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ZEITSCHRIFT
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OHRENHEILKUNDE
MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG
DBS
BEINOLOEflS UND DIR OBRIßEN EfRENZeSBIITE
IN DEUTSCHER UND ENGLISCHER SPRACHE
HEBAU80E0EBEN VON
Prof. Dr. H. XNAFP Prof. Dr. 0. KÖBNES
in New-Tork in Rostock
Prof. Dr. ABTHÜB HABTMANN Prof. Dr. U. PBITCHABD
in Berlin in London.
VIERUNDFÜNFZIGSTER BAND.
Mit 29 Tafeln and 8 Abbildungen im Texte.
WIESBADEN.
VERLAG VON J. F. BERGMANN.
1907.
Das Rtcki dir Ui^irstttung hliUt vorbthaltin.
CMMoaxa
JUNIS 1908
E. H. B.
Draek tob Carl Ritt« , G.m.b.H., in vViMbadtfii.
I H HALT.
Orlginalarbeiten. H%\f
I. Über ErtaubuDg im Verlaufe Yon acuter Osteomyelitis und
von septischen Prozessen im allgemeinen. Von Professor
Dr. F. Siebenroann in Basel 1
iL Zar Kenntnis der hereditär - degenerativen Tanbstommheit.
V. Über pathologische Aagenbefunde bei Taubstummen und
ihre differential- diagnostische Bedeutung. Von Dozenten Dr.
Victor Hammerschlag in Wien. Mit 5 Abbildungen auf
Tafel I/II 18
III. Über Schädigung des Gehörs durch Schallein Wirkung. Eiue
experimentelle Studie. Von Privatdozent Dr. Wittmaack in
Greifswald. Mit 25 Abbildungen auf den Tafeln III— XII . . 37
IV. Zur pathologischen Bedeutung der occipitalen Sinusyerbindungen.
Von Dr. Kühne, I. Assistent der Klinik. Mit 1 Abbildung
im Texte. (Aus der Üniyersitäts-Ohren- und Kehlkopf klinik zu
Rostock [Direktor: Prof. Dr. Körner].). 81
V. Das HOren der Neugeborenen. Von Dr. G. Zimmermann
in Dresden 87
VI. Bemerkung zur vorstehenden Arbeit von Dr. Zimmermann
in Dresden. Von Dr. W. Koellreiitter 89
VII. Otogene Senkungsabszesse und suboccipitale Entzündungen. Von
Dr. 6. Engelhard t, I. Assistenten. (Aus der Universitäts-
Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopf krankheiten zu
Breslau [Prof. Hinsberg].) r 97
VIII. Beitrag zur Entstehung und Behandlung der otogenen Pyämie.
(Ein Fall von Thrombose des Sinus petrosus superior.) Von
Stabsarzt Dr. Kramm, Assistenten der Klinik. Mit 2 Abbild,
auf Tafel XIII. (Aus der Ohrenklinik der Kunigl. Charit^ zu
Berlin. Direktor Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Passow.) . . 126
IX. Ein Beitrag zur Therapie der otitischen Grosshirnabszesse. Von
Dozenten Dr. Ferdinand AU in Wien 137
IV Inhalt.
Seite
X. Fremdkörper in der Nasenhöhle als Ursache von Eieferhöhlen-
onipyenien. Von Dr. 6. Krebs in Hildesheim 141
XI. Beiträge zur Histologie der erworbenen Taubstummheit. Von
Dr. F. R. Nager, I. Assistenten der Klinik. Mit 6 Abbildungen
auf Tafel XXIV— XIX. (Aus der otolaryngologischen Universitäts-
Klinik Basel, Direktor Prof. Dr. F. Sieb en mann.) . . . 217
XI [. Ein atypischer Fall von Sinusthrombose und Kleinhirnabszess.
Von Privatdozent Dr. Boenninghaus in Breslau. Mit 1 Ab-
bildung im Texte. (Aus dem St. Georgskrankenhaus.) . . . 245
XIII. Über die Einrichtung eines geräuschlosen Untersuchungszimmers.
VonH. Zwaardemakerin Utrecht Mit 4 Abb. auf Taf. A. 24S
XIV. Entfernung eines Fremdkörpers aus dem Ohre mit dem Elektro-
magnet. Von G. Alexander in Wien. (Aus der Universitäts-
Ohrenklinik [Vorstand: Hofrat Prof. Dr. Politzer in Wien].) 256 ,
XV. Obertonfreie Stimmgabeln ohne Belastung. Von Professor Dr. i
M. Th. Edelmann in München. Mit 4 Abbildungen im Text 25S
XVI. Über den Labjrinth- und Hirnbefund bei einem an Retinitis |
pigmentosa erblindeten Angeboren -Taubstummen. Von Prof.
F. Siebenmann und Dr. R. Bing in Basel. Mit 23 Abb. !
auf Taf. XX-XXVIII 265 |
XVII. Zur Frage des therapeutischen Wertes des Fibrolysin in der i
Ohrenheilkunde. Von Dr. Otto Vögjeli, Assistent der Klinik.
(Aus der otolaryngologischen Klinik der Universität Basel. ^
Direktion: Prof. Siebenmann.) 281
XVIII. Über die osteomyelitischen Erkrankungen des Schläfenbeins.
Von Dr. Rud. Riester in Odessa, früher Volontär- Assistent
der Klinik. (Aus der Universitäts-Ohrenklinik zu Heidelberg
[Vorstand Prof. Dr. Kümmel].) 290 !
XIX. Beitrag zur Kenntnis der gefährlichen Felsenbeine. Von Dr. j
0. Muck in Essen 307
XX. Über die Ausbreitung des Schleimhautepithels auf die Wund-
ttächen nach Operationen am Mittelohr. Von Dr. Fr. Reinking,
1. Assistent. Mit 2 Abb. im Text. (Aus der Kgl. Univ. -Poliklinik für
Ohren-, Nasen- u. Halskrankh. in Breslau [Prof. Dr. Hinsberg].) 311
XXI. Über rezidivierende Mastoiditis. Von Dr. Hermann Ivo Wolff,
Assistent der Klinik. (Aus der Klinik und Poliklinik für Ohren-,
Hals- u. Nasenkrankheiten des Privatdoz. Dr. G. Brühl zu Berlin.) 322
XXII. Bericht über die wahrend der Jahre 1892—1901 in der Münchner
otiatrischen Klinik zur Ausführung gekommenen Totalaufmeiss-
luugen. Von Dr. Adolf v. Ruppert, Assistent. (Aus der
k. otiatrischen Universitätsklinik zu München [Vorstand: Prof.
Bezold].) •- 334
Inhalt. V
Seite
I^lteralnrberieht«
Bericht flher die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der
Ohrenheilkunde, der Bhinologie und der übrigen Grenzgebiete
im vierten Quartal 1906 und im ersten und zweiten Quartal 1907.
Zusammengestellt von Professor Dr. Arthur Hartroann in
Berlin 145. 358
Oesellschafts berichte*
Bericht über die Verhandlungen des Dänischen oto-lary ngologischen Vereins.
Von Dr. Jörgen Möller in Kopenhagen 195. 413
Bericht über die 16. Versammlung der Deutschen otologischen Gesellschaft
in Bremen am 17. und 18. Mai 1907. Von Dr. J. He gen er
in Heidelberg 198
Bericht über die Sitzung der Österreichischen otologischen Gesollschaft
vom 24. Juni 1907 212
Vierzehnte Versammlung des Vereins Süddeutscher Laryngologen zu
Heidelberg. Pfingsten 20. Mai 1907. (.Aus dem Bericht des
Schriftführers Dr. Felix Blumen feld in Wiesbaden.). . . 400
79. Versammlung Deutscher Naturforscher und Är/te in Dresden, 15, bis
21. September 1907. Abteilung für Ohrenheilkunde. Bericht
von Dr. Just in Dresden 404
Bericht über die Verhandlungen der Berliner otologischen Gesellschaft.
Von Dr. Max Leichtentritt 410
Bericht über die Verhandlungen der St. Petersburger otolaryngologischen
Gesellschaft. Erstattet von Dr. A. Sa eher 412
Gesellschaft Sächsisch-thüringischer Kehlkopf- und Ohrenärzte zu Leipzig 414
Besprecbiiiigeii.
Geschichte der Ohrenheilkunde von Dr. Adam Politzer, o. ö. Professor
der Ohrenheilkunde an der Wiener Universität, k. k. Hofrat.
Zwei Bände. I. Band: Von den ersten Anfängen bis zur Mitte
des 19. Jahrhunderts. Mit 31 Bildnissen auf Tafeln und 19 Text*
figuren. Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enke, 1907. Be-
sprochen von Dr. Gustav Brühl in Berlin 91
Atlas der deskriptiven Anatomie des Menschen von Prof. Dr. med. J.Sabotta.
Lehmanns medizinische Atlanten IV. Band. IIF. Abteilung: Die
Sinnesorgane des Menschen. München 1907. Besprochen von
Dr. Gustav Brühl in Berlin 94
Sur les auppurations du Labyrinthe consecutives aux lesions purulentes
de l'oreille mbyenne. Par le Professeur G. Grndenigo de Turin.
Traduction parM. Menicr. Paris, Librairie J. B. Bailliere
et fils, 1906 214
Klinik der Bronchoskopie von Dr. Hermann von Schrötter in Wien.
Mit 4 Tafeln und 72 Abbildungen im Texte. Verlag von Gust.
Fischer in Jena, 1906 214
VI Inhalt.
Seite
Some points in tbe Surgical Anatomy of tlie Temporal Bone from
birth to adult llfe. Von Arthur H. Cheatle. London,
J. & A. Churchill, 1907 214
Über die Geschwülste des Kleinhirnes und der hinteren Schädelgrube von
Prof. Dr. Sei ff er in Berlin. Besprochen von Dr. B&räny
in Wien 415
Der otitische Kleinhirnabszess von Dr. Heinrich Neu mann in Wien.
Franz Deuticke, Leipzig- Wien 1907. Bespr. v. Dr. G. Brühl 417
Grundriss und Atlas der speziellen Chirurgie von Prof. Dr. Georg Sultan,
I. Teil. Mit 20 farbigen Tafeln und 218 zum Teil zwei bis
dl eifarbigcn Abbildungen. München 1907. Lehmanns Medizin.
Handatlanten. Band XXXVL Besprochen von Dr. Gust. Brühl 418
Die ohrenärztliche Tätigkeit des Sanitätsoffiziers. II. Teil. Einige wichtige
Fragen aus dem Gebiete der Ohrenheilkunde unter besonderer
Berücksichtigung dor Bozold-Edelmannschen Tonreihe be-
arbeitet von Dr. Robort Dolger, Stabsarzt in Frankfurt a. M.
Wiesbtiden, Verlag vun .1. F. Bergmann, 1907. Besprochen
von ArthurHartraann . . . . 418
Die chronische, progressive Schwerhörigkeit. Ihre Erkenntnis und Behand-
lung. Von Dr. August Lucae. Berlin, Julius Springer,
1907. 392 Seiten, mit 25 Textfiguren und 2 Tafeln. Preis M. 18.—
Besprochen von Prof. Hinsberg in Breslau 419
Fach- und Personalnachrichten 95 215. 421
JUN 15190« ^1
I.
über Ertaubung im Verlaufe von acuter
Osteomyelitis und von septischen Prozessen
im allgemeinen.
Von Prof. Sieben mann in Basel.
Ertaabung als Folge von acuter Osteomyelitis haben Steinbrügge
(Pathologische Anatomie des Gehörorgans, S. 116), Bezold (die Taub-
stummheit auf Grund ohrenärztlicher Beobachtungen, 8. 99), Wagen-
häuser (Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. 4ti S. 33) und Castex
(Archives internationales de laryngologie etc. 1903, pag. 1383 und
Rapport au XIV. Congres intern, de Medecine 1903. Causes de la
surdi-mutite Paris, pag. 31) je in einem Falle beobachtet. Sämtliche
"vier Publikationen beschränken sich in der Hauptsache je auf eine
kürzere kasuistische Mitteilung. Bei der grossen Seltenheit dieser
merkwürdigen Erkrankung, von welcher sich in der älteren Literatur
nicht die leiseste Andeutung findet , dürfte die ausführliche Mit-
teilung von drei weiteren Fällen, die ich im Laufe der letzten fünf
Jahre beobachtet habe, von Interesse sein. — Im Anschluss wollen wir
versuchen, an Hand des bis jetzt vorliegenden Materials ein Bild der
Osteomyelitis-Taubheit zu entwerfen.
LFall.
Anna IL in Scanfs (Enj^adin) 12jährig. No. 1840. 1903.
Anamnese vom 13. Oktober 1903: Patientin lernte recht-
zeitig sprechen, entwickelte sich geistig und körperlich ganz normal
und war mit Ausnahme einer leichten Masernerkrankung in den ersten
Jahren des Schulbesuches stets gesund. Anhaltspunkte für die Annahme
hereditärer Lues linden sich auch in der Familienananmese keine. Im
Mai 1897 erkrankte sie an einer akuten Osteomyelitis des linken Fonuir
und wurde im November des nämlichen Jahres mit einer eiternden Fistel
aus der Spitalbehandlung (Dr. Bernhard in Saniaden) entlassen.
Im Frühjahr 1898 trat sie zum zweiten Male in den Spital we^'eu
erneuten Schmerzen und stärkerer allgemeiner Schwellung des linken
Zeituchrift för Ohn-nbeilVundo, Bd. LIV. 1
2 F. Sieben mann: Über Ertaubung im Verlaufe von
Oberschenkels. Am 26. April 1898, bei gutem Allgemeinbefinden und ganz
gutem Gehör und ohne dass eine Operation unmittelbar vorausgegangen
wäre, ertaubte Patientin plötzlich beiderseits innerhalb von vier Stunden
fast gänzlich. Dabei traten weder Bewusstseinsstörungen noch Schwindel,
Erbrechen, Sausen, Schmerz oder Lähmungen ein. Einige Monate später
erfolgte links eine leichte Besserung, die bis heute konstant geblieben
ist, sodass Patientin jetzt laute, unmittelbar am linken Ohr gesprochene
Worte und Sätze zum grössten Teil versteht.
Status vom 14. Oktober 1903. Vorzügliches Allgemeinbefinden.
Keine luetischen Stigmata, dem Alter entsprechende Rörpergrösse ; keine
Lähmungen, kein Schielen, normaler Gang. Normales Verhalten von
Pupillen und Augenhintergrund.
Cavum r et ro nasale normal.
Gehörorgane: Trommelfelle ganz normal.
u .. ) rechts = 0 cm für Konversationssprache.
I links = _L cm * « «
Beim lauten Sprechen ins rechte Ohr empfindet Patientin Schwindel.
Die eingehendere funktionelle Prüfung des Gehörs ergibt, dass
rechts weder Stimmgabeln noch Pfeifen gehört werden und dieses Ohr
somit total taub ist. Links werden von den belasteten Stimmgabeln
von a^ aufwärts alle, und die Pfeifentöne bis zu Galton-Edelmann
10,8 = a"' hinauf lückenlos gehört. Beim Drehversuch nach rechts wie
nach links tritt normaler Nystagmus auf; der Schwindel ist dagegen
beim Linksdrehen bedeutend stärker als beim Rechtsdrehen.
IL Fall.
Josef F., Holzschnitzer in Luzern, 43 jährig, No. 1691, 1906; zu-
gewiesen durch Herrn Dr. Kopp.
Anamnese vom 1. Dezemben 1906: Patient überstand vor ca.
25 Jahren einen akuten Gelenkrheumatismus, war aber im übrigen
stets gesund. Im Januar 1901 erkrankte er unter heftigen Kopf-
schmerzen und hohem Fieber an einer kryptogenetischen Staphylococcen-
septicämie mit multiplen Eiterungsherden, die {zunächst in einem
Femur, dann sukzessive in beiden Tibien, später im Fussskelett. dem
linken Sternoclavicular- und Sternocostalgelenk, in einer Rippe etc. auf-
traten und die auch heute noch nicht alle ausgeheilt sind. Patient
musste während 3 Jahren fast beständig das Bett hüten und von Zeit
zu Zeit sich wieder neuen Operationen unterziehen. — Die ersten
Monate fieberteer fast kontinuierlich (38 — 40®), litt viel an Schmerzen
in Stirn und Genick, aber nie an deutlichen meningitischen Erscheinunf^en.
Anfangs Mai 1901 trat, nachdem mehrfache Anfälle von starken sub-
jektiven Geräuschen, zunehmender Schwerhörigkeit links und von Angst-
gefühl vorausgegangen waren, plötzlich mit einem pistolenschussähnlichen
Knall gänzliche Taubheit des linken Ohres auf. Im Juli mehrfache
Sequestrotoraien und allmähliches Aufhören des Fiebers. Auch das Ohren-
sausen verminderte sich nun. Anfangs Januar 1902 konnte Patient
acuter Osteoäiyelitis and Ton septischen Prozessen im allgemeinen. 3
seine Arbeit wieder aufnehmen. Von März 1902 an litt er an heftigen
Schwiüdelanfällen von V2 — ^ Stunde Dauer ' ohne Brechreiz, welche sich
alle 3 — 4 Wochen wiederholten bis anfangs Februar 1904. Dann
traten neue osteomyelitische Herde im Fusse auf, welche im Oktober
des nämlichen Jahres operiert wurden. Anfangs November 1904 bis
Dezember 1905 wieder heftige, alle 2 — 3 Tage sich wiederholende und
namentlich bei Bewegungen auftretende Schwindelanfälle. Die pulsie-
renden subjektiven Geräusche blieben dabei unverändert bestehen. —
Im Dezember 1905 vermehrter Kopfschmerz sowie Diarrhöen, und nun
ertaubte auch das bisher sehr feinhörige rechte Ohr plötzlich inner-
halb weniger Tage unter gleichzeitigem Auftreten furchtbarer subjektiver
Geräusche. Gleichzeitig mit dieser Ertaubung des rechten Ohres stellte
sich intensives beständiges Schwindelgefühl und unsicherer Gang
ein, sodasss Patient beim Gehen wie ein Betrunkener sich an den
Wänden halten musste und selbst mit Hilfe des Stockes kaum sich auf-
recht halten konnte. Während dem Sommer 1906 wurde das Geh-
vermögen sowie das Gehör des rechten Ohres etwas besser und auch
die Geräusche nahmen ab. Patient konnte sich wieder etwas unterhalten
mit seiner Umgebung, wenn man laut mit ihm sprach. Das linke Ohr
blieb dagegen völlig taub Auch jetzt noch ist der Gang, namentlich
bei Kongestionszuständen infolge starker Anstrengungen oder nach gering-
stem Alkoholgenuss, unsicher und es tritt dann Drehgeftihl auf mit der
Vorstellung einer Flucht der Gegenstände in horizontaler Richtung von
rechts nach links. Dieses Drehgefühl ist nachts stärker. Seit das
zweite Ohr ertaubt ist, kann Patient bekannte Personen, die ihm auf
der Strasse begegnen, auf grössere Distanzen als 50 Meter nur dann
wieder erkennen, wenn er still steht. Diese Erscheinung macht sich
besonders dann geltend, wenn Patient dabei etwas seitlich hinblicken
muss. —
Am 2. Jan. 1906 notierte Herr Dr. Hug in Luzern folgenden
Befund: »Rechtes Trommelfell leicht gerötet, linkes normal; Hörweite
rechts = 0,1 cm für Flüstersprache, links total taub, nach Catheterismus
Besserung rechts auf 5 cm.
Weberscher Versuch a^ ins bessere Ohr,
Rinne a^ = ^
( E
Untere Tongrenze = _j"
8. Sept. 1906. Unveränderter Status. Catheterismus bessert aber
das Gehör nicht mehr.«
Vor 2 Monaten trat rechterseits , nachdem 2—8 Wochen lang
pulsierender Charakter des Geräusches und hochgradi^r gesteigerte Schwer-
hörigkeit aber absolut kein Schmerz vorausgegangen war, schleimig
eitriger Ohrenfluss auf, welcher bis heute angehalten hat.
Weder Anamnese noch Körperuntersuchung gaben irgend einen
Anhaltspunkt für die Annahme acquirierter oder heriditärer Lues.
1*
4 F. Siebenmann: Ober Ertanbang im Veorlanfe von
Status vom 1. Dez. 1906: Schlanker grosser, etwas blasser Mann ;
kann auf grössere Entfernungen als 20 m wegen Schwanken nur am
Stock gehen. Pupillen und Augenhintergrund, Puls und Temperatur
normal. — An Stamm und Extremitäten werden 8 grössere und kleinere
Knochennarben gezählt, welche auf Sternum, Rippen, Tibien und Mittel-
fussknochen sitzen. An der linken Tibia eine noch nicht vernarbte
tiefe Wunde.
Linkes Trommelfell ganz normal. Rechts: Retroauriculargegend
und Gehörgang normal, ohne jede Spur von Schwellung noch von er-
höhter Druckempfindlichkeit. Trommelfell blassrosa, mit mazerierter
Epidermis teilweise bedeckt. Hinten oben nahe dem Rande eine zitzen-
förmige, hochrote, perforierte Vortreibung, aus welcher zähschleimiges,
wenig getrübtes Sekret reichlich abfliesst. Kein Perforationsgeräusch.
Im Ausstrichpräparat und in der Kultur findet sich Staphylococcus
pyogenes aureus rein.
Hörweite: Beiderseits 0 cm für Konversationssprache. Auch
unmittelbar au den Ohrmuscheln gerufene Worte werden nicht verslanden
und Konversation ist nur auf schriftlichem Wege möglich, da Patient
Von den Lippen gar nichts abzulesen versteht.
Die Stimmgabel a' wird vom Scheitel nicht gehört. Im weiteren
ergibt die funktionelle Prüfung, dass das linke Ohr für alle Tonquellen
total taub ist. Rechts ist noch Tongehor vorhanden ; die obere Grenze
des perici pierbaren Bereiches liegt bei 4,5 der Galton-Edelmann-Pfeife
(== a*^), die untere Tongrenze bei a; Tonlücken bestehen keine. Bei
Prüfung des rechten Ohres ergibt sich ferner, dass die unmittelbar
an der Ohrmuschel gesprochenen Vokale a, e, i, o, u, sowie T, P, R,
Seh richtig nachgesprochen werden. Ö und Ü werden zuweilen unter
sich und mit I verwechselt. Z und S werden unsicher, M, N, sowie
die weichen Gutturales und Labiales gar nicht oder sehr unsicher perci-
piert. Es besteht kein Roniberg. Patient kann auch bei offenen Augen
nicht auf einem Bein stehen, dagegen bei geschlossenen Augen und
geschlossenen Füssen sicher vor- und rückwärts hüpfen. Körperkraft
symmetrisch, normal. Patellarreflexe normal — Das Gehen bei ge-
schlossenen Augen gelingt auf Zimmerlänge ohne Anstand; dag«'gen
schwankt Patient selbst bei offenen Augen stark, sobald er grössere
Distanzen im weiten Raum durchschreiten muss.
Beim Blick nach rechts treten horizontale und rotatorische
Nystagmusbewegungen auf, welche etwas ausgiebiger werden nach In-
jektion von kaltem Wasser ins link e Ohr, während nach Injektion von
warmem Wasser (44^) keine Änderung eintritt. Beim Blick nach links
leichte rasche zitternde Nystagmusbewegungen in horizontaler Bichtung;
Injektion sowohl von kaltem als von warmem (44^) Wasser ins rechte
Ohr bleibt ohne Kiutluss auf den Nystagmus.
Drehen sowohl nach rechts als nach links (je 10 Umdrehungen)
verursacht keinen Schwindel und beeinHusst die Nystagmusbewegungen
nur sehr unbedeutend (und zwar in physiologischem Sinne). Nach
acnter Osteomyelitis und von septischen Prozessen im allgemeinen. 5
Rechtsdrehen bei nach vorn übergebeugtem Kopfe erfolgt rotatorischer
Nystagmus ohne Schwindel.
Im Laufe der nächsten Wochen trat, nachdem die Perforations-
öffnung des rechten Trommelfells durch Paracentese erweitert und die
Eiterung einer zweckentsprechenden Behandlung unterworfen worden war,
eine derartige Hörverbesserung ein, dass Mitte Dezember laute Sprache
am Ohr — wenn auch etwas unsicher — verstanden wird und Patient
mit Hilfe eines grossen metallenen Höhrrohres sich wieder mit seiner
Umgebung unterhalten kann. — Am 24. Xll. hat rechts die Eiterung
ganz aufgehört und die Hörweite ist gestiegen auf ^- für Flüstersprache
und 12 cm für Konversationssprache, am 28. XÜ. sogar auf 3 cm für
Flüstersprache. 29. XII. Der Schwindel ist verschwunden, Patient
geht grössere Strecken ohne Stock und kann sich ohne Hörrohr mit
seiner Umgebung unterhalten. Ohrensausen rechts weniger pulsierend
und nicht mehr stärker als links. Rechtes Trommelfell noch etwas
gerötet aber transparent ; schwach angedeutete hintere Falte ; Vorwölbung
verschwunden; Perforationsöffnungen geschlossen. — Hörweite rechts
3 — 5 cm für Flüstersprache. Stimmgabel a^ wird bei starkem Anschlag
vom Scheitel aus wieder gehört und die untere Tongrenze ist auf dem
rechten Ohre um 2 Oktaven d. h. von a auf A_i hinabgerückt; die obere
Tongrenze liegt bei Galton-Edelmann 6,5. Der früher spontan auf-
tretende Nystagmus zeitweise ganz verschwunden ; die vestibuläre Reaktion
auf mechanische und thermische Reize ist unverändert wie beim Eintritt
(1. Dezember). Das linke Ohr bleibt total taub.
Fall III.
Bernhard B. Mechaniker in B. Aargau. Geboren^ 187 6. Privat-
Journal 205. 1902.
Mutter starb 56 Jahre alt an einer Lungenentzündung, Vater lebt
noch und ist jetzt 70 Jahre alt. Patient ist das fünfte von sechs Ge-
schwistern; vier davon leben und sind gesund, eines ist mit ca. 1'/.^ Jahren
an unbekannter Krankheit gestorben. Fehlgeburten oder Aborte sollen
keine stattgefunden haben.
Patient war früher stets gesund, litt auch nie an einer Augen-
entzündung. Nie gonorrhoische noch luetische Infektion. Herbst 1900
Abszessbildung zu beiden Seiten am Hals. Nach Angabe von Herrn
Prof. Niehans Bern handelte es sich um Peristrumitis. Im November
1900 erkrankte Patient akut mit hohen Fiebern und Delirien (Dr. Deck);
nach 14 Tagen wurden im Kantonsspital in Aarau Anschwellungen des
rechten Schlüsselbeines und des linken Oberschenkels bemerkt und später
die daselbst sich entwickelnden Abszesse inzidiert. Nach vier Wochen
langem Spitalaufenthalt wurde Patient nach Hause entlassen. Während
daselbst die Wunde am Oberschenkel auszuheilen begann, bedingte die
Eiterung des Halses und des Schlüsselbeins Ende Januar 1901 einen
erneuten Spitalaufenthalt im Kantonsspital Bern, wo der peristrumitische
Abszess eröffnet und nach einigen Wochen ein Sequester der rechten
Clavicula entfernt wurde. Etwa im März trat beidseits Ohrensausen
6 F. Siebenmann; Über Ertanbang im Verlaufe von
auf und im Mai, noch während der Dauer dieser Eiterungen, nahm
das Gehör unter heftigen subjektiven Geräuschen und
beständigem starken Schwindel mit Erbrechen so rasch
ab, dass schon 10 Tage später völlige Ertaubung ein-
getreten war. Während dieser Zeit hatte Patient auch Seh-
störungen; er konnte etwa drei Wochen lang nicht lesen. Der
schwankende Gang wurde erst im Oktober 1901 besser; zu dieser Zeit
schlössen sich die Fisteln endgiltig, nachdem vorher einige Male nach
scheinbarer Heilung die Narben der Clavicula .(und des peristrumalen
Abszesses?) von neuem aufgebrochen waren. Ende Dezember 1901
konnte Patient endlich die Arbeit wieder aufnehmen. Die subjektiven
Geräusche sind zwar verringert, sind aber bei einer späteren Nach-
untersuchung (23. März 1907) noch nicht verschwunden. Das Schwindel-
gefühl trat bis 1902 nur noch selten und nur am Abend auf und verlor
sich später. Ohrenfluss bestand nie, ebenso wurden während des ganzen
Erankheitsverlaufes niemals rheumatische Schmerzen noch Lähmungen
beobachtet.
Status vom 27. Januar 1902.
Kräftiger Wuchs, guter Ernährungszustand. Mehrere Narben zu
beiden Seiten der vorderen Halspartie als Folge der eitrigen Peristru-
mitis. Eine breite, dem sternalen etwas deformierten Ende des rechten
Schlüsselbeins fast adhärente Narbe; eine weitere nicht bis auf den
Knochen reichende tief eingezogene Narbe auf der Innenseite des Ober-
schenkels, ca. zwei Finger breit unterhalb des Dammes. — Schädelbildung
und Zähne normal.
Sensibilität und Motolität nirgends gestört. Patellarreflexe normal.
Augen: (Prof. H o s c h) : »S links 1,0, rechts OJ, Rechts stark
verbreitete Chorioiditis exsudativa (s. disseminata); links ist dieselbe auf
den Äquator beschränkt. Für Retinitis pigmentosa sind die Herde zu
gross und zu plump; auch wird eine solche schon durch das Vorhanden-
sein der gelblichen Plaques sowie dadurch ausgeschlossen, dass die Netz-
hautgefässe grösstenteils darüber wegziehen.« Eine Nachuntersuchung
1907 durch Herrn Dr. Knapp (Basel) ergibt, »dass der Prozess ruhig
ist und keine frischen Herde vorhanden sind«.
Gehörorgane: Beide Trommelfelle vollständig normal mit Aus-
nahme eines hinteren Trübungsstreifens links. Patient ist beider-
seits absolut taub für alle Tonquellen d. h. für die ganze
Bezold-Edelmannsche Tonreihe, auch für die unbelasteten Stimmgabeln,
ebenso für schrille Signalpfeifen verschiedener Höhe.
Die Prüfung der vestibulären Funktion ergibt: Sowohl beim
Drehversuch nach rechts und nach links als auch nach der Injektion
von kaltem und warmem Wasser in die Gehörgänge tritt weder Schwindel-
gefühl noch Nystagmus auf.
In diesem Falle, in welchem leider genauere Angaben nur von
einem der vier sukzessive behandelnden Ärzte zu erhalten waren, scheint
die Osteomyelitis durch eine vorausgegangene Strumitis resp. Peristrumitis
acuter Osteom jelitis und von septischen Prozessen im allgemeinen. 7
Terursacht worden zu sein. — Ob der Abszess am Oberschenkel auf
die Weichteile beschränkt war oder vom Skelett ausging, ist nicht sicher
zu entscheiden ; die Aussagen von Patient und Arzt sprechen für Letzteres,
das Aussehen der Narbe dagegen eher für Ersteres. Die Chorioiditis
disseminata, deren Ätiologie bekanntlich in den meisten Fällen dunkel
ist, hängt hier möglicherweise ebenfalls mit der aberstandenen septischen
Infektion zusammen.
Das vorliegende Material von 7 Krankengeschichten ist zwar klein.
Wie wir aber im folgenden nachweisen werden, bieten diese Fälle so
viel Übereinstimmendes, dass es schon jetzt möglich ist, ein allgemeines
klinisches Bild der Osteomyelitisertaubung zu entwerfen.
W^as zunächst das Alter der Ertaubten anbelangt, so handelt es
sich meistens um jugendliche, noch in der Wachstumsperiode stehende
Individuen (7, 7, 7, 15, 20, 24 Jahre), ein einziger Patient gehört dem
mittleren Alter (40 J.) an. Es entspricht dies der Tatsache, dass die
akute Osteomyelitis tlberhaupt in den beiden ersten Dezennien viel häufiger
beobachtet wird als im späteren Lebensalter. — Das Geschlecht
scheint, soweit derart kleine Zahlen einen Schluss erlauben, dabei keine
besonders prädisponierende Rolle zu spielen : immerhin stehen fünf mann •
liehe Individuen zwei weiblichen gegentlber.
In allen 7 Fällen lag eine akute, mit hohem Fieber ein-
setzende Knochenentzündung vor, deren Dauer und Rekonvaleszenzzeit
sich über mehrere Monate, zuweilen sogar über mehrere Jahre erstreckte.
Dreimal (Bezold, Siebenmann Fall II und III) handelte es
sich um multiple Lokalisation; viermal war sicher nur ein Knochen
und zwar zweimal der Femur, einmal die Tibia, einmal der Humerus
ergriffen. Diese Prädilektion des akuten osteomyelitischen Prozesses
für die langen Röhrenknochen und zwar hauptsächlich für diejenigen
der unteren Extremitäten entspricht der allgemeinen Erfahrung der
Chirurgen und bildet somit ebenfalls keine besondere Erscheinung.
Was nun speziell die Affection des Gehörorgans anbelangt,
80 ist vor allem dies bemerkenswert, dass es sich in allen sieben
Fällen um eine beidseitige Ertaubung handelt. Die ersten Zeichen
der Ertaubung traten stets während der Dauer der Knocheneiterung und
in zwei Fällen (Steinbrügge, Wagenhäuser) schon während der
ersten hochfebrilen Periode, d. h. nicht während den ersten Tagen, aber
doch in den ersten Wochen der Knochenerkrankung auf. Bei drei
anderen (Bezold und Siebenmann Fall I und III) liegt ungefähr
8 F. Siebenmann: Über Ertaubung im Verlaufe von
ein Jahr zwischen dem Beginn der Knocheneiterung und demjenigen der
Ertaubung. Der Patient von Gast ex ertaubte während der Rekon-
valeszenzperiode 3 Jahre nach Beginn der Kiankheit, gerade als er das
Bett wieder verlassen konnte. Während bei diesen sechs Patienten die
Ertaubung gleichzeitig auf beiden Ohren auftrat, war der Verlauf in
unserem zweiten Falle ein ganz eigenartiger:
5 Monate nach Beginn der Osteomyelitis, in hochfebrilem Stadium^
erkrankte hier ein Ohr ganz isoliert, und erst 3 V2 Jahre später — in
einer afebrilen Periode, aber nachdem unterdessen andere osteomye-
litische Herde aufgetreten waren — ertaubte anch das andere Ohr. —
In dem Falle von Wagen hau s er und von Bezold scheint eine
in Narkose vorgenommene Operation, in demjenigen von Steinbrügge
eine meningitische Erkrankung den Ertaub ungsprozess angeregt oder
wenigstens beschleunigt zu haben, während bei dem Patienten Gast ex
und in meinen drei Fällen keine besondere Gelegenheitsursache
nachzuweisen war.
Das Tempo der Ertaubung ist meistens ein sehr rasches: In
meinen drei Fällen trat innerhalb weniger Stunden resp. Tagen auf
einem bis dahin völlig normal funktionierenden Ohr Taubheit für die
menschliche Sprache ein. In anderen Fällen vollzog sich dieser Prozess
so, dass anfangs perakut nur hochgradige Schwerhörigkeit sich bemerkbar
machte und dieselbe in den folgenden 3 Monaten (Wagenhäuser)
resp. 2 Jahren (Stein b rüg g'e) allmählich bis zu völliger Taubheit sich
steigerte. In dem Falle von Bezold wurde erst nach 5 Jahren komplette
Taubheit konstatiert, dann besserte sich aber das Gehör — wie auch
in meinen Fällen I und II (einseitig) — wieder etwas.
Als Endresultat des Prozesses finden wir totale beidseitige Taub-
heit in vier Fällen (Steinbrügge, Gastex, Siebenmann III und
Wagenhäuser); in den übrigen drei Fällen besteht einseitige totale
Taubheit, während auf der anderen Seite Hörreste von ^j^ Oktave
(Bezold), vier Oktaven (Siebenmann I) und selbst von acht Oktaven
(Sieben mann II) erhalten bleiben.
Die zwei in ihrem siebenten Lebensjahre ertaubten Patienten
von Bezold und von Gastex sind taubstumm geworden. Der
letztere Umstand legt uns die Frage nahe, ob der Osteomyelitis
nicht eine grössere ätiologische Bedeutung für das Zustandekommen
der Taubstummheit beizulegen sei, als dies bisher geschehen ist, und
ob nicht die wenigen Fälle dieser Art mit Ausnahme der beiden oben
erwähnten bisher irrtümlich in andere Rubriken z. B. in diejenige der
acuter Osteomyelitis und von septischen Prozessen im allgemeinen. 9
Tuberkulose, der Skrophulose oder der hereditären Lues unterbracht
worden seien. Nur auf diese Weise ist es wohl zu erklären, dass auch
in den genauesten und grössten Statistiken, wie in denjenigen von
Lemcke und üchermann, kein einziger Fall von Osteomyelitis-
t^ubstummheit aufgeführt wird.
Subjektive Geräusche wurden dreimal (Wagenhäuser,
Siebenmann II und III) angegeben. Sie treten gleichzeitig mit dem
Beginn der Ertaubung auf und scheinen auch später zu persistieren ; in
unserem zweiten Falle ist ihr Charakter ein ungemein heftiger, pulsierender.
Schwindel wurde als andauernde Reiz- oder Ausfallerscheinung
nur in denjenigen drei Fällen beobachtet, bei denen auch subjektive
Geräusche bestanden. Doch tritt der Erstere später auf als der Letztere;
so liegen in unserem dritten Falle 2 Monate, im Falle Wagenhäuser
ca. 3 Monate, in unserem zweiten Falle sogar mehr als ein Jahr da-
zwischen. Während bei dem letzteren der Schwindel an Intensität wenigstens
bedeutend abgenommen hat, ist er im Falle Wagenhäuser sowie in
unserem dritten Falle später ganz verschwunden. Eine sonderbare
Erscheinung zeigt sich bei unserem ersten Patienten insofern, als hier
Scbwindelgefühl nur dann eintritt, wenn in das ganz taube rechte Ohr
laut gesprochen wird. Ob in den Fällen Stein brtigge, Bezold und
Gaste X Geräusche und Schwindel nie aufgetreten sind, ist aus den
sehr kurz gehaltenen Krankengeschichten nicht ersichtlich: jedenfalls
beweisen unsere eigenen Fälle, dass diese Symptome einmal im Krank-
heitsbild fehlen, ein ander Mal aber so andauernd und intensiv sich
geltend machen können, dass sie von Erbrechen begleitet werden
und jahrelang im Vordergrund der Erscheinungen stehen. Eine
Prüfung der statischen Funktionen wurde bei unseren
drei Kranken vorgenommen. Sie ergab, dass das Erhaltensein des
statischen Sinnes mit demjenigen des akustischen Sinnes in diesen
wenigen Fällen übereinstimmt. Beim Vorhandensein von Hörresten
(I. Fall) fiel die Reaktion beim Drehversuch normal aus; im dritten
Falle — einer beidseitigen totalen Taubheit — fehlte jede Reaktion
auf mechanische und thermische Reize. Eine interessante in anderen
Nervengebieten wohlbekannte Erscheinung, nämlich das Bestehen
von gleichzeitigen Reizungs- und Lähmungszuständen zeigt unser
Patient II, indem hier bei seitlicher Blickrichtung spontan Nystagmus-
bewegungen aufzutreten pflegen, während die vestibulär- und Bogengang-
reaktion des nur partiell ertaubten Ohres auf thermische und mechanische
Reize herabgesetzt, im total tauben Ohre aber völlig aufgehoben ist.
10 F. Siebenmann: Über Ertaubung im Verlaufe von
In allen 7 Fällen war dasMittelohr bei dem Ertaabungsprozess
nicht mitbeteiligt. Nor in unserem zweiten Falle ist nach 5 Jahren
interkurrent eine akute perforative Otitis media purulenta aufgetreten.
Die hochgradige Steigerung des Schwindels, der subjektiven Geräusche
und der Schwerhörigkeit während des Bestehens dieser Mittelrohreiterung,
der von Anfang an eigentümlich schmerzlose, torpide Verlauf und das —
von uns sonst ziemlich selten beobachtete Vorhandensein von Staphylokokken
als Reinkultur im Mittelohr-£iter machen es wahrscheinlich, dass es
sich bei dieser Mitelohreiterung ebenfalls um einen metastatischen
(osteomyelitischen?) Prozess und zwar mit Beteiligung des peri lympha-
tischen Raumes gehandelt hat. Der endolymphatische Raum war dabei
jedenfalls nur indirekt beteiligt; denn das Hörvermögen wurde nach
Abheilung der Mittelohreiterung wieder mindestens so gut wie es vor
derselben gewesen war.
Was schliesslich die Natur und den anatomischen Sitz des
Ertaubungsprozesses anbelangt, so weisen die Anamnese und die Resultate
der funktionellen Prüfungen sämtlicher Fälle übereinstimmend auf eine
Erkrankung des inneren Ohres hin. Nun wissen wir, dass eine Reihe
von Infektionskrankheiten auf hämatogenem Wege sowohl den Nerv
als auch die häutigen Labyrinthgebilde selbst in Entzündung
versetzen können. Beide Möglichkeiten sind daher hier in Betracht zu
ziehen. Zwar sind durch die Osteomyelitis in keinem der sieben Fälle
andere Nervengebiete als diejenigen des Cochlearis und des Vestibularis
betroffen worden. Doch wäre dies noch kein Grund, die Eventualität
eines polyneuritischen infektiösen oder postinfektiösen Prozesses zu ver-
neinen ; haben wir und Andere doch nachweisen können, dass auch bei der
Tuberkulose und beim Typhus — wie dies bei der Einwirkung gewisser
Gifte z. B. Chinin und Salizyl geschieht — der polyneuritische Prozess
sich einzig auf die Akustici beschränken kann. Bei anderen Infektions-
krankheiten wie der Syphilis wissen wir anderseits, dass bald das
Labyrinth bald der Nerv primär erkrankt.
Zur Entscheidung der Frage nach den zugrunde liegenden pathologisch-
anatomischen Veränderungen und ihrer Genese muss daher vor allem
aus des einzigen hierüber vorliegenden Sektionsbefundes von Steinbrügge
Erwähnung getan werden. In diesem Falle fand sich der Knochen
beider Felsenbeine auffallend sklerotisch ; die Weichteile des Labyrinths
waren zum grössten Teil zerstört und das Lumen beider Skalen ein-
geengt oder ganz aufgefüllt und zwar teils durch bindegewebige teils
durch knöcherne, vom Endost ausgehende Wucherungen. Auf einer
acuter Osteomyelitis and von septiscbeji Prozessen im allgemeinen. H
Seite fanden sich aach die Bogengänge durch Enocheneinlagerungen
hochgradig verengt und die runde Fenstermembran verknöchert. —
Die Labyrinthnerven mit den zugehörigen Ganglien waren zum grössten
Teil durch Bindegewebe ersetzt. —
Da aber Steinbrügge selbst glaubt, mit Rücksicht auf die
Anamnese diese Veränderungen als meningitische betrachten zu müssen,
und weil zudem auch da, wo in den sieben Fällen Reste von vestibulärer
oder cocblearer Funktion konstatiert werden konnten, dieselben keine
für den einen oder anderen Abschnitt des Akustikns charaktereristische
Form besitzen, so scheint es, dass wir noch weitere Obduktionsergebnisse
abwarten müssen, bevor wir die obengenannte Frage durchaus endgültig
beantworten dürfen.
Natürlich musste die Möglichkeit einer metastatischen Ver-
schleppung septischer Stoffe nach den Labyrinthen von uns in Betracht
gezogen werden. Doch glaubten wir zunächst eine solche Annahme
zurückweisen zu müssen. Metastasen innerer Organe sind bei der
Staphylokokkensepticämie überhaupt viel seltener als bei der Strepto-
kokkensepticämie, eine Tatsache, die auch bei den osteomyelitischen
Ertaubungen zutrifft : in der Mehrzahl, d. h. bei ^1^ unserer Fälle, war
jeweilen nur ein einziger Eiterungsherd des Knochensystems vorhanden
und abgesehen von der Meningitis in dem Falle Steinbrügge ist
kein inneres Organ sekundär in den Entzündungsprozess hineinbezogen
worden. Scheinbar wäre es auch als, ein sonderbarer Zufall zu be-
trachten, wenn gerade das Ohr die einzige Lokalisation von Metastasen
bilden sollte und wenn diese septische Metastase stets beiderseits im
nämlichen Organ und in der Regel auch zur gleichen Zeit aufgetreten
wäre. In der gesamten otiatrischen, chirurgischen und gynäkologisch-
geburtshilflichen Literatur haben wir vergebens nach analogen Fällen
von septischer, doppelseitiger Ertaubung uns umgesehen.
Wir konnten nur zwei Beobachtungen finden. In beiden Fällen fehlt
die bakteriologische Untersuchung.
Die eine Mitteilung stammt von Moos; dieselbe ist aber sehr
aphoristisch gehalten und betrifft möglicherweise nicht einmal eine
Sepsis. (Vergl. Moos, Wiener med. Wochenschr. 1863, pag. 661.)
Die betr. Stelle lautet: »Auf einen Fall von plötzlicher Taubheit durch
Embolie der Art. basilaris, den Herr Professor Friedreich be-
obachtete, hat mich derselbe gelegentlich einer Konsultation aufmerksam
gemacht; allein in diesem Fall bestand während des Lebens eine
Endocarditis.« — Sicher hierher zu zählen ist ein Fall von Wendt.
12 F. Siebenmann: Über Ertaubung im Verlaufe von
(Über einen wahrscheinlich embolischen Vorgang in der Schleimhaut
der Paukenhöhle. A. f. Heilk. Bd. 14, pag. 293.)
>Ein 23jähr. Mädchen starb unter pyämischen Erscheinungen nach
Exstirpation eines Cystosarkoms der linken Skapula. Sie hatte 5 Tage
vor dem Tode plötzlich das Gehör auf dem rechten Ohre verloren, die
letzten zwei Tage auch links nichts mehr gehört. Sie hatte weder
lautes Anrufen verstanden, noch die Uhr beim Andrücken an Ohr-
muschel und Kopfknochen perzipiert. Bei der Sektion wurden Abszesse
in Lungen und Milz gefunden. Hirn, sowie Labyrinth, Akustikus
und Fazialis beiderseits normal, desgleichen die Arteria auditiva
interna.« Über die mikroskopische Untersuchung dieser Teile ist nichts
gesagt. Die Paukenhöhlen enthielten seröse resp. grauschleimige Flüssig-
keit. Ihre Schleimhaut ist im allgemeinen mäfsig geschwellt, blass,
sulzig; besonders in den Fensternischen finden sich links auf der
Labyrinthwand und dem angrenzenden Tubenabschnitt ausgedehnte,
rechts nur mikroskopisch nachweisbare Hämorrhagien. Wen dt zieht
zur Erklärung der klinischen Erscheinung die Möglichkeit einer Embolie
der Paukenhöhlengefässe heran, eine Annahme, welche nach dem ein-
gebenden Sektionsbefund jedenfalls für das rechte Ohr gar nicht und
sehr wahrscheinlich auch nicht für das linke Ohr zutrifft, somit über-
haupt fallen gelassen werden muss. Dass hier übrigens in erster Linie
eine Vernichtung der Akustikus- resp. der Labyrinth-
funktion vorlag, müssen wir nach dem heutigen Stande unserer
Wissenschaft mit absoluter Sicherheit schon daraus entnehmen, dass
1. die Patientin ganz taub geworden und 2. die Perzeption durch die
Kopfknochen völlig aufgehoben war. Der makroskopisch negative
Labyrinthbefund ist zwar interessant, ändert aber nichts an der
funktionell festgestellten Diagnose, sondern er beweist nur, dass keine
eitrige und keine hämorrhagische Form der Labyrinthitis vorlag und
dass auch mit der Möglichkeit von primären feineren Veränderungen
des N. acusticus dabei gerechnet werden muss.
Bei meinen 1900 und 1903 veröffentlichten Studien über die
Neuritis und Polyneuritis des Akustikus (bei Krebs-Kachexie Z. f. 0.
Bd. 36, pag. 298 und bei Tuberkulose Z. f. 0. Bd. 43, pag 2:^5)
habe ich darauf hingewiesen, dass dieselbe, soweit es die Ätiologie be-
trifft, in die von den internen Klinikern aufgestellten drei Haupt-
kategorien — die infektiöse, die konstitutionelle und die toxische Form
— zu trennen ist und dass wohl auch der Sepsis eine Bedeutung in
der Pathologie des Akustikus zukommen dürfte. — Wie man aus den
acuter Osteomyelitis und von septischen Prozessen im allgemeinen. 13
obigen spärlichen Mitteilungen ersieht, ist aber die Ausbeute eine
geringe. Prof. Kocher in Bern, welcher über eine sehr grosse Er-
fahrung und zwar speziell auch auf dem Gebiete der Osteomyelitis yer-
fügtf hatte auf eine diesbezügliche Anfrage hin die Freundlichkeit mir
mitzuteilen, dass auch er, soweit er sich erinnern könne, bei Osteomyelitis
und bei Sepsis nie Ertaubung noch schwere Fälle von Lähmungen anderer
sensibler Nerven beobachtet habe. Das Nämliche antwortete mir Herr
Prof. Enderlen, der Leiter der hiesigen chirurgischen Klinik.
Überhaupt scheinen neuritische resp. polyneuritische Erscheinungen
bei septischen Prozessen sehr selten aufzutreten. So sagt Remak
(Neuritis und Polyneuritis in Nothnagels Handbuch Bd. XI, 3. Teil,
pag. 506): »In einer verhältnismäfsig kleinen Anzahl von
Fällen hat man nach meist langwierigen Eiterungen neuritische und
polyneuritische Symptome beobachtet.« Meistens handelte es sich
um Eiterungsprozesse der Haut und des subkutanen Gewebes nach
Traumen; seltener um Eiterungen innerer Organe. >Alle bekannten
Fälle haben das Gemeinsame^ dass die polyneuritischen Symptome erst
einige Wochen oder Monate nach dem Beginne der Eiterungsprozesse
einsetzten und keineswegs immer in dem primär erkrankten Gliede.«
Hauptsächlich wird die amyotrophische Form mit schwerer Abmagerung
und grosser Prostration beobachtet. Die Prognose dieser Affektion ist
aber keine ungünstige: in den meisten P'ällen bildeten sich die Lähm-
ungen zurück, im Gegensatz zu der osteomyelitischen Ertaubung, bei
welcher nachträglich keine bedeutende Besserung sich einzustellen
pflegt. Nach der Zusammenstellung von Kraus (W. kl. W. 1H97,
pag. «^79) werden, soweit die auf einige wenige Fälle sich beschränkenden
Erfahrungen über die septische Polyneuritis reichen, von den Hirn-
nerven der Vagus, der Fazialis, der Abducens und die motorischen
Zungennerven befallen. Nicht uninteressant ist die Beobachtung, dass
alle bisher beschriebenen Fälle Personen des mittleren Alters be-
treffen und dass das weibliche Geschlecht häutiger befallen wird als
das männliche, beides Verhältnisse, welche, wie unsere Zusammenstellung
ergibt, für die osteomyelitische Ertaubung auch wieder nicht zutreffen.
