, welches  wichtige  Wort  auf  -ir  imstande  gewesen  sein  sollte, 
das  übermächtige  habe  bat  umzugestalten,  drittens  erklärt  sich  der 
dissimilatorische  Schwund  des  einen  b  nur  in  habebat,  viertens 
trennt  man  durch  diese  Annahme  gewaltsam  nordfranzösisches  aveit 
und  südfranzösisches  avia,  fünftens  wird  diese  Ausflucht  ganz  unnütz 


E.  Rolland.     Faune  populaire  de  la  France.  119 

durch  das  Gesetz  der  Vokalsteigerung  im  Hiat  (via  =  *i'ea  =  ma), 
das  alle  rom.  Sprachen  kennen,  die  im  Imperfektum  -ia  aufweisen. 
Es  ist  nicht  ersichthch,  warum  mit  Schultz-Gora  ein  vulgärl.  *mia 
[=1  mea)  angenommen  werden  sollte.  Auch  ligat  =  lia  läßt  sich 
auf  diesem  Wege  eher  lösen,  als  durch  Zuhilfenahme  des  gedanklich 
weitabliegenden  castigat  etc. 

In  den  Literaturangaben  könnte  ein  Wink  über  die  Anlage  und 
Benutzungsart  von  Kaynouard's  Lexique  hinzugefügt  werden.  Von  Thomas 
wären  die  Aufsätze  über  die  loi  Darmesieter  en  provengal  {Rom. 
XXI,  7)  und  über  das  Perfektum  auf  -et  {Rom.  XXIII,  141)  eher 
zu  zitieren  gewesen,  als  seine  Studie  über  -arius  {Rom.  XXXI),  die 
durch  den  Artikel  in  der  Festschrift  Mussafia  annulliert  wird.  Der 
Paragraph  über  die  Entstehung  der  Troubadoursprache  ist  auch  gar 
zu  summarisch.  Wenigstens  hätte  angeführt  werden  sollen,  daß  diese 
Sprache  keinen  ganz  einheitlichen  Charakter  besitzt  und  Varianten, 
wie  foc  —  fuec,  etc.  zuläßt. 

Zu  den  Texten  habe  ich  wenig  zu  bemerken.  Heißt  prendre 
a  captienh  (p.  143)  nicht  eher:  als  Schutzherrn  anerkennen,  als 
hochhaltend  Und  könnte  man  in  dem  bekannten  Liede  des  Peire  Vidal 
Ah  Valen  tir  vas  me  Vaire  die  Schlußworte:  neis  quan  de  hon  cor 
consire    nicht    übersetzen:    selbst    icemi    ich    herzlich   traurig   hin? 

Zürich.  L.  Gauchat. 

Rolland,  E.  Faune  populaire  de  la  France.  VII.  Les  mammiferes 
sauvages,  complement.  Paris,  chez  l'auteur,  5,  rue  des 
Chantiers  (V^  arrondissemeut),  1906.  271.  S.  8°.    Pr.  8  fr. 

Das  rühmlich  bekannte  Werk  des  unermüdlichen  Verfassers 
hat  im  Jahre  1877  zu  erscheinen  angefangen.  Band  6,  der  den 
vorläufigen  Abschluß  brachte,  war  1883  zur  Ausgabe  gelangt.  Der 
jetzt  vorliegende  siebente  Band  stellt  sich  als  „complement"  des 
ersten  Bandes  dar  und  übertrifft  diesen  an  Umfang  erheblich,  während 
er  ihm  in  Anlage  und  Ausführung  gleicht.  Der  hohe  Wert,  den 
das  Rolland'sche  Werk  für  Sprachforschung  und  Volkskunde  besitzt, 
besteht,  wie  längst  anerkannt,  in  der  Mitteilung  eines  überaus  reichen 
Materials,  das  aus  zahlreichen,  z.  T.  schwer  zugänglichen,  gedruckten 
Quellen  zusammengetragen  oder  aus  dem  Volksmunde  direkt  gesammelt 
wurde.  Von  einer  Erläuterung  seines  Materials  hat  Verf.  auch  jetzt 
zumeist  abgesehen.  Wo  er  eine  solche  versucht,  wird  man  seinen 
Ausführungen  nicht  immer  zustimmen  können.  Auf  einiges  hat 
A.  Thomas  Romania  XXXVI,  122  f.  hingewiesen.  Einige  weitere 
Bemerkungen  mögen  hier  folgen: 

S.  25  f.  Die  Auffassung,  daß  tauper,  toper  in  den  Bedeutungen 
schlagen,  einschlagen  („consentir  ä  unc  chose  en  se  frappant  reci- 
proquement  dans  la  main")  mit  talpa  (Maulwurf)  zusammenhängen, 
dürfte  Zustimmung  schwerlich  finden. 


120  Referate  und  Rezensionen.     D.  Behrens. 

S.  48.  In  dem  Zitat  aus  Dottin:  „On  appelle  migritte  (musaraigne) 
Uli  enfant  chetif"  muß  es  mizgrit  oder  mizrit  (s.  Gloss.  des  pari, 
du  Bas-Maine  p.  353  f.)  statt  migritte  heißen. 

S.  140  Anm.  2.  Daß  futene  in  faire  la  futene  =  faire  Tecole 
buissonniere  nichts  mit  fouinc,  Marder  zu  tun  hat,  ist  so  sicher,  daß 
darüber  kein  Wort  zu  verlieren  war.  Die  Etymologie  von  futene, 
das  man  zu  fuite  gestellt  hat,  bleibt  zu  untersuchen.  Ein  älterer 
Nachweis  als  der  von  Rolland  gegebene  findet  sich  bei  P.  I.  Grosley 
Ephemerides  II,  172:  „futairie,  fuite,  escapade  d'ecolier".  S.  ferner 
Tarbe  Recherches  II,  65  futaine,  fuite,  escapade;  Littre  s.  futaine, 
etoffe  de  fil  et  de  coton:  coiirir  la  futaine  =  raener  une  vie  oisive, 
vagabonde,  passer  le  temps  en  promenades  inutiles. 

S.  143  erwähnt  Rolland  aus  Conversation  de  maltre  Guillaume 
avec  la  princesse  de  Conti,  1631,  pg.  98,  die  Redensart:  JPrendre 
Murt  pour  Nart  mit  der  Bemerkung:  „Y  a-t-il  lä  une  allusion  ä 
un  personnage  appele  Nart  ou  une  faute  d'impression".  Weder  das 
eine  noch  das  andere  ist  der  Fall,  sondern  es  erklärt  sich,  wie  leicht 
zu  erkennen,  nart  als  Verkürzung  von  r'nard,  dessen  anlautendes 
r  im  Satzzusammenhang  hinter  pour  verloren  ging:  pour  r'nard>- 
pour  nard,  pour  Nart.  „Pre7idre  Mart  pour  Nart"  ist  somit  die 
Umkehrung  des  von  Rolland  /.  c.  ebenfalls  verzeichneten  Dictums 
„Prendre  renard  pour  marthe"-,  den  Fuchs  für  den  Marder  nehmen, 
d.  h.  sich  gröblich  täuschen.  Die  Schreibung  „pour  Nart"  läßt 
erkennen,  daß  der  urspüngliche  Wortlaut  des  Dictums  nicht  mehr 
verstanden  wurde.  Satzphonetische  Veränderungen  an  der  Wortgrenze 
sind  eine  so  bekannte  Erscheinung,  daß  darauf  heute  nicht  mehr 
eingegangen  zu  werden  braucht.  Erwähnt  sei  wall,  a7idi,  das  aus 
der  Verbindung  souc  candi  (sucre  candi)  losgelöst  wurde,  bei 
Remacle  Biet.  I,  pg.  82  und  Semertier  Voc.  des  houlangers  etc. 
p.  240. 

S.  166  wird  laie,  die  Bache,  auf  mlat.  lea  zurückgeführt  und 
dann  einige  Zeilen  weiter  unten  bemerkt  „ce  mot  [afrz.  laie'\  vient 
d'une  forme  hypothetique  *lega  pour  leva".  Nützlicher  wäre  ein  Hin- 
weis auf  Diez  E.   W.  p.  623  gewesen. 

S.  168.  Miroirs,  das  Rolland  in  der  Bedeutung  „Wildschweins- 
hauer" aus  Duez  (1664)  nachweist,  begegnet  so  bereits  in  Hulsius 
Wörterbuch  aus  dem  Jahre  1597:  „les  miroirs  d'un  senglier  die 
Seiten  Zähne  eines  wilden  Schweines".  Vgl.  dazu  Zs.  f.  rom.  BMI. 
XXVI,  660. 

S.  227.  Statt  damtiers  (les  testicules  du  cerf),  das  R.  aus 
Jubinal  Nouv.  rec.  de  contes  (1839)  I,  167  notiert,  ist  vermutlich 
mit  Godefroy  Biet.  II,  412  daintiez  zu  lesen.  Die  von  Godefroy 
ebenda  aus  anderer  Quelle  noch  angegebenen  Formen  deyties  und 
dentes  hätten  verzeichnet  werden  können. 


Fr.  Brinkmann.     Syntax  des  Französischen  u.  Englischen.       121 

S.  235.  Zu  der  Angabe  von  Daez  ,., Aller  au  gagnage  se  dit 
des  betes  fauves  qui  vont  brouter  dans  les  bles  pendant  la  nuit" 
bemerkt  R.  in  einer  Anmerkung:  Le  gaim  est  le  ble  selon  Duez, 
1664.  —  Le  ble  est  ainsi  appele  parce  qu'il  est  le  gain,  le  profit 
par  excellence  du  laboureur".  Ich  vermag  an  die  Existenz  einer 
Form  gaim  -nicht  zu  glauben  und  vermute  darin  einen  Druck-  oder 
Lesefehler  für  grain.  Das  von  R.  in  der  liste  des  auteurs 
cites  p,  259  aufgeführte  Dictionnaire  franpois-allemand-latin  von 
N.  Duez  liegt  mir  nicht  vor,  wohl  aber  das  im  gleichen  Jahr  (1664) 
erschienene  Teutsch  \  Französisch  \  und  Lateinisch  Dictionarium 
desselben  Autors.  Unter  Korn,  getreid  heißt  es  hier  p.  287:  „Du 
froment,  du  bled,  ou  du  ble,  du  grain'-'.  Ähnlich  heißt  es  p. 
196  unter  Getreid  oder  getreide:  „Le  ble,  ou  les  bles,  toute  sorte 
de  ble  ou  de  grain*"'. 

S.  242  bemerkt  R.  „La  chair  qu'on  leve  entre  les  cuisses  du 
cerf  est  appele  nomble"  und  dazu  in  einer  Fußnote  „Cest  le  mot 
nombril".  Es  ist  klar,  daß  die  beiden  Wörter  nichts  mit  einander 
zu  tun  haben.  Nomhle  ist,  wie  längst  erkannt  wurde,  =  lat. 
lumhulus,  nomhril  =  lat.  umhiliculum. 

D.  Behrens. 


Brinkmann,     Friedrich.       Syntax    des     Französischen    und 
Englischen    in    vergleichender    Darstellung,      Zweite    un- 
veränderte wohlfeile  Ausgabe  des  1884  (1885)  erschienenen 
Werkes.     I.  Bd.  XVII  und  628  S.    IL  Bd.  VII  und  930  S. 
Gr.  80.     12  M.     Braunschweig,  F.  Vieweg,   1906. 
Das   umfangreiche  Buch  ist  eine   billige  Titelauflage  des  1884 
bis  1885  erschienenen  Werkes.     Es  will  denen,  die  Französisch  und 
Englisch   neben   einander   lernen   oder  lehren,   die  Arbeit  erleichtern 
durch  eine  vergleichende  Darstellung  der  Syntax  beider  Sprachen. 
Über    Brinkmanns    Plan    und    dessen    Ausführung    hat    seiner    Zeit 
Klinghardt    im    Literaturblatt    für    germanische    und    romanische 
Philologie  VII,    16    absprechend    geurteilt,    während   Thura    in    den 
Englischen  Studien  IX,    123  sich  im  Ganzen  anerkennend  geäußert 
hat.    Klinghardts  Ausstellungen  sind  im  Grunde  berechtigt.    Ich  glaube 
aber  trotzdem,  daß  der  Lehrer  der  beiden  fremden  Sprachen  an  der 
Hand  dieses  Buches,  wenn  es  auch  nicht  auf  fester  wissenschaftlicher 
Grundlage    ruht,    auf    manche    Beziehung    zwischen    englischen    und 
französischen  Spracherscheinungen  aufmerksam  gemacht  wird.    Freilich 
rühren   diese  Ähnlichkeiten  nicht   in    so  ausgedehntem  Maß,   wie  der 
Verfasser  meint,  daher,  daß  „das  Französische  lange  eine  dominierende 
Stellung  auf  dem  Boden  Englands  eingenommen  hat"  (Bd.  I,  S.  VIII). 

GIESSEN.  Wilhelm  Hörn. 


122  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

Weston,  Jessie  L.  The  legend  of  Sir  Ferceval;  vol.  I.  Chrelien 
de  Troyes  and  Wauchier  de  Denain  (Grimm  Library  XVII). 
London  1906.  8».  XXVI  -j-  344  pp. 
Perceval  ist  der  dritte  Held  der  Arthursage,  dem  J.  L.  Weston 
eine  Monographie  widmet.  Eine  Vergleichung  der  drei  Monographien 
ist  interessant;  sie  zeigt  eine  auffallende  Entwicklung.  Schon  die 
Seiteuzahlen  sind  sprechend.  The  legend  of  Sir  Gawain  ließ  sich 
mit  1 1 7  Seiten  abtun.  The  legend  of  Sir  Lancelot  du  Lac  bean- 
spruchte 252  Seiten.  Auf  344  Seiten  konnte  nur  der  erste  Teil  der 
Legend  of  Sir  Perceval  erledigt  werden;  wie  viel  noch  folgen  soll, 
erfahren  wir  nicht.  Dieses  Zahlenverhältnis  entspricht  nicht  etwa  dem 
Umfang  der  betr.  Sagen  resp.  der  betr.  Überlieferung.  Es  deutet 
nur  an,  daß  die  Verfasserin  ihrem  Gegenstand  jeweils  größeres  Interesse 
entgegenbrachte  und  ein  Eingehen  ins  Einzelne  immer  mehr  als  not- 
wendig empfand.  Damit  ging  auch  eine  Vertiefung  der  Forschung 
Hand  in  Hand.  Der  Gawain  ist  ein  unreifes  und  unselbständiges 
Werk.  Der  Lancelot  zeigt  einen  bedeutenden  Fortschritt.  Der 
Perceval  ist,  soweit  er  einstweilen  geht,  eine  auf  selbständiges  Studium 
gegründete  und  mit  viel  Einsicht  und  Begabung  durchgeführte  Arbeit,  zu 
der  die  Fachgelehrten  Stellung  nehmen  müssen.  Mit  Rücksicht  auf 
die  Wichtigkeit  des  Buches  mag  eine  etwas  ausführlichere  Besprechung 
desselben  nicht  unstatthaft  sein.  Es  ist  auch  gut,  wenn  Irrtümer 
gleich  anfangs  aufgedeckt  werden,  bevor  sie  von  Buch  zu  Buch  wandern. 
Mit  der  Art  und  Weise,  wie  J.  Weston  das  Gebiet  der  arthurischen 
Sage  und  Literatur  zerlegt,  bin  ich  nicht  einverstanden.  Sie  hielt  es 
für  nötig  (in  der  Einleitung  zum  Lancelot  spricht  sie  sich  darüber 
aus),  die  Legenden  der  einzelnen  Helden  nach  einander  monographisch 
zu  behandeln,  um  dadurch  einen  Überblick  über  das  ganze  Gebiet  zu 
bekommen.  Nach  meiner  Meinung  ist  der  einzige  Weg,  der  zu  diesem 
Ziel  führt,  die  Anordnung  des  Materials  nach  stofflicher  Verwandtschaft 
(nach  Motiven  und  Formeln)  und  daneben  als  Erzänzung  die  Kritik 
der  einzelnen  Literaturwerke.  Die  Enfances  Lancelot  und  die  Enfances 
Perceval  z.  B.  sollten  jedenfalls  eher  in  einem  Buch  vereinigt  werden 
als  z.  B.  die  Erzählung  von  der  Befreiung  der  Königin  Guenievre 
durch  Lancelot  und  diejenige  von  der  Erlegung  des  Hirsches  mit  dem 
weißen  Fuß  durch  Lancelot.  An  zahlreichen  Beispielen  aus  der 
arthurischen  Literatur  läßt  es  sich  nachweisen,  daß  die  Namen  der 
Helden  ganz  gewöhnlich  von  einem  Abenteuer  auf  das  andere  über- 
tragen werden.  Den  variabelsten  Faktor  hat  J.  Weston  als  Einteilungs- 
prinzip gewählt.  Wie  unpraktisch  dies  ist,  lehren  am  besten  ihre 
eigenen  Werke.  In  ihrem  Gaxvain  bespricht  sie  nicht  etwa  alle 
Gawain-Abenteuer,  sondern  nur  eine  Auswahl,  nur  was  sie  für  ur- 
sprünglich hält.  Daß  aber  in  Bezug  auf  die  Ursprünglichkeit  der 
Sagenstoffe  die  Ansichten  individuell  verschieden  sind,  wird  sie  wohl 
zugeben  müssen.  Wenn  sich  nun  auch  für  Gawain  wenigstens  etwas, 
wenigstens  sein  übernatürlicher  Kraftwechsel,  als  fast  sicher  ursprünglich 


Jessi  L.  Weston.     The  legend  of  Sir  Ferceval.  123 

vindizieren  läßt,  so  steht  es  dagegen  bei  Lancelot  ganz  schlimm. 
Alles,  was  von  ihm  berichtet  wird,  wird  auch  andern  Helden  zu- 
geschrieben, vielleicht  mit  ebensoviel  Recht.  W.  selbst  gesteht 
denn  auch  mehr  oder  weniger  unumwunden,  daß  sich  eine  eigentliche 
Laucelotsage  nicht  nachweisen  läßt.  Sie  kann  nur  von  relativ  ur- 
sprünglichen Lancelotabenteuern  sprechen,  und  die  Richtigkeit  ihrer 
Auswahl  mag  man  in  Frage  ziehen.  Mit  Perceval  steht  es  nicht 
besser  als  mit  Lancelot.  Doch  hier  hat  sich  W.  durch  eine 
Frontschwenkung  aus  der  Klemme  gezogen,  übrigens  ohne  ein  Wort 
zu  sagen.  Ihre  Monographienserie  sollte  wohl  ursprüglich  Vulgarisations- 
z'.v-ecken  dienen.  W.  schrieb  jedenfalls  ihre  Legend  of  Sir  Gawain 
zunächst  für  dasselbe  Publikum,  für  welches  sie  eine  Anzahl  mittel- 
alterlicher arthurischer  Texte  ins  Englische  übersetzte,  für  die  in 
England  so  zahlreichen  Leser  Malory's,  Tennyson's,  Swinburne's  etc. 
Dies  zeigt  ja  schon  das  im  Titel  gebrauchte  liomehj  Wort  Sir,  das 
sich  in  einer  wissenschaftlichen  Arbeit  eigentlich  lächerlich  ausnimmt. 
Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  hätte  ihr  Gaicain  betrachtet  und 
daher  weniger  herb  beurteilt  werden  sollen.  Dem  Geschmack  des 
großen  Publikums  bequemte  sich  wohl  auch  das  Einteilungsprinzip 
an ;  denn  dieses  Publikum  wünscht  alles  bequem  verpackt  zu  bekommen, 
in  a  nutshell.  Sei  es,  weil  der  erhoffte  Erfolg  hier  ausblieb,  sei 
es,  weil  sie  wie  Gauvain  die  eigene  Kraft  wachsen  fühlte:  W. 
wandte  sich  schon  in  ihrem  nächsten  Werk  mehr  an  die  Fachgelehrten. 
Wenigstens  muß  die  zweite  Hälfte  desselben  jenem  allgemeinen 
Publikum  wie  unverdauliches  Gemüse  vorkommen.  Sie  paßt  aber 
auch  nicht  zum  Titel;  denn  eine  ganz  spezielle  Untersuchung 
der  verschiedenen  Versionen  des  Gral-Lancelotcyklus  sollte  in  einem 
Buch  über  the  legend  of  Lancelot  höchstens  beiläufig  Platz  finden, 
W.  hat  aber  hier  wenigstens  die  Notwendigkeit  der  literar- 
historischen Untersuchung  erkannt.  In  dem  folgenden  Bändchen, 
betitelt  The  three  days  tournament,  behandelt  sie  eine  einzelne 
Erzählungsformel.  Sie  nennt  das  Bändchen  an  Appendix  to  the 
Legend  of  Sir  Lancelot ;  sie  hätte  es  aber  ebenso  gut  an  Appendix 
to  the  Legend  of  Sir  Cliges  nennen  können,  wenn  sie  diesem  Helden 
eine  Monographie  gewidmet  hätte.  Im  Perceval  endlich  handelt  der 
erste  Band  nur  von  dem  Werk  Chretiens  und  Gauchers;  d.  h.  hier 
ist  das  literarhistorische  Prinzip  zum  Durchbruch  gelangt,  wie  dort 
das  stoffgeschichtliche.  Fast  die  Hälfte  des  Bandes  ist  den  Gauvain 
betreffenden  Abschnitten  des  Percevalromans  gewidmet,  hat  also  mit 
the  legend  of  Perceval  gar  nichts  zu  tun.  Das  alte  Einteilungsprinzip  hat 
sich,  mit  dem  trauten  Wörtchen  /SiV,  nur  noch  im  Titel  erhalten;  sonst 
ist  es  abgetan.  W's  Plan  ist  nun  to  examine  critically,  one  hy  one,  and 
finally  group  scientifically,  all  the  romayices  comp)Osing  the  Perceval 
cycle  (p.  XXII).  Ist  das  eine  Abhandlung  über  die  „Percevalsage"? 
Indem  ich  nun  zur  Einzelbesprechung  übergehe,  muß  ich  gleich 
bemerken,    daß    ich    hier   meine    von    W.    abweichenden    Ansichten 


124  Referate  und  Rezensionen.     E.  Briigger. 

in  der  Regel  nicht  ausführlich,  oft  gar  nicht  begründen  kann;  sonst 
würde  die  Besjjrechung  umfangreicher  als  ihr  Buch. 

In  einer  Einleitung  klassifiziert  sie  die  führenden  Gelehrten 
etwas  oberflächlich  und  parteiisch  nach  ihrer  Stellungnahme  zur 
kymrischen  und  armorikanischen  Theorie  (von  ihr  Insular  und 
Continental  tlieory  genannt)  und  gibt  den  Plan  ihres  Werkes  kund 
(vgl.  das  obige  Zitat)  i). 

Eine  Analyse  von  Chretiens  und  Gauchers  Perceval  leitet  zu 
Kapitel  I  über,  welches  eine  Übersicht  über  die  Überlieferung  der 
Percevalsage  und  speziell  des  großen  Versromans  gibt.  W.  war  in 
der  glücklichen  Lage,  alle  Handschriften  desselben  benutzen  zu  können, 
und  sie  hat  sich  —  was  ihr  hoch  anzurechnen  ist  —  die  Mühe  nicht 
verdrießen  lassen,  dieses  gewaltige  und  zerstreute  Material  durchzu- 
sehen, um  ihre  Studien  auf  möglichst  sicherer  Basis  aufbauen  zu 
können.  Sie  hat  dabei  verschiedene  Entdeckungen  gemacht,  deren 
Tragweite  sie  allerdings  nach  meiner  Ansicht  etwas  überschätzt.  Ihre 
Angaben  über  die  Hss.  sind  zwar  sehr  kurz,  aber  bieten  doch  gegen- 
über denjenigen  von  Potvin  und  Waitz  manches  Neue.  Sie  gibt  dann 
auch  eine  provisorische  Gruppierung  der  Hss.,  die  von  derjenigen 
Waitzens  wesentlich  differiert.  Sie  hält  nicht  wie  dieser  die  kürzeste 
Redaktion,  sondern  die  mittlere,  deren  beste  Repräsentantin  die  Hs. 
B.  N.  fr.  12576  (E  bei  Waitz)  ist  und  die  wir  auch  ziemlich  gut 
aus  Wisse  und  Colin's  Übersetzung  rekonstruieren  können,  für  die 
ursprünglichste.  Um  den  Leser  zu  überzeugen,  müßte  aber  die  Argu- 
mentation viel  ausführlicher  sein.  Ganz  vergessen  wurde  Türlins 
Crone,  welche  ebenso  wie  der  von  W.  angeführte  holländische  Lancelot 
eine  Version  derjenigen  Gauvain-Abenteuer  repräsentiert,  die  W.  die 
Chastel-ÄferveiUous-Gru^-pe  nennt. 

Kapitel  II  handelt  von  The  hero's  birth  and  parentage.  Hier 
zunächst  eine  Bemerkung  über  die  Methode,  welche  in  diesem  und 
den  folgenden  Kapiteln  angewendet  wird.  W.  stellt  die  verschiedenen 
Versionen  auf  gleiche  Linie.  Es  ist  ja  zu  loben,  daß  sie  ohne 
Voreingenommenheit  an  sie  herantritt;  aber  wenn  es  als  sicher 
oder  wahrscheinlich  sich  nachweisen  läßt,  oder  bereits  nachgewiesen 
ist,  daß  die  einen  von  den  andern  abhängig  sind,  so  muß  man  diese 
Verhältnisse  berücksichtigen  und  auch  den  Leser  in  dieselben  einweihen. 
So  ist  es  z.  B.  selbstverständlich,  daß  Chretien's  Fortsetzer  Chretien, 
Gaucher's  Fortsetzer  auch  Gaucher  gekannt  und  benutzt  haben.  Es 
ist  fast  sicher,  daß  Chretien  auch  Kiot- Wolfram  bekannt  war;  die 
Erwähnung   Chretien's    in  Wolframs  Parzival    ist    kaum    anders    zu 


1)  Bei  drr  Gruppierung  der  Percevalversionen  verstehe  ich  nicht,  wie 
das  Vorhandensein  oder  Nichtvorhandensein  von  cmsadlng  inßuence  (p.  XXIV) 
zum  Einteilungsprinzip  erhoben  werden  kann.  Jeder  Autor,  der  zur  Zeit 
der  Kreuzzüge  schrieb,  konnte  doch,  unabhängig  von  andern,  diesen  EinÜufs 
aufweisen.  Doch  warten  wir  den  zweiten  Band  des  Werkes  ab,  welcher  wohl 
Aufschlufs  geben  wird! 


Jessi  L.  Weston.     The  legend  of  Sir  Perceval.  125 

erklären.  Es  ist  auch  höchst  wahrscheinhch,  daß  Robert  de  Borron, 
resp.  der  Überarbeiter  seines  Perceval,  aus  Gaueber  und  Chretien 
abschrieb  (vgl.  diese  Zeitschrift  XXIX  p.  69 — 70).  Der  Perediir^ 
welcher,  abgesehen  von  Auslassungen  und  Kymrisierungen,  ungefähr 
dieselben  Abenteuer  bietet  wie  Chretien  und  Gaueber,  muß  schon 
aus  diesem  Grund  als  eine  Bearbeitung  des  französischen  Perceval- 
romans  angesehen  werden,  da  es  schon  auf  den  ersten  Blick,  noch 
mehr  aber  bei  näherer  Betrachtung  als  unmöglich  erscheinen  dürfte, 
daß  Chretiens  und  Gauchers  Material  vor  diesen  bereits  vereinigt  war. 
Daß  der  nordische,  der  holländische,  der  flämische,  der  elsässische 
Perceval  nur  den  Wert  von  Handschriften  des  französischen  Textes 
haben,  wird  wohl  von  niemand  bestritten  werden;  u.  s.  f.  Auch  wo 
sich  nichts  gewisses  sagen  läßt,  muß  immer  die  Möglichkeit,  düß 
der  eine  Text  von  einem  anderen  erhaltenen  abhängig  ist,  berücksichtigt 
werden,  falls  sich  nicht  die  Unmöglickeit  jener  Annahmen  nachweisen 
läßt.  Es  folgt  daraus,  daß  einerseits  wo  ein  Abhängigkeitsverhältnis 
besteht,  nur  die  Abweichungen  des  abhängigen  Textes,  nicht  auch  die 
Übereinstimmungen,  kritisch  verwendbar  sind,  anderseits,  wo  die  Un- 
möglichkeit einer  Abhängigkeit  nicht  nachzuweisen  ist,  die  Überein- 
stimmungen auch  nur  bedingten  Wert  haben.  W.  schickt  nicht  nur 
nichts  voraus  über  das  Verhältnis  der  Versionen  zu  einander,  sondern 
sie  behandelt  tatsächlich  in  der  Regel  die  Versionen  als  unabhängig  2). 
Was  den  Peredur  betrifft,  so  ist  W.  zwar,  aßer  much  thought 
and  study  (p.  XXIV),  dazu  gekommen,  den  von  den  Vertretern  der 
kymrischen  Theorie  in  ihr  Credo  eingeschlossenen  und  von  W. 
früher  auch  geglaubten  besonders  primitiven  Charakter  des  Werkes  ver- 
neinen zu  müssen  (vgl.  noch  p.  93,  223)  (wir  würdigen  diese  Objektivität 
und  hoffen,  daß  es  ihr  mit  andern  in  jenem  Credo  enthaltenen  Dogmen 
einmal  ebenso  gehe,  wenn  sie  eigenes  Studium  an  Stelle  des  Autoritäts- 
glaubens treten  lassen  kann) ;  aber  an  der  Unabhängigkeit  des  kymrischen 
Werkes  hält  sie  merkwürdigerweise  doch  fest,  einstweilen  ohne  Be- 
gründung. Indem  sie  das  Hirschabenteuer  bespricht,  bringt  sie  neben 
Gauchers  Version  auch  diejenige  Robert's  und  die  kymrische,  ohne 
die  Möglichkeit,  daß  diese  aus  jener  stammen,  auch  nur  anzudeuten 
(p.  109 — 110).  Auch  das  2.  Kapitel  liefert  bereits  ein  eklatantes 
Beispiel  für  den  eben  gerügten  Fehler  (p.  68  ff.).  Es  soll  eine  Tradition 
gegeben  haben,  nach  welcher  Perceval  eine  Schwester  hatte.  Eine 
solche  kennen  Gaucher,  Robert,  Gerbert,  Perlesvaus  und  Queste.'^) 
W.  wird  aber  doch  auch  zugeben,  daß  die  der  „Percevalsage"  zu 
Grunde  liegenden  Motive  und  Formeln  eine  Schwester  des  Helden  nicht 
nur  nicht   postulieren,    sondern   eher  ausschließen;    und   die   ältesten 


~)  Die  oben  erwähnte  Gruppierung  der  Versionen  betrifft  nicht  das, 
was  ich  eben  hervorgehoben  habe. 

s)  P.  229  betont  W.,  dafs  die  Existenz  der  Schwester  a  trau  witnessed 
bij  the  major ity  of  versions  sei.     Kommt  es  auf  die  majority  an? 


126  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

Repräsentanten  der  Überlieferung,  Sir  Percyvelle,  Chretien,  Kiot- 
Wolfram  und  der  Verfasser  des  Bliocadrans-Prologs  kennen  denn  auch 
keine  Schwester.  Ist  es  da  nicht  wahrscheinlich,  daß  dieselbe  von 
einem  Dichter,  der  den  Sinn  der  Sage  nicht  mehr  verstand,  erfunden 
wurde?  Da  ist  zuerst  an  Gaucher  zu  denken.  Eine  Art  poetischer 
Gerechtigkeit  verlangte,  daß  der  Held  wieder  an  diejenigen  Orte  zu- 
rückkommen sollte,  die  für  sein  Schicksal  entscheidend  gewesen  waren. 
Darum  ließen  ihn  Gaucher,  dann  nochmals  Manessier  und  Gerbert, 
auch  Kiot-Wolfram  und  sogar  der  nordische  Übersetzer,  der  sich  gewiß 
nicht  auf  eine  besondere  Tradition  stützen  konnte,  wieder  nach  Bel- 
Repaire,  dem  Schloß  seiner  Geliebten,  zurückkommen.  Aber  ebenso 
lag  es  nahe,  ihn  wieder  zufällig  in  die  Heimat  gelangen  zu  lassen, 
wenn  auch  seine  Mutter  gestorben  war.  Es  war  aber  kaum  zu  erwarten, 
daß  Gaucher,  indem  er  dies  tat,  den  Helden  in  der  einsamen  Wildnis 
einen  Monolog  halten  ließ.  Es  mußte  eine  Person  da  sein,  die  ihm 
Auskunft  geben  konnte.  Ein  Bruder,  allein  in  der  Wildnis  lebend, 
war  nicht  denkbar.  Wie  leicht  fiel  da  der  Gedanke  auf  eine  Schwester! 
Von  Gaucher  gelangte  diese  einerseits  zu  Gerbert,  anderseits  in  Roberts 
Rerceval,  aus  diesem  in  den  Perlesvans,  aus  diesem  in  die  Queste, 
wo  sie  zu  einer  wichtigen  Persönlichkeit  gemacht  wurde  (über  das 
Verhältnis  dieser  Romane  zu  einander  vgl.  diese  Zeitschrift  XXIX^ 
p.  69  ff.).  Auch  ein  anderes  Argument  W.'s  hält  nicht  Stand.  Sie 
zitiert  (p.  68)  einen  Passus  aus  den  Enfances,  worin  der  Knabe 
nicht  nur  angibt,  Max  fils  genannt  worden  zu  sein,  sondern  auch 
biau  frere  und  biau  sire.  Der  Passus  findet  sich  aber  nur  in 
2  Handschriften,  welche  die  kürzeste  Redaktion  repräsentieren  und  nur 
Chretiens  und  Gauchers  Werk  enthalten.  W.  selbst  nennt  ihn  eine 
Interpolation.  Wenn  er  das  ist,  so  verliert  er  offenbar  seine  Beweis- 
kraft vollständig.  Denn  der  dichtende  Kopist  muß  Gaucher  gekannt, 
also  auch  Percevars  Schwester  bei  ihm  gefunden  haben.  Außerdem 
ist  die  weitere  Bedeutung  von  frere  hier  doch  nicht  ganz  ausgeschlossen. 
Am  Schluß  des  Kapitels  weist  W.  auf  die  enge  Verwandschaft  des 
Bliocadrans-Prologs  mit  dem  entsprechenden  Teil  y on  Vi oUvams  Parzival 
hin,  und  möchte  daraus  schheßen,  daß  ersterer  auf  die  gemeinsame 
Quelle  von  Chretien  und  Kiot,  das  Buch  des  Grafen  Philipp  von  Flandern,4) 
zurückgehe.  Kann  er  nicht  ebenso  gut  auf  Guiot  zurückgehen?  Ich 
finde  nichts,  das  dagegen  spräche.  Ich  vermisse  in  diesem  Kapitel 
einen  Versuch,  die  Namen  von  Percevals  Verwandten  zu  erklären  und 
etwaige  historische  Elemente  aufzudecken.  Da  die  Motive  und  Formeln 
der  arthurischen  Erzählungen  in  der  Regel  universellen  Charakter 
haben,  so  sind  es  fast  nur  die  Eigennamen,  welche  uns  über  die 
Herkunft    des   Stoffes    und    über    seine  Verbindung  mit   historischen 


*)  Kiot  braucht  aber  nicht,  wie  W.  meint,  seine  Vorlage  auch  vom 
Grafen  Philipp  empfangen  zu  haben;  das  betr.  Werk  kann  ja  in  mehreren 
Hss.  erhalten  gewesen  sein,  von  denen  der  Graf  nur  eine  besafs. 


Jessi  L.  Weston.     The  legend  of  Sir  Perceval.  127 

Elementen  Auskunft  geben  können.  Gerade  bei  der  „Percevalsage" 
läßt  sich  dieses  Gebiet  noch  bebauen.  5) 

Das  dritte  Kapitel  behandelt  the  Perceval  Enfances.  W.  zeigt 
hier,  daß  sie  ein  gutes  Gefühl  hat  zur  Unterscheidung  des  Ur- 
sprünglichen vom  Spätem,  des  Volkstümlichen  vom  Literarischen.  Mit 
Bezug  auf  den  Bliocadrans-Vvo\og  kommt  sie  hier  wieder  zum  selben 
Schluß  wie  in  Kapitel  II  (s.  o.).  Als  diejenige  Version,  die  der 
ursprünglichen  am  nächsten  kommt,  erweist  sich  der  englische  Sir 
Percyvelle.  Der  Glaube  an  Chretiens  Superiorität,  der  übrigens  nicht, 
wie  W.  meint,  fast  allgemein  ist,  wird  schon  hier  gründlich  wider- 
legt. Ich  konnte,  seit  ich  mich  mit  der  Percevalsage  resp.  den 
Percevalromanen  beschäftigte,  nicht  verstehen,  daß  ein  solcher  Glaube 
überhaupt  Boden  fassen  konnte,  und  habe  mich  auch  gelegentlich 
dagegen  ausgesprochen  (z.  B,  in  dieser  Zeitschrift  XXVIII  ^  p.  4  mit 
A.  4;  XXIX 1  p.  58).  Der  immer  selbständige  und  ohne  Quellen 
arbeitende,  aber  allen  andern  als  Quelle  dienende  Chretien  hat  nie 
existiert.  Ich  habe  nie  einen  Grund  finden  können,  weshalb  Chretien 
anders  als  die  übrigen  Arthurdichter  behandelt  werden  sollte,  und 
kann  das  Argument,  womit  Foerster  und  Golther  nicht  selten  operierten: 
Diese  oder  jene  Hypothese  sei  abzuweisen,  weil  sie  mit  Chretiens 
„Genie"  nicht  vereinbar  sei,  weil  sie  ihn  (was  übrigens  übertrieben 
ist)  zu  einem  bloßen  Abschreiber,  zu  einem  Stümper,  erniedrigen 
würde,  nicht  als  zulässig  anerkennen. 

Das  4.  Kapitel,  betitelt  the  loves  of  the  hero,  ist  in  der  Haupt- 
sache verfehlt.  Es  werden  hier  das  Blancheflor-Abenteuer  Chretiens 
und  das  Hirschjagdabenteuer  Gauchers  mit  einander  verglichen  und 
dann  identifiziert.  Ich  glaube,  beweisen  zu  können,  aber  nicht  bei 
dieser  Gelegenheit,  daß  Gauchers  Quelle  für  sein  Hirschabenteuer 
und  alles,  was  drum  und  dran  hängt,  also  für  den  Hauptteil  seines 
Werkes,  ein  Roman  war,  dessen  Protagonist  nicht  Perceval  hieß. 
Auch  im  übrigen  Teil  seines  Romankomplexes  habe  ich  nirgends  etwas 


*)  Vgl.  meinen  Alain  de  Gomeret,  Beitrafj  zur  Festschrift  für  H.  Morf 
1905 !  Ich  habe  daselbst  einen  Namen  von  Percevals  Vater  nicht  erwähnt, 
Dämlich  Gates  U  Gaus,  den  er  bei  Gerbert  führt  (W.  p.  61).  Ein  Ritter  dieses 
Namens  kommt  häufig  vor  in  den  Namenlisten  der  Tafelrunde.  Es  ist  daher 
sehr  wahrscheinlich,  dafs  dieser  Name  von  Gerbert  für  einen  andern  ähnlich 
lautenden  Namen  des  Vaters  Perceval's  substituiert  'wurde.  Ich  vermute, 
es  war  Alains  U  Gros.  So  setzten  Perlesvaushss.  die  Namen  Julian  resp.  Vilain 
für  Alain  ein,  die  Percevalhs.  von  Mons  Garahies  (<;  Gaharies)  für  Eliaures 
(W.  p.  39)  (die  Zwischenform  Galeries  ist  auch  zu  belegen);  gewisse  Perceval- 
hss.  Bleobleheris  resp.  Brandeiis  iür  Bleheris  (W.  p.  241);  gewisse  Percevalhss. 
Segramor  für  offenbar  ursprünglicheres  Secjuin  (W.  p.  21);  Wolfram  unter  dem 
Einflufs  des  Erek  Lac  für  Frolac  und  (in  P^olge  davon)  Kamant  für  Cothoatre 
(vgl.  W.  p.  143,  147);  derselbe  Wolfram  Jofreit  (=  Gottfried)  für  Giflet  {W. 
p.  212).  Andere  Beispiele  in  diefer  Zeitschrift  XXX  ^  p.  210.  Es  liefson 
sich  noch  viele  finden.  Ich  habe  nicht  gesammelt.  Neben  Pellehan  und 
Pellinor  hätte  von  mir  auch  noch  Pelks  genannt  werden  sollen,  der  im  Lancelot 
als  Percevals  Vater  erscheint  (vgl.  diese  Zeitschrift  XXX^  p.  177). 


128  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

finden  können,  das  sich  als  ursprüngliches  Percevalmaterial  erwiese. 
W.  macht  nicht  einmal  den  Versuch  zu  beweisen,  daß  Gaucher  außer 
Chretiens  Roman  noch  Percevalmaterial  kannte  6).  Der  Percevalroman 
nimmt  unter  den  Versromanen  dieselbe  Stellung  ein  wie  der  Lancelot 
und  der  Tristan  unter  den  Prosaroraanen.  Diese  Romanungeheuer 
entstanden  durch  Zusammentragen  alles  möglichen  Materials,  in  das 
sich  meistens  der  Romanheld  mit  einigen  andern  berühmten  Rittern 
teilte.  W.  selbst  scheint  der  Ansicht  zu  sein  (vgl.  ihre  Legend  oj 
Sir  Lancelot),  daß  unter  den  vielen  Lancelotabenteuern  des  großen 
Gralcyklus  nur  wenige  sind,  deren  Held  Lancelot  schon  war,  bevor 
sie  dem  großen  Komplex  einverleibt  wurden.  Ja,  zeitweise  wenigstens 
scheint  sie  auch  den  Perceval  nicht  anders  beurteilt  zu  haben.  Oder 
was  bedeuten  sonst  die  Worte  (p.  118):  the  Stag-hunt  .  .  .  does  not 
appear  to  liave  ever  formed  an  integral  part  of  a  Perceval  poem. 
Wherever  it  is  introduced  into  such,  it  confuses  and  complicaies 
the  action!  Gauchers  Quelle  war  doch  nach  W's  Ansicht  auch  ein 
poem  (vgl.  auch  p.  275).  Wenn  sie  aber  nicht  eine  Percevaldichtung 
war,  so  ists  aus  mit  der  Identität  von  Hirschjagdabenteuer  und 
Blancheflor-Abenteuer.  W.  zieht  dann  auch  den  I^ai  Tyolet  herau 
und  zwar  zunächst  dessen  zweiten  Teil,  der  eine  Hirschjagd  enthält. 
Aber  es  ist  klar,  daß  dadurch  nicht  bewiesen  wird,  daß  die  Hirsch- 
jagd ursprünglich  ein  Percevalabenteuer  war.  Hat  doch  übrigens  W. 
selbst  in  ihrer  Legend  of  Sir  Lancelot  diese  selbe  Hirschjagd  als 
integrirenden  Teil  der  Lancelotsage  behandelt!  Nun  enthält  der 
Tyolet  allerdings  in  seinem  ersten  Teil,  der  mit  dem  Perceval 
Ähnlichkeit  hat,  noch  ein  Hirschabenteuer,  das  der  ersten  Begegnung 
mit  Rittern  im  Perceval  entspricht.  Es  handelt  sich  da  um  die 
Verwandlung  eines  Hirsches  in  einen  Ritter,  um  etwas  von  der 
Hirschjagd  ganz  verschiedenes.  Um  mit  W.  folgern  zu  können,  daß 
auch  die  Hirschverwandlung  ursprünglich  zur  Percevalsage  gehörte, 
müßte  erst  bewiesen  werden,  daß  der  Tyolet  hier  ursprünglicher  ist 
als  der  Perceval  (wo  die  betr.  Scene  lückenlos  ist)  und  daß  in  der 
gemeinsamen  Quelle  von  Tyolet  und  Perceval  der  Held  Perceval  hieß. 
Sonst  dürfen  wir  die  Hirschverwandlung  im  Tyolet  als  einen,  übrigens 
geschmacklosen,  Zusatz  (mit  Benutzung  eines  bekannten  Motivs) 
betrachten.'^)  W.  geht  sogar  so  weit,  auch  die  Hirschjagd  als  ein 
entstelltes  transformation  tale  zu  erklären,  und  zwar  nicht  nur  die- 
jenige in  Gauchers  Perceval,  sondern  (nach  Singers  Suggestion)  auch 
diejenige  im  Erec,  wo  ursprünglich  der  Hirsch  durch  den  glücklichen 
Jäger  zum  schönsten  Weib  entzaubert  worden  sei,  von  der  jener  den 


ß)  Der  Didot-Perceval  und  der  Peredur  beweisen  nichts,  weil  von  Gaucher 
abhängig  (zu  p.  109). 

'')  Die  Verbindung  von  Hirschverwandlung  und  Hirschjagd  im  Tyolet 
ist  eine  rein  zufällige,  wie  überhaupt  der  erste  und  zweite  Teil  dieses  sog. 
Lai  einander  gar  nichts  angehen  und  ursprünglich  jedenfalls  nicht  zusammen- 
gehörten (vgl.  auch  diese  Zeitschrift  XX'  p.  139). 


Jessie  L.  Weston.     The  legend  of  Sir  Perceval.         129 

Kuß  als  Belohnung  (sie!)  erhalten  hcätte.  Diese  Hypothese  ist  nicht 
nur  ein  Luftschloß  (es  ist  auch  nicht  der  geringste  Anhaltspunkt  für 
sie  vorhanden),  sondern  sie  erscheint  sogar  auf  den  ersten  Blick  un- 
möglich. Wird  denn  bei  Verwandlungen  auch  das  Geschlecht  geändert? 
Wird  ein  Weib  in  einen  Hirsch  (cerj),  ein  Mann  in  eine  Hirschkuh 
(biche)  verwandelt?  §)  Und  wie  kann  das  Küssen  eines  schönen 
Weibes  oder  eines  Hirsches  als  höchst  gefährlich  bezeichnet  werden? 
Aber  gerade  diese  Gefährlichkeit  muß  ursprünglich  sein,  da  sie 
Chretien  nicht  m.ehr  verstanden  und  dafür  eine  törichte  Erklärung 
gegeben  hat,  W.  befindet  sich  hier  offenbar  auf  einer  ganz  falschen 
Fährte.  Tatsache  ist,  daß  der  Hirsch  zum  ersten  Mal  bei  Gaucher 
in  Verbindung  mit  Perceval  erscheint,  und  zwar  in  einem  Abenteuer, 
welches  höchst  wahrscheinlich  erst  von  Gaucher  zu  einem  Perceval- 
abenteuer  gemacht  worden  war.  Von  Gaucher  gelangte  er  einerseits  in 
den  Peredur,  anderseits  ebenso  wie  Percevals  Schwester  in  Koberts 
Perceval,  von  da  in  den  Perlesvaus,  von  da  in  die  Queste,  wo  er, 
wieder  ebenso  wie  Percevals  Schwester,  heilig  gemacht  wurde.  In 
diesem  Roman  geriet  ja  fast  alles  unter  die  Herrschaft  der  christlichen 
Symbohk  (vgl.  diese  Zeitschrift  XXIX  ^  p.  107).  Ein  Tier  von 
weißer  Farbe  eignete  sich  von  vorn  herein  am  besten  als  Symbol  des 
reinen  Gottessohns.  Daß  sich  ein  Symbol  in  die  Person  oder  die 
Sache,  die  es  vorstellte,  verwandeln  konnte,  ist  ja  natürlich  und 
bekannt  (vgl.  Brot  und  Wein  beim  Abendmahl);  und  der  ganz  un- 
ursprüngliche weiße  Hirsch  der  Queste  ist  daher  auch  nicht,  wie  W. 
(p.  113)  meint,  ein  Beiveis  dafür,  daß  die  Hirschjagd  ein  trans- 
formation  tale  war.  Mit  dem  Hirschjagdabenteuer  wird  nun  das 
Blancheflor-Abenteuer  identifiziert.  Hier  soll  die  Fee  zur  Sterblichen 
geworden  und  der  /o//:ia/g- Charakter  abgestreift  worden  sein. 
Doch  worin  besteht  denn  die  Ähnlichkeit,  die  zur  Identifikation 
berechtigt?  Beides  sind  Liebesabenteuer  Percevals,  Weiter  gar 
nichts !  Dann  müssen  wohl  auch  die  zahlreichen  Liebesabenteuer 
Gauvains  ursprünglich  identisch  gewesen  sein?  Nach  demselben 
Prinzip  wird  denn  anch  ein  Passus  des  Caradoc-Romans  ^),  wonach 
Perceval  die  Schwester  Aalardins,  die  wohl  eine  Fee  gewesen  sein 
mag,  zur  Frau  erhielt,  ohne  weiteres  als  a  survival  of  the  original 
tradition  which  bestoioed  on  him  (Perceval)  a  fairy  mistress,  erklärt 


8)  Der  Hirsch  mit  dem  Eberkopf,  den  Finn  jagt  (W.  p.  112),  ist  ein 
Mann,  ebenso  der  Hirsch,  der  sich  vor  Tyolets  Augen  verwandelt.  Der 
wunderbare  Hirsch  der  Queste  verwandelt  sich  in  Christus,  nicht  etwa  in  die 
heilige  Jungfrau.  Anderseits  war  das  deer,  :n  welches  Oisins  Mutter  ver- 
wandelt wurde  (W.  p.  114),  offenbar  weiblichen  Gerschlechts,  da  es  Oisin 
gebar!     Im  Orlando  furivso  (43,  98)  heilst  es,  es  sei  allgemeines  Los  der 

Feen:    Ch'oyni  settimo  (jiorno  c  certo  che  la  sua  forma  in  biscia  si  converta    (zitiert 

nach  R.  Köhler  Kl.  Schriften  III  264).     Vgl.  auch  die  Erzählung  La  biche 
blanche  in  Cosquins  Contes  populaires  de  Lorraijie. 

")  W.  selbst  gibt  zu,  dafs  dieser  mit  dem  Perceval  ursprünglich  nichts 
zu  tun  hatte. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI a.  9 


130  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

(p.  125).  Daß  Blancheflor  eine  Fee  war,  ist  erst  zu  beweisen.  Ein 
anderes  survival  dieser  Art  soll  die  im  Moriaen  vorausgesetzte  Ver- 
bindung Percevals  mit  einer  Mohrenfürstin  gewesen  sein  (vgl.  bierzu 
meinen  Alain  de  Gomeret  p.  15  — 16).  Konstatieren  wir  also,  daß  nichts 
die  Identifizierung  dieser  Abenteuer  rechtfertigt,  daß  weder  Blancheflor- 
noch  Hirscbjagdabenteuer  erklärt  wm'den,  ja  daß  nicht  einmal  etwas 
beigebracht  wurde,  das  die  Erklärung  derselben  fördern  könnte. 
W.  stellte  sich  dann  auch  die  Frage,  wie  Chretien  wohl  das 
Blanchetlor-Abenteuer  abgeschlossen  hätte.  Sie  meint,  er  hätte  Perceval 
zu  BlancheÜor  zurückgeführt  und  sie  heiraten  lassen,  Sie  stützt  sich 
auf  die  Übereinstimmung  von  Gerbert  und  Kiot-Wolfram.  Ich  bin 
auch  der  Meinung,  daß  Gerbert  außer  Chretiens  Perceval  mit  Fort- 
setzung noch  einen  Percevalroman  gekannt  hat.  Die  Connektion 
Percevals  mit  dem  Schwanritter  bei  Gerbert  und  Wolfram  beweist, 
daß  jener  Roman  entweder  Kiots  Perceval  oder  die  gemeinsame 
Quelle  von  Chretien  und  Kiot  (das  Buch  des  Grafen  Philipp?)  war. 
Zwischen  diesen  Alternativen  zu  entscheiden,  ist  in  den  meisten  Fällen 
unmöglich,  da  uns  beide  Werke  verloren  gingen.  Hier  aber  möchte 
ich  doch  folgendes  zu  bedenken  geben.  Es  ist  kaum  zweifelhaft, 
daß  Kiot,  d.  h.  Guiot  de  Provins,  es  war,  der  die  Geschichte  von 
Belacane  und  Feirefiz  dem  Perceval  einverleibte;  sonst  wäre  sie  bei 
Chretien  nicht  spurlos  verschwunden.  Feirefiz  war  aber  jedenfalls 
ursprünglich  nicht  der  Bruder,  sondern  der  Sohn  Percevals,  ungefähr 
identisch  mit  Morien  (vgl.  meinen  Alain  de  Go7neret  p.  17).  Wir 
wissen  also  von  Guiot,  nicht  aber  vom  Verfasser  der  Quelle  Guiots 
und  Chretiens,  daß  er,  zwar  nicht  eine  Sage,  aber  einen  Roman  kannte, 
dessen  Held  ein  Sohn  Percevals  war^O).  Dieser  hatte  mit  der 
Schwanrittersage  noch  nichts  zu  tun;  aber  es  ist  fast  zweifellos, 
daß  die  Herstellung  einer  solchen  Verbindung,  die  nur  durch  Wolfram- 
Gerbert,  aber  durch  keinen  der  zahlreichen  alten  und  jungen  Berichte 
über  die  Schwanrittersage,  bezeugt  wird,  literarischen  Ursprungs  ist. 
Es  war  ein  kühner  Griff  eines  Dichters,  den  Schwanritter  zum  Solm  des 
Gralhelden  zu  machen.  Wer  war  dazu  eher  fähig  als  Guiot,  der  in 
ebenso  kühner  Weise  das  Haus  Aujou,  das  sicher  ursprünglich  außer- 
halb der  mauere  de  Bretagne  stand,  sowie  neukymrische  Ereignisse 
in  die  Percevalgeschicbte  verwob  (vgl.  /.  c.  p.  22 — 25),  der  nicht 
nur,  wie  wir  sahen,  aus  einem  andern  Roman  einen  Sohn  Percevals 
kannte,  sondern  auch,  weil  er  aus  besondern  Gründen  (vgl.  l.  c.  p.  17) 
diesen  Sohn  zum  Bruder  Percevals  machte,  am  ehesten  Anlaß  hatte, 
Perceval  einen  neuen  Sohn  zu  geben,  dessen  Geschichte  bereits 
bekannt   war^^).      Kein   anderer  Dichter   des   12.  Jahrh.   zeigte  eine 


1°)  Es  liegt  kein  Grund  zu  der  Annahme  vor,  dafs  dieser  Zug  in  der 
Sage  wurzelt;  vgl.  l.  c.  p.  15  —  16. 

11)  Perceval  erhielt  übrigens  bei  Kiot  noch  einen  zweiten  Sohn,  dem 
das  weltliche  Erbe  zufallen  sollte.  Dieser  fehlt  natürlich  bei  Gerbert, 
der  von  Anjou  nichts  wufste,  resp.  nichts  wissen  wollte. 


Jessie  L.   Weston.     The  legend  of  Sir  Perceval.  131 

solche  Kühnheit  der  Kombination  und  eine  solche  Berücksichtigung 
des  Aktuellen,  keiner  eine  solche  Frechheit  wie  Guiot  de  Provius. 
Er  hatte  auch  das  nordöstliche  Frankreich  durchreist,  wo  er  den 
nur  im  Niederländischen  erhaltenen  Morien-Roman  am  ehesten  entdeckt 
und  auch  die  in  ganz  Frankreich  bekannte  Schwanrittersage  am  ehesten 
mit  dem  deutschen  (flämischen?)  Namen  Lorengrin  {Loherangrin) 
kennen  gelernt  haben  mag.  Er  war  der  Mann,  um  dem  von  ihm 
verherrlichten  Haus  Anjou  auch  dadurch  noch  zu  schmeicheln,  daß 
er  den  berühmtesten  Kreuzzugshelden,  den  ersten  König  von  Jerusalem, 
von  diesem  Haus  abstammen  ließ,  das  eine  so  wichtige  Rolle  in  der 
Geschichte  des  lateinischen  Orients  hatte.  Der  Verfasser  von  Graf 
Philipps  Buch  dagegen  ist  ein  unbeschriebenes  Blatt.  Dieses  Buch 
braucht  übrigens  nicht  im  nordöstlichen  Frankreich  verfaßt  worden 
zu  sein.  Auch  weiß  mau  nicht,  was  Graf  Philipp  für  ein  Interesse 
an  der  Verherrlichung  des  Hauses  Bouillon  rcsp.  Brabaot  gehabt 
hätte  12).  Man  möchte  es  daher  für  wahrscheinlich  halten,  daß 
Guiots  Roman  dem  Gerbert  vorlag  ^3).  Natürlich  bekamen  die  Söhne 
Percevals  bei  Guiot  nicht  mehr  eine  heidnische  Fürstin  zur  Mutter; 
eine  solche  war  ja  dem  Bruder  Percevals,  Feirefiz,  zugeteilt  worden. 
Nichts  war  natürlicher  als  daß  Condwiramurs,  Chretiens  Blancheflor, 
die  Rolle  der  Mutter  erhielt.  Diesem  Zwecke  diente  dann  die 
Rückkehr  Percevals  zu  seiner  Geliebten.  Guiot  mochte  also  leicht 
auf  eine  solche  Episode  verfallen,  wenn  sie  seine  Quelle  noch  nicht 
enthielt.  Wenn  Gerbert  Guiot  benutzte,  so  ist  offenbar  seine  Über- 
einstimmung mit  diesem  für  die  Kritik  belanglos.  So  lange  nicht 
bewiesen  wird,  daß  auch  der  letzte  Teil  von  Kiot- Wolframs  Perceval 
auf  Chretiens  Vorlage  zurückgeht,  können  wir  nicht  wissen,  ob  Chretieu 
die  Blancheflor-Episode  wieder  aufgenommen  hätte.  Daß  die  Arthur- 
helden ihre  Geliebten  gewöhnlich  bald  wieder  verlassen,  ist  in  der 
Technik  der  Romane  begründet.  Falls  ein  Dichter  seinen  Helden 
nach  der  Erlangung  des  Gegenstandes  seiner  Liebe  noch  für  andere 
Abenteuer  brauchte,  so  mußte  er  ihn  eben  unter  irgend  einem  nichtigen 
Vorwand  weiter  ziehen  lassen,  wenn  er  nicht  stets  zu  dem  umständlichen 
Motiv  des  Verliegens  (vgl.  Erec  und  Yvain)  Zufluclit  nehmen  wollte. 
Die  schiefe  moralische  Stellung,  in  die  der  Held  dadurch  geriet,  kam 
wohl  weder  dem  Dichter  noch  seinem  weltlichen  Publikum  zum 
Bewußtsein.  Nur  der  kritischer  veranlagte  Klerus  entdeckte  solche 
Blößen  und  nahm  Anstoß  daran.  Der  für  den  Bischof  von  Cambrai 
schreibende  Verfasser  des  Perlesvaus  tilgte  darum  die  Liebesabenteuer. 
Im  5.  Kapitel  bespricht  W.  das  Gralabeuteuer,  zwar  nicht 
in  seiner  Gcsammtheit;  sie  greift,  aus  dem  Leser  nicht  ganz  klaren 
Gründen,  nur  2  Punkte  heraus,  diese  allerdings  von  großer  Wichtigkeit: 


12)  Graf  Philipp  von  Flandern  war  übrigens  auch  Gönner  Guiots. 

13)  Aufser  Gcrbert  und  dem  Verfasser  des  Bliocadrans- Prologs  ist 
als  Benutzer  von  Guiots  Perceval  resp.  von  dessen  Quelle  der  Verfasser 
das  Atre  Perillous  zu  nennen  (vgl.  /.  c.  p.  18  ff.). 

9* 


1 32  Referate  und  Rezensionen.     JE  ßrugger. 

Schwert  und  Gral.  Im  ersten  Abschnitt  bringt  sie  nicht  nur  neues 
Material  aus  bisher  noch  nicht  genug  bekannten  Hss.  sondern  bekundet 
auch  viel  Geschick  in  der  Verwertung  desselben.  Es  zeigt  sich,  daß 
Chretiens  Bericht  über  das  Schwert  durch  Gerberts  Angaben  treffend 
ergänzt  wird,  ohne  daß  man  annehmen  könnte,  daß  letztere,  in  An- 
lehnung an  Chretien,  erfunden  wären.  In  Wolframs  Parzival  wird 
die  Schwertgeschichte  auch  kompletiert,  aber  in  etwas  anderer  Weise, 
bei  der  bloße  Erfindung  nicht  ausgeschlossen  ist,  Gerbert  ist  hier 
ursprünglicher  als  Wolfram.  Dies  scheint  allerdings  eher  dafür  zu 
sprechen,  daß  Gerbert  nicht  Guiot  benutzt  hat.  Wenn  aber  W. 
für  Gerbert  und  Guiot  eine  gemeinsame  Quelle  annimmt,  so  müßte 
sie  doch  voraussetzen,  daß  Guiot  den  Bericht  dieser  Quelle  entstellt 
hat.  Kann  aber  nicht  ebensogut  Wolfram  den  Bericht  Guiots  entstellt 
haben?  Wenn  ja,  so  könnte  doch  Guiot  als  Gerberts  Quelle  zugelassen 
werden.  Das  Motiv,  daß  Perceval  mit  dem  Schwert  an  die  Pforte 
des  Paradieses  schlug,  als  es  zerbrach,  mußte  der  Auslassung  leicht 
anheimfallen.  Dies  war  gewiß  in  den  Augen  vieler  ein  zu  gewagter 
Wunder.  Daß  das  Schwert  bei  Wolfram  irgend  etwas  mit  eines 
keltischen  „Sonnenwaffe"  zu  tun  hätte  (p.  147  —  48,  152),  ist  un- 
glaublich. Der  Bericht  bei  Wolfram  ist  einfach  entstellt,  teils  absichtlich^ 
teils  in  Folge  von  Mißverständnissen.  An  der  Richtigkeit  von  W's 
Hypothese,  daß  das  Schwertmotiv  (wenigstens  teilweise)  nordischen 
(normannischen)  Ursprungs  ist,  und  daß  in  dem  Schmied  Trebuchet 
Wieland  (französisch  gewöhnlich  Galan(t)  genannt)  zu  erkennen  ist, 
kann  man  kaum  zweifeln  i^).  Es  fällt  mir  auf,  daß  noch  niemand 
an  die  Ähnlichkeit  des  Garlan  der  romantischen  Merlinfortsetzung 
mit  T7'ebuchet  gedacht  hat.  Sein  Name  dürfte  mit  Wiela?id  identisch 
sein  (Galan  >  Gallan  [vg\.  Vallandus  in  Maurus'  Diss.  p.  24, 
Villand  ibid.  p.  24,  25,  Galland  ibid.  p.  43]  >  Garlan^^);  Garlan 
ist  zwar  nicht  mehr  ein  Schmied,  wie  Trebuchet -Wieland;  aber  er 
ist  Avenigstens  noch  ein  Zauberer  (er  kann  sich  unsichtbar  machen) 
und  wird  zu  einem  Schwert,  das  bei  einem  wichtigen  Hiebe  bricht, 
in  Beziehung  gebracht.  W.  sagt  von  Trebuchet:  The  smitlts  life  is 
in  some  unexplained  manner  connected  with  the  sword;  he  dies 
after  having  re-  forged  it  (p.  144),  also  auch  nachdem  es  zerbrochen 


^*)  Sie  hätte  bei  dieser  Gelegenheit  auch  auf  Schofield,    The  lays  of 

Graelent  and  Lanval  and  the  sioi'y  of  Wailand  in  Puhl.  of  the  Mod.  Language  Ass, 
of  Am.  vol.  XV  (dessen  Identifikation  von  Graelent  und  Wailand  ich  zwar  nicht 
zustimmen  kann)  und  auf  P.  Maurus,  Die  Wielandsage  in  der  Literatur,  Münchener 
Diss.  1901/2  (erweitert  als  Band  25  der  MUnchener  Beiträge  zur  rom.  u.  engl. 
Fhil.),  dem  übrigens  keine  Zeugnisse  aus  der  arthurischen  Literatur  bekannt 
waren,  verweisen  können. 

1'')  Nach  Analogie  von  Karies  —  KaUes;  Merlin  —  Mellin,  Melin;  —  Perles- 
vatts  —  Pellesvaus;  Pelles  —  Perles;  Melusine,  Jlellusine  —  Merlusine  (Mcre 
Lusine);  Gates,  Galles  —  Garles  (Sommers  Merlin  p.  133/37)  etc.;  parlefroi  neben 
pallefroi,  palefroi  etc,  Vgl.  übrigens  anch  schon  Verland  in  nordischen 
Heldenliedern  (Maurus  /.  c  p,  23,  25),  anderseits  auch  Gallan  in  Merlin  H  25. 


