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Full text of "Zeitschrift für Ohrenheilkunde"

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BOSTON!  KN  SIS 


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ZEITSCHRIFT 


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OHRENHEILKUNDE 

MIT  BESONDERER  BERÜCKSICHTIGUNG 

DBS 

BEINOLOEflS  UND  DIR  OBRIßEN  EfRENZeSBIITE 

IN  DEUTSCHER  UND  ENGLISCHER  SPRACHE 

HEBAU80E0EBEN  VON 

Prof.  Dr.  H.  XNAFP     Prof.  Dr.  0.  KÖBNES 

in  New-Tork  in  Rostock 

Prof.  Dr.  ABTHÜB  HABTMANN  Prof.  Dr.  U.  PBITCHABD 

in  Berlin  in  London. 


VIERUNDFÜNFZIGSTER   BAND. 


Mit  29  Tafeln  and  8  Abbildungen  im  Texte. 


WIESBADEN. 

VERLAG   VON   J.   F.    BERGMANN. 

1907. 


Das  Rtcki  dir  Ui^irstttung  hliUt  vorbthaltin. 


CMMoaxa 
JUNIS  1908 

E.  H.  B. 


Draek  tob  Carl  Ritt«  ,  G.m.b.H.,  in  vViMbadtfii. 


I  H  HALT. 


Orlginalarbeiten.  H%\f 

I.  Über  ErtaubuDg  im  Verlaufe  Yon  acuter  Osteomyelitis  und 
von  septischen  Prozessen  im  allgemeinen.  Von  Professor 
Dr.  F.  Siebenroann  in  Basel 1 

iL  Zar  Kenntnis  der  hereditär  -  degenerativen  Tanbstommheit. 
V.  Über  pathologische  Aagenbefunde  bei  Taubstummen  und 
ihre  differential- diagnostische  Bedeutung.  Von  Dozenten  Dr. 
Victor  Hammerschlag  in  Wien.  Mit  5  Abbildungen  auf 
Tafel  I/II 18 

III.  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schallein  Wirkung.  Eiue 
experimentelle  Studie.  Von  Privatdozent  Dr.  Wittmaack  in 
Greifswald.    Mit  25  Abbildungen  auf  den  Tafeln  III— XII .    .       37 

IV.  Zur  pathologischen  Bedeutung  der  occipitalen  Sinusyerbindungen. 
Von  Dr.  Kühne,  I.  Assistent  der  Klinik.  Mit  1  Abbildung 
im  Texte.  (Aus  der  Üniyersitäts-Ohren-  und  Kehlkopf  klinik  zu 
Rostock  [Direktor:  Prof.  Dr.  Körner].). 81 

V.   Das  HOren  der  Neugeborenen.    Von   Dr.   G.   Zimmermann 

in  Dresden 87 

VI.   Bemerkung  zur  vorstehenden  Arbeit  von  Dr.  Zimmermann 

in  Dresden.    Von  Dr.  W.  Koellreiitter 89 

VII.  Otogene  Senkungsabszesse  und  suboccipitale  Entzündungen.  Von 
Dr.  6.  Engelhard t,  I.  Assistenten.  (Aus  der  Universitäts- 
Poliklinik  für  Ohren-,  Nasen-  und  Kehlkopf krankheiten  zu 
Breslau  [Prof.  Hinsberg].) r 97 

VIII.  Beitrag  zur  Entstehung  und  Behandlung  der  otogenen  Pyämie. 
(Ein  Fall  von  Thrombose  des  Sinus  petrosus  superior.)  Von 
Stabsarzt  Dr.  Kramm,  Assistenten  der  Klinik.  Mit  2  Abbild, 
auf  Tafel  XIII.  (Aus  der  Ohrenklinik  der  Kunigl.  Charit^  zu 
Berlin.    Direktor  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  Passow.)      .     .      126 

IX.  Ein  Beitrag  zur  Therapie  der  otitischen  Grosshirnabszesse.  Von 

Dozenten  Dr.  Ferdinand  AU  in  Wien 137 


IV  Inhalt. 

Seite 

X.    Fremdkörper  in  der  Nasenhöhle  als  Ursache  von  Eieferhöhlen- 

onipyenien.    Von  Dr.  6.  Krebs  in  Hildesheim 141 

XI.  Beiträge  zur  Histologie  der  erworbenen  Taubstummheit.  Von 
Dr.  F.  R.  Nager,  I.  Assistenten  der  Klinik.  Mit  6  Abbildungen 
auf  Tafel  XXIV— XIX.  (Aus  der  otolaryngologischen  Universitäts- 
Klinik  Basel,  Direktor  Prof.  Dr.  F.  Sieb en mann.)  .         .    .      217 

XI [.  Ein  atypischer  Fall  von  Sinusthrombose  und  Kleinhirnabszess. 
Von  Privatdozent  Dr.  Boenninghaus  in  Breslau.  Mit  1  Ab- 
bildung im  Texte.    (Aus  dem  St.  Georgskrankenhaus.)     .    .    .      245 

XIII.  Über  die  Einrichtung  eines  geräuschlosen  Untersuchungszimmers. 
VonH.  Zwaardemakerin  Utrecht  Mit  4  Abb.  auf  Taf.  A.      24S 

XIV.  Entfernung  eines  Fremdkörpers  aus  dem  Ohre  mit  dem  Elektro- 
magnet. Von  G.  Alexander  in  Wien.  (Aus  der  Universitäts- 
Ohrenklinik  [Vorstand:  Hofrat  Prof.  Dr.  Politzer  in  Wien].)      256  , 

XV.    Obertonfreie  Stimmgabeln   ohne  Belastung.    Von  Professor  Dr.  i 

M.  Th.  Edelmann  in  München.    Mit  4  Abbildungen  im  Text      25S 

XVI.    Über  den  Labjrinth-   und  Hirnbefund   bei   einem   an  Retinitis  | 
pigmentosa  erblindeten  Angeboren -Taubstummen.     Von  Prof. 

F.  Siebenmann   und   Dr.  R.  Bing  in  Basel.    Mit  23  Abb.  ! 

auf  Taf.  XX-XXVIII 265                   | 

XVII.    Zur  Frage  des  therapeutischen  Wertes  des  Fibrolysin  in   der  i 

Ohrenheilkunde.   Von  Dr.  Otto  Vögjeli,  Assistent  der  Klinik. 
(Aus    der    otolaryngologischen    Klinik    der   Universität   Basel.  ^ 

Direktion:  Prof.  Siebenmann.) 281 

XVIII.  Über  die  osteomyelitischen  Erkrankungen  des  Schläfenbeins. 
Von  Dr.  Rud.  Riester  in  Odessa,  früher  Volontär- Assistent 
der  Klinik.  (Aus  der  Universitäts-Ohrenklinik  zu  Heidelberg 
[Vorstand  Prof.  Dr.  Kümmel].) 290  ! 

XIX.    Beitrag  zur  Kenntnis  der   gefährlichen   Felsenbeine.     Von  Dr.  j 

0.  Muck  in  Essen 307 

XX.  Über  die  Ausbreitung  des  Schleimhautepithels  auf  die  Wund- 
ttächen  nach  Operationen  am  Mittelohr.  Von  Dr.  Fr.  Reinking, 

1.  Assistent.  Mit  2  Abb.  im  Text.  (Aus  der  Kgl.  Univ. -Poliklinik  für 
Ohren-,  Nasen-  u. Halskrankh.  in  Breslau  [Prof.  Dr.  Hinsberg].)      311 

XXI.  Über  rezidivierende  Mastoiditis.  Von  Dr.  Hermann  Ivo  Wolff, 
Assistent  der  Klinik.  (Aus  der  Klinik  und  Poliklinik  für  Ohren-, 
Hals-  u.  Nasenkrankheiten  des  Privatdoz.  Dr.  G.  Brühl  zu  Berlin.)      322 

XXII.  Bericht  über  die  wahrend  der  Jahre  1892—1901  in  der  Münchner 
otiatrischen  Klinik  zur  Ausführung  gekommenen  Totalaufmeiss- 
luugen.  Von  Dr.  Adolf  v.  Ruppert,  Assistent.  (Aus  der 
k.  otiatrischen  Universitätsklinik  zu  München  [Vorstand:  Prof. 
Bezold].) •- 334 


Inhalt.  V 

Seite 

I^lteralnrberieht« 

Bericht  flher  die  Leistungen  und  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der 
Ohrenheilkunde,  der  Bhinologie  und  der  übrigen  Grenzgebiete 
im  vierten  Quartal  1906  und  im  ersten  und  zweiten  Quartal  1907. 
Zusammengestellt  von  Professor  Dr.  Arthur  Hartroann  in 
Berlin 145.  358 

Oesellschafts  berichte* 

Bericht  über  die  Verhandlungen  des  Dänischen  oto-lary ngologischen  Vereins. 

Von  Dr.  Jörgen  Möller  in  Kopenhagen 195.  413 

Bericht  über  die  16.  Versammlung  der  Deutschen  otologischen  Gesellschaft 
in  Bremen  am  17.  und  18.  Mai  1907.  Von  Dr.  J.  He  gen  er 
in  Heidelberg 198 

Bericht  über  die  Sitzung  der  Österreichischen  otologischen  Gesollschaft 

vom  24.  Juni  1907 212 

Vierzehnte  Versammlung  des  Vereins  Süddeutscher  Laryngologen  zu 
Heidelberg.  Pfingsten  20.  Mai  1907.  (.Aus  dem  Bericht  des 
Schriftführers  Dr.  Felix  Blumen feld  in  Wiesbaden.).     .     .      400 

79.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Är/te  in  Dresden,  15,  bis 
21.  September  1907.  Abteilung  für  Ohrenheilkunde.  Bericht 
von  Dr.  Just  in  Dresden 404 

Bericht  über  die  Verhandlungen  der  Berliner  otologischen  Gesellschaft. 

Von  Dr.  Max  Leichtentritt 410 

Bericht  über  die  Verhandlungen  der  St.  Petersburger  otolaryngologischen 

Gesellschaft.    Erstattet  von  Dr.  A.  Sa  eher 412 

Gesellschaft  Sächsisch-thüringischer  Kehlkopf-  und  Ohrenärzte  zu  Leipzig      414 

Besprecbiiiigeii. 

Geschichte  der  Ohrenheilkunde  von  Dr.  Adam  Politzer,  o.  ö.  Professor 
der  Ohrenheilkunde  an  der  Wiener  Universität,  k.  k.  Hofrat. 
Zwei  Bände.  I.  Band:  Von  den  ersten  Anfängen  bis  zur  Mitte 
des  19.  Jahrhunderts.  Mit  31  Bildnissen  auf  Tafeln  und  19  Text* 
figuren.  Stuttgart,  Verlag  von  Ferdinand  Enke,  1907.  Be- 
sprochen von  Dr.  Gustav  Brühl  in  Berlin       91 

Atlas  der  deskriptiven  Anatomie  des  Menschen  von  Prof.  Dr.  med.  J.Sabotta. 
Lehmanns  medizinische  Atlanten  IV.  Band.  IIF.  Abteilung:  Die 
Sinnesorgane  des  Menschen.  München  1907.  Besprochen  von 
Dr.  Gustav  Brühl  in  Berlin 94 

Sur  les  auppurations  du  Labyrinthe  consecutives  aux  lesions  purulentes 
de l'oreille mbyenne.  Par  le  Professeur  G.  Grndenigo  de  Turin. 
Traduction  parM.  Menicr.  Paris,  Librairie  J.  B.  Bailliere 
et  fils,  1906 214 

Klinik  der  Bronchoskopie  von  Dr.  Hermann  von  Schrötter  in  Wien. 
Mit  4  Tafeln  und  72  Abbildungen  im  Texte.  Verlag  von  Gust. 
Fischer  in  Jena,  1906 214 


VI  Inhalt. 

Seite 

Some  points  in  tbe  Surgical  Anatomy  of  tlie  Temporal  Bone  from 
birth  to  adult  llfe.  Von  Arthur  H.  Cheatle.  London, 
J.  &  A.  Churchill,  1907 214 

Über  die  Geschwülste  des  Kleinhirnes  und  der  hinteren  Schädelgrube  von 
Prof.  Dr.  Sei  ff  er  in  Berlin.  Besprochen  von  Dr.  B&räny 
in  Wien 415 

Der  otitische  Kleinhirnabszess  von  Dr.  Heinrich  Neu  mann   in  Wien. 

Franz  Deuticke,  Leipzig- Wien  1907.    Bespr.  v.  Dr.  G.  Brühl      417 

Grundriss  und  Atlas  der  speziellen  Chirurgie  von  Prof.  Dr.  Georg  Sultan, 
I.  Teil.  Mit  20  farbigen  Tafeln  und  218  zum  Teil  zwei  bis 
dl eifarbigcn Abbildungen.  München  1907.  Lehmanns  Medizin. 
Handatlanten.  Band  XXXVL  Besprochen  von  Dr.  Gust.  Brühl      418 

Die  ohrenärztliche  Tätigkeit  des  Sanitätsoffiziers.  II.  Teil.  Einige  wichtige 
Fragen  aus  dem  Gebiete  der  Ohrenheilkunde  unter  besonderer 
Berücksichtigung  dor  Bozold-Edelmannschen  Tonreihe  be- 
arbeitet von  Dr.  Robort  Dolger,  Stabsarzt  in  Frankfurt  a.  M. 
Wiesbtiden,  Verlag  vun  .1.  F.  Bergmann,  1907.  Besprochen 
von  ArthurHartraann .     .     .     .      418 

Die  chronische,  progressive  Schwerhörigkeit.  Ihre  Erkenntnis  und  Behand- 
lung. Von  Dr.  August  Lucae.  Berlin,  Julius  Springer, 
1907.  392  Seiten,  mit  25  Textfiguren  und  2  Tafeln.  Preis  M.  18.— 
Besprochen  von  Prof.  Hinsberg  in  Breslau 419 

Fach-  und  Personalnachrichten 95   215.  421 


JUN 15190«      ^1 


I. 

über   Ertaubung   im    Verlaufe   von   acuter 

Osteomyelitis  und  von  septischen  Prozessen 

im  allgemeinen. 

Von  Prof.  Sieben  mann  in  Basel. 

Ertaabung  als  Folge  von  acuter  Osteomyelitis  haben  Steinbrügge 
(Pathologische  Anatomie  des  Gehörorgans,  S.  116),  Bezold  (die  Taub- 
stummheit auf  Grund  ohrenärztlicher  Beobachtungen,  8.  99),  Wagen- 
häuser  (Archiv  für  Ohrenheilkunde,  Bd.  4ti  S.  33)  und  Castex 
(Archives  internationales  de  laryngologie  etc.  1903,  pag.  1383  und 
Rapport  au  XIV.  Congres  intern,  de  Medecine  1903.  Causes  de  la 
surdi-mutite  Paris,  pag.  31)  je  in  einem  Falle  beobachtet.  Sämtliche 
"vier  Publikationen  beschränken  sich  in  der  Hauptsache  je  auf  eine 
kürzere  kasuistische  Mitteilung.  Bei  der  grossen  Seltenheit  dieser 
merkwürdigen  Erkrankung,  von  welcher  sich  in  der  älteren  Literatur 
nicht  die  leiseste  Andeutung  findet ,  dürfte  die  ausführliche  Mit- 
teilung von  drei  weiteren  Fällen,  die  ich  im  Laufe  der  letzten  fünf 
Jahre  beobachtet  habe,  von  Interesse  sein.  —  Im  Anschluss  wollen  wir 
versuchen,  an  Hand  des  bis  jetzt  vorliegenden  Materials  ein  Bild  der 
Osteomyelitis-Taubheit  zu  entwerfen. 

LFall. 

Anna  IL  in  Scanfs  (Enj^adin)   12jährig.     No.  1840.      1903. 

Anamnese  vom  13.  Oktober  1903:  Patientin  lernte  recht- 
zeitig sprechen,  entwickelte  sich  geistig  und  körperlich  ganz  normal 
und  war  mit  Ausnahme  einer  leichten  Masernerkrankung  in  den  ersten 
Jahren  des  Schulbesuches  stets  gesund.  Anhaltspunkte  für  die  Annahme 
hereditärer  Lues  linden  sich  auch  in  der  Familienananmese  keine.  Im 
Mai  1897  erkrankte  sie  an  einer  akuten  Osteomyelitis  des  linken  Fonuir 
und  wurde  im  November  des  nämlichen  Jahres  mit  einer  eiternden  Fistel 
aus  der  Spitalbehandlung  (Dr.  Bernhard  in  Saniaden)  entlassen. 

Im  Frühjahr  1898  trat  sie  zum  zweiten  Male  in  den  Spital  we^'eu 
erneuten    Schmerzen    und    stärkerer    allgemeiner  Schwellung    des  linken 

Zeituchrift  för  Ohn-nbeilVundo,   Bd.  LIV.  1 


2  F.  Sieben  mann:   Über  Ertaubung  im  Verlaufe  von 

Oberschenkels.  Am  26.  April  1898,  bei  gutem  Allgemeinbefinden  und  ganz 
gutem  Gehör  und  ohne  dass  eine  Operation  unmittelbar  vorausgegangen 
wäre,  ertaubte  Patientin  plötzlich  beiderseits  innerhalb  von  vier  Stunden 
fast  gänzlich.  Dabei  traten  weder  Bewusstseinsstörungen  noch  Schwindel, 
Erbrechen,  Sausen,  Schmerz  oder  Lähmungen  ein.  Einige  Monate  später 
erfolgte  links  eine  leichte  Besserung,  die  bis  heute  konstant  geblieben 
ist,  sodass  Patientin  jetzt  laute,  unmittelbar  am  linken  Ohr  gesprochene 
Worte  und  Sätze  zum  grössten  Teil  versteht. 

Status  vom  14.  Oktober  1903.  Vorzügliches  Allgemeinbefinden. 
Keine  luetischen  Stigmata,  dem  Alter  entsprechende  Rörpergrösse ;  keine 
Lähmungen,  kein  Schielen,  normaler  Gang.  Normales  Verhalten  von 
Pupillen  und  Augenhintergrund. 

Cavum  r et ro nasale  normal. 

Gehörorgane:  Trommelfelle  ganz  normal. 

u         ..     )  rechts  =  0  cm  für  Konversationssprache. 
I  links    =  _L  cm    *  «  « 

Beim  lauten  Sprechen  ins  rechte  Ohr  empfindet  Patientin  Schwindel. 
Die  eingehendere  funktionelle  Prüfung  des  Gehörs  ergibt,  dass 
rechts  weder  Stimmgabeln  noch  Pfeifen  gehört  werden  und  dieses  Ohr 
somit  total  taub  ist.  Links  werden  von  den  belasteten  Stimmgabeln 
von  a^  aufwärts  alle,  und  die  Pfeifentöne  bis  zu  Galton-Edelmann 
10,8  =  a"'  hinauf  lückenlos  gehört.  Beim  Drehversuch  nach  rechts  wie 
nach  links  tritt  normaler  Nystagmus  auf;  der  Schwindel  ist  dagegen 
beim  Linksdrehen  bedeutend  stärker  als  beim  Rechtsdrehen. 

IL  Fall. 

Josef  F.,  Holzschnitzer  in  Luzern,  43 jährig,  No.  1691,  1906;  zu- 
gewiesen durch  Herrn  Dr.  Kopp. 

Anamnese  vom  1.  Dezemben  1906:  Patient  überstand  vor  ca. 
25  Jahren  einen  akuten  Gelenkrheumatismus,  war  aber  im  übrigen 
stets  gesund.  Im  Januar  1901  erkrankte  er  unter  heftigen  Kopf- 
schmerzen und  hohem  Fieber  an  einer  kryptogenetischen  Staphylococcen- 
septicämie  mit  multiplen  Eiterungsherden,  die  {zunächst  in  einem 
Femur,  dann  sukzessive  in  beiden  Tibien,  später  im  Fussskelett.  dem 
linken  Sternoclavicular-  und  Sternocostalgelenk,  in  einer  Rippe  etc.  auf- 
traten und  die  auch  heute  noch  nicht  alle  ausgeheilt  sind.  Patient 
musste  während  3  Jahren  fast  beständig  das  Bett  hüten  und  von  Zeit 
zu  Zeit  sich  wieder  neuen  Operationen  unterziehen.  —  Die  ersten 
Monate  fieberteer  fast  kontinuierlich  (38 — 40®),  litt  viel  an  Schmerzen 
in  Stirn  und  Genick,  aber  nie  an  deutlichen  meningitischen  Erscheinunf^en. 
Anfangs  Mai  1901  trat,  nachdem  mehrfache  Anfälle  von  starken  sub- 
jektiven Geräuschen,  zunehmender  Schwerhörigkeit  links  und  von  Angst- 
gefühl vorausgegangen  waren,  plötzlich  mit  einem  pistolenschussähnlichen 
Knall  gänzliche  Taubheit  des  linken  Ohres  auf.  Im  Juli  mehrfache 
Sequestrotoraien  und  allmähliches  Aufhören  des  Fiebers.  Auch  das  Ohren- 
sausen   verminderte   sich    nun.     Anfangs   Januar    1902    konnte    Patient 


acuter  Osteoäiyelitis  and  Ton  septischen  Prozessen  im  allgemeinen.         3 

seine  Arbeit  wieder  aufnehmen.  Von  März  1902  an  litt  er  an  heftigen 
Schwiüdelanfällen  von  V2 — ^  Stunde  Dauer '  ohne  Brechreiz,  welche  sich 
alle  3 — 4  Wochen  wiederholten  bis  anfangs  Februar  1904.  Dann 
traten  neue  osteomyelitische  Herde  im  Fusse  auf,  welche  im  Oktober 
des  nämlichen  Jahres  operiert  wurden.  Anfangs  November  1904  bis 
Dezember  1905  wieder  heftige,  alle  2 — 3  Tage  sich  wiederholende  und 
namentlich  bei  Bewegungen  auftretende  Schwindelanfälle.  Die  pulsie- 
renden subjektiven  Geräusche  blieben  dabei  unverändert  bestehen.  — 
Im  Dezember  1905  vermehrter  Kopfschmerz  sowie  Diarrhöen,  und  nun 
ertaubte  auch  das  bisher  sehr  feinhörige  rechte  Ohr  plötzlich  inner- 
halb weniger  Tage  unter  gleichzeitigem  Auftreten  furchtbarer  subjektiver 
Geräusche.  Gleichzeitig  mit  dieser  Ertaubung  des  rechten  Ohres  stellte 
sich  intensives  beständiges  Schwindelgefühl  und  unsicherer  Gang 
ein,  sodasss  Patient  beim  Gehen  wie  ein  Betrunkener  sich  an  den 
Wänden  halten  musste  und  selbst  mit  Hilfe  des  Stockes  kaum  sich  auf- 
recht halten  konnte.  Während  dem  Sommer  1906  wurde  das  Geh- 
vermögen sowie  das  Gehör  des  rechten  Ohres  etwas  besser  und  auch 
die  Geräusche  nahmen  ab.  Patient  konnte  sich  wieder  etwas  unterhalten 
mit  seiner  Umgebung,  wenn  man  laut  mit  ihm  sprach.  Das  linke  Ohr 
blieb  dagegen  völlig  taub  Auch  jetzt  noch  ist  der  Gang,  namentlich 
bei  Kongestionszuständen  infolge  starker  Anstrengungen  oder  nach  gering- 
stem Alkoholgenuss,  unsicher  und  es  tritt  dann  Drehgeftihl  auf  mit  der 
Vorstellung  einer  Flucht  der  Gegenstände  in  horizontaler  Richtung  von 
rechts  nach  links.  Dieses  Drehgefühl  ist  nachts  stärker.  Seit  das 
zweite  Ohr  ertaubt  ist,  kann  Patient  bekannte  Personen,  die  ihm  auf 
der  Strasse  begegnen,  auf  grössere  Distanzen  als  50  Meter  nur  dann 
wieder  erkennen,  wenn  er  still  steht.  Diese  Erscheinung  macht  sich 
besonders  dann  geltend,  wenn  Patient  dabei  etwas  seitlich  hinblicken 
muss.  — 

Am  2.  Jan.  1906  notierte  Herr  Dr.  Hug  in  Luzern  folgenden 
Befund:  »Rechtes  Trommelfell  leicht  gerötet,  linkes  normal;  Hörweite 
rechts  =  0,1  cm  für  Flüstersprache,  links  total  taub,  nach  Catheterismus 
Besserung  rechts  auf  5  cm. 

Weberscher  Versuch  a^  ins  bessere  Ohr, 

Rinne  a^  =         ^ 

( E 

Untere  Tongrenze  =    _j" 

8.  Sept.  1906.  Unveränderter  Status.  Catheterismus  bessert  aber 
das  Gehör  nicht  mehr.« 

Vor  2  Monaten  trat  rechterseits ,  nachdem  2—8  Wochen  lang 
pulsierender  Charakter  des  Geräusches  und  hochgradi^r  gesteigerte  Schwer- 
hörigkeit aber  absolut  kein  Schmerz  vorausgegangen  war,  schleimig 
eitriger  Ohrenfluss  auf,  welcher  bis  heute  angehalten  hat. 

Weder  Anamnese  noch  Körperuntersuchung  gaben  irgend  einen 
Anhaltspunkt  für  die  Annahme  acquirierter  oder  heriditärer  Lues. 

1* 


4  F.  Siebenmann:   Ober  Ertanbang  im  Veorlanfe  von 

Status  vom  1.  Dez.  1906:  Schlanker  grosser,  etwas  blasser  Mann ; 
kann  auf  grössere  Entfernungen  als  20  m  wegen  Schwanken  nur  am 
Stock  gehen.  Pupillen  und  Augenhintergrund,  Puls  und  Temperatur 
normal.  —  An  Stamm  und  Extremitäten  werden  8  grössere  und  kleinere 
Knochennarben  gezählt,  welche  auf  Sternum,  Rippen,  Tibien  und  Mittel- 
fussknochen  sitzen.  An  der  linken  Tibia  eine  noch  nicht  vernarbte 
tiefe  Wunde. 

Linkes  Trommelfell  ganz  normal.  Rechts:  Retroauriculargegend 
und  Gehörgang  normal,  ohne  jede  Spur  von  Schwellung  noch  von  er- 
höhter Druckempfindlichkeit.  Trommelfell  blassrosa,  mit  mazerierter 
Epidermis  teilweise  bedeckt.  Hinten  oben  nahe  dem  Rande  eine  zitzen- 
förmige,  hochrote,  perforierte  Vortreibung,  aus  welcher  zähschleimiges, 
wenig  getrübtes  Sekret  reichlich  abfliesst.  Kein  Perforationsgeräusch. 
Im  Ausstrichpräparat  und  in  der  Kultur  findet  sich  Staphylococcus 
pyogenes  aureus  rein. 

Hörweite:  Beiderseits  0  cm  für  Konversationssprache.  Auch 
unmittelbar  au  den  Ohrmuscheln  gerufene  Worte  werden  nicht  verslanden 
und  Konversation  ist  nur  auf  schriftlichem  Wege  möglich,  da  Patient 
Von  den  Lippen  gar  nichts  abzulesen  versteht. 

Die  Stimmgabel  a'  wird  vom  Scheitel  nicht  gehört.  Im  weiteren 
ergibt  die  funktionelle  Prüfung,  dass  das  linke  Ohr  für  alle  Tonquellen 
total  taub  ist.  Rechts  ist  noch  Tongehor  vorhanden ;  die  obere  Grenze 
des  perici pierbaren  Bereiches  liegt  bei  4,5  der  Galton-Edelmann-Pfeife 
(==  a*^),  die  untere  Tongrenze  bei  a;  Tonlücken  bestehen  keine.  Bei 
Prüfung  des  rechten  Ohres  ergibt  sich  ferner,  dass  die  unmittelbar 
an  der  Ohrmuschel  gesprochenen  Vokale  a,  e,  i,  o,  u,  sowie  T,  P,  R, 
Seh  richtig  nachgesprochen  werden.  Ö  und  Ü  werden  zuweilen  unter 
sich  und  mit  I  verwechselt.  Z  und  S  werden  unsicher,  M,  N,  sowie 
die  weichen  Gutturales  und  Labiales  gar  nicht  oder  sehr  unsicher  perci- 
piert.  Es  besteht  kein  Roniberg.  Patient  kann  auch  bei  offenen  Augen 
nicht  auf  einem  Bein  stehen,  dagegen  bei  geschlossenen  Augen  und 
geschlossenen  Füssen  sicher  vor-  und  rückwärts  hüpfen.  Körperkraft 
symmetrisch,  normal.  Patellarreflexe  normal  —  Das  Gehen  bei  ge- 
schlossenen Augen  gelingt  auf  Zimmerlänge  ohne  Anstand;  dag«'gen 
schwankt  Patient  selbst  bei  offenen  Augen  stark,  sobald  er  grössere 
Distanzen  im  weiten  Raum  durchschreiten  muss. 

Beim  Blick  nach  rechts  treten  horizontale  und  rotatorische 
Nystagmusbewegungen  auf,  welche  etwas  ausgiebiger  werden  nach  In- 
jektion von  kaltem  Wasser  ins  link  e  Ohr,  während  nach  Injektion  von 
warmem  Wasser  (44^)  keine  Änderung  eintritt.  Beim  Blick  nach  links 
leichte  rasche  zitternde  Nystagmusbewegungen  in  horizontaler  Bichtung; 
Injektion  sowohl  von  kaltem  als  von  warmem  (44^)  Wasser  ins  rechte 
Ohr  bleibt  ohne  Kiutluss  auf  den  Nystagmus. 

Drehen  sowohl  nach  rechts  als  nach  links  (je  10  Umdrehungen) 
verursacht  keinen  Schwindel  und  beeinHusst  die  Nystagmusbewegungen 
nur    sehr    unbedeutend    (und    zwar    in   physiologischem    Sinne).      Nach 


acnter  Osteomyelitis  und  von  septischen  Prozessen  im  allgemeinen.         5 

Rechtsdrehen  bei  nach  vorn  übergebeugtem  Kopfe   erfolgt  rotatorischer 
Nystagmus  ohne  Schwindel. 

Im  Laufe  der  nächsten  Wochen  trat,  nachdem  die  Perforations- 
öffnung des  rechten  Trommelfells  durch  Paracentese  erweitert  und  die 
Eiterung  einer  zweckentsprechenden  Behandlung  unterworfen  worden  war, 
eine  derartige  Hörverbesserung  ein,  dass  Mitte  Dezember  laute  Sprache 
am  Ohr  —  wenn  auch  etwas  unsicher  —  verstanden  wird  und  Patient 
mit  Hilfe  eines  grossen  metallenen  Höhrrohres  sich  wieder  mit  seiner 
Umgebung  unterhalten  kann.  —  Am  24.  Xll.  hat  rechts  die  Eiterung 
ganz  aufgehört  und  die  Hörweite  ist  gestiegen  auf  ^-  für  Flüstersprache 
und  12  cm  für  Konversationssprache,  am  28.  XÜ.  sogar  auf  3  cm  für 
Flüstersprache.  29.  XII.  Der  Schwindel  ist  verschwunden,  Patient 
geht  grössere  Strecken  ohne  Stock  und  kann  sich  ohne  Hörrohr  mit 
seiner  Umgebung  unterhalten.  Ohrensausen  rechts  weniger  pulsierend 
und  nicht  mehr  stärker  als  links.  Rechtes  Trommelfell  noch  etwas 
gerötet  aber  transparent ;  schwach  angedeutete  hintere  Falte ;  Vorwölbung 
verschwunden;  Perforationsöffnungen  geschlossen.  —  Hörweite  rechts 
3 — 5  cm  für  Flüstersprache.  Stimmgabel  a^  wird  bei  starkem  Anschlag 
vom  Scheitel  aus  wieder  gehört  und  die  untere  Tongrenze  ist  auf  dem 
rechten  Ohre  um  2  Oktaven  d.  h.  von  a  auf  A_i  hinabgerückt;  die  obere 
Tongrenze  liegt  bei  Galton-Edelmann  6,5.  Der  früher  spontan  auf- 
tretende Nystagmus  zeitweise  ganz  verschwunden ;  die  vestibuläre  Reaktion 
auf  mechanische  und  thermische  Reize  ist  unverändert  wie  beim  Eintritt 
(1.  Dezember).     Das  linke  Ohr  bleibt  total  taub. 

Fall  III. 

Bernhard  B.  Mechaniker  in  B.  Aargau.  Geboren^  187 6.  Privat- 
Journal  205.     1902. 

Mutter  starb  56  Jahre  alt  an  einer  Lungenentzündung,  Vater  lebt 
noch  und  ist  jetzt  70  Jahre  alt.  Patient  ist  das  fünfte  von  sechs  Ge- 
schwistern; vier  davon  leben  und  sind  gesund,  eines  ist  mit  ca.  1'/.^  Jahren 
an  unbekannter  Krankheit  gestorben.  Fehlgeburten  oder  Aborte  sollen 
keine  stattgefunden  haben. 

Patient  war  früher  stets  gesund,  litt  auch  nie  an  einer  Augen- 
entzündung. Nie  gonorrhoische  noch  luetische  Infektion.  Herbst  1900 
Abszessbildung  zu  beiden  Seiten  am  Hals.  Nach  Angabe  von  Herrn 
Prof.  Niehans  Bern  handelte  es  sich  um  Peristrumitis.  Im  November 
1900  erkrankte  Patient  akut  mit  hohen  Fiebern  und  Delirien  (Dr.  Deck); 
nach  14  Tagen  wurden  im  Kantonsspital  in  Aarau  Anschwellungen  des 
rechten  Schlüsselbeines  und  des  linken  Oberschenkels  bemerkt  und  später 
die  daselbst  sich  entwickelnden  Abszesse  inzidiert.  Nach  vier  Wochen 
langem  Spitalaufenthalt  wurde  Patient  nach  Hause  entlassen.  Während 
daselbst  die  Wunde  am  Oberschenkel  auszuheilen  begann,  bedingte  die 
Eiterung  des  Halses  und  des  Schlüsselbeins  Ende  Januar  1901  einen 
erneuten  Spitalaufenthalt  im  Kantonsspital  Bern,  wo  der  peristrumitische 
Abszess  eröffnet  und  nach  einigen  Wochen  ein  Sequester  der  rechten 
Clavicula   entfernt    wurde.     Etwa   im   März   trat   beidseits  Ohrensausen 


6  F.  Siebenmann;   Über  Ertanbang  im  Verlaufe  von 

auf  und  im  Mai,  noch  während  der  Dauer  dieser  Eiterungen,  nahm 
das  Gehör  unter  heftigen  subjektiven  Geräuschen  und 
beständigem  starken  Schwindel  mit  Erbrechen  so  rasch 
ab,  dass  schon  10  Tage  später  völlige  Ertaubung  ein- 
getreten war.  Während  dieser  Zeit  hatte  Patient  auch  Seh- 
störungen;  er  konnte  etwa  drei  Wochen  lang  nicht  lesen.  Der 
schwankende  Gang  wurde  erst  im  Oktober  1901  besser;  zu  dieser  Zeit 
schlössen  sich  die  Fisteln  endgiltig,  nachdem  vorher  einige  Male  nach 
scheinbarer  Heilung  die  Narben  der  Clavicula  .(und  des  peristrumalen 
Abszesses?)  von  neuem  aufgebrochen  waren.  Ende  Dezember  1901 
konnte  Patient  endlich  die  Arbeit  wieder  aufnehmen.  Die  subjektiven 
Geräusche  sind  zwar  verringert,  sind  aber  bei  einer  späteren  Nach- 
untersuchung (23.  März  1907)  noch  nicht  verschwunden.  Das  Schwindel- 
gefühl  trat  bis  1902  nur  noch  selten  und  nur  am  Abend  auf  und  verlor 
sich  später.  Ohrenfluss  bestand  nie,  ebenso  wurden  während  des  ganzen 
Erankheitsverlaufes  niemals  rheumatische  Schmerzen  noch  Lähmungen 
beobachtet. 

Status  vom  27.  Januar  1902. 

Kräftiger  Wuchs,  guter  Ernährungszustand.  Mehrere  Narben  zu 
beiden  Seiten  der  vorderen  Halspartie  als  Folge  der  eitrigen  Peristru- 
mitis.  Eine  breite,  dem  sternalen  etwas  deformierten  Ende  des  rechten 
Schlüsselbeins  fast  adhärente  Narbe;  eine  weitere  nicht  bis  auf  den 
Knochen  reichende  tief  eingezogene  Narbe  auf  der  Innenseite  des  Ober- 
schenkels, ca.  zwei  Finger  breit  unterhalb  des  Dammes.  —  Schädelbildung 
und  Zähne  normal. 

Sensibilität  und  Motolität  nirgends  gestört.    Patellarreflexe  normal. 

Augen:  (Prof.  H o s c h) :  »S  links  1,0,  rechts  OJ,  Rechts  stark 
verbreitete  Chorioiditis  exsudativa  (s.  disseminata);  links  ist  dieselbe  auf 
den  Äquator  beschränkt.  Für  Retinitis  pigmentosa  sind  die  Herde  zu 
gross  und  zu  plump;  auch  wird  eine  solche  schon  durch  das  Vorhanden- 
sein der  gelblichen  Plaques  sowie  dadurch  ausgeschlossen,  dass  die  Netz- 
hautgefässe  grösstenteils  darüber  wegziehen.«  Eine  Nachuntersuchung 
1907  durch  Herrn  Dr.  Knapp  (Basel)  ergibt,  »dass  der  Prozess  ruhig 
ist  und  keine  frischen  Herde  vorhanden  sind«. 

Gehörorgane:  Beide  Trommelfelle  vollständig  normal  mit  Aus- 
nahme eines  hinteren  Trübungsstreifens  links.  Patient  ist  beider- 
seits absolut  taub  für  alle  Tonquellen  d.  h.  für  die  ganze 
Bezold-Edelmannsche  Tonreihe,  auch  für  die  unbelasteten  Stimmgabeln, 
ebenso  für  schrille  Signalpfeifen  verschiedener  Höhe. 

Die  Prüfung  der  vestibulären  Funktion  ergibt:  Sowohl  beim 
Drehversuch  nach  rechts  und  nach  links  als  auch  nach  der  Injektion 
von  kaltem  und  warmem  Wasser  in  die  Gehörgänge  tritt  weder  Schwindel- 
gefühl noch  Nystagmus  auf. 

In  diesem  Falle,  in  welchem  leider  genauere  Angaben  nur  von 
einem  der  vier  sukzessive  behandelnden  Ärzte  zu  erhalten  waren,  scheint 
die  Osteomyelitis  durch  eine  vorausgegangene  Strumitis  resp.  Peristrumitis 


acuter  Osteom jelitis  und  von  septischen  Prozessen  im  allgemeinen.         7 

Terursacht  worden  zu  sein.  —  Ob  der  Abszess  am  Oberschenkel  auf 
die  Weichteile  beschränkt  war  oder  vom  Skelett  ausging,  ist  nicht  sicher 
zu  entscheiden ;  die  Aussagen  von  Patient  und  Arzt  sprechen  für  Letzteres, 
das  Aussehen  der  Narbe  dagegen  eher  für  Ersteres.  Die  Chorioiditis 
disseminata,  deren  Ätiologie  bekanntlich  in  den  meisten  Fällen  dunkel 
ist,  hängt  hier  möglicherweise  ebenfalls  mit  der  aberstandenen  septischen 
Infektion  zusammen. 


Das  vorliegende  Material  von  7  Krankengeschichten  ist  zwar  klein. 
Wie  wir  aber  im  folgenden  nachweisen  werden,  bieten  diese  Fälle  so 
viel  Übereinstimmendes,  dass  es  schon  jetzt  möglich  ist,  ein  allgemeines 
klinisches  Bild  der  Osteomyelitisertaubung  zu  entwerfen. 

W^as  zunächst  das  Alter  der  Ertaubten  anbelangt,  so  handelt  es 
sich  meistens  um  jugendliche,  noch  in  der  Wachstumsperiode  stehende 
Individuen  (7,  7,  7,  15,  20,  24  Jahre),  ein  einziger  Patient  gehört  dem 
mittleren  Alter  (40  J.)  an.  Es  entspricht  dies  der  Tatsache,  dass  die 
akute  Osteomyelitis  tlberhaupt  in  den  beiden  ersten  Dezennien  viel  häufiger 
beobachtet  wird  als  im  späteren  Lebensalter.  —  Das  Geschlecht 
scheint,  soweit  derart  kleine  Zahlen  einen  Schluss  erlauben,  dabei  keine 
besonders  prädisponierende  Rolle  zu  spielen :  immerhin  stehen  fünf  mann  • 
liehe  Individuen  zwei  weiblichen  gegentlber. 

In  allen  7  Fällen  lag  eine  akute,  mit  hohem  Fieber  ein- 
setzende Knochenentzündung  vor,  deren  Dauer  und  Rekonvaleszenzzeit 
sich  über  mehrere  Monate,  zuweilen  sogar  über  mehrere  Jahre  erstreckte. 

Dreimal  (Bezold,  Siebenmann  Fall  II  und  III)  handelte  es 
sich  um  multiple  Lokalisation;  viermal  war  sicher  nur  ein  Knochen 
und  zwar  zweimal  der  Femur,  einmal  die  Tibia,  einmal  der  Humerus 
ergriffen.  Diese  Prädilektion  des  akuten  osteomyelitischen  Prozesses 
für  die  langen  Röhrenknochen  und  zwar  hauptsächlich  für  diejenigen 
der  unteren  Extremitäten  entspricht  der  allgemeinen  Erfahrung  der 
Chirurgen  und  bildet  somit  ebenfalls  keine  besondere  Erscheinung. 

Was  nun  speziell  die  Affection  des  Gehörorgans  anbelangt, 
80  ist  vor  allem  dies  bemerkenswert,  dass  es  sich  in  allen  sieben 
Fällen  um  eine  beidseitige  Ertaubung  handelt.  Die  ersten  Zeichen 
der  Ertaubung  traten  stets  während  der  Dauer  der  Knocheneiterung  und 
in  zwei  Fällen  (Steinbrügge,  Wagenhäuser)  schon  während  der 
ersten  hochfebrilen  Periode,  d.  h.  nicht  während  den  ersten  Tagen,  aber 
doch  in  den  ersten  Wochen  der  Knochenerkrankung  auf.  Bei  drei 
anderen   (Bezold  und  Siebenmann  Fall  I  und  III)   liegt   ungefähr 


8  F.  Siebenmann:   Über  Ertaubung  im  Verlaufe  von 

ein  Jahr  zwischen  dem  Beginn  der  Knocheneiterung  und  demjenigen  der 
Ertaubung.  Der  Patient  von  Gast  ex  ertaubte  während  der  Rekon- 
valeszenzperiode 3  Jahre  nach  Beginn  der  Kiankheit,  gerade  als  er  das 
Bett  wieder  verlassen  konnte.  Während  bei  diesen  sechs  Patienten  die 
Ertaubung  gleichzeitig  auf  beiden  Ohren  auftrat,  war  der  Verlauf  in 
unserem  zweiten  Falle  ein  ganz  eigenartiger: 

5  Monate  nach  Beginn  der  Osteomyelitis,  in  hochfebrilem  Stadium^ 
erkrankte  hier  ein  Ohr  ganz  isoliert,  und  erst  3  V2  Jahre  später  —  in 
einer  afebrilen  Periode,  aber  nachdem  unterdessen  andere  osteomye- 
litische Herde  aufgetreten  waren  —  ertaubte  anch  das  andere  Ohr.  — 

In  dem  Falle  von  Wagen  hau  s  er  und  von  Bezold  scheint  eine 
in  Narkose  vorgenommene  Operation,  in  demjenigen  von  Steinbrügge 
eine  meningitische  Erkrankung  den  Ertaub ungsprozess  angeregt  oder 
wenigstens  beschleunigt  zu  haben,  während  bei  dem  Patienten  Gast  ex 
und  in  meinen  drei  Fällen  keine  besondere  Gelegenheitsursache 
nachzuweisen  war. 

Das  Tempo  der  Ertaubung  ist  meistens  ein  sehr  rasches:  In 
meinen  drei  Fällen  trat  innerhalb  weniger  Stunden  resp.  Tagen  auf 
einem  bis  dahin  völlig  normal  funktionierenden  Ohr  Taubheit  für  die 
menschliche  Sprache  ein.  In  anderen  Fällen  vollzog  sich  dieser  Prozess 
so,  dass  anfangs  perakut  nur  hochgradige  Schwerhörigkeit  sich  bemerkbar 
machte  und  dieselbe  in  den  folgenden  3  Monaten  (Wagenhäuser) 
resp.  2  Jahren  (Stein b rüg g'e)  allmählich  bis  zu  völliger  Taubheit  sich 
steigerte.  In  dem  Falle  von  Bezold  wurde  erst  nach  5  Jahren  komplette 
Taubheit  konstatiert,  dann  besserte  sich  aber  das  Gehör  —  wie  auch 
in  meinen  Fällen  I  und  II  (einseitig)  —  wieder  etwas. 

Als  Endresultat  des  Prozesses  finden  wir  totale  beidseitige  Taub- 
heit in  vier  Fällen  (Steinbrügge,  Gastex,  Siebenmann  III  und 
Wagenhäuser);  in  den  übrigen  drei  Fällen  besteht  einseitige  totale 
Taubheit,  während  auf  der  anderen  Seite  Hörreste  von  ^j^  Oktave 
(Bezold),  vier  Oktaven  (Siebenmann  I)  und  selbst  von  acht  Oktaven 
(Sieben mann  II)  erhalten  bleiben. 

Die  zwei  in  ihrem  siebenten  Lebensjahre  ertaubten  Patienten 
von  Bezold  und  von  Gastex  sind  taubstumm  geworden.  Der 
letztere  Umstand  legt  uns  die  Frage  nahe,  ob  der  Osteomyelitis 
nicht  eine  grössere  ätiologische  Bedeutung  für  das  Zustandekommen 
der  Taubstummheit  beizulegen  sei,  als  dies  bisher  geschehen  ist,  und 
ob  nicht  die  wenigen  Fälle  dieser  Art  mit  Ausnahme  der  beiden  oben 
erwähnten  bisher  irrtümlich  in    andere  Rubriken  z.  B.  in  diejenige  der 


acuter  Osteomyelitis  und  von  septischen  Prozessen  im  allgemeinen.         9 

Tuberkulose,  der  Skrophulose  oder  der  hereditären  Lues  unterbracht 
worden  seien.  Nur  auf  diese  Weise  ist  es  wohl  zu  erklären,  dass  auch 
in  den  genauesten  und  grössten  Statistiken,  wie  in  denjenigen  von 
Lemcke  und  üchermann,  kein  einziger  Fall  von  Osteomyelitis- 
t^ubstummheit  aufgeführt  wird. 

Subjektive  Geräusche  wurden  dreimal  (Wagenhäuser, 
Siebenmann  II  und  III)  angegeben.  Sie  treten  gleichzeitig  mit  dem 
Beginn  der  Ertaubung  auf  und  scheinen  auch  später  zu  persistieren ;  in 
unserem  zweiten  Falle  ist  ihr  Charakter  ein  ungemein  heftiger,  pulsierender. 

Schwindel  wurde  als  andauernde  Reiz-  oder  Ausfallerscheinung 
nur  in  denjenigen  drei  Fällen  beobachtet,  bei  denen  auch  subjektive 
Geräusche  bestanden.  Doch  tritt  der  Erstere  später  auf  als  der  Letztere; 
so  liegen  in  unserem  dritten  Falle  2  Monate,  im  Falle  Wagenhäuser 
ca.  3  Monate,  in  unserem  zweiten  Falle  sogar  mehr  als  ein  Jahr  da- 
zwischen. Während  bei  dem  letzteren  der  Schwindel  an  Intensität  wenigstens 
bedeutend  abgenommen  hat,  ist  er  im  Falle  Wagenhäuser  sowie  in 
unserem  dritten  Falle  später  ganz  verschwunden.  Eine  sonderbare 
Erscheinung  zeigt  sich  bei  unserem  ersten  Patienten  insofern,  als  hier 
Scbwindelgefühl  nur  dann  eintritt,  wenn  in  das  ganz  taube  rechte  Ohr 
laut  gesprochen  wird.  Ob  in  den  Fällen  Stein brtigge,  Bezold  und 
Gaste X  Geräusche  und  Schwindel  nie  aufgetreten  sind,  ist  aus  den 
sehr  kurz  gehaltenen  Krankengeschichten  nicht  ersichtlich:  jedenfalls 
beweisen  unsere  eigenen  Fälle,  dass  diese  Symptome  einmal  im  Krank- 
heitsbild fehlen,  ein  ander  Mal  aber  so  andauernd  und  intensiv  sich 
geltend  machen  können,  dass  sie  von  Erbrechen  begleitet  werden 
und  jahrelang  im  Vordergrund  der  Erscheinungen  stehen.  Eine 
Prüfung  der  statischen  Funktionen  wurde  bei  unseren 
drei  Kranken  vorgenommen.  Sie  ergab,  dass  das  Erhaltensein  des 
statischen  Sinnes  mit  demjenigen  des  akustischen  Sinnes  in  diesen 
wenigen  Fällen  übereinstimmt.  Beim  Vorhandensein  von  Hörresten 
(I.  Fall)  fiel  die  Reaktion  beim  Drehversuch  normal  aus;  im  dritten 
Falle  —  einer  beidseitigen  totalen  Taubheit  —  fehlte  jede  Reaktion 
auf  mechanische  und  thermische  Reize.  Eine  interessante  in  anderen 
Nervengebieten  wohlbekannte  Erscheinung,  nämlich  das  Bestehen 
von  gleichzeitigen  Reizungs-  und  Lähmungszuständen  zeigt  unser 
Patient  II,  indem  hier  bei  seitlicher  Blickrichtung  spontan  Nystagmus- 
bewegungen  aufzutreten  pflegen,  während  die  vestibulär-  und  Bogengang- 
reaktion des  nur  partiell  ertaubten  Ohres  auf  thermische  und  mechanische 
Reize  herabgesetzt,  im  total  tauben  Ohre  aber  völlig  aufgehoben  ist. 


10  F.  Siebenmann:   Über  Ertaubung  im  Verlaufe  von 

In  allen  7  Fällen  war  dasMittelohr  bei  dem  Ertaabungsprozess 
nicht  mitbeteiligt.  Nor  in  unserem  zweiten  Falle  ist  nach  5  Jahren 
interkurrent  eine  akute  perforative  Otitis  media  purulenta  aufgetreten. 
Die  hochgradige  Steigerung  des  Schwindels,  der  subjektiven  Geräusche 
und  der  Schwerhörigkeit  während  des  Bestehens  dieser  Mittelrohreiterung, 
der  von  Anfang  an  eigentümlich  schmerzlose,  torpide  Verlauf  und  das  — 
von  uns  sonst  ziemlich  selten  beobachtete  Vorhandensein  von  Staphylokokken 
als  Reinkultur  im  Mittelohr-£iter  machen  es  wahrscheinlich,  dass  es 
sich  bei  dieser  Mitelohreiterung  ebenfalls  um  einen  metastatischen 
(osteomyelitischen?)  Prozess  und  zwar  mit  Beteiligung  des  peri lympha- 
tischen Raumes  gehandelt  hat.  Der  endolymphatische  Raum  war  dabei 
jedenfalls  nur  indirekt  beteiligt;  denn  das  Hörvermögen  wurde  nach 
Abheilung  der  Mittelohreiterung  wieder  mindestens  so  gut  wie  es  vor 
derselben  gewesen  war. 

Was  schliesslich  die  Natur  und  den  anatomischen  Sitz  des 
Ertaubungsprozesses  anbelangt,  so  weisen  die  Anamnese  und  die  Resultate 
der  funktionellen  Prüfungen  sämtlicher  Fälle  übereinstimmend  auf  eine 
Erkrankung  des  inneren  Ohres  hin.  Nun  wissen  wir,  dass  eine  Reihe 
von  Infektionskrankheiten  auf  hämatogenem  Wege  sowohl  den  Nerv 
als  auch  die  häutigen  Labyrinthgebilde  selbst  in  Entzündung 
versetzen  können.  Beide  Möglichkeiten  sind  daher  hier  in  Betracht  zu 
ziehen.  Zwar  sind  durch  die  Osteomyelitis  in  keinem  der  sieben  Fälle 
andere  Nervengebiete  als  diejenigen  des  Cochlearis  und  des  Vestibularis 
betroffen  worden.  Doch  wäre  dies  noch  kein  Grund,  die  Eventualität 
eines  polyneuritischen  infektiösen  oder  postinfektiösen  Prozesses  zu  ver- 
neinen ;  haben  wir  und  Andere  doch  nachweisen  können,  dass  auch  bei  der 
Tuberkulose  und  beim  Typhus  —  wie  dies  bei  der  Einwirkung  gewisser 
Gifte  z.  B.  Chinin  und  Salizyl  geschieht  —  der  polyneuritische  Prozess 
sich  einzig  auf  die  Akustici  beschränken  kann.  Bei  anderen  Infektions- 
krankheiten wie  der  Syphilis  wissen  wir  anderseits,  dass  bald  das 
Labyrinth  bald  der  Nerv  primär  erkrankt. 

Zur  Entscheidung  der  Frage  nach  den  zugrunde  liegenden  pathologisch- 
anatomischen Veränderungen  und  ihrer  Genese  muss  daher  vor  allem 
aus  des  einzigen  hierüber  vorliegenden  Sektionsbefundes  von  Steinbrügge 
Erwähnung  getan  werden.  In  diesem  Falle  fand  sich  der  Knochen 
beider  Felsenbeine  auffallend  sklerotisch ;  die  Weichteile  des  Labyrinths 
waren  zum  grössten  Teil  zerstört  und  das  Lumen  beider  Skalen  ein- 
geengt oder  ganz  aufgefüllt  und  zwar  teils  durch  bindegewebige  teils 
durch    knöcherne,    vom   Endost    ausgehende   Wucherungen.     Auf    einer 


acuter  Osteomyelitis  and  von  septiscbeji  Prozessen  im  allgemeinen.       H 

Seite  fanden  sich  aach  die  Bogengänge  durch  Enocheneinlagerungen 
hochgradig  verengt  und  die  runde  Fenstermembran  verknöchert.  — 
Die  Labyrinthnerven  mit  den  zugehörigen  Ganglien  waren  zum  grössten 
Teil  durch  Bindegewebe  ersetzt.  — 

Da  aber  Steinbrügge  selbst  glaubt,  mit  Rücksicht  auf  die 
Anamnese  diese  Veränderungen  als  meningitische  betrachten  zu  müssen, 
und  weil  zudem  auch  da,  wo  in  den  sieben  Fällen  Reste  von  vestibulärer 
oder  cocblearer  Funktion  konstatiert  werden  konnten,  dieselben  keine 
für  den  einen  oder  anderen  Abschnitt  des  Akustikns  charaktereristische 
Form  besitzen,  so  scheint  es,  dass  wir  noch  weitere  Obduktionsergebnisse 
abwarten  müssen,  bevor  wir  die  obengenannte  Frage  durchaus  endgültig 
beantworten  dürfen. 

Natürlich  musste  die  Möglichkeit  einer  metastatischen  Ver- 
schleppung septischer  Stoffe  nach  den  Labyrinthen  von  uns  in  Betracht 
gezogen  werden.  Doch  glaubten  wir  zunächst  eine  solche  Annahme 
zurückweisen  zu  müssen.  Metastasen  innerer  Organe  sind  bei  der 
Staphylokokkensepticämie  überhaupt  viel  seltener  als  bei  der  Strepto- 
kokkensepticämie,  eine  Tatsache,  die  auch  bei  den  osteomyelitischen 
Ertaubungen  zutrifft :  in  der  Mehrzahl,  d.  h.  bei  ^1^  unserer  Fälle,  war 
jeweilen  nur  ein  einziger  Eiterungsherd  des  Knochensystems  vorhanden 
und  abgesehen  von  der  Meningitis  in  dem  Falle  Steinbrügge  ist 
kein  inneres  Organ  sekundär  in  den  Entzündungsprozess  hineinbezogen 
worden.  Scheinbar  wäre  es  auch  als,  ein  sonderbarer  Zufall  zu  be- 
trachten, wenn  gerade  das  Ohr  die  einzige  Lokalisation  von  Metastasen 
bilden  sollte  und  wenn  diese  septische  Metastase  stets  beiderseits  im 
nämlichen  Organ  und  in  der  Regel  auch  zur  gleichen  Zeit  aufgetreten 
wäre.  In  der  gesamten  otiatrischen,  chirurgischen  und  gynäkologisch- 
geburtshilflichen Literatur  haben  wir  vergebens  nach  analogen  Fällen 
von  septischer,  doppelseitiger  Ertaubung  uns  umgesehen. 
Wir  konnten  nur  zwei  Beobachtungen  finden.  In  beiden  Fällen  fehlt 
die  bakteriologische  Untersuchung. 

Die  eine  Mitteilung  stammt  von  Moos;  dieselbe  ist  aber  sehr 
aphoristisch  gehalten  und  betrifft  möglicherweise  nicht  einmal  eine 
Sepsis.  (Vergl.  Moos,  Wiener  med.  Wochenschr.  1863,  pag.  661.) 
Die  betr.  Stelle  lautet:  »Auf  einen  Fall  von  plötzlicher  Taubheit  durch 
Embolie  der  Art.  basilaris,  den  Herr  Professor  Friedreich  be- 
obachtete, hat  mich  derselbe  gelegentlich  einer  Konsultation  aufmerksam 
gemacht;  allein  in  diesem  Fall  bestand  während  des  Lebens  eine 
Endocarditis.«  —  Sicher  hierher  zu  zählen   ist   ein  Fall   von  Wendt. 


12  F.  Siebenmann:   Über  Ertaubung  im  Verlaufe  von 

(Über  einen  wahrscheinlich  embolischen  Vorgang  in  der  Schleimhaut 
der  Paukenhöhle.     A.  f.  Heilk.  Bd.  14,  pag.  293.) 

>Ein  23jähr.  Mädchen  starb  unter  pyämischen  Erscheinungen  nach 
Exstirpation  eines  Cystosarkoms  der  linken  Skapula.  Sie  hatte  5  Tage 
vor  dem  Tode  plötzlich  das  Gehör  auf  dem  rechten  Ohre  verloren,  die 
letzten  zwei  Tage  auch  links  nichts  mehr  gehört.  Sie  hatte  weder 
lautes  Anrufen  verstanden,  noch  die  Uhr  beim  Andrücken  an  Ohr- 
muschel und  Kopfknochen  perzipiert.  Bei  der  Sektion  wurden  Abszesse 
in  Lungen  und  Milz  gefunden.  Hirn,  sowie  Labyrinth,  Akustikus 
und  Fazialis  beiderseits  normal,  desgleichen  die  Arteria  auditiva 
interna.«  Über  die  mikroskopische  Untersuchung  dieser  Teile  ist  nichts 
gesagt.  Die  Paukenhöhlen  enthielten  seröse  resp.  grauschleimige  Flüssig- 
keit. Ihre  Schleimhaut  ist  im  allgemeinen  mäfsig  geschwellt,  blass, 
sulzig;  besonders  in  den  Fensternischen  finden  sich  links  auf  der 
Labyrinthwand  und  dem  angrenzenden  Tubenabschnitt  ausgedehnte, 
rechts  nur  mikroskopisch  nachweisbare  Hämorrhagien.  Wen  dt  zieht 
zur  Erklärung  der  klinischen  Erscheinung  die  Möglichkeit  einer  Embolie 
der  Paukenhöhlengefässe  heran,  eine  Annahme,  welche  nach  dem  ein- 
gebenden Sektionsbefund  jedenfalls  für  das  rechte  Ohr  gar  nicht  und 
sehr  wahrscheinlich  auch  nicht  für  das  linke  Ohr  zutrifft,  somit  über- 
haupt fallen  gelassen  werden  muss.  Dass  hier  übrigens  in  erster  Linie 
eine  Vernichtung  der  Akustikus-  resp.  der  Labyrinth- 
funktion vorlag,  müssen  wir  nach  dem  heutigen  Stande  unserer 
Wissenschaft  mit  absoluter  Sicherheit  schon  daraus  entnehmen,  dass 
1.  die  Patientin  ganz  taub  geworden  und  2.  die  Perzeption  durch  die 
Kopfknochen  völlig  aufgehoben  war.  Der  makroskopisch  negative 
Labyrinthbefund  ist  zwar  interessant,  ändert  aber  nichts  an  der 
funktionell  festgestellten  Diagnose,  sondern  er  beweist  nur,  dass  keine 
eitrige  und  keine  hämorrhagische  Form  der  Labyrinthitis  vorlag  und 
dass  auch  mit  der  Möglichkeit  von  primären  feineren  Veränderungen 
des  N.  acusticus  dabei  gerechnet  werden  muss. 

Bei  meinen  1900  und  1903  veröffentlichten  Studien  über  die 
Neuritis  und  Polyneuritis  des  Akustikus  (bei  Krebs-Kachexie  Z.  f.  0. 
Bd.  36,  pag.  298  und  bei  Tuberkulose  Z.  f.  0.  Bd.  43,  pag  2:^5) 
habe  ich  darauf  hingewiesen,  dass  dieselbe,  soweit  es  die  Ätiologie  be- 
trifft, in  die  von  den  internen  Klinikern  aufgestellten  drei  Haupt- 
kategorien —  die  infektiöse,  die  konstitutionelle  und  die  toxische  Form 
—  zu  trennen  ist  und  dass  wohl  auch  der  Sepsis  eine  Bedeutung  in 
der  Pathologie  des  Akustikus  zukommen  dürfte.  —  Wie  man   aus  den 


acuter  Osteomyelitis  und  von  septischen  Prozessen  im  allgemeinen.       13 

obigen  spärlichen  Mitteilungen  ersieht,  ist  aber  die  Ausbeute  eine 
geringe.  Prof.  Kocher  in  Bern,  welcher  über  eine  sehr  grosse  Er- 
fahrung und  zwar  speziell  auch  auf  dem  Gebiete  der  Osteomyelitis  yer- 
fügtf  hatte  auf  eine  diesbezügliche  Anfrage  hin  die  Freundlichkeit  mir 
mitzuteilen,  dass  auch  er,  soweit  er  sich  erinnern  könne,  bei  Osteomyelitis 
und  bei  Sepsis  nie  Ertaubung  noch  schwere  Fälle  von  Lähmungen  anderer 
sensibler  Nerven  beobachtet  habe.  Das  Nämliche  antwortete  mir  Herr 
Prof.  Enderlen,  der  Leiter  der  hiesigen  chirurgischen  Klinik. 

Überhaupt  scheinen  neuritische  resp.  polyneuritische  Erscheinungen 
bei  septischen  Prozessen  sehr  selten  aufzutreten.  So  sagt  Remak 
(Neuritis  und  Polyneuritis  in  Nothnagels  Handbuch  Bd.  XI,  3.  Teil, 
pag.  506):  »In  einer  verhältnismäfsig  kleinen  Anzahl  von 
Fällen  hat  man  nach  meist  langwierigen  Eiterungen  neuritische  und 
polyneuritische  Symptome  beobachtet.«  Meistens  handelte  es  sich 
um  Eiterungsprozesse  der  Haut  und  des  subkutanen  Gewebes  nach 
Traumen;  seltener  um  Eiterungen  innerer  Organe.  >Alle  bekannten 
Fälle  haben  das  Gemeinsame^  dass  die  polyneuritischen  Symptome  erst 
einige  Wochen  oder  Monate  nach  dem  Beginne  der  Eiterungsprozesse 
einsetzten  und  keineswegs  immer  in  dem  primär  erkrankten  Gliede.« 
Hauptsächlich  wird  die  amyotrophische  Form  mit  schwerer  Abmagerung 
und  grosser  Prostration  beobachtet.  Die  Prognose  dieser  Affektion  ist 
aber  keine  ungünstige:  in  den  meisten  P'ällen  bildeten  sich  die  Lähm- 
ungen zurück,  im  Gegensatz  zu  der  osteomyelitischen  Ertaubung,  bei 
welcher  nachträglich  keine  bedeutende  Besserung  sich  einzustellen 
pflegt.  Nach  der  Zusammenstellung  von  Kraus  (W.  kl.  W.  1H97, 
pag.  «^79)  werden,  soweit  die  auf  einige  wenige  Fälle  sich  beschränkenden 
Erfahrungen  über  die  septische  Polyneuritis  reichen,  von  den  Hirn- 
nerven  der  Vagus,  der  Fazialis,  der  Abducens  und  die  motorischen 
Zungennerven  befallen.  Nicht  uninteressant  ist  die  Beobachtung,  dass 
alle  bisher  beschriebenen  Fälle  Personen  des  mittleren  Alters  be- 
treffen und  dass  das  weibliche  Geschlecht  häutiger  befallen  wird  als 
das  männliche,  beides  Verhältnisse,  welche,  wie  unsere  Zusammenstellung 
ergibt,   für  die  osteomyelitische  Ertaubung  auch  wieder  nicht  zutreffen. 

Unter  unseren  7  Fällen  von  Osteorayclitistaubheit  ist  zwar  nur 
einer  (Sieben mann  II.)  bakteriologisch  untersucht  worden  und  zwar 
mit  dem  Resultat,  dass  sich  das  Vorhandensein  einer  reinen  IStai)hylo- 
kokkeninfektion  herausstellte.  Indessen  wissen  wir,  dass  bei  der  akuten 
Osteomyelitis  der  Röhrenknochen  überhaupt  dieser  bakteriolügische  Be- 
fund so  ziemlich  die  Regel  bildet.    Wir  haben  deshalb  der  Vollständig- 


14  F.  Siebcnmann:   Über  Ertaubung  im  Verlaufe  von 

keit  halber  in  der  betreffenden  Literatur  Umschau  gehalten,  ob 
Schädigung  der  Nerven  durch  Staphylokokken  und  deren  Toxine  experi- 
mentell nachgewiesen  worden  sind  und  haben  allerdings  dafür  positive 
Anhaltspunkte  gefunden.  Nach  KoUe  und  Wassermann  (Handbuch 
der  pathogenen  Mikroorganismen  III.  Bd.,  pag.  123)  hat  Sander  die 
Wirkung  der  Staphylokokkenfiltrate  auf  das  Nervensystem  geprüft  und 
hat  gefunden,  dass  sich  bei  zwei  durch  Staphylotoxine  getöteten 
Kaninchen  bereits  deutliche  akute  Zellveränderungen  (akute  Zell- 
erkrankung nach  Nissl)  vorfanden,  wenn  auch  weniger  ausgesprochen 
als  bei  Infektion  mit  lebenden  Kokken. 

Von  Nervenschädigung  durch  Endotoxine  (Gifte  der  abgetöteten 
Staphylokokkenleiber)  ist  nichts  bekannt.  Durch  Injektion  lebender 
Staphylokokken  in  die  venösen  Bahnen  konnten  T  h  o  i  1  o  t  und  M  a  s  s  e  1  i  n 
(1.  c.  pag.  126)  Veränderungen  der  Achsenzylinder  der  grauen  und 
weissen  Substanz  des  Rückenmarks  hervorrufen,  während  die  peripheren 
Nerven  intakt  blieben.  Dr.  Sander  fand  bei  ähnlichen  Versuchen 
Hirnveränderungen  in  Form  von  Nissl  scher  akuter  Zellerkrankung  der 
Ganglienzellen,  besonders  in  den  motorischen  Kerngebieten  des  Hirn- 
Stammes. 

Da  bei  der  neuritischen  und  polyneuritischen  Erkrankung  des 
Opticus  sich  die  nämliche  Einteilung  durchführen  lässt  wie  bei  den 
Akustikusaffektionen,  indem  die  nämlichen  Gifte,  die  nämlichen  Kon- 
stitutionsanomalien und  die  nämlichen  Infektionskrankheiten  dabei  in  Be- 
tracht kommen  und  da  die  Ophthalmologen  nach  dieser  Richtung  hin  ihr 
Feld  unverhältnismäfsig  besser  bebaut  haben  als  wir  Ohrenärzte,  so  lag 
die  Versuchung  sehr  nahe,  dort  Umschau  zu  halten  nach  dem  Stand 
der  Lehre  von  den  septischen  Schädigungen  des  Auges  überhaupt  und 
speziell  nach  derjenigen  der  septischen  Neuritis.  Fälle  von  osteomye- 
litischer Erblindung  und  überhaupt  von  Erkrankung  des  Auges  im  An- 
schluss  an  Osteomyelitis  kennt  nun  die  chirurgische  und  die  ophthalmo- 
logische Literatur  nicht,  dagegen  spielen  andere  septische  Prozesse  in 
der  Ätiologie  der  Erkrankung  des  Auges  eine  sehr  grosse  Rolle. 
»Kaum  ein  Organ«  —  sagt  Lenhartz  (Die  sepsischen  Erkrankungen 
1903  in  Nothnagels  Handbuch  Bd.  HI,  2.  Teil)  —  »ist  bei  den 
septischen  Prozessen  schon  klinisch  gleich  häufig  in  Mitleidenschaft  ge- 
zogen wie  das  Auge.«  Blutungen  des  Augenhintergrundes  treten  in 
30%,  septische  Retinitis  (Rothsche  Flecke)  in  10%,  Panophthalmie 
in  4 — 23 ^7o  ^^^  ^»^^^^  ®^"-  ^^^^  beobachtete  L.  die  letzteren  nie 
bei    Staphylokokkensepsis.     Fast    immer   handelte   es    sich   um 


acuter  Osteomyelitis  nnd  von  septischen  Prozessen  im  allgemeinen.       15 

Streptokokkeninfektion  nnd  um  Kranke  im  späteren  Lebensalter.  — 
Nur  in  seltenen  Fällen  wurden  auch  Entzündungen  an  der  Papille  be- 
merkt; so  sah  Lenhartz  eine  Neuritis  optica  bei  einer  chronischen 
zum  Tode  führenden  Streptokokken-Endocarditis.  Derselbe  Autor  be- 
schreibt ferner  einen  Fall  von  kryptogenetischer  Streptokokkensepsis 
mit  den  Erscheinungen  einer  akuten  Polyneuritis  beider  unterer  Ex- 
tremitäten (ibid.  S.  228).  Auf  diesem  Gebiete  sehr  erfahrene  Oph- 
thalmologen halten  die  septische  Neuritis  des  Optikus  für  eine 
ganz  seltene  Erkrankung.  Von  ühthoff  (Über  infektiöse 
Neuritis  optica.  Bericht  über  die  28.  Vers,  der  ophthalmologischen 
Gesellschaft  1900)  wird  sie  in  seiner  auf  ein  sehr  grosses  Material  sich 
beziehenden  Zusammenstellung  gar  nicht  erwähnt.  Damit  stimmt  die 
Darstellung  von  Groenouw  überein  (G r a e f  e  und  S a e m i s c h  ,  Hand- 
buch der  ges.  Augenheilkunde,  II.  Aufl.,  X,  1.  Abteiig.,  pag.  206,  251 
und  pag.  494 — 510).  Einzig  nach  Erysipel  sind  2 — 3  Fälle  von 
Optikusatrophie  beobachtet,  bei  denen  eine  indirekte  Einwirkung  auf 
hämatogenem  Wege  angenommen  werden  muss.  —  Ferner  sah  Michel 
in  zwei  und  Snell  in  einem  Fall  septische  Embolien  im  Sehnerv. 

So  ungemein  selten  also  eine  septische  Neuritis  des  Optikus  ist,  so 
häufig  sind  die  Panophthalmien,  und  hier  ist  nun  auffallend,  dass 
die  doppelseitigen  Erkrankungen  nach  allgemeinem  Urteil  so- 
wohl der  Ophthalmologen  als  der  Chirurgen,  der  Internen  und  der 
Leiter  von  Frauenspitälern  von  diesen  septischen  Panophthalmien  sogar 
mehr  als  ein  Drittel  ausmachen  und  dass  in  der  Regel  beide  Augen 
zu  annähernd  derselben  Zeit  erkranken. 

Unter  diesen  Umständen  dürfen  wir  unsere  Bedenken,  die  wir 
angesichts  des  beidseitigen  und  gleichzeitigen  Auftretens  der  Taubheit 
pag.  11  geltend  gemacht  haben,  gegenüber  der  Annahme  einer  Metastase 
in  beiden  Labyrinthen  fallen  lassen  und  wir  müssen  vielmehr  wieder  auf 
die  erste  Annahme  zurückgreifen,  nämlich  dass  auch  bei  der  osteo- 
myelitischen Ertaubung  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  es  sich  um 
eine  Entzündung  nicht  zunächst  des  Nervs  sondern  des  Labyrinths 
handelt.  Wir  werden  kaum  fehlgehen,  wenn  wir  den  Vergleich  zwischen 
den  Verhältnissen  in  Aug  und  Ohr  weiter  ziehen  und  uns  klarlegen, 
dass  in  diesem  Falle  es  sich  aber  nicht  um  leichtere,  wenig  Funktions- 
störung verursachende  Affektionen,  wie  sie  am  Auge  als  septische 
Retinalverändernngen  so  ungemein  häufig  (V3 — ^U  ^^^^^  Fälle)  zur  Be- 
obachtung kommen,  handeln  kann,  sondern  um  einen  mehr  oder  weniger 
diffusen  Zerstörungsprozess  im  Labyrinth  selbst. 


16  F.  Siebenmann:   Über  Ertaubung  im  Verlaufe  von 

Aach  das,  dass  von  den  an  doppelseitiger  Panophthalmie  erkrankten 
Septischen  weitaus  die  meisten  sterben  und  nur  zirka  10  Kranke  be- 
kannt sind,  welche  die  Affektion  überstanden,  dürfte  das  Ziehen  unserer 
Parallele  nicht  stören,  sondern  dieser  Umstand  sollte  eher  geeignet  sein, 
die  Seltenheit  der  osteomyelitischen  Ertaubung  erklären  zu  helfen, 
indem  die  am  schwersten  an  Osteomyelitis  Erkrankten  (und  Ertaubten) 
eben  sehr  wahrscheinlich  sterben  und  ihre  Ertaubung  in  der  letzten 
Lebensperiode  nicht  erkannt,  sondern  als  Zeichen  höchster  Benommen- 
heit aufgefasst  wird.  Übrigens  sterben  ^  von  den  Personen,  bei  denen 
die  Ophthalmie  die  einzige  Metastase  darstellt,  erfahrungsgemäfs  bloss 
25  ^/q.  Jedenfalls  dürfte  es  sich  empfehlen,  bei  den  an  Staphylosepsis 
Gestorbenen,  wo  immer  sich  dazu  Gelegenheit  bietet,  systematisch  die 
mikroskopische  Untersuchung  der  Labyrinthe  durchzuführen,  gleichzeitig 
aber  auch  klinisch  auf  einseitige  Ertaubung  durch  septische  Prozesse 
das  Augenmerk  zu  richten. 

Mit  unserer  auf  klinisch-vergleichendem  Wege  und  per  occlusionem 
gewonnenen  Annahme,  dass  eine  Labyrinthitis  und  nicht  eine 
Neuritis  die  Ursache  der  osteomyelitischen  Ertaubung  bilden  müsse, 
stimmt  der  pag.  9  erwähnte  Umstand,  dass,  soweit  die  Untersuchungs- 
ergebnisse unseres  eigenen  Untersuchungsniaterials  einen  Schluss  gestatten, 
stets  beide  Hauptabschnitte  des  Labyrinths  dabei  indem  nämlichen 
Mafse  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden.  Damit  stimmt  nun  aber  auch 
der  einzige  zu  unserer  Verfügung  stehende  Obduktionsbericht  von 
Steinbrügge  vollkommen  überein  und  wir  brauchen  nicht,  wie  dieser 
Autor  es  wohl  in  allzu  vorsichtiger  Weise  getan,  eine  Meningitis  als 
erklärendes  Mittelglied  einzuschieben. 

Die  Tatsache,  dass  bei  der  osteomyelitischen  Ertaubung  zuweilen 
noch  beträchtliche  Reste  des  akustischen  und  des  statischen  Vermögens 
gefunden  werden,  erinnert  allerdings  an  das  luiiktionelle  Verhalten  des 
Labyrinths  bei  der  Meningitis-Taubheit.  Auch  der  Umstand,  dass  beim 
p]ntstehen  der  Osteomjelitis-Taubheit  bis  jetzt  noch  keine  Durch brüche 
vom  Labyrinth  nach  dem  Mittelohr  beobachtet  worden  sind,  steht  im 
Einklang  mit  den  klinischen  und  anatomischen  Erfahrungen,  welche  wir 
bei  der  meningitischen  Labyrintheiterung  in  aus^^edehntem  Mafse  ge- 
sammelt haben.  Aber  mit  Ausnahme  des  Falles  von  Stein brügge 
haben  meningitische  Symptome  in  5  von  unseren  sieben  Fällen  von 
Osteomyelitisertaubung  gefehlt;  für  zwei  meiner  drei  eigenen  Fälle 
wenigstens  steht  dies  absolut  fest. 


acater  Osteomyelitis  und  yod  tfeptischen  Prozessen  im  allgemeinen.       1 7 

Grössere  Verwandtschaft  als  zu  der  Meningitistaubbeit  besitzt  die 
l)eschriebene  Affektion  zu  derjenigen  Form  der  Ertaubung,  welche  bei 
hereditärer  Lues  auftritt.  Indessen  muss  die  Möglichkeit  einer  Identität 
ganz  entschieden  von  der  Hand  gewiesen  werden.  In  meinen  drei 
Fällen  wenigstens  haben  sowohl  die  von  mir  selbst  aufs  sorgfältigste 
aufgenommene  Anamnese  als  auch  der  Allgemeinbefund  nicht  den 
geringsten  Anhaltspunkt  für  eine  solche  Vermutung  ergeben;  das 
l^ämliche  darf  auch  für  die  vier  andern  Beobachtungen  angenommen 
Yrerden,  da  sie  alle  von  vorzüglichen  Klinikern  stammen.  Zudem  ist  das 
hochfebrile,  meistens  mehrere  Tage  oder  Wochen  dauernde,  einer 
typhösen  Erkrankung  gleichende  Initialstadium  der  Knochen affektion 
sehr  charakteristisch,  und  die  Ertaubung  erfolgt  bei  der  Osteomyelitis 
in  der  Regel  viel  stürmischer  als  bei  der  hereditären  Lues. 

Wir  können  unsere  Arbeit  nicht  schliessen,  ohne  darauf  hingewiesen 
zu  haben,  dass  offenbar  die  nämliche  schädigende  Rolle,  welche  der 
Streptokokkus  bei  der  septischen  Ophthalmie  spielt,  vom  Staphylokokkus 
gegenüber  dem  Labyrinth  übernommen  und  durchgeführt  wird.  Die 
pyogenen  Staphylokokken  —  wenigstens  diejenigen  der  Osteomyelitis  — , 
welche  sonst  weniger  Metastasen  zu  machen  pflegen  als  die  pyogenen 
Streptokokken,  scheinen  für  das  Ohr  ganz  besonders,  viel  weniger 
aber  für  das  Auge  gefährlich  zu  sein.  Ob  es  sich  bei  diesen 
Labyrinthitiden  jeweilcn  um  eine  wirkliche  neue  bakterielle  Invasion 
gehandelt  hat,  ist  eine  Frage,  die  natürlich  nicht  mit  absoluter  Be- 
«timmtlieit  beantwortet  werden  kann.  Indessen  dürfte  es  sich  doch,  wie 
auch  für  die  Mehrzahl  der  doppelseitigen  septischen  Panophthalmien  an- 
genommen wird,  eher  um  eine  direkte  Toxinüberschwemmung  und  Toxin- 
wirkung  handeln.  Dieser  Schluss  ist  erlaubt  angesichts  des  Umstandes,  dass 
die  Ertaubung  in  der  Regel  doppelseitig  und  gleichzeitig  auftrat  und  dass 
im  Zeitpunkt  der  Ertaubung  wenigstens  in  der  Hälfte  der  Fälle  das  hoch- 
febrile Stadium  schon  längst  abgelaufen  war,  ja  dass  in  2  Fällen  schon 
Jahre  seither  verflossen  waren.  Jedenfalls  sind  aber  solche  Beobachtungen 
sehr  geeignet,  die  Ansicht  von  der  ausserordentlich  lange  dauernden 
Virulenz  der  Staphylokokken  und  ihrer  Toxine  im  menschlichen  Körper 
stützen  zu  helfen. 


Zeitschrift  für  Obrenbeilkande.  Kd.  LIV. 


18  Victor  Hammerscblag:  Zur  Kenntnis 

II. 

Zur  Kenntnis  der  hereditär-degenerativen 

Taubstummheit/) 

Y.  Über  pathologische  Augenbefüiide  bei  Taabstamnien  und 
ihre  difterential-diagnosüsche  Bedentang. 

Von  Dozenten  Dr.  Victor  Hammerechla^  in  Wien. 
Mit  5  Abb.  auf  Tafel  I/IL 

Die  Literatur  über  planmäfsige  Augenuntersucbnngen  an  Taab- 
stammen  ist  nicbt  sebr  umfangreicb.  Trotzdem  können  wir  aus  der 
folgenden  kurzen  Literaturübersicbt  erseben,  dass  es  eine  Anzahl 
typischer  Veränderungen  am  Auge  der  Taubstummen  gibt  und  dass 
diese  typischen  Veränderungen  immer  wieder  »angeborene«,  »con- 
genitale« oder  »hereditäre«  Ei  krankungen  des  Auges  darstellen,  deren 
Verwertbarkeit  für  die  Differentialdiagnose  der  hereditär-degenerativen 
Taubheit  zu  besprechen  wir  eben  bier  unternehmen. 

So  fand  Liebreich*)  unter  241  Taubstummen  in  Berlin  14  Fälle 
(d.  i.  5,8  ^/o)  von  Retinitis  pigmentosa.  Er  charakterisiert  die  Be- 
deutung dieses  Befundes  durch  die  Worte:  »Diese  Zahl  ist  in  Anbetracht 
der  Seltenheit  jener  Affektion  als  sehr  gross  anzusehen;  ich  glaube 
kaum,  dass  ausser  diesen  14  Taubstummen  in  ganz  Berlin  noch  20 
oder  30  Fälle  von  Retinitis  pigmentosa  existieren  mögen.  «^) 

Bei  einer  späteren,  über  965  Fälle  von  Taubstummheit  sich  er- 
streckenden üntersuchungsreihe*)  fand  derselbe  Autor  nur  33  Fälle 
(d.  i.  3,4 ®/q)  von  Retinitis  pigmentosa. 


1)  Vgl.  Zeitachr.  f.  Ohrenheilk.  45.  Bd.,  S.  329;  Zeitschr.  f.  Ohrenheilk. 
47.  Bd.,  S.  147;  Zeitschr.  f.  Ohrenheilk.  47.  Bd.,  S.  381;  Zeitschr.  f.  Ohren- 
heük.  50.  Bd.,  S.  87. 

2)  Abkunft  aus  Ehen  unter  Blutsverwandten  als  Grund  von  Retinitis  pig- 
mentosa.   Deutsche  Klinik  1861,  Nr.  6. 

8)  Der  von  Liebreich  gefundene  Prozentsatz  wäre  gewiss  noch  höher, 
wenn  eine  Snnderung  des  Taubstummenniaterials  in  „Taubgeborene"  und  „Später 
Ertaubte"  vorgenommen  worden  wäre.  Übrigens  berichtet  Liebreich  auch 
umgekehrt  über  eine  Untersuchnng  von  85  ihm  im  Laufe  der  Jahre  zu- 
gegangenen Retinitis  pigmentosa-Fällen.  Unter  diesen  waren  nur  18  Hörende, 
14  Taubstumme  und  3  Idioten.  Diese  Ermittelung  gewinnt  an  Wert  für  unser 
Thema,  wenn  wir  an  die  Co'mcidenz  von  Idiotie  und  hereditär- degenerativer 
Taubheit  denken. 

*)  Zitiert  nach  TJchermann:  Les  Sourds-muets  en  Norv^ge.  Christiania, 
Cammermeyer  1901. 


der  bereditär-degenerativen  Tanbstnmmheit.  IQ 

Einen  wesentlich  geringeren  Prozentsatz  fand  Falk^),  nämlich 
unter  72  taubstnmmen  Kindern,  worunter  43  mit  congenitaler  Taabheit, 
nur  einen  P'all  von  Retinitis  pigmentosa. 

Aach  Hartmann ^)  bringt  einiges  Material  zn  dem  in  Rede 
stehenden  Thema  bei.  Er  zitiert  die  von  uns  eben  erwähnte  Unter- 
suchungsreihe Liebreichs,  ferner  Hocquard,  der  in  Paris  unter 
200  Taubstummen  5  Fälle  (d.  i.  2,5  ^j^)  von  Retinitis  pigmentosa  kon- 
statierte. Weiter  zitiert  Hartmann  den  Bericht  Wilhelmis')  über 
die  Taubstummen  des  Regierungsbezirks  Magdeburg,  der  unter  519 
Taubstummen  5  Fälle  mit  Netzhauterkrankung  fand,  und  endlich  die 
Resultate  von  Lent*),  der  unter  303  Taubstummen  6  Fälle  (d.i.  27^) 
der  Netzhauterkrankung  feststellte. 

Eine  ausftlhrliche  Bearbeitung  des  Zusammenhanges  zwischen  con- 
genitaler Taubstummheit  und  Retinitis  pigmentosa  finden  wir  bei 
Sambuc^}.  Dem  Autor  handelt  es  sich  vorzugsweise  um  den  Nach- 
weis der  gemeinsamen  Ätiologie.  Für  eine  Wiedergabe  eignet  sich  die 
sehr  umfangreiche  Monographie  nicht. 

Auch  Schwendt  und  Wagner^)  haben  den  Augenbefunden 
ihrer  Taubstummen  ihre  Aufmerksamkeit  geschenkt,  wobei  —  zum 
Unterschiede  von  den  bisher  erwähnten  Autoren  —  nicht  nur  die  Pig- 
mentierung der  Netzhaut,  sondern  auch  Refraktionsanomalien  und 
äussere  Merkmale  registriert  wurden.  Von  den  47  Fällen  Schwendt 
und  Wagners  wiesen  2  Strabismus,  1  hochgradige  Hypermetropie, 
3  leichte  Hypermetropie  und  2  Retinitis  pigmentosa  auf. 

Eine  ziemlich  umfangreiche  Bearbeitung  des  hier  zu  behandelnden 
Themas  findet  sich  dann  bei  Uch ermann^).  Aus  dem  betreffenden 
Kapitel  sei  folgendes  in  Kürze  erwähnt:  Uchermann  gibt  in  Hinsicht 

1)  Zur  Statistik  der  Taubstummen.  Archiv  f.  Psychiatrie  1872,  HI.  Bd., 
S.  429. 

«)  Taubstummheit  und  Taubstummenbildung.  Stuttgart,  Enke  1880. 
Kapitel:  Taubstummheit  und  Blindheit. 

3)  Statistik  der  Taubstummen  des  Regierungsbezirks  Magdeburg  nach  der 
Volkszählung  von  187  L  Bearbeitet  von  Dr.  Wilhelmi.  Beilage  zur  Deutschen 
Klinik  Nr.  9,  1873 

*)  Statistik  der  Taubstummen  des  Regierungsbezirks  Cöln.  Bericht  von 
Dr.  Lent  an  den  Verein  der  Ärzte  des  Regierungsbezirks  Cöln.    Cöln  1870. 

5)  Etüde  de  la  consanguinit^.  Th^se  par  G.  A.  A.  Sambuc.  Bordeaux, 
Cassignol  1896. 

^)  Untersuchung  von  Taubstummen.    Basel,  Schwabe  1899. 

7)  1.  c.  S.  376,  I.  Bd. 

2* 


20  Victor  Hammerschlag:   Zur  Kenntnis 

auf  die  so  auffallend  häufige  Colncidenz  yod  »angeborener«  Taubheit 
und  Retinitis  pigmentosa  der  —  heute  wohl  unbestrittenen  —  Meinung 
Ausdruck,  dass  diese  beiden  pathologischen  Prozesse  eine  gemeinsame 
anatomische  Basis  haben  müssten^).  Nach  einer  Zusammenstellung 
Uchermanns  entfallen  auf  1009  Fälle  von  congenitaler  Taubstumm- 
heit 37  Fälle  (d  i.  3,6  ^/q)  von  Retinitis  pigmentosa,  während  unter 
den  Fällen  von  erworbener  Taubstummheit,  bei  denen  eine  Herab- 
setzung des  Sehvermögens  bestand,  sich  kein  einziger  einwandfreier 
Fall  von  Retinitis  pigmentosa  nachweisen  Hess.  Auch  die  »Blindheit« 
schlechtweg,  ohne  anatomische  Feststellung  ihrer  näheren  Ursachen, 
findet  sich  viel  häufiger  bei  congenitaler  als  bei  erworbener  Taubheit. 
Das  Verhältnis  ist  nach  don  Ermittelungen  Uchermanns  folgendes: 
unter  932  Fällen  von  congenitaler  Taubheit  fand  sich  »Blindheit« 

in  1,3  ^/o  der  Fälle, 
unter  886  Fällen    von  erworbener  Taubheit  in  0,3  ^^/^  der  Fälle. 

Erwähnenswert  erscheint  mir  noch,  dass  Uchermann  die  Augen- 
affektionen:  Strabismus,  Heterochromia  iridis,  Symblepharon 
und  Katarakt  nur  in  den  Fällen  congenitaler  Taubheit  vorfand. 

Ganz  kurz  erwähnt  auch  Denker*)  das  Resultat  der  an  64  Zög- 
lingen der  Soester  Provinzial-Taubstummenanstalt  durchgeführten  Augen- 
untersuchungen. Die  Untersuchung  erstreckte  sich  sowohl  auf  den 
Augen hintergrundsbefund  als  auch  auf  die  Feststellung  von  Sehschärfe 
und  Refraktionsanomalien.  Das  Sehvermögen  war  bei  73  ^/^  des  Unter- 
suchten normal,  bei  27®/q  nicht  normal.  —  Leider  sind  die  Fälle 
nicht  gesondert  in  »Congenital  Taube«  und  »Später  Ertaubte«  be- 
trachtet worden.  —  Retinitis  pigmentosa  wurde  in  keinem  Falle  be- 
obachtet ;  das  kann  nicht  überraschen,  wenn  man  erfährt,  dass  unter 
den  Taubstummen  Denkers  nur  9  sicher  von  Geburt  an  Taube  sich 
befanden. 

Einiges    Material    finden    wir    auch    bei    Bezold*^).     Unter    196 


1)  Wie  man  sich  das  ZustaDdekommen  der  vergesellschafteten  Kiankheits- 
bi  der:  con^enitale  Mi>8bilduiig  des  Augt-s,  des  Gehörorgans  und  congenitale 
Defj-kt..'  des  Intellekts,  aus  einer  gemeinsamen,  wenn  auch  sehr  vielgestaltigen 
ÄtioloLne  vorsteli«  n  kann,  habe  ich  (Beitrag  zur  Frage  der  Vererbbarkeit  der 
,Oto.>klero3e*.    Monatsschr.  f.  Ohrenhe.lk.  19(J6)  ausgeführt. 

^)  Dit*  Taub.>tunimen  der  W«strälischen  Provinzial-Taubstummenanstalt  zu 
S'.rst      Z.it<chr.  f.  Ohrenheiik.  36.  Fd.,  lOcO,  S.  78. 

»)  Die  Taub>tunimhL'it  auf  Grund  obren  ärztlicher  Beobachtungen.  Wies- 
baden, Bergmann  1902,  S.  52. 


der  hereditär-degenerativen  Taabstummbeit.  21 

»Taabstummen  von  Geburt«  fand  er  4  mal  Strabismus  convergeus, 
Imal  Nystagmus  mit  Parese  des  linken  Abduzenz,  Imal  hochgradige 
Myopie,  Imal  hochgradige  Hyperopie  und  Imal  vorgeschrittene  Reti- 
nitis pigmentosa. 

Nager^)  fand  unter  50  Taubstummen  6  Fälle  von  Strabismus 
(meist  convergens)  und  einen  Fall  von  Coloboma  iridis.  Der  letztere 
Fall  betraf  ein  Mfidchen  mit  erworbener^)  Taubheit,  die  6  Strabismus- 
fälle  verteilten  sich  derart,  dass  1  Fall  als  unbestimmt,  1  Fall  als 
erworben,  3  als  sicher  angeboren  und  1  als  höchst  wahr- 
scheinlich angeboren  bezeichnet  wird.  Ich  möchte  indes  das 
Nag  ersehe  Material  wegen  der  Möglichkeit,  dass  es  reichlich  mit 
endemisch  Taubstummen  durchsetzt  ist,  nur  mit  Vorsicht  verwertet 
wissen. 

Sehr  verwendbar  sind  die  von  Lemcke^)  beigebrachten  Daten, 
weil  er  die  bei  Taubstummen  gefundenen  sonstigen  Anomalien  gesondert 
nach  »Taubgeborenen*  und  »Taubgewordenen«  registriert.  Er  unter- 
suchte 223  Taubstumme,  von  denen  74  »taubgeboren«,  136  »taub- 
geworden« und  13  »fraglich«  waren.  Bei  den  74  Taubgeborenen  fand 
sich  Retinitis  pigmentosa  8  mal  (d.  i.  in  10,8  ®/(,  der  Fälle),  bei  den 
zwei  anderen  Kategorien  gar  nicht;  »Blindheit«  ohne  nähere  Angabe 
fand  sich  bei  den  »Taubgeborenen«  3  mal  (d.  i.  in  4^/^  der  Fälle), 
bei  den  zwei  anderen  Kategorien  (zusammengenommen)  1  mal  (d.  i.  in 
zirka  0,7 ^/q  der  Fälle;  Strabismus  convergens  fand  sich  bei  den 
»Taubgeborenen«  2  mal  (d.  i.  in  2,7  ^/^  der  Fälle),  bei  den  zwei 
anderen  Kategorien  (zusammengenommen)  nur  1  mal  (d.  i.  in  0,7  ^/q). 
Dagegen  findet  sich  Myopie  nur  Imal  notiert  und  zwar  bei  einem 
später  ertaubten  Individuum. 

Im  Nachstehenden  will  ich  nun  die  Resultate  von  Augenunter- 
suchungen mitteilen,  die  Herr  Dozent  Dr.  Victor  Hanke  über  meine 
Anregung  an  den  Zöglingen  der  Wiener  israelitischen  Taubstummen- 
anstalt vorzunehmen  die  Güte  hatte  "*).     Ich   muss   vorwegnehmen,    dass 


1)  Die  Taubstummen  der  Luzerner  Anstalt  Hohenrain.  Zeitschr.  f.  Oliren- 
heilk.,  43.  Bd.,  1908,  S.  284. 

*)  Die  Krankengeschichte  des  Falles  lautet:  «Taubstummheit  erworben 
nach  Fall  im  ersten  Lebensjahr.  Man  weiss,  wie  wenig  die  Ätiologie :  «Fall" 
besagen  will. 

8)  Die  Taubstummheit  im  Grossherzogtum  Mecklenburg-Schwirin  etc. 
Leipzig,  Langkammer,  1892,  S.  164. 

*)  An  dieser  Stelle  nehme  ich  Gelegenheit,  Herrn  Dr.  Hanke  für 
seine  Mühewaltung  den  herzlichsten  Dank  auszusprechen. 


22  Victor  Harn  in  erschlag:    Zur  Kenntnis 

diese  Untersachungen  durchaus  nicht  methodisch  angestellt  ivurden;  sie 
waren  in  erster  Linie  nur  auf  den  Augen  hin tergrund  gerichtet,  um 
womöglich  die  Häufigkeit  der  Retinitis  pigmentosa  festzustellen.  Dass 
dabei  äussere  Veränderungen  am  Auge  mit  registriert  wurden,  ist  wohl 
selbstverständlich,  dagegen  wurden  keine  Bestimmungen  der  Sehschärfe 
vorgenommen  und  auch  den  Brechungsanomalien  keine  spezielle  Auf- 
merksamkeit zugewendet.  Mit  der  Aufnahme  der  Augenspiegelbefunde 
wurde  im  Herbst  1901  begonnen:  damals  wurden  alle  zur  Zeit  an- 
wesenden Zöglinge  untersucht;  seither  wurde  diese  Untersuchung  all- 
jährlich nur  an  den  neu  eingetretenen  Zöglingen  vorgenommen  und  auf 
diese  Weise  verfüge  ich  jetzt  über  135  Augenspiegelbefunde. 

In  der  Tabelle  (vide  Anhang)  sind  nun  die  Fälle  mit  patho- 
logischen Augenbefunden  zusammengestellt  \).  Diese  Tabelle  umfasst 
19  Individuen,  von  denen  in  Hinsicht  auf  die  Art  ihrer  Taubstummheit 
2  als  »unbestimmt«,  5  als  »später  ertaubt«  und  12  als  »taubgeboren« 
bezeichnet  sind^). 

Wir  haben  nun  diese  Augenbefunde  daraufhin  zu  betrachten,  ob 
sie  als  »angeboren«  bezw.  congenital  oder  als  »erworben«  zu  be- 
zeichnen sind. 

Da  ist  nun  zunächst  Fall  2  und  Fall  13  auszusondern,  denn  in 
diesen  beiden  Fällen  handelt  es  sich  um  Residuen  zweier  sicher  im 
späteren  Leben  erworbenen  Augenerkrankungen.  In  eine  zweite  be- 
sonders zu  besprechende  Kategorie  fallen  die  Fälle  4,  6,  7,  14  und  16. 
Der  Übersicht  halber  wollen  wir  die  Befunde  dieser  5  Fälle  nach  ihrer 
Zusammengehörigkeit  geordnet  hier  rekapitulieren. 

I.  Fall  4;  später  ertaubt.  Beiderseits  Distraktions-  und  Super- 
traktionssichel; stark  getäfelter  Fundus;  an  der  Peripherie  stellenweise 
unregelmäfsige  Pigmentverteilung.     Myopie. 

IL    Fall  14;  »taubgeboren«.     Beiderseits  myopische  Sichel. 

III.  Fall  6;  später  ertaubt.  Hyperämische  Papillen  beiderseits; 
hohe  Hypermetropie. 

IV.  Fall  7;  später  ertaubt.  Beiderseits  hyperämische  Papillen; 
hohe  Hypermetropie. 


1)  Nicht  aufgenommen  habe  ich  die  Fälle  von  Strabismus,  obzwar  diese 
in  meinem  Material  nicht  selten  sind. 

^  Zur  Klassifizierung  wurde  hier  einfach  die  Angabe  der  Eltern  verwendet. 
Eine  Korrektur  dieser  Angaben  (auf  Grund  der  Heredität,  Multiplizität,  Con- 
sanguinität  der  Eltern  etc.)  wurde  absichtlich  nicht  vorgenommen;  daraus  er- 
klärt sich  die  Verwendung  des  Terminus  »taubgeboren". 


der  hereditär-degeneratiTen  Taabstummheit  23 

V.  Fall  16;  »taubgeboren«.  Rechts  Hypermetropie,  links  Myopie 
und  Astigmatismus.     Fundus  beiderseits  normal. 

Im  Fall  I  (Fall  4  der  Tabelle)  handelt  es  sich  hauptsächlich  um 
die  Erscheinungen  hochgradiger  Myopie,  kombiniert  mit  jenen  Aderhaut- 
verfinderungen,  die  von  den  Ophthalmologen  als  Distraktions-  und 
Supertraktionssichel  bezeichnet  werden.  Über  die  Entstehung  der  Myopie, 
<1.  h.  über  die  Frage,  ob  dieser  Zustand  als  congenitaler  bezeichnet 
werden  darf  oder  nicht,  wollen  wir  die  einschlägigen  Ausführungen  von 
Fuchs^)  wiedergeben.  Fuchs  sagt:  »Die  Kurzsichtigkeit  wird  nur 
ausnahmsweise  schon  mit  auf  die  Welt  gebracht,  indem  angeborener 
Ijangbau  des  Auges  besteht.  Die  Regel  ist,  dass  die  Myopie  in  der 
Jugend  sich  entwickelt,*  in  jener  Zeit,  wo  bei  raschem  Wachstum  des 
ganzen  Körpers  gleichzeitig  bedeutende  Anforderungen  an  die  Augen 
durch  die  Schule  oder  die  Arbeit  gestellt  werden«  .  .  .  »Wenn  nun 
auch  die  Anstrengung  der  Augen  in  der  Nähe  die  Ursache  der  Kurz- 
sichtigkeit  ist,  so  werden  doch  nicht  alle  Personen,  welche  sich  dieser 
Anstrengung  unterziehen,  wirklich  kurzsichtig,  sondern  nur  ein  Bruch- 
teil derselben.  Bei  letzteren  müssen  also  ausserdem  noch  besondere 
Faktoren  vorhanden  sein,  welche  die  Ausbildung  der  Eurzsichtigkeit 
durch  die  Nahearbeit  begünstigen.  Als  solche  Faktoren  kennen  wir 
1.  eine  Disposition  zur  Myopie,  welche  ohne  Zweifel  in  bestimmten 
anatomischen  Verhältnissen  liegt,  wie  geringe  Widerstandsfähigkeit  der 
Sklera,  Besonderheiten  im  Verhalten  der  Augenmuskeln,  des  Seh- 
nerven u.  s.  w.  Da  sich  anatomische  Eigentümlichkeiten  leicht  ver- 
erben, erklärt  sich  auch  die  Erblichkeit  der  Kurzsichtigkeit«  .  .  . 

Wenn  nun  auch  die  Myopie  ein  Zustand  ist,  der  sich  (von  ganz 
seltenen  Ausnahmen  abgesehen)  erst  im  späteren  Leben  und  unter  be- 
sonderen äusseren  Schädlichkeiten  entwickelt,  so  sehen  wir  doch  anderer- 
seits, dass  zu  seiner  Entwicklung  meist  eine  besondere  Disposition  in 
Form  congenitaler,  hereditärer  anatomischer  Eigentümlichkeiten  im 
Baue  des  Bulbus  notwendig  ist.  Wir  tun  daher  recht,  wenn  wir  dem 
Befunde  der  Myopie  bei  den  Taubstummen  unser  Augenmerk  schenken, 
x)hne  dass  wir  aber  annehmen  dürfen,  dass  ihm  eine  irgend  in  Betracht 
kommende  differential-diagnostische  Bedeutung  zukommt.  —  Dazu  ist 
sein  Vorkommen  unter  den  Taubstummen  auch  viel  zu  selten.  Unter 
unseren  153  Kindern  finden  wir  beispielsweise  Myopie  nur  3  mal  notiert 
{geringere  Grade    wurden   nicht  notiert)   und  zwar  Fall  4,  14  und  16 


1)  Lehrbuch  der  Augenheilkunde,  10.  Aufl.,  1905,  S.  809. 


24  Victor  Hammerschlag:   Znr  Eenntnis 

der  Tabelle  and  dazu  betrifft  ausserdem  noch  Fall  4  ein  sicher  später 
ertaubtes  Kind. 

Einer  Erklärung  bedarf  noch  bei  Fall  I  (Fall  4  der  Tabelle)  und 
Fall  U  (Fall  14  der  Tabelle)  der  Befund:  » Distraktions-  und  Super- 
traktionssichel« bezw.  »myopische  Sichel«.  Es  handelt  sich  hier  um 
Yerziehung  des  Sehnervenkopfes  nach  der  temporalen  Seite,  die  sich  im 
Spiegelbilde  als  schmale,  helle,  temporal  gelegene  Sichel  präsentiert  und 
um  die  entsprechende  Hinflberziehung  der  Sklera  und  Aderhaut  Ober 
den  Sehnerven  auf  der  nasalen  Seite,  wodurch  auch  hier  eine  ver- 
schwommene gelbe  Sichel  zu  stände  kommt.  Diese  Verziehung  des 
Sehnerven  kommt  in  kurzsichtigen  Augen  viel  regelmälsiger  und  in  viel 
höherem  Mafse  vor  als  in  emmetropischen  Augen,  doch  findet  sie  sick 
auch  in  solchen. 

In  unseren  Fällen  hat  sie  demnach  die  Bedeutung  eines  Begleit- 
symptoms der  Myopie  (nach  Fuchs  1.  c,  S.  411). 

Wir  gelangen  nun  zu  Fall  III  und  IV  (Fall  6  und  7  der  Tabelle). 
Der  Augenbefund  beider  lautet  gleich:  Es  handelt  sich  im  wesentlichea 
um  hochgradige  Hypermetropie.  Was  von  unserem  Standpunkte  über 
Hypermetropie  zu  sagen  ist,  findet  sich  in  den  folgenden  Ausführungen 
von  Fuchs*):  »Die  Kürze  des  Augapfels,  ^  welche  der  Hypermetropie 
zu  Grunde  liegt,  ist  angeboren.  Fast  alle  neugeborenen  Kinder  sind 
hypermetropisch,  weil  ihre  Augen  für  die  Brechkraft  der  Medien  zu 
kurz  gebaut  sind.  Mit  dem  Wachstum  des  Kindes  verlängern  sich 
auch  die  Augen  entsprechend,  sodass  sie  die  erforderliche  Achsenlängo 
bekommen  und  emmetropisch  werden,  ja  die  Verlängerung  kann  selbst 
über  das  Ziel  hinausschiessen  und  bis  zur  Myopie  gehen.  Sehr  oft  aber 
erfolgt  im  Gegenteil  die  Verlängerung  des  Auges  nicht  in  hinreichendem 

Mafse,  sodass  ein  gewisser  Grad  von  H  bestehen  bleibt« »Bei 

den  höchsten  Graden  der  H  ist  allerdings  das  Auge  im  ganzen  nicht 
normal.  Es  ist  schon  von  Geburt  an  abnorm  klein  (leichter  Grad  von 
Mikrophthalmus)  und  manche  dieser  Augen  zeigen  auch  andere  Zeichen 
einer  gestörten  Entwicklung :  auffallend  kleine  Hornhaut,  starken  Astig- 
matismus, mangelhafte  Sehschärfe  infolge  von  unvollkommener  Aus- 
bildung der  Netzhaut  und  andere  angeborene  Anomalien.« 

Wir  hätten  sonach  in  der  Hypermetropie  eine  congenitale  Anomalie 
zu  erblicken  und  es  fragt  sich,  ob  derselben  eine  differential-diagnostische 
Bedeutung  zukommt.  Gross  kann  diese  Bedeutung  der  ganzen  Sachlage 
nach  nicht  sein,  wenn  man  berücksichtigt,  dass  einerseits  die  Hyper- 
metropie  sich   auch   vielfach   in   Familien   findet,   deren   Glieder    sonst 


1)  Lehrbuch  S.  825. 


der  bereditftr-degeneratiYen  Taubsinrambeit.  25 

frei  von  congenitalen  Anomalien  sind,  nnd  dass  sie  andererseits  (nach 
den  obenstehenden  Literatarberichten,  sowie  nach  unseren  eigenen  Er- 
fahrungen) unter  den  Taubstummen  ziemlich  selten  vorkommt.  Dazu 
kommt  noch,  dass  unsere  beiden  Fälle  von  den  Eltern  als  »später  er- 
taubt« bezeichnet  werden.  Trotzdem  diese  beiden  Anamnesen  durchaus 
nicht  unzweifelhaft  sind  (Hirnerkrankung  mit  Fraisen  im  ersten  (!) 
Lebensjahr  bezw.  Sturz  (!)  im  3.  Lebensjahr),  so  warde  ich  es  doch 
nicht  wagen,  auf  Grund  des  Augenbefundes  die  Angaben  der  Eltern  zu 
korngiereu.  Ich  resümiere  also:  Wir  sollen  den  Refraktions- 
anomalien der  Taubstummen  zwar  unsere  Aufmerksam- 
keit schenken,  aber  mehr  aus  pädagogischen  Gründen 
als  um  aus  ihnen  differential-diagnostische  Merkmale 
zwischen  erworbener  und  congenitaler  Taubheit  zu  kon- 
struieren. 

Eine  höhere  Bedeutung  möchte  ich  jedoch  dem  Vorkommen  von 
Kefraktionsanomalien  zusprechen,  sobald  sie  sich  bei  einem  Taubstummen 
in  der  Form  der  Anisometropie  vorfinden,  wie  das  bei  unserem  Fall  V 
(Fall  16  der  Tabelle)  zutrifft.  Bei  diesem  Kinde  ist  das  rechte  Auge 
hypermetropisch,  das  linke  myopisch  und  astigmatisch.  Zur  Erläuterung 
dieses  Befundes  sei  wieder  Fuchs ^)  zitiert:  »Unter  Anisometropie 
versteht  man  eine  Verschiedenheit  in  der  Refraktion  beider  Augen,  es 
kann  das  eine  Auge  emmetropisch ,  das  andere  myopisch,  hyper- 
metropisch  oder   auch  astigmatisch    sein,    oder  es  sind  beide  Augen  in 

verschiedener  Weise   ametropisch* »Die    Anisometropie    ist 

nicht  selten  angeboren  und  verrät  sich  dann,  bei  höherem  Grade 
wenigstens,  oft  schon  äosserlich  durch  eine  assymmetrische  Bildung  des 
Gesichtes  und  des  Schädels«  .  .  .  Noch  viel  häufiger  ist  der  regel- 
mäfsige  Astigmatismus  kongenital  angelegt;  auch  ist  diese  Anomalie 
durch  Vererbung  übertragbar^).  —  Wir  werden  danach  in  unserem 
speziellen  Falle  behaupten  dürfen,   dass  die  Annahme,  dass  es  sich  bei 


1)  Lehrbuch  S.  839. 

^)  Vgl.  Füchs,  Lehrbuch  S.  882 :  ,Die  Ursache  des  regelmäiaigen  Astigmatis- 
mus ist  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  eine  angeborene  Unregelmäfsigkeit 
der  Honihautwölbung,  welche  sich  leicht  durch  Vererbung  aberträgt.  Die  hohen 
Grade  des  angeborenen  Hornhautastigmatismas  sind  nicht  selten  mit  ander- 
weitigen ünvollkommenheiten  in  der  Entwicklung  des  Augapfels  verbunden" . . . 
Wie  sehr  die  Krümmungsverhältnisse  der  Hornhaut  durch  Heredität  beeinflasst 
werden,  geht  überzeugend  aus  den  Untersuchungen  Steigeis  hervor  (Studien 
über  die  erblichen  Verhältnisse  der  Homhautkrümmung;  Zeitschr.  f.  Augen- 
heilk.  1906,  Bd.  XVI,  Heft  3,  S.  229). 


26  Victor  Hammerschlag:   Zur  Eeontnis 

dem  Kinde  W.  S.  (Fall  16  der  Tabelle),  welches  von  seinen  Eltern  als 
taubgeboren  bezeichnet  wird  und  welches  unter  seinen  2  Gre- 
schwistern  noch  ein  taubstummes  besitzt,  um  hereditär -degenerative 
Taubheit  handelt,  durch  den  gleichzeitigen  Befund  der  Anisometropie 
und  des  Astigmatismus  noch  um  Einiges  an  Wahrscheinlichkeit  gewinnt. 
Eine  besondere  Beweiskraft  dürfen  wir  allerdings  auch  dem  Befunde 
der  Anisometropie  nicht  zuerkennen,  dazu  ist  ihr  Vorkommen  unter 
unseren  Taubstummen  doch  viel  zu  selten  (1  Fall  auf  insgesamt  135 
Taubstumme  bezw.  auf  64  Taubgeborene). 


Was  von  Fall  16  gilt,  lässt  sich  —  mutatis  mutandis  —  von 
Fall  10  der  Tabelle  sagen,  der  unter  den  restierenden  12  Fällen  in- 
sofern eine  Sonderstellung  einnimmt,  als  es  sich  bei  ihm  nicht  um  Ver- 
änderungen am  Augerhintergrund,  sondern  im  wesentlichen  um  »an- 
geborene Reste  der  Pupillarmembran«  handelt.  Die  Kongenitalität  dieses 
Befundes  steht  ausser  allem  Zweifel;  da  auch  dieses  Kind  von  den 
Eltern  als  »taubgeboren«  bezeichnet  wird  und  aus  der  Ehe  noch  ein 
zweites  taubes  Kind  hervorging,  so  wird  die  an  sich  bestehende  Wahr- 
scheinlichkeit, dass  es  sich  um  hereditäre  Taubheit  handelt,  durch  den 
Befund  einer  sicher  kongenitalen  Augenanomalie  noch  um  Einiges 
erhöht. 

Wir  gelangen  nunmehr  zur  Besprechung  der  restierenden  11  Fälle 
(Nr.  1,  3,  5,  8,  9,  11,  12,  15,  17,  18,  19),  deren  Augenhintergrunds- 
befunde wir  der  Übersichtlichkeit  halber  hier  in  Kürze  voranstellen 
wollen : 

Sichel  nach  unten:  Nr.  3,  5. 

Verkehrte  Gef^sverteilung :  3,  8,  17. 

Retinitis  pigmentosa:  9,  11,  12,   18. 

Albinotischer  Fundus:  1,  8,  15,  19. 

Zunächst  wollen  wir  die  einzelnen  Befunde  nach  ihrer  klinischen 
Dignität  besprechen,  wodurch  ihre  Wertigkeit  als  differential-diagnostische 
Merkmale  klargestellt  werden  soll. 

An  erster  Stelle  haben  wir  den  Befund:  »Sichel  nach  unten«  an- 
geführt, der  sich  im  Fall  3  in  einem  Auge,  im  Falle  5  beiderseits 
fand.  —  Schon  vor  vielen  Jahren  hat  F  u  c  h  s  ^)  auf  das  relativ  häufige 


1)  Beitrag  zn  den  angeborenen  Anomalien  des  Sehnerven.   Graefes  Archiv 
f.  Ophthalmologie  1882,  28.  Jahrg.,  Abt.  1,  S.  139. 


der  hereditAr-degenerativen  Tanbstuminheit.  27 

Yorkommen  der  unteren  Sichel,  anf  die  fast  regelmäfsige  Kombination  mit 
Refraktionsanomalien)  am  häufigsten  mit  »angeborener«  Myopie)  und  auf  die 
Eongenitalität  dieses  Befundes  aufmerksam  gemacht :  > Diese  Sichel  ist  an- 
geboren und  ein  Analogon  des  Coloboms  der  inneren  Augenhäute«  ^).  Diese 
Auffassung  stützt  sich  auf  Untersuchungen  noch  anderer  Autoren,  wie  aus 
dem  folgenden  Zitate  Hippels*)  hervorgeht:  »Der  sogenannte  <  Conus 
nach  unten  >  ist,  wie  die  Untersuchungen  von  Jäger  ^),  Schnabel^) 
und  Fuchs^)  ergeben  haben,  in  den  meisten,  vielleicht  sogar  in  allen 
Fällen,  eine  angeborene  Anomalie  und  wird  von  den  Autoren  als  ein 
rudimentäres  Colobom  der  Sehnervenscheide  oder  der  an  den  Sehnerven 
angrenzenden  Aderhaut  aufgefasst.«  Manche  Autoren,  wie  z.  B. 
Wollenberg,  sind  geneigt,  dem  »Conus  nach  unten«  sogar  eine  ganz 
besondere  Bedeutung  als  »Degenerationsmerkmai«  zuzuschreiben.  Hippel 
selbst  ist  in  dieser  Hinsicht  etwas  skeptischer,  wie  aus  den  folgenden 
seiner  Ausführungen ^)  erhellt :  »Wollenberg^)  hat  auf  die  Beziehung 
dieser  Anomalie  zu  Geisteskrankheiten  hingewiesen.  Unter  etwa  6400 
Fällen  von  Geisteskrankheiten  wurde  der  Conus  nach  unten  bei 
87  Individuen,  d.  h.  in  zirka  1,3%  der  Fälle  gefunden.  Vossius^) 
fand  ihn  unter  6065  Patienten  der  Augen-Poliklinik  55  mal,  also  bei 
zirka  0,9  ^/^  der  Fälle.  Die  Differenz  ist  nicht  gross  genug,  um  darauf 
wesentliche  Schlüsse  zu  basieren.  Bemerkenswert  ist  dagegen,  dass  bei 
den    angeborenen    Psychosen    (Hysterie,    Hysteroepilepsie,    Idiotie    und 


1)  An  einer  anderen  Stelle  derselben  Pablikation  sagt  Fuchs:  ,Von  den 
am  häufigsten  vorkommenden  Sicheln  nach  aussen,  welche  einer  erworbenen 
Atrophie  der  Aderhaut  entsprechen,  sind  nämlich  die  am  unteren  Sehnerven- 
rande gelegenen  Sicheln  vollständig  zu  trennen,  weil  sie  nach  meiaer  Meinung 
einen  angeborenen  Defekt  in  der  Aderhaut  darstellen  und  als  Rest  der  fötalen 
Augenspalte  zu  betrachten  sind.' 

2)  Die  Missbildnngen  und  angeborenen  Fehler  des  Auges.  Handbuch  der 
ges.  Augenheilkunde  v.  Graefe-Saemisch  1900,  18.  u.  19.  Liefg. 

3)  Jäger,  Über  die  Einstellung  des  dioptrischen  Apparates  im  mensch- 
lichen Auge,  Wien,  1861. 

*)  Schnabel,  Über  Maculacolob.,  phys.  Excav.  und  angeb.  Conus,  Wiener 
med.  Blätter  1884,  6—9. 
ö)  Fuchs,  1.  c. 
«)  1.  c. 

7)  Wollenberg,  Anom.  des  Auges  bei  Geisteskrankheiten.  Charit^- 
Annalen  1889.  S.  470. 

8)  Vossius,  Beitrag  zur  Lehre  von  dem  angeb.  Conus.  Klin.  Monatsbl. 
1885,  S.  137. 


28  Victor  Hamm  erschlag:   Zar  Kenntnis 

Imbecillität,  Epilepsie)  ein  aaffallend  hohes  Prozentverhältnis  des  Gonns 
nach  unten  gefanden  wurde.« 

Pilcz  und  Wintersteiner  ^)  haben  die  relative  Häufigkeit 
congenitaler  Augeuanomalien  bei  den  hereditären  Psychosen  festgestellt. 
Zwar  fanden  auch  sie  ein  Überwiegen  der  Häufigkeit  bei  den  here- 
ditären Psychosen  gegenüber  den  exogenen,  machen  jedoch,  um  einer 
Überschätzung  der  Dignität  dieses  Befundes  vorzubeugen,  ausdrücklich 
darauf  aufmerksam,  dass  der  Conus  nach  unten  »nicht  ausschliesslich 
bei  Degenerierten  bezw.  erblich  Belasteten  vorkomme«  und  dass  es 
auch  nicht  angehe,  s^aus  einem  Degenerationszeichen  allein  Schlüsse 
aufs  Individuum  zu  machen  k. 

Wir  wollen  uns  diese  Ansicht  der  beiden  Autoren  zur  Direktive 
dienen  lassen,  denn  für  uns  bedeutet  der  in  der  Rede  stehende  Befund 
eine  besondere  Schwierigkeit  dadurch,  dass  die  beiden  Kinder  (Nr.  3 
in  5  der  Tabelle),  die  ihn  aufweisen,  von  ihren  resp.  Eltern  als  später 
ertaubt  bezeichnet  werden.  Die  Frage  nun,  ob  wir  etwa  be- 
rechtigt wären,  die  elterliche  Anamnese  auf  Grund  des 
kongenitalen  Augenbefundes  umzustossen,  muss  ent- 
schieden verneint  werden.  Wir  werden  uns  eben  hier  vor 
Augen  halten  müssen,  dass  kongenitale  Anomalien  (irgend  welcher  Art) 
auch  bei  solchen  Individuen  sich  finden  können,  die  in  Hinsicht  auf 
Heredität  sonst  ganz  unverdächtig  sind. 

Im  Falle  3  handelt  es  sich  wohl  um  ein  Kind,  das  noch  ein  taub- 
stummes Geschwister  (von  den  Eltern  allerdings  auch  als  später  ertaubt 
bezeichnet)  und  zwei  taubstumme  Cousins  hat  und  welches  aus  einer 
consanguinen  Ehe  stammt;  man  wäre  also  versucht,  an  hereditäre 
Taubheit  zu  denken.  Doch  gibt  der  Vater  mir  auf  schriftliches  Be- 
fragen an,  dass  das  Kind  erst  zu  Beginn  des  zweiten  Lebensjahres, 
nach  Einsetzen  einer  beiderseitigen  Mittelohreiterung  angefangen  habe, 
schlecht  zu  hören,  und  tatsächlich  besteht  beiderseits  eine  trockene 
Trommelfell  Perforation.  So  wenig  verlässlich  nun  auch  im  allgemeinen 
(vom  statistischen  Standpunkte  betrachtet)  die  elterliche  Anamnese  ist, 
so  ärmlich  ist  andererseits  der  Bestand  an  integrierenden  Merkmalen 
der  hereditären  Taubheit.  Solche  Fälle,  wie  der  vorliegende,  können 
daher  nicht  entschieden  werden.  Co)[noidierende  kongenitale  Ano- 
malien anderer  Organe  können  bei  fraglicher  Taubheit 
zwar  zur  Bekräftigung  der  Anamnese,  nicht  aber  zur 
Widerlegung  derselben  dienen. 


1)  Über  Ergebnisse  von  Augenspiegelantersnchungen  an  Geisteskranken 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  kongenitalen  Anomalien.  Zeitschr.  f. 
Augenheilk.  Bd.  XII,  S.  729. 


der  hereditäi-degeneratlTeD  Tanbstummbeit.  29 

An  zweiter  Stelle  ist  die  »verkehrte  Gefässverteilung«  genannt 
worden.  Mit  diesem  Namen  bezeichnen  die  Schüler  Fuchs'  eine 
Anomalie  in  der  Gefässverteilnng  des  Angenhintergrandes,  dieFuchs^) 
foIgendermaTsen  beschreibt:  »In  Verbindung  mit  dieser  Anomalie  (—  es 
ist  von  der  Sichel  nach  unten  die  Rede  — )  scheint  eine  ziemlich 
häufige  Unregelmäfsigkeit  in  der  Gefässverteilnng  zu  stehen.  Dieselbe 
hesteht  darin,  dass  die  grossen  Gefässstämme  von  ihrer  Ursprungsstelle 
aus  sofort  mehr  weniger  nach  innen  gerichtet  verlaufen,  als  ob  sie  alle 
für  die  innere  Netzhauthälfte  bestimmt  wären.  In  der  Netzhaut  selbst 
ist  freilich  die  Gefässverteilnng  die  gewöhnliche,  was  dadurch  erreicht 
wird,  dass  die  für  die  äussere  Netzhauthälfte  bestimmten  Gefässe  ent- 
weder noch  auf  der  Papille  selbst,  nahe  dem  Rande  derselben,  oder 
erst  in  der  Netzhaut  vermittelst  einer  starken  Biegung  in  die  gehörige 
Richtung  einlenken.  Ich  will  diese  eigentümliche  Verlaufsweise  der 
Gefässe  kurz  als  „verkehrte  Gefässanordnung"  bezeichnen«  .  .  . 

Das  beschriebene  Bild  findet  sich  in  unserer  Tabelle  tatsächlich 
einmal  mit  der  »Sichel  nach  unten«  kombiniert  (Fall  3),  dagegen  ein- 
mal (Fall  8)  mit  »albinotischem  Fundus« ;  in  dem  dritten  Fall  (Nr.  17) 
findet  es  sich  einseitig,  allein  und  nur  in  Form  einer  schwachen  An- 
deutung. — 

Über  den  Wert  dieser  Anomalie  als  Degenerationszeichen  muss 
man  sich  mit  äusserster  Vorsicht  aussprechen.  Pilcz  und  Wi nt er- 
st ein  er  ^  finden  sie  zwar  bei  hereditären  Psychosen  ziemlich  häufig 
(so  bei  Imbecillität  und  Idiotie  in  17,23  ^/^  der  Fälle,  bei  Epilepsie 
in  13,62  *^/q),  dagegen  auch  in  ziemlicher  Häufigkeit  bei  exogenen 
Psychosen  (so  bei  Alkoholpsychosen  in  9,7 1^/^,,  bei  Paral.  progr.  in 
ö»75^/q)  und  wiederum  bei  sicher  degenerativen  Zuständen  seltener 
(z.  B.  bei  periodischem  Irresein  nur  in  5,40  ®,o)- 

Man  kann  daraus  schliessen,  dass  die  in  Rede  stehende  Anomalie 
auch  bei  sonst  unbelasteten  Menschen  nicht  selten  ist,  wodurch  ihr 
differential-diagnostischer  Wert  sehr  eingeschränkt  wird. 

Über  die  Bedeutung  der  an  dritter  Stelle  genannten  Retinitis 
pigmentosa  brauchen  wir  keine  neuen  Belege  beizubringen.  Die  Ver- 
gesellschaftung  dieser  Augenerkrankung   mit   der  hereditären  Taubheit 


1)  Arch.  f.  Ophthalmologie  XXVIII,  1.  c. 
«)  1.  c. 


30  Victor  Haromerscfalag:   Zur  Kenntnis 

ist  eine  Tatsache,  die  immer  wieder  konstatiert  wurde  —  wir  ver- 
weisen auf  die  eingangs  zitierte  Literatur  —  und  die  heute  zum  festen 
Bestände  unserer  Kenntnisse  gehört.  Die  Retinitis  pigmentosa  ist  ihrer- 
seits eine  hereditäre  Erscheinung  und  in  ihrer  Ätiologie  spielt  die 
Consanguinität  der  Eltern  dieselbe  (provokatorische)  Rolle  wie  in  der 
Ätiologie  der  hereditären  Taubheit.  Belege  aus  der  Literatur  für  diese 
Tatsachen  habe  ich  in  einer  früheren  Mitteilung  beigebracht^). 

In  unserer  Tabelle  findet  sich  die  Retinitis  pigmentosa  4  mal 
(Fall  9,  11,  12,  18).  Alle  4  Fälle  werden  von  den  Eltern  als  taub- 
geboren bezeichnet.  Da  unsere  135  Augenspiegelbefunde  sich  verteilen 
auf  79  »später  ertaubte«,  64  »taubgeborene«  und  12  »fragliche« 
Kinder*),  so  beträgt  die  Häufigkeit  6,25  ^/q.  Dass  die  Retinitis  pig- 
mentosa als  der  Ausdruck  einer  besonders  schweren  »Belastung«  des 
betreffenden  Individuums  aufgefasst  werden  darf,  erhellt  aus  der  Tat- 
sache, dass  3  von  den  4  so  erkrankten  Kindern  (Nr.  9,  11,  12)  als 
geistig  minderwertig  zu  bezeichnen  sind^). 


Es  erübrigt  noch,  den  »albinotischen  Fundus«  zu  besprechen,  der 
sich  in  4  Fällen  (Nr.  1,  8,  15,  19)  findet.  Zum  Verständnis  dieses 
Befundes  zitiere  ich  den  folgenden  Passus  aus  dem  Lehrbuch  von 
Fuchs  (S.  316):  »Das  gesamte  Pigment,  welches  in  so  reichlicher 
Menge  im  Augeninnern  vorhanden  ist,  gehört  zwei  Kategorien  an: 
1.  Im  Gewebe  der  Uvea  selbst  finden  sich  überall  verzweigte  Zellen 
vom  Charakter  der  Bindegewebszellen,  welche  Pigmentkörperchen  ent- 
halten. Dies  sind  die  Stromapigmentzellen,  und  das  in  ihnen  enthaltene 
Pigment  wird  als  Stromapigment  oder,  weil  es  durchwegs  in  der 
Uvea  selbst  liegt,  als  uveales  Pigment  bezeichnet.  2.  Die  innere  Ober- 
fläche der  Uvea  ist  überall  von  einer  Schichte  pigmentierter  Zellen 
ausgekleidet,  welche  der  Retina  angehören  und  den  Charakter  von 
Epithelzellen  besitzen  —  Pigmentepithel.  Dieses  Pigment,  welches 
also  nicht  in  der  Uvea,  sondern  nach  innen  von  derselben  liegt,  heisst 
das  retinale  Pigment.« 


1)  Hamm  erschlag.  Zur  Kenntnis  der  hereditär -degenerativen  Taub- 
stummheit.    Zeitschr.  f.  Ohrenheilk,,  45.  Bd.,  S.  342. 

2)  Kinder,  bei  denen  die  Eltern  die  Frage  nach  der  Herkunft  der  Taubheit 
nicht  beantworten  konnten. 

3j  Sehr  bezeichnend  für  die  Rolle,  die  die  Consanguinität  als  ätiologischer 
Faktor  spielt,  ist  die  Tatsache,  dass  dieselben  3  Kinder  aus  8  consanguinen 
Ehen  stammen. 


der  hereditär-degenerativen  Taubstummheit.  31 

Der  »albinotische  Fundas«  charakterisiert  sich  nun 
als  partieller  Albinismus  des  Auges  und  dem  Spiegel- 
bilde entspricht  anatomisch  ein  Fehlen  des  Stroma- 
pigmentes. 

In  der  bereits  zitierten  Arbeit  von  Pilcz  und  Wintersteiner 
erscheint  auch  der  albinotische  Fundus  wiederholt  notiert  und  der 
Kommentar  zu  diesem  Befunde  lautet  dort  folgendermafsen^):  »Albinismus 
gilt  schon  seit  langer  Zeit  als  DegeneratioDszeichen  und  damit  stimmen 
auch  unsere  Erfahrungen  überein.  Wenn  auch  kein  Fall  von  kom- 
plettem Albinismus  unter  den  von  uns  untersuchten  Geisteskranken  sich 
befand,  so  kam  doch  Albinismus  des  Augenhintergrundes  oft  genug  zur 
Beobachtung  und  zwar  gerade  wieder  vornehmlich  bei  „endogenen" 
Psychosen  (Paranoia,  period.  Irresein,  ImbecillitÄt,  Epilepsie,  Hysterie).« 

Wenn  nun  auch  schon  bisher  an  der  Bedeutung  der  verschiedenen 
Formen  des  partiellen  Albinismus  nicht  gezweifelt  wurde,  so  gründete 
sich  doch  bisher  diese  Annahme  bloss  auf  klinische  Beobachtungen. 
Ich  bin  aber  in  der  Lage,  auch  einen  anatomischen  Nachweis  zur 
Stat7e  dieser  Annahme  zu  erbringen. 

Im  Jahre  1903  habe  ich  in  der  österr.  otol.  Gesellschaft^)  über 
Prüfungen  des  galvanischen  Schwindels  bei  hereditär  -  taubstummen 
Kindern  berichtet^)  und  konstatiert,  dass  sich  bei  strenger  Auswahl  des 
Taubstummenmaterials  eine  weitgehende  Analogie  mit  dem  Verhalten 
der  von  Alexander  und  Kreidl  geprüften  japanischen  Tanzmäuse 
ergebe.  Schon  damals  war  ich  in  der  Lage,  darauf  hinzuweisen,  dass 
eine  zweite  Analogie  zwischen  der  hereditär  tauben  Tanzmaus  und 
einzelnen  hereditär-degenerativ  taubstummen  Menschen  bestehe:  und 
zwar  der  Befund  des  albinotischen  Augenhintergrundes.  Der  Einfach- 
heit halber  will  ich  die  auf  diesen  Punkl  bezüglichen  Ausführungen 
von  mir  und  Dr.  Hanke  hier  rekapitulieren.  Im  Protokoll  heisst  es: 
»Eine  zweite  Analogie  fand  sich  anlässlich  der  von  Dr.  Ilanke  durch- 
geführten Augenuntersuchungen.  Bei  zwei  Kindern  der  Gruppe  fand 
sich  nämlich  ein  sog.  albinotischer  Fundus.     (Das  eine  Kind,    ein   auf- 


«)  1.  c,  S.  741. 

»)  Protokoll  der  Sitzung  vom  23.  Mäiz  1903.  Monatsschrift  für  Ohren- 
heilkunde. 

S)  Yg\.  auch :  Hammerschlag,  zur  Kenntnis  dor  hereditär-degonerativen 
Taubstummheit  Zeitschr.  f.  Ohrenheilk.,  45.  Bd.,  1903,  S.  337,  Fall  1  der 
Tabelle,  S.  341,  Fall  18  der  Tabelle,  und  S.  843. 


32  Victor  Hammerschlag:   Zur  Kenntnis 

fallend  pigmentarmer,  blonder  Knabe  mit  blauen  Augen,  wird  demon- 
striert.) Dieser  Befund  gewinnt  an  Beweiskraft  durch  den  Umstand, 
dass  es  Hanke  und  Hammerschlag  gelungen  ist,  bei  einer  Anzahl 
von  Tanzmäusen,  die  daraufhin  mikroskopisch  untersucht  wurden,  ein 
vollständiges  Fehlen  des  Chorioidealpigmentes  zu  konstatieren.  Hin- 
sichtlich dieses  Befundes  verweist  Vortragender  auf  die  anschliessende 
Demonstration  des  Herrn  Dr.  Hanke.«  .  .  . 

.  .  .  »Dr.  Hanke  demonstriert  mikroskopische  Präparate  von  dem 
Auge  einer  grauen  Maus,  einer  Tanzmaus  und  einer  albinotischen  Maus. 
Aus  diesen  ergibt  sich  ein  wesentlicher  Unterschied  in  der  Pigmentation 
des  Chorioidealstromas  und  des  Pigmentgehaltes  der  Retina.  Während 
bei  der  grauen  Maus  beide  Gewebsschichten  dichten  Pigmentgehalt 
besitzen,  bei  der  albinotischen  Maus  dagegen  vollständig  pigmentlos 
sind,  zeigt  das  Chorioidealstroma  der  Tanzmaus  absoluten  Pigment- 
mangel, das  Retinalpigment  dagegen  ist  in  annähernd  normaler  Masse 
vorhanden.  Es  besteht  also  bei  diesem  Tiere  partieller  Albinis- 
mus,  der  dem  ophthalmoskopischen  Bilde  entspricht,  welches  der  von 
Dr.  Hammerschlag  der  Gesellschaft  demonstrierte  „degenerativ 
taubstumme"  Knabe  zeigt.  Von  einer  Retinitis  pigmentosa  ist  der  Be- 
fund toto  coelo  verschieden,  da  letztere  eine  wirkliche  Pigmentdegene- 
ration der  Retina  mit  Sklerose  derselben  und  Pigmenteinwanderung  in 
die  Netzhaut  darstellt.« 

Das  Verhalten  der  von  Dr.  Hanke  demonstrierten  Bulbi  ist  aus 
den  Figuren  1,  2  und  3  (Tafel  I)  ersichtlich.  Figur  1  stellt  den 
«utsprechenden  Abschnitt  aus  dem  Auge  einer  gewöhnlichen  wilden 
Hausmaus  vor:  die  beiden  Pigmentlagen  sind  stellenweise  deutlich  ge- 
sondert zu  sehen.  Figur  2  stammt  von  einer  9  Tage  alten  japanischen 
{gescheckten)  Tanzmaus.  Hier  ist  nur  eine  Pigmentlage  zu  sehen. 
Dass  es  das  retinale  Pigment  ist,  geht  aus  Figur  4  hervor,  in  welcher 
das  Pigment  in  der  Fläche  getroffen  ist.  In  Figur  3,  die  den  Fundus 
«iner  albinotischen  (rotäugigen;  Laufmaus  darstellt,  sehen  wir  das 
Fehlen  beider  Pigmenlschichten.  Die  Beweiskraft  des  besprochenen 
Befundes  liegt  meines  Erachtens  darin,  dass  der  »albinotische  Fundus«, 
d.  h.  das  Fehlen  des  Stromapigmentes  bei  der  reingezüchteten 
japanischen  Tanzmaus  ein  regelmäfsiges  Vorkommnis  bildet.  Mehrfache 
Untersuchungen  an  verschiedenen  Altersstufen  dieses  Tieres  ergaben  mir 
ausnahmslos  denselben  Befund.  —  Ich  nehme  daher  an,  dass  der 
»albinotische  Fundus«  bei  diesem  Tiere  zu  einem  Artcharakter  ge- 
worden ist,  ebenso  wie  bei  ihm  das  pathologische  Verhalten  des  Gehör- 


der  hcredit&r-degeneratiyen  Taubetamuiheit.  33 

Organs  nnd  der  noch  immer  nicht  ausreichend  erklärte  Vorgang  des 
»Tanzens«  zu  aasgesprochenen  (pathologischen)  Artcharakteren  geworden 
sind^).  Damit  soll  freilich  nicht  gesagt  sein,  dass  ich  glanhe,  dass  die 
beiden  Artcharaktere  »Bildungsanomalie  des  Gehörorgans«  und  »Albino- 
tischer  Fundus«  notwendig  vereinigt  sein  müssen. 

Zu  bemerken  ist  noch  die  Tatsache,  dass  der  »albinotische 
Fundus«  durch  Kreuzungen  japanischer  Tanzmäuse  mit  anders  ge- 
arteten Mäusen  (albinotischen  Lanfmäusen)  wieder  zum  Verschwinden 
gebracht  werden  kann :  Aus  derartigen  Kreuzungen  gehen  ein- 
farbig graue,  der  Hausmaus  ähnliche,  hörende  Laufmäuse  hervor: 
in  dieser  Generation  verschwindet  also  (und  zwar  mit  absoluter 
Regelmäfsigkeit)  *die  Taubheit,  das  »Tanzen«,  die  Scheckung  und  auch 
~  wie  Figur  5  zeigt  —  der  »albinotische  Fundus«.  Diese  Figur 
stammt  von  einer  derartigen  grauen  Kreuzungsmaus  und  zeigt  wieder 
die  normalen  beiden  Pigmentschichten. 

Wir  werden  nach  dem  eben  Ausgefdhrten  nicht  fehl  gehen,  wenn 
wir  dem  Befunde  »albinotischer  Augenhintergrund«  eine  grössere  klinische 
und  differential-diagnostische  Bedeutung  zuschreiben  als  bisher. 


1)  Aach  mit  der  , Scheckung*  verhält  ee  sieh  so.  Die  reingezüchtete 
japanische  Tanzmaus  zeigt  eine  schwarz-weisse  Sohecknng  von  bestimmter  Ver- 
teilnng,  die  sich  lückenlos  vererbt,  wenn  nicht  Kreuzungen  vorgenommen  werden. 


(Tabelle  siehe  umstehend  Seite  34 — 36.) 


Zeitsehrift  Ar  OhrenheUlraiide,  Bd.  LIV. 


34 


Victor  Hammerschlag:   Znr  Kenntnis 


Bemerkungen 

1     . 

1 

Sein  taubstummer 

Bruder  befindet  sich 

in  der  Anstalt. 

1 

' 

Augenbefnnd 

Fundus  beiders.  an 

der  Peripherie  leicht 

albinotisch 

Q>   oö   4^    ^  3 

Eltern  sind      Rechts:  normal. 
Cousin  und    Links:  Sichel  nach 
Cousine       unten.    Andeutung 
1  von  verkehrter  6e- 

fässverteilung 

1 

Beidcrs.Distractions- 
und  Supertractions- 
sichel;  stark  ge- 
täfelter Fundus ;  an 

der  Peripherie 
stellenweise  unregel- 
mäfsige  Pigmentver- 
teilung.   Myopie 

-§1 
l| 

Konsan- 

guinität 

der  Eltern 

1 

1 

1 

Eltern  sind 

Cousin  und 

Cousine 

Taubheit 
in  der 

Verwandt- 
schaft 

Die  Cousine 

des  Vaters 

hat  ein  taub- 

stummesEind 

Ein  Vetter 
der  Mutter 
im  2.  Grade 
ist  taub- 
stumm 

Hat  2  taub- 
stumme 
Cousins 

1 

1 

UJ9)8tMq389J[) 

U9p  J9;un 
;i9qqn«x 

1 

CO 

6:2 

7:1 

1-1 

Trommelfell  beider- 
seits normal 

Trommelfell  beider- 
seits annähernd 
normal 

Trockene  Perforation 
beiderseits 

Rechts:  normal. 
Links:  Verkalkung 

Trommelfell  beider- 
seits normal 

Zeitpunkt 
der  Er- 
taubung 

1 

Bemerkt 
im  2. 

Lebens- 
jahre 

Zu  Beginn 
des  2. 
Lebens- 
jahres 

k 

Ursache 
der  Er- 
taubung 

un- 
bestimmt 

un- 
bestimmt 

Ohrenfluss 

1 

It 

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K.  E. 

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Nr. 

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der  hereditär-degenerativen  Taubstummheit. 


36 


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3* 


36 


Victor  Hammerschlag:   Znr  Kenntnis  etc. 


Bemerkungen 

1 

1 

1 

ii 

II 

1 

Das  Kind  ist  voll- 
ständig  schwach- 
sinnig. 

TS 

1 

V 

1 
1 

Beiderseits  an  der 

Peripherie  stark  albi- 

notischer  Fundus 

Rechts:  Hyper- 
metropie.    Links : 
Myopie  und  Astig- 
matismus.  Fundus 
beiderseits  normal 

Links:  normal. 

Rechts:  schwache 

Andeutung  einer 

verkehrten  Gefäss- 

verteilung 

Beiderseits  Retinitis 
pigmentosa 

Beiderseits  in  ge- 
ringem Grad  albi- 
notischer  Fundus. 
Nystagmus. 

Konsan- 

guinität 

der  Eltern 

1       1 

1          ',    1 

1 

1 

1 

1 

Taubheit 
in  der 

Verwandt- 
schaft 

1 

! 

1                     1 

1 

1 

1     r    . 

uj9^8iMqo8ao  ,   ^ 
uap  ao^uu 
i^iaqquBX        ^ 

00 

CO 

CO 

Ohrbefund 

Trommelfell  beider- 
seits normal 

Trommelfell  beider- 
seits normal 

'«    OD 

1^ 

Links:  angeborene 
Missbildung  der 

Ohrmuschel;  Fehlen 

des  äusseren  Gehör- 
gangs.   Rechts : 
hochgradi.?  enger 

Gehörgang;  Trom- 
melfell nicht  ein- 
stellbar 

Trommelfell  beider- 
seits normal 

Trommelfell  beider- 
seits normal 

Zeitpunkt 
der  Er- 
taubung 

1 

1 

1 

1 

Ursache 
der  Er- 
taubung 

taub- 
geboren 

^i 

II 
bti 

Namen 

i 

1 

«3 

ä 

J2 

CO 

oo' 

Zeitsohbikt  fCb  Ohresheilkixde  LIV. 


Tafel  I. 


Fig.  1. 


Fig.  -2. 


Fig.  3. 

Verla«  von  .1.  K.  Bergmank,  Wiesbaden. 


Zeitschbift  für  Ohrexheilkuxde  LIV. 


Tafel  n. 


Fig.  4. 


Fig.  5. 


Verlai;  vox  .1.  F.  Beuomann.  Wiesbaden. 


Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schallein  wirkling.       3  7 

IIL 

Über  Schädigung  des  Gehörs  durch 
Schalleinwirkung. 

Eine   experimentelle    Studie. 
Von  PrivatdoBent  Dr.  Wittmaaok  in  Greife wald. 

Mit  25  Abb.  auf  den  Tafeln  III— XU. 

Die  Schädigang  des  Gehörorgans  durch  Schalleinwirkung  ist  eine 
den  Otiatem  seit  langer  Zeit  bekannte  Ursache  für  das  Auftreten  von 
Hörstörnngen.  Sie  wird  hervorgerufen  entweder  durch  eine  einmalige 
oder  nach  relativ  längeren  Intervallen  sich  wiederholende  kurzdauernde, 
aber  sehr  intensive  meist  unmittelbar  an  der  Ohrmuschel  erzeugte 
Schalleinwirknng  —  Knall,  Pfiff,  Explosion  u.  s.  w.  —  oder  durch 
sich  lange  Zeit  hindurch  täglich  wiederholende  viele  Stunden  lang  an- 
haltende Einwirkung  lauter  Geräusche,  die  allermeist  mit  dem  Beruf 
der  befallenen  Personen  in  Zusammenhang  steht  —  »professionelle 
Schwerhörigkeit»  bei  Ktlfern,  Schmieden,  Schlossern,  Fabrikarbeitern, 
Lokomotivführern  und  -Heizern  u.  s.  w.  Unsere  Kenntnisse  über  den 
pathologischen  Prozess,  der  sich  im  Gehörorgan  hierbei  abspielt  und 
die  Entstehung  der  Schwerhörigkeit  verschuldet,  sind  noch  recht  unvoll- 
ständige. Bis  vor  kurzem  lag  meines  Wissens  lediglich  ein  einziger 
einwandsfrei  untersuchter  Befund  bei  professioneller  Schwerhörigkeit 
durch  kontinuierliche  Schalleinwirkung  von  Habermann  ^)  vor,  dessen 
Deutung  indessen  insofern  etwas  schwierig  war,  als  er  ein  sehr  altes 
Individuum  betraf,  bei  dem  die  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schall- 
einwirkung schon  weit  zurücklag  und  der  erhobene  Befund  —  Atrophie 
des  Cortischen  Organs  und  des  zugehörigen  Zweiges  des  Akustikus  — 
sich  mit  dem  bei  schwerer  Presbyakusis  in  der  Regel  vorhandenen  Be- 
fund annähernd  deckte.  Erst  in  neuester  Zeit,  längst  nachdem  ich 
meine  experimentellen  Untersuchungen  begonnen  hatte,  haben  sich 
einige  weitere  analoge  Befunde  hinzugesellt,  auf  die  ich  weiter  unten 
noch  zurückkommen  werde. 

Pathologisch  -  anatomische  Befunde  bei  Schädigung  des  Gehör- 
organs durch  einmalige  bezw.  in  relativ  längeren  Intervallen  sich 
wiederholende  kurzdauernde  Schalleinwirkung  habe  ich  in  der 
Literatur  nicht   auffinden   können.     Unsere  Kenntnisse   über   den   hier- 


1)  Haberniann,  über  die  Schwerhörigkeit  der  Kesselschmiede.    Archiv 
i.  Ohrenheilk.,  XXX.  Bd..  S.  1  if, 


38       Wittmaaek:  Über  Schädigung  des  Gehörs  dareh  Schallein  Wirkung. 

bei  sich  abspielenden  pathologischen  Prozess  berahen  bisher  nur 
auf  Yermatangen.  So  lesen  wir  noch  hänfig  die  Angabe,  dass  die 
hierbei  auftretende  Schwerhörigkeit  durch  Zerreissnngen  in  den  Mem- 
branen des  häutigen  Labyrinthes,  durch  Blutungen  in  die  lymphatischen 
Räume  des  inneren  Ohres  und  ähnliche  Prozesse  bedingt  seien  —  wenn 
wir  einmal  von  den  hierbei  häufig  mit  auftretenden  Trommelfell- 
rupturen, die,  wie  wir  noch  sehen  werden,  die  alleinige  Ursache  fflr  . 
die  Hörstörungen  nicht  abgeben  können,  ahsehen.  Auch  experimentelle 
Untersuchungen  mit  positivem  Ergebnis  liegen  meines  Wissens  hierflber 
zur  Zeit  noch  nicht  vor. 

Wenn  irgendwo  experimentelle  Untersuchungen  am  Tier  dazu  ge- 
eignet erscheinen  konnten,  Auskunft  über  noch  unaufgeklärte  Punkte 
zu  geben,  so  mussten  sie  in  der  Frage  nach  den  Veränderungen  im 
Gehörorgan  bei  Schädigung  desselben  durch  Schalleinwirkung  Auf- 
klärung bringen;  denn  es  war  durchaus  kein  Grund  daftlr  einzusehen, 
dass  das  Gehörorgan  der  höheren  Säuger  anders  auf  Schalleinwirkung 
reagieren  sollte,  als  das  des  Menschen  —  zumal  uns  klinische  Be- 
obachtungen darauf  hinwiesen,  den  Sitz  der  Schädigung  im  inneren 
Ohre  —  dem  Labsrrinth  oder  Nerven  —  zu  vermuten,  das  doch  ana- 
tomisch bei  den  gewählten  Versuchstieren  dem  des  Menschen  ausser- 
ordentlich ähnlich  aufgebaut  ist.  Wenn  es  bisher  nicht  geglückt  war, 
Experimente  hierüber  bei  Tieren  mit  positivem  Resultate  anzustellen, 
so  musste  die  Ursache  hierfür  entweder  in  der  Versuchsanordnung  oder 
in  der  Untersuchungstechnik  gelegen  sein. 

Diese  Untersuchungen  erschienen  mir  vor  allem  auch  deswegen  so 
verlockend,  weil  sie  uns  in  die  Lage  versetzen  mussten,  sämtliche 
Stadien  des  pathologischen  Prozesses  zu  erhalten  und  somit  einen  ganz 
anderen  tieferen  Einblick  in  die  Entwicklung  des  Prozesses  geben 
mussten,  als  vereinzelte  Untersuchungen  an  zufällig  in  unsere  Hände 
gelangten  klinischen  Material;  zumal  hierbei  stets  lebensfrisches  und 
durch  keine  andere  Affektion  (Todesursache  etc.)  beeinflusstes  Material 
zur  Untersuchung  kam.  Ich  habe  mir  daher  schon  vor  Jahren  die 
Aufgabe  gestellt,  die  Schädigung  des  Gehörorgans  durch  Schall- 
einwirkung mit  Hilfe  von  Tierexperimenten  genauer  zu  erforschen,  und 
möchte  im  folgenden  über  meine  Versuche  und  ihre  Ergebnisse  be- 
richten*). 


1)  Die  Versuche  wurden  begonnen  im  August  1903  im  Laboratorium  der 
Universit&ts-Ohrenklinik  zu  Leipzig,  fortgesetzt  in  der  Univeräit&ts-Ohrenklinik 
zu  Heidelberg  und  zum  Abschluss  gebracht  im  Laboratorium  der  chirurgischen 


Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schalleinwirkimg.       39 

I.  Übersieht  Aber  die  einzelnen  Yersacbsreilien  nnd  ihre 

Ergebnisse. 

Ich  gebe  zunächst  eine  sammarische  Übersicht  über  die  ver- 
schiedenen Yersnchsreihen,  die  ich  anstellte,  und  die  Resultate,  die  ich 
dabei  erhielt,  um  dann  im  Zusammenhang  den  pathologischen  Prozess 
etwas  eingehender  zu  besprechen  und  schliesslich  noch  auf  die  klinischen 
und  physiologischen  Schlnssfolgerungen,  die  aus  den  Versuchen  zu  ziehen 
sind,  einzugehen.  Auf  die  detaillierte  ermüdende  Wiedergabe  der  sich 
vielfach  völlig  deckenden  Yersuchsprotokolle  sämtlicher  zur  Unter- 
suchung gekommener  Versuchstiere  —  rund  90  Meerschweinchen  mit 
180  Gehörorganen  —  möchte   ich   im  Interesse  des  Lesers  verzichten. 

Die  einzelnen  Versuchsreihen  mussten,  entsprechend  unseren  Kennt- 
nissen über  die  Entstehung  von  Hörstörungen  durch  Schalleinwirkung, 
in  zwei  Gruppen  zerfallen.  Die  erste  Gruppe  von  Versuchen  bezweckte 
Schädigungen  des  Gehörs  durch  kontinuierlich  einwirkenden  lauten 
Schall  bezw.  Lärm  zu  erzeugen  —  analog  der  Entstehung  der  Pro- 
fessionsschwerhörigkeit des  Menschen,  während  die  zweite  Gruppe  von 
Versuchen  darauf  hinauslief,  durch  kurz  dauernde,  aber  sehr  intensive 
unmittelbar  an  der  Ohrmuschel  erzeugte  Schalleinwirkung  Schädigungen 
des  Gehörs  hervorzurufen,  die  den  Hörstörungen  analog  zu  setzen  sind, 
die  wir  beim  Menschen  aus  gleicher  Ursache  auftreten  sehen.  Ich  be- 
spreche zunächst  die  erste  Gruppe  der  Versuche. 

A.  Versuche  mit  kontinuierlich  einwirkendem  Lärm. 

1.  Zuführung  des  Schalles  ausschliesslich  durch  Luft- 
leitung ununterbrochen  Tag  und  Nacht  hindurch. 
Die  Ausführung  dieses  Versuches  gestaltete  sich  verhältnismäfsig 
einfach.  6  noch  nicht  völlig  ausgewachsene  Meerschweinchen  wurden 
in  einen  relativ  kleinen  Käfig  gesetzt  und  unmittelbar  über  ihnen  frei- 
schwebend  eine  sehr  laut  gehende  elektrische  Klingel  angebracht,  die 
Tag  und  Nacht  ohne  Unterbrechung  in  Gang  gehalten  wurde.  Trotz 
dieses  geradezu  betäubend  erscheinenden  Lärms  der  elektrischen  Klingel, 
die  noch  durch  zwei  geschlossene  Thüren  hindurch  über  einen  grossen 
Hof  hinweg  zu  vernehmen  war,  erschienen  die  Tiere  nur  die  ersten 
zwei  bis  drei  Stunden  eingeschüchtert.     Dann  fingen  sie  wieder  an  zu 


Klinik  zu  Greifswald.  Den  Herren  Direktoren  der  genannten  Institute  — 
Prof.  Barth,  Kümmel  und  Friedrich  —  sage  ich  für  ihr  Entgegenkommen 
meinen  verbindlichsten  Dank. 


40       Wittxnaack:  Über  Schädigung  deeGehOrs  durch  Schallein  Wirkung  4 

fressen  und  Hessen  sich  durch  den  Lärm  in  keiner  Weise  mehr  stören. 
Sie  entwickelten  sich  genau  so  gut  weiter  wie  ein  dem  Lärm  nicht 
ausgesetztes  gleichaltriges  Kontrolltier,  ohne  dass  man  ihnen  irgend- 
welche Veränderungen  anmerken  konnte.  Je  eins  von  ihnen  wurde 
nach  5-,  10-,  20-,  30-,  40-  und  jeotägiger  Behandlung    getötet.     Kein  I 

einziges  der  untersuchten  12  Grehörorgane  dieser  6  Versuchstiere  liess 
indessen  irgendwelche  pathologische  Veränderungen  erkennen.    Sämtliche  \ 

Gebilde    sowohl    des    Mittelohres    —    Trommelfell,    Gehörknöchelchen-  ^ 

kette  u.  s.  w.  —  als  auch  des  inneren  Ohres  —  0 ortisches  Organ 
mit  Sinneszellen,  Nervenzellen  und  Nervenfasern  —  zeigten  durchaus 
normales  Aussehen,  sodass  ein  Unterschied  beim  Vergleich  mit  normalen 
Eontrollpräparaten  nirgends  aufzufinden  war.  j 

Das  Resultat  dieser  ersten  Versuchsreihe  war  also  eigentlich  recht 
entmutigend  negativ.  Sollte  wirklich  das  Ohr  des  Meerschweinchens 
auf  kontinuierlich  einwirkenden  Lärm  anders  reagieren  als  das  des 
Menschen,  sollte  die  histologische  Untersuchungsmethode,  die  sich  mir 
bei  anderen  Versuchen  so  gut  bewährte,  nicht  ausreichen,  um  die  ge- 
setzten Veränderungen  aufzudecken  —  oder  aber  sollten  bei  der  Ent- 
stehung der  Professionsschwerhörigkeit  doch  noch  andere  Faktoren  einen 
£influss  ausüben,  die  ich  bei  der  ersten  Versuchsreihe  nicht  genügend 
berücksichtigt  hatte?  Diese  letztere  Erwägung  brachte  mich  auf  den 
Gedanken,  der  Zuführung  des  Schalles  durch  Knochenleitung  mehr  Auf- 
merksamkeit zu  schenken,  als  ich  dies  in  der  ersten  Versuchsreihe  tat, 
und  weitere  Versuche  anzustellen  mit: 

2.  Zuführung  des  Schalles  durch  Luft  und  Knochenleitung 
ununterbrochen  Tag  und  Nacht  hindurch. 
Die  Ausführung  dieser  Versuche  stiess  auf  etwas  grössere  tech- 
nische Schwierigkeiten,  da  es  galt,  einen  geeigneten  Apparat  hierzu  zu 
konstruieren.  Ich  habe  mir  schliesslich  so  geholfen,  dass  ich  den 
magnetischen  Hammer  einer  elektrischen  Klingel  so  auf  eine  Blechplatte 
anbringen  liess,  dass  sein  Klöppel,  sobald  der  Strom  durch  die  Draht- 
leitung gesandt  wurde,  gegen  diese  aufschlug.  Diese  Blechplatte  diente 
als  Boden  des  Käfigs,  der  bequem  Raum  für  6  Meerschweinchen  ge- 
währte. Die  Tiere  sassen  also  direkt  auf  der  tönenden  Platte  und  er- 
hielten so  den  durch  Aufschlagen  des  Klöppels  gegen  die  Platte  ver- 
ursachten Schall  sowohl  durch  Luftleitung  als  auch  durch  Knochen- 
leitung zugeführt.  Die  feinen  Schwingungen  der  Platte  Hessen  sich 
sehr  deutlich  beim  Auflegen  des  Fingers  fühlen.     Sie  teilten  sich  auch 


Wittmaack:  Über  Schädling  des  Gehörs  darch  SchaUeinwirknng.       41 

den  Blechwänden  des  ganzen  Käfigs  mit.  Zu  gröheren  Erschütterungen 
kam  es  indessen  wohl  bemerkt  hierbei  nicht.  Die  Intensität  dieser 
Schallquelle  stand  zwar  hinter  der  der  ersten  Versuchsreihe  weit  zurück, 
immerhin  gelang  es  doch,  wenn  ich  den  Hammer  nicht  zu  klein  und 
schwach  wählte  und  einen  hinreichend  kräftigen  Strom  durch  die 
Drahtleitung  sandte,  auch  hiermit  einen  noch  recht  intensiven  Lärm 
zu  erzeugen. 

Als  Stromquelle  benutzte  ich  in  letzter  Zeit  ausschliesslich  die 
»Cupronelemente«.  Ausserdem  hielt  ich  regelmäfsig  eine  Reserveplatte 
bereit,  die,  sobald  der  Hammer  der  ersten  Platte  zu  versagen  anfing, 
für  diese  eintrat,  sodass  die  Behandlung  niemals  eine  nennenswerte 
Unterbrechung  erlitt.  Die  verbrauchte  Platte  Hess  sich  allermeist  wieder 
verwendbar  machen  dadurch,  dass  die  Platinkontakte  am  Hammer 
wieder  erneuert  wurden. 

Zur  ersten  Versuchsreihe  mit  diesem  Apparat  wählte  ich  wiederum 
6  Meerschweinchen  aus  und  hatte  die  Absicht,  sie  nach  gleichen  Inter- 
vallen zu  töten,  wie  die  Tiere  der  allerersten  Reihe.  Es  zeigte  sich 
indessen  bald,  dass  die  neue  Versuchsau  Ordnung  im  schroffsten 
Gegensatz  zur  ersten  den  Tieren  sehr  schlecht  bekam. 
Sie  Sassen  dauernd  still  gegeneinander  gedrückt  im  Käfig,  zeigten  zu- 
weilen deutliche  Bestrebungen,  sich  aufeinander  zu  setzen,  offenbar  um 
den  Vibrationen  der  Platte  zu  entgehen,  frassen  schlecht  und. magerten 
rapid  ab.  Zwei  von  den  Tieren  wurden  am  5.  und  10  Tage,  wie 
geplant,  getötet.  Das  letztere  von  ihnen  war  schon  stark  herunter- 
gekommen. Zwei  weitere  fand  ich  nach  14  Tagen,  d.  h.  also  4  Tage 
später,  tot  im  Käfig,  während  die  beiden  noch  überlebenden  sich  auf 
ihre  Kadaver  gerettet  hatten.  Da  diese  indessen  ebenfalls  schon  stark 
abgefallen  waren  und  sicher  zu  erwarten  war,  dass  sie  in  wenigen  Tagen 
ebenfalls  eingehen  würden,  tötete  ich  sie  zwei  Tage  später,  also  nach 
16  Tagen. 

Eine  zweite  Versuchsreihe,  in  derselben  Art  mit  4  Tieren  an- 
gestellt, lieferte  das  gleiche  Resultat.  Eine  Täuschung  durch  Hinzu- 
treten einer  interkurrenten  Erkrankung  bei  den  Tieren  der  ersten  Reihe 
war  damit  ausgeschlossen,  zumal  auch  die  Sektion  der  Tiere  keinen 
Anhaltspunkt  für  diese  Annahme  gab.  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung der  Gehörorgane  dieser  Tiere  zeigte  im  Mittelohr  keine  Ver- 
änderungen, dagegen  sehr  deutliche  Veränderungen  im  inneren  Ohr. 
Sie  bestanden  in  deutlich  ausgesprochener  beginnender  Degeneration  der 
Nervenzellen  des  Ganglion  cochleare   und   der  Nervenfasern  des  Ramus 


42       Wittmaack:  Über Sch&digang des  Gehörs  durch Sehalleinwirkang. 

cochlearis  und  in  beginnendem  Zerfall  des  Cortischen  Organs,  während 
der  Nervus  vestibularis  und  seine  Endapparate  nur  sehr  leichte  bezw. 
gar  keine  Veränderungen  zeigten. 

Die  gefundenen  Veränderungen  glichen  vollkommen  denen,  die  ich 
bei  experimentellen  Chinin-  und  Natr.  saücjlicum -Vergiftungen  bei 
experimenteller  Infektion  mit  Tuberkulose  und  auch  bei  verschiedenen 
anderen  Infektionen  unbekannter  Art,  denen  die  Tiere  unter  starkem 
Verfall  erlagen,  im  inneren  Ohr  nachweisen  konnte^).  Da  nun  die 
Versuchstiere  dieser  Reihe  im  Versuche  stark  abmagerten  und  in  ihrem 
Allgemeinzustand  stark  herunterkamen,  so  war  natflrlich  die  Schluss- 
folgerung, dass  die  gefundenen  Veränderungen  lediglich  die  Folge  der 
Schallein  Wirkung  seien,  auf  Grund  dieser  Versuchsreihe  noch  nicht  be- 
rechtigt. Diese  Versuchsreihe  war  indessen  insofern  nicht  wertlos,  als 
sie  zeigte,  dass  im  Verhalten  der  Tiere  ein  ganz  enormer  Unterschied 
besteht,  je  nachdem  die  Schalleinwirkung  ausschliesslich  durch  Luft- 
leitung oder  gleichzeitig  auch  durch  Knochenleitung  erfolgt  und  welche 
nachteilige  Wirkung  die  gleichzeitige  ZufQhrung  des  Schalles  durch 
Enochenleitung  bezw.  die  Überleitung  der  Vibrationen  von  der  Platte 
auf  den  Tierkörper  ausübt. 

Wir  müssen  bei  den  bisherigen  Versuchen  ferner  berücksichtigen, 
dass  sie  insofern  noch  nicht  den  Bedingungen  entsprachen,  unter  denen 
wir  beim  Menschen  Professionsschwerhörigkeit  auftreten  sehen,  als  die 
Schallzufuhr  ununterbrochen  Tag  und  Nacht  erfolgte  —  ein  Umstand, 
der  den  Kontrast  im  Verhalten  der  Tiere  der  ersten  gegenüber  denen 
der  zweiten  Versuchsreihe  natürlich  besonders  auffallend  hervortreten 
liess.  Es  stand  daher  zu  hoffen,  dass  durch  zirka  halbtägige  Behand- 
lung der  Tiere  nach  Art  der  zweiten  Versuchsreihe  regelmäfsig  ab- 
wechselnd mit  zirka  halbtägigen  Erholungspausen  die  Abmagerung  und 
der  Verfall  der  Tiere  vermeidbar  sein  würde  und  dass  durch  eine 
weitere  Versuchsreihe  mit  Berücksichtigung  dieses  Faktors,  die  auch 
den  natürlichen  Verhältnissen,  unter  denen  wir  Professionsschwerhörig- 
keit durch  kontinuierliche  Schalleinwirkung  sich  entwickeln  sehen,  weit 
näher  kam,  weitere  Aufklärung  gebracht  werden  würde.  Ich  schloss 
daher  diesen  beiden  ersten  eine  weitere  Versuchsreihe  an  mit: 
3.  Zuführung  des  Schalles  durch  Luft-  und  Knochen- 
leitung mit  zirka  halbtägigen  Unterbrechungen. 
Bei  dieser  Versuchsreihe  legte  ich,  wie  schon  erwähnt,  den  Haupt- 

1)  Wittmaack.  Über  experimentelle  degenerative  Neuritis  des  Hörnerven. 
Zeitschr.  f.  Ohrenheilk.,  51.  Bd.,  S.  161. 


Wittmaack:  Über  Sch&diguiig  des  Gehörs  dordi  SchalleinwirkuDg.       43 

wert  darauf,  eine  Abmagerung  der  Tiere  zu  yermeideD.  Sie  wurden 
in  regelmäßigen  Intervallen  von  zirka  8  Tagen  gewogen  und  die  Be- 
handlnngsdauer  je  nach  dem  Ausfall  der  Wägung  verlängert  oder  ab- 
gekürzt. In  der  Regel  schwankte  sie  zwischen  10  und  14  Stunden. 
Zuweilen  wurde  auch,  falls  eine  stärkere  Gewichtsabnahme  zu  ver- 
zeichnen war,  einen  gauzen  bezw.  l^/g  Tag  hindurch  die  Behandlung 
gänzlich  ausgesetzt.  Namentlich  in  der  ersten  Zeit  der  Behandlung 
wurde  sie  verhältnismäfsig  schlecht  vertragen,  während  späterhin,  sobald 
die  Tiere  sich  erst  etwas  daran  gewöhnt  hatten,  auch  länger  als 
14  standige  Behandlung  noch  recht  gut  ausgehalten  wurde.  Als  zweck- 
mäfsig  erwies  es  sich,  die  Einwirkung  des  Lärms  nachts  vor  sich  gehen 
zu  lassen,  sodass  die  Tiere  am  Tage  hinreichend  Zeit  zur  Nahrungs- 
aufnahme hatten,  denn  auf  der  vibrierenden  Platte  frassen  die  Tiere 
recht  schlecht  bezw.  garnicht.  Sämtliche  zur  Untersuchung  gekommenen 
Tiere  dieser  Reihe  behielten  unter  diesen  Vorsichtsmalsregeln  ihr  An- 
fangsgewicht bei.  Ein  grosser  Teil  von  ihnen  nahm  sogar  an  Gewicht 
zu.  Sie  zeigten  auch  sonst,  ausser  einer  Verminderung  der  Reaktion 
auf  Schalleindrücke,  in  ihrer  Entwicklung  keine  Besonderheiten. 

Da  ich  bei  dieser  Yersuchsanordnung  ausgesprochen  positive  Resul- 
tate erhielt,  wiederholte  ich  sie  öfter,  um  jeden  Irrtum  durch  Zufällig- 
keiten auszuschliessen.  Es  wurden  bisher  im  ganzen  6  solcher  Ver- 
suchsreihen mit  je  6  Tieren  angestellt.  Die  Tötung  der  Tiere  erfolgte 
ebenfalls  in  Zwischenpausen,  doch  dehnte  ich  diesmal  bei  einigen 
Gruppen  die  Behandlung  länger:  bis  zu  200  und  in  einem  Falle  sogar 
bis  zu  250  Tagen  aus.  Da  4  von  den  Tieren  infolge  interkurrenter 
Affektionen  zu  Grunde  gingen  und  deshalb  ausgeschaltet  werden  mussten, 
verfüge  ich  im  ganzen  über  verwertbare  Befunde  an  32  Tieren.  Von 
diesen  wurden  zwei  nach  3-,  zwei  nach  5-,  zwei  nach  10-,  drei  nach 
20-,  drei  nach  30-,  drei  nach  50-,  vier  nach  70-,  vier  nach  90-,  drei 
nach  120-,  drei  nach  150-,  zwei  nach  200-  und  eins  nach  250tägiger 
Behandlung  getötet.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Gehör- 
organe dieser  Tiere  ergab  ein  meines  F^rachtens  durchaus  ein  wandsfreies 
Ergebnis.  Mit  Ausnahme  einiger  weniger  nach  relativ  kurzer  Behand- 
lungsdauer getöteter  Tiere  Hessen  sich  überall  deutliche  Degenerations- 
prozesse  an  den  Nervenzellen  und  den  Nervenfasern  des  Ramus  cochlearis 
und  im  Cor  tischen  Organ  auffinden,  während  das  Mittelohr  keinerlei 
pathologische  Veränderungen  erkennen  Hess.  In  der  Intensität  der  ge- 
fundenen Veränderungen  bestanden  freilich  recht  erhebliche  Unterschiede, 
•auf  die  ich  bei  Besprechung  des  pathologischen  Prozesses  näher  ein- 
geben werde. 


44       Wittroaack:  Über  Schädigung  des  GehOrs  durch  Schalleinwirkung. 

Es  geht  demnach  aus  dieser  dritten  Versuchsreihe  mit  Sicherheit 
hervor,  dass  es  gelingt  bei  Einhaltung  der  beschriebenen 
Yersuchsanordnung,  die  im  Prinzip  den  Verhältnissen^ 
unter  denen  wir  beim  Menschen  Professionsschwerhörig- 
keit sich  entwickeln  sehen,  entspricht,  Degenerations- 
prozesse im  Nerven  und  im  Cortischen  Organ  hervor- 
zurufen, deren  Entstehung  auf  keine  andere  Weise  als 
durch  die  vorgenommene  Schalleinwirkung  zu  er- 
klären ist. 

B.  Versuche  mit  kurzdauernder  sehr  intensiver  Sohalleinwirkung. 

Bei  den  Versuchen  mit  kurzdauernder  Schalleinwirkung  kam  es 
mir  darauf  an,  die  Bedingungen  zu  erfüllen,  unter  denen  wir  zuweilen 
beim  Menschen  infolge  von  intensiver  Schalleinwirkung  deutliche  Hör- 
störungen auftreten  sehen.  Kurzdauernde  Schalleinwirkungen,  die  das 
Ohr  treffen,  rufen  im  allgemeinen  nur  dann  eine  Schädigung  des  Gehörs 
hervor,  wenn  sie  sehr  intensiv  sind  und  in  unmittelbarer  Nähe  der 
Ohrmuschel  entstehen.  Ich  wählte  mir  daher  zu  meinen  Versuchen  aus 
einer  grösseren  Zahl  von  Pfeifen  eine  solche  mit  besonders  hohem  und 
schrillem  Ton  aus  und  stellte  die  Versuche  in  der  Art  an,  dass  ich 
über  einem  kleinen  in  den  Gehörgang  des  Tieres  eingesetzten  Glas- 
trichter die  Pfeife  drei  bis  viermal  schnell  hinter  einander  mit  voller 
Kraft  meiner  Lungen  anbliess.  Nicht  gar  so  selten  erlebte  ich  es 
hierbei,  dass  die  Versuchstiere  unmittelbar  nach  Einwirkung  des 
Schalles  völlig  bewusstlos  umsanken  und  einige  Sekunden  wie  in  tiefster 
Narkose  mit  gänzlicher  Erschlaffung  der  Muskulatur  regungslos  und 
gefühllos  liegen  blieben.  Dieser  Zustand  dauerte  indessen  regelmäfsig 
nur  wenige  Sekunden.  Dann  erholten  sie  sich  schnell  wieder,  sodass 
man  ihnen  nach  einigen  Minuten  höchstens  mit  Ausnahme  einer  Herab- 
setzung der  Reaktion  auf  Schalleindrücke  keinerlei  Veränderungen  mehr 
anmerkte. 

Nachdem  ich  mich  zunächst  durch  einige  Vorversuche  davon  über- 
zeugt halte,  dass  es  in  der  Tat  gelingt,  auf  die  beschriebene  Art  mit 
Hilfe  der  ausgewählten  Pfeife  Schädigungen  im  Gehörorgan  zu  erzeugen^ 
stellte  ich  noch  folgende  Versuchsreihen  an. 

1.  Versuche  mit  öfter  wiederholter  kurzdauernder 

intensiver  Schalleinwirkung. 
Bei  diesen  Versuchen  begnügte  ich  mich  nicht  mit  einer  einmaligen 
Einwirkung  des  Schalles  in  der  oben  beschriebenen  Weise,  sondern  ich 


Wittmaack:  Ober Sch&dijfbng des GehOrs durch Schalleinwirkung.       45 

wiederholte  diese  Prozedur  anfangs  täglich,  später  alle  zwei  Tage  zirka 
1  Monat  hindurch  —  soweit  die  Tiere  nicht  schon  vorher  getötet 
wurden,  —  da  mir  die  Yorversuche  gezeigt  hatten,  dass  hierbei  weit 
intensivere  Schädigungen  im  Gehörorgan  hervorgerufen  wurden,  als  bei 
einmaliger  Einwirkung.  Nach  einem  Monat  wurde  die  Behandlung 
regelmäfsig  gänzlich  unterbrochen,  auch  bei  den  viel  später  getöteten 
Tieren.  Gerade  bei  diesen  Versuchen  entging  kaum  ein  Tier  gänzlich 
den  oben  beschriebenen  kurzen  Anfällen  von  Bewusstlosigkeit  unmittelbar 
nach  Vornahme  der  Schalleinwirkung.  Trotzdem  entwickelten  sich  die 
Tiere  völlig  normal  weiter  und  zeigten  keinerlei  Veränderungen  in 
ihrem  Allgemeinzustand.  Zur  Behandlung  kamen  12  Tiere  (24  Schläfen- 
beine), die  in  Intervallen  von  3,  5,  10,  lö,  20,  30,  45,  60,  90,  120, 
150  und  200  Tagen  von  Beginn  der  Behandlung  an  gerechnet  getötet 
wurden. 

Das  Ergebnis  der  mikroskopischen  Untersuchung  der  24  Schläfen- 
beine dieser  Tiere  war  ein  durchaus  klares  und  bei  allen  Tieren  überein- 
stimmendes. Bei  keinem  der  behandelten  Tiere  waren  im  Mittelohr 
Veränderungen  erkennbar  —  auch  nicht  Bupturen  im  Trommelfell. 
Im  inneren  Ohr  fanden  sich  weder  Blutungen  noch  Zerreissungen  der 
zarten  Membranen  oder  irgendwelche  ähnliche  Veränderungen,  die  als 
direkte  Folge  der  Schalleinwirkung  angesehen  werden  konnten.  Dagegen 
zeigten  sämtliche  Tiere  ausserordentlich  deutliche  und  durch gehends 
recht  schwere  Teränderungen  im  Nervus  cochlearis,  Ganglion  cochleare 
und  im  Cor  tischen  Organ.  Sie  bestanden  in  degenerativem  Zerfall 
der  Nervenzellen,  der  Nervenfasern  und  der  Sinneszellen,  gefolgt  von 
Rückbildungsprozessen  im  Stützapparat  des  Cortischen  Organs.  Je 
nach  der  Zeitdauer,  die  von  Beginn  der  Behandlung  an  bis  zur  Tötung 
des  Tieres  verstrichen  war,  fanden  sich  initiale  Stadien  dieser  degene^ 
rativen  Neuritis,  Höhestadien  derselben  oder  auch  schon  Residuen  eines 
abgelaufenen  Prozesses,  wie  ich  dies  im  pathologisch-anatomischen  Teil 
dieser  Arbeit  noch  genauer  beschreiben  werde.  Der  Degenerations- 
prozess  im  Cortischen  Organ  erreichte  bei  der  grossen  Mehrzahl  der 
Tiere,  wenigstens  auf  einem  Ohre  in  einem  bestimmten  Bezirk  der 
Schnecke  und  zwar  ganz  konstant  am  Übergang  der  untersten  in  die 
zweitunterste  Windung,  den  denkbar  intensivsten  Grad,  sodass  nach 
Ablauf  des  Prozesses  zuweilen  auch  nicht  eine  Spur  vom  Cortischen 
Organ  innerhalb  dieses  Bezirkes  noch  vorhanden  war. 

V^ir  haben  also  in  der  eben  beschriebenen  Yersuchsanordnung  bei 
richtiger  Auswahl  der  Pfeife  eine  relativ  einfache,   absolut  sichere 


46       W  i  1 1  m  a  a  c  k :  Ü  ber  Schädigung  des  G  ehOrs  durch  Schallein  Wirkung. 

und  zuverlässige  Methode  vor  ans,  experimentell  einen 
Degenerationsprozess  im  Cochlearisnerven  und  im  Corti- 
sehen  Organ  hervorznrnfen,  der  sich  his  zn  dem  schwersten 
Grade,  der  durch  völliges  Verschwinden  des  Gortischen 
Organs  gekennzeichnet  ist,  steigern  lässt.  Wenn  wir  un» 
durch  Tötung  der  Versuchstiere  in  bestimmten  Intervallen  nach  Ein- 
leitung dieses  Degenerationsprozesses  die  verschiedenen  Stadien  desselben 
beschaffen,  so  können  wir  seine  Entwicklung  genau  von  Anfang  bis  zu 
Ende  verfolgen  und  studieren,  ganz  ebenso  wie  die  Degeneration  und 
Regeneration  im  Nerven  nach  experimenteller  Durchtrennung  desselben. 
Aus  diesem  Grunde  war  mir  die  vorliegende  Versuchsreihe  far  das 
Studium  des  pathologischen  Prozesses  besonders  wertvoll. 

2.    Versuche    mit    einmaliger    kurzdauernder    intensiver 
Schalleinwirkung. 

Die  ausgesprochen  positiven  Resultate  der  vorhergehenden  Versuchs- 
reihe Hessen  es  kaum  mehr  zweifelhaft  erscheinen,  dass  es  auch  bei 
nur  einmaliger  Einwirkung  eines  schrillen  Pfiffes  in  der  beschriebenen 
Weise  gelingen  würde,  Schädigungen  des  Gehörs  hervorzurufen.  Freilich 
war  von  vornherein  zu  erwarten,  dass  die  gesetzten  Schädigungen 
wesentlich  leichterer  Art  sein  würden  und  dementsprechend  auch 
schneller  ablaufen  würden,  wie  die  der  vorhergehenden  Reihe,  wovon 
ich  mich  ja  schon  durch  einige  Vorversuche  überzeugt  hatte.  Ich 
stellte  indessen  ausserdem  noch  eine  fortlaufende  Versuchsreihe  mit 
14  Meerschweinchen  an,  von  denen  je  zwei  unmittelbar  nach  Einwirkung 
des  Pfiffes  und  nach  12  Stunden  je  eins  nach  1,  2,  3,  5,  8,  12,  18 
und  25  Tagen  und  die  letzten  zwei  nach  ^/^  Jahr  getötet  wurden. 
Auch  bei  den  Tieren  dieser  Versuchsreihe  fand  ich  im  Mittelohr  keine 
Veränderungen,  speziell  keine  Trommelfellrupturen.  Dagegen  fanden 
sich  entsprechend  den  Befunden  der  vorhergehenden  Reihe  auch  bei 
den  Tieren  dieser  Reihe  deutliche,  wenn  auch  wesentlich  leichtere 
Veränderungen  an  Nervenfasern,  Nervenzellen  und  Sinneszellen,  wie 
ich  dies  ebenfalls  im  folgenden  Abschnitt  dieser  Arbeit  noch  genauer 
beschreiben  werde. 

Schliesslich  habe  ich  dieser  Versuchsreihe  noch  eine  weitere  in 
ganz  analoger  Weise  angestellte  Versuchsreihe  mit  13  Meerschweinchen 
als  Versuchstiere  folgen  lassen,  bei  der  ich*statt  des  schrillen  Pfiffes 
den  Knall  einer  Jagdbüchse  auf  das  Gehörorgan  einwirken  Hess.  Da 
es  bei  dieser  Versuchsreihe   mit  Rücksicht   auf  die  ev.  Gefahr  für  den 


Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schalleinwirkang.       47 

Wärter,  der  die  Tiere  hielt,  viel  schwieriger  war,  das  Ohr  in  uumittel- 
bare  Nähe  der  Schallquelle  heranzubringen,  erhielt  ich  eine  Anzahl 
negativer  Befände.  Immerhin  zeigten  doch  einige  von  diesen  Tieren 
ebenfalls  sehr  deutliche  Yerändernngen  im  Nerven  bezw.  im  Ductus 
cochlearis,  die  denen  der  vorhergehenden  Reihe  ausserordentlich  glichen, 
(conf.  Fig.  18  auf  Taf.  IX/X.) 

II.  Der  pathologisehe  Prozess. 

Die  summarische  Übersicht  über  die  Kesultate  der  angestellten 
Versuchsreihen,  die  ich  im  vorigen  Abschnitt  gegeben  habe,  zeigt  uns, 
dass  die  befallenen  Teile  im  Gehörorgan  bei  Schädigung  desselben 
durch  Schalleinwirkung  stets  die  gleichen  sind ;  *  mag  die  Schädigung 
durch  länger  hindurch  fortgesetzte  kontinuierliche  Einwirkung  —  ent- 
sprechend der  Entstehung  der  Professionsschwerhörigkeit  —  hervor- 
gerufen sein,  mag  sie  durch  einmalige  bezw.  öfter  wiederholte  momentane 
Einwirkung  des  Schalles  bedingt  sein.  Es  handelt  sich  bei  den  Tieren 
sämtlicher  Versuchsreihen  in  erster  Linie  um  Alterationen  der  Nerven- 
fasern, der  Nervenzellen  und  der  Sinneszellen  —  um  eine  Affektion 
des  Neurons  —  gefolgt  von  sekundären  Rückbildungs-  bezw.  Yer- 
klebungsprozessen  im  Stützapparat  der  Sinneszellen  —  im  Cor  tischen 
Organ.  Ich  halte  es  daher  für  das  zweckmässigste,  den  pathologischen 
Prozess  —  seine  Entwicklung  und  seine  verschiedenen  Nuancen  — 
gestützt  auf  die  Präparate  sämtlicher  Versuchsreihen,  im  Zusammenhang 
im  folgenden  Abschnitt  zu  besprechen. 

Was  zunächst  die  Untersuchungsmethode  anbelangt,  so  habe  ich 
mich  durchgehends  der  schon  früher  von  mir  beschriebenen  Unter- 
suchungstechnik bedient  ^).  Die  Tiere  wurden  sämtlich  —  mit  Ausnahme 
der  Tiere  der  Versuchsreihe  I,  2  —  bei  bestem  Wohlbefinden  durch 
Dekapitation  mit  einer  Knochenschere  getötet;  ihre  Schläfenbeine  un- 
mittelbar nach  der  Tötung  in  die  Fixierungsilüssigkeit  eingelegt.  Die 
Möglichkeit  einer  Verwechslung  der  gefundenen  Veränderungen  mit 
agonalen  oder  postmortalen  Veränderungen  kam  also  garnicht  in 
Betracht.  Beim  Herauspräparieren  der  Schläfenbeine  bin  ich  stets 
so  verfahren,  dass  ich  nur  die  Schädeldecke  abtrug  und  die  Bulla 
tympanica  nach  Ablösung  des  Unterkiefers  eröffnete,  sonst  aber  beide 
Schläfenbeine  im  Zusammenhang  Hess,  Gehirn  und  Rückenmark  nicht 
aus  der  Schädelhöhle  herausnahm,  sodass  also  auch  der  Nervenstamm  des 


1)  Wfttmaack:  Zur  histo-pathologischen  Untersuchung  des  Gehörorganes  etc. 
Zeitschrift  f.  Ohrenhlkde.,  51.  Bd.,  S.  148  ff. 


48       Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schalleinwirknng. 

Nervus  acnsticns  im  Zasamroenhang  mit  dem  Rackenmark  blieb,  am 
das  Auftreten  arteficieller  Veränderungen  an  der  Durchtrennungsstelle 
des  Nerven  zu  vermeiden.  Die  weitere  Zerlegung  erfolgte  erst  nach 
vollendeter  Fixierung.  Diese,  die  Osmierung,  Entkalkung,  Einbettung 
und  Färbung  der  Präparate  wurde  nach  der  angegebenen  Methodik 
vorgenommen,  die  ich  der  Vollständigkeit  halber  hier  nochmals  kurz 
anführe : 

1.  Fixierung  der  Schläfenbeine  in  toto  in  einer  frisch 
bereiteten  Lösung  von  Kalibichromat  5%,  Formalin  pur. 
lO^/o,  Acid.  acetic.  glac.  3 — 4^/^  zirka  sechs  Wochen  lang 
im  Brutofen.     Auswaschen  während  24  Stunden. 

2.  Zerkleinerung  der  Objekte  und  Übertragen  in  eine  Lösung 
von  Formalin  pur.  10  ^/q,  Acid.  acetic.  glac.  5®/o  für  zirka 
10  Tage  im  Brutofen.     Gründliches  Auswaschen. 

3.  Osmierung  in  einer  Lösung  von  Kalibichromat  2,5  ^/q,  Acid. 
osmic.  V2  ^/o»  ^cid.  acetic.  glac.  3  ®/o  für  8  Tage  im  Brutofen. 
Auswaschen. 

4.  Vorentkalkung  in  einer  Lösung  von  Formalin  pur.  10  ^/q, 
Acid.  nitric.  3  ®/o  für  2  x  24  Stunden.     Auswaschen. 

5.  Einbettung  in  Celloidin. 

6.  Ev.  Nachentkalkung  im  Celloidinblock  in  einer  Lösung  von 
Formalin  pur.  10  ^/^  und  Acid.  nitric.  3 — 5^/^.  Auswaschen. 
Aufheben  in  60—70  ^/^igem  Alkohol. 

7.  Zerlegung  in  Serienschnitte  ^). 

Für  die  Färbung  der  Serienschnitte,  die  ja  in  der  Mikroskopier- 
technik unserer  Disziplin  eine  so  ausserordentlich  grosse  Holle  spielt, 
hat  sich  mir  —  nachdem  ich  wohl  sämtliche  hierzu  angegebenen  und 
mir  bekannt  gewordenen  Methoden  versucht  habe,  ohne  von  ihnen  recht 
befriedigt  zu  sein  —  folgendes  höchst  einfache  Verfahren  so  gut  be- 
währt, dass  ich  es  sobald  wohl  kaum  wieder  verlassen  werde.  Die 
Schnitte  kommen  der  Reihe  nach  in  zirka  3,5 — 4,0  cm  hohe  und  eben- 
soviel im  Durchmesser  zählende,  von  jedem  Glasbläser  leicht  herzustellende 
Schälchen  mit  stark  nach  oben  ausgehöhltem  Boden,  der  in  der  durch 
die  Aushöhlung  bedingten  Rille  ringsherum  mehrfach  fein  durchlöchert 
ist.    Diese  Schälchen  stehen  in  einer  grossen  flachen  runden  Glasschale, 


^  Die  angegebene  Konzentration  der  Entkalknngsflüssigkeit  ist  nur  für 
Meerschweinchen-Schläfenbeine  bestimmt,  ebenso  die  Dauer  der  einzelnen 
Prozeduren,  bei  grösseren  und  härteren  Objekten  erhöht  sich  die  Kon- 
zentration der  Entkalknngsflüssigkeit  bis  auf  5— -lO^/o  Acid.  nitric.  und  die 
Daner  der  Prozeduren  verlängert  sich  dementsprechend.  Für  die  Prozedur  3 
(Osmierung)  ist  ev.  ein-  bis  zweimalige  Emeuerong  der  Flüssigkeit  erforderlich. 


Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schalleinwirkung.       49 

deren  Gr(Vsse  nach  der  Grösse  der  Serie  bezw.  der  Zahl  der  znr  Ver- 
ivendnng  kommenden  Schälchen  aoszuwählen  ist  und  die  in  ihrer  Höhe 
zirka  1—1,5  cm  hinter  der  Höhe  der  Schälchen  zurückbleiben  mnss. 
In  ihr  werden  die  Schälchen  so  geordnet,  dass  sie  von  einer  bestimmt 
markierten  Steile  aus  in  Spiraltouren  aneinandergereiht  sie  völlig  aus- 
feilen. In  diese  grosse  Schale  werden  die  Färbungsflttssigkeiten  gefüllt, 
die  infolge  der  Durchlöcherung  des  Bodens  der  kleinen  Schälchen  sofort 
«ach  in  diese  aufsteigen  bezw.  beim  Ausgiessen  aus  der  Schale  auch 
aus  ihnen  wieder  entweichen,  ohne  dass  ein  Fortschwimmen  der  Schnitte 
möglich  ist,  da  ja  die  eins^elnen  kleinen  Schälchen  den  freien  Rand 
der  grossen  Schale  wesentlich  überragen.  Deswegen  können  die  Schnitte 
auch  stunden-  bis  tagelang  im  fiiessenden  Wasser  in  dieser  Schale  ohne 
jede  Gefahr  ausgewaschen  werden.  Es  ist  femer  sehr  gut  durchführ- 
bar, die  einzelnen  Schälchen  nicht  nur  mit  einem  sondern  mit  zwei 
bezw.  drei  Schnitten  zugleich  zu  beschicken.  Da  wir  ja  meist  nur 
jeden  dritten,  event.  sogar  nur  jeden  vierten  Schnitt  der  Serie 
mit  derselben  Färbungsmethode  zu  färben  pflegen ,  so  wäre ,  wenn 
wir  einmal  die  Zahl  der  verwandten  Schälchen  zu  25  annehmen,  nach 
dem  Beschicken  sämtlicher  Schälchen  der  Reihe  nach  mit  je  einem 
Schnitt  der  nunmehr  folgende  Schnitt  vom  ersten  Schnitt  der  Serie 
durch  75  bezw.  gar  100  Schnitte  getrennt.  Derartig  weit  aus- 
einanderliegende Schnitte  einer  Serie  lassen  sich  sehr  leicht  schon 
makroskopisch  von  einander  unterscheiden,  sodass  wir  ohne  jedes 
Bedenken  nunmehr  in  der  Beschickung  der  Schälchen  mit  Schnitten 
getrost  wieder  von  vorne  anfangen  können  und  dies  ev.  auch  noch  ein 
drittes  Mal  wiederholen  können.  Der  Vorzug  dieser  Methode  ist,  dass 
die  Schnitte  freischwimmend  in  der  Flüssigkeit  gefärbt  und  aus- 
gewaschen werden  und  dass  sie  in  ihrem  Schälchen  bleiben  können 
bis  zur  Entwässerung  in  96  "/o  Alkohol.  Nunmehr  werden  sie  vor- 
sichtig der  Reihe  nach  auf  das  in  der  Lautenschläger  sehen  Pinzette 
gefasste  Deckgläschen  gezogen  und  nach  schnellem  Übergiessen  mit  absoluten 
Alkohol  und  Xylol  auf  dem  Objektträger  in  Canadabalsam  eingebettet. 

Die  weitere  Behandlung  der  Schnitte  erfolgte  folgendermafsen : 

1.  Übertragen  einer  vollständigen  Serie  (meist  3. — 4.  Schnitt) 
für  12 — 24  Stunden  in  Lithion  carbonicum-Lösung ;  Auswaschen 
und  Färben  in  Hämatoxylin  (mit  Eisessig  angesäuertes  Alaun- 
hämatoxylin)  für  6 — 12  Stunden  ev.  Differenzierung  in  Salz- 
säurealkohol, Auswaschen  in  fliessendem  Wasser  für  12  bis 
24  Stunden,  Färbung  in  zirka  70  ^/q  spirituöser  Lösung  von 
Eosin  für  wenige  Minuten.  Alkohol,  Xylol,  Balsam  —  Über- 
siehtsbilder ! 

2.  Untersuchung  einer  Reihe  nach  ihrer  Lage  in  der  Serie  hierzu 
geeigneter  Schnitte  ungefärbt  nach  Einbettung  in  Balsam  —  Fett! 

3.  Osmierung  und  Reduktion   eines  weiteren  Teiles  ausgesuchter 

ZeiisehriH  ftr  Ohrenhenkande,  Bd.  UV.  4 


50       Wittmaack:  Über  ScbädigUDf^r  des  GehOrs  durch  Schallein  Wirkung. 

Schnitte  in  folgender  Weise:  Übertragen  in  2®/oige  Osmium- 
lösung,  gründliches  Auswaschen;  Übertragen  in  5— lO^/^ige 
Pyrogallussäurelösung,  Erwärmen,  gründliches  Auswaschen ; 
Übertragen  abwechselnd  ev.  mehrere  Male  hintereinander  in 
zirka  0,3  ^/^  ige  Ealihypermanganicum-Lösung  und  in  eine 
Lösung  von  Vg^/o  Oxalsäure  +  Ve  Vo  Kaliumsulfurosum  zur 
Differenzierung  k  la  Pal.  Wiederholen  der  ganzen  Prozedur 
von  Osmierung  an,  inkl.  dieser,  einige  Male  hintereinander  bis 
die  Markscheiden  den  gewünschten  Grad  von  Schwärzung 
erreicht  haben,  das  übrige  Gewebe  blass  und  ungefärbt  er- 
scheint. Auswaschen,  Alkohol,  Xylol,  Balsam  —  Markscheiden  l 
4.  Übertragen  einzelner  ausgesuchter  Schnitte  in  Lithion  carbonicum- 
Lösung  für  24  Stunden  und  länger.  Ausspülen.  Färbung  in 
gesättigter  wässriger  Thioninlösung  für  5  — 10  Minuten, 
differenzieren  in  Alkohol  steigender  Konzentration  bis  die 
Zellkerne  der  Ganglienzellen  scharf  konturiert  hervortreten  — 
Alcohol  absolutus  (eyyJffS^sQfüfUioj^^^J^^^  Xylol,  Balsam  — 
Nervenzellen ! 

Die  Anwendung  der  lieHen  FärbungsmethodT^Arwies  sich  aller- 
meist als  überflüssig,  da  li||Stml[t)irlSb#^lfiftrvenzelibn  —  auch  die 
der  Nissischen  Körperchei^—  JBchoft^ÖAL^ier  eii^hjfnen  Hämatoxylin- 
Eosinfärbung  vollständig  deutliH^^^]So|lrit.Y^  ^  < 

Diese  soeben  beschriebene  MetliSlllk  liafsich  mir  bei  den  vor- 
liegenden Untersuchungen,  ebenso  wie  bei  den  früheren,  ausserordentlich 
gut  bewährt.  Sie  hat  vor  allen  bisher  angewandten  Methoden  den 
grossen  Vorzug,  dass  sie  die  Struktur  der  Nervenfasern  und  auch  der 
Nervenzellen,  auf  die  es  ja  bei  diesen  Untersuchungen  ganz  besonders 
ankam,  mit  besonderer  Klarheit  hervortreten  lässt  und  ausserdem  noch 
eine  Fettschwärzung  liefert,  ohne  dass  das  Übersichtsbild  bei  Hämatoxylin- 
Eosin&rbung  hierdurch  wesentlich  beeinträchtigt  wird,  wenn  auch  zu- 
weilen infolge  der  Osmierung  die  Reinheit  der  Farben  etwas  zu 
wünschen  übrig  lässt.  Speziell  die  Markscheiden  treten  bei  der  be- 
schriebenen Schwärzung  mit  Osmium  so  scharf  und  deutlich  hervor, 
dass  wir  nicht  allein  in  der  Lage  sind  einen  Ausfall  von  Nervenfasern 
aufzudecken,  sondern  auch  die  in  den  ersten  Anfängen  begriffene 
Alteration  der  einzelnen  Faser  zu  erkennen.  Die  Darstellung  der 
Markscheiden  nach  der  eben  beschriebenen  Methode  scheint  mir  daher 
ganz  besonders  geeignet  zu  sein  für  alle  Fälle,  bei  denen  es  darauf 
ankommt  vereinzelte   —   normale  oder  in   Degeneration   begriffene  — 


Wittmaack:  Über  Sehftcligting  des  Gehöre  durch  Schalleinwirknng.       5 1 

markhaltige  NerTenfasern  aafznfindeQ  bezw.  degenerative  Prozesse  in  der 
Aafsplittemng  eines  markhaltigen  Nerven  zu  erkennen^). 

Zur  Yeranschaulichung  der  normalen  histologischen  Bilder,  die 
wir  bei  Anwendung  dieser  Methode  an  gesunden,  lebensfrischen  (nicht 
decrepiden!)  durch  Dekapitation  getöteten  Tieren  ganz  konstant  von 
Nervenzellen,  Nervenfasern  und  dem  Cor  tischen  Organ  erhalten, 
mögen  die  Figuren  1—5  auf  Taf.  111/ VI  dienen. 

Die  Alteration  der  Nervenzellen  gibt  sich  zu  erkennen  in  dem 
Verschwinden  der  normaliter  scharf  konturiert  hervortretenden  Nissl- 
Körperchen,  im  Auftreten  von  Vakuolen  und  von  an  Kristallnadeln  er- 
innernden Gebilden,  in  Schrumpfung  des  Zellprotoplasmas  unter  Annahme 
zackiger  Umrisse  und  in  Schrumpfung  des  Kerns  mit  Verlust  der 
charakteristischen  Struktur. 

Wo  es  sich  um  leichtere  Alterationen  der  Zellen  handelt,  sehen 
wir  nur  die  an  erster  Stelle  angeführten  Veränderungen  auftreten :  Die 
Konturen  der  Nissl- Körperchen  verschwimmen  mehr  und  mehr,  um 
schliesslich  gänzlich  zu  verschwinden;  das  Protoplasma  der  Zelle  er- 
scheint dann  etwas,  missfarben  homogen.  Mit  dem  Schwinden  der 
Nissl  sehen  Körperchen  geht  zuweilen  äärs  Auftreten  neuer  Bildungen,  die 
an  der  normalen  Zelle  nicht  aufzufinden  sind,  Hand  in  Hand.  Teils  sind 
es  kreisrunde  oder .  ovale  ungefärbt  erscheinende  Partien  im  Protoplasma 
—  Vakuolen  —  teils  aber  auch  auffallend  spitzig,  kristallinisch 
erscheinende  Bildungen,  die  ebenfalls  ungefärbt  bleiben  und  in  ihrem 
Aussehen  an  Asthmakristalle  en  miniature  erinnern  könnten  (Fig.  6  auf 
Taf.  V/VI). 

Ich  habe  in  der  mir  zugänglichen  Literatur  bisher  noch  keine 
Angaben  über  das  Auftreten  dieser  Gebilde  bei  Alteration  der  Nerven- 
zelle finden  können.  Sie  scheinen  mir  deswegen  der  Beachtung  wert, 
weil  ich  mich  des  Eindrucks  nicht  erwehren  konnte,  dass  zwischen 
dem  Schwinden  der  Nissl- Körperchen  und  dem  Auftreten  dieser 
Gebilde,  die  unter  Umständen  das  Protoplasma  der  Zelle  ganz  durch- 
setzen, eine  gewisse  Abhängigkeit  besteht ;  sodass  man  auf  den  Gedanken 
kommen  könnte,  dass  es  sich  um  die  Folgen  einer  Störung  im  Stoff- 
wechseln der  Zelle  handeln  könnte.  Da  es  mir  indessen  noch  nicht 
möglich  war  eingehendere  Untersuchungen  an  grösseren  Nervenzellen 
anzustellen,  um  über  die  Natur  dieser  Bildungen  weitere  Aufklärung 
zu  erhalten,  muss  ich  mich  mit  diesem  kurzen  Hinweis  begnügen. 

1)  Conf.  Strauss,  das  Bankenneurom  mit  besonderer  Berücksichtigung 
seiner  Pathogenese.    Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie,  Bd.  83,  S.  118  ff. 

4* 


52       W  i  1 1  m  a  a  c  k :  Über  Scb&digunflr  des  Gehöra  durch  Schallein  Wirkung. 

Ausserdem  finden  sich  häufig  vereinzelte  Fettkugelchen  im  Proto- 
plasma der  Zelle.  Da  diese  indessen  auch  unter  normalen  Verhältnissen 
zuweilen  vorhanden  sind,  können  wir  sie  für  den  Nachweis  einer  Er- 
krankung der  Zelle  kaum  verwerten. 