Unter unseren 7 Fällen von Osteorayclitistaubheit ist zwar nur
einer (Sieben mann II.) bakteriologisch untersucht worden und zwar
mit dem Resultat, dass sich das Vorhandensein einer reinen IStai)hylo-
kokkeninfektion herausstellte. Indessen wissen wir, dass bei der akuten
Osteomyelitis der Röhrenknochen überhaupt dieser bakteriolügische Be-
fund so ziemlich die Regel bildet. Wir haben deshalb der Vollständig-
14 F. Siebcnmann: Über Ertaubung im Verlaufe von
keit halber in der betreffenden Literatur Umschau gehalten, ob
Schädigung der Nerven durch Staphylokokken und deren Toxine experi-
mentell nachgewiesen worden sind und haben allerdings dafür positive
Anhaltspunkte gefunden. Nach KoUe und Wassermann (Handbuch
der pathogenen Mikroorganismen III. Bd., pag. 123) hat Sander die
Wirkung der Staphylokokkenfiltrate auf das Nervensystem geprüft und
hat gefunden, dass sich bei zwei durch Staphylotoxine getöteten
Kaninchen bereits deutliche akute Zellveränderungen (akute Zell-
erkrankung nach Nissl) vorfanden, wenn auch weniger ausgesprochen
als bei Infektion mit lebenden Kokken.
Von Nervenschädigung durch Endotoxine (Gifte der abgetöteten
Staphylokokkenleiber) ist nichts bekannt. Durch Injektion lebender
Staphylokokken in die venösen Bahnen konnten T h o i 1 o t und M a s s e 1 i n
(1. c. pag. 126) Veränderungen der Achsenzylinder der grauen und
weissen Substanz des Rückenmarks hervorrufen, während die peripheren
Nerven intakt blieben. Dr. Sander fand bei ähnlichen Versuchen
Hirnveränderungen in Form von Nissl scher akuter Zellerkrankung der
Ganglienzellen, besonders in den motorischen Kerngebieten des Hirn-
Stammes.
Da bei der neuritischen und polyneuritischen Erkrankung des
Opticus sich die nämliche Einteilung durchführen lässt wie bei den
Akustikusaffektionen, indem die nämlichen Gifte, die nämlichen Kon-
stitutionsanomalien und die nämlichen Infektionskrankheiten dabei in Be-
tracht kommen und da die Ophthalmologen nach dieser Richtung hin ihr
Feld unverhältnismäfsig besser bebaut haben als wir Ohrenärzte, so lag
die Versuchung sehr nahe, dort Umschau zu halten nach dem Stand
der Lehre von den septischen Schädigungen des Auges überhaupt und
speziell nach derjenigen der septischen Neuritis. Fälle von osteomye-
litischer Erblindung und überhaupt von Erkrankung des Auges im An-
schluss an Osteomyelitis kennt nun die chirurgische und die ophthalmo-
logische Literatur nicht, dagegen spielen andere septische Prozesse in
der Ätiologie der Erkrankung des Auges eine sehr grosse Rolle.
»Kaum ein Organ« — sagt Lenhartz (Die sepsischen Erkrankungen
1903 in Nothnagels Handbuch Bd. HI, 2. Teil) — »ist bei den
septischen Prozessen schon klinisch gleich häufig in Mitleidenschaft ge-
zogen wie das Auge.« Blutungen des Augenhintergrundes treten in
30%, septische Retinitis (Rothsche Flecke) in 10%, Panophthalmie
in 4 — 23 ^7o ^^^ ^»^^^^ ®^"- ^^^^ beobachtete L. die letzteren nie
bei Staphylokokkensepsis. Fast immer handelte es sich um
acuter Osteomyelitis nnd von septischen Prozessen im allgemeinen. 15
Streptokokkeninfektion nnd um Kranke im späteren Lebensalter. —
Nur in seltenen Fällen wurden auch Entzündungen an der Papille be-
merkt; so sah Lenhartz eine Neuritis optica bei einer chronischen
zum Tode führenden Streptokokken-Endocarditis. Derselbe Autor be-
schreibt ferner einen Fall von kryptogenetischer Streptokokkensepsis
mit den Erscheinungen einer akuten Polyneuritis beider unterer Ex-
tremitäten (ibid. S. 228). Auf diesem Gebiete sehr erfahrene Oph-
thalmologen halten die septische Neuritis des Optikus für eine
ganz seltene Erkrankung. Von ühthoff (Über infektiöse
Neuritis optica. Bericht über die 28. Vers, der ophthalmologischen
Gesellschaft 1900) wird sie in seiner auf ein sehr grosses Material sich
beziehenden Zusammenstellung gar nicht erwähnt. Damit stimmt die
Darstellung von Groenouw überein (G r a e f e und S a e m i s c h , Hand-
buch der ges. Augenheilkunde, II. Aufl., X, 1. Abteiig., pag. 206, 251
und pag. 494 — 510). Einzig nach Erysipel sind 2 — 3 Fälle von
Optikusatrophie beobachtet, bei denen eine indirekte Einwirkung auf
hämatogenem Wege angenommen werden muss. — Ferner sah Michel
in zwei und Snell in einem Fall septische Embolien im Sehnerv.
So ungemein selten also eine septische Neuritis des Optikus ist, so
häufig sind die Panophthalmien, und hier ist nun auffallend, dass
die doppelseitigen Erkrankungen nach allgemeinem Urteil so-
wohl der Ophthalmologen als der Chirurgen, der Internen und der
Leiter von Frauenspitälern von diesen septischen Panophthalmien sogar
mehr als ein Drittel ausmachen und dass in der Regel beide Augen
zu annähernd derselben Zeit erkranken.
Unter diesen Umständen dürfen wir unsere Bedenken, die wir
angesichts des beidseitigen und gleichzeitigen Auftretens der Taubheit
pag. 11 geltend gemacht haben, gegenüber der Annahme einer Metastase
in beiden Labyrinthen fallen lassen und wir müssen vielmehr wieder auf
die erste Annahme zurückgreifen, nämlich dass auch bei der osteo-
myelitischen Ertaubung mit grösserer Wahrscheinlichkeit es sich um
eine Entzündung nicht zunächst des Nervs sondern des Labyrinths
handelt. Wir werden kaum fehlgehen, wenn wir den Vergleich zwischen
den Verhältnissen in Aug und Ohr weiter ziehen und uns klarlegen,
dass in diesem Falle es sich aber nicht um leichtere, wenig Funktions-
störung verursachende Affektionen, wie sie am Auge als septische
Retinalverändernngen so ungemein häufig (V3 — ^U ^^^^^ Fälle) zur Be-
obachtung kommen, handeln kann, sondern um einen mehr oder weniger
diffusen Zerstörungsprozess im Labyrinth selbst.
16 F. Siebenmann: Über Ertaubung im Verlaufe von
Aach das, dass von den an doppelseitiger Panophthalmie erkrankten
Septischen weitaus die meisten sterben und nur zirka 10 Kranke be-
kannt sind, welche die Affektion überstanden, dürfte das Ziehen unserer
Parallele nicht stören, sondern dieser Umstand sollte eher geeignet sein,
die Seltenheit der osteomyelitischen Ertaubung erklären zu helfen,
indem die am schwersten an Osteomyelitis Erkrankten (und Ertaubten)
eben sehr wahrscheinlich sterben und ihre Ertaubung in der letzten
Lebensperiode nicht erkannt, sondern als Zeichen höchster Benommen-
heit aufgefasst wird. Übrigens sterben ^ von den Personen, bei denen
die Ophthalmie die einzige Metastase darstellt, erfahrungsgemäfs bloss
25 ^/q. Jedenfalls dürfte es sich empfehlen, bei den an Staphylosepsis
Gestorbenen, wo immer sich dazu Gelegenheit bietet, systematisch die
mikroskopische Untersuchung der Labyrinthe durchzuführen, gleichzeitig
aber auch klinisch auf einseitige Ertaubung durch septische Prozesse
das Augenmerk zu richten.
Mit unserer auf klinisch-vergleichendem Wege und per occlusionem
gewonnenen Annahme, dass eine Labyrinthitis und nicht eine
Neuritis die Ursache der osteomyelitischen Ertaubung bilden müsse,
stimmt der pag. 9 erwähnte Umstand, dass, soweit die Untersuchungs-
ergebnisse unseres eigenen Untersuchungsniaterials einen Schluss gestatten,
stets beide Hauptabschnitte des Labyrinths dabei indem nämlichen
Mafse in Mitleidenschaft gezogen werden. Damit stimmt nun aber auch
der einzige zu unserer Verfügung stehende Obduktionsbericht von
Steinbrügge vollkommen überein und wir brauchen nicht, wie dieser
Autor es wohl in allzu vorsichtiger Weise getan, eine Meningitis als
erklärendes Mittelglied einzuschieben.
Die Tatsache, dass bei der osteomyelitischen Ertaubung zuweilen
noch beträchtliche Reste des akustischen und des statischen Vermögens
gefunden werden, erinnert allerdings an das luiiktionelle Verhalten des
Labyrinths bei der Meningitis-Taubheit. Auch der Umstand, dass beim
p]ntstehen der Osteomjelitis-Taubheit bis jetzt noch keine Durch brüche
vom Labyrinth nach dem Mittelohr beobachtet worden sind, steht im
Einklang mit den klinischen und anatomischen Erfahrungen, welche wir
bei der meningitischen Labyrintheiterung in aus^^edehntem Mafse ge-
sammelt haben. Aber mit Ausnahme des Falles von Stein brügge
haben meningitische Symptome in 5 von unseren sieben Fällen von
Osteomyelitisertaubung gefehlt; für zwei meiner drei eigenen Fälle
wenigstens steht dies absolut fest.
acater Osteomyelitis und yod tfeptischen Prozessen im allgemeinen. 1 7
Grössere Verwandtschaft als zu der Meningitistaubbeit besitzt die
l)eschriebene Affektion zu derjenigen Form der Ertaubung, welche bei
hereditärer Lues auftritt. Indessen muss die Möglichkeit einer Identität
ganz entschieden von der Hand gewiesen werden. In meinen drei
Fällen wenigstens haben sowohl die von mir selbst aufs sorgfältigste
aufgenommene Anamnese als auch der Allgemeinbefund nicht den
geringsten Anhaltspunkt für eine solche Vermutung ergeben; das
l^ämliche darf auch für die vier andern Beobachtungen angenommen
Yrerden, da sie alle von vorzüglichen Klinikern stammen. Zudem ist das
hochfebrile, meistens mehrere Tage oder Wochen dauernde, einer
typhösen Erkrankung gleichende Initialstadium der Knochen affektion
sehr charakteristisch, und die Ertaubung erfolgt bei der Osteomyelitis
in der Regel viel stürmischer als bei der hereditären Lues.
Wir können unsere Arbeit nicht schliessen, ohne darauf hingewiesen
zu haben, dass offenbar die nämliche schädigende Rolle, welche der
Streptokokkus bei der septischen Ophthalmie spielt, vom Staphylokokkus
gegenüber dem Labyrinth übernommen und durchgeführt wird. Die
pyogenen Staphylokokken — wenigstens diejenigen der Osteomyelitis — ,
welche sonst weniger Metastasen zu machen pflegen als die pyogenen
Streptokokken, scheinen für das Ohr ganz besonders, viel weniger
aber für das Auge gefährlich zu sein. Ob es sich bei diesen
Labyrinthitiden jeweilcn um eine wirkliche neue bakterielle Invasion
gehandelt hat, ist eine Frage, die natürlich nicht mit absoluter Be-
«timmtlieit beantwortet werden kann. Indessen dürfte es sich doch, wie
auch für die Mehrzahl der doppelseitigen septischen Panophthalmien an-
genommen wird, eher um eine direkte Toxinüberschwemmung und Toxin-
wirkung handeln. Dieser Schluss ist erlaubt angesichts des Umstandes, dass
die Ertaubung in der Regel doppelseitig und gleichzeitig auftrat und dass
im Zeitpunkt der Ertaubung wenigstens in der Hälfte der Fälle das hoch-
febrile Stadium schon längst abgelaufen war, ja dass in 2 Fällen schon
Jahre seither verflossen waren. Jedenfalls sind aber solche Beobachtungen
sehr geeignet, die Ansicht von der ausserordentlich lange dauernden
Virulenz der Staphylokokken und ihrer Toxine im menschlichen Körper
stützen zu helfen.
Zeitschrift für Obrenbeilkande. Kd. LIV.
18 Victor Hammerscblag: Zur Kenntnis
II.
Zur Kenntnis der hereditär-degenerativen
Taubstummheit/)
Y. Über pathologische Augenbefüiide bei Taabstamnien und
ihre difterential-diagnosüsche Bedentang.
Von Dozenten Dr. Victor Hammerechla^ in Wien.
Mit 5 Abb. auf Tafel I/IL
Die Literatur über planmäfsige Augenuntersucbnngen an Taab-
stammen ist nicbt sebr umfangreicb. Trotzdem können wir aus der
folgenden kurzen Literaturübersicbt erseben, dass es eine Anzahl
typischer Veränderungen am Auge der Taubstummen gibt und dass
diese typischen Veränderungen immer wieder »angeborene«, »con-
genitale« oder »hereditäre« Ei krankungen des Auges darstellen, deren
Verwertbarkeit für die Differentialdiagnose der hereditär-degenerativen
Taubheit zu besprechen wir eben bier unternehmen.
So fand Liebreich*) unter 241 Taubstummen in Berlin 14 Fälle
(d. i. 5,8 ^/o) von Retinitis pigmentosa. Er charakterisiert die Be-
deutung dieses Befundes durch die Worte: »Diese Zahl ist in Anbetracht
der Seltenheit jener Affektion als sehr gross anzusehen; ich glaube
kaum, dass ausser diesen 14 Taubstummen in ganz Berlin noch 20
oder 30 Fälle von Retinitis pigmentosa existieren mögen. «^)
Bei einer späteren, über 965 Fälle von Taubstummheit sich er-
streckenden üntersuchungsreihe*) fand derselbe Autor nur 33 Fälle
(d. i. 3,4 ®/q) von Retinitis pigmentosa.
1) Vgl. Zeitachr. f. Ohrenheilk. 45. Bd., S. 329; Zeitschr. f. Ohrenheilk.
47. Bd., S. 147; Zeitschr. f. Ohrenheilk. 47. Bd., S. 381; Zeitschr. f. Ohren-
heük. 50. Bd., S. 87.
2) Abkunft aus Ehen unter Blutsverwandten als Grund von Retinitis pig-
mentosa. Deutsche Klinik 1861, Nr. 6.
8) Der von Liebreich gefundene Prozentsatz wäre gewiss noch höher,
wenn eine Snnderung des Taubstummenniaterials in „Taubgeborene" und „Später
Ertaubte" vorgenommen worden wäre. Übrigens berichtet Liebreich auch
umgekehrt über eine Untersuchnng von 85 ihm im Laufe der Jahre zu-
gegangenen Retinitis pigmentosa-Fällen. Unter diesen waren nur 18 Hörende,
14 Taubstumme und 3 Idioten. Diese Ermittelung gewinnt an Wert für unser
Thema, wenn wir an die Co'mcidenz von Idiotie und hereditär- degenerativer
Taubheit denken.
*) Zitiert nach TJchermann: Les Sourds-muets en Norv^ge. Christiania,
Cammermeyer 1901.
der bereditär-degenerativen Tanbstnmmheit. IQ
Einen wesentlich geringeren Prozentsatz fand Falk^), nämlich
unter 72 taubstnmmen Kindern, worunter 43 mit congenitaler Taabheit,
nur einen P'all von Retinitis pigmentosa.
Aach Hartmann ^) bringt einiges Material zn dem in Rede
stehenden Thema bei. Er zitiert die von uns eben erwähnte Unter-
suchungsreihe Liebreichs, ferner Hocquard, der in Paris unter
200 Taubstummen 5 Fälle (d. i. 2,5 ^j^) von Retinitis pigmentosa kon-
statierte. Weiter zitiert Hartmann den Bericht Wilhelmis') über
die Taubstummen des Regierungsbezirks Magdeburg, der unter 519
Taubstummen 5 Fälle mit Netzhauterkrankung fand, und endlich die
Resultate von Lent*), der unter 303 Taubstummen 6 Fälle (d.i. 27^)
der Netzhauterkrankung feststellte.
Eine ausftlhrliche Bearbeitung des Zusammenhanges zwischen con-
genitaler Taubstummheit und Retinitis pigmentosa finden wir bei
Sambuc^}. Dem Autor handelt es sich vorzugsweise um den Nach-
weis der gemeinsamen Ätiologie. Für eine Wiedergabe eignet sich die
sehr umfangreiche Monographie nicht.
Auch Schwendt und Wagner^) haben den Augenbefunden
ihrer Taubstummen ihre Aufmerksamkeit geschenkt, wobei — zum
Unterschiede von den bisher erwähnten Autoren — nicht nur die Pig-
mentierung der Netzhaut, sondern auch Refraktionsanomalien und
äussere Merkmale registriert wurden. Von den 47 Fällen Schwendt
und Wagners wiesen 2 Strabismus, 1 hochgradige Hypermetropie,
3 leichte Hypermetropie und 2 Retinitis pigmentosa auf.
Eine ziemlich umfangreiche Bearbeitung des hier zu behandelnden
Themas findet sich dann bei Uch ermann^). Aus dem betreffenden
Kapitel sei folgendes in Kürze erwähnt: Uchermann gibt in Hinsicht
1) Zur Statistik der Taubstummen. Archiv f. Psychiatrie 1872, HI. Bd.,
S. 429.
«) Taubstummheit und Taubstummenbildung. Stuttgart, Enke 1880.
Kapitel: Taubstummheit und Blindheit.
3) Statistik der Taubstummen des Regierungsbezirks Magdeburg nach der
Volkszählung von 187 L Bearbeitet von Dr. Wilhelmi. Beilage zur Deutschen
Klinik Nr. 9, 1873
*) Statistik der Taubstummen des Regierungsbezirks Cöln. Bericht von
Dr. Lent an den Verein der Ärzte des Regierungsbezirks Cöln. Cöln 1870.
5) Etüde de la consanguinit^. Th^se par G. A. A. Sambuc. Bordeaux,
Cassignol 1896.
^) Untersuchung von Taubstummen. Basel, Schwabe 1899.
7) 1. c. S. 376, I. Bd.
2*
20 Victor Hammerschlag: Zur Kenntnis
auf die so auffallend häufige Colncidenz yod »angeborener« Taubheit
und Retinitis pigmentosa der — heute wohl unbestrittenen — Meinung
Ausdruck, dass diese beiden pathologischen Prozesse eine gemeinsame
anatomische Basis haben müssten^). Nach einer Zusammenstellung
Uchermanns entfallen auf 1009 Fälle von congenitaler Taubstumm-
heit 37 Fälle (d i. 3,6 ^/q) von Retinitis pigmentosa, während unter
den Fällen von erworbener Taubstummheit, bei denen eine Herab-
setzung des Sehvermögens bestand, sich kein einziger einwandfreier
Fall von Retinitis pigmentosa nachweisen Hess. Auch die »Blindheit«
schlechtweg, ohne anatomische Feststellung ihrer näheren Ursachen,
findet sich viel häufiger bei congenitaler als bei erworbener Taubheit.
Das Verhältnis ist nach don Ermittelungen Uchermanns folgendes:
unter 932 Fällen von congenitaler Taubheit fand sich »Blindheit«
in 1,3 ^/o der Fälle,
unter 886 Fällen von erworbener Taubheit in 0,3 ^^/^ der Fälle.
Erwähnenswert erscheint mir noch, dass Uchermann die Augen-
affektionen: Strabismus, Heterochromia iridis, Symblepharon
und Katarakt nur in den Fällen congenitaler Taubheit vorfand.
Ganz kurz erwähnt auch Denker*) das Resultat der an 64 Zög-
lingen der Soester Provinzial-Taubstummenanstalt durchgeführten Augen-
untersuchungen. Die Untersuchung erstreckte sich sowohl auf den
Augen hintergrundsbefund als auch auf die Feststellung von Sehschärfe
und Refraktionsanomalien. Das Sehvermögen war bei 73 ^/^ des Unter-
suchten normal, bei 27®/q nicht normal. — Leider sind die Fälle
nicht gesondert in »Congenital Taube« und »Später Ertaubte« be-
trachtet worden. — Retinitis pigmentosa wurde in keinem Falle be-
obachtet ; das kann nicht überraschen, wenn man erfährt, dass unter
den Taubstummen Denkers nur 9 sicher von Geburt an Taube sich
befanden.
Einiges Material finden wir auch bei Bezold*^). Unter 196
1) Wie man sich das ZustaDdekommen der vergesellschafteten Kiankheits-
bi der: con^enitale Mi>8bilduiig des Augt-s, des Gehörorgans und congenitale
Defj-kt..' des Intellekts, aus einer gemeinsamen, wenn auch sehr vielgestaltigen
ÄtioloLne vorsteli« n kann, habe ich (Beitrag zur Frage der Vererbbarkeit der
,Oto.>klero3e*. Monatsschr. f. Ohrenhe.lk. 19(J6) ausgeführt.
^) Dit* Taub.>tunimen der W«strälischen Provinzial-Taubstummenanstalt zu
S'.rst Z.it<chr. f. Ohrenheiik. 36. Fd., lOcO, S. 78.
») Die Taub>tunimhL'it auf Grund obren ärztlicher Beobachtungen. Wies-
baden, Bergmann 1902, S. 52.
der hereditär-degenerativen Taabstummbeit. 21
»Taabstummen von Geburt« fand er 4 mal Strabismus convergeus,
Imal Nystagmus mit Parese des linken Abduzenz, Imal hochgradige
Myopie, Imal hochgradige Hyperopie und Imal vorgeschrittene Reti-
nitis pigmentosa.
Nager^) fand unter 50 Taubstummen 6 Fälle von Strabismus
(meist convergens) und einen Fall von Coloboma iridis. Der letztere
Fall betraf ein Mfidchen mit erworbener^) Taubheit, die 6 Strabismus-
fälle verteilten sich derart, dass 1 Fall als unbestimmt, 1 Fall als
erworben, 3 als sicher angeboren und 1 als höchst wahr-
scheinlich angeboren bezeichnet wird. Ich möchte indes das
Nag ersehe Material wegen der Möglichkeit, dass es reichlich mit
endemisch Taubstummen durchsetzt ist, nur mit Vorsicht verwertet
wissen.
Sehr verwendbar sind die von Lemcke^) beigebrachten Daten,
weil er die bei Taubstummen gefundenen sonstigen Anomalien gesondert
nach »Taubgeborenen* und »Taubgewordenen« registriert. Er unter-
suchte 223 Taubstumme, von denen 74 »taubgeboren«, 136 »taub-
geworden« und 13 »fraglich« waren. Bei den 74 Taubgeborenen fand
sich Retinitis pigmentosa 8 mal (d. i. in 10,8 ®/(, der Fälle), bei den
zwei anderen Kategorien gar nicht; »Blindheit« ohne nähere Angabe
fand sich bei den »Taubgeborenen« 3 mal (d. i. in 4^/^ der Fälle),
bei den zwei anderen Kategorien (zusammengenommen) 1 mal (d. i. in
zirka 0,7 ^/q der Fälle; Strabismus convergens fand sich bei den
»Taubgeborenen« 2 mal (d. i. in 2,7 ^/^ der Fälle), bei den zwei
anderen Kategorien (zusammengenommen) nur 1 mal (d. i. in 0,7 ^/q).
Dagegen findet sich Myopie nur Imal notiert und zwar bei einem
später ertaubten Individuum.
Im Nachstehenden will ich nun die Resultate von Augenunter-
suchungen mitteilen, die Herr Dozent Dr. Victor Hanke über meine
Anregung an den Zöglingen der Wiener israelitischen Taubstummen-
anstalt vorzunehmen die Güte hatte "*). Ich muss vorwegnehmen, dass
1) Die Taubstummen der Luzerner Anstalt Hohenrain. Zeitschr. f. Oliren-
heilk., 43. Bd., 1908, S. 284.
*) Die Krankengeschichte des Falles lautet: «Taubstummheit erworben
nach Fall im ersten Lebensjahr. Man weiss, wie wenig die Ätiologie : «Fall"
besagen will.
8) Die Taubstummheit im Grossherzogtum Mecklenburg-Schwirin etc.
Leipzig, Langkammer, 1892, S. 164.
*) An dieser Stelle nehme ich Gelegenheit, Herrn Dr. Hanke für
seine Mühewaltung den herzlichsten Dank auszusprechen.
22 Victor Harn in erschlag: Zur Kenntnis
diese Untersachungen durchaus nicht methodisch angestellt ivurden; sie
waren in erster Linie nur auf den Augen hin tergrund gerichtet, um
womöglich die Häufigkeit der Retinitis pigmentosa festzustellen. Dass
dabei äussere Veränderungen am Auge mit registriert wurden, ist wohl
selbstverständlich, dagegen wurden keine Bestimmungen der Sehschärfe
vorgenommen und auch den Brechungsanomalien keine spezielle Auf-
merksamkeit zugewendet. Mit der Aufnahme der Augenspiegelbefunde
wurde im Herbst 1901 begonnen: damals wurden alle zur Zeit an-
wesenden Zöglinge untersucht; seither wurde diese Untersuchung all-
jährlich nur an den neu eingetretenen Zöglingen vorgenommen und auf
diese Weise verfüge ich jetzt über 135 Augenspiegelbefunde.
In der Tabelle (vide Anhang) sind nun die Fälle mit patho-
logischen Augenbefunden zusammengestellt \). Diese Tabelle umfasst
19 Individuen, von denen in Hinsicht auf die Art ihrer Taubstummheit
2 als »unbestimmt«, 5 als »später ertaubt« und 12 als »taubgeboren«
bezeichnet sind^).
Wir haben nun diese Augenbefunde daraufhin zu betrachten, ob
sie als »angeboren« bezw. congenital oder als »erworben« zu be-
zeichnen sind.
Da ist nun zunächst Fall 2 und Fall 13 auszusondern, denn in
diesen beiden Fällen handelt es sich um Residuen zweier sicher im
späteren Leben erworbenen Augenerkrankungen. In eine zweite be-
sonders zu besprechende Kategorie fallen die Fälle 4, 6, 7, 14 und 16.
Der Übersicht halber wollen wir die Befunde dieser 5 Fälle nach ihrer
Zusammengehörigkeit geordnet hier rekapitulieren.
I. Fall 4; später ertaubt. Beiderseits Distraktions- und Super-
traktionssichel; stark getäfelter Fundus; an der Peripherie stellenweise
unregelmäfsige Pigmentverteilung. Myopie.
IL Fall 14; »taubgeboren«. Beiderseits myopische Sichel.
III. Fall 6; später ertaubt. Hyperämische Papillen beiderseits;
hohe Hypermetropie.
IV. Fall 7; später ertaubt. Beiderseits hyperämische Papillen;
hohe Hypermetropie.
1) Nicht aufgenommen habe ich die Fälle von Strabismus, obzwar diese
in meinem Material nicht selten sind.
^ Zur Klassifizierung wurde hier einfach die Angabe der Eltern verwendet.
Eine Korrektur dieser Angaben (auf Grund der Heredität, Multiplizität, Con-
sanguinität der Eltern etc.) wurde absichtlich nicht vorgenommen; daraus er-
klärt sich die Verwendung des Terminus »taubgeboren".
der hereditär-degeneratiTen Taabstummheit 23
V. Fall 16; »taubgeboren«. Rechts Hypermetropie, links Myopie
und Astigmatismus. Fundus beiderseits normal.
Im Fall I (Fall 4 der Tabelle) handelt es sich hauptsächlich um
die Erscheinungen hochgradiger Myopie, kombiniert mit jenen Aderhaut-
verfinderungen, die von den Ophthalmologen als Distraktions- und
Supertraktionssichel bezeichnet werden. Über die Entstehung der Myopie,
<1. h. über die Frage, ob dieser Zustand als congenitaler bezeichnet
werden darf oder nicht, wollen wir die einschlägigen Ausführungen von
Fuchs^) wiedergeben. Fuchs sagt: »Die Kurzsichtigkeit wird nur
ausnahmsweise schon mit auf die Welt gebracht, indem angeborener
Ijangbau des Auges besteht. Die Regel ist, dass die Myopie in der
Jugend sich entwickelt,* in jener Zeit, wo bei raschem Wachstum des
ganzen Körpers gleichzeitig bedeutende Anforderungen an die Augen
durch die Schule oder die Arbeit gestellt werden« . . . »Wenn nun
auch die Anstrengung der Augen in der Nähe die Ursache der Kurz-
sichtigkeit ist, so werden doch nicht alle Personen, welche sich dieser
Anstrengung unterziehen, wirklich kurzsichtig, sondern nur ein Bruch-
teil derselben. Bei letzteren müssen also ausserdem noch besondere
Faktoren vorhanden sein, welche die Ausbildung der Eurzsichtigkeit
durch die Nahearbeit begünstigen. Als solche Faktoren kennen wir
1. eine Disposition zur Myopie, welche ohne Zweifel in bestimmten
anatomischen Verhältnissen liegt, wie geringe Widerstandsfähigkeit der
Sklera, Besonderheiten im Verhalten der Augenmuskeln, des Seh-
nerven u. s. w. Da sich anatomische Eigentümlichkeiten leicht ver-
erben, erklärt sich auch die Erblichkeit der Kurzsichtigkeit« . . .
Wenn nun auch die Myopie ein Zustand ist, der sich (von ganz
seltenen Ausnahmen abgesehen) erst im späteren Leben und unter be-
sonderen äusseren Schädlichkeiten entwickelt, so sehen wir doch anderer-
seits, dass zu seiner Entwicklung meist eine besondere Disposition in
Form congenitaler, hereditärer anatomischer Eigentümlichkeiten im
Baue des Bulbus notwendig ist. Wir tun daher recht, wenn wir dem
Befunde der Myopie bei den Taubstummen unser Augenmerk schenken,
x)hne dass wir aber annehmen dürfen, dass ihm eine irgend in Betracht
kommende differential-diagnostische Bedeutung zukommt. — Dazu ist
sein Vorkommen unter den Taubstummen auch viel zu selten. Unter
unseren 153 Kindern finden wir beispielsweise Myopie nur 3 mal notiert
{geringere Grade wurden nicht notiert) und zwar Fall 4, 14 und 16
1) Lehrbuch der Augenheilkunde, 10. Aufl., 1905, S. 809.
24 Victor Hammerschlag: Znr Eenntnis
der Tabelle and dazu betrifft ausserdem noch Fall 4 ein sicher später
ertaubtes Kind.
Einer Erklärung bedarf noch bei Fall I (Fall 4 der Tabelle) und
Fall U (Fall 14 der Tabelle) der Befund: » Distraktions- und Super-
traktionssichel« bezw. »myopische Sichel«. Es handelt sich hier um
Yerziehung des Sehnervenkopfes nach der temporalen Seite, die sich im
Spiegelbilde als schmale, helle, temporal gelegene Sichel präsentiert und
um die entsprechende Hinflberziehung der Sklera und Aderhaut Ober
den Sehnerven auf der nasalen Seite, wodurch auch hier eine ver-
schwommene gelbe Sichel zu stände kommt. Diese Verziehung des
Sehnerven kommt in kurzsichtigen Augen viel regelmälsiger und in viel
höherem Mafse vor als in emmetropischen Augen, doch findet sie sick
auch in solchen.
In unseren Fällen hat sie demnach die Bedeutung eines Begleit-
symptoms der Myopie (nach Fuchs 1. c, S. 411).
Wir gelangen nun zu Fall III und IV (Fall 6 und 7 der Tabelle).
Der Augenbefund beider lautet gleich: Es handelt sich im wesentlichea
um hochgradige Hypermetropie. Was von unserem Standpunkte über
Hypermetropie zu sagen ist, findet sich in den folgenden Ausführungen
von Fuchs*): »Die Kürze des Augapfels, ^ welche der Hypermetropie
zu Grunde liegt, ist angeboren. Fast alle neugeborenen Kinder sind
hypermetropisch, weil ihre Augen für die Brechkraft der Medien zu
kurz gebaut sind. Mit dem Wachstum des Kindes verlängern sich
auch die Augen entsprechend, sodass sie die erforderliche Achsenlängo
bekommen und emmetropisch werden, ja die Verlängerung kann selbst
über das Ziel hinausschiessen und bis zur Myopie gehen. Sehr oft aber
erfolgt im Gegenteil die Verlängerung des Auges nicht in hinreichendem
Mafse, sodass ein gewisser Grad von H bestehen bleibt« »Bei
den höchsten Graden der H ist allerdings das Auge im ganzen nicht
normal. Es ist schon von Geburt an abnorm klein (leichter Grad von
Mikrophthalmus) und manche dieser Augen zeigen auch andere Zeichen
einer gestörten Entwicklung : auffallend kleine Hornhaut, starken Astig-
matismus, mangelhafte Sehschärfe infolge von unvollkommener Aus-
bildung der Netzhaut und andere angeborene Anomalien.«
Wir hätten sonach in der Hypermetropie eine congenitale Anomalie
zu erblicken und es fragt sich, ob derselben eine differential-diagnostische
Bedeutung zukommt. Gross kann diese Bedeutung der ganzen Sachlage
nach nicht sein, wenn man berücksichtigt, dass einerseits die Hyper-
metropie sich auch vielfach in Familien findet, deren Glieder sonst
1) Lehrbuch S. 825.
der bereditftr-degeneratiYen Taubsinrambeit. 25
frei von congenitalen Anomalien sind, nnd dass sie andererseits (nach
den obenstehenden Literatarberichten, sowie nach unseren eigenen Er-
fahrungen) unter den Taubstummen ziemlich selten vorkommt. Dazu
kommt noch, dass unsere beiden Fälle von den Eltern als »später er-
taubt« bezeichnet werden. Trotzdem diese beiden Anamnesen durchaus
nicht unzweifelhaft sind (Hirnerkrankung mit Fraisen im ersten (!)
Lebensjahr bezw. Sturz (!) im 3. Lebensjahr), so warde ich es doch
nicht wagen, auf Grund des Augenbefundes die Angaben der Eltern zu
korngiereu. Ich resümiere also: Wir sollen den Refraktions-
anomalien der Taubstummen zwar unsere Aufmerksam-
keit schenken, aber mehr aus pädagogischen Gründen
als um aus ihnen differential-diagnostische Merkmale
zwischen erworbener und congenitaler Taubheit zu kon-
struieren.
Eine höhere Bedeutung möchte ich jedoch dem Vorkommen von
Kefraktionsanomalien zusprechen, sobald sie sich bei einem Taubstummen
in der Form der Anisometropie vorfinden, wie das bei unserem Fall V
(Fall 16 der Tabelle) zutrifft. Bei diesem Kinde ist das rechte Auge
hypermetropisch, das linke myopisch und astigmatisch. Zur Erläuterung
dieses Befundes sei wieder Fuchs ^) zitiert: »Unter Anisometropie
versteht man eine Verschiedenheit in der Refraktion beider Augen, es
kann das eine Auge emmetropisch , das andere myopisch, hyper-
metropisch oder auch astigmatisch sein, oder es sind beide Augen in
verschiedener Weise ametropisch* »Die Anisometropie ist
nicht selten angeboren und verrät sich dann, bei höherem Grade
wenigstens, oft schon äosserlich durch eine assymmetrische Bildung des
Gesichtes und des Schädels« . . . Noch viel häufiger ist der regel-
mäfsige Astigmatismus kongenital angelegt; auch ist diese Anomalie
durch Vererbung übertragbar^). — Wir werden danach in unserem
speziellen Falle behaupten dürfen, dass die Annahme, dass es sich bei
1) Lehrbuch S. 839.
^) Vgl. Füchs, Lehrbuch S. 882 : ,Die Ursache des regelmäiaigen Astigmatis-
mus ist in der grossen Mehrzahl der Fälle eine angeborene Unregelmäfsigkeit
der Honihautwölbung, welche sich leicht durch Vererbung aberträgt. Die hohen
Grade des angeborenen Hornhautastigmatismas sind nicht selten mit ander-
weitigen ünvollkommenheiten in der Entwicklung des Augapfels verbunden" . . .
Wie sehr die Krümmungsverhältnisse der Hornhaut durch Heredität beeinflasst
werden, geht überzeugend aus den Untersuchungen Steigeis hervor (Studien
über die erblichen Verhältnisse der Homhautkrümmung; Zeitschr. f. Augen-
heilk. 1906, Bd. XVI, Heft 3, S. 229).
26 Victor Hammerschlag: Zur Eeontnis
dem Kinde W. S. (Fall 16 der Tabelle), welches von seinen Eltern als
taubgeboren bezeichnet wird und welches unter seinen 2 Gre-
schwistern noch ein taubstummes besitzt, um hereditär -degenerative
Taubheit handelt, durch den gleichzeitigen Befund der Anisometropie
und des Astigmatismus noch um Einiges an Wahrscheinlichkeit gewinnt.
Eine besondere Beweiskraft dürfen wir allerdings auch dem Befunde
der Anisometropie nicht zuerkennen, dazu ist ihr Vorkommen unter
unseren Taubstummen doch viel zu selten (1 Fall auf insgesamt 135
Taubstumme bezw. auf 64 Taubgeborene).
Was von Fall 16 gilt, lässt sich — mutatis mutandis — von
Fall 10 der Tabelle sagen, der unter den restierenden 12 Fällen in-
sofern eine Sonderstellung einnimmt, als es sich bei ihm nicht um Ver-
änderungen am Augerhintergrund, sondern im wesentlichen um »an-
geborene Reste der Pupillarmembran« handelt. Die Kongenitalität dieses
Befundes steht ausser allem Zweifel; da auch dieses Kind von den
Eltern als »taubgeboren« bezeichnet wird und aus der Ehe noch ein
zweites taubes Kind hervorging, so wird die an sich bestehende Wahr-
scheinlichkeit, dass es sich um hereditäre Taubheit handelt, durch den
Befund einer sicher kongenitalen Augenanomalie noch um Einiges
erhöht.
Wir gelangen nunmehr zur Besprechung der restierenden 11 Fälle
(Nr. 1, 3, 5, 8, 9, 11, 12, 15, 17, 18, 19), deren Augenhintergrunds-
befunde wir der Übersichtlichkeit halber hier in Kürze voranstellen
wollen :
Sichel nach unten: Nr. 3, 5.
Verkehrte Gef^sverteilung : 3, 8, 17.
Retinitis pigmentosa: 9, 11, 12, 18.
Albinotischer Fundus: 1, 8, 15, 19.
Zunächst wollen wir die einzelnen Befunde nach ihrer klinischen
Dignität besprechen, wodurch ihre Wertigkeit als differential-diagnostische
Merkmale klargestellt werden soll.
An erster Stelle haben wir den Befund: »Sichel nach unten« an-
geführt, der sich im Fall 3 in einem Auge, im Falle 5 beiderseits
fand. — Schon vor vielen Jahren hat F u c h s ^) auf das relativ häufige
1) Beitrag zn den angeborenen Anomalien des Sehnerven. Graefes Archiv
f. Ophthalmologie 1882, 28. Jahrg., Abt. 1, S. 139.
der hereditAr-degenerativen Tanbstuminheit. 27
Yorkommen der unteren Sichel, anf die fast regelmäfsige Kombination mit
Refraktionsanomalien) am häufigsten mit »angeborener« Myopie) und auf die
Eongenitalität dieses Befundes aufmerksam gemacht : > Diese Sichel ist an-
geboren und ein Analogon des Coloboms der inneren Augenhäute« ^). Diese
Auffassung stützt sich auf Untersuchungen noch anderer Autoren, wie aus
dem folgenden Zitate Hippels*) hervorgeht: »Der sogenannte < Conus
nach unten > ist, wie die Untersuchungen von Jäger ^), Schnabel^)
und Fuchs^) ergeben haben, in den meisten, vielleicht sogar in allen
Fällen, eine angeborene Anomalie und wird von den Autoren als ein
rudimentäres Colobom der Sehnervenscheide oder der an den Sehnerven
angrenzenden Aderhaut aufgefasst.« Manche Autoren, wie z. B.
Wollenberg, sind geneigt, dem »Conus nach unten« sogar eine ganz
besondere Bedeutung als »Degenerationsmerkmai« zuzuschreiben. Hippel
selbst ist in dieser Hinsicht etwas skeptischer, wie aus den folgenden
seiner Ausführungen ^) erhellt : »Wollenberg^) hat auf die Beziehung
dieser Anomalie zu Geisteskrankheiten hingewiesen. Unter etwa 6400
Fällen von Geisteskrankheiten wurde der Conus nach unten bei
87 Individuen, d. h. in zirka 1,3% der Fälle gefunden. Vossius^)
fand ihn unter 6065 Patienten der Augen-Poliklinik 55 mal, also bei
zirka 0,9 ^/^ der Fälle. Die Differenz ist nicht gross genug, um darauf
wesentliche Schlüsse zu basieren. Bemerkenswert ist dagegen, dass bei
den angeborenen Psychosen (Hysterie, Hysteroepilepsie, Idiotie und
1) An einer anderen Stelle derselben Pablikation sagt Fuchs: ,Von den
am häufigsten vorkommenden Sicheln nach aussen, welche einer erworbenen
Atrophie der Aderhaut entsprechen, sind nämlich die am unteren Sehnerven-
rande gelegenen Sicheln vollständig zu trennen, weil sie nach meiaer Meinung
einen angeborenen Defekt in der Aderhaut darstellen und als Rest der fötalen
Augenspalte zu betrachten sind.'
2) Die Missbildnngen und angeborenen Fehler des Auges. Handbuch der
ges. Augenheilkunde v. Graefe-Saemisch 1900, 18. u. 19. Liefg.
3) Jäger, Über die Einstellung des dioptrischen Apparates im mensch-
lichen Auge, Wien, 1861.
*) Schnabel, Über Maculacolob., phys. Excav. und angeb. Conus, Wiener
med. Blätter 1884, 6—9.
ö) Fuchs, 1. c.
«) 1. c.
7) Wollenberg, Anom. des Auges bei Geisteskrankheiten. Charit^-
Annalen 1889. S. 470.
8) Vossius, Beitrag zur Lehre von dem angeb. Conus. Klin. Monatsbl.
1885, S. 137.
28 Victor Hamm erschlag: Zar Kenntnis
Imbecillität, Epilepsie) ein aaffallend hohes Prozentverhältnis des Gonns
nach unten gefanden wurde.«
Pilcz und Wintersteiner ^) haben die relative Häufigkeit
congenitaler Augeuanomalien bei den hereditären Psychosen festgestellt.
Zwar fanden auch sie ein Überwiegen der Häufigkeit bei den here-
ditären Psychosen gegenüber den exogenen, machen jedoch, um einer
Überschätzung der Dignität dieses Befundes vorzubeugen, ausdrücklich
darauf aufmerksam, dass der Conus nach unten »nicht ausschliesslich
bei Degenerierten bezw. erblich Belasteten vorkomme« und dass es
auch nicht angehe, s^aus einem Degenerationszeichen allein Schlüsse
aufs Individuum zu machen k.
Wir wollen uns diese Ansicht der beiden Autoren zur Direktive
dienen lassen, denn für uns bedeutet der in der Rede stehende Befund
eine besondere Schwierigkeit dadurch, dass die beiden Kinder (Nr. 3
in 5 der Tabelle), die ihn aufweisen, von ihren resp. Eltern als später
ertaubt bezeichnet werden. Die Frage nun, ob wir etwa be-
rechtigt wären, die elterliche Anamnese auf Grund des
kongenitalen Augenbefundes umzustossen, muss ent-
schieden verneint werden. Wir werden uns eben hier vor
Augen halten müssen, dass kongenitale Anomalien (irgend welcher Art)
auch bei solchen Individuen sich finden können, die in Hinsicht auf
Heredität sonst ganz unverdächtig sind.
Im Falle 3 handelt es sich wohl um ein Kind, das noch ein taub-
stummes Geschwister (von den Eltern allerdings auch als später ertaubt
bezeichnet) und zwei taubstumme Cousins hat und welches aus einer
consanguinen Ehe stammt; man wäre also versucht, an hereditäre
Taubheit zu denken. Doch gibt der Vater mir auf schriftliches Be-
fragen an, dass das Kind erst zu Beginn des zweiten Lebensjahres,
nach Einsetzen einer beiderseitigen Mittelohreiterung angefangen habe,
schlecht zu hören, und tatsächlich besteht beiderseits eine trockene
Trommelfell Perforation. So wenig verlässlich nun auch im allgemeinen
(vom statistischen Standpunkte betrachtet) die elterliche Anamnese ist,
so ärmlich ist andererseits der Bestand an integrierenden Merkmalen
der hereditären Taubheit. Solche Fälle, wie der vorliegende, können
daher nicht entschieden werden. Co)[noidierende kongenitale Ano-
malien anderer Organe können bei fraglicher Taubheit
zwar zur Bekräftigung der Anamnese, nicht aber zur
Widerlegung derselben dienen.
1) Über Ergebnisse von Augenspiegelantersnchungen an Geisteskranken
mit besonderer Berücksichtigung der kongenitalen Anomalien. Zeitschr. f.
Augenheilk. Bd. XII, S. 729.
der hereditäi-degeneratlTeD Tanbstummbeit. 29
An zweiter Stelle ist die »verkehrte Gefässverteilung« genannt
worden. Mit diesem Namen bezeichnen die Schüler Fuchs' eine
Anomalie in der Gefässverteilnng des Angenhintergrandes, dieFuchs^)
foIgendermaTsen beschreibt: »In Verbindung mit dieser Anomalie (— es
ist von der Sichel nach unten die Rede — ) scheint eine ziemlich
häufige Unregelmäfsigkeit in der Gefässverteilnng zu stehen. Dieselbe
hesteht darin, dass die grossen Gefässstämme von ihrer Ursprungsstelle
aus sofort mehr weniger nach innen gerichtet verlaufen, als ob sie alle
für die innere Netzhauthälfte bestimmt wären. In der Netzhaut selbst
ist freilich die Gefässverteilnng die gewöhnliche, was dadurch erreicht
wird, dass die für die äussere Netzhauthälfte bestimmten Gefässe ent-
weder noch auf der Papille selbst, nahe dem Rande derselben, oder
erst in der Netzhaut vermittelst einer starken Biegung in die gehörige
Richtung einlenken. Ich will diese eigentümliche Verlaufsweise der
Gefässe kurz als „verkehrte Gefässanordnung" bezeichnen« . . .
Das beschriebene Bild findet sich in unserer Tabelle tatsächlich
einmal mit der »Sichel nach unten« kombiniert (Fall 3), dagegen ein-
mal (Fall 8) mit »albinotischem Fundus« ; in dem dritten Fall (Nr. 17)
findet es sich einseitig, allein und nur in Form einer schwachen An-
deutung. —
Über den Wert dieser Anomalie als Degenerationszeichen muss
man sich mit äusserster Vorsicht aussprechen. Pilcz und Wi nt er-
st ein er ^ finden sie zwar bei hereditären Psychosen ziemlich häufig
(so bei Imbecillität und Idiotie in 17,23 ^/^ der Fälle, bei Epilepsie
in 13,62 *^/q), dagegen auch in ziemlicher Häufigkeit bei exogenen
Psychosen (so bei Alkoholpsychosen in 9,7 1^/^,, bei Paral. progr. in
ö»75^/q) und wiederum bei sicher degenerativen Zuständen seltener
(z. B. bei periodischem Irresein nur in 5,40 ®,o)-
Man kann daraus schliessen, dass die in Rede stehende Anomalie
auch bei sonst unbelasteten Menschen nicht selten ist, wodurch ihr
differential-diagnostischer Wert sehr eingeschränkt wird.
Über die Bedeutung der an dritter Stelle genannten Retinitis
pigmentosa brauchen wir keine neuen Belege beizubringen. Die Ver-
gesellschaftung dieser Augenerkrankung mit der hereditären Taubheit
1) Arch. f. Ophthalmologie XXVIII, 1. c.
«) 1. c.
30 Victor Haromerscfalag: Zur Kenntnis
ist eine Tatsache, die immer wieder konstatiert wurde — wir ver-
weisen auf die eingangs zitierte Literatur — und die heute zum festen
Bestände unserer Kenntnisse gehört. Die Retinitis pigmentosa ist ihrer-
seits eine hereditäre Erscheinung und in ihrer Ätiologie spielt die
Consanguinität der Eltern dieselbe (provokatorische) Rolle wie in der
Ätiologie der hereditären Taubheit. Belege aus der Literatur für diese
Tatsachen habe ich in einer früheren Mitteilung beigebracht^).
In unserer Tabelle findet sich die Retinitis pigmentosa 4 mal
(Fall 9, 11, 12, 18). Alle 4 Fälle werden von den Eltern als taub-
geboren bezeichnet. Da unsere 135 Augenspiegelbefunde sich verteilen
auf 79 »später ertaubte«, 64 »taubgeborene« und 12 »fragliche«
Kinder*), so beträgt die Häufigkeit 6,25 ^/q. Dass die Retinitis pig-
mentosa als der Ausdruck einer besonders schweren »Belastung« des
betreffenden Individuums aufgefasst werden darf, erhellt aus der Tat-
sache, dass 3 von den 4 so erkrankten Kindern (Nr. 9, 11, 12) als
geistig minderwertig zu bezeichnen sind^).