Jessie  L.  Weston.     The  legend  of  Sir  Perceval.         133 

worden.  In  einer  neuindischen  Erzählung  finde  ich  eine  ähnliche 
Situation;  ich  zitiere  aus  Cosquin's  Analyse  (in  den  Bemerkungen 
zu  Jean  de  VOurs]  Contes  pop.  de  Lorraine  I  p.  25):  la  vie  du 
prince  est  attachee  ä  une  certaiiie  epee;  si  cette  epee  est  brisee,  il 
mourra;  eine  böse  Alte  zerbricht  das  Schwert  und  der  Prinz  stirbt. 
Als  das  Schwert  von  einem  Freunde  wieder  geschmiedet  wurde,  kehrt 
das  Leben  in  ihn  zurück.  Offenbar  war  die  Seele  des  Prinzen  in 
dem  Schwert,  Das  Schwert  Trebuchets  sollte  nach  seiner  Weissagung 
nur  in  einem  einzigen  peril  brechen,  der  ihm  bekannt  ist.  Es  bricht  in 
der  Tat,  als  Perceval  In  einem  Abenteuer  an  die  Pforte  des  Paradieses 
schlägt;  Perceval  gelangt  nachher  zu  Trebuchet,  der  es  ihm  wieder 
schmieden,  aber  gleich  darauf  sterben  muß  (vgl.  auch  Potvin  VI,  163 
bis  166).  Ursprünglich  hatte  wohl  Trebuchet,  um  sich  unsterblich 
zu  macheu,  seine  Seele  in  das  SchAvert  geblasen,  das  er  so  trelflich 
machte,  daß  es  nur  in  einem  einzigen,  höchst  unwahrscheinlichen  Fall, 
brechen  konnte ^^a).  im  Merlin  wird  der  Zauberer  vom  Helden  getötet; 
sein  Schwert  bricht  erst  darauf,  aber  gewissermaßen  in  Folge  davon. 
Der  Held  Balaain  nämlich  hat  an  Arthurs  Hof  von  einer  Jungfrau 
ein  Schwert  erhalten,  das  sie  umgegürtet  hatte  und  das  nur  der 
beste  Ritter  losmachen  konnte;  so  erhielt  auch  Perceval  am  Hofe 
des  Gralkönigs  das  Zauberschwert,  das  la  sore  pucele,  des  Königs 
Nichte,  gesandt  hatte,  weil  es  für  ihn  jugie  et  destinee  war,  d.  h.  wohl 
auch,  weil  er  der  "Würdigste  war.  Mit  dem  Zauberschwert  erschlug 
Balaain  den  Zauberer  Galan,  der  sich  lauge  gut  zu  schützen  gewußt 
hatte,  indem  er  sich  unsichtbar  gemacht  hatte  (durch  die  nordische 
Tarnkappe?)  16).  Das  Schwert  aber  brach  entzwei  als  der  Gralkönig 
Pellehan  mit  dem  seinigen  darauf  schlug.  Dies  hatte  gleich  darauf 
den  verhängnisvollen  Hieb  zur  Folge,  den  Balaain  mit  der  heiligen 
Lanze  gegen  den  Gralkönig  führte,  den  berühmten  coup  dolerous, 
der  den  Gralkönig  zum  roi  meliaignie  machte,  das  ganze  Land  ins 
Verderben  stürzte  und  die  Reihe  der  arthurischen  Gralabenteuer 
einleitete.  War  nicht  etwa  das  Gralreich  oder  das  Gralschloß  das 
Paradies  der  Gerbert'schen  Allusion?  Der  Gralkönig  ist  Garlans 
Bruder  ebenso  wie  Trebuchets.  Ich  möchte  mit  W.  dafür  halten, 
daß  Trebuchet  nur  ein  auf  die  Lahmheit  des  germanischen  Hephaistos 
anspielendes  sohriquet  ist.  Pellehan  scheint  auch  die  Rolle  des  Königs 
Frolac  vom  Seeschloß  Cothoatre  (Wolframs  König  Lac  von  Karnant) 
zu  haben,  dem  die  in  der  Nähe  befindliche  Schmiede,  in  welcher  Trebuchet 


i^a)  Analoges  ist  in  Märchen  ziemlich  häufig  anzutrefi"on.  Ich  erwähne 
als  Beispiel  die  von  Cosquin  (I  174)  erwähnte  orientalische  Erzählung: 
T/iossakan,  roi  de  Ceylon,  pouvait,  (jräce  ä  son  arl  magique,  faire  sortier  son  äme  de 
son  Corps  et  Venfermer  dans  une  boite  quil  laissait  dans  la  maison  pendant  quHl  allait 
en  cjuerre,  ce  qui  le  rendait  invulnerable.  Als  aber  einst  durch  seinen  Feind 
diese  Schachtel  zerdrückt  wird,  stirbt  er. 

"5)  Trebuchet  hatte  sich  geschützt,  indem  er  seine  Schmiede  durch 
zwei  Drachen  hatte  bewachen  lassen. 


134  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

arbeitete,  gehörte;  denn  Garlan  wohnte  bei  Pellehan.  Man  dürfte  sich 
fragen,  ob  nicht  der  aus  den  Prosaroinaneu  bekannte  Name  des  Gral- 
schlosses, Corhenic  zu  Cothoatre^'^)  gehört. i^)  Der  in  die  romantische 
Merlinfortsetzung  einverleibte  Balaain-'Romsin  ist  eine  Contamination  des 
Meriaduec  oder  Chevalier  as  deus  espees  resp.  (und  dies  ist 
ziemlich  sicher)  seiner  Quelle  und  des  Meraugis  resp.  seiner  Quelle. 
Der  letztere  Roman  geht  uns  hier  nichts  an,  wohl  aber  der  erstere. 
Balaain  ist  wie  Meriaduec  ein  Ritter  mit  zwei  Schwertern,  deren  eines 
eine  besondere,  in  manchen  Punkten  ähnliche,  Funktion  hat^ö). 
Der  Meriaduec  hat  auch  sonst  viel  Ähnlichkeit  mit  dem  Percevalroman. 
Direkte  Benutzung  eines  solchen  ist  auch,  oder  außerdem,  noch,  möglich; 
wenigstens  kennt  der  Meriaduec  Percevals  Vater  Alai7i  le  gros  des  vaiis 
de  Kamelot  (ebenso  genannt  im  Perlesvaus)  und  die  aus  dem  Perceval- 
roman bekannten  Namen  Gernemant  {de  JS'Oi'hombeUande),  Lore  de 
Branlant  und  Dynasdaron.  Die  Rolle  Garlans  hat  im  Meriaduec 
Gaus,  Sohn  des  Königs  von  Norval  (=  Norgalesf),  ein  Arthurritter, 
Mit  dem  Namen  Norval  weiß  ich  nichts  anzufangen.  Der  Name  Gaus 
könnte  aus  Galans  (>  Galens^^  Gales::>  Gales^  Galsz>  Gaus)  ent- 
stellt sein.  Im  Meriaduec  selbst  (v.  2609)  wird  auch  Gaus  de 
Galefroi  als  Arthurritter  erwähnt.  Dieser  ist  natürlich  identisch  mit 
Gaudin  de  Valesfroiz  in  der  romantisch-pseudohistorischen  Merlin- 
fortsetzung (Analyse  von  Freymond  §  70)  (der  ziemlich  häufige  Name 
Gaudin  ist  wohl  für  den  ähnlich  lautenden  seltenen  Namen  Gaus 
subsituiert  worden);  G.  de  V.  ist  der  Freier  der  Landesherrin  Lore 
de  Branlant,  ein  Pendant  zu  dem  auch  im  Merlin  auftretenden  Maduc 
le  noir,  der  aus  der  Vengeance  Raguidel  als  Freier  der  dame  del 
Gautdestroit  bekannt  ist.  Mit  dieser  ist  aber  die  Lore  de  Bran- 
lant des  Merlin  identisch;  und  es  ist  auch  zweifellos,  daß  Gautdes- 
troit (holländisch  Galesiroet)  mit  Valesfroiz- Galefroi  identisch  ist 
(weiteres  über  diesen  Namen  vgl.  diese  Zeitschrift  XXIX i  p.  102 — 3). 
Der  Name  Lore  de  Branlant  ist,  wie  schon  erwähnt,  auch  noch  dem 
Perceval  und  dem  Meriaduec  bekannt.  Im  Durmart  nun  treffen  wir 
noch  einen  Grafen  Galans  del  Gautdestroit  an,  wodurch  die  Be- 
rechtigung meiner  Identifizierung  von  Galans  und  Gaus  gesichert  ist. 
Ob  und  eventuell  wie  weit  der  Name  des  häufig  erwähnten  Arthur- 
ritters Gales  li  chaus  den  Übergang  von  Galans  zu  Gaus  und  die 
Umwandlung  des  Schmiedes  und  Zauberers  in  einen  Arthurritter  be- 


'")   Dieser  Name  sieht  englisch  aus:  1.  th;  2.  oatre  =  ?vater. 

18)  Dafs  Ga(r)lan  selbst  durch  das  (ursprünglich  von  ihm  verfertigte) 
Schwert  getötet  wurde,  ist  kaum  ursprünglich.  Er  sollte  nicht  durch, 
sondern  gleichzeitig  mit  dem  Schwert  zu  Grunde  gehen,  in  welchem 
seine  Seele  war.  Die  der  Schwertererzählung  jedenfalls  zu  Grunde  liegenden 
auimistischen  Vorstellungen  waren  aber  natürlich  den  Arthurdichtern  ganz 
fremd  und  darum  machten  sie  sich  die  Situation  durch  Änderungen  ver- 
ständlich. 

1^)   Beide  Romane  beginnen  mit  einer  Erzählung  von  König  Ris. 


Jessie  L.   Weston.     The  legend  of  Sir  Perceval.         135 

günstigt  hat,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden;  die  Frage  hat  auch 
einstweilen  kein  Interesse.  Was  den  Meriaduec  betrifft,  so  ist  noch 
zu  bemerken,  daß  hier  in  Bezug  auf  das  Schwert  eine  Konfusion 
eingetreten  ist,  Meriaduec  ist  ja  eigentlich  ein  Ritter  mit  drei 
Schwertern;  er  besitzt  erstens  das  Schwert,  das  er  von  Arthur  bei 
der  Ritterweihe  erhielt;  zweitens  dasjenige,  das  er  der  Jungfrau  los- 
gürtete und  mit  dem  er  die  Vaterrache  vollzog;  drittens  das  mit  den 
unauslöschbaren  Blutflecken  behaftete  Schwert,  durch  welches  Gaus 
von  einem  ungenannten,  gefeiten  Ritter  verwundet  worden  war  und 
nachher  vom  Helden  geheilt  wurde.  Offenbar,  damit  Meriaduec  den 
Beinamen  Chevalier  as  deus  espees  noch  beibehalten  könnte,  läßt 
ihn  der  Dichter  das  erste  Schwert  ablegen,  nachdem  er  in  den  Be- 
sitz des  dritten  gekommen  war.  Wahrscheinlich  wurde  das  letztere 
ursprünglich  nicht  von  ihm  gefunden,  sondern  es  war  dasjenige,  das 
er  von  der  Dame  losgegürtet  hatte.  Dies  zeigt  schon  die  Vergleichung 
mit  dem  Balaain.  Die  Vaterrache,  bei  der  auch  ein  besonderes 
Schwert  nötig  gewesen  sein  mag,  war  eine  Episode  für  sich.  Gaus 
scheint  durch  Konfusion  auch  die  Rolle  seines  Bruders,  des  Gralkönigs, 
übernommen  zu  haben;  als  solcher  ist  er  mehaignie.  Das 
dritte  Schwert  wurde  jedenfalls  auch  mit  der  heiligen  Lanze  kou- 
fundiert;  daher  die  Blutflecken,  die  ursprünglich  wohl  von  Christi 
Blut  herrührten.  Die  Wunderquelle,  an  die  sich  Gaus  jede  Nacht 
tragen  läßt,  dürfte  dem  See  ßrumhane  entsprechen,  wo  der  Gral- 
könig Fische  zu  fangen  pflegte.  Das  Motiv  vom  Brechen  des 
Schwertes  ist  im  Meriaduec  verloren  gegangen.  Die  Rolle  von 
Garlans- Gaus  hat  bei  Manessier  Goons  Desert  (roi  du  desert),  der 
Bruder  des  Gralkönigs;  er  wurde  von  einem  Ritter,  Namens  Partinel, 
erschlagen;  dabei  brach  dessen  Schwert  entzwei;  der  Gralkönig,  in 
dessen  Schloß  der  Leichnam  mit  den  zwei  Schwertstücken  getragen 
wurde,  verwundete  sich  unvorsichtigerweise  mit  dem  einen  Schwert- 
stück (entsprechend  dem  coup  dolerous,  aber  weniger  ursprünglich); 
er  wurde  erst  wieder  gesund,  als  Perceval  nicht  nur  die  zwei  Stücke 
zusammengefügt,  sondern  auch  Partinel  erschlagen  hatte.  Ist  es  da 
bloß  zufällig,  daß  die  Namen  Goons  und  Gaus-Galans  eine  gewisse 
Ähnlichkeit  aufweisen?  Alle  drei  Versionen  sind  entstellt;  doch  jede 
hat  besondere  ursprüngliche  Züge;  die  Balaainversiou  dürfte  dem 
Original  am  nächsten  kommen.  Nur  fehlt  hier  natürlich  die  Heilung 
des  verwundeten  Gralkönigs.  Ich  bin  auf  diesen  Gegenstand  etwas 
näher  eingetreten,  in  der  Hoffnung,  daß  W.  im  zweiten  Band  ihrer 
Percevalstudien  oder  in  einem  besonderen  Band  auf  das  Gralabenteuer 
zurückkommen  und  dabei  auch  dem  Meriaduec  und  Balaain  die 
gebührende  Beachtung  schenke. 

Der  zweite  Abschnitt  des  Kapitels,  der  uns  die  Ei'klärung  des 
Gral  bringen  sollte,  bringt  nur  Enttäuschung.  W.  fand  einen  Passus 
(der  in  der  Hs.  von  Mons  entstellt  ist),  worin  Gaucher  sich  auf  einen 
conte  als  Quelle  beruft,  qui  a  Fescans  est  ioz  escris.    Die  Entdeckung 


vi  36  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

ist  ja  interessant;  aber  sie  verleitete  W.  zu  ganz  ungerechtfertigten 
Schlüssen.  Die  normannische  Abtei  Fecanip  besaß,  wie  viele  andere 
Klöster,  eine  Blutreliquie  und  darum  auch  eine  Blutlegende.  Reliquien- 
legenden sind  alle  über  denselben  Leisten  geschlagen;  sie  hatten  ja 
ähnliche  Ursachen  und  entstanden  unter  ähnlichen  Verhältnissen.  Daß 
die  Legende  vom  Gral,  einem  heiligen  Kelch,  der  wahrscheinlich  bereits 
vor  Gaucher  Blutreliquie  war,  mit  der  Blutlegende  von  Fecamp  eine 
gewisse  allgemeine  Ähnlichkeit  hatte 20),  ist  natürlich;  und  sie  mochte 
wohl  genügen,  um  Gaucher  aufzufallen,  und  ihm  den  Gedanken  ein- 
zugeben, sich  auf  ein  Buch  (denn  das  bedeutet  hier  conte  offenbar)  in 
Fecamp  zu  berufen,  und  zwar  nicht  etwa  bloß  für  die  Gralgeschichte, 
sondern  (dies  war  ganz  Jongleur-Art)  für  seinen  und  Chretiens  ganzen 
Roman ;  denn  die  Abenteuer,  die  in  diesem  Roman  mit  der  Gralgeschichte 
verknüpft  sind,  mußten  es  auch  in  der  Quelle  sein,  wenn  die  Dichter 
nicht  als  Geschichtsfälscher  erscheinen  sollten.  Darum  steht  denn 
auch  jener  Passus  nicht  etwa  im  Gralabenteuer,  sondern  in  dem  der 
Grallegende  fernstehenden  Percevalabenteuer  vom  Moni  Dolerous. 
Sollen  wir  dem  Verfasser  des  Lai  de  CEspine  glauben,  wenn  er 
behauptet,  die  den  Lais  zu  Grunde  liegenden  estores  seien  im 
Kloster  Saint-Aaron  in  Arthurs  Residenzstadt  Carlion  aufbewahrt, 
oder  dem  Guiot  de  Provins,  wenn  er  vorgibt,  daß  er  für  seinen 
Roman  (der  mit  orientalischen  Elementen  nicht  wenig  gespickt  ist), 
ein  Buch  benutzt  habe,  das  in  Toledo  (dem  Hauptsitz  der  orien- 
tahschen  Wissenschaft)  zu  finden  sei?  Warum  sollen  wir  denn 
Gaucher  glauben,  wenn  er  einen  ähnlichen  Unsinn  kundgibt?  W. 
ist  naiv  genug,  zu  sagen:  There  can  he  little  douht  that  il  (das 
Buch  von  Fecamp)  was  a  fully  developed  Christian- Grail  romance 
(p.  156),  a  Percevai- Grail  romance,  die  Quelle  von  Chretiens  und 
Kiot-Wolframs  und  natürlich  auch  von  Gauchers  Percevai  (p.  275). 
Haben  wir  Ursache,  den  Quellenangaben  der  epischen  Dichter  zu 
glauben?  Nichts  ist  mehr  verdächtig.  Ganz  echt  ritterliche  Abenteuer 
wie  dasjenige  vom  Mont  Dolerous  und  die  meisten  andern  sollen  im 
Kloster  verfaßt  worden  sein?  Es  wird  übrigens  unten  gezeigt  werden, 
daß  das  Mont-Dolerous-Abenteuer  ursprünglich  wabrscheinlieh  kein 
Percevalabenteuer  war  und  aus  einem  Gauvainromau  stammt,  den  W. 
nicht  in  Fecamp,  sondern  in  Wales  entstanden  sein  läßt.  Wir  kennen 
die  Saint-Sang  tradition  von  Fecamp,  preserved  in  a  fairly  large 
number  of  Latin  and  Frencli  MSS.,  and  finally  developed  into 
a  French  poem  (W.  p.  156).  Warum  ignorieren  alle  diese  Versionen 
vollständig  den  in  der  Abtei  aufbewahrten  Percevalroman,  der  nach 
W.  eine  Bearbeitung  derselben  Legende  enthält?  Warum  ignorieren 
umgekehrt   die    uns   erhaltenen  Gralroraane   alles,   was   für  die  Saint- 


2")  Es  ist  fast  mehr  als  eine  krasse  Übertreibung,  wenn  W.  behauptet 
(p.  229),  die  Fecamp-Legende  sei  identical  in  all  respects,  save  name,  with  (he 
Grail  „Earhj  Uistory"  (ebenso  nochmals  p.  328). 


Jessie  L.  Weston.      The  legend  of  Sir  Perceval.         137 

Sang-Legende  von  Fecamp  charakteristisch  ist,  vor  allen  den  wunder- 
baren Feigenbaurastamm?2i)  Ist  dies  alles  Zufall?  W.  betont  auch,  daß 
die  Abtei  seit  ihrer  Gründung  eine  confrerie  von  Jongleurs  unterhielt. 
Aber  wie  kann  sie  ohne  Begründung  die  a  priori  unwahrscheinliche 
Behauptung  aufstellen,  daß  the  ohject  of  ihe  existence  of  such  a 
<;onfraternity  can  hardly  have  been  other  than  that  of  exjjloiting, 
for  ihe  henefit  of  the  ahbey,  the  legends  connected  therewith 
{p.  167)?  Es  ist  auch  sehr  merkwürdig,  wie  sie  sagen  kann,  daß 
tke  earliest  Grail  poem  we  possess  refers  to  a  hook  at  Fescamp 
(p.  168,  ebenso  schon  p.  156).  Sie  weiß  doch,  daß  Gauchers  Perceval 
nicht  unser  ältester  Gralroman  ist.  Das  einzige,  was  W.  als  Einfluß 
der  Fecamp-Legende  auf  die  Gralabentener  deuten  kann,  sind  die 
zwei  Messer  bei  Wolfram  (p.  162)._  Heinzel  hatte  bereits  in  einer 
Anmerkung  zu  diesem  Passus  {Vier  Wolfram  von  Eschenbachs 
Perceval  p.  14  und  Franzosische  Gralromane  p.  40)  auf  die  Fecamp- 
Legende  hingewiesen,  doch  vorsichtigerweise  keinen  Schluß  gezogen. 
Die  Ähnlichkeit  ist  nicht  groß.  Zum  Abschaben  von  geronnenem 
Blut  und  Eiter  wurden  wohl  gewöhnlich  Messer  verwendet.  Darum 
kann  sich  in  Erzählungen,  in  denen  Blut  und  eitrige  Wunden  eine 
Holle  spielen,  leicht  die  Erwähnung  von  Messern  einstellen 22).  Einen 
einigermaßen  plausiblen  Grund  für  die  Beeinflussung  der  Grallegende 
durch  die  Fecamp-Legende  und  für  die  Existenz  des  in  Fecamp  ver- 
faßten Percevalromans  konnte  W.  nicht  beibringen.  Ich  bin  mit  ihr  der 
Ansicht,  daß  schon  in  Chretiens  Perceval  und  in  seiner  Quelle  der 
Gral  eine  christhche  Reliquie  war  (vgl,  diese  Zeitschrift  XXIX  i 
p.  58 — 59).  Bevor  er  unter  den  Einfluß  der  Fecamplegende  kommen 
konnte,  mußte  er  auch  nach  ihrer  Ansicht  mit  der  Passion  Christi 
in  Verbindung  gebracht  worden  sein  (p.  169);  das  heißt  doch  wohl, 
der  Gral  war  dem  Endstadium  seiner  Entwicklung  nahe,  und  die 
Fecamplegende  hatte  nicht  mehr  viel  abzugeben.  Sagen  wir  statt 
nicht  viel  lieber  nichts!  W's  Hypothese  ist,  gelinde  gesagt,  eine 
Verirrung.  Tatsache  ist  nur,  daß  Gaucher,  der  zwischen  der  Gral- 
legende und  der  Saint-Sang-Legende  von  Fecamp  eine  gewisse  Ähn- 
lichkeit (Blut)  fand,  ein  Buch  in  Fecamp  als  Quelle  seines  Romans 
ausgab,  und  so,  absichtlich  oder  unabsichtlich,  für  die  Abtei  Propaganda 
machte,  ähnlich  wie  der  Interpolator  eines  Gauvain-Gralabenteuers 
die  Geschichte  des  Volto  Santo  von  Lucca  (den  Ort  nannte  er  zwar 
nicht)  erwähnen  zu  müssen  glaubte  und  so  der  dortigen  Kirche  einen 
Dienst  leistete 23).  Es  ist  natürlich  theoretisch  möglich,  daß  sich 
Gaucher,    der   die  Fecamp-Legende   kannte,   durch   diese   beeinflussen 


'^)    In  der  Legende  heifst  es  sogar:   Fescamp  pour  le  ßguier  nommee. 

22)  Es  ist  auch  ganz  wohl  möglich,  dafs  Guiots  Version  entsprechend 
Chretiens  „ww  tailleor"  „deus  iailleors"  hatte,  woraus  Wolfram  vielleicht  aus 
Mifsverständnis  zwei  Messer  machte  (vgl.  auch  Heinzel  1.  c). 

-3)  W.  zitiert  den  Passus  (p.  163—165,  vgl.  noch  Appendix),  der 
W.  Foerster  (Le  Saint  Vou  de  Luqi(es,  1906)  unbekannt  geblieben  ist. 


138  Referate  und  Rezensionen.     JE.  Brugger. 

ließ,  auch,  daß  spätere  Dichter,  die  durch  Gauchcr  auf  dieselbe  auf- 
merksam gemacht  wurden,  unter  ihren  Einfluß  gerieten;  aber,  daß 
dies  geschah,  wäre  erst  nachzuweisen.  Ältere  Dichter  kommen  schon 
gar  nicht  in  Betracht. 

Die  übrigen  Percevalabenteuer  des  Chretienschen  Romans  werden 
von  W.  nicht  besprochen.  Sie  verdienen  aber  ebenso  gut  eine 
Besprechung  wie  die  bisher  behandelten  Abenteuer  und  haben  mehr 
Anspruch  darauf  als  die  nächstfolgenden.  Die  Gornemant-Episode,  die 
Sigune-Episode  und  das  Jeschute-Orguellous-Abeuteuer  sind  nicht  spätere 
Zusätze,  sondern  sind  ebenso  früh  mit  Percevals  Namen  verknüpft 
wie  irgend  ein  anderes  Abenteuer.  Vielmehr  ist  die  Bluttropfenepisode, 
die  W.  als  ursprünglich  vindizieren  will  (p.  173 — 174),  wahrscheinlich 
ein  späterer  Einschub,  wenn  gleich  keltischen  Ursprungs.  Das 
Jeschute-Orguellous-Abenteuer  gehört  sicher  nicht,  wie  "W.  beiläufig 
behauptet  (p.  88,  136,  173),  ursprünglich  zur  Griseldis- Familie. 
Beweise  kann  ich  hier  nicht  geben,  und  so  stehen  einstweilen 
Behauptungen  gegen  Behauptungen. 

Die  folgenden  Kapitel  sind  dem  großen  Gauvainkomplex  gewidmet, 
der  sagengeschichtlich,  zum  Teil  auch  literarisch,  viel  bedeutsamer 
ist  als  der  glatt  gehobelte  Percevalkomplex.  In  Kapitel  VI  stellt 
W.  eine  wichtige  Hypothese  auf  (p.  178 — 179):  TJie  Perceval  story, 
hefore  it  reached  the  hands  of  Chretien,  had  iindergone  two 
successive  contaminations  with  independent  versions  of  the  Gawain 
legend;  it  first  came  in  coniact  with,  and  icas  incorporated  into, 
a  group  of  short  episodic  poems,  which,  for  convenience  sake,  we 
loill  call  front  the  title  of  the  central  episode,  the  Chastel 
Orguellous  group.  This  group  represents,  1  helieve,  the  earliest 
Stratum  of  the  ArtJmrian  romantic  tradition  we  as  yet  possess, 
and  may  not  improhahlij  go  back  as  far  as  the  tenth  Century  .  .  . 
The  character  of  this  gr'oiq?  was  that  of  populär  folk-tale  rather 
than  of  deliberate  and  inventive  literature.  The  second  „Gaicain"" 
is  of  an  entirely  different  character.  It  was  an  elaborate  poem 
of  considerable  litei'ary  merit,  which,  from  its  central  episode, 
toe  call  the  „Chastel  MerveiUeus^'- '^^).  The  origin  of  this  central 
incident  was  of  equally  primitive  and  archaic  character  with  the 
story  themes  of  the  first  group,  but  its  treatment  was  much  later. 
It  loas  undoubtedly  loell  knoion,  not  only  to  Wauchier,  but  to 
the  literary  world  of  the  time  in  genei^al,  and  the  copyists  of 
Chretien  s  poem  used  it  freehj  and  independently.  Zum  Ausgangs- 
punkt dieser  Hypothese  macht  W.  mit  Recht  jenen  Passus  von 
Chretiens  Dichtung,  in  welchem  eine  häßliche  Jungfrau,  offenbar  eine 
Graljungfrau,  an  Arthurs  Hof  kommt  und,  nachdem  sie  Perceval  wegen 
seines    Gralbesuches   gescholten   hat,    die   Arthurritter   zum   Bestehen 


-*)  Besser,  weil  im  Einklang  mit  der  Überlieterung,  wäre  die  Bezeichnung 
Chastel  de  la  Merveille  gewesen. 


Jessie  L.   Weston.      The  legend  of  Sir  Perceval.         139 

von  drei  Abenteuern:  Castel  Orguellous,  Mont  Esclaire  und  (ur- 
sprünglich auch)  Mont  Dolerous  anfeuert,  worauf  der  Ritter 
Guigambresil  erscheint  und  Gauvain  auffordert  nach  Escavalon  zu 
kommen.  Der  Passus  dürfte  auf  die  gemeinsame  Quelle  von  Chretien 
und  Kiot-Wolfram  zurückgehen^^);  ebenso  weit  reichen  alle  diejenigen 
Gauvain-Abenteuer  zurück,  die  letzterer  mit  ersterm  gemein  hat; 
denn  Kiot  kann  sie  nicht  von  Chretien  abgeschrieben  haben,  da  sie 
bei  ihm  ursprüngliche  Züge  enthalten,  vermutlich  sogar  mehr  als  bei 
Chretien.  Die  drei  zuerst  genannten  Abenteuer  gehören  W's  Chastel- 
Orgueillous-Komjjlex  an.  das  Escavalon -Abenteuer  "W's  Chastel- 
Merveillous-Komplex.  Der  Dichter,  der  die  vier  Abenteuer  in  einem 
Atemzug  erwähnte,  beabsichtigte  offenbar,  sie  alle,  samt  dem,  was 
drum  und  dran  hing,  nach  einander  zu  schildern.  Dieser  Dichter 
aber  war  offenbar  auch  derjenige,  der  sie  zuerst  dem  Percevalroman 
einverleibte,  also  vermutlich  der  Verfasser  von  Chretiens  und  Guiots 
Quelle.  Dann  kann  man  aber  nicht  mit  W.  behaupten,  daß  die 
beiden  Komplexe  nach  einander  Teile  des  Perceval  wurden.  Sie 
wurden  es  vielmehr  gleichzeitig.  Und  sollte  die  Erwähnung  der  drei 
Chastel-Orgueillous-Abenteuer  und  deren  wirkliche  oder  beabsichtigte 
Ausführung  nicht  auf  die  gemeinsame  Quelle  zurückgehen,  sondern 
zuerst  bei  Chretien  oder  einer  Zwischenstufe  zwischen  jener  und  diesem 
sich  finden,  so  wäre  der  Chastel-Merveillous-Komplex  früher  mit  dem 
Perceval  verbunden  worden  als  der  Chastel-Orgueillous-Komplex  26). 
Sind  aber  die  beiden  Komplexe  gleichzeitig  dem  Perceval  einverleibt 
worden,  so  ist  als  wahrscheinlich  anzunehmen,  daß  sie  der  betr. 
Dichter  bereits  in  einem  Komplex  vereinigt  fand;  und  es  ist  dann 
fraglich,  ob  dieser  eine  Komplex  einmal  aus  zwei  Komplexen  hervor- 
gegangen ist  oder  ob  nicht  die  Chastel-Merveillous- Gruppe  den 
einzelnen  Teilen  der  sog.  Chastel-Orgueillous-Gruppe  (die  gar  nicht 
eiuheithch  ist)  koordiniert  war.  Die  Verschiedenheit  des  Tons  in 
den  beiden  Gruppen  ist  kaum  so  groß,  daß  sie  sich  nicht  schon 
daraus  erklären  könnte,  daß  uns  die  beiden  Gruppen  zufällig  in 
verschiedener  dichterischer  Bearbeitung  überliefert  sind.  Die  Ein- 
führung der  Gauvain-Abenteuer  in  den  Perceval  durch  den  Verfasser 


''*'■)  Kiot-Wolfram  erwähnt  zwar  die  ersten  drei  Abenteuer  nicht;  da 
sie  nicht  ausgeführt  wurden,  wurde  wohl  auch  die  Ankündigung  derselben 
als  sinnlos  ausgelassen.  Dagegen  kündigt  hier  die  häfsliche  Jungfrau, 
Kundrie,  das  Abenteuer  von  Schäiel  Mervcil  an,  was  keinen  Sinn  hat,  und 
sagt,  dafs  sie  dort  hingehen  müsse;  ebenso  mufs  Chretiens  Botin  nach 
Chastel  Orrjueillom  gehen.  Es  ist  fast  zweifellos,  dafs  Kiot  hier  Chastel  de 
MerveiUe  an  Stelle  von  Chastel  Orr/ueillous  treten  liefs. 

^^)  Ich  weifs  nicht,  ob  W.  bei  ihrer  entgegengesetzten  Behauptung 
an  die  Verbindung  des  Chastel-Orgueillous-Komplexes  mit  Gauchers  Perceval- 
abenteuern,  die  sie  „Perceval-interpolationen  in  den  Ch.-O.- Komplex"  nennt, 
dachte.  Meiner  Ansicht  nach  sind  aber,  wie  ich  schon  oben  bemerkt  habe, 
diese  Abenteuer  nicht  eher  Percevalabeuteuer  gewesen,  als  bis  sie  Gaucher 
zur  Fortsetzung  des  Percevalroman s  verwendete. 


140  Referate  ^ind  Rezensionen.     E.  Brugger. 

von  Chretiens  und  Guiots  Quelle  erkläre  ich  mir  anders  als  W., 
deren  Argument  (p.  182)  mir  nicht  plausibel  erscheint.  Der  Grund 
lag  meiner  Ansicht  nach  in  der  Zweiteilung  des  Gralabenteuers, 
welches  ursprünglich  wohl  nur  einen  Besuch  des  Helden  kannte. 
Es  handelte  sich  dann  darum,  die  notwendig  lange  Zeit  zwischen  den 
zwei  Besuchen  mit  Abenteuern  auszufüllen;  aber  Percevalmaterial  war 
nicht  mehr  vorhanden;  so  verfiel  der  sklavisch  arbeitende  Dichter 
auf  den  großen  Gauvainroman,  der  eine  Fülle  von  Material  bot; 
dem  Dichter  war  es  wohl  zu  mühsam,  die  verschiedenen  Abenteuer 
zu  Percevalabenteuern  umzugestalten;  denn  dies  war  nicht  so  einfach, 
da  auf  die  besonderen  Verhältnisse,  in  denen  sich  Perceval  damals 
befand,  Rücksicht  genommen  werden  mußte.  So  machte  er  sichs 
bequem,  und  schrieb  die  Gauvain-Abenteuer  einfach  ab  (vielleicht 
mit  Änderungen,  die  wir  nicht  mehr  konstatieren  können).  Ich  halte 
es  für  wahrscheinlich,  daß  er  von  Zeit  zu  Zeit  die  Gauvain-Abenteuer 
durch  eine  mehr  oder  weniger  erfundene  kurze  Percevalepisode  unter- 
brach, damit  der  Hörer  den  Protagonisten  nicht  aus  den  Augen 
verlieren  sollte;  eine  solche  ist  in  dem  uns  erhaltenen  Teil  die 
Charfreitagsepisode,  die  durch  Chretien  und  Guiot  bezeugt  ist.  Auf 
den  Gauvainkomplex  folgte  wohl  in  diesem  Percevalroman  der  zweite 
Gralbesuch  Percevals,  dann  vielleicht  als  Schlußepisode  die  Heirat 
Percevals  -^). 

Die  zwei  folgenden  Kapitel  werden  dem  Chastel-Merveillous- 
Komplex  gewidmet.  Eine  literatur-  und  sagengeschichtliche  Erklärung 
der  wichtigsten  Episoden,  Tintaguel-,  Escavalon-,  Galvoie-,  Greoreas-, 
Chastel-de-la-Merveille-  und  öi«Vo?neZani- Abenteuer  wird  leider 
nicht  gegeben.  Nur  vom  Chastel-de-la- Merveille- Abenteuer,  wozu 
sie  auch  die  Galvoie-  und  die  Guiromela7it- Episode  zu  rechnen 
scheint,  gibt  sie  die  kurze  Erklärung  (ilie  wir  schon  aus  The  legend 
of  Sir  Gawaiii  kennen),  daß  es  represents  a  visit  to  the  Other- 
world  (p.  190).  Ich  glaube,  nachweisen  zu  können,  daß  dies  nicht 
der  ursprüngliche  Sinn  des  Abenteuers  war,  daß  jenes  Motiv  nur 
durch  Konfusion  anderswoher  eingeführt  wurde.  W.  meint  behaupten 
zu  dürfen,  daß  der  Chastel-Merveillous-Komplex  of  insular  origin 
sei  (p.  192,  und  allgemeiner  p.  224  n.,  230).  Sie  beruft  sich  auf 
den  Namen  Galvoie,  der  allerdings  Galloway  bedeutet.  Dieses 
Gebiet  galt  wohl  ebenso  wie  die  ihm  benachbarten  Gebiete  Gorre 
und  Sorelois  (vgl.  hierüber  diese  Zeitschrift  XXVIID  p.  1  S.)  als 
ein  Totenreich.    Warum  sollen  die  aus  Großbritannien  ausgewanderten 


2')  Dafs  der  Chastel-Orgueillous- Komplex  zu  Gunsten  des  Chastel- 
Merveillous-Komplexes  displaced  wurde,  wie  W.  (p.  182,  184)  behauptet,  kann 
kaum  richtig  sein.  Es  ist  charakteristisch  für  das  in  Kompilationen  übliche 
Einschachtelungssystem,  dafs  Abenteuer  angekündigt  oder  auch  begonnen 
werden,  gleich  darauf  aber  durch  eine  plötzliche  Wendung  neue  Abenteuer 
sich  vordrängen,  wodurch  dann  erstere  leicht  zu  Rahmenabenteuern  der 
letzteren  werden. 


Jessie  L.    Weston.     Tlie  Legend  of  Sir  Perceval.         141 

Bretonen  die  Tradition  von  Galloway  als  Totenreich,  die  nach  Ws 
eigener  'Ansicht  sehr  alt  sein  muß,  nicht  bewahrt  haben?  Müssen 
sie  denn  alle  Sagen  ihrer  Vorfahren  vergessen  haben  2S)?  Auch 
Tintaguel  muß  wieder  einmal  herhalten;  darüber  habe  ich  nun  schon 
genug  geschrieben,  um  nicht  hier  nochmals  darauf  eingehen  zu  müssen 
(vgl.  diese  Zeitschrift  XX  i,  XXVII  i).  W.  geniert  sich  nicht,  sogar 
Nottingham-on- Trent  zu  nennen.  Soll  dieser  Name  auch  auf  die 
altkeltische  Sage  zurückgehen?  Es  ist  ja  klar,  daß  die  französischen 
Dichter,  die  (unter  Galfrids  Einfluß)  die  Arthursagen  in  Großbritannien 
lokalisierten,  nicht  kontinentale,  sondern  großbritannische  Ortsnamen 
einführten. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  der  Chastel-Merveillous-Komplex 
des  französischen  Perceval,  weil  der  uns  erhaltene  Text  von  zwei 
verschiedenen  Autoren  herrührt.  Chretien  bricht  ab  kurz  vor  dem  Schluß 
der  Guiromelantepisode,  und  ein  anderer  Autor  tritt  in  den  Riß. 
Man  war  gewohnt,  nach  G.  Paris'  Vorgang,  Gaucher  de  Denain,  der 
sich  in  einem  Perceval-Abenteuer  nennt,  erst  da  einsetzen  zu  lassen, 
wo  die  Geschichte  Percevals  wieder  aufgenommen  wird.  Das  da- 
zwischenliegende Material  schrieb  man  einem  unbekannten  Fortsetzer 
zu,  den  man  Pseudo-Gaucher  nannte.  W.  lehnt  Pseudo-Gaucher  ab 
und  schreibt  Gaucher  alles  zwischen  Chretien  und  Gerbert  resp. 
Manessier  befindliche  Material  zu  (p.  183).  Der  Umstand,  daß  sich 
in  einem  Abenteuer  des  sog.  Pseudo-Gaucher  und  in  einem  Abenteuer 
des  „echten"  Gaucher  eine  Berufung  auf  dieselbe  Quelle  (Bleheris,  bis- 
her nicht  bekannt)  findet  (vgl.  p.  235),  scheint  ihr  Recht  zu  geben. 
Die  Coincidenz  ließe  sich  kaum  anders  erklären.  Woher  bekam  nun 
Gaucher  sein  Material?  Die  namentlich  für  den  Schluß  des  Chastel- 
Merveillous-Komplexes  von  G.  Paris  aufgestellte,  von  Waitz  adoptierte 
Notizentheorie  wird  von  W.  (p.  181)  mit  Recht  abgewiesen.  Nach 
Notizen  komponierte  ein  Zola,  aber  kein  mittelalterlicher  Dichter.  Die 
Quelle   war  natürlich  ein  Versroman  oder  zwei  oder  mehrere  solche. 


"^)  L.  c.  glaube  ich  es  wahrscheinlich  gemacht  zu  haben,  dafs  wenigstens 
die  mit  Gorre  verknüpfte  auch  in  Grofsbritannien  erhaltene  Sage  den 
Franzosen  durch  die  Vermittlung  der  Bretonen  zukam.  W.  verwies  mir 
zwar  in  einer  Anmerkung  ihrer  Legend  of  Sir  Lancelot,  dafs  ich,  indem  ich 
vom  Ursprung  der  Sagen  spreche,  das  Wort  in  einem  sekundären  statt  in 
einem  primären  Sinn  auflFasse.  Ich  habe  Gründe  genug,  um  bei  meiner 
Definition  zu  bleiben.  Bei  der  Kritik  eines  französischen  Literaturwerkes 
handelt  es  sich  für  mich  in  erster  Linie  darum,  zu  wissen,  von  welchem 
Volk  die  Franzosen  den  Stotf  überkommen  haben.  Von  sekundärem 
Interesse  ist  es  für  mich,  woher  jenes  Volk  den  Stoß:  geholt  hat  und  so  ad 
inßnitum.  Es  ist  ja  gut,  zwei  Arten  bretonischer  Sagen  zu  unterscheiden: 
1.  solche,  welche  die  Bretonen  aus  ihrer  überseeischen  Heimat  mitbrachten 
oder  nachher  überkamen  (z.  B.  Arthur,  Tristan,  Caradoc),  2.  solche,  welche 
in  ihrer  neuen  Heimat  entstanden  (z.  B.  Guingamor,  GraeUnt,  Erec,  Tidorcl, 
Alain  de  Gomeret).  Sagen  der  letzteren  Klasse  sind  natürlich  in  den  Romanen 
viel  leichter  als  sicher  bretonisch  nachzuweisen;  die  ersteren  waren  aber 
in  Wirklichkeit  jedenfalls  viel  zahlreicher. 


142  Referate  und  Rezensionen.     E.  Bmgger. 

Im  Gegensatz  zu  W.  (wenn  ich  sie  recht  verstehe),  halte  ich  dafür, 
daß  es  eine  einzige  Quelle  war,  woraus  Gaucher  sowohl  den  Schluß 
des  Chastel-Merveillous-Komplexes  als  den  Chastel-Orguellous-Komplex 
bezog.  Ich  kann  es  nicht  für  wahrscheinlich  halten,  daß  Chretiens 
und  Guiots  Quelle  und  Gaucher  je  zwei  Komplexe  dieser  Art  für 
ihren  Perceval  benutzten.  Ich  glaube,  wie  ich  schon  oben  sagte,  daß 
diese  Komplexe,  wenn  auch  nicht  von  Anfang  an,  vereinigt  waren. 
War  Gauchers  Quelle  identisch  mit  derjenigen  der  Quelle  Chretiens 
und  Guiots?  W.  spricht  sich  auch  hierüber  nicht  deutlich  aus  (vgl. 
p.  181,  235).  Es  kann  jedenfalls  nur  mit  Reserve  behauptet  werden, 
that  although  Wauchier  lorote  later  than  Chretien  tlie  sources 
foUowed  hy  Mm  were  earlier.  Für  den  Chastel-Merveillous-Komplex 
kann  dies  schon  nicht  begründet  werden,  noch  weniger  aber  für  den 
Chastel-Orguellous-Komplex;  denn  da  wissen  wir  über  Chretiens  Quelle 
garnichts.  Die  Ankündigung  durch  die  häßliche  Jungfrau  ist  alles, 
was  uns  Chretien  davon  erhalten  hat;  und  Kiot- Wolfram  hat  es  leider 
ebenfalls  für  gut  gefunden,  jenen  Komplex  der  Einheit  des  Romans 
zu  opfern.  Einen  interessanten  einzigen  Überrest  desselben,  der 
wenigstens  das  Vorhandensein  in  der  Quelle  beweist,  hat  W.  (p.  212) 
nachgewiesen 29).  Wir  können  aber  wohl  mit  Sicherheit  behaupten,  daß 
Gauchers  Quelle  nicht  identisch  mit  derjenigen  Chretiens  war;  sonst 
hätten  wir  in  den  Percevalabenteuern,  speziell  auch  im  Gralabenteuer 
Percevals  bei  Gaucher  viel  mehr  Ähnlichkeit  mit  Chretien  und  Wolfram. 
Es  ist  auch  höchst  unwahrscheinlich,  daß  Chretiens  und  Kiots  Quelle 
den  ungeheuren  Abenteuerkomplex,  der  mit  Perceval  nichts  zu  tun  hatte, 
enthielt.  Der  Verfasser  dieser  Quelle  hätte  zum  mindesten  von  Zeit 
zu  Zeit  eine  Percevalepiso^e,  wie  die  oben  erwähnte  Charfreitags- 
episode,  eingeführt.  Aus  der  Ankündigung  der  häßlichen  Jungfrau 
ist  nur  zu  entnehmen,  daß  jener  Roman  drei  Abenteuer  des 
€hastel-Orguellous-Komplexes  enthielt.  Sehr  viel  mehr  wird  er  kaum 
enthalten  haben,  jedenfalls  keine  andern  als  Gauvainabenteuer  (oder 
höchstens  noch  unechte  Percevalabenteuer,  d.  h.  solche,  in  die  erst 
von  jenem  Dichter  Perceval  eingeführt  wurde).  Gaucher  wurde  offen- 
bar durch  die  Erwähnung  der  drei  Abenteuer  des  Chastel-Orguellous- 
Komplexes  in  Chretiens  Roman,  und,  wenn,  wie  wir  annahmen,  der 
Chastel-Merveillous-Komplex  schon  mit  jenem  Komplex  vereint 
existierte,  auch  durch  ihn  auf  den  großen  Gauvainroman  aufmerksam 
gemacht:  er  traf,  abgesehen  von  jenen  drei  Abenteuern,  eine  andere 
Auswahl,  oder  er  schnitt  sich  einfach  ohne  Wahl  ein  größeres  Stück 
heraus,  zu  dem  jene  drei  Abenteuer  gehörten.  Gauchers  Quelle  mag 
zudem  eine  andere  Redaktion  des  Gauvainromans  gewesen  sein  als 
die  Quelle  von  Chretien  und  Guiot.    Der  letzte,  von  Gaucher  bearbeitete 


29)  Warum  figuriert  denn  eigentlich  in  dem  Stammbaum  p.  324  der 
Castel-Orguellous-Komplex  nicht  auch  als  Quelle  von  Chretiens  und  Kiots 
Quelle? 


Jessie  L.    Weston.     The  legend  of  Sir  Perceval.         143 

Teil  des  Chastel-Merveillous-Komplexes  ist  in  zwei  Redaktionen  über- 
liefert, von  denen  die  kürzere  offenbar  aus  der  längern  entstellt  ist. 
Die  in  der  letzteren  enthaltenen,  in  der  ersteren  fehlenden  Abenteuer 
werden  in  Kapitel  VIII  besprochen.  Ich  sehe  nicht  ein,  weshalb  sie 
nicht  alle  aus  dem  großen  Gauvainroman  stammen  sollten  (W. 
p.  226 — 227);  Sie  haben  allerdings  weder  sehr  primitiven  Charakter 
noch  besondern  literarischen  Wert;  aber  dasselbe  gilt  auch  von  sichern 
Partien  des  Chastel-Merveillous-Komplexes  (z.  B,  Tintaguel-Episode). 
Nur  das  Mont-Esclaire-Abenteuer  gehörte  wobl  ursprünglich  zum 
Chastel-Orguellous-Komplex.  Soll  Gaucher  es  ohne  Grund  versetzt 
haben?  Sonst  bekommt  man  von  Gaucher  den  Eindruck,  daß  er  ohne 
Zwang  an  seiner  Quelle  nichts  änderte.  Wenn  man  aber  von  Gaucher 
die  Verantwortlichkeit  abwälzt,  so  kommt  man  wieder  zu  der  An- 
nahme, daß  schon  in  Gauchers  Quelle  die  beiden  Komplexe  vereinigt 
waren.  lu  der  Scblußpartie  der  Guiromelantepisode  zeigen  die  Hss. 
merkwürdig  viele  und  starke  Abweichungen  von  einander,  aber 
doch  a  general  uniformity  in  ilie  midst  of  diversity  (p.  180). 
Statt  hier  mit  G.  Paris  die  Benutzung  von  Chretiens  „Notizen"  durch 
die  Kopisten  anzunehmen,  glaubt  W.,  daß  der  Chastel-Merveillous- 
Komplex,  weil  sehr  verbreitet,  den  Kopisten  in  verschieden  Versionen 
zugänglich  war  (p.  181).  Dem  gegenüber  ist  doch  zu  bemerken,  daß 
im  übrigen  Teil  des  Chastel-Merveillous-Komplexes  die  Varianten  un- 
bedeutend sind  (was  W.  als  Variauten  zitiert,  ist  ganz  gewöhnlicher 
Art),  und  daß  vermutlich  der  besondere  Charakter  des  Schlußteils 
der  Guiromelantepisode  zu  Variationen  herausforderte.  Nirgends  sonst 
war  die  Gelegenheit  zu  Reflektionen,  wie  sie  seit  Chretien  beliebt 
waren,  so  günstig.  Gerade  die  von  W.  zitierten  Stücke,  Gauvains 
Beichte  und  die  Klage  der  Clarissanz,  die  nur  in  einer  einzigen  Hs., 
B.  N.  1450,  vorkommen,  sich  übrigens  an  berühmte  Muster  anlehnen, 
halte  ich  einstweilen  noch  für  Ausschmückungen  eines  Kopisten,  der 
das  Zeug  zum  Dichten  hatte.  Die  Handschriftenkritik  muß  hier 
Ordnung  schaffen.  Bei  der  Kritik  des  Chastel-Merveillous-Komplexes 
hätte  unbedingt  auch  Türlins  Crone  benutzt  werden  sollen,  vielleicht 
auch  noch  die  Merlinfortsetzung  der  Hs.  B.  N.  fr.  337  (Freymond). 
Am  Schluß  des  Kapitels  VIII  nimmt  W.  von  Chretien  Abschied  mit 
einer  meiner  Ansicht  nach  im  Ganzen  treffenden  Charakteristik  seiner 
Tätigkeit  und  literarischen  Bedeutung.  Es  ist  natürlich  kein  Loblied 
auf  den  Dichter.  Chretiens  Quelle  war  ein  literarisches  Werk,  ein 
arthurischer  Versroman,  vermutlich  nicht  sehr  verschieden  von  seinem 
Perceval.  Ich  bin  bei  allen  arthurischen  Romanen,  die  ich  auf  ihre 
Quellen  hin  untersuchte  (und  ich  glaube,  6s  ist  mir  keiner  entgangen), 
immer  zu  einem  und  demselben  Schluß  hingedrängt  worden,  daß  ihre 
Quellen  Arthurroraane  ungefähr  derselben  Art  waren  wie  sie  selbst -^^^ 


'")  Nur    für    gewisse   Prosaromane    {Merlm,    Mort  Artur,   Joseph,    Saint- 
Graal  gilt  dies  nicht  (vgl.  diese  Zeitschrift  XXIX  i). 


l-i-l  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

(vgl.  auch  diese  Zeitschrift 'K'KWW^  p.  3 — 4).  Ihre  Verfasser  waren 
remanieurs,  aber  geschickter  und  gebildeter  als  die  remanieurs  der 
Chansons  de  geste.  Die  eigentlichen  produktiven  Epiker,  die  Verfasser 
der  Lais  wie  der  kleinern  Romane,  lebten  viel  früher,  in  der  ersten 
Hälfte  des  12.,  vielleicht  sogar  auch  schon  am  Ende  11.  Jahrhunderts. 
Chretien  hat  nicht  nur  nicht  den  Arthurroman  geschaifen,  sondern 
ist  ein  Dichter  der  Dekadenz.  Dies  macht  ihn  vielleicht  in  den 
Augen  vieler  interessanter. 

Die  folgenden  Kapitel  behandeln  den  Chastel  Orguellous-Kom^lex. 
In  Kapitel  IX  werden  die  Abenteuer  Gauvains,  Guinglains  und  Garahiets 
kurz  besprochen.  Zahlreiche  Zitate,  die  besonders  auf  Gauchers  Quelle 
Bezug  haben,  machen  dieses  Kapitel  interessant.  Gauchers  Quelle 
war  hiernach  eine  Sammlung  von  meist  längeren  Erzählungen  {branches- 
genannt), die  einander  kaum  in  anderer  Weise  etwas  angehen  als  daß- 
sie  Gauvain  oder  seine  Verwandten  zu  Helden  haben,  und  die  meist  noch 
einen  sehr  archaischen  Charakter  haben,  folglich  von  Gaucher  kaum 
stark  überarbeitet  worden  sein  können.  Gauchers  Quelle  war  das 
Manuskript  eines  Jongleurs  von  Loudun;  daß  dessen  naive  Einschiebsel 
von  Gaucher  nicht  gestrichen  wurden,  zeigt  deutlich,  wie  nachlässig- 
dieser  sogenannte  Dichter  hier  vorging;  aber  Dank  dieser  seiner 
Stümperei  sind  uns  viele  kraftvolle  und  echt  poetische  Stücke  unverfälscht 
erhalten  worden,  die  ein  Chretien  oder  Guiot  gewiß  schrecklich  entstellt 
hätte,  so  namentlich  der  Kampf  zwischen  Gauvain  und  Brandeiis,  den 
ich  auch  schon  längst  für  einen  der  großartigsten  Überreste  der 
altfranzösischen  Literatur  hielt,  der  aber  noch  in  keiner  Literatur- 
geschichte auch  nur  erwähnt  wurde.  Leider  ist  uns  wohl  nur  ein 
geringer  Teil  dieses  großen  Gauvainromans,  le  grant  conte,  den  zu 
abregier  (so  bezeichnet  er  selbst  seine  Tätigkeit)  Gaucher  für  nötig 
hielt,  durch  ihn  erhalten  worden.  Ich  denke,  daß  wir  mit  Hülfe 
von  Türlins  Crone,  die  eine  französische  Kompilation  ähnlicher  Art, 
auch  mit  Gauvain  als  Helden,  voraussetzt  und  noch  vieles  sehr  altes 
Material  enthält,  uns  am  ehesten  einen  Begriff  von  dem  verlorenen 
Roman  machen  können.  Daß  die  Namen  Gaheries  und  Guerehes 
für  Gauvains  Bruder  ursprünglich  identisch  waren,  glaube  ich  mit 
W".  (p.  247  —  248);  es  ist  möglieb,  daß  die  Kopisten  des  Perceval 
die  beiden  Formen  indiscriminately  verwenden;  aber  darauf  kommt's 
nicht  an;  die  Autoren  machen  durchwegs  den  Unterschied;  in  den 
Versromanen  zählt  der  erste  Name  immer  als  viersilbig ^i).  Lot  hat 
traditionally  nicht  vier  Söhne,  sondern  fünf,  außer  den  beiden  genannten 
und  Modred  noch  Agravain,  den  W.  nicht  zu  kennen  scheint.  Weil 
in  Gauchers  Gaheries-Branche  dem  Helden  mehrmals  zugerufen  wird: 
dehait  ait  li  vostre  biau  cors,  meint  W.,  daß  sich  in  dieser  Weise 


31)  Unrichtig  ist,  was  W.  (Legend  of  Sir  Lancelot  p.  198)  behauptet,  dafs 
der  Name  Guerehes  fast  nur  im  Prosa-Lancelot  und  den  von  ihm  abhängigen. 
Prosaromanen  vorkomme. 


Jessie  L.    Weston.     The  legend  of  Sir  Percevah         145 

der  Name  Beacurs  erklärt,  den  Gauvains  (einziger)  Bruder  bei  Wolfram 
hat.  Es  ist  aber  kaum  zu  bezweifeln,  daß  Beacurs  aus  Biaus  Coars 
(schon  im  Erec  erwähnt),  allerdings  durch  konfundierenden  Einfluß 
von  biau  cors,  entstanden  ist.  Biaus  Coars  ist  gleichbedeutend 
mit  Biaus  Mavais;  aus  letzterem  Namen  entstand  aber,  wie  schon 
G.  Paris  vermutete,  Malory's  Beaumains,  und  dies  ist  der  Name 
von   Gauvains  Bruder  Gareth^-). 

In  Kapitel  10  werden  Gauchers  Percevalabenteuer 
besprochen.  Nach  "W.  würden  sie  in  3  Gruppen  zerfallen:  1,  solche, 
die  wahrscheinlich  schon  zur  Chastel-Orgueillous-Konipilation  gehörten; 
2.  solche,  die  aus  einem  Perceval-Gralroraan  stammten,  3.  solche, 
die  entweder  unbekannter  Herkunft  oder  von  Gaucher  erfunden  sind 
(p.  253).  Die  Abenteuer  der  ersten  Gruppe  waren  nach  W.  in  Gauchers 
Quelle  Interpolationen,  ursprünglich  unabhängige  Perceval-Lais.  W. 
nimmt  es  für  ganz  selbstverständlich  an,  daß  alle  Perceval-Abenteuer, 
die  einen  etwas  primitiven  Charakter  zeigen,  von  Anfang  an  Perceval- 
abenteuer waren  (vgl,  auch  p.  235).  Nach  ihrer  Ansicht  sind  wohl 
die  Eigennamen  und  speziell  der  Name  des  Protagonisten,  das  Rückgrat 
der  Abenteuer,  das  bei  allen  Metamorphosen  der  letztern  stabil  bleibt. 
Tatsache  ist,  wie  ich  schon  oben  gesagt  habe,  das  gerade  Gegenteil  hiervon. 
Erwägen  wir  nun  aber  folgendes:  1.  die  große  Unbeständigkeit  der 
Eigennamen  (besonders  der  Namen  der  Protagonisten),  2.  die  Tatsache, 
daß  die  zahlreichen  Percevalabenteuer  Gauchers  allen  ursprünglichen 
Percevalromanen  (Chretien,  Guiot,  Sir  Percyvelle),  die  doch  (abgesehen 
von  demjenigen  Chretieiis)  vollständig  zu  sein  scheinen,  total  fremd 
sind 33)^  3.  den  Umstand,  daß  Gaucher,  als  Fortsetzer  eines  Perceval- 
lomans,  Percevalabenteuer  bringen  mußte,  folglich,  wenn  er  außer 
(lern  Chretienschen  keine  solche  kannte,  wenn  es  kaum  solche  gab, 
die  Chretien  nicht  hatte,  erfinden  mußte,  oder  falls  dies  zu  mühsam 


32)  Die  Art  der  Entstellung  bei  Wolfram  und  Malory  ist  ganz  ähnlich : 
Biaus  Coars  ;  ßiau  Cors  =  Biaus  Mavais  :  Biaus  [sie!]  Mains.  Man  sieht 
auch  an  diesem  Beispiel,  wie  ein  Beiname  den  eigentlichen  Namen  verdrängen 
kann  (bei  Malory  noch  nicht,  wohl  aber  bei  Wolfram).  So  halte  ich  auch 
Percevaus  (SO  ursprünglich  wohl  auch  im  Accusativ)  für  einen  Beinamen,  der 
den  eigentlichen  JMaraen  verloren  gehen  liefs;  vgl.  auch  oben  Galan- Trehuchet. 
Der  Biaus  Mauvais  bei  Gaucher  und  der  Biaus  Coars  im  Perlesvaus  haben 
andere  Rollen  als  Garehies  bei  Gaucher  und  Gareth  bei  Malory  (vgl.  W.  p.  259, 
261).  Ersterer  soll  der  Sohn  des  Grafen  von  Gauvoie  sein;  für  Gauvains 
Bruder  würde  dies  passen,  wenn,  wie  W,  glaubt,  Gauvain  zu  Galloway  gehörte. 

3*)  Ausgenommen  sind  nur  die  Rückkehr  zu  Blancheflor,  die  Rückkehr 
in  die  Heimat,  der  Besuch  beim  Einsiedler-Onkel,  die  Begegnung  mit  dem 
Bruder  des  roten  Ritters  und  das  Perceval-Gralabenteuer,  den  neuen  Verhält- 
nissen angepafste  Wiederholungen  Chretienscher  Episoden.  Die  erstereu 
beiden  habe  ich  oben  besprochen;  die  Schwester  Percevals  findet  s. ich  zwar 
bei  Chretien  nicht;  aber  des  Widerspruchs  war  sich  vielleicht  nicht  einmal 
Gaucher,  geschweige  sein  Publikuni  bewufst;  denn  Chretien  sagt  nicht,  dafs 
Perceval  keine  Schwester  hatte.  Ähnlich  erklärt  sich  die  Fortsetzung  des 
Abenteuers  mit  dem  roten  Ritter ;  Gerbert  ist  auf  denselben  Gedanken 
verfallen  wie  Gaucher.  Auch  der  Besuch  beim  Eremiten  verdankt  sein  Dasein 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXP.  10 


146  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

war,    die  Abenteuer  anderer  Helden  zu   Percevalabenteuern   machen 
mußte:    erwägen  wir  dies,  sage  ich,  haben  wir  dann  nicht  ein  Recht, 
an  der  ürsprünglichkeit  seiner  Percevalabenteuer  als  solcher  zu  zwei- 
feln,  ist  ilire  Unursprünglichkeit  in  diesem  Sinne  nicht  a  priori  das 
wahrscheinlichere?    Nun  sind  noch  einige  Momente  zu  erwähnen,  die 
uns   einen   Fingerzeig  geben:     1.   Unter  Gauchers  Percevalabenteuern 
findet  sich  auch  die  Mont-Dolerous-E^\?,odiQ,  die,  wie  W.  wohl  weiß, 
als  zum  unabhängigen  Chastel-Orgueillous-Komplex  gehörig  durch  eine 
Allusion   Chretiens   gesichert   ist;    doch    nach   Chretien   müßte   nicht 
Perceval    der  Held   dieses  Abenteuers   sein,  sondern  Kahedin.     Nach 
W.  (p.  272    n.   1)    wären  Kahedin  und  Keu  (welcher  das  Abenteuer 
auch   versucht   hat)   verwechselt  worden.     Ist  nicht   einfach  Perceval 
von   Gaucher  au   Kahedins   Stelle   gesetzt   worden  ^4)?    2.    Percevals 
Gralabeuteuer  schließt  sich  nach  W/  s  eigener  Ansicht  sehr  den  Gauvain- 
Gralabenteuern  an  (p.  272 — 273;  vgl.  dazu  p.  262).    Lag  ihm  nicht 
ein    solches    zu   Grunde?    3.  Die    sogenannte  Elucidation,   die  nach 
W.'s   Ansicht    zu  einer  Version   der  Chastel-Orgueillous-Kompilation 
gehörte,  berichtet,  daß  Arthurs  Feinde  errichteten:    le  rice  Castel  as 
Pucieles,  le  Pont  Perillous  et  le  grant  Castel  Orguellous  (p.  280). 
Diese    drei    Einrichtungen   scheinen   also   zusammengehört  zu    haben, 
folglich  auch  die  sie  betreffenden  Abenteuer.  Gauchers  Perceval  section 
bringt   in  der  Tat  ein   Castel-as- Pucieles- Ah&wiQWQT  und  bald  darauf 
ein  Pont- Per iUous-KhQniQWQr^  womit  ein  Turnier  beim  Castel  Orguellous 
verbunden    ist.      Das    eigentliche    Chastel-Orgueillous-Abenteuer    aber 
findet   sich   in    der  Gauvain   section.     Gehörten    die  drei  Abenteuer 
von  Anfang  an  zusammen,  so  waren  auch  jene  zwei  Percevalabenteuer 
ebenso  wie  das  letztere,  Teile  der  ältesten  Chastel-Orgueillous-Kompilation, 
die,  wie  W.  sagt,  nur  Abenteuer  Gauvains  und  seiner  nächsten  Verwandten 
enthielt.      4.    Zu   den   englischen    Gauvaindichtungen,    die   nach   W.'s 
Ansicht    (p.  286)    ebenfalls    auf    die    Chastel-Orgueillous-Kompilation 
zurückgehen,   gehört   auch   The    Weddynge  of  Sir   Gaioayne.     Nach 
W.  würden  diese  Dichtungen  sogar  auf  eine  ganz  alte  Version  zurück- 
gehen, welche  die  sogenannte  Perceval -Interpolation  noch  nicht  enthielt. 
Denn  sie  sagt  ausdrücklich :     We  have  nothing  corresponding  in  any 


demselben  Gedankengang  des  Autors.  Der  Eremit  ist  hier  Onkel  väterlicher- 
seits, bei  Chretien  mütterlicherseits ;  derartige  Konfusionen  sind  sehr  häufig, 
üaucher  dürfte  sich  nicht  genau  an  Chretien  erinnert  haben;  er  gab  sich 
überhaupt  nicht  viel  Mühe,  mit  diesem  übereinzustimmen,  wie  W.  selbst 
zugibt  (p.  261).  Das  Gralabenteuer  ist  etwas  an  Chretien's  Version  angeglichen 
worden :  da  aber  das  Gralabenteuer  kein  spezifisches  Percevalabenteuer 
ist,  im  Gegenteil,  wie  W.  mit  Recht  bemerkt,  Gauvain  als  Gralheld  älter 
ist,  so  ist  auch  die  Ursprünglichkeit  von  Gauchers  Perceval-Gralabenteuer 
sehr   zweifelhaft. 

3*)  Galt  auch  Kahedin  als  Gauvains  Verwandter?  Ist  der  Name  etwa 
iilr  Kaheries  substituiert  (vgl.  oben  A.5)?  Ein  Kahedin  erscheint  sonst  meines 
Wissens  nur  noch  im  Tristan  und  in  der  pseudohistorsichen  Merlinfortsetzung, 
wo  er  als  der  Neffe  des  Keus  cC  Estraus  gilt  (Sommer  p.  184). 


Jessie  L.  Weston.     The  legend  of  Sir  Perceval.         147 

waij  io  ihe  Perceval  sections  of  Wauchier  (p.  287).  Doch  sie  selbst 
hatte  vorher  (p.  260—261,  285)  mit  Recht  behauptet,  daß  die 
zur  Perceval  section  gehörende  Rosete -Epi'^ode  ein  mißverstandener 
Überrest  einer  Loathly-Ladi/ -Evzählung,  wie  es  The  Weddi/nge  of 
Sir  Gawayne  ibt,  sein  müsse.  Sie  hat  sogar  darauf  hingewiesen,  daß 
in  diesem  Percevalabenteuer  Gauvoie  (Galloway)  genannt  sei,  welches 
sonst  immer  mit  Gauvain  assoziiert  sei.  Hinzugefügt  könnte  noch 
werden,  daß  der  hier  vorkommende  Biaus  Maiivais  Gaheriet,  Gauvains 
Bruder,  sein  könnte  (s.  oben),  der  offenbar  eher  in  einem  Gauvain- 
als  in  einem  Pei'cevalabenteuer  am  richtigen  Platze  ist.  Die  englischen 
Dichtungen  zeigen  also  gegenüber  drei  der  Gauvain  section  ent- 
sprechenden Episoden  wenigstens  eine  der  Perceval  section  ent- 
sprechende. Aber  in  ihrer  Quelle  figurierte  offenbar  diese  Episode 
noch  als  Gauvain-Episode^ä).  5.  Die  Begegnung  mit  dem  an  einen 
Baum  gefesselten  ßagommedes  (=  Baudemagus)  finde  ich  auch  in 
der  romantischen  Merlinfortsetzung  (vgl.  die  Analyse  von  Wechssler, 
Redaktionen  des  Graal-Lancelotcijclus  p.  43) ;  hier  ist  aber  der 
Held  nicht  Perceval,  sondern  (zufällig?)  Gauvains  Bruder,  Gaheriet. 
€.  Icli  glaube,  wie  schon  gesagt,  auch  beweisen  zu  können,  daß  das 
Hirscbjagdabenteuer  mit  Zubehör  ursprünglich  kein  Percevalabenteuer 
war.  Eine  Version  desselben  ist,  was  W.  nicht  gesehen  hat,  auch  in 
der  romantischen  Merlinfortsetzung  (s.  Merlin-Huth)  enthalten.  Nur  ist 
€S  hier  in  drei  Parallelabenteuer  mit  drei  Helden  zerteilt  worden; 
die  drei  Helden  sind  Gauvain,  Tor  und  Pellinor.  Mein  Beweis  fußt 
übrigens  nicht  hierauf.  7.  Der  Verfasser  der  Quelle  von  Chretien 
und  Guiot  kannte  die  Chastel-Orgueillous-Kompilation  mit  dem  Mont- 
jDoZeroMs-Abenteuer.  Wenn  dieses  ursprünglich  ein  Percevalabenteuer 
gewesen  wäre,  so  wäre  wohl  die  Folgerung  erlaubt,  daß  jene  Kompilation 
bereits  die  große  Perceval-Interpolatioii  enthielt.  Ist  es  dann  wahr- 
scheinlich, daß  der  Autor  des  Percevalromans  davon  ganz  unbeein- 
flußt blieb? 36)  Und  warum  holte  er  sich  lauter  Gauvainabentcuer 
wie  Chastel  de  la  Merveille,  Chastel  Orgueillous,  Mont  Esclaire, 
■wenn  ihm  Percevalabenteuer  zur  Verfügung  standen?  Seine  Mo7it- 
Doleroics-ET^isode  kann  kaum  ein  Percevalabenteuer  gewesen  sein; 
sonst  hätte  sie  Guiot  gewiß  nicht  gestrichen.  Es  sind  also  Gründe 
genug  vorhanden,  um  anzunehmen,  daß  eiu  Teil  von  Gauchers  Perceval- 
abenteueru  ursprünglich  nicht  Percevalabenteuer  waren.  Wir  sahen 
anderseits    (und  W.   äußert  ja   dieselbe   Meinung),   daß  gerade   diese 

•■^^)  Dafä  Gaucher  das  weddynge  und  andere  Züge  der  Erzählung  nicht 
auf  Perceval  übertragen  konnte,  ist  leicht  verständlich.  So  blieb  denn  vom 
Ursprünglichen  fast  nichts  mehr  übrig.  Ich  glaube,  dafs  Gaucher  in  seiner 
Quelle  eine  Blaus- Mauvais-  und  eine  Äcse/e-Episode  (jene  vielleicht  ähnlich 
der  i?iat/s-Coars-Episode  des  Perlesvaus  und  zugleich  ein  Bruderkampf)  neben 
«inander  fand  und  sie  dann  vereinigte. 