Mit  Zunahme  des  Alterationsprozesses  der  Zelle  kommt  es  dann 
vielfach  zu  einem  Platzen  der  mehr  und  mehr  an  Umfang  zunehmenden 
Vakuolen  und  zu  Schrumpfungsprozessen  im  Protoplasma,  sodass  nun  die 
Zellen,  die  unter  normalen  Verhältnissen  und  im  ßeginn  des  Prozesses 
noch  abgerundete  Konturen  zeigten,  zackiges  Aussehen  annehmen  und 
vielfach  dunkler  gefärbt  erscheinen.     (Fig.  7  u.  8  auf  Taf.  V/VI.) 

Bei  den  am  weitesten  fortgeschrittenen  Erkrankungsprozessen 
gesellen  sich  dann  weiterhin  dieser  Veränderung  im  Protoplasma  noch 
deutliche  Veränderungen  im  Zellkern  hinzu.  Er  nimmt  unregelmässige 
Konturen  an,  verliert  seine  charakteristische  Struktur  —  bedingt  durch 
das  Hervortreten  des  scharf  gezeichneten  Kerngerüstes  und  der  Kern- 
körperchen  —  und  wandelt  sich  mehr  und  mehr  in  eine  homogene 
Masse  um,  bis  schliesslich  die  ganze  Zelle  nur  noch  als  unregelmäfsig 
geformter  meist  auffallend  dunkel  gefärbter  annähernd  strukturloser 
Klumpen  erscheint.     (Fig.  8  auf  Taf.  V/VI.) 

Die  Alteration  der  Nervenfasern  gibt  sich  bei  Anwendung  der  be- 
sprochenen Untersuchungsmethode  mit  Osmierung  durch  die  Ver- 
änderungen an  den  Markscheiden  zu  erkennen.  Während  unter 
normalen  Verhältnissen  die  im  Längsschnitt  getroffenen  Markröhren  als 
scharf  parallel  zu  einander  laufende  geschwärzte  Bänder  erscheinen, 
höchstens  mit  Ausnahme  der  feinsten  Aufsplitterungen  des  Nerven 
(conf.  Fig.  2  und  3  auf  Taf.  lU/IV),  treten  mit  Einsetzen  eines  Er- 
krankungsprozesses im  Nerven  Unregelmässigkeiten  in  der  Weite  der 
einzelnen  Markröhren  auf.  Wir  finden  dann  bald  erweiterte  spindel- 
förmig aufgetriebene  Partien  in  den  Markröhren,  bald  taillenförmig 
eingeschnürte  Partien,  oft  in  regelmässigem  Wechsel  aneinandergereiht, 
sodass  nun  die  Markröhren  vielfach  rosenkranzähnliches  Aussehen  an- 
nehmen. In  den  erweiterten  aufgetriebenen  Partien  des  Markröhren- 
lumens finden  wir  dann  häufig  einzelne  Myelinkügelchen  angesammelt, 
ganz  ähnlich  wie  sie  vereinzelt  auch  in  der  normalen  Nervenfaser  auf- 
zufinden sind  (Fig.  9,  10  u.  11  auf  Taf.  V/VI).  Im  Querschnitt  er- 
kennt man  diese  Veränderungen  daran,  dass  im  bunten  Wechsel  auffallend 
weite  und  auffallend  enge  Markröhren  nebeneinander  liegen.  Mit  Zunahme 
des  Prozesses  dehnen  sich  diese  Veränderungen  immer  mehr  und  mehr 
im  Nerven  aus  und  nehmen  selbst  an  Intensität  zu  (Fig.  11  auf  Taf.  V/VI>. 


Wittm&ack:  Ü  ber  Schädigung  des  Gehör»  durch  Scha  Hein  Wirkung.       53 

Hierbei  kommt  es  dann  vielfach  zur  Segmentierung  der  einzelnen 
Fasern  durch  Abreissen  an  den  eingeschnürten  Partien  und  weiterhin 
wohl  auch  unter  zunehmender  Yerschmälerung  der  einzelnen  Faserreste 
zum  g&nzlichen  Schwund  derselben.  Bei  besonders  plötzlich  und 
intensiv  einsetzenden  Prozessen  tritt  diese  Zerstückelung  der  einzelnen 
Fasern  oft  ausserordentlich  schnell  und  intensiv  ein,  sodass  die  einzelne 
Faser  nur  noch  aus  aneinandergereihten  Segmenten  zu  bestehen  scheint, 
in  denen  dann  Auftreibungen  mit  Einschnürungen  oft  unregelmässiger 
Art  wechseln.  Durch  diese  Veränderungen  an  den  Markscheiden  erhält 
der  Nerv  bezw.  seine  Verzweigungen  ein  so  unruhiges,  gewelltes  Aus- 
sehen, die  Interstitien  zwischen  den  einzelnen  Bündeln  erscheinen  hier- 
durch verstrichen,  die  Nervenbündel  selbst  zerklüftet,  sodass  man  bei 
einiger  Uebung  schon  mit  schwacher  Vergrösserung,  ja  sogar  schon  bei 
gewöhnlicher  Hämatoxylin-  und  Eosinfärbung  den  Erkrankungsprozess 
in  ihm  erkennen  kann. 

Das  Auftreten  dieser  Veränderungen  an  den  Markscheiden  hat  sich 
mir  bei  lebensfrisch  fixiertem  Material  als  ein  durchaus  zuverlässiges 
und  schon  sehr  Mhzeitig  auftretendes  Kennzeichen  einer  Alteration  des 
Nerven  erwiesen,  weit  sicherer  als  das  Auftreten  von  Fettkörnchen  im 
Nervenstamm.  Wir  finden  ja  vielfach  neben  diesen  Veränderungen 
mehr  oder  weniger  reichliche  Ansammlung  von  Fettkörnchen  zwischen 
den  einzelnen  Fasern  und  in  ihnen,  neben  Fettkörnchen  haltenden 
Zellen  und  erhalten  somit  Bilder,  die  den  bei  Anwendung  der 
Mar  Chi -Methode  auftretenden  ausserordentlich  ähneln.  Da  ich  aber 
ganz  analoge  Bilder  auch  im  völlig  normalen  Nerven,  ohne  jede  Ver- 
änderung in  Markscheiden  und  in  den  zugehörigen  Nervenzellen, 
namentlich  bei  älteren  Tieren  garnicht  so  selten  gefunden  habe,  so 
wage  ich  nicht,  sie  als  sichere  Zeichen  eines  Erkraukungsprozesses  im 
Nerven  anzusehen.  Dazu  kommt,  dass  ich  andererseits  häufig  trotz 
ausgedehnter  Veränderungen  in  den  Markscheiden  das  Auftreten  von 
Fett  im  Nerven  gänzlich  vermisst  habe.  Ich  will  damit  keineswegs 
den  Wert  der  Marchi- Methode  in  Frose  stellen;  aber  für  die  vor- 
liegenden Untersuchungen  und  überhaupt  für  die  Untersuchung  des 
Gehörnerv  möchte  ich  entschieden  der  beschriebenen  Methode  den  Vor- 
zug geben,  weil  sie  es  ermöglicht  an  denselben  Präparaten  nicht  nur 
die  ersten  Anfänge  einer  Alteration  des  Nerven,  wenn  auch  in  etwas 
anderer  Art,  als  beider  Marchi- Methode,  zu  erkennen,  sondern  auch 
die  Endstadien  eines  Degenerationsprozesses,  der  zum  Ausfall  markhaltiger 
Nervenfasern  —  zur  Atrophie  des  Nerven  —  geführt  hat,  aufzudecken. 


54       Wittmaack:  Ober Scb&dignnjsf des GehOrs dnrch Schalleinwirkung. 

Aaf  die  Anwendung  von  Axenzylinderfärbnngen  habe  ich  verzichtet, 
nachdem  ich  mich  durch  frühere  Untersuchnngen  davon  überzeugt  habe, 
dass  die  auf  Färbung  des  Axoplasmas  beruhenden  Methoden  zur  Auf- 
deckung von  Erkrankungsprozessen  im  Nerven  nicht  mehr  leisten  als 
die  genannte  Markscheidendarstellung,  dass  vielmehr  die  hierbei  im 
Axenzylinder  erkennbaren  Veränderungen  von  den  der  Markscheiden  ab- 
hängig sind.  Die  neuen  Methoden  der  Neurofibrillendarstellung  sind 
für  die  Untersuchung  auf  pathologische  Prozesse  an  Hörnerven  nicht 
verwendbar  —  wenigstens  nicht  ohne  Verzicht  auf  die  übrigen  wert- 
vollen Färbungsmethoden. 

Die  Veränderungen  an  den  Interstitien  des  Nerven  treten  gegen- 
über den  Veränderungen  an  den  Markscheiden  stark  in  den  Hinter- 
grund. Bei  weiter  fortgeschrittenen  Prozessen  ist  eine  Vermehrung  der 
interstitiellen  Zellen  unverkennbar.  Noch  auffallender  als  diese  Prolife- 
ration der  Zellen  ist  indessen  die  Veränderung  ihrer  Form. 

Während  sie  bei  normalem  Verhalten  der  Nervenfasern  schmale 
und  längliche  Form  aufweisen  und  gewissermafsen  plattgedrückt  der 
Nervenfaser  dicht  anliegen,  werden  sie  mit  Einsetzen  eines  Erkrankungs- 
prozesses im  Nerven  viel  breiter,  grösser  und  voller  und  zeigen  nicht 
mehr  so  deutlich  die  Anordnung  in  Längszügen,  sodass  auch  hierdurch 
der  Nerv  an  seiner  charakteristischen  Längszeichnung  einbüsst. 

Ausser  an  Nervenzellen  und  Nervenfasern  finden  sich  aber  auch 
noch  Veränderungen  an  dem  dritten  Glied  des  Neurons,  den  Sinnes- 
zellen im  Cor  tischen  Organ.  Zuweilen,  namentlich  unmittelbar  nach 
einmaliger  intensiver  Schalleinwirkung,  erscheinen  sie  dunkler  und  ver- 
schmälert, viel  häufiger  aber  treffen  wir  Bilder  mit  starken  Quellungs- 
erscheinungen der  Sinneszellen.  Sie  erscheinen  dann  zunächst  oberhalb 
ihres  Kernes  kolbig  aufgetrieben,  zeigen  häufig  Vakuolen,  auch  unter- 
halb des  Kernes  (Fig.  12  auf  Taf.  V/VI),  lösen  sich  schliesslich  aus  ihren 
basalen  Stützkelchen  los,  nehmen  kugelige  Form  an,  wandeln  sich  all- 
mählich mehr  und  mehr  in  homogene  (hyaline)  Massen  um  und  gehen 
so  schliesslich  gänzlich  zu  Grunde  (Fig.  13  auf  Taf.  Vll/Vn!). 

Bezüglich  der  chronologischen  Reihenfolge  im  Auftreten  dieser 
Veränderungen  an  Nervenzellen,  Nervenfaser  und  Sinneszellen  ist  zu 
sagen,  dass  das  Auftreten  dieser  Veränderungen  regelmäfsig  so  schnell 
aufeinander  folgt  und  dass  sie  so  eng  miteinander  verbunden  sind,  dass 
es  nicht  möglich  ist,  hier  von  primärer  oder  sekundärer  Erkrankung 
des  einen  oder  des  anderen  Teiles  zu  sprechen.  Sinneszellenveränderungen 
habe  ich  zuweilen  schon  unmittelbar  nach  Einwirkung  der  Schädigung 


Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehön  dnrch  Schalleinwirkung.       55 

bei  den  mit  einmaligem  Pfiff  bebandelten  Tieren  gefiomden,  wenn  die 
NerTenzellen  und  -Fasern  noch  keine  deutliche  Veränderungen  erkennen 
Hessen.  Bei  den  12  Stunden  später  getöteten  Tieren  waren  indessen 
auch  bereits  eine  deutliche  Erkrankung  der  Nervenzellen  und  die  ersten 
Anfänge  einer  Alteration  der  Nervenfasern  nachweisbar.  Bei  diesen 
relativ  geringen  Zeitdifferenzen  im  Auftreten  dieser  Prozesse,  die  oben- 
drein durchaus  nicht  immer  deutlich  hervortraten,  ist  eine  Trennung 
derselben  nach  der  Reihenfolge  ihres  Auftretens  nicht  möglich.  Ein 
isoliertes  Befallenbleiben  des  einen  oder  anderen  Teiles  habe  ich  niemals 
beobachten  können.  Es  handelt  sich  demnach  stets  um  eine  Alteration 
des  ganzen  Neurons. 

Seinen  Anfang  nimmt  dieser  Erkrankungsprozess  stets  in  der 
Peripherie  des  Nervus  cochlearis,  in  den  Sinneszellen,  den  zugehörigen 
Nervenfasern  in  der  Lamina  spiralis  und  im  Ganglion  spirale,  um  sich 
dann  allmählich  durch  die  Nervenfasern  im  Tractus  foraminosus  auf 
den  in  der  Schneckenspindel  gelegenen  Teil  des  ^Nerven  fortzusetzen, 
während  der  die  Schneckenspindel  zentralwärts  überragende  Teil  des 
Nerven  bei  den  leichteren  Prozessen  in  der  Regel  gar  keine,  bei  den 
schwereren  nur  noch  recht  geringfügige  Yeränderuügen  erkennen  Hess. 
Von  einer  Untersuchung  des  im  Rückenmark  gelegenen  Teiles  des 
Nerven  und  des  Nervenkernes  habe  ich  zunächst  noch  Abstand  ge- 
nommen, da  ich  nach  den  eben  beschriebenen  Befunden  in  den  weiter 
zentralwärts  gelegenen  Partien  des  Nerven  kaum  erwarten  konnte,  hier 
noch  deutliche  Veränderungen  zu  finden. 

Zu  diesen  Veränderungen  am  Neuron  gesellen  sich  weiterhin  noch 
die  Veränderungen  am  Stützapparat  des  Cortischen  Organs  und  an 
den  Membranen  des  Ductus  cochlearis,  die  bei  den  einfachen  Hämatoxylin- 
Eosinfärbungen  oft  viel  deutlicher  in  die  Augen  fallen  als  die  Ver- 
änderungen an  den  Sinneszellen,  Nervenzellen  und  Nervenfasern.  Die 
Veränderungen  am  Stützapparat  bestehen  in  degenerativem  Zerfall  der 
hochdifferenzierten  Stützzellen,  mit  Abplattung  der  Papilla  basilaris  und 
schliesslich  allmählicher  Umwandlung  des  Cortischen  Organs  in  einen 
einfachen  Epithelhügel  bezw.  Epithelsaum.  Bei  den  relativ  früh  nach 
Einsetzen  der  Schädigung  getöteten  Tieren  sehen  wir  in  der  Regel  die 
Anfangs-  bezw.  Höhestadien  dieses  Prozesses,  bei  den  später  getöteten 
Tieren  die  Ausgänge  desselben. 

Die  Anfangsstadien  geben  sich  zu  erkennen  durch  zunehmende  Zer- 
faserung der  Stützzellen,  Qaellung,  Vakuolenbildung,  stets  sehr  eng  ver- 
bunden  mit  dem  Zerfall   der  Sinneszellen  (conf.  Fig.  13,  14  und  15). 


56       Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schalleinwirkung. 

In  diesem  Stadium  erscheinen  die  Kontaren  des  Cor  tischen  Organs 
auffallend  unscharf,  die  Zellen  selbst  sind  oft  nicht  deutlich  von  einander 
differenzierbar,  es  finden  sich  mehr  oder  weniger  reichlich  losgelöste  in 
Degeneration  begriffene  Zellen  und  homogene  (hyaline?)  Massen  und 
Kugeln.  Die  Entstehung  dieser  hyalinen  Kugeln  und  Klumpen  ans 
degenerierenden  Zellen  geht  aus  dem  Vorhandensein  aller  Übergangs- 
stadien deutlich  hervor.  Sie  lagern  häufig  der  Papilla  basilaris  auf 
oder  füllen  den  Tunnelraum  und  die  Nu  eischen  Räume  aus. 

Mit  Zunahme  des  Prozesses  sinken  die  in  den  Anfangsstadien  noch 
stets  völlig  aufrecht  stehenden  Pfeilerzellen  mehr  und  mehr  ein,  sie 
erscheinen  gewissermafsen  eingedruckt,  der  von  ihnen  umschlossene 
Tunnelraum  verflacht  (Fig.  16,  17  und  18  auf  Taf.  VII/X).  Die 
Deitersschen  Zellen  bUssen  ihren  charakteristischen  Aufbau  mehr 
und  mehr  ein  oder  gehen  gänzlich  zu  Grunde  und  an  ihrer  Stelle  findet 
sich  ein  Qaufen  kubischer  bis  zylindrischer  Epithelzellen  nach  Art  der 
Hen senschen  Zellen,  die  sich  mit  Fortschreiten  des  Rttckbildungs* 
Prozesses  mehr  und  mehr  abflachen  und  vermindern.  Wenn  der  Rtlck* 
bildungsprozess  in  diesem  Stadium  Halt  macht,  erscheint  das  Cor  tische 
Organ  nur  noch  aus  den  beiden  eingedruckten  Pfeilerzellen  mit  niedrigem 
Tunnelraum  zusammengesetzt  und  aus  einem  sich  an  diese  anschliessenden 
allmählich  in  die  Claudiusschen  Zellen  abergehenden  Hflgel  kubischer 
Zellen,  zwischen  denen  bald  reichlicher,  bald  spärlicher  erhalten  ge* 
bliebene  bezw.  regenerierte  Sinueszellen  mit  ihren  charakteristischen 
Hörhärchen  aufzufinden  sind  (Fig.  19  auf  Taf.  IX/X).  Schreitet  der  Prozess 
noch  weiter  fort,  so  gehen  nun  auch  die  Pfeilerzellen  gänzlich  zu  Grunde, 
der  Tunnelraum  verschwindet  völlig,  über  ihn  breiten  sich  kubische 
Epithelzellen  aus,  die  nun  in  Form  eines  kleinen  Hügels  die  einzigen 
Überreste  des  Cor  tischen  Organs  darstellen  (Fig.  20  und  21).  Ja  in 
den  allerschwersten  Fällen  schwindet  schliesslich  auch  dieser  Zellhügel 
und  somit  das  ganze  Cortische  Organ  gänzlich  von  der  Bildfläche 
und  an  seine  Stelle  tritt  ein  einfacher  glatter  Epithelsaum  (Fig.  22). 
Bei  abgelaufenen  Prozessen  finden  sich  die  bei  frischer  Degeneration 
stets  mehr  oder  weniger  reichlich  vorhandenen  hyalinen  Kugeln  und 
Massen  nicht  mehr,  sodass  ihr  Fehlen  bezw.  Vorhandensein  wenigstens 
bis  zu  einem  gewissen  Grad  ein  Rückschluss  auf  das  Alter  des  Prozesses 
zulässt.  Besser  als  alle  Schilderungen  geben  die  beigegebenen  Figuren 
13  bis  22  auf  Taf.  YII/XII  einen  Überblick  über  diesen  ganzen  eigenartigen 
Umwandlungsprozess  dieses  Organs. 

Neben   den   soeben   geschilderten  Veränderungen   am   Cor  tischen 


Wittmaack:  Ober  Schädigung  des  Gehörs  darch  Schallein  Wirkung.       57 

Oi^an  finden  sich  auch  an  der  Membrana  tectoria  and  an  der  Reissner- 
schen  Membran,  wenn  auch  nicht  in  sämtlichen  Fällen,  deutliche  Ver- 
ftodeningen.  Die  Membrana  tectoria  liegt  sehr  häufig  der  Papilla 
basilaris  fest  auf  und  überbrückt  so  den  Suicus  spiralis  (Fig.  16,  17, 
20,  22  auf  Taf.  VIl/XII).  Sie  erscheint  dann  meist  zarter  und  atrophisch 
und  etwas  eingedrückt.  Wo  wir  solche  Adhäsion  der  Membrana  tectoria 
mit  der  Papilla  basilaris  finden,  bemerken  wir  allermeist  auch  eine 
auffallende  Einsenkung  der  R ei ssn ersehen  Membran.  In  den  Anfangs- 
stadien des  Prozesses  erscheint  sie  zuweilen  eher  etwas  ausgebuchtet 
(Fig.  15  auf  Taf.  YII/YIll),  dann  aber  sinkt  sie  fast  stets  ein  und  ver- 
klebt zunächst  nur  mit  dem  Limbus  spiralis  und  der  Membrana  tectoria 
(Fig.  20  und  23  auf  Taf.  IX/XU).  Späterhin  reisst  sie  häufig  mitten 
durch  (Fig.  U  auf  Taf.  VII/VIII)  und  lejct  sich  dann  mit  ihrem 
einen  £nde  der  Membrana  tectoria  bezw.  den  Resten  des  Cor  ti- 
schen Organs  an,  während  das  andere  sich  dem  Fpithel  der 
lateralen  Wand  des  Ductus  cochlearis  fest  auflagert  und  mit  diesem  zu 
verkleben  scheint  (conf.  Fig.  16,  17,  22  und  24  auf  Taf  VIl/XII).  Doch 
sind  diese  Veränderungen  an  der  Membrana  tectoria  und  der  Reissner- 
schen  Membran  kein  völlig  konstantes  Vorkommnis.  Sie  fehlen  zu- 
weilen trotz  völligen  Zugrundegehens  des  C ortischen  Organs  (Fig.  18, 
19  und  21).  Es  ist  mir  sogar  aufgefallen,  dass  sie  besonders  häufig 
dann  fehlen,  wenn  der  Rückbildungsprozess  im  C ort i sehen  Organ  sehr 
plötzlich  einsetzte,  mit  besonderer  Schnelligkeit  verlief  und  in  kurzer 
Zeit  die  höchsten  Grade  erreichte,  während  ich  sie  bei  den  leichteren 
and  mittelschweren  Fällen  viel  seltener  vermisste.  So  fanden  sie  sich 
in  der  Regel  auch  in  den  weniger  schwer  befallenen  Windungen  der 
Schnecke  bei  den  Fällen,  bei  denen  sie  in  der  am  schwersten  befallenen 
Windung  fehlten.  Wenn  ich  auch  zugebe,  dass  wir  bei  Meerschweinchen 
zuweilen  auch  unter  normalen  Verhältnissen  die  Membrana  tectoria 
aufliegend  finden,  so  glaube  ich  doch,  dass  diese  Auflagerung  dann, 
wenn  sie  mit  Verklebungen  der  Reissn ersehen  Membran  kombiniert 
ist,  als  pathologisch  anzusehen  ist. 

Die  Veränderungen  am  Cor  tischen  Organ  und  an  den  Membranen 
des  Ductus  cochlearis  entwickeln  sich  durchgehends  erst,  nachdem  die 
Veränderungen  im  Neuron  bereits  eingesetzt  haben.  Die  Untersuchung 
der  im  Früh-  bezw.  Höhestadium  des  Erkrankungsprozesses  getöteten 
Tiere  lässt  darüber  keinen  Zweifel  aufkommen,  dass  das  Auftreten 
dieser  Veränderungen  in  direkter  sekundärer  Abhängigkeit  steht  von 
der  Erkrankung   des  Nearons.     Niemals   habe  ich  in  den  Früh-  bezw. 


58       Wittmaack:  Ober  Schädling  des  GebOrs  durch  Schalleinwirkung. 

Höhestadian  des  Prozesses  Veränderungen  am  Ductus  cochlearis  ge- 
funden bei  intaktem  Neuron,  sodass  ich  nicht  anstehe,  den  eigentüm- 
lichen oben  beschriebenen  Rflckbiidungsprozess  des  Corti sehen  Organs 
und  die  mit  ihm  eng  verknüpften  Veränderungen  an  der  Membrana 
tectoria  und  der  Reissn ersehen  Membran  als  einen  sekundären, 
durch  die  Erkrankung  des  Neurons  bedingten  Vorgang  anzusprechen  — 
vergleichbar  der  Atrophie  der  Geschmacksknospen  nach  Durchtrennung 
des  Nervus  glossopharyngeus^). 

Die  mannigfaltigen  Verschiedenheiten  des  Befundes  am  Cor  tischen 
Organ  beruhen  auf  den  grossen  Schwankungen  in  der  Intensität,  in  der 
Schnelligkeit  des  Verlaufes  und  auch  in  der  Ausdehnung  des  Erkrankungs- 
prozesses im  Neuron.  Wenn  wir  aus  der  grossen  Masse  der  erhobenen  Be- 
funde die  durch  ihre  Gleichartigkeit  zusammengehörigen  Befunde  in  Gruppen 
zusammenzustellen  versuchen,  so  müssen  wir  zunächst  zwischen  zwei  grossen 
Gruppen  von  Fällen  unterscheiden,  nämlich  einmal  zwischen  den  Fällen, 
bei  denen  der  Erkrankungsprozess  sich  mit  grosser  Schnelligkeit  über 
sämtliche  Nervenfasern  und  Nervenzellen,  wenn  aach  nicht  überall 
mit  gleicher  Intensität  ausdehnt  und  zwischen  den  viel  langsamer  forfr 
schreitenden  Prozessen,  bei  denen  wir  stets  nur  vereinzelte  Fasern  und 
Zellen  in  Degeneration  begriffen  vorfinden,  bei  denen  namentlich  in  den 
späteren  Stadien  der  Ausfall  von  Nervenfasern  und  -Zellen  das  mikro- 
skopische Bild  beherrscht. 

Fassen  wir  zunächst  die  gleichzeitig  über  den  ganzen  Nerven  ver- 
breiteten Prozesse  ins  Auge.  Wir  finden  sie  bei  einem  Teil  der  mit 
kontinuierlicher  Schalleinwirkung  behandelten  Tiere  der  III.  Versuchs- 
reihe und  bei  den  Tieren  der  IV.  Versuchsreihe.  Gemeinsam  ist,  wie 
gesagt,  den  hierher  gehörigen  Befunden  die  annähernd  gleichzeitige 
Ausbreitung  des  Erkrankungsprozesses  über  den  ganzen  Nerven  und  der 
relativ  schnelle  Verlauf  desselben.  Je  nach  der  Intensität,  bis  zu  der 
sich  der  Prozess  steigert,  und  je  nach  der  Bevorzugung  bestimmter 
Windungen  der  Schnecke  bestehen  aber  auch  unter  den  hierher  ge- 
hörigen Befunden  noch  recht  erhebliche  Unterschiede. 

Die  leichtesten  Veränderungen  zeigten  in  der  Regel  die  mit 
einmaligem  Pfiff  bezw.  Knall  behandelten  Tiere.  Bei  ihnen  war  der 
Prozess   nach  zirka  8  bis  10  Tagen  allermeist  schon  abgelaufen.     Sein 


1)  Vintschgan  und  Hönigschmied,  Nervus  glossopharyngeus  und 
Schmeckbecher.  Pflügers  Arch.  Bd.  XIV  und  XXIII.  Sandmeyer,  Über 
das  Verhalten  der  Geschmacksknospen  nach  Durchschneidung  des  N.  glosso- 
pharyngeus.   Arch.  f.  Anatomie  n.  PhysioL,  Physiol.  Abt.,  1895,  S.  269. 


Wittmaack:  Über Sch&dignng des GebOre darcb Scballeinwirkiing.       59 

Höhestadium  erreicbt  er  bei  diesen  Tieren  meist  schon  nach  2  bis 
4  mal  24  Stunden.  Die  einzelnen  Teile  des  Neurons  Hessen  auch  im 
Höhestadium  des  Prozesses  meist  nur  die  oben  als  leichtere  Grade  be- 
schriebenen Veränderungen  erkennen.  Sie  gingen  indessen  schon  nach 
kurzer  2^it  völlig  zurück,  sodass  nach  Ablauf  des  Erkrankungsprozesses 
beim  Vergleich  mit  normalen  Kontrollpräparaten  ein  merklicher  Unter- 
schied nicht  mehr  aufzufinden  war.  Dementsprechend  kam  es  auch 
nicht  zur  Rfickbildung  des  Cor  tischen  Organs.  Die  einzelnen  Zellen 
desselben  zeigten  zwar  im  Höhestadium  ebenfalls  deutliche  Veränder- 
angen  —  Vakuolisierung,  Körnelung  etc.  (conf.  Fig.  14  auf  Taf.  VII/VHI), 
—  erholten  sich  indessen  meist  wieder  völlig.  Die  einzigen  dauernd 
zurflckbleibenden  Veränderungen  bestanden  in  Adhäsion  der  Membrana 
tectoria  auf  der  Papilla  basilaris  und  in  Verklebung  der  Reissner- 
schen  Membran  mit  dieser  (conf.  Fig.  23  und  24  auf  Taf.  XI/XH).  Diese 
fanden  sich  auch  noch  bei  den  nach  Ablauf  eines  V4  Jahres  getöteten 
Tieren,  sodass  sie  wohl  zweifellos  als  dauernd  zurflckbleibende  Ver- 
änderungen aufzufassen  sind.  Aus  diesem  Grunde  nämlich,  weil  sie 
«V.  noch  nach  langer  Zeit  Zeugnis  von  dem  im  Nerven  ev.  vor  langer 
Zeit  abgelaufenen  Erkrankungsprozess  ablegen  können,  scheinen  sie  mir 
doch  besonderer  Beachtung  wert. 

Mittelschw  er e  Erkrankungsprozesse  fand  ich  bei  einigen  Tieren 
der  ni.  Reihe  und  einem  Teil  der  Tiere  der  IV.  Reihe  zuweilen  nach 
einmaligem  Pfiff  bezw.  Knall,  meist  indessen  nach  wiederholtem  Pfiff. 
Die  Verlaufsdauer  dieser  Prozesse  erstreckte  sich  in  der  Regel  auf 
einige  Wochen.  Die  einzelnen  Elemente  des  Nenrons  zeigten  die  oben 
als  mittelschwer  beschriebenen  Veränderungen.  Die  Rückbildung  im 
Stützapparat  des  Gortischen  Organs  war  deutlich  ausgesprochen.  Sie 
erreichte  in  der  Regel  ebenfalls  einen  mittleren  Grad,  dadurch  gekenn- 
zeichnet, dass  der  komplizierte  Aufbau  der  Deitersschen  Stützzellen 
verloren  ging,  während  die  Pfeilerzellen,  wenn  auch  häufig  stark  ein- 
gesunken, und  der  von  ihnen  umschlossene  Tunnelraum,  wenn  auch 
häufig  stark  abgeflacht,  noch  erkennbar  blieben  (conf.  Fig.  18  und  19 
auf  Taf.  IX /X).  Daneben  fanden  sich  meist  auch  die  oben  beschriebenen 
Veränderungen  an  der  Membrana  tectoria  und  der  R ei ssn ersehen 
Membran.  Auch  bei  diesen  Befunden  fiel  auf,  dass  nach  Ablauf  des 
Prozesses  am  Nerven  selbst  meist  keine  deutlichen  Veränderungen  mehr 
zu  erkennen  waren,  während  die  Anfangs-  und  Höhestadien  des  Prozesses 
(Fig.  13  und  15  auf  Taf.  VII/VIII)  solche  niemals  vermissen  Hessen. 
Es  ist  ja  höchst  wahrscheinlich,  dass  ein  leichter  Grad  von  Atrophie  des 


60       Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schalleinwirknng. 

Nerven  auch  nach  diesen  Prozessen  zurückbleibt,  er  ist  indessen  im 
histologischen  Bilde  allermeist  nicht  mit  Sicherheit  za  erkennen.  Das 
histologische  Verhalten  der  einzelnen  Nervenfasern  und  -Zellen  entsprach 
allermeist  nach  Ablauf  des  Erkrankungsprozesses  wieder  der  Norm.  Im 
Gegensatz  zur  Regeneration  des  Nerven  blieben  auch  hier  die  Ver- 
änderungen im  Corti sehen  Organ  und  an  den  Membranen  dauernd 
bestehen.  Auffallend  war  zuweilen,  dass  sich  in  dem  den  PfeilerzelleD 
anreihenden  EpithelhOgel  wieder  deutliche  Sinneszellen  mit  Hörhärchen 
fanden,  sodass  ich  auch  an  eine  teilweise  Regeneration  dieser  Zellen 
glauben  möchte,  während  ich  einen  Wiederaufbau  des  einmal  zu  Grunde 
gegangenen  Stfltzapparates  in  der  unter  noj'malen  Verhältnissen  vor- 
handenen komplizierten  Art  niemals  beobachten  konnte.  Die  nach  Ab- 
lauf des  Erkrankungsprozesses  dauernd  zarQckbleibenden  und  sofort  in 
die  Augen  springenden  Veränderungen  betreffen  demnach  auch  bei 
diesen  mittelschweren  relativ  schnell  ablaufenden  Prozessen  vorwiegend 
dos  Cortische  Organ  und  die  Membranen. 

Die  schwersten  Grade  des  Erkrankungsprozesses  sah  ich  bei  der 
grossen  Mehrzahl  der  Tiere  der  IV.  Reihe,  die  mit  mehrmaligem  Pfiff 
behandelt  worden  waren.  Bei  ihnen  fanden  sich  im  Höhestadium  des 
Prozesses,  dessen  Verlaufsdauer  ebenfalls  meist  mehrere  Wochen  betrug^ 
die  oben  beschriebenen  schwersten  Veränderungen  an  Nervenzellen  und 
Nervenfasern,  begleitet  von  einem  rapid  fortschreitenden  Zerfall  des 
Corti  sehen  Organs,  der,  wenn  auch  nur  in  einer  Windung,  häufig  mit 
dem  völligen  Schwund  desselben  endete  (conf.  Fig.  21  und  22  auf 
Taf.  XI/XII).  Dagegen  vermisste  ich,  wie  schon  erwähnt,  verhältnisraäfsig 
häufig  die  Veränderungen  an  der  Membrana  tectoria  und  an  der 
Reissn ersehen  Membran,  wenigstens  in  der  am  stärksten  befallenen 
Windung,  während  die  schwächer  befallenen  allermeist  diese  Ver- 
änderungen erkennen  Hessen.  Bei  diesen  allerschwersten  Graden  der 
Atrophie  des  Cor  tischen  Organs  war  nach  Ablauf  des  Erkrankungs- 
prozesses meist  auch  eine  deutliche  Atrophie,  allerdings  nur  in  dem  der 
am  stärksten  befallenen  Windung  entsprechenden  Teile  des  Nerven  und 
des  Ganglion  spirale  zu  konstatieren  (Fig.  21  auf  Taf.  XI/XII),  während 
die  übrigen  Verzweigungen  und  der  Stamm  des  Nerven  auch  hier  eine 
deutliche  Atrophie  meist  nicht  erkennen  liessen.  Nervenfasern  und 
Nervenzellen  zeigten  in  dem  atrophischen  Teile  des  Nerven  in  der 
Regel  auch  etwas  unregelmäfsige  Strukturen.  Erstere  erschienen  oft 
anflallend  schmal  und  liessen  zuweilen  auch  spindelförmige  Auftreibungen 
erkennen;  letztere  Hessen  oft  die  Niss Ischen  Körperchen  nicht  mit  der 


Wittmaack:  Über Seh&digung des Gehdrs darch Schalleinwirkang.       6 1 

gleichen  Deutlichkeit  hervortreten,  wie  die  normalen  Zellen  eines 
Kontrolltieres.  Zuweilen  konnte  ich  indessen  auch  bei  diesen  Tieren 
trotz  annfihemd  völligen  Schwundes  des  C ortischen  Organs  auch  nach 
diesen  allerschwersten  Prozessen  nach  Abklingen  derselben  keine  deat- 
lichen  Yerändemngen  am  Nerven  und  den  Nervenzellen  auffinden 
(Fig.  22  auf  Taf.  XI/XII).  Auch  hier  kam  es  offenbar  zuweilen  zur 
annähernd  völligen  Regeneration  im  Nerven  und  im  Ganglion  und  die 
surflckbleibende  Atrophie  war  so  geringfügig,  dass  sie  im  histologischen 
Bilde  nicht  hervortrat.  Es  ist  ja  selbstverständlich,  dass  bei  den 
schwersten  Prozessen  viel  leichter  eine  Atrophie  zurückbleiben  wird, 
als  bei  den  leichteren.  Immerhin  scheint  mir  ausser  der  Schwere  des 
Prozesses  auch  die  Schnelligkeit  im  Verlauf  hierbei  eine  wesentliche 
Rolle  mitzuspielen,  derart,  dass  bei  besonders  schnell  abklingenden 
Prozessen,  auch  wenn  sie  die  schwersten  Grade  erreichen,  eine  Regene- 
ration des  Nerven  noch  erfolgen  kann.  Hierfür  spricht  auch  die  Tat- 
sache, dass,  wie  ich  unten  noch  ausführen  werde,  gerade  bei  den  langsam 
progredienten  Prozessen,  auch  wenn  die  Veränderungen  an  den  Nerven- 
fasern durchaus  nicht  die  schwersten  Grade  erreichen,  in  der  Regel 
eine  sehr  deutliche  Atrophie  im  Nerven  erkennbar  wird. 

Bemerkenswert  ist  femer  noch,  dass  nur  selten  sämtliche  Windungen 
der  Schnecke  in  annähernd  gleich  starker  Weise  von  dem  Erkrankungs- 
prozess  ergriffen  wurden.  Meist  zeigte  sich  ein  bestimmter  Bezirk 
wesentlich  stärker  befallen,  als  die  übrigen  Gebiete  der  Skala.  Und 
zwar  ist  mir  aufgefallen,  dass  je  nach  Art  der  gewählten  Schall- 
einwirkung gewisse  Unterschiede  zu  konstatieren  waren.  Ganz  auf- 
fallend war,  dass  durchgehends  bei  den  mit  mehrmaligem  Pfiff  aus  der- 
selben Pfeife  behandelten  Tieren  immer  derselbe  ganz  bestimmte 
Bezirk  der  Skala,  der  dem  Übergang  der  untersten  in  die  zweit- 
unterste  Windung  entsprach,  bei  weitem  am  intensivsten  be- 
fallen war,  während  die  übrigen  Bezirke  wesentlich  geringfügigere 
Veränderungen,  wenn  auch  keineswegs  völlig  normales  Verhalten  zeigten, 
wie  denn  auch  der  Übergang  von  den  stärkst  befallenen  in  die  weniger 
stark  befallenen  Partien  stets  ein  allmählicher  war,  sodass  regelmälsig 
achon  in  jeder  einzelnen  Schnecke  eines  Versuchstieres  eine  ganze  Reihe 
von  Stadien  bezw.  Graden  dieses  Rückbildungsprozesses  vertreten  waren. 
Bei  den  mit  kontinuierlicher  Schalleinwirkung  behandelten  Tieren  zeigten 
sich  eher  die  mittleren,  zuweilen  auch  die  oberen  Windungen  etwas 
stärker  befallen  und  das  gleiche  fiel  häufig  bei  den  mit  einmaligem 
Knall  behandelten  Tieren  auf  (conf.  Fig.  18  auf  Taf.  IX/X). 


62       Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  darch  Schallein  Wirkung. 

Ausser  diesen  verbältnismäfsig  schnell  innerhalb  weniger  Tage  oder 
Wochen  bezw.  höchstens  weniger  Monate  ablaufenden  Prozessen,  die 
sich  über  den  ganzen  Nerv  von  seinem  Eintritt  in  die  Schneckenspindel 
an  gerechnet  ausdehnen,  finden  wir  zuweilen  bei  den  mit  kontinuier- 
licher Schalleinwirkung  behandelten  Tieren  noch  einen  etwas  andersartige 
sich  gestaltenden  Erkrankungsprozess  im  Nerven  und  Cor  tischen 
Organ.  Er  ist  gekennzeichnet  durch  den  viel  langsameren,  aber 
stetig  fortschreitenden  Verlauf  und  dadurch,  dass  fast  stets- 
nur  vereinzelte  Nervenfasern  bezw.  nur  ein  sehr  umschriebener  Bezirk 
im  Nerven  gleichzeitig  deutliche  Veränderungen  aufweist,  während 
die  grosse  Masse  der  Nervenzellen  und  -Fasern  normales  Verhaltea 
zeigen.  Die  an  den  Nervenfasern  gefundenen  Veränderungen  erreichen 
fast  stets  nur  die  leichteren  Grade,  sodass  im  Beginn  des  Prozesses 
seine  Erkennung  auf  grosse  Schwierigkeiten  stösst.  Er  unterscheidet 
sich  ferner  wesentlich  von  den  schneller  abklingenden  Prozessen  da- 
durch, dass  in  seinen  späteren  Stadien  ein  Nervenfaser-  und  auch  Nerven- 
zellenschwund sehr  deutlich  hervortritt  (conf.  Fig.  10  auf  Taf.  V/VI),, 
den  wir  bei  den  schneller  abklingenden  Prozessen,  wenn  sie  keine 
höheren  Grade  erreichen,  oft  gänzlich  vermissen  und  selbst  bei  den 
höchstgradigen  Prozessen  zuweilen  nur  in  geringem  Mafse  vorfinden» 
Dieser  Ausfall  von  Nervenfasern  und  -Zellen  tritt,  sobald  der  Prozess^ 
erst  etwas  weiter  fortgeschritten  ist,  in  der  Regel  viel  deutlicher  hervor, 
als  die  leichten  Veränderungen  an  vereinzelten  Fasern,  sodass  er 
meist  das  Krankheitsbild  völlig  beherrscht.  Als  weiteres 
Charakteristikum  dieses  langsam,  aber  anscheinend  viel  stetiger  fort- 
schreitenden Prozesses  ist  zu  erwähnen,  dass  der  Stützapparat  des 
C ortischen  Organs  trotz  ziemlich  weit  vorgeschrittenem  Schwund  der 
Nervenfasern  und  Nervenzellen  erhalten  bleibt  und  dass  häufig  auch  die 
Verklebungen  der  Membrana  tectoria  und  der  R ei ssn ersehen  Mem- 
bran fehlen.  Doch  ist  auch  bei  diesen  Prozessen  die  Miterkrankung 
der  Sinneszellen  unverkennbar.  Allerdings  tritt  sie  auch  hier  oft  deut- 
licher erst  in  den  späteren  Stadien  durch  Ausfall  der  Sinneszellen 
hervor,  als  dadurch,  dass  es  gelingt,  in  frischer  Degeneration  befindliche 
Sinneszellen  aufzufinden  (conf.  Fig.  12  auf  Taf.  V/VI),  weil  eben  auch 
unter  den  Sinneszellen  stets  nur  ein  relativ  kleiner  Teil  gleichzeitige 
der  Degeneration  anheimfällt.  In  den  späteren  Stadien  ist  aber  die 
Reduktion  der  Sinneszellen  ebenso  deutlich  erkennbar  wie  die  der 
Nervenfasern,  nämlich  daran,  dass  wir  anstatt  der  normaliter  vorhandenen 
drei  Reihen  äusserer  Sinneszellen  —  denn  an  diesen  treten  diese  Ver- 


Wittmaack:  ÜberSchädigiug  des  Gehörs  durch  Schalleinwirkarg.       63 

findeniDgeu  am  deutlichsten  hervor  —  nur  zwei  oder  gar  nur  eine 
Reihe  derselben  vorfinden  (conf.  Fig.  25  auf  Taf.  XI/XII). 

Waram  ein  Teil  der  mit  kontinnierlicher  Schalleinwirknng  be- 
handelten Tiere  nur  so  relativ  leichte,  erst  nach  längerer  Zeit  der 
Einwirkung  deutlich  erkennbare,  ein  anderer  Teil  hingegen  viel 
schwerere  und  schneller  fortschreitende  Veränderungen  darbot,  kann 
ich  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden.  Ich  führe  diesen  Unterschied  auf 
Terschiedene  Empfindlichkeit  der  Tiere  oder  andere  Zufälligkeiten 
zurück,  die  nicht  genauer  zu  bestimmen  sind. 

Die  Tatsache,  dass  ich  zuweilen  bei  den  mit  kontinuierlicher 
Schalleinwirkung  behandelten  Tieren  nach  relativ  langer  Behandlungs- 
dauer bei  schon  deutlich  erkennbaren  Nervenzellen  und  Nervenfaser- 
schwund noch  die  ersten  Stadien  eines  sich  schnell  aber  den  ganzen 
Nerven  verbreitenden  Alterationsprozesses  im  Nerven  und  Cor  tischen 
Organ  fand,  scheint  mir  darauf  hinzudeuten,  dass  die  leichteren,  langsam 
aber  kontinuierlich  fortschreitenden  Veränderungen,  bestehend  vor- 
wiegend in  Ausfall  einzelner  Fasern  und  Zellen,  unter  Umständen 
ziemlich  plötzlich  aus  einer  nicht  genauer  zu  bestimmenden  Ursache 
in  die  schwereren  den  ganzen  Nerven  befallenden  Veränderungen  um- 
schlagen können.  Umgekehrt  habe  ich  zuweilen  auch  Befunde 
erheben  können,  die  meines  Erachtens  nicht  anders  zu  deuten  waren 
als  derart,  dass  an  einem  sich  anfangs  schnell  über  den  Nerven  ver- 
breitenden Degenerationsprozess,  nach  annähernd  völliger  Regeneration 
des  Nerven  ein  langsam  progredienter  Prozess  mit  Ausfall  einzelner 
Zellen  und  Fasern  sich  anschliessen  kann ;  wie  denn  überhaupt  zwischen 
diesen  beiden  Formen  der  Alteration  des  Nerven  mancherlei  Über- 
gangsstadien aufzufinden  waren. 

Ich  glaube  daher  behaupten  zu  dürfen,  dass  es  bei  einiger  Übung 
und  Erfahrung  möglich  ist,  bis  zu  einem  gewissen  Grad  aus  den  vor~ 
liegenden  pathologisch  -  anatomischen  Befund  Rückschlüsse  auf  die  Dauer 
des  Bestandes  und  die  Art  der  Entwicklung  des  Erkrankungsprozesses  zu 
ziehen:  Frische  Degeneration  im  Nerven  und  im  Cor  tischen  Organ 
ohne  deutlichen  Zell-  und  Faserausfall  finden  wir  im  Anfangs-  bezw. 
Höhestadium  schnell  progredienter  Erkrankungsprozesse  des  Nerven. 
Regressive  Veränderungen  im  Cor  tischen  Organ  bezw.  an  den 
Membranen  des  Ductus  cochlearis  bei  annähernd  oder  völlig  intakten 
Nerven  und  Ganglion  ohne  deutliche  Atrophie  sind  als  Rückstände 
eines  vor  längerer  oder  kürzerer  Zeit  im  Nerven  abgelaufenen  akut 
einsetzenden    Prozesses     zu     deuten.      Vorwiegend     Zell-     und    Faser- 


64       Wittinaack:  Über Sohädigan^  des  Gehörs  durch Schalleinwirkao jj^. 

aus  fall  bei  erhaltenem  StOtzapparat  des  Cor  tischen  Organes  lediglich 
kombiniert  mit  Aasfall  einzelner  Sinnesezllen  ohne  stärkere  Ver- 
änderungen an  Nervenfasern  und  -Zellen  ist  charakteristisch  fttr  langsam 
aber  kontinuierlich  fortschreitendem  Erkrankungsprozess  im  Nerven.  Bei 
Umschlagen  dieses  in  einen  schneller  fortschreitenden  Prozess  gesellt 
sich  zu  diesen  Veränderungen  frische  Degeneration  annähernd  sämtlicher 
noch  ycrhandener  Nervenfasern  und  Sinneszellen  hinzu,  mit  frischem 
Zerfall  des  C ortischen  Organes;  während  abgelaufene  Veränderungen 
im  Stützapparat  des  Cor  tischen  Organs  und  an  den  Membranen  des 
Ductus  cochlearis  bei  starkem  Zell-  und  Faserausfall  ohne  stärkere 
Degeneration  der  einzelnen  Fasern  und  Zellen  auf  eine  früher  vor- 
handen gewesene  aber  bereits  abgelaufene  schnell  fortschreitende  Ver- 
schlimmerung im  Verlaufe  eines  an  sich  langsam  progredienten  Prozesses 
hindeutet,  bezw.  darauf,  dass  sich  an  einen  abgelaufenen  schnell  fort- 
schreitenden Prozess  ein  langsam  aber  kontinuierlich  fortschreitender 
angeschlossen  hat. 

Bei  sämtlichen  Tieren  blieben  die  Veränderungen  auf  den  Cochlearis- 
nerv  und  den  Ductus  cochlearis  beschränkt.  Der  Vestibularnerv, 
sein  Ganglion  und  die  von  ihm  innervierten  Sinnes-i 
apparate  -—  Maculae  und  Cristae  acusticae  —  waren 
durchgehends  völlig  intakt. 

Sonstige  Veränderungen  im  Labyrinth  —  Blutungen  in  die 
lymphatischen  Räume  und  dergl.  —  habe  ich  wie  schon  oben  erwähnt 
niemals  gefunden. 

Ich  glaube,  dass  durch  die  vorliegenden  Untersuchungen  der 
pathologisch-anatomische  Prozess,  der  sich  bei  Schädigung  des  Gehörs 
durch  Schalleinwirkung  verschiedener  Art  abspielt,  aufgedeckt  und  in 
seinen  verschiedenen  Entwicklnngsstadien  klar  gelegt  ist.  Die  erhobenen 
Befunde  stimmen  mit  den  wenigen  inzwischen  bekannt  gewordenen 
Befunden,  die  an  menschlichen  Gehörorganen  bei  Professionsschwer- 
hörigkeit erhoben  werden  konnten,  gut  überein  ^).  Sie  scheinen  mir 
indessen  auch  noch  in  anderer  Hinsicht  verwendbar  zu  sein:  Ganz 
analoge  —  eigentlich  völlig  identische  Befunde  —  am  Cor  tischen 
Organ  sind  schon  früher  von  verschiedenen  Autoren  an  menschlichen 
Schläfenbeinen   bei  Fällen   von  »nervöser  Schwerhörigkeit«  beschrieben 


1)  Hab  ermann,  1.  c.  u.  Beitrag  zur  Lehre  von  der  professionellen  Schwer- 
hörigkeit.   Archiv  f.  Ohrenblkde.  69.  Bd.,  S.  106. 

Brühl,  Beiträge  zur  pathologischen  Anatomie  des  Gehörorganes.  Zeit- 
schrift f.  Ohrenhlkde.  52.  Bd.,  S.  242. 


Wittmaack:  Über  Schädigung  des  GehOrs  durch  Seh  allein  Wirkung.       65 

worden,  ohne  dass  es  bisher  gelungen  war,  die  Entwicklung  dieser 
Befunde  genau  aufzuklftren.  Ich  verweise  auf  die  Untersuchungen  von 
Alexander,  Brflhl,  Manasse')  u.  a.  und  auf  einige  weitere  analoge 
Befunde  an  menschlichen  Schläfenbeinen,  die  yon  mir  nach  der  oben 
beschriebenen  Methode,  also  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Nerven, 
untersucht  worden  sind  %  Die  grosse  Mehrzahl  dieser  Befunde  gleichen 
den  oben  beschriebenen  mittelschweren  und  schwereren  Graden  der 
experimentell  hervorgerufenen  Veränderungen  bei  —  wenigstens  vorüber- 
gehend —  relativ  schnell  fortschreitenden  sich  über  den  ganzen  Nerven 
ausbreitenden  Prozessen  und  zeigen  dementsprechend  auch  Rückbildung 
<les  Cor  tischen  Organes.  Daneben  verfüge  ich  indessen  auch  über 
einen  Befund  (Fall  Y  der  an  letzter  Stelle  zitierten  Arbeit)  am  mensch- 
lichen Schläfenbeine,  der  dem  experimentell  hervorgerufenen  langsam 
aber  kontinuierlich  fortschreitenden  Erkrankungsprozess  im  Nerven 
ausserordentlich  gleicht,  der  vorwiegend  charakterisiert  ist  durch 
Faser-   und  Zellausfall    bei  erhaltenem  Stützapparat  des  Gor  tischen 

.  Organes.  Er  stammt  von  einem  Fall,  bei  dem  auch  durch  die  klinische 
Beobachtung   zu  Lebzeiten   des  Kranken  das  langsame  aber  kontinuier- 

:  liehe  Fortschreiten  des  Erkrankungsprozesses  festgestellt  worden  war. 
Die  ausserordentliche  Ähnlichkeit  der  verschiedenen  Befunde  unter- 
einander bezw.  die  grosse  Ähnlichkeit  jedes  einzelnen  mit  dem  ihm 
entsprechenden  Stadium  bezw.  Grad  des  oben  beschriebenen  experimentell 
hervorgerufenen  Erkrankungsprozesses,  lässt  meines  Erachtens  kein 
Zweifel  mehr  darüber  zu,  dass  es  sich  hier  trotz  der  verschiedenartigen 
Ätiologie  im  wesentlichen  um  denselben  pathologisch  -  anatomischen 
Erkrankungsprozess  handeln  muss,  zumal  sich  wiederum  die  durch 
Schalleinwirkung  experimentell  hervorgerufenen  degenerativen  Ver- 
änderungen auch  mit  den  experimentell  durch  andere  Ursachen  —  z.  B. 
Infektion  mit  Tuberkulose^  —  hervorgerufenen  völlig  decken. 

1)  Alezander,  Zur  pathologischen  Histologie  des  Ohrlabyrinthes  mit 
besonderer  Berücksichtigung  des  Corti  sehen  Organes.  Arch.  f.  Ohrenhlkde. 
^.  Bd.,  S.  1.  Zur  Frage  der  progressiven  Schwerhörigkeit  durch  Atrophie  des 
C ortischen  Organes.    Archiv  f.  Ohrenhlkde.  69.  Bd.,  S.  95. 

Brühl,  Beitr&ge  zur  patholog.  Anatomie  des  Gehörorganes.  Zeitschrift 
f.  Ohrenhlkde.  50.  Bd.,  S.  1  u.  52.  Bd.,  S.  289. 

M  a  n  a  8  8  e ,  Ueber  chronische  laby rinthäre  Taubheit.  Zeitschrift  f.  Ohrenhlkde. 
52.  Bd.,  S.  1. 

*)  Wittmaack,  Weitere  Beiträge  zur  Kenntnis  der  degenerativen  Neuritis 
und  Atrophie  des  Hömerven.    Zeitschrift  f.  Ohrenhlkde.  58.  Bd. 

^  Conf.  Wittmaack,  üeber  experimentelle  degenerative  NeuritisX  des 
Hömerven.    Zeitschiift  f.  Ohrenhlkde.  51.  Bd. 

Z«itM]irift  ftr  Okrenheillnnde,  Bd.  UV.  5 


66       Wittmaack:  Über  Schädigung  des  GehOrs  durch  Schalleinwirkung. 

Ich  glaube  daher,  dass  wir  berechtigt  sind,  aus  den  vorliegenden 
Untersuchungen  auch  Rackschlüsse  zu  ziehen  auf  die  Entwicklung  dieser 
ganz  analogen  pathologisch-anatomischen  Veränderungen  im  Gehörorgan 
trotz  der  andersartigen  Ätiologie,  die  ihnen  zu  Grunde  lag.  Sehen 
wir  doch  recht  häufig,  dass  derselbe  pathologisch  -  anatomische  Prozess 
durch  verschiedene  Ursachen  hervorgerufen  werden  kann!  Wenn  wir 
die  Berechtigung  dieser  Schlussfolgerungan  anerkennen,  dann  mtlssen  wir 
meines  Erachtens  auch  für  diese  Befunde  dieselbe  Entwicklung  annehmen, 
die  wir  für  die  ihnen  identischen  Veränderungen  im  Experiment  festgestellt 
haben.  Wir  müssen  sie  ebenfalls  auf  eine  Erkrankung  des  Gochlearis- 
nerv  bezw.  -neurons  zurückführen  und  die  bei  den  gewöhnlichen 
Hämatoxjlin-  und  Eosinfärbungen  und  nach  Ablauf  des  Erkrankungs- 
prozesses im  Neuron  allerdings  häufig  viel  stärker  in  die  Augen 
springenden  Veränderungen  am  Stützapparat  des  C ortischen  Organes 
als  sekundäre  Rückbildungsprozesse  deuten.  Weder  bei  den  oben 
erwähnten  experimentellen  Untersuchungen  noch  bei  den  vorliegenden 
habe  ich  ein  einziges  Mal  eine  primäre  Rückbildung  im  Gort  Ischen 
Organ  nachweisen  können.  Bei  sämtlichen  auf  dem  Höhe-  bezw. 
Anfangsstadium  des  Erkrankungsprozesses  befindlichen  Tieren  zeigte 
sich,  wie  ich  schon  oben  hervorgehoben  habe,  in  erster  Linie  der  Nerv 
erkrankt.  Nur  bei  den  bereits  im  Ablaufen  begriffenen  oder  gänzlich 
abgelaufenen  Erkrankungsprozessen  fand  ich  trotz  Rückbildung  im 
C  0  r  t  i  sehen  Organ  nur  geringfügige  oder  gar  keine  Veränderungen 
im  Nerven,  ein  Befund,  der  mit  Rücksicht  auf  die  regelmässig  nach- 
weisbare Erkrankung  des  Nerven  in  den  Anfangs-  und  Höhestadien, 
meines  Erachtens  gar  keine  andere  Deutung  zulässt  als  die,  dass  im 
späteren  Verlauf  des  Erkrankungsprozesses  eine  Regeneration  des  Nerven 
erfolgen  kann,  während  der  einmal  eingetretene  Zerfall  im  Co rti sehen 
Organ  nicht  wieder  rückbildungsfähig  ist.  Diese  Deutung  scheint  mir^ 
wenn  wir  berücksichtigen,  wie  regenerationsfähig  die  peripheren  Nerven 
zuweilen  bekanntlich  sind,  in  keiner  Weise  unwahrscheinlich  oder  ge- 
künstelt. Ich  bin  der  Meinung,  dass  auch  der  von  Alexander^) 
kürzlich  beschriebene  Befund  in  derselben  Weise  zu  erklären  ist.  Ich 
kann  nicht  zugeben,  dass  Alexander  durch  den  Nachweis  einer 
stärkeren  Atrophie  des  Gor  tischen  Organes  bei  relativ  geringfügigen 
Veränderungen  im  Nerven  an  den  Gehörorganen  einer  »seit  Jahren« 
an  Schwerhörigkeit  leidenden  Patientin  den  Beweis  erbracht  hat,  dass 
eine  primäre  genuine  Atrophie  des  Cor  tischen  Organes  von  der  be- 
ll 1.  c. 


Wittmaack:  Über  SchädigoBg  des  Gehörs  durch  Schalleinwirkang.       67 

schriebenen  Art,  die  unabhängig  von  einer  Erkrankcing  des  Neurons 
sich  entwickelt  hat,  vorkommen  kann  und  halten  es  far  nicht  berechtigt, 
von  einem  »Typus  der  primären  Atrophie  des  Cor  tischen  Organes 
mit  sekundärer  Akustikusdegeneration«  zu  sprechen.  £in  einziger  nach 
jahrelangem  Bestände  der  Schwerhörigkeit  untersuchter  Fall  kann 
hieraber  niemals  mit  Sicherheit  Aufschlass  geben ;  meine  experimentellen 
Untersuchungen,  die  es  mir  ermöglichten  sämtliche  Stadien  dieses 
Prozesses  an  einem  grossen  ideal  lebensfrisch  fixierten  Material  genau 
zu  studieren,  sprechen  entschieden  gegen  diese  Annahme.  Ich  halte 
vielmehr  an  der  schon  früher  von  mir  ausgesprochenen  Ansicht  fest, 
dass  das  Wesentliche  und  Primäre  dieses  Erkrankungs- 
prozesses stets  die  Erkrankung  im  Neuron  ist  und 
dass,  falls  im  Verlaufe  dieser  Erkrankung  Veränderungen 
im  Stützapparat  des  Cortischen  Organes  auftreten,  diese 
als  sekundäre  Rückbildungsprozesse  aufzufassen  sind. 

III.  Klinisehe  und  physiologische  Bückschlfisse. 

Von  den  mannigfaltigen  Schädigungen  des  Gehörorganes  durch 
Schalleinwirkung  treten  die  durch  kontinuierliche  Schalleinwirkung 
hervorgerufenen  Professionsschwerhörigkeiten  wegen  ihrer  grösseren 
Häufigkeit  und  der  grösseren  Bedeutung  im  täglichen  Leben  klinisch 
in  den  Vordergrund  des  Interesses.  Ich  möchte  daher  auch  die  Rück- 
schlüsse, die  wir  aus  den  vorliegenden  Untersuchungen  auf  den  Sitz 
und  die  Entwicklung  dieser  Erkrankung  ziehen  müssen,  an  erster  Stelle 
besprechen.  Darüber,  dass  der  Sitz  des  sich  hierbei  abspielenden 
Erkrankungsprozesses  auch  nach  dem  klinischen  Krankheitsbild  ins  innere 
Ohr  zu  verlegen  sei,  sind  sich  meines  Wissens  wohl  sämtliche  Autoren 
einig.  Der  negative  Befund  am  Trommelfell  und  an  der  Tube  und  der 
charakteristische  Ausfall  der  Hörprüfung  bei  den  reinen  Fällen  von 
Professionsschwerhörigkeit  deuten  mit  solcher  Bestimmtheit  auf  das 
innere  Ohr  als  den  Sitz  der  Erkrankung  hin,  dass  die  Professions- 
schwerhörigkeit wohl  allgemein  der  Gruppe  der  »nervösen  Schwer- 
hörigkeit« zugezählt  wurde.  Wo  wir  gleichzeitig  Erkrankungen  des 
Mittelohres  finden,  müssen  wir  für  diese  eine  von  der  Schädigung 
durch  Schalleinwirkung  unabhängige  Entstehung  annehmen.  Die 
Lokalisation  des  Erkrankungsprozesses  im  inneren  Ohr  klinisch  noch 
genauer  zu  bestimmen  (Labyrinth  oder  Hörnerv)  stiess  indessen  auf 
grosse  Schwierigkeiten.  Gestützt  auf  die  Tatsache,  dass  wir  einerseits 
bei    einer    grossen    Zahl     der    Fälle    von    »nervöser    Schwerhörigkeit« 


68       W  i  1 1  m  a  a  c  k :  Über  Schädigan^  des  Gehörs  durch  Schallein  Wirkung. 

Symptome  von  seilen  des  Vestibularapparates  gänzlich  vermissen  und 
dass  andererseits  durch  anatomische  Untersuchangen  festgestellt  ist,  dass 
Erkrankungen  des  Hörnerven  ganz  vorwiegend  bezw.  ausschliesslich 
den  Cochlearisast  desselben  befallen,  während  der  Yestibularteil  gänzlich 
oder  fast  gänzlich  intakt  bleibt,  habe  ich  vor  einiger  Zeit  den  Versuch 
gemacht,  den  Sitz  des  Erkrankungsprozesses  bei  den  Formen  von 
»nervöser  Schwerhörigkeit«  die  ohne  Erscheinungen  von  Seiten  des 
Vestibularapparates  einhergehen  auch  auf  Grund  des  klinischen 
Krankheitsbildes  genauer  zu  bestimmen,  indem  ich  ihn  in  den  Nerven 
selbst  bezw.  in  seinen  Cochleariszweig  verlegte^).  Zu  diesen  auf  Er- 
krankung des  Nerven  selbst  beruhenden  Formen  der  »nervösen  Schwer- 
hörigkeit« zählte  ich  auch  die  Professionsschwerhörigkeit.  Ich  glaube, 
dass  die  vorliegenden  Untersuchungen  die  Berechtigung  dieser  Annahme 
bestätigen  und  da  sie  auch  mit  den  wenigen  bisher  bekannt  gewordenen 
pathologisch-anatomischen  Befunden  bei  Fällen  professioneller  Schwer- 
hörigkeit gut  übereinstimmen,  können  wir  es  wohl  als  erwiesen 
betrachten,  dass  in  der  Tat  die  Hörstörung  bei  der  Professionsschwer- 
hörigkeit durch  eine  Erkrankung  des  Cochlearisnerven  selbst  hervor- 
gerufen wird. 

Nicht  minder  wichtig  als  dieser  Nachweis  erscheint  mir  noch  ein 
anderer  Punkt  auf  den  meines  Wissens  bisher  noch  von  keiner  Seite 
aufmerksam  gemacht  worden  ist,  nämlich  der  grosse  Einfluss,  den 
wir  bei  der  Entstehung  der  Professionsschwerhörigkeit 
durch  länger  einwirkende  kontinuierliche  Schallein- 
wirkung, der  gleichzeitigen  Zuführung  des  Schalles 
durch  die  Knochenleitung  zuschreiben  müssen.  Der  ganz  auf- 
fallende Kontrast  im  Verhalten  der  Tiere  der  1.  und  der  2.  bezw.  der 
3.  Versuchsreihe  lässt  meines  Erachtens  gar  keine  andere  Deutung  zu 
als  die,  dass  in  der  gleichzeitigen  Zuführung  der  Schallwellen  durch  die 
Knochenleitung  der  Grund  zur  Schädigung  des  Nerven  zu  suchen  ist. 
In  der  Tat  vermissen  wir,  wenn  wir  von  diesem  Gesichtspunkte  aus 
die  Gewerbe,  die  zur  Entstehung  der  Professionsschwerhörigkeit  durch 
kontinuierlich  anhaltenden  Lärm  führen,  betrachten,  niemals  diesen 
Faktor.  Der  Schmied  oder  der  Böttcher  übermittelt  während  des 
Aufschiagens  durch  seinen  Arm  selbst  die  Zuführung  der  Schallwellen 
durch   Knochenleitung.     Für   den   Lokomotivführer  bezw.   den  Heizer, 


1)  Wittmaack,  üeber  Schwindel  und  Gleichgewichtsstörungen  bei  nicht 
durch  eitrige  Entzündungen  bedingten  Erkrankungen  des  inneren  Ohres  und 
ihre  differential-diagnostische  Bedeutung.    Zeitschrift  f.  Ohrenhlkde.  50.  Bd. 


Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schalleinwirkung.       69 

der  viele  Standen  des  Tages  anf  der  Lärm  erzengenden  Eisenplatte 
stehen  moss,  liegen  doch  im  wesentlichen,  was  die  gleichzeitige  Zu- 
ffihmng  des  Schalles  dnrch  Enochenleitnng  anbelangt,  ganz  analoge 
Verhältnisse  vor,  wie  für  die  Versuchstiere  der  zweiten  bezw.  dritten 
Versachsreihe,  die  auf  der  tönenden  Metallplatte  sassen.  Ebenso  finden 
wir  bei  vielen  Fabrik-  and  Mühlenbetrieben  während  der  Betriebszeit 
den  Boden  der  Arbeitsräume  dauernd  in  dröhnender  Erschütterung. 

Kurzum  ich  habe  kein  Grewerbe  ausfindig  machen  können,  das 
zum  Auftreten  von  Professionsschwerhörigkeit  infolge  täglich  wieder- 
holter länger  anhaltender  Schalleinwirkung  führt,  bei  dem  die  gleich- 
zeitige Zuführung  des  Schalles  durch  Enochenleitung  auszuschliessen 
wäre.  Dagegen  ist  umgekehrt  bei  anderen  Gewerben,  bei  denen  die 
Entwicklung  einer  solchen  Schwerhörigkeit  zu  vermuten  ausserordentlich 
nahe  lag,  aber  die  Möglichkeit  einer  gleichzeitigen  Zuführung  des  Schalles 
durch  Enochenleitung  nicht  gegeben  war  —  z.  B.  bei  den  Telephonistinnen  — 
der  Nachweis,  dass  sie  zu  einer  Professionsschwerhörigkeit  führen  können, 
in  einwandsfreier  Weise  bekanntlich  nicht  gelungen.  Dass  die  gröberen 
Erschütterungen,  die  zuweilen  mit  der  Zuführung  des  Schalles  durch 
Knochenleitung  verbunden  sind,  die  Schädigung  nicht  verursachen,  geht 
wohl  ebenfalls  aus  den  Versuchen  hervor,  da  ich  besonderen  Wert 
darauf  gelegt  habe,  solche  gröberen  Erschütterungen  der  Platte  zu 
vermeiden.  Ich  glaube  vielmehr,  dass  die  durch  Knochenleitung 
fortgepflanzten  feinen  Schallwellen  selbst  die  Schädigung  des  Nerven 
hervorrufen  und  kann  mir  diesen  Unterschied  in  der  Wirkung  gegen- 
über den  durch  Luftleitung  fortgeleitetcn  Wellen  nur  durch  die  anders- 
artige Übertragung  derselben  auf  den  Nerven  erklären,  nämlich  durch 
direkte  Übertragung  durch  den  Knochen  selbst  ohne  Vermittelung  des 
Trommelfelles,  der  Gehörknöchelchenkette  und  der  Labyrinthflüssigkeit. 

Die  Berücksichtigung  dieses  Punktes  ist  auch  insofern  nicht  un- 
wichtig, als  sie  uns  Fingerzeige  für  die  Therapie  bezw.  Prophylaxe  der 
hier  in  Betracht  kommenden  Formen  der  Professionsschwerhörigkeit  geben 
kann.  Dass  eine  Verstopfung  des  Gehörganges  mit  Watte,  Wachs  oder 
ähnlichen  Mitteln  gänzlich  wirkungslos  ist,  ist  eine  wohl  sämtlichen 
Otiatem  längst  aufgefallene  Tatsache  und  kann  uns  nun  auch  nicht 
mehr  Wunder  nehmen. 

Eine  erfolgreiche  Prophylaxe  ist  meines  Erachtens  nur  zu  erhoffen 
durch  Zwischenschaltung  von  den  Schall  schlecht  leiten- 
den Medien  zwischen  Körper  und  Schallquelle.  Inwieweit 
dies  technisch  durchführbar  ist  und  ob  es  gelingen  wird,  die  in  Frage 


70       Wittmaack:  Ober  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schalleinwirkung. 

kommenden  Kreise  hierfür  zu  interessieren  und  entsprechende  Versuche 
in  grösserem  Mafstab  in  dieser  Richtung  durchzuführen,  muss  ich 
zunächst  dahingestellt  sein  lassen,  zumal  mir  in  meinem  jetzigen  Wohn- 
ort keine  Gelegenheit  zur  Durchführung  solcher  Versuche  gegeben  ist. 
Ich  komme  nun  zu  den  Hörstörungen  nach  einmaliger  bezw.  öfter  wieder- 
holter kurzdauernder,  aber  dafür  desto  intensiverer  Schallein  Wirkung. 
Das  klinische  Krankheitsbild  dieser  Hörstörungen  zu  deuten  ist  insofern 
etwas  schwieriger,  als  wir  häufig  gleichzeitig  Veränderungen  am  Trommel- 
fell —  Rupturen  desselben  —  auftreten  sehen.  Es  ist  indessen  auch  klinisch 
nicht  zulässig,  diese  als  die  alleinige  bezw.  wesentlichen  Ursachen  der  nach 
momentaner  intensiver  Schalleinwirkung  auftretenden  Hörstörungen  an- 
zusehen, weil  wir  einmal  —  wenigstens  nach  meinen  Beobachtungen  — 
niemals  bei  Vornahme  einer  genauen  Hörprüfung  Symptome  vermissen,  die 
für  eine  Mitbeteiligung  des  inneren  Ohres  sprechen  —  Einengung  der 
oberen  Tongrenze,  relativ  schlechte  Perzeption  für  hohe  Töne,  Herab- 
setzung der  Knochenleitung  u.  a.  —  und  weil  wir  andererseits  so 
ausserordentlich  häufig  traumatische  Rupturen  des  Trommelfelles  aus 
anderer  Ursache  auftreten  sehen,  ohne  dass  es  hierbei  zu  einer 
stärkeren  Hörstörung  kommt  bezw.  ohne  dass  eine  deutliche  Hörstörung 
nach  Ausheilung  der  Ruptur  zurückbleibt.  Dazu  kommt  noch,  dass 
wir  gamicht  so  selten  auch  nach  einmaliger  kurzdauernder  bezw.  häufiger 
noch  nach  wiederholter  kurzdauernder  SchaUeinwirkung  Hörstörungen 
auftreten  sehen,  ohne  gleichzeitiges  Auftreten  von  Trommelfellrupturen, 
z.  B.  bei  Artilleristen  und  verwandten  Berufen.  Ich  glaube  daher  wohl 
in  Übereinstimmung  mit  der  Mehrzahl  der  Autoren,  dass  wir  auch 
bei  diesen  Formen  der  Schwerhörigkeit  durch  Schalleinwirkung  schon 
nach  dem  klinischen  Krankheitsbilde  den  eigentlichen  Sitz  der  Er- 
krankung im  inneren  Ohr  suchen  müssen  und  sehe  im  Ausfall  der 
vorliegenden  Versuche  einen  Beweis  für  die  Richtigkeit  dieser  Annahme. 
Es  kann  wohl  kaum  mehr  einem  Zweifel  unterliegen,  dass  es  in  der 
Tat  gelingt,  durch  kurzdauernde  aber  entsprechend  intensive  in  nächster 
Nähe  der  Ohrmuschel  hervorgerufene  SchaUeinwirkung  eine  Schädigung 
des  Cochlearisnerven  hervorzurufen,  die  bei  öfterer  Wiederholung  unter 
Umständen,  wenigstens  in  einigen  Windungen  der  Schnecke  recht 
intensive  Grade  annehmen  kann.  Wir  müssen  hieraus  meines  Erachtens 
die  Schlussfolgerung  ziehen,  dass  die  im  Anschluss  an  derartige 
SchaUeinwirkung  auftretenden  Hörstörungen  in  erster 
Linie  bedingt  sind  durch  eine  Erkrankung  des  Cochlearis- 
nerven und  der  zugehörigen  Teile  des  Cortischen  Organes. 


Wittmaack:  Über  Schädigon  g  des  Gehörs  durch  Schal  lein  wirknng.       ^  l 

Blutungen,  Zerreissnngen  der  Membranen  des  Labyrinthes  oder  dergl« 
als  Ursache  der  Hörstörangen  anzunehmen  scheint  mir  nach  den  vor- 
liegenden experimentellen  üntersnchungen  nicht  mehr  znlässig,  da  ich 
niemals  derartige  Veränderungen  bei  meinen  Versuchstieren  habe  beob- 
achtenkönnen mit  Ausnahme  der  sekundären  Zerreissung  der  R ei ssn er- 
sehen Membran.  Gleichzeitig  auftretende  Trommelfellrupturen  spielen 
bei  der  Auslösung  der  Hörstörung  eine  untergeordnete  Rolle;  sie  sind 
wahrscheinlich  bedingt  durch  besondere  anatomische  Veränderungen  im 
Trommelfell  (Rigidität,  Kalkeinlagerung,  Narben  oder  dergl.)-  Hierfür 
spricht  ausser  den  oben  angeführten  klinischen  Erwägungen  und  Beob- 
achtungen auch  die  Tatsache,  dass  ich  in  Übereinstimmung  mit 
anderen  Untersuchem  ^),  bei  meinen  Versuchstieren  das  Auftreten  von 
Trommelfellrupturen  niemals  konstatieren  konnte. 

Wir  haben  es  also  bei  sämtlichen  Formen  der  Schwerhörigkeit 
<iurch  Schalleinwirkung  im  wesentlichen  mit  demselben  Erkrankungs- 
prozess,  nämlich  in  erster  Linie  mit  einer  Erkrankung  des  Neurons  zu 
tun,  der  sich  dann  allermeist  bald  regressive  Veränderungen  im- Cor  ti- 
schen Organ  hinzugesellen.  Trotzdem  glaube  ich,  dürfen  wir  die  beiden 
verschiedenen  Formen  der  Schwerhörigkeit  durch  Schalleinwirkung,  von 
denen  die  eine  durch  kontinuierlich  anhaltenden  Lärm,  die  andere  durch 
kurzdauernden,  aber  sehr  intensiven  Schallreiz  hervorgerufen  wird,  be- 
züglich ihrer  Entwicklung  nicht  ganz  auf  gleiche  Stufe  stellen.  Während 
für  die  durch  kontinuierliche  Schalleinwirkung  hervorgerufenen  Formen 
•der  Schwerhörigkeit  die  Zuleitung  des  Schalles  durch  Enochenleitung, 
wie  wir  sahen,  die  wesentliche  Rolle  bei  ihrer  Entstehung  spielt,  kommt 
diese  Überleitung  der  Schallwellen  für  die  durch  kurzdauernde  über- 
mäfsig  intensive  Schalleinwirkung  hervorgerufenen  Formen  kaum  in 
Betracht,  sodass  ich  glaube,  dass  hierin  doch  ein  jedenfalls  beachtens- 
werter Unterschied  gegeben  ist. 

Es  hat  mir  niemals  vom  physiologischen  Gesichtspunkte  aus 
betrachtet  recht  verständlich  erscheinen  wollen,  dass  der  kontinuier- 
lich anhaltende  Lärm,  dessen  Einwirkung  bei  manchen  Berufsarten 
unvermeidlich  ist,  auf  physiologischem  Wege  eine  Schädigung 
des  Gehörorgans  sollte  herbeiführen  können,  einmal  weil  seine 
Intensität  doch    nicht   die   Grade    erreicht,    dass  man   mit   Recht   von 


1)  Ostino,  Die  Verletzungen  des  Gehörorganes  durch  die  Knallwirkung 
der  Feuerwaffen,  referiert  im  Archiv  f.  Ohrenhlkde.  67.  Bd.,  S.  296. 

Mancioli,  La  membrane  du  tympan  et  les  Detonations  d'armes  ä  feu. 
Arch.  intcmat.  d'otol.  etc.  Bd.  18.  S.  504. 


72       Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schallein  Wirkung. 

einer  moroentanen  Überreizung  sprechen  könnte  and  weil  man  daher 
eher  bei  Anhalten  dieses  Reizes  das  Auftreten  einer  Gewöhnung  r.n 
diesen  hätte  erwarten  sollen  als  eine  Schädigung  des  Nerven  durch  ihn, 
zumal  andererseits  doch  auch  genügende  Zeit  zur  Erholung  in  den 
arbeitsfreien  Stunden  stets  gegeben  ist.  Hierfür  spricht  ja  auch 
zweifelsohne  der  Ausfall  der  ersten  Versuchsreihe.  Durch  den  Nach- 
weis, dass  vorwiegend  die  auf  nicht  physiologischem  Wege, 
nämlich  durch  Enochenleitung  übermittelten  Schallwellen  diese 
Schädigung  hervorrufen,  steht  meines  Erachtens  die  Entwicklung  dieser 
Erkrankung  in  etwas  anderer  Beleuchtung  da,  als  bisher.  Sie  muss 
eher  in  Parallele  gesetzt  werden  zu  den  Erkrankungen  des  Nerven 
nach  Traumen  (Commotio  cerebri),  nach  Intoxikation,  Konstitutions- 
anomalien etc. 

Anders  liegen  die  Verhältnisse  bei  den  durch  kurzdauernde  aber 
sehr  intensive,  meist  in  nächster  Nähe  der  Ohrmuschel  entstehende 
Schalleinwirkung  hervorgerufenen  Hörstörungen.  Bei  ihnen  handelt  es 
sich  wohl  zweifellos  um  eine  auf  physiologischem  Wege  zu  stände  ge- 
kommene Überreizung  des  Neurons.  Dass  dieses  hierauf  mit  Degene- 
ration reagiert,  kann  nicht  verwunderlich  erscheinen.  Diese  Formen 
der  Hörstörung  durch  Schalleinwirkung  sind  analog  zu  setzen  dem  durch 
Degeneration  der  nervösen  Elemente  bedingten  Funktionsausfall,  den 
wir  infolge  Überreizung  auch  an  anderen  Sinnesorganen,  beispielsweise 
bei  Überlichtung  des  Auges  bezw.  an  anderen  Nerven  auftreten  sehen 
und  auch  experimentell  hervorrufen  können.  Es  würde  indessen  zu 
weit  führen,  hierauf  näher  einzugehen. 

Ich  glaube  ferner,  dass  wir  auch  die  klinischen  Schlussfolgerungen^ 
ebenso  wie  die  Rückschlüsse  aus  dem  pathologisch-anatomischen  Befand 
noch  weiter  auf  eine  grosse  Gruppe  von  Fällen  »nervöser  Schwerhörig- 
keit« ausdehnen  können.  Das  klinische  Krankheitsbild  der  Hörstörungen 
durch  Schalleinwirkung  gleicht  nämlich  dem  zahlreicher  Fälle  von 
Schwerhörigkeit  aus  andersartiger  Ätiologie  so  ausserordentlich,  dass 
die  Annahme,  dass  diese  im  wesentlichen  auf  demselben  Erkrankungs- 
prozess,  nämlich  auf  einer  Erkrankung  des  Cochlearisnerven,  verbunden 
mit  Rückbildung  im  Cor  tischen  Organ,  beruhen  müssep,  hierdurch 
weiterhin  an  Wahrscheinlichkeit  gewinnt.  Es  sind  dies  alle  jene  Formen 
von  nervöser  Schwerhörigkeit,  die  klinisch  ebenso  wie  die  Professions- 
schwerhörigkeit trotz  zweifelloser  Erkrankung  des  inneren  Ohres  durch 
das  Fehlen  deutlicher  Störungen  von  selten  des  Vestibularapparates  be- 
sonders  auffallen,   wie   ich   dies   schon   in   der  bereits  zitierten  Arbeit 


W  i  1 1  m  a  a  c  k :  Über  Schädigung  des  GeLOrs  durch  Schallein  Wirkung.       73 

ansgefQhrt  habe.  Diese  Annahme,  die  ich  ja  inzwischen  schon 
durch  einige  klinische  Beobachtungen  mit  nachfolgender  pathologisch- 
anatomischer Untersuchung  der  Schläfenbeine  weiter  gestützt  habe, 
steht  meines  Eracbtens  nicht  im  Widerspruch,  sondern  eher  im  Ein- 
klang mit  den  bereits  erwähnten  Befunden  bei  analogen  Fällen  von 
Alexander,  Brühl  u.a.  und  vor  aUem  von  Manasse.  Manasse 
kommt  ja  auch  auf  Grund  seiner  Untersuchungen  zu  dem  Resultat, 
dass  die  vorliegende  Erkrankung  im  Nerven  bei  seinen  Fällen  als  eine 
chronische  Neuritis  zu  bezeichnen  sei  und  fasst  die  Veränderungen  im 
Cor  tischen  Organ  ebenfalls  als  zweifellos  sekundärer  Natur  auf.  Er 
stimmt  auch  in  dem  wohl  klinisch  wichtigsten  Punkte  meinen  Aus- 
führungen zu,  nämlich  darin,  dass  bei  den  in  Frage  kommenden  Formen 
der  nervösen  Schwerhörigkeit  hauptsächlich  der  Hörapparat  an  dem 
Erkrankungsprozess  beteiligt  ist.  Dass  es  sich  hier  gegenüber  dem 
Yestibularapparat  nur  um  graduelle  Unterschiede  handeln  kann,  scheint 
mir  selbstverständlich,  sodass  es  nicht  Wunder  nehmen  kann  wenn  wir 
in  schwereren  Fällen  zuweilen  auch  eine  teilweise  Miterkrankung 
des  Nervus  vestibularis  finden,  die  freilich  meinen  bisherigen,  allerdings 
noch  nicht  so  zahlreichen  Beobachtungen  nach  stets  hinter  der  Er- 
krankung des  Ramus  cochlearis  an  Intensität  weit  zurücksteht.  Auch 
bei  den  wenigen  Fällen  von  Manasse,  die  auffallender  Weise  eine 
annähernd  ebenso  starke  Veränderung  im  Vestibularis  wie  im  Cochlearis 
erkennen  Hessen,  scheint  mir  doch  insofern  ein  ganz  wesentlicher 
Unterschied  bestanden  zu  haben,  als  die  Erkrankung  dss  Vestibular- 
nerv  nicht  zu  einer  der  Atrophie  des  Cor  tischen  Organs  analog  zu 
setzenden  Atrophie  bezw.  zu  einem  analogen  Sinneszellenausfall  der  vom 
Vestibularis  versorgten  Sinnesapparate  —  der  Maculae  und  Cristae 
acusticae  —  geführt  hatte.  Ich  habe  wenigstens  niemals  Angaben  über 
eine  derartige  Atrophie  der  Maculae  und  Cristae  acusticae  finden 
können.  Es  ist  dies  aber  ein  Unterschied,  der  für  die  Beurteilung  der 
Funktion  dieser  Apparate  von  ausschlaggebender  Bedeutung  sein  kann, 
und  es  scheint  mir  daher  durchaus  möglich,  dass  die  Funktion  dieser 
Apparate  auch  in  diesen  Fällen  ungestört  geblieben  oder  wenigstens 
nur  in  so  geringem  Mafse  beeinträchtigt  war,  dass  klinisch  nachweisbare 
Symptome  hierdurch  nicht  ausgelöst  wurden.  Da  diese  Fälle  klinisch 
nach  dieser  Richtung  nicht  genau  untersucht  werden  konnten,  lässt  sich 
leider  hierüber  nichts  Bestimmtes  aussagen ;  sie  können  aber  keineswegs 
als  gegen  meine  Annahme  sprechend  verwertet  werden.  Aus  demselben 
Grunde  ist  es  schwer  zu  entscheiden,   ob   sämtliche  von  Manasse  an- 


1 


74       Wittinaack:  Über  Schädigung  ^^  Gehörs  durch  Schalleinwirkang. 

geführten  Fälle  dieser  Gruppe  der  »nervösen  Schwerhörigkeit«,  die  ohne 
Symptome  von  seiten  des  Vestibularapparates  verläuft  und  meines  Er- 
achtens  daher  als  Nervenaffektion  aufgefasst  werden  muss,  Oberhaupt 
zuzurechnen  sind.  Ich  habe  hierbei  wohl  bemerkt  ausser  der  Hör- 
störung durch  Schalleinwirkung  zunächst  nur  die,  zweifellos  viel  häufigeren, 
primären  Nervenfasererkrankungen  im  Auge  gehabt,  die  allermeist  durch 
eine  Allgemeinerkrankung  (Infektionskrankheit,  Intoxikation,  Kon- 
stitutionsanomalie, Erkrankung  des  Zirkulationsapparates  u.  s.  w.)  bezw. 
durch  eine  Nervenerkrankung  selbst  bedingt  sind,  nicht  aber  die  durch 
Fortleitung  von  Entztlndung  aus  der  Umgebung  bezw.  durch  Einbettung 
des  Nerven  in  Tumormassen  und  ähnliche  Ursachen  bedingten  Affektionen. 
Wenn  wir  dies  alles  berücksichtigen,  so  scheinen  mir  die  Unter- 
suchungen Manasses  keineswegs  gegen  die  von  mir  vertretene  Auf- 
fassung der  in  Frage  kommenden  Erkrankungen  als  primäre  Nerven- 
erkrankungen zu  sprechen  und  auch  keineswegs  die  Annahme  zu  wider- 
legen, dass  es  sich  bei  den  Formen  von  nervöser  Schwerhörigkeit,  die 
ohne  Störungen  von  seiten  des  Vestibularapparates  verlaufen,  um  eine 
Erkrankung  des  Hömerven  handele,  wie  man  dies  beispielsweise  in 
dem  einseitigen  Referate  Görkes')  über  die  Manassesche  Arbeit 
lesen  kann.  Ich  glaube  auch  nicht,  dass  M anasse  selbst  seine  Aus- 
führungen in  diesem  Sinne  gedeutet  wissen  will.  Allerdings  war  ich 
bisher  der  Meinung,  dass  nach  meinen  bisherigen  Mitteilungen  kein 
Zweifel  darüber  aufkommen  könnte,  dass  ich  in  den  Begriff  »Nervus 
cochlearis«  sämtliche  Teile  des  Nerven:  Stamm,  Ganglion  spirale.  Auf- 
splitterung und  auch  noch  die  Sinneszellen  mit  einbeziehe,  also 
das  ganze  Neuron  (conf.  toxische  Neuritis,  Zeitschr.  f.  Ohrenheilk., 
46.  Bd.,  S.  48/49  u.  67/68,  experimentelle  Neuritis  Z.  f.  0.,  52.  Bd., 
S.  176).  Ich  wüsste  auch  nicht,  wie  man  bei  den  vorliegenden  ana- 
tomischen Verhältnissen  diesen  Begriff  anders  fassen  könnte.  Die  Tat- 
sache, dass  wir  gleichzeitig  Veränderungen  im  Stützapparat  des  C orti- 
schen Organs  finden,  kann,  um  dies  noch  einmal  zu  betonen,  nachdem 
der  Nachweis  erbracht  ist,  dass  diese  in  direkter  sekundärer 
Abhängigkeit  von  der  Erkrankung  des  Neurons  selbst  stehen  —  woran 
ja  auch  Mauasse  nicht  zweifelt,  —  die  Berechtigung  dieser  Auffassung 
nicht  widerlegen,  sondern  meines  Erachtens  eher  bestätigen,  wenigstens, 
falls  diese  in  der  beschriebenen  charakteristischen  Weise  auftreten. 

Wie   wir   den  vorliegenden  Erkranknngsprozess  bezeichnen  wollen, 
ist  eine  weniger   wichtige  Frage.     Ich   halte   in  Anlehnung   an  die  in 

»)  Zeiitralblatt  f.  Ohrenheilkunde  Bd.  V,  S.  22. 


Wittmaack:  Über  Schädigung'  des  Gehörs  durch  Schallein  Wirkung.       75 

der  neurologischen  Literatur  übliche  Bezeichnung  der  analogen  Er- 
krankung an  anderen  Nerven  die  Bezeichnung  »degenerative  Neuritis« 
fOr  die  zweckmäfsigste,  indem  ich  die  Entscheidung  darüber,  ob  diese 
Bezeichnung  für  den  in  Frage  kommenden  Erankheitsprozess  glücklich 
gewählt  oder  besser  durch  eine  andere  zu  ersetzen  wäre,  Berufeneren 
überlasse.  So  lange  sie  aber  für  den  analogen  Prozess  an  anderen 
Nerven  beibehalten  wird,  ist  es  meines  Erachtens  das  richtigste,  wenn 
wir  uns  ihrer  auch  für  den  vorliegenden  Erkrankungsprozess  bedienen. 
Die  Tatsache,  dass  bei  der  degeuerativen  Neuritis  des  Hörnerven  regel- 
mäfsig  der  zugehörige  Ganglienzellenkomplex  miterkrankt,  spricht  meines 
Erachtens  durchaus  nicht  dagegen,  dass  wir  den  Erkrankungsprozess 
der  Neuritis  anderer  Nerven  analog  setzen  und  auch  analog  bezeichnen 
—  wissen  wir  doch,  dass  auch  bei  der  Polyneuritis  garnicht  so  selten 
die  zugehörigen  Nervenzellenkomplexe  selbst  miterkrankt  gefunden  werden. 
Zur  Unterscheidung  der  verschiedenen  Formen  der  degenerativen  Neuritis 
von  einander  halte  ich  die  Gruppierung  derselben  nach  der  zu  Grunde 
liegenden  Ätiologie  —  ebenfalls  in  Anlehnung  an  die  in  der  neuro- 
logischen Literatur  übliche  Klassifizierung  —  für  das  rationellste.  Wir 
würden  demnach  den  vorliegenden  Erkrankungsprozess  als  professio- 
nelle bezw.  Detonationsneuritis  des  Hörnerven  zu  be- 
zeichnen haben.  Auch  für  die  aus  andersartiger  Ätiologie  entstandenen 
Neuritiden  hält  es  meinen  Beobachtungen  nach  allermeist  nicht  schwer, 
eine  der  oben  aufgezählten  Allgemeinerkrankungen  bezw.  eine  Nerven- 
erkrankung als  Ursache  zu  ermitteln.  Die  der  >  Professionsschwerhörig- 
keit« so  ausserordentlich  nahestehende  »Altersschwerhörigkeit«  würden 
wir  demnach  präziser  als  senile  bezw.  arteriosklerotische  Neuritis  be- 
«eichnen,  da  der  Arteriosklerose  bei  der  Entstehung  derselben  wohl 
eine  wesentliche  Rolle  zukommt.  So  sehen  wir  auch  recht  häufig  ganz 
analoge  Erkrankungsprozesse  in  Fällen  auftreten,  bei  denen  wir  von 
einem  Senium  eigentlich  noch  nicht  recht  sprechen,  aber  doch  eine 
deutlich  ausgesprochene. frühzeitige  Arteriosklerose  nachweisen  können. 
Hierzu  kommen  dann  noch  die  verschiedensten  Allgemein-  bezw.  Nerven- 
eriirankungen  als  an  Häufigkeit  allerdings  hinter  den  aufgezählten 
zurücktretende  Ursachen  einer  analogen  Erkrankung  des  Nerven,  die 
zu  einer  toxischen,  infektiösen,  kachektischen,  diabetischen  etc.  Neuritis 
des  Hörnerven  führen,  be^w.  falls  es  sich  um  abgelaufene  Prozesse 
handelt,  zu  einer  entsprechenden  Atrophie  des  Nerven  bezw.  auch  einer 
postneuritischen  Atrophie  des  Gort i sehen  Organs.  Eine  Unterscheidung 
der  schwereren  zu  höheren  Graden  von  Schwerhörigkeit  bezw.  zur  Taub- 


76       Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schalleinwirkung. 

heit  führenden  Formen  von  den  leichteren  nur  leichtere  bezw.  mittel- 
schwere Grade  von  Schwerhörigkeit  hinterlassenden  Formen  könnten 
wir  noch  dadurch  bewirken,  dass  wir  im  ersteren  Fall  von  einer  kom- 
pletten, im  letzteren  von  einer  partiellen  degenerativen  Neuritis 
bezw.  Atrophie  sprechen,  wie  ich  dies  ja  alles  schon  in  meinen  früheren 
Arbeiten  hierüber  ausgeführt  habe. 

Wollen  wir  die  Verlaufszeit  der  Neuritis  noch  besonders  kenn- 
zeichnen, so  können  wir  dies  ja  ausserdem  noch  leicht  durch  die  Be- 
zeichnungen: »akut«,  »subakut«  und  »chronisch«  bewirken;  nur  müssen 
wir  uns  hierbei  vor  dem  Irrtum  hüten,  dass  wir  eine  jahrelang  be- 
stehende aber  stationär  gebliebene  Schwerhörigkeit,  die  de  facto 
als  Residuum  bezw.  Atrophie  nach  akuter  Neuritis  aufzufassen  ist^ 
wegen  des  jahrelangen  Bestandes  als  chronische  Neuritis  bezeichnen. 
Für  die  Bezeichnung  »chronische«  Neuritis  ist  meines  Erachtens  der 
Nachweis  eines  kontinuierlichen  Fortschreitens  des  Er- 
krankungsprozesses bezw.  einer  beständigen,  wenn  auch  allmählichen 
Zunahme  der  Gehörsverschlechterung  unerlässlich. 

Wenn  wir  nun  noch  versuchen,  die  verschiedenen  klinischen 
Verlaufsarten  bezw.  Stadien  des  Erkrankungsprozesses  im  Hör  nerven 
mit  den  verschiedenen  Formen  des  pathologischen  Befundes  in  Einklang 
zu  bringen,  so  gelingt  dies  meines  Erachtens  recht  leicht.  Der  klinisch 
langsam,  aber  kontinuierlich  progredienten  Form  der  degenerativen 
Neuritis  (infolge  von  Profession,  Arteriosklerose,  Kachexie,  chron. 
Infektion  bezw.  Intoxikation),  die  in  der  Regel  nur  zu  einem  mittleren 
Grad  von  Schwerhörigkeit  führt,  entspricht  der  S.  62  beschriebene 
pathologische  Befund  am  Nerven  bezw.  Cor  tischen  Organ,  bestehend 
in  Degeneration  vereinzelter  Fasern,  die  sich  deutlich  erst  durch  den 
Ausfall  der  Fasern  und  die  hierdurch  hervorgerufene  Verdünnung  der 
einzelnen  Nervenbündel  zu  erkennen  gibt,  verbunden  mit  allmählichem 
Zerfall  und  Ausfall  der  Sinneszellen  im  Cortischen  Organ  bei  Er- 
haltenbleiben des  Stützapparates.  Dass  auch  der  aus  andersartiger 
Ätiologie  als  Profession  hervorgerufene  analoge  Erkrankungsprozess  am 
Hörnerven  zu  dem  gleichen  pathologischen  Befund  führt,  dafür  spricht 
auch  der  völlig  einwandsfrei  beobachtete  und  untersuchte  Fall  V  in 
den  zitierten  weiteren  Beiträgen  zur  Kenntnis  der  degenerativen  Neuritis^ 
der  sich  pathologisch-anatomisch  mit  den  genannten  experimentell  durch 
Schalleinwirkung  hervorgerufenen  Befunden  völlig  deckt.  Die  klinisch 
schnell  progredienten  Formen  der  degenerativen  Neuritis  (Detonation, 
akute  Infektion,  Intoxikation  etc.),  die  nach  Abklingen  innerhalb  weniger 


Wittmaack:  Über SchSdigung des  Gehörs  durch Scballein Wirkung.       7 7 

Tage  oder  Wochen  bezw.  höchstens  Monate  eine  dauernd  völlig  gleich 
stark  bleibende  Hörstörung  hinterlassen,  müssen  zu  pathologischen  Be- 
fanden fahren,  die  sich  je  nach  der  Schwere  oder  dem  Alter  des  Prozesses 
mit  einem  der  auf  Seite  59  u.  60  aufgezählten  Grade  des  Degenerations- 
prozesses bezw.  mit  den  nach  Ablauf  dieses  Prozesses  zurückbleibenden 
Veränderungen  decken.  So  sind  ja,  wie  schon  oben  erwähnt,  auch 
bereits  vereinzelte  ganz  analoge  Befunde  bei  entsprechend  verlaufenden 
klinischen  Fällen  auch  bei  andersartiger  Ätiologie  erhoben  worden. 
Ausser  diesen  beiden  reinen  Formen  —  der  langsam,  aber  kontinuierlich 
progredienten  und  der  schnell  abklingenden  Neuritis  —  gibt  es  natür- 
lich auch  klinisch  zahlreiche  Übergangsstadien  von  der  einen  in  die 
andere  und  Kombinationen  dieser  beiden  Prozesse  miteinander,  die  da- 
durch bedingt  sind,  dass  sich  entweder  an  eine  anfangs  schnell  ver- 
laufende Neuritis  ein  langsam,  aber  kontinuierlich  fortschreitender 
Degenerationsprozess  anschliesst,  der  zur  allmählich  weiter  fortschreitenden 
Abnahme  des  schon  bei  Einsetzen  des  Prozesses  innerhalb  kurzer  Zeit 
mehr  oder  weniger  stark  beeinträchtigten  Hörvermögens  führt,  —  oder 
dadurch,  dass  im  Verlaufe  einer  an  sich  langsam  progredienten  Neuritis 
plötzlich  eine  innerhalb  relativ  kurzer  Zeit  zur  erheblichen  Ver- 
schlimmerung des  Hörvermögens  führende  akute  Exacerbation  einsetzt. 
Gerade  dieses  letztere  Ereignis,  nämlich  eine  plötzliche  erhebliche  Ver- 
schlimmerung innerhalb  kurzer  Zeit  können  wir  während  der  klinischen 
Beobachtung  der  Fälle  langsam  progredienter  Neuritis  namentlich  bei 
den  kachektischen,  senilen  bezw.  arteriosklerotischen  und  auch  bei  den 
professionellen  Neuritiden  recht  häufig  konstatieren,  wobei  dann  häufig 
die  höchsten  Grade  von  Schwerhörigkeit  zurückbleiben.  Der  patho- 
logische Befund  bei  diesen  Fällen,  die  meiner  Beobachtung  nach  fast 
häufiger  zu  sein  scheinen  als  die  reinen  Formen,  ist  durch  Kombination 
der  beschriebenen  pathologisch-anatomischen  Befunde  miteinander  ge- 
kennzeichnet, wie  ich  dies  ja  oben  auch  bereits  ausgeführt  habe.  Ich 
glaube,  dass  eine  ganze  Keihe  von  pathologischen  Befunden,  die  an 
klinischen  Fällen  auch  bei  andersartiger  Ätiologie  als  Schalleinwirkung 
erhoben  wurden,  wegen  ihrer  grossen  Ähnlichkeit  mit  den  erwähnten 
experimentell  erzeugten  Befunden  hierher  zu  zählen  sind;  doch  würde 
es  zu  weit  führen,  hierauf  ausführlicher  einzugehen. 

In  physiologischer  Hinsicht  scheint  mir  die  Verschieden- 
artigkeit in  der  Wirkung  zwischen  den  durch  Luftleitung  zugeführten 
Schallwellen  und  den  durch  Knochenleitung  übertragenen  auch  nicht 
ganz  unwichtig.    Freilich  die  Frage,  ob  die  Perzeption  des  Schalles 


78       Wittmaack:  Über  Schädigung  des  GehOrs  durch  Seh  allein  Wirkung. 

bei  Zufflhrang  desselben  dnrch  Knochenleitung  auf  rein  ostalem  oder 
auf  >osteo-tympanalem«  Wege  erfolgt,  können  wir  mit  diesen  Versuchen 
auch  nicht  entscheiden. 

Bemerkenswert  für  den  Physiologen  scheint  mir  femer  das  gänz- 
liche Freibleiben  des  vestibulären  Apparates  vor  allem  bei  den  mit 
kurzdauernder  intensiver  Schalleinwirkung  behandelten  Tieren,  bei  denen 
die  Degeneration  des  Cochlearisnerven  durch  Überreizung  auf  physio- 
logischem Wege  und  mit  dem  physiologischen  Reiz  hervorgerufen  wurde. 
Es  spricht  dies,  wie  so  manche  andere  Beobachtungen  der  Otiater,  ent- 
schieden für  eine  andersartige  Funktion  dieses  Apparates  und  lässt  es 
höchst  unwahrscheinlich  erscheinen,  dass  ihm  unter  normalen  Verhält- 
nissen für  die  Schallperzeption  ein  wesentlicher  Einfluss  zukommt.  Ob 
es  gelingen  wird,  auch  das  Neuron  dieses  Apparates  durch  eine  momentane 
Überreizung  auf  physiologischem  Wege  zur  Degeneration  zu  bringen» 
muss  ich  zunächst  noch  dahingestellt  sein  lassen. 

Schliesslich  möchte  ich  noch. auf  die  Beobachtung  hinweisen,  dass 
namentlich  bei  den  mit  wiederholter  kurzdauernder  Schalleinwirknng 
behandelten  Tieren  bei  Verwendung  derselben  Pfeife  durchgehends  der- 
selbe Schneckenbezirk  in  bei  weitem  intensivstem  Mause  befallen  war. 
Wenn  ich  auch  die  vorliegenden  Versuche  noch  nicht  weiter  in  dieser 
Richtung  ausnutzen  möchte,  weil  sie  nicht  allen  physiologischen  An- 
forderungen völlig  entsprechen,  so  glaube  ich  doch,  dass  sie  weiterer 
Verfolgung  in  dieser  Richtung  wert  sind  und  dass  es  bei  Verwendung 
verschieden  hoher  intensiver  Töne  und  bei  Anstellung  vergleichender 
Untersuchungen  mit  demselben  Ton  bei  verschiedenen  Tieren  möglicher- 
weise gelingen  wird,  Anhaltspunkte  für  die  Beurteilung  der  Richtigkeit 
der  Helmholtzschen  Theorie  hierdurch  zu  gewinnen. 


Erklärung  der  beigegebenen  Abbildungen  auf  Taf.  III — XIL 

Fig.  1.  Normales  Ganglienzellenpräparat  bei  Hämatoxylin-Eosinfarbung.  S ei  b  er  t. 
Homug.  Immersion,  Oc.  I. 

Fig.  2.  Normales  Markscheidenpräparat  aus  der  Schneckenspindel  bei  sekun- 
därer Osmierung.  Homogene  Iramersion,  Oc.  I,  bei  a  Fettkörnchen, 
bei  b  Myelinkügelchen. 

Fig.  3.  Normales  Markscheidenpräparat  aus  der  Lainina  spiralis  bei  sekundärer 
Osmierung.  Objektiv  V  und  Oc.  L  (Die  Zellumrisse  sind  bei  starker 
Abbiendung  gezeichnet.) 


Wittmaack:  Über  Schädigung  des  GehOrs  durch  Schalleinwirkang.       79 

Fig.  4.  Normales  Cortisches  Organ,  zweitnnterste  Windung.  H&matoxjlin- 
Eosinflirbung.    Objektiv  V,  Oc.  III. 

Fig.  5.  Normales  Gortisches  Organ,  zweitoberste  Windnng.  Hämatoiyün- 
Eosinfärbnng.    Objektiv  £[,  Oc.  IIL 

Fig.  6.  Ganglienzellenpräparat  bei  relativ  leichter  Alteration  (einmaliger  Pfiff 
nach  2  mal  24  Stunden).  Hftmatoxjlln-Rosinfarbnng.  Homog.  Immersion, 
Oc.  III,  bei  a  kristallähnliche  Gebilde.  —  Das  Präparat  ist  mit  Fig.  1 
zu  vergleichen. 

Fig.  7.  Ganglienzellenpräparat  bei  roittelschwerer  Alteration  (mehrmaliger  Pfiff 
^  nach  20  Tagen).    Hämatoxylin-Eosinfärbung.   Homogene  Immersion,  Oc  I. 

Das  Präparat  ist  mit  Fig.  1  zn  vergleichen. 

Fig.  8.  Ganglienzellen präparat  bei  schwerer  Alteration  der  Zellen  (mehrmaliger 
Pfiff  nach  15  Tagen).  Hamatoxylin-Eosinfärbang.  Homogene  Immersion, 
Oc.  I.  Das  Präparat  ist  mit  den  vorhergehenden  (Fig.  7)  nnd  mit  Fig.  1 
zn  vergleichen. 

Fig.  9.  Markscheidenpräparat  bei  leichter  Alteration  ohne  Faserausfall  aus  der 
Schneckenspindel  bei  sekundärer  Osniiernng  (einmaliger  Pfiff  nach  3  mal 
24  Stunden).  Homogene  Immersion,  Oc.  I.  Das  Präparat  ist  mit  Fig.  2 
zu  vergleichen. 

Fig.  10.  Markscheidenpräparat  bei  leichter  Alteration  mit  deutlichem  Faser- 
ausfall (kontinuierliche  Schalle  in  Wirkung  nach  HO  Tagen)  bei  sekundärer 
Osmierung.  Objektiv  V,  Oc.  I.  Das  Präparat  ist  mit  Fig.  3  zn  ver- 
gleichen. 

Fig.  11.  Markscheiden  präparat  bei  schwerer  Alteration  (mehrmaliger  Pfiff  nach 
15  Tagen).  Sekundäre  Osmierung.  Homogene  Immersion,  Oc.  I.  Das 
Präparat  ist  mit  den  vorhergehenden  und  mit  Fig.  2  zn  vergleichen. 

Fig.  12.  C ortisches  Organ  mit  leichterer  Alteration  der  Sinneszellen  (kon- 
tinuierliche Schalleinwirknng  nach  50  Tagen).  Hämatozylin-Eosinfärbung. 
Homogene  Immersion,  Oc.  I. 

Fig.  13.  0 ortisches  Organ  mit  schwerer  Alteration  der  Sinneszellen  (mehr- 
maliger Pfiff  nach  15  Tagen).  Hämatoxylin-Eosinfärbung.  Homogene 
Immersion,  Oc.  L 

Fig.  14.  Cortisches  Organ,  zweitunterste  Windung,  im  beginnenden  Zerfall 
(einmaliger  Pfiff  nach  3  mal  24  Stunden).  Hämatoxylin-Eoainfärbung. 
Objektiv  V,  Oc.  I.    Das  Präparat  ist  mit  Fig.  4  zu  vergleichen. 

Fig.  15.  Cortisches  Organ,  zweitunterste  Windung,  im  Zerfall  (mehrmaliger 
Pfiff  nach  20  Tagen).  Hämatoxylin-Eosinfärbung.  Objektiv  V,  Oc.  I.  Das 
Präparat  ist  mit  Fig.  4  zu  vergleichen. 

Fig.  16.  Cortisches  Organ,  zweitnnterste  Windung,  in  Rückbildung  begriffen, 
mittleres  Stadium  (mehrmaliger  Pfiff  nach  35  Tagen).  Hyaline  Kugeln 
noch  vorhanden.  Hämatoxylin-Eosinfärbung.  Objektiv  V,  Oc.  I.  Mit 
vorhergehenden  Präparaten  nnd  mit  Fig.  4  zu  vergleichen. 

Fig.  17.  Analoger  Befund  bei  kontinuierlicher  Seh  allein  Wirkung  nach  140  Tagen. 
Hämatoxylin-Eosinfärbung.  Objektiv  V,  Oc.  I.  Mit  Fig.  4  und  vorher- 
gehenden Präparaten  zu  vergleichen. 


80       Wittmaack:  Über  Schädigung  des  Gehörs  durch  Schalleinwirknng. 

Fig.  18.  Cortisches  Organ,  zweitoberste  Windung,  mittlerer  Grad  der  Etlck 
bildung.  einmaliger  Knall  nach  12  Tagen.  Hämatoxylin-Eosinfärbang. 
Objektiv  V,  Oc.  I.    Mit  Fig.  5  zu  vergleichen. 

Fig.  19.  Cortisches  Organ,  zweitunter^te  Windung,  mit  Rückbildung  mittleren 
Grades  ohne  weiteres  Fortschreiten  (keine  hyalinen  Kugeln  etc.  mehr), 
(mehrmaliger  Pfiff  nach  12  Wochen).  Hämatoxylin-Eosinfärhung.  Oh- 
jektiv  V,  Oc.  I.  Mit  Fig.  4  und  vorhergehenden  Präparaten  zu  ver- 
gleichen. 

Fig.  20.     Cortisches  Organ,  zweitunterste  Windung,  stationär  gebliebene  Rück- 
bildung   bis    zum    EpithelhOgel   (mehrmaliger    Pfiff   nach    26  Wochen).  ' 
Hämatoxylin-EosinfärbuniT.    Objektiv  V,    Oc.    1.     Mit    vorhergehenden 
Präparaten  und  Fig.  4  zu  vergleichen. 

Fig.  21.  Cortisches  Organ,  zweitunterste  Windung,  stationär  gebliebene  Bück- 
bildung bis  zum  Epithelhügel  (mehrmaliger  Pfiff  nach  12  Wochen)  mit 
Atrophie,  im  Ganglion  i^pirale.  Hämatoxylin-Eosinfärbung.  Objektiv  11^ 
Oc.  III.  Mit  vorhergehenden  Präparaten  und  Fig.  4  und  5  zu  ver- 
gleichen. 

Fig.  22.  Cortisches  Organ,  zweitunterste  Windung.  Völliger  Schwund  des- 
selben ohne  Atrophie  im  Ganglion  spirale  (mehrmaliger  Pfiff  nach 
30  Tagen).  Hämatoxylin-Eosinfärbung.  Objektiv  II,  Oc.  III.  Mit  vorher- 
gehenden Präparaten  und  Fig.  4  und  5  zu  vergleichen. 

Fig.  23.  Cortisches  Organ,  zweit  unterste  Windung,  nach  abgelaufener  leichter 
Alteration  des  Nerven  (einmaliger  Pfiff  nach  18  Tagen).  Hämatoxylin- 
Eosinfärbung.  Objektiv  V,  Oc.  I.  Ist  mit  Fig.  14  und  Fig.  4  zu  ver- 
gleichen. 

Fig.  24.  Cortisches  Organ,  zweitunterste  Windung,  nach  abgelaufener  kurzer 
und  leichter  Alteration  des  Nerven  (einmaliger  Pfiff  nach  25  Tagen). 
Hämatoxylin-Eosinfärbung.  Objektiv  Y,  Oc.  I.  Ist  mit  dem  vorhergehen- 
den Präparat,  mit  Fig.  14  und  Fig.  4  zu  vergleichen. 

Fig.  25.  Cortisches  Organ,  zweitoberste  Windung,  mit  Sinneszellenausfall  bei 
gut  erhaltenem  Stützapparat  bei  langsam  schleichend  aber  kontinuierlich 
progredienter  Alteration  des  Nerven  (kontinuierliche  Schalleinwirkung 
nach  200  Tagen).  Hämatoxylin-Eosinfärbung.  Objektiv  II,  Oc.  III.  Das 
Präparat  ist  mit  Fig.  5  zu  vergleichen. 


Zeitschrift  für  Ohrenheillcunde  LIV. 


Fig.  1. 


Fig.  2. 


Tafel  III/IV. 


Verlag  von  J.  F.  Bergmann,  Wiesbaden, 


Zeitschrift  für  Olirenheilkunde  LIV. 


Fig.  6. 


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Fig.  7. 


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Zeitschrift  für  Ohrenheilkunde  LIV. 


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Fig.  14. 


Tafel  VII/VIII. 


Verlag  von  J.   F.   Boremann,   Wlotibf  " 


Zeitschrift  für  Ohrenheilkunde  LIV. 


Tafel  IX/X. 


Verlag  von  J.  F.   Bergmann,  Wl 


Zeitschrift  für  Ohrenheilkunde  LIV. 


1.  .  1 


~-?2S5v. 


Zeitschrift 


Kahne:  Zar  path.  Bedentmig  der  ocdpitalen  Sinus verbiadongen.       Sl 

IV. 

(Ans  der  Universitäts-Ohren-  und  Eehlkopfklinik  zu  Bostock 
[Direktor:  Prof.  Dr.  Körner].) 

Zur  pathologischen  Bedeutung 
der  ocdpitalen  Sinusverbindungen. 

Von  J>r.  Kühne, 

I.  ABMstont  der  Klinik. 
Mit  l  AbbildoBg  im  Texte. 

Vor  mehreren  Jahren  haben  Henrici  and  Kikuchi  Unter- 
suchungen über  die  occipitalen  Sinosverbindangen  an  35  Leichen  an- 
gestellt and  die  von  ihnen  gefandenen  Varianten  in  dieser  Zeitschrift 
(Bd.  42,  S.  351)  zusammengestellt.  Als  Ergebnis  der  Arbeit  warden 
^  Typen  dieser  Blatleiterverbindangcn  gefanden.  Die  Verfasser  sprachen 
dann  ihre  Meinung  dartlber  aas,  welche  Folge erscheinangen  die  Ver- 
legung der  verschiedenen  Blatleiter  bei  jeder  der  von  ihnen  beschriebenen 
Varianten  auf  die  Zirkulation  im  Schädel  haben  würde,  und  glaubten, 
^ass  die  Variabilität  der  Hirnsymptome  bei  der  Sinusphlebitis  in 
inancher  Hinsicht  durch  die  Varianten  der  occipitalen  Sinusverbindungen 
aufgeklärt  werden  könnte.  Obwohl  seit  dem  Erscheinen  der  Arbeit  von 
Henrici  und  Kikuchi  bald  4  Jahre  verflossen  sind,  scheint  bei  den 
Sektionen  der  an  Sinusphlebitis  Verstorbenen  auf  diese  verschiedenartigen 
Verhältnisse  und  ihre  Bedeutung  sowohl  für  das  Übergreifen  der  Thrombose 
TOB  einem  Sinus  auf  den  andern,  als  auch  für  das  Zustandekommen 
bestunmter  klinischer  Symptome  nirgends  geachtet  worden  zu  sein. 

Wir  hatten  vor  kurzem  Gelegenheit,  durch  die  Untersuchung  der 
occipitalen  Sinusverbindungen  bei  der  Sektion  eines  Kindes  den  Nach- 
weis führen  zu  können,  dass  eine  neben  der  entzündlichen  Thrombose 
eines  Sinus  transversus  bestehende  Thrombose  des  Sinus  sagittalis  superior 
(longitudinalis)  keine  Fortsetzung  der  entzündlichen  Thrombose  in  diesen 
Sinus  hinein,  sondern  eine  selbständige  marantische  Thrombose  ge- 
wesen ist. 

Minna  FL,  2  Vf  Jahr  alt,  hat  vor  3  Wochen  eine  »Halsentzündung« 
durchgemacht,  nach  deren  Ablauf  hat  das  Kind  angeblich  stets  gefiebert, 
und  zwar  oft  bis  über  40  ^  und  seit  dieser  Zeit  nicht  mehr  gesprochen. 
^  Tage  vor  der  Aufnahme  in  die  Klinik  bemerkten  die  Eltern  eine 
linksseitige  Ohreiterung,  welche  trotz  ärztlicher  Behandlung  profoser 
wurde.    Am  Tage  vor  der  Aufnahme  trat  eine  Schwellung  hinter  dem 

Zeitaehrift  Ar  OhrenlioUkwide,  Bd.  LIV.  6 


82       Kühne:  Zar  path.  Bedentong  der  oecipitalen  SinnsYerbindnngen. 

Ohre  hinzu.     Bei  der  Aufnahme  am  17.  XII.  06  wurde  folgender  Be> 
fand  notiert: 

Sehr  elendes  und  blass  aussehendes  Kind  mit  hohem  Fieber  (39,5^, 
ohne  Exanthem.  Hinter  dem  linken  Ohre  besteht  eine  mäfsige  Schwellung 
auf  dem  Warzenfortsatze.  Durch  eine  starke  Senkung  der  hinteren, 
oberen  Gehörgangswand  ist  die  Besichtigung  des  Trommelfells  verwehrt. 
Das  rechte  Trommelfell  ist  normal.  £s  scheint  ein  leichter  Grad  von 
Somnolenz  zu  bestehen.  Das  Kind  spricht  und  schreit  nicht,  nimmt 
aber  flassige  Nahrung  ohne  Widerstreben. 

Operation  in  Chloroformnarkose  am  Abend  des  Aufnahmetageg 
(17.  Xn.  06).  Temperatur  direkt  vor  der  Operation  37,5  ^  Gerader 
Schnitt  hinter  dem  Ohr,  die  Ohrmuschel  tangierend,  durch  entzündlich 
verdicktes  Gewebe.  Die  Gorticalis  zeigt  Blutpunkte,  ist  aber  sonst  wenig 
verändert.  Beim  zweiten  Meisselschlage  kommt  man  auf  einen  mit  Eiter 
gefüllten  Hohlraum,  der  zum  Antrum  führt.  Die  trichterförmige  Er- 
weiterung der  Höhle  mit  der  2^nge  eröffnet  weiter  mit  Eiter  gefüllte 
Warzenzellen.     Reinigung  der  Wundhöhle  mit  HgO,,  Verband. 

18.  xn.  Morgentemperatur  39,7^.  Die  Lungenuntersuchung  er- 
gibt keine  Zeichen  für  das  Bestehen  einer  Pneumonie.  Während  des 
Tages  bleibt  die  Temperatur  mit  kleinen  Schwankungen  hoch  bis  zu 
39,7®.  Das  Kind  sieht  blass  aus,  nimmt  keine  Nahrung  zu  sich  und 
wird  von  Stunde  zu  Stunde  unruhiger.  Abends  Verbandwechsel:  Die 
Knochenränder,  hauptsächlich  der  hintere  Teil  des  Proc.  mast.  zeigen 
eine  beinahe  porzellanartige  Blässe.  Während  der  Nacht  besteht  grosse 
Unruhe,  zuweilen  ist  die  Atmung  röchelnd,  oft  setzt  dieselbe  aus.  Zeichen 
von  Meningitis,  insbesondere  Kernigsches  Symptom  und  Nackenstarre^ 
fehlen. 

19.  Xü.  Morgentemperatur  39,0®.  Lungenuntersuchung  wieder 
negativ.  Auch  heute  frQh  findet  sich  nichts,  was  auf  Meningitis  hin- 
deutete. 

IL  Operation:  Verlängerung  des  alten  Schnitts  und  senkrecht 
darauf  Schnitt  nach  hinten.  Nach  Zurückschieben  des  Periosts  erscheint 
der  Knochen  ziemlich  weiss,  aus  der  Sutur  an  der  Incisura  parietalis 
fliesst  blutig-seröse  Flüssigkeit  ab.  An  dieser  Stelle,  wird  mit  dem 
Meissel  eingegangen  und  das  gewonnene  Loch  nach  allen  Seiten  mit  der 
Zange  erweitert.  Der  nun  in  ziemlicher  Ausdehnung  (etwa  3 — 4  cm) 
freiliegende,  auffallend  starke  Sinus  ist  schmutzi^-graugelb  verfärbt  und 
fühlt  sich  hart  an.  Zunächst  wird  die  Jugularis  interna  freigelegt^ 
wobei  zahlreiche  speckig  veränderte  Drüsen  entfernt  werden  müssen. 
Die  Jugularis  ist  oberhalb  der  Einmündung  der  Vena  facialis  collabiert ; 
sie  wird  hier  doppelt  unterbunden  und  zwischen  den  Ligaturen  durch- 
schnitten. Der  Faden  am  oberen  Stumpfe  wird  lang  gelassen  zur  leichteren 
Auffindung  des  Stumpfes  bei  den  Verbandwechseln,  der  obere  Stumpf 
selber  wird  oberhalb  der  Ligatur  auf  2  cm  Länge  gespalten.  Er  ent- 
hält keinen  Thrombus  und  nur  wenige  Tropfen  Blut.    Darauf  Spaltung 


Kühne:  Zur  path.  Bedeutung  der  occipitalen  Sinus  Verbindungen.       83 

des  Sinus  und  Anslöffelnng  von  derben  Throrabosmassen,  welche  sich 
aasgedehnt  nach  beiden  Seiten  erstrecken;  eine  Blatung  erfolgt  nicht. 
Eine  weitere  Verfolgung  des  Thrombus  nach  beiden  Richtungen  wird 
wegen  drohenden  CoUapses  unterlassen.  Verband.  Nach  der  Operation 
werden  ca.  400  ccm  Kochsalzlösung  in  Bauch-  und  Schenkelhaut  infundiert. 
Abendtemperatur  39,5 

20.  XII.  Morgentemperatur  39,1.  Allgemeinbefinden  unverändert. 
Barch  Lumbalpunktion  werden  etwa  15  ccm  einer  opaleszierenden, 
orangefarbenen,  ganz  leicht  getrübten,  tropfenweise  abfliessenden  Flüssig- 
keit entleert,  welche  mikroskopisch  in  frisch  gefärbtem  Präparate  sehr 
vereinzelte  weisse,  meist  einkernige  Blutzellen,  aber  keine  Mikroorganismen 
enthält;  ebenso  bleiben  mit  ihr  geimpfte  Nährböden  steril.  (Untersuchung 
im  patholog.  Institute  der  Universität.) 

Ophthalmoskopisch  wird  auffallende  Blässe  des  Augenhinter- 
grundes, keine  Stauung,  festgestellt  (Privatdozent  Dr.  Erdmann). 

Tagsfiber  nimmt  das  Kind  Nahrung  zu  sich,  abends  ist  die  Atmung 
rahig,  Temperatur  40,0.  Kochsalzinfusion  300  ccm.  Es  treten  konvulsive 
Zackungen  auf,  welche  den  Abend  über  anhalten.  Während  der  Nacht 
fällt  die  Temperatur  bis  auf  38,2;  um  6  Uhr  morgens  erfolgt  der 
Exitus  letalis. 

Sektion  6  Stunden  nach  dem  Tode.     Nur  Kopfsektion  gestattet. 

Der  linke  Sinus  transversus  ist  nur  in  der  Flexura  sigmoidea,  da, 
wo  er  incidiert  und  ausgeräumt  worden  war,  frei  von  Thromben,  sonst 
völlig  thrombosiert  bis  zum  Conilaens  sinuum.  Der  Thrombus  ist  derb 
and  solide,  an  einzelnen  Stellen,  auch  nahe  dem  Confluens,  zirkumskript 
erweicht.  Ferner  findet  sich  der  ganze  Sinus  sagittalis  superior  thrombo- 
siert; der  Thrombus  ist  hier  durchweg  solid,  nur  direkt  in  der  Confluens- 
gegend  zeigt  sich  eine  zirkumskripte  Erweichung.  Im  Zusammenhange 
mit  der  Thrombose  des  Sinus  sagittalis  besteht  weiterhin  eine  aus- 
gedehnte Thrombose  der  Hirnhautgefässe,  bilateral  symmetrisch  in  der 
Scheitelgegend,  mit  blutiger  Durchtränkung  der  Pia.  Die  Thrombose 
der  Hirnhautgefässe,  wie  auch  die  blutige  Durchtränkung  der  Pia 
steigen  in  der  Gegend  der  Zentralwindungen  bis  in  die  Fossae  sylvii 
herab.  Auf  der  linken  Seite  besteht  eine  ausgedehnte  oberflächliche 
Nekrose  der  Hirnsnbstanz,  die  sich  unter  der  blutig-durchtränkten  Pia 
verbreitet.  Nirgends  eine  Spur  Eiter.  Ventrikel  normal.  Die  Besichtigung 
des  linken  Schläfenbeins  von  der  Schädelhöhle  aus  lässt  erkennen,  dass 
der  Knochen  rings  um  die  Operationsöflfnung  noch  einige  Millimeter 
weit  nekrotisch  ist.  Er  zeigt  sich  hier  grau-weiss  mit  scharfer  Ab- 
grenzung gegen  die  normale  Umgebung. 

Nach  Herausnahme  der  Dura  mit  den  Sinus  in  der  hinteren  Schädel- 
grabe zeigen  sich  folgende  Veränderungen  am  Confluens: 


84       Kühne:  Zar  path.  Bedeutung  der  occipitalen  Sinnsverbindungen. 

Der  Sinus  sagittalis  geht  yolhtändig  in  den  rechten  Transversus 
Ober.  Der  linke  Transversas  bildet  sich  aas  dem  Sinus  rectus  and 
kommuniziert  durch  zwei  dünne  Bahnen  direkt,  bezw.  indirekt  mit  dem 
Sagittalis  bezw.  Transversus  dexter.     Diese  Bahnen  sind  folgende: 

1.  Eine  etwa  2 — 3  mm  weite  Bahn  verbindet  den  Sinus  transversas 
sinister  mit  dem  Sinus  sagittalis  superior. 

2.  Je  eine  ebenso  enge  Bahn  entspringt  aus  dem  Sinus  transversas 
dexter  und  sinister,  um  sich  alsbald  als  Sinus  occipitalis  za 
vereinigen. 

Fig.  1. 

Sin. 


S'm. 

tnansir. 

öinisr. 


Conflnens  sinnuin,  von  vorn  gesehen.    Die  soliden  Thromben  sind  einfach, 
die  erweichten  Stellen  doppelt  schraffiert. 


In  dem  so  beschaffenen  Confluensgebiete  sind  die  Sinus  transversas- 
and  sagittalis-Thromben  vollständig  von  einander  getrennt.  Zwar  er- 
streckt sich  der  Thrombus  aus  dem  linken  Transversus  ein  paar  Milli- 
meter weit  in  die  von  ihm  ausgehende  Sinus-occipitalis- Wurzel,  erreicht 
jedoch  nicht  die  vom  Sinus  transversus  dexter  kommende  Sinus  occipitalis- 
Wurzel,  die  frei  von  Thromben  ist.  Auch  die  direkte  Verbindung  vom 
Sinus  transversus  sinister  zum  Sinus  sagittalis    ist   frei   von  Thromben. 

Durch  die  mikroskopische  Untersuchung  der  Thromben  sowohl  im 
Sinus  sagittalis  als  auch  im  Sinus  transversus  sinister  können  —  aach 
an  den  Erweichungsherden  —  in  zahlreichen  gefärbten  Schnitten  keine 
Mikroorganismen  nachgewiesen  werden. 

Die  Thrombose  im  Sinus  sagittalis  superior  ist  also  keine  aus  dem 
Sinus   transversus  sinister   fortgesetzte,   sondern   eine   selbständige   und 


EQhne:  Zar  path.  Bedentnng  der  occipitalen  äiansyerbiDdangen.       85 

mnss  als  marantische  angesehen  werden.  Daffir  spricht  erstens  das 
Fehlen  der  Kontinuität  zwischen  beiden  Thrombengebieten.  Ohne  die 
genaue  Untersuchang  der  occipitalen  Sinusverbindangen  wäre  diese 
Trennung  nicht  gefunden  worden  und  man  hätte  dann  wohl  eine  ein- 
fache Fortsetzung  des  Thrombus  aus  dem  Sinus  transversus  sinister  in 
den  Sinus  sagittalis  angenommen.  Zweitens  spricht  fttr  die  marantische 
Natur  des  Thrombus  im  Längsblatleiter  die  Ausdehnung  des  Thrombus 
auf  den  ganzen  Längsblutleiter  und  sein  gesamtes  Quellgebiet  an  der 
KoDYexität,  sowie  die  gerade  für  eine  marantische  Thrombose  charak- 
teristischen hämorrhagischen,  beziehungsweise  nekrotischen  Veränderungen 
der  Hirnhäute  und  der  Himoberfläche  im  Quellgebiete.  Ferner  kommt 
in  Betracht  das  zur  marantischen  Thrombose  prädisponierende  frflhe 
Kindesalter  und  die  schwächende  »Halsentztkndung«  mit  nachfolgender 
Schläfenbeinnekrose  und  das  3  Wochen  lang  bestehende  hohe  Fieber, 
das  wohl  auf  die  otogene  Phlebothrombose  des  Sinus  transversus  sinister 
bezogen  werden  darf.  Dass  letztere  otogen  war,  ist  wohl  aus  der  bis 
ram  Sinus  gehenden  Knochenkrankheit  und  der  äusseren  Verfärbung 
des  Sinus  am  Knie  zu  schliessen. 

Hätten  sich  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  des  Thrombus 
im  Querblutleiter  Bakterien  gefunden,  im  Längsblutleiter  aber  nicht,  so 
hätte  man  das  als  einen  Beweis  für  die  marantische  Entstehung  des 
Längsblutleiter-Thrombos  heranziehen  können.  Es  mag  aber  hervor- 
gehoben werden,  dass  selbst  ein  positiver  Befund  von  Bakterien  im 
Längsblutleiter  hier  nichts  gegen  die  marantische  Entstehung  hätte  be- 
weisen können.  Wir  wissen  ja  zur  Genüge,  dass  bei  otitischer  Phlebitis 
des  Sinus  transversus  Bakterien  in  den  Kreislauf  gelangen  können,  und 
es  wäre  deshalb  auch  nicht  überraschend,  wenn  sie  sich  in  einem  gleich- 
zeitig oder  später  entstandenen  marantischen  Thrombus  eingenistet  hätten. 

Gehen  wir  nun  zur  Betrachtung  der  klinischen  Erscheinungen, 
welche  durch  den  so  ausgedehnten  Sinus  verschluss  hervorgerufen  worden 
sind,  aber,  so  ist  es  erstaunlich,  dass  das  Kind  bei  Lebzeiten  gar  keine, 
auf  die  Thrombose  hindeutende  Symptome  geboten  hat.  Trotz  des  so 
stark  behinderten  Abflusses  des  venösen  Blutes  aus  dem  (Innern)  Quell- 
gebiete der  Vena  magna  Galeni  und  dem  (äussern)  Quellgebiete  des 
Sinns  sagittalis  konnte  statt  der  erwarteten  Stauungserscheinungen  an 
dem  Angenhintergrunde  nur  eine  auffallende  Blässe  desselben  festgestellt 
werden.  Ebenso  wurden  trotz  der  ausgedehnten  Thrombose  des  Sinus 
sagittalis  superior  Veränderungen  an  der  Aussenfläche  des  Schädels  bei 
Lebzeiten  vermisst,  wie  sie  von  Gradenigo  (Arch.  f.  Ohrenh.  Bd.  66, 


86       Kühne:  Zur  patb.  Bedeutung  der  occipitalen  Sinus  Verbindungen. 

S.  243)  beobachtet  wurden.  Nach  diesem  Autor  besteht  das  Symptom 
einer  eitrigen  Thrombose  des  oberen  Längsblutleiters  in  dem  Auf- 
treten einer  flnktierenden  schmerzhaften  Schwellung  in  der  Scheitel- 
gegend und  zwar  in  der  Mittellinie,  entsprechend  einem  der  Foramina 
emissaria  Santorini,  also  am  hinteren  Teile  der  Sutura  sagittalis. 
Allerdings  erklärt  auch  Gradenigo,  dass  die  eitrige  Thrombose  dieses 
Sinus  otogenen  Ursprungs  bei  Autopsien  ziemlich  selten  getroffen  wird 
und  dieselbe  gewöhnlich  keine  schon  im  Leben  erkennbare  Symptome 
verursacht.  Vielleicht  hätte  in  unserem  Falle,  wenn  der  Thrombus  des 
Längsblatleiters  nicht  marantischer,  sondern  entzündlicher  Natur  ge- 
wesen wäre,  das  oben  beschriebene  Symptom  beobachtet  werden  könn^, 
entsprechend  der  Tatsache ,  dass  auch  eine  einfache  Thrombose  •  des 
Sinus  transversns  keine  Schwellung  in  der  Gegend  des  Foramen  mastoi- 
deum  macht,  während  eine  eitrige  Periphlebitis  des  Sinus  transversus 
(perisinuöser  Abszess)  dieses  Symptom  häufig  zur  Folge  hat.  Die  einzige 
Erscheinung,  welche  intra  vitam  als  Folge  cerebraler  Störungen  bemerk- 
bar gewesen  ist,  war  der  Verlust  der  Sprache,  vielleicht  allein  bedingt 
durch  einen  gewissen  Grad  von  Benommenheit  des  Sensoriums. 

Das  Ergebnis  der  Lumbalpunktion  bedarf  noch  einer  kurzen 
Betrachtung.  Dass  vermehrte  Leukocyten  für  sich  allein  nicht  das  Be« 
stehen  einer  eitrigen  Meningitis  beweisen,  ist  heutzutage  genügend  be- 
kannt. Das  Opaleszieren  der  Flüssigkeit  in  einem  orangefarbenen  Tone 
mag  durch  die  hämorrhagischen,  beziehungsweise  hämorrhagisch-nekro- 
tischen Veränderungen  an  der  Konvexität  bedingt  gewesen  sein. 

Der  Fall  beweist,  dass  man  nicht  mehr  berechtigt 
ist,  bei  dem  Befunde  von  Thromben  in  einem  Quer-  und 
zugleich  in  einem  Längsblutleiter,  die  letzteren  als  ein- 
fach aus  dem  Quer-  in  den  Längsblutieiter  fortgewachsen 
anzusehen. 


G.  Zimmermann:  Das  Hören  der  Nengeborenen.  8 7 

V. 

Das  Hören  der  Neugeborenen. 

Von  Dr.  G.  Zimmermann  in  Dresden. 

Es  scheint  ein  eigenes  Verhängnis  unserer  Disziplin  zu  sein,  dass 
immer  wieder  ungenügende  Methoden  zur  Entscheidung  wichtiger  physio- 
logischer Fragen  herangezogen  werden.  So  hat  Koellreutter  —  wie 
er  in  der  Zeitschr.  f.  Ohrenheilk.  Uli,  S.  123  ff.  berichtet  —  das 
flörvermögen  der  Neugeborenen  mittelst  Galtonpfeifchens  und  tiefer 
Stimmgabeln  beobachtet.  Er  fand,  dass  auf  den  Ton  C®  des  Galton- 
pfeifchens die  Kinder  mit  blitzartigem  Lidzucken  und  Stirnrunzeln  ant- 
worteten, dass  aber  die  tiefen  Stimmgabeln  nie  diese  Reaktion  aua- 
lösten.  Daraus  schliesst  er  auf  ein  Hörvermögen  wohl  für  hohe,  nicht 
aber  für  tiefe  Töne,  und  führt  das  auf  eine  Störung  in  der  Schall- 
leitung  durch  das  bei  Neugeborenen  in  der  Pauke  vorhandene  Schleim- 
gewebe zurück. 

Zunächst  hätte  wohl  einem  vorsichtigeren  Beobachter  die  Frage 
kommen  müssen,  ob  wirklich  das  Ausbleiben  der  Reaktion  so  strikt  für 
ein  Ausgebliebensein  der  Hörempfindung  beweist.  Es  könnte  sein,  dass 
die  Kinder  eine  grosse  Zahl  von  Tönen  hören,  auf  die  sie  aber  nicht 
reagieren,  und  dass  sie  reagieren  nur  auf  eine  Minderzahl,  die  durch 
ihre  besondere  Stärke  unangenehm  oder  erschreckend  wirken.  Vielleicht 
erklärt  sich  das  scheinbare  Ausbleiben  der  Reaktion  bei  tiefen  Tönen 
selbst  grösserer  Intensität  dadurch,  dass  diese  ihrer  Natur  nach  nicht 
80  leicht  die  Reaktion  auslösen;  sei  es,  dass  an  sich  die  Empfindlich- 
keit des  Sinnesorgans  in  dieser  Beziehung  geringer  ist,  sei  es,  dass  da 
gewisse  Schutzvorrichtungen  bestehen,  die  eine  Abdämpfung  gerade  der 
tiefen  Töne  begünstigen  und  somit  jene  Nebenwirkungen  in  entfernten 
Muskelgruppen  hintanhalten. 

Nun  können  aber  die  tatsächlichen  Befunde  Koellreutters  nicht 
einmal  auf  Aligemeingültigkeit  Anspruch  machen.  Ich  habe  mit  freund- 
licher ErJaubnis  des  Herrn  Geheimrat  L  e  o  p  o  1  d  und  mit  Unterstützung 
Yon  Dr.  Meissner  und  anderer  Assistenzärzte  der  kgl.  Frauenklinik 
hier  etwa  50  Neugeborene  untersucht.  Es  wurde  handbreit  vor  dem 
Ohr  der  Kinder  der  Ton  C^  eines  geaichten  Edel  mann  sehen  Galton- 
pfeifchens angeblasen  und  dabei  nur  in  8 — 9  Fällen  eine  deutliche 
Reaktion  bemerkt.  Und  auffallenderweise  bei  den  12  Neugeborenen, 
<iie  gerade  in  den  letzten  24  Stunden  geboren  waren,  wurde  statt  der 
100 0/^,  die  nach  Koellreutter  zu  erwarten  gewesen  wären,  ge- 
fanden, dass  nur  ein  einziges  Kind  mit  Lidzucken  reagierte.  Also 
selbst  bei  diesen  hohen  Tönen  ist  eine  »gute  Reaktionsfähigkeit«  nicht 
überall  zu  konstatieren. 

Sodann  muss  es  als  ein  Kardinalfehler  der  Koellreutter  sehen 
Untersuchungen    bezeichnet    werden,    dass    die   Wirkungen    hoher   und 


88  6.  Zimmermann:   Das  Hören  der  Neugeborenes. 

tiefer  Töne  an  einem  durchaas  angleichen  Mafsstab  mit  einander  ver- 
glichen werden.  Es  hätte  doch  niemandem  entgehen  sollen,  dass 
gegenüber  den  darchdringenden  Tönen  des  Galtonpfeifchens  die 
tiefen  Stimmgabeln  nar  ganz  laatschwache  Töne  erzeagen  and  dass  die 
Wirkungen  beider  gar  nicht  mit  einander  in  Parallele  gestellt  werden 
können.  Wollte  man  eine  vergleichbare  Unterlage  schaffen,  so  hfttte 
man  mit  dem  Qaltonpfeifchen  aas  ganz  weiter  Entfernung  prüfen 
mflssen  und  hätte  dann  ebenso  wenig  wie  bei  den  tiefen  Stimmgabeln 
eine  Reaktion  bekommen;  oder  man  hätte  in  den  tiefen  Lagen  Töne 
zur  Vergleichung  heranziehen  müssen,  die  denen  des  Galtonpfeifchena 
leidlich  in  der  Stärke  gleichkamen.  Man  hätte  dann  —  ich  habe  mit 
dem  tiefen  C  der  Tuba  geprüft  —  nicht  so  selten  (in  meinen  Versuchen 
mindestens  viermal)  auch  für  diese  tiefen  Töne  eine  Reaktion  erhalten. 
Also  nicht  davon,  ob  die  Töne  hoch  oder  tief  sind,  scheint  die  Reaktion 
in  erster  Linie  abhängig,  als  vielmehr  —  was  ja  nicht  Wunder  nehmen 
kann  —  davon,  ob  sie  leise  oder  laut  sind. 

Inwieweit  im  einzelnen  das  in  der  Pauke  vorhandene  Schleim- 
gewebe von  hörverschlechtemdem  Einfluss  ist,  ist  nicht  erkennbar;  ein 
Einfluss  wird  ja  zweifellos  vorhanden  sein,  doch  ist  er  bei  der  Stumm- 
heit  des  Versuchsobjekts  entweder  gar  nicht  oder  nur  mit  noch  sub- 
tileren Methoden  zu  bestimmen. 

Jedenfalls  bieten  die  Koellreutt  er  sehen  Untersuchungen  keine 
Handhabe,  um  die  Lehre  von  der  Schallleitung  der  tiefen  Töne  durch 
die  Kette  irgendwie  zu  stützen.  Beide  beruhen  auf  der  unkritischen 
Verwendung  der  Stimmgabel  zu  vergleichenden  Messungen  und  auf  un- 
haltbaren physikalischen  Prämissen. 

Bei  der  Gelegenheit  möchte  ich  auf  einen  Punkt  hinweisen,  der 
geeignet  ist,  den  Irrtum  zu  verlängern  oder  mindestens  die  unbefangene 
Urteilsbildung  zu  erschweren.  Das  ist  die  Nonchalance,  mit  der 
noch  immer  die  Bezeichnung  »Schallleitungsapparat«  als  Terminus  für 
die  Ohrknöchelchenkette  gebraucht  wird.  Man  sollte  sich  doch  des. 
hypothetischen  Ursprungs  dieser  Bezeichnung  wieder  mehr  bewusst 
werden  und  sie  als  überflüssig  und  irreführend  vermeiden  gerade  bei 
physiologischen  Forschungen  nach  der  wahren  Funktion  der  Ohr- 
knöchelchen.  Die  Ausdrücke  »Mittelohrapparat «  oder  >Enöchelchen  der 
Kette«  sind  mindestens  ebenso  kurz  und  bezeichnend  und  präjudizieren 
nichts. 


W.  Koellreutter:  Bemerkung  zur  vorsteh,  Arbeit  v.  Dr.  ZimmermanD.       89 

VI. 

Bemerkung  zur  vorstehenden  Arbeit  von 
Dr.  Zimmermann  in  Dresden. 

Von  Dr.  W.  Koellreutt<»r. 

In  melDer  von  Zimmermann  kritisierten  Arbeit  habe  ich  dar- 
zQlegen  yersncht,  wie  unsere  Kenntnisse  und  Anschauungen  Aber  die 
Schwerhörigkeit  der  Neugeborenen  je  nach  der  Entwickelung  der  Hör- 
prOfangsmethoden  in  der  Ohrenheilkunde  die  verschiedensten  Wand- 
Injigen  durchgemacht  hat,  und  anschliessend  daran  wollte  ich  feststellen, 
wie  die  heute  vielfach  geübte  Untersuchung  mit  der  Bezold-Edel- 
mann  sehen  Tonreihe  ausfalle.  Jedem,  der  gewohnt  ist,  an  den  P'ort- 
schritt  unseres  Könnens  einen  historischen  Mafsstab  anzulegen,  erscheint 
es  selbstverständlich,  dass  wir  mit  der  Bezold-Edel  mann  sehen 
Tonreihe  keineswegs  einen  Abschluss  in  der  Entwickelung  der  Gehör- 
prfifungsmethoden  haben,  sondern  nur  eine  Etappe.  Das  kann  uns  aber 
nicht  hindern,  so  lange  wir  nichts  Besseres  haben,  die  Tonreihe  an- 
zuwenden und  aus  den  erzielten  Resultaten  Schltlsse  zu  ziehen.  Späteren 
Zeiten  und  späteren  Autoren  mag  es  vorbehalten  sein,  auch  unsere  An- 
schannngeu  in  die  historische  Rumpelkammer  zu  werfen. 

Es  wttrde  deshalb  ganz  unverständlich  sein,  warum  Zimmer- 
mann vorstehende  Bemerkungen  niedergeschrieben  hat,  wenn  er  uns 
nicht  selbst  den  Grund  angäbe:  »Jedenfalls  bieten  die  Koellreutter- 
schen  Untersuchungen  keine  Handhabe,  um  die  Lehre  von  der  Schall- 
leitnng  der  tiefen  Töne  durch  die  Kette  irgendwie  zu  stützen,  o  Ich 
habe  keine  Veranlassung,  diese  Lehre,  von  der  in  meiner  Arbeit  gar 
nicht  die  Rede  war,  zu  prüfen,  und  überlasse  es  Zimmermann, 
seinen  Standpunkt  in  dieser  Frage  zu  vertreten.  Dasselbe  gilt  für  die 
Polemik,  die  er  gegen  den  Gebrauch  des  Wortes  »Schallleitungs- 
apparat« führt. 

Als  einen  »Kardinalfehler«  meiner  Yersuchsanordnung  bezeichnet 
es  Zimmermann,  dass  die  Intensität  der  hoben  und  tiefen  Töne 
nicht  ausgeglichen  ist  und  so  in  ihrer  Wirkung  nicht  in  Parallele  ge- 
stellt werden  könne.  Weshalb  Zimmermann  diese  bekannten  der 
Bezold-Edelmann sehen  Tonreihe  anhaftenden  Mängel  gerade  mir 
vorwirft,  verstehe  ich  nicht.  Seine  »noch  subtileren  Methoden«  sind 
mir  nicht  bekannt,  doch  wird  ihm  sicher  jedermann  für  Bekanntgabe 
derselben  dankbar  sein. 

Femer  schreibt  Zimmermann:  »Zunächst  hätte  wohl  einem 
vorsichtigeren  Beobachter  die  Frage  kommen  müssen,  ob  wirklich  das 
Ausbleiben  der  Reaktion  so  strikt  für  ein  Ausgeblicbensein  der  Hör- 
empfindung beweist.«  Von  Ausgebliebensein  der  Hörempfindung  habe 
ich  kein  Wort  geredet,  da  es  sich  ja  nicht  um  eine  Taubheit,  sondern 
Schwerhörigkeit  beim  Neugeborenen  bandelt.     Dass  bei  dieser  Schwer- 


1 


90       W.  Eoellrea tter:  Bemerkang  zur  vorsteb.  Arbeit  v.  Dr.  Zimmermann. 

hörigkeit  der  tiefe  Ton  einer  Tuba  vielleicht  noch  gehört  wird,  die 
tiefen  Edel  mann  sehen  Stimmgabeln  dagegen  nicht,  ist  sehr  wohl  be- 
greiflich, kam  aber  für  mich  nicht  in  Betracht,  da  ich  gerade  die 
Reaktion  der  Neugeborenen  anf  die  Töne  der  Bezold-Edelmann- 
sehen  Reihe  prüfen  wollte. 

Was  nan  die  Frage  betrifft,  ob  das  Nichtreagieren  auch  ein  Nicht- 
hören  bedeutet,  so  ist  dieselbe  bekanntlich  nicht  zu  entscheiden.  Wollten 
wir  sie  verneinen,  so  mtlssten  wir  überhaupt  darauf  verzichten,  Hör- 
prüfungen bei  Neugeborenen  vorzunehmen. 

Die  nachprüfenden  Versuche  Zimmermanns,  die  ein  zum  Teil 
anderes  Resultat  gebracht  haben,  zeigen  höchstens,  dass  bei  der  sehr 
schwierigen  Aufgabe,  die  Reaktionen  der  Versuchskinder  richtig  za 
deuten,  jeder  Experimentator,  der  mit  einem  gewissen  Vorurteil  an  die 
Sache  herangeht,  ein  dementsprechendes  Resultat  haben  kann.  Um  ein 
jedes  Vorurteil  auszuschalten,  habe  ich,  wie  in  meiner  Arbeit  angegeben 
ist,  nur  solche  Reaktionen  gelten  lassen,  die  nach  dem  überein- 
stimmenden Urteile  mehrerer  Beobachter  (nicht  nur  Otologen,  sondern 
auch  Gynäkologen)  als  solche  aufzufassen  waren.  Hätte  Zimmermann 
recht,  so  würden  nicht  nur  meine  Beobachtungen,  sondern  auch  die  der 
meisten  Autoren,  die  vor  mir  in  dieser  Frage  gearbeitet  haben,  hin- 
fällig werden. 


Bes]»  y  aoliiiny^n. 


Geschichte  der  Ohrenheilkunde  voa  Dr.  Adam  Poaitzar, 
o.  ö.  Ppofieasor  der  Ohrenheilkunde  an  der  Wienep  üniverMt&t, 
k.  k.  Hofrat.  Zwei  Bände.  I.  Band :  Von  den  ersten  An: 
fitageu  bis  ?ur  Mit-te  (J^s  19.  Jfttv?hu^4e^,  i^(\  3\  Bild- 
nis^ea  auf  Tl^^n  ui^d  Id  Tes^tfig^ren.  @tuttig{(rt,  Yer4$i^ 
von  Ferdinand  Bnk§,  |9i)7. 

l>r.  Chastav  Bsftkl  ia  Bttdia. 

In  dem  gleichen  Jah^g^  |i|  welgbjeqt  Politzer  ^p)  |rr$f4^Q  fi^ 
dauern  s^ller^  die  ihji  persönlicji  ^a  l^ßnqen  die  Frenze  habeu  un4  stolz 
ößi^ni  sind,  seine  SchfÜier  zu  heissen,  von  deQi  Lehraoit  znracktrittj,  hat 
dieser  i)nyerän<}erli<;h  junge  Forscher  ein  Werk  herausgegeben,  dessen 
Inhalt  und  Umfang  ein  Y^rheißsnngsvQlles  Licht  apf  die  $a%  wirft,  der 
unser  Altmeister  nanmehr  entgegengeht. 

An  der  Altersgrenze  stehend,   einem  Zeitpunkt,   §q  Wßi^&^P  ^fgt 

häufig  Schüler  ^ich  verei^pn,  um  ihrem  {^ehrer  und  Meister  ^um  pichen 

ihres  Danken  ein  S^pimelwerk  zu  1)berreic)ien,  hat  Politzer  §icfa  seilest 

und  der  wiss^nschaftlict^eji  Welt  eine  FidstscI^rift  geschenkt,  w|e  sie  ihin 

▼on   anderen   kaum  )^i|tte  gewidmet  werden   kOnnen.     Man   J^ann   dies 

freudig  als  einen  Beweis  seiner  jgeistlge^  und  körperlichen    P^raft    her 

grOsseiL  die  auch  Qoch  in  der  Zukunft  apf  manche  Ütserraschung  hoffeg 
lässt!  —  -        «-- 

U«i  4JiA  GfSiaQjbi^hti^  ^es  ^[i^jdal^he^  ^a  j^ohreij^n,  gehört  mehjr 
ab  a«as(u::or4eQtiicher  Flgiss,  ]^arhelt  Ducjl  Si^ac^^arstäQdxilf ,  loebr  al^ 
hi9tofi8(cb«r  gJAU,  genialef  Eönneii  .uu^  umf^ejide  ]p[enjBitf i^^  --r  ^e 
Wii9b«U  d^  All^rsJ 

Ifl  jtngertp  J^tor^  be^i^htet  p^pcfaer  Fqw^\\^  WßpyL^  SV^^ 
mai  ksitiseb  die  AiÄ^t  (ler  Tierwelt  wie  d^er  Z^^gefioßs^;  dßßfi  SS^Tg^ 


92  Besprechungen. 

und  Rahmsucht  verleiten  ihn  leicht  daza,  die  eigenen  Arbeiten  und 
die  seiner  Schule  anders  einzuschätzen,  als  es  der  geschichtlichen  Ent- 
wickelung  der  Wissenschaft  und  ihrer  wahren  Bedeutung  entspricht.  Wer 
dagegen  im  abgeklärten  Alter  selbst  auf  dem  strahlenden  Gipfel  des  Ruhmes 
steht,  bietet  von  vorneherein  die  Gewähr  ffir  das  Gelingen  seines  Werkes. 
Wir  mttssen  es  daher  schon  als  eine  verdienstvolle  Tat  betrachten,  dass 
Politzer  erst  jetzt —  beim  Abschied  von  der  Stätte,  an  der  er  Jahr- 
zehnte hindurch  als  unerreichter  Forscher,  unennüdlicher  Lehrer  und 
weltberflhmter  Arzt  gewirkt  hat  —  gewissermafsen  sein  Lebenswerk  damit 
krönt,  dass  er  einen  Rückblick  wirft  auf  das,  was  vor  uns,  was  vor 
ihm  in  der  Spezialdisziplin  geleistet  wurde. 

»Wer  Anspruch  darauf  erheben  will,  sein  Gebiet  nach  jeder 
Richtung  hin  zu  beherrschen,  muss  die  Leistungen  früherer  Epochen 
kennen.  Nur  das  gründliche  Studium  der  Fachliteratur  Offnet  ihm  den 
Blick  für  wichtige  und  unentbehrliche  Vorarbeiten,  und  die  lebendige 
Beziehung  zwischen  den  Leistungen  einer  früheren  Zeit  und  den  Er- 
rungenschaften der  Gegenwart  werden  ihn  vor  Prioritätsansprüchen 
schützen,  wo  es  sich  um  literarisch  festgestellte  Leistungen  einer  früheren 
Epoche  handelt. 

Der  Gesamtüberblick  über  das  geistige  Inventar  vergangener  Perioden 
gibt  uns  aber  ausser  der  richtigen  Wertschätzung  abgeschiedener 
Geschlechter  auch  nützliche  Anregungen  für  eigene  Forschung.  Die 
Geschichte  einer  SpezialWissenschaft  soll  in  gewissem  Sinne  der  Leit- 
faden aus  der  Vergangenheit  in  die  Gegenwart  sein  und  die  Grund- 
lage, auf  der  die  Wissenschaft  weiter  ausgebaut  werden  soll.« 

Von  diesem  Grundgedanken  wurde  Politzer  bei  der  Abfassang 
seiner  Geschichte  der  Ohrenheilkunde  geleitet. 

Das  Werk,  welches  in  pietätvoller  Weise  dem  Andenken  Nothnagels 
gewidmet  ist,  vereint  die  Vorzüge  eines  übersichtlichen  und  klaren  Auf- 
baues mit  einer  Gründlichkeit  und  Gewissenhaftigkeit,  die  den  Forscher 
fast  stets  selbst  bis  zu  den  Quellen  des  geschichtlichen  Wissens  vordringen 
Hess,  zugleich  mit  der  Schönheit  einer  formvollendeten  Sprache  und 
guten  Ausstattung. 

Einen  Eindruck  von  dem  Reichtum  des  Werkes  erhält  man  schon 
bei  einem  Blick  in  das  Inhaltsverzeichnis;  es  enthält:  Die  Otiatrie 
bei  den  alten  Völkern  des  Orients  (Ägypter,  Babylonier,  Juden,  Inder), 
bei  den  Griechen  und  Römern,  die  Otiatrie  im  Mittelalter  (Byzantiner, 
Araber,  Latinobarbaren).  Die  Otiatrie  in  der  Überf^angsperiode  zur 
Neuzeit  umfasst  die  Vorläufer  der  grossen  Anatomen  Italiens,  die  Otiatrie 
in  der  Renaissancezeit,  die  Zeitj^enossen  und  Nachfolger  der  grossen 
Anatomen  in  Italien,  den  Stand  der  Ohranatomie  in  Deutschland,  Holland 
und  Frankreich,  endlich  die  Pathologie  und  Therapie  der  Ohrerkrank- 
ungen im  16.  Jahrhundert.  Die  Otiatrie  im  17.  Jahrhundert  umfasst 
die  Anatomie  und  Physiologie  des  Gehörorganes  in  Italien,  Deutschland, 
in  den  Niederlanden,  Dänemark,  England,  Frankreich,  dann  die  Pathologie 
und  Therapie  bis   Düverney.     Die  Otiatrie   in  der  neueren  Zeit  ent^ 


BesprechoDg«!!.  98 

b&lt  den  Stand  der  Anatomie  und  Physiologie  in  Italien,  Frankreich, 
den  Niederlanden,  in  England,  Deutschland,  ferner  die  Pathologie  und 
Therapie  und  eine  Übersicht  des  Standes  der  pathologischen  Anatomie 
bis  zum  Ende  des  18.  Jahrhunderts,  endlich  noch  als  Anhang  die 
Ohrenheilkunde  bei  den  Chinesen  und  Japanern.  Die  Otiatrie  in  der 
ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  enthält  den  Stand  der  Ohranatomie 
und  Phrsiologie,  eine  Übersicht  der  pathologisch-anatomischen  Befunde, 
der  diagnostischen  Hilfsmittel  und  der  Pathologie  und  Therapie  der 
Ohrerkrankungen  in  England,  Frankreich,  Deutschland  in  diesem  Zeit- 
abschnitt und  ausserdem  den  Stand  des  Taubstummen-Unterrichts  bis 
«im  Ende  des  18.  Jahrhunderts.  Mit  der  historischen  Würdigung 
Wilhelm  Krämers  und  Gustav  Linkes  schliesst  der  erste  Band 
und  damit  die  Schilderung  einer  Epoche,  »die  zwar  den  wissenschaft- 
lichen Aufbau  der  Otiatrie  durch  mannigfache  Ansätze  vorbereitete, 
aber  selbst  noch  weit  entfernt  von  diesem  Ziele  blieb.  Zu  einer  Zeit, 
da  andere  Zweige  der  Medizin  von  der  anatomischen  Denkweise  bereits 
darchdrungen  waren,  verharrte  die  Ohrenheilkunde  noch  im  wesent- 
lichen bei  der  symptomatischen  Erankheitsauffassung  und  bei  einer 
znm  Teile  absolut  gewordenen  Therapie.  Rokitansky  und  Skoda 
hatten  den  Weg  gewiesen,  der  allein  zu  einer  Neubegrfindung  der 
Medizin  fahren  konnte:  steter  Vergleich  der  kleinsten  Phänomene  mit 
den  Befunden  an  der  Leiche  und  nüchterne  Krankenbeobachtung. 
Diesen  Weg  musste  auch  die  Otiatrie  betreten.  Nur  dadurch  konnte 
sie  jene  ergebnisreiche  wissenschaftliche  Tätigkeit  entfalten,  auf  die 
sie  gegenwärtig  mit  voller  Befriedigung  zurückblicken  darf.  Es  war 
das  Verdienst  Toynbees,  Wildes,  v.  Tröltschs,  Moos'  und 
anderer  Männer  zu  Beginn  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts, 
die  Aera  der  wissenschaftlichen  Otiatrie  eröffnet  zu  haben.« 

Mit  diesen  Worten  schliesst  Politzer  sein  herrliches  Werk!  — 
Es  ist  ein  reiner  G-enuss,  die  klaren  und  charakteristischen  Schil- 
derungen zu  lesen,  die,  gewürzt  durch  Streiflichter  auf  die  moderne 
Ohrenheilkunde  und  verschönt  durch  31  ausgezeichnete  Bildnisse,  die 
Vertreter  der  alt^n  Ohrenheilkunde  in  klaren  Umrissen  vor  uns  aufleben 
lassen.  Den  von  Politzer  geäusserten  Wunsch:  —  »Möge  denn  dieses 
Werk,  dessen  Abfassung  mir  bei  aller  Arbeit  doch  auch  Stunden  reinster 
Freude  gewährt  hat,  meinen  Fachgenossen  nützliche  Anregung  zu 
eigenen  firuchtbringenden  Studien  auf  dem  Felde  unseres  Spezialfaches 
bieten«,  —  wird  sicher  in  Erfüllung  gehen,  und  wir  möchten  noch 
mit  unserem  Danke  und  unserer  Bewunderung  für  Politzers  Werk 
die  Hoffnung  vereinen,  dass  der  zweite  Band  der  Geschichte  der  Ohren- 
heilkunde in  nicht  allzu  femer  Zeit  und  in  gleicher  Vollendung  er- 
scheinen möge,  —  uns  allen  zur  Belehrung  und  unserer  Wissenschaft 
zum  Ruhme! 


94  BesprechuDgen. 

Atlas  der  deskriptiven  Anatomie  des  Menschen 

von  Prof.  Dr.  med,  J.  Sobotta.  Lehmanns  medizinische 
Atlanten  IV.  Band.  III.  Abteilung:  Die  Sinnesorgane  des 
Menschen.    München  1907. 

Besprochen  Ton 
Dr.  Gustav  Brahl  in  Berlin. 

Einen  grossen  Teil  des  vorliegenden  Bandes  füllt  das  Gehörorgan 
ans,  welches  in  Fignr  671 — 719  dargestellt  ist.  Die  Ahhildnngen  sind 
nach  hervorragend  schönen  Präparaten  ausgeführt  nnd  geben  einen  vor- 
trefflichen Überblick  über  den  Bau  des  Gehörorganes.  Die  Ausführung 
der  Abbildungen  ist  eine  vortreffliche,  sodass  das  Buch  zum  Studium 
der  Ohranatomie  warm  empfohlen  werden  kann. 


Fach-  und  Personalnaohrichten. 


Vom  15. — 21.  September  1907  findet  in  Dresden  die  79.  Ver- 
sammlung Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  statt.  Vorträge 
und  Demonstrationen  für  die  Rhino-laryngologische  Sektion  wolle  man 
bis  31.  Mai  bei  Herrn  Dr.  med.  Max  Mann,  Ostra-Allee  7,  für  die 
Otologische  Sektion  bei  Herrn  Dr.  Alfred  Wiebe,  Altstadt,  Brunn- 
strasse  7,  anmelden. 

An  der  Oto  -  laryngologischen  üniversitäts  -  Klinik 
Basel  wird  vom  7. — 19.  Oktober  a.  c.  ein  praktischer  Kurs  statte 
finden  über  normale  und  pathologische  Histologie  sowie  über 
mikroskopische  Technik  des  Gehörorgans,  unter  Leitung 
von  Prof.  Dr.  Siebenmann  und  Dr.  Nager. 


Prof.  Dr.  Denker  in  Erlangen   wurde   unter   die  Mitglieder  der 
Leopoldinisch-Karolinischen  Akademie  der  Wissenschaften  aufgenommen. 


Dr.  üffenrode   hat  sich  als  Privatdozent  für  Hals-,  Nasen-  und 
Ohrenkrankheiten  in  Göttingen  habilitiert. 


Wie  die  ganze  Ärzteschaft  betrauern  auch  die  Ohrenärzte  den  im 
März  d.  J.  verstorbenen  Berliner  Chirurgen  Ernst  von  Bergmann. 
Er  gehörte  zu  den  Pfadfindern  in  der  Chirurgie  des  otogenen  Hirn- 
abszesses und  hat  die  Fortschritte  der  operativen  Ohrenheilkunde  stets 
mit  warmem  Interesse  verfolgt. 

Femer  beklagen  wir  den  Tod  des  Berliner  Ohrenarztes  Dr.  H.  Beck- 
mann. Von  seinen  vielen  literarischen  Arbeiten  sind  die  über  die 
Pathologie  der  Bachenmandel  am  meisten  bekannt  geworden,  und  seine 
Modifikation  des  Gottsteinschen  Fenstermessers  für  die  Entfernung  der 
hyperplastischen  Kachenmandel  hat  sich  als  eine  wichtige  Verbesserung 
bewährt.  K. 


96  Fach-  und  Penonftlnachrichten. 

Da  Hofrat  Prof.  Politzer  eine  gelegentlich  seines  Ausscheidens 
ans  seinem  Lehramte  geplante  solenne  Feier  abgelehnt  hat,  hat  ein  ans 
hervorragenden  Fachgenossen  aller  Lfinder  gebildetes  Komite  beschlossen 
eine  Plaqnette  prägen  zn  lassen,  die  das  Bild  Politzers  tragen  soll  znr 
bleibenden  Erinnerung  an  seine  Person  fflr  alle,  die  an  der  Knndgebang 
teilnehmen  wollen.  Gleichzeitig  wird  eine  Adresse  überreicht  werden. 
Die  Anmeldungen  zum  Bezüge  einer  Plaqnette  sind  an  •Herrn 
Dr.  Kaufmann  in  Wien  ^I,  Mariahilferstr.  37,  unter  Beifügung  von 
24  Kronen  (20  Mark)  für  eine  silberne  oder  von  12  Kronen  (10  Mark) 
für  eine  Bronce-Plaquette  zu  richten. 


Der  Besprechung  der  Monographie  von  Professor  Denker  »Das 
Gehörorgan  und  die  Sprechwerkzeuge  der  Papageien  c  im  letzten  Bande 
unserer  Zeitschrift  fügen  wir  hinzu,  dass  diese  Arbeit  durch  die  Königl. 
Bayerische  Akademie  der  Wissenschaften  unterstützt  wurde,  was  als 
ganz  besondere  Auszeichnung  aufzufassen  ist,  da  eine  solche  bisher  nur 
in  den  seltensten  Fällen  erfolgt  ist. 


Druck  TOD  Carl  Bitter  in  Wiesbaden. 


G.  Engelhardt:   Otogene  Senkungsabszesse  etc.  97 

VII. 

{Aus  der  UniTersitats-Poliklinik   für  Ohren-,  Nasen-  und  Kehl- 
kopfkrankheiten zu  Breslau  [Prof.  Hinsberg].) 

Otogene  Senkungsabszesse  und  suboccipitale 
Entzündungen. 

Von  Dr.  O.  Engelhardt, 

1.  AB8ikt«nlen. 

V.  Bergmann*)  hat  in  der  Sammlung  klinischer  Vorträge  Volk- 
manns eine  klassische  Schilderung  der  Tuberkulose  des  Atlanto- 
Occipitalgelenkes  entworfen  and  ist  auf  die  pathologisch-anatomische  wie 
klinische  Seite  der  Frage  mit  gleicher  Gründlichkeit  eingegangen,  sodass 
nachfolgenden  Bearbeitern  sehr  wenig  zu  tun  übrig  bleibt.  Einer 
späteren  Zeit  erst  war  es  vorbehalten,  von  der  Osteomyelitis,  soweit  sie 
die  Schädelbasis  oder  die  ersten  Halswirbel  befällt,  ein  einigermafsen 
präzises  Krankheitsbild  zu  entwerfen.  Allen  diesen  an  der  Schädelbasis 
bezw.  in  den  ersten  Halswirbeln  lokalisierten  entzündlichen  Prozessen 
ist  es  nun  gemeinsam,  dass  sie,  gewöhnlich  erst  nach  längerer  Zeit, 
ihre  Anwesenheit  durch  das  Auftreten  von  Senkungsabs/.essen  verraten, 
die  wieder  mehr  weniger  typische  Lokalisationen  zeigen.  Die  gleiche 
oder  ähnliche  Lokalisation  können  nun  aber  auch  vom  Ohr  aus- 
gehende Eiterungen;  sogenannte  otogene  Senkuiigsabszosse,  aufweisen  und 
der  Umstand,  dass  sich  bei  den  suboccipitalen  Entzündungen  häutig 
Ohrsymptome,  bei  den  sicher  vom  Ohr  ausgehenden  hinwiederum  oft 
Symptome  finden,  die  auf  eine  Erkrankung  der  Schädelbasis  schliessen 
Hessen,  hat  nicht  selten  Veranlassung  gegeben,  beide  Proze^^se  mit 
einander  zu  verwechseln  und  demgemäls  die  Therapie,  die  naturgeniäfs 
bei  beiden  divergiert,  zu  beeinflussen,  d.  h.  einerseits  dringend  not- 
wendige Eingriflfe  zu  unterlassen,  andererseits  Eingriffe  zu  unternehmen, 
die  dem  betreffenden  Patienten  nur  von  Schaden  sein  konnten. 
Schwartze  sagt  schon  in  seinem  Lehrbuch  der  chirurgischen  Krauk- 
keiten  des  Ohres  (1885,  S.  321):  »Aber  auch  Verwechslung  mit  Caries 
der  oberen  Halswirbel  ist  möglich,  wenn  die  Untersuchung  des  Ohres 
vernachlässigt  wird.  Mehrere  Fälle  der  Art  sind  mir  vorgekommen, 
wo  Patienten  mit  Senkungsabszessen  unterhalb  des  Warzenfortsatzes  und 


^)  v.  Bergmann,   Die  tuberkulöse  Ostitis  in   und  am  Atlanto-Occipital- 
gelenk.    Leipzig  1890. 

Zeitschrift  für  OhrenbeilViinde.  Bd.  LIV.  7 


98  6.  Engelhardt:  Otogene  Seoknngsabszesse 

in  der  Nackengegend  mir  zugeschickt  waren  zam  Zwecke  der  Auf- 
meisselung  des  Warzenfortsatzes,  wo  die  genauere  Untersnchang  die 
Integrität  des  Ohres  ergab  nnd  der  Ansgang  des  Senknngsabszessea 
zweifellos  in  Caries  der  obersten  Halswirbel  zu  suchen  war.  Auch  das 
Umgekehrte  ist  mir  bekannt  geworden,  wo  Wirbelcaries  diagnostiziert 
worden  war,  und  erst  auf  dem  Sektionstisch  die  Caries  des  Schläfenbeins 
mit  konsekutivem  Himabszess  erkannt  wurde.  Beides  wird  einem 
Chirurgen,  der  das  Ohr  zu  untersuchen  versteht,  nicht  leicht  passieren 
können.  <« 

Trotzdem  nun  von  Chirurgen  einerseits  (v.  Bergmann),  ?on 
Otologen  andererseits  (Schwartze  und  seinen  Schülern)  auf  diese 
Verhältnisse  aufmerksam  gemacht  wurde,  ist  doch,  wie  wir  uns  mehr- 
fach überzeugen  konnten,  dieses  Krankbeitsbild  nicht  sehr  bekannt  und 
dürften  deshalb  einige  differential-diagnostische  Bemerkungen  am  Platze 
sein.  Bevor  wir  aber  hierauf  eingehen,  sei  es  uns  kurz  gestattet,  die 
Lehre  von  den  otogenen  Senkungsabszessen  kurz  zu  rekapitulieren  und 
die  verschiedenen  Wege,  die  vom  Ohr  ausgehende  Eiterungen  nehmen 
können,  einer  kurzen  Betrachtung  zu  unterziehen. 

Sehen  wir  zunächst  von  der  gewöhnlichen  Durchbruchsstelle  des 
Mittelobreiters  auf  das  Planum  mastoideum  ab,  so  waren  es  vor  allem 
die  sog.  Bezoldschen^)  Mastoiditiden ,  die  den  ersten  Beobachtern 
durch  ihr  Auftreten  an  weit  entfernten  und  tief  gelegenen  Stellen 
Schwierigkeiten  in  der  Deutung  machten  und  erst  durch  Bezolds 
exakte  Versuche  ihre  sichere  Erklärung  fanden*). 

A.  Ausbreitungsweise  der  sogenannten  Bezol dachen 
Mastoiditis. 

Bezold  zeigte  durch  Versuche,  die  er  mit  Gelatinelösung  vor- 
nahm, dass  Eiter,  der,  begünstigt  durch  die  dünne  innere  Enochenwand 
des  Processus,  bei  behinderten  Abfluss  nach  aussen  in  die  Fossa 
digastrica  durchbricht,  sich  entlang  dem  Biventerbauch  nach  dem  Kinn 
zu    ausbreitet,    die    Regio    retromaxillaris    ausfüllend.     Eine    Senkung 


1)  Bezold,  Ein  neuer  Weg  für  die  Ausbreitung  eitriger  Entzündung  aus 
den  Bäumen  des  Mittelohres  auf  die  Nachbarschaft  und  die  in  diesem  Falle 
einzuschlagende  Therapie.    Deutsch,  med.  Wochenschr.  1881. 

2)  Wir  halten  uns  hierbei  an  die  bisherige  allgemeine  Annahme  und 
Namengebung  und  berücksichtigen  nicht  den  von  Schwartze  gelieferten 
Nachweis,  dass  schon  vor  Bezold  die  Verbreitungswege  der  nach  innen  durch- 
brechenden Warzen fortsatzeiterun gen  mehr  weniger  bekannt  waren. 


und  suboccipitale  EnizüBdungen.  99 

nach  unten  in  die  Gefässscheide  oder  in  den  retrovisceralen  Spaltraum 
gehört  hierbei  za  den  grössten  Ausnahmen.  Bevor  er  jedoch  die  dünne 
innere  Lamelle  des  Warzenfortsatzes  perforiert,  wölbt  er  die  Ansatz- 
stellen der  hinter  und  unter  einander  gelegenen  Museuli  stemocleido- 
mastoideus,  splenius  und  longiss.  capitis,  die  an  der  nach  hinten  von  der 
Sntura  sqnamomastoidea  gelegenen  äusseren  Fläche  des  Processus 
mastoideus  inserieren,  kuppeiförmig  vor.  So  charakteristisch  diese  Vor- 
wölbung gerade  für  die  Verbreitung  der  Bezoldschen  Mastoiditiden 
nach  hinten  zu  sein  scheint,  so  haben  wir  doch  eine  ganz  ähnliche, 
nur  etwas  oberflächlicher  gelegene,  in  einem  Fall,  der  uns  von  der 
chirurgischen  Klinik  zur  Ohrunteriuchung  zugeschickt  wurde,  gesehen, 
bei  dem  der  Abszess  zweifellos  von  einer  chronisch  entzündlichen 
Schädelbasiserkrankung  bezw.  Erkrankung  der  oberen  Halswirbel  aus- 
gegangen war.  Wir  werden  später  auf  diesen  Fall  noch  genauer  zurück- 
kommen müssen. 

Die  Weiterverbreitung  des  Eiters  geschieht  also,  wenn  er  in  die 
Incisura  digastrica  gelangt  ist,  einmal  nach  vorn  in  die  Fossa  retro- 
maxillaris  und  nach  dem  Kinn  und  dann  nach  hinten  längs  der  Arteria 
occipitalis,  die  an  der  Innenseite  des  Musculus  digastricus  verläuft. 
Auch  bei  der  Ausbreitung  nach  hinten  ergab  sich  eine  erfreuliche 
Übereinstimmung  zwischen  Beobachtung  am  Lebenden  und  Experiment. 
An  die  Aussenfläche  des  Cucullaris  kann  der  Eiter  nicht  gelangen,  weil 
ihm  einmal  in  der  festen  Anheftung  dieses  Muskels  an  die  Linea  semi- 
circularis  superior  ein  unüberwindliches  Hindernis  entgegen  steht  und 
dann  der  -Cucullaris  mit  den  an  der  hinteren  Warzenfortsatzfläche  in- 
serierenden Muskeln  ein  ziemlich  fest  zusammenhängendes  Ganzes  bildet. 
Er  verbreitet  sich  also  in  der  Tiefe,  und  zwar  einmal  zwischen 
Cucullaris  und  Splenius,  dann  zwischen  Splenius  und  Complexus  magnus 
und  endlich  zwischen  letzteren  und  die  tiefen  Nackenmuskeln.  Diese 
tiefste  Schichte  erstreckt  sich  von  dem  Ansatz  der  kurzen  tiefen 
Nackenmuskeln  bis  zum  2.  Brustwirbel,  findet  ihre  mediale  Begrenzung 
in  der  hinteren  Medianlinie  und  ihre  laterale  in  der  Spitze  der  Pro- 
cessus transversi  der  Hals-  und  Brustwirbel.  Bezold  sagt  dann  wört- 
lich: >Es  darf  uns  daher  nicht  wundern,  wenn  dieser  Prozess,  wie  an 
allen  hierher  gehörigen  Fällen  zu  beobachten,  viele  Monate  dauern  und 
schliesslich  durch  Übergreifen  auf  die  Wirbelsäule  oder  die  Schädelbasis 
zum  letalen  Ende  führen  kann.«  Bezold  betont  weiter  ausdrücklich, 
wie  schon  erwähnt,  dass  die  von  ihm  beschriebenen  an  der  Innenseite 
des  Processus  durchbrechenden  Mastoiditiden  keine  Neigung  zeigen,  sich 


100  G.  Engelhardt:   Otogene  Senkungsabszesse 

retrovisceral  auszubreiten,  und  erklärt  dieses  Verhalten  mit  den  Lage- 
"beziehungen  des  M.  digastricus  zu  der  tiefen  Halsfascie. 

Der  an  der  gewöhnlichen  Stelle,  an  der  vorderen  Aussenfläche 
des  Processus  mastoideus,  zu  Tage  getretene  Eiter  kann  verschiedene 
Wege  einschlagen ,  einmal  in  die  Scheide  des  Sternocleidomastoideus 
oder  in  die  Gefässscheide  und  kann  dann  oberhalb  der  Clavicula  oder 
auch  erst  in  der  Achselhöhle  zum  Vorschein  kommen. 

Den  an  ausserge wohnlichen  Stellen  oberhalb  der  Crista 
temporalis  zu  Tage  getretenen,  von  Terminalzellen  des  Schläfenbeines 
ausgehenden  Eiterungen  kommt  eine  besondere  Tendenz  zur  Weiter- 
verbreitung, die  auch  differentialdJAgnostische  Schwierigkeiten  bieten 
könnte,  nicht  zu. 

Bei  Durchbruch  nach  innen  kann  es  aber  auch,  wie  De  Quer- 
vain^) hervorhebt,  aber  nur  in  sehr  seltenen  Fällen,  zu  einer  Weiter- 
verbreitung des  Eiters  nach  hinten  einmal  unter  die  äussere  Haut 
kommen,  wie  eine  Beobachtung  von  Wagenhäuser^)  illustriert,  und 
dann  zwischen  Pericranium  und  Occiput.  Im  ersteren  Falle  wird  der 
unter  die  äussere  Haut  des  Planum  mast.  getretene  Eiter  sich  oberhalb 
der  schützenden-  Barriere  des  Musculus  sternocleidomastoideus  und 
splenius  einen  Weg  nach  hinten  bahnen  und  seine  Anwesenheit  durch 
deutlich  nachweisbare  Fluktuation  verraten,  während  im  zweiten  er 
wohl  die  Sutura  occipitomastoidea  oder  squamomastoidea  benutzen  wird, 
um  nach  hinten  zwischen  Periost  und  Schädel  zu  gelangen. 

Allerdings  wird  dieses  Ereignis  wohl  eine  grosse  Seltenheit  bleiben, 
da  ja,  wie  Bezold  nachgewiesen  hat,  der  oben  erwähnte  Muskel  wall 
einem  Fortschreiten  des  Eiters  in  der  Regel  ein  unüberwindliches 
Hindernis  entgegensetzt.  Immerhin  liegt  eine  Beobachtung  von  De  Quer- 
vain vor,  welche  ihr  Vorkommen  beweist  und  die  ihres  grossen  Inter- 
esses halber  zitiert  sein  möge.  Ein  achtjähriger  Junge  mit  einer  ver- 
nachlässigten Otorrhoe  erkrankte  mit  Fieber  und  Schüttelfrost,  als  die 
Eiterung  aufhörte.  Zugleich  trat  eine  Schwellung  auf,  die  vom  Pro- 
cessus mastoideus  bis  über  die  Protuberantia  occipitalis  externa  reichte. 
Bei  Druck  auf  die  Schwellung  kam  Eiter  aus  einer  hinter  der  Ohr- 
muschelinsertion  gelegenen  Fistel.  Die  Operation  wies  tatsächlich  Eiter 
unter  dem  Periost  des  Occiput  nach;  bei  der  später  vorgenommenen 
Mastoidoperation  zeigte  sich  aber,  dass  auch  ein  Durchbruch  nach  innen 


1)  De  Quervain,  Des  abscös  du  cou  consöcutifs  ä  Totite  movenne.     La 
Semaine  mödicale  iS91, 

2)  Zitiert  nach  De  Quervain. 


und  saboccipitale  Entzündiingen.  lOl 

in  die  Fossa  digastrica  erfolgt  war.  Es  scheint  sich  also  um  einen 
gleichzeitigen  Durchbruch  nach  aussen  und  innen  gehandelt  zu  haben, 
und  es  muss  nach  diesem  Befund  doch  zweifelhaft  bleiben,  ob  nicht  die 
Weiterverbreitung  entlang  der  Arteria  occipitalis  erfolgte,  zumal 
Bezold^)  einen  Fall  beschreibt,  bei  dem  eine  sicher  auf  diesem  Wege 
weitergeleitete  Eiterung  die  obersten  Dorsal wirbel  frei  legte.  Inter- 
essant ist  noch  in  De  Quervains  Beobachtung,  dass  Senkungen  unter 
die  Haut  und  in  die  Muskelinterstitien  bis  zum  Darmbein  zu  stände 
kamen,  die  nach  Inzision  glatt  ausheilten.  Ähnlich  war  der  Fall  von 
Moos^),  bei  dem  es  zu  einem  Cervicalabszess  und  zu  entziindlicher 
Infiltration  der  Rückenmuskeln  kam  und  bei  dem  Moos  aus  dem  Um- 
stand, dass  Druck  auf  den  Cervicalabszess  Eiter  aus  dem  Gehörgang 
austreten  liess,  auf  Durchbruch  durch  die  Sutura  squamomastoidea 
schloss.  Wenn  De  Quervain  dem  gegenüber  anführt,  dass  die  Per- 
foration auch  weiter  hinten  gelegen  sein  konnte,  so  ist  dies  bei  Durch- 
bruch der  Mittelohreiterung  nach  aussen  wohl  möglich,  aber  nicht 
sicher,  da  Voraussetzung  hierfür  wäre,  dass  die  Zellen  des  Warzen- 
fortsatzes, —  was  vermutlich  nur  sehr  selten  der  Fall  ist,  —  bis  zur 
Sutura  occipitomastoidea  reichten.  Allerdings  spricht  der  Umstand, 
dass  die  Rückenmuskulatur  beider  Seiten  ei  griffen  war,  sehr  für  einen 
hinter  der  Squamomastoidalfissur  gelegenen  Durchbruch,  da  nur  bei 
Eiterungen  unter  dem  Periost  leicht  die  Mittellinie  des  Nackens  über- 
schritten werden  kann.  Immerbin  wird  man  im  Auge  behalten  müssen, 
dass  auch  zunächst  über  dem  Periost  lokalisierte,  also  tiefliegende 
Eiterungen,  bei  der  Unmöglichkeit,  an  die  Oberfliiche  zu  gelangen,  das 
Periost  durchbrechen  können  und  dass  dann  ihrer  schrankenlosen  weiteren 
Verbreitung  kein  Hindernis  entgegen  steht. 

Auf  die  klinischen  Symptome,  die  alle  diese  nach  dem  Nacken 
fortgeleiteten  Eiterungen  machen,  wollen  wir  erst  später  kurz  eingehen. 
Bei  der  Verbreitung  der  Eiterung  von  der  Incisura  digastrica  aus  nach 
vorn  bedarf  es  noch  besonderer  Erwähnung,  dass  der  Eiter  auch  keine 
Neigung  zeigt,  in  die  Submaxillargegend  durchzubrechen.  Dcmgemäfs 
kommen  die  von  den  Chirurgen  relativ  häufig  beobachteten  Submaxillar- 
abszesse  dem  Otologen  nur  selten  zu  Gesicht.  Poulsen^)  fand  unter 
225    Submaxillarabszessen    nur    zweimal    solche,    die    von    einer   Otitis 

1)  1.  c. 

*)  Moos,  Über  einen  bisher  noch  nicht  beschriebenen  Verlauf  einer 
WarzcnfortBatzerkrankung.    Arch.  f.  Ohrenheilk.  XEX. 

3)  Poulsen,  Über  Abszesse  am  Hals.    Deutsche  Zeitschr.  f.  Chir.,  Bd.  37. 


102  G.  Engelhardt:   Otogene  Senkungsabszesse 

externa  ausgegangen  waren;  die  eitrige  Mittelohrentzündung  mit  ihren 
Folgezuständen  scheint  er  hei  der  Entstehung  dieser  Abzesse  allerdings 
nicht  berücksichtigt  zu  hahen. 

B.  Von  der  niittliereii  oder  hinteren   Schädelgrnbe  ans  znm 
Hals  gelangende  Eiterungen. 

Einen  recht  komplizierten  und  sicher  selten  beschrittenen  Weg,  wie 
Eiter  von  der  Innenfläche  des  Warzenfortsatzes  aus  zur  hinteren  Schädel- 
grube gelangen  kann,  deutet  wohl  eine  von  Cholewa  gemachte  Be- 
obachtung an.  Cholewa^)  sagt:  »Die  grösste  der  Terminalzellen 
überbrückt  oft  in  ihren  Dimensionen  die  Incisura  mastoidea,  wodurch 
sich  sozusagen  ein  zweiter  papierdünner  Fortsatz  bildet,  der  sich  an 
das  Occiput  wohl  anlehnt,  aber  zum  Schuppenknochen  gehört.*  Es 
leuchtet  ein,  dass  von  einer  derartigen  Terminalzelle  ausgehende 
Eiterungen  zunächst  ziemlich  weit  hinten  in  der  hinteren  Schädelgrube 
lokalisiert  sein  würden  und  dass  ihnen  das  Vordringen  zum  Hals  wegen 
ihrer  tiefen  Lage  wesentlich  erschwert  wäre. 

Anders  bei  den  auf  die  gewöhnliche  Weise  entstandenen,  mehr 
vorn  gelegenen  Eiteransammlungen  in  der  hinteren  Schädelgruben,  die 
einer  Caries  des  Sulcus  sigmoideus  ihre  Entstehung  verdanken.  Auch 
hier  wird  der  Zeitpunkt,  wann  eine  zweckentsprechende  Therapie  ein- 
setzt, für  die  weitere  Verbreitung  von  der  grössten  Bedeutung  sein.  In 
günstigen  Fällen  wird  die  Mastoidoperation  die  perisinuöse  Eiterung, • 
die  ja  ganz  symptomlos  verlaufen  kann,  aufdecken  und  von  vornherein 
ein  Weiterschreiten  der  Eiterung  nach  dem  Halse  zu  unmöglich  machen. 
Aber  auch  die  nicht  operativ  angegangenen  Eiteransammlungen  in  der 
hinteren  Schädelgrube  haben  wenig  Neigung,  sich  nach  dem  Halse  zu 
verbreiten,  wie  die  geringe  Zahl  der  in  der  Literatur  angegebenen 
'  Fälle  beweist.  Bei  einem  viel  zitierten  Fall  von  Kessel^),  der  mir 
leider  im  Original  nicht  zugänglich  war,  war  es  ein  otogener  Subdural- 
abszess,  der  vom  Kleinhirn  aus  nach  der  vorderen  Umrandung  des 
Foramen  occipitale  magnum  gelangte  und  dann  als  Betropharyngeal- 
abszess  zu  Tage  trat.  Vor  allem  aber  zeigen  2  Beobachtungen  von 
De    Rossi^),    dass    der    subdural    angesammelte    Eiter    entlang    dem 

1)  Cholewa,  Über  den  Eiter  durchbrach  bei  Erkrankung  des  Warzen- 
fortsatzes an  aussergewöhnlichen  Stellen.    Deutsche  med.  Wochenschr.  1888. 

2)  Kessel,  Ref.  Arch.  f.  Ohrenheilk.,  Bd.  45. 

8)  De  Rossi,  Passagio  intracranico  della  marcia  nella  carie  del  temporale 
con  ascessl  par  cungestione  at  coUo.  Estratto  dagli  atti  della  R.  acad.  med« 
di  Roma.    Anno  XV,  Vol.  V,  Serie  H.    Roma  1888. 


und  suboccipitald  EntzfinduDgen.  103 

Gefässnervenbündel  darch  das  Foramen  lacerum  post.  in  die  Tiefe 
wandern  kann.  Dass  die  Diagnose  eine  richtige  war,  hatte  in  einem 
Falle  der  Sektionsbefnnd,  im  andern  der  Befund  bei  der  Operation,  die 
zn  giftcklichem  Ausgange  fahrte,  gezeigt.  Finden  diese  Eiterungen  nicht 
ihren  Weg  in  die  Tiefe,  wie  es  wohl  besonders  bei  extraduralen  Eiterungen 
vorkommen  kann,  andererseits  nicht  nach  aussen,  durch  die  Mittelohr- 
rSame  oder  Fisteln  der  Schläfenbeinschuppe,  was  am  häufigsten  der  Fall 
sein  wird,  so  ist  die  Möglichkeit  eines  ungünstigen  Ausganges  viel  näher 
gerückt.  So  hatte  in  einer  Beobachtung  Braunsteins^)  der  extra- 
doral  angesammelte  Eiter  die  Dura  durchbrochen,  die  weiche  Hirnhaut 
infiziert  und  zu  einer  tödlichen  Meningitis  geführt.  Senkt  sich  der 
Eiter  in  die  Tiefe  und  tritt  als  Senkungsabszess  am  Halse  auf,  so  ist 
ein  derartiges  Alarmsignal  unter  Umständen  sehr  wertvoll,  da  ja  selbst 
sehr  grosse  extradurale  Eiterungen  der  hinteren  Scbädelgrube  keine 
sicheren  Zeichen  zu  machen  brauchen,  die  ihre  Anwesenheit  verraten, 
zumal  eine  Verbreitung  nach  anderen  Stellen  wie  in  dem  Fall  von 
Braunstein  nach  dem  retropharyngealen  Raum,  der  Untersuchung 
leicht  entgehen  kann.  Eine  Senkung  am  Hals  hatte  auch  uns  zur 
erfolgreichen  Freilegung  eines  extraduralen  Abszesses  veranlasst,  dessen 
Zusammenhang  mit  dem  Halsabszess  durch  das  For.  jugulare,  bei  der 
Operation  festgestellt  werden  konnte. 

Kien*)  ventiliert  noch  die  Frage,  ob  Eiter  durch  das  Foramen 
ovale  oder  rotundum  aus  der  mittleren  Schädelgrube  nach  abwärts 
gelangen  könnte.  Ein  derartiger  Infektionsweg  dürfte  aber  wohl  kaum 
durch  zweifellose  klinische  Beobachtung  belegt  sein^). 

Ob  der  Eiter  den  Umweg  durch  das  Tegmen  tympani  erst  in  die 
mittlere  und  dann  in  die  hintere  Scbädelgrube  macht,  was  bei  der 
festen  Anheftung  des  Tentorium  cerebelli  an  die  obere  Kante  der 
Felsenbeinpyramide  und  die  Proc.  clin.  ant.  immerhin  mit  ganz  erheb- 
lichen Schwierigkeiten  verknüpft  sein  dürfte,  oder  direkt  durch  die 
hintere  Antrumwand  in  die  hintere  Schädelgrube  gelangt,  ist  für  seine 
weitere  Verbreitungsweise  wohl  nicht  von  ausschlaggebender  Bedeutung. 

1)  Braunstein,  Über  eitradurale  otpgene  Abszesse.  Arch.  f.  Ohren- 
heilk.,  Bd.  55. 

*)  Kien,  Über  Ketropbaryngealabsze^se  nach  eitriger  Mittelohrentzündung. 
Zeitschr.  f.  Ohrenheilk.,  Bd.  39. 

«)  Für  eitradurale  Eiteransammlungen  der  mittleren  Schädelgrube  nach 
Empyem  der  Keilbeinhöhle  wird  diese  Möglichkeit  des  Tiefertretens  durch  das 
For.  ovale  allerdings  durch  eine  jüngst  veröffentlichte  Beobachtung  Schröders 
(Zeitschr.  f.  Ohrenheilk.,  Bd.  53)  illustriert. 


104  G.  Engel  ha  rdt:   Otogene  Senkongsabszesse 

Ist  er  an  die  hintere  Umrandung  des  Foramen  occipitale  magnum 
gelangt,  so  stehen  ihm  wieder  verschiedene  Wege  nach  aussen  offen. 
Zunächt  einmal  der  vorhin  kurz  angedeutete  Weg  nach  unten  längs  des 
GefässnervenbQndels,  dann  der  Austritt  durch  präformierte  Kanäle 
(Emissarien  und  Spalten)  aus  der  Schädelhöhle,  und  endlich  die 
Wanderung  nach  der  vorderen  Umrandung  des  grossen  Hinterhanpt- 
loches  und  Durchbruch  durch  die  dicke  vordere  Atlantooccipitalmembran 
nach  dem  Pharynx,  Es  wird  schwer  sein,  zu  entscheiden,  warum  der 
Eiter  sich  das  eine  Mal  des  einen,  das  andere  Mal  eines  anderen 
Weges  bedient.  Bei  gut  entwickelten  Emissarien  wird  ihm  ein  Durch- 
bruch durch  das  Emissarium  mastoideum  möglich  sein,  sodass  er  wieder 
an  der  hinteren  Fläche  des  Processus  zum  Vorschein  kommt,  oder  er 
durchbricht  die  Fissura  occipito-mastoidea  und  gelangt  so  etwas  weiter 
nach  hinten  unter  das  Periost  des  Hinterhauptbeines,  oder  endlich  er 
verursacht  eine  Phlebitis  der  Venae  emiss.  condyloideae  und  es  gesellt 
sich  zu  der  intracraniellen  Eiterung  ein  tiefer  Nackenabszess,  der,  je 
nachdem  er  oberhalb  oder  unterhalb  des  Periostes  liegt,  eine  ein-  oder 
doppelseitige  Nackenschwellung  zur  Folge  hat.  Es  bedarf  aber  nicht 
immer  der  Vermittlung  der  Gefässe  zur  Weiterverbreitung  der  Eiterung, 
der  Eiter  kann  vielmehr  auch  extrav.enös,  wie  Grunert*)  besonders 
betont,  an  die  Aussenfläche  des  Schädels  gelangen.  Alle  die  so  ent- 
standenen Abszesse  haben  nun  teils  die  Neigung,  sich  nach  unten  zu 
senken,  teils  mehr  horizontal  unter  der  Schädelbasis  sich  ausbreitend, 
durch  Thrombosierung  des  tiefen  venösen  Nackengeflechtes  und  des 
Plexus  venosus  vertebralis  zuerst  einzelne,  später  konfluierende  Abszesse 
zu  bilden  und  entweder  auf  die  Umgebung  des  Atlantooccipitalgelenkes 
beschränkt  zu  bleiben  oder  auch  dasselbe  zerstörend  zu  einer  Arrosion 
der  Condylen  des  Hinterhauptes  und  der  Gelenkfläche  des  Atlas  zu 
führen.  —  So  naheliegend  eine  Weiterverbreitung  des  Eiters  in  der 
hinteren  Schädelgrube  gerade  durch  das  Foraraen  jugulare  nach  abwärts 
erscheinen  mag  bei  der  relativen  Grösse  dieses  Gefässkanals,  so  selten 
ist  sie  wohl,  wie  schon  erwähnt,  wirklich  beobachtet  worden.  Es  wird 
denn  auch  mehrfach  in  der  Literatur  von  vergeblichen  Operationen  in 
dieser  Richtung  berichtet.  Doch  existieren  sichere  Beobachtungen,  vor 
allem  die  früher  erwähnten  von  De  Rossi,  der  in  seinem  zuletzt 
operierten  Falle,  bei  dem  die  Eitersenkung  sich  bis  zur  Fossa  supra- 
clavicularis  erstreckte,   doch  Heilung  erzielte,    und. auch  unsere  eigene, 

1)  Grunert,  Die  operative  AnBräumung  des  Bulbus  venae  jugularis  in 
Fällen  otogener  Pyämie.    Leipzig  1904. 


und  süboccipitale  Entzündungen.  105 

oben  karz  angeführte  Beobachtung.  Es  ist  bei  derartigen  Senknngs- 
abszessen  aaf  ein  Symptom  aufmerksam  gemacht  worden,  das  grosse 
diagnostische  Bedeatong  besitzen  soll,  dass  nämlich  bei  Kompression 
der  Eiteransammlnng  am  Halse  der  Druck  der  sich  in  der  Vena  jugu- 
laris  anstauenden  Blntsäule  bei  grösseren  Defekten  der  knöchernen 
Sinuswand  sich  direkt  auf  den  Eiterherd  im  Warzenfortsatz  oder  in  der 
Pauke  fortpflanze  und  ein  Ausfliessen  des  Eiters  aus  dem  Gehörgang 
bezw.  zwischen  knöchernem  und  häutigem  Gehörgang  zur  Folge  habe. 
Es  kann  diesem  Symptom  aber  nur  eine  beschränkte  Bedeutung  bei- 
gemessen werden,  da  auch  bei  Defekten  bezw.  bei  Dehiszenzen  des 
knöchernen  Paukenhöhlenbodens ,  wie  sie  nach  K  i  e  s  s  e  1  b  a  c  h  *)  bei 
rhaehitischen  Individuen  nicht  allzu  selten  sind  und  der  gleichen  Ver- 
snchsanordnung  sich  die  gleichen  Wirkungen  erzielen  lassen  müssen. 

3Iuss  es  denn  auch  als  Regel  gelten,  soweit  bei  der  Seltenheit  der 
Wanderung  von  Eiterungen  durch  das  Foramen  jagulare  ausserhalb  des 
Gelässrohres  überhaupt  von  einer  Regel  die  Rede  sein  kann,  dass  peri- 
sinnöse  Abszesse  sich  nach  abwärts  senken,  um  dann  unter  Umständen 
später  sekundär  den  Bulbus  der  Vena  jugularis  in  Mitleidenschaft  zu 
ziehen,  so  sei  doch  gleich  des  sehr  seltenen  umgekehrten  Weges  ge- 
dacht, dass  ausserhalb  des  Bulbus  lokalisierte,  sogenannte  peribulbäre 
Abszesse  sich  durch  das  Foramen  lacerum  in  die  Schädelhöhle  zurück- 
drängen und  einen  primären  perisinuösen  Abszess  vortäuschen  können 
(Grün er t).  Dem  nach  abwärts  in  die  Umgebung  des  Bulbus  ge- 
langten Eiter  steht  kein  weiteres  Hindernis  entgegen,  um  sich  in  der 
Gefässscheide  noch  tiefer  zu  senken.  Er  kann  in  vernachlässigten 
Fällen  seinen  Weg  bis  zur  Clavicula,  ja  bis  zur  Achselhöhle  nehmen, 
genau  wie  in  den  Fällen,  die  bei  Durchbruch  einer  Mastoiditis  nach 
aussen  direkt  ihren  Weg  in  die  Gefässscheide  fanden,  oder  aber  er 
bahnt  sich,  allerdings  nur  selten,  längs  der  Schädelbasis  sich  aus- 
breitend, einen  Ausweg  nach  dem  Rachen. 

C.  Von  einer  primären  Sinusthrombose   mit  sekundärer  Be- 
teiligung des  Bulbus  und  Ton  einer  primären  Bulbusthrombose 
aus  zum  Halse  gelangende  Eiterungen. 

Grunert  hat  die  verschiedenen  Entstehungsmöglichkeiten  peri- 
bulbärer  Abszesse   in    seinem  Buche:    »Die   operative  Ausräumung   des 

i)Kiesselhach,  Beiträge  zur  normalen  und  pathologischen  Anatomie 
des  Schläfenbeins  etc.    Arch.  f.  Ohrenheilk.,  Bd.  15. 