Es erübrigt noch, den »albinotischen Fundus« zu besprechen, der
sich in 4 Fällen (Nr. 1, 8, 15, 19) findet. Zum Verständnis dieses
Befundes zitiere ich den folgenden Passus aus dem Lehrbuch von
Fuchs (S. 316): »Das gesamte Pigment, welches in so reichlicher
Menge im Augeninnern vorhanden ist, gehört zwei Kategorien an:
1. Im Gewebe der Uvea selbst finden sich überall verzweigte Zellen
vom Charakter der Bindegewebszellen, welche Pigmentkörperchen ent-
halten. Dies sind die Stromapigmentzellen, und das in ihnen enthaltene
Pigment wird als Stromapigment oder, weil es durchwegs in der
Uvea selbst liegt, als uveales Pigment bezeichnet. 2. Die innere Ober-
fläche der Uvea ist überall von einer Schichte pigmentierter Zellen
ausgekleidet, welche der Retina angehören und den Charakter von
Epithelzellen besitzen — Pigmentepithel. Dieses Pigment, welches
also nicht in der Uvea, sondern nach innen von derselben liegt, heisst
das retinale Pigment.«
1) Hamm erschlag. Zur Kenntnis der hereditär -degenerativen Taub-
stummheit. Zeitschr. f. Ohrenheilk,, 45. Bd., S. 342.
2) Kinder, bei denen die Eltern die Frage nach der Herkunft der Taubheit
nicht beantworten konnten.
3j Sehr bezeichnend für die Rolle, die die Consanguinität als ätiologischer
Faktor spielt, ist die Tatsache, dass dieselben 3 Kinder aus 8 consanguinen
Ehen stammen.
der hereditär-degenerativen Taubstummheit. 31
Der »albinotische Fundas« charakterisiert sich nun
als partieller Albinismus des Auges und dem Spiegel-
bilde entspricht anatomisch ein Fehlen des Stroma-
pigmentes.
In der bereits zitierten Arbeit von Pilcz und Wintersteiner
erscheint auch der albinotische Fundus wiederholt notiert und der
Kommentar zu diesem Befunde lautet dort folgendermafsen^): »Albinismus
gilt schon seit langer Zeit als DegeneratioDszeichen und damit stimmen
auch unsere Erfahrungen überein. Wenn auch kein Fall von kom-
plettem Albinismus unter den von uns untersuchten Geisteskranken sich
befand, so kam doch Albinismus des Augenhintergrundes oft genug zur
Beobachtung und zwar gerade wieder vornehmlich bei „endogenen"
Psychosen (Paranoia, period. Irresein, ImbecillitÄt, Epilepsie, Hysterie).«
Wenn nun auch schon bisher an der Bedeutung der verschiedenen
Formen des partiellen Albinismus nicht gezweifelt wurde, so gründete
sich doch bisher diese Annahme bloss auf klinische Beobachtungen.
Ich bin aber in der Lage, auch einen anatomischen Nachweis zur
Stat7e dieser Annahme zu erbringen.
Im Jahre 1903 habe ich in der österr. otol. Gesellschaft^) über
Prüfungen des galvanischen Schwindels bei hereditär - taubstummen
Kindern berichtet^) und konstatiert, dass sich bei strenger Auswahl des
Taubstummenmaterials eine weitgehende Analogie mit dem Verhalten
der von Alexander und Kreidl geprüften japanischen Tanzmäuse
ergebe. Schon damals war ich in der Lage, darauf hinzuweisen, dass
eine zweite Analogie zwischen der hereditär tauben Tanzmaus und
einzelnen hereditär-degenerativ taubstummen Menschen bestehe: und
zwar der Befund des albinotischen Augenhintergrundes. Der Einfach-
heit halber will ich die auf diesen Punkl bezüglichen Ausführungen
von mir und Dr. Hanke hier rekapitulieren. Im Protokoll heisst es:
»Eine zweite Analogie fand sich anlässlich der von Dr. Ilanke durch-
geführten Augenuntersuchungen. Bei zwei Kindern der Gruppe fand
sich nämlich ein sog. albinotischer Fundus. (Das eine Kind, ein auf-
«) 1. c, S. 741.
») Protokoll der Sitzung vom 23. Mäiz 1903. Monatsschrift für Ohren-
heilkunde.
S) Yg\. auch : Hammerschlag, zur Kenntnis dor hereditär-degonerativen
Taubstummheit Zeitschr. f. Ohrenheilk., 45. Bd., 1903, S. 337, Fall 1 der
Tabelle, S. 341, Fall 18 der Tabelle, und S. 843.
32 Victor Hammerschlag: Zur Kenntnis
fallend pigmentarmer, blonder Knabe mit blauen Augen, wird demon-
striert.) Dieser Befund gewinnt an Beweiskraft durch den Umstand,
dass es Hanke und Hammerschlag gelungen ist, bei einer Anzahl
von Tanzmäusen, die daraufhin mikroskopisch untersucht wurden, ein
vollständiges Fehlen des Chorioidealpigmentes zu konstatieren. Hin-
sichtlich dieses Befundes verweist Vortragender auf die anschliessende
Demonstration des Herrn Dr. Hanke.« . . .
. . . »Dr. Hanke demonstriert mikroskopische Präparate von dem
Auge einer grauen Maus, einer Tanzmaus und einer albinotischen Maus.
Aus diesen ergibt sich ein wesentlicher Unterschied in der Pigmentation
des Chorioidealstromas und des Pigmentgehaltes der Retina. Während
bei der grauen Maus beide Gewebsschichten dichten Pigmentgehalt
besitzen, bei der albinotischen Maus dagegen vollständig pigmentlos
sind, zeigt das Chorioidealstroma der Tanzmaus absoluten Pigment-
mangel, das Retinalpigment dagegen ist in annähernd normaler Masse
vorhanden. Es besteht also bei diesem Tiere partieller Albinis-
mus, der dem ophthalmoskopischen Bilde entspricht, welches der von
Dr. Hammerschlag der Gesellschaft demonstrierte „degenerativ
taubstumme" Knabe zeigt. Von einer Retinitis pigmentosa ist der Be-
fund toto coelo verschieden, da letztere eine wirkliche Pigmentdegene-
ration der Retina mit Sklerose derselben und Pigmenteinwanderung in
die Netzhaut darstellt.«
Das Verhalten der von Dr. Hanke demonstrierten Bulbi ist aus
den Figuren 1, 2 und 3 (Tafel I) ersichtlich. Figur 1 stellt den
«utsprechenden Abschnitt aus dem Auge einer gewöhnlichen wilden
Hausmaus vor: die beiden Pigmentlagen sind stellenweise deutlich ge-
sondert zu sehen. Figur 2 stammt von einer 9 Tage alten japanischen
{gescheckten) Tanzmaus. Hier ist nur eine Pigmentlage zu sehen.
Dass es das retinale Pigment ist, geht aus Figur 4 hervor, in welcher
das Pigment in der Fläche getroffen ist. In Figur 3, die den Fundus
«iner albinotischen (rotäugigen; Laufmaus darstellt, sehen wir das
Fehlen beider Pigmenlschichten. Die Beweiskraft des besprochenen
Befundes liegt meines Erachtens darin, dass der »albinotische Fundus«,
d. h. das Fehlen des Stromapigmentes bei der reingezüchteten
japanischen Tanzmaus ein regelmäfsiges Vorkommnis bildet. Mehrfache
Untersuchungen an verschiedenen Altersstufen dieses Tieres ergaben mir
ausnahmslos denselben Befund. — Ich nehme daher an, dass der
»albinotische Fundus« bei diesem Tiere zu einem Artcharakter ge-
worden ist, ebenso wie bei ihm das pathologische Verhalten des Gehör-
der hcredit&r-degeneratiyen Taubetamuiheit. 33
Organs nnd der noch immer nicht ausreichend erklärte Vorgang des
»Tanzens« zu aasgesprochenen (pathologischen) Artcharakteren geworden
sind^). Damit soll freilich nicht gesagt sein, dass ich glanhe, dass die
beiden Artcharaktere »Bildungsanomalie des Gehörorgans« und »Albino-
tischer Fundus« notwendig vereinigt sein müssen.
Zu bemerken ist noch die Tatsache, dass der »albinotische
Fundus« durch Kreuzungen japanischer Tanzmäuse mit anders ge-
arteten Mäusen (albinotischen Lanfmäusen) wieder zum Verschwinden
gebracht werden kann : Aus derartigen Kreuzungen gehen ein-
farbig graue, der Hausmaus ähnliche, hörende Laufmäuse hervor:
in dieser Generation verschwindet also (und zwar mit absoluter
Regelmäfsigkeit) *die Taubheit, das »Tanzen«, die Scheckung und auch
~ wie Figur 5 zeigt — der »albinotische Fundus«. Diese Figur
stammt von einer derartigen grauen Kreuzungsmaus und zeigt wieder
die normalen beiden Pigmentschichten.
Wir werden nach dem eben Ausgefdhrten nicht fehl gehen, wenn
wir dem Befunde »albinotischer Augenhintergrund« eine grössere klinische
und differential-diagnostische Bedeutung zuschreiben als bisher.
1) Aach mit der , Scheckung* verhält ee sieh so. Die reingezüchtete
japanische Tanzmaus zeigt eine schwarz-weisse Sohecknng von bestimmter Ver-
teilnng, die sich lückenlos vererbt, wenn nicht Kreuzungen vorgenommen werden.
(Tabelle siehe umstehend Seite 34 — 36.)
Zeitsehrift Ar OhrenheUlraiide, Bd. LIV.
34
Victor Hammerschlag: Znr Kenntnis
Bemerkungen
1 .
1
Sein taubstummer
Bruder befindet sich
in der Anstalt.
1
'
Augenbefnnd
Fundus beiders. an
der Peripherie leicht
albinotisch
Q> oö 4^ ^ 3
Eltern sind Rechts: normal.
Cousin und Links: Sichel nach
Cousine unten. Andeutung
1 von verkehrter 6e-
fässverteilung
1
Beidcrs.Distractions-
und Supertractions-
sichel; stark ge-
täfelter Fundus ; an
der Peripherie
stellenweise unregel-
mäfsige Pigmentver-
teilung. Myopie
-§1
l|
Konsan-
guinität
der Eltern
1
1
1
Eltern sind
Cousin und
Cousine
Taubheit
in der
Verwandt-
schaft
Die Cousine
des Vaters
hat ein taub-
stummesEind
Ein Vetter
der Mutter
im 2. Grade
ist taub-
stumm
Hat 2 taub-
stumme
Cousins
1
1
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U9p J9;un
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1
CO
6:2
7:1
1-1
Trommelfell beider-
seits normal
Trommelfell beider-
seits annähernd
normal
Trockene Perforation
beiderseits
Rechts: normal.
Links: Verkalkung
Trommelfell beider-
seits normal
Zeitpunkt
der Er-
taubung
1
Bemerkt
im 2.
Lebens-
jahre
Zu Beginn
des 2.
Lebens-
jahres
k
Ursache
der Er-
taubung
un-
bestimmt
un-
bestimmt
Ohrenfluss
1
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K. E.
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der hereditär-degenerativen Taubstummheit.
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36
Victor Hammerschlag: Znr Kenntnis etc.
Bemerkungen
1
1
1
ii
II
1
Das Kind ist voll-
ständig schwach-
sinnig.
TS
1
V
1
1
Beiderseits an der
Peripherie stark albi-
notischer Fundus
Rechts: Hyper-
metropie. Links :
Myopie und Astig-
matismus. Fundus
beiderseits normal
Links: normal.
Rechts: schwache
Andeutung einer
verkehrten Gefäss-
verteilung
Beiderseits Retinitis
pigmentosa
Beiderseits in ge-
ringem Grad albi-
notischer Fundus.
Nystagmus.
Konsan-
guinität
der Eltern
1 1
1 ', 1
1
1
1
1
Taubheit
in der
Verwandt-
schaft
1
!
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1
1
1 r .
uj9^8iMqo8ao , ^
uap ao^uu
i^iaqquBX ^
00
CO
CO
Ohrbefund
Trommelfell beider-
seits normal
Trommelfell beider-
seits normal
'« OD
1^
Links: angeborene
Missbildung der
Ohrmuschel; Fehlen
des äusseren Gehör-
gangs. Rechts :
hochgradi.? enger
Gehörgang; Trom-
melfell nicht ein-
stellbar
Trommelfell beider-
seits normal
Trommelfell beider-
seits normal
Zeitpunkt
der Er-
taubung
1
1
1
1
Ursache
der Er-
taubung
taub-
geboren
^i
II
bti
Namen
i
1
«3
ä
J2
CO
oo'
Zeitsohbikt fCb Ohresheilkixde LIV.
Tafel I.
Fig. 1.
Fig. -2.
Fig. 3.
Verla« von .1. K. Bergmank, Wiesbaden.
Zeitschbift für Ohrexheilkuxde LIV.
Tafel n.
Fig. 4.
Fig. 5.
Verlai; vox .1. F. Beuomann. Wiesbaden.
Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs durch Schallein wirkling. 3 7
IIL
Über Schädigung des Gehörs durch
Schalleinwirkung.
Eine experimentelle Studie.
Von PrivatdoBent Dr. Wittmaaok in Greife wald.
Mit 25 Abb. auf den Tafeln III— XU.
Die Schädigang des Gehörorgans durch Schalleinwirkung ist eine
den Otiatem seit langer Zeit bekannte Ursache für das Auftreten von
Hörstörnngen. Sie wird hervorgerufen entweder durch eine einmalige
oder nach relativ längeren Intervallen sich wiederholende kurzdauernde,
aber sehr intensive meist unmittelbar an der Ohrmuschel erzeugte
Schalleinwirknng — Knall, Pfiff, Explosion u. s. w. — oder durch
sich lange Zeit hindurch täglich wiederholende viele Stunden lang an-
haltende Einwirkung lauter Geräusche, die allermeist mit dem Beruf
der befallenen Personen in Zusammenhang steht — »professionelle
Schwerhörigkeit» bei Ktlfern, Schmieden, Schlossern, Fabrikarbeitern,
Lokomotivführern und -Heizern u. s. w. Unsere Kenntnisse über den
pathologischen Prozess, der sich im Gehörorgan hierbei abspielt und
die Entstehung der Schwerhörigkeit verschuldet, sind noch recht unvoll-
ständige. Bis vor kurzem lag meines Wissens lediglich ein einziger
einwandsfrei untersuchter Befund bei professioneller Schwerhörigkeit
durch kontinuierliche Schalleinwirkung von Habermann ^) vor, dessen
Deutung indessen insofern etwas schwierig war, als er ein sehr altes
Individuum betraf, bei dem die Schädigung des Gehörs durch Schall-
einwirkung schon weit zurücklag und der erhobene Befund — Atrophie
des Cortischen Organs und des zugehörigen Zweiges des Akustikus —
sich mit dem bei schwerer Presbyakusis in der Regel vorhandenen Be-
fund annähernd deckte. Erst in neuester Zeit, längst nachdem ich
meine experimentellen Untersuchungen begonnen hatte, haben sich
einige weitere analoge Befunde hinzugesellt, auf die ich weiter unten
noch zurückkommen werde.
Pathologisch - anatomische Befunde bei Schädigung des Gehör-
organs durch einmalige bezw. in relativ längeren Intervallen sich
wiederholende kurzdauernde Schalleinwirkung habe ich in der
Literatur nicht auffinden können. Unsere Kenntnisse über den hier-
1) Haberniann, über die Schwerhörigkeit der Kesselschmiede. Archiv
i. Ohrenheilk., XXX. Bd.. S. 1 if,
38 Wittmaaek: Über Schädigung des Gehörs dareh Schallein Wirkung.
bei sich abspielenden pathologischen Prozess berahen bisher nur
auf Yermatangen. So lesen wir noch hänfig die Angabe, dass die
hierbei auftretende Schwerhörigkeit durch Zerreissnngen in den Mem-
branen des häutigen Labyrinthes, durch Blutungen in die lymphatischen
Räume des inneren Ohres und ähnliche Prozesse bedingt seien — wenn
wir einmal von den hierbei häufig mit auftretenden Trommelfell-
rupturen, die, wie wir noch sehen werden, die alleinige Ursache fflr .
die Hörstörungen nicht abgeben können, ahsehen. Auch experimentelle
Untersuchungen mit positivem Ergebnis liegen meines Wissens hierflber
zur Zeit noch nicht vor.
Wenn irgendwo experimentelle Untersuchungen am Tier dazu ge-
eignet erscheinen konnten, Auskunft über noch unaufgeklärte Punkte
zu geben, so mussten sie in der Frage nach den Veränderungen im
Gehörorgan bei Schädigung desselben durch Schalleinwirkung Auf-
klärung bringen; denn es war durchaus kein Grund daftlr einzusehen,
dass das Gehörorgan der höheren Säuger anders auf Schalleinwirkung
reagieren sollte, als das des Menschen — zumal uns klinische Be-
obachtungen darauf hinwiesen, den Sitz der Schädigung im inneren
Ohre — dem Labsrrinth oder Nerven — zu vermuten, das doch ana-
tomisch bei den gewählten Versuchstieren dem des Menschen ausser-
ordentlich ähnlich aufgebaut ist. Wenn es bisher nicht geglückt war,
Experimente hierüber bei Tieren mit positivem Resultate anzustellen,
so musste die Ursache hierfür entweder in der Versuchsanordnung oder
in der Untersuchungstechnik gelegen sein.
Diese Untersuchungen erschienen mir vor allem auch deswegen so
verlockend, weil sie uns in die Lage versetzen mussten, sämtliche
Stadien des pathologischen Prozesses zu erhalten und somit einen ganz
anderen tieferen Einblick in die Entwicklung des Prozesses geben
mussten, als vereinzelte Untersuchungen an zufällig in unsere Hände
gelangten klinischen Material; zumal hierbei stets lebensfrisches und
durch keine andere Affektion (Todesursache etc.) beeinflusstes Material
zur Untersuchung kam. Ich habe mir daher schon vor Jahren die
Aufgabe gestellt, die Schädigung des Gehörorgans durch Schall-
einwirkung mit Hilfe von Tierexperimenten genauer zu erforschen, und
möchte im folgenden über meine Versuche und ihre Ergebnisse be-
richten*).
1) Die Versuche wurden begonnen im August 1903 im Laboratorium der
Universit&ts-Ohrenklinik zu Leipzig, fortgesetzt in der Univeräit&ts-Ohrenklinik
zu Heidelberg und zum Abschluss gebracht im Laboratorium der chirurgischen
Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs durch Schalleinwirkimg. 39
I. Übersieht Aber die einzelnen Yersacbsreilien nnd ihre
Ergebnisse.
Ich gebe zunächst eine sammarische Übersicht über die ver-
schiedenen Yersnchsreihen, die ich anstellte, und die Resultate, die ich
dabei erhielt, um dann im Zusammenhang den pathologischen Prozess
etwas eingehender zu besprechen und schliesslich noch auf die klinischen
und physiologischen Schlnssfolgerungen, die aus den Versuchen zu ziehen
sind, einzugehen. Auf die detaillierte ermüdende Wiedergabe der sich
vielfach völlig deckenden Yersuchsprotokolle sämtlicher zur Unter-
suchung gekommener Versuchstiere — rund 90 Meerschweinchen mit
180 Gehörorganen — möchte ich im Interesse des Lesers verzichten.
Die einzelnen Versuchsreihen mussten, entsprechend unseren Kennt-
nissen über die Entstehung von Hörstörungen durch Schalleinwirkung,
in zwei Gruppen zerfallen. Die erste Gruppe von Versuchen bezweckte
Schädigungen des Gehörs durch kontinuierlich einwirkenden lauten
Schall bezw. Lärm zu erzeugen — analog der Entstehung der Pro-
fessionsschwerhörigkeit des Menschen, während die zweite Gruppe von
Versuchen darauf hinauslief, durch kurz dauernde, aber sehr intensive
unmittelbar an der Ohrmuschel erzeugte Schalleinwirkung Schädigungen
des Gehörs hervorzurufen, die den Hörstörungen analog zu setzen sind,
die wir beim Menschen aus gleicher Ursache auftreten sehen. Ich be-
spreche zunächst die erste Gruppe der Versuche.
A. Versuche mit kontinuierlich einwirkendem Lärm.
1. Zuführung des Schalles ausschliesslich durch Luft-
leitung ununterbrochen Tag und Nacht hindurch.
Die Ausführung dieses Versuches gestaltete sich verhältnismäfsig
einfach. 6 noch nicht völlig ausgewachsene Meerschweinchen wurden
in einen relativ kleinen Käfig gesetzt und unmittelbar über ihnen frei-
schwebend eine sehr laut gehende elektrische Klingel angebracht, die
Tag und Nacht ohne Unterbrechung in Gang gehalten wurde. Trotz
dieses geradezu betäubend erscheinenden Lärms der elektrischen Klingel,
die noch durch zwei geschlossene Thüren hindurch über einen grossen
Hof hinweg zu vernehmen war, erschienen die Tiere nur die ersten
zwei bis drei Stunden eingeschüchtert. Dann fingen sie wieder an zu
Klinik zu Greifswald. Den Herren Direktoren der genannten Institute —
Prof. Barth, Kümmel und Friedrich — sage ich für ihr Entgegenkommen
meinen verbindlichsten Dank.
40 Wittxnaack: Über Schädigung deeGehOrs durch Schallein Wirkung 4
fressen und Hessen sich durch den Lärm in keiner Weise mehr stören.
Sie entwickelten sich genau so gut weiter wie ein dem Lärm nicht
ausgesetztes gleichaltriges Kontrolltier, ohne dass man ihnen irgend-
welche Veränderungen anmerken konnte. Je eins von ihnen wurde
nach 5-, 10-, 20-, 30-, 40- und jeotägiger Behandlung getötet. Kein I
einziges der untersuchten 12 Grehörorgane dieser 6 Versuchstiere liess
indessen irgendwelche pathologische Veränderungen erkennen. Sämtliche \
Gebilde sowohl des Mittelohres — Trommelfell, Gehörknöchelchen- ^
kette u. s. w. — als auch des inneren Ohres — 0 ortisches Organ
mit Sinneszellen, Nervenzellen und Nervenfasern — zeigten durchaus
normales Aussehen, sodass ein Unterschied beim Vergleich mit normalen
Eontrollpräparaten nirgends aufzufinden war. j
Das Resultat dieser ersten Versuchsreihe war also eigentlich recht
entmutigend negativ. Sollte wirklich das Ohr des Meerschweinchens
auf kontinuierlich einwirkenden Lärm anders reagieren als das des
Menschen, sollte die histologische Untersuchungsmethode, die sich mir
bei anderen Versuchen so gut bewährte, nicht ausreichen, um die ge-
setzten Veränderungen aufzudecken — oder aber sollten bei der Ent-
stehung der Professionsschwerhörigkeit doch noch andere Faktoren einen
£influss ausüben, die ich bei der ersten Versuchsreihe nicht genügend
berücksichtigt hatte? Diese letztere Erwägung brachte mich auf den
Gedanken, der Zuführung des Schalles durch Knochenleitung mehr Auf-
merksamkeit zu schenken, als ich dies in der ersten Versuchsreihe tat,
und weitere Versuche anzustellen mit:
2. Zuführung des Schalles durch Luft und Knochenleitung
ununterbrochen Tag und Nacht hindurch.
Die Ausführung dieser Versuche stiess auf etwas grössere tech-
nische Schwierigkeiten, da es galt, einen geeigneten Apparat hierzu zu
konstruieren. Ich habe mir schliesslich so geholfen, dass ich den
magnetischen Hammer einer elektrischen Klingel so auf eine Blechplatte
anbringen liess, dass sein Klöppel, sobald der Strom durch die Draht-
leitung gesandt wurde, gegen diese aufschlug. Diese Blechplatte diente
als Boden des Käfigs, der bequem Raum für 6 Meerschweinchen ge-
währte. Die Tiere sassen also direkt auf der tönenden Platte und er-
hielten so den durch Aufschlagen des Klöppels gegen die Platte ver-
ursachten Schall sowohl durch Luftleitung als auch durch Knochen-
leitung zugeführt. Die feinen Schwingungen der Platte Hessen sich
sehr deutlich beim Auflegen des Fingers fühlen. Sie teilten sich auch
Wittmaack: Über Schädling des Gehörs darch SchaUeinwirknng. 41
den Blechwänden des ganzen Käfigs mit. Zu gröheren Erschütterungen
kam es indessen wohl bemerkt hierbei nicht. Die Intensität dieser
Schallquelle stand zwar hinter der der ersten Versuchsreihe weit zurück,
immerhin gelang es doch, wenn ich den Hammer nicht zu klein und
schwach wählte und einen hinreichend kräftigen Strom durch die
Drahtleitung sandte, auch hiermit einen noch recht intensiven Lärm
zu erzeugen.
Als Stromquelle benutzte ich in letzter Zeit ausschliesslich die
»Cupronelemente«. Ausserdem hielt ich regelmäfsig eine Reserveplatte
bereit, die, sobald der Hammer der ersten Platte zu versagen anfing,
für diese eintrat, sodass die Behandlung niemals eine nennenswerte
Unterbrechung erlitt. Die verbrauchte Platte Hess sich allermeist wieder
verwendbar machen dadurch, dass die Platinkontakte am Hammer
wieder erneuert wurden.
Zur ersten Versuchsreihe mit diesem Apparat wählte ich wiederum
6 Meerschweinchen aus und hatte die Absicht, sie nach gleichen Inter-
vallen zu töten, wie die Tiere der allerersten Reihe. Es zeigte sich
indessen bald, dass die neue Versuchsau Ordnung im schroffsten
Gegensatz zur ersten den Tieren sehr schlecht bekam.
Sie Sassen dauernd still gegeneinander gedrückt im Käfig, zeigten zu-
weilen deutliche Bestrebungen, sich aufeinander zu setzen, offenbar um
den Vibrationen der Platte zu entgehen, frassen schlecht und. magerten
rapid ab. Zwei von den Tieren wurden am 5. und 10 Tage, wie
geplant, getötet. Das letztere von ihnen war schon stark herunter-
gekommen. Zwei weitere fand ich nach 14 Tagen, d. h. also 4 Tage
später, tot im Käfig, während die beiden noch überlebenden sich auf
ihre Kadaver gerettet hatten. Da diese indessen ebenfalls schon stark
abgefallen waren und sicher zu erwarten war, dass sie in wenigen Tagen
ebenfalls eingehen würden, tötete ich sie zwei Tage später, also nach
16 Tagen.
Eine zweite Versuchsreihe, in derselben Art mit 4 Tieren an-
gestellt, lieferte das gleiche Resultat. Eine Täuschung durch Hinzu-
treten einer interkurrenten Erkrankung bei den Tieren der ersten Reihe
war damit ausgeschlossen, zumal auch die Sektion der Tiere keinen
Anhaltspunkt für diese Annahme gab. Die mikroskopische Unter-
suchung der Gehörorgane dieser Tiere zeigte im Mittelohr keine Ver-
änderungen, dagegen sehr deutliche Veränderungen im inneren Ohr.
Sie bestanden in deutlich ausgesprochener beginnender Degeneration der
Nervenzellen des Ganglion cochleare und der Nervenfasern des Ramus
42 Wittmaack: Über Sch&digang des Gehörs durch Sehalleinwirkang.
cochlearis und in beginnendem Zerfall des Cortischen Organs, während
der Nervus vestibularis und seine Endapparate nur sehr leichte bezw.
gar keine Veränderungen zeigten.
Die gefundenen Veränderungen glichen vollkommen denen, die ich
bei experimentellen Chinin- und Natr. saücjlicum -Vergiftungen bei
experimenteller Infektion mit Tuberkulose und auch bei verschiedenen
anderen Infektionen unbekannter Art, denen die Tiere unter starkem
Verfall erlagen, im inneren Ohr nachweisen konnte^). Da nun die
Versuchstiere dieser Reihe im Versuche stark abmagerten und in ihrem
Allgemeinzustand stark herunterkamen, so war natflrlich die Schluss-
folgerung, dass die gefundenen Veränderungen lediglich die Folge der
Schallein Wirkung seien, auf Grund dieser Versuchsreihe noch nicht be-
rechtigt. Diese Versuchsreihe war indessen insofern nicht wertlos, als
sie zeigte, dass im Verhalten der Tiere ein ganz enormer Unterschied
besteht, je nachdem die Schalleinwirkung ausschliesslich durch Luft-
leitung oder gleichzeitig auch durch Knochenleitung erfolgt und welche
nachteilige Wirkung die gleichzeitige ZufQhrung des Schalles durch
Enochenleitung bezw. die Überleitung der Vibrationen von der Platte
auf den Tierkörper ausübt.
Wir müssen bei den bisherigen Versuchen ferner berücksichtigen,
dass sie insofern noch nicht den Bedingungen entsprachen, unter denen
wir beim Menschen Professionsschwerhörigkeit auftreten sehen, als die
Schallzufuhr ununterbrochen Tag und Nacht erfolgte — ein Umstand,
der den Kontrast im Verhalten der Tiere der ersten gegenüber denen
der zweiten Versuchsreihe natürlich besonders auffallend hervortreten
liess. Es stand daher zu hoffen, dass durch zirka halbtägige Behand-
lung der Tiere nach Art der zweiten Versuchsreihe regelmäfsig ab-
wechselnd mit zirka halbtägigen Erholungspausen die Abmagerung und
der Verfall der Tiere vermeidbar sein würde und dass durch eine
weitere Versuchsreihe mit Berücksichtigung dieses Faktors, die auch
den natürlichen Verhältnissen, unter denen wir Professionsschwerhörig-
keit durch kontinuierliche Schalleinwirkung sich entwickeln sehen, weit
näher kam, weitere Aufklärung gebracht werden würde. Ich schloss
daher diesen beiden ersten eine weitere Versuchsreihe an mit:
3. Zuführung des Schalles durch Luft- und Knochen-
leitung mit zirka halbtägigen Unterbrechungen.
Bei dieser Versuchsreihe legte ich, wie schon erwähnt, den Haupt-
1) Wittmaack. Über experimentelle degenerative Neuritis des Hörnerven.
Zeitschr. f. Ohrenheilk., 51. Bd., S. 161.
Wittmaack: Über Sch&diguiig des Gehörs dordi SchalleinwirkuDg. 43
wert darauf, eine Abmagerung der Tiere zu yermeideD. Sie wurden
in regelmäßigen Intervallen von zirka 8 Tagen gewogen und die Be-
handlnngsdauer je nach dem Ausfall der Wägung verlängert oder ab-
gekürzt. In der Regel schwankte sie zwischen 10 und 14 Stunden.
Zuweilen wurde auch, falls eine stärkere Gewichtsabnahme zu ver-
zeichnen war, einen gauzen bezw. l^/g Tag hindurch die Behandlung
gänzlich ausgesetzt. Namentlich in der ersten Zeit der Behandlung
wurde sie verhältnismäfsig schlecht vertragen, während späterhin, sobald
die Tiere sich erst etwas daran gewöhnt hatten, auch länger als
14 standige Behandlung noch recht gut ausgehalten wurde. Als zweck-
mäfsig erwies es sich, die Einwirkung des Lärms nachts vor sich gehen
zu lassen, sodass die Tiere am Tage hinreichend Zeit zur Nahrungs-
aufnahme hatten, denn auf der vibrierenden Platte frassen die Tiere
recht schlecht bezw. garnicht. Sämtliche zur Untersuchung gekommenen
Tiere dieser Reihe behielten unter diesen Vorsichtsmalsregeln ihr An-
fangsgewicht bei. Ein grosser Teil von ihnen nahm sogar an Gewicht
zu. Sie zeigten auch sonst, ausser einer Verminderung der Reaktion
auf Schalleindrücke, in ihrer Entwicklung keine Besonderheiten.
Da ich bei dieser Yersuchsanordnung ausgesprochen positive Resul-
tate erhielt, wiederholte ich sie öfter, um jeden Irrtum durch Zufällig-
keiten auszuschliessen. Es wurden bisher im ganzen 6 solcher Ver-
suchsreihen mit je 6 Tieren angestellt. Die Tötung der Tiere erfolgte
ebenfalls in Zwischenpausen, doch dehnte ich diesmal bei einigen
Gruppen die Behandlung länger: bis zu 200 und in einem Falle sogar
bis zu 250 Tagen aus. Da 4 von den Tieren infolge interkurrenter
Affektionen zu Grunde gingen und deshalb ausgeschaltet werden mussten,
verfüge ich im ganzen über verwertbare Befunde an 32 Tieren. Von
diesen wurden zwei nach 3-, zwei nach 5-, zwei nach 10-, drei nach
20-, drei nach 30-, drei nach 50-, vier nach 70-, vier nach 90-, drei
nach 120-, drei nach 150-, zwei nach 200- und eins nach 250tägiger
Behandlung getötet. Die mikroskopische Untersuchung der Gehör-
organe dieser Tiere ergab ein meines F^rachtens durchaus ein wandsfreies
Ergebnis. Mit Ausnahme einiger weniger nach relativ kurzer Behand-
lungsdauer getöteter Tiere Hessen sich überall deutliche Degenerations-
prozesse an den Nervenzellen und den Nervenfasern des Ramus cochlearis
und im Cor tischen Organ auffinden, während das Mittelohr keinerlei
pathologische Veränderungen erkennen Hess. In der Intensität der ge-
fundenen Veränderungen bestanden freilich recht erhebliche Unterschiede,
•auf die ich bei Besprechung des pathologischen Prozesses näher ein-
geben werde.
44 Wittroaack: Über Schädigung des GehOrs durch Schalleinwirkung.
Es geht demnach aus dieser dritten Versuchsreihe mit Sicherheit
hervor, dass es gelingt bei Einhaltung der beschriebenen
Yersuchsanordnung, die im Prinzip den Verhältnissen^
unter denen wir beim Menschen Professionsschwerhörig-
keit sich entwickeln sehen, entspricht, Degenerations-
prozesse im Nerven und im Cortischen Organ hervor-
zurufen, deren Entstehung auf keine andere Weise als
durch die vorgenommene Schalleinwirkung zu er-
klären ist.
B. Versuche mit kurzdauernder sehr intensiver Sohalleinwirkung.
Bei den Versuchen mit kurzdauernder Schalleinwirkung kam es
mir darauf an, die Bedingungen zu erfüllen, unter denen wir zuweilen
beim Menschen infolge von intensiver Schalleinwirkung deutliche Hör-
störungen auftreten sehen. Kurzdauernde Schalleinwirkungen, die das
Ohr treffen, rufen im allgemeinen nur dann eine Schädigung des Gehörs
hervor, wenn sie sehr intensiv sind und in unmittelbarer Nähe der
Ohrmuschel entstehen. Ich wählte mir daher zu meinen Versuchen aus
einer grösseren Zahl von Pfeifen eine solche mit besonders hohem und
schrillem Ton aus und stellte die Versuche in der Art an, dass ich
über einem kleinen in den Gehörgang des Tieres eingesetzten Glas-
trichter die Pfeife drei bis viermal schnell hinter einander mit voller
Kraft meiner Lungen anbliess. Nicht gar so selten erlebte ich es
hierbei, dass die Versuchstiere unmittelbar nach Einwirkung des
Schalles völlig bewusstlos umsanken und einige Sekunden wie in tiefster
Narkose mit gänzlicher Erschlaffung der Muskulatur regungslos und
gefühllos liegen blieben. Dieser Zustand dauerte indessen regelmäfsig
nur wenige Sekunden. Dann erholten sie sich schnell wieder, sodass
man ihnen nach einigen Minuten höchstens mit Ausnahme einer Herab-
setzung der Reaktion auf Schalleindrücke keinerlei Veränderungen mehr
anmerkte.
Nachdem ich mich zunächst durch einige Vorversuche davon über-
zeugt halte, dass es in der Tat gelingt, auf die beschriebene Art mit
Hilfe der ausgewählten Pfeife Schädigungen im Gehörorgan zu erzeugen^
stellte ich noch folgende Versuchsreihen an.
1. Versuche mit öfter wiederholter kurzdauernder
intensiver Schalleinwirkung.
Bei diesen Versuchen begnügte ich mich nicht mit einer einmaligen
Einwirkung des Schalles in der oben beschriebenen Weise, sondern ich
Wittmaack: Ober Sch&dijfbng des GehOrs durch Schalleinwirkung. 45
wiederholte diese Prozedur anfangs täglich, später alle zwei Tage zirka
1 Monat hindurch — soweit die Tiere nicht schon vorher getötet
wurden, — da mir die Yorversuche gezeigt hatten, dass hierbei weit
intensivere Schädigungen im Gehörorgan hervorgerufen wurden, als bei
einmaliger Einwirkung. Nach einem Monat wurde die Behandlung
regelmäfsig gänzlich unterbrochen, auch bei den viel später getöteten
Tieren. Gerade bei diesen Versuchen entging kaum ein Tier gänzlich
den oben beschriebenen kurzen Anfällen von Bewusstlosigkeit unmittelbar
nach Vornahme der Schalleinwirkung. Trotzdem entwickelten sich die
Tiere völlig normal weiter und zeigten keinerlei Veränderungen in
ihrem Allgemeinzustand. Zur Behandlung kamen 12 Tiere (24 Schläfen-
beine), die in Intervallen von 3, 5, 10, lö, 20, 30, 45, 60, 90, 120,
150 und 200 Tagen von Beginn der Behandlung an gerechnet getötet
wurden.
Das Ergebnis der mikroskopischen Untersuchung der 24 Schläfen-
beine dieser Tiere war ein durchaus klares und bei allen Tieren überein-
stimmendes. Bei keinem der behandelten Tiere waren im Mittelohr
Veränderungen erkennbar — auch nicht Bupturen im Trommelfell.
Im inneren Ohr fanden sich weder Blutungen noch Zerreissungen der
zarten Membranen oder irgendwelche ähnliche Veränderungen, die als
direkte Folge der Schalleinwirkung angesehen werden konnten. Dagegen
zeigten sämtliche Tiere ausserordentlich deutliche und durch gehends
recht schwere Teränderungen im Nervus cochlearis, Ganglion cochleare
und im Cor tischen Organ. Sie bestanden in degenerativem Zerfall
der Nervenzellen, der Nervenfasern und der Sinneszellen, gefolgt von
Rückbildungsprozessen im Stützapparat des Cortischen Organs. Je
nach der Zeitdauer, die von Beginn der Behandlung an bis zur Tötung
des Tieres verstrichen war, fanden sich initiale Stadien dieser degene^
rativen Neuritis, Höhestadien derselben oder auch schon Residuen eines
abgelaufenen Prozesses, wie ich dies im pathologisch-anatomischen Teil
dieser Arbeit noch genauer beschreiben werde. Der Degenerations-
prozess im Cortischen Organ erreichte bei der grossen Mehrzahl der
Tiere, wenigstens auf einem Ohre in einem bestimmten Bezirk der
Schnecke und zwar ganz konstant am Übergang der untersten in die
zweitunterste Windung, den denkbar intensivsten Grad, sodass nach
Ablauf des Prozesses zuweilen auch nicht eine Spur vom Cortischen
Organ innerhalb dieses Bezirkes noch vorhanden war.
V^ir haben also in der eben beschriebenen Yersuchsanordnung bei
richtiger Auswahl der Pfeife eine relativ einfache, absolut sichere
46 W i 1 1 m a a c k : Ü ber Schädigung des G ehOrs durch Schallein Wirkung.
und zuverlässige Methode vor ans, experimentell einen
Degenerationsprozess im Cochlearisnerven und im Corti-
sehen Organ hervorznrnfen, der sich his zn dem schwersten
Grade, der durch völliges Verschwinden des Gortischen
Organs gekennzeichnet ist, steigern lässt. Wenn wir un»
durch Tötung der Versuchstiere in bestimmten Intervallen nach Ein-
leitung dieses Degenerationsprozesses die verschiedenen Stadien desselben
beschaffen, so können wir seine Entwicklung genau von Anfang bis zu
Ende verfolgen und studieren, ganz ebenso wie die Degeneration und
Regeneration im Nerven nach experimenteller Durchtrennung desselben.
Aus diesem Grunde war mir die vorliegende Versuchsreihe far das
Studium des pathologischen Prozesses besonders wertvoll.
2. Versuche mit einmaliger kurzdauernder intensiver
Schalleinwirkung.
Die ausgesprochen positiven Resultate der vorhergehenden Versuchs-
reihe Hessen es kaum mehr zweifelhaft erscheinen, dass es auch bei
nur einmaliger Einwirkung eines schrillen Pfiffes in der beschriebenen
Weise gelingen würde, Schädigungen des Gehörs hervorzurufen. Freilich
war von vornherein zu erwarten, dass die gesetzten Schädigungen
wesentlich leichterer Art sein würden und dementsprechend auch
schneller ablaufen würden, wie die der vorhergehenden Reihe, wovon
ich mich ja schon durch einige Vorversuche überzeugt hatte. Ich
stellte indessen ausserdem noch eine fortlaufende Versuchsreihe mit
14 Meerschweinchen an, von denen je zwei unmittelbar nach Einwirkung
des Pfiffes und nach 12 Stunden je eins nach 1, 2, 3, 5, 8, 12, 18
und 25 Tagen und die letzten zwei nach ^/^ Jahr getötet wurden.
Auch bei den Tieren dieser Versuchsreihe fand ich im Mittelohr keine
Veränderungen, speziell keine Trommelfellrupturen. Dagegen fanden
sich entsprechend den Befunden der vorhergehenden Reihe auch bei
den Tieren dieser Reihe deutliche, wenn auch wesentlich leichtere
Veränderungen an Nervenfasern, Nervenzellen und Sinneszellen, wie
ich dies ebenfalls im folgenden Abschnitt dieser Arbeit noch genauer
beschreiben werde.
Schliesslich habe ich dieser Versuchsreihe noch eine weitere in
ganz analoger Weise angestellte Versuchsreihe mit 13 Meerschweinchen
als Versuchstiere folgen lassen, bei der ich*statt des schrillen Pfiffes
den Knall einer Jagdbüchse auf das Gehörorgan einwirken Hess. Da
es bei dieser Versuchsreihe mit Rücksicht auf die ev. Gefahr für den
Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs durch Schalleinwirkang. 47
Wärter, der die Tiere hielt, viel schwieriger war, das Ohr in uumittel-
bare Nähe der Schallquelle heranzubringen, erhielt ich eine Anzahl
negativer Befände. Immerhin zeigten doch einige von diesen Tieren
ebenfalls sehr deutliche Yerändernngen im Nerven bezw. im Ductus
cochlearis, die denen der vorhergehenden Reihe ausserordentlich glichen,
(conf. Fig. 18 auf Taf. IX/X.)
II. Der pathologisehe Prozess.
Die summarische Übersicht über die Kesultate der angestellten
Versuchsreihen, die ich im vorigen Abschnitt gegeben habe, zeigt uns,
dass die befallenen Teile im Gehörorgan bei Schädigung desselben
durch Schalleinwirkung stets die gleichen sind ; * mag die Schädigung
durch länger hindurch fortgesetzte kontinuierliche Einwirkung — ent-
sprechend der Entstehung der Professionsschwerhörigkeit — hervor-
gerufen sein, mag sie durch einmalige bezw. öfter wiederholte momentane
Einwirkung des Schalles bedingt sein. Es handelt sich bei den Tieren
sämtlicher Versuchsreihen in erster Linie um Alterationen der Nerven-
fasern, der Nervenzellen und der Sinneszellen — um eine Affektion
des Neurons — gefolgt von sekundären Rückbildungs- bezw. Yer-
klebungsprozessen im Stützapparat der Sinneszellen — im Cor tischen
Organ. Ich halte es daher für das zweckmässigste, den pathologischen
Prozess — seine Entwicklung und seine verschiedenen Nuancen —
gestützt auf die Präparate sämtlicher Versuchsreihen, im Zusammenhang
im folgenden Abschnitt zu besprechen.
Was zunächst die Untersuchungsmethode anbelangt, so habe ich
mich durchgehends der schon früher von mir beschriebenen Unter-
suchungstechnik bedient ^). Die Tiere wurden sämtlich — mit Ausnahme
der Tiere der Versuchsreihe I, 2 — bei bestem Wohlbefinden durch
Dekapitation mit einer Knochenschere getötet; ihre Schläfenbeine un-
mittelbar nach der Tötung in die Fixierungsilüssigkeit eingelegt. Die
Möglichkeit einer Verwechslung der gefundenen Veränderungen mit
agonalen oder postmortalen Veränderungen kam also garnicht in
Betracht. Beim Herauspräparieren der Schläfenbeine bin ich stets
so verfahren, dass ich nur die Schädeldecke abtrug und die Bulla
tympanica nach Ablösung des Unterkiefers eröffnete, sonst aber beide
Schläfenbeine im Zusammenhang Hess, Gehirn und Rückenmark nicht
aus der Schädelhöhle herausnahm, sodass also auch der Nervenstamm des
1) Wfttmaack: Zur histo-pathologischen Untersuchung des Gehörorganes etc.
Zeitschrift f. Ohrenhlkde., 51. Bd., S. 148 ff.
48 Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs durch Schalleinwirknng.
Nervus acnsticns im Zasamroenhang mit dem Rackenmark blieb, am
das Auftreten arteficieller Veränderungen an der Durchtrennungsstelle
des Nerven zu vermeiden. Die weitere Zerlegung erfolgte erst nach
vollendeter Fixierung. Diese, die Osmierung, Entkalkung, Einbettung
und Färbung der Präparate wurde nach der angegebenen Methodik
vorgenommen, die ich der Vollständigkeit halber hier nochmals kurz
anführe :
1. Fixierung der Schläfenbeine in toto in einer frisch
bereiteten Lösung von Kalibichromat 5%, Formalin pur.
lO^/o, Acid. acetic. glac. 3 — 4^/^ zirka sechs Wochen lang
im Brutofen. Auswaschen während 24 Stunden.
2. Zerkleinerung der Objekte und Übertragen in eine Lösung
von Formalin pur. 10 ^/q, Acid. acetic. glac. 5®/o für zirka
10 Tage im Brutofen. Gründliches Auswaschen.
3. Osmierung in einer Lösung von Kalibichromat 2,5 ^/q, Acid.
osmic. V2 ^/o» ^cid. acetic. glac. 3 ®/o für 8 Tage im Brutofen.
Auswaschen.
4. Vorentkalkung in einer Lösung von Formalin pur. 10 ^/q,
Acid. nitric. 3 ®/o für 2 x 24 Stunden. Auswaschen.
5. Einbettung in Celloidin.
6. Ev. Nachentkalkung im Celloidinblock in einer Lösung von
Formalin pur. 10 ^/^ und Acid. nitric. 3 — 5^/^. Auswaschen.
Aufheben in 60—70 ^/^igem Alkohol.
7. Zerlegung in Serienschnitte ^).
Für die Färbung der Serienschnitte, die ja in der Mikroskopier-
technik unserer Disziplin eine so ausserordentlich grosse Holle spielt,
hat sich mir — nachdem ich wohl sämtliche hierzu angegebenen und
mir bekannt gewordenen Methoden versucht habe, ohne von ihnen recht
befriedigt zu sein — folgendes höchst einfache Verfahren so gut be-
währt, dass ich es sobald wohl kaum wieder verlassen werde. Die
Schnitte kommen der Reihe nach in zirka 3,5 — 4,0 cm hohe und eben-
soviel im Durchmesser zählende, von jedem Glasbläser leicht herzustellende
Schälchen mit stark nach oben ausgehöhltem Boden, der in der durch
die Aushöhlung bedingten Rille ringsherum mehrfach fein durchlöchert
ist. Diese Schälchen stehen in einer grossen flachen runden Glasschale,
^ Die angegebene Konzentration der Entkalknngsflüssigkeit ist nur für
Meerschweinchen-Schläfenbeine bestimmt, ebenso die Dauer der einzelnen
Prozeduren, bei grösseren und härteren Objekten erhöht sich die Kon-
zentration der Entkalknngsflüssigkeit bis auf 5— -lO^/o Acid. nitric. und die
Daner der Prozeduren verlängert sich dementsprechend. Für die Prozedur 3
(Osmierung) ist ev. ein- bis zweimalige Emeuerong der Flüssigkeit erforderlich.
Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs durch Schalleinwirkung. 49
deren Gr(Vsse nach der Grösse der Serie bezw. der Zahl der znr Ver-
ivendnng kommenden Schälchen aoszuwählen ist und die in ihrer Höhe
zirka 1—1,5 cm hinter der Höhe der Schälchen zurückbleiben mnss.
In ihr werden die Schälchen so geordnet, dass sie von einer bestimmt
markierten Steile aus in Spiraltouren aneinandergereiht sie völlig aus-
feilen. In diese grosse Schale werden die Färbungsflttssigkeiten gefüllt,
die infolge der Durchlöcherung des Bodens der kleinen Schälchen sofort
«ach in diese aufsteigen bezw. beim Ausgiessen aus der Schale auch
aus ihnen wieder entweichen, ohne dass ein Fortschwimmen der Schnitte
möglich ist, da ja die eins^elnen kleinen Schälchen den freien Rand
der grossen Schale wesentlich überragen. Deswegen können die Schnitte
auch stunden- bis tagelang im fiiessenden Wasser in dieser Schale ohne
jede Gefahr ausgewaschen werden. Es ist femer sehr gut durchführ-
bar, die einzelnen Schälchen nicht nur mit einem sondern mit zwei
bezw. drei Schnitten zugleich zu beschicken. Da wir ja meist nur
jeden dritten, event. sogar nur jeden vierten Schnitt der Serie
mit derselben Färbungsmethode zu färben pflegen , so wäre , wenn
wir einmal die Zahl der verwandten Schälchen zu 25 annehmen, nach
dem Beschicken sämtlicher Schälchen der Reihe nach mit je einem
Schnitt der nunmehr folgende Schnitt vom ersten Schnitt der Serie
durch 75 bezw. gar 100 Schnitte getrennt. Derartig weit aus-
einanderliegende Schnitte einer Serie lassen sich sehr leicht schon
makroskopisch von einander unterscheiden, sodass wir ohne jedes
Bedenken nunmehr in der Beschickung der Schälchen mit Schnitten
getrost wieder von vorne anfangen können und dies ev. auch noch ein
drittes Mal wiederholen können. Der Vorzug dieser Methode ist, dass
die Schnitte freischwimmend in der Flüssigkeit gefärbt und aus-
gewaschen werden und dass sie in ihrem Schälchen bleiben können
bis zur Entwässerung in 96 "/o Alkohol. Nunmehr werden sie vor-
sichtig der Reihe nach auf das in der Lautenschläger sehen Pinzette
gefasste Deckgläschen gezogen und nach schnellem Übergiessen mit absoluten
Alkohol und Xylol auf dem Objektträger in Canadabalsam eingebettet.