•'5*)  W.  wird  mir  die  Blancheßor-'E.^x^oAQ  als  Nachahmung  der  Hirsch- 
Jagd  entgegen  halten  wollen;  aber  diese  Auffassung  ist  einfach  lächerlich 
•und  eigentlich  undiskutierbar. 

10* 


148  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

ebenso  primitiv  sind  wie  die  Gauvainabenter  der  Chastel-Orguellous- 
Kompilation,  und  schon  in  dieser  enthalten  gewesen  sein  müssen. 
Wer  aber  hatte  Anlaß  wie  Gaucher,  Perceval  als  Protagonisten  ein- 
zuführen? Es  kann  darum  als  ziemlich  sicher  gelten,  daß  jene 
Abenteuer  in  der  Chastel-Orgueillous-Kompilation  noch  nicht  Perceval- 
abenteuer  waren,  daß  sie  erst  Gaucher  zu  solchen  gemacht  hat.  "Wir 
dürfen  aber  wohl  auch,  solange  wir  alles  mit  dieser  Theorie  im  Ein- 
klang finden,  verallgemeinernd  sagen,  daß  jene  Kompilation  noch  keine 
Percevalabenteuer  enthielt,  daß  Gaucher  keinen  Percevalroman  außer 
Chretiens  kannte,  und  daß  er  all  sein  Material  aus  jener  Gauvain- 
Kompilation,  mit  der  wohl  auch  der  Chastel-Merveillous- Komplex 
vereinigt  war  (resp.,  wenn  letzteres  nicht  der  Fall  war,  aus  zwei 
Gauvainkompilationen),  bezog,  soweit  er  nicht  selbst  erfand.  Außer 
den  oben  zitierten  Wiederholungen  von  Chretienschen  Motiven  und 
Anlehnungen  an  solche  dürfte  eine  Anzahl  kleinerer  Perceval-Episoden, 
die  recht  inhaltsleer  und  bedeutungslos  sind,  mit  W.  als  Gauchers 
eigene  Dichtungen  aufgefaßt  werden.  Es  muß  aber  bemerkt  werden, 
daß  es  auch  in  der  Gawain  section,  die  Gaucher  jedenfalls  nur  aus 
der  Quelle  abschrieb,  unbedeutende  Episoden  gibt,  wenn  auch  nicht 
so  viele  wie  in  der  (übrigens  längern)  Perceval  section.  Die  Gauvain- 
kompilation  mag  also  auch  schon  derartiges  enthalten  haben.  Da 
Gaucher  in  der  Perceval  section  sich  nicht  einfach  mit  gedankenlosem 
Abschreiben  und  abregier  begnügen  konnte,  weil  er  überall  Perceval 
einführen  mußte,  was  sich  oft  nicht  ohne  Änderungen  machen  ließ, 
so  können  wir  wohl  verstehen,  daß  hier  mehr  unbedeutende  Episoden 
entstanden,  sei  es  daß  Gaucher  selbst  bei  jener  Arbeit  etwas  Dichter- 
fieber bekam,  sei  es  daß  er  oft  in  seiner  Vorlage  gerade  das 
Bedeutende  streichen  zu  müssen  glaubte  37),  Es  ist  auch  begreiflich, 
daß  bei  der  hier  nötigen  genauem  Revision  der  Vorlage  alle- 
jene  Jongleur- Phrasen  und  die  direkte  Anrede  des  Publikums,  die 
der  Gawain  section  ein  besonders  archaisches  Aussehen  gaben,  weil 
nicht  mehr  zeitgemäß,  getilgt  wurden  ^^j. 

Kapitel  11  handelt  von  den  Beziehungen  von  Gauchers  Quelle 
zu  andern  Texten,  nämlich  a)  zur  Elucidatio7i,  b)  zu  den  englischen 
Gawaingedichten.  Die  Elucidation  nennt  denselben  Autor  als  Quelle 
wie  Gaucher  und  gibt  eine  Übersicht  über  die  einzelnen  BrancheSy 
die  zu  dessen  Werk  gehören,  von  denen  wenigstens  zwei  mit  Gaucliers 
Brauches  übereinstimmen.  Es  wird  auch  eine  Lancelot-  und  eine 
Tristan-Branche  zitiert,  die  offenbar  Interpolationen  sind.  Daß  die 
Abenteuer   vom   Chastel  as  Puceles,   vom  Pont  Perillons  und   vom 


^■')  So  z.  B.  sicher  in  der  Äose^e-Episode. 

^^)  W.  behauptet  (p.  266),  dafs  die  Gawain  sections  constantly  auf  den 
grant  conte  verweisen;  aber  in  ihren  Zitaten  finde  ich  diesen  Verweis  nur 
drei  Mal!  In  den  Perceval  sections  finden  wir  wenigstens  eine  allgemeine 
Bezugnahme  auf  die  estoires  oder  ijons  lirres  als  Quelle  (W.  p.  265),  dazu  die 
Allusion  auf  das  Buch  von  Fecamp;  dies  genügt. 


Jessie  L.    Weston.     The  legend  of  Sir  PercevaL.         149 

Chastel  Orguellous,  auf  welche  die  Elucidatioii  anspielt,  erst  bei 
Gaucher  zu  Percevalabeuteuern  wurden,  habe  ich  eben  zu  beweisen 
gesucht.  Die  Allusion  anf  Chretiens  Perceval-Gralabenteuer  ist,  wie 
W.  zugibt  (p.  282),  eine  späte  Interpolation.  Die  Kompilation,  zu 
Avelcher  die  Elucidation  als  Einleitung  gehört,  war  jedenfalls  dieselbe 
wie  Gauchers  Quelle,  aber  in  etwas  späterer  Redaktion.  W.  zeigt, 
daß  die  englischen  Gawaindichtungen  Abenteuer  behandeln,  die  auch 
in  den  Branches  von  Gauchers  Chastel- Orgueillous- Komplex  ihre 
Parallelen  haben.  Es  ist  auch  zuzugeben,  daß  jene  meist  einen 
primitiveren  Charakter  haben  als  diese,  so  daß  sie  also  nicht  aus 
Gaucher  selbst  stammen  können  3i*).  Ich  wäre  daher  mit  W. 
einverstanden,  wenn  sie  sich  damit  begnügte  zu  sagen,  tliat  we  are 
dealing  in  the  Perceval,  the  Elucidation  and  Sir  Gawayne  ivith 
one  and  the  same  collection  of  tales  (p.  286).  Aber  sie  scheint 
(im  Widerspruch  hierzu)  andeuten  zu  wollen,  daß  die  englischen 
Gawaindichtungen  eigentlich  nicht  auf  diese  collection,  die  Chastel- 
Orgueillous-Kompilation,  zurückgehen,  sondern  direkt  auf  die  einzelnen 
unabhängigen  Dichtungen,  welche  nachher  in  dieser  Kompilation  ver- 
einigt wurden.  Nur  so  ist  es  verständlich,  daß  sie  betont:  The 
English  jwems  are  not  all  of  one  date,  or  one  autliorsMp,  hui 
were  composed  at  different  periods,  and,  judging  from  the  dialect^ 
in  different  paiis  of  this  island.  It  is  scarcely  likely  that  a  number 
of  individual  writers,  widely  separated  in  time  and  place^  should 
all  have  looked  for  inspiration  to  one  text,  a  text  moreover  to 
which  our  literature  presents  no  other  parallel  (p.  287).  An  einer 
spätem  Stelle  (p.  323)  ist  die  Sprache  deutlicher:  It  further  seems 
extremely  probable  that  our  vernacular  Arthurian  poems,  the  great 
majority  of  which  find  parallels  in  this  section  of  the  Perceval, 
are  independent,  and.  later,  workings  over  of  the  individual  members 
of  this  cycle.  Wohin  dies  zielt,  zeigt  das  folgende  Kapitel.  Ich 
möchte  aber  hier  gleich  die  Unrichtigkeit  dieser  Argumentation  nach- 
weisen. Einmal  ist  es  allgemein  herrschende  Ansicht  der  Auglisten, 
daß  jene  Gedichte  nicht  nur  in  Bezug  auf  den  Stoff,  sondern  auch 
in  Bezug  auf  ihre  literarische  Behandlung  enge  zusammenhangen  (vgl. 
z.  B.  Ten  Brink  I  420—21,  Pauls  Grundrifs  IP  p.  662,  664  f., 
697,  712  und  Schotield,  E?iglish  Literature  from  the  Norman  Conquest 
to  Chaucer  p.  214  ff.).  Für  zwei  läßt  sogar  W.  denselben  Autor  zu. 
Sie  wird  auch  nicht  behaupten  wollen,  daß  z.  B.  die  fragmentarische 
Dichtung  The  Jeaste  of  Syr  Gaioayne,  die  uns  in  einer  Hs.  des 
16,  Jahrhunderts  erhalten  ist,  erst  aus  dieser  Zeit  stammt.  Diese 
Gedichte  hatten  eben  auch  in  englicher  Sprache  ihre  Entwicklung; 
dies   zeigt   sich   schon   darin,   daß   die   einen   in   zwei  oder  mehreren 


^®)  Man  mufs  sich  zwar  davor  hüten,  die  Robheit  immer  für  primitiv 
anzusehen;  auch  rein  höfische  Dichtungen  mufsten  in  den  Händen  der 
englischen  Jongleurs  „primitiv''  werden. 


150  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

Redaktionen  erhalten  sind.  Aus  dem  Dialekt  und  dem  Datum  der 
Hss.  ist  daher  nichts  zu  schließen;  und  nichts  steht  der  Annahme 
entgegen,  daß  die  Chastel-Orgueillous- Kompilation  selbst  (in  einer 
alten  Redaktion)  von  einem  Dichter  ganz  oder  teilweise  ins  Englische 
übertragen,  aber,  weil  der  englische  Jongleur  nur  kurze  Erzählungen 
brauchen  konnte,  in  ihre  einzelnen  Teile  aufgelöst  wurde,  von  denen 
jeder  dann  sein  besonderes  Schicksal  hatte.  Ich  war  auch  schon 
längst  überzeugt,  daß  die  kürzern  episodischen  Gauvaindichtungen  in 
französischer  Sprache,  La  Mule  sans  frein,  Le  Chevalier  ä  l'epee, 
Gauvain  et  Humhaut  etc.  auf  eine  Gaavain-Kompilation  zurückgehen; 
Parallelversionen  sind  ja  noch  in  einer  solchen.  Türlins  Crone, 
erhalten  40). 

Kapitel  XII  handelt  endlich  von  dem  Verfasser  des  grant  conte, 
der  Chastel-Orgueillous -Kompilation.  Gaucher  nennt  als  solchen 
zweimal  in  den  Gawain  sections  einen  Bleheris,  und  sagt  das  eine 
Mal  von  ihm :  qui  fu  nes  et  engenuis  En  Gales,  dont  (i.  e.  de 
Bleheri)  je  cont  le  conte  E  qui  si  le  contoit  au  conte  De  Roitiers 
qui  amoit  Vesioire  E  le  tenoit  en  grant  memoire  Plus  que  nul 
autre  ne  faisoit.  Auch  die  Elucidation  erwähnt  als  Gewährsmann 
einen  Maistre  Blihis;  Blihis  ist  zweifellos  aus  Bliheris  entstanden 
(Ausfall  der  Sigle  von  er  ist  sehr  häufig).  Diese  interessante  Entdeckung 
(die  Stellen  bei  Gaucher  waren  bisher  unbekannt,  die  Elucidation 
war  unbeachtet  geblieben)  scheint  W.,  ebenso  wie  die  Fecamp- 
Entdeckung  ganz  verwirrt  zu  haben,  so  daß  sie  auf  entsetzliche 
Abwege  geriet.  Die  Insular  Iheory  ist  nun  nicht  mehr  Theorie, 
sondern  ihre  Thesen  sind  feststehende  Tatsachen  geworden ^^i).  Dazu 
kommen  noch  andere  Tatsachen  von  größter  Wichtigkeit,  die  bisher 
gar  nicht  geahnt  wurden,  aber  nun  auf  einmal  klar  hervortreten  im 
Lichte  jener  Entdeckung.  Leider  zeigt  es  sich  aber,  daß  W.  den 
Leser  ins  Reich  der  Phantasie  führt.  Wenn  man  ihm  die  Binde 
von  den  Augen  nimmt,  so  muß  er  erkennen,  daß  alles  nur  ein  Trug- 
bild war.  Von  all  den  schönen  Schlüssen  bleibt  nichts,  gar  nichts, 
übrig.  Es  wird  mir  als  Anhänger  der  Continental  Theory,  die  hier 
wie  vom  Blitz  getroffen  erscheint,  erlaubt  sein,   auf  die  Prüfung  der 


^°)  The  Türke  and  Gawain,  und  namentlich  die  zwei  Versionen  des 
Carle  oj  Carhjle  hätten  in  diesem  Kapitel  auch  erwähnt  werden  sollen. 
Letztere  Dichtung  ist  ja  ein  Pendant  zum  Chei-aHer  ä  Vepee  und  einem 
Abenteuer  der  Crone.  Die  Chastel-Orgueillous -Kompilation  mag  in  ihrer 
englischen  Übersetzung  als  Geste  of  Sir  Gawain  bekannt  gewesen  sein;  aber 
es  geht  nicht  an,  wie  W.  es  tun  möchte,  diese  Bezeichnung  auf  das 
französische  Original  zu  übertragen;  denn  nur  die  Engländer,  die  zwischen 
Chansons  de  Geste  und  Abenteuerromanen  keinen  Unterschied  mehr  zu  erkennen 
vermochten,  machten  sich  der  mifsbräuchlicben  Anwendung  des  Wortes 
gesie  schuldig  (vgl.  Schofield,  Engl.  Lit.  p.  148), 

*i)  Vgl.  Z.  B.  p.  230:  clear  and  categorical  proof\  p.  326:  Wauchier's  reference 
io  Bleheris  proves  once  and  for  all  that  the  Compilers  of  ihe  Ärthurian  rornances 
had  access  to   WeJsh  sources  (ähnliches  p.  234,  287). 


Jessie  L.    Wesion.     The  legend  of  Sir  Perceval.         151 

Argumente  W's  einzutreten  •i^-j^  -^  idenfiziert  Blelieris  mit  Bledhe- 
ricus,  dem  von  Giraldus  Cambrensis  erwähnten /awio^^s  ille  fabulator, 
und  mit  Breri,  der  von  Thomas  im  Tristan  genannten  Autorität.  Bledhe- 
ricus  und  Breri  waren  bereits  von  G.  Paris  identifiziert  worden.  Ich 
habe  (in  dieser  Zeitschrift  XX^  p.  136  ff.)  diese  Identifikation  als 
ungenügend  begründet  und  prima  facie  unwahrscheinlich  erklärt, 
und  Bedier  (Ausgabe  des  Tristan  II  96)  hat  mir  beigestimmt.  Die 
Entdeckung  des  Bleheris  durch  W.  scheint  auch  mir  zu  beweisen, 
daß  G.  Paris  Recht  hatte,  wie  wohl  die  Tatsache,  daß  seine  Identifikation 
auf  sehr  schwachen  Füßen  stand,  bestehen  bleibt.  Zwischen  den 
Breri,  der  einen  französischen  Roman  bretonischer  Herkunft  (wegen 
der  bretonischen  Elemente  im  Tristan)  verfaßt  haben  soll  und  den 
kj'mrischen  fahulator  Bledhericus,  über  dessen  literarische  Tätigkeit 
nichts  bestimmtes  bekannt  war,  tritt  nun  als  verbindendes  Zwischenglied 
der  Kymre  Bleheris,  der  Verfasser  eines  französischen  Arthur- 
Romans.  Es  ist  kein  Grund  vorhanden,  um  in  Bezug  auf  die  von  W. 
postulierte  Chastel-Orgueillous-Kompilation  an  der  Autorschaft  desBledri 
zu  zweifeln;  ebenso  gut  wie  einen  Gauvainroman  mag  dieser  aber  auch 
einen  Tristanroman  komponiert  oder  besser  kompiliert  haben  (also 
vielleicht  die  Quelle  von  Thomas  und  Bervul?)'^^).  W.  fragt  sich  nun 
(p.  296),  in  welcher  Sprache  Bledris  Gauvainkompilation  wohl  abgefaßt, 
war,  und  antwortet:  We  have  little  or  no  evidence  o?i  this  jjoint.  Es 
gehört  viel  dazu,  um  so  etwas  zu  behaupten.  Die  Frage  hätte  nicht 
gestellt  werden  sollen,  weil  ihre  Entscheidung  selbstverständlich  ist. 
Bledri  stand  natürlich  im  selben  Verhältnis  zum  Grafen  von  Poitiers 
wie  z.  B  Chretien  zum  Grafen  von  Flandern.  Er  schrieb  sein  Werk 
im  Auftrag  des  Grafen,  und  auch  in  der  Sprache  des  Grafen ;  diese 
aber  war,  wer  immer  der  Graf  sein  mochte,  französisch.  Bledri  war 
also  ein  französischer  Dichter;  er  war,  wenn  auch  in  Wales  geboren, 
doch  ganz  französiert,  also  gewissermaßen  ein  Anglonormanne;  er 
hatte  sich  jedenfalls  auch  in  Frankreich,  am  Hofe  des  Grafen  von 
Poitiers,   aufgehalten.    Bledri  tritt  also  neben  Marie  de  France,   die. 


*-)  W.  war  früher  selbst  eher  Anhängerin  der  Continental  Theory  und 
stützte  sich  dabei  gerade  auf  den  Perceval  (vgl.  z.  B.  The  Legend  of  Sir 
Gawain  p.  53). 

*3)  Bediers  Zweifel  wurc'en  nicht  einmal  durch  die  Entdeckung  des 
Bleheris,  wovon  ihn  W.  in  Kenntnis  gesetzt  hatte,  gehoben.  Er  sagt  (/.  c. 
p.  98):  Siynifient-ils  (i.  e.  die  Verse  Gauchers,  in  denen  Bleheris  genannt 
wird)  que  ce  Breri  ou  Blelieri  avait  compose  un  roman  de  Perceval  (es  handelt 
sich  aber  um  einen  Gauvain-,  nicht  einen  Perceval-Roman !)?  Pas  plus  quhm 
roman  de  Tristan.  Ou  que  le  continuateur  de  Perceval  (oder  eher  seine  Quelle 
Bleheris?)  a  ete  directement  au  contact  avec  des  oiiginaux gallois?  II  n'est  necessaire 
de  le  supposer  ni  de  lui  ni  de  Thomas.  Man  könnte  vielleicht  annehmen,  dafs 
Thomas  sich  auf  Bledri  als  Autor  des  Gauvainronians,  der  in  einer  späteren 
Redaktion  (vgl.  Elucidation)  wenigstens  eine  Tristanbranche  enthalten  zu 
haben  scheint,  berief.  leb  würde  diese  Hypothese  aber  nicht  für  eine 
natürliche  halten.  Vielleicht  wurde  Bledri  auch  aufs  Geratewohl  als  Gewährs- 
mann   genannt   wie    später  Chretien    de   Troyes   (z.  B.   in  Türlins  Crone). 


152  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

obwohl  ihr  ständiger  Aufenthaltsort  England  war,  doch  bretonische 
Lais  sammelte,  neben  den  Anglonormannen  Robert  de  Borron,  der 
(ungefähr  wie  BledriJ  in  Collaboration  mit  einem  kontinentalfranzösischen 
Scigneur  mit  reichlicher  Benutzung  gelehrten  Materials  einen  fran- 
zösischen Percevalroman  bretonischer  Herkunft  umdichtete,  neben 
Thomas,  den  Anglonormannen  oder  in  England  ansässigen  Franzosen, 
der  sich  als  seinen  Nachahmer  ausgibt,  namentlich  aber  neben 
Walter  Map,  der,  auch  in  Wales  geboren,  einen  französischen  Roman 
schrieb,  dessen  Held  ein  Bretone,  der  Sohn  eines  Grafen  von  Vannes 
war  (vgl.  diese  Zeitschrift  XXIX^  p,  90  ff.),  von  welchem  W. 
(Legend  of  Sir  Lancelot  p.  10)  selbst  gesagt  hatte:  „i^or  my  own 
pari  1  unhesitatingly  accept  Prof.  Förster'' s  dictum:  Lancelot  ist 
den  Kymren  gänzlich  unbekannt,  und  ist  unter  alle?i  Uinständen 
kontinentaler  Herkunft'^  Wenn  die  insular  theory  sich  darauf 
beschränkte  zu  behaupten,  daß  es  auch  anglonormannische  Arthur- 
dichter gab,  so  wäre  sie  wohl  fast  unbefehdet.  Die  normannischen 
und  angevinischen  Könige  Englands  waren  der  schönen  Literatur 
außerordentlich  zugetan,  weit  mehr  als  die  Könige  von  Frankreich, 
und  wenige  französische  Dichter  werden  sich  eine  Reise  nach  England 
versagt  haben;  viele  werden  sich  daselbst  dauernd  niedergelassen 
haben.  Warum  sollen  da  nicht  einige  Anglonormannen  sich  in 
französischer  Kunstepik  versucht  haben,  obwohl  ihr  nüchtern  praktisches 
Genie  sie  mehr  zur  Geschichtschreibung  trieb!  Wir  protestieren  nur 
gegen  die  Paris'sche  Annahme,  daß  es  ein  ganzes  Heer  anglo- 
normannischer  Arthurdichter  gab,  und  daß  sie  alle  ihre  Stoffe  von 
den  Kymren  überkamen  und  dann  an  die  Kontinentalfranzosen  ab- 
heferten.  W.  scheint  selbst  gefühlt  zu  haben,  daß  ihre  Beweisführung 
über  gewisse  Haken  nicht  recht  weg  kommt.  Sie  sucht  dieselben 
so  viel  als  möghch  zu  verdecken;  sie  gleitet  auffällig  schnell  über 
die  Hauptfrage  hinweg.  Sie  gibt  zu :  From  the  verbal  correspondence 
existing  beticeen  Wauchier  and  the  Elucidation,  it  seems  clear 
that  the  tico  toriters  must  have  had  access  [sie!]  to  a  French 
Version,  or  rather  to  French  versions,  of  the  tales  .  .  .  Also, 
there  are  indications  that  some  [sie!]  of  our  English  Arthurian  poenis, 
notably  Syr  Gawayne  and  the  Grene  Knyghte,  had  a  French 
source  at  root^'^)  (p.  296).  Doch  dieser  französische  Archetypus 
war  wohl  noch  nicht  Bledris  Werk,  sondern  eine  Übersetzung  desselben. 
Das  Original  war  —  „vielleicht  lateinisch" ;  und  hinter  diesem  standen 
die  einzelnen  Erzählungen,  deren  Sprache  (W.  hielt  es  für  überflüssig, 
es  dem  Leser  zu  sagen,  der  es  sich  ja  selbst  sagen  mußte)  natürlich 
kymrisch  war.  Um  dieser  Theorie  eine  Stütze  zu  geben,  wollte  sie, 
im  Widerspruch  zu  eigenen  Aussagen,  dem  Leser  die  Meinung  bei- 
bringen, daß  die  englischen  Gawaindichtungen,  die  bis  jetzt  noch  alle 
Anhänger  der  insular  theory,  vor  allem  G.  Paris,  als  Übersetzungen 


"•*)  Ähnlich  wieder  p.  326,  aber  ohne  tome! 


Jessie  L.  Weston.      The  legend  of  Sir  Perceval.         153 

aus  dem  Französischen  erklärt  hatten,  nicht  auf  Bledris  Werk,  sondern 
direkt  auf  seine  Quellen  zurückgingen,  die  dann  natürlich,  weil  bloß 
noch  in  England  erhalten,  kymrisch  sein  mußten'*').  Wenn  nur  nicht 
■dieser  lästige  Graf  von  Poitiers  wäre!  Dann  hätte  man  einfach  gesagt: 
Selbstverständlich  hat  der  Kymre  Bledri  seine  Dichtung  kymrisch 
geschrieben!  Jetzt  aber  kann  man  nicht  leicht  behaupten,  daß  er 
für  den  Grafen  von  Poitiers  eine  kyrarische  Kompilation  dichtete 
und  sie  ihm  sogar  in  kymrischer  Sprache  vortrug.  Jetzt  soll  sie 
lateinisch  gewesen  sein,  weil  man  eben  französisch  nicht  will.  Für 
Vorurteilslose  ist  zuverlässige  evidence  da,  daß  Bledri  französisch 
schrieb.  Little  or  no  evidence  haben  wir  nur  in  Bezug  auf  seine 
<5uellen.  Da  sein  Werk  nur  eine  Kompilation  ist,  so  ist  es  a  priori 
wahrscheinlich,  daß  die  einzelnen  Erzählungen  in  derselben  Sprache 
abgefaßt  waren.  Wir  sahen,  daß  andere  anglonormannische  oder  in 
England  wohnende  Arthurdichter,  sogar  ein  Kymre,  französische 
Quellen  bearbeiteten,  die  vermutlich  ursprünglich  aus  der  Bretagne 
stammten.  Anderseits  sind  noch  keine  französiche  Dichtungen  nach- 
gewiesen worden,  die  auf  kyrarischen  Volksdichtungen  basieren.  Dem 
Bledri  selbst,  der  so  französisiert  war,  daß  er  französisch  dichtete 
und  der  vermutlich  in  Frankreich  gelebt  hatte,  stand  wohl  Frankreich 
literarisch  näher  als  seine  Heimat.  Zeitweise  ist  W.  etwas  nüchterner, 
so  wenn  sie  sagt  (p.  297):  For  tlie  moment  we  must  rest  content 
witli  the  ascertained  facts  that  iliere  was  a  story-teller  of  Welsh 
hirth  named  ßleheris,  who  loas  the  source  ichence  Waiichier  de 
Denain  drew  much  of  the  subject  matter  of  his  Perceval,  and 
that  he  had  for  patron  a  Count  of  Poitiers.  Aber  warum,  wenn 
dies  alles  ist,  verkündet  sie  denn  so  laut  den  Sieg  der  kymrischen 
Theorie?  46) 

Wo  möglich  noch  bedenklicher  ist  W's  Beweisführung  betreffend 
die  Zeit,  in  der  Bledri  sein  Werk  schrieb.  Zunächst  (p.  289)  weist 
sie  darauf  hin,  daß  in  der  Elucidation,  die  den  Maistre  Blihis  als 
Autor  nennt,  auch  von  einem  Ritter  Namens  Blihos  Bliheris  die 
Rede  sei;  und  da  es  von  diesem  heißt:  si  tres  hons  contes  savoit 
Que  nus  ne  se  peust  lasser  De  ses  paroles  escouter,  fragt  sie,  ob 
nicht  dieser  und  der  fabulator  Bledhericus  one  and  the  same  per- 
sonality  seien.  Nach  ihrer  Ansicht  wären  nämlich  die  Namen  des 
maistre- fabulator  und  des  Ritters  identisch:  My  vieiv  is  simply  that 
Blihis  or  Blehis  is  but  a  shortened  form  of  the  original  name 
which,  by  error  of  a  copyist,  has  become  attached  to  the  im-shor- 
iened  form.     Der  Unterschied  zwischen  i  und  o  zählt  für  sie  nicht. 


*'")  Als  Zwischenstufe  werden,  G.  Paris  zu  Liebe,  auch  Anglo-Norman 
poems  zugelassen  (p.  32G). 

*^)  Mit  einem  Pathos,  tcorihi/  of  a  better  cause,  fordert  sie  (p.  327) 
Foerster  heraus:  Will  he,  face  to  face  with  WaucMer's  testimony  as  to  the  native 
land  of  Bleheris,  repeat  that  „  Während  alles  für  Bretagne  sprach,  spricht  alles 
gegen   Wales"? 


154  Referate  und  Rezensionen.     E.  Bnigger. 

Ein  Ritter,  Namens  Bliohlieris,  offenbar  identisch  mit  Blilios  Bliherisj 
erscheint  sehr  häufig  in  der  ganzen  arthurischen  Litteratur.  Man 
müßte  also  annehmen,  daß  alle  anderen  Romane  den  Namen  aus  einer 
bestimmten  Handschrift  der  Bledri-Kompilation  bezogen  hätten,  deren 
Kopist  der  dreifachen  Dummheit  schuldig  war,  den  Namen  Bliheris 
doppelt  gesetzt,  das  erste  Mal  zu  Blihis  „verkürzt"  und  dann  noch 
das  0  in  i  verwandelt  zu  haben.  Die  Hypothese  ist  ebenso  unhaltbar 
wie  naiv.  Der  Name  Bliho(6)bliheris  ist  ein  Doppelname  wie  Gorvain 
Cadrut,  Mahon  Evrain  (=  Mahonagrain)  etc.  Beide  Komponenten 
kommen  in  anderer  Funktion  allein  vor,  Blihos  wohl  weniger  häufig 
als  Bliheris'^").  Ein  Doppelname  konnte  wohl  der  Kürze  halber 
durch  einen  seiner  Komponenten  wiedergegben  werden;  aber  nicht 
anders  als  durch  Konfusion  konnte  ein  Doppelname  an  Stelle  des 
einfachen  gesetzt  werden.  In  der  Tat  haben  2  Handschriften  in  dem 
einen  Passus  von  Gaucher  Bleohlelieris  resp.  Bliohliheri  statt  Bleheris 
(W.  p.  241);  aber  dies  beweist  keineswegs,  wie  W.  (p.  288)  meint, 
daß  diese  Namen  identisch  seien;  es  handelt  sich  hier  nur  um 
Substitution  aneinander  anklingender  Namen  in  Folge  von  Konfusion; 
so  setzte  ja  ein  anderer  Kopist  Brandeiis  für  Bleheris  (ähnliche 
Fälle  s,  oben  A.  5).  Bei  Gaucher  selbst,  in  der  Elucidation,  bei  Thomas, 
bei  Giraldus  hat  der  Name  des  Dichters  immer  die  einfache  Form 
Bleheris  resp.  eine  damit  äquivalente;  der  Ritter  heißt  ebenso  regel- 
mäßig Bli(h)o(s)hU(h)eris.  Die  beiden  Namen  sind  nicht  eher  identisch 
als  Wilhelm  und  Friedrich  Wilhelm.  Anderseits  ist  es  in  den  Romanen 
gäng  und  gäbe,  daß  Ritter  Geschichten  erzählen.  Wenn  sie  von  ihren 
Fahrten  an  Arthur's  Hof  zurückkehren  oder  unterwegs  jemand  begegnen 
oder  bei  jemand  einkehren,  erzählen  sie  in  der  Regel  ihre  Erlebnisse. 
Wenn  einer  besiegt  und  gefangen  wird,  muß  er  nicht  nur  dem  Sieger 
seine  Geschichte  erzählen,  sondern  außerdem  nochmals  an  Arthur's 
Hof.  Ein  solcher  gefangener  Ritter,  der  an  Arthur's  Hof  gebracht 
wird,  ist  Blihos  Bliheris  in  der  Elucidation;  er  erzählt  dort  von 
seiner  wunderbaren  Herkunft.  Er  ist  so  viel  und  so  wenig  ein  cojiteur, 
ein  fabidator  wie  alle  andern  Ritter.  Nach  W.  (p.  291)  wäre  aus 
dieser  Umwandlung  des  Arthurdichters  in  einen  Arthurritter  zu  schließen, 
daß  Bledri  sehr  früh  gelebt  hat!  Um  diese  Ansicht  aufrecht  erhalten 
zu  können,  muß  sie  dem  Bledhericus-Passus  des  Giraldus  Cambrensis 
Gewalt  antun.  Giraldus  sagt :  qiii  tempora  nostra  paulo  praevenit. 
„Kurz    vor    unserer   Zeit"    kann,    wenn    man    natürlich   spricht  und 


^")  Vgl.  Bleheris,  Vater  des  Protagonisten  im  Chevalier  as  deus  espees, 
Bleheris,  Turnierritter  im  Caradoc  (Potviu  v.  13945,  54),  Pleherin  in  Eilharts 
Tristan  (s.  Register);  vielleicht  auch  Blaaris,  ßlleul  des  Königs  Bohort  von 
Gaunes  in  der  pseudohistorischeu  Merlinfortsetzung  (Sommer  p.  126/22; 
157/40;  der  Druck  von  1498  hat  Bkris);  Blihos  del  Cassel  in  demselben 
Text  (Sommer  p.  117,  485,  P.  Paris  RTR  II  144,  145,  365;  vgl.  auch  das 
Namenregister  von  Wheatley's  Ausgabe).  Man  denke  auch  an  den  Namen 
Brios  (im  Perceval);  denn  vgl.  Blians  neben  Brians  (Perlesvaus  p.  252). 


Jessie  L.    Weston.     Tlie  legend  of  Sir  Perceval.         155 

natürlich  versteht,  nur  bedeuten:  eine  Generation  (oder  etwas  mehr) 
vor  der  Zeit  der  Publikation  des  Buches.  Auf  das  Alter  des  Giraldus 
kommt  es  garnicht  an;  denn  der  Autor  mußte  sich  auf  den  Staud- 
punkte des  Lesers  stellen,  der  sein  Alter  nicht  zu  kennen  brauchte. 
Tempora  nosira  muß  ungefähr  die  Zeit  bezeichnen,  in  welcher  die 
Descriptio  Cambriae  erschien,  d.  h.  wenn  ich  recht  unterrichtet  bin, 
das  zweite  Dezennium  des  loten  Jahrhundert's'**^).  Rechnet  man  von 
hier  aus  paulum  rückwärts,  so  kommt  man  allerhöchstens  bis  zur 
Mitte  des  12ten  Jahrhunderts.  Die  Blütezeit  Bledris  und  die  Ab- 
fassungszeit des  Gauvain  mag  dann  noch  etwas  weiter  zurück  gehen. 
W.  aber  sagt  (p.  290):  This  may  mean  anytlmig,  from  a  few 
decades  to  a  Century,  oder  sogar  einfach:  es  may  mean  anything. 
Wenn  Giraldus  zurechnungsfähig  war,  so  kann  er  nicht  Angaben  gemacht 
haben,  die  anytliing  bedeuten  konnten.  Seine  Angabe  ist  nicht  genau 
und  sollte  es  auch  nicht  sein;  aber  wer  sie  verstehen  will,  kann 
sie  verstehen.  W.  meint  ferner:  Wenn  Bledri  nicht  lange  vor  dem 
12ten  Jahrhundert  gelebt  hätte,  so  wäre  es  höchst  unwahrscheinlich, 
that  loe  should  have  so  Utile  direct  testimony  as  to  Ins  eodstence 
and  loork,  ivhile  at  the  same  time  his  name  should  he  so  frequently 
met  toith  as  that  of  a  fictitious  personage  (als  Arthurritter)  (p.  291). 
Ich  würde  meinen,  die  Erwähnung  des  Dichters  Bledri  in  4  Texten 
und  die  Erhaltung  eines  großen  Teils  seiner  Werke  in  Bearbeitungen 
wäre  mehr  als  genug.  Von  vielen  Dichtern  und  Werken  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  12ten  Jahrhunderts  wissen  wir  garnichts,  oder  fast 
nichts  mehr.  Auch  zwingt  der  archaische  Charakter  des  Gauvainromans 
nicht  zur  Annahme  einer  sehr  frühen  Abfassungszeit;  denn  dieser 
Roman  ist  ja  kein  Originalwerk,  sondern  nur  eine  Kompilation.  Einem 
Passus  in  Bale  ist  auch  eine  schöne  Interpretation  durch  W.  zu  teil 
geworden;  es  ist  darin  von  einem  Jllremita  quidam  Britannus^  cujus 
ignoratur  nomen,  die  Rede,  welcher  ein  Werk  betitelt  Sanctum  Graal 
schrieb,  uw^^^juxta  Vincentium^  im  Jahre  720  blülite.  Bale  behauptet 
zwar,  Fragmente  des  Werkes  gesehen  zu  haben;  aber,  wenn  er  den 
Anfang  desselben  gelesen  hätte,  so  hätte  er  sich  nicht  auf  Vincentius 
Bellovacensis  berufen  müssen;  die  Angabe  des  letztern  geht  auf 
Helinandus  zurück;  und  die  Autorität  des  Helinandus  ist,  wie  ich  in 
dieser  Zeitschrift  XXIXi  p.  108  gezeigt  habe,  der  Galaad-Gralcyklus. 
Als  Autorität  hätte  also  von  W.  nur  der  Sanctum  Graal  in  Betracht 
gezogen  werden  sollen.  Was  Bale  mehr  hat  als  Helinandus,  muß  ein 
Zusatz   sein,   der   wahrscheinlich   von   einem  herrührte,  der  auch  den 


*^)  Ich  kann  nicht  begreifen,  warum  G.  Paris  {Rovi.  VIII  428)  bei 
seiner  Folgerung  auf  das  Alter  des  Giraldus  Rücksicht  nimmt:  Giraut  etant 
ne  vers  llöO^  Breri,  dont  il  dit  qui  temporu  nostra  .  .  .  detail  ßeurir  sous  le  regne 
d^Etienne,  et  c'est  ga7is  duute  peu  de  temps  aprts,  prohahleimnt  entre  J15U  et  1110 
qu'a  ete  covipose  le  poivie  de   Thomas. 

*^)  Es  heilst  nämlich,  dafs  der  eremila  schrieb  praecipue  de  üluslrisslmo 
Britannoruni  rege  Arthuro,    atque  ejua  /ncnsa  rotimda ;    de  Lanceloto  etiam,  Morgano, 


156  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

Sanctum  Graal,  aber  nur  zum  Teil,  gelesen  hatte,-^'')  vielleiclit  von  einem 
Interpolator  einer  Vincentiushs,  oder  von  Bale  selbst.  Eine  pbantastische 
Ausschmückung  ist  wohl  die  Angabe,  daß  der  Eremit  inter  Cambros  5f) 
natus  et  ab  ipsa  infantia  nutritus  sei  und  die  Astronomie  und  die 
Geschichte  der  Barden  studirt  habe.  W.  findet  Beziehungen  zwischen 
dem  Einsiedler  und  Bleheris-BIedhericus:  auch  jener  war  mter  Cambros 
natus  und  fabidaior;  darum  sagt  sie  von  dem  Passus  (p.  293): 
it  appears  to  offer  clear  evidence  of  the  belief,  on  the  pari  ofthir- 
teenth  cejitury  zoriters  (Vincentius?),  of  the  existence  of  an  early 
collection  of  Artimrian  tales,  and  their  conviction  that  they  were 
drawing  uitimately  upon  insidar  sources.  Warum  wollte  sie  nicht 
den  Einsiedler  grade  mit  Bledri  identifizieren?  Warum  mißachtete 
sie  die  bestimmte  Angabe  des  Chronisten  und  des  Grand-Saint-Graal, 
daß  jener  im  Jahre  720  blühte  (clandt)?  Wie  verlockend  wäre  es 
doch  gewesen  zu  zeigen,  daß  in  Wales  schon  im  Jahr  720  Bledris 
große  arthurische  Compilation  existiert  halte!  Wenn  nur  der  leidige 
Graf  von  Poitiers  nicht  wäre,  der  damals  noch  gar  nicht  existieren 
konnte!  Es  ist  sehr  bequem,  aus  den  Zeugnissen  gerade  das  zu 
holen,  was  man  gut  brauchen  kann,  und  das  Widersprechende  zu 
ignorieren  51).  Nachdem  sie  so  ihre  Leser  für  alles  empfänglich 
gemacht  zu  haben  glaubte,  verkündete  W.,  den  wahren  Bledri  wahr- 
scheinlich entdeckt  zu  haben;  es  ist  ein  Bischof  von  Llandaff;  denn 
(hören  wir  die  Gründe!)  er  hieß  auch  Bledri  5-);  er  war  auch  Kymre  ; 
er  lebte  auch  früh  (er  war  Bischof  von  983  bis  1023,  seinem  Todes- 
jahr: tempora  nostra  paulo  pripvenit  konnte  Giraldus  im  zweiten 
Dezennium  des  zwölften  Jahrhunderts  wohl  sagen!);  und  er  war 
—  last,  not  least  —  (auch  ?)  7io  niean  scholar  (p.  294) !  Wenn 
die  Kritik  auf  diesem  Wege  weiter  geht,  so  stellt  es  sich  schließlich 
heraus,  daß  wir  die  ganze  ritterliche  Poesie  Bischöfen  verdanken. 
Ungefähr  zur  selben  Zeit,  als  W.  dem  Bischof  von  Llandaff  auf  der 
Spur  war,  fand  Hagen  (Kiot  und  Wolfram  in  Zs.  f.  d.  Phil.  38), 
daß  der  Percevaldichter  „Kiot-*  ein  englischer  Bischof  war.  Nächstens 
wird    sich    wohl    Chretien    de    Troyes    als    Bischof    entpuppen.     W. 


Percevallo,  Galyvano,  Bertramo  et  aliis  fortissimis  hominibus.  Morgano  ist  Wohl  ver- 
schrieben für  Morgana;  ein  Beriramus  ist  in  der  ganzen  arthurischen  Literatur 
unbekannt;  ich  vermute,  dafs  der  im  Lancelot  eine  wichtige  Rolle  spielende 
Bertolais  gemeint  ist.  Was  der  Verfasser  dieses  Passus  kannte,  war  vermutlich 
nur  der  Lancelot,  jedenfalls  nicht  die  ilueste;  sonst  hätte  Galaad  in  der  Liste 
figurieren  müssen. 

*°)  Dies  mag  sich  auch  auf  die  Angabe  des  Grand-Saint-Graal  stützen, 
dafs  der  Einsiedler  bei  Aqvl  plains  de  Fa/ iJstoc  (Variante  Walestog.  Walescog) 
gewohnt  habe. 

^1)  Ich  habe  in  dieser  Zet7scÄn/i!  XXIX*  p.  104flf  eine  Vermutung  über 
den  Einsiedler  ausgesprochen. 

^-)  W.  selbst  weifs  aber  (p.  289  n.  1),  dafs  der  Name  in  Wales  ver- 
breitet war.  Den  Bischof  von  Llandaff  hat  VV.  bei  Loth  (Mahinogion  I  p.  22) 
gefunden,  der  aber  nicht  im  entferntesten  an  eine  Identifikation  mit  dem 
Bledhericus  des  Giraldus  dachte. 


Jessie  L.    Weston.     Tlie  legend  of  Sir  Perceval.         157 

erinnert  auch  an  geistliche  "Würdenträger  kymrischer  Herkunft  wie 
Galfrid  von  Monmouth,  Giraldus  Cambrensis  und  Walter  Map. 
Aber  diese  Fälle  sind  doch  etwas  verschieden.  Map  war  überhaupt 
mehr  Höfling  als  Geistlicher  und  schrieb  darum  auch  nugae  curialium\ 
seinen  Lancelot  verfaßte  er  jedenfalls,  als  er  noch  clerc  und  fröhlicher 
Genosse  des  vergnügenliebenden  Königs  Heinrich  H.  war.  Galfrid 
und  Giraldus  aber  waren  nicht  fabulatores ;  ihre  Werke  waren  nach 
ihrer  eigenen  Ansicht  und  derjenigen  der  Zeitgenossen  keine  nugae, 
sondern  galten  als  wissenschaftlich.  Warum  wird  Bledri  von  den 
französischen  Dichtern  nicht  Bischof,  sondern  nur  maistre  genannt? 
Wie  kann  Giraldus  seinen  um  die  Wissenschaft  hochverdienten 
Kollegen  höhnisch  famosus  ille  fahulator  nennen?  Unter  den  Grafen 
von  Poitiers  werden  von  W.  nur  zwei  berücksichtigt,  nämlich 
Wilhelm  VII.,  der  Troubadour  (1086  —  1126),  und  Wilhelm  der  Große 
(990 — 1029).  Letzterer  wird,  als  der  Zeitgenosse  des  Bischofs 
Bledri,  zunächst  bevorzugt,  trotzdem  er,  wie  W.  sagt  fp.  294),  mehr 
für  klassische  und  geistliche  als  für  volkstümliche  Literatur  sich 
interessiert  zu  haben  scheint.  Stellen  wir  uns  nun  einmal  vor,  wie 
am  Ende  des  10.  Jahrhunderts  der  Bischof  von  Llandaff  mit  seiner 
im  Auftrag  des  Grafen  von  Poitiers  in  lateinischen  Versen  verfaßten 
Gauvainkompilation  nach  Poitiers  zieht  und  die  große  Dichtung  dem 
Grafen  vorträgt,  vielleicht  von  Zeit  zu  Zeit  unterbrechend:  Puis 
nous  ferez  le  vin  doner!  Kein  Wunder,  daß  man  damals  dem 
Weltuntergang  nahe  zu  sein  wähnte!  W.  wagte  es  doch  nicht,  uns 
dieses  köstliche  Bild  vorzumalen.  Im  letzten  Augenblick  kehrt  sie 
um  und  erklärt  (p.  295):  On  the  other  hand,  it  is  also  possible, 
and  perhaps  even  more  probable^  that  a  tater  Welsh  bard  may 
have  versißed  traditions  collected  und  er  the  auspices  of  the 
famous  bishop,  and  made  them  known  (wie  vorsichtig  aus- 
gedrückt!) to  the  Troubadour  Count  of  Poitiers.  So  wäre  denn 
also  der  wahre  Dichter  ein  Unbekannter;  Bischof  Bledri  hätte  ihn 
mit  seinem  Namen  verdeckt!  Dies  sieht  aus,  wie  eine  Anticipation 
des  Shakespeare- Bacon -Mythus.  Mythus  ists  auf  jeden  Fall. 
Schließlich  gibt  W.  den  Historikern  noch  den  Auftrag,  bei  ihren 
Forschungen  etwas  auf  diesen  Bischof  Bledri,  diesen  tenth  Century 
Bishop  Fercy  (p.  329),  aufzupassen.  Hoffentlich  geht  keiner  in  die 
Falle.  Das  einzige  sichere  Resultat,  zu  dem  W.'s  Entdeckung  führt, 
das  sie  aber  ihre  Voreingenommenheit  nicht  finden  ließ,  ist,  daß  die 
große  Gauvainkompilation  im  zweiten  oder  dritten  Viertel  des 
12.  Jahrhunderts  enstand.  Unter  den  Grafen  von  Poitiers  ist  nicht 
nur  Wilhelm  der  Große  ganz  ausgeschlossen,  sondern  fast  sicher 
auch  Wilhelm  VII.,  der  Troubadour.  In  der  genannten  Periode 
regierten  Wilhelm  VIIL  (1127-1137),  die  beiden  Gatten  der 
Eleonore:  Ludwig  VII.  von  Frankreich  (1137 — 1152)  und  Heinrich 
von  Anjoii  (1152 — 1170),  König  von  England  seit  1154,  und  dessen 
Sohn  Richard  (1171  — 1196),  König  von  England  seit  1189.     Unter 


158  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

diesen  kann  wohl  Ludwig  nicht  in  Betracht  kommen;    denn  er  wäre 
kaum    Graf  von   Poitiers   genannt   worden.      Dadurch   wird   fast    die 
ganze    von   G.   Paris   für   Bledri   abgegrenzte   Periode   ausgeschlossen. 
Wenn   wir  das  paullo  möglichst  weit  ausdehnen,    so  kämen   wir  auf 
Wilhelm  VIII,  der  als  Sohn  des  Troubadours  und  Vater  der  Eleonore 
genügend  literarische  Beziehungen  haben  konnte,  wenn  er  auch  selbst 
als    Mäcen    nicht    nachgewiesen    ist    (was    aber    von    Wilhelm    dem 
Großen   und  Wilhelm  VII.    auch  gilt)53).     Richard   möchte  ich  nicht 
ganz    ausschließen,     wenn    gleich    das    Zeugnis    des    Thomas    dann 
Schwierigkeiten  macht.     G.  Paris  hob  mit  Recht  hervor,  daß  letzterer 
von   Breri    in    der  Vergangenheit   spricht,    woraus   hervorginge,    daß 
Breri  damals  tot  war.     Für  den  Tristan  des  Thomas  setzt  man  aber 
gewöhnlich  als  terminus  ad  quem  gerade  das  Jahr  1170  an;  aber  so 
ganz    sicher    ist    diese    Datierung    nicht.      Heinrich    hat    gegenüber 
Richard    und    Wilhelm    den    Vorzug,    daß    er    chronologisch    keine 
Schwierigkeiten  macht,  gegenüber  Wilhelm  außerdem  den  großen  Vor- 
zug,  daß  er  als  Mäcen  den  bedeutendsten  Namen  hat  und  daß  sich 
Bledris    Beziehungen    zu    ihm    auf    die    natürlichste   Weise    erklären 
würden.     Denn  Heinrich   hatte   schon,   bevor   er  König  von  England 
war,  die  intimsten  Beziehungen  zu  Großbritannien;  war  er  doch  der 
Enkel  König  Heinrichs  I.  und  Prätendent  auf  den  Thron.    An  seinen 
Hof  in   Poitiers   werden   sich    die  Gegner  König  Stephans    oft   genug 
zurückgezogen   haben,   und   er   wird   sich   Mühe   gegeben   haben,   sich 
in  England  populär  zu  machen.    Mag  er  sich  nicht  zu  diesem  Zweck 
auch    anglonormannischer    Trouveres    und  Jongleurs   bedient  haben? 
Aber  wie  sollte  der  Kymre  Bledri  gerade  von  Wilhelm  von  Poitiers 
fiinen  Auftrag  bekommen   haben?     Hier   fehlen    alle  Zwischenglieder. 
Wenn    wir   uns   für   Heinrich   entscheiden,    so  werden   wir   wohl   die 
Zeit  von  1154 — 1170,  während  welcher  er  König  von  England  war, 
ausschließen  müssen;  es  bleiben  dann  nur  noch  die  Jahre  1152 — 1154 
übrig,   die   sich   aber  gewiß    als  Abfassungszeit   von  Bledris  Gauvain 
in  jeder   Beziehung  gut   eignen.      Dieses  Resultat  ist   nun   allerdings 
nicht  so  revolutionär  wie  dasjenige,  zu  dem  W.  gelangt  ist.  s-i) 

Über  das  Alter  der  Quellen  von  Bledris  Kompilation  läßt  sich 
gar  nichts  sagen.  Das  Werk  ist,  wie  W.  richtig  sagte  (z.  B.  p.  251), 
not  one  story,  wliich  must,  loe  feel,  end  in  one  particalar  way, 
but  a  coUection  of  independent  episodic  poems,  connected  only  by 
the  personality  of  the  hero.     Dieser   Gauvainroman  ist   der  älteste 

^^')  Es  ist  bezeichnend,  dafs  W.  ein  Jahr  vor  dem  Erscheinen  ihrer 
Percevalstudien  für  Wilhelhm  VIII.  eintrat  und  in  Bezug  auf  Bledri  sagte: 
/  do  not  think  we  can  fairly  date  him  later  than  the  ßrst  half  of  the  twelflh  Century 
{Romania  34,  p.  l02).  Damals  war  der  Bischof  von  Llandafif  noch  nicht 
entdeckt. 

**)  Loudun  ist  nicht  weit  von  Poitiers  entfernt,  so  dafs  es  wohl 
möglich  ist,  dafs  eil  de  Lodun,  der  Jongleur,  welcher  das  von  Gaucher  be- 
nutzte Manuskript  schrieb,  Bledris  Werk  in  Poitiers  von  Heinrich  selbst 
^ur  Benutzung  erhielt. 


Jessie  L.   Weslon.     The  legend  of  Sir  Perceval.         159 

der    direkt    erschließbaren,    man    möclite    fast    sagen   der  erhaltenen 
Romane.     Seine  Enstehung   ist  noch  klar  ersichtlich:    die  einzelnen 
Erzählungen  (Lais  und  auch  schon  kleinere  Romane)  sind  einfach  an  ein- 
ander   gereiht   worden.     Der   Chastel-Merveillous-Koraplex   anderseits 
entstand  durch  Ineinanderschachteln  einzelner  unabhängiger  Erzählungen. 
Ich  habe  schon  vor  10  Jahren  auf  diese  Entstehung  der  Romane  „durch 
Aneinanderreihen    oder  Ineinanderschachteln    von  Lais"    hingewiesen 
(in    dieser    Zeitschrift  XX  ^    p,  150  f).     Ich   hatte,    indem   ich   das 
schrieb,  speziell  die  Gauvainkomplexe  des  Perceval  im  Auge  und  war 
überhaupt  von  der  frühen  Existenz  eines  großen  Gauvainromans  oder 
mehrerer  solcher  schon  längst  überzeugt,  und  habe  darum  auch  schon 
damals  die  Wiclitigkeit  Gauvains  betont.    W.  hat  in  einer  Anmerkung 
zu  ihrer  Legend  of  Sir  Lancelot  meine  Theorie  von  der  Entstehung 
der  Arthurromane,  die  sie  automatisch  nannte  (warum,  ist  mir  nicht 
klar),   von   sich   gewiesen.     Will  sie  dies  auch  jetzt  noch  tun,   nach- 
dem  sie  die  Art   der  Komposition   von  Bledris  Roman    erkannt  hat? 
W.   ist   bei   ihrem   heiligen   Respekt    für   die  Eigennamen  und  ihrem 
Glauben  an    die  Beständigkeit   derselben   natürlich  der  Ansicht,    daß 
die  einzelnen   Erzählungen    des   Gauvainromans    von   Anfang   an    mit 
Gauvain  verknüpft  waren.     Ich  glaube,  daß  Gauvain  in  den  meisten, 
wenn  nicht  in  allen  unursprünglich  ist,  und,  wie  ich  schon  1.  c.  sagte, 
erst  unter  dem  Einfluß  von  Galfrids  Historia  eingeführt  wurde.  Bei  W's 
Datierung  von  Bledris  Kompilation  ist  letzteres  natürlich  nicht  möglich. 
Ich    glaube    jetzt    sogar,    daß    erst    der   Kompilator  Bledri    Gauvain 
in   die  einzelnen  Erzählungen  eingeführt  hat.     Diese  haben  inhaltlich 
nicht    die    geringsten   Beziehungen   zu   einander,    so   daß    anzunehmen 
ist,   daß   sie   einander   ursprünglich  garnichts   angingen.     Greifen  wir 
aber  Sagenhelden  wie  Achilleus,  Dietrich,   Cuchulinn  etc.  heraus,    so 
sehen  wir,  daß  die  einzelnen  ihnen  gewidmeten  Erzählungen  im  großen 
Ganzen    zu   einander  passen,   indem   eben  die  spätem  immer  auf  die 
frühern  Rücksicht   nehmen.     Was   immer  die  ursprüngliche  Gauvain- 
sage  war,  ich  glaube  nicht,  daß  uns  in  den  arthurischen  Erzählungen, 
deren   Held  er   ist,   viel,   wenn   überhaupt   etwas,   davon  erhalten  ist. 
Wer    die    ursprünglichen    Helden    derselben   waren,    läßt   sich   nicht 
mehr  bestimmen.     Es  ist  wohl  möglich,    daß  in  manchen  von  ihnen 
der  Held  nicht  mit  Namen  genannt  wurde,  was  ja  in  alten  Märchen 
häufig  genug  der  Fall  ist.   Gauvain  hatte  ursprünglich  keine  Geschwister 
und  keine  Kinder,    Später  erhielt  er  beides  und  zwar  zunächst  einen 
Sohn    und    einen    Bruder.      Der    Guinglaiuroman    war    ursprünglich 
selbstständig.      Die    in   ilim   verwendete  Erzählungsformel   postuherte 
für   den  Helden    einen   berühmten   Vater.      In    der  Zeit   als   Gauvain 
als  der  berühmteste  Held  galt,  wurde  er  wohl  in  die  kurze  VateiToUe 
eingesetzt;   dies   konnte   um  so  eher  geschehen,   als  Gauvain  in  einer 
anderen  Erzählung  (Brandeiis)  der  Vater  eines  Knaben  war.    Gahariet- 
Guerehet  hatte  ursprünglich  einen  Roman  oder  mehrere  Romane  für 
sich.     Er  galt  wohl  schon  da  als  Arthurs  Schwestersohn.    Diese  Art 


160  Referate  und  Rezensionen.     E.  Brugger. 

der  Verwandtscliaft  des  Helden  mit  dem  Landesfürsten  ist  einer 
sehr  großen  Zahl  von  Erzählungen  aller  Völker  eigen  und  weist  auf 
eine  Zeit  zurück,  in  welcher  noch  das  Mutterrecht  galt  (vgl.  z.  B. 
Potter,  Sohrab  and  Rüstern:  Grimm  Library  XIV;  in  der 
französischen  Karlssage  Aiol  und  Roland,  in  der  spanischen 
Bernardo  de  Carpio).  Bei  der  Arthurisierung  der  Lais  wurde 
nun  immer  Arthur  in  die  Kolle  des  (ursprünglich  gewöhnlich 
ungenannten)  Landesfürsten  eingesetzt  und  wurde  so  aller  Welts 
Onkel.  Auch  Gauvain  wurde  vermutlich  auf  diese  Weise  Arthurs 
Schwestersohn.  Die  Lais-  oder  Romandichter,  welche  Galfrids 
Historia  kannten,  die  Arthur  nur  eine  Schwester,  dieser  nur 
einen  Sohn  gab,  hatten  die  Wahl,  ihrem  Helden,  wenn  er 
Arthurs  Schwestersohn  sein  sollte,  entweder  eine  andere  Schwester 
Arthurs  zur  Mutter  zu  geben,  oder  ihn  zum  zweiten  Sohn  der 
einen  Schwester  zu  machen.  Auf  diese  Weise  dürfte  Gahariet-Gueheret 
Gauvains  Bruder  geworden  sein^^).  Es  ist  wohl  möglich,  daß  schon 
Bledri  die  Guinglain-  und  Gahariet-Guerehet- Erzählungen  in  seine 
Kompilation  aufnahm,  nachdem  ihre  Helden  zu  Verwandten  Gauvains 
gemacht  worden  waren.  Der  Gauvainroman,  der  Türlins  Crone  zu 
Grunde  lag,  enthält  noch  keine  andern  als  Gauvaiuerzählungen. 
Diese  Kompilation  ist  eine  der  interessantesten;  sie  war  es  vielleicht, 
aus  der  der  Chastel-Merveillous-Komplex  stammte  (falls  die  darin 
enthaltene  Version  der  betreffenden  Abenteuer  sich  als  ursprünglich 
erweist).  Durch  Gauvains  Stellung  in  diesen  alten  Kompilationen 
erklärt  sich  die  Tatsache,  daß  er  auch  in  den  spätem  Romanen  noch 
immer  dem  Protagonisten  gleich  gestellt  wird. 

In  den  Kapiteln  XIH  und  XIV  werden  noch  die  ^ran/an^episode 
und  der  Carac?oskomplex  untersucht.  Beide  werden  als  Interpolationen, 
sei  es  in  Gauchers  Text  sei  es  in  seine  Quelle,  erklärt.  Die  Branlatit- 
episode  halte  ich  für  einen  alten  Bestandteil  von  Bledris  Kompilation; 
sie  ist  ein  Gauvain -Abenteuer  und  ist  den  echten  Abenteuern  des 
Chastel-Orgueillous- Komplexes  in  Bezug  auf  Styl  ähnlich  (vgl.  dazu 
noch  die  Anrede  Saignor  W.  p.  300);  es  werden  keine  triftigen  Gründe 
gegen  die  Echtheit  der  Episode  ins  Feld  geführt.  Die  auffällige 
Charakteristik  Keu's  hat  in  Wolfram's  Parzival  und  nur  hier  ihr 
Pendant  (W.  p.  300).    Dies  dürfte  dafür  sprechen,  daß  die  Branlant- 


^^)  Bei  Wolfram  erscheinen  neben  Beacurs  auch  Gaherjet  und  Garel;  nur 
der  erstere  ist  Gauvains  Bruder;  aber  die  letzteren  (wenigstens  Gaherjet) 
sind  doch  auch  Arthurs  Schwestersöhne;  vgl.  Parzival  Xlll  1140,  XIV  1382  ff.). 
Modred  ist  schon  bei  Galfrid  Gauvains  Bruder.  Diese  Verwandtschaft  ergab 
sich  wohl  dadurch,  dafs  sowohl  Gauvain  wie  Modred,  unabhängig  von  ein- 
ander, mit  dem  Piktenfürsten  Lot  in  nähere  Beziehungen  gebracht  wurden. 
Die  französischen  Romane,  die  nicht  Bearbeitungen  von  Galfrids  Historia 
sind,  scheinen  dieses  Verhältnis  nicht  zu  kennen.  Modred  wird  ein  einziges 
Mal  erwähnt  (im  Bei  Desconiu  v.  5474),  als  König  (was  Galfrid  widerspricht?), 
allerdings  unmittelbar  nach  Gauvain,  aber  nicht  als  sein  Bruder;  er  hat 
vielmehr  Segrantes  zum  Bruder. 


Jessie  L.  Weston,     The  legend  of  Sir  Perceval.         161 

episode  auch  schon  in  Guiots  und  Chretiens  gemeinsamer  Quelle 
vorhanden  war.  Die  Branlant- Episode  und  die  Brandelis-Episode 
hätten  unabhängig  von  einander  erklärt  werden  sollen.  Nach  meiner 
Ansicht  ist  der  die  beiden  Episoden  verbindende  Passus  eine  Inter- 
polation, auf  Erfindung  beruhend  (mit  Benutzung  eines  bekannten 
Motivs).  Den  Caradockomplex  halte  auch  ich  für  eine  Interpolation, 
die  aber  schon  in  Gauchers  Quelle  vorhanden  war.  Die  Helden  dieses 
Komplexes,  Caradoc  und  Cador,  werden  auch  in  der  Beschreibung 
des  Turniers  von  Chastel  Orgueillous  erwähnt  (W.  p.  268).  Es  ist 
möglich,  daß,  wie  W.  (p.  317)  meint,  der  Caradockomplex  an  Stelle 
einer  Episode  wie  der  in  Syr  Gawayne  and  tlie  Grene  Knyglite 
geschilderten  gesetzt  wurde;  es  kann  aber  auch  sein,  daß  Caradoc 
als  „Neffe"  Arthurs,  folglich  als  Verwandter  Gauvains,  in  die  große 
Kompilation  aufgenommen  wurde. 

Das  Schlußkapitel  XV  bringt  ein  Resume  mit  Stammbaum; 
auch  wird  der  Versuch  gemacht,  die  Grallegende  aus  dem  Folklore 
abzuleiten;  sie  soll  in  altheidnischen  religiösen  Gebräuchen  wurzeln. 
Der  Namenindex  am  Schluß  mag  gute  Dienste  leisten,  scheint  aber, 
nach  Stichproben  zu  schließen,  nicht  vollständig  zu  sein.  Eine 
Bibliographie  wäre  ge\Yiß  vielen  Lesern  auch  angenehm  gewesen. 
Besonders  amerikanische  und  französische  Gelehrte  haben  uns  in 
dieser  Beziehung  verwöhnt;  auch  einzelne  Bände  der  Grimm  Library 
bieten  diese  Annehmlichkeit,  die  darum  in  "W's  Werken  um  so  mehr 
vermißt  wird.  Sic  hätte  aus  Panzers  Bibliographie  zu  Wolfram  von 
Eschenbach  (1897)  das  wichtigste  ausziehen  und  das  seither  erschienene 
liinzufügen  können.  Diesem  Mangel  könnte  im  zweiten  Band  noch 
abgeholfen  werden.  Recht  unangenehm  ist  die  häufige  Unvollständigkeit 
der  Zitate.  So  wird  p.  84  in  einer  Weise  auf  Löseths  Tristan 
verwiesen,  daß  trotz  dem  Index  dieses  Werkes  die  Auffindung  des 
betr.  Passus  Mühe  macht 56);  p.  156  wird  wohl  erwähnt,  was  die 
Hs.  von  Mons  an  Stelle  von  a  Fescans  hat;  aber  da  die  Verszahl 
von  Potvins  Ausgabe  nicht  augegeben  wird,  kann  der  Leser  Stunden 
lang  suchen;  p,  179  wird  der  Name  Chastel  de  la  Merveiiie  aus 
dem  Livre  Artus  [sie!],  B.  N.  337,  zitiert;  der  Leser  kann  nun 
Freymonds  Analyse  (die  übrigens  nicht  erwähnt  wird)  ganz  durchlesen; 
p.  261  wird  einfach  eine  Suggestion  Dr.  Nitzes  erwähnt;  der  betr. 
Gelehrte  hat  schon  verschiedene  Arbeiten  geschrieben;  von  W.  erfährt 
man  weder  Titel  noch  Seitenzahl,     Dies  ist  etwas  rücksichtslos. 