106  G.  Engelhardt:  Otx)gene  Senkungsabszesse 

Bnlbns  venae  jugalaris  in  Fällen  otogener  Pyämie«  ausführlich  erörtert. 
Bei  primärer  Erkrankung  des  Bulbus  oder  bei  einer  von  einer  Sinus- 
thrombose aus  fortgeleiteten  Bulbusthrombose  kann  das  peribulbäre  Ge- 
webe in  Mitleidenschaft  gezogen  werden.  Dies  ist  besonders  leicht 
dann  möglich,  wenn  eine  Nekrose  der  Gefässwandung  bezw.  ein  fistu- 
löser Durchbruch  derselben  besteht.  Diese  Nekrose  kann  leicht  grosse 
Dimensionen  annehmen  und  sich  auf  die  anschliessende  Vena  jugularis 
interna  fortsetzen  (Grunerts  Fall  12)  und  so  der  Entstehung  eines 
grösseren  peribulbären  bezw.  perijugulären  Eiterherdes  Vorschub  leisten. 
Des  weiteren  kann  aber  auch  eine  peribulbäre  Eiterung  induziert 
werden  von  einem  erkrankten  Paukenhöhlenboden  aus,  indem  sich  die 
Entzündung  direkt  auf  die  Bulbnswand  fortsetzt.  Ein  beweisender  Fall 
eines  derartigen  Entstehungsmodus  ist  Grunerts  Beobachtung  8,  und 
sieht  der  Autor  gerade  das  haubenartige  Aufsitzen  des  Abszesses  auf 
dem  Bulbus  als  charakteristisch  für  eine  derartige  Entstehungsweise  an. 
Münden  die  Venae  condyl.  in  den  Bulbus,  so  kann  durch  ihre  Ver- 
mittelung  die  Weiterverbreitung  der  Eiterung  nach  dem  Nacken  zu 
und  längs  der  Schädelbasis  erfolgen  und  so  ein  Krankheitsbild  erzeugt 
werden,  wie  wir  es  schon  früher  kurz  geschildert  haben. 

Hat  sich  die  Bulbusthrombose  nach  abwärts  auf  die  Vena  jugularis 
fortgesetzt,  so  kann  durch  Vereiterung  des  Thrombus  ein  echter  intra- 
venöser Abszess  zu  stände  kommen,  der,  wenn  die  Vene  unterbunden 
ißt  und  nicht  durch  Inzision  entleert  wird,  die  Umgebung  infiziert  und 
zu  perivenöser  Entzündung  führt,  die  sich  weiter  nach  abwärts  er- 
strecken kann.  Derartige  Fälle  scheinen  nicht  allzu  selten  zu  sein, 
gehören  allerdings  nicht  direkt  zu  unserem  Thema,  da  sie  eben  keine 
direkte  Folge  einer  Ohreiterung,  sondern  nur  eines  durch  diese  ver- 
anlassten operativen  Eingriffes  sind. 

D^  Aaf  dem  Lymphwegre  weiter  geleitete  Eiteraugen. 

Eine  Verbreitung  von  Ohreiterungen  auf  diesem  Wege  muss  im 
allgemeinen  als  etwas  Ungewöhnliches  betrachtet  werden;  hier  kommen 
vor  allem  die  durch  eine  akute  Mittelohrentzündung  induzierten  retro- 
pharyngealen  Abszesse  in  Betracht,  die  aber  auch  in  der  Regel  auf 
andere  Weise  entstehen.  Doch  existieren  zwei  sichere  Befunde,  die 
Most*)   in   seiner  »Topographie  des  Lymphgefässapparates  des  Kopfes 


1)  Most,  Topographisch -anatomische  und  klinische  Untersuchungen  über 
den  Lymphgefässapparat  des  äusseren  und  inneren  Ohres.  Arch.  f.  Ohren- 
heUk.,  Bd.  64. 


nnd  suboccipitale  Entzündungen.  107 

und  Halses«  zitiert.  Es  fanden  sich  bei  zwei  Obduktionen  des  Bres- 
laoer  pathol.  Instituts  nach  ein-  bezw.  doppelseitiger  Otitis  media  in 
der  Wand  einer  Eitertasche,  die  der  Lage  nach  der  seitlichen  pharyn- 
gealen Lymphdrüse  entsprach,  zerfallene  Lymphdrüsenreste.  Schon 
früher  hatte  WeiP)  einen  von  ihm  nach  doppelseitiger  Mittelohr- 
eiterung beobachteten  Retropharyngealabszess  als  eine  vereiterte  Lymph- 
adenitis angesprochen,  ohne  aber  den  direkten  anatomischen  Nachweis 
erbracht  zu  haben. 

Die  Weiterleitung  geschieht  hier,  aber  wohl  nur  bei  Kindern 
(Most),  durch  die  Lymphbahnen  der  Paukenhöhle,  die  direkt  mit  den 
in  der  Wand  der  Tuba  Eustachii  verlaufenden  kommunizieren,  und  es 
kommt  so  ein  etwas  anderer  Entstehungsmodus  zu  stände,  wie  ihn 
Hang*)  beschrieben  hat,  der  für  seine  Beobachtung  eine  Weiter- 
verbreitung der  Eiterung  längs  des  M.  tensor  tympani  annimmt,  auch 
mit  der  Möglichkeit  eines  sofortigen  Eindringens  des  Entündungs- 
erregers  in  das  peritubare  Gewebe  rechnet. 

Eine  andere  Gruppe  von  otogenen  Senkungsabszessen,  die  wahr- 
scheinlich auch  nicht  so  ganz  selten  als  lymphogen  entstanden  zu 
denken  sind,  gehört  der  Parotis  an.  Poulsen^)  konnte  allerdings 
von  28  Parotisabszessen  keinen  als  vom  Ohr  aus  entstanden  nach- 
weisen, dagegen  möchte  Most  zwei  von  Falta  beschriebene  otogene 
Parotisabszesse  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  als  lymphogen  ent- 
standen ansprechen,  als  sie  auf  einen  direkten  Durchbruch  des  Eiters 
vom  Ohr  aus   beziehen.     Wir   selbst   verfügen   über   eine   Beobachtung 

I  von  Abszess,    der   von   Poulsen   sogenannten    »äusseren   Parotisloge«, 

deren   innere  Wand   vom  Paquetum  Kiolani    und   hinterem  Digastricus- 

i  bauch  gebildet  wird,  die  wir  im  erwähnten  Sinne  deuten  möchten,   bei 

der  vor  der  Operation  eine  Bezoldsche  Mastoiditis  nach  Atticus- 
eiterung  angenommen  wurde,  bei  der  die  Operation  selbst  aber  keine 
Warzenfortsatzerkrankung  und  keine  mit  dem  Parotisabszess  kommuni- 
zierende Fistel  nachwies.  Des  Interesses  halber  sei  die  interessante 
Beobachtung  kurz  mitgeteilt. 

S.,  Bertha,  41  Jahre  alt,  aus  Breslau,  aufgenommen  in  die 
Privatklinik   von  Prof.  Hinsberg   am    12.  VIL  06.     Vor    16  Jahren 


1)  Weil,  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Ätiologie  der  Retropharyngealabszesse. 
Monatsschr.  f.  Ohrenheilk.  1881. 

2)  Haag,  Senkangsabszesse  unterhalb  des  Proc.  mast  etc.    Arch.  f.  Ohren- 
heilk, Bd.  43. 

»)1.  c 


108  ^-  Engelbardt:   Otogene  Senkungsabszesse 

rechts  Ohrenlaufen,  das  alle  Jahre  für  einige  Zeit  wieder  aufgetreten 
ist.  Jetzt  seit  vorigem  Winter  anhaltendes  Ohrenlaufen,  seit  8  Tagen 
Schmerzen  und  Schwellung  hinter  dem  rechten  Ohr. 

Befund:  Nach  Abtragung  eines  das  Trommelfell  verdeckenden 
Polypen  sieht  man  die  Pars  tensa  des  Trommelfells  erhalten  mit  dem 
geröteten  Hammergriff;  nach  vorn  oben  gelangt  die  Sonde  in  den 
Atticus.  Wenig  Sekret.  Unterhalb  des  rechten  Ohres  findet  sich  eine 
schmerzempfindliche  nicht  fluktuierende  Anschwellung,  die  vorn  von 
dem  aufsteigenden  Unterkieferast,  hinten  vom  vorderen  Rand  des 
Sternocleidomastoideus  begrenzt  wird,  die  nach  oben  bis  dicht  an  das 
Kiefergelenkköpfchen  heranreicht  und  sich  nach  abwärts  bis  1  cm  unter- 
halb des  Angulus  mandibulae  erstreckt.  Keine  Drüsenschwellung, 
insonderheit  unterhalb  des  Kieferwinkels  und  unterhalb  des  Processus. 
Der  Mund  kann  zirka  2^*3  cm  weit  geöffnet  werden,  keine  retro- 
pharyngeale  Anschwellung.  Rechtes  Ohr  vollkommen  taub.  12.  VII.  06. 
In  Narkose  Eröffnung  des  ziemlich  oberflächlich  gelegenen  Abszesses, 
aus  dem  zirka  ein  Teelöffel  Eiter  entleert  wird.  Dann  Verlängerung 
des  Schnittes  nach  oben  und  Trepanation  des  Warzenfortsatzes.  Im 
Processus  normale  Zellen,  keine  Eiterung,  keine  Fistel.  Im  stark 
skierotisierten  Knochen  das  kleine,  mit  Granulationen  ausgefüllte 
Antrum  freigelegt;  die  hintere  Gehörgangswand  bleibt  ganz  intakt. 
Warzen  fortsatzspitze  ganz  reseziert.  Der  Wundheilungsverlauf  bot  nichts 
Besonderes,  die  Rekonvaleszenz  war  durch  Schwindelanfälle  mit  taumeln- 
dem Gang,  die  zeitweise  den  Verdacht  auf  Kleinhimabszess  nahelegten, 
vorübergehend  gestört.  Patientin  ist  aber  jetzt  vollkommen  geheilt  und 
frei  von  Beschwerden. 

E.  Seltene  Wege  bei  Verbreitung  der  Ohreiteningen. 

Hier  ist  es  vor  allem  der  Bulbus  venae  jugularis,  dem  dank  der 
zahlreichen  in  ihn  einmündenden  venösen  Gefässbahnen,  die  einen  rück- 
läufigen Transport  infektiösen  Materials  in  verschiedenen  Richtungen 
gestatten,  eine  grosse  Wichtigkeit  für  die  Verbreitung  otogener  n Eiter- 
ungen zukommt.  Es  sei  nur  erinnert  an  die  früher  erwähnten  durch 
die  Venae  condyloideae  induzierten  Nackeneiterungen,  an  die  Aus- 
breitung der  Eiterung  entlang  der  Schädelbasis  zum  Pharynx.  Ein 
Unikum  dürfte  aber  die  Beobachtung  Schultzes^)  von  Weiterleitung 
der  Eiterung  durch  den  Sinus  petrosus  inferior  auf  den  Plexus  basilaris 
sein,  die  nur  dank  der  überaus  genauen  klinischen  und  anatomischen 
Untersuchung  die  richtige  Deutung  finden  konnte.  Hier  war  eine  auf- 
fallend starke  Entwicklung  des  Sinus  petrosus  superior  und  inferior 
einerseits,  ein  abnorm  starker  Verbindungsast  dieses  Gefässes  mit  dem 
Plexus    basilaris    andererseits    die    Ursache,    dass    es    durch    Weiter- 


1)  Schnitze  1.  c. 


nnd  suboccipitale  EntzüodangeD.  109 

der  infektiöseD  Thrombose  zu  einer  Vereiterung  des  Plexus 
ond  ZOT  Bildung  eines  extraduralen  Abszesses  kam,    der  sich  wiederum 
längs   der    Arteria    vertebralis    in    den    Wirbelkanal    verbreitete,    um 
zwischen  Occiput   und   erstem   Halswirbel    einen    neuen   Dnrchbruch    zu 
suchen  and  als  tiefer  Muskelabszess  im  oberen  Teil  des  hinteren  Hals- 
dreiecks zum   Vorschein    zu   kommen.     Begünstigt    wurde    diese   eigen- 
artige Verbreitung  durch  den  Druck  eines  Cholesteatoms,  welches  nach 
Zerstörung    des    knöchernen    Sulcus    des    Sinus    trans versus    den    ab- 
steigenden   Teil    des    letztgenannten    Sinus    und    den    Sinus    sigmoideus 
komprimierte,  sodass  das  Blut  in  die  an  sich  schon  erweiterten  Neben- 
bahnen  förmlich    hineingedrängt    wurde.     Klinisch    ist    der    Fall    ron 
grösstem  Interesse,   weil    doch  noch  nach  glücklicher  Heilung  eines  die 
Thrombose  verursachenden  Himabszesses  ^)  nach  Eliminierung  der  sekun- 
dären   Bulbus-    und    Jugularisthrombose    und    nach    sachgemässer    Er- 
öffnung   des    tiefen    Nackenabszesses    der  Kranke   an   einer,    durch    die 
Plexuseiterung     verursachten     Kleinhimmeningitis     zu     Grunde     ging. 
Schnitze  zitiert  einen  ähnlichen  Fall  von  Leutert-),  der  sich  eben- 
falls   durch    die    eigentümliche    Symptoraentrias :     Hirnabszess,    Sinus- 
thrombose  und    extradurale  Eiterung   ausgezeichnet    hatte  und  bei  dem 
ebenfalls   eine   Arrosion    des    Atlas   durch    den    extraduralen    Eiter    an- 
genommen worden  war.    Nicht  ganz  klar,  jedenfalls  aber  aussergewühnlich 
ist  eine  Beobachtung  von  Deutschländer ^).    Hier  hatte  eine  extra- 
durale Eiterung  am  Sinus  transversus    und    am  Bulbus  sich   nicht,    wie 
es  gewöhnlich    der  Fall    ist  und  wie  es  auch  hier  angenommen  wurde, 
längs  der  Vena  jugularis   in    die  Tiefe   gesenkt,    sondern    war   bis   zum 
Atlanto-Occipitalgelenk  gelangt,  und  zwar  nur  bis  an  die  äussere  Fläche 
desselben  vorgedrungen.     Überaus  selten  ist  auch   ein  Yerbreitungsweg, 
wie  ihn  Neu  mann*)    geschildert   hat.     Neumann  fand  einen  durch 
eine    Fistel    hergestellten    Kommunikationsweg    zwischen    einer    extra- 
duralen,  am  Bulbus   lokalisierten  Eiterung    und    der    weichen  Hirnhaut 
einerseits  (im  Lebenden  durch  den  Nachweis  von  Liquor  cerebrospinalis 
erbracht)   und   einer    durch    das  Foramen  condyl.  vermittelten  Nacken- 
eiterung andererseits.     Es  genüge   dieses   eine  Beispiel,    um   zu   zeigen, 


^)  Es  wird  vom  Verf.  ausdrücklich  die  Sinusthrombose  als  Folge  des  Him- 
abszesses betrachtet,  nicht  aber  der  gewöhnliche  umgekehrte  Entstehungsmodus 
angenommen. 

*)  Leutert,  Über  die  otitische  Pyämie.    Arch.  f.  Ohrenheilk.,  Bd.  41. 

3)  Verh.  d.  D.  otol.  Ges.    X.  Vers. 

*)  Sitzung  der  Österr.  otol.  Gesellscliaft.    24.  11.  1904. 


1)  Muck,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  otitischen  Erkrankungen  des  Hirns, 
der  Hirnhäute  und  der  Blutleiter.    Diese  Zeitschr.  Bd.  37. 

2)  Ahcds  retropharyngeale  d'origine  anriculaire;  erosion  de  la  carotide; 
Mort  par  h(^morrhagie  24  heures  apres  Touverture  de  Tahc^s.  Annales  des 
maladies  de  l'oreille  etc.  Juli  1904. 

3)  1.  c. 

4)  Hang  1.  c. 

^)  Blan,  Ketropharyngelahszess  nach  akuter  Otitis  media.  Deutsche  med. 
Wochenschr.  1903. 

6)  G  ruh  er,  Wiener  med.  Zeitung  1884. 

7)  1,  c. 

8)  1.  c. 


HO  G.  Engelhardt:  Otogene  Senknngsahszesse 

wie  sich  die  verschiedeDen  Wege,  die  otogene  Senkongsabszesse  nehmen, 
unter  Umständen  kombinieren  und  wie  mannigfach  die  daraas  resul- 
tierenden Symptomenkomplexe  sein  können. 

Aus  den  angeführten  verschiedenen  Arten  der  Verbreitung  otogener 
Senkungsabszesse  geht  hervor,  wie  oft  gerade  die  Eiterseukungen  als 
retropharyngeale  Abszesse  zu  Tage  treten.  Wir  wollen  die  verschiedenen 
Wege  noch  einmal  kurz  zusammenstellen.  —  Retropharyngealabszesse 
kommen  bei  otogenen  Eiterungen  in  folgender  Weise  zu  stände: 

1.  Durch  direkten  Durchbruch  eines  osteomyelitischen  oder  tnber-  { 
kulösen  Herdes  des  erkrankten  Felsenbeines  nach  dem  Rachen  ! 
[Muck^),  Klug*)  und  andere]. 

2.  Durch  Ausbreitung  der  Entzündung  vom  Mittelohr  längs  des 
M.  tensor  tympani  oder  direkt  im  peritubaren  Gewebe  weiter- 
schreitend [Beobachtung  von  Kien^),  Haug^),  Blau*)  u.  a.]. 

3.  Durch  den  Boden  des  Antrum  bezw.  die  vordere  Gehörgangs- 
wand Ausbreitung  nach  dem  retropharyngealen  Kaum  mit  oder 
ohne  Vermeidung  des  Kiefergelenks  (Kien). 

4.  Von  der  Paukenhöhle  aus  erfolgender  Durchbruch  in  das 
Kiefergelenk  und  von  da  aus  Verbreitung  in  den  retro- 
pharyngealen Spaltraum  [Gruber^)]. 

5.  Von  subduraler  (D  e  R  o  s  s i)  oder  extraduralcr  [Braunstein^)]  ^ 
Eiterung    der    hinteren   Schädelgrube    aus   erfolgender   Durch- 
bruch. 

6.  Verbreitung   einer   Sinusthrombose    durch   den    Sinus   petrosus  j 
superior  und  inferior  auf  den  Plexus  basilaris ;  sekundäre  Ver-  | 
eiterung  desselben  mit  Bildung  eines  retropharyngealen  Abszesses 
[Schnitze^)]. 


und  saboccipitale  EntzQndaogeD.  Hl 

7.  Von  peribnlbären  Abszessen,  die  sich  horizontal  unter  der 
Schädelbasis  ausbreiten,  erfolgender  Darchbrach  nach  dem 
retropharyngealen  Raum  [Jansen^),  Grunert]. 

8.  Lymphogene   Entstehung    durch   sekundäre  Vereiterung    retro- 
!                       pharyngeal    gelegener    Drüsen    nach    akuter    Mittelohreiterung 

(Most). 

I  Dem,  der  mit  der  Verbreitung  der  Senkungsabszesse,  welche   die 

I  an  der  Schädelbasis  oder  im  Atlanto-Occipitalgelenk  lokalisierte  Tuber- 

kulose verursacht,  vertraut  ist,  vfird  ohne  weiteres  auffallen,  wie  gerade 
i  die  letzt  zitierten  Fälle  (vor  allem  die  unter  der  Rubrik:  Seltene  Ver- 

breitungswege  angeführten)   in   ihren    klinischen   Erscheinungen    grosse 
I  Ähnlichkeit  mit  jenen  zeigen  können,  vor  allem  wenn  die  Eiterung  auf 

I  diese  oder  jene  Weise,    manchmal    erst   auf   längeren    Umwegen,    zum 

I  Atlanto-Occipitalgelenk    gelangt    ist.     So    leicht    es    sein    kann,    einen 

Senknngsabszess  als  otogen  anzusprechen,  wenn  eine  sichere  Ohreiterung 
bestanden  hat  und  das  zeitliche  Auftreten  des  Abszesses  einen  ursäch- 
lichen Zusammenhang  mit  einer  solchen  vermuten  lässt,  so  schwierig 
kann  es  werden,  wenn  bei  dem  ^iem  Arzte  zugeführten  Patienten 
!  Abszesse  gefunden  werden,   die  der  Lage  nach  als  otogen  anzusprechen 

!  sind,  und  die  Anamnese  heftige  Schmerzen  vor  Auftreten  der  Ohreiterung 

ergibt,   aber   ohne   dass   ein   objektiver   Ohrbefund    vorliegt.     Wäre   es 
doch  immerhin  möglich,  dass  der  akute  Mittelohi-prozess  zur  Ausheilung 
gelangte,  während  sich  Eiter  noch  im  Warzenfortsatz  findet,    der  einen 
i  Answeg,   besonders  nach  innen,   gesucht  hat  und  nun  als  schwierig  zu 

I  deutender  Senknngsabszess  zu  Tage  tritt.     Erst  vor  kurzem  hatten  wir 

Gelegenheit,  bei  einem  uns  von  der  chirurgischen  Klinik  zur  Ohrunter- 
SQchung  überwiesenen  Patienten  einen  ähnlichen  Befund  festzustellen. 

D.,  Thomas,  44  Jahre  alt,  Ziegeleiarbeiter  aus  Hotz^). 

Früher  nie  krank  ausser  einem  Rippen-  und  Schult erbeinbruch 
vor  5  Jahren  gelegentlich  einer  Verschüttung.  Seit  8 — 10  Wochen  an 
Grösse  allmählich  zunehmende  Geschwulst  unterhalb  des  rechten  Ohres, 
Schmerzhaft igkeit  derselben;  geringe  Schluckbeschwerden  (Stecken- 
bleiben des  Bissens  im  Anfangsteil  des  Schlundes).  Schmerzen,  die  in 
die  ganze  rechte  Kopfhälfte  ausstrahlen    und  besonders  das  rechte  Ohr 


1)  Jansen,  Blaus  Enzyklopädie  der  Ohrenheilkunde;  Abschnitt:  Throm- 
bose des  Bulbus  venae  jagularis. 

2)  Für  gütige  Überlassung  dieser  und  der  nachfolgenden  Krankengeschichten 
bin  ich  Herrn  Geh.  Rat  Garr6  zu  lebhaftem  Dank  verpflichtet. 


112  G.  Engelhardt:  Otogene  Senkungsabszesse 

betreffen.  Keine  Abnahme  der  Hörschärfe,  kein  Ohrenfluss.  Familien- 
anamnese  o.  B. 

Befund:  Ziemlich  kräftiger  Mann  in  gutem  Ernährungszustande. 
Gut  verschiebliche  hintere  Lungengrenzen,  Atmungsgeräusch  vesikulär, 
hinten  begleitet  von  pfeifenden  Geräuschen.  Urin  frei  von  Ei  weiss  und 
Zucker.  Abdominalorgane  o.  Bes.  Keine  Drüsenschwellung.  Der  x\n- 
satz  des  rechten  Sternocleidomastoideus  und  der  \'orderrand  des  Splenius 
ist  durch  einen  nicht  fluktuierenden,  zirka  faustgrossen,  etwas  druck- 
empfindlichen Tumor  abgehoben,  der  nach  abwärts  bis  zur  Grenze  des 
oberen  und  mittleren  Sternocleidomastoideus  reicht.  —  Der  Kopf  ist 
etwas  nach  der  rechten  Seite  geneigt.  Bei  Drehbewegungen  des  Kopfes 
wird  die  Schulter  mitgenommen.  Druck  auf  den  Processus  mastoideus 
nicht  schmerzhaft;  keine  Schw^ellung  im  Bereich  des  Warzenfortsatzes. 
Beklopfen  des  Processus  spinosi  der  einzelnen  Halswirbel  nicht  schmerz- 
haft, dagegen  wird  Druck  auf  den  Scheitel  in  der  Längsachse  der 
Wirbelsäule  mit  lautem  Aufschreien  beantwortet.  Hörvermögen  auf 
beiden  Seiten  etwas  herabgesetzt  (Ticken  der  Uhr  auf  40  cm  nicht 
mehr  vernommen). 

In  der  Ohrenpoliklinik  wird  festgestellt,  dass  der  Trommelfellbefnnd 
normal  ist  und  dass  an  der  rechten  hinteren  Rachenwand,  durch  die 
Kuppe  der  Wölbung  des  rechten  hinteren  Gaumenbogens  etwas  ver- 
deckt, ein  Fistel  gang  zirka  3^2  cm  schräg  nach  hinten  und  etwas  nach 
oben  abgeht.  Augenhintergrund  o.  B.  Eine  am  5.  XI.  vorgenommene 
Inzision  des  Abszesses  ergibt  nicht  sehr  viel  Eiter ;  keine  Actiuomycose- 
verdächtigen    Körnchen.     Im    Ausstrich    keine    anderen    Bakterien.    — 

Vergegenwärtigen  wir  uns,  dass  der  Senkungsabszess  genau  an  der 
Stelle  sass,  an  der  die  Bezold sehen  Mastoiditiden  so  oft  eine  An- 
schwellung zu  machen  pflegen,  dass  der  ganze  Prozess  mit  Ohren- 
schmerzen begann,  so  war  ein  Irrtum  bezüglich  der  Herkunft  des 
Abszesses  sehr  wohl  möglich,  und  nur  die  Bekanntschaft  mit  diesem 
Prozess,  von  dem  wir  zufällig  in  den  letzten  Jahren  mehrere  Fälle 
gesehen  hatten,  und  die  schwer  sichtbare,  aber  doch  gefundene  Fistel 
der  hinteren  Rachenwand,  die  so  oft  ein  sicherer  Wegeleiter  für  die 
Auffindung  kariöser  Prozesse  an  der  Schädelbasis  bezw.  im  Atlas  ge- 
wiesen ist,  liess  uns  die  richtige  Deutung  finden.  —  Nicht  immer  lagen 
die  Verhältnisse  so  relativ  einfach  und  nicht  immer  waren  wir  so 
glücklich,  sofort  das  Richtige  zu  treffen,  wie  folgende  Beobachtungen 
zeigen  mögen,  trotz  gemeinsamer  Arbeit  von  Chirurgen  und  Otologen. 
Zuvor  die  auszugsweise  mitzuteilenden  Krankengeschichten. 

I.  Seh.,  Max,  Barbier,  20  Jahre  alt. 

In  die  medizinische  Klinik  aufgenommen  am  3.  VHI.  1896.  Vater 
im  Alter  von  40  Jahren  an  Phthise  gestorben ;  übrige  Familienanamnese 


and  snboccipitale  Entzündangen.  113 

0.  B.  Im  Alter  von  13  Jahren  wurden  ihm  tuberkulöse  Halsdrüsen 
exstirpiert.  Seit  einem  Monat  heftige  Kopfschmerzen,  nach  dem  Nacken 
und  Hinterkopf  ausstrahlend.  Ab  und  zu  Nackenschmerzen.  Kein 
Husten. 

Befund:  Kleiner  schwächlicher  Mann;  NarbenzOge  an  der  rechten 
Halsseite.  Pat.  liegt  somnolent  im  Bett,  Kopf  in  die  Kissen  gebohrt. 
Beim  Versuch,  den  Kopf  aufzurichten,  Nackensteifigkeit  und  heftige 
Schmerzen,  cris  hydrencephaliques ;  linksseitige  Fazialisparese  aller  drei 
Aste,  linkes  Oberlid  hängt  tiefer  herab  als  das  rechte;  Druckempfind- 
lichkeit des  rechten  Warzenfortsatzes  und  der  obersten  Halswirbel. 
Lungen  im  ganzen  o.  B.  Keine  Störungen  der  Motilität  und  Sensibilität 
ausser  einer  leichten  Hypästhesie  der  »tieferen  Teile«  in  beiden  Armen. 

6.  VUL  Im  vorderen  unteren  Quadranten  des  rechten  Trommel- 
felles eine  über  stecknadelkopfgrosse  Perforation,  aus  der  etwas  Eiter 
tritt.  Empfindlichkeit  des  rechten  Warzenfortsatzes.  Augenhintergrund 
frei.    Diffuse  Trabung  der  linken  Cornea. 

8.  VIII.  Schmerzen  im  Kopf  haben  nachgelassen,  nur  in  der 
Hinterhauptsschuppe  lokalisiert.  Kopf  kann  leichter,  nur  mit  seitlicher 
Unterstützung,  in  die  Höhe  gebracht  werden. 

16.  VIII.  Status  unverändert.  Kein  Brechen.  Das  für  Menin- 
gitis charakteristische  Wechseln  der  Symptome  fällt  auf.  Anfallsweise 
Attacken  heftiger  Kopfschmerzen. 

18.  Vin.  Lumbalpunktion  ergibt  klare,  helle  Cerebrospinal- 
fiössigkeit. 

21.  VIII.  45  g  Jodkali  ohne  Erfolg.  Patient  willigt,  da  keine 
Besserung  eintritt,  in  die  vorgeschlagene  Operation,  die  sogleich  in  der 
chirurgischen  Klinik  vorgenommen  wird.  Dabei  findet  sich  der  Pro- 
cessus absolut  sklerosiert.  Sinus  wird  in  Ausdehnung  von  l^/g^"^  ^^®i* 
gelegt;  Antrum  und  Paukenhöhle  ohne  Veränderungen. 

22.  VIII.  Nackensteifigkeit  scheint  nach  der  Operation  geringer 
geworden  zu  sein. 

26.  VIII.     Kopfschmerzen  haben  ganz  nachgelassen. 

27.  VIII.  Hält  den  Kopf  wieder  steif.  Nach  dem  Verbandwechsel 
auf  dem  Verbaridtisch  Lähmung  beider  Beine  und  Arme.  Verschwommene 
Sprache.  Am  Nachmittag  sind  die  Beinbewegungen  wieder  frei.  Arme 
auch  jetzt  noch  nicht  zu  bewegen,  dagegen  die  Finger. 

28.  Vni.     Schwankungen  in  den  Lähmungserscheinungen. 

30.  Vin.  Lähmung  beider  unteren  Extremitäten  wieder  sehr  aus- 
geprägt. Nachmittags  Wechsel  in  den  Lähmungserscheinungen.  Temp. 
39,6.     Nachts  Cheyne-Stokessches  Atmen. 

31.  VIII.  Lähmung  der  Beine  wieder  vorhanden.  Zum  erstenmal 
wieder  eine  Lähmung  des  linken  Armes,  während  der  rechte  bewegt 
werden  kann. 

1.  IX.  Exitus.  Bei  der  Sektion  findet  sich  in  der  Spitze  der 
rechten  Lunge   ein   erbsengrosser   käsiger    Herd.     Eine    grosse   Anzahl 

Zeitsehnft  fftr  OhreDhellkimde.  Bd.  LIV.  8 


1 


114  G.  Engelhardt:   Otogene  SenkOngsabszesse 

Ton  Halsdrasen  teils  geschwollen,  teils  käsig  zerfallen.  Nach  Herans- 
nahme  des  Gehirns  erscheint  es  auffällig,  dass  der  Processns  odontoideas 
sofort  in  das  Hinterhanptloch  hineinfällt.  Neben  ihm  entleert  sich  eine 
grosse  Menge  trüber,  nicht  eitriger  Flüssigkeit.  Die  rechte  Seite  des 
Processus  odontoidcus,  sowie  der  vordere  Abschnitt  des  Atlaskörpers 
und  der  vordere  Umfang  des  Hinterhanptloches  fühlt  sich  rauh  an. 
Nach  Herausnahme  der  Halsorgane  zeigt  sich  der  Epistropheus  ebenso 
wie  der  III.  Halswirbel  rauh  und  von  morscher  Konsistenz.  Mit  der 
Sonde  gelangt  man  in  eine  im  Innern  der  Wirbelkörper  gelegene 
Höhlung,  die  jedoch  nur  klein  ist.  Dura  mater  intakt.  Dem  erkrankten 
Wirbelkörper  liegen  unmittelbar  verkäste  Lymphdrüsen  an. 

II.  W.,  Paul,  29  J.,  Oberschweizer  aus  Tielguth. 

Öfter  Husten.  Eine  Schwester  wegen  Lungenleiden  behandelt. 
Vor  einem  Jahr  Rippenquetschung  rechterseits  und  Fall  aus  2  Meter 
Höhe  auf  den  Hinterkopf.  Seitdem  zeitweise  Kopfschmerzen.  Vor 
^2  Jahr  Ohrensausen  links.  Eine  vom  Arzt  ausgeführte  Paracentese 
soll  Eiter  entleert  haben,  doch  hat  der  behandelnde  Arzt  den  Pat.  erst 
nach  8  Tagen  wieder  gesellen.  Nach  3  Wochen  hörte  die  Eiterung 
auf.  Die  Kopfschmerzen  wurden  dann  wieder  heftiger  und  betrafen 
besonders  die  Gegend  hinter  dem  linken  Ohr,  erstreckten  sich  aber 
auch  auf  den  Hinterkopf  und  das  rechte  Ohr,  und  strahlten  zwischen 
die  Schulterblätter  aus.  Auf  heftige  Attacken  folgten  schmerzfreie 
Pausen,  gleichzeitig  Auftreten  von  Nackensteifigkeit.  Am  5.  VII.  04 
in  ein  Krankenhaus  aufgenommen,  wurde  er  wegen  Meningitis  mit  Eis- 
blase etc.  behandelt.  14  Tage  nach  seiner  Aufnahme  bildete  sich 
hinter  dem  linken  Ohre  ein  Abszess.  Nach  weiteren  8  Tagen  verliess 
er  das  Krankenhaus  und  begab  sich  in  Behandlung  von  Prof.  Hins- 
berg,  der  ihn  in  seine  Privatklinik  aufnahm.  Hier  wurde  am  Ansatz 
des  linken  StiTnocleidomastoideus  eine  deutliche  Vorwölbung,  die  aber 
mehr  eine  diffuse,  sich  nicht  scharf  abgrenzende  war,  festgestellt. 
Warzenfortsatz  durchzufühlen,  nicht  bc'^^onders  druckempfindlich.  Kopf 
nach  links  geneigt,  Bewegungen  des  Kopfes  sehr  schmerzhaft.  Pseudo- 
nackenstarre.  Übriger  Organbefund  bis  auf  leichte  Dämpfung  der 
rechten  Lungenspitze  unwesentlich.  Trommelfell  links  abschilfernd, 
grauweiss ;  Hammergriflf  injiziert,  mäfsig  einwärts  gestellt.  (Abgelaufene 
Otitis  media  acuta.)  Flüstersprache  links  3 — 4  m.  Weber  nach  links 
lateralisiert.  Schwabach  verlängert.  In  der  Annahme  einer  Mastoiditis 
mit  Senkungsabszess  am 

24.  VII.  Inzision  über  dem  Warzen  fort  satz.  Im  Processus  normale 
Zellen,  Antrum  nicht  eröffnet,  Spitze  des  Warzenfortsatzes  weggenommen. 
Von  da  aus  gelangt  die  Sonde  in  einen  hinter  dem  Sternocleidomastoideus 
sitzenden  Abszess,  der  entleert  und  von  einer  neuen  Schnittöffnung  aus 
drainiert  wird. 

3.  VIII.  Wunde  sieht  gut  aus,  Drain  verkürzt,  starke  Schmerzen 
im  Hinterkopf.     Temp.  bis  38,3  ö. 


and  Bnboccipitale  Entzündangen.  115 

Rechts  Gegend  des  Emissarium  mast.  sehr  druckempfindlich,  ebenso 
der  oberste  Teil  der  Halswirbelsäale.  Zum  erstenmal  Beschwerden  beim 
Schliugen  ohne  objektiven  Befund  im  Hals. 

5.  VUr.  Abendtemp.  37,9  ^  Steifigkeit  des  Halses.  Schmerzen 
haben  zugenommen.  Eine  von  chirurgischer  Seite  vorgenommene  Unter- 
suchung stellte  fest,  dass  bei  Palpation  vom  Munde  aus  die  Gegend 
des  Atlas  und  Epistropbeus  besonders  links  druckempfindlich  ist.  Dreh- 
und  Xickbewegungen  des  Kopfes,  ebenso  direktes  Beklopfen  der 
Processus  spinosi  der  oberen  Halswirbel  nicht  schmerzhaft.  Im  spär- 
lichen Sputum  keine  Tuberkelbazillen.  Da  die  Schmerzen  im  Nacken, 
Hinterkopf  und  hinter  dem  rechten  Ohr  stärker  werden,  soll  auf  Rat 
von  Prof.  He  nie  auch  auf  der  rechten  Seite  oi)eriert  werden.  Doch 
unterblieb  dies,  da  sich  in  der  Nacht  zum 

10.  Vin.  spontan  2 — 3  Esslöffel  Eiter  durch  den  Mund  entleerten, 
woraof  die  Schluckbeschwerden  und  die  Schmerzen  im  Kopf  etwas 
nachliessen.  Die  Durchbruchstelle  an  der  hinteren  Rachenwand  wurde 
nicht  gefunden.  Doch  bald  trat  wieder  der  alte  Zustand  ein,  an  dem 
auch  eine  am 

20.  X.  04  vorgenommene  Eröffnung  der  schon  verheilten  Fistel 
hinter  dem  linken  Ohr  mit  Entleerung  einer  mäfsigen  Mentje  P^iter 
nichts  änderte.  Die  Schmerzen  haben  besonders  am  Nacken  und  hinter 
dem  rechten  Ohr  sehr  zugenommen.  Temperaturerhöhung  bis  39  *\ 
Die  Beweglichkeit  des  Kopfes  ist  sehr  beschränkt.  Pat.  wird  des- 
halb am 

23.  X.  der  chirurgischen  Klinik  überwiesen.  Hier  kehrt  die 
Körpertemperatur  in  einigen  Tagen  wieder  zur  Norm  zurück;  auch  die 
Schwellung  wird  unter  feuchten  Umschlägen  geringer.  Bei  der  sehr 
erschwerten  Palpation  vom  Munde  aus  (Pat.  kann  den  Mund  nur  wenig 
öffnen)  kommt  der  Finger  direkt  auf  rauhen  Knochen.  Das  Rönttren- 
bild  zeigt  verschwommene  Konturen  zwischen  den  ersten  drei  Hals- 
wirbeln, die  Körper  des  Epistropbeus  und  des  Atlas  geben  einen  viel 
dichteren  Schatten,  als  es  den  normalen  Wirbel körpern  entspricht.  Eine 
nochmalige  Untersuchung  des  Sputums  auf  Tuberkelbazillen  negativ. 

3.  XI.  Schwellung  hinter  dem  rechten  Ohr  geringer  geworden. 
In  der  Annahme,  dass  es  sich  um  einen  chronisch  entzündlichen  Prozess 
am  Atlas.  Epistropbeus  und  der  Schädelbasis  handelt,  wird  am 

8.  XI.  in  Lokalanästhesie  durch  einen  hinter  dem  rechten  Sterno- 
cleidomastoideusansatz  senkrecht  nach  unten  geführten  Schnitt  der 
Abszess  eröffnet  und  wenig  Eiter  entleert  (im  Eiter  durch  Ausstrich 
Staphylokokken  nachgewiesen).  Die  grössere  Menge  entleert  sich  gleich- 
zeitig durch  den  Mund.  Die  Fistel  heilt  in  der  Folge  unter  täglichem 
Verbandwechsel  und  nachfolgender  Anlegung  einer  Schanzschen 
Kravatte  aus.     Pat.  wird  am 

10.  XII.  mit  Stützapparat  geheilt  entlassen. 


1 


116  6.  Engelhardt:   Otogene  Senknngsabszesse 

III.  H.,  Paul,  34  J.,  Droschkenkutscher  aus  Breslau. 

Aufgenommen  in  die  chirurgische  Klinik  am  21.  V.  06.  Bruder 
an  Lungentuberkulose  gestorben,  sonst  Familienanamnese  o.  B.  Früher 
stets  gesund.  Sein  jetziges  Leiden  begann  im  Februar  dieses  Jahres 
mit  Stechen,  zuerst  im  rechten,  dann  im  linken  Ohr,  und  Kopfschmerzen. 
Ausserdem  Schmerzen  beim  Schlucken.  Er  suchte  deshalb  die  Ohren- 
poliklinik auf,  wo  am 

2.  III.  06  folgender  Befund  erhoben  wurde.  Beide  Trommelfelle 
blass,  leicht  eingezogen,  der  weiche  Gaumen  leicht  gerötet,  an  der 
hinteren  Rachenwand  einige  Granula,  Seitenstränge  verdickt.  Diagnose: 
Pharyngitis.  Kurze  Zeit  darauf  trat  hinter  dem  rechten  Ohr  eine 
Schwellang  auf,  die  mit  heissen  Umschlägen  behandelt  und  zunächst 
für  eine  Lymphadenitis  gehalten  wurde.  Trotz  dieser  Therapie  Zu- 
nahme der  Schwellung  und  der  Kopfschmerzen,  während  die  Ohren- 
schmerzen verschwanden. 

29.  m.  06.  In  ein  Krankenhaus  aufgenommen.  Die  Schwellung 
am  hinteren  Bande  des  Stemocleidomastoideus  wird  inzidiert.  Nach 
14  Tagen  gebessert  entlassen.  Die  Inzisionswunde  wurde  später  noch 
zweimal  in  poliklinischer  Behandlung  erweitert,  ohne  dass  die  Be- 
schwerden schwanden.  Dieselben  nahmen  vielmehr  in  der  heftigsten 
Weise  zu.  Seit  8  Tagen  sieht  der  Pat.  mit  dem  rechten  Auge  nicht 
mehr  so  gut  wie  früher;  gestern  Abend  zum  erstenmal  Erbrechen.  Seit 
heute  Doppeltsehen. 

Befund:  Kräftig  gebauter  Mensch  in  reduziertem  Ernährungs- 
zustand. Pat.  hält  den  Kopf  leicht  nach  rechts  geneigt  und  die  Hals- 
wirbelsäale  steif.  Beugung  des  Kopfes  nach  vom  und  nach  hinten  in 
geringem  Grade  aktiv  möglich,  passiv  schmerzhaft.  Bewegung  seitwärts 
aktiv  unmöglich,  passiv  sehr  schmerzhaft.  Hinter  dem  rechten  Ohr 
finden  sich  zwei  Inzisionsnarben,  von  denen  eine  noch  in  einer  Länge 
von  4  cm  offen  ist.  Ganz  minimale  Sekretion.  Die  eingeführte  Sonde 
dringt  an  einer  Stelle  weit  in  die  Tiefe  und  kommt  an  der  rechten 
Seite  der  hinteren  Rachenwand  an  einer  durch  livide  Kötang  im  Mund 
hervortretenden  Stelle  zum  Vorschein.  Die  Umgebung  der  Wunde  ist 
etwas  gerötet  und  schmerzhaft,  ebenso  die  korrespondierende  Stelle  der 
linken  Seite.  Beide  Processus  mastoidei  schmerzfrei.  Dagegen  ist  die 
Halswirbelsäule  und  zwar  die  Processi  spin.  H  und  III  druckempfindlich, 
ebenso,  wenn  auch  in  geringerem  Grade,  ist  starker  Druck  auf  den 
Scheitel  des  Kopfes  schmerzhaft.  Die  Konturen  des  Halses  von  vorn 
sind  im  ganzen  erhalten,  die  hintere  Rachenwand  ist  nicht  vorgewölbt 
und  auch  nicht  besonders  druckempfindlich.  Geringe  Parese  des  linken 
Abducens.  Rechts  beginnende  Neuritis  optica.  (Augenklinik.)  Übrige 
Himnerven  frei.  Haut-  und  Sehnenreflexe  normaL  Kein  ßabinski. 
A  ktinomy  koseverdacht. 

3.  VI.  Pat.  bekommt  Jodkali.  Abends  stets  leichte  Temperatur- 
steigerung. 


und  snboceipitale  Entzündungen.  117 

4.  VI.  Beweglichkeit  der  HalswirbelsÄule  etwas  besser.  Kopf- 
schmerzen anverändert. 

12.  VI.  Temperatursteigerang  abends  bis  39^.  Es  besteht  jetzt 
doppelseitige  Stauungspapille.     (Augenklinik.) 

19.  VI.  Im  ganzen  unveränderter  Zustand.  Dauernde  Kopf- 
schmerzen; Wunde  hinter  dem  rechten  Ohr  noch  nicht  geschlossen. 
Hinter  dem  linken  Ohr  jetzt  grössere  Schmerzen  als 
rechts.  Deutliche  Schwellung  hier  und  hinter  dem  linken  Kiefer- 
winkel. Leichte  Kieferklemme.  An  der  hinteren  Rachen  wand  jetzt  zu 
beiden  Seiten  je  eine  deutliche  im  ganzen  weiche,  nicht  druckempfind- 
liche Geschwulst;  keine  Fluktuation.     Schluckbeschwerden. 

23.  VI.  In  Äthernarkose  Neissersche  Probepunktion  des  Gehirns 
rechts  und  links  von  einer  oberhalb  des  Sinus  transversus  zirka  zwei 
qnerfingerbreit  nach  aussen  von  der  Protuberantia  occipitalis  ext.  ge- 
legenen Stelle  aus  ohne  Erfolg.  Ausschabung  der  Fistel  der  rechten 
Halss^te. 

j  1.  VII.     Pat.  hat  den  Eingriff  gut  überstanden,   schläft  sehr  viel. 

An  der  linken  Halsseite  hinter  dem  oberen  Drittel  des  Sternocleido- 
I  mastoideus  fühlt  man  eine  sehr  derbe,  schmerzhafte,  unregelmäfsige 
I  Geschwulst,  Fluktuation  nicht  sicher.  Durchschnittliche  Abendtempera- 
I  turen  von  38  ^  zeitweise  bis  39^.     Deshalb  am 

2.  VII.  nochmalige  Operation :  12  cm  langer  Längsschnitt  etwa  dem 
äusseren  Rande  des  linken  Muse,  semispinalis  capitis  entsprechend, 
durch  Haut-  und  Weichteile  bis  auf  einen  ganz  in  der  Tiefe  gelegenen 
Abszess.  Es  entleert  sich  serös-eitrige  Flüssigkeit  neben  eigentümlich 
gelb  verfärbten  Gewebsfetzen ;  keine  auf  Aktinomykose  verdächtigen 
Kömchen,  Dann  wird  bis  zur  Schädelbasis  vorgedrungen  und  unterhalb 
des  Linea  nuchae  sup.  2  Qaerlinger  nach  hinten  vom  Processus  mast. 
eine  markstückgrosse  Trepanationsöffnung  im  Schädel  angelegt.  Hirn- 
punktion negativ.  Nackenabszess  gründlich  entleert,  eine  Gegenöffnung 
angelegt.  Der  eingeführte  Finger  kommt  bequem  in  den  retropharyn- 
gealen  Raum,  den  man  von  der  Höhe  der  Tonsillen  bis  fast  zum 
Jugalum  abtasten  kann. 

5.  VII.  Vom  hygienischen  Institut  eine  Streptothrixart  gezüchtet. 
Rechtsseitige  Stauungspapille  (Augenklinik).  Linksseitige  Abduzens- 
parese. 

25.  VII.  Wenig  veränderter  Zustand.  Zunehmende  Schluck- 
beschwerden. Die  infiltrierten  Partien  am  Halse  haben  sich  unter 
Jodoformglyzerininjektionen  etwas  erweicht.  Noch  immer  starke  Kopf- 
schmerzen. 

28.  Vn.  liumbalpunktion  ergibt  klare  Flüssigkeit.  Seit  einigen 
Tagen  Ohrenlaufen  links,  das  von  jetzt  ab  drei  Wochen  anhält;  ziem- 
lich starke  Sekretion,  besonders  im  Anfang.  Trommelfellbefund:  Ge- 
rötetes, etwas  vorgewölbtes  Trommelfell  links.  Perforation  nicht  deutlich 
zu  sehen. 


1 


118  G.  En^elhardt:  Otogene  Senkungsabszesse 

30.— 31.  VII.  Patient  kann  keinen  Urin  lassen,  mass  katheterisiert 
werden  Leichte  Parese  beider  Beine  rechts  und  links.  Sensibilität 
leicht  herabgesetzt. 

1.  Vlir.     Hat  wieder  spontan  Urin  entleert. 

6.  VIU.  Beiderseits  Exophthalmus  Unter  dem  rechten  Augenlid 
haselnussgrosser  Abszess,  der  inzidiert  wird. 

10.  Vni.  Die  Lähmung  der  unteren  Extremitäten  hat  zugenommen. 
Pat.  kann  nicht  mehr  stehen,  lässt  unter  sich.  Urin  10  Tage  mit 
Katheter  entleert,  jetzt  Ischuria  paradoxa.  Cystitis. 

16.  Vni.  Patient  ist  in  den  letzten  Tagen  sehr  herunter  ge- 
kommen. Temp.  abends  um  38 '\  Abszessfistel  am  Halse  fast  ge- 
schlossen. Exophthalmus  links  hat  rapid  zugenommen,  Lidschluss  un- 
möglich. Deshalb  Ulzeration  der  Cornea.  Phthisis  bulbi.  Parese  der 
unteren  Extremitäten  unverändert,  Reflexe  erloschen. 

18.  VIII.  Ein^\bszess  an  der  lateralen  Seite  des  Bulbus  wird 
inzidiert. 

30.  VIII.     Ein  Abszess  am  rechten  unteren  Augenlid  wird  inzidiert. 

4.  IX.  Der  letztoperierte  Abszess  am  linken  Hinterkopf  sezemiert 
wieder  stärker.     Iiizision  eines  Abszesses  an  der  Stirn. 

7.  IX.  Lässt  Stuhl  und  Urin  unter  sich.  Decubitus.  Abendliche 
Temperatursteigerung  bis  39 '^. 

15.  IX.  Pat.  will  unbedingt  die  Klinik  verlassen.  Anfang  November 
ausserhalb  gestorben.     Sektion  nicht  möglich. 


Die  drei  zitierten  Krankengeschichten  geben  eine  gute  Illustration 
für  die  au  der  Schädelbasis,  in  dem  Atlanto-Occipitalgelenk  und 
den  obersten  Halswirbeln  lokalisierten  chronischen  Entzündungen. 
Dass  es  sich  nur  im  ersten  Fall  um  eine  sichere  Tuberkulose,  im 
zweiten  vielleicht  um  eine  Osteomyelitis,  im  dritten  sicher  um  Aktino- 
mykose  bezw.  um  eine  Streptothrixinfektion  handelt,  macht  für  die 
Symptomatologie  dieser  Processe  nicht  allzu  viel  aus,  eher  schon  für 
den  klinischen  Verlauf,  wie  wir  später  noch  sehen  werden. 

V.  Bergmann  hat  von  dem  Krankheitsbild  der  Atlanto-Occipital- 
tuberkulose,  ihrer  Prognose  und  Therapie,  wie  erwähnt,  schon  1890 
eine  ausführliche  Schilderung  entworfen  und  zwar  an  der  Hand  von 
2wei  Obduktionsbefunden  und  den  Krankengeschichten  von  drei  zufällig 
gleichzeitig  in  seiner  Klinik  wegen  dieses  Leidens  in  Behandlung  be- 
findlichen Patienten.  Er  betont,  wie  häufig  diese  Prozesse  verkannt 
werden  und  besonders  bei  plötzlichen  Todesfällen  zu  Verwechslung  mit 
vereiterten  Brüchen  der  Wirbelsäule  Veranlassung  gegeben  hätten,  und 
zeigt  zugleich  durch  die  gleichzeitige  Vorstellung  von  drei  Kranken, 
dass    die    Atlanto-Occipitalgelenktuberkulose    durchaus    nicht    zu    den 


nnd  saboccipitale  EntzändnDgen.  119 

grössten  SelteoheiteD  gehört.  Lange  bevor  die  charakteristische  steife 
Kopfhaltung  eintritt,  können  schon  nervöse  Symptome  auf  die  Zer- 
störung im  Knochen  aufmerksam  machen,  die  sich  in  folgender  Weise 
äassern  können: 

1.  Durch  Lidzuckungen,  Nystagmus  und  Pupillendifferenz. 

2.  Durch  Schwindelanfälie  mit  Vergehen  der  Sinne  und  spätere 
heftige  Kopfschmerzen. 

3.  Durch  heftige  Schmerzen  in  der  Gegend  beider  Processus 
mastoidei,  und  endlich  durch  Schmerzen  in  der  Scheitelgegend, 
der  Gegönd  des  Ohres  und  rechtsseitige  Zahnschmerzen. 

Alle  diese  Schmerzen  kommen  nach  v.  Bergmann  durch  Reizung 
des  N.  occipitalis  magnus    und  der  Hautäste  aus  dem  Plexus  cervicalis 
(occip.  minor  und    auricularis   magnus)   zu   stände;    speziell    lässt   sich 
durch  Druck  auf  den  II.  Processus  spin.  der  durch  den  Occipit.  magnus 
Termittelte   Nacken-   und    Hinterhauptschmerz    erheblich    steigern.     Die 
als  Fröbsymptom    einmal    beobachteten    Schluckbeschwerden    finden    in 
einer   vielleicht    durch    Zirkulationsstörung     verursachten    Läsion    des 
Nervus    hypoglossus     ihre    wahrscheinlichste    Erklärung.     Diesem    nur 
manchmal   vorhandenen,   häufiger   fehlenden  Prodromalstadium    schliesst 
sich  die  charakteristische   steife   Kopfhaltung    an,    die    bald    in    einer 
Schwellung   der  Nackengrube,    welche  sich  später  nach  beiden  Seiten 
zu  ausdehnt,   ihre  objektive  Begründung  erfährt.     Es  folgen  dann  erst 
die  Senkungsabszesse,    gewöhnlich   in    das   Dreieck   zwischen  M.  rectus 
capitis   posticus    major,    rectus    capitis    lateralis    und    obliquus    capitis 
superior,  also   noch   tiefer,   als   die    durch    die  Arteria  occipitalis  nach 
hinten  geleiteten   otogenen  Eiterungen  zu    sitzen    pflegen.     Erst  später 
gelangen   diese   mehr   an   die  Oberfläche   und    treten  gewöhnlich  hinter 
dem  Processus  mastoideus  am- hinteren  Rand  des  Sternocleidomastoideus 
zu  Tage.     Gelingt   es  jetzt   nicht,    den  Eiter   durch  Inzision  möglichst 
vollständig   zu    entleeren,   so   kann   in   seltenen  Fällen  ein  Durchbruch 
durch  das  For.  lacerum  in  die  Schädelhöhle  mit  nachfolgender  Throm- 
bosierung des  Sinus,  oder  was  häufiger  der  Fall  ist,  in  den  Rückgrats- 
kanal  erfolgen.     Hier    bleibt    wiederum    die    Eiterung    entweder    rein 
extradural   oder   sie  durchbricht   die  Dura,    oder   endlich   sie  führt  zu 
.  sekundärer  Spondylitis  tuberculosa  mit  ihren  Folgeerscheinungen  (dauernde 
Lähmung  etc.). 

Erst  ganz   neueren   Datums   und  daher   noch   ergänzungsbedürftig 
jifld  unsere  Kenntnisse   über   osteomyelitische  Erkrankungen   der 


1 


120  G.  EDgelhardt:  Otogene  Senknngsabszesse 

Schädelbasis  and  der  obersten  Halswirbel.  EicheP)  erwähnt  einen 
Fall  von  snbakuter  Osteomyelitis  der  Schädelbasis  zwischen  Processus 
mastoidens  und  Condylen,  die  sich  durch  eine  Schwellung  unterhalb  der 
Linea  occipitalis  superior  manifestierte  und  als  erstes  Symptom  Schmerzen 
im  Bereich  des  rechten  N.  supraorbitalis  aufwies.  —  Die  von  Minin^), 
Eichel.  Schmidt^),  Hahn*)  Weber^)  u.  a.  mitgeteilten  teils 
primären,  teils  sekundären  osteomyelitischen  Eiterungen  der  obersten 
Halswirbel  weichen  z.  T.  in  ihrer  Symptomatologie  von  den  tuber- 
kulösen Eiterungen  nur  wenig  ab,  und  zeigen  nur  unter  Umständen  die 
auch  bei  osteomyelitischer  Erkrankung  anderer  Wirbelsäulenabschnitte 
beobachteten  Eigentümlichkeiten,  nämlich  rascheren  Verlauf,  verbunden 
mit  hohem  Fieber  und  Delirien.  Sie  gestatten  eine  energische  und  im 
ganzen  erfolgreiche  Therapie,  wenn  der  Herd  nicht  im  Wirbelkörper, 
sondern  im  Bogenteil  und  in  den  Processus  spinosi  sitzt.  Allerdings 
wird  es  auch  bei  diesem  Sitz  wesentlich  darauf  ankommen,  welche 
Wege  der  Eiter  einschlägt,  ob  er  in  den  Rückenmarkskanal  durch- 
bricht, zu  spinaler  oder  nur  zu  Eompressionsmyelitis  führt,  oder  früh- 
zeitig an  anderer  Stelle  zum  Vorschein  kommt  und  somit  bald  eine 
chirurgische  Therapie  veranlasst.  Anders,  wenn  det  Sitz  der  Eiterung 
das  Atlanto-Occipitalgelenk  oder  Atlas  und  Epistropheus  selber  sind. 
Dürfen  wir  aus  dem  immerhin  geringen  Material  von  3  Beobachtungen, 
die  säml lieh  Abb ot  und  Makins^')  zugehören,  nach  Ansicht  Eichels 
allerdings  nicht  radikal  genug  operiert  wurden,  irgend  welche  Schlüsse 
ziehen,  so  ist  es  der,  dass  die  hier  lokalisierte  Osteomyelitis  einerseits 
sehr  grosse  Neigung  zum  Einbruch  in  die  Meningen  und  zu  tödlicher 
Basilarmeningitis,  andererseits  zum  Einbruch  in  die  Blutbahn  und  zu 
Metastasierung  zeigt,  aber  nicht,  worauf  auch  Eichel  hinweist  and 
was  besonders  merkwürdig  erscheinen  muss,  retropharyngeale  Abszesse 
zu  bilden.  Gemeinsam  allen  drei  Kranken  waren  folgende  Initial- 
symptome :    Fieber,    Kopfschmerzen,    äusserst    schmerzhafte    Schwellung 


1)  Eichel,  Über  Osteomyelitis  acuta  des  Atlas.  Mfinch.  med.  Wochen- 
schrift 1900. 

s)  Min  in,  Zur  Diagnose  und  Therapie  der  akuten  Ostitis.  Wratsch  1882. 

9)  Schmidt,  Zur  Kasuistik  der  Wirbelosteomyelitis.  Deutsche  Zeitschr. 
f.  Chirurgie  1901. 

*)  0.  Hahn,  Über  die  akute  infektiöse  Osteomyelitis  der  Wirbel.  Brnns* 
Beiträge  Bd.  25. 

B)  Weber,  Über  die  akute  primäre  Osteomyelitis  der  Halswirbelsäale. 
Deutsche  med.  Wochenschr.  1903. 

^  Ausführlich  in  Hahn  1.  c. 


r 


und  saboccipitale  Enlzftndungen.  121 

beider  Nackenseiten,  steife  Kopfhaltung  nnd  endlich  die  Schmerzhaftig- 
keit  der  Wirbelsäule  bei  Druck.  Dagegen  scheinen  nervöse  Symptome, 
die  einen  wichtigen  diagnostischen  Fingerzeig  hätten  abgeben  können, 
vollständig  gefehlt  zu  haben.  Von  den  übrigen  chronisch- entzündlichen 
Prozessen  an  der  Schädelbasis  und  den  obersten  Halswirbeln,  speziell 
der  Aktinomykose,  lässt  sich  wohl  kaum  irgend  ein  charakteristisches 
Bild  entwerfen;  immerhin  scheinen  auch  bei  ihr  Nackenscbmerzen  und 
Schwellung  hinter  dem  Ohr,  die  auch  in  dem  Fall  von  Terrier  und 
D  n j  a  r  d  i  n  ^)  zu  einer  vergeblichen  Warzenfortsatzaufmeisselung  führten, 
zu  den  ziemlich  früh  auftretenden  Symptomen  zu  gehören.  Gehen  wir 
unter  Zugrundelegung  dieser  diagnostischen  Bemerkungen  kurz  auf  die 
von  uns  angezogenen  Beobachtungen  ein,  so  war  es  im  ersten  Fall  das 
für  Meningitis  charakteristische  Wechseln  der  subjektiven  Beschwerden 
im  Verein  mit  der  Nackensteifigkeit,  dem  Ohrbefund,  der  zeitweisen 
Drockempimdlichkeit  des  Warzenfortsatzes,  der  Lähmung  des  Fazialis 
nnd  Oculomotorius,  das  zu  der  Fehldiagnose  einer  endokraniellen  Kom- 
plikation nach  Ohreiterung  führte.  Dazu  kam,  dass  die  für  Wirbel- 
bezw.  Schädelbasistuberkulose  charakteristische  Kopfhaltung  und  die 
Kopf-  und  Nackenschmerzen  bei  dem  Fehlen  jeder  Schwellung  im 
Nacken  falsch  gedeutet  wurden.  Die  Sektion  lieferte  eine  Erklärung 
für  das  Ausbleiben  der  Nackenschwellung,  indem  sie  nachwies,  dass  es 
sich  um  eine  ziemlich  zirkumskript  gebliebene  Halswirbeltuberkulose 
handelte  und  Senkungsabszesse  besonders  nach  der  Nackengegend  nicht 
vorhanden  waren.  Die  beiden  anderen  Beobachtungen  sind  besonders 
deshalb  interessant,  weil  beide  Patienten  lange  vor  dem  Auftreten  von 
irgend  welchen  sonstigen  Symptomen  durch  Ohrenschmerzen  zum  Arzt 
geführt  wurden.  Erst  später  trat,  was  für  die  in  Rede  stehenden 
Affektionen  beinahe  als  charakteristisch  erscheinen  muss,  zuerst  auf  der 
einen,  dann  auf  der  anderen  Seite  am  hinteren  Rande  des  Sternocleido- 
mastoideus,  also  an  typischer  Stelle  eine  Schwellung  auf,  die  dann  inzi- 
diert  werden  konnte.  Als  Zwischenstadium  erfolgte  in  der  zweiten 
Beobachtung  ein  Durchbruch  durch  die  hintere  Pharynxwand. 

Y.  Bergmann  hat,  wie  schon  früher  erwähnt,  auf  dieses  wichtige 
Primärsymptom  der  Ohrenschmerzen,  das  so  häufig  zu  Fehldiagnosen 
und  zu  einer  fehlerhaften  Therapie  Anlass  gab,  zuerst  die  Aufmerksam- 
keit gelenkt.     Er  berichtet  von   einem   39  jährigen  Patienten,    bei   dem 


^)  Terrier   et   Du j ardin,   TJn    cas    d'actinomycose    cervico - cranienne. 
Revue  de  chir.  1906. 


^ 


122  G.  Engelhardt:  Otogene  Senkungsabszesse 

wegen  Ohrenschmerzen  ohne  nachweisbare  Nackenschwellang  (die  ja, 
wie  unsere  Beobachtung  zeigt,  auch  vollkommen  bis  zum  Ausgang 
fehlen  kann)  die  mehr  weniger  vergebliche  Parazentese  ausgeführt 
wurde,  erwägt  andererseits  aber  auch  die  Möglichkeit,  dass  es  durch 
den  chronisch  entzündlichen  Prozess  zu  Verengerung  des  Gehörgauges, 
damit  zu  einer  Erkrankung  des  äusseren  Gehörganges  und  eitrigem 
Ausfluss  kommen  konnte.  Sehr  bemerkenswert  und  für  den  Otologen 
interessant  ist  auch  der  Befund,  den  v.  Bergmann  bei  einem  anderen 
36  jährigen  Patienten  erheben  konnte.  Auch  hier  waren  Ohren- 
schmerzen das  Primärsymptom  für  einen  auf  der  gleichen  Seite  lokali- 
sierten Senkungsabszess  im  Nacken,  und  viel  später  erst  wurde  wiederum 
das  Erscheinen  eines  zweiten  Eiterherdes  an  der  entsprechenden  Stelle 
der  anderen  Seite  durch  heftige  Ohrenschmerzen  ohne  lokalen  Ohr- 
befund angekündigt.  Es  scheint  also  diesem  Symptom  eine  verhältnis- 
mäfsig  grosse  Bedeutung  für  die  Frühdiagnose  dieser  Prozesse  zu- 
zukommen. Dass  im  weiteren  Verlauf  der  Erkrankung  wirkliche 
Ohreiterung  zu  stände  kommen  kann,  ist  nichts  seltenes,  sei  es  nun, 
dass  eine  vorher  übersehene  Mittelohrentzündung  von  neuem  aufflackert 
oder,  wie  in  der  Beobachtung  von  Grünwald*),  von  einem  prä- 
vertebralen Abszess  aus,  der  hier  die  Folge  einer  durch  eine  acces- 
sorische  Nebenhöhleneiterung  veranlassten  Karies  des  Atlas  war,  das 
Mittelohr,  dann  wohl  gewöhnlich  auf  dem  Wege  der  Tube,  infiziert 
wird  und  eine  hierdurch  veranlasste  akute  Otitis  media  zu  Perforation 
des  Trommelfelles  und  Eiterausfluss  aus  dem  Ohre  führt.  Schliesslich 
kann  auch  extradural  angesammelter  Eiter  sekundär  wieder  in  das 
Gehörorgan  einbrechen,  was  vielleicht  bei  unserem  letzten  Patienten 
mit  Aktinomykose  der  Schädelbasis  der  Fall  war.  Überhaupt  muss  bei 
diesem  Patienten  auf  eine  sichere  Erklärung,  wie  die  verschiedenen 
endokraniellen  Symptome  (Neuritis  optica,  Exophthalmus)  zu  stände 
kamen,  mangels  einer  Sektion  verzichtet  werden. 

Dass  die  an  verschiedenen  Stellen  des  Gesichts  regellos  auf- 
getretenen Abszesse  auf  dem  Wege  der  Blutbahn  vermittelt  wurden, 
eine  Möglichkeit,  die  für  die  Streptothrixinfektion  wohl  von  Löhlein 
und  mir^)  zuerst  bewiesen  wurde,  ist  bei  dem  Fehlen  sonstiger  metasta- 


1)  GrOnwald,  Subvertebraler  Abszess  etc.,  ausgehend  von  einer  Eiterung 
einer  accessorischen  Keilbeinhöhle.  Zahlreiche  Komplikationen.  Arch.  f.  LaryngoL, 
Bd.  XIL 

^)  Engelhardt  und  Löhlein,  Zur  Kenntnis  der  Streptothrixpyämie. 
Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  75. 


und  suboccipitale  Entzündungen.  123 

tischer  Eiterungen  nicht  sehr  wahrscheinlich.  Als  feststehend  kann 
wohl  nur  angenommen  werden,  dass  eine  extradurale  Eitersenkung  nach 
dem  Rückgratskanal  stattfand,  denn  die  wechselnden  Lähmungs- 
erscheinungen finden,  bei  dem  negativen  Ausfall  der  Lumbalpunktion, 
in  einer  Kompression  des  Rückenmarks  durch  extradurale  Eiterung  ihre 
ungezwungenste  Erklärung. 

Aus  der  kurzen  Gegenüberstellung  der  Wege,  die  einerseits  otogene 
Eiterungen  einschlagen  können,  und  des  Symptomenbildes  und  der 
Folgezustände  suboccipitaler  Entzündungen  andererseits  ergibt  sich  ohne 
weiteres,  inwiefern  beide  Prozesse  zu  Verwechslung  führen  können.  Es 
werden  einmal  vor  allem  die  durch  die  Arteria  occipitalis  nach  hinten 
weiter  geleiteten  Eiterungen  des  Ohres,  ferner  die  durch  die  ver- 
schiedenen Emissarien  oder  durch  Entzündung  der  Venenwand  (be- 
sonders der  Venae  condyloidae)  zu  den  tiefen,  kurzen  Nackenmuskeln 
vermittelten  Eiteransammlungen  sein,  die  unter  Umständen  eine  sub- 
occipitale Eiterung  annehmen  lassen,  das  andere  Mal  die  Fälle  mit 
zweifelhaftem  oder  positivem  Ohrbefund  und  doppelseitiger  oder  be- 
sonders einseitiger  Nackenschwellung,  die  zu  der  falschen  Annahme 
einer  otogenen  Entstehung  führen.  Eine  Reihe  von  Symptomen  ist  ja, 
wie  früher  hinlänglich  erörtert,  beiden  Prozessen  gemeinsam.  Immerhin 
wird  sich  eine  Entscheidung  in  fast  allen  Fällen  treffen  lassen.  Abgesehen 
davon,  dass  die  Anamnese  neben  einer  genauen  Untersuchung  des  Ohres 
sehr  häufig  eine  rasche  Entscheidung  möglich  machen  wird,  ist  und 
bleibt  bei  der  durch  die  Arteria  occipitalis  vermittelten  Eiterung,  die 
bei  weitem  den  häufigsten  Modus  der  nach  hinten  weitergeleiteten 
Bezoldschen  Mastoiditis  darstellt,  in  der  Regel  die  Schwellung  eine 
streng  halbseitige,  da  ihr  durch  das  Ligamentum  nuchae  ein  weiteres 
Fortschreiten  unmöglich  gemacht  wird.  Nur  bei  den  sehr  seltenen, 
direkt  unter  dem  Periost  gelegenen  tiefen  Nackeneiterungen,  wie  sie 
bei  Durchbruch  intrakranieller  Eiteransammlungen  durch  die  Sutura 
occipitomastoidea  etc.  und  durch  Phlebitis,  besonders  der  Venae  condy- 
loideae,  induziert  werden,  ist  eine  diffuse  Nackeuschwellung  die  Regel- 
Ist  die  Ohreiterung  allerdings  in  den  Retropharyngealraum  durch- 
gebrochen (und  wir  haben  oben  gesehen,  wie  mannigfach  die  Wege 
sind,  die  zu  einem  derartigen  Ereignis  führen  können),  so  kann  die 
Folge  wieder  eine  suboccipitale  Entzündung  mit  allen  ihren  Begleit- 
erscheinungen sein  und  die  Diagnose  wesentlich  erschwert  werden. 

Es  kann  hier  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  auf  die  Therapie  der 
suboccipitalen  Entzündungen  einzugehen.     Es  genüge,    nur   darauf  hin- 


124  G.  Engelbardt:  Otogene  Senkungsabszesse 

zaweisen,  dass  die  Inzision  der  Eiteransammlang  dicht  hinter  dem 
Sternocleidomastoideos  bei  der  Tuberkulose  des  Atlanto-Occipitalgelenkes 
zugleich  die  beste  Therapie  fQr  die  Entleerung  des  entweder  gleichzeitig 
oder  in  der  Regel  etwas  später  auftretenden  Retropharyngealabszesses 
ist.  Chiene  hat  bekanntlich  die  operative  Inangriffnahme  tuberkulöser 
Betropharyngealabszesse  von  dieser  Stelle  anstatt  der  direkten  Er- 
öffnung vom  Rachen  aus  empfohlen  und  ist  sein  Vorschlag  wohl  ziem- 
lich allgemein  acceptiert  worden.  So  traurig  die  Prognose  der  tuber- 
kulösen suboccipitalen  Entzündungen  im  allgemeinen  auch  ist  (v.  Berg m  an n 
berechnet  die  durchschnittliche  Lebensdauer  der  Patienten  vom  Beginn 
der  Erkrankung  auf  8  Monate,  höchstens  1 — 2  Jahre),  so  ist  doch 
einerseits,  wenn  auch  äusserst  selten,  anatomische  und  auch  klinische 
Heilung  der  Tuberkulose  des  Atlas  beobachtet,  andererseits  sind  durch 
Extensionsbehandlung  und  durch  Stfltzapparate  recht  gute,  wenn  auch 
nur  vorübergehende  Erfolge  erzielt  worden  *).  Eine  energischere  Therapie, 
die  sich  nicht  nur  auf  Inzision  des  Senkungsabszesses  beschränken  darf, 
sondern  in  Freilegung  des  osteomyelitischen  Herdes  im  Knochen  be- 
stehen muss,  erfordern  wohl  im  allgemeinen  die  osteomyelitischen  Pro- 
zesse au  der  Schädelbasis  und  in  den  obersten  Halswirbeln.  Ermuntern 
doch  gerade  Erfolge,  wie  sie  E  i  c  h  e  1  und  andere  erzielt  haben,  eventuell 
noch  weiter  zu  gehen  und  zutreffenden  Falles  nicht  nur  die  erkrankten 
Proc.  spinosi  und  Bogen,  sondern  auch  die  Wirbelkörper  freizulegen, 
Mafsnahmen,    die  bekanntlich  bei  der  Tuberkulose  streng  verpönt  sind. 


^)  Die  erst  nach  Abscbluss  dieser  Arbeit  erschienene  Veröffentlichung  von 
Payr  (Die  operative  Behandlung  des  Malum  suboccipitale.  Deutsche  med. 
Wochenschr..  v.  Bergmann-Nummer)  enthält  den  kühnen,  anscheinend  glänzend  ge- 
lungenen Versuch  einer  Badikaloperation  der  atlanto-occipitalen  Tuberkulose  durch 
breite  Freilegung  von  Hinterhaupt,  Atlas  und  Epistropheus.  Voraussetzung  für 
diesen  allerdings  wohl  äusserst  selten  indizierten  Eingriff  wäre  anatomisch  ein  Be- 
schränktbleiben auf  den  vorderen  und  hinteren  Bogen  des  Atlas  oder  den  Proc. 
transversus  oder  den  Gelenkfortsatz,  auf  dem  das  A.-O.-Gelenk  ruht.  Eine 
Förderung  für  die  richtige  Auswahl  der  Fälle  wäre  nach  Payr  einmal  von  einer 
verfeinerten  Frühdiagnose,  für  die  das  Freibleiben  der  Drehbewegungen  des 
Kopfes  und  geringe  Schmerzhaftigkeit  bei  Druck  auf  den  Scheitel  wesentliche 
Anhaltspunkte  bieten  würden,  und  weiteren  Ausbau  der  Diagnostik  durch 
Röntgen  verfahren  zu  erwarten.  Ob  es  sich  nicht  empfiehlt,  wie  schon  oben 
ausgeführt,  gerade  den  durch  den  occipitalis  major  so  häufig  vermittelten  oft 
einseitigen  Ohrenschmerzen,  die  auch  in  dem  von  Payr  erfolgreich  operierten 
Fall  vorhanden  waren,  als  Frühsymptom  besondere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden  ? 
Zugleich  erscheint  durch  diesen  erfolgreichen  Versuch  Payrs  auch  die  Therapie 
der  Osteomyelitis  der  obersten  Halswirbel  (s.  u.)  in  eine  andere  Beleuchtung 
gerückt. 


und  suboccipitale  Entzündungen.  125 

Es  ißt  dies  ein  Weg,  den  Riese ^)  fOr  die  unteren  (V.  und  VI.)  Hals- 
wirbel wenigstens,  mit  Erfolg  trotz  des  nachträglichen  Auftretens 
metastatischer  Eiterungen  beschritten  zu  haben  scheint.  Allerdings  wird 
die  Entscheidung,  wieviel  man  in  dieser  Richtung  wagen  darf,  un- 
abhäDgig  von  der  Abwägung  der  Gefahren  derartiger  Eingriffe  (sekun- 
däre Gibbusbildung  u.  s.  w.),  von  weiteren  Erfahrungen  abhängig  ge- 
macht werden  müssen.  Glaubt  doch  z.  B.  G  r  i  s  e  P)  auf  Grund  eigener 
und  fremder  Beobachtungen  zu  dem  Schluss  berechtigt  zu  sein,  dass 
da,  wo  die  einfache  Inzision  nichts  genützt  habe,  auch  grössere  Eingriffe 
erfolglos  geblieben  seien.  Dass  endlich  die  Therapie  der  Aktinomykose 
der  Schädelbasis  wesentliche  Fortschritte  machen  werde,  einerlei  ob  sie 
vom  Ober-  oder  Unterkiefer  direkt  auf  die  Schädelbasis  weitergeleitet 
wurde  (Poncet^),  Markus^)  u.  a.),  oder  ob,  wie  in  zwei  Be- 
obachtungen von  Ri viere  und  Thövenot*)  die  Infektion  von  der 
hinteren  Rachenwand  auf  dem  Umwege  einer  eitrigen  Mittelohrentzündung 
und  Mastoiditis  zur  Schädelbasis  gelangte,  ist  bei  der  Schwierigkeit, 
an  die  verschiedenen  versteckten  Herde  heranzukommen,  und  der 
erfahrungsgemäfsen  Neigung  dieser  Prozesse,  sekundär  eine  Meningitis 
zu  verursachen,  wenig  wahrscheinlich.  Dass  die  Fälle,  bei  denen  die 
Ausbreitung  an  die  Schädelbasis  von  der  prävertebralen  Region  aus 
erfolgte,  von  vornherein,  chirurgisch  wenigstens,  unangreifbar  sind,  ist 
ohne  weiteres  verständlich.  Dem  entspricht  auch  im  allgemeinen  die 
klinische  Erfahrung,  musste  doch  z.  B.  Markus  von  13  Fällen  von 
Aktinomykose  der  Kopf-Halsregion  nur  die  beiden  auf  die  Schädelbasis 
übergegangenen  als  ungeheilt  anführen.  Auch  der  allein  von  uns  auf- 
gefuÄdene  Heilerfolg,  den  Terrier  und  Dujardin^)  mitgeteilt  haben, 
muss  nach  dem  eigenen  Bericht  der  Autoren  mehr  als  zweifelhaft  er- 
scheinen. —  Demgegenüber  bieten  die  otogenen  Senkungsabszesse,  von 
seltenen  Ausnahmen  abgesehen,  bei  nicht  vernachlässigten  Fällen  be- 
kanntlich eine  sehr  günstige  Prognose  und  ist  deshalb  die  Forderung 
um  so  mehr  berechtigt,  den  Kranken  nicht  durch  eine  falsche  Diagnose 
oder  fehlerhafte  Therapie  Gefahren  auszusetzen,  die  ihm  bei  frühzeitiger 
richtiger  Erkenntnis  und  Behandlung  hätten  erspart  werden  können. 

^)  Biese,  Vortrag  in  der  Freien  Vereinigung  der  Chirurgen  Berlins  am  14.11.98. 

*)  Grisel,  De  Tost^omyelite  vertöbrale  aigue  primitive  des  vertöbres. 
Eevue  d'orthop,  1903. 

^  Poncet,  De  Tactinomycose  humaine  k  Lyon.  Gaz.  hebd.  de  m6d.  etc.  1895. 

^)  Markus,  Beitr.  zur  Beb.  der  Aktinomykose  mit  Ber.  der  Jodkali- 
therapie.   I.-D.  Breslau  1902. 

^jRiviöre  et  Th^venot,  Actinomycose  d'oreille.   Revue  de  chir.  1904. 

«)1.  c. 


1 


126     Kramm:  Beitrag  zur  Entstehung  u.Behandlnngd.otogenenPyämie. 

vm. 

(Aus  der  Ohrenklinik  der  Königlichen  Charite  zu  Berlin. 
Direktor  Geh.  Medizinalrat  Professor  Dr.  Passow.) 

Beitrag  zur  Entstehung  und  Behandlung  der 

otogenen  Pyämie. 

(Ein  Fall  von  Thrombose  des  Sinus  petrosus  superior.) 
Von    Stabsarzt   Br.    Kramm, 

Assistenten  der  Klinik. 
Mit  2  Abbildungen  auf  Tafel  XIII. 

Während  die  Behandlang  der  obturierenden  Sinnsthrombose  im 
letzten  Jahrzehnt  wesentlich  geklärt  worden  ist,  gehen  die  Ansichten 
über  die  Mafsnahmen  bei  einer  otogenen  Pyämie  ohne  obturierende 
Thrombose  noch  weit  auseinander.  Man  wird  stets  zu  verhindern 
suchen,  dass  infektiöse  Teile  von  dem  Erkrankungsherde  der  Blutleiter 
aus  in  die  allgemeine  Zirkulation  übergehen.  Dieser  Herd  wird  bei 
der  obturierenden  Thrombose  gewöhnlich  leicht  gefunden.  Wenn  da- 
gegen die  Kontinuität  des  Blutstromes  im  Sinus  nicht  unterbrochen  ist, 
so  kann  es  schwer,  häufig  intra  vitam  unmöglich  sein,  den  Ausgangs- 
punkt der  Pyämie  nachzuweisen.  Zuweilen  gehen  nach  einer  grtind- 
lichen  Beseitigung  des  erkrankten  Knochens  die  pyämischen  Erschein- 
ungen zurück;  für  diese  Fälle  hat  man  eine  Osteophlebitis  des 
Schläfenbeins  oder  eine  einfache  Durchlässigkeit  der  entzündeten  Sinus- 
wand als  Ursache  der  Pyämie  angenommen.  Bleibt  jedoch  nach  der 
Knochenoperation  die  Pyämie  unverändert,  so  liegt  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit eine  wandständige  Sinusthrombose  oder  eine  Erkrankung 
des  Bulbus  der  Vena  jugularis  vor. 

Die  den  Bulbus  vollkommen  erfüllende  Thrombose  kann  aus  der 
Blutleere  unterhalb  des  Bulbus,  nach  ausgeführter  Sinustamponade  auch 
oberhalb  des  Bulbus  erkannt  werden;  von  dieser  Art  der  Blutleiter- 
erkrankung wird  hier  abgesehen. 

Für  die  Behandlung  einer  schweren  Pyämie  mit  wandständiger 
Thrombose  kommt  die  Abdämmung  des  Sinus  und  die  Unterbindung 
der  Vena  jugularis  in  Betracht.  Die  richtige  Behandlung  einer  solchen 
Pyämie  ist  von  der  Lösung  der  schwierigen  Frage  abhängig:  Wo  sitzt 
der  wandständige  Thrombus? 

Nach  der  allgemeinen  Annahme  entsteht  eine  otogene  Pyämie  ge- 
wöhnlich durch  Fortschreiten  der  Erkrankung  von  der  Hinterwand  des 


K  r  a  m  m :  Beitrag  zur  Entstehung  u.  Behandlang  d.  otogenen  Pyämie.     127 

Schläfenbeins  auf  den  Sinus  sigmoideas  oder  von  dem  Boden  der 
Paukenhöhle  auf  den  Bulbus  der  Vena  jugularis.  Ist  die  Sinuswand 
sichtbar  erkrankt,  so  wird  man  an  dieser  Stelle  auch  den  angenommenen 
wandständigen  Thrombus  erwarten  dürfen.  Die  Abdämmung  des  Blut- 
stromes nach  oben  und  unten  durch  je  einen  zwischen  Knochen  und 
Sinus  eingeführten  Tampon  und  die  nachfolgende  Schlitzung  der  Sinus- 
wand  werden  häufig  den  wandständigen  Thrombus  erkennen  lassen ; 
wenn  dieser  aber  dünn  und  flach  ist,  wird  man  nach  dem  makro- 
skopischen Befunde  bei  der  Operation  zuweilen  im  Ungewissen  bleiben. 
Hat  der  Teil  des  Sinus,  der  der  Hinterwand  des  Schläfenbeins  anliegt, 
keinen  Anhalt  für  einen  wandständigen  Thrombus  ergeben,  so  wird 
dieser  im  Bulbus  der  Vena  jugularis  vermutet.  Man  schreitet  dann 
gewöhnlich  zur  Unterbindung  der  Vena  jugularis. 

Nur  wenig  Beachtung  hat  bisher  die  Entstehung  einer  Sinus- 
thrombose vom  Tegmen  tympani  et  antri  aus  gefunden;  doch  ist  es 
nicht  unmöglich,  dass  dieser  Infektionsweg  für  die  otogene  Pyämie  eine 
grössere  Rolle  spielt,  als  man  zur  Zeit  annimmt. 

Die  Übertragung  der  Infektion  von  der  Paukenhöhle  und  dem 
Antrum  aus  durch  die  mittlere  Schädelgrube  auf  den  Sinus  kann  in 
verschiedener  Weise  vor  sich  gehen.  Am  einfachsten  liegen  die  Ver- 
hältnisse, wenn  nach  Zerstörung  des  Tegmen  und  Erkrankung  des  an- 
grenzenden hinteren  oberen  Abschnittes  der  Vorderfläche  der  Pyramide 
das  Sinusknie  oder  das  Endstück  des  Sinus  petrosus  superior  in  Mit- 
leidenschaft gezogen  wird.  Das  Tegmen  kann  aber  auch  erhalten  und 
makroskopisch  gesund  sein;  die  Erkrankung  geht  durch  feine,  nur 
mikroskopisch  nachweisbare  Fisteln  im  Tegmen  oder  durch  die  Gefässe 
and  Spalten  der  Fissura  oder  Sutura  petroso  -  squamosa ,  welche  das 
Tegmen  von  vorne  nach  hinten  durchsetzt,  auf  die  mittlere  Schädel- 
grabe über.  Die  Entzündung  kann  dann  vermittelst  eines  Sinus  petroso* 
squamosus  oder  einer  gleich  verlaufenden  Vene  der  Dura  mater  bis 
zum  Sinusknie  fortschreiten  [Körner^),  S.  9  u.  81].  Ferner  kann 
eine  Infektion  des  Sinus  durch  einen  extraduralen  Abszess  der  mittleren 
Schädelgrube  erfolgen;  auf  diese  Entstehungsweise  der  Sinusphlebitis 
möchte  ich  hier  besonders  eingehen,  da  sie  mir  .von  prinzipieller  Be- 
deutung für  die  Behandlung  der  otogenen  Pyämie  mit  verborgener 
wandständiger  Thrombose  zu  sein  scheint. 


')  Körner,  Die  otitischen  Erkrankungen  des  Hirns,  der  Hirnhäute  und 
der  Blatleiter,  3.  Aufl.,  1902. 


1 28     K  r  a  m  m :  Beitrag  znr  EntstehuDg  a.  Bebandlang  d.  otogenen  P yämie. 

Extradarale  Abszesse  haben  aach  bei  geringem  Yolamen  die 
Neigang,  sich  in  der  Fläche  zwischen  Knochen  nnd  Dura  auszudehnen. 
Fflr  die  Richtung  der  Ausbreitung  der  extradnralen  über  dem  Tegmen 
tjmpani  et  antri  entstandenen  Abszesse  sind  folgende  anatomischen  Ver- 
hältnisse von  Bedeutung:  Medial  vom  Tegmen  antri  befindet  sich  die 
durch  den  oberen  vertikalen  Bogengang  gebildete  Eminentia  arcuata. 
Lateral  vom  Tegmen  ist  häufig  in  der  Knochenoberfläche  eine  etwa 
1  cm  breite  Mulde  vorhanden,  welche  nach  aussen  an  die  aufsteigende 
Schläfenbeinschuppe  grenzt  und  von  vorne  nach  hinten  bis  zum  late- 
ralsten Abschnitt  der  oberen  Pyramiden  kante  zieht.  Hinter  diesem 
Abschnitt  liegt  das  Sinusknie,  die  Umbiegungsstelle  des  Sinus  trans- 
versus  in  den  Sinus  sigmoideus.  Hier  ist  der  Querschnitt  des  Sinus 
oft  besonders  gross;  nicht  selten  wölbt  sich  der  Sinus  bulbusartig  in 
das  Schläfenbein  hinein  vor.  In  das  Sinusknie  ergiesst  an  seinem 
medialen  Rande  der  Sinus  petrosus  superior  sein  Blut.  Der  Sulcns 
petrosus  superior  nimmt  also  nicht  die  ganze  Länge  der  oberen  Pyra- 
midenkante ein,  sondern  ihr  äusserster  Teil  wird  durch  eine  einfache, 
nicht  furchenartig  vertiefte  Kante  gebildet:  diese  ist  um  so  länger,  je 
grösser  die  Anschwellung  des  Sinus  am  Knie  ist. 

FUr  die  Entstehung  einer  Sinusphlebitis  kommen  die  extraduralen 
Abszesse  über  dem  Tegmen  tympani  weniger  als  die  über  dem  Tegmen 
antri  befindlichen  in  Betracht,  da  das  letztere  der  oberen  Pyramiden- 
kante und  demnach  auch  dem  Sinus  näher  gelegen  ist. 

Ein  extraduraler  Abszess  über  dem  Tegmen  antri  wird  wenig 
Neigung  haben,  sich  nach  medial  auszubreiten,  da  er  hier  den  Wulst 
der  Eminentia  arcuata  überschreiten  müsste.  Die  Ausdehnung  des 
Eiters  nach  hinten  und  somit  die  Infektion  des  nahegelegenen  flnd- 
stückes  des  Sinus  petrosus  superior  ist  wohl  möglich.  Ebenso  leicht 
aber  wird  der  Abszess  sich  nach  lateral  in  der  hier  gelegenen  Mulde 
ausbreiten  können,  welche  hinten  am  Sinusknie  endigt.  Durch  diese 
Verhältnisse  sind  die  Vorbedingungen  dafür  geschaffen,  dass  ein  extra- 
duraler über  dem  Tegmen  antri  entstandener  Abszess  bei  seinem 
Wachstum  mit  der  Wand  des  Sinus  transversus  am  Knie  selbst,  mit 
grösseren,  aus  der  mittleren  Schädelgrube  stammenden  Duravenen  dicht 
vor  ihrem  Eintritt  in  das  Sinusknie  oder  mit  dem  Endstück  des  Sinus 
petrosus  superior  in  Berührung  kommt.  Die  nun  entstehende  Er- 
krankung des  Sinus  wird  zunächst  nur  zu  einer  wandständigen  Throm- 
bose  führen,    welche  wegen  der  Ausbuchtung  des  Sinus  am  Knie  nicht 


K  ra  m  m :  Beitrag  zur  Entstehung  u.  Behandlung  d.  otogenen  Pjämie.     1 29 

so  schnell  wie  an  den  übrigen  Sinusabschnitten   zu  einer  obturierenden 
anwachsen  wird. 

Während  bei  einem  extraduralen  vom  Tegmen  antri  ausgehenden 
Abszess  die  anatomischen  Verhältnisse  fttr  die  Infektion  des  Sinusknies 
Torteilhaft  sind,  werden  sie  für  die  Ausbreitung  des  Kiters  in  der 
hinteren  Schädelgrube  nicht  günstig  sein.  Der  Abszess  wird  nur  bei 
einem  grossen  Volumen,  wie  er  es  selten  erreicht,  die  Pyramidenkante 
nach  hinten  überschreiten  und  sich  daher  nur  ausnahmsweise  zwischen 
Einterwand  der  Pyramide  und  Sinus  sigmoideus  erstrecken.  Deshalb 
ist  es  wohl  möglich,  dass  pathologische  Veränderungen  der  Aussenwand 
des  absteigenden  Sinus  fehlen,  während  im  Sinusknie  bereits  eine  wand- 
sttodige  Thrombose  vorhanden  ist.  Die  lokale  Diagnose  der  Sinus- 
erkrankung kann  dann  nicht  geringen  Schwierigkeiten  begegnen. 

Über  einen  hierher  gehörenden  Fall  will  ich  nun  berichten: 

22  jähr.  Hausdiener.  Seit  3  Jahren  Ohrenlaufen  links.  31.  X.  06 
heftige  linksseitige  Kopfschmerzen.  Am  1.  XL  06  plötzlich  starker 
Schüttelfrost,  gleichzeitig  heftiger  Schwindel,  stärkeres  Ohrenlaufen  links. 
Am  2.  XL  morgens  und  vormittags  2  mal  Schüttelfrost.  Aufnahme  in 
liie  Ohrenklinik  der  Charit^. 

Befund;  T.  39,9.  R.  Ohr  gesund.  L.  Ohr:  Reichliches,  sehr 
übelriechendes  eitriges  Sekret  im  äusseren  Gehörgang;  starke  Vor- 
drängung der  hinteren  Gehörgangswand,  Polypen  in  der  Tiefe.  Druck 
auf  den  Warzenfortsatz  in  der  Fossa  mastoidea  und  hinter  der  hinteren 
Oehörgangswand  sehr  empfindlich,  dagegen  nicht  in  der  Gegend  des 
Emissarinm  mastoideum.  Schmerzhafte  Lymphdrüsen  vor  dem  M.  sterno- 
cleido-mastoideus. 

Augenhintergrund:  Pupillen  etwas  gerötet,  Grenzen  nicht  ganz 
scharf;  starke  Füllung  und  Schlängelung  der  Venen.  Kein  Nystagmus. 
Zunge  trocken  und  belegt. 

Radikaloperation :  Knochen  des  Warzenfortsatzes  vollkommen  sklero- 
tisch. Das  haselnussgrosse  Antrum  und  die  Paukenhöhle  sind  mit  übel- 
riechendem Eiter,  Epithellamellen  und  Granulationen  erfüllt.  Hammer 
and  Amboss  fehlen.  Bogengang  intakt.  Tegmen  tympani  et  antri 
erscheinen  normal.  Zur  Freilegung  des  Sinus  werden  die  be- 
deckenden Knochenschichten  abgemeisselt ;  sie  sind  kompakt  und  weiss, 
nirgend  verfärbt.  Aussenwand  des  Sinus  normal;  der  Sinus  selbst,  wie 
die  Inzifiion  ergibt,  ist  bluthaltig 

3.-5.  XL     T.  normal. 

6.  XL  T.  37,8—39,0.  7.^  XL  T.  37,8—38,7.  8.  XL  T.  38,2 
bis  39,7. 

9.  XL    In  der  vergangenen  Nacht  Schüttelfrost.    T.  morgens  39,7. 

Zeiiachrift  f&r  OlurenbeUkoDde.  Bd.  LIV.  9 


n 


1 30     K  r  a  m  m :  Beitrag  zur  Entstehung  a.  Behandlung  d.  otogenen  Pyämie. 

Unterbindung  der  normalen  Vena  jugularis.  Dicht 
oberhalb  der  Vena  facialis  communis.     Darauf  Abfall  auf  37,1. 

10.  XL  2  Schüttelfröste  mit  T.  yon  40,2  und  40,0.  Milz  sehr 
gross,  im  übrigen  kein  objektiver  Krankheitsbefund.  In  der  Operations- 
höhle nicht  Besonderes  bemerkbar. 

11.  XL     Schüttelfrost.     T.  37,3—40,8. 

12.  XL  2  Schüttelfröste  mit  T.  von  40,7  und  41,0.  Atemnot; 
Atmung  45;  ziemlich  reichlicher  blutiger  Auswurf;  starkes  Stechen  in 
der  rechten  Brustseite  ohne  objektiven  Befund.  V.  jugularis  oberhalb 
der  abgebundenen  Stelle  bluthaltig,  ebenso  der  Sinus  sigmoideus.  Ver- 
schluss des  Sinus  durch  Tampons,  welche  oberhalb  und 
unterhalb  der  freigelegten  Stelle  zwischen  Knochen  und 
Sinuswand  eingeschoben  werden.  Von  jetzt  ab  kein 
Schüttelfrost  mehr.  Abends  T.  36,6.  Befinden  gut.  Atmung  20. 
Puls  84,  voll  und  kräftig. 

13.  XL  T.  37,8 — 39,7.  Atemnot,  reichlicher  blutiger  Auswurf. 
H.  r.  u.  handbreite  Dämpfung  mit  aufgehobenem  Atmungsgeräusch,  aber 
normalem  Stimmfremitus. 

14.  XL  T.  39,0—40,3.  Puls  100—120,  ziemlich  kräftig  und 
regelmäfsig.  Leichter  Ikterus.  Papillen  gerötet  und  getrübt,  Grenzen 
verwaschen.  Beim  Verbandwechsel  kommt  aus  dem  hinteren  Abschnitt 
des  Antrum  Eiter;  deswegen  Entfernung  der  hinteren  Antrumwand; 
Dura  des  Kleinhirns  normal,  kein  Abszess. 

15.  XL  Puls  140—150.  H.  u.  beiderseits  handbreite  Dämpfung, 
leises  hauchendes  Atmungsgeräusch,  sehr  reichliche  Schabegeräusche. 
Gegen  Mittag  Cyanose.     Exitus  4  Uhr  nachm. 

Obduktionsergebnis. 

Im  Unterlappen  der  rechten  Lunge  wallnussgrosser  Abszess,  zu 
welchem  ein  durch  einen  schmierigen  Embolus  verschlossenes  Gefäss 
führt.  In  beiden  Pleurahöhlen  zusammen  1  Liter  braune  stinkende 
Flüssigkeit.     Tnfektionsmilz. 

Tegmen  tympani  et  antri  intakt.  Zwischen  dem  Tegmen  antri 
und  der  Dura  flacher  Abszess,  welcher  sich  nach  hinten  aussen  bis  zum 
lateralsten  Abschnitt  der  oberen  Pyramidenkante  erstreckt.  Dura  über 
dem  Tegmen  antri  missfarben;  im  Anschluss  an  diese  Stelle  wallnuss- 
grosser Abszess  des  Schläfenlappens.  Vom  Knie  des  linken  Sinus  bis 
zur  Unterbindungsstelle  der  V.  jugularis  frischer  dunkelroter  Thrombus. 
Wandung  des  Bulbus  makroskopisch  ohne  Veränderungen,  was  durch  die 
mikroskopische  Untersuchung  bestätigt  wird.  Sinus  petrosus  superior 
im  medialen  Abschnitt  von  einigen  fadenförmigen  Ge- 
rinnseln erfüllt,  im  lateralen  bis  nahe  an  die  Einmündungs- 
stelle  in  den  Sinus  sigmoideus  leer. 


E r  a  m  ro :  Beitrag  zur  Etitstehung  n.  Behandlang  d.  otogenen  Pyänode.     131 

Mikroskopische  Untersuchnng  mit  Serienschnitten  senkrecht  zur 
oberen  Pyramidenkante,  s.  Abbildung  1  und  2  auf  Tafel  Xin. 

Das  Tegmen  antri  ist  in  seinem  äusseren  und  vorderen  Teil  normal. 
Im  hinteren  medialen  Abschnitt  des  Tegmen  findet  sich  in  seiner 
Unterfiäche,  nach  dem  Antrum  zu,  inmitten  der  Enochensubstanz  eine 
(makroskopisch  stecknadelkopfgrosse)  Stelle,  an  welcher  junges  Granu- 
lationsgewebe einen  kleinen  Knochensequester  einschliesst.  Von  hier 
breitet  sich  die  Erkrankung  des  Tegmen  antri  von  unten  nach  oben 
trichterförmig  aus.  In  diesem  Abschnitt  des  Knochens  sind  mehrere 
kleinere  und  grössere  Höhlen  vorhanden,  welche  teils  junges  Granu- 
lationsgewebe, teils  Eiter  enthalten.  Der  Knochen  zeigt  innerhalb 
des  Erkrankungsbezirks  überall  an  seinen  Rändern  Ho'wshipsche 
Lakonen  und  angelagerte  Riesenzellen  (Osteoklasten).  Hier  und  da 
finden  sich  kleine,  aus  dem  Zusammenhange  mit  dem  übrigen  Knochen 
losgelöste  Sequester.  Der  Grad  der  Erkrankung  und  Zerstörung  nimmt 
von  der  Antrumfläche  aus  nach  der  mittleren  Schädelgrube  hin  stetig 
zü.  Die  Tabula  interna  der  mittleren  Schädelgrube  ist  in  Fünfpfennig- 
stückgrösse  durch  Eiter  völlig  unterminiert  und  an  den  Rändern  dieser 
Stelle  durchbrochen.  Über  diesem  Sequester  der  Tabula  interna,  dessen 
Knochenhöhlen  leer  sind,  beginnt  ein  flacher  extraduraler  Abszess, 
welcher  sich  in  der  mittleren  Schädelgrube  nach  hinten  aussen  erstreckt. 
Er  verläuft  zunächst  parallel  der  oberen  Pyramidenkante  und  bleibt 
etwa  0,5  cm  von  ihr  entfernt;  sodann  nähert  er  sich  dieser  Kante,  er- 
reicht sie  an  der  Einmündungssteile  des  Sinus  petrosus  superior  in  den 
Sinus  sigmoideus  und  endet  etwas  nach  aussen  von  diesem  Punkt. 
Der  Eiter  überschreitet  nach  hinten  nirgends  die  obere 
Pyramidenkante.  Nur  wo  der  Eiter  der  Dura  anliegt,  ist  diese 
mit  Granulationsgewebe  bedeckt  und  in  den  oberflächlichen  Schichten 
zellig  infiltriert.  Granulationen  auf  der  Dura  sind  also 
hinter  der  oberen  Pyramidenkante  im  Bereich  der 
hinteren  Schädelgrube  nicht  mehr  vorhanden. 

In  der  Höhe  des  Überganges  des  Sinus  petrosus  superior  in  den 
Sinus  sigmoideus  ist  die  Wand  des  Sinus  petrosus  superior  über  der 
oberen  Pyramidenkante  von  Granulationsgewebe  völlig  durchbrochen; 
dieses  bildet  die  unmittelbare  Fortsetzung  des  an  den  Abszess  angrenzen- 
den Granulationsgewebes  (s.  Abbildung  1  D).  Auch  Färbung  nach 
van  Gieson  lässt  an  der  Durchbruchsstelle  erhaltene  Fasern  der 
Wand  des  Sinus  petr.  sup.  nicht  mehr  erkennen.  Das  Granulations- 
gewebe setzt  sich  in  den  Sinus  petrosus  superior  hinein  fort  und  erfüllt 

9* 


132     E  r  a  m  m :  Beitrag  zur  Entstehung  u.  Behandlung  d.  otogenen  Pyämie. 

sein  Lumen  yollkommen.  Nach  medial  von  dieser  Stelle  nimmt  das  Kaliher 
des  GranulatioDsgewehe  enthaltenden  Sinus  petrosus  superior  schnell  er- 
heblich ab;  bald  ist  als  Andeutung  von  ihm  nur  noch  ein  schwacher 
Granulationsstreifen  mikroskopisch  nachweisbar. 

Das  Granulationsgewebe  erstreckt  sich  weiter  aus 
dem  Sinus  petrosus  superior  zusammenhängend  in  den 
Sinus  sigmoideus  hinein  und  breitet  sich  an  der  Innen- 
fläche seiner  Aussenwand  flach  in  geringer  Ausdehnung 
aus  (s.  Abbildung  2  G). 

Im  Innern  des  Sinus  sigmoideus  geht  das  Granulationsgewebe  all- 
mählich in  einen  diesen  Sinus  ganz  erftlllenden  gewöhnlichen  frischen 
gemischten  Thrombus  Qber,  in  welchen  hinein  an  der  Grenze  des 
Granulationsgewebes  grosse  spindelförmige  Bindegewebszellen  und  zart- 
wandige,  ziemlich  weite  Blutgefässe  vorspringen. 

Der  Sinus  sigmoideus  ist  an  der  Einmündung  des  Sinus  petrosus 
superior  platt  zusammengedrückt  (durch  den  intra  vitam  zwischen 
Knochen  und  Sinus  nach  hinten  eingeschobenen  Tampon.  S.  Abbild. 
1  und  2  T). 

Während  die  übrigen  den  Sinus  sigmoideus  erfüllenden  Thrombus- 
massen frisch  sind,  ist  das  im  Sinus  petrosus  superior  vorhandene  und 
wandständig  der  Innenfläche  des  Sinus  sigmoideus  anliegende  Granu- 
lationsgewebe als  ein  in  Organisation  begriffener  Thrombus  aufzufassen, 
welcher  also  der  ältere,  ursprüngliche  ist. 

Der  Infektionsweg  kann  demnach  fortlaufend  von  dem  Tegmen 
antri  aus  durch  den  extraduralen  Abszess  zum  Sinus  petrosus  superior 
bis  in  das  Sinusknie  hinein  verfolgt  werden. 

Dieser  Befund  beweist  wohl  ganz  einwandsfrei,  dass  die  tödlich 
verlaufene  Pyämie  durch  einen  wandständigen  infektiösen  Thrombus  des 
Sinusknies  bedingt  war.  Mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  ist  die  Er- 
krankung dann  auf  folgende  Weise  verlaufen:  Es  kam  zunächst  zu 
keinem  grösseren  Thrombus  im  Sinns  sigmoideus;  der  Blutstrom  des 
Sinus  riss  die  in  sein  Lumen  vorspringenden  Thrombusmassen  mit  sich 
fort,  wodurch  die  Schüttelfröste  und  die  einzige  nachweisbare  grössere 
Embolie,  nämlich  in  der  Lunge,  verursacht  wurden.  Die  erst  drei  Tage 
vor  dem  Tode  ausgeführte  Verschliessung  des  bis  dahin  stark  blut- 
haltigen  Sinus  durch  Tamponade  hatte  die  Bildung  des  gefundenen 
frischen  Thrombus  zur  Folge. 


r 


Er  am  m :  Beitrag  zar  Entstehung  a.  Behandlang  d.  otogenen  Pjämie.     133 

Nach  dem  Obdaktionsbefonde  ist  es  durchaus  verständlich,  dass 
intra  vitam  die  Aussenwand  des  Sinus  normal  befunden  wurde,  und  der 
Sinus  selbst  bis  kurz  ante  exitum  bluthaltig  war.  So  fand  sich  kein 
Hinweis  auf  den  Sitz  des  Thrombus.  Ich  möchte  sogar  behaupten,  dass 
bei  voller  Kenntnis  der  vorliegenden  Verhältnisse  nach  Abdämmung 
des  Sinus  der  Thrombus  nicht  hätte  gefunden  werden  können,  weil  er 
zu  klein  war. 

Ob  die  geschilderte  Entstehungsweise  einer  otogenen  Pyämie  häufiger 
ist,  vermag  ich  nicht  zu  sagen,  ich  möchte  aber  annehmen,  dass  sie 
nicht  allzu  selten  ist.  Sie  kann  ja  nur  durch  einen  mikroskopischen 
Befund,  wie  im  vorliegenden  Fall,  sicher  bewiesen  werden,  für  andere 
Fälle  besteht  lediglich  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  oder  Möglichkeit. 

So  beobachteten  wir  vor  kurzem  bei  einem  Cholesteatom  eine 
tödlich  verlaufende  Pyämie  mit  einer  jauchigen,  vom  Sinusknie  bis  zur 
Vena  anonyma  reichenden  obturierenden  Thrombose.  Der  Knochen  im 
hinteren  Abschnitt  des  Warzenfortsatzes  war  sklerotisch,  die  Aussen- 
fläche  des  Sinus  kaum  verändert.  Über  dem  Tegmen  antri,  •  welches 
bei  der  Operation  an  der  Unterfläche  durchaus  normal  erschien,  befand 
sich  ein  extraduraler,  bis  zum  lateralsten  Abschnitt  der  oberen  Pyra- 
midenkante sich  flach  hinziehender  Abszess;  über  diesem  war  in  der 
Gegend  des  Tegmen  antri  die  Dura  missfarben,  und  im  Schläfenlappen 
ein  wallnussgrosser  Abszess  vorhanden.  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung konnte  leider  nicht  ausgeführt  werden. 

Mögen  nun  die  Fälle,  wie  der  oben  ausführlich  wiedergegebene, 
häufiger  oder  seltener  sein,  so  muss  die  Möglichkeit  einer  Entstehung 
der  otogenen  Pyämie  vom  Tegmen  aus  doch  immer  bei  der  Behandlung 
in  Betracht  gezogen  werden.  Der  von  Lane^)  ausgesprochene  Grund- 
satz, bei  Eiterung  und  Cholesteatom  des  Warzenfortsatzes  stets  die 
mittlere  und  hintere  Schädelgrube  zu  eröffnen,  findet  heute  wohl  wenig 
Anhänger.  Doch  muss  das  Tegmen  antri  entfernt  und  die 
darüber  liegende  Dura  besichtigt  werden,  wenn  bei 
einer  otogenen  Pyämie  der  Knochen  an  der  Hinterwand 
des  Warzenfortsatzes  nicht  erkrankt  oder  wenn  die  Ober- 
fläche des  freigelegten  Sinus  normal  erscheint.  Es  ist 
nach  unserem  Fall  wohl  unabweisbar,  dieses  Vorgehen 
als  eine  Regel  für  die  Behandlung  der  otogenen  Pyämie 
aufzustellen. 


>)  Zit.  nach  Körner,  Otit.  Erkrank,  des  Hirns  etc.,  3.  Aufl.,  S.  33. 


1 34     E  r  a  m  m :  Beitrag  zur  Entstehung  u.  Behandlung  d.  otogenen  PySmie. 

Für  einen  extradnralen  Abszess  Aber  dem  Tegmen  ist  oft  nicht 
das  geringste  Zeichen  vorhanden.  Das  Tegmen  kann  normal  aussehen, 
Eiterabfluss  von  oben  kann  fehlen,  Druckerscheinungen  bestehen  meistens 
nicht.  Man  muss  eben  wissen,  dass  Beziehungen  zwischen  Pyämie  und 
Erkrankungen  des  Tegmen  bezw.  extraduralen  Abszessen  der  mittleren 
Schädel  grübe  bestehen  und  hiernach  handeln. 

Komme  ich  nunmehr  auf  die  Behandlung  der  otogenen  Pyämie 
mit  verborgener  wandständiger  Sinusthrombose  zurück,  so  bietet  unser 
Fall  manches  Lehrreiche. 

Es  erscheint  mir  sehr  bemerkenswert,  dass  nach  der  Unterbindung 
der  Vena  jugularis  nicht  die  geringste  Besserung  eintrat,  sondern  im 
Gegenteil  die  pyämischen  Erscheinungen  heftiger  als  zuvor  wurden. 
Als  dagegen  3  Tage  nach  der  Unterbindung  der  Sinus  durch  Tampons 
abgedämmt  wurde,  trat  nunmehr,  in  den  letzten  3  Lebenstagen,  kein 
Schüttelfrost  mehr  auf.  Die  Obduktion  zeigte  dann,  dass  der  hintere 
Tampon  den  Sinus  gerade  an  der  Stelle  des  wandständigen  Thrombus 
verschlossen  hatte.  Sowohl  die  klinische  Beobachtung  als  auch  der 
anatomische  Befund  ergeben  also,  dass  in  unserem  Falle  durch  die 
Sinustamponade  die  Bildung  von  neuen  Metastasen  verhindert  wurde. 
Durch  rechtzeitige  Anwendung  der  Sinustamponade  hätte  die  Pyämie 
geheilt  werden  können. 

Der  Verlauf  des  Falles  zeigt  wieder  einmal,  dass  die  Jugularis- 
unterbindung  nicht  imstande  ist,  die  Verschleppung  infektiösen  Materials 
aus  dem  Sinus  zu  verhüten.  Die  Bildung  von  Metastasen  kann  trotz 
Jugularisunterbindung  erfolgen,  entweder  durch  den  Sinus  transversus 
rückwärts  auf  dem  Wege  über  den  Confluens  sinum  oder  durch  andere 
Blntbahnen.  Ich  glaube  daher,  dass  man  die  Jugularisunter- 
bindung allein  als  prinzipielle  Methode  zur  Behandlung 
einer  verborgenen  wandständigen  Sinusthrombose  ab- 
lehnen muss. 

Die  Erfolglosigkeit  der  Jugularisunterbindung  in  unserem  Falle 
bestätigt  die  Ansicht,  dass  man  bei  einer  schweren  Pyämie  sich  be- 
mühen muss,  einen  verborgenen  wandständigen  Thrombus  aus  der 
Zirkulation  gänzlich  auszuschalten.  Man  wird  sich  bestreben,  den  Sinus 
abzudämmen,  soweit  er  venöse  Zuflüsse  aus  dem  Felsenbein  und  seiner 
nächsten  Umgebung  aufnimmt.  Die  in  dem  abgedämmten  Bezirk  ge- 
bildeten Thromben  müssen  später  nach  Eröffnung  des  Sinus  entfernt 
werden.     Nun   findet   sich,   worauf  oben   besonders  hingewiesen  wurde, 


r 


K  r  a  m  m :  Beitrag  zur  Entstehung  u.  Behandlung  d.  otogenen  Pjämie.     135 

gerade  im  Sinnsknie  Gelegenheit  zur  Entstehang  einer  wandständigen, 
schwer  diagnostizierbaren  Thrombose,  sodass  das  Sinnsknie  unbe- 
dingt von  dem  Kreislauf  abgeschlossen  werden  muss. 
Legt  man  den  Sinus  sigmoideus  nach  hinten  samt  dem  Anfangsteil  des 
Sinus  trans versus  frei  und  dämmt  den  letzteren  durch  einen  zwischen  Knochen 
und  Sinus  eingeschobenen  Tampon  ab,  so  wird  man  nach  Eröffnung  des  Sinus 
sigmoideus  nicht  selten  eine  heftige  Blutung  aus  den  grossen  Zuflüssen 
des  Sinusknies,  namentlich  dem  Sinus  petrosus  superior,  erhalten.  Nach 
Entfernung  des  anliegenden  Knochens  kann  aber  das  Sinnsknie  selbst 
nicht  mehr  andauernd  komprimiert  werden. 

Es  erscheint  mir  demnach  folgende  operative  Behandlung  einer 
schweren  Pyämie  mit  verborgener  wandständiger  Thrombose  am  zweck- 
mälJsigsten : 

1.  Freiiegung  des  Sinus  nach  unten  bis  dicht  an  den 
Bulbus  der  Vena  jugularis  und  Einführung  eines 
Tampons  zwischen  Knochen  und  Sinus. 

2.  Freilegung  des  Sinus  nach. oben  bis  dicht  unter- 
halb des  Sinusknies;  Ablösung  des  Sinusknies 
und  des  Anfangsteiles  des  Sinus  transversus  vom 
Sulcus;  Einführung  eines  den  Sinus  komprimieren- 
den Tampons  zwischen  Knochen  einerseits,  Sinus- 
knie und  Anfangsteil  des  Sinus  transversus 
anderseits. 

3.  Eröffnung  und  Ausräumung  des  Sinus  sigmoideus 
mit  Ausschneidung  der  äusseren  Wand. 

Als  Sitz  einer  wandständigen  Thrombose  käme  nun  noch  der 
Bulbus  der  Vena  jugularis  in  Betracht.  Ob  nach  der  Abdämmung  des 
Sinus  sigmoideus  die  Vena  jugularis  sofort  zur  Abschliessung  des  Bulbus 
unterbunden  ^werden  soll,  muss  von  der  Lage  des  Falles  abhängig  ge- 
macht werden. 

Man  könnte  für  die  Unterbindung  folgendes  anführen:  Ist  der 
Bulbus  infiziert,  so  ist  seine  völlige  Abschliessung  erforderlich.  Ist  der 
Bulbus  aber  nicht  infiziert,  so  wird  sich  hier,  bei  genügender  Sinus- 
tamponade dicht  oberhalb  des  Bulbus,  auch  nur. ein  gutartiger  Thrombus 
ausbilden,  da  eine  Infektion  von  oben  her  durch  den  Tampon  ver- 
hindert wird,  wenn  nicht  die  Sinuswanderkrankung  nach  abwärts  fort- 
schreitet. 


136     Kramm:  Beitrag  zur  Entstehang  n.  Behandlang  d.  otogenen  Pjäxnie. 

Gegen  die  Jagularisunterbindung  kann  zunächst  ins  Feld  gefahrt 
werden,  dass  sie  vielleicht  überflüssig  ist.  Feraer  wird  die  plötzliche 
Abdämmung  eines  bluthaltigen  Sinus  für  das  Gehirn  vielleicht  nicht  so 
bedeutungslos  wie  der  Verschluss  des  Sinus  durch  einen  allmählich 
wachsenden  Thrombus  sein ;  möglicherweise  tragen  die  venösen  Zuflüsse 
des  Bulbus  der  Vena  jugularis  doch  dazu  bei,  die  bei  der  Abdämmung 
des  bluthaltigen  Sinus  entstehende  plötzliche  Zirkulationsstörung  zu 
regulieren,  sodass  also  die  gleichzeitige  Ausschaltung  des  Bulbus  nicht 
ganz  gleichgültig  wäre.  Endlich  schafft  man  durch  die  Jugularisunter- 
bindung  im  Bulbus  und  obersten  Teil  der  V.  jug.  Thromben,  welche 
man  später  nicht  leicht  entfernen  kann. 

Da  also  immerhin  bei  der  Abdämmung  des  Sinus  wegen  wand- 
ständiger Thrombose  gewisse  Bedenken  gegen  die  gleichzeitige  Jugularis- 
unterbindung  bestehen  bleiben,  so  wird  man  im  allgemeinen  gut  tun^ 
nach  der  Abdämmung  des  Sinus  zunächst  abzuwarten  und  erst  bei  Fort- 
bestehen  pyämischer  Symptome  die  Vena  jugularis  zu  unterbinden. 


Erklärung  der  Abbildungen  i  und  2  auf  Tafel  XIIL 

Schnitt  2  liegt  etwas  lateral  von  Schnitt  1. 

1.  Leitz,  Oc.  1,  Obj.  1. 

M  Mittlere  Schädelgmbe. 

A  Hohle  des  extradnralen  Abszesses;  der  Eiter  wurde  bei  der  Obduktion 

grösstenteils  entleert. 
G  Granulationen  auf  der  Dura.    Granulationsgewebe  blau. 
D  Durchbrnch  des  Granulationsgewebes  durch  die  Wand  des  Sinus  petrosus 

snperior. 
P   Obere  Pjramidenkante. 
8.  p.  8.  Sinus  petrosus  superior. 
8.  8.  Sinus  sigmoideus. 
T  Hohle,  in  welcher  der  Tampon  gelegen  hat. 

2.  Oc.  1,  Obj.  3. 

P  Gegend  der  oberen  Pyramidenkante. 

8.  p.  8.  Sinus  petrosus  superior. 

L  Lumen  \ 

G  Wandständiges  Granulationsgewebe    ]    des  Sinus  sigmoideus. 

Thr  Frischer  Thrombus  ) 

T  Hoble  des  Tampons. 


Zdtsthi/t  £  (Jhimhalkujide  HF. 


Tafif  Xfff. 


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F.  Alt:  Ein  Beitrag  zur  Therapie  der  otitischen  Grossbirnabszesse.     137 

IX. 

Ein  Beitrag  zur  Therapie  der  otitischen 
Grosshirnabszesse. 

Von  Dozenten  Dr.  Ferdinand  Alt  in  Wien. 

Im  M&rz  1907  hatte  ich  Gelegenheit,  einen  otitischen  Schläfen- 
lappenabszess  zu  operieren  und  znr  Ausheilung  zu  bringen,  der  in 
mehrfacher  Hinsicht  Interesse  beansprucht.  Die  einschlägige  Literatur 
ist  wohl  eine  stattliche  und  bietet  genug  Anhaltspunkte  fflr  unser 
diagnostisches  und  therapeutisches  Vorgehen.  Gleichwohl  erscheint  mein 
Fall  wegen  der  ungewöhnlichen  Grösse  des  Eiterherdes  im  rechten 
Schläfenlappen,  sowie  wegen  verschiedener  Begleitumstände  mitteilens- 
wert.     Im  Folgenden  bringe  ich  den  Auszug  der  Krankengeschichte: 

Die  38  jährige  Frau  A.  M.  erkrankte  Mitte  Januar  1907  an  Influenza 
und  einer  rechtsseitigen  akuten  Mittelohreiterung.  Vorher  soll  sie  nie 
ernstlich  krank  gewesen  sein.  Sie  stand  in  meinem  Ohrenambulatorium 
des  Krankenhauses  Wieden  in  Behandlung.  Nachdem  Schmerz  und 
Fieber  geschwunden  waren  und  nur  eine  Otorrhoe  zurückblieb,  entzog 
sie  sich  der  ambulatorischen  Behandlung.  Ich  sah  die  Kranke  erst 
nach  Wochen  am  8.  März  wieder,  als  sie  vom  Hausarzte  mit  der 
Diagnose  Meningitis  ex  otitide  in  das  Krankenhaus   eingeliefert  wurde. 

Die  Kranke  klagte  Ober  heftige  Kopfschmerzen,  war  leicht  be- 
nommen, es  bestand  geringe  Nackensteifigkeit,  die  Temperatur  war  am 
Tage  der  Aufnahme  39«^— 39,8  ^  Puls  84. 

Rechts  bestand  profuse  Otorrhoe,  das  entzündete  Trommelfell  war 
hinten  unten  perforiert,  der  Warzenfortsatz  aufgetrieben  und  sehr  druck- 
empfindlich, das  linke  Ohr  erwies  sich  als  normal.  Rechts  wurde 
Flflstersprache  auf  1  m  gehört.  Der  Webersche  Versuch  wurde  nach 
rechts  lateralisiert ,  der  Rinnesche  Versuch  war  rechts  negativ,  die 
Knochenleitung  rechts  verlängert,  hohe  Töne  wurden  rechts  relativ 
besser  gehört  als  tiefe. 

Bei  der  Trepanation  des  rechten  Warzenfortsatzes,  die  sogleich 
nach  der  £inlieferung  in  das  Krankenhaus  vorgenommen  wurde,  ent- 
leerte sich  nach  den  ersten  Meisselschlägen  putrider  Eiter,  die  Zellen 
im  ganzen  vertikalen  Teile  des  Processus  mastoideus  waren  erkrankt, 
die  Spitze  musste  abgetragen  werden,  im  Antrum  waren  schlaffe  Granu- 
lationen. 

Am  Tage  nach  der  Operation  war  die  Patientin  bei  gutem  Be- 
finden, der  Kopfschmerz  war  geschwunden,  die  Temperatur  erreichte  als 
Maximum  38,1  ^ 


138     F.  Alt:  Ein  Beitrag  zur  Therapie  der  otitischen  Grosshimabszesse. 

Bis  zum  15.  lU.  war  die  Patientin  lebhaft  nnd  gesprächig,  zeigte 
normale  Temperaturen  nnd  machte  den  Eindruck  vollkommenster 
Rekonvaleszenz.  Am  Abend  des  15.  III.  traten  starke  Kopfschmerzen 
auf,  die  Patientin  wurde  somnolent,  Fazialisparese  links,  Temperatur  38, 
Puls  60. 

Am  16.  in.  war  die  Kranke  schwer  somnolent,  Temp.  38,4 — 39,6, 
Puls  84,  leichte  Nackensteifigkeit,  Fazialislähmung  links,  der  Augen- 
hintergrund links  normal,  rechts  erweiterte,  geschlängelte  Gefässe,  der 
temporale  Anteil  der  Papille  verwaschen. 

Die  objektiven  Symptome  sprachen  zweifellos  für  eine  intrakranielle 
Komplikation  und  die  linksseitige  Fazialislähmung  Hess  bei  rechts- 
seitiger Otitis  an  einen  Herd  im  rechten  Schläfenlappen  denken.  Ich 
schritt  an  die  Exploration  des  Gehirns  und  meisselte  zunächst  von  der 
froheren  Operationswunde  aus  das  Tegmen  antri  ab.  Der  Knochen  war 
hart  und  wurde  schichtweise  abgetragen,  bis  die  Dura  in  mehr  als 
Kronengrösse  freilag.  Die  Dura  war  äusserlich  unverändert  und  zeigte 
keinerlei  Pulsation.  Sodann  punktierte  ich  den  Schläfenlappen.  Die 
11  ccm  fassende  Punktionsspritze  füllte  sich  mit  grünlichem  Eiter;  es 
wurde  an  die  Nadel  eine  zweite  Spritze  angesetzt  und  neuerlich  1 1  ccm 
Eiter  aufgezogen.  Hierauf  machte  ich  einen  Kreuzschnitt  in  die  Dura. 
Das  Gehirn  pulsierte  nicht.  Ich  inzidierte  das  Gehirn  und  mochte 
kaum  1  cm  tief  eingedrungen  sein,  als  sich  jauchiger  Eiter  und 
krümelige  Massen  in  einer  Menge  von  etwa  25  ccm  entleerten.  Durch 
eine  Kornzange  brachte  ich  das  Inzisionslumen  zum  Klaffen,  wodurch 
neuerlich  Eiter  hervorquoll. 

Das  in  die  Abszesshöhle  eingeführte  dicke  Drainrohr  war  sogleich 
mit  Eiter  gefüllt  und  musste  dreimal  mit  steriler,  physiologischer  Koch- 
salzlösung gereinigt  werden,  ehe  ich  mich  entschloss,  es  liegen  zu  lassen. 
Der  Abszess  hatte  sicherlich  die  Dimensionen  eines  grossen  Apfels. 

Kaum  war  ein  Teil  des  Eiters  entleert,  als  das  Gehirn  zu  pulsieren 
begann.  Die  Operation  wurde,  da  die  Patientin  vollkommen  somnolent 
war,  ohne  Narkose  ausgeführt.  Die  Kranke  verhielt  sich  während  des 
Eingriffs,  als  ob  sie  tief  narkotisiert  wäre.  Sofort  nach  Entleerung  des 
Eiters  aus  dem  Gehirn  begann  sie  zu  reagieren  und  richtete  den 
operativen  Eingriff  betreffende  Fragen  an  mich.  Die  weiteren  Mani- 
pulationen am  Gehirn  und  die  Einführung  des  Drains  in  die  Abszess- 
höhle wurden  nicht  schmerzhaft  empfunden. 

Die  bakteriologische  Untersuchung  des  Eiters  (Prosektor  Dr.  Zemann) 
ergab  im  nativen  Präparat  Stäbchen  und  Kokken.  Kulturell  wurden  nur 
Stäbchen  nachgewiesen,  die  sich  wie  Bacterium  coli  verhielten. 

Am  Tage  nach  der  Operation  war  die  Kranke  bei  gutem  Befinden, 
Kopfschmerz,  Nackensteifigkeit  und  Fazialislähmung  waren  geschwunden, 
das  Sensorium  war  vollkommen  frei,  die  Patientin  konnte  beim  Verband- 
wechsel selbständig  vom  Bett,  das  in  den  Operationssaal  geschoben 
wurde,  auf  den  Operationstisch  steigen. 


F.  Alt:  Ein  Beitrag  znr  Therapie  der  otitischen  Grosshimabszesse.     139 

Die  Abszesshöhle,  die  immer  weniger  sezernierte,  wurde  mit  Rück- 
sicht auf  ihre  Grösse  durch  3  ^g  Wochen  oflfen  gehalten  und  drainiert. 
Inzwischen  hatte  sich  die  Operationswunde  im  Processus  mastoideus  bis 
auf  eine  kirschengrosse ,  rein  granulierende  Wundhöhle  geschlossen. 
Ende  April  war  der  Heilungsprozess  abgeschlossen,  das  Trommelfell  und 
die  Hörweite  wieder  normal. 

Aus  der  Krankengeschichte  möchte  ich  folgende  Punkte  einer  kurzen 
Besprechung  unterziehen: 

Der  Abszess  war  im  Anschluss  an  eine  akute  Mittelohrentzündung 
entstanden  und  war  in  kurzer  Zeit  zu  6iner  ungewöhnlichen  Grösse  an- 
gewachsen. 

Nach  den  statistischen  Zusammenstellungen  von  Jansen,  Röpke^) 
und  Hammerschlag^)  entstanden  Abszesse  des  Grosshirns  nach  akuter 
Otitis  in  19— 25^/o. 

Aus  dem  Abszesse  wurden  durch  die  Punktion  22  Kubikzentimeter 
Eiter  entleert,  durch  die  Inzision  etwa  25  ccm  und  noch  bei  der  Ein- 
fährung des  Drains  beiläufig  10  ccm,  so  dass  die  entleerte  Eitermenge 
ungefähr  60  ccm  betrug. 

Als  Krankheitserreger  der  intrakraniellen  Komplikation  wurde 
Bacterium  coli  nachgewiesen. 

Die  Patientin  kam  in  vollkommen  bewusstlosem  Zustande  auf  den 
Operationstisch,  so  dass  ich  von  einer  Narkose  Abstand  nahm.  Sofort 
nach  Entleerung  des  Eiters  aus  dem  Gehirn  trat  freies  Sensorium  ein, 
80  dass  die  Patientin  während  des  Restes  der  Operation  ziemlich 
orientiert  war. 

Der  Exitus  letalis  bei  Hirnabszess  tritt  nicht  selten  nur  infolge 
des  gesteigerten  Hirndruckes  durch  Herzlähmung  ein. 

Eine  mehrere  Tage  anhaltende  Bewusstlosigkeit  bietet  keine  Kontra- 
indikation für  den  operativen  Eingriff,  zumal  mit  der  Entleerung  des 
Abszesses  die  Druckerscheinungen  schwinden. 

Die  kontralaterale  Fazialislähmung  erwies  sich  als  wertvolles  in- 
direktes Herdsjmptom,  so  dass  ich  mit  ziemlicher  Sicherheit  den  rechten 
Schläfenlappen  angehen  konnte. 

Das  Hörvermögen  des  linken  (kontralateralen)  Ohres  war  die  ganze 
Zeit  hindurch  normal,  die  Funktionsprüfung  des  rechten  Ohres  entsprach 
den  Mittelohrveränderungen. 

Eine  gekreuzte  Taubheit,  wie  sie  von  Eulenstein ^)  und  Meier*) 
und  jüngst  wieder  von  Habermann ^)   beschrieben  wurde,   war    nicht 


140     F.  Alt:  Ein  Beitrag  zur  Therapie  der  otitischen  Grosshirnabszesse. 

nachweisbar.  Eigentlich  müsste  wegen  der  partiellen  Kreuzung  des 
Akustikus  eine  Beeinträchtigung  beider  Ohren  erfolgen.  Das  Symptom 
der  gekreuzten  Taubheit,  das  bei  apoplektischen  Insulten  nicht  selten 
als  vorübergehende  Ausfallserscheinung  auftritt,  wurde  ausser  von  den 
genannten  Autoren  bei  Ahszessen  nicht  beobachtet.  Es  w&re  nicht  un- 
möglich, dass  bei  rasch  auftretenden  kleinen  Eiteransammlungen  in  der 
Gegend  des  Hörzentrums,  analog  wie  bei  H&morrhagien,  als  transitorisches 
Symptom  gekreuzte  Taubheit  sich  einstellt.  Viel  wahrscheinlicher  dQrfte 
es  jedoch  sein,  dass  infolge  des  gesteigerten  Hirndruckes  die  Nervi 
acustici  der  Stauungspapille  entsprechende  Veränderungen  erleiden  und 
bei  der  Funktionsprüfung  eine  kontralaterale  Labyrinthaffektion  nach- 
gewiesen wird,  die  eigentlich  nicht  als  Herdsymptom  gedeutet  werden 
kann. 

Der  Inzision  des  Gehirnes  pflege  ich  in  der  Regel  nach  Spaltung 
der  Dura  die  Punktion  vorauszuschicken,  nur  in  diesem  Falle  habe  ich 
durch  die  gesunde  Dura  hindurch  die  Exploration  mit  der  Punktions- 
nadel vorgenommen.  Die  Punktion,  die  zahlreiche  Verfechter  aufweist, 
orientiert  doch  über  Sitz  und  Tiefe  des  Abszesses,  so  dass  die  mitunter 
vielfachen  Explorationsinzisionen  mit  dem  Skapell  fiberflüssig  werden. 

Die  Operation  vom  Tegmen  tympani  erwies  sich  bei  dem  unge- 
wöhnlich grossen  Abszesse  als  vollkommen  ausreichend,  es  gelang,  die 
Inzision  an  der  tiefsten  Stelle  auszuführen;  die  gesunde  Himpartie, 
welche  man  durchdringen  musste,  war  sicher  eine  viel  kleinere,  als 
wenn  der  Abszess  von  der  Schuppe  aus  angegangen  worden  wäre.  Eine 
Gegenöffnung  an  der  Schuppe  anzulegen  erschien  nicht  notwendig.  Die 
Einführung  eines  Drainrohres  und  nicht  lockerer  Gaze,  wie  sie  von 
anderer  Seite  empfohlen  wird,  leistete  während  des  Wundverlaufes  aus- 
gezeichnete Dienste. 

Literatur, 

1.  Fr.  Kopke,  Zar  Operation  des  otitischen  Grosshimabszesses  mit  besonderer 

Berücksichtigung  des  Heilwertes  der  Operation.  Zeitschr.  f.  Ohrenb.  1899. 

2.  V.  Hammerschlag,  Zur  Kenntnis  des  otitischen  Hirnabszesses.    Monats- 

schrift f.  Ohrenh.  1901. 

3.  n.  4.   Eulenstein,  Meier  zitiert  nach  Böpke. 

5.   J.  Habermann,  Zur  Lehre  vom  otogenen  Hirnabszess.    Mitteilungen  des 
Vereines  der  Ärzte  in  Steiermark  1907,  Nr.  5. 


G.  Krebs:   Fremdkörper  in  der  Nasenhöhle  etc.  141 

X. 

Fremdkörper  in  der  Nasenhöhle  als  Ursache  von 
Kieferhöhlenempyemen. 

Von  Dr.  O.  Krebs  in  HildeBheim. 

Dass  Fremdkörper  in  der  Nasenhöhle  zu  Eiterungen  der  Neben- 
höhlen fahren  können,  scheint  wenig  bekannt  zu  sein.  Ich  habe  diese 
Ätiologie  der  Empyeme  weder  in  den  mir  zugänglichen  Handbüchern 
noch  in  der  kasuistischen  Literatur  erwähnt  gefunden.  Hervorragende 
Autoren  bestreiten  es  geradezu,  dass  Eiterungen  der  Nasenhöhle  (wie 
sie  sich  bei  längerem  Verweilen  der  Fremdkörper  wohl  stets  einstellen) 
ohne  Vermittlung  einer  Phlegmone  oder  Periostitis  die  Nebenhöhlen 
anstecken  können.  So  schreibt  G.  Killian^):  »Ob  und  welche  Rolle 
die  rein  mechanische,  d.h.  die  durch  Hineinschneuzen  rhinitischen 
Sekretes  (Harke)  bedingte  Infektion  spielt,  ist  noch  sehr  fraglichf 
und  ferner  »Zuckerkandl  nimmt  eine  Fortleitung  chronischer  Ent- 
zündungen von  der  Haupthöhle  der  Nase  aus  an,  ohne  sie  jedoch  be- 
weisen zu  können.« 

Diesen  Beweis  glaube  ich  mit  den  beiden  nachstehenden  Kranken- 
geschichten zu  erbringen. 

1.  Margarete  M.  ans  Lehrte,  11  Jahre  alt,  aus  gesunder  Familie 
stammend,  suchte  mich  im  Juni  1901  wegen  Nasenverstopfung  auf. 

Befund:  Geringe  Vergrösserung  der  Rachenmandel;  linke  Nasen- 
höhle normal;  rechte  Nasenhöhle  zeigt  sich  erfüllt  von  einem  mit 
schmierigem ,  übelriechenden  Eiter  und  steinhatten  Inkrustationen 
bedeckten  Fremdkörper.  Dieser  wird  mit  einer  Hartmannschen  Zange 
leicht  entfernt  und  entpuppt  sich  als  ein  Gummilutscher,  wie  er  den 
Kindern  im  Säuglingsalter  oder  in  den  nächstfolgenden  Jahren  mit 
oder  gelegentlich  auch  ohne  Milchflasche  verabfolgt  wird.  Von  seinem 
Aufenthalt  in  der  Nase  hatte  weder  das  Kind  noch  die  Mutter  Kenntr 
nis;  er  wird  also  wohl  seit  der  Zeit,  in  welcher  das  Kind  mit  der 
Milchflasche  ernährt  wurde,  d.  i.  mindestens  7  Jahre,  darin  gehaust 
haben. 

Nach  14  Tagen  sah  ich  das  Kind  wieder.  Die  Nasen  Verstopfung 
war  gehoben  und  angeblich  auch  die  Eiterung.  Die  Untersuchung  der 
rechten  Kasenhälfte  zeigt  jedoch  einen  dünnen  Eiterstreifen,  welcher 
vom  hinteren  Teil  des  Hiatus  semilunaris  über  die  untere  Muschel 
herunterzieht.     Ulzerierte   oder   kariöse   Stellen    sind   nicht   vorhanden. 


1)  Hejmanns  Handbuch  der  Larjngologie  und  Bhinologie  III.  992. 


142  G.  Krebs:   Fremdkörper  in  der  Nasenhöhle 

Bei  DurchlenchtUDg  der  Nebenhöhlen  bleibt  die  rechte  Kieferhöhle 
dunkel  und  die  rechte  Papille  leuchtet  nicht  auf. 

Am  nächsten  Tage  derselbe  Befund.  Probepunktion  der  Kiefer- 
höhle entleert  grosse  Mengen  alten  Eiters. 

Auf  den  Vorschlag  einer  Operation  der  Kieferhöhle  gingen  die 
Eltern  des  Kindes  nicht  ein. 

Am  22.  III.  1907  sah  ich  die  inzwischen  zur  jungen  Dame  heran- 
gewachsene Patientin  wieder.  Sie  gab  an,  keinerlei  Beschwerden 
seitens  der  Nase  zu  haben.  Befund :  Linke  Nasenhälfte  normal,  rechts : 
im  mittleren  Nasengang  befindet  sich,  den  Hiatus  semilunaris  von  vorn 
bis  hinten  ausfüllend,  ein  gelber,  feucht  glänzender,  breitbasig  auf- 
sitzender, weicher,  an  der  Oberfläche  etwas  gekörnter  Tumor.  An 
seinem  hintersten  Teil  und  über  ihm  quillt  Eiter  hervor,  anscheinend 
aus  der  Mündung  der  Kieferhöhle.  Durchleuchtung:  Stirnhöhle  links 
hell,  rechts  weniger,  Kieferhöhle  links  hell,  rechts  stark  verdunkelt. 
Zähne  alle  gesund.  Die  Ausspülung  der  rechten  Kieferhöhle  durch  die 
natürliche  Mündung  mittelst  des  Hartmannschen  Höhrchens  gelingt 
leicht  und  fördert  grosse  Mengen  eines  gelben,  etwas  stinkenden  Eiters 
zu  Tage.  Sondierung  und  Ausspülung  der  rechten  Stirnhöhle  gelingt 
nicht.  Nochmalige  Durchleuchtung  der  Kieferhöhle  nach  der  Ent- 
leerung des  Eiters  zeigt  dieselbe  Verdunkelung  wie  vorher.  Patientin 
verweigert  eine  weitere  Behandlung,  da  sie  keine  Beschwerden  fühle. 

Dass  in  diesem  Fall  ein  Kieferhöhlenempyem  bestand  ist  sicher, 
(vielleicht  auch  ein  Stirnhöhlenempyem)  und  dass  es  die  Folge  des 
Fremdkörpers  war,  welcher  jahrelang  in  der  Nase  geweilt  und  daselbst 
eine  Rhinitis  purulenta  erzeugt  hatte,  ist  mindestens  im  hohen  Grade 
wahrscheinlich,  zumal  da  sonstige  Ursachen  für  das  Kieferhöhlenempyem 
,Zahnkaries,  Lues  etc.)  nicht  vorhanden  waren.  Beweisender  aber  noch 
ist  der  zweite  Fall,  weil  ich  in  diesem  die  Nase  bereits  vor  der  An- 
siedelung des  Fremdkörpers  zu  untersuchen  Gelegenheit  gehabt,  und 
dabei  die  Gesundheit  der  Nebenhöhlen  festgestellt  hatte. 

2.  W.  S.,  Landwirt,  33  Jahre  alt,  stets  gesund  gewesen,  kam  im 
Oktober  1904  wegen  Nasen  Verstopfung  links  in  meine  Behandlung. 

Befund:  Grosser,  solitärer  Schleimhaatpolyp  links,  entspringend 
aus  dem  Hiatus  semilunaris.  Kein  Eiter.  Sämtliche  Nebenhöhlen  bei 
Durchleuchtung  hell. 

Der  Polyp  lässt  sich   mit  einem  Schiingenzuge   in  toto   entfernen. 

Nach  dem  Grundsatze,  bei  Nasenpolypen  die  Nebenhöhlen  genau 
zu  beobachten,  bestellte  ich  den  Patienten  in  den  nächsten  Wochen 
wiederholt  in  meine  Sprechstunde  und  kontrolierte  die  Nebenhöhlen; 
sie  zeigten  nie  das  geringste  Symptom  einer  Erkrankung. 

Am  10.  I.  07  kam  Patient  wieder  in  meine  Sprechstunde  mit 
folgenden  Angaben:  Nach  der  Polypenoperation  war  die  Nase  zunächst 


als  Ursache  yod  Kieferhoblenempyemen.  143 

ganz  gesund.  Im  Oktober  1906  merkte  er  plötzlich  beim  Dreschen  des 
Weizens  mit  der  Dreschmaschine,  dass  ihm  ein  Korn  in  die  linke  Nasen- 
höhle flog.  Beim  Schnauben  fühlte  er,  wie  es  sich  hin-  und  her- 
bewegte, es  gelang  ihm  aber  nicht,  es  herauszubef ordern.  Die  Nasen- 
hälfte verstopfte  sich  im  Laufe  der  nächsten  Woche  immer  mehr,  starke 
Absonderung  von  gelbroter  Farbe  trat  ein,  vor  8  Tagen  entzündeten 
sich  die  Ränder  des  linken  Nasenloches. 

Befund  der  linken  Nasenhöhle :  Am  Eingang  Ekzem  und  Rhagaden. 
Die  Nasenhöhle  ist  erfüllt  von  eitrigem  Sekret,  welches  sich  in  Folge 
einer  fast  totalen  Verstopfung  nicht  völlig  ausschnauben  oder  ausspülen 
lässt  und  daher  eine  genauere  Befundaufnahme  sehr  erschwert.  Am 
Xasenboden  sieht  man  einen  grossen  missfarbigen,  weichen  von  eitrigem 
Schleim  innig  umgebenen  Tumor;  dieser  ist  mit  dem  Nasenboden  nicht 
verwachsen,  von  ihm  etwas  abhebbar  reicht,  wie  die  Rhinoscopia  posterior 
erweist,  bis  an  die  Choane,  nach  oben  zu  scheint  er  in  den  mittleren 
Nasengang  sich  fortzusetzen.  Das  fest  anhaftende  Sekret  nimmt  an 
dieser  Stelle  fibrinösen  Charakter  an,  so  dass  nach  oben  hin  die  Fest- 
stellung seiner  Grenzen  zunächst  nicht  möglich  ist.  Ein  leichter  Zug 
mit  der  Zange  befördert  ohne  Blutung  die  Masse  im  Ganzen  heraus. 
Sie  stellt  sich  bei  makroskopischer  Besichtigung  folgendermafsen  dar: 
Ein  torpedogestalteter,  zirka  5  cm  langer,  2  cm  dicker  Tumor ;  Ober- 
fläche teils  glatt,  teils  höckerig,  Konsistenz  und  Farbe  stellenweise  ge- 
nau wie  ein  Nasenschleimhautpolyp,  stellenweise  etwas  röter  und  weicher; 
andere  Stellen  machen  den  Eindruck  von  verdicktem  Schleim,  An 
einem  Rande  des  Tumors  sieht  man,  durch  Gestalt  und  Konsistenz  von 
dem  Landwirt  und  mir  festgestellt,  ein  Weizenkorn  ungequollen.  Eine 
blutende  Ansatzstelle  am  Tumor  nicht  auffindbar. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  (Kgl.  Path.  Institut  zu  Göttingen) 
ergibt,  dass  der  Tumor  aus  >. organisiertem  Granulationsgewebe«  bestand. 
Nach  Entfernung  des  Tumors  stellt  sich  die  linke  Nasenhöhle  stark 
gerötet  dar,  ohne  ülzerationen ;  Ansatzstelle  des  Tumors  nicht  erkenn- 
bar; im  mittleren  Nasengang  eitriger  Belag.  Die  Durchleuchtung  der 
Nasennebenhöhlen  zeigt  starke  Dunkelheit  der  linken  Kieferhöhle  Durch- 
spülung derselben  von  der  natürlichen  Mündung  aus  ergibt  grosse 
Mengen  dünnen,  mit  Flocken  vermengten  Eiters.  Nach  der  Durch- 
spttlung  nochmalige  Durchleuchtung.  Die  linke  Kieferhöhle  bleibt  dunkel. 
Die  Kieferhöhle  wird  in  den  folgenden  2  Wochen  täglich  mit  Borwasser 
von  der  natürlichen  Mündung  aus  ausgespült  Die  Eiterung  wird  immer 
geringer;  zuletzt  schwindet  sie  ganz.  Gleichzeitig  erhellt  sich  allmäh- 
lich die  linke  Kieferhöhle.  In  den  Monaten  Februar  und  März  stellt 
sich  Patient  ab  und  zu  zur  Kontrolle  ein;  die  Eiterung  erweist  sich 
als  geheilt. 

Epikrise.  In  die  Nase  eines  Mannes,  dessen  Kieferhöhlen  bei 
wiederholten  früheren  Untersuchungen  als  gesund  festgestellt  war,  wird 
ein  Weizenkom  hineingeschleudert      Wahrscheinlich  spiesste  es  sich  in 


144  ^-  Krebs:  Fremdkörper  in  der  Nasenhöhle  etc. 

einer  engen  Bucht  fest,  wo  es  beim  Ausschneuzen  von  dem  Stoss  der 
Expirationsluft  wenig  getroffen  wird,  vielleicht  in  einer  Nische  des 
Hiatus  semilunaris.  Leider  Hess  sich  nachträglich  durch  den  Augen- 
schein die  Stelle  nicht  ermitteln.  In  die  Kieferhöhle  selbst  wurde  der 
Fremdkörper  jedenfalls  nicht  geschleudert;  denn  er  zeigte  sich  nach- 
träglich eingebettet  im  Tumor,  der  nur  in  der  Haupthöhle  seinen  Sitz 
gehabt  hatte.  Der  Reiz  des  Fremdkörpers  verursachte  eine  auffallend 
starke  Bildung  von  Granulationen,  welche  sich  —  was  ebenfalls  auf- 
fällig ist  —  im  Laufe  der  Zeit  organisierten  Der  grosse  Granulations- 
tumor vermehrte  noch  die  Absonderung,  so  dass  schliesslich  EntzQndang 
des  Naseneingangs  hinzutrat.  Die  Verdunklung  der  Kieferhöhle  — 
auch  nach  Entleerung  des  Eiters  —  lässt  darauf  schliessen,  dass  die 
Schleimhaut  der  Kieferhöhle  an  der  Entzündung  stark  beteiligt  war. 
Wahrscheinlich  erfolgte  die  Infektion  der  Kieferhöhle  nicht  lange  Zeit 
nach  dem  Eindringen  des  Fremdkörpers.  Als  Infektionsmodus  ist,  da 
eine  Fortleitung  durch  Periostitis  und  Ostitis  der  Kieferwandungen 
nicht  vorhanden  war,  Hineinschnauben  des  durch  den  Fremdkörper  ver- 
ursachten eitrigen  Nasensekretes  anzunehmen. 

Nasenhöhlen,  in  denen  Fremdkörper  lange  Zeit  geweilt  haben,  be- 
kommt man  nicht  allzu  häufig  zu  Gesicht.  Man  wird,  wie  die  beiden 
mitgeteilten  Fälle  zeigen,  stets  darauf  zu  achten  haben,  ob  als  Folge- 
zustand nicht  ein  Empyem  der  Nebenhöhlen  eingetreten  ist.  Der 
Patient  selbst  wird  unmittelbar  nach  Entfernung  des  Fremdkörpers  und 
der  ihn  etwa  umhüllenden  Inkrustationen  sofort  eine  solche  Erleichterung 
seiner  Beschwerden  fohlen,  dass  ihn  sein  Empyem  kaum  stört;  umsomehr 
muss  die  objektive  Untersuchung  den  Zustand  der  Nebenhöhlen  beachten. 


B  e  I*  i  e  h  t 

ab«r  die 

Leistungen  und  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Ohrenheilkunde, 
der  Rhinologie  und  der  übrigen  Grenzgebiete 

im  vierten  Quartal  1906  und  im  ersten  Quartal  1907. 

Zu8ainm6ng>e8tellt  von  ProfeBsor  Dr.  Arthur  Hartman n. 

--^ 

Anatomie  und  Physiologie. 

358.  Eishi.  Formosa.    Anatomie  des  Ohres  der  Japaner.    I.  Die  Drfisen  des 

ftQBseren  GehOrganges.    A.  f.  0.  70,  S.  205—210. 

Verf.  will  einige  Unterschiede  zwischen  den  Ceniminaldrüsen  bei 
den  Japanern  und  den  Europäern  gefanden  haben.  Er  glaubt,  dass  die 
Ceruminalpfröpfe  nicht  ein  Produkt  der  Ceruminal-,  sondern  ein  solches 
der  Talgdrüsen  sind.  Zarniko  (Hamburg). 

359.  Steinitz,  Breslau.    Beiträge  zur  Anatomie  des  M.  stapedius.   A.  f.  0.  70, 

S.  45—50. 

Genaue  histologische  Details  über  das  Verhältnis  der  Muskelfaser- 
masse zu  der  des  Bindegewebes  im  M.  stapedius  von  Mensch,  Katze, 
Meerschweinchen  und. Hatte;  über  die  Endigungen  der  motorischen  und 
sensiblen  Nerven   des   Muskels   (insbesondere   die   sog.  Muskelspindcln). 

Zarniko. 

360.  Lewin,  L.,  St.  Petersburg.    I.  Das  Vorkommen  von  Persistenz   der  Art. 

stapedia  beim  Menschen  und  die  vergleichend  anatomische  und  phylo- 
genetische Bedeutung  dieses  Phänomens.  II.  Eigentümliche  Ezcre- 
scenzen  am  Trommelfelle  und  Follikelbildung  in  der  Paukenschleirohaut. 
A.  f.  0.  70,  S.  28—44.  (Gleichzeitig  in  der  russischen  Monatscbr. 
f.  Ohrenheilk.  etc.  Jan.  1907  erschienen.) 

Verf.  untersuchte  die  Schläfenbeine  von  einem  an  Diphtherie  ver- 
storbenen neunmonatigen  Kinde  und  entdeckte  dabei  auf  der  rechten 
Seite  die  Persistenz  der  Arteria  stapedia,  eines  Gefässes,  das  bei  vielen 
Sängern  ein  bleibendes  Gebilde  darstellt,  bei  anderen  jedoch  (und  so 
auch  beim  Menschen)  sich  frühzeitig  zurückbildet.  —  Dasselbe  Schläfen- 
bein wies  auf  dem  vorderen  Drittteil  der  inneren  Trommelfellfläche  eine 
grosse  Anzahl  eigentümlicher,  darmzottenähnlicher  Auswüchse  auf,  die 
vorzüglich  aus  dicht  zusammengedrängten  Lymphocyten  bestehen,  in  der 

Zdiischrift  fftr  OhrenbenkuDde,  Bd.  LIV.  10 


146     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

Achse  eine  Capillare  beherbergen  und  an  der  Oberfläche  von  einer 
Fortsetzung  des  Paukenhöhlenepithels  bedeckt  sind.  Verf.  glaubt,  dass 
diese  Gebilde  Überbleibsel  des  embryonalen  Bindegewebes  seien,  das 
an  einzelnen  Stellen  einer  Rückbildung  nicht  unterworfen  gewesen  sei. 

Zarniko. 

361.  Bai  den  weck,  L.,  Paris.    Anatomische  Untersuchungen  über  die  Felsen- 

beinspitze.   Annales  des  mal.  de  Tor.  etc.  Febr.  1907. 

Die  Untersuchungen  hatten  den  Zweck,  die  Beziehungen  des  Abdacens 
zur  Felsenbeinspitze  und  dem  Mittelohr  klar  zu  legen,  zum  Verständnis 
der  Abducenslähmung  im  Verlauf  akuter  Otitiden.  Nach  dem  Durch- 
tritt durch  die  Dura  der  hinteren  Pyramidentiäche  verläuft  der  Abducens 
zwischen  Dura  und  Felsenbeinspitze  in  einer  knöchernen  Halbrinne  an 
der  äusseren  Seite  des  Sinus  petrosus  inferior  nach  vorn  zum  Sinus 
cavernosus.  Auf  diesem  Wege  liegt  er  in  einer  bis  1  cm  langen  Strecke 
der  äussersten  Felsenbeinspitze  direkt  an.  Diese  wiederum  ist  zwar 
bald  nur  kompakt  oder  spongiös,  bald  aber  pneumatisch,  und  die 
pneumatischen  Spitzenzellen  stehen  sowohl  auf  der  vorderen,  hinteren, 
wie  unteren  Pyramidenfläche  mit  den  Mittelohrräumen  in  Verbindung, 
sei  es  mit  den  Dachzellen  oder  den  Bodenzellen  der  Pauke,  sei  es  mit 
den  Warzenzellen.  So  ist  bei  Mittelohrentzündung  der  Weg  zum  Abducens 
unter  Umtänden  geradezu  präformiert.       Boenninghaus  (Breslau). 

362.  Wunsch,  Dr.,  Max,  Berlin.    Angeborene  habituelle  Luxation  des  linken 

Kiefergelenks  mit  gleichzeitigem  Bildungs fehler  des  linken  äusseren 
Ohres.     Deutsche  med.  Wochenschr.  Nr.  13,  1907. 

Kurze  Notiz  über  ein  14  Tage  altes  Kind,  dem  das  linke  äussere 
Ohr  bis  auf  ein  Rudiment  des  Ohrläppchens  sowie  das  Orificium  externum 
des  Meatus  acusticus  fehlten.     Das  Übrige  besagt  der  Titel. 

Noltenius  (Bremen). 
863.   Kubo,  Ino,  Fukuoka   (Japan).    Zur  Frage   des  normalen   Zustandes  der 
unteren  Nasenmuscheln  des  Menschen.   A.  f.  Laryngol.  Bd.  XIX,  H.  2. 

K.  stellte  seine  Untersuchungen  an  Muscheln  von  Neugeborenen 
an,  bei  denen  also  noch  keine  pathologischen  Veränderungen  zu  erwarten 
waren.  Er  fand,  dass  die  Membrana  limitans  noch  nicht  ganz  aus- 
gebildet ist.  Die  Drüsen  sind  schon  stark  entwickelt,  auf  der  medialen 
Seite  reichlicher  als  auf  der  lateralen;  sie  liegen  oberflächlicher  als 
beim  Erwachsenen.  Die  adenoide  Schicht  fehlt  gänzlich,  was  bei 
Erwachsenen  noch  nie  beobachtet  wurde.  Markräume  im  Knochen,  der 
in  ein  sehr  kompliziertes  Lamellensystem  zerfällt,  fehlen  ebenfalls.  Das 
Schwellgewebe  ist  namentlich  auf  der  medialen  Seite  schon  gut  aus- 
geprägt, von  Eicken  (Freiburg). 


Anatomie  und  Physiologie.  147 

364.  Kubo,  Inokichi,  Puknoka  (Japan).    Beiträge  zur  Histologie  der  unteren 

Nasenmnschel.    A.  f.  Laryngol.  Bd.  XIX,  H.  1. 

Bas  zur  Untersuchung  benutzte  Präparat  war  durch  natürliche 
Iiyektion  strotzend  mit  Blut  gefüllt  und  eignete  sich  vorzüglich  zum 
Stodiom  speziell  der  Gefässanordnung  des  Corpus  cavernosum  und  seiner 
elastischen  Fasern.  Der  Arbeit  sind  ausgezeichnete  Abbildungen  bei- 
gegeben, von  Eicken. 

365.  Krueger,  Felix.  Beziehungen  der  experimentellen  Phonetik  zur  Psychologie. 

Sep.-Abd.  aus  dem  Bericht  über  den  2.  Eongress  für  experimentelle 
Psychologie  in  Würzburg  1906. 

Wir  müssen  uns  darauf  beschränken,  auf  die  umfassende  Arbeit 
hinzuweisen.  H. 

366.  Kalischer,  Otto,  Berlin.  Zor  Funktion  des  Schl&fenlappens  des  Grosshims. 

Eine  neue  Hörprüfansfsmethode  bei  Hunden ;  zugleich  ein  Beitrag  zur 
Dressur  als  psychologischer  Untersuchungsmethode.  Sitzungsberichte 
der  königl.  preussischen  Akademie  der  Wissenschaften  21.  Februar  1907. 

K.  dressierte  Hunde  in  der  Weise,  dass  sie  nur  bei  einem  ganz 
bestimmten  Tone  nach  vor  ihnen  liegenden  Fleischstücken  schnappen 
durften,  bei  anderen  Tönen  aber  die  Fleischstücke  liegen  lassen  mussten. 
Die  Tiere  konnten  so  weit  gebracht  werden,  dass  sie  den  Fresston  von 
den  benachbarten  halben  Tönen   mit  Sicherheit   unterscheiden   konnten. 

Nach  Exstirpation  beider  Schläfenlappen  blieb  die  Reaktion  auf 
den  Fresston  bestehen;  es  waren  jedoch  andere  Ilörstörungen  zu  kon- 
statieren, wenn  die  gewöhnlichen  Hörprüfungen  vorgenommen  wurden; 
insbesondere  kam  das  prompte  Reagieren  auf  Kommandos  nach  Aus- 
schaltung der  Schläfenrinde  in  Wegfall.  Auch  nach  Zerstörung  der 
Vierhügel  hatten  die  Tiere  von  der  vorher  erlangten  Dressur  nichts 
eingebüsst. 

»Jedenfalls  geht  aus  der  Gesamtheit  meiner  Versuche  hervor,  dass 
nicht  nur  von  der  Grosshirnrinde  aus,  sondern  unter  bestimmten  Um- 
ständen auch  von  infrakortikalen  Zentren  aus  Hörreaktionen  erfolgen 
können;  und  zwar  auch  solche  Reaktionen,  die  man,  wie  die  Ton- 
unterschiedsempfindlichkeit  bei  der  Dressur,  bisher  unbedingt  als  eine 
Funktion  der  Grosshimrinde  angesehen  hatte.«  H. 

367.  Körner,  0.,  Rostock.    Können  die  Fische  hören?    Beiträge  zur  Ohren- 

heilkunde.   Festschrift  zum  siebzigsten  Geburtstage  des  Geh.  Med.-Rat 
Prof.  Dr.  August  Lucae. 
Unter  kritischer  Betrachtung  der  bisher  von  anderen  Autoren  an- 
gestellten, auf  dieses  Thema  bezüglichen  Versuche  kommt  Körner  auf 

10» 


148     Bericht  über  die  Leistungen  nnd  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

Grund  dieser  und  seiner  eigenen  Versuche  (dieselben  wurden  mit  dem 
als  Kinderspielzeug  bekannten,  einen  einmaligen,  kurzen,  knackenden 
Ton  hervorbringenden  Cri-cri  ausgeführt)  zu  folgendem  Resultat: 

Es  scheint,  dass  manche  Fischarten  auf  im  Wasser  erzeugte  oder 
in  dasselbe  geleitete,  in  rapider  Folge  wiederholte  Schallschwingungen 
reagieren  (Versuche  mit  Stimmgabeln  und  elektrisch  betriebenen  Glocken). 

Dass  die  Fische  solche  andauernden  Schallreize  durch  das  soge- 
nannte Gehörorgan  wahrnehmen,  ist  trotz  mühevoller  und  scharfsinnig 
angestellter  Versuche  nicht  bewiesen.  Vielmehr  scheinen  dabei  bald 
Gefühls-,  bald  Gesichtseindrücke  die  von  den  Autoren  beschriebenen 
Reaktionen,  sofern  es  sich  wirklich  um  solche  handelt,  veranlasst  zu 
haben. 

Unter  Wasser  erzeugte  einmalige  laute,  knackende  Geräusche 
von  verschiedener  Stärke  und  Höhe  hatten  bei  25  Fiscbarten  nicht  die 
geringste  Reaktion  zur  Folge. 

Die  Tatsache,  dass  die  Funktion  anderer  Sinne  der  Fische,  wie 
des  Gesichts  und  des  Gefühls,  sich  stets  leicht  und  überzeugend  nach- 
weisen lässt,  macht  es  fast  sicher,  dass  auch  das  Gehör  leicht  und 
überzeugend  nachzuweisen  wäre,  wenn  es  die  Fische  hätten. 

Da  unter  allen  Wirbeltieren  allein  die  Fische  kein  dem  Cortischen 
vergleichbares  Nervenendorgan  besitzen  und,  soweit  bekannt,  die  einzigen 
Wirbeltiere  sind,  bei  denen  sich  ein  Gehörsinn  nicht  nachweisen  lässt, 
darf  man  bei  den  Wirbeltieren  nur  dem  Nervenendorgan  der  Gehör- 
schnecke das  Vermögen  zuschreiben,  Gehörseindrücke  zu  vermitteln. 
Dass  ein  solches  Vermögen  auch  irgend  einem  Teile  des  Vestibular- 
apparates  zukomme,  ist  eine  zur  Zeit  unbegründete  Hypothese. 

Suckstorff  (Hannover). 

Allgemeines. 

a)  Berichte  etc, 

368.   Schmiegelow,  E.    Mitteilungen  aus  der  oto-lary ngologischen  Abteilung 
des  St.  Josephs  Hospitals  1905.    Kopenhagen  1906. 

Es  wurden  während  des  Jahres  1905  331  Patienten  entlassen  und 
14  sind  gestorben.  Es  wurden  26  Anfmeisselungen  des  Warzenfortsatzes 
und  60  Totalaufmeisselungen  ausgeführt,  ferner  37  Operationen  der 
Nasennebenhöhlen.  Bei  den  Gestorbenen  war  die  Todesursache  viermal 
eine  nicht  ins  Bereich  der  Oto-Laryngologie  fallende  Krankheit,  viermal 
eine  Kehlkopf-Lungenkrankheit;  innerhalb  des  Bereichs  der  Oto-Rhino- 
logie  fallen  demnach  nur  6  Todesfälle,    die   sich   folgendermaßen  ver- 


Allgemeines.  149 

teilen:  1  Carcinoma  niaxillae  sup.,  1  Cylindroma  carcinomatosum  naso- 
orbitale,  1  Lympbosarcoma  pharyngis,  2  Fälle  otogener  Meningitis  und 
1  Fall  von  Abscessos  cerebri.  In  letzterem  Falle  handelte  es  sich  um 
einen  41jährigen  Mann,  der  seit  der  frühesten  Kindheit  eine  rechtsseitige 
Ohreiterung  trng,  welche  er  jedoch  seit  dem  18.  Jahre  nicht  mehr  hatte 
behandeln  lassen.  9  Tage  vor  der  Aufnahme  heftige  Schmerzen  und 
Erbrechen,  später  auch  Sopor.  Es  wurde  Totalaufmeisselung  vor- 
genommen, woran  sich  eine  Kraniotomie  schloss  mit  Punktnr  von  Gross- 
hirn und  Kleinhirn  nach  verschiedenen  Richtungen  hin,  sowie  von 
Sinus,  alles  aber  mit  negativem  Resultat.  Bei  der  Sektion  fand  man 
im    vorderen   Teil    des    rechten   Frontallappens   einen   grossen   Abszess. 

Jörgen  Möller  (Kopenhagen). 

869.    Zemann,  Wien.    Bericht  über  die  Tätigkeit  während  der  Jahre  1908, 
1904  und  1905.    A.  f.  0.  70,  S.  169—186. 

Es  handelt  sich  um  die  Tätigkeit  bei  der  Abteilung  für  Ohren-, 
Nasen-  nnd  Halskranke  im  k.  u.  k.  Garnisonsspital  Nr.  1  in  Wien.  — 
Tabellen.  Bericht  über  die  bakteriologische  Untersuchung  von  18  Warzen- 
fortsatzempyemen.  Charakterisierung  der  Streptokokkenempyeme  und 
eines  durch  Bact.  coli  commune  erzeugten  Empyems.  Bemerkungen  über 
die  Nachbehandlung  nach  Warzenfortsatzoperation.  Sektionsbericht  eines 
Falles  (Meningitis).  Zarniko. 

370.  Ost  mann,  Marhurg  a.  L.    Die  Universitätspoliklinik  für  Ohren-,  Nasen- 

und  Halskrankheiten  zu  Marburg  a.  L.    A.  f.  0.  70,  S.  121—126. 

Beschreibung  der  Poliklinik.  Die  Zahl  der  poliklinischen  Zugänge 
betrug  im  Jahre  1906  2147,  der  klinischen  Kranken  182. 

Zarniko. 

371.  Laser,  Dr.,  Hugo,  Schularzt  in  Köni/fsberg  i.  Pr.   Über  das  Vorkommen 

von  Schwerhörigkeit  und  deren  Ursachen  bei  Schulkindern.    Deutsche 
med.  Wochenschr.  Nr.  5.  1907. 

Kurze  tabellarische  Übersicht  über  das  Untersuchungsergebnis  bei 
1753  Schulkindern  im  Alter  von  7  bis  14  Jahren.  Als  einziges  Hilfs- 
mittel diente  der  Hörmesser  v.  Politzer.  Es  fanden  sich  315  Schwer- 
hörige. Noltenius. 

372.  Schwartze,  H.,  Halle  a.  S.    Unzulässige  Benennungen  in  unserer  Lite- 

ratur.   A.  f.  0  70,  S.  100—109. 

Der  Unwillen  des  Verf.s  richtet  sich  diesmal  mit  progressiv  ge- 
steigerter Stärke  gegen  folgende  drei  Benennungen :  »Radikaloperation«, 
»Bezoldsche   Mastoiditis«    und   »Hartmannsches   Paukenröhrchen«. 


150     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

1.  Den  Ausdruck  »Radikaloperation«  will  Verf.  durch  den  besseren 
»Totalaufmeisselung«  ersetzt  wissen.  Trotz  der  Ausführungen  des  Verf. 
erscheint  der  übliche  Ausdruck  Radikaloperation  zutreffender  als  Total- 
aufmeisselung,  welcher  für  die  Fälle  gebraucht  werden  könnte,  bei 
welchen  auch  das  Labyrinth  freigelegt  wird. 

2.  Was  Verf.  gegen  die  Benennung  »Bezoldsche  Mastoiditis«  an- 
führt, ist  eine  Erweiterung  seiner  Ausführungen  auf  S.  802  (nicht,  wie 
in  der  Arbeit  falsch  gedruckt  steht,  702)  des  2.  Bandes  des  von  ihm 
redigierten  Handbuchs  der  Ohrenheilkunde  (Leipzig  1893).  Der  Satz: 
»Bezold  selbst  hat  gegen  die  missbräuchliche  Verwendung  seines  Namens 
nie  formell  Einspruch  erhoben,  sondern  sie  still  geduldet«  stellt  die 
Sachlage  in  falscher  Beleuchtung  dar.  Bezold  hat  die  Bezeichnung 
nicht  > still  geduldet«,  sondern  er  hat  an  einer  Stelle,  die  dem  Verf. 
unbekannt  geblieben  zu  sein  scheint,  sehr  klar  und  präzis  die  vorhin 
erwähnten  Einwürfe  des  Verf.s  zurückgewiesen.  Er  schreibt  nämlich 
auf  S.  106  seiner  ^Überschau  über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Ohren- 
heilkunde« (Wiesb.,  1895)  folgendes:  »Neuerdings  erklärt  Schwartze 
in  dem  von  •  ihm  redigierten  Handbuch  diese  Bezeichnung  (sciL  »Be- 
zoldsche  Mastoiditis«)  für  > ungerechtfertigt«  und  führt  zum  Beleg  einen 
Fall  von  Kuh,  dessen  Abbildung  er  in  seiner  patholog.  Anatomie  wieder- 
gegeben, ferner  einen  Fall  von  Böke  und  drei  eigene  Beobachtungen 
an.  —  Abgesehen  davon,  dass  kasuistische  Mitteilungen  noch  lange 
nicht  ausreichen,  um  eine  Krankheitsform  in  ihrem  typischen  Verhalten 
zu  charakterisieren,  handelt  es  sich  in  den  ersten  beiden  von  Schwartze 
angeführten  Fällen  gar  nicht  um  die  von  mir  beschriebene  Form  von 
akuter  Mittelohreiterung,  sondern  um  Karies  mit  Abstossung  von 
Sequestern,  im  Verlauf  deren  natürlich  auch  die  sich  bildenden  Senkungs- 
abszesse analoge  Wege  einschlagen  können.  Die  drei  eigenen  kasuistisch 
mitgeteilten  Fälle  von  Schwartze  illustrieren  allerdings  die  von  mir 
beschriebene  Form,  wie  schon  ihr  rascher  Heilungsverlauf  nach  Eröffnung 
des  Warzenteils  beweist ;  ich  konnte  sie  aber  aus  dem  einfachen  Grunde 
nicht  anführen,  weil  sie  erst  2  Jahre  später  als  meine  obige  Arbeit  von 
Schwartze  mitgeteilt  worden  sind,  nämlich  im  XIX.  Bande  des  A.  f. 
0.,  4.  Heft,  ausgegeben  am  15.  März  1883.« 

Nach  diesen  Ausführungen  ist  anzunehmen,  dass  Bezold  wenig 
Anlass  und  Neigung  haben  dürfte,  der  Ermahnung  Schwartzes  Folge 
zu  geben,  er  möchte  »auf  Grund  der  von  diesem  gegebenen  literarischen 
Hinweisungen  seine  Vaterschaft  desavouieren  und  den  Irrtum  seiner 
Schüler  und  Freunde  berichtigen«. 


Allgemeines.  151 

3.  »Hart  mann  sehe  Paukenröhre.«  Auf  die  Angriffe,  die  Verf. 
diesem  kleinen  und  höchst  nQtzlichen  Instrnmentchen  und  Hartmann 
selbst  angedeihen  lässt,  hat  dieser  sachlich  im  53.  Bande  dieser  Zeit- 
schrift, S.  236  f.,  geantwortet.  Zarniko.     . 

373.  Hecht.  München.  Demonstrationsvortra«:.  A.  f.  0.  1907.  Nr.  1.  S.  19  ff. 
Kasuistische  Mitteilungen  verschiedener  Art  und  einige  instrumen- 
tale Neuheiten  (Kieferhöhlenkanüle,  Haken  fflr  Stirnhöhlenoperation, 
Gleitschlinge  mit  besserer  Isolierung  am  vorderen  Ende  zur  Gaumen- 
mandelentfernung). Wittmaack  (Greifswald). 

374.  Eillian,  G.    Die  Grundlagen   der  modernen  Rhinolaryngologie.     Berl. 

klin.  Wochenschr.    1906.   Nr.  47. 

Den  reichen  Inhalt  dieser  kleinen,  meisterhaft  geschriebenen  Arbeit 
in  einem  kurzen  Referat  wiederzugeben,  ist  nicht  möglich;  die  Lektüre 
des  Originals  sei  dafür  um  so  dringender  empfohlen.  In  5  Abschnitten 
behandelt  K.  diese  Gegenstände:  Die  historische  Entwickelung  und  Ab- 
grenzung der  modernen  Rhinolar3Tigologie,  die  endoskopischen  Methoden 
als  Grundlagen  derselben,  die  allgemeinen  anatomischen,  physiologischen 
und  klinischen  Grundlagen  derselben,  ihre  speziellen  Grundlagen,  endlich 
die  Grenzgebiete  der  modernen  Rhinolaryngologie.  Was  K.  am  Schlüsse 
der  Arbeit  über  das  Spezialistentum  in  der  Medizin  überhaupt  sagt, 
kann  ich  mir  nicht  versagen,  wörtlich  zu  zitieren:  »Auf  der  Basis 
gegenseitiger  Würdigung  und  gerechter  Beschränkung  entfaltet  sich 
überall  ein  reges,  wissenschaftliches  Leben,  welches  der  durch  die 
Spezialisierung  herbeigeführten  und  immerfort  beklagten  Zersplitterung 
der  Medizin  entgegenarbeitet.  Durch  unsere  speziellen  Bestrebungen 
auf  allen  medizinischen  Gebieten  vertiefen  wir  unser  Wissen  und  verstärken 
wir  unser  Können  und  stellen  dann  beides  wieder  in  den  Dienst  des 
Ganzen.  So  befolgen  wir  in  unserer  ^Veise  den  Grundsatz:  Getrennt 
marschieren,  vereint  schlagen.*  Rau  (Stuttgart). 

375.  Kubo,  Ino,   Fukuoka   (Japan).     Zur   Geschichte    der   alten    Rhinologie. 

A.  f.  Laryngol.   Bd.  XIX,  Heft  1. 

Mitteilungen  über  anatomische  und  physiologische  Kenntnisse,  Krank- 
heitsbilder, Pathologie  und  Ätiologie  und  Behandlungsarten  der  Nase,  wie  sie 
in  den  alten  japanischen  Schriften  niedergelegt  sind,      von  Eicken. 

d)  Allgemeine  Pathologie  und  Symptomatologie. 

376.  Siebenmann,  Basel.  Über  die  Funktion  und  die  mikroskopische  Anatomie  des 

Gehörorgans  bei  totaler  Aplasie  der  Schilddrüse  (1  Taf.).  A.f.0.70,  S.83— 89. 

Viele  Kranke  mit   gewaltigen  Kröpfen   erfreuen   sich   eines  völlig 


152     Bericht  über  die  Leistangen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

normalen  Gehörs.  Anch  bei  Degeneration  der  Schilddrüse  kann,  wie 
eine  Beobachtung  des  Verf.  lehrt,  das  Gehör  normal  bleiben.  —  Noch 
wichtiger  als  klinische  sind  jedoch  in  der  Frage  der  »dysthyren  Schwer- 
hörigkeit« (Bloch)  mikroskopische  Feststellungen  an  Labyrinthen  von 
Individuen,  bei  denen  das  Fehlen  jeglicher  Schilddrüsensubstanz  durch 
makroskopische  und  mikroskopische  Untersuchung  festgestellt  ist. 

Verf.  beschreibt  den  Befund  bei  einem  derartigen  Labyrinth. 
Dieses  stammte  von  einem  4^/2 monatigen,  mit  Myxödem  behafteten 
Kinde,  das  im  Baseler  Kinderhospital  kachektisch  zugrunde  ging  (vergU 
Dieterle,  Virchow -Archiv  Bd.  184  und  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  Bd.  64). 
Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigte  eine  Otit.  med.  catarrhalis  acuta ; 
normale  Formen  und  Grössenverhältnisse  des  Labyrinths 
und  seines  Inhalts,  Fehlen  jeglicher  Veränderungen,  die 
eine  wesentliche  Funktionsunfähigkeit  des  Gehörorgans 
bewirken  könnten;  an  der  Labyrinthkapsel  Veränderungen,  wie 
sie  sonst  auch  an  den  Knochen  athyreotischer  Individuen  festgestellt 
sind.  Nach  diesen  Befunden  wünscht  Verf.,  dass  die  Angaben  der 
Myxödemkommission  über  die  Häufigkeit  der  Schwerhörigkeit  beim 
Myxödem  einer  erneuten  sorgfältigen  Nachprüfung  durch  erfahrene 
Ohrenärzte  unterzogen  würden;  dass  dia  Bezeichnung  »dysthyre  Schwer- 
hörigkeit* aufgegeben  werde,  weil  die  Schwerhörigkeit  bei  Schilddrüsen- 
affektion  nicht  hierauf,  sondern  auf  andere  Ursachen  zurückgeführt 
werden  müsse.  Zarniko. 

377.  SendziakfJ.,  Warschau.  Nasen-,  Rachen-,  Kehlkopf-  und  Ohrenstömngen 

bei  den  Krankheiten  des  Zirknlationsapparates.    M.  f.  0.  1906,  Nr.  12. 

Verf.  gibt  eine  gedrängte  Übersicht  über  die  im  Verlauf  von 
Erkrankungen  des  Zirkulationsapparates  vorkommenden  Miterkrankungen 
in  Nase,  Rachen,  Kehlkopf  und  Ohr  mit  Hervorhebung  der  wichtigsten 
hierdurch  ausgelösten  Symptome.  Wittmaack. 

378.  Gawrilow,  T.    Erkrankungen  des  Ohres,  der  Nase,  des  Rachens  und 

Nasenrachens  beim  Wechselfieber.     Russische  Monatsschr.  für  Ohren- 
heilkunde etc.    Oktober  u.  November  1906. 

Der  Wohnort  des  Verf.  —  die  Stadt  Ssamara  an  der  Wolga  - 
nimmt  nach  der  Zahl  der  Erkrankungen  an  Malaria  und  der  Viel- 
gestaltigkeit ihrer  Formen  eine  sehr  ansehnliche  Stelle  ein.  Verschiedene 
Störungen  seitens  der  oben  erwähnten  Organe  malarischen  Charakters 
werden  da  sehr  oft  beobachtet.  Die  malarischen  Affektionen  des  Ohres 
dokumentieren  sich  am  häufigsten  in  Form  von  Ohrenschmerzen  und 
Schmerzhaftigkeit    der    Ohrmuschel    beim    Berühren    derselben.      Das 


Allgemeines.  153 

Trommelfell  i3t  dabei  manchmal  etwas  gerötet,  häufiger  aber  vod  voll- 
kommen normalem  Aussehen.  Erkrankungen  des  Gehörnerven  sind 
relativ  selten;  Verf.  sah  nur  2  Fälle  von  Reizzuständen  desselben  und 
einige  Fälle  mit  Herabsetzung  seiner  Funktion.  Seitens  der  Nase  werden 
am  häufigsten  beobachtet  Neuralgien  der  Zweige  des  ersten  und  zweiten 
Trigeminusastes  und  sehr  starke,  oft  lebensgefährliche  Nasenblutungen. 
Im  Rachen  tritt  das  Wechselfieber  am  häufigsten  in  der  Form  der  sog. 
Pharyngitis  granulosa  und  Pharyngitis  lateralis  auf.  Bei  der  ersteren 
klagen  die  Patienten  über  Fremdkörpergeftthl  und  Kitzeln  im  Halse, 
die  zweite  ruft  Schluckbeschwerden,  manchmal  mit  Stechen  im  ent- 
sprechenden Ohre  und  starken  trockenen  Husten  hervor,  der  zuweilen 
anfallsweise  auftritt.  Bei  allen  diesen  Formen  der  Malaria  befreien 
Chinin  und  Arsen   die  Patienten   rasch   von   allen  lästigen  Symptomen. 

Sa  eher  (Petersburg). 

379.  Kishi,  K.,  Formosa.  Über  die  otitische  Dyspepsie  der  Säuglinge.  A.  f.  0. 
70,  S.  1—6. 

Verf.  sieht  sich  durch  die  Beobachtung  einer  grösseren  Anzahl  von 
Fällen  otitischer  Dyspepsie  zu  folgenden  Behauptungen  berechtigt:  »Die 
otitische  Dyspepsie  der  Säuglinge  ist  eine  nicht  selten  vorkommende 
Krankheit.«  Als  besonders  wichtige  Symptome  sieht  er  Leber- 
vergrösserung  und  Zähneknirschen  an.  »Solange  Otit.  med. 
mit  intaktem  Trommelfell  vorhanden  ist,  nimmt  die  Lebervergrösserung 
nicht  ab,  auch  ihre  Konsistenz  bleibt  sehr  hart.  Ebenso  knirscht  das 
Kind  mit  den  Zähnen,  sobald  der  Eiter  in  der  Paukenhöhle  sich  zu 
stauen  anfängt.  Diese  beiden  Symptome  sind  also  eigentümlich  für 
die  otitische  Dyspepsie  und  immer  Anzeichen,  dass  Otitis  media  der 
Säuglinge  vorhanden  ist.  Ferner  kommen  bei  der  otitischen  Dyspepsie 
nie  starke  entzündliche  Erscheinungen  am  Trommelfell  vor,  sondern 
nar  starke  Trübung  und  Wölbung.«  Nach  der  Ansicht  des  Verf. 
»entsteht  die  otit.  Dyspepsie  dadurch,  dass  in  der  Paukenhöhle  ent- 
standene Produkte  durch  die  Tubae  Eustachii  in  den  Verdauungskanal 
gelangen.« 

Dem  Verf.  ist  offenbar  Preysings  grundlegende  Monographie 
völlig  unbekannt  geblieben.  Sonst  hätte  er  gewiss  seine  wunderlichen 
Behauptungen  unterdrückt.  Zarniko. 

880.  Levy,  Max,  Dr.,  Charlottenburg.  Die  Mortalität  der  Ohrerkrankungen 
und  ihre  Bedeutung  für  die  Lebensversicherung.  Deutsche  mediz. 
Wochenschr.  Nr.  13,  1907. 

Von  dem  Gedanken  ausgehend,  dass  ein  mit  chronischer  Ohreiterung 


154     Bericht  über  die  Leistangeo  und  FortEchritte  der  OlireDheilkonde. 

Behafteter  nicht  in  allen  Fällen  als  ungeeignet  f&r  eine  Lebensyersicbenmg 
zn  bezeichnen  ist,  hat  Le  yy  sich  an  sämtliche  deutsche  Lebensrersicherongs- 
gesellschaften  gewandt  und  von  37  derselben  folgende  Auskunft  erhalten. 
20  Gesellschaften,  darunter  einige  der  grössten,  lehnen  prinzipiell  jeden 
an  chronischer  Otorrhoe  Leidenden  ab,  16  entscheiden  je  nach  Lage 
des  Einzelfalles  yermutlich  nach  Anhörung  eines  Ohrenarztes,  die  letzte 
schliesst  für  den  Fall,  dass  der  Tod  an  den  Folgen  der  Ohreiterang 
eintritt,  ihre  Zahlungspflicht  aus.  Auch  die  Ohrenärzte  selbst  beurteilen 
die  Frage  sehr  verschieden,  indem  einige,  namentlich  in  früherer  Zeit 
(v.  Tröltsch,  Trautmann,  Urbantschitsch)  sich  schroff  ab- 
lehnend verhalten,  während  andere  (Patterson  Cassels,  Burger, 
Brfihl  etc.)  wesentlich  milder  urteilen.  Aus  der  Statistik  einer  sehr 
bedeutenden  Gesellschaft,  die  sich  prinzipiell  ablehnend  verhält,  geht 
hervor,  dass  unter  46  480  Sterbefällen  nur  58,  das  sind  0,12  ^/^  auf 
das  Konto  der  Mittelohreiterung  entfallen.  Einen  etwas  höheren  Wert 
(0,6  ^,())  ergibt  die  Statistik  der  Charite-Sektionen.  Weitere  Tabellen 
lassen  erkennen,  dass  der  Höhepunkt  der  Todesfälle  an  chronischer 
Otorrhoe  in  das  2.  Decennium  fallt,  um  dann  rasch  abzusinken,  sodass 
im  4.  Decennium  bereits  die  akute  Otorrhoe  prozentualiter  tiberwiegt. 
Verf.  gelangt  auf  Grund  seiner  Untersuchung  —  weitere  Einzel- 
heiten mögen  im  Original  nachgelesen  werden  -—  zur  Aufstellung  folgen- 
der Thesen: 

1.  Der  prinzipiell  ablehnende  Standpunkt  unserer  deutschen  Ver- 
sicherungsgesellschaften Antragstellern  mit  chronischer  Ohreiterung  gegen- 
über ist  nicht  berechtigt. 

2.  Wenn  die  Ohreiterung  nach  klinischer  Erfahrung  als  gutartig 
erscheint,  kann  Aufnahme  mit  erhöhter  Prämie  erfolgen. 

3.  Die  Entscheidung  kann  nur  ein  Ohrenarzt  treffen.     Noltenius. 

381.   Clairmont,  F.    Über  das  Verhalten  des  Speichels  gegenüber  Bakterien. 
Wiener  klin.  Wochenschr.  Nr.  47,  1906. 

C.  stellt  aus  dem  Überblick  über  die  einschlägige  Literatur  fest, 
dass  nur  2  Tatsachen  als  erwiesen  angesehen  werden  können,  nämlich: 
die  Virulenzabschwächung  der  Pneumokokken  im  Speichel  oder  auf 
speichelhaltigem  Nährboden  trotz  gutem  Wachstum  und  die  Abschwäch- 
ung  oder  Zerstörung  von  Toxinen  durch  Verdauungsfermente. 

C.  machte  eingehende  Versuche  mit  Sekret  der  Parotis  und  Sub- 
maxillaris,  welches  besonders  geeignet  war,  von  Hunden,  Katzen, 
Kaninchen,  Ziegen  und  Affen.  Aus  seinen  Untersnchangen  zieht  C. 
unter   anderem   folgende   Schlüsse:    Wenn  Wunden   in   der   Mundhöhle 


AllgemeiDes.  155 

per  priroam  heilen,  so  ist  dies  vor  allem  auf  zwei  Momente  zurück- 
zufahren, auf  die  schlechten  Existenzbedingungen  für  die  Bakterien  und 
die  mechanische  Wegschwemmung  derselben  durch  den  Speichel.  Von 
einer  baktericiden  Wirkung  des  Speichels  kann  im  allgemeinen  nicht 
gesprochen  werden.  Jedoch  findet  eine  geringe  Anzahl  von  Keimen  im 
Speichel  so  ungünstige  Lebensbedingungen,  dass  sie  zu  Grunde  gehen. 
Der  menschliche  Speichel  steht  in  dieser  Hinsicht  dem  einzelner  Tiere 
nach.  Es  sind  Unterschiede  zwischen  dem  Submaxillar-  und  Parotis- 
speichel  zu  konstatieren;  während  ersterer  gegenüber  Bakterien  keine 
oder  nur  geringe  schädigende  Wirkung  entfaltet,  ist  das  Parotissekret 
verschiedener  Tiere  und  des  Menschen  im  Stande,  eine  deutliche,  das 
Wachstum  der  Mikroorganismen  hemmende  Wirkung  auszuüben.  Unter 
den  schlechten  Existenzbedingungen  scheinen  besonders  die  Staphylo- 
mid  Streptokokken  zu  leiden.  Wird  dem  Speichel  Bouillon  zugesetzt, 
so  werden  die  Existenzbedingungen  gute.  Wird  die  Speichelsekretion 
bei  Tieren  oder  beim  Menschen  künstlich  angeregt,  so  kann  nach  kurzer 
Zeit  der  Speichel  steril  sein,  oder  so  wenig  Keime  enthalten,  dass  die- 
selben sich  nicht  vermehren,  sondern  zu  Grunde  gehen 

Wir  können  somit  nach  C.s  Ansicht  in  der  Mundhöhle  mit  einem 
gewissen  Grade  von  Selbstschutz  des  Organismus  rechnen  und  denselben 
unterstützen,  wenn  wir  die  Speichelsekretion  anregen  und  in  der  Mund- 
höhle die  Retention  guter  Nährböden  für  die  Bakterien  verhindern. 

Wanne r  (München). 

382.  Hechinger,  J.,  Freiburg  i.  Br.   Noma  des  Ohres.   A.  f.  0.  70,  S.  7— U. 

2  Tafeln. 

Ausführliche  Krankengeschichte,  Sektionsprotokoll,  Bericht  über  den 
histologischen  Befund.  Auch  in  diesem  Falle  fand  sich  das  nekrotische 
Gewebe  durchsetzt  von  einem  dichten  Gewirre  von  Streptothrixfäden,  die 
Verf.  mit  Perthes  (Arch.  f.  klin.  Chir.  Bd.  59)  für  die  Verursacher 
der  Noma  hält.  Von  den  Bezoldschen  Fällen  unterscheidet  sich  der 
vorliegende  dadurch,  dass  auch  das  Mittelohr  von  der  Noma  ergriffen  war. 

Z  a  r  n  i  k  0. 

383.  Frey,  Hugo  u.  Fuchs,  Alfred,  Wien,    fipilepsie  reflexe  d'origine  nasale, 

auriculaire  et  pbaryngienne.   Arch.  internat.  d'otol.  etc.  Bd.  22,  Nr.  2, 
1906. 

Referiert  im  Bericht  über  die  Verhandlungen  der  otolog.  Sektion 
des  Internat,  med.  Kongresses  zu  Lissabon  April  1906  Bd.  52,  S.  397 
dieser  Zeitschrift.  Oppikofer  (Basel). 


156     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

384.  Royet,  Lyon.  Considerations  ä  propos  de  nouTelles  observations  de  vertige 

par  Symphyse  salpingo-pharyngienne.  Arch.  internat.  d'otol.  etc.  Bd.  22, 
Nr.  2,  1906. 

Schwindel  and  Ohrgeränsche  sind  häufig  durch  Strangbildungen 
verursacht,  die  von  den  Tubenwülsten  nach  der  hinteren  Pharynxwand 
verlaufen.  Durch  Lösen  der  Verwachsungen  mit  dem  in  den  Retronasal- 
raum  eingeführten  Finger  verschwinden  Schwindel  und  Ohrgeräusche. 
Um  den  Nutzen  dieser  Therapie  darzulegen,  zählt  Roy  et  5  Kranken- 
geschichten auf,  die  aber  nicht  überzeugend  sind.  Nach  Referent  handelt 
es  sich  vielmehr  in  diesen  Fällen  um  hysterische  oder  neurasthenische 
Patienten,  die  eben  durch  eine  solche  absonderliche  und  ungewohnte 
Therapie  beeinflussbar  sind.  R.  hat  bereits  früher  (Z.  f.  0.  Bd.  47, 
S.  320)  den  Standpunkt  vertreten,  dass  von  der  Tubenöffnung  aus- 
gehende Strangbildungen  häufig  die  Ursache  der  Mittelobrsklerose  seien. 
Seither  hat  Referent  bei  22  Stapesankylosen  nach  solchen  Strangbild- 
ungen gesucht,  aber  niemals  finden  können.  Auch  ist  es,  wenn  wir  uns 
das  histologische  Bild  dieser  Krankheit  vergegenwärtigen,  nicht  denkbar, 
dass  durch  Lösen  solcher  Verwachsungen,  die  R.  nicht  mit  dem  Spiegel 
sondern  mit  dem  tastenden  Finger  konstatiert,  eine  Besserung  oder  gar 
Heilung  erzielt  werden  kann.  Oppikofer. 

385.  Miodowski,  F.,  BreslaiL    Zur  Pathologie  der  Schläfenbeinendotheliome. 

A.  f.  0.  69.  S.  288—296. 

5  5  jähr.  Mann,  schlecht  genährt,  kommt  mit  kompleter  linksseitiger 
Fazialislähmung  und  einer  Geschwulst  hinter  dem  Ohre  in  die  Behand- 
lung, die  als  der  Ausdruck  einer  Bezoldschen  Mastoiditis  imponiert. 
Vorher  angeblich  niemals  Ohrlaufen  oder  Ohrenschmerzen.  —  Bei  der 
Operation  zeigt  es  sich,  dass  ein  Neoplasma  vorhanden  ist,  das  die 
Spitze  des  Warzenfortsatzes  vollkommen  konsumiert  hat,  mit  der  Sinus- 
wand und  der  Kleinhirndura  verwachsen  ist.  Nach  vorn  reicht  der 
Tumor  bis  zum  absteigenden  Kieferast.  —  Trotz  der  Operation  unauf- 
haltsames Vordringen  der  Neubildung  in  den  Meatus  externus  und  schliess- 
lich das  Cavum  cranii.     Exitus  am  21.  Tage  post  operationem. 

Die  histologische  Untersuchung  lehrte,  dass  die  Neubildung  ein 
typisches  Endotheliom  war.  — 

Verf.  geht  auf  die  beiden  einzigen,  sonst  in  der  Literatur  nieder- 
gelegten Fälle  (L entert,  Nadoleczny)  dieser  im  Schläfenbein  sehr 
seltenen  Neubildung  näher  ein  und  bespricht  die  Schwierigkeit  der 
Diagnose  und  die  für  die  Differenzierung  wichtigen  Anhaltspunkte  (Fehlen 
von  Otorrhoe,  Fazialislähmung,  Kachexie).  Zarniko. 


Allgemeines.  157 

386.  Barth,  A.,  Leipzig.  Über  musikalisches  Falschhören  (Diplacusis).  Deutsche 

med.  Wochenschr.  Nr.  10,  1907. 

Barth  ist  nach  wie  vor  der  Meinung,  dass  die  sogen.  Diplacusis 
auf  Täuschung  beruht,  insofern  der  Patient  mit  dem  erkrankten  Ohre 
den  Ton  mit  veränderter  Klangfarbe  hört  und  dadurch  verleitet  wird, 
den  Ton  als  höher  oder  tiefer  anzusetzen.  Für  den  sichern  Beweis  einer 
Diplacusis  verlangt  Barth,  dass  jedes  Ohr  mit  sicherem  Ausschluss  des 
anderen  geprüft  und  der  Patient  angehalten  wird,  unter  wechselnden 
Bedingungen  das  Gehörte  nachzusingen.  Diesmal  ist  es  dem  Yerf.  ge- 
glückt in  zwei  Fällen  von  Erkrankung  des  inneren  Ohres  seine  Auf- 
fassung bestätigt  zu  finden,  sodass  er  erklärt:  >Es  muss  mir  ein  Fall 
von  wirklicher  Diplacusis  disharmonica  erst  vorgeführt  werden,  ehe  ich 
daran  glaube.«  N  ölten  ins. 

c)   Unter suchungS'  und  Behandlungsmethoden, 

387.  von  Stein,  Stanislas.    Nouveau  dynamometrographe  universel  et  ergo- 

gxaphe  et  leur  importance  pour  le  diagnostic  du  labyrinthe  de  roreille. 

Während  die  bisher  konstruierten  Dynamometer  allenfalls  zum 
Messen  des  Kraftaufwandes  ausreichten  oder  wie  Mossos  Ergograph 
die  Höhe  der  Erbebung  nur  für  ein  gewisses  Gewicht,  nicht  aber  für 
ein  proportional  zunehmendes  Gewicht  zu  bestimmen  gestatteten,  hat 
Stein  einen  neuen  Apparat  gebaut,  der  das  Anwachsen  der  Kraft, 
ihre  Dauer  und  Abnahme  durch  eine  fortlaufende  Kurve  festzulegen 
vermag.  Stein  benutzt  statt  der  sonst  bei  Dynamometrographen 
benutzten  Feder,  deren  Kraft  ja  mit  der  Zeit  nachlässt,  ein  an  einer 
vertikalen  Stange  hängendes  Gewicht.  Zum  Heben  des  Gewichtes  ist 
um  so  mehr  Kraft  nötig,  je  mehr  sich  das  Gewicht  der  Horizontalen 
nähert.  Stein  beschreibt  seinen  Apparat  an  der  Hand  von  zahlreichen 
Abbildungen  genau  und  rühmt  seine  Einfachheit,  seine  Konstanz,  die 
Leichtigkeit,  seine  Angaben  zu  kontrollieren,  die  Vielseitigkeit  seines 
Gebrauchs  und  die  Möglichkeit,  durch  Sekunden,  Minuten  und  Stunden 
ununterbrochen  Kurven  zu  zeichnen. 

Stein  schildert  dann  zunächst  die  von  Gesunden  erhaltenen  Dynamo- 
gramme, von  denen  er  der  Arbeit,  ebenso  wie  von  kranken  Individuen, 
eine  grosse  Reihe  beifügt :  zunächst  erhebt  sich  die  Kurve  ganz  vertikal, 
d.  h.  der  Muskel  zieht  sich  rapid  zusammen;  ist  das  Gewicht  zur 
maximalen  Höhe  gehoben,  dann  bleibt  es  einige  Zeit  in  dieser  Höhe, 
zeichnet  also  eine  horizontale  Linie,  die  um  so  länger  ist,  je  grösser 
die  Arbeitskraft  des  Individuums  ist.  Das  Gewicht  und  damit  die  Kurve 
senkt  sich   dann   ziemlich   schnell;    dann  wird    der  Fall  sehr  langsam, 


158     Bericht  Aber  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

bleibt  aber  progressiv,  sodass  die  Kurve  schliesslich  fast  horizontal  wird. 
Ein  Fall  bis  0  ist  nicht  beobachtet.  Die  Linie  des  progressiven  Falles 
nennt  Stein  >die  negative  Arbeitslinie«,  die  ganze  Linie  der  Senkung 
nennt  er  »die  tetanische  Kurve«.  Die  Kurve  zeigt  nach  der  ersten 
Erhebung  eine  deutliche  feine  Wellenbewegung,  »der  Ausdruck  der 
leichten  Kontraktionen  der  Muskelfibrillen«.  Die  negative  Arbeitslinie 
hält  S  t.  für  praktisch  sehr  wichtig ;  nach  ihr  könnte  man  das  passendste 
Gewicht  von  Arbeitsinstrumenten,  Hämmern  u.  s.  w.  bestimmen.  Der 
tetanisch  kontrahierte  Muskel  kann  sich  nun  weiter  zusammenziehen 
und  so  entstehen  in  der  Kurve  Sägezähne  mit  gewissen  Eigentümlich- 
keiten (»ergographische  Kurve«  Steins). 

Wichtig  war  es  für  Stein,  die  Veränderungen  der  Muskelkraft 
zu  den  Labyrinthstörungen  in  Beziehung  zu  bringen,  nachdem  von 
Tieren  unbestreitbar  eine  Schwächung  der  Muskelfunktion  festgestellt  war 
(Ewald).  An  dieser  Stelle  werden  auch  die  Arbeiten  von  Wanner 
und  Kümmel  erwähnt. 

Stein  hat  im  ganzen  21  Fälle  von  Affektionen  1.  des  Labyrinths, 
2.  des  Labyrinths  und  Gehirns,  3.  des  Zentralnervensystems  untersucht. 
Von  seinen  Schlussfolgerungen  wäre  Folgendes  zu  erwähnen: 

Die  initiale  Wellenbewegung  der  tetanischen  Kurve  kann  sehr  wenig 
ausgeprägt  sein  oder  ganz  fehlen: 

a)  bei  partiellen  Läsionen  des  Labyrinths  einer  Seite,  besonders 
bei  Verengerung  des  horizontalen  Bogenganges; 

b)  auf  der  Seite  des  zerstörten  Labyrinths; 

c)  bei  Labyrinthentzündung  mit  Geräuschen  und  Schwindel,  aber 
ohne  Gehimläsion; 

d)  bei  Läsion  der  Fasern  des  N.  Vül; 

e)  bei  der  amyotrophischen  Seitenstrangsklerose ; 

f)  bei  Überdehnung  der  Muskeln. 

Gesichtsein  drücke  haben  keinen  Einfluss  auf  das  Fehlen  oder 
Vorhandensein  der  Wellen. 

In  dem  Fehlen  oder  der  Schwäche  der  Wellenbewegung  kann  man 
also  das  Zeichen  einer  Läsion  des  Ohrlabyrinths  oder  seiner  zentripetalen 
Bahnen  erblicken. 

Die  ergotetanische  Kurve  kann  schwach  gezeichnet  sein  oder  fehlen: 

a)  während  der  von  Schwindel  und  Geräuschen  begleiteten  Ent- 
zündung des  Labyrinths  (keine  ergotetanische  Kurve  auf  der 
kranken,  schwache  auf  der  gesunden  Seite); 

b)  bei  Abtragung  des  Labyrinths  auf  der  beteiligten  Seite; 


Allgemeines.  159 

c)  bei  Läsion  gewisser  Fasern  des  N.  VIII; 

d)  bei  amyotrophischer  SeitenstrangskleroSe ; 

e)  bei  Überdehnung  der  Muskeln; 

f)  bei  Läsion  des  verlängerten  Marks  auch  bei  gutem  Gehör; 
'                g)  bei  Läsion  des  horizontalen  Bogenganges. 

I  Gesichtseindrücke   spielen    eine   grosse  Rolle   beim  Eintreten   oder 

Fehlen  der  ergotetanischen  Kurve. 
I  In  einzelnen  Fällen  von  Läsion  des  Nervensystems  fällt  die  Kurve 

I        in  sehr   verschiedenen   Graden    ab,   was   bei    Erkrankungen   des  Ohres 
I        oder  des  N.  YIII  nie  beobachtet  wurde. 

Die  Kurven  bei  Akromegalie  sind  fast  gerade  und  einheitlich,  wie 
nie  bei  Labyrintherkrankungen. 

Bei  Sklerosis  disseminata  und  in  der  den  Lähmungen  der  oberen 
Extremität  vorhergebenden  Zeit  beobachtet  man  unregelmäfsig  gezähnte 
oder  grosswellige  Kurven. 

Stein  stellt  für  die  Diagnose  folgende  Schlusssätze  auf: 

1.  Die  feinen  Wellenbewegungen  zeigen,  dass  gewisse  Teile  des 
LabvTinths  intakt  sind. 

2.  Ihr  Fehlen  deutet  auf  wichtige  Läsionen  von  Teilen  des 
Labyrinths. 

3.  Schlecht  gezeichnete  Wellen  zeigen,  dass  das  Labyrinth  wenig 
lädiert  ist. 

4.  Die  absatzweise  abfallende  Kurve  verrät  eine  Gehirnkrankheit. 

5.  Ebenso  eine  Kurve  mit  unregelmäfsigen  Zähnen  oder  grossen 
Wellen. 

6.  Die  sich  langsam  oder  mit  Wellen  erhebende  Kurve  beweist 
eine  Schwäche  der  Muskeln  und  wird  gefunden  bei  Affektionen  des 
Gehirns  oder  Labyrinths. 