Die weitere Behandlung der Schnitte erfolgte folgendermafsen :
1. Übertragen einer vollständigen Serie (meist 3. — 4. Schnitt)
für 12 — 24 Stunden in Lithion carbonicum-Lösung ; Auswaschen
und Färben in Hämatoxylin (mit Eisessig angesäuertes Alaun-
hämatoxylin) für 6 — 12 Stunden ev. Differenzierung in Salz-
säurealkohol, Auswaschen in fliessendem Wasser für 12 bis
24 Stunden, Färbung in zirka 70 ^/q spirituöser Lösung von
Eosin für wenige Minuten. Alkohol, Xylol, Balsam — Über-
siehtsbilder !
2. Untersuchung einer Reihe nach ihrer Lage in der Serie hierzu
geeigneter Schnitte ungefärbt nach Einbettung in Balsam — Fett!
3. Osmierung und Reduktion eines weiteren Teiles ausgesuchter
ZeiisehriH ftr Ohrenhenkande, Bd. UV. 4
50 Wittmaack: Über ScbädigUDf^r des GehOrs durch Schallein Wirkung.
Schnitte in folgender Weise: Übertragen in 2®/oige Osmium-
lösung, gründliches Auswaschen; Übertragen in 5— lO^/^ige
Pyrogallussäurelösung, Erwärmen, gründliches Auswaschen ;
Übertragen abwechselnd ev. mehrere Male hintereinander in
zirka 0,3 ^/^ ige Ealihypermanganicum-Lösung und in eine
Lösung von Vg^/o Oxalsäure + Ve Vo Kaliumsulfurosum zur
Differenzierung k la Pal. Wiederholen der ganzen Prozedur
von Osmierung an, inkl. dieser, einige Male hintereinander bis
die Markscheiden den gewünschten Grad von Schwärzung
erreicht haben, das übrige Gewebe blass und ungefärbt er-
scheint. Auswaschen, Alkohol, Xylol, Balsam — Markscheiden l
4. Übertragen einzelner ausgesuchter Schnitte in Lithion carbonicum-
Lösung für 24 Stunden und länger. Ausspülen. Färbung in
gesättigter wässriger Thioninlösung für 5 — 10 Minuten,
differenzieren in Alkohol steigender Konzentration bis die
Zellkerne der Ganglienzellen scharf konturiert hervortreten —
Alcohol absolutus (eyyJffS^sQfüfUioj^^^J^^^ Xylol, Balsam —
Nervenzellen !
Die Anwendung der lieHen FärbungsmethodT^Arwies sich aller-
meist als überflüssig, da li||Stml[t)irlSb#^lfiftrvenzelibn — auch die
der Nissischen Körperchei^— JBchoft^ÖAL^ier eii^hjfnen Hämatoxylin-
Eosinfärbung vollständig deutliH^^^]So|lrit.Y^ ^ <
Diese soeben beschriebene MetliSlllk liafsich mir bei den vor-
liegenden Untersuchungen, ebenso wie bei den früheren, ausserordentlich
gut bewährt. Sie hat vor allen bisher angewandten Methoden den
grossen Vorzug, dass sie die Struktur der Nervenfasern und auch der
Nervenzellen, auf die es ja bei diesen Untersuchungen ganz besonders
ankam, mit besonderer Klarheit hervortreten lässt und ausserdem noch
eine Fettschwärzung liefert, ohne dass das Übersichtsbild bei Hämatoxylin-
Eosin&rbung hierdurch wesentlich beeinträchtigt wird, wenn auch zu-
weilen infolge der Osmierung die Reinheit der Farben etwas zu
wünschen übrig lässt. Speziell die Markscheiden treten bei der be-
schriebenen Schwärzung mit Osmium so scharf und deutlich hervor,
dass wir nicht allein in der Lage sind einen Ausfall von Nervenfasern
aufzudecken, sondern auch die in den ersten Anfängen begriffene
Alteration der einzelnen Faser zu erkennen. Die Darstellung der
Markscheiden nach der eben beschriebenen Methode scheint mir daher
ganz besonders geeignet zu sein für alle Fälle, bei denen es darauf
ankommt vereinzelte — normale oder in Degeneration begriffene —
Wittmaack: Über Sehftcligting des Gehöre durch Schalleinwirknng. 5 1
markhaltige NerTenfasern aafznfindeQ bezw. degenerative Prozesse in der
Aafsplittemng eines markhaltigen Nerven zu erkennen^).
Zur Yeranschaulichung der normalen histologischen Bilder, die
wir bei Anwendung dieser Methode an gesunden, lebensfrischen (nicht
decrepiden!) durch Dekapitation getöteten Tieren ganz konstant von
Nervenzellen, Nervenfasern und dem Cor tischen Organ erhalten,
mögen die Figuren 1—5 auf Taf. 111/ VI dienen.
Die Alteration der Nervenzellen gibt sich zu erkennen in dem
Verschwinden der normaliter scharf konturiert hervortretenden Nissl-
Körperchen, im Auftreten von Vakuolen und von an Kristallnadeln er-
innernden Gebilden, in Schrumpfung des Zellprotoplasmas unter Annahme
zackiger Umrisse und in Schrumpfung des Kerns mit Verlust der
charakteristischen Struktur.
Wo es sich um leichtere Alterationen der Zellen handelt, sehen
wir nur die an erster Stelle angeführten Veränderungen auftreten : Die
Konturen der Nissl- Körperchen verschwimmen mehr und mehr, um
schliesslich gänzlich zu verschwinden; das Protoplasma der Zelle er-
scheint dann etwas, missfarben homogen. Mit dem Schwinden der
Nissl sehen Körperchen geht zuweilen äärs Auftreten neuer Bildungen, die
an der normalen Zelle nicht aufzufinden sind, Hand in Hand. Teils sind
es kreisrunde oder . ovale ungefärbt erscheinende Partien im Protoplasma
— Vakuolen — teils aber auch auffallend spitzig, kristallinisch
erscheinende Bildungen, die ebenfalls ungefärbt bleiben und in ihrem
Aussehen an Asthmakristalle en miniature erinnern könnten (Fig. 6 auf
Taf. V/VI).
Ich habe in der mir zugänglichen Literatur bisher noch keine
Angaben über das Auftreten dieser Gebilde bei Alteration der Nerven-
zelle finden können. Sie scheinen mir deswegen der Beachtung wert,
weil ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass zwischen
dem Schwinden der Nissl- Körperchen und dem Auftreten dieser
Gebilde, die unter Umständen das Protoplasma der Zelle ganz durch-
setzen, eine gewisse Abhängigkeit besteht ; sodass man auf den Gedanken
kommen könnte, dass es sich um die Folgen einer Störung im Stoff-
wechseln der Zelle handeln könnte. Da es mir indessen noch nicht
möglich war eingehendere Untersuchungen an grösseren Nervenzellen
anzustellen, um über die Natur dieser Bildungen weitere Aufklärung
zu erhalten, muss ich mich mit diesem kurzen Hinweis begnügen.
1) Conf. Strauss, das Bankenneurom mit besonderer Berücksichtigung
seiner Pathogenese. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 83, S. 118 ff.
4*
52 W i 1 1 m a a c k : Über Scb&digunflr des Gehöra durch Schallein Wirkung.
Ausserdem finden sich häufig vereinzelte Fettkugelchen im Proto-
plasma der Zelle. Da diese indessen auch unter normalen Verhältnissen
zuweilen vorhanden sind, können wir sie für den Nachweis einer Er-
krankung der Zelle kaum verwerten.
Mit Zunahme des Alterationsprozesses der Zelle kommt es dann
vielfach zu einem Platzen der mehr und mehr an Umfang zunehmenden
Vakuolen und zu Schrumpfungsprozessen im Protoplasma, sodass nun die
Zellen, die unter normalen Verhältnissen und im ßeginn des Prozesses
noch abgerundete Konturen zeigten, zackiges Aussehen annehmen und
vielfach dunkler gefärbt erscheinen. (Fig. 7 u. 8 auf Taf. V/VI.)
Bei den am weitesten fortgeschrittenen Erkrankungsprozessen
gesellen sich dann weiterhin dieser Veränderung im Protoplasma noch
deutliche Veränderungen im Zellkern hinzu. Er nimmt unregelmässige
Konturen an, verliert seine charakteristische Struktur — bedingt durch
das Hervortreten des scharf gezeichneten Kerngerüstes und der Kern-
körperchen — und wandelt sich mehr und mehr in eine homogene
Masse um, bis schliesslich die ganze Zelle nur noch als unregelmäfsig
geformter meist auffallend dunkel gefärbter annähernd strukturloser
Klumpen erscheint. (Fig. 8 auf Taf. V/VI.)
Die Alteration der Nervenfasern gibt sich bei Anwendung der be-
sprochenen Untersuchungsmethode mit Osmierung durch die Ver-
änderungen an den Markscheiden zu erkennen. Während unter
normalen Verhältnissen die im Längsschnitt getroffenen Markröhren als
scharf parallel zu einander laufende geschwärzte Bänder erscheinen,
höchstens mit Ausnahme der feinsten Aufsplitterungen des Nerven
(conf. Fig. 2 und 3 auf Taf. lU/IV), treten mit Einsetzen eines Er-
krankungsprozesses im Nerven Unregelmässigkeiten in der Weite der
einzelnen Markröhren auf. Wir finden dann bald erweiterte spindel-
förmig aufgetriebene Partien in den Markröhren, bald taillenförmig
eingeschnürte Partien, oft in regelmässigem Wechsel aneinandergereiht,
sodass nun die Markröhren vielfach rosenkranzähnliches Aussehen an-
nehmen. In den erweiterten aufgetriebenen Partien des Markröhren-
lumens finden wir dann häufig einzelne Myelinkügelchen angesammelt,
ganz ähnlich wie sie vereinzelt auch in der normalen Nervenfaser auf-
zufinden sind (Fig. 9, 10 u. 11 auf Taf. V/VI). Im Querschnitt er-
kennt man diese Veränderungen daran, dass im bunten Wechsel auffallend
weite und auffallend enge Markröhren nebeneinander liegen. Mit Zunahme
des Prozesses dehnen sich diese Veränderungen immer mehr und mehr
im Nerven aus und nehmen selbst an Intensität zu (Fig. 11 auf Taf. V/VI>.
Wittm&ack: Ü ber Schädigung des Gehör» durch Scha Hein Wirkung. 53
Hierbei kommt es dann vielfach zur Segmentierung der einzelnen
Fasern durch Abreissen an den eingeschnürten Partien und weiterhin
wohl auch unter zunehmender Yerschmälerung der einzelnen Faserreste
zum g&nzlichen Schwund derselben. Bei besonders plötzlich und
intensiv einsetzenden Prozessen tritt diese Zerstückelung der einzelnen
Fasern oft ausserordentlich schnell und intensiv ein, sodass die einzelne
Faser nur noch aus aneinandergereihten Segmenten zu bestehen scheint,
in denen dann Auftreibungen mit Einschnürungen oft unregelmässiger
Art wechseln. Durch diese Veränderungen an den Markscheiden erhält
der Nerv bezw. seine Verzweigungen ein so unruhiges, gewelltes Aus-
sehen, die Interstitien zwischen den einzelnen Bündeln erscheinen hier-
durch verstrichen, die Nervenbündel selbst zerklüftet, sodass man bei
einiger Uebung schon mit schwacher Vergrösserung, ja sogar schon bei
gewöhnlicher Hämatoxylin- und Eosinfärbung den Erkrankungsprozess
in ihm erkennen kann.
Das Auftreten dieser Veränderungen an den Markscheiden hat sich
mir bei lebensfrisch fixiertem Material als ein durchaus zuverlässiges
und schon sehr Mhzeitig auftretendes Kennzeichen einer Alteration des
Nerven erwiesen, weit sicherer als das Auftreten von Fettkörnchen im
Nervenstamm. Wir finden ja vielfach neben diesen Veränderungen
mehr oder weniger reichliche Ansammlung von Fettkörnchen zwischen
den einzelnen Fasern und in ihnen, neben Fettkörnchen haltenden
Zellen und erhalten somit Bilder, die den bei Anwendung der
Mar Chi -Methode auftretenden ausserordentlich ähneln. Da ich aber
ganz analoge Bilder auch im völlig normalen Nerven, ohne jede Ver-
änderung in Markscheiden und in den zugehörigen Nervenzellen,
namentlich bei älteren Tieren garnicht so selten gefunden habe, so
wage ich nicht, sie als sichere Zeichen eines Erkraukungsprozesses im
Nerven anzusehen. Dazu kommt, dass ich andererseits häufig trotz
ausgedehnter Veränderungen in den Markscheiden das Auftreten von
Fett im Nerven gänzlich vermisst habe. Ich will damit keineswegs
den Wert der Marchi- Methode in Frose stellen; aber für die vor-
liegenden Untersuchungen und überhaupt für die Untersuchung des
Gehörnerv möchte ich entschieden der beschriebenen Methode den Vor-
zug geben, weil sie es ermöglicht an denselben Präparaten nicht nur
die ersten Anfänge einer Alteration des Nerven, wenn auch in etwas
anderer Art, als beider Marchi- Methode, zu erkennen, sondern auch
die Endstadien eines Degenerationsprozesses, der zum Ausfall markhaltiger
Nervenfasern — zur Atrophie des Nerven — geführt hat, aufzudecken.
54 Wittmaack: Ober Scb&dignnjsf des GehOrs dnrch Schalleinwirkung.
Aaf die Anwendung von Axenzylinderfärbnngen habe ich verzichtet,
nachdem ich mich durch frühere Untersuchnngen davon überzeugt habe,
dass die auf Färbung des Axoplasmas beruhenden Methoden zur Auf-
deckung von Erkrankungsprozessen im Nerven nicht mehr leisten als
die genannte Markscheidendarstellung, dass vielmehr die hierbei im
Axenzylinder erkennbaren Veränderungen von den der Markscheiden ab-
hängig sind. Die neuen Methoden der Neurofibrillendarstellung sind
für die Untersuchung auf pathologische Prozesse an Hörnerven nicht
verwendbar — wenigstens nicht ohne Verzicht auf die übrigen wert-
vollen Färbungsmethoden.
Die Veränderungen an den Interstitien des Nerven treten gegen-
über den Veränderungen an den Markscheiden stark in den Hinter-
grund. Bei weiter fortgeschrittenen Prozessen ist eine Vermehrung der
interstitiellen Zellen unverkennbar. Noch auffallender als diese Prolife-
ration der Zellen ist indessen die Veränderung ihrer Form.
Während sie bei normalem Verhalten der Nervenfasern schmale
und längliche Form aufweisen und gewissermafsen plattgedrückt der
Nervenfaser dicht anliegen, werden sie mit Einsetzen eines Erkrankungs-
prozesses im Nerven viel breiter, grösser und voller und zeigen nicht
mehr so deutlich die Anordnung in Längszügen, sodass auch hierdurch
der Nerv an seiner charakteristischen Längszeichnung einbüsst.
Ausser an Nervenzellen und Nervenfasern finden sich aber auch
noch Veränderungen an dem dritten Glied des Neurons, den Sinnes-
zellen im Cor tischen Organ. Zuweilen, namentlich unmittelbar nach
einmaliger intensiver Schalleinwirkung, erscheinen sie dunkler und ver-
schmälert, viel häufiger aber treffen wir Bilder mit starken Quellungs-
erscheinungen der Sinneszellen. Sie erscheinen dann zunächst oberhalb
ihres Kernes kolbig aufgetrieben, zeigen häufig Vakuolen, auch unter-
halb des Kernes (Fig. 12 auf Taf. V/VI), lösen sich schliesslich aus ihren
basalen Stützkelchen los, nehmen kugelige Form an, wandeln sich all-
mählich mehr und mehr in homogene (hyaline) Massen um und gehen
so schliesslich gänzlich zu Grunde (Fig. 13 auf Taf. Vll/Vn!).
Bezüglich der chronologischen Reihenfolge im Auftreten dieser
Veränderungen an Nervenzellen, Nervenfaser und Sinneszellen ist zu
sagen, dass das Auftreten dieser Veränderungen regelmäfsig so schnell
aufeinander folgt und dass sie so eng miteinander verbunden sind, dass
es nicht möglich ist, hier von primärer oder sekundärer Erkrankung
des einen oder des anderen Teiles zu sprechen. Sinneszellenveränderungen
habe ich zuweilen schon unmittelbar nach Einwirkung der Schädigung
Wittmaack: Über Schädigung des Gehön dnrch Schalleinwirkung. 55
bei den mit einmaligem Pfiff bebandelten Tieren gefiomden, wenn die
NerTenzellen und -Fasern noch keine deutliche Veränderungen erkennen
Hessen. Bei den 12 Stunden später getöteten Tieren waren indessen
auch bereits eine deutliche Erkrankung der Nervenzellen und die ersten
Anfänge einer Alteration der Nervenfasern nachweisbar. Bei diesen
relativ geringen Zeitdifferenzen im Auftreten dieser Prozesse, die oben-
drein durchaus nicht immer deutlich hervortraten, ist eine Trennung
derselben nach der Reihenfolge ihres Auftretens nicht möglich. Ein
isoliertes Befallenbleiben des einen oder anderen Teiles habe ich niemals
beobachten können. Es handelt sich demnach stets um eine Alteration
des ganzen Neurons.
Seinen Anfang nimmt dieser Erkrankungsprozess stets in der
Peripherie des Nervus cochlearis, in den Sinneszellen, den zugehörigen
Nervenfasern in der Lamina spiralis und im Ganglion spirale, um sich
dann allmählich durch die Nervenfasern im Tractus foraminosus auf
den in der Schneckenspindel gelegenen Teil des ^Nerven fortzusetzen,
während der die Schneckenspindel zentralwärts überragende Teil des
Nerven bei den leichteren Prozessen in der Regel gar keine, bei den
schwereren nur noch recht geringfügige Yeränderuügen erkennen Hess.
Von einer Untersuchung des im Rückenmark gelegenen Teiles des
Nerven und des Nervenkernes habe ich zunächst noch Abstand ge-
nommen, da ich nach den eben beschriebenen Befunden in den weiter
zentralwärts gelegenen Partien des Nerven kaum erwarten konnte, hier
noch deutliche Veränderungen zu finden.
Zu diesen Veränderungen am Neuron gesellen sich weiterhin noch
die Veränderungen am Stützapparat des Cortischen Organs und an
den Membranen des Ductus cochlearis, die bei den einfachen Hämatoxylin-
Eosinfärbungen oft viel deutlicher in die Augen fallen als die Ver-
änderungen an den Sinneszellen, Nervenzellen und Nervenfasern. Die
Veränderungen am Stützapparat bestehen in degenerativem Zerfall der
hochdifferenzierten Stützzellen, mit Abplattung der Papilla basilaris und
schliesslich allmählicher Umwandlung des Cortischen Organs in einen
einfachen Epithelhügel bezw. Epithelsaum. Bei den relativ früh nach
Einsetzen der Schädigung getöteten Tieren sehen wir in der Regel die
Anfangs- bezw. Höhestadien dieses Prozesses, bei den später getöteten
Tieren die Ausgänge desselben.
Die Anfangsstadien geben sich zu erkennen durch zunehmende Zer-
faserung der Stützzellen, Qaellung, Vakuolenbildung, stets sehr eng ver-
bunden mit dem Zerfall der Sinneszellen (conf. Fig. 13, 14 und 15).
56 Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs durch Schalleinwirkung.
In diesem Stadium erscheinen die Kontaren des Cor tischen Organs
auffallend unscharf, die Zellen selbst sind oft nicht deutlich von einander
differenzierbar, es finden sich mehr oder weniger reichlich losgelöste in
Degeneration begriffene Zellen und homogene (hyaline?) Massen und
Kugeln. Die Entstehung dieser hyalinen Kugeln und Klumpen ans
degenerierenden Zellen geht aus dem Vorhandensein aller Übergangs-
stadien deutlich hervor. Sie lagern häufig der Papilla basilaris auf
oder füllen den Tunnelraum und die Nu eischen Räume aus.
Mit Zunahme des Prozesses sinken die in den Anfangsstadien noch
stets völlig aufrecht stehenden Pfeilerzellen mehr und mehr ein, sie
erscheinen gewissermafsen eingedruckt, der von ihnen umschlossene
Tunnelraum verflacht (Fig. 16, 17 und 18 auf Taf. VII/X). Die
Deitersschen Zellen bUssen ihren charakteristischen Aufbau mehr
und mehr ein oder gehen gänzlich zu Grunde und an ihrer Stelle findet
sich ein Qaufen kubischer bis zylindrischer Epithelzellen nach Art der
Hen senschen Zellen, die sich mit Fortschreiten des Rttckbildungs*
Prozesses mehr und mehr abflachen und vermindern. Wenn der Rtlck*
bildungsprozess in diesem Stadium Halt macht, erscheint das Cor tische
Organ nur noch aus den beiden eingedruckten Pfeilerzellen mit niedrigem
Tunnelraum zusammengesetzt und aus einem sich an diese anschliessenden
allmählich in die Claudiusschen Zellen abergehenden Hflgel kubischer
Zellen, zwischen denen bald reichlicher, bald spärlicher erhalten ge*
bliebene bezw. regenerierte Sinueszellen mit ihren charakteristischen
Hörhärchen aufzufinden sind (Fig. 19 auf Taf. IX/X). Schreitet der Prozess
noch weiter fort, so gehen nun auch die Pfeilerzellen gänzlich zu Grunde,
der Tunnelraum verschwindet völlig, über ihn breiten sich kubische
Epithelzellen aus, die nun in Form eines kleinen Hügels die einzigen
Überreste des Cor tischen Organs darstellen (Fig. 20 und 21). Ja in
den allerschwersten Fällen schwindet schliesslich auch dieser Zellhügel
und somit das ganze Cortische Organ gänzlich von der Bildfläche
und an seine Stelle tritt ein einfacher glatter Epithelsaum (Fig. 22).
Bei abgelaufenen Prozessen finden sich die bei frischer Degeneration
stets mehr oder weniger reichlich vorhandenen hyalinen Kugeln und
Massen nicht mehr, sodass ihr Fehlen bezw. Vorhandensein wenigstens
bis zu einem gewissen Grad ein Rückschluss auf das Alter des Prozesses
zulässt. Besser als alle Schilderungen geben die beigegebenen Figuren
13 bis 22 auf Taf. YII/XII einen Überblick über diesen ganzen eigenartigen
Umwandlungsprozess dieses Organs.
Neben den soeben geschilderten Veränderungen am Cor tischen
Wittmaack: Ober Schädigung des Gehörs darch Schallein Wirkung. 57
Oi^an finden sich auch an der Membrana tectoria and an der Reissner-
schen Membran, wenn auch nicht in sämtlichen Fällen, deutliche Ver-
ftodeningen. Die Membrana tectoria liegt sehr häufig der Papilla
basilaris fest auf und überbrückt so den Suicus spiralis (Fig. 16, 17,
20, 22 auf Taf. VIl/XII). Sie erscheint dann meist zarter und atrophisch
und etwas eingedrückt. Wo wir solche Adhäsion der Membrana tectoria
mit der Papilla basilaris finden, bemerken wir allermeist auch eine
auffallende Einsenkung der R ei ssn ersehen Membran. In den Anfangs-
stadien des Prozesses erscheint sie zuweilen eher etwas ausgebuchtet
(Fig. 15 auf Taf. YII/YIll), dann aber sinkt sie fast stets ein und ver-
klebt zunächst nur mit dem Limbus spiralis und der Membrana tectoria
(Fig. 20 und 23 auf Taf. IX/XU). Späterhin reisst sie häufig mitten
durch (Fig. U auf Taf. VII/VIII) und lejct sich dann mit ihrem
einen £nde der Membrana tectoria bezw. den Resten des Cor ti-
schen Organs an, während das andere sich dem Fpithel der
lateralen Wand des Ductus cochlearis fest auflagert und mit diesem zu
verkleben scheint (conf. Fig. 16, 17, 22 und 24 auf Taf VIl/XII). Doch
sind diese Veränderungen an der Membrana tectoria und der Reissner-
schen Membran kein völlig konstantes Vorkommnis. Sie fehlen zu-
weilen trotz völligen Zugrundegehens des C ortischen Organs (Fig. 18,
19 und 21). Es ist mir sogar aufgefallen, dass sie besonders häufig
dann fehlen, wenn der Rückbildungsprozess im C ort i sehen Organ sehr
plötzlich einsetzte, mit besonderer Schnelligkeit verlief und in kurzer
Zeit die höchsten Grade erreichte, während ich sie bei den leichteren
and mittelschweren Fällen viel seltener vermisste. So fanden sie sich
in der Regel auch in den weniger schwer befallenen Windungen der
Schnecke bei den Fällen, bei denen sie in der am schwersten befallenen
Windung fehlten. Wenn ich auch zugebe, dass wir bei Meerschweinchen
zuweilen auch unter normalen Verhältnissen die Membrana tectoria
aufliegend finden, so glaube ich doch, dass diese Auflagerung dann,
wenn sie mit Verklebungen der Reissn ersehen Membran kombiniert
ist, als pathologisch anzusehen ist.
Die Veränderungen am Cor tischen Organ und an den Membranen
des Ductus cochlearis entwickeln sich durchgehends erst, nachdem die
Veränderungen im Neuron bereits eingesetzt haben. Die Untersuchung
der im Früh- bezw. Höhestadium des Erkrankungsprozesses getöteten
Tiere lässt darüber keinen Zweifel aufkommen, dass das Auftreten
dieser Veränderungen in direkter sekundärer Abhängigkeit steht von
der Erkrankung des Nearons. Niemals habe ich in den Früh- bezw.
58 Wittmaack: Ober Schädling des GebOrs durch Schalleinwirkung.
Höhestadian des Prozesses Veränderungen am Ductus cochlearis ge-
funden bei intaktem Neuron, sodass ich nicht anstehe, den eigentüm-
lichen oben beschriebenen Rflckbiidungsprozess des Corti sehen Organs
und die mit ihm eng verknüpften Veränderungen an der Membrana
tectoria und der Reissn ersehen Membran als einen sekundären,
durch die Erkrankung des Neurons bedingten Vorgang anzusprechen —
vergleichbar der Atrophie der Geschmacksknospen nach Durchtrennung
des Nervus glossopharyngeus^).
Die mannigfaltigen Verschiedenheiten des Befundes am Cor tischen
Organ beruhen auf den grossen Schwankungen in der Intensität, in der
Schnelligkeit des Verlaufes und auch in der Ausdehnung des Erkrankungs-
prozesses im Neuron. Wenn wir aus der grossen Masse der erhobenen Be-
funde die durch ihre Gleichartigkeit zusammengehörigen Befunde in Gruppen
zusammenzustellen versuchen, so müssen wir zunächst zwischen zwei grossen
Gruppen von Fällen unterscheiden, nämlich einmal zwischen den Fällen,
bei denen der Erkrankungsprozess sich mit grosser Schnelligkeit über
sämtliche Nervenfasern und Nervenzellen, wenn aach nicht überall
mit gleicher Intensität ausdehnt und zwischen den viel langsamer forfr
schreitenden Prozessen, bei denen wir stets nur vereinzelte Fasern und
Zellen in Degeneration begriffen vorfinden, bei denen namentlich in den
späteren Stadien der Ausfall von Nervenfasern und -Zellen das mikro-
skopische Bild beherrscht.
Fassen wir zunächst die gleichzeitig über den ganzen Nerven ver-
breiteten Prozesse ins Auge. Wir finden sie bei einem Teil der mit
kontinuierlicher Schalleinwirkung behandelten Tiere der III. Versuchs-
reihe und bei den Tieren der IV. Versuchsreihe. Gemeinsam ist, wie
gesagt, den hierher gehörigen Befunden die annähernd gleichzeitige
Ausbreitung des Erkrankungsprozesses über den ganzen Nerven und der
relativ schnelle Verlauf desselben. Je nach der Intensität, bis zu der
sich der Prozess steigert, und je nach der Bevorzugung bestimmter
Windungen der Schnecke bestehen aber auch unter den hierher ge-
hörigen Befunden noch recht erhebliche Unterschiede.
Die leichtesten Veränderungen zeigten in der Regel die mit
einmaligem Pfiff bezw. Knall behandelten Tiere. Bei ihnen war der
Prozess nach zirka 8 bis 10 Tagen allermeist schon abgelaufen. Sein
1) Vintschgan und Hönigschmied, Nervus glossopharyngeus und
Schmeckbecher. Pflügers Arch. Bd. XIV und XXIII. Sandmeyer, Über
das Verhalten der Geschmacksknospen nach Durchschneidung des N. glosso-
pharyngeus. Arch. f. Anatomie n. PhysioL, Physiol. Abt., 1895, S. 269.
Wittmaack: Über Sch&dignng des GebOre darcb Scballeinwirkiing. 59
Höhestadium erreicbt er bei diesen Tieren meist schon nach 2 bis
4 mal 24 Stunden. Die einzelnen Teile des Neurons Hessen auch im
Höhestadium des Prozesses meist nur die oben als leichtere Grade be-
schriebenen Veränderungen erkennen. Sie gingen indessen schon nach
kurzer 2^it völlig zurück, sodass nach Ablauf des Erkrankungsprozesses
beim Vergleich mit normalen Kontrollpräparaten ein merklicher Unter-
schied nicht mehr aufzufinden war. Dementsprechend kam es auch
nicht zur Rfickbildung des Cor tischen Organs. Die einzelnen Zellen
desselben zeigten zwar im Höhestadium ebenfalls deutliche Veränder-
angen — Vakuolisierung, Körnelung etc. (conf. Fig. 14 auf Taf. VII/VHI),
— erholten sich indessen meist wieder völlig. Die einzigen dauernd
zurflckbleibenden Veränderungen bestanden in Adhäsion der Membrana
tectoria auf der Papilla basilaris und in Verklebung der Reissner-
schen Membran mit dieser (conf. Fig. 23 und 24 auf Taf. XI/XH). Diese
fanden sich auch noch bei den nach Ablauf eines V4 Jahres getöteten
Tieren, sodass sie wohl zweifellos als dauernd zurflckbleibende Ver-
änderungen aufzufassen sind. Aus diesem Grunde nämlich, weil sie
«V. noch nach langer Zeit Zeugnis von dem im Nerven ev. vor langer
Zeit abgelaufenen Erkrankungsprozess ablegen können, scheinen sie mir
doch besonderer Beachtung wert.
Mittelschw er e Erkrankungsprozesse fand ich bei einigen Tieren
der ni. Reihe und einem Teil der Tiere der IV. Reihe zuweilen nach
einmaligem Pfiff bezw. Knall, meist indessen nach wiederholtem Pfiff.
Die Verlaufsdauer dieser Prozesse erstreckte sich in der Regel auf
einige Wochen. Die einzelnen Elemente des Nenrons zeigten die oben
als mittelschwer beschriebenen Veränderungen. Die Rückbildung im
Stützapparat des Gortischen Organs war deutlich ausgesprochen. Sie
erreichte in der Regel ebenfalls einen mittleren Grad, dadurch gekenn-
zeichnet, dass der komplizierte Aufbau der Deitersschen Stützzellen
verloren ging, während die Pfeilerzellen, wenn auch häufig stark ein-
gesunken, und der von ihnen umschlossene Tunnelraum, wenn auch
häufig stark abgeflacht, noch erkennbar blieben (conf. Fig. 18 und 19
auf Taf. IX /X). Daneben fanden sich meist auch die oben beschriebenen
Veränderungen an der Membrana tectoria und der R ei ssn ersehen
Membran. Auch bei diesen Befunden fiel auf, dass nach Ablauf des
Prozesses am Nerven selbst meist keine deutlichen Veränderungen mehr
zu erkennen waren, während die Anfangs- und Höhestadien des Prozesses
(Fig. 13 und 15 auf Taf. VII/VIII) solche niemals vermissen Hessen.
Es ist ja höchst wahrscheinlich, dass ein leichter Grad von Atrophie des
60 Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs durch Schalleinwirknng.
Nerven auch nach diesen Prozessen zurückbleibt, er ist indessen im
histologischen Bilde allermeist nicht mit Sicherheit za erkennen. Das
histologische Verhalten der einzelnen Nervenfasern und -Zellen entsprach
allermeist nach Ablauf des Erkrankungsprozesses wieder der Norm. Im
Gegensatz zur Regeneration des Nerven blieben auch hier die Ver-
änderungen im Corti sehen Organ und an den Membranen dauernd
bestehen. Auffallend war zuweilen, dass sich in dem den PfeilerzelleD
anreihenden EpithelhOgel wieder deutliche Sinneszellen mit Hörhärchen
fanden, sodass ich auch an eine teilweise Regeneration dieser Zellen
glauben möchte, während ich einen Wiederaufbau des einmal zu Grunde
gegangenen Stfltzapparates in der unter noj'malen Verhältnissen vor-
handenen komplizierten Art niemals beobachten konnte. Die nach Ab-
lauf des Erkrankungsprozesses dauernd zarQckbleibenden und sofort in
die Augen springenden Veränderungen betreffen demnach auch bei
diesen mittelschweren relativ schnell ablaufenden Prozessen vorwiegend
dos Cortische Organ und die Membranen.
Die schwersten Grade des Erkrankungsprozesses sah ich bei der
grossen Mehrzahl der Tiere der IV. Reihe, die mit mehrmaligem Pfiff
behandelt worden waren. Bei ihnen fanden sich im Höhestadium des
Prozesses, dessen Verlaufsdauer ebenfalls meist mehrere Wochen betrug^
die oben beschriebenen schwersten Veränderungen an Nervenzellen und
Nervenfasern, begleitet von einem rapid fortschreitenden Zerfall des
Corti sehen Organs, der, wenn auch nur in einer Windung, häufig mit
dem völligen Schwund desselben endete (conf. Fig. 21 und 22 auf
Taf. XI/XII). Dagegen vermisste ich, wie schon erwähnt, verhältnisraäfsig
häufig die Veränderungen an der Membrana tectoria und an der
Reissn ersehen Membran, wenigstens in der am stärksten befallenen
Windung, während die schwächer befallenen allermeist diese Ver-
änderungen erkennen Hessen. Bei diesen allerschwersten Graden der
Atrophie des Cor tischen Organs war nach Ablauf des Erkrankungs-
prozesses meist auch eine deutliche Atrophie, allerdings nur in dem der
am stärksten befallenen Windung entsprechenden Teile des Nerven und
des Ganglion spirale zu konstatieren (Fig. 21 auf Taf. XI/XII), während
die übrigen Verzweigungen und der Stamm des Nerven auch hier eine
deutliche Atrophie meist nicht erkennen liessen. Nervenfasern und
Nervenzellen zeigten in dem atrophischen Teile des Nerven in der
Regel auch etwas unregelmäfsige Strukturen. Erstere erschienen oft
anflallend schmal und liessen zuweilen auch spindelförmige Auftreibungen
erkennen; letztere Hessen oft die Niss Ischen Körperchen nicht mit der
Wittmaack: Über Seh&digung des Gehdrs darch Schalleinwirkang. 6 1
gleichen Deutlichkeit hervortreten, wie die normalen Zellen eines
Kontrolltieres. Zuweilen konnte ich indessen auch bei diesen Tieren
trotz annfihemd völligen Schwundes des C ortischen Organs auch nach
diesen allerschwersten Prozessen nach Abklingen derselben keine deat-
lichen Yerändemngen am Nerven und den Nervenzellen auffinden
(Fig. 22 auf Taf. XI/XII). Auch hier kam es offenbar zuweilen zur
annähernd völligen Regeneration im Nerven und im Ganglion und die
surflckbleibende Atrophie war so geringfügig, dass sie im histologischen
Bilde nicht hervortrat. Es ist ja selbstverständlich, dass bei den
schwersten Prozessen viel leichter eine Atrophie zurückbleiben wird,
als bei den leichteren. Immerhin scheint mir ausser der Schwere des
Prozesses auch die Schnelligkeit im Verlauf hierbei eine wesentliche
Rolle mitzuspielen, derart, dass bei besonders schnell abklingenden
Prozessen, auch wenn sie die schwersten Grade erreichen, eine Regene-
ration des Nerven noch erfolgen kann. Hierfür spricht auch die Tat-
sache, dass, wie ich unten noch ausführen werde, gerade bei den langsam
progredienten Prozessen, auch wenn die Veränderungen an den Nerven-
fasern durchaus nicht die schwersten Grade erreichen, in der Regel
eine sehr deutliche Atrophie im Nerven erkennbar wird.
Bemerkenswert ist femer noch, dass nur selten sämtliche Windungen
der Schnecke in annähernd gleich starker Weise von dem Erkrankungs-
prozess ergriffen wurden. Meist zeigte sich ein bestimmter Bezirk
wesentlich stärker befallen, als die übrigen Gebiete der Skala. Und
zwar ist mir aufgefallen, dass je nach Art der gewählten Schall-
einwirkung gewisse Unterschiede zu konstatieren waren. Ganz auf-
fallend war, dass durchgehends bei den mit mehrmaligem Pfiff aus der-
selben Pfeife behandelten Tieren immer derselbe ganz bestimmte
Bezirk der Skala, der dem Übergang der untersten in die zweit-
unterste Windung entsprach, bei weitem am intensivsten be-
fallen war, während die übrigen Bezirke wesentlich geringfügigere
Veränderungen, wenn auch keineswegs völlig normales Verhalten zeigten,
wie denn auch der Übergang von den stärkst befallenen in die weniger
stark befallenen Partien stets ein allmählicher war, sodass regelmälsig
achon in jeder einzelnen Schnecke eines Versuchstieres eine ganze Reihe
von Stadien bezw. Graden dieses Rückbildungsprozesses vertreten waren.
Bei den mit kontinuierlicher Schalleinwirkung behandelten Tieren zeigten
sich eher die mittleren, zuweilen auch die oberen Windungen etwas
stärker befallen und das gleiche fiel häufig bei den mit einmaligem
Knall behandelten Tieren auf (conf. Fig. 18 auf Taf. IX/X).
62 Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs darch Schallein Wirkung.
Ausser diesen verbältnismäfsig schnell innerhalb weniger Tage oder
Wochen bezw. höchstens weniger Monate ablaufenden Prozessen, die
sich über den ganzen Nerv von seinem Eintritt in die Schneckenspindel
an gerechnet ausdehnen, finden wir zuweilen bei den mit kontinuier-
licher Schalleinwirkung behandelten Tieren noch einen etwas andersartige
sich gestaltenden Erkrankungsprozess im Nerven und Cor tischen
Organ. Er ist gekennzeichnet durch den viel langsameren, aber
stetig fortschreitenden Verlauf und dadurch, dass fast stets-
nur vereinzelte Nervenfasern bezw. nur ein sehr umschriebener Bezirk
im Nerven gleichzeitig deutliche Veränderungen aufweist, während
die grosse Masse der Nervenzellen und -Fasern normales Verhaltea
zeigen. Die an den Nervenfasern gefundenen Veränderungen erreichen
fast stets nur die leichteren Grade, sodass im Beginn des Prozesses
seine Erkennung auf grosse Schwierigkeiten stösst. Er unterscheidet
sich ferner wesentlich von den schneller abklingenden Prozessen da-
durch, dass in seinen späteren Stadien ein Nervenfaser- und auch Nerven-
zellenschwund sehr deutlich hervortritt (conf. Fig. 10 auf Taf. V/VI),,
den wir bei den schneller abklingenden Prozessen, wenn sie keine
höheren Grade erreichen, oft gänzlich vermissen und selbst bei den
höchstgradigen Prozessen zuweilen nur in geringem Mafse vorfinden»
Dieser Ausfall von Nervenfasern und -Zellen tritt, sobald der Prozess^
erst etwas weiter fortgeschritten ist, in der Regel viel deutlicher hervor,
als die leichten Veränderungen an vereinzelten Fasern, sodass er
meist das Krankheitsbild völlig beherrscht. Als weiteres
Charakteristikum dieses langsam, aber anscheinend viel stetiger fort-
schreitenden Prozesses ist zu erwähnen, dass der Stützapparat des
C ortischen Organs trotz ziemlich weit vorgeschrittenem Schwund der
Nervenfasern und Nervenzellen erhalten bleibt und dass häufig auch die
Verklebungen der Membrana tectoria und der R ei ssn ersehen Mem-
bran fehlen. Doch ist auch bei diesen Prozessen die Miterkrankung
der Sinneszellen unverkennbar. Allerdings tritt sie auch hier oft deut-
licher erst in den späteren Stadien durch Ausfall der Sinneszellen
hervor, als dadurch, dass es gelingt, in frischer Degeneration befindliche
Sinneszellen aufzufinden (conf. Fig. 12 auf Taf. V/VI), weil eben auch
unter den Sinneszellen stets nur ein relativ kleiner Teil gleichzeitige
der Degeneration anheimfällt. In den späteren Stadien ist aber die
Reduktion der Sinneszellen ebenso deutlich erkennbar wie die der
Nervenfasern, nämlich daran, dass wir anstatt der normaliter vorhandenen
drei Reihen äusserer Sinneszellen — denn an diesen treten diese Ver-
Wittmaack: ÜberSchädigiug des Gehörs durch Schalleinwirkarg. 63
findeniDgeu am deutlichsten hervor — nur zwei oder gar nur eine
Reihe derselben vorfinden (conf. Fig. 25 auf Taf. XI/XII).
Waram ein Teil der mit kontinnierlicher Schalleinwirknng be-
handelten Tiere nur so relativ leichte, erst nach längerer Zeit der
Einwirkung deutlich erkennbare, ein anderer Teil hingegen viel
schwerere und schneller fortschreitende Veränderungen darbot, kann
ich nicht mit Sicherheit entscheiden. Ich führe diesen Unterschied auf
Terschiedene Empfindlichkeit der Tiere oder andere Zufälligkeiten
zurück, die nicht genauer zu bestimmen sind.
Die Tatsache, dass ich zuweilen bei den mit kontinuierlicher
Schalleinwirkung behandelten Tieren nach relativ langer Behandlungs-
dauer bei schon deutlich erkennbaren Nervenzellen und Nervenfaser-
schwund noch die ersten Stadien eines sich schnell aber den ganzen
Nerven verbreitenden Alterationsprozesses im Nerven und Cor tischen
Organ fand, scheint mir darauf hinzudeuten, dass die leichteren, langsam
aber kontinuierlich fortschreitenden Veränderungen, bestehend vor-
wiegend in Ausfall einzelner Fasern und Zellen, unter Umständen
ziemlich plötzlich aus einer nicht genauer zu bestimmenden Ursache
in die schwereren den ganzen Nerven befallenden Veränderungen um-
schlagen können. Umgekehrt habe ich zuweilen auch Befunde
erheben können, die meines Erachtens nicht anders zu deuten waren
als derart, dass an einem sich anfangs schnell über den Nerven ver-
breitenden Degenerationsprozess, nach annähernd völliger Regeneration
des Nerven ein langsam progredienter Prozess mit Ausfall einzelner
Zellen und Fasern sich anschliessen kann ; wie denn überhaupt zwischen
diesen beiden Formen der Alteration des Nerven mancherlei Über-
gangsstadien aufzufinden waren.
Ich glaube daher behaupten zu dürfen, dass es bei einiger Übung
und Erfahrung möglich ist, bis zu einem gewissen Grad aus den vor~
liegenden pathologisch - anatomischen Befund Rückschlüsse auf die Dauer
des Bestandes und die Art der Entwicklung des Erkrankungsprozesses zu
ziehen: Frische Degeneration im Nerven und im Cor tischen Organ
ohne deutlichen Zell- und Faserausfall finden wir im Anfangs- bezw.
Höhestadium schnell progredienter Erkrankungsprozesse des Nerven.
Regressive Veränderungen im Cor tischen Organ bezw. an den
Membranen des Ductus cochlearis bei annähernd oder völlig intakten
Nerven und Ganglion ohne deutliche Atrophie sind als Rückstände
eines vor längerer oder kürzerer Zeit im Nerven abgelaufenen akut
einsetzenden Prozesses zu deuten. Vorwiegend Zell- und Faser-
64 Wittinaack: Über Sohädigan^ des Gehörs durch Schalleinwirkao jj^.
aus fall bei erhaltenem StOtzapparat des Cor tischen Organes lediglich
kombiniert mit Aasfall einzelner Sinnesezllen ohne stärkere Ver-
änderungen an Nervenfasern und -Zellen ist charakteristisch fttr langsam
aber kontinuierlich fortschreitendem Erkrankungsprozess im Nerven. Bei
Umschlagen dieses in einen schneller fortschreitenden Prozess gesellt
sich zu diesen Veränderungen frische Degeneration annähernd sämtlicher
noch ycrhandener Nervenfasern und Sinneszellen hinzu, mit frischem
Zerfall des C ortischen Organes; während abgelaufene Veränderungen
im Stützapparat des Cor tischen Organs und an den Membranen des
Ductus cochlearis bei starkem Zell- und Faserausfall ohne stärkere
Degeneration der einzelnen Fasern und Zellen auf eine früher vor-
handen gewesene aber bereits abgelaufene schnell fortschreitende Ver-
schlimmerung im Verlaufe eines an sich langsam progredienten Prozesses
hindeutet, bezw. darauf, dass sich an einen abgelaufenen schnell fort-
schreitenden Prozess ein langsam aber kontinuierlich fortschreitender
angeschlossen hat.
Bei sämtlichen Tieren blieben die Veränderungen auf den Cochlearis-
nerv und den Ductus cochlearis beschränkt. Der Vestibularnerv,
sein Ganglion und die von ihm innervierten Sinnes-i
apparate -— Maculae und Cristae acusticae — waren
durchgehends völlig intakt.
Sonstige Veränderungen im Labyrinth — Blutungen in die
lymphatischen Räume und dergl. — habe ich wie schon oben erwähnt
niemals gefunden.
Ich glaube, dass durch die vorliegenden Untersuchungen der
pathologisch-anatomische Prozess, der sich bei Schädigung des Gehörs
durch Schalleinwirkung verschiedener Art abspielt, aufgedeckt und in
seinen verschiedenen Entwicklnngsstadien klar gelegt ist. Die erhobenen
Befunde stimmen mit den wenigen inzwischen bekannt gewordenen
Befunden, die an menschlichen Gehörorganen bei Professionsschwer-
hörigkeit erhoben werden konnten, gut überein ^). Sie scheinen mir
indessen auch noch in anderer Hinsicht verwendbar zu sein: Ganz
analoge — eigentlich völlig identische Befunde — am Cor tischen
Organ sind schon früher von verschiedenen Autoren an menschlichen
Schläfenbeinen bei Fällen von »nervöser Schwerhörigkeit« beschrieben
1) Hab ermann, 1. c. u. Beitrag zur Lehre von der professionellen Schwer-
hörigkeit. Archiv f. Ohrenblkde. 69. Bd., S. 106.
Brühl, Beiträge zur pathologischen Anatomie des Gehörorganes. Zeit-
schrift f. Ohrenhlkde. 52. Bd., S. 242.
Wittmaack: Über Schädigung des GehOrs durch Seh allein Wirkung. 65
worden, ohne dass es bisher gelungen war, die Entwicklung dieser
Befunde genau aufzuklftren. Ich verweise auf die Untersuchungen von
Alexander, Brflhl, Manasse') u. a. und auf einige weitere analoge
Befunde an menschlichen Schläfenbeinen, die yon mir nach der oben
beschriebenen Methode, also mit besonderer Berücksichtigung des Nerven,
untersucht worden sind % Die grosse Mehrzahl dieser Befunde gleichen
den oben beschriebenen mittelschweren und schwereren Graden der
experimentell hervorgerufenen Veränderungen bei — wenigstens vorüber-
gehend — relativ schnell fortschreitenden sich über den ganzen Nerven
ausbreitenden Prozessen und zeigen dementsprechend auch Rückbildung
<les Cor tischen Organes. Daneben verfüge ich indessen auch über
einen Befund (Fall Y der an letzter Stelle zitierten Arbeit) am mensch-
lichen Schläfenbeine, der dem experimentell hervorgerufenen langsam
aber kontinuierlich fortschreitenden Erkrankungsprozess im Nerven
ausserordentlich gleicht, der vorwiegend charakterisiert ist durch
Faser- und Zellausfall bei erhaltenem Stützapparat des Gor tischen
. Organes. Er stammt von einem Fall, bei dem auch durch die klinische
Beobachtung zu Lebzeiten des Kranken das langsame aber kontinuier-
: liehe Fortschreiten des Erkrankungsprozesses festgestellt worden war.
Die ausserordentliche Ähnlichkeit der verschiedenen Befunde unter-
einander bezw. die grosse Ähnlichkeit jedes einzelnen mit dem ihm
entsprechenden Stadium bezw. Grad des oben beschriebenen experimentell
hervorgerufenen Erkrankungsprozesses, lässt meines Erachtens kein
Zweifel mehr darüber zu, dass es sich hier trotz der verschiedenartigen
Ätiologie im wesentlichen um denselben pathologisch - anatomischen
Erkrankungsprozess handeln muss, zumal sich wiederum die durch
Schalleinwirkung experimentell hervorgerufenen degenerativen Ver-
änderungen auch mit den experimentell durch andere Ursachen — z. B.
Infektion mit Tuberkulose^ — hervorgerufenen völlig decken.
1) Alezander, Zur pathologischen Histologie des Ohrlabyrinthes mit
besonderer Berücksichtigung des Corti sehen Organes. Arch. f. Ohrenhlkde.
^. Bd., S. 1. Zur Frage der progressiven Schwerhörigkeit durch Atrophie des
C ortischen Organes. Archiv f. Ohrenhlkde. 69. Bd., S. 95.
Brühl, Beitr&ge zur patholog. Anatomie des Gehörorganes. Zeitschrift
f. Ohrenhlkde. 50. Bd., S. 1 u. 52. Bd., S. 289.
M a n a 8 8 e , Ueber chronische laby rinthäre Taubheit. Zeitschrift f. Ohrenhlkde.
52. Bd., S. 1.
*) Wittmaack, Weitere Beiträge zur Kenntnis der degenerativen Neuritis
und Atrophie des Hömerven. Zeitschrift f. Ohrenhlkde. 58. Bd.
^ Conf. Wittmaack, üeber experimentelle degenerative NeuritisX des
Hömerven. Zeitschiift f. Ohrenhlkde. 51. Bd.