W.  begibt  sich  selten  auf  linguistisches  Gebiet;  wenn  sie's  tut, 
ohne  (ilück.  So  verwendet  sie  zur  Beantwortung  literarhistorischer 
Fragen  den  Unterschied  zwischen  Bei- Repaire  und  Biau-Repaire. 
Sie    will    wissen,    daß   Guiot    und    Gerbert  Bei  Repaire    schrieben, 


56)  Ich  bezweifle  übrigens  die  Richtigkeit  der  betr.  Bemerkung  W's; 
es  handelt  sich  doch  nicht  blofs  um  ein  Manuskript.  Der  betr.  Abschnitt 
des  Tristan  stammt  übrigens  aus  dem  Gralcyklus  (Lancelot). 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  I.itt.  XXXI«.  H 


162  Referate  und  Rezensionen.      W.   Golther. 

Chretien  dagegen  Biau-Repaire  {]).  121)!  Gauebers  Guinglain, 
genannt  Li  Biax  Desconeus,  soll  mit  der  englischen  Version  dieses 
Romans  übereinstimmen.  Die  französiscbe  habe  Inconnu  (p.  250)! 
Dies  ist  doch  kein  altfranzösisches  Wort;  es  rührt  nur  vom  Heraus- 
geber her.  Sie  scheint  den  Text  noch  nie  gelesen  zu  haben.  In 
dem  von  W.  (p.  195)  gedichteten  Vers  7ie  nui  ocis  en  traison  fehlt 
n'  vor  ocis.  Die  Phonetik,  welche  the  softening  of  s  into  o  before 
(the  second)  h  lehrt,  hat  noch  einen  recht  archaischen  Charakter. 
Darum  wird  man  auch  in  le  noiivel  loi  (p.  118),  Livre  Artus  (p.  179), 
le  Biax  Mauvais  und  le  biaus  coart  (p.  261,  ersteres  auch  p.  259) 
nicht  ohne  weiteres  Druckfehler  erblicken  dürfen.  Humbert  (p.  286 
und  316)  steht  für  Bunbaiä;  p.  280  wurde  durch  Konfusion  mit 
einem  andern  Abenteuer  des  Lanzelet  Chastel  Limors  für  Chastel 
Le  Mort  geschrieben.  Glücklicherweise  wurden  die  zahlreichen  Zitate 
aus  Manuskripten  teils  von  P.  Meyer  kopiert  teils  von  Bedier 
revidiert  (p.  XXV). 

Trotz  nicht  wenigen  Fehlern  und  Mängeln,  großen  und  kleinen, 
ist  W's  Buch  eine  sehr  anerkennenswerte  Leistung.  Es  zieht  ein 
frischer  Wind  durch  dasselbe.  W.  packt  die  wichtigsten  Probleme, 
die  bisher  meist  liegen  gelassen  wurden,  keck  an,  und  betrachtet 
dieselben,  wie  auch  die  Details,  von  einer  höhern  Warte  aus,  als  es 
bisher  geschah.  Wir  können  daher  dem  zweiten  Teil  ihres  Werkes 
mit  Spannung  entgegensehen. 

Zürich.  E.  Brugger. 


Kristian  von  Troyes,  Yvain.  Textausgabe  mit  Einleitung,  er- 
klärenden Anmerkungen  und  vollständigem  Glossar,  heraus- 
gegeben von  W.  Foerster.  Dritte  vermehrte  Auflage 
(Roman.  Bibl.  Nr.  5).  Halle,  Niemeyer  1906.  LXIV, 
275  S.     80.     Preis:  6  M. 

Die  dritte  Auflage  bietet  im  Vergleich  zur  zweiten  (vgl.  Zeit- 
schrift 252  S.  138  ff.)  nur  wenig  Veränderungen.  Der  Text  ist  von 
einigen  Druckfehlern  gesäubert,  das  Wörterbuch  in  Kleinigkeiten  ver- 
bessert. Die  Anmerkungen  sind  aber  erheblich  erweitert.  Die  vorige 
Auflage  enthielt  nur  textkritische  Anmerkungen,  die  neue  außerdem 
noch  erklärende  „die  alles,  was  dem  Anfänger,  der  die  historische 
französische  und  insonderheit  die  altfranzösische  Laut-  und  Formeu- 
lehre durchgenommen  hat,  Schwierigkeiten  bereiten  kann,  in  größter 
Knappheit  behandeln."  Diese  Zugabe  ist  ,.aus  der  Praxis  für  die 
Praxis  hervorgewachsen"  und  erhöht  die  Brauchbarkeit  der  aus- 
gezeichneten Handausgabe.  In  der  Einleitung  wahrt  Foerster  voll- 
kommen seinen  Standpunkt.    Vermehrt  sind  S.  XXVI  ff.  die  Zeugnisse 


Joachim  Reinliold.     Floire  et  ßlanclieflor.  163 

über  die  Quelle  von  Berenton.  Ferner  kam  S.  XLIX  ff.  eine  An- 
merkung hinzu,  worin  Foerster  Browns  Ivainstudien  (vgl,  Zeitschrift 
28  2  s.  34  ff.)  zurückweist  und  eine  eingehende  Erörterung  in  der 
Zeitschrift  für  romanische  Philologie  verheißt. 

Rostock.  W.  Golther. 


Reinhold,  Joachim.  Floire  et  Blancheflor,  etude  de  litterature 
comparee.  Paris,  Larose-Geuthner  1906.  176  S.  8°. 
Reinhold  gelangt  zu  drei  neuen  Ergebnissen :  er  bringt  die  ver- 
schiedenen Texte  und  Übersetzungen  der  ersten  Fassung  („version 
aristo  er  atique'^)  zu  einander  ins  richtige  Verhältnis,  er  leitet  die 
zweite  Fassung  (,,version  populaire'-^)  aus  der  ersten  ab,  er  sucht 
die  Quellen  der  Geschichte  von  Floire  und  Blancheflor  zu  bestimmen. 
Im  Gegensatz  zu  seinen  Vorgängern,  die  mit  verlorenen  Vorlagen  und 
Zwischenstufen  der  überlieferten  Texte  rechneten,  erkennt  Reinhold 
in  den  Quellen  selber  die  Entwicklungsgeschichte  des  Romans.  Ich 
bin  durchaus  derselben  Meinung  wie  Reinhold,  daß  auf  dem  Gebiete 
der  mittelalterlichen  Literatur-  und  Sagenforschung  die  „verlorenen^ 
Bearbeitungen  eine  viel  zu  große  Rolle  spielen.  Die  Entwicklung 
vollzieht  sich  in  der  Regel  unmittelbar  in  den  Denkmälern  vor  unsern 
Augen,  keineswegs  in  geheimnisvollem  Halbdunkel  hinter  ihnen.  Jede 
Arbeit  die  diesen  Grundsatz  verständig  und  sachlich  durchführt, 
begrüße  ich  mit  besonderer  Freude.  Ein  verlorener  Text  darf  immer 
nur  aus  zwingenden  Gründen,  unsre  letzte  Zuflucht,  nicht  aber  wie 
gewöhnlich  eine  nächstbeste  bequeme  Ausflucht  sein.  Der  erste  Teil 
der  Arbeit,  der  die  Untersuchungen  von  Sundmacher,  Herzog,  Hausknecht 
ergänzt  und  berichtigt  und  S.  75  die  französischen  und  fremden  Texte 
iü  einem  übersichtlichen  Stammbaum  vereinigt,  darf  wohl  als  sicheres 
Ergebnis  betrachtet  werden.  Die  Handschrift  B,  die  du  Meril  ver- 
nachlässigt, bringt  Reinhold  mit  mehreren  wichtigen  ja  entscheidenden 
Lesarten  zur  gehörigen  Geltung.  Über  das  Verhältnis  der  ersten  und 
zweiten  Fassung  war  man  sich  bisher  nicht  klar.  Reinhold  meint : 
„la  Version  populaire  n'est  qu'un  remaniement  executS  de  memoire 
d apres  la  premiere  version.'-'-  Damit  erledigt  sich  die  Annahme, 
daß  die  zweite  Fassung,  die  mit  der  ersten  aus  einer  verlorenen 
gemeinsamen  Urquelle  abstammen  sollte,  gelegentlich  ältere  Züge 
bewahrt  habe.  Reinhold  kann  freilich  nur  einen  Wahrscheinlichkeits- 
beweis erbringen,  dadurch  daß  die  Beschait'enheit  der  zweiten  Wendung 
sich  auf  diese  Art  zwanglos  erklären  läßt.  Der  Verfasser  sei  ver- 
mutlich ein  Spielmann  gewesen,  der  für  die  Pilger  nach  San  Jago 
di  Compostella  die  Geschichte  von  Floire  und  Blancheflor  zurecht 
machte.  „Ce  qui  est  pourtant  incontestable,  cest  quil  ne  connait 
en  dehors  de  la  version  aristocratique  aucune  autre  redaction  de 

11* 


164  Referate  und  Rezensionen.     W.   Goltlier. 

Floire  et  ßlancJieflor  et  qu'il  travaille  de  memoire,  soit  apres  avoir 
eniendu  raconter  lliistoire  de  nos  Mros,  soit  apres  avoir  lu  lui- 
meme  nn  nianuscrit  de  notre  poeme,  ce  qui  est  plus  probable;  en 
tont  cas,  au  moment  oii  il  ^crit  son  poeme,  le  poete  ne  dispose 
2Jlus  d'aucun  texte  auquel  il  pourrait  recourir'-'-  (S.  118). 

Als  Quelle  wurde  bisher  ein  byzantinischer  Roman  oder  ein 
arabisches  Märchen  angenommen.  Reinhold  setzt  dafür  wirkliche 
literarische  Vorlagen  ein:  die  Geschichte  von  Amor  und  Psyche,  das 
Buch  Esther  und  Apolonius  von  Tyrus,  also  lauter  allbekannte  und 
vielgelesene  Werke,  während  weder  der  byzantinische  Floreroman 
noch  das  arabische  Märchen  nachweisbar  sind.  Amor  und  Psyche 
ergab  die  Grundzüge  der  ganzen  Handlung  (vgl.  S.  I5l  ff.),  wobei  nur 
ein  Rollentausch  stattfand,  indem  Flore  die  Geliebte  aufsucht, 
während  in  der  Quelle  Psyche  ihrem  verschwundenen  Freund  nach- 
zieht. Die  Schilderung  des  Harems  leitet  Reinhold  aus  dem  Buch 
Esther  ab  (vgl.  S.  160  f.),  für  das  Kenotaph  der  Blancheflor  verweist 
er  auf  den  Apoloniusroman  (S.  163).  Ein  sicherer  Beweis  ist  auch 
hier  kaum  möglich,  aber  die  Übereinstimmung  des  Floreromans  mit 
diesen  tatsächlich  vorhandenen  Vorlagen  ist  zweifellos  größer  als  die 
mit  den  mühsam  zusammengesuchten  Einzelheiten  arabischer  Märchen 
oder  byzantinischer  Romane.  Darnach  wäre  Floire  und  Blancheflor 
eine  durchaus  bewußte  literarische  Schöpfung  eines  wohl  belesenen 
französischen  Dichters.  Sein  Werk  ist  eben  die  erste  und  ursprüngliche 
Fassung,  die  „version  aristo  er  atique'' ,  deren  Umarbeitung  in  der 
zweiten  Fassung,  der  „version  populaire^'  vorliegt. 

Rostock.  W.  Golther. 


Roiiianisclie  Meistererzähler  herausg.   von   F.  S.  Krauss. 

n.  Romanische  Schelmenromane  deutsch  von  Jacob  Ulrich, 
Leipzig,  deutsche  Verlagsaktieugesellschaft  1905  XLIII, 
235  S.  80. 

HI.  Crebillon  der  Jüngere  das  Spiel  des  Zufalls  am  Kamin- 
feuer,   deutsch    von  K.  Brandt,   ebda    1905   X,   83  S.  8°. 

IV.  Die  Schioänke  und  Schnurren  des  Florentiners  Gian-Fran- 
cesco  Poggio  Bracciolini,  deutsch  von  Alfred  Semerau, 
ebda  1905  244  S.  8  o. 

Die  drei  vorliegenden  Bände  der  Romanischen  Meistererzähler 
(vgl,  Zeltschrift  28  S.  172)  enthalten  solche  Denkmäler,  die  um 
der  galanten  Stellen  willen  nur  als  Privatdrucke,  nicht  öffentlich  im 
Buchhandel  ausgegeben  werden.  J.  Ulrich  bietet  sehr  geschickt  und 
anschaulich  die  Geschichte  des  Schelmenromans  in  Beispielen,  Die 
Einleitung  greift  auf  indische  Erzählungen  (der  geprellte  Brahraane, 
der  Weber  als  Wischnu),  auf  Herodot  (Schatz  des  Rhampsenit)  und 


Frangois  Rabelais.  165 

Homer  (Polyphem)  zurück  und  führt  über  türkische  und  sizilianische 
Schwanke  zum  ersten  französischen  Schelmenroman  des  13.  Jahrb., 
zum  Truhert  des  Douin  de  Laverne,  worin  ein  Märchen  durch  aller- 
lei rohe  und  gemeine  Szenen  erweitert  wurde.  Dann  folgen  kürzere 
französische  und  italienische  Schwanke  (Barat  und  Haimet,  Boivin  von 
Provins,  der  Metzger  von  Abbeville,  die  drei  Blinden  von  Compiegne, 
der  Bauer  von  Bailleul,  der  Schatz  von  Venedig,  der  Dieb  von 
Perugia  usw.),  endlich  die  Grundlage  des  picaresken  Romans,  der 
1554  erschienene  Lazarillo  de  Torraes.  So  gewährt  der  Band  ein 
vielseitiges,  unterhaltendes,  literar-  u.  kulturgeschichtlich  anziehendes 
Bild.  Der  Schatz  von  Venedig  (S.  102  ff)  enthält  u.  a.  die  Episode, 
die  auch  in  Eilharts  Tristan  bei  der  Geschichte  mit  der  Sensenfalle 
vorkommt,    worüber   Huet,   Eomania  36,    S.  50ff  zu  vergleichen  ist. 

Semer  au  übersetzt  Poggios  273  Schwanke  und  Schnurren  und 
umrahmt  sie  mit  lehrreichen  Einleitungen  und  Anmerkungen.  Zu- 
nächst werden  wir  über  Poggio  selber  und  die  Entstehung,  Verbreitung 
und  Wirkung  der  Schwanksammlung  belehrt.  Die  66.  Facetia  wird 
im  lateinischen  Text  und  in  Jakob  Freys  deutscher  (1556)  und 
Tardifs  französischer  (1480)  Bearbeitung  mitgeteilt.  Die  Anmerkungen 
unterrichten  über  die  in  den  Facetien  genannten  Personen,  die 
literarischen  Nachweise  geben  die  entsprechenden  weiteren  Belege  zu 
den  einzelnen  Geschichten.  So  ist  ausreichend  für  das  Verständnis 
des  Werkes  und  seine  volkskundliche  Verwertung  gesorgt. 

K.  Brandt  verdeutscht  Crebillous  „le  hasard  an  coin  du 
few'  =  das  Spiel  des  Zufalls  am  Kaminfeuer,  jene  geistreiche 
Causerie,  worin  zwei  hochstehende  Damen  mit  einem  Herzog  sich 
unterhalten.  Dabei  entrollt  sich  ein  Bild  der  Hofgesellschaft  zur 
Zeit  Ludwigs  XV. 

Rostock  i.  M.  Wolfgang  Golther. 


Des  Fran^ois  Rabelais   weiland  Arznei-Doktors  und  Pfarrers  zu 
Meudon   Gargantua.    Verdeutscht  von  Engelbert  Hegaur 
und  Dr.  Owlgass.  Verlegt  bei  Albert  Langen.  München  1905. 
Des  Fran^ois  Rabelais  Pantagruel.     Erstes  Buch.     Verdeutscht 
von  demselben.     Verlegt  ebendaselbst   1907. 
Welcher  Kenner   liebt  ihn   nicht,    den    „archibeaic  sacrosancte 
et  immense  Rabelais'-^  den  trotz  allen  Rauhreifs  des  Alters  innerlich 
junggebliebenen  Meister   des    echten  Welthumors!     Trotz  aller  seiner 
Stillosigkeit    und    grotesken    Übertreibung,    trotz    seiner    sprunghalt 
episodischen   Manier    und    allen   Mangels    eines   festen    Gerüstes   und 
künstlerischer  Oekonomie,  trotz   aller  bizarren  Subjektivität  des  Aus- 
drucks und  der  unserem  Goschmacke  widerstrebenden,  virtuosenhaften 
Wortspielcreicn   haben   ihm   doch    die  Jahre   nichts   anhaben   können, 
weil  nur   das  Gcfallsamo,   Förderliche   von   der  Zeit   überflutet  wird, 


166  Referate  und  Rezensionen.     Joseph  Frank. 

alles  Schöpferische  aber  mächtig  über  die  Gewässer  der  Jahrhunderte 
hinausragt.  Denn  in  Rabelais'  von  sinnhcher  Kraft  der  Anschauung, 
ungestümer  Leidenschaft  des  Ausdrucks  und  machtvoller  Phantasie 
erfüllten  Sprache  wogt  und  sprudelt  es  von  elementaren  Empfindungen 
uud  Gedanken,  von  einer  Springflut  von  Bildern,  aus  deren  anscheinend 
wirrem  Durcheinander  sich  doch  immer  organisches  Leben  losringt. 
Wenn  auch  die  sich  stoßenden  und  überstürzenden  Sätze  in  freiem 
Aufbau  und  loser  Verknüpfung  zuweilen  sich  aufeinander  türmen  „wie  ein 
Haufen  Austernschalen",  so  fehlt  es  doch  nirgends  an  dem  einigenden 
Bande  der  Idee,  denn  Rabelais'  durch  die  zünftigen  Regeln  noch 
ungebrochene  Schriftstellernatur  sucht  mehr  ethische  Wahrheiten  als 
äußeren  Glanz  und  Feinheit  des  Ausdrucks  und  man  kann  ihm  nach- 
rühmen, daß  er  über  seine  Zeit  weit  hinausblickeud  ewige  sittliche 
Werte  geprägt  hat.  Er  ist  nicht  nur  ein  geschworener  Feind  aller 
Pedanterie,  ein  Zopfabschneider  und  Perrückenausstäuber  sondergleichen, 
er  ist  auch  einer  der  großen  Revolutionäre  des  Gedankens,  die  den 
Zaun  zu  brechen  sich  vornahmen,  den  Vorurteile  und  Dogmen  um 
den  Baum  der  menschlichen  Erkenntnis  gezogen  haben.  Es  hat  den 
Wert  seines  Werkes  nicht  wesentlich  beeinträchtigt,  daß  er  dabei 
notgedrungen  das  schwarze  Predigerbarett  oft  mit  der  scheckigen 
Schalkskappe  vertauschte,  ja  nicht  einmal,  daß  er  allenthalben  einer 
derben  Sinnlichkeit  die  Zügel  schießen  ließ.  Denn  diese  hat  nichts 
an  sich  von  krankhafter  Lüsternheit,  mit  der  die  berechnende  Gemeinheit 
moderner  Schriftsteller  auf  die  Gemeinheit  ihrer  Leser  zu  spekulieren 
pflegt.  Meister  Franz  Rabelais  versteht  es  vielmehr  auch  das 
geschlechtlich  Sinnliche  in  die  Höhe  des  unendlichen  Weltzusammenhangs 
hinaufzurücken,  ohne  eine  trockene  Lehrhaftigkeit  in  ungelöstem 
Zwiespalt  gegenüberzustellen.  Mit  allem  versöhnt  sein  sieghaft  durch- 
brechender Humor,  der  sich  das  Herz  nicht  erkälten  und  den  Blick 
nicht  trüben  läßt,  und  hinter  dessen  grimmigen  Ein-  und  Ausfällen 
ein  frommes  und  fröhliches  Gemüt  sich  verbirgt;  der  ihn  weinend 
lachen  und  zornig  lustig  spotten  läßt  über  diese  Welt,  in  der  überall 
etwas  lottert  und  schlottert,  ohne  daß  man  darum  gleich  folgern 
muß,  es  sei  alles  nichts. 

Jeder  Sachkundige  weiß  nun,  welche  ganz  außerordentliche 
Schwierigkeiten  Rabelais  dem  Übersetzer  entgegengestellt.  Wenn 
es  schon  im  allgemeinen  zugegeben  werden  kann,  daß  die  Lektüre 
eines  Originalwerks  sich  zum  Lesen  der  Übersetzung  so  verhält  wie 
eine  wirkliche  Reise  in  fremde  Länder  zum  Studium  der  Reise- 
beschreibung, so  gilt  dies  ganz  besonders  im  vorliegenden  Falle. 
Hier  liegt  die  Gefahr  besonders  nahe,  daß  die  Übersetzung  eine 
Versündigung  gegen  den  Geist  zweier  Sprachen  bedeute  und  Vauquelin 
Recht  behalte: 

Qui  veut  trop  curienx  une  langue  iraduire 
Vcut  la  langue  estrangere  et  La  sienne  destruire! 


Maurice  Masson.     Fhielon  et  madame  Guyon.  167 

Selbst  im  Falle  des  Gelingens  wird  man  man  mit  Montesquieu 
sagen  müssen:  „Die  Übersetzungen  gleichen  den  Kupfermünzen,  die 
zwar  mit  den  goldenen  Sorten  einen  gleichen  Stempel  führen  und 
den  gemeinen  Leuten  einen  guten  Nutzen  schaffen,  sie  bleiben  aber 
doch  alle  Zeit  von  schlechtem  Schrot  und  Korn!"  Unter  diesen 
Einschränkungen  kann  man  zugeben,  daß  unsere  Übersetzer  ihre 
Aufgabe  ziemlich  gut  gelöst  haben.  Auch  mit  den  vorgenommenen 
Kürzungen  kann  man  sich  im  ganzen  einverstanden  erklären  und 
zugeben,  daß  diese  zugestutzte  Form  nicht  einem  Prokrustesbette 
gleiche,  in  dem  dem  Autor  nicht  nur  die  allzulangen  Beine,  sondern 
auch  zuweilen  der  Kopf  abgeschnitten  wurde.  Nur  selten  erscheint 
auch  manche  goldene  Rücksichtslosigkeit  in  ihrer  frischen  Gewitter  Wirkung 
ermattet.  Der  wahre  Rabelaisverehrer  wird  freilich  manches  schmerzlich 
vermissen  und  auf  das  Original  zurückgreifend  es  so  machen  wie 
mit  den  Kirschenkörben  der  Frau  von  Sevigne:  erst  nahm  man  die 
besten,  dann  wieder  die  besten  und  zuletzt  alle!  So  wahr  es  ist, 
daß  das  Stachelgitter  eines  langatmigen  Kommentars  manchen  Lese- 
lustigen vom  Eintritte  in  das  Werk  abzuhalten  geeignet  wäre,  wird 
man  es  doch  verheben  müssen,  daß  der  auch  in  dieser  Verdeutschung 
oft  noch  sehr  erklärungsbedürftige  Autor  ohne  jede  erläuternde  Anmerkung 
geblieben  ist.  Und  so  wollen  wir  schließlich  der  Hoffnung  der 
Übersetzer  nicht  widersprechen,  „daß  ihre  chirurgischen  und  ortho- 
pädischen Bestrebungen  nicht  auf  das  bekannte  Resultat  hinauslaufen: 
„Operation  glänzend  gelungen;  Patient  tot",  sondern  daß  sie  „dem 
Humanisten-  und  Scholastikerzöpflein  etwas  an  die  Haare"  gegangen, 
ohne  „eine  Kastration  in  majorem  philisterii  gloriam  vorzunehmen". 
Die    äußere   Ausstattung  der  beiden  Bändchen  ist  eine   vorzügliche. 

WiEN-HiETziNG.  Josef  Frank. 


Masson,    Maurice.      Fenelon    et    madame    Guyon,    documents 

nouveaux   et    inedits.     Paris,    lib.  Hachette.      1907.     XCV 

et  379  pages. 

En  1768,  un  pietiste  vaudois,  Dutoit,  i)  avait  publie,  ä  la  suite 

d'une  seconde  edition  des  Lettres  chretiennes  et  spirituelles  de  madame 

Guyon,    un    volume    complementaire    qui   contenait   entre   autres    "la 

Correspondance  secrete  de  M.  de  Fenelon  avec  l'auteur"  :  c'est  ä  dire 

une  centaine  de  lettres  de  madame  Guyon,  et  trente-huit  de  Fenelon, 

inedites ;  le  tont  etant  donne,  ä  ce  qu'il  semble,  non  pas  d'apres  les 

originaux,  mais  d'apres  des  cahiers  de  copies  „La  Providence  a  permis, 

disait   Dutoit,   que   le   manuscrit   authentique   nous   soit  tombe   entre 

les  mains.     Elle  y  a  meme  concouru  par  ce  qu'on  pourrait  appeler 

un  tissu  de  miracles." 


^)  Sur  ce   personnage,  on  peut  lire  le  livre  de  M.  Jules  Chavannes: 
Uutoit,  sa  w'e,  son  caractere  et  ses  doclrines,     Lausanne,  1865.     362  pageS. 


168  Referate  und  Rezensionen.     Eughie  Ritter. 

Cette  publication,  faite  en  province,  et  destinee  par  l'editeur 
ä  redification  d'un  petit  groiipe  de  pictistes,  n'attira  l'attention  de 
personne,  ä  cctte  epoque. 

Soixante  ans  plus  tard,  M.  Fabbe  Gosselin,  —  dont  les 
Souvenirs  cCenfance  et  de  jeunesse,  de  Renan,  ont  fait  revivre  la 
figure  line  et  sympathique,  —  ayant  donne  une  cdition  nouvelle  et 
tres  augmentee  de  la  Correspondance  de  Fcnelon,  il  ne  voulut  pas 
y  faire  entrer  les  lettres  que  Dutoit  avait  mises  au  jour;  il  les  jugeait 
"manifestement  supposees,  en  tout  ou  en  partie.,, 

II  y  a  quinze  ans,  ayant  eu  l'occasion  de  faire  quelques 
recberches  sur  le  sejour  de  madame  Guyon  dans  le  diocese  de 
Geueve,'-)  je  dus  lire  les  documents  mis  au  jour  par  Dutoit;  et 
rauthenticite  des  lettres  de  Fenelon  m'apparut  evidente.  Je  crus 
bien  faire  en  reimprimant  ces  lettres  dans  la  Revue  de  l' enseignement 
(juillet  et  septembre  1892)  avec  quelques  pages  d'avaut-propos,  oü 
j'essayais  de  refuter  les  arguments  sur  lesquels  M.  Gosselin  s'etait 
appuye  pour  les  declarer  inauthentiques.  J'esperais  que  cette  publication 
attirerait  l'attention  :  eile  ne  fit  pas  plus  de  bruit  qu'une  prune  qui 
tombe  de  l'arbre  dans  la  mousse;  et  seul,  le  regrette  M.  Brunetiere, 
dans  l'article  Fenelon  de  la  Grande  Encyclopedie,  en  a  fait  niention, 
en  disant  que  l'authenticite  de  ces  lettres,  sans  etre  tout  ä  fait 
prouvee,  lui  paraissait  infiuiment  probable. 

Les  eboses  en  etaient  lä  quand,  il  y  a  deux  ans,  M,  Maurice 
Massen  aj'ant  fait  ä  l'üniversite  de  Fribourg  en  Suisse  un  cours  sur 
Fenelon,  eut  l'occasion  de  lire  ä  son  tour  les  lettres  en  question  :  lui 
aussi,  il  les  jugea  anthentiques.  II  entreprit  alors  de  les  comparer 
attentivement  avec  les  autres  parties,  incontestees,  de  la  Correspondance 
de  Fenelon;  il  a  reussi  ä  etablir  qu'il  y  a,  entre  les  unes  et  les 
autres,  une  evidente  parente,  parfois  meme  une  presque  identite  de 
pensee  et  d'expression.  L'etude  des  manuscrits  conserves  dans  les 
seminaires  de  Saint- Suli)ice  et  de  Versailles,  lui  procura  aussi 
quelques  arguments  en  faveur  de  sa  tbese,  qu'il  a  developpee  dans 
riutroduction  qui  est  en  tete  de  son  livre.  Celui-ci  contient  toutes 
les  lettres  echangees  entre  madame  Guyon  et  Fenelon;  leurs  dates 
s'echelonnent  depuis  les  dernieres  semaines  de  1688  jusqu'ä  la  fin 
de  1689  :  ce  n'est  evidemment  qu'un  debris,  seul  conserve,  d'une 
correspondance  qui  a  du  etre  bien  plus  longue  et  plus  ample. 

A  vrai  dire,  ce  n'est  pas  dans  ces  lettres  que  les  deux 
correspondants  se  presentent  au  lecteur  sous  leur  plus  beau  jour. 
Fenelon  y  parait  soucieux;  et  madame  Guyon,  fatigante  dans  son 
role  de  precheuse.  On  sait  oü  trouver  les  belles  pages  de  Fenelon. 
Quant  ä  maclame  Guyon,  les  meilleures  qu'elle  ait  ecrites  sont  eparses 


2)  it/me   Guyon  et  Geneve,  danS  les  Etrennes  chredennes,  Geneve,   1891.  — 
M>ne  Guyon  et  le  pere  Lacomhe,  dans  la  Beime  savoisienne,  Annecy,   1893. 


Philippe  Godet.     Madame  de  Charriere  et  ses  amis.       169 

dans  son  autobiographie,  dans  le  livre  des  Torrents,  3)  et  dans  quelques- 
unes  des  autres  lettres  qu'on  a  d'elle  :  celle,  par  exemple,  qui  est 
adressee  ä  M.  Monod,  ä  Morges.  C'est  lä  ce  qu'il  faut  lirc,  pour 
saisir  quelque  reflet  encore  visible  de  l'attrait  personnel  quelle  a 
possede  ä  un  si  haut  degre. 

Eugene  Ritter. 


Godet,  Pllilipi)e.  Madame  de  Charriere  et  ses  amis,  d' apres 
de  nomhreux  documents  inedits  (1740 — 1805)  avec 
portraiis,  vues,  autographes,  etc.  Geneve,  lib.  A.  JuUien. 
1906,  grand  in  8^.  Tome  premier.  XIII  et  519  pages. 
Tome  second.     448  pages. 

Habent  sua  fata  libelli.  La  destinee  des  romans  de  madame 
de  Charriere  nous  fait  toucher  au  doigt  la  verite  de  ce  vieux  proverbe. 

Ils  avaient  eu  la  plupart  plusieurs  editions,  de  1784  ä  1808; 
ils  avaient  ete  favorablement  apprecies  par  d'excellents  juges  :  Meister, 
dans  la  Correspondance  litieraire;  madame  de  Stael;  mademoiselle 
Pauline  de  Meulan,  dans  le  Puhliciste,  cet  excellent  Journal  des 
premieres  annees  du  19^  siecle.  Mais  bientot  apres  la  mort  de 
madame  de  Charriere,  on  cessa  de  reimprimer  ses  oeuvres;  et  Foubli 
allait  venir,  quand  une  chance  heureuse  amena  un  sauveur,  qui 
coiijura  le  mauvais  sort. 

On  connait  le  concours  de  circonstances,  i)  qui  amena  Sainte- 
Beuve  ä  faire  un  long  sejour  ä  Lausanne,  pendant  Thiver  de  1837 
ä  1838.  II  avait  dejä  lu  Caliste;  il  entendit  parier  de  Tauteur  par 
des  vieillards  qui  l'avaient  connue;  il  put  etudier  sa  vie,  et  il  lui  fit 
une  place  dans  la  galerie  des  Portraits  de  femmes  (article  de 
la  Revue  des  denx  rnondes,  15  mars  1839).  En  1844,  avec  la 
collaboration  d'un  erudit  neuchätelois,  M.  Gaullieur,  ilpubliad'aboudants 
extraits  de  sa  correspondance  avec  Benjamin  Constant.  En  1845 
enfin,  il  donna  une  nouvelle  editiou  de  Caliste.  Sainte-Beuve  a 
rendu  ainsi  a  madame  de  Charriere  le  raeme  service  qu'ä  Vinet  et 
ä  Töpffer  :  tous  trois  lui  doivent  leur  entree  dans  la  notoriete 
definitive. 

A  vrai  dire,  la  notice  biographique  si  gracieusement  ecrite  par 
Sainte-Beuve  n'etait  qu'une  legere  esquisse;  la  vie  de  madame  de 
Charriere,  assez  vide  d'evenements,  mais  tres  riebe  de  pensees, 
d'experiences  et  de  sentiments,  appelait  de  nouvelles  recherches,  et 
demandait  un  long  expose.  Un  litterateur  neuchätelois,  M.  Charles 
Berthoud,  s'etait  proposc  cette  täche,  et  l'avait  ebauchce,  ä  un  moment 


3)  Michelet  a  donne  de  cet  ouvrage  une  analyse  emue  et  sympathique 
dans  son  livre:  le  Pretre,  la  femvie  et  la  famiUe,  1845;  prämiere  partie, 
chapitre  7«. 

^)  On  peut  lire  ä  ce  sujet  le  volume  de  M.  Seche:  Correspondance 
inedite  de  Sainte-Beuve  avec  M.  et  J/'»«  Juste  Olivier.     Paris,   1904. 


170  Referate  und  Rezensionen.     Eugene  Ritter. 

oü  dejä  la  vieillesse  etait  arrivee  pour  lui.  Le  poids  de  Tage  raleutissait 
sa  marche;  il  finit  par  ceder  Tentreprise  ä  son  jeune  et  actif 
compatriote,  M.  Philippe  Godet,  qui  est  dejä  connu  par  un  beau 
livre  :  son  Histoire  litteraire  de  la  Suisse  franfaise"^). 

Avec  zele,  avec  ardeur,  M,  Godet  a  etudie  un  sujet  dont 
l'etendue  s'est  accrue  ä  mesure  qu'il  le  considerait  de  plus  pres :  aussi 
a-t-il  mis  vingt  annees  de  travail  ä  epuiser  les  sources  de  renseigne- 
ments  qui  se  sont  offertes  ä  lui,  avec  plus  d'abondance  qu'il  ne  l'avait 
espere  d'abord.  Son  livre,  lentement  prcpare,  lestement  ecrit,  tres 
bien  ordonne,  est  vraiment  un  modele  de  biographie.  En  racontant 
cette  vie,  oü  il  y  a  plus  d'un  chapitre  delicat,  M.  Godet  a  toujours 
dit  la  verite  sans  reticence.  On  est  captive  par  son  recit  toujours 
alerte;  on  lit  avec  interet  les  lettres  de  madame  de  Cliarriere,  d'un 
tour  si  net,  d'un  sens  si  juste;  autour  d'elle,  on  voit  se  derouler  un 
long  cortege,  foule  variee  et  non  pas  confuse,  oü  tous  les  rangs  se 
coudoient  :  paysans,  bourgeois  et  gentilshommes;  une  femme  de 
chambre;  l'epouse  d'un  roi.  Des  episodes  se  succedent  avec  une  variete 
piquante,  et  la  destinee  de  ces  personnages  divers  s'entrelace  ä  la 
marche  des  annees  qui  conduisent  la  figure  principale,  de  son 
adolescence  toute  fleurie  de  promesses,  aux  jours  sombres  de  son 
declin, 

La  vie  de  madame  de  Charriere  se  partage  nettement  en 
quatre  periodes. 

Elle  est  nee  en  Hollande,  le  20  octobre  1740;  sa  famille  etait 
noble  et  riebe;  son  esprit,  tres  vif,  son  caractere,  assez  facilement 
degoüte.  Aussi  sa  jeunesse  s'est  passee  ä  effeuiller,  comme  eile  eüt 
fait  d'une  marguerite,  la  touffe  des  pretendants  qui  s'offraient  ä  eile. 
Pour  chacuu  d'eux,  on  la  voit  dire  successivement  :  Je  l'aime  un 
peu,  .  .  .  bien  peu,  .  .  .  pas  du  tout!  jusqu'au  moment  oü  eile  se 
decide  pour  le  plus-  modeste  de  tous,  et  celui  qui  lui  promettait  le 
sort  le  plus  tranquille.  Elle  se  maria,  agee  de  trente  aus,  le  17 
fevrier  1771,  avec  un  gentilhomme  du  pays  de  Vaud,  M.  de  Charriere 
ä  qui  eile  apporta  une  belle  dot;  mais  eile  ne  lui  donua  pas  le 
bonheur.  —  Viennent  ensuite  douze  annees  qui  s'ecoulent  paisiblement 
au  village  de  Colombier,  dans  la  principaute  de  Neuchätel,  oü  son 
mari  et  ses  belles-soeurs  avaient  une  propriete.  —  Puis  arrive  l'orage: 
un  malheureux  amour,  un  amour  malheureux.  Saepe  venit  magno 
foenore  tardus  amor.  Pour  s'en  distraire,  madame  de  Charriere, 
fait  ce  qu'on  appelle  aujourd'hui  des  eures  d'isolement.  Elle  trouve 
ensuite  une  meilleure  distraction  dans  la  composition  de  ses  romans 
(Lettres  neuchäteloises,  1784;  Lettres  de  mistriss  Henlei/,  meme 
annee;  Lettres  ecrites  de  Lausanne,  1785;  Caliste,  1787)  et  dans 
la   connaissance   qu'elle  fait  ä  Paris,    au  printemps  de   1787,    d'un 


')  Premiere  edition.    Neuchätel,  1890.  —  Seconde  edition,  revue   et 
augmentee.    Neuchätel,  1895. 


Philippe  Godet.     Madame  de  Charriere  et  ses  amis.       171 

jeune  homme  d'esprit  et  d'un  grand  avenir  :  Benjamin  de  Constant. 
II  a  27  ans  de  moins  qu'elle;  et  pendant  plus  de  sept  ans  eile  le 
domine,  jusquä  ce  qiie  madame  de  Stael  le  lui  enleve,  dans  l'au- 
tomne  de  1794.  —  Alors  dejä  la  vieillesse  est  venue,  de  tres  bonne 
heure ;  et  les  onze  dernieres  annees  de  la  vie  de  madame  de  Charriere 
sont  comme  des  semaines  d"automne,  oü  les  feuilles  jaunies  joncbent 
le  sol,  oü  le  ciel  est  couvert  et  gris,  oü  Ton  sent  partout  Tapproche 
de  rhiver.  La  pauvre  femme  vit  venir  sans  regrets  la  mort,  qui 
Fatteignit  le  27  decembre  1805.  —  Pour  le  lecteur  allemand,  cette 
derniere  periode  öftre  uu  interet  particulier:  il  y  suivra  avec  curiosite 
les  aveutures  de  la  comtesse  Dönboft',  epouse  morganatique  du  roi 
de  Prusse  Frederic-Guillaume  II,  et  le  roman  singuiier  du  litterateur 
Huber  avec  Tberese  Forster. 

Diverses  illustrations,  et  surtout  des  portraits,  sont  repandues  ä 
foison  dans  les  pages  de  ces  deux  volumes,  et  rendent,  pour  ainsi 
dire,  plus  presents  au  lecteur  les  personnages  qui  figurent  dans  le 
recit.  On  remarquera  les  deux  beaux  portraits  de  madame  de 
Charriere,  qui  tranchent  en  faveur  de  Sainte-Beuve^)  la  question  qui 
etait  restee  pendante  entre  M.  Gaullieur  et  lui  :  Etait-elle  jolie? 

Le  succes  du  beau  livre  de  M.  Philippe  Godet,  publie  l'an 
dernier,  a  ete  assez  vif  pour  que  l'auteur  se  soit  vu  encourage  ä 
poursuivre  son  eflort,  en  vue  de  faire  revivre  madame  de  Charriere 
et  ses  Oeuvres  :  il  vient  de  reediter  en  un  joli  volume  les  deux  parties 
des  Lettres  ecrites  de  Lausanne  :  VHistoire  de  Cccile,  et  Caliste'^): 
ces  romans  etaient  devenus  quasi  introuvables,  comme  au  reste  tous 
les  ouvrages  de  madame  de  Charriere. 

II  me  reste  ä  faire  quelques  remarques  critiques;  et  d'avance 
je  dois  reconnaitre  que  le  peu  d'oublis  et  d'erreurs  que  je  releve, 
apies  une  lecture  attentive,  dans  un  ouvrage  qui  a  pres  d'un  millier 
de  pages,  fait  un  tres  grand  eloge  de  l'exactitude  de  l'auteur. 

I,  38,  note  2.  M.  Godet,  en  enumerant  les  lettres  de  Voltaire 
ä  Constant  d'Hermenches,  a  laisse  de  cote  la  premiere,  qui  a  ete 
publice  par  Jean  Menos  (Lettres  de  Benjamin  Constant  ä  sa  famille, 
Paris,  1888,  page  71.)  Elle  n'a  pas  de  date;  mais  eile  a  ete  ecrite 
peu  de  jours  apres  la  mort  (qui  eut  lieu  au  mois  de  mars  1766) 
de  la  premiere  femme  de  Samuel  de  Constant. 

I,  167.  Pourquoi  vieillir  la  mariee?  Que  le  lecteur  se  reporte 
aux  dates  indiquees  plus  haut  :  il  verra  qu'au  moment  de  son  mariage, 


3)  «M.  de  Brenles,  ecrivait  Sainte-Beuve  ä  Gaullieur,  est  coupable  de 
m'avoir  dit  qu'elle  etait  peu  jolie;  et  j'avoue  que  j'ai  peino  ä  croire,  d'apres 
ce  qui  m'est  revenu  encore  d'ailleurs,  qu'elle  ait  ete  ce  qu'on  appelle  une 
beaute.  Elle  etait  Sans  doute  ä  cette  limite  oü  las  adorateurs  peuvent 
dire  le  mot,  et  les  indifferents  le  refuser. » 

*}  Lettres  ecrites  de  Lausanne,  par  madame  de  Charriere,  avec  une 
preface  de  Philippe  Godet.  Geneve,  lib.  JuUien.  1907.  XX  et  230  pages 
in-16. 


1  72  Referate  und  Rezensionen.      Walther  Küchler. 

madame    de   Cliarriere    n'avait    pas    encore    31    ans,    comme   le   dit 
M.  Godet;   pas  meme  encore  trente  ans  et  quatre  mois. 

I,  330:  Une  note  de  Grimm  ...  —  Lisez  :  de  Meister. 
Depuis  une  quinzaine  d'annees,  il  avait  remplace  Grimm  dans  la 
redaction  de  la   Correspondance  litteraire. 

I,  345:  Gaullieur,  en  lisant  l'article  manuscrit  s'aclioppa  ä 
ce  mot  mar ra ine.  —  Lisez  :  Gaullieur  s'etait  achoppe  au  mot  de 
marraine,  qu'il  avait  lu  dans  l'article  de  Sainte-Beuve  (Revue  des 
deux  niondes,   15  mars   1839). 

II,  75.  "Si  je  connaissais  quelqu'un  de  jeune  et  de  robuste, 
qui  vous  aimfit  autant  que  je  vous  aime,  et  ne  füt  pas  plus  bete  que 
moi,  j'aurais  la  generosite  de  vous  dire:  Allez  aupres  de  cette 
personne  •  lä.  „  Voilä  ce  que  madame  de  Charriere  ecrivait  ä 
Benjamin  Constant,  avec  une  naive  assurance  :  n'y  avait-il  pas  lieu 
de  s'arreter  ä  ce  passage,  qui  contraste  si  fort,  et  si  litteralement,  avec  ce 
qu'elle  eprouva  quand  se  presenta  madame  de  Slael,  qui  etait  jeune 
et  robuste,  qui  aimait  Benjamin  Constant  autant  que  l'aimait  madame 
de  Charriere,  et  qui  n'etait  pas  plus  bete  qu'elle,  assurement? 

II,  138.  „La  Fayette  etait  alors  prisonuier  dans  la  forteresse 
d'Olmtitz."  —  Lisez  :  de  Magdebourg,  puisque  nous  sommes  en  1793. 

II,  145,  uote.  II  me  semble  que  M.  Godet  aurait  du  reproduire 
la  lettre  de  madame  de  Stael,  de  23  octobre  1793,  teile  que  l'a 
doimee  Sainte-Beuve  dans  son  edition  de  Caliste,  page  335;  et 
donner  ensuite,  comrae  etaut  du  commencement  de  1794,  les  lignes 
que  Gaullieur  s'est  permis  d'y  intercaler  :  „Vous  avez  eu  la 
bonte  ...  ä  la  dixieme  lecture",  lignes  qu'il  a  empruntees  ä  une 
lettre  posterieure,  dont  l'original  autographe  se  trouve  aujourd'hui 
on  ne  sait  oü. 

II,  342.  De  la  morue  apres  sa  mort,  —  Lisez  :  du  saumon 
apres  sa  mort. 

II,  402.  J'ai  sous  les  yeux  une  edition  des  Lettres  de  mistriss 
Henley,  que  M.  Godet  n'a  pas  citee:  Le  mari  sentimental,  ou  le 
mari  comme  il  y  en  a  quelques-uns ;  suivi  des  Lpitres  de  mistriss 
Henley,  publikes  par  son  amie  Madame  de  C***  de  Z**''';  et  de 
la  Justification  de  M.  Henley,  adressee  ä  Vamie  de  sa  femme. 
A  Geneve,  chez  J,-J.  Paschoud.  1803.  in-12.  310  p.  —  Les  Lettres 
de  mistriss  Henley  occupent  les  pages  196  ä  256. 

Geneve.  Eugene  Ritter. 


Huguet;  Edinoiul:   La  couleur,  la  lumiere  et  l'ombre  dans  (.es 
mStaphores  de  Victor  Hugo.    Paris,  Hachette  et  C'®    1905. 
VIII  4-    379  S.  8».     7,50  frcs. 
Auch    durch    diese   zweite  Veröffentlichung   Huguets   wird   klar, 
daß  Victor  Hugos  Auge   scharf  in  die  Erscheinungen  der  Natur  ein- 
zudringen vermochte,   daß  er,  ebenso  wie  die  Form  der  Dinge,  auch 


Edmond  Hucjuet.     La  couleur,  la  lumiere  et  Vomhre.      173 

die  Spiele  der  Farben,  des  Lichtes  und  des  Schattens  in  der  Welt 
sah;  aber  ebenso  klar  wird  auch,  daß  er  das  Geschaute  nicht  einfach 
so  wiedergab,  wie  es  sich  seinem  Auge  darbot.  Sein  Zusehen  war 
kein  rohes  Schauen,  sein  Genießen  war  nicht  ein  reines,  naiv-gläubiges 
Hinnehmen  der  Objekte.  Und  die  Verarbeitung  des  Geschauten  in 
die  Sprache  war  bei  ihm  nicht  ein  rein  künstlerisches  Übertragen 
des  deutlich  Gesehenen  und  Empfundenen  in  die  plastisch  wirkende 
Anschaulichkeit,  sondern  der  Eindruck,  der  sich  ihm  bot,  ging  in 
den  meisten  Fällen  durch  die  dichterische  Einbildungskraft  und  dia 
gedankliche  Geistestätigkeit  hindurch  und  wurde  neu  geschaffen  in 
dem  dichterisch-gedanklichen  Bilde. 

Die  Erscheinungen  sind  für  Victor  Hugo  im  letzten  Grunde  nur 
Symbole.  Die  Dinge  sind  beseelt  oder  gewinnen  ihre  Seele  in  dem  nach- 
denklichen Betrachter,  der  die  Formen  und  Gestalten  nur  sieht  und  deutet 
im  Zusammenhang  mit  der  Existenz  des  Menschen,  mit  all  den  Problemen, 
•die  ihn  an  die  Welt  knüpfen,  mit  all  den  wechselnden  Erscheinungen 
der  Wirklichkeit  und  mit  all  den  Geheimnissen  des  Lebens. 

Die  mannigfaltig  sich  bietenden  Erscheinungen  des  Augenblicks, 
ein  Felsblock,  der  sich  ihm  wuchtig  entgegenstellte,  ein  zitternder 
Tautropfen  im  Kelche  einer  Blume,  ein  in  der  Dämmerung  aufflammender 
Stern,  das  Gleißen  eines  Fensters  in  der  Sonne,  das  Schimmern  eines 
hellen  Gewandes  im  Dunkel,  das  Ziehen  einer  Wolke  am  Abend- 
himmcl,  ein  ruhender  Vogel  auf  dem  Baum,  das  Glänzen  des  Haars 
auf  dem  Haupt  eines  Kindes,  flatternde  Fetzchen  weißen  Papiers  in 
der  Luft  —  alle  diese  Eindrücke  gehen  durch  das  äußere  Gesicht 
hindurch  in  die  innere  Anschauung,  in  das  dichterische  Sehvermögen, 
in  die  gedankliche  Reflexion, 

Oder  auch  die  ganz  subjektive  Stimmung,  die  gerade  die  Brust  des 
Dichters  erfüllt,  veranlaßt  ihn  das  leibhaftig  geschaute  Objekt  in 
eigenartiger  Weise  sj'mbolisch  zu  verbildlichen;  denn  immer  schafft 
Victor  Hugo  im  Banne  dichterischer  Erregung,  nur  selten  mit  der 
feinen  Sicherheit  des  malenden  Künstlers,  dem  Formen  nun  einmal 
Formen,  Farben  auch  wirklich  Farben  sind. 

Seine  Gesichte  verschwimmen  oder  verklären  sich  ihm  zu 
Visionen,  ein  Eindruck  löst  in  ihm  das  Spielen  der  Phantasie,  die 
äußerliche  Berührung  gleitet  in  ihn  hinein  und  findet  ihr  Ende  in 
einer  innerlichen,  seelischen  Empfindung. 

Seine  poetischen  Metaphern  sind  daher  nicht  angethan  den 
sinnlichen  Eindruck  dem  Leser  deutlicher  und  anschaulicher  zu 
vermitteln,  sondern  sie  übertragen  ihn  vielmehr  aus  seiner  Wirklichkeit 
in  die  Sphäre  geistig-symbolicher  Bildlichkeit. 

Die  beiden  Veröffentlichungen  üuguets  „Xe  sens  de  la  forme 
dans  les  mStaphores  de    Victor  Hugo"    (Paris    1904)')   und    „Xa 


1)  Cf.  die  Besprechung  von  J.  Haas  in  dieser  Zeitschrift  Bd.  XXIX 
Zweite  Hälfte  p.  57  f. 


174  Referate  und  Rezensionen.      Wcdtlier  Küclder. 

couleur,  la  lumiere  et  Vomhre  dans  les  metapliores  de  Victor 
Ilugo'-''  stellen  in  gründlicher  und  gewissenhafter  Arbeit  all  die  Stellen 
aus  den  Werken  des  Dichters  zusammen,  welche  uns  seinen  Sinn 
für  die  Form,  die  Farbe,  das  Licht  und  den  Schatten,  sowie  den 
dichterischen  Ausdruck  dieses  Sinnes  verkörpern.  Diese  beiden 
vortrefflichen  Bücher  sind  als  Materialsammlung  zu  betrachten  und 
zugleich  als  Vorarbeiten  zu  einem  Werk,  das  der  Verfasser  über 
die  Metaphern  Victor  Hugos  zu  schreiben  beabsichtigt. 

Die  beiden  stattlichen  Bände  stecken  voll  von  Anregungen. 
Ganz  richtig  vergleicht  der  Verfasser  den  dargeboteneu  Stoff  mit  den 
Schätzen  eines  Museums.  Wir  müssen  ihm  dankbar  sein,  daß  er 
sorgsam  aus  dem  so  weiten  Schaffen  Victor  Hugos  eine  so  reiche 
Fülle  von  dichterischen  Schönheiten  bequem  zusammengestellt  und 
mit  wertvollen  Anmerkungen  versehen  hat.  Aber  hinter  diesem 
Museum,  es  überragend  und  überschattend,  steht  das  Werk  des  Dichters 
unzerteilt,  zusammenhängend,  das  einheitliche  Werk  aus  Jünglings-,. 
Mannes-  und  Greisenalter,  und  zu  diesem  Werk  muß  sich  doch  immer 
wieder  der  Blick  des  Genießenden  und  Erkennenden  wenden. 

GIESSEN.  Walther  Küchler. 


Tliomas,  Louis:  La  Maladie  et  la  Mort  de  Maupassant. 
Bruges,  Arthur  Herbert  Ltd.    1906.    101  S.    2,50  fr. 

In  einem  Buche  „Souvenirs  sur  Maupassant"- ^)  hat  der  Baron 
Albert  Lumbroso  eine  große  Menge  von  Zeugnissen  über  Maupassant 
und  die  zu  seinem  Tode  führende  Krankheit  zusammengestellt,  Briefe 
von  der  Mutter  des  Schriftstellers,  Berichte  von  Freunden  und 
Ärzten,  alle  Belege,  deren  er  habhaft  werden  konnte,  um  über  den 
Zusammenbruch  des  unglücklichen  Mannes  Aufschluß  zu  erlangen. 
Mit  Hülfe  des  in  diesem  Buche  verstreuten  Materials  und  gestützt 
auf  Mitteilungen,  die  er  von  Personen,  die  Maupassant  während 
seiner  Krankheit  nahe  getreten  sind,  erhalten  hat,  erzählt  Thomas 
in  der  uns  vorliegenden  Broschüre  die  Ursachen  und  den  Verlauf 
der  Krankheit  des  großen  Novellisten,  soweit  es  überhaupt  möglich 
ist,  in  dieses  Krankheitsbild  einzudringen. 

Der  Eindruck,  den  man  von  der  Schrift  empfängt,  ist  recht 
peinlich.  Es  ist,  so  will  uns  dünken,  etwas  anderes,  ob  ein  Arzt 
auf  Grund  gewissenhaftester,  persönlicher  Beobachtung  und  gesichert 
durch  die  Methode  objektiv-wissenschaftlicher  Forschung  ohne  Scheu, 
in  harter  und  grausamer  Wahrhaftigkeit  die  allmähliche  Zersetzung 
eines  dem  Verfall  geweihten  Menschenlebens  vorführt,  oder  ob  ein 
gebildeter  Dilettant   mit  ästhetischen,    literarischen,   raedizinisch-phy- 


1)  Rome    (Bocca)    und    Paris    (Champion)    1905.      Mir    leider    nicht 
zugänglich. 


H.  Amte.     Correspondance  entre  G.  Sand  et   G.  Flaubert.      175 

siologiscben  Interessen  einen  halb  dichterisch-warm  empfundenen,  halb 
polemisch -kritischen  Essai  schreibt  und  in  luxuriöser  Ausgabe  auf 
Büttenpapier  druckt. 

Was  bei  dem  einen  ein  notwendiges,  das  wissenschaftliche 
Problem  aufklärende  Material  ist,  dient  dem  andern  zur  Fundgrube 
für  eine  ebenso  tendenziöse  als  kunstvolle,  doch  nur  auf  dem  Prinzip 
der  Auswahl  beruhende  Darstellung.  Der  Essayist  begeht  un- 
entschuldbare Indiskretionen  und  verletzt  Zartheiten  —  ohne  zwingenden 
Grund.  Er  hat  nicht  das  Recht  brutal  zu  werden,  wie  der  Arzt, 
der  beobachtet  und  notiert,  weil  es  seine  Pflicht  ist.  Mit  welchem 
Recht  druckt  Thomas  in  seiner  Broschüre  die  Anmerkung  II  „Mau- 
passant et  Bourget  ä  la  Maison  Teilier'^  ab?  Lumbroso,  der  nichts 
weiter  sein  will,  als  ein  Materialsammler,  mag  diese  Anekdote  mit 
aufnehmen.  Ein  taktvoller  Essayist  hätte  sie  ohne  Schaden  für  seine 
Darstellung  entbehren  können. 

Ich  bitte  Herrn  Thomas  mich  nicht  falsch  zu  verstehen.  Daß 
er  die  Krankheitsgeschichte  Maupassants  erzählt,  ist  sein  gutes  Recht. 
Aber  er  hätte  sie  anders  erzählen  können,  unpersönlicher,  barmherziger 
auch  gegen  die  unglückliche  Mutter  des  unglücklichen  Sohnes.  "Wenn 
ich  eine  Geschichte  der  Krankheit  Maupassants  zu  schreiben  hätte, 
so  würde  ich  die  Frage,  ob  auch  die  Syphilis  zu  ihren  Ursachen  zu 
rechnen  sei,  in  einem  Satze  oder  zwei  abmachen  und  würde  damit 
völlig  genug  getan  haben.  Thomas  bauscht  unnötigerweise  die  Sache 
zu  einem  ganzen  Kapitel  auf. 

Die  in  Klein-Oktav  gedruckte  Broschüre  kostet  2,50  fr.  Von 
den  101  Seiten  sind  32  ganz  weiß.  Das  ist  nur  eine  unwichtige 
aber  bezeichnende  Äußerlichkeit^). 

GIESSEN.  Walther  KtrcHLER. 


Amic,  H.    Correspondance  entre  George  Sand  et  Gustave  Flaubert. 
Paris.     Calmann-Levy.     1904.  in-S^. 

Roclieblave  S.   George  Sand  et  sa  fille  d'apres  leur  correspondance. 

Paris.     Calmann-Levy  1905.    in-S^. 

Lettres   de  Flaubert  ä   sa  niece    Caroline.     Paris.      1906.     in-S^. 

Charpentier. 

„L'individu  nomme  George  Sand",  ecrit  G.  Sand  ä  Flaubert,  „se 

porte    bien.      II    savoure    le    merveilleux  hiver   qui   regne  en   Berry, 

cueille  des  fleurs,  Signale  les  anomalies  botaniques  interessantes,  coud 


2)  Die  hier  als  Broschüre  vorliegende  Arbeit  entspricht  in  ihren 
wesentlichen  Bestandteilen  einem  das  gleiche  Thema  behandelnden,  von 
Thomas  im  Mercure  de  France  (1.  Juni  1905,  nicht  lö.  Juni  190.J,  wie  er 
selbst  irrtümlich  angibt)  veröffentlichten  Aufsatze.  Über  die  F'rage  der 
Bedeutung  der  Syphilis  für  Maupassants  Krankheit  ist  der  Verfasser  in 
seiner  Broschüre  zu  anderer  Ansicht  als  in  dem  Artikel  des  Mercure  de 
France  gelangt. 


176  Referate  und  Rezensionen.     Hubert  Gillot. 

des    robcs    et    des    manteaux    pour    sa    belle-fille,   des  costumes   de 

marionnettes,  decoupe  des  decors,  habille  des  poiipees,  lit  de  la  musique, 

mais    surtüut   passe  des   heures   avec   la   petite  Aurore    qui   est   une 

fiUette  charmante.     II  n'y  a  pas   d'etre  plus  calme  et  plus  heureux 

dans   son   Interieur   que  ce  vieux   troubadour  retire  des  affaires,  qui 

chante   de   temps   en   temps   sa  petite  romance  ä  la  lune  sans  grand 

souci  de  bien  ou  mal  chanter,  pourvu  qu'il  dise  le  motif  qui  lui  passe 

par  la  tete,  et  qui,  le  reste  du  temps,  Üäne  delicieusement.     Qa  u'a 

pas   toujours   ete   aussi   bien  que  ga.     II  a  eu  la  botise  d'etre  jeune, 

mais  comme  il  n'a  pas  fait  de  mal  ni  connu  les  mauvaises  passions» 

ni  vecu  pour  la  vanite,  il  a  le  bonbeur  d'etre  paisible  et  de  s'amuser 

de   tout.     Ce  pale   personnage   a  le  grand  plaisir  de  t'aimer  de  tout 

son   coeur,   de  ne  point  passer   de  jour   sans    penser  ä  l'autre  vicux 

troubadour   confine    dans   sa  solitude   en   artiste  enrage,    dedaigneux 

de   tous  les  plaisirs    de  ce   monde,  ennemi  de  la  Loupe   et   de  ses 

douceurs.      Nous    somraes,   je    crois,    les    deux    travailleurs   les  plus 

differents    qui    existent,    mais    puisqu'on    s'aime   comme   ga,    tout   va 

bien.    Puisqu'on  pense  Tun  ä  l'autre  ä  la  menie  heure,  c'est  qu'on  a  besoin 

de  son  contraire;    on  se  complete  en  s'identifiant  par  moraent  ä  ce 

qui  n'est  pas  soi". 

Ce  passage  d'une  lettre  du  17  janvier  1863  pourrait  servir  de 

motto   anx   nombreuses   correspondances   que  des   mains  pieuses  ont, 

en   ces   derniers   temps,   livrecs   ä  la  publicite:    lettres  de  G.  Sand  ä 

sa  fille;    lettres  de  Flaubert  a  sa  niece;    correspondance  de  G.  Sand 

et  de  G.  Flaubert;  celle-ci  resumant  celles-lä,  et  resumant  avec  concisiou 

les  traits  essentiels  de  deux  physionomies  caracteristiques,    Ici  et  lä, 

dans    les   lettres   de   G.  Sand   une  serenite   qui  s'ouvre  largement  ä 

tout   ce    qui   est  humain,   pratique  la   vie  comme  une  täche  allegre, 

et    dans    cet    exercice    de    la    bonte,    trouve    un    bonbeur    sain    fait 

d'harmonie    avec    le    reel.     Ici    et    la    dans    Celles    de   Flaubert   un 

pessimisme  morbide,   et  ä  coup  sür  douloureux,   ennemi  de  lui-mcme 

et  ennemi  des  hommes,  s'exasperant  finalement  en  un  mccontentement 

universel.    Les  grands  evenements  de  l'histoire  d'hier  forment  Farriere- 

plan  sur  lequel  se  detachent,  avec  un  relief  energique,  deux  individualites 

trop  extremes  pour  ne  point  s'attirer  et  se  completer,  et  s'aimer  d'une 

franche  et  vigoureuse  Sympathie.    „Cette  correspondance,,,  ecrit  l'editeur 

des  Lettres  de  G.  Sand  et  de  G.  Flaubert,  Henri  Amic,  „eclairera 

peut-etre   un  jour   le  XIX"  siecle,  autant   que   celle   de   Voltaire   et 

de  ses  correspondants  eclaire  le  XVIII®." 

*  * 

* 

„Je  ne  me  crois  pas  destinee  ä  faire  de  bien  vieux  os.  II  faut 
se  depecher  d'aimer,"  ecrit  G.  Sand  le  6  avril  1867.  La  seule  craiute 
qui  vienue  troubler  Tallegresse  de  la  septuagenaire,  est  de  temoigner 
trop  peu  d'affection  peut-etre  ä  ceux  qui  lui  tiennent  au  coeur  de 
lein    ou  de  pres.      Sa  sagesse,    une  sagesse    toute  pratique  qui   ne 


H.  Amic.     Correspondance  entre  G.  Sand  et  G.  Flaubert.       177 

s'embarrasse  guere  de  philosopliie,  se  resume  d'un  mot:  depouiller  de 
plus  en  plus  tout  ego'isme  pour  ne  penser  "qu'aux  autres".  „Les 
autres,"  c'est-ä-dire  la  petite  Aurore,  l'enfant  aux  grands  yeux  noirs 
dont  eile  suit  avcc  emerveillemeut  Teveil  ä  la  vie,  sa  bru,  la  petite- 
fille  de  Houdon,  son  admiratrice  passionnee;  son  fils  Maurice,  romancier, 
auteur  dramatique,  savant  entomologiste,  l'ingenieux  machiniste  des 
petites  feeries  qui,  sur  la  scene  minuscule  de  Nohant,  encbantent  les 
soirees  d'hiver. 

Dans  la  chaude  atraosphere  familiale,  parmi  la  grande  natura 
qui  entoure  son  beau  chäteau  de  Nobant,  en  Berry,  l'aieule  se  sent 
de  plus  en  plus  envabie  par  cette  sereuite  qui,  de  tout  temps,  avait 
fait  le  fond  de  sa  natiire  sainement  equilibree,  et  qu'avaient  troublee, 
sans  r^branler  les  malheurs  et  les  orages  de  la  jeunesse.  G.  Sand 
s'est  mise  en  regle  avec  la  destinee,  sans  effort  de  volonte,  sans 
lutte  violente  de  pensee,  n'ayant  pour  sc  trouver  en  barnionie  avec 
Tau  delä  qu'ä  suivre  les  inspirations  de  sa  sagesse  impulsive.  II 
ne  saiirait  etre,  estime-t-elle,  question  d'aneantissement  total  pour 
l'etre  bumain,  et  la  vie  par  delä  le  reel,  ajoute-t-elle,  sera  bonne, 
pourvu  que  Dieu  lui  permette  d'aimer  et  d'etre  bonne  comme  dans 
celle-ci.  Et  eile  entrevoit  lealise  parmi  des  affections  sans  fin  cet 
autre  reve  de  sa  vie:  reve  de  paix  au  sein  d'une  bumanite  simple 
et  primitive  et  vertueuse.  Sa  vision  d'au  delä  est  une  vision  d'idylle 
que  vivrait  l'auteur  de  la  mare  au  Diablo  au  milieu  de  Fadettes  et 
de  Frangois  le  Cbampi,  parmi  des  Cbamps-Elysees  qui,  ^ans  doute, 
lui  rappelleraient  ses  cberes  "traines"  du  Berry.  Au  fond,  l'aieule  aux 
bandeaux  noirs  et  aux  yeux  noirs  inoubliables  ä  quiconque  a  vu 
ou  connu  la  Sand  de  vieillesse,  a  conserve  l'beureux  optimisme  de 
la  jeuue  fiUe  qui,  toute  penetree  de  la  lecture  de  Rousseau,  et  de 
TEvangile,  imbue  des  illusions  reformatrices  de  la  Revolution,  s'etait 
prise  ä  esperer  la  regeneration  d'une  societe  dessecbee  et  egoiste  par 
la  toute-puissance  de  l'amour,  dont  la  femme  mure  devait  proclamer 
i'Evangile  dans  le  Meunier  d'Angibaiit.  "Ne  ris  pas,  errit-elle  ä 
Flauber,  des  principes  d'enfant  tres  candides  qui  me  sont  restes  ä 
travers  tout,  ä  travers  Lelia,  et  l'epoque  romantique,  ä  travers  l'amour 
et  le  doute,  les  entbousiasmes  et  des  desenchantements:  aimer,  se  sacri- 
fier,  ne  se  reprendre  que  quand  le  sacrifice  est  nuisible  ä  ceux  qui 
en  sont  l'objet,  et  se  sacrifier  encore  dans  l'espoir  de  servir  une  cause 
vraie,  l'amour  ...  Je  n'ai  plus  que  quinze  ans  et  tout  me  paralt  pour  le 
mieux  dans  le  meilleur  des  mondes  possibles.  Ce  sont  des  acces 
d'innocence,  oü  l'oubli  du  mal  equivaut  ä  l'inexperience  de  l'äge  d'or." 
La  "fenime  en  bois"  qu'un  bain  glace  suflit  ä  remettre  des  inevitables 
indispositions  de  vieillesse,  l'ecrivain  "au  fond  de  Bobeme  insouciante", 
peu  en  peine  des  necessitcs  materielles  que  conjure  la  coUaboration 
assidue  ä  la  Revue  des  Deux-Mondes,  possede  le  secret  de  la  jeunesse: 
le  don  de  tourner  tout  en  bonheur.  La  seule  fa^on  de  supporter 
la   vie,   u'est-elle  point   de   faire    comme  le  voyageur  qui  nc  renonce 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXia.  12 


178  Referate  und  Rezensionen.     Hubert  Gillot. 

point  ä  cueillir  la  violette  odorante,  mcme  si  eile  se  caclie  dans  les 
epines  du  buisson?  Mais,  faire  taire  ainsi  ses  repulsions  pour  ne 
trouver  partout  que  des  raisons  de  Sympathie,  n'est-ce  point  faire 
peu  ä  peu  abstraction  de  soi-meme,  en  arriver  ä  vivre  hors  de  soi? 
La  conteniplation  de  la  vraie  nature  revele  ä  l'äme  qui  s'y  plonge 
un  ordre,  uue  suite,  une  placidite  de  revolutions,  dont  le  spectac'e 
l'apaise  et  l'epure.  Mesurant  la  fragilite  et  la  petitesse  de  soi-meme 
a  la  grandeur  de  Tunivers,  buvant  ä  la  coupe  du  vrai  eternel,  l'homme 
cesse  de  se  passionner  pour  ou  contre  le  vrai  ephemere  et  relatif. 
La  contemplation  de  toute  chose  "sous  Tappareuce  de  Teternite"  le 
ramene  ä  la  vraie  sagesse. 