7.  Kürze,  Unregelmäfsigkeit  oder  Fehlen  der  ergographischen  Linie 
findet  sich 

a)  bei  Labyrinthaffektionen  (bei  geschlossenen  Augen), 

b)  bei  gewissen  reinen  Labyrinthaffektionen  oder  solchen,  die  mit 
zentralen  Affektionen  kombiniert  sind. 

8.  Man  darf  bei  den  Versuchen  etwaige  periphere  Affektionen  der 
Muskeln  nicht  übersehen. 

Zur   Bestätigung  all  dieser  Tatsachen  bedarf  es  noch  zahlreicher 
'  weiterer  Versuche.  Brandt  (Magdeburg). 


160     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

888.  ßlegvad,  N.  Rh.,  Kopenhagen.  Über  die  Grenzen  der  Perceptionszeiten 
von  Stimmgabeln  per  Luftleitung  und  per  Enochenleitung  bei  normalem 
Gehörorgan.    A.  f.  0.  70,  S.  78- -82. 

Für  ein  Referat  ungeeignet.  Zarniko. 

389.  Blegvad,  N.  Rh.,  Kopenhagen.  Einige  Bemerkungen  über  den  Web  er- 
sehen Versuch.    A.  f.  0.  70,  S.  51—77. 

Die  Untersuchung  zahlreicher  (366)  Telephonistinnen  mit  normalem 
Gehör,  einiger  (8)  mit  einseitiger  chronischer  Mittelohreiterung,  einiger 
(26)  mit  Residuen  von  abgelaufener  Mittelohr eiterung  und  einzelner  mit 
Cerumen  obturans  behafteter  bestätigte  die  Ansicht,  dass  der  Web  ersehe 
Versuch  eine  ziemlich  unsichere  und  unzuverlässige  Untcrsuchnngs- 
methode  ist.  Zarniko. 

890.  Mulert,  Dr.,  Plauen.  Ein  neuer  Ohrmassageapparat.  M.  f.  0.  1906 
Nr.  10,  S.  656. 

Empfiehlt  den  von  der  Gesellschaft  >Electra«  in  Berlin  in  den 
Handel  gebrachten  Ohrmassageapparat,  »bei  welchem  in  ebenso  einfacher 
wie  sinnreicher  Weise  als  treibende  Kraft  der  faradische  Strom  ver- 
wendet wird*.  Wittmaack. 

391.  Richter,  Ed.,  Plauen  i.V.    Über  eine  neue  Paracentesenadel.    M.  f.  0. 

1907,  Nr.  1. 

Die  neue  Nadel  ist  gleich  den  Dreikantdolchen  für  Punktionen  mit 
einer  dreikantigen  Krone  versehen  und  wird  in  fünf  Grössen  angefertigt 
(Wal b- Heidelberg).  Der  dreikantige  Durchstich  bietet  neben  den 
besonderen  Vorzügen  der  Schnelligkeit  und  der  Gefahrlosigkeit  noch 
den  Vorzug,  dass  die  Perforationsöffnung  dreilappig  wird,  besser  klafft 
und  somit  einen  besseren  Abfluss  zulässt  als  die  schlitzförmige. 

Wittmaack. 

392.  Gnyot,  J.,   Dr.,  Genf.    Des  indications  de  la  m^thode  de  Bier  en  oto- 

rhinologie.    Revue  m^dicale  de  la  Saisse  Roroande  Nr.  5  1906. 

G.  beschreibt  den  Sonder  man  nschen  Saugapparat  und  empfiehlt 
dessen  Anwendung  hauptsächlich  zur  Behandlung  der  akuten  Mittelohr- 
und akuten  Nebenhöhleneiterungen  sowie  zur  Diagnosestellung  der  Neben- 
höhlenempyeme.  Oppikofer. 

393.  tJrbantschitsch,  Ernst,  Wien.    Der  therapeutische  Wert  des  Fibroljsins 

bei  Mittelohrerkrankungen.    M.  f.  0.  1907  Nr.  2. 

Das  Mittel  wurde  subkutan  (Oberarm,  Oberschenkel  oder  Rücken) 
anfangs  in  einer  Dosis  von  nur  0,3  ccm  —  dann  steigend  auf  0,6  ccm, 
1,2  ccm  und  schliesslich  2,3  ccm  —  appliziert.  Durchschnittlich  20 — 30 
Injektionen.    Zuweilen  traten  sowohl  lokale  als  auch  allgemeine  Neben- 


Allgemeines.  161 

Wirkungen  aaf.  Neben  den  Injektionen  ist  die  Einleitung  einer  energischen 
lokalen  Behandlang  (Katheter,  Bougies,  Massage  etc.)  nnerlässlich. 
Besonders  geeignet  sind  Fälle  chronischen  Mittelohrkatarrhs,  Adhäsiv- 
Prozesse  and  Otosklerose  im  Anfangsstadiam,  namentlich  bei  Schwankungen 
in  der  Intensität  der  Hörstörang.  In  diesen  Fällen  ist  bei  Anwendung 
des  Fibrolysins  oft  noch  ein  Erfolg  zu  verzeichnen,  auch  wenn  eine 
vorangegangene  lokale  Behandlung  mit  sämtlichen  in  Betracht  kommenden 
Methoden  erfolglos  geblieben  war.  Wittmaack. 

8W.  Wa gner  v.  Jauregg,  Prof.,  Wien.  Zweiter  Bericht  über  die  Behandlung 
endemischen  Kretinisrouses  mit  Schilddrüsensobstanz.  Wiener  klinische 
Wochenschrift  Nr.  6  1907. 

W.  führt  Fälle  an,  in  welchen  schlechtes  Gehör  (Flüstersprache 
nicht  gehört)  wesentlich  gebessert  wurde.  Je  früher  man  die  Kur  ein- 
leitet, desto  besser  ist  es. 

Die  Hörstörungen  der  Kretins  beruhen  nach  W.'s  Ansicht  meist 
auf  Tubenkatarrhen  neben  adenoiden  Vegetationen  und  Labyrinth- 
erkrankungen, jedoch  sind  erstere  häufiger.  W.  glaubt,  dass  es  spezifische 
adenoide  Vegetationen  bei  den  Kretins  sind,  auf  welche  die  Schilddrüsen- 
behandlung einen  gewissen  Einfluss  ausübt;  wenn  auch  im  allgemeinen 
bei  Labyrintherkrankungen  keine  Besserung  auftritt,  so  glaubt  W.  doch, 
dass  schwere  Fälle,  wenn  sie  frühzeitig  in  Behandlung  genommen  werden, 
nicht  ganz  unbeeinflussbar  sind.    Zum  Beweis  führt  W.  einige  Fälle  an. 

W  a  n  n  e  r. 
395.  Alt,  F.,  Docent,  Wien.   Über  neuere  Apparate  zur  Hörverbesserung.  Wiener 
med.  Presse  Nr.  9  1907. 

A.  bespricht  die  verschiedenen  Arten  der  künstlichen  Trommelfelle, 
wobei  er  das  von  Gomperz  angegebene  aus  Konvoluten  chemisch  reinen 
Blattsiibers  besonders  empfiehlt.  Diese  Silberkügelchen  verwendet  A. 
auch  nach  Radikaloperationen,  wenn  die  Epidermisierung  eingetreten  ist. 
Zur  Auskleidung  des  Mittelohres  und  des  Antrums.  Neben  der  Hör- 
verbesserung will  A.  auf  diese  Weise  auch  Oberflächenrecidive  vermeiden 
und  schreibt  diesen  Konvoluten  infolge  der  bakteriziden  Wirkung  des 
Silbers  auch  eine  antiseptische  Wirkung  zu. 

Ferner  beschreibt  A.  ein  neues  Hörinstrument,  bestehend  aus 
Mikrophon,  Telephon  und  Trockenelement  mit  Leitungsdrähten.  Mikrophon 
und  Telephon  sind  so  klein,  dass  sie  mit  der  Hand  umgriffen  werden 
können.  Der  ganze  Apparat  hat  ein  Gewicht  von  625  g.  Spricht  man 
das  Mikrophon  mit  gewöhnlicher  Stimme  an,  so  hört  man  im  Telephon 
die  Stimme  so  verstärkt,   als  ob   man  mit   überlauter  Stimme  in   das 

ZeiUehriH  Ar  Ohrtoheilkande,  Bd.  UV  H 


162     Bericht  über  die  LeistUDgen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

Ohr  schreien  würde.  Der  Apparat  soll  bei  hochgradiger  Schwerhörigkeit 
infolge  von  Mittelohr-  nnd  Labyrintherkrankung  brauchbar  sein.  Um 
die  Verständigung  nicht  nur  mit  einer  Person  und  aus  beschränkter 
Entfernung  zu  ermöglichen,  liess  A.  das  Telephon  mit  einem  kleinen 
Hörbecher  versehen  und  auf  dem  Mikrophon  einen  Schallträger  anbringen. 
Damit  war  es  möglich,  mit  Patienten,  die  kaum  eine  Hörweite  von  30  cm 
für  Eonversationssprache  hatten,  aus  ganz  erheblichen  Distanzen  zu 
konversieren.  W  a  n  n  e  r. 

896.    Raoult,  A.  et  Pillement,   F.,   Nancy.    Quelques  mots  eur  un  nouvel 
anesth6sique  local.    Arch.  internat.  d'otol.  etc.  Bd.  22  1906,    S.  422. 

Nach  den  beiden  Autoren  wirkt  das  Alypin  namentlich  in  der  Nase 
ebenso  anästhetisch  wie  das  Kocain  und  ist  weniger  giftig.    Oppikofer. 

397.  Koenig,    C.   J.,    Paria.     Considörations    sur   Templui    des    anesth^siques 

p^n^raux  dans  les  petites  interventions  rapides.    Arch.  internat.  d'otol. 
etc.  Bd.  22,  Nr.  2  1906. 

Das  Lachgas,  namentlich  wenn  es  gleichzeitig  mit  Sauerstoff  ver- 
mischt wird,  ist  weniger  gefährlich  als  Bromaethyl,  Chlorethyl  und 
Somnoform.  E.  zählt  einzelne  amerikanische  Zahnärzte  auf,  die  an 
mehr  wie  100  000  Patienten  Lachgas  verabreicht  haben,  ohne  je  einen 
Todesfall  zu  erleben.  Oppikofer. 

398.  V.  Schrotte r.     Eine   neue   Beleuchtungsart   von    Kanälen   nnd    Höhlen. 

Berl.  kl.  W.  1906  Nr.  47. 

Die  neue  Methode  beruht  auf  dem  Prinzip  der  Fortleitung  des 
Lichtes  durch  einen  Glasstab  oder  eine  gläserne  Röhre.  Beleuchtet 
man  das  eine  Ende  der  Wand  einer  Glasröhre,  so  wird  das  Licht  durch 
die  Röhrenwand  fortgeleitet  und  das  andere  Ende  erscheint  leuchtend. 
V.  Seh.  bringt  also  an  dem  proximalen  Ende  einer  innen  geschwärzten, 
nach  aussen  durch  einen  Metallmantel  geschützten  Glasröhre  vier  kleine 
elektrische  Lämpchen  an  und  erzielt  dadurch  eine  intensive  Beleuchtung 
einer  kurzen  Strecke  vor  dem  distalen  Ende  des  Rohres,  Er  hält  die 
Methode  für  geeignet  nicht  allein  für  Oesophago-  und  Bronchoskopie, 
sondern  auch  für  die  Untersuchung  von  Ohr,  Nase,  Nasenrachenraum, 
Eieferhöhle  und  für  sonstige  Objekte  der  endoskopischen  Untersuchung. 

Müller  (Stuttgart). 

399.  Po  Hak,  Eugen,  Graz.    Gesichtsschutzvorrichtungen  für  den  Arzt.    A.  f. 

Laryngol.  Bd.  19,  H  1. 

Beschreibung  und  Abbildung  eines  Gesichtsschutzrahmens  und  eines 
Gesichtsvorhanges;  die  Apparate  sollen  den  Arzt  vor  dem  Angehustet- 
.werden  schützen.  von  Eicken. 


Äusseres  Ohr.  163 

400.  Walliczek,  Kurt,  Breslau.  Beinerkungen  zu  der  Publikation  von  Dr.  Eugen 

Po  Hak:  Gesichtsschutzvorrichtungen  für  den  Arzt,    A.  f.  Laryngol. 
Bd.  19.  H.  2. 

W.  empfiehlt  als  SchutzvorrichtuDg  Schutzbrillen  und  einen  mit 
der  Brille  nicht  zusammenhängenden  einfachen  Gesichtsvorhang. 

von  Kicken. 

401.  Gerber,    Prof.,   Königsberg.    Technische   Mitteilungen.    M.   f.    0.   1906 

Nr.  10,  S.  647  ff. 

Neue  subglottische  Spiegel,  ein  Nasencompressorium  und  ein  Taschen- 
besteck für  den  Ohren-,  Hals-  und  Nasenarzt.  Wittmaack. 

d)    1  aub  stummheit, 

402.  Iwanow,  A.,  Priv.-Doz.    Zur  pathologischen  Anatomie  der  angeborenen 

Taubstummheit.     Rnss.  Monatschr.  f.  Ohrenheilk.  etc.  März  1907. 

In  dem  vom  Verf.  beobachteten  Falle  wurden  beim  Pat.  intra  vitam 
das  Gehör  und  Gleichgewichtsstörungen  und  nach  dem  Tode  die  histolo- 
gischen Veränderungen  des  Labyrinths  genau  untersucht.       S  ach  er. 

Äussere»  Ohr. 

403.  Sei i gm a n  n ,  H.,  Frankfurt  a.  M.  Eine  Operationsmethode  des  Othämatoms. 

A.  f.  0.  69,  S.  275—280. 

Verf.  spaltet  unter  lokaler  Anästhesie  die  das  Othämatom  bedeckende 
Haut,  präpariert  den  Sack  frei  und  exzidiert  ihn  in  toto  samt  dem  ge- 
schädigten Knorpel.  Heftpflasterverband.  Heilung  olme  Entstellung. 
An  einer  durch  eine  Abbildung  illustrierten  Besprechung  des  mikro- 
skopischen Befundes  begründet  Verf.  die  Zweckmäfsigkeit  seines  Ver- 
fahrens. Z  a  r  n  i  k  0. 

404.  Hang,  Rud.,  München.    Über  sogenannte  Verknöcherung  der  Ohrmuschel 

Monatschr,  f.  Ohrenheilk.  1906,  Heft  12. 

Beschreibung  eines  Falles  von  »sehr  ausgedehnter  knochenharter 
Versteifung«  der  Ohrmuschel  nach  Erfrierung  mit  auffallend  starker 
Cerumenansammlung  im  erkrankten  Ohre.  Unter  Hinweis  auf  analoge, 
in  der  Literatur  niedergelegte  Fälle  bespricht  Verf.  die  Genese  dieser 
Verknöcherung.  Er  kommt  hierbei  zu  dem  Resultate,  dass  es  wohl 
zweifellos  richtiger  sei,  von  einer  einfachen  Verkalkung  des  Ohr- 
knorpels  zu  sprechen,  als  von  einer  Verknöcherung,  da  es  sich 
lediglich  um  eine  Imprägnierung  des  Knorpels  mit  Kalksalzen,  nicht 
aber  um  eine  Umwandlung  desselben  in  wahre  Knochensubstanz  handele. 

Wittmaack. 
11* 


164     Bericht  über  die  Leistungen  and  Fortschritte  der  Ohrenheilkonde. 

405.  Dali  mann,  Halle  a.  S.    Zur  Kasuistik  der  Tumoren  des  äusseren  Gehör- 

jfangs  (Melanom).    A.  f.  0.  70,  S.  97—99. 

Melanotischer  Hautnävns,  den  Meat.  ext.  einer  44jfthrigen  Fraa 
obturierend.  Abtragung  mit  der  GrlQhschlinge.  Mikroskop.  Befund. 
Über  vielleicht  vorhandene  Malignität  muss  die  weitere  Beobachtung 
Anfschluss  geben.  Zarniko. 

406.  Krebs  G.,  Dr.,  Hildesheim.    Seltene  Ausgänge  der  Otitis  externa  circum- 

scripta.   Therap.  Monatshefte  1907,  Februar. 

K.  teilt  mehrere  von  ihm  beobachtete  Komplikationen  der  Otitis 
externa  mit:  Knochenfistel  in  der  hinteren  Wand  des  knöchernen  Gehör- 
gangs, eine  durchgebrochene  Gehörgangsphlegmone  unter  dem  Periost 
des  Warzenfortsatzes  und  endlich  einen  subperiostalen  Abszess  auf  dem 
Warzenfortsatz  und  oberflächlicher  Karies  desselben.     Brühl  (Berlin). 

407.  Seh  wart  ze,  H.,  Halle  a.  S.    Tod   durch   Meningitis   nach   fehlerhafben 

Versuchen,  einen  Stein  aus  dem  Ohre  zu  entfernen.    Sektionsbefund. 
A.  f.  0.  70,  S.  110—116. 

5  jähr.  Knabe  steckt  sich  beim  Spiel  einen  Kieselstein  ins  Ohr. 
Extraktionsversuche  von  unberufener  Hand  befördern  den  Stein  in  die 
Tiefe.  Perforation  des  Trommelfells,  Ostitis  und  Periostitis  am  runden 
Fenster,  Labyrinthitis,  Leptomeningitis  cerebrospinalis  purulenta  (Hydro- 
cephalus  internus.  Eitrige  Infiltration  der  Plexus  und  Tela  chorioidea). 
Pneumonie  der  beiden  Unterlappen.     Exitus. 

Bei  der  Epikrise  kommt  Verf.  zu  dem  Entschluss,  in  einem  ähn- 
lichen Falle  mit  der  operativen  Entfernung  des  Fremdkörpers  nicht  zu 
warten,  bis  Fieber  und  deutliche  Hirnreizungssymptome  vorhanden  sind, 
sondern  anhaltend  heftige  Schmerzen  im  Ohre  schon  als 
Indikation  zur  sofortigen  Operation  gelten  zu  lassen.  Zarniko. 

408.  Archipow,  A.     Zur  Frage  tlber  die  Ätiologie  der  traumatischen  Vei^ 

letzungen  des  Trommelfells  bei  den  Soldaten  unserer  Armee.    Wojenno- 
Medizinski  Shurnal,  Dezember  1906. 

Verf.  beschreibt  17  Fälle  von  Verletzungen  des  Trommelfells  durch 
Ohrfeigen,  10  verschiedene  zufällige  Verletzungen  und  5  Fälle  künst- 
licher Perforationen  des  Trommelfells  zur  Befreiung  vom  Militärdienste.  ! 

Sacher.  i 

409.  Archipow,  A.   Zur  Frage  der  Behandlung  trockener  Troromelfellperfora- 

tionen  mit  Trichloressigsäure  nach   der  Methode  von  Prof.  Okunew. 
Russ.  Monatschr.  f.  Ohrenheilk.  etc.  Dez.  1906. 

Im  ganzen  sind  29  Perforationen  behandelt  worden;  von  diesen 
sind  12  vernarbt,  4  verkleinert  worden,  die  13  übrigen  sind  unverändert 
geblieben.     In  4  Fällen  recidivierte  die  Eiterung.  S ach  er. 


I 


Mittleres  Ohr.  165 

410.  Bichter,  Ednard,  Dr.,  Plauen.  Seidenpapier  als  Trommelfellersatz.  M.  f.  0. 
1906,  Nr.  11,  S.  725. 
Damit  das  Seidenpapier  brauchbar  ist,  als  künstliches  Trommelfell 
Terwendet  zu  werden,  wird  es  mit  einer  Paraffin-Fett-Mischung  imprägniert, 
dann  mit  einer  Harzmasse  dem  Trommelfellrest  aufgeklebt  und  schliess- 
lich mit  einer  Schicht  von  Pulver,  bestehend  aus  gebranntem  Alaun 
nnd  Lindenkohle,  bedeckt.  Wichtig  ist,  dass  diese  »Papierprothese« 
luftdicht  abschliesst.  Alle  Einzelheiten  müssen  im  Original  nach- 
gesehen werden.  Indiziert  ist  die  Applikation  dieser  Prothese  vor  allem 
bei  trockenen  zentralen  Trommelfelldurchlöcherungen. 

Wittmaack. 
Mittleres  Ohr. 
a)  Akute  Mittelohrentzündung. 

411.  Spiro,  R.,   Krakau.     Zur    konservativen   Behandlung    akuter    Mittelohr- 

entzündungen   nach    der    Bier- Klapp 'sehen    Methode.     (Vorläufige 
Mitteilung.) 

Sp.  verwendet  die  Stauungsbinde  nur  bei  akuten  Mittelohrentzündungen 
und  glaubt  im  allgemeinen  bessere  Wirkung  gesehen  zu  haben  als  von 
den  anderen  bisher  gebräuchlichen  Be Handlungsweisen.  Ist  die  Mittelohr- 
entzündung von  lokalen  krankhaften  Veränderungen  in  der  Umgebung 
des  Ohres  begleitet,  verwendet  Sp.  nach  der  Stauungshyperämie  den 
Klappschen  Saugapparat.  Bei  Schwellung  und  schmerzhafter  Fluktuation 
der  Weich  teile  über  dem  Warzenfortsatz  wird  ein  kleiner  Punktions- 
schnitt bis  auf  den  Knochen  gemacht.  Die  Saugglocke  wird  täglich 
zwei-  bis  dreimal  auf  5 — 10  Minuten  in  Unterbrechungen  von  5  Minuten 
angelegt.  Sp.  warnt  jedoch  bei  entstehenden  Fiebererscheinungen  und 
intrakraniellen  Komplikationen  die  Methode  zu  lange  zu  versuchen. 

Wann  er. 

412.  Baratoux,  J.     De   la  Paralysie   du  Moteur   oculaire   externe   au   cours 

des  Otites.    Paris  1907. 

B.  gibt  in  seiner  lesenswerten  Arbeit  zunächst  eine  vollständige 
Übersicht  über  die  in  der  Literatur  von  1796  bis  zum  Dezember  1906 
verzeichneten  Fälle  von  Abducens-Lähmung  im  Verlaufe  von  Ohr- 
erkrankungen. Nach  dieser  Zusammenstellung  sind  diese  Fälle  nicht 
gerade  selten.  In  mehr  als  der  Hälfte  waren  die  Kranken  noch  nicht 
25  Jahre  alt.  In  weitaus  der  Mehrzahl  der  Fälle  war  die  Abducens- 
Lähmung  isoliert,  einigemale  war  auch  das  3.  und  4.  Gehirnnervenpaar 
mit  ergriffen  oder  es  bestand  zugleich  Neuritis  optica,  Stauungspapille, 
Nystagmus.  —  Ausführliche  Besprechung  der  Erklärungsversuche.  — 
Die  Leichenöffnungen  bringen  keinen  Aufschluss. 


166     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

Schlussfolgerung :  Die  Abducens-Lähmung  bei  Ohrerkrankung  kann 
als  Ursache  haben :  1.  reflektorische  Vorgänge,  2.  die  infektiöse  Neuritis, 
3.  intrakranielle  Läsionen,  4.  lokale  Läsionen  an  der  Spitze  der  Felsen- 
beinpyramide. Brandt. 
b)  Chronische  Mitte lohreiterung, 

413.  La  uff  8,  Leipzij?.    Über  Proteus  vulgaris  bei  Ohreiterungen.    A.  f.  0.  70, 

S.  90-99,  S.  187—204. 

Verf.  fand  unter  26  im  Anschluss  an  einfache  und  totale  Auf- 
meisselungen  untersuchten  Fällen  der  Leipziger  Ohrenklinik  sechsmal 
den  Proteus  vulgaris,  und  zwar  zweimal  in  Reinkultur,  dreimal  zusammen 
mit  Streptokokken  und  einmal  zusammen  mit  Strepto-  und  Diplokokken. 
Stets  waren  schwere  Komplikationen  vorhanden,  nämlich  einmal  Schläfen- 
lappen-Kleinhirnabszess,  dreimal  perisinuöser,  einmal  subduraler  und 
einmal  Kleinhirn-  und  Hinterhauptslappenabszess  mit  gleichzeitiger  Sinus- 
verjauchung.    Dreimal  trat  Exitus  ein. 

Aus  derselben  Klinik  stammen  bisher  unveröffentlichte  Unter- 
suchungen von  Bisch  off  über  dasselbe  Bacterium.  B.  fand  es  unter 
52  Fällen  fünfmal.  Zweimal  war  Kleinhirnabszess,  einmal  Sinusphlebitis 
und  einmal  Extraduralabszess  vorhanden. 

Es  konnte  demnach  der  Proteus  vulgaris  unter  78  Fällen  der 
Leipziger  Ohrenklinik  elfmal  (d.  h.  in  14  Prozent  der  Fälle)  bakteriologisch 
nachgewiesen  werden.  Fast  immer  handelte  sichs  um  Cholesteatome 
(resp.  »Atherome«;  Verf.  scheint  diesen  Ausdruck  für  breiig  umge- 
wandelte Cholesteatome  in  den  otologischen  Wortschatz  einführen  zu 
wollen).    Zehnmal  lagen  schwere  intrakranielle  Komplikationen  vor. 

Verf.  glaubt,  dass  der  Proteus  vulgaris  nicht  der  gleichgiltige 
Saprophyt  ist,  für  den  er  gewöhnlich  gehalten  wird.  Namentlich  in 
solchen  Fällen,  in  denen  Cholesteatome  den  Knochen  nach  der  Hirn- 
höhle durchbrechen,  könne  er  deletär  werden 

Klinisch  manifestiert  er  sich  ohne  weiteres  durch  die  Produktion 
eines  scheuslichen,  an  faules  Gemüse  erinnernden,  charakteristischen 
Gestankes .  Z  a  r  n  i  k  o. 

414.  Jaumenne,  BrüsseL     Un   cas  de  tröpanation  inastoidienne  opdr^   sans 

anesthösie  et  sans  douleur.    Arch.  intemat.  d'otol.  etc.  Bd.  22,  Nr.  8. 

p]in  44 jähriger  Patient,  der  an  chronischer  Mittelohreiterung  litt, 
zeigte  eine  auffallende  Analgesie  der  Gehörgänge,  eines  Teiles  der  Ohr- 
muschel und  der  Retroaurikulargegcnd.  Auch  im  Gesicht  Hessen  sich 
einzelne  tinregelmäfsig  verteilte  analgetische  Stellen  nachweisen.    Gestützt 


Mittleres  Ohr.  167 

auf  die  ganze  Körperuntersuchung  stellte  J.  die  Diagnose  auf  Hysterie 
nnd  fahrte,  ohne  lokale  oder  allgemeine  Anästhesie  und  ohne  dem 
Patienten  die  geringsten  Schmerzen  zu  verursachen,  die  Radikal- 
operation aus.  Oppikofer. 

415.  Mouret,  J.,  Dr.,  Montpellier.    Reflexions  sur  Tevidement  petro-mastoidien. 

ReYue   hebdoraadaire    de   larvngologie,    d'otologie    et    de   rhinologie, 
August  1906. 

Mouret  empfiehlt  bei  Erkrankungen  des  Warzenfortsatzes,  die 
besonders  den  hinteren  Teil  desselben  betreifen  und  die  sogenannte 
Radikaloperation  nötig  machen,  senkrecht  auf  die  Mitte  des  gewöhnlichen 
Hautschnitts  noch  einen  zweiten  horizontalen  Schnitt  anzulegen.  Er 
bildet  so  eine  temporäre,  retroaurikuläre  Öffnung,  die  sich  aber,  falls 
dieselbe  weiter  nach  hinten,  in  dem  von  ihm  angegebenen  horizontalen 
Schnitt  liegt,  immer  von  selbst  mit  dem  Fortschreiten  der  p]pidermisierung 
im  Innern  der  Höhle  schliessen  soll.  Im  übrigen  bringt  die  Arbeit 
für  uns  nichts  neues.  Suckstorff  (Hannover). 

416.  Alexander,    G.,  Wien.     Zur   Technik    des    plastischen    Schlusses    retro- 

auricularer  Lücken.    A.  f.  0.  70,  S.  117—120. 

Modifikation  der  Passow sehen  Plastik.  Sie  unterscheidet  sich 
von  dieser  dadurch,  dass  die  beiden  Etagennähte  nicht  übereinander, 
sondern  gegeneinander  verschoben  zu  liegen  kommen.  Zarniko. 

417.  Alt,  F.,  Dozent,  Wien.   Ein  Beitrag  zur  operativen  Behandlung  der  otogenen 

Fazialislähmung.     Wiener  klin.  Wochenscbr.  Nr.  43,  1906. 

Der  Fazialis  hat  im  allgemeinen  grosse  Neigung  zur  Regeneration ; 
ungefähr  ^/g  von  Fazialislähmungen  bleiben  bestehen;  in  diesen  Fällen 
ist  die  Anlegung  einer  Anastomose  mit  dem  Nerv,  accessorius  bezw. 
hypoglossus  angezeigt,  sobald  die  Lähmung  6  Monate  bestanden  hat  und 
eine  Wiederkehr  der  elektrischen  Erregbarkeit  nicht  nachweisbar  ist. 
Ferner  hält  A.  die  Pfropfung  für  indiziert  in  Fällen  von  liabyrinth- 
nekrose,  wenn  bei  Ausräumung  des  Sequesters  ein  mehrere  cm  langes 
Stück  des  Fazialis  mit  entfernt  werden  musste. 

A.  teilt  einen  derartigen  Fall  mit,  bei  welchem  nach  der  Entfernung 
eines  frei  beweglichen  Labyrinthsequesters  der  schon  vorher  nicht  ganz 
intakte  Fazialis  vollkommen  gelähmt  war.  4  Wochen  nach  der  Radikal- 
operation vereinigte  A.  den  Fazialis  mit  dem  Hypoglossus.  Nach  drei 
Monaten  war  die  Asymmetrie  des  Gesichtes  bei  Ruhestellung  nahezu 
ausgeglichen,  beim  Sprechen  und  Lachen  jedoch  noch  bemerkbar;  an 
der  rechten  Zungenhälfte  war  geringe  Atrophie  aufgetreten. 


168     Bericht  über  die  Leistungen  and  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

Zum  Schlüsse  stellt  A.  einen  Auszug  aus  einschlägigen,  in  der 
Literatur  niedergelegten  Fällen  zusammen,  welche  zu  folgenden  Schlüssen 
führt: 

Die  nach  der  Operation  auftretende  Parese  oder  Paralyse  im  Gebiet 
des  Accessorius  oder  Hypoglossus  ist  meist  vorübergehend  und  nicht 
beträchtlich.  Aktive  Bewegung  kann  zunächst  nur  durch  Mitbewegung 
der  Schulter-  bezw.  Zungenmuskulatur  ausgeführt  werden;  nach  längerer 
Übung  tritt  eine  Dissoziation  der  Bewegungen  ein. 

Ferner  empfiehlt  A.  bei  einer  Verletzung  des  Fazialis  während 
der  Operation  den  Fallopischen  Kanal  hinten  oben  in  der  Paukenhöhle 
nach  Anaemisierung  durch  Adrenalin  zu  eröffnen  und  den  verletzten 
Nerv  in  der  Hohlrinne  des  Kanals  einzubetten;  ebenso  verfährt  A.  bei 
der  Radikaloperation,  wenn  durch  Eiterung  bereits  Fazialislähmung 
vorhanden  ist.  Wann  er. 

c)    Erkrankungen  der  Blutleiter, 

418.  Kümmel,  W.,  Prof.,  Heidelberg.  Über  die  vom  Ohr  ausgehenden  septischen 
Allgemeininfektionen.  Mitteilungen  ans  den  Grenzgebieten  der  Medizin 
and  Chirurgie.    1907.   lU.  Sapplementband. 

K.  gibt  eine  kritische  Darstellung  über  zwölf  von  ihm  beobachtete 
otogene  Sinuserkrankungen,  welche  er  in  sehr  klarer  und  prägnanter 
Weise  darstellt.  Acht  von  den  Fällen  wurden  operativ  geheilt.  Fast 
jede  der  Krankheitsgeschichten  enthält  interessante  Einzelheiten,  die 
im  Original  eingesehen  werden  müssen.  Von  besonderen  Symptomen 
bespricht  K.  Schmerzen  beim  Schlingen  bei  Bulbuserkrankungen  infolge 
Entzündung  des  n.  IX.  Die  Frage,  ob  pyämisches  Fieber  auch  ohne 
Sinus^rkrankung  entstehen  kann,  lässt  K.  offen.  Schüttelfröste  bedeuten 
ein  ganz  plötzliches  Überschwemmen  des  Kreislaufes  mit  Toxinen :  Ver- 
schleppung eines  infektiösen  Thrombus.  Für  sehr  wichtig  erachtet  K. 
regelrechte  bakteriologische  Untersuchungen  des  Blutes  aus  dem  all- 
gemeinen Kreislauf,  dem  Sinus  und  dem  Thrombus.  Bei  der  Therapie 
warnt  K.  vor  jedem  Schematismus.  Beim  Verdacht  auf  eine  Sinus- 
erkrankung wird  der  Sinus  auch  bei  negativem  äusseren  Befund  eröffnet. 
Enthält  er  einen  Thrombus,  so  wird  derselbe  möglichst  vollständig 
entfernt,  wobei  weder  der  Confluens  sinuum  nach  hinten  noch  der  Bulbus 
nach  unten  eine  Grenze  bildet.  Die  Jugulariseröffnung  hält  K.  für 
nötig,  wenn  bei  nachgewiesenem  infektiösen  Jugularisinhalt  sich  kein 
abschliessender  obturierender  Thrombus  nach  dem  Bulbus  zu  findet. 
Findet  sich   in   dem  Sinus   kein  Thrombus,   so   versucht  man   bei   der 


Mittleres  Ohr.  169 

septischen  Form  CoUargolbehandlung,  bei  der  pyämischen  Form  Eröffnung 
TOD  bulbus  und  von  jagalaris.  Brflhl. 

419.    Zebrowski,   Alexander,    Warschaa.     Zur   Frage   der  Heilbarkeit   ond 
operativen  Behandlung  der  otogenen  Pyämie.    M.  f.  0.  1906,  Nr.  12. 

Die  Aasffihrangen  des  Verf.  stützen  sich  auf  6  Fällen  otogener 
Sinnstbrombose.  Vier  von  diesen  Fällen  iii^urden  geheilt,  zwei  endigten 
letal.  Bezaglich  der  Operationsmethode  befürwortet  Verfasser  eine 
Modifikation  derselben  nach  der  Schwere  der  Erkrankung  und  den 
anatomisch-pathologischen  Veränderungen,  die  am  Schläfenbein  und  in 
den  Himblutleitem  bei  der  Trepanation  gefunden  werden.  Die  totale 
Entfernung  des  Erankheitherdes  aus  dem  Schläfenbein  und  die  Frei- 
legnng  des  Sinus  transversus  reicht  öfters  vollständig  aus,  um  den 
pyämischen  Prozess  zu  koupieren.  Das  polyvalente  Antistreptoccen- 
Semm  hatte  in  einem  Falle  sehr  günstigen  Einfluss  auf  den  post- 
operativen Verlauf.  Das  Auftreten  von  Symptomen,  die  auf  Thrombose 
des  Sinus  cavernosus  deuten,  sieht  Verfasser  als  Zeichen  eines  bevor- 
stehenden Exitus  letalis  an.  Wittmaack. 

420.  Schaaf,  Hngo,  Giessen.    Kasuistische  Mitteilungen  über  Sinusthrombose. 

Dissert  Giessen  1906. 

Seh.  teilt  12  Fälle  von  Sinusthrombose  aus  der  Univ.-Ohrenklinik 
zn  Giessen  (L entert)  mit,  von  welchen  einer  zur  Zeit  der  Operation 
schon  ausgeheilt  war.  3  Todesfälle  und  8  Heilungen.  Unter  den  12 
Fällen  betrafen  6  chronische,  2  akute  und  4  subakute  Ohrerkrankungen. 
Unter  3  Fällen  gelang  es  zweimal  durch  die  Lumbalpunktion  Meningitis 
anszuschliessen.  Unter  den  12  Fällen  wurde  3  mal  peribulbäre  bezw. 
perijnguläre  Eiterung  in  Folge  der  Zerstörung  der  Bulbuswand  an- 
getroffen. H. 

421.  Moure,  Prof.   E.  J.    A  propos  de  quelques  cas  de  phl^bite  buppur^e 

du  sinus  lateral.    Presse  otolaryngologique  Beige  1906.  Heft.  11. 

M.  beleuchtet  die  Frage  nach  dem  Pulsieren  des  infizienten  Sinus 
lateralis  und  nach  der  Unterbindung  des  Vena  jugularis.  Er  kommt 
zu  dem  Schluss :  der  infizierte  Sinus  pulsiert  und  zwar  meist  sehr  stark 
und  synchron  mit  dem  Puls;  umgekehrt:  ein  Sinus,  der  pulsiert,  ist  als 
erkrankt  anzusprechen.  Die  Ligatur  der  nicht  infizierten  Vena  jugularis 
ist  ein  unnützes  operatives  Unternehmen  und  nicht  im  Stande,  die  von 
der  eitrigen  Entzündung  des  Sinus  lateralis  ausgehende  Infektion  auf- 
zuhalten. Brandt. 


1 


170     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

422.  Schlegel,  G.,  Braunscbweig.    Ein  Fall  von  doppelseitiger  Sinusthrombose 

mit  einseitiger  Jugularisunterbindung.    A.  f.  0.  69,  S.  176 — 185. 

Ausführlicher  Krankenbericht,  26  jährige  Patientin  mit 
linksseitiger  Otit.  med.  und  Mastoiditis.  19.  X.  Einfache  Aufmeisselung. 
4.  XL  Nachoperation ,  weil  Schmerzen  und  Temperatur  wiederkehren. 
Eröffnung  einiger  kranker  Jochbeinzellen,  Freilegung  der  Dura  im 
Bereich  der  mittleren  Schädelgrube.  Schmerzen  nehmen  zu.  7.  XL 
Punktion  des  Schläfenlappens  ohne  Resultat.  Ausräumung  des  throm- 
bosierten  Sinus,  proximalwärts  bis  nahe  zum  Bulbus.  Schmerzen  bleiben. 
Kräfte  verfall.  14.  XI.  Punktion  des  Kleinhirns  ohne  Resultat.  Es 
stellen  sich  die  Anzeichen  jeiner  rechtsseitigen  Sinusthrombose  ein,  ferner 
Lungenmetastasen.  5.  XII.  Unterbindung  der  Jugularis  rechts.  Schlechtes 
Befinden  bleibt.  30.  XII.  R.  Schwerhörigkeit  auf  ners'öser  Basis.  An- 
fang Januar  Stauungspapille  beiderseits,  rechts  Recurrensparese.  Seit 
Mitte  Januar  Befinden  besser,  Rekonvaleszenz.  Langsame  Heilung  der 
Operationswunden.     Recurrensparese  bleibt. 

Eingehende  Epikrise,  Auffällig  erscheint  dem  Ref.  die 
Annahme  des  Autors,  es  wäre  das  Überschreiten  der  Thrombosierung 
von  der  ursprtlnglich  erkrankten  Seite  auf  die  gesunde  möglicherweise 
durch  die  Bulbusoperation  zu  verhindern  gewesen.  Spricht  doch  der 
Verf.  selbst  die  Vermutung  aus,  dass  die  Überwanderung  durch  den 
Confluens  sinuum  stattgefunden  habe.  Zarniko. 

423.  Strazza,  Prof.  G.,  Genua.   Ein  Fall  von  primärer  Thrombose  des  Bulbus 

der   linken   Jugularvene;    Operation,    Heilung.     Archivio   italiano    di 
otologia  etc.,  XVIH  Bd.,  1.  Heft. 

Bei  der  13  jährigen  Patientin  traten  infolge  acuter  eitriger  Mittelohr- 
entzündung pyämische  Erscheinungen  auf,  die  nach  Ausräumung  der 
im  Bulbus  enthaltenen  septischen  Thromben  verschwanden.  In  den 
Allgemeinbemerkungen  über  die  otitische  Pyämie,  welche  der  aus- 
führlichen Beschreibung  des  Falles  folgen,  wird  die  Diagnose  der 
Bulbusthrombose  besprochen,  die  sich  durch  Schmerz  und  Schwellung 
in  der  retromaxillären  Grube  und  Reizungs-  oder  Lähmungserscheinungen 
in  jenen  Gebiete,  die  vom  IX,  X,  XI  innerviert  werden,  kundgibt. 
Die   primäre   isolierte   Bulbusthrombose   ist   nach  Verf.  Ansicht    selten. 

Rimini. 

424.  Jonty,   Antoine,    Oran.     Fall    von    Sinus-    und   Brlbnsthrorabose   etc. 

Annales  des  maL  de  Tor.  etc.     März  1907. 

Der  thrombosierte  Sinus  wurde  breit  gespalten  von  hinten  her  bis 
in  den  Bulbus  hinein,  der  Eiter  enthält.   Vena  jugularis  druckempfindlich, 


r 


I 


Mittleres  Ohr.  171 

I  doch  nicht  unterbunden,   obwohl   noch  wochenlang  nach  der  Operation 

massenhaft  pyämische  Attacken.  Schliesslich  Heilung,  trotz  Lungen- 
und  Gelenkmetastase.  Interessant  ist  die  Pulsverlangsamung: 
Temp.  TOD  36—36,5  mit  48—50  Pulsen,  Temp.  von  40—40,8  mit 
höchstens  76  Pulsen  bei  dem  14  jährigen  Patienten.  J.  sieht  mit  Recht 
in  dieser  auffallenden  Pulsverlangsamung,  die  hätte  an  Gehirnabszess 
denken  lassen  können,  den  Ausdruck  einer  Reizung  des  Vagus  am 
Baibus  JQgularis.  Boenninghaus. 

42-5.  Lnc,  H.,  Paris.  Beitrag  zur  BröflTnnng  des  Bulbus  nach  Ligatur  der 
Jugularis.    Annales  des  mal.  de  Tor.  etc.    März  1907. 

Schwerer  Fall  von  Bezold scher  Mastoiditis  mit  vielen  und  tiefen 
Halsabszessen,  kompliziert  durch  wandständige,  puriforme  Bulbus- 
thrombose.  Trotz  5  fachen  Eingriffes  während  dreiwöchiger  Krankheit 
keine  vollkommene  Entfieberung  bis  zum  Tode,  der  nach  mehrstündigem 
Coma  eintrat,  welches  eingeleitet  wurde  durch  einen  epileptiformen 
Anfall  aus  relativem  Wohlbefinden  heraus.  Keine  Sektion.  L.  ist  nun 
der  Ansicht,  dass  es  sich  nicht  um  den  üurchbruch  eines  Gehirn- 
abszesses gehandelt  habe,  da  selbst  ausgedehnte  Incisionen  des  Gross- 
und Kleinhirns,  die  im  Zustande  des  Comas  vorgenommen  wurden, 
keinen  Eiter  ergaben.  Er  glaubt  vielmehr  an  Yentrikelblutung 
darch  Stase  nach  Unterbindung  der  Jugularis,  die  übrigens  dem  Coma 
etwa  8  Tage  vorausging,  umsomehr,  als  die  rechte  Jugularis  die  unter- 
bundene war  und  die  Vena  facialis  mit  unterbunden  wurde. 

Boenninghaus. 

426.  Do  diu,  M.  Zur  Frage  übrr  die  otogene  Pjämie.  Russ.  Mon.  für 
Ohrenheilk.     März  1907. 

Ausführliche  Beschreibung  eines  Falles.  S  ach  er. 

d)    Cerebrale  Komplikationen. 

427.  Citelli,  S.,  Prof.,  Catania.  Ein  Fall  von  ausgedehntem,  extraduralera 
perisinuösem  Abszess,  der  sich  nach  au.ssen  spontan  entleerte.  Arcbivio 
ital.  di  otologia  etc.    XYIII  Bd.,  2  Helt. 

Zwei  Monate  nach  der  Heilung  einer  acuten  eitrigen  rechtsseitigen 
Mittelohrentzündung,  empfand  der  37  jährige  Patient,  halbseitige  dem 
vorher  kranken  Ohre  entsprechende  Kopfschmerzen,  5  cm  hinter  dem 
Antrum,  1 — 2  cm.  oberhalb  desselben,  fand  Verf.  eine  leichte  fluktuierende 
Schwellung.  Bei  der  Operation  wurde  ein  nach  vorne  bis  zum  Sinus 
sigmoideus,  nach  hinten  bis  zum  Torcular  sich  ausdehnender  Abszess 
entdeckt,  der  sich  nach  aussen  durch  eine  kleine  Knochenfistel,  welche 


172     Bericht  über  die  Leistungen  nnd  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

der    Schwellung    hinter    dem    Warzenfortsatz    entsprach,     eine    Bahn 
gebrochen  hatte.  Rimini. 

428.  Trötr6p.   Volamineux  absces  du  cerreau  consecntiv  a  nne  otite  mojenne 

purulente.    La  Presse  otolaryngologiqae  Beige,  Heft.  9.    1906. 

T.  knüpft  an  die  Schilderung  eines  Falles  von  grossem  Himabszess 
in  Folge  einer  Mittelohreiterong  eine  Darlegung  seiner  Ansichten  über 
die  Öffnung  des  Warzenfortsatzes  und  des  Atticus.  Er  warnt  davor, 
bei  akuter  Mittelohreiterung,  besonders  wenn  man  einen  bleibenden 
Substanzverlust  der  hinteren  oberen  Gehörgangswand  findet,  mit  Aus- 
spülungen die  Zeit  zu  verlieren.  Schmerzhaftigkeit  irgend  eines  Gelenkes 
drängen  zur  Operation.  Das  einzige  konstante  Zeichen  einer  Kom- 
plikation im  Schädelinnem  sind  die  Schmerzen :  alle  anderen  klassischen 
Symptome  können  fehlen.  Wenn  es  auch  nicht  immer  leicht  ist  eine 
endokranielle  Komplikation  zu  diagnostizieren,  so  ist  es  bei  unseren 
heutigen  Kentnissen  doch  noch  sehr  viel  schwerer,  ihren  Sitz  zu  er- 
mitteln, da  Klein-  und  Grosshirnsabszesse  mit  verschiedenen  Meningitis- 
formen gleiche  Symptome  zeigen  können.  Brandt. 

429.  Voss,  Dr.,  Königsberg.   Multiple  Himabszesse  bei  gleichzeitig  bestehender 

Mittelohreiterung   und    eitriger  Bronchitis.    A.  d.  Gebiete  des  Milit- 
Sanitätsw.  35.  Heft. 

W.  beobachtete  in  der  Charit^  ein  dreijähriges  Kind,  welches  im 
Anschluss  an  eine  rechtsseitige  akute  Ohreiterung  Erbrechen  und 
Krampfanfälle  der  linken  Körperhälfte  bekam.  Die  klinische  Annahme, 
dass  es  sich  um  eine  Abszessbildung  im  Bereiche  der  rechten  motorischen 
Region  handelte ,  wurde  bei  der  Obduktion  bestätigt.  Es  fanden  sich 
neun  erbsengrosse  Abszesse  in  der  Gegend  des  oberen  Endes  der 
Zentralfurche.  Infolgedessen  konnten  sie  auch  bei  der  operativen  Frei- 
legung des  Schläfenlappes  (handtellergrosser  Hautperiostknochenlappen) 
nicht  erreicht  werden.  Da  das  Kind  gleichzeitig  an  eitriger  Bronchitis 
litt,  lässt  sich  der  otogene  Ursprung  der  Himabszesse  nicht  mit  Be- 
stimmtheit behaupten,  aber  auch  trotz  der  entfernten  Lage  der  Abszesse 
vom  Mittelohr  nicht  bestreiten,  da  die  Infektion  des  Gehirnes  auf 
Gefässbahnen  eintreten  könnte.  Brühl. 

430.  Lannois,  M.  et  Perreti^re,  A.,  Lyon.    De  la  meningite  otogene  et 

de  sa  curabilite.    Arch.  Internat.  d*otol.  etc.,  Bd.  22,  Nr.  3. 

Bei  einem  16  jährigen  Patienten  führt  eine  rechtsseitige  chronische 
Mittelohreiterung  zu  Meningitis  und  Kleinhirnabszess.  Die  Meningitis 
wurde  durch  die  Lumbalpunktion  sowie  durch  die  spätere  Sektion  fest- 
gestellt,  während   der  Kleinhirnabszess  erst  bei  der  Sektion  aufgedeckt 


Mittlere«  Ohr.  173 

wurde.  Da  nach  Eröffnen  des  Warzenfortsatzes  und  nach  Probe- 
panktionen  in  den  gesunden  Schläfenlappen  (reichliches  Abfiiessen  von 
Gerebrospinalflflssigkeit)  sich  während  12  Tagen  der  Allgemeinzusland 
besserte  und  bei  einer  zweiten  späteren  Lumbalpunktion  die  vorher 
tr&be  Flüssigkeit  nun  klar  war,  so  glauben  die  Autoren  an  Hand  ihres 
Falles  annehmen  zu  dürfen,  dass  die  eitrige  Meningitis  besserungsfähig 
oder  sogar  heilbar  ist.  Im  Anschluss  an  die  Krankengeschichte  referieren 
L  und  P.  über  die  bis  heute  veröffentlichten  Fälle  von  Heilung  bei 
eitriger  Meningitis.  Oppikofer. 

431.  CheTftlier  Jackson,  Pittsburg.  M^niogisme  en  tant  qu*affection 
distingu^  de  la  m^ningite  an  point  de  vue  otologiqne.  Arch. 
internat.  d*otol.  etc.,  Bd.  23,  Nr.  1. 

Infektionen,  Intoxikationen,  schwierige  Dentition,  Helminthiasis, 
Magen-  and  Darmstörungen,  Mittelohrentzündungen  können  das  Symp- 
tomenbild der  Meningitis  hervorrufen,  ohne  dass  —  wie  der  spätere 
Verlauf  zeigt  —  eine  eigentliche  Meningitis  bestanden  hat.  Verfasser 
hat  62  solcher  Fälle  von  »Meningismus«  beobachtet;  er  bespricht, 
hauptsächlich  vom  otogenen  Standpunkte  aus,  an  Hand  seiner  Erfahrung 
die  einzelnen  Krankheitssymptome.  Oppikofer. 

e)   Sonstige  Mittelohrerkrankungen, 

^2.  Gn^rin,  Emile,  Marseille.  Das  Hämatotympanum.  Annales  des  maL 
de  For.    Febr.  1907. 

G  u  6  r  i  n  vermehrt  die  spärliche  Literatur  des  spontanen  Blutergusses 
in  das  Mittelohr  um  einen  Fall:  50 jährige  gesunde  Frau  bekommt 
plötzlich  links  Ohrenschmerz,  Sausen  und  Schwindel.  Zugleich  ent- 
leert sich  aus  Nase  und  Rachen  blutiger  Schleim.  Das 
dflsterrote  Trommelfell  ist  stark  vorgewölbt  und  schwer  beweglich. 
Resorption  des  Ergusses  in  14  Tagen.  Boenninghaus. 

433.  ürbantschitsch,  E.,  Wien.  Die  Behandlung  des  chronischen  Mittelohr- 
katarrhs.   Wiener  klin.  therapeutische  Wochenschr.  Nr.  6,  1907. 

Aus  der  sehr  umfangreichen  Arbeit,  welche  nicht  näher  zu  referieren 
ist  nnd  deren  Inhalt  sich  aus  dem  Titel  ergibt,  sind  nur  U.s  Versuche 
mit  Einspritzungen  von  Fibrolysin  zu  erwähnen.  U.  macht  subkutane 
Injektionen  zunächst  von  0,3,  dann  0,6,  1,0,  1,5,  2,0  und  3,0  g.  Zeigt 
sich  nach  8 — 10  Injektionen  nicht  der  geringste  Erfolg,  so  ist  ein 
solcher  auch  nicht  zu  erwarten ;  tritt  jedoch  eine  Besserung  auf,  so  sind 
20—50  Ii^ektionen  anzuwenden,  am  besten  3 mal  wöchentlich.  Der 
günstige  Einfiuss  soll  sich  sowohl  auf  das  Hörvermögeu  als  auch  auf 
die  subjektiven  Geräusche  erstrecken.  Wann  er. 


1 


174     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

434.  Mahler,  L.,  Kopenhagen.    Snr  le  Cancer  de  Toreille.    Arch.  intemat 

d'otol.  etc.  Bd.  22,  Nr.  2. 

Linksseitiges  Mittelohrkarzinom  bei  einer  50  jähr.  Frau.  Ob  Ohr- 
eiterung der  Tumorbildung  vorausgegangen,  ist  unsicher.  Fazialislähmung. 
Operation  und  Röntgenbehandlung  ohne  jeglichen  Erfolg.  10  Monate 
nach  Auftreten  der  äusserst  heftigen  Ohrschmerzen  Tod  an  Kachexie. 
Im  Anschluss  an  die  Krankengeschichte  bespricht  der  Verf.  die  einzelnen 
Symptome  der  Krankheit.  Oppikofer. 

NerTÖser  Apparat. 

435.  Stein,  St.  von.    Ein  Fall  nicht  eitrijjer  Affektion  des  rechten  Labyrinths. 

Zerstörung  des  P^ndapparates.   Folgen.    Eine  neue  Funktion  des  Lab>- 
rinths  (Lichtlabyrinth).     Russ.  Monatsschr.  f.  Ohrenh.  etc.  Nov.  1906. 

Der  Inhalt  dieses  hochinteressanten  Artikels  lässt  sich  in  einem 
kurzen  Referat  nicht  wiedergeben.  Sa  eher. 

436.  Lachniund,  H.,  Dr.,  Nervenarzt  in  Breslau.    Über  nervöse  Hörstörungen. 

Monatsschr.  f.  Psychiatrie  und  Neurulogie  Bd.  XX,  Ergänzun^sheft. 

Vom  Standpunkte  des  Neurologen  aus  erörtert  L.  die  Diagnose  des 
Sitzes  zentraler  Hörstörungen  an  der  Hand  einer  schematischen  Dar- 
stellung des  Verlaufes  der  zentralen  Hörbahn.  Er  berücksichtigt  dabei 
die  vorhandene  brauchbare  Kasuistik,  ist  aber  bei  der  Spärlichkeit 
derselben  vielfach  auf  theoretische  Erörterungen  angewiesen.  Von  grossem 
Interesse  ist  der  gründlich  durchgeführte  Vergleich  zwischen  den  zentralen 
Hör-  und  Sehstörungen.  Leider  eignet  sich  die  interessante  Arbeit 
wegen  der  vielen  wichtigen  Einzelheiten    nicht  für   ein  kurzes  Referat, 

Körner  (Rostock). 

437.  Hennebert,  C,  Brüssel  Contribution  clinique  a  Tötude  du  labyrinthisme. 

Arch.  intemat.  d'otol.  etc.  Bd.  23,  Nr.  1. 

H.  bespricht  an  Hand  von  9  Fällen,  über  deren  Krankengeschichten 
kurz  referiert  wird,  die  Symptome  der  Labyrinthitis.      Oppikofer. 

438.  Alexander,   G.,  Wien.     Sur  la  surdit^  progressive  due  ä  Tatrophie  de 

Torgane  de  Corti.    Arch.  intemat.  d'otol.  etc.  Bd.  22,  Nr.  3. 

Bei  einer  63  jähr.  Patientin,  die  auf  dem  linken  Ohre  Konv.sprache 
nicht  mehr  hörte  und  rechts  nur  noch  auf  1 5  cm,  konnte  A.  folgenden 
histologischen  Befund  aufnehmen ;  Auf  dem  rechten  noch  besser  hören- 
den Ohre  fand  sich  eine  Atrophie  des  Cortischen  Organes  und  der 
Stria  vascularis.  Linkerseits  waren  übereinstimmend  mit  dem  Hör- 
befund die  Veränderungen  noch  hochgradiger,  indem  das  Cortische 
Organ  und  die  Stria  vascularis  fehlten,  und  zudem  das  Ganglion  Spirale 
und  der  Nervus  cochlearis  leicht  atrophisch  waren.  —  Der  Befund  der 


Nase  und  Nasenrachenraum.  175 

linken  Seite  stellt  nur  ein  vorgerückteres  Stadium  der  rechten  dar. 
Die  Atrophie  des  Cortischen  Organes  ist,  wie  die  Untersuchung  des 
rechten  Ohres  zeigt,  das  primäre ;  erst  sekundär  erfolgte  auf  der  linken 
Seite  eine  Atrophie  des  zugehörenden  Nerven.  Oppikofer. 

439.  Berent,  Walter,  Dr.,  Berlin.    Herdförmige  Vehinderangen  im  Stamm  des 

NervQs  cochlearis  (graue  Degeneration  oder  postmortales  Artefakt?) 
mit  partiellem  Schwund  der  Ganglienzellen  bei  akuter  Ertaubung  eines 
Tuherkuliisen.     M.  f.  0.  1906,  Nr.  IL 

Der  Titel  gibt  bereits  den  Inhalt  wieder.  Bezüglich  der  herd- 
förmigen Degenerationen  stellt  sich  Verf.  auf  den  Standpunkt  M anasses, 
dass  pathologische  Degenerationen  im  Nervenstamm  möglicherweise  den 
Effekt  einer  Zerrung  begünstigen  und  zwar  so,  dass  in  den  degenerierten 
Stellen  die  Fasern  leichter  zerreissen,  wodurch  dann  jene  Herde  ent- 
stehen. —  »Danach  wären  also  diese  Herde  aufzufassen  als  Endeffekte 
der  Wirkung  sowohl  intravitaler  Degeneration,  wie  postmortaler  Arte- 
fizierung.  Wittmaack. 

440.  Pause,  R.,  Dresden-Neustadt.  Klinische  und  pathologische  Mitteilungen  VIH. 

Ä.  f.  0.  70,  S.  15—27. 

Grosshirntaubheit  (Fibrosarkom  an  der  Innenseite  des  linken 
Hinterhauptlappens  im  Bereich  des  Gyrus  fusiformis).  Kl  ein  hirn- 
taub h  ei  t  (Tumor  in  der  hintern  Schädelgrube).  Acusticustaub- 
heit  (R.  parenchymatöse  Neuritis  des  Acusticus  mit  sekundärer  Degene- 
ration des  Ganglion  spirale  und  des  Cortischen  Organs;  links  Zerstörung 
des  Ohres  durch  Karzinom).  Zarniko. 

Na8e  und  Nasenrachenraum. 

a)    Allgemeijie  Pathologie  U7id  Therapie, 

441.  Oppikofer,   Ernst,   Basel.    Beiträge  zur  normalen  und  pathologischen 

Anatomie  der  Nase  und  ihrer  Nebenhöhlen.  Arch.  f.  Laryng.  Bd.  XIX. 
Heft  1. 

0.  hat  die  Nasen  und  Nebenhöhlen  von  200  Leichen  makroskopisch 
und  die  Schleimhaut  der  unteren  und  mittleren  Muscheln  auch  mikro- 
skopisch untersucht.  Die  Ergebnisse  seiner  sehr  eingehenden  Arbeit 
stellt  0.  zum  Schlüsse  in  44  Punkten  zusammen,  von  denen  hier  nur 
einige  erwähnt  seien:  In  3^/o  der  Fälle  fanden  sich  kommunizierende 
Keilbeinhöhlen.  Beim  männlichen  Geschlecht  finden  sich  Nebenhöhlen- 
Affektionen  häufiger  (60®/o)  als  beim  weiblichen  (35  ^/o).  Im  jugend- 
lichen Alter  finden  sich  trotz  der  geringen  Entwicklung  der  Neben- 
höhlen Entztlndungen  besonders  häufig.    Es  gibt  Fälle  von  Ozäna  ohne 


176     Bericht  über  die  Leifitongen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

jede  Miterkrankung  der  Nebenhöhlen.  Platten-  und  Übergangsepitbel 
ist  in  nicht  von  Ozäna  befallenen  Nasen  nicht  nur  auf  den  unteren, 
sondern  auch  auf  den  mittleren  Muscheln  häufig  anzutreffen.  Die  so- 
genannten intraepithelialen  Drüsen  kommen  fast  regelmäfsig  auch  in 
normaler  Nasenschleimhaut  vor.  von  Eicken. 

442.  Schmiegelow.   Beitrag  zur  Heleuchtang  des  Verhältnisses  zwischen  den 

Krankheiten  der  Nase  und  denen  des  Auges.    Hospitalstidende  1906, 
Nr.  44. 

Betrachtungen  anlässlich  zweier  schon  im  dänischen  oto-laryngo- 
logischen  Verein  njitgeteilter  Fälle  (Sitzungen  vom  23.  3.  u.  2.  5.  1906). 

Jörgen  Möller. 

443.  Goerke,  Max,  Breslau.    Bemerkungen  zur  pathologischen  Anatomie  der 

Nase  und  ihrer  Nebenhöhlen.    Arch   f.  Laryngol.  Bd.  XIX,  Hett  2. 

Die  Arbeit  Oppikofers  im  vorigen  Heft  des  Archivs  f.  Laryngol. 
gibt  G.  Veranlassung,  zu  betonen:  1.  dass  er  schon  frQher  darauf  hin- 
gewiesen hat,  dass  man  bei  Sektionen  decrepider  Individuen  häufig  Er- 
güsse in  den  Nebenhöhlen  der  Nase  findet  und  dass  fOr  diese  der  Mangel 
klinischer  Erscheinungen  charakteristisch  ist;  2.  dass  er  zuerst  auf  das 
Vorhandensein  intraepithelialer  Drttsen  der  Nasenschleimhaut  aufmerksam 
gemacht  hat;  3.  dass  im  Gegensatz  zu  Oppikofers  Ansicht  intra- 
epitheliale Leukocythenhäufchen  in  der  Schleimhaut  der  oberen  Luft- 
wege sehr  häufig  vorkommen ;  4.  dass  er  schon  früher  die  Aufmerksam- 
keit auf  die  mannigfachen  Degenerationsvorgänge  gelenkt  hat,  die  sich 
im  Epithel  der  Schleimhäute  der  Nase  abspielen.         von  Eicken. 

444.  Ino  Eubo,  Fukuoka,  Japan.   Über  die  Entstehung  der  sogen,  .lappigen 

Hypertrophien"  der  Nasenniuscheln.   Arch.  f.  Laryng.  Bd.  XIX,  Heft  2. 

Die  Papillen  bestehen  aus  zahlreichen  Kapillaren,  lockeren  Binde- 
gewebsfasern, Schleimzellen  und  zahlreichen  Rundzellen;  es  finden  sich 
keine  Drüsen-  und  Gefässlakunen.  Der  Gewebsteil  der  Papillen  ent- 
spricht also  der  adenoiden  Schicht  der  Muscheln  des  Erwachsenen.  Es 
ist  somit  begreiflich,  dass  dieses  Gewebe  beim  Bestreichen  mit  Kokain 
keine  Beeinflussung  seines  Volumens  zeigt.  Unter  den  Papillen  treffen 
wir  die  lakunäre  oder  die  Schwellgewebsschicht  an.  Die  Drüsen  münden 
regelmäfsig  an  den  tiefsten  Punkten  der  Täler  zwischen  den  Papillen; 
ihre  Ausführungsgänge  sind  zuweilen  zystisch  erweitert,  Die  Lakunen 
des  Schwellkörpers  sind  reduziert  im  Vergleich  zu  normalen  Nasen- 
muscheln, die  Bindegewebsfasern  und  das  Zwischengewebe  hingegen 
vermehrt.  Eine  Hypertrophie  der  elastischen  Fasern  findet  sich  nament- 
lich  in  der  Nähe  der  Drüsenausführungsgänge.     Im  Gegensatz   zu   der 


Nase  und  Nasenrachenraum.  177 

lappigen  Hypertrophie  ist  hei  der  glatten  Hypertrophie  die  Schwellschicht 
stärker  entwickelt.  Histologisch  ist  die  lappige  Hypertrophie  der  unteren 
Mnscheln  am  ehesten  den  Polypenhildungen  der  mittleren  Muschel  ver- 
gleichbar, von  Eicken. 

44o.  Siebcnmann,  F.,  Basel.    Lapos  pernio  der   oberen  Luftwege.    Arch. 
f.  Laiyngol.  Bd.  XIX,  Heft  2. 

S.  geht  ausführlich  auf  die  spärlichen  Angaben  der  Literatur  über 
diese  seltene  Erkrankung  ein,  die  wohl  zu  den  Tuherkuliden,  nicht  wie 
es  bisher  mehrfach  geschehen  ist,  zu  den  pseudoleukämischen  Erkrank- 
ungen zu  rechnen  ist.  Der  von  ihm  beobachtete  Fall  zeigte  von  Anfang 
an  ein  Mitergriffensein  der  Schleimhaut  des  Mundes,  des  Rachens,  des 
Kehlkopfes  und  der  Nase.  Die  Probeexzision  ergab  Tuberkel-ähnliche 
Bildungen  mit  starker  Bindegewebsentwickelung  ohne  Verkäsung.  Die 
Tierversuche  verliefen  negativ,  das  Koch  sehe  Tuberkulin  löste  keine 
Reaktion  aus.  Sehr  auffallend  ist,  dass  ein  interkurrentes  Erysipel  den 
ganzen  Prozess  zum  Schwinden  brachte,  bald  aber  setzte  die  Krankheit 
von  neuem  ein.  Eine  sehr  charakteristische  Abbildung  des  Gesichtes 
des  Patienten  zeigt,  dass  das  obere  und  das  untere  Lid  sowie  gewisse 
Teile  der  Backe  zu  entstellenden  ödematösen  Wolsten  aufgetrieben  sind. 
Andere  Abbildungen  zeigen  die  Veränderungen  an  der  Lippenschleim- 
hant,  dem  Bachen  und  Kehlkopf.  Zwei  histologische  Bilder  geben  die 
Oewebsveränderungen  wieder.  von  Eicken. 

446.  Fein.    Beitrag  zur  Lehre   von   der  primären  Taberkulose  (Lupus)   der 

Nasenschleimhaut.    Berl.  klin.  Wochenschr.  1906.  Nr.  48. 

2  5  jähr.  Krankenwärterin  ohne  jedes  Anzeichen  einer  sonstigen 
tuberkulösen  Erkrankung.  In  der  Nase  war  nur  das  vordere  Ende  der 
rechten  unteren  Muschel  von  tuberkulösen  Veränderungen  befallen,  die 
den  Charakter  des  Schlei mhautlupus  trugen.  F.  neigt  zu  der  Annahme, 
dass  in  diesem  Falle  die  Lifektion  auf  dem  Wege  des  Luftstromes 
stattgefunden  habe.  Müller. 

447.  C  0  h  n ,  Georg,  Königsberg.   Altes  und  Neues  zur  Nasentuberkulose.   Arch. 

f.  Laryngol.  Bd.  XIX,  Heft.  3. 

C.  weist  nach,  dass  in  der  neueren  Literatur  viele  Dinge  wieder 
als  neu  angegeben  werden,  die  schon  in  der  älteren  Literatur  festgelegt 
sind.     Er  kommt  zu  folgenden  Schlusssätzen : 

1.  Unter  den  tuberkulösen  Affektionen  der  Nasenhöhlen  ist  zu 
unterscheiden:  a)  Lupus:  mit  oder  ohne  Lupus  der  äusseren  Nase  in 
Form   von   Granulationen    auftretend    im   vorderen   Nasenteil,    zumeist 

ZeitaetriA  flür  Ohrenheilkunde.  Bd.  LIV.  12 


178     Bericht  Über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

am  Septum,  aber  auch  an  den  Muscheln  und  am  Nasenboden  bei  sonst 
gesunden,  oft  blühenden,  meist  jugendlichen  Personen.  Häufig  unter 
dem  Bilde  des  Ekzema  vestibuli  und  der  Rhinitis  sicca  anterior, 
b)  Tuberkulose:  Meist  in  Form  von  ülzerationen ,  event.  mit  In- 
filtrationen, Tumoren  und  Granulationen  vergesellschaftet.  Fast  immer 
sekundär  bei  hochgradig  tuberkulösen  decrepiden  Personen  mit  weit 
vorgeschrittener  Tuberkulose  der  Lunge  und  des  Kehlkopfes,  oft  auch 
des  Rachens. 

2.  Der  äussere  Nasenlupus  geht  meist  von  dem  vorderen  Winkel 
des  Nasenloches  aus;  dieser  beginnende  Lupus  ist  oft  nur  durch  Rhinen- 
doskopie  festzustellen. 

3.  Der  primäre  Lupus  der  Nasenschleimhaut  kann  Monate  und  Jahre 
lang  ganz  isoliert,  ohne  eine  sonstige  tuberkulöse  Erkrankung  des  Indi- 
viduums, bestehen.  von  Eicken. 

448.  Gramer,  M.,   Koburg.    Zur  Nasentuberkulose.    Wiener  klin.  Rundschau 

Nr.  10,  1907. 

C.  beschreibt  2  Fälle  mit  tuberkulösen  Veränderungen  an  den 
Muscheln.  In  dem  einen  Falle  —  19  jähr.  Patientin  —  wurde  aus  der 
rechten  Nase  in  Borken  eingebettet  die  mit  einer  harten  Kruste  über- 
zogene nekrotische  untere  Muschel,  im  anderen  Falle  —  43  j.  Patient  — 
die  sequestrierte  mittlere  Muschel  extrahiert.  In  letzterem  Falle  auch 
Eiterung  der  Oberkieferhöhle.  Im  Sekret  wurden  in  beiden  Fällen 
reichliche  Mengen  Tuberkelbazillen  nachgewiesen.  Nach  Auskratzung 
ätzte  C.  mit  75  ^/^  Milchsäure  und  erzielte  nach  3  Monaten  beidemale 
Heilung.  W  a  n  n  e  r. 

449.  Leroux,  Robert.    Nasenverstopfung  und  Tuberkulose.    Annales  des  mal. 

de  Tor.  Jan.  1907. 

Kurze  und  klare  Betrachtung  der  Verhältnisse  ohne  neue  Gesichts- 
punkte. Boenninghaus. 

450.  Escat,  E.,  Toulouse.    Nasenbluten  und  Morbus  Werlhoffii.    Annales  des 

mal  de  Tor.  etc.  Febr.  1907. 

Auf  Grund  von  4,  im  Zeitraum  von  2  Jahren  beobachteten  Fällen 
von  Nasenbluten,  die  sich  bei  näherer  Körperuntersuchung  als  Teil- 
erscheinung von  Werlhoffscher  Krankheit,  vielleicht  auch  von  Hämophilie 
erwiesen,  ermahnt  E.  bei  habitueller  Epistaxis  besonders  im  Kindesalter 
die  Untersuchung  von  Haut  und  Schleimhaut  auf  Hämorrhagien  nicht 
zu  vergessen.  Boenninghaus. 


Nase  and  Nasenrachenraam.  179 

451.  Uänselmann,  C,  Biel.    Znr  Nasentampon  ade.    M.  f.  0.  1906.  S.  65a 
Verf.  glanbt,  dass  die  Nasentamponade  zu  umgehen  ist  and  wegen 

der  mit  ihr  verknüpften  Unannehmlichkeiten  und  Nachteile  auch  nach 
Möglichkeit  umgangen  werden  muss.  Er  empfiehlt  hierzu  die  Anwendung 
des  Perhydrol  Merck,  dessen  Applikation  event.  bei  Wiederauftreten 
der  Blntung  vom  Kranken  seihst  vorzunehmen  ist,  und  eventuell,  falls 
die  Blntung  aus  einem  grösseren  Gefäss  hiermit  nicht  zu  stillen  ist,  die 
Applikation  einer  ganz  kleinen  Kugel  von  Eisenchloridwatte. 

Wittmaack. 

452.  Jürgens,  E.    Über  die  Behandlung  der  Nase   beim   Scharlach.    Russ. 

Monatsschr.  f.  Ohrenheilk.  Dez.  1906. 

Zur  Entfernung  des  Eiters  aus  dem  Nasenrachen  empfiehlt  Verf. 
Ausspritzungen  der  Nase  mittelst  eines  kleinen  Gummiballons  mit  Bor- 
säurelösung, physiologischer  Kochsalzlösung,  2 — 3  ®/q  Lösung  von  Wasser- 
stoffsuperoxyd und  in  schweren  Fällen  von  gangränöser  Angina  mit 
Kalkwasser  oder  Sublimat  (1  :  5—6000).  Alle  Lösungen  müssen  etwas 
erwärmt  sein.  S  a  c  h  e  r. 

453.  Lamann.  W.,  Dr.,  St.  Petersburg.     Eine  Bemerkung  zur  Anwendung 

starker  elektrolytischer  Ströme  in  der  Nase.    M.  f.  0.  1906,  Nr.  10. 

Warnt  vor  zu  starken  Strömen  und  mahnt  zur  Vorsicht  bei  An- 
wendung der  Narkose.  Wittmaack. 

454.  Sonderraann.   Zar  Saugtherapie  bei  Nasenerkrankungen.   Münchn.  med. 

Wochenschr.  1906,  Nr.  45. 
Verf.  nimmt  Stellung  zu  den  seither  erschienenen  Aufsätzen  über 
Saugtherapie   und   empfiehlt   anstatt  der   Maske   eine   besondere   Olive, 
welche  leicht   zu   reinigen   ist   und  das  Eindringen   von  Sekret  in  den 
Schlauch  verhindert.  Scheibe. 

b)   Ozäna. 

455.  Fr&nkel,  B.    Die  Entwickelung  der  Lehre  von  der  Ozftna.    Berl.  klin. 

Wochenschr.  1906,  Nr.  52. 

Kurzer  Überblick  über  die  Geschichte  der  Ozänafrage  seit  der 
ersten  Arbeit  von  Frank el  aus  dem  Jahre  1874.  F.  kommt  zu  dem 
Schlüsse,  dass  wir  trotz  der  zahlreichen  und  gründlichen  Arbeiten  über 
den  Gegenstand  und  trotz  beträchtlicher  Erweiterung  unseres  Wissens 
darüber  doch  über  seine  damalige  Theorie  noch  nicht  sehr  viel  weiter 
Unausgekommen  sind.  Müller. 

^.  Lermoyez.  La  contagion  de  Toz^ne.  Berl.  klin.  Wochenschr.  1906,  Nr.  47. 

L.   ist  Anhänger   der  bazillären   Theorie    der   Ozäna.     Er    führt 

12* 


^ 


180     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

klinische  Beobachtungen,  pathologisch-anatomische  und  bakteriologische 
Tatsachen  und  theoretische  Erwägungen  dafür  ins  Feld.  Des  Ferneren 
enthält  die  Arbeit  kurze  Kritiken  der  anderen  Hypothesen  über  das 
Wesen  der  Ozäna.  Als  praktische  Schlussfolgerung  ergibt  sich  aus  L.s 
Ansicht,  dass  Ozänakranke  ihrer  Umgebung  und  namentlich  dea  Kindern 
gegenüber    zu    sorgfältigen    Schutzmafsregeln    verpflichtet    sind. 

Müller. 

4c57.   Sondermann,  R.,  Dieringhausen.    Nasentaroponade  bei  Ozäna.    Müncho. 
med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  49. 

Eine  Hülle  aus  Gummi  wird  in  die  Nase  geschoben  und  durch 
einen  mit  derselben  verbundenen  Schlauch  aufgeblasen,  worauf  der 
letztere  durch  Absperrhahn  abgesperrt  wird.  Zu  beziehen  durch  Kühne, 
Sievers  &  Neumann,  Köln-Nippes.  Scheibe. 

458.   Botey,  R.,  Barcelona.    Les  injections  de  paraffine  solide  dans  Tozöne. 
Arch.  internat.  d'otol.  etc.  Nr.  3,  1906. 

Bereits  sind  mehrere  Spritzen  im  Gebrauch,  welche  den  Ärzten 
gestatten  selbständig,  ohne  die  Hilfe  eines  Assistenten,  festes  Paraffin 
in  die  Nasenschleimhaut  zu  injizieren.  B.  gibt  die  Beschreibung  und 
Abbildung  der  Spritzen  von  Broeckaert,  Lermoyez,  Mahn, 
Lagard e.  Alle  diese  Spritzen  haben  hauptsächlich  den  Nachteil,  dass 
sie  zur  Winterszeit,  wenn  sie  nicht  vorher  erwärmt  werden,  bei  Gebrauch 
von  Paraffin  mit  Schmelzpunkt  von  45®  nur  ungenügend  oder  unregel- 
mäfsig  funktionieren.  B.  empfiehlt  deshalb  eine  von  ihm  erprobte  Spritze 
und  bildet  dieselbe  ab.  Diese  Spritze  ist  ähnlich  wie  die  oben  er- 
wähnten gebaut;  sie  hat  aber  den  Vorteil,  dass  ihr  Stempel  noch  mit 
grösserer  Kraft  das  Paraffin  austreiben  kann.  —  B.  hat  im  Verlauf  von 
4  Jahren  360  Ozänafälle  mit  submukösen  Paraffininjektionen  behandelt. 
Nach  seiner  Statistik  sind  45®/q  der  Ozänakranken  heilbar  und  weitere 
20  ®/o  soweit  herzustellen,  dass  trotz  noch  bestehender  Atrophie  Borken 
und  Fötor  verschwinden,  sodass  der  Patient  der  Nasendouchen  entbehren 
kann.  Durchschnittlich  wurden  pro  Patient  20  Injektionen  vorgenommen, 
bei  einem  Patienten  mit  vorgerückter  Ozäna  sogar  mehr  wie  100  (in 
letzterem  Falle  .nur  mit  geringem  Erfolg),  Nach  Paraffininjektionen 
unter  die  Septumschleimhaut  sah  B.  nicht  allzu  selten  (in  3  7o  ^^^  Fälle) 
Abszesse  auftreten,  aber  meist  nur  dann,  wenn  in  einer  Sitzung  mehr 
wie  0,5  festes  Paraffin  eingespritzt  wurde :  diese  Abszesse  enthielten  mehr 
seröse  als  eitrige  Flüssigkeit.  Oppikofer. 


Nase  mxd  Nasenrachenraum.  181 

c)  Neubildungen  der  Nase. 

459.  Lövy,  Hugo.  Dr.,  Karlsbad,    über  ürüsenzysten  sowie  andere  Zysten  in 

Nasenpolypen.  Zeitschr.  f.  klin.  Medizin  Bd.  62. 
Löwy  nntersachte  mikroskopisch  eine  Serie  von  28  Nasenpolypen, 
welche  im  Darchschnitt 'makroskopisch  Zysten  enthielten.  Als  disponierende 
Momente  für  solche  Zysten  sieht  Verf.  besonders  langgestreckten  und 
geschlängelten  Verlauf  der  Drüsentnbuli  bezw.  der  Ansftthmngsgänge,  klein- 
zellige Infiltration  und  Entzündungsvorgfinge  um  dieselben,  Schrumpfungs- 
vorgänge, Hämorrhagien  und  Kompression  durch  Nachbargebilde  an. 
Zweimal  fand  er  Lymphzysten,  die  übrigen  waren  Drüsenzysten.  Mehr- 
fach fand  er  in  den  Zysten  ziemlich  lange  geschlängelte  Fäden  von 
spiraligem  Bau,  die  morphologisch  den  Gursch  mann  sehen  Spiralen 
des  Bronchialasthmas  glichen  und  in  der  Hauptsache  aas  Schleim  be- 
standen. L.  erklärt  sich  die  Entstehung  dieser  Fäden  ähnlich  wie 
A.  Franke]  dies  für  die  Entstehung  der  Gursch  mann  sehen  Spiralen 
annimmt:  Durch  mechanische  Einwirkungen  der  wechselnden  Fort- 
bewegung in  den  verschied enkalibri gen  Bäumen,  durch  Wirbelungen, 
werden  bestimmte  Substanzen  des  Zysteninhaltes  förmlich  ausgebuttert 
und  durch  eine  Art  »Agglutination«  vereinigt.  Destruktive  Prozesse, 
die  direkt  zum  Untergang  des  Drüsengewebes  führten,  fand  L.  nirgends. 

Suckstorff. 

460.  Richter,  Eduard,  Planen  i.  V.    Über  eine  neue  Methode  der  Fibrom- 

entfemung  betreffend  Rachendachfibrom.  M.  f.  0.  1907,  Nr.  2. 
Die  Entfernung  des  Fibroms  wurde  dadurch  erreicht,  dass  zunächst 
eine  Schlinge  über  dasselbe  geführt  wurde,  die  durch  Umdrehungen 
enger  zusammengezogen  wurde,  so  dass  sie  dasselbe  abschnürte,  um  die 
Gefässe  abzuklemmen.  Dann  wurde  eine  zweite  Schlinge  kurz  unterhalb 
der  ersten  angelegt  und  nach  Entfernung  des  Schiingenführers  nach  Art 
einer  Drahtsäge  benutzt,  wobei  der  Tumor  in  zirka  10  Minuten  glatt  ab- 
getrennt wurde,  ohne  dass  eine  stärkere  Blutung  eintrat.   Wittmaack. 

461.  Delamare,  A.     Contribution  ä  T^tude  des  sarcomes  des  fosses  nasales. 

Th^se  pour  le  Docturat  en  mödecine.  Paris  1905. 
D.  hat  27  Fälle  von  Nasenhöhlensarkom  aus  der  Literatur  zusammen- 
gestellt und  bespricht  in  ausführlicher  Weise  an  Hand  dieser  Fälle 
Ätiologie,  Verlauf,  Prognose  urd  Therapie.  Die  Sarkome  der  Nasen- 
höhle kommen  in  jedem  Lebensalter  vor.  Verlauf  und  Prognose  hängen 
wesentlich  von  dem  mikroskopischen  Bilde  ab;  je  mehr  Bindegewebe 
die  sarkomatöse  Geschwulst  zeigt,  um  so  günstiger  ist  im  allgemeinen 
die  Prognose   zu   stellen.     Einzig   die   operative  Therapie  kann  heilen. 

Oppikofer. 


182    Bericht  fiber  die  Leistungen  und  Fortsehritte  der  Ohrenheilkunde. 

462.  Althoff,  Emflt,  Strassburg  i.  Eis.    Über  Endotheliome  der  inneren  Nase 

und  der  Nebenhöhlen.    Arch.  f.  Laryngol.  Bd.  XIX,  Heft  2. 

A.  geht  ausführlich  auf  den  Bau  der  Endotheliome  ein  und  be- 
spricht die  Merkmale,  die  sie  von  den  Karzinomen  und  Sarkomen  unter- 
scheiden.    Mitteilung  von  3  Fällen.  von  Eicken. 

463.  Prawossred,   N.     Carcinoma    sinus    frontalis.     Wratschebnaja   Gaseta 

1906,  Nr.  43. 

Patient  kam  mit  einer  Fistel  unter  der  linken  Augenbraue  und 
Exophthalmus  nach  vorn  und  unten.  Die  Sonde  gelangte  bis  zum 
Foramen  opticum  und  in  den  Sinus  frontalis.  Anfangs  wurde  Stim- 
höhlenempyem  diagnostiziert  und  nach  Czerny  zu  operieren  versucht, 
wobei  heftige  Blutung  erfolgte  und  Karzinommassen  hervortraten.  Die 
vorderen  Wände  beider  Stirnhöhlen  und  die  obere  Wand  der  linken 
Augenhöhle  waren  zerstört.  Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigte 
Karzinomperlen.  Bis  jetzt  sollen  nur  3  Fälle  von  Stirnhöhlenkarzinom 
beschrieben  worden  sein.  Differentialdiagnostisch  wichtig  ist,  dass  beim 
Empyem  die  Sonde  in  eine  schmale  Fistel  eingeführt  auf  kariösen 
Knochen  stösst,  während  sie  beim  Karzinom  ohne  Hindernis  meist  nach 
hinten  gelangt.  Sacher. 

464.  Engelhardt,  G.,  Breslau.  Über  von  der  Zahnanlage  ausgehende  Tumoren 

der  Kieferhöhle.    Arch.  f.  Laryngol.  Bd.  XIX,  Heft  1. 

An  Hand  von  2  Fällen,  die  einer  genauen  mikroskopischen  Unter- 
suchung unterzogen  wurden,  bespricht  E.  die  Ätiologie  der  von  den 
Zahnanlagen  ausgehenden  Tumoren.  von  Eicken. 

465.  Gerber,  Königsberg.    Les  ost^omes  da  sinus  frontal.     Arch.  Internat. 

d'otol.  etc.  Bd.  33,  Nr.  1. 

G.  stellt  84  Osteome  der  Stirnhöhle  aus  der  Literatur  zusammen 
und  fügt  dieser  Statistik  2  eigene  Beobachtungen  mit  ausführlichen 
Krankengeschichten  hinzu.  Im  grossen  Ganzen  kommt  Verf.  zu  den- 
selben Resultaten  wie  Hucklenbroich  (Dissertation  Freiburg  1905). 

Oppikofer. 

466.  Stepinski,  Paris.    Polypes  des  choanes  chez  Tenfant.    Arch.  Internat. 

d'otol.  etc.  Bd.  23,  Nr.  1. 
St.   referiert   über   5  Fälle   von  Choanenrandpolyp   im   kindlichen 
Alter.     4  Fälle  wurden  mikroskopisch  untersucht:  Mixofibrom. 

Oppikofer. 

467.  Iwanow,  A.    Über  die  Behandlung  gefässreicher  Neubildungen  der  Nase. 

Russ.  Monatsschr.  f.  Ohrenheilk.  etc.  Jan.  1907. 

Verf.  gibt  einige  wertvolle  Hinweise  zur  Vorbeugung  und  Stillung 


Nase  und  Nasenrachenraum.  183 

starker  Blntungen   beim  EntferDen   gefässreicher  Geschwülste   der  Nase 
(Fibro  angioma,  Fibroma  cavernosam).  S  ach  er. 

d)  Nebenhöhlenerkrankungen, 

468.  M  e  r  m  0  d»  Lausanne.  Betrachtungen  über  chronische  KieferhOhleneiterungen 

etc.    Annales  des  mal.  de  Tor.  etc.    Jan.  1907. 

M.  ist  begeisterter  Anhänger  der  Caldwell-Lucschen 
Methode,  denn  unter  141  Fällen  hatte  er  141  Heilungen  in  durch- 
schnittlich 14  Tagen.  In  der  Tat  ein  beneidenswerter  Operateur.  Unter 
diesen  Umständen  hält  er  Deutschland,  wo  noch  nicht  so  ausschliesslich 
nach  Caldwell-Luc  operiert  wurde,  für  rückständig.  —  Auch  in 
Deutschland  ist  man  im  allgemeinen  längst  von  der  Überlegenheit  aller 
Empyemoperationen  überzeugt,  welche  freie  Verbindung  zwischen  Nase 
und  Kieferhöhlen  erstreben,  mögen  die  Methoden  nun  dieses  oder  jenes 
Beiwerk  haben.  Allein  in  Deutschland  ist  man  nicht  so  allgemein 
bereit,  wegen  eiLCs  an  sich  wenig  gefährlichen  Leidens  eine  Narkosen- 
operation zu  machen  und  dazu,  was  die  Narkose  anbelangt,  noch  eine 
recht  unangenehme  Narkosenoperation.  Der  Lokalanästhesie  mit  Kokain- 
Adrenalin,  die  sich  auch  dem  Autor  bei  diesen  ausgedehnteren  Kiefer- 
operationen in  der  letzten  Zeit  trefflich  bewährt  hat,  aber  ist  es  vor-, 
behalten,  auch  bei  uns  die  minderwertigen  Methoden  allgemein  zu 
verdrängen.  Boenninghaus. 

469.  Halle.    Externe  und  interne  Operation  der  Nebenhöhleneiterungen.    Berl. 

klin.  Wochenschr.  Nr.  42  u.  43,  1906. 

H.  befürwortet  im  allgemeinen  die  interne  Behandlung  der  chronischen 
Empyeme :  Anlegung  breiter  Öffnungen  nach  der  Nase  zu  und  Vermeidung 
einer  Öffnung  nach  aussen  oder  nach  der  Mundhöhle,  soweit  dies  möglich 
ist.  Er  verwirft  jede  Behandlung  der  Nebenhöhlen,  welche  häufige 
Spülungen  erfordert,  insbesondere  auch  die  Anbohrung  der  Kieferhöhle 
von  der  Alveole  aus.  Für  die  Kieferhöhle  empfiehlt  er  die  Anlegung 
einer  möglichst  grossen  Daueröffnung  im  unteren  Nasengang  mittelst 
Fräse,  unter  Erhaltung  der  unteren  Muschel. 

Um  auch  die  Stirnhöhle  intern  zu  operieren,  hat  er  eine  neue 
Methode  ersonnen,  deren  Detail  in  einem  kurzen  Referat  nicht  wieder- 
gegeben werden  kann.  Sie  besteht  darin,  dass  er  von  der  Nase  aus 
mittelst  geeigneter  Fräsen  den  ganzen  Boden  der  Stirnhöhle  und  einen 
grossen  Teil  der  Tabula  externa  des  Stirnbeins  fortnimmt,  so  dass  man 
das  Instrument  von  aussen  durch  die  Haut  durchfühlt,  und  dass  die 
Öffnung  der  Stirnhöhle  nach  der  Nase  zu  fast   so  gross  wird,   wie  der 


184     Bericht  über  die  Leistungen  and  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

Abstand  der  Nasenwurzel  von  der  Tabula  interna.  Die  Operation  wird 
unter  Anwendung  besonderer  Schutzvorrichtungen  zur  Vermeidung  einer 
Verletzung  der  Tabula  interna  und  unter  steter  Kontrolle  durch  das- 
Auge  ausgeführt.  H.  hat  sie  im  ganzen  ]4mal  gemacht  und  ist  mit 
den  Erfolgen  sehr  zufrieden.  Müller. 

470.  Nager,  F.  B.,  Basel.    Anwendung  der  Lokalanästhesie  mit  Anämisiernng^ 

bei  der  Radikaloperation  der  Kieferhöhleneiterung.   Arch.  f.  Larjngol. 
Bd.  19,  H.  1. 

Das  Verfahren  unterscheidet  sich  von  dem  des  Ref.  nur  dadurch^ 
dass  man  die  Schleimhaut  der  Nase  und  der  Kieferhöhle  vor  der 
Eröffnung  der  Kieferhöhle  von  vorne  unempfindlich  macht. 

von  Eicken. 

471.  Cordes,  Hermann,  Berlin.    Über  Erhaltung  der  unteren  Muschel  bei  der 

Badikaloperation  des  chronischen  Kieferhöhlenempjems  mit  Anlegung 
einer  nasalen  Gegenöfifhnng.    M.  f.  0.  1906,  Nr.  11. 

Verf.  tritt  für  die  Erhaltung  der  unteren  Muschel  bei  der  Radikal- 
operation des  chronischen  Kieferhöhlenempyems  unter  Anlegung  einer 
nasalen  Gegenöffnung  ein.  Er  hat  fast  sämtliche  eine  Operation  erfor- 
dernden Fälle  nach  der  Denkerschen  Methode  operiert,  nur  mit  dem 
Unterschied,  dass  er  die  untere  Muschel  unberührt  Hess,  ohne  dass  er 
wesentliche  Nachteile  für  die  Heilung  hierbei  bemerkt  hat.  Die  Erhaltung 
der  unteren  Muschel  erscheint  besonders  wichtig  bei  doppelseitiger 
Affektion  und  Operation.  »Denn  ein  Verlust  beider  oder  nur  dea 
grösseren  Teiles  der  unteren  Muschel  hinterlässt  ohne  Frage  dauernde 
Unannehmlichkeiten  und  kann  neben  lokalen  Erscheinungen  in  Hals  und 
Nase  zu  von  uns  vielleicht  noch  nicht  genügend  gewürdigten,  dauernden 
Schädigungen  des  Gresamtorganismus  führen.«  Wittmaack. 

472.  T  e  X  i  e  r,  Dr.,  V.  Des  sinosites  noaxillaires  casöeuses.  Signes  et  diagnostic» 

La  Presse  otolaryngologique  Beige  1907,  Heft  2. 

Texier  schildert  an  der  Hand  von  15  Fällen  die  Sinusitis  maxillaria 
caseosa,  von  der  er  zwei  Formen,  eine  leichte  und  eine  schwere,  unter- 
scheidet. Die  Affektion  ist  eine  chronische  und  befällt  nur  Erwachsene, 
Männer  und  Frauen.  Sie  beginnt  schleichend  und  besteht  seit  mehreren 
Monaten  bis  Jahren,  wenn  die  Kranken  zum  Arzt  kommen;  zuweilen 
führen  stürmische  Symptome  früher  zum  Arzt. 

Die  leichte  Form  unterscheidet  sich  nur  wenig  von  der  gewöhn- 
lichen Kieferhöhlenentzündung.     Diaphanoskopie  lässt  oft  im  Stich. 

Die  schwere  Form:  Verstopfte  Nase,  reichliche,  stinkende,  käsige 
Massen;  dabei  lebhafte  Schmerzen,  Fistelbildung.  Die  Muschelschleimhaut 


Nase  und  NaBenrachenranm.  185 

schwillt  bei  Kokain-  oder  Adrenalin-Pinselnng  nicht  ab;  die  Muscheln 
sehen  aas  wie  b(ysartige  Tumoren  oder  wie  syphilitische  Bildungen.  Die 
Diaphanoskopie  ergibt  positive  Resultate.  Das  eigentliche  diagnostische 
Mittel  ist  die  Punktion,  ohne  ihre  Anwendung  kann  man  sich  irren 
und  die  Krankheit  mit  Syphilis,  malignen  Tumoren,  Fremdkörpern  ver- 
wechseln. Die  Prognose  ist  gut.  Einige  Spülungen  der  Höhle  genügen 
meist  zur  Heilung.  Zu  weiteren  Eingriffen  ist  erst  nach  2 — 3  Wochen 
zu  raten,  wenn  die  Spülungen  im  Stich  lassen.  Brandt. 

473  TL  474.  Van  den  Wildenberg,  Antwerpen.    Osteomyölite  du  maxillaire 
snperienr  et  de  Tethmoide  avec  empydme  des  sinus  et  de  Torbite.  Arch. 
Internat,  d'otol.  etc.  Nr.  2.  1906  und  La  Presse  oto-laryngologique 
Beige  1906,  Heft  10. 
Bei  einem   neugeborenen  Kinde   zeigt   sich   am  dritten  Tage  nach 
der  Geburt  am  linken  untern  und  innem  Orbitalrand  ein  roter  Fleck, 
der  sich  immer  mehr  ausbreitet.     Am  10.  Tage  konstatiert  der  Augen- 
arzt ausgesprochenen  linksseitigen  Exophthalmus  und  Eiterausfluss   aus 
der  linken  Nasenöffnung.    Zudem  besteht  auf  derselben  Seite  am  harten 
Gaumen  sowie   an   der  Fossa  canina  je   eine  Fistel,   aus   welcher  sich 
ebenfalls    reichlich    Kiter     entleert.      Syphilis    anamnestisch    unsicher. 
Operation:  der  Hautschnitt  umkreist  die  innere  Seite  der  Orbita;  dann 
wird  die  innere  und  untere  Orbitalwand  bis  zum  Foramen  opticum  vom 
Periost  entblösst.     Im    eiternden   Siebbein    liegen    verschiedene    kleine 
Sequester.     Zum  Schlüsse  Eröffnung  der  eiternden  Kieferhöhle  von  der 
Nasenhöhle    aus.     Da    die  Nekrose   des   Siebbeines   wahrscheinlich    auf 
kongenitale   Syphilis   zurückzuführen    ist,    so    wird   Calomel  in   kleinen 
Dosen  verordnet.     Nachträglich   lösen   sich   noch   einige   Sequester   ab, 
dann  Heilung.  Oppikofer. 

475.  Onodi.    Beiträge  zur  Lehre  der  durch  Erkrankung  der  hintersten  Sieb- 

beinzelle  und  der  Eeilbeinhöhle  bedingten  Sehstömng  und  Erblindung. 

BerL  klin.  Wochenschr.  1906,  Nr.  47. 
Eingehende,  durch  photographische  Abbildungen  erläuterte  anatomische 
Beschreibung  der  verschiedenen  Formverhältnisse  der  Siebbeinzellen  und 
der  Keilbeinhöhle  in  ihren  Beziehungen  zum  Canalis  opticus  und  Sulcus 
opticus,  als  Grundlage  der  Lehre  von  der  canaliculären  retrobulbären 
Neuritis  und  Atrophia  optica  nasalen  Ursprungs.  Müller. 

476.  Sprenger,  Stettin.    Ein  Fall  von  Schleimhautcyste  der  Stirnhöhle.    Arch. 

f.  Laryngol.,  Bd.  19,  H.  1. 
Nach  Ansicht  des  Ref.  handelte   es  sich  im  vorliegenden  Fall  um 
eine  Mucocele,  die  von  einer  frontalen  Siebbeinzelle  ausgegangen  war  und 
sich  in  die  normale  Stirnhöhle  hinein  entwickelt  hatte,     von  Eicken. 


186     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

477.  Taptas,  Constantinople.    A  propos  de  moii  procM^  sur  Top^ration  de  la 

sinusite  frontale  chronique.    Arch.  Internat.  d*otoL  etc.  Bd.  22,  Nr.  3. 

Um  chronische  Stirnhöhleneiterungen  znr  Aasheilang  zu  bringen, 
empfiehlt  T.  ein  Verfahren,  welches  sich  von  der  Killianschen  Operation 
im  wesentlichen  nur  dadurch  unterscheidet,  dass  das  Orbitaldach  nicht 
reseziert  wird.  Oppikofer. 

478.  Maljutin,  E.  N.,   Moskau.    Zur  Kasuistik   der   StimhöhlenentztLndung. 

Arch.  f.  Laiyngol.  Bd.  19,  H.  2. 

Zwei  Fälle  von  abscedierender  Stirnhöhleneiterung,  die  durch  breite 
Abtragung  der  vorderen  Wand  geheilt  wurden.  Der  Weg  nach  der 
Nase  wurde  absichtlich  nicht  erweitert.  Im  ersten  Falle  war  Lues 
vorausgegangen  und  es  fehlte  auch  ein  grosses  Stück  der  hinteren 
Stirnhöhlenwand,    die   Crista  galli   und   der  Sinus  sagittalis   lagen    frei. 

von  Eicken. 

479.  Chavanne,  F.,  Lyon.    Algie.sinusienne  frontal  hysterique.    Presse  oto- 

laryngologique  Beige,  August  1906. 

Beschreibung  eines  Falles,  in  dem  Hysterie  eine  Erkrankung  der 
Stirnhöhle  vortäuschte.  Die  vorhandenen  hysterischen  Stigmata,  das 
Fehlen  der  typischen  Eiterstrasse  in  der  Nase  und  die  bei  Kneifen  der 
Haut  oder  Druck  auf  den  Knochen  gleichmäfsig  bestehende  Schmerz- 
haftigkeit  sicherten  die  Diagnose  und  bewahrten  Patientin  vor  einer 
Explorativoperation.     Heilung  in  wenigen  Tagen.  Suckstorff. 

480.  D  e  1  s  a  u  X ,  Dr.,  Victor.    Pseudosinusite  frontale  due  k  un  abscds  sousperiost^ 

du  front,  compliquöe  de  thrombophlöbite  du  sinus  longitudinal  sup^rieur. 

M^ningite.  Mort.  Autopsie.    La  Presse  otolaryngologique  Beige  1906, 

Heft  10. 
D.  hat  einen  interessanten  Fall  von  Thrombose  des  Sinus  longitudinalis 
superior  beobachtet,  die  sich  bei  gesunder  Nase  an  einen  subperiostalen 
Abszess  am  Stirnbein  anschloss.  Die  Kranke  starb.  Bei  der  Obduktion 
fand  sich  eitrige  Meningitis  des  rechten  Stimlappens,  Thrombose  des 
Sinus  longitudinalis  superior  und  des  linken  Sinus  lateralis,  Thrombose 
der  Vena  jugularis.  Hervorgerufen  war  die  Infektion  des  Schädelinnem 
vielleicht  durch  eine  kleine  das  Stirnbein  perforierende  Vene. 

D.  zieht  folgende  Schlüsse:  Auch  ohne  nasale  Infektion  kann  sich 
eine  Thrombose  des  Sinus  longitudinalis  superior  entwickelnd  Das  Nasen- 
bluten, das  man  für  diese  Thrombose  für  pathognomonisch  hält,  kann 
fehlen.  Wegen  der  direkteren  und  weiteren  Verbindung  des  Sinus 
long.  sup.  mit  dem  linken  Sinus  lat.  breitet  sich  der  Prozess  leichter 
in  letzterem  Sinus  aus.  Der  Sinus  long.  sup.  kann  und  muss  geeigneten 
Falles  chirurgisch  behandelt  werden.  Brandt» 


Nase  and  Nasenrachenraum.  187 

e)  Sonstige  Erkrankungefi  der  Nase, 

481.  Sassedatelew,  Th.    Über   das  habituelle  Erysipel  der  Nase  und  des 
Gesichts.    Russ.  Monatschr.  f.  Ohrenheilk.  Jan.  1907. 

Anf  Grund  von  zwei  Fällen  kommt  S.  zu  dem  Schluss,  dass  beim 
habituellen  Erysipel  nicht  jedesmal  eine  neue  Infektion  stattfindet,  sondern 
dass  dieselbe  im  Organismas  selbst  steckt,  besonders  im  Drüsengewebe, 
und  Yon  dort  darch  die  Lymphgefässe  sich  verbreitet  za  den  Stellen, 
die  vom  Erysipel  betroffen  waren.  Sa  eher. 

i82.  Gramer,  M.,  Eobarg.    Ein  Fall  von   erworbener  Atresia  nasi.    Wiener 
klin.  Rundschau  Nr.  45,  1906. 

C.  berichtet  über  eine  28jährige  Patientin,  bei  welcher  sich  vom 
14.  Lebensjahre  an  zweifellos  Erscheinungen  von  Lues  im  Halse  und 
in  der  Nase  einstellten.  Die  Nase  war  beiderseits  im  Yestibulum  durch 
eine  in  der  Mitte  ca.  Vs  ^^  dicke,  feste  Membran  verschlossen.  Da 
deren  Entfernung  mit  Messer  und  Schere  auf  der  einen  Seite  Schwierig- 
keiten bereitete,  nahm  C.  auf  der  anderen  Seite  Hammer  und  Meissel, 
womit  er  leicht  zum  Ziele  kam.  Wegen  der  grossen  Gefahr  der  Wieder- 
verwachsung liess  C.  zur  Nachbehandlung  Hartgummiröhrchen  einführen. 

W  a  n  n  e  r. 

483.  Lundsgaard,  K.  E.  E.    Das  prismatische  und  das  Spiegel-Druckglas. 

Hospitalstidende  Nr.  8,  1907. 

L.  hat  für  die  Schleimhautbehandlung  ein  besonderes  Druckglas 
konstruiert,  ein  aus  Quarzplatten  bestehendes  hohles  Prisma,  in  dem 
das  Kühlwasser  zirkuliert;  es  gewährt  eine  fast  totale  Reflexion  der 
ultravioletten  Strahlen,  während  ein  für  denselben  Zweck  konstruiertes 
Prisma  mit  Quecksilberbelag  nur  30  ^/^^  der  Strahlen  reflektiert.  Die 
betreffenden  Druckgläser  lassen  sich  u.  a.  für  den  vorderen  Teil  der 
Nasenhöhle  verwenden.  Jörgen  Möller. 

484.  Porchhammer,  Holger.   Die  Resultate  der  Lichttherapie  bei  Lupus  der 

Nasen-  und  Mundhöhle.    Ibd. 

F.  teilt  die  durch  die  Druckgläser  von  Lundsgaard  erzielten 
Besoltate  mit.  In  der  Nasenhöhle  kann  man  mittelst  dieser  Druck- 
gläser 1  bis  1  ^/g  cm  weiter  hinein  kommen  als  mittelst  dem  Langschen 
Glas,  sodass  man  die  Übergangsstelle  zur  eigentlichen  Nasenhöhle,  die 
Prädilektionsstelle  des  Lupus«  erreichen  kann.  Unter  47  behandelten 
Fallen  gaben  38  =  80  ®/q  ein  günstiges  Kesultat ;  ferner  sind  verschiedene 
Fälle  von  Lupus  der  Mundhöhle  mit  Erfolg  behandelt  worden. 

Jörgen  Möller. 


188     Bericht  über  die  Leistimgen  nnd  Fortschritte  der  Ohrenheilknnde. 

485.  Wolf f -Eisner,  Alfred,  Dr.,  Berlin.    Erfahrungen  über  das  Heafieber  aus 

dem  Jahre  1906.    Deutsche  med.  Wochenschr.  Nr.  7,  1907. 

Die  ungewöhnlich  grosse  Wärme  im  Frülyahr  1906  verfrühte  die 
Vegetation  und  damit  den  Beginn  des  Heufiebers  um  14  Tage,  was  bei 
den  meisten  Patienten  gleichbedeutend  war  mit  einer  14tägigen  Ver- 
längerung ihres  Leidens  pro  1906.  Verf.  ist  entgegen  Dunbar  der 
Ansicht,  dass  das  Pollengift  kein  Toxin  ist,  dass  das  PoUantin  daher 
aucb  kein  Antitoxin  ist  nnd  dass  gegenüber  der  Pollenempfindlichkeit 
nur  eine  ätiologische  Therapie  helfen  kann.  Als  PoUendiagnosticum 
empfiehlt  Verf.  >die  Pollen  von  Roggen,  Weizen,  Gramineen  in  abge- 
messener Menge  in  einer  chemischen  Reibschale  mit  Wasser  oder  Koch- 
salzlösung zu  verreiben  und  dann  zu  zentrifagieren ;  die  überstehende 
Lösung  ist  dann  das  PoUendiagnosticum«.  Als  bester  Schutz  gegen 
das  Eindringen  der  Pollen  in  die  Nase  einpfiehlt  Verf.  den  Schutz- 
apparat von  Mohr,  modifiziert  von  Schulz,  den  er  dadurch  verbessert 
hat,  dass  er  das  Charnier,  »die  schwache  Stelle  des  Apparates«,  über- 
flüssig machte.  Entgegen  Mohr  behauptet  Verf.,  dass  in  selteneren 
Fällen  auch  die  Coigunctiva  pollenempfindlich  ist,  und  empfiehlt  den 
betreffenden  Patienten,  sich  durch  eine  Brille  zu  schützen,  die  das 
Auge  völlig  von  der  Aussenluft  abschliesst,  etwa  ähnlich  der  von  Auto- 
mobilisten benutzten  Brille.  Noltcnius. 

486.  Böhm,  W.     Kasuistische    Mitteilung    über    einen    Fall    von    Nasenstein. 

M.  f.  0.  1907,  Nr.  1,  S.  27. 

Der  Nasenstein  war  wahrscheinlich  durch  Reste  sogenannten 
Schmalzlertabaks  entstanden,  die  der  Patient  geschnupft  hatte  und  die 
wahrscheinlich  den  Kern  des  Fremdkörpers  abgegeben  haben. 

Wittmaack. 

487.  Baum  garten,  E.,  Dozent,  Budapest.    Ein  ZahnrhinoHth  in   der  Nue. 

Wiener  med.  Presse  Nr.  1,  1907. 

Ein  16  jähriges  Mädchen  litt  seit  2  Jahren  an  linksseitigem  Nasen- 
bluten. Bei  der  Untersuchung  fand  B.  eine  harte  Prominenz  am  Boden 
des  Nasenganges,  welche  sich  als  ein  verkümmerter,  rundlicher  Milch- 
zahn entpuppte;  der  ganz  schwarze  Rhinolith  war  die  Zahnwurzel. 

Gleichzeitig  lag  eine  Obliteration  der  Oberkieferhöhle  der  gleichen 
Seite  vor.  Wann  er. 

488.  Manasse,   Paul,   Strassburg  (Eis.).    Einige  FremdkOrperfäUe.    Arch.  f. 

Laryngol.  Bd.  19,  H.  2. 

M.  berichtet  über  zwei  Fremdkörperfälle  der  Luftwege,  die  bereits 
im   unterelsässischen  Ärzteverein   vorgeführt    wurden.     Der   dritte  P'all 


J 


Nase  und  Nasenrachenraum.  189 

betrifft  einen  Fremdkörper  in  der  Orbita,  der  eine  Fraktur  der  unteren 
Stimhöhlenwand  vorgetäuscht  hatte.  Die  Patientin  war  bei  einem  Sturz 
die  Treppe  hinab  mit  der  rechten  Stirnseite  auf  eine  Flasche  gefallen, 
die  sie  im  Arme  trug.  Sie  zog  sich  eine  grosse  Wunde  über 
dem  Auge  zu,  die  nach  kurzer  Zeit  reaktionslos  heilte.  Bei  der 
Operation,  die  I  Monat  nach  dem  Unfall  vorgenommen  wurde,  zeigte 
sich,  dass  die  Stirnhöhle  intakt  war  und  dass  sich  in  der  Orbita  ein 
grosser  und  8  kleine  Glassplitter  befanden.  von  Eicken. 

489.  Daae,  Hans,   Kristiania.    Eigentümliche  Gehirnl&sion   durch   die  Nase. 

Arch.  f.  LaryngoL,  Bd.  XIX,  H.  2. 

Ein  kurzsichtiges  Individuum  rannte  mit  grosser  Gewalt  mit  der 
Nase  gegen  die  Spitze  eines  Kegenschirmes,  den  ihm  ein  Kamerad, 
mit  dem  er  in  Streit  geraten  war,  zur  Abwehr  entgegen  hielt.  Der 
Schirm  brach  ab  und  die  Spitze  wurde  von  dem  Verletzten  selbst  aus 
der  Nase  gezogen.  Zunächst  nur  leichtes  Nasenbluten  und  Schmerzen 
der  linken  Hälfte  des  Yorderkopfes.  Erblindung  des  linken  Auges. 
Erst  nach  einigen  Tagen  Fieber  und  nach  und  nach  Zeichen  von 
Meningitis.  Erst  am  12.  Tage  Exitus.  Die  Sektion  ergab  ausser 
Meningitis  eine  Fraktur  des  Stirnbeins,  Siebbeins  und  Keilbeins;  ein 
Loch  in  den  Hirnhäuten,  im  linken  Frontallappen  bis  in  den  linken 
Ventrikel  perforierend.  Sehr  auffallend  ist  der  langsame  Verlauf  des 
Leidens.  von  Eicken. 

490.  Link,  Ernst,  Königsberg.     Bemerkungen  über  das  Sklerom  nebst  Mit- 

teilung   eines    neuen    ostpreussischen    Falles.     Arch.    fUr    LaryngoL, 
Bd.  XIX.  H.  1. 

L.  irrt,  wenn  er  glaubt,  dass  in  dem  von  ihm  mitgeteilten  Fall 
das  Bronchoskop  zum  Absuchen  des  tieferen  Respirationstraktus  nach 
skleromatösen  Veränderungen  zum  erstenmal  benutzt  sei.  Pieniazek 
hat  in  einer  ganzen  Reihe  von  Fällen  derart  von  der  Tracheotomie- 
wunde  aus  mit  seinen  Trachealtrichtern  nicht  nur  die  Trachea  inspiziert, 
sondern  auch  skleromatöse  Wucherungen  unter  Kontrolle  des  Auges 
abgetragen  (conf.  Pieniazek:  Die  Verengerung  der  Luftwege,  Wien, 
Franz  Dentike,  1901,  und  Nowotny:  Arch.  f.  LaryngoL,  Bd.  XVII). 

von  Eicken. 

491.  Koch,  Fritz,  Berlin.    Eine  gedeckte  Fraise  zur  endonasalen  Operation 

der    Hockemase    zwecks   Formverbesserung.     Arch.    für    LaryngoL, 
Bd.  XIX,  H,  1. 

Beschreibung  und  Abbildung  der  Fraise.  von  Eicken. 


190     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

492.  Herber,  Prof.    Kosmetische  Nasenoperationen.    Deutsche  med.  Wochen- 

schrift Nr.  13,  1907. 

Herber  hat  die  operative  Behandlung  der  teils  angeborenen,  teils 
erworbenen  Anomalien  des  Nasengerüstes,  die  zu  Veranstaltung  der 
äusseren  Nase  führen,  zum  Gegenstand  eines  Vortrages  gemacht.  Dahin 
gehören  die  Luxation  des  Septum  cartilagineum ,  die  Verschiebungen 
zwischen  knorpeligem  und  knöchernem  Septum,  femer  die  Nasenhöcker 
sowie  die  excessiv  konvexe,  die  zu  breite  und  die  zu  lange  Nase. 
Herber  führt  alle  Operationen  nach  dem  Vorgange  von  Joseph  und 
Anderen  subkutan  mit  Hilfe  schmaler  Messer,  Raspatorien,  Stichsägen 
und  Zangen  aus,  zumeist  unter  lokaler  Anästesie  mit  Zuhilfenahme  von 
Adrenalin.  Einige  Abbildungen  illustrieren  das  Gesagte.     Noltenius. 

f)  Nasenrachenraum. 

493.  Jehle,  L.,  Wien.    Über  das  Vorkommen   des  Meningococcus   und  des 

Micrococcus  catarrhalis  im  Nasenrachenraum  und  DesinfektionsTer- 
süche  mit  Pyocyanase  bei  diesen  Infektionen.  Wiener  klin.  Wochen- 
schrift Nr.  1*  1907. 

J.  fand,  dass  schon  eine  relativ  sehr  geringe  Menge  unverdünnter 
oder  verdünnter  Pyocyanase  genügt,  um  das  Wachstum  der  Meningo- 
kokken zu  verhindern ;  geringer  ist  die  Wirksamkeit  auf  das  zellreiche 
Sekret  einer  Lumbalpunktionsflüssigkeit.  Zur  Untersuchung  muss  man 
bis  in  den  Nasenrachenraum,  resp.  bis  an  die  hintere  Rachenwand 
vorgehen,  da  keiner  der  beiden  Infektionserreger  in  den  vorderen 
Nasenhöhlen  auffindbar  ist.  Die  Mengen  der  in  den  Nasenrachenraum 
gebrachten  Pyocyanase  schwankten  zwischen  0,5  und  3  cm'*. 

Bei  Micrococcus  cat.  wurde  nach  einmaligem  Einträufeln  von 
Pyocyanase,  bei  sämtlichen  Kindern  bis  auf  eines  —  bei  diesem  aber 
auch  nach  48  Stunden  —  kein  Mikrokokkus  mehr  gefunden.  Auch 
die  Meningokokken  verschwinden  fast  regelmäfsig  aus  dem  Nasenrachen- 
sekret  und  zwar  genügt  meist  eine  1 — 2  malige  Applikation. 

Nach  J.s  Beobachtungen  sind  die  Meningokokken,  wenigstens  bei 
den  gesunden  Zwischenträgern,  nur  in  den  Schleimmassen,  nicht  in 
der  Schleimhaut  selbst. 

Die  Wirkung  der  Pyocyanase  war  bei  Strepto-,  Staphylo-,  Pneumo- 
kokken und  bei  Bacterium  coli  eine  äusserst  geringe  oder  vollständig 
fehlende.  Wann  er, 

494.  Kobrak,    Franz,    Breslau.     Traumatische   Angina,    akutes    Exanthem, 

Wundscharlach.    Arch.  f.  Laryngol.,  Bd.  XIX,  H.  2. 

K.  hat  versucht  die  Frage,   weshalb   die  Abtragung  der  Rachen- 


Nase  und  Nasenrachenraum.  191 

mandel  zuweilen  Fieber  und  Wundinfektion  zur  Folge  hat,  auf  dem 
Wege  bakteriologischer  Untersuchung  und  durch  das  Tierexperiment 
m  beantworten.  Seine  Untersuchungen  ergaben,  dass  die  Keimzahl  und 
die  Virulenz  des  Sekretes  im  Nasenrachenraum  vor  der  Operation  meist 
grösser  als  nach  derselben  ist.  Das  Operationsterrain  ist  in  den  meisten 
Fällen  arm  an  Keimen;  es  hat  eine  geschützte  Lage,  der  Luftzutritt 
und  Sekretabfluss  sind  unbehindert.  Es  mtlssen  also  ganz  besonders 
schwere  Infektionsbedingungen  gegeben  sein,  wenn  von  der  Wunde  nach 
Abtragung  der  Rachenmandel  eine  Allgemeininfektion  ausgehen  soll. 
Wir  werden  der  Empfehlung  K.s  nur  beipflichten,  der  fordert,  dass  bei 
nicht  rein  schleimigem  sondern  mehr  oder  weniger  eitrigem  Nasensekret 
keine  Operation  vorgenommen  wird,  bevor  nicht  längere  Zeit  hindurch 
eine  antiseptische  Behandlung  erfolgt  ist  und  dass  man  ebenso  während 
Scharlachepidemieen  und  anderweitiger  Epidemieen  akuter  Infektions- 
krankheiten die  Rachenmandel  nicht  entfernt.  von  Eicken. 

495.  Hasslauer,   München.     Eine   seltene   Erkrankung   der   Rachenmandel. 

Arch.  f.  Laiyngol.,  Bd.  XIX,  H.  1. 

Fall  von  Herpes  der  Rachenmandel,  der  zugleich  mit  einer  Herpes- 
Eruption  an  der  Oberlippe  und  dem  Naseneingang  auftrat,  Nasen- 
Verstopfung  und  Reizerscheinungen  an  den  Augen  und  Ohren  hervorrief 
and  nach  einigen  Tagen  ohne  Funktionsstörung  heilte. 

von  Eicken. 

496.  Freer,  Otto  T.,  Chicago.    Nonvelle  m^thode  d'ablation  des  y^g^tations 

adenoides   k  travers  les   fosses  nasales.     Arch.  intemat.  d'otol.  etc. 
1906,  S.  367. 

Um  die  adenoiden  Vegetationen  zu  entfernen,  führt  F.  eine  von 
In g als  angegebene  Knochenzange  durch  den  unteren  Nasengang  in 
den  Retronasalraum  ein;  der  gleichzeitig  in  den  Nasenrachenraum  ein- 
geführte Zeigefinger  der  linken  Hand  kontrolliert  die  Bewegungen  der 
Zange  und  den  Gang  der  Operation.  F.  glaubt,  dass  diese  Methode 
viel  sicherer  als  jede  andere  vor  Recidiven  schützt.  Die  Operation 
dauert  einige  Minuten.  Nachträgliche  Verwachsung  der  unteren  Muschel 
mit  dem  Septum  wurde  nur  in  einem  einzigen  Falle  beobachtet. 

Oppikofer. 

497.  Baurowicz,  A.,   Krakan.     Modifikation  des   Schütz-Passo wachen  Pha- 

rjngotoms.    Arch.  f.  Laryngol.,  Bd.  XIX,  H.  1. 

Beschreibung  des  Instrumentes  und  seiner  Vorzüge. 

von  Eicken. 


192     Beriebt  über  die  Leistungen  nnd  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

498.  Barth,  Ernst,  Berlin.   Ein  neues  Pharynxtonsillotom.    Arch.  f.  LaryngoL, 

Bd.  XIX,  H.  2. 

Das  Instrument  stellt  eine  Kombination  des  Beckmannschen  nnd 
Schützschen  Tonsillotoms  dar.  von  Eicken. 

Bachen-  und  Mundhöhle. 

499.  Trantmann,    G.,   München.     Erythema   ezsudativurn   mnltiforme  und 

nodosum  der  Schleimhaut  in  ihren  Beziehungen  znr  Syphilis.  (Nach 
einem  Vortrag  im  München,  ärztl.  Ver.).  Manchen,  med.  Wochen- 
schrift, 1906,  Nr.  43. 

7  Fälle  von  jahrelang  bestehender  Lues  mit  frischen,  meist 
multipeln  Erscheinungen  in  der  Schleimhaut  des  Mundes,  Rachens  and 
Kehlkopfes,  welche  ähnlich  wie  syphilistische  Veränderungen  aussahen, 
aber  als  Erythema  exsudat.  multif.  angesprochen  wurden.  Nach  Salizyl- 
säuretherapie in  mehreren  Wochen  Heilung.  Trautmann  nimmt  an, 
dass  die  Syphilisinfektion  die  Disposition  für  das  Erythema  abgibt. 

Scheibe. 

500.  Uffc norde,   W.,   Göttiugen.    Pharyngitis  lateralis.    Arch.  f.  Laryngol. 

Bd.  XIX,  H.  1. 

Im  Gegensatz  zu  Boenninghaus  ist  U.  der  Ansicht,  dass  die 
sogenannte  Pharyngitis  lateralis  nicht  auf  eine  primäre  Neuritis,  sondern 
auf  entzündliche  Prozesse  in  den  oberen  Luftwegen  zu  beziehen  ist. 
Die  Therapie  ist  daher  gegen  die  Erkrankung  der  Schleimhaut  zu 
richten.  von  Eicken. 

501.  Goerke,  Max,  Breslau.  Beiträge  zur  Pathologie  der  Tonsillen.  V.  Kritisches 

zur  Physiologie  der  Tonsillen.    Arch.  f.  Laryngol.,  Bd.  XIX,  H.  2. 

Nach  G.  stellt  der  lymphatische  Rachenring  eine  wichtige  Abwehr- 
vorrichtung des  Körpers  dar,  wofür  sowohl  die  anatomischen,  physiolo- 
gischen, wie  klinischen  Tatsachen  sprechen.  Krankhaft  hyperthrophisches 
Mandelgewebe  muss  beseitigt  werden.  Eine  radikale  Entfernung  aber 
ist  ausgeschlossen  und  es  bildet  sich  stets  wieder  soviel  von  dem 
Gewebe  neu,  wie  für  den  Körper  nötig  ist.  Erst  wenn  die  Mandeln 
keinerlei  Funktionen  mehr  zu  erfüllen  haben,  tritt  eine  Involution  ihres 
Gewebes  ein.  von  Eicken. 

502.  Miodowski,  Felix,  Breslau.   Über  das  Vorkommen  aktinoroycesähnlicher 

Körnchen  in  den  Gaumenmandeln.    Arch.  f.  Laryngol.,  Bd.  XIX,  H.  2. 

M.  hat  in  147  Gaumenmandeln  12  mal  Gebilde  gefunden,  die  den 
Aktinomycesdrüsen  ähnlich  sind.  Sie  bestehen  aus  einem  radiär  an- 
geordneten Netzwerk  von  Haarpilzen,    in  das  Kokkenhaufen  eingestreut 


Bachen-  und  Mundhöhle.  193 

sind  und  das  von  solchen  nmgeben  ist.  Kolben,  wie  bei  Aktinomyces- 
drüsen  fehlen;  die  Pilzkompiexe  sind  grösser  als  die  Aktinomycesdrttsen 
ond  sind  vor  allen  Dingen  nicht  pathogen.  von  Eicken. 

503.  Chanveaa,  C,  Paris.    Amygdale  aberrante  en  arridre  du  pilier  post^rieur 
droit.    Arch.  intemat.  d'otol.  etc.,  Bd.  22,  Nr.  3. 

Ch.  sah  bei  einem  29  jährigen  Patienten  rechtsseitig  an  der  hinteren 
Pbarynxwand  eine  taubeneigrosse  gestielte  und  harte  Geschwulst.  Ge- 
stützt auf  den  mikroskopischen  Befund  stellte  er  die  Diagnose  auf 
Yerirrte  Mandel.  Oppikofer. 

504.    Henk  es,    J.   C,    Amsterdam.      Zur    Blutstillung    nach    Tonsillotomie. 
M.  f.  0.,  07,  Nr.  •->,  S.  76. 

Henkes  Methode  beruht  auf  demselben  Prinzip  wie  die  Heermann- 
Escatsche,  nämlich  auf  der  Vereinigung  der  beiden  Gaumenbögen 
über  der  blutenden  Tonsille.  Die  Vereinigung  erfolgt  durch  Klammern, 
die  mit  besonders  hierzu  konstruierten  Instrumenten  anzulegen  und 
abzmiehmen  sind.    Einzelheiten  müssen  im  Original  nachgesehen  werden. 

Wittmaack. 

505.  Baumgarten,  E.,  Docent,  Budapest.    Speichelstein  seltener  Grösse  und 
Recidiv.    Wiener  med.  Presse,  Nr.  8,  1907. 

Bei  einem  45  jährigen  Patienten  fand  sich  auf  der  linken  Seite 
des  Mundbodens  eine  starke  Schwellung,  welche  sich  auf  die  vordere 
Partie  der  Zunge  erstreckte.  Sprache  unverständlich,  starker  Speichel- 
fluss.  Nach  Entleerung  von  Eiter  aus  der  Geschwulst  findet  sich  in 
der  Tiefe  ein  grosser  Stein  mit  runder  Oberfläche  von  2  cm  Länge, 
1^2  cm  Dicke  und  Breite  und  1,28  g  Schwere.  Derselbe  bestand  aus 
phosphorsaurem  Kalk.  Der  Stein  sass  an  der  Vereinigungsstelle  von 
Ductus  Warthonianus  und  Ductus  Bartolini,  mehr  in  ersterem. 

Nach  2  Jahren  die  gleichen  Erscheinungen;  abermals  Entfernung 
eines  ganz  ähnlichen  Steines. 

506.    Kretschmann,    Magdeburg.      Halsbeschwerden    verursacht    durch    Er- 
krankung der  Drtlsen  des  Mundbodens.  Arch.  f.  Laryngol.,  Bd.  XIX,  H.  1. 

E.  fasst  die  Ergebnisse  seiner  Abhandlung  in  folgende  Sätze  zu- 
sammen: 1)  Für  mannigfache  Halsbeschwerden  findet  sich  nicht  selten 
als  Ursache  eine  pathologische  Veränderung  der  Speicheldrüsen  des 
Mundbodens.  2)  Die  Veränderung  ist  meistenteils  entzündlicher  Natur, 
seltener  handelt  es  sich  um  einfache  Sekretstauung.  3)  Die  Diagnose 
beruht  auf  Vergrösserung  und  Empfindlichkeit  des  Organs,  welche  sich 
mittelst  bimanueller  Palpation  leicht  feststellen  lässt.    4)  Die  wirksamste 

Zeitachriffc  f&r  Ohrenheilkonde.  Bd.  UV.  13 


194     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

Behandlung   der  Erkrankung  bildet  die  bimanuelle  Massage  des  Mund- 
bodens und  der  Drüsenkörper.  von  Eicken. 

507.   Pappenheim,  M.    Isolierter   halbseitiger  Zungenkrampf.    Ein   Beitrag 
zur  Jackson  sehen  Epilepsie.   Wiener  klin.  Wochenschrift,  Nr.  6,  1907. 

Bei  geöffnetem  Munde  sah  man  die  Zunge  sich  30 — 70  mal  in 
der  Minute  in  der  Richtung  von  links  hinten  nach  rechts  vorne  hin 
und  her  bewegen.  Die  Dauer  eines  Anfalles  schwankte  zwischen  10  Sek. 
und  1  Minute.  Synchron  mit  diesen  Zuckungen  trat  eine  Abflachung 
des  rechten  Zungengrundes  und  eine  Verschmälerung  der  rechten 
Zungenhälfte  ein;  gleichzeitig  waren  rhythmische  Kontraktionen  vor- 
handen ,  die  den  vom  Unterkiefer  zum  Zungenbein  ziehenden  Muskeln 
entsprechen.     Auf  Brom  gingen  die  Erscheinungen  zurück. 

Verf.  glaubt,  dass  es  sich  um  eine  kortikale  Epilepsie  in  folge 
der  toxischen  Wirkung  des  Alkohols  handelt.  Wann  er. 

•508.  Weisz,  M.,  Heilanstalt  Alland.  Die  Kombination  von  Milchsäurebehandlung 
und  Sonnenbelichtung  bei  einem  tuberkulösen  Geschwüre  der  Unter- 
lippe.    Wiener  klin.  Wochenschrift,  Nr.  46,  1906. 

In  der  linken  Hälfte  der  Unterlippe  nahe  dem  Mundwinkel  befand 
sich  ein  zirka  linsengrosses  Geschwür.  Dasselbe  wurde  3  Monate  nach 
dem  Auftreten  zirka  2  Monate  lang  mit  20  ^Jq  Milchsäure  ohne  wesent- 
lichen Erfolg  behandelt.  Nach  einer  Pause  von  3  Monaten  abermals. 
Betupfen  zuerst  mit  25  ^Jq,  dann  mit  50  ^/^  Milchsäurelösung.  Zuletzt 
ausserdem  Belichtung  durch  Sonnenlicht,  im  ganzen  80  Stunden  lang; 
darauf  vollständige  Vernarbung  des  Geschwürs.  Wann  er. 


r 


Berichte  ttber  otologische  Oesellschafteu. 

Bericht  über  die  Verhandlungen  des  Dänischen 
oto-laryngologischen  Vereins. 

Von  Dr.   Jörgen  Möller   in  Kopenhagen. 

42.  Sitzung  vom  24.  Oktober  1906. 

1.  E.  Schmiegelow  zeigte  einen  Rhinolithen  vor,  den  er  aus 
der  Nase  eines  7 4 jähr.  Mannes  entfernt  hatte.  Patient  hatte  seit  10 
bis  20  Jahren  eine  stinkende  Naseneiterung,  die  seine  Angehörigen  in 
hohem  Grade  helästigte.  Das  Konkrement  war  so  fest  eingekeilt,  dass 
es  nur  in  Narkose  entfernt  werden  konnte. 

3.  P.  Tetens  Hald:  Vergrösserung  des  spezifischen  Ge- 
wichts des  Eiters  hei  der  akuten  Mittelohreiterung  als 
Indikation  zur  Aufmeisselung  des  Warzenfortsatzes. 

H.  bespricht  die  Fehlerquellen,  welche  der  von  af  Forseiles 
angegebenen  Methode  anhaften  und  erwähnt  verschiedene  Gründe,  wes- 
halb es  nicht  zu  erwarten  sei,  dass  die  Methode  für  die  Indikations- 
stellung von  Bedeutung  sei.  (Der  Vortrag  wird  anderswo  in  extenso 
veröffentlicht.) 

Diskussion: 

Schmiegelow  hat  auch  gegen  die  besprochene  Methode  ein  ge- 
wisses Misstrauen  gehegt  und  spricht  seine  Freude  aus,  dass  Dr.  Hald 
die  Fehlerquellen  so  genau  angegeben  hat.  Er  hat  selbst  einen  Fall 
gesehen,  wo  das  spezifische  Gewicht  niemals  höher  als  1030  war,  wo 
aber  bei  der  Operation  der  Warzenfortsatz  in  hohem  Grade  destruiert 
gefunden  wurde  und  mit  Eiter  und  Granulationen  gefüllt  war.  Übrigens 
erscheinen  ihm  die  gewöhnlichen  Anhaltspunkte  für  die  Indikations- 
stellung  ausreichend. 

Blegvad  macht  einige  die  physikalischen  Verhältnisse  betreffende 
Bemerkungen. 

Grönbech  hat  die  Methode  nicht  versucht,  indem  er  meinte, 
man  gewänne  erst  bei  der  Operation  das  rechte  Material  zur  Bestimmung 
des  spezifischen  Gewichts  des  Eiters. 

13* 


196    Bericht  über  die  Verhandlungen  des  Dänischen  oto-laryngol.  Vereins. 

43.  Sitzung  Tom  38.  November  1906. 

1.  Buhl:  Fall  von  primärem  Lnpus  der  Schlnnd- 
schleimbaut. 

Eine  47  jähr.  Frau,  deren  Mutter  an  Lungenphthise  gelitten  hatte, 
kam  Yor  6  Wochen  wegen  Schwerhörigkeit  zur  Behandlung;  von  Seiten 
des  Schlundes  niemals  krankhafte  Symptome.  An  der  rechten  Seite 
des  Gaumensegels  fand  man  ein  etwa  2  cm  grosses,  oberflächliches  Ge- 
schwür von  körnigem  Aussehen;  in  der  Umgegend  vereinzelte  Knötchen. 
An  der  Gesichtshaut  sowie  in  der  Nasenhöhle  nichts  Krankhaftes. 
Mikroskopische  Untersuchung  noch  nicht  vorgenommen. 

3.    Oottlieb  Xjaer:  Primärer  Krebs  des  Epipharynx. 

Ein  64 jähr.  Arbeiter  war  schon  längere  Zeit  schwerhörig,  hatte 
ferner  rechts  starkes  pulsierendes  Klopfen,  jetzt  auch  bisweilen  lanzi- 
nierende  Schmerzen.  Bei  der  Rhinoskopia  posterior  sieht  man  am 
Rachendach  ein  flach  -  erhabenes ,  unreines  Geschwür  mit  höckerigem 
Rande.  Ein  Stückchen  wird  zur  Mikroskopie  entfernt;  dieselbe  ergab: 
In  den  Spalträumen  reichlicher  Auswuchs  grosser,  polygonaler  Zellen, 
hie  und  da  geht  das  Epithel  zapfenförraig  in  die  Tiefe.  Durch  Röntgen- 
bestrahlungen hat  sich  das  Geschwür  jetzt  etwas  gereinigt. 

5.   Gottlieb  Ejaer:    Rhinoplastik. 

Vorstellung  eines  25  jähr.  Mädchens,  an  dem  im  19.  Jahre  Rhino- 
plastik durch  Herabdrehen  eines  Stirnlappens  vorgenommen  war;  das 
kosmetische  Resultat  war  kein  gutes,  an  der  Stelle  der  äusseren  Nase 
sass  ein  weicher,  abgeplatteter  Hautlappen,  der  nait  den  Umgebungen 
fast  völlig  verwachsen  war,  nur  rechts  bestand  eine  ganz  feine  Öffnung, 
durch  die  das  Wasser  beim  Ausspülen  des  Nasenrachens  hervorsickert. 
Übrigens  ist  auch  die  Oberlippe  durch  die  Narbenbildung  etwas  evertiert. 
Eine  Prothese  hätte  sicher  ein  weit  besseres  Resultat  gegeben. 

44.  Sitzung  yom  17.  Dezember  1906. 

2.  E.  Schmiegelow :  Akute  linksseitige  Mittelohreiter- 
ung. —  Sinusthrombose.  —  Operation.  —  Unterbindung 
der  Vena  jugularis.  —  Exitus. 

Ein  1  ^/4  Jahr  altes  Kind,  das  9  Monate  vorher  vorübergehenden 
Ohrenfluss  gehabt,  war  jetzt  seit  8  Tagen  krank,  Erbrechen,  Speise- 
verweigerung,  Ausfluss  stinkenden  Eiters  Fluktuierende  Schwellung 
über  dem  linken  Warzenfortsatz.  Bei  der  Operation  grosser  subperiostaler 
Abszess,  Knochen  von  Eiter  durchtränkt,  weich;  perisinuöser  Abszess, 
Sinuswand  durchulzeriert ,  Sinus  selbst  von  zerfallenden,  puriformen 
Thrombenmassen  gefüllt.  Die  Vena  jugularis  wird  doppelt  unterbunden 
und  durchgeschnitten,  der  Sinus  bis  zur  Gegend  des  Torcular  Herophili 
ausgeräumt.  —  Schon  an  demselben  Abend  Exitus.  —  Thrombenmassen 
bakteriologisch  steril. 


Bericht  ober  die  VerhandluDgen  des  D&nischen  oto-larjDgol.  Vereins.     197 

45.  Sitznn^  Tom  23.  Januar  1907. 

1.  E.  Schmiegelow  stellte  zwei  Patienten  vor: 

a)  Einen  68 jähr.  Mann  mit  riesigem  Papilloma  nasi  villosum. 
Die  linke  Nasenhälfte  sowie  die  Kieferhöhle  von  blassroten  Geschwulst- 
massen  ausgefüllt,  sodass  man  nach  Umschneiden  der  Nase  und  Spaltung 
der  Oberlippe  die  vordere  Kieferhöhlenwand  und  den  Proc.  nasalis 
resezieren  musste.  Die  gesamte  Geschwalstmasse  wog  78  gr.  Mikroskopie: 
villöses,  von  Zylinderepithel  bekleidetes  Papillom. 

b)  Einen  45 jähr.  Mann  mit  rechtseitigem  Hirnabszess. 
Epiduraler  Abszess  in  der  mittleren  Schädelgmbe.  Dura  fistulös  durch- 
brochen und  im  Gehirn  ein  4  cm  grosser  Abszess  mit  stinkendem  Eiter. 
Heilung. 

2.  Holger  Mygind  leitete  eine  Diskussion  über  die  Indikationen 
zurAufmeisselungdes  Warzen  forts  atz  es  bei  akuter  Mittei- 
ohreiterung  ein.  (Wird  im  Archiv  für  Ohrenheilkunde  in  extenso 
veröffentlicht  werden.) 

Diskussion: 

Schmiegelow  hat  bei  seinem  wesentlich  aus  Privatpatienten  be- 
stehenden Material  eine  geringere  Mortalität  (3  ^/q),  indem  er  unter 
150  während  der  letzten  5  Jahren  behandelten  akuten  Eiterungen  nur 
4  Todesfälle  hatte. 

Bei  vorhandenen  Hirnsymptomen  muss  man  gleich  Totalaufmeisselung 
Tomehmen,  doch  kann  man  bei  Kindern  bisweilen  auch  ohne  Auf- 
meisselung  auskommen.  Seh.  empfiehlt  —  namentlich  für  Landärzte  — 
die  Wildeschelnzision,  bei  der  die  Blutung  tatsächlich  oft  günstig  wirkt. 

Unter  den  150  Fällen  von  Seh.  wurde  81  mal  Mastoidoperation 
vorgenommen;  in  18  dieser  Fälle  bestand  kein  Ohrenfluss,  trotzdem 
fand  man  bei  allen  18  Einschmelzung  der  Zellen.  In  13  Fällen  hatte 
die  Eiterung  zur  Schädelhöhle  den  Weg  gefunden,  in  7  dieser  Fälle 
war  das  Trommelfell  intakt.  In  8  der  operierten  Fälle  war  der  Warzen- 
fortsatz bei  der  äusseren  Untersuchung  völlig  gesund. 

Bentzen  meint,  es  sei  eher  die  im  späteren  Verlauf  der  Mastoiditis 
auftretende  diffuse  Infiltration  des  Warzenfortsatzes  als  die  am  7.  bis 
10.  Tage  auftretende,  die  die  Operation  indiziert;  er  hat  mindestens 
4  Fälle  gesehen,  wo  Patienten  wegen  diffuser  Schwellung  zur  Auf- 
meisselung  eingeliefert  wurden  und  wo  die  Infiltration  durch  Aussaugen 
des  Eiters  aus  dem  Gehörgange  zum  Schwinden  gebracht  wurde. 

Yald.  Klein  macht  einige  praktische  Bemerkungen. 

Mygind:  Die  Wilde  sehe  Inzision  wirkt  sicher  nur  als  rein 
exspektative  Behandlung.  M.  ist  dessen  nicht  sicher,  ob  man  bei  endo- 
kraniellen  Komplikationen  die  einfache  oder  die  Totalaufmeisselung  vor- 
nehmen soll ;  bei  der  Meningitis  kann  man  sich  wohl  mit  dex  einfachen 
Aufmeisselung  begnügen,  während  man  bei  Hirnabszess  Totalaufmeisselung 
vornehmen  muss. 


198     Bericht  über  die  16.  Versaminl.  der  Deutsch,  otol.  Gesellschaft  in  Bremen. 

Bericht  über  die  sechszehnte  Versammlung  der 

Deutschen  otologischen  Gesellschaft  in  Bremen 

am  17.  und  i8.  Mai  1907. 

Von    Dr.   J.   Hogener    in   Heidelberg. 

Die  Versammlung  fand  unter  dem  Vorsitz  von  Herrn  Passow- Berlin 
statt.  Sie  wurde  eröffnet  durch  Begrüssungsansprachen  der  anwesenden  Vertreter 
des  Hohen  Senates,  der  Bremischen  Medizinalbehörden,  des  Bremer  Ärzte- 
vereins und  des  Herrn  Kollegen  Wink  1er,  der  zusammen  mit  Herrn  Noltenius 
die  Gesellschaft  nach  Bremen  eingeladen  und  alles  in  vortrefflichster  Weise 
vorbereitet  hatte.  Nachdem  der  Vorsitzende  für  die  warmen  Begrüssungs- 
worte  herzlich  gedankt  hatte,  begann  der  wissenschaftliche  Teil  mit  der  Be- 
sprechung der  beiden  Keferate,  die  bereits  vorher  den  Mitgliedern  zugestellt 
worden  waren. 

1.  Hr.  A.  Hartmann  (Berlin):  Kommissionsbericht  Über  die  Methode 
der  Ohruntersuchung  bei  Schulkindern. 

Die  Untersuchung  auf  Schwerhörigkeit  kann  in  eine  Voruntersuchung 
und  eine  ohrenärztliche  Untersuchung  zerfallen.  Die  letztere  hat  den  Zweck, 
den  Grad  der  Schwerhörigkeit,  die  Ursache,  die  Art  der  Erkrankung  und 
die  Möglichkeit  der  Heilung  festzustellen.  Etwa  die  Hälfte  der  Schwer- 
hörigen kann  durch  rechtzeitige  Behandlung  gebessert  oder  geheilt  werden. 
Die  Prüfung  der  Schwerhörigkeit  erfolgt  durch  beliebige,  in  flüsterndem  Tone, 
ohne  besondere  Betonung  gesprochene  Worte.  Das  nicht  geprüfte  Ohr  muss 
von  einer  dritten  Person  verschlossen  werden.  Die  Kinder  sind  einzuteilen 
in  stark  schwerhörige,  wenn  sie  auf  dem  besser  hörenden  Ohre  ^/2  m  weit 
und  weniger,  in  mittelstark  schwerhörige,  ^/o — 3  m  weit,  leicht  schwerhörige, 
wenn  sie  3— 8  m  weit  Flüsterstimme  hören.  —  Die  Aufgabe  der  Schule 
bezüglich  der  schwerhörigen  Kinder  wird  erörtert  und  ein  besonderer  Personal- 
bogen für  Schwerhörige  empfohlen. 

Diskussion:  Hr.  Wanner  (München)  empfiehlt  die  Untersuchungen 
nach  akuten  Infektionskrankheiten  zu  wiederholen.  —  Hr.  Siebenmann 
(Basel)  schlägt  vor  bei  ungenügender  Assistenz  den  Gehörgang  mit  feuchter 
Watte  zu  verschliessen. 

Die  Versammlung  beschliesst,  Abdrücke  dieses  Koramissionsberichtes  an 
die  Oberschulbehörden  der  Bundesstaaten  zu  übersenden. 

2.  Hr.  Kümmel  (Heidelberg):  Über  die  Bakteriologie  der  akuten 
Mittelohrentzündung. 

Die  zahlreichen  bisherigen  Untersuchungen  des  Sekretes  bei  akuten 
Mittelohrentzündungen  ermöglichen  wegen  der  Ungleichart igkeit  des  aus- 
gewählten Materials  und  der  angewendeten  Methoden  bisher  noch  kein  ab- 
schliessendes Urteil  über  die  relative  Häufigkeit  der  einzelnen  Entzündungs- 
erreger; neue  Untersuchungen  mit  gleichartiger  Methodik  etc.  sind  deshalb 
wünschenswert.  Nach  einem  Bericht  über  das,  was  von  der  Bakterienflora 
des  Gehörgangs,  der  Tube  und  der  Paukenhöhle  im  normalen  Zustande  be- 
kannt ist,  gibt  K.  die  Resultate  der  Untf^rsuchungen  wieder,  die  Süpfle  im 
Heidelberger  hygienischen  Institut  an  fast  200  Otitisföllen  der  Heidelberger 
Ohrenklinik   angestellt   hat.     Neben  14  Fällen   von   sterilem  sog.  Transsudat 


Bericht  über  die  16.  Versamml.  der  Deutsch,  otol.  Gesellschaft  in  Bremen.     199 

and  13  Fällen,  in  denen  das  Sekret  von  Otitiden  im  Frahstadium  akuter 
allgemeiner  Infektionskrankheiten  sich  steril  erwies,  wurden  in  144  Fällen 
Mikroorganismen  gefunden.   Referent  stellt  daraufhin  folgende  Schlussätze  auf: 

1.  Von  den  im  Referat  wiedergegebenen,  in  Heidelberg  beobachteten 
Mittelohrentzündungen  waren  rund  66  ^/q  durch  Streptoc.  pyogenes,  rund 
17 '^'o  durch  den  Str.  lanceolatus,  rund  11  ^/^  durch  den  Str.  mucosus, 
schliesslich  rund  6  ®.  ,^  durch  den  Microc.  pyogenes  aureus  und  albus  hervor- 
gerufen. Die  durch  Bact.  pyocyaneum  verursachten  Otitiden  sind  nicht  ganz 
einwandsfrei. 

2.  Eine  ähnliche  Verteilung  der  Entzündungserreger  darf  nicht  ohne 
weiteres  als  gültig  für  andere  Gegenden  und  andere  Zeiten  angesehen 
werden.  Jedoch  ist  das  in  der  Literatur  zumeist  betonte  starke  Überwiegen 
der  Otitiden  mit  Str.  lanceolatus  wahrscheinlich  dadurch  bedingt,  dass  von 
diesen  die  beiden  anderen  Streptokokkeuarten  nicht  immer  mit  genügender 
Schärfe  bakteriologisch  gesondert  wurden,  speziell  der  Str.  mucosus  den 
meisten  früheren  Untersuchern  noch  nicht  bekannt  sein  konnte. 

3.  Der  grösste  Teil  der  Lanceolatus-Otitiden  entfällt  auf  die  ersten 
beiden,  vor  allem  das  erste  Lebensdecennium ,  die  aber  auch  an  den  Fällen 
mit  Str.  pyogenes  besonders  stark  beteiligt  sind. 

4.  Der  Verlauf  der  Otitis  hängt  von  der  Natur  der  ursächlichen  Ent- 
zündungserreger insofern  ab,  als  die  Otitiden  mit  Microc.  pyog.  aureus  und 
albus  nie,  die  mit  Streptoc.  lanceolatus  nur  selten  und  unter  ganz  besonderen 
Umständen,  fast  immer  dann  im  kindlichen  Alter,  eine  Operation  notwendig 
machen.  Bei  den  Otitiden  mit  Str.  pyogenes  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  dass 
ein  Eingriff  notwendig  wird,  etwa  1:3,  bei  denen  mit  Str.  mucosus  etwa  1:1. 

5.  Die  Staphylokokkenotitiden  neigen  dagegen,  soweit  das  kleine 
Material  Schlüsse  erlaubt,  ein  wenig  zu  verschlepptem  Verlauf,  und  es  ist 
möglich,  dass  die  häufige  Beimengung  der  Staphylokokken  zu  anderen  Ent- 
zündungserregern bei  verschleppten  Otitiden  an  dieser  Verlaufsart  die  Schuld 
tragt.  Wahrscheinlicher  ist  allerdings,  dass  bei  einem  aus  anderer  Ursache 
verschleppten  Verlaufe  die  Staphylokokken  als  Saprophyten  in  das  Sekret 
der  Otitis  einwandern. 

6.  Chronischwerden  einer  akuten  Otitis  ist  jedenfalls  keine  not- 
wendige Folge  der  Anwesenheit  von  Staphylokokken  in  dem  Si'kret. 

7.  Der  den  Otitiden  mit  Str.  lanceolatus  von  vielen  Seiten  zugeschriebene 
*cyklische  Ablauf«  konnte  nur  bei  solchen  Fällen  beobachtet  werden,  die 
Beben  der  Otitis  noch  anderweitige  Lokalisationen,  wahrscheinlich  des  gleichen 
Entzündungserregers,  zeigten. 

8.  Dem  Str.  mucosus  scheint,  auch  nach  den  Erfahrungen  anderer, 
eine  grosse  Fähigk.eit  zu  Knochenzerstörungeu  zuzukommen,  die  nicht  selten 
erst  relativ  spät  in  die  Erscheinung  treten,  manchmal  trotz  Ausheilung  der 
Otitis  selbst.  Diese  Eigentümlichkeit  ist  von  früheren  Untersuchern  dem 
Str.  lanceolatus  wohl  irrtümlich  zur  Last  gelegt  worden,  weil  sie  ihn  nicht 
von  dem  Str.  mucosus  differenzieren  konnten. 

9.  Die  Verlaufsweise  hängt  aber  nicht  allein  von  der  Art  der  Ent- 
zündungserreger ab,  sondern  auch  von  Eigentümlichkeiten,  die  im  Patienten 
selbst  liegen,  die  uns  aber  nur  zum  kleinsten  Teil  bekannt  sind. 

10.  Eine  dieser  Eigentümlichkeiten  ist  die  individuelle  Beschaffenheit 
der  Verbindung  zwischen  Epitympanum  und  Mesotympanum :  eine  freie  Ver- 
bindung zwischen  beiden  gibt  bessere  Aussichten  auf  Heilung  der  Otitis  ohne 


200     Bericht  über  die  16.  Versamml.  der  Deutsch,  otol.  Gesellschaft  in  Bremen. 

chirurgisches  Eingreifen.  Dei  Unterschied  in  der  Verlaufsweise  der  sog.  epi- 
und  mesotyropanalen  Otitiden  tritt  am  deutlichsten  bei  den  Fällen  mit  Str. 
pyogenes  hervor,  insofern  fast  alle  zur  Operation  gelangenden  Fälle  den  epi- 
tympanalen Typus  aufweisen.  Eine  sichere  pathologisch-anatomische  Unterlage 
für  diese  Sonderung  fehlt  aber  bisher. 

11.  Ausserdem  scheint  es,  als  ob  der  Invasionsweg  der  EntzOndnngs- 
erreger,  je  nachdem  eine  salpingogene  oder  hämatogene  Otitis  vorliegt,  die 
Yerlaufsweise  insofern  beeinflusst,  als  die  hämatogenen  Infektionen  mehr  das 
Bild  einer  schweren  Allgemeinerkrankung  darbieten  und  dabei  auch  leichter 
die  Hohlräume  des  Warzenfortsatzes  intensiv  miterkranken.  Unsere  Kennt- 
nisse in  bezug  auf  die  Invasionswege  der  Entzündungserreger  bei  Otitis  sind 
aber  noch  unzureichend. 

12.  Sog.  sekundäre  Otitiden  können  anscheinend  manchmal  zunächst 
ohne  Beteiligung  von  Mikroorganismen,  also  wahrscheinlich  durch  toxische 
Einwirkungen  entstehen,  entweder  ohne  Dazutreteu  von  organisierten  Ent- 
zündungserregern rasch  ausheilen  oder  nachträglich  mit  solchen  infiziert  werden 
und  dann  wie  andere  Otitiden  verlaufen. 

3.  Herr  Denker  (Erlangen) :  über  bakteriologische  Untersuchungen  bei 
akuter  Mittelohreiterung. 

D.  hat  das  dem  eröffneten  Proc.  mastoideus  entnommene  Sekret  von 
29  in  seiner  Klinik  operierten  akuten  Warzenfortsatzempyemen  im  Erlanger 
bakteriologischen  Institut  sorgfältig  untersuchen  lassen.  Das  Ergebnis  der 
Untersuchungen  war  folgendes:  Als  Eitererreger  wurden  gefunden  der 
Streptococcus  pyogenes  in  62,1  ®/q,  der  Streptococcus  mucosus 
in  13,8  ®/q,  der  Staphylococcus  pyogenes  in  17,2  ®/^,  gram- 
beständige Diplokokken,  die  sich  nach  ihren  Eigenschaften  weder 
unter  die  Streptokokken,  noch  unter  die  Staphylokokken  einreihen  Hessen,  in 
6,9%  der  FäUe. 

Der  Diplococcus  pneumoniae  fehlte  gänzlich,  obgleich  unter 
den  Operierten  sich  9  Kinder  befanden. 

Verglichen  mit  den  Kümmel-Süpf leschen  Resultaten  zeigt  sich, 
dass  die  Häuügkeit  des  Vorkommens  von  Streptococcus  pyogenes  und 
Staphylococcus  mucosus  bei  beiden  üntersuchuugsreihen  fast  die 
gleiche  ist. 

Der  Staphylococcus  pyogenes  wurde  in  Erlangen  annähernd 
doppelt  so  häufig  als  in  Heidelberg  festgestellt. 

Sehr  auffallend  ist  das  Fehlen  von  Pneumokokken  in  D.s  Fällen,  die 
bisher  besonders  bei  Kindern  als  häufig  vorkommende  Eitererreger  angesehen 
wurden.  Auch  Kümmel-Süpfle  fanden  sie  noch  in  18,61%  sämtlicher 
von  ihnen  untersuchten  Sekretproben.  Wenn  man  aber  bei  den  Heidelberger 
Untersuchungen  nur  die  Resultate  in  Betracht  zieht,  welche  gewonnen  wurden 
ausschliesslich  bei  dem  dem  Warzenfortsatz  entnommenen  Eiter,  so  ergibt 
sich,  dass  auch  dort  nur  in  2  Fällen  Pneumokokken  gefunden  wurden. 

Und  in  diesen  beiden  Fällen,  welche  an  Meningitis  zu  Grunde  gingen, 
wurden  in  der  Lumbalpunktionsflüssigkeit  resp.  im  Drüsenabszesseiter  auch 
Streptokokken  gefunden. 

In  gleicher  Weise  geht  demnach  aus  den  Heidelberger  und  Erlanger 
Untersuchungsergebnissen  hervor,  .dass  der  Diplococcus  pneumoniae 
bei  akuten  Warzenfortsatzempyemen  nur  in  seltenen  Fällen 
als  der  eigentliche  Krankheitserreger  angesehen  werden  darf» 


Bericht  über  die  16.  Versamml.  der  Deutsch,  otol.  Gesellschaft  in  Bremen.     201 

4.  Herr  Fr.  Kobrak  (Breslaa):  Erreger  und  Wege  der  Infektion  bei 
der  akuten  Otitis  media. 

K.  fasst  die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen  in  den  folgenden  Schluss- 
sätzen zusammen. 

1.  Die  Entwicklung  der  im  Mittelohr  zur  Invasion  gelangten  Erreger 
kann,  ebenso  wie  klinisch  in  einer  mehr  oder  weniger  prägnant  charakteri- 
sierten Allgemeinreaktion,  bakteriologisch  im  Verhalten  des  Blutes  zum  Aus- 
druck kommen.  Positive  Blutbefunde  zeigen  nur  solche  Fälle,  in  denen  aus- 
geprägte Allgemeinerscheinungen  den  Mittelohrprozess  begleiten. 

2.  Im  Blute  sind  die  Erreger  selbst  nur  in  einem  kleinen  Prozentsatz 
auch  der  schweren  Fälle  nachweisbar.  Die  Fälle  mit  positivem  Blutbefund 
sind  durch  einen  mehr  oder  weniger  pyämischen  Verlaufstypus  charakterisiert. 
Am  häufigsten  sind  bei  Otitiden,  welche  durch  Strept.  longus  bedingt  sind, 
nur  ausnahmsweise  bei  Infektionen  mit  Strept.  mucosus,  Pneumococcus  oder 
Staphylococcus  aureus,  die  Erreger  in  der  Blutbahn  nachzuweisen. 

3.  Nur  bei  einer  verhältnismäfsig  kleinen  Anzahl  akuter  Mittelohr- 
entzündungen ist  eine  deutliche  Serumreaktion  —  Agglutination  der  aus  dem 
Ohrsekret  gezüchteten  Erreger  durch  das  Serum  der  Kranken  —  nachweisbar. 
Das  Agglutinationsphänomen  stellt  sich  besonders  bei  Pneumokokkenotitiden 
ein.  Es  scheint  zur  Schwere  der  Infektion  und  zur  zyklischen  Form  des 
Erankheitsablaufs  in  Beziehung  zu  stehen.  Andere  Serumreaktionen  waren 
bisher  im  Serum  der  von  akuter  Mittelohrentzündung  betroffenen  Individuen 
nicht  nachweisbar. 

4.  Tiervirulenz  der  Erreger  der  Mittelohrentzündung  und  Schwere  der 
durch  die  Erreger  hervorgerufenen  Infektion  beim  befallenen  Individuum  zeigen 
kein  korrespondierendes  Verhalten. 

5.  Unter  den  Verlaufsformen  der  akuten  Mittelohrentzündung  scheint, 
nach  Mafsgabe  der  bisher  gewonnenen  Befunde,  die  zyklische  Form  am 
häufigsten  durch  den  Pneumococcus,  eine  mehr  protrahierte  (meist  pyämisch- 
septische)  Form  überwiegend  durch  den  Strept.  longus  und  eine  »Intervall- 
form« durch  den  Strept.  mucosus  bedingt  zu  sein.  Diese  letztere  Form,  bei 
der  zwischen  der  ersten  Attacke  der  Otitis  media  und  der  später  zutage 
tretenden  Komplikation  kein  kontinuierlicher  Übergang  sich  vollzieht,  sondern 
ein  mehr  oder  weniger  freies  Intervall  liegt,  kommt  dadurch  zustande,  dass 
die  Infektion  die  Tendenz  hat,  im  Primärherde  entweder  unmittelbar  oder 
nach  wiederholten  Schüben  abzulaufen,  während  sie  in  den  Nachbargebieten, 
zunächst  latent  fortschreitet. 

6.  Die  Ergebnisse  der  bisherigen  bakteriologischen  Untersuchungen  recht- 
fertigen zunächst  folgende  praktische  Schlussfolgerungen: 

a)  Auch  Streptokokken-Bakteriämie  nach  akuter  Mittelohrentzündung 
scheint  —  nach  dem  bisherigen  Ergebnis  der  Untersuchungen  in  der  Hälfte 
der  Fälle  —  der  Heilung  zugänglich  zu  sein. 

b)  Bei  otogener  Sepsis  spricht  Abnahme  der  Kolonienzahl  im  Blut  und 
der  Hämolyse  durchaus  nicht  ohne  weiteres  für  eine  günstige;  schnelle  Zu- 
nahme der  Keimzahl  und  der  Hämolyse,  aber  immer  für  eine  ungünstige 
Prognose. 

c)  Mucosusbefunde  mahnen  zu  weiterer  Beobachtung  der  Kranken  auch 
nach  scheinbarem  Abklingen  der  ersten  Attacke  im  Mittelohr. 


202     Bericht  über  die  16.  Versamuil.  der  Deutsch,  atol.  Gesellschaft  in  Bremen. 

5.  Herr  H.  Neumann  (Wien) :  Zur  Bakteriologie  der  aicuten  Mittelohr- 
eiterungen. 

N.  hält  für  die  Entstehung  der  Komplikationen  bei  akuter  Otitis 
die  Art  der  ursächlichen  Eutzündungserreger  für  wenig  bedeutungsvoll,  misst 
vielmehr  der  pneumatischen  Struktur  des  Warzenfortsatzes  die  wesentliche 
Bedeutung  dafür  bei.  Dagegen  verschulden  die  Kapselkokken  wesentlich 
leichter  als  die  nicht  kapseltragenden  ein  Fortkriechen  des  Entzündungs- 
prozesses in  die  Umgebung,  und  insofern  erscheint  die  Art  der  Eutzündungs- 
erreger von  grosser  Bedeutung  für  den  Verlauf  dieser  Komplikationen. 

6.  Herr  Wittmaack  (Greifswald) :  Zur  Bakteriologie  der  akuten  Mittel- 
ohrentzündung. 

Die  durch  den  typischen  Diplokokkus  hervorgerufenen  Entzündungen 
verlaufen  am  schnellsten  und  leichtesten.  W^  betont  die  weit  grössere 
Häufigkeit  der  Mastoiditiden  bei  Mukosusinfektionen  und  die  Neigung  dieses 
Entzündungserregers,  Extraduralabszesse  u.  dgl.  zu  produzieren,  auch  wenn 
in  der  Paukenhöhle  die  Entzündung  relativ  leicht  abläuft,  hält  deshalb  seinen 
Nachweis  für  klinisch  sehr  wichtig.  Rotfärbung  der  Kapseln  mit  Thionin 
ermöglicht  oft  schon  ohne  Kultur  verfahren  die  Unterscheidung  des  Strept 
mucosus  vom  Lanceolatus  und  pyogenes. 

Diskussion  zu  2 — 6:  Herr  Scheibe  (München):  Während  froher 
bei  Aufmeisselungen  von  uns  der  Streptoc.  pyog.  in  der  Minderzahl  gefunden 
wurde,  ist  er  jetzt  fast  ausnahmslos  vorhanden.  Es  ist  also  mit  der  Zeit  ein 
Wechsel  eingetreten.  Seh.  wundert  sich,  dass  Kümmel  keinerlei  Influenza- 
bazillen gefunden  hat. 

Herr  Siebenmann  (Basel):  Kümmel  hat  gesagt,  dass  wir  mit  der 
Bakteriologie  der  Eiterungen  noch  nicht  weit  gekommen  sind.  Ich  glaube, 
dass  künftige  Forscher  die  Süpfle sehe  Arbeit  ebenso  verwerfen  werden,  wie 
Süpfle  es  mit  den  früheren  gemacht  hat.  Bis  zur  Gewinnung  einer  brauch- 
baren Grundlage  wird  noch  geraume  Zeit  vergehen.  S.  ist  bei  bakt.  Unter- 
suchungen in  seiner  Klinik  ebenfalls  ein  auffallender  Wechsel  in  der  Gruppe 
der  Streptokokken  aufgefallen,  je  nach  Jahren,  sogar  je  nach  dem  Assistenten, 
oder  Leiter  der  betreffenden  Untersuchungen. 

Herr  Leutert  (Giessen):  Ergibt  die  Blutuntersuchung  im  Jugularisblut 
positiven  Bakterienbefund,  während  Blut  aus  der  Armvene  keine  Bakterien 
enthält,  so  handelt  es  sich  um  Sinus-  resp.  Bulbuserkrankung. 

Herr  Win  ekler  (Bremen):  Der  Streptokokkus  liefert  die  schwersten 
Erkrankungen.  Er  ist  zu  gewissen  Zeiten  und  bei  gewissen  Epidemien  häufiger 
der  Erreger,  z.  B.  bei  Scharlach.  Bei  solchen  leicht  zu  allgemeiner  Sepsis 
führenden  Streptok.-Infektionen  empfiehlt  W.  ein  energisches  Vorgehen  mit 
Streptok. -Serum. 

Herr  R.  Hoffmann  (Dresden)  verfügt  über  Untersuchungen  von 
30  akuten  Empyemen  des  Warzenteils,  bei  der  Operation  entnommen.  Es 
fanden  sich  10  mal  Streptokokken,  9  mal  Staphylokokken,  8  mal  Diplokokken 
(7  mal  Fränkel),  1  mal  Strepto-  und  Staphylokokken,  1  mal  wahrscheinlich, 
Imal  sicher  Sterilität.     23  Fälle  waren  genuin,  7  sekundär. 

Herr  Joöl  (Görbersdorf ) :  Ihm  ist  gelungen  bei  typischen  tuberkulösen 
Mittelohrentzündungen  im  Anfang  stets  Tuberkelbazillen  nachzuweisen.  Später 
gelang  es  nicht  mehr. 


Bericht  über  die  16.  Versamml.  der  Deatsch.  otol.  Gesellschaft  in  Bremen.     203 

Herr  Da  hm  er  (Posen)  ist  nach  seinen  Erfahrungen  der  Ansicht,  dass 
sich  Zeit,  Gelegenheit  uad  Ort  wohl  vereinigen,  um  eine  besondere  Virulenz 
henrorzarafen.  Er  bespricht  einen  Fall,  bei  dem  es  sich  nach  seiner  Ansicht 
nach  dem  Lumbalpunktat  zuerst  um  Meningitis  serosa  handelte  und  nachher 
eine  typische  epidemische  Meningitis  einstellte. 

Herr  Eflmmel  (Heidelberg)  Schlusswort:  Es  hat  sich  ergeben,  dass 
Streptoc.  lanceol.  nur  in  ganz  besonderen  Fällen  zu  operativen  Komplikationen 
führt.  Das  Material  von  Eobrak  entstammt  nur  schweren  Fällen.  Das 
mikroskopische  Bild  hilft  nur  bei  einer  Anzahl  von  Fällen,  um  Mucosus- 
Befund  sicherzustellen,  oft  ffihrt  aber  nur  die  Kultur  zum  Ziele.  Die  Erfolge 
Wie  c  kl  er  s  mit  Streptokokken-Seri^m  sind  ermunternd.  Bei  den  Leutert- 
schen  Angaben  ist  noch  zu  fragen,  ob  es  sich  da  um  einen  vereinzelten  Be- 
fand handelt,  man  raüsste  sich  dann  vor  zuweitgehenden  Schlüssen  hüten, 
denn  die  im  Blute  kreisenden  Streptokokken  können  sehr  wohl  in  einer  Vene 
zahlreich,  in  der  andern  spärlich  sein. 

7.  Herr  Hermann  Dennert  (Berlin):  Akustisch-physiologische  Unter- 
suchungen, das  Gehörorgan  betreffend. 

Obgleich  sich  experimentell  zeigen  lässt,  dass  der  Schall  auf  allen  drei 
in  Frage  kommenden  Wegen,  dem  Paukenhöhlenapparat,  dem  Knochen,  speziell 
dem  Promontorium,  auch  dem  runden  Fenster  ins  Labyrinth  gelangt,  so  ist 
physikalisch  der  Paukenhöhlenapparat  am  zweckmäfsigsten  für  diese  Aufgabe 
TOD  der  Natur  entwickelt  und  kommt  ihm  auch  der  Hauptanteil  für  die 
Schallübertragung  zu.  In  bezug  auf  den  Modus  der  Schallübertragung  durch 
denselben  stehen  sich  zwei  Theorien  gegenüber,  die  molekulare  von  Job. 
Müller  und  den  vergleichenden  Anatomen  und  die  massale  von  Ed.  Weber. 
Die  Schallübertragung  auf  molekularem  Wege  macht  nach  den  vom  Verfasser 
mitgeteilten  Untersuchungen,  sobald  man  Resonatoren  im  Ohr  voraussetzt, 
keine  physikalischen  Schwierigkeiten,  da  die  Vibrationen  schwingender  Körper 
oder  Systeme  sich  vom  Orte  ihrer  Entstehung  mehr  oder  weniger  durch  jedes 
Medium  fortpflanzen  und,  wo  sie  auf  ihrem  Wege  auf  einen  Körper  gleicher 
Schwingungsperiode  mit  der  der  Erreger  der  Schwingungen  stossen,  diesen 
in  demselben  Sinne  erregen  müssen.  Die  Hauptschwierigkeit  liege  darin,  zu 
entscheiden,  ob  der  molekulare  Modus  der  einzig  mögliche  Weg  der  Schall- 
fibertragung  ist,  oder  ob  nicht  der  massale  Vorgang  der  zweckmäfsigere  sei. 
Dann  könnten  sich  auch  beide  Vorgänge,  der  molekulare  und  der  massale, 
miteinander  kombinieren.  Zur  Lösung  dieser  jedenfalls  schwierigsten  Aufgabe 
der  ganzen  Frage  der  Schallübertragung  wird  man  sich  zuerst  klar  werden 
müssen  über  das  Wesen  molekularer  und  massaler  Schwingungsvorgängo,  dann 
müsse  man  die  Wirkungen  molekular  und  massal  schwingender  Körper  und 
Systeme  auf  kleine  Flüssigkeitsmengen,  so  klein,  wie  sie  den  flüssigen  Inhalt 
des  Labyrinths  bilden,  studieren,  und  drittens  wird  es  sich  darum  handeln, 
diese  Wirkungen  auf  kleine  Flüssigkeiten  zu  deuten  und  für  die  in  Rede 
stehende  Frage  zu  verwerten.  Es  ist  dem  Vortragenden  nun  als  sehr  wich- 
tiges Ergebnis  der  Untersuchungen  durch  Beobachtung  der  Wirkungen  massal 
schwingender  Körper  und  Systeme  auf  kleine  Flüssigkeitsmengen  gelungen, 
ein  wohl  charakterisiertes.  Reagens  für  solche  Schwingungsvorgänge  zu  finden, 
das  je  nach  der  Wahl  schwingender  Körper  oder  Systeme  und  je  nach  der 
Bewegungsgrösse  und  der  Intensität  der  Schwingungen  derselben  ein  ver- 
schiedenes Verhalten  zeigt.  Durch  Verwertung  dieser  Momente  und  der 
objektiven  experimentellen  Wahrnehmungen  der  Wirkungen  der  Schwingungs- 


204     Bericht  über  die  16.  Versaraml.  der  Deutsch,  otol.  Gesellschaft  in  Bremen. 

Vorgänge  im  Tropfen  Flüssigkeit  auf  Resonatoren,  wie  die  kritische  Be- 
leuchtung der  Einrichtungen  im  Gehörorgan  für  diese  Frage  und ,  der  ein- 
schlägigen Beobachtungen  an  Ohrenkranken  kommt  er  zu  dem  Schlüsse,  dass 
die  massalen  Wirkungen  der  Schallbewegungen  in  bezug  auf  den  Hörakt 
accidentelle  Erscheinungen  sind,  die,  wenn  sie  von  grosser  Intensität  sind, 
auf  das  Ohr  schädlich  wirken,  bei  mäfsiger  Intensität,  wie  sie  gewöhnlich 
unser  Ohr  treffen,  durch  Einrichtungen  im  Ohr  eliminiert  werden.  Es  mass 
somit  die  Theorie  von  Ed.  Weber,  wonach  der  Vorgang  der  Schallüber- 
tragung ein  massaler  sei,  als  nicht  zu  Recht  bestehend  angesehen  werden; 
dagegen  sprechen  alle  Momente  dafür,  dass  der  normale  Vorgang  beim  Hören 
ein  molekularer  ist. 

8.  Herr  Karl  L  Schaefer  (Berlin):  Ober  neuere  Untersuchungen  zu- 
gunsten der  H el m h Ol tz sehen  Resonanzhypothese. 

Die  Helmholtz sehe  Resonanzhypothese  ist  in  den  letzten  Dezennien 
namentlich  auf  dem  Gebiete  der  sekundären  Klangerscheinungen  vielfach  leb- 
haft angegriffen  worden.  Vortr.  setzt  für  die  verschiedenen  Arten  der  sekun- 
dären Klangerscheinungen,  d.  h.  für  die  Schwebungen,  die  Kombi nationstöne, 
die  Variationstöne  und  die  ünterbrechungstöne,  im  einzelnen  auseinander,  von 
wem  und  welche  Einwände  gegen  Helmholtz  erhoben  wurden,  und  erörtert 
Punkt  für  Punkt  die  Gründe,  sowie  die  Beobachtungen,  die  zur  Entkräftung 
dieser  Einwände  ins  Feld  zu  führen  sind.  Redner  selbst  hat,  zumeist  im 
Verein  mit  0.  Abraham,  eine  Reihe  von  Untersuchungen  verschiedener 
Art  über  diesen  Gegenstand  ausgeführt  und  kommt  zu  dem  Resultate,  dass 
die  Resonanzhypothese  allen  erwähnten  Anfechtungen  Stand  hält. 

Diskussion:  Herr  Dennert. 

9.  Herr  Wagener  (Berlin):  Kristalle  und  Riesenzellenbildung  bei  Mittelohr- 
eiterungen. 

Bei  der  Ausheilung  von  Warzen fortsatzeiterungen,  die  ohne  Operation 
zur  Resorption  gelangen,  kommt  es  häufig  zur  Bildung  von  Cholestearin- 
kristallen  im  eingedickten  Eiter.  Um  diese  ordnet  sich  das  Bindegewebe  in 
bestimmter  Forn  an,  häufig  unter  Bildung  von  Riesenzellen.  Es  ist  dies  ein 
typischer  Heilungsvorgang  von  soj^enannten  Warzenfortsatzempyemen. 

Diskussion:  Herr  Siebenmann:  Bei  chronischer  Eiterung  speziell 
bei  Cholesteatom  sind  kleine  Epidermiseinschlüsse  von  Riesenzellen  umgeben 
häufig.  —  Herr  Manasse  hat  einen  ähnlichen  Vorgang  in  einer  vereiterten 
Kieferzyste  beobachtet.  —  Herr  Brieger:  In  Ohrpolypen  sind  umwachsene 
Kristalle  sehr  häufig. 

10.  Herr  Manasse  (Strassburg) :  Demonstration  eines  Falles  von  an- 
geborenem Defekt  der  Ohrmuschel. 

Es  handelt  sich  um  die  seltene  Missbildung  von  totaler  angeborener 
linksseitiger  Anotie ;  dabei  bestand  kongenitale  beiderseitige  Taubheit.  Genauere 
Untersuchung  steht  noch  aus. 

Diskussion:  Herr  Kretschmann  zeigt  die  Photographie  eines 
Falles  von  Ohrmissbildung  mit  Fazialislähmung. 

11.  Herr  Dahmer  (Posen):  Die  Trockenbehandlung  der  akuten  und 
chronischen  perforativen  Mittelohrentzündung. 

Ausführliche  Schilderung  der  verschiedenen  Arten  der  Behandlung  nach 
erfolgter  Perforation.  Er  lässt  einen  gestielten  Ohrtampon  einführen.  Dieser 
besteht   aus   einem  vorne  paraffinierten   Buchsbaumstäbchen,    das   mit   einem 


Bericltt  über  die  16.  VeTsammL  der  Deatsch.  otol.  Gesellschaft  in  Bremen.     205 

Gazestreifen  spiralig  so  umwickelt  Ist,  dass  vorne  ein  pinselartiges  Stück 
flbersteht.  Das  Stäbeben  wird  nach  Einführen  des  Tampons  herausgezogen. 
Die  Kapillarität  der  Gaze  soll  jede  Sekretansammlang  vermeiden. 

12.  Herr  Reichet  (Bremen):  Bericht  über  60  nach  Killians  Methode 
ausgeführte  Radikaloperationen  bei  Nebenhtthleneiterung. 

Er  erhielt  auf  Umfrage  bei  60  in  der  Nolteniusscfaen  Klinik  bisher 
nach  Killian  operierten  Patienten  von  50  Auskunft.  Eine  Anzahl  der  Fälle 
wird  vorgestellt.  R.  macht  darauf  aufmerksam,  dass  zur  Erlangung  durchweg 
guter  Erfolge  eine  reiche  Erfahrung  in  der  Technik  gehört.  Im  Anfang  be- 
friedigten deshalb  einige  Fälle  nicht,  leider  gelangten  auch  2  zum  Exitus 
durch  hinzugetretene  Meningitis.  Von  den  50  Patienten,  über  die  Auskunft 
zn  erhalten  war,  war  der  Erfolg  in  Bezug  auf  Kopfschmerzen  und  Sekretion 
bei  2  Patienten  nicht  befriedigend,  bei  14  leidlich  und  bei  34  sehr  gut. 
Doppeltsehen  trat  anfänglich  öfter  auf,  verschwand  aber  gewöhnlich  nach 
jiurzer  Zeit.  Deformationen,  die  bei  den  neueren  Operationen  vermieden 
werden  konnten,  machten  in  4  Fällen  Paraftininjektionen  erforderlich.  Es 
wird  eine  ziemlich  breite  (bis  1  cm  bei  grossen  Höhlen)  horizontale  Knochen- 
spange gebildet.  Noltenius  empfiehlt  noch  einige  andere  Modifikationen 
der  ursprünglichen  Killian  sehen  Vorschrift.  Nach  der  Operation  wird  ein 
abgebogenes  Glasdrain  eingelegt,  der  Hautschnitt  mit  Mi c heischen  Klammern 
geschlossen.     Zur  Narkose  wird  eine  kleine  Mundmaske  benutzt. 

Diskussion:  Herr  W i n c k  1  e r  (Bremen) :  Hält  eine  Universaloperation 
wie  die  Killiansche  in  einer  anatomisch  so  variabelen  Gegend  für  nicht 
richtig.  Er  hat  eine  osteoplastische  Operation  angegeben,  die  natürlich  auch 
Dicht  für  alle  Fälle  (z.  B.  breite  Ausdehnung  der  Orbitalzellen)  sich  eignet. 
(Demonstration  von  Tafeln.)  Die  Stirnhöhle  wird  dabei  nicht  verödet,  die 
Schleimhaut  ist  ja  nicht  das  Gefährliche,  sondern  die  Siebbeinzellen.  W. 
demonstriert  noch  eine  Patientin,  bei  der  akute  Nekrose  der  Kieferhöhle, 
beider  Stirnhöhlen,  oberer  und  unterer  Orbitalwand  einen  ausgedehnten  Ein- 
griff nötig  gemacht  hatten. 

Herr  Kretschmann  (Magdeburg)  empfiehlt  zur  Narkose  die  Intubation 
nach  Kuhn.  Er  hat  in  letzter  Zeit  die  erkrankte  Stirnhöhleuschleimhaut 
nicht  mehr  entfernt,  sondern  den  freigelegten  Sack  gespalten,  tamponiert  und 
Restitution  abgewartet  bei  möglichst  offener  Wundbehandlung. 

Herr  R.  Hoff  mann  (Dresden):  Die  Paraffinprothesen  sind  sehr  un- 
sicher. Bei  grosser  und  tiefer  Stirnhöhle  empfiehlt  er  temporäre  Resektion 
der  vorderen  Wand,  die  Winckl  ersehe  Methode  scheint  ihm  etwas  kompliziert. 

Herr  Voss  (Königsberg)  ist  mit  Killian  immer  ausgekommen,  selbst 
bei  sehr  ausgedehnten  Höhlen. 

Herr  Noltenius  (Bremen)  hält  die  Win  ekler  sehe  Operation  nicht 
für  eine  Verbesserung.  Die  Spange  muss  möglichst  breit  angelegt  werden, 
ist  die  Stirnhöhle  klein  wird  von  unten  ausgekratzt,  ist  sie  gross  auch  oben 
eröffnet.  Die  untere  Öffnung  muss  soweit  wie  möglich  sein.  Er  ist  stets  mit 
Killian  ausgekommen. 

Herr  E.Hopmann(Cöln)  empfiehlt  mit  Kretschmann  die  perorale  Tubage. 

Herr  Eschweiler  (Bonn)  hat  seine  Patienten  überredet,  sich  keine 
Paraffinprothesen  machen  zu  lassen. 

Herr  Pause  (Dresden)  empfiehlt  statt  der  peroralen  Tubage  durch  ein 
Nasenloch  zu  narkotisieren. 


206     Bericht  über  die  16.  VerBamnil.  der  Deutsch,  otol.  Gesellschaft  in  Bremen. 

Herr  Passow  (Berlin):  Je  weniger  man  von  aussen  operieren  mnss, 
um  so  besser.     Es  ist  zu  viel  von  aussen  operiert  worden. 

13.  Herr  ROpke  (Solingen):  über  die  Osteomyelitis  des  Stirnbeins  im 
Anschluss  an  StirnhOlileneiterung  und  Über  ihre  intracraniellen  Folge- 
erl(ranl(ungen. 

Die  Osteomyelitis  des  Stirnbeins  im  Anschluss  an  Stirnhöhleneiterung 
ist  eine  seltene  Erkrankung,  bis  jetzt  sind  nur  13  Fälle  in  der  Literatur 
beschrieben  worden.  Vortragender  berichtet  über  weitere  3  Fälle,  welche 
er  beobachtet  hat:  In  dem  ersten  Falle  (eine  23jährige  Dame)  wurde  der 
Osteomyelitisherd  durch  Abmeisselung  der  erkrankten  Partie  des  Stirnbeins, 
begrenzt.  Patientin  starb  an  Abszess  des  Stirnlappens,  der  leider  erst  im 
Terminalstadium  (nach  Durchbruch  in  den  Seiten  Ventrikel  ?)  operativ  eröffnet 
worden  war.  Der  Himabszess  hatte  sich  vor  der  Operation  des  durch 
Eiterretention  in  der  Stirnhöhle  entstandenen  Knochenprozesses  entwickelt. 
Der  zweite  Fall  betraf  einen  ebenfalls  23  Jahre  alten  Studenten:  die 
Infektion  der  abnorm  dicken  Diploöschicht  der  vorderen  Stirnhöhlenwand  war 
bei  dem  luetischen  Patienten  fünf  Wochen  nach  Abtragung  der  vorderen 
Wand  der  Stirnhöhle  erfolgt.  Breite  Abmeisselung  des  erkrankten  Stirnbeins 
auf  der  linken  Seite  bis  an  den  Haaransatz  (2  Operationen).  Tod  an 
Durchbruch  eines  rechtsseitigen  Stirnlappenabszesses  in  die  Meningen 
und  in  den  Seitenventrikel.  Der  Abszess  war  operativ  eröffnet  worden,  als 
er  sich  durch  Parese  des  linken  Facialis  und  der  linken  Extremitäten  aa- 
gedeutet  hatte.  Der  Abszess  hatte  eine  dicke  Abszessmembran,  nnd  seine 
Entstehung  war  nicht  mit  dem  auch  in  diesem  Falle  durch  die  Operation 
abgegrenzten  Osteomyelitisherd  in  Zusammenhang  zu  bringen.  In  dem  dritten 
Falle  (26  jähriger  Gelbgiesser)  war  der  Verlauf  günstig.  Die  Osteomyelitis 
beschränkte  sich  auf  die  beiderseitige,  eine  dicke  Diploeschicht  enthaltenden, 
vorderen  Stirnhöhlenwände. 

In  seinem  Resümee  verweist  Vortragender  auf  die  umfassenden  Arbeiten, 
welche  Schilling  (Zeitschrift  für  Ohrenheilkunde.  Bd.  48,  Supplementheft) 
und  Guisez  (Annales  des  mal.  de  Toreille,  1906,  p.  600)  über  diesen 
Gegenstand  veröffentlicht  haben. 

14.  Herr  Escilweiler  (Bonn):  Demonstration  von  Präparaten  der 
Sclileimliaut  bei  akuter  und  clironischer  NebenhifhIenentzUndung. 

15.  Herr  Brieger  (Breslau):    Zur  Patliologie  der  otogenen  Pyämie. 

Wandständige  Thrombosen  werden  zur  Erklärung  derjenigen  Fälle 
herangezogen,  in  denen  in  Sinus  und  Bulbus  ausgedehntere,  sog.  obturierende 
Thrombosen  vermisst  werden.  Sie  dürfen  aber,  selbst  dann,  wenn  ihr  Vor- 
handensein einwandsfrei  nachgewiesen  ist,  nicht  ohne  weiteres  für  Entstehung 
und  Fortdauer  der  Allgemeininfektion  verantwortlich  gemacht  werden.  Klinische 
Befunde  sind  nur  dann  beweisend,  wenn  die  Anwesenheit  eines  Thrombus 
nicht  aus  immer  unsicheren  Eindrücken  geschlossen,  sondern  in  dem  nach 
Meier-Whiting  abgeklemmten  Sinus  direkt  nachgewiesen  wird .  Anatomische 
Befunde  sind  einwandsfrei  nur  dann,  wenn  ein  Thrombus  von  solcher  Be- 
schaffenheit gefunden  wird,  dass  man  annehmen  kann,  er  habe  nicht  nur  den 
Eintritt  der  Bakterien  in  die  Blutbahn  vermittelt,  sondern  auch  die 
pyämische  Allgemeininfektion  weiter  unterhalten.  Man  begegnet  aber 
auch  in  Fällen  ganz  florider  metastasierender  Pyämie  Thromben  in  so  vor- 
geschrittener Organisation,  dass  sie  das  zum  Fortbestand  der  Allgemeininfektion 


Beriebt  Über  die  16.  Yersamml.  der  Deutscb.  otol.  Gesellscbaft  in  Bremen.     207 

Dötige  Infektionsmaterial  scbwerlich  liefern  könnten.  In  diesen  Fällen  mass 
mit  direkter,  d.  b.  nicbt  darcb  Tbromben  vermittelter,  Einfuhr  der  Erreger 
in  die  Blutbahn  gerechnet  werden  Für  diese  Vorstellung  sprechen  auch  die 
Bakterienbefunde  im  Blut.  Man  hat,  wenn  man  die  Ergebnisse  dieser 
Untersuchungen  bei  Pyfimie  nach  akuten  und  chronischen  Mittelohreiterungen 
vergleicht,  mit  der  für  die  Erklärung  des  klinischen  Bildes  der  sogenannten 
Osteophlebitis-Pyämie  wesentlichen  Möglichkeit  zu  rechnen,  dass  bei  ersteren 
Formen  nicht  aus  dem  Thrombus  immer  wieder  frisch  eingeschwemmte  Er- 
reger, sondern  in  der  Blutbahn  kreisende,  vielleicht  in  dieser  sich  verviel- 
fältigende Erreger  die  Hauptrolle  spielen.  Bei  der  Therapie  ist  die 
Möglichkeit  zu  berücksichtigen,  dass  bei  der  Pyämie  nach  akuten  Eiterungen 
SiDQsthrombose  ganz  fehlen  oder,  wenn  sie  zunächst  bestand,  für  den  Fort- 
bestand der  pyämischen  Erscheinungen,  insbesondere  die  Metastasenbildung, 
nicht  diejenige  ausschliessliche  Bedeutung  besitzt,  die  dazu  berechtigte,  solche 
Fälle  immer,  auch  ohne  besondere  Indikation,  am  Sinus  anzugreiten. 

16.  Herr  H.  Neumann  (Wien):  Ein  Instrument  zur  ErKffnung  des 
Bulbus  venae  jugularis. 

N.  führt  einen  mit  einer  Giglisäge  armierten  Nelaton-Katheter  nach 
Eröffnung  der  V.  jugularis  bis  in  den  freigelegten  Sinus  durch,  oder  um- 
gekehrt, sägt  dann  die  äussere  Knochenspange  des  For.  jugulare  von  innen 
nach  aussen  durch. 

17.  Herr  H.  Rudeloff  (Magdeburg):  Demonstration  eines  Operations- 
stuhles. 

18.  Herr  R.  Hoffmann  (Dresden)  demonstriert  Präparate  von  einem 
in  Heilung  begriffenen  Hirnabzess  (Details  im  Original),  ferner  eine  stereo- 
skopische Aufnahme  von  einem  Hirnabszess  mit  Balgkapsel. 

19.  Herr  Hegener  (Heidelberg):  Demonstrationen  zur  Lehre  vom 
Hirnabszess. 

a.  Solitärer  Abszess  der  rechten  motorischen  Rindenregion,  entstanden 
Ton  einer  Sinusphlebitis  aus,  durch  Fortleitung  in  der  Troll  ard sehen  Vene, 
b.  Nicht  operierter  Kleinhirnabszess  neben  Sinusphlebitis  nnd  Labyrinthitis; 
Abszess  und  Phlebitis  wahi-scheinlich  entstanden  durch  Vermittelung  des 
Saccnlus  endolymphaticus,  c.  Kleinhirnabszess  nach  Labyrinthitis,  wahr- 
scheinlich entstanden  aus  einer  toxischen  Meningo-Encephalitis.  d.  Photo- 
graphien einer  trotz  breiter  Abszesseröffnung  etc.  durch  2^1^  Monate  dauernd 
progressiven  Vereiterung  der  Grosshirnhemisphäre,  die  schliesslich  zum  Tode 
durch  Atmungslähmung,  nicht  Meningitis,  führte. 

Diskussion  zu  18/19:  Herr  Manasse  (Strassburg) :  Demonstriert 
Zeichnung  zu  einem  von  Hegener  erwähnten  Fall  von  transitorischer  Aphasie 
und  Agraphie,  die  die  thrombosierte  Vene  deutlich  zeigt.  Er  bespricht  kurz 
einen  Fall  von  diagnostiziertem  rechtsseitigen  Kleinhirnabszess,  entstanden 
8  Monate  nach  Ausräumung  eines  linksseitigen  intraduralen  Abszesses. 

Herr  Siebenmann  (Basel)  fragt  Herrn  Wagner,  ob  er  daran  ge- 
zweifelt, dass  es  sich  im  He  gener  sehen  Falle  um  ein  Empyem,  des  Saccnlus 
endolymphaticus  handelt.  Ein  Fall  seiner  Klinik,  von  Boesch  publiziert, 
war  diesem  auffallend  ähnlich.  Er  wendet  sich  scharf  gegen  Wagener,  der 
diesen  Fall  nicht  als  beweiskräftig  fttr  ein  Sacculus-Empyem  ansieht. 

Herr  Wagen  er  ist  nicht  anwesend. 


208     Bericht  über  die  16.  Versamml.  der  Deutach.  otol.  Gesellachaft  in  Bremen. 

Herr  Lange  (Berlin):  Der  Fall  von  Wagener  sah  genau  aus.  wie 
der  von  Hegen  er  demonstrierte  und  erwies  sich  mikroskopisch  nicht  als 
Sacculus-Empyem. 

Herr  Siebenmann  betont,  dass  im  Fall  Boesch  Eiter  im  Labyrinth, 
im  Aquaeductus  nachgewiesen  sei,  der  Sacculus  war  zerfetzt. 

Herr  H.  Neumann  (Wien):  Es  ist  nicht  möglich  von  einer  so  kleinen 
Öffnung,  wie  demonstriert,  genügend  zu  drainieren. 

Herr  Kümmel  (Heidelberg):  Der  eine  Abszess  ist  erst  nachträglich 
gefunden,  der  drainierte  ist  vollständig  und  dauernd  entleert. 

20.  Herr  Oppikofer  (Basel):  Untersuchungen  der  Nase  zur  Zeit  der 
Menses,  der  Schwangerschaft  und  unter  der  Geburt. 

Wie  Freund  und  Zacharias  hat  auch  0.  bei  seinen  Untersuchungen 
an  schwangeren  Frauen  nicht  selten  Veränderungen  im  Naseninneren  gefunden. 
Im  Gegensatze  zu  den  beiden  Autoren  möchte  aber  0.  diese  Veränderungen 
(Hyperämie  und  leichte  Hypertrophien  der  Schleimhaut)  nicht  als  wirkliche 
intranasale  Graviditätsveränderungen  auffassen.  Leichte  pathologische  Ver- 
änderungen sind  auch  in  der  Nasenhöhle  häu6g  und  haben  mit  der  Schwanger- 
schaft als  solcher  nichts  zu  tun. 

Die  Angabe  von  Freund,  dass  bei  Frauen  unter  der  Geburt  zuweilen 
kurz  vor  Eintritt  einer  Wehe  die  Nasenschleimhaut  anschwillt,  kann  0.  nicht 
bestätigen.  Der  enge  Zusammenhang  zwischen  Nase  und  Genitalorgan  unter 
der  Geburt,  wie  Freund  ihn  schildert,  besteht  nicht. 

Endlich  hat  0.  auch  Frauen  zur  Zeit  der  Menses  untersucht.  Die  An- 
gabe, dass  die  Muscheln  regelmäfsig  in  dieser  Zeit  anschwellen,  kann  für  die 
überwiegende  Mehrzahl  der  Fälle  nicht  bestätigt  werden.  Dass  die 
Schleimhaut  zur  Zeit  der  Menses  leicht  blutet  oder  in  besonderem  Grade  aof 
Sonderberührung  schmerzhaft  empfindlich  ist,  hat  0.  in  keinem  seiner  Fälle 
beobachtet.  Als  Regel  darf  aufgestellt  werden,  dass  ein  normales  Naseninnere 
zur  Zeit  der  Menstruation  sich  nicht  verändert. 

Diskussion:  Behrendt,  Pause. 

21    Herr  Bäriny  (Wien):  Zur  Theorie  des  Nystagmus. 

B.  demonstriert  ein  Schema,  in  welchem  auf  Grund  physiologischer  und 
pathologischer  Beobachtungen  die  Hirnbahnen  für  den  Nystagmus  dargestellt 
Bind.  Die  Hauptsache  liegt  darin,  dass  nur  die  langsame  Bewegung  des 
Nystagmus  vestibulär  ausgelöst  erscheint,  die  rasche  Bewegung  aber  vom 
supranucleären  Blickzentrum  ausgeht.  Durch  leichte  Narkose  kann  man  die 
rasche  Bewegung  des  Nystagmus  zugleich  mit  der  Willkürbewegung  lähmen, 
während  die  langsame  Bewegung  noch  bestehen  bleibt.  Bei  Lähmung  im 
Bereiche  des  Blickzentrums  konstatierte  B.  auf  vestibuläre  Reizung  lediglich 
langsame  Augenbewegungen,  während  der  Nystagmus  vollständig  fehlte  (zwei 
klinische  Beobachtungen).  B.  schlägt  für  diese  Art  der  Lähmung  den  Namen 
supranucleäre  Ophthalmoplegie  vor,  im  Gegensalz  zur  nucleären  Ophthalmoplegie 
einerseits,  zur  PseudoOphthalmoplegie  Wernickes  andererseits. 

22.  Herr  Voss  (Königsberg  in  Pr.):  Die  Radiologie  in  der  Ohren- 
heilkunde. 

Nach  einem  geschichtlichen  Rückblick  auf  die  bisherigen  Versuche, 
röntgenologische  Untersuchungen  des  Gehörorgans  vorzunehmen,  hebt  V.  die 
Notwendigkeit  und  das  Aussichtsvolle  derartiger  Untersuchungen  an  der 
Hand  einer  grösseren  Reihe  von  Radiogrammen  hervor,  die  teils  am  Präparat, 


Beriebt  über  die  16.  Vergamml.  der  Deutsch,  otol.  Gesellschaft  in  Bremen.     209 

teils  am  Lebenden  gewonnen  sind.  Von  ersteren  sind  es  namentlich 
stereoskopische  Aufnahmen  im  Wheatston eschen  Spiegelstereoskop,  durch 
die  eine  hervorragende  plastische  Wirkung  erzielt  wird.  Vortragender  emp- 
fiehlt deshalb  diese  Methode  als  ganz  besonders  geeignet,  um  das  Röntgen- 
verfahren zu  einem  immer  brauchbareren  Faktor  des  obren  ärztlichen  Arma- 
mentariums  in  anatomischer  und  diagnostischer  Hinsicht  auszugestalten. 

23.  Herr  M.  Wassermann  (München):  Die  Bedeutung  des  Röntgen- 
verfahrens  fUr  die  Diagnose  der  Kieferhöhlen-,  Siebbein-  und  Stirnhöhlen- 
erl(rankungen. 

W.  empfiehlt  die  Anwendung  des  Röntgenverfahrens  für  den  Überblick 
erkrankter  Nebenhöhlen  als  zuverlässige  Methode,  in  sicherer  und  schnellerer 
Weise  als  bisher  den  Erkrankungsherd  zu  finden.  Vor  allem  gelingt  mittels 
des  Skiagramms  die  oft  schwierige  Differentialdiagnose  zwischen  Stirnhöhlen- 
eitemng  und  Siebbeinerkrankung  oder  Kombination  beider  am  1.  Tage  unserer 
Behandlung,  während  bei  den  bisherigen  Methoden  oft  wochenlange  Beob- 
achtung notwendig  war  und  bei  enger  Nase  manchmal  überhaupt  nicht  zum 
Ziele  führte.  In  allen  Fällen  zeigten  sich  die  Anhaltspunkte,  die  durch  das 
Röntgen  verfahren  gegeben  waren,  als  wertvoll,  insofern  der  positive  Eiter- 
befund und  die  pathologisch  verdickte  Schleimhaut  don  operativen  Eingriff 
als  gerechtfertigt  erwies.  Aber  nicht  nur  hinsichtlich  der  Wahl  des  Eingriffs, 
sondern  auch  hinsichtlich  der  Methode,  namentlich  der  Stirnhöhlenoperationen, 
ist  das  Verfahren  von  Wichtigkeit.  Die  Aufnahmen  sind  aber  auch  berufen, 
unsere  Operationsresultate  zu  kontrollieren,  insofern  sich  bei  Heilungen  wieder 
Aufhellungen  früher  erwiesener  Trübungen  zeigen. 

24.  Herr  WInckler  (Bremen):  Rttntgenauf nahmen  der  Warzenfortsatz- 
gegend. 

W.  zeigt,  dass  man  aus  Röntgenaufnahmen  in  occipito-frontaler,  wie 
auch  in  transversaler  Richtung  prognostisch  wichtige  Schlüsse  über  die  Lage 
des  Sinus,  die  Dicke  des  Tegmen  tympani,  die  pneumatische,  spongiöse  oder 
kompakte  Beschaffenheit  des  Warzen fortsatzes  ziehen  kann  und  dass  unter 
günstigen  Umständen  sogar  Sequester  nachweisbar  sind.  Auch  Abszesse, 
namentlich  des  Schläfenlappens,  sollen  mittelst  Röntgenstrahlen  vor  der  Ope- 
ration untersucht  werden. 

25.  Herr  A.  Hartmann  (Berlin)  demonstriert  einen  kleinen  Instru- 
mentenschrank  und  ein  einfaches  Phantom  für  rhiuologische,  | 
laryngologische  und  bronchoskopische  Übungen.  ! 

26.  Herr  Siebenmann  (Basel):  Ober  Osteomyelitistaubheit.   (In  diesem  | 
Bande  der  Zeitschrift  veröffentlicht.)  ^ 

27.  Herr    Siebenmann    (Basel):    Demonstration    von    Taubstummen-  j 
labyrinthen. 

S.    zeigt    Präparate    und    Abbildungen    von    'anatomischen    Labyrinth-  j 

Veränderungen,   welche   er   in  Vorhof  und  Schnecke  gefunden  hat  bei  einem  . 

an  Retinitis  pigmentosa   leidenden,   von  Prof.  Lemcke   während   des  ^ 

Lebens  geprüften  Taubstummen.    Diese  Veränderungen  sind  bisher  noch  nicht  i 

beschrieben  worden,  aber  auf  Grund  der  funktionellen  Prüfungsergebnisse  bei 
einer  kleinen  Zahl  derartiger  Taubstummer  hat  Bezold,  wie  S.  nachweist, 
richtig  vorausgesagt,   welcher  Art  diese  anatomischen  Störungen  sein  dürften.  ; 

Bas  Mitergriffensein  des  statischen  Apparates  charakterisiert  diese  Gruppe  der 
mit  Retinitis  pigmentosa  kombinierten  Form  von  Taubheit. 

ZetUehrift  Ar  ObrenheUknnde.  Bd.  LIV.  14, 


210     Bericht  über  die  16.  Versamml.  der  Deutsch,  otol.  Gesellschaft  in  Bremen. 

28.  Herr  Wittmaack  (Greifswald):  Ober  Schädigungen  des  Gehttrorgans 
durch  Schalleinwirkung.     (In  diesem  Bande  der  Zeitschrift  veröffentlicht.) 

29.  Herr  Eschweiler  (Bonn):  Demonstration  zur  pathologischen  Histo- 
logie des  Taubstummenohres. 

Das  Präparat  entspricht  dem  Typus  des  von  Alexander  in  der 
Anatomie  der  Taubstummheit  mitgeteilten  Falles. 

30.  Herr  R.  Panse  (Dresden-N.) :  Was  kOnnen  wir  im  histologischen 
Präparat  des  inneren  Ohres  als  sicher  krankhafte  Veränderungen  be- 
trachten? 