Z«itM]irift ftr Okrenheillnnde, Bd. UV. 5
66 Wittmaack: Über Schädigung des GehOrs durch Schalleinwirkung.
Ich glaube daher, dass wir berechtigt sind, aus den vorliegenden
Untersuchungen auch Rackschlüsse zu ziehen auf die Entwicklung dieser
ganz analogen pathologisch-anatomischen Veränderungen im Gehörorgan
trotz der andersartigen Ätiologie, die ihnen zu Grunde lag. Sehen
wir doch recht häufig, dass derselbe pathologisch - anatomische Prozess
durch verschiedene Ursachen hervorgerufen werden kann! Wenn wir
die Berechtigung dieser Schlussfolgerungan anerkennen, dann mtlssen wir
meines Erachtens auch für diese Befunde dieselbe Entwicklung annehmen,
die wir für die ihnen identischen Veränderungen im Experiment festgestellt
haben. Wir müssen sie ebenfalls auf eine Erkrankung des Gochlearis-
nerv bezw. -neurons zurückführen und die bei den gewöhnlichen
Hämatoxjlin- und Eosinfärbungen und nach Ablauf des Erkrankungs-
prozesses im Neuron allerdings häufig viel stärker in die Augen
springenden Veränderungen am Stützapparat des C ortischen Organes
als sekundäre Rückbildungsprozesse deuten. Weder bei den oben
erwähnten experimentellen Untersuchungen noch bei den vorliegenden
habe ich ein einziges Mal eine primäre Rückbildung im Gort Ischen
Organ nachweisen können. Bei sämtlichen auf dem Höhe- bezw.
Anfangsstadium des Erkrankungsprozesses befindlichen Tieren zeigte
sich, wie ich schon oben hervorgehoben habe, in erster Linie der Nerv
erkrankt. Nur bei den bereits im Ablaufen begriffenen oder gänzlich
abgelaufenen Erkrankungsprozessen fand ich trotz Rückbildung im
C 0 r t i sehen Organ nur geringfügige oder gar keine Veränderungen
im Nerven, ein Befund, der mit Rücksicht auf die regelmässig nach-
weisbare Erkrankung des Nerven in den Anfangs- und Höhestadien,
meines Erachtens gar keine andere Deutung zulässt als die, dass im
späteren Verlauf des Erkrankungsprozesses eine Regeneration des Nerven
erfolgen kann, während der einmal eingetretene Zerfall im Co rti sehen
Organ nicht wieder rückbildungsfähig ist. Diese Deutung scheint mir^
wenn wir berücksichtigen, wie regenerationsfähig die peripheren Nerven
zuweilen bekanntlich sind, in keiner Weise unwahrscheinlich oder ge-
künstelt. Ich bin der Meinung, dass auch der von Alexander^)
kürzlich beschriebene Befund in derselben Weise zu erklären ist. Ich
kann nicht zugeben, dass Alexander durch den Nachweis einer
stärkeren Atrophie des Gor tischen Organes bei relativ geringfügigen
Veränderungen im Nerven an den Gehörorganen einer »seit Jahren«
an Schwerhörigkeit leidenden Patientin den Beweis erbracht hat, dass
eine primäre genuine Atrophie des Cor tischen Organes von der be-
ll 1. c.
Wittmaack: Über SchädigoBg des Gehörs durch Schalleinwirkang. 67
schriebenen Art, die unabhängig von einer Erkrankcing des Neurons
sich entwickelt hat, vorkommen kann und halten es far nicht berechtigt,
von einem »Typus der primären Atrophie des Cor tischen Organes
mit sekundärer Akustikusdegeneration« zu sprechen. £in einziger nach
jahrelangem Bestände der Schwerhörigkeit untersuchter Fall kann
hieraber niemals mit Sicherheit Aufschlass geben ; meine experimentellen
Untersuchungen, die es mir ermöglichten sämtliche Stadien dieses
Prozesses an einem grossen ideal lebensfrisch fixierten Material genau
zu studieren, sprechen entschieden gegen diese Annahme. Ich halte
vielmehr an der schon früher von mir ausgesprochenen Ansicht fest,
dass das Wesentliche und Primäre dieses Erkrankungs-
prozesses stets die Erkrankung im Neuron ist und
dass, falls im Verlaufe dieser Erkrankung Veränderungen
im Stützapparat des Cortischen Organes auftreten, diese
als sekundäre Rückbildungsprozesse aufzufassen sind.
III. Klinisehe und physiologische Bückschlfisse.
Von den mannigfaltigen Schädigungen des Gehörorganes durch
Schalleinwirkung treten die durch kontinuierliche Schalleinwirkung
hervorgerufenen Professionsschwerhörigkeiten wegen ihrer grösseren
Häufigkeit und der grösseren Bedeutung im täglichen Leben klinisch
in den Vordergrund des Interesses. Ich möchte daher auch die Rück-
schlüsse, die wir aus den vorliegenden Untersuchungen auf den Sitz
und die Entwicklung dieser Erkrankung ziehen müssen, an erster Stelle
besprechen. Darüber, dass der Sitz des sich hierbei abspielenden
Erkrankungsprozesses auch nach dem klinischen Krankheitsbild ins innere
Ohr zu verlegen sei, sind sich meines Wissens wohl sämtliche Autoren
einig. Der negative Befund am Trommelfell und an der Tube und der
charakteristische Ausfall der Hörprüfung bei den reinen Fällen von
Professionsschwerhörigkeit deuten mit solcher Bestimmtheit auf das
innere Ohr als den Sitz der Erkrankung hin, dass die Professions-
schwerhörigkeit wohl allgemein der Gruppe der »nervösen Schwer-
hörigkeit« zugezählt wurde. Wo wir gleichzeitig Erkrankungen des
Mittelohres finden, müssen wir für diese eine von der Schädigung
durch Schalleinwirkung unabhängige Entstehung annehmen. Die
Lokalisation des Erkrankungsprozesses im inneren Ohr klinisch noch
genauer zu bestimmen (Labyrinth oder Hörnerv) stiess indessen auf
grosse Schwierigkeiten. Gestützt auf die Tatsache, dass wir einerseits
bei einer grossen Zahl der Fälle von »nervöser Schwerhörigkeit«
68 W i 1 1 m a a c k : Über Schädigan^ des Gehörs durch Schallein Wirkung.
Symptome von seilen des Vestibularapparates gänzlich vermissen und
dass andererseits durch anatomische Untersuchangen festgestellt ist, dass
Erkrankungen des Hörnerven ganz vorwiegend bezw. ausschliesslich
den Cochlearisast desselben befallen, während der Yestibularteil gänzlich
oder fast gänzlich intakt bleibt, habe ich vor einiger Zeit den Versuch
gemacht, den Sitz des Erkrankungsprozesses bei den Formen von
»nervöser Schwerhörigkeit« die ohne Erscheinungen von Seiten des
Vestibularapparates einhergehen auch auf Grund des klinischen
Krankheitsbildes genauer zu bestimmen, indem ich ihn in den Nerven
selbst bezw. in seinen Cochleariszweig verlegte^). Zu diesen auf Er-
krankung des Nerven selbst beruhenden Formen der »nervösen Schwer-
hörigkeit« zählte ich auch die Professionsschwerhörigkeit. Ich glaube,
dass die vorliegenden Untersuchungen die Berechtigung dieser Annahme
bestätigen und da sie auch mit den wenigen bisher bekannt gewordenen
pathologisch-anatomischen Befunden bei Fällen professioneller Schwer-
hörigkeit gut übereinstimmen, können wir es wohl als erwiesen
betrachten, dass in der Tat die Hörstörung bei der Professionsschwer-
hörigkeit durch eine Erkrankung des Cochlearisnerven selbst hervor-
gerufen wird.
Nicht minder wichtig als dieser Nachweis erscheint mir noch ein
anderer Punkt auf den meines Wissens bisher noch von keiner Seite
aufmerksam gemacht worden ist, nämlich der grosse Einfluss, den
wir bei der Entstehung der Professionsschwerhörigkeit
durch länger einwirkende kontinuierliche Schallein-
wirkung, der gleichzeitigen Zuführung des Schalles
durch die Knochenleitung zuschreiben müssen. Der ganz auf-
fallende Kontrast im Verhalten der Tiere der 1. und der 2. bezw. der
3. Versuchsreihe lässt meines Erachtens gar keine andere Deutung zu
als die, dass in der gleichzeitigen Zuführung der Schallwellen durch die
Knochenleitung der Grund zur Schädigung des Nerven zu suchen ist.
In der Tat vermissen wir, wenn wir von diesem Gesichtspunkte aus
die Gewerbe, die zur Entstehung der Professionsschwerhörigkeit durch
kontinuierlich anhaltenden Lärm führen, betrachten, niemals diesen
Faktor. Der Schmied oder der Böttcher übermittelt während des
Aufschiagens durch seinen Arm selbst die Zuführung der Schallwellen
durch Knochenleitung. Für den Lokomotivführer bezw. den Heizer,
1) Wittmaack, üeber Schwindel und Gleichgewichtsstörungen bei nicht
durch eitrige Entzündungen bedingten Erkrankungen des inneren Ohres und
ihre differential-diagnostische Bedeutung. Zeitschrift f. Ohrenhlkde. 50. Bd.
Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs durch Schalleinwirkung. 69
der viele Standen des Tages anf der Lärm erzengenden Eisenplatte
stehen moss, liegen doch im wesentlichen, was die gleichzeitige Zu-
ffihmng des Schalles dnrch Enochenleitnng anbelangt, ganz analoge
Verhältnisse vor, wie für die Versuchstiere der zweiten bezw. dritten
Versachsreihe, die auf der tönenden Metallplatte sassen. Ebenso finden
wir bei vielen Fabrik- and Mühlenbetrieben während der Betriebszeit
den Boden der Arbeitsräume dauernd in dröhnender Erschütterung.
Kurzum ich habe kein Grewerbe ausfindig machen können, das
zum Auftreten von Professionsschwerhörigkeit infolge täglich wieder-
holter länger anhaltender Schalleinwirkung führt, bei dem die gleich-
zeitige Zuführung des Schalles durch Enochenleitung auszuschliessen
wäre. Dagegen ist umgekehrt bei anderen Gewerben, bei denen die
Entwicklung einer solchen Schwerhörigkeit zu vermuten ausserordentlich
nahe lag, aber die Möglichkeit einer gleichzeitigen Zuführung des Schalles
durch Enochenleitung nicht gegeben war — z. B. bei den Telephonistinnen —
der Nachweis, dass sie zu einer Professionsschwerhörigkeit führen können,
in einwandsfreier Weise bekanntlich nicht gelungen. Dass die gröberen
Erschütterungen, die zuweilen mit der Zuführung des Schalles durch
Knochenleitung verbunden sind, die Schädigung nicht verursachen, geht
wohl ebenfalls aus den Versuchen hervor, da ich besonderen Wert
darauf gelegt habe, solche gröberen Erschütterungen der Platte zu
vermeiden. Ich glaube vielmehr, dass die durch Knochenleitung
fortgepflanzten feinen Schallwellen selbst die Schädigung des Nerven
hervorrufen und kann mir diesen Unterschied in der Wirkung gegen-
über den durch Luftleitung fortgeleitetcn Wellen nur durch die anders-
artige Übertragung derselben auf den Nerven erklären, nämlich durch
direkte Übertragung durch den Knochen selbst ohne Vermittelung des
Trommelfelles, der Gehörknöchelchenkette und der Labyrinthflüssigkeit.
Die Berücksichtigung dieses Punktes ist auch insofern nicht un-
wichtig, als sie uns Fingerzeige für die Therapie bezw. Prophylaxe der
hier in Betracht kommenden Formen der Professionsschwerhörigkeit geben
kann. Dass eine Verstopfung des Gehörganges mit Watte, Wachs oder
ähnlichen Mitteln gänzlich wirkungslos ist, ist eine wohl sämtlichen
Otiatem längst aufgefallene Tatsache und kann uns nun auch nicht
mehr Wunder nehmen.
Eine erfolgreiche Prophylaxe ist meines Erachtens nur zu erhoffen
durch Zwischenschaltung von den Schall schlecht leiten-
den Medien zwischen Körper und Schallquelle. Inwieweit
dies technisch durchführbar ist und ob es gelingen wird, die in Frage
70 Wittmaack: Ober Schädigung des Gehörs durch Schalleinwirkung.
kommenden Kreise hierfür zu interessieren und entsprechende Versuche
in grösserem Mafstab in dieser Richtung durchzuführen, muss ich
zunächst dahingestellt sein lassen, zumal mir in meinem jetzigen Wohn-
ort keine Gelegenheit zur Durchführung solcher Versuche gegeben ist.
Ich komme nun zu den Hörstörungen nach einmaliger bezw. öfter wieder-
holter kurzdauernder, aber dafür desto intensiverer Schallein Wirkung.
Das klinische Krankheitsbild dieser Hörstörungen zu deuten ist insofern
etwas schwieriger, als wir häufig gleichzeitig Veränderungen am Trommel-
fell — Rupturen desselben — auftreten sehen. Es ist indessen auch klinisch
nicht zulässig, diese als die alleinige bezw. wesentlichen Ursachen der nach
momentaner intensiver Schalleinwirkung auftretenden Hörstörungen an-
zusehen, weil wir einmal — wenigstens nach meinen Beobachtungen —
niemals bei Vornahme einer genauen Hörprüfung Symptome vermissen, die
für eine Mitbeteiligung des inneren Ohres sprechen — Einengung der
oberen Tongrenze, relativ schlechte Perzeption für hohe Töne, Herab-
setzung der Knochenleitung u. a. — und weil wir andererseits so
ausserordentlich häufig traumatische Rupturen des Trommelfelles aus
anderer Ursache auftreten sehen, ohne dass es hierbei zu einer
stärkeren Hörstörung kommt bezw. ohne dass eine deutliche Hörstörung
nach Ausheilung der Ruptur zurückbleibt. Dazu kommt noch, dass
wir gamicht so selten auch nach einmaliger kurzdauernder bezw. häufiger
noch nach wiederholter kurzdauernder SchaUeinwirkung Hörstörungen
auftreten sehen, ohne gleichzeitiges Auftreten von Trommelfellrupturen,
z. B. bei Artilleristen und verwandten Berufen. Ich glaube daher wohl
in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Autoren, dass wir auch
bei diesen Formen der Schwerhörigkeit durch Schalleinwirkung schon
nach dem klinischen Krankheitsbilde den eigentlichen Sitz der Er-
krankung im inneren Ohr suchen müssen und sehe im Ausfall der
vorliegenden Versuche einen Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme.
Es kann wohl kaum mehr einem Zweifel unterliegen, dass es in der
Tat gelingt, durch kurzdauernde aber entsprechend intensive in nächster
Nähe der Ohrmuschel hervorgerufene SchaUeinwirkung eine Schädigung
des Cochlearisnerven hervorzurufen, die bei öfterer Wiederholung unter
Umständen, wenigstens in einigen Windungen der Schnecke recht
intensive Grade annehmen kann. Wir müssen hieraus meines Erachtens
die Schlussfolgerung ziehen, dass die im Anschluss an derartige
SchaUeinwirkung auftretenden Hörstörungen in erster
Linie bedingt sind durch eine Erkrankung des Cochlearis-
nerven und der zugehörigen Teile des Cortischen Organes.
Wittmaack: Über Schädigon g des Gehörs durch Schal lein wirknng. ^ l
Blutungen, Zerreissnngen der Membranen des Labyrinthes oder dergl«
als Ursache der Hörstörangen anzunehmen scheint mir nach den vor-
liegenden experimentellen üntersnchungen nicht mehr znlässig, da ich
niemals derartige Veränderungen bei meinen Versuchstieren habe beob-
achtenkönnen mit Ausnahme der sekundären Zerreissung der R ei ssn er-
sehen Membran. Gleichzeitig auftretende Trommelfellrupturen spielen
bei der Auslösung der Hörstörung eine untergeordnete Rolle; sie sind
wahrscheinlich bedingt durch besondere anatomische Veränderungen im
Trommelfell (Rigidität, Kalkeinlagerung, Narben oder dergl.)- Hierfür
spricht ausser den oben angeführten klinischen Erwägungen und Beob-
achtungen auch die Tatsache, dass ich in Übereinstimmung mit
anderen Untersuchem ^), bei meinen Versuchstieren das Auftreten von
Trommelfellrupturen niemals konstatieren konnte.
Wir haben es also bei sämtlichen Formen der Schwerhörigkeit
<iurch Schalleinwirkung im wesentlichen mit demselben Erkrankungs-
prozess, nämlich in erster Linie mit einer Erkrankung des Neurons zu
tun, der sich dann allermeist bald regressive Veränderungen im- Cor ti-
schen Organ hinzugesellen. Trotzdem glaube ich, dürfen wir die beiden
verschiedenen Formen der Schwerhörigkeit durch Schalleinwirkung, von
denen die eine durch kontinuierlich anhaltenden Lärm, die andere durch
kurzdauernden, aber sehr intensiven Schallreiz hervorgerufen wird, be-
züglich ihrer Entwicklung nicht ganz auf gleiche Stufe stellen. Während
für die durch kontinuierliche Schalleinwirkung hervorgerufenen Formen
•der Schwerhörigkeit die Zuleitung des Schalles durch Enochenleitung,
wie wir sahen, die wesentliche Rolle bei ihrer Entstehung spielt, kommt
diese Überleitung der Schallwellen für die durch kurzdauernde über-
mäfsig intensive Schalleinwirkung hervorgerufenen Formen kaum in
Betracht, sodass ich glaube, dass hierin doch ein jedenfalls beachtens-
werter Unterschied gegeben ist.
Es hat mir niemals vom physiologischen Gesichtspunkte aus
betrachtet recht verständlich erscheinen wollen, dass der kontinuier-
lich anhaltende Lärm, dessen Einwirkung bei manchen Berufsarten
unvermeidlich ist, auf physiologischem Wege eine Schädigung
des Gehörorgans sollte herbeiführen können, einmal weil seine
Intensität doch nicht die Grade erreicht, dass man mit Recht von
1) Ostino, Die Verletzungen des Gehörorganes durch die Knallwirkung
der Feuerwaffen, referiert im Archiv f. Ohrenhlkde. 67. Bd., S. 296.
Mancioli, La membrane du tympan et les Detonations d'armes ä feu.
Arch. intcmat. d'otol. etc. Bd. 18. S. 504.
72 Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs durch Schallein Wirkung.
einer moroentanen Überreizung sprechen könnte and weil man daher
eher bei Anhalten dieses Reizes das Auftreten einer Gewöhnung r.n
diesen hätte erwarten sollen als eine Schädigung des Nerven durch ihn,
zumal andererseits doch auch genügende Zeit zur Erholung in den
arbeitsfreien Stunden stets gegeben ist. Hierfür spricht ja auch
zweifelsohne der Ausfall der ersten Versuchsreihe. Durch den Nach-
weis, dass vorwiegend die auf nicht physiologischem Wege,
nämlich durch Enochenleitung übermittelten Schallwellen diese
Schädigung hervorrufen, steht meines Erachtens die Entwicklung dieser
Erkrankung in etwas anderer Beleuchtung da, als bisher. Sie muss
eher in Parallele gesetzt werden zu den Erkrankungen des Nerven
nach Traumen (Commotio cerebri), nach Intoxikation, Konstitutions-
anomalien etc.
Anders liegen die Verhältnisse bei den durch kurzdauernde aber
sehr intensive, meist in nächster Nähe der Ohrmuschel entstehende
Schalleinwirkung hervorgerufenen Hörstörungen. Bei ihnen handelt es
sich wohl zweifellos um eine auf physiologischem Wege zu stände ge-
kommene Überreizung des Neurons. Dass dieses hierauf mit Degene-
ration reagiert, kann nicht verwunderlich erscheinen. Diese Formen
der Hörstörung durch Schalleinwirkung sind analog zu setzen dem durch
Degeneration der nervösen Elemente bedingten Funktionsausfall, den
wir infolge Überreizung auch an anderen Sinnesorganen, beispielsweise
bei Überlichtung des Auges bezw. an anderen Nerven auftreten sehen
und auch experimentell hervorrufen können. Es würde indessen zu
weit führen, hierauf näher einzugehen.
Ich glaube ferner, dass wir auch die klinischen Schlussfolgerungen^
ebenso wie die Rückschlüsse aus dem pathologisch-anatomischen Befand
noch weiter auf eine grosse Gruppe von Fällen »nervöser Schwerhörig-
keit« ausdehnen können. Das klinische Krankheitsbild der Hörstörungen
durch Schalleinwirkung gleicht nämlich dem zahlreicher Fälle von
Schwerhörigkeit aus andersartiger Ätiologie so ausserordentlich, dass
die Annahme, dass diese im wesentlichen auf demselben Erkrankungs-
prozess, nämlich auf einer Erkrankung des Cochlearisnerven, verbunden
mit Rückbildung im Cor tischen Organ, beruhen müssep, hierdurch
weiterhin an Wahrscheinlichkeit gewinnt. Es sind dies alle jene Formen
von nervöser Schwerhörigkeit, die klinisch ebenso wie die Professions-
schwerhörigkeit trotz zweifelloser Erkrankung des inneren Ohres durch
das Fehlen deutlicher Störungen von selten des Vestibularapparates be-
sonders auffallen, wie ich dies schon in der bereits zitierten Arbeit
W i 1 1 m a a c k : Über Schädigung des GeLOrs durch Schallein Wirkung. 73
ansgefQhrt habe. Diese Annahme, die ich ja inzwischen schon
durch einige klinische Beobachtungen mit nachfolgender pathologisch-
anatomischer Untersuchung der Schläfenbeine weiter gestützt habe,
steht meines Eracbtens nicht im Widerspruch, sondern eher im Ein-
klang mit den bereits erwähnten Befunden bei analogen Fällen von
Alexander, Brühl u.a. und vor aUem von Manasse. Manasse
kommt ja auch auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Resultat,
dass die vorliegende Erkrankung im Nerven bei seinen Fällen als eine
chronische Neuritis zu bezeichnen sei und fasst die Veränderungen im
Cor tischen Organ ebenfalls als zweifellos sekundärer Natur auf. Er
stimmt auch in dem wohl klinisch wichtigsten Punkte meinen Aus-
führungen zu, nämlich darin, dass bei den in Frage kommenden Formen
der nervösen Schwerhörigkeit hauptsächlich der Hörapparat an dem
Erkrankungsprozess beteiligt ist. Dass es sich hier gegenüber dem
Yestibularapparat nur um graduelle Unterschiede handeln kann, scheint
mir selbstverständlich, sodass es nicht Wunder nehmen kann wenn wir
in schwereren Fällen zuweilen auch eine teilweise Miterkrankung
des Nervus vestibularis finden, die freilich meinen bisherigen, allerdings
noch nicht so zahlreichen Beobachtungen nach stets hinter der Er-
krankung des Ramus cochlearis an Intensität weit zurücksteht. Auch
bei den wenigen Fällen von Manasse, die auffallender Weise eine
annähernd ebenso starke Veränderung im Vestibularis wie im Cochlearis
erkennen Hessen, scheint mir doch insofern ein ganz wesentlicher
Unterschied bestanden zu haben, als die Erkrankung dss Vestibular-
nerv nicht zu einer der Atrophie des Cor tischen Organs analog zu
setzenden Atrophie bezw. zu einem analogen Sinneszellenausfall der vom
Vestibularis versorgten Sinnesapparate — der Maculae und Cristae
acusticae — geführt hatte. Ich habe wenigstens niemals Angaben über
eine derartige Atrophie der Maculae und Cristae acusticae finden
können. Es ist dies aber ein Unterschied, der für die Beurteilung der
Funktion dieser Apparate von ausschlaggebender Bedeutung sein kann,
und es scheint mir daher durchaus möglich, dass die Funktion dieser
Apparate auch in diesen Fällen ungestört geblieben oder wenigstens
nur in so geringem Mafse beeinträchtigt war, dass klinisch nachweisbare
Symptome hierdurch nicht ausgelöst wurden. Da diese Fälle klinisch
nach dieser Richtung nicht genau untersucht werden konnten, lässt sich
leider hierüber nichts Bestimmtes aussagen ; sie können aber keineswegs
als gegen meine Annahme sprechend verwertet werden. Aus demselben
Grunde ist es schwer zu entscheiden, ob sämtliche von Manasse an-
1
74 Wittinaack: Über Schädigung ^^ Gehörs durch Schalleinwirkang.
geführten Fälle dieser Gruppe der »nervösen Schwerhörigkeit«, die ohne
Symptome von seiten des Vestibularapparates verläuft und meines Er-
achtens daher als Nervenaffektion aufgefasst werden muss, Oberhaupt
zuzurechnen sind. Ich habe hierbei wohl bemerkt ausser der Hör-
störung durch Schalleinwirkung zunächst nur die, zweifellos viel häufigeren,
primären Nervenfasererkrankungen im Auge gehabt, die allermeist durch
eine Allgemeinerkrankung (Infektionskrankheit, Intoxikation, Kon-
stitutionsanomalie, Erkrankung des Zirkulationsapparates u. s. w.) bezw.
durch eine Nervenerkrankung selbst bedingt sind, nicht aber die durch
Fortleitung von Entztlndung aus der Umgebung bezw. durch Einbettung
des Nerven in Tumormassen und ähnliche Ursachen bedingten Affektionen.
Wenn wir dies alles berücksichtigen, so scheinen mir die Unter-
suchungen Manasses keineswegs gegen die von mir vertretene Auf-
fassung der in Frage kommenden Erkrankungen als primäre Nerven-
erkrankungen zu sprechen und auch keineswegs die Annahme zu wider-
legen, dass es sich bei den Formen von nervöser Schwerhörigkeit, die
ohne Störungen von seiten des Vestibularapparates verlaufen, um eine
Erkrankung des Hömerven handele, wie man dies beispielsweise in
dem einseitigen Referate Görkes') über die Manassesche Arbeit
lesen kann. Ich glaube auch nicht, dass M anasse selbst seine Aus-
führungen in diesem Sinne gedeutet wissen will. Allerdings war ich
bisher der Meinung, dass nach meinen bisherigen Mitteilungen kein
Zweifel darüber aufkommen könnte, dass ich in den Begriff »Nervus
cochlearis« sämtliche Teile des Nerven: Stamm, Ganglion spirale. Auf-
splitterung und auch noch die Sinneszellen mit einbeziehe, also
das ganze Neuron (conf. toxische Neuritis, Zeitschr. f. Ohrenheilk.,
46. Bd., S. 48/49 u. 67/68, experimentelle Neuritis Z. f. 0., 52. Bd.,
S. 176). Ich wüsste auch nicht, wie man bei den vorliegenden ana-
tomischen Verhältnissen diesen Begriff anders fassen könnte. Die Tat-
sache, dass wir gleichzeitig Veränderungen im Stützapparat des C orti-
schen Organs finden, kann, um dies noch einmal zu betonen, nachdem
der Nachweis erbracht ist, dass diese in direkter sekundärer
Abhängigkeit von der Erkrankung des Neurons selbst stehen — woran
ja auch Mauasse nicht zweifelt, — die Berechtigung dieser Auffassung
nicht widerlegen, sondern meines Erachtens eher bestätigen, wenigstens,
falls diese in der beschriebenen charakteristischen Weise auftreten.
Wie wir den vorliegenden Erkranknngsprozess bezeichnen wollen,
ist eine weniger wichtige Frage. Ich halte in Anlehnung an die in
») Zeiitralblatt f. Ohrenheilkunde Bd. V, S. 22.
Wittmaack: Über Schädigung' des Gehörs durch Schallein Wirkung. 75
der neurologischen Literatur übliche Bezeichnung der analogen Er-
krankung an anderen Nerven die Bezeichnung »degenerative Neuritis«
fOr die zweckmäfsigste, indem ich die Entscheidung darüber, ob diese
Bezeichnung für den in Frage kommenden Erankheitsprozess glücklich
gewählt oder besser durch eine andere zu ersetzen wäre, Berufeneren
überlasse. So lange sie aber für den analogen Prozess an anderen
Nerven beibehalten wird, ist es meines Erachtens das richtigste, wenn
wir uns ihrer auch für den vorliegenden Erkrankungsprozess bedienen.
Die Tatsache, dass bei der degeuerativen Neuritis des Hörnerven regel-
mäfsig der zugehörige Ganglienzellenkomplex miterkrankt, spricht meines
Erachtens durchaus nicht dagegen, dass wir den Erkrankungsprozess
der Neuritis anderer Nerven analog setzen und auch analog bezeichnen
— wissen wir doch, dass auch bei der Polyneuritis garnicht so selten
die zugehörigen Nervenzellenkomplexe selbst miterkrankt gefunden werden.
Zur Unterscheidung der verschiedenen Formen der degenerativen Neuritis
von einander halte ich die Gruppierung derselben nach der zu Grunde
liegenden Ätiologie — ebenfalls in Anlehnung an die in der neuro-
logischen Literatur übliche Klassifizierung — für das rationellste. Wir
würden demnach den vorliegenden Erkrankungsprozess als professio-
nelle bezw. Detonationsneuritis des Hörnerven zu be-
zeichnen haben. Auch für die aus andersartiger Ätiologie entstandenen
Neuritiden hält es meinen Beobachtungen nach allermeist nicht schwer,
eine der oben aufgezählten Allgemeinerkrankungen bezw. eine Nerven-
erkrankung als Ursache zu ermitteln. Die der > Professionsschwerhörig-
keit« so ausserordentlich nahestehende »Altersschwerhörigkeit« würden
wir demnach präziser als senile bezw. arteriosklerotische Neuritis be-
«eichnen, da der Arteriosklerose bei der Entstehung derselben wohl
eine wesentliche Rolle zukommt. So sehen wir auch recht häufig ganz
analoge Erkrankungsprozesse in Fällen auftreten, bei denen wir von
einem Senium eigentlich noch nicht recht sprechen, aber doch eine
deutlich ausgesprochene. frühzeitige Arteriosklerose nachweisen können.
Hierzu kommen dann noch die verschiedensten Allgemein- bezw. Nerven-
eriirankungen als an Häufigkeit allerdings hinter den aufgezählten
zurücktretende Ursachen einer analogen Erkrankung des Nerven, die
zu einer toxischen, infektiösen, kachektischen, diabetischen etc. Neuritis
des Hörnerven führen, be^w. falls es sich um abgelaufene Prozesse
handelt, zu einer entsprechenden Atrophie des Nerven bezw. auch einer
postneuritischen Atrophie des Gort i sehen Organs. Eine Unterscheidung
der schwereren zu höheren Graden von Schwerhörigkeit bezw. zur Taub-
76 Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs durch Schalleinwirkung.
heit führenden Formen von den leichteren nur leichtere bezw. mittel-
schwere Grade von Schwerhörigkeit hinterlassenden Formen könnten
wir noch dadurch bewirken, dass wir im ersteren Fall von einer kom-
pletten, im letzteren von einer partiellen degenerativen Neuritis
bezw. Atrophie sprechen, wie ich dies ja alles schon in meinen früheren
Arbeiten hierüber ausgeführt habe.
Wollen wir die Verlaufszeit der Neuritis noch besonders kenn-
zeichnen, so können wir dies ja ausserdem noch leicht durch die Be-
zeichnungen: »akut«, »subakut« und »chronisch« bewirken; nur müssen
wir uns hierbei vor dem Irrtum hüten, dass wir eine jahrelang be-
stehende aber stationär gebliebene Schwerhörigkeit, die de facto
als Residuum bezw. Atrophie nach akuter Neuritis aufzufassen ist^
wegen des jahrelangen Bestandes als chronische Neuritis bezeichnen.
Für die Bezeichnung »chronische« Neuritis ist meines Erachtens der
Nachweis eines kontinuierlichen Fortschreitens des Er-
krankungsprozesses bezw. einer beständigen, wenn auch allmählichen
Zunahme der Gehörsverschlechterung unerlässlich.
Wenn wir nun noch versuchen, die verschiedenen klinischen
Verlaufsarten bezw. Stadien des Erkrankungsprozesses im Hör nerven
mit den verschiedenen Formen des pathologischen Befundes in Einklang
zu bringen, so gelingt dies meines Erachtens recht leicht. Der klinisch
langsam, aber kontinuierlich progredienten Form der degenerativen
Neuritis (infolge von Profession, Arteriosklerose, Kachexie, chron.
Infektion bezw. Intoxikation), die in der Regel nur zu einem mittleren
Grad von Schwerhörigkeit führt, entspricht der S. 62 beschriebene
pathologische Befund am Nerven bezw. Cor tischen Organ, bestehend
in Degeneration vereinzelter Fasern, die sich deutlich erst durch den
Ausfall der Fasern und die hierdurch hervorgerufene Verdünnung der
einzelnen Nervenbündel zu erkennen gibt, verbunden mit allmählichem
Zerfall und Ausfall der Sinneszellen im Cortischen Organ bei Er-
haltenbleiben des Stützapparates. Dass auch der aus andersartiger
Ätiologie als Profession hervorgerufene analoge Erkrankungsprozess am
Hörnerven zu dem gleichen pathologischen Befund führt, dafür spricht
auch der völlig einwandsfrei beobachtete und untersuchte Fall V in
den zitierten weiteren Beiträgen zur Kenntnis der degenerativen Neuritis^
der sich pathologisch-anatomisch mit den genannten experimentell durch
Schalleinwirkung hervorgerufenen Befunden völlig deckt. Die klinisch
schnell progredienten Formen der degenerativen Neuritis (Detonation,
akute Infektion, Intoxikation etc.), die nach Abklingen innerhalb weniger
Wittmaack: Über SchSdigung des Gehörs durch Scballein Wirkung. 7 7
Tage oder Wochen bezw. höchstens Monate eine dauernd völlig gleich
stark bleibende Hörstörung hinterlassen, müssen zu pathologischen Be-
fanden fahren, die sich je nach der Schwere oder dem Alter des Prozesses
mit einem der auf Seite 59 u. 60 aufgezählten Grade des Degenerations-
prozesses bezw. mit den nach Ablauf dieses Prozesses zurückbleibenden
Veränderungen decken. So sind ja, wie schon oben erwähnt, auch
bereits vereinzelte ganz analoge Befunde bei entsprechend verlaufenden
klinischen Fällen auch bei andersartiger Ätiologie erhoben worden.
Ausser diesen beiden reinen Formen — der langsam, aber kontinuierlich
progredienten und der schnell abklingenden Neuritis — gibt es natür-
lich auch klinisch zahlreiche Übergangsstadien von der einen in die
andere und Kombinationen dieser beiden Prozesse miteinander, die da-
durch bedingt sind, dass sich entweder an eine anfangs schnell ver-
laufende Neuritis ein langsam, aber kontinuierlich fortschreitender
Degenerationsprozess anschliesst, der zur allmählich weiter fortschreitenden
Abnahme des schon bei Einsetzen des Prozesses innerhalb kurzer Zeit
mehr oder weniger stark beeinträchtigten Hörvermögens führt, — oder
dadurch, dass im Verlaufe einer an sich langsam progredienten Neuritis
plötzlich eine innerhalb relativ kurzer Zeit zur erheblichen Ver-
schlimmerung des Hörvermögens führende akute Exacerbation einsetzt.
Gerade dieses letztere Ereignis, nämlich eine plötzliche erhebliche Ver-
schlimmerung innerhalb kurzer Zeit können wir während der klinischen
Beobachtung der Fälle langsam progredienter Neuritis namentlich bei
den kachektischen, senilen bezw. arteriosklerotischen und auch bei den
professionellen Neuritiden recht häufig konstatieren, wobei dann häufig
die höchsten Grade von Schwerhörigkeit zurückbleiben. Der patho-
logische Befund bei diesen Fällen, die meiner Beobachtung nach fast
häufiger zu sein scheinen als die reinen Formen, ist durch Kombination
der beschriebenen pathologisch-anatomischen Befunde miteinander ge-
kennzeichnet, wie ich dies ja oben auch bereits ausgeführt habe. Ich
glaube, dass eine ganze Keihe von pathologischen Befunden, die an
klinischen Fällen auch bei andersartiger Ätiologie als Schalleinwirkung
erhoben wurden, wegen ihrer grossen Ähnlichkeit mit den erwähnten
experimentell erzeugten Befunden hierher zu zählen sind; doch würde
es zu weit führen, hierauf ausführlicher einzugehen.
In physiologischer Hinsicht scheint mir die Verschieden-
artigkeit in der Wirkung zwischen den durch Luftleitung zugeführten
Schallwellen und den durch Knochenleitung übertragenen auch nicht
ganz unwichtig. Freilich die Frage, ob die Perzeption des Schalles
78 Wittmaack: Über Schädigung des GehOrs durch Seh allein Wirkung.
bei Zufflhrang desselben dnrch Knochenleitung auf rein ostalem oder
auf >osteo-tympanalem« Wege erfolgt, können wir mit diesen Versuchen
auch nicht entscheiden.
Bemerkenswert für den Physiologen scheint mir femer das gänz-
liche Freibleiben des vestibulären Apparates vor allem bei den mit
kurzdauernder intensiver Schalleinwirkung behandelten Tieren, bei denen
die Degeneration des Cochlearisnerven durch Überreizung auf physio-
logischem Wege und mit dem physiologischen Reiz hervorgerufen wurde.
Es spricht dies, wie so manche andere Beobachtungen der Otiater, ent-
schieden für eine andersartige Funktion dieses Apparates und lässt es
höchst unwahrscheinlich erscheinen, dass ihm unter normalen Verhält-
nissen für die Schallperzeption ein wesentlicher Einfluss zukommt. Ob
es gelingen wird, auch das Neuron dieses Apparates durch eine momentane
Überreizung auf physiologischem Wege zur Degeneration zu bringen»
muss ich zunächst noch dahingestellt sein lassen.
Schliesslich möchte ich noch. auf die Beobachtung hinweisen, dass
namentlich bei den mit wiederholter kurzdauernder Schalleinwirknng
behandelten Tieren bei Verwendung derselben Pfeife durchgehends der-
selbe Schneckenbezirk in bei weitem intensivstem Mause befallen war.
Wenn ich auch die vorliegenden Versuche noch nicht weiter in dieser
Richtung ausnutzen möchte, weil sie nicht allen physiologischen An-
forderungen völlig entsprechen, so glaube ich doch, dass sie weiterer
Verfolgung in dieser Richtung wert sind und dass es bei Verwendung
verschieden hoher intensiver Töne und bei Anstellung vergleichender
Untersuchungen mit demselben Ton bei verschiedenen Tieren möglicher-
weise gelingen wird, Anhaltspunkte für die Beurteilung der Richtigkeit
der Helmholtzschen Theorie hierdurch zu gewinnen.
Erklärung der beigegebenen Abbildungen auf Taf. III — XIL
Fig. 1. Normales Ganglienzellenpräparat bei Hämatoxylin-Eosinfarbung. S ei b er t.
Homug. Immersion, Oc. I.
Fig. 2. Normales Markscheidenpräparat aus der Schneckenspindel bei sekun-
därer Osmierung. Homogene Iramersion, Oc. I, bei a Fettkörnchen,
bei b Myelinkügelchen.
Fig. 3. Normales Markscheidenpräparat aus der Lainina spiralis bei sekundärer
Osmierung. Objektiv V und Oc. L (Die Zellumrisse sind bei starker
Abbiendung gezeichnet.)
Wittmaack: Über Schädigung des GehOrs durch Schalleinwirkang. 79
Fig. 4. Normales Cortisches Organ, zweitnnterste Windung. H&matoxjlin-
Eosinflirbung. Objektiv V, Oc. III.
Fig. 5. Normales Gortisches Organ, zweitoberste Windnng. Hämatoiyün-
Eosinfärbnng. Objektiv £[, Oc. IIL
Fig. 6. Ganglienzellenpräparat bei relativ leichter Alteration (einmaliger Pfiff
nach 2 mal 24 Stunden). Hftmatoxjlln-Rosinfarbnng. Homog. Immersion,
Oc. III, bei a kristallähnliche Gebilde. — Das Präparat ist mit Fig. 1
zu vergleichen.
Fig. 7. Ganglienzellenpräparat bei roittelschwerer Alteration (mehrmaliger Pfiff
^ nach 20 Tagen). Hämatoxylin-Eosinfärbung. Homogene Immersion, Oc I.
Das Präparat ist mit Fig. 1 zn vergleichen.
Fig. 8. Ganglienzellen präparat bei schwerer Alteration der Zellen (mehrmaliger
Pfiff nach 15 Tagen). Hamatoxylin-Eosinfärbang. Homogene Immersion,
Oc. I. Das Präparat ist mit den vorhergehenden (Fig. 7) nnd mit Fig. 1
zn vergleichen.
Fig. 9. Markscheidenpräparat bei leichter Alteration ohne Faserausfall aus der
Schneckenspindel bei sekundärer Osniiernng (einmaliger Pfiff nach 3 mal
24 Stunden). Homogene Immersion, Oc. I. Das Präparat ist mit Fig. 2
zu vergleichen.
Fig. 10. Markscheidenpräparat bei leichter Alteration mit deutlichem Faser-
ausfall (kontinuierliche Schalle in Wirkung nach HO Tagen) bei sekundärer
Osmierung. Objektiv V, Oc. I. Das Präparat ist mit Fig. 3 zn ver-
gleichen.
Fig. 11. Markscheiden präparat bei schwerer Alteration (mehrmaliger Pfiff nach
15 Tagen). Sekundäre Osmierung. Homogene Immersion, Oc. I. Das
Präparat ist mit den vorhergehenden und mit Fig. 2 zn vergleichen.
Fig. 12. C ortisches Organ mit leichterer Alteration der Sinneszellen (kon-
tinuierliche Schalleinwirknng nach 50 Tagen). Hämatozylin-Eosinfärbung.
Homogene Immersion, Oc. I.
Fig. 13. 0 ortisches Organ mit schwerer Alteration der Sinneszellen (mehr-
maliger Pfiff nach 15 Tagen). Hämatoxylin-Eosinfärbung. Homogene
Immersion, Oc. L
Fig. 14. Cortisches Organ, zweitunterste Windung, im beginnenden Zerfall
(einmaliger Pfiff nach 3 mal 24 Stunden). Hämatoxylin-Eoainfärbung.
Objektiv V, Oc. I. Das Präparat ist mit Fig. 4 zu vergleichen.
Fig. 15. Cortisches Organ, zweitunterste Windung, im Zerfall (mehrmaliger
Pfiff nach 20 Tagen). Hämatoxylin-Eosinfärbung. Objektiv V, Oc. I. Das
Präparat ist mit Fig. 4 zu vergleichen.
Fig. 16. Cortisches Organ, zweitnnterste Windung, in Rückbildung begriffen,
mittleres Stadium (mehrmaliger Pfiff nach 35 Tagen). Hyaline Kugeln
noch vorhanden. Hämatoxylin-Eosinfärbung. Objektiv V, Oc. I. Mit
vorhergehenden Präparaten nnd mit Fig. 4 zu vergleichen.
Fig. 17. Analoger Befund bei kontinuierlicher Seh allein Wirkung nach 140 Tagen.
Hämatoxylin-Eosinfärbung. Objektiv V, Oc. I. Mit Fig. 4 und vorher-
gehenden Präparaten zu vergleichen.
80 Wittmaack: Über Schädigung des Gehörs durch Schalleinwirknng.
Fig. 18. Cortisches Organ, zweitoberste Windung, mittlerer Grad der Etlck
bildung. einmaliger Knall nach 12 Tagen. Hämatoxylin-Eosinfärbang.
Objektiv V, Oc. I. Mit Fig. 5 zu vergleichen.
Fig. 19. Cortisches Organ, zweitunter^te Windung, mit Rückbildung mittleren
Grades ohne weiteres Fortschreiten (keine hyalinen Kugeln etc. mehr),
(mehrmaliger Pfiff nach 12 Wochen). Hämatoxylin-Eosinfärhung. Oh-
jektiv V, Oc. I. Mit Fig. 4 und vorhergehenden Präparaten zu ver-
gleichen.
Fig. 20. Cortisches Organ, zweitunterste Windung, stationär gebliebene Rück-
bildung bis zum EpithelhOgel (mehrmaliger Pfiff nach 26 Wochen). '
Hämatoxylin-EosinfärbuniT. Objektiv V, Oc. 1. Mit vorhergehenden
Präparaten und Fig. 4 zu vergleichen.
Fig. 21. Cortisches Organ, zweitunterste Windung, stationär gebliebene Bück-
bildung bis zum Epithelhügel (mehrmaliger Pfiff nach 12 Wochen) mit
Atrophie, im Ganglion i^pirale. Hämatoxylin-Eosinfärbung. Objektiv 11^
Oc. III. Mit vorhergehenden Präparaten und Fig. 4 und 5 zu ver-
gleichen.
Fig. 22. Cortisches Organ, zweitunterste Windung. Völliger Schwund des-
selben ohne Atrophie im Ganglion spirale (mehrmaliger Pfiff nach
30 Tagen). Hämatoxylin-Eosinfärbung. Objektiv II, Oc. III. Mit vorher-
gehenden Präparaten und Fig. 4 und 5 zu vergleichen.
Fig. 23. Cortisches Organ, zweit unterste Windung, nach abgelaufener leichter
Alteration des Nerven (einmaliger Pfiff nach 18 Tagen). Hämatoxylin-
Eosinfärbung. Objektiv V, Oc. I. Ist mit Fig. 14 und Fig. 4 zu ver-
gleichen.
Fig. 24. Cortisches Organ, zweitunterste Windung, nach abgelaufener kurzer
und leichter Alteration des Nerven (einmaliger Pfiff nach 25 Tagen).
Hämatoxylin-Eosinfärbung. Objektiv Y, Oc. I. Ist mit dem vorhergehen-
den Präparat, mit Fig. 14 und Fig. 4 zu vergleichen.
Fig. 25. Cortisches Organ, zweitoberste Windung, mit Sinneszellenausfall bei
gut erhaltenem Stützapparat bei langsam schleichend aber kontinuierlich
progredienter Alteration des Nerven (kontinuierliche Schalleinwirkung
nach 200 Tagen). Hämatoxylin-Eosinfärbung. Objektiv II, Oc. III. Das
Präparat ist mit Fig. 5 zu vergleichen.
Zeitschrift für Ohrenheillcunde LIV.
Fig. 1.
Fig. 2.
Tafel III/IV.
Verlag von J. F. Bergmann, Wiesbaden,
Zeitschrift für Olirenheilkunde LIV.
Fig. 6.
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Zeitschrift für Ohrenheilkunde LIV.
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Tafel VII/VIII.
Verlag von J. F. Boremann, Wlotibf "
Zeitschrift für Ohrenheilkunde LIV.
Tafel IX/X.
Verlag von J. F. Bergmann, Wl
Zeitschrift für Ohrenheilkunde LIV.
1. . 1
~-?2S5v.
Zeitschrift
Kahne: Zar path. Bedentmig der ocdpitalen Sinus verbiadongen. Sl
IV.
(Ans der Universitäts-Ohren- und Eehlkopfklinik zu Bostock
[Direktor: Prof. Dr. Körner].)
Zur pathologischen Bedeutung
der ocdpitalen Sinusverbindungen.
Von J>r. Kühne,
I. ABMstont der Klinik.
Mit l AbbildoBg im Texte.
Vor mehreren Jahren haben Henrici and Kikuchi Unter-
suchungen über die occipitalen Sinosverbindangen an 35 Leichen an-
gestellt and die von ihnen gefandenen Varianten in dieser Zeitschrift
(Bd. 42, S. 351) zusammengestellt. Als Ergebnis der Arbeit warden
^ Typen dieser Blatleiterverbindangcn gefanden. Die Verfasser sprachen
dann ihre Meinung dartlber aas, welche Folge erscheinangen die Ver-
legung der verschiedenen Blatleiter bei jeder der von ihnen beschriebenen
Varianten auf die Zirkulation im Schädel haben würde, und glaubten,
^ass die Variabilität der Hirnsymptome bei der Sinusphlebitis in
inancher Hinsicht durch die Varianten der occipitalen Sinusverbindungen
aufgeklärt werden könnte. Obwohl seit dem Erscheinen der Arbeit von
Henrici und Kikuchi bald 4 Jahre verflossen sind, scheint bei den
Sektionen der an Sinusphlebitis Verstorbenen auf diese verschiedenartigen
Verhältnisse und ihre Bedeutung sowohl für das Übergreifen der Thrombose
TOB einem Sinus auf den andern, als auch für das Zustandekommen
bestunmter klinischer Symptome nirgends geachtet worden zu sein.
Wir hatten vor kurzem Gelegenheit, durch die Untersuchung der
occipitalen Sinusverbindungen bei der Sektion eines Kindes den Nach-
weis führen zu können, dass eine neben der entzündlichen Thrombose
eines Sinus transversus bestehende Thrombose des Sinus sagittalis superior
(longitudinalis) keine Fortsetzung der entzündlichen Thrombose in diesen
Sinus hinein, sondern eine selbständige marantische Thrombose ge-
wesen ist.
Minna FL, 2 Vf Jahr alt, hat vor 3 Wochen eine »Halsentzündung«
durchgemacht, nach deren Ablauf hat das Kind angeblich stets gefiebert,
und zwar oft bis über 40 ^ und seit dieser Zeit nicht mehr gesprochen.
^ Tage vor der Aufnahme in die Klinik bemerkten die Eltern eine
linksseitige Ohreiterung, welche trotz ärztlicher Behandlung profoser
wurde. Am Tage vor der Aufnahme trat eine Schwellung hinter dem
Zeitaehrift Ar OhrenlioUkwide, Bd. LIV. 6
82 Kühne: Zar path. Bedentong der oecipitalen SinnsYerbindnngen.
Ohre hinzu. Bei der Aufnahme am 17. XII. 06 wurde folgender Be>
fand notiert:
Sehr elendes und blass aussehendes Kind mit hohem Fieber (39,5^,
ohne Exanthem. Hinter dem linken Ohre besteht eine mäfsige Schwellung
auf dem Warzenfortsatze. Durch eine starke Senkung der hinteren,
oberen Gehörgangswand ist die Besichtigung des Trommelfells verwehrt.
Das rechte Trommelfell ist normal. £s scheint ein leichter Grad von
Somnolenz zu bestehen. Das Kind spricht und schreit nicht, nimmt
aber flassige Nahrung ohne Widerstreben.