Cette  serenite  indulgente,  cet  olympisme  qui  conduit  Thomme 
conscient  de  Teternelle  harmonie  ä  sortir  de  plus  en  plus  de  lui-meme 
pour  s'absorber  dans  Timmensite  des  choses,  c'est  la  ce  qu'ignore  le 
plus  l'äme  inquiete,  tourmeiitee,  orageuse  de  G.  Flaubert.  En  vain 
G.  Sand  qui  sait  si  merveilleusement  Tart  d'etre  vieille,  epuise-t-elle 
ä  l'endroit  de  „l'eufant  quinquagenaire"  les  ressources  de  son  art 
de  consolatrice.  Elle  ne  reussit  point  ä  detacher  son  regard  des 
coütingences  qui  le  heurtent  et  le  blessent  jusqu'ä  la  douleur.  En 
vain  insiste-t-elle  pour  qu'il  fasse  treve  un  moment  ä  son  labeur  et 
s'en  vienne  se  detendre  dans  l'atraosphere  joyeuse  de  Nohant.  Ce 
serait,  lui  repond-il,  renoncer  pour  des  semaines  au  labeur  acharne 
qu'il  s'est  impose.  Le  souvenir  d'hier  serait  plus  fort  que  la  volonte 
du  moment.  Faible  volonte  impuissante  ä  lutter  contre  les  irritations 
d'une  sensibilite  toujours  ä  vif!  Le  visage  reste  impassible,  car  il 
s'est  fait  un  masque  d'energie  vis-ä-vis  d'autrui.  Mais  la  nature 
violentee,  gä  et  lä,  reprend  ses  droits.  Flaubert  a  des  crises  de  larmes 
qui  l'abattent,  le  desespereut,  „L'ombre  m'  envahit,  comme  dirait 
V.  Hugo." 


L'homme  est  la  victime  de  Tartiste.  Avec  uue  perspicacite  toute 
feminine  G.  Sand  a  devine  la  cause  du  mal:  une  vie  hors  nature 
contribue  plus  encore  ä  l'hypocondrie  croissante  du  malade  que 
Tabus  du  tabac  auquel  les  medecins  voudraient  imputer  tout  le  mal. 
Ne  pour  les  fatigues  physiques,  pour  la  vie  en  pleine  air,  Flaubert, 
ce  geant  bäti  comrae  un  "pirate  scandinave",  pratique  le  metier 
litteraire  ä  la  fagon  d'un  ascetisme,  se  condamnant  ä  la  claustration 
volontaire  pendant  des  mois,  des  aunees  que  remplit  une  lutte  deses- 
peree  avec  les  difficultes  de  la  phrase  ou  du  style,  passant  parfois 
quatorze  heures  courbe  sur  sa  table  de  travail,  oü  viendra  le  terrasser 
l'apoplexie  dans  la  pleine  maturite  de  ses  forces  intellectuelles,  Trop 
vigoureux  pour  se  laisser  ainsi  spiritualiser,  le  corps  se  venge.  Mais 
c'est  surtout  le  moral  qui  souffre  de  cette  contrainte.  Replie  sur 
lui-meme,  sans  autre  societe  intime  qu'une  mere  malade,  isole  du 
raonde  en  sa  retraite  de  Croisset,  pres  Ronen,  au  bord  de  la  Seine, 


H.  Amic.     Correspondance  entre  G.  Sand  et  G.  Flaubert.       179 

Flaubert  devient  etranger  ä  autrui.  Lui  qui,  par  nature,  n'etait  que 
trop  enclin  ä  juger  severement  les  hommes,  se  prend  ä  les  hair 
d'autant  plus  äprement  que,  vivaut  loin  d'eux  il  perd  peu  ä  peu  la 
mesure  de  Thumanite.  „Je  ne  dcviens  pas  facile  ä  vivre,  ecrit-il.  Je 
suis  bien  fatigue  de  ma  cervelle,  ou  plutot  eile  est  bien  bas  pour 
le  quart  d'heure.  —  Toute  m'irrite  et  me  blesse.  Pardonnez-moi 
cette  faiblesse,  vous  qui  etes  si  forte  et  si  tolerante.  Je  sens  enfin 
une  chose  tout  nouvelle:  Tapproche  de  la  vieillesse."  Et  G.  Sand 
de  lui  repondre,  moitie  consolante,  moitie  grondeuse :  „Je  ne  veux  pas 
de  cela,  tu  n'entres  pas  dans  la  vieillesse.  II  n"y  a  pas  de  vieillesse 
dans  le  sens  hargneux  et  misanthrope.  Au  contraire,  quand  on  est 
bon,  on  devient  meilleur,  et  corame  dejä  tu  es  meilleur  que  les  autres, 
tu  dois  devenir  exquis.  Tu  te  vante?,  au  reste,  quand  tu  te  proposes 
d'etre  en  colere  contre  tout  et  tous.  Tu  ne  pourrais  pas.  Tu  es 
faible  devant  le  chagrin  comme  tous  ceux  qui  sont  tendre«.  Les 
forts  sont  ceux  qui  n'aiment  pas.  Tu  ne  seras  jamais  fort,  et  c'est 
tant  mieux  .  .  .  Tes  coleres  d'un  nioment  sont  bonnes.  EUes  sont 
le  resultat  d'un  temperament  genereux,  et  comme  elles  ne  sont  ni 
meebantes  ni  baineuses,  je  les  aime,  mais  ta  tristesse,  tes  heures  de 
spieen,  je  ne  les  comprends  pas,  je  te  les  reprocbe.  Je  crois  ä  trop 
d'isolement,  ä  trop  de  detachement  des  liens  de  la  vie.  Je  ne  veux 
point  que  tu  te  consumes.  Tu  as  cinquante  ans,  mon  fils  aussi. 
II  est  dans  la  force  de  l'äge,  dans  son  meilleur  developpement,  toi 
aussi  si  tu  ne  chauffes  pas  trop  le  four  aux  idees.  Pourquoi  dis-tu 
si  souvent  que  tu  voudrais  etre  mort?  Tu  ne  crois  donc  pas  ä  ton 
ceuvre?  Tu  te  laisses  donc  influencer  par  ceci  ou  cela  des  choses 
presentes?  Ecoute-moi;  je  t'airae  tendrement,  je  pense  ä  toi  tous 
les  jours,  et  ä  tout  propos.  Pense  aussi  que  mon  esprit  est  souvent 
pres  du  tieu,  et  qu'il  te  veut  une  longue  vie  et  une  Inspiration  feconde 
en  jouissances  vraies." 

Les  conseils  si  tendrement  maternels  de  G.  Sand  se  heurtent 
il  des  partis  pris  qu'ils  ne  convaincront  point.  Une  idee  haute 
Flaubert,  l'idee  de  la  decadence  irremediable  de  Tepoque  presente. 
Decadence  du  goüt:  ses  lettres  fourmillent  d'invectives  contre  le  peu 
de  sens  litteraire  d'une  epoque  qui  prefere  Terudition  ä  l'art,  la 
connaissance  des  langues,  de  l'arcbeologie,  de  l'histoire  k  la  contem- 
plation  pure  et  simple  de  la  beaute.  L'on  ccsse  de  se  preoccuper 
de  Toeuvre  elle-meme  pour  en  etudier  les  entours.  La  critique 
historique  tue  la  critique  litteraire.  Les  gloses  deviennent  plus 
importantes  que  le  texte.  „L'on  fait  plus  de  cas  des  bequilles  que 
des  jambes,"  Fausse  maniere  de  juger  de  la  part  des  lettres,  goüt 
du  mcdiocre  de  la  part  du  public:  le  crepuscule  de  la  poesie  nc 
saurait  manquer  de  suivre  cette  eclipse  du  goüt  litteraire.  La  poesie 
ne  perira  pas,  mais  le  sommeil  en  sera  long.  Dans  dix  ans,  il  n'y 
aura  plus  un  seul  poete.  L'aveneinent  de  plus  en  plus  triomphant 
du    positivisme    sous    sa  forme  la   plus  vulgaire,    l'industrialisme  et 

12* 


180  Referate  und  Rezensionen.     Hubert  Gillot. 

ramericanisrae  ne  saurait  qu'C'tre  fatal  au  culte  des  Muses.  Conclusion 
pour  le  poete:  se  separer  d'un  monde  oü  il  n'y  a  plus  de  place  pour 
lui  et  „comme  le  Rbinoceros  se  retirer  dans  sa  solitude  en  attendant 
la  crevaison."  Et  le  misanthrope  de  tourner  le  dos  ä  rimmanite 
qu'il  meprise,  non  sans  un  injuste  orgueil,  d'etre  trop  peu  eclairee 
pour  comprendre  le  beau,  et  d'exhaler  son  mepris  en  „gueulant"  dans 
son  coin,  en  „rugissant"  contre  la  betise  buraaine,  et  puis  et  finalement 
de  souffrir  douloureusement  ä  se  sentir  devenir  ainsi  "feroce"  au 
spectacle  des  tristes  moeurs  presentes. 

*  * 

Les  eveneuements  de  70  vinrent  donner  raison  au  pessimiste 
qui  n'avait  point  attendu  le  dement!  sanglant  inflige  a  roptimisme 
frivole  de  l'epoque  pour  proclamer  Thomme  uu  etre  mechant  et 
denier  ä  Thumanite  toute  possibilite  d'un  perfectionnement  durable. 
Ils  justifierent  surtout  les  predictions  sinistres  qu'avait  inspires  ä 
Flaubert  comrae  ä  tant  d'autres  grands  esprits  du  temps  le  spectacle 
de  la  legerete  et  de  la  veulerie  du  Second  Empire."  „Le  plus  grand 
crime  d'Isidore  (Napoleon),  ecrit  Flaubert  en  mai  1869,  est  la  crasse 
oü  il  laisse  notre  belle  patrie".  II  voit  la  France  s'acheminer  vers 
un  cataclysme  oü  sombreront  ses  grandes  traditions  et  sa  vitalite. 
L'orage  eclate.  II  ecrit  ä  la  veille  de  la  catastroplie  [juillet  1870]: 
"L'irremediable  barbarie  de  Phumauite  m'emplit  d'une  tristesse 
noire,  Cet  entbousiasrae  qui  n'a  pour  mobile  aucune  idee  me  donne 
envie  de  crever  pour  ne  plus  le  voir.  Le  bon  Frangais  veut  se  battre. 
1°  parce  qu'il  se  croit  provoque  par  la  Prusse;  2°  par  ce  que  Tetat 
uaturel  de  l'bomme  est  la  sauvagerie;  3^  parce  que  la  guerre  contient 
en  soi  un  element  mystique  qui  transporte  les  foules.  En  sommes 
nous  revenus  aux  gusrres  de  race?  J'en  ai  peur.  L'effroyable 
boucberie  qui  se  prepare  n'a  pas  meme  un  pretexte.  C'est  l'envie 
de  se  battre  pour  se  battre.  Je  pleure  les  ponts  coupes,  les  tunnels 
defonces,  tout  le  travail  humain  perdu,  enfin  une  negation  si  radicale. 
Le  congres  de  la  paix  a  tort  pour  le  moment.  La  civilisation  me  parait 
loin.  Hobbes  avait raison:  ^IJojno hominilupus.''  Etleslettressesuivent 
debordant  d'une  tristesse  de  plus  en  plus  desolee  ä  mesure  que 
les  eveuements  se  precipitent  vers  la  Solution  tragique  et  que,  sous 
rhomme  civilise  auquel  avait  cru,  malgre  tout,  ä  son  insu,  le  pess- 
imiste, apparait  l'homme  natural. 

Et  les  consequences  de  cette  guerre  qui  semble  h  Flaubert  "un 
grand  bouleversement  de  la  nature,  digne  de  ces  catastropbes  comme 
il  en  arrive  tous  les  5  000  ans"?  Elles  s'appellent  pour  la  France 
l'instabilite  politique  au  milieu  d'une  demoralisation  qui  empecliera 
le  Fran^ais  de  rester  fidele  ä  sa  republique,  et  le  precipitera  quel- 
que  jour  sous  la  botte  d'un  troisieme  empereur;  la  reaction  clericale 
qui  etranglera  toutes  les  libertes:  la  guerre  de  Prusse  termine  la 
Revolution   frangaise   et  la  detruit,     Pour  l'Allemague,  une  recrudes- 


H.  Amte.     Correspondance  entre  G.  Sand  et  G.  Flaubert.       181 

cence  du  militarisrae  suivie  peut-etre  de  quelque  epuisement  lent 
qui  en  fera  un  jour  la  proie  de  la  Russie.  Comme  la  France  sous 
Louis  XIV  et  Napoleon,  la  Prusse  tend  ä  s'hypertrophier.  N'entre- 
t-il  point  dans  les  desseins  de  la  Providence  de  courber  tour  ä  tour 
les  nations^  qui  se  dressent  trop  menagantes?  Jusque  lä,  c'est  la 
civilisatiou  compromise  par  la  Barbarie.  Toute  l'Europe  imitera  la 
Prusse  et  portera  Tuniforme.  La  Russie  a  pour  l'instant  4  millions 
de  soldats.  Si  la  France  prend  sa  revanche,  eile  sera  ultra  feroce. 
Et  la  France  ne  pensera  qu'ä  se  venger.  Le  gouverneraent  quel  qu'il 
seit,  ne  pourra  se  maintenir  qu'en  speculant  sur  cette  passion  popu- 
laire."  Le  meurtre  en  grand  va  etre  le  but  de  tous  uos  efforts, 
Tideal  de  la  France!,  ecrit  Flaubert.  Les  guerres  de  race  vont 
peut-etre  recommencer,  On  verra  avant  un  siecle  plusieurs  millions 
d'homraes  s'entretuer  en  une  seance.  Tont  l'Orient  contre  toute  l'Europe, 
l'ancien  monde  contre  le  nouveau.  Pourquoi  pas?  Les  grands  tra- 
vaux  coUectifs  comme  Tlsthme  de  Suez  sont  peut-etre,  sous  une  autre 
forme,  des  ebauches  et  des  preparations  de  ces  couflits  monstrueux 
dont  nous  n'avons  pas  Tidee." 

Pagauisme;  Catbolicisme,  Muflisme,  ainsi  se  resument  les  grandes 
etapes  de  evolution  universelle/'  II  est  triste  de  se  trouver  au  debut 
de  la  troisieme,  ojoute  Flaubert,  et,  conclut-il:  j'ai  eu  de  mau- 
vais  moments  dans  ma  vie.  J'ai  subi  de  grandos  pertes,  j'ai  beaucoup 
pleure,  j'ai  ravale  beaucoup  d'angoisses.  Eh  bien,  toutes  ces  douleurs 
accumulees  ne  sont  rien  en  comparaison  de  celles-ci.  Et  je  n'en 
reviens  pas!  Je  n'ai  aucune  esperancel  Ah!  Comme  je  suis 
triste!  Je  sens  que  le  monde  s'en  va."  —  Cette  fois  encore  le 
desespoir  entraiue  Flaubert  aux  extremes  du  pire.  Comme  toujours, 
l'optimisme  de  G.  Sand  s'efforce  vainement  de  faire  luire  un  peu 
d'e^perance  dans  les  teuebres  oü  s'enferme  complaisamment  et  dou- 
loureusement  Thypocondre.  Un  instant  ebranlee  dans  sa  foi,  eile 
aussi,  eile  se  reprend  bien  vite  ä  la  confiance.  La  France  se  relevera. 
Ses  malheurs  presents  sont  le  cbätiment  salutaire,  Ils  sont  le  coup 
de  fouet  qui  reveillera  ses  energies  si  tenaces.  Pas  plus  qu'ils 
n'autorisent  le  Frangais  ä  desesperer  de  sa  race,  ils  ne  sauraient 
rien  prouver  contre  les  lois  de  l'eternel  progres.  Tout  raisonnement 
qui  conclut  ä  l'abstention  necessaire  des  interet?  collectifs  pour  l'indi- 
viuu  superieur  ecoeure  par  le  spectacle  lamentable  du  temps  present 
n'est  qu'un  sophisme  coupable.  Contre  l'avocat  du  diable  G.  Sand 
se  fait  le  defenseur  de  l'universelle  harmonie.  "Eh,  quoi,  ecrit-elle 
dans  la  longue  lettre  du  14  sept.  1870  —  eile  parut  dans  le  Temps  du 
30  oct.  1871  et  peut  etre  regardee  comme  le  testament  spirituel  de 
la  romanciere  —  tu  veux  que  je  cesse  d'aimer?  Tu  veux  que  je  dise 
que  je  me  suis  trompce  toute  ma  vie,  que  riiumanite  est  meprisable, 
haissable,  qu'elle  a  toujours  etc,  qu'clle  sera  toujours  ainsi  V  Et  tu 
me  reproches  ma  douleur  comme  une  faiblesse,  comme  le  pueril  regret 
d'une    Illusion    perdue!     Tu    aft'irmes   que  le   peuple  a   toujours  ete 


182  Referate  und  Rezensionen.     Hubert  GiÜot. 

feroce,  le  pretre  toujours  hypocrite,  le  bourgeois  toujours  lache,  le 
Soldat  toujours  brigand,  le  paysan  toujours  stupide.  Tu  dis  que  tu 
savais  tout  cela  des  ta  jounesse,  et  tu  te  rejouis  de  ii'en  avoir  jaraais 
doute  par  ce  quo  Tilge  mür  ne  t'a  apporte  aucune  deception!  Tu 
n'as  donc  pas  ete  jeune?  Ah,  nous  differons  bien,  car  je  n'ai 
pas  cesse  de  l'etre,  si  c'est  etre  jeune  que  d'aimer  toujours.  Tout 
cela  etait  prevu  .  .  .  Oui,  certes,  je  l'avais  prevu  aussi  bien  que  qui 
que  ce  soit.  Je  voyais  raonter  Torage.  .  .  .  Est-ce  une  consolation 
de  voir  se  tordre  dans  la  souffrance  le  malade  dont  ou  connait  la 
maladie?  Non,  non,  on  ne  s'isole  pas,  on  ne  rompt  pas  les  liens 
du  sang,  on  ne  maudit  pas,  on  ne  nieprise  pas  son  espece!  L'huma- 
nite  n'est  pas  un  vain  mot.  Notre  vie  est  faite  d'amour,  et  ne  plus 
aimer,  c'est  ne  plus  vivre.  Laisse-moi  souffrir,  va!  ga  vaut  mieux 
que  de  voir  "l'injustice  avec  un  visage  serein",  comme  dit  Shakespeare. 
Quand  j'aurai  epuise  la  coupe  d'amertume,  je  me  releverai.  Je  suis 
femme.  J'ai  des  tendresses,  des  pities,  des  coleres.  Je  ne  serai 
Jamals  un  sage,  ni  un  savant."  —  "Le  miUeu  de  votre  lettre,  lui  repond 
Flaubert,  m'a  fait  verser  un  pleur,  sans  me  convertir,  bien  entendu. 
J'ai  ete  emu;  voilä  tout,  mais  non  persuade".  — 


"Nous  sommes  deux  antinomies,"  ecrit  une  fois  G.  Sand  ä 
Flaubert.  Deux  mentalites  se  heurtent:  la  mentalite  romantique, 
dont  le  representaiit  potentie  est  V.  Hugo,  la  mentalite  scientißque, 
Celle  qu'illustreront  les  Auguste  Comte,  les  Renan,  les  Taine,  les  Leconte 
de  Lisle.  Or,  la  nouvelle  generation  pretend  preciseraent  reviser  les 
valeurs  admises  par  son  ainee.  Que  Ton  se  souvienne,  par  exemple, 
des  attaques  de  Nietzsche  contre  un  certain  Romantisme,  dont  il 
verra  le  heraut  en  Hugo,  le  "pretre",  le  "flambeau,"  le  "mage",  le 
"prophete",  auquel  il  reprochera  son  attitude  platement  demagogique, 
sa  fagon  theätralc  de  se  faire  Tavocat  de  tous  les  misereux  du 
monde,  bref  ses  compromis  avec  Thomme  de  troupeau."  Er  ist  flach 
und  demagogisch,  vor  allen  großen  Worten  und  Gebärden  auf  dem 
Bauch  liegend,  ein  Volksschmeichler,  der  mit  der  Stimme  eines  Evangelisten 
zu  allen  Niedrigen,  Unterdrückten,  Mißrathenen,  Verkrüppelten  redet 
und  nicht  einen  Hauch  davon  weiß,  was  Zucht  und  Redlichkeit  des 
Geistes,  was  intellektuelles  Gewissen  ist;  im  Ganzen  ein  unbewußter 
Schauspieler,  wie  fast  alle  Künstler  der  demokratischen  Bewegung." 
L'intelligence  s'est  solidarisee  aveclamasseanonymecontrelespretentions 
qu'  eleve  une  bourgeoisie  riebe  et  constituee  en  aristocratie  privile- 
giee,  ä  accaparer  l'Etat  au  profit  de  son  egoisme.  Mais  eile  combat 
avec  non  moins  d'acharnement  son  alliee:  l'Eglise,  l'ennemie  juree  des 
lumieres  interessee  elle-meme  ä  entretenir  la  foule  des  non  possedants 
dans  cette  minorite  intellectuelle  qui  lui  garantit  la  domination  spirituelle, 
comme  ä  celle-lä  la  domination  temporelle  et  la  jouissance  paisible  de  la 
richesse.     Les  apotres  du  credo  democratique  inspire  fortement  par 


H.  Amic.     Correspondance  entre  G.  Sand  et  G.  Flaubert.       183 

Tevangile  saint-simonien,  ont  herite  de  la  Revolution  les  tendances 
egalitaires  et  libertaires,  bref  le  republicanisme,  et  du  XVIIP  siecle  la 
confiance  en  la  fecondite  du  verbe,  la  conviction  que  l'humanite  peut  etre 
regeneree  par  la  theorie.  Leur  conviction  est  une  foi.  Comme  le 
XVIIP  siecle,  ils  croient  ä  un  progres  iudefini  de  Thumanite,  ä  l'a- 
venement  necessaire  de  la  verite  et  de  la  justice.  Comme  le 
XVIIP  siecle,  il  posent  volontiers  noble,  pretre  et  roi,  comme  sy- 
nomymes  d'oppresseurs  de  l'humanite  et  ne  leur  reconnaissent  dans 
l'oeuvre  de  civilisation  d'autre  role  que  celui  d'ouvriers  de  tenebres. 
Le  XVIIP  siecle  qui  leur  a  legue  son  optimisme  un  peu  naif  et 
superficiel,  leur  a  transmis  aussi  sa  vision  exclusive  et  bornee  de 
l'histoire.  La  '* Legende  des  Siecles""  reprend  sous  une  forme  splendide 
et  grandiosement  poetique,  plus  d'un  des  prejuges  du  Ratioualisme, 
et  il  ne  faudrait  point  laire  violence  aux  faits  pour  presenter  en  Hugo 
l'avatar  de  Voltaire,  Tauteur  de  l'Essai  sur  les  Moeurs  et  Vesprit 
des  Nations.  Comme  le  XVIIP  siecle  enfin,  ils  croient  ä  l'avenement 
de  la  masse,  ä  la  regeneration  de  la  societe  par  la  base.  Ils  in- 
vestissent  la  literature  d'une  fonction  sociale.  L'art  n'est  legitime 
que  s'il  est  utile  et  s'il  se  propose,  comme  le  dira  Alexandre  Dumas 
fils,  pour  but  de  travailler  ä  la  "plus  value  humaine."  Or,  ä  cette 
generation,  desireuse  d'agir,  elevant  le  metier  litteraire  ä  la  dignite 
de  sacerdoce  social,  succede  une  generation  qui  considfere  toute  com- 
munion  de  l'art  avec  la  foule  comme  une  decheance,  et  sc  refuse  avec 
Leconte  de  Lisle  ä  "danser  sur  le  treteau  banal,  de  la  plebe"  avec  „ses 
histrions  et  ses  prostituees,"  et  dira  avec  Flaubert:  "Quand  un  homrae 
de  style  s'abaisse  ä  l'action,  il  dechoit  et  doit  etre  puni."  Cette  sagesse 
d'abstention  que  formulera  avec  une  intransigeance  si  hautaine  Leconte 
de  Lisle,  s'appuie  sur  la  croyance  ä  l'inutilite  de  tout  efi'ort  pour 
catechiser  les  foules.  Le  peuple,  estime  Flaubert,  est  un  eternel  mi- 
neur  et,  sur  la  vaste  echelle  qu'est  la  bierarchie  sociale,  il  ne  saura 
Jamals  qu'occuper  l'echelon  inferieur  car  il  est  le  nombre,  l'illimite. 
En  trois  ans  la  France  toute  entiere  peut  savoir  lire.  Qu'y  aura-t-elle 
gagne?  Le  peuple  lira  le  Petit  Journal  qui  lui  tiendra  lieu  de  toute 
autre  lecture  comme  il  en  tient  lieu  au  bourgeois  qui,  lui  aussi,  sait 
lire  et  contente  ses  besoins  intellectuels  en  lisant  les  articles  de  ce 
„gar^on  de  magasin  de  l'esprit,"  qui  s'appelle  le  journaliste  paye.  La 
presse  est  une  ecole  d'abrutissement,  car  eile  dispense  de  penser. 
C'est  ä  cette  ecole  que  convient  la  masse,  ceux  qui  se  sont  faits 
les  apötres  de  son  emancipation.  Peu  Importe  donc  quo  beaucoup 
de  paysans  sachent  lire  et  n'aillent  plus  ecouter  leur  eure,  mais  il 
Importe  infiniment  que  beaucoup  d'hommes  comme  Reuan  ou  Littre 
puissent  vivre  et  etre  6coutes.  Le  salut  est  dans  une  "aristocratie 
legitime,"  "j'entends,  ajoute  Flaubert,  une  majorite  qui  se  compose 
d'autre  chose  que  de  chiffres.  .  .;  je  peuse  que  la  foule,  le  troupeau 
sera  toujours  haissable.  II  n'y  a  d'important  qu'un  petit  groupe  d'es- 
prits,  toujours  les  memes,  et  qui  sc  repassent  le  Hambeau."  —  Autre 


184  Referate  und  Rezensionen.     Hubert  Gillot, 

mal:  le  suffrage  universel,  "la  bonte  de  l'esprit  Immaiu."  Accordant 
a  tous  les  Fran^ais,  sans  distinction,  la  valeur  d'unites  legales,  il  ue 
signifie  rien,  car  il  fait  i)revaloir  le  nombre  sur  l'esprit,  Tinstruction 
sur  la  race  et  meme  sur  l'argent  qui,  pense  Flaubert,  vaut  mieux 
que  le  nombre. 


Est-ce  ä  dire  que  Flaubert  soit  avcc  la  reaction  contre  les 
hommes  eclaires  qui,  s'inspirant  de  la  grande  tradition  de  89,  revent 
d'un  Etat  libre  constitue  par  des  citoyens  libres?  Non  point.  Ce 
serait  meconnaltre  sa  pensee  que  d'en  faire  un  obscurantiste  ä  la 
faQon  du  bourgeois  regnant.  Pas  plus  qu'il  ne  conteste  les  droits 
du  peuple  au  bonbeur  materiel,  il  ne  songe  ä  uier  ses  droits  ä  la 
lumiere.  Ce  qu'il  veut,  c'est  protester  contre  les  tendances  des 
democrates  qui  voient  dans  Femancipation  du  peuple  la  panacee 
universelle  et  estiment  qu'il  suffira  que  le  peuple  sacbe,  pour  qu'il 
soit  capable  de  resoudre  pratiquement  les  plus  bauts  i^roblemes  de 
l'Etat.  "II  faut,  ecrira-t-il  dans  sa  reponse  ä  la  grande  profession 
de  foi  que  lui  adressait  G.  Sand  le  14  septembre  1871,  rospecter  la 
masse,  si  inepte  qu'elle  soit,  parce  qu'elle  contient  les  germes  d'une 
fecondite  incalculable.  Donnez-lui  la  liberte,  mais  non  le  pouvoir."  — 
Une  tbeorie  a  fait  son  temps,  celle  qui  consiste  ä  parquer  l'buraanite 
dans  des  castes  distinctes  en  se  basant  sur  ces  criteres  exterieurs 
qui  s'appellent  la  naissance  et  la  fortune.  Mais  une  inegalite  subsistera 
toujours  entre  les  individus:  celle  qu'  etablissent  entre  eux  les  ditfe- 
rences  d'intelligence  ou  de  culture,  Flaubert  ne  denie  point  aux 
M"  Homais  le  droit  de  s'enorgueillir  de  leur  demi-savoir,  mais  il  leur 
conteste  le  droit  de  gouverner  les  meilleurs  et  les  plus  eclaires. 
L'experience  recente  n'a-t-elle  pas  montre  ce  que  valent  les  trois 
degres  de  l'instruction?  "L'instruction  superieure  a  donne  ä  la  Prusse 
la  victoire  sur  la  France.  L'instruction  secondaire  qui  s'adrcssait 
ä  la  bourgeoisie  a  produit  les  bommes  du  4  septembre:  l'instruction 
primaire,  la  Commune.  Elle  avait  pour  ministre  de  l'instruction 
publique  Valles  qui  se  vantait  de  m^priser  Homere!" 

Flaubert,  tout  comme  les  Leconte  de  Lisle  ou  les  Renan,  se 
garde  donc  contre  un  double  danger:  l'accaparement  du  pouvoir  par 
le  bons  sens  ä  courte  vue  du  "bourgeois",  de  ÄF  Josepb  Prud'homme, 
qu'il  definira  quelque  part  "celui  qui  a  une  fa§on  basse  de  penser 
et  de  sentir".  A  lui  s'adressent  ses  attaques  jamais  lassees.  De  sa 
mediocrite  pretentieuse  et  süffisante  qu'il  iucarna  pour  toujours  en 
la  personne  de  M''  Homais,  il  verra  le  representant  officiel  en  Thiers, 
dont  il  ecrit  avec  une  amüsante,  mais  si  injuste  Ironie:  "Peut-on  voir 
un  plus  triomphant  imbecile,  un  croütard  plus  abject?  Non,  rien 
ne  peut  donner  Tidee  du  vomissement  que  m'inspire  ce  vieux  melon 
diplomatique  arrondissant  sa  betise  sur  le  furnier  de  la  Bourgeoisie. 
Est-il  possible  de  traiter  avec  un  sans  fa^on  plus  na'if  la  pbilosophie 


H.  Amic.      Correspondance  entre  G.  Sand  et  G.  Flaubert.       185 

la  religioD,  les  peuples,  la  liberte,  le  passe  et  l'avenir,  l'histoire  et 
l'histoire  naturelle,  tout  et  le  reste.  II  me  semble  eternel  comrae 
la  mediocrite:  il  m'ecrase."  —  Mais  il  se  defend  avec  une  non  moindre 
energie  contre  Ngalüarisme,  c'est-ä-dire  les  pretentions  de  la  masse 
instruite,  ä  reduire  la  collectivite  au  niveau  de  sa  mediocrite  tyrannique. 
Substituer  une  Republique  deraocratique  ä  une  monarcbie,  ce  serait 
changer  de  maitre,  sans  changer  de  servitude.  Car  tout  le  reve  de 
la  democratie,  c'est  d'elever  le  peuple  au  niveau  de  la  betise  du 
bourgeois.  Conclusion  douc:  ou  elever  le  bourgeois  qui  est  presen- 
tement  le  plus  fort,  par  ce  qu'il  est  le  possedant;  Commencer  la  reforme 
de  la  societe  par  la  tete.  Ou  bien,  et  c'est  lä  proprement  le  reve 
des  hommes  des  anuees  60  et  70,  reudre  au  peuple  "ses  chefs 
naturels,  qui  sont  les  mandarins",  constituer  uu  vaste  parti  de  ce 
que  Balzac  appelait  les  "intelligentiels",  de  ce  qui  s'appellera  de  nos 
jours  les  intellectuels  et,  pour  Tinstant,  s'intitule  "l'aristocratie  de 
Tintelligence";  d'un  mot,  substituer  au  gouverneraent  du  nombre  et 
de  la  mediocrite  une  sorte  de  theocratie  constituee  par  les  capacites. 
Theorie  oü  Ton  sent  le  regret  des  epoques  favorables  ä  Tepanouissement 
des  individualites  fortes.  Le  regret  des  siecles  de  culture  aristo- 
cratique  qu'inspirera  ä  Nitzsche  Tinvasion  mena^ante  de  la  "bete 
de  troupeau",  trouve  son  expression  ä  plus  d'une  page  de  la  Corres- 
pondance. Ce  n'est  point  un  hasard  que  nous  la  trouvions  dans 
raaint  ecrit  du  temps,  dans  les  "Questions  Conteniporaines"  de  Renan, 
par  exemple. 


Or,  Tinvasion  du  pan-bourgeoisisme  ne  sera  refoulee  que  par 
la  force  croissante  du  pan-democratisme.  Tout  au  plus  l'avenir 
donnera-t-il,  sur  certains  points,  satisfaction  aux  desirs  de  Flaubert 
qui  soubaitait  voir  succeder  ä  l'esprit  qui  inspirait  le  dogmatisme 
romantique  une  methode  plus  conforme  aux  exigences  d'une  mentalite 
transforraee.  Flaubert  ne  se  lasse  point  de  reagir  contre  ce  qu'il 
appelle  "l'esprit  de  rehabilitation",  Findulgentisme  moral  qui  fleurit 
p.  ex,  dans  le  theätre  de  Hugo,  l'on  pourrait  dire,  dans  une  partie, 
la  plus  grande  partie  de  l'oeuvre  du  choryphee  romantique.  Democrate 
en  morale,  ce  romantisme  pretend,  en  quelque  sorte,  traiter  riiumanite 
par  le  pardon.  S'il  nivelle  les  differences  sociales,  et  courbe  la  tete 
du  puissant  sous  la  magnanimite  de  Tbomme  du  peuple,  opposant  ä 
la  corruption  des  grands  d'Espagne  rberoisme  desinteresse  du  plebeien 
Ruy  Blas,  il  se  plait  aussi  ä  niveler  les  sanctions  morales,  en  plaidaut 
avec  une  bienveillance  toujours  prete,  les  ciroonstances  attonuantes, 
pour  ce  que  la  societe  appelle  la  faute  ou  le  crime.  II  pardonne 
ä  Lucrece  Borgia  scs  forfaits,  en  consideration  du  sentiment  pur 
qui  lui  fait  aimer  Gennaro,  son  fils,  ou  absout  de  ses  crimes 
le  Sultan  sanguinaire,  parce  qu'il  a  pris  en  pitie  un  vil  animal.  Or  pareil 
sentimentalisme   herite    du   XYIIP  siecle   sensible   et  humanitaire  est 


186  Referate  und  Rezensionen.     Hubert  GiUot. 

immoral.  Car,  renversant  les  limites  du  bien  et  du  mal,  il  supprime 
par  lä  mSnie  toute  norme  d'appreciation  de  l'acte  humain  et  logi- 
quement  en  arrivc  ä  ne  plus  faire  de  difterence  entre  l'honnete  liomme 
et  le  coquin,  Le  conseil  de  guerre  de  Versailles  condamne  un  pauvre 
Soldat  pour  une  faute  legere  et  pardonne  aux  Communards,  qu'une 
justice  exacte  eut  du  condamner  ä  deblayer  les  ruines  de  Paris,  la 
corde  au  cou,  comme  des  for^ats.  La  doctrine  de  la  gräce  tue  la 
doctrine  du  droit  et  de  la  justice. 

A  ce  laisser-aller  moral,  ä  cette  frivolite  qui  se  dcguise  preten- 
tieusement  sous  des  formules  bien  sonnantes:  Huraanitarisme,  gräce, 
sentiment,  correspond  dans  le  domaine  des  faits  sociaux  et  politiques, 
Tabus  des  grands  mots,  du  geste,  la  manie  raetapliysique.  L'a- 
priorisme  tient  lieu  de  l'etude  rigoureuse  des  faits.  La  Revolution 
compromise  par  la  reaction  a  ete  non  moins  compromise  par  le 
philosopbisme,  berite,  lui  aussi,  du  XVIII®  siecle.  L'on  elabore  des 
tbeories;  Ton  proclame,  par  exemple,  le  droit  de  tous  les  etrcs 
bumains  ä  une  sorarae  de  bonbeur  egale.  L'on  precbe  aux  ricbes 
le  mepris  de  la  richesse,  et  aux  pauvres  Tamour  du  riebe,  bref, 
Ton  pretend  resoudre  les  antinomies  sociales  ou  politiques  k  l'aide 
da  sentiment  et  des  formules.  Le  politicien  croit  avoir  reforme  TEtat 
quand  il  a  change  son  etiquette  comme  si  les  mots  Republique  et 
Monarcbie,  Empire,  ne  recouvraient  point  des  choses  identiques  dans 
le  pratique.  L'on  s'imagine  porter  remede  aux  maux  qui  travaillent 
la  France,  en  pronongant  les  grands  mots  de  suffrage  universel  et 
gouvernement  du  peuple;  Ton  attribue  ä  ces  nouvelles  idoles  une  sorte 
de  puissance  mystique.  Le  socialisme  des  Saints-Simouiens  qui  n'est 
au  fond,  Flaubert  s'en  reud  compte,  qu'un  sentimentalisme  bumani- 
taire,  a  pour  equivalent  en  politique  ce  qu'il  appelle  la  "politique 
d'inspiration  et  de  formules".  Conclusion,  ajoute  Flaubert,  ne  croire 
ä  rien  est  le  commencemeut  de  la  sagesse,  se  defaire  des  principes 
et  entrer  dans  l'examen. 

Or,  substituer  ä  l'indulgence  superficielle  dont  abuse  le  raoraliste, 
l'appreciation  exacte  de  l'acte  bumain,  et  sur  le  terrain  social  et 
politique  l'examen  attentif  du  pbenomene  au  doctrinarisme,  qu'est-ce, 
sinon  appliquer  la  science  ä  la  morale  et  ä  la  politique,  d'un  mot 
substituer  au  roraantisme  le  positivisme?  Nous  nous  expliquons,  des 
lors,  l'aversion  que  professe  Fiaubert  ä  l'endroit  de  la  politique. 
Elle  n'est  point  degoüt  de  l'action  en  soi,  mais  degoüt  provisoire 
de  l'action,  parce  qu'inutile  aussi  longtemps  que  ne  seront  point 
transformees  les  conditions  oü  eile  serait  appelee  ä  s'exercer.  L'ex- 
perience  du  siecle  a  demontre  ä  satiete  qu'aucune  forme  politique 
ne  contient  le  bien  en  soi.  Orleanisme,  republique  ou  empire,  autant 
de  formules  usees,  puisque  les  idees  les  plus  contradictoires  peuvent 
entrer  en  cbacune  d'elles.  Discuter  sur  la  meilleure  forme  de 
gouvernement,  c'est  discuter  sur  des  formules,  comme  autrefois  les 
tbeologiens  sur  la  gräce  efficace  ou  la  gräce  efficiente.    La  politique 


H.  Amic.     Correspondance  enire  G.  Sand  et  G.  Flaubert.       187 

est  morte  lout  comnie  la  theologie.  II  faut  qu'elle  devienne  une 
dependance  de  la  science;  eile  ne  sera  qu'un  ramassis  de  "blagues 
ecoeurantes"  tant  que  le  gouvernement  du  pays  ne  sera  pas  une 
section  de  l'Institut.  "II  faut  que  la  Revolution  frangaise  cesse  d'etre 
un  dograe  et  qu'elle  rentre  dans  la  science." 

Mais  si  les  malheurs  de  70  inspirent  ä  Flaubert  une  teile  haine 
contre  ses  compatriotes,  ne  serait-ce  point  justemeut  qu'ils  lui  sembleut 
merites  parce  qu'il  appelle  Tabus  du  sentiment,  de  la  metaphj'sique, 
de  feticbisme  des  formules?  Si  Ton  eut  ete  plus  savant,  raisonne-t-il, 
on  n'aurait  pas  cru  qu'il  suffit  de  Tentbousiasme  pour  refouler  un 
ennemi  nombreux,  bien  prepare  et  bien  discipline.  On  n'eüt  point 
cru  qu'il  sufflt  de  brandir  le  mot  de  Republique,  pour  qu'immediate- 
ment  se  renouvellent  les  exploits  des  hommes  de  92;  car  l'on  eüt 
su  ce  qu'avaint  ete  les  volontaires  de  92  et  l'on  se  füt  rappele  la 
retraite  de  Brunswick  gagnee  ä  prix  d'argent  par  Danton  et  Wester- 
mann. 70  consacre  le  triompbe  de  la  science,  du  "realisme"  oü  il 
ne  reste  plus  ä  la  France  qu'ä  s'engagar  si  eile  veut  reprendre  sa 
place  d'honneur  parmi  les  nations. 

A  la  science  enfin  de  regenerer  la  litterature,  tout  comme  il  lui 
appartient  de  regenerer  la  morale  et  la  politique.  L'ecole  d'hier 
professait  avec  Musset  que  la  qualite  d'une  oeuvre  d'art  est  en  Pro- 
portion de  sa  valeur  emotive  et  subordonnait  son  degre  d'interet  ä 
ce  qu'elle  nous  apprend  de  son  auteur.  Abus  du  subjectivisme,  exal- 
tation  du  fond  au  detriment  de  la  forme,  ainsi  s'appellent  les  moin- 
dres  consequences  d'une  theorie  comraode  ä  une  generation  qui  affecte 
de  preferer  l'improvisation  de  l'inspire  au  labeur  ingrat  de  la  forme 
achevee,  Cet  etalage  du  moi,  cette  "poetische  Bequemlichkeit",  qui 
indigneront  si  fort  Leconte  de  Lisle  et  lui  iiispireront  son  energique 
profession  de  foi  des  "Moutreurs",  trouvent  en  Flaubert  un  adversaire 
dont  l'acharnement  deconcerte  G.  Sand.  Rien  ne  raontre  mieux  la 
difference  des  temps  que  les  redstances  de  cette  representante  de 
la  "litterature  facile",  de  celle  que  Nietzsche  appellera  si  joliment 
une  "lactea  Ubertas",  ä  accepter  cette  theorie  de  l'impersonnalite,  de 
l'impassibilite  absolues  qui  revient  ä  toutes  les  pages  de  la  corres- 
pondance de  G.  Flaubert  et  lui  inspira  un  jour  cette  declaration  qui, 
malheureusement  pour  son  auteur,  n'etait  pas  un  paradoxe:  "Un  pen- 
seur  ne  doit  avoir  ni  religion,  ni  patrie,  ni  meme  aucune  conviction 
sociale.  Faire  partie  de  n'importe  quoi,  entrer  dans  un  corps  quel- 
conque,  dans  n'importe  quelle  confrerie  ou  boutique,  meme  prendre  un 
titre,  quel  qu'il  soit,  c'est  se  deshonorer,  c'est  s'avilir  ...  Tu  peindras 
le  vin,  Tamour,  la  gloire  ä  condition  que  tu  ne  sois  ni  ivrogne,  ni 
mari,  ni  tourlourou.  Mele  ä  la  vie,  on  la  voit  mal,  on  en  souffre, 
ou  on  en  jouit  trop.  L'artiste  doit  s'arranger  de  fagon  ä  faire  croire 
ä  la  posterite  qu'il  n'a  pas  vecu." 

Que  l'artiste  donc  s'abstraie  de  sa  creation,  qu'il  "laisse  son 
oeil  etre  lumiere",  qu'il   donne  ä  son   oeuvre  cette  entiere  objectivite 


188  Referate  und  Rezensionen.     Hubert  Gillot. 

qu'a  la  formule  oü  le  savant  condense  les  resultats  de  son  enquete, 
s'efforgant  lui  aussi  d'atteiiidre  ä  cette  generalite  qu'ä  la  loi  formulee 
par  l'homme  de  science,  eft'aQant  de  son  (Kuvre  le  particulier,  Tacci- 
dentel,  assignaiit  pour  but  ä  son  art  la  representation  du  general,  du 
typique,  d'nn  mot,  qu'il  vise  ä  cette  qualite  superieure  de  toute  oeuvre 
classique,  la  siraplicite  .  .  .  Nous  tenons  Ic  secret  des  sympathies 
enthousiastes  que  professe  Flaubert  pour  l'art  simple  et  general  par 
excellence,  pour  l'art  des  Grecs.  Lasse  du  subjectivisme  et  de  la 
fantaisie  dont  avait  vecu  la  poesie  romantique,  le  siecle  assagi,  dis- 
cipline  revieut  ä  la  beaute  generale  et  simple  des  Anciens.  II  reprend 
le  "chemin  de  Faros".  Qu'il  abjure  par  la  bouche  de  Th.  Gautier, 
Tauteur  d'Emaux  et  Camees,  ses  admirations  "gothiques",  ou  qu'il 
exalte  dans  la  "Friere  sur  l'Acropole"  la  raison  souveraine  de  Fallas 
Athene,  il  se  declare  converti  ä  cette  beaute  rationelle,  matliematique 
du  teniple  d'Hellas  ou  de  la  tragedie  de  Sophocle,  dont  Leconte  de 
Lisle  imitera  la  majestueuse  barraouie  dans  cette  oeuvre  marmoreenne 
des  Poemes  antiques.  "Est-ce  qu'il  n'est  pas  temps,  ecrit  Flaubert, 
(saus  date)  de  faire  entrer  la  justice  dans  l'art?  L'impartialite  de 
la  peinture  atteindrait  alors  ä  la  majeste  de  la  loi,  et  ä  la  precision 
de  la  science".  La  "precision  de  la  science";  c'est-ä-dire  que  s'il  y  a, 
corame  le  croit  Flaubert,  un  rapport  necessaire  eutre  le  mot  juste  et 
le  mot  musical,  une  idee  n'est  susceptible  que  d'une  expression  uni- 
que,  qui,  une  fois  realisee,  constitue  en  quelque  sorte,  un  absolu. 
Arriver  ä  la  forme  parfaite,  c'est  donc,  pour  l'artiste,  faire  oeuvre 
comparable  ä  celle  du  savant  qui  exprime  en  une  formule,  la  seule 
formule  possible,  les  resultats  de  son  enquete.  Mais  c'est,  aussi,  du 
meme  coup,  realiser  la  beaute  teile  que  la  concevaient  les  Anciens 
et  teile  que  Tadmirent  les  modernes  en  Toeuvre  grecque.  "Je  me 
souviens,  ecrit  Flaubert  le  3  avril  1870,  d'avoir  eu  des  battements 
de  coeur,  d'avoir  ressenti  un  plaisir  violent  en  contemplant  un  mur 
de  l'Acropole,  un  mur  (celui  qui  e-t  ä  gauche  quand  on  monte  aux 
Propylees.)  Eh  bien!  je  rae  demande  si  un  livre,  independamment 
de  ce  qu'il  dit,  ne  peut  pas  produire  le  meme  effet?  Dans  la  pre- 
cision des  assemblages,  la  raretedel,  des  Clements,  le  poli  de  la  surface, 
Tharmonie  de  l'ensemble,  n'y  a-t  il  pas  une  vertu  iutrinseque,  une 
espece  de  force  divine,  quelque  cliose  d'eternel  corame  un  principe? 
(je  parle  en  platonicien.)  Ainsi,  pourquoi  y  a-t-il  un  rapport  necessaire 
entre  le  mot  juste  et  le  mot  musical?  Pourquoi  arrive-t-on  toujours 
ä  faire  un  vers  quand  on  resserre  trop  la  pensee?  La  loi  des  nom- 
bres  gouverne  donc  les  sentiments  et  les  Images,  et  ce  qui  parait  etre 
l'exterieur  est  tout  bonnement  le  dedans?" 

Mais,  proscrire  le  subjectivisme  de  l'oeuvre  litteraire,  et  viser 
ä  l'adequation  complete  de  la  forme  a  l'objet,  donner  tous  ses  soins 
ä  la  recherche  de  l'expression  parfaite  dans  l'ffiuvre  d'art.  c'est-ä-dire 
de  la  beaute  sans  souci  de  l'utilite,  quelle  qu'elle  seit,  eriger  la  sim- 
plicite  en  qualite  essentielle   de   la  repreäentation  artistique,    n'est-ce 


H.  Amic.     Correspondance  entre  G.  Sand  et  G.  Flaubert.       189 

point,  d'un  mot,  revenir  ä  la  plus  pure  tradition  du  classicisme,  tel 
que  le  formulait  Pascal  proclamant  "le  moi  haissable"  ou  un  Boileau 
edictant  que  toute  ceuvre  d'art  n'emprunte  que  de  la  raison  "son 
lustre  et  son  prix"  et  prescrivant  au  poete  de  polir  sans  cesse  son 
ceuvre,  tel  enfin  que  le  pratiquait  un  Eacine  dans  son  Theätre  et 
par  de  lä  le  XVIIle  siecle  renouer  la  grande  tradition  de  la  Renais- 
sance et  de  rHellenisnie? 

Et,  nous  demanderons-  nous  en  terminant,  n'est-ce  point  lä  ce 
que  l'on  pourrait  appeler  "le  cas  tragique"  de  Flaubert:  ce  contraste 
entre  les  aspirations  de  l'homme  et  de  l'artiste  et  les  conditions  oü, 
de  par  les  contingences  historiques,  il  se  trouve  place?  Vivaut  en  un 
teraps  de  democratisme  ä  outrance,  Flaubert  cherche,  mais  en  vain,  ä 
remonter  le  courant,  et  par  delä  Tinstant  present  ä  revenir  ä  la  tradition 
de  "l'honnete  bomme"  dont  Nietzscbe,  le  representant  des  memes  ten- 
dances,  verra  le  type  acbeve  en  La  Rocbefoucauld?  Haute  nature,  portee 
d'instinct  ä  faire  de  la  distinction  la  vertu  sociale  de  rhonirae,  il  assiste  ä 
l'accaparement  de  la  societe  par  la  mediocrite  pretentieuse,  desireuse 
d'imposer  ä  la  coUectivite  la  vulgarite  de  ses  goüts  et  son  culte  de  la 
matiere,  au  trioraphe  du  positivisme  sous  sa  forme  la  plus  prosaique, 
rindustrialisme.  Et,  comme  si  ce  n'etait  pas  assez  pour  eile  de  reduire 
les  cboses  de  Tintelligence  et  de  Part  au  niveau  de  sa  "petite  raison",  eile 
eleve  ä  la  bauteur  d'une  tbeorie  la  necessite  pour  la  litterature  de 
s'asservir  ä  des  fins  pratiques  et  iramediates.  Au  codelulte  de  l'art  pour 
Tart  et  de  la  beaute  desinteressee  succede  la  theorie  de  Part  ä  tbese 
et  du  beau  del  serviteiir  du  vrai  et  du  bien.  Bref,  Tbomme  est  en  con- 
tradiction  avec  son  temps,  comme  il  est  en  contradiction  avec  lui 
meme.  Ne  ä  une  epoque  oü  le  Romantisme  bat  son  plein,  ce  "vieux 
Romantique",  comme  il  sappelle,  porte  tout  au  fond  de  lui  la  nos- 
talgie  des  epoques  disparues,  des  lointains  bistoriques  qui  seduisent 
l'imagination  par  Tberoique  des  passions  qui  s'y  jouent  et  le  pitto- 
resque  d'un  decor  plus  grandiose.  Mais  grandi  ä  une  epoque  qui, 
de  plus  en  plus  professe  le  culte  du  fait  social,  et  met  son  orgueil 
dans  l'etude  et  la  reproduction  exacte  de  la  realite  procbaine,  il  se 
trouve  empörte  malgre  lui  vers  le  spectacle  des  moeurs  contempo- 
raines  qui  interessant  Tobservateur,  repugnent  ä  Thomme  et  ä  l'artiste. 
Ecrivant  ce  cbef-d'oeuvre  du  realisme,  M™®  Bovary,  il  avait  ressenti 
de  veritables  souftrances  ä  vivre  en  un  monde  si  diflferent  de  cette 
Canhage,  oü  se  complaira  Tautcur  de  Salambo.  Depeignant  dans 
l'Education  sentimentale  des  bourgeois  modernes  et  frangais,  qui  lui 
"puent  au  nez  etrangement",  dit-il  avec  cette  energie  un  peu  apre  et 
parfois  brutale  dont  est  contumier  son  laugage,  il  aspire  comme  ä  un 
soulagement  pbysique  au  moment  oü  l'ceuvre  realiste  finie,  il  pourra 
en  toute  volupte,  se  donner  au  sujet  qui  le  baute,  un  sujet  roman- 
tique et  fantastique,  la  Tentation  de  Saint-Antoine.  Nature  exube- 
rante  enfin,  portee  ä  parier  librement  et  haut  de  toute  chose,  il  se 
trouve  condamme  de  par  ses  volontes    d'artiste  h  taire    ses   opinions 


190  Referate  und  Rezensionen.     M.  L  Minckwitz. 

sur  les  homraes  et  sur  les  choscs,  et,  comme  si  ce  n'etait  point  assez 
de  ce  supplicc  qui  coiisiste  ä  imposer  silence  ä  son  moi  et  comme 
il  le  dit  si  pittoresquement,  "ä  mourir  d'opinions  rentrees",  il  se 
fait  l'esclave  d'une  tlieorie  qui  proclame  que  Tart  et  la  vie  sont  in- 
compatibles  et  que  pour  faire  ceuvre  litteraire,  il  faut  renoncer  ä 
tous  les  devoirs  et  ä  toutes  les  joies  de  Tliumanite.  II  s'astreaint  ä 
une  discipline  qui  contraint  un  temperament  fougueux,  desireux  de 
se  depenser  et  d'agir,  ä  se  refouler  sur  soi-meme,  ä  se  supprimer  lui- 
nieme.  Enfin,  recrivain  qui  fait  consister  le  secret  de  Tart  dans  la 
perfection  d'une  forme  impeccable,  estime  cbose  sacree  un  effet  de 
style,  et  se  donne  pour  täche  de  faire  des  "phrases  harmouieuses  en 
6vitant  les  assonnances",  manque  de  la  faculte  essentielle  ä  l'ecri- 
vain:  la  facilite  de  travail  et  Tallegresse  du  labeur.  Sa  severite  vis- 
a-vis  de  lui-m6me  et  vis-ä-vis  de  l'ideal  ä  realiser  transforme  pour  lui 
la  creation  litteraire  en  un  supplice,  fait  de  lui  une  sorte  de  martyr 
de  la  litterature.  Les  "afircs  du  style",  "les  angoisses  litteraires" 
emplissent  la  vie  du  travailleur  qui  passe  quelquefois,  ecrit-il  ä  G.  Sand, 
des  jours  entiers  ä  tourner,  ä  retourner  un  paragraphe  sans  en  venir 
ä  bout,  reste  toute  une  journee  "la  tete  dans  ses  deux  mains  ä  se 
presser  la  cervelle  pour  trouver  un  mot",  traine  ä  la  fa^on  du  forgat 
son  beulet,  l'oeuvre  pesante  "comme  la  lourde  charrette  de  moellons." 

*  * 

* 

Tu  aimes  trop  la  litterature,  ecrivait  G.  Sand  ä  son  grand 
ami  Flaubert,  eile  te  tuera  et  tu  ne  tueras  pas  la  betise  bumaine. 
Pauvre  cbere  betise  que  je  ne  bais  pas  moi  et  que  je  regarde  avec 
des  yeux  maternels ;  car  c'est  une  enfance  et  toute  enfance  est  sacree , .  . 
Tu  as  trop  de  savoir  et  d'intelligence:  Tu  oublies  qu'il  y  a  quelque 
cbose  au  dessus  de  l'art,  ä  savoir:  la  sagesse  dont  l'art  ä  son  apogee 
n'est  jamais  que  l'expression.  La  sogesse  comprend  tout:  le  beau, 
le  vrai,  le  bien,  l'entbousiasme  par  consequent  ....  Moi  je  n'ai 
plus  assez  d'orage  en  moi  pour  que  tu  me  comprcnnes." 

Strassburg  I.  E.  Hubert  GiLLOT. 


Gassier,  Emile.  Les  Cinq  Cetits  Immortels.  Histoire  de 
CAcadimie  Frangaise  1634 — 1906.  Preface  de  M.  Jules 
Lemaitre.  Paris,  Henri  Jouve,  491  p.  8*^.  (Corrections  et 
additions  retrouvees,  depuis  l'impression  du  corps  de  l'ouvrage 
dans  les  papiers  de  Tauteur,  VH  p.) 

Boissier,  Gaston.    L'AcadSmie  Frangaise.    (Extrait  de  Touvrage 
sous   presse:    IJ Institut  de  France,   H.  Laurens,   Editeur.) 
32  p.   1906. 
Die    posthume    Veröffentlicbung    aus    dem    Nachlasse    Gassiers 

kann   sicherlich   keinen   Anspruch   auf  klassischen  Wert   erheben,   da 

die   rein   geschichtlichen  Abschnitte   nicht  immer  übersichtlich  genug 


Eyyiile  Gassier.     Les  Cinq   Cents  Immorfels.  191 

wirken.  Aber  mit  großem  Fleiße  ist  eine  Fülle  neuen  wichtigen 
Materials  zusammengetragen  worden,  die  für  Jeden  in  Betracht 
kommen  muß,  der  sich  eingehender  mit  der  Geschichte  der  französischen 
Akademie  zu  beschäftigen  gedenkt.  Beträchtlichen  positiven  Wert 
besitzen  eigentlich  nur  einige  Partien  des  Anhangs  (p.  390  ff.),  ins- 
besondere der  Abdruck  der  nicht  Jedermann  zugänglichen  ^Pieces 
jiisti/icatives"'.  Von  großem  Nutzen  ist  auch  die  „Liste  alphabetique 
des  500  Academiciens'^ ,  die  nicht  bloß  dem  Ausländer  bequemere 
Auskunft  vermittelt.  Unter  den  Notices  pariiculieres  beansprucht  der 
Abschnitt  „Les  Cinq  Cents  Immorteis  dans  Vordre  de  leur  admission'-'- 
verhältnismäßig  zuviel  Raum.  Der  Verfasser  hat  augenscheinlich 
nicht  die  letzte  Hand  daran  legen  können,  um  eine  gründliche 
Sichtung  des  absolut  Notwendigen  zu  bewirken.  Der  Paragraph 
„Voltaire"  z.  B.  enthält  völlig  überflüssige  Angaben.  An  anderen 
Stellen  vermißt  man  dringend  nötige  Auskunft.  Der  Geburtsort  ist 
nicht  konsequent  angegeben:  er  fehlt  z.  B.  bei  Gaston  Paris,  Faguet, 
Gebhardt,  Ernest  Lamy.  Gelegentlich  ist  auch  das  Geburtsjahr  über- 
gangen. In  Paris  war  die  nötige  Auskunft  doch  recht  leicht  zu  be- 
schaffen. Auch  die  Erwähnung  wirklich  wichtiger  Werke  von 
Akademikern  ist  recht  willkürlich  ausgefallen.  Besonders  empfindlich 
wirken  die  Lücken  in  der  Angabe  von  Daten,  wenn  bei  neugewählten 
Mitgliedern  nicht  auch  der  Tag  der  offiziellen  Aufnahmesitzung 
bezeichnet  wird.  Wer  sich  für  die  „Discours  de  rdception"'  des 
19.  Jahrh.  interessiert  und  dieselben  im  Auslande  in  den  einzelnen 
Jahrgängen  amtlicher  französischer  Zeitungen  nachlesen  muß,  verliert 
(wie  ich  aus  eigener  Erfahrung  bezeugen  kann)  wegen  der  willkürlich 
langen  Pausen  zwischen  Wahl  und  Aufnahmetag  unsäglich  viel  Zeit 
mit  dem  unvermeidlichen  Durchblättern  ganzer  Jahresinhalte.  Eine 
Neuauflage  wird  hoffentlich  dieser  Inconsequenz  des  einmal  ein- 
geschlagenen Verfahrens  abhelfen,  im  Interesse  derjenigen  Forscher, 
denen  nicht  die  Fülle  der  Pariser  Hilfsquellen  zu  Gebote  steht,  i) 

Ich  gehe  zur  Musterung  der  geschichtlichen  persönlichen  Leistung 
Gassiers  über.  Voraus  geschickt  ist  eine  teilweise  naiv  anmutende 
Introduction,  sowie  eine  Übersicht  der  Societes  iMtSraires  en 
France^  die  reclit  gut  unterblieben  wäre.  Denn  sie  bietet  zugleich 
zuviel  und  zu  wenig,  nicht  hierher  gehöriges  und  Lücken.  Ähnlich 
ist  die  Stellung,  die  Gassier  als  Geschichtsschreiber  der  französischen 
Akademie  einnimmt.  In  seiner  Darstellung  der  Neuzeit  schwankt  er 
sogar  von  einem  sich  darbietenden  Ausblick  zum  anderen,  ohne  Meister 
des  komplicicrten  Stoffes  zu  werden.  Es  kann  ja  kein  Zweifel  dar- 
über herrschen,  daß  sich  gerade  auf  diesem  schwierigen  Gebiete  viele 
Klippen  in  den  Weg  stellen,  wenn  allen  berechtigten  Wünschen 
Rechnung  getragen  werden  soll.    Zunächst  kommt  die  Quellen  frage 


1)    Vor  Allem  die  bei  Didot  erschienenen  Sammlungen  der  ^Discours 
de  rectption''\ 


192  Referate  und  Rezensionen.     M.  I.  Minchwitz. 

in  Betracht.  Im  Vergleich  zu  seinen  Vorgängern  des  19.  Jahrh.  hat 
Gassi  er  den  Vorteil  genossen  die  1895  veröffentlichten  ,,Regist7'es 
de  V Academie  Frangoise  (1672 — 1793),  die  allerdings  bedauerliche 
Lücken  aufweisen,  in  bequem  zugänglicher  Form  benutzen  zu  dürfen. 
Ganz  einsichtsvollen  Gebrauch  dieser  Vergünstigung  kann  man  ihm 
nicht  nachrühmen.  In  der  Fachliteratur  Frankreichs  ist  er  leidlich 
gut  bewandert,  \Yenigstens  in  derjenigen,  die  ich  als  „direkte" 
bezeichnen  möchte.  ~)  Das  Ausland  kennt  er  entweder  nicht,  oder 
ignoriert  es  geflissentlich,  indem  er  stillschweigend  den  bekannten 
Ausspruch  Ste-Beuves  dahin  modifiziert  und  erweitert,  daß  nicht 
ausschließlich  ein  Mitglied  der  französischen  Akademie  sondern 
wenigstens  überhaupt  ein  Franzose  dazu  berechtigt  ist,  dieses  spezifisch 
für  Frankreich  wichtige  Thema  verständnisvoll  zu  behandeln.  Ob 
auch  in  diesem  Falle  aber  der  außernationale,  mehr  objektive  Fern- 
blick völlig  zu  entbehren  ist? 

Auf  alle  Fälle  hat  Gassier  nicht  die  Umsicht  besessen,  auch 
alle  diejenigen  Hilfstruppen  annähernd  vollzählig  um  sich  zu  ver- 
sammeln, auf  die  es  im  vorliegenden  Falle  doch  ankommt.  In  erster 
Linie  die  Korrespondenzen  (und  zwar  nicht  bloß  von  Mitgliedern 
der  Akademie,  die  übrigens  auch  noch  wie  z,  B.  diejenigen  von 
Chapelain  und  Voltaire  eingehender  zu  berücksichtigen  waren). 
Auch  der  französischen  Akademie  seitab  gedrängte  und  absichtlich 
fernstehende  Geistesgrößen  äußern  sich  lehrreich  über  sie.  Nicht  zu 
verachtende  Fundgruben  bilden  ja  überdies  die  Memoiren  und 
eigentlichen  Geschichtswerke.  —  Gassi  er  kennt  Vieles,  aber  nicht 
genug,  um  die  Gefahr  einseitiger  Beleuchtung  definitiv  zu  beseitigen. 