P.  nennt  als  sicher  krankhaft:  im  Knochen  Fehlen  des  Malleolus,  Re- 
sorption durch  Osteoblasten,  Apposition  durch  Osteoblasten,  Bildung  von 
Spangen  und  Ausfüllung  vorgebildeter  Hohlräume  mit  Knochen  oder  Binde- 
gewebe, Blut,  Eiter,  Exsudat  mit  Fibrin.  Bakterien.  Im  häutigen  Labyrinth 
muss  man  mit  der  Deutung  von  Formveränderungen  der  Häute  und  Zellen 
äusserst  vorsichtig  sein.  Ausser  obigen  Krankheitsstoffen  ist  Kolloid  sicher 
krankhaft.  Verschiebung  der  Ansätze  der  Membr.  Reissneri  beweist  Er- 
weiterung des  Ductus  cochlearis,  bei  Veränderungen  der  Papille  ist  nur  bei 
deutlich  erhaltenen  Kern-  und  Zellgrenzen  Fäulnis  und  Kunsterzeugnis  aus- 
zuschliessen.  An  den  Nerven  ist  in  den  Knochenkanälen  Querschnitts- 
verroinderung  Beweis  für  Atrophie;  im  Akustikusstamm  auch  Folge  von 
Zerrung  bei  Herausnahme  des  Gehirns.  Ganglion  spirale  zeigt  in  der  Basis 
öfters  spärliche  Zellen  als  Zeichen  seniler  Atrophie.  Nervenförbung  infolge 
Fäulnis  und  der  Säuren  unsicher. 

31.  Herr  Voss  (Königsberg):  Wodurch  entsteht  der  Nystagmus  bei 
einseitiger  Labyrinthverletzung? 

Mitteilung  der  Beobachtung  eines  Falles,  in  dem  bei  nachgewiesener 
Unerregbarkeit  eines  Labyrinthes,  infolge  einer  Verletzung  des  änderen,  vorher 
erregbaren  Labyrinthes  Nystagmus  nach  der  unverletzten  Seite  hin  auftrat 
V.  erörtert  die  verschiedenen  Möglichkeiten,  die  diesfalls  für  die  Entstehung 
des  Nystagmus  in  Betracht  kommen. 

32.  Herr  Bäräny  (Wien):  Untersuchungen  über  das  Verhalten  des 
Vestibularapparates  bei  Kopftraumen  und  ihre  praktische  Bedeutung. 

B.  bespricht  die  Untersuchung  des  Vestibularapparates  bei  traumaUschen 
Fällen  mit  Schwindel.  Er  verfügt  über  \0  derartige,  genau  beobachtete 
Fälle.  Bei  der  Untersuchung  wird  zunächst  eine  genaue  Anamnese  erhoben, 
die  besonders  auf  die  Art  des  Schwindels  eingeht.  Sodann  wird  auf  spon- 
tanen, rhythmischen  Nystagmus  in  den  Endstellungen  der  Augen  untersucht. 
Nur  stärkere  Grade  desselben  bei  intaktem  Sehorgan  haben  eine  klinische 
Bedeutung,  geringere  Grade  sind  auch  bei  Normalen  häufig.  Von  grosser 
Wichtigkeit  ist  die  Beobachtung  von  Nystagmusanfällen  mit  Schwindel  bei 
raschen  Kopfbewegungen  (Rückwärtsneigen  des  Kopfes,  Bücken  etc.).  B.  konnte 
in  der  Hälfte  seiner  Fälle  dadurch  die  Angaben  seiner  Patienten  verifizieren. 
Drittens  wird  der  Nystagmus  und  Schwindel  bei  Drehung  auf  dem  Drehstuhl 
untersucht.  Hier  ist  die  Identifikation  des  experimentellen  Schwindels  mit 
dem  spontan  auftretenden  von  Bedeutung.  Diese  Identifikation  erfolgt  in  der 
Regel  bis  ins  kleinste  Detail  bei  Hervorrufung  des  rotatorischen  Nystagmus, 
entsprechend  der  Tatsache,  dass  auch  der  spontane  Schwindel  von  rota- 
torischem Nystagmus  begleitet  ist.  Viertens  empfiehlt  B.  neuerdings  die  Unter- 
suchung der  GegenroUnng   der  Augen   für  diese  Fälle  (cf.  Archiv  f.  Ohren- 


Bericht  fiber  die  16.  VersamiDl.  der  Deutsch,  otol.  Gesellschaft  in  Bremen.     211 

heilk.,  1906).  Am  Schlosse  macht  B.  einen  terminologischen  Vorschlag.  Er 
legt  die  Verwirrung  dar,  die  durch  den  Gebrauch  der  Namen  M^ni Presche 
Krankheit,  Menier escher  Sjmptomenkomplex,  Pseudomeniere  etc.  in  der 
Ohren-  und  Nervenheilkunde  gestiftet  wurde,  indem  heterogene  Zustände  mit 
ähnlichem  oder  gleichem  Namen  bezeichnet  wurden,  und  schlägt  die  Be- 
zeichnung vestibuläre  Erkrankung  mit  Angabe  des  Sitzes  und  der  Art  der 
Erkrankung  vor. 

33.  Herr  Neumann  (Wien):  Über  zirkumskripte  Labyrintheiterung. 

N.  unterscheidet  sowohl  bei  den  diffusen  wie  bei  den  zirkumskripten 
Labyrinthitiden  die  manifesten  und  die  latenten  Formen.  Vorhandensein  oder 
Fehlen  des  spontanen  Nystagmus  (bei  Blick  nach  der  ohrkranken  bezw.  der 
ohrgesunden  Seite),  der  Erregbarkeit  des  Vestibularapparates,  der  Hörfunktion 
geben,  eventuell  im  Zusammenhalt  mit  dem  Befunde  an  der  Labyrinthwand 
bei  der  Eröffnung  der  Mittelohrräume,  nach  N.s  Erfahrungen  zuverlässige 
Anhaltspunkte  dafür,  ob  eine  einfache  Radikaloperation  bezw.  konservative 
Behandlung  am  Platze  oder  die  Eröffnung  der  Labyrinthräume  im  Anschluss 
an  die  Radikaloperation  indiziert  ist.  Wegen  der  Details  muss  auf  die  aus- 
ftthrliche  Mitteilung  in  den  »Verhandlungen  der  Deutschen  otologischen  Ge- 
sellschaft« verwiesen  werden. 

Die  folgenden  beiden  Vorträge  konnten  aus  Zeitmangel  nicht  mehr  ge- 
halten werden;  sie  erscheinen  aber  in  den  Verhandlungen  d.  D.  o.  G. 

34.  Herr  Stimme!  (Leipzig):  Zur  Behandlung  der  chronischen  Otitis 
media  durch  Saughyperämie  nach  Bier. 

Während  St.  mit  Hyperämie  durch  Halsvenenkomprcssion  keine  wesent- 
lichen Erfolge  hatte  und  die  Saugstauung  bei  akuter  und  subakuter  Otitis 
media  perforativa  bald  aufgab,  kann  er  über  sehr  günstige  Erfolge  berichten, 
die  durch  längere  Zeit  fortgesetzte  Saugstauung  bei  einer  Anzahl  nicht  sehr 
veralteter  chronischer  Otitiden  erzielte.  Natürlich  wurden  nur  solche  Fälle 
dieser  Behandlung  unterworfen,  bei  welchen  zur  Zeit  noch  keine  gefahr- 
drohenden Symptome  bestanden.  Es  wurde  neben  promptem  Zurückgang  von 
Eiterung  und  Foetor  häufig  wesentliche  Hörbesserung  beobachtet. 

Die  Zahl  der  einzelnen  Saugstauungen,  die  15  Minuten  nicht  über- 
schritten und  jeden  zweiten  bis  dritten  Tag  zur  Anwendung  kamen,  betrug  im 
hartnäckigsten  Falle  35,  im  günstigsten  5. 

35.  Herr  Reinhard  (Cöln):  Ein  Fall  von  Gonokokken-Otitis. 
14tägiges  Kind  mit  ßlenorrhoe  der  Augen  leidet  an  rechtsseitiger  Otitis 

media.  Im  Ohreiter  wurden  Gonokokken  nachgewiesen.  Trockenbehandlung 
ohne  Erfolg.  Ausspülen  mit  Kaliumpermanganatlösung,  Reinigen  und  Instillation 
von  1®/q  Protargol  brachten  schnelle  Heilung. 

In  der  Geschäftssitzung  wurde  als  Ort  der  nächstjährigen  Versammlung 
Heidelberg  gewählt;  dem  Vorstaude  wurde  überlassen,  eventuell  nach  Unter- 
handlung mit  dem  Verein  Süddeutscher  Laryngologen  den  Zeitpunkt  so  zu 
verschieben,  dass  der  Besuch  beider  Versammlungen  erleichtert  werde.  Als 
Vorstandsmitglied  an  Stelle  des  verstorbenen  Reinhard- Duisburg  wurde 
A.  Hartman n-Berlin  gewählt 

Die  Mitgliederzahl  beträgt  jetzt  381.  Die  Präsenzliste  wies  98  Namen 
auf  Die  Gesellschaft  hat  auch  in  diesem  Jahre  ein  neues  Heft  des  Werkes 
über  die  Anatomie  der  Taubstummheit  herausgegeben,  das  zwei  Abhandlungen 
von  Schwabach -Berlin  und  Denker- Erlangen  enthält. 


^ 


212     Bericht  über  die  Sitzung  der  Österreich,  otol.  Gesellsch.  y,  24.  Juni  1907. 

Bericht  über  die  Sitzung  der  österreichischen 
otologischen  Gesellschaft  vom  24.  Juni  1907, 

Vorsitzender:  Prof.  ürbantschitsch. 
Schriftführer:  Doz.  Frey. 

1.  Dr.  E.  Ürbantschitsch  demonstriert  einen  nahezu  geheilten  Fall  von 
Radikaloperation  mit  Stehenlassen  der  Gehttricnttchelchen  und  des  Trommel- 
felles. Hörweite  vor  der  Operation  für  die  Uhr  a.  c,  nach  der  Operation  25  cm. 

2.  Doz.  Alt  stellt  mehrere  Fälle  mit  „tamponloser''  Nachbehandlung  vor. 
Diskussion:  Doz.  Alexander  bemerkt,  dass  an  der  Klinik  Hofrat 

Politzers  seit  vielen  Jahren  ohne  Tamponade  behandelt  werde;  nach  dem 
3.  oder  4.  Verbandwechsel»  wird  der  Patient  angewiesen,  das  Ohr  mit  Per- 
hydrol,  später  mit  Borspiritus  mehrmals  täglich  zu  reinigen,  und  einen  kurzen, 
sterilen  Gazestreifen  einzuführen.  Von  Ätzmitteln  und  dem  scharfen  Löffel 
wird  nur  äusserst  selten  Gebrauch  gemacht.  Vorzügliche  Resultate  ergibt 
ein  Aufenthalt  im  Süden.  Alexander  bezeichnet  diese  Methode  als  Nach- 
behandlung mit  exakter  Drainage. 

Dr.  Ruttiu  hat  die  Erfahrung  gemacht,  dass  sich  in  einzelnen  Fällen 
ohne  Tamponade  leicht  Septen  bilden,   wie   in  einem  der  vorgestellten  Fälle. 

Doz.  Frey  bemerkt,  dass  ohne  Tamponade  der  Raum  des  Antrums 
sich  wesentlich  verkleinere. 

Doz.  Neumann  hat  von  jeher  den  Standpunkt  eingenommen,  dass 
Medikamente  und  Verbandstoffe  keinen  wesentlichen  Einfluss  auf  die  Epi- 
dermisation  üben.  Die  Hauptsache  ist,  dass  bei  der  Operation  alles  krank- 
hafte entfernt  werde,  namentlich,  dass  das  Labyrinth  gesund  sei.  Im  allgemeinen 
bedürfe  man  der  Tamponade  nicht;  nur  wenn  sich  Nischen  bilden,  oder  der 
Gehörgang  sich  trichterförmig  verengere,  sei  dies  notwendig. 

Doz.  Frey  und  Alt  halten  die  Bildung  von  Nischen  und  die  trichter- 
förmige Verengerung  des  Gehörgangs  für  kein  Unglück.. 

Prof.  ürbantschitsch  bemerkt,  dass  in  4  Fällen  Dr.  Bondy  die 
tamponlose  Nachbehandlung  ausgeführt  habe,  3  heilten  anstandslos,  in  einem 
war  er  gezwungen,  die  allzureichlich  sich  bildenden  Granulationen  auszukratzen. 

3.  Doz.  Frey  demonstriert  makroskopische  und  mikroskopische  Präparate 
von  einem  Anencephalus. 

Mit  Ausnahme  einer  Verminderung  der  Ganglienzellen  im  Ganglion 
Scarpae  und  Ganglion  spirale  fand  sich  keine  wesentliche  Anomalie  im  Gehör- 
organ. Die  bei  den  bisher  beschriebenen  Fällen  gefundenen  Entwicklungs- 
störungen des  Gehörorganes  sind  daher  als  zufällige  Missbildungen  zu  betrachten. 

4.  Doz.  Frey  demonstriert  Schädel  und  Gehirn  eines  Falles  von  multiplen 
Sarkomen,  deren  eines  die  linke  Pyramide  grösstenteils  zerstört  hatte. 

5.  Doz.  Neumann  stellt  einen  Mann  mit  Sinusthrombose  und  Labyrinth- 
eiterung vor,  bei  welchem  er  wegen  schlechter  Narkose  die  typische  Labyrinth- 
operation nicht  sofort  vornehmen  konnte;  vor  der  Operation  bestand  bereits 
Fazialisparese,  die  wahrscheinlich  durch  Sequesterdruck  bedingt  ist  und  ver- 
mutlich zurückgegangen  wäre,  wenn  die  typische  Labyrinthoperation  ausgeführt 


Bericht  über  die  Sitzung  der  Österreich,  otol.  Gesellsch.  v.  24.  Juni  1907.     213 

worden  wäre.  Dafür  spricht  ein  zweiter  Fall  (Sjähriges  Kind),  bei  welchem 
eine  4  Wochen  alte  Fazialislähmung  einen  Tag  nach  der  Radikal-  und 
Labyrinthoperation  zurückging.  Bei  der  Labyrinthotomie  wurde  ein  grosser 
Sequester  entfernt. 

6.  Doz.  Neumann  stellt  eine  Frau  mit  Labyrinthftstel  bei  akuter  Otitis 
Tor.  Das  Labyrinth  ist  durch  Ausspritzen  mit  kaltem  Wasser  erregbar,  bei 
Kompression  und  Aspiration  im  äussern  Gehörgang  tritt  Nystagmus  auf. 

7.  Dr.  Bäräny  macht  Mitteilung  von  zwei  neuen  Nystagmusphänomenen. 
Dreht  man  eine  Versuchsperson  bei  aufrechter  Kopfstellung  10  mal  nach 

links,  so  entsteht  bekanntlich  beim  Anhalten  ein  horizontaler  Nystagmus  nach 
rechts,  der  meist  30—45  Sekunden  anhält.  Dann  sind  die  Augen  wieder  in 
Ruhe.  Dreht  man  die  Versuchsperson  20  oder  30  mal  nach  links,  so  dauert 
der  Nach-Nystagmus  nach  rechts  kürzere  Zeit  als  nach  10  maliger  Drehung, 
und  nach  Beendigung  desselben  tritt  ein  sehr  kleinschlägiger,  oft  eine  Minute 
dauernder  Nystagmus  nach  links  auf.  Diese  Beobachtungen  sind  bei  Be- 
nützung der  von  Dr.  Barany  eingeführten  undurchsichtigen  Brille  mit  Blick 
gradans  gewonnen.  Ein  analoger,  aber  nur  aus  2 — 3  Schlägen  bestehender 
Nacb-nach- Nystagmus  tritt  auch  nach  20 — 30  maligem  Drehen  beim  rotatorischen 
und  vertikalen  Nystagmus  auf.  Dr.  Bä,rany  hält  diesen  2.  Nachnystagmus 
für  eine  Art  Nachbild  im  Sinne  Dr.  Abels,  jedenfalls  aber  für  zentral  aus- 
gelöst. In  2  Fällen  mit  zirkumskripter  Erkrankung  des  Labyrinths  beobachtete 
Dr.  Bdräny  beim  Aufsetzen  einer  stark  angeschlagenen  Stimmgabel  auf  den 
Warzenfortsatz  das  Auftreten  von  rotatorischem  Nystagmus.  Dieser  trat  auch 
aof,  wenn  die  (sehr  tiefe)  Stimmgabel  nicht  gehört  wurde  und  beruht  ver- 
mutlich auf  der  mechanischen  Erschütterung  der  Nervenendstellen. 

8.  Dr.  Bäräny  demonstriert  ein  kleines  Instrument  zur  Beobachtung 
des  rotatorischen  Nystagmus  nach  Drehen  und  Ausspritzen;  es  besteht  aus 
einer  Stirnbinde ,  an  welcher  ein  zirka  30  cm  langes  Stäbchen ,  das  eine 
Fixationsmarke  trägt,  befestigt  ist;  das  Stäbchen  ist  in  der  Horizontal  ebene 
drehbar  und  fixierbar.  Hat  man  z.  B.  einen  Patienten  mit  spontanem  rota- 
torischen Nystagmus  nach  links,  bei  dem  die  Reaktion  des  rechten  Ohres  für 
kaltes  Wasser  festgestellt  werden  soll,  so  setzt  man  dem  Patienten  die  Stirn- 
binde auf  und  gibt  dem  Stäbchen  eine  solche  Stellung,  dass  Patient  bei 
Fixation  der  Maske  gerade  keinen  Nystagmus  zeigt;  die  geringste  Reaktion 
beim  Ausspritzen  wird  dadurch  deutlich.  Dr.  Robert  Barany. 


^ 


Besprechungen. 


Sur  les  suppurations  du  Labyrinthe  consöcutives  aux 

lösions  purulentes  de  roreille  moyenne.  Pax  le  Professeur 
G.  Gradenigo  de  Turin.  Traduction  par  M.  Menier. 
Paris,  Librairie  J.  B.  Baillifere  et  fils,  1906. 

Die  vorliegende  Monographie  (187  Seiten)  enthält  eine  sehr  eiD- 
gehende  Beschreibung  der  Labyrintheiterungen  mit  Verwertung  zahl- 
reicher eigener  Beobachtungen.  H. 

Klinik  der  Bronchoskopie  von  Dr.  Hermann  von 

Schrötter  in  Wien.  Mit  4  Tafeln  und  72  Abbildungen 
im  Texte.     Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena,  1906. 

Die  Bronchoskopie  ist  von  dem  Verf.  in  ausführlichster  und  sorg- 
fältigster Weise  bearbeitet  (688  Seiten)  und  kann  jedem,  der  sich  mit 
Bronchoskopie  befasst,  als  vortrefflicher  Wegweiser  dienen.  Die  Aus- 
stattung des  Buches  ist  sehr  gut.  H. 

Some   points   in   the  Surgical  Anatomy  of  the 

Temporal  Bone  from  birth  to  adult  life.  Von  Arthur 
H.  Cheatle.     London,  J.  &  A.  Churchill,  1907. 

Cheatles  Veröffentlichung  ist  mit  112  nach  photographischen 
Aufnahmen  sehr  schön  wiedergegebenen  Abbildungen  des  SchläfenbeiDS 
geschmückt,  an  welchem  die  für  chirurgische  Eingriffe  wichtigen  Ver- 
hältnisse zu  ersehen  sind.  Die  beigefügten  Erläuterungen  sind  kurz 
gefasst.  H. 


Faoh-  und  Personalnachrichteii. 


In  den  Ergebnissen  der  allgemeinen  Pathologie  und  patho- 
logischen Anatomie  des  Menschen  und  der  Tiere  X.  Jahrgang, 
Ergänzungsband,  herausgegeben  von  Prof.  Lnbarsch  und  Prof.  Ostertag, 
wurde  die  Pathologie  des  Ohres  von  Rudolf  Pause,  Dresden-Neustadt, 
bearbeitet. 


Im  XII.  Band  der  Veröffentlichungen  aus  dem  Egl.  Museum 
fOrVölkerkunde  (Sammlung  B  a  e  s  s  1  e  r,  Schädel  von  polynesischen  Inseln) 
hebt  von  Luschan  die  Verdienste  der  Ohrenärzte  um  die  Nomenklatur  der 
Ohrgegend  hervor.  Die  Spina  supra  meatum  (B  e  z  o  1  d),  die  Fossa  mastoidea 
finden  Anerkennung,  ebenso  dass  »die  ungeschickte  und  zweideutige  Bezeichnung« 
der  gerade  bei  polynesischen  Schädeln  sehr  häufig  vorkommenden  Verlängerung 
der  oberen  Kante  des  Jochbogens  nach  hinten  als  Linea  temporalis  durch  die 
viel  passendere  Bezeichnung  Crista  temporalis  ersetzt  wurde.  H. 


Die  medizinische  Fakultät  in  Rostock  empfiehlt  den  Studierenden  in 
dem  neu  revidierten  > Studienplan«,  an  dem  Kursus  der  Oto-,  Rhino-  und 
Laryngoskopie  bereits  im  ersten  klinischen  Semester  teilzunehmen,  damit  sie 
die  Klinik  für  Ohren-,  Nasen-  und  Kehlkopfkranke  bereits  in  den  mittleren 
klinischen  Semestern  belegen  können.  Es  soll  hierdurch  einer  allzustarken 
Arbeitshäufung  in  den  letzten  Semestern  vorgebeugt  werden. 


Nachdem  die  Professoren  Körner- Rostock  und  Denk  er- Erlangen 
Berufungen  als  Leiter  der  Ohrenabteilung  des  städtischen  Krankenhauses  in 
Frankfurt  a.  M.  abgelehnt  hatten,  wurde  die  Stelle  dem  Privatdozenten  und 
Titularprofessor  Stabsarzt  Dr.  Voss  in  Königsberg  übertragen. 


Prof.  Kil Hau- Freiburg  wurde  zum  Ehrenmitglied  der  American 
laryngological,  rhinological  and  otological  Society  und  der  American  medical 
Association  ernannt. 


216  Fach-  und  PersoDalnachrichteD. 

An  der  Universität  Wien  hat  sich  Dr.  Neu  mann  als  Privatdozent  ftr 
Ohrenheilkunde  habilitiert. 


Prof.  Zaufal  in  Prag  feierte  am  12.  Juli  seinen  70.  Geburtstag.  Wir 
glauben  im  Namen  aller  Ohrenärzte  zu  sprechen,  wenn  wir  dem  um  die  Ohren- 
heilkunde hochverdienten  Forscher  unsere  herzlichsten  Glückwtlnsche  zu  seinem 
Jubeltage  aussprechen.  Die  bahnbrechenden  Arbeiten  Z  auf  als  nehmen  einen 
dauernden  Ehrenplatz  auf  dem  Forschungsgebiete  der  Rhinologie  und  Otologie 
ein.  Seine  Arbeiten  über  vordere  und  hintere  Rhinoskopie,  über  Ozäna,  über 
die  Eadikaloperation ,  Sinusthrombose,  über  die  Bakterien  der  Mittelohr- 
entzündung legten  den  Grund  für  viele  andere  Arbeiten. 

Die  Bescheidenheit  und  Selbstlosigkeit  Z  auf  als  ist  daran  schuld,  dass 
ihm  zu  der  jetzigen  Feier  keine  grösseren  Ovationen  dargebracht  werden,  die 
er  in  erster  Linie  verdient  hätte.  Red. 


Dni«k  Too  O^rl  Kitter.  G.  m  b.  H.,  in  WiMbadra. 


F.  R.  Nager:    Beiträge  zur  Histologie  etc.  217 

XL 

Aus  der  otolaryngologischen  Universitäts-Klinik  Basel, 
Direktor  Prof.  Dr.  F.  Siebenmann. 

Beiträge  zur  Histologie  der  erworbenen 
Taubstummheit. 

Von  Dr.  F.  B.  Nager, 

I.  Amstontra  der  Klinik. 
Mit  6  Abbildungen  auf  Tafel  XIV  -XIX. 

I.   Taubstummheit  nach  Masernmeningitis. 

Taubstummheit  infolge  Meningitis  nach  Masern  ist  sehr 
selten.  Ein  hierher  gehöriger  Fall  konnte  von  uns  funktionell  und 
anatomisch  genau  untersucht  werden ;  da  er  auch  klinisch  vor,  während 
und  nach  der  Ertaubung  in  sorgfältiger  Weise  beobachtet  worden  ist, 
kommt  ihm  eine  besondere  Bedeutung  zu. 

Die  betreifenden  Felsenbeine  verdanken  wir  der  Liebenswürdigkeit 
von  Herrn  Professor  Hagenbach,  Vorsteher  des  hiesigen  Kinderspitals. 

Den  verschiedenen  Krankengeschichten  entnehmen  wir  folgende 
Angaben : 

A.  Fritz,  geb.  8.  V.   1897,  gest.  29.  IV.  1903. 

In  der  Familienanamnese  keine  für  Schwerhörigkeit  etc.  belastende 
Momente:  die  noch  lebenden  5  Kinder  sind  gesund,  ein  älteres 
Schwesterchen  starb  laut  Sektionsbefund  an  Erstickung  infolge  Aspiration 
einer  Ascaris.  Der  Knabe  selbst  war  seit  der  Geburt  schwächlich  und 
oft  krank.  Im  1.  Jahre  litt  er  an  Rhachitis  mit  ausgedehnter  Furunku- 
lose und  lernte  erst  mit  2  Jahren  gehen.  Mit  3  Jahren,  im  Januar 
1900,  wurde  uns  das  Kind  wegen  behinderter  Nasenatmung  in  die 
otolaryngologische  Poliklinik  zugeführt.  Wenn  des  Alters  wegen  auch 
keine  sehr  ausführliche  funktionelle  Prüfung  angestellt  werden  konnte, 
so  ergeht  aus  unserem  poliklinischen  Journale  und  den  Angaben  der 
Eltern  hervor,  dass  das  Kind  zu  dieser  Zeit  ordentlich  hörte;  die 
Sprache  war  noch  nicht  ganz  vollkommen,  jedoch  kannte  es  die  Be- 
zeichnungen für  alle  Gegenstände  seiner  Umgebung  und  sprach  sie 
durchaus  richtig  aus.  Es  wurden  damals  das  beidseitige  Vorhandensein 
eines  leichten  katarrhalischen  Tubenabschlusses  und  als  dessen  Ursache 
adenoide  Vegetationen  festgestellt,  sowie  die  Abtragung  der  letzteren  vor- 
genommen. Noch  in  der  Rekonvaleszenz  nach  der  Operation  acquirierte 
der  Knabe  die  Masern  von  seinen  Geschwistern.  Die  Infektion  schien 
durchaus  normal  abzuklingen,  es  bestand  nur  noch  eine  leichte  Bronchitis, 
als  plötzlich  das  Kind  unter  meningitischen  Erscheinungen  von  neuem 
ganz  schwer  erkrankte:    tiefer   Sopor   mit   Unruhe,    Aufschreien,   hohe 

Zeitsclirin  fbr  OhrenbeUlruade.  Bd.  LIV.  15 


218  F.  B.  Naf^er:   Beiträge  zur  Histologie 

Temperaturen  und  Pulszahlen,  Nackenstarre  etc.  Aus  der  Kranken- 
geschichte der  allgemeinen  Poliklinik  (Direktor  Prof.  Dr.  F.  Egg  er), 
die  uns  in  freundlicher  Weise  zur  Verfügung  gestellt  war,  geht  mit 
Sicherheit  hervor,  dass  eine  Meningitis  vorlag.  Daneben  bestand 
eine  Angina.  Erst  nach  14  Tagen  kehrte  das  Bewusstsein  zurück  und 
damit  begann  die  Genesung;  vorübergehend  war  auch  eine  Schwellung 
des  Ellbogengelenkes  festgestellt  worden.  Während  der  Kekonvaleszenz 
bemerkten  die  Eltern,  dass  der  Knabe  auf  Anrufen  garnicht 
mehr  reagierte,  durch  diese  Erkrankung  hatte  er  das 
Gehör  vollkommen  verloren.  Es  dauerte  auch  längere  Zeit,  bis  er 
wieder  gehen  konnte.  Im  Juni  des  gleichen  Jahres  stellte  Prof.  Sieben- 
mann bei  einer  Konsultation  vollkommene  Taubheit  fest:  Wegen  des 
noch  immer  bestehenden  Tubenabschlusses  wurde  das  Kind  in  unsere 
Klinik  aufgenommen,  die  Paracentese  ausgeführt  und  ein  Transsudat 
entleert;  nach  der  Luftdusche  war  das  Trommelfell  beiderseits  in 
normaler  Stellung.  Mehrfache  genaue  Untersuchung  ergab,  dass  absolute 
Taubheit  vorlag:  alle  Schallquellen,  Sprache,  Stimmgabeln,  Pfeifen 
wurden  nicht  perzipicrt.  Eine  besondere  Prüfung  des  Yestibularapparates 
ist  entsprechend  dem  damaligen  Stand  der  Untersuchungsmethoden  nicht 
durchgeführt  worden.  Noch  im  gleichen  Jahre  erkrankte  das  Kind 
mehrfach,  so  an  Urticaria,  lacunärer  Angina  und  Bronchopneumonie. 

Drei  Jahre  später  erlitt  der  Knabe  auf  der  Strasse  einen  schweren 
Unfall :  er  wurde  von  einem  Wagen  überfahren,  und  kam  schwerverletzt 
in  das  Kinderspital,  wo  er  nach  einiger  Zeit  verstarb. 

Die  Sektion  innerhalb  der  ersten  24  Stunden  post  mortem  ergab 
einen  Hämatopyopneumothorax,  Wirbel-  und  multiple  Rippenfrakturen 
mit  Verletzung  von  Lunge  und  Pleura.  Das  Gehirn  erschien  bei  der 
makroskopischen  Inspektion  durchaus  unverändert,  ein  Verhalten,  das 
trotz  der  abgelaufenen  Meningitis  nicht  wunderbar  erscheint  nach  den 
Ausführungen  von  Siebenmann  (cf.  Grundzüge  der  Anatomie  der 
Taubstummheit,  Seite  26). 

Beide  Felsenbeine  zeigen  makroskopisch  keine  Abweichung 
von  der  Norm ;  Duraoberfläche,  Sinus,  Gegend  des  Saccus  endolymphaticus 
und  die  Tubenöffnung  o.  B.  Der  Akustiko-facialis  erscheint  etwas  verdünnt. 
Nach  der  Fixation  wurde  aus  der  Pyramide  beiderseits  ein  Würfel 
herausgesägt,  der  uneröffnet  Paukenhöhle  und  Labyrinth  enthält.  Das 
weitere  Vorgehen  bezüglich  Härtung,  Schneiden  und  Färbung  geschah 
nach  den  Angaben  von  Siebenmann  (loc.  cit.  Seite  94).  Dabei 
wurde  das  rechte  Felsenbein  in  eine  vertikale,  das  linke  in  eine 
horizontale  Schnittserie  zerlegt. 

Mikroskopisch  ergibt  das  Mittelohr  beidseits  die  gleichen 
Befunde:  es  liegt  eine  frische  Otitis  media  catarrhalis  acuta 
mit  Exsudatbildung  vor.  Die  Schleimhaut  der  Paukenhöhle  ist 
überall  auf  das  mehrfache  der  Norm  verdickt;*^ sie  trägt  hohes  Zylinder- 
epithel im  Zustand  hochgradiger  Entzündung:  Auflockerung  des  Zell- 
gefüges,    unregelmäfsige   Anordnung    der   vermehrten    Kerne,    lebhafte 


den-  erworbenen  Taubstummheit.  219 

Desquamation  und  reichliche  Exsudatbildung.  Auch  die  Submncosa 
zeigt  die  entsprechenden  entzündlichen  Veränderungen;  die  gewaltige 
Dickenzunahme  beruht  neben  der  Bindegewebsvermehrung  auf  ödematöser 
Durchtranknng,  bedeutender  kleinzelliger  Infiltration  sowie  Ektasie  der 
Blutgefässe.  Auffallend  ist  die  Papillenbilduug  der  Schleimhaut,  wo- 
durch Krypten  und  durch  Verlötung  der  einzelnen  Exkreszenzen  selbst 
schleimhaltige  Zysten  entstehen.  Die  Gehörknöchelchen  sind  von 
der  veränderten  Mucosa  eingehüllt,  abnorme  Schleimhautfalten  durch- 
ziehen die  Paukenhöhle;  die  Ligamente  der  einzelnen  Knöchelchen 
erscheinen  derb  und  fibrös,  die  Gelenkfiächen  jedoch  nicht  wesentlich 
von  der  Norm  abweichend.  In  der  Paukenhöhle  selbst  findet  sich  ein 
zellreiches  Exsudat,  dessen  Grundsubstanz  homogen  erscheint  und 
nach  dem  tinktoriellen  Verhalten  als  geronnene  Lymphe  aufzufassen 
ist.  Die  Fensternischen  sind  durch  die  geschwellte  und  gefaltete 
Schleimhaut  teilweise  aufgefüllt.  Das  Ringband  erscheint  derbfaserig, 
aber  ohne  Infiltration.  Die  Knorpelüberzüge  von  Fensterrahmen  und 
Steigbügelplatte  sind  in  durchaus  normaler  Weise  erhalten.  Die  runde 
Fenstermembran  ist  grobfibrillär  und  verdickt  aber  nur  infolge  der 
Schleimhautschwellung. 

Die  Trommelfelle  sind  beidseits  verdickt,  die  Volumenzunahme 
betrifft  besonders  die  reich  vaskularisierte  und  kleinzellig  infiltrierte 
Membrana  propria ;  auch  hier  ist  das  Paukenhöhlenepithel  abnorm  hoch 
und  zylindrisch,  jedoch  finden  sich  weder  Verkalkungen  noch  atrophische 
Stellen. 

Die  Labyrinthkapsel  weicht  auf  beiden  Seiten  nicht  wesentlich 
von  der  Norm  ab,  sie  ist  sklerotisch ;  Zahl,  Gestalt  und  Verteilung  der 
Interglobularräume  sind  normal ;  das  Knochenmark  ist  in  der  Umgebung 
der  Paukenhöhle  fibrös,  in  den  übrigen  Teilen  der  Pyramide  aber 
lymphoid. 

Inneres  Ohr  —  linke  Seite. 

Pars  superior.  Das  Lumen  und  die  Gestalt  der  knöchernen  und 
häutigen  Bogengänge  ist  unverändert.  Gegen  das  Vestibulum  zu  findet 
sich  nur  eine  geringe  Vermehrung  des  Gewebes  der  Rüdinger sehen 
Ligamente.  Auch  die  Ampullen,  selbst  mit  den  Cupnlae,  sind  erhalten, 
nur  erscheinen  die  Epithelien  der  Cristae  sonderbar  aufgelockert,  stellen- 
weise abgehoben  (Artefakt?). 

Im  Vestibulum  fällt  vor  allem  wieder  das  vermehrte  Vorhanden- 
sein von  Bindegewebe  im  perilymphatischen  Räume  der  Zisterne  auf. 
In  ganz  abnormer  Weise  sind  die  häutigen  Gebilde  durch  solche  derbe 
Brücken  und  Stränge  mit  den  umgebenden  Knochenwandungen  verbunden ; 
80 bestehen  ausgedehnte  Strangbildungen  zwischen  der  vorderen 
Utricularwand  und  der  Innenseite  der  Stapesplatte.  In 
den  tieferen  Partien  des  Vorhofs  bildet  das  neugebildete  Bindegewebe 
ein  ausgedehntes  Polster,  so  dass  das  Lumen  konzentrisch  bedeutend 
verengt,  der  perilymphatische  Raum  aufgehoben  und  nur  ein  Lumen 
fttr  die  häutigen  Gebilde   erhalten   ist.     An  diesen  Stellen   findet  sich 

15* 


220  F.  R.  Nager:  Beiträge  zur  Histologie 

auch  eiDC  beträchtliche  knöcherne  Endostwucherung,  indem  neu- 
gebildete  Knochenbalken  korallenartig  in  das  Bindegewebe  hereinragen. 
Der  Aquaeductus  vestibuli  mündet  mit  normaler  innerer  Apertur 
ins  V^estibulum;  auch  im  Knochen  lässt  sich  sein  Verlauf  kontinuier- 
lich verfolgen.  Der  ütriculus  ist  wie  auch  der  Sacculus  bedeutend 
erweitert;  auf  den  Horizontalschnitten  berühren  sie  sich  im  Niveau 
ihrer  Maculae  auf  eine  weite  Strecke  hin.  Bei  dieser  Schnittrichtang 
kann  der  Zustand  des  Macula-epithels  nicht  völlig  beurteilt  werden,  es 
scheint  wie  auch  das  subepitheliale  Gewebe  aufgelockert  zu  sein ;  darüber 
liegt  eine  zusammengebackene  Schicht  von  Wimperhaaren  und  Otoconien- 
membran  ohne  genauere  Differenzierung.  In  der  ütricularwand  finden 
sich  ganz  vereinzelte  Epithelzysten.  Die  zugehörigen  Nerven  sind  wenig 
atrophisch  und  zeigen  eine  kleinbündelige  Anordnung. 

Pars  inferior. 

Der  Sacculus  ist  gewaltig  ektasiert;  nicht  nur  von  der  Seite 
sondern  auch  von  hinten  und  von  vorn  umfasst  er  den  ütriculus,  so 
dass  er  u.  a.  beinahe  den  oberen  Rand  des  ovalen  Fensterrahmens 
erreicht.  Die  Macula  ist  sehr  verändert,  ihre  Kerne  sind  stark  ge- 
lichtet und  unregelmäfsig  angeordnet,  die  Fadenzellen  als  solche  nicht 
zu  erkennen;  über  der  Kernschicht  liegt  ein  homogener  dichter 
Streifen,  der  als  Rest  der  veränderten  Haare  und  der  Otoconien- 
masse  aufgefasst  werden  muss.  Das  subepitheliale  Gewebe  und  die 
zugehörigen  Nerven  erscheinen  bedeutend  aufgelockert. 

Die  Einmündungsstelle  des  Sacculus  in  den  Ductus  endo- 
lymphaticus bildet  einen  deutlichen  weiten  Trichter. 

Schnecke.  Das  Skelett  der  Spindel  weicht  nicht  wesentlich  von 
der  Norm  ab,  die  Verengerung  der  Nervenkanäle  ist  nur  eine  geringe. 
In  der  Scala  tympani  des  Vorhofsteils  finden  sich  ausgedehnte  neu- 
gebildete Bindegewebsstränge ,  welche  das  Lumen  durchqueren.  Sie 
sind  in  der  Umgebung  der  Apertura  interna  des  Aquaeductus 
cochl.  sogar  stellenweise  verknöchert,  so  dass  abnorme  Bindegewebs- 
und Knochenbalken  die  trichterförmige  Öflfnung  bis  zu  deren  Obliteration 
überdecken.  Diese  knöcherne  Atresie  reicht  aber  von  der  inneren 
Mündung  an  nicht  weit  in  die  Tiefe,  sondern  das  Lumen  wird  bis 
zur  äusseren  Apertur  durch  fibröses  Gewebe  vollkommen  verlegt.  Der 
Venenkanal  (Can.  Cotunnii)  ist  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  weit  und 
enthält  die  gut  gefüllte  Vene. 

Nur  in  der  Basalwindung  weicht  die  Scala  vestibuli  von  der 
Norm  ab,  indem  sich  ein  feines  sichelförmig  erscheinendes  Polster  von 
neugebildetem  Bindegewebe  mit  ganz  vereinzelten  Knochenbalken  an 
die  Spindel  anlehnt. 

Der  Ductus  cochlearis  ist  im  Vorhofsteil  und  in  der  Basal- 
windung deutlich  ektasiert;  die  Reissn ersehe  Membran  ist  heranf- 
gedrängt  und  von  der  oberen  Ansatzstelle  an  gegen  die  Spindel  auf  eine 


der  erworbenen  Taubstummheit.  221 

kürzere  Strecke  hin  mit  der  oberen  Wand  der  Windung  verlötet;  ihre 
histologischen  Elemente  sind  in  Form  und  Anordnung  normal.  Vom  Anfang 
der  zweiten  Windung  an  entspricht  das  Lumen  des  häutigen  Schnecken- 
kanals  wieder  der  Norm.  Er  enthält  stellenweise  einen  leicht  krümeligen 
Inhalt  mit  yereinzelten  abgestossenen  Zellen.  Seine  epithelialen  Elemente 
sind  in  den  einzelnen  Windungen  in  verschiedener  Weise  verändert. 
Im  Yorhofsteil  und  in  der  ersten  Windung  ist  das  Ligament,  spirale 
aufgelockert,  seine  Promin entia  spiralis  ist  erhalten,  das  darin  liegende 
Vas  spirale  erweist  sich  in  der  Basalwindung  obliteriert.  Während  die 
Stria  vascularis  stark  aufgelockert  erscheint,  sind  die  Zellen  des  Sulcus 
spiralis  ext.  normal.  Das  Cor  tische  Organ  erscheint  als  wirre  un- 
regelmäfsige  Zellgruppe,  die  bei  normal  gebliebener  Länge  etwa  V4 
seiner  gewöhnlichen  Höhe  besitzt ;  darin  sind  kaum  noch  die 
deformierten  Pfeilerzellen,  besser  noch  die  Zellarten  von  Claudius 
und  Böttcher  zu  erkennen,  während  die  übrigen  Elemente  sich 
Dicht  mehr  differenzieren.  Dass  hier  wirklich  degenerative  Erschein- 
ungen vorliegen,  geht  mit  Sicherheit  daraus  hervor,  dass  diese 
ganze  Zellgruppe  in  den  oberen  Windungen  viel  besser  erhalten  ist. 
Die  Zellen  der  Crista  spiralis  sind  besonders  in  der  äusseren  Hälfte 
wenig  differenziert  und  auffällig  aufgelockert,  tiefe  Spalten  trennen 
einzelne  Gruppen  von  Zellen  ab.  Der  Canalis  laminae  spiralis  ist 
relativ  gut  mit  Nervenfasern  aufgefüllt. 

In  den  oberen  Windungen  ist  das  Gefüge  der  Stria  vascularis  ein 
etwas  engeres ;  das  C  0  r  t  i  sehe  Organ  ist  daselbst  besser  erhalten ;  doch 
auch  an  den  besterhaltenen  Stellen,  in  der  Mitte  der  zweiten  Windung, 
ist  eine  Differenzierung  der  Haar-  und  Stützzellen  nicht  möglich.  Die 
Veränderungen  der  Cortischen  Membran  erfordern  eine  besondere 
Besprechung.  Im  Vorhofteil  und  in  der  Basalwindung  schwebt  sie 
—  in  ihren  Umrissen  unscharf  —  losgelöst  über  der  Crista  spiralis. 
Am  Ende  der  ersten  und  Anfang  der  zweiten  Windung  ist  sie 
zu  einem  querovalen  kleinen  Wulst  geschrumpft  und  liegt  im  Winkel 
zwischen  Crista  spiralis  und  Membr.  vestibularis ,  umhüllt  von  einer 
dünnen  kernhaltigen  Zelllage.  Etwas  grösser  und  hocboval  wird  sie 
in  der  Mitte  der  zweiten  Windung;  aber  r,uch  hier  ist  sie  noch 
ohne  deutliche  Struktur,  jedoch  von  der  Zellhülle  umgeben.  Reich- 
liche Bindegewebsfibrillen  sind  zwischen  der  unregelmäfsigen  Crista 
spiralis  und  der  Membr.  vestibularis  ausgespannt.  Am  Ende  der 
zweiten  Windung  rückt  die  Ansatzlinie  der  Membr.  tectoria  immer 
mehr  nach  aussen,  sie  liegt  der  Crista  nicht  mehr  direkt  auf, 
sondern  erscheint  mit  ihr  nur  durch  einen  dünnen  Stiel  verbunden 
und  bietet  so  auf  dem  Durchschnitt  ein  halbmond-  oder  eher  noch 
pilzhutförmiges  Gebilde  mit  mehr  oder  weniger  deutlicher  Kernhülle. 
In  der  dritten  Windung  hat  die  C  0  r  t  i  sehe  Membran  ein  fast 
keulenförmiges  Aussehen;  sie  setzt  mit  feinem  Stiel  am  Labium 
vestibuläre  an  und  ragt  über  den  Sulcus  internus  hinweg.  An 
dieser   Stelle   ist   auch   noch   eine  Andeutung   ihres   Zahnes   erkennbar. 


222  F.  R.  Nager:   Beiträge  zur  Histologie 

Überall  aber  färbt  sie  sich  mit  Säurefuchsin  auffallend  rosa  und  ist 
ohne  ihre  normale  Längsstreifung. 

Die  Ganglienzellen  der  Schneckenspindel  sind  ihrer  Zahl  nach 
bedeutend  vermindert;  dementsprechend  liegt  eine  starke  Veimehrung 
des  peri-  und  intraganglionären  Bindegewebes  vor.  Die  Nervenfasern 
weisen  ein  leicht  aufgelockertes  Gefüge  auf.  Doch  nimmt  mit  zu- 
nehmender Höhe  der  Windungen  die  Atrophie  ab.  Cochlearis  und 
Vestibularis  enthalten  viel  endoneurales  gewelltes  Bindegewebe.  Lumina 
und  Wandungen  der  Gefässe  weichen  nicht  wesentlich  von  der  Norm  ab. 

Das  rechte  Labyrinth  wurde  in  eine  vertikale  Serie  zerlegt 
und  unterscheidet  sich  von  der  linken  Seite  dadurch,  dass  die  Cochlea 
stärker  verändert  ist,  während  im  Vestibül  um  die  Abweichungen 
weniger  bedeutend  sind  als  links.  Es  solJen  daher  nur  die  Unter- 
scheidungspunkte hervorgehoben  werden.  Die  runde  Fenstermembran 
ist  verdickt,  weil  die  Knochenauflagerung  von  der  Innenseite  her  viel 
ausgedehnter  ist.  Die  Bindegewebsentwicklung  in  der  Cisterna  peri- 
lymphatica  beschränkt  sich  -—  vor  allem  in  den  tieferen  Partien,  im 
Recessus  cochlearis  --  auf  breite  Stränge  und  Brücken,  ohne  eigentliche 
Polsterbildung;  auch  ist  die  Einlagerung  von  Knochenbalken  eine  spär- 
lichere. Der  normal  erscheinende  Aquaeductus  vestibuli  trägt  ein  autfallend 
hohes  kubisches  Epithel;  ein  freies  Lumen  lässt  sich  im  ganzen  Ver- 
laufe verfolgen.  Der  Utriculus  ist  ebenfalls  gewaltig  erweitert,  die 
Bindegewebsstränge  zwischen  seiner  vorderen  Wand  und  der  Stapesplatte 
sind  hier  stärker  ausgebildet.  Die  Macula  verhält  sich  gleich  wie  links; 
nur  sind  die  Veränderungen  hier  deutlicher  zuerkennen.  Der  Sacculus 
scheint  noch  stärker  ektasiert  als  links,  derart,  dass  er  besonders  in  der  Um- 
gebung der  sehr  knochenreichen  Crista  vestibuli  mit  dem  ebenfalls  stark 
erweiterten  Vorhofblindsack  in  breite  Berührung  tritt.  Wegen  der  verti- 
kalen Schnittrichtung  lässt  sich  die  Macula  sacculi  nicht  genau  unter- 
suchen, die  Ebene  des  Schnittes  fällt  mit  derjenigen  der  Macula  zusammen. 

In  der  stärker  veränderten  Schnecke  der  rechten  Seite  ist  die 
Entwicklung  von  Bindegewebe  und  Knochen  in  der  Basalwindung  eine 
viel  ausgedehntere  als  links  (cf.  Taf.  XIV/XV,  Fig.  2).  Die  Scala  tympani 
ist  in  ihrem  unteren  Dritteil  fast  gänzlich  mit  Knochen  aufgefüllt,  darüber 
finden  sich  mehr  Bindegewebsstränge  und  nur  vereinzelte  Knochen- 
balken; vollkommen  frei  ist  nur  etwa  ^/g  des  normalen  Lumens  und 
zwai'  direkt  unterhalb  der  Lamina  spiralis  membranacea.  Die  knöcherne 
Auffüllung  der  Apert.  interna  des  Aquaed.  Cochleae  ist  hier  ebenfalls 
eine  vollkommene.  In  den  höheren  Windungen  nimmt  die  Bindegeweb.s- 
neubildung  in  der  Scala  tympani  rasch  ab  und  fehlt  schon  am  Anfang 
der  zweiten  Windung.  Auch  in  der  Scala  vestibuli  findet  sich  eine 
ähnliche  Neubildung  von  Bindegewebe  und  Knochen.  Speziell  hervor- 
gehoben seien  diese  Stränge  und  Balken  um  den  Modiolus  herum,  wo- 
durch das  Lumen  des  Helicotrema  verlegt  wird. 

Ductus  cochlearis.  Die  gewaltige  Ektasie  des  Schnecken- 
kanals  hat   in   der  Basalwindung   zu   einer  breiten  Verlötung  zwischen 


der  erworbenen  Tanbstammheit.  *  22;5 

der  Membrana  vestibali  und  dem  neugebildeten  Bindegewebspolster  an  der 
Spindel  geführt  (cf.  Fig.  2  m.  v.  Taf.  XIV/XV).  Auch  am  Anfang  der 
zweiten  und  in  der  Spitzenwindnng  finden  wir  den  gleichen  Zustand 
<cf.  Fig.  1  Taf.  XIV).  In  der  Mitte  der  zweiten  Windung  besteht  dagegen 
-vielmehr  ein  Kollaps  des  Ductus  cochlearis.  Die  Ektasie  ist  ferner  eine 
«ehr  unregelmäCsige,  indem  recessusartige  Ausbuchtungen  entstehen  können, 
-welche  teilweise  verbogen  sind,  sodass  auf  einem  Schnitt  ein  oder  mehrere 
Hohlräume  neben  dem  normalen  Ductus  getroffen  werden  können. 

Die  epithelialen  Elemente  der  rechten  Schnecke  sind  in  gleicher 
Weise  verändert  wie  links,  nur  scheint  die  degenerative  Atrophie  der 
Zellen  weiter  vorgeschritten  zu  sein.  Das  Ligament,  spirale  ist  auf- 
fallend zellarm,  die  Hauptmasse  des  Grundgewebes  besteht  aus  radiär 
gerichteten  Bindegewebsfibrillen.  Die  Stria  vascularis  ist  noch  bedeutend 
mehr  atrophisch  als  links.  Die  Crista  spiralis  lässt  die  auf  der  linken 
Seit«  festgestellte  Auffaserung  nicht  in  der  gleichen  Deutlichkeit  her- 
vortreten. Die  Cortische  Membran  ist  in  den  unteren  Windungen  ent- 
weder nicht  vorhanden  oder  abgelöst,  in  den  höheren  Abschnitten  der 
Schnecke  ist  sie  wie  links  geschrumpft  und  von  einem  kernhaltigen 
Kutikularsaum  umgeben.  Stellenweise  überragt  sie  ebenfalls  pilzförmig 
das  Labium  vestibuläre.  Ihre  Struktur  ist  undeutlich,  sie  erscheint  auf- 
fallend homogen.  Die  Veränderungen  des  Gortischen  Organs  sind 
rechts  viel  bedeutender  als  links:  in  der  Basalwindung  finden  sich 
überhaupt  nur  noch  vereinzelte  Zellen  und  Plasmakugeln.  In  den  oberen 
Windungen  wird  der  Zellhaufen  etwas  höher,  relativ  am  besten  sind 
die  Zellen  in  der  Spitzen windung  erhalten;  hier  gelingt  gerade  noch 
die  Differenzierung  einzelner  Zelltypen  —  mit  Ausnahme  der  Hörzellen. 
Alle  Elemente  sind  jedoch  gänzlich  deformiert,  die  Färbbarkeit  des 
Protoplasmas  kaum  erhalten;  die  Kerne  heben  sich  tinktoriell  etwas 
besser  hervor. 

In  der  Verteilung  der  nervösen  Elemente  bestehen  rechts  keine 
anderen  Verhältnisse  als  links;  bedeutende  Reduktion  ihrer  Zahl  mit 
Ersatz  durch  gewuchertes  peri-ganglionäres  und  peri-  resp.  endoneurales 
Bindegewebe  findet  sich  in  jeder  Skala,  am  meisten  in  der  Basal- 
windung. 

Die  Veränderungen  in  den  Labyrinthen  des  vorliegenden  Falles 
bieten  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  noch  ein  besonderes  Interesse. 

Es  darf  vor  allem  hervorgehoben  werden,  dass  es  sich  um  funktionell 
^enau  geprüfte  Gehörorgane  handelt,  welche  mit  allen  Tonquellen  sich 
als  taub  erwiesen  hatten,  es  sind  die  Veränderungen  daher  auch  physio- 
logisch zu  verwerten. 

Die  histologischen  Befunde  gehen  nach  den  heutigen  Kenntnissen 
der  Labyrinthpatbologie  auf  eine  früher  überstandene  Otitis  interna 
zurück;   bei   dem   ziemlich   symmetrischen  Auftreten  auf  beiden  Seiten, 


224  F.  R.  Nager:    Beiträge  zuj*  Histologie 

beim  Fehlen  irgend  welcher  Einbruchstellen  an  der  Labyrinthkapsel 
oder  an  den  Fenstern  wird  die  Otitis  interna  auf  eine  Meningitis 
zurtlckzuführen  sein ,  was  auch  die  Anamnese  durchaus  bestätigt. 
Es  liegt  demnach  eine  Meningitistaubstummheit  vor.  Die  bei 
dieser  Form  der  Taubstummheit  vorkommenden  Labyrinthveränderungen 
gehören  zu  den  am  besten  gekannten.  Siebenmann  hat  sie  in  seiner 
Anatomie  der  Taubstummheit  in  erschöpfender  Weise  zusammengestellt 
und  auch  pathogenetisch  erklärt.  Sie  lassen  sich  in  die  drei  Gruppen 
zusammenfassen :  a)  Neubildung  von  Bindegewebe  und  Knochen  im  peri- 
lymphatischen Räume  mit  consekutiver  Gestaltsveränderung  der  knöchernen 
und  auch  der  häutigen  Gebilde  im  Labyrinth,  b)  Gestalt-  und  Lumen- 
veränderung des  Ductus  cochlearis  mit  Degenerationen  der  epithelialen 
Elemente,  c)  atrophische  Prozesse  der  nervösen  Bestandteile, 

Ein  Vergleich  unserer  Bilder  mit  der  Mehrzahl  der  histologisch 
genau  untersuchten  Gehörorgane  von  Meningitistaubstummen  ergibt, 
dass  hier  die  Anomalien  relativ  geringe  sind.  Es  wäre  der  Schluss 
daraus  wohl  erlaubt,  dass  die  Intensität  der  Otitis  resp.  der  Meningitis 
keine  sehr  starke  gewesen  ist,  sodass  die  Zerstörungen  nicht  allzu  aus- 
gedehnte waren. 

Aber  gerade  durch  die  relativ  geringen  Veränderungen  gewinnen 
die  Präparate  des  vorliegenden  Falles  eine  weitere  Ähnlichkeit  mit 
gewissen  Bildern  der  angeborenen  Taubstummheit,  welche  einen 
ganz  besonderen  Typus  (Sieben mann)  darstellen  (cf.  loc.  cit.  S.  76). 
Für  jene  Fälle  hat  dieser  Autor  ätiologisch  eine  fötale  Meningitis 
angenommen.  Angesichts  der  Befunde  des  vorliegenden  Falles,  welche 
mit  Bestimmtheit  auf  eine  intra vitale  Meningitis  zurückgehen, 
erhält  die  Siebenmann  sehe  Annahme  eine  weitere  bedeutende  Stütze. 

Aus  der  Anamnese  geht  aber  weiter  hervor,  dass  die  Meningitis 
zweifellos  in  der  Rekonvaleszenz  einer  Masernerkrankung  auf- 
getreten ist  und  zwar  7  Tage  nach  der  Hauteruption  bei  bestehender 
starker  Bronchitis.  Es  entsteht  die  Frage,  in  welcher  Weise  die  Taub- 
stummheit mit  den  Masern  in  Zusammenhang  steht.  Durch  die  ein- 
gehenden Untersuchungen  von  Bezold-Rudolf  (Z.  f.  0.  Bd.  28  und 
M.  M.  W.  1896,  Nr.  10  und  11)  wissen  wir,  dass  das  Mittelohr  bei 
Masern  mit  grosser  Regelmäfsigkeit  raitzuerkranken  pflegt,  doch  wird  das 
Exsudat  in  den  meisten  Fällen  ohne  weiteres  resorbiert.  Aus  den 
verschiedenen  Taubstummenuntersuchungen  (Bezold,  Schubert» 
Schwendt,    Denker,    Nager  sen.)  geht  deutlich   hervor,    dass    die 


der  erworbenen  Taubstummheit.  22 S 

Masern  auch  eine  ätiologische  Rolle  für  die  Taubstummheit  spielen.  In 
Seiner  angeführten  Arbeit  konnte  Sieben  mann  die  Sektionsbefunde 
über  6  derartiger  Gehörorgane  zusammenstellen.  In  3  Fällen  Hess  sich  mit 
Sicherheit  der  tympanale  Ursprung  der  deletären  Otitis  interna  nach- 
weisen, bei  den  3  andern  rauss  infolge  der  ungenauen  und  differierenden 
Berichte  diese  Frage  offen  gelassen  werden.  Aber  der  gleiche  Autor 
hegte  schon  die  bestimmte  Vermutung,  dass  ein  Teil  der  Masern- 
taubstummheit meningitischen  Ursprungs  sei.  Dafür  spricht  vor 
allem  der  Umstand,  dass  ein  grosser  Bruchteil  der  Masern  taubstummen 
normale  Trommelfelle  aufweist,  nach  Bezold  und  Schmalz  etwa 
60^/q,  Nager  sen.  50^/^  etc.  Mit  diesem  Befunde  wäre  die  An- 
nahme einer  tympanal  entstandenen  Otitis  interna  gar  nicht  zu 
vereinbaren. 

Das  Vorkommen  von  Meningitis  bei  Masern  ist  sehr  selten. 
Aus  den  neueren  Werken  über  Kinderheilkunde  geht  immer  mehr 
hervor,  dass  die  Masern  an  und  für  sich  eine  harmlose  Krankheit  sind : 
bedenklich  werden  sie  nur  durch  ihre  Nachkrankheiten  oder  Kompli- 
kationen. Für  das  Nervensystem  speziell  ist  kein  Fall  einer  schweren 
direkten  Schädigung  durch  das  Maserngift  bekannt  (Jürgensen  in 
Nothnagels  Handb.  Bd.  IV,  S.Teil,  I.Abt.).  Vorübergehende 
Funktionsstörungen,  Delirien,  Erbrechen  etc.  kommen  nicht  allzu  selten 
vor,  sind  aber  eher  auf  die  hohen  Temperaturen  im  Kindesalter  zurück- 
zuführen. Es  ist  nun  freilich  eine  kleine  Anzahl  von  Fällen  bekannt 
geworden,  wo  in  der  Rekonvaleszenz  nach  Masern  als  sehr  seltene 
Nachkrankheit  Meningitis  auftrat.  Ausser  den  bei  Siebenmann 
zitierten  Fällen  von  Fürbringer  und  Joel  erwähnen  wir  u.  a.  die 
Beobachtungen  folgender  Autoren:  Stark  (Jahrb.  f.  Kinderheilk.  1897) 
mit  Ausgang  in  Heilung,  Steffens  (Deutsch.  Arch.  f.  kliu.  Med.  1899), 
Levoux  (zit.  nach  Rev.  mens..  Che  adle  (zit.  nach  Grane  her), 
Sepet  (Epidemie  von  Marseille  1899),  Rey  (Epidemie  von  Aachen), 
Cuno  (HI.  Vers,  des  Vereins  der  Westdeutschen  Kinderärzte  Dez.  1905). 
Bei  einer  der  letzten  Epidemien  in  Basel  1893/94  wurden  bei  42  Spital- 
patienten mit  Masern  2  mal  meningi tische  Symptome  beobachtet.  Die 
Obduktion  dieser  sowie  2  anderer  nicht  klinisch  beobachteter  Fälle 
ergab  als  anatomisches  Substrat  dafür  Hirnödem.  Alle  4  Patienten 
wiesen  klinisch  und  anatomisch  Bronchopneumonien  auf  (cf.  Ben n er,. 
Ing.-Diss.  Basel  1895). 

Da  wir  nun  einerseits  als  häufigste  und  gefürchtetste  Komplikation 
der  Masern  Bronchitiden  und  Bronchopneumonien  kennen,  anderseits  in 


1 


226  F.  R.  Nager:   Beitrage  zur  Histologie 

der  neueren  Literatur  die  Ansicht  und  Erfahrung  immer  wieder  betont 
wird,  dass  sich  eine  Meningitis  relativ  häufig  in  zeitlicher  und  kausaler 
Folge  aus  einer  bronchopneumonischen  Erkrankung  entwickeln  kann 
[cf.  u.  a.  Siebenrannn  (loc.  cit.  S.  16),  femer  Thiemich  in 
Pfaundlers  Handb.  d.  Kinderheilk.],  so  glauben  wir  uns  zum  Schlüsse 
berechtigt,  dass  dieMasernmeniugitis  in  den  meisten  Fällen 
—  vielleicht  sogar  ausschliesslich  —  als  eine  metasta- 
tische  oder  metapneumonische  Affektion  aufzufassen  ist. 

Weiterhin  geht  aus  den  Angaben  der  Autoren  hervor,  dass  die 
Masemmeningitis  relativ  gutartig  ist,  jedenfalls  finden  sich  unter  obigen 
Fällen  eine  Reihe  von  Heilungen.  Soweit  nun  aber  bakteriologische 
Untersuchungen  vorliegen,  scheint  gerade  die  Pneumokokken- 
meningitis  am  ehesten  zur  Heilung  tendieren,  ausserdem  sojl  sie 
mehr  in  der  hinteren  Schädelgrube  lokalisiert  sein  —  Meningitis 
basilaris  posterior  —  (Fränkel,  Thursfeld,  zit.  n.  Thiemich). 
Trotz  der  relativen  Gutartigkeit  wird  eine  Miterkrankung  des  Labyrinthes 
mit  folgender  Zerstörung  der  häutigen  Gebilde  daher  sehr  leicht  möglich 
sein.  Dieser  Infektionsmodus  würde  die  erwähnten  negativen  Trommel^ 
fpllbefunde  gut  erklären. 

Obige  Ausführungen  und  die  vorliegende  Erfahrung  drängen  zu 
der  Annahme,  dass  der  ohne  erhebliche  Mittelohrerkrankung 
eintretenden  Maserntaubstumniheit  eine  metastatische 
und  zwar  metapneumonische,  wahrscheinlich  durch 
Pneumokokken  bedingte  Meningitis  zu  Grunde  liegt. 

Es  bleibt  uns  noch  die  gesonderte  Besprechung  einzelner  histo- 
logischer Veränderungen  übrig.  Zunächst  sei  auf  die  Verteilung  der 
Anomalien  in  bezug  auf  die  einzelnen  Windungen  hingewiesen;  es  sind 
die  unteren  Abschnitte  viel  mehr  betroffen  als  die  höheren,  entsprechend 
der  bekannten  Erfahrung,  dass  Zerstörungs-  und  Eiterungsprozesse  dort 
in  der  Regel  intensiver  auftreten  (Siebenmann,  loc.  cit.  S.  25). 
Dies  gilt  sowohl  für  den  perilymphatischen  als  auch  für  den  endo- 
lymphatischen Raum. 

Dass  auch  der  Vestibularapparat  in  unserem  Falle  gelitten 
hat,  wie  es  gewöhnlich  bei  Meningitis  die  Regel  bildet,  geht  aus  den 
histologischen  Bildern  ihrer  Maculae  deutlich  hervor.  Damit  steht  auch 
die  Angabe,  dass  das  Kind  in  der  Rekonvaleszenz  langsam  wieder  gehen 
gelernt  hatte,  durchaus  in  Einklang. 

Besonderes    Interesse    verdient    das   Verhalten    der    Cortischen 
.Membran.     Wo   dieses   Gebilde   erhalten   ist,    erscheint   es   disloziert 


der  erworbenen  Tanbstummheit.  227 

und  abgehoben,  deformiert  und  {geschrumpft ;  sie  ist  ausserdem  von  einer 
kntikulaähnlichen  kernhaltigen  Httlle  umgeben.  Dieser  Befund  kehrt 
Mers  wieder  bei  den  Beschreibungen  der  angeborenen  Taub- 
stummheit (Scheibe,  Siebenmann,  Alexander ,  Habermann, 
Oppikofer,  Lindt,  Katz  u.  a.),  femer  bei  den  albinotischen 
Tieren  (Alexander,  Tandler,  Rawitz,  Beyer  etc.);  bis  vor 
kurzem  galt  er  als  typisch  far  die  Kongenitalität  der  Taubstummheit. 
Nun  hat  neuerdings  Stein  (Anatomie  der  Taubstummheit,  Lief.  III), 
die  Felsenbeine  eines  Falles  von  erworbener  (meningitischer?)  Taub- 
stummheit beschrieben,  wo  er  die  gleiche  Veränderung  findet.  Diesem 
Falle  reiht  sich  der  unsrige  an. 

Die  pathogenetische  Erklärung  daffir  hat  schon  Hickenbacher 
in  einer  unter  der  Leitung  von  Prof.  Siebenmann  durchgeführten 
Untersuchung  über  die  embryonale  Membrana  tectoria  gegeben  (cf. 
Anatomische  Hefte,  Wiesbaden  1901  und  Ing.-Diss.  Basel)  in  der  An- 
nahme von  Residuen  einer  Entzündung,  wie  solche  sich  in 
pleuritischen  und  perikarditischen  Belägen  und  Schwielen  finden.  Stein 
<loc.  cit.)  gibt  diese  Möglichkeit  für  seinen  Fall  zu,  glaubt  aber  noch,  dass 
die  Membr.  tectoria  wie  übrigens  auch  die  Otolitheumembran  der  Maculae 
als  tote,  funktionslose  Masse  die  Neigung  habe,  sich  mit  einer  Zell- 
schicht zu  umgeben  und  zu  organisieren.  Für  seinen  P'all  (Anat.  d. 
Taubstummheit,  Atlas  Lief.  II)  verweist  Alexander  auf  die  Resultate 
von  Untersuchungen,  die  Joseph  (M.  f.  0.  1902)  über  die  Entwicklung 
der  Deckmembran  angestellt  hat.  Letztere  soll  nach  Joseph  aus  einer 
Kutikula  hervorgehen,  die  in  einem  gewissen  Entwicklungsstadium  die 
Innenfläche  des  endolymphatischen  Raumes  überzieht.  Diesen  Befunden 
stehen  die  älteren  von  Rickenbacher  gegenüber,  welche  für  die 
Membr.  tectoria  einen  doppelten  Ursprung  orgeben:  die  innere  primäre 
Zone  wird  vom  grossen  Epithelialwulst  abgeschieden,  während  die  schmale 
Randzone  eine  sekundäre  Bildung  darstellt,  die  auf  dem  kleinen  Epithelial- 
wulst abgesondert  wird.  Bei  dem  Anlass  darf  darauf  hingewiesen  werden, 
dass  die  Joseph  sehen  Befunde  der  embryonalen  Kutikula,  soweit  sie 
überhaupt  vorhanden  ist,  schon  von  Rickenba  eher  beschrieben  und 
abgebildet  wird. 

Die  vorliegenden  Präparate  zusammengenommen  mit  der  Kranken- 
geschichte sprechen  unstreitbar  für  die  entzündliche  Entstehung  jener 
kutikulären  Einhüllung  der  Cortischen  Membran,  sodass  wir  uns  dem- 
nach, wie  dies  Stein  getan,  der  Anschauung  von  Siebenmann - 
Ricken  b  ach  er  anschliessen . 


1 


228  F.  R.  Nager:  Beiträge  zur  Histologie 

Wenn  wir  kurz  die  wesentlichen  Merkmale  dieses  Falles  noch 
einmal  zusammenfassen,  so  ergeben  sich  folgende  histologischen  Befunde 
an  den  Gehörorgauen: 

Bei  intakter  Labyrinthkapsel  finden  sich  beiderseits 
die  Residuen  einer  abgelaufenen  Otitis  interna  in  Form 
von  Bindegewebs-  und  Knochenneubildung  im  peri- 
lymphatischen Raum;  diese  hat  zur  Obliteration  der 
Schneckenwasserleitung  und  zur  konzentrischen  Ver- 
engerung des  Vestibulums  sowie  zu  abnormen  Adhäsionen 
zwischen  den  häutigen  Grebilden  und  den  umgebenden 
Knochenwandungen  geführt.  Weiterhin  liegen  Zustände 
von  Ektasie  und  teilweise  von  Kollaps  des  häutigen 
Labyrinthes  und  schliesslich  weitgehende  degenerative 
Erscheinungen  an  den  epithelialen  und  nervösen  Ele- 
menten des  Vestibulär-  und  Cochlearapparates  vor. 

In  klinischer  Hinsicht  gelang  uns  der  Nachweis  für 
den  vorliegenden  Fall,  dass  der  Taubstummheit  hier 
eine  metapneumonische  Meningitis  ätiologisch  zu  Grunde 
lag,  womit  zugleich  die  Pathogenese  der  Maserntaub- 
stummheit, die  ohne  wesentliche  Miterkrankung  des 
Mittelohrs  verläuft,  vollkommen  klargelegt  wurde.  End- 
lich liefert  dieser  Fall  einen  wesentlichen  Beitrag  zur 
Pathologie  der  Cortischen  Membran.  Sämtliche  Befunde 
beanspruchen  eine  besondere  Bedeutung  durch  die  intra 
vitam  ausgeführte  funktionelle  Prüfung  der  Gehörorgane. 

Erklärung  der  Abbildun^efi  auf  Tafel  XIV\XV  und  XVJ XVII. 

Fig.  1.  Vertikalschnitt  durch  die  rechtsseitige  Schnecke  20 :  1.  Schon  bei 
dieser  Vergrösserung  treten  die  Ektasie  (resp.  Kollaps)  des  Schnecken- 
kanals  und  die  atrophischen  Prozesse  der  Epithelien  deutlich  zu  Tage. 

Fig.  2.  Vertikalschnitt  durch  die  Basalwindung  40 : 1.  Die  Gewebsneubildung 
in  den  beiden  Skalen  sowie  die  Verlötung  der  Membr.  Reissneri  (ni.  v.) 
mit  dem  Bindegewebspolster  ist  sehr  deutlich.  Der  Aquaeductus  Cochleae 
(a.  c.)  und  die  über  dessen  innerer  Apertur  liegenden  Abschnitte  der 
Scala  tynipani  sind  mit  neugebildeten  Knochenmassen  aufgefüllt. 

Fig.  3.  Cortische  Membran  in  der  II.  Windung  der  rechten  Schnecke  150:  1, 
umgeben  von  einer  kernhaltigen  Kutikulai;  ausserdem  besteht  eine 
Auflockerung  der  Crista  spiralis  und  AnfföUung  des  Winkels  zwischen 
der  Crista  spiralis  und  der  Membr.  Eeissneri  mit  Bindegewebsfibrillen. 


der  erworbenen  Taubstummheit.  229 

IL  Tanbstammheit  nach  Trauma 

(zugleich  ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Pathogenese 
von   traumatischer   Ertaubung). 

Da  erst  eine  einzige  Untersuchung  über  die  traumatische  Taub- 
stummheit vorliegt,  so  ist  eine  eingehendere  Beschreibung  eines 
weiteren  genau  histologisch  untersuchten  Falles  wohl  berechtigt. 

Die  Felsenbeine  verdanken  wir  der  Liebenswürdigkeit  von  Professor 
Ernst  in  Heidelberg,  damals  Vorsteher  des  pathologischen  Institutes 
in  Zürich.  Aus  den  uns  zu  Gebote  stehenden  Angaben  über  die 
Lebensgeschichte  des  Kranken  entnehmen  wir  folgende  Daten. 

Johann  Jakob  Att.  aus  D.,  Kt.  Zürich,  64  Jahre  alt,  stammte 
aus  einer  Familie,  in  welcher  keine  Fälle  von  Taubstummheit  bekannt 
sind;  2  Brüder  leben  noch,  1  Bruder  starb  an  einer  Brustkrankheit. 
Nach  schriftlichen  Angaben  des  Pat.  selbst,  sowie  nach  den  verschiedenen 
anderen  Erkundigungen  steht  fest,  dass  als  4jähriger  Knabe  ein  schwerer 
Balken  auf  seinen  Kopf  fiel,  dass  er  in  das  Spital  verbracht  wurde,  und 
dass  er  im  Anschluss  daran  Gehör  und  Sprache  verlor.  Die  noch 
sichtbare  Narbe  auf  dem  Scheitel  bezeichnet  den  Ort  des  Traumas.  Er 
kam  sodann  in  die  Taubstummenanstalt  in  Zürich,  verblieb  dort  bis 
zum  16.  Jahre:  aus  den  Anstaltsprotokollen  ist  nichts  weiteres  zu  eruieren. 
Später  wandert«  die  Familie  nach  Genf  aus;  er  wurde  Uhrmacher  und 
war  dann  während  30  Jahren  in  der  gleichen  Fabrik  tätig,  bis  er  in- 
folge abnehmender  Sehschärfe  von  der  Heimatgemeinde  versorgt  werden 
musste.  Wegen  Magenbeschwerden  wurde  er  dann  in  das  Kantonspital 
in  Zürich  verbracht  und  verstarb  daselbst  an  Carcinoma  ventriculi 
am  10.  IL  1904.  Die  Angaben  über  seinen  Charakter  lauten  über- 
einstimmend dahin,  dass  er  ein  geschickter,  zuverlässiger  und  fleissiger 
Arbeiter  gewesen  sei  und  über  einen  gewissen  Bildungsgrad  verfügt 
habe ;  er  hatte  gut  schreiben  und  rechneu  gelernt ;  psychische  Anomalien 
sind  nicht  verzeichnet,  er  war  unter  seinen  Mitarbeitern  beliebt.  Aus 
der  Krankengeschichte  der  medizinischen  Klinik,  die  uns  durch 
Herrn  Prof.  Eichhorst  gütigst  zur  Verfügung  gestellt  wurde,  ent- 
nehmen wir  bezüglich  des  Status  folgende  Angaben:  Sensorium  bei 
der  Aufnahme  frei,  Kopf  frei  beweglich,  Pupillen  träge  reagierend;  es 
besteht  Strabismus  divergens;  über  den  Parietalia  und  Occipitalia 
ist  eine  5  frs-stückgrosse  vertiefte  Narbe;  keine  Struma. 

Eine  funktionelle  Prüfung  mit  Stimmgabeln  wurde  nicht  ausgeführt,, 
doch  hatte  Pat.  für  keine  Tonquelle  —  Musik,  Pfeifen,  Donner, 
Klatschen,  laute  Sprache,  Strassenlärm  etc.  —  eine  Empfindung; 
wir  dürfen  also  wohl  das  Vorhandensein  von  absoluter  Taubheit  an- 
nehmen. Die  Sprache  des  Patienten  ist  leise,  nicht  gut  verständlich. 
Er  selbst  verständigt  sich  mehr  durch  Schreiben  als  durch  Ablesen. 


230  F.  K.  Nager:   Beiträge  zur  Histologie 

Die  Autopsie  wurde  innerhalb  der  ersten  12  Stunden  post.  mort. 
durch  Prof.  Ernst  ausgeführt;  ihm  verdanken  wir  auch  folgenden 
Protokollauszug  (Prot.  Nr.  54/35,  1904,  Med.  Kl.): 

Schädelsektion:  Schädeldach  etwas  assymmetrisch ,  Dura 
adhärent,  besonders  über  der  Stirngegend.  Ausgesprochene  Atrophie 
des  Stirnhirns:  schmale  Gyri,  tiefe  Sulci;  Atrophie  auch  bds.  in  der 
Gegend  der  Zentralwindung,  Pia  daselbst  injiziert.  —  Sehr  starke 
Arteriosklerose  der  Gebirngefässe;  Ventrikel  weit,  Ventrikularflüssigkeit 
vermehrt ;  Ependym  glatt.  Rechts  findet  sich  auf  der  Höhe  der  Corpora 
mamillaria  (d.  h.  in  derselben  Frontalebene)  zwischen  Nucleus  caudatus, 
Linsenkern  und  Thalamus  ein  gelblich  verfärbter  Erweichungsherd  von 
Erbsengrösse.  In  den  Sinus  der  Basis  etwas  Cruor  und  flüssiges  Blut. 
Nervus  acusticus  sehr  auffallend  verdünnt. 

Anat.  Diagnose:  Gare,  ventriculi  mit  Metastase  am  Zwerchfell^ 
Peritoneum,  Mesenterium  und  Rectum;  Prostatahypertrophie;  Muskatnuss- 
leber,  arteriosklerot.  Schrumpfniere,  Infarkte  der  senil-atrophischen  Milz, 
Lungenemphysem,  allgemeine  Arteriosklerose  bes.  der  Gehimgefässe  und 
Cronararterien ;  Verwachsung  zwischen  Dura  und  Schädel  im  Gebiet  des 
Stirnhirns  mit  Atrophie  dieser  Gegend,  ebenso  wie  der  Umgebung  der 
Fossa  Sylvii  und  der  Zentralfurchen;  Akustikusatrophie. 

Bis  zur  Verarbeitung  hatten  die  Felsenbeine  mehrere  Monate  in 
lO^/o  FormoUösnng  gelegen.  Bei  dem  Versuche  vor  der  Einbettung 
den  oberen  Bogengang  leicht  zu  eröffnen,  konnte  sein  Lumen  an  der 
üblichen  Stelle  nicht  aufgefunden  werden.  Schon  bei  der  Zerlegung  in 
die  Schnittserie,  welche  in  horizontaler  Richtung  zu  15 — 25 yu  Dicke 
ausgeführt  wurde,  fiel  bei  der  Sektion  die  hochgradige  Veränderung  des 
Vestibularlumens  infolge  endostaler  Knochenwucherung  auf. 

R.  Felsenbein:  Die  makro-  und  mikroskopische  Untersuchung 
des  Mittelohrs  ergab  normale  Verhältnisse,  ebenso  fand  sich  am  Trommel- 
fell, an  den  Gehörknöchelchen  und  an  der  Schleimhautauskleidung  der 
Paukenhöhle  keine  Spur  einer  frischen  Eiterung  oder  einer  voraus- 
gegangenen Fraktur. 

Die  Stapesplatte  ist  mit  dem  vorderen  Umfang  etwas  nach 
aussen  gedrängt ;  an  dieser  Stelle  ist  dsis  Ringband  verlängert  und  ver- 
dickt, im  übrigen  ist  dieses  sowie  auch  der  Fensterrand  und  seine  Um- 
gebung normal,  ohne  Zeichen  von  Knochenwucherung.  Auf  der  vesti- 
bulären Seite  der  Stapesplatte  liegt  ein  Bindegewebspolster,  das  weiter 
unten  noch  erwähnt  wird.  Die  Labyrinthkapsel  ist  etwas  stärker 
sklerotisch  als  es  gewöhnlich  der  Fall  ist;  die  Interglobularräume  sind 
in  ziemlicher  Zahl  vorhanden.  Beim  Suchen  nach  vorhandenen  Spuren 
einer  früheren  geheilten  Fraktur  fanden  wir  in  der  Tat  Bilder,  von 
denen  wir  anfänglich  glaubten,  sie  in  diesem  Sinne  deuten  zu  müssen. 
Auf  Horizontalschnitten,  bei  denen  der  Vorhof  blindsack,  die  Kuppe  der 
runden  Fensternische  und  die  Gegend  der  hinteren  Ampulle  getroffen 
sind,  findet  sich  nämlich  eine  Knochenspalte,  die  von  der  hinteren 
knöchernen  Ampulle  ausgeht  und  an  das  Ende  der  Scala  vestibuli  gegen 


der  erworbenen  Taubstummheit.  231 

die  Lamina  spiralis  secundaria  zieht:  in  tieferen  Lagen  reicht  sie  bis 
znr  runden  Fensternische.  Beröcksichtigt  man  nach  der  Anzahl  der 
Schnitte  die  Höhenausdehnnng  dieser  Spalte,  so  ergibt  sich  daraus  das 
Vorhandensein  einer  senkrecht  verlaufenden  feinen  Fissur,  die  in  einer 
Höhe  von  etwa  3  mm  von  der  Macula  cribrosa  inferior  zum  Recessus 
cochlearis,  weiter  gegen  die  Lam.  spiral.  secundaria  und  nach  vorn 
unten  bis  gegen  die  runde  Fensternische  reicht.  Diese  Fissur  ist  wie 
die  Haversschen  Kanäle  mit  einer  scharfen  dunklen  Linie  begrenzt, 
der  Rand  erscheint  stellenweise  etwas  zackig  oder  ausgekerbt.  Aus 
dem  umliegenden  Knochen  münden  vereinzelte  kleinere  Haverssche 
Kanäle  herein.  Der  Inhalt  der  Spalte  besteht  aus  einer  kernlosen  sich 
hellrosa  färbenden  Grundsubstanz  mit  deutlicher  Querfaserung ,  die 
einzelnen  Fasern  setzen  an  den  Zacken  der  Rinde  an ;  ferner  finden  sich 
ilarin  vereinzelte  abenteuerlich  aussehende  Knochenköiperchen,  kleinere 
Pigmentansammlungen  und  endlich  sind  darin  einzelne  Gefässe  eingebettet. 
Diese  sind  meist  quer  getroffen,  so  dass  sie  also  senkrecht  verlaufen 
müssen.  Die  Annahme,  es  liege  eine  pathologische  Frakturlinie  vor, 
musste  aber  fallen  gelassen  werden,  nachdem  die  Durchsicht  einer  grossen 
Reihe  von  verschiedenen  Schnittserien  unserer  Sammlung  ergeben  hatte, 
dass  eine  Fissur  in  dieser  Gegend  bei  Erwachsenen  wenn  auch  nicht 
t(anz  in  der  hier  vorliegenden  Ausdehnung,  so  doch  fast  regelmäfsig 
(in  12  von  15  daraufhin  untersuchten  Felsenbeinen)  zu  finden  ist. 
Nach  Untersuchungen  an  Korrosionspräparaten  aus  der  Sammlung 
von  Prof.  Siebenmann  handelt  es  sich  wahrscheinlich  um  einen 
Raum  von  Fasermark,  welcher  Lymphbahnen  und  Äste  der  accessorischen 
Yene  des  Aquaeductus  Cochleae  enthält.  Eine  ähnliche  Fissur  ist  vom 
letzteren  Forscher  in  der  Umgebung  der  ovalen  Fensternische  als 
Fissur  eil  a  post  fenestram  oval,  beschrieben  worden.  Im  übrigen 
fanden  sich  in  der  Knochensubstanz  nirgends  Spuren  einer  frischen 
Fraktur, 

Die  Nachforschung  nach  den  Bogengängen  ergibt,  dass  sie 
grösstenteils  knöchern  aufgefüllt  sind,  und  zwar  ist  die  Obliteration 
in  ihrer  Scheitelgegend  und  im  Grus  simplex  eine  vollkommene.  Es 
gelingt  daselbst  kaum  mehr  mit  Sicherheit  den  ursprünglichen  vom 
neugebildeten  Knochen  zu  unterscheiden.  Vom  oberen  Bogengang  ist 
auch  das  Grus  commune  ausgefüllt.  Nur  in  der  nächsten  Umgebung 
ihrer  Ampulle  ist  das  Lumen  der  3  Bogengänge  teilweise  erhalten. 
Die  Abhängigkeit  der  Auffüllung  zu  der  Weite  des  Kanals  ist  in 
diesem  Falle  sehr  deutlich.  Wird  ein  derart  aufgefüllter  Bogen- 
gangsabschnitt gegen  das  ampuUäre  Ende  verfolgt,  so  stellt  sich 
der  Übergang  zwischen  aufgefülltem  und  freigebliebenem  Lumen  nicht 
als  scharfe  Linie  dar,  sondern  zuerst  findet  sich  eine  zentrale  Lichtung 
des  Knochengewebes,  weiter  eine  kleine  zentrale  Lücke,  später  zieht 
sich  das  Knochengewebe  bis  auf  stalaktitenförmige  Reste  zurück,  die 
vom  Rande  weit  ins  Lumen  hineinragen,  einen  mit  Kernfarbstoffen 
intensiv  dunkel  gefärbten  Saum  tragen  (Kalkreichtum?)  und  an  welche 


^32  F.  R.  Nager:  Beiträge  zur  Histologie 

^in  engmaschiges  und  zellarmes  Bindegewebe  sich  ansetzt.  Die  gleichen 
Veränderungen  finden  sich  auch  im  Vestibül  um.  Dieses  ist  durch 
Knochen-  und  Bindegewebsneubildung,  welche  von  der  oberen,  lateralen 
und  hinteren  Wand  ausgeht,  auf  ^/g  des  normalen  Volumens  eingeengt ; 
nur  der  Recessns  sphaericus  ist  von  der  Auffallung  frei.  Auf  der 
Vorderwand  findet  sich  das  obenerwähnte  ßindegewebspolster  an 
-der  Innenseite  der  Stapesplatte,  welches  direkt  in  das  neugebildete 
Auffüllnngsmaterial  der  Vorhofswandungen  übergeht.  Eine  Trennung 
zwischen  der  Labyrinth  kapsei  und  der  endostalen  Knochenwucherung  ist 
nur  an  denjenigen  Stellen  möglich,  wo  die  etwas  stärker  gefärbte  in 
^er  Norm  dem  Endost  anliegende  Knochenschicht  hervortritt.  In  den 
tieferen  Abschnitten  des  Vestibulums  findet  sich  vorwiegend  eine  binde- 
gewebige Auffüllung,  jedoch  liegen  in  diesem  Gewebe  noch  zystische 
mit  kernhaltiger  Membran  umschlossene  Räume,  die  offenbar  als  Reste 
des  Utriculus,  resp.  dessen  Sinus  posterior  zu  deuten  sind;  der 
Recessus  cochlearis  enthält  wieder  mehr  Knochen. 

Der  Aquaeductus  vestibuli  ist  in  seinem  ganzen  Verlaufe 
erhalten;  er  scheint  sehr  weit  und  ist  mit  Bindegewebe  gefüllt,  in 
welches  stellenweise  tnbulös  angeordnete  mit  kubischem  Epithel  aus- 
gekleidete Gänge  liegen ;  dazwischen  sind  einzelne  homogene  (hyaline  V) 
Kugeln  in  kernhaltige  Hüllen  eingestreut.  Die  innere  Mündung  des 
Aquaeductus  tritt  durch  sein  trichterförmiges  Aussehen  deutlich  zu  Tage, 
indem  die  neugebildeten  Knochenmassen  den  Zugang  hierfür  ausgespart 
haben.  Der  Meatus  audit.  internus  ist  besonders  im  Fundiis  sehr 
weit,  die  Nervenkanäle  dementsprechend  auffallend  kurz;  auch  hier 
keine  Spuren  einer  früheren  Fraktur. 

Die  häutigen  Gebilde  des  Vestibularap parates  zeigen 
schwere  Alterationen.  Vom  oberen  und  horizontalen  Bogengang  ist  gar 
nichts  erhalten;  in  der  Gegend  der  häutigen  Ampullen  finden  sich  ver- 
einzelte formlose,  membranöse  Reste.  Die  zugehörigen  Nervenkanäle 
sind  vollkommen  mit  Bindegewebe  ausgefüllt.  Auch  der  Utriculus  fehlt 
in  der  Hauptsache,  es  bestehen  nur  noch  einige  häutige  Gebilde  mit 
homogenen  Kugeln,  sowie  die  erwähnten  zystischen  Räume,  die  im 
unteren  Vestibularabschnitt  in  der  Auffüllungsmasse  eingebettet  liegen. 
Endlich  sind  noch  eine  Anzahl  von  Kristalldrusen  zu  erwähnen,  die  an 
der  lateralen  Wand  des  Vorhofs  liegen.  Die  Pyramis  vestibuli  ist  ver- 
kümmert, die  ihr  normaler  Weise  anliegende  Macula  utriculi  fehlt 
vollkommen ;  an  ihrer  Stelle  und  in  den  Nervenkanälen  sind  nur  Binde- 
gewebsfasern gelegen. 

Im  Gegensatz  zur  Pars  superior  ist  die  Pars  inferior  des  Laby- 
rinthes etwas  besser  erhalten.  So  ist  der  Sacculus  wenigstens  vor- 
handen, aber  in  exzessiver  Weise  ektasiert;  er  füllt  das  ganze,  noch 
erhaltene  Vestibularlumen  aus.  Seine  Wandung  ist  mit  den  Binde- 
gewebspolstern  über  den  neugebildeten  Knochenmassen  adhärent  und  vor 
Willem  haftet  sie  fest   auf  dem  Bindegewebslager,   das  die 


der  erworbenen  Taubstummheit.  233 

vestibuläre  Seite  der  Stapesplatte  überzieht,     Es  fehlt  so- 
mit vollkommen  die  Cisterna  perilymphatica.     Die  Einmündung  in  den 
I  Ductus  endolymphaticus  liegt  sehr  tief;  letzterer  selbst  biegt  im  ferneren 

I  Terlauf  als  weiter  Schlauch   nach  oben,   indem  er  dabei  dem  Sacculus 

:  anliegt  und  sich  in  die  trichterförmige  Apertur  des  Aquaeductus  vesti- 

!  buli  fortsetzt.     Die  Macula  sacculi  ist  noch  angedeutet;    ihre  Aus- 

I  dehnung  entspricht  wohl  deijenigen  der  Norm ;  die  Gestalt  der  Epithelien 

I  ist  dagegen  ganz  deformiert.    Es  findet  sich  eine  einschichtige,  stellen- 

^  weise  ungleich  hohe,  mehr  kubische  Zelllage,  die  keine  Unterscheidung 

I  in  Sinnes-  und  Stützzellen  zulässt.    Darüber  liegt  eine  homogene,  wenig 

differenzierbare  Gewebsschicht,  die  auf  beiden  Seiten  von  einer  kern- 
haltigen Hülle  umgeben  ist.  Diese  dreischichtige  Lamelle  bedeckt  nur 
die  vordere  Hälfte  der  Macula;  in  der  Mitte  bildet  sie  aus  2 — 3 fachen 
Falten  einen  kleinen  Wulst  und  verläuft  von  da  als  einschichtige  Membran 
'  quer  durch  den  Sacculus  und  inseriert  an  der  gegenüberliegenden  Wand 

<cf.  t  in  Fig.  4,  Taf.  XVIH/XIX).  Es  findet  dadurch  eine  TeUung  des  Saccular- 
lumens  in  einen  grösseren  vorderen  und  kleineren  hinteren  Abschnitt  statt. 
Das  Epithel  der  hinteren  Hälfte  der  Macula  ist  von  unregelmäfsiger  und 
kubisch-atrophischer  Gestalt;  es  fehlt  aber  daselbst  jede  Andeutung  einer 
Otolithenmembran,  während  die  vordere  Hälfte  stellenweise  Reste  davon 
in  Form  krümmeliger  mit  Hämatoxylin  dunkel  sich  färbender  Massen 
!  aufweist.    Die  Nervenversorgung  der  Macula  ist  etwas  besser  als  diejenige 

der  übrigen  Yestibularendstellen.   Die  Nervenkanäle  der  Macula  cribrosa 
I  media  weisen  viele  Bindegewebsfasern  nebst  einer  beschränkten  Anzahl 

'  dünner,  atrophischer  Nervenfasern  auf. 

Die   schweren  Veränderungen   an    der   Schnecke  lassen 
sich  in  folgende  3  Anomalien  einteilen: 

a)  Neubildung  von  Knochen-   und  Bindegewebe    im   perilymphati- 
schen   Räume    —    eine     chronisch  -  produktive     und 

I  obliterierende  Labyrinthitis  teils  fibröser,    teils 

knöcherner  Natur. 

b)  Gewaltige  Ektasie  des  Ductus  cochlearis. 

c)  Atrophische  Degeneration  der  Epithelien  aller  nervösen  Elemente. 
Die   Auffüllung    des   perilymphatischen    Raumes    ist    im    untersten 

I  Abschnitt   der   Scala   tympani,    d.  h.    in   der  Ausdehnung   des   Vorhof- 

blindsackes  eine  vollkommene  und  knöcherne  (cf.  Taf.  XVI/XVII,  Fig.  6). 
Das  ganze  Lumen  zwischen  der  unteren  Wand  der  Basalwindung,  und  der 

I  Lamina  spiralis  ossea  und  secundaria,  sowie  der  runden  Fenstermembran  ist 

'  durch  eine  sklerotische  Knochenmasse  obliteriert.     Dabei  ist  die  innere 

Mündung  der  Schneckenwasserleitung  vollkommen  vermauert;    in  ihrem 

I  weiteren  Verlaufe  ist  letztere  durch  Bindegewebe  aufgefüllt.  Höher  hinauf  in 

der  Scala  tympani  lockert  sich  das  Gefüge  des  auffüllenden  Knochens,  es 
treten  Hohlräume  darin  auf,  vor  allem  in  der  Umgebung  der  Lamina 
spiralis  ossea;  an  Stelle  des  Knochens  tritt  allmählich  ein  lockeres 
w^eitmaschiges  Bindegewebe  auf  und  verlegt  das  Lumen.  Indessen  bleibt 
von  der  L  Windung   an   immer  ein  Raum  direkt   unter   dem   häutigen 

Zeitoctinfl:  für  Ohrenheilkande,  Rd.  LIV.  16 


234  F.  R.  Nager:  Beiträge  zur  Histologie 

Spiralblatt  ausgespart,  welcher  als  dttimer  Kanal  beginnt,  von  einer 
strukturlosen  Membran  umgeben  ist  und  sich  deutlich  vom  umgebenden 
Bindegewebe  abhebt.  lu  den  höheren  Windungen  nimmt  die  Gewebs- 
neubildung  auch  in  der  Paukentreppe  ab. 

Die  Scala  vestibuli  weist  ähnliche  Narbenbildungen  auf  und 
zwar  in  Form  eines  ebenfalls  von  unten  nach  oben  an  Dicke  abnehmen- 
den Polsters,  welches  der  Spindel  anliegt  und  auf  dem  Durchschnitt  als 
Sichel  erscheint.  Dadurch  wird  eine  deformierende  Dickenzunahme  des 
Modiolus  bedingt.  Im  Helicotrema  sind  Bindegewebsstr&nge  quer  aus- 
gespannt. 

Die  auffallendste  Veränderung  bildet  nun  aber  die  gewaltige 
Ektasie  des  Ductus  cochlearis,  die  einen  bisher  kaum  beob- 
achteten Grad  erreicht  hat.  Die  Reissnersche  Membran  ist  stark 
aufgebläht  und  legt  sich  direkt  an  das  axial  gelegene  Bindegewebspolster 
an,  woselbst  sie  fest  adhärent  ist.  Dadurch  wird  das  Lumen  der  Scala 
vestibuli  vollkommen  aufgehoben.  Aber  nicht  diese  Dislokation  der 
Membr.  Reissneri  allein  bedingt  die  gewaltige  Ektasie  des  Schnecken- 
kanals, sondern  wir  finden  sogar  eine  Lageveränderung  des 
membranösen  Spiral  blattes.  Dieselbe  entsteht  durch  Verschiebung 
ihrer  Ansatzlinie  der  äusseren  Wand  der  Windung  entlang  nach  unten. 
In  der  Mitte  der  I  Windung  beginnt  eine  Ausbiegung  des  Lig.  spirale 
membranac.  gegen  die  Scala  tympani;  von  der  II.  Windung  an  ver- 
schiebt sich  seine  äussere  Insertionslinie  nach  unten;  in  der  oberen 
Hälfte  der  gleichen  Windung  setzt  dieselbe  nicht  mehr  an  der  lateralen, 
sondern  an  der  unteren  Wand  der  Wendung  an,  resp.  am  Boden 
der  Scala  tympani.  Dadurch  erscheint  das  Lumen  des  Ductus  cochlearis 
ganz  bedeutend  vergrössert,  denn  es  geht  die  äussere  Hälfte  der  Panken- 
treppe  in  ihm  auf.  Ein  Querschnitt  durch  eine  solche  Windung  sieht 
infolge  dessen  sehr  eigenttlmlich  aus  (cf.  Figg.  3  u.  4,  Taf.  XVI — XIX). 

Sogar  die  knöcherne  Spirallamelle  ist  in  ihrer  Lage  verändert, 
indem  sie  in  den  oberen  Windungen  nicht  mehr  senkrecht  von  der 
Spindel  ausgeht,  sondern  mit  derselben  einen  nach  der  Schneckenbasis 
zu  spitzen  Winkel  bildet.  Dies  tritt  besonders  in  der  Spitzenwindung 
hervor,  wo  infolge  der  Lageveränderungen  des  Spiralblattes  und  der 
Membr.  Reissneri  das  Lumen  des  häutigen  Schneckenkanals  das  4  — 5  fache 
der  Norm  beträgt. 

Hand  in  Hand  mit  der  erwähnten  Dislokation  der  häutigen  Spiral- 
lamelle geht  eine  atrophische  Degeneration  des  Ligamentum 
spirale  und  zwar  führt  dieselbe  bis  zu  ihrem  vollkommenen  Schwund. 
Überall  da,  wo  die  Insertionslinie  der  Lamina  spiralis  verschoben  ist, 
fehlt  dieses  Ligament  vollkommen.  Die  Stria  vascularis  ist  in  der 
ersten  Windung  zwar  noch  erhalten  aber  bedeutend  reduziert;  mit  der 
nach  oben  allmählich  zunehmenden  Atrophie  des  Lig.  spir.  nimmt  auch 
die  Stria  bedeutend  ab,  sodass  in  den  oberen  Schneckenabschnitten  nur 
noch  vereinzelte  Epithelien  direkt  auf  dem  Endost  gelegen  sind  und 
uns  die  frühere  Stelle  der  Stria  sowie  des  Ligamentum  spirale  angeben. 


der  erworbenen  Taubstummheit.  235 

Ferner  finden  sich  in  den  atrophischen  Bezirken  wiederum  vereinzelte 
von  einer  Kutikula  umgebene  hyaline  Kugeln.  Die  Crista  spiralis 
ist  in  der  Basalwindnng  ziemlich  gut  erhalten,  ihre  Kerne  färben  sich 
ordentlich.  Weiter  oben  tritt  besonders  in  der  äusseren  Hälfte  dieses 
Gebildes  eine  Auflockerung  des  Zellgefüges  mit  schlechterer  Färbbarkeit 
der  Kerne  auf.  An  denjenigen  Stellen,  wo  die  erwähnte  Dislokation 
der  häutigen  Spirallamelle  zu  einer  winkligen  Knickung  mit  dem 
knöchernen  Spiralblatt  führt,  beteiligt  sich  die  Crista  spiralis  ebenfalls 
daran  und  erscheint  dort  abgeknickt. 

Die  Cortische  Membran  ist  in  der  I.  Windung  nicht  mehr 
erhalten.  In  der  Mitte  der  IL  Windung  erscheint  sie  andeutungsweise 
in  den  Sulcus  internus  herabgedrückt,  sie  wird  daselbst  von  einer  kern- 
haltigen Membran  überzogen;  weiter  oben  werden  selbst  diese  Reste 
wieder  vermisst.  Der  Epithelbelag  des  Sulcus  internus  fehlt 
vollkommen  ausser  an  den  erwähnten  Stellen,  welche  von  der  rudi- 
mentären Cortischen  Membran  bedeckt  sind.  Das  Cortische  Organ 
ist  nirgends  erhalten,  an  der  entsprechenden  Stelle  ist  die  Lamina  spiral. 
membranac.  glatt  und  dünn.  Einzig  eine  flache,  unregelmäfsige  und 
einschichtige  Zelllage  ohne  erkennbare  Details  zeigt  die  frühere  Lage 
an.     Ebenso  fehlt  der  Zellbelag  des  Sulcus  exterhus. 

Die  Nervenkanäle  der  Spindel  sind  teils  durch  Bindegewebe 
aufgefüllt,  teils  erscheinen  sie  leer  und  ohne  Nerven.  Immerhin  finden 
sich  noch  ganz  vereinzelte  Trümmer  von  nervösen  Elementen  in  Form 
atrophischer  geschrumpfter  Ganglienzellen,  die  ohne  Zellstruktur  sich 
in  tote  mit  Kernfarbstoffen  dunkel  färben;  ferner  sind  stellenweise 
ebenso  spärliche  dünne  Nervenfasern  erhalten.  Der  sehr  atrophische 
N.  cochlearis  ist  im  Fundus  meatus  kurz  vor  der  Zerteilung  in  die 
einzelnen  Nervenbündel  abgerissen;  im  noch  vorhandenen  Abschnitt 
ßillt  der  Reichtum  an  peri-  und  endoneuralem  Bindegewebe  auf.  Vom 
N.  vestibularis  ist  im  Präparat  nur  noch  der  Ramus  saccularis 
und  auch  dieser  nur  als  bindegewebiger  Zug  vorhanden;  allerdings 
enthält  er  noch  einijje  wenige  Nervenfasern,  und  die  in  kleiner  Anzahl 

I  vorliegenden '  Ganglienzellen  sind  atrophisch  und  degeneriert. 

j  Die  hochgradige  Verdickung  der  Gefässwand  der  Art.  auditoria 

I  interna  tritt  deutlich  zu  Tage  als  Teilerscheinung  der  allgemein  aus- 

gesprochenen Arteriosklerose. 

Das  linke  Felsenbein  weist  im  grossen  und  ganzen  die  gleichen 
hochgradigen  Veränderungen  auf  wie  dasjenige  der  R.  Seite.    Es  sollen 

'  im  folgenden  vorwiegend  die  Abweichungen  gegenüber  rechts  angeführt 

werden.  In  der  Paukenhöhle  findet  sich  das  Bild  einer  akuten 
katarrhalischen   Otitis  media   mit   leichter  Schwellung   der  Schleimhaut,. 

i  geringer  Erweiterung  der  Gefässe,  entzündlicher  Auflockerung  der  Epithelien 

und  Ansammlung  eines  geringen  zellreichen  Exsudates.  Auch  auf  dieser 
Seite  findet  sich  die  auf  pag.  230  und  231  erwähnte  Fissur  in  der 
gleichen  Ausdehnung.  Die  Luxation  der  vorderen  Stapesplatte  nach  aussen 

i  —  gegen  die  Paukenhöhle  —  ist  links  eher  stärker  ausgesprochen  als 

i  16* 


236  ^''  R.  Nager:   Beiträge  zur  Histologie 

rechts ;  das  Ringband  ist  mit  Ausnahme  der  dadurch  bedingten  Dehnung 
normal.  Die  Bogengänge  sind  links  in  gleicher  Weise  aufgefüllt.  Der 
Aquaeductus  vestibuli  ist  weit  angelegt,  zeigt  aber  auffällige  Knochen- 
neubildung, sodass  stellenweise  das  Lumen  stark  verengt  ist. 

Das  Yestibulum  zeigt  die  gleiche  Auffüllung  mit  Knochen-  und 
Bindegewebe,  wenn  auch  nicht  in  so  ausgedehnter  Weise  wie  rechts; 
die  hintere  Wand  ist  von  der  K  n  o  c  h  e  n  neubildung  verschont,  dafür 
ist  die  Bindegewebsentwicklung  stärker;  in  dieses  Gewebe  ragen 
zackige  Knochenspangen  herein.  In  der  oberen  Hälfte  sind  vereinzelte 
grössere  zystische  Räume  von  unregelmäfsiger  Gestalt  eingelagert;  es 
kann  nicht  mit  Sicherheit  entschieden  werden,  ob  diese  die  spärlichen 
Reste  von  häutigen  Gebilden  der  Pars  superior  darstellen.  Sämtliche 
Nervenendstellen  der  Bogengänge  und  des  Utriculus  sind  verödet, 
die  Nervenkanäle  bindegewebig  aufgefüllt.  In  höherem  Grade  als  rechts 
finden  sich  grosse  hyaline  von  einer  Kutikula  eingehüllte  Kugeln  in 
der  Umgebung  der  Nervenendstellen  und  in  den  Wandungen  der  zystischen 
Räume. 

Vom  häutigen  Vestibularapparat  ist  nur  der  Sacculus  als  solcher 
noch  erkennbar,  aber  hochgradig  verändert.  Die  Ektasie  ist  hier 
wieder  sehr  ausgesprochen,  die  Wandungen  weisen  ausgedehnte  Adhäsionen 
mit  dem  umgebenden  neugebildeten  Knochen-  und  Bindegewebe  des 
Yestibulums  auf.  Auch  von  der  Innenseite  der  Stapesplatte  gehen 
derbe  Bindegewebsstränge  in  den  Vorhof,  speziell  an  die  ektasierte  Wand 
des  Sacculus.  In  ihrer  unteren  Hälfte,  vom  Niveau  des  ovalen  Fensters 
an,  ist  die  ganze  Saccularwand  von  einer  beträchtlichen  Schicht 
krümeliger  und  scholliger  Massen  ausgekleidet,  die  teilweise  von  Binde- 
gewebssepten  durchzogen  und  von  einer  feinen  Hülle  umgeben  sind. 
Auch  bei  starker  Vergrösserung  lässt  sich  keine  andere  Struktur  darin 
erkennen;  diese  Schollen  färben  sich  intensiv  mit  Kernfarbstoffen,  bes. 
mit  Hämatoxylin,  sodass  wir  sie  füglich  als  Kalkansammlungen  deuten 
dürfen.  In  der  Macula  speziell  ordnen  sich  diese  Massen  noch  mehr 
schichtförmig  an,  die  bindegewebigen  Septen  sind  deutlicher,  dazwischen 
finden  sich  einzelne  kleinere  Reihen  von  niederen  zylindrischen  Zellen 
als  einzige  Reste  des  Maculaepithels.  Im  gleichen  Niveau  liegen  stellen- 
weise auch  hyaline  Kugeln.  Dadurch,  dass  sie  sich  mit  Hämatoxylin-Eosin 
gelbrot  färben,  heben  sie  sich  deutlich  von  den  dunklen  Kalkmassen 
ab.  Verbindungen  des  Sacculus  mit  dem  Ductus  endolymphaticus  oder 
mit  anderen  zystischen  Räumen  lassen  sich  nicht  nachweisen.  Es  fehlen 
fernerhin  alle  Nervenfasern  für  die  Macula  sacculi,  die  Nervenkanäle 
sind  vollkommen  mit  Bindegewebe  aufgefüllt. 

Die  linke  Schnecke  ist  in  gleicher  Weise  hochgradig  verändert 
wie  die  rechte:  Auffüllung  des  perilymphatischen  Raumes,  gewaltige 
Ektasie  des  Ductus  cochlearis  und  Atrophie  der  Nervenelemente  kenn- 
zeichnen auch  hier  das  Bild.  Die  knöcherne  Obliteration  der  Scala 
tympani  im  Vorhof  blindsack  ist  ebenfalls  eine  vollkommene  wie  auch  der 


der  erworbenen  Taubstummheit  237 

Verschluss  des  Aquaedactns  Cochleae.  Nach  oben  zu  nimmt  wie  auf  der 
andern  Seite  die  Neubildung  von  Knochen  gegenüber  deijenigen  von 
Bindegewebe  ab.  In  der  Umgebung  der  Lamina  modioli  liegt  reichlich 
weitmaschiges  Bindegewebe.  Die  Ektasie  des  Ductus  cochlearis  ist 
hier  noch  stärker  als  rechts.  Die  Ausbuchtung  der  Lamina  spir.  membr. 
gegen  die  Scala  typpani  mit  der  damit  verbundenen  Verschiebung  ihrer 
lateralen  Insertionsiinie  ist  schon  in  der  Mitte  der  I,  Windung  sehr 
deutlich  ausgesprochen.  In  der  ganzen  Mittelwindung  sitzt  das  derart 
dislozierte  Spiralblatt  an  der  unteren  Wand  der  Scala  tympani.  Die 
knöcherne  Spirallamelle  ist  nicht  nur  wie  rechts  heruntergedrückt, 
sondern  sie  erscheint  in  der  IL  Windung  auch  gefaltet  und  verkürzt. 
Der  Ductus  cochlearis  der  Spitzenwindung  ist  mit  dem  Haraulus  herauf- 
geschoben, er  hängt  am  neugebildeten  Bindegewebe  der  oberen  und 
äusseren  Wand  der  Gupnla.  Ein  Rest  der  Crista  spiralis  ist  noch 
deutlich  erhalten.  Durch  die  benachbarte  Neubildung  von  Bindegewebe 
und  Knochen  einerseits  und  einer  deutlichen  Atrophie  der  Knochenbalken 
andrerseits  ist  das  Aussehen  der  Schneckenspindel  ein  durchaus  verändertes. 
Einen  Unterschied  weist  der  linke  Ductus  cochlearis  gegenüber  rechts 
auf,  dadurch,  dass  in  der  Basalwindung  feine  bindegewebige  Stränge  das 
Lumen  durchqueren;  auch  in  der  verschobeneu  Spitzenwindung  sind 
solche  Fäden  zwischen  dem  Labium  vestibuläre,  der  atrophischen  Crista 
und  der  oberen  Ductuswand  ausgespannt. 

Die  epithelialen  Gebilde  des  Schneckenkanals  sind  zum 
grössten  Teil  atrophisch  degeneriert.  Relativ  am  besten  scheint  die 
Crista  spiralis  erhalten,  doch  ist  das  Zellgefüge  sehr  unregelmäfsig,  auf- 
gelockert, die  Kerne  schlecht  färbbar,  die  einzelnen  Zellen  kaum  von 
einander  zu  differenzieren. 

Das  Cortische  Organ  fehlt  vollkommen,  eine  niedere  kaum 
erkennbare  Zellreihe  am  Anfang  der  I.  Windung  gibt  ihre  frühere  Lage 
an  und  eine  ähnliche  einschichtige  Lage  niederer  unregelmäfsiger  Elemente 
an  der  lateralen  Wand  der  Windung  bezeichnet  den  Rest  der  Stria 
vascularis.  Von  der  Cortischen  Membran  ist  als  letztes  Rudiment 
ein  durchscheinendes  kugeliges  Gebilde  erhalten,  das  sich  an  ganz  um- 
schriebener SteDe  der  Mittelwindung  über  dem  Labium  vestibuläre  der 
Crista  spiralis  befindet.  Die  nervösen  Elemente  der  Spindel  sind  auf 
dieser  Seite  ebenfalls  hochgradig  atrophisch  degeneriert.  Es  finden  sich 
nur  noch  ganz  vereinzelte  und  verkümmerte  Ganglienzellen  mit  spär- 
lichen Nervenfasern.  Der  Kanal  des  Spiralblattes  ist  durchaus  leer. 
Im  übrigen  sind  die  Nervenkanäle  der  Area  cribrosa  reichlich  mit 
Bindegewebe  aufgeftlUt  Der  atrophische  Cochlearisstamm  besteht 
zum  grössten  Teil  aus  Bindegewebsfasern,  zwischen  welchen  spärliche 
Nervenfasern  zerstreut  liegen.  Der  Raraus  Saccularis  ist  links 
atrophischer  als  rechts,  entsprechend  der  stärker  ausgesprochenen 
Degeneration  der  Macula. 

Im  Fundus  und  auch  in  einzelnen  Nervenkanälen  sind  reichliche 
Psammomkörner  und  Kalkkonkremente  eingelagert. 


1 


238  F.  R.  Nager:   Beiträge  zor  Histologie 

Die  Arteriosklerose  der  Arteria  auditiva  ist  auch  hier  sehr  aus- 
gesprochen und  lässt  sich  weit  in  die  Gefässe  der  Spindel  hinein  ver- 
folgen. 


Wie  oben  angedeutet,  ist  erst  ein  einziger  histologischer  Befund 
tlber  traumatische  Taubstummheit  in  der  Literatur  niedergelegt. 

Diese  Seltenheit  erklärt  sich  aus  dem  umstände,  dass  mechanische 
Traumen  als  Ursachen  der  Taubstummheit  überhaupt  selten  sind. 
Bezold  fand  diese  Ätiologie  in  3^/^,  Lemke  in  5^/^,,  Holger 
Mygind  in  1,4 ^/^  der  untersuchten  Taubstummen.  Es  liegt  in  der 
Natur  der  Sache,  dass  die  Verletzung  innerhalb  des  ersten  Dezenniums 
eintreten  muss,  wenn  sie  Taubstummheit  nach  sich  ziehen  soll.  In 
diesem  Alter  sind  aber  Schädel  Verletzungen  weniger  häufig.  In  der 
Statistik  von  Brun  aus  der  Krön  lein  sehen  Klinik  (cf.  Bruns  Bei- 
träge, Bd.  38)  ist  unter  470  Schädel  Verletzungen  das  erste  Jahrzehnt 
mit  57  Fällen  (l2,l^/o)  vertreten;  davon  sind  13  Kinder  (29®/o)  der 
Verletzung  erlegen.  Ob  unter  den  geheilten  Patienten  später  ein  Teil 
taubstumm  geworden  ist,  darüber  gibt  diese  Zusammenstellung  keine 
Auskunft. 

Die  Mitteilung  dieses  bisher  einzigen  anatomischen  Befundes  stammt 
von  Bochdalek  und  wurde  1842  in  den  Mediz.  Jahrb.  d.  österr.  Staates 
Bd.  40  (Fall  VIII)  veröffentlicht. 

Fall  auf  den  Kopf  im  2.  Lebensjahr,  daran  anschliessend  eine 
ernstliche  Erkrankung  und  Verlust  von  Sprache  und  Gehör.  Tod  im 
12.  Lebensjahr  an  Tuberkulose.  Mittelohr,  Vorhof  und  Schnecke 
makroskopisch  normal,  ebenso  die  Pyramidenoberfläche,  es  besteht  eine 
in  den  Bogengängen,  besonders  der  peripheren  Abschnitte,  eine  ver- 
schieden stark  ausgesprochene  Auffüllung  mit  Knochenmassen.  Weitere 
Veränderungen  am  Kopfskelett,  insbesondere  Spuren  einer  früheren 
Fraktur  fanden  sich  nicht. 

Wenn  wir  uns  ein  Bild  über  die  Pathogenese  dieser  Labyrinth- 
veränderungpn  machen  wollrn,  so  müssen  wir  nach  dem  Vorgehen  von 
Siebenmann  (loc. cit.)  die  histologischen  Befunde  der  traumatischen 
Schwerhörigkeit  resp.  Taubheit  heranziehen. 

Es  ist  bekannt,  dass  gerade  das  Gehörorgan  bei  Kopftraumen  häufig 
mitbetroffen  wird.  Nach  der  erwähnten  Arbeit  von  Brun  fanden  sich 
in  oO  Fällen  klinisch  nachweisbare  hochgradige  Hörstörungen;  dazu 
kommen  noch  36  Patienten,  bei  denen  der  Verlauf  der  Frakturlinie 
durch  (las  Felsenbein  autoptisch  festgestellt  wurde,  mithin  also  6  6  Fälle 


der  erworbenen  Tanbetammheit.  239 

:auf  470  Schädelverletzungen  bezw.  auf  275  Basisfrak- 
turen, was  einem  Prozentsatz  von  14  ^/^  resp.  24  ^/^  entspricht. 

Die  histologischen  Veränderungen  über  traumatische  Taubheit,  so- 
weit sie  in  der  Literatur  niedergelegt  sind,  lassen  sich  in  2  Gruppen 
einteilen : 

1.  Auf  der  einen  Seite  haben  wir  die  Befunde  von  Patienten,  die 
sehr  bald  ihrer  Verletzung  durch  Hinzutreten  einer  meningitischen 
Komplikation  erlegen  sind-  Dazu  gehören  u.  A.  die  Fälle  von  Voltolini, 
Weber  (M.  f.  0.  1869),  Politzer  (A.  f.  0.,  Bd.  2  und  Bd.  41), 
Thiery  (cit.  n.  A.  f.  0.,  Bd.  30),  Scheibe  (V.  d.  D.  0.  G.  1897), 
Manasse  (Z.  f.  0.,  Bd.  49).  Diese  Patienten  waren  nachgewiesenermafsen 
taub.  Die  histologischen  Veränderungen  des  inneren  Ohres  setzten  sich  in 
diesen  Fällen  zusammen  a)  aus  den  direkten  mechanischen  Folgen 
des  Traumas,  b)  aus  den  Zeichen  der  eitrigen  Otitis  interna. 
Diese  letztere  kann  primär  infolge  Infektion  vom  Mittelohr  durch  die 
Bruchspalte  entstanden  sein,  oder  aber  sie  bildet  eine  Teilerscheinung 
der  eitrigen  Meningitis,  die  durch  einen  anderen  Infektionsmodus  als 
dem  otogenen  entstanden  ist.  Reine  traumatische  Veränderungen 
des  inneren  Ohres  (ohne  begleitende  Meningitis)  kurz  nach  dem  Trauma 
haben  u.  a.  Zaufal  (Wien.  Med.  W.  S.  18H5  — nur  makroskopisch), 
Moos  (Z.  f.  0.,  Bd.  2),  dann  vor  allem  Barnick  (A.  f.  A.,  Bd.  43) 
und  Lange  (Z.  f.  0.,  Bd.  53)  untei-sucht.  In  diesen  letzteren  Fällen 
verliefen  Basisfrakturen  in  der  Umgebung  der  Labyiintbkapsel  oder 
durch  diese  hindurch.  Besonders  wichtig  sind  die  Arbeiten  der  beiden 
letzten  Forscher,  die  zeigen,  dass  bei  schweren  Basisfrakturen  Ver- 
letzungen des  Gehörorgans  auf  indirektem  Wege,  selbst  ohne  Läsion 
der  Labyrinthkapsel  entstehen  können  und  zwar  entweder  in  Form  von 
Nervenzerreissungen  (Lange)  oder  von  peri-  und  endoneuralen  Hämor- 
rhagien,  die  bis  zu  den  Nervenendstellen  führen  (Bar nick).  In  wie 
weit  gerade  solche  histologische  Veränderungen  die  Funktion  des  Gehör- 
organs beeinträchtigen,  wissen  wir  noch  nicht,  da  wegen  des  soporösen 
Zustundes  der  Patienten  eine  genaue  funktionelle  Prüfung  nicht 
möglich  war. 

In  die  2.  Gruppe  der  bisher  bekannten  Befunde  über  traumatische 
Veränderungen  des  inneren  Ohres  sind  diejenigen  Fälle  zu  zählen,  die 
lange  Zeit  nach  dem  Trauma  zur  Obduktion  kamen.  Wir  nennen  die 
Beobachtungen  von  Kund  rat  (cit.  nach  Z.  f.  0.,  Bd.  16',  ferner  die 
kasuistischen  Mitteilungen  von  Riebet,  Ghassaignac  u.  A.,  die 
Bergmann    (Die   Lehre    von    den    Kopfverletzungen    pag.    219)    an- 


240  F.  R.  Nager:   Beiti-äge  zur  Histologie 

führt,  weiterhin  den  Fall  von  M anasse  (Verh.  d.  D.  0.  G.  1905)  ^> 
endlich  denjenigen  von  Lucae  (A.  f.  0.,  Bd.  XV)  und  von  Haber- 
mann (cit.  nach  A.  f.  0.  Bd.  31).  Bei  sämtlichen  Fällen  dieser 
Gruppe,  die  beiden  letzten  ausgenommen,  konnten  Spuren  von  ge- 
heilten Basisfrakturen  sicher  festgestellt  werden;  auch. 
Habermann  neigt  zur  Annahme  einer  Basisverletzung  für  seinen  Fall 
(cf.  Passow,  Verletzungen  d.  Gehörorgans  pag.  143),  sodass  eine 
solche  nur  für  denjenigen  von  Lucae  nicht  sicher  steht. 

Aus  diesen  Fällen  geht  nun  mit  Deutlichkeit  hervor,  dass  da,  wo 
schwere  Verletzungen  des  inneren  Ohres  als  Folge  der 
Einwirkung  einer  stumpfen  Gewalt  auf  den  Kopf  vor- 
lagen,  gewöhnlich   auch  Basisfrakturen  vorhanden    sind. 

Durch  die  Arbeiten  von  Bruns  (Die  chirurgischen  Krankheiten 
des  Gehirns  etc.)  und  Bergmann  (loc.  cit.)  sind  die  Heilungs- 
vorgänge von  Schädelfrakturen  im  allgemeinen  vollkommen  klargelegt. 
Nach  diesen  Autoren  bildet  ein  knöcherner  Verschluss  der  Fraktur- 
linie die  Regel;  nur  dauert  es  hier  viel  länger  als  am  übrigen 
Skelet  bis  die  Heilung  vollkommen  ist.  Ausser  in  den  Periostverhält- 
nissen,  die  für  den  Schädel  charakteristisch  sind,  liegt  der  Grund  hierfttr 
in  der  Unbeweglichkeit  der  Frakturenden,  wodurch  der  zur  Kallusbildung 
erforderliche  Reiz  ausbleibt.  In  denjenigen  Fällen,  bei  denen  autoptiscb 
längere  Zeit  nach  dem  Trauma  festgestellt  wurde,  dass  die  Heilungs- 
vorgänge noch  gar  nicht  begonnen  hatten,  lagen  schwere  fieberhafte 
Erkrankungen  oder  Eiterungen  in  der  Schädelhöhle  vor  (Bergmann). 

Unter  den  von  Bergmann  zitierten  geheilten  Schädelfrakturen 
findet  sich  eine  grosse  Anzahl,  bei  denen  die  Fraktur  durch  das  Felsen- 
bein ging.  Diese  Beobachtung  zusammengenommen  mit  den  obigen 
Ausführungen  Hesse  sich  vielleicht  klinisch  dahin  verwerten,  dass 
eine  nach  Kopftrauma  entstandene  hochgradige  Schwerhörigkeit  oder 
Taubheit  geradezu  als  Beweis  für  einen  tiberstandenen  Schädelbruch  zu 
deuten  ist.  Diese  Annahme  gilt  übrigens  auch  in  der  Augenheilkunde 
nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  das  Auge  infolge  seiner  exponierten  Lage 
viel  mehr  durch  direkte  Traumen  gefährdet  ist.  Zu  den  grossen 
Seltenheiten  gehören  Beobachtungen  wie  diejenige  von  M anasse  (V.  d. 
D.  0.  G.  1905)*).  wo  nach  15'  Jahren  der  Verschluss  der  Bruchspalte 
ein  vorwiegend  fibröser  war.  Die  Auffüllung  der  Labyrinthräume  fehlt 
auch  hier  nicht. 

1)  cf.  Anmerkung  bei  der  Korrektur. 


der  erworbenen  Taubstummheit.  241 

Die  histologischen  Befunde,  die  bei  tpanmatischer  Taub- 
stummheit von  Bochdalek  und  von  uns  erhoben  werden  konnten ^ 
stimmen  durchaus  mit  der  obigen  2.  Gruppe  überein.  Bochdalek 
erwähnt  freilich  keine  Spuren  von  Schädel  Verletzung.  Im  Sektions- 
protokoll unseres  Falles  dagegen  können  wir  die  noch  bestehendeiv. 
Narben,  die  an  umschriebener  S|elle  vorliegenden  Adhäsionen  zwischen 
Schädel,  Dura  und  Gehirn  durchaus  im  Sinne  einer  stattgehabten. 
Schädelfraktur  verwerten. 

Dass  wir  keine  mikroskopischen  Reste  von  Bruchspalten  im  Felsen- 
bein fanden,  spricht  nicht  gegen  eine  solche,  indem  nach  Riebet 
(cit.  nach  Bergmann)  Glätte  und  Vollständigkeit  des  Verschlusses 
derart  sein  kann,  dass  jede  Spur  der  früheren  Trennung  verschwindet. 
Ferner  muss  darauf  hingewiesen  werden,  dass  die  eventuelle  Fraktur 
in  eine  Lebensperiode  gefallen  ist,  in  welcher  sich  vom  Deckknochen 
der  Pyramide  erst  eine  dünne  Schicht  angelngert  hatte.  In  den  später 
apponierten,  oberflächlicheren  Knocheupartien  wird  die  Fraktur  begreif- 
licherweise sich  nicht  mehr  geltend  machen. 

Wir  kommen  demnach  in  Bezug  auf  die  Pathogenese  unseres 
Falles    —    und   auch    desjenigen    von   Bochdalek    —   zur  Annahme, 

j  dass    das    Kopftrauma    mit    einer    Schädelfraktur    verbunden    war    und 

letztere  auf  direktem  oder  indirektem  Wege  die  schweren  Veränderungen 

I  im  Ohr  herbeigeführt  hat. 

I  Die  histologischen    Bilder    erinnern  aber   auch    noch    an    einzelne 

I  Befunde  von  Meningitistaubstummheit.      Die   Möglichkeit   einer 

posttraumatischen  Hirnhautentzündung  mit  sekundärer  Otitis  interna  ist 
nicht  absolut  sicher  auszuschliessen ;  doch  fehlen  in  der  ganzen  Kranken- 
geschichte sämtliche  dafür  sprechende  Momente.  Aber  auch  angenommen, 
dass  die  Verletzung  eine  Meningitis  zur  Folge  gehabt  und  diese  zur 
Taubstummheit  geführt  hatte,  so  würde  dennoch  in  der  Auffassung 
unseres  Falles  als  traumatische  Taubstummheit  keine  Änderung 
eintreten  müssen. 

!  Neben    dem    Befunde   von   Bochdalek    (loc.    cit.)    gleicht   unser 

Fall    besonders    demjenigen   von    Ma nasse   (V,  d.  D.  0.  G.    1905) \); 

'  hier    wie  dort   die  Bindegewebs-    und  Knochenneubildung  im  Labyrinth 

[  mit    Ektasie    des    Ductus    cochlearis    und    degenerativer    Atrophie    der 

nervösen  Elemente.  Nur  weisen  die  Präparate  von  Manasse  beids. 
symmetrische  Querfrakturen  durch  das  Felsenbein  auf,  weiche- 
fibrös, zum  geringsten  Teil  knöchern  aufgefüllt  sind. 

1)  cf.  Anmerkung  bei  der  Korrektur. 


1 


242  F.  K.  Nager:  Beiträge  zur  Histologie 

Eine  kurze  Besprechung  erfordert  noch  die  auf  pag.  230  und  231 
erwähnte  Fissur.  Die  anfänglich  gehegte  Vermutung  einer  alten  Fraktnrlinie 
konnte  nicht  aufrecht  erhalten  bleiben,  nachdem  wir  wie  erwähnt  diese 
Spalte  an  der  gleichen  Stelle  bei  einer  Reihe  von  mindestens  12  Felsenbein- 
serien wieder  gefunden  haben.  Allerdings  wurde  bei  diesen  Vergleichen 
festgestellt,  dass  bei  Kindern  der  ersten  Lebensjahre  diese  Fissur  nur 
als  feinste  Linie  erscheint,  während  sie  jenseits  des  2.  Dezenniums  mit 
grosser  Regelmäfsigkeit  vorhanden  ist.  Wir  haben  oben  schon  aus- 
einandergesetzt, dass  es  sich  um  einen  Fasermarkraum  mit  Lymphbahnen 
und  vereinzelten  Blutgefässen  handelt. 

Bekommt  man  solche  Bilder  zu  Gesicht,  wo  diese  Fissur  von  der 
]iinteren  knöchernen  Ampulle  zur  Basalwindung  der  Schnecke  und  zur 
Nische  des  runden  Fensters  führt,  so  liegt  die  Vermutung  allerdings 
nahe,  darin  öine  direkte  Gefassverbindung  zwischen  Mittelohr  und 
Labyrinth  durch  die  Labyrinthwand  hindurch  zu  finden.  Über  das 
Vorkommen  solcher  Anastomosen  sind  die  Ansichten  bekanntlich  geteilt ; 
Politzer  (A.  f.  0.,  Bd.  XI)  und  Manasse  (Z.  f.  0.,  Bd.  49), 
Alexander  (V.  d.  D.  0.  G.  1904)  haben  solche  festgestellt,  während 
sie  durch  die  Gefässkorrosionen  in  den  Arbeiten  von  Siebenmann 
und  Eichler,  sowie  auch  durch  neue  Untersuchungen  von  Braun- 
stein und  Buhe   (A.  f.  0.,  Bd.  56)   nicht  bestätigt   werden  konnten. 

Von  Interesse  schien  uns  der  Umstand  zu  sein,  dass  im  Falle  von 
Manasse  (V.  d.  D.  0.  G.  1905)  die  nur  partiell  verschlossene 
Frakturlinie  gerade  in  der  Richtung  jener  kleinen  Fissur  verläuft,  dass 
letztere  also  die  Bahn  für  eine  Bruchspalte  darstellte. 

Fassen  wir  zum  Schlüsse  die  Hauptveränderungen  dieses  Felsen- 
beines zusammen,  so  ergibt  die  histologische  Untersuchung  des  zweiten 
Falles  von  traumatischer  Taubstummheit: 

Auffüllung  der  halbzirkelförmigen  Kanäle  bis  in 
die  Umgebung  ihrer  Ampullen,  Neubildung  von  Kochen- 
und  Bindegewebe  im  perilymphatischen  Räume  des  Vor- 
hofs und  der  Schnecke  mit  knöcherner  Obliteration 
der  Schnecken  Wasserleitung;  vollkommenes  Fehlen  der 
Parssuperior  labyrinthi'mit  ihren  Nervenendstellen  und 
den  zuzuführenden  Nerven.  Ektasie  des  vorhandenen 
^acculus  mit  degenerativer  Veränderung  der  Macula 
und  derNervenäste.  Bedeutende  Erweiterung  des  Ductus 
•cochlearis  selbst  mit  Lageveränderung  der  Spiralla* 
mellen;  Degeneration  sämtlicher  epithelialen  Elemente  , 


der  erworbenen  Taubstummheit.  243 

besonders  des  Sinnesepithels;  hochgradige  Atrophie  der 
Nervenfasern  und  Ganglienzellen;  dabei  normale  Pauken- 
höhlen und  intakte  Labyrinthkapsel. 

Diese  Veränderungen  gehen  auf  ein  Kopftrauma 
zurück,  das  vor  60  Jahren  der  damals  4jährige  Patient 
erlitten  hatte;  sie  bewirkten  funktionell  den  Verlust 
von  Gehör  und  Sprache  undalsanatomisch-histologisches 
Substrat  dafür  findet  sich  eine  chronische  und  obli- 
terierende teils  fibröse  teils  knöcherne  Labyrinthitis. 

Nach  den  vorliegenden  Erfahrungen  über  Schädel- 
basisfrakturen und  deren  Heilung  haben  wir  die  Ver- 
mutung, dass  auch  unserem  Falle  ein  Schädelbruch  zu- 
grunde liegt. 

Anmerkuni;?  bei  der  Korrektor. 

Während  der  Drucklegung  erschien  die  ausführliche  Bearbeitung  des 
oben  mehrfach  erwähnten  Falles  von  Ma nasse  (cf.  pag.  240  u.  241) 
in  Virchüws  Archiv  Bd.  189,  pag.  188.  Aus  dem  Protokoll  über  die 
mikroskopische  Befunde  geht  die  weitgehende  Übereinstimmung  dieser 
Beobachtung  mit  den  unsrigen  deutlich  hervor;  sie  lässt  sich  bis  in 
kleine  Details  verfolgen,  in  den  beiden  Fällen  z.  B.  war  die  Cor  tische 
3Iembran  von  der  Kernhülle  umgeben.  Diese  Form  der  chronisch- 
produktiven und  obliterierenden  Labyrinthitis  wird  von  M anasse  als 
Periostitis  ossificans  bezeichnet.  ,  Den  Anschauungen  über  die  Patho- 
genese dieser  Veränderungen  —  als  Residuen  früherer  Entzündungen 
oder  Reizungen  —  können  wir  nur  beistimmen.  Einzig  die  Fälle  von 
>progressiver  labyrinthärer  Schwerhörigkeit-  mit  Mittelohrveränderungen, 
die  histologisch  ähnliche  Bilder  aufweisen,  glauben  wir  aus  dieser 
Gruppe  aussondern  zu  sollen,  nachdem  wir  in  einer  früheren  Arbeit 
über  Cholesteatomtaubheit  (Z.  f.  0.  Bd.  53)  nachweisen  konnten,  dass 
diese  Befunde  ebenfalls  als  Residuen  abgelaufener  Labyrinthitiden  auf- 
zufassen sind. 

Die  erschöpfende  Beschreibung  dieses  seltenen  Falles  von  Manasse 
zusammen  mit  der  vorliegenden  Beobachtung  dürfte  wesentlich  dazu 
beitragen,  die  Histologie  der  traumatischen  Taubheit  resp.  Taubstumm- 
heit vollkommen  zu  charakterisieren. 


1 


244  F.  R.  Nager:  Beiträge  zur  Histologie  etc. 

Erklärung  zu  den  Abbildungen  auf  Tafel XV I\XVI1  u.  XVIII: XfX. 

Fig.  4. 

Horizontalschnitt   durch   die   Spindel   und    den   ektasierten  Sacculus    der 
rechten  Seite  in  20fa€her  Vergrösserang. 

st  =  Stapesplatte,  mit  der  vorderen  Hälfte  nach  aussen  gedrängt, 
k  =  neugehildete  Knochensubstanz  im  Vestibulum. 
s  =  sehr  ektasierter  Sacculus. 

m  =  rudimentäre  Macula  sacculi  mit  dem  bei  f  abgehenden  Strang, 
rs  =  Ramus  Nervi  saccularis,  sehr  atrophisch. 

sty  =  Scala  tympani  der  I.  Windung  und  sty*  =  dieselbe  des  Anfangs  der 
II.  Windung,  wo  die  Spirallamelle  Is  bereits  nach  unten  gedrängt  ist. 
1  s  =  häutige  Spirallamelle,  die  an  der  unteren  Wand  der  Windung  ansetzt. 
Sv  =  Rudimente  der  Stria  vascularis. 
m  r  =  dislozierte  und  adhärente  Reissn ersehe  Membran. 
D  c  3  =  Spitzenwindung,   ektasiert   und   durchzogen    von   Bingewebssträngen. 
Auf  dem  Lab.  vestibuläre  der  Crista  spiralis  Reste  der   Corti sehen 
Membran. 

Fig.  5. 

Horizontalschnitt  durch  das  linke  Labyrinth  15 : 1. 

Im  Vestibulum  reichlich  neugebildete  Knochenmassen ;  die  zackigen  Enden 
sind  mit  Bindegewebe  umgeben. 

8  =  Sacculus,    dessen  Wand   mit  einer   dunklen  Schicht   von   krümeligen 
Massen  belegt  ist;  zwischen  Sacculus  und  Innenseite  der  Stapesplatte^ 
Biudegewebsstränge. 
8 1  ==  Scala  tympani,   partiell   durch  Knochen  und  Bindegewebe   aufgefüllt, 
b  u.  b^  =  Biudegewebsstränge  im  Ductus  cochlearis  ausgespannt, 
s  v  =  Reste  der  Stria  vascularis.  \ 

dc'=  Ductus  cochlearis  der  Spitzenwindung,  disloziert  und  ganz  nach  oben 
gegen  die  narbige  Bindegewebsmasse  gezogen. 
1  s  =  das  nach  unten  gedrängte  Spiralblatt. 

Fig.  6. 

Ende  des  rechtsseitigen  Vorhof blindsackes  20 : 1. 
s  V  =  Scala  vestibuli    mit  der  verschobenen  Membr.  Keissneri  mr  und  neu- 
gebildetem Knochen  und  Bindegewebe. 
8  t  =  obliterierte  Scala  tympani. 
a  c  =  knöchern  verschlossener  Aquaeductus  Cochleae. 
m  t  =  Membrana  tympani  secundaria, 
r  f  =  Nische  des  runden  Fensters. 

fi  =  Knochenfissur  zwischen  der  Macula  cribrosa  inferior  und  der  runden 
Fensternische. 


I 


Zeitschrift  f.  Ohrenheilkunde  LIV 


C.Krapf.  Iith 


Taf.  XIV/^ 


Ver/agr  v  J  F Bergmann.  Wiesbaden 


Boenninghans:  Ein  atypischer  Fall  von  Sinus thromb ose  etc.      245 

XU. 
(Aus  dem  St.  Georgskrankenhaus.) 

Ein  atypischer  Fall  von  Sinusthrombose  und 
Kleinhirnabszess. 

Von  Privatdozent  Dr.  Boenninghaus  in  Breslau. 

Mit  einer  Abbildung  im  Texte. 

Unsere  Kenntnis  der  intrakraniellen  Komplikationen  von  Mittelohr- 
eiterungen ist  heute  bereits  so  gut  fundiert,  dass  nur  noch  die  ein- 
gehendere Veröffentlichung  solcher  Fälle  gerechtfertigt  erscheint,  die 
vom    gewöhnlichen    Verlauf    erheblich    abweichen.     Ein    solcher    Fall, 


glaube  ich,  ist  der  vorliegende;  ich  wenigstens  konnte  in  der  Literatur 
keinen  ähnlichen  finden.  Es  handelt  sich  um  einen  Kleinhirnabszess 
mit  gut  ausgebildeten  klinischen  Symptomen,  der  nur  deshalb  bei  der 
Operation  nicht  gefunden  wurde,  weil  er  nicht  in  der  vorderen  Hälfte 
des  Kleinhirns  sass,  wie  gewöhnlich,  sondern  in  der  hinteren  Hälfte. 
Hervorgerufen  war  er  durch  einen  Thrombus  des  Sinus  transversus, 
der  ebenfalls  bei  der  Operation  nicht  entdeckt  wurde,  weil  er  aus- 
nahmsweise nicht  in  der  vorderen,  sondern  in  der  hinteren  Hälfte 
des  Sinus  sass.     Die  Sinusthrombose   endlich   war   induziert   durch   das 


246  Boenninghaus:  Ein  atypischer  Fall  von  Sinusthrombose 

Empyem  einer  >\eit  aberranten  pneumatischen  Occipitalzelle,  eine  Lokali- 
sation der  Eiterung,  wie  sie  ebenfalls  nicht  zu  den  Alltäglichkeiten  ge- 
hört. Die  beigegebene  Skizze  erläutert  die  Situation.  Sie  ist  dem 
Körn  ersehen  Buche  über  die  otitischen  Erkrankungen  des  Gehirns 
entnommen.  Sie  stellt  einen  Blick  in  die  hintere  rechte  Schädelgrube 
dar.  1  ist  der  gewöhnliche  Sitz  tiefliegender,  vom  Labyrinth  aus- 
gehender, 2  derjenige  hochliegender,  vom  Sinusknie  ausgehender  Klein- 
hirnabszessc,  3  ist  der  vorliegende  Kleinhirnabszess,  4  der  Sinus  trans- 
versus,  5  das  Torkular,  6  der  Thrombus,     (s.  Abb.  S.  245). 

Der  38jährige  Kutscher  St.  erscheint  am  3.  April  1907  in  der 
Poliklinik  des  St.  Georgskrankenhauses.  Lärmend  und  gestikulierend 
verlangt  er  sofortige  Untersuchung  des  Kopfes  und  rechten  Ohres,  da 
er  sehr  krank  sei.  Die  Anamnese,  die  durch  spätere  Angaben  des 
Arztes  und  der  Frau  des  Kranken  ergänzt  wird,  ergibt  nur  soviel,  dass 
der  Patient  am  8.  Januar  1907  unter  Fieber,  Kopfschmerz  und  Rücken- 
schmerz an  Influenza  erkrankte,  dass  er  8  Tage  später  Schmerzen  in 
der  rechten  Kopfseite  und  im  rechten  Ohr  bekam,  die  trotz  mehrfacher 
Trommelfellschnitte  nicht  nachliessen,  dass  er  seit  6  Wochen  ans  Zimmer 
gefesselt  sei,  dass  er  eigentliche  Schüttelfröste  nicht  gehabt,  wohl  aber 
in  der  letzten  Zeit  mehrfach  erbrochen  habe.  Patient  ist  zwar  sehr 
erregt,  doch  gut  orientiert,  prägnant  in  seinen  Angaben,  die  nur  sehr 
langsam  und  mit  schwerer  Zunge,  doch  ohne  eigentliche  Aphasie  er- 
folgen. Funktion  rechtes  Ohr:  Flüstersprache  am  Ohr,  Knochen- 
leitung stark  verlängert,  Rinne  negativ,  Galton  normal,  C-Gabel  per 
Luft  nicht  gehört.  Otoskopischer  Befund:  Gehörgang  trocken, 
Trommelfell  graurot  getrübt,  abgeflacht,  hintere  obere  Gehörgangswand 
gesenkt.  Trommelfellschnitt  entleert  Eiter,  übriger  Befund:  Ganze 
rechte  Kopfseite  auf  Klopfen  schmerzhaft,  am  stärksten  merkwürdiger- 
weise die  Stirn,  wo  auch  der  Hauptsitz  des  Spontanschmerzes  ist.  Warze 
normal,  nicht  schmerzhaft.  Schwankender,  breitbeiniger  Gang,  Stehen 
nur  mit  gespreizten  Beinen  und  offenen  Augen  möglich.  Pupillen  mittel- 
weit, langsam  re<agierend.  Starke  Stauungspapille  beiderseits,  Nystagmus 
in  Endstellung  bei  Blick  nach  rechts  und  links.  Gesicht  lebhaft  kon- 
gestioniert,  ohne  leidenden  Ausdruck.  Zunge  leicht  belegt.  Keine 
Nackenstarre,  keine  Paresen.  Temp.  38,1,  Puls  56.  Wahrscheinlich- 
keitsdiagnose: Kleinhirnabszess.  Operation,  die  schon  in  ver- 
schiedenen Kliniken  vorgeschlagen,  seitens  des  Patienten  abgelehnt.  — 
Am  4.  April  Status  idem,  nur  normale  Temperatur.  Am  6.  April 
ebenso:  weitere  operationslose  Behandlung  meinerseits  abgelehnt.  Patient 
wird  endlich  am  7.  April  spät  abends  zur  Aufnahme  gebracht,  ist  be- 
nommen, dabei  unruhig,  ja  aggressiv. 

8.  April  erste  Operation:  Haut  stark  hyperämisch,  ebenso  das 
verdickte  Periost.  Warzenfortsatz  fast  rein  diploisch.  Nur  an  der 
Spitze   einige   mit  Eiter  oder  Granulationen   gefüllte   Zellen.     Knochen 


1 


und  Kleinhimabszess.  247 

äusserst  venös  hyperämisch.  Antrum  eröffnet,  mehr  dem  Gefühl,  folgend 
als,  dem  Auge;  in  ihm  Eiter.  Sinusknie  freigelegt,  doch  Knochen- 
blutung so  stark,  dass  nur  Momentbilder.  Daher  hier  Tamponade  und 
mittlere  Schädelgrube  freigelegt:  Dura  blass,  prall  gespannt,  pulsiert 
keine  Spur  trotz  breiter  Knochen lücke.  Revision  der  oberen  Pyramiden- 
fläche durch  Abheben  der  Dura.  Dabei  entleeren  sich  einige  Tropfen 
dtlnnen  Eiters.  Dach  des  Antrnms  verfärbt,  Fortnahme  desselben.  Jetzt 
Spaltung  der  Dura.  Grosshim  pulslos^  anämisch,  trocken,  sich  stark 
vordrängend,  4  tiefe  Inzisionen,  die  durch  Kornzange  erweitert  werden : 
Kein  Eiter.  Ventrikelpunktion:, 3 — 4  ccm  klaren  Serums.  Vergeblicher 
Versuch,  am  Sinus  weiter  zq  arbeiten.  9.  April:  Patient  ist  ruhig, 
ohne  Schmerzen,  somnolent. 

10.  April  zweite  Operation:  Blutung  heute  weniger  stark, 
lässt  sich  beherrschen  durch  30^,'^  Wasserstoffsuperoxyd.  Sinus  frei- 
gelegt nach  unten  bis  dicht  an  den  Bulbus,  nach  hinten  bis  halbwegs 
zum  Torkular.  Dabei  in  der  Occipitalschuppe  eine  Reihe  kleiner,  mit 
Eiter  und  Granulationen  gefüllter  pneumatischer  Zellen  eröffnet.  Sinus- 
punktion negativ.  Spaltung  der  freigelegten  Strecke.  Wand  braun, 
verdickt.  Sinus  vollkommen  leer,  Intima  glatt.  Beim  Abdrängen  des 
Kleinhirns  mittelst  in  den  Sinus  eingeführter  Hohlsonde  entleert  sich 
aus  dem  Bulbus  Blut,  vom  Torkular  her  aber  nicht.  Dort  stösst  die 
Sonde  auf  einen  Widerstand,  der  leider  als  Knochenhemmung  betrachtet 
wird.  Dura  des  Kleinhirns  glatt,  prall,  pulslos.  Spaltung.  Kleinhirn 
blass,  pulslos,  drängt  sich  mächtig  prall  elastisch  vor,  sodass  man  den 
Eindruck  gewinnt,  man  brauche  nur  einzustechen,  damit  sich  Eiter  ent- 
leere. 3  breite,  4  cm  tiefe  Schnitte,  parallel  der  Pyramide,  also  schräg 
nach  vorn,   mit   der  Hohlsonde  noch  um  1  cm  verlängert.     Kein  Eiter. 

11.  April  Exitus  unter  Respirationslähmung. 

Sektion:  Bei  der  Herausnahme  des  Gehirns  platzt  ein  Kleinhirn- 
abszess.  Er  ist  kleinapfel gross  und  nimmt  die  hintere  Hälfte  des 
rechten  Kleinhirns  ein.  Er  hat  eine  dicke,  gewulstete  Abszessmembran, 
die  mit  der  Dura  seitlich  fest  verwachsen  ist,  sodass  die  äussere  Hälfte 
der  Abszesswand  an  der  Dura  hängen  bleibt.  Der  Sinus  transversus 
beherbergt  an  dieser  Stelle  einen  kaum  2  cm  langen,  in  der  Mitte 
puriform  zerfallenden  Thrombus,  dessen  hinteres  Ende  spitz  in  das 
Torkular  hineinragt.  Der  Eiter  des  Abszesses  sowohl  wie  des  Thrombus 
ist  dick  und  geruchlos.  In  der  Hinterhauptschuppe  noch  einige  pneuma- 
tische mit  Eiter  gefüllte  Zellen,  deren  letzte  und  grösste  dicht  unter- 
halb der  thrombosierten  Stelle  liegt  und  den  Knochen  erweicht  hat. 
Gehimsubstanz  überall  blass,  trocken,  derb,  Ventrikel  alle  erweitert. 
Der  hinterste  Schnitt  ins  Kleinhirn  hatte  die  Abszessmembran  tangential 
berührt,  aber  nicht  durchbohrt.  Keine  Spur  von  Meningitis.  Kein  Eiter 
im  inneren  Gehörgang. 


^48  H.   Zwaardemaker:    Über  die  Einrichtung 

XIII. 

Über  die  Einrichtung  eines  geräuschlosen 
Untersuchungszimmers. 

Von  H.  Zwaardemaker  in  Utrecht. 

Mit  4  Abbildungen  auf  Tafel  A. 

Seit  1904^)  besitzt  das  hiesige  physiologische  Institut  ein  kleines 
Zimmer  zu  akustischen  Untersuchungen,  welches  zwei  Anforderungen 
zu  genügen  hat:  1.  dass  kein  Lärm  von  aussen  in  dasselbe  eindringen 
kann,  2.  dass  die  Wände  den  Schall  fast  nicht  zurückwerfen.  Die 
Veranlassung  zur  Herstellung  eines  solchen  Zimmers  war  der  Wunsch, 
auch  tagsüber  Beobachtungen  anstellen  zu  können,  während  der  leitende 
Oedanke  hauptsächlich  der  Analogie  mit  dem  Fall  der  optischen  Unter- 
suchung, wofür  seit  Aubert  allgemein  Dunkelzimmer  vorgefunden 
werden,  entnommen  wurde.  Einigermafsen  liess  ich  mich  auch  noch 
leiten  durch  eine  Veröffentlichung  von  Charpentier^)  aus  dem  Jahre 
1890,  der  zu  akustischen  Beobachtungen  mit  bestem  Erfolge  eine 
matelazierte  Zelle  benutzte,  während  die  Aufgabe  eine  bedeutende  Ver- 
einfachung bekam  durch  die  Erfahrungen  der  Neuzeit  über  Telephon- 
Kabinette. 

Es  hat  sich  herausgestellt,  dass  die  pcaktische  Bedeutung  eines 
derartigen  Untersuchungsraumes  für  ein  physiologisches  Laboratorium, 
wo  man  Akustik  treibt,  noch  viel  grösser  ist,  als  ich  anfangs  ver- 
mutete. Gar  manche  Erscheinungen,  die  sonst  schwer  zu  beobachten 
sind,  treten  im  akustischen  Zimmer  ungemein  deutlich  hervor,  andere 
lassen  sich  dort  allein  darstellen  und  fast  in  allen  Beobachtungsreihen 
ist  der  Zeitgewinn  ausserordentlich  gross.  Ähnliche  Vorteile  würden 
auch  ohrenärztliche  Kliniken  aus  einem  geräuschlosen  resonanzfreien 
Raum  ziehen  können,  um  so  wichtiger,  als  es  in  einem  Poliklinik- 
Lokal,  wo  Patienten  ab-  und  angehen  und  mehrere  Ärzte  gleichzeitig 
zu  arbeiten  haben,  nicht  möglich  ist,  genauere  akustische  Beobachtungen 
auszuführen,  und  auch  das  Zurückbestellen  von  Patienten  in  grösseren 
Kliniken,  wo  nie  vollkommene  Stille  herrscht,  kaum  zum  Zweck  führt. 
Auch  die  Zeitersparnis  wird  in  den  Kliniken  wahrscheinlich  noch  mehr 
als   in   den   physiologischen  Instituten   gewürdigt  werden.     Ich  brauche 


1)  H.  Zwaardemaker,  Ned.  Tydschr.  v.  Gen.  1905,  Bd.  I,  p.  571. 

2)  A.  Charpentier,  Arch.  de  Physiol.  norm.  et.  path.  1890,  p.  499. 


Zeitschrift  f.  Ohrenheilkunde  LIV 


C.  Kropf.  Jith 


Taf.  XVI/xvfl. 


^ 


Verlag-  v  J.  F Bergmann.  Wiesbaden 


1 


Zeitschrift  f.  Ohrenheilkunde  LIV 


sty. 


C.  Ära  ff  hth 


Taf.  xvnyxK. 


Verlag-  v  J.  F Bergmann,  Wiesbaden 


eines  geränschloBen  Untersachungszimmers.  249 

diese  an  sich  selbstverständlichen  Tatsachen  nicht  besonders  zu  betonen 
und  werde  wohl  nicht  auf  Widerspruch  stossen,  wenn  ich  behaupte, 
dass  ein  akustisches  Zimmer  zu  den  Desideraten  eines  jeden  otriatischen 
Instituts  gehört.  Diese  Überlegungen  veranlassen  mich,  die  Einrichtung 
des  hiesigen  Zimmers  an  dieser  Stelle  einigermafsen  ausführlich  zu  be- 
schreiben. 

Wer  sich  ein  geräuschloses  Zimmer  einrichten  will,  wird  hierzu  in 
der  Regel  weder  das  Souterrain   noch   die   ebene  Erde  benutzen,   weil 
es  ihm  in  diesem  Falle  nie  gelingen  wird,   den  Lärm   vorübergehender 
j  Fuhrwerke  los  zu  werden.     In   der   Mitte   eines  sehr  grossen,   ausser- 

ordentlich geschlossen  konstruierten  Gebäudes  möge  es  sich  ausführbar 
zeigen,  eine  zentral  gelegene  erschütterungsfreie  Stelle  aufzufinden,  in 
einer  Klinik,  die  wohl  selten  massiv  und  also  unhygienisch  gebaut  sein 
wird,  werden  sich  solche  Stellen  für  gewöhnlich  im  oder  am  Boden 
I  nicht   ergeben.     Man   ist   gezwungen,    das  Zimmer   in  einer  Etage  ein- 

zurichten.    Auch   in   unserm  Laboratorium   lag  dieser  Fall  vor  und  da 
übrigens  die  Wahl  der  Lokalität  keiner  besonderen  Beschränkung  unter- 
I  lag,    wurde    das    oberste    Stockwerk    gewählt,    in    der  Umgebung    von 

Räumen,    die   verhältnismäfsig  selten   benutzt  werden  (photogr.  Atelier, 
photogr.  Dunkelzimmer,  Glasmagazin  u.  s.  w.).     Unerlässlich  notwendig 
ist   es   das   akustische  Zimmer   von   der  Aussenwand   des  Gebäudes    ^u 
i  trennen,   was   sich  unter  den  bei  uns  vorliegenden  Verhältnissen  durch 

I  Ausmauerung   eines   kleinen  •  Nebenraumes   hat   erreichen  lassen.     Aber 

I  noch  auf  einige  andere  Punkte  ist  zu  achten.    Wie  man  sich  die  Kon- 

I  «truktion  auch  darstellen  will,  in  jedem  Falle  soll  sie  eine  solche  sein, 

dass  das  Ganze  eine  sehr  bedeutende  Schwere  bekommt.  In  unserem 
Falle  befürchtete  der  Architekt  sogar  Nachteile  für  das  ganze  Stock- 
werk und  fand  er  sich  veranlasst,  den  Boden  des  Stockwerks  um  das 
akustische  Zimmer  herum  mit  eisernen  Stäben  am  Dache  des  Gebäudes 
noch  besonders  zu  befestigen.  Diese  Mafsreg^l  hat  sich  als  zweck- 
entsprechend erwiesen.  Unser  geräuschloses  Zimmer  befindet  sich  also 
im  obersten  Stockwerke  des  Instituts,  halb  gestützt  auf  den  Etageboden, 
halb  schwebend  am  Dache. 

Die  Abmessungen  des  Raumes  an  der  Innenseite  gemessen  sind 
{siehe  Abb.  1  und  2):  die  Höhe  2,28  M.,  die  Länge  2,28  M.,  die 
Breite  2,20  M.  Die  Türe  befindet  sich  in  einer  der  Längsseiten  und 
ihr  gerade  gegenüber  ein  kleines  viereckiges  Fenster  von  38  auf  47  cm. 
Die  Türe  (Abb.  3)  führt  nach  einem  Korridor,  das  Fenster,  nach  dem 
Süden  gekehrt,    öffnet   sich   nach   dem   bereits   erwähnten   kleinen   ab- 

Zeitschrift  ftr  Ohrenheillnisde,  Bd.  LIV.  17 


250  H.  Zwaardemaker:    Über  die  Binrichtnng 

sichtlich  hergestellten  Nehenraum,  der  das  akustische  Zimmer  von  der 
äasseren  Mauer  des  Instituts  trennt.  In  dieser  äusseren  Mauer  befindet 
sich  gerade  gegenüber  dem  Fenster  des  Kabinetts  ein  etwas  schief  ge- 
stelltes, wenig  grösseres  Glasfenster,  sodass  die  Mittagssonne  in  das 
akustische  Zimmer  hinein  scheinen  kann.  Beide  Fenster  können  behufs 
Ventilation  geöffnet  werden.  Das  äussere  Fenster  bleibt  aber  auch 
dann  durch  eine  Mückengaze  geschlossen,  damit  keine  Insekten,  nament- 
lich keine  Motten,  hinein  gelangen  können.  Das  innere  Fenster  kann 
mehrfach  verschlossen  werden  und  zwar  1.  von  einem  den  Fensterpfostea 
überragenden  Laden,  2.  von  einem  in  Holz  gefassten  genau  abschliessen- 
den Fensterglas,  3.  von  einem  Vorhange. 

Die  Wände  des  kubischen  Baumes  bestehen  aus  sechs  Schichten^ 
die  wir  hier  nach  einander  beschreiben  wollen. 

1.  Die  am  meisten  nach  innen  gelagerte  Schicht  besteht  aus  ge- 
flochtenem Pferdehaar,  Trichopiese  genannt,  das  wir  bezogen  haben  aus 
der  Fabrik  »La  Trichopiese«  von  G.  van  de  Casteele  &  Co., 
Molenstraat  1,  Ledeberg  bei  Gent.  Ich  verdanke  die  Bekanntschaft 
mit  diesem  für  die  Auskleidung  von  Telephon-Kabinetts  hergestellten. 
Stoff  Herrn  N.  H.  Biltris,  Prof.  am  Königl.  Athenäum  in  Gent. 
Eine  Mitteilung  über  die  akustischen  Eigenschaften  des  interessanten 
Stoffes  fand  seitens  dieses  Gelehrten  in  der  Flämischen  Naturforscher- 
Versammlung  1901  statt.  Aus  vielen  Materialien  zeigte  sich  das 
Trichopiese  am  meisten  geeignet,  den  Sofaall  zurückzuhalten.  Sowohl 
die  Durchlässigkeit  für  Schall  als  die  Reflektion  desselben  ist  äusserst 
gering^).  Auf  Rat  des  Ck)llegen  Biltris  wählten  wir  die  animalische 
Trichopiese,  da  die  vegetabilische,  obgleich  viel  billiger,  eine  ziemlich 
grosse  Brandgefahr  mit  sich  bringt.  »La  Trichopiese  ordinaire  ou 
animale«  kostet  ungefähr*  4  Francs  pro  Kilo,  während  der  Bedarf  pro 
Quadratmeter  ungefähr  3  Kilo  ist. 

2.  Das  Trichopiese  ist  mittelst  Metallnadeln  und  eines  au  seiner 
Oberfläche  angebrachten  Drahtnetzes  auf  der  nächstfolgenden  weit 
dickeren  und  stabileren  Schicht  festgemacht  worden.  Letztere  besteht 
aus  porösem  Stein,  wobei  die  Spalten  zwischen  den  gesonderten  Stein- 
blöcken in  gewöhnlicher  Weise  mit  Kalk  ausgefüllt  sind.  Abweichend 
ist  nur  die  Lagerung  der  Mauer  auf  dem  Boden  des  Stockwerks.     Sie^ 


1)  Man  siehe  für  Zahlenangabe  S.  28  der  Abhandlungen  des  Kongresses. 
(A.  N.  H.  Biltris,  Handelingen  v.  h.  Vlaamsch  Natuar-  en  Geneeskundig^ 
Congres  1901,  p.  23.) 


eines  geräuschlosen  Untersuchongszimmers.  251 

geschah  in  der  Weise,  dass  erst  eine  Bleischicht  von  3  Millimeter  auf 
den  Boden  gelegt  wurde  und  auf  dieser  die  Steine  aufgemauert  worden 
sind.     Die  Dicke  der  steinernen  Schicht  beträgt  7,5  cm. 

3.  Nach  aussen  von  der  Stein  wand  kommt  eine  Luftschicht  von 
2  ä  3  cm  Dicke.  Ich  beabsichtigte  hiermit,  das  Ganze  zu  einer  Doppel- 
dose zu  machen,  und  zwar  so,  dass  die  Wände  der  inneren  Dose  jene 
der  äusseren  Dose  nirgends  berühren.  Dies  Hess  sich  am  besten  durch 
einen  Zwischenraum  erreichen,  der  jedoch  andererseits  nicht  so  gross 
sein  durfte,  das5  sich  hierin  Resonanzerscheinungen  zeigen  konnten. 
Eine  Luftschicht  von  2  ä  3  cm  schien  mir  in  dieser  Hinsicht  am  ge- 
eignetsten, denn  diese  Weite  erlaubt  noch  gerade,  sich  durch  Abtasten 
mittelst  eines  dünnen  Rottanstocks  vom  vollständig  frei  sein  des  Zwischen- 
raumes zu  überzeugen. 

4.  Dann  folgt  eine  Holzwand  von  2^/^  cm,  die  übrigens  nichts  be- 
sonderes darbietet.  Sie  dient  hauptsächlich  zur  Befestigung  der  weiteren 
nach  aussen  gelagerten  Schichten  und  ist  zu  diesem  Zwecke  noch  mit 
Querleisten  verstärkt  worden.  Solcher  Querleisten  finden  sich  drei,  eine 
unten,  eine  oben  und  eine  in  der  Mitte.  Sie  lassen  einen  freien  Raum 
an  der  Oberfläche  der  Holzwand  offen,  der,  nachdem  die  6.  Schicht 
angebracht  worden  war,  mit  porösem  Material  angefüllt  wurde.  Letzteres 
bildete  die  5.  Schicht,  welche  wir  jetzt  beschreiben  wollen. 

5.  Ein  Gemisch,  aus  Sand  und  Eorkstückchen  hergestellt,  wurde 
locker  zwischen  die  Holzwand  und  die  am  meisten  nach  aussen  ge- 
lagerte feste  Wand  gestreut.  Die  Dicke  dieser  Schicht  ist  nicht  überall 
die  gleiche.  Wo  die  Holzdielen  vorhanden  sind,  fehlt  sie  vollständig, 
an  allen  übrigen  Stellen  ist  sie  ungefähr  4  cm  dick. 

6.  Endlich  kommt  Korkstein,  6  cm  dick,  den  wir  aus  der  Fabrik 
von  Grünzweig  und  Hart  mann  in  Ludwigshafen  a/Rhein  bezogen 
haben.  Der  Korkstein  bildet  ein  verhältnismäfsig  billiges  Material 
(3  Mark  pro  Quadratmeter),  dessen  akustische  Eigenschaften  von 
H.  Sieverling  und  A.  Brehm  untersucht  und  beschrieben  worden 
sind').  Er  hat  dazu  noch  den  Vorteil,  sehr  leicht  zu  sein  (zirka  15  Kilo 
pro  Quadratmeter).  Wir  wählten  Plattenformat,  100x25cm,  wie  ge- 
sagt in  einer  Stärke  von  6  cm.  Die  Spalten  füllten  wir  mit  Zement 
and  Gips  aus  und  bekleideten  das  Ganze  mit  einem  Gipsüberzug. 

Die  soeben  gegebene  ausführliche  Beschreibung  bezieht  sich  auf 
die  Seitenwände  des  Zimmers.     In  etwas  abweichender,  aber  doch  ana- 

1)  H.  Sieverling  und  A.  Brehm.    Ann.  d.  Physik  (4)  XV,  S.  814. 

17* 


252  H.   Zwaardemaker:     Über  die  Einrichtung 

loger  Weise  wurde  das  Dach  hergestellt.  In  erster  Linie  ist  auf  die 
4  in  den  Ecken  aneinanderschliessenden  Mauern  aus  porösem  Stein  ein 
leichtes  Holzgitter  aufgelegt  worden,  das  an  der  unteren  Seite  mit 
Trichopiese  bekleidet  wurde.  An  der  oberen  Seite  befindet  sich  eine 
3  mm  dicke  Bleischicht.  Dann  folgt  wieder  die  früher  beschriebene 
Luftschicht,  an  welche  sich  ein  Holzdach  und  zuletzt  Asphaltpapier  und 
Sand  anschliessen.  Das  Prinzip  der  Doppeldose  ist  also  auch  hier 
durchgeführt,  nur  ist  an  Stelle  des  porösen  Steins  Blei  gekommen  und 
statt  des  Korksteins  eine  Asphaltpapier-  und  Sandschicht.  ^) 

Der  Boden  des  akustischen  Zimmers  musste  leider  in  etwas  anderer 
Weise  gebildet  werden,  denn  wir  fanden  den  Holzboden  des  Stockwerkes 
vor  und  hatten  mit  diesem  zu  rechnen.  Wären  wir  ganz  frei  gewesen, 
so  hätten  wir  gewiss  einen  Marmorboden  gewählt,  den  wir  dazu  noch 
auf  kleinen  steinernen  Säulen  hätten  ruhen  lassen.  Da  wir  uns  mit 
möglichst  einfachen  Mitteln  zu  begnügen  hatten,  wurde  der  bestehende 
Holzboden  mit  einer  3  mm  dicken  Bleischicht  bedeckt.  Dann  kam  ein 
Teppich  von  1  cm  Dicke.  Der  Nachteil  dieser  Bodenkonstruktion,  wobei 
das  Prinzip  der  .von  einer  dünnen  Luftschicht  getrennten  Doppelwände 
aufgegeben  wurde,  ist,  dass  die  Erschütterungen,  welche  in  einem 
anderen  Teile  des  Stockwerks  hervorgerufen  werden,  sich  bis  in  das 
akustische  Zimmer  fortpflanzten.  Nun  ist  es  zwar  leicht,  während  der 
Versuche  andere  Arbeiter  aus  dem  oberen  Stockwerk  des  Instituts,  das 
nur  Photographieräume  und  Magazine  enthält,  zu  entfernen,  aber  was 
für  Fusstritt  Geltung  hat.  ist  mutatis  mutandis  auch  anwendbar  auf  die 
dem  Boden  mitgeteilten  Schallschwingungen.  Nicht  nur  also,  dass  die 
elektrisch  getriebenen  Stimmgabeln,  die  ausserhalb  des  akustischen 
Zimmers  in  den  Nebenräumen  aufgestellt  sind,  ganz  besondere  Funda- 
mente erforderten,  damit  ihre  Schwingungen  sich  dem  Boden  nicht  mit- 
teilten, auch  die  von  anderen  kräftigen  Schallquellen  abgegebenen  Luft- 
schwingungen liessen  sich  störend  gelten.  Wir  haben  uns  bis  jetzt  auf 
zwei  Wegen  ziemlich  befriedigend  geholfen.  In  erster  Linie  haben  wir 
den  Boden  des  akustischen  Zimmers  mit  einem  zweiten  Teppich  be- 
kleidet, jetzt  aus  besonders  dicht  gewebter  Wolle  angefertigt  (Smyrna- 
Muster  aus  der  Teppichfabrik  in  Deventer).  In  zweiter  Linie  haben 
wir  die  Schallquellen,  es  sei  denn  Stimmgabeln  oder  Orgelpfeifen,  statt 
frei   in   einem   der  Nebenzimmer  (photographisches  Atelier),   in   einem 


i)  Vor  kurzem  habe  ich  auch  an  der  Stelle  dieser  Sandschicht  Korkstein 
anbringen  lassen ;  hierdurch  ergab  sich  die  Gelegenheit  noch  eine  Zwischenschiclit 
aus  Seegras  aufzunehmen. 


eines  geräuschlosen  Untersuchungszimmers.  253 

besonderen  Doppelzelt  auf  von  Bleistücken  getragenen  Steinplatten  auf- 
gestellt. Ein  derartiges  Doppelzelt  lässt  sich  leicht  herstellen,  wenn 
man  ein  eisernes  Grerippe  mit  einem  rohen  Filzüberzug  und  darüber  mit 
Peluche,  wie  man  ihn  zu  Vorhängen  benutzt,  umkleidet.  Diese  Anord- 
nung bietet  den  Vorteil,  dass  im  Zelte  selbst  keine  Resonanz  zu  Stande 
kommt  und  von  der  im.  Zelte  hervorgerufenen  Schallmenge  sehr  wenig 
nach  aussen  übertritt.  Im  Nebenraum  selbst  herrscht  infolge  dessen 
zwar  keine  absolute  Ruhe,  aber  jedenfalls  kein  nennenswerter  Schall, 
sodass  sich  fast  nichts  dem  Boden  und  von  diesem  dem  akustischen 
Zimmer  mitteilen  kann. 

In  der  Beschreibung,  insoweit  sie  bis  jetzt  vorliegt,  haben  wir  uns 
darauf  beschränkt,  die  Anordnungen  anzugeben,  deren  Zweck  es  ist, 
eine  möglichst  vollkommene  akustische  Isolierung  des  Beobachtungs- 
raumes hervorzurufen.  Durch  die  besonderen  Eigenschaften  der  inneren 
Schicht  erhielten  wir  zu  gleicher  Zeit  einen  nahezu  resonanzfreien  Raum. 
Wenn  die  Aufstellung  der  Schallquelle,  wie  in  den  meisten  klinischen  Unter- 
suchungen in  der  unmittelbaren  Nähe  des  Beobachters,  im  nämlichen  Räume 
stattfinden  dürften,  wäre  hiermit  die  Sache  als  erledigt  zu  betrachten. 
Aber  für  manche  physiologisch-akustische,  sowie  für  vereinzelte  klinische 
Untersuchungen  ist  es  erwünscht,  eine  Schallquelle  ausserhalb  des 
Zimmers  aufzustellen  und  einen  Teil  des  Schalles,  und  zwar  einen  ge- 
messenen Teil,  mittelst  besonderer  Vorrichtungen  ins  Zimmer  hinein- 
zuleiten. In  einem  solchen  Falle  hat  man  notwendig  in  einer  der 
Wände  eine  Öflfnung  gemessener  Grösse  anzubringen,  ohne  dass  man 
eine  nicht  schalldichte  Verbindung  zwischen  der  Doppelwand  hervorruft. 
Eine  zweckmäfsige  Anordnung  ist  die  folgende: 

An  der  Stelle  >t«  (Fig.  2)  findet  sich  in  der  inneren  der  Doppel- 
wände des  akustischen  Zimmers  »A«  (Fig.  4)  eine  kreisrunde,  von 
einer  Kupferröhre  »u«  begrenzte  Öffnung.  Die  Kupferröhre  wird  von 
einer  eingemauerten  grossen  Marmorplatte  »z«  unbeweglich  festgehalten. 
Dieser  Bohrung  gegenüber  befindet  sich  in  der  Aussen  wand  B  des 
Zimmers  eine  ziemlich  grosse  von  einer  dicken  Bleiplatte  >x«  ge- 
schlossene Lücke.  In  der  Bleiplatte  >x«  befindet  sich  eine  Öffnung, 
die  dem  liUmen  der  soeben  beschriebenen  Kupferröhre  »u«  genau  gegen- 
tiber  liegt,  deren  Ränder  aber  das  abgeschnittene  Ende  derselben  nicht 
berührt.  In  den  so  gebildeten  Kanal  »t  w«  kann  ein  massiver,  von 
einem  dünnen  Kupferüberzug  zusammengehaltener  lUeistopfen  geschoben 
werden,  der  sowohl  die  Innen-  als  die  Aussenwand  des  Zimmers  genau 


254  H.  Zwaardemaker:    Über  die  EiDrichtang 

abschliesst.  Eine  Abscblussplatte  »w«  drückt  mittelst  einer  Filz* 
schiebt  >y«  scbaildicbt  auf  die  grossen  Bieiplatten  »x«  der  Aussen- 
wand.  In  dieser  Weise  ist  eine  schalldichte  bleierne  Verbindung  zu 
Stande  gebracht,   welche  die  ganze  Dicke  der  Zimmerwand  durchsetzt. 

Wir  halten  nun  mehrere  |Bleistopfen  vorrätig:  1.  ganz  massive, 
die  Verwendung  finden,  wenn  man  keinen  Schall  von  aussen  einzuführen 
hat,  solche  2.  mit  einfacher  Bohrung  von  1,5  cm  lichte  Weite  ^),  solche 
3.  mit  doppelter  Bohrung  von  je  0,8  cm  lichte  Weite,  mit  0,6  cm 
Zwischenraum  *). 

Sowohl  in  der  westlichen  als  in  der  östlichen  Seitenwand  des 
Zimmers  sind  derartige  Öffnungen  mit  Bleistopfen  aufgenommen,  die 
beide  sich  als  zweckdienlich  ernriesen  haben;  es  ist  nach  unseren  Er- 
fahrungen nicht  erwünscht,  sich  auf  eine  Wandöffnung  zu  beschränken. 

Von  Zeit  zu  Zeit  hat  sich  die  Notwendigkeit  ergeben,  zum  An- 
blasen von  Orgelpfeifen  innerhalb  des  akustischen  Zimmers  über  einen 
Strom  verdichteter  Luft  oder  Kohlensäure  zu  verfügen,  und  denselben 
innerhalb  des  Kabinetts  regulieren  zu  können.  Zu  diesem  Zweck  ist 
durch  die  das  Fenster  umgebenden  Marmorplatten  »m«  ein  Bleirohr  ge- 
führt, das  durch  den  gemauerten  Nebenraum  bis  in  die  benachbarten 
Zimmer  geht. 

Femer  sind  auf  die  nämlichen  Marmorplatten  mehrere  Stopfen  für 
elektrische  Beleuchtung,  elektrische  Treibkraft,  elektrische  Signale  und 
Telephon  ketten  montiert.  In  dieser  Weise  ist  das  Zimmer  zu  möglichst 
vielseitiger  Verwendung  geeignet  gemacht.  Ein  ausschliesslich  zu  klini- 
schen Zwecken  hergestelltes  Kabinett  bedarf  vieler  dieser  Hilfsmittel 
natürlich  nicht,  obgleich  es  nicht  ratsam  erscheint,  sich  bei  der  Kon- 
struktion zu  sehr  zu  beschränken.  Man  nehme  lieber  etwas  zu  viel 
als  zu  wenig  dieser  Anordnungen  vor,  denn  wenn  sich  später  das  Be- 
dürfnis zeigen  würde,  hält  es  vielleicht  schwer  oder  ist  es  vielleicht 
gänzlich  unmöglich,  sie  ohne  grossen  Kostenaufwand  noch  nachträglich 
anzubringen. 

Zum  Schluss  möchte  ich  kurz  die  Hygiene  des  Zimmers  berühren. 
Sie  wird  gefördert  durch  den  Zutritt  der  südlichen  Sonne  durch  das 
kleine,    während    der  Versuche   akustisch  abschli essbare  Fenster.     AUe 

1)  H.  F.  Minkema,  Onderz.  Physik.  Lab.  (5),  Bd.  6.  p.  136,  1905. 

2)  Am  besten  fü'  rt  man  Kautschukröhren,  deren  Lumen  nicht  unter  0,4cm 
heruntergehen  darf,  hinein. 


Zeitschrift  für  Ohrenheilkunde  Band  LTV. 
3-.,. 


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Vertikaler  Durchschnitt  des  Zimmers  vom  Osten  nach 
dem  Westen  (durch  die  beiden  Bleistopfen). 


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Grundriss. 


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A  Innenraauer    1  ,     ^ 

T»   .  }  der  Doppelddso. 

B  Aussenmauer )  ^ 

a  Balkenlage. 

b  Hölzerner  Boden,  Seitenwände 

und  Plafond. 

c  Bleibekleidung. 

d  Teppich. 

e  Trichopiöse. 

f  Poröser  Stein. 

g  Luftlage 

h  Feiner  Sand. 

1  Eorkstein. 

j  Zement. 

k  Innere  Türe  des  Fensters. 

1  Äussere  Türe  des  Fensters. 

m  Marmorplatten. 

n  Mückengaze. 

0  Dachfenster. 

p  Filzbekleidung. 

q  Türchen. 

r  Innere  Türe. 

s  Äussere  Türe. 

t  Öffnungen  der  Bleistopfen. 

u  Kupferrohr. 

V  Bleistopfen. 

w  Ringkragen  des  Bleistopfen. 

X  Bleiplatte. 

y  Filzscheibchen. 

z  Marmorplatte. 


Nachher  ist  das  Dach  des  Ziromerj 
noch  mit  Seegras  bedeckt  worden, 
während  zwischen  die  Holzbalken 
Seegras  geschichtet  wurde.  Auch 
Hess  ich  die  Diele  des  Bodens  rings- 
um durchsägen  und  die  so  ent- 
standenen Spalten  mit  Blei  wieder 
nch  Hessen. 


p 


Tafel  A. 


Vertikaler  Durchschnitt  des  Zimmers  vom  Norden  nach  dem  Süden 
(durch  die  Türen  und  die  zwei  Fenster). 


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J8 


1  rr — ■■-.'^^i.'rt*^:"^ 


Seitenmauer  mit  Blcistopfen. 

Vehlaü  von  J.  f.  Beh(.;mann,  Wiesbadkn. 


eines  geräuschlosen  TJntersachungszimmers.  255 

Ecken  zeigen  sich  infolge  dessen  während  des  Tages  hell  helenchtet. 
Die  Ventilation  wird,  wie  beschrieben,  zwischen  den  Yersachen  darch 
das  dann  zn  öffnende  Fenster  vorgenonunen.'  Von  Zeit  zu  Zeit  lasse 
man  von  einem  Staabsaugapparat  eine  gründliche  Reinigung  vornehmen, 
wenn  nötig,  eine  Formalindampfdesinfektion  stattfinden.  Unser  Labora- 
torium-Yersuchszimmer  hat  sich  jedoch  auch  ohne  diese  Maisnahmen 
während  der  vier  Jahre  seiner  Existenz  in  vorzüglichem  Zustande  erhalten. 

Zusammenfassung. 
Das  oben  geschilderte  akustische  Zimmer  hat  fünf  Charaktere: 

1.  Durch  eine  dünne  Luftschicht  getrennte,  mehrschichtige  Doppcl- 
wände. 

2.  Reflektionslose,  schalldichte  Trichopiese  als  innere  Auskleidung. 

3.  I^eichter,  schalldichter  Korkstein  als  äussere  Auskleidung. 

4.  Trennung  von  der  Aussenmauer  des  Gebäudes  durch  einen  ein- 
gemauerten kleinen  Nebenraum. 

.5.  Durchbohrung  der  Seitenwände  durch   akustisch  isolierte  Blei- 
stopfen. 


256      G.  Alexander:  Entfernung  eines  Fremdkörpers  ans  dem  Ohre 

XIV. 

(Aus  der  Üniversitäts-Ohrenklinik    [Vorstand:  Hofrat 
Professor  Pollitzer]  in  Wien.) 

Entfernung  eines  Fremdkörpers  aus  dem  Ohre 
mit  dem  Elektromagnet. 

Von  Q.  Alezander  in  Wien. 

Die    Mitteilung    von    Koellreutter    (diese   Zeitschrift    Bd.    52> 
veranlasst  mich  hier  einen  Fall  mitzuteilen,  in  welchem  ich  eine  in  der  . 
Tiefe   des   äusseren  Tiehörganges   eingekeilte  Stahlkugel    mit  Hilfe   des 
von  den  Ophthalmologen  benutzten  Hirschberg  sehen  Elektromagneten 
entfernt  habe.     Über  den  Fall  sind  folgende  Daten  vorhanden^): 

Der  4  jährige  Johann  F.  hatte  sich  am  Vormittag  des  10.  September 
1901  eine  Eisenkugel  aus  dem  Kugellager  eines  Fahrrades  in  den  linken 
äusseren  Gehörgang  gebracht,  eine  Stunde  später  wurde  ein  Arzt  auf- 
gesucht. Derselbe  versuchte  zunächst,  den  Fremdkörper  durch  Aus- 
spritzen zu  entfernen.  Als  dies  nicht  gelang,  ging  er  mit  einer  Pinzette 
in  den  Gehörgang  ein,  vermochte  jedoch  auch  damit  die  Kugel  "nicht 
zu  extrahieren.  Schliesslich  stand  er,  da  das  Kind  lebhafte  Schmerzen 
äusserte  und  sich  eine  Blutung  aus  dem  äusseren  Gehörgang  einstellte^ 
von  weiteren  Versuchen  ab  und  wies  die  Mutter  an  die  Üniversitäts- 
Ohrenklinik. 

Bei  der  Aufnahme  an  die  Klinik  wird  das  Kind  äusserst  ängstlich  . 
und   erregt  gefunden.     Es  besteben   mäfsige  linksseitige  Ohrschmerzen. 
Otoskopisch   zeigt  sich   der   normal   weite  Gehörgang   von  Blut  erftlUt, 
und  nach  Sptllung  erblickt  man  im  Grunde  des  Gehörganges  die  konvexe, 
spiegelnde  Metallfläche  der  Eisenkugel. 

Ich  versuchte  nun  die  Kugel  durch  Spritzen  zu  entfernen ;  zunächst 
in  gewöhnlicher  Kopfstellung  bei  weit  geöffnetem  Munde  des  Patienten, 
dann  in  linker  Seitenlage  b^i  aufwärts  gerichtetem  Spritzenstrahl  und 
in  der  von  Voltolini  und  He  dinge  r  empfohlenen  Rückenlage  mit 
überhängendem  Kopfe. 

Die  Kugel  änderte  ihre  Lage  nicht  im  geringsten.  Ich  brachte 
nun  das  Kind  an  die  ü.  Augenklinik,  um  die  Kugel  mit  dem  Magnet 
zu  entfernen.  Zunächst  wurde  dabei  der  Ha  ab  sehe  Elektromagnet 
angewendet. 

Unter  dem  überaus  starken  magnetischen  Strom  rückte  die  Kugel 
eine  eben  merkliche  Strecke  nach  aussen,  extrahiert  wurde  sie  jedoch 
nicht.  Da  der  Knabe  sehr  unruhig  war  und  sein  linkes  Ohr  nur  mit 
Mühe  an  den  kegelförmigen  Magnetpol  gebracht   werden   konnte,   liess 


1)  Siehe  auch  Klinisch-therapeutische  Wochenschrift,  Wien  1901,  Nr.  48. 


r 


mit  dem  Elektromagnet.  257" 

ich  das  Kind  narkotisieren,  um  noch  einen  Versuch  mit  dem  Hirsch- 
bergschen  Magnet  zu  machen  und,  falls  auch  dies  erfolglos  sein  sollte^ 
die  Kugel  nach  Ahlösung  des  häutigen  Gehörganges  zu  entfernen. 

Mit  dem  Hirschbergschen  Magnet,  der  mit  einem  geeigneten 
griffeiförmigen  Ansätze  versehen  wurde,  gelang  die  Extraktion  sofort. 
Sobald  der  Ansatz  auf  etwa  0,5  cm  Tiefe  in  den  äusseren  Gehörgang 
gebracht  worden  war,  wurde  unter  einem  hörbaren  Klatschen  die  Kugel 
angezogen  und  blieb  am  Magnet,  der  nun  zurückgezogen  wurde,  haften. 
Die  nunmehr  mögliche  Inspektion  des  Trommelfelles  ergab  eine 
etwa  2  mm  lange ,  vertikal  verlaufende  Ruptur  im  hinteren ,  oberen 
Quadranten,  in  deren  Umgebung  das  Trommelfell  in  der  Grösse  eines 
Hanfkorns  dellenförmig  eingedrückt  erschien.  Das  innere  Gehörgangs- 
ende ist  in  der  ganzen  Zirkumferenz  blutig  suflfundiert,  zum  Teile 
exkoriiert. 

Die  Ruptur  des  Trommelfelles  ist  durch  den  Arzt  bei  seinem  Ver- 
suche, die  Kugel  mit  der  Pinzette  zu  entfernen,  erzeugt  worden,  indem 
die  Kugel,  den  Branchen  entgleitend,  gegen  das  Mittelohr  zurückwich 
und  so  das  Trommelfell  eindrückte.  Ausserdem  erschien  sie  jetzt  in 
die  Gehörgangstiefe  jenseits  des  Isthmus  einge'keilt.  In  dieser  Beziehung 
gehört  also  der  vorliegende  Fall  in  die  grosse  Reihe  derjenigen,  in 
welchen  durch  irrationelle  Extraktionsversuche  von  Gehörgangsfremd- 
körpern Verletzungen  dieses  letzteren  und  des  Trommelfelles  entstanden 
sind.  Durch  die  Entfernung  des  Fremdkörpers  mit  dem  Elektromagneten 
ist  dem  Kinde  die  operative  Extraktion  der  eingekeilten  Kugel  durch 
Ablösung  des  häutigen  Gehörganges,  eventuell  sogar  durch  Entfernung 
der  hinteren,  knöchernen  Gehörgangswand  erspart  worden,  upd  ich 
glaube,  für  alle  magnetopositiven  Fremdkörper  des  Gehörorganes  (Stahl- 
perlen und  ähnliches)  die  Entfernung  mit  dem  Elektromagneten  empfehlen 
zu  können. 


258      M.  Th.  Edelmann:  Obertonfreie  Stimmgabeln  obne  Belastung. 

XV. 

Obertonfreie  Stimmgabeln  ohne  Belastung. 

Von  Prof.  Dr.  K.  Th.  Edelmann  in  München. 

Mit  4  Abbildungen  im  Text. 

I. 

Im  Besitze  des  Herrn  Hofrates  Prof.  Dr.  Bezold  befindet  sich 
-eine  anbelastete  A-Gabel  (110  v.  d.)  von  merkwürdiger  Eigenschaft: 
wenn  man  ihren  Stiel  fest  in  die  Hand  nimmt,  and  dieselbe  mit  dem 
•der  Bezoldschen  Tonreihe  beigegebenen  Gammischlagel  so  kräftig  als 
möglich  anschlägt,  so  erlischt  ihr  erster  Zinken-Oberton  bereits  nach 
zwei  Sekunden  vollständig,  während  der  Grundton  im  ganzen  zirka 
90  Sekunden  lang  hörbar  ist. 

Bei  jeder  anderen  Gabel  bleibt  unter  ähnlichen  Umständen  der 
•erste  Oberton  der  Zinken  verhältnismäfsig  viel  länger  bestehen,  haupt- 
sächlich dann,  wenn  die  Gabeln  aus  vorzüglichem  Materiale  und  mög- 
lichst formrichtig  hergestellt  werden.  So  war  z.  B.  bei  einer  Kopie 
obiger  Gabel  die  Hördauer  für  den  Grundton  zirka  200  Sekunden  und 
für  den  ersten  Oberton  53  Sekunden.^) 

Infolge  ihrer  relativen  Obertönefreiheit  eignet  sich  selbstverstÄnd- 
lich  die  Bezoldsche  Original- A-Gabel  ganz  vorzüglich  zur  Vornahme 
•der  verschiedenen  Hörprüfungen  von  Luft-  und  Enochenleitung ,  des 
Schwabachschen  und  Rinneschen  Versuches  etc.-)  Bezold  hat 
deshalb  seit  Jahren  immer  von  neuem  darauf  gedrungen,  dass  bezüglich 
■der  Kopien  seiner  A-Gabel  die  obengeschilderten  Eigenschaften  unbedingt 
wieder  erreicht  werden  müssten;  er  legte  besonderes  Gewicht  auf  Ver- 
vollkommnung gerade  dieser  Gabel,  weil  er  seit  vielen  Jahren  damit 
-(und  mit  einer  a^- Gabel)  vorwiegend  die  Knochenleitungsdauer  voni 
•Scheitel  aus  geprüft  hat.*)  Allein  alle  Mühe  in  dieser  Richtung  war 
bis  vor  kurzer  Zeit  durchaus  vergeblich.     Wollte  man  den  stören- 


1)  Derselbe  war  etwa  f^  =  690  v.  d.  Bekanntlich  kann  man  zwar  noch 
höhere  Obertöne  hervorbringen;  allein  solche  kommen  wegen  ihrer  nnter  allen 
Umständen  nur  sehr  kurzen  Dauer  bei  den  Hörprüfungen  der  Otiater  weniger 
in  Betracht. 

2)  Lehrbuch  der  Ohrenheilkunde  von  Bezold,  Wiesbaden  1906,  S.  77« 

9)  Statistische  Ergebnisse  etc.  1887;  in  denges.  Abb.:  ,Über  die  funktionelle 
Prüfung  des  raenschl.  Gehörorgans",  Bd.  I,  S.  60  von  Bezold,  Wiesbaden  1897. 


r 


M.  Tb.  Edelmann:  Obertonfreie  Stimmgabeln  ohne  Belastung.       259 

deu  Oberton  wegbringen,  so  blieb  nichts  anderes  übrig,  als  entweder 
durch  kurzes  Berühren  der  Gabel  an  geeigneter  Stelle  —  dem  Schwingungs- 
banch  b ')  —  den  Oberton  abzudämpfen,  oder  es  musste  an  eben  diesem 
Orte  über  die  Zinken  (nach  Appun)  je  ein  Stück  Gummischlauch  ge- 
schoben sein,  welches  die  nötige  Dämpfung  besorgt. 

Es  wird  vielleicht  von  allgemeinerem  Interesse  sein,  den  Werdegang 
von  ohertonfreien  Stimmgabeln  zu  schildern,  da  er  die  Lösung  einer 
akustischen  Aufgabe  darstellt,  welche  zunächst  unlösbar  zu  sein  schien, 
nachdem  formgetreue  Nachbildung  der  Bezoldschen  Gabel  und  viele 
andere  Versuche  durchaus  resultatlos  blieben ;  es  war  hier  geradeso  wie 
bei  den  alten  italienischen  Meistergeigen,  auch  die  getreueste  Nach- 
bildung einer  Amati -Geige  liefert  bekanntlich  keine  solche;  man 
schiebt  die  Ursache  des  Misserfolges  —  vielleicht  auch  bei  den  Geigen 
mit  Unrecht  —  auf  das  angewandte  Material,  welches  nicht  mehr  zur 
Verfügung  steht  und  hat  damit  eine  billige  Entschuldigung;  aber  die^ 
Sache  ist,  wenigstens  was  die  Stimmgabeln  anbetrifft,  vollkommen  anders 
gelagert. 

Die  Ausmafse    der  Bezoldschen  Original- A-Gabel    sind:    Zinken- 
länge 250  mm,  deren  Dicke  7,5  mm,  Breite  19mm;  innere  Entfernung 
der  Zinken  von  einander  im  Mittel  20  mm;  Länge  des  Stieles  130  mm: 
letzterer   ist  rund,    konisch   und   zwar   da,   wo 
er    an    der    Gabel    ansitzt    15  mm,    an    seinem  Fig.  1. 

Ende  17  mm  dick.    Die  Gabel  wurde  von  einem        ^^ 
Schlosser  hergestellt  und  erweist  sich,  vom  Stand- 
punkte des  Präzisions mechanikers  aus  betrachtet,        a  - 
als  recht  minderwertig  gearbeitet. 

So  lange  nun  die  Gabel  in  dem  Zustande 
sich  befand,  wie  sie  bis  jetzt  geschildert  ist,  u.. 
hatte  dieselbe  ebenso  ihren  Oberton,  wie  jede 
andere  Stimmgabel;  sie  war  für  Hörprüfungs- 
versuche wenig  geeignet.  Als  sie  aber  Bezold 
an  jener  Stelle,  wo  sich  der  Stiel  an  der  Gabel 
ansetzt,  in  einem  Schraubstock  einklemmte,  war 
sie  obertonfrei,  und  dieser  Versuch  war  für 
ihn   die  Veranlassung,    dass   er   an   eben   dieser 

1)  Fig.  1  zeigt  die  Sehwingungsform  der  Zinken  für  diesen  Oberton;  bei 
a  bildet  sich  ein  Schwingungsknoten;  bei  b  und  c  sind  die  Stellen  grösster 
£longation. 


260      M.  Th.  Edelmann:  Obertonfreie  Stimmgabeln  ohne  Belastung. 


Fig.  2. 


Stelle  vermitteist  eines  aus  zwei  Teilen  ab  Fig.  2  hergestellten  und 
mit  Zinn  aufgelöteten  zylindrischen  Wulstes  (22  ram  dick,  13  mm  hoch) 
die  Gabel  belasten  Hess;  nun  war  und  blieb  die  Gabel  obertonfrei. 
Indessen,  wie  schon  oben  erzählt :  so  viele  Gabeln  (aus  allen  möglichen 
Materialien)  ich  herstellen  Hess,  und  was  man  auch  als  Belastung  an- 
lötete, die  Gabeln  wollten  die  unangenehme  Eigenschaft,  ihren  lang- 
tönenden ersten  Oberton  erklingen  zu  lassen,  nicht  ablegen.  Manchmal 
schien  zwar  der  Oberton  etw^as  ktlrzer  dauernd  zu  werden^ 
allein  das  einzige  Heilmittel  war  und  blieb  eben  doch 
nur  der  übergeschobene  Gummischlauch;  und  doch  war 
durch  die  Bezoldsche  Originalgabel  unumstössHch  dar- 
getan, dass  die  Möglichkeit  der  Herstellung  von  oberton- 
freien  Stimmgabeln  vorhanden  sei.  Nun  kam  der  Zufall 
zu  Hilfe. 

Im  Laufe  von  etwa  zehn  Jahren,  seit  welcher  Zeit 
einige  Tausend  Bezold scher  Gabeln  hergestellt  worden 
sind,  hat  es  sich  ereignet,  dass  manchmal  der  Schmied, 
ein  äusserst  zuverlässiger  Arbeiter,  eine  Stimmgabel  ab- 
lieferte, welche  schon  im  unbearbeiteten  Zustande  eine 
auffallend  kurze  Schwingungsdauer  für  den  Grundton 
hatte;  solche  Gabeln  w^urden,  obwohl  sie  äusserlich  gut 
aussahen  und  der  Schmied  behauptete,  »es  könne  nichts 
fehlen«,  als  selbstverständlich  mit  Querrissen  behaftet, 
zurückgewiesen ;  eine  solche  habe  ich  seit  geraumer  Zeit 
als  Kuriosum  aufbewahrt. 

Vor  kurzer  Zeit  wurde  wieder  ein  Dutzend  unbelasteter 
g^-Gabeln  abgeliefert,  welche  sämtlich  im  rohen  Zu- 
stande eine  sehr  lange  Schwingungsdauer  hatten:  nach 
ihrer  FertigsteUung  hatte  aber  eine  derselben  gar 
keinen  Ton;  sie  war  akustisch  etwa  ebenso  wertlos 
wie  ein  blecherner  Löffel.  Dies  erschieti  nun  doch  sehr 
merkwürdig,  da  unter  gar  keinen  Umstänrlen  angenommen  werden  konnte, 
dass  die  Stimmgabel  während  ihrer  Bearbeitung  ausgetauscht  werden 
oder  gar  einen  Riss  hätte  bekommen  können;  wie  sollte  man  auch  im 
Stande  sein,  eine  so  derbe  Form  von  nur  85  mm  langen  und  15  mm 
dicken  und  breiten  Zinken  zu  verderben. 

Als  die  Gabel  kräftig  in  einen  Schraubstock  geklemmt  wurde, 
konnte  man  sie  zwar  etwas  weniges  biegen,  aber  sie  brach  nicht;  folg- 
lich   hatte   sie   auch    keinen   Riss:     sie   war    »nicht   unganz«,    wie    der 


r 


M.  Th.  Edelmann:  Obertonfreie  Stimmgabeln  ohne  Belastung.       261 

terminus  technicus  lautet.  Der  Grund,  warum  sie,  an  dem  Stiele  zur 
Hand  genommen  und  an  den  Zinken  angeschlagen,  gar  keinen  Ton  hören 
liess,  war  bald  gefunden  und  erklärt. 

Man  kann  jede  Stimmgabel  auf  zweierlei  Weise  zum  Tönen  bringen : 
Zunächst  als  Stimmgabel  wie  gewöhnlich;  sodann  aber  auch  dadurch, 
dass  man  sie,    wie  Fig.  3  zeigt,   auf  zwei  hölzerne  Schneiden  legt  und 


Fig.  3. 


e 


A 


# 


^ 

y 


//  / 


T 


i) 


in  der  Mitte  bei  a  oder  am  Stielende  bei  b  mit  einem  harten  Gegen- 
stande anschlägt.  Sie  erklingt  dann  in  der  Art,  wie  eine  auf  zwei 
Schneiden  frei  aufliegende  parallelepipedische  Metallplatte  oder  ein 
elastischer  Stab  Fig.  4 ;  an  zwei  Punkten  c  d  bilden  sich  Schwingungs- 
knoten; hier  bleibt  der  Stab  in  Ruhe  und  es  müssen  auch,  wenn  der 
Ton  möglichst  rein  und  anhaltend  sein  soll,  die  beiden  Schneiden  genau 
an  den  passenden  Stellen   untergelegt  werden.     In  der  Mitte  bei   e   ist 

.    Fig.  4. 

p  e  H 


?*- 


I                        I 
\     


der  Ort  der  grössten  Elongation  (Bauch).  Auch  beide  Enden  des  Stabes 
schwingen,  jedoch  selbstversändlich  nach  abwärts,  wenn  e  nach  aufwärts 
geht  und  umgekehrt.  Es  soll  im  weiteren  Verlaufe  dieser  Zeilen  der 
so  erzeugte  Ton  »Plattenton«  genannt  werden,  während  der  auf  gewöhn- 
liche Weise  durch  Anschlagen  der  Gabel  an  den  Zinken  hervorgebrachte 
als  »Zinkenton«  bezeichnet  wird. 

Als  nun  unsere  klanglose  Stimmgabel  in  Bezug  auf  diese  zwei 
Töne  untersucht  wurde,  stellte  es  sich  heraus,  dass  bei  derselben  der 
Plattenton  (zufällig)  dem  Zinkenton  gleich  geraten  war. 


262       M.  Th.  Edelmann:   Oberton  freie  Stimmgabeln  ohne  Belastung. 

Bas  nämliche  konnte  auch  sehr  nahezu  bei  der  oben  erwähnten 
unbearbeiteten  Gabel  konstatiert  werden  und  eine  dritte  Stimmgabel,  bei 
welcher  ursprünglich  der  Plattenton  um  eine  kleine  Terz  höher  als  der 
Zinkenton  war  (wobei  die  Gabel  eine  lange  Schwingnngsdauer  besass)^ 
wurde  um  so  kürzer  tönend,  je  näher  durch  Befeilen  beide  Töne  ein- 
ander gebracht  wurden.  Nachdem  sie  identisch  geworden,  war  auch 
diese  Gfibel,  am  Stiele  fest  zur  Hand  genommen,  stumm.  Um  auch  an 
einer  solchen  Gabel  den  Zinkenton  hervorbringen  zu  können,  hängt  man 
die  Gabel  an  einer  Schnur  zwischen  beiden  Zinken  auf;  ihr  Stiel  wird 
hierbei  nicht  gebremst  und  sie  schwingt  dann  ziemlich  lange;  je  fester 
man  dagegen  den  Stiel  in  die  Hand  nimmt,  desto  klangloser  erweist 
sie  sich. 

Die  Erklärung  hierfür  ist  ganz  einfach:  Die  Schwingungen  der 
Zinken  fangen  mit  ihrem  Entstehen  an,  sich  sofort  durch  Resonanz^) 
in  den  Plattenton  umzusetzen.  Beim  Schwingungsvorgang  des  Platten- 
tones vibriert  aber  auch  der  Stiel  der  Gabel  transversal  und  letztere 
Schwingungen  werden  von  der  Hand,  die  den  Stiel  umfasst,  aufgenommen 
und  gedämpft,  so  dass  schon  nach  kürzester  Zeit  durch  Umsetzung  des 
Zinkentones  in  Plattenton  die  ganze  Schwingungsenergie  vernichtet  ist. 

Nach  der  Erkenntnis,  dass  man  den  Grundton  einer  Stimmgabel 
ertöten  känn^),  lag  der  Gedanke  nahe,  auf  dieselbe  Weise  auch  den 
ersten  Oberton  zu  annullieren:  man  hat  der  Stimmgabel  nur  eine 
solche  Form  zu  geben,  dass  nunmehr  ihr  erster  Oberton  identisch  mit 
ihrem  Plattenton  wird ;  der  erste  Versuch  bewies  sofort  die  volle  Richtig- 
keit dieses  Gedankens.  Je  näher  man  dieser  Identität  kommt,  desto 
Zinkenoberton-reiner  wird  die  am  Stiele  gehaltene  Gabel;  und  als  die 
Bezoldsche  Originalgabel  auf  dieses  hin  untersucht  wurde,  stellte  es 
sich  heraus,  dass  durch  die  oben  beschriebene  Belastung  des  Stieles 
zufällig  die  Identität  zwischen  Oberton  der  Zinken  und  Plattenton  er- 
reicht worden  war.     Es  bietet  nach  dieser  Erkenntnis  nunmehr  durch- 


1)  Nach  dem  akustischen  Grundsätze:  »Wenn  in  einem  Körper  zwei,  Ter- 
schiedenen  Schwingungsarten  angehörende  Töne  nahezu  im  Einklänge  stehen, 
so  kann  keiner  dieser  Töne  für  sich  allein  hervorgerufen  werden."  Pisko,  Die 
neueren  Apparate  der  Akustik,  Wien  1865,  S.  154. 