Operation in Chloroformnarkose am Abend des Aufnahmetageg
(17. Xn. 06). Temperatur direkt vor der Operation 37,5 ^ Gerader
Schnitt hinter dem Ohr, die Ohrmuschel tangierend, durch entzündlich
verdicktes Gewebe. Die Gorticalis zeigt Blutpunkte, ist aber sonst wenig
verändert. Beim zweiten Meisselschlage kommt man auf einen mit Eiter
gefüllten Hohlraum, der zum Antrum führt. Die trichterförmige Er-
weiterung der Höhle mit der 2^nge eröffnet weiter mit Eiter gefüllte
Warzenzellen. Reinigung der Wundhöhle mit HgO,, Verband.
18. xn. Morgentemperatur 39,7^. Die Lungenuntersuchung er-
gibt keine Zeichen für das Bestehen einer Pneumonie. Während des
Tages bleibt die Temperatur mit kleinen Schwankungen hoch bis zu
39,7®. Das Kind sieht blass aus, nimmt keine Nahrung zu sich und
wird von Stunde zu Stunde unruhiger. Abends Verbandwechsel: Die
Knochenränder, hauptsächlich der hintere Teil des Proc. mast. zeigen
eine beinahe porzellanartige Blässe. Während der Nacht besteht grosse
Unruhe, zuweilen ist die Atmung röchelnd, oft setzt dieselbe aus. Zeichen
von Meningitis, insbesondere Kernigsches Symptom und Nackenstarre^
fehlen.
19. Xü. Morgentemperatur 39,0®. Lungenuntersuchung wieder
negativ. Auch heute frQh findet sich nichts, was auf Meningitis hin-
deutete.
IL Operation: Verlängerung des alten Schnitts und senkrecht
darauf Schnitt nach hinten. Nach Zurückschieben des Periosts erscheint
der Knochen ziemlich weiss, aus der Sutur an der Incisura parietalis
fliesst blutig-seröse Flüssigkeit ab. An dieser Stelle, wird mit dem
Meissel eingegangen und das gewonnene Loch nach allen Seiten mit der
Zange erweitert. Der nun in ziemlicher Ausdehnung (etwa 3 — 4 cm)
freiliegende, auffallend starke Sinus ist schmutzi^-graugelb verfärbt und
fühlt sich hart an. Zunächst wird die Jugularis interna freigelegt^
wobei zahlreiche speckig veränderte Drüsen entfernt werden müssen.
Die Jugularis ist oberhalb der Einmündung der Vena facialis collabiert ;
sie wird hier doppelt unterbunden und zwischen den Ligaturen durch-
schnitten. Der Faden am oberen Stumpfe wird lang gelassen zur leichteren
Auffindung des Stumpfes bei den Verbandwechseln, der obere Stumpf
selber wird oberhalb der Ligatur auf 2 cm Länge gespalten. Er ent-
hält keinen Thrombus und nur wenige Tropfen Blut. Darauf Spaltung
Kühne: Zur path. Bedeutung der occipitalen Sinus Verbindungen. 83
des Sinus und Anslöffelnng von derben Throrabosmassen, welche sich
aasgedehnt nach beiden Seiten erstrecken; eine Blatung erfolgt nicht.
Eine weitere Verfolgung des Thrombus nach beiden Richtungen wird
wegen drohenden CoUapses unterlassen. Verband. Nach der Operation
werden ca. 400 ccm Kochsalzlösung in Bauch- und Schenkelhaut infundiert.
Abendtemperatur 39,5
20. XII. Morgentemperatur 39,1. Allgemeinbefinden unverändert.
Barch Lumbalpunktion werden etwa 15 ccm einer opaleszierenden,
orangefarbenen, ganz leicht getrübten, tropfenweise abfliessenden Flüssig-
keit entleert, welche mikroskopisch in frisch gefärbtem Präparate sehr
vereinzelte weisse, meist einkernige Blutzellen, aber keine Mikroorganismen
enthält; ebenso bleiben mit ihr geimpfte Nährböden steril. (Untersuchung
im patholog. Institute der Universität.)
Ophthalmoskopisch wird auffallende Blässe des Augenhinter-
grundes, keine Stauung, festgestellt (Privatdozent Dr. Erdmann).
Tagsfiber nimmt das Kind Nahrung zu sich, abends ist die Atmung
rahig, Temperatur 40,0. Kochsalzinfusion 300 ccm. Es treten konvulsive
Zackungen auf, welche den Abend über anhalten. Während der Nacht
fällt die Temperatur bis auf 38,2; um 6 Uhr morgens erfolgt der
Exitus letalis.
Sektion 6 Stunden nach dem Tode. Nur Kopfsektion gestattet.
Der linke Sinus transversus ist nur in der Flexura sigmoidea, da,
wo er incidiert und ausgeräumt worden war, frei von Thromben, sonst
völlig thrombosiert bis zum Conilaens sinuum. Der Thrombus ist derb
and solide, an einzelnen Stellen, auch nahe dem Confluens, zirkumskript
erweicht. Ferner findet sich der ganze Sinus sagittalis superior thrombo-
siert; der Thrombus ist hier durchweg solid, nur direkt in der Confluens-
gegend zeigt sich eine zirkumskripte Erweichung. Im Zusammenhange
mit der Thrombose des Sinus sagittalis besteht weiterhin eine aus-
gedehnte Thrombose der Hirnhautgefässe, bilateral symmetrisch in der
Scheitelgegend, mit blutiger Durchtränkung der Pia. Die Thrombose
der Hirnhautgefässe, wie auch die blutige Durchtränkung der Pia
steigen in der Gegend der Zentralwindungen bis in die Fossae sylvii
herab. Auf der linken Seite besteht eine ausgedehnte oberflächliche
Nekrose der Hirnsnbstanz, die sich unter der blutig-durchtränkten Pia
verbreitet. Nirgends eine Spur Eiter. Ventrikel normal. Die Besichtigung
des linken Schläfenbeins von der Schädelhöhle aus lässt erkennen, dass
der Knochen rings um die Operationsöflfnung noch einige Millimeter
weit nekrotisch ist. Er zeigt sich hier grau-weiss mit scharfer Ab-
grenzung gegen die normale Umgebung.
Nach Herausnahme der Dura mit den Sinus in der hinteren Schädel-
grabe zeigen sich folgende Veränderungen am Confluens:
84 Kühne: Zar path. Bedeutung der occipitalen Sinnsverbindungen.
Der Sinus sagittalis geht yolhtändig in den rechten Transversus
Ober. Der linke Transversas bildet sich aas dem Sinus rectus and
kommuniziert durch zwei dünne Bahnen direkt, bezw. indirekt mit dem
Sagittalis bezw. Transversus dexter. Diese Bahnen sind folgende:
1. Eine etwa 2 — 3 mm weite Bahn verbindet den Sinus transversas
sinister mit dem Sinus sagittalis superior.
2. Je eine ebenso enge Bahn entspringt aus dem Sinus transversas
dexter und sinister, um sich alsbald als Sinus occipitalis za
vereinigen.
Fig. 1.
Sin.
S'm.
tnansir.
öinisr.
Conflnens sinnuin, von vorn gesehen. Die soliden Thromben sind einfach,
die erweichten Stellen doppelt schraffiert.
In dem so beschaffenen Confluensgebiete sind die Sinus transversas-
and sagittalis-Thromben vollständig von einander getrennt. Zwar er-
streckt sich der Thrombus aus dem linken Transversus ein paar Milli-
meter weit in die von ihm ausgehende Sinus-occipitalis- Wurzel, erreicht
jedoch nicht die vom Sinus transversus dexter kommende Sinus occipitalis-
Wurzel, die frei von Thromben ist. Auch die direkte Verbindung vom
Sinus transversus sinister zum Sinus sagittalis ist frei von Thromben.
Durch die mikroskopische Untersuchung der Thromben sowohl im
Sinus sagittalis als auch im Sinus transversus sinister können — aach
an den Erweichungsherden — in zahlreichen gefärbten Schnitten keine
Mikroorganismen nachgewiesen werden.
Die Thrombose im Sinus sagittalis superior ist also keine aus dem
Sinus transversus sinister fortgesetzte, sondern eine selbständige und
EQhne: Zar path. Bedentnng der occipitalen äiansyerbiDdangen. 85
mnss als marantische angesehen werden. Daffir spricht erstens das
Fehlen der Kontinuität zwischen beiden Thrombengebieten. Ohne die
genaue Untersuchang der occipitalen Sinusverbindangen wäre diese
Trennung nicht gefunden worden und man hätte dann wohl eine ein-
fache Fortsetzung des Thrombus aus dem Sinus transversus sinister in
den Sinus sagittalis angenommen. Zweitens spricht fttr die marantische
Natur des Thrombus im Längsblatleiter die Ausdehnung des Thrombus
auf den ganzen Längsblutleiter und sein gesamtes Quellgebiet an der
KoDYexität, sowie die gerade für eine marantische Thrombose charak-
teristischen hämorrhagischen, beziehungsweise nekrotischen Veränderungen
der Hirnhäute und der Himoberfläche im Quellgebiete. Ferner kommt
in Betracht das zur marantischen Thrombose prädisponierende frflhe
Kindesalter und die schwächende »Halsentztkndung« mit nachfolgender
Schläfenbeinnekrose und das 3 Wochen lang bestehende hohe Fieber,
das wohl auf die otogene Phlebothrombose des Sinus transversus sinister
bezogen werden darf. Dass letztere otogen war, ist wohl aus der bis
ram Sinus gehenden Knochenkrankheit und der äusseren Verfärbung
des Sinus am Knie zu schliessen.
Hätten sich bei der mikroskopischen Untersuchung des Thrombus
im Querblutleiter Bakterien gefunden, im Längsblutleiter aber nicht, so
hätte man das als einen Beweis für die marantische Entstehung des
Längsblutleiter-Thrombos heranziehen können. Es mag aber hervor-
gehoben werden, dass selbst ein positiver Befund von Bakterien im
Längsblutleiter hier nichts gegen die marantische Entstehung hätte be-
weisen können. Wir wissen ja zur Genüge, dass bei otitischer Phlebitis
des Sinus transversus Bakterien in den Kreislauf gelangen können, und
es wäre deshalb auch nicht überraschend, wenn sie sich in einem gleich-
zeitig oder später entstandenen marantischen Thrombus eingenistet hätten.
Gehen wir nun zur Betrachtung der klinischen Erscheinungen,
welche durch den so ausgedehnten Sinus verschluss hervorgerufen worden
sind, aber, so ist es erstaunlich, dass das Kind bei Lebzeiten gar keine,
auf die Thrombose hindeutende Symptome geboten hat. Trotz des so
stark behinderten Abflusses des venösen Blutes aus dem (Innern) Quell-
gebiete der Vena magna Galeni und dem (äussern) Quellgebiete des
Sinns sagittalis konnte statt der erwarteten Stauungserscheinungen an
dem Angenhintergrunde nur eine auffallende Blässe desselben festgestellt
werden. Ebenso wurden trotz der ausgedehnten Thrombose des Sinus
sagittalis superior Veränderungen an der Aussenfläche des Schädels bei
Lebzeiten vermisst, wie sie von Gradenigo (Arch. f. Ohrenh. Bd. 66,
86 Kühne: Zur patb. Bedeutung der occipitalen Sinus Verbindungen.
S. 243) beobachtet wurden. Nach diesem Autor besteht das Symptom
einer eitrigen Thrombose des oberen Längsblutleiters in dem Auf-
treten einer flnktierenden schmerzhaften Schwellung in der Scheitel-
gegend und zwar in der Mittellinie, entsprechend einem der Foramina
emissaria Santorini, also am hinteren Teile der Sutura sagittalis.
Allerdings erklärt auch Gradenigo, dass die eitrige Thrombose dieses
Sinus otogenen Ursprungs bei Autopsien ziemlich selten getroffen wird
und dieselbe gewöhnlich keine schon im Leben erkennbare Symptome
verursacht. Vielleicht hätte in unserem Falle, wenn der Thrombus des
Längsblatleiters nicht marantischer, sondern entzündlicher Natur ge-
wesen wäre, das oben beschriebene Symptom beobachtet werden könn^,
entsprechend der Tatsache , dass auch eine einfache Thrombose • des
Sinus transversns keine Schwellung in der Gegend des Foramen mastoi-
deum macht, während eine eitrige Periphlebitis des Sinus transversus
(perisinuöser Abszess) dieses Symptom häufig zur Folge hat. Die einzige
Erscheinung, welche intra vitam als Folge cerebraler Störungen bemerk-
bar gewesen ist, war der Verlust der Sprache, vielleicht allein bedingt
durch einen gewissen Grad von Benommenheit des Sensoriums.
Das Ergebnis der Lumbalpunktion bedarf noch einer kurzen
Betrachtung. Dass vermehrte Leukocyten für sich allein nicht das Be«
stehen einer eitrigen Meningitis beweisen, ist heutzutage genügend be-
kannt. Das Opaleszieren der Flüssigkeit in einem orangefarbenen Tone
mag durch die hämorrhagischen, beziehungsweise hämorrhagisch-nekro-
tischen Veränderungen an der Konvexität bedingt gewesen sein.
Der Fall beweist, dass man nicht mehr berechtigt
ist, bei dem Befunde von Thromben in einem Quer- und
zugleich in einem Längsblutleiter, die letzteren als ein-
fach aus dem Quer- in den Längsblutieiter fortgewachsen
anzusehen.
G. Zimmermann: Das Hören der Nengeborenen. 8 7
V.
Das Hören der Neugeborenen.
Von Dr. G. Zimmermann in Dresden.
Es scheint ein eigenes Verhängnis unserer Disziplin zu sein, dass
immer wieder ungenügende Methoden zur Entscheidung wichtiger physio-
logischer Fragen herangezogen werden. So hat Koellreutter — wie
er in der Zeitschr. f. Ohrenheilk. Uli, S. 123 ff. berichtet — das
flörvermögen der Neugeborenen mittelst Galtonpfeifchens und tiefer
Stimmgabeln beobachtet. Er fand, dass auf den Ton C® des Galton-
pfeifchens die Kinder mit blitzartigem Lidzucken und Stirnrunzeln ant-
worteten, dass aber die tiefen Stimmgabeln nie diese Reaktion aua-
lösten. Daraus schliesst er auf ein Hörvermögen wohl für hohe, nicht
aber für tiefe Töne, und führt das auf eine Störung in der Schall-
leitung durch das bei Neugeborenen in der Pauke vorhandene Schleim-
gewebe zurück.
Zunächst hätte wohl einem vorsichtigeren Beobachter die Frage
kommen müssen, ob wirklich das Ausbleiben der Reaktion so strikt für
ein Ausgebliebensein der Hörempfindung beweist. Es könnte sein, dass
die Kinder eine grosse Zahl von Tönen hören, auf die sie aber nicht
reagieren, und dass sie reagieren nur auf eine Minderzahl, die durch
ihre besondere Stärke unangenehm oder erschreckend wirken. Vielleicht
erklärt sich das scheinbare Ausbleiben der Reaktion bei tiefen Tönen
selbst grösserer Intensität dadurch, dass diese ihrer Natur nach nicht
80 leicht die Reaktion auslösen; sei es, dass an sich die Empfindlich-
keit des Sinnesorgans in dieser Beziehung geringer ist, sei es, dass da
gewisse Schutzvorrichtungen bestehen, die eine Abdämpfung gerade der
tiefen Töne begünstigen und somit jene Nebenwirkungen in entfernten
Muskelgruppen hintanhalten.
Nun können aber die tatsächlichen Befunde Koellreutters nicht
einmal auf Aligemeingültigkeit Anspruch machen. Ich habe mit freund-
licher ErJaubnis des Herrn Geheimrat L e o p o 1 d und mit Unterstützung
Yon Dr. Meissner und anderer Assistenzärzte der kgl. Frauenklinik
hier etwa 50 Neugeborene untersucht. Es wurde handbreit vor dem
Ohr der Kinder der Ton C^ eines geaichten Edel mann sehen Galton-
pfeifchens angeblasen und dabei nur in 8 — 9 Fällen eine deutliche
Reaktion bemerkt. Und auffallenderweise bei den 12 Neugeborenen,
<iie gerade in den letzten 24 Stunden geboren waren, wurde statt der
100 0/^, die nach Koellreutter zu erwarten gewesen wären, ge-
fanden, dass nur ein einziges Kind mit Lidzucken reagierte. Also
selbst bei diesen hohen Tönen ist eine »gute Reaktionsfähigkeit« nicht
überall zu konstatieren.
Sodann muss es als ein Kardinalfehler der Koellreutter sehen
Untersuchungen bezeichnet werden, dass die Wirkungen hoher und
88 6. Zimmermann: Das Hören der Neugeborenes.
tiefer Töne an einem durchaas angleichen Mafsstab mit einander ver-
glichen werden. Es hätte doch niemandem entgehen sollen, dass
gegenüber den darchdringenden Tönen des Galtonpfeifchens die
tiefen Stimmgabeln nar ganz laatschwache Töne erzeagen and dass die
Wirkungen beider gar nicht mit einander in Parallele gestellt werden
können. Wollte man eine vergleichbare Unterlage schaffen, so hfttte
man mit dem Qaltonpfeifchen aas ganz weiter Entfernung prüfen
mflssen und hätte dann ebenso wenig wie bei den tiefen Stimmgabeln
eine Reaktion bekommen; oder man hätte in den tiefen Lagen Töne
zur Vergleichung heranziehen müssen, die denen des Galtonpfeifchena
leidlich in der Stärke gleichkamen. Man hätte dann — ich habe mit
dem tiefen C der Tuba geprüft — nicht so selten (in meinen Versuchen
mindestens viermal) auch für diese tiefen Töne eine Reaktion erhalten.
Also nicht davon, ob die Töne hoch oder tief sind, scheint die Reaktion
in erster Linie abhängig, als vielmehr — was ja nicht Wunder nehmen
kann — davon, ob sie leise oder laut sind.
Inwieweit im einzelnen das in der Pauke vorhandene Schleim-
gewebe von hörverschlechtemdem Einfluss ist, ist nicht erkennbar; ein
Einfluss wird ja zweifellos vorhanden sein, doch ist er bei der Stumm-
heit des Versuchsobjekts entweder gar nicht oder nur mit noch sub-
tileren Methoden zu bestimmen.
Jedenfalls bieten die Koellreutt er sehen Untersuchungen keine
Handhabe, um die Lehre von der Schallleitung der tiefen Töne durch
die Kette irgendwie zu stützen. Beide beruhen auf der unkritischen
Verwendung der Stimmgabel zu vergleichenden Messungen und auf un-
haltbaren physikalischen Prämissen.
Bei der Gelegenheit möchte ich auf einen Punkt hinweisen, der
geeignet ist, den Irrtum zu verlängern oder mindestens die unbefangene
Urteilsbildung zu erschweren. Das ist die Nonchalance, mit der
noch immer die Bezeichnung »Schallleitungsapparat« als Terminus für
die Ohrknöchelchenkette gebraucht wird. Man sollte sich doch des.
hypothetischen Ursprungs dieser Bezeichnung wieder mehr bewusst
werden und sie als überflüssig und irreführend vermeiden gerade bei
physiologischen Forschungen nach der wahren Funktion der Ohr-
knöchelchen. Die Ausdrücke »Mittelohrapparat « oder >Enöchelchen der
Kette« sind mindestens ebenso kurz und bezeichnend und präjudizieren
nichts.
W. Koellreutter: Bemerkung zur vorsteh, Arbeit v. Dr. ZimmermanD. 89
VI.
Bemerkung zur vorstehenden Arbeit von
Dr. Zimmermann in Dresden.
Von Dr. W. Koellreutt<»r.
In melDer von Zimmermann kritisierten Arbeit habe ich dar-
zQlegen yersncht, wie unsere Kenntnisse und Anschauungen Aber die
Schwerhörigkeit der Neugeborenen je nach der Entwickelung der Hör-
prOfangsmethoden in der Ohrenheilkunde die verschiedensten Wand-
Injigen durchgemacht hat, und anschliessend daran wollte ich feststellen,
wie die heute vielfach geübte Untersuchung mit der Bezold-Edel-
mann sehen Tonreihe ausfalle. Jedem, der gewohnt ist, an den P'ort-
schritt unseres Könnens einen historischen Mafsstab anzulegen, erscheint
es selbstverständlich, dass wir mit der Bezold-Edel mann sehen
Tonreihe keineswegs einen Abschluss in der Entwickelung der Gehör-
prfifungsmethoden haben, sondern nur eine Etappe. Das kann uns aber
nicht hindern, so lange wir nichts Besseres haben, die Tonreihe an-
zuwenden und aus den erzielten Resultaten Schltlsse zu ziehen. Späteren
Zeiten und späteren Autoren mag es vorbehalten sein, auch unsere An-
schannngeu in die historische Rumpelkammer zu werfen.
Es wttrde deshalb ganz unverständlich sein, warum Zimmer-
mann vorstehende Bemerkungen niedergeschrieben hat, wenn er uns
nicht selbst den Grund angäbe: »Jedenfalls bieten die Koellreutter-
schen Untersuchungen keine Handhabe, um die Lehre von der Schall-
leitnng der tiefen Töne durch die Kette irgendwie zu stützen, o Ich
habe keine Veranlassung, diese Lehre, von der in meiner Arbeit gar
nicht die Rede war, zu prüfen, und überlasse es Zimmermann,
seinen Standpunkt in dieser Frage zu vertreten. Dasselbe gilt für die
Polemik, die er gegen den Gebrauch des Wortes »Schallleitungs-
apparat« führt.
Als einen »Kardinalfehler« meiner Yersuchsanordnung bezeichnet
es Zimmermann, dass die Intensität der hoben und tiefen Töne
nicht ausgeglichen ist und so in ihrer Wirkung nicht in Parallele ge-
stellt werden könne. Weshalb Zimmermann diese bekannten der
Bezold-Edelmann sehen Tonreihe anhaftenden Mängel gerade mir
vorwirft, verstehe ich nicht. Seine »noch subtileren Methoden« sind
mir nicht bekannt, doch wird ihm sicher jedermann für Bekanntgabe
derselben dankbar sein.
Femer schreibt Zimmermann: »Zunächst hätte wohl einem
vorsichtigeren Beobachter die Frage kommen müssen, ob wirklich das
Ausbleiben der Reaktion so strikt für ein Ausgeblicbensein der Hör-
empfindung beweist.« Von Ausgebliebensein der Hörempfindung habe
ich kein Wort geredet, da es sich ja nicht um eine Taubheit, sondern
Schwerhörigkeit beim Neugeborenen bandelt. Dass bei dieser Schwer-
1
90 W. Eoellrea tter: Bemerkang zur vorsteb. Arbeit v. Dr. Zimmermann.
hörigkeit der tiefe Ton einer Tuba vielleicht noch gehört wird, die
tiefen Edel mann sehen Stimmgabeln dagegen nicht, ist sehr wohl be-
greiflich, kam aber für mich nicht in Betracht, da ich gerade die
Reaktion der Neugeborenen anf die Töne der Bezold-Edelmann-
sehen Reihe prüfen wollte.
Was nan die Frage betrifft, ob das Nichtreagieren auch ein Nicht-
hören bedeutet, so ist dieselbe bekanntlich nicht zu entscheiden. Wollten
wir sie verneinen, so mtlssten wir überhaupt darauf verzichten, Hör-
prüfungen bei Neugeborenen vorzunehmen.
Die nachprüfenden Versuche Zimmermanns, die ein zum Teil
anderes Resultat gebracht haben, zeigen höchstens, dass bei der sehr
schwierigen Aufgabe, die Reaktionen der Versuchskinder richtig za
deuten, jeder Experimentator, der mit einem gewissen Vorurteil an die
Sache herangeht, ein dementsprechendes Resultat haben kann. Um ein
jedes Vorurteil auszuschalten, habe ich, wie in meiner Arbeit angegeben
ist, nur solche Reaktionen gelten lassen, die nach dem überein-
stimmenden Urteile mehrerer Beobachter (nicht nur Otologen, sondern
auch Gynäkologen) als solche aufzufassen waren. Hätte Zimmermann
recht, so würden nicht nur meine Beobachtungen, sondern auch die der
meisten Autoren, die vor mir in dieser Frage gearbeitet haben, hin-
fällig werden.
Bes]» y aoliiiny^n.
Geschichte der Ohrenheilkunde voa Dr. Adam Poaitzar,
o. ö. Ppofieasor der Ohrenheilkunde an der Wienep üniverMt&t,
k. k. Hofrat. Zwei Bände. I. Band : Von den ersten An:
fitageu bis ?ur Mit-te (J^s 19. Jfttv?hu^4e^, i^(\ 3\ Bild-
nis^ea auf Tl^^n ui^d Id Tes^tfig^ren. @tuttig{(rt, Yer4$i^
von Ferdinand Bnk§, |9i)7.
l>r. Chastav Bsftkl ia Bttdia.
In dem gleichen Jah^g^ |i| welgbjeqt Politzer ^p) |rr$f4^Q fi^
dauern s^ller^ die ihji persönlicji ^a l^ßnqen die Frenze habeu un4 stolz
ößi^ni sind, seine SchfÜier zu heissen, von deQi Lehraoit znracktrittj, hat
dieser i)nyerän<}erli<;h junge Forscher ein Werk herausgegeben, dessen
Inhalt und Umfang ein Y^rheißsnngsvQlles Licht apf die $a% wirft, der
unser Altmeister nanmehr entgegengeht.
An der Altersgrenze stehend, einem Zeitpunkt, §q Wßi^&^P ^fgt
häufig Schüler ^ich verei^pn, um ihrem {^ehrer und Meister ^um pichen
ihres Danken ein S^pimelwerk zu 1)berreic)ien, hat Politzer §icfa seilest
und der wiss^nschaftlict^eji Welt eine FidstscI^rift geschenkt, w|e sie ihin
▼on anderen kaum )^i|tte gewidmet werden kOnnen. Man J^ann dies
freudig als einen Beweis seiner jgeistlge^ und körperlichen P^raft her
grOsseiL die auch Qoch in der Zukunft apf manche Ütserraschung hoffeg
lässt! — - «--
U«i 4JiA GfSiaQjbi^hti^ ^es ^[i^jdal^he^ ^a j^ohreij^n, gehört mehjr
ab a«as(u::or4eQtiicher Flgiss, ]^arhelt Ducjl Si^ac^^arstäQdxilf , loebr al^
hi9tofi8(cb«r gJAU, genialef Eönneii .uu^ umf^ejide ]p[enjBitf i^^ --r ^e
Wii9b«U d^ All^rsJ
Ifl jtngertp J^tor^ be^i^htet p^pcfaer Fqw^\\^ WßpyL^ SV^^
mai ksitiseb die AiÄ^t (ler Tierwelt wie d^er Z^^gefioßs^; dßßfi SS^Tg^
92 Besprechungen.
und Rahmsucht verleiten ihn leicht daza, die eigenen Arbeiten und
die seiner Schule anders einzuschätzen, als es der geschichtlichen Ent-
wickelung der Wissenschaft und ihrer wahren Bedeutung entspricht. Wer
dagegen im abgeklärten Alter selbst auf dem strahlenden Gipfel des Ruhmes
steht, bietet von vorneherein die Gewähr ffir das Gelingen seines Werkes.
Wir mttssen es daher schon als eine verdienstvolle Tat betrachten, dass
Politzer erst jetzt — beim Abschied von der Stätte, an der er Jahr-
zehnte hindurch als unerreichter Forscher, unennüdlicher Lehrer und
weltberflhmter Arzt gewirkt hat — gewissermafsen sein Lebenswerk damit
krönt, dass er einen Rückblick wirft auf das, was vor uns, was vor
ihm in der Spezialdisziplin geleistet wurde.
»Wer Anspruch darauf erheben will, sein Gebiet nach jeder
Richtung hin zu beherrschen, muss die Leistungen früherer Epochen
kennen. Nur das gründliche Studium der Fachliteratur Offnet ihm den
Blick für wichtige und unentbehrliche Vorarbeiten, und die lebendige
Beziehung zwischen den Leistungen einer früheren Zeit und den Er-
rungenschaften der Gegenwart werden ihn vor Prioritätsansprüchen
schützen, wo es sich um literarisch festgestellte Leistungen einer früheren
Epoche handelt.
Der Gesamtüberblick über das geistige Inventar vergangener Perioden
gibt uns aber ausser der richtigen Wertschätzung abgeschiedener
Geschlechter auch nützliche Anregungen für eigene Forschung. Die
Geschichte einer SpezialWissenschaft soll in gewissem Sinne der Leit-
faden aus der Vergangenheit in die Gegenwart sein und die Grund-
lage, auf der die Wissenschaft weiter ausgebaut werden soll.«
Von diesem Grundgedanken wurde Politzer bei der Abfassang
seiner Geschichte der Ohrenheilkunde geleitet.
Das Werk, welches in pietätvoller Weise dem Andenken Nothnagels
gewidmet ist, vereint die Vorzüge eines übersichtlichen und klaren Auf-
baues mit einer Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit, die den Forscher
fast stets selbst bis zu den Quellen des geschichtlichen Wissens vordringen
Hess, zugleich mit der Schönheit einer formvollendeten Sprache und
guten Ausstattung.
Einen Eindruck von dem Reichtum des Werkes erhält man schon
bei einem Blick in das Inhaltsverzeichnis; es enthält: Die Otiatrie
bei den alten Völkern des Orients (Ägypter, Babylonier, Juden, Inder),
bei den Griechen und Römern, die Otiatrie im Mittelalter (Byzantiner,
Araber, Latinobarbaren). Die Otiatrie in der Überf^angsperiode zur
Neuzeit umfasst die Vorläufer der grossen Anatomen Italiens, die Otiatrie
in der Renaissancezeit, die Zeitj^enossen und Nachfolger der grossen
Anatomen in Italien, den Stand der Ohranatomie in Deutschland, Holland
und Frankreich, endlich die Pathologie und Therapie der Ohrerkrank-
ungen im 16. Jahrhundert. Die Otiatrie im 17. Jahrhundert umfasst
die Anatomie und Physiologie des Gehörorganes in Italien, Deutschland,
in den Niederlanden, Dänemark, England, Frankreich, dann die Pathologie
und Therapie bis Düverney. Die Otiatrie in der neueren Zeit ent^
BesprechoDg«!!. 98
b< den Stand der Anatomie und Physiologie in Italien, Frankreich,
den Niederlanden, in England, Deutschland, ferner die Pathologie und
Therapie und eine Übersicht des Standes der pathologischen Anatomie
bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, endlich noch als Anhang die
Ohrenheilkunde bei den Chinesen und Japanern. Die Otiatrie in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts enthält den Stand der Ohranatomie
und Phrsiologie, eine Übersicht der pathologisch-anatomischen Befunde,
der diagnostischen Hilfsmittel und der Pathologie und Therapie der
Ohrerkrankungen in England, Frankreich, Deutschland in diesem Zeit-
abschnitt und ausserdem den Stand des Taubstummen-Unterrichts bis
«im Ende des 18. Jahrhunderts. Mit der historischen Würdigung
Wilhelm Krämers und Gustav Linkes schliesst der erste Band
und damit die Schilderung einer Epoche, »die zwar den wissenschaft-
lichen Aufbau der Otiatrie durch mannigfache Ansätze vorbereitete,
aber selbst noch weit entfernt von diesem Ziele blieb. Zu einer Zeit,
da andere Zweige der Medizin von der anatomischen Denkweise bereits
darchdrungen waren, verharrte die Ohrenheilkunde noch im wesent-
lichen bei der symptomatischen Erankheitsauffassung und bei einer
znm Teile absolut gewordenen Therapie. Rokitansky und Skoda
hatten den Weg gewiesen, der allein zu einer Neubegrfindung der
Medizin fahren konnte: steter Vergleich der kleinsten Phänomene mit
den Befunden an der Leiche und nüchterne Krankenbeobachtung.
Diesen Weg musste auch die Otiatrie betreten. Nur dadurch konnte
sie jene ergebnisreiche wissenschaftliche Tätigkeit entfalten, auf die
sie gegenwärtig mit voller Befriedigung zurückblicken darf. Es war
das Verdienst Toynbees, Wildes, v. Tröltschs, Moos' und
anderer Männer zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,
die Aera der wissenschaftlichen Otiatrie eröffnet zu haben.«
Mit diesen Worten schliesst Politzer sein herrliches Werk! —
Es ist ein reiner G-enuss, die klaren und charakteristischen Schil-
derungen zu lesen, die, gewürzt durch Streiflichter auf die moderne
Ohrenheilkunde und verschönt durch 31 ausgezeichnete Bildnisse, die
Vertreter der alt^n Ohrenheilkunde in klaren Umrissen vor uns aufleben
lassen. Den von Politzer geäusserten Wunsch: — »Möge denn dieses
Werk, dessen Abfassung mir bei aller Arbeit doch auch Stunden reinster
Freude gewährt hat, meinen Fachgenossen nützliche Anregung zu
eigenen firuchtbringenden Studien auf dem Felde unseres Spezialfaches
bieten«, — wird sicher in Erfüllung gehen, und wir möchten noch
mit unserem Danke und unserer Bewunderung für Politzers Werk
die Hoffnung vereinen, dass der zweite Band der Geschichte der Ohren-
heilkunde in nicht allzu femer Zeit und in gleicher Vollendung er-
scheinen möge, — uns allen zur Belehrung und unserer Wissenschaft
zum Ruhme!
94 BesprechuDgen.
Atlas der deskriptiven Anatomie des Menschen
von Prof. Dr. med, J. Sobotta. Lehmanns medizinische
Atlanten IV. Band. III. Abteilung: Die Sinnesorgane des
Menschen. München 1907.
Besprochen Ton
Dr. Gustav Brahl in Berlin.
Einen grossen Teil des vorliegenden Bandes füllt das Gehörorgan
ans, welches in Fignr 671 — 719 dargestellt ist. Die Ahhildnngen sind
nach hervorragend schönen Präparaten ausgeführt nnd geben einen vor-
trefflichen Überblick über den Bau des Gehörorganes. Die Ausführung
der Abbildungen ist eine vortreffliche, sodass das Buch zum Studium
der Ohranatomie warm empfohlen werden kann.
Fach- und Personalnaohrichten.
Vom 15. — 21. September 1907 findet in Dresden die 79. Ver-
sammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte statt. Vorträge
und Demonstrationen für die Rhino-laryngologische Sektion wolle man
bis 31. Mai bei Herrn Dr. med. Max Mann, Ostra-Allee 7, für die
Otologische Sektion bei Herrn Dr. Alfred Wiebe, Altstadt, Brunn-
strasse 7, anmelden.
An der Oto - laryngologischen üniversitäts - Klinik
Basel wird vom 7. — 19. Oktober a. c. ein praktischer Kurs statte
finden über normale und pathologische Histologie sowie über
mikroskopische Technik des Gehörorgans, unter Leitung
von Prof. Dr. Siebenmann und Dr. Nager.
Prof. Dr. Denker in Erlangen wurde unter die Mitglieder der
Leopoldinisch-Karolinischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen.
Dr. üffenrode hat sich als Privatdozent für Hals-, Nasen- und
Ohrenkrankheiten in Göttingen habilitiert.
Wie die ganze Ärzteschaft betrauern auch die Ohrenärzte den im
März d. J. verstorbenen Berliner Chirurgen Ernst von Bergmann.
Er gehörte zu den Pfadfindern in der Chirurgie des otogenen Hirn-
abszesses und hat die Fortschritte der operativen Ohrenheilkunde stets
mit warmem Interesse verfolgt.
Femer beklagen wir den Tod des Berliner Ohrenarztes Dr. H. Beck-
mann. Von seinen vielen literarischen Arbeiten sind die über die
Pathologie der Bachenmandel am meisten bekannt geworden, und seine
Modifikation des Gottsteinschen Fenstermessers für die Entfernung der
hyperplastischen Kachenmandel hat sich als eine wichtige Verbesserung
bewährt. K.
96 Fach- und Penonftlnachrichten.
Da Hofrat Prof. Politzer eine gelegentlich seines Ausscheidens
ans seinem Lehramte geplante solenne Feier abgelehnt hat, hat ein ans
hervorragenden Fachgenossen aller Lfinder gebildetes Komite beschlossen
eine Plaqnette prägen zn lassen, die das Bild Politzers tragen soll znr
bleibenden Erinnerung an seine Person fflr alle, die an der Knndgebang
teilnehmen wollen. Gleichzeitig wird eine Adresse überreicht werden.
Die Anmeldungen zum Bezüge einer Plaqnette sind an •Herrn
Dr. Kaufmann in Wien ^I, Mariahilferstr. 37, unter Beifügung von
24 Kronen (20 Mark) für eine silberne oder von 12 Kronen (10 Mark)
für eine Bronce-Plaquette zu richten.
Der Besprechung der Monographie von Professor Denker »Das
Gehörorgan und die Sprechwerkzeuge der Papageien c im letzten Bande
unserer Zeitschrift fügen wir hinzu, dass diese Arbeit durch die Königl.
Bayerische Akademie der Wissenschaften unterstützt wurde, was als
ganz besondere Auszeichnung aufzufassen ist, da eine solche bisher nur
in den seltensten Fällen erfolgt ist.
Druck TOD Carl Bitter in Wiesbaden.
G. Engelhardt: Otogene Senkungsabszesse etc. 97
VII.
{Aus der UniTersitats-Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Kehl-
kopfkrankheiten zu Breslau [Prof. Hinsberg].)
Otogene Senkungsabszesse und suboccipitale
Entzündungen.
Von Dr. O. Engelhardt,
1. AB8ikt«nlen.
V. Bergmann*) hat in der Sammlung klinischer Vorträge Volk-
manns eine klassische Schilderung der Tuberkulose des Atlanto-
Occipitalgelenkes entworfen and ist auf die pathologisch-anatomische wie
klinische Seite der Frage mit gleicher Gründlichkeit eingegangen, sodass
nachfolgenden Bearbeitern sehr wenig zu tun übrig bleibt. Einer
späteren Zeit erst war es vorbehalten, von der Osteomyelitis, soweit sie
die Schädelbasis oder die ersten Halswirbel befällt, ein einigermafsen
präzises Krankheitsbild zu entwerfen. Allen diesen an der Schädelbasis
bezw. in den ersten Halswirbeln lokalisierten entzündlichen Prozessen
ist es nun gemeinsam, dass sie, gewöhnlich erst nach längerer Zeit,
ihre Anwesenheit durch das Auftreten von Senkungsabs/.essen verraten,
die wieder mehr weniger typische Lokalisationen zeigen. Die gleiche
oder ähnliche Lokalisation können nun aber auch vom Ohr aus-
gehende Eiterungen; sogenannte otogene Senkuiigsabszosse, aufweisen und
der Umstand, dass sich bei den suboccipitalen Entzündungen häutig
Ohrsymptome, bei den sicher vom Ohr ausgehenden hinwiederum oft
Symptome finden, die auf eine Erkrankung der Schädelbasis schliessen
Hessen, hat nicht selten Veranlassung gegeben, beide Proze^^se mit
einander zu verwechseln und demgemäls die Therapie, die naturgeniäfs
bei beiden divergiert, zu beeinflussen, d. h. einerseits dringend not-
wendige Eingriflfe zu unterlassen, andererseits Eingriffe zu unternehmen,
die dem betreffenden Patienten nur von Schaden sein konnten.
Schwartze sagt schon in seinem Lehrbuch der chirurgischen Krauk-
keiten des Ohres (1885, S. 321): »Aber auch Verwechslung mit Caries
der oberen Halswirbel ist möglich, wenn die Untersuchung des Ohres
vernachlässigt wird. Mehrere Fälle der Art sind mir vorgekommen,
wo Patienten mit Senkungsabszessen unterhalb des Warzenfortsatzes und
^) v. Bergmann, Die tuberkulöse Ostitis in und am Atlanto-Occipital-
gelenk. Leipzig 1890.
Zeitschrift für OhrenbeilViinde. Bd. LIV. 7
98 6. Engelhardt: Otogene Seoknngsabszesse
in der Nackengegend mir zugeschickt waren zam Zwecke der Auf-
meisselung des Warzenfortsatzes, wo die genauere Untersnchang die
Integrität des Ohres ergab nnd der Ansgang des Senknngsabszessea
zweifellos in Caries der obersten Halswirbel zu suchen war. Auch das
Umgekehrte ist mir bekannt geworden, wo Wirbelcaries diagnostiziert
worden war, und erst auf dem Sektionstisch die Caries des Schläfenbeins
mit konsekutivem Himabszess erkannt wurde. Beides wird einem
Chirurgen, der das Ohr zu untersuchen versteht, nicht leicht passieren
können. <«
Trotzdem nun von Chirurgen einerseits (v. Bergmann), ?on
Otologen andererseits (Schwartze und seinen Schülern) auf diese
Verhältnisse aufmerksam gemacht wurde, ist doch, wie wir uns mehr-
fach überzeugen konnten, dieses Krankbeitsbild nicht sehr bekannt und
dürften deshalb einige differential-diagnostische Bemerkungen am Platze
sein. Bevor wir aber hierauf eingehen, sei es uns kurz gestattet, die
Lehre von den otogenen Senkungsabszessen kurz zu rekapitulieren und
die verschiedenen Wege, die vom Ohr ausgehende Eiterungen nehmen
können, einer kurzen Betrachtung zu unterziehen.
Sehen wir zunächst von der gewöhnlichen Durchbruchsstelle des
Mittelobreiters auf das Planum mastoideum ab, so waren es vor allem
die sog. Bezoldschen^) Mastoiditiden , die den ersten Beobachtern
durch ihr Auftreten an weit entfernten und tief gelegenen Stellen
Schwierigkeiten in der Deutung machten und erst durch Bezolds
exakte Versuche ihre sichere Erklärung fanden*).
A. Ausbreitungsweise der sogenannten Bezol dachen
Mastoiditis.
Bezold zeigte durch Versuche, die er mit Gelatinelösung vor-
nahm, dass Eiter, der, begünstigt durch die dünne innere Enochenwand
des Processus, bei behinderten Abfluss nach aussen in die Fossa
digastrica durchbricht, sich entlang dem Biventerbauch nach dem Kinn
zu ausbreitet, die Regio retromaxillaris ausfüllend. Eine Senkung
1) Bezold, Ein neuer Weg für die Ausbreitung eitriger Entzündung aus
den Bäumen des Mittelohres auf die Nachbarschaft und die in diesem Falle
einzuschlagende Therapie. Deutsch, med. Wochenschr. 1881.
2) Wir halten uns hierbei an die bisherige allgemeine Annahme und
Namengebung und berücksichtigen nicht den von Schwartze gelieferten
Nachweis, dass schon vor Bezold die Verbreitungswege der nach innen durch-
brechenden Warzen fortsatzeiterun gen mehr weniger bekannt waren.
und suboccipitale EnizüBdungen. 99
nach unten in die Gefässscheide oder in den retrovisceralen Spaltraum
gehört hierbei za den grössten Ausnahmen. Bevor er jedoch die dünne
innere Lamelle des Warzenfortsatzes perforiert, wölbt er die Ansatz-
stellen der hinter und unter einander gelegenen Museuli stemocleido-
mastoideus, splenius und longiss. capitis, die an der nach hinten von der
Sntura sqnamomastoidea gelegenen äusseren Fläche des Processus
mastoideus inserieren, kuppeiförmig vor. So charakteristisch diese Vor-
wölbung gerade für die Verbreitung der Bezoldschen Mastoiditiden
nach hinten zu sein scheint, so haben wir doch eine ganz ähnliche,
nur etwas oberflächlicher gelegene, in einem Fall, der uns von der
chirurgischen Klinik zur Ohrunteriuchung zugeschickt wurde, gesehen,
bei dem der Abszess zweifellos von einer chronisch entzündlichen
Schädelbasiserkrankung bezw. Erkrankung der oberen Halswirbel aus-
gegangen war. Wir werden später auf diesen Fall noch genauer zurück-
kommen müssen.
Die Weiterverbreitung des Eiters geschieht also, wenn er in die
Incisura digastrica gelangt ist, einmal nach vorn in die Fossa retro-
maxillaris und nach dem Kinn und dann nach hinten längs der Arteria
occipitalis, die an der Innenseite des Musculus digastricus verläuft.
Auch bei der Ausbreitung nach hinten ergab sich eine erfreuliche
Übereinstimmung zwischen Beobachtung am Lebenden und Experiment.
An die Aussenfläche des Cucullaris kann der Eiter nicht gelangen, weil
ihm einmal in der festen Anheftung dieses Muskels an die Linea semi-
circularis superior ein unüberwindliches Hindernis entgegen steht und
dann der -Cucullaris mit den an der hinteren Warzenfortsatzfläche in-
serierenden Muskeln ein ziemlich fest zusammenhängendes Ganzes bildet.
Er verbreitet sich also in der Tiefe, und zwar einmal zwischen
Cucullaris und Splenius, dann zwischen Splenius und Complexus magnus
und endlich zwischen letzteren und die tiefen Nackenmuskeln. Diese
tiefste Schichte erstreckt sich von dem Ansatz der kurzen tiefen
Nackenmuskeln bis zum 2. Brustwirbel, findet ihre mediale Begrenzung
in der hinteren Medianlinie und ihre laterale in der Spitze der Pro-
cessus transversi der Hals- und Brustwirbel. Bezold sagt dann wört-
lich: >Es darf uns daher nicht wundern, wenn dieser Prozess, wie an
allen hierher gehörigen Fällen zu beobachten, viele Monate dauern und
schliesslich durch Übergreifen auf die Wirbelsäule oder die Schädelbasis
zum letalen Ende führen kann.« Bezold betont weiter ausdrücklich,
wie schon erwähnt, dass die von ihm beschriebenen an der Innenseite
des Processus durchbrechenden Mastoiditiden keine Neigung zeigen, sich
100 G. Engelhardt: Otogene Senkungsabszesse
retrovisceral auszubreiten, und erklärt dieses Verhalten mit den Lage-
"beziehungen des M. digastricus zu der tiefen Halsfascie.
Der an der gewöhnlichen Stelle, an der vorderen Aussenfläche
des Processus mastoideus, zu Tage getretene Eiter kann verschiedene
Wege einschlagen , einmal in die Scheide des Sternocleidomastoideus
oder in die Gefässscheide und kann dann oberhalb der Clavicula oder
auch erst in der Achselhöhle zum Vorschein kommen.
Den an ausserge wohnlichen Stellen oberhalb der Crista
temporalis zu Tage getretenen, von Terminalzellen des Schläfenbeines
ausgehenden Eiterungen kommt eine besondere Tendenz zur Weiter-
verbreitung, die auch differentialdJAgnostische Schwierigkeiten bieten
könnte, nicht zu.
Bei Durchbruch nach innen kann es aber auch, wie De Quer-
vain^) hervorhebt, aber nur in sehr seltenen Fällen, zu einer Weiter-
verbreitung des Eiters nach hinten einmal unter die äussere Haut
kommen, wie eine Beobachtung von Wagenhäuser^) illustriert, und
dann zwischen Pericranium und Occiput. Im ersteren Falle wird der
unter die äussere Haut des Planum mast. getretene Eiter sich oberhalb
der schützenden- Barriere des Musculus sternocleidomastoideus und
splenius einen Weg nach hinten bahnen und seine Anwesenheit durch
deutlich nachweisbare Fluktuation verraten, während im zweiten er
wohl die Sutura occipitomastoidea oder squamomastoidea benutzen wird,
um nach hinten zwischen Periost und Schädel zu gelangen.
Allerdings wird dieses Ereignis wohl eine grosse Seltenheit bleiben,
da ja, wie Bezold nachgewiesen hat, der oben erwähnte Muskel wall
einem Fortschreiten des Eiters in der Regel ein unüberwindliches
Hindernis entgegensetzt. Immerhin liegt eine Beobachtung von De Quer-
vain vor, welche ihr Vorkommen beweist und die ihres grossen Inter-
esses halber zitiert sein möge. Ein achtjähriger Junge mit einer ver-
nachlässigten Otorrhoe erkrankte mit Fieber und Schüttelfrost, als die
Eiterung aufhörte. Zugleich trat eine Schwellung auf, die vom Pro-
cessus mastoideus bis über die Protuberantia occipitalis externa reichte.
Bei Druck auf die Schwellung kam Eiter aus einer hinter der Ohr-
muschelinsertion gelegenen Fistel. Die Operation wies tatsächlich Eiter
unter dem Periost des Occiput nach; bei der später vorgenommenen
Mastoidoperation zeigte sich aber, dass auch ein Durchbruch nach innen
1) De Quervain, Des abscös du cou consöcutifs ä Totite movenne. La
Semaine mödicale iS91,
2) Zitiert nach De Quervain.
und saboccipitale Entzündiingen. lOl
in die Fossa digastrica erfolgt war. Es scheint sich also um einen
gleichzeitigen Durchbruch nach aussen und innen gehandelt zu haben,
und es muss nach diesem Befund doch zweifelhaft bleiben, ob nicht die
Weiterverbreitung entlang der Arteria occipitalis erfolgte, zumal
Bezold^) einen Fall beschreibt, bei dem eine sicher auf diesem Wege
weitergeleitete Eiterung die obersten Dorsal wirbel frei legte. Inter-
essant ist noch in De Quervains Beobachtung, dass Senkungen unter
die Haut und in die Muskelinterstitien bis zum Darmbein zu stände
kamen, die nach Inzision glatt ausheilten. Ähnlich war der Fall von
Moos^), bei dem es zu einem Cervicalabszess und zu entziindlicher
Infiltration der Rückenmuskeln kam und bei dem Moos aus dem Um-
stand, dass Druck auf den Cervicalabszess Eiter aus dem Gehörgang
austreten liess, auf Durchbruch durch die Sutura squamomastoidea
schloss. Wenn De Quervain dem gegenüber anführt, dass die Per-
foration auch weiter hinten gelegen sein konnte, so ist dies bei Durch-
bruch der Mittelohreiterung nach aussen wohl möglich, aber nicht
sicher, da Voraussetzung hierfür wäre, dass die Zellen des Warzen-
fortsatzes, — was vermutlich nur sehr selten der Fall ist, — bis zur
Sutura occipitomastoidea reichten. Allerdings spricht der Umstand,
dass die Rückenmuskulatur beider Seiten ei griffen war, sehr für einen
hinter der Squamomastoidalfissur gelegenen Durchbruch, da nur bei
Eiterungen unter dem Periost leicht die Mittellinie des Nackens über-
schritten werden kann. Immerbin wird man im Auge behalten müssen,
dass auch zunächst über dem Periost lokalisierte, also tiefliegende
Eiterungen, bei der Unmöglichkeit, an die Oberfliiche zu gelangen, das
Periost durchbrechen können und dass dann ihrer schrankenlosen weiteren
Verbreitung kein Hindernis entgegen steht.