Aber  ursprünglich  lag  es  wohl  überhaupt  nicht  in  der 
bescheidenen  Absicht  des  Verfassers,  so  weittragende  Ansprüche  zu 
befriedigen.  Sein  Material  wäre  sonst  für  seine  Zwecke  zu  sehr  an- 
geschwollen. Wer  alle  Faktoren  berücksichtigt,  schreitet  an  eine  alle 
Kraft  usurpierende  Lebensaufgabe  heran,  die  unendlich  viel  Selbst- 
verleugnung fordert.  Jede  Nebeuherleistung  bleibt  auch  auf  diesem 
Gebiet  zu  beanstandendes  Stückwerk.  Der  Stoff  verhält  sich  gegen 
den  gelegentlichen  Beschauer  gewaltig  spröde.  Es  ist  hier  ebenso 
schwierig,  innerste  Zustände  genau  nach  ihrem  Ursprung  zu  beurteilen 
als  den  beeinflussenden  Zustrom  von  außen  richtig  nach  seiner  Trag- 
weite zu  bemessen.  Leicht  verfällt  der  Schilderer  der  Akademie  in 
ein  unruhiges  Umhertasten,  das  selbst  den  eifrigsten  Leser  irreführen 
muß.  Hier  sollen  im  geschlossenen  geschichtlichen  Anßenrahmen 
Persönlichkeiten  auftauchen,  deren  Genie  oder  eventuelle  Einseitigkeit 
bestimmten  Zeiträumen  ein  eigenartiges  Gepräge  aufdrückt.  Regierungs- 
formen,  Weltereignisse,    die    elektrisch    zur   Akademie    hinüberleiten, 


2)  p.  85  bei  der  Erwähnung  der  Aufuahmerede  La  Bruyeres  fehlt 
aber  z.  B.  der  Hinweis  auf  Gaston  Boi  ssiers  1897  (15.  Juni)  in  der 
Revue  des  cleux  Mondes  veröffentlichten  Artikel:  V Academie  Fran^aise  au  XVII e 
Sude. 


Emile  Gassier.     Les   Cinq   Cents  Immorteis.  193 

Streitfragen  kultureller  Art,  Errungenschaften  von  Kunst  und  Wissen- 
schaften, die  althergebrachte  Ansichten  aus  den  Angeln  heben.  Neben- 
fragen auch  pekuniärer  Art  (zur  Förderung  der  Sitzungstätigkeit), 
wechselnde  Formulierung  und  Durchführung  von  Arbeitsplänen  etc., 
alles  beansprucht  sorgfältige  Berücksichtigung.  Selbst  eine  so  flüchtige 
Aufzählung  wesentlicher  Momente  führt  notgedrungen  zu  der  Er- 
kenntnis, daß  der  psychologische  Standpunkt  hier  ebenso  stark  vor- 
wirken muß  wie  der  summarische  historische  Bericht.  Beide 
Gesichtspunkte  lassen  sich  nicht  haarscharf  von  einander  spalten. 
Immerhin  sollte  die  Übersicht  des  äußeren  Geschickes  gesondert 
bleiben  von  den  Arbeitszielen  und  von  dem  für  die  Geschichte  der 
französischen  Literatur  so  wichtigen  Glaubensbekenntnis  der  Vertreter 
der  Akademie,  soweit  es  sich  in  den  discours  de  rheption  spiegelt. 
Gassier  streift  Vieles,  dringt  aber  nur  vereinzelt  tiefer  in  seinen  Stoff 
ein.  Was  er  berichtet,  ruft  oft  den  Eindruck  hervor,  als  ob  ihn  nicht 
die  Wichtigkeit  des  jeweiligen  Themas  sondern  der  Zufall  lenke,  der 
ihn  nicht  gleichmäßig  mit  Material  begünstigt  hat. 

Seine  Darstellung  zerfällt  in  zwei  Hauptteile:  I.  L'Ancienne 
AcademieFrangaise,  1634 — 1793;  II.  L'Institut  et  l'Academie 
Frangaise.  Für  die  ältere  Akademie:  Fondation  et  etablissement 
de  rÄcademie  (I.  Protectorat  de  Richelieu  (1634 — 1642), 
II.  Protectorat  de  Seguier  (1642—1672),  III.  Protectorat  de 
Louis  XIV  (1672—1715)  IV.  Protectorat  de  Louis  XV. 
(1715—1774),  V.  Protectorat  de  Louis  XVL  (1774—1792). 
Daran  schließt  sich  die  Suppression  de  TAcademie  (1793). 
Der  wichtige  Zeitraum  bis  zum  Jahre  1792  wird  in  reichlich  achtzig 
Seiten  geschildert.  Bis  zum  Beginn  des  18.  Jahrb.  hat  sich  Gassier 
mit  viel  Gescliick  dem  Bericht  von  Pellisson  und  D'Olivet  angelehnt, 
sodaß  er  dank  diesen  Vorbildern  eine  im  ganzen  nützlich  wirkende 
Übersicht  erzielt  hat.  Immerhin  verrät  dieselbe  keine  eingehende 
Vertrautheit  mit  den  wichtigsten  literarischen  Zeitströmungeu.  Die 
Seitenlichter  fallen  meist  unklar  aus.  Es  fehlt  der  Stempel  überlegener 
Beherrschung  des  Stoffes,  wenn  auch  wichtige  Quellen,  wie  z.  B. 
V.  Rigault,  Hlstoire  de  la  querelle  des  anciens  et  des  modernes 
citiert  werden.  Perraults  Rolle  ist  weitschweifig,  aber  ohne  Schärfe 
der  Kritik  behandelt.  Von  großem  Scharfsinn  zeugt  hingegen  die 
Bemerkung  über  Colberts  Bedeutung  für  die  Akademie  auf  Seite  67: 
//  ne  nous  parait  pas  qu'aucun  de  ces  Jiistoriens  ait  fait  si(ffi- 
samment  ressortir  l'inßuence  grandissante  de  Colbert,  qui  fut  ä 
notre  avis,  le  veritahle  protecteur  de  V Academie  loyigtemps  avant 
la  mort  de  Seguier,  et  qui  le  demeura  jusqiiä  la  sienne,  sans  en 
avoir  jamais  eu  le  titre  .  .  . 

Für  die  Angabe  über  die  unwürdige  Rolle,  die  Racine 3)  bei  der 


^)   Nach  den  Angaben  der  Re.(jister  hat  Kacine   Corneille  im  Leben 
wie  im  Tode  hohe  VerehruDg  erwiesen;  er  safs  gern  neben  seinem  grol'sen 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI«.  13 


194  Referate  und  Rezensionen.     M.  I.  Minckwitz. 

Wahl    des   Nachfolgers    von   Corneille    gespielt    haben    soll    (p.  76), 
vermißt  man  die  quellengeschichtliche  Begründung. 

Für  die  Regierungszeit  Ludwigs  XV  ist  die  Dreiteilung 
chronologischer  Art  (p.  88:  la  Regence  (1715 — 1723)  et  le 
ministere  du  duc  de  Bourbon  (1723  —  1726),  la  duree  du 
ministere  du  cardinal  Fleury  (1724 — 1743),  sowie  der 
Zeitraum  vom  Tode  Fleurys  bis  zum  Tode  des  Königs  (1743 — 1774) 
recht  einsichtsvoll. 

Für  die  Ausstoßung  des  Abbe  St. -Pierre  erfahren  die  Angaben 
der  Register  (die  Gassier  unbeachtet  gelassen  hat)  eine  wichtige 
Illustration  durch  die  wiederum  leider  nicht  dokumentierte  Angabe, 
daß  Fleury  einen  Erben  seines  Hasses  hinterlassen  habe;  „ .  . .  landen 
Sveque  de  Mirepoix,  qui  s'opposa  ä  ce  que  Maupertuis,  Slu  en 
remplacement  de  l'abbe  de  Saint- Pierre,  pronongat  son  eloge  (p.  90.) 

Mit  vollem  Recht  verweilt  Gassier  bei  der  Wahl  Montesquieu's 
und  den  sie  begleitenden  Nebenumständen.  Er  schenkt  der  Legende 
von  den  verstümmelten  Lettres  persanes  unbedingt  Glauben,  fügt  aber 
dem  Spürsinn  Fleury's  Rechnung  tragend,  erklärend  hinzu:  Fleury 
feignit  d'etre  la  dupe  de  cette  fable  et  declara  quHl  se  desintSressait 
de  la  lutt  (p.  94.).  Bezeichnend  für  die  Unsicherheit  dieser  Tradition 
ist  dagegen  die  ausdrückliche  Erklärung  Gaston  Boissier's.  .  .  Mon- 
tesquieu, qui  parvint^  on  ne  sait  trop  comment,  ä  faire  oublier 
le  scandale  des  Lettres  Persanes.'^  ^)  Gassier  ist  übrigens  der  Ansicht 
d'Olivet's,  die  auch  ich  teile :  „  Cette  aßaire  (die  Wahl  Montesquieu's) 
n'a  pas  laissS  que  de  faire  du  bruit  dans  Paris. '■'■  Trotz  der  kühlen 
Aufnahme  und  dem  überhäufigen  Fernbleiben  Montesquieu's^)  aus 
den  Sitzungen,  ist  seine  Aufnahme  hoch  bedeutsam:  Son  election 
n'en  fut  pas  moins  un  ev^nement  d'une  tres  grande  portee:  c'^etait 
pour  l'esprit  nouveau,  la  revanche  de  Vexclusion  de  Vabbe  de  Saint- 
Pierre,  et  un  triomphe  pour  le  libre  examen  p.  95.).  Über  Duclos 
Voltaire,  d'Alembert  enthalten  die  Schlußseiten  dieses  Abschnittes 
nur  einige  wesentliche  Angaben,  an  einer  gründlicheren  Behandlung 
des  Einflusses  dieser  wichtigen  Persönlichkeiten  hinderte  den  Verfasser 
augenscheinlich  der  Wunsch,  auch  nebensächlichen  Stoff  zu  berück- 
sichtigen. 

Ludwigs  XVI.  Zeit  wird  nur  kurz  gestreift.  Ich  vermisse  hier 
u.  a.  die  Charakterisierung  der  Schwächung  der  Königsmacht,  soweit 
sie  sich  innerhalb  der  Akademie  durch  allerlei  Anzeichen  kundgibt. 
Schon   mit  Hilfe   der  Register  hätte   sich   eine  schärfere  Beleuchtung 


Rivalen  und  forderte  energisch  die  strenge  Einhaltung  der  Trauerfrist  für 
den  Dahingeschiedenen,  als  sofort  rücksichtslos  zur  Neuwahl  geschritten 
werden  sollte. 

*)  Cf-  G.  Boissier,  L'Academie  Fran^aise  {Extrait  de  Vouvrage  sous  presse: 
V Institut  de  France,  H.  Laurens,  Paris  (p.  17). 

^)  Cf.  diese  Zeitschrift^  t.  XXIX,  p.  121,  Anm.  4. 


Emile   Gassier.     Les   Cinq   Cents  Iminortels.  195 

der  Übergangszeit  zur  Revolution  erzielen  lassen.  Das  denkwürdige 
Jahr  1793  ist  Dank  den  Memoiren  von  Morellet  verbältnißmäßig  besser 
charakterisiert. 

Für  die  Neuzeit  hat  sich  Gassier  nur  wenig  Raum  vorbehalten. 
In  fünfzig  Seiten  schildert  er  I.  L'  Institut  1795  —  1816,  II.  La 
Restauration,  Protectorats  de  LouisXVIII  et  de  CharlesX, 
1816  —  1830,  III.  Protectorat  de  Louis  -  Philippe  1830—1848 
IV.  DeuxieraeRepublique.  (Second  Empire.  —  Protectorat  de 
Napoleon  III)  1848  —  1870,  V.  Troisieme  Republique.  de 
1870  ä  nos  jours.  Die  flüchtigen  Skizzen  wirken  anregend  und 
bieten  auch  einige  neue  Aufschlüsse.  Gerade  diese  Zeitabschnitte  harren 
trotz  vereinzelter  Versuche  (wie  von  Paul  Mesnard)  sorgfältigeren 
Ausbaues.  Viel  UnenthüUtes  birgt  noch  die  Zeit  Napoleons  I.  Politische 
Einflüsse  trüben  mehr  und  mehr  das  rein  literarische  Interesse.  Der 
reactionäre  Geist  der  Bourbonen  spiegelt  sich  auch  in  mancher  un- 
wirschen Stimmung,  die  sich  in  den  Discours  de  reception"  mehr 
oder  weniger  rückhaltlos  zum  Ausdruck  drängt.  Ich  ei innere  an  Thiers, 
der  1843  kühn  an  die  eiserne  Energie  des  großen  Corsen  gemahnt. 

Je  mehr  sich  Gassier  der  Gegenwart  nähert,  um  so  blasser 
wirkt  sein  Pinsel.  Er  hat  auf  alle  Fälle  Neues  gewagt,  besonders 
im  Schliißkapitel.  Vielleicht  aber  wäre  hier  im  Anschlagen  gewisser 
Töne  mehr  Vorsicht  geboten  gewesen.  Die  Stellung  und  Spaltung 
der  Akademie  angesichts  des  Drey(us  -  Prozesses  ist  noch  zu  frisch 
in  Aller  Erinnerung^  um  völlig  objektiv  beurteilt  werden  zu  können. 
Auch  hier  läßt  es  Gassier  an  erwünschten  Angaben  fehlen  und  übersieht 
aus  Parteiinteresse  (Jules  Lemaltre!  hat  das  kurze  Vorwort  zu  dem 
vorliegenden  Werke  verfaßt)  die  Äußerungen  wahrhaft  edler  Patrioten 
wie  Gaston  Paris. 

Der  gewaltige  Stoff,  an  den  sich  Gassier  gewagt  hatte,  wird  viel- 
leicht erst  dann  die  richtige  Bearbeitung  finden,  wenn  die  einzelnen 
Zeiträume  von  Spezialforschern  getrennt  in  Angriff  genommen  werden. 
Historiker  und  Literaturhistoriker  müssen  sich  hier  helfend  die  Hand 
reichen.  —  Inzwischen  hat  der  geistige  Bestand  der  Akademie  schon 
wieder  durch  mehrere  Todesfälle  Verschiebung  wesentlicher  Art  erfahren. 
Am  9  Dec.  ist  Brunetiere  aus  dem  Leben  geschieden,  am  20  Dec. 
hat  M.  Alexandre  Ribot  die  Gedächtnißrede  auf  seinen  Vorgänger, 
den  Herzog  d'Audif fret-Pasquier  gehalten,  am  17,  Januar  und 
T.Februar  1907  finden  die  Aufnahmesitzungen  für  M,  Maurice  Barrys 
und  den  Kardinal  Mathieu  statt.  Enfin  l'expose  des  titres  des 
candidats  aux  deiux  fauteuils  vacants  de  M.  M.  Sorel  et  Rousse 
aura  Heu  Je  mardi  12  fevrier,  et  la  double  Slection  le  surlendemain 
14  fevrier." 

Wer  Gassier  als  unentbehrliches  Nachschlagewerk  benutzt, 
wird  gut  daran  tun,  Nachträge  unvermeidlicher  Art  alljährlich  auf 
ein  paar  weißen  Blättern  im  Anhang  sorgfältig  einzutragen. 

13* 


196  Referate  und  Rezensioneyi.     M.  I.  Mlnckwitz. 

Gaston  Boissier's  dem  Druck  übergebeiier  Auszug  aus  dem 
großen  angekündigten  Werke  Vlnstitut  de  France  versetzt  in  eine 
erwartungsvolle  Spannung.  Auf  kaum  dreißig  Seiten  erscheint  alt- 
vertrauter StoÜ' öfters  iu  neue  Beleuchtung  gerückt.  Der  greise  Secretaire 
perpetuel  der  Akademie  legt  indessen  in  dieser  summarischen  Ankündigung 
weniger  Wert  auf  Tatsachen  und  Ereignisse,  als  auf  Charakteristiken 
ganzer  Zeiträume  und  wichtiger  Persönlichkeiten.  Und  diese  sind 
ihm  in  altgewohnter  Meisterschaft  gelungen.  Er  spricht  vom  17., 
vom  18.,  vom  19.  Jahrhundert.  Vom  17.  am  ausführlichsten:  ,^Je 
me  decide  ä  insister  jyrmcipalejnent  sur  les  07'igines  et  les  remiers 
temps:  c'est  ce  quHl  Importe  surtout  de  savoir.  Elle  a  toujours 
conserve  ses  anciens  usages;  eile  vit  du  passe;  la  maniere  dont 
ses  menibres  sont  Mus,  les  travaux  qui  Vocciipent  ses  rapports  avec 
le  chef  de  VEtat  .  .  .  S07it  restes  ä  peu  pres  les  meines.'''  An- 
schaulich wird  die  Stimmung  der  Geister  geschildert,  der  Ja  socieie 
de  Cojirart'''-  ihren  Ursprung  verdankt,  Richelieu's  unerwünschte  Da- 
zwischenkunft  gebührend  uacli  ihrem  nationalen  Verdienst  gewürdigt. 
Den  echt  königlichen  Einfluß  Ludwigs  XIV,  sobald  er  das  Protektorat 
übernahm,  umgrenzt  Boissier  mit  markanten  Contouren:  Uailleurs 
il  est  hon  que  le  protecteur  ne  soit  pas  ires  pres  du  protege,  il 
p>ese  moins  sur  lui  sHl  est  place  ä  quelque  distance  ...  fp.  12  ff.). 
Ebenso  objectiv  wirkt  die  prüfende  Besichtigung  der  „premüre  g^neration 
academique'-''  (p.  16). 

Für  den  philosophischen  Geist  der  Akademie  des  18.  Jahrh. 
wird  Voltaire  ia  den  Mittelpunkt  der  Betrachtung  gerückt 6).  Als 
1746  seine  hartnäckige  Kandidatur  glückt,  folgt  im  gleichen  Jahre 
Duclos  und  1754  d'Alembert:  c'  etait  la  victoire  complete  du 
parti  philo sopldque.  Bei  dieser  Glanzzeit  der  französischen  Akademie 
und  ihrer  Bedeutung  für  ganz  Europa  verweilt  Boissier  mit  sichtlichem 
Behagen.  Duclos  und  D'Alembert's  Portrait  zeichnet  er  mit  liebe- 
voller Sympathie.  Um  so  jäher  wirkt  die  Schilderung  der  Ent- 
täuschung über  den  von  Condorcet  prophezeihten  Sieg  „der  Vernunft" 
in  der  Revolutionszeit.  Übersichtlich  ist  die  knappe  Schilderung  der 
Übergangsmetamorphosc  zum   19.  Jahrhundert  (p.  24)  ausgefallen. 

Für  das  19.  Jahrh.  eröffnet  Boissier  eine  ganze  Reihe  neuer 
Gesichtspunkte.  Er  stellt  z.B.  Richelieu  und  Napoleonl.  in 
Vergleich:  Richelieu  d'ahord,  puls  Napoleon,  qui  pensaient  que 
la  litterature  doit  eire,  comme  le  reste,  soumise  ä  une  autorite 
qui  la  dirige,  avaient  pretendu  faire  d'elle  un  tribunal  souverain, 
qui  jugerait  les  ecrits  et  donnerait  des  raugs  aux  auteurs.  Le 
premier  lui  imposa  la  critique  du  Cid,  Vautre  la  chargea  de  de- 
cerner  les  prix  decennaux').    Der  siegreiche  Einzug  der  romantischen 

6)  Doch  hebt  auch  Boissier  die  Wahl  Monte  s  qui  eu's  als 
bedeutsam  hervor. 

')  Bei  Gassier  sind  (p.  452—456)  wichtige  auf  die  prix  decennaux  be- 
zügliche Urkunden  zum  Abdruck  gelaugt. 


J.  Pünjer  u.    W.  Kahle.     Lehrbuch  d.  fronzös.   Sprache.  197 

Schule  in  die  Akademie  (1841  wird  Victor  Hugo  gewählt)  ist  das 
letzte  große  Ereignis,  das  Boissier  mit  Wärme  feiert.  Die  zweite 
Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  charakterisiert  er  nur  ganz  allgemein: 
noiis  entrons  dans  Vhistoire  contemporame.  Die  Schlußworte  sind 
den  Gesichtspunkten  gewidmet,  die  bei  den  Wahlen  den  Ausschlag  geben. 
Die  Akademie  nentend  pas  etre  tout  ä  fait  une  societe  de  gens 
de  letires.  Denn:  Les  sodeies  de  ce  genre  sont  e.vposees  ä  deve- 
nir  des  coteries;  le  souci  des  interets  per  sonneis,  les  amiiies,  les 
jalousies  y  prennent  trop  dHmportance;  ä  la  longue  tout  s'y  rape- 
tisse  et  s'y  retrecit.  Dees  le  prenner  jotir,  Videal  de  V Acadernie 
fut  d'etre  la  representation  de  l'esprit  francais  .  .  . 

Zum  Schlüsse  nennt  Boissier  eine  Reihe  hoher  Zeitgenossen,  von 
Guizot  und  Thiers  bis  zu  Taine,  in  deren  Mitte  er  den  Akademie- 
sitzungen beigewohnt  hat.  Warum  fehlt  unter  diesen  Geisteszierden 
Gaston  Paris,  von  dem  Brunetiere  mit  gerechtem  Sinn  erklärt  hat: 
11  avait  bien  p)lus  que  des  clarth  ou  des  lueurs  de  tout,  et  sa 
co7iversation  m'a  donni  souvent  ä  songer  qu  au  Heu  d'etre  Gaston  Paris 
il  n'eüt  dependu  que  de  lui  d'etre  Taine  ou  Ernest  Renan'?  .  .  . 
(Publikationen  des  Institut  de  France,   12  mars   1903). 

MtJNCHEN.  M.    I.    MiNCKWITZ. 


Piiujei',  J.  und  yV.  Kähl6.  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  für  Lehrer- 
bildvnqsanstalten.  1.  Teil:  für  Präparandenanstalten.  1905.  YIII, 
258S.  8'\  2.  Teil:  für  Lehrerseminare.  1906.  VIT,  302  S.  Verlag 
von  Carl  Meyer,  Hannover  und  Berlin. 

L'ouvrage  se  compose  de  deux  volnmes,  destines  l'un  aux  classes 
elementaires  des  ecoles  normales  (Präparandenanstalten),  l'autre  aux  classes 
superieures  (Lehrerseminare).  La  methode  pmployee  daos  les  deux 
volumes  est  identique;  aussi  nos  critiques  s'appliqueut-elles  ä  l'un  et  h  l'autre 
indifteremment. 

Le  plan  general  de  Touvrage  parait  bon;  heureuse  en  particulier 
cette  division  parallele  en  exercices  pratiques  d'une  part,  regles  de  grammaire 
d'autre  pai-t,  redigees  d'abord  en  allemand,  puis  en  francais.  Laissant  de 
cöte  les  lexiques  de  la  fin,  lesquels  n'oifrent  rien  de  plus  que  les  avantages  . . . 
et  les  inconvenients  inherents  ä  cc  genre  de  vocabulaires,  examinons  de 
plus  pres  les  deux  premieres  parties.  appelees  par  les  auteurs  d'une  fa^on 
un  peu  barbare :  Partie  A  et  Partie  B. 

Partie  A.  La  premiere  comprend,  classes  par  legons  les  exercices 
pratiques.  La  methode  parait  assez  judicieuse,  suffisamment  intuitive  et 
variee.  Ici  cependant  il  y  aurait  deja  des  reserves  ä  faire  en  ce  qui  con- 
cerne  le  choix  des  raorceaux,  souvent  plats  ou  bourres  de  ,,mots  k  apprendre", 
qui  doivent  les  rendre  prodigieusemeiit  ennuyeux.  Les  „enigmes",  en  parti- 
culier, genre  dejä  tres  peu  francais  par  lui-meme,  sont  representees  par  des 
echantillons  d'une  platitude  ou  d'une  faussete  deplorables. 

On  ne  voit  pas  bien,  d'autre  part,  pourquoi  certains  morceaux  empruntes 
ä  des  auteurs  fran(;ais  ont  ete  remanies  et  transformes  sans  pour  cela  que 
la  lecture  en  ait  ete  rendue  plus  facile.  Ainsi  I  p.  110  le  morceau  „Comment 
Buffon  devint  matineux'"  (sie)  apparait  avec  tous  ses  verbes  au  present  de 
l'indicatif,  ce  qui,  Joint  ä  quelques  autres  retouches,  rend  le  sens  k  peu  pres 


198  Jif'ferate  und  Rezensionen.     F.  Dessonlavy. 

insaisissable  et  defigure  bien  inutilement  toute  la  narration.  II  eüt  mieux 
valu  mettre  les  verbes  k  l'infinitif  et  laisser  l'elöve  les  retablir  en  leur  temps 
propre  en  respectant  le  reste  du  texte. 

Encore  ce  morceau  reste-t-il  ä  peu  pres  correct ...  grammaticalement 
parlant.  II  en  est  d'autres  oü  les  auteurs  ont  ete  moins  heureux,  —  sans 
doute  lorsqu'ils  ont  cru  pouvoir  se  fier  ä  leur  propre  plume.  Yoir  171 
la  relation  epistolaire  d'un  „Voyage  ä  Hambourg."  On  y  lit  qu'Hambourg 
est  un  soi  disant  port  franc,  locution  specialement  recommandee  ä  l'attention 
des  eleves  dans  la  „Recapitulation  des  locutions"  p.  17-2,  sous  cette  forme: 
Un  soi-disant  „franc  port,"  ein  sogenannter  „Freihafen."  On  y  voit  encore 
des  phrases  telles  que  celles-ci:  „Le  port  de  Hambourg  se  compose  de  phsi- 
turs  quais..."  On  y  voit  un  quai  d'Amerique,  un  quai  d'Asie,  nn  port  de 
bdtimenU  ä  voiles  etc...  De  vastes  magasins  se  Uvcnt  en  partie  derriere  les 
rails...  Un  nombre  de  grues  ...Uvent  des  halles...  des  ;joWefaix  portent  de 
lourds  f&Tdeaux  sur  leur  dos  ou  les  transportent...  aux  poulies  mou/iees  qui  les 
levent  dans  hs  differents  etages  des  magasins; ...  les  sifßets  des  bateaux  ä  vapeur 
fönt  entendre  des  cris  pergants...  etc  etc  et  cela  est  signe  „H.  Constans." 
Je  crois  que  „Punjer"  serait  plus  exact. 

Des  fautes  pareilles  se  retrouvent  sonvent,  trop  souvent,  toutes  les  fois 
semble-t-il,  que  les  auteurs  ont  voulu  voler  de  leurs  propres  alles  et  cru 
pouvoir  se  permettre  d'ecrire  saas  secours  et  sans  modele  en  fran^ais.   Ainsi : 

I  76  78  102  etc.  II  58  95  etc.  picce  pour  morceau. 

I  79  un  plan  de  vie  II  32  l'ordre  de  retraite  89  fin  de  volume  102 
pensees  ...  de  pedagogie  113  l'air  de  soldat  164  l'administration  d'in- 
struction  etc. 

I  88  qu'il  se  chargca  sur  les  epaules. 

I  118  transformez  le  recit  ...  de  maniöre  que  deux  mouches  ont 
l'aventure.  De  meme  II  61  100.  Au  reste  les  auteurs  ne  semblent  pas 
ferres  sur  l'emploi  du  subjonctif.  Cf.  II  33.  Ecrivez  dix  phrases  oü  il  y  a 
un  adverbe  de  maniere. 

I  145  Prenez  de  vos  sacs  II  38  village  au  departement  79  outre  eile 
98  morte  ä  l'echafaud  101  s'accorde  au  complement  direct  139  capable  ä 
comprendre. 

I  155.    C'est  une  rudesse  que  de  maudire  quelqu'un. 
I  158  son  revenu  accrott. 

I  160  „L'anecdote  ci-dessus  est  ä  repeter  de  maniere  que  d'abord  le 
domeslique  et  puis  le  maitre  raconte  du  diner  dans  la  cour."  Raconter  de 
qqch.  se  retrouve  sans  cesse,  ainsi  II  7  30  35  (racontes-en.  Kaconte  m'en. 
Raconte  m'y  en)  91  etc. 

I  165  nous  vous  subviendrons. 

I  168  cous'/t. 

II  4  Que  de  helles  etoiles  y  a-t-il  au  ciel! 

5  depuis  la  Mediterranee  jusqu'au  golfe  de  Gascogue;   101   depuis 
Lyon  jusqu'ä  Paris 

6  son    Industrie    et   commerce  II  38  de  Lhomond  et  ßurnouf  144 
emaille  de  grec  ou  latin 

13  c'est  l'or  qui  est  plus  precieux  277  c'est  de  la  Caüfornie  que 
vient  beaucoup  d'or. 

13  La  plupart  de  ces  rögles  sont  connues  aux  eleves  depuis  long- 
temps.    Concernant  ces  rcgles  il  nc  s'agit  ici  que  d'une  repetition. 

14  comparaison  de  l'adjectif. 

18  quelques  marchands  .  .  .  debarquaient  ...  a  un  Heu  oü  .  .  . 

21  histoire  riebe  d'evenements 

22  fit  h  Louvre  le  palais   oflTiciel   151   il   est  le  devoir  de  Fenelon 
27  aux  expressions  „du  veau  röti,"   du  porc  röti,  du  boeuf  röti  j'a- 

jouterais  ä  tout  le  moins  „du  röti",  „du  bouilli". 
27  de  jeunes  pommes  de  terre. 


J.  Piinjer  u.    W.  Kahle.     Lehrbuch  d.  französ.  Sprache.  199 

38  quelle  classe  est  „sixiöme"  au  lycee  frangais? 

50  Veducation    des    nioutons    131    häiit    les    orgues    159   la   bataille 

rapprochante   163  instruire  les  SCicnceS. 

69  regrettaient  h  plus  vivement 

73  Vous  n'avez  qu'une  seule.    Par  contre  141  „Moliere  s'en  chargea 

d'un  röle". 
83  je  commence  ä  (au  Heu  de  par)  me  nourrir. 
90  je  voudrais  que  vous  tächassiez  A^aspirer  ä  votre  fille  le  goüt  d'une 

vraie  moderation. 
101  se  mefiant  du  droh  etranger. 
123  II    faut    payer    de    l'argent    (  =  la    douane?)    pour    heaucoup    de 

marchandises. 
151  eleve,    ckacun   qui   reQoit   les    le^ons.     Id.  Voi?a   le    contenu  du 

morceau  ci-dessus. 
On  pourrait  multiplier  les  exemples.  D'autres  fois  les  auteurs  nous 
donnent  des  expressions  qui,  pour  n'etre  pas  precitement  incorrectes,  n'en 
sont  pas  plus  fran^aises.  Ainsi  cet  exemple  d'adjectif  „le  haut  arbre"  et 
ceux  de  pronoms  combines  avec  l'imperatif  "Interesse  t'y  donc"  „racontes- 
y-en"  etc. 

Partie  B.  Nous  aurions  egalement  quelques  reproches  ä  faire  dans  la 
partie  purement  grammaticale.  Nos  griefs  s'appliqueraient  d'ailleurs  ä  la 
plupart  des  grammaires  frangaises  elaborees  par  des  Allemands  et  viseraient 
plutöt  encore,  sans  deute,  ces  „Preufsische  Bestimmungen",  auxquelles  les 
auteurs  du  present  ouvrage  se  targuent  d'etre  restes  si  scrupuleusement 
fideles.  Ce  grief  est  la  complication  certainement  inutile  et  probablement 
nuisible  (ne  serait-ce  que  par  la  perte  de  temps  et  l'eflfort  impose  ä  la 
memoire  Sans  resultat  appreciable)  de  certaines  rögles  de  grammaire.  Notons 
au  hasard:  les  regles  sur  la  place  du  prouom  personnel  (I  183  II  211)  ou 
les  soi-disant  principea  (^a  ce  sont  des  soi-disant  principes)  de  la  place  de 
l'adjectif  (I  179  II  196).  Regle  parfaitement  fausse  et  par  dessus  le  marche 
difiicile  ä  retenir  et  ä  appliquer:  Voir  II  197  un  haut  ebene  16  un  franc 
mot,  une  franche  reponse,  le  Hon  fier,  20  la  precieuse  soie.  II  122  l'auteur 
insiste  trop  sur  pas  un,  qui  ne  s'emploie  guere  en  frangais.  Et  ces  phrases : 
„il  n'y  a  pas  un  homme  qui  soit  sans  defaut"  —  „je  ne  connais  pas  un  homme 
de  cette  compagnie'-,  sonnent  etrangcment  ä  l'oreille  d'un  Fran^ais.  De 
meme  dans  les  exercices  II  53  la  phrase  „pas  un  homme  ne  m'est  connu 
ici"  est  un  germanisme,  inacceptable  en  frangais. 

II  214.  Pourquoi  qui  est-il  accusatif  dans  pour  qui,  genitif  dans  de 
qui,  datif  dans  ä  qui?  avec  cette  remarque  contradictoire:  qui  mit  vorher- 
gehender Präposition  ist  Akkusativ.  Id.  „dans  fou  que  tö  es",  que  n'est 
pas  nominatif. 

221.  II  n'y  a  aucun  exemple  ä  l'appui  du  mot  quiconque,  comme 
on  en  trouve  aux  exercices  (51)  et  reciproquement  la  partie  „exercices" 
manque  d'exemples  se  rapportant  aux  tournures  si  .  .  .  que,  tout  .  .  .  que. 
Du  reste  la  question  si  difficile  des  phrases  concessives  nous  parait  in- 
suffisamment  elucidee  dans  les  deux  parties. 

223.  Une  remarque  sur  l'emploi  tres  limite  de  tel  dans  le  sens  de 
„solcher"  serait  en  place. 

225.  l'auteur  se  tait  sur  la  prononciation  de  la  consonne  finale  dans 
sept  Cents  francs. 

234.  Est-il  vrai  que  le  present  du  subjonctif  soit  forme  de  la  3^6  p. 
du  pl.  de  l'indic.  present  en  changeant  ent  en  e,  es,  etc.? 

233.  La  terminologie  de  parfait  defini,  indetini  etc.  n'est  plus  re^ue 
aujourd'hui,  de  meme  241  verbe  pronominal. 

237.  Les  formes  punis-je,  reponds-je,  sont  non  seulement  rares,  mais 
inusitces. 


200  Referate  und  Rezensionen.      W.  KalhfleiscJi. 

2Ö1.  Noiis  voudrions  ici,  comme  dans  les  exercices  (p.  59  ec.  GO)  plus 
de  dctails  sur  Temploi  du  parfait,  qui  tend  de  nos  jours  ä  supplanter 
le  preterit. 

260.  „II  faut  s'etonner  que  le  roi  prit  des  mesures,"  viole  la 
„concordance  des  tomps". 

262.  La  construction  „il  nous  taut  aller"  est  plutöt  rare. 
Nous   ne  citerons  que  pour  memoire  les  maladresses  de   style,   in- 
advertances,  fautes  d'accent,  d'impression  etc.,  qui  fourmillent  dans  les  deux 
volumes.     Aiiisi: 

I  92  un  souital.  104  qu'est  qu'un  affluent?  111  le  cendre.  117  la  notre 
(pour  la  vötre).  133  s'assesoir.  14.5  je  le  (pour  la).  135  täches  (p.  taches). 
165  souffrait-t-il?  II  19  des  tuuiques  bigarre's.  22  la  manufacture  ...  et 
l'observatoire  furent  fondees.  37  quand  je  vivrais  aussi  vieux  que  ...  id.  c'est 
^ce  jour  lä  que  moi  je  fis  mon  entree.  40  la  source  est  un  trou  dans  la  terre. 
48  arrauge  (p.  amenage).  49  que  fönt  ces  ,Proverbe3'*  dans  le  chapitre  des 
pronoms  demonstratifs?  73  l'education  .  .  .  serait  meilleur  89  cette  27  me 
legon  ne  coutient  point  de  verbe  avec  .,de",  comrae  l'annonce  le  titre. 

99.  Ce  morceau  „conclusion  de  la  paix"  serait  mieux  en  place  au 
chapitre  „Condiiionnel"  (p,  03).  121  h  hamecon.  137  derniere  modele, 
162  professioraelle  (nouvelle  orthographe?)  218  ces  sont.  222  il  faut  qua  les 
frere  et  soeur  aiment  l'uu  l'autre.  225  une  mille  =  eine  Meile.  253,  passe 
defini  de  rire  =  rUs,  etc.  etc. 

Rendons  justice  aux  auteurs  qui  se  sont  efforces,  dans  le  second 
volume  surtout,  d'agrementer  leur  ouvrage  de  synonymes,  d'homouymes,  de 
derives,  de  proverbes  (maximes,  adages,  dictons)  eu  general  fort  bien  venus. 
La  partie  litteraire  n'est  pas  negligee  nou  plus,  quoique,  ä  notre  avis,  les 
biographies  de  Voltaire  et  de  Rousseau  eussent  merite  plus  qu'une  simple 
mention  en  note.  Disons  entin  ä  la  louange  des  auteurs  quo,  si  les  passages 
bibliques  semblent  un  peu  nombreux,  leur  ouvrage  est  entierement  exempt 
de  chauvinisme,  ä  en  juger  d'apres  les  chants  patriotiques  fran^ais  qu'on 
rencontre  qh  et  lä  (I  113  122  123  161),  signes  meme  du  nom  de  Deroulede. 
Conclusion.  Toutns  les  observations  que  nous  avons  faites  sur  ces  deux 
volumes,  et  dont  nous  n'avons  donne  que  les  plus  caracteristiques,  nous 
amenent  ä  cette  conclusion  que  l'ouvrage  de  Punjer  et  Kahle  est  bien  ordonne, 
judicieusement  divise  et  tres  propre  dans  son  ensemble  ä  conduire  ä  une 
connaissance  methodiquement  approfondie  de  la  langue  fran^aise.  Mais  (et 
c'est  un  gros  mais),  pour  pouvoir  etre  reellement  recommande  comme  un 
guide  sur,  il  serait  absolument  uecessaire  que  les  deux  volumes  fussent  relus, 
revus  et  corriges  page  apres  page  par  unFrangais,  qui  en  elaguerait  les 
fautes  de  grammaire  d'abord,  les  fautes  de  style  ensuite  et  pour  tinir  les 
fautes  de  goiit. 

Neochatel  P.  Dessoülavt, 


Schulausgaben. 

Rousseau,  Jeau-Jaque.«.    Morceaux  choisis.    Herausgeg.  von  K.  Rudolph. 
Mit  einem  Porträt.    XIV  u.   128  S.;    31  S.  Anhang  und  Wörter- 
buch.   Bielefeld  und  Leipzig,  Velhagen  und  Klasing.    Preis  1.20. 
[Pros.  Iran?.  159  B]. 
Seit  einiger  Zeit  macht  sich  das  Bestreben  geltend,  im  neusprachlichen 
Unterricht   neben   geschichtlichen    und   literarischen    Werken   auch    solche 
philosophischen  Charakters  zu  behandeln.     Nachdem  nunmehr  fast  in  ganz 
Deutschland  die  Realanstalten  als  Vorbereitungsstätten  für  die  Universitäten 
anerkannt  worden  sind,  kann  es  in  der  Tat  keinem  Zweifel  unterliegen,  dafs 
der  neusprachliche  Unterricht  an  diesen  Anstalten  mehr,  als  es  bis  jetzt 


Schulausgaben.  201 

geschehen  ist,  dazu  beitragen  mufs,  unsere  Schüler  an  philosophisches  Denken 
zu  gewöhnen.  Endgültig  kann  diese  Frage  u.  E.  jedoch  erst  dann  gelöst 
werden,  wenn  die  andere  entschieden  ist:  inwieweit  kann  an  unseren  höheren 
Schulen  philosophische  Propädeutik  gelehrt  werden  Besonders  Ruska  (s. 
Ztschrift  für  frz.  u.  emjl.  Uiilerr.  IV  S.  97/3  V.  S.  19)  hat  in  letzter  Zeit  die 
Lektüre  französischer  und  englischer  grofser  Denker  verlangt.  Er  hat  auch 
im  Verein  mit  anderen  eine  Anzahl  davon  für  die  Schule  bearbeitet  (Verlag 
V.  C.  Winter,  Heidelberg).  Auch  der  Verlag  von  Velhagen  und  Klasing  ist 
bereits  in  dieser  Richtung  vorgegangen.  Den  von  ihm  herausgegebenen 
Bändchen  reiht  sich  das  vorliegende  an.  Sein  Bearbeiter  gibt  uns  eine  Auswahl 
aus  den  Werken  Rousseau's,  die  vorzüglich  geeignet  erscheint,  dem  Schüler 
einen  Einblick  in  die  Bedeutung  dieses  Philosophen  für  die  verschiedensten 
Gebiete  des  geistigen  Lebens  zu  geben.  Die  gewählten  Abschnitte  (Sa  vie, 
la  nature,  la  socicd,  l'Etat,  les  sciences,  V educatlon,  la  morale,  la  reHijion)  können 
auch  heute  noch  bei  unserer  Jugend  auf  Teilnahme  rechnen.  Die  Lektüre 
dieses  sehr  geschickt  zusammengestellten  Bändchons  kann  warm  empfohlen 
werden.  Das  Bändchen  ist  geschmückt  mit  einem  Porträt  Rousseau's  und 
gibt  als  Anhang  einen  Auszug  aus  Chuquet:  Uinfluence  de  Jean- Jacques 
Rousseau,  der  die  Bedeutung  Rousseau's  für  seine  Zeit  und  die  folgenden 
Geschlechter  klarlegt. 

Mit  den  Anmerkungen  wird  man  sich  überall  einverstanden  erklären 
können;  nur  vermifst  Rez.  zu  S.  105/106  einen  kurzen  Hinweii's  auf 
den  Determinismus  und  den  Indeterminismus. 

Dem  Geiste  nach  ist  mit  diesem  Bändcheu  verwandt: 

Fuchs.  M.  Anthologie  des  prosateurs  fraiirais.  Handbuch  der  franz.  Prosa  vom 
17.  Jahrh.  bis  auf  die  Gegenwart.  Mit  12  Porträts.  1905.  384 
Seiten  8".  Dazu  Ergänzungsband  mit  Erläuterungen.  Bielefeld 
und  Leipzig,  Velhagen  und  Klasing.     [Pros.  Iran?.  158  B.]. 

Der  Herausgeber  will  ebenfalls  zeigen,  dafs  die  Beschäftigung  mit 
dem  Französischen  durchaus  geeignet  ist,  jene  höhere  Geistesbildung  und 
jene  humanistische  Lebensauffassung  zu  übermitteln,  die  nach  einer  ver- 
breiteten Auifassung  nur  die  alten  Sprachen  und  allenfalls  die  Muttersprache 
zu  vermitteln  vermögen.  Das  Buch  wird  sieber  seinen  Zweck  erfüllen.  Es 
gibt  uns  eine  Auswahl  aus  den  hervorragendsten  Schriftstellern  der  letzten 
drei  Jahrhunderte.  Die  Gesichtspunkte,  von  denen  der  Herausgeber  sich 
hat  leiten  lassen,  sind  durchaus  zu  billigen.  Er  hat  Stücke  herangezogen, 
die  wichtig  sind  als  Selbstzeugnisse  der  Autoren  über  ihre  Entwicklung,  die 
literarische  Manifeste  oder  pogrammartige  Auslassungen  enthalten.  Ferner 
sind  solche  Stücke  gewählt,  die  französische  oder  deutsche  Kultur- 
verhältnisse beleuchten  oder  die  mit  anderen  Unterrichtsfächern  in 
Beziehung  stehen.  Die  dramatische  Produktion  ist  ausgeschieden,  sie 
wird  ja  an  unseren  höheren  Schulen  meist  ausreichend  gepflegt;  ebenso 
ist  die  poetische  Literatur,  für  die  schon  ausgezeichnete  Sammlungen 
vorliegen  (in  der  Velhagen'schen  Sammlung:  Engwer,  Antholoi/ie  des 
poetes  f'ranqais),  ausgeschieden. 

Das  Buch  entspricht  allen  Anforderungen,  die  man  an  eine  Chrestomathie 
für  Oberklassen  stellen  mufs  (cf.  Sturmfels:  Lehrproben  u.  Lehrgämje  H.  65 
S  79).  Es  dürfte  daher  allen  Neusprachlern  willkommen  sein.  Diejenigen, 
die  seither  trotz  aller  Forderungen  der  Reform  am  Lesebuch  festgehalten 
haben,  werden  ihm  den  Vorzug  geben,  da  es  nicht  so  umfangreich  und 
infolge  dessen  billiger  ist,  als  die  älteren  Bücher  dieser  Art  (Ploetz'  Manuel 
u.  Ilerrig-Burguy).  Auch  diejenigen,  welche  nur  bestimmte  Schriftsteller 
lesen,  aber  den  Blick  des  Schülers  auf  gleichzeitige  und  verwandte  Er- 
scheinungen lenken  wollen,  werden  die  Anthologie  von  Fuchs  benutzen 
können,  da  sie  gröfsere  Proben  aus  Werken  enthält,  die  sonst  kaum  im 
Unterricht  zur  Geltung  kommen  (Bossuet,  M^e   do  Sevignö,  La  Bruyöre, 


202  Referate  zmd  Rezensionen.      W.   Kalbßeisch. 

Montesquieu,  Voltaire,  Buifon,  Diderot,  Rousseau,  Chateaubriand,  G.  Sand, 
Michelet,  Sainte-Beuve,  Renan,  Taine).  Für  Anstalten  endlich,  die,  wie  z.  B. 
die  Lehrerinnenseminarien,  die  französische  Literatur  eingehender  behandeln 
und  nicht  blofs  Namen,  Titel,  Urteile  und  Jahreszahlen  vorführen  wollen, 
wird  die  Fuchs'sche  Anthologie  treffliche  Dienste  als  Beispielsammlung  zur 
Geschichte  der  franzüs.  Prosaliteratur  leisten. 

In  einem  Anhang  werden  in  fninzösischer  Sprache  die  notwendigsten 
literarhistorischen  Notizen  gegeben.  Ein  Ergänzungsband  enthält  die 
sachlichen  nnd  sprachlichen  Anmerkungen;  hier  finden  wir  auch,  da  wo  es 
notwendig  ist,  eine  knappe,  aber  klare  Einleitung,  die  auch  den  grofsen 
Zusammenhang  darlegt,  in  den  das  betr.  Stück  gehört. 

Der  Verlag  hat  das  Buch  mit  Porträts  von  zwölf  der  im  Buch 
genannten  Autoren  geschmückt. 

Monod,  A.  His/oire  de  France  IV  4"  224  S.  Bielefeld  und  Leipzig,  Velhagen 
u.  Klasing.     [Pros,  frang.  160  B  ]. 

Auf  Grund  guter  Quellen  wie  Driault-Monod,  Lavisse,  Seignobos  hat 
A.  Monod,  der  Bruder  des  bekannten  Historikers  G.  Monod,  dieses  Bändchen 
für  junge  Deutsche  zusammengestellt.  Die  Kriegsgeschichte  ist  sehr  kurz 
behandelt.,  das  Hauptgewicht  ist  auf  die  Kulturgeschichte  gelegt,  die  mit 
der  politischen  Geschichte  verbunden  ist.  Am  Schlufs  eines  jeden  Kapitels 
findet  der  Leser  die  Hauptquellen,  die  für  ein  genaueres  Studium  des  betr. 
Zeitabschnitts  in  Betracht  kommen.  Um  einzelne  Epochen  zu  veranschaulichen, 
sind  in  einem  zweiten  Teil  eiue  Reihe  von  kurzen  Lesestücken  aus 
klassischen  Werken  zusammengestellt;  so  das  bekannte  Tabkau  de  la  France 
von  Michelet,  Mort  de  Jeanne  IfArc  von  demselben,  Lever  du  roi  nach  St. 
Simon  U.  Taine,  la  Vie  mondaine  söus  Luis  XV  nach  Taine,  le  Serment  du  Jeu 
de  paume  nach  Quinct,  Exicution  des  Girondins  nach  Lamartine  usw. 

Ein  Anhang  mit  sprachlichen  und  sachlichen  Anmerkungen  ist  zu 
diesem  Bändchen  nicht  erschienen;  beigegeben  ist  eine  Karte  des  heutigen 
Frankreichs,  sowie  eine  von  Gallien  zu  Cäsar's  Zeiten. 

Rostaud,  Edmond.     La  Samaritaine.    Herausgeg.  von  Therese  Kempf. 

XXVI    -f   83;    23  S.  Anhang.    Bielefeld   und  Leipzig,  Velhagen 

und  Klasing.  [Theätre  frangais  71  B.]. 
Dieses  Rostand'sche  Stück  beruht  auf  dem  im  neuen  Testament  (Job.  4) 
überlieferten  Gespräch  zwischen  Jesus  und  der  Samariterin.  Obwohl  dieses 
eigenartige  Schauspiel  in  einzelnen  Teilen  grofse  Schönheiten  aufweist  (s. 
0.  Mügge:  Edm.  Rostand  als  Dramatiker.  Progr.  Friedeberg  i.  Nm.  1903), 
scheint  es  als  Klassenlektüre  nicht  geeignet.  Es  führt  den  Schüler  in  eine 
ihm  ganz  fern  liegende  Kulturwelt  ein,  in  die  er  sich  erst  einarbeiten  mufs, 
denn  das  Stück  setzt  eine  viel  genauere  Kenntnis  der  altjüdischen  Kultur- 
verhältnisse voraus,  als  sie  ihm,  allenfalls  in  der  Religionsstunde,  über- 
mittelt worden  ist.  Bei  den  vielen  Anforderungen  aber,  die  an  den 
französischen  Unterricht  gestellt  werden,  ist  unbedingt  Konzentration  auf 
die  französische  Kultur  geboten.  Wer  daher  seine  Schüler  mit  Rostand'scher 
Poesie  bekannt  machen  will,  wird  zu  Cyrano  de  Beryerac  oder  der  Princesse 
lointaine  (s.  Neuere  Sprachen  Xlllg  u.  XIV4)  greifen.  In  diesen  Werken  zeigt 
sich  die  Kunst  des  Dichters  auf  dem  Höhepunkt,  dem  Schüler  werden  aber 
auch  durch  ihre  Lektüre  zwei  grofse,  wichtige  Epochen  der  französischen 
Kulturgeschichte  nahegebracht;  sie  zeigen  ihm  die  Ideen  u.  Gedanken,  von 
denen  diese  Zeiten  belebt  sind,  anschaulicher,  fafsbarer  als  es  eine  Kultur- 
geschichte tun  könnte. 

Masset,  Alfred  de.      Pages   choisics.      Herausgeg.   von  E.    B.   Rüssel.    VI    4- 

105    S. ;    29  S.   Anhang.     Velhagen   und   Klasing,    Bielefeld   und 

Leipzig.     [Pros.  Frang.  157.]. 

Wir  erhalten  hier  eine  Auswahl  aus  den  Werken  Musset's,  die  sehr  gut 

geeignet  ist,  dem  Schüler  die  Eigenart  dieses  Dichters  zu  zeigen,  der  „nur 


Schulausgaben.  203 

sich  gekannt,  nur  seine  Geschichte  erzählt  hat."  Dafs  Fantasio  aufgenommen 
ist,  gereicht  der  Sammlung  gewifs  nicht  zum  Schaden,  ist  doch  die  Unter- 
haltung des  Helden  des  Stückes  mit  Spark  im  I.  Akt  eine  Perle  der 
Literatur.  Wo  sonst  ist  das  Wesen  der  Fantasie  in  der  Poesie  schöner 
dargestellt  worden,  als  es  Musset  hier  tut.  Immerhin  dürften  nur  gereiftere 
Schüler  diese  Schönheit  völlig  geniefsen. 

Unter  den  Gedichten  sollte  nicht:  le  Rkin  alkmand  (Nous  Vavons  eu 
Volre  Rkin  allemand,  11  la  tenu  dans  notre  verre  USW.)  fehlen.  Obwohl  es  stark 
chauvinistisch  ist,  nimmt  es  doch  in  der  Geschichte  des  Einflusses  der 
deutschen  Literatur  auf  die  französische  im  19.  Jahrh.  eine  besondere 
Stellung  ein.  Die  geistigen  Beziehungen  zwischen  Deutschland  und  Frank- 
reich waren  trotz  der  Feindschaft  Napoleons  L  gegen  deutsche  literarische 
Erzeugnisse  im  ersten  Drittel  des  19.  Jahrh.  sehr  lebhaft.  Die  Primaner 
kennen  doch  Madame  de  Stael's  Buch  über  Deutschland  und  haben  erfahren, 
wie  eifrig  damals  die  Werke  unserer  grofsen  Denker  von  unseren  westlichen 
Nachbarn  studiert  wurden.  Die  Lektüre  Mussets  bietet  nun  die  beste 
Gelegenheit,  darauf  hinzuweisen,  dafs  etwa  mit  dem  Jahr  1840  sich  ein 
Umschwung  vollzieht.  Der  offene  Bruch  wird  durch  Mussets  Antwort  aut 
Beckers  Lied  gekennzeichnet  und  daher  sollte  es  in  der  vorliegenden 
Sammlung  nicht  fehlen. 

Wychram,  J.  Ckoix  de  nouvelles  modernes.  Ed.  k  l'usage  des  ecoles.  fid. 
fran?aise  par  Rene  Riegel,  licencie  hs  lettres  VI  +  13  S.,  26 
S.  Anhang.  Bielefeld  und  Leipzig,  Velhagen  und  Klasing. 
[Reform- Ausg.  No.  11.]. 

Daudet,  A.  Omes  recits  tires  des  Lettres  de  mon  moulin  et  des  contes  du  lundi 
par  J.  Wychgräm.  Traduetion  et  revision  par  G.  Dansac, 
licencie  es  lettres.  VlI  -\-  77  S.,  59  S.  Anhang,  ib.  [Reform-Ausg. 
No.  13]. 

Moliere:  VAvare,  fid  ä  l'usage  des  ecoles  par  W.  Scheffler  et  J.  Combes. 
Biographie  et  notice  par  M.  Rene  Riegel,  licencie  es  lettres. 
Avec  3  illustrations.  XYIII  -f  99;  41  S.  Anhang,  ib.  [Reform- 
Ausg.  No.  14]. 

Wie  bei  den  von  Dörr,  Juuker  und  Walter  besorgten  Reformausgaben 
ist  ein  Franzose  bei  der  Bearbeitung  zugezogen.  Dieses  Verfahren  hat 
zweifellos  den  Vorteil,  dafs  einerseits  die  Bedürfnisse  unserer  Schüler  in 
jeder  Weise  berücksichtigt  werden,  andererseits  wird  die  Sprachrichtigkeit 
gewährleistet.  Wer  also  grundsätzlich  auf  dem  Standpunkt  der  Reform- 
ausgaben steht,  wird  gerne  nach  diesen  gediegen  ausgestatteten  Bändchen 
greifen.  Unter  den  Anmerkungen  lassen  sich  Erklärungen  finden,  bei  denen 
es  fraglich  ist,  ob  sie  im  Bewufstsein  des  Schülers  die  entsprechenden 
Begriffe  hervorrufen  werden;  bei  anderen  sind  Worte  gebraucht,  die  selbst 
einem  Primaner  kaum  bekannt  sein  dürften,  also  ihrerseits  zunächst  erklärt 
werden  müssen  und  so  die  Arbeit  von  Lehrer  und  Schüler  vermehren.  Im 
grofsen  und  ganzen  aber  zeichnen  sich  die  Anmerkungen  durch  ihre 
geschickte  Fassung  aus;  auch  geben  sie  dem  Schüler  mancherlei  Anregungen 
und  werden  sicher  zur  Belebung  des  Unterrichts  viel  beitragen.  Besonders 
hervorgehoben  sei  No.  ,13.  Die  Bändchen  können  daher  selbst  dem 
empfohlen  werden,  der  sich  nicht  gerade  zu  den  Reformern  zählt,  aber  doch 
darnach  strebt,  die  fremde  Sprache  möglichst  als  Unterrichtssprache  zu» 
gebrauchen. 

Die  Avare-Ausgabe  ist  mit  drei  Illustrationen  geschmückt:  mit  einem 
Bildnis  des  Dichters,  mit  einer  Innenansicht  des  Theaters  Molieres  (Längs- 
schnitt, —  Rekonstrudtion  v.  W.  Scheffler)  und  mit  dem  Bilde  eines  Gigerls 
aus  dem  17.  Jahrh. 

Der  reinen  Erzählungsliteratur  gehören  die  beiden  folgenden 
Bändchen  an. 


20t  Referate  und  Rezensionen.      Walther  Küchler. 

Sand,  G.  La  petiu  Fadette.  Herausgeg.  von  Max  Kosenthai,  (XI  -j- 
118  S.;  37  S.  Anhang.  Bielefeld  und  Leipzig,  Velhageu  und 
Klasing. 

Der  bekannte  Roman  der  G.  Sand  ist  hier  für  unsere  Jugend  bearbeitet 
worden.  Wenn  auch  die  Bearbeitung  an  und  für  sich  sehr  geschickt  gemacht 
ist,  so  können  wir  sie  doch  nicht  als  Klassenlektüre  empfehlen.  Die  Sprache 
des  Romans  ist  reich  an  Ausdrücken,  die  entweder  nur  sehr  selten  vor- 
kommen, oder  der  vulgären  Sprache  oder  dem  Patois  von  Berry  angehören. 
Dadurch  erhcält  der  Roman  für  den  Franzosen  einen  eigenartigen  Reiz,  für 
die  Lektüre  junger  Leute,  die  doch  erst  in  die  französische  bprache  ein- 
geführt werden  sollen,  ist  er  nicht  geeignet. 

In  der  Anmerkung  zu  33^  mufs  es  rouije  sombre  (statt  sombre  ronge)  heifsen. 

Cliatelain,  A.  Cunies  du  Soir.  Herausgeg.  von  K.  Sach?.  IV -|- 116  S., 
16  S.  Anhaug.  Bielefeld  und  Leipzig,  Velhageu  und  Klasing. 
[Pros.  Frang.  164  Bd.]. 

Der  Verfasser,  der  in  diesem  Bändchen  wiedergegebenen  Erzählungen, 
gehört  der  Schweiz  an.  Er  offenbart  sich  uns  als  feinsinniger  Erzähler, 
dessen  goldiger  Humor  und  grofse  Innigkeit  sicher  auch  von  der  Jugend 
verstanden  und  gewürdigt  werden  wird. 

Ein  etwas  störender  Druckfehler  sei  angeführt.  S.  l^  mufs  es  heifsen 
les  belies  annees  (statt  des  .  .  .).  S.  25j9  dürfte  nach  vieiUe  ein  Komma 
fehlen.  S.  61i,  hätte  der  für  Franzosen  anstöfsige  Pleonasmus  ericore  toujours 
beseitigt  werden  sollen. 

Darm  STADT.  W.  Kalbfleisch. 


Gautier,    Theophile.      Voyarje    en   Italic.     Extrait  ä   l'usage   des   classes 
superieurej.    Mit  Einleitung  und  Commentar  herausgegebeu   von 
Prof.    Dr.    Richard   Ackermann.     Nürnberg    1907.    C.   Kochs 
Verlagsbuchhandlung.     VI  -\-  74  S.  Anmerkungen  32  S. 
Die  Ausgabe   ist  als  Ergänzung  gedacht  zu  der  auch  in  dieser  Zeit- 
schrift  besprochenen   Auswahl   aus  (jautiers  „/to/w",    die   der  Amerikaner 
V.  Payen-Payue  getroffen  hat.     Payen-Payne  beschränkte  sich  auf  Venedig, 
die   Auswahl  Ackermanns   berücksichtigt    neben  Venedig   auch    diejenigen 
Teile  des  Buches,  die  sich  auf  den  Genfer  See,  Mailand,   Verona,  Padua, 
Ferrara,  Bologna  und  Florenz  beziehen. 

Es  mag  hier  nochmals  betont  werden,  wie  geeignet  der  aufserordentlich 
lebendige  und  pittoreske  Stil  Gautiers  auch  für  den  Lernenden  ist,  wie  er 
gleichzeitig  das  Sprachgefühl  verfeinern  und  das  Anschauungsvermögen 
anregen  kann,  wie  bildend  er  auf  das  künstlerische  Empflnden  einwirkt 
und  die  Phantasie  in  Tätigkeit  setzt.  Schon  aus  diesem  Gruude  kann  die 
fieifsige  Benutzung  der  dargebotenen  Ausgabe  eindringlich  empfohlen 
werden. 

Von  den  Anmerkungen  hätte  sich  wohl  die  Hälfte  entbehren  lassen. 
Es  kann  nicht  oft  genug  betont  werden:  Eher  zu  wenig  als  zu  viel!  Gautier 
schreibt  „  Veroiie,  dont  ön  ne  peut  prononcer  le  nom  scms  penser  a  Romeo  et  Julittte, 
dont    le   yenie    de  Shakspeare   a  fall  deitx  elres  rieh  que  Phistoire  voudrait  accepter" 

«etp.  Der  Herausgeber  gibt  zu  dieser  Stelle  folgende  Anmerkung:  „Romeo 
und  Julia,  das  berühmte  Liebespaar  aus  den  Familien  der  Montecchi  und 
Cappuletti  in  Verona,  bekanntlich  die  Ilauptgestalten  der  gleichnamigen 
Tragödie  Shakespeares."  Welchen  Zweck  hat  diese  Mitteilung?  Sie 
wiederholt  die  Aussage  Gautiers.  Sie  fügt  noch  die  Familiennamen  hinzu, 
die  der  Lehrer,  wenn  er  es  für  nötig  hält,  selbst  den  Schülern  mitteilen 
kann.  Aul'serdem  erklärt  der  Herausgeber,  dal's  Romeo  und  Julia  „bekanntlich" 
die  Hauptgestalten  der  gleichnamigen  Tragödie  Shakespeares  seien,  also  war 


F.  L.  Bourgeois.     Postes,   TSUgraphes,   TeUphones.         205 

es  doppelt  und  dreifach  unnötig,  diese  bekannte  Tatsache  nochmals  ab- 
zudrucken. Ebenso  gibt  er  zu  Seite  23  an,  dafs  „bekanntlich"  der  Campanile 
vor  einigen  Jahren  eingestürzt  sei  und  nun  wieder  von  Grund  aus  aufgebaut 
werde.  Gleich  überflüssig  ist  zu  Seite  2,  zu  den  Worten  Gautiers  „Le  mont 
SaUve"'  die  Anmerkung  „le  mont  Saleve,  1304  m.,  prächtiger  Aussichtspunkt 
südöstl.  von  Genf,  zu  dem  jetzt  eine  elektrische  Bergbahn  führt." 

Anmerkungen  wie  „basilique  f.  Basilika,  gröfsere  Kirche"  sollten 
vermieden  werden.  Eine  ganze  Anzahl  von  Wörtern  und  Wendungen, 
deren  Übersetzungen  gegeben  sind,  müssen  den  Schülern  der  oberen  Klassen, 
an  die  sich  doch  diese  Ausgabe  ausdrücklich  wendet,  geläufig  sein,  so  z.  B. 
passage  (Übergang),  pelerin  (Pilger),  demeure  (Wohnung),  ruc  (Blick,  Aussicht), 
donner  sur  (hinausgehen  auf), Jambe  (Beiu)_und  viele  andere  mehr. 

Die  allzuvielen  Anmerkungen  und  Übersetzungen  erschweren  übrigens 
dem  Schüler  die  Arbeit  ganz  beträchtlich,  sie  erleichtern  sie  keineswegs. 
Will  er  sich  nämlich  gewissenhaft  vorbereiten,  so  wird  er,  Avenn  er  den 
reichen  Schatz  der  Anmerkungen  vorhanden  weifs,  auch  in  solchen  Fällen 
diese  Anmerkungen  zu  Rate  ziehen,  in  denen  er  seinen  Text  auch  ohne  sie 
versteht,  in  der  Absicht  ganz  sicher  zu  gehen.  Natürlich  findet  er  die 
Anmerkung  aus  der  Masse  nicht  immer  gleich  heraus,  manchmal  sucht  er 
vergebens;  denn  es  ist  überhaupt  keine  da,  in  vielen  Phallen  sieht  er,  dafs 
er  Recht  hatte  mit  seiner  Übersetzung  und  dann  ärgert  er  sich  mit  Grund 
darüber,  dafs  er  so  lange  gesucht  hatte,  was  er  längst  wufste.  Diese 
Bemerkungen  über  die  Zahl  und  den  Wert  der  Anmerkungen  sind  hervor- 
gegangen aus  dem  skeptischen  Standpunkte,  den  ich  den  Anmerkungen 
gegenüber  grundsätzlich  einnehme.  Die  Brauchbarkeit  des  vorliegenden 
Textes  wird  durch  diese  Ausführungen  durchaus  nicht  berührt  Im  Gegen- 
teil, ich  halte  diese  Ausgabe  für  einen  sehr  glücklichen  Grifi"  und  die 
getroffene  Auswahl  für  sehr  zweckentsprechend.  Nur  glaube  ich  allerdings 
betonen  zu  sollen,  dafs  die  Schüler  der  oberen  Klassen  fähig  sein  müssen 
ohne  die  beigegebenen  Anmerkungen,  die  teilweise  doch  nur  ein  Spezial- 
wörterbuch  darstellen,  auszukommen. 

Gjessen.  Waltiier  Küchler. 


F.      Le     Bourgeois.       Pos/es,      Telegraphes,      Telephoncs.       Freiburg     (Baden), 

J.  Bielefelds  Verlag.     1907,  XV  +  280  SS.  Preis  3,50  M.  geb. 

Diese  Veröffentlichung  des  um  die  praktische  Erlernung  der  fremden 
Sprachen  verdienten  Verlags  wendet  sich  besonders  an  die  Beamten  der 
Postverwaltung.  Sie  will  ihnen  das  Studium  der  technischen  Sprache  ihres 
Gebietes  erleichtern  und  ihnen  so  ein  wertvolles  Hilfsmittel  für  die 
Beherrschung  des  so  vielseitigen,  internationalen  Verkehrs  geben.  Aber 
auch  für  das  allgemeine  Publikum,  besonders  den  Kaufmannsstand  ist  das 
Büchlein  geeignet,  da  es  über  die  Organisation  einer  Einrichtung  orientiert, 
die  fast  ein  jeder  täglich  zu  allen  möglichen  Zwecken  in  Anspruch  nimmt, 
ohne  sich  vielleicht  aller  Vorteile  und  Bequemlichkeiten,  die  ihm  im 
heimischen  und  internationalen  Verkehr  geboten  werden,  genau  bewufst 
zu  sein. 

Der  Verfasser  behandelt  alle  Zweige  des  postalischen  Betriebs, 
Zusammensetzung  der  Verwaltung,  Bewältigung  der  ihr  gestellten  Aufgaben 
im  Brief-,  Wert-  und  Geldseudungsverkehr,  Paketverkehr-  und  Zeitungswesen. 
Er  führt  in  die  verschiedenen  Möglichkeiten  der  Telegraphie  ein,  macht  uns 
genau  bekannt  mit  dem  Material  und  den  Funktionen  der  einzelnen  Apparate, 
mit  der  Praxis  der  Telegraphie,  den  verschiedenen  Arten  der  Telegramme 
und  den  Gebühren.  Ebenso  erlangen  wir  eingehende  Kenntnis  vom  Telephon 
und  seiner  Anwendung.     In  einem  zweiten  Teile  wird  die  Organisation  des 


206  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küclder. 