S)  Diese  Erfahrung  lehrt  nehenbei  umgekehrt,  dass  lange  im  Grundton 
schwingende  Gabeln  nur  dann  zustande  kommen,  wenn  zwischen  Grnndton  und 
Plattenton  ein  hinreichender  Unterschied  stattfindet.  Ausserdem  spielt  selbst- 
verständlich die  richtige  Wahl  des  Materials  und  Formvollendung  eine  wesent- 
liche Bolle. 


]f.  Th.  Edelmann:  Obertonfreie  Stimmgabeln  ohne  Belastung.      26$ 

aus  keine  Schwierigkeiten  mehr,  auch  unbelastet  gelassene  obertonfreie- 
Stimmgabeln  zu  liefern.^) 

II. 

Ausser  dem  ersten  Obertone  der  Zinken  kann  man  bei  vielen 
Stimmgabeln  —  und  zwar  am  Stiele  —  bekanntlich  noch  die  nächst- 
höherliegende Oktave  des  Grund tones  wahrnehmen.^)  Dieser  Begleitton 
ist  bei  Versuchen  über  Knochenleitung,  wo  das  Stielende  als  Tonquelle 
benutzt  wird,  in  besonderem  Grade  störend,  umsomehr  als  dieser  Ton 
nicht  wie  die  Zinken-Obertöne  durch  Berühren  der  Zinken  gedämpft 
werden  kann;  diese  Oktave  dauert,  wenn  überhaupt  vorhanden,  ebensa 
lange  als  der  Grundton,  da  sie  durch  die  Bewegung  der  Zinken  kine- 
matisch erzwungen  wird. 

In  dieser  Zeitschrift^)  habe  ich  bereits  ausführlich  dargelegt,  auf 
welche  Weise  dieser  aus  longitudinalen  Schwingungen  des  Stieles  be- 
stehende Ton  entsteht,  und  dass  derselbe  ausbleiben  muss,  wenn  die 
beiden  Schwerpunkte  der  Zinken  von  einander  einen  grösseren  (oder 
kleineren)  Abstand  haben,  als  jene  beiden  Orte  unten  am  Scheitel  der 
Gabeln,  welche  vermöge  der  elastischen  Biegsamkeit  des  Stahles  gleich- 
sam als  Drehachsen  für  die  Oscillation  der  Zinken  dienen. 

Diese  erforderliche  Verlegung  des  Schwerpunktes  der  Zinken  an 
normal  geformten  Stimmgabeln  (d.  h.  an  solchen,  bei  welchen  die  Zinken 
parallel  zu  einander  verlaufen)  aus  der  Symmetrieachse  jeder  Zinke 
heraus  nach  ihrer  Aussenseite  geschieht  bei  den  belasteten  Gabeln  der 
Bezoldschen  Tonreihe  vermöge  der  gegenüber  den  Zinken  unsym- 
metrischen Form  der  Belastungsgewichte.^)  Bei  solchen  Gabeln  ist,  wie 
wir  bereits  wissen,  die  Oktave  am  Stiele  vollkommen  vermieden. 

Bei  normal  gearbeiteten  Gabeln  (Zinken  parallel)  der  alteren  Form  ^),. 
an  welchen  wegen  der  elastischen  Biegsamkeit  des  Scheitelbogens  die 
Oscillationen   der  Zinken   schon   nahe   beim  Stiel   beginnen,    liegen  die 


1)  Die  mit  Schiebegewichten  belasteten  Gabeln  der  Bezoldschen  Tonreihe 
sind  vermöge  der  die  Obertöne  d&mpfenden  Wirkung  der  Belastnngsgewichte 
gtets  obertöuefrei. 

^  Edelman-n,  Untersuchungen  über  den  Schwingangsvorgang  am  Stiele 
tönender  Stimmgabeln;  diese  Zeitschr.  LIII,  S.  341. 

^  Kinematische  Studie  über  die  longitudinalen  Bewegungen  des  Stieles- 
einer  tönenden  Stimmgabel,  LIII,  S.  64. 

*)  Diese  Zeitschr.  Uli,  S.  68. 

5)  Diese  Zeitschr.  LIII,  S   342,  Fig.  1. 


■1>64       M.  Th.  Edelmann:  Obertonfreie  Stimmgabeln  ohne  Belastung. 

Drehpunkte  der  Zinken  eo  ipsp  näher  aneinander,  als  die  Schwerpunkte 
-der  Zinken,  weshalb  hier  die  Oktave  des  Grundtones  wenig  in  Erscheinung 
tritt,  insbesondere  dann,  wenn  der  Bogen  von  gleicher  oder  geringerer 
Dicke  als  die  Zinken  geformt  wird,  ferner  wenn  diesem  Bogen  ein  ver- 
hältnismäfsig  grosser  Durchmesser  gegeben  wird,  d.  h.  immer  dann, 
wenn  die  Drehachsen  der  Zinken  möglichst  nahe  an  den  Stiel  heran- 
rücken. 

Ein  sehr  einfaches  Mittel  aber,  die  Schwerpunkte  der  Zinken  nach 
aussen  zu  verlegen  und  jeder  Gabel  diesen  störenden  Begleitton  zu 
nehmen,  ergibt  sich  daraus,  dass  man  die  Zinken  nicht  parallel  zu 
rsich  verlaufen  lässt,  sondern  denselben  oben  einen  grösseren  Abstand 
gibt,  als  unten  am  Scheitel.  Auch  bei  der  Bezold sehen  Original- 
A-Gabel,  welche,  wie  eingangs  erwähnt,  sich  nicht  durch  vollkommene 
Mechaniker-Arbeit  auszeichnet,  ist  vermöge  ihrer  mangelhaften  Form- 
gebung ein  Klaffen  der  Zinken  bemerkbar  und  damit  auch  wieder  zu- 
fällig (ausser  der  an  sich  so  ziemlich  oktavenfreien  älteren  Form)  er- 
reicht worden,  dass  die  Stiel-Oktave  fehlt  und  diese  Stimmgabel  in 
ihren  vortrefflichen  akustischen  Eigenschaften  als  Muster  dienen  konnte. 

IlL 

In  den  vorstehenden  Zeilen  sind  die  Regeln  und  deren  wissenschaft- 
liche Begründung  angegeben,  um  auch  unbelastete  Stimmgabeln  oberton- 
und  stieltonfrei  herzustellen.  Dass  hierdurch  otiatrisch  brauchbare  Stimm- 
gabeln entstehen,  haben  nachfolgende  neue  Zeitbestimmungen  am  normalen 
Ohre  ergeben,  welche  Bezold  mit  seiner  alten  und  der  nach  obigen 
Regeln  hergestellten  neuen  A-Gabel  erhalten  hat. 

1.  Bezolds  Original- A-Gabel :  Schwingungsdauer  durch  Luftleitung 
allein  93  Sek. ;  auf  den  Scheitel  aufgesetzt  klingt  dieselbe 
durchschnittlich  24  Sek.  und  dann  per  Luft  am  Ohre  weitere 

•    42  Sek. 

2.  Edelmanns  neue  A-Gabel:  Luftleitung  170  Sek.;  Knochen- 
leitung  30  Sek.  und  dann  noch  am  Ohre  53  Sek. 


Zeitschrift  f.  Ohrenheilkunde  LIV 


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C.  Krapf.  Jith 


Taf.    XX/xxi 


Ver/aff  v  J F Bergmann.  W/esr.aät^n 


Zeitschrift  f.  Ohrenheilkunde  UV 

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9. 


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8. 


Epithel  v.d  vord  Flachs  d.  Cr  isla  amßuU  ext. 


1 


C.Krapf.  hth 


Taf.   XM/xxffl 


Epithel  d  Ma.cu/a  stLccuU 


VtrJagr  v  J.  F Bergmann,  Wiesbaden 


Seitsehrift  f.  Ohranholknnde  LIV. 


Tafel  XXIV. 


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Virlag  von  J.  F.  Borgmann  In  WIeibadon. 


Zeitxdirifi:  f^  Ohrrnhdücunde  LBT. 


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J-  iTiitteJ^.  Pj/rtzmideiv 
^  '  oherfl.  ^.J^ranuden 
J'  Kamersdiicht 
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7=  SpindelEellsckicht 


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Zeitsehrift  f.  Ohrenheilkunde  LIV. 


Tafel  XXVI. 


Verlag  von  J.  F.  Bsromann  In  Wiesbaden. 


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fechiedener  Grösse  von  Fall  Spörick.  6.,  7.  unA 
phe  des  Normalgehirns.    10.  Gliakerne  und  jr-^ 


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ten  Schläfenwindung: 

9.  von  normalem  Kontrollmaterial.    5.  Spindelzelle  Spörick's. 
rrn  von  Spörick  (nach  Nissl-Präparaten). 


F.  S  i  e  b  e  nin  a  n  n  u.  B.  ß  i  n  g :  Über  den  Labyrinth-  u.  Hirnbefand  etc.     265 

XVI. 

Über  den  Labyrinth-  und  Hirnbefund  bei  einem 
an  Retinitis   pigmentosa   erblindeten   Angeboren- 
Taubstummen. 

Von  Prof.  F.  Siebenxnann  und  Br.  B.  Bing  in  Baael. 

Mit  23  Abb.  auf  Taf.  XX— XXVIII. 

I. 

Bei  den  angeborenen  Formen  von  Taubstammheit  findet  sich  in  der 
Kegel  eine  normale  Beaktion  auf  mechanische,  galvanische  und  thermische 
Reize,  und  in  Übereinstimmung  damit  beschränken  sich  die  anatomischen 
Veränderungen  auf  die  Schnecke  (und  den  Sacculus).  £ine  eigenartige 
Ausnahme  bilden  die  an  Retinitis  pigmentosa  leidenden  Taubstummen,  deren 
Vestibularapparat  experimentell  und  klinisch  sich  wie  bei  der  Mehrzahl  der 
nach  der  Geburt  Ertaubten  verhält.  Nach  der  Ansicht  von  Bezold,  der 
zuerst  auf  diese  Tatsache  aufmerksam  gemacht  hat,  ist  zu  erwarten,  dass 
bei  den  mit  Retinitis  pigmentosa  kombinierten  Formen  von  angeborener 
Taubheit  tiefere  anatomische  Störungen  nicht  nur  in  der  Schnecke 
sondern  auch  in  dem  häutigen  Bogengangsapparat  vorhanden  sein  müssen. 
Sektionen,  welche  nach  dieser  Richtung  hin  Aufschluss  zu  geben  ver- 
möchten, lagen  aber  bis  heute  nicht  vor.^)  Um  so  grösserer  Wert  kommt 
nun  dem  folgenden  Falle  zu,  welcher  sowohl  klinisch  als  anatomisch 
genau  beobachtet  worden  ist. 

Herr  Dr.  Bing,  Dozent  für  Neurologie  in  Basel,  hatte  zudem  die 
Freundlichkeit,  auch  die  Veränderungen  in  der  zentralen  Akustikusbahn 
einer  besonderen  Untersuchung  zu  unterwerfen  und  seine  interessanten 
Resultate  an  dieser  Stelle  d.  h.  im  zweiten  Teile  der  Arbeit  mitzuteilen. 


1)  Luc^e  (A.  f.  0.  Bd.  15,  S.  275/276)  hat  die  Sektion  der  Gehörorgane 
eines  an  Retinitis  pigmentosa  leidenden  Mannes  mitgeteilt,  welcher  im  6.  Lebens- 
jahre ertaubte  und  erblindete.  Es  fanden  sich  noch  Hörreste  in  der  Mitte 
der  perzipierbaren  Skala  und  zwar  dehnte  sich  dieser  Rest  mehr  nach 
unten  als  nach  oben  aus.  —  Das  Mittelohr  wie  der  Nervus  acusticus  waren  ohne 
wesentliche  Veränderungen,  die  Striae  acusticae  dagegen  atrophisch.  Da  die 
Labyrinthe  ohne  weitere  Fixation  lediglich  in  Chromsäure  resp.  in  Grlyzerin  auf- 
bewahrt und  offenbar  weder  entkalkt  noch  mikroskopisch  geschnitten  worden 
sind,  lässt  sich  der  Befund  (Pigmentation  der  Lamina  spiralis«  Otolithenbildung 
auf  den  Cortischen  Fasern,  schwarze  Ealkklumpen  an  mehreren  Stellen  etc.) 
leider  nicht  verwerten,  muss  aber  der  Vollständigkeit  halber  doch  hier  erwähnt 
werden. 

Zeiteehrift  fftr  Ohrenheilkande,  Bd.  LIV.  18 


266     F.  Siebenmann  a.  R.  Bing:  Über  den  Labyrinth-  u.  Hirnbefund 

Es  handelt  sich  um  einen  der  taabstammen  Mecklenburger,  welche- 
von  Cb.  Lemcke  anlässlich  seiner  bekannten  verdienstvollen  Samniel- 
forschnng  nntersacht  worden  sind. 

Spörik,  Carl,  Korbmacher,  geb.  1834,  gest.  1903. 

Patient  trägt  die  Nummer  2S  der  Lemcke  sehen  Statistik.  Er 
wurde,  wie  wir  dem  betreffenden,  von  Prof.  Körne^;  uns  gütigst  zur 
Einsicht  fibersandten  Journal  entnehmen,  6  Jahre  nach  der  Verheiratung 
seiner  unter  sich  nicht  verwandten  Eltern  geboren  und  zwar  als  das 
4.  von  8  Kindern.  Von  seinen  7  Geschwistern  waren  das  2.,  6.  und  8. 
—  2  Schwestern  und  1  Bruder  —  angeboren  taubstumm.  Die  Taub- 
heit war  nach  der  Untersuchung  von  Lemcke  auch  bei  dem  2.  (Mädchen) 
und  6.  Kinde  (Knabe)  eine  totale;  das  letztere  litt  zudem  an  Retinitis 
pigmentosa,  und  die  galvanische  Prfifung  des  statischen  Sinnes  ergab 
bei  beiden  in  gleicher  Weise  keine  deutliche  Reaktion.  Das  8.  Kind, 
ein  taubstummes  Mädchen,  scheint  nicht  untersucht  worden  zu  sein, 
wenigstens  sind  hierQber  keine  Notizen  vorhanden.  Das  1.  Kind  starb 
im  »frtkhesten  Alter*  und  war  angeblich  vollsinnig  (?).  Weitere  Fälle 
von  Taubstummheit  sind  in  der  Familie,  auch  bei  den  Seiten  verwandten, 
nicht  vorhanden.  Ebenso  fehlen  Fälle  mit  Tuberkulose,  Lues,  Potatorium 
und  Geisteskrankheit.  Patient  hat  nie  gehört  und  nie  gesprochen. 
Später  erblindete  er.  Zeichen  von  Skrophulose,  Tuberkulose,  Rhachitis, 
Lues,  Lähmung,  Epilepsie  und  Blödsinn  waren,  wie  Lemcke  angibt^ 
nicht  vorhanden. 

Die  gegen  Ende  der  80  er  Jahre  vorgenommene  Untersuchung  des 
äusseren  Ohres  und  seiner  Umgebung  sowie  des  Trommelfelles  ergab 
normale  Verhältnisse.  Patient  hörte  keine  Stimmgabeln  und  keine 
Vokale.  Die  Prüfung  der  Kopfknochenleitung  lieferte  unsichere  Resultate. 
Ebenso  fehlte  eine  deutliche  galvanische  Reaktion  der  beiden  Gehör- 
organe. 

Die  beiden  Felsenbeine,  welche  der  Sammlung  von  Herrn  Professor 
Körner  entstammen,  wurden  sofort  nach  dem  1903  erfolgten  Tode 
der  Leiche  entnommen,  aber  entgegen  der  von  Herrn  Prof.  Körner 
getroffenen  Bestimmung  erst  nach  18  Stunden  in  Müll  er  sehe  Lösung 
und  später  in  Formol-Müller  verbracht;  sie  wurden  uns  am  7.  Juni  1904 
mit  dem  betreffenden,  in  10  ®/o  Formol  aufbewahrten  Gehirn  durch 
Herrn  Prof.  Körner  übergeben.  Hier  in  Basel  wurden  sie  am  15.  Juni 
zunächst  während  einem  Tage  ausgewaschen,  dann  3  Tage  in  Alkohol 
nachgehärtet,  bis  am  3.  Juli  in  5  ^/^  Salpetersäure  entkalkt  und  bis 
am  13.  Juli  in  Alkohol  entwässert.  Dann  wurde  ein  aus  Mittelohr 
und  Labyrinth  bestehender  Würfel  aus  jedem  Felsenbein  herausgeschnitten^ 
bis  Ende  August  mit  Zelloidin  durchtränkt,  gehärtet  und  schliesslich  in 
Serienschnitte  von  15 — 20  ccm  zerlegt. 

Bei  der  nun  folgenden  mikroskopischen  Untersuchung  stellte  sich 
heraus,  dass  zwar  die  Konservierung  des  Präparates  ziemlich  gut  und 
sämtliche  Hohlräume  desselben  mit  Ausnahme  der  oberen  und  äusserea 


bei  einem  an  Betinitis  pigmentosa  erblindeten  Angeboren-Tanbstummen.     267 

Bogengänge  auch  vollkommen  mit  Zelloidin  gefüllt  waren.  Allein  der 
Knochen  erwies  sich,  wie  ich  dies  schon  früher  bei  einem  in  ähnlicher 
Weise  während  mehreren  Jahren  in  Müllerlösung  aufbewahrten  Präparate 
gesehen  habe,  leider  derart  morsch  und  brüchig,  dass  schon  das  blosse 
Herausschneiden  des  Würfels  und  namentlich  das  beim  Einbettungs- 
verfahren  öfter  notwendig  werdende  Erfassen  derselben  mit  der  Pinzette 
genügt  hatten^,  ihn  bis  in  die  Hohlräume  hinein  zu  quetschen.  Die 
dabei  eintretenden  typischen  Weichteilzerreissungen  kommen  offenbar 
hauptsächlich  dann  zu  Stande,  wenn  das  abnorm  weiche  und  spröde 
Präparat  in  der  Richtung  der  Schneckenachse  komprimiert  und  im 
Querdurchmesser  entsprechend  gedehnt  wird.  Die  Lamina  spiralis  mit 
dem  Cortischen  Organ  leidet  dabei  durchaus  nicht,  aber  das  Ligamentum 
Spirale  wird  fast  durchwegs  vom  Knochen  losgelöst  und  die  Reissn er- 
sehe Membran  durchgerissen. 

In  einem  ähnlichen  Falle  würde  es  sich  in  Zukunft  empfehlen,  das 
ganze  Felsenbein,  welches  durch  die  längere  Behandlung  mit  Solutio 
Mülleri  seine  feste  Konsistenz  eingebüsst  hat,  zunächst  unverkleinert  in 
Zelloidin  einzubetten,  in  80  ®/q  Alkohol  zu  härten,  dann  zu  entkalken 
und  den  zu  Serienschnitten  bestimmten  Würfel  erst  zum  Schluss  in  der 
gewünschten  Form  und  Grösse  aus  dem  eingebetteten  und  gehärteten 
Präparat  zu  schneiden. 

Das  Resultat  der  mikroskopischen  Untersuchung  war 
auf  beiden  Seiten  ziemlich  genau  das  gleiche: 

Während  das  äussere  und  das  mittlere  Ohr  inklusive  Binnenmuskel 
und  Labyrinth fenster  normale  Verhältnisse  ergaben,  fanden  sich  im 
Innern  Ohr  wichtige  Veränderungen  und  zwar  sowohl  an  den  Nerven 
als  an  den  Nervencndstellen  von  Schnecke  und  Bogengangapparat. 

a.  Schneckenner?  und  Schnecke. 

Der  Nervenstamm  des  Cochlearis  entspricht  in  seinem 
Dickendurchmesser  ungefähr  der  Norm;  er  ist  aber  sehr  reich  an 
Bindegewebe  und  enthält  nur  wenige  mit  Eisenhämatoxylin  van  Gieson 
sich  schwärzende  Fasern.  Die  Wände  seiner  Arterienstämme  sind 
kolossal  verdickt,  sodass  das  Lumen  der  Art.  cochlearis  und  dasjenige 
der  Art.  vestibulo-cochlearis  nur  die  Hälfte  der  Norm  beträgt;  die 
Hauptverdickung  betrifft  die  Muskularis,  in  welcher  keine  Kerne  sicht- 
bar sind;  im  zentralen  Ende  finden  sich  an  der  Grenze  der  Adventitia 
zwei  tinctoriell  ganz  deutlich  ausgeprägte  und  durch  eine  lockere  Schicht 
von  konzentrisch  angeordnetem  Bindegewebe  getrennte  Verkalkungszonen. 

Die  Form  und  Grösse  der  knöchernen  Schnecke  im  allgemeinen, 
sowie  der  Skalendurchschnitte  im  besonderen  ist  anscheinend  normal 
(vergl.  Taf.  XX/XXI,  Fig.  1).  Die  Ganglienzellen  des  Rosenthal- 
schen  Kanals  sind  dagegen  in  allen  Windungen  so  spärlich  vorhanden,  dass 
für  je  eine  Windung  deren  nicht  mehr  als  5—20  pro  Schnitt  gezählt 
werden.     Die  einzelnen  noch  vorhandenen  Ganglien  sind  bezüglich  Bau, 

18* 


26s     P*  Siebenmanu  u.  B.  Bing:  Über  den  Labyrinth- o.  Hirnbefund 

Grösse  und  Form  ziemlich  Dormal.  Sie  liegen  mit  den  wenigen  Nerven- 
fasern in  lockerem,  grossmaschigem,  entsprechend  vermehrtem  Binde- 
gewebe. 

Die  Reissnersche  Membran  ist  zwar  überall  nachweisbar, 
besitzt  aber  nur  auf  wenigen  Schnitten  ihren  normalen  gestreckten 
Verlauf,  da  sie  durch  die  Vorbehandlung  meistens  entzwei  gerissen  ist. 
Ein  sorgfältiges  Studium  auf  Serienschnitten  ergibt  aber,  dass  sowohl 
Kollaps  und  Verklebung  als  Verschiebung  der  Ansatzstellen  mit  Sicher- 
heit überall  auszuschliessen  ist.  das  Lumen  des  Ductus  cochleans  also 
keine  Veränderung  erlitten  hat. 

In  allen  Windungen  und  auf  sämtlichen  Schnitten  fehlt  ein  normales 
Cortisches  Organ.  Im  untersten  Teil  der  Schnecke  ist  gar  keine 
Andeutung  davon  vorhanden.  Erst  am  oberen  Ende  der  Basalwindung 
beginnt  es  aufzutreten  als  eine  ganz  flächenhafte  einreihige  Anhäufung 
von  sich  etwas  dunkler  färbenden  kubischen  Epithelzellen  mit  fein- 
kömigem  Plasma  (Taf.  XXII; XXIII,  Fig.  2);  dieser  Zellhaufen 
sitzt  aber  abnormerweise  der  Crista  ligam.  spiralis  be- 
deutend näher  als  der  Crista  spiralis. 

Verfolgen  wir  das  Cortische  Organ  weiter  gegen  die  Schneckenspitze 
hin,  so  sehen  wir,  dass  es  in  der  Mittel  Windung  (Taf.  XXII/XIII,  Fig.  3  u.  4) 
allmählich  an  seine  richtige  Stelle  rückt  und  einen  kompakten  Haufen 
zylindrischer  Zellen  bildet,  ohne  Tunnelräume,  aber  stellenweise  mit 
deutlicher  normaler  Anordnung  der  äussern  und  innem  Stützzellen.  Die 
Cortischen  Pfeiler' sind  dagegen  nirgends  als  solche  differenziert,  ebenso 
wenig  erkennbar  sind  die  Deiterschen  Zellen  und  noch  weniger  die 
Haarzellen.  Das  ganze  Organ  besitzt  etwa  die  Hälfte  der  normalen 
Höhe;  die  Form  des  Durchschnittes  ist  flach  oval.  Seine  Zellkerne 
lassen  sich  nicht  überall  deutlich  nachweisen.  Von  der  Mitte  der 
mittleren  Windung  weg  aufwärts  atrophiert  das  Cortische  Organ  wieder 
etwas,  doch  bleibt  es  bis  in  die  Spitzenwindung  hinein  deutlich  nach- 
weisbar, ohne  irgendwo  derart  abzuflachen,  wie  es  in  der  Basalwindung 
der  Fall  ist.  Auf  der  linken  Seite  ist  es  im  ganzen  besser  entwickelt 
als  rechts :  man  sieht  sogar  —  allerdings  bloss  auf  wenigen  Schnitten  — 
in  der  Mitte  der  2.  Windung  ein  Cortisches  Organ,  an  welchem  die 
Haar-  und  die  Deiterschen  Zellen  mit  ihren  Kernen,  sowie  die  äussern 
und  die  Stützzellen  beinahe  vollständig  entwickelt  sind. 

Die  Membrana  tectoria  fehlt  nirgends,  ist  aber  überall  und 
namentlich  in  der  Basalwindung,  wo  das  Cortische  Organ  fehlt,  auffallend 
dünn  und  zart,  auf  dem  Durchschnitt  homogen  hell  und  bildet  ein 
stellenweise  kaum  doppelt  konturiertes  Häutchen ;  sein  normalerweise  auf 
der  untern  Fläche  hervorstehender  Zahn  fehlt  überall, .  ebenso  die  An- 
schwellung im  äussern  Drittel. 

Die  Striavascularis  erscheint  im  Ductus  höher  gegen  die  Membr. 
Reissneri  hinaufgerückt  und  schwächer  ausgebildet  zu  sein  als  unter 
normalen  Verhältnissen,  d.  h.  sie  ist  auf  dem  Durchschnitt  von  niederer 
und    dünnerer    Gestalt.      Namentlich    in    der    Basalwindung    ist    diese 


bei  einem  an Betinitis  pigmentosa  erblindeten  Angeboren-Taubstummen.     269 

Hypoplasie  auffallend  ausgesprochen,  recbterseits  fehlt  die  Stria  völlig 
an  dieser  Stelle.  Im  oberen  Ende  der  Mittelwindung  präsentiert  sie 
sich  als  ein  kräftigerer,  stellenweise  zweihöckeriger  Buokel.  In  der  Mitte 
der  2.  Windung  enthält  sie  recbterseits  ein  grosses,  auf  dem  Durch- 
schnitt wie  eine  Zyste  erscheinendes  Gefäss.  —  Die  Zellen  der  Stria 
sind  locker  gelagert,  die  oberflächliche  Schicht  zeigt  die  normale  Dunkel- 
färbung mit  Eisenhämatoxylin  weniger  deutlich. 

Die  Lamina  spiralis  ossea  ist  etwas  dünner  als  normal;  ihr 
für  Nerven  und  Gefässe  bestimmter  Raum  ist  meist  leer  oder  nur  teil- 
weise gefüllt  mit  kernarmem  Bindegewebe.  Das  Labium  vestibuläre 
ist  in  der  ßasalwindnng  besonders  lang  und  dünn.  Die  Claudiusschen 
Zellen  sind  etwas  plumper  als  normal :  ihre  Kerne  sind  besonders  scharf 
und  deutlich  gefärbt.  Die  tympanale  Belagschicht  der  Lamina  spiralis 
membranacea  ist  etwa  am  die  Hälfte  dünner  als  normal.  —  Auffallend 
dünn  sind  auch  die  knöchernen  Zwischenwände  der  Skalen. 

Das  Ligamentum  spiralje  nimmt  in  seiner  Mächtigkeit  von 
unten  nach  oben  auffallend  rasch  ab.  In  der  Basalwindung  zeigen 
sich  Unregelraäfsigkeiten  im  Verlauf  und  unscharfe  Konturierung  seiner 
Faserzüge. 

Gefässe:  Die  früher  erwähnten  arteriosklerotischen  Veränderungen 
der  grossen  Stämme  finden  sich  nur  in  ihrem  retrolabyrinthären  Verlauf; 
intralabyrinthär  sind  die  Gefässwandnngen  im  ganzen  zart  und  meist  von 
normalem  kapillärem  Bau;  hyaline  Verdickungen  finden  sich  selten.  Die 
Vaskularisation  ist  aber  im  ganzen  Kapillargebiet  eine  auf- 
fallend spärliche.  Dafür  sind  die  vorhandenen  Gefässe  um  so  weiter. 
Dies  tritt  namentlich  deutlich  auf  den  Striadurchschnitten  in  den 
knöchernen  Zwischenwänden  und  im  ganzen  Ligam.  spirale  zu  Tage ; 
so  findet  sich  z.  B.  in  der  Mitte  der  2.  Windung  nur  ein  einziges 
gewaltiges  Gefdss  der  Stria;  die  Prominentia  ligam.  spiralis  enthält 
kein  Gefäss.  Auch  die  Spindel  ist  im  ganzen  etwas  gefässarm.  — 
Sehr  interessant  ist  der  Umstand,  dass  ein  Vas  spirale  nur  in  der 
Mittelwindung,  also  auf  derjenigen  Strecke  des  Ductus  sich  findet,  wo 
das  Cortische  Organ  weitaus  am  besten  entwickelt  ist.  Doch  liegt 
abnormerweise  das  Gefäss  hier  nicht  an  der  Stelle,  welche  dem  Tunnel- 
raume  entsprechen  würde,  sondern  vielmehr  unter  oder  neben  den 
inneren  Stützzellen,  oder  sogar  noch  etwas  mehr  spindelwärts  von  den- 
selben, d.  h.  unter  dem  Sulcus  internus.  —  Am  deutlichsten  zeigt  sich 
die  Gefässarmut  in  den  knöchernen  Zwischenwänden,  welche  nur  ^j^ 
der  normalen  Dicke  besitzen  und  auf  den  meisten  Schnitten  gar  keine 
Kanäle  aufweisen,  sondern  solid  gebaut  sind.  Die  wenigen  Kanäle  sind 
eng,  mit  derbem  Bindegewebe  ausgefüllt;  selten  trifft  man  darin  ein 
radiäres  enges  Gefäss.  Dies  gilt  auch  von  der  Vaskularisation  der 
unteren  Wand  der  Basalwindnng. 

Der  Pigmentgehalt  ist  nicht  bedeutend,  doch  ist  er  nicht 
abnorm  gering.  Grössere  Anhäufungen  finden  sich  in  der  Spindel  nur 
an  wenigen  Stellen  der  2.  u.  3.  Windung  Eine  auffallende  Pigment- 
armut herrscht  einzig  im  Gebiet  der  Stria  vascularis. 


270     F.  Siebenmann  u.  R.  Biog:  Cber  den  Labyrinth- u.  Hirnbefund 

b.  Yestibalum. 

Bei  blosser  Lupenbetrachtang  erscheint  das .  knöcherne  Yestibulam 
und   sein  häutiger  Inhalt   normal.     Der  Nervus   vestibularis  und 
seine  einzelnen  Zweige   sind  kräftig  entwickelt,    die  Ganglien  bezüglich 
Zahl,   Grösse   und   Form   ohne  Besonderheit;    die  Maculae  und  Cristae 
verhalten   sich   anscheinend   auch   normal,  sowohl   was   ihre  Lage  and 
Grösse,   als   ihre  Zellstruktnr   anbelangt.     Bei   näherer  mikroskopischer 
Untersuchung    zeigt    sich   jedoch    das    Epithel    der    Cristen    mit 
normalen  Präparaten  verglichen  um  zirka  ^/g  zu  niedrig, 
an   vereinzelten   Stellen   plump,   gequollen,   hyalin   verändert,   ohne  die 
normale  leiterförmige  Anordnung,    wie   ich  sie  zuerst  in  Bardelebens 
Anatomie  (Abschnitt  Mittelohr  und  Labyrinth,  Bd.  V,  S.  304/305)  be- 
schrieben und  abgebildet  habe  (Taf.  XXILXXIII,  Fig.  8  u.  9).  Das  Ampullen- 
epithel färbt  sich  femer  mitEisenhämatoxylin  (Heidenhain- van  Gieson) 
auffallend  diffus  schwarz,  gegenüber  dem  auf  dem  nämlichen  Schnitte  heller 
sich  tingierenden  Maculaepithel  (Taf.  XXII/XXIII,  Fig.  5).    Die  hintere 
Ampulle  zeigt  zudem  namentlich  in  der  Mitte  eine  eigentümliche  Verdickung 
und  schollig  hyaline  Beschaffenheit  der  Basalmembran,  welche  sich  unter  Ver- 
wischung der  Grenzen  auf  das  Epithel  fortsetzt.  —  Während  das  Epithel  des 
Sacculus  in  Grösse,  Gestalt  und  Anordnung  links  sich  fast  überall  normal 
verhält,  ist  das  Sacculusepithel  des  rechten  I^abyrinths,  noch  mehr  aber 
das  Utriculusepithel  beider  Seiten  hie  und  da  auf  kurze,  etwa  die  Breite 
von  1 — 3,  seltener  von  4 — 10  Zellen  umfassende  Strecken  hyalin  oder 
colloid  degeneriert  und  gequollen  in  Form  von  unregelmäfsigen,  mit  Eosin- 
hämatoxylin  blassrosa,  seltener  hellrot,  mit  Heidenhain-van  Gieson 
schwarz  sich  färbenden  unregelmäfsigen  Kugeln  ,(Taf.  XXII/XXIII,  Fig.  6 
und  7) ;  die  Oberfläche  springt  an  solchen  Stellen  zuweilen  bucklig  vor. 
Bezüglich    der   Otolithenmembran    des   ütriculus    und    der   Eupula   der 
Ampullen   lässt    sich   wegen   dem    etwas    mangelhaften   Konservierungs- 
zustand  des   Präparates   nichts   absolut   Sicheres    aussagen.      Jedenfalls 
aber  sind  die  Epithelwimpern  des  Sacculus  stellenweise  gut  erhalten.  — 
Die  Vaskularisation  des  Vestibulum  scheint  weniger  gestört  zu  sein  als 
diejenige  der  Schnecke;  doch  lässt  sich  aubh  hier  wie  in  der  Schnecke 
fast  überall  wieder  Armut  an  Kapillaren  und  hie  und  da  abnorme  Grösse 
der  wenigen  vorhandenen  Gefässzweige  nachweisen.    Die  hintere  AmpuUe 
der   rechten  Seite  bildet   insofern    eine  Ausnahme,   als   sie   angiomartig 
von  grossen  strotzend  gefüllten  dünnwandigen  Gefässen  reichlich  durch- 
zogen  wird.  —    Sowohl   in  der  Schnecke  als  im  Labyrinth  finden  sich 
sehr  selten  hyaline  oder  colloide  Endothel  kugeln. 

Kurz  zusammengefasst  handelt  es  sich  in  den  beschriebenen  Laby- 
rinthen um  folgende,  zu  der  angeborenen  Taubheit  in  ätiologischer  Be- 
ziehung stehende  Veränderungen: 

1.  Hochgradige  Atrophie  des  Ramus  cochlearis  und  seiner  Nerven- 
zellen. 


bei  einem  an  Retinitis  pigpnentosa  erblindeten  Angeboren-Taubstummen.     27 1 

2.  Sehr  spärliche  Vaskularisation  der  Nervenendstelien  in  Schnecke 
und  Vorhof;  abnormer  Verlauf  und  abnorme  Weite  typischer 
Kapillaren. 

3.  Hypoplasie  und  teilweise  Verlagerung  des  Cortischen  Organs 
und  der  Stria  vascularis;  die  am  besten  entwickelte  Strecke 
liegt  in  der  Mitte  der  mittleren  Windung;  in  der  unteren 
Hälfte  der  Basalwindung  fehlt  jede  Andeutung  des  Cortischen 
Organs. 

4.  Streckenweise  Degeneration  des  £pithels  der  Maculae  und  be- 
sonders der  Cristae  bei  anscheinend  normalem  Verhalten  des 
Ramus  vestibularis  mit  seinen  Ganglien  und  Zweigen. 

5.  Dagegen  keine  wesentlichen  Veränderungen  der  Pigmentation 
noch  der  Gefässwände  im  Labyrinth. 

Epikrise:  In  unserem  Falle  kommt  den  Veränderungen  in  der 
Schnecke  kein  ganz  eigenartiger  Charakter  zu.  Eine  Vereinigung  von 
mangelhafter  Entwicklung  des  Kapillarnetzes,  Hypoplasie  resp.  Degene- 
ration der  Stria  und  des  Cortischen  Organs  mit  gänzlicher  Aplasie  des 
letzteren  in  der  Basalwindung  haben  Siebenmann-Oppikofer,  so- 
wie Alexander  auch  bei  anderen  angeboren  Taubstummen  gefunden, 
bei  denen  keine  Retinitis  pigmentosa  nachzuweisen  war  und  in  deren 
Blutsverwandtschaft  Fälle  solcher  Art  fehlten.  Auch  der  Umstand,  dass 
<lie  besterhaltene  Strecke  in  der  mittleren  Windung  liegt,  ist  nicht  neu ; 
das  Alles  findet  sich  bei  den  Repräsentanten  der  Gruppe  II  A  meiner 
Einteilung  (Anat.  der  Taubstummheit  S.  70),  zu  denen  auch  der  Fall 
Denker  gehört  (Atlas  der  Anatomie  der  Taubstummheit  4.  Lief.);  bis  dahin 
nie  beschrieben  ist  einzig  die  hier  gefundene  Dislokation  des  Corti- 
schen Organs.  —  Der  Umstand,  dass  in  der  Mitte  der  Länge  des 
Ductus  cochlearis  und  unmittelbar  darüber  beiderseits  das  Cortische 
Organ  am  besten  entwickelt  ist,  gewinnt  aber  in  dem  vorliegenden  Falle 
ein  ganz  besonderes  Interesse:  Bezold  (das  Hörvermögen  der  Taub- 
stummen, Wiesbaden  1896,  S.  97 — 99)  ftthrt  nämlich  unter  seinen 
Untersuchten  zwei  mit  Retinitis  pigmentosa  Behaftete  auf;  von  diesen 
4  Gehörorganen  war  das  eine  total  taub,  während  bei  den  3  anderen 
sich  in  übereinstimmender  Weise  eine  Hörinsel  fand,  welche  in  der 
kleinen  und  grossen  Oktave  lag  und  welche  bei  dem  einen  auch  noch 
ein  Stück  über  die  Kontraoktave  sich  ausbreitete.  Einen  ähnlichen  Hörrest 
beschreibt  Lncae  (s.  o.).  Findet  sich  nun  eine  solche  relativ  gut  erhaltene 
Strecke  der  Papilla  acustica  in  der  gleichen  Weise  und  an  nämlicher  Stelle 
regelmäfsig  auch  bei  anderen  Fällen  von  Taubheit,  welche  mit  Retinitis 


272     F.  Siebenmann  n.  B.  Bing:  Über  den  Labyrinth- u.  Hirnbefnnd 

pigmentosa  kompliziert  sind,  aber  die  von  Bezold  unterhalb  der  Mitte 
der  perzipierbaren  Skala  konstatierte  Hörinsel  noch  besitzen,  so  dürftea 
solche  Befunde  als  Stütze  für  die  v.  H  e  1  m  h  o  1 1  z  sehe  Theorie  herangezogen 
werden  und  dies  um  so  eher,  wenn,  wie  in  unserem  Falle,  der  besser 
erhaltene  Teil  der  Papilla  acustica  in  dem  Oberen  Schneckenabschnitt,, 
d.  h.  da  liegt,  wo  nach  H  e  1  m  h  o  1 1  z  die  für  die  Perzeption  der  tieferen: 
Töne  gelegenen  Sinneszellen  sich  finden.  —  Von  Interesse  ist  ferner  die 
Tatsache,  dass  hier,  gerade  wie  in  dem  früher  von  mir  beschriebenea 
Falle  Anna  Hill  (Verb.  d.  D.  otol.  Ges.  1904)  trotz  Erhaltensein  ganz: 
weniger  Ganglienzellen  mit  ihren  Nervenbahnen  und  nur  geringen  Ver- 
änderungen der  dazugehörigen  Strecke  des  CSortischen  Organs  doch 
absolute  Taubheit  konstatiert  worden  ist.  — 

Bezüglich  der  vestibulär  en  Veränderungen  waren  wir  auf  grössere 
augenfälligere  Funde  vorbereitet;  denn  Lemcke  hatte  bei  unserm 
Taubstummen  einen  deutlichen  Defekt  der  galvanischen  Reaktion  vor- 
gefunden und,  wie  es  scheint,  bildet  die  Reaktionslosigkeit  des  Vesti- 
bulums  ja  überhaupt  die  Regel  bei  der  mit  Retinitis  pigmentosa 
kombinierten  Form  der  Taubstummheit.  Die  beiden  oben  erwähnten 
Taubstummen  der  B  e  z  o  1  d  sehen  Untersuchungsreihe  zeigten  in  gleicher 
Weise  unsicheren  Gang  und  Herabsetzung  der  Schwindelerregbarkeit 
bei  aktivem  und  passivem  Drehen.  Bei  einem  dritten,  ebenfalls  hier- 
hergehörigen Falle,  ein  angeboren  taubstummes  und  schwachsichtiges 
Kind  betreffend,  bei  dem  die  Netzhaut  nicht  getigert  aber  auf  einem 
Auge  fein  punktiert  und  bei  dem  auch  auf  dem  anderen  Auge  die 
Netzhautgefässe  sehr  eng  waren,  wurde  von  Bezold  beiderseits  totale 
Taubheit  und  starke  Herabsetzung  der  Schwindelerregbarkeit  konstatiert. 
Durch  neuere  Untersuchungen  von  H.  Frey  und  V.  Hamm  erschlag 
sind  diese  Angaben  Bezolds,  soweit  sie  die  Vestibularfunktion  be- 
treffen, durchaus  bestätigt  worden.  Sie  fanden  nämlich  (Untersuchungen 
über  den  Drehschwindel  der  Taubstummen  Z.  f.  0.  Bd.  48,  1904, 
Seite  350)  unter  den  auf  Drehschwindel  untersuchten  43  angeboren 
Taubstummen  4  mit  Retinitis  pigmentosa.  Davon  waren  3  sicher  total 
taub,  beim  vierten  ist  das  Resultat  unsicher.  Alle  waren  geistig  zurück- 
geblieben, zwei  derselben  hatten  taubstumme  imbecile  resp.  idiotische 
Geschwister  und  alle  4  waren  Drehversager.  —  In  einer 
anderen  Untersuchungsreihe  ergab  die  galvanische  Reaktion,  welche  von 
V.  Hammerschlag  (zur  Kenntnis  der  hereditär-degenerativen  Taub- 
stummheit Z.  f.  0.  Bd.  51,  Seite  87)  bei  3  an  Retinitis  pigmentosa 
leidenden  Taubstummen  geprüft  wurde,  dass  in  2  Fällen  bei  der  galva- 


r 


bei  einem  an  Retinitis  pigmentosa  erblindeten  Angeboren-Taubstummen.     27 $ 

nischen  Prüfung  wie  beim  Drehversuch  die  Reaktion  ausblieb  und  bei 
einem  dritten  Falle  (Nr.  4  der  Tabelle)  dieselbe  für  beide  Prüfungs^ 
weisen  zwar  vorhanden,  aber  sehr  herabgesetzt  war.  ^  Über  das  Vor- 
handensein allfälliger  Hörreste  ist  in  der  letztern  Arbeit  nichts  angegeben. 

Die  anatomischen  Veränderungen,  welche  wir  in  Vestibulum.. 
Ampullen  und  Vorhofnerv  gefunden  haben,  entsprechen  diesen  klinischen 
Beobachtungen  von  Bezold,  Frey  und  Hammerschlag  nur  un- 
vollständig. Sie  mtlssen  geradezu  als  auffallend  gering  bezeichnet 
werden.  Wenn  man  bedenkt,  dass  die  von  Lemcke  ausgeführte 
Prüfung  der  statischen  Funktion  hier,  in  Übereinstimmung  mit  den  an 
anderen  Fällen  solcher  Art  gewonnenen  Resultaten,  gar  keine  Reaktion 
zu  erzielen  vermochte,  während  doch  der  Vorhofnerv  mit  seinen  Ganglien 
nicht  merklich  verändert  und  das  Epithel  der  Maculae  auf  lange  Strecken 
ganz  normal  ist,  das  Cristaepithei  aber  in  der  Hauptsache  bloss  durch, 
etwas  zu  geringe  Höhe  und  etwas  verschiedene  Färbbarkeit  sich  aus- 
zeichnet. Weitere,  an  besser  konservierten  Präparaten  gewonnene 
Sektionsbefunde  mögen  vielleicht  später  noch  weiteres  Licht  zur  Klärung 
dieser  Frage  verbreiten.  Immerhin  möchten  wir  schon  an  dieser  Stelle 
auf  die  im  2.  Teil  dieser  Arbeit  mitgeteilten  Resultate  von  Bing  hin- 
weisen, wonach  auch  der  zentrale  Verlauf  des  N.  vestibularis  keine 
Abnormitäten  bietet. 

Die  von  Bezold  konstatierten  Funktionsstörungen  im  Gehörorgan 
von  Taubstummen,  welche  an  Retinitis  pigmentosa  leiden,  legten  ihm 
den  Gedanken  nahe,  dass  >für  diese  Fälle  in  der  Endausbreitung  der 
Hörnerven  im  Labyrinth  analoge  Veränderungen  vorliegen,  wie  wir  sie 
in  der  Peripherie  der  Netzhaut  direkt  zu  sehen  imstande  sind.  Sogar 
die  Einengung  des  Gesichtsfeldes,  welche  die  Sehstörung  bei  Retinitis 
pigmentosa  charakterisiert,  fände  in  den-  Gehörorganen  seiner  unter- 
suchten Taubstummen  ihre  Analogie  in  einer  ähnlichen  Einengung  des 
Hörbereichs,  welche  sich  natürlich  auch  einmal  bis  zum  vollkommenen 
Tonausfall  steigern  kann.«  Es'  liegt  ja  in  der  Tat  sehr  nahe,  eine 
Analogie  der  Veränderungen  in  der  Schnecke  mit  denen  des  Augen- 
hintergrundes zu  vermuten  und  wir  haben  deshalb  die  histologischen 
Veränderungen  der  letzteren  zum  Vergleich  heranzuziehen  versucht: 

Die  Beschreibung  der  anatomisch  untersuchten  Fälle  von  typischer 
Retinitis  pigmentosa  durch  die  Ophthalmologen  stimmen  ziemlich  mit 
einander  überein  (Greeff).  Danach  stellen  die  hyalinen  Gefäss- 
veränderungen  in  der  ganzen  Chorioidea  wohl  die  primäre  Erkrankung 
dar.      Diese    bewirkt    ein    Absterben    der   Pigmentepithelien    und    eine 


1 


274     F.  Siebenmann  u.  R.  Bing:  Über  den  Labyrinth- u.  Hirnbefund 

Atrophie  der  Sinnesepithelien.  Die  geschädigten  Pigmentepithelien  werden 
zuerst  abgestossen  und  gelangen  dann  in  die  atrophische  mit  Hohl- 
räumen durchsetzte  Netzhaut  und  zwar  hauptsächlich  in  die  liymph- 
scheiden  der  grossen  Gefässe  der  Nervenfaserschicht.  Aderhaut  und 
Netzhaut  verwachsen,  und  an  den  entsprechenden  Stellen  gehen  nicht 
nur  die  nervösen  Elemente  zu  Grrunde,  so  dass  nur  eine  reine  faserige 
Struktur  mit  Ungezogenen  Kernen  übrig  bleibt,  sondern  auch  die 
Ohorioidea  atrophiert  vollständig,  so  dass  nur  noch  einige  grössere 
Oefässe  erkennbar  sind.  Dieselben  zeigen  eine  starke  hyaline  Ver- 
dickung der  Wandungen  bis  zur  vollständigen  Obliteration  des  Lumens. 

Bezüglich  der  Veränderungen  im  Gebiete  der  Sinneszellen  bestehen 
in  Aug  und  Ohr  ja  nun  sicher  eine  Anzahl  identischer  Vorgänge  und 
Zustände.  Vorzüglich  ist  es  die  Gefässarmut,  welche  sowohl  im 
Augenhintergrund  als  im  Labyrinth  in  der  nämlichen  auffälligen  Weise 
zu  Tage  tritt;  ferner  zeigen  die  Sinnesepithelien  der  Schnecke 
namentlich  im  untersten  Teil  der  Basalwindung  eine  Form  von  Degene- 
ration, wie  sie  in  der  Retina  von  Greef  f  u.  a.  gefunden  und  beschrieben 
Avird;  in  beiden  Organen  ist  sicher  die  Gefässarmut  eine  Ursache  der 
Degeneration,  wie  wir*)  schon  früher  für  das  Taubstummenlabyrinth 
sowie  Alexander  und  T  a  u  d  1  e  r  ^)  bei  ihren  Untersuchungen  an  jungen 
albinotischen  Raubtieren  es  vermutungsweise  ausgesprochen  haben.  Die 
im  Auge  meist  beobachtete  Pigmentverschleppung  ins  Gebiet  des 
Sinnesepithels  hinein  fehlt  dagegen  selbstverständlich  im  Labyrinth,  da 
hier  kein  chorioideaähnliches  exzesssiv  pigmentreiches  Gewebe  unter  der 
nerven-  und  epitheltragenden  Schicht  der  Schnecke  liegt.  Dass  übrigens 
auch  die  Pigmenteinwanderung  in  die  Retina  nicht  unbedingt  zum  Bild 
dieser  Augenveränderungen  gehört,  sondern  in  seltenen  Fällen  fehlen 
kann,  ist  bekannt  und  wird  gerade  durch  den  oben  erwähnten  dritten 
Fall  von  Bezold  illustriert.  Ganz  abweichend  von  dem  für  den  Augen- 
Hintergrund  festgestellten  histologischen  Verhältnisse  ist  dagegen  das  Ver- 
halten der  Gefässwände  im  Labyrinth.  Denn  nur  sehr  selten  haben  vrir 
Stellen  mit  hyaliner  Degeneration  und  Verdickung  gefunden;  fast  überall 
waren  vielmehr  die  Wände  der  feineren  Labyrinthgefässe  von  zartem 
kapillarem  normalem  Bau,  und  zwar  sowohl  in  der  Basis  als  in  der 
Spitze  der  Schnecke,  im  Vorhof  wie  in  den  Bogengängen. 

Die  Parallele   zwischen  Aug   und   Ohr  auch   auf   die   liOkalisation 
<les  Prozesses  innerhalb  der  Fläche  des  befallenen  Gebietes  auszudehnen, 

1)  Anatomie  der  Taubstammheit.    Wiesbaden  1904,  S.  13. 
2j  A.  f.  0.  Bd.  66. 


bei  einem  an  Betinitis  pigmentosa  erblindeten  Angeboren-Taubstummen.     275 

dürfte  kaum  gestattet  sein,  da  gewöhnlich  der  Augenhintergrund  nicht 
allein  im  Zentrum,  sondern  auch  in  der  äusseren  Zone  der  Peripherie 
(Greeff)  die  wenigsten  Veränderungen  aufweist. 

Erklärung  der  Figuren  auf  Tafel  XX— XXIV. 

Fig.  1.     Axialer  Horizontalschnitt  durch  die  Schnecke. 

Fig.  2.    Ductus  cochlearis  in  der  Mitte  der  Basalwindnng.     Das  Cor  tische 

Organ  ist  in  abnormer  Weise  nach  aussen  verlagert  and  bildet  bloss 

eine  einreihige  Schicht  kubischer  /eilen. 
Fig.  3.    Ductus  cochlearis  in  der  Mitte  der  2.  Windung  der  linken  Schnecke. 

Das  Yas  spirale  ist  verlagert. 
Fig.  4.    Cortisches  Organ  von  der  n&mlichen  Stelle  der  rechten  Schnecke. 
Fig.  5.     Horizontalschnitt    durch    die    äussere   Ampulle   (A)    und    die    Macula 

utriculi  (M). 
Fig.  6—7     Bilder  aus  der  Macala  sacculi  bei  stärkerer  Vergrösserung.    Einzelne 

Epithelien  sind  gequollen   und  teils  hyalin  teils  coUoid  degeneriert. 

(Eisen-Haematoxylin-van  Gieson.) 
Fig.  8—9.    Bilder  von  der  Crista  aropullae  ext.   bei  stärkerer  Vergrösserung. 

(Eosin-Haematoxylinpräparat.) 

II. 

Bei  der  makroskopischen  Untersuchung  des  Gehirns  des 
69jährigen  Taubstummen  Spörik')  fanden  sich  nirgends  meningi- 
tische  Veränderungen  vor.  Die  Pia  im  ganzen  relativ  dick, 
besonders  über  den  Sylvischen  Spalten.  Gefässe  durchwegs  stark 
entwickelt,  dilatiert.  An  der  Basilaris  und  über  dem  Circulus  Willisii, 
hauptsächlich  aber  an  den  Abgangsstellen  der  beiden  Sylviae,  zahl- 
reiche sklerotische,  knochenharte  Plaques  und  Spangen. 

Im  angeschnittenen  rechtsseitigen  Schläfenlappen,  unmittelbar  unter 
dem  Gyrus  uncinatus,  erbsengrosse  schwarzbraune  Hämor- 
rhagie. 

Die  Seiteuventrikel  sind  bei  der  Sektion  eröffnet  worden  (nach 
Virchow)  und  mit  Watte  austamponiert.  Gewicht  nach  Abzug  von 
Pia  und  Gefässen  1266  g.  [Korrektur  für  Formolhärtung  nicht 
anzubringen,  da  (nach  Fla  tau)  bereits  Rückkehr  auf  Anfangsgewicht 
infolge  des  bereits  4  jährigen  Aufenthalts  in  lO^/^  Formollösung  schon 
längst  eingetreten  sein  muss.     (Pat.  f  1903.)] 

^)  Die  hier  mitgeteilten  Notizen  über  den  Gehirnbefund  können  nur  den 
Charakter  einer  .vorläufigen  Mitteilung"  beanspruchen,  da  die  Durch antersuchung 
des  Gehirns  noch  geraume  Zeit  erheischen  wird,  aber  die  Veröffentlichung  des 
bereits  Festgestellten  Herrn  Prof.  Siebenmann  schon  im  Anschluss  an  seine 
Arbeit  opportun  erschien. 


.  ¥T  K*^  .^«^imzSs-  'L,  -Iiiir.ii 


"..'-•  *ii 

,—  *-?:  :n         .  11 M' 

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4.,fvt'iii^jt    u,u,:c»*  f\\(^^,   an    h^i'irL    er»*.'«'::    Schüfen windaneen, 

> '/ (( I  >: ' jMr  ri  O  r  ad  an,  LinkA  korrimr  daiiarch  -^»ear  zwischen  mittlerem. 
f/r./|  Utuifft-m  tntiU'l  (U-^  Oym«»  temj».  I  eine  von  der  hochgradig 
$n\n/U'fUu  Wirir|rjri((  kreinfonnij(  nmzoffene  Einsenkang,  Cisteme^ 
/i/-»;ir»/l*r,  /|p*f  (hi«i   pjonihnin  d^rr  ganzen  Kleiutingerknppe  gestattet. 

AM«^<'rd<'fn  find^rt  Mich  ah^r  links  eine  seltene  Furchungsanomalie, 
hvU'm  «In  tjnK''^^'^inlichf;r  Sulcus  von  der  obenerwähnten  Einsenkun^ 
HU«i/^lM'nd  diit  /wt'lf«?  und  die  dritte  Temporal  Windung  zwischen  mittlerem 
(ifid  lihifrriMri  l)rlU<d  rmthtwinklig  durchschneidet,  om  so  an  der  basalen 
vInrM'ii  Wlndiui«  ««-iri  Kndo  zu  erreichen. 

hin  inllitonKopiNrhn  HutrachtunK  der  Hörrinde^)  (speziell  l.Temporal- 

')  M»»IImmIimi.  NihhI,  KiMi'iihllinntoxylin,  Pikrokarmin. 


r 


bei  einen]  an  Retinitis  pigmentosa  erblindeten  Angeboren-Taubstummen.     27  7 

windang)  ergibt   dentliche  Veränderangen,    für  deren  Zastaodekommen, 
soweit  Kontrollpräparate   lehren,    die   nicht    sehr    beträchtlichen    senil- 
endarteriitischen   Alterationen   der   Rindengefässe   in   keiner   namhaften 
Weise  mitverantwortlich  zu  machen  sein  dflrften. 
Die  gefundenen  Veränderungen  betreffen: 

a)  Die  Massenverhältnisse  der  einzelnen  Schichten, 

b)  die  Dichtigkeit  der  spezifischen  Elemente  in  denselben, 

c)  die  Morphologie  der  Zellen. 

ad  a)  Die  auf  Taf.  XXV  beigegebenen  Schemata  veranschaulichen 
die  nach  Projektionen  gepausten  Massenverhältnisse  der  Hörrinde  und 
der  Hörrindenschichten 

a)  beim  Gehirn  Spörik, 

ß)  bei  einem  normalen  Kontrollgehirn  (allerdings  etwa  10  Jahre 
jüngeres  Individuum,  ein  brauchbares  gleichaltriges  Kontroll- 
material war  z.  Z.  nicht  zu  beschaffen). 

Man  bemerkt  die  das  Mafs  der  individuellen  Variabilität  beträchtlich 
fiberschreitende  Verschmälerung  der  Rindenbreite,  welche  ganz  besonders 
auf  Kosten  der  folgenden  Schichten  zustande  kommt:  Schicht  der 
kleinen  Pyramiden,  Schicht  der  tiefen  mittelgrossen 
Pyramiden,  Spindelzellschicht. 

Demgegenüber  ist  die  Schicht  der  oberflächlichen  grossen 
Pyramiden  entschieden  verbreitert. 

ad  b)  (vergleiche  Mikrophotogramme  auf  Taf.  XXVI). 

Die  letzterwähnte  Schicht  lässt  unter  dem  Mikroskope  sofort 
erkennen,  dass  mit  dieser  Verbreitung  keineswegs  eine  Vermehrung 
ihrer  ganglionären  Elemente  Hand  in  Hand  geht.  Im  Gegenteil.  Es 
herrscht  in  ihr  ein  weitergehendes  Zurücktreten  der  grossen  Pyramiden- 
zellen vor  dem  Stützgewebe  vor,  als  unter  normalen  Verhältnissen: 
die  nervösen  Elemente  sind  gelichtet. 

Dasselbe  gilt  von  der  Schicht  der  tiefen  mittelgrossen 
Pyramiden  (6),  von  der  Schicht  der  kleinen  Pyramiden  (2), 
während  die  Schicht  3  (mittelgrosse  Pyramiden)  auch  in  dieser  Hinsicht 
sich  als  relativ  normal  documentiert. 

An  ihr  vermissen  wir  femer  auch  die  starke  Vermehrung  der 
Gliakerne,  die  sich  in  den  anderen  Schichten  geltend 
macht,  und  zwar  hauptsächlich  in  Schicht  2,  6  und  7. 
Letztere,  die  »Spindelzellschicht«,  ist  so  arm  an  Spindelzellen,  dass  sie 
im  vorliegenden  Gehirne  diesen  Namen  kaum  rechtfertigt. 


278     F.  Siebenmann  u.  R.  Bing:  Über  den  Labyrinth- u.  Hirnbefund 

Resümierend  können  wir  sagen,    dass   die  Redaktion  der 
edlen   Elemente    und    die    (kompensatorische)    Gliose    haupt- 
sächlich  die  Spindelzellschicht,    die  Schicht  der 
tiefen   mittelgrossen   Py-Zelien,    und   die   Schicht 
der  kleinen  Pyramiden  betrifft,  also  Schicht  2,  6  und  7, 
während    Schicht    3    am    wenigsten    in    dieser    Hinsicht    Ab- 
weichendes darbietet. 
ad  C)    In  erster  Linie  muss  betont  werden,    dass  die  vorhandenen 
parenchymatösen    (nervösen)    Elemente    jede    gröbere    Anomalie     ihrer 
Masse    und    der    äusseren  Gestalt   ihres   Zellleibes   durchaus    vermissen 
lassen,    dass   man   also   keineswegs   berechtigt   ist,    von  einer  Atrophie, 
bezw.  Hypoplasie  der  verschiedenen  Elemente  zu  sprechen.  —  und  dies 
trotz  hohen  Alters  und  diffuser  Arterienerkrankung! 

Dagegen  ist  die  Zellstruktur  in  N  i  s  s  1  -  Präparaten  insofern  als 
schwer  alteriert  zu  erkennen, 

dass  die  Pyramidenzellen  der  verschiedensten 
Schichten  und  der  verschiedensten  Grössen  durch- 
wegs jede  Zellgranulierung  vermissen  lassen. 
(Vergl.  beigegebene  Skizzen  1—6  auf  Taf.  XXVH/XXVm  im  Gegensatz 
zu  den  von  norm.  Material  stammenden  Hörrindenzellen  6 — 9.)  So 
allgemeine  und  hochgradige  Abnormität  liegt  nach  unserer  Erfahrung 
ausser  Bereich  der  senilen  Kortikal  Veränderungen. 

Wir  sind  wohl  berechtigt,  die  in  Frage  stehende  Anomalie  als  das 
Korrelat  einer  absoluten  und  stabilen  Funktionslosigkeit  anzusprechen. 
Ein  weniger  konstanter  und  wohl  auch  weniger  schwerwiegender  Befund 
ist  die  häufige  Exzentrizität  des  (im  übrigen  normalen  konsti- 
tuierten) Zellkerns. 

Die  Glia  (Fig.  10)  zeigt  nichts  Besonderes.  Fibrillenpräparate 
sind  noch  nicht  angefertigt  worden. 

NB.  Die  »spezifischen  Riesenzellen  der  Hörrinde»  von  Ramon 
y  Cajal  konnten  in  dem  Material  Spörik  nicht  festgestellt  werden, 
waren  aber  auch  im  Normalmaterial  nicht  mit  Sicherheit  zu  agnoszieren. 
Sie  dürften  überhaupt  nur  bei  Golgi-Imprägnation,  die  hier  nicht 
anwendbar,  in  ihrer  charakteristischen  Eigenart  hervortreten. 

Die  Untersuchung  der  Kern  gebiete  des  Akustikus  und  seiner 
Wurzeln  in  der  Oblongata  hat  sich  bis  jetzt  (um  das  Material  zur  An- 
fertigung von  Serienschnitten  nicht  untauglich  zu  machen  ^)  auf  folgende 
Gebilden  beschränkt: 


r 


bei  einem  an  Retinitis  pigmentosa  erblindeten  Angeboren-Taubstummen.     2 7  9> 

Nucleus  acustici  dorsalis  (Yestibnlariskem). 
Nucleus  acustici  ventralis  (Cochleariskern). 
Acnsticus-Wurzel. 
Striae  acusticae. 
Trapezfasern. 

Teile    der    direkten    sensorischen    Kleinhirnbahi> 
(zu  Nucl.  Deiters  und  Bechterew  ziehend). 
(Letzterwähnte    Kerne    selbst    sind    im    Zusammenhang    mit    dem 
Kleinhirn  gelassen  und  noch  nicht  untersucht  worden.) 

Die  betreffenden  Schnitte  wurden  dicht  am  kaudalen  Brückenrande 
entnommen  (Falsche  Färbung  mit  Boraxkarmin-Gegenfärbung)  und  in 
der  Höhe  dem  oberen  Olive  (N  i  s  s  l  -  Präparate). 

A.  Cochlearis. 

Der  Kern  ist  schwer  alteriert.  Zellen  äusserst  spärlich  und 
sehr  klein  (atrophisch?  hypoplastisch?).  Die  Glia  zeigt  dagegen  ein 
abnorm  dichtes  Gefüge.  Das  Areal  des  Kerngebietes  ist  verkleinert  und 
von  auffällig  unregelmäfsiger  Kontur. 

Auch  die  Faserzahl  der  eintretenden  Akustikuswurzel  ist  reduziert, 
ihr  Kaliber  schmächtig.  Eine  Portion  der  Fasern,  die  von  durchaus 
normalem  histologischem  Ansehen  ist,  dürfte  höchstwahrscheinlich  (erst 
durch  Serienschnitte  sicherzustellen !  *)  dem  Vestibularisanteil  entsprechen^ 
während  die  Cochlearisfasern  bei  ihrem  Eintritte  äusserst 
dünn,  mit  schmalem,  varikösem  und  schlecht  tingier- 
barem  Myelinsaum  erscheinen. 

Auffällig  ist  dagegen  die  tadellose  Beschaffenheit  der  in 
der  Kaphe  zur  Schleife  ziehenden  Stria  acustica-Fasern,  ebenso 
diejenigen  der  zur  gleich-  und  gegenseitigen  Oliva  superior  tendierenden 
Corpus-trapezoid  es -Faserung.*) 

1)  Nachtrag  bei  der  Korrektur:  Die  unterdessen  vorgenommene 
Anfertigung  einer  Serie  durch  die  Oblongata  hat  die  Bestätigung  der  oben  mit- 
geteilten Befunde  erbracht.  Beizufügen  wäre  noch,  dass  sich  das  Akustikusfeid 
von  normaler  Grösse  erwies,  und  die  , absteigende  Wurzel'  nichts  Anomales 
darbietet.  Herr  Prof.  E  d  i  n  g  e  r,  Direktor  des  Senckenbergischen  neurologischen 
Instituts  in  Prankfurt  a.  M.  hatte  die  Güte,  die  Serie  einer  Durchsicht  zu  unter- 
ziehen, woftlr  ihm  aoch  an  dieser  Stelle  gedankt  sei. 

^  Dies  mag  in  Hinsicht  auf  die  Alteration  des  Nucl.  cochl.  paradox  er- 
scheinen; doch  ist  zu  betonen,  dass  wir  über  die  sekundären  Verbindungen  des 
Vestibularis  mit  dem  Mittelhim  so  gut  wie  nichts  wissen,  und  die  Annahme 
hat  viel  für  sich,  dass  diese,  vielleicht  durch  Kontrast  besonders  schön  hervor- 
tretenden, Stria-  und  Trapezfasem  solche  sekundären  Vestibularis neurone  sind. 
—  Hervorhebung  verdient  besonders  das  abweichende  Verhalten  der  Stria-Faseri\ 
im  Falle  Lucae  (s.  o.  S.  265,  Fussnote.) 


^80     F.  Siebenraannu.  E.Bing:Über  den  Labyrinth-  u.  Hirnbefund  etc. 

Ba  in  der  Schleife  nichts  Pathologisches  aufgedeckt  werden  kann, 
ist  die  Vermutong  berechtigt,  dass  auch  die  hinteren  Vierhügel  keine 
iiennenswerle  Läsion  aufweisen  dürften. 

B.  Yestibularis; 

Der  Vestibulariskern  zeigt  Elemente   die  vielleicht  spärlicher  und 

kleiner    sind   als   normaliter,    jedenfalls    aber  nicht    in    beträchtlichem 

Mafse,    die    aber,    nach    Nissl   untersucht,  den   Eindruck   normaler, 

oder   jedenfalls    nicht    tiefgehend    alterierter,  sensibler    Ganglienzellen 
-erwecken. 


Es  sei  noch  erwähnt,  dass  die  Ventrikelepithelien  durch- 
aus normal  sind. 

B^sum^  (soweit  aus  dem  bisher  Festgestellten  zu  schliessen): 
Ein  das  periphere  Cochlearisneuron  betreffender  be- 
trächtlicher atrophischer  oder  hypoplastischer  Prozess. 
Deutliche  Alterationen  im  Nucleus  ventralis.  —  Intakt  oder  jedenfalls 
wenig  verändert  die  Verbindungsneurone  des  Cochlearis  zum  Mittelhirn 
(laq.  later.).  —  Ebenso  das  periphere  Vestibularisncuron  nebst  Nucl. 
dorsalis. 

Es  darf  schon  vor  der  Durchuntersuchung  des  Hirnstammes  und 
Kleinhirns  die  Intaktheit  bezw.  annähernde  Intaktheit  der  Vierhügel 
(wegen  des  negat.  Befundes  in  der  Schleife)  und  gesamten  Vestibularis- 
systems  (wegen  der  norm.  Verhältnisse  des  hint.  Längsbündels  und  der 
direkten  sensoriscben  Kleinhirnbahn)  angenommen  werden.  Die  Ver- 
änderungen im  kortikalen  Zentrum  dürften  lediglich 
sekundär  sein,  Resultat  der  Inaktivität.  Hervorzuheben  ist 
immerhin  die  pathologische  Furchenbildung  in  nächster  Nähe  des  linken 
akustischen  Kindenzentrums. 

Erklärung  der  Figuren  auf  Tafel  XXIV—XXVllL 

Taf.    XXIV.  Gehirn  Spörik  v.  links,  nach  Abziehen  der  Häute. 

Taf.  XXV.  Mächtigkeit  der  Rinde  und  deren  einzelner  Schichten  (Nomenclatur 
nach  S.  Eamön  y  Oajal)  in  der  1.  1.  Schläfenwindnng,  beim 
Gehirn  Sp.  (a)  und  dem  normalen  Kontrollgehim  (/ß). 

Taf.  XXVI.  Aufbau  der  1,  1.  Schläfenwindung  von  Sp.  Kombination  zweier 
Mikrophotogramme.    Erklärung  der  Ziffern  auf  Taf.  XXV. 

,^  ^  XXVII.  \  Skizzen  von  Zellen  aus  der  1. 1.  Schläfen  Windung  (Sp.  u.  KontroU.). 
*  'XXVIII.|Nis8l-Färbung.    Erläuternder  Text  auf  der  Tafel. 


Otto  Vögeli:   Zur  Frage  des  therapeutischen  Wertes  etc.         281 

XVIL 

(Aus  der  otolaryngologischen  Klinik  der  Universität  Basel. 
Direktion:  Prof.  Siebenmann.) 

Zur  Frage  des  therapeutischen  Wertes  des  Fibro- 
lysin  in  der  Ohrenheilkunde. 

Von  Dr.  Otto  Vögeli, 

AMistent  der  Klinik. 

Die  erste  Arbeit,  welche  über  die  Verwendung  des  Thiosinamin, 
des  im  Fibrolysiu  enthaltenen  wirksamen  Stoffes,  in  der  Ohrenheilkunde 
berichtet,  stammt  von  Sugar  (Archiv  f.  Ohrenheilk.,  1904,  Bd.  62, 
Seite  241).  Er  wandte  das  Mittel  teils  subkutan  teils  intratympanal 
an  und  seine  Erfahrungen  veranlassten  ihn,  das  Thiosinamin  in  der 
Behandlung  des  chronischen  Mittelohrkatarrhs  als  ein  vielversprechendes 
Mittel  zu  empfehlen,  welches  »unbedingt  angezeigt  sei  in  den  Anfangs- 
stadien der  Otosklerose«  und  bei  bindegewebigen  Adhäsionen  am  Schall- 
leitungsapparate. Dieser  Veröffentlichung  folgten  seither  eine  Keihe 
anderer,  die  in  gleicher  Weise  wie  die  Su  gär  sehe  sehr  ermutigende 
Erfolge  zu  verzeichnen  haben.  So  berichtet  Hirschland  (Archiv 
f.  Ohrenheilk.,  Bd.  64,  Seite  107)  über  gelungene  Kuren  mit  dem 
unterdessen  durch  F.  Mendel  (cf.  Therapeut.  Monatshefte,  Febr.  1905) 
dargestellten,  in  Wasser  löslichen  Fibrolysin,  auf  Grund  deren  er  das 
Mittel  in  der  Behandlung  der  chronischen  Schwerhörigkeit  mit  Aus- 
nahme von  nervöser  Schwerhörigkeit  und  fortgeschrittener  Otosklerose 
für  angezeigt  hält.  Kassel  (Zeitschr.  f.  Ohrenheilk.,  Bd.  50,  Seite  96) 
hat  8  Fälle  von  Otosklerose  ohne  jeden  Erfolg  behandelt,  dagegen  er- 
wiesen sich  4  Fälle  von  »Adhäsionen  am  schalleitenden  Aparate  nach 
Mittelohreiterung«  der  neuen  Therapie  zugänglich.  S.  McCullagh 
(Xewyork)  beschreibt  in  den  Medical  News  (Dez.  1905)  die  Wirkung 
<ies  Thiosinamin  auf  subjektive  Geräusche  als  besser  denn  die  irgend 
eines  anderen  Mittels.  Löwensohn  (cit.  nach  Archiv  f.  Ohrenheilk., 
Bd.  71,  Seite  134)  hat  in  5  Fällen  von  Residuen  »gute  Resultate« 
gehabt ;  es  trat  augenfällige  Hörverbesserung  und  Verkürzung  der  vorher 
verlängerten  Knochenleitung  ein.  Zwei  Sklerosen  dagegen  blieben  un- 
beeintlusst.  Endlich  empfiehlt  E.  Urbantschitsch  in  der  neuesten 
Veröffentlichung  über  diese  Frage  (Monatsschrift  f.  Ohrenheilk.  Bd.  XLI, 
Seite  63  und  Klinisch-therapeutische  Wochenschrift  Nr.  6,  1907)  Fibro- 
lysin für  eine  Reihe  von  Mittelohrerkrankungen:  »den  vorgeschrittenen 

Zeitselirift  f&r  Ohrentaeilkiinde,  Bd.  LIV  ]9 


282  Otto  Vögeli:   Znr  Frage  des  therapeatischen  Wertes 

trockenen  chronischen  Mittelohrkatarrh,  die  adhäsiven  Prozesse  iu  der 
Paukenhöhle  and  die  Sklerose  in  ihrem  Anfangsstadinm,  besonders  wena 
das  Gehör  kein  konstant  schlechtes  ist,  sondern  zeitweise  wenigstens 
wechselt».  \ 

Ablehnend  dagegen  äossem  sich  Vohsen  (Frankfurt)  in  einer 
mfindlichen  Mitteilung  in  der  »Vereinigung  westdeutscher  Hals-  und 
Ohrenärzte*  (XVII.  Sitzung  v.  26.  XI.  05),  ferner  Brieger  in  zwei 
Referaten  Qber  die  oben  zitierten  Arbeiten  von  Sugdr  und  Hirsch- 
land (Intemation.  Monatsschr.  f.  Ohrenheilk.,  Bd.  III,  Seite  76  und 
Bd.  in,  Seite  276).  Tapia  (cit.  nach  Archiv  internat.  de  laryngologie, 
d*otologie  etc.  Tome  XXHI,  Nr.  2,  Seite  638)  hat  ebenfalls  bei  Oto- 
sklerose  keinerlei  und  bei  Residuen  nur  geringe  Erfolge  gesehen,  »die 
zu  den  von  gewissen  Autoren  angegebenen  in  keinerlei  Verhältnis  stehen«. 
Ihm  schliesst  sich  ferner  Baratoux  (cit.  nach  Arch.  internal,  de  laryngo- 
logie, d'otologie  etc.  Tome  XXHI,  Nr.  3,  Seite  1005)  in  seinen  Schluss- 
folgerungen an. 

Im  folgenden  möchte  ich  über  Versuche  berichten,  welche  1905 
in  hiesiger  Klinik  auf  Veranlassung  von  Prof.  Siebeumanu  durch 
Dr.  Nager  mit  Fibrolysin  ausgeführt  wurden.  Zur  Verwendung  ge- 
langte  das  Fabrikat  M  e  r  c  k -Darmstadt,  von  welchem  eine  Ampulle 
a  2,3  ccm  0,2  g  der  wirksamen  Substanz  Thiosinamin  enthält.  Von 
solchen  Ampullen  wurden  15 — 20  in  ebenso  vielen  Sitzungen,  meist 
täglich  intramuskulär  injiziert.  Die  Kur  war  verbunden  mit  einer 
energischen  mechanischen  Therapie,  bestehend  in  täglich  Imal  aus- 
geführter Lufteintreibung  durch  den  Katheter.  Ich  lasse  die  Kranken- 
geschichten der  behandelten  Fälle  einzeln  folgen.  Es  handelt  sich  um 
zwei  Kategorien  von  Mittelohraifektionen,  1.  um  3  Fälle  von  stationären 
Residuen  abgelaufener  Eiterungen  und  2.  um  4  Fälle  von  pro- 
gressiver Spongiosierung  mit  Stapesankylose.  Hinsichtlich 
der  definitiven  Hörprttfungsresultate  möchte  ich  noch  vorausschicken, 
dass  dieselben  wenn  nichts  besonderes  bemerkt  ist,  stets  nach  voraus- 
gegangenem Katheterismus  notiert  worden  sind. 

I.  Residuen. 

1.   Residuen    rechts    mit   Adhäsionen    nach    Otitis    media 
purul.   tuberculosa. 

Luise  P.,  35  Jahre.  2  Brüder  an  Lungenschwindsucht  gestorben. 
Vor  18  Jahren  litt  Pat.  an  einem  7  Wochen  dauernden  Ausfluss  aas 
dem  rechten  Ohr.     Jetzt   vor    ^/^  Jahr   wurde   ein   retronasaler  Tumor 


des  Fibrolysin  in  der  Ohrenheilkunde.  283 

eutfernt.  (f]pitheloidzellentuberkulose  der  Rachenmandel.)  Pat.  hat 
beständig  starkes  Ohrensausen  auf  der  rechten  Seite;  kein  Schwindel. 
Status  localis.  Trommelfell  rechts  diffus  und  radiär  getrübt, 
reflexlos,  kurzer  Fortsatz  stark  vorspringend ;  Trommelfell  der  Labyrinth- 
wand adhärent.  Vorn  oben  zirkumskripte  Perforation.  Links  ist  das 
Trommelfell  ebenfalls  getrübt.  Bei  Okularinspektion  und  Kathetorismus 
keine  Exsudat-  noch  Transsudatansammlnng. 

I    25 
H  =     Q^^  cm  für  Flüsterzahlen. 

Exp.  Weber-Schwabach  aj  =  -|-  4  (nach  rechts  lateralisiert). 


Rinne  a^  = 
obere  Tongrenze  =- 


\    tyc)'^  untere  Tongrenze  =  {  ^^ 
^'f  Galton-Edelmann  =  33000  v.  d. 


Therapie:  20  Injektionen  in  20  Tagen.  Katheterismus.  —  Die 
Injektionen  wurden  lokal  und  allgemein  sehr  gut  ertragen. 

Resultat  unmittelbar  nach  der  Kur:  Trommelfelle  nicht  ver- 
ändert.    Subjektive  Geräusche  geringer.     Hörweite  unverändert. 

Kontrollunters uchung  nach  16  Monaten: 
i  20 
^  ^     900  ^^  ^**^  Flüsterzahlen. 

Sausen  wie  unmittelbar  nach  der  Kur. 

2.  Residuen  beiderseits  mit  Verkalkungen  der  Trommel- 
felle.    Akute  Tubenaffektion,    Rhinitis  acuta. 

Josephine  H.,  31  Jahre.  In  der  Familie  keine  Schwerhörigkeit. 
Seit  3 — 4  Jahren  hört  Pat.  schlecht,  erst  links,  dann  auch  rechts. 
Keine  Schmerzen,  kein  Ausfluss.  Im  Finstern  Schwindel.  Viel  donner- 
ähnliches Geräusch  im  linken  Ohr. 

Status  localis.  Trommelfell  recht«  reflexlos;  Verkalkungen 
hinten  oben ;  vorn  oben  atrophische  Narbe.  Links  fehlt  der  Reflex  eben- 
falls ;  es  finden  sich  verschiedene  verkalkte  Stellen.  Beim  Katheterismus 
trotz  richtig  sitzendem  Katheter  (Spiegelkontrolle)  auffallend  schwaches 
Durchströmegeräusch.     Beide  Tubenostien  geschwellt. 

120 
.-  cm  für  Flüsterzahlen,  v  o  r  Katheterismus. 

H  =  L/v/^  cm  fürPlüsterzahlen,  nach  Katheterismus. 

Therapie:  13  Injektionen  in  22  Tagen;  Katheterismus;  Pat.  ist  nach 

Angabe  ihrer  Umgebung  seit  den  Einspritzungen  sehr  nervös  geworden. 

Resultat  unmittelbar  nach  der  Kur:  Geräusche  stark  vermindert. 

(60 
o^^  cm  für  Flüsterzahlen  nach  Katheterismus. 

Kontrolluntersuchung  nach  1^/3  Jahren:  Das  Ohrensausen 
ist  wieder  stark.  Diesen  Winter  hat  Pat.  »furchtbar  schlecht«  gehört; 
jetzt  geht  es  besser. 

19* 


284  Otto  Vögeli:   Zur  Frage  des  therapeutischen  Wertes 

H  =     ,  .   cm  für  Fltisterzahlen  vor  Katheterismus. 
[14 

H   "    '    2  ^™  ^^^  Flüsterzahlen  nach  Katheterismus. 


Weber-Schwabach  a^   =   -f-  3  (nicht  lateralisiert). 
^2  untere   Tongrenze   =  j   .  * 

^'!j  Galton-Edelmann  =  35000  v. 


Rinne  a^  = 
obere  Tongrenze   = 


3.  Residuen  beiderseits. 

August  H.,  20  Jahre.  Keine  Schwerhörigkeit  in  der  '  Familie. 
Vor  9  Jahren  Ohrenfluss  rechts;  seither  hat  das  Gehör  sehr  stark 
abgenommen;  links  hört  Pat.  immer  gut.  Rauschen  und  kratzendes 
Geräusch  im  rechten  Ohr;  kein  Schwindel. 

Statuslocalis.  Trommelfell  rechts  mit  mehrfachen  Verkalkungen ; 

links  zirkumskripte  atrophische  Stelle  hinten  unten.    Bei  Okularinspektion 

und  Kathetrismus  keine  Exsudat-  oder  Transsudatansammlung. 

f  5 
H  =  L^  «cAr^  cni  für  Flüsterzahlen. 
[  z>  oOO 

Weber-Schwabach  a^  =  —  12  (nach  links  lateralisiert). 
Rinne  a^  =  ^-   untere  Tongrenze  =      .^^ 

in  9 
obere  Tongrenze  =       '     Galton-Edelmann  =  32000  v.  d. 

Therapie:    18  Injektionen  in  20  Tagen;  Katheterismus.  —  Die 
Injektionen  machten  keine  Beschwerden. 
Resultat  unmittelbar  nach  der  Kur: 

H  =  L^  -^-  cm  für  Flüsterzahlen. 
[  J>  500 

Geräusche  haben  andere  Qualität;    sind  aber  gleich  intensiv. 

Kontrolluntersuchung  nach  2^4  Jahren. 


H  =^  {  -^*^rv/N  cm  für  Flüsterzahlen. 

Die  Geräusche  haben  langsam  abgenommen  und  sind  jetzt  ver- 
schwunden. 

II.  Progressive  Spongiosierung  mit  Stapesankylose  („Otosklerose"). 

4.  Progressive  Spongiosierung  der  Labyrinthkapsel  rechts 
mit   Stapesankylose. 

Leopoldine  M.,  39  Jahre.  Ein  Bruder  leidet  an  doppelseitigem 
Cholesteatom;  im  übrigen  keine  Ohrerkrankungen  in  der  Familie.  Seit 
V2  Jftbr  bemerkt  Pat.,  dass  er  rechts  zunehmend  schlechter  hört.  Er 
hatte  nie  Ausfluss  aus  dem  Ohr ;  nie  Schmerzen.  Zeitweise  Ohrensausen  ; 
kein  Schwindel. 


r 


des  Fibrolysin  in  der  Ohrenheilkunde.  285 

Status  localis:  Trommelfell  rechts  zeigt  durchscheinende  Bötung 
der  Labyrinthwand.  Bei  Okularinspektion  und  Katheterismus  keine  Ein- 
Senkungserscheinungen,  keine  Exsudat-  noch  Transsudatansammlung. 

H  =  ^^  .^^  cm  für  Flüsterzahlen. 
\^  oOO 

Weber-Schwabach  aj  =  -f"  ^  "*^^   rechts  i.e.  ins  kranke  Ohr 

lateralisiert. 

Rinne  a.  =  |  :^  25  gekreuzt,    ""*^^«  Tongrenze  =  [^^_^ 

(  0  7 
obere  Tongrenze  =  'V  Galton-Edelraann  =  35000  v.  d. 

Therapie:  14  Injektionen  innerhalb  1 7 Tagen.  Die  Einspritzungen 
wurden  gut  ertragen. 

Resultat  unmittelbar  nach  der  Kur:  Ohrensausen  besser.  Hör- 
vermögen unverändert. 

Kontrolluntersuchung  nach  2  Jahren: 

H  =  I  i^  cm  für  Flüsterzahlen. 


Weber-Schwabach  a^  =  +  4  (nach  rechts  lateralisiert). 

Rinne  %  =  j"  ^g  gekreuzt,    ""*«'«  Tongrenze  =  \^^^^ 

(  0  7 
obere  Tongrenze  =  '    '     Gal  ton -Edelmann  =  35000  v.  d. 


Sausen  unverändert. 

5.  Progressive  Spongiosierung   der  Labyrinthkapsel   mit 
Stapesankylose. 

Marie  S.,  28  Jahre.  In  der  Familie  keine  Schwerhörigkeit.  Vor 
3  Jahren  Beginn  der  Krankheit  mit  Ohrensausen  und  langsam  zunehmender 
Schwerhörigkeit. 

Status  localis:  Trommelfell  beiderseits  normal.  Bei  Okular- 
inspektion und  Katheterismus  keine  Einsenkungserscheinungen,  keine 
Exsudat-  noch  Transsudatansammlung  nachweisbar. 

Weber-Schwabach  a^  =  +  0.  (nicht  lateralisiert). 
A  =  +  40 

Rinne  a^  =     ~     ^   untere   Tougrenze  =      /^ 

obere  Tongrenze  =  j  ^'^  Galton-Edelmann  =  |  ^J^JJ  v.  d. 

Therapie:  15  Injektionen  in  25  Tagen.  Keine  unangenehmen 
Nebenwirkungen. 

Resultat  unmittelbar  nach  der  Kur: 

H  =  j^,  cm  für  Flüsterzahlen. 


-  |o,i 


286  Otto  Vogel i:    Zur  Frage  des  therapeutdschen  Wertes 


Weber-Schwabach  a,  =  -r  0  (nicht  lateralisiert). 
A  =  -f  40 

Hl 
H, 


Kinne  aj  =  ! -  „    untere  Tongrenze   ==■ 


13  3 
'^  Galton-Edeli 


18000 
20000  ^' 


imann  = 

Ohrensausen  und  Schwindel  unverändert. 
Kontrollnntersnchung   nach   2  Jahren:    Sansen  unverändert. 


i30 
2^  cm  für  Konvcrsationssprache. 

Weber-Schwabach  aj  =  +  0  (nicht  lateralisiert). 

Rinne  a^  =     ~  . .    untere   Tongrenze  = 

obere  Tongrenze  =  L'    Galton-Edelmann  =     -.^oof)  ^-  *^- 

6.  Progressive   Spongiosierung    der  Labyrinthkapsel   mit 
nervöser  Schwerhörigkeit   und   Stapesankylose. 

Alvin  D.,  24  Jahre.    In  der  Familie  keine  Schwerhörigkeit.    Seit 

10  Jahren  hat  das  üörvermögen  des  Pat.  stetig  abgenommen.     Ausfluss 

war  nie  vorhanden.     Pat.  hat   beständig  Ohrensausen;    kein  Schwindel. 

Status  localis:  Trommelfelle  beiderseits  normal.  Bei  Kathetcrismus 

keine  Zeichen  von  Exsudat-  noch  Transsudatansammlung. 

jj  _  J-I5  für  Flüsterzahlen. 

I  3    cm  für  Konversationssprache. 
Weber -Schwabach  aj   =  —  9  (nach  rechts  lateralisiert). 

Rinne  a^  =  j  _     ^   untere  Tongrenze  =  |  ^ 

Ih^ 
obere  Tongrenze  =  {,5  Galton-Edelmann. 

Therapie:    25  Injektionen  in  32  Tagen;    wurden  gut  ertragen. 

Resultat  unmittelbar  nach  der  Kur:  Sausen  und  Hörvermögen 
unverändert. 

Kontrolluntersuchung:  Pat.  hat  der  Einladung  zu  derselben 
2  Jahre  später  (1907)  keine  Folge  geleistet. 

7.  Progressive  Spongiosierung  der  Labyrinthkapsel  -j- 
nervöse  Schwerhörigkeit  +  Stapesankylose. 

Robert  E.,  23  Jahre.  In  der  Familie  keine  Schwerhörigkeit. 
Das  Hörverraögen  hat  sich  seit  V2  Jahr  (?)  allmählich  verschlechtert. 
Nie  Ausfluss.     Ohrensausen,  kein  Schwindel. 

Status  localis:  Rechtes  Trommelfell  mit  kleiner  atrophischer 
Stelle;  links  normal.  Bei  Okularinspektion  und  Katheterismus  keine 
Einsenkungserscheinungen  noch  Exsudat-  oder  Transsudatansammlung. 


des  Fibrolysin  in  der  Ohrenheilkunde. 


287 


o^  cm  für  Flüsterzahlen. 

Weber-Schwabach  aj  =  ±  0  (nicht  lateralisiert). 

.    Rinne  a^  =  j  ~  .  ^   untere   Tongrenze  =     . 

[21000         , 
120000  ^-     • 
Therapie:    20  Ipjektiouen   in   25  Tagen   wurden   gut   ertragen. 
Resultat  unmittelbar   nach  der  Kur:    Sausen   und  Hörvermögen 
unverändert. 

Kontrolluntersuchung  nach  l^'g  Jahren: 
1 


H  = 


I  2  5 
obere  Tongrenze  =  { j.'     Galton-Edelmann  = 
1  -6,0 


H 


cm  für  Flüsterzahlen. 


Weber- Schwabach  a^   =   -f  0  (nicht  lateralisiert). 
Rinne  »1=1"  ^L   untere   Tongrenze  =  {  . 


obere  Tongrenze 


__  )5,3 
4,0 


Galton-Edelmann  = 


113000 
I 16000 


d. 


Sausen  unverändert. 


Um  Eines  gleich  vorweg  zu  nehmen,  möchte  ich  von  den  Neben- 
wirkungen des  Fibrolysin  berichten,  dass  wir  ausser  dem  wenig  lästigen 
Knoblauchsgeruch  der  Atemluft,  bei  unsern  Patienten  keine  unan- 
genehmen lokalen  oder  allgemeinen  Erscheinungen  gesehen  haben.  Nur 
bei  einer  Patientin  Nr.  3  wurde  anfangs  über  grössere  Nervosität 
geklagt. 

Überblicken  wir  im  übrigen  das  endgültige  Resultat  unserer  Kuren, 
so  ist  dasselbe,  sowohl  bei  den  drei  Fällen  von  Residuen  als  auch  bei 
den  vier  Fällen  von  progressiver  Spongiosierung  gleich  Null. 

Der  eine  Fall  unter  den  Residuen  Nr.  3,  welcher  unmittelbar  nach 
der  Kur  eine  Hörverbesserung  von  H  =  |  .p,  auf  H  =  looo  ^"^  ^^^ 
Flüsterzahlen  zeigte,  war  zweifellos  kompliziert  mit  beidseitiger  akuter 
Tubenaffektion ;  dafür  spricht  die  Beeinflussung  des  Hörvermögens  bei 
Anwendung  des  Katheters.  Dieser  Fall  ist  also  nicht  als  reines 
Experiment  zugunsten  des  Tbiosinamin  verwertbar;  dagegen  scheint  er 
uns  in  anderer  Hinsicht  Beachtung  zu  verdienen.  Wir  halten  ihn  nämlich 
für  geeignet,  uns  über  die  mit  unsern  eigenen  Ergebnissen  im  Widerspruch 
stehenden  günstigen  Resultate  anderer  Autoren  aufzuklären.  Kassel 
und  Urbantschitsch  bemerken  beide  in  ihren  Arbeiten,  dass  sie 
ihre  Erfolge  immer  nach  den  ersten  Injektionen  haben  eintreten  sehen, 
und  dass  auch  spätere  Einspritzungen  bei  Fällen,  welche  sich  im  Anfang 


288  Otto  Vögeli:    Zur  Frage  des  therapeutischen  Wertes 

refraktär  verhielten,  keinen  Nutzen  brachten.  In  einer  Zusaimmen- 
fassung  (pag.  70)  sagt  Urbantschitsch  wörtlich,  dass  für  die 
Fibrolysinkur  sich  »besonders  Fälle  eignen,  bei  denen  das  Gehör  kein 
konstant  schlechtes  sei,  sondern  zeitweise  wenigstens  wechsle».  Dies 
erweckt  den  Verdacht,  dass  auch  dort  wie  in  unserem  »günstigen* 
Falle  interkurrente  akute  Komplikationen  mitgespielt  haben,  welche 
jene  Resultate  vortäuschen  konnten.  Überhaupt  ist  die  Forderung,  dass 
mit  der  Fibrolysinbehandlung  zugleich  auch  eine  mechanische  Therapie 
verbunden  werden  müsse,  eine  etwas  sonderbare  mit  Bezug  auf  die 
Ansicht,  dass  die  Resultate,  welche  durch  dieses  kombinierte  Verfahren 
erzielt  werden,  allein  oder  wenigstens  vorzüglich  auf  Rechnung  der 
Fibrolysinanwendung  gesetzt  werden  sollen. 

Wir  haben  während  der  Behandlungsdauer  auch  nie  direkt  mit 
dem  Spiegel  verfolgbare  Veränderungen  am  Trommelfell  sehen  können, 
wie  z.  B.  Transsudatbildungen  in  die  Paukenhöhle,  welche  sogar 
Parazentese  notwendig  machten,  und  welche  Hirschland  (pag.  114) 
als  unmittelbare  Folge  subkutaner  Fibrolysininjektionen  beschreibt.  Viel- 
mehr haben  wir  den  bestimmten  Eindruck,  dass  hier  nicht  Arznei- 
respektive  Thiosinaminwirkungen,  sondern  Komplikationen  mit  Tuben- 
affektionen  vorgelegen  haben. 

Auch  die  total  negativen  Ergebnisse,  welche  wir  in  den  vier  Fällen 
von  progressiver  Spongiosierung  erhalten  haben,  nötigen  uns,  die  Publi- 
kationen, welche  Erfolge  mit  Thiosinamin  bei  dieser  Krankheit  auf- 
zuweisen haben,  sehr  skeptisch  entgegenzunehmen.  Gerade  bei  Patienten 
mit  diesem  Leiden  hören  wir  klagen,  dass  bei  jedem  Witterungswechsel  ihr 
Gehör  schlechter  sei  und  solch  akute  vorübergehende  Verschlimmerungen 
führen  sie  in  der  Regel  wieder  dem  Arzte  zu.  Günstige  Resultate, 
welche  wie  die  bisher  publizierten  nach  einer  nur  kurzen  Beobachtungs- 
dauer gewonnen  sind,  müssen  daher  mit  grösster  Vorsicht  aufgenommen 
werden.  Denselben  Einwand  (Sugar)  kann  man  gegenüber  Erfolgen, 
welche  mit  der  Phosphortherapie  im  Laufe  einer  längeren  Reihe  von 
Jahren  gewonnen  worden  sind,  nicht  erheben. 

Wir  haben  auch  bei  der  Auswahl  unserer  Versuchsfälle  von  pro- 
gressiver Spongiosierung  der  Krankheitsdauer  Rechnung  getragen.  Bei 
zwei  Fällen  wurde  der  Beginn  auf  ^/^  Jahr,  bei  einem  auf  drei  und 
bei  einem  weitern  auf  zehn  Jahre  zurückverlegt.  Doch  sind  die 
Resultate  unterschiedslos  gleich  ungünstige.  Sugar  hat  als  erster 
Thiosinamin    für   Otosklerose    im   Anfangsstadium    empfohlen    und    sich 


des  Fibrolysia  in  der  Ohrenheilkunde.  28&^ 

dabei  daraaf  berufen,  dass  der  Spoiigiosierung  ein  bindegewebiges 
Zwischenstadium  vorangehe,  welches  durch  Fibrolysin  günstig  zu  be- 
einflussen sei.  Hirschland  hat  sich  dieser  theoretischen  Auffassung 
angeschlossen,  und  er  wie  Urbantschitsch  wollen  auch  wirklich  gute 
Erfolge  bei  Frühformen  von  Otosklerose  gesehen  haben.  Nun  kommt 
aber  nach  den  Untersuchungen  von  Siebenmann  (Zeitschrift  f.  Ohren- 
heilk.  Bd.  34,  Heft  4)  ein  solches  bindegewebiges  Zwischenstadium 
nicht  vor.  Was  an  der  Labyrinthkapsel  und  ihrer  nächsten  Umgebung 
resorbiert  wird,  ersetzt  sich  im  Gegenteil  unmittelbar  durch  osteoide 
Substanz,  die  selbst  wieder  sehr  rasch  verknöchert.  In  der  Tat  sindr 
ja  auch  unsere  Ergebnisse  total  negativ,  ebenso  diejenigen  der  bereits 
erwähnten  8  Fälle  von  Kassel,  der  Versuche  von  Vohsen  und  von 
Tapia. 

Die  Einführung  der  Fibrolysinbehandlung  in  die  Ohrenheilkunde- 
entbehrt  einstweilen  einer  sicheren  Grundlage.  Die  guten  Resultate, 
welche  veröffentlicht  wurden,  sind  an  ungeeignetem,  nicht  genügend 
einwandsfreiem  Material  gewonnen  worden.  In  den  einschlägigen^ 
Arbeiten,  die  über  günstige  Resultate  zu  berichten  wissen,  ist  auf 
genaue  Beschreibung  des  Krankheitsbildes  zu  wenig  Wert  gelegt  worden. 
Krankengeschichten  mit  der  blossen  Angabe  einer  Diagnose  wie  »trockener 
chronischer  Mittelohrkatarrh»  genügen  nicht.  Anatomisch  und  funktionell 
wohl  definierte,  objektiv  vergleichbare  Befunde  dürfen  nicht  fehlen. 

Die  Zahl  unserer  Versuche  ist  gering.  Indessen  haben  wir  doch 
in  keinem  einzigen  unserer  Fälle  eine  Besserung  erzielt.  Wir  müssen 
uns  daher  günstig  lautenden  Berichten  gegenüber  zum  mindesten  sehr 
skeptisch  verhalten.  Für  zukünftige  Arbeiten  auf  diesem  Gebiete  aber 
müssen  wir,  sollen  dieselben  wirklich  Beachtung  verdienen,  die  Erfüllung 
dreier  Forderungen  wünschen :  Es  sollen  nur  Fälle  mit  möglichst  reinen 
Krankheitsbildern  verwendet  werden;  die  Lokalbefunde,  sowie  die 
Ergebnisse  der  funktionellen  Prüfung  sollen  detailliert  mitgeteilt  werden ; 
und  endlich  soll  durch  Kontrolluntersuchungen,  welche  längere  Zeit 
nachher  vorgenommen  worden  sind,  das  definitive  Resultat  festgestellt 
:werden. 


•290     Rud.  Riester:  Über  d.  osteomyelit Erkrankungen  d. Schläfenbeins. 

XVIII. 

(Aus  der  Universitäts-Ohrenklinik  zu  Heidelberg 
[Vorstand  Prof.  Dr.  Kümmel]). 

Über  die  osteomyelitischen  Erkrankungen  des 
Schläfenbeins. 

Von  Dr.  Bud.  Biester  in  Odessa, 

froher  Yolontftr-Antstent  d«r  EUntk. 

Während  die  Lehre  von  der  Osteomyelitis  der  übrigen  Skelettknochen 
Ton  den  Chirurgen  längst  nach  allen  Richtungen  studiert  und  sehr 
<]^enau  bekannt  ist,  liegen  bei  den  osteomyelitischen  Erkrankungen .  des 
Schläfenbeins  eine  Menge  von  schwierigen  Fragen  vor.  Theoretisch 
wird  die  Möglichkeit  einer  Osteomyelitis  von  Vielen  zugegeben 
[Brieger/)  Körner,^)  Walb^)],  doch  sind  auch  diese  Autoren  in 
manchem  Einzelnen  verschiedener  Ansicht.  Ihre  primäre  Entstehung  ohne 
vorausgegangene  Mittelohrerkrankung  halten  die  Chirurgen  (Küster)  für 
möglich,  viele  Otologen  (z.B.  Schwartze)  für  einwandsfrei  noch  niemals  be- 
wiesen. Die  Schwierigkeiten  für  die  Beurteilung  dieser  Frage  liegen  wesent- 
lich in  der  Nachbarschaft  des  Gehörorgans,  dessen  Affektionen  oft  das  Bild 
verwischen.  Die  Osteomyelitis  der  flachen  Knochen  ist  ja  äusserst  selten : 
wenn  wir  die  von  den  Chirurgen  beschriebenen  Fälle  der  Osteomyelitis  cranii 
nach  verschiedenen  anderweitigen  Krankheiten  ausschliessen,  so  finden 
wir  in  der  otologischeh  Literatur  bis  jetzt  nur  27  Fälle  vor,  die  von 
tlen  Autoren  als  osteomyelitische  ICrkrankungen  aufgefasst  und  beschrieben 
sind,  die  aber  bei  näherer  Betrachtung  zum  Teil  gar  nicht  als  solche 
zu  bezeichnen  sind.  Bevor  ich  aber  diese  Fälle  zur  Analyse  ziehe, 
möchte  ich  einige  interessante  Krankengeschichten  anführen,  die  zur 
Beurteilung  dieser  Fragen  etwas  beitragen  können. 

Fall  1.    L.  Otto,   17  Jahr,  Seminarist. 

Anamnese  6.  III.  1907.  Der  Pat.  hatte  vor  3  Wochen  angeblich 
Influenza,  anfangs  mit  hohem  Fieber,  sehr  starken  Kopfschmerzen,  einige 
Tage  später  Ohrenschmerzen,  die,  nach  eingetretener  Sekretion,  nachliessen. 
Seit  5.  III.  wieder  Fieber,  das  inzwischen  vollständig  verschwunden 
*^^ewesen  sein  soll.     Pat.  stand  die  ganze  Zeit  in  ärztlicher  Behandlung. 


1)  Brieger,    Über  primäre  Ostitis  des  Warzenfortsatzes  A.  f.  0.  Bd.  43, 
S  211. 

•i  2)  Körner,    Bericht    über   die   dritte  Versammlung  der   deutschen  otol. 
Gesellschaft.    A.  f.  0.  Bd.  37,  S.  128. 

8)  Walb,    Fall  von  primärer  Ostitis  des  Warzenfortsatzes  mit  sekundärer 
Beteiligung  des  Mittelohres.    A.  f.  0.  Bd.  30,  S.  281. 


Rud.  Biester:  Über d. osteomyelit.  Erkrankungen d. Schläfenbeins.     29 1 

Befund:  Blasser,  schmächtiger,  junger  Mann.  Urin:  kein  Albumen, 
kein  Zucker,  T.  39,0. 

R.  Ohr:  Profuse  Sekretion.  Trommelfell  gerötet  ohne  erkennbare 
Einzelheiten.  Vorne  unten  eine  kleinerbsengrosse  Perforation  mit  leb- 
haft pulsierendem  Lichtreflex.  Flüsterstimme  20cm.  L.  Ohr:  Profuse 
Sekretion,  Trommelfell  gerötet,  Proc.  brevis  erkennbar.  Vorne  unten 
ebenfalls  kleinerbsengrosse  Perforation  mit  lebhaft  pulsierendem  Licht- 
reflex. Flüsterst.  10  cm.  Starke  Kopfschmerzen.  Warzen fortsatz  ohne 
Befund. 

10.  III.  Links  sehr  reichl.  Sekretion,  Warzenfortsatz  ohne  Befund. 
Abend-Temp.  37,9. 

13.  in.  T.  40.  Leichte  Übelkeit.  Beiderseits  starke  Eiterung, 
doch  keine  Vorwölbung  am  Trommelfell,  keine  Druckempfindlichkeit  am 
Proc.  mastoideus.  Allgemeine  Untersuchung  ergibt  nichts  Abnormes, 
doch  wird  Influenza  angenommen. 

14.  IIL  Bei  Bewegung  Schmerzen  in  der  Mitte  des  linken  Vorder- 
arms. T.  37,5.  Sonst  keine  Veränderungen.  Bakteriologische  Blut- 
untersuchung negativ. 

18.  III.  Ständig  hohes  Fieber.  Ohren  in  gleichem  Zustande. 
Proc.  mast.  ohne  Odem,  Druckschmerz.  Jugularis  am  Halse  nicht  druck- 
empfindlich. 

19.  III.  Am  linken  Arm  ausgedehnte  phlegmonöse  Schwellung, 
Inzision  entleert  reichlich  Eiter.  Im  Eiter  Streptokokkus  pyog.  Sonstiges 
Befinden  gut,  keine  Kopfschmerzen,  T.  38,5. 

24.  III.  T.  geht  zur  Norm  zurück. 

26.  III.  Ein  Gang  führt  von  der  Inzisionsöfl'nung  nach  oben,  za. 
15  cm.  tief  bis  an  das  Schultergelenk,  resp.  den  Humeruskopf.  Ohren 
trocken. 

28.  III.  Prof.  Voelcker  (Chir.  Kl.)  nimmt  eine  Osteomyelitis^ 
des  Humeruskopfes  mit  Beteiligung  des  Gelenkes  und  Senkungsabszess 
nach  hinten  an. 

2.  IV.  Ohren  trocken.     Schulter  nicht  mehr  schmerzhaft. 

10.  IV.  Ohrbefund  derselbe,  keine  Sekretion.  Schmerzen  bei 
Bewegung  des  Schultergelenks. 

22.  IV.  Nur  noch  eine  flach  granulierende  Wunde  am  Arm. 
Schulter  noch  beschränkt  in  ihrer  Beweglichkeit,  aber  keine  Schmerzen. 
Allgemeinbefinden  sehr  gut,  Pat.  wird  entlassen. 

Epikrise.  Bei  diesem  Pat.  sehen  wir  eine  allgemeine  fieber- 
hafte Erkrankung,  zuerst  unbekannter  Natur,  die  sehr  bald  zu  beider- 
seitiger Ohreiterung  führte,  mit  starken  Kopfschmerzen  und  hohen 
Temperaturen;  diese  Erscheinungen  Hessen  nach  kurzer  Zeit  nach,  die 
beiderseitige  Ohreiterung  blieb  bestehen.  Beide  Ohren  zeigen  grosse 
Perforationen,  profuse  Sekretion,  am  Warzen fortsatze  fanden  sich  aber 
keinerlei  Erscheinungen,  die  auf  seine  Beteiligung  schliessen  lassen 
Könnten.     4  Wochen    nach    Beginn   der   Erkrankung   eine    Phlegmone- 


.-•'.."■-j-^       L'--     r--.:~     :::_    '■>  r>   m    i:     7"mLr,     Ail  L  <»iir  will 
■  -      -  ■  <    -^    1  •     I^.    -  '    i.      -   in        •:'-:-  •i.n'^rr^'T..    •  »Lr^ LSiUi^^L  er- 

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•.;.'!    »-rr.iir.rL    n:.»!    w^r-i-a    r.i-ihr    -LJ-f-rnt.       E'[ü>t:ik    2i:i    K'rrer, 


r 


Kad.  Riester:  Über  d. osteoniyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins.     293 

14.  III  Da  immer  noch  hohe  Temperatur  und  heftige  Schmerzen 
bestehen,  weitere  Inzision  auf  dem  Dorsum  der  linken  Handwurzel  Es 
wird  ein  osteomyelitischer  Herd  an  der  Basis  des  Metacarp.  IV  ,  bezw . 
am  Os  naviculare  aufgefunden.  Auskratzen  mit  scharfem  Löffel.  Von 
der  Inzision  über  Metac.  IV.  führt  ein  Fistelgang  unter  den  Streck- 
sehnen zum  Metacarp.  II.  Eine  weitere  Inzision  zwischen  I.  und  II. 
Metacarp.  am  proximalen  Teil  entleert  etwas  Eiter.  Ohrwunde  sieht  gut  aus. 

3.  II.  07.  Die  Wunde  an  der  grossen  Zehe  heilt  gut.  Aus  der 
Operationshöhle  des  Warzenfortsatzes  Sekretion  gering.  Trommelfell 
noch  nicht  klar  erkennbar.     Granulationen  überall  gut  ausgebildet. 

8.  I.     Urin  o.  B.     Fusswunde  geheilt. 

16.  I.  Operationshöhle  des  Warzenfortsatzes  fast  völlig  trocken. 
Trommelfell  durch  Vorwölbung  der  vorderen  unteren  Grehörgangswand 
vollständig  verdeckt  und  unsichtbar. 

23.  I.  Trommelfell  etwas  sichtbar,  doch  Einzelheiten  lassen  sich 
nicht  erkennen.  Wunde  an  der  Hand  völlig  geheilt.  Schwellung  der 
Finger  und  Hand  im  Rückgang.  Beweglichkeit  in  den  Gelenken  wird 
allmäblich  besser. 

vS.  II.  Operationshöhle  völlig  trocken,  bis  auf  zwei  kleine  granu- 
lierende Stellen  Flüsterstimme  1  m.  Die  Hand  ist  abgeschwollen, 
Beweglichkeit  noch  mangelhaft. 

16.  II.     Fat.  wird  mit  völlig  geheiltem  Ohr  entlassen. 

Mikroskopischer  Befund.  Die  knöchernen  Wände  der 
]uieumatischen  Zellen  in  dem  herausgenommenen  Sequester  zeigen  fast 
überall  lakunäre  Ausbuchtungen,  die  mit  Osteoklasten  besetzt  sind ;  zum 
Teil  sind  diese  Laknnen  recht  gross  und  greifen  tief  in  den  Knochen 
hinein.  In  einigen  Markräumen  sind  die  Ränder  rauh  und  zernagt, 
doch  ist  der  Prozess  nicht  überall  gleich  regelmässig  ausgebildet;  die 
Knochenkörperchen  sind  erhalten  und  färben  sich  gut,  nur  vereinzelt 
treten  Knochenlamellen  ohne  Knochenkörperchen  auf.  Die  Schleimhaut 
hat  ihre  Epithelbekleidung  verloren,  ist  stark  verdickt  und  infiltriert 
mit  Rundzcllen,  sodass  sie  stellenweise  den  Charakter  eines  Granulations- 
gewebes annimmt  Die  normale  Struktur  ist  nur  stellenweise  zu  er- 
kennen. Die  Kapillaren  und  kleinen  Gefässe  sind  erweitert,  enthalten 
ein  ausgeprägtes  Fibrinnetz  mit  Blutkörperchen.  Eine  Verdickung  der 
Periostschicht  und  Neubildung  von  Knochen  ist  kaum  zu  bemerken. 
Bakterien  (Streptokokken)  finden  sich  sehr  spärlich  im  Gewebe  der  Schleim - 
hant,  immer  in  dem  an  den  Knochen  angrenzenden  Teil  und  nie  frei 
auf  der  Oberfläche,  zumeist  in  der  nächsten  Nähe  der  Gefässe.  In  Ge- 
fässen  und  im  Knochengewebe  sind  dieselben  nicht  gefuiKlen  worden. 

Epikrise.  In  diesem  Falle  haben  wir  einerseits  eine  ausgeprägte 
schwere  fieberhafte  Allgemeinerkrankung,  wie  bei  der  akuten  infektiösen 


294     Bud.  Biester:  Über  d. osteomy elit. Erkrankungen  d. Schläfenbeins. 

Osteomyelitis:  gleich  im  Beginn  heftige  Ohrenschmerzen  und  Infiltration 
der  Gehörgangswände.  Das  Fieber  hielt  an,  und  am  folgenden  Tag 
bildete  sich  eine  Phlegmone  am  linken  Handrücken  and  an  der  grossen 
Zehe.  Am  Tage  daranf  geringe  Ohreiterang,  wegen  der  starken  Gehör- 
gangsschwellung  war  aber  kein  Trommelfell bild  zu  erhalten.  Wieder  einen 
Tag  später  trat  erst  reichliche  Eiterentleerang  aus  dem  Ohre  auf,  gleich- 
zeitig starke  Entzündnngscrscheinangen  am  Warzenfortsatz.  Die  ver- 
schiedenen Abszesse  worden  eröffnet,  der  Warzenfortsatz  aafgemeisselt 
und  anch  eine  Knochenerkrankang  entdeckt.  Aliein  das  Anhalten  des 
Fiebers  bei  gutem  Zustande  der  Warzenfortsatzwunde  liess  eine  tiefer- 
liegende Erkrankung  am  Handrucken  vermuten,  die  sich  auch  als 
Knochenherd  im  Metacarpus  bei  der  folgenden  Operation  herausstellte. 
P^.ndlich,  nach  Auskratzung  dieses  Herdes,  schwand  das  Fieber 

Fall  UI.     Th.  Jakob,  42  J.  Wagnermeister  aus  Darmstadt. 

Anamnese.  5.  IV.  07.  Mit  Ausnahme  von  Gonorrhoe  vor  27 
Jahren  immer  gesund  gewesen.  Vor  einem  Jahr  Magenbeschwerden 
und  zeitweise  Schwerhörigkeit.  Der  behandelnde  Arzt  stellte  angeblich 
ein  Herzleiden  fest.  Ohrenkrank  war  Fat  nie  gewesen.  Seine  jetzige 
Krankheit  rührt  seit  Ende  Januar  her.  Fat.  war  wegen  Beschwerden 
von  Seiten  des  linken  Ohres  9  Wochen  in  Behandlung.  Mitte  Februar 
stellte  sich  Ohrenlaufen  links  ein,  das  vor  14  Tagen  aufgehört  hat,' 
dabei  waren  nie  Schmerzen  hinter  dem  Ohr  Seit  5  Tagen  Schwellung 
über  dem  Ohr  und  etwas  Druckschmerz  vor  dem  Ohr. 

Befand:  Btlstiger  Mann.  Irregularitas  cordis,  ohne  Geräusch,  mit 
perkutorisch  normalen  Herzgrenzen.  Lungen  ohne  Befund.  Urin:  ent- 
hält weder  Albumen  noch  Zucker. 

L  Ohr:  stark  ausgeprägtes  Ödem  und  Infiltration  über  und  vor 
dem  Ohr  in  der  Ausdehnung  des  Muse,  tempor.  Druckschmerzhaftigkeit 
über  dem  Ohr  und  auf  dem  Planum  mastoideum.  Der  Mund  kann 
nicht  vollständig  geöffnet  werden.  Die  Spitze  des  Proc.  mastoideus  ist 
druckempfindlich,  aber  keine  Infiltration  darüber  Gehörgang  stark  ver- 
engt, sodass  das  Trommelfell  nicht  sichtbar  ist.  Beim  Anssptüen  Schuppen 
und  mäfsige  Massen  alten  Sekretes. 

Gehörprüfung:  Flüsterstimme  L.  5 — 10cm,  c  (128)  durch  Luft 
90"  (normal  280),  vom  Warzenfortsatz  200"  (n.  190").  Obere  Grenze 
a^,  untere  Grenze  A^ 

R.  Ohr  ohne  Befund,  Nase  desgleichen. 

L.  Pupille  etwas  weiter  als  die  rechte,  beide  gut  reagierend. 
Ophthalmoskopischer  Befund  normal. 

6.  IV.  Operation.  Weit  vorn  ansetzender  Bogenschnitt.  Muse. 
tempor.  infiltriert  Nach  Durchtrennung  desselben  wird  über  dem  Ohr 
vor  dem  Ansatz  der  Ohrmuschel  ein  snbperiostaler  Abszess  eröffnet. 
Derselbe  erstreckt  sich  weit  nach  vom,  deshalb  Schnitt  dahin  ver- 
längert.    Am  Ansätze  des  Jochbogens  an  der  Squama  kirschkemgrosser 


r 


Rud.  Riester:  Ober  d.  osteomyelit  Erkrankungen  d. Schläfenbeins.     295- 

Defekt  mit  verfärbten  Rändern :  derselbe  führt  in  eine  etwa  kirschgrosse- 
Höhle,  in  der  ein  flacher  Sequester  liegt,  medial  liegt  Dura  der  mittleren  . 
Schädelgrube  frei  in  der  Höhle.  In  der  Höhe  des  Antrum  wird  eine 
zweite  Höhle  von  gleicher  Ausdehnung  freigelegt,  die  einen  zum  Teil 
noch  anhaftenden,  z.  T.  gelösten  Sequester  enthält.  Auch  hier  liegt 
Dura  frei,  und  die  beiden  Höhlen  kommunizieren  durch  einen  Extra- 
dnralabszess.  Die  hintere  Höhle  geht  frei  in  das  Antrum  über.  Ab- 
tragung der  Ränder  bis  auf  normalen  Knochen.  Im  Abszesseiter  Strepto- 
coccus mucosus. 

10.  IV      Gutes  Befinden.     Keine  Temperaturerhöhung. 

13.  IV.     Wunde  sieht  gut  aus,  gute  Granulationen   auf  der  stark, 
pulsierenden  Dura  mit  wenig  Sekretion.     Keine  Schmerzen. 

20.  IV.  Pat.  klagt  über  etwas  Kopfschmerzen.  Vor  dem  Ohr  oben 
leichtes  Ödem.,  Es  wird  von  der  Wunde  aus  weit  nach  vorn  tamponiert. 
Sekretion  mäfsig.  Dura  granuliert  gut;  oben  Knochen  der  Schuppe 
noch  freiliegend.  Gehörgang  trotz  Tamponade  sehr  eng,  sodass  Trommel- 
fell nicht  deutlich  zu  sehen  ist. 

27.  IV.  Kein  Ödem  mehr  nachweisbar,  doch  noch  zeitweise 
Schmerzen. 

4.  V.  Wunde  sezerniert  nicht  wesentlich,  Squama  mit  Granu- 
lationen bedeckt.  Nach  vorn  noch  ein  tiefer  Gang,  der  weiter  tampo- 
niert wird;  oberflächlich  schliesst  sich  die  Wunde  schon. 

Pat.  wird  zur  Privatbebandlung  entlassen ;  die  Wunde  verkleinerte 
sich  rasch,  ist  aber  am  8.  VH.  noch  nicht  geschlossen,  sodass  zur  Frei- 
legung der  schlecht  zugänglichen  tiefen  Teile  der  Knochenwunde  eine 
Nachoperation  in  Narkose  nötig  wurde.     Jetzt  in  Heilung.*) 

Mikroskopische  Untersuchung  des  Sequesters  und  einiger  anderer 
Knochenstücke  ergab  folgenden  Befund.  Die  einzelnen  Lamellen  des 
Knochens  zeigen  sich  vorwiegend  in  der  mittleren  Schicht  schwächer 
gefärbt  und  weisen  hier  keine  Knochenkörperchen  auf.  Diese  nekrotischen 
Teile  sind  regelmäfsig  von  einer  bei  van  G i e s o n -Färbung  dunkelrot 
gefärbten  Schicht  bedeckt,  die  wechselnde  Dicke  hat  und  deutlich  sicht- 
bare gut  gefärbte  Knochenkörperchen  besitzt.  Diese  Neubildung  des 
Knochens  geht  sowohl  an  der  Peripherie  der  dünnen  Lamellen,  wie  auch 
in  den  Markräumen  vor  sich,  um  die  die  frischen  Knochenablagerungen 
sich  scheidenartig,  durch  die  abweichende  Färbung  und  das  Vorhanden- 
sein von  Knochenkörperchen  ausgezeichnet,  anlagern.  Lakunäre 
Resorption  findet  überall  statt,  doch  mit  verschiedener  Energie,  und 
auch  in  den  Markräumen  finden  sich  zahlreiche  Osteoklastenherde.  Das 
Periost  an  der  Peripherie  des  neugebildeten  Knochens  ist  stellenweise 
verdickt,  an  anderen  Stellen  fehlt  es.  Die  Schleimhaut  ist  grösstenteils 
stark  verdickt,  doch  sind  ihre  Epithelzellen  zum  Teil  noch  vorhanden; 

1)  Änm.  b.  d.  Korr.:  Pat.  ist  jetzt  völlig  geheilt. 


::>96     K  u  d.  R  i  e  s  t  e  r :  t'ber  d.  osteomyelit.  Erkrankungen  d.  Schläfenbeins. 

ihr  Stroma  zeigt  stellenweise  Rundzelleniniiltration  von  verschiedener 
Stärke,  die  zuweilen  follikelähnliche  Herde  bilden  und  sich  deutlich 
von  dem  Bindegewebe  abzeichnen.  Die  Schleimhautauskleidung  in 
•den  Hohlräumen  des  Seiiuesters  ist  auch  zum  Teil  nekrotisch  und 
zeichnet  sich  durch  schwächere  Färbung  und  mangelhafte  Kernfärbung 
aus.  In  den  Venen  finden  sich  oft  hyaline  Thromben,  an  vielen  Stellen 
auch  mit  Eosin  sich  glänzend  mattrosa  färbende  feinkörnige  Massen. 
Im  Protoplasma  der  Eiterkörpercheu  sind  oft  hyaline  Kügelchen  sicht- 
bar. Die  gefundenen  Streptokokken  sind  zahlreich  im  Secjuester  und 
in  anderen  Knochenstücken  und  finden  sich  vorzugsweise  an  2  Stellen 
vor  —  in  der  Schleimhaut,  wo  sie  mehr  in  der  Nähe  der  Gefässe  vor- 
kommen, und  in  den  Markräumen,  wo  sie  im  Inneren  der  Gefasse  oder 
perivaskulär  und  ziemlich  zahlreich  sind. 

Epikrise.  Betrachten  wir  diesen  Fall,  so  bemerken  wir  ein  sehr 
verschlepptes  Ohrenleiden,  bei  dem  sich  ziemlich  spät  der  Ausfluss  ein- 
stellte, das  aber  im  übrigen  den  gewöhnlichen  Verlauf  einer  Otitis 
media  aufweist,  mit  der  Ausnahme,  dass  die  auftretenden  Schmerzen 
sich  immer  vor  und  oberhalb  des  Ohres  zeigten.  Hier  trat  auch  kurz 
Tor  der  Aufnahme  in  die  Klinik  Schwellung  und  Druckschmerz  auf. 
Bei  der  Untersuchung  zeigte  sich  Schmerzlosigkeit  des  Warzenfortsatzes, 
aber  Schwellung  und  ödem  des  oberhalb  dUvon  liegenden  Teils  des 
Schläfenbeins,  was  die  Veranlassung  zum  operativen  Eingriff  gab.  Bei 
der  Operation  fand  man  an  der  betroffenen  Stelle  zwei  Höhlen  im 
Knochen,  die  beide  nach  der  Dura  zu  durchgebrochen  waren,  sich 
vorne  nach  aussen  unter  dem  Periost  und  hinten  frei  ins  Antrum  er- 
öffneten, und  miteinander  durch  einen  Extraduralabszess  kommunizierten. 
Wir  hatten  also  mit  einer  intensiven  Knocheneinschmelzung  zu  tun.  Auch 
die  mikroskopischen  Präparate  zeigten  deutlich,  dass  wir  einen  ostitischen 
Prozess  vor  uns  hatten  mit  Einschmelzung  und  parallel  laufender 
Knochenneubildung.  Als  nächste  Ursache  dieser  Knochenerkrankung 
erschien  die  Mittelohreiterung,  die  bereits  5  Wochen  bestanden  hatte, 
als  sie  14  Tage  vor  dem  Eintritt  in  die  Klinik  aufhörte.  Hier  hat  die 
Eiterung  vorwiegend  die  Schläfenschuppe  angegriffen  und  Hess  einen 
Teil  des  Warzenfortsatzes  vollständig  frei. 

Fall  IV.     Leopold  H.,  35  J.,  Forstwart. 

Anamnese  4.  VII.  1907.  Pat.  hatte  im  März  nach  >Influenza« 
kurze  Zeit  Ohrenschmerzen,  auch  Ohrensausen  (?),  sowie  Schwerhörig- 
keit. Letztere  dauerte  an,  während  die  übrigen  Erscheinungen  bald 
schwanden. 


Rud.  Riester:  Über  d.  osteomyelit. Erkrankungen  d. Schläfenbeins.     297 

Seit  14  Tagen  von  neuem  Schmerzen  in  wechselnder  Stärke,  wegen 
deren  er  am  27.  VI.  die  Ambulanz  aufeuchte. 

Befund :  R.  Ohr :  starke  Verengerung  und  Rötung  des  Gehörgangs, 
vom  Trommelfell  nur  ein  kleiner  Teil  sichtbar,  blassgrau  mit  Radiär- 
gefässinjektion. 

Flüsterstimme  50  cm. 

L.  Ohr  ohne  Befund. 

2.  YII.  Gehörgang  rechts  spaltförmig,  Trommelfell  nicht  sichtbar. 
Ohrmuschel  stärker  als  links  abstehend,  hintere  Falte  nicht  verstrichen, 
starkes  Ödem  über  und  vor  dem  Ohr,  bis  an  den  Tragus.  Proc.  mast. 
nicht  druckempfindlich,  dagegen  die  Gegend  des  Emissarium  mastoideum. 
Pat.  wird  während  der  Untersuchung  übel. 

3.  Vn.  Inzision  in  die  obere  hintere  Gehörgangswand,  ergibt 
keinen  Eit^r. 

4.  vn.     Aufnahme  in  die  Klinik. 

R.  Gehörgang  stark  geschwollen.  Über,  vor  und  hinter  der  Ohr- 
muschel befindet  sich  eine  flache,  fluktuierende  Schwellung,  die  die  Ohr- 
muschel nach  vorn  und  unten  verdrängt  und  die  hintere  obere  Gehör- 
gangswand vorwölbt.  Druckschmerz  unmittelbar  am  Ansätze  der  Ohr- 
muschel, die  retroaurikuläre  Falte  ist  nicht  verstrichen.  Im  medianen 
Teil  des  Gehörganges  Schuppen,  kein  Eiter. 

Fl.  40— 50  cm. 

6.  VII.  Probe-Punktion  der  Schwellung  hinter  dem  Ohre:  Blut  mit 
Eiterflocken,  daraus  wird  Streptococcus  mucosus  in  Reinkultur  gezüchtet. 

6.  vn.  Parazentese:  kein  Sekret. 

8.  VII.  Fluktuation  deutlicher,  Schwellung  grösser.  Im  Gehörgang 
etwas  seröse  Flüssigkeit. 

9.  VII.  Operation  in  Chloroformnarkose.  Bogeninzision,  über  der 
Muschel,  eröffnet  eine  grosse  Abszesshöhle,  aus  der  sich  ^^  Reagensglas 
Toll  Eiter  entleert.  Über  dem  Planum  mastoideum  ist  der  Knochen 
vom  Periost  entblösst,  blutreich.  Nach  Abmeisselung  wird  eine  Warzen- 
fortsatzzelle  eröffnet,  die  voll  Eiter  ist.  Antrnm  wird  nicht  eröffnet, 
da  weiterhin  Knochen  und  Schleimhaut  normal  sind.  —  Nachher  glatte 
Heilung. 

Epikrise.  Wie  aus  der  Krankengeschichte  zu  sehen  ist,  haben 
wir  einen  Fall  von  ausgesprochener  Knochenerkrankung  vor  uns,  dessen 
Beginn  aber  etwas  unklar  ist  Durchgemachte  Influenza  hinterliess  eine 
Ohraffektion,  die  aber  ohne  Eiterung  bald  vergangen  war.  Dann  folgte 
eine  längere  Pause,  während  deren  nur  Schwerhörigkeit  bestand.  Nach 
mehr  als  2  Monaten  kam  Pat  mit  Erscheinungen,  die  einer  Otitis 
externa  ähnlich  sahen;  diese  Erscheinungen  gingen  nicht  zurück^  dazu 
gesellte  sich  die  Ausbildung  eines  Abszesses  oberhalb,  aber  in  der 
nächsten  Nähe  der  Ohrmuschel.  Bei  der  Operation  wurde  ein  um- 
schriebener Knochenherd  vorgefunden,  ohne  einen  Hinweis  auf  Beteiligung 

ZeiUehrift  f&r  Ohrenheilknnde,  Bd.  LIV.  20 


298     Biad.Bie8ter:  Über d. orteom jelit. Erkrankangen d. Sehl&fenbeins. 

des  Antium,  dagegen  wohl  begleitet  von  einer  leichten  Entzfindang  der 
Paokenhöhlenschleimhant.  Im  Eiter  fand  man  Reinkoltor  von  Strepto- 
C0CCQ8  mucosus.  Nach  dem  Rrankheitsbilde  zn  urteilen  müssen  wir 
hier  einen  primären  Knochenherd  ohne  wesentliche  Beteiligung  der 
Paukenhöhle  annehmen.  Von  welcher  Infektionsquelle  aus  er  entstanden 
ist,  ist  zwar  unmöglich  zu  ergründen. 

Von  diesen  4  geschilderten  Fällen  haben  die  zwei  ersten  ein  be- 
sonderes Interesse  för  die  Beurteilung  und  Aufklärung  der  Frage  nach 
den  osteomyelitischen  Erkrankungen  des  Ohres.  Obgleich  in  der  otologi- 
schen  Literatur  etwa  27  Fälle  als  solche  Erkrankungen  bezeichnet 
werden,  ist  doch  nur  für  einen  kleinen  Teil  derselben  diese  Benennung 
zulässig.  An  der  Hand  unserer  4  Fälle  will  ich  versuchen  die  An> 
gaben  der  Literatur  zu  analysieren. 

Betrachten  wir  den  klinischen  Verlauf  dieser  Fälle,  so  können  wir 
2  grosse  Gruppen  unterscheiden.  Ihre  Verschiedenheit  besteht  im  Vor- 
handensein oder  Fehlen  einer  allgemeinen  Osteomyelitis  im  klinischen  Sinne^ 

In  die  erste  Gruppe,  wo  im  Verlaufe  einer  Osteomyelitis  Ohrer- 
krankungen aufgetreten  sind,  kommen 

1.  ein  Fall  von  vorwiegender  Schleimhautaffektion,  im  Laufe  einer 
Osteomyelitis  [Zeroni  (15)],  2.  ein  Fall  von  Labyrinthentzündnng 
während  der  ersten  Woche  einer  Ho merusosteomyelitis  [Steinbrügge 
(12)],  vielleicht  3.  noch  ein  Fall  von  (anämischer?)  Taubheit  während 
einer  chronischen  Osteomyelitis  [Wage n hänser  (14)].  Hierher  möchte 
ich  auch  4.  den  von  KümmeP)  beschriebenen  Fall  mitrechnen,  wo 
eine  seit  der  Jugend  bestehende  chronische  Osteomyelitis  der  linken 
Tibia  vorhanden  war  und  eine  rekurrierende  Otitis  media  linkerseits. 
Der  Patient  wurde  operiert  wegen  eines  Schlaf enlappenabszesses  und 
Extraduralabszesses,  bei  der  Autopsie  fand  sich  ein  Entzündungsherd  im 
Schläfenbein  nach  unten  und  medial wärts  von  der  Eminentia  arcuata, 
eine  siebartig  durchlöcherte  und  gelblich  verfärbte  Enochenpartie,  die 
sich  bis  zum  Antrum  hinzog,  und  bei  mikroskopischer  Untersuchung  gar 
keine  Färbung  annahm.  Dieser  Fall  erinnert  etwas  an  den  Fall 
Steinbrügge,  und  der  Verfasser  spricht  die  Vermutung  aus,  dass  es 
sich  vielleicht  um  Osteomyelitis  petrosa  handeln  könnte. 

Die  zweite  Gruppe  bilden  diejenigen  Erkrankungen  des  Schläfen- 
beins, die  rein  lokal  bleiben.  Unter  diesen  Fällen  nehmen  eine  be- 
sondere  Stelle   ein   die   von   Torner   (13),   und   B rieger  (1),   ohne 

1)  W.  Kümmel.  Weitere  Beiträge  zur  Pathologie  der  intrakraniellen 
Komplikationen  von  Obrerkranktingen     Z.  f.  0.  Bd.  31,  Fall  IV. 


Rh d.  Riester:  Über  d.  osteomy elit. Erkrankungen  d. Schläfenbeins.     299 

Beteiligang  des  Mittelolires,  und  der  «von  Moure  (8),  wo  die  Osteo- 
myelitis des  Schläfenbeins  als  Komplikation  von  Influenza  fast  ohne 
Mittelohraffektion  auftrat.  Zu  diesen  darf  wohl  auch  unser  Fall  4 
gestellt  werden.  Alle  übrigen  so  be/?eichneten  Erkrankungen  sind  im 
Anschluss  an  eine  Ohreiterung  bezw.  Stimhöhleneiterung  entstanden 
[Hennebert  (5),  D^Uvore  (3),  Richardson  (10),  Dench  (2), 
Laurens  (7),  Panzat  (9),  Knapp  (6),  Guisez  (4,)  und  z.  Teil 
Schilling  (11)]. 

Nach  dieser  Einteilung  würden  unsere  zwei  ersten  Fälle,  bei  denen 
eine  akute  Osteomyelitis  in  klinischen  Sinn  bestand,  der  ersten  Gruppe 
angehören,  Fall  3  und  4  dagegen  der  zweiten. 

Nur  für  die  erste  Gruppe  ist  es  berechtigt,  den  Namen  Osteomye- 
litis anzunehmen}  Es  mnss  besonders  betont  werden,  dass  durch  die 
Verwechslung  des  klinischen  Krankheitsbildes  Osteomyelitis  mit  dem 
pathologisch-anatomischen  Zustande  gleichen  Namens  grosse  Verwirrung 
entstehen  kann.  Es  wäre  deshalb  geraten,  für  die  Bezeichnung  der  patho- 
logischen Veränderungen,  die  lokal  auftreten,  den  Namen  Ostitis  aus- 
schliesslich zu  verwenden,  denn  die  Knochenerkrankung  bei  Osteomyelitis 
ist,  wie  Brieger^)  bemerkt,  anatomisch  eine  Ostitis.  Eine  solche 
kann  ebensowohl  von  einer  Lokalinfektion,  z.  B.  nach  Trauma,  ihren 
Ausgang  nehmen,  wie  von  vorneherein  den  Charakter  einer  Allgemein- 
infektion haben,  die  wir  eben  als  akute  infektiöse  Osteomyelitis  zu 
bezeichnen  pflegen.  Mithin  ist  jede  Osteomyelitis  pathologisch-anatomisch 
eine  Ostitis,  jedoch  nicht  jede  Ostitis  ist  klinisch  eine  Osteomyelitis. 

Untersuchen  wir  die  einwandsfreien  Fälle  von  Osteomyelitiden  *),  so 
sehen  wir,  dass  es  sich  bei  Steinbrügge  um  eine  Iiabyrinthentzündung 
handelte,  bei  Wagenhäuser  um  eine  Taubheit,  deren  pathologisches 
Substrat  unbekannt  blieb,  bei  Zeroni  um  eine  Schleimhautentzündung, 
die  eine  pneumatische  Zelle  betraf.  Daraus  ist  zu  ersehen,  wie  ver- 
schieden die  Affektionen  des  Ohres  bei  Osteomyelitis  sein  können:  das 
ist  aber  fast  selbstverständlich,  da  ja  diese  Erkrankung  nur  eine  be- 
sondere schwere  Fonn  der  septischen  Allgemeininfektion  darstellt.  Unsere 
zwei  Fälle,  die  eine  Osteomyelitis  der  Peripherie  aufweisen,  zeigen  in 
einem  Fall  nur  die  Beteiligung  der  Mittelohrschleimhaut,  im  anderen 
dagegen  in.  erster  Linie  eine  Knochenentzündung  mit  Sequesterbildung 
im  Warzen fortsatz.    Nun  muss  die  Frage  erwogen  werden,  ob  im  Fall  1 

1)  Brieger,  1.  c.  S.  211. 

s)  Die  neuen  Mitteilangen  von  Siebenmann  über  Osteomyelitisertaubung 
konnten  hier  nicht  mehr  verwertet  werden. 

20* 


300     Bnd.  Riester:  Über  d. osteomyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins. 

nicht  vielleicht  die  schon  zwei  Wochen  bestandene  Otitis  eine  Humerus- 
osteomyelitis  hervorgerufen  haben  könnte.  Allerdings  lässt  sich  darüber 
nur  rein  akademisch  disputieren,  denn  schlagende  Beweise  oder  Gegen- 
beweise sind  nicht  aufzubringen.  Die  Gesetze  und  Wege  einer  Infektion 
sind  von  sovielen  Bedingungen  beeinflusst,  und  uns  in  Einzelheiten  noch 
so  wenig  bekannt,  dass  wir  nicht  in  jedem  einzelnen  Falle  imstande  sind, 
dieselben  zu  ergründen.  Dennoch  Hesse  sich  auch  in  diesem  Falle 
etwas  finden,  was  gegen  diese  unwahrscheinliche  Vermutung  spricht. 

Dass  eine  so  harmlos  verlaufende  und  dabei  im  Abnehmen  be- 
griffene Otitis  noch  eine  Osteomyelitis  heiTorrufen  könnte,  das  wäre  eine 
grösste  Seltenheit,  die  in  der  Literatur  nicht  vorgekommen  ist,  wie  es 
bei  Völckor,  Fröhncr^)  zu  sehen  ist.  Ausserdem  würde  maii, 
wenn  die  Entzündungserreger  im  Ohre  noch  eine  nennenswerte  Viru- 
lenz aut^ewiesen  hätte,  schon  annehmen  dürfen,  dass  noch  eher  der 
Warzonfortsatz  erkrankt  wäre.  Die  Annahme  einer  wandständigeu 
Sinusaffektion  im  Sinne  Leuterts  hat  wenig  Wahrscheinlichkeit  für 
sich:  bei  der  harmlosen  Otitis  wäre  auch  die  regionäre  Ausbreitung 
etwas  unbegreifliches.  Unter  diesen  umständen  drängen  die  allgemeinen 
Ph'scheinungen  und  der  Zustand  des  Patienten  zur  Annahme,  dass  die 
Otitis  nur  Lokalerscheinung  eines  Allgemeininfektes  sei,  dessen  Vor- 
handensein das  Fieber  anzeigte;  dafür  sprach  auch  das  vollständige 
Verschwinden  des  Fiebers  und  der  bisherigen  Sekretion  in  zwei  Tagen 
nach  der  blossen  Eröffnung  des  osteomyelitischen  Herdes  am  Arm.  Demnach 
muss  der  ganze  Prozess  vermutlich  folgenderweise  aufgefasst  werden : 
eine  allgemeine  akute  Osteomyelitis,  unter  dem  Bilde  der  septischen 
Allgemeininfektion,  affizierte  in  erkennbarer  Weise  zunächst  nur  die 
bekanntlich  sehr  leicht  reagierende  Mittelohrschleimhaut;  erst  nach 
3  Wochen  manifestierte  sich  der  einzige  sonstige  osteomyelische  Herd. 
W^arum  dies  so  spät  geschah,  darüber  lassen  sich  höchstens  Vermutungen 
ohne  Beweise  aufstellen.  Der  zweite  Fall  beweist  aber,  dass  eine  starke 
Infektion  schon  in  3  Tagen  eine  sichtbare  Phlegmone  am  Warzenfortsatz  und 
eine  rasche  Knochen cntzündung  mit  Sequesterbildung  hervorrufen  kann. 

Unserem  ersten  Fall  steht  am  nächsten  der  von  Zeroni,  mit  dem 
Unterschiede,  dass  er  doch  eine,  allerdings  erst  beginnende,  Knochen- 
entzttndung  zeigt,  wogegen  unser  Fall  wohl  nur  eine  reine  Schleimhaut- 
affektion darstellt.  Bei  den  Fällen  Steinbrügge  und  Wagenhäuser 
ist  das  Knochengewebe   des   Felsenbeins   und   die   Mittelohrschleimhaut 

1)  Cit.  nach  V.  Czerny,  Über  akute  infektiöse  Osteomyelitis  1908,  S.  698. 
Sonderabdnick  aus   »Die  deutsche  Klinik  am  Eingange  des  20.  Jahrhunderts.' 


Bnd.  Riester:  Über  d. osteoitiyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins.     30 1 

andaacrad  völlig  unbeteiligt  geblieben.  Für  die  Entstehungsweise  einer 
osteomyelitischen  Erkrankung  des  Gehörorgans,  bezw.  Schläfenbeins 
kann  nur  ein  Weg  in  Betracht  kommen,  der  hämatogene.  Das  beweisen 
deutlich  die  vielen  Fälle,  die  uns  die  Chirurgie  liefert,  obgleich  wir  selbst 
über  keine  positiven  Blutbefunde  verfügen.  Unser  negativer  Blutbefund 
kann  nicht  dagegen  sprechen,  denn  die  Mikroorganismen  verschwinden 
bekanntlich  im  Blut  bald,  und  selbst  wenn  sie  noch  im  Blut  zirkulieren, 
ist  es  sehr  vom  Zufall  abhängig,  ob  man  sie  gerade  in  der  entnommenen 
Blutprobe  findet.  Somit  kann  nur  einem  positiv  ausfallenden  Resultate 
ein  Wert  beigemessen  werden,  das  negative  dagegen  beweist  nichts. 
In  den  vielen  Präparaten,  die  ich  untersuchte,  fanden  sich  nur  sehr 
spärliche,  fast  einzelne  Streptokokken,  die  immer  in  der  Nähe  der 
Gefässe  waren;  leider  habe  ich  dagegen  keine  Streptokokken  innerhalb 
der  Gefässe  trotz  eifrigen  Suchens  finden  können.  Dennoch  wäre  es 
wünschenswert,  dass  man  speziell  dieser  Frage  volle  Aufmerksamkeit 
schenkt  und  in  diesem  Sinne  in  anderen  Fällen  weiter  sucht.  Viel- 
leicht liegt  das  negative  Ergebnis  daran,  dass  der  Prozess  den  Patienten 
sehr  rasch  zur  Operation  führte,  und  im  ganzen  nur  8  Tage  nach 
Anfang  der  Erkrankung  anhielt.  Eines  geht  aber  aus  der  mikroskopischen 
Untersuchung  sicher  hervor,  dass  die  Streptokoken  nicht  von  der 
Oberiläche  der  Schleimhaut  her  einwirkten,  da  dieselben  überall  nur 
in  den  am  Knochen  angrenzenden  Schichten  zu  sehen  sind. 

Für  die  interessante  Frage,  ob  in  solchen  Fällen  die  Er- 
krankung der  Schleimhaut  oder  die  des  Knochens  die  primäre 
ist,  verfügen  wir  nicht  über  soviel  Material,  dass  sie  endgültig  be- 
antwortet werden  könnte.  Den  Fall  Steinbrügge  mit  Labyrinth- 
entzündung können  wir  nicht  berücksichtigen,  da  für  dessen  Entstehung 
der  Verfasser  eine  andere  direkte  Ursache  vermutet,  nämlich  eine 
Encephalomeningitis.  Im  Falle  Z  e  r  o  n  i  und  unserem  ersten  Falle  haben 
wir  Fälle  einer  hauptsächlichen  Schleimhautaffektion,  bei  Zeroni 
mit  kaum  beginnender  Diploeentzündung.  Solche  Fälle  von  reiner 
Schleimhauterkrankung  osteomyelitischen  Ursprungs  können  entweder 
durch  kurze  Zeitdauer  des  Prozesses,  wie  Zeroni  annimmt,  erklärt 
oder  vielleicht  als  leichtere  Infektion  aufgefasst  werden.  Dass  die 
hämatogene  Infektion  verschieden  verlaufen  kann,  zeigen  auch  unsere 
zwei  Fälle,  von  denen  der  eine  die  leichtere  (Fall  Ij,  der  andere  die 
schwerere  Form  (Fall  II)  darstellte.  Worauf  dieser  Unterschied  beruht, 
können  wir  nicht  sagen,  der  Entzündungserreger  war  in  beiden  Fällen 
Streptococcus  pyogenes. 


302     Bud.  Kiester:  Über  d.  Osteom yelit. Erkrankungen  d. Schläfenbeins. 

Die  beiden  ersten  Fälle  weisen  trotz  der  verschiedenen  Einzel- 
heiten im  klinischen  Verlaufe  doch  Analoges  auf.  Im  Initialstadium 
bestand  bei  beiden  ein  ähnlicher  Zustand  schwerer  fieberhafter  All- 
gemeininfektion, wie  auch  sonst  bei  der  infektiösen  Osteomyelitis. 
Besonders  wertvoll  erscheint  Fall  II  für  die  klinische  Auffassung: 
hier  traten  fast  gleichzeitig  eine  Ohr-  und  Enochenerkrankung  auf, 
und  dabei  war  Pat.  vom  allerersten  Beginn  der  Erkrankung  in 
unserer  klinischen  Beobachtung.  Dadurch  ist  es  fast  zweifellos,  dass 
alle  Herde  nur  Lokalisationen  des  gleichen  Allgemeininfektes  darstellen. 
Fall  1  war  nicht  von  vorneherein  so  klar  zu  beurteilen.  Hier  erweckte 
der  oben  erwähnte  Kontrast  zwischen  der  Schwere  des  Allgemein- 
zustandes und  der  leichten  Otitis  den  Verdacht,  es  müsste  sich  hier 
doch  um  eine  allgemeine  Infektion  handeln,  deren  Natur  aber  in  den 
ersten  Tagen  vollständig  unerkannt  blieb.  So  kam  die  Notdiagnose 
Influenza  zustande,  um  einigermafsen  die  bestehenden  Erscheinungen 
und  das  Fieber  zu  erklären.  Ein  Verdacht  auf  irgendwelche  intrakraniale 
Komplikation  war  wenig  wahrscheinlich,  da  von  Beginn  der  Erkrankung 
alle  Symptome  seitens  des  Warzenfortsatzes  fehlten;  darum  durfte  man 
auch  etwas  abwarten,  bis  die  aufgetretene  Humerusosteomyelitis  die 
Sache  auflclärte.  Hier  wie  im  Falle  2  ermöglichte  das  Auftreten 
des  osteomyelitischen  Extremitäten -Herdes  erst  die  richtige  Deutung 
des  Befundes  am  Ohr. 

Auch  die  lokale  Ohrerkrankung  war  bei  diesen  Fällen  verschiedenartig: 

Im  1.  Fall  sehen  wir  eine  einfache  Entzündung  der  Pauken- 
höhlenschleimhaut ohne  Knochenerkrankung,  im  2.  ganz  frühzeitig 
einen  Knochenherd,  der  makroskopisch  ganz  das  Bild  wie  bei  der 
osteomyelitischen  Erkrankung  eines  Extremitätenknochens  gibt.  Diese 
Verschiedenheit  der  Ohrerkrankung  bei  Osteomyelitis  muss  besonders 
hervorgehoben  werden,  denn  sie  lässt  eben  ersehen,  dass  die  Nieder- 
lassung der  zirkulierenden  Entzündungserreger  ganz  vom  Zufall  abhängig 
sein  kann;  finden  sie  ihre  Ansiedelungsstätte  in  der  Schleimhaut,  so 
kann  die  leichte  reine  Schleimhauterkrankung  entstehen;  gelangen  sie 
in  die  Knochengefässe,  so  kommt  es  zu  viel  schwereren,  nicht  so  leicht 
abklingenden  Krankheitserscheinungen. 

Betrachten  wir  die  drei  letzten  Fälle,  so  finden  wir,  dass  sie  sich 
von  den  ersten  durch  Beschränkung  auf  das  Schläfenbein,  ohne  Meta- 
stasen an  anderen  Körperknochen,  unterscheiden.  Der  ganze  Verlauf 
ist  mehr  schleppend,  nicht  so  stürmisch,  wie  bei  den  beiden  ersten 
Fällen,  besonders  gilt  das  für  Fall  4. 


Bud.  Biester:  über  d.  Osteom} elit Erkrankungen  d. SchUfenbeins.     303 

Die  InvasioDsstelle  dieser  Entzündungserreger  ist  ja  in  allen  4 
Fällen  nicht  zu  ermitteln ;  im  dritten  kann  man  daran  denken,  dass  die 
Otitis  der  Ausgangspunkt  der  Knocbenaffektion  war;  der  Infektionsweg 
für  das  Mittelobr  blieb  aber  unbekannt.  Man  kann  den  Fall  3  ver- 
schieden auffassen:  entweder  ist  der  Knochenherd  sekundär,  durch  die 
Otitis  entstanden,  oder  die  Otitis  ist  sekundäre  Erscheinung  infolge 
einer  Erkrankung  des  benachbarten  Knochens.  Beide  Möglichkeiten 
sind  a  priori  denkbar;  ftLr  die  zweite  Annahme  wtlrde  das  Vorhanden- 
sein zahlreicher  Streptokokken  speziell  in  dem  Markräumen  sprechen. 
Doch  bleibt  die  erste  Annahme  die  geläufigere. 

Im  4.  Fall  handelt  es  sich  wohl  sicher  um  einen  primären 
Knochenherd,  bei  dem  es  zu  keiner  ausgesprochenen  sekundären  Otitis 
kam.     Kurz  zusammenfassend  müssten  wir  die  Fälle  folgend  bezeichnen : 

Fall  1.  Otitis  media,  entstanden  durch  osteomyelitische  allgemeine 
Infektion. 

Fall  2.  Osteomyelitische  Infektion  des  Schläfenbeins. 

Fall  3.  Ostitis  mit  sekundärer  Otitis,  oderOtitis  mit  sekundärer  Ostitis. 

Fall  4.    Primäre  Ostitis  ohne  wesentliche  Otitis. 

Abgesehen  von  den  oben  angeführten  4  Fällen  kann  man  die 
von  den  Autoren  als  osteomyelitische  beschriebenen  Erkrankungen 
des  Schläfenbeins  im  Anschlüsse  an  lokale  Otitiden  als  Osteomyeli- 
tiden  höchstens  im  pathologisch-anatomischen  Sinn  bezeichnen ;  es  ist 
Aber  richtiger,  den  Namen  Osteomyelitis  für  die  Fälle  zu  reservieren, 
in  denen  eine  klinische,  typische,  allgemeine  akute  Osteomyelitis 
anamjiestisch  oder  in  der  klinischen  Beobachtung  festgestellt  ist.  Die 
Autoren  bezeichnen  als  Osteomyelitis  des  Schläfenbeins  vorwiegend 
Knocheneiterungen,  die  um  sich  greifen,  teilweise  mit  subperiostalem 
und  extraduralen  Abzessen.  Es  handelt  sich  häufig  um  einen  Prozess, 
der  sprungweise  vor  sich  geht,  und  in  dessen  Verlaufe  man  zunächst 
nur  eine  lokale,  und  höchstens  erst  später  eine  allgemeine  Infektion 
auftreten  sieht.  In  der  ausführlichsten  dieser  Arbeiten  von  Schilling 
gibt  uns  der  Verfasser  auch  die  Bedingung  an,  die  von  grossem  Werte 
für  die  progressive  Verbreitungsweise  ist,  nämlich  die  Erkrankung  der 
Diploe,  deren  stark  ausgebildete  Gefässnetze  den  Anlass  zur  Ver- 
schleppung des  Prozesses  geben. 

Auch  für  die  erste  Entstehung  solcher  Knochenerkrankung  zeigt 
uns  Schilling  den  Weg.  Er  nimmt  an,  dass  zweierlei  Infektion 
stattfindet:  per  continuitatem  kann  nach  Zerstörung  der  Schleim- 
hautauskleidung die  Knochen  wand,  erkranken   und    dadurch   die  Diploe 


304     Rud.  Biester:  Über d.  osteomyelit. ErkraDkungen d. Schl&fenbeins. 

infiziert  werden ;  oder  sie  erkrankt  indirekt  durch  Vermittelnng  kleiner 
Gefässe,  etwa  im  Sinne  Körners.  Doch  stellt  der  Verfasser  letztere 
Entstehungsweise  nicht  als  sicher  hin,  sondern  betrachtet  seine  Er- 
wägungen als  theoretische  and  gibt  za,  dass  sich  der  Infektionsmodos 
mit  Sicherheit  nicht  feststellen  lässt.  Speziell  Ober  die  Rolle  der 
Diploöstrnktar  und  Verbreitung  des  Infektes  in  derselben  können  wir 
hier  nicht  sprechen,  und  verweisen  auf  die  Originalarbeit  des  Verfassers. 
In  keinem  dieser  Fälle  aber  handelt  es  sich  um  eine  Allgemeininfektion, 
vielmehr  springt  der  Unterschied  zwischen  Schillings  Fällen  und 
den  oben  beschriebenen  Osteomyelitiden  in  unseren  ersten  2  Fällen  in 
die  Augen.  Die  osteomyelitischen  Fälle  beginnen  unter  heftigen  Er- 
scheinungen, hohem  Fieber  und  Schmerzen,  wogegen  die  lokalen 
progressiven  Otitiden  zuweilen  nur  rein  lokale  Erscheinungen  machen. 
Späterhin  verschwinden  bei  den  typischen  Osteomyelititiden  die  All- 
gemeinerscheinungen sehr  rasch  nach  Eröffnung  der  einzelnen  Krank- 
heitsherde, während  die  lokalen  Ostitiden  auch  trotz  der  Eröffnung 
ihren  progressiven  Charakter  oft  behalten.  In  der  Anamnese  linden 
wir  bei  den  lokalen  Ostitiden  gewöhnlich  lang  bestehende  starke 
Eiterung,  zuweilen  ist  die  nächste  Ursache  Eiterretention.  Solche 
Fälle  und  ähnliche,  ausgehend  von  dei  Stirnhöhle,  sind,  wie  u.  a. 
Schilling  hervorhebt,  vollständig  identisch  mit  der  in  der  Chirurgie 
bekannten  Erkrankung  der  ilachen  Schädelknochen  traumatischen  Ur- 
sprungs, die  gewöhnlich  als  Ostitis  traumatica  s.  diffusa  cranii  be- 
zeichnet wird.  Sie  entsteht  genau  so,  bei  Eröffnung  der  Diploe  mit 
darauffolgender  Infizierung  derselben,  hat  denselben  progressiven  Verlauf 
und  dieselben  Erscheinungen,  und  ergreift  auch  die  sämtlichen  Knochen- 
schichten. Auch  hier  verdankt  der  Prozess  einer  lokalen  Ursache 
bezw.  Schädigung  seine  Entstehung  und  trägt  nicht  im  mindesten  den 
Charakter  einer  allgemeinen  Erkrankung.  Für  solche  Prozesse  kann 
nur  eine  Bezeichnung  in  Betracht  kommen  —  Ostitis.  Aber  Ostitis  mit 
akuter  Osteomyelitis  synonym  zu  gebrauchen,  würde  nur  zu  unrichtigen 
Auffassungen  und  Irreführungen  Anlass  geben,  die  wenig  zu  einer  Auf- 
klärung dieser  Frage  beitragen  würden.  Wir  müssen  die  sämtlichen 
in  dieser  Gruppe  angeführten  Fälle  nur  als  Ostitiden  auffassen  und 
uns  damit  begnügen,  dass  richtige,  einwandsfreie  Osteomyelitiden  der 
flachen  Knochen  wirklich  sehr  selten  vorkommen.  Als"  Beispiel  jedoch 
einer  wirklichen  Osteomyelitis  mag  wohl  der  von  Fischer^)  stammende. 


1)  8.  bei  Schilling,  Z.  f.  0.  Bd.  48,  Ergänzungsheft  S.  53. 


Rnd.  Riester:  Über d. osteomyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins.     30S 

von  Schilling  genau  citierte  Fall  dienen,  der  einen  grellen  unterschied 
im  Vergleiche  zu  den  Ostitiden  aufweist. 

Und  noch  einige  Worte  Ober  Ostitiden,  die  keine  Beteiligung  des 
Mittelohrs  aufweisen,  wie  die  Fälle  Torner,  Brieger  und  unser 
vierter  Fall.  Die  Ätiologie  unserer  Fälle  ist  dunkel  und  der  Verlauf 
und  die  Erscheinungen  zeigen  nichts,  was  auf  allgemeine  Infektion 
schliessen  Hesse;  sind  sie  deshalb  ohne  Bedenken  nur  als  Ostitiden 
zu  betrachten?  Ob  nicht  manche  dieser  Fälle  doch  als  Osteomyeiitideii 
mit  solitfirer  Lokalisation  der  Fntzündungserreger  aufgefasst  werden 
dürfen,  bleibt  eine  offene  Frage. 

Zum  Schlüsse  dieser  Auseinandersetzung  erlaube  ich  mir  einige 
Schlusssätze  aufzustellen,  die  aus  dem  vorhin  Gesagten  folgen. 

1.  Die  Enochenerkrankungen  des  Gehörorgans  J^reten  in  2  ver- 
schiedenen Krankeitsbildern:  auf  Osteomyelitis  und  Ostitis. 

2.  Als  Osteomyelitis  des  Gehörorgans  und  seiner  knöchernen  Teile 
darf  nur  eine  Teilerscheinung  einer  wohl  charakterisierten  allgemeinen 
Infektionskrankheit,  der  akuten  infektiösen  Osteomyelitis,  bezeichnet 
werden. 

3.  Pathologisch-anatomisch  stellt  diese  Knochenerkrankung  bei 
der  infektiösen  Osteomyelitis  einen  ostitischen  Prozess  dar. 

4.  Bei  der  infektiösen  Osteomyelitis  können  alle  Teile  des  Gehörorgans- 
primär und  unabhängig  von  einander  erkranken;  sowohl  die  Schleimhaut 
der  Mittelohrräume,  wie  die  Knochen,  wie  schliesslich  die  Labyrinth- 
hohlräume. 

5.  Als  Ostitis  des  Schläfenbeins,  im  klinischen  Sinne,  kann  man 
Entzündungsprozesse  im  Knochen  bezeichnen,  die  von  einer  in  der 
Nachbarschaft  lokalisierten  Infektionsquelle  aus  entstehen,  und  bei 
denen  eine  Allgemeininfektion  nicht  die  Ursache  darstellt,  aber  aller- 
dings nachfolgen  kann. 

6.  Diese  ostitischen  Prozesse  treten  in  zwei  Arten  auf:  a)  die 
Ostitis  kann  sich  auf  die  unmittelbare  Nachbarschaft  des  Gehörorgans 
beschränken;  oder  b)  durch  Erkrankung  der  Diploevenen  kann  ein 
solcher  Prozess  progressiv  werden  und  sich  selbständig  weiter  entwickeln. 

7.  Ohne  nachweisbare  Beziehungen  zu  einer  Allgemeininfektion 
oder  einer  Otitis  können  ostitische  Prozesse  am  Schläfenbein  als  solitäre,. 
umschrieben  bleibende  Herde  auftreten,  eventuell  auch  eine  sekundäre 
Otitis  herbeiführen. 


306     Bud.  Riester:  Über  d.  osteomyelit.  Erkrankungen  d.  Schläfenbeins. 

Zum  Schiasse  erlaube  ich  mir  Herrn  Prof.  Kümmel  meinen  auf- 
richtigsten Dank  für  die  Überlassunc^  dieser  Fälle  und  bereitwillige  Hilfe 
bei  deren  Bearbeitung  auszusprechen. 

*  Literaturverzeichnis, 

1.  Brieger,  Verhandlungen  des  V.  Otologischen  Kongresses  in  Florenz  Z.  f.  0. 
Bd.  27.  S.  134. 
—    Blau's  Bncyclopftdie  S.  ?288. 
•g  2.  D  e  n  c  h  f    A   case   of  extensive   acute  Osteomyelitis  of  the   temporal  bone. 
Transaction  of  the  Amer.  Otol.  Soc.  1904  Voll  VIII,  Part  HL    Ref. 
A.  f.  0.  Bd.  64,  S.  216. 
-Z.  D'Uvore,   Bulletin  de  la  soci6t6  Beige  d'otologie,  etc.  1903  Ref.  Z.  f.  O. 
Bd.  45,  S.  408. 
J  4.  Guisez,  Deui  cas  d  Osteomyelitis   de  os  plats  du   cräne,  cons^cutivs  ä   des 
suppurations  de  Toreille.    Archive  intemat.    de  laryng.    Tome  XX. 
No.  6   1905  Ref.  A.  f.  0.  Bd.  67.  S.  296. 
^5.  Hennebert,  Bulletin  de  la  societö  B<»lge  d'otologie  1903.    Ref.  Z.  f.  O. 
Bd.  45,  S.  405. 
6.  Knapp,  A  case  of  uiastoiditis  with  features  of  Osteomyelitis.    Transactions 
of  the  Amer.   otol.  soc.    1903.     Voll.   VIII,  Part  2.     Ref.   A.   f.   0. 
Bd.  63.  S.  146. 
~J    7.  Laurens,  Resection  cranienne  pour  ost^omyeiite  de  Tecaille  du  temporal 
d'origine  otiquo.    Annales  des  maladies  de  Toreille.    1902  No.  6.    Ref. 
A.  f.  O.  Bd.  57,  S.  156. 
S.    Moure,   Sur  un   cas  de  l'osteeomyelite   aique  du   temporal  consecutive  ä 
^  l'influenza.    Revue  hebdomadaire  de  laryngologie,  d'ot.  1899  No.  11. 

Ref.  A.  f.  d.  0.  Bd.  50,  S.  130. 
vj9.   Panzat,   De   Tosteomy^lite   du   temperal    comme    complication    de   Totite 
i  moyenne  suppuree.     .\nnales  des  maladies  de  ToreiUe.    1893  No.  9. 

Ref.  A.  f.  0.  Bd.  39,  S.  194. 
^  10.  Richards on,  Acute  Osteomyelitis  of  the  temporal  hone.    Transactions  of 
the  Amer.  Ot.  Soc.  1904.     Voll.  VIII,  Part  3.    Ref.  A.  f.  0.  Bd.  64, 
S.  216. 
'''»11.   Schilling,  Über  die  Oateomyelitis  der  flachen   Schädelknochen  im  An- 
schluss  an  Entzündungen  dor  Stirnhöhle  und  des  Mittelohres.    Z.  f.  O. 
Bd.  49.    Ergänzungsheft  S.  52. 
12.  Steinbrügge,   Die  pathologische  Anatomie  des  Gehörorgans.    Lieferung 
4  von  Orts  Lehrbuch  der  path.  Anatomie  1891.    Ref.  A.  f.  0.  Bd.  32, 
S.  176. 
'  13.  Tome.-,  Ein  Fall   von  ausgedehnter  Osteomyelitis  des  Schläfenbeins  ohne 
Beteiligung    des  Mittelohres.     Lancet  2.  Jan.    1904.     Ref.   Z.  f.  0. 
Bd.  48,  S.  329. 
14.  Wagenhäuser,  Taubheit  im  Verlaufe  einer  osteomyelitischen  Erkrankung 
bedingt  durch  Anäemie.     A.  f.  0.  Bd.  46.  S.  33. 
^15.    Zeroni,   Über   Beteiligung    des   Schläfenbeins   bei    akuter    Osteomyelitis 
A.  f.  0.  Bd.  33,  S.  315. 


0.  Muck:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  gefährlichen  Felsenbeine.        307 
XIX. 

Beitrag  zur  Kenntnis  der  gefährlichen  Felsenbeine. 

Von  I>r.  O.  Muck  in  Essen. 

Nachdem  durch  Bezold,  Rüdinger,  G.  v.  Meyer  und  Körner 
festgestellt  war,  dass  bei  der  Mehrzahl  der  Schädel  der  Sinus  transvei*sns 
rechts  stärker  ist  als  links,  fand  Rüdinger  weiterhin,  dass  auch  die 
Fossa  jugularis  rechts  durchschnittlich  grösser  und  tiefer  ist  als  links. 
Körner*)  vermutete,  dass,  wo  die  Fossa  jugularis  grösser  und  tiefer 
ist,  auch  die  Knochen  wand,  welche  sie  von  der  Paukenhöhle  trennt, 
dünner  sein  und  häufiger  Lücken  zeigen  müsse.  Er  fand  dies  dadurch 
bestätigt,  dass  sich  bei  30  Schädeln  Dehiscenzen  in  der  Fossa  jugularis 
fanden  und  zwar  rechts  22 mal  und  links  8 mal.  Solche  anatomischen 
Befunde  helfen  auch  erklären,  warum  rechtsseitige  Ohrerkrankungen 
häufiger  zum  Tode  führen  als  linksseitige^. 

Mit  Recht  kann  mau  deshalb  ein  Felsenbein  mit  sog.  vorgelagertem 
Sinus  und  dünner  oder  dehiscenter  Fossa  jugularis  als  gefährliches  Felsen- 
bein bezeichnen.  Diese  ominöse  Benennung  verdient  eine  weitere  Be- 
rechtigung insofern,  als  auch  bei  operativen  Eingriffen  an  einem  solchen 
Felsenbein  eine  gefährliche  Klippe  zu  vermeiden  ist  (Sinusverletzung). 
Dazu  kommt,  dass  durch  direkte  und  indirekte  Traumen,  welche  ein 
solches  gefährliches  Felsenbein  treffen,  auch  leicht  Verletzungen  der 
Vena  jugularis,  da  wo  sie  solchen  Knochenlücken  anliegt  oder  in  solche 
hineinragt,  erfolgen  können.  Bekannt  sind  die  Fälle,  bei  denen  die 
Paracentesennadel  in  den  durch  eine  Dehiscenz  in  den  Boden  der  Pauken- 
höhle hineinragenden  Bulbus  der  Vena  jugularis  geriet  und  eine  be- 
drohliche Blutung  entstand.  Ich  verweise  hierbei  auf  die  Veröffent- 
lichungen von  Gomperz^)  und  Rohr  er*).  Im  folgenden  will  ich  mit 
Rücksicht  auf  die  relative  Seltenheit  derartiger  Fälle ^)  über  eine  trauma- 
tische  Ruptur   des   rechten  Sinus  transversus   bei   einer  Dehiscenz    der 

1)  Körner,  Arch.  f.  0.,  Bd.  30. 

«)  Körner,  Arch.  f.  0.,  Bd.  27,  pag.  126. 

^)  Gomperz,  Die  Erkennang  der  Vorwölbung  des  Bulbus  venae  jugularis 
in  die  Paukenhöhle  am  Lebenden.  —  Vortrag  in  der  66.  Vers,  deutsch.  Naturf. 
n.  Ärzte  in  Wien  1894. 

*)  Bohrer,  Über  die  blaue  Farbe  des  Trommelfells  und  über  das  Auf- 
treten von  Varicen  am  Trommelfell.    Z.  f.  0.  XXXEX.  Bd.,  1.  Heft. 

*)  Vergl.  Passow,  die  Verletzungen  des  Gehörorgans.  Wiesbaden,  Verl. 
von  J.  F.  Bergmann,  1905,  pag.  70  u.  117. 


:iOs        «\  Muck:   Beitrag  nr  Kenntnis  der  gefährlichen  Felsenbeine. 

rei'hteu  Fo^^ä^  jauulari>   berichten   und   im  Anschluss  daran   einen  Fall 
\oii   'blüoem  Trommelfeil«  kurz  beschreiben. 

I.  Traumatisches  Hümatoni  in  der  hinteren  Schädelgrube 
nach  Ruptur  des  rechten  Sinus  transvcrsus  mit  nach- 
folgendem Bluterguss  aus  dem  Gehörgang  bei  Dehiscenz 
der  Fossa  jugularis  und  alter  trockener  Trommelfell- 
perforation. —  Operation.  —  Heilung. 

l>er  :i^  Jahre  alte  Schreinereiarbeiter  F.  R.  aus  Altenessen  erhielt 
am  $.  Febr.  d.  J.  beim  Abheben  einer  sog.  »Kappe«  von  einem  Schrank 
einen  heftigen  Schlag  durch  dieselbe  auf  den  Kopf  Er  verspürte  danach 
ein  leichtes  Schwindelgef&hl.  Am  folgenden  Tag  mehrmaliges  Erbrechen 
und  Schwindel. 

Dieser  Zustand  hielt  die  nächsten  4  Tage  an,  trotzdem  arbeitete 
Patient  weiter.  Am  14.  Febr.,  also  6  Tage  nach  dem  Unfall,  hob 
Patient  ein  schweres  Möbelstück.  Da  trat  plötzlich  heftiger  Schwindel 
und  Bewusstlosigkeit  ein.  Es  erfolgte  Erbrechen,  Patient  tiel  um,  nach 
jedesmaligem  Erbrechen  fioss  reichlich  Blut  aus  Ohr.  Nase  und  Mund. 
Als  nach  kurzer  Zeit  das  Bewusstsein  wiederkehrte,  klagte  er  über 
heftigen  Stirnkopfschmerz  und  Schwindelgefühl:  derselbe  Zustand  am 
nächsten  Tag.  Am  lt>.  Febr.  sah  ich  mit  dem  behandelnden  Kollegen 
Dr.  Büchner  (Altenessen)  den  Patient  zum  erstenmal.  Guter  Er- 
nährungszustand, Haut  wachsgelb,  feucht  und  kühl.  Puls  52,  Atmung  16, 
Temp,  36.5.  Sensorium  frei.  Beim  langsamen  Aufrichten  im  Bett, 
wobei  Patient  nicht  selbst  den  Kopf  zu  halten  vermag,  tritt  sofort  Er- 
brechen und  Schwindel  ein.  Am  Kopf  keine  Spur  einer  Verletzung. 
An  der  Gegend  des  rechten  Emissarium  mastoideum  deutliches  Ödem, 
starke  Druckschmerzhaftigkeit  an  dieser  Stelle.  Die  gleich  weiten 
Pupillen  reagieren  prompt.  Im  rechten  Gehörgang  angetrocknetes  Blut- 
gerinnsel, aus  einer  trockenen,  nierenförmigen  Perforation  des  Trommel- 
fells herkommend.  Nach  diesem  Befund  lag  ein  raumbeschränkender 
Vorgang  im  Schädelinnern  vor,  der  vermutlich  durch  einen  Bluterguss 
entstanden  war.  Die  vor  wenigen  Tagen  vorausgegangene  profuse  Blutung 
aus  dem  Ohr  und  das  noch  vorhandene  Gerinnsel  im  Gehörgang  legten 
die  Annahme  nahe,  dass  es  sich  um  ein  Hämatom  in  der  hinteren 
Schädelgrube  handelt,  wenn  auch  eine  intrakranielle  eitrige  Komplikation 
trotz  der  abgelaufenen  Ohreiterung  nicht  auszuschliessen  war.  Das 
Ödem  im  Bereich  des  Emissarium  mastoideum  gab  einen  weiteren 
Fingerzeig  für  die  Trepanationsstelle  Eine  Ruptur  der  Arteria  meningea 
media  war  auszuschliessen,  denn  es  fehlten  Herderscheinungen.  — 
Operation.  Bogenförmiger  Schnitt,  1  cm  entfernt  von  dem  Ansatz  der 
Ohrmuschel  durch  die  ödematöse  Haut.  Starke  parenchymatöse  Blutung 
aus  den  Weich  teilgefässen.  Periost  fixiert  durch  straffe  Bindegewebs- 
fasern in  der  sehr  deutlichen  Fissura  petrososquamosa.  Nach  Lö.sung 
der  Adherenzen   andauernde  Blutung   aus  zahlreichen   Knochen gefässen. 


0.  Mack:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  gefahrlichen  Felsenbein^.        309 

die  unter  Abwarten  mit  Tamponade  steht.  Nach  einigen  Meisselschlägen 
zeigt  sich,  dass  der  Sinus  transversus  auf  einer  Ausdehnung  von  1  bis 
0,5cm  mit  altem,  geronnenem  Blut  bedeckt  frei  liegt  und  fasi;  un- 
mittelbar der  hinteren  Gehörgangs  wand  anliegt  In  den  wenigen  Warzen- 
fortsatzzellen  altes,  geronnenes  Blut,  das  bis  zum  .Antrnm  mastoideum 
führt.  Weiter  nach  oben  und  nach  der  hinteren  Schäielgrube  zu  findet 
sich  auf  einer  Strecke  ein  extradurales  Blutgerinnsel.  Als  die  Dura 
soweit  freigelegt  war,  begann  das  Hirn  mit  dem  Sinus  za  pulsieren. 
Noch  während  der  Narkose  hob  sich  der  Puls  von  52  auf  75.  Eine 
Punktion  mit  einem  spitzigen  Messer  in  den  Sinus  ergibt,  dass  er 
flüssiges  Blut  enthielt.  Lockere  Tamponade.  Am  anderen  Morgen  nach 
der  Operation  erbrach  Patient  nicht  mehr,  war  schwindelfrei;  ebenso 
in  den  folgenden  Tagen.  Der  Druckpuls  von  52  wich  einem  Durch- 
schnittspuls von  68  in  den  ersten  8  Tagen  nach  der  Operation.  Durch- 
schnittstemperatur 36,8,  fieberfreier  Verlauf  der  Wundheilang  nach 
8  Wochen.    Die  Respiration  war  vom  Tag  an  nach  der  Operation  normal. 

Es  handelte  sich  also  um  eine  Ruptur  des  rechten  Querblutleiters 
nach  einem  Schlag  auf  den  Kopf.  Der  Bluterguss  in  die  hintere  Schädel- 
grube erfolgte  jedoch  einige  Tage  später  nach  der  ursächlichen  Ver- 
letzung, als  Patient  eine  schwere  Last  hob.  Es  trat  ein  Bluterguss  in 
die  hintere  Schädelgrube  ein,  der  glücklicherweise  bei  einer  spoutanen 
Dehiscenz  der  rechten  Fossa  sigmoidea  und  bei  einer  bestehenden  alten, 
ti*ockenen  Trommelfellperforation  einen  Abfiussweg  nach  aussen  fand. 
Der  bei  der  Operation  aufgedeckte  Bluterguss  machte  schon  trotz  der 
relativ  geringen  Grösse  so  schwere  Hirndruckerscheinungen,  die  un- 
mittelbar nach  dem  Eingriff  schwanden. 

Wie  haben  wir  uns  nun  in  diesem  Falle  den  Mechanismus  der 
Sinusverletzung  vorzustellen?  Ein  von  bestimmter  Stelle  fortgeleiteter 
rapid  seine  höchste  Intensität  erreichender  Druck  (vulgo  Stoss)  schädigt 
die  Gehimmasse  nur  am  entgegengesetzten  Pole  bis  zur  Zerreissung  der 
Gefässe,  auf  der  ganzen  dazwischenliegenden  Strecke  dagegen  nicht. 
Es  ist  auch  nicht  gleichgültig,  ob  letztere  auf  eine  knöcherne  Unterlage 
oder  gar  eine  Kante  einen  strammen  Fascien  oder  Knochenrand,  oder 
ob  sie  gegen  unterliegende  weiche  Hirnmassen  angedrückt  werden,  über- 
haupt einigermafsen  ausweichen  können^). 

Dass  in  unserem  Falle  der  rechte  Sinus  transversus  zerriss,  ist 
kein  Zufall,  sondern  wohl  bedingt  durch  die  spontane  Dehiscenz  der 
Fossa  jugularis.  Die  Sinuswand  lag  lufthaltigen  Warzenfortsatzzellen  an 
und  hatte  hier  also  einen  Locus  minoris  resistentiae. 


1)  VergL  Hirnerschütterung,  Hirndruck  und  chirurgische  Eingriffe  bei  Hirn- 
krankheiten von  Prof.  Dr.  Tb.  Kocher  in  Nothnagels  Handbuch, IX. Bd., 3,  p.  196. 


310       0.  Muck:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  gefährlichen  Felsenbeine. 

Ks  wiire  interessant,  festzustellen,  ob  Rupturen  des  rechten  Sinus 
transversus  häufiger  sind  als  die  des  linken,  und  ob  dann  in  diesen 
Fällen  sich  rechtsseitig  die  in  Frage  kommenden  Knochenlacken  in  der 
Fossa  jugulans  finden.  Es  steht  nämlich  fest^),  dass  die  Rupturen  des 
Sinus  transversus  sich  häufiger  finden  als  die  des  Sinns  longitudinalis, 
bald  mit  bald  ohne  Fraktur. 

II.  Tympanum  caeruleum  —  Dehiscenz  im  Boden  der 
rechten  Paukenhöhle. 

Auch  in  diesem  Falle  zeigt  das  r  e  c  h  t  e  Felsenbein  die  Abnormität. 

Frl.  T.  P.,  18  Jahre  alt,  konsultierte  mich  Anfang  d.  J.  wegen 
einer  Schwerhörigkeit,  die  seit  14  Tagen  bestehe. 

Otoskopischer  Befund: 

Rechtes  Trommelfell  Hammergrift  stark  einwärts  gezogen.  Die 
beiden  unteren  Quadranten  sind  durch  ein  dahinter  liegendes  Gebilde 
von  stahlblauer  Farbe  und  annähernd  kugelrunder  Oberfläche  (zu  ver- 
gleichen in  Gestalt  und  Farbe  mit  den  Flügeldecken  eines  Mistkäfers) 
vorgewölbt  (Lupenvergrösserung).  Mit  der  Lupe  sieht  man  ferner  durch 
das  transparente  Trommelfell  hinter  dem  Hammergriff  ein  Gebilde  von 
graublauer  Farbe  in  das  am  Boden  der  Pauke  befindliche  Gebilde  hinab- 
steigend. Durch  den  Katheterismus  entsteht  ein  reines  Blasegeräusch 
ohne  Rasseln.  Di^  Membran  ändert  nicht  ihre  Stellung.  Mit  dem 
Si  gl  eschen  Trichter  sieht  man,  dass  sich  die  untere  Partie  des  Trommel- 
fells anscheinend  mitsamt  dem  beschriebenen  Gebilde  bewegt.  Auf  meine 
Frage  erfuhr  ich,  dass  Patientin  dauernd  ein  rhythmisches  Geräusch  in 
dem  rechten  Ohr  höre.  Sie  habe  es,  so  lange  sie  sich  besinnen  könne, 
und  meinte,  alle  Menschen  hätten  dies  Geräusch  im  Ohr.  Durch  eine 
starke  Kompression  mit  einem  Bindenkopf  am  vorderen  Rande  des  r. 
M.  sternocleidomastoideus  und  um  den  Hals  gelegten  Bier  sehen  Staa- 
band  wurde  das  rhythmische  Geräusch  vollständig  aufgehoben.  Patientin 
sass  mit  zufriedenem  Lächeln  auf  dem  cyanotischen  Antlitz  da,  erfreut, 
das  Geräusch,  das  sie  zeitlebens  begleitete,  fttr  einige  Augenblicke  nicht 
zu  hören,  obwohl  sie  es  sonst  durch  die  Gewöhnung  nicht  störend 
empfand.  Nach  höchster  Inspirationsstellung  des  Thorax  wird  das 
Venengeräusch  von  der  Patientin  stärker  vernommen  als  bei  ruhiger 
Atmung. 

Durch  diese  beiden  Versuche  ist  bewiesen,  dass  es  sich  in  diesem 
Falle  um  ein  entotisches  Gefässgeräusch  handelt.  Das  otoskopische  Bild, 
das  ich  im  Verlauf  eines  halben  Jahres  unverändert  fand,  spricht  dafür, 
dass  es  sich  um  den  in  den  Boden  der  Paukenhöhle  hineinragenden 
Bulbus  der  Vena  jugularis  handelt.  Jedenfalls  habe  ich  nicht  den  Mut, 
hier  eine  Probepunktion  zu  machen.  ^ 

1)  Vergl.  F.  König,  Lehrbuch  der  speziellen  Chirnrgi«,  Berlin  1893. 


Fr.  B  e  i  n  k  i  n  g :  Über  die  Ausbreitung  des  Schleimhautepithels  etc.     311 

XX. 

(Aus   der  Kgl.  Üniversitäts-Poliklinik  für  Ohren-,    Nasen-  und 
Halskrankheiten  in  Breslau   [Prof.   Dr.  Hinsberg]). 

Über  die  Ausbreitung  des  Schleimhautepithels  auf 
die  Wundflächen  nach  Operationen  am  Mittelohr. 

Von  Dr.  Fr.  Keinking, 

I.  Assistent. 
Mit  2  Abbildungen  im  Text. 

Wenn  bei  der  Aufmeisselung  des  Warzenfortsatzes  das  Antrum 
mastoideum  eröffnet  worden  ist,  so  haben  wir  einen  Wundtrichter  vor 
uns,  der  von  zwei  A/ten  von  Epithel  begrenzt  wird,  aussen  von  der 
Epidermis  der  äusseren  Haut,  in  der  Tiefe  von  dem  kubischen  Schleim- 
hautepithel des  freigelegten  Antrums.  Bei  normalem  Heilungsverlauf 
schliesst  sich  der  zwischen  beiden  Epithelarten  befindliche  Trichter 
durch  Granulationen,  die  dann  auf  der  medialen  Seite  von  kubischem 
Epithel  überkleidet  werden,  während  sie  sich  aussen  mit  Epidermis 
bedecken.  Ist  indessen  die  Granulationsbildung  nur  gering,  oder  wird 
sie  durch  unzweckmäfsige,  feste  Tamponade  niedergehalten,  oder  bleibt 
die  Eiterung  aus  dem  Antrum  profus,  so  kann  es  vorkommen,  dass  der 
Wundtrichter  sich  nicht  schliesst,  beide  Epithelarten  sich  ausbreiten 
und  sich  schliesslich  begegnen.  Es  resultiert  eine  ins  Antrum  führende 
Fistel,  die  in  ihrem  lateralen  Teil  epidermisiert,  in  ihrem  medialen  Teil 
mit  Epithel  bedeckt  ist,  welches  dem  Mittelohr  entstammt.  Ist  die  Er- 
krankung des  Warzenfortsatzes  nicht  sehr  ausgedehnt  gewesen,  so  bleiben, 
auch  an  den  Wänden  des  Operationstrichters  öfter  kleine  Schleimhaut- 
inseln aus  eröffneten  Warzenfortsatzzellen  zurück.  Diese  fallen  unter 
normalen  Verhältnissen  entweder  bald  der  Wundeiterung  zum  Opfer, 
oder  aber  sie  werden  von  den  Granulationen  überwuchert.  Bei  geringer 
Granulationsbildung  indessen  vermag  auch  von  diesen  Inseln  aus  das 
Epithel  sich  auszubreiten  und  die  Trichterwände  zu  überkleiden. 

Fälle  von  persistenten  Antrumfisteln  sind  mehrfach  in  den  Lehr- 
büchern und  in  der  Literatur  erwähnt;  indessen  findet  sich  nirgends 
eine  Erwähnung  der  Tatsache,  dass  sich  das  Schleimhautepithel  an  der 
Aaskleidung  der  Fistelwände  in  hervorragender  Weise  beteiligen  kann.. 
Ich  möchte  deshalb  einige  Fälle,  die  in  unserer  Poliklinik  zur  Be- 
obachtung kamen,  veröffentlichen. 

Clara  Seh.,  eine  schmächtige,  anämische  Frau,  24  Jahre  alt, 
kommt  am  31.  XII.  06  wegen  linksseitiger  Otitis  media  acuta  in  unsere 
Behandlung.  Ausserdem  leidet  sie  an  einer  mit  Nebenhöhleneiterungen 
komplizierten  Ozäna. 


312       Fr.  Beinking::   Über  die  Ausbreitung  des  Schleimhautepithelä 

A\  ährend  anfangs  die  Temperatur  nur  wenig  erhöht  oder  normal 
-war,  stieg  sie  in  der  dritten  Woche  an  und  sehwankte  zwischen  38" 
und  39*^.  Wir  haben  darauf  am  19.  I.  07  den  Warzenfortsatz  eröfihet 
und,  um  eine  intrakranielle  Komplikation  sicher  ausschliessen  zu  können, 
Sinus  und  Dura  freigelegt.  Der  Befund  war  im  wesentlichen  negativ. 
Wir  haben  dann  in  der  üblichen  Weise  in  das  eröffnete  Antrum  einen 
schmalen  Vioformgazestreifen  eingeführt  und  die  Wundhöhle  locker 
tamponiert.     Die   weitere  Behandlung  bestand   in   lockerer  Tamponade. 

Die  Temperatur  war  noch  etwa  eine  Woche  lang  erhöht,  um  dann 
langsam  zur  Norm  zurückzukehren. 

Die  Operationswunde  begann  bald  zu  granulieren;  doch  war  die 
Granulationsbildung  schwach  und  kam  nach  einiger  Zeit  zu  völligem 
Stillstande,  sodass  sich  der  Wundtrichter  nicht  schloss,  sondern  das 
Antrum  offen  blieb.  Während  anfangs  die  Sekretion  den  gewöhnlichen 
serös-eitrigen  Charakter  hatte,  wurde  das  Sekret  in  der  Tiefe  mehr 
und  mehr  schleimig-eitrig;  die  Granulationen  nahmen  ein  spiegelndes 
Aussehen  an,  sodass  wir  auf  Grund  früherer  Beobachtungen  ein  Über- 
wachsenwerden der  tiefliegenden  Granulationen  von  dem  Epithel  der 
Schleimhaut  des  Antrums  diagnostizierten.  Wiederholte  Ätzungen  der 
Wundhöhle  mit  Lapis  in  Substanz  änderten  das  Bild  nur  wenig;  die 
Sekretion  wurde  sogar  stärker.  Wir  haben  deshalb  am  17.  II.  die  Gra- 
nulationen aus  der  Tiefe  mit  der  Kürette  entfernt. 

Die  histologische  Untersuchung  dieser  von  der  Epidermis  noch 
durch  eine  epithelfreie  Granulationszone  getrennt  gewesenen  Granulationen 
^rgab  folgendes: 

Das  Stroma  ist  ein  zell-  und  gefässreiches  Gewebe,  welches  von 
zahlreichen  Leukocyten  durchsetzt  ist;  es  hat  durchaus  den  Charakter 
des  Granulationsgewebes.  Das  Epithel,  welches  dem  Stroma  direkt 
aufsitzt,  ist  nicht  bei  allen  untersuchten  Partikeln  gleich:  stellenweise 
findet  sich  ein  einschichtiges,  kubisches  Epithel,  an  andern  Stellen  ist 
das  Epithel  zwei-  und  dreischichtig.  Die  tiefe  Zelllage  erscheint  hier 
kubisch,  die  darüber  liegenden  Zellen  sind  von  unregelmäfsiger  Gestalt. 
Zwischen  den  Epithelien  sieht  man  reichlich  Leukocyten,  die  auf  der 
Durchwanderung  begriffen  sind. 

Nach  dem  Kürettement  der  Wundhöhle  ersetzten  sich  die  entfernten 
Granulationen  zwar  etwas  stärker,  doch  war  das  Antrum  selbst  nach 
achtwöchiger  Behandlung  noch  nicht  geschlossen.  Am  20.  III.  wurde 
die  Patientin  mit  einer  breiten  ins  Antrum  führenden  Fistel,  die  mäfsig 
eiterte,  auf  ihren  Wunsch  in  die  Heimat  entlassen  und  dem  Hausarzt 
zur  weiteren  Hehandlung  empfohlen.  Wir  haben  über  die  weiteren 
Schicksale  der  Patientin  leider  nichts  mehr  in  Erfahrung  bringen  können. 

Im  vorliegenden  Falle  gab  die  geringe  Granulationsbildung  dem 
Antrumepithel  Gelegenheit  zur  Ausbreitung  auf  die  Wände  des  Wund- 
trichters. Nun  sind  Fälle  von  geringer  Granulatiousbildung  nach  Auf- 
meisselung  des  Processus  mastoideus  nicht  allzu  selten  und  schon  mehr- 
fach   beschrieben    worden.      So    führt    Heine    in    seinem    Buche    der 


auf  die  Wandflächen  nach  Operationen  am  Mitteiohr.  313 

»Operationen  am  Ohr«  einige  derartige  Beobachtungen  an.  Er  erwähnt 
«inen  von  ihm  selbst  behandelten  Fall,  in  dem  infolge  spärlicher  Gra- 
nulationsbildung eine  Antrumßstel  resultierte.  Wie  weit  vom  Antrum 
herstammendes  Epithel  die  Fistel  auskleidet,  ist  indessen  nicht  angegeben. 
Gerber  berichtet  im  Archiv  für  Ohrenheilkunde  (Bd.  63)  über  einen 
Fall,  in  dem  der  freigelegte  Sinus  und  die  Dura  nicht  von  neugebildetem 
Knochen  bedeckt  wurden,  sondern  die  Epidermis  sich  über  die  spär- 
lichen Granulationen  hinwegschob,  sodass  nach  der  endgültigen  Heilung 
die  epidermisierte  Dura  und  der  Sinus  frei  zu  Tage  lagen.  Ein  weiterer 
von  Heine  angeführter  Fall  ist  von  Winkler  publiziert  worden 
(Verhandlungen  der  deutschen  otologischen  Gesellschaft  1904,  S.  134). 
Hier  blieb  trotz  aller  Ätzungen,  Auskratzungen,  Anfrischungen  und 
Transplantationen  hinter  der  Ohrmuschel  »eine  tiefe  Fistel«  zurück. 

Was  die  Ursache  der  geringen  Granulationsbildung  anlangt,  so 
handelt  es  sich  wohl  stets  um  geschwächte  Individuen.  Unsere  Patientin 
war  im  Anfang  der  Behandlung  derart  anämisch,  dass  sie  bei  jedem 
Terbandswechsel  mit  Ohnmachtsan Wandlungen  zu  kämpfen  hatte.  Heines 
Patientin  hatte  lange  in  den  Tropen  gelebt  und  eine  schwere  Malaria 
durchgemacht.  Gerber  glaubt  für  die  schlechte  Granulations-  und  die 
mangelnde  Knochenneubildung  eine  verminderte  vitale  Energie  des  lange 
von  Eiter  umspülten  Knochens  annehmen  zu  müssen. 

Hat  sich  nun  über  die  langsam  wachsenden  Granulationen  von 
medial  her  das  Epithel  des  Antrums,  von  lateral  die  Epidermis  der 
Haut  hinübergeschoben,  so  ist  damit  dem  Wachstum  der  Granulationen 
ein  Ende  gemacht.  Ein  spontaner  Schluss  der  Fistel  ist  nicht  mehr  zu 
erwarten.  Man  wird  deshalb  in  einem  solchen  Falle  die  tiefer  ge- 
legenen Fistelwände  mit  der  Kürette  oder  dem  scharfen  Löffel  von  Epithel 
gründlich  säubern,  den  Allgemeinzustand  des  Patienten  zu  bessern 
suchen  und  kann  dann  hoffen,  dass  die  stärker  nachwachsenden  Granu- 
lationen das  Antrum  zum  Verschluss  bringen. 

In  unserm  oben  angeführten  Falle  haben  wir  nach  der  ersten  Auskratzung 
dieses  Ziel  nicht  erreicht.  Dass  man  jedoch  die  Hoffnung,  die  Fistel  auf  diese 
Weise  zu  schliessen,  nicht  allzu  schnell  aufzugeben  braucht,  das  beweist  ein 
Fall,  den  ich  kürzlich  in  unserer  Poliklinik  zu  sehen  Gelegenheit  hatte. 

Walter  R.,  9  Jahre  alt,  ein  schwach  entwickelter  Knabe,  wird 
von  seiner  Mutter  zwecks  Kontrolle  seines  vor  6  Jahren  wegen  Mastoiditis 
acuta  operierten  linken  Ohres  vorgestellt.  Die  Nachbehandlung  hatte 
sich  lange  hingezogen.  Die  Granulationsbildung  war  so  gering  gewesen, 
dass    anfangs   eine  Antrumfistel   resultierte   mit  weit   nach   lateralwärts 

Zeiiselirift  Ar  OhrenbeUkande.  Bd.  LIV.  21 


314      Fr.  Beinking:  Über  die  Aosbreitang  des  Schleimhantepithels 

Terbreitetem  Scbleimhantepithel.  Der  mediale  Teil  der  Fistel  wurde  mehr- 
fach kOrettiert,  doch  erst  nach  der  sechsten  Kürettage  kam  es  zu  einem 
membranartigen  Verschlnss  des  Antrums.  In  dem  tiefen  Rezessus  hinter 
dem  Ohr  blieb  indessen,  trotzdem  auch  hier  noch  mehrfach  kürettiert  wurde, 
eine  etwa  pfennigstuckgrosse  Stelle  mit  Schleimhautepithel  bedeckt. 

Diese  sich  durch  ihre  rosa  Farbe  von  der  grauweissen  Epidermis 
scharf  abhebende  Stelle  ist  für  gewöhnlich  trocken.  Bemerkenswert  ist 
jedoch,  dass  sie  nässt,  sobald  der  Knabe  sich  erkältet;  es  tritt  dann 
auch  an  dieser  von  den  übrigen  Schleimhäuten  abgesonderten  Stelle  eine 
katarrhalische  Entzündung  ein.  Von  Interesse  ist  ferner  die  Tatsache, 
dass  sich  der  Schleimhautbezirk  im  Laufe  der  Jahre  merklich  verkleinert 
hat.  Eine  Einschränkung  der  von  Schleimhautepithel  bekleideten  Fläche 
durch  die  Epidermis  kann  also  wohl  stattfinden.  Es  ist  bekannt,  dass 
auf  Hautwunden  transplantierte  Schleimhautstücke  mit  der  Zeit  völlig 
den  Charakter  der  äusseren  Haut  annehmen.  Indessen  betrifft  dieser 
Umwandlungsprozess  die  transplantierte  Schleimhaut  meist  in  toto,  nicht 
etwa  nur  an  den  Rändern.  Es  kommt  durch  die  vielfältigen  Reize,  die 
die  Schleimhaut  treffen,  die  Austrocknung  durch  die  Luft,  das  Reiben 
der  Kleidungsstücke  zu  einer  Metaplasie  des  Epithels.  In  unserm  Falle 
sind  äussere  Reize  von  der  Schieimhautpartie  anfangs  durch  Verbände  tun- 
lichst femgehalten  worden ;  später  wurde  die  äussere  Öffnung  des  Rezessus 
durch  einen  lockeren  Wattetampon  stets  sorgfältig  verschlossen.  Dennoch 
hatte  von  den  Rändern  her  eine  Substitution  des  Schleimhautepithels  durch 
Epidermis  stattgefunden.  Ich  nehme  an,  dass  die  katarrhalischen  Affektionen 
öfter  kleine  Epitheldefekte  herbeigeführt  haben,  die.  wenn  sie  randständig 
waren,  der  angrenzenden  Epidermis  Gelegenheit  zur  Ausbreitung  gaben. 

Während  in  den  heiden  oben  angeführten  Fällen  schwache  Granu- 
lationsbildung dem  Epithel  die  Ausbreitung  ermöglichte,  ist  der  folgende 
ein  Beispiel  dafür,  dass  diese  auch  dann  eintreten  kann,  wenn  durch  länger 
dauernde  feste  Tamponade  die  Granulationsbildung  niedergehalten  wird. 

Es  handelte  sich  um  einen  siebzehnjährigen  jungen  Mann,  bei 
welchem  wegen  einer  akuten  Mastoiditis  die  Aufmeisselung  des  Processus 
mastoideus  ausgeführt  worden  war.  Die  Erkrankung  des  Warzenfort- 
satzes war  nicht  sehr  ausgedehnt,  sodass  an  den  Wänden  des  Wund- 
trichters möglicherweise  lebensfähige  Schleimhaut  eröffneter  Warzenfort- 
satzzellen  zurückblieb.  Die  Wunde  wurde  von  nicht  spezialistischer  Seite 
längere  Zeit  hindurch  fest  tamponiert.  Die  Folge  davon  war  eine  Antrum- 
ßstel,  deren  Wände  nur  einen  schmalen,  lateral  gelegenen  Epidermissaum 
zeigten,  während  alles  übrige  von  Schleimhautepithel   ausgekleidet  war. 

Wir  standen  hier  vor  der  Frage,  ob  wir  auch  in  diesem  Falle 
durch  Kürettage  der  Fistelwände  das  Epithel  entfernen  und  von  der 
dann  einsetzenden  Granulationsbildung  den  Verschluss  erwarten  sollten, 
oder  ob  es  vorzuziehen  sei,  durch  eine  plastische  Operation  die  Fistel 
zu  verschliessen.  Wir  zogen  letzteres  vor,  frischten  die  Fistel  wände  im 
äusseren  Teile  an,  schoben  über  die  äussere  Öffnung  von  hinten  her 
einen  brückenförmigen  Hautlappen,  dessen  vorderer  Rand  mit  dem  an- 
gefrischten Fistelrand  durch  einige  Nähte  vereinigt  wurde  (s.  Zeichnung). 


auf  die  Wundflächen  nach  Operationen  am  Mittelohr.  315 


Kij,'.   i. 


•  Schnittlinie  zwecks  Bildung  der  HautbrUcke.  Vor  der  vorderen  Schnittlinie  spindelförmige  Anfriechung. 

Fig.  2. 


Nach  Yei Schiebung  der  HautbrUcke.    Hinten  WundflHche.  die  spiUcr  vernarbt. 

21* 


316       Fr.  BeinkiDg:   Über  die  Aasbreitmia^  des  Schleimhantepithels 

Die  nächste  Folge  dieses  Eingriffes  war  ein  Rezidiv  der  Otitis  media; 
doch  klang  die  Entzändang  in  venigen  Tagen  wieder  ab.  Die  Haat- 
brQcke  heilte  an,  die  Fistel  war  geschlossen  und  zu  einem  grossen  Hohl- 
raum geworden,  der  mit  der  Paukenhöhle  kommunizierte.  Der  Patient 
ist  dauernd  beschwerdefre;. 

Wie  nach  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes,  so  grenzen  auch  nach 
Ausführung  der  Kadikaioperation  zwei  Epithelarten  an  die  angelegten 
Wundflächen.  Einerseits  die  Epidennis  des  zum  Zwecke  der  Plastik 
gespaltenen  Gebörgangs.  event.  bei  Anlegung  einer  retroaurikulären 
Fistel  die  Epidermis  der  äusseren  Haut:  andererseits  das  Schleimhant- 
epithel der  Tuba  Eustachi!  am  Tubenwinkel.  Ferner  können  auch 
Epithelreste,  die  sich  auf  der  medialen  Paukenhöhlen-  uud  Antrumwand, 
spez.  in  den  Fensternischen  erhalten  haben,  für  die  Epithel isierung 
der  Operationshöhle  in  Betracht  kommen.  Ks  ist  ja  allbekannt,  wie 
häufig  im  ausgeheilten  radikaloperierten  Ohre  die  Gegend  des  Promon- 
toriums von  Schleimhaut  bekleidet  ist.  In  seltenen  Fällen  mögen  auch 
auf  der  hinteren  Wand  der  Wundhöhle  Schleimhautinseln  bestehen 
bleiben,  die  von  der  Auskleidung  noch  vorhanden  gewesener,  bei  der 
Operation  eröffneter  Warzenfortsatzzellen  übrig  geblieben  sind.  In  der 
Mehrzahl  der  Fälle  kommt  es  indessen  zu  vollkommener  Epidermisiernng 
der  Wnndhöhle.  Meist  wird  die  Tnbenöffnung  von  Granulationen  über- 
wachsen und  verschlossen,  und  dadurch  das  Epithel  der  Tube  an  der 
weiteren  Ausbreitung  gehindert.  Die  Epithelien  der  medialen  Pauken- 
höhlen- und  Antrumwand,  der  Warzenfortsatzzellen  sind  vielfach  schon 
der  Eiterung,  die  Veranlassung  zur  Operation  gab,  zum  Opfer  gefallen; 
ist  dies  nicht  der  Fall,  so  werden  sie  meist  durch  die  Kürette  des 
Operateurs,  oder  durch  die  in  der  Operationshöhle  sich  etablierende 
Eiterung  eliminiert.  Bleiben  jedoch  lebensfähige  Schleimhautreste  zurück, 
oder  kommt  es  nicht  zum  Verschluss  der  Tube,  so  vermögen  auch  im 
radikal  operierten  Ohre  Schleimhautepithelien  auf  einen  weiten  Bezirk 
sich  zu  verbreiten. 