Auf die klinischen Symptome, die alle diese nach dem Nacken
fortgeleiteten Eiterungen machen, wollen wir erst später kurz eingehen.
Bei der Verbreitung der Eiterung von der Incisura digastrica aus nach
vorn bedarf es noch besonderer Erwähnung, dass der Eiter auch keine
Neigung zeigt, in die Submaxillargegend durchzubrechen. Dcmgemäfs
kommen die von den Chirurgen relativ häufig beobachteten Submaxillar-
abszesse dem Otologen nur selten zu Gesicht. Poulsen^) fand unter
225 Submaxillarabszessen nur zweimal solche, die von einer Otitis
1) 1. c.
*) Moos, Über einen bisher noch nicht beschriebenen Verlauf einer
WarzcnfortBatzerkrankung. Arch. f. Ohrenheilk. XEX.
3) Poulsen, Über Abszesse am Hals. Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 37.
102 G. Engelhardt: Otogene Senkungsabszesse
externa ausgegangen waren; die eitrige Mittelohrentzündung mit ihren
Folgezuständen scheint er hei der Entstehung dieser Abzesse allerdings
nicht berücksichtigt zu hahen.
B. Von der niittliereii oder hinteren Schädelgrnbe ans znm
Hals gelangende Eiterungen.
Einen recht komplizierten und sicher selten beschrittenen Weg, wie
Eiter von der Innenfläche des Warzenfortsatzes aus zur hinteren Schädel-
grube gelangen kann, deutet wohl eine von Cholewa gemachte Be-
obachtung an. Cholewa^) sagt: »Die grösste der Terminalzellen
überbrückt oft in ihren Dimensionen die Incisura mastoidea, wodurch
sich sozusagen ein zweiter papierdünner Fortsatz bildet, der sich an
das Occiput wohl anlehnt, aber zum Schuppenknochen gehört.* Es
leuchtet ein, dass von einer derartigen Terminalzelle ausgehende
Eiterungen zunächst ziemlich weit hinten in der hinteren Schädelgrube
lokalisiert sein würden und dass ihnen das Vordringen zum Hals wegen
ihrer tiefen Lage wesentlich erschwert wäre.
Anders bei den auf die gewöhnliche Weise entstandenen, mehr
vorn gelegenen Eiteransammlungen in der hinteren Schädelgruben, die
einer Caries des Sulcus sigmoideus ihre Entstehung verdanken. Auch
hier wird der Zeitpunkt, wann eine zweckentsprechende Therapie ein-
setzt, für die weitere Verbreitung von der grössten Bedeutung sein. In
günstigen Fällen wird die Mastoidoperation die perisinuöse Eiterung, •
die ja ganz symptomlos verlaufen kann, aufdecken und von vornherein
ein Weiterschreiten der Eiterung nach dem Halse zu unmöglich machen.
Aber auch die nicht operativ angegangenen Eiteransammlungen in der
hinteren Schädelgrube haben wenig Neigung, sich nach dem Halse zu
verbreiten, wie die geringe Zahl der in der Literatur angegebenen
' Fälle beweist. Bei einem viel zitierten Fall von Kessel^), der mir
leider im Original nicht zugänglich war, war es ein otogener Subdural-
abszess, der vom Kleinhirn aus nach der vorderen Umrandung des
Foramen occipitale magnum gelangte und dann als Betropharyngeal-
abszess zu Tage trat. Vor allem aber zeigen 2 Beobachtungen von
De Rossi^), dass der subdural angesammelte Eiter entlang dem
1) Cholewa, Über den Eiter durchbrach bei Erkrankung des Warzen-
fortsatzes an aussergewöhnlichen Stellen. Deutsche med. Wochenschr. 1888.
2) Kessel, Ref. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 45.
8) De Rossi, Passagio intracranico della marcia nella carie del temporale
con ascessl par cungestione at coUo. Estratto dagli atti della R. acad. med«
di Roma. Anno XV, Vol. V, Serie H. Roma 1888.
und suboccipitald EntzfinduDgen. 103
Gefässnervenbündel darch das Foramen lacerum post. in die Tiefe
wandern kann. Dass die Diagnose eine richtige war, hatte in einem
Falle der Sektionsbefnnd, im andern der Befund bei der Operation, die
zn giftcklichem Ausgange fahrte, gezeigt. Finden diese Eiterungen nicht
ihren Weg in die Tiefe, wie es wohl besonders bei extraduralen Eiterungen
vorkommen kann, andererseits nicht nach aussen, durch die Mittelohr-
rSame oder Fisteln der Schläfenbeinschuppe, was am häufigsten der Fall
sein wird, so ist die Möglichkeit eines ungünstigen Ausganges viel näher
gerückt. So hatte in einer Beobachtung Braunsteins^) der extra-
doral angesammelte Eiter die Dura durchbrochen, die weiche Hirnhaut
infiziert und zu einer tödlichen Meningitis geführt. Senkt sich der
Eiter in die Tiefe und tritt als Senkungsabszess am Halse auf, so ist
ein derartiges Alarmsignal unter Umständen sehr wertvoll, da ja selbst
sehr grosse extradurale Eiterungen der hinteren Scbädelgrube keine
sicheren Zeichen zu machen brauchen, die ihre Anwesenheit verraten,
zumal eine Verbreitung nach anderen Stellen wie in dem Fall von
Braunstein nach dem retropharyngealen Raum, der Untersuchung
leicht entgehen kann. Eine Senkung am Hals hatte auch uns zur
erfolgreichen Freilegung eines extraduralen Abszesses veranlasst, dessen
Zusammenhang mit dem Halsabszess durch das For. jugulare, bei der
Operation festgestellt werden konnte.
Kien*) ventiliert noch die Frage, ob Eiter durch das Foramen
ovale oder rotundum aus der mittleren Schädelgrube nach abwärts
gelangen könnte. Ein derartiger Infektionsweg dürfte aber wohl kaum
durch zweifellose klinische Beobachtung belegt sein^).
Ob der Eiter den Umweg durch das Tegmen tympani erst in die
mittlere und dann in die hintere Scbädelgrube macht, was bei der
festen Anheftung des Tentorium cerebelli an die obere Kante der
Felsenbeinpyramide und die Proc. clin. ant. immerhin mit ganz erheb-
lichen Schwierigkeiten verknüpft sein dürfte, oder direkt durch die
hintere Antrumwand in die hintere Schädelgrube gelangt, ist für seine
weitere Verbreitungsweise wohl nicht von ausschlaggebender Bedeutung.
1) Braunstein, Über eitradurale otpgene Abszesse. Arch. f. Ohren-
heilk., Bd. 55.
*) Kien, Über Ketropbaryngealabsze^se nach eitriger Mittelohrentzündung.
Zeitschr. f. Ohrenheilk., Bd. 39.
«) Für eitradurale Eiteransammlungen der mittleren Schädelgrube nach
Empyem der Keilbeinhöhle wird diese Möglichkeit des Tiefertretens durch das
For. ovale allerdings durch eine jüngst veröffentlichte Beobachtung Schröders
(Zeitschr. f. Ohrenheilk., Bd. 53) illustriert.
104 G. Engel ha rdt: Otogene Senkongsabszesse
Ist er an die hintere Umrandung des Foramen occipitale magnum
gelangt, so stehen ihm wieder verschiedene Wege nach aussen offen.
Zunächt einmal der vorhin kurz angedeutete Weg nach unten längs des
GefässnervenbQndels, dann der Austritt durch präformierte Kanäle
(Emissarien und Spalten) aus der Schädelhöhle, und endlich die
Wanderung nach der vorderen Umrandung des grossen Hinterhanpt-
loches und Durchbruch durch die dicke vordere Atlantooccipitalmembran
nach dem Pharynx, Es wird schwer sein, zu entscheiden, warum der
Eiter sich das eine Mal des einen, das andere Mal eines anderen
Weges bedient. Bei gut entwickelten Emissarien wird ihm ein Durch-
bruch durch das Emissarium mastoideum möglich sein, sodass er wieder
an der hinteren Fläche des Processus zum Vorschein kommt, oder er
durchbricht die Fissura occipito-mastoidea und gelangt so etwas weiter
nach hinten unter das Periost des Hinterhauptbeines, oder endlich er
verursacht eine Phlebitis der Venae emiss. condyloideae und es gesellt
sich zu der intracraniellen Eiterung ein tiefer Nackenabszess, der, je
nachdem er oberhalb oder unterhalb des Periostes liegt, eine ein- oder
doppelseitige Nackenschwellung zur Folge hat. Es bedarf aber nicht
immer der Vermittlung der Gefässe zur Weiterverbreitung der Eiterung,
der Eiter kann vielmehr auch extrav.enös, wie Grunert*) besonders
betont, an die Aussenfläche des Schädels gelangen. Alle die so ent-
standenen Abszesse haben nun teils die Neigung, sich nach unten zu
senken, teils mehr horizontal unter der Schädelbasis sich ausbreitend,
durch Thrombosierung des tiefen venösen Nackengeflechtes und des
Plexus venosus vertebralis zuerst einzelne, später konfluierende Abszesse
zu bilden und entweder auf die Umgebung des Atlantooccipitalgelenkes
beschränkt zu bleiben oder auch dasselbe zerstörend zu einer Arrosion
der Condylen des Hinterhauptes und der Gelenkfläche des Atlas zu
führen. — So naheliegend eine Weiterverbreitung des Eiters in der
hinteren Schädelgrube gerade durch das Foraraen jugulare nach abwärts
erscheinen mag bei der relativen Grösse dieses Gefässkanals, so selten
ist sie wohl, wie schon erwähnt, wirklich beobachtet worden. Es wird
denn auch mehrfach in der Literatur von vergeblichen Operationen in
dieser Richtung berichtet. Doch existieren sichere Beobachtungen, vor
allem die früher erwähnten von De Rossi, der in seinem zuletzt
operierten Falle, bei dem die Eitersenkung sich bis zur Fossa supra-
clavicularis erstreckte, doch Heilung erzielte, und. auch unsere eigene,
1) Grunert, Die operative AnBräumung des Bulbus venae jugularis in
Fällen otogener Pyämie. Leipzig 1904.
und süboccipitale Entzündungen. 105
oben karz angeführte Beobachtung. Es ist bei derartigen Senknngs-
abszessen aaf ein Symptom aufmerksam gemacht worden, das grosse
diagnostische Bedeatong besitzen soll, dass nämlich bei Kompression
der Eiteransammlnng am Halse der Druck der sich in der Vena jugu-
laris anstauenden Blntsäule bei grösseren Defekten der knöchernen
Sinuswand sich direkt auf den Eiterherd im Warzenfortsatz oder in der
Pauke fortpflanze und ein Ausfliessen des Eiters aus dem Gehörgang
bezw. zwischen knöchernem und häutigem Gehörgang zur Folge habe.
Es kann diesem Symptom aber nur eine beschränkte Bedeutung bei-
gemessen werden, da auch bei Defekten bezw. bei Dehiszenzen des
knöchernen Paukenhöhlenbodens , wie sie nach K i e s s e 1 b a c h *) bei
rhaehitischen Individuen nicht allzu selten sind und der gleichen Ver-
snchsanordnung sich die gleichen Wirkungen erzielen lassen müssen.
3Iuss es denn auch als Regel gelten, soweit bei der Seltenheit der
Wanderung von Eiterungen durch das Foramen jagulare ausserhalb des
Gelässrohres überhaupt von einer Regel die Rede sein kann, dass peri-
sinnöse Abszesse sich nach abwärts senken, um dann unter Umständen
später sekundär den Bulbus der Vena jugularis in Mitleidenschaft zu
ziehen, so sei doch gleich des sehr seltenen umgekehrten Weges ge-
dacht, dass ausserhalb des Bulbus lokalisierte, sogenannte peribulbäre
Abszesse sich durch das Foramen lacerum in die Schädelhöhle zurück-
drängen und einen primären perisinuösen Abszess vortäuschen können
(Grün er t). Dem nach abwärts in die Umgebung des Bulbus ge-
langten Eiter steht kein weiteres Hindernis entgegen, um sich in der
Gefässscheide noch tiefer zu senken. Er kann in vernachlässigten
Fällen seinen Weg bis zur Clavicula, ja bis zur Achselhöhle nehmen,
genau wie in den Fällen, die bei Durchbruch einer Mastoiditis nach
aussen direkt ihren Weg in die Gefässscheide fanden, oder aber er
bahnt sich, allerdings nur selten, längs der Schädelbasis sich aus-
breitend, einen Ausweg nach dem Rachen.
C. Von einer primären Sinusthrombose mit sekundärer Be-
teiligung des Bulbus und Ton einer primären Bulbusthrombose
aus zum Halse gelangende Eiterungen.
Grunert hat die verschiedenen Entstehungsmöglichkeiten peri-
bulbärer Abszesse in seinem Buche: »Die operative Ausräumung des
i)Kiesselhach, Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie
des Schläfenbeins etc. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 15.
106 G. Engelhardt: Otx)gene Senkungsabszesse
Bnlbns venae jugalaris in Fällen otogener Pyämie« ausführlich erörtert.
Bei primärer Erkrankung des Bulbus oder bei einer von einer Sinus-
thrombose aus fortgeleiteten Bulbusthrombose kann das peribulbäre Ge-
webe in Mitleidenschaft gezogen werden. Dies ist besonders leicht
dann möglich, wenn eine Nekrose der Gefässwandung bezw. ein fistu-
löser Durchbruch derselben besteht. Diese Nekrose kann leicht grosse
Dimensionen annehmen und sich auf die anschliessende Vena jugularis
interna fortsetzen (Grunerts Fall 12) und so der Entstehung eines
grösseren peribulbären bezw. perijugulären Eiterherdes Vorschub leisten.
Des weiteren kann aber auch eine peribulbäre Eiterung induziert
werden von einem erkrankten Paukenhöhlenboden aus, indem sich die
Entzündung direkt auf die Bulbnswand fortsetzt. Ein beweisender Fall
eines derartigen Entstehungsmodus ist Grunerts Beobachtung 8, und
sieht der Autor gerade das haubenartige Aufsitzen des Abszesses auf
dem Bulbus als charakteristisch für eine derartige Entstehungsweise an.
Münden die Venae condyl. in den Bulbus, so kann durch ihre Ver-
mittelung die Weiterverbreitung der Eiterung nach dem Nacken zu
und längs der Schädelbasis erfolgen und so ein Krankheitsbild erzeugt
werden, wie wir es schon früher kurz geschildert haben.
Hat sich die Bulbusthrombose nach abwärts auf die Vena jugularis
fortgesetzt, so kann durch Vereiterung des Thrombus ein echter intra-
venöser Abszess zu stände kommen, der, wenn die Vene unterbunden
ißt und nicht durch Inzision entleert wird, die Umgebung infiziert und
zu perivenöser Entzündung führt, die sich weiter nach abwärts er-
strecken kann. Derartige Fälle scheinen nicht allzu selten zu sein,
gehören allerdings nicht direkt zu unserem Thema, da sie eben keine
direkte Folge einer Ohreiterung, sondern nur eines durch diese ver-
anlassten operativen Eingriffes sind.
D^ Aaf dem Lymphwegre weiter geleitete Eiteraugen.
Eine Verbreitung von Ohreiterungen auf diesem Wege muss im
allgemeinen als etwas Ungewöhnliches betrachtet werden; hier kommen
vor allem die durch eine akute Mittelohrentzündung induzierten retro-
pharyngealen Abszesse in Betracht, die aber auch in der Regel auf
andere Weise entstehen. Doch existieren zwei sichere Befunde, die
Most*) in seiner »Topographie des Lymphgefässapparates des Kopfes
1) Most, Topographisch -anatomische und klinische Untersuchungen über
den Lymphgefässapparat des äusseren und inneren Ohres. Arch. f. Ohren-
heUk., Bd. 64.
nnd suboccipitale Entzündungen. 107
und Halses« zitiert. Es fanden sich bei zwei Obduktionen des Bres-
laoer pathol. Instituts nach ein- bezw. doppelseitiger Otitis media in
der Wand einer Eitertasche, die der Lage nach der seitlichen pharyn-
gealen Lymphdrüse entsprach, zerfallene Lymphdrüsenreste. Schon
früher hatte WeiP) einen von ihm nach doppelseitiger Mittelohr-
eiterung beobachteten Retropharyngealabszess als eine vereiterte Lymph-
adenitis angesprochen, ohne aber den direkten anatomischen Nachweis
erbracht zu haben.
Die Weiterleitung geschieht hier, aber wohl nur bei Kindern
(Most), durch die Lymphbahnen der Paukenhöhle, die direkt mit den
in der Wand der Tuba Eustachii verlaufenden kommunizieren, und es
kommt so ein etwas anderer Entstehungsmodus zu stände, wie ihn
Hang*) beschrieben hat, der für seine Beobachtung eine Weiter-
verbreitung der Eiterung längs des M. tensor tympani annimmt, auch
mit der Möglichkeit eines sofortigen Eindringens des Entündungs-
erregers in das peritubare Gewebe rechnet.
Eine andere Gruppe von otogenen Senkungsabszessen, die wahr-
scheinlich auch nicht so ganz selten als lymphogen entstanden zu
denken sind, gehört der Parotis an. Poulsen^) konnte allerdings
von 28 Parotisabszessen keinen als vom Ohr aus entstanden nach-
weisen, dagegen möchte Most zwei von Falta beschriebene otogene
Parotisabszesse mit grösserer Wahrscheinlichkeit als lymphogen ent-
standen ansprechen, als sie auf einen direkten Durchbruch des Eiters
vom Ohr aus beziehen. Wir selbst verfügen über eine Beobachtung
I von Abszess, der von Poulsen sogenannten »äusseren Parotisloge«,
deren innere Wand vom Paquetum Kiolani und hinterem Digastricus-
i bauch gebildet wird, die wir im erwähnten Sinne deuten möchten, bei
der vor der Operation eine Bezoldsche Mastoiditis nach Atticus-
eiterung angenommen wurde, bei der die Operation selbst aber keine
Warzenfortsatzerkrankung und keine mit dem Parotisabszess kommuni-
zierende Fistel nachwies. Des Interesses halber sei die interessante
Beobachtung kurz mitgeteilt.
S., Bertha, 41 Jahre alt, aus Breslau, aufgenommen in die
Privatklinik von Prof. Hinsberg am 12. VIL 06. Vor 16 Jahren
1) Weil, Beitrag zur Lehre von der Ätiologie der Retropharyngealabszesse.
Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1881.
2) Haag, Senkangsabszesse unterhalb des Proc. mast etc. Arch. f. Ohren-
heilk, Bd. 43.
»)1. c
108 ^- Engelbardt: Otogene Senkungsabszesse
rechts Ohrenlaufen, das alle Jahre für einige Zeit wieder aufgetreten
ist. Jetzt seit vorigem Winter anhaltendes Ohrenlaufen, seit 8 Tagen
Schmerzen und Schwellung hinter dem rechten Ohr.
Befund: Nach Abtragung eines das Trommelfell verdeckenden
Polypen sieht man die Pars tensa des Trommelfells erhalten mit dem
geröteten Hammergriff; nach vorn oben gelangt die Sonde in den
Atticus. Wenig Sekret. Unterhalb des rechten Ohres findet sich eine
schmerzempfindliche nicht fluktuierende Anschwellung, die vorn von
dem aufsteigenden Unterkieferast, hinten vom vorderen Rand des
Sternocleidomastoideus begrenzt wird, die nach oben bis dicht an das
Kiefergelenkköpfchen heranreicht und sich nach abwärts bis 1 cm unter-
halb des Angulus mandibulae erstreckt. Keine Drüsenschwellung,
insonderheit unterhalb des Kieferwinkels und unterhalb des Processus.
Der Mund kann zirka 2^*3 cm weit geöffnet werden, keine retro-
pharyngeale Anschwellung. Rechtes Ohr vollkommen taub. 12. VII. 06.
In Narkose Eröffnung des ziemlich oberflächlich gelegenen Abszesses,
aus dem zirka ein Teelöffel Eiter entleert wird. Dann Verlängerung
des Schnittes nach oben und Trepanation des Warzenfortsatzes. Im
Processus normale Zellen, keine Eiterung, keine Fistel. Im stark
skierotisierten Knochen das kleine, mit Granulationen ausgefüllte
Antrum freigelegt; die hintere Gehörgangswand bleibt ganz intakt.
Warzen fortsatzspitze ganz reseziert. Der Wundheilungsverlauf bot nichts
Besonderes, die Rekonvaleszenz war durch Schwindelanfälle mit taumeln-
dem Gang, die zeitweise den Verdacht auf Kleinhimabszess nahelegten,
vorübergehend gestört. Patientin ist aber jetzt vollkommen geheilt und
frei von Beschwerden.
E. Seltene Wege bei Verbreitung der Ohreiteningen.
Hier ist es vor allem der Bulbus venae jugularis, dem dank der
zahlreichen in ihn einmündenden venösen Gefässbahnen, die einen rück-
läufigen Transport infektiösen Materials in verschiedenen Richtungen
gestatten, eine grosse Wichtigkeit für die Verbreitung otogener n Eiter-
ungen zukommt. Es sei nur erinnert an die früher erwähnten durch
die Venae condyloideae induzierten Nackeneiterungen, an die Aus-
breitung der Eiterung entlang der Schädelbasis zum Pharynx. Ein
Unikum dürfte aber die Beobachtung Schultzes^) von Weiterleitung
der Eiterung durch den Sinus petrosus inferior auf den Plexus basilaris
sein, die nur dank der überaus genauen klinischen und anatomischen
Untersuchung die richtige Deutung finden konnte. Hier war eine auf-
fallend starke Entwicklung des Sinus petrosus superior und inferior
einerseits, ein abnorm starker Verbindungsast dieses Gefässes mit dem
Plexus basilaris andererseits die Ursache, dass es durch Weiter-
1) Schnitze 1. c.
nnd suboccipitale EntzüodangeD. 109
der infektiöseD Thrombose zu einer Vereiterung des Plexus
ond ZOT Bildung eines extraduralen Abszesses kam, der sich wiederum
längs der Arteria vertebralis in den Wirbelkanal verbreitete, um
zwischen Occiput und erstem Halswirbel einen neuen Dnrchbruch zu
suchen and als tiefer Muskelabszess im oberen Teil des hinteren Hals-
dreiecks zum Vorschein zu kommen. Begünstigt wurde diese eigen-
artige Verbreitung durch den Druck eines Cholesteatoms, welches nach
Zerstörung des knöchernen Sulcus des Sinus trans versus den ab-
steigenden Teil des letztgenannten Sinus und den Sinus sigmoideus
komprimierte, sodass das Blut in die an sich schon erweiterten Neben-
bahnen förmlich hineingedrängt wurde. Klinisch ist der Fall ron
grösstem Interesse, weil doch noch nach glücklicher Heilung eines die
Thrombose verursachenden Himabszesses ^) nach Eliminierung der sekun-
dären Bulbus- und Jugularisthrombose und nach sachgemässer Er-
öffnung des tiefen Nackenabszesses der Kranke an einer, durch die
Plexuseiterung verursachten Kleinhimmeningitis zu Grunde ging.
Schnitze zitiert einen ähnlichen Fall von Leutert-), der sich eben-
falls durch die eigentümliche Symptoraentrias : Hirnabszess, Sinus-
thrombose und extradurale Eiterung ausgezeichnet hatte und bei dem
ebenfalls eine Arrosion des Atlas durch den extraduralen Eiter an-
genommen worden war. Nicht ganz klar, jedenfalls aber aussergewühnlich
ist eine Beobachtung von Deutschländer ^). Hier hatte eine extra-
durale Eiterung am Sinus transversus und am Bulbus sich nicht, wie
es gewöhnlich der Fall ist und wie es auch hier angenommen wurde,
längs der Vena jugularis in die Tiefe gesenkt, sondern war bis zum
Atlanto-Occipitalgelenk gelangt, und zwar nur bis an die äussere Fläche
desselben vorgedrungen. Überaus selten ist auch ein Yerbreitungsweg,
wie ihn Neu mann*) geschildert hat. Neumann fand einen durch
eine Fistel hergestellten Kommunikationsweg zwischen einer extra-
duralen, am Bulbus lokalisierten Eiterung und der weichen Hirnhaut
einerseits (im Lebenden durch den Nachweis von Liquor cerebrospinalis
erbracht) und einer durch das Foramen condyl. vermittelten Nacken-
eiterung andererseits. Es genüge dieses eine Beispiel, um zu zeigen,
^) Es wird vom Verf. ausdrücklich die Sinusthrombose als Folge des Him-
abszesses betrachtet, nicht aber der gewöhnliche umgekehrte Entstehungsmodus
angenommen.
*) Leutert, Über die otitische Pyämie. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 41.
3) Verh. d. D. otol. Ges. X. Vers.
*) Sitzung der Österr. otol. Gesellscliaft. 24. 11. 1904.
1) Muck, Beiträge zur Kenntnis der otitischen Erkrankungen des Hirns,
der Hirnhäute und der Blutleiter. Diese Zeitschr. Bd. 37.
2) Ahcds retropharyngeale d'origine anriculaire; erosion de la carotide;
Mort par h(^morrhagie 24 heures apres Touverture de Tahc^s. Annales des
maladies de l'oreille etc. Juli 1904.
3) 1. c.
4) Hang 1. c.
^) Blan, Ketropharyngelahszess nach akuter Otitis media. Deutsche med.
Wochenschr. 1903.
6) G ruh er, Wiener med. Zeitung 1884.
7) 1, c.
8) 1. c.
HO G. Engelhardt: Otogene Senknngsahszesse
wie sich die verschiedeDen Wege, die otogene Senkongsabszesse nehmen,
unter Umständen kombinieren und wie mannigfach die daraas resul-
tierenden Symptomenkomplexe sein können.
Aus den angeführten verschiedenen Arten der Verbreitung otogener
Senkungsabszesse geht hervor, wie oft gerade die Eiterseukungen als
retropharyngeale Abszesse zu Tage treten. Wir wollen die verschiedenen
Wege noch einmal kurz zusammenstellen. — Retropharyngealabszesse
kommen bei otogenen Eiterungen in folgender Weise zu stände:
1. Durch direkten Durchbruch eines osteomyelitischen oder tnber- {
kulösen Herdes des erkrankten Felsenbeines nach dem Rachen !
[Muck^), Klug*) und andere].
2. Durch Ausbreitung der Entzündung vom Mittelohr längs des
M. tensor tympani oder direkt im peritubaren Gewebe weiter-
schreitend [Beobachtung von Kien^), Haug^), Blau*) u. a.].
3. Durch den Boden des Antrum bezw. die vordere Gehörgangs-
wand Ausbreitung nach dem retropharyngealen Kaum mit oder
ohne Vermeidung des Kiefergelenks (Kien).
4. Von der Paukenhöhle aus erfolgender Durchbruch in das
Kiefergelenk und von da aus Verbreitung in den retro-
pharyngealen Spaltraum [Gruber^)].
5. Von subduraler (D e R o s s i) oder extraduralcr [Braunstein^)] ^
Eiterung der hinteren Schädelgrube aus erfolgender Durch-
bruch.
6. Verbreitung einer Sinusthrombose durch den Sinus petrosus j
superior und inferior auf den Plexus basilaris ; sekundäre Ver- |
eiterung desselben mit Bildung eines retropharyngealen Abszesses
[Schnitze^)].
und saboccipitale EntzQndaogeD. Hl
7. Von peribnlbären Abszessen, die sich horizontal unter der
Schädelbasis ausbreiten, erfolgender Darchbrach nach dem
retropharyngealen Raum [Jansen^), Grunert].
8. Lymphogene Entstehung durch sekundäre Vereiterung retro-
! pharyngeal gelegener Drüsen nach akuter Mittelohreiterung
(Most).
I Dem, der mit der Verbreitung der Senkungsabszesse, welche die
I an der Schädelbasis oder im Atlanto-Occipitalgelenk lokalisierte Tuber-
kulose verursacht, vertraut ist, vfird ohne weiteres auffallen, wie gerade
i die letzt zitierten Fälle (vor allem die unter der Rubrik: Seltene Ver-
breitungswege angeführten) in ihren klinischen Erscheinungen grosse
I Ähnlichkeit mit jenen zeigen können, vor allem wenn die Eiterung auf
I diese oder jene Weise, manchmal erst auf längeren Umwegen, zum
I Atlanto-Occipitalgelenk gelangt ist. So leicht es sein kann, einen
Senknngsabszess als otogen anzusprechen, wenn eine sichere Ohreiterung
bestanden hat und das zeitliche Auftreten des Abszesses einen ursäch-
lichen Zusammenhang mit einer solchen vermuten lässt, so schwierig
kann es werden, wenn bei dem ^iem Arzte zugeführten Patienten
! Abszesse gefunden werden, die der Lage nach als otogen anzusprechen
! sind, und die Anamnese heftige Schmerzen vor Auftreten der Ohreiterung
ergibt, aber ohne dass ein objektiver Ohrbefund vorliegt. Wäre es
doch immerhin möglich, dass der akute Mittelohi-prozess zur Ausheilung
gelangte, während sich Eiter noch im Warzenfortsatz findet, der einen
i Answeg, besonders nach innen, gesucht hat und nun als schwierig zu
I deutender Senknngsabszess zu Tage tritt. Erst vor kurzem hatten wir
Gelegenheit, bei einem uns von der chirurgischen Klinik zur Ohrunter-
SQchung überwiesenen Patienten einen ähnlichen Befund festzustellen.
D., Thomas, 44 Jahre alt, Ziegeleiarbeiter aus Hotz^).
Früher nie krank ausser einem Rippen- und Schult erbeinbruch
vor 5 Jahren gelegentlich einer Verschüttung. Seit 8 — 10 Wochen an
Grösse allmählich zunehmende Geschwulst unterhalb des rechten Ohres,
Schmerzhaft igkeit derselben; geringe Schluckbeschwerden (Stecken-
bleiben des Bissens im Anfangsteil des Schlundes). Schmerzen, die in
die ganze rechte Kopfhälfte ausstrahlen und besonders das rechte Ohr
1) Jansen, Blaus Enzyklopädie der Ohrenheilkunde; Abschnitt: Throm-
bose des Bulbus venae jagularis.
2) Für gütige Überlassung dieser und der nachfolgenden Krankengeschichten
bin ich Herrn Geh. Rat Garr6 zu lebhaftem Dank verpflichtet.
112 G. Engelhardt: Otogene Senkungsabszesse
betreffen. Keine Abnahme der Hörschärfe, kein Ohrenfluss. Familien-
anamnese o. B.
Befund: Ziemlich kräftiger Mann in gutem Ernährungszustande.
Gut verschiebliche hintere Lungengrenzen, Atmungsgeräusch vesikulär,
hinten begleitet von pfeifenden Geräuschen. Urin frei von Ei weiss und
Zucker. Abdominalorgane o. Bes. Keine Drüsenschwellung. Der x\n-
satz des rechten Sternocleidomastoideus und der \'orderrand des Splenius
ist durch einen nicht fluktuierenden, zirka faustgrossen, etwas druck-
empfindlichen Tumor abgehoben, der nach abwärts bis zur Grenze des
oberen und mittleren Sternocleidomastoideus reicht. — Der Kopf ist
etwas nach der rechten Seite geneigt. Bei Drehbewegungen des Kopfes
wird die Schulter mitgenommen. Druck auf den Processus mastoideus
nicht schmerzhaft; keine Schw^ellung im Bereich des Warzenfortsatzes.
Beklopfen des Processus spinosi der einzelnen Halswirbel nicht schmerz-
haft, dagegen wird Druck auf den Scheitel in der Längsachse der
Wirbelsäule mit lautem Aufschreien beantwortet. Hörvermögen auf
beiden Seiten etwas herabgesetzt (Ticken der Uhr auf 40 cm nicht
mehr vernommen).
In der Ohrenpoliklinik wird festgestellt, dass der Trommelfellbefnnd
normal ist und dass an der rechten hinteren Rachenwand, durch die
Kuppe der Wölbung des rechten hinteren Gaumenbogens etwas ver-
deckt, ein Fistel gang zirka 3^2 cm schräg nach hinten und etwas nach
oben abgeht. Augenhintergrund o. B. Eine am 5. XI. vorgenommene
Inzision des Abszesses ergibt nicht sehr viel Eiter ; keine Actiuomycose-
verdächtigen Körnchen. Im Ausstrich keine anderen Bakterien. —
Vergegenwärtigen wir uns, dass der Senkungsabszess genau an der
Stelle sass, an der die Bezold sehen Mastoiditiden so oft eine An-
schwellung zu machen pflegen, dass der ganze Prozess mit Ohren-
schmerzen begann, so war ein Irrtum bezüglich der Herkunft des
Abszesses sehr wohl möglich, und nur die Bekanntschaft mit diesem
Prozess, von dem wir zufällig in den letzten Jahren mehrere Fälle
gesehen hatten, und die schwer sichtbare, aber doch gefundene Fistel
der hinteren Rachenwand, die so oft ein sicherer Wegeleiter für die
Auffindung kariöser Prozesse an der Schädelbasis bezw. im Atlas ge-
wiesen ist, liess uns die richtige Deutung finden. — Nicht immer lagen
die Verhältnisse so relativ einfach und nicht immer waren wir so
glücklich, sofort das Richtige zu treffen, wie folgende Beobachtungen
zeigen mögen, trotz gemeinsamer Arbeit von Chirurgen und Otologen.
Zuvor die auszugsweise mitzuteilenden Krankengeschichten.
I. Seh., Max, Barbier, 20 Jahre alt.
In die medizinische Klinik aufgenommen am 3. VHI. 1896. Vater
im Alter von 40 Jahren an Phthise gestorben ; übrige Familienanamnese
and snboccipitale Entzündangen. 113
0. B. Im Alter von 13 Jahren wurden ihm tuberkulöse Halsdrüsen
exstirpiert. Seit einem Monat heftige Kopfschmerzen, nach dem Nacken
und Hinterkopf ausstrahlend. Ab und zu Nackenschmerzen. Kein
Husten.
Befund: Kleiner schwächlicher Mann; NarbenzOge an der rechten
Halsseite. Pat. liegt somnolent im Bett, Kopf in die Kissen gebohrt.
Beim Versuch, den Kopf aufzurichten, Nackensteifigkeit und heftige
Schmerzen, cris hydrencephaliques ; linksseitige Fazialisparese aller drei
Aste, linkes Oberlid hängt tiefer herab als das rechte; Druckempfind-
lichkeit des rechten Warzenfortsatzes und der obersten Halswirbel.
Lungen im ganzen o. B. Keine Störungen der Motilität und Sensibilität
ausser einer leichten Hypästhesie der »tieferen Teile« in beiden Armen.
6. VUL Im vorderen unteren Quadranten des rechten Trommel-
felles eine über stecknadelkopfgrosse Perforation, aus der etwas Eiter
tritt. Empfindlichkeit des rechten Warzenfortsatzes. Augenhintergrund
frei. Diffuse Trabung der linken Cornea.
8. VIII. Schmerzen im Kopf haben nachgelassen, nur in der
Hinterhauptsschuppe lokalisiert. Kopf kann leichter, nur mit seitlicher
Unterstützung, in die Höhe gebracht werden.
16. VIII. Status unverändert. Kein Brechen. Das für Menin-
gitis charakteristische Wechseln der Symptome fällt auf. Anfallsweise
Attacken heftiger Kopfschmerzen.
18. Vin. Lumbalpunktion ergibt klare, helle Cerebrospinal-
fiössigkeit.
21. VIII. 45 g Jodkali ohne Erfolg. Patient willigt, da keine
Besserung eintritt, in die vorgeschlagene Operation, die sogleich in der
chirurgischen Klinik vorgenommen wird. Dabei findet sich der Pro-
cessus absolut sklerosiert. Sinus wird in Ausdehnung von l^/g^"^ ^^®i*
gelegt; Antrum und Paukenhöhle ohne Veränderungen.
22. VIII. Nackensteifigkeit scheint nach der Operation geringer
geworden zu sein.
26. VIII. Kopfschmerzen haben ganz nachgelassen.
27. VIII. Hält den Kopf wieder steif. Nach dem Verbandwechsel
auf dem Verbaridtisch Lähmung beider Beine und Arme. Verschwommene
Sprache. Am Nachmittag sind die Beinbewegungen wieder frei. Arme
auch jetzt noch nicht zu bewegen, dagegen die Finger.
28. Vni. Schwankungen in den Lähmungserscheinungen.
30. Vin. Lähmung beider unteren Extremitäten wieder sehr aus-
geprägt. Nachmittags Wechsel in den Lähmungserscheinungen. Temp.
39,6. Nachts Cheyne-Stokessches Atmen.
31. VIII. Lähmung der Beine wieder vorhanden. Zum erstenmal
wieder eine Lähmung des linken Armes, während der rechte bewegt
werden kann.
1. IX. Exitus. Bei der Sektion findet sich in der Spitze der
rechten Lunge ein erbsengrosser käsiger Herd. Eine grosse Anzahl
Zeitsehnft fftr OhreDhellkimde. Bd. LIV. 8
1
114 G. Engelhardt: Otogene SenkOngsabszesse
Ton Halsdrasen teils geschwollen, teils käsig zerfallen. Nach Herans-
nahme des Gehirns erscheint es auffällig, dass der Processns odontoideas
sofort in das Hinterhanptloch hineinfällt. Neben ihm entleert sich eine
grosse Menge trüber, nicht eitriger Flüssigkeit. Die rechte Seite des
Processus odontoidcus, sowie der vordere Abschnitt des Atlaskörpers
und der vordere Umfang des Hinterhanptloches fühlt sich rauh an.
Nach Herausnahme der Halsorgane zeigt sich der Epistropheus ebenso
wie der III. Halswirbel rauh und von morscher Konsistenz. Mit der
Sonde gelangt man in eine im Innern der Wirbelkörper gelegene
Höhlung, die jedoch nur klein ist. Dura mater intakt. Dem erkrankten
Wirbelkörper liegen unmittelbar verkäste Lymphdrüsen an.
II. W., Paul, 29 J., Oberschweizer aus Tielguth.
Öfter Husten. Eine Schwester wegen Lungenleiden behandelt.
Vor einem Jahr Rippenquetschung rechterseits und Fall aus 2 Meter
Höhe auf den Hinterkopf. Seitdem zeitweise Kopfschmerzen. Vor
^2 Jahr Ohrensausen links. Eine vom Arzt ausgeführte Paracentese
soll Eiter entleert haben, doch hat der behandelnde Arzt den Pat. erst
nach 8 Tagen wieder gesellen. Nach 3 Wochen hörte die Eiterung
auf. Die Kopfschmerzen wurden dann wieder heftiger und betrafen
besonders die Gegend hinter dem linken Ohr, erstreckten sich aber
auch auf den Hinterkopf und das rechte Ohr, und strahlten zwischen
die Schulterblätter aus. Auf heftige Attacken folgten schmerzfreie
Pausen, gleichzeitig Auftreten von Nackensteifigkeit. Am 5. VII. 04
in ein Krankenhaus aufgenommen, wurde er wegen Meningitis mit Eis-
blase etc. behandelt. 14 Tage nach seiner Aufnahme bildete sich
hinter dem linken Ohre ein Abszess. Nach weiteren 8 Tagen verliess
er das Krankenhaus und begab sich in Behandlung von Prof. Hins-
berg, der ihn in seine Privatklinik aufnahm. Hier wurde am Ansatz
des linken StiTnocleidomastoideus eine deutliche Vorwölbung, die aber
mehr eine diffuse, sich nicht scharf abgrenzende war, festgestellt.
Warzenfortsatz durchzufühlen, nicht bc'^^onders druckempfindlich. Kopf
nach links geneigt, Bewegungen des Kopfes sehr schmerzhaft. Pseudo-
nackenstarre. Übriger Organbefund bis auf leichte Dämpfung der
rechten Lungenspitze unwesentlich. Trommelfell links abschilfernd,
grauweiss ; Hammergriflf injiziert, mäfsig einwärts gestellt. (Abgelaufene
Otitis media acuta.) Flüstersprache links 3 — 4 m. Weber nach links
lateralisiert. Schwabach verlängert. In der Annahme einer Mastoiditis
mit Senkungsabszess am
24. VII. Inzision über dem Warzen fort satz. Im Processus normale
Zellen, Antrum nicht eröffnet, Spitze des Warzenfortsatzes weggenommen.
Von da aus gelangt die Sonde in einen hinter dem Sternocleidomastoideus
sitzenden Abszess, der entleert und von einer neuen Schnittöffnung aus
drainiert wird.
3. VIII. Wunde sieht gut aus, Drain verkürzt, starke Schmerzen
im Hinterkopf. Temp. bis 38,3 ö.
and Bnboccipitale Entzündangen. 115
Rechts Gegend des Emissarium mast. sehr druckempfindlich, ebenso
der oberste Teil der Halswirbelsäale. Zum erstenmal Beschwerden beim
Schliugen ohne objektiven Befund im Hals.
5. VUr. Abendtemp. 37,9 ^ Steifigkeit des Halses. Schmerzen
haben zugenommen. Eine von chirurgischer Seite vorgenommene Unter-
suchung stellte fest, dass bei Palpation vom Munde aus die Gegend
des Atlas und Epistropbeus besonders links druckempfindlich ist. Dreh-
und Xickbewegungen des Kopfes, ebenso direktes Beklopfen der
Processus spinosi der oberen Halswirbel nicht schmerzhaft. Im spär-
lichen Sputum keine Tuberkelbazillen. Da die Schmerzen im Nacken,
Hinterkopf und hinter dem rechten Ohr stärker werden, soll auf Rat
von Prof. He nie auch auf der rechten Seite oi)eriert werden. Doch
unterblieb dies, da sich in der Nacht zum
10. Vin. spontan 2 — 3 Esslöffel Eiter durch den Mund entleerten,
woraof die Schluckbeschwerden und die Schmerzen im Kopf etwas
nachliessen. Die Durchbruchstelle an der hinteren Rachenwand wurde
nicht gefunden. Doch bald trat wieder der alte Zustand ein, an dem
auch eine am
20. X. 04 vorgenommene Eröffnung der schon verheilten Fistel
hinter dem linken Ohr mit Entleerung einer mäfsigen Mentje P^iter
nichts änderte. Die Schmerzen haben besonders am Nacken und hinter
dem rechten Ohr sehr zugenommen. Temperaturerhöhung bis 39 *\
Die Beweglichkeit des Kopfes ist sehr beschränkt. Pat. wird des-
halb am
23. X. der chirurgischen Klinik überwiesen. Hier kehrt die
Körpertemperatur in einigen Tagen wieder zur Norm zurück; auch die
Schwellung wird unter feuchten Umschlägen geringer. Bei der sehr
erschwerten Palpation vom Munde aus (Pat. kann den Mund nur wenig
öffnen) kommt der Finger direkt auf rauhen Knochen. Das Rönttren-
bild zeigt verschwommene Konturen zwischen den ersten drei Hals-
wirbeln, die Körper des Epistropbeus und des Atlas geben einen viel
dichteren Schatten, als es den normalen Wirbel körpern entspricht. Eine
nochmalige Untersuchung des Sputums auf Tuberkelbazillen negativ.
3. XI. Schwellung hinter dem rechten Ohr geringer geworden.
In der Annahme, dass es sich um einen chronisch entzündlichen Prozess
am Atlas. Epistropbeus und der Schädelbasis handelt, wird am
8. XI. in Lokalanästhesie durch einen hinter dem rechten Sterno-
cleidomastoideusansatz senkrecht nach unten geführten Schnitt der
Abszess eröffnet und wenig Eiter entleert (im Eiter durch Ausstrich
Staphylokokken nachgewiesen). Die grössere Menge entleert sich gleich-
zeitig durch den Mund. Die Fistel heilt in der Folge unter täglichem
Verbandwechsel und nachfolgender Anlegung einer Schanzschen
Kravatte aus. Pat. wird am
10. XII. mit Stützapparat geheilt entlassen.
1
116 6. Engelhardt: Otogene Senknngsabszesse
III. H., Paul, 34 J., Droschkenkutscher aus Breslau.
Aufgenommen in die chirurgische Klinik am 21. V. 06. Bruder
an Lungentuberkulose gestorben, sonst Familienanamnese o. B. Früher
stets gesund. Sein jetziges Leiden begann im Februar dieses Jahres
mit Stechen, zuerst im rechten, dann im linken Ohr, und Kopfschmerzen.
Ausserdem Schmerzen beim Schlucken. Er suchte deshalb die Ohren-
poliklinik auf, wo am
2. III. 06 folgender Befund erhoben wurde. Beide Trommelfelle
blass, leicht eingezogen, der weiche Gaumen leicht gerötet, an der
hinteren Rachenwand einige Granula, Seitenstränge verdickt. Diagnose:
Pharyngitis. Kurze Zeit darauf trat hinter dem rechten Ohr eine
Schwellang auf, die mit heissen Umschlägen behandelt und zunächst
für eine Lymphadenitis gehalten wurde. Trotz dieser Therapie Zu-
nahme der Schwellung und der Kopfschmerzen, während die Ohren-
schmerzen verschwanden.
29. m. 06. In ein Krankenhaus aufgenommen. Die Schwellung
am hinteren Bande des Stemocleidomastoideus wird inzidiert. Nach
14 Tagen gebessert entlassen. Die Inzisionswunde wurde später noch
zweimal in poliklinischer Behandlung erweitert, ohne dass die Be-
schwerden schwanden. Dieselben nahmen vielmehr in der heftigsten
Weise zu. Seit 8 Tagen sieht der Pat. mit dem rechten Auge nicht
mehr so gut wie früher; gestern Abend zum erstenmal Erbrechen. Seit
heute Doppeltsehen.
Befund: Kräftig gebauter Mensch in reduziertem Ernährungs-
zustand. Pat. hält den Kopf leicht nach rechts geneigt und die Hals-
wirbelsäale steif. Beugung des Kopfes nach vom und nach hinten in
geringem Grade aktiv möglich, passiv schmerzhaft. Bewegung seitwärts
aktiv unmöglich, passiv sehr schmerzhaft. Hinter dem rechten Ohr
finden sich zwei Inzisionsnarben, von denen eine noch in einer Länge
von 4 cm offen ist. Ganz minimale Sekretion. Die eingeführte Sonde
dringt an einer Stelle weit in die Tiefe und kommt an der rechten
Seite der hinteren Rachenwand an einer durch livide Kötang im Mund
hervortretenden Stelle zum Vorschein. Die Umgebung der Wunde ist
etwas gerötet und schmerzhaft, ebenso die korrespondierende Stelle der
linken Seite. Beide Processus mastoidei schmerzfrei. Dagegen ist die
Halswirbelsäule und zwar die Processi spin. H und III druckempfindlich,
ebenso, wenn auch in geringerem Grade, ist starker Druck auf den
Scheitel des Kopfes schmerzhaft. Die Konturen des Halses von vorn
sind im ganzen erhalten, die hintere Rachenwand ist nicht vorgewölbt
und auch nicht besonders druckempfindlich. Geringe Parese des linken
Abducens. Rechts beginnende Neuritis optica. (Augenklinik.) Übrige
Himnerven frei. Haut- und Sehnenreflexe normaL Kein ßabinski.
A ktinomy koseverdacht.
3. VI. Pat. bekommt Jodkali. Abends stets leichte Temperatur-
steigerung.
und snboceipitale Entzündungen. 117
4. VI. Beweglichkeit der HalswirbelsÄule etwas besser. Kopf-
schmerzen anverändert.
12. VI. Temperatursteigerang abends bis 39^. Es besteht jetzt
doppelseitige Stauungspapille. (Augenklinik.)
19. VI. Im ganzen unveränderter Zustand. Dauernde Kopf-
schmerzen; Wunde hinter dem rechten Ohr noch nicht geschlossen.
Hinter dem linken Ohr jetzt grössere Schmerzen als
rechts. Deutliche Schwellung hier und hinter dem linken Kiefer-
winkel. Leichte Kieferklemme. An der hinteren Rachen wand jetzt zu
beiden Seiten je eine deutliche im ganzen weiche, nicht druckempfind-
liche Geschwulst; keine Fluktuation. Schluckbeschwerden.
23. VI. In Äthernarkose Neissersche Probepunktion des Gehirns
rechts und links von einer oberhalb des Sinus transversus zirka zwei
qnerfingerbreit nach aussen von der Protuberantia occipitalis ext. ge-
legenen Stelle aus ohne Erfolg. Ausschabung der Fistel der rechten
Halss^te.
j 1. VII. Pat. hat den Eingriff gut überstanden, schläft sehr viel.
An der linken Halsseite hinter dem oberen Drittel des Sternocleido-
I mastoideus fühlt man eine sehr derbe, schmerzhafte, unregelmäfsige
I Geschwulst, Fluktuation nicht sicher. Durchschnittliche Abendtempera-
I turen von 38 ^ zeitweise bis 39^. Deshalb am
2. VII. nochmalige Operation : 12 cm langer Längsschnitt etwa dem
äusseren Rande des linken Muse, semispinalis capitis entsprechend,
durch Haut- und Weichteile bis auf einen ganz in der Tiefe gelegenen
Abszess. Es entleert sich serös-eitrige Flüssigkeit neben eigentümlich
gelb verfärbten Gewebsfetzen ; keine auf Aktinomykose verdächtigen
Kömchen, Dann wird bis zur Schädelbasis vorgedrungen und unterhalb
des Linea nuchae sup. 2 Qaerlinger nach hinten vom Processus mast.
eine markstückgrosse Trepanationsöffnung im Schädel angelegt. Hirn-
punktion negativ. Nackenabszess gründlich entleert, eine Gegenöffnung
angelegt. Der eingeführte Finger kommt bequem in den retropharyn-
gealen Raum, den man von der Höhe der Tonsillen bis fast zum
Jugalum abtasten kann.
5. VII. Vom hygienischen Institut eine Streptothrixart gezüchtet.
Rechtsseitige Stauungspapille (Augenklinik). Linksseitige Abduzens-
parese.
25. VII. Wenig veränderter Zustand. Zunehmende Schluck-
beschwerden. Die infiltrierten Partien am Halse haben sich unter
Jodoformglyzerininjektionen etwas erweicht. Noch immer starke Kopf-
schmerzen.