Postbetriebes  in  einzelnen  Ländern,  nämlich  in  Frankreich,  Deutschland, 
Belgien  und  der  Schweiz  dargestellt.  Ein  deutsch-französisches  Verzeichnis 
der  technischen  Ausdrücke  beschliefst  das  I5uch,  das  wegen  seiner  aus- 
führlichen und  die  neuesten  Erscheinungen  und  Bestimmungen  im  Postwesen 
berücksichtigenden  Darstellung  sicher  von  gutem  Nutzen  sein  wird  für  den 
Fachmann,  die  Kaufmanns-  und  Handelswelt,  aber  auch  für  den  Studierenden 
der  neueren  Sprachen,  der  sich  auch  für  Sprachgebiete  interessiert,  die 
seinem  engeren  Fachstudium  etwas  ferner  liegen. 

GIESSEN.  W.   Klchler. 


Novitätenverzeichnis. 

(Abgeschlossen  am  1.  Juli  1907.) 


1.  Bibliographie  und  Handschriftenkunde. 

La  Bibliotheque  Nationale  par  Henry  Marcel.,  Henri  Bouchot,  Ernest  Babelon, 
Paul  Marchai  et  Camille  Couderc.  Paris,  H.  Laurent.  7  fr.  [Les  grands 
Institutions  de  France]. 

Catalogtie  des  üvres  et  manuscrits  du  fonds  dauphinois  de  la  bibliotheque 
raunicipale  de  Grenoble,  dresse  et  public  par  Edmond  Maignien,  conser- 
vateur  de  la  bibliotheque,  T.  1er.  Grenoble,  impr.  Allier  freres.  1906. 
In-8  ä  2  col.,  XI-502  p. 


Baldensperger  F.   —   Bibliographie   critique    de   Goethe    en   France.     Lyon. 

Kachelte  et  Cie.    1907.    In-8,  IX-252  p. 
Beaurepaire-Froment  de.  —  Bibliographie  des  chants  populaires  frangais,   Paris, 

edition  de  la  »  Revue  du  traditionnisme  «,  60,  quai  des  Orfevres.    1906. 

In-16,  41  p. 
Bibliographie   der    schweizerischen   Landeskunde.     Herausgegeben   von    der 

Centralkommission  für  schweizerische  Landeskunde.     Fase.    V.  3,  V.  5. 

Bern,  1906.    8".     [Inhalt:  V  3.  Kantons-  und  Ortsgeschichte  (Siedelung- 

kunde).     Von  Jos.  Lp.  Brandstetter.     YIII,  330  pp.     3,50   M.  —  V  5. 

Aberglaube,  geheime  Wissenschaften.  Wundersucht.    (1.  Hälfte.)    Heft  1 

(L  Hälfte)  der  Kulturgeschichte  und  Volkskunde  (Folklore)  der  Schweiz. 

Von  Fr.  Heinemann.     XVI,  240  pp.  2,50  M.] 
Bourdillon,  F.  W.    The  early  editions  of  the  „Roman  de  la  Rose".     Siehe 

unten  p.  223  Rosmroman. 
Catalogue  general  de  la  librairie  frangaise.     Continuation  de  l'ouvrage  d'Otto 

Lorenz  (Periode  de  1840  ä  1885  :  11  volumes).    T.    17  (Table  des  matieres 

des  t.    14  et  15,  1891-1899),  redige  p.ir  D.  Jortlell.     Paris.     Per  Lamm. 

1906.    2  fasciciiles  in-8  ä  3  col.  1er  fascicule  :  I,  Poesies,  p.   1  ä  240: 

2«  fascicule  :  Poesies,  p.  241  ä  514. 
Catalogue  des  incunables  d'origine   neerlandaise  conserves  ä  la  bibliotheque 

communale  de  Lille;   par  Maurice  Gossart.     Lille,   impr.     Danel,     1907. 

In-8,  83  p. 
Catalogue  general  des  Livres  imprimes  de  la  Bibliotheque  nationale.   Auteurs. 

T.    28  :  Chero-Ciceri.    In-8  ä  2  col.,   1224  col.    Paris,  Impr.  nationale. 

1906.     [Ministfere  de  l'instruction  publique  et  des  beaux-arts.] 
Panconcelli-Calzia,  G.    Bibliographia  phonetica.  [In. :  Medizinisch-pädagogische 

Monatsschrift  für  die  gesamte  Sprachheilkunde.    XVI  (1906),  H.  5—12. 

XVII  (1907)  H.  1  ft'.]. 
Table  alphabetique  generale  des  trente  premiers  volumes  des  Bulletins  de  la 

Societe  philomatique   vosgienne  (1875-1905),   redigee  par   Charles  Sadoul. 

Saint- Die,  impr.  Cuny.    1907.    In-8  ä  2  col.,  102  p. 


208  Novitätenverzeichnis. 

Bertoni,  G.     Le   manuscrit   proven^al  D    et   son   histoire.     [In. :  Aunalcs  du 

Midi.     Avril  1P07]. 
Bohin^   n.     Les    dossiera    de   l'abbe    Des    Fontaines    aiix   arcbives    de    la 

Bastille  (1724-1744).     [In.:  Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  France  XIV,  1]. 
Beville,  E.    Les  manuscrits  de  l'ancieune  bibliotheque  de  l'Abbaye  de  Bon- 
port.   [Rev.  des  Bibliotheques.  Sept.  —  dec   190G.  S.  319— 340  (ä  suivre)]. 
L'uchemin,  M.     Trois  nouveaux  fragments  autograpbes  du  manuscrit  original 

des  „Memoires  d'Outre-Tombe".  [In..-  Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  France XIV,  1]. 
Ihrhert,  I.  A.    Two  newlj'-found  portions  of  tbe  Edwardes  Ms.     [In.:  Romauia 

XXXVI,    87—91].      (I.  Histoire    de    Charlemague.     II.  Vis    de    Sainte 

Catbarine). 
Langfors^  A.     ün    nouveau  manuscrit    fran^ais  dn    Traclatus  de  planchtv  beatae 

ji/ai-iae   virginis.      [In.:    Neupbilologische    Mitteilungen    1907    No.    3 — 4. 

S.  33  -  36]. 
Schmidt,  L.    Katalog  der  Handscbriften  der  Kgl.  öffentlicben  Bibliothek  zu 

Dresden,     III.  Bd.  (enthaltend   die   Abteilungen  N  — R,  a — d).    Leipzig 

1906.    Teubner.    VII.  538  S.    Gr.  8.    M.  15. 


Cleremlray  F.  —  Origine  de  rimprimerie  ä  Nenfchätel-en-Bray  (Haute-Nor- 
mandie).  Le  Journal  des  mceurs  et  de  la  religion;  la  Feuille  d'afficbes 
et  l'Echo  de  la  Vallee  de  Brav.  Sötte ville-les-Rouen,  impr.  Lecourt. 
1907.    In  8,  31  p. 

2.  Enzyklopädie,  Sammelwerke,  Gelehrtengeschichte. 

Annuaire  de  la  Süciete  liegeoise  de  litterature  wallonne.  Liege  1907.  No.  XX. 
143  S.  120. 

Festschrift  zum  XII.  Allgemeinen  Deutschen  Neuphilologentage  in  München, 
Pfingsten  1906.  Herausgegeben  im  Auftrage  des  Bayerischen  Neuphilo- 
logen-Verbandes von  E.  Siollreither.  Erlangen,  Fr.  Junge  1906.  [Darin 
u.  a.:  H.  Schneegans,  Zur  Sprache  des  Alexauderromans  von  Eustache 
von  Kent.  —  L.  Jordan,  Wortgcschichtlicbes.  —  M.  Huber,  Zur  Georgs- 
legende. —  J.  Pirson,  Mulomedicina  Chironis.  La  syntaxe  du  verbe  — 
M.  J.  Minchwitz.  Dantes  Beatrice  und  Mistrals  Fado  Esterello.  —  E.  Stoll- 
reitlier,  Aus  „Renauts  von  Loueus**  metrischer  Bearbeitung  der  „Consolatio 
philosophiae"*  des  Boethius.  —  31.  Huber,  Ein  Bayer  als  Vermittler 
deutschen  Geistes  in  Frankreich]. 

yeuphilolog Ische  Mitteilungen.  1907  No.  3 — 4  [Inhalt:  Artur  Langfors'.  TJn  nou- 
veau manuscrit  frangais  du  Tractatus  de  planctu  beatae  Mariae  virginis 
33.  —  J.  Poirot:  Sur  la  prononciation  et  le  groupement  des  voyelles  en 
fraugais  37.  —  J.  Poirot:  Über  die  Bedingungen  der  Sprachentwickelung 
44.  —  Besprechungen:  Richard  Schubert,  Probleme  der  historischen 
französischen  Formenlehre,  von  A.  Wallensköld  53. 

Revue  des  Etudes  Rabelaisiennes,  1907,  l^r  fascicule  [Sommaire :  Aux  membres 
de  la  Societe  des  Etudes  rabelaisiennes,  P.  1.  —  L'art  militaire  dans 
Rabelais,  par  Steph.-C.  Gigon.  P.  3.  —  Les  voyages  merveilleux  de  Cyrano 
de  Bergerac  et  de  Swift  et  leurs  rapports  avec  l'ceuvre  de  Rabelais 
Csuite  et  fin),  par  Fietro  Toldo.  P.  24,  —  Melanges:  Les  traditions  popu- 
laires  dans  l'ceuvre  de  Rabelais,  par  Abel  Lefranc.  P.  45.  —  Sur  quelques 
amis  de  Rabelais  par  Abel  Lefranc.  P.  52.  —  Tapographie  rabelaisienne 
(Touraine),  par  Henry  Grimuud.  P.  57.  —  Notes  pour  le  commentaire,  par 
le  Dr.  Paul  Dorveaux.  P.  84.  —  Ballets  tires  de  Rabelais  au  XVIIe 
siecle,  par  H.-E.  Clouzot.  P.  90.  —  «  Avoir  la  pusse  en  l'oreille  «, 
par  J.  ßarat.  P.  98.  —  Deux  vocables  rabelaisiens  avant  Rabelais,  par 
Hugiies  Vaganay.  P.  102.  —  ün  nouvel  exemplaire  du  «  Testament  de 
Cuspidius  >.  P.  104,  —  Les  plus  anciennes  menüons  du  ■<:  Gargantua  » 
et  du  «  Pantagruel  »,  par  A.  L.  P.  105.     Compte-Rendu.  P.  106  :  Henri 


Novitätenverzeichnis.  209 

Eauser.  Les  sources  de  Thistoire  de  France  :  XVIe  siecle.  I  :  Les 
premieres  guerres  d'Italie.  Charles  VIII  et  Louis  XII  (1494-1515).  (H.  C.) 
Chronique.  P.  108-120.  Fac-simile  :  Lucii  Cuspidii  Testamentum  (titre 
ro  et  vo).] 


ChoUet,  J.  A.  La  Theologie  de  M.  Brunetiere;  par  J.  A.  Chollet.  I11-8, 
32  p.  Arras,  Sueur-Charruey.  Paris,  libr.  de  la  meme  maison.  1907. 
Extrait  de  la  «  Revue  des  sciences  ecclesiastiques  et  de  la  Science 
catholique  »,  fevrier  1907. 

3.  Sprachgeschichte,  Grammatik,  Lexikographie. 

Grandgent,  C.  H.  An  introduction  to  Vulgär  Latin.  Boston,  Heath  &  Co. 
XII,  219  S.  80. 


Bruchei,  M.     Notes  sur  l'emploi  du  frangais  dans  les  actes  publics  en  Savoie 
[In:  Revue  savoisienne  1906.   No.  1]. 


La  Grasserie  (R.  de),    Etudes  de  linguistique  et  de  psychologie  linguistique. 

Du  langage  subjectif  biologique   ou  emotionnel  et  sociologique  ou  reve- 

rentiel  oppose  au  langage  psychologique  de  la  pensee.    Paris.    Leroux. 

1907.    6.  fr. 
Poirot,  J.    Über   die   Bedingungen   der   Sprachentwickelung  (Schluss).     [In: 

Neuphil.  Mitteil.  1907.   No.  3-4.   S.  44—53]. 


Gröber,  G.  Zur  provenzalischen  Verslegende  von  der  hl.  Fides  von  Agen. 
[Aus:MelangesChabaneau.  [Romani&chftForschungenXXIII.,S.  597— 620]. 

Meyer,  B.  Die  Sprache  des  Mystere  du  Viel  Testament.  Ein  Beitrag  zur 
historischen  Grammatik  des  Mittelfranzösischen,  nach  Laut-  und  Formen- 
lehre dargestellt.    Heidelberger  Diss.    IV,  118  S.    8». 


Biedermann,  B.  Zur  Morphologie  des  französischen  Verbs,  speziell  der  un- 
regelmässigen Verba.  Berlin,  Weidmannsche  Buchhandlung  1907.  19  S. 
8".  [Wissenschaftliche  Beilage  zum  Jahresbericht  der  Achten  Real- 
schule zu  Berlin,    Ostern  1907]. 

Goiddnich,  /'.  G.  L'origine  e  le  forme  della  dittongazione  romanza.  Halle, 
Max  Niemeyer  1907.  [Beiheft  5  der  Zs.  f.  rom.  Phil.  Abonnements- 
preis M.  5,60;  Einzelpreis  M.  7,—.] 

lioming,  A,  Zur  //-Frage  im  Französischen.  [In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXI, 
200—219]. 

Jud,  J.  Recherches  sur  la  genese  et  la  diffusion  des  accusatifs  en  -ain  et  en 
-on  (Premiere  partie).  Züricher  Dissertation  1907.  114  S.  8°.  (Die 
vollständige  Arbeit  erscheint  im  Verlage  von  M.  Niemeyer  in  Halle  a.  S.). 

Kölbel,  A.  Eigennamen  als  Gattungsnamen.  Lexikographisch- semasiologische 
Studien  zum  französischen  Wortschatz.    Diss.    Leipzig  1907.    141  S.    8°. 

Merlo,  Ol.,  Appendice  all'  articolo  „Dei  continuatori  del  lat.  ille  ecc."  [In: 
Zs.  f.  rom.  Phil.    XXXI.  157—163]. 

Rydberg,  Gnst.  Zur  Geschichte  des  französischen  a.  II.  5.  Monosyllaba  im 
Französischen :  Demonstrative  Komposita,  Relaiiva,  Konjunktionen,  Ad- 
verbien. (S.  755—1099.)  Lex.  8».  Upsala  '07.  (Leipzig,  0.  Harrasso- 
witz).     10,—. 


Breal,  M.  Varietes  Philologiques:  D'' oü  \\ent\e  moi  chante-p teure.  La  Philo- 
logie reelle  ou  realiste.  [In:  Rev.  Bleue.  9.  mars  1907].  (Philologische 
Erörterungen  im  Anschiuss  an  Sainean  Les  noms  romans  du  cJdtn,  in: 
Memoires  de  la  Soc.  de  ling.    XIV,  p.  210). 

Ztscbr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI  a.  14 


2 1 0  Novitätenverzeichnis. 

Fa(je,  R.    De  la  sigaification  du  niot  «  Couppe  »  dans  les  proces-verbaux  de 

Visite  des  portes  de  Tülle  au  XVIIe  ciecle.    TuUe,  impr.  Crauffon.    1907. 

Iq-8,  11  p.  avec  tig. 
JFournier,  P.     Auc.  iraii^.  domel  [In:  Romania  XXXVl,  102  f] 
Frijklund,  D.     Les  changements  de  siguification  des  expressions  de  droüe  et 

de  gauche.    These  poiir  le  doctorat.     Upsal  1907.    Imprimerie  Almquist 

&  Wiksell.     :6:)S.    S». 
Gaidoz,  H.    La  „crapaudiiie"   dans  le  roman  de  Peredur   [In:   Zs.   f.  Celt. 

Phil.  VI,  I.     S.  181—187]. 
Haas^  J.     Die   Stellung   des   Adjektivs    im   Neufranzösischen    [In:    Roman. 

Forschungen  XX,  S.  538-559]. 
Jeanroy,  A.     Etymologies  frangaises:  anc.  fr.  „estraier" ;  franQ.  „poule'^,  terme 

de  jeu;  auc.  fr.  „ialemele,  falemete^'-  [In:  Rev.  de  phil.  frang.  et  de  litter. 

XXI.  37— 43[. 
Langlois,  E.     nasti-e,  nastrete  [In:  Zs.  f.   rom.  Phil.   XXXI,  220 — 225]. 
Meyer,  P.     frg.  pehr  [In:  Romania  XXX^^,  108  ff.]. 
Richter,  E.     frz.  bureau  [In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXI,  232—234]. 
Satnean,  L.      Notes    d'etymologie    romaue.    3e    serie:    1.  franqais:    burgaud,    sot, 

rustre;  chatouille,  lamproie;  cloporte,  nom  d'insecte;  dague,  poignard;  ecrouelles, 

scrofiiles;    esclanc   [eschnc),   gauche;    escoufle,   milan;  f relaut,  frelot,  joyeux 

compagnon;  gai,  joyeux;  galimatias,  uou-  sens;  jaser,  babiller;  morgue,  mine 

fiere;  morpion,  pou  de  pubis;  petaud  (roij;  salmis,  sorte  de  ragoüt;  souhelin, 

exquis;    h-iquenique,    bagatelle.     2.   proven^al:    chlfont,    chenapan ;    escauto. 

pelote    de    fil;     farfadet,    lutin;     gavach,    gavot,     montagnard;     gimb(e)leto, 

pätisserie;  Jana,  cauchemar;    lampian,  personne  ei'flanquee;  morgo,  morve 

[In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXI,  257  ff.]. 
Schuchardt,  IL    Zu  fahippa  [In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXI,  236]. 
Seiliiere,  E.    De  la  signification  du  mot  „imperialisme"  en  philosophic  morale 

[In:  Revue  Bleue  IG  mars  1907]. 
Thomas,  A,    Mots  obscurs  et  rares  de  l'ancionne  langue  frangaise.     Table 

alphabetique  generale  et  notes    complementaires    [In:  Romania  XXXVI, 

252—301]. 

—  Frang.  cormorau  [In:  Romania  XXXVI,  307  f. |. 

—  FrauQ.  seme;  prov.  s(e)pte  [In:  Romania  XXXVl,  9G  f.]. 

—  Frang.  dard,  nom  de  poisson  [In:  Romania  XXXVI,  91 — 9G]. 

—  Frang.  scieur  ie  long  [In:  Romania  XXXVI,  102]. 

—  Anc.  prov. /os  [In:  Romania  XXXVI,  100  fj. 

—  L'article  anouiUante  de  Godefroy  [In:  Romania  XXXVI,  99  f.]. 
Vey,  E.     P'orez.  madinä  [In:  Romania  XXXVI,  103  ff.]. 


Dittmer,  P.  Pronomen,  Artikel  und  Zeitwort  in  dem  1617  erschieneneu 
Gedicht  „La  Magdeleine"  von  F.  Remv  de  Beauvais.  Diss.  Greifswald 
1907.    54  S.    8". 

Strohmeyer,  Fritz:  Der  Artikel  beim  Prädikatsnomen  im  Neufranzösischen. 
Freiburg  i.  B.,  J.  Bielefeld.     1.60, 

Tobler,  A.  Quitte  ä  .  .  .,  sauf  ä  .  .  .  Erlangen,  Fr.  Junge.  5  S.  8".  [Sonder- 
abdruck aus  den  Melanges  Chabaneau.  Romanische  Forschungen.  Band 
XXIII]. 

Yvon,  U.  Sur  l'emploi  du  „indefinit'  en  grammaire  frangaise:  IV  L'article 
indefini  [In:  Rev.  de  phil.  frang.  et  de  litter.  XXI,  21—36]. 

Feiice,  R.  de.  —  Les  noms  de  nos  rivieres.    Leur  origine;  leur  signiticatiou. 

In-8,  167  p.  et  carte.     Paris,  Champion.     1907. 
Loisne,  le  Comte  de,   Table    onomastiquc   du  Cartulaire   de  Saint  Vaast  [In: 

Mem.  de  l'Ac.  des  sc.  lettres  et  arts  d'Arras.     Arras  190i!]. 
Mtunier  J.  M.  —  Histoire  du  nom  de  lieu  Chaulgnes,  canton  de  La  Gharite- 

sur-Loire  (Niövre).    Ia-8,  32  p.  Nevers,  impr.  Valliere.  1907.  1  fr. 


NoviUUenverzeiclinis.  .  211 

Mei/er-Lübke,  W.    Conßuentes  [In:  Melanges  Chabaneau.    S.  591 —  ,'')9G]. 
Ochsenfeld,  A.  d\   Des  noms  C'ernay  et  Sennheim  et  des  surnoms  des  Cerneens 

[In:  Kevue  d'Alsace,  LVII.    Paris  1906     S.  444— 445]. 
Parnt,  A.     Questions  d'etymologie  (La  C6te-de-Chair  ä  8aint-More;  Yillau- 

cerre  ä  Saint-More;  Cora)  [In:  Bulletin   de  la  Soc.  d'etudes   d'Avallon, 

46e  aunee,    i;>05.    Avalion  1906.     168  S.     S».] 
PouUain,  U:    Origine  de  fondation  des  conimunes  du  departement  du  Loiret. 

Espece  de  glossaire  historique  et  etymologique  des  difterentes  appellations 

recueillies  ä  leur  sujet.     Orleans,  impr.   üout  et  Cie.    In-8,  28  p.  avec 

Portrait  et  carte  en  coul. 
Radiere,  R.    Repertoire  des  nonis  de  faniilles  contenus  dans  les  chartos  des 

prieures  de  Beaurain  et  de  Maintenay  [In:  Mem.  de  l'Acad.  des  sc.  lett. 

et  arts  d'Arras.     Arras  1906]. 

Belloc,  E.    Observations  siir  les  nonis  de  lieux  de  la  France  meridionale. 

In-8,    16  p.    Paris.    Impr.    nationale.    1907.    [Extrait    du    «Bulletin    de 

geographie  historique  et  descriptive»,  n"  3.   1906]. 
Govjon,  H.  —  L'Expression  da  rythme  mental  dans  la  melodie  et  dans  la 

parole.    Paris,  Pauliu  et  Cie.  ]907.  ln-8,  319  p.  avec  fig.  5  fr. 
Kruegery  Fei.:  Beziehungen   der    experimentellen    Phonetik  zur  Psychologie. 

[Aus:    , Bericht   üb.    den    II.    Kongr.    f.    experimentelle   Psychologie   in 

Würzbu'rg".]  (65  S.)  gr.  8°.  Leipzig,  J.  A.  Barth  '07. 
Panconcelli-Calzia,   G.     S.  oben  p.  207. 
PanconcelU-Cahia,  G.    Instrumentalphonetik  oder  Exporimentalphonetik.    Eine 

methodologische  Frage  [In:  Neuere  Sprachen  XV,  2]. 
Poiroi,  J.    Sur  la  prouonciation  et  le  groupement  des  voyelles  en  frangais. 

[In:  Neuphil.  Mitteillungen  1907.  No.  3/4.  S.  37— 43] 
La  reforme  de  Vorihographe  et  les  industries  du  livre  [In:  Bibliographie  de  la 

France,  12.  avril  1907:  II.  Chronique.] 


Blaschke,  P.     Medizinisches   Wörterbuch.     Deutsch-Französisch-Englisch   in 

einem  Alphabet.     Berlin    und  Leipzig    1907,  Walther  Rotschild.     [Für 

den  praktischen  Gebrauch]. 
IJuguet,  E.    Petit  glossaire  des  classiqnes  fran<;ais  du  XVIIe  siecle  contenant 

les  mots  et  locutions  qui  ont  vieilli  ou  dont  le  sens  s'est  modifie.   Paris 

Hachette  et  Cie.  5  fr. 

4.  Metrik,  Stilistik,  Poetik    Rhetorik. 

Appel,  C.    Zur  Metrik  der  Sancta  Fides  [Aus:  Melanges  Chabaneau.    Roma- 
nische Forschungen  XXIII]. 
Schmitz,  0.    Der  französische  Prosastil  [In :  Allgemeine  Zeitung.   Beilage  42]. 

5.  Moderne  Dialekte  und  Volkskunde. 

Colinet,  L.    Vocabulaire  du  Caneleü  on  Sculpteur  sur  armes.  7  S.  8°.  [Aus: 

Bull,  de  la  Soc.  lieg,  de  litter.  wall.  XLIX]. 
Constantin,  A.    et  J.  Desormaux.     ^ßtudes  philologiques    savoisiennes.     Essai 

de    grammaire.    Ire    partie:    Du    nom    au    verbo.      Annecy,    imprimerie 

J.  Abry   1907.  35  S.  8".   [Extrait  de   la  Revue  savoisienne,   anuee  1907, 

fascicules  1  et  2.    Tire  a  50  exemplaires  non  mis  en  veute]. 
Defresne,  J.     Vocabulaire  du  regne  vcgetal  ä  Coo  et  aux  environs.     Liege 

1907.  28  S.  8".  [Aus:  Bull,  de  la  Soc    lieg,  de  Littcr.  wallonne  t.  XLIX]. 
Emanuelli,  Fr,    Le  parier  populaire  de  l'ile  auglo-normande  d'Aurigny  ^ Suite) 

[In:  Rev.  de  phil.  frang.  et  de  littcr.  XXI,  44—53]. 
Febvre,  L.    Histoire  et  dialectologie  [In;  Rev.  de  Synthese  historique  1906. 

Juin]. 
Haag,  C.     Ein  Mundartstreifzug    von    der  Isi^re    zum   Po    [In:    Archiv    für 

neuere  Spr.   Bd.  48.  Heft  1—2.    S.  106—123]. 

14* 


212  Nov'itätenverzeich  nis. 

Jacquemofte,   E.  et  J.  Lejeune  Extraits    dii  Vocabulaire  du  Barbier-Coiffeur, 

2  S.  8"  [Aus:  Bull,  de  la  soc.  lieg,  de  litter.  wall.  XLIX]. 
Minders,    G.-A.     Glossaire    de    Bray    et   de   Papignies    (Hainaut);    6  S.    8** 

[Aus:  Bull,  de  la  Soc.  lieg,  de  Litter.  wallonne  XLIX]. 
Fioger^  L.     Lexique  du  patois  gaumet  de  Prouvy-Jamoigne.     7  S.  8'  [Aus: 

Bulletin  de  la  Soc.  lieg,  de  litter.  wallonne  t.  XLIX]. 
Wichet,    A.     Glossaire    des   gones   de  Lyon,    d'apres    M.  Toulmonde   et  les 

meilleurs   auteurs  du  Gourguillon  et  de  la  Grand'Cöte;  In-r2,  XII-359 

p.  Lyon,  Storck  et  C  ;  libr.  Phily.  ,1907. 
Verriei;  A.  J.    et  R.  Onillon  Glossaire  Etymologique  et  Historique  des  Patois 

et  des  Parlers  de  l'Anjou.     Angers,    Librairie  Germain  de  G.  Grassin 

[En  souscription]. 
Viynot)^  L.     Les  patois  de  la  region  lyonnaise:  le  pronom  regime  de  la  3» 

personne,  le  regime  indirect  [In:   Rev.  de  phil.  franc.  et  de  litter.  XXI, 

1—20]. 
Vouga^   P.     Essai    sur   l'origine  des  babitants  du  Val  de  Travers.     These 

presentee   ä  la  Faculte  de  Phil,  de  l'universite  de  Berne.    1906.  86  S.  8* 

und  Karte. 


de  la   Grasserie,  R.    ißtude  scientifique  sur  l'argot  et  le  parier  populaire. 
Paris,  H.  Daragon.  6  fr. 

Ader,   G.  —  J.  Ducamin.    A  propos  d'une  recente  edition  de  G.  Ader  (suite 

et  fin).     [In:  Anuales  du  Midi  XIX,  73—83]. 
Armanac  de  la  Gascougno,  per  1907.  In- 16,  80  p.  avec  musique.    Auch,  impr. 

Cocharaux.    1907.    20  cent. 
Cacho  iio  (lou)  prouven^au,  Armaua  catouli   per  lou  bei  an  de  gräci  1907, 

(26'^   anuado).     Villedieu-Vaison  (Vaucluse),   Grande  impr.    proven^ale; 

les  principaux  libr.  1907.  Grand  in- 16,  79  p.  25  cent. 
Gai-Sabe  (lou).     Antoulougio  prouven^alo  per  l'an  1907.  (3°  annado)  Publi- 

cado    souto   lou   gouver   de   Pau  Roman.     In-8,    143  p.    avec   musique. 

Avignon,  Aiibanel  freres.    1907. 
Grand  Armana  de  Prouvingo  1907.     Tresenco  annado.    Publica  per  li  Felibre 

dins  touti  li  dialeite  de  la  Lengo  d'O.    Grand  in-8,  144  p,  avec  grav.  et 

musique.    Villedieu-Vaison.     1907.     1  fr. 
Grosjean,  A.    La  pir  de  melain,  conte  en   patois  de  Plague  (Jura  bernois) 

[In:  Bull,  du  Gloss.  des  Patois  de  la  Suisse  Romande  V,  4  S.  59  flf.]. 
Menagerie.   L'Testamint  d'eun'  sötte  ä  bietes,  chauson  nouvelle  en  patois  de 

Lille.    In-4  ä  2  col.  1  p.  Lille,  impr.  Dhoosscho. 
Mistrals  „Busspsalm"  (Lou  säume  de   le  penitenci)  übersetzt  von  A.  Beriuck 

[In:  Arcb.  f.  n.  Spr.  Bd.  118.     1—2  Heft.     S.  135—138], 
Parizot,  E.     Saynetes    quercynoises,   Farsos   Carsinolos.     Montauben.  impr. 

Forestie.    1907.    In-16,  277  p.  et  grav. 
Rieu,  Ch.     Provenzalische  Lieder.     Deutsch  von   Bans  Weiske.     Halle  a.  S. 

Max  Niemeyer     Kl.  8«.     96  S  M.  2. 
Rouquet,  J.-B.    Poesie  et  prose  en  patois  du  Quercy,   du  Languedoc  et  en 

fran^ais.    Toulouse,  Privat.    3  fr.  50. 


Astler,  J.  B.  Victor  Gelu  intime,  d'apres  une  partie  de  sa  Correspondance 
et  autres  Documents  iuedits.  [In:  Annales  de  la  Soc.  d'etudes  provengales. 
IV,  3.  S.    137-176]. 

AuTouze,  J.  Histoire  critique  de  la  Renaissance  Meridionale  au  XIX  siecle. 
Avignon,  Fr.  Seguin  1907.  [I.  Les  idees  directrices.  —  Etüde  critique. 
(These  pour  le  Doctorat  es-Lettres.)  7,50  fr.  II.  La  Pedagogie  Regiona- 
liste.  —  Los  parlers  locaux  dans  l'Enseignement.  7,50  fr.  III.  Lou 
Prouven^au  a  l'Escolo.    10  fr.]. 


Novitätenverzeichnis.  213 

CanoUe,  Guy  de.   —    ,,Rousäri  d'Amour".     Estüdi  de    Gvy  de  Canolle.    Paris, 

Luden  Duc  &  Cie.    1906.    8  S.  8.     [Tira  döu  „Felibrige"]. 
—  ^  Le    Felibre     des    Baisers    (Anselnie    Mathieu)     p.    Guy    de    Canolle. 

Bibliothecaire   de  d"Escolo  de  la  Mar.     Imprimerie  Colbert.     Marseille 

1907.    14  S.    S».    [In:  Amours  de  Felibres]. 
Chastanet,  A.  —  Obras  d'Augiiste  Chastanet,  felibre  majoiirau.     Prefaciö  de 

Camille  üiabaneau,  felibre  majourau.    Perigueux,  impr.  Joucla    1906.    In-8, 

XII;290  p. 
Dony,  E  et  J.  Haust.     Le   dernier   menetrier   du   Hainaut.      Georges   Leroy 

(1798—1866).    jExtrait  de  l'Annuaire  de  la  Soc.  liegeoise  de  Litterature 

wallonne,  t.  XX  (1907)]. 
Escolo  Felibrenco  de  La  Mar  .  .  .  Cartabeu  per  19Ö7.     Seti  Souciau  ;  5,  Car- 

riero  deis  Abiho.    Grando  empremarie  prouven^alo.   Vilo-Dieu  —  Veisoun 

1907.    16  S.  8. 
Freirie  Prouvenqnlo.    Coungres  tengu  a  la  Santo-Baumo   e  a  Nans    lou  2  de 

Setembre  1906.  Comte-rendu.  Paris,  empremerie  felibrenco  de  L.  Duc  &  Cie, 

carriero  döu  Cherche-Midi  12.5.    1906.    16  S.  8°. 
Potdle,  E.    L'CEuvre  de  Mistral.    In-8,  32  p.  Tournon  (Ardeche),  impr.  Vieux. 

1907.    1  fr. 


Arne  (V)  gasconne  (Litterature,  Beaux-xA.rts,   Folklore^  Mode),  paraissant  le  15 

de  chaque  mois.     Ire  aunee.    No  1.    15  janvier  1907.    Grand  in-8,  24  p. 

avec   grav.    hors  texte    et   eouverture.     Agen,   Impr.   moderne;    43,  rue 

Voltaire.     Abonnement  annuel  :  6  fr.    Un  nuraero,  50  cent. 
Bandet  P.    —    Superstition   populaire  :  A  propos   de    deux  haches  trouvees 

dans  une  maison  ä  Crecy-sur-Serre  (Aisne).     Le  Mans,  impr.  Monnoyer. 

1907.    In-8,  4  p. 
Bibliographie  der  schweizerischen  Landeskunde.     Hrsg.    V.    der    Centralkonimission 

i.  schweizer.  Landeskunde     8".    Bern,  K.  J.  Wyss.     Fase.  V  5.  IMnernann, 

Frz.:  Aberglaube,  geheime   Wissenschaften,    Wundersucht.     (1.   Hälfte.) 

Heft  I   (1.  Hälfte)  der  Kulturgeschichte  und  Volkskunde  (Folklore)  der 

Schweiz  (XVJ,  240  S.)  '07.    2,50. 
Beaurepaire-Froment.    Bibliographie  des  chants  populaires  frangais  s.  p.  207. 
Dietrich,  L.    Volkskundliche  Zeitschriftenschau  für  1904,  herausgegeben  im 

Auftrage   der   hessischen  Vereinigung   für  Volkskunde.     Leipzig,  B.  G. 

Teubner  1907.    328  S.  8°. 
Gaidoz,  H.  ^  De  Petude    des   traditions   populaires    ou  Folk-Lore  en  France 

et  ä  l'Etrangere.     Bagueres-de-Bigorre  1907.     [Extrait  des  Explorationnes 

Pyraieennes.    Bulletin  trimestriel  de  la  Societe  Ramood  (3e  Serie.    Tome  I. 

Annee  1906]. 
Guillemaut,  L   —  Bresse  louhannaise.    Les  Mois  de  l'anneo.    Usages,  Mceurs, 

Fetes,  Traditions   populaires;   par  Lucien  Guillemaut.     Louhans,    impr. 

Ve  Romand,    1907.    ln-8,  VII-239  p.  avec  grav. 
Heller,  B.     L'epee  Symbole  et  gardienne  de  chastete   fin:  Romania  XXXVI, 

36-49]. 
Hirchy,  W.    La  chanson  de  la  Pernette  dans  la  Suisse  romande.     [In:  Bull. 

du  Gloss.  des  patois  de  la  Suisse  Romande.     V,  4.    S.  50— 58J. 
La  Chesnaye,  J.  de.    Le  Blasen  populaire  de  Vendee.    Formulettes  enfantines. 

Paris,  edition  de  la  «  Revue  du  traditionnisme  »,  60,  qnai  des  Orfevres. 

1907.    In-8,  43  p.    2  fr. 
Riegler,  R.     Das  Tier  im  Spiegel  der  Sprache.     Dresden  und  Leipzig  1907. 

C.  A.  Kochs  Verlagsbuchhandlung  (H.  Ehlers).     XX,  294  S.  8".    M.  7,20. 

[Neusprachl.    Abhandl.    aus    den    Gebieten    der    Phraseologie,    Realien, 

Stilistik  und  Synonymik.     Herausgb.  von  Cl.  Klöpper- Rostock]. 
Roden,  J.     Usages    locaux   du   canton   de  Mortagne  (Orne).     Suivi  du  Code 

rural.    Mortagne,  impr.  Danguy.    1907.    In-S,  175  p. 


214  Novitätenverzeichnis. 

Rom/i',  J.    Traditions   populaiies,   region    de  Loches  (Indre-ct-Loire),  in-12, 

76  pages,  Paris.    PL  Lechevalier.    2  fr. 
Vernarj^  F.    Proverbes  patois,  locntions  patoises  du  Dauphinc.     In- IG,  16  p. 

üreuoble,  Drevct.     60  cent.     [Bibliotheqiie  litteraire  du  Dauphinc  ] 

6.  Literaturgeschichte, 
a)  Ge.samtdarstellansen. 

GoUher,  II'.    Tristan  und  IsoUlo  in  den  Dichtungen  des  Mittelalters  und  der 

neuen  Zeit.    Leipzig,  S.  Hirzel  1907.     46,5  S.  8°. 
Stummfall,  B.    Das  Märchen  von  Amor  und  Psyche  in  seinem  P'ortleben  in 

der    französischen,    italienischen    und    spanischen  Literatur  bis  zum  18. 

Jahrhundert.     Leipzig,  A.  Deichert  Nachfolger  (G.  Böhme)   1907.    XVI, 

20.T  S.   8°,    Preis  5  Mk.    [Müncheuer   Beiträge   zur   roman.    und   engl. 

Phil.    XXXIX  Heft). 
Charles-Brun.  —  Les  Literatures  provinciales .  Avec  une  esquisse  de  geographie 

litteraire  de  la  France;  par  P.  de  Beaurepaire- Froment,   directeur  de  la 

«Revue   du   traditionnisme   fran^ais  et  etranger».     Paris,  Bloud  et  C'e. 

1907.  In- 16,  105  p.  1  fr 

Auhry^  P.  La  musique  et  les  musiciens  d'eglise  en  Normandie  au  XIII e 
siecle,  d'apres  le  Journal  des  Visites  pastorales  „d'Odon  Rigaud."  Paris, 
Champion,  1906.     57  S.  gr.  8«. 

Bedier,  1.  Kecherches  sur  le  cyclo  de  Guillaume  d'Orange  (suitej.  II.  La 
Via  Tolosana  [Zu:  Annales  du  Midi.     Avril   1907]. 

—  La  legende  de  Girard  de  Iloussilion.  II,  Girard  de  Roussillon  et  les 
abbaycs  de  Pothieres  et  de  Vezelay  [In:  Rev.  d.  deux  mondes  1er  avril 
1907J. 

—  Les  Chansons  de  geste  et  les  routes  d'Italie  (1er  article)  [In:  Romania 
XXXVI,  161  —  183]. 

Blöte,  I.  F.  D.  Die  Arkelsche  Schwanrittersage.  [Zu:  Zs.  f.  deutsches  Altertum 
XLVIII,  3/^.    s.  371—399]. 

Brocksiedt^  Gust. :  Floovent  -  Studien.  Untersuchungen  zur  altfranzös.  Epik. 
VIII,  164  S.  gr.  8".  Kiel,  R.  Cordes  '07. 

Coulin,  A.  Der  gerichtliche  Zweikampf  im  altfranzösischen  Prozefs.  Berlin, 
L  Guttentag,  1906;  in-8ö,  XVIII-169S. 

Edwardes,  31..  Summary  of  the  Literatures  of  modern  Europe  (England, 
France,  Germany,  Italy,  Spaiu)  from  the  Origins  to  1400.  London,  1907. 
8°.  548  pp. 

Fuchs,  H.  Beiträge  zur  Alexandersage.  Beilage  zum  Programm  des  Gym- 
nasiums in  Giessen.    22  S.  4". 

Grenier,  A.  Habitatious  gauloises  et  villas  latines  dans  la  cite  des  medio- 
matrices,  etude  sur  le  developpement  de  la  civilisation  gallo-romaine  dans 
une  province  Gauloise,  avec  plans.    Paris,  H.  Champion.    1906. 

Htiber^  P.  Mich.,  0.  S.  B.:  zur  Georgslegende.  [Aus:  „Festschr.  z.  12.  deut. 
Neuphilologentag  1906".]     (60  S.)  Lex.  S".  Erlangen,  F.  Junge  '06. 

Jones,  L.  Gcoü'roy  de  Mnnmoutli  et  la  Legende  d'Artus  [In:  Quarterly 
Revieu  t.  CCV,  juill.-oct.  1906J. 

.Jordan^  L.  Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte  (Schlufs  aus  Bd.  117. 
Heft  V4)..[In:    Arch.  f.  n.  Spr.  Bd.  118    Heft  y^-    S.  82-105]. 

Jwige,  A.  Über  Gerichtsbeamte  und  Gerichtsverhältnisse  in  der  Literatur 
des  alten  Frankreichs.  Diss.  Göttingen  1906.  124  S.  8". 

Lancaster,  11.  C.  The  sources  and  Mediaeval  versions  of  Peace.  Fable  [In: 
Publications  of  the  Mod.  Lang.  Assoc.  of  America  XXII,  33—55]. 

Luft,  Fr.  Über  die  Verletzbarkeit  der  Ehre  in  der  altfranzösischen  Chanson 
de  geste.  I.  Teil.  Berlin,  Weidmannsche  Buchhandlung  1907.  [Wissen- 
schaftliche Beilage  zum  Jahresbericht  der  Neunten  Realschule  zu  Berlin. 
26  S.  8".     Ostern  1907]. 


Novitäten  Verzeichnis.  215 

Müller,   M.     Minne   uud  Dienst  in  der  altfranzüsischen  Lyrik.  Marburger 

Dissert.    1907.  101  S.  8". 
Müller,  0.    Tiircier  und  Kampf  in  den  altfranzösischen  Artusromanen.  Progr. 

Erfurt  1907.  64  S.  8°. 
Nickel,    W.     Sirventos   und    Spruchdichtung.     Einleitung,  politische   Lieder, 

Lob-  und  Klagelied.  Diss.  Berlin  1907.  56  S.  8". 
Paton,  L.  A.    The   Story  of  Grisandole:    A  study  in  the  Legend  of  Merlin 

[In:    Pübl.  of  the  Med.  Lang.  Assoc.  of  America  XXll,  2.  S.  234-276]. 
Pichon,  P.    Etudes  siir  l'histoire  de  la  litterature  latine  dans  les  (iaules.    Les 

derniers   ecrivaius  profanes.     IX,  323   S.  8°.     Paris,  Leroux.   1906.  Fr. 

7.  50. 
Piebe,  P.    Über  die   verschiedenen  Satzungen   der  Mainetsage  nebst  Text- 
probe aus  Girart  von  Amions  Charlemagne.  Diss.  Greifswald  1906.  56  S.  8". 
Schneegans,   F.  ED.     Zu   den  Mysterienspielen  [In:    Zs.  f.   rom.  Phil.  XXXI, 

231  f.J 
Stronski,  S.    Rocherches  historiques  sur  quelques  protecteurs  des  troubadours 

(suite)  [In:    Annales  du  Midi  XIX,  40—56]. 
—  Notes  sur  quelques  troubadours  et  protecteurs  des  troubadours  [In:  Rev. 

d.  1.  r.  Janvier-tevr.  1907.    S.  5—44]. 
Toldo,  P.     Dall'Alphabetum   narrationum.  III  (Fortsetzung)  [In:   Arch.  f.  n. 

Sprach.  Bd.  118.  V2  Heft.    S.  69— 81]. 

Aulard,  A.    Lcs  Orateurs  de  la  revolution,  la  legislative   et  la   Convention 

(Tome  Second)  Paris.     E.  Cornely  et  Cie.    i  fr.  50. 
Benoit,  D.    Ribaute-Charon,  Voltaire  et  Rousseau  [In:  Recueil  de  l'Academie 

des  Sciences,  helles  lettres  et  arts  de  Tarn-et-Garonne.    2eserie,  t.  XXI, 

1905.    S.  41— 56J. 
Binet-Sanyle,  Les  lois  psychophysiologiques  du  developpement  des  religions. 

L'evolution   religieuse  chez  Rabelais,  Pascal  et  Racine.    Maloine,   1907. 

400  S.   J8°.   [Bibliotheque  de  l'Ecole  de  psychologiej  (Vgl.  Rev.  Histor. 

Mai-juin  1907  p.  213  f.), 
Blanc,  A.     Origine  du  droit  des  pauvres  sur  les  theätres  de  Lyon  (thöse). 

Paris,  Arthur-Rousseau.    1906.  In  8,  125  p. 
Robillard  de  Beaurepaire,  E.  de.     Les  Puys  de  Palinod,  de  Rouen  et  de  Caen. 

Ouvrage  posthume  de  Eugene  de  Robillard  de  Beaurepaire.     Caen,  De- 

lesques.    1907.    ln-8,  XVll-404p.  avec  3  phototypies  d'apres  un  manus- 

crit  de  la  Biblioteque  nationale.    10  fr. 
Boulenger,  Jacques.     Soiis  Louis-Philippe:  Les  dandys  George  Brummeil,  esq. 

—  Le  Compte  d'Orsay   «  Milord  Arsouille  »   —  Eugene  Sue  —  Barbey 

d'Aurevilly    —    etc.    avec    une    preface   de    Marcel    Boulenger.     Paris. 

Societe  d'editions  litteraires  et  artistiques.  Librairie  Paul  Ollendorff  1907. 
Bradleij,   G.  F.    The  great  davs  of  Versailles.     Studies  from  Court  Life  in 

the   later   Years   of   Louis'  XIV.,    with    Portraits.     396  S,  8°.    London, 

Schmith,  Eider. 
Breuillac,  I\I.    HofFmann  en  France.    Etüde  de  litterature  coniparee  (tin)  [In: 

Rev.  d'Hist.  Htter.  de  la  France  XIV,  1]. 
Brunetiere,   F.     Etudes   critiques    sur   l'histoire  de   la  litterature  fran9aise, 

huitiemo  serie:  une  Nouvelle  edition  de  Montaigne  —  La  mnladie  du 

burlesque  —  Les  epoques  de  la  comedie  de  Moliere  —  l'eloquence  de 

Bourdaloue  —  l'orient  dans  la  litterature  frangaise  —  les  transformations 

de  la  langue  fran^aise  au  XVllIe  siecle  —  Joseph  de  Maistre  et  son  livre 

du  «  pape  ».     Paris,  Hachette  et  C>e  3  fr.  50. 
Dütmer,  P     La  Magdeleiue,   eine  Magdalenenlegende  aus   dem  Anfang  des 

17.  Jahrb.  Progr.  Magdeburg  1907.  10  S.  4». 
Doumic,  R.    Pathologie  du  romantisme  [In:  Rev.  des  deux  mondes.    15  avril 

1908]  (Im  Anschlufs  an  P.  Lasserre,  Le  romantisme  frangais). 


2 1 G  Novitätenverzeiclmis. 

Droux,   G.  —  La  Chanson  lyonnaisc.    Histoire  de  la  chanson  ä  Lyon:    les 

societes  chansonnieres.    In-8,   llDp.  Lyon,  Rey  et  Cie.     1907.    2  fr.  50. 
Durand,   V.    Le  Jansenisme  au  XVIII  e  siecle  et  Joachim  Colbert,  eveqne  de 

Montpellier  (169ß— 1738).     Toulouse,  Privat.    Paris,  libr.  Picard.   1907. 

In-8,  XV-37;5  p.  7  fr.  [ßibliotheque  meridionale  publice  sous  les  auspices 

de  rUniversite  de  Toulouse.    2'^'  serie.  T.  11]. 
Esteve,   E.     Byron    et   le   Romantisme   frau^ais.     Essai    sur   la   fortune    et 

l'influence    de    l'aiuvre    de  Byron    en  France   de   1812   ä  1850   (thöse). 

Paris.    Hachette  et  Cie.  1907. 

—  Sainte-Beuve  et  Alfred  deVigny[In:   Rev   d'Hist.  litt,  de  la  Fr.  XIV,  1]. 
Gebauer,     C.      Das    französische     Element    im    Theaterleben    Magdeburgs 

während  der  Fremdherrschaft  [In:   Geschichtsblätter  für  Stadt  und  Land 
Magdeburg  41,  2]. 
Gendarme  de  Bevotte,   G.    La  Legende  de  Don  Juan.     Son  evolution  dans  la 
litterature  des  origines  au  romantisme.     Grand  in-8,  XX-547  p.    Paris, 
Hachette  et  Cie.  1906. 

—  Le  Festin  de  Pierre  avant  Moliere.  Dorimon  de  Villiers,  scenario  des 
Italiens.  Textes  publies  avec  introductinn,  lexique  et  notes  (these). 
Paris,  Societe  nouvelle  de  librairie  et  d'edition.  1907.    In-8,  VIII-357  p. 

Gofflot,  L.-V.  Le  theätre  au  coUege  du  moyen  äge  ä  nos  jours  avec  biblio- 
graphie  et  appendices.  Le  cercle  fran^ais  de  l'universite  Harvard. 
Accompagne  de  nombreuses  planches  hors  texte.  Preface  p.  J.  Claretie. 
Paris,  H.  Champion.  1907.    XIX,  336  S.  8». 

HaJßants,  P.  La  litterature  fran^aise  au  19 e  siecle.  Ire  partie.  Bruxelles, 
1907.  120.     XV,  284pp. 

Hnmy,  F.  T.  L'Apotheose  du  poöte  de  Belloy  par  le  peintre  JoUain  et  les 
critiques  de  l'historien  de  Calais,  Jacques  Barthelemy  Lefebvre  (1765). 
"Courte  notice.  Petit  in-8,  15  p.  Boulogne-sur-Mer,  impr.  Hamain.  [Ex- 
trait  du  «  Bulletin  de  la  Societe  academique  de  Boulogne-sur-Mer  ».    T.  7.] 

Hemon,  F.  Cdurs  de  litterature.  XXIX-XXX,  les  Moralistes  et  les  Roman- 
ciers.   Iu-18  Jesus,  175  p.  Paris,  Delagrave. 

IRrvez,  J.  Les  Femmes  et  la  Galanterie  au  XVIle  siecle  (Louis  XIII  et  ses 
Mignons;  les  Galanteries  du  Grand  Roi;  les  Grandes  Amoureuses;  le 
Royaume  de  Braquerie,  Sodome  et  Lesbos;  le  Fouet;  Messes  noires; 
les  Cochons  niitres;  Marion  et  Ninon;  Filles  d'amonr;  Chansonnier  galant 
du  XVIIe  siecle),  d'aprös  les  memoires,  chroniques,  libelles  et  pamphlets 
du  temps,  archives  de  la  police,  chansons  et  pieces  inedites.  Paris, 
Daragon.     1907.     In-8,  VII-280  p.  et  2  planches.     15  fr. 

Lachevre,  Fr.  Des  Barreaux  et  Theophile  de  Viau.  [In:  Bullet,  du  Biblio- 
phile.    15.  mars  1907J. 

Laiicasier,  H.  C.  The  French  tragi-comedy.  Its  origin  and  development 
from  1552—1623.  Dissertation.  Baltimore,  J.  H.  Fürst  Company  1907. 
XXIV,  189  S.  8°. 

Lavisse,  Ernest.  Histoire  de  P'rance  depuis  les  origines  jusqu'ä  la  Revolution. 
Tome  VII  —  2e  Partie  Louis  XIV.  La  Religion.  Les  Leiers  et  les  Arls. 
La  Guerre  (1643—1685).     Paris,  Hachette  &  Cie. 

Lecomte.  L.  H.  —  Histoire  des  theätres  de  Paris.  Les  Nouveautes  (1827—1832; 
1866—1873;  1878-1906).  Petit  in-8,  217  p.  et  1  grav.  Paris,  libr. 
Daragon.     1907.    8  fr. 

Lefebvre,  L.  Le  Theätre  des  Jesuites  et  des  Augustins  dans  leurs  Colleges 
de  Lille  du  XVIe  au  XVIIIe  siecle.  Nancy,  impr.  Berger- Levrault  et 
Cie.     1907.     In-8,  24  p.  et  planche. 

—  Histoire  du  theätre  de  Lille,  de  ses  origines  h  nos  jours.  I  Ire  partie  : 
les  origines  jusqu'au  XVIIe  siecle;  2e  partie  :  la  Salle  de  la  Comedie 
(1702-1787).     Lille,   impr.  Lefebvre -Ducrocq.     1907.     In-8,  VI-424  p. 

Pit'm,  E.  Deux  Precieuses  au  XVIIe  siecle:  Mme  Cornuel  et  Mme  Pilou 
[In:  Mercure  de  France.     V-^  mai  1907]. 


Novitätenverzeiclinis.  217 

Poinsot.  M.  C.  —  Spectacles  et  Recueillements.     Litterature  sociale  (Roman; 

Poesie;  Victor  Hugo;  Emile  Zola;  Paul  Boiirget;  Clemenceau;  J.  H.  Rosny). 

Paris,  Bibliotheque  generale  d'edition,  78,  rue  Taitbout.    In-16,  243  p. 

3  fr.  50. 
Ricca,   V.    Profili  e  bozzetti  letterari.    Catania,  N.  Giannotta.    316  S.  L.  2,50. 
Sandberger,  A.     Roland  Lassiis'   Beziehungen   zu  Frankreich   und  zur  fran- 
zösischen Literatur  [In:  Sammelbände  der  internationalen  Musikgesellschaft 

VIII,  3.     S.  355-400]. 
Souvestre,  E.  —  Causeries  litteraires  sur  le  XIX«  siecle  (1800 — 1850).    Ouvrage 

inedit  public  par  Mme  a.  Beau,  nee  Souvestre.    Pretace  de  L.  Dougas. 

ln-18  Jesus,  XI-484  p.     Paris,  Paulin  et  C^e.     1907.     3  fr.  50. 
Thvasne,  L.   Rabelais  et  Villen  [In:  Rev.  des  Bibl.  Janv.-mars  1907,  S.  9-58]. 
Toldo,  P.     Di  alcuni   scenari  inediti  della  Commedia  dell'  arte  o  delle  loro 

relazioni  col  teatro  de!  Meliere.    Torino,  C.  Clausen  1907.     [Accademia 

Reale  delle  scienze  di  Torino  (Anno  1906 — 1907)]. 
TbrW,  M.    Roma  nella  poesia  fraucese  e  tedesca  del  sec.  XIX.    Parma.  Tip. 

E.  Ferrari.     154  S.     L.  1,25. 
Vandey,  A.  D.     Des  causes  qui   ont  prepare  l'esprit  revolutionnaire   de  la 

litterature  frangaise  du  XVIIIe  siecle:  Conference.  Milan,  impr.  U.  AUegretti, 

1907.    8".  p.  15. 

b)  Einzelne  Autoren, 

Agnh.  poete  orleanais  (1811 — 1890):   par  Ch.  Mkhau.    In-8,    19  p.   Orleans, 

Maron.     1907.     [Extrait    des    « Mcmoires    de    la   Societe    d'agriculture, 

sciences,  belles-lettres  et  arts  d'Orleaus».] 
Alain  Charüer.    —    A.   Th  [omas].     Encore   Alain    Chartier.     [In:    Romania 

XXXVI,  306  f.]. 
Alegret,  Jongleur   gascon   du  Xlle    siecle  p.  Dr.  Dejmnm.     [In:   Annales  du 

Midi.     Avril  1907]. 
Arnault.  —  E.  Faguet.    Les  poetes  frangais  du  XIXe  siecle  qui  continuent  la 

tradition    du   XVIIIe.    Arnault.     [In:    Revue    des   cours    et   Conferences 

XV,  24.  25.  26.]. 
Baude,  Henri.  —  Maitre  Henri  Baude  devant  la  cour  des  Aides  p.  A,  Thomas. 

[In:  Romania  XXXVI,  58—77]. 

—  Maitre  Henri  Baude  devant  le  Parlement  de  Paris  p.  P.  Champion.  [In: 
Romania  XXXVI,  78—86]. 

Berangcr,   daus    ses    rapports    avec   Chateaubriand,  Lamennais,  Lamartine, 

Sainte-Beuve,  etc.     p.  Leon  Seche.    D'apres  des  documents  inedits.    Paris, 

Mercure  de  Fr.     7  fr.  50  (Pour  paraitre  au  mois  de  Nov.  1907). 
Beyle.    —    P.  Arhelet.     La   soeur  de    Stendhal:    Pauline   Beyle.     [In:  Revue 

Bleue.     8.  juin  1907] 
Blaise  d^Auriol.  —  De  Santi,  La  reaction  universitaire  h  Toulouse  ä  l'epoque 

de  la  Renaissance.    Blaise  d'Auriol  [In:  Mera.   de  l'Ac.   des  sc,   inscr. 

et  belles-lettres  de  Toulouse.  lOe  serie,  t.  VI,  1906]. 
Bunhon,  M.  —  üu  poete  franc-comtois  :  Max  Buchen;  par  Louis  Gascon.    Petit 

in-8,  27  p.  Besannen,  impr.  Cariage.  1906.  60  cent. 
Bude.  —  L.  Delaruelle,  GuillauQie  Budö.    Les  origines,  les  debuts,   les  idees 

maitresses.    Paris,  H.  Champion  1907.  XL,  290  S.  8°.  [lEtudes  sur  l'hu- 

manisme  frangais]. 

—  L.  Delaruelle,  Repertoire  analytique  et  chronologique  de  la  correspondance 
de  Guiilaume  Bude.  Toulouse,  E.  Privat.  Paris,  E.  Cornely  et  C'e.  (Avec 
deux  facsimiles). 

Delavigne,  Casimir,  intime,  d'opres  des  documents  inedits;  par  M.  Fauchier- 
Delavigne.  Avant-propos  de  Victorien  Sardou.  Poiticrs,  Societe  fran^aise 
d'imprimerie  et  de  librairie.  Paris,  libr.  de  la  nieme  maison.  1907. 
Petit  in-8,  X-204  p.  avec  grav.  et  portraits. 


2 1 8  Novitätenverzeichnis. 

Cdssagnanx,  K.  —  ün  romaiicier  romantique  aniienois  :  Edouard  Cassagnaux. 

Etüde  liio  ä  la  seance  du   lä  deceinbre   190ß  de  la  Snciete  des  Rosati 

picards;  par  Alahi  Dubais.    In-16,  28  p.  avcc  1  Vignette.    Amiens,  24,  rue 

PioiTe-rErmito.     [Conferences    des    Rosati    picards,  XXV.     Tire   ä  220 

exemplaires  nnmerotes.     Auch:  Auuales  Romantiques  IV,  5]. 
Chardon  s.  p.  221  Ausgaben. 
Chateaubriand' s  America  by  Emma  Kaie  Armstronrj  [In:  PubÜcationS  of  tbe  Mod. 

Lang.  Assoc.  of  America  XXll,  2.  S.  345—370]. 
CherbuHez,    V.    et    les    Genevois.      Essai    b'ographique    p.    J.  Kaufmann    [In: 

Bulletin  de  l'Institut  national  genevois.  XXXVIl  (1907),  S.  357—403]. 
Claircal.  —  ün  grand  comedien   parisien   au  XVIIle   siecle  :  Jean  Baptiste 

Guignard,  dit  Ciairva),  acteur  de  la  Comedie  itaiienne  (1735-1797);  par 

Paul  Pins.m.    Paris.    1906.    In-8,  24  p. 
Corneille.  —  Le   Troisieme    Centenaire    de   Pierre   Corneille   ä  Rouen;   par 

Henri  Faulme.     Rouen,  irapr.  Gy.  1906.  Petit  in-8,  30  p. 
Denisot.  —  Nicolas  Denisot  du  Mans  (1515—1569).    Essai  sur  sa  vie  et  ses 

Oeuvres  (these);  par  l'abbe  Clement  Juge.    Paris,  Lemerre.     1907.    In-8, 

VIII- 168  p. 
Des   Barreaux,    Jacques    Vallee.       Le    Prince    des    libertins    du    XVIIe    siecle  : 

Jacques  Vallee   des  Barreaux;  Sa   vie  et  ses  poesies  (1599  —  1673);  par 

Frederic  Lachcvre.    Leclerc.    1907.   Grand  iu-8,  268  p.  avec  fac-similes  et 

frontispice  ä  l'eau- forte  grave  par  H.  Mancsse. 
Descartes  de  seize  ä  viugt-ueuf  ans  p.  A.  Espinas  [In:  Revue  Bleue  23  et  30 

mars  1907]. 
Diderot  e   il  „Barbero  Benefico"   di  P.  Toldo.     Venezia,  Tip.  Orfanotrofio   di 

A.  Pellizzato    1907    [Estratto   dall'   „Ateneo  Vcueto".     Vol.    I.  Fase.    1 

Gennaio-Febbraio  19ü7]. 
Fenelon   und   seine    Tochterbildung    von    //.  Lindner.     Progr.  Kolberg    1907. 

7  S.    4°. 

—  Gonzague  Tnic,  Fenelon  d'apres  sa  correspondance  [In:  Rev.  latine  6e 
annee  (1907)  No.  2,  25  fevrier]. 

Flaubert.  —  J'usco,  Ä.  La  filosofia  dell'arte  in  Gustavo  Flaubert  (da  un'opera 
in  preparazione  su  la  Critica  Letteraria  in  Francia  nella  seconda  metä 
del  secolo  XIX).    Messiua,  Paolo  Trincbera  1907.     176  S.  S".  L.  2. 

Gohinenu.  —  L.  Schemann.  Die  Gobineau-Sammluug  der  kaiserlichen  üniver- 
sitäts-  und  Landesbibliothek  zu  Stralsburg.  Mit  drei  Tafeln  in  Licht- 
druck.    Strafsburg,  K.  J.  Trübner  1907.  37  S.  8°.  Pr.  1,50. 

Hugo,  V.  ä  vingt  ans  d'apres  des  documents  inedits  p.  P.  Dufay  (suite)  [In: 
Annales  Romantiques  IV,  1 — 2]. 

—  Hufjo  et  l'esthetique  de  Guernesey  par  E.  Barthelemy  [In:  Mercure  de 
France  l©''  et  15  avril  1907]. 

—  C.  Pelletan,  Victor  Hugo  homme  politique.  CoUcction  Hugolienne.  Paris, 
Societe  d'editions  Jitteraires  et  artistiques.     Fr.  3,50 

—  Jean  Kniglit,  Lamartine  Ministru  des  affaires  etrangeres  [In:  Rev.  d'hist. 
diplomatique  1906  No.  2]. 

—  Bournon.,  Victor  Hugo  ä  Gentilly  eu  1822  [In:  Correspondance  historique 
et  archcologique  154/155]. 

llmjsmans,  J.  K.  et  Ic  mysticisme  naturaliste   p.  .1/  CvUllre    [In:  Mercure  de 

France,     l^r  juin  1907]. 
Lamartine  et  VAvenir  (de  Lamennais)  (suite).  [In:  Annales  Romantiques  IV,  1]. 
Lamennnis  ä  la  Chesuaie  p.  C  Latreille.     [In:  Mercure  de  France,   15.  avril 

1907.    S.  623—637]. 
Lorrain,  Jean.       Son    onfance,    sa    vie,    son    Oeuvre    p.     G.    Normandy.      Paris. 

Bibliothöque  generale  d'edition,  rue  Taitbont  78.     3  fr.  50. 
Loti,  P.  p.  V.  Giraud.     [In:  Rev.  d.  deux  mondes  l^r  juin  1907]. 


iS'ovitätcnvcrzi.'ichnis.  219 

Merimee    critique   d'art    en  1832    p.  A.  ravphilet.     [lu:  Aunalcs  Romantiqucs 

IV.  1.  2.]. 
3feiimee  iDconiiii,  d'apres  Cent  lettres  ineditos,  p.  G.  Mt..ntory'ueil.    [In:  L'Eclair 

du  5  avril]. 

—  En  l'Ilonueur  de  Prospor  Merimee.  Paris,  Librairie  du  „Journal  des 
Debats",     Pr.  1  fr. 

JIoNere.  —  W.  Alamjold.    Der  neueste  Streit  Beckor-Schneegans  über  Molieres - 
„Subjektivismus".     [In  :  Zs.  f.  franz.  und  engl.  Unterricht  VI,  2.] 

—  Taylor,  H.  C,  Chatfield-.  Moliere,  A  Biography.  With  Introduction 
by  Tb.  Fr.  Crane.     London  1907.    8».    472  pp.    With.  Illustr.     14,20  M. 

Montaigne  et  les  Huguenots  p.  Edme.  Champion  [In:  Kevue  Bleue  23  mars  1907]. 

Musset,  Alfred  de.  L'CEuvre,  le  Poete;  par  Jean  d' Aquitaine.  Paris.  Gaillard. 
In-4,  320  p.,  15  plauches  hors  texte  en  couleur,  fleurons  et  culs-de-lampe 
de  L.     Deconde  et  12  gravures  et  portraits  dans  le  texte. 

—  K.  Wolter.  Alfred  de  Musset  im  Urteile  George  Sands.  Berlin,  Weid- 
mann.    3,—  M. 

—  L.  Seche,  Alfred  de  Musset  d'apres  des  documents  intdits.  T.  I.  L'homme 
et  l'ceuvre.  Les  camarades.  T.  II.  Les  temmes.  Paris,  Mcrciiro  de 
France.    Jeder  Band  3  fr.  50. 

—  Les  idees  religienses  d' Alfred  de  Musset:  La  soeur  Marceline  p.  L.  Seche 
[In:  Revue  Hebdomadairo  du  26.  janv.] 

—  Les  origines  d'Alfred  de  Müsset:  Le  Manoir  de  la  Bonnaventure  p. 
L.  Seche  [In:  llovue  de  la  Renaissance  VI,  S.  65—86]. 

Pascal  et  Jeac  de  Lingendes.  Le  Portrait  du  Jeusite  dans  les  Pi-ovinciales. 
P.  A.  Gazier.     [In:  Rovue  Bleue  9.  niars  1907]. 

—  Defense  de  Pascal.  Pascal  est-il  un  fanssaire?  par  Abel  Lefranc  In-8, 
11   p.     Paris.    Leclerc.    1907.     [Extrait  du  <;  Bulletin  du  bihliophile  ».] 