Ich  habe  zwei  Fälle  dieser  Art  beobachtet.  Bei  dem  ersten,  dem 
am  13.  Xn.  1906  von  uns  wegen  chronischer  Mittelohreiterung  radikal 
operierten  17jährigen  Gymnasiasten  Johannes  P.  hat  sich  der  laterale 
und  hintere  Teil  der  Höhle  epidermisiert.  Von  Schleimhaut  bekleidet 
ist  ausser  der  medialen  Paukenhöhlen-  und  Antrumwand  der  mediale 
Teil  des  Sporns  und  der  mediale  Teil  des  Daches  der  Höhle,  also  ohne 
jeden  Zweifel  auch  Flächen,  die  erst  durch  die  Operation  geschaffen 
worden  sind.  Die  epithelialisierte  Partie  ist  von  rosa  Farbe,  feucht- 
glänzend. Die  Tube  ist  offen.  Mehrmals  schon  hat  Patient  in  der 
letzten  Zeit  bei  Erkältungen  und  Schnupfen  an  Eiterungen  der  Schleim- 
haut des  radikal  operierten  Ohres  gelitten. 


auf  die  Wundflächen  nach  Operationen  am  Mittelohr.  317 

Der  zweite  Fall  betrifft  den  Iß  Jahre  alten  Schüler  einer  Prä- 
parandenanstalt  Karl  Th.,  der  im  Jahre  1898  von  Prof.  Kümmel 
wegen  einer  chronischen  Mittelohreitemng  radikal  operiert  worden  ist. 
Er  stellt  sich  bei  uns  ein,  weil  sein  operiertes  Ohr  nässt.  Auf  Befragen 
gibt  er  an,  dass  es  immer  von  Zeit  zu  Zeit  abgesondert  habe,  besonders 
bei  Schnupfenanfällen,  aber  auch  unabhängig  von  diesen.  Die  Unter- 
suchung des  radikal  operierten  Ohrfes  ergibt  ein  Bild,  welches  dem  oben 
beschriebenen  ausserordentlich  ähnelt.  Die  mediale  Paukenhöhlen-  und 
Antrumwand,  der  mediale  Teil  des  Sporns  und  des  Daches  sind  von 
rosa  Farbe,  von  schleimigem  Eiter  bedeckt.  Der  übrige  Teil  der  Höhle 
zeigt  die  normale  grauglänzende  Epidermisauskleidung.  Die  Grenze 
beider  Bezirke  gegeneinander  ist  nicht  scharf,  vielmehr  gehen  dieselben 
ineinander  über,  derart,  dass  zwischen  ihnen  eine  etwa  1  mm  breite 
Zone  liegt,  die  in  unregelmäfsiger  Anordnung  zwischen  roten  Partien 
weisse,  abschilfernde  Epidermis  zeigt.  Der  Valsalva'sche  Versuch 
beweist,  dass  die  Tube  durchgängig  ist. 

Zwei  weitere  Fälle  stellte  Herr  Prof.  Hinsberg  mir  zur  Verfügung. 

Der  erste  betrifft  ein  jetzt  14  jähriges  Mädchen,  bei  welchem  vor 
7  Jahren  wegen  Scharlacheiterung  zunächst  die  Warzenfortsatzaufmeisselung 
ausgeführt  wurde.  Da  infolge  von  Knochennekrose  keine  Heilung  eintrat, 
wurde  das  Ohr  zwei  Jahre  später  radikal  operiert.  Die  Heilung  erfolgte 
in  folgender  Weise:  Epidermisiert  sind  die  lateralen  zwei  Drittel  des 
Fazialissporns  und  der  laterale  Teil  des  Daches  und  der  Hiuterwand 
der  Operationshöhle,  während  der  übrige  Teil  von  Schleimhaut  aus- 
gekleidet ist.  Einzelne  Vertiefungen,  die  in  diesem  mit  Schleimhaut 
bekleideten  Teil  erkennbar  sind,  dürften  wohl  als  eröffnete  Zellen  zu 
deuten  sein.  Die  Schleimhaut  sondert  in  der  Regel  nur  geringe  Mengen 
eines  sehr  zähen,  glasklaren  Schleimes  ab,  der  etwa  zweimal  wöchentlich 
durch  Ausspülen  mit  Borsäurelösung  entfernt  wird.  Bei  Schnupfen- 
anfällen pflegt  die  Absonderung  erheblich  stärker  zu  werden.  Die 
Grenze  zwischen  Schleimhaut  und  Epidermis  ist  seit  etwa  drei  Jahren 
vollkommen  stationär. 

Einen  weiteren  Fall,  bei  welchem  fast  die  ganze  Operationshöhle 
mit  Schleimhaut  ausgekleidet  war,  beobachtete  Prof.  Hiusberg  in 
Königsberg. 

Ich  habe  bei  dem  zweiten  von  mir  beobachteten  Patienten.  Karl  Th., 
«in  kleines  Stück  der  Schleimhaut  exzidiert  und  zwar  vom  Dach  der 
Höhle,  da,  wo  nach  Ausführung  der  Radikaloperation  sicher  eine  Wund- 
fläche bestanden  hatte.    Die  histologische  Untersuchung  ergab  folgendes: 

Das  Stroma  ist  ein  kern-  und  gefässreiches  Bindegewebe,  welches 
von  Leukocyten  reichlich  durchsetzt  ist.  Das  Epithel  ist  nicht  in 
allen  untersuchten  Schnitten  gleich.  Die  meisten  zeigen  ein  zwei- 
schichtiges, niedriges  Zylinderepithel,  andere  weisen  mehr  kubische  und 
platte  Zellen  auf  mit  distinkt  färbbaren  Keinen.     An  einzelnen  Stellen 


318       Fr.  Beinkill g:   Über  die  Attsbreitang  des  Schleimhaatepithels 

liegt  dem  Stroma  eine  Schicht  kubischer  Epithelzellen  auf,  deren  Kerne 
sich  mit  Hämatoxylin  stark  färben :  darüber  liegen  4  bis  5  Lagen  nach 
der  Oberfläche  mehr  und  mehr  abgeplatteter  Zellen,  deren  Kerne  den 
» FarbstoflF  nur  schwach  annehmen.  Zwischen  den  Epithelien  sind  ver- 
einzelte Leukocyten  sichtbar. 

Wir  fanden  also  auf  der  Schleimhaut  nicht  mehr  das  einfache 
kubische  Epithel  des  Mittelohres  oder  das  geschichtete  Flimmerepithel 
der  Tube,  sondern  wenige  Lagen  kubischer  oder  niedrig-zylindrischen 
Epithels,  dessen  oberste  Zellen  sich  da,  wo  sie  in  mehreren  Schichten 
übereinander  lagen,  abgeplattet  hatten.  Dass  es  zu  dieser  Epithel- 
metaplasie kam,  ist  nicht  zu  verwundern.  Es  ist  ja  bekannt,  wie  sehr 
Schleimhautepithelien  unter  dem  Einfluss  ihnen  fremder  Reize  sich  ver- 
ändern können.  Nun  sind  zwar  die  nach  der  Radikaloperation  sich 
ausbreitenden  Schleimhautepithelien  gegen  grobe  mechanische,  chemische, 
thermische  Reize  relativ  geschützt.  Doch  dürfte  schon  die  während 
der  Nachbehandlung  geübte  Tamponade  den  Charakter  der  Epithelien 
beeinflussen,  späterhin  die  häutigen  katarrhalischen  Entzündungen,  da« 
reizende  Sekret,  sich  ansammelnde  Epidermisschuppen  und  Cerumen  eine 
Metaplasie  des  Epithels  herbeiführen. 

In  unserem  Falle  hatte  die  Schleimhaut  ihren  Chäraktei*  als  solche 
nicht  verloren.  Makroskopisch  war  sie  von  rotem  Aussehen,  feucht- 
glänzend,  produzierte  unter  dem  Einfluss  der  Entzündung  ein  schleimig- 
eitriges Sekret ;  auch  mikroskopisch  war  sie  als  Schleimhaut  unverkennbar, 
trotz  der  stellenweise  eingetretenen  Metaplasie. 

Ist  schon  das  Offenbleiben  der  Tube  und  das  Bestehen  von  Schleim- 
hautresten auf  dem  Promontorium  —  ein  häufiger  Befund  in  radikal 
operierten  Ohren  —  eine  sehr  unangenehme  Sache,  weil  immer  wieder 
Eiterungen  am  Tubenwinkel  eintreten,  so  ist  die  Ausbreitung  des  Schleim- 
hautepithels auf  einen  grösseren  Bezirk  wirklich  ein  ganz  fataler  Ausgang. 
Unsere  Patienten  leiden  fast  ständig  an  mehr  oder  minder  starker  Ab- 
sonderung aus  dem  Ohr.  Der  Arzt,  der  seinem  Patienten  durch  die 
Operation  Heilung  von  seiner  Ohreiterung  versprochen  hatte,  befindet 
sich  auch  nicht  gerade  in  angenehmer  Lage;  er  wird  einen  ständigen, 
>' treuen«,  aber  nicht  sonderlich  dankbaren  Patienten  haben,  den  von 
seinem  Ohrenfluss  dauernd  zu  befreien,  ihm  so  schnell  nicht  gelingen 
dürfte.  Wir  wenigstens  haben  uns  vergeblich  bemüht,  unsere  Patienten 
durch  Spülungen,  Einträuflungen,  Pulvereinblasungen  u.  s.  w.  zu  heilen. 
Eine  Entfernung  der  Schleimhautpartieu  mit  dem  scharfen  Löffel  oder 
deren  Zerstörung  durch  Galvanokaustik  liaben  wir  noch  nicht  versucht. 


aaf  die  Wundflftchen  nach  Operationen  am  Mittelohr.  319 

vielleicht  lässt  sich  auf  diese  Weise  ein  Erfolg  erzielen.  Die  Anwendung 
der  Lapissonde  hatte  nur  eine  Vermehrung  der  Absonderung  zur  Folge. 

Bei  solch  unangenehmen  Folgen  der  Epithelausbreitung  und  bei 
•der  Schwierigkeit  ihrer  Beseitigung  ist  es  von  besonderem  Interesse, 
aus  der  Ätiologie  die  Konsequenzen  für  die  Prophylaxe  zu  ziehen.  Die 
Grundbedingung  für  die  Verbreitung  der  Schleimhautepithelien  ist  An- 
wesenheit von  Schleimhautresten  auf  den  Wänden  der  Wundhöhle  oder 
das  Offenbleiben  der  Tubenmündung.  Ob  noch  andere  Momente  mit- 
spielen, lässt  sich  aus  unseren  Fällen  nicht  schliessen.  Vielleicht  ist 
der  Umstand,  dass  alle  Patienten  in  jugendlichem  Alter  stehen,  mehr 
als  blosser  Zufall.  Was  die  Anwesenheit  von  Schleimhautepithelresten 
an  der  medialen  Paukenhöhlen-  und  Antrumwand  betrifft,  so  ist  es 
nicht  möglich,  bei  der  Operation  alles  zu  entfernen.  Besonders  die 
Gegend  der  Labyrinthfenster  mit  ihren  Nischen  ist  einerseits  der  Kürette 
an  sich  unzugänglich,  andererseits  wird  sie  auch  vom  Operateur  aus 
guten  Gründen  gemieden.  Befand  sich  also  hier  zur  Zeit  der  Operation 
noch  intaktes  Epithel,  so  bleibt  es  während  derselben  unberührt  und 
durchaus  lebensfähig.  Nun  bin  ich  zwar  der  Meinung,  dass  in  einer 
grossen  Zahl  von  Fällen  diese  Epithelien  der  sich  bald  nach  der  Operation 
in  der  Wundhöhle  etablierenden  Eiterung  zum  Opfer  fallen,  es  müssten 
sonst  die  von  mir  beschriebenen  Zustände  viel  häutiger  zur  Beobachtung 
kommen.  In  manchen  Fällen  jedoch  wird  das  Epithel  nicht  abgestossen 
und  verbreitet  sich  nun  über  einen  mehr  oder  weniger  grossen  Bezirk. 
Es  sind  dies  die  nicht  seltenen  Fälle,  bei  denen  sich  nach  der  Heilung 
auf  der  medialen  Paukenhöhlenwand  kleine  Schleimhautpartien  finden 
bei  geschlossener  Tubenmündung.  Gegen  die  Entstehung  dieser  Schleira- 
hautinseln  aus  Epithelresten  in  der  Gegend  der  Labyrinthfenster  dürfte 
prophylaktisch  kaum  etwas  auszurichten  sein. 

Anders  steht  es  mit  dem  Offenbleiben  der  Tubenmündung.  Die 
Unannehmlichkeiten,  die  dieser  Zustand  für  den  Patienten  mit  sich 
bringt,  auch  ohne  dass  weit  ausgebreitete  Schleimhautflächen  bestehen, 
haben  schon  zu  einer  ganzen  Reihe  von  Vorschlägen  Veranlassung  ge- 
geben, die  darauf  abzielen,  den  Verschluss  zu  sichern. 

So  empfehlen  einige  die  Kürettage  des  Tubenwinkels.  Win  kl  er 
begnügt  sich  in  Fällen,  in  denen  die  Tube  an  der  Eiterung  stark  be- 
teiligt ist,  nicht  mit  der  einfachen  Kürettage;  er  hebelt  in  solchen 
Fällen  den  Gehörgangsschlauch  vollkommen  heraus,  verdünnt  bis  zur 
Tölligen  Übersichtlichkeit  des  Tubenostiums,  wenn  nötig,  die  vordere 
Oehörgangswand    und    entfernt    dann    erst    die    eiternde    Schleimhaut. 


320      Fr.  Reink-ing:  Über  die  Ausbreitung  des  Schleimhautepithels 

Mehrfach  hat  er  dann  über  das  Ostium  tubae  Reverdinsche  Läppchea 
transplantiert.  (73.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  iir 
Hamburg  1901.)  Die  Transplantation  von  Hautläppchen  auf  das  Tuben- 
ostium  ist  auch  von  anderer  Seite  (Gerber)  versucht  worden.  Heine 
rät,  den  etwa  vorhandenen  Trommelfellrest  über  die  Mündung  der  Tube 
zu  legen  und  aufheilen  zu  lassen.  Siebenmann  sieht  Ton  einer 
Kürettierung  des  Tubenwinkels  der  Paukenhöhle  seit  langen  Jahren  ab 
und  glaubt,  diesem  Umstände,  sowie  der  Schonung  des  Trommelfells  es 
zu  verdanken,  dass  Eiterungen  aus  dem  Tubenostium  »so  zu  sagen  nie 
mehr«  zur  Beobachtung  kommen.  (Nager,  Wiss.  Bericht  der  oto- 
laryngologischen  Klinik  und  Poliklinik  Basel  vom  1. 1.  03  bis  31.  XII.  04. 
Zeitschr.  f.  Ohrenheilkunde,  Bd.  LIII,   193.) 

Schliesst  sich  während  der  Nachbehandlung  das  Tubenostium  nicht 
spontan  oder  treten  in  dem  im  übrigen  ausgeheilten  radikal  operierten 
Ohr  später  Eiterungen  von  Seiten  des  Tubenwinkels  ein,  so  empfiehlt 
Grün  er t  zur  Erzielung  eines  Verschlusses  Ätzungen  resp.  Kauterisationen 
des  Tubenostiums.  (Grunert,  Beiträge  zur  operat.  Freilegung  der 
Mittelohrräume.  Archiv  f.  Ohrenheilk.  XL,  232.)  Wir  stehen  mit 
unsern  Mafsnahmen  im  allgemeinen  auf  dem  Standpunkt  Siebenmanns 
und  lassen  den  Tubenwinkel  durchgehends  unberührt.  Wir  sind  mit 
den  Resultaten  wohl  zufrieden ;  immerhin  sehen  wir  auch  hin  und  wieder 
einmal  ein  Offenbleiben  der  Tube. 

Zweierlei  ist  für  das  Zustandekommen  eines  Verschlusses  von  Be- 
deutung: die  anatomischen  Verhältnisse  nach  der  Operation  und  die 
Art  der  Nachbehandlung.  Soll  sich  die  Tube  schliessen,  so  ist  das^ 
Vorhandensein  einer  epithelfreien  Zone  rings  um  die  Mündung  Grund- 
bedingung. Ist  diese  vorhanden,  so  wird  hier  eine  Granulationsbildung 
eintreten,  die  Granulationen  können  sich  begegnen,  sich  vereinigen  und 
das  Ostium  verschliessen.  Geht  das  Epithel  der  Tube  kontinuierlich  in 
das  Epithel  eines  Schleimhautrestes  auf  dem  Promontorium  über,  sa 
kommt  es  mitunter  zur  Bildung  eines  membranartigen  Verschlusses  durch 
die  ringsum  wachsenden  Granulationen ;  es  entsteht  eine  Art  von  neuem 
Trommelfell.  Besonders  tritt  dieser  Heilungsmodus  dann  ein.  wenn 
Reste  des  Trommelfells  vorn  und  unten  erhalten  worden  sind.  Diesen 
Schliessungsprozess  darf  die  Nachbehandlung  nicht  stören;  wird  die 
Pauke,  spez.  der  Tubenwinkel,  zu  fest  tamponiert,  so  werden  dadurch 
die  Granulationen  im  Wachstum  und  an  ihrer  Vereinigung  über  der 
Tubenöffnung  gehindert,  Epithel,  bezw.  Epidermis  breitet  sich  über  sie 
aus  und  machen  die  Öffnung  zu  einer  dauernden.     Also  die  zweite  Be* 


auf  die  Wundflächen  nach  Operationen  am  Mittelohr.  321- 

dingung  für  das  Zustandekommen  des  Tuben  verschlusses  ist  die  Ver- 
meidung allzu  fester  Tamponade  der  Pauke,  spez.  des  Tubenwinkels^ 
Die  strikte  Durchführung  dieser  Regel  an  der  Siebenmannschen  Klinik 
darfte  die  yorzOglichen  Resultate  derselben  zeitigen. 

Grunert  hat  drei  verschiedene  Heiluugsmethoden  des  radikal 
operierten  Ohres  aufgestellt: 

1.  Epidermisiernng  der  ganzen  Höhle. 

2.  Epidermisiernng  der  Höhle  exklusive  Pauke,  die  mit  Schleim- 
haut bekleidet  bleibt.  Bildung  einer  abschliessenden  Membran 
über  der  Pauke. 

3.  Epidermisiernng  der  Höhle  mit  Ausnahme  der  Pauke,  die  von 
Schleimhaut  bekleidet  ist.  Kein  Abschluss  derselben  durch, 
eine  neugebildete  Membran.     Kein  Verschluss  der  Tube. 

Ich  möchte  auf  Grund  vorstehender  Ausführungen  und  unserer  Be- 
obachtungen noch  zwei  weitere  Heilungsmodus  hinzufügen: 

4.  Epidermisiernng  der  Höhle  exkl.  des  von  Schleimhaut  bekleideten 
Promontoriums  und  der  Fenstergegend.     Verschluss  der  Tube. 

5.  Ausbreitung  des  Schleimhautepithels  auf  weite  Bezirke  des 
radikal  operierten  Ohres;  Epidermisierung  des  Restes;  Offen- 
bleiben der  Tube. 

Zum  Schlüsse  ist  es  mir  angenehmste  Pflicht,  Herrn  Prof.  Hins- 
berg für  die  Anregung  zu  dieser  Arbeit  und  die  liebenswürdige- 
Durchsicht  derselben  meinen  aufrichtigsten  Dank  auszusprechen. 

Nachtrag. 

Bald  nach  Abschluss  dieser  Arbeit  stellte  sich  die  Patientin  Clara 
Seh.  wieder  bei  uns  vor  (13.   VHI.  07). 

Der  Befund  an  dem  operierten  Ohr  ist  folgender:  . 

Das  Trommelfell  ist  blass,  getrübt,  mäfsig  eingezogen ;  Narbe  hinten 
oben.  Hinter  dem  Ohr  befindet  sich  eine  breite,  bis  ins  Antrum  führende 
Fistel.  Im  äusseren  Teile  ist  diese  epidermisiert,  im  medialen  Teile 
ist  sie  von  Schleimhaut  bekleidet.  Beide  Zonen  sind  durch  einen  etwa 
1  mm  breit  vorspringenden,  membranartigen  Saum  geschieden.  In  der 
Tiefe  der  Fistel  bildet  die  Schleimhaut  einige  zarte  Brücken,  sodass  das 
Antrum  von  feinen  Maschen  erfüllt  ist.  Der  von  Schleimhaut  ausge- 
kleidete Teil  der  Fistel,  von  dem  Saume  bis  zum  Antrum,  hat  eine 
Länge  von  13  mm  und  ist  bis  ins  Antrum  ziemlich  gleichmäfsig  zirka 
7  mm  breit.  Dieser  Teil  der  Fistel  produziert  dauernd  eine  geringe^ 
Menge  glasigen  Schleimes. 

Patientin  lehnt  die  ihr  vorgeschlagene  operative  Schliessung  der 
Fistel  ab,  da  ihr  diese  keine  Beschwerden  macht. 


•322  Hermann  Ivo  Wolff:  Über  rezidivierende  Mastoiditis. 

XXI. 

iAns  der  Klinik  und  Poliklinik   fflr  Ohren-,  Hals-  und  Nasen- 
krankheiten des  Privatdoz.  Br.  G.  Brühl  zu  Berlin.) 

Über  rezidivierende  Mastoiditis.^) 

Von  Dr.  Hermann  Ivo  Wolff, 

Aaaistant  d«r  Klinik   • 

Unter  rezidivierender  Mastoiditis  verstehen  wir  die  im  Anschloss 
an  akate  Mittelohrentzündungen  wiederholt  auftretenden  Erkrankungen 
des  Warzenfortsatzes.  Die  Häufigkeit  und  die  Ursachen  dieser  Rezidive 
sind  bisher  noch  nicht  zusammenhängend  in  der  Literatur  behandelt 
worden. 

Der  Krankheitsverlauf  gestaltete  sich  in  den  von  uns  beobachteten 
Fällen  folgendermafsen : 

Bedingt  durch  eine  akute  Mittelohrentzündung  entwickelte  sich  eine 
Erkrankung  des  Warzenfortsatzes,  die  zur  Abszedierung  führte.  Der 
Krankheitsprozess  im  Warzenfortsatz  und  in  der  Paukenhöhle  heilte  nach 
der  notwendig  gewordenen  Operation  vollständig  aus.  Nach  kürzerem 
oder  längerem  Zwischenraum  entstand  infolge  einer  neuen  Otitis  wiederum 
eine  Mastoiditis,  die  ausseroidentlich  schnell  zur  Abszedieruug 
führte,  ein  Vorgang,  der  sich  nach  unserer  Beobachtung  mehrfach 
wiederholen  kann. 

Wir  bezeichnen  mit  Samuel  (1)  eine  Wiedererkrankung  als  Rezidiv, 
»wenn  es  sich  um  die  Rückkehr  derselben  bereits  erloschenen  Krank- 
heit auf  Grundlage  der  früheren  Erkrankung  handelt«.  Die  Ursachen 
eines  Rezidivs  können  verschiedene  sein. 

Der  Kranke  kann  derselben  Krankheitsursache  häufig  ausgesetzt 
.sein,  wie  z.  B.  einer  berufsmäfsigen  Schädigung  oder  durch  eine  lokale 
Disposition  in  dem  betreffenden  Organe  oder  dessen  Umgebung  zur 
Wiedererkrankung  neigen.  So  ist  z.  B.  die  rezidivierende  Otitis  eine 
häufige  Erkrankung  bei  Kindern,  die  an  adenoiden  Vegetationen  leiden, 
und  der  rezidivierende  Mittelohrkatarrh  findet  sich  oft  bei  Kranken  mit 
Anomalien  in  der  Nase  oder  häufigen  Erkrankungen  derselben. 

Wird  eine  Krankheitsursache  nach  der  Heilung  nicht  völlig  aus 
dem  Körper  eliminiert,  so  kann  dieselbe  nach  einer  Latenzzeit  eine 
neue  Erkrankung  hervorrufen.  Auch  solche  Fälle  sind  als  Rezidive 
und    nicht    als    Exazerbationen    anzusehen,    da    bei    letzteren    dauernd- 

1)  Nach  einem  Vortrage,  gehalten  in  der  Berliner  otologisehen  Gesellschaft 
am  11.  Juni  1907. 


.V 


Hermann  Ivo  Wolff:   Über  rezidivierende  Mastoiditis.  323 

Krankheitserscheinungen  beobachtet  werden  müssen.  Als  Beispiel  für 
dieses  Vorkommnis  in  der  Otiatrie  möchte  ich  die  von  Zaufal  (2)  be- 
schriebenen Fälle  von  Diplokokken- Mastoiditiden  anführen,  aus  denen 
hervorgeht,  dass  sich  nach  Verschwinden  der  Eiterung  in  der  Pauken- 
höhle in  dem  Antrum  Diplokokken  erhalten  resp.  einkapseln  können, 
die  längere  Zeit  lebensfähig  bleiben,  ohne  Krankheitserscheinungen  her- 
vorzurufen, jedoch  plötzlich  wieder  zur  Weiterverbreitung  der  Entzündung 
in  die  Umgebung,  zur  Knocheneinschmelzug  und  Abszessbildung  auf  dem 
Warzenfortsatz  den  Anstoss  .geben  können. 

War  die  Ursache  der  ersten  Erkrankung  eine  Konstitutionsanomalie, 
so  kann  die  Krankheit  auf  derselben  Grundlage  rezidivieren. 

Sehr  häufig  bleiben  nach  einer  Krankheit  materielle  Veränderungen 
in  dem  betreffenden  Organe  zurück,  und  es  entsteht  somit  ein  Locus  minoris 
resistentiae,  wie  z.  B.  persistente  Perforationen  nach  einer  chronischen 
Mittelohrentzündung.  Ebenso  könnten  zurückgebliebene  materielle  Ver- 
änderungen im  Warzen fortsatz  für  die  Entstehung  der  rezidivierenden 
Mastoiditis  von  Bedeutung  sein.  Wir  haben  wiederholt  beobachtet,  dass 
sich  bei  antrotomierten  Patienten  bei  geringen  Entzündungsprozessen  in 
der  Paukenhöhle,  wie  sie  durch  eine  leichte  Hyperämie  des  Trommel- 
fellSf  radiäre  Injektion  und  Injektion  der  Hammergefässe  gekennzeichnet 
sind,  eine  leichte  Rötung  der  Narbe  hinter  dem  Ohre  und  eine  Schmerz- 
haftigkeit  des  Knochens  findet.  Eine  ähnliche  Beobachtung  ist  in  einer 
Arbeit  von  Piffl  (3)  erwähnt.  Die  Fortpflanzung  des  Entzündungs- 
prozesses auf  die  oberflächlichen  Weichteile  scheint  also  bei  Antrotomierten 
erleichtert  zu  sein.  Der  Gedanke  lag  deshalb  nahe,  auch  für  unsere 
Fälle  von  rezidivierender  Mastoiditis  eine  materielle  örtliche  Schädigung 
durch  die  frühere  Erkrankung  und  Operation  anzunehmen,  umsomehr, 
als  die  Abszedierung  bei  den  von  uns  beobachteten  Rezidiven  ungewöhn- 
lich schnell  von  statten  ging.  Man  könnte  daran  denken,  dass  sich 
nach  der  Antrotomie  nicht  immer  ein  solider  knöcherner  Verschluss  der 
Operationswunde  bildet,  sondern  hier  und  da  ein  Knochenspalt  bestehen 
bleibt,  durch  den  der  Eiter,  ähnlich  wie  durch  eine  offene  Sutura 
mastoideo  -  squamosa  unter  das  Periost  dringt. 

Ich  hielt  es  deshalb  für  notwendig,  mir  ein  Urteil  über  die 
normalen  Kuocheuregenerations'verhältnisse  nach  Operationen  am  Warzen- 
fortsatz zu  bilden.  In  der  Literatur  habe  ich  darüber  nichts  finden 
können,  abgesehen  von  zwei  kurzen  Bemerkungen  von  Schwartze  (4) 
und  Bezold(5.  Bezold  schreibt,  dass  »nach  der  Operation  meist 
«in   sehr   ausgedehnter  Knochenersatz   stattfindet« ;   Schwartze,   dass 


324  Hermann  Ivo  Wolff:   Ober  rezidivierende  Mastoiditis. 

»die  Wundhöhle  von  Granulationen  ausgefüllt  wird,  die  sich  später  in 
ossifizierendes  Bindegewebe  umwandeln.«  Trotzdem  gewiss  eine  grosse 
Anzahl  frtlber  antrotomierter  Patienten  später  obduziert  worden  ist,  fehlt 
bisher  eine  histologisch  anatomische  Untersuchung  ttber  Knochenregeneration 
im  Warzenfortsatz  nach  Antrotomien.  Meinen  Bemühungen  ist  es  vor- 
läufig nicht  gelungen,  das  fragliche  Material  zu  erhalten.  Durch  das 
Röntgenbild  konnte  ich  keinen  sicheren  Aufschluss  gewinnen,  ob  ein 
vollständiger  knöcherner  Verschluss  der  Operationswunden  stattfindet. 
Ich  habe  deshalb  eine  experimentelle  Untersuchung  begonnen. 

Vorläufig  sind  wir  zur  Beurteilung  dieser  Frage  auf  unsere  Befunde 
bei  mehrfach  Operierten  (wobei  zu  bedenken  ist,  dass  es  sich  in  diesen 
Fällen  um  Befunde  bei  Kranken  handelte,  die  nicht  ohne  weiteres  auf 
die  Vorgänge  im  Warzenfortsatz  bei  Antrotomierten,  bei  denen  später  kein 
Recidiv  aufgetreten  ist,  übertragen  werden  können)  und  auf  die  Palpation 
angewiesen.  Wir  können  ausserdem  pathologisch-anatomische  Erwägungen 
auf  Grund  allgemeiner  chirurgischer  Beobachtungen  heranziehen. 

Bei  allen  antrotomierten  Patienten,  die  ich  zu  untersuchen  Gelegen- 
heit hatte,  war  unter  der  oft  stellenweise  adhärenten  Narbe  eine  knochen- 
harte Masse   mit  unregelmässiger  Oberfläche   zu  fühlen,    die    gegen    die 
Umgebung  eine  Niveaudifferenz  zeigte,  welche  von  wenigen  Millimetern 
bis   zu   einer   tiefen  Depression  variierte,   letzteres   besonders   bei   alten 
Leuten  und  solchen  in  schlechtem  Ernährungszustande.    Diese  allgemein 
bekannte  Beobachtung  beweist  s.chon,  dass  die  Callusbildung  am  Warzen- 
fortsatze  viel  weniger  ausgiebipj  erfolgt,  als  an  den  Knochen  der  Glied- 
mafsen,  an  denen  sich  zunächst   ein  überschüssiger  Callus    bildet.     Ein 
gewisser  Grad  von  Knochenneubildung  findet  dagegen  am  Warzenfortsatz 
regelmäfsig   statt   und    nicht   ausnahmsweise,  wie  es  nach  den  Arbeiten 
vieler  Chirurgen,  z.  B.  v.  Bergmann  (6),  für  die  flachen  Schädelknochen 
feststeht.     Knochendefekte  in  den  flachen  Schädelknochen  ersetzen  sich 
vollständig   nur  ausnahmsweise,    obgleich  die  Möglichkeit  der  Knochen- 
neubildung  aus  den  Knochenbildnern  des  Periostes,    der  Dura   und  der 
Markräurae  vorliegt      Die    geringe  Vascularisation    des   Schädelperiostes 
und  die  Unverrückbarkeit  der  Knochenwundflächen  gegeneinander  werden 
zur  ErkläiTing   für   das    Ausbleiben   des  Knochenersatzes   herangezogen. 
Am  Warzenfortsatz  liegen  die  Bedingungen  für  den  Knochenersatz 
m.  E.  günstiger,    wie   an    den   flachen   Schädelknochen,    da   ausser   dem 
Oberflächenperiost  und  der  gut  vascularisiei-ten  Spongiosa   zwischen  den 
Zellen  (7)   noch  das  Schleimhautperiost   der   Zöllen   für   den    Knochen- 
aufbau   in    Betracht    kommt.      Bleiben    doch    selbst    bei    ausgedehnter 


r 


Hermann  Ivo  Wolff:  Über  rezidivierende  Mastoiditis.  325 

Kesektion  des  Processus  mastoideus  immer  noch  kleine  Zellen  und  Teile 
von  Zellen  mit  Schleimhantresten  bestehen. 

Waren  wir  genötigt,  wegen  rezidivierender  Mastoiditis  zum  zweiten 
Male  zu  operieren,  so  fanden  wir  fast  regelmäfsig  eine  beträchtliche 
knöcherne  Verengung  der  früheren  Operationshöhle.  —  Besonders  deut- 
lich war  die  Knochenneubildung  an  den  oberflächlichen  Teilen,  während 
der  Knochen  in  der  Tiefe  zum  grössten  Teile  eingeschmolzen  oder 
ungenügend  wiedergebildet  war.  Über  den  Bau  des  neugebildeten 
Knochens  wissen  wir  nichts  Bestimmtes.  Wir  können  aber  nicht  an- 
nehmen, dass  wieder  ein  zellhaltiger  Knochen  gebildet  wurde,  sondern 
eine  gleichmäl'sige  spongiöse  oder  kompakte  Knochenmasse.  Nach 
unseren  Beobachtungen  scheint  sich  in  der  Tiefe  spongiöser,  an  der 
Oberfläche  kompakter  Knochen  neu  zu  bilden.  Unsere  Fälle  zeigen, 
dass  der  neu  gebildete  Knochen  sehr  wenig  resistent  ist,  da  der  Eiter- 
durchbruch bei  Rezidiven  ausserordentlich  schnell  erfolgte. 

Nach  der  Antrotomie  scheint  also  in  der  Regel  eine  Knochen- 
neubildung, dagegen  keine  Restistutio  ad  integrum  stattzufinden.  Dass 
wir  mit  Recht  das  Zell-  und  Oberflächenperiost  für  die  Knochen- 
jieubildung  beanspruchen,  lehrt  auch  das  geringe  Mafs  von  Knochen- 
ersatz, welches  wir  nach  der  Radikaloperation  beobachten. 

Die  epidermisierte  Höhle  nach  der  Totalauf meisslung  unterscheidet 
sich  in  ihrer  Gonfiguration  nur  wenig  von  der  bei  der  Operation  an- 
gelegten. Selbst  wenn  sich  die  Höhle  kurz  nach  der  Heilung  verengt 
zeigt,  beobachten  wir,  dass  das  unter  der  Epidermis  liegende  junge 
Bindegewebe  bald  schrumpft  und  die  Höhle  nach  einigen  Monaten 
wieder  die  ursprünglichen  Grössenverhältnisse  aufweist.  Bildete  ein  bei 
der  Operation  freigelegter  Sinus  einen  Teil  der  Höhlenwand,  so  bleibt 
er  auch  später  vom  Knochen  unbedeckt.  Ich  erinnere  an  die  Fälle  von 
Schwab  ach  (8)  und  Gerber  (9),  in  denen  ein  oberflächlich  gelegener, 
bei  der  Operation  freigelegter  Sinus  später  direkt  unter  der  Haut  lag 
und  zum  Schutze  eine  osteoplastische  Bedeckung  erforderte.  Wichtig 
ist  auch  die  Beobachtung  von  Pas  so  w  (10),  der  oft  bei  der  Schliessung 
retroaurikulärer  Oeffnungen  einen  bei  der  Operation  freigelegten  Sinus 
von  Knochen  unbedeckt  fand.  Zeroni  (11)  hat  zwei  total  auf- 
gemeisselte  Schläfenbeine  von  Kranken,  die  sechs  Wochen  resp.  ein  Jahr 
nach  der  Operation  gestorben  waren,  histologisch  untersucht.  An 
ersterem  war  keine  Knochenneubiidung  nachweisbar,  während  an  letz- 
terem an  einzelnen  Stellen  eine  dünne  Schicht  neugebildeten  Knochens 
entstanden  war.     Zur  Zeit  der  histologischen  Untersuchung  fanden  sich 


326  Hermann  Ivo  Wolff:    Über  rezidivierende  Mastoiditis. 

nirgends  mehr  Osteoblasten,  so  dass  der  Knochenneubildungsprozess  wohl 
abgeschlossen  war.  Die  Gründe  für  den  geringen  Knochenersatz,  die 
Zeroni  nicht  erörtert,  liegen  vermutlich  in  den  besonderen  chirurgischen 
und  anatomischen  Verhältnissen  nach  der  Totalaufmeisslung.  Durch  die 
anschliessend  an  die  Operation  vorgenommene  Plastik  wird  das  Ober- 
flächenperiost  aus  der  Wundhöhle  ausgeschaltet,  während  das  Gehör- 
gangsperiost  zum  Teil  bei  der  Verdünnung  der  Lappen  zu  Grunde  geht 
oder  bei  sekundär  vorgenommener  Plastik  zunächst  der  Knochenwund- 
fläche nicht  aufliegt. 

Der  zweite  Faktor  für  die  Knochenneubildung,  das  Schleimhaut- 
periost der  Zellen,  fehlt,  da  wir  es  bei  alten  chronischen  Otitiden,  bei 
denen  die  Totalaufmeisslung  indiziert  ist,  fast  immer  mit  sklerotischem 
oder  zellarmem  Knochen  zu  tun  haben.  Schliesslich  verhindern  wir 
durch  das  bei  der  Nachbehandlung  übliche  Aetzen  der  Granulationen 
eine  reichliche  Entwicklung  des  Knochenkeimgewebes.  Letzteres  stammt 
wohl  von  dem  Endost  der  Ha ver 'sehen  Kanäle  und  etwaigen  Knochen- 
buchten mit  Schleimhautresten,  wie  es  auch  aus  den  Untersuchungen 
Zeronis  hervorzugehen  scheint.  —  Nach  dieser  kurzen  Abschweifung 
wende  ich  mich  zu  der  spärlichen  Literatur,  die  ich  über  die  rezi- 
divierende Mastoiditis  finden  konnte.  Die  Bedingungen  für  den  Knochen- 
ersatz fand  ich  nicht  erörtert,  vermutlich,  weil  diese  Vorgänge  als 
Ursache  des  Rezidivierens  nicht  angesehen  wurden. 

Einige  Fälle  von  rezidivierender  Mastoiditis  sind  aus  der  Klinik 
Gradenigo's  zuletzt  von  C a  1  a m i d a  (12)  veröffentlicht  worden.  Der 
Verfasser  konnte  ebenso  wie  wir  beobachten,  dass  sich  der  Wund- 
heilungsvorgang  nach  der  ersten  Erkrankung  des  Processus  mastoideus 
in  normaler  Weise  vollzog.  Er  ist  der  Ansicht,  dass  sich  die  Höhle 
nach  der  Antrotomie  lediglich  durch  Bindegewebe  füllt,  eine  Ansicht, 
die  wir  an  der  Hand  unserer  Befunde  bei  Wiederoperierten  nicht  für 
richtig  halten  können.  Die  Ursache  für  das  Wiederauftreten  subperiostaler 
Abszesse  sucht  Calamida  in  einer  individuell  bedingten  geringen 
Resistenz  des  neugebildeten  Gewebes  gegen  Infektionen  oder  in  einer 
besonders  virulenten  Infektion,  durch  die  eine  spätere  Otitis  hervor- 
gerufen wird. 

Auffälligerweise  fand  ich  in  den  Berichten  aus  den  grossen  Kliniken 
nichts  über  die  uns  interessierende  Erkrankung.  Nur  Nager  (13)  gibt 
in  dem  letzten  Bericht  aus  der  Basler  Ohrenklinik  ein  Operationsverfahren 
zur  Vermeidung   des   Rezidivierens   von   Mastoiditiden   an,   woraus   wir 


Hermann  Ivo  Wolff:   Über  rezidivierende  Mastoiditis.  327 

schliessen,  dass  solche  Fälle  häufig  in  der  Basler  Klinik  zur  Beobachtung- 
gekommen  sind.  Xager  geht  von  der  Ansicht  aus,  dass  sich  durch 
die  narbige  Umwandlung  der  die  Knochenwunde  ausfüllenden  Granu- 
lationen unter  Umständen  Hohlräume  unter  der  Haut  bilden,  die  die 
gleiche  Rolle  wie  grosse  pneumatische  Terminalzellen  spielen.  Ob  diese 
Ansicht  auf  einer  anatomischen  Untersuchung  basiert  ist,  geht  aus  der 
Arbeit  nicht  hervor.  Ist  es  nicht  der  Fall,  so  könnte  man  gegen  die 
Annahme  der  Höhlenbildung  geltend  machen,  dass  die  Knochenwunde 
nach  der  Antrotomie  in  der  Regel  eine  aussen  offene  Knochenmulde 
darstellt,  so  dass  die  narbige  Retraction  des  neugebildeten  Gewebes 
wohl  nur  eine  gleichmäfsig  zunehmende  Depression  der  äusseren  Weich- 
teile bewirken  würde.  Das  Granulationsgewebe,  das  den  Operations- 
trichter ausfüllt,  zeigt  beim  Verbandwechsel  ein  gleichmäfsig  dickes 
Polster.  Anfangs  bildet  sich  durch  die  Tamponade  bis  ins  Antrum  ein 
Fistelgang,  dessen  Wandungen  bei  späterer  oberflächlicher  Tamponade 
verwachsen,  wie  überall,  wo  sich  granulierende  Flächen  gegenüberliegen. 
Dadurch  entsteht  ein  lückenloses  Granulationspolster  ohne  Hohlräume. 
Eine  auch  nur  teilweise  Ossifizierung  dieses  Gewebes  scheint  Nager 
nicht  anzunehmen.  Um  die  angebliche  Hohlraumbildung  zu  vermeiden, 
wird  in  der  Basler  Klinik  folgendes  Verfahren  angewandt.  Es  wird 
eine  möglichst  flache  Knochenmulde  gebildet  durch  Resektion  des  Warzen- 
fortsatzes weit  nach  hinten  und  Abtragung  des  äusseren  Teiles  der 
hinteren  knöchernen  Gehörgangswand.  Die  Weichteile  werden  mit  dem 
Periost  gut  mobilisiert,  in  die  Knochenwunde  hineingezogen  und  an  die 
Knochenwundfläche  antamponiert.  Nach  4 — 6  Tagen  wird  die  Tamponade 
fortgelassen.  Die  Haut  heilt  bei  diesem  Verfahren  fest  an  die  Unter- 
lage an,  so  dass  sich  kein  Granulationsgewebe  und  somit  später  keine 
Höhlen  bilden  können. 

Ich  glaube  nicht,  dass  dieses  Verfahren  vor  Rezidiven  bewahrt,  da 
ja  zunächst  der  sonst  wenigstens  teilweise  eintretende  Knochenersatz 
hintenangehalten  wird  und  in  der  Mitte  des  Defektes  die  gewöhnlichen 
Verhältnisse  bestehen  bleiben,  mit  dem  Unterschied,  dass  die  Hautnarbe 
noch  dichter  wie  sonst  an  das  Antrum  zu  liegen  kommt. 

Bereits  einmal  wurden  einige  Fälle  von  rezidivierender  Mastoiditis 
aus  der  Klinik  von  Hrn.  Dr.  Brühl  veröffentlicht  (14),  dem  ich  auch  an 
dieser  Stelle  für  die  Anregung  zu  dieser  Arbeit  meinen  Dank  ausspreche.  — 
Wir  verfügen  jetzt  im  Ganzen  über  8  Fälle,  die,  bis  auf  einen,  Kinder 
betreffen;    3 mal  begann  die  Erkrankung   im  frühesten  Kindesalter  von 


32b  Hermann  Ito  Wolff:   Über  rezidmerende  Mastoiditis. 

4.  7,  18  Monaten:  4 mal  im  Alter  von  4^  ^,  5,  8  and  9  Jahren.    Nar 
Imal  erkiankte  ein  3 3 jähriger  Mann  an  einem  Rezidiv.^) 

Das  vornehmliche  Vorkommen  im  Kindesalter  mag  damit  zasammen- 
<hängen.  dass  ja  auch  das  Rezidivieren  von  Otitiden  in  dieser  Lebens- 
f>eriode  besonders  häufig  ist.  Ffagen  wir  uns  nach  weiteren  Gründen, 
-die  das  Rezidivieren  der  Mastoiditis  im  Kindesalter  begünstigen  könnten, 
müssen  wir  an  die  besonderen  anatomischen  Verhältnisse  bei  Kindern 
-denken,  wie  z.  B.  die  noch  unvollkommene  Aasbildung  des  W^arzenfort- 
Satzes  und  die  dadnrch  bedingte  oberflächliche  Lage  des  Antrums.  Ich 
möchte  diesen  anatomischen  Verhältnissen  bei  Kindern  jedoch  keine 
ursächliche  Bedeutung  für  das  Rezidivieren  der  Mastoditiden  beilegen, 
4a  das  Vorkommen  der  rezidivierenden  Mastoiditis  im  Verhältnis  zur 
-Gesamtzahl  der  bei  Kindern  ausgeführten  Antrotomien  ein  relativ 
seltenes  ist. 

Die  zwischen  den  Erkrankungen  des  Warzenfortsatzes  liegenden  Zeit- 
räume schwanken  in  der  weiten  Grenze  von  4  Monaten  bis  zu  3  ^/j  Jahr. 
Die  subperiostalen  Abszesse  entwickelten  sich  bei  Rezidiven  oft  in 
■auffällig  kurzer  Zeit  nach  Beginn  der  Erkrankung;  trotzdem  fanden  wir 
unter  der  fistulös  durchbrochenen  und  unterminierten  Corticalis  meist 
eine  grosse,  von  Granulationen  ausgefüllte  Höhle. 

Das  Vorhandensein  einer  Corticalis  beweist  uns,  dass  zum  mindesten 
ein  oberflächlicher  Knochenersatz  stattgefunden  hatte.  Auf  einen  teil- 
weisen  Knochenersatz  in  der  Tiefe  können  wir  daraus  schliessen,  dass 
wir  bei  einer  Wiederoperation  den  früher  freigelegten  Sinus  von  Knochen 
bedeckt,  in  einem  anderen  Falle  den  Zugang  zum  Antrum  durch  spongiösen 
Knochen  verlegt  fanden. 

Ob  der  Operationstrichter  vollständig  von  Knochen  ausgefüllt  wird, 
bleibt  dahingestellt,  jedenfalls  zeigte  das  im  Warzenfortsatz  neu  ent- 
standene Gewebe  in  unseren  Fällen  eine  geringere  Resistenz  gegen 
Infektionen  als  der  ursprüngliche  Knochen. 

In  allen  wiederholt  operierten  Fällen  trat  schliesslich  eine  tiefe 
Dellenbildung  hinter  dem  Ohre  ein.  Das  Knochenregenerationsvermögen 
scheint  also  nach  mehrfachen  Schädigungen  durch  Erkrankungen  und 
Operationen  abzunehmen,  vielleicht  weil  das  Schleimhautperiost  der  Zellen 
j^.um  grössten  Teil  zu  Grunde  gegangen  ist. 

1)  Unter  20000  Patienten  der  Br.schen  Poliklinik  befanden  sich  2750  mit 
akuter  Mittelohrentzündung;  von  dieaen  wnrden  126  (4,6 o/o)  antrotomiert  Bei 
8  (6,30/0)  der  Antiotomierten  traten  Rezidive  der  Mastoiditis  auf,  die  eine 
Operation  erforderten. 


Hermann  Ivo  Wolff:  Über  rezidivierende  Mastoiditis.  329 

^  Krankengeschichten. 

Fall  I  betrifft  einen  9jährigen  Knaben,  der  nach  Masern  eine 
auffällige  Neigung  zu  Otitidcn  zurückbehalten  hatte.  Gelegentlich  solcher 
Otitis  stellte  sich  eine  Mastoiditis  ein.  Bei  der  Operation  fanden  wir 
den  Knochen  des  Warzenfortsatzes  kariös,  aber  nirgends  fistulös  durch- 
brochen. Die  Heilung  ging  langsam  von  statten.  Nach  12  Wochen 
war  der  Trommelbefund  normal,  die  Wunde  auf  dem  Warzenfortsatz  mit 
mäfsiger  Dellenbildung  vernarbt.  Wenige  Wochen  später  entstand  gleich- 
zeitig mit  einer  neuen  Otitis  media  eine  Mastoiditis,  die  in  zwei  Tagen 
zur  Abszedierung  führte.  Bei  der  Operation  fanden  wir  eine  grosse, 
von  Granulationen  ausgefüllte  Höhle.  Die  Heilung  verlief  ungestört 
und  erfolgte  mit  normalem  Trommelfell,  normaler  Hörweite  und  mäfsiger 
Depression  der  Narbe  auf  dem  Warzen fortsatze.  Das  gleichzeitige  Ein- 
treten der  Erkrankung  in  der  Paukenhöhle  und  im  Warzen  fortsatze 
und  die  kurze  Zeit  zwischen  der  ersten  Erkrankung  und  dem  Rezidiv 
lassen  darauf  schliessen,  dass  latente  Keime  im  Warzenfortsatze  das 
Rezidiv  verursacht  haben.  Eine  spätere  rezidivierende  Otitis  heilte  aus, 
obgleich  sofort  wieder  eine  Rötung  der  Narbe  hinter  dem  Ohre  eintrat. 

5^2  Monate  später  stellte  sich  zugleich  mit  einer  neuen  Otitis 
wieder  eine  Rötung  der  Narbe  ein  und  nach  einer  Woche  ein  Abszess, 
bei  dessen  Spaltung  wir  eine  Fistel  in  der  neugebildeten  Corticalis  und 
eine  ausgedehnte  Knochenerkrankung  fanden.  Die  Eltern  drangen  auf 
eine  Radikalheilung,  so  dass  wir  die  Totalauf meisselung  vornahmen.  — 
Bei  diesem  Knaben,  der  sehr  zu  Otitiden  neigte  —  adenoide  Vegetationen 
waren  nicht  vorhanden  —  war  offeobar  eine  verminderte  Resistenz  des 
Warzen  Fortsatzes  gegen  Infektionen  entstanden,  die  ihre  Ursache  viel- 
leicht in  einer  unvollkommenen  Verknöcherung  des  Narbengewebes  hatte. 
Die  ungenügende  Verknöcherung  kann  durch  die  schwächliche  Allgemein- 
konstitution des  Knaben  begründet  werden,  verhängnisvoll  wurde  die- 
selbe durch  die  gleichzeitig  bestehende  Neigung  zu  Otitiden. 

In  einem  weiteren  Falle  entstand  bei  einem  8jährigen  Knaben 
nach  Masern  eine  Otitis  media  und  wenige  Tage  später  eine  fluktaiereiide 
Schwellung  auf  dem  Warzen fortsatz.  Bei  der  Operation  fanden  wir  eine 
Fistel  im  Planum  mastoideum.  —  Die  vollständige  Heilung  mit  mäfsiger 
Depression  dauerte  9^/5,  Monate.  Schon  nach  4  Monaten  enstand  eine 
neue  Otitis  und  schon  nach  ötägiger  Erkrankung  ein  neuer  Ab-zess 
hinter  dem  Ohre.  Wir  fanden  bei  der  Operation  ein  erbsengrosses 
Loch  und  eine  ausgedehnte  Karies,  die  die  Fortnahme  des  äusseren 
Drittels  der  hinteren  knöchernen  Gehörgangswand  erforderte.  Diese 
ausgedehnte  schnell  entstandene  Karies  lässt  darauf  schliessen,  dass  als 
die  Ursache  dieses  Rezidivs  wohl  eine  Infektion  mit  besonders  virulenten 
Keimen  angesehen  werden  muss.  Die  Heilung  erforderte  nur  5'/_,  Wochen, 
im  Trommelfell  blieb  eine  kleine  Perforation  bestehen  und  hinter  dem 
Ohre  eine  erhebliche  zirka  1  cm  tiefe  Depression. 

Erheblich  längere  Pausen  zwischen  den  Rezidiven  im  Warzenfort- 
satz wie  in  den  bisher  besprochenen  Fällen  finden  wir  im  8.|und  4.  Falle, 

ZeiUehrifl  fftr  Ohrenheilkunde.  Bd.  LTV.  22 


330  Hermann  Ivo  Wolff:   Über  rezidivierende  Mastoiditis. 

bei  Kindern,    die   ohne    hereditäre  Belastung   eine    schlechte  allgemeine 
Konstitution  aufwiesen. 

Bei  einem  7  Monate  alten  Mädchen  entstand  3  Wochen  nach  Beginn 
einer  genuien  Otitis  ein  Abszess  hinter  dem  Ohre.  Bei  der  Operation 
fanden  wir  eine  Fistel  im  Planum  mastoideum.  Die  Heilung  war  nach 
3  Woclien  vollständig  beendet.  1'  ^  Jahre  später  entstand  eine  neue 
genuine  Otitis  und  fast  gleichzeitig  eine  Mastoiditis,  die  in  zirka 
2  Wochen  zur  Abszessbildung  führte.  Bei  der  Operation  fanden  wir 
ein  tistulüs  durchbrochenes  Planum  mastoideum,  das  also  seit  der  ersten 
Operation  neu  gebildet  und  neu  erkrankt  war.  Nach  3^\,  Jahren  trat 
wieder  ein  Rezidiv  ein  und  nach  nur  2tägiger  Erkrankung  wieder  ein 
Abszess  hinter  dem  Ohre.  Bei  der  Operation  fand  sich  neben  einer 
Fistel  im  neu  ^'ebildeten  Planum  mastoideum  eine  ausgedehnte  kariöse 
Erkrankung  der  bei  dem  jetzt  5 ^^ jährigen  Kinde  entstandenen  Warzen- 
fortsatzzellen.  Die  vollständige  Heilung,  die  mit  erheblicher  Dellen- 
bildung hinter  dem  Ohre  erfolgte,  erforderte  7  Monate.  Die  ausser- 
gewöhnlich  schnelle  Knocheneinschmelzung  bei  der  letzten  Erkrankung 
lässt  wohl  darauf  schliessen,  dass  bei  der  schlechten  Allgemeinkonstiiuticm 
des  Kindes  der  neu  gebildete  Knochen  minderwertig  war. 

Ein  ähnliches  Verhalten  linden  wir  im  4.  Falle  bei  einem  472jährigen 
Knaben,  der  im  2.,  3.  und  4.  Lebensjahre  eine  I.ungenentztindung  durch- 
gemacht hatte  und  nach  Scharlach  an  einer  doppeKeitigen  Otitis  media 
erkrankte.  Sieben  Tage  nach  Beginn  derselben  bildete  sich  im  rechten 
Ohre  eine  Fistel  in  der  hinteren  knöchernen  Gehörgangswand.  -  Nach 
der  Antrotomie  ging  die  Heilung  der  Paukenhöhle  schnell  von  statten, 
während  die  Knochenerkrankung  im  Warzen fortsatze  erst  nach  einem 
zweiten  operativen  Eingriffe  nach  8  Monaten  ausheilte. 

Ein  Rezidiv  der  Mastoiditis  nach  l'.\,  Jahren  entwickelte  sich  mit 
grosser  Sohneiligkeit.  Zwei  Tage  nach  Beginn  der  Erkrankung  bestand 
bereits  Fluktuation  auf  dem  Warzenfortsatze.  Bei  der  Operation  fanden 
wir  (la^  ni'u  gebildete  Planum  mastoideum  fistulös  durchbrochen.  ■ —  Der 
bei  der  früheren  Operation  freigelegte  Sinus  war  von  einer  dünnen 
Knochonlaiiiello  bedeckt.  Nach  5  Wochen  war  das  Mittelohr  normal 
und  die  Operationswunde  vernarbt.  Eine  tiefe  Delle  hinter  dem  Ohre 
blieb  bestellen. 

Die  schlechte  Allgemeinkonstitution  wird  auch  in  diesem  Falle  die 
Ursache  für  die  auffällig  geringe  Resistenz  des  neu  gebildeten  Knochens 
gewesen  sein. 

Der  f).  Fall  betrifft  einen  5jährigen  Knaben,  der  wiederholt  an 
Otitiden  erkrankt  war.  Nach  Scharlach  stellte  sich  wieder  eine  Otitis 
media  ein,  die  naeh  6  Wochen  zur  Bildung  eines  Abszesses  hinter  dem 
Ohre  führte.  Nach  der  Antrotomie  ging  die  Heilung  glatt  von  statten 
mit  Herstellung  der  normalen  Hörweite  und  geringer  Dellenbildung. 

In  gewissen  Zwischenräumen  traten  neue  leichte  Otitiden  auf  ohne 
Knochenerkrankung 


Hermann  Ivo  Wolf f:    Über  rezidivierende  Mastoiditis.  331 

Zirka  1  \',^  Jahr  nach  Heilung  der  ersten  Knochenerkrankung  trat 
mit  einer  neuen  Media  ein  Rezidiv  der  Mastoiditis  auf.  Nach  4  Tagen 
war  bereits  ein  Abszess  liinter  dem  Ohre  entstanden.  Das  Periost  und 
das  neu  gebildete  Planum  mastoideum  waren  fistulös  durchbrochen.  Die 
ausgedehnte  Knochenerkrankung  erstreckte  sich  bis  zum  Sinus.  Nach 
der  7  Wochen  erfordernden/  Heilung  fanden  sich  völlig  normale  Ver- 
hältnisse im  Mittelohr  und  eine  massige  Dellenbildung  hinter  dem  Ohre. 

Dreierlei  kommt  für  die  Entstehung  dieses  Rezidivs  in  Betracht: 
1.  die  bei  dem  sonst  gesunden  Knaben  bestehende  Disposition  zu  Otitideu 
und  damit  zu  Erkrankungen  des  Warzenfortsatzes,  2.  die  Art  der  In- 
fektion, da  inzwischen  mehrere  leichte  Otitiden  ohne  Knochenerkrankung 
verlaufen  waren,  3.  eine  gerin;,'e  Resistenz  des  Narbengewebes,  die 
dadurch  deutlich  wird,  dass  nach  4  tägiger  Erkrankung  schon  das  Periost 
vom  Eiter  durchbrochen  war. 

Ein  zweites  Rezidiv,  das  4  Monate  nach  erfolgter  Heilung  bei 
diesem  Knaben  eintrat,  war  dadurch  gekennzeichnet,  dass  in  wenigen 
Tagen  Fluktuation  auf  dem  Warzen fortsatz  entstand,  ehe  noch  das 
Trommelfell  perforiert  war. 

Die  kurze  Heilungsdauer  zwischen  erstem  und  zweitem  Rezidiv 
und  die  ausgedehnte  Erkrankung  des  Warzenfortsatzes,  die  wir  bei  der 
Operation  feststellten,  bei  mäfsigen  Entztindungserscheinungen  in  der 
Pauke,  rechtfertigen  die  Annahme,  dass  dieses  zweite  Rezidiv  auf  Grund 
latenter  Keime  im  Prozessus  mastoideus  entstanden  ist.  Die  Heilung 
ging  in  7  Wochen  glatt  von  statten  mit  normalem  Mittelohr  und  starker 
leellenbildung  hinter  dem  Ohre.  Der  Knabe  ist  noch  mehrfach  an 
Dichten  Otitiden  erkrankt,  die  mit  Rötung  der  Narbe  hinter  dem  Ohie 
einhergingen,  aber  nicht  zur  Abszedierung  ftlhrten. 

Der  6.  Fall  betrifft  ein  IV, jähriges  Mädchen.  Wir  mussten  wegen 
eines  Abszesses  hinter  dem  Ohre  die  Antrotomie  vornehmen.  Bei  dem 
Kinde  bestand  seit  zirka  4  Monaten  eine  gleichseitige  Ohreiterung  und 
vor  2  Monaten  war  ein  Abszess  hinter  demselben  Ohre  von  dem  Haus- 
arzte eröffnet  worden.  Die  Knochenerkrankung  war  sehr  ausgedehnt. 
Die  vollständige  Heilung  erforderte  12  Wochen.  Nach  13  Monaten 
erkrankte  das  Kind  an  einer  neuen  Otitis  und  infolge  derselben  an 
einer  neuen  Mastoiditis.  Der  Befund  und  Verlauf  waren  die  gleichen, 
wie  schon  mehrfach  beschrieben. 

Ein  besonderes  Interesse  bietet  der  7.  Fall.  Zur  Zeit  der  ersten 
Antrotomie  war  das  betreffende  Kind  4  Monate  alt.  5  Monate  nach 
der  vollständigen  Heilung  wurde  uns  dasselbe  mit  einer  doppelseitigen 
Otitis  media  acuta  und  einem  Abszess  hinter  dem  operierten  Ohre  ge- 
bracht. 14  Tage  später  bildete  sich  hinter  dem  anderen  Ohre  ein 
Abszess.  Es  ist  wohl  anzunehmen,  dass  die  Neuinfektion  beider  Ohren 
annähernd  gleichzeitig  erfolgt  ist.  die  Resistenz  des  Narbengewebes  aber 
erheblich  geringer  war,  als  die  des  Knochens  auf  der  früher  nicht  er- 
krankten Seite,  so  dass  die  Abszedierung  auf  letzterer  erheblich  lang- 
samer erfolgte. 

22* 


332  Hermann  Ivo  Wolff:   Über  rezidivierende  Mastoiditis. 

Vor  Kurzem  beobachteten  wir  zum  ersten  Male  bei  einem  Er- 
wachsenen eine  rezidivierende  Mastoiditis.  Zwischen  den  beiden  Erkrank- 
ungen liegt  ein  Zeitraum  von  zirka  2  V2  Jahren.  Die  erste  £rkranknn(i( 
bietet  keine  Besonderheiten.  Das  Rezidiv  führte  unmittelbar  nach  Be- 
ginn einer  neuer  heftigen  Otitis  media  zu  einer  Rötung  der  eingezogenen 
adh&rent^n  Narbe  hinter  dem  Ohre.  4  Tage  später  war  die  Narbe  vor- 
gewölbt und  Fluktuation  nachweisbar.  Noch  am  selben  Tage  erfolgte 
der  Eiterdurchbruch  durch  die  Haut.  Bei  der  Operation  fanden  wir  eine 
zirka  haselnussgrosse  Höhle,  die  sich  auf  das  Planum  mast.  öffnete.  Die 
unebene  Corticalis  war  unterminiert  und  teilweise  kariös.  Erst  nach  Entfern- 
ung von  spongiösem  Knochen  und  Granulationen  gelang  es,  das  Antrum  zu 
sondieren.  In  diesem  Falle  war  eine  sichere  Knochenneubildung  sowohl 
in  der  Tiefe  wie  an  der  Oberfläche  des  Operationstrichters  festzustellen. 

Bei  dem  sonst  völlig  gesunden  Manne  hat  sich  das  im  Warzen- 
fortsatze  neugebildete  Gewebe  sehr  wenig  resistent  erwiesen,  da  die 
Abszedierung  selbst  für  eine  Infektion  mit  besonders  virulenten  Keimen 
ungewöhnlich  schnell  von  statten  ging. 

Wenn  ich  das  Resultat  meiner  Untersuchungen  kurz  zusammenfassen 
darf,  so  kann  ich  nachstehende  allgemeine  Folgerungen  ziehen: 

1.  Die  Knochenwunde  nach  der  Antrotomie  wird  an  der  Oberfläche 
und  zum  mindesten  teilweise  in  der  Tiefe  von  Knochen  aus- 
gefüllt. Ob  ein  vollständiger  knöcherner  Verschluss  des  Operations- 
trichters stattfindet,  wissen  wir  nicht. 

2.  Das  nach  Erkrankungen  und  Operationen  im  Warzenfortsatz 
neugebildete  Gewebe  scheint  dem  Vordringen  eines  Entzündungs- 
prozesses von  der  Paukenhöhle  weniger  Widerstand  zu  bieten, 
wie  der  normale  knöcherne  Warzenfortsatz. 

3.  Bei  mehrfacher  Schädigung  des  Warzenfortsatzes  durch  Er- 
krankungen und  Operationen  nimmt  das  Knochenregeuerations- 
vermögen  ab. 

Bezüglich  der  Ätiologie,  Therapie  und  Prognose  der  rezidivierenden 
Mastoiditis  möchte  ich  folgern,  dass  als  ätiologische  Momente  zu  be- 
trachten sind: 

1.  Das  Zurückbleiben  latenter  Keime  im  Warzenfortsatz. 

2.  Eine  Neuinfektion  des  Warzenfortsatzes  von  der  Paukenhöhle 
aus  mit  stark  virulenten  Keimen. 

3.  Eine  Neuinfektion  mit  schwach  virulenten  Keimen,  die  bei  der 
durch  die  erste  Erkrankung  und  Operation  entstandene  ver- 
ringerte Resistenz  des  Warzenfortsatzes  zur  Abszedierung  führen 
kann,  wenn  gleichzeitig  eine  schlechte  Allgemeinkonstitution 
oder  eine  Disposition  zu  Otitiden  besteht. 


Hermann  Ivo  Wolff:   Über  rezidivierende  Mastoiditis.  333 

Für  die  Therapie  möchte  ich  die  Folgerung  ziehen,  dass  eine  Ab- 
änderung des  gebräuchlichen  Operationsverfahrens  keinen  Erfolg  ver- 
spricht. Bei  mehrfachen  Rezidiven  könnte  man  sich  unter  Umständen 
zur  Totalaufmeisselung  mit  Schonung  des  Trommelfells  und  der  Gehör- 
knöchelchen entschliessen.  Die  von  manchen  Autoren  (15)  empfohlene 
Ausgiessung  der  Wundhöhle  mit  Hartparaffin  zur  Abkürzung  des  Heilungs- 
verlaufes dürfte  für  die  Entstehung  eines  knöchernen  Ersatzgewebes 
hinderlich  sein.  Der  anzustrebende  knöcherne  Ersatz  muss  durch  eine 
entsprechende  Therapie  möglichst  gefördert  werden. 

Prognostisch  ist  zu  beachten,  dass  durch  die  Antrotomie  die  Chancen 
für  die  spätere  nochmalige  Entstehung  einer  Mastoiditis  vergrössert  werden, 
besonders  bei  Individuen  mit  schlechter  Allgemeinkonstitution  und  Dis- 
position zu  Otitiden. 

Literatur-  Verzeichnis, 

1.  Samuel,  Eulenburgs  Realencyclopädie:  Rezidiv. 

2.  Zaufal,  Prager  med.  Wochenschr.  1889. 

3.  Piffl.  Arch.  f.  Ohrenheilk.  Bd.  51:    Über  die  Aufmeisselung  des  Warzen- 

fortsatzes. 

4.  Schwartze,  Die  chirurgischen  Krankheiten  des  Ohres.    Stuttgart  1885. 

5.  Bezold,  Lehrbuch  der  Ohrenheilkunde.     Wiesbaden  1906. 

6.  von  Bergmann,   Die  Lehre  von  den  Kopfverletzungen.    Deutsche  Chir. 

Bd.  30. 
Stieda,  Verhandl.  des  Chirurgen-Kongr.  1905. 
von  Bergmann-Bruns,  Handbuch  d.  Chir.  Bd.  L    Stuttgart  1907. 

7.  Siebenmann,  Mittelohr  und  Labyrinth  im  Handb.  d.  Anat.  d.  Menschen 

von  Bardeleben.    Jena  1897. 

8.  Schwabach,  Verhandl.  d.  Berl.  otol.  Ges.  1905. 

9.  Gerber,  Arch.  f.  Ohrenheilk.  Bd.  LXIIL 

10.  Passow,  Verhandl.  d.  Berl.  otol.  Ges.  1905. 

11.  Zeroni,  Arch.  f.  Ohrenheilk.  Bd.  XLV. 

12.  Calamida,  Arch.  internat.   de  Laryngol.  etc.   T.   XXIII,  No.  1.    R6inf. 

mast.  chez  les  op^räi  de  mastoidite. 

13.  Nager,  Zeitschr.  f.  Ohrenheilk.  Bd.  Uli.    Wissenschaftl.  Bericht  aus  der 

Basler  Klinik. 

14.  Porter.  Edinburgh  Med.  Journal  Juno  1906.    Rec.  acute  Inflam,  of  the 

mastoid.  proc. 

15.  Politzer,  Wien.  med.  Wochenschr.  1903,  Nr.  30. 


3:j4     A-  T.  Eoj»iiert:  Bericht  über  die  wahrend  der  Jahre  1892—1901 

xxu. 

(Ans  der  k.  otiatrischen  Universitäts-Klinik  zu  Manchen 
[Vorstand:    Prof.  BezoldJ.) 

Bericht  über  die  während  der  Jahre  1892 — 1901 

in  der  Münchner  otiatrischen  Klinik  zur  Ausführung 

gekommenen  Totalaufmeisslungen. 

Von  Dr.  Adolf  v.  Buppert, 


In  den  Jahren  1892 — 19i»l  kamen  in  der  kgl.  Univerhitäts-Klinik 
zn  Manchen  im  Ganzen  1450  chronische  Mittelohreiterangen  zur  Be- 
handlang, von  denen  bei  65  Fällen  die  radikale  Freilegung  der  Mittel- 
ohrräume  notwendig  wurde.  Es  entfällt  somit  auf  22,3  chronische 
Mittelohreiternngen  eine  Totalaufmeisslung  =  4.48  "  „.  Es  wurde  gerade 
dieser  Zeitraum  gewählt,  weil  für  den  gleichen  eine  Statistik  der  Ope- 
rationen bei  akuten  Mittelohreiterungen  in  zwei  Arbeiten  von  Leimer^) 
schon  vorliegt.  Bei  akuter  Mittelohreiterung  konnten  wir  uns  durchgängig 
auf  die   einfache  Eröffnung  des  Antrums   und   der  Zellen  beschränken. 

Geschlecht. 
^■on  den   operierten  Fällen    waren  52  männlichen    (±=  80  "/q)    und 
13  weiblichen  Geschlechts  (=20",,)).     Es  ergibt  sich  somit  ein  Über- 
wiegen des  männlichen  Geschlechts  um  das  vierfache. 

Alter. 
Es  treffen  auf  das 

1. — 10.  Lebensjahr  33  Fälle.  31. — 40.  Lebensjahr  7  Fälle. 

11.— 20.  «  14       «  41.-50.  *  1 

21.— 30.  *  7       *  51—60.  «  3       * 

Die  ausserordentlich  starke  Beteiligung  des  1.  Jahrzehnts  erklärt 
sich  nur  zum  Teil  aus  der  verhältnismäf^ig  grossen  Anzahl  von  Kindern, 
die  der  Ohrenklinik  vom  H  a  u  n  e  r  sehen  Kinderspital  aberwiesen  wer- 
den, da  das  kindliche  Alter  (sogar  bis  zu  15  Jahren  gerechnet)  nach 
Bezold  immerhin  nur  mit  29,5 ^/^  an  den  chronischen  Mittelohr- 
eiterungen teilnimmt;  sie  darfte  vielmehr  vor  allem  auf  die  leider  noch 
grosse  Gleichgültigkeit  der  unteren  Klassen  zurackzuführen  sein,  die 
far  ihre  an  Ohreiterung  leidenden  Kinder  erst  ärztliche  Hilfe  in  An- 
spruch  nehmen,    wenn   schon   die   Zeichen   der   Sekretverhaltung   oder 

1)  Zeitschr.  f.  Ohrenheilk.  Bd.  XLm,  273  und  Bd.  XLVIII,  231. 


in  d.  MfljichD.  utiatr.  Klinik  zur  Aus  führ,  gekomm.  Totalaufineissl.     335 

eines  Dürchbruchs  nach  aussen  aufgetreten  sind,  also  erst  dann,  wenn 
schon  die  Indikation  für  eine  Operation  gegeben  ist.  Ausserdem  ist 
ja  auch  die  konservative  Behandlung  bei  Kindern  ungleich  schwieriger 
durchzuführen  als  bei  Erwachsenen. 

Seite. 
Die  Totalaufmeisslung  betraf  28  mal   (=43,1^/,,)   die   rechte   und 
37 mal  (=56,9^/o)  die  linke  Seite;  doppelseitige  Radikaloperation  hat 
sich  nur  I  mal  als  notwendig  erwiesen 

Dauer,  Vorgeschichte,  Ursache. 

Der  Beginn  der  Ohreiterung  lag  in  den  meisten  Fällen  um  Jahre 
und  Jahrzehnte  zurück  und  wurde  oftmals  in  die  Kindheit  verlegt,  oder 
es  wurde  wenigstens  Schwerhörigkeit  auf  dem  kranken  Ohr  als  seit 
längerer  Zeit  bestehend  angegeben.  Nur  Lei  5  Patienten  war  die 
Eiterung  erst  seit  weniger  als  einem  Jahr  aufgetreten.  Die  Indikation 
zur  Operation  war  in  diesen  o  Fällen :  1  mal  Fazialisparalyse  und  rauher 
Knochen  im  Gehorgang,  2  mal  Schwellung  auf  der  Pars  mastoidea,  1  mal 
Fistel  im  Gehörgang  und  1  mal  rasch  fortschreitende  Abnahme  des 
fjehörs  neben  anhaltender  fötider  Eiterung.  Die  Totalaufmeisslung  deckte 
2  mal  ein  Cholesteatom  und  in  den  anderen  3  Fällen  ausgedehnte  Sequester- 
bildung auf,  so  dass  auch  diese  Fälle  der  chronischen  Mittelohreiterung 
zuzuzählen  sind. 

Über  die  Ursache  der  Ohreiterung  fehlen  meist  die  Angaben,  resp. 
es  war  keine  zu  eruieren;  wo  eine  solche  verzeichnet  ist,  wurde 
Scharlach,  Diphtherie,  Masern  oder  Typhus  angegeben. 

Bei  7  Fällen  w^ar  vorher  schon  die  einfache  Eröffnung  des  Antrura 
nach  Schwartze  gemacht  worden  —  in  2  Fällen  sogar  2 mal  — , 
die  in  4  Fällen  die  Eiterung  auch  für  einige  Zeit  zum  Stillstand  ge- 
bracht hatte,  während  bei  den  übrigen  3  die  Sekretion  anhielt  (1  Laby- 
rinthnekrose,  1  Cholesteatom,  1  Fall  mit  Sequesterbildung). 
Objektiver  Befund  vor  der  Operation. 
a)  Warzenteil. 

Ohne  abnormen  Befund in  20  Fällen. 

Narbe,  2  mal  von  früherem  Durchbruch,   1  mal  von  einer 

Operation  herrührend in     3  Fällen. 

Druckempfindlichkeit  ohne  Schwellung in     4  Fällen, 

2  mal  nur  auf  der  Spitze  des  Warzenfortsatzes,   1  mal 

in  der  Fossa  mast.  und  entlang  der  Jugularis,  1  mal 

auf  der  ganzen  Pars  mast. 


336     A.  V.  Ruppert:  Bericht  über  die  während  der  Jahre  1892—1901 

Schwellung  auf  dem  Warzenteil in  26  FäUen^ 

darunter  in  13  Fällen  über  die  Crista  temp.  und 
rückwärts  über  den  Warzenteil  hinaus.  1  mal  reichte 
die  Schwellung  bis  zum  Auge  (Abszess  in  der  mitt- 
leren Schädelgrube) ;  1  mal  war  die  ganze  Gesichts- 
seite ödematös  (Pachymeningitis  externa) ;  1  mal  er- 
streckte sic}^  die  Schwellung  herab  bis  zum  oberen 
Drittel  des  Halses  (Thrombophlebitis  des  Sinus  transv., 
Sin.  sagittalis  u.  rectus,  Grosshirnabszess,  Senkung). 

Hautfisteln  (5  mal  mit  bestehender  Schwellung)  .  .  .  in  12  Fällen, 
in  1  Falle  davon  waren  5-6  Fisteln  vorhanden. 
Die  Fisteln  rührten  6  mal  von  einem  Spontandurch- 
bruch her,  der  2  mal  in  einer  früheren  Operations- 
narbe und  1  mal  in  einer  früheren  Durchbrnchsstelle 
erfolgt  war ;  5  mal  war  auswärts  eine  Incision  in  die 
Schwellung  gemacht  worden,  1  mal  eine  Operation. 
S.mal  fühlte  die  Sonde  beim  Eingehen  in  die  Fistel 
rauhen  Knochen.  

65  Fälle. 
b)   Gehörgang. 

Ohne  Veränderung in  24  Fällen. 

Vorwölbung  der  hinteren  oberen  Gehörgangswand     .     .  in  10  Fällen, 

3  mal  mit  Bildung  eines  Polypen. 

Fistel  in  der  hinteren  oberen  Gehörgangswand     .     .     .  in  13  Fällen. 

6  mal  mit  Polypenbildung  am  Fistelrand. 
Veren*rerung  des  Gehörgangslumens  bis  zu  einem  schmalen 

Spalt in  3  Fällen. 

Ausfüllung  des  Gehörgangslumens  durch  eine  Wucherung  in  12  Fällen. 

Polyp  am  Boden  des  Gehörgangs  (Fraktur)     ....  in     1  Fall. 

Ausfüllung  durch  Cholesteatommassen in     1  Fall. 

Wegen  ausserordentlich  profuser  Eiterung  nicht  zu  übersehen  in     1  Fall. 

65  Fälle, 
c)  Trommelfell. 

Das  Trommelfell  war  wegen  Schwellung,  Polypenbil- 
dung etc.  nicht  zu  übersehen in  37  Fällen. 

Eine  zentrale  Perforation,  welche  sich  innerhalb  eines 
halben  Jahres  über  die  ganze  untere  Hälfte  aus- 
gebreitet hatte  (bei  einem  Patienten  mit  Spitzen- 
infiltration) bestand in     l   Fall. 


in  d.  MünchD.  otiatr.  Klinik  zar  Ansfähr.  gekomm.  Totalaufmeissl.     337 

Defekte,  die  entweder  das  ganze  Trommelfell  betrafen 
oder  bis  zum  hinteren  oberen  Margo  tympanicns 
oder  noch  Aber  denselben  hinaas  bis  in  den  knö- 
chernen Gehör  gang  sich  erstreckten in  14  Fällen 

Perforation  der  Membrana  flacc.  S  h  r  a  p  n  e  1 1  i  ohne  oder 
mit  Übergreifen  auf  die  angrenzende  knöcherne 
Gehörgangswand in  10  Fällen 

Grössere  Perforation,  durch  welche  sich  Granulationen 
von  der  Paukenhöhleninnenwand  herausdrängten, 
zwischen  denen  rauher  Knochen  gefühlt  wurde  in     2  Fällen. 

65  Fälle, 
d)  Andere  Seite. 

Keine  Xotiz -  ....  in  11  Fällen 

Normaler  Befund «21 

Trommelfellperforation  mit  bestehender  Eiterung  .     .     .  «    11 

Trommclfellperforation  ohne  Eiterung «7 

Narben «6 

Eiosenkungserscheinungen «9       « 

65  Fälle. 
In  der  Hälfte  der  Fälle  also  war  auch  das  Mittelohr  der  nicht 
operierten  Seite  ebenfalls  nicht  normal  und  bestand  entweder  ein 
Eitemngsprozess  oder  war  ein  solcher  mit  bleibenden  Veränderungen 
am  Trommelfell  zum  Stillstand  gekommen  oder  es  waren  Einsenkungs- 
erscheinungen  vorhanden,  die  ja  für  die  Entstehungsart  der  Eiterung 
auf  der  anderen  Seite  von  so  wichtiger  Bedeutung  sind. 

e)  Augenhintergrund. 
Über  die  Untersuchung  des  Augenhintergrundes  fehlen  Notizen  bei 
35  Füllen,  meist  dem  kindlichen  Alter  angehörend. 

Von  den  übrigen  30  Fällen  war  er  18  mal  normal. 
Bei    1  Fall,    der   bei   der   Operation    ausser  einem  grösserem  Choleste- 
atom keinen  weiteren  Befund  aufwies,  bestand  diffuse  Rötung  des 
Sehnerven  ein  tritts  mit  scharfer  Pupillengreuze. 
In     7    Fällen    waren    die    Grenzen    des    Sehnerveneintritts    auf    beiden 

Seiten  verschwommen. 
In   3  Fällen  nur  auf  der  gesunden  Seite  (2  mal  mit  Rötung  der  Pupille 

auf  der  kranken  Seite). 
In   1  Fall   war   eine   besonders   starke   Injektion   der    Gefässe   und   der 
äusseren  Pupillengrenze  zu  konstatieren. 


338     A.  V.  Ruppert:  Bericht  über  die  während  der  Jahre  1892  -1901 

Diese  letzten  11  Fälle,  bei  denen  der  Angenhintergiiind  Ver- 
änderungen aufwies,  die  auf  endokranielle  Komplikationen  hindeuteten, 
waren  mit  Ausnahme  von  zweien,  bei  denen  die  Neuritis  optica  nur 
gering  war,  auch  sämtlich  mit  solchen  verbunden.  Es  bestand  bei  ihnen 
2  mal  Pacbymeningitis  externa :  1  mal  perisinuöser  Abszeß :  1  mal 
Abszess  in  der  hinteren  und  mittleren  Schädelgrube :  3  mal  Thrombose 
des  Sinus  oder  Bulbus,  darunter  1  mal  mit  Grosshirnabszess ;  1  mal 
Schläfenlappenabszess :   1  mal  Meningitis. 

Indikation. 

1.  Bei  12  Fällen  das  Bestehen  einer  Plstel  auf  dem  Warzenteil. 

2.  Bei  7  Fällen  das  Bestehen  einer  Fistel  im  Gehörgang. 

3.  Bei    23    Fällen    eine    Schwellung    auf   dem    Warzenteil,    8  mal    mit 

Temperatursteigerungen,  1  mal  mit  Schüttelfrost  und  1  mal  mit 
Fazialisparalyse  verbunden. 

4.  Bei  6  Fällen    das  Auftreten   von  Schwindel   neben  Erbrechen,   1  mal 

mit  während    der  Beobachtung   eintretender  Taubheit,    1  mal    mit 
Fazialisparalyse,  3  mal  zugleich  bei  benommenem  Sensorium. 
6.  Bei  4  Fällen  ausgesprochene  Schüttelfröste  neben  anderen  Allgemein- 
erscheinungen. 

6.  Bei   1  Fall  eine  durch  die  Untersuchung   mit  der  Sonde    und  durch 

die  funktionelle  Prüfung  festgestellte  Labyrinthnekrose. 

7.  Bei  1  Fall  rasch  fortschreitende  Abnahme   der  Hörweite   neben    an- 

dauernd fötider  Sekretion  bei  einem  schon  einmal  nach  Schwartze 
operierten  Phthisiker. 

8.  Bei  1  Fall    eine    starke  konzentrische  Verengerung   des   Gehörgangs 

mit  nicht  zu  beseitigender  fötider  Eiterung. 

9.  Bei  10  Phallen  wurde  die  Totalauf meisslung  nötig,  da  die  regelmäfsig 

und  längere  Zeit  hindurch  ausgeführte  konservative  Behandlung 
den  Fötor  der  Eiterung  nicht  zu  beseitigen  vermochte.  Unter 
diesen  Fällen  befanden  sich  5  mit  Perforation  der  Membrana 
Shrapnelli.  Bei  3  derselben  war  schon  einmal  in  früheren  Jahren 
die  Eröffnung  des  Antrum  vorgenommen  und  dadurch  ein  längeres 
Sistieren  der  Eiterung-  erzielt  worden  (im  1.  Fall  2  Jahre,  im 
2.  Fall  1  Jahr  und  im  3.  Fall  5  Jahre). 

Weitere  4  Fälle  wiesen  einen  vollkommenen  Defekt  des 
Trommelfelles  auf;  bei  dem  10.  war  nur  noch  ein  Hammerrest 
erhalten,  während  die  Perforation  sich  hinten  oben  bis  zum  Marge 
tympanicus  erstreckte. 


in  d.  Müiichn.  otiatr.  Klinik  zar  Ausfuhr,  gekoitfin.  Totalaufmeissl.     339 

Bei  diesen  10  Patienten  war  durch  längere  Zeit  hindurch  —  nur 
1  mal  unter  ^^  Jahr  (Patient  von  auswärts)  —  die  in  solchen  Fällen 
sonst  stets  zum  Ziele  führende  Behandlung  durch  Ausspritzung  mit  dem 
Antrumröhrchen  regelmäfsig  d.  h.  mindestens  3  mal  die  Woche  an- 
gewandt worden.  Wie  jedoch  das  Anhalten  des  Fötors  der  Eiterung 
bewies,  gelangte  der  Spritzenstrahl  nicht  tiberall  hin  in  die  erkrankte 
Höhle,  sonst  hätte  er  sie  von  den  zersetzten  Massen  zu  säubern  ver- 
mocht, und  daher  konnten  die  Gefahren  der  Eiterretention  nur  durch 
die  vollkommene  Blosslegung  der  Höhle  beseitigt  werden. 

Was  nun  den  Grund  anlangt,  warum  in  diesen  Fällen  nicht  wie 
gewöhnlich  der  Fötor  zum  Verschwinden  gebracht  werden  konnte,  so  ist 
dies  aus  den  Operationsprotokollen  nicht  immer  ersichtlich.  Bei  den 
Perforationen  der  Membrana  Shrapnelli  werden  es  vor  allem  Hammer- 
und  Ambosskörper  sein,  welche  dem  Spritzenstrahl  im  Wege  standen,  so 
dass  die  Spülfitlssigkeit  nicht  oder  wenigstens  nicht  mit  dem  nötigen 
Druck  in  das  Antrum  gelangen  konnte:  z.  T.  mag  dies  wenigstens  für 
den  Ambosskörper  auch  in  den  Fällen  mit  Totaldefekt  in  Betracht 
kommen,  wie  ich  aus  einigen  in  den  letzten  Jahren  operierten  Fällen 
schliessen  möchte;  in  einem  Falle  lag  der  Grund  in  der  Grösse  der 
Cholesteatomhöhle ,  die  das  Volumen  einer  Walnuss  erreichte.  In 
anderen  Fällen  jedoch,  in  denen  die  Operation  im  hinteren  Ende  des 
Antrum  Granulationen,  im  vorderen  Teil  und  im  Aditus  Epidermis- 
schalen  aufdeckte,  ist  der  Grund  für  das  Versagen  der  konservativen 
Behandlung  nicht  recht  ersichtlich. 

Die  Operation  selbst  wird  bei  uns  in  folgender  Weise  vorgenommen : 

Bogenförmige  Umschneidung  der  Muschel  in  ihrer  Ansatzlinie  bis 
herab  zur  Spitze  des  Warzenfortsatzes;  über  dem  Musculut  temporalis 
wird  der  Schnitt,  um  ein  späteres  Herabsinken  der  Muschel  zu  ver- 
hüten, nur  bis  auf  die  Muskelfascie  geführt;  Zurückschieben  des 
Periosts;  succesive  Abmeisslung  der  Decke  der  Pars  mastoidea  und  der 
hinteren  Gehörgangswand  mit  möglichst  breiten  (15  mm)  Meissein,  bis 
das  Antrum  erreicht  ist;  Wegnahme  der  knöchernen  Gehörgangsbrücke 
mit  kleineren  Meissein  unter  Einführung  des  etwas  modifizierten  Stake- 
schen Schätzers;  Granulationen  werden  nur  in  der  Warzenfortsatzhöhle, 
im  Antrum  und  Aditus  entfernt,  dagegen  in  der  Paukenhöhle  wegen 
der  Gefahr  einer  Steigbügelverletzung  unberührt  gelassen.  Die 
Cholesteatommatrix  bleibt  ebenfalls  als  erwünschte  Auskleidung  der 
Höhle  stehen.  Die  Lappenbildung  geschieht  bei  kleineren  Höhlen  nach 
Körner,  bei  grösseren  durch  einen  Schnitt  entlang  der  hinteren  oberen 


1 


340     A.  V.  Ruppert:  Bericht  ttber  die  während  der  Jahre  1892-1901 

Gehörgangswand  und  einen  zweiten  senkrecht  auf  diesen  im  Gehörgangs- 
eingang. 

Operationsbefund. 
Der   Operationsbefund    ergab   bei    51    Fällen   Cholesteatombildung, 
bei    11    Fällen    Nekrose    ohne    Cholesteatom    und    bei    3    Fällen    eine 
einfache  chronische  Mittelohreiterung. 

A.  Fälle  mit  Cholesteatombildung. 

Fast  '^/g  der  Totalaufmeisslungen  wurden  demnach  durch  die  An- 
sammlung von  Epidermis  in  den  Mittelohrräumen  und  die  dadurch 
hervorgerufenen  Komplikationen  veranlasst. 

Was  das  Alter  betrifft,  so  gehörte  die  Hälfte  (26)  dieser  Patienten 
dem  ersten  Jahrzehnt  an,  12  dem  zweiten,  5  dem  dritten,  5  dem  vierten, 
1  dem  fünften  und  2  dem  sechsten  Jahrzehnt. 

Der  jüngste  operierte  Cholesteatomfall  war  2  ^2  Jahre  alt.  Bei 
der  Aufnahme  zeigte  er  eine  starke  Schwellung  auf  dem  Warzenfortsatz, 
freistehenden  Margo  tyrapanicus  und  unter  demselben  eine  Wucherung. 
Die  Operation  deckte  einen  subperiostalen  Abszess  auf,  eine  erbsen- 
grosse,  in  das  hintere  Ende  des  Antrum  führende  Fistel  und  ein 
Cholesteatom,  welches  Antrum  und  Aditus  vollkommen  ausfüllte.  Der 
Warzenfortsatz  war  schon  völlig  ausgebildet,  nur  an  der  hinteren  Gehör- 
gangswand einige  kleine  Zellen  vorhanden. 

Der  älteste  Patient  stand  im  Alter  von  58  Jahren. 

Nur  bei  9  Cholesteatomfällen  war  der  Totalaufmeisslung  eine  längere 
Behandlung  vorausgegangen,  ohne  dass  es  aber  derselben  gelungen  war, 
der  Eiterung  den  fauligen  Geruch  zu  nehmen.  Die  sämtlichen  übrigen 
42  kamen  schon  mit  Erscheinungen  in  die  Behandlung,  welche  an  sich 
die  Totalaufmeisslung  indizierten.  Die  Gefahren  der  chronischen  Mittel- 
ohreiterung beginnen  ja  mit  dem  Augenblick,  in  dem  der  Eiter  durch 
irgend  welche  Ursachen,  seien  es  nun  Polypen  oder  vorgelagerte 
Epidermismassen,  in  seinem  Abfluss  teilweise  oder  ganz  behindert  ist 
und  sich  durch  den  Knochen  andere  Auswege  sucht,  d.  h.  entweder 
nach  der  Aussenfläche  des  Warzenteils  oder  nach  der  Schädelhöhle  za. 
Bei  34  Fällen  zeigte  sich  der  drohende  oder  schon  vollzogene  Durch- 
bruch des  Eiters  durch  eine  Schwellung  oder  Fistel  auf  dem  Warzen- 
teil oder  im  Gehörgang  an,  die  übrigen  8  Fälle  kamen  mit  so  bedroh- 
lichen Allgemeinsymptomen  (Fieber,  Schüttelfrost.  Schwindel,  Erbrechen, 
Bewusstlosigkeit)  in  Behandlung,  dass  ein  Durchbruch  nach  der  Schädel- 
höhle zu  angenommen  werden  musste. 


in  d.  Münchn.  otiatr.  Klinik  zur  Ansführ.  gekomm.  Totalaufmeisil.     341 

Demgemäfs  warde  auch  fast  bei  allen  diesen  letzten  42  Fällen  die 
Totalaufmeisslung  je  nach  Dringlichkeit  der  Erscheinungen  sofort  oder 
an  dem  auf  den  Eintritt  folgenden  Tage  vorgenommen,  nur  bei  2  Kindern 
von  6  und  8  Jahren  mit  Fistel-  und  Polypenbildung  im  Gehörgang  erst 
nach  versuchter  konservativer  Behandlung  5  resp.  3  ^/^  Wochen  nach 
Eintritt. 

Es  findet  sich  demnach  unter  den  Cholesteatomoperationen  kein 
einziger  Fall,  bei  dem  erst  während  der  Behandlung  eine  Komplikation, 
welche  die  Operation  verlangte,  sich  entwickelt  hätte  —  ein  Beweis 
für  unsere  Erfahrung,  dass  bei  den  zahlreichen  Fällen  von  Cholesteatom, 
die  seit  Jahren  im  Ambulatorium  in  Behandlung  oder  regelmäfsiger 
Beobachtung  stehen,  wenn  einmal  durch  Ausspritzung  mit  dem  Antrum- 
röhrchen  die  Eiterung  geruchlos  gemacht  werden  konnte,  eine  Komplikation 
nie  mehr  eintrat,  selbst  in  der  verhältnismäfsig  geringen  Zahl  von 
Fällen  nicht,  bei  welchen  die  Eiterung  nicht  vollständig  sistierte.  Diese 
jahrzehntelange  Erfahrung  zeigt  uns,  dass  wir  —  abgesehen  von  den 
vorhin  erwähnten  Ausnahmen  —  durch  die  konservative  Behandlung 
die  Erkrankung  beherrschen  können,  und  dass  eine  Operation,  wenn 
der  Kranke  nicht  schon  mit  dringenden  Erscheinungen  in  Behandlung 
tritt,  meist  nicht  notwendig  wird. 

Operationsbefund  bei  den  Cholesteatomfällen. 
1.  Weichteile. 
Keine  wesentliche  Veränderung  Hessen  die  Weichteile  der  Pars 
mastoidea  bei  26  Patienten  erkennen.  25  Fälle  zeigten  vor  der  Operation 
eine  Schwellung  auf  dem  Warzenteil;  diese  bestand,  wie  sich  bei  der 
Eröffnung  zeigte,  bei  9  Fällen  nur  in  einer  Verdickung  der  Weichteile, 
während  bei  16  sich  schon  Eiter  aus  dem  Warzenteil  entleert  hatte 
und  zwar  zwölfmal  zwischen  Knochen  und  Periost  und  viermal  in  eine 
Tasche  zwischen  Periost  und  Haut. 

2.    Knochen- Aussenfläche. 

Die  Knochen- Aussenfläche  war  unverändert in   17  Fällen 

Gefässlöcher  in  der  Fossa  mastoidea  verfärbt  oder  erweitert  «      4     « 

die  Aussenfläche  rauh «      1  Fall 

kleine  Granulation  auf  der  Aussenfläche <      1     « 

Fistel  auf  der  Aussenfläche  des  Warzenteils      ....  «15  Fällen 

Fistel  auf  der  Aussenfläche  und  im  Gehörgang      ...  *      7      « 

Fistel  nur  im  Gehörgang «      6 

51  Fälle. 


342     A.  V.  Ruppert:  Bericht  über  die  während  der  Jahre  1892— 1901 

5  Fälle  mit  Fisteln  waren  schon  früher  nach  Schwartze  operiert 
worden  und  es  hatte  sich  bei  diesen  ein  Defekt  von  Stecknadelkopf- 
bis  ßohnengrösse,  einmal  sogar  die  ganze  Aussenwand  des  Warzenteils 
einnehmend,  erhalten. 

Was  die  übrigen  Fistelji  anlangt,  so  sassen  8  in  Erbsen-  bis 
Kirschenj?rösse  in  der  Fossa  mastoidea  (dem  hinteren  Ende  des  Antrums 
entsprechend,  hinter  der  Spina  supra  mcatum);  bei  2  Fällen  davon 
bestand  gleichzeitig  ein  zweiter  Defekt  der  ganzen  resp.  eines  grösseren 
Teils  der  hinteren  Gehörgangswand.  so  dass  die  beiden  Fisteln  nur 
durch  eine  schmale,  noch  stehen  gebliebene  Knochenbrücke  getrennt 
waren.  Diese  Knochenbrücke  war  auch  noch  zerstört  in  5  .  Fällen : 
infolgedessen  erstreckte  sich  hier  der  meist  über  kirschengrosse  Defekt 
der  Aussenwand  kontinuierlich  bis  in  die  Paukenhöhle  hinein.  2  weitere 
Fälle  zeigten  eine  grössere  (')ffnung  an  Stelle  der  Spina  supra  meatum, 
einmal  sass  die  Fistel  3  cm  hinter  dem  Gehörgang,  einmal  nahm  sie 
einen  grossen  Teil  der  Aussenfläche  ein. 

Von  den  6  Gehörgangsfisteln  waren  8  sondenkopf-  bis  erbsengross 
und  am  Anfang  der  hinteren  oberen  knöchernen  Wand  gelegen;  zwei 
nahmen  den  grössten  Teil  und  eine  die  ganze  hintere  Gehörgangswand  ein. 
Sieht  man  von  den  5  von  früherer  Operation  herrührenden  Fisteln 
ab,  sü  ergibt  sich,  dass  die  äussere  Decke  des  Warzenteils  allein  fast 
doppelt  so  oft  durchbrochen  war,  als  der  Gehörgang  allein  (10  :  ß)  und 
dass  ca.   \.j  der  Fisteln  beide  betrafen. 

Liegt  sch(m  in  der  häufigeren  Mitbeteiligung  des  Gehörgangs  ein 
Unterschied  gc^^enOber  den  Durchbrüchen  bei  der  akuten  Mittelohr- 
eiterung, so  zeigt  sich  ein  noch  grösserer  in  der  Ausdehnung  der 
Defekte.  Beim  Empyem  des  Warzenfortsatzes  infolge  Otitis  media  acuta 
überschreiten  die  FistelöflPnungen  selten  Bohnengrösse,  da  nach  der 
Druckentlastung  des  Eiters  der  Resorptionsprozess  der  Knochenwände 
aufhört.  Bei  den  vorliegenden  Cholesteatomfällen  jedoch  war  die  Öffnung 
meist  grösser  und  betraf  in  einem  nicht  geringen  Teil  so  ziemlich  die 
ganze  Aussenwand  der  erkrankten  Höhle  d.  h.  Decke  des  Warzenteils 
und  hintere  Gehörgangswand.  Der  Grund  liegt  in  der  gegenüber  der 
akuten  Otitis  media  teilweise  verschiedenen  Lage  der  Höhle  und  in 
einer  verschiedenen  Entstehungsweise  der  Fisteln.  Beim  Empyem  infolge 
Otitis  media  acuta  besteht  die  Höhle  oft  ohne  direkte  Verbindung  mit 
dem  Antrum  aus  einer  grossen  oder  mehreren  kleinen  verschmolzenen 
Zellen  im  Warzenfortsatz.  Dieselben  erweitern  sich  nach  allen  Seiten 
gleichmäfsig,  bis  die  Oberfläche  an  einer  Stelle  erreicht  wird  und  diese 


r 


in  d.  Munchn.  otiatr.  Klinik  zur  Ausführ,  gekomm.  Totalaurmeissl.     343 

ist,  entsprechend  der  Lage  der  grossen  Zellen  entfernt  vom  Antrum, 
viel  häutiger  an  der  Aussendecke  gelegen  als  im  Gehörgang.  Beim 
Cholesteatom  jedoch  geht  die  Erweiterung  der  Höhle  direkt  von  den 
zentralen  Räumen,  d.  h.  dem  Antrum  oder  dem  Aditus  aus,  und  es  ist 
erklärlich,  dass  der  Gehörgang  bei  seiner  Nähe  viel  häufiger  als  bei 
der  akuten  Otitis  fistulös  durchbrochen  wird.  Zieht  man  noch  die  vielen 
Fälle  von  Perforation  der  Membrana  Shrapnelli  und  freistehendem 
hinteren  oberen  Margo  tympanicus  in  Rechnung,  bei  denen  der  Defekt 
oft  weit  auf  die  knöcherne  Gehörgangswand  übergreift  und  die  infolge 
dieses  so  zweckmäfsigen  Prozesses  einer  Operation  entgehen,  so  darf 
man  sagen,  dass  bei  der  chronischen  Mittelohreiterung  die  knöcherne 
Gehörgangswand  weit  häufiger  einen  Defekt  erleidet  als  die  Aussendecke 
des  Warzenteils. 

Die  Entstehung  der  Fisteln  scheint  mir  in  der  Minderzahl  durch 
das  langsame,  nach  allen  Seiten  hin  gleichmäfsig  sich  vollziehende 
Wachstum  eines  grossen  Cholesteatoms  bedingt  zu  sein.  Es  konnte  dies 
dann  angenommen  werden,  wenn  in  der  Fistelöflfnung  selbst  die  weissen 
Cholesteatom massen  zu  Tage  traten.  In  der  Mehrzahl,  besonders  bei 
den  kleinen  in  der  Fossa  mastoidea  gelegenen  Offnungen  gelangte  man  erst 
durch  einen  mehr  oder  weniger  lausten  Fistelkanal  in  das  Antrum  oder 
zuerst  in  eine  von  fötidem  Eiter  und  schmutzigen  Granulationen  gefüllte 
Höhle,  ehe  der  eigentliche  Sitz  des  Cholesteatoms  erreicht  wurde.  Es 
ist  anzunehmen,  dass  in  diesen  Fällen  der  fötide  Eiter  den  Gefäss- 
kanälen  entlang  weiter  kriecht  und  so  zu  Ernährungsstörungen  im 
Knochen  führt,  welche  seine  teilweise  so  ausgedehnte  Zerstörung  be- 
dingen. Die  Fisteln  sitzen  deshalb  auch  so  häufii^  in  der  Fossa 
mastoidea,  da  diese  die  Mündung  zahlreicher  kleiner  Knochengefässe 
enthält. 

Die  für  die  Orientierung  wichtige  Spina  supra  raeatum  war  in 
22  Fällen  vorhanden,  4  mal  durch  eine  Spalte  angedeutet,  7  mal  in  der 
Knochenlücke  aufgegangen,  1  mal  fehlte  sie  und  in  17  Fällen  findet 
sich  darüber  keine  Notiz. 

3.  Knochen  Substanz. 
Über  die  Beschaffenheit  der  Knochensubstanz  ist  in  7  Fällen  nichts 
notiert.  Von  den  übrigen  44  Fällen  war  bei  33  (=  75  ^  q)  eine  so 
ausgedehnte  Sklerosierung  zustande  gekommen,  dass  21  durchaus  soliden 
Knochen  aufwiesen,  bei  H  Fällen  nur  gegen  die  Spitze  zu  etwas 
Spongiosa  und  nur  bei  4  eine  oder  einige  ganz  kleine  Zellchen  in  der 


344     A.  T.  Ruppert:  Ber:cbt  über  die  während  der  Jahre  1892—1901 


Spitze  oder  in  der  hinteren  Gehörgangswand   entfernt  vom  Antrum  er- 
halten waren. 

Mehr  nnd  grössere  Zellen  worden  bei  8  Patienten  aufgedeckt,  bei 
je  einem  Fall  schmatzig  verfärbte  nnd  von  zerfallenen  Massen  durch- 
setzte Spongiosa :    1  mal   ist  die  Knochensabstanz  als   weich  bezeichnet. 

4.  Höhle  and  Inhalt. 

Bei  21  Fällen  blieb  die  Epidermisbildang  aaf  die  Haupträame, 
Aditos  and  Antram,  beschränkt  nnd  zwar  zeigten  6  Fälle  ausser  einer 
weissen  Epidermisauskleidung  der  Wände  keine  wesentliche  Ansammlung 
von  abgestossenen  Hautlamellen,  während  bei  15  Patienten  sich  diese 
zentralen  Räome  mit  melir  oder  weniger  zerfallenen  Epidermismassen 
neben  fötidem  Eiter  und  Granulationen  ausgefüllt  fanden. 

In  30  Fällen  hatte  die  Höhle  die  normalen  Grössenverhältnisse  des 
Antrum  überschritten  und  die  Epidermismatrix  war  in  noch' bestehende 
Zellenräume  im  Warzenfortsatz  vorgedrungen  oder  hatte  schon 
sklerosierten  Knochen  aufs  neue  usuriert.  1 7  mal  ist  dabei  das  Antrum 
nur  als  erweitert  bezeichnet,  davon  4  mal  nach  rückwärts  und  5  mal 
nach  aussen  zu.  Eine  als  gross  oder  grösser  bezeichnete  Höhle  lag  in 
6  Fällen  vor ;  2  mal  war  sie  taubeneigross  und  5  mal  walnussgross. 

5.  Gehörknöchelchen. 

Eine  Notiz  hierüber  fehlt in  27  Fällen 

Von  den  Gehörknöchelchen  war  nichts  zu  sehen  ...     in     9  Fällen 

Der  Amboss  allein  wurde  entfernt in     7  Fällen 

(3  mal  davon  ist  er  als  nackt,  kariös  oder  nekrotisch 
bezeichnet,  2  mal  fehlten  beide  Schenkel,  2  mal  der 
lange  Schenkel  allein.) 
Der  Hammer  allein  wurde  bei  der  Operation  mit  entfernt  in  4  Fällen 
(1  mal  war  er  teilweise  defekt,  1  mal  der  Kopf  in 
eine  Granulation  verwandelt,  1  mal  wurde  der 
Hammer  durch  Circumcision  des  Trommelfells 
herausgelöst.) 

Beide  Gehörknöchelchen  wurden  entfernt in     1  Fall 

(Amboss  nackt,  Hammer  kariös  zerfressen.) 
Beide  Gehörknöchelchen  wurden  mitsamt  der  Pars  tensa 

des  Trommelfells  absichtlich  stehen  gelassen      .     .     in     3  Fällen 
(Mehrere  solche  Fälle  sind  wahrscheinlich  noch  unter 
den  ersten  27  ohne  Notiz  über  die  Gehörknöchelchen.) 

51  Fälle. 


in  d.  Münclin.  otiatr.  Klinik  zur  Ausführ,  gekomm.  Totalaufmeissl.     345 

6.  Verhalten  der  Dura  und  endokranielle  Komplikationen. 

Bei  21  Fällen  kam  die  Dura  im  Verlauf  der  Operation  nicht  zum 
Vorschein  (=  in  41,16  ^/q). 

15  mal  wurde  sie  in  der  eröffneten  Höhle  schon  blossliegend  vorgefunden 
und  zwar: 
13  mal  in  der  hinteren  Schädelgrube,  wobei  sie  in  3  Fällen  normal 
und    in    10   Fällen    pathologisch    verändert    war    (Bei    2    der 
letzteren    wurde    zugleich    die    mittlere   Sch'ädelgrube   operativ 
blossgelegt.)i  und 
2  mal  in  der  mittleren  Schädelgrube,  beidemale  erkrankt,  wie  auch 
die   der   hinteren  Schädelgrube   mit   dem  Sinus,    welche   bloss- 
gelegt  werden  musste. 
19  mal   wurde    die   Dura    bei    der   Operation   freigelegt    (darunter    bei 
4   Fällen    mit   an    anderer  Stelle    schon   biossliegender   Dura) 
und  zwar: 
8  mal   in   der  hinteren   Schädelgrube    (4  mal   erkrankt    und   4  mal 

normal), 
4  mal  in  der  mittleren  Schädelgrube  (jedesmal  normal), 
7  mal  zugleich  in  der  hinteren  und  mittleren  Schädelgrube,    wobei 
beide  je  3  mal   normal   und  3  mal   erkrankt   waren   und  Imal 
der  Sinus  allein  pathologische  Veränderungen  aufwies. 
Unter    den    51    Cholesteatomfällen    war    demnach    die    Dura    bei 
18  Patienten  miterkrankt  und  zwar  13  mal  allein   in  der  hinteren  und 
5  mal  zugleich   in  der  hinteren   und  mittleren  Schädelgrube,  niemals  in 
der  mittleren  Schädelgrube  allein. 

Nach  Körner  wird  die  Dura  häufiger  bei  rechtsseitigen  Schläfen- 
beinerkrankungen in  Mitleidenschaft  gezogen  als  bei  linksseitigen.  A^on 
den  /orliegenden  Cholesteatomoperationen  trafen  28  auf  die  linke  und 
nur  23  auf  die  rechte  Seite.  i)ie  Dura  jedoch  war  in  39  ^/^  der 
rechtsseitigen  und  nur  in  32  ^j^  der  linksseitigen  Cholesteatome  mit- 
erkrankt. 

Die  Dura  erschien  hierbei  entweder  mit  roten,  häufig  schmutzigen 
Granulationen  besetzt,  oder  sie  war  missfarben,  schmutzig  oder  schwärzlich 
verfärbt. 

Zu  einer  grösseren  Eiteransammlung  zwischen  Dura  und  Knochen 
(extra  dural  er,  perisinuoser  Abszess)  war  es  in  der  hinteren  Schädel- 
grube dreimal,  in  der  mittleren  einmal  und  in  beiden  zugleich  auch 
einmal  gekommen. 

Zeitschrift  fttr  Ohrenheilkunde,  Bd.  LIV.  23 


346     A.  V.  Bnppert:  Bericht  über  die  während  der  Jahre  1892—1901 

Wie  oben  erwähnt,  war  der  Knochen,  welcher  den  Sinns  ursprQnglich 
Ton  der  Cholesteatomhöhle  trennte,  bei  13  Fällen  schon  dem  Krankheits- 
prozess  zum  Opfer  gefallen ;  bei  den  8  Patienten,  bei  welchen  die  Wand 
des  Sinns  erst  während  der  Operation  freigelegt  wurde  nnd  sich  als 
pathologisch  verändert  erwies,  war  jedesmal  der  zn  entfernende  Knochen 
brfichig.  morsch,  missfarben  oder  nekrotisch  nnd  wies  somit  schon  durch 
sein  Aussehen  und  seine  Beschaffenheit  dem  Meissel  den  Weg.  Aos- 
gangsstelle  för  das  Übergreifen  der  Eiterung  auf  die  hintere  Schädel- 
grube war  meist  das  hintere  Ende  des  Antrums. 

Schon  vor  der  Operation  waren  fast  bei  allen  18  Fällen  mit 
erkrankter  Dura  Anzeichen  vorhanden,  welche  für  eine  mehr  oder 
weniger  starke  Beteiligung  des  Sinus  sprachen;  nur  bei  zweien  findet 
sich  keine  diesbezügliche  Notiz.  Solche  Anzeichen  waren  vor  allem 
Temperatursteigerungen.  Schüttelfröste  und  Veränderungen  im  Augen- 
hintergrunde. 

Eine  Thrombose  des  Sinus  resp.  Bulbus  wurde  bei  6  Patienten 
nachgewiesen,  viermal  auf  der  rechton  und  zweimal  auf  der  linken  Seite. 
Bei  einem  Fall  davon,  der  trotz  mehrfacher  Lnngenabszesse  nach  langer 
Zeit  noch  zur  Heilung  gelangte,  deckte  die  Operation  eine  bereits 
bestehende  grössere  Fistel  in  der  Sinuswand  auf.  Bei  den  nächsten 
beiden  Fällen  entleerte  die  Spaltung,  einmal  nur  Punktion  der  Sinus- 
wand, nur  Blut  und  erst  die  Sektion  ergab  eine  Sinusthrombose.  Im 
4.  Fall  bestand  eine  feste  Thrombose  im  unteren  Teil  des  Sinus  gegen 
den  Bulbus  zu,  während  aus  dem  peripheren  Blut  hervorquoll.  Der 
Fall  endete  gleichfalls  letal.  Bei  dem  fünften  fand  sich  flüssiger  fötider 
Eiter  im  Sinus,  der  bis  zum  Bulbus  blossgelegt  wurde.  Wegen  Verdacht 
auf  Hirnabszess  wurde  bei  diesem  Patienten  später  noch  eine  Incision 
in  die  Hirnsubstanz  gemacht,  der  Abszess  jedoch  erst  durch  die  Sektion 
an  der  Grenze  zwischen  Occipital-  und  Parietal  läppen  gefunden.  Fall  6 
ist  insofern  von  Interesse,  als  hier  durch  einen  Sturz  auf  den  Kopf 
eine  Fraktur  durch  ein  Schläfenbein  erfolgte,  in  welchem  eine  seit 
Kindheit  vorhandene  chronische  Mittelohreiterung  mit  Cholesteatom 
bestand.  Durch  die  Fraktur  wurden  den  Eitererregern  die  Wege  nach 
dem  Schädelinnern  eröffnet  und  der  Patient  ging  an  Pyämie  zu  gründe. 
Bei  der  Totalaufmeisslung,  12  Tage  vor  dem  Exitus,  hatte  sich  die 
Sinuswand  normal  gefunden.  Die  Sektion  ergab  eine  Thrombophlebitis 
des  Bulbus  und  Erweichungsherde  an  der  Hirnbasis. 

Bei  einem  7.  Fall,  der  mit  Schüttelfrösten,  hohem  Fieber  und 
zeitweiser  Bewusstlosigkeit  in  die  Klinik  kam  und  bei  dem  ein  grosser 


in  d.  Münchn.  otiatr.  Klinik  zur  Ausführ,  gekomm.  Totalaufmeissl.     347 

perisinuöscr  Abszess  durch  die  Totalaufmeisslung  entleert,  der  Sinus 
aber,  da  er  sich  elastisch  anfühlte,  nicht  incidiert  wurde,  wurde  die 
Sektion  verweigert,  so  dass  die  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  Sinusphlebitis 
nicht  bestätigt  werden  konnte. 

Fieber  von  39  bis  41  ®,  Schüttelfröste,  bei  dreien  auch  schwere 
Veränderungen  im  Augeuhintergrunde,  waren  die  Erscheinungen,  welche 
auf  eine  weitgehende  Beteiligung  des  Sinus  hinwiesen. 

Die  übrigen  bei  den  Totalaufmeisslungen  beobachteten  endokraniellen 
Komplikationen  waren  folgende: 

Ein  Fall  endete  tötlich  an  Sepsis.  Er  wurde  wegen  Schwindel, 
Erbrechen  und  Eintritt  von  Taubheit  operiert.  Nachdem  das  Befinden 
nach  der  Totalaufmeisslung  zuerst  zufriedenstellend  war,  wurde  nach 
3  Wochen  wegen  Auftreten  von  Schüttelfrösten  und  Benommenheit  eine 
Punktion  des  normal  erscheinenden  Sinus  vorgenommen,  jedoch  nur 
Blut  entleert.  Ein  weiterer  Versuch,  einen  vermuteten  Kleinhirnabszess 
zu  linden,  verlief  ebenfalls  ergebnislos.  Die  Sektion  erwies  Sinus  und 
Dura  normal,  ebenso  makroskopisch  das  Labyrinth ;  erst  die  histologische 
Untersuchung  ergab  eine  Eiterung  im  Labyrinth.  Ebenso  erwies  sich 
bei  einem  anderen  Fall  mit  bef  der  Operation  normal  aussehender 
Dura  der  mittleren  und  hinteren  Schädelgrube,  der  unter  septiko- 
pyämischen  Erscheinungen  zu  gründe  ging,  die  Sektion  insofern  ergebnislos, 
als  der  Übergang  der  Eiterung  in  die  Blutbahn  nicht  aufgefunden 
werden  konnte.  Der  Prozess  hatte  zu  multiplen  Metastasen  in  der  Lunge 
geführt.    Eine  Meningitis  war  in  diesen  beiden  Fällen  nicht  vorhanden. 

An  einer  eitrigen  Meningitis  starben  3  Patienten.  Bei  einem  Fall 
davon  dürfte  der  Übergang  auf  die  Hirnhäute  durch  einen  Durchbruch 
in  das  Labyrinth  vermittelt  worden  sein  (3  Wochen  vor  Eintritt  heftiger 
Schwindel  mit  Erbrechen ;  bei  der  Operation  absolute  Taubheit).  Das 
Labyrinth  wird  gegenwärtig  noch  nachträglich  histologisch  untersucht. 
Bei  Fall  2  fand  die  Überleitung  auf  die  Meningen  wahrscheinlich  von 
einer  kleinen  wandständigen  Sinusthrombose  aus  statt.  Der  3.  Fall 
zeigte  ausser  der  Meningitis  über  dem  Tegmen  tympani  eine  in  der 
Mitte  schmutzig  grünlich  verfärbte,  fibrinös  -  eitrige  Auflagerung  auf 
der  Dura  und  ausserdem  an  der  Unterfläche  des  Schläfenlappens  eine 
von  schmutzigen  Zerfallsmassen  gebildete  Höhle  (Hirnabszess  ?) ;  der 
Sinus,  dessen  Wand  bei  der  Operation  missfarben  ausgesehen  hatte, 
war  im  Innern  normal. 

Ausser  dem  oben  schon  bei  den  Sinusthrombosen  erwähnten  Hirn- 
abszess wurde  noch  ein  Temporalabszess  eröffnet,  der  aber  trDtz  anfäng- 

23* 


348  A.  V.  Kupper t:     Kevlcht  über  die  während  der  Jahre  1892— 1901 

liehen  Wohlbefindens  nach  3  Wochen  noch  zum  Exitus  kam,  da  trotz 
täglicher  sorgfältiger  Entleerung  des  umfangreichen  Abszesses  es  nicht 
vermieden  werden  konnte,  dass  der  innerste  Teil  desselben  sich  absackte 
und  dann  noch  in  den  Ventrikel  durchbrach. 

Da  also  bei  18  Patienten  Veränderungen  an  der  Dura  gefunden 
wurden  und  ausserdem  noch  4,  wie  oben  ausgeführt,  an  endokraniellen 
Komplikationen  ohne  makroskopisch  sichtbare  Veränderungen  an  der 
Dura  erkrankten,  so  sind  im  ganzen  in  22  Fällen  Folgeerkrankungen 
von  Seiten  des  Schädelinnern  zu  verzeichnen  (=  43,1  ^/^  der  zur  Operation 
gekommenen  Cholesteatome),  welche  noch  einmal  kurz  zusammengefasst 
in  folgendem  bestehen: 

1.  Sinus  mit  Granulationen  besetzt  (Pachymeningitis  externa)     6  Fälle 

2.  Extraduraler  bezw.  perisinuöser  Abszess   (1  Fall  vielleicht 

Sinusthrombose) 4      « 

3.  Sinus-  oder  Bulbusthrombose  (1  Fall  zugleich  mit  perisinuösem 

Abszess  und  1  Fall  mit  Grosshirnabszess)        ....  6  « 

4.  Sepsis  und  Septikopyämie 2  * 

6.    Hirnabszess  allein 1  « 

6.    Meningitis   (1  Fall   mit   wandständiger  Sinusthrombose)     .  3  « 

22  Fälle. 
Gestorben  sind  von  diesen  22  Fällen  12  Patienten. 

B.   Fälle  reiner  Nekrose. 

Nekrotische  Enochenprozesse  im  Anschluss  an  chronische  Mittelohr- 
eiterung ohne  Cholesteatombildung  waren  in  11  Fällen  die  Ursache  von 
Erscheinungen,  welche  die  Totalaufmeisslung  veranlassten. 

7  der  Patienten,  also  fast  2  Drittel,  standen  im  Alter  von  2 — 7  Jahren 
(bei  den  Gholesteatomfällen  gehörte  die  Hälfte  dem  ersten  Lebensjahrzehnt 
an);  die  übrigen  4  waren  Erwachsene. 

Die  Indikation  zur  Totalaufmeisslung  war  8  mal  eine  Schwellung 
auf  dem  Warzenteil,  davon  5  mal  mit  einer  Hautfistel,  einmal  eine 
Fistel  im  Gehörgang,  einmal  durch  Funktionsprüfung  und  Sondierung 
festgestellte  Labyrinthnekrose,  einmal  rasche  Abnahme  des  Gehörs  neben 
fötider  Eiterung.  Bei  3  Fällen  war  ausserdem  eine  Fazialisparalyse 
zu  konstatieren. 

Wenn  man  nach  der  Ursache  forscht,  welche  bei  den  7  Kindern 
das  Absterben  des  Knochens  veranlasste,  so  ist  zu  erwähnen,  dass  es 
sich  bei  5  wohl  um  eine  Mastoiditis  tuberculosa  gebandelt  haben  dürfte. 


in  d.  Münchn.  otiatr.  Klinik  zur  Aasfähr,  gekomm.  Totalaufmeissl.     349 

Ein  bakteriologischer  oder  histologischer  Beweis  liegt  nicht  vor,  doch 
waren  diese  Kinder  meist  heriditär  belastet  und  kränklich.  2  litten 
gleichzeitig  an  DrOsenabszessen,  1  an  Kyphose,  bei  einem  trat  ein 
Langenleiden  während  der  Nachbehandlung  auf,  eines  hatte  die  Ohr- 
eitemng  nach  einer  Lungenentzündung  erworben.  Das  6.  Kind  hatte 
die  Otitis  nach  einer  Infektionskrankheit  (Masern)  bekommen.  Bei  dem 
7.  findet  sich  keine  Notiz  über  Heridität  oder  Allgemeinzustand. 

In  diesen  Fällen  erwies  sich  die  Wegmeisslung  der  hinteren  Gehör- 
gangswand  meist  erst  während  der  Operation  durch  die  Ausdehnung  des 
nekrotisierenden  Knochenprozesses  als  notwendig.  Zahlreiche  ähnliche 
Fälle  mit  gerfngerer  Ausbreitung  der  Nekrose,  bei  welchen  die  ein- 
fache Aufmeisslung  resp.  Sequestrotomie  ohne  Entfernung  der  hinteren 
Gehörgangswand  genügte,  sind  in  dieser  Zusammenstellung  nicht  auf- 
gezählt. 

Die  Sequesterbildung  hatte  sich  in  4  Fällen  noch  nicht  ganz  voll- 
zogen und  es  fand  sich  der  kranke  Knochen  nur  mehr  oder  weniger 
deutlich  von  dem  gesunden  abgegrenzt  durch  seine  Rauhigkeit  und 
grau-grünliche  oder  schwärzliche  Verfärbung  auf  der  Aussenfläche  des 
Warzenteils,  durch  seine  brüchige  Beschaffenheit  und  sein  missfarbenes 
Aussehen  im  Inneren  bis  zur  Paukenhöhle  und  zum  Antrum.  Kleine 
Sequesterchen  waren  jedoch  auch  schon  hier  vorhanden  oder  stiessen 
sich  noch  während  der  Nachbehandlung  ab. 

Schon  vollendet  war  die  Sequestrierung  bei  den  übrigen  8  Kindern, 
so  dass  der  Sequester  aus  den  einschliessenden  Granulationen  einfach 
mit  der  Kornzange  gehoben  werden  konnte.  Er  war  im  allgemeinen 
von  ähnlicher  Form  und  Grösse  und  stellte  ein  pyramidenförmiges  Stück 
Knochen  dar,  dessen  Seiten  von  der  Aussenfläche  des  Warzenteils,  von 
der  hinteren  Gehörgangs  wand  und  der  Aussenfläche  des  Antrum  (einmal 
von  Zellwänden)  gebildet  \('urden. 

Unter  den  Erwachsenen  betrifft  der  erste  Fall  einen  Mann  mit 
noch  nicht  sehr  ausgedehnter  Lungentuberkulose,  bei  dem  eine  Mittel- 
ohreiterung vollkommen  unter  dem  Bilde  der  Otitis  media  acuta  be- 
gonnen hatte  und  die  einfache  Aufmeisslung  gemacht  worden  war.  Die- 
Eiterung  blieb  jedoch  fötid,  in  der  Wundhöhle  fühlte  man  ausgedehnt 
biossliegenden  Knochen  und,  da  plötzlich  sich  das  Gehör  bedeutend  ver- 
schlechterte, wurde  die  Totalaufmeisslung  vorgenommen,  wobei  die  ganze 
hintere  Gehörgang?wand  sich  als  brüchig  erwies.  Bei  der  letzten  Notiz, 
7  Wochen  nach  der  Operation,  war  die  ganze  Höhle  epidermisiert  und 
nur   noch    geringe    geruchlose    Sekretion    vorhanden,    ein    Beweis,    dass 


:)50     A.  T.  Bnppert:  Bericht  über  die  während  der  Jahre  1892—1901 

anch  bei  Tuberkaiose,  besonders  wenn  der  Allgemeinzustand  noch  gut 
ist,  die  Operation  einen  Vorteil  fflr  den  Patienten  bedentet. 

Zweimal  war  bei  Erwachsenen  Labyrinthnekrose  vorhanden.  Im 
einen  Fall  war  die  Totalanfmeisslong  durch  Fistelbildnng  hinter  dem 
Ohr  (von  einer  Operation  auswärts  herrührend)  mit  rauhem  Knochen 
in  der  Tiefe  neben  starker  Eiterung  und  Eop&chmerzen  indiziert,  im 
andern  Fall  durch  kaum  zu  beherrschende  und  sich  stets  wieder  er- 
neuernde Granulationsbildung  in  der  Paukenhöhle  bei  profuser  Sekretion. 
Bei  der  Operation  hatte  sich  der  Labyrinthsequester  noch  nicht  so  weit 
herausgeschoben,  dass  er  entfernt  werden  konnte;  er  stiess  sich  erst 
2  resp.  7  Monate  später  aus  und  bestand  in  ersterem  -Fall  aus  einem 
Teil  der  ersten  Schneckenwindung,  in  letzterem  aus  einem  Teil  des  Yor- 
hofs  mit  den  halbzirkelförmigen  Kanälen.  Bei  diesem  Patienten  trat 
Fazialislähmung  auf  nach  einer  2.  Operation  (Entfernung  des  hinteren 
Teils  der  Promontorialwand),  bei  dem  anderen  war  eine  solche  zur  Zeit 
des  Eintritts  in  die  Behandlung,  nachdem  sie  2  Monate  früher  be- 
standen hatte,  schon  wieder  völlig  verschwunden. 

In  dem  letzten  elften  Nekrosefall  handelte  es  sich  um  eine 
Lnetikerin,  die  mit  ausgedehnter  Schwellung  hinter  und  unter  dem  Obr, 
Fazialisparalyse  und  Taubheit,  alles  die  Folgen  einer  seit  einem  Jahr 
bestehenden  linksseitigen  Mittelohreiterung,  in  Behandlung  kam.  Der 
Operationsbefund  ergab:  3  Fisteln  auf  dem  Warzenteil  und  zwischen 
den  Fisteln  nackten  Knochen;  die  ganze  hintere  Gehörgangswand  bricht 
in  einem  Stück  ein;  im  Warzenteil  eine  hühnereigrosse,  mit  schlaffen 
Granulationen  gefüllte  Höhle.  Nach  der  Operation  schritt  der  Nekro- 
tisierungsprozess  unter  wiederholter  Abstossung  von  Sequestern  weiter 
und  4  Monate  später  traten  heftige  Kopfschmerzen  und  Delirien  auf. 
Die  Erscheinungen  wurden  auf  ein  Hirngumma  zurückgeführt;  als  die 
Patientin  jedoch  starb,  ergab  die  Sektion  einen  Abszess  im  linken 
Schläfenlappen. 

Endokranielle  Komplikationen  waren  somit  in  den  Fällen  reiner 
Nekrose  nur  bei  dem  letzterwähnten  Fall  von  Lues  vorhanden,  der  auch 
als  der  einzige  zum  Exitus  kam ;  von  den  7  Kindern  standen  allerdings 
2  nur  4  Wochen  lang  nach  der  Operation,  also  nicht  bis  zur  voll- 
ständigen Heilung,  in  Beobachtung. 

C.  Einfache  chronische  Mittelohreiterung. 

3  Fälle  von  chronischer  Mittelohreiterung  kamen  zur  Totalauf- 
meisslang,  bei  denen  weder  Cholesteatom  noch  Nekrose  vorlag. 


in  d.  Münchn.  otiatr.  Klinik  zur  Ausführ,  gekoinm.  Totalaufmeissl.     351 

Ein  Patient  wies  eine  starke  konzentrische  Verengerung  des  Gehör- 
gangs auf,  welche  eine  sorgfältige  Reinigung  in  der  Tiefe  unmöglich 
machte,  so  dass  die  fötide  Eiterung  nicht  zum  Stillstand  gebracht 
werden  konnte.  Wegen  Andauer  des  Fötors  wurde  auch  der  2.  Fall 
operiert,  bei  dem  eine  randständige  Trommelfellperforation  vorlag, 
Cholesteatommassen  jedoch  nie  entfernt  worden  waren.  Bei  dem  dritten 
gaben  heftige  Drehschwindel- Erscheinungen  die  Indikation  ab. 

Der  Befand  im  Warzenteil  war  bei  allen  der  gleiche :  Das  Antrum 
nicht  vergrössert  und  nur  mit  Granulationen  und  schleimig-eitrigem 
Sekret  gefüllt.  Der  das  Antrum  einschli^ssende  Knochen  war  ebenso 
wie  bei  der  Mehrzahl  der  Cholesteatome  vollkommen  sklerotisch. 

In  einem  Falle  wurde  die  Dura  der  mittleren  Schädelgrube  und 
in  einem  Falle  der  Sinus  blossgelegt  und  normal  gefunden. 

Alle  3  Fälle  kamen  zur  Heilung. 

Nachbehandlung  und  Ausgang. 

Was  die  Nachbehandlung  anlangt,  so  bleibt  der  erste  Verband, 
wenn  nicht  Temperatursteigerungen  und  sonstige  Allgemeinerscheinungen 
oder  besonders  starke  Sekretion  durch  den  Verband  hindurch  auftreten, 
gewöhnlich  6 — 7  Tage  liegen.  Beim  Verbandwechsel  wird  jedesmal 
die  Höhle  mit  Borsäure-Injektion  gereinigt,  sorgfältig  mit  watte- 
umwickelter Sonde  ausgetrocknet  und  dann  Borsäurepulver  insuffliert, 
hierauf  sehr  locker  mit  Jodoformgaze  tamponiert,  später  nur  mehr  am 
Eingang  der  Operationsöffnung,  um  nicht  durch  Reizung  vermehrte 
Granulationsbildung  zu  veranlassen.  Bei  Kindern  ist  dieselbe  jedoch 
oft  kaum  einzudämmen,  wodurch  sich  die  Nachbehandlung  bei  ihnen 
meist  schwieriger  als  bei  Erwachsenen  gestaltet. 

Ausser  den  schon  bei  den  endokraniellen  Komplikationen  und  bei 
den  Nekrose-Fällen  erwähnten  Nachoperationen  waren  nur  bei  wenigen 
Fällen  kleinere  Eingriffe  wie  Abtragung  von  Granulationen  oder 
Spaltung  von  neugebildeten  Synechien  nötig. 

Über  das  definitive  Resultat  der  Operation  fehlen  die  Angaben  bei 
10  Fällen,  teils  weil  sie  zur  Nachbehandlung  bald  nach  auswärts  ent- 
lassen wurden,  teils  weil  sie  eigenmächtig  weggeblieben  sind. 

Bei  2  weiteren  Fällen  bestand  bei  der  letzten  Notiz  3  resp.  3  ^/j 
Monate  nach  der  Operation  die  Eiterung  noch  fort. 

13  Patienten  sind  gestorben. 

Die  Sekretion  kam  nie  vollkommen  zum  Stillstand  bei  4  Fällen, 
sämtlich   mit   Cholesteatombildung.     In   3   Fällen   davon   bestand   stets 


352     A.  T.  Bappert:  Bericht  über  die  «ährend  der  Jahre  1892—1901 

eine  geringe  geruchlose  Absondening  von  Schleim  ent^reder  im  Antrum 
oder  in  der  Tabengegend  fort,  von  nichtepidermisierten  Schleimhaut- 
flächen  ausgehend.  Im  vierten,  bei  dem  rflckwärts  ein  Yerschlass  der 
Wunde  erzielt  worden  war,  lag  der  Grund  für  das  Fortbestehen  der 
Eiterung  vermutlich  in  einem  Becessus  der  Operationshöhle  nach  ab- 
wärts \und  rückwärts,  der  bei  einer  ungenügenden  Nachbehandlung  aus- 
wärts vom  -Gehörgang  aus  nicht  gereinigt  werden  konnte.  Es  wurde 
deshalb  nach  einigen  Jahren  durch  Anlegung  einer  persistenten  retro- 
aurikulären  ÖEuuug  auch  dieser  Teil  der  Behandlung  besser  zugänglich 
gemacht. 

Zum  Stillstand  gelangte  die  Eiterung  bei  36  Patienten   und    zwar 
bei  3  nach  5  Wochen, 

*  3      *      6 

*  5       «       7         « 

*  1       *      8 
<    3       *      9 

*  5      *    10 

*  4      *    11 

*  1       «    13 
«    3      *    14 

und  bei  je  einem  nach  16,   17,  24,  28,  34  und  52  Wochen. 

Bei  2  Fällen  ist  der  Zeitpunkt,  wann  die  Eiterung  sisticrte,  nicht 
angegeben,  und  e^  ist  nur  bei  einer  späteren  Kontrolle  vermerkt,  dass 
das  Ohr  trocken  geblieben  sei. 

Sieht  man  von  diesen  beiden  letzten  Patienten  ab,  so  beträgt  die 
durchschnittliche  Ileilungsdauer  12^  ^  Wochen,  also  ca.  3  Monate. 
Diese  Durchschnittsdauer  wird,  wie  aus  der  l'bersicht  erkenntlich,  durch 
die  letzten  langdauernden  Fälle  sehr  in  die  Höhe  geschraubt;  in 
Wirklichkeit  befinden  sich  24  Fälle,  also  über  ^/g  unter  diesem  Durch- 
schnitt. 

In  den  ersten  Jahren  wurde  die  Erhaltung  einer  retroaurikulären 
Öffnung  bevorzugt  und  mehr  angestrebt  als  in  den  späteren  Jahren,  wo 
man  sich  mehr  nach  der  Grösse  der  Höhle  richtete  und,  wenn  diese 
nicht  sehr  ausgedehnt  war,  einen  Verschluss  der  Wunde  hinter  dem 
Ohr  herbeiführte.  Der  Vorteil  der  bequemeren  und  übersichtlicheren 
Nachbehandlung  bei  einem  eventuellen  späteren  Rezidiv  besonders  auch 
durch  den  Nichtspezialarzt  spricht  sehr  zu  Gunsten  der  persistenten 
Öffnung  hinter  dem  Ohr  und  auch,  was  das  kosmetische  Resultat  an- 
langt, ist  die  persistente  Öffnung,   deren  Durchmesser   fast  durchgängig 


in  d.  Mttnchn.  otiatr.  Klinik  zur  Ausfuhr,  gekomm.  Totalaufmeis«!.     353 

1 — 2  cm  nicht  überschreitet  ihid  die'  so  weit  nach  vorwärts  gelegt 
wurde,  dass  sie  von  der  Muschel  gedeckt  wird,  nicht  wesentlich  mehr 
entstellend  als  ein  operativ  erweiterter  Gehörgangseingang,  wie  er  bei 
Verschluss  der  rückwärtigen  Öffnung  notwendig  wird. 

Rezidive. 

Dass  durch  die  Totalaufmeisslung  keine  Radikaloperation  d.  h. 
keine  dauernde  Heilung  der  chronischen  Mittelohreiterung  mit  Sicherheit 
erzielt  werden  kann,  geht  auch  aus  dem  weiteren  Verlauf  von  manchem 
der  vorliegenden  Fälle  hervor,  wenngleich  sich  ein  richtiges  Bild 
von  der  Häufigkeit  der  sogenannten  Rezidive  nicht  ergeben  kann,  da 
nur  wenige  Patienten  stets  in  Kontrolle  bleiben  und  dies  dann  natur- 
gemäfs  meist  solche  sind,  welche  sich  gezwungen  wieder  vorstellen,  d.  h. 
solche,  die  eben  ein  Rezidiv  bekommen  haben. 

Notizen  über  Kontrolle  von  2 — 6  Jahren,  wobei  die  Operations- 
höhle stets  trocken  war,  finden  sich  bei  8  Patienten. 

Bei  einem  weiteren  Patienten  stellte  sich  schon  nach  ^f^  Jahr,  bei 
je  einem  nach  1,  2,  5,  7  Jahren  wieder  Eiterung  in  dem  operierten 
Ohr  ein,  die  bei  einigen  öfter  wiederkehrte.  Bei  einer  Patientin  hatte 
sich  nach  4  Jahren  ein  Schimmelrasen  in  der  durch  die  retroaurikuläre 
Öffnung  frei  zugänglichen  Höhle  gebildet,  bei  einer  weiteren  l^'g  Jahr 
nach  der  Operation  eine  Borke  und  darunter  eine  Granulation ;  ein  Fall 
stellte  sich  nach  12  Jahren  wieder  zum  erstenmal  vor,  wobei  die  ganze 
grosse  Operationshöhle  vollkommen  mit  Epidermismassen  und  einer 
grossen  Wucherung  ausgefüllt  war. 

Diese  spärlichen  Notizen  dürften  jedoch  ziemlich  hinter  der  Häufig- 
keit der  Rezidive  xurtickbleiben,  besonders  wenn  man  darunter  auch 
die  Ansammlung  von  abgestossenen  Hautlamellen  versteht,  die  ja  fast 
bei  allen  Fällen  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  stattfindet.  Ob  die 
liegengebliebenen  Hautpfröpfe  dann  als  Fremdkörper  noch  Eiterung  er- 
regen, ist  oft  lediglich  davon  abhängig,  dass  sie  nicht  frühzeitig  genug 
entfernt  werden,  oder  es  kommt  dadurch  zur  Sekretion,  dass  Flüssigkeit 
in  die  Höhle  gelangt  und  Zersetzung  der  Epidermislamellen  veranlasst. 
Im  allgemeinen  sistiert  die  Eiterung  rasch  wieder  nach  der  Entfernung 
der  angesammelten  Hautmassen.  Immerhin  hat  sich  eine  Kontrolle 
nach  der  Totalaufmeisslung  in  regelmäfsigen  Zeiträumen  als  durchaus 
notwendig  erwiesen,  denn  die  Möglichkeit,  dass  auch  bei  einer  voll- 
kommen freiliegenden  Höhle  hinter  ausfüllenden  Epidermismassen  eine 
Eiterung  und  Retention  eintritt,  ist  nicht  ganz  von  der  Hand  zu  weisen. 


354     A.  V.  Ruppert:   Bericht  über  die  während  der  Jahre  1892—1901 

wenngleich  wir  eine  gefahrdrohende  Komplikation  von  diesen  nachträg- 
lichen Rezidiven  sich  niemals  entwickeln  sahen. 

Gehör  vor  und  nach  der  Totalaufmeisslung. 
Die  Funktion  des  Ohres  wurde  vor  der  Operation  regelmäfsig  mit 
der   Sprache   und   mit   der   unbelasteten   a^  Stimmgabel  in   liUft-   und 
Enochenleitung  geprüft;  nur  bei  3  Patienten  fehlt  eine  Notiz   und   bei 
9  war  die  Hörprüfung  wegen  kindlichen  Alters  nicht  möglich. 

6  weitere  Gehörorgane   gehörten    5  Taubstummen  an   —   ein  Fall 
wurde  doppelseitig  operiert. 

Bei    den    übrigen    47    ergab    die    Hörprüfung   vor    der   Operation 
folgendes  Resultat: 

6  mal  wurde  die  Stimmgabel  a  ^  per  Luft  nicht  mehr  und  vom 
Scheitel  in  das  gesunde  Ohr  gehört,  d.  h.  es  wurde  mittels  dieses  ein- 
fachen, für  praktische  Zwecke  genügenden  Versuches  Taubheit  konstatiert. 
Bei  41  Patienten  war  Gehör  vorhanden  und  zwar  bei  2  nur  ein 
ganz  minimaler  Rest,  indem  a^  per  Luft  nicht  gehört,  jedoch  vom 
Scheitel  noch  sicher  in's  kranke  Ohr  verlegt  wurde:  ferner  wurde  ge- 
hört: Flüstersprache  am  Ohr  unsicher,  a^  per  Luft  jedoch  sicher  und 
vom  Scheitel  in's  kranke  Ohr  von  17  Patienten. 

Flüstersprache  bis  zu  10  cm  Entfernung  von   10  Patienten, 
«  ««20  cm  «  «4         « 

«  «     «    30  cm  «  «       4         « 

«  «     «    40  cm  «  «       1  « 

«  «     «    50  cm  «  «       2  « 

«  ««80  cm  «  «1  « 

Über  die  Hörweite  nach  der  Totalaufmeisslung  liegen  leider  nur 
bei   15  schon  vorher  geprüften  Fällen  Notizen  vor. 

In  7  Fällen  davon  war  kein  oder  kein  wesentlicher  Unterschied - 
zu  konstatieren,  d.  h.  es  betrug  in  keinem  dieser  Fälle  der  Unterschied 
der  Hörweite  für  Flüstersprache  mehr  als -10  cm. 

Eine  Besserung  der  Hörweite  wurde  konstatiert  in  7  Fällen,  davon 
2  mal  von  Flüstersprache  unsicher  auf  Flüstersprache  25  cm, 
1    «      «  «  nicht         «  «  50  cm, 

1««  «  4  cm«  «  6     Meter, 

1     «       «  «  20  cm       «  «  5  Va     * 

1««  «  80  cm«  «  5« 

Unter  diesen  3  letzten  Fällen  mit  so  bedeutender  Hörbesserung 
waren    2    mit  Perforation   der   Membrana  Shrapnelli,   bei   welchen    die 


r 


in  d.  Münchn.  otiatr.  Klinik  zur  Ausführ,  gekomm.  Totalanfmeissl.     355 

Totalanfmeissluüg  mit  Erhaltang  des  Trommelfells  und  der  Gehör- 
knöchelchen durchgeführt  wurde.  Über  den  3.  Fall  fehlt  eine  dies- 
bezügliche Notiz. 

Eine  Hör  Verschlechterung  trat  ein  in  2  Fällen.  Einmal  sank  die 
Hörweite  für  Flüstersprache  von  30  cm  auf  10  cm.  Der  andere  Patient, 
der  mit  Schwindelerscheinungen  in  Behandlung  trat,  hatte  vor  der  Ope- 
ration a^  per  Luft  noch  gehört:  3  Monate  nachher  war  jedoch  auch 
dieser  Hörrest  geschwunden  und  Taubheit  eingetreten. 

Mortalität. 

Unter  den  65  Fällen  von  Totalaufmeisslung  kamen  13  zum 
Exitus  =  20  °/(j.  Dieser  Prozentsatz  erscheint  auf  den  ersten  Blick 
als  ein  verhältnismäfisig  hoher,  ist  jedoch  nicht  geeignet,  ein 
Bild  von  der  Mortalität  der  Totalaufmeisslung  überhaupt,  d.  h.  im 
Vergleich  mit  den  Ziffern  anderer  Kliniken  zu  geben,  da  die  Vor- 
bedingung hiezu  eine  überall  gleiche  Indikationsstellung  wäre.  Diese 
bewegt  sich  an  der  Münchener  Ohrenklinik  in  sehr  engen  Grenzen,  was 
ja  aus  der  geringen  Zahl  von  Operationen  (65  in  10  Jahren)  wie  aus 
den  früher  angegebenen  Indikationen  hervorgeht,  welche  mit  Ausnahme 
der  10  prophylaktischen  Operationen  fast  alle  als  momentan  dringende  zu 
bezeichnen  sind.  Die  Mortalität  wird  natürlich  um  so  geringer,  je 
weiter  die  Grenzen  für  die  Indikationsstellung  gezogen  werden  und  je 
mehr  Fälle,  bei  denen  nicht  eine  Indicatio  vitalis  vorliegt,  zur  Total- 
aufmeisslung kommen.  Die  Operation  bildet  ja  nur  einen  kleinen  Teil 
unseres  gesamten  therapeutischen  Vorgehens ;  es  kann  sich  also  ein  Bild 
vom  Wert  der  ganzen  Behandlungsmethode  der  chionischen  MJttelohr- 
eiterung  nur  ergeben,  wenn  man  die  Todesfälle  —  natürlich  die  ohne 
Operation  Gestorbenen  mit  eingerechnet  —  in  ein  Verhältnis  setzt  zur 
Zahl  sämtlicher  im  gleichen  Zeiträum  behandelten  chronischen  Mittel- 
ohreiterungen. Die  an  den  Folgen  einer  chronischen  Mittelohreiterung 
letal  geendeten  Fälle  in  dem  Zeitraum  von  1892 — 1901  sind: 

1.  13  Patienten  starben  von  den  65  zuf  Totalaufmeisslung  Gekommenen. 

2.  2  Fälle  von  akutem  Rezidiv  einer  chronischen  Mittelohreiterung 
bei  zentraler  Trommelfellperforation,  bei  denen  nur  eine  einfache 
Eröffnung  des  Antrum  und  der  Zellen  vorgenommen  wurde,  starben 
an  allgemeiner  Sepsis.^) 

1)  B  e  z  0 1  d :  Allgemeine  Sepsis  bei  chronischer  Mittelohreiterung  mit  zentral 
gelegener  Troramelfellperforation.    Zeitschr.  f.  Ohrenh.  XLII,  Heft  2. 


356     A.  V.  Buppert:  Bericht  über  die  während  der  Jahre  1892—1901 

3.  Bei  7  Fällen  mit  letalem  Aasgang,  die  sämtlich  schon  mit  schweren 
Komplikationen  eingeliefert  wnrden,  war  keine  Operation  mehr 
vorgenommen  worden.  Die  Sektion  ergab  in  6  Fällen  davon 
Cholesteatom,  zweimal  mit  Schläfenlappen-,  zweimal  mit  Kleinhim- 
abszess,  einmal  mit  Sinusthrombose  and  einmal  mit  Meningitis. 
Im  7.  Falle  mit  Fazialis-Paralyse  fanden  sich  verkäste  Tuberkeln 
in  der  Fossala  petrosa. 

Es  starben  mithin  in  den  10  Jahren  von  1450  an  chronischer 
Mittelohreiternng  leidenden  Patienten  22  =  1,52%.  Es  übertrifft  diese 
Ziffer  nur  um  weniges  die  früher  von  Bezold  (Arch.  f.  Ohrenh. 
21.  Bd.,  221)  angegebene  Mortalitätsziffer  von  1,2%,  welche  auch  die 
Privatkranken  umfasst. 

In  den  eingangs  erwähnten  beiden  Statistiken  von  Leim  er  über 
im  ganzen  97  Operationen  bei  akuten  Mittelohreiterungen  im  gleichen 
Zeitraum  ist  die  Gesamtzahl  der  behandelten  akuten  Mittelohrentzündungen 
nicht  angegeben,  es  ist  deshalb  auch  nicht  zu  entnehmen,  in  welchem 
Verhältnis  Operationen  und  Todesfälle  zur  Gesamtzahl  stehen.  Zum 
Vergleich  möchte  ich  jedoch  anführen,  dass  nach  Dölgers  Zusammen- 
stellung^) von  1897—1901  über  das  von  Bezold  klinisch  und  in 
Privatpraxis  beobachtete  Krankenmaterial  sich  unter  530  Fällen  von 
akuter  Mittelohreiterung  10  oder  1,9  "/^  Todesfälle  ergeben  haben. 
Scheibe  verzeichnet  bei  der  Gesamtzahl  seiner  akuten  Mittelohr- 
entzündungen der  Jahre  1890—1901  0,7  ^/^  Todesfälle  vom  Ohr  aus. 
Zu  letzterer  Prozentzahl  ist  zu  bemerken,  dass  in  der  Privatpraxis,  in 
welcher  die  im  terminalen  Stadium  einlaufenden  Komplikationen  viel 
seltener  sind  als  an  einem  grossen  Krankenhause,  die  Mortalitätszahlen 
durchgängig  viel  kleiner  ausfallen.  So  geht  aus  der  Zusammenstellung 
von  Dölger  hervor,  dass  in  Bezolds  Privatpraxis  in  den  Jahren 
1881  —  96  unter  2888  akuten  und  chronischen  Mittelohreiterungen 
nur  20  oder  0,7  ";\,  tötliche  Komplikationen  vom  Ohr  aus  und  in  den 
Jahren  1897  bis  1901  sogar  nur  1  oder  0,2  ^/o  unter  591  Mittelohr- 
eiterungen sich  befunden  haben. 

Bei  den  vorliegenden  letalen  Fällen  von  den  Totalaufmeisslungen 
handelte  es  sich  sämtlich  um  solche,  die  schon  mit  schweren  Komplikations- 
erscheinungen  in  unsere  Behandlung  traten,   so  dass  die  Operation  den 


^)  Die  Mittelohreiterangen  auf  Grundlage  der  statistischen  Berichte 
Bezolds  (1869 — 1896)  und  einer  eigenen  Fortsetzung  derselben  bis  zum  Jahre 
1901  inkl.,  bearbeitet  von  Dr.  E.  Dölger.  München  1908,  Lehmanns  Verlag. 


in  d.  Münchn.  otiatr.  Klinik  zur  Ausführ,  gekomm.  Totalauf raei^sl.     357 

Exitus  nicht  mehr  zu  verhindern  vermochte.  Der  Umstand,  dass  von 
6  Sinusthrombosen  nur  eine  in  Heilung  überging,  ist  wohl  dem  teil- 
weise schon  längeren  Bestehen  der  Thrombose  zuzuschreiben,  deutet 
aber  doch  im  allgemeinen  auf  einen  schweren  Verlauf  der  infolge 
chronischer  Mittelohreiterung  entstandenen  Sinuserkrankungen  hin; 
denn  von  den  im  gleichen  Zeitraum  operierten  5  Sinusthrombosen  bei 
Otitis  media  acuta  in  der  Leim  er  sehen  Statistik  endeten  2  letal  und 
kamen  3  zur  Heilung.  Eine  Scheidung  nach  der  akuten  und  chronischen 
Form  der  Eiterung  dürfte  sich  deshalb  in  Zukunft  bei  der  Statistik 
der  Sinusthrombosen  sehr  empfehlen.  Die  MortalitätszifFer  der  mit 
Eröffnung  des  Sinus  resp.  Unterbindung  der  Jugularis  operierten  Fälle 
von  Sinusthrombose  hat  sich  jedoch  in  den  letzten  5  Jahren  auch  bei 
den  chronischen  Eiterungen  unserer  Klinik  wesentlich  günstiger  gestellt, 
indem  von  3  Fällen  2  zur  Heilung  gelangten. 

Als  erfreuliches  Zeichen  der  Ausbreitung  einer  sachgemäfsen 
Behandlung  der  chronischen  Mittelohreiterung  darf  weiterhin  die  in  den 
letzten  Jahren  beobachtete  Tatsache  gelten,  dass  bei  einer  steigenden 
Patientenzahl  des  Ambulatoriums  und  der  otiatrischen  Klinik  die  Zahl 
der  mit  Komplikationen  eingebrachten  Fälle  sank  und  mithin  auch  die 
Zahl  der  Totalaufmeisslungen  abgenommen  hat.  Möge  auch  die  vor- 
liegende Zusammenstellung  dazu  beitragen,  dass  die  Zahl  der  Fälle 
immer  seltener  wird,  deren  Schicksal  durch  den  bereits  erfolgten  Eintritt 
von  tötlichen  Komplikationen  infolge  zu  später  Einlieferung  unabänderlich 
geworden  ist. 

Eingehenderen  Bericht  ücer  die  Sektionsergebnisse  sowohl 
der  operierten  als  der  nicht  operierten  Todesfälle  aus  der  Münchener 
otiatrischen  Klinik  wird  Herr  Professor  Bezold  in  einer  späteren 
Arbeit  geben. 


Bericht 

Ob«r  die 

Leistungen  und  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Ohrenheilkunde, 
der  Rhinologie  und  der  Übrigen  Grenzgebiete 

im  z^A^eiten  Quartal  des  Jahres  1907. 
Zusammengestellt  von  Professor  Dr.  Arthur  Hartmann. 

-^ 

Anatomie  und  Physiologie. 

509.  Cheatle,  Arthur  H.    Infantile  Typen  des  Warzenfortsatzes  tei  96  Präpa- 

raten.   Journal  of  Laryng.,  Rhinol,  und  Otology.    Juni  1907. 

Als  infantil  beschreibt  Ch.  einen  diploischen  Warzenfortsatz,  bei 
welchem  das  Antrum  durch  eine  kompakte  Knochenschicht  von  der 
Oberfläche  getrennt  ist.  3  Abbildungen  aus  einer  Sammlung  von  500 
Schläfenbeinen.  Unter  diesen  Verhältnissen  kann  1.  die  Eiterung  nicht 
auf  den  Warzenfortsatz  übergreifen,  2.  die  äusseren  Zeichen  eines 
akuten  Antrumempyems  sind  nicht  vorhanden  oder  gering,  3.  die  Aus- 
breitung einer  Infektion  findet  leichter  in  die  Schädelhöhle  oder  in  das 
Labyrinth  statt. 

510.  Galamida,  U.,  Turin.     Vari^t^s  et  anomalies  mastoidiennes.     Arch.  itit. 

d'otol.  etc.  Bd.  23,  Nr.  2. 
An  Hand  von  400  Warzenfortsatzoperationeu  der  Gradenigo- 
schen  Klinik  studierte  C.  Grösse  und  Lage  des  Antrums  und  der 
übrigen  W'arzenfortsatzzellen  und  notierte  sich  die  verschiedenen 
Varietäten  und  Anomalien.  Seine  Befunde  lassen  sich  nicht  vergleichen 
mit  den  zuverlässigeren  Resultaten,  die  an  Leichenmaterial  gefunden 
werden.  Bei  3,25  ^/o  der  Fälle,  (10  mal  rechts  und  3  mal  links), 
reichte  der  Sinus  bis  nahe  an  die  vordere  Gehörgangswand  heran. 

Oppikofer  (Basel). 

511.  Cover,  M.  R.    Einige  Variationen   in   den  Stirnhöhlen.    Journ.  Americ. 

Med.  Assoc.  26.  Jan.  1907. 
Der  Verf.  illustriert  und  beschreibt  die  verschiedenen  Variationen. 
Er  fand  zwei  Fälle,   in  welchen    die    innere  W^and  fehlte   oder   unvoll- 
ständig war.     Zur   Erkennung    des   Verhaltens   der   Stirnhöhle   ist   die 
Durchleuchtung  gewöhnlich  ungenügend,    auch    die    klinische  Erfahrung 


Anatomie  und  Physiologie.  359 

hat  wenig  Wert,  da  nicht  zwei  F&lle  einander  gleich  sind.  Am  besten  Auf- 
klärung gibt  ein  stereoskopisches  Radiogramm.     Clemens  (New- York). 

512.  Ewald.  J.  Rieh,  und  Jäderholm,  G.  A.    Auch  alle  Geräusche  geben, 

wenn  sie  intermittiert  werden,   Intermittenztöne.    Pflflgers  Archiv  f. 
die  ges.  Physiologie  Bd.  115,  S.  555—563,  1906. 

Die  von  den  Autoren  benutzte  Versuchsanordnung  war  die  folgende  : 
Die  Geräusche  wurden  in  einem  gesonderten  Zimmer  erzeugt,  sodass 
sie  vom  Beobachter  direkt,  d.  h.  ohne  telephonische  Übertragung  nicht 
gehört  werden  konnten.  Sie  wurden  unmittelbar  auf  der  Platte  eines 
Aufnahmetelephones  hervorgebracht,  indem  auf  derselben  Schrotkörner 
in  Rotation  versetzt  wurden,  oder  Sand  hin-  und  hergerieben  oder  ein 
Wasserstrahl  aufgefangen  wurde.  In  jedem  dieser  Fälle  waren  die 
Geräusche  von  grösstmöglicher  Reinheit  und  keine  vereinzelten  Töne 
herauszuhören.  Die  Intermittenzen  wurden  durch  Unterbrechungen  der 
Leitung  erzeugt,  die  das  Aufnahmetelephon  mit  dem  Abgabetelephon, 
an  welchem  beobachtet  ward,  verband.  Zu  den  Unterbrechungen  dienten 
abwechselnd  zwei  Stimmgabeln,  von  denen  die  eine  100,  die  andere 
128  Schwingungen  pro  Sekunde  machte.  Die  elektrisch  betriebene 
ünterbrechergabel  schloss  mittelst  eines  mit  der  einen  Zinke  in  Ver- 
bindung stehenden  harten  Metallkontaktes  bei  jedem  Niedergang  der 
Zinke  die  Leitung,  während  beim  Aufwärtsschwingen  die  Öffnung  er- 
folgte. Hierbei  wurde  stets  im  Aufnahmetelephon  die  100-  resp.  128- 
malige  Unterbrechung  des  Geräusches  als  ein  Ton  von  100  bezw.  128 
Schwingungen  gehört.  Da  nach  der  bekannten  Ewaldschen  Schnell- 
bildertheorie regelmässig  periodische  Unterbrechungen  nicht  nur  von 
Tönen  sondern  auch  von  Geräuschen  subjektive  Tonempfindungen  im 
Ohre  erzeugen  müssen,  so  betrachten  die  Autoren  ihre  Ergebnisse  als 
eine  Sttltze  der  E w a  1  d sehen  Ilörtheorie.  Leiderhaben  sie  aber  unter- 
lassen, den  Nachweis  zu  führen,  dass  die  in  Rede  stehenden  Unter- 
brechungstöne nicht  etwa  rein  physikalisch  in  der  Telephonmembran 
entstehen.  Referent  hält  gerade  dies  nach  seinen  vielen  Erfahrungen 
über  Membranklänge  und  Unterbrechungstöne  für  mehr  als  wahrschein- 
lich. Jedenfalls  sind  die  Ewald- Ja  der  ho  Im  sehen  Geräusch-Unter- 
brechungstöne, bevor  ihre  Entstehungsweise  nicht  aufgeklärt  ist,  für 
die  Theorie  des  Hörens  in  keiner  Weise  verwertbar. 

Karl  L.  Schaefer  (Berlin). 

513.  Geigel,   Würzburg.     Die   Bedeutung   der   Ohrmuschel    für    das    Hören. 

Münchn.  med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  30. 

Das  Hören  soll  hauptsächlich    durch  t'bersetzung   der  Schallwellen 


360     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

von  der  Luft  auf  den  Knorpel  der  Ohrmuschel  und  von  da  auf  den 
knorpligen  Gehörgang,  den  knöchernen  Gehörgang  und  auf  das  Trommel- 
fell zustande  kommen,  während  der  Luftleitung  bis  zum  Trommelfell 
viel  weniger  Bedeutung  beigemessen  wird.  Geigel  kommt  zu  diesem 
Schluss  durch  folgenden  Versuch:  Nähert  man  die  Hand  der  Ohr- 
muschel, zunächst  ohne  sie  zu  berühren,  so  wird  ein  Geräusch  lauter 
gehört,  berührt  man  nun  die  Muschel  selbst,  so  wird  das  Geräusch  un- 
vergleichlich intensiver.     Letzteres  kann  Refer.  nicht  bestätigen. 

Eine  Bekräftigung  seiner  Ansicht  sieht  Geigel  femer  darin,  dass 
bei  Verstopfung  des  Gehörganges  durch  Cerumen,  wenn  es  nur  das 
Trommelfell  nicht  berührt,  das  Gehör  nicht  herabgesetzt  sein  soll.  Diese 
Beobachtung  beruht  aber  sicherlich  auf  einem  Irrtum,  da  bei  lücken- 
loser Verstopfung  das  Gehör  bekanntlich  stark  herabgesetzt  ist. 

Scheibe  (München). 
514.   Abels,  Hans,   Dr.,  Wien.    Über  Nachempfindungen  im  Gebiete  des  kin- 
asthetischen  und  statischen  Sinnes.    Ein  Beitrag  zur  Lehre  vom  Be- 
wegungsschwindel  (Drehschwindel).  Zeitschr.  f.  Phys.  Bd.  43,  S.  268—269 
und  S.  374—422. 

Breuer,  Josef,  Wien.  Bemerkungen  zu  Dr.  Hans  Abels  Abhandlung: 
,Über  Nachempfindungen  im  Gebiete  des  kinästhetischen  und  statischen 
Sinnes*.    Ibid.  Bd.  45,  S.  78—84. 

Abels,  Hans,  Dr.,  Wien.  Ist  der  „Nachschwindel*  im  Endorgan  oder 
nervös  bedingt?  Zu  den  Bemerkungen  Dr.  Breuers  Ober  meine  Ab- 
handlung: Über  Nachempfindungen  im  Gebiete  des  kinästhetischen 
und  statischen  Sinnes.     Ibid.  Bd.  45,  S.  85—91. 

Die  ausgezeichnet  und  anregend  geschriebene  Arbeit  von  Dr.  Abels 
ist  eine  vorwiegend  kritische. 

Er  betrachtet  die  von  Mach,  Breuer,  Hitzig,  Jensen,  Ewald 
u.  a.  gefundenen  Tatsachen  vielfach  von  neuen  Gesichtspunkten  aus. 
Abels  will  vornehmlich  die  Hypothese  Breuers  über  den  Reizauslösungs- 
vorgang in  der  Ampulle  nicht  anerkennen.  Breuer  nimmt  bekanntlich 
an,  dass  z.  B.  im  Beginne  einer  Drehung  nach  rechts  die  Endolymphe 
im  rechten  horizontalen  Bogengänge  zurückbleibt  und  dadurch  die  Cupula 
auf  der  Crista  ampuUaris  des  rechten  Bogenganges  kanalwärts  verschiebt. 
Dauert  die  Drehung  längere  Zeit  an,  so  werde  allmählich  die  Cupula 
teils  durch  die  Elastizität  der  ßaarfortsätze,  teils  durch  die  Retraktion 
von  Schleimbändern  und  Schleimtropfen  allmählich  in  ihre  Normallage 
zurückgezogen.  Solange  dies  nicht  erreicht  ist,  dauere  die  Reizung  der 
Haarzellen  der  Crista  ampuUaris  und  damit  die  Empfindung  der  Drehung 
Abels  ist  der  Gedanke  unsympathisch,  dass  auf  diese  Weise  durch  den 


Anatomie  und  Physiologie.  361 

momentan  wirkenden  Reiz  eine  Empfindung  von  längerer  Dauer  aus- 
gelöst werde,  da  sich  die  Empfindungen  des  Vestibulär- Apparates  dadurch 
von  denen  aller  anderer  Sinnesorgane  unterscheiden  würden.  Für  die 
Tatsache,  dass  bei  länger  dauernder  Drehung  die  im  ersten  Moment  ent- 
standene Empfindung  längere  Zeit  anhält,  gibt  er  eine  andere  Erklärung. 
Er  meint,  dass  die  während  der  Drehung  ständig  wirkende  Zentrifugal- 
kraft, also  eine  beständig  wirksame  Beschleunigung  auch  längere  Zeit 
hindurch  empfunden  werde  und  dass  diese  die  Empfindung  der  Drehung 
ergänze.  Gegen  diese  Anschauung  von  Abels  wendet  sich  Breuer  in 
seiner  Erwiderung,  indem  er  hervorhebt,  dass  die  Zentrifugalkraft  nur 
die  Empfindung  der  Schiefstellung  der  Vertikale  verursache,  aber  mit 
der  Drehempfindung  nichts  zu  tun  habe.  Sehen  wir  von  der  Empfindung 
ab,  so  beobachten  wir  bei  längerer  Drehung  einen  längere  Zeit  anhalten- 
den vestibulären  Nystagmus.  Versuche,  die  Referent  auf  Drehstuhl  und 
Drehscheibe  ausgeführt  hat,  ergeben,  wie  ja  zu  erwarten  war,  dass  dieser 
Nystagmus  von  der  Zentrifugalkraft  vollkommen  unabhängig  ist.  Er 
kann  also  nur  vom  Bogengaugsapparate  herrühren.  Damit  muss  wohl 
Abels  Ansicht  darüber,  dass  der  momentan  in  der  Aropulle  wirkende 
Reiz  nur  einen  momentanen  Effekt  hat,  fallen  gelassen  werden  und  es 
kann  als  sicher  betrachtet  werden,  dass  dieser  Momentanreiz  eine  länger 
dauernde  Wirkung  hervorbringe,  die  einerseits  in  der  länger  dauernden 
Empfindung  der  Drelin,  g,  andererseits  in  dem  reflektorisch  hervor- 
gerufenen, länger  dauernden  Nystagmus  besteht.  Mit  dieser  Konstatierung 
ist  allerdings  die  Br%euersche  Hypothese  über  den  Reizauslösungsvorgang 
in  der  Ampulle  keineswegs  bewiesen.  Dies  könnte  überhaupt  nur  der 
direkte  Augenschein.  Man  kann  sich  ohne  weiteres  vorstellen,  dass  nur 
der  momentane  Endolympbstoss  als  vestibulärer  Reiz  wirksam  ist  und 
dass  die  Andauer  der  Empfindung  resp.  des  Nystagmus  durch  Auslösung 
von  bereit  gehaltenen  Spannkräften  in  den  betreffenden  Nervenzentren 
(Deiters scher  Kern)  zustande  komme.  Bis  zu  einem  gewissen  Grade 
ist  man  direkt  gezwungen  zur  Erklärung  des  Nystagmus  zentrale  Ur- 
sachen heranzuziehen.  Untersucht  man  nämlich,  sei  e<  den  Nystagmus 
während  der  Drehung,  sei  es  den  Nachnystagmus  bei  einer  grossen  Zahl 
von  Individuen,  so  fin«!"t  man  zunächst  enorme  Unterschiede  in  der 
Dauer  des  horizontalen  Nystagmus.  Die  äussersten  Grenzen  betragen 
15  Sekunden  und  2  Minuten.  Ferner  ergibt  sich  bei  einem  und  dem- 
selben Individuum  fast  regelmäfsig  ein  ganz  enormer  Unterschied  zwischen 
der  Dauer  des  horizontalen  und  des  rotatorischen  oder  vertikalen  Nystag- 
mus; während  die  Empfindung  der  Scheindrehung  bei  dem    horizontalen 

Zeitschrift  für  Ohrenheilkunde,  Hd.  LIV.  24 


862     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

Nachnystagmus  am  schwächsten  und  kürzesten  ist,  danert  dieser  oft 
1  V'jj  Minuten  länger,  als  der  rotatorische  oder  vertikale,  welche  letztere 
die  Dauer  von  15 — 20  Sekunden  nur  selten  überschreiten  (nach  zehn- 
maliger Drehung  in  ca  20  Sekunden).  Diese  Tatsachen  lassen  sieb 
nur  zentral  erklären,  da  sicherlich  der  Zustand  des  Sinnesorgans  solche 
Unterschiede  nicht  bedingen  kann. 

Auch  das  vom  Referenten  in  der  Sitzung  der  letzten  otologischen 
Gesellschaft  am  24.  Juni  1907  demonstrierte  Phänomen  des  in  der 
Drehrichtung  auftrenden  zweiten  Nachnystagmns  ist  nur  zentral  zu 
erklären.  Bei  der  Verfechtung  seines  Standpunktes,  dass  der  reizaus- 
lösende Endolymphstoss  nur  einen  momentanen  Effekt  hervorbringe, 
stützt  sich  Abels  insbesondere  auf  das  bekannte  Experiment  Ewalds 
mit  dem  pneumatischen  Hammer.  Hier  bewirkt  der  über  dem  Kanal 
angekettete  Glasharamer  tatsächlich  nur  eine  einmalige  langsame  Kopf- 
bewegung. Gegen  die  Ansicht  Abels  hat  bereits  Breuer  in  seiner 
Erwiderung  eingewendet,  dass  man  es  hier  sicherlich  mit  einem  durch 
Präparation  geschädigten  Nervapparat  zu  tun  habe,  und  dass  namentlich 
die  Cupula  sicherlich  abgerissen  worden  sei. 

Referent  hat  dem  Ewald  sehen  Versuch  analoge  Beobachtungen 
an  Menschen  mit  Labyrintfisteln  gemacht.  Hatte  der  Vestibular-Apparat 
seine  Erregbarkeit  für  Drehen  und  Ausspritzen  durch  den  Krankheits- 
prozess  bereits  teilweise  eingebtisst,  dann  hatte  Luftverdichtung  und 
Verdünnung  im  äusseren  Gehörgange  und  Druck  auf  die  Fistel  mit 
Wattebausch  oder  Sonde  nur  eine  einmalige  langsame  Augenbewegung 
zur  Folge.  In  Fällen  jedoch,  in  welchen  die  Erregbarkeit  nicht 
gelitten  hatte,  trat  bei  Luftverdichtung  und  Verdünnung  im  äusseren 
Gehörgange  oder  bei  direktem  Druck  auf  die  Fistel,  heftiger  Nystag- 
mus von  ca.  f)  Sekunden  Dauer  auf.  Es  ergaben  also  diese  Beobachtung 
eine  wenn  auch  recht  kurze  Nachdauer  des  momentanen  Reizes. 

Interessant  sind  die  Ausführungen  Dr.  Abels  über  den  galvanischen 
Nachschwindel.  Es  ist  eine  vor  Dr.  Abels  entschieden  zu  wenig 
gewürdigte  Tatsache,  dass  bei  Öffnung  eines  galvanischen  Stromes, 
Schwindel  und  Nystagmus  entsteht.  Befindet  sich  die  Katode  am 
rechten  Ohr,  so  entsteht  bei  Öffnung  des  Stromes  rotatorischer  Nystagmus 
nach  links,  genau  von  derselben  Art,  wie  wenn  die  Anode  rechts 
eingeschaltet  worden  wäre,  nur  von  geringerer  Intensität  und  Dauer. 
Abels  sieht  die  Ursache  dieses  Öffnungsschwindels  in  der  vorher- 
gegangenen längeren  Reizung  der  Centren  durch  den  galvanischen 
Strom.     Hierzu    ist   folgendes   zu   bemerken:    Befindet   sich   die  Katode 


Anatomie  and  Physiologie.  363 

am  Ohr,  so  wird  der  Nervus  vestibularis  in  Katelektrotonus  versetzt; 
dieser  bewirkt  an  und  für  sich  bereits  eine  dauernde  Reizung  des 
Nerven,  andrerseits  aber  steigert  er  die  Leitungsfähigkeit  des  Nerven, 
so  dass  von  der  Peripherie  kommende  Reize  leichter  fortgeleitet  werden. 
Breuer  hat  angenommen,  dass  in  beiden  Labyrinthen  eine  bestfindige 
leiseste  Bewegung  der  Endolymphe  vorhanden  sei,  die  als  Eigenreiz 
wirke.  Da  diese  Bewegung  in  beiden  Labyrinthen  symmetrisch  erfolge, 
so  heben  sich  de  norma  die  einander  entgegengesetzten  Reize  auf. 
Entsteht  nun  rechts  Katelektrotonus,  so  werden  die  Reize  vom  rechten 
Labyrinth  verstärkt  und  machen  Nystagmus  nach  rechts,  Auch  wenn 
man  die  Breuersche  Hypothese  vom  Eigenreiz  in  dieser  Form  nicht 
annimmt,  so  ist  man  doch  gezwungen  anzunehmen,  dass,  sei  es  von 
den  Sinneszellen,  sei  es  von  dem  Ganglion  vestibuläre  beständige  Reize 
dem  Deitersschen  zufliessen,  denn  die  Wirkung  der  Anode,  welche 
Nystagmus  nach  der  Gegenseite  verursacht,  lässt  sich  kaum  anders 
erklären,  als  dass  der  Anelektrotonus  das  Zuströmen  dieser  Reize  auf 
der  betreffenden  Seite  verhindere  und  dadurch  die  Gegenseite  über- 
wiegt. Das  Auftreten  des  Nystagmus  bei  Stromöffnung  erklärt  sich 
ebenfalls  daraus,  dass  nach  Aufhören  des  Katelektrotonus  eine  vorüber- 
gehende Herabsetzung  der  Leitungsfähigkeit  in  dem  gereizten  Nerven 
auftritt  und  dadurch  die  andere  Seite  überwiegt.  Möglich,  dass  für 
die  Entstehnng  des  Nystagmus  bei  der  Stromöffnung  nicht  bloss  die  am 
gereizten  Nerv  entstehende  Verminderung  der  Leitungsfähigkeit  eine 
Rolle  spielt,  sondern  dass  auch  zentrale  Vorgänge  beteiligt  sind.  Man 
kann  wohl  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  annehmen,  dass  die  beiden 
Deitersschen  Kerne  einen  beständigen  vestibulären  Tonus  der  Augen- 
muskel unterhalten,  indem  der  rechte  Deiters  sehe  Kern  beständig 
Inervationen  aussendet,  welche  einen  horizontalen  und  rotatorischen 
Nystagmus  nach  rechts  verursachen  würden,  wenn  nicht  die  symmetrischen 
Innervationen  des  linken  Deitersschen  Kernes  eine  derartige  Bewegung 
gerade  aufheben  würden.  Bewirkt  nun  die  Katode  eine  Reizzunahme 
rechts,  so  entsteht  Nystagmus  nach  rechts.  Während  der  Dauer  dieses 
Nystagmus  kommt  es  zur  Ansammlung  von  Spannkräften  im  linken 
Deitersschen  Kern  und  bei  Öffnung  der  Katode  fliessen  diese  ab 
und  machen  Nystagmus  nach  links.  Diese  Theorie  entspricht  auch  der 
von  Abels  gelegentlich  der  Besprechung  der  Täuschungen  des  kin- 
ästhetischen  Sinnes  (z.  B.  das  Gefühl  des  Gehobenwerdens  bei  plötz- 
lichem Fallenlassen  einer  grösseren  Last)  angeführten  Erklärung,  die 
ich  mit  seinen  Worten  hierhersetze: 

24* 


3()4     Üericbt  über  die  Lei>tungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

*\Vird  der  Erregungszustand  zweier  verschiedener  Nervenpartien, 
deren  Empfindungen  sich  in  der  Ruhe  das  Gleichgewicht  halten,  sich 
gegenseitig  ausloschen,  durcli  eine  von  aussen  wirkende  Kraft  für 
einige  Zeit  verschoben,  und  wird  sodann  zum  Ausgangsstand  über- 
gegangen, so  überwiegen  die  Empfindungen  der  eine  Zeit  lang  ungereizt 
gebliebenen  Nervengruppen;  es  entsteht  gewissermafsen  als  negatives 
Nachbild  die  Empfindung  einer  der  Richtung  jener  Kraft  entgegen- 
gesetzten Bewegung.« 

Abels  führt  Beobachtungen  von  Jensen  an,  wonach  nach 
Exstirpation  eines  Labyrinthes,  galvanische  Reizung  hier  keinen  Effekt 
mehr  habe.  Demgegenüber  muss  jedoch  betont  werden,  dass  wir 
Gelegenheit  hatten,  an  der  Klinik  mehrfach  Fälle  zu  sehen,  bei  welchen 
eine  Labyriuthexstirpation  vorgenommen  worden  war  und  trotzdem  auf 
dieser  Seite  sich  bei  entsprechend  grosser  Stromstärke  typischer  galvanischer 
Nystagmus  auslösen  liess  (Dr.  Neumanu).  Man  kann  hier  nur  an 
die   Auslösung  durch   Stromschleifen  zum  Deitersschen  Kern  denken. 

Dr.  Abels  bespricht  ferner  die  Tatsache  der  Gewöhnung  an  den 
Schwindel.  P>  fand  bei  Tauben,  welche  mehrere  Tage  hindurch 
täglich  mehrere  100  Umdrehungen  stets  nach  derselben  Seite  absolviert 
hatten,  eine  starke  Abnahme  des  Kopfnystagmus,  sowohl  während  der 
Drehung,  als  beim  Anhalten;  dagegen  war  bei  Drehung  in  der  ent- 
gegengesetzten, nicht  eingeübten  Richtung  keine  Abnahme  des  Dreh- 
und  Nachnystagnuis  zu  konstatieren.  Es  kann  dies  selbstverständlich 
nur  auf  einer  Adaptation  der  Nervenzentren  beruhen.  Beim  Menschen 
tritt  eine  Verminderung  des  Schwindelgefühls  beim  Tanzenlernen  sehr 
bald  ein.  Ruppert,  welcher  an  derartigen  Personen  den  Nachnystagmus 
untersuchte,  fand,  dass  durch  Tanzen  in  der  gewohnten  Drehrichtung 
ein  viel  schwächerer  Nystagmus  erregt  wurde,  als  durch  Tanzen  in 
der  ungewohnten  Richtung. 

Referent  hat  bei  Untersuchung  mittels  passiver  Drehung  auf  dem 
Drehstuhl  keine  derartige  Differenz  in  der  Stärke  und  Dauer  des  Nach- 
nystagmus konstatieren  können,  der  Unterschied  im  Schwindel  beschränkte 
sich  lediglich  auf  das  subjektive  Empfinden  und  auf  die  Herabsetzung 
der  Reaktionsbewegungen. 

Am  Schlüsse  seiner  Arbeit  bespricht  Abels  die  kurzen  Dreh- 
bewegungen des  Kopfes,  wie  sie  unter  normalen  Lebensbedingungen  am 
häufigsten  vorkommen.  Die  Breuer  sehe  Erklärung  für  .die  Tatsache, 
dass  nach  derartigen  kurzen  Drehungen  ein  Nachnystagmus  nicht  auf- 
tritt, besteht  darin,  dass  durch  den  beim  Anhalten  entstehenden  Gegen- 


Allgemeines.  365 

stoss  die  Cupula  aus  der  durch  den  Anfangsstoss  herbeigeführten  Ver- 
lagerung wieder  in  die  Normallage  zurückgeführt  werde  Hiergegen 
wendet  Ah  eis  ein,  dass  dies  nur  bei  mit  gleichmäfsiger  Geschwindig- 
keit ausgeführten  Drehungen  zutreffe,  keineswegs  aber  gelte  dies  für 
die  Bewegungen  des  Kopfes,  bei  welchen  derselbe  mit  langsam  steigender 
Geschwindigkeit  in  Drehungen  versetzt  und  plötzlich  mit  einem  Rucke 
angehalten  werde  oder  auch  bei  der  umgekehrten  Bewegung.  Die 
Reibungs-  und  Spannungsverhältnisse  in  den  Ampullengebilden  müssten 
bewirken,  dass  rasche  Hewegungen  eine  unverhältnismäfsig  grössere 
Verschiebung  bewirken  als  langsame.  Gegen  diese  von  Abels  an- 
geführten Bedenken  muss  man  einwenden,  dass  es  sich  hier  um  die 
Schwelle  handelt,  bei  welcher  Beschleunigung  bereits  eine  Verschiebung 
der  Cupula  auftritt.  Abels  hat  es  nicht  nachgewiesen,  dciss  bei  im 
gewöhnlichen  Leben  vorkommenden  langsamen  Bewegungen  die  Reibung 
eine  so  grosse  ist,  dass  eine  Verschiebung  ausbleiben  respektiv  unver- 
hältnismäfsig klein  sein  müsten.  Sein  Vergleich  mit  einer  auf  einem 
Brettchen  bewegten  Münze  ist  doch  den  hier  vorliegenden  Verhältnissen 
zu  wenig  angepasst. 

Wenn  wir  demnach  den  Ausführungen  Dr.  Abels  grösstenteils 
widersprechen  müssen,  und  die  Breu ersehe  Hypothese  uns  nicht  er- 
schüttert, erscheint,  so  behält  doch  Dr.  Abels  das  Verdienst,  zuerst 
auf  die  Wichtigkeit  der  zentralen  Vorgänge  in  der  Theorie  des  Vesti- 
bular-Apparates  aufmerksam  gemacht  zu  haben.  Bar  an  y. 

AHgenieines. 

a)  Berichte. 

515.    Bentzen,  SophuM.     Jahresbericht  der  oto-laryngologischen  Abteilunir  des 
St.  Elisabeths  Hospitals  zu  Kopenhagen  1905 — 00. 

Ausser  den  statistischen  Mitteilungen  enthält  der  Bericht  folgende 
2  Krankengeschiditen :  I.  22  jährige  Dame  mit  chronischer  Eiterung,  Koi)f- 
weh  und  Schwindel;  Totalaufmeisselung  wird  vorgenommen.  Nach  10  Tagen 
pyämische  Erscheinungen,  Sinus  wird  entblösst,  enthält  flüssiges  Blut, 
dagegen  wird  eine  kleine  thrombosierte  Knochenvene  gefunden  und  aus- 
geräumt, danach  Heilung. 

n.  47  jähriger  Mann  mit  seit  4  Wochen  bestehender  rechtsseiti}:er 
Fazialisparese,  vor  4  Wochen  Ohrschmerzen  und  angeblich  etwas  Aus- 
fluss  (nach  Meinung  des  Hausarztes  doch  zweifelhaft).  Ferner  besteht 
eine  rechtsseitige  seröse  Sinusitis  maxillaris,  die  durch  Punktur  entleert 
wird.     Die  Fazialisparese  wird  durch  elektrische  Behandlung  gebessert. 

Jörgen  Möller  (Kopenhagen). 


^•y,     fcr.-.-  -•.  t>tT  die  Ltist-üg«  GBd  Fcjrts-.hntte  der  Ohrenheilkunde. 

ö  A*.^e7K£^zm  Pathjiogi€  und  Symptomatologie. 

öl'.  Bc^an..  L.  Dr.  ncd  Frasf-la.  T_  Dr.  Über  den  Einflass  der  An- 
strcr-zn-,?  a-*  dkE  «jehOrorgin,  Ar^hiTio  italiano  di  otologia  etc. 
^\UL  bL  4.  Hrft 

Aoi  «irrL  b-e:  u.*rLrer»rL  tt-Li*  ohrgesonden  teils  ofarkranker  Soldaten 
iiL  MiliUrprä^idiGHi  \o;.  Si^rüa  au gü-^ellien  Versuchen,  schliessen  Verfasser. 
das?  ditr  AL*r;reL;nitg  imiLer  eice  Abnahme  des  Hörvermögens  bedingt, 
v  eil  he  beider-r-triti.:  aiiftriit.  je  narh  der  Intensität  der  Anstrengung 
variiert  und  nach  einer  m^hr  itder  weniger  langen  Ruheiieriode  voll- 
st in  iiz  5^hwind-t.  Bimini  (Triest). 

.017.  Amberjf.  En^ii.  Drtfoit  «Michliraxi .  Ear  Affections  and  Mental 
DistnrLanors.     Journ.  «.f  t.kty.  and  mrat,  diseases.     Sept.  1906. 

Verfas^H^r  be-i-ritht  hier  <iei-t«f-5t orangen  im  Znsammenhang  von 
Obraff^ktiun  an  der  Hau«!  von  mehreren  Fällen.  Gehörs-Hallnzinationen 
basieren  nü<:h  Urbantsrhiisch  auf  Kindenreizung  und  sind  besonders 
häurig  bei  Geisteskranken.  Hantsc  hei  (Berlin). 

51*  Allp'jrt.  Frank,  I»r.,  Chicago.  The  Eves  and  Ears  of  Sch'>olchildrtrn. 
M-«i-c.  E.  G.  Schrift  19J6. 

Verfasser  emptiehit  die  jährliche  systematische  Prüfung  der  Augen 
und  Ohren  der  Schulkimler  und  zwar  die  einfache  Prüfung  durch  den 
Kla5>eniehrer.  Bei  Kindern  mit  Augen-  oder  Ohrerkrankungen  sollen 
W'amuiiirs karten  an  die  Eltern  ireschickt  werden,  mit  der  Mahnung  zur 
ärztlichen  Behandlung.  Iii  den  vereinigten  Staaten  schätzt  Verfasser 
die  Myoide  der  Schulkinder  auf  20  ^  ,^.  während  sie  bei  uns.  in  Deutsch- 
land (iO  '^  fj  betragen  soll.  Neben  den  W'amungsk arten  gibt  der  Ver- 
fasser zugleich  aach  eine  Instraktionstafel  für  die  Klassenlehrer  zur 
Prüfung  an.  Diese  Einrichtung  besteht  in  einigen  Staaten  mit  gutem 
Erfolge,  jedenfalls  dürfte  die  Anstellung  von  Schulärzten  wie  wir  sie  in 
Deutschland  bereits  an  den  meisten  Volksschulen  in  den  grösseren 
Städten  haben,  viel  zweckmässiger  sein,  als  derartige  Prüfungen  Laien 
zu  überlassen.  Hantschel. 

519.  Jürgens,  E.,  Dr.,  Warschau.  Aflections  de  Tappareil  auditif,  du  nez  et 
de  la  gorg<',  constcutives  ii  Texplosion  de  bombes  ou  a  des  coups  de  feu. 
La  Presse  otolarjn^^ologique  Beige  1907,  Heft  5. 

J.  schildert  zunächst  kurz  13  Fälle  von  Beschädigung  des  Gehör- 
apparates durch  Bombenattentate.  Das  dem  Ort  der  Explosion  zuge- 
wandte Ohr  litt  meist  recht  beträchtlich,  weniger  das  abgewandte  Ohr. 
Einigemal  entleerte  sich  gleich  nach  dem  Attentat  Blut  aus  dem  Ohr, 
auch    bestand   zuweilen    Ohreiterung    unter    dem    Bilde    der    subakuten 


r 


Allgemeines.  367 

eiterigen  Mittelohrentzündung.  Die  Perforationen  hatten  nichts 
Charakteristisches.  Über  Schwindel  wurde  nur  einmal  sehr  geklagt. 
Das  Hauptsymptom  war  die  Herabsetzung  des  Hörvermögens  für  die 
tiefen  Töne  mit  Neigung  zur  Besserung  und  Heilung,  weshalb  eine 
Blutung  oder  Erschütterung  gerade  ihren  Sitz  in  der  Schneckenkuppel 
hat,  dafür  kann  J.  eine  Erklärung  nicht  geben.  Nach  seiner  Meinung 
kommt  sowohl  bei  einmaligen,  sehr  heftigen  Explosionen  (bei  Dynamit- 
attentaten) und  bei  oft  wiederholten  Explosionen  (z.  B.  bei  alten 
Artilleristen)  weniger  die  topographische  Lage  der  Nervenendigungen 
oder  des  Ner^'enstammes  in  Betracht  als  ein  uns  noch  unbekannter, 
vielleicht  entzündlicher  Prozess.  Deshalb  haben  die  Folgen  einmaliger 
Schädigungen  die  Neigung  zurückzugehen,  die  wiederholten  Schädigungen 
heilen  nicht.  Eigentümlich  ist  auch  die  Intaktheit  der  Bogengänge  bei 
diesen  Explosionen.     (Fortsetzung  folgt).  Brandt  (Magdeburg). 

520.  Brock,  Erlangen.  Untersuchungen  über  die  Funktion  des  Bogengang- 
apparates bei  Normalen  und  Taubstummen.  A.  f.  0.  Bd.  70,  S.  222—262, 
Bd.  71,  S.  56-84. 

Verf.  hat  unter  Leitung  Denkers  die  50  Zöglinge  der  im  Jahre 
1905  eröflfneten  Nürnberger  Kreistaubstummenanstalt  auf  Gehörs-  und 
^Gleichgewichtsstörungen  sorgfältig  untersucht.  Über  die  Resultate 
seiner  Untersuchungen,  soweit  sie  sich  auf  Gleichgewichtsstörungen  be- 
ziehen, berichtet  er  in  der  vorliegenden  Arbeit  unter  ausgiebiger  Her- 
beiziehung der  einschlägigen  Literatur.  (Ref.  möchte  gleich  hier  seinem 
Bedauern  Ausdruck  geben,  dass  Literaturnachweise  vollkommen 
fehlen.  Dem  Leser,  der  sich  von  einer  derartigen  Arbeit  zur  Ver- 
tiefung in  die  Materie  angeregt  fühlt,  wird  ein  solches  Beginnen  un- 
nötig erschwert,  oder  gar  verleidet,  wenn  er  sich  die  angeführte  Literatur 
mühsam  zusammensuchen  soll !) 

Verf.  resümiert  sich  zum  Schluss  folgendermalsen : 
,,1.  Totale  doppelseitige  Taubheit  ist  in  der  grossen  Mehrzahl  der 
Fälle  postembryonal  erworben. 

2.  Der  Ausfall  der  Prüfung  auf  Nystagmus  nach  Rotation  und 
nach  Einspritzung  verschieden  temperierter  Flüssigkeit  in  die  Gehör- 
gänge ist  bei  den  beiderseitig  total  Tauben  meistens  negativ. 

3.  Für  die  einseitig  Tauben  lässt  sich  eine  bestimmte  Regel  nicht 
aufstellen. 

4.  Die  Gruppe  VI  der  Besthöreuden  (nach  Bezold;  ,, Unwesent- 
licher oder  kein  Defekt  am  oberen,  von  weniger  als  4  Oktaven  bis 
Null  am  unteren  Ende  der  Skala")  verhält  sich  hinsichtlich  der  Reaktion 


368     Bericht  über  die  Leistungen  und  FoHsciiritte  der  Ohrenheilkunde. 

auf  Rotation  und  Ausspritzung  der  Ohren  in  der  überwiegenden  Mehr- 
zahl wie  die  Normalhörigen. 

5.  Die  Gruppen  I — V  lassen  sich  hinsichtlich  der  Funktion  des 
Bogengangapparates  nicht  in  ein  bestimmtes  Schema  unterbringen. 

6.  Meine  Untersuchungen  haben  ergeben,  dass  im  ganzen  die 
Resultate  des  Drehversuchs  tibereinstimmen  mit  den  Ergebnissen  der 
Prüfung  des  calorischen  Nystagmus;  es  dürfte  daher: 

7.  Zur  Untersuchung  auf  Gleichgewichtsstörungen,  auf  die  erhaltene 
oder  erloschene  Funktion  des  Bogengangapparates  in  Zukunft  genügen, 
die  von  B  a  r  a  n  y  angegebene  Methode  der  Ausspritzung  der  Ohren  mit 
warmen  und  kaltem  Wasser  und  die  Untersuchung  des  hierbei  auf- 
tretenden Nystagmus  auszuführen,  zumal  diese  Methode  insofern  genauere 
Resultate  liefert,  als  man  im  Stande  ist.  die  Prüfung  der  Gleichgewichts- 
störungen für  jedes  Ohr  isoliert  vorzunehmen. 

8.  Das  Auftreten  des  in  entgegengesetzter  Richtung  bemerkbaren 
Nystagmus  nach  Einspritzung  von  Wasser  über  und  unter  Körper- 
temperatur in  die  Gehörorgane  macht  es  in  hohem  Mafse  wahrscheinlich, 
dass  sowohl  die  Bewegung  der  Endolymphe  vom  glatten  Ende  zur 
Ampulle  als  auch  die  umgekehrte  Bewegungsrichtung  ein  reizauslösendes 
Moment  darstellt.''  Zarniko  (Hamburg). 

521.  Mc.  Kernen,  Jos.  F.     Die  klini^che  Bedeutung  der  differentiellen  Blut- 

zähluiip;  in  der  operativen  Otologie.  New- York.  med.  Journ.  19.  Jan.  1907. 

Die  differentielle  Blutzählung  unterstützt  eine  vollständige  Diagnose. 
Wenn  celluläres  Knochengewebe  wie  der  Warzenfortsatz  septisch  ent- 
zündet ist,  ohne  Beteiligung  der  Blutgefässe  ergibt  die  differentielle 
Blutzäblung  einen  relativ  geringeren  polinukleären  Prozentsatz  als  wenn 
ein  septischer  Prozess  die  Weichteile  ergriffen  hat.  Diese  Tatsache  er- 
klärt der  Verf.  damit,  dass  die  Absorption  von  Toxinen  in  Knochen- 
höhlen weniger  schnell  vor  sich  geht.  Clemens. 

522.  Tylecobe.     Meningismus.     Med.  Clironicle.    Juni  1907. 

In  den  Fällen  von  Meningismus  bestehen  zwar  die  Erscheinungen 
einer  Meningitis  und  tritt  der  Tod  ein.  bei  der  Sektion  wird  jedoch 
die  Diagnose  einer  Meningitis  nicht  bestätigt.  T.  unterscheidet  zwei 
Gruppen,  eine  organische  und  eine  funktionelle.  Die  erstere  kann  durch 
Mittelohrentzündung  verursacht  sein  wahrscheinlich  durch  intrakraniellen 
Druck  hervorgerufen.  Die  zweite  Gruppe  kann  auftreten  im  Verlauf 
einer  Cerebrospinalmeningitis,  Mumps,  Erysipel,  Scharlachfieber,  Diph- 
therie etc.  und  ist  es  möglich,  dass  sie  das  Resultat  der  Aufnahme  von 


Allgemeines.  369 

Toxinen  in  die  Meningen  und  die  Hirnrinde  ist.  Es  besteht  kein 
Fieber,  keine  Schwächung  oder  Verlangsamung  des  Pulses,  keine  un- 
regelmälsige  Respiration,  kein  Kernig.  Nackenstarre  kann  vorhanden 
sein,  aber  von  kurzer  Dauer  und  intermittierend.  Lumbalpunktion 
wirkt  meistens  vorteilhaft. 

523.  Pennington,  M.  E.     Die  Virulenz  der  Diphtheriebazillen   im  HaUe  ge- 

sunder  Schulkinder    und   Dii»htherierekunvaleszenten.     Journ.    Infekt. 
Diseases.     Jan.  1907. 

P.  fand,  dass  unter  gesunden  Schulkindern  ungefähr  10  ^/^^  Bazillen 
im  Halse  haben,  welche  morphologisch  den  Diphtheriebazillen  entsprechen. 
Die  Hälfte  dieser  Bazillen  haben  keine  Einwirkung  auf  Meerschweinchen, 
etwa  30 '^/j,  hatten  abgeschwächte  Wirkung,  14*^  ,,  töteten  die  Tiere 
ziemlich  prompt.  Die  Bazillen  aus  dem  Hals  gesunder  Kinder,  welche 
einer  Ansteckung  nicht  ausgesetzt  waren,  waren  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  nicht  virulent.  Sie  können  aber  bisweilen  eine  richtige  diphtherische 
Ansteckung  vermitteln.  Die  Bazillen  von  gesunden  Kindern,  welche 
einer  Ansteckung  ausgesetzt  waren,  können  leichter  Ansteckung  herbei- 
führen als  die  von  nicht  exponierten  Kindern.  Die  Bazillen  von 
Rekonvaleszenten  sind  sehr  virulent. 

524.  Fräser  und    Comric.     Der  Naso-pharynx  als  Infektionsträ«;er  bei  einer 

Cerebrospinalineningitisepidemie.      Scott,     med.     and     surg.    Journal. 
Juli  1907. 

Bei  der  kürzlich  stattgehabten  Epidemie  in  Leith  waren  83  Er- 
krankungen mit  53  Todesfiillen.  Bei  63  infizierten  Fällen  wurde 
2  mal  der  Meningokokkus  in  Nase  und  Nasenrachenraum  gefunden.  Bei 
69  gesunden  Personen,  welche  in  Berührung  mit  den  Erkrankten  ge- 
kommen waren,  wurde  der  Meningokokkus  in  10  Fällen  gefunden. 
80^,3  der  Fälle  war  unter  16  Jahre  alt.  *Der  Meningokokkus  wurde 
in  der  Luft  des  Maschinenraumes  eines  Schiffes  gefunden,  in  welchem  5 
von  den  Arbeitern  Väter  von  infizierten  Kindern  waren.  Es  wird  an- 
genommen, dass  die  Entwicklung  des  Meningokokkus  begünstigt  wird 
durch  eine  heisse,  staubige,  schlecht  ventilierte  Atmosphäre.  Der  hohe 
Prozentsatz  der  bazillentragenden  Väter  macht  es  wahrscheinlich,  dass 
die  Väter  die  Erkrankung  auf  die  Kinder  übertragen. 

525.  Flexner,    Simon.      Experimentelle    Cerebrospinalflüssigkeit    bei    Affen. 

Journ.  experim.  Med.  März  1907. 

Affen  können  ohne  Schwierigkeit  mit  dem  Diplococcus  intracellularis 
infiziert  werden.  Die  olfaktorische  Infektion  braucht  nicht  von  der  Naben- 
schleimhaut auszugehen,  wie  beim  Menschen  angenommen  wird.  Clemens. 


370     Beriebt  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Obrenbeilkunde. 

c)    Untersuchungs-  und  Behandlungsmethoden, 

526.  Stenger.  Prof.,  Königsberg.     Simulation    und   Dissimulation  von  Ohr- 

krankheiten   und    deren    Feststellung.     Deutsche   med.   Wochenschr. 
Nr.  24,  1907. 

In  einer  interessanten  Zusammenstellung  beschreibt  Stenger  die 
von  Voltolini,  Coggin,  Bloch,  Lucae  und  Anderen  ersonnenen 
Methoden  zur  Entlarvung  von  Personen,  die  Ohrerkrankungen  simulieren. 
Meist  handelt  es  sich  um  einseitige,  seltener  doppelseitige  hochgradige 
Schwerhörigkeit,  resp.  Taubheit,  bisweilen  auch  um  Simulation  von 
Taubstummheit  oder  Ohrerkrankuugen,  die  mit  einem  Unfall  in  Zu- 
sammenhang gebracht  werden.  Eine  genügende  ausführliche  Be- 
schreibung der  verschiedenen  Methoden  eignet  sich  nicht  für  ein  kurzes 
Referat,  vielmehr  muss  auf  die  Originalarbeit  verwiesen  werden.  Nur 
soviel  muss  gesagt  werden,  dass  der  objektive  Nachweis  der  Simulation 
nicht  immer  gelingt,  und  dass  derjenige,  welcher  einen  Simulanten  ent- 
larven will,  nicht  nur  mit  den  Krankheitsprozessen  und  Cntersuchungs- 
methoden  des  Gehörorganes  genau  vertraut  sein,  sondern  auch  ein  er- 
hebliches Mafs  von  Menschenkenntnis  besitzen  muss.  Der  Nachweis 
der  Dissimulation,  d.  h.  der  Verheimlichung  tatsächlich  vorhandener 
Funktionsstörungen,  spielt  eine  wichtige  Rolle  bei  Personen,  die  einen 
Beruf  ausüben,  der  die  Intaktheit  des  Ilörorgans  als  conditio  sine  qua 
non  verlangt.  Noltenius  (Bremen). 

527.  Hald,  P.  Tetens.  Hypopharyngoskopie.  Hospitalstidende  1907,  Nr.  17. 
Enthält  ausser  einer  geschichtlichen  Übersicht  über  die  Entwick- 
lung der  Methode  Bericht  über  einen  Fall  von  Karzinom  des  Hypo- 
pharynx,  in  welchem  es  nur  mittels  der  Hypopharyngoskopie  möglich 
war,  eine  exakte  Diagnose  zu  erreichen.  Jörgen  Möller. 

528.  Schmiegelow,    E.    Über    Ösophago-,    Tracheo-    und    Bronchoskopie. 

Ugeskrift  for  Läger  1907.  Nr.  20—23. 

Ausser  einer  Übersicht  über  die  Technik  und  Indikationen  enthält 
die  Arbeit  einige  kasuistische  Mitteilungen :  von  Ösophagusleiden  wurden 
u.  a.  ein  Fall  von  narbiger  Striktur,  einer  von  Divertikelbildung  und 
zwei  von  Fremdkörpern  behandelt.  Jörgen  Möller. 

529.  Herschel,  Dr.,   Halle  a.   S.    Eine   neue  Ohrelektrode.     Deutsche  med. 

Wochenschr.  1907,  Nr.  23. 

Herschel  glaubt,  dass  die  elektrische  Ohrbehandlung  bei 
Neuralgie,  Schwerhörigkeit  und  Ohrensausen  infolge  Mitbeteiligung  des 
Hörnerven  deswegen   so  wenig  Anhänger  gefunden   hat,    weil   kein   ge- 


r 


Allgemeines.  371 

eignetes  Instrumentarium  vorlag  und  beschreibt  seine  durch  mehrfache 
Abbildungen  erläuterten  Ohr-  und  Halselektroden.  Ref.  will  nicht  be- 
streiten, dass  besagte  Elektroden  wohl  sehr  zweckdienlich  sind,  hält 
dieselben  aber  auch  für  sehr  kompliziert,  was  einer  weiteren  Ver- 
breitung hinderlich  sein  dürfte.  Über  die  erzielten  Erfolge  gibt  Verf. 
nur  kurze  Andeutungen.  Noltenius. 