28. Vn. liumbalpunktion ergibt klare Flüssigkeit. Seit einigen
Tagen Ohrenlaufen links, das von jetzt ab drei Wochen anhält; ziem-
lich starke Sekretion, besonders im Anfang. Trommelfellbefund: Ge-
rötetes, etwas vorgewölbtes Trommelfell links. Perforation nicht deutlich
zu sehen.
1
118 G. En^elhardt: Otogene Senkungsabszesse
30.— 31. VII. Patient kann keinen Urin lassen, mass katheterisiert
werden Leichte Parese beider Beine rechts und links. Sensibilität
leicht herabgesetzt.
1. Vlir. Hat wieder spontan Urin entleert.
6. VIU. Beiderseits Exophthalmus Unter dem rechten Augenlid
haselnussgrosser Abszess, der inzidiert wird.
10. Vni. Die Lähmung der unteren Extremitäten hat zugenommen.
Pat. kann nicht mehr stehen, lässt unter sich. Urin 10 Tage mit
Katheter entleert, jetzt Ischuria paradoxa. Cystitis.
16. Vni. Patient ist in den letzten Tagen sehr herunter ge-
kommen. Temp. abends um 38 '\ Abszessfistel am Halse fast ge-
schlossen. Exophthalmus links hat rapid zugenommen, Lidschluss un-
möglich. Deshalb Ulzeration der Cornea. Phthisis bulbi. Parese der
unteren Extremitäten unverändert, Reflexe erloschen.
18. VIII. Ein^\bszess an der lateralen Seite des Bulbus wird
inzidiert.
30. VIII. Ein Abszess am rechten unteren Augenlid wird inzidiert.
4. IX. Der letztoperierte Abszess am linken Hinterkopf sezemiert
wieder stärker. Iiizision eines Abszesses an der Stirn.
7. IX. Lässt Stuhl und Urin unter sich. Decubitus. Abendliche
Temperatursteigerung bis 39 '^.
15. IX. Pat. will unbedingt die Klinik verlassen. Anfang November
ausserhalb gestorben. Sektion nicht möglich.
Die drei zitierten Krankengeschichten geben eine gute Illustration
für die au der Schädelbasis, in dem Atlanto-Occipitalgelenk und
den obersten Halswirbeln lokalisierten chronischen Entzündungen.
Dass es sich nur im ersten Fall um eine sichere Tuberkulose, im
zweiten vielleicht um eine Osteomyelitis, im dritten sicher um Aktino-
mykose bezw. um eine Streptothrixinfektion handelt, macht für die
Symptomatologie dieser Processe nicht allzu viel aus, eher schon für
den klinischen Verlauf, wie wir später noch sehen werden.
V. Bergmann hat von dem Krankheitsbild der Atlanto-Occipital-
tuberkulose, ihrer Prognose und Therapie, wie erwähnt, schon 1890
eine ausführliche Schilderung entworfen und zwar an der Hand von
2wei Obduktionsbefunden und den Krankengeschichten von drei zufällig
gleichzeitig in seiner Klinik wegen dieses Leidens in Behandlung be-
findlichen Patienten. Er betont, wie häufig diese Prozesse verkannt
werden und besonders bei plötzlichen Todesfällen zu Verwechslung mit
vereiterten Brüchen der Wirbelsäule Veranlassung gegeben hätten, und
zeigt zugleich durch die gleichzeitige Vorstellung von drei Kranken,
dass die Atlanto-Occipitalgelenktuberkulose durchaus nicht zu den
nnd saboccipitale EntzändnDgen. 119
grössten SelteoheiteD gehört. Lange bevor die charakteristische steife
Kopfhaltung eintritt, können schon nervöse Symptome auf die Zer-
störung im Knochen aufmerksam machen, die sich in folgender Weise
äassern können:
1. Durch Lidzuckungen, Nystagmus und Pupillendifferenz.
2. Durch Schwindelanfälie mit Vergehen der Sinne und spätere
heftige Kopfschmerzen.
3. Durch heftige Schmerzen in der Gegend beider Processus
mastoidei, und endlich durch Schmerzen in der Scheitelgegend,
der Gegönd des Ohres und rechtsseitige Zahnschmerzen.
Alle diese Schmerzen kommen nach v. Bergmann durch Reizung
des N. occipitalis magnus und der Hautäste aus dem Plexus cervicalis
(occip. minor und auricularis magnus) zu stände; speziell lässt sich
durch Druck auf den II. Processus spin. der durch den Occipit. magnus
Termittelte Nacken- und Hinterhauptschmerz erheblich steigern. Die
als Fröbsymptom einmal beobachteten Schluckbeschwerden finden in
einer vielleicht durch Zirkulationsstörung verursachten Läsion des
Nervus hypoglossus ihre wahrscheinlichste Erklärung. Diesem nur
manchmal vorhandenen, häufiger fehlenden Prodromalstadium schliesst
sich die charakteristische steife Kopfhaltung an, die bald in einer
Schwellung der Nackengrube, welche sich später nach beiden Seiten
zu ausdehnt, ihre objektive Begründung erfährt. Es folgen dann erst
die Senkungsabszesse, gewöhnlich in das Dreieck zwischen M. rectus
capitis posticus major, rectus capitis lateralis und obliquus capitis
superior, also noch tiefer, als die durch die Arteria occipitalis nach
hinten geleiteten otogenen Eiterungen zu sitzen pflegen. Erst später
gelangen diese mehr an die Oberfläche und treten gewöhnlich hinter
dem Processus mastoideus am- hinteren Rand des Sternocleidomastoideus
zu Tage. Gelingt es jetzt nicht, den Eiter durch Inzision möglichst
vollständig zu entleeren, so kann in seltenen Fällen ein Durchbruch
durch das For. lacerum in die Schädelhöhle mit nachfolgender Throm-
bosierung des Sinus, oder was häufiger der Fall ist, in den Rückgrats-
kanal erfolgen. Hier bleibt wiederum die Eiterung entweder rein
extradural oder sie durchbricht die Dura, oder endlich sie führt zu
. sekundärer Spondylitis tuberculosa mit ihren Folgeerscheinungen (dauernde
Lähmung etc.).
Erst ganz neueren Datums und daher noch ergänzungsbedürftig
jifld unsere Kenntnisse über osteomyelitische Erkrankungen der
1
120 G. EDgelhardt: Otogene Senknngsabszesse
Schädelbasis and der obersten Halswirbel. EicheP) erwähnt einen
Fall von snbakuter Osteomyelitis der Schädelbasis zwischen Processus
mastoidens und Condylen, die sich durch eine Schwellung unterhalb der
Linea occipitalis superior manifestierte und als erstes Symptom Schmerzen
im Bereich des rechten N. supraorbitalis aufwies. — Die von Minin^),
Eichel. Schmidt^), Hahn*) Weber^) u. a. mitgeteilten teils
primären, teils sekundären osteomyelitischen Eiterungen der obersten
Halswirbel weichen z. T. in ihrer Symptomatologie von den tuber-
kulösen Eiterungen nur wenig ab, und zeigen nur unter Umständen die
auch bei osteomyelitischer Erkrankung anderer Wirbelsäulenabschnitte
beobachteten Eigentümlichkeiten, nämlich rascheren Verlauf, verbunden
mit hohem Fieber und Delirien. Sie gestatten eine energische und im
ganzen erfolgreiche Therapie, wenn der Herd nicht im Wirbelkörper,
sondern im Bogenteil und in den Processus spinosi sitzt. Allerdings
wird es auch bei diesem Sitz wesentlich darauf ankommen, welche
Wege der Eiter einschlägt, ob er in den Rückenmarkskanal durch-
bricht, zu spinaler oder nur zu Eompressionsmyelitis führt, oder früh-
zeitig an anderer Stelle zum Vorschein kommt und somit bald eine
chirurgische Therapie veranlasst. Anders, wenn det Sitz der Eiterung
das Atlanto-Occipitalgelenk oder Atlas und Epistropheus selber sind.
Dürfen wir aus dem immerhin geringen Material von 3 Beobachtungen,
die säml lieh Abb ot und Makins^') zugehören, nach Ansicht Eichels
allerdings nicht radikal genug operiert wurden, irgend welche Schlüsse
ziehen, so ist es der, dass die hier lokalisierte Osteomyelitis einerseits
sehr grosse Neigung zum Einbruch in die Meningen und zu tödlicher
Basilarmeningitis, andererseits zum Einbruch in die Blutbahn und zu
Metastasierung zeigt, aber nicht, worauf auch Eichel hinweist and
was besonders merkwürdig erscheinen muss, retropharyngeale Abszesse
zu bilden. Gemeinsam allen drei Kranken waren folgende Initial-
symptome : Fieber, Kopfschmerzen, äusserst schmerzhafte Schwellung
1) Eichel, Über Osteomyelitis acuta des Atlas. Mfinch. med. Wochen-
schrift 1900.
s) Min in, Zur Diagnose und Therapie der akuten Ostitis. Wratsch 1882.
9) Schmidt, Zur Kasuistik der Wirbelosteomyelitis. Deutsche Zeitschr.
f. Chirurgie 1901.
*) 0. Hahn, Über die akute infektiöse Osteomyelitis der Wirbel. Brnns*
Beiträge Bd. 25.
B) Weber, Über die akute primäre Osteomyelitis der Halswirbelsäale.
Deutsche med. Wochenschr. 1903.
^ Ausführlich in Hahn 1. c.
r
und saboccipitale Enlzftndungen. 121
beider Nackenseiten, steife Kopfhaltung nnd endlich die Schmerzhaftig-
keit der Wirbelsäule bei Druck. Dagegen scheinen nervöse Symptome,
die einen wichtigen diagnostischen Fingerzeig hätten abgeben können,
vollständig gefehlt zu haben. Von den übrigen chronisch- entzündlichen
Prozessen an der Schädelbasis und den obersten Halswirbeln, speziell
der Aktinomykose, lässt sich wohl kaum irgend ein charakteristisches
Bild entwerfen; immerhin scheinen auch bei ihr Nackenscbmerzen und
Schwellung hinter dem Ohr, die auch in dem Fall von Terrier und
D n j a r d i n ^) zu einer vergeblichen Warzenfortsatzaufmeisselung führten,
zu den ziemlich früh auftretenden Symptomen zu gehören. Gehen wir
unter Zugrundelegung dieser diagnostischen Bemerkungen kurz auf die
von uns angezogenen Beobachtungen ein, so war es im ersten Fall das
für Meningitis charakteristische Wechseln der subjektiven Beschwerden
im Verein mit der Nackensteifigkeit, dem Ohrbefund, der zeitweisen
Drockempimdlichkeit des Warzenfortsatzes, der Lähmung des Fazialis
nnd Oculomotorius, das zu der Fehldiagnose einer endokraniellen Kom-
plikation nach Ohreiterung führte. Dazu kam, dass die für Wirbel-
bezw. Schädelbasistuberkulose charakteristische Kopfhaltung und die
Kopf- und Nackenschmerzen bei dem Fehlen jeder Schwellung im
Nacken falsch gedeutet wurden. Die Sektion lieferte eine Erklärung
für das Ausbleiben der Nackenschwellung, indem sie nachwies, dass es
sich um eine ziemlich zirkumskript gebliebene Halswirbeltuberkulose
handelte und Senkungsabszesse besonders nach der Nackengegend nicht
vorhanden waren. Die beiden anderen Beobachtungen sind besonders
deshalb interessant, weil beide Patienten lange vor dem Auftreten von
irgend welchen sonstigen Symptomen durch Ohrenschmerzen zum Arzt
geführt wurden. Erst später trat, was für die in Rede stehenden
Affektionen beinahe als charakteristisch erscheinen muss, zuerst auf der
einen, dann auf der anderen Seite am hinteren Rande des Sternocleido-
mastoideus, also an typischer Stelle eine Schwellung auf, die dann inzi-
diert werden konnte. Als Zwischenstadium erfolgte in der zweiten
Beobachtung ein Durchbruch durch die hintere Pharynxwand.
Y. Bergmann hat, wie schon früher erwähnt, auf dieses wichtige
Primärsymptom der Ohrenschmerzen, das so häufig zu Fehldiagnosen
und zu einer fehlerhaften Therapie Anlass gab, zuerst die Aufmerksam-
keit gelenkt. Er berichtet von einem 39 jährigen Patienten, bei dem
^) Terrier et Du j ardin, TJn cas d'actinomycose cervico - cranienne.
Revue de chir. 1906.
^
122 G. Engelhardt: Otogene Senkungsabszesse
wegen Ohrenschmerzen ohne nachweisbare Nackenschwellang (die ja,
wie unsere Beobachtung zeigt, auch vollkommen bis zum Ausgang
fehlen kann) die mehr weniger vergebliche Parazentese ausgeführt
wurde, erwägt andererseits aber auch die Möglichkeit, dass es durch
den chronisch entzündlichen Prozess zu Verengerung des Gehörgauges,
damit zu einer Erkrankung des äusseren Gehörganges und eitrigem
Ausfluss kommen konnte. Sehr bemerkenswert und für den Otologen
interessant ist auch der Befund, den v. Bergmann bei einem anderen
36 jährigen Patienten erheben konnte. Auch hier waren Ohren-
schmerzen das Primärsymptom für einen auf der gleichen Seite lokali-
sierten Senkungsabszess im Nacken, und viel später erst wurde wiederum
das Erscheinen eines zweiten Eiterherdes an der entsprechenden Stelle
der anderen Seite durch heftige Ohrenschmerzen ohne lokalen Ohr-
befund angekündigt. Es scheint also diesem Symptom eine verhältnis-
mäfsig grosse Bedeutung für die Frühdiagnose dieser Prozesse zu-
zukommen. Dass im weiteren Verlauf der Erkrankung wirkliche
Ohreiterung zu stände kommen kann, ist nichts seltenes, sei es nun,
dass eine vorher übersehene Mittelohrentzündung von neuem aufflackert
oder, wie in der Beobachtung von Grünwald*), von einem prä-
vertebralen Abszess aus, der hier die Folge einer durch eine acces-
sorische Nebenhöhleneiterung veranlassten Karies des Atlas war, das
Mittelohr, dann wohl gewöhnlich auf dem Wege der Tube, infiziert
wird und eine hierdurch veranlasste akute Otitis media zu Perforation
des Trommelfelles und Eiterausfluss aus dem Ohre führt. Schliesslich
kann auch extradural angesammelter Eiter sekundär wieder in das
Gehörorgan einbrechen, was vielleicht bei unserem letzten Patienten
mit Aktinomykose der Schädelbasis der Fall war. Überhaupt muss bei
diesem Patienten auf eine sichere Erklärung, wie die verschiedenen
endokraniellen Symptome (Neuritis optica, Exophthalmus) zu stände
kamen, mangels einer Sektion verzichtet werden.
Dass die an verschiedenen Stellen des Gesichts regellos auf-
getretenen Abszesse auf dem Wege der Blutbahn vermittelt wurden,
eine Möglichkeit, die für die Streptothrixinfektion wohl von Löhlein
und mir^) zuerst bewiesen wurde, ist bei dem Fehlen sonstiger metasta-
1) GrOnwald, Subvertebraler Abszess etc., ausgehend von einer Eiterung
einer accessorischen Keilbeinhöhle. Zahlreiche Komplikationen. Arch. f. LaryngoL,
Bd. XIL
^) Engelhardt und Löhlein, Zur Kenntnis der Streptothrixpyämie.
Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 75.
und suboccipitale Entzündungen. 123
tischer Eiterungen nicht sehr wahrscheinlich. Als feststehend kann
wohl nur angenommen werden, dass eine extradurale Eitersenkung nach
dem Rückgratskanal stattfand, denn die wechselnden Lähmungs-
erscheinungen finden, bei dem negativen Ausfall der Lumbalpunktion,
in einer Kompression des Rückenmarks durch extradurale Eiterung ihre
ungezwungenste Erklärung.
Aus der kurzen Gegenüberstellung der Wege, die einerseits otogene
Eiterungen einschlagen können, und des Symptomenbildes und der
Folgezustände suboccipitaler Entzündungen andererseits ergibt sich ohne
weiteres, inwiefern beide Prozesse zu Verwechslung führen können. Es
werden einmal vor allem die durch die Arteria occipitalis nach hinten
weiter geleiteten Eiterungen des Ohres, ferner die durch die ver-
schiedenen Emissarien oder durch Entzündung der Venenwand (be-
sonders der Venae condyloidae) zu den tiefen, kurzen Nackenmuskeln
vermittelten Eiteransammlungen sein, die unter Umständen eine sub-
occipitale Eiterung annehmen lassen, das andere Mal die Fälle mit
zweifelhaftem oder positivem Ohrbefund und doppelseitiger oder be-
sonders einseitiger Nackenschwellung, die zu der falschen Annahme
einer otogenen Entstehung führen. Eine Reihe von Symptomen ist ja,
wie früher hinlänglich erörtert, beiden Prozessen gemeinsam. Immerhin
wird sich eine Entscheidung in fast allen Fällen treffen lassen. Abgesehen
davon, dass die Anamnese neben einer genauen Untersuchung des Ohres
sehr häufig eine rasche Entscheidung möglich machen wird, ist und
bleibt bei der durch die Arteria occipitalis vermittelten Eiterung, die
bei weitem den häufigsten Modus der nach hinten weitergeleiteten
Bezoldschen Mastoiditis darstellt, in der Regel die Schwellung eine
streng halbseitige, da ihr durch das Ligamentum nuchae ein weiteres
Fortschreiten unmöglich gemacht wird. Nur bei den sehr seltenen,
direkt unter dem Periost gelegenen tiefen Nackeneiterungen, wie sie
bei Durchbruch intrakranieller Eiteransammlungen durch die Sutura
occipitomastoidea etc. und durch Phlebitis, besonders der Venae condy-
loideae, induziert werden, ist eine diffuse Nackeuschwellung die Regel-
Ist die Ohreiterung allerdings in den Retropharyngealraum durch-
gebrochen (und wir haben oben gesehen, wie mannigfach die Wege
sind, die zu einem derartigen Ereignis führen können), so kann die
Folge wieder eine suboccipitale Entzündung mit allen ihren Begleit-
erscheinungen sein und die Diagnose wesentlich erschwert werden.
Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, auf die Therapie der
suboccipitalen Entzündungen einzugehen. Es genüge, nur darauf hin-
124 G. Engelbardt: Otogene Senkungsabszesse
zaweisen, dass die Inzision der Eiteransammlang dicht hinter dem
Sternocleidomastoideos bei der Tuberkulose des Atlanto-Occipitalgelenkes
zugleich die beste Therapie fQr die Entleerung des entweder gleichzeitig
oder in der Regel etwas später auftretenden Retropharyngealabszesses
ist. Chiene hat bekanntlich die operative Inangriffnahme tuberkulöser
Betropharyngealabszesse von dieser Stelle anstatt der direkten Er-
öffnung vom Rachen aus empfohlen und ist sein Vorschlag wohl ziem-
lich allgemein acceptiert worden. So traurig die Prognose der tuber-
kulösen suboccipitalen Entzündungen im allgemeinen auch ist (v. Berg m an n
berechnet die durchschnittliche Lebensdauer der Patienten vom Beginn
der Erkrankung auf 8 Monate, höchstens 1 — 2 Jahre), so ist doch
einerseits, wenn auch äusserst selten, anatomische und auch klinische
Heilung der Tuberkulose des Atlas beobachtet, andererseits sind durch
Extensionsbehandlung und durch Stfltzapparate recht gute, wenn auch
nur vorübergehende Erfolge erzielt worden *). Eine energischere Therapie,
die sich nicht nur auf Inzision des Senkungsabszesses beschränken darf,
sondern in Freilegung des osteomyelitischen Herdes im Knochen be-
stehen muss, erfordern wohl im allgemeinen die osteomyelitischen Pro-
zesse au der Schädelbasis und in den obersten Halswirbeln. Ermuntern
doch gerade Erfolge, wie sie E i c h e 1 und andere erzielt haben, eventuell
noch weiter zu gehen und zutreffenden Falles nicht nur die erkrankten
Proc. spinosi und Bogen, sondern auch die Wirbelkörper freizulegen,
Mafsnahmen, die bekanntlich bei der Tuberkulose streng verpönt sind.
^) Die erst nach Abscbluss dieser Arbeit erschienene Veröffentlichung von
Payr (Die operative Behandlung des Malum suboccipitale. Deutsche med.
Wochenschr.. v. Bergmann-Nummer) enthält den kühnen, anscheinend glänzend ge-
lungenen Versuch einer Badikaloperation der atlanto-occipitalen Tuberkulose durch
breite Freilegung von Hinterhaupt, Atlas und Epistropheus. Voraussetzung für
diesen allerdings wohl äusserst selten indizierten Eingriff wäre anatomisch ein Be-
schränktbleiben auf den vorderen und hinteren Bogen des Atlas oder den Proc.
transversus oder den Gelenkfortsatz, auf dem das A.-O.-Gelenk ruht. Eine
Förderung für die richtige Auswahl der Fälle wäre nach Payr einmal von einer
verfeinerten Frühdiagnose, für die das Freibleiben der Drehbewegungen des
Kopfes und geringe Schmerzhaftigkeit bei Druck auf den Scheitel wesentliche
Anhaltspunkte bieten würden, und weiteren Ausbau der Diagnostik durch
Röntgen verfahren zu erwarten. Ob es sich nicht empfiehlt, wie schon oben
ausgeführt, gerade den durch den occipitalis major so häufig vermittelten oft
einseitigen Ohrenschmerzen, die auch in dem von Payr erfolgreich operierten
Fall vorhanden waren, als Frühsymptom besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden ?
Zugleich erscheint durch diesen erfolgreichen Versuch Payrs auch die Therapie
der Osteomyelitis der obersten Halswirbel (s. u.) in eine andere Beleuchtung
gerückt.
und suboccipitale Entzündungen. 125
Es ißt dies ein Weg, den Riese ^) fOr die unteren (V. und VI.) Hals-
wirbel wenigstens, mit Erfolg trotz des nachträglichen Auftretens
metastatischer Eiterungen beschritten zu haben scheint. Allerdings wird
die Entscheidung, wieviel man in dieser Richtung wagen darf, un-
abhäDgig von der Abwägung der Gefahren derartiger Eingriffe (sekun-
däre Gibbusbildung u. s. w.), von weiteren Erfahrungen abhängig ge-
macht werden müssen. Glaubt doch z. B. G r i s e P) auf Grund eigener
und fremder Beobachtungen zu dem Schluss berechtigt zu sein, dass
da, wo die einfache Inzision nichts genützt habe, auch grössere Eingriffe
erfolglos geblieben seien. Dass endlich die Therapie der Aktinomykose
der Schädelbasis wesentliche Fortschritte machen werde, einerlei ob sie
vom Ober- oder Unterkiefer direkt auf die Schädelbasis weitergeleitet
wurde (Poncet^), Markus^) u. a.), oder ob, wie in zwei Be-
obachtungen von Ri viere und Thövenot*) die Infektion von der
hinteren Rachenwand auf dem Umwege einer eitrigen Mittelohrentzündung
und Mastoiditis zur Schädelbasis gelangte, ist bei der Schwierigkeit,
an die verschiedenen versteckten Herde heranzukommen, und der
erfahrungsgemäfsen Neigung dieser Prozesse, sekundär eine Meningitis
zu verursachen, wenig wahrscheinlich. Dass die Fälle, bei denen die
Ausbreitung an die Schädelbasis von der prävertebralen Region aus
erfolgte, von vornherein, chirurgisch wenigstens, unangreifbar sind, ist
ohne weiteres verständlich. Dem entspricht auch im allgemeinen die
klinische Erfahrung, musste doch z. B. Markus von 13 Fällen von
Aktinomykose der Kopf-Halsregion nur die beiden auf die Schädelbasis
übergegangenen als ungeheilt anführen. Auch der allein von uns auf-
gefuÄdene Heilerfolg, den Terrier und Dujardin^) mitgeteilt haben,
muss nach dem eigenen Bericht der Autoren mehr als zweifelhaft er-
scheinen. — Demgegenüber bieten die otogenen Senkungsabszesse, von
seltenen Ausnahmen abgesehen, bei nicht vernachlässigten Fällen be-
kanntlich eine sehr günstige Prognose und ist deshalb die Forderung
um so mehr berechtigt, den Kranken nicht durch eine falsche Diagnose
oder fehlerhafte Therapie Gefahren auszusetzen, die ihm bei frühzeitiger
richtiger Erkenntnis und Behandlung hätten erspart werden können.
^) Biese, Vortrag in der Freien Vereinigung der Chirurgen Berlins am 14.11.98.
*) Grisel, De Tost^omyelite vertöbrale aigue primitive des vertöbres.
Eevue d'orthop, 1903.
^ Poncet, De Tactinomycose humaine k Lyon. Gaz. hebd. de m6d. etc. 1895.
^) Markus, Beitr. zur Beb. der Aktinomykose mit Ber. der Jodkali-
therapie. I.-D. Breslau 1902.
^jRiviöre et Th^venot, Actinomycose d'oreille. Revue de chir. 1904.
«)1. c.
1
126 Kramm: Beitrag zur Entstehung u.Behandlnngd.otogenenPyämie.
vm.
(Aus der Ohrenklinik der Königlichen Charite zu Berlin.
Direktor Geh. Medizinalrat Professor Dr. Passow.)
Beitrag zur Entstehung und Behandlung der
otogenen Pyämie.
(Ein Fall von Thrombose des Sinus petrosus superior.)
Von Stabsarzt Br. Kramm,
Assistenten der Klinik.
Mit 2 Abbildungen auf Tafel XIII.
Während die Behandlang der obturierenden Sinnsthrombose im
letzten Jahrzehnt wesentlich geklärt worden ist, gehen die Ansichten
über die Mafsnahmen bei einer otogenen Pyämie ohne obturierende
Thrombose noch weit auseinander. Man wird stets zu verhindern
suchen, dass infektiöse Teile von dem Erkrankungsherde der Blutleiter
aus in die allgemeine Zirkulation übergehen. Dieser Herd wird bei
der obturierenden Thrombose gewöhnlich leicht gefunden. Wenn da-
gegen die Kontinuität des Blutstromes im Sinus nicht unterbrochen ist,
so kann es schwer, häufig intra vitam unmöglich sein, den Ausgangs-
punkt der Pyämie nachzuweisen. Zuweilen gehen nach einer grtind-
lichen Beseitigung des erkrankten Knochens die pyämischen Erschein-
ungen zurück; für diese Fälle hat man eine Osteophlebitis des
Schläfenbeins oder eine einfache Durchlässigkeit der entzündeten Sinus-
wand als Ursache der Pyämie angenommen. Bleibt jedoch nach der
Knochenoperation die Pyämie unverändert, so liegt mit grosser Wahr-
scheinlichkeit eine wandständige Sinusthrombose oder eine Erkrankung
des Bulbus der Vena jugularis vor.
Die den Bulbus vollkommen erfüllende Thrombose kann aus der
Blutleere unterhalb des Bulbus, nach ausgeführter Sinustamponade auch
oberhalb des Bulbus erkannt werden; von dieser Art der Blutleiter-
erkrankung wird hier abgesehen.
Für die Behandlung einer schweren Pyämie mit wandständiger
Thrombose kommt die Abdämmung des Sinus und die Unterbindung
der Vena jugularis in Betracht. Die richtige Behandlung einer solchen
Pyämie ist von der Lösung der schwierigen Frage abhängig: Wo sitzt
der wandständige Thrombus?
Nach der allgemeinen Annahme entsteht eine otogene Pyämie ge-
wöhnlich durch Fortschreiten der Erkrankung von der Hinterwand des
K r a m m : Beitrag zur Entstehung u. Behandlang d. otogenen Pyämie. 127
Schläfenbeins auf den Sinus sigmoideas oder von dem Boden der
Paukenhöhle auf den Bulbus der Vena jugularis. Ist die Sinuswand
sichtbar erkrankt, so wird man an dieser Stelle auch den angenommenen
wandständigen Thrombus erwarten dürfen. Die Abdämmung des Blut-
stromes nach oben und unten durch je einen zwischen Knochen und
Sinus eingeführten Tampon und die nachfolgende Schlitzung der Sinus-
wand werden häufig den wandständigen Thrombus erkennen lassen ;
wenn dieser aber dünn und flach ist, wird man nach dem makro-
skopischen Befunde bei der Operation zuweilen im Ungewissen bleiben.
Hat der Teil des Sinus, der der Hinterwand des Schläfenbeins anliegt,
keinen Anhalt für einen wandständigen Thrombus ergeben, so wird
dieser im Bulbus der Vena jugularis vermutet. Man schreitet dann
gewöhnlich zur Unterbindung der Vena jugularis.
Nur wenig Beachtung hat bisher die Entstehung einer Sinus-
thrombose vom Tegmen tympani et antri aus gefunden; doch ist es
nicht unmöglich, dass dieser Infektionsweg für die otogene Pyämie eine
grössere Rolle spielt, als man zur Zeit annimmt.
Die Übertragung der Infektion von der Paukenhöhle und dem
Antrum aus durch die mittlere Schädelgrube auf den Sinus kann in
verschiedener Weise vor sich gehen. Am einfachsten liegen die Ver-
hältnisse, wenn nach Zerstörung des Tegmen und Erkrankung des an-
grenzenden hinteren oberen Abschnittes der Vorderfläche der Pyramide
das Sinusknie oder das Endstück des Sinus petrosus superior in Mit-
leidenschaft gezogen wird. Das Tegmen kann aber auch erhalten und
makroskopisch gesund sein; die Erkrankung geht durch feine, nur
mikroskopisch nachweisbare Fisteln im Tegmen oder durch die Gefässe
and Spalten der Fissura oder Sutura petroso - squamosa , welche das
Tegmen von vorne nach hinten durchsetzt, auf die mittlere Schädel-
grabe über. Die Entzündung kann dann vermittelst eines Sinus petroso*
squamosus oder einer gleich verlaufenden Vene der Dura mater bis
zum Sinusknie fortschreiten [Körner^), S. 9 u. 81]. Ferner kann
eine Infektion des Sinus durch einen extraduralen Abszess der mittleren
Schädelgrube erfolgen; auf diese Entstehungsweise der Sinusphlebitis
möchte ich hier besonders eingehen, da sie mir .von prinzipieller Be-
deutung für die Behandlung der otogenen Pyämie mit verborgener
wandständiger Thrombose zu sein scheint.
') Körner, Die otitischen Erkrankungen des Hirns, der Hirnhäute und
der Blatleiter, 3. Aufl., 1902.
1 28 K r a m m : Beitrag znr EntstehuDg a. Bebandlang d. otogenen P yämie.
Extradarale Abszesse haben aach bei geringem Yolamen die
Neigang, sich in der Fläche zwischen Knochen nnd Dura auszudehnen.
Fflr die Richtung der Ausbreitung der extradnralen über dem Tegmen
tjmpani et antri entstandenen Abszesse sind folgende anatomischen Ver-
hältnisse von Bedeutung: Medial vom Tegmen antri befindet sich die
durch den oberen vertikalen Bogengang gebildete Eminentia arcuata.
Lateral vom Tegmen ist häufig in der Knochenoberfläche eine etwa
1 cm breite Mulde vorhanden, welche nach aussen an die aufsteigende
Schläfenbeinschuppe grenzt und von vorne nach hinten bis zum late-
ralsten Abschnitt der oberen Pyramiden kante zieht. Hinter diesem
Abschnitt liegt das Sinusknie, die Umbiegungsstelle des Sinus trans-
versus in den Sinus sigmoideus. Hier ist der Querschnitt des Sinus
oft besonders gross; nicht selten wölbt sich der Sinus bulbusartig in
das Schläfenbein hinein vor. In das Sinusknie ergiesst an seinem
medialen Rande der Sinus petrosus superior sein Blut. Der Sulcns
petrosus superior nimmt also nicht die ganze Länge der oberen Pyra-
midenkante ein, sondern ihr äusserster Teil wird durch eine einfache,
nicht furchenartig vertiefte Kante gebildet: diese ist um so länger, je
grösser die Anschwellung des Sinus am Knie ist.
FUr die Entstehung einer Sinusphlebitis kommen die extraduralen
Abszesse über dem Tegmen tympani weniger als die über dem Tegmen
antri befindlichen in Betracht, da das letztere der oberen Pyramiden-
kante und demnach auch dem Sinus näher gelegen ist.
Ein extraduraler Abszess über dem Tegmen antri wird wenig
Neigung haben, sich nach medial auszubreiten, da er hier den Wulst
der Eminentia arcuata überschreiten müsste. Die Ausdehnung des
Eiters nach hinten und somit die Infektion des nahegelegenen flnd-
stückes des Sinus petrosus superior ist wohl möglich. Ebenso leicht
aber wird der Abszess sich nach lateral in der hier gelegenen Mulde
ausbreiten können, welche hinten am Sinusknie endigt. Durch diese
Verhältnisse sind die Vorbedingungen dafür geschaffen, dass ein extra-
duraler über dem Tegmen antri entstandener Abszess bei seinem
Wachstum mit der Wand des Sinus transversus am Knie selbst, mit
grösseren, aus der mittleren Schädelgrube stammenden Duravenen dicht
vor ihrem Eintritt in das Sinusknie oder mit dem Endstück des Sinus
petrosus superior in Berührung kommt. Die nun entstehende Er-
krankung des Sinus wird zunächst nur zu einer wandständigen Throm-
bose führen, welche wegen der Ausbuchtung des Sinus am Knie nicht
K ra m m : Beitrag zur Entstehung u. Behandlung d. otogenen Pjämie. 1 29
so schnell wie an den übrigen Sinusabschnitten zu einer obturierenden
anwachsen wird.
Während bei einem extraduralen vom Tegmen antri ausgehenden
Abszess die anatomischen Verhältnisse fttr die Infektion des Sinusknies
Torteilhaft sind, werden sie für die Ausbreitung des Kiters in der
hinteren Schädelgrube nicht günstig sein. Der Abszess wird nur bei
einem grossen Volumen, wie er es selten erreicht, die Pyramidenkante
nach hinten überschreiten und sich daher nur ausnahmsweise zwischen
Einterwand der Pyramide und Sinus sigmoideus erstrecken. Deshalb
ist es wohl möglich, dass pathologische Veränderungen der Aussenwand
des absteigenden Sinus fehlen, während im Sinusknie bereits eine wand-
sttodige Thrombose vorhanden ist. Die lokale Diagnose der Sinus-
erkrankung kann dann nicht geringen Schwierigkeiten begegnen.
Über einen hierher gehörenden Fall will ich nun berichten:
22 jähr. Hausdiener. Seit 3 Jahren Ohrenlaufen links. 31. X. 06
heftige linksseitige Kopfschmerzen. Am 1. XL 06 plötzlich starker
Schüttelfrost, gleichzeitig heftiger Schwindel, stärkeres Ohrenlaufen links.
Am 2. XL morgens und vormittags 2 mal Schüttelfrost. Aufnahme in
liie Ohrenklinik der Charit^.
Befund; T. 39,9. R. Ohr gesund. L. Ohr: Reichliches, sehr
übelriechendes eitriges Sekret im äusseren Gehörgang; starke Vor-
drängung der hinteren Gehörgangswand, Polypen in der Tiefe. Druck
auf den Warzenfortsatz in der Fossa mastoidea und hinter der hinteren
Oehörgangswand sehr empfindlich, dagegen nicht in der Gegend des
Emissarinm mastoideum. Schmerzhafte Lymphdrüsen vor dem M. sterno-
cleido-mastoideus.
Augenhintergrund: Pupillen etwas gerötet, Grenzen nicht ganz
scharf; starke Füllung und Schlängelung der Venen. Kein Nystagmus.
Zunge trocken und belegt.
Radikaloperation : Knochen des Warzenfortsatzes vollkommen sklero-
tisch. Das haselnussgrosse Antrum und die Paukenhöhle sind mit übel-
riechendem Eiter, Epithellamellen und Granulationen erfüllt. Hammer
and Amboss fehlen. Bogengang intakt. Tegmen tympani et antri
erscheinen normal. Zur Freilegung des Sinus werden die be-
deckenden Knochenschichten abgemeisselt ; sie sind kompakt und weiss,
nirgend verfärbt. Aussenwand des Sinus normal; der Sinus selbst, wie
die Inzifiion ergibt, ist bluthaltig
3.-5. XL T. normal.
6. XL T. 37,8—39,0. 7.^ XL T. 37,8—38,7. 8. XL T. 38,2
bis 39,7.
9. XL In der vergangenen Nacht Schüttelfrost. T. morgens 39,7.
Zeiiachrift f&r OlurenbeUkoDde. Bd. LIV. 9
n
1 30 K r a m m : Beitrag zur Entstehung a. Behandlung d. otogenen Pyämie.
Unterbindung der normalen Vena jugularis. Dicht
oberhalb der Vena facialis communis. Darauf Abfall auf 37,1.
10. XL 2 Schüttelfröste mit T. yon 40,2 und 40,0. Milz sehr
gross, im übrigen kein objektiver Krankheitsbefund. In der Operations-
höhle nicht Besonderes bemerkbar.
11. XL Schüttelfrost. T. 37,3—40,8.
12. XL 2 Schüttelfröste mit T. von 40,7 und 41,0. Atemnot;
Atmung 45; ziemlich reichlicher blutiger Auswurf; starkes Stechen in
der rechten Brustseite ohne objektiven Befund. V. jugularis oberhalb
der abgebundenen Stelle bluthaltig, ebenso der Sinus sigmoideus. Ver-
schluss des Sinus durch Tampons, welche oberhalb und
unterhalb der freigelegten Stelle zwischen Knochen und
Sinuswand eingeschoben werden. Von jetzt ab kein
Schüttelfrost mehr. Abends T. 36,6. Befinden gut. Atmung 20.
Puls 84, voll und kräftig.
13. XL T. 37,8 — 39,7. Atemnot, reichlicher blutiger Auswurf.
H. r. u. handbreite Dämpfung mit aufgehobenem Atmungsgeräusch, aber
normalem Stimmfremitus.
14. XL T. 39,0—40,3. Puls 100—120, ziemlich kräftig und
regelmäfsig. Leichter Ikterus. Papillen gerötet und getrübt, Grenzen
verwaschen. Beim Verbandwechsel kommt aus dem hinteren Abschnitt
des Antrum Eiter; deswegen Entfernung der hinteren Antrumwand;
Dura des Kleinhirns normal, kein Abszess.
15. XL Puls 140—150. H. u. beiderseits handbreite Dämpfung,
leises hauchendes Atmungsgeräusch, sehr reichliche Schabegeräusche.
Gegen Mittag Cyanose. Exitus 4 Uhr nachm.
Obduktionsergebnis.
Im Unterlappen der rechten Lunge wallnussgrosser Abszess, zu
welchem ein durch einen schmierigen Embolus verschlossenes Gefäss
führt. In beiden Pleurahöhlen zusammen 1 Liter braune stinkende
Flüssigkeit. Tnfektionsmilz.
Tegmen tympani et antri intakt. Zwischen dem Tegmen antri
und der Dura flacher Abszess, welcher sich nach hinten aussen bis zum
lateralsten Abschnitt der oberen Pyramidenkante erstreckt. Dura über
dem Tegmen antri missfarben; im Anschluss an diese Stelle wallnuss-
grosser Abszess des Schläfenlappens. Vom Knie des linken Sinus bis
zur Unterbindungsstelle der V. jugularis frischer dunkelroter Thrombus.
Wandung des Bulbus makroskopisch ohne Veränderungen, was durch die
mikroskopische Untersuchung bestätigt wird. Sinus petrosus superior
im medialen Abschnitt von einigen fadenförmigen Ge-
rinnseln erfüllt, im lateralen bis nahe an die Einmündungs-
stelle in den Sinus sigmoideus leer.
E r a m ro : Beitrag zur Etitstehung n. Behandlang d. otogenen Pyänode. 131
Mikroskopische Untersuchnng mit Serienschnitten senkrecht zur
oberen Pyramidenkante, s. Abbildung 1 und 2 auf Tafel Xin.
Das Tegmen antri ist in seinem äusseren und vorderen Teil normal.
Im hinteren medialen Abschnitt des Tegmen findet sich in seiner
Unterfiäche, nach dem Antrum zu, inmitten der Enochensubstanz eine
(makroskopisch stecknadelkopfgrosse) Stelle, an welcher junges Granu-
lationsgewebe einen kleinen Knochensequester einschliesst. Von hier
breitet sich die Erkrankung des Tegmen antri von unten nach oben
trichterförmig aus. In diesem Abschnitt des Knochens sind mehrere
kleinere und grössere Höhlen vorhanden, welche teils junges Granu-
lationsgewebe, teils Eiter enthalten. Der Knochen zeigt innerhalb
des Erkrankungsbezirks überall an seinen Rändern Ho'wshipsche
Lakonen und angelagerte Riesenzellen (Osteoklasten). Hier und da
finden sich kleine, aus dem Zusammenhange mit dem übrigen Knochen
losgelöste Sequester. Der Grad der Erkrankung und Zerstörung nimmt
von der Antrumfläche aus nach der mittleren Schädelgrube hin stetig
zü. Die Tabula interna der mittleren Schädelgrube ist in Fünfpfennig-
stückgrösse durch Eiter völlig unterminiert und an den Rändern dieser
Stelle durchbrochen. Über diesem Sequester der Tabula interna, dessen
Knochenhöhlen leer sind, beginnt ein flacher extraduraler Abszess,
welcher sich in der mittleren Schädelgrube nach hinten aussen erstreckt.
Er verläuft zunächst parallel der oberen Pyramidenkante und bleibt
etwa 0,5 cm von ihr entfernt; sodann nähert er sich dieser Kante, er-
reicht sie an der Einmündungssteile des Sinus petrosus superior in den
Sinus sigmoideus und endet etwas nach aussen von diesem Punkt.
Der Eiter überschreitet nach hinten nirgends die obere
Pyramidenkante. Nur wo der Eiter der Dura anliegt, ist diese
mit Granulationsgewebe bedeckt und in den oberflächlichen Schichten
zellig infiltriert. Granulationen auf der Dura sind also
hinter der oberen Pyramidenkante im Bereich der
hinteren Schädelgrube nicht mehr vorhanden.
In der Höhe des Überganges des Sinus petrosus superior in den
Sinus sigmoideus ist die Wand des Sinus petrosus superior über der
oberen Pyramidenkante von Granulationsgewebe völlig durchbrochen;
dieses bildet die unmittelbare Fortsetzung des an den Abszess angrenzen-
den Granulationsgewebes (s. Abbildung 1 D). Auch Färbung nach
van Gieson lässt an der Durchbruchsstelle erhaltene Fasern der
Wand des Sinus petr. sup. nicht mehr erkennen. Das Granulations-
gewebe setzt sich in den Sinus petrosus superior hinein fort und erfüllt
9*
132 E r a m m : Beitrag zur Entstehung u. Behandlung d. otogenen Pyämie.
sein Lumen yollkommen. Nach medial von dieser Stelle nimmt das Kaliher
des GranulatioDsgewehe enthaltenden Sinus petrosus superior schnell er-
heblich ab; bald ist als Andeutung von ihm nur noch ein schwacher
Granulationsstreifen mikroskopisch nachweisbar.
Das Granulationsgewebe erstreckt sich weiter aus
dem Sinus petrosus superior zusammenhängend in den
Sinus sigmoideus hinein und breitet sich an der Innen-
fläche seiner Aussenwand flach in geringer Ausdehnung
aus (s. Abbildung 2 G).
Im Innern des Sinus sigmoideus geht das Granulationsgewebe all-
mählich in einen diesen Sinus ganz erftlllenden gewöhnlichen frischen
gemischten Thrombus Qber, in welchen hinein an der Grenze des
Granulationsgewebes grosse spindelförmige Bindegewebszellen und zart-
wandige, ziemlich weite Blutgefässe vorspringen.
Der Sinus sigmoideus ist an der Einmündung des Sinus petrosus
superior platt zusammengedrückt (durch den intra vitam zwischen
Knochen und Sinus nach hinten eingeschobenen Tampon. S. Abbild.
1 und 2 T).
Während die übrigen den Sinus sigmoideus erfüllenden Thrombus-
massen frisch sind, ist das im Sinus petrosus superior vorhandene und
wandständig der Innenfläche des Sinus sigmoideus anliegende Granu-
lationsgewebe als ein in Organisation begriffener Thrombus aufzufassen,
welcher also der ältere, ursprüngliche ist.
Der Infektionsweg kann demnach fortlaufend von dem Tegmen
antri aus durch den extraduralen Abszess zum Sinus petrosus superior
bis in das Sinusknie hinein verfolgt werden.
Dieser Befund beweist wohl ganz einwandsfrei, dass die tödlich
verlaufene Pyämie durch einen wandständigen infektiösen Thrombus des
Sinusknies bedingt war. Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist die Er-
krankung dann auf folgende Weise verlaufen: Es kam zunächst zu
keinem grösseren Thrombus im Sinns sigmoideus; der Blutstrom des
Sinus riss die in sein Lumen vorspringenden Thrombusmassen mit sich
fort, wodurch die Schüttelfröste und die einzige nachweisbare grössere
Embolie, nämlich in der Lunge, verursacht wurden. Die erst drei Tage
vor dem Tode ausgeführte Verschliessung des bis dahin stark blut-
haltigen Sinus durch Tamponade hatte die Bildung des gefundenen
frischen Thrombus zur Folge.
r
Er am m : Beitrag zar Entstehung a. Behandlang d. otogenen Pjämie. 133
Nach dem Obdaktionsbefonde ist es durchaus verständlich, dass
intra vitam die Aussenwand des Sinus normal befunden wurde, und der
Sinus selbst bis kurz ante exitum bluthaltig war. So fand sich kein
Hinweis auf den Sitz des Thrombus. Ich möchte sogar behaupten, dass
bei voller Kenntnis der vorliegenden Verhältnisse nach Abdämmung
des Sinus der Thrombus nicht hätte gefunden werden können, weil er
zu klein war.
Ob die geschilderte Entstehungsweise einer otogenen Pyämie häufiger
ist, vermag ich nicht zu sagen, ich möchte aber annehmen, dass sie
nicht allzu selten ist. Sie kann ja nur durch einen mikroskopischen
Befund, wie im vorliegenden Fall, sicher bewiesen werden, für andere
Fälle besteht lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit.
So beobachteten wir vor kurzem bei einem Cholesteatom eine
tödlich verlaufende Pyämie mit einer jauchigen, vom Sinusknie bis zur
Vena anonyma reichenden obturierenden Thrombose. Der Knochen im
hinteren Abschnitt des Warzenfortsatzes war sklerotisch, die Aussen-
fläche des Sinus kaum verändert. Über dem Tegmen antri, • welches
bei der Operation an der Unterfläche durchaus normal erschien, befand
sich ein extraduraler, bis zum lateralsten Abschnitt der oberen Pyra-
midenkante sich flach hinziehender Abszess; über diesem war in der
Gegend des Tegmen antri die Dura missfarben, und im Schläfenlappen
ein wallnussgrosser Abszess vorhanden. Die mikroskopische Unter-
suchung konnte leider nicht ausgeführt werden.
Mögen nun die Fälle, wie der oben ausführlich wiedergegebene,
häufiger oder seltener sein, so muss die Möglichkeit einer Entstehung
der otogenen Pyämie vom Tegmen aus doch immer bei der Behandlung
in Betracht gezogen werden. Der von Lane^) ausgesprochene Grund-
satz, bei Eiterung und Cholesteatom des Warzenfortsatzes stets die
mittlere und hintere Schädelgrube zu eröffnen, findet heute wohl wenig
Anhänger. Doch muss das Tegmen antri entfernt und die
darüber liegende Dura besichtigt werden, wenn bei
einer otogenen Pyämie der Knochen an der Hinterwand
des Warzenfortsatzes nicht erkrankt oder wenn die Ober-
fläche des freigelegten Sinus normal erscheint. Es ist
nach unserem Fall wohl unabweisbar, dieses Vorgehen
als eine Regel für die Behandlung der otogenen Pyämie
aufzustellen.
>) Zit. nach Körner, Otit. Erkrank, des Hirns etc., 3. Aufl., S. 33.
1 34 E r a m m : Beitrag zur Entstehung u. Behandlung d. otogenen PySmie.
Für einen extradnralen Abszess Aber dem Tegmen ist oft nicht
das geringste Zeichen vorhanden. Das Tegmen kann normal aussehen,
Eiterabfluss von oben kann fehlen, Druckerscheinungen bestehen meistens
nicht. Man muss eben wissen, dass Beziehungen zwischen Pyämie und
Erkrankungen des Tegmen bezw. extraduralen Abszessen der mittleren
Schädel grübe bestehen und hiernach handeln.
Komme ich nunmehr auf die Behandlung der otogenen Pyämie
mit verborgener wandständiger Sinusthrombose zurück, so bietet unser
Fall manches Lehrreiche.
Es erscheint mir sehr bemerkenswert, dass nach der Unterbindung
der Vena jugularis nicht die geringste Besserung eintrat, sondern im
Gegenteil die pyämischen Erscheinungen heftiger als zuvor wurden.
Als dagegen 3 Tage nach der Unterbindung der Sinus durch Tampons
abgedämmt wurde, trat nunmehr, in den letzten 3 Lebenstagen, kein
Schüttelfrost mehr auf. Die Obduktion zeigte dann, dass der hintere
Tampon den Sinus gerade an der Stelle des wandständigen Thrombus
verschlossen hatte. Sowohl die klinische Beobachtung als auch der
anatomische Befund ergeben also, dass in unserem Falle durch die
Sinustamponade die Bildung von neuen Metastasen verhindert wurde.
Durch rechtzeitige Anwendung der Sinustamponade hätte die Pyämie
geheilt werden können.
Der Verlauf des Falles zeigt wieder einmal, dass die Jugularis-
unterbindung nicht imstande ist, die Verschleppung infektiösen Materials
aus dem Sinus zu verhüten. Die Bildung von Metastasen kann trotz
Jugularisunterbindung erfolgen, entweder durch den Sinus transversus
rückwärts auf dem Wege über den Confluens sinum oder durch andere
Blntbahnen. Ich glaube daher, dass man die Jugularisunter-
bindung allein als prinzipielle Methode zur Behandlung
einer verborgenen wandständigen Sinusthrombose ab-
lehnen muss.
Die Erfolglosigkeit der Jugularisunterbindung