—  Pascal  et  l'Experience  du  Puy-de-Döme  p.  F.  Mathieu  III.  [In:  Rev.  de 
Paris  15.  avril  1907]. 

Pierre  de  Nesson.   —   A.   ThfomasJ.     Encore  Pierre   de    Nesson   [In:   Romania 

XXXVI,  307]. 
Prevost,  VAbhe   et  la  Louisiane.     Etüde   sur  la  vuleur  historique  de  Manon 

Lescaut;  par  Pierre  Ilänrich.     Paris,  Guiimoto.     In-8,  80  p. 
Prudhomme,  S.  —  Karl,  Liidw.:  Sullv  Pnulhomme.    Eine  psvchülogiscb  literatur- 

geschichtl.  Studie.    (VIII,  126  S  )  gr.  8".    Chemnitz,  W.  Gronau '07.  3.— M. 

—  C.  Hemon.  La  philosophie  de  M.  Sullv  Prudhomme.  Avec  une  preface 
deM.  Sully  Prudhomme.   XIX,  469  S.  8°.    Paris,  F.  Alcan  1907.  Fr.  7,-50. 

Rabelais  S.  oben  p.  217    Thuasne  und  p.  208  Bev.  des  Etudes  Rabelaisiemes. 
Rabelais  et  Serviu>;  par  W.  F.  Smith.   Paris,  Champion.  1906.  InS  a  2  col.,  22  p. 

—  Rabelais  et  les  Limosins;  par  Alphonse  Precicou.  In-8,  26  p.  Limoges, 
Ducourtieux  et  Gout.  1906     [Extrait  du  «Bibliophile  liniousin»]. 

Racine  et  le  th^ätre  frangais  p.  A.  Gazier  [In:  Revue  dos  cours  et  Conferences 

XV,  24.  25.  26]. 
Renan  und  die  moderne  Religion  von  M.  Vemes  [In:  Deutsche  Revue.  März  1907]. 
Ronsard.   —   /'.  Dnpay.     Le  portrait,   lo   buste   et  l'epitaphe    de  Runsard   au 

musee  de  Blois  [In:    Mercure  de  P'rance  l^-r  avril  1907.    S.  421—435]. 

—  fitude  iconographique  sur  Ronsard.  Lo  portrait,  le  huste  et  l'epitaphe 
de  Ronsard  au  musee  de  Blois  p.  Pierre  Dufay.  Avec  une  planche.  Paris, 
H.  Champion  1907.  17  S.  8". 

Rousseau,  J.  J.     s.   oben  p.   215  Btnoit. 

—  La  mort  de  J.  J  Rousseau  (Recit  fait  par  Therese  Levasseur  ä  l'architecte 
Paris,  ä  Ermenonville);  par  M  Georges  Gazier,  Besancon,  impr.  Dodivcrs 
In-8,  15  p. 

—  Rousseau,  J.  J.  par  Arthur  Chuquet.  3e  edition  revue.  In-16,  203  p.  et 
Portrait.  Paris,  Hachette  et  C'".  1906.  2  fr.  [Les  grands  ecrivains 
fraucjais]. 


220  Novitätenverzeichnis. 

—  Rousseau  et  le  romantisme  fran^ais  p.  J.  BainviUt  [In :  Mercure  de  France, 
1")  avril  1!)07]. 

—  M.  J.  Matkoii'skl,  Les  „Ai'eux"  de  Mickiewicz  ot  l'Eniile  de  Rousseau. 
Etüde  de  litterature  comparee  [In:  Bulletin  international  de  l'Ac.  des 
Sciences  de  Cracovie.  Nov.-dec.  1006]. 

—  Nouveaux  apergus  sur  J.-J.  Rousseau  p.  M.  E.  Rod  [In :  Rev.  d.  deux 
mondes  1er  mai  1907]. 

—  G.  Beaulavnn,  Le  Systeme  politique  de  J.-J.  Rousseau  [In:  Rev.  de  Paris 
15  avril  1907]. 

—  J.  Lemaitre,  Jeau-Jacques  Rousseau.     Paris,  Calmann-Levy.  3  fr.  50. 

—  V.  Sommerfeit,  J.  J.  Rousseau.     Christiania,  Cammermeyer.  3  Kr. 
Sainie-Beuve,  S.  oben  p.  216  Esteve. 

Senancouri.  —  La  religion  d'Oberniann  p.  G.  Michaut  [In:  Rev.  de  Fribourg. 
Dec.  1906]. 

—  J.  Merlani,  Senancourt  et  la  Reforme  sociale  [In:  La  Revolution  frangaise 
14  Jan.  1907]. 

Stael,  Madame  de,  et  la  musiqne  von  H.  Kling  [In:  Rivista  musicale  italiana 

XIII,  2]. 
Stendhal.   —    v.    Oppeln-BroniJcoivski,    Henri    Beyle    (Stendhal).      Ein    Kämpfer 

gegen  seine  Zeit  [In:  Nord  und  Süd.  April]. 
Taine,  H.  sa  vie  et  sa  correspondance  tome  IV  et  dernier:  L'Historien  (suite).  — 

Les  deruieres  annees.  —  (1875—1893).    Paris,  Ilachette  et  C'e.  3  fr.  50. 

—  Taine  historicn  p.  A.  Mathiez  [In:  Rev.  d'hist.  mod.  et  contemp.  VIII,  4. 
Janv.  1907]. 

Theophile  poete  romantique  ]).  R.  de  Gourinont\ln:  Mercure  de  France  1er  mai 

1907]. 
Verlaine,  P ,  Sa  vie,  son   oeuvre  p.  E.  Lepelletier.    Paris,  Mercure  de  France. 

3  fr.  50 
Viau,  Th.  de.  —  s.  oben  p.  216  Lachevre. 

Vigny,  A.   de,  S.   oben  p.  216  Esteve. 

—  Kuskop,  S.  Der  Grund  zu  Alfred  de  Vignys  Pessimismus.  Diss.  Leipzig 
1906.  ins.  Gr.  80. 

—  A.  Ludwig,  Alfred  de  Vigny  in  seinen  Briefen  [In:  Sonntagsbeilage  zur 
Vossischen  Zeitung  4]. 

ViUedieu,  M>ne  de.  Une  Aventuriere  des  Lettres  au  XVIIe  siecle:  Mme  de 
Villedieu  p.  A.  Seche  et  Jtdes  Bertaut  [In:  Mercure  de  France  15  Febr.  1907]. 

—  Mayne,  E.  Femmcs  galantes  du  XVIle  siecle,  Madame  De  Villedieu 
(Hortense  des  Jardins,  1632-1692)  Documents  inedits  et  Portrait.  Paris, 
Mercure  de  France.     3  fr.  50. 

Villon  s.  oben  p.   217    Thuasme. 

Voiture  Vincent.    Stances  Sonnets,  Rondeaux  et  Chansons  choisis  et  precedes 

d'une  uotice  par  Alexandre  Amoux,  portrait  froutispice.  Paris,  E.  Sansot 

et  Cie.  2  fr. 
Voltaire.     S.  oben  p.  215  Benoit. 

—  Voltaire    und    Nicholas    Rowe    [In:    Engl.   Stud.  XXXVIII,    S.  134—135] 

—  W.  Schmidt,  Der  Kampf  um  den  Sinn  des  Lebens.  Von  Daute  bis  Ibsen. 
Erste  Hälfte:  Dante.    Milton.    Voltaire.    Berlin,  Trowitsch  &  Sohn  1907. 

—  S.  G.  Tallentijre,  The  friends  of  Voltaire.  With  Portraits.  314  S.  8".  London 
Smith,  Eider. 

—  A.  Fitijer,  Voltairiana  [Bremer  Beiträge  zum  Ausbau  und  Umbau  der 
Kirche  1,  2]. 

Zola.  —  Le  Roman  scientifique  d'Emile  Zola.  La  Medecine  et  les  Rougon- 
Macquart  (these);  par  M.  Uenri  Martineau  docteur  eu  medecine.  Paris 
J.  B.  Bailliere  et  fils.  1907.  In-8,  272  p. 


Novitätenverzeichnis.  22 1 

7.  Ausgaben.    Erläuterungsschriften.    Übersetzungen. 

AU/ranzösiches  Übungsbtich,  zum  Gebrauch  bei  Vorlesungen  und  Seminarübungen 
hrsgb.  von  W.  Foerster  und  E.  KoschiL-Hz.  Dritte  Auflage  besorgt  von 
Wendelin  Foerster.  Leipzig,  0.  K.  Reisland  1907.  V,  264  Sp. 

Aubry,  F.  Estampies  et  Danses  royales.  Les  plus  anciens  textes  de  musi- 
que  instrunentale  au  moyen  äge.  35  S.  8".  Avec  musique.  Paris,  Fisch- 
bacher 1907. 

Corpus  inscriptionum  Jatinarum,  consilio  et  auctoritate  academiae  litterarum  regiae 
borussicae  editum.  40,5X29  cm.  Berlin,  G.  Reimer.  Vol.  XIII,  partis 
II  fasc.  II.  Inscriptiones  trium  Galliarum  et  Germaniarum  latinae,  edd. 
Otto  Hirschfeld  et  Carol.  Zangemeister.  Partis  II  fasc.  IL  Inscriptiones 
Germaniae  inferioris  ed.  Alfr.  Domaszewski.  Miliaria  Galliarum  et  Germani- 
arum edd.  Th.  Mommsen(f),  0.  Hirschfeld,  A.  Domazewski.  (S.  31—38 
u.  505—713.1  '07.  Kart.  23—. 

Inventaire  du  mobilier  du  chäteau  de  la  Mothe-Chaudenier  en  1530  p.  p. 
L.  Desaivre  [In:    Rev.  de  la  Renaissance  1907  (ä  suivre)]. 

Meyer,  P.  Sur  deux  chansons  fran^aises  citees  dans  une  lettre  latine  [In: 
Romania  XXXVI,  302—306]. 

Les  Plus  Anciens  Monuments  de  la  langue  fran^aise  p.  pour  les  cours  univer- 
sitaires  p.  E.  Koschidtz  Textes  diplomatiques.  Notices  bibliographiques 
et  corrections.  Septieme  edition  revue  et  augmentee.  Avec  deux  fac  - 
simile.    Leipzig,  0.  R.  Reislaud  1907. 

Recettes  mediccdes  en  fran^ais.  Ronen  .533  (A.  468).  P.  p.  P  Meyer  [In:  Bull, 
de  la  Soc.  des  anc.  textes  frang.  XXXlIe  annee.  No.  2.  S.  78—87]. 

Robinson,  F.  N.  The  Irish  Lives  of  Guy  of  Warwick  and  Bevis  of  Hampton 
[In:  Zeitschr.  f.  Celtische  Philologie  VI,  I.j 

Schultz- Gora,  0.  Einige  unedirte  Jeux- partis.  Erlangen,  Fr.  Junge  1906. 
[Sonderabdruck  aus  den  Melanges  Chabaneau.  Romanische  Forschungen 
Band  XXIIlj. 

Vidal,  A.  Corates  des  Clavaires  de  Montagnac  (flu)  [In:  Rev.  d.  1.  r.  L. 
Janvier  -  fevr.  1907.  S.  49—67). 

Villard,  H.  Jean  Cassc,  armateur  et  marchand  Marseillais  du  XIV  Siecle: 
Sa  maison,  son  comptoir,  sa  bastide.  Piices  justificatives  [In:  Annales  de 
la  Soc.   d'Etudes  Provengales  IV.  No.  2.  Mars-avril   1907.     S.  73— 117]. 


Adamsspiel,  das.     Anglonormannisches  Mysterium  des  XII.  Jahrb.,  hrsg.  v. 

Karl  Grass.   2.  verb.  Aufl.  (LXIX,  95  S.)  '07.  4,  —  [Roman.  Bibliothek 

No.  6]. 
Alexander  s.  oben  J).  214  Fuchs. 
An      Anglo-Norman      Cakndar     p.      by     H.    J.    Chaytor     [In:     The     Mod.     Lang. 

Review  II,  3.  S.  211—2221. 
Auzias  March.   —  A.  Pages.    Etudc  sur  la  chronologie  des  poesies  d'Auzias 

March  [In :    Romania  XXXVI,  203-223]. 
Bernhard  v.  Rouvenac,  e._  provenzalischer  Dichter  des  XIII.  Jahrh.    Kritische 

Ausg.  m.  Einleitg.,  Übersetzg.,  Kommentar  u.  Glossar  v.  Günth.  Bosdorff. 

[Aus:     „Roman.    Forschgn.."]    (75    S.)    gr.    8°.    Erlangen,    (F.    Junge) 

'07.     2,  — . 
Bevis  of  Hampton,  —  S.  oben   Robinson. 
Bodel,   Jehan.  —  A.    Heins.     Über   das   Verhältnis   der   Redaktion   TL    zur 

Redaktion  A,  B,  im  ersten  Abschnitt  des  zweiten  Teils  von  Jehan  Rodels 

Sachsenlied.     Diss.  Greifswald  1906.    39  S.  8^. 
Brendan.  —  A.  Schuhe.    Textkritisches  zum  altfranzösischen  Prosa-Brendan 

[In:    Zs.  f.  rem.  Phil.  XXXI,  188— 199J. 
Chardon.   —  E.  Suchier.    Der  Minnesänger  Chardon   [In:    Zs.  f.  rom.  Phil. 

XXXI,  129—156]. 
Chevalier  de  La  Tour-Landry.  —  The  Book  of  the  knight  of  I^a  Tour-Landry, 

compiled  for  the  Instruction  of  his  daughters,  translated  from  the  original 


222  Novitäten  verzeich  nis. 

Fronch  iuto  English  .  .  .  cdited  .  .  .  by  Th.  Wrlijhv^  reviscd  edition,  1906 

[Early  English  Text  Society[. 
Li  Confrere  d\Uvours,  poeiue  avcc  refraius  (Bibl.  Nat.  Fr.  837)  p.  p.  A.  Lunijfors 

[lü:  Romania  XXXVI.  29-35]. 
ün  contrat  de  mariaye  gascoii  du  XV^  siecle  p.  p.  ü.  Millardet  [In:   Annales 

du  Midi  XIX,  65-72]. 
Dieu    Omnipotent.    —    P.  Meyer.     Sur    la    picce    Strophique    Dieu   omnipotent  [In: 

Romania  XXXVI,  111—114]. 
Evamße  des  femmes.   —   P.  Meyer.    Deux  nouveaux  manuscrits  de  l'Evangile 

des  femnios  [lu:  Romania  XXXVI,  1 — 11]. 
Hl.  Fides   von  Agen  S.    oben  p.  209   Gröber, 
f'looventj  s.  oben  p.  214  Brockstedt. 
Gace  ßrule  s.  oben  P.  Meyer. 

Girant  de  BorneUi.  —  Sämtliche  Lieder  des  Trobadors  G.  de  B.  mit  Über- 
setzung, Kommentar  und  Glossar  kritisch  herausgegeben  von  A.  Koken. 

Bd.  I,  Heft  1.    Halle,  M.  Niemeyer.   8«.    1907.   M.  3. 
Girard  de  Roussillon.  —  8.  oben  p.  214  Bedier. 
Guibert  de  Xogent.    Histoire  de  sa  vie  (1053—1124);  par  lui-meme.    Publiee 

par   Georges  Bourgin,   archiviste  aux  Archives  nationales,     lu-8,  LXIII- 

258  p.    Paris,  Picard   et  tiis.     1907.     7  fr.     [CoUection  de  textes  pour 

servir  a  l'etude  et  ä  l'enseignement  de  l'histoire.] 
Guillaume   d"  Orange.   —   J.  Bedier.     Kecherches    sur   le    cycle   de  Guillaume 

d'Orange  L  Saint  Guillaume  de  Gellone  [In:  Annales  du  Midi  XIX,  5—39]. 
Guillaume  de  Palerne.   —  II  „Guillaume  de  Palerne"  e  i  suoi  dati  di  luogo  e 

di  tempo.     Palermo,  stabilimento  Verzi  1906  [Estratto  dalla  Miscellanea 

di  Archeologia  dedicata  al  Prof.  A.  Salinas]. 
Guy  of  Warwick.   —  S.   oben  p.   221   Robinson. 
HaimonsUnder.  —  F.  Cas/eis.    Les  quatre  Fils  Aymon.    Introduction  (Suite  et 

fin)  [In:    Rev.  des  1.  rom.  Mars-avril  1907.  S.  97—182]. 

—  Les  Quatre  fils  Aimou.  Essai  d'analyse  lilteraire  p.  Leo  Jordan  [In: 
Wallonia  XIV,  10.    Octobre  190G.     S.  289—304]. 

Karls  des  Grofsen  Reise  nach  Jerusalem  und  Constantinopel.  Ein  altfranzÖS.  Helden- 
gedicht hrsgb.  von  E.  Koschwitz.  Fünfte,  verbesserte  Auflage  besorgt  von 
G.  Tfmrau.     Leipzig,   0.  R.  Reisland.     XL,   129  S.  8°. 

—  Etudes  sur  l'ancien  poeme  fran^ais  Voyage  de  Charlemagne  en  Orient  p. 
J.  Coulet.  Coulet  et  tils  Montpellier.  15  fr.  [Tome  XIX  des  PubUcations  de 
la  Soc.  des  Langues  Romanes^. 

Lothringer.  —  K.  Koebe,  Die  Lothringer  Handschrift  L  und  ihre  Stellung  zur 

übrigen  Überlieferung.    Diss.  Greifswald  1906.  71  S.  8". 
Mainet.  —  P.  Riebe,  Über  die  verschiedenen  P''afsungen  der  Mainetsage  nebst 

Textprobe  aus  Girarts  von  Amiens  Charlemagne.  Diss.  Greifswald  1906. 

58  S.  8". 
Merlin.     S.  oben  p.  215  Paton. 
Mysterienspiele,  s.  obeu  p.  215   Ed.  Schneegans. 
Mönch  von  JM'mtaudon.  —  S.  Stronski,  Sur  deux  passagGS  du  moine  de  Montaudon 

et  de  Torcafol  [In:  Annales  du  Midi.  Avril  1907J.. 
3Iorte  d'Arthur.  —  J.  Douglas  Bruce.     A   reply  to  Df  Sommer   concerning   the 

relations  of  Malory's  „Morte  d'Arthur"  and  the  Middle  English  romance 

„Le   Morte  Arthur',    preserved    ia    the  Harleian  MS    2252   [In:  Anglia 

XXX,  209—216]. 
Ofßdum  von   Gevona.  —  J.  Coulet  fitude  sur  l'Ofüce  de  Girone  en  l'honneur 

de  Saint-Charlemague.    165  S.    Grofs  8°.     Montpellier,    Coulet    et  Fils. 

[Tome  XX  des  PubUcations  de  la  Societe  des  Langues  Komanes]. 
Pierre  de  Fontaines.  —  Bruchstücke   einer  Handschrift  des  Conseil  von  Pierre 

de  Fontaines.     Von   W.  Suchier  [In:  Melanges  Chabancau  S.  395— 400]. 


Novitätenverzeiclinis.  223 

Poignes  d'enfer.  —  A.  Lhngfors  Kemarques  sur  le  poeme  des  P.  d'enfer  [In  : 
Rev.  d.  1.  r.  L.  Janv.-fevr.  1907.  S.  68]. 

Proverhs  of  Solomon.  —  J,  Ch.  Le  Compte,  The  sources  of  the  Anglo-French 
commentary  on  the  proverbs  of  Solomon  contained  in  manuscript  24862 
(fonds  fran^ais)  of  the  bibliothöque  nationale  de  Paris.  Diss.  Strafsb. 
1906.    63  S.    8'\ 

Robert  Biquets.  "Lai  du  Cor"  mit  einer  Einleitung  über  Sprache  und 
Abfassungszeit  von  //.  Dömer.    Strafsburger  Diss.  65  S.  8°. 

Roland.  —  K.  Steitz.  Zur  Textkritik  der  Rolandüberlieferung  in  den  skandi- 
navischen Ländern.  Bonner  Dissert.  1907.  Erlangen,  K.  B.  Hof-  und 
Universitäts  Buchdruckerei  Junge  &  Sohn.     44  S.  8°. 

Remy  de  Beauvais  /•'.,   S.  oben  p.  210  Dittmer. 

—  La  Chanson  de  Roland  a  modern  French  translation  of  Theodor  Muller's 
text  of  the  Oxford  manuscript,  with  introduction,  bibliography,  notes  and 
index,  map,  illustrations  and  manuscript  readings,  by  J.  Geddes.  New  York, 
Macmillian  1906.     CLX.  317  S.  12«. 

Rosenroman.  —  The  early  editions  of  the  „Roman  de  la  Rose",  by  F.  W.  BourdiUon. 
London,  printed  for  the  bibliopraphical  Society,  at  the  Chiswick  press, 
December  1906.  X,  212  S.  4«  und  o4  Tafeln  facsimiles.  [lUustrated 
monographs  issued  by  the  Bibliographical  Society,  No.  XIV]. 

Saint  Eustache.  —  Fragment  d'une  vie  de  Saint  Eustache  en  alexandrins 
monorimes,  p.  p.  P.  Meyer  [In:  Romania  XXXYI,  12—28]. 

Thibuut  [comte  de  Champagne  et  roi  de  Navarre].  —  F.  Huei  Trois  chansons 
de  Thibaut  [In:  Mem.  de  la  soc.  d'agricult.,  commerce,  sciences  et  arts 
du  departement  de  la  Marne  .  .  .  2e  serie,  t.  VIII,  1904 — 1905.  Chälons-sur- 
Marne,  1906.  p.  23— 35J. 

Tractatus  de  planctu  bealae  Mariae  virginis  s.   oben   p.   208   Lhngfors. 

Tristan.  —  G.  Huet,  Sur  un  episode  du  Tristan  d'Eilhart  d'Oberg  [In:  Romania 
^  XXXVI,  50-57]. 

Villard  de  Honnecourt.  —  Bibliotheque  nationale,  departement  des  manuscrits. 
Album  de  V.  de  H.,  architecte  du  Xllle  siecle,  reproducfion  des  66 
pages  et  dessins  du  manuscrit  fran?.  19093  de  la  Bibliotheque  nationale. 
Paris,  impr.  Berthaud  freres,  No.  4°,  18  pages  et  66  planches. 


Anthologie  des  poetes  francais  contemporains.  Le  Parnasse  et  les  ecoles 
posterieures  au  Parnasse  (1866—1906).  Morceaux  choisis,  accompagnes 
de  noticos  bio  et  bibliographiques  et  de  nombreux  autographes;  par  G. 
Walch.  Preface  de  Sully  Prudhomme.  T.  3.  Paris,  Delagrave.  1907.  In-8, 
600  p.  3  fr.  50. 

Les  Chansonniers  de  Montmarire  Douze  fascicules  illustres  par  les  Maitres  du 
crayon  avec  la  Biographie  des  chansonniers  Aristide  Bruant,  Paul 
Delmet,  Maurice  Boukay,  Xanrof,  Jules  Jouy,  Jacques  Ferny,  Galten 
Coute,  Xavier  Privas,  Georges  Cbarton,  Les  Quat'  z'  Arts  (ses  poötes  et 
ses  Chansonniers),  Jeban  Rictus,  Eugene  Lemercier.  Paris,  Librairie 
Universelle,  rue  de  Provence  33.    Jede  Nummer  1  Ir. 

Correspondance  entre  Alexis  de  Tocqueville  et  Arthur  de  Gobineau,  premiere 
partie  (1843—1857)  [In:  Rev.  d,  deu.K  mondes  1er  juin  ]907]. 

Beaumarchais :  Der  Barbior  v.  Sevilla  od.  Alle  Vorsicht  umsonst.  Komödie. 
Ubers.  v.  Jos.  Kainz.   (88  S.)  gr.  8^     Berlin,  F.  Fontane  &  Co.  '07. 

Büigne  3/me  de  —  Memoires  de  la  Comtesse  de  Boigne  p.  apres  le  manus- 
crit original,  par  Charles  Nicoulaud.  I,  1781—1814.  Paris,  Plön  et 
Nourrit.    Pr.  7  fr.  50. 

Chant  du  depart.  —  A.  Lieby,  La  date  de  la  composition  du  „Cbant  du  depart" 
[In:  La  Revolution  frangaiso  1907,  14  fevr.  Vgl.  ib.  14  mars:  ./.  Guillaume, 
Un  dernier  a  propus  du  „Chaut  du  depart]. 

Cliateaubriand,  s.  oben  p.  208  Duchemin. 


224  Novitätenverzeichnis. 

Colle.  —  La  Partie  de  chasse  de  Henri  IV,  comcdie  de  Cotle;  par  Henri 
Cordier.  Paris,  Ledere.  1907.  In-8  carre,  31  p.  fAuch  Bulletin  du  Biblio- 
phile 15  fevr.  1907]. 

Benjamin  Constani.  Le  "cahier  rüUge"  par  L.  Conslant  de  Rebecque.  Paris. 
L.  Carteret. 

Daudet,  A.  (Euvres  completes.  Le  Petit  Chose.  Fascicule  29.  Paris, 
Fayard.    Petit  in-8,  p.  1  ä  24.    Un  fascicule,  10  cent. 

Des  Barreaux  S.  oben  p.  218. 

Desjnasures,  L.  Tragedies  saintes.  David  combattant  —  David  triomphant 
—  David  fugitiv.  Edition  critique  p.  p.  Ch.  Comte.  Paris,  1907.  IV, 
279  S.  8".     7  fr.  [Societe  des  textes  franc^ais  modernes]. 

Du  Bos.  —  Vingt  lettres  inedites,  de  l'abbe  J.-B.  Du  Bos  p.p.  P.  B.  [In: 
Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  France  XIV,  1). 

Qohineau,  Graf:  ^Jachgelassene  Schriften,  hrsg.  v.  Ludw.  Schemann.  Prosa- 
schriften. I.  La  troisieme  republique  fran^aise  et  ce  qu'elle  vaut.  (XI, 
12.5  8.)  8  f.    Strafsburg,  K.  J.  Trübner  '07.  2,50. 

—  F.  Hildebrand,  Alexandre  le  Macedonien.  Drama  des  Grafen  Gobineau  in 
metrischer  Übersetzung.    Progr.  Osterode  1907.    78  S.  8°. 

Hugo,  Vict.:  Der  Glöckner  v.  Notre-Dame.  Roman  in  8  Büchern  n.  e.  Vor- 
wort. Ins  Deutsche  übertr.  u.  m.  Einleitg.  versehen  v.  Philipp  Wanderer. 
(663  S.  m.  Bildnis.)  8".  Berlin,  A.  Weichert  ('07).     3—. 

La  Bruyire.  —  A.  Collignon.  Note  sur  l'onomastique  de  la  Bruyere  [In: 
Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  France  XIV,  1.]. 

Lamartine,  A.  de.  Jocelyn,  episode  (Journal  trouve  chez  un  eure  de  village). 
Paris,  Hachette  et  Cie.  1907.     In-16,  XXI-333  p.  3  fr.  50. 

Moliere,  s.  oben  p.  217   Toldo. 

Montaigne,  Essais  de.  (Selfedition)  Par  le  General  Michaud.  T.  2e.  Paris, 
Firmin  Didot  et  Cie.     Jeder  Band  15  fr. 

—  Theätre  complet  T.  2.    Paris,  Flammarion.    In-18  Jesus,  460  p.  95  cent. 
Montesquieu.  —  Une  lettre  inedite  de  M.  p.  p.  Louis  Gazier  [lu:   Rev.  d'Hist. 

litt,  de  la  Fr.  XlV,lj. 
Moreau,   ff.   —    Documents   inedits :    Une   lettre    d'Hegesippe   Moreau   [In: 

Annales  Romantiques  IV,  1]. 
Musset,  A.  de.    Correspondance  1827—1857.    Recueillie  et  annotee  p.  L.  Seche. 

Paris,  Librairie  du  Mercure  de  France.    300  S.  8°.    7  fr.  50. 

—  Le  cinquantenaire  de  la  mort  d'A.  de  Musset.  Extraits  de  sa  corres- 
pondance  inedite  p.  L.  Seche  [In:  Annales  Romantiques  IV,  2]. 

—  Premieres  Poesies  (1829-1835).  Paris,  Larousse.  Petit  in-8,  240  p. 
avec  Portrait.    1  fr. 

Mystere  du    Viel  Testament  S.   oben  p.  209  B.  Meyer. 

Pascal.  —  Les  Provinciales  (texte  de  1656— 1657).    In-18  Jesus,  340  p.    Paris 

Flammarion.     95  cent.    [Les   meilleurs   auteurs    classiques   fran^ais   et 

etrangers.] 
Pasquier,  E.  —  Deux  discours  manuscrits   d'Estienne  Pasquier  p.  K.  Glaser 

[In:  Rpy.  de  la  Renaissance  Jan v. -fevr.  1907]. 
Pinchesne,  Etienne  Martin  de.     La  Cronique  des  Chapons   et  des  Gelinottes 

du  Mans  publice  sur  le  manuscrit  original  de  la  Bibliothöque  Nationale 

par  Frederic  Ijachevre.    Frontispice  ä  l'eau-forte  grave  par  H.  Manesse. 

Paris,  H.  Ledere.     Pr.  12  fr.  [Poete  et  Goinfre  du  XVIIle  siede]. 
Prudhomme,  Sully,  analyse  de  quelques  iines  de  ses  poesies  p.  Weher.    Progr. 

d.  Französ.  Gymnasiums,  Berlin.     16  S.  4°. 
Quinet,  E.  —  Lettres    inedites   ü' Edgar   Quinet  [In:    La  Revue  des  Revues 

15  avrilj. 

—  //.  Monln.  Etüde  critique  sur  le  texte  des  „Lettres  d'exil"  d'Edgar  Quinet 
[In:    Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  Fr.  XIV,  1]. 

Rabelais  s.  unten  p.  225  Ronsard. 


Novitätenverzeichnis.  225 

Renan,   E.    Nouveaux  Cahiers  de  Jeunesse  [In:    Rev.  Bleue  25  mai,   1er  et 

15  juin  1907]. 
Ronsard.  —  L.  Foulet.    Un  emprunt  de  Ronsard  ä  Rabelais  [In:  Rev.  d'Hist. 

litt,  de  la  France  XIV,  1]. 

—  Die  Elegien  Pierre  de  Ronsarts.  Ein  Beitrag  zum  Studium  der  Plejade 
von  Dr.  phil.  Consiantin  Bauer.  Leipzig,  Dr.  Seele  &  Co  1907.  VIII, 
66  S.  8«. 

—  Schönfelder,  W.  Die  Vorstellung  in  den  poetischen  Werken  Pierre  de 
Ronsards.     Diss.  Leipzig  1906.     80  S.  8". 

Rousseau,  J.-J.:  Bekenntnisse.  Unverkürzt  aus  dem  Franz.  übertr.  v.  Ernst Eardt. 
Zierleisten  v.  A.  Gratz.  (870  S.  m.  Bildnis.)  kl.  8».  Berlin,  Wiegandt 
&  Grieben  '07.    Geb.  in  Ldr.  10,—. 

—  (Euvres  completes  T.  11.  In-lö  438  p.  Paris,  Hachette  et  C'e.  1906. 
1  fr.  25.     [Les  principaux  ecrivains  fran^ais.] 

—  Th.  Dufour.  Le  testament  de  Jean- Jacques  Rousseau  [In:  Bull,  de  la 
soc.  d'hist.  et  d'archeol.  de  Geneve.  T.  III,  livr.  1.  Geneve  1907. 
S.  39—54]. 

Sainte-Beuve.  —  Lettres  inedites  de  S.-B.  ä  Edmond  Scherer  [In:  Rev.  des 

Rev.    1  fevr.]. 
Scarron.  —  J.  Janicki.  Les  comedies  de  Paul  Scarron.  Contribution  ä  l'histoire 

des  relatious  litteraires  franco-espagnoles  au  XVII«  siecle.    Progr.  Posen. 

14  S.  4°. 

Sedaine.    CEuvres  choisies  :  le  Philosophe  sans  le  savoir;  la  Gageure  imprevue; 

le  Diable  ä  quatre;  le  Roi  et  le  Fermier;  les  Sabots;  le  Deserteur;  Rose 

et  Colas;  le  Magnifique,  etc.    In-16,  lV-ö75  p.    Paris,  Hachette  et  Cie. 

1906.    1  fr.  25.     [Les  principaux  ecrivains  fran^ais.] 
Sevigne,  il/'»«  de,     Lettres  recueillies  et  commentees  par  Leo  Claretie.     Grand 

in-4,  320  p.  avec  illustrations  de  C.  Cbalus.    Paris,  Juven. 
Stendhal.  —  Correspondance  inedite  de  Stendhal.   Precedee  d'une  introduction 

par  Prosper  Merimee.    Paris,  Calmann-Levy.    2  vol.  in-18  Jesus.    T.  1% 

XXIV-336  p.;  t.  2.  321  p.     Le  vol.  3  fr.  50. 
Taine.  —  Lettres  de  H.  Taine  sur  la  Revolution  [In:  Rev.  d.  deux  mondes. 

15  avril  1907]. 

Theuriet,  A.    ä  Bois.-Fleuri  p.   Fr.  Loliee  [In:   Revue  Bleue  4  mai  1907]. 
Thory,  R.  —  Curiosites  poetiques  du  XVI«  siecle :    Rene  Thory  p.   Camille  Ballu 

[In:   Rev.  de  la  Renaissance.    Janv.  -  fevr.  1907]. 
Verlaine,  Paul  Voyage  en  France  par  un  Frangais  publie  d'apres  le  manuscrit 

inedit.   Preface  de  Louis  Loviot.  Paris,  L.  Vanier  —  3  fr.  50. 
Vigmj  A.  d.   —    Helena,  poeme  en  trois  chants;    Reimprime  en   entier  sur 

l'edition  de  1822.   Avec  une  introduction  et  des  notes  (these);  par  ^dmoncZ 

Esteve.    Paris,  Hachette  et  Cie.  1907.  In-8,  LXVII-  76  p. 

—  Sur  quelques  erreurs  de  date  du  ..Journal  d'un  poete"  p.  Isaac  Roney 
[In:    Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  Fr.  XIV,1]. 

Voltaire.  —  Böttcher,  E.  Der  englische  Ursprung  des  Comte  de  Boursoufle. 
Diss.  Rostock  1906.    87  S.     8  '. 

—  Prince  de  Lljne  Lettres  de  Voltaire  [In:   Revue  de  Paris  15  avril  1907]. 
Zola,  E.  Correspondance.  Lettres  de  Jeunesse  —  Paris,  E.  Fasquelle.  3  fr.  50. 

—  Gorminal  (I  lavoratori  sotterranei).  Milano,  Societä  ed.  milanese  1907.  8°. 
fig.  p.  753.  L.  7. 

8.  Geschichte  und  Theorie  des  Unterrichts. 

Bernhard,  F.  W.  Wie  kann  der  französische  Unterricht  auf  der  Oberstufe 
noch  mehr  für  die  Erziehung  zu  selbständigem  Denken  nutzbar  gemacht 
werden?    Prog.  Neumünster  1907.  3  S.  4''. 

Biehler,  H.  Gesichtspunkte  für  das  Übersetzen  aus  dem  Französischen.  Progr. 
Freiburg  i.  B.  1906.  21  S.  4«. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXI>.  15 


226  A'o  vitalen  verzeiclin  is. 

Budde,  Gtrh.:  Die  Theorie  des  fromdsprachlicben  Untorrichts  in  der  Horbart- 
schen  Schule.  Eine  historisch-krit.  Studie,  nebst  e.  Vorschlag  zu  e.  Neu- 
gestalte, des  gesamten  fremdsprachl.  Unterrichts  nach  e.  einheitl.  Prinzip. 
(VIII,  VA  S.)  ..gr.  8".  Hannover,  Hahn  .".— . 

Duschinsky,  W.  Über  die  Tätigkeit  und  die  Ziele  des  Wiener  „neu- 
philologischen Vereines"  [In:  Zs  f.  dasRealschulwesenXXXH,  S.  129— 145]. 

Hammer,  M'.  A.  Natürliche  Anschauungsmittel  für  den  neusprachlicheu  Unter- 
richt.    [In:    Zs.  f.  d.  Realschulwesen  XXXII,  G.  S.  321— ;>37J. 

Hast,  A.    Pädagogischer  Kleinkram  [In:  Zs.  f.  franz.  u.  engl.  Unterricht  VI, 

3.  S.  239— 248j. 

Koschwiiz,  Eduard:    Anleitung  zum  Studium   der  französischen  Philologie  f. 

Studierende,  Lehrer  u.  Lehrerinnen.  3.,  verm.  u.  verb.  Aufl.  v.  Gvst.  Thurau. 

(VIII.  268  S.)  8°.  Marburg,  N.  G.  Elwert's  Verl.  '07.  4—. 
Kraft,    Fr.     Rostands    Princesse   lointaine   als  Schullektüre.     Beilage   zum 

Jahresbericht  der  Grofshzgl.  Ober  -  Realschule  zu  Worms.     Über  das 

Schuljahr  1906/07.  Worms.  Druck  von  A.  K.  Boeninger  1907.  62  S.  8°. 
Krücjer.  H.    Welches  ist  der  Wert  der  Grammatik  und  wie  mufs  sie  betrieben 

werden  [In:    Zz.  f.  franz.  und  engl.  Unterricht,  VI,  2]. 
Puhner,  I.    Line  Studienreise  nach  Frankreich.  Progr.  Stendal.  1907.  13  S.  8". 
Ratgeber   f.    das    Studium    des    Französischen    u.    Englischen.     Mit    besond. 

Berücksicht.  v.  Fachlehrerprüfgn.  in  Sachsen.    Hrsg.  vom  Vorstande  der 

Vereinigg.  f.  fremdsprachl.  Unterricht  (Abteiig.  des  sächs.  Lehrervereins). 

(.51.S.)  8°.  Dresden,  (C.  Winter)  '07.  — 
Roeth  Über  die  ßildungsaufgabe  und  das  Bildungsziel  des  neusprachlichen 

Unterrichts  am  Gymnasium  [In;  Zs.  f.  franz.  und  engl.  Unterricht  VI,  2]. 
Salverdu  de  Grave,  J.  J.     Quelques  observations  sur  l'evolution   de  la  philo- 

logie  romane  depuis  1884.  Discours  prononce  le  lef  mai  1907,  ä  l'occasion 

de   son  installation   comme   professeur  ordinaire   ä  la  facnlte  des  lettres 

de  l'Universite  de  Groningue.  Leide,  Van  der  Hoek  freres  1907.  40  S.  8". 
Stahl.  A.:  Ein  Fericnkursus  in  Saint- Valery-en-Caux,  zugleich  e.  Beitrag 
,      zum  Verständnis  des  Küstenstrichs.  Progr.  (32  S.)  Lex.  8".     Greifswald, 

(Brunken  &  C;;.)  '07.  —80. 
Zimmermann.  R.     Über  den  Unterricht  der   neueren   Sprachen  in  Rufsland 

[In :    Zs.  f.  franz.  u.  engl.  Unterricht  VI,  3.  S.  228—283]. 

9.  Lehrmittel  für  den  frauzösischen  Unterricht, 
a.  Grammatiken,  Übungsbücher  etc. 

Afsfahl,  K.:  Je  50  französische  u.  englische  Übungsstücke,  welche  bei  der 
württ.  Zentralprüfg.  f.  den  Einjährig-Freiwilligen-Dienst  in  den  J.  1905 
— 1907    m.    Genehmigg.    der   k.    Prüfungskommission   gegeben   wurden. 

4.  Serie.  (64  S.)  8".    Stuttgart,  A.  ßonz  &  Co.  '07.    —SO 

Beaux,  Th.  de:  Französische  Handelskorrespondenz.  Neudr.  (VII,  144  S.)  '07. 
[Sammlung  Göschen] 

Bechtel,  Adf  u.  Ch.  Glauser:  Sammlung  französischer  Aufsatzthemata  (m. 
Disposition  u.  Vokabular).  Recueil  de  sujets  de  composition.  I.  Tl.  f. 
die  unteren  u.  mittleren  Klassen  höherer  Lehranstalten.  2.,  rev.,  der 
amtl.  Rechtschreibg.  v.  1902  angepafste  Aufl.  (XVI,  180  S.)  gr.  8°.  Wien, 
Manz  '06.     2, 20 

Bock,  Frz.:  Choix  de  lettres  frangaises.  Recueillies  et  annotees.  (55  S.)  kl. 
80.  Nürnberg,  C.  Koch  '07.     —  80 

Boerner.  Otto:  Lehrbuch  der  französischen  Sprache.  Mit  besond.  Berücksicht. 
der  Übgn.  im  mündl.  u.  schriftl.  freien  Gebrauch  der  Sprache.  (Prof. 
Dr.  Boerners  neusprachl.  Unterrichtswerk,  nach  den  neuen  Lehrplänen 
bearb.  Französischer  Tl.;  Ausg.  C.  (In  2  Abtlg.)  II.  Abtlg.  Mit  2 
Hölzelschen  Vollbildern  (Herbst  u.  Winter),  1  Karte  v.  Frankreich, 
1  Plane  v.  Paris  u.   1  Münztaf.    In  Tasche:  Französisch-deutsches  und 


Novltütenverzeiclinis.  227 

dentsch-frauzös.  Wörterbuch.  4.  Doppel- Aufl.  (X.  268  u.  72  S.)  gr.  8» 
Leipzig,  B.  G.  Teubner '07.     2.80 

—  dasselbe.  Ausgabe  1),  f.  preufs.  Realanslalten  u.  ähnl.  Schulgattgn. 
Mitbearb.  v.  Realprogymn.-Dir.  Dr.  Frdr.  Schmitz.  II.  AbtIg.  Mittelstufe. 
Mit  o  Hölzelscbcn  Vollbildern:  Frühling,  Sommer  u.  Herbst,  e.  Karte  v. 
Frankreich,  e.  Plane  v,  Paris  u.  Münztaf.  In  Tasche:  Französisch- 
deutsches  u.  deutsch- französ.  Wörterbuch.  2.  verb.  Aufl.  (X,  252  u. 
76  S.)  gr.  8  0.    2.  80 

Boerner.  Ono;  Lehrbuch  der  französischen  Sprache.  Mit  besond.  Berücksicht. 
der  Übgn.  im  ri.ündl.  u.  schriftl.  freien  Gebrauch  der  Sprache.  Unter 
Mitarbeit  von  St.  v.  Napolski  u.  M.  v.  Napolski.  Vereinfachte  Cearbeitg, 
der  Ausg.  B  f.  Mädchenschulen.  (Prof.  Dr.  Boerners  neusprachl. 
Unterrichtswerk,  nach  den  neuen  Lehrplänen  bearb.  Französischer  Tl.) 
8°.  Leipzig,  B.  G.  Teubner.  [V.  Tl.  (Syntax).  Mit  e.  Hölzelsrhen  Voll- 
bild: „Paris",  8  Ansichten  v.  Paris,  e.  Plane  v.  Paris,  e.  Karte  v.  Frankreich 
u.  e.  französ.  Münztftfol.  Hirrzu  als  Beiheft  in  Tasche:  Abrege  d'histoire 
de  la  litterature  frangaise.     (VIU,  272  u.  4-2  S.)  '07.  3,20]. 

Bcerner,  Otto  u.  Rwl.  DinUer.  Lehrbuch  der  französisclien  Sprache.  Mit 
besond.  Berücksicht.  der  Übgn.  im  mündl.  u.  schriftl.  freien  Gebrauch 
der  Sprache.  Unter  Mitarbeit  v.  Bürgersch.-Dir.  Dr.  Herrn..  Heller  hrsg. 
(Prof.  Dr.  Boerners  neusprachl.  Unterrichtswerk,  nach  den  neuen  Lehr- 
plänen bearb.)  Ausg.  H  f.  Bürger-  n.  Mittelschulen.  II.  Tl.  2.  verm.  u. 
verb.  Aufl.  Mit  4  VollMldern  v.  Paris.  (VI.  194  S.)  8".  Leipzig,  B.  G. 
Teubner '07.     1.80 

Curtius,  Anna.  Der  französische  iVufsatz  im  deutschen  Schulunterricht.  Eine 
Anleitung  zur  Ge^taltung  der  fi  eien  schriftlichen  Arbeiten  im  fransösischen 
Sprach-  und  Literaturunterricht.  Leipzig,  Verlag  der  Dürrschen  Buch- 
handlung. VHI,  296  S.  80.    Preis  geh.  4  M.  geb.  4M.  80  Pf. 

DuUslav,  Geo.^  u.  Paul  Boeh:  Methodischer  Lehrgang  der  französischen 
Sprache  f.  höhere  Lehranstalten.  Französisches  Übungsbuch.  Ausg.  A 
u.  B.  Für  Sekunda  u.  Prima  der  Gymnasien,  sowie  f.  Obertertia.  Sekunda 
u.  Prima  der  Kealgymnasieu.  Mit  e.  Karte  v.  Frankreich.  (X,  262  S.) 
gr.  8°.  Berlin,  Weidmann  '07. 

Dussoiicketj  J.  Cours  primaire  de  grammaire  francaise,  redige  conformement 
aux  programmes  officiels.  Grammaiie  eufantine  illustree.  Paris,  Ilachette 
et  Cie.  1907.     In-16,  80  p.  40  cent. 

Forest,  Jules:  Exercices  de  phraseologie  et  de  style.  iVIII,  214  S.)  8".  Leipzig, 
Renger  '07.     2.  80 

Fricke,  Rieh.:  Le  laugage  de  nos  enfants.  Cours  primaire  de  fran^ais. 
Französisch  für  Anfänger.  I.  Cours  elementaire.  1.  Teil  (Für  Sexta.) 
(X,  202S.)     8».  Wien,  F.  Tempsky.  —  Leipzig,  G.  Freytag '06.     2  — 

Link,  Thdr.:  Grammaire  de  recapitulaiion  de  la  hmgue  frangaise  ä  l'usage 
des  ecoles  secondaires.  Französische  Repetionsgraromatik  für  Mittel- 
schulen.    Ausg.  B.  (VIII,  184  S.)  8".  München,  R.  Oldenbourg  '07.    2—. 

Maaijen,  Vict.  v.:  Wie  man  Kinder  in  einer  fremden  Sprache  und  in  der 
Grammatik  unterrichten  mufs.  Musterlektioueu  der  französ.  Sprache, 
gültig  für  alle  Sprachen,  für  tote  und  lebende,  nebst  einer  Sammlung 
leichter  Erzählungen  zum  Unterrichte  in  den  drei  ersten  Klassen. 
(45  S.)  8".   Riga  '06.    (Reval,  Klage  &  Ströhm  )    2  — 

Mar7ieij,  Toreau  de:  Toujours  pret.  Nouvelle.  Avec  un  abrege  de  grammaire 
et  un  vocabulaire  frauQais-allemand.  (Violets  Sprachlehrnovellen.)  (V, 
97  S.)  8".  Stuttgart,  W.  Violet '07.     1.20 

Metzger,  Fr.,  tt.  0.  Uanzmann:  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  auf  Grund- 
lage der  Handlung  und  des  Erlebnisses.  Ausg.  A.  Für  Realanstalten, 
Reform-  und  höhere  Mädchenschulen.  8".  Berlin,  Rcuther  &  Reichard. 
1.  Stufe  (f  Sexta)  Mit  Zeichnungen  v.  Helhnnt  Eichrodt.  o.  verb. 
Aufl.  (XII,  168  S.)  '07.     Geb.  1.60.  —   2.  Stufe   (f.   Quinta  u.   Quarta). 

15* 


228  No  vitäten  Verzeichnis . 

Mit  Zeichnungen  v.  Ilellmut  Eichrodt,  sowie  o.  (faib.)  Karte  v.  Europa 
und   e.   (färb.)  Plane  von  Pari-:.     2.  verb.  Aufl.  (VIII,  379  S.)  '07.     3.20. 

dasselbe.     Ausg.  B.  Für  Bürger-,  Töchterschulen  (Mittelschulen)  und 

erweiterte  Volksschulen.  1.  Stufe  f.  das  1.  u.  2.  Jahr).  Mit  Zoichngn. 
von  Hcllniut  Eichrodt.    3.  verb.  Aufl.  (XII,  2.50  S.)  8».  Ebd. '07.     2  — 

Miihry,  M.:  Praktische  Einführung  in  den  französischen  Anfangsunterricht 
für  mittlere  und  höhere  Mädchenschulen,  sowie  für  lateinlose  u.  Reform- 
Knabenschulen.  Im  Auschlufs  an  die  Bücher  v.  Kühn  und  Kühn-Diehl. 
(20  S.)  8».  Frankfurt  a/M.,  M.  Diesterweg '07.     —40 

Pierre,  A.,  A.  Minet  et  i/"«  A.  Mariin.  —  Cours  de  langue  fran^aise  (.Grammaire 
et  Vocabulaire;  200  lectures  et  recitations;  2.50  causeries  et  compositions; 
plus  de  1000  exercices  varies;  3e  edition,  revue  et  corrigee.  Cours  moyen. 
Cours  superieur.     Paris,  Nathan.    1907.    In-16,  344  p.  avec  grav. 

riatiner,  Ph.:  Ausführlicho  Grammatik  der  französischen  Sprache.  Eine 
Darsteljg,  des  modernen  französ.  Sprachgebrauchs  mit  Berücksicht.  der 
Volkssprache.  IV.  Tl.:  Ergänzungen.  Präpositionen  und  Adverbien  mit 
Einschlufs  der  Negation,  sowie  Syntax  des  Adjektivs.  (286  S.)  8°. 
Freiburg  i/B.,  J.  Bielefeldt  '07.  4, — ;  geb.  ."),^^  (Vollständig,  zusammen- 
bezogen: 25, — ;  in  4  Leinw.-Bdn.  27, — ;  mit  Übungsbuch  29,-).__ 

Schaefer,  Curt.  Lehrgang  für  den  französischen  Unterricht.  IV.  Tl.  Übungs- 
buch 1.  Hälfte.  2.,  völlig  neubearb.  Aufl.  der  „Kleineren  französischen 
Schulgrammatik  für  die  Oberstufe  IL  Tl."  (III,  L60  u.  XXXV  S.)  gr.  8^ 
Berlin,  Winckelmann  &  Söhne  "07      1,60. 

Sdiulthess,  J.  Übungsstücke  zum  Übersetzen  aus  dem  Deutscheu  ins 
Französische  bestehend  in  Erzählungen,  Parabeln,  Anekdoten,  kleinen 
Schauspielen  und  Briefen  für  den  Schul-  und  Privatgebrauch.  Sechzehnte, 
durchgesehene  Auflage.   Zürich,  Schulihefs  &  Co.  1907.  204  S.  8°.  M.  1,40. 

Tanty,  F.:  Grammatica  france/;a  (grammaire  frangaise  ä  l'usage  des  Portugals 
et  Bresiliens)  com  themas  e  exercicios  de  leitura  e  conversa^äo.  (Methodo 
Gaspey- Otto -Sauer.)  2,  ed.  Rev.  por  Gaston  Le  Boucher  e  Carolina 
Micha'elis  de  Vasconcellos.  (VIII,  499  S.  mit  l  Karte  und  1  Plan.)  8». 
Heidelberg,  J.  Groos  '07.     Geb.  4,—  ;  chave.  (49  S.)  Kart.  1,60. 

Weitzenböck,  G.  Lehrbuch  der  franz.  Sprache  für  Mädchenlyzeen,  Lehrerinnen- 
bildungs-Anstalten.  L  Teil  mit  einer  Münztafel.  3.  Aufl.  Wien,  F.  Tempskv 
1907.     Pr.  geb.  2  K  90_h. 

—  dasselbe.  IL  Teil.  A.  Übungsbuch.  Mit  24  Abbildungen,  einem  Kärtchen 
von  Frankreich  und  einem  Plan  von  Paris.     Pr.  geb.  3  K  80  h. 

b.   Literaturgeschichte,  Schulausgaben,  Lesebücher. 

Auieurs  francais.  8°.  Trier,  J.  Lintz.  L  Wershoven,  F.  J.:  Napoleon  ler. 
Sa  vio,  son  histoire  depuis  sa  mort,  ses  poetes.  Mit  5  Abbildgn.  (HI, 
107  S.)  '07.  1,10.  H.  Lanfrey,  Duruy,  Rousset:  Jena,  Waterloo, 
Sedan.  Hrsg.  v.  Prof.  Dr.  F.  J.  Wershoven.  Mit  2  .\bbildgn  u.  3  Karten. 
(82  S.)  '07.  —  90;  Wörterbuch.  (25  S.)  —  20.  111.  Daudet,  Theuriet, 
Maupassant,  Leniaitre:  Kriegsnovellen  (1870—1871).  Ausgewählt 
und  erklärt  von  F.  J.  Wershoven.  Mit  2  Abbildgn.  und  1  Karte.  (88  S.) 
'07.  —  90.  IV.  Michelet,  J.:  Jeanne  d'Arc.  Hrsg.  und  erklärt  von 
F.  J.  Wershoven.    Mit  1  Abbildgn.  (VIII,  88  S.)  '07.  —  90._  _ 

Boriieeque,  Henri,  et  Benno  Röttgers,  Recueil  de  morceaux  choisis  d'auteurs 
francais.  Livre  de  lecture  consacre  plus  specialement  au  XlXme  siöcle 
et  destine  ä  l'enseignement  inductif  de  la  litterature  frangaise  moderne 
et  contemporaine.  (XVI,  515  S.)  gr.  8°.  Berlin,  Weidmann  '07.  5—; 
commenlaire  litteraire.  (III,  118  S.)  '07.  2.80. 

Clarelie,  L.  Nos  grands  ecrivains  racontes  a  nos  petits  Frangais;  Preface 
par  M.  G.  Ilnnotaux,  Paris,  Gedalge  et  Cie.  In  8,  255  p.  avec  grav.  et 
portraits  dans  le  texte. 


Novitätenverzeichnis.  229 

Daudet,  Alphonse:  Lettres  de  mon  moulin.  Wörterverzeichnis.  (24  S.)  kl.  8°. 
Leipzig,  Dr.  P.  Stolte  '07.  —  30. 

Erckmann-Chatrian:  Watsrloo.  Suite  du  conscrit  de  1813.  Für  den  Schul- 
gebrauch hrsg.  vou  Eugene  Pariselle.  (120  S.  mit  Titelbild  und  4  Karten.) 
8°.  Leipzig,  G.  Freytag.  —  Wien,  F.  Tempsky  '07.  1.20;  Wörterbuch. 
(33  S.)  —  40. 

F7-ßrec«7fow,  Cyprien :  La  conversation  fran^aise  nebst  Schlüssel  zum  „Fran^ais 
pratique."     (VI,  3.32  S.)  8'^.     Leipzig,  Pi,enger  '06. 

Gautiei;  Thi'nphih:  Jettatura.  Mit  Wort-  und  Sacherklärungen  hrsg.  von 
Aug.  Geist.  (Koch's  neusprachl.  Schullektüre,  französ.  Ausg.)  (VII.  103 
und  23  S.)  kl.  8".     Nürnberg,  C.  Koch  '07.  1,—. 

Guechoi.  Deuxieme  livre  de  lecture  expliquee.  Vocabulaire  et  Composition. 
Formation  du  raisonnement  par  l'observation  directe  et  la  reflexion. 
Cours  moyen.    Petit  in-8,  160  p.  avec  vign.  Paris,  Hachette  et  Cs.  1907. 

Hartmann.  Marl.:  Schulausgaben  (französischer  Schriftsteller).  (Neue  Aufl.) 
8°.  Leipzig,  Dr.  P.  Stolte.  Nr.  7.  Meliere:  Le  bourgeois  gentilhomme. 
Mit  Einleitung  und  Anmerkungen  herausgegeben  von  C.  Humbert.  2. 
verbesserte  Auflage  (XX,  90  und  39  S.)  '07.  1.—. 

Jones,  Dan.,  M.  A.:  100  poesies  enfantines  (avec  maximes  et  proverbes). 
Recueillies  et  mises  en  transcription  phonetique.  lUustrations  par  Elinor 
M.  Pugh.     (VI,  106  S.)  kl.  80.     Leipzig,  B.  G.  Teubner  '07.  1.80. 

Moliere:  L'Avare.  Comedie.  Für  den  Schulgebrauch  hrsg.  v.  Willi  Splettstösser. 
(116  S.  mit  Titelbild  und  1  Abbildung.)  8°.  Leipzig,  G.  Freytag.  —  Wien, 
F.  Tempsky  '07.  1.20. 

Parisien,  le  petit.  Illustriertes  französ.  Witzblatt  für  deutsche  Leser  zur 
Fortbildung  in  der  französ.  Sprache.  1.  Jahrg.  4.  Vierteljahr  Januar — 
März  1907.  6  Nummern.  (Nr.  24.  S.  185—192.)  30,5X23  cm.  Hamburg, 
H.  Paustian. 

—  dasselbe.  2.  Jahrg.  April  1907-März  1908.  24  Nummern.  (Nr.  1.  8  S.) 
30,5X23  cm.  Ebd.  Vierteljährlich  1  20. 

Prosateurs  francais.  Ausgabe  A  mit  Anmerkungen  zum  Schulgebrauch  unter 
dem  Text.  Ausgabe  B  mit  Anmerkungen  in  einem  Anhang  kl.  8°. 
Bielefeld.,  Velhagen  &  Klasing.  167.  Lfg.  Chailey-Bert,  Jos.:  Tu 
seras  commer^ant.  Ausgabe  für  kaufmännische  Lehranstalten  von  Ludw. 
Voigt  (Ausg.  B.)  (VII,  116  S.)  1907.  1,—.  168.  Lfg.  Girault  P.: 
Tony  ä  Paris.  Mit  Anmerkgn.  zum  Scbulgebrauch  hrsg.  v.  J.  Niederländer. 
Mit  9  lUustr.  u.  1  Karte  v.  Paris.  (Ausg.  B.)  (IV.  190  u.  72  S.)  '07.  1.80. 
169.  Lfg.  Chuquet,  Arth.:  La  guerre  de  1870—1871.  In  Auszügen 
mit  Anmerkgn.  zum  Schulgebrauch  hrsg.  v.  Leon  Wespv.  Mit  1  Über- 
sichtskarte. (Ausg.  ß.)  (V,  148  u.  78  S.)  '07.  1.40.  170."  Lfg.  Guizot, 
F.:  Histoire  de  la  civilisation  en  Europe.  Le  peuple  et  le  gouvernement. 
Auszug  mit  Anmerkgn.  f.  den  Schulgebrauch  hrsg.  v.  Herm.  Gi-öhler 
(Ausg.  B.)  (VIII,  129  u.  47  S.)  '07.  1.20.  171.  Lfg.  Goncourt,  Edmond 
de,  et  Jules  de  Goncourt:  Histoire  de  la  societe  fran^aise  pendant  la 
revolution  et  le  directoire.  Mit  Anmerkgn.  zum  Schulgebrauch  hrsg  v. 
Wilh.  Kalbfleisch.  Mit  1  Übersichtskarte.  (Ausg.  B.)  (IV,  107  u.  35  S.) 
'07.     1.10. 

Rostands  princesse  lointaine  als  Schullektüre.  Zur  Einführg.  u.  Ergänzg. 
der  Schulausg.  von  Fr.  Kraft.     (62  S.)  8".  Marburg,  0.  Ehrhardt  '07. 

Sand,  George:  La  petite  fadette.  Nach  der  Pariser  Ausgabe  der  Oeuvres 
illustrees  de  George  Sand.  Michel  Levy  Freres  1869.  Hrsg.  u.  erläutert 
v.  K.  Sachs.   2.  Aufl,   (III,  173  u.  32  S.)  8«.   Berlin,  Weidmann  '07.   I.SO. 

Steffen,  Max:  La  France.  Choix  de  lectures  de  geographie.  Für  den  Schul- 
gebrauch hrsg.  (109  S.  m.  5  eiugedr.  Karten.)  8°.  Leipzig,  G.  Freytag.  — 
Wien,  F.  Tempsky  '06. 

SteinmüUer,  Geo.:  Auswahl  V.  50  französischen  Gedichten  f.  den  Scbulgebrauch. 


2  30  Novitätenverzeichnis. 

Zusammengestellt  und  erläutert,  uebst  einem  Wörterbuch.  3.  Auflage 
(VJII,  104  S.)  8».     München,  11.  Oldenbourg  '07.     löO. 

Scht/lbibliothek  französischer  und  englischer  Prosaschriften  ans  der  neueren  Zeit. 
Mit  besoud.  Uerücksicht.  der  Fordergn,  der  neuen  Lehrpläne  hrsg.  v.  L. 
Bahlsen  u.  J.  Hengesbach.  1.  Abtlg. :  Französische  Schriften.  8".  Berlin, 
Weidmann.  öS  Bdchn.  Chalamet,  A. :  A  travers  la  France,  in  gekürzter 
Fassg.  u.  ra.  Kommentar  hrsg.  v.  Realgymn.- Oberlehr.  Dr.  Max  Plänzel. 
Mit  1  Karte  u.  12  Bildern.  (VIll,  109  8.)  '07.  Geb.  1.40. 

Schiilerhibliothek  französische.  1.  Serie,  kl.  8".  Paderborn,  F.  Schöningh  4.  Bdchn. 
Blandy,  S.:  Mont  Salvage.  Mit  Anmerkgn.  zum  Schulgebrauch  u.  e. 
Wörterbuch  versehen  v.  F.  Mersmaun.  (164,  22  u.  31  S.)  C'07.)  1.60.  5. 
Bdchn.  Blandy.  S. :  Desireo  et  Violette.  (Fortsetzung  v.  Mont  Salvage). 
Mit  Anmerkgn.  zum  Schulgebrauch  u.e.  Wörterbuch  versehenv.F.  Mersman. 
(118,   18  u.  27  S.)  ('07.)  I.ÖO. 

Schulbibliothek .  französische  und  englische.     Hrsg.  von  Otto  E.  A.  Dickmaun. 

Reihe   A:   Prosa.     8°.     Leipzig,  Renger.     1.54.  Bd.   Compayre,   Gabr. : 

YvaQ  Gall,  le  pupille  de  la  marine.    Für  den  Schulgebrauch  ausgewählt 

■    und  erklärt  von  E.  Wirtz.    Mit  10  Abbildungen  (IV,  128  S.)  1907.  1.30. 

Schulbibliothek,  französische  und  englische.  Hrsg.  von  Otto  E.  A.  Dickmann. 
Reihe  A:  Prosa.  8".  Leipzig,  Renger.  ,57.  Taine,  H. :  Les  origines 
de  la  France  contemporaine.  Für  den  Schulgebrauch  ausgewählt  und 
erklärt  von  Otto  Hoffmann.  8.  Aufl.  (VI,  12.5  S.)  '07.  1.20.  94.  Daudet, 
Alphonse:  Le  petit  chose.  Für  den  Schulgebrauch  erklärt  v.  Jos.  Aymeric. 
4.  Aufl.  (VIII,  130  S.)  '07.  1.30.  —  Reihe  B:  Poesie.    8°.     Ebd. 

—  dasselbe.     Reihe  C.  (Für  Mädchenschulen.)  Prosa  und  Poesie.    8".    Ebd. 

1.  Paresseux,  Ic  petit.  —  Witt,  Mme.  de.  nee  Guizol:  Premier  voyage 
du  petit  Louis.  —  Bersier,  Mme.:  Histoire  d'une  petite  fiUe  heureuse. 
Für   den  Schulgebrauch   bearb.  v.  M.  Mühry.     4.  Aufl.  (60  S.  '07.  —  70. 

2.  Bersier,  Mme.:  Les  myrtilles.  Für  den  Schulgebrauch  bearb.  von 
M.  Mühry.  2.  Auflage  (78  S.)  '07,  —  70.  4.  Colom  b,  Mme.:  La  fiUe 
de  Cariles.  Für  den  Schulgebrauch  bearb.  v.  M.  Mühry.  8.  Aufl.  (96  S.) 
'07.  —  90. 

—  dasselbe.  Reihe  B:  Poesie  8°.  Ebd.  31.  Bd.  Rostand,  Edm.;  Princesse 
Lointaine.  Publice  ä  l'usage  des  classes  par  Fr.  Kraft  et  L.  Marchand. 
Dictionnaire  explicatif.  (28  S.)  '07.  —  30. 

Thiers^  A. :  Expedition  d'£gypte.   Für  den  Schulgebrauch  hrsg.  v.  Oberrealsch. 

Oberlehr.  Dr.  Frdr.   Weyel.   (127  S.  m.  3  Abbildgn.  u.   4  Karten.)  8». 

Leipzig, G. Freytag..  —Wien,  F.Tempsky  'OG.  1.50;  Würlerbuch.(;54S.)— 40. 
Vocabularien,  französische  u.  englische,  zur  Benutzung  bei  den  Sprechübungen 

üb.  Vorkommnisse  des   täglichen  Lebens.     (Dr.  Ew.  Goerlich's  frauzös. 

u.   engl.  Vokabularien.)    I.  Französische  Vokabularien,   kl.  8".  Leipzig, 

Reuger.    8.  Wallcnfels,  Herrn.:  Der  Bauernhof,  zugleich  im  Anschlufs 

an    das    bei    Ed.    Hölzel    in    Wien    erschienene    Anschauungsbild:     Der 

Bauernhof.  (35  S.)  '07.  —  40. 

Die  49.  Versairmlun^  deutscher  Philologen  und  Schulmäuner 

wird  von  Montag,  den  23.  bis  Freitag,  den  28.  September  \90t  in  Basel 
stattfinden.  Für  die  romanistische  Sektion  wurden  die  folgenden 
Vorträge  angemeldet:  1.  G.  Baist  Arabische  Beziehungen  vor  den  Kreuz- 
zügen. —  2  Ph.  A.  Becker.  Girart  de  Roussijjon.  —  3.  G.  Bertoni. 
La  poesia  franco-italiana.  —  4.  L.  Gauchat.  Über  die  Bedeutung  der 
Wortzonen.  —  5.  A.  Piagot.  Le  Miroir  aux  dames,  un  poeme  iuedit  du 
XVe  siecle.  —  6.  H.  Schneegans.  Die  neuere  französische  Literatur- 
geschichte im  Seminarbetrieb  unserer  Universitäten.  —  7.  0.  Voretzsch.  Die 
neueren  Forschungen  über  die  deutschen  Rolandbilder.  —  8.  Ed.  Wechssler. 
Mystik  und  Minnegesang. 


PC 
2003 
Z5 
BdOi 


Zeitschrift  für  französische 
Sprache  und  Literatur 


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UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 


REINFORCEO  8INDIN6 

WILLrAM    IHIGGS 


nm 


s.v.- 


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