530.  Stein,   Saxtorph  V.     Eine  neue  Paraffinspritze  nebst  Bemerkungen  über 

Paraffinschmelzpunkte.    Hospitalstitende  1907,  Nr.  18. 

Die  Spritze  besteht  aus  einem  sehr  solide  gebauten  Zylinder,  der 
behufs  sicherer  Handhabung  mit  einer  Querstange  versehen  ist  und  der 
durch  die  ganze  Länge  seines  Inneren  Schraubengewinde  trägt:  der 
massive  Kolben  ist  ebenfalls  in  seiner  ganzen  Länge  mit  Schrauben- 
gewinde versehen.  Die  einfache,  solide  Konstruktion  der  Spritze  ermög- 
licht das  sehr  leichte  Einspritzen  von  Hartparaffin    in  festem  Zustande. 

Jörgen  Möller. 

531.  Leu  wer,  Dr.,  Bonn.    Ein  neuer  Ohrsauger.     Deutsche  med.  Wochenschr. 

1907,  Nr.  25. 

Leu  wer  gibt  Abbildung  und  Beschreibung  eines  Apparutes  zum 
Absaugen  des  Eiters  aus  dem  Mittelohr.  Das  Instrument  ist  aus  Glas 
gefertigt  mit  trichterförmig  ausgezogener  Spritze  für  den  Gehörgang, 
mit  sackartiger  Ausbuchtung  für  den  ausgezogenen  Eiter  und  mit  einem 
Ansatz  für  den  Gummischlauch  des  Saugballes.  Verf.  rühmt  die  Wirk- 
samkeit seines  Apparates.  Noltenius. 

532.  Vohsen,  Karl,  Frankfurt  a.  M.     Beitrag  zur  Stau-  und  Saugtherapie  in 

Ohr  und  oberen  Luftwegen.  (Nach  einem  Vortrag  auf  der  Versamral. 
westdeutsch.  Ohren-  und  Halsärzte  zu  Köln  am  2.  Dez.  1906.)  Münchn. 
med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  9. 

Sowohl  bei  Stauung  als  auch  bei  Saugung  konnte  mit  dem 
Hirschmannschen  Endoskop  eine  Verlegung  des  pharyngealen  Tuben- 
ostiums  beobachtet  werden.  Es  ist  anzunehmen,  dass  die  engen  Ostien 
der  pneumatischen  Zellen  und  der  Nebenhöhlen  der  Nase  ebenso  durch 
Schwellung  ihrer  Schleimhaut  verengt  werden. 

Auf  die  normale  Rachenschleimhaut  wirkt  die  Bepinselung  mit 
L ngoischer  Lösung  andanender  hyperämisirend,  als  die  Saugung  und 
Stauung.  Bei  der  letzteren  schwellen  die  hinteren  Muschelenden  in 
wenigen  Sekunden  sehr  stark  an. 

Die  Hammergriffgefässe  füllen  sich  bei  Saugung  wesentlich  stärker 
als  bei  Stauung. 


372     Bericht  über  die  Lei«taiigen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

Ein  heilender  Einfluss  der  Stauung  auf  akute  und  chronische 
Katarrhe  der  Nase  und  des  Rachens  konnte  nicht  festgestellt  werden. 
Auch  bei  Ozaena  konnten  die  Krusten  durch  Stauung  nicht  abgelöst 
werden. 

Zur  Entleerung  des  Sekretes  aus  den  Nebenhöhlen  der  Nase 
empfiehlt  Vohsen  auf  Grund  eines  Experimentes  an  Stelle  der  Luft- 
verdünnung mit  dem  Sondermann  sehen  Gummiballon,  Luftverdichtung 
kombiniert  mit  Luftverdünnung,  welche  der  Patient  durch  Zusammen- 
pressen und  Ansaugen  der  Nasenhöhlenluft  bei  zugehaltener  Nase  er- 
zeugt. Scheibe. 

533.  Baratoux,  J.  B.    De  Teniploi  de  la  thiosiiiamine  en  otologie.    Le  progres 

medical  1907,  Nr.  3. 

Die  Injektionen  von  Fibrolysin  und  die  Plinträufelungen  von 
Thiosinamin  in  den  Gehörgang  waren  bei  den  15  Patienten  ohne  Ein- 
fluss auf  Schwerhörigkeit  und  Ohrgeräusche.  Hin  und  wieder  glaubt 
Verfasser  eine  Besserung  konstatieren  zu  können,  wenn  er  neben  den 
Injektionen  von  Fibrolysin  gleichzeitig  eine  mechanische  Behandlung 
einleitet.  Oppikofer. 

534.  Levy,  Robert,   Dr.,  Denver.     Surgical  Treatment  of  Tuberculosis  of  the 

Upi)er  Air  passages  and  The  Ear.     Denver  med.  Times  1907. 

Der  Autor  behandelt  hier  zuerst  die  Tuberkulose  des  Ohres  und 
hebt  besonders  hervor,  dass  nicht  alle  Fälle  von  Mittelohreiterungen  bei 
tuberkulösen  Individuen  als  tuberkulös  angesehen  werden  dürfen. 
Operative  Eingriife  sind  vorzunehmen,  wenn  der  Allgemeinzustand  gut 
ist,  wenn  Temperatur  und  Puls  keine  sich  rapid  entwickelnde  Erkrankung 
zeigen  und  wenn  die  Ohr-Läsion  in  einer  Knochenzerstörung  besteht. 
Wenn  es  angängig  ist  Ossiculectomie  mit  nachfolgender  Kürettage  und 
Anwendung  von  Milchsäure  und  antiseptischer  Spülung.  Bei  Mastoiditis 
rät  Verfasser  zur  Radikaloperation.  Des  weiteren  behandelt  der  Autor 
die  Tuberkulose  der  Nase,  des  Pharynx  und  Larynx  mit  Besprechung 
der  Therapie,  ohne  etwas  Neues  zu  bringen.  Hantschel. 

535.  Eysselt,  A.,  Edler  von  Kliinpöly,  Littau,   Ein  Jahr  Kretinenbehandlung 

mit  Schilddrüsensubstanz.    Wiener  med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  1,  2,  3. 

An  46  zu  diesem  Zwecke  sorgfältig  ausgewählten  Kretinen  wurden 
1  Jahr  lang  eingehende  Beobachtungen  gemacht.  Sie  erhielten  täglich 
1  Tablette  ä  0,3  gr.  Die  Erfolge  waren  sehr  gute  sowohl  hinsichtlich 
des  Wachstums,  als  namentlich  der  Kröpfe  und  des  Allgemeinbefindens. 

Besonderes  Interesse   bieten    die  Beobachtungen   über   Gehör-   und 


Äusseres  Ohr.  373 

Sprachstörungen.  Erstere  waren  von  den  geringfügigsten  bis  zur 
völligen  Taubstummheit  vertreten;  durch  die  Behandlung  wurde  eine 
deutliche  Besserung  erzielt.  Kretine,  welche  vorher  nur  halblaut  ge- 
sprochene Konversationssprache  hörten,  hörten  nach  6  — 12  monatlicher 
Behandlung  Flüstersprache,  solche,  welche  letztere  nur  auf  kurze 
Distanz  hörten,  hörten  Worte  auf  grössere  F.ntfernung.  Fälle  mit 
schweren,  beinahe  an  vollständige  Taubstummheit  reichenden  Sprach- 
und  Gehörstörungen  zeigten  ganz  unbedeutende  oder  überhaupt  keine 
Erfolge.  Um  Resultate  zu  erzielen,  muss  in  Fällen  mit  totalem  Defekt 
der  Schilddrüse  die  Behandlung  in  kleinen  Dosen  die  ganze  Lebens- 
dauer fortgesetzt  werden,  in  Fällen  dagegen,  in  welchen  die  Drusen- 
funktion noch  vorhanden  ist,  kann  dieselbe  voraussichtlich  nach  2 — 4 
Jahren  ausgesetzt  werden.  Wanner  (München). 

536.  Moszkowicz,  L.,  Wien-Doebling.     Zur  Technik  der  Operation  an   der 

Hypophyse.     Wiener  klin.  Woohenschr.  1907,  Nr.  26. 

M.  beschreibt^  seine  bis  jetzt  nur  an  der  Leiche  ausgeführte 
Operationsmethode.  In  der  ersten  Sitzung  wird  die  Nase  aufgeklappt, 
das  Septum,  Muscheln  und  Siebboin,  soviel  als  nötig  erscheint,  entfernt, 
ferner  wird  die  Keilbeinhöhle  eröffnet,  aber  die  letzte  Knochenspange 
intakt  gelassen.  Nun  wird  ein  gestielter  Hautlappen  von  genügender 
Länge  von  der  Stirne  auf  die  wundgemachte  üntfiiliiche  der  Schädel- 
basis gelegt,  sodass  seine  Spitze  in  die  Keilbeinhöhle  zu  liegen  kommt. 
Ist  dieser  durch  Tamponade  angedrückte  Lappen  angeheilt,  wird  in 
einer  2.  Sitzung,  bis  zu  welcher  die  Nase  aufgeklappt  bleibt,  die  letzte 
Knochenlamelle  entfernt  und  nach  Abtragung  des  Tumors  die  zuvor 
etwas  zurückgeklappte  Spitze  des  Hautlappens  in  die  Knochenlücke  am 
Boden  des  S.  turcica  pepresst  und  antamponiert.  Beigegebene  Zeich- 
nungen veranschaulichen  die  Operationsmethode,  sowie  die  zur  Operation 
verwendeten  Instrumente.  Wanner. 

Äusseres  Ohr. 

537.  Citelli,   Catania.     Kyste  demioide   du  lobule  de  Toreille.     Arch,  intern. 

d'otol.  etc.  Bd.  23,  Nr.  2. 

Die  halberbsengrosse  derbe  und  schmerzlose  Geschwulst  im  linken 
Ohrläppchen  bemerkte  der  30jährige  Patient  seit  6  Jahren.  Schmerzen 
traten  erst  nach  unvollständig  ausgeführter  Operation  auf.  Durch 
Exstirpation  Heilung.    Genaue  Beschreibung  des  histologischen  Befundes. 

Oppikofer. 


374     Bericht  über  die  Leistungeu  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

r)3!^.    Bindi,  G.,  Dr.   Über  das  primäre  Epitheliom  der  Ohrmuschel  beim  Weibe. 
Archivio  italiano  di  otologia  etc.  XVIII.  Bd.  4.  Heft. 

Mitteilung  eines  einschlägigen  vom  Verfasser  operierten  Falles. 
Der  Aufsatz  enthält  weiterhin    ausführliche  klinische,   histologische 
und  therapeutische  Betrachtungen.  Rimini. 

539.  Ravogli,   A.     Lupus  vulgaris   des   Ohres.     Journ.   Araeric.   Med.  Assoc. 

5.  Jan.  1907. 

Bericht  über  zwei  Lupusfälle.  In  beiden  wurde  in  ausgedehnten 
Ulcerationen  der  Tuberkelbazillus  gefunden.  In  dem  einen  Falle  war 
auch  das  Knochengewebe  ergriffen.  Finsenlicht  war  im  ersten  Fall 
ohne  Einwirkung,  im  zweiten  Fall  trat  anfänglich  Besserung  ein. 
X-Strahlen  besserten  nur  vorübergehend.  Die  Anwendung  von  reinem 
Lysol  gab  die  besten  Resultate.  Es  bildet  einen  festen  weissen  Schorf 
mit  nachfolgendem  gesunden  Narbengewebe.  Die  Knötchen  öffnen  sich, 
der  Inhalt  entleert  sich,  mit  Lysol  getränkte  Watte  wird  eingelegt,  in 
kurzer  Zeit  tritt  Heilung  ein.  Clemens. 

540.  H^lot,  Ronen.    Les  vers  d'oreille.     Arch.   internat.  d'otul.   otc.  Bd.  23, 

Nr.  8. 

In  einer  kurzen  Abhandlung  weist  H.  darauf  hin,  wie  häufig  in 
früheren  Jahrhunderten  Würmer  im  Gehörgang  diagnostiziert  wurden, 
und  welche  grosse  Holle  man  denselben,  namentlich  bei  Affektionen 
des  Kopfes,  zuschrieb.  Auch  H.  macht  die  Angabe,  dass  in  vernach- 
lässigten Ohreiterungen  sich  Fliegenlarven  vorfinden  können;  doch  sagt 
er  nicht,  ob  diese  Angabe  sich  auf  eigene  Erfahrungen  stützt. 

Oppikofer. 

541.  Török,   B.  von,  Budapest.     Verschluss  beider  Gehörgänge  und  partielle 

knöcherne  Obliteration  der  Paukenhöhle.   A.  f.  0.  Bd.  70,  S.  213—218. 

Bei  einem  14 jähr.  Mädchen  konnte  bei  der  klinischen  Untersuchung 
und  Operation  festgestellt  werden:  beiderseits  Verschluss  des  Gehör- 
gangs am  inneren  Ende  des  häutigen  Teils,  der  knöcherne  Anteil  des 
Meatus  extcrnus,  die  Ohrmuscheln  normal.  Desgleichen  der  Warzen- 
fortsatz und  sein  Ilöhlensystem  und  dife  Tuben.  Dagegen  die  Pauken- 
höhle eingeengt  durch  eine  knöcherne  Masse,  die  gegen  das  ovale 
Fenster  und  das  Promontorium  zu  gleichmäfsig  mit  der  Labyrinthwand 
verschmolzen  ist.  Durch  Beseitigung  der  häutigen  Atresie  konnte  das 
Gehör  beiderseits  deutlich  verbessert  werden.  (In  den  einleitenden 
entwickelungsgeschichtlichen  Bemerkungen  steht  konsequent  »Keim- 
spalte« und  > Keimbogen«    statt    »Kicmenspalte«    und    »Kiemenbogen«.) 

Z  a  r  n  i  k  o. 


Mittleres  Ohr.  375 

Mittleres  Ohr. 

a)  Akute  Mittelohrentzündung. 

542.    S  ü  p  f  1  e ,  Karl,  Dr.,  Heidelberg.   Stadien  über  die  Bakteriologie  der  akuten 
Mittelohrentzündung.    Zentralbl.  f.  Baktenologie  etc.  42.  Bd.,  1906. 

Auf  Veranlassung  von  Kümmel  hat  S.  57  Fälle  von  Otitis  media 
bakteriologisch  untersucht.  Im  normalen  äusseren  Gehörgang  fand  S. 
zahlreiche  Mikroorganismen,  in  70  *^  ^^  der  Fälle  Micrococcus  pyogenes 
albus,  dagegen  niemals  Streptokokken  oder  Pneumokokken.  Auch  ver- 
tritt er  die  Anschauung,  dass  die  normale  Paukenhöhle  in  der  Regel 
keimfrei  ist.  Das  untersuchte  klinische  Material  wurde  nach  Kümmel 
in  mesotympanale  Otitiden  und  in  epitympanale  eingeteilt.  Jedoch  zeigt 
es  sich,  dass  bei  klinisch  gleichartigen  Formen  verschiedenartige  Bakterien, 
andererseits  bei  klinisch  verschiedenen  Formen  die  gleichen  Bakterien 
sich  vorfanden.  Aus  seinen  Untersuchungen  kommt  S.  zu  folgenden 
Schlüssen : 

»Zu  allgemein  giltigen  Schlüssen  berechtigt  ein  Material,  das.  wie 
das  vorliegende,  zeitlich  und  örtlich  beschränkt  ist,  nicht.  Die  wichtige 
Tatsache  aber  kann  aus  dieser  Beobachtungsreihe  abgeleitet  werden, 
dass  die  bisherigen  Anschauungen  über  die  Bakteriologie  der  Otitis 
media  nicht  durchweg  auf  wohlbegrüudeten  Ergebnissen  fussen.  Will 
man  diese  Frage  zu  einer  endgültigen  Klärung  bringen,  so  ist  eine  grosse 
Zahl  weiterer  bakteriologischer  Untersuchungen  von  möglichst  verschiedenen 
Seiten  unentbehrlich. 

Die  Schlussfolgerungen,  die  S.  aus  seinen  Untersuchungen  ziehen 
kann,  sind  folgende: 

1.  Das  Hauptkontingent  der  Otitiden  sind  Streptokokkenotitiden. 
Gegenüber  der  herrschenden  Anschauung  von  dem  Überwiegen  der 
Pneumokokkenotitiden  ist  dieses  Ergebnis  ganz  besonders  hervorzuheben. 

2.  Neben  dem  Streptococcus  pyogenes,  den  S.  in  fast  60  ^/^^  sämt- 
licher überhaupt  keimhaltigen  Ergüsse  fand,  treten  alle  anderen  Arten 
von  Mikroorganismen  in  den  Hintergrund.  Als  solche  wurden  beobachtet : 
Streptococcus  lanceolatus,  Streptococcus  mucosus,  Micrococcus  pyogenes. 

3.  Die  Organismen  aus  der  Gruppe  der  Kettenkokken  treten  zu- 
meist in  Reinkultur  auf;  in  manchen  Fällen  sind  sie  mit  Staphylokokken 
vergesellschaftet,  denen  aber  in  dieser  Art  des  Vorkommens  nur  eine 
Nebenbedeutung  zuzukommen  scheint. 

4.  Dagegen  kann  auch  der  Micrococcus  pyogenes  als  alleiniger 
Erreger  auftreten  und  steht  dann  den  Kettenkokken  gleichwertig  zur 
Seite;  in  dieser  Eigenschaft  tritt  er  aber  nur  sehr  selten  auf. 


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'/  i*  ',;,/•  ;  ...;,  rir.rj  'l'.r- fi  •:!-  A-7:r:i*::n  «l^rr  Ep'ftiun?  des 
V  f/  .f/,  *  ,•/.  .'.'7  ^,.  •j;'t  v^rr  i<:ri.  O.  E:r.»r  M-^äle  TD>:kenbefaand!ung 
V».,/.   f.  ir   ir;;  X,  -.ic'.h'-r.t.hfi'jf:    Tf.it  «l^r  A-jiratioD  durchgeführt  werden. 

Sacher. 


r 


Mittleres  Ohr.  377 

o46.  Es  eh  Weiler,  Bonn.  Die  Behandlung  der  Mastoiditis  mit  Stauangs- 
hyperämie  nach  Bier.    A.  f.  0.  Bd.  71,  S.  85—110. 

Verf.  bekennt  sich  wie  schon  bei  früherer  Gelegenheit  so  auch  in 
der  vorliegenden  Arbeit  als  warmen  Anhänger  der  Bi ersehen  Stau- 
ungshyperämie  bei  der  Behandlang  der  akuten  Mastoiditis.  Er  unter- 
zieht zunächst  die  Mitteilungen  der  Gegner  der  Methode  einer  Kritik, 
in  der  er  deren  Einwendungen  zu  entkräften  sucht.  Sodann  berichtet 
er  eingehend  über  11  eigene  Fälle.  Von  diesen  sind  8  geheilt;  4  von 
ihnen  waren  mit  eitriger  Periostitis  über  dem  Warzenfortsatz  behaftet. 
Besonders  erfreulich  war  die  Heilung  einer  Scharlachmastoiditis  und 
eines  Falles  mit  bedeutender  Störung  des  Allgemeinbefindens.  —  Von 
den  3  nicht  geheilten  Fällen  starben  2,  ohne  Schuld  der  Stauung,  der 
dritte  ging  in  andere  Behandlung  über.  —  In  einem  Nachtrage  werden 
3  weitere  Fälle  berichtet,  darunter  1  Diabetes,  aUe  mit  günstigem  Aus- 
gange. ^  Z  a  r  n  i  k  0. 

Ö47.  FröBe,  Halle  a.  S.  Ein  weiterer  Beitrag  zu  den  Erfahrangen  bei  der 
klinischen  Behandlung  von  Mittelohreiterungen  mit  Stauungshjperämie 
nach  Bier.    A  f.  0.  Bd.  71,  S.  1—55. 

Fortsetzung  der  Mitteilungen  Isemers  aus  Schwartzes  Klinik 
(Arch.  f.  Ohrhlk.  69,  S.  131  ff.  ref.  diese  Zeitschr.  53,  S.  364).  18 
ausführlich  mitgeteilte  Krankheitsfälle.  Von  diesen  gelangten  unter 
Mithilfe  oder  bei  alleiniger  Anwendung  der  Bier  sehen  Stauung,  die 
dreimal  mit  der  Sangtherapie  kombiniert  wurde,  11  (darunter  3  doppel- 
seitige Eiterungen)  zur  Heilung.  Bei  5  Kranken  musste  schliesslich  die 
typische  Aufmeisselung  des  Warzenfortsatzes  vorgenommen  werden.  In 
einem  sechsten  Falle  blieb  die  Eiterung  kopiös  und  bei  einem  Kinde 
wurde  nach  kurzer  Stauungsdauer  aus  äusseren  Gründen  die  Behandlung 
abgebrochen.  —  Die  Angaben  des  Verf.  über  Ätiologie,  Warzenfortsatz- 
komplikationen,  Dauer  bis  zur  Heilung,  die  Ergebnisse  der  mikro- 
skopischen und  bakteriologischen  Untersuchungen,  die  theoretischen  Er- 
wägungen über  die  Wirkung  der  Stauungshyperämie  müssen  im  Original 
nachgelesen  werden.  —  Im  Allgemeinen  wurde  die  Stauung  gut  ertragen. 
Besonders  günstig  beeinfiusste  sie  die  subjektiven  Beschwerden  der 
Kranken.  Mehrfach  wurden  Gehörgangsentzündungen  durch  das  Ver- 
fahren begünstigt,  zweimal  kam  es  in  dem  nicht  entzündeten  Ohre  zu 
> Mittelohrkatarrh«,  einmal  —  bei  einem  Pat.  von  apopiektischem 
Habitus  —  zu  einer  Blutung  aus  dem  Mittelohre. 

Verf.  resümiert  sich  zum  Schluss  folgendermafsen :  » 1 .  Die  anatomische 
Struktur  des  W'arzenfortsatzes  und  die  ungünstige  Lage  und  oft  geringe 

Zeilschrift  für  OhrenheilVnnde.  Bd.  LIV.  25 


378     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

Weite  seiner  natürlichen  Abflnssöffnung  bieten  der  erfolgreichen  An- 
wendung der  Stauungshyperämie  nach  Bier  bei  Mastoiditi den  erhebliche 
Schwierigkeiten.  2.  Da  die  in  Knochenkanälen  verlaufenden  abführenden 
Gefässej  welche  die  Hohlräume  des  Warzenfortsatzes  umgeben,  zu  der 
von  der  Bindenstauung  beanspruchten  Dilatation  ihrer  Wandungen  un- 
fähig sind,  wird  die  Resorption  aus  dem  Entzündungsherde  in  den 
Stauungspausen  beeinträchtigt,  während  die  Stauung  dem  Auftreten  einer 
kumulativen  Reizhöhe  im  Warzenfortsatze,  zunächst  bei  fehlendem  Fieber, 
Vorschub  leistet  und  somit  Stase  und  Sequestration  fördert.  3.  Dieser 
ungünstige  Ausgang  scheint  bei  schweren  Infektionen  des  Mittelohrs 
und  Warzenfortsatzes,  die  vor  der  Stauung  nicht  zur  Bildung  eines 
subperiostalen  Abszesses  geführt  hatten,  die  Regel  zu  sein.  Getrübt 
wird  die  Prognose  anscheinend  auch  durch  ein  erst  kurzes  Bestehen 
des  Ohrenleidens,  durch  das  Vorhandensein  umfangreicher  adenoider 
Vegetationen  im  Nasenrachenraum  und  durch  Konstitutionskrankheiten 
(Skrophulose,  Anämie).  4.  Die  Tuberkulose  des  Warzenfortsatzes  kann 
durch  die  Kopfstauuug  wahrscheinlich  nicht  geheilt  werden.  5.  Die 
eigentliche  Domäne  der  Stauungstherapie  dürften  leichte  akute  unkom- 
plizierte Otitiden  und  solche  mit  Mastoiditis  einhergehenden  genuinen 
subakuten  und  nicht  zu  frischen  akuten  Fälle  sein,  in  denen  mit  oder 
ohne  Kortikalisdurchbruch  bereits  ein  periostischer  Abszess  über  dem 
Warzenfortsatze  besteht.  Bei  letzteren  ist  die  gleichzeitige  Anwendung 
des  Saugnapfs  indiziert.  6.  War  die  Parazentese  des  Trommelfells 
erforderlich,  so  ist  ihre  stetige  weite  Oifenhaltung  von  grosser  Wichtig- 
keit. 7.  Chronische  Eiterungen  ohne  Karies  und  Cholesteatom  scheinen 
durch  die  Stauungshyperämie  günstig  beeinflusst  zu  werden,  bedürfen 
jedoch  häufig  noch  andrer  therapeutischer  Mafsnahmen.  Bei  Verdacht 
auf  Osteosklerose  ist  von  der  Stauung  Abstand  zu  nehmen.  8.  Bakterio- 
logisch gibt  der  Virulenzgrad  der  Erreger  den  Ausschlag.  Ceteris  paribus 
scheinen  Staphylokokkeninfektionen  die  Prognose  günstiger  zu  gestalten.« 

Zarniko. 

548.  Matt  he  WS  on.  Vier  ungewöhnliche  Fälle  von  akuter  Mastoiditis.  Montreal 

Med.  Jonrn.    Mai  1907. 

Im  zweiten  Fall  trat  die  Mittelohrentzündung  im  Anschluss  an 
eine  Basisfraktur  auf.  10  Tage  später  war  wegen  akuter  Mastoiditis 
die  Aufmeisselung  erforderlich.     Heilung. 

549.  Blake,  John,  Dr.,  Boston.    The  Value  of  the  Bluod  Clot.    Ab  a  Primary 

Dressing  in  Mastoid  Operations.    Brit.  med.  Association  1906. 

Verfasser    empfiehlt   bei  Warzenfortsatzoperationen   die  Blutschorf- 


ifittleres  Ohr.  379 

behandlüng,  indem  er  die  Operationshöhle  nach  sorgfältiger  Tamponade 
und  nach  Entfernung  des  Tampons  mit  Blut  füllt,  die  Wunde  schliesst 
bis  auf  den  untern  Wundwinkel,  der  zum  Abtluss  des  Serums  dient.  Vor 
der  Operation  wird  die  Parazentese  gemacht.  In  Fällen,  wo  keine  ge- 
sunden Granulationen  sich' unter  dem  Schorf  bilden,  wird  derselbe  ent- 
fernt und  ein  sekundärer  Schorf  gebildet.  Die  Blutschorfbehandlung  ist 
nicht  anwendbar  bei  tieferliegender  Erkrankung  wie  Sinuserkrankung  und 
Extradural- Abszessen.  Das  Blutgerinnsel  ist  nach  seiner  Meinung  nicht 
nur  ein  blosses  Fallmateriai  und  gewährt  in  seinem  Senim  ein  Schutzmittel, 
sondern  fördert  die  Bildung  von  Granulationen  und  gibt  daher  schnellere 
und  befriedigendere  Resultate,  als  wenn  die  Wunde  von  Anfang  an 
trocken  tamponiert  wird,  nur  in  Fällen,  wo  wegen  des  pyogenen 
Charakters  ein  Offenhalten  der  Operationshöhle  wünschenswert  erscheint, 
mnss  davon  abgesehen  werden.  Hantschel. 

550.  Allport.  Frank,  Dr.,  Chicago.    Akute  Maatoid- Abszesse.    Cliicago  med. 

Rec.  1906. 

Verfasser  bespricht  hier  die  Ätiologie  der  akut,  absced.  Mastoid. 
und  deren  Symptome,  desgleichen  auch  die  Bezoldsche  Mastoiditis. 
Schmerz  und  Druckempfindlichkeit  an  der  Spitze  ist  nach  der  Meinung 
des  Verfassers  wohl  beachtenswert,  aber  nicht  allgemein  wichtig,  da 
dies  auch,  wie  bekannt,  bei  einfacher  Otorrhoe  und  anderen  unkom- 
plizierten Erkrankungen  der  Paukenhöhle  und  des  Antrum  aufzutreten 
pflegt,  jedoch  wichtig  ist  Schmerz  und  Druckemptindlichkeit  über  dem 
Antrum  und  der  inneren  oberen  knöchernen  Gehörgangswand,  und  bei 
Rötung  und  Schwellung  derselben  muss  zur  sofortigen  Operation  geraten 
werden.  Hantschel. 

551.  A  11p ort,   Frank.   Chicago.    The  Differential  Diagnosis  between  some  o 

the  serious  Sequelae  of  Purulent  Otitis  Media.    Chic.  med.  Rec.  1906. 

Verfasser  hält  die  Frühdiagnose  der  absced.  Mastoid.,  der  Phlebitis 
und  Thrombose  des  Sin.  für  viel  leichter  als  die  Diagnose  des  Gross- 
und Kleinhirnabszesses.  Alle  atrsc.  Mast,  folgen  auf  Otitis  med.  purul. 
Politzer  glaubt,  dass  eine  Mast,  ohne  spontane  oder  andere  Perforation 
heilen  kann  und  dass  in  diesen  Fällen  die  Zellen  sich  mit  Granulationen 
füllen  und  der  Eiter  resorbiert  wird.  Der  Verfasser  empfiehlt  jedoch 
bei  einem  akuten  Ausbruch  einer  Mastoid.  mit  typischen  Symptomen 
sofortige  Operation.  Der  Schmerz  des  Warzenfortsatzes  ist  mehr  ein 
initiales  Phänomen  von  Entzündung  des  Knochens  und  Periosts  als  von 
Nekrose,    bei   letzterer  ist   gewöhnlich    wenig    oder   gar   kein  Schmerz 


380     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

vorhanden.  Weiterhin  behandelt  er  die  Diagnose  der  Bezoldschen 
Mastoiditis  und  die  Dififerentialdiagnose  der  Mast,  mit  Furunkulose  des 
äusseren  Gehörganges.  ^^  aller  Ohrerkrankungen  sind  chronische 
Otorrhoeen.  Die  Extraktion  der  Gehörknöchelchen  sollte  der  Sadikal- 
operation  immer  vorhergehen.  Diabetes  ist  keine  Eontraindikation  zur 
Radikaloperation,  50  ^^^  heilen  davon. 

Die  Symptome  der  Sinuskomplikationen  und  Hirnabszesse  werden 
von  ihm  eingehend  geschildert,  sie  sind  hauptsächlich  bei  Männern  im 
jugendlichen  und  mittleren  Alter  zu  finden,  sehr  selten  bei  Kindern. 
Perisinuöse  Abszesse  werden  mehr  bei  akuten  wie  bei  chronischen 
Eiterungen  gefunden.  Sinuspunktion  bei  wandständigen  Thrombus  hat 
keinen  diaghostischen  Wert,  ^j^ — ^/^  aller  llimabszesse  entstehen  durch 
Infektion  von  Mittelohreiterung.     40®/o  davon  heilen.     Hantschel. 

d)  Chronische  Mitte lohreitertmg, 

552.  Muck,  0.,   Essen.    Aphoristische  Mitteilungen  von  Beobachtungen  über 

den  Einflnss  der  vom  Gehörgang  aus  durch  Saugwirkung  hervor- 
gerufenen Stauongshyperämie  auf  Paukenhöhleneiterungen.  Munchn. 
med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  9. 

In  20  Fällen  von  hartnäckiger  chronischer  Schleimhauteiterung  des 
Mittelohres  wurde  das  Saugverfahren  1 — 2  Minuten  lang  mit  Pausen 
von  1  Minute  eine  Viertelstunde  lang  angewandt  und  —  in  allen 
Fällen?  Ref.  —  Heilung  erzielt. 

Muck  empfiehlt  auch  die  Saugung  bei  akuten  Mittelohreiterungen 
mit  ungünstiger  Lage  der  Perforation    und  mit  zitzen förmiger  Öffnung. 

Scheibe. 

553.  Iseraer.    Zwei  Fälle  von  Ohrschwindel,  durch  Operation  geheilt    (Aus 

der  Univ. -Ohrenklinik  Halle  a.  d.  S.)  Münchn.  med.  Wochenschr. 
1907,  Nr.  1. 

Chronische  Mittelohreiterung  mit  plötzlich  eintretendem  Schwindel, 
Im  übrigen  keine  Labyrinthsymptome.     Heilung  nach  Radikaloperation. 

Scheibe. 

554.  Stein,   Königsberg  i.  Pr.    Die  Nachbehandlung  der  Totalaufmeisselung 

ohne  Tamponade.    A.  f.  0.  Bd.  70,  S.  271—282. 

Verf.  berichtet  über  die  ausgezeichneten  Erfolge  der  tamponlosen 
Nachbehandlung  und  entkräftet  überzeugend  die  gegen  die  Methode  von 
berufener  und  unberufener  Seite  gemachten  Einwendungen.  Es  ist  zn 
hoffen,  dass  nunmehr  auch  weitere  Kreise  sich  des  zu  Unrecht  ange- 
feindeten und  missachteten  Verfahrens  annehmen  und  es  wenigstens 
einer  Prüfung  unterziehen  werden.  Zarniko. 


Mittleres  Ohr.  381 

555.  von  zur  Mühlen,  A.,  Ri^a.  Bemerkung  zur  Arbeit  des  Hm.  Dr.  Stein, 

Königsberg  i.  Pr.:  ,Die  Nachbehandlung  der  Totalaufmeisselung  ohne 
Tamponade*  (A,  f.  0.  Bd.  70,  S.  271).   A.  f.  0.  Kd.  71,  S.  117-119. 

Stein  hat  in  seiner  soeben  referierten  Arbeit  geäussert,  von  zur 
Mühlen  hätte  die  Methode  der  tamponlosen  Nachbehandlung  von 
Zarniko  (Deutsche  med.  Wschr.  1898  Vereinsbeil.  S.  255)  über- 
nommen und  auf  Grund  seiner  eigenen  günstigen  Erfahrungen  drei  Jahre 
spater  empfohlen  (Zeitschr.  f.  Ohlk.  39,  S.  380).  Dagej^en  gibt 
Y.  z.  Mühlen  an,  er  hätte  bereits  zwei  Jahre  vor  der  Publikation 
Zarnikos  die  Methode  anzuwenden  begonnen  und  diese  Publikation 
wäre  ihm  z.  Zt.  der  Abfassung  seiner  Arbeit  nicht  bekannt  gewesen. 
(Für  die  Frage  nach  der  Priorität  ist  dieser  Tatbestand  vollkommen 
unwichtig  d.  Ref.) 

Auf  die  übrigen  Ausführungen  des  Verf.s,  werde  ich,  soweit  sie 
sich  mit  meiner  Publikation  befassen,  an  anderer  Stelle  zurückkommen. 

Zarniko. 

556.  Gerber,  Königsberg  i.   Pr.     Tamponlose    Nachbehandlung   und  Tuben- 

abschluss.     A.  f.  0.  Bd.  70,  S.  263—270. 

Verf.  hat  mit  dem  (zuerst  vom  Referenten,  Deutsche  med. 
Wschr.  1898,  Vereinsbeilage  S.  255  angegebenen)  Verfahren  der  tarapon- 
losen  Nachbehandlung  nach  Totalaufmeisselung  die  besten  Erfahrungen 
gemacht.  —  Um  einen  Tubenabschluss  zu  erzielen  hat  er  mehrfach 
Transplantation  von  T  h  i  e  r  s  c  h  sehen  Läppchen  versucht.  Mit  welchem 
Erfolge,  ist  aus  den  Krankenberichten  nicht  deutlich  zu  ersehen.  — 
Ref.  behält  sich  vor,  die  historischen  Bemerkungen  des  Verfs.  an  anderer 
Stelle  richtig  zu  stellen.  Zarniko. 

557.  Gerber,    Königsberg   i.   Pr.     Über  Tubenabschluss    nach    der  Totalauf- 

meisselung.   A.  f.  0.  Bd.  70,  S.  211  ff. 

Vf.  teilt  mit,  dass  er  vor  mehreren  Jahren  versucht  hat,  nach  der 
Totalaufmeisselung  durch  Paraffininjektion  einen  Tubenabschluss  zuwege 
zu  bringen,  dass  diese  Versuche  aber  —  vielleicht,  weil  zu  weiches 
Paraffin  verwandt  wurde  —  missglückt  sind.  Einen  Bericht  Ober  andere 
Verfahren  stellt  er  in  Aussicht.  Am  verheissungsvollsten  erscheint  ihm 
die  primäre  Transplantation  eines  Epidermisläppchens  über  den  Tuben- 
eingang. Zarniko. 

558.  Török,  B.  v.,  Budapest.    Karies  des  horizontalen  Bogenganofes  in  Ver- 

bindung mit  ungewöhnten  klinischen  Erscheinungen.    A.  f.  0.  Bd.  70, 
S.  219-221. 

Chron.   Mittelohreiterung    in    Folge   von   Scharlach.     Exazerbation 


382     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

mit  Schmerzen,  Schwindel,  Erbrechen,  starkem  Nystagmus  beim  Blick 
nach  der  gesunden  Seite.  Wurde  der  Kranke  aufgefordert,  den  in 
kurzer  Entfernung  (bis  1  \  2  ™)  ^'^^  ^^^  Auge  befindlichen  Finger  zu 
fixieren,  so  trat  plötzlich  starke  Konvergenz  der  Bulbi  ein.  Nach 
wenigen  Sekunden  normale  Stellung.  Bei  der  Operation  fand  sich  eine 
Fistel  im  horizontalen  Bogengang,  Cholesteatom.  Danach  kein  Erbrechen 
mehr,  nur  noch  minimaler  Schwindel,  Nystagmus  und  Schielphänomen 
ausgelöscht.  Zarniko. 

559.  Allport,  Frank,  Chicago.    Indications  for  the  So-Called  Badical  Mastoid 

Operation.     St.  Paul  med.  Joum.  1906. 

Verfasser  empfiehlt  die  Radikaloperation  bei  hartnäckiger  chronischer 
Otorrhoe  nach  ungefähr  6  monatllicher  konservativer  Behandlung,  aus- 
genommen natürlich  Streptokokkeninfektionen  und  andere  sichere  intra- 
mastoide  oder  intrakraniale  Komplikationen,  welche  sofortige  Operation 
notwendig  machen.  Bei  chronischer  purulenter  Otorrhoe  ohne  Kom- 
plikationen, bei  welcher  sich  der  Prozess  nur  auf  die  Paukenhöhle  be- 
schränkt, empfiehlt  der  Verfasser  den  Versuch  mit  Extraktion  der 
Gehörknöchelchen.  Weiterhin  behandelt  der  Autor  die  Gefahren  der 
Verletzung  des  Fazialis,  des  horizontalen  Bogengangs,  des  Sinus  und 
anderer  mehr.  Schlechte  Heilresultate  werden  durch  Mangel  an  Sorg- 
falt bei  der  Entfernung  aller  nekrotischen  Teile,  durch  schlechte  Plastik 
oder  ungenügendes  Abkratzen  der  Tube  Eust.  von  Seiten  des  Operateurs 
verschuldet.  Eine  unvollkommene  Heilung  erfolgt  ferner  durch  Fehler 
beim  Abtragen  der  oberen  Knochenleiste  zwischen  Gehörgang  und  Kuppel- 
rauni.  Die  Operation  ist  vollendet,  wenn  die  obere  Gehörgangswand 
mit  der  oberen  Wand  des  Kuppelraumes  oder  Tegmen  tymp.  sich  in 
einer  Fläche  befinden.  Die  Hörfähigkeit  bleibt  nach  der  Operation 
dieselbe  oder  wird  gebessert.  Hantschel. 

560.  Cheatle,   Arthur  H.    Ein   Fall  von   chronischer  Mittelohreitenmg   mit 

Nekrose  des  Labyrinths,  Fazialislähmung,  starker  Parotisschwellung 
und  Eiterung,  welche  sich  hinter  dem  Unterkiefer  bis  zum  weichen 
Gaumen  und  den  TonsiDen  erstreckte.  Joum.  of  Laryngology,  Bhin. 
and  Otolügy.     April  1907. 

Bei  der  Operation  war  der  Warzenfortsatz  diploisch  und  gesund, 
das  Antrum  klein.  Eine  grosse  Öffnung  führte  von  der  oberen,  hinteren 
und  unteren  Mittelohrvvand  in  eine  grosse  mit  Granulationen  ausgefüllte 
Höhle  und  enthielt  einen  aus  einem  Teil  des  Vestibulums  und  den 
Halbzirkelkanälen  bestehenden  Sequester.  Der  Finger  konnte  in  eine 
Abszesshöhle  eingeführt  werden,  welche  die  Tonsille  vorgetrieben  hatte. 


Mittleres  Ohr.  3S3 

Eine  Gegenöffnung  warde  angelegt  zwischen  dem  Abszess  und  der  Ober- 
fläche des  Nackens.     Heilung. 

c)    Cerebrale  Komplikationen, 

561.  Tanturri»  Domenicu,  Prof.,  Neapel.  Schwere  und  rasch  eingetretene 
endokranielle  Komplikation  bei  einem  Falle  von  akuter  eitriger  Otitis- 
Operation.  Heilung.  BoUettino  delle  malattle  dell'orecchio  etc. 
25.  Jahrg.  Nr.  7. 

12  jährige  Patientin  au  rechtsseitiger  eitriger  Otitis  erkrankt.  Kurz 
nach  deren  Beginn  heftige  Kopfschmerzen  und  Erbrechen,  Temp.  39.8, 
komatöser  Zustand.     Rechtsseitige  Abducenslähmung. 

Bei  der  sofort  vorjfenommenen  Operation  wurde  ein  ExtraduraU 
abszess  in  der  mittleren  Schädelfrrube  entdeckt:  äussere  Sinuj>wand  mit 
Granulationen  bedeckt.  Nach  der  Operation  gingen  die  schweren  er- 
wähnten Erscheinungen  rasch  zurück.  Die  Lähmung  des  rechten 
Abduzens  nahm  allmählich  ab. 

Der  Mitteilung  des  Falles  folgt  eine  ausführliche  Epikrise. 

R  i  nn  n  i. 
o62.    Habermann,  J.,  Graz.  Contributiun  a  l'etude  de  Tabsces  c^r^bral  d'origine 
ütique.     Arch.  Internat.  d'ot<il.  etc.  Bd.  23,  Nr.  2. 

Die  seit  lü  Jahren  bestehende  rechtseitige  Mittelohreiterung  führt 
bei  einer  31j.  Patientin  zu  Schläfenlappenabszess.  Interessant  an  der 
Beobachtung  ist  die  Angabe,  dass  die  Temperatur  nie  über  37,8  erhöht 
war  und  neben  Lähmung  des  linken  Armes  auch  linksseitige  Anosmie 
und  linksseitige  Taubheit  (Schädigung  der  Leitungsbahnen  in  der  Capsula 
interna)  bestanden.  Operation,  Heilung.  Nach  Entleeren  des  Abszesses 
gingen  die  Armlähmung  und  die  Anosmie  vollständig  zurück,  das  Gehör 
besserte  sich  wieder,  nicht  nur  auf  dem  rechten  operierten,  sondern 
auch  auf  dem  linken  zur  Zeit  der  Operation  tauben  Ohre. 

Oppikofer. 

563.  De  Stella,  Gent.  Absces  du  lobe  tempurosph6n«»idal  et  m^ningite  otitique. 
Arch.  Internat,  d'otol.  etc.  Bd.  23,  Nr.  2. 

Schläfenlappenabszess  und  Meningitis  im  Anschluss  an  alte  vernach- 
lässigte Mittelohreiterung  bei  25  jähr.  Patienten.  Da  die  Symptome  un- 
bestimmt waren,  so  wurde  der  Abszess  erst  durch  die  Sektion  aufgedeckt. 

Oppikofer. 

Ö64.  Richards,  John  D.  Fall  von  Kleinhirnabszess.  New-Yurk.  med.  Joum. 
4.  Mai  1907. 

Operation,  Gummischlauchdrainage,  Heilung. 


384     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

565.  Delsaux,  L.,  Dr.,  Brüssel.    Apropos  de  six  cas  de  thrombo-phlebite  des 

Sinns  craniens  d'oripine  otitique.    La  Presse  otolaryngologique  Beige, 
1907,  Heft  7. 

Wenn  man  die  Ligatur  der  Jugularis  ausführt,  muss  man  dies  an 
einem  von  dem  Orte  der  Infektion  genügend  entfernten  Orte  tun,  d.  h. 
man  muss  sehr  tief  und  auch  sehr  früh  unterbinden.  In  dem  Moment, 
wo  sich  am  Halse  Zeichen  der  Thrombophlebitis  zeigen,  muss  man  die 
Jugularin  in  der  Gegend  des  Schlüsselbeins  unterbinden;  sind  keine 
klinischen  Zeichen  am  Halse  zu  finden,  dann  ist  es  besser  die  Jugularis 
unberührt  zu  lassen.  Die  Durchspülung  ist  nur  ein  Mittel  zur  Ver- 
minderung der  Infektion,  hat  aber  keinen  Einfluss  auf  die  Erkrankung 
der  Venenwand.  Brandt. 

566.  Langworthy,  H.  G.,  Dubuqne.    Thrombose  der  Sinus  cavemosi.    Boston 

Med.  Journ.  25.  April  1907. 

Bericht  über  4  Fälle.  Der  erste  war  mit  Sinusthrombose,  der  zweite 
mit  Extraduralabszess,  der  dritte  mit  Bronchopneumonie,  der  vierte  mit 
Meningitis  kompliziert.     Alle  starben  an   Pyämie.  Clemens. 

567.  Langworthy,  H.    Optic  Neuritis  in  Thrombosis  of  the  Cranial  Sinuses 

and  Intenial  Jagular  Vein.     Occurrence  30  0/q  in   twenty-six   Gases. 
The  laryngoskop.  St.  Louis  Jan.  1907. 

Doppelte  optische  Neuritis  ist  konstant  bei  Hirntumor.  Nach 
Knapp  80  "/^  Papillitis  bei  Hirntumor.  Die  Papille  scheint  nicht  von 
der  Lokalisation  des  Tumors  abzuhängen.  Bei  Meningitis  ist  opt. 
Neuritis  konstant.  De  Schweinitz  kennt  4  Arten  von  Meningitis: 
einfache,  tuberk.,  traumat.,  und  cerebrospin.  Men.  Tuberk.  des  Hirns 
ist  die  häufigste  Ursache  der  optisch.  Neur.  76 — 81  ^/q.  In  nahe  ^/^ 
der  Fälle  wurde  die  Diagnose  ohne  Veränderungen  am  Auge  gemacht. 
30  ^/o  von  opt.  Neuritis  bei  Sinusthrombose.  Dieselbe  geht  immer 
zurück.  Hantschel. 

d)    Sonstige  Mitte  lohr  er  krankungen. 

568.  Botella,   E.,  Madrid.     Sarcome  de  Toreille  moyenne.     Arch.   internat. 

d'otol.  etc.  Bd.  23,  Nr.  2. 

Seit  4  Monaten  fliesst  bei  der  43  j.  Patientin  übelriechender  Eiter 
aus  dem  rechten  Ohre.  Der  Gehörgang  ist  mit  spontan  blutenden 
weichen  Polypen  ausgefüllt,  die  sich  bei  der  mikrosk.  Untersuchung  als 
sarkomatös  erwiesen.  Keine  Schmerzen ;  keine  Fazialislähmung.  Taub- 
heit. Bei  Eröffnen  des  Warzenfortsatzes  zeigt  es  sich,  dass  die  malignen 
Tumormassen  vom  Aditus  ausgehen.     1  Jahr   nach  der  Operation  kein 


Nervöser  Apparat.  385 

Rezidiv.      Im   Anschlass    an    die   KraDkengeschichte   Zasammenstellang 
der  diesbezüglichen  Literatnr.  Oppikofer. 

569.  Langworthy,  H.  Glover.  Dr.,  Dubuqae.    A  Gase  of  Hysterical  Mastoid 

Tenderness  and  Paio,  Without  Fanctional  Distnrbauce. 

Verfasser  berichtet  über  einen  Fall  von  hyst.  Druckempfindlichkeit 
nnd  Schmerz  des  rechten  Proc.  raast.  ohne  Funktionsstörung.  Nach 
elektr.  Behandlung  Genesung.  Hantschel. 

NerYOser  Apparat« 

570.  Schönborn,  Heidelberg.    Über  Polyneuritis  cerebralis  acuta  mit  Beteili- 

gung der  N.  acustici.  (Polyn.  cerebr.  menierifonnis  Fran  kl -Hoch- 
wart.)   MOnchn.  med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  20. 

Fall  von  akuter  Erkrankung  des  linken  Abduzens  und  Fazialis  und 
beider  Akustici  mit  Ausgang  in  Heilung  resp.  Besserung.     Scheibe. 

571.  Parry,  T.  WiLon.    Über  die  Differentialdiagnose  zwischen  Meni Drescher 

Erkrankung  nnd  anderen  Fällen  von  Meni  ereschem  Symptonien- 
komplex  mit  Bemerkungen  ül«er  den  praktischen  Wert  des  Haarseils. 
Brit.  med.  Jonmal  11.  Mai  1907. 

Nach  kurzen  Bemerkungen  über  die  Differentialdiagnose  berichtet 
P.  über  den  Fall  einer  Krankenwärterin,  bei  welcher  die  Einführung 
eines  Haarseils  in  den  Nacken,  welches  ein  Jahr  lang  getragen  wurde, 
alle  Erscheinungen  verringerte,  nachdem  die  Patientin  5  Jahre  lang 
ihrem  Berufe  nicht  nachgehen  konnte.  P.  nimmt  an,  dass  das  Haarseil 
durch  Reflexwirkung  die  vasomotorischen  Nerven  beeinflusst.  Die  chronische 
Gefässdilatation  wird  in  normalen  Tonus  verwandelt. 

572.  Baräny,  Robert.     Die  Untersuchung  der  reflektorischen  vestibulären  und 

optischen  Angenbewegungen  und  ihre  Bedeutung  für  die  topische 
Diagnostik  der  Augenmnskellähmun<fen.  Nach  einem  in  der  österr. 
otologr.  Gesellsch.  gehauenen  Vortrag.  (Aus  der  Univ. -Ohrenklinik 
Wien.)    Mönchn.  med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  22. 

Auf  Grund  eines  mitgeteilten  Falles  von  totaler  Blicklähmung,  bei 
welchem  durch  Reizung  des  Vestibularapparates  noch  Bewegung  der 
Augen  in  der  Richtung  der  langsamen  Bewegung  des  Nystagmus  hervor- 
gerufen werden  konnte,  während  die  schnelle  Bewegung  des  vestibulären 
Nystagmus  ebenso  wie  der  optische  fehlte,  nimmt  Bar4ny  an,  dass 
nur  die  langsame  Bewegung  des  vestibulären  Nystagmus  vestibulär  ent- 
steht, während  die  rasche  Komponente  auf  der  Bahn  der  Willkür- 
inneivation  im  kontralateralen  Blickzentrum  zu  stände  kommt.  Hierfür 
spricht  auch  die  Beobachtung,  dass  in  Narkose  bei  Reizung  des  Vestibular- 
apparates die  rasche  Componente  fehlt. 


386     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

B.  gibt  ein  Schema  für  die  Bahnen,  welche  der  Reiz  bei  Auslösung 
des  Nystagmus  durchläuft. 

An  der  Hand  interessanter  Krankengeschichten,  welche  im  Original 
nachgelesen  werden  müssen,  wird  die  Bedeutung  des  vestibulären 
Nystagmus  für  die  topische  Diagnostik  der  Augenmuskellähmungen  erörtert. 

Scheibe. 

573.    Stern ,  Arthur.     Über   Cysticerken  im   IV.  Ventrikel.     Zeitschr.   f.  klin. 
Med.  1907,  Bd.  61,  sJ  64. 

Stern  bespricht  auf  Grund  von  4  eigenen  und  68  Fällen  der 
Literatur  die  Symptomatologie  und  Diagnose  des  Cysticercus  im  4.  Ventrikel. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  für  die  Diagnose  ist  der  Wechsel 
zwischen  dem  Auftreten  schwerer  Gehirnerscheinungen  und  vollständigem 
Wohlbefinden  mit  Zurückbildung  sämtlicher  Herderscheinungen.  Lang- 
dauernde und  ziemlich  vollständige  Remissionen  kommen  auch  bei 
(gefässreichen)  Geschwülsten  vor,  doch  bestehen  in  der  Zeit  des  guten 
Befindens  immerhin  irgendwelche  Ilerdsyraptome  weiter,  wenn  sie  während 
der  Verschlechterung  aufgetreten  waren.  Von  lokalen  Symptomen  ist 
besonders  das  Brunsschc  diagnostisch  wertvoll. 

Stern  erwähnt  nur  dieses  von  Bruns  im  Jahre  1902  beschriebene 
Symptom,  ohne  des  im  Jahre  1898  von  Schmidt  publizierten  und 
nach  ihm  benannten  ganz  ähnlichen  Symptoms  zu  gedenken. 

Das  Schmidtsche  Symptom  besteht  darin,  dass  Patient  bei  Ein- 
nahme einer  bestimmten  Kopfstellung  Erbrechen  respektive  Schwindel, 
Erbrechen  und  Ohrensausen  bekommt.  Schmidt  will  aus  der  Seite 
der  Lagerung  des  Patienten  auf  die  Seite  des  Tumors  schliessen. 

Oppenheim,  der  überhaupt  zuerst  den  Einfluss  der  Lagerung 
auf  das  Auftreten  von  Schwindelanfällen  beobachtet  hat  und  diese 
Erscheinung  bei  Labyrinthaffektionen,  bei  Erkrankungen  im  Gebiete  des 
Nervus  vestibularis,  der  Kleinhirn^chenkel  und  des  Kleinhirns  sah,  konnte 
die  von  Schmidt  angegebene  Gesetzraäfsigkeit  nicht  bestätigen.  Auf 
das  Auftreten  von  Nystagmus  hat  keiner  der  genannten  Autoren  geachtet. 

Referent  hat  sowohl  bei  Erkrankungen  des  Labyrinths  als  auch 
bei  Erkrankungen  des  Kleinhirns  resp.  Tumoren  an  der  Schädelbasis 
im  Bereiche  des  Nervus  acusticus,  das  Auftreten  von  Schwindel  und 
rotatorischem  Nystagmus,  sowie  von  typischen  vestibulären  Gleichgewichts- 
störungen, von  Übelkeiten  und  auch  Erbrechen  wiederholt  gesehen. 

Er  hält  das  Schmidtsche,  Bruns  sehe  Symptom  und  die  Oppen- 
heim sehen  Beobachtungen  für  ein  Zeichen  der  Reizung  des  Nervus 
vestibularis,  sei  es  im  peripheren  Endorgane,  sei  es  in  seinem  Verlaufe. 


Nas^  und  Xasenrachenraura.  387 

Das  Symptom  an  sich  lässt  deshalb  nach  des  Referenten  Ansicht  eine 
genaue  Lokalisatiou  nicht  zu.  Aus  den  Begleiterscheinungen,  sowie 
aus  der  Intensität  und  Häufigkeit  seines  Auftretens  wird  man  jedoch 
nicht  selten  in  der  Lage  sein,  eine  genauere  Lokal isationsdiagnose 
zu  stellen. 

Als  Ursache  des  Brunsschen  Symptoms  betrachtet  Stern  eine 
plötzliche  Zunahme  des  intrakraniellen  Druckes;  diese  Annahme  ist 
nicht  gerechtfertigt,  wenn  man  bedenkt,  dass  bei  Erkrankungen  des 
Nervus  vestibularis,  wo  von  Drucksteigerung  keine  Rede  sein  kann, 
dasselbe  Symptom  vorkommt.  Nach  Ansicht  des  Referenten  lässt  sich 
aus  diesem  Symptom  nur  auf  eine  abnorme  Reizbarkeit  im  Bereiche 
des  Nervus  vestibularis  schliessen.  Diese  hat  zur  Folge,  dass  bereits 
bei  geringen  Veränderungen  der  Kopfstellung  Nystagmusanfälle  auftreten. 

Von  Interesse  sind  die  Beobachtungen  Sterns  über  die  suggestive 
Beeinflussbarkeit  der  cerebellaren  Ataxie  seiner  Kranken  und  einiger 
in  der  Literatur  beschriebener  Fälle.  Es  stimmt  dies  mit  den  Er- 
fahrungen des  Referenten  überein,  da:?s  dort,  wo  Schwindel  und  Gleich- 
gewichtsstörungen anfallweise  auftreten,  auch  in  der  Zwischenzeit  zwischen 
den  Anfällen  auf  neurotischer  Basis  Gleichgewichtsstörungen  ohne  Schwindel 
sich  zeigen,  welche  dann  suggestiver  Behandlung  zugängig  sind.  Man 
darf  nur  nicht  in  den  Fehler  verfallen,  wegen  des  Vorhandenseins 
hysterischer  Symptome  eine  organische  Erkrankung  auszuschliessen. 

Störungen  von  Seiten  des  Nervus  cochlearis,  wie  Ohrensausen  und 
Schwerhörigkeit,  sind  nur  in  vier  Fällen  beschrieben.  Meyer  führt 
sie  auf  Kompressicm  der  Striae  acusticae  zurück.  Nach  Ansicht  zahl- 
reicher Neurologen  hat  eine  Störung  in  den  Striae  acusticae  keinen 
Einfluss  auf  das  Gehör.  Baräny. 

Nase  und  Naseurachenraum. 

a)  Allgevieine  Pathologie  und  Therapie, 
574.  Gutmann,  Dr.,  Berlin.  Äussere  Auj^^enerkrankungen  in  ihrer  Beziehuiii,' 
zu  Nasenleiden.  Deut>che  med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  20,  21,  '22. 
Aus  der  umfangreichen  Arbeit  interessiert  uns  folgendes.  Endet 
der  Tränennasengang  unter  dem  vorderen  Ende  der  unteren  Muschel 
mit  weiter  scharfrandiger  Öffnung,  entsprechend  der  Länge  des  knöchernen 
Ductus  lacrymalis,  so  pflegen  die  Entzündungserreger  der  Nase  nach 
dem  Bindehautsack  zu  wandern  und  der  akuten  Rhinitis  die  Conjuncti- 
vitis zu  folgen.  Setzt  sich  der  Tränennasengang  über  das  Ostium  des 
knöchernen  Ductus  lacrymalis  noch  eine  Strecke  in  der  Nasenschleimhaut 


388     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

fort,  so  entsteht  dadurch  an  der  medialen  Seite  die  sogenannte  Valvula 
Hasneri,  die  als  Klappe  dient,  Conjunctivitis  verhütet,  aber  Tränen- 
träufeln bedingt.  Nicht  selten  werden  sensitive  und  andererseits  vaso- 
motorische Reflexneurosen  des  Auges  von  der  erkrankten  Nase  ausgelöst 
und  durch  geeignete  Behandlung  (Beseitigung  der  hypertrophischen 
Nasenschleimhaut,  der  Spinen,  Cristen  oder  Deviationen  des  Septum 
narium,  etwaiger  Verwachsungen  daselbst  etc.)  geheilt.  Was  den  Bak- 
teriengehalt der  Nase  anlangt,  so  ist  zwar  die  Wanderung  von  Bakterien 
von  der  Nase  aus  durch  den  Tränennasenkanal  in  einzelnen  Fällen  mit 
Sicherheit  nachgewiesen  worden,  doch  dtirfte  die  Übertragung  der  Keime 
des  Nasensekrets  auf  die  Conjunctiva  zumeist  durch  die  Hände,  Tücher  etc. 
erfolgen.  Gleichzeitige  Untersuchungen  in  der  Königl.  Augenklinik  und 
der  Klinik  für  Ohrenkranke  zu  Berlin  haben  ergeben,  dass  von  100 
an  Ekzem  der  Binde-  und  Hornhaut  leidenden  Patienten  93  derselben 
gleichzeitig  ein  Nasenleiden  hatten,  davon  81  ein  chronisches.  Unter 
den  Nasenleiden  nehmen  die  adenoiden  Vegetationen  mit  fast  50  ^Jq  die 
erste  Stelle  ein.  Andererseits  spielt  bei  chronischer  Conjunctivitis  die 
chronische  Rhinitis  bei  Crista  oder  Deviatio  septi  die  Hauptrolle. 
Ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  bei  der  Dacryocystoblennorrhoe,  doch 
spielt  hier  naturgemäls  die  eitrige  Entzündung  der  Nasenschleimhaut 
resp.  der  Nasenebenhöhlen  eine  grössere  Rolle.  Als  besonders  auffällig 
ist  hervorzuheben,  dass  von  diesen  Patienten  79  ^/q  weiblich  waren 
gegenüber  21  ^/^  männlichen.  Für  das  Trachom  ergab  die  Untersuchung, 
dass  etwa  GO^j^  der  Patienten  ein  exquisit  chronisches  Nasenleiden 
hatten.  Gleichzeitiges  Auftreten  von  Tuberkulose  resp.  Lupus  der  Binde- 
haut und  der  Nasenschleimhaut  ist  einigemale  beobachtet  worden,  aber 
nicht  häufig  genug,  um  die  Frage  zu  entscheiden,  ob  die  Bindehaut- 
oder Nasenschleimhauttuberkulose  in  der  Mehrzahl  das  Primäre  ist. 
Schliesslich  erwähnt  G  u  t  m  a  n  n  die  gelegentlich  beobachtete  Colncidenz 
von  Pemphigus  der  Bindehaut  und  der  Nasenschleimhaut  und  bemerkt 
dabei,  dass  dieses  Zusammentreffen  wahrscheinlich   zufälliger  Natur  sei. 

Noltenius. 

575.    Hartmann,  Arthur,  Prof.  Dr.,  Berlin.    Über  nasalen  Kopfschmerz  und 
nasale  Neurasthenie.     Deutsche  med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  18. 

Hartmann  geht  davon  aus,  dass  Peritz  und  namentlich  Nor- 
ström  mehrfach  die  Erfahrung  gemacht  haben,  dass  chronische  Ent- 
zündung der  Halsmuskeln  (Sternocleido  mast.,  Trapecius,  Splenius) 
namentlich,  wenn  die  Insertionsst eilen  am  Schädel  betroffen  sind,  häufig 
Anlass  gibt  zu  heftigen  migräneartigen  Kopfschmerzen,  die  durch  Massage 


Nase  und  Nasenrachenraum.  389 

(Norström),  Kochsalzinjektion  (Peritz),  Faradisation  (Hart mann) 
bisweilen  überraschend  schnell  beseitigt  werden  können.  Häufiger  ist  es  die 
mangelhafte  Nasenatmuug,  die  durch  ungentlgende  Sauerstoffaufnahme  und 
verminderte  Abgabe  der  Verbrennungsprodukte  das  Auftreten  der  Kopf- 
schmerzen und  von  Neurasthenie  bedingt.  Bei  Kindern  spielen  die  adenoiden 
Vegetationen  die  Hauptrolle,  bei  Erwachsenen  Schwellungszustände  der 
Schleimhaut,  Verbreiterungen  der  Nasenscheiden  wand,  enge  Bauart  der 
Nase,  erschlaffte  Nasenflügel  und  in  nicht  seltenen  Fällen  Erkrankung 
der  Nasennebenhöhlen,  seltener  Nasenpolypen.  Schlaffe  Nasenflügel 
werden  durch  den  Feld  bausch  sehen  Diktator  abgehoben,  in  den 
meisten  anderen  Fällen  ist  die  chirurgische  Behandlung  am  Platze: 
Entfernung  der  adenoiden  Vegetationen,  Beseitigung  der  Hypertrophien 
durch  Galvanokaustik  oder  Schlinge,  der  Spinen  und  Cristen  durch 
Säge  oder  Meissel,  der  zu  stark  vorspringenden  Muscheln  mittelst  scheren- 
artiger Instrumente,  der  deviierten  oder  gebrocheneu  Scheidewand  durch 
partielle  Resektion.  Nebenhöhlenaffektionen  werden  manchmal  mit  Erfolg 
auf  endonasalem  Wege  behandelt,  in  schweren  Fällen  sind  äussere  Ein- 
griffe nicht  zu  umgehen,  aber  stets  erst  dann,  wenn  schonendere  Ver- 
fahren nicht  zum  Ziele  geführt  haben.  Noltenius. 

b)   Ozäna. 

576.  0  k  u  n  »^  > ,  W.  N.,  Prof.   Ein  Fall  symmetrischer  Atrophie  der  Haut  und 

(Icb  Unterhantzellgewebes  an  den  Seitenteilen  der  Nase  bei   Ozaena 
Tnlgaris.    Russische  Monatsschr.  f.  Ohrenheilk.  etc.,  April  1907. 

Bei  der  schon  viele  Jahre  an  Ozäna  leidenden  Pat.  sah  man  an 
den  Seitenteilen  der  knorpligen  Nasenhälfte,  an  der  Grenze  des  knöchernen 
Nasenrückens,  im  Gebiete  der  Cartilag.  triangularis  gleichmäfsige  Grübchen, 
deren  Grösse  etwa  dem  der  Kleinfingerkuppe  entsprach.  Die  Haut  mit 
Unterhautzellgewebe  waren  an  diesen  Stellen  stark  atrophiert.  Es 
handelte  sich  hier  wahrscheinlich  um  eine  Trophoneurose  der  Haut- 
verzweigungen der  Nn.  ethmoidales  (vom  N.  nasociliaris  des  I.  Trigeminus- 
astes),  Durch  Paraffininjektionen  wurden  die  Grübchen  ausgefüllt  und 
eine  vollkommen  normale  Nasenform  erzielt.  S  ach  er. 

c)  Neubildungen  der  Nase. 

577.  Schmidt,  Alois,  Würzburg.    Ein  blutender  Polyp   der  unteren  Muschel 

(Angioma  cavemosum).    Arch.  f.  Laryngol.  Bd.  XIX,  Heft  3. 

Der  erbsengrosse,  blaurote,  von  der  rechten  unteren  Muschel  ab- 
getragene Tumor  zeigte  vor  allem  einen  grossen  Reichtum  von  Blut- 
räumen, die  durch  Bindegewebs-Septen  von  einander  getrennt  waren. 

von  Eicken  (Freiburg). 


390     Bericht  übtT  die  Leistungen  und  Forti^chritte  der  Ohrenheilkunde. 

57^.    Citelli,   Catania.     Un   cas  de   m^lanosarcome    de   la   muqueuse    nasale. 
Arch.  internat.  d'otol.  etc.  Bd.  23,  Nr.  3. 

Das  Melanosarkom  lag  bei  der  68 jähr.  Patientin  in  der  Gegend 
der  mittleren  Muschel  und  war  von  hier  aas  auf  die  Orbita  und  den 
Oberkiefer  übergegangen.  Keine  Operation.  Tod  unter  meningitischen 
Symptomen,  mehr  wie  2  Jahre  nach  Beginn  der  Erkrankung.  Genauer 
mikroskopischer  Befund.  Nicht  zutreffend  ist  die  Angabe,  dass  die 
Nasenschleimhaut  immer  pigmentfrei  sei.  Oppikofer. 

579.  Denker,  Alfred.  Erlangen.  Zur  Operation  der  malignen  Nasengeschwülste. 

Arch.  f.  Laryngol.  Bd.  XIX.  Heft  3. 

Mitteilung  von  zwei  Fällen  maligner  Tumoren,  die  nach  der  von 
D.  angegebenen  Methode  (Münch.  med.  Wochenschr.  1906,  Nr.  20) 
operiert  wurden.  Fall  1  blieb  bis  jetzt  —  7  Monate  nach  der  Ope- 
ration —  rezidivfrei.  Fall  2  starb  an  Meningitis.  Das  Verfahren  D.s 
bietet  inbezug  auf  breite  Freilegung  des  Operationsgebietes  die  gleichen 
Vorteile  wie  die  bisher  geübten  mit  einer  Kontinuitätstrennung  der 
äusseren  Haut  einhergehenden  grossen  Voroperationen  und  hat  den  Vorteil 
der  geringeren  Gefahr  einer  Aspirationspneumonie  und  des  Wegfalls 
jeglicher  Entstellung. 

580.  Downic,  Walther.   Sarkom  der  Nase.   (ilast?ow  med.  Journal  August  1907. 
Über  ()  Fälle  wird  berichtet. 

d)  Nasenscheidewand. 

5S1.    Schmidt,  Alois  Würzburg.     Fall  von  Fibroma  oedematosum  der  Nasen- 
scheidewand.   Arch.  f.  Laryngol.  Bd.  XIX.  Heft  3. 

von  Eicken. 

582.  Anton,  Wilb.  Dr.,  Prag.   Partielle  angeborene  Atrophie  der  Nasenschleim- 

haut.   Ein   Beitrag  zur   Ätiologie   des  T'lcus  septi  perforans.     Prag, 
med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  1^, 

Unter  130  Kinderleichen  beobachtete  A.  dreimal  angeborene  partielle 
Atrophie  der  Nasenschleimhaut  im  vorderen  Teil  der  Nasenscheidewand 
und  glaubt,  dass  diese  Atrophie  für  eine  ganz  beträchtliche  Anzahl  von 
Perforationen  des  Septums  verantwortlich  gemacht  werden  kann. 

Hartmann. 

583.  Vanden  Wildenberg,  Antwerpen.  Nouveau  speculum  ponr  les  resections 

endonasales.     Arcb.  internat.  d'otol.  »tc.  Bd.  23,  Nr.  3. 

Für  die  submuköse  Septumreaktion  gibt  Verf.  Abbildung  und  Be- 
schreibung eines  Nasenspekulums,  das  gestattet,  vom  unteren  Nasengang 
aus  das  Loslösen  von  Schleimhaut  und  Knorpel  zu  beobachten.  Die 
kürzere  Branche  hebt  den  Nasenflügel  vom  Septum  ab  und  die  längere 


Nase  und  Nasenrachenraum.  391 

liegt  zwischen  der  bereits  abgelösten  Schleimhaut  und  dem  biossliegenden 
Knorpel.  Oppikofer. 

584.  Mosch  er,  Harris.  P.    Ein  Spekulum  für  die  submuköse  Resektion  des 

Septums.     Laryngoskope  Jan.  1907. 

Die  beiden  Blätter  des  K  i  1 1  i  a  n  sehen  Spekulms  sind  durch  Blätter 
von  Draht  ersetzt.  Die  gefensterten  Blätter  sind  genügend  stark  und 
lassen  sich  für  jede  Länge  anpassen.  Clemens. 

585.  Miller,   E.  E.     Beobachtungen   über   eine   ideale  lokale  Anästhesie    für 

submuköse  Resektion.    Med.  Record.  23.  Febr.  1907. 

M.  löst  Kokainkristalle  durch  Auftropfen  von  Adrenalinlösung 
1  :  1000,  bis  die  Kristalle  gelöst  sind.    Die  Anästhesie  dauert  ^/^  Stunden. 

Clemens. 
e)  Nebenhöklen, 

586.  Heimerdinger,  A.,  Strassburg  i.  E.  Beiträge  zur  pathologischen  An atomie 

der  Kieforhöhle.     Arch.  f.  Laryngol.  Bd.  XIX,  H.  8. 

Mitteilung  eines  Falles  von  Cholesteatom  und  eines  Falles  von 
Cholestearincyste  der  Kieferhöhle  mit  mikroskopischer  Untersuchung. 
Fall  1  betraf  einen  Patienten  mit  Ozäna,  bei  dem  schon  früher  im 
unteren  Nasengang  nach  der  Kieferhöhle  hin  eine  Öffnung  angelegt 
worden  war.  Bei  der  erneuten  Eröffnung  der  Höhle  fanden  sich  grosse 
zwiebelschalenartig  angeordnete  Epithelmassen,  zwischen  denen  Cholestearin- 
kristalle  eingestreut  waren.  Autor  ventiliert  die  Frage,  ob  diese  Bildung 
etwa  von.  dem  metaplastischen  Epithel  der  Ozäna  ihren  Ausgang  ge- 
nommen haben. 

Fall  2  betrifft  eine  kranke  Kieferhöhle,  in  der  eine  von  der 
Gegend  des  Foramen  maxillare  ausgehende  Erweichungscyste  gefunden 
wurde.  Neben  Cholestearinkristallen  wurden  zahlreiche  Riesenzellen 
angetroffen.  von  Eickeu. 

587.  A  lag  na,  G.  Dr.,  Turin.     Über  die  pathologische  Histologie  der  Sinusitis 

maiillaris  chronica.    Archivio  italiano  di  otologia  etc.  Bd.  XVIII,  H.  4. 

Ausführliche  Mitteilung  des  pathologisch  -  histologischen  Befundes 
der  Schleimhaut  des  Sinus  maxillaris  beim  chronischen  Empyem.  Nach 
der  Beschreibung  der  pathologischen  Veränderungen  des  Epithels  teilt 
Verf.  diejenigen  der  subepithelialen  Schicht  mit.  Letztere  bestehen  aus 
der  Alteration  der  Gefässe  und  der  Drüsen,  aus  polypösen  und  papillo- 
matösen  Bildungen  und  aus  dem  Vorhandensein  von  Plasmazellen  und 
ihren  Degenerativformen.  Die  einschlägige  Literatur  wird  ausführlich 
mitgeteilt.  Rimini. 


392     Bericht  über  die  Leistongcn  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

588.  Kyle,   D.  Braden,  M.  D.,  Prof.  of  Laryng.  in  Jefferson  Medical  College. 

General  pathologic  Processes  associated  with   or  following  Infections 

of  the  accesaory  sinnses. 
Verf.  teilt  die  pathologischen  Veränderungen  der  Auskleidung  der 
Nebenhöhlen  in  2  Klassen:  1.  AflFektionen  der  Schleimhaut,  2.  Affektionen 
der  tiefer  liegenden  Partien  und  der  knöchernen  Umrahmung.  Die 
Schleimhaut  der  Nebenhöhlen  ähnelt  der  Beschaffenheit  der  Schleimhaut 
der  oberen  Luftwege,  nur  mit  einer  geringeren  Anzahl  von  Drüsen- 
elementen  und  Nervenendigungen  versehen.  Da  das  Epithelpolster  dünner 
ist,  ist  die  Schleimhaut  auch  weniger  widerstandsfähig,  und  es  sind  die 
Entzündungen  schneller  und  intensiver.  Verf.  bespricht  dann  die  Folgen 
der  Nebenhöhlenerkrankungen  und  führt  deren  Ursache  in  der  Majorität 
der  Fälle  auf  Erkrankungen  der  Nase  zurück. 

Wichtig  für  Nebenhöhlenerkrankungen  und  Sinuserkrankungen  sind 
die  Augensymptome.  Ödem  der  Lider  ist  nach  der  Meinung  des  Ver- 
fassers eines  der  Hauptsymptome  der  Nebenhöhlenerkrankungen.  Die 
Keilbein-  und  Siebbeinhöhlen  neigen  mehr  zur  Knochennekrose  wie  Stirn- 
und  Kieferhöhle,   die  der  chirurgischen  Behandlung   zugänglicher   sind. 

Hantschel. 

589.  Gold  mann,  Edwin  und  K  i  1 1  i  a  n ,  Gustav,  Freiburg  i.  B.   Über  die  Ver- 

wendung der  X-Strahlen  für  die  Bestimmung  der  nasalen  Nebenhöhlen 
und  ihrer  Erkrankungen.  Beitr.  zur  klin.  Chirurgie,  Bd.  54,  Heft  1. 
In  der  vorliegenden  mit  16  Röntgenphotographien  auf  8  Tafeln 
ausgestatteten  Arbeit  führen  die  Yff.  den  Nachweis  für  die  diagnostische 
Verwertbarkeit  der  X-Strahlen  für  die  Ausdehnung  der  Nebenhöhlen 
und  für  die  Erkrankung  der  Stirn-Siebbeinzellen  und  der  Kieferhöhlen. 
Fast  ausschliesslich  werden  Aufnahmen  im  sagittalen  Schädeldurchmesser 
gemacht  mit  Hilfe  der  Albersscden  Blende.  Der  Kranke  wurde  mit 
der  Stirn  auf  die  Platte  gelegt.  Die  Blende  wird  so  gerichtet,  dass 
die  Protüberantia  occipitalis  im  Mittelpunkt  ihres  Ausschnittes  steht. 
In  der  Regel  genügt  eine  Expositionsdauer  von  1^2 — 2  Minuten  mit 
weicher  oder  halbweicher  Röhre.  Es  ist  mit  Bestimtheit  zu  erkennen, 
ob  überhaupt  eine  Stirnhöhle  vorhanden  ist,  sodann  lässt  sich  mit 
grösster  Schärfe  die  Konfiguration  der  Stirnhöhlen  und  deren  Grösse 
erkennen.  Durch  Verschleierung  der  Bilder  lässt  sich  eine  Erkrankung 
der  Stirnhöhlen,  der  Siebbeinzellen  und  der  Kieferhöhlen  feststellen. 

Hartmann. 

590.  D'Acutolo,   G.  Prof.,  Bologna.    Über  die  verkehrte  Diaphanoskopie  des 

Antrum    Highmori.     Bollettino    delle    malattie    dell'    orecchio    etc. 
XXV.  Jahrg.,  Nr.  8. 
Verf.  nimmt   die  Durchleuchtung   des   Sinus  maxillaris   durch    d&s 


Na«e  uniV  Nasenrachenraum.  393 

Y  0  h  s  e  n  sehe  Lämpchen  von  aussen  vor,  indem  dasselbe  au  den  unteren 
Orbitalrand  gesetzt  wird.  Bei  normalem  Sinus  wird  der  harte  Gaumen 
und  die  Molarstrecke  des  Alveolarfortsatzes  an  der  entsprechenden  Seite 
hell.  Diese  Methode  der  Durchleuchtung  der  Highmorshöhle  bietet  ver- 
schiedene vom  Verf.  ausführlich  erwähnte  Vorteile.  Rimini. 

591.  Compaired,  C,  Madrid.   Un  cas  de  mncoc^le  ethmoidale.  Arch.  internat. 

d'otol.  etc.  Bd.  28.  Nr.  3. 

Im  Anschluss  an  Trauma  rechtscitige  Siebbeinmukozele  bei  19  jähr. 
Mann.  Erwähnenswert  sind  an  der  Beobachtung  das  rasche  Wachstum 
und  die  Grösse  der  Mukozele.  Oppikofer. 

592.  Maljutin,  E.  N.,  Priv.-Doz.   Zur  Kasuistik  der  Stirnhöhlenentzündungen. 

Uusskij  Wratsch  1906,  Nr.  51. 

Verf.  beschreibt  2  Fälle.  Im  ersten  wurde  bei  der  Operation  eines 
Stirnhöhlenempyems  eine  sehr  seltene  Anomalie  konstatiert,  nämlich  das 
Fehlen  der  hinteren  Wand  der  Stirnhöhle.  Im  zweiten  Falle  mit  syphi- 
litischer Aifektion  der  Stirnhöhle  verbreitete  sich  der  Prozess  auf  die 
weniger  nachgiebige  vordere  Wand,  während  die  hintere  vollkommen 
unberührt  blieb.  Sache r. 

593.  Hajek,   M.,   Dozent,  Wien.     Über  Operationsmethoden  bei   Stirnhöhlen- 

entzündungen.    Wiener  med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  18. 

In  Form  eines  Vortrage«  vor  Laryugologon  und  ()i)hthalmologen 
bespricht  n.  die  verschieden«  ii  Methoden  und  empfiehlt  die  Kuhntsche 
bei  einfachen  akuten  Empyemen. 

Ferner  teilt  IL  die  von  ihm  ausgeführte  Modifikation  der  Killianschen 
Operation  mit.  er  löst  in  schwierigen  Fällen  die  Weichteile  orbitalwärts 
von  der  Spange  vollkommen  ab,  wodurch  die  untere  Wand  der  Stirn- 
höhle in  ihrem  ganzen  Umfange  tadellos  zugänglich  wird;  auch  die 
Drainage  gegen  die  Nasenhöhle  kann  dann  hauptsächlich  durch  das 
Siebbeinlabyrinth  aufgeführt  werden.  Vom  Process.  nas.  wird  nur  der 
hintere  Rand,  soweit  er  durch  Nischen  und  Buchten  unterminiert  ist, 
entfernt. 

H.  hat  7  Fälle  in  dieser  Art  operiert.  Trotz  der  Ablösung  der 
Trochlea  gaben  die  Kranken  schon  8  Tage  nach  der  Operation  keine 
Sehstörungen  mehr  an;  auch  augcnürztlich  konnte  kein  Ausfall  der 
Funktion  des  Obliqu.  sup.  festgestellt  werden.  Wann  er. 

594.  Steppetat.  Kreuznach.     Beitrat?  zur  Ka^^uistik  der  Fremdkörper  in   der 

Stirnhöhle.    Arch.  r.  Laryni^ol.  Bd.  XDC,  H.  3. 

Dem  Patienten  wurden  zirka  GO  kleine  Porzellanstückchen  aus  der 
Stirnhöhle    entfernt:    vor  4  Jahren  wurde   ihm   eine  Kaffeetasse  an  den 

Z<>itschrilt  fbr  Uhr<'nhi'ilkande.  Bd.  LIY  26 


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N-«^^:.  drn   ^-;7  ■:.:.!:  L-rc  V.  r^:  L:^n.a-%rr^-rlii    empfehlt  Hey  mann 


Nase  und  Nasenrachenraum.  395 

das  Medikament  längere  Zeit  vor  Eintritt  der  Heuschnapfenperiode 
nahmen,  blieben  beschwerdefrei;  bei  den  16  übrigen  konstatierte  Hey- 
mann  eine  Besserung.  Oppikofer. 

599.  Baerwald,  Dr..   Berlin.    Alpine  Heofieberstationen.    Deutsche  medizin. 

Wochenschr.  1907,  Nr.  17. 

Baerwald,  der  selbst  ein  hochgradig  empfindlicher  Heafieber- 
kranker  ist,  hat  an  sich  selbst  die  Erfahrung  gemacht,  dass  manche 
Punkte  der  Hochalpen,  darunter  namentlich  Pontresina,  sowie  die 
noch  höher  gelegenen  Berninahäuser  geeignete  Plätze  sind,  die  so 
lange  henfieberfrei  bleiben,  dass  der  Patient  in  das  Flachland  zurück- 
kehren kann,  da  die  gefahrlichste  Zeit  der  Roggenblüte  dann  vorüber 
ist.  Doch  gibt  es  auch  sogenannte  Vorläufer,  die  durch  die  blumigen 
Alpenwiesen  bereits  vor  der  Gräserblüte  einigermafsen  belästigt  werden. 
Da  viele  Heufieberkranke  an  nervösen  Herzbeschwerden  leiden  und  die 
Höhenluft  schlecht  vertragen,  so  bezeichnet  Baerwald  den  1500m 
hoch  gelegenen  Platz  Lenzerheide,  der  ein  rauhes  Klima  und  in- 
folgedessen sehr  verspätete  Vegetation  und  gleichzeitig  den  Vorzug  aus- 
gedehnter Wälder  hat.  als  den  denkbar  günstigsten  Platz  für  Heufieber- 
kranke, während  das  erheblich  höher,  aber  sehr  geschützt  gelegene 
Arosa  nicht  zu  empfehlen  ist.  Noltenius. 

600.  Boesser,   Dr.,    Chemnitz.     Behandlung   des   Heuasthmas   mit   Atropin- 

Chinin-Injektion.     Deutsche  med.  Wochenschr.  1907,  Nr.  2^. 

Um  mit  der  günstigen  Wirkung  des  Corticin  (salzsaures  Chinin- 
koffein) auf  die  Schwellkörper  der  Nase  eine  spezifische  Behandlung  der 
geschwollenen  Bronchialschleimhaut  zu  verbinden,  hat  Boesser  sich 
der  Atropin-Corticin-Injektionen  bedient  und  rühmt  die  rasche  und  zu- 
gleich nachhaltige  Wirkung  beim  Heuasthma.  Noltenius. 

601.  Berliner.  M.,   Breslau.    Therapeutische   Mitteilungen  aus  drr  Nerven- 

praiis.    Wiener  klin.  Rundschau  1907,  Nr.  25. 

Berliner  fand  bei  Rhinitis  nervosa  und  bei  Asthmatikern,  dass, 
wenn  an  einer  Stelle  am  Septum,  welche  vorne  entlang  dem  Nasen- 
rücken in  die  Höhe  steigt;  und  eine  zweite,  zirka  6  cm  vom  Nasen- 
eingang entfernt,  am  Grunde  des  Septums  liegende,  mit  dem  konstanten 
Strom  berührt,  Kitzel,  Niesreiz,  Husten  und  vermehrte  Secretion  hervor- 
gerufen werden.  Durch  Galvanisation  lässt  sich  eine  Beeinflussung 
dieser  Stellen  erreichen,  sodass  die  Symptome  eine  Einschränkung  resp. 
Beseitigung  erfahren.  Die  Prozedur  muss  zirka  12 — 14  Tage  durch- 
geführt wnrden.     Man  beginnt  mit   schwachen  Strömen   und  steigt  all- 

26* 


396     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

mählich  bis  zu  5  Milliampere.  Berliner  verwendet  l^/gmni  starke 
und  etwa  1 1  cm  lange,  mit  Zelluloid  überzogene  Messing-  oder  Kupferstäbe, 
deren  schraubenförmige  Spitze  mit  Watte  armiert  und  befeuchtet  wird. 
Bei  Rhinitis  vasomot.  empfiehlt  Berliner  eine  Schnupfensalbe 
»Rhisan«,  die  eine  Verbindung  von  Athrolen  und  üng.  Dericini  ist. 

W  a  n  n  e  r. 

602.  Merker,  H.  P.     Ein  Fall  von  tödlicher  Meningitis  nach  Entfernung  des 

vorderen  Endes  der  mittleren  Muschel.    Boston  med.  and  surg.  Joum. 
30.  Mai  1907. 

Die  Operation  war  in  gewöhnlicher  Weise  wegen  Naseneiterung 
ausgeführt.  Tamponade  mit  steriler  Gaze,  welche  am  folgenden  Morgen 
entfernt  wurde.  Das  Antrum  wurde  sorgfältig  ausgespült.  Heftige 
Stirnkopfschmerzen  und  psychische  Störungen.  Aufmeisselung  der  Stirn- 
höhle, welche  mit  Eiter  gelullt  war.  Tod  na*ch  wenigen  Tagen.  Nach 
des  Operateurs  Ansicht  war  die  Todesursache  die  Tamponade.  Infektion 
der  Meningen  durch  die  Lamina  cribrosa.  Clemens. 

603.  Melzi,  U.  Milan.     Une  dent  aberrante  dans  la  cavite  nasale  droite.    Arch. 

Internat,  d'otol.  etc.,  Bd.  23,  Nr.  3. 

In  den  rechten  unteren  Nasengang  ragte  bei  einem  hereditär  syphi- 
litischen Kind  ein  Zahn  herein.  Im  Oberkiefer  fehlte  der  rechte  mittlere 
Schneidezahn.  Oppikofer. 

604.  Boras,  J.,  Czernowitz.    Ein  Fall  von  primärem  Lupus  der  Schleimhäute. 

Aroh.  f.  Laryngol.,  Bd.  19,  H.  3. 

Bei  fehlendem  Lupus  der  äusseren  Haut  fanden  sich  charakter- 
istische lupöse  Veränderungen  an  der  Schleimhaut  der  Nase,  der  Ton- 
sillen, Uvula,  Epiglottis  und  des  rechten  Aryknorpels.      v.  Eicken. 

605.  Perkins,  R.  G.    Beziehung  der  Bacillus  mucosus  capsulalus  Gruppe  zum 

Rhinosklerora.     Joum.  Infect.  Diseases.    Jan.  1907. 

Perkins  schliesst  aus  seinen  Untersuchungen,  dass  der  sogen. 
Rhinosklerombazillus  nicht  in  ätiologischer  Beziehung  zur  Rhinosklerom- 
erkrankung  steht,  sondern  nur  ein  sekundärer  Eindringling  ist.  Die 
Organismen,  welche  in  der  Nase  und  in  den  nasalen  Geschwülsten  bei 
Rhinosklerom  gefunden  werden,  sind  verschieden  in  verschiedenen  Fällen, 
gehören  allerdings  derselben  Gruppe  an.  Clemens. 

606.  Streit,  H.,  Königsberg.    Weitere  Beiträge  zum  Sklerom.    Arch.  f.  Laryn- 

golo^ie,  Bd.  19,  H.  3. 

Der  Autor  betont  die  Wichtigkeit  der  histologischen  Untersuchung, 
auf  Gnind    deren    allein   mit  Sicherheit   die  Diagnose    des  Sklerom  ge- 


Nase  und  Nasenrachenraum.  397 

stellt  werden  kann.  Eine  sichere  Differentialdiagnose  zwischen  Fried- 
länder-Bazillus  and  Sklerom-Bazillas  ist  nach  den  heutigen  Kennt- 
nissen weder  durch  die  üblichen  Kulturverfahren  noch  durch  die  Sero- 
diagnostik, noch  durch  die  Tierpathogenität  zu  erbringen.  Der  Beweis, 
dass  der  sogenannte  Sklerombazillus  der  alleinige  Erreger  des  als  Sklerom 
bezeichneten  endemisch  auftretenden  Krankheitsbildes  ist,  kann  bisher 
nicht  mit  Sicherheit  geführt  werden.  Mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
ist  dagegen  die  Annahme  berechtigt,  dass  der  Sklerombazillus  durch 
seine  Invasion  im  Gewebe  die  hyperplastischen  Stadien  der  Krankheit 
erzeugt.  von  Eicken. 

607.  SchluBser,  H.,  Prof.,  Innsbruck.  Erfolgreiche  Operation  eints  Hypo- 
physentumors auf  nasalem  Wege.  Wiener  klin.  Wochensohr.  1907, 
Nr.  21. 

Schlosser  demonstrierte  einen  30jährigen  Patienten,  bei  welchem 
er  vor  8  Wochen  eine  partielle  Exstirpation  eines  Ilypophysentumors 
mit  gutem  Erfolg  vorgenommen  hatte.  Der  Pat.  litt  seit  7  Jahren  an 
zuletzt  unerträglichen  Kopfschmerzen,  ausserdem  bestand  seit  2 — 3  Jahren 
starke  Anämio,  Haarausfall,  resp.  -schwund  *ani  ganzen  Körper;  soit 
1  Jahr  bitemporale  Hemianopsie. 

Die  Diagnose  wurde  ausserdem  durch  das  Röntgenbild  geg^^ben; 
es  zeigte  sich  eine  Erweiterung  der  Sella  turcica  zu  einer  fast  uuss- 
grossen  Höhle.  Die  Vergrössorung  der  S.  turcica  kann  in  solchen 
Fällen  dreifacher  Natur  sein;  ohne  Veränderung  des  Eingangs.  Erwei- 
terung desselben  oder  eine  Kombination  beider.  (Beigegebene  Zeich- 
nungen veranschaulichen  die  Verhältnisse.)  Die  ersten  Fälle  eignen 
sich  zur  Operation,  während  die  zweite  Art  imperabel  und  bei  der 
dritten  die  Beurteilung  schwierig  ist. 

Bei  der  Operation  verfährt  Schlosser  folgendermafsen :  Nach 
Aufklappung  der  ganzen  Nase  wurden  sämtliche  Muscheln  und  das 
Septum  excidiert,  die  innere  Wand  der  Highmorshöhle  und  der  Orbita 
bis  nahe  an  das  Foramen  optici  und  ein  Teil  des  Nasenfortsatzes  des 
linken  Oberkiefers  entfernt,  die  Siebbeinzellen  und  die  Keilbeinhöhle 
eröffnet.  Zur  Orientierung  hatte  Schlosser  am  Röntgenbild  die 
Entfernung  zwischen  der  knöchernen  Nasenwurzel  und  der  vorderen 
Wand  der  S.  turcica  gemessen;  genau  dieser  Distanz  (5,3cm)  ent- 
sprechend, traf  er  eine  quergestellte  dünne  Knochenwand,  welche  sich 
mit  der  Pinzette  losbrechen  Hess.  Die  Geschwulst,  welche  sich  nach 
Inzision  der  Dura  hervordrängte,  wurde  mit  einem  Spatel  aus  bieg- 
samem Blech   schichtenweise   unter   geringer  Blutung   abgetragen.     Die 


398     Bericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  Ohrenheilkunde. 

Höhle  in  der  S.  tarcica  wurde  mit  in  Pembalsam  getauchter  Gaze 
aastamponiert. 

Histologisch  erwies  sich  der  Tamor  als  Adenom. 

Irgend  welche  Ansfallserscheinangen,  welche  auf  den  Verlust  von 
Hypophysisgewebe  zu  beziehen  wären,  sind  nicht  aufgetreten.  Da  keine 
wesentliche  Blutung,  ausser  bei  der  Ausräumung  der  Nase,  sowie  auch 
keine  Meningitis  eintrat,  hält  Schlosser  die  Methode  keineswegs  fQr 
ein  besonderes  Kunststück.  Nach  einiger  Zeit  konnte  ein  stärkeres 
Wachstum  beobachtet  werden.  Wann  er. 

g)  Nasenrachenraum, 

608.  Odgers,  N.  B.    Ein  Fall  von  retro-pharyngealem  Fibrom.    Brit.   med. 

Journal,  25.  Mai  1907. 

Der  eigrosse  Tumor  wurde  entfernt  nach  einer  longitudinalen  In- 
zision  längs  der  Schleimhaut  und  Enukleation  mit  dem  Finger.  Die 
mikroskopische  Untersuchung  ergab  ein  Angiofibrom  mit  mehrweniger 
abgegrenzter  Kapsel.     Nach  4  Monaten  kein  Rezidiv. 

609.  Janquet,  Dr.  £.    Deux  cas  de  polypes  naso-pharyngieus  op^r^  par  des 

inethodes  diff<5rentes.   La  Presse  oto-laryngologique   Beige  1907,  H.  7. 

Der  eine  Tumor  wurde  nach  Resektion  der  Gesichtsknochen,  der 
andere  auf  dem  natürlichen  Wege  und  unter  Zuhilfenahme  von  Küretten 
abgetragen.  Janquet  kommt  dabei  auf  den  Wert  der  verschiedenen 
Methoden  zu  sprechen: 

Die  elektrolytische  Methode  ist  bei  schnell  fortschreitenden  Fällen 
nicht  brauchbar,  da  sie  sehr  langsam  ist  und  eine  grosse  Zahl  von 
Sitzungen  verlangt.  Die  galvanokaustische  Methode  braucht  ebenfalls 
viel  Zeit  und  ist  gefährlich,  da  die  Schorfe  eine  Quelle  der  Infektion 
und  Blutung  darstellen.  Schnelle  Abtragung  mit  Kürettage  auf  natür- 
lichem Wege  scheint  trotz  der  Blutung  die  beste  Methode  zu  sein,  wenn 
der  Eingriff  vollständig  ist. 

Einen  für  alle  Fälle  passenden  künstlichen  Weg  gibt  es  nicht. 
Jeder  Tumor  ist  genau  zu  untersuchen  und  der  Weg  zu  ihm  nach  dem 
Resultat  der  Untersuchung  zu  wählen.  Brandt. 

Oaumeu,  Bachen-  und  Mundhöhle. 

610.  Ponti,    Delli    G. ,  Dr.,    Neapel.    Adenocarcinom   des    Velums   und   des 

Gaumens.    La  Pratica  oto-rino-laryngoiatrica  VII.  Jahrg.,  H.  3. 

Mitteilung  des  einschlägigen  Falles  nebst  histologischem  Befund, 
die  verschiedenen  am  Velum  und  Gaumen  vorkommenden  Neubildungen 
werden  ausführlich  besprochen.  Rimini. 


Gaumen,  Rachen-  und  Mundhöhle.  399 

611.  Swershewski,  L.    Harter  Schanker  der  Gaumenmandeln    Medizinskoje 

Obosrenje  1906,  Nr.  22. 

Verf.  beschreibt  17  Fälle  aussergeschlechtlicher  Syphilisinfektion 
der  Mandeln.  Charakteristisch  für  diese  Affektionen  sind  folgende  Er- 
scheinungen: 1.  Einseitige  Lokalisation  der  Erkrankung;  2.  einseitige 
Vergrösserung  und  Verhärtung  der  Lymphdrüsen;  3.  harter  Grund  und 
Ränder  des  Ulcus;  4.  lange  Dauer  der  Erkrankung.  Sa  eher. 

612.  Hamm,  A.  und  Torhorrt,  H.,  Strassburg  i.  £.    Beiträge  zur  Pathologie 

der  Keratosis  pharyngis  mit  besonderer  BerQcksichtigung  der  bakterio- 
logischen Verhältnisse.    Arch.  f.  Laryn«rol.  Bd.  19,  H,  3. 

Die  Autoren  halten  die  von  ihnen  gefundenen  Kapselbazillen  für 
die  Ursache  des  Leidens,  eine  Auffasung,  welche  durch  die  Agglutinations- 
resultate gestützt  zu  werden  scheint.  Die  Kapselbazillen  zeigten  hohe 
Tierpathogenität.  Die  Therapie  bestand  in  einer  mechanischen  Ent- 
fernung der  Pfropfe  und  Pinselung  mit  Jodglyzerin,      von  Eicken. 

613.  Wolf,  F.  M.,  Würzburg.    Seltene  Lokalisation  der  Mycosis  leptothricia 

(Nasen- Rachenraum).    Arch.  f.  Laryngol.  Bd.  19,  H.  3. 

Die  mäfsig  vergrösserte  Rachentonsille  zeigte  sich  in  dem  mitgeteilten 
Fall  mit  kleineren  und  grösseren  Pfropfen  dicht  besetzt.  Auch  die  Rosen- 
müll ersehen  Gruben  waren  nicht  frei  von  ihnen.        von  Eicken. 

614.  Sommer,  Hermann,  Dresden.     Ein  Lipom  der  Tonsille.  Arch.  f.  Laryngol. 

Bd.  19,  H.  3.  . 

Mikroskopische  Beschreibung  des  Tumors,  der  eine  gelblich  weisse 
Geschwulst  von  Haselnussgrösse  bildete  und  vom  oberen  Pol  der  rechten 
Tonsille  entfernt  wurde.  von  Eicken. 

615.  S  c  h  e  i  e  r ,  Max,  Berlin.    Krankheiten  der  Mundhöhle  bei  Glasbläsern.    Arch. 

f.  Laryngol.  Bd.  19,  H.  8. 

Sc  hei  er  hat  zahlreiche  Glasbläser  untersucht  und  bei  6^jq  der 
Arbeiter  eine  Erweiterung  des  Ductus  Stenonianus  gefunden.  Die  Backen 
werden  dadurch  zuweilen  hochgradig  ballonförmig  aufgetrieben,  zuweilen 
auch  Emphysem  der  Backen  beobachtet.  Die  Schleimhaut  der  Hacken 
zeigt  oft  weissgraue  plaqnesartige  Schleimhautverdickungen.  Die  Schneide- 
zähne verfärben  sich  schmutzig  grau  und  werden  durch  das  Festhalten 
der  Ansatzstücke  abgeschliffen.  An  den  Lippen  zeigten  sich  oft  Fissuren 
und  Schrunden.  Der  Uralang  des  Halses  nimmt  durch  venöse  Stauung 
zu.  S  c  h  e  i  e  r  weist  auf  die  grosse  Gefahr  der  Übertragung  von  Syphilis 
bei  Glasbläsern  hin,  bei  denen  die  Pfeifenansätze  von  Mund  zu  Mund 
wandern  und  macht  Vorschläge  zur  Beseitigung  dieses  Übelstandes. 

von  Eicken. 


Berichte  über  otologrische  Gesellschaften. 

Vierzehnte    Versammlung    des   Vereins    Süddeutscher 
Laryngologen  zu  Heidelberg.    Pfingsten  20.  Mai  1907. 

(Ans  dem  Bericht  des  Seh n'ft : ahrcTs  I>r.  FelixBlumenfeld -Wiesbaden. ^) 

Den  Vorsitz  der  von  88  Mitgliedern  besachten  Versammlung  fQhrte 
Herr  Professor  Lindt  (Btrm  . 

4.    Herr  Volueii    (Frankfort  a.  M.):    Wert   der   Durchlenclitiuig   bei    £r- 
kranknngen  der  Stimbdble. 

Die  Methode,  vor  17  Jahren  von  V.  bekannt  gegeben,  hat  sich  noch 
nicht  den  Platz  erobert,  der  ihr  bei  der  Diagi.ose  der  Stimhöhlenerkrankung 
gebührt.  Alle  bekannten  diagnostischen  Behelfe  und  Symptome  sind  unsicher^ 
event.  nicht  in  allen  Fällen  anwentibar.  wie  z.  B.  die  Sondierung,  Aus- 
spülung. Der  Grun«l2edanke  der  V.  bei  der  Durchleuchtung  leitete,  war 
von  der  Ba<is  aus  die  horizontale  und  vertikale  Ausdehnung  der  Stirnhöhle 
dadurch  sichtbar  zu  machen,  dass  wir  gut  abgeblendetes  Licht  in  die  Höhle 
senden:  hierzu  i^t  allerdiuiis  ein  uutes  Instrumentarium,  das  es  gestattet, 
vollkommen  abseblentletes  Lieht  in  die  Stirnhöhle  zu  werfen,  unbedingt 
erforderlich.  Die  Durchlenchtung  der  Stirnhöhle  von  der  vorderen  Wand  aus 
leistet  nicht  dasselbe  >\ie  die  von  der  Ha^is  aus.  doch  ist  sie  als  Ergänzung 
der  Vohsen scher.  Methode  unter  Umständen  von  Wert,  da  sie  z.  B.  Aus- 
kunft geben  kann  über  die  sa^ittale  Austlehnung  der  Stirnhöhle. 

V.  hat  eine  neue  Dnrohleuchtuu'jslau  pe  bei  0.  E  b  e  r  t  -  Frankfurt  a.  M, 
konstruiert,  deren  wichtigster  Teil  für  ihese  Zwecke  die  Kappe  zum  Abblenden 
ist;  sie  muss  exakt  schliessen,  sie  muss  ge>tatten,  dass  der  Leuchtkörper 
dicht  unter  die  obere  Öffnung  tritt,  ihr  gut  abgerundeter  Rand  muss  so 
gearbeitet  sein,  dass  er  auch  bei  starkem  Druck  beim  Aufsetzen  —  und  ein 
solcher  i?t  nötig  —  keine  Schmerzempfindung  veranlasst.  Eine  den  Verhältnissen 
des  betreffenden  Teiles  des  Orbitaldaches  sich  richtig  anpassende  Lampe  ist 
ebenso  unerlässlich  zum  Gelingen  der  Durchleuchtung,  wie  absolute  Ver- 
dunkelung des  Untersuchungsraunies.  Die  Untersuchungsmethode  erfordert 
eine  genaue  Beachtung  gewisser  technischer  Feinheiten  (Einschalten  des 
Lichts  etc.)  wie  auch  eine  Gewöhnung  des  Auges  an  die  Abstufungen  der 
Helligkeit,  die  erworben  sein  will.  Die  Methode  Gerbers,  der  2  Vohsen  sehe 
Durchleuchtungsapparate  zugleich  anwendet,  um  Vergleiche  der  Helligkeit 
anstellen  zu  können,  ist  nicht  durchführbar.  Es  kommt  auch  auf  die 
Helligkeitsunterschiede  allein  nicht  an,  vielmehr  ist  Vohsens  Durchleuchtung 
auch  noch  in  anderer  Weise  zur  Diagnose  zu  verwerten,  nämlich  in  Bezng 
auf  die  Stellung  des  Septums.  Überschreitet  der  gleichmäfsig  durchleuchtete 
Bezirk  stark  die  Mittellinie,  so  ist  mit  Fehlen  ^des  Septums  zu  rechnen,  wenn 
die  andere  Seite  bei  der  Durchleuchtung  dunkel  bleibt;  auch  auf  die  Stellung 


1)  Die  Verhandlungen  erscheinen  ausführlich  bei  A.  Staber,  Würzbnrg. 


Vierzehnte  VersammJ.  d.  Vereins  Süddeutscher  Laryngologen  zu  Heidelberg.     401 

des  Septums  und   auf  Verschiedenheiten   der  Grösse   bei  der  Stirnhöhle  lässt 
sich  aus  der  Durchleuchtung  schliessen. 

Der  Durchleuchtung  steht  die  Röntgendurchstrahlung  im  sagittalen 
Durchmesser  nicht  überlegen  gegenüber;  auch  hier  fällt,  wie  das  auch  für 
die  Durchleuchtung  der  Fall  ist,  die  Dicke  der  Knochenwandungen  im  Gewicht, 
sowohl  die  der  hinteren  wie  der  vorderen,  während  bei  der  Durchleuchtung 
nur  die  Dicke  der  vorderen  Wand  von  Bedeutung  ist.  V.  ist  der  Ansicht, 
dass  das  kostspieligere  und  umständlichere  Röntgen  verfahren  für  die  Diagnose 
der  Stirn höhlenerk rankungen  keinerlei  Vorzüge  hat;  das  gleiche  gilt  von 
der  Sondenkontrolle  durch  Röntgenstrahlen  nach  Sehe y er.  V.  resümiert: 
>Die  Durchleuchtung  nach  meiner  Methode  ist  bei  latenten  Erkrankungen 
der  Stirnhöhlen  eiiies  der  wichtigsten  diagnostischen  Hilfsmittel.  Sie  kann 
von  der  Meyer' sehen  Modifikation  unterstützt,  von  der  Röntgendurchstrahlung 
in  sagittaler  Richtung  ersetzt  werden.  Letztere  aber  zeigt  bis  jetzt  keine 
Überlegenheit  gegenüber  meiner  Methode;  wohl  fixiert  sie  im  Radiogramra 
dauernd  den  Eindruck,  dagegen  entfallen  bei  ihr  die  wichtigen  Symptome  der 
Septumdurchleuchtung. « 

5.  Herr    Oppikofer   (Basel):    Mikroskopische  Befunde    von   Nebenhöhlen- 

schleimhänten  bei  chronischem  Empyem. 

Bis  jetzt  wurde  auf  Veranlassung  von  Herrn  Professor  Siebenmann 
die  Schleimhaut  von  100  chronisch  eiternden  Nebenhöhlen  untersucht,  einige 
Präparate  werden  vorgelegt.  Plattenepithel  wurde  unter  diesen  Fällen  über- 
raschend häufig  gefunden,  unter  hundert  Fällen  35  mal  und  zwar  in 

(SO  Kieferhöhlen 27  mal 

22  Stirnhöhlen 7  mal 

10  Siebbeinzellen 1  mal. 

Bei  den  einzigen  zwei  Keilbeinhöhleneiterungen,  die  0.  untersuchte,  fand 
sich  nur  Zylinderepithel.  Das  Plattenepithel  ist  vorwiegend  nur  auf  einige 
Teile  der  Schleimhaut  beschränkt,  nur  selten  war  die  Metaplasie  ausgedehnt. 
Wichtig  war  das  Resultat  einer  Untersuchung  der  Stirnhöhlenschleinihaut,  die 
man  makroskopisch  für  akut  entzündet  hätte  halten  können,  doch  zeigte  das 
Präparat  dickes  Plattenepithel  mit  Verhornung.  Die  Metaplasie  kommt 
also,  wie  ().  sich  an  65  Fällen  akuter  Nebenhöhleneiterung  überzeugen 
konnte,  bei  der  akuten  Form  nicht  vor.  Plattenepithel  in  einem  gewonnenen 
Scbleimhautstück  einer  Nasenhöhle  lässt  also  einen  Schluss  auf  den  Charakter 
der  Eiterung  insofern  zu,  als  das  Vorhandensein  von  Plattenepithel  auf 
chronische  Eiterung  deutet,  das  Fehlen  desselben  schliesst  aber  solche  nicht 
aus.  —  Bemerkenswert  ist,  dass  das  Plattenepithel  sich  ebenso  wie  in  der 
Nase  namentlich  auf  der  Höhe  einer  Schleimhautfalte  findet  Ein  Präparat 
(durch  Operation  nach  Luc  gewonnen)  zeigte  beginnendes  Karzinom,  das 
auf  die  Schleimhaut  beschränkt  war;  die  sorgfältige  Auskratzung  der  Schleim- 
haut —  die  Diagnose  Karzinom  wurde  erst  später  gestellt  —  hat  ein  Recidiv 
verhütet.     Ausserdem  fand  sich  hier  ein  Kalkconcrement. 

Eine  strenge  Einteilung  der  Nebenhöhleneiterungen  in  solche  von  oede- 
matösem  und  solche  von  fibromatösen  Typus  erwies  sich  als  nicht  durchführbar. 

6.  Herr  Denker  (Erlangen) :  weitere  Erfahrungen  über  die  Badikaloperation 

des  chronischen  Kieferhöhlenempyems. 
Vor    zwei  Jahren   publizierte  Denker    drei   Fälle    von   hartnäckigem, 
langwierigem  Empyem   der  Kieferhöhle,   die  nach  seinem  Verfahren   operiert 


402     Vierzehnte  Versamml.  d.  Vereins  Süddeutscher  Lary ngologen  zu  Heidelberg. 

und  geheilt  sind;  diesen  schliessen  sich  15  weitere  an,  die  zur  Operation 
kamen,  ohne  dass  etwa  eine  Erweiterung  der  Indikation  auch  auf  leichtere 
Fälle  stattgefunden  hätte,  vielmehr  handelte  es  sich  auch  hier  um  Fälle,  die 
sich  einer  konservativeren  Behandlungsweise  als  unzugänglich  erwiesen  hatten. 
In  einem  Falle  wurde  (als  kürzeste)  Dauer  des  Bestehens  ^1^  Jahr  angegeben, 
in  den  übrigen  Fällen  hatte  sie  mehrere  (bis  zu  16)  Jahre  gedauert.  Das 
Verfahren,  welches  D.  einschlägt,  ist  eine  Kombination  der  Operation  von 
Luc-Bönninghaus  mit  den  Vorschlägen  von  Friedrich  und  Kretsch- 
mann,  bei  welchem  nach  primärem  Verschluss  der  oralen  Wunde  die  Nach- 
behandlung durch  die  Nase  vor  sich  geht.  Die  Tampons  liegen  bis  zum  3. — 4. 
Tage,  vom  10.  Tage  an  Ausspülungen  von  der  Nase  aus  mit  Hilfe  eines 
weiten,  gebogenen  Glasrohres  und  Borsäure-Insufflationen. 

In  den  meisten  Fällen  konnte  die  erkrankte  Schleimhaut  der  Kiefer- 
höhle erhalten  werden,  sodass  am  Schluss  der  Operation  fast  die  ganze 
Wundhöhle  mit  Ausnahme  der  fazialen  Wand  mit  Epithel  bedeckt  war;  D. 
glaubt,  dass  durch  dieses  Vorgehen  die  Heilungsdauer  wesentlich  abgekürzt 
werden  kann.  Nur  in  den  Fällen,  wo  die  degenerierte  Schleimhaut  das 
Lumen  der  Höhle  fast  gänzlich  ausfüllte,  wurde  sie  gründlich  entfernt 
und  die  Heilung  durch  Granulationsbildung  angestrebt.  Durchschnittlich 
wurden  die  Patienten  16^2  Tage  nach  dem  Eingriff  entlassen,  die  längste 
Dauer  der  Nachbehandlung  betrug  30  Tage,  die  kürzeste  6  Tage,  wobei  zu 
bemerken  ist,  dass  die  Kranken  besonders  in  der  ersten  Zeit  länger  als 
eigentlich  erforderlich  zur  Beobachtung  in  der  Klinik  behalten  wurden. 

Der  Heilungsverlauf  war  immer  glatt,  Störungen  von  seiten  des  Tränen- 
apparats wurden  nicht  beobachtet,  auch  kein  Ausfallen  von  Zähnen. 

In  allen  Fällen  wurde  Heilung  erzielt,  der  Geruch  verlor  sich,  die 
Eiterung  sistierte  und  bei  der  Kontrolle  ergab  sieb,  dass  kein  ReT^idiv  auf- 
getreten ist.  In  Übereinstimmung  hiermit  stehen  anderweitige  mit  D.s  Ver- 
fahren gemachte  Erfahrungen.  Wenn  Cordes  vorschlägt,  die  partielle 
Resektion  der  mittleren  Muschel  zu  unterlassen,  da  er  Borkenbildung  fürchtet, 
und  deshalb  die  orale  Wunde  teilweise  offen  lassen  will,  um  von  da  aus  den 
Tampon  zu  entfernen,  so  ist  dem  zu  entgegnen,  dass  diese  Befürchtung  sich 
nach  eingehenden  Nachforschungen  D.s  als  unbegründet  erwiesen,  ebenso  wie 
die  weitere  Befürchtung,  dass  Neigung  zu  Katarrhen  auftrete.  Bei  den 
letzten  Operationen  wurde  nur  etwa  das  vordere  Drittel  der  unteren  Muschel 
entfernt,  hierauf  ist  im  Interesse  des  vollkommenen  Verschlusses  der  oralen 
Wunde  nicht  zu  verzichten. 

Diskussion  zu  Vortrag  4,  5  und  6. 

Herr  von   Eicken  tritt  dafür  ein,  die  orale  Wunde  nicht  zu  nähen. 

Herr  Brünings  hebt  die  Vorzüge  des  Röntgen  Verfahrens  für  die 
Diagnose  der  Stirnhöhle  hervor. 

Herr  Denker  und  Vohsen  Schlusswort. 

7.  Herr  Katz  (Kaiserslautern):  Demonstration  eines  neuen  elektromedi- 
zinischen  TTniversalapparates  für  das  ärztliche  Sprech-  und 
TJntersuchungszimmer. 

Auf  Veranlassung  der  vereinigten  Elektrotechnischen  Institute  Frankfurt- 
Aschaffenburg  konstruierte  K.  einen  höchst  kompendiösen  Apparat,  der  allen 
Anforderungen    des    Laryngo-Otologen    entspricht.      Durch    Verlegung    aller 


r 


Vierzehnte  Versamml.  d.  Vereins  Süddeutscher  Laryngologen  zu  Heidelberg.     403 

staabfangenden  Teile  in  das  innere  des  Tisches  ist  es  gelungen,  das  Äussere 
nur  aus  Glas  und  Metall  zu  konstruieren,  sodass  den  äussersten  Forderungen 
der  Asepsis  entsprochen  wird. 

12.  Herr  Kander  (Karlsruhe):  Meningitis  beim  Keilbeixüiöhlen-Empyem  mit 

Ansgi^ng  in  Heilung. 

Im  Anschluss  an  einen  früher  beschriebenen  Fall  von  Keilbeinhöhlen- 
empyem,  der  durch  Vermittelung  einer  eiterigen  Meningitis  zum  Exitus  kam 
(Beitr.  z.  Klin.  Chir.  Bd.  35)  berichtet  K.  von  einem  solchen,  der  durch 
Behandlung  des  Empyems  geheilt  wurde. 

Es  handelt  sich  hier  um  einen  Fall,  in  dem  ausgehend  von  einem 
Empyem  der  linken  Keilbeinhöhle  eine  Infektion  der  Meningen,  eine  eitrige 
Meningitis  entstanden  ist.  Sie  ist  direkt  nachgewiesen  durch  das  positive 
Ergebnis  der  Lumbalpunktion.  (Eiter  und  Kokken  im  Liquor  cerebrospinalis). 
Als  Ausdruck  der  Meningitis  fand  sich  ausgesprochene  Nackenstarre,  rasender 
Kopfschmerz,  Muskelhyperästhesie,  Bewusstseinsstörungen,  Lähmungszustände 
bald  des  rechten,  bald  des  linken  Fazialis,  Erbrechen,  Pupillendifferenz,  ophthal- 
moskopisch Neuritis  optica  und  schliesslich  Fieber  mit  unregelmäfsigem  Verlauf. 

Mit  der  Beseitigung  des  Empyems  der  Keilbeinhöhle  verschwanden  diese 
sämtlichen  Erscheinungen.  Es  war  also  die  Keilbeinhöhle  die  einzige  Stelle, 
von  der  aus  die  Infektion  der  Meningen  statt  hatte. 

13.  Herr  Georg  Avellis  (Frankfurt  a.  M.):   örtliche  seröse  Meningitis  bei 

aknter  Keilbeineiterung  mit  Spontanheilung. 
25  Jahre  alte  Kranke  nach  Influenza  mit  hohem  Fieber  und  starken 
Kopfschmerzen  bietet  die  Erscheinungen  eines  akuten  Keilbeinempyems  links, 
übrige  Höhlen  frei.  Augenerscheinungen:  Temporale  Seiten  beider  Papillen 
verwaschen,  die  Papillen  hochrot,  die  Venen  hyperämisch,  weiterhin  Ab- 
duzensschwäche  links,  Okulomotorius,  Pupillenreaktion  intakt.  Heilung  mit 
sehr  langer  Rekonvaleszens.  Die  Diagnose:  Seröße  Meningitis  begründet  A. : 
Zu  der  sicher  festgestellten  Keilbeinhöhleneiterung  links  kommen  folgende 
Begleitsymptome:  Ödem  der  linken  Augenlider,  Hyperämie  der  temporalen 
Papillenhälfte  beiderseits,  Anschwellung  der  Venen  des  Augenhintergrundes, 
Abduzensparese  bei  Ausfall  eines  Fixierpunktes.  Der  Okulomotorius  wird 
frei  geblieben  sein,  da  die  Pupillenreaktion  nicht  gestört  war.  Die 
spätere  Unmöglichkeit  zu  lesen  und  zu  schreiben  kann  auf  die  Entkräftung 
zurückgeführt  werden.  Alle  diese  Erscheinungen  können  nur  durch  die  An- 
nahme einer  zirkumskripten  Meningitis  in  der  Gegend  des  Sinus  cavernosus 
erklärt  werden. 

14.  Herr  Theophil  Hug  (Luzern):  Über  einen  Fall  von  akuter  Leukämie 

mit  Exitus  nach  Adenotomie. 

Das  dreijährige  sehwächlich  aussehende  Kind  hatte  erheblich  vergrösserte 
Kachen-  und  Gaumenmandeln,  deren  Aussehen  nichts  Besonderes  bot,  Ent- 
fernung der  Adenoiden  ohne  Narkose,  keine  Nachblutung,  etwa  8  Tage 
grosse  Schwäche,  Vergrösserung  von  Leber  und  Milz,  hier  und  da  kleine 
Petechien.  Nach  weiteren  8  Tagen  Exitus,  eine  16  Stunden  vorher  geraachte 
Blutuntersuchung  ergab  einen  für  akute  liCukämie  typischen  Befund,  der 
auch  durch  die  Sektion  bestätigt  wurde.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  eine 
latente  Leukämie  schon  vorher  bestand.  Auffällig  ist,  dass  eine  stärkere 
Blutung  nach  der  Adenotomie  fehlte. 


404  79.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  in  Dresden. 

79.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Ärzte 
in  Dresden,   15.  —  21.  September. 

Abteilung  für  Ohrenheilkunde. 
Bericht  von  Dr.  Juat  in  Dresden.  ' 

Nach  den  üblichen  Empfangsfeierlichkeiten  konstituierte  sich  die  Sektion 
für  Ohrenheilkunde  am  16.  September  Nachmittags  in  der  Technischen 
Hochschule.  Der  Einführende,  Herr  Wiebe,  begrüsste  die  anwesenden 
Otologen  und  empfahl,  dass  die  eigentlichen  Sitzungen  und  die  Erledigung 
der  angemeldeten  Vorträge  auf  den  17.  Sept.  Nachmittags  verschoben  würden, 
damit  den  Anwesenden  Gelegenheit  gegeben  wäre,  an  den  Sitzungen  der 
laryngologischen  Sektion,  die  gleichzeitig  mit  der  Deutschen  Laryngologischen 
Gesellschaft  tagte,  teil  zu  nehmen.  Am  17.  Sept.  Nachmittags  fand  eine 
gemeinsame  Sitzung  mit  der  Sektion  der  Ophthalmologen  und  Laryngologen 
statt  unter  dem  Vorsitz  der  Herren  Schmidt-Rimpler,  Chiari  und 
Kümmel,  in  der  Herr  Mann,  Dresden,  seinen  Vortrag  über  Orbitalphlegmone 
bei  acuter  Otitis  media  hielt. 

Er  berichtet  über  eine  Orbitalphlegmone,  die  zu  einer  Otitis  media  und 
Mastoiditis  derselben  Seite  hinzutrat  und  durch  Eröffnung  des  Antrums 
geheilt  wurde.  Der  Vortragende  bespricht  die  Schwierigkeit,  der  Differential- 
diagnose dieses  Falles  und  erörtert  die  Möglichkeiten .  durch  welche  die 
Miterkrankung  der  Orbita  zustande  gekommen  ist. 

Möglich  sei  erstens,  da  der  Otitis  media  eine  Angina  lacunaris  voraus- 
ging, eine  Infektion  des  Orbitalgewebes  von  der  Tonsille  her  durch  die 
Flügelgaumengrube  und  die  Fissura  orbitalis  inferior.  Die  zweite  Möglichkeit 
sei  die,  dass  sowohl  Otitis  media  wie  Orbitalphlegmone  auf  dem  Wege  der 
Blutbahn  entstandene  Metastasen  der  Angina  waren.  In  der  Blutaussaat 
waren  Streptokokken  gewachsen.  Als  dritten  möglichen  Weg  betrachtet  Herr 
Mann  folgenden:  Die  Angina  verursachte  eine  Otitis  media  und  diese  durch 
Vermittelung  des  nahe  der  Vorderwand  des  Mittelohres  gelegenen  Plexus 
venosus  der  Carotis  interna  eine  Thrombose  des  Sinus  cavernosus. 

Der  Vortragende  glaubt  aber  aus  dem  überraschend  günstigen  Erfolge 
der  W'arzenfortsatzeroffnung  schliessen  zu  dürfen,  dass  keine  der  drei 
Eventualitäten  vorlag,  sondern  dass  sich  vom  Kuppelraum  aus  entweder  durch 
Gefässkanäle  oder  knöcherne  Dehiszenzen  ein  entzündliches  (')dem  bis  auf 
den  Inhalt  des  Canalis  caroticus  erstreckt  hat.  Die  seröse  Durchtränkung 
des  perivaskulären  Gewebes  hat  bei  der  Unnachgiebigkeit  des  knöchernen 
Kanales  einerseits  und  der  Festigkeit  der  Carotis  andrerseits  zu  einer 
Strangulierung  des  gesamten  Venenplexus  geführt.  Von  liier  aus  setzte  sich 
die  Stauung  bis  auf  den  Sinus  cavernosus  und  die  Venae  ophthalmicae  fort. 
Als  durch  die  Antrumeröfinung  dem  Eiter  freier  Abfluss  geschaffen  war, 
seien  mit  dem  kollateralen  Ödem  zugleich  die  Stauungserscheinungen  der 
Orbita  verschwunden. 
Diskussion: 

Herr  El  sehn  ig  zweifelt  daran,  dass  eine  Stauung  im  Sinus  cavernosus 
Orbitalerscheinungen  der  geschilderten  Art  veranlassen  könne.  Eigene  und 
anderer  Autoren  Versuche  sprechen  dagegen.  Nur  Phlebitis,  die  bis  auf  die 
Orbitalvenen  übergriffe,  bewirke  das  Bild  einer  Orbitalphlegmone.  Er  glaubt, 
dass  in  Manns  Falle  Periostitis  vorgelegen  habe. 


79.  Versaramlung  deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  in  Dresden.  405 

Her  Schirm  er  schliesst  sich  durchaus  den  Bedenken  Elschnigs  an 
und  erinnert  speziell  daran,  dass  selbst  die  marantische  Thrombose  des 
Sinus  cavernosus  so  gut  wie  niemals  zu  Exophthalmus  und  Lidödem  führe. 
Auch  er  nimmt  eine  echte  Entzündung  an  und  schliesst  aus  dem  prompten 
Erfolge  des  operativen  Eingriffs,  dass  toxische  Substanzen  aus  dem  Mittelohre 
in  die  Orbita  gelangt  seien. 

Sitzung  am  17.  September  nachmittags. 

Vorsitzender:  Prof.  Kümmel,  Heidelberg. 

Herr    Friedrich    (Kiel):    Farbige    Photographien    der    Labyrinthe    eines 
Tanbstnnunen. 

Herr  Friedrich  demonstrierte  einige  nach  Lumiere  farbig  photo- 
graphierte,  mikroskopische  Präparate  von  den  Labyrinthen  eines  Taubstummen. 
Der  Fall  ähnelt  dem  Denkerschen  Falle.  (Anatomie  der  Taubstummheit, 
Heft  IV.) 

Die  Labyrinthfenster  warem  ohne  Besonderheiten,  was  mit  dem  normalen 
Befunde  im  Mittelohre  übereinstimmte.  Dagegen  ergab  sich  eine  Atrophie 
des  Cortischen  Organs,  die  am  stärksten  in  der  basalen  Windung  entwickelt 
war  und  nach  der  Spitze  allmählich  abnahm,  ohne  dass  jedoch  auch  dort 
die  epitheloiden  Zellen  den  Charakter  der  cochlearen  Sinneszellen  erkennen  liessen. 

Zeichen  von  überstandenen  Entzündungen  waren  nicht  vorhanden.  Die 
Innenräume  des  Labyrinths  erschienen  normal  weit.  Die  R  eis  sn  er  sehe 
Membran  war  straff  gespannt.  Die  Stria  vascularis  gut  entwickelt.  Die 
nervösen  Elemente  der  Schnecke,  die  Nerven  im  Modiolus,  die  Ganglienzellen 
waren  degeneriert.  Ektasien  oder  Kollapszustände  des  häutigen  Labyrinths 
fehlten. 

Friedrich  sieht  die  geschilderten  Veränderungen  nicht  als  P^nt- 
wickluDgshemmung  an,  sondern  als  Produkte  einer  degenerativen  Neuritis 
und  wendet  sich  gegen  die  allzu  freigebige  Aufstellung  von  > Typen«  der 
Anatomie  der  Taubstummheit.  Er  ist  der  Ansicht,  dass  mit  dem  Fortschreiten 
unserer  Kenntnisse  auf  dem  Gebiete  der  pathologischen  Histologie  des  Labyrinths 
wir  viel  häufiger  als  früher  an  den  Taubstummenohren  wohlcharakterisierte 
anatomische  Rückstände  von  Krankheiten  erkennen  werden»  und  dass  die 
auf  Bildungshemmung  zurückgeführten  Fälle  immer  seltener  werden.  Zum 
Schlüsse  gibt  Herr  Friedrich  einige  Winke  in  Bezug  auf  Technik  der 
Farbenphotographie  und  empfiehlt  das  Verfahren  als  Ersatz  für  die  mühsame 
Herstellung  farbiger  Abbildungen. 

Diskussion: 

Herr  Panse  betonte,  dass  folgende  zweifellos  pathologische  Ver- 
änderungen in  den  Präparaten  von  Herrn  Friedrich  nachweisbar  seien: 
Fixierung  der  verlagerten  R  e  i  s  s  n  e  r  sehen  Membran  durch  Bindegewebe, 
Verlagerungen  der  Ansatzstellen  und  Überwachsen  der  in  den  Sulcus  spiralis 
hinein  verlagerten  Cortischen  Membran  durch  eine  Epithellage. 

Herr  Herzog  wies  bezüglich  der  Ätiologie  des  Falles  darauf  hin, 
dass  die  Lageveränderungen  der  R.  M.  wohl  als  Residuen  von  entzündlichen 
Prozessen  aufzufassen  seien.  Seiner  Ansicht  nach  seien  die  Verschiebungen 
der  häutigen  Teile  auf  eine  frühii.-  Labyrinthitis  zurückzuführen. 


406  '79.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  in  Dresden. 

Herr  Friedrich  bemerkt  in  seinem  Schlusswort,  dass  er,  entgegen 
den  Anschauungen  des  Herrn  Herzog  keine  entzündlichen  Bindegewebs- 
nenbildungen  innerhalb  der  Schnecke  habe  finden  können. 

Herr  Herzog  (München):  Lageveränderungen  des  Mutigen  Labyrinthes 
bei  entzündlichen  Erkrankungen  des  Labyrinthinnem. 

Herr  Herzog  berichtet  über  Ektasien  oder  Kollapszustände  des  häutigen 
Labyrinthes  bei  5  Fällen  eigner  Beobachtung  und  demonstriert  mikroskopische 
Präparate  dieser  Veränderungen.  Es  handelte  sich  durchgängig  um  mit 
tuberkulösen  Mittelohreiterungen  behaftete  Individuen,  die  kurz  vor  ihrem 
Tode  ertaubt  waren,  und  deren  Hörvermögen  intra  vitam  genau  geprüft 
worden  war. 

Die  mikroskopischen  Bilder  des  Labyrinthinnem  konnten  pathologisch- 
anatomisch entweder  als  Anfangsstadien  oder  als  Residuen  einer  mildverlaufenden 
Entzündung  betrachtet  werden. 

Mit  diesen  Formen  der  Labyrinthitis  verbunden  wiederholten  sich  die 
Befunde  von  Ektasie  oder  Kollapszuständen  in  einer  derartigen  Regelmäfsigkeit, 
dass  Herr  Herzog  hieraus  ihre  Abhängigkeit  von  der  Entzündung  selbst 
annimmt.  Der  Vortragende  erklärt  das  Zustandekommen  dieser  Veränderungen 
folgendermafsen :  Bei  Entzündungen  kommt  es  zu  einer  erheblichen  Störung 
der  osmotischen  Druckkonstanz.  In  den  erwähnten  Fällen  bilde  das  eitrig 
erkrankte  Mittelohr  den  zentralen  Herd,  das  Labyrinth  die  äussere  Zone 
eines  entzündlichen  Ödems.  Der  Druck  steigere  sich  durch  Hyperämie  und 
vermehrte  Transsudation,  und  sobald  die  Volumenzunahme  der  Flüssigkeit 
durch  die  physiologischen  Ausgleichsvorriehtungen  nicht  mehr  kompensiert 
werden  könne,  bilde  das  ganze  Höhlensystem  einen  abgeschlossenen  Raum, 
dessen  Wände  unter  erhöhtem  Innendruck  stehen.  Dadurch,  dass  die  ent- 
zündlichen Ausscheidungen  von  den  verschiedensten  Seiten  aus  erfolgten, 
müssten  Druckschwankungen  des  Labyrinthwassers  enstehen,  die  Verschiebungen 
und  Zerrungen  der  gespannten  feinen  Membranen  bedingten. 

Warum  es  in  einzelnen  Fällen  zu  einer  Auftreibung  nur  des  endolym- 
phatischen, in  anderen  Fällen  nur  des  perilymphatischen  Sackes  käme,  sei 
nicht  ohne  weiteres  zu  entscheiden.  Wahrscheinlich  kämen  die  Abfiussverhält- 
nisse  der  Lymphe  durch  den  Aquaeductus  Cochleae  dafür  in  Betracht.  Die 
regulatorische  Funktion  der  Wasserleitung  könne  vollkommen  ausgeschaltet 
werden,  wenn  abgestossene,  gequollene  Endothelien  die  Mündung  des  Aquae- 
duktes  verstopften.  Andrerseits  könne  der  endolymphatische  Druck  durch 
eine  starke  Absonderung  aus  der  Stria  vascularis  erheblich  vermehrt  werden. 

Ektasien  des  häutigen  Labyrinthes  seien  bei  direkten  Labyrinth- 
eitcrungen,  die  meist  stürmisch  verlaufen  und  zu  den  schwersten  Zerstörungen 
führen,  niemals  beobachtet  worden,  sondern  nur  bei  den  Frühstadien  der 
durch  Mittelohrtuberkulose  hervorgerufenen  Labyrinthitis,  die  einen  langsam 
fortschreitenden  Prozess  darstelle. 

Diskussion: 

Herr  Kümmel  bittet  bei  Urteilen  über  Lageverschiebungen  im  Labyrinth 
zu  berücksichtigen,  dass  die  Membranen  des  Labyrinths  durch  verschiedene 
Dicke  und  Konsistenz  komplizierte  Verhältnisse  bedingen,  dass  ferner  die 
Zirkulationsverhältnisse  im  Ductus  peri-  und  endolymphaticus  noch  wenig 
bekannt  seien  und  dass  alle  diese  Unklarheiten  bei  der  einfach  mechanischen 
Erklärung  von  Lageveränderungen  zur  Vorsicht  mahnten. 


79.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  in  Dresden.  407 

Herr  Friedrich  trägt  Bedenken,  den  anatomischen  Befunden  von 
Verlagerungen  der  Reissn ersehen  Membran  eine  zu  grosse  Bedeutung  bei- 
zulegen. Die  theoretischen  Erklärungen  über  Druckschwankungen  im  endo- 
und  perilymphatischen  System  bei  Entzündungen  könnten  nicht  befriedigen, 
besonders  sei  es  fraglich,  ob  man  den  Begriff  der  Osmose  zur  Erklärung 
heranziehen  könnte. 

Herr  Herzog  weist  noch  einmal  ausdrücklich  darauf  hin,  dass  seine 
Deutungsversuche  keine  endgiltigen  Erklärungen  darstellen  sollten.  Allerdings 
seien  Lageverschiebungen  der  R.  M.  mit  grösster  Vorsicht  aufzunehmen, 
wenn  aber  auf  dem  einen  Bild  eine  mächtige  ballonförmige  Auftreibung  des 
Sacculus  zu  sehen  sei,  dessen  Wand  bindegewebig  an  die  Fussplatte  fixiert 
sei,  und  daneben  der  zusammengefallene  Utriculus,  so  könne  wohl  von  einem 
Artefakt  hier  keine  Rede  sein.  In  dem  nämlichen  Präparate  findet  sich 
wiederum  eine  Schlängelung  der  R.  M.  Alle  diese  Veränderungen  auf  die- 
selbe Ursache  zurückzuftQiren,  sei  jedenfalls  das  Nächstliegende. 

Herr  Fanse  (Dresden):  Präparate  zur  Histologie  der  Labyrintherkrankungen. 

(Selbstbericht.) 
I.     Tuberkel  in  der  Schnecke. 

n.     Knochenwucherung  in  den  Fenstern  bei  Cholesteatomtaubheit  (mit  Dege- 
neration des  Cortischen  Organs), 
in.     Blutungen  in  Akustikus  und  Schnecke  bei  Milzbrand. 
IV.     Exsudate  ebenda  bei  Leukämie. 

V.     Meningitis  nach  Trauma  durch  Labyrinth  und  Fenster  in  die  Pauke  dringend. 
VL     Kolossaler  Hydrocepbalus  ohne  Depression  der  R  e  i  s  s  n  e  r  sehen  Membran. 
Vn.     Meningitis  epidemica  mit  Degeneration  des  Cortischen  Organs. 

Herr  Eeinking  (Breslau):  Über  die  operative  Behandlung  der  Labyrinth- 
eitemngen. 
Von  den  an  der  Breslauer  Üniversitäts-Poliklinik  geübten  diagnostischen 
Methoden  haben  die  von  Steinschen  statischen  und  dynamischen  Versuche, 
sowie  der  Goniometer  die  sichersten  Anhaltspunkte  für  das  Bestehen  von  Aus- 
fallserscheinungen seitens  des  statischen  Apparates  gegeben.  Zirkumskripte 
Eiterungen  werden  nach  Ausführung  der  Radikaloperation  exspektativ  behandelt. 
Diffus  eiterig  erkrankte  Labyrinthe,  bei  denen  sich  bei  der  Radikaloperation 
ein  Defekt  an  der  Labyrinthwand  nachweisen  lässt,  werden  nach  der  Methode 
Hinsberg  eröffnet.  Die  Resultate  der  Breslauer  Klinik  sind  gut.  2 6 mal 
wurde  in  unkomplizierten  Fällen  das  Labyrinth  eröffnet.  Keiner  der  Patienten 
starb.  Von  19  ohne  weitere  Komplikationen  zur  Beobachtung  kommenden 
Labyrintheiterungen,  bei  denen  das  Labyrinth  nicht  eröffnet  wurde,  starben  5. 
In  einem  dieser  Fälle  wurde  das  Labyrinth  erst  nach  dem  ersten  Anzeichen 
der  Meningitis  eröffnet,  doch  Hess  sich  der  tödliche  Ausgang  nicht  mehr 
abwenden.  Auch  nach  Eröffnung  des  Labyrinths  kann  infolge  Sequester- 
bildung noch  Meningitis  eintreten.  Seitdem  an  der  ßreslauer  Klinik  regel- 
mäfsig  vor  der  Radikaloperation  auf  Labyrinthsymptome  und  während  der 
Operation  auf  Infektionspforten  an  der  Labyrinthwand  gefahndet  wird,  sind 
Überraschungen  durch  postoperative  Meningitis  nicht  mehr  vorgekommen. 

Diskussion: 

Herr  Kümmel  hat  auch  keine  postoperative  Meningitis  mehr  gesehen, 


40S  'i^-  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Arzte  in  Dresden. 

seit  er  eine  genaue  Prüfung  auf  Labyrintherkraukung  regelmäfsig  jeder  Radikal- 
operation vorausg('hen  lässt. 

Herr  Friedrich  hält  daran  fe>t.  dass  ein  eiterig  erkranktes  Labyrinth 
geöffnet  werden  muss,  die  Prognose  aber  stets  vorsichtig  zu  stellen  ist. 

Herr  Eronenberg  (Solingen):   Zar  Ätiologie  des  Othämatoms. 

Die  Pathologie  des  Othämatoms  ist  in  den  letzten  Jahren  entschieden 
gefördert  worden  besonders  durch  Versuche  von  Voss,  der  nachwies,  dass  die 
Geschwulst  durch  tangentiale  Gewalt  entsteht,  wobei  es  nicht  darauf  ankommt, 
dass  ein  starkes  Trauma  einwirkt.  Die  Stärke  kann  ersetzt  werden  durch  Wieder- 
holung einer  mäfsigen  Gewalt  (Reiben  von  Kaninchenohren  zwischen  den  Fingern). 

Ätiologisch  sind  dagegen  die  meisten  Fälle  unklar.  Ein  bestimmtes 
Trauma  ist  selten  nachweisbar.  K.  sah  nur  zwei  F'älle,  in  denen  er  die  Art 
der  Gewalteinwirkung  sicher  feststellen  konnte,  einmal  einen  Heizer,  der  mit 
der  Kohlenschaufel  die  Ohrmuschel  streifte,  und  das  andere  Mal  einen  Pflasterer, 
der  beim  Tragen  der  >  Ramme«  auf  der  Schulter  ein  Othämatom  acquirierte. 

Hei  Geisteskranken  sitzen  die  Othämatome  bekanntlich  meist  linksseitig. 
Im  Gegensatz  dazu  wird  bei  geistig  Gesunden  diese  Erkrankung  ebenso  oft 
oder  noch  öftei-  rechts  beobachtet.  Daher  kommt  es,  dass  man  noch  vielfach 
eine  idiopathische  Entstehung  annimmt. 

K.  beobachtete  mehrere  Fälle,  in  denen  das  Hämatom  mit  Sicherheit 
in  der  Nacht  während  des  Schlafes  entstanden  war,  und  vermutet,  dass  hierbei 
der  Kopf  auf  der  eingeknickten  Ohrmuschel,  auf  dem  untergeschobenen  Arm 
oder  einer  anderen  festen  Unterlage  gelegen  hat,  so  dass  durch  die  stunden- 
lange Einwirkung  eines  schwachen  Traumas  die  Geschwulst  entstand.  Er  hat 
sich  überzeugt,  dass  schon  durch  kurz  dauerndes  Auflegen  in  der  beschriebenen 
Art  stundenlang  Wärme  und  Rötung  an  der  Ohrmuschel  entsteht.  K.  glaubt, 
dass  eine  Reihe  der  bisher  als  idiopathisch  bezeichneten  Othämatome  dem 
beschriebenen  Vorgang  ihre  Entstehung  verdanken,  wenn  auch  zuzugeben  ist, 
dass  eine  Disposition  dazukommen  kann. 

Diskussion: 

Herr  Rudi  off  erwähnt,  dass  unter  den  Patienten,  die  er  in  den 
letzten  Jahren  wegen  Othämatom  behandelt  habe,  sich  ein  auffallender  Prozent- 
satz von  Syphilitikern  befände.  P^r  habe  daran  gedacht,  das^  die  liUes  in  der 
Ätiologie  des  Othämatoms  eine  Rolle  spielen  könne.  In  der  Literatur  fände 
sich  darüber  keine  Angabe.  Er  möchte  aber  an  den  Herrn  Vortragenden  die 
Anfrage  richten,  ob  er  dieselbe  Beobachtung  gemacht  habe. 

Herr  Katz  führt  einen  Fall  von  Othämatom  an,  der  durch  tangentialen 
Insult  hervorgerufen  worden  sei.  Als  Therapie  empfiehlt  er  einfache  Inzision 
unter  Beobachtung  peinlichster  Asepsis.  P^ntzündungen  wären  meist  auf  sekundäre 
Infektion  zurückzuführen.  Herr  Katz  weist  ferner  darauf  hin,  dass  die 
Othämatome  in  den  Irrenanstalten  selbst  entstehen. 

Herr  Barth  kennt  einen  Fall,  wo  bei  einem  kleinen  Kinde,  das  häufig 
beim  Spielen  die  Ohrmuschel  zusammenknickte  und  in  den  Gehörgang  zu 
stecken  pflegte,  auf  beiden  Seiten  ein  starkes  Hämatom  entstand. 

Im  Schlusswort  erwidert  Herr  Krone nberg  Herrn  Katz,  dass  die 
Othämatome  Geisteskranker  auch  heute  noch  häufig  zu  linden  seien  und  zwar 
meist  als  Resultate  der  Misshandlung  durch  Wärter,  das  sei  ja  bekannt. 
Herrn  Rudioffs  Beobachtung,  dass  viele  Träger  von  Othämatomen  früher 
an  Lues  gelitten  haben,   bestätige    sich   an   seinen  P'ällen    nicht.     Er  hält  es 


79.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  in  Dresden.  4()& 

aber    immerhin   für   möglich,   dass   durch    luetische   Gefässveräuderungen   die 
Disposition  zu  Othämatom  wachse.   ^ 

Herr  Beinking  (Breslau):   Über  Himprolapse  in  der  Oto-Bhino-Chimrgie. 

Herr  Reinking  teilt  4  Fälle  aus  der  Breslauer  Universitäts-Poliklinik 
mit.  Im  ersten  Falle  trat  nach  Stirnhöhlenoperation  und  Eröffnung  eines 
Stirnhirnabszesses  ein  Prolaps  von  Hirnsubstanz  ein.  Exitus  infolge  Durch- 
bruchs in  den  Ventrikel  und  Meningitis. 

Im  zweiten  Falle  Prolaps  14  Tage  nach  Eröffnung  eines  Kleinhirn- 
abszesses.    Oberfläche  wurde  gangränös.     Exitus  nach  6  Wochen. 

Im  dritten  Falle  wurde  die  Dura  des  Grosshirns  wegen  otogener 
Meningitis  inzidiert.  Sofortiges  starkes  Prolabieren,  nach  Abtragung  von 
Neuem.  Der  Druck,  mit  dem  sich  das  Gehirn  an  die  Ränder  der  Trepa- 
nationsöffnung anlegte,  Hess  keinen  Tropfen  Liquor  abfliessen. 

Ein  vierter  Fall  von  Hirnprolaps  wurde  nach  diagnostischer  Inzision  ins 
Kleinhirn  beobachtet.  Der  Prolaps  epidermisierte  sich  allmählich,  retrahierte 
sich  jedoch  nicht,  sondern  bildete  merkwürdigerweise  nach  Jahren  noch 
Fisteln,  aus  denen  Liquor  cerebrospinalis  abfloss. 

Die  Therapie  des  Hirnprolapses  verlangt  möglichste  Asepsis.  Stört  der 
Prolaps  bei  der  Nachbehandlung  und  begreift  er  keine  Gebiete  des  Gehirns  ein, 
deren  Entfernung  Ausfallserscheinungen  bedingt,  so  empfiehlt  sich  seine  Abtragung. 

Diskussion: 

Herr  Pause  hält  den  Hirnprolaps  für  den  Ausdruck  einer  Encephalitis, 
entweder  in  Form  eines  Hydrocephalus  internus  oder  einer  Entzündung  des 
Gehirns.  Hydrocephalus  externus  liefe  beim  Einschneiden  der  Dura  ab.  Bei 
Hydrocephalus  internus  würde  Lumbalpunktion  zu  empfehlen  sein,  gegen  Ent- 
zündung der  Himsubstanz  seien  wir  machtlos.  Er  würde  Bepulvern  mit  Acid. 
boric.  4.  Jodoform  1.  empfehlen. 

Herr  Barth  meint,  dass  grössere  Prolapse,  die  längere  Zeit  bestehen, 
leicht  an  der  Oberfläche  eintrockneten.  Bestände  ein  Prolaps  längere  Zeit, 
so  sei  von  seiner  Oberfläche  aus  kaum  noch  eine  Infektion  zu  befürchten. 
Er  habe  bei  den  nicht  gerade  häufigen  Fällen,  wo  ein  Prolaps  abgetragen 
wurde,  keine  starke  Blutung  gesehen.  Bei  starkem  Prolaps  fände  sich  bei 
der  Autopsie  die  entsprechende  Hirnhemisphäre  verkleinert  und  die  Gyri 
zögen  radienähnlich  nach  dem  Prolaps  hin. 

Herr  Kümmel  führt  aus,  dass  die  Himprolapse  nach  Hirnabszessen 
zumeist  von  einer  fortdauernden  Encephalitis  herrührten,  welch  letztere  zweifellos 
oft  durch  den  Reiz  eines  Drainrohres  herbeigeführt  werde.  Er  rät,  kein 
Drainrohr  anzuwenden,  sondern  möglichst  breit  zu  eröffnen,  dann  aber  nur 
Jodoformgaze  locker  einzulegen. 

Herr  Bndloff  (Wiesbaden) :  Über  Plastik  naoh  Badikaloperation.  (Selbstbericht.) 

Rudi  off  hat  bei  11  Operierten  die  Stackesche  Plastik  mit  der  Ein- 
pflanzung eines  vom  hinteren  Rande  der  retroaurikulären  Hautwunde  gebildeten 
Lappens  kombiniert  und  den  retroaurikulären  Hautschnitt  geschlossen,  nachdem 
er  zuvor  vom  Stiele  des  Lappens  die  Epidermis  abgetragen  hatte.  Die  Vor- 
aussetzung war  dabei  die,  dass  es  auf  diese  Weise  gelingen  würde,  den  Heilungs- 
vorgang zu  beschleunigen.  Nur  bei  3  Operierten  heilte  der  eingepflanzte  Lappen 
vollständig  an,  bei  4  Operierten  wurde  der  Lappen  zum  Teil,  bei  3  Operierten 
in  toto  nekrotisch.   Aus  diesem  Grunde  hat  R.  das  Verfahren  nicht  mehr  geübt. 

Zeitschrift  fttr  Ohrenbeillcaiide,  Bd.  LIV.  27 


410      Bericht  über  die  Yerhandliiiigen  der  Berliner  otologiscben  Gesellsehaffc. 

Bericht  Über  die  Verhandlungen  der  Berliner  otologischen 

Gesellschaft. 

Von  Ihr.  K.  lieichtentritt. 

Sitzung  Tom  13.  Norember  1906. 

1.  Herr  Herzfeld  stellt  einen  15  jährigen  jnngen  Mann  vor.  bei  dem 
bereits  10  Tage  nach  begonnener  Mittelohreiternng  die  Operation  eine 
obturierende  Sinnstbrombose  ergab.  An  dem  Fall  ist  weiter  bemerkenswert 
die  ophthalmoskopisch  festgestellte  Stannngspapille,  die  anf  der  ohrkranken 
Seite  weniger  stark  aasgebildet  war.  wie  anf  der  obrgesonden.  sowie  der 
bakteriologische  Befund  des  Eiters.  Während  der  aus  dem  Sinus  entnommene 
Eiter  Reinkulturen  von  Streptokokken  aufwies,  zeigte  der  bei  der  Operation 
dem  Ohr  entnommene  solche  von  Staphylococcus  pyogenes  aureus. 

2.  Herr  SesBons  demonstriert  mehrere  Patienten  mit  chronischer  Mittel- 
ohreiterung, bei  denen  eine  Wanderung  des  zu  einer  fadenförmigen  Borke 
eingetrockneten  Sekretes  von  der  Mitte  des  Trommelfells  zur  Peripherie  und 
weiter  zur  oberen  Gehörgangswand  stattgefunden  hat. 

3.  Herr  Wagner  demonstriert  a)  einen  65jährigen  Mann  mit  einem 
grossen  Tumor  des  linken  Felsenbeins,  der  seit  35  Jahren  besteht;  es  handelt 
sich  wahrscheinlich  um  ein  Endotheliom  der  Dura;  b)  einen  13jährigen,  seit 
1  ^jo  Jahren  schwerhörigen  Knaben  mit  pulsierendem  Trommelfell. 

4.  Herr  Herzfeld:  VorBtellung  eines  Patienten  mit  Fraktur  der 
vorderen  knöchernen  Oehörgangswand. 

Derselbe  hat  sich  die  Verletzung  dadurch  zugezogen,  dass  er  beim  Fallen 
mit  dem  Kinn  auf  Steinpflaster  aufschlug. 

5.  Diskussion  nber  1,  2,  3,  4. 

An  derselben  beteiligen  sich  die  Herren  Brühl,  Katz,  Lucae,  Sessons 
und  Passow. 

6.  Herr  Passow:  Zur  Othaematomfrage.  Erankenvorstellnng  und 
Demonstration  mikroskopischer  Präparate. 

Vortragender  hat  nach  seinen  neueren  Beobachtungen  die  Ansicht,  dass 
das  Otbaematom  zumeist  traumatischen  Ursprungs  ist,  bestätigt  gefunden.  Das 
gleich  gute  Resultat,  wie  mit  seiner  eigenen  Methode,  hat  er  auch  in  einem 
Falle  erzielt,  den  er  nach  dem  Vorgehen  französischer  Ohrenärzte  operiert 
hat.  Diese  eröffnen  das  Otbaematom  durch  einen  an  der  oberen  Peripherie 
der  Geschwulst  dem  Ilelix  parallel  verlaufenden  Schnitt. 

In  der  Diskussion,  an  der  sich  die  Herren  Fliess,  Katz  und 
Herzfeld  beteiligen,  tritt  Herr  Katz  für  die  keilförmige  Exzision  ein^ 
während  Herr  Herzfeld  dem  linearen  Schnitt  das  Wort  redet. 

Sitznng  Tom  8.  Jannar  1907. 

1.  Herr  Herzfeld:  a)  Demonstration  einer  Nasenschere. 
Dieselbe   unterscheidet   sich  von   den   gebräuchlichen  dadurch,  dass  sie 
wesentlich  stärker  ist. 


Bericht  über  die  Verhandinngen  der  Berliner  otolugischen  Gesellschaft.       411 

b)  Yontelliuig  eines  Zungenakrobaten. 

Derselbe  ist  imstande,  mit  Leichtigkeit  seine  Zunge  in  den  Nasen- 
rachenraum hineinzubringen,  mit  ihr  die  Nasenspitze,  ebenso  den  unteren  Rand 
des  Kinnes  zu  berühren. 

2.  Herr  Pauow:  Plastisclie  Operationen: 

a)  Vorstellung  eines  Patienten,  bei  dem  vor  drei  Tagen  wegen  Othaema- 
toms  die  von  den  Franzosen  geübte  Operationsmethode  zur  Anwendung  gebracht 
worden  ist. 

b)  Demonstration  einer  komplizierten  plastischen  Operation  bei  einer 
Patientin  mit  Katzenohr. 

3.  Herr  Wagener:  Mitteilung  über  Hystagmus. 

Vortragender  berichtet  über  einen  Fall  von  Himabszess,  bei  dem  auf 
Grund  eines  starken,  nach  der  erkrankten  Seite  gerichteten  Nystagmus  der 
vermutliche  Sitz  ins  Kleinhirn^vei*legt  war,  während  die  Operation,  und  spätere 
Sektion  einen  grossen  Eiterherd  im  Schläfenlappen  ergaben.  Er  schliesst 
hieraus,  dass  dem  nach  der  erkrankten  Seite  gerichteten  Nystagmus  differential- 
diagnostisch nicht  die  ihm  von  anderer  Seite  beigemessene  Bedeutung  zukommt. 

Diskussion:  Die  Herren  Herzfeld  und  Schwabach  teilen  Fälle 
chronischer  Mittelohreiterung  mit  Nystagmus  mit,  ohne  dass  eine  Himkompli- 
kation  vorlag. 

Herr  Beyer  schliesst  sich  den  Anschauungen  des  Vortragenden  auf 
Grund  experimenteller  Kleinhirnoperationen  an,  bei  denen  er  nie  dauernden 
Nystagmus  in  der  als   charakteristisch  angenommenen  Weise  beobachtet  hat. 

Herr  Lange  will  an  der  Hand  des  Charitematerials  dem  geschilderten 
Nystagmus  nicht  ganz  die  diagnostische  Bedeutung  absprechen  und  sieht  in 
ihm  immerhin  ein  Zeichen  dafür,  dass  in  der  hinteren  Schädelgrube  irgend 
ein  pathologischer  intrakranieiler  Prozess  besteht. 

Sitzung  vom  12.  März  1907. 

1.  Herr  Wagner  stellt  einen  Patienten  mit  lokalisierten  Muskelkrämpfen 
der  rechten  Gesichtshälfte  vor,  bei  denen  das  auslösende  Moment  eine  chronische 
Mittelohreiterung  ist. 

Diskussion:  Herr  Lncae. 

2.  Herr  Passow  zeigt  zwei  Fälle  von  Fraktur  des  äusseren  Gehör- 
ganges, bei  denen,  obwohl  schon  Jahr  und  Tag  seit  der  Verletzung  ver- 
gangen sind,  die  Risse  in  der  oberen  Gehörgangswand  deutlich  zu  sehen  sind, 

Diskussion:  Herr  Lucae. 

3.  Diskussion  über  den  Vortrag  des  Herrn  Max  Levy :  Die  Mortalität 
der  Ohrerkrankungen  und  ihre  Bedeutung  für  die  Lebensversicherung. 

An  derselben  beteiligen  sich  die  Herren  Brühl,  Sonntag,  Passow 
und  Lucae,  die  sämtlich  die  Statistik  des  Herrn  Levy  anfechten,  ins- 
besondere die  von  ihm  berechnete  Mortalitätsziffer  für  zu  niedrig  halten. 


27* 


412     Bericlit  über  die  Verhandl.  der  St.  Petersburger  oto-laryng.  Gesellschaft. 

Bericht  über  die  Verhandlungen  der  St.  Petersburger 
oto-lary ngologischen  Gesellschaft. 

Erstattet  von  Dr.  A.  8  ach  er. 

Sitzang  am  6.  Oktober  1906. 

1.  A.  Sacher:  Hachweis  des  Sitzes  eines  in  das  Schläfenbein  ein- 
gedmngenen  Projektils  mittelst  Röntgenstrahlen. 

S.  demoustriert  die  Radiogramme  des  Kopfes  eines  19  jährigen  jungen 
Mannes,  der  sich  vor  einem  Jahre  durch  zwei  Revolverschüsse  zu  töten  ver- 
sucht hatte.  Die  eine  Kugel  hat  sich  Pat.  ins  rechte  Ohr  geschossen,  die 
zweite  in  die  rechte  Schläfe.  Das  Bewusstsein  hat  Pat  erst  nach  ^g  Stunde, 
nach  der  Einlieferung  ins  Hospital,  verloren.  In  den  ersten  zwei  Tagen 
bestanden  recht  starke  Blutungen  aus  dem  Ohre,  Schmerzen  im  Ohre  und 
Erbrechen.  Im  Hospital  blieb  Pat.  einen  Monat  und  klagte  während  dieser 
Zeit  nur  über  Schwindel.  Eine  Operation  wurde  an  ihm  da  nicht  vorgenommen. 
Das  ganze  Jahr  hat  das  Ohr  bald  mehr,  bald  weniger  geeitert.  Die  Unter- 
suchung des  Ohres  ergab  folgendes :  Ohrenmuschel  und  Gehörgang  unverändert, 
im  letzteren  keine  Narben  nachweisbar.  Die  vordere  Hälfte  des  Trommelfells 
zerstört,  mäfsige  Eiterung,  der  Eiter  kommt  von  oben  aus  einem  Fistelgang, 
wahrscheinlich  aus  dem  Atticus.  Schleimhaut  der  Trommelhöhle  nicht  gelockert, 
vollkommen  glatt  und  nur  am  obenerwähnten  Fistelgange  stösst  die  Sonde  auf 
entblössten  Knochen.  Seitens  des  Gehirns  und  der  Gehirnnerven  keine  Er- 
scheinungen, Facialis  normal.  Die  Stimmgabeluntersuchung  zeigte,  dass  nur 
der  schalleitende  Apparat  affiziert  ist,  während  das  Labyrinth  vollkommen 
intakt  blieb.  Auf  Grund  der  klinischen '"Symptome  und  analoger  Fälle  aus 
der  Literatur  wurde  angenommen,  dass  das  Projektil  wahrscheinlich  im 
Becessus  epitimpanicus  stecken  geblieben  ist,  was  durch  die  Röntgenaufnahme 
vollkommen  bestätigt  wurde.  An  letzterer  sind  zwei  Kugeln  zu  sehen:  die 
eine  in  der  Schläfengegend,  ausserhalb  der  Schädelkapsel,  unter  dem  M.  tem- 
poralis;  die  andere  in  der  Pyramide,  unter  dem  Tegmen  tympani,  wahrschein- 
lich im  Recessus  epitympanicus,  hinter  dem  Canalis  pro  nervo  facialis,  welch* 
letzterer  deutlich  zu  sehen  ist. 

2.  P.  Hellat  demonstrierte  eine  Patientin  mit  einer  Hasencyste. 

Die  Cyste  sass  im  Nasenflügel,  vor  dem  vorderen  Ende  der  linken 
unteren  Muschel. 

3.  M.  Litschknss  stellte  eine  Patientin  vor,  bei  der  die  trockene  Perforation 
des  Trommelfells  durch  gewöhnliches  englisches  Pflaster  geschlossen  war, 

wobei  eine  bedeutende  Gehörsverbesserung  eintrat.  Eine  ähnliche  Verschliessung 
des  Trommelfells  wurde  auch  in  5  anderen  Fällen  ausgeführt;  in  allen  Hess 
sich  eine  Gehörsverbesserung  konstatieren  und  in  3  sogar  eine  Vernarbung 
des  Trommelfells  unter  dem  Pflaster. 

4.  P.  Hellat:  Über  das  chronische  Spucken. 

Aus  dem  interessanten  Vortrage  sollen  hier  nur  die  Thesen  angeführt 
werden:  1.  Das  chronische  Spucken  beginnt  zufällig,  am  häufigsten  nach 
Erkrankungen  der  Mundhöhle.  2.  Einen  Einfluss  hat  es  vorzugsweise  auf 
die  oberen  Luftwege.     3.  Der  durch  das   chronische  Spucken   hervorgerufene 


Bericht  über  die  Verhandlangen  dee  Dänischen  oto-lary ngologischen  Vereins;    413 

Speichelverlast  affiziert  das  Nervensystem  und  führt  nicht  selten  zu  echten 
Psychosen.  4.  Neurastheniker  und  Hysterische  werden  von  der  Krankheit 
häufiger  befallen  als  andere,  das  chronische  Spucken  ist  aber  keine  Erscheinung 
der  Neurasthenie  oder  Hysterie.  5.  Die  leichten  Grade  des  Spuckens  haben 
keine  besondere  Bedeutung.  6.  Die  schweren  Formen  sind  der  Kacbexia 
thyreopriva  ähnlich.  7.  Die  Ercheinungen  des  chronischen  Spuckens  lassen 
sich  durch  den  Verlust  der  oxydierenden  Oxydose  erklären,  die,  nach  Sslowzow, 
in  der  Parotis  ausgearbeitet  wird.  8.  Das  Wesen  der  Krankheit  ist  eine 
spezifische  Störung  der  Gewebsernährung  oder  der  Ernährung  der  Zelle. 
9.  Das  chronische  Spucken  ist  also  eine  eigenartige,  spezifische  Erkrankung 
der  Ernährung. 

Der  Vortrag  veranlasste  lebhafte  Diskussion,  an  der  sich  zahlreiche 
Mitglieder  der  Gesellschaft  beteiligten.  Die  meisten  sprachen  sich  dahin  aus, 
dass  das  chronische  Spucken  wahrscheinlich  nur  ein  Symptom  der  Neurasthenid 
oder  Hysterie  ist. 


Bericht  über   die  Verhandlungen  des  Dänischen  oto- 
laryngologischen  Vereins. 

Von  Jörgen  Möller  in  Kopenhagen. 
47.  Sitzung  vom  24.  April  1907. 

1.  Sohmiegelow :  Smusthrombose  bei  akuter  Mittelohreitemng.  —  Operation. 

—  JugularisunterbindTing.  —  Heilung. 

Vor  2  Monaten  Ohreiterung,  jetzt  seit  10  Tagen  wiedergekehrt,  Schwellung 
und  Empfindlichkeit  des  Warzenfortsatzes,  weshalb  vom  behandelnden  Arzte 
Aufmeisslung  vorgenommen  wurde,  er  fand  jedoch  keinen  Eiter,  nur  spärliche 
Granulationen ;  abends  Schüttelfrost,  Tp.  40,2.  Zwei  Tage  später  wird  von  S. 
die  Wundhöhle  erweitert  und  eitrige  Sinusthrombose  gefunden ;  Jugularis  wird 
oberhalb  der  Y.  facialis  unterbunden  und  Sinus  ausgeräumt.  Nach  der  Operation 
Gesichtsödem,  namentlich  rechts. 
Diskussion: 

Bentzen  meint,  das  Ödem  sei  durch  Verlegung  der  Oeffnung  der 
Y.  facialis  durch  den  Thrombus  im  zentralen  Teil  der  V.  jugularis  hervorgerufen. 
Es  liegt  hierin  eine  Gefahr  der  Jugulaiisunterbindung,  indem  der  Blutstrom 
der  V.  facialis  sehr  leicht  Thrombenpartikeln  losreissen  und  so  Embolien  ver- 
ursachen kann. 

Schmiegelow  ist  kein  unbedingter  Anhänger  der  Jugularisunterbindung, 
doch  scheint  die  Statistik  einen  etwas  grösseren  Prozentsatz  von  Heilungen  nach 
Ligatur  zu  ergeben. 

2.  Mahler:  Fall  von  otogenem  Abszess  im  rechten  Temporallappen. 

32 jähriger  Mann  mit  rechtsseitiger  akuter  Mittelohreiterung  ohne 
Mastoiditis,  einige  Druckempfindlichkeit  in  der  rechten  Schläfengegend,  Puls 
54-- 62.  Alles  schien  nprmal  zu  verlaufen,  bis  er  nach  3  Wochen  Schmerzen 
in  der  rechten  Schläfe  bekam,  Schwindel  und  Erbrechen;  er  magerte  schnell 
ab,  Tp.  normal,  Puls  42.  Bei  der  Aufmeisslung  wurde  ein  ziemlich  grosser 
Hirnabszess  gefunden;  nach  weiteren  14  Tagen  konnte  er  das  Bett  verlassen, 
jetzt  geheilt. 


414     Geselbchaft  sächsisch-thüringischer  Kehlkopf*  und  Ohrenärzte  zu  Leipzig. 

Gesellschaft  sächsisch -thüringischer  Kehlkopf-  und 

Ohrenärzte  zu  Leipzig. 

Sitzung  am  4.  Mai  1907. 

1.  Sr.  Trantmann  demonstriert  einen  Fall  von  Lähmung  des  linken 
mnsc.  posticns  laryngis,  des  weichen  Oanmens  und  der  Bachenwand  auf 
der  gleichen  Seite,  ohne  bekannte  Ursache  plötzlich  entstanden  und  ohne 
Behandlung  in  6  Wochen  wieder  geheilt.  Es  bestand  gleichzeitig  eine  sub- 
akute linksseitige  Mittelohreiternng  ohne  Komplikation.  Sensibilität  des  Rachens 
und  Kehlkopfes  herabgesetzt,  geringe  Schmerzen  an  der  linken  üalsseite. 
Nervenstatus  und  Augenhintergrund  ohne  Besonderheiten;  Puls  und  Atmung 
normal.  T.  hält  die  Erkrankung  für  eine  Neuritis  n.  vagi,  das  Zusammen- 
treffen mit  der  Mittelohreiterung  für  zufällig. 

2.  Dr.  Lauffs  zeigt  zwei  Fälle  von  stürmisch  einsetzender  Stim- 
höhleneiterung,  welche  der  Klinik  zur  Operation  zugewiesen  waren,  bei 
welchen  aber  die  endonasale  Behandlung  genügte.  In  dem  einen  bestand 
Fieber  bis  38,4^,  sehr  starke  Schmerzen,  Periostitis  der  facialen  und  orbi- 
talen Stirnbeinwand,  hochgradiges  Ödem  des  oberen  Augenlides  und  Exophthal- 
mus. Heilung  nach  3  Wochen  unter  täglichen  Ausspülungen.  Ausserdem 
Vorstellung  eines  Mannes  mit  anfallsweise  auftretendem  hysterischen  Spasmus 
laryngis  bei  gleichzeitiger  chronischer  Laryngitis,  bei  welchem  anderwärts 
schon  die  Ausführung  der  Tracheotomie  beabsichtigt  war. 

3.  Die  Behandlung  der  unkomplizierten  chronischen  Mittelohreiterung. 
Diskussionsthema.  Geheimrat  Schwartze  wünscht  nicht,  dass  der  Vor- 
sitzende zuerst  das  Wort  nimmt,  damit  die  Anwesenden  sich  möglichst  unbeeinflusst 
äussern  sollen.  Da  jedoch  niemand  sich  zum  Wort  meldet,  führt  Prof.  Barth 
aus,  dass  die  Art  der  Behandlung  eine  so  verschiedene,  z.  T.  widersprechende 
sei,  dass  eine  Verständigung  durch  gegenseitige  Aussprache  versucht  werden 
sollte.  Auf  Schwartzes  Vorschlag  folgt  zuerst  die  Besprechung  der  all- 
gemeinen Behandlung.  An  der  Diskussion  beteiligen  sich  noch  die  Herren 
Mejer,  Thies  I,  Schmiedt,  Robitzsch,  Stimmel.  Alle  sind  sich  über 
die  Wichtigkeit  auch  der  Allgemeinbehandlung,  besonders  bei  Kindern,  einig. 
Vor  allem  ist  hervorzuheben,  dass  Schwartze  auch  Aufenthalt  nicht  nur  in 
Luftkurorten,  sondern  selbst  an  der  See  (Ostsee  und  Mittelmeer,  nicht  Nord- 
see) empfiehlt  und  dortselbst  auch  Wannenbäder  nehmen  lässt.  Barth  ist 
bei  genügendem  Schutz  des  Ohres  selbst  nicht  gegen  Seebäder.  Nur  Patienten 
mit  progressiver  Schwerhörigkeit  (Mittelohrsklerose)  ist  der  Aufenthalt  an  der 
See  zu  verbieten.  Schwartze  stimmt  dem  zu.  Robitzsch  empfiehlt  auch 
Licht-Luftbäder.  Stimmel  hat  gute  Erfolge  von  der  Ansaugungstherapie 
gesehen.  •  Barth. 


Besprecliuxigeii. 

Über    die    Geschwülste    des    Kleinhirns    und    der 

hinteren   Schädelgrube   von   Professor    Dr.  Seif f er 
in  Berlin.    Beihefte  der  med.  Klinik.     III.  Jahrgang. 

Besprochen  von 
Dr.  Bär  an  7  in  Wien. 

Professor  Seiffer  bespricht  auf  Grand  des  Stadiums  der  Literatur 
Anatomie  und  Physiologie  des  Kleinhirns  sowie  Symptomatologie  und 
Diagnose  der  Kleinhirnerkrankungen. 

Uns  interessieren  hauptsächlich  die  dem  Yestibular-Apparat  an 
mehreren  Stellen  der  Arbeit  gewidmeten  Ausführungen.  Hier  müssen 
leider  beträchtliche  Lücken  in  der  Literaturkenntnis  des  Autors  kon- 
statiert werden.  So  führt  er  für  die  Erklärung  der  Funktion  des 
Vestibulär- Apparates  einen  von  Raymond  und  Egg  er  (1905)  ge- 
machten Erklärungsversuch  ausführlich  an,  ohne  die  viel  ältere  und  viel 
genauere  Mach -Breuer  sehe  Theorie  überhaupt  zu  erwähnen.  Den 
Angaben  von  Gordon-Holmes  und  Grainger  Stewart,  welche 
Autoren  über  die  Physiologie  des  Yestibular-Apparates  ebenfalls  nicht 
hinreichend  genau  orientiert  sind,  wird  zu  grosses  Gewicht  beigelegt. 
Diese  Autoren  hatten  auf  Grund  der  Untersuchung  von  22  durch  die 
Obduktion  resp.  Operation  bestätigten  Befunden  die  Annahme  aufgestellt, 
dass  man  durch  Berücksichtigung  der  Angaben  der  Patienten  über  die 
Art  ihres  Schwindels  die  Differentialdiagnose  zwischen  intra-  und  extra- 
cerebellaren  Tumoren  stellen  könne.  Sie  fanden  bei  intra-  und  extra- 
cerebellaren  Tumoren  während  des  Schwindels  die  Scheinbewegung  der 
Objekte  von  der  kranken  nach  der  gesunden  Seite,  die  scheinbare 
Bewegung  des  eigenen  Körpers  bei  den  intracerebellaren  Tumoren  von 
der  kranken  nach  der  gesunden  Seite,  bei  den  extracerebellaren  Tumoren 
umgekehrt. 

Zunächst  muss  hervorgehoben  werden,  dass  die  beiden  englischen 
Autoren,  obwohl  sie  dem  Nystagmus  im  allgemeinen  einen  beträchtlichen 
Wert  bei  der  Diagnose  zuerkennen,  über  keine  Beobachtungen  des 
Nystagmus    während   des  Schwindelanfalles    berichten,    wiewohl    gerade 


416  Besprechungen. 

diese  Beobachtungen  von  grösster  klinischer  Bedeutung  wären.  Man 
darf  hier  nicht  einwenden,  dass  die  Beobachtung  eines  Schwindeianfalles 
sehr  selten  möglich  sei.  Gerade  bei  diesen  Kranken  hat  man  recht 
häufig  dazu  Gelegenheit. 

Untersucht  man  eine  grössere  Zahl  von  Personen  auf  dem  Dreh- 
stuhl, so  wird  man  bald  gewahr,  wie  unzuverlässig  die  Angaben  über 
Richtung  der  Scheinbewegungen  der  Objekte,  insbesondere  aber  des 
eigenen  Körpers  sind.  Genauere  Angaben  über  Scheinbewegungen  des 
eigenen  Körpers  kann  man  überhaupt  nur  dann  erhalten,  wenn  der 
Patient  während  des  Schwindels  sich  vollkommen  ruhig  verhält.  Sowie 
er  in  dieser  Zeit  eine  Bewegung  ausführt,  tritt  eine  Vermischung  der 
vom  Vestibulär -Apparat  einerseits  herrührenden  Erregung  und  den 
während  der  Bewegung  entstandenen  Muskel-  und  Gelenksempfindungen 
andrerseits  ein.  Da  diese  beiden  Empfindungen  einander  stets  entgegen- 
gesetzt sind,  indem  die  ausgeführte  reale  Bewegung  die  Reaktion  auf 
den  Vestibularreiz  bildet,  so  erhält  man  bei  verschiedenen  Personen 
bald  diese,  bald  jene  Angaben.  Es  muss  also  den  von  den  englischen 
Autoren  angeführten  Merkmalen  jeder  diagnostische  Wert  abgesprochen 
werden. 

Seite  12  hebt  Seiffer  hervor,  dass  die  Untersucl'ung  des 
Schwindels  auf  dem  Drehstuhl,  bisher  zu  keinem  praktischen  Ergebnis 
geführt  habe,  jedoch  mit  Eifer  fortgesetzt  zu  werden  verdiene. 

Dem  gegenüber  möchte  Referent  auf  die  eigenen  Arbeiten,  besondere 
über  die  kalorische  Reaktion  des  Vestibulär- Apparates  hinweisen,  welche 
gerade  in  diesen  Fällen  berufen  ist,  eine  sichere  Auskunft  über  den 
Zustand  des  Vestibulär- Apparates  zu  geben.  Fehlt  die  kalorische 
Reaktion  zum  Beispiel  rechts,  und  besteht  starker  rotatorischer  Nystag- 
mus nach  rechts,  so  kann  mit  Bestimmtheit  auf  eine  in  der  hinteren 
Schädelgrube  befindliche  Ursache  (Tumor,  Abszess,  Meningitis)  geschlossen 
werden,  welche  einerseits  die  Lähmung  des  peripheren  Vestibular-Apparates 
bewirkt  (Fehlen  der  kalorischen  Reaktion)  andrerseits  durch  Reizung 
des  Deitersschen  Kerns  den  Nystagmus  nach  der  kranken  Seite  her- 
vorruft; gleichzeitig  wird  Fallen  nach  der  gesunden  Seite  (links),  bei 
liinksdrehung  des  Kopfes  Fallen  nach  hinten,  bei  Rechtsdrehung  Fallen 
nach  vorne  beobachtet. 

Das  Studium  der  vestibulären  Ataxie  ist  noch  nicht  so  alt,  als 
dass  aus  der  Unkenntnis  dieses  Punktes  dem  Verfasser  ein  Vorwurf 
gemacht  werden  könnte.  Immerhin  muss  betont  werden,  dass  es  nicht 
angängig  .ist,  wenn  der  Patient  taumelt,  von  cerebellarer  Ataxie  zu 
sprechen,  ohne  auf  vestibulären  Nystagmus  genauestens  untersucht  zu 
haben. 

Referent  muss  hier  wieder  auf  die  von  ihm  hervorgehobenen  Be- 
ziehungen zwischen  der  Richtung  des  Nystagmus,  der  Richtung  der 
Gleichgewichtsstörung  und  die  Beeinflussung  der  Gleichgewichtsstörung 
durch  Drehung  des  Kopfes  verweisen. 


Besprechungen .  417 

Der   Otitische   Kleinhirnabszess   von  Dr.  Heinrich 

Neumann  in  Wien.  Franz  Deuticke,  Leipzig- Wien  1907. 

Besprochen  von 
Dr.  Gustav  Brtthl. 

Nenmann  hat  die  seit  1900  in  der  Literatur  beschriebenen  and 
die  auf  der  Klinik  von  Politzer  beobachteten  Fälle  von  Kleinhirn- 
abszessen,  gesammelt.  Das  grosse  Material  von  196  Fällen  ist  nach 
jeder  Richtung  hin  kritiscli  bearbeitet,  sodass  man  einen  ausgezeichneten 
Überblick  tlber  den  augenblicklichen  Stand  unserer  Kenntnisse  auf  diesem 
Gebiet  bekommt.  Neumann  bespricht  zunächst  die  statistischen  Ver- 
hältnisse, dann  die  Ätiologie  und  pathologische  Anatomie,  die  Sympto- 
matologie, das  Initialstudium,  Manifestes  Stadium,  die  Diagnose, 
Differentialdiagnose,  Prognose,  die  Operationsmethoden,  und  die  Nach- 
behandlung des  Kleinhimabszesses.  Zum  Schluss  bringt  er  ausführliche 
Krankengeschichten  von  165  Fällen,  25  aus  der  Klinik  Politzer. 

In  allen  Kapiteln  finden  sich  intd^essai^te  Einzelheiten  und  An- 
regungen. Mit  besonderer  Ausführlichkeit  ist  die  Symptomatologie  be- 
arbeitet. »Die  Herdsymptome  der  Kleinhirnerkrankungen,  somit  auch 
die  des  Kleinhirnabszesses,  resultieren  einerseits  aus  der  Läsion  des 
Deiters  sehen  Kernes  und  der  zu  —  und  abführenden  Bahnen,  ander- 
seits aus  der  Läsion  von  sensiblen  Bahnen,  welche  der  gleichseitigen 
Körperhälfte  angehören  und  mit  der  Koordination  der  Muskeltätigkeit 
in  Beziehung  stehen.  Die  Läsion  des  Deitersschen  Kernes  ruft 
vestibulären  Nystagmus,  Schwindel  und  vestibuläre  Ataxie  hervor,  die 
Läsion  der  sensiblen  Körperbahnen  Hemiparese  und  Hemiataxie  der 
oberen  und  unteren  Extremitäten  derselben  Seite  »ohne  Störung  der 
bewussten  Tiefensensibilität.«  »Bei  den  von  uns  in  den  letzten  Jahren 
beobachteten  otitischen  Kleinhirnabszessen,  bei  welchen  eine  genaue 
Untersuchung  auf  Nystagmus  vorgenommen  wurde,  lag  stets  eine  Kom- 
bination von  Kleinhirnabszess  mit  Labyrintheiterung  vor.  In  diesen 
Fällen  gestalten  sich  nun  die  Unterscheidung  des  cerebellaren  von  einem 
labyrinthären  Nystagmus  in  folgender  Weise: 

1.  Angenommen,  es  besteht  Nystagmus  nach  der  kranken  Seite,  so 
kann  eine  zirkumskripte  Labyrintherkrankuug  oder  ein  Kleinhirnabszess 
vorliegen.« 

2.  Es  besteht  rotatorischer  Nystagmus  nach  der  kranken  Seite. 
Das  Labyrinth  ist  nicht  errregbar.  In  diesem  Falle  kann  sofort  die 
Diagnose  auf  Auflösung  des  Nystagmus  in  der  hinteren  Schädelgrube, 
also  bei  entsprechendem  Verhalten  von  Temperatur  und  Puls- auf  Klein- 
hirnabszess gestellt  werden. 

3.  »Es  besteht  Nystagmus  nach  der  gesunden  Seite,  das  Labyrinth 
ist  nicht  erregbar,  so  kann  dieser  Nystagmus  sowohl  vom  Labyrinth  wie 
vom  Cerebellum  ausgelöst  sein.  Hier  wird  vor  der  Labyrinthoperation 
die  Unterscheidung  auf  Grund  dieses  Symptomes  nicht  möglich  sein.« 

Weitere  interessante  Einzelheiten,  die  das  Buch  in  Fülle  enthält, 
müssen  aus  dem  Original  ersehen  werden. 


418  BespiechoDgen. 

Grundriss  und  Atlas  der  speziellen  Chirurgie  von 
Prof.  Dr.  Georg  Sultan,  I.  Teil.  Mit  40  farbigen  Tafeln 
und  218  zum  Teil  zwei-  bis  dreifarbigen  Abbildungen. 
München  1907.  Lehmanns  Medizin.  Handatlanten. 
Band  XXXVI. 

Besprochen  Ton 
Dt,  Gustav  Brfihl. 

Der  vorliegende  Atlas  erfordert  auch  das  Interesse  des  Otologen, 
weil  in  demselben  vieles  znr  Darstellung  und  Abbildung  gelangt,  was 
für  denselben  von  grosser  Bedeatnng  ist.  So  sei  die  Darstellung  der 
Himtopographie,  der  Trepanation,  der  Schädelbasisbrüche,  der  Lumbal- 
punktion, der  Missbildungen  des  Gesichts,  des  Gaumens,  der  Geschwülste 
des  Oberkiefers,  der  Zunge  hervorgehoben.  Die  Chirurgie  der  Nase, 
des  Nasenrachenraums  und  der  Stirnhöhle,  der  Kiefer,  des  Rachens  und 
der  Tonsillen,  die  Chirurgie  des  Ohres,  des  Kehlkopfe  und  der  Trachea 
bilden  besondere  Kapitel,  die  dem  Umfange  des  Ganzen  entsprechend  kurz 
gehalten  sind.  Wie  in  den  übrigen  Teilen  des  Werkes,  so  sind  auch 
in  diesen  Kapiteln  ausgezeichnete  Abbildungen  enthalten.  Originell  ist 
der  Versuch  einer  farbigen  Darstellung  der  Durchleuchtung  der  Stirn- 
höhle und  der  Oberkieferhöhle.  Die  Ausstattung  des  Werkes  ist  ebenso 
wie  die  Ausführung  der  Bilder  und  die  textliche  Darstellung  ausgezeichnet. 


Die  ohrenärztliche  Tätigkeit  des  Sanitätsoffiziers. 

IL  Teil.  Einige  wichtige  Fragen  aus  dem  Gebiete  der  Ohren- 
heilkunde unter  besonderer  Berücksichtigung  der  Bezold- 
Edelmann sehen  Tonreilie  bearbeitet  von  Dr.  Robert 
Dölger,  Stabsarzt  in  Frankfurt  a.  M.  Wiesbaden,  Verlag 
von  J.  F.  Bergmann,   1907. 

BesprocheD  von 
Arthur  Hartmann. 

In  der  vorliegenden  Schrift  (48  Seiten)  soll  nach  dem  Vorwort 
dem  Sanitätsoffizier  eine  rasche  Orientierung  gewährt  werden  über  einige 
der  wichtigsten  für  ihn  unbedingt  notwendigen  Fragen  aus  dem  Gebiete 
der  Ohrenerkrankungen.  Insbesondere  will  D.  die  »Allgemeinheit  der 
Sanitätsoffiziere«  für  die  kontinuierliche  Tonreihe  interessieren.  Die 
Untersuchung  mit  der  Tonreihe  und  deren  Verwendung  für  die  Diagnose 
spielt  deshalb  auch  eine  grosse  Bolle  in  der  kleinen  Veröffentlichung. 
Wenn  auch  die  Bezoldsche  Stimmgabelserie  zum  etatmädsigen  Besitz 
der  Korpsohrenstationen  gehört,  so  wäre  es  doch  wohl  zweckmäfsig 
gewesen,   wenn  in   einer  für  die  Allgemeinheit  der  Sanitätsoffiziere  be- 


Besprechungen.  419 

stimmten  Arbeit  aach  die  Untersnchung  mit  weniger  kostspieligen  Stimm- 
gabelserien erwähnt  worden  wäre,  da  gerade  der  Sanitätsoffizier  sich 
mit  der  Untersuchang  von  Taubstummen,  wozu  die  ßezoldscbe  Serie 
ja  in  erster  Linie  geeignet  ist,  nicht  zu  befassen  hat.  In  den  einzelnen 
Kapiteln  ist  neben  der  Stimmgabelprüfung  der  Gang  der  Untersuchung 
bei  Erkrankungen  des  Hörorganes,  die  Fehler  bei  der  funktionellen  Prüfung, 
die  Simulation,  die  Erankheitsbilder  des  mittleren  und  inneren  Ohres, 
die  operativen  Eingriffe  in  systematischer  Weise  besprochen.  Angefügt 
ist  eine  schematische  Darstellung  der  Bezold-Edelmannschen 
kontinuierlichen  Tonreihe,  eine  schematische  Übersicht  über  die  funktionellen 
Befunde  bei  Hörstörungen  durch  Erkrankung  des  mittleren  und  inneren 
Ohres  und  eine  Tafel  mit  schematischen  Trommelfellbildern. 


Die    chronische ,     progressive    Schwerhörigkeit. 

Ihre  Erkenntnis  und  Behandlung.  Von  Dr.  August  Lucae. 
Berlin,  Julius  Springer,  1907.  392  Seiten,  mit  25  Text- 
figuren und  2  Tafeln.     Preis  M.  18. — 

Besprochen  yon 
Prof.  Hinsberg  in  Breslau. 

Locae  bietet  uns  in  der  vorliegenden  Monographie  über  die 
chronische,  progressive  Schwerhörigkeit  die  Erfahrungen,  die  er  während 
einer  langen,  arbeitsreichen  Tätigkeit  an  einem  Material,  wie  es  nur 
wenig  Otologen  zur  YerfQgung  steht,  gesammelt  hat.  Wenn  jemand,  so 
war  er  zu  dieser  Arbeit  berufen,  denn  gerade  die  Erforschung  der 
Physiologie  des  Gehörorganes,  ihrer  Störungen  unter  pathologischen  Ver- 
hältnissen, die  Diagnostik  der  Hörstörung  und  ihrer  Therapie  zieht  sich 
wie  ein  roter  Faden  durch  all  seine  Publikationen,  sie  bildet  einen 
grossen  Teil  seiner  Lebensarbeit.  Er  ist  dabei,  wie  er  auch  selbst 
betont,  zum  grossen  Teil  seine  eigenen  Wege  gewandelt. 

Die  Ffllle  des  im  vorliegenden  Werke  niedergelegten  Materials  ist 
so  gross,  dass  es  unmöglich  ist,  im  Rahmen  einer  >Besprechung«  näher 
darauf  einzugehen.  Nur  einige  prinzipiell  wichtige  Punkte  seien  kurz 
angedeutet. 

Bemerkenswert  ist  in  erster  Linie,  dass  nach  L  u  c  a  e  s  Ansicht  die 
Bedeutung  der  zur  Stapesankylose  führenden  Spongiosierung  der 
liabyrinthkapsel  (Otosklerose  im  engeren  Sinne)  für  das  Zustandekommen 
der  progressiven  Schwerhörigkeit  geringer  ist,  als  heute  von  manchen 
Autoren  angenommen  wird.  L.  glaubt  vielmehr,  dass  die  »trockenen 
chronischen  Mittelohrprozesse«,  d.  h.  postkatarrhalische  und  postotitische 
Adhäsivprozesse  im  Mittelohr,  viel  häufiger  zu  progressiver  Schwer- 
hörigkeit führen,  als  die  Otosklerose  im  engeren  Sinne,  und  dass  wir 
häufig  nicht  in  der  Lage  sind,  zu  entscheiden,  welcher  Prozess  die 
Ursache  der  Schwerhörigkeit  abgibt.    Er  folgert  daraus,  dass  der  heute 


420  fiesprechangen. 

vielfach  geltende  Nihilismus  in  der  Therapie  nicht  bei  jeder  progressiven 
Schwerhörigkeit  angebracht  ist  und  beweist  durch  eine  grosse  Zahl 
eigener  Beobachtungen,  dass  auch  in  anscheinend  sehr  ungünstig  liegenden 
Fällen  manchmal  noch  recht  gute  Resultate  zu  erzielen  sind. 

Die  Wege,  auf  denen  die  Hörverbesserung  erreicht  wurde,  sind 
verschieden  (Drucksonde,  positive  oder  negativ-positive  Pneumomassage 
bezw.  Wassermassage,  operative  Eingriffe  am  Trommelfell  und  Gehör- 
knöchelchen). Zur  Diagnostik  empfiehlt  L.  dringend  genaue  Unter- 
suchung der  Beweglichkeit  des  Trommelfells,  die  seiner  Ansicht  nach 
heute  gegenüber  der  Stimmgabeluntersuchung  vielfach  mit  Unrecht  ver- 
nachlässigt wird. 

Wie  aus  diesen  kurzen  Andeutungen  hervorgeht,  stehen  Lucaes 
Anschauungen  vielfach  im  Widersprych  zu  den  heute  vorherrschenden, 
es  dürften  deshalb  auch  manche  seiner  Ausführungen  wohl  kaum  un- 
widersprochen bleiben. 

Das  bedeutet  jedoch  keineswegs  eine  Verminderung  des  Wertes  des 
Buches ;  denn  wenn  es  auch  nicht  die  definitive  Lösung  all  der  Fragen 
bietet,  die  heute  noch  bezüglich  der  progressiven  Schwerhörigkeit  offen 
stehen,  und  wenn  manche  der  Hypothesen  Lucaes  sich  vielleicht 
später  als  nicht  zutreffend  erweisen  sollten,  so  bietet  das  Buch  doch 
eine  solche  Fülle  von  Anregungen  und  positivem  Material,  dass  jeder 
Otologe  dem  Autor  dankbar  dafür  sein  wird. 


Fach-  und  Personalnachrichten. 


Ende  September  d.  J.  erlag  Professor  Kessel  in  Jena  nach 
qualvollen  Leiden  einem  bösartigen  Mediastinaltumor. 

Jean  Kessel  war  1839  in  Rheinhessen  geboren,  ist  also  68  Jahre 
alt  geworden.  Er  studierte  1857  bis  1865  in  Giessen  und  Würzburg 
und  erlangte  1866  in  Giessen  Doktortitel  und  Approbation.  Die  erste 
Anregung  sich  mit  Ohrenheilkunde  zu  beschäftigen,  scheint  er  dem 
Giessener  Chirurgen  Wernher  zu  verdanken.  In  jener  Zeit  war 
Wernher  der  einzige  deutsche  Chirug,  der  Verständnis  und  Inseresse 
für  die  noch  schwer  um  Anerkennung  ringende  Ohrenheilkunde 
gewonnen  hatte ;  nicht  nur  als  Chirurg,  sondern  auch  als  pathologischer 
Anatom  —  er  vertrat  viele  Jahre  lang  gleichzeitig  beide  Fächer  —  suchte 
er  sich  und  anderen  Kenntnisse  in  der  Ohrenheilkunde  zu  verschaffen. 
Wir  verdanken  ihm  bekanntlich  eine  grundlegende  Arbeit  über  die 
Pneumatocele  supramastoidea.  Die  unter  Wernhers  Leitung  aus- 
gearbeiteten Dissertationen  standen  in  sehr  gutem  Rufe;  auch  Kessels 
Dissertation  ist  von  ihm  angeregt.  Sie  behandelt  Fälle  von  Otitis 
interna  —  wir  würden  jetzt  sagen  media  —  mit  Vereiterung  der 
Zellen  des  Warzenfortsatzes  und  Sinusthrombose,  sowie  die  chirurgische 
Eröffnung  —  damals  Trepanation  —  des  Warzenfortsatzes ;  die  Dissertation 
wird  also  beiden  Arbeitsgebieten  des  Lehrers,  der  sie  angeregt  hatte, 
gerecht. 

In  den  auf  seine  Promotion  und  Approbation  folgenden  Jahren 
finden  wir  Kessel  bei  von  Tröltsch  in  Würzburg,  bei  dem  Histo- 
logen  Stricker  in  Wien,  für  dessen  Handbuch  der  Gewebelehre  er 
das  äussere  und  mittlere  Ohr  (1870)  bearbeitete,  und  bei  dem  Physiker 
Mach  in  Prag,  mit  dem  er  seine  bekannten  Versuche  über  die  Akkomm- 
modation  des  Ohres  (1872)  anstellte.  Erst  im  37.  Lebensjahre  (1876) 
legte  Kessel  den  Wanderstab  nieder  und  habilitierte  sich  in  Graz. 
1886  wurde  er  als  a.  o.  Professor  nach  Jena  berufen.  Hier  wirkte 
er  bis  zu  seinem  Tode.  Seinen  Bemühungen  verdankt  die  Thüringische 
Universität  eine  gute  Ohrenklinik,  bei  deren  Eröffnung  er  den  Hofrats- 
titel erhielt. 

Ausser  den  schon  genannten  Arbeiten  veröffentlichte  Kessel  noch 
eine  lange  Reihe   von  solchen   aus  verschiedenen  Gebieten   der  Ohren- 


422  Fach-  und  Personalnachricbten. 

heilknnde.  Mit  Vorliebe  bearbeitete  er  die  Tenotomie  der  Binnen- 
iDUskeln  des  Ohres  und  die  Mobilisierung  und  Extraktion  des  durch 
pathologische  Vorgänge  fixierten  Steigbügels.  Im  Schwartze  sehen 
Handbuch  der . Ohrenheilkunde  lieferte  er  1892  den  Abschnitt:  Histo- 
logie des  äusseren  und  mittleren  Ohres,  22  Jahre  nach  seiner  ersten 
Bearbeitung  des  gleichen  Themas  in  Strickers  Gewebelehre. 

Kessel  war  ein  heiterer  lebensfroher  Mann.  Hatte  er  es  doch 
verstanden  die  fröhliche  Studentenzeit  über  das  Doppelte  der  damals 
üblichen  Semesterzahl  auszudehnen!  Später,  in  der  Zeit  ernster  Arbeit, 
suchte  er  seine  Erholung  gern  auf  der  Jagd.  Bei  den  Fachkongressen 
war  er  in  seinen  besten  Jahren  ein  gern  gesehener  Kollege;  im  Alter 
freilich  zeigte  er  sich  dort  empfindlich  und  leicht  reizbar  und  blieb 
schliesslich  den  Versammlungen  fern.  Wer  ihm  persönlich  näher  treten 
durfte,  wird  sein  Andenken  in  Ehren  halten;  in  der  Geschichte  der 
Ohrenheilkunde  hat  er  sich  selbst  ein  Denkmal  gesetzt.  K. 


Beim  Ausscheiden  Politzers  aus  seinem  Lehramte  an  der  Wiener 
Universität  fand  in  dem  mit  Blumen  geschmückten  Ambulatorium  der 
Ohrenklinik  am  30.  September  eine  Abschiedsfeier  statt,  zu  welcher 
sich  der  Dekan  der  Universität,  eine  grosse  Anzahl  von  Professoren, 
Vertreter  des  Unterrichtsministeriums  und  der  Statthalterei  und  frühere 
Schüler  eingefunden  hatten.  Der  Dekan,  Professor  Pollack, 
Dozent  Alexander  hielten  Ansprachen,  in  welchen  die  Verdienste 
Politzers  gefeiert  wurden.  Der  Präsident  der  amerikanischen  Ärzte- 
assoziation von  Wien  überreichte  ein  Ehrendiplom,  Professor  Po  Hack 
ein  von  Schülern  und  Freunden  gestiftete  Plakette.  In  der  Beantwortung 
auf  die  Ansprachen  gab  Politzer  einen  kurzen  Rückblick  auf  die 
Geschichte  der  Ohrenheilkunde  seiner  Zeit. 


Zum   Nachfolger   Politzers   wurde  Professor  Urbantschitsch 
ernannt. 


Dozent  Dr.  Alexander,  bisher  Assistent  der  Universitätsohren- 
klinik in  Wien,  wurde  zum  Nachfolger  von  Professor  Urbantschitsch 
an  der  allgemeinen  Poliklinik  in  Wien  gewählt. 


Geh.  San.-Rat  Dr.  Keim  er,  a.  o.  Mitglied  der  Akademie  in 
Düsseldorf,  hat  den  Titel  Professor  erhalten.  Die  ihm  unterstehende 
neu  eröffnete  Klinik  für  Hals-,  Nasen-  und  Ohrenheilkunde  der 
allgemeinen  Krankenanstalten  in  Düsseldorf  entspricht  durch  ihre 
zweckmäfsige,  den  Grundsätzen  der  Asepsis  entsprechende  Einrichtung 
und  reiche  Ausrüstung  den  jetzt  üblichen  Ansprüchen.  Die  Klinik 
besteht  aus  Wartezimmer,  Untersuchungs-  und  Behandlungszimmer  mit 
anschliessendem    Dunkelkabinett    für    Durchleuchtungen    und    Röntgen- 


Fach-  und  Person alnkchrichten.  423 

aufnahmen,  Operationszimmer  und  Zimmer  des  Direktors.  FtLr  klinische 
Behandlung  stehen  3  Betten  erster  Klasse,  4  Betten  zweiter  Klasse  und 
etwa  20  Betten  dritter  Klasse  zur  Verfügung. 

Die  Leitung  der  Abteilung  für  Hals-,  Nasen-  und  Ohrenkrankheiten 
am  neuen  städtischen  Krankenhaus  in  Karlsruhe  wurde  Dr.  Ludwig 
K ander  übertragen. 

Hofrat  Dr.  Köbel,  Ohrenarzt  in  Stuttgart,  wurde  zum  Geheimen 
Hofrat  ernannt. 


Dem  Privatdozenten  der  Ohrenheilkunde  Dr.  RudolfEschweiler 
in  Bonn  ist  das  Prädikat  Professor  verliehen  worden. 


Dr.  Schutter  in  Groningen  ist  zum  ausserordentlichen  Professor 
für  Oto-,  Rhino-Laryngologie  ernannt. 

Der  Verleger  unserer  Zeitschrift,  Herr  J.  F.  Bergmann,  wurde 
von  der  Würzburger  medizinischen  Fakultät  zum  Dr.  med.  honoris 
causa  promoviert. 

Professor  Körner  wurde  für  das  Prüfungsjahr  1907/8  zum 
Mitgliede  der  ärztlichen  Prüfungskommission  in  Rostock  ernannt. 

Privatdozent  Dr.  L  ü  s  c  h  e  r  wurde  zum  ausserordentlichen  Professor 
für  Laryngologie  und  Otologie  an  der  medizinischen  Fakultät  in  Bern 
ernannt. 


Der  Privatdozent  für  Ohrenheilkunde  Dr.  Gomperz  in  Wien  hat 
den  Titel  eines  a.  o.  Universitätsprofessors  erhalten. 

Im  Verlage  von  S.  Karger,  Berlin,  erscheinen  in  ztvanglosen 
Heften  von  etwa  5  Bogen:  Beiträge  zur  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Ohres,  der  Nase  und  des  Kehlkopfes,  herausgegeben 
von  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  A.  Passow  und  Prof.  Dr.  K.  L.  Schäfer 
in  Berlin. 


Dem  ersten  Jahresberichte  des  deutschen  Taubstummblindenheims 
zu  Nowawes,  Juli  1906  bis  Juli  1907,  entnehmen  wir,  dass  das  Heim 
vom  Oberlin verein  in  Berlin  im  Anschluss  an  ^ie  Krüppelpflegeanstalten 
des  OJberlinhauses  zu  Nowawes  als  deutsche  Zentralanstalt  für  Taubstumm- 
blinde ins  Leben  gerufen  wurde.  Es  wurde  für  75  000  M.  ein  Grund- 
stück mit  zwei  alten  Häusern  erworben.  Die  Häuser  wurden  in  Stand 
gesetzt   und  eingerichtet  und  die  Anstalt  mit  2  Taubstummblinden  am 


424  Fach-  und  Personalnachrichten. 

2.  Juli  1906  feierlich  eingeweiht  und  eröffnet.  Im  Laufe  des  Jahres 
kamen  4  taabstummhlinde  Kinder  hinzu,  so  dass  sich  der  Bericht  über 
6  tanbstummblinde  Insassen  erstreckt;  4  weitere  sind  angemeldet.  Das 
Heim  ist  vorerst  für  15  Plätze  eingerichtet,  es  werden  nicht  nur  Kinder, 
sondern  auch  Erwachsene  aufgenommen.  Der  Provinziallandtag  der 
Provinz  Brandenburg  bewilligte  5  Freistellen.  Das  Pflegegeld  beträgt 
jährlich  730  Mark.  Da  es  sich  ausschliesslich  um  Einzelunterricht 
handelt,  ist  eine  grosse  Anzahl  von  ünterrichtskräften  erforderlich. 
Der  Unterricht  steht  unter  Leitung  des  Taubstummenlehrers  Riemann 
und  wird  von  zwei  weiblichen  Hilfskräften  erteilt.  Ref.  hatte  selbst 
Gelegenheit  die  ausserordentlichen  Erfolge  zu  konstatieren,  welche  Herr 
Riemann  bei  einer  Insassin  des  Heims  erzielt  hat.  Es  kann  erwartet 
werden,  dass  das  neu  errichtete  Heim  eine  segensreiche  Wirksamkeit 
entfalten  wird.  Hartmann. 


Druck  von  Oarl  Ritter,  G.  m.  b.  H.,  in  Wiesbaden. 


2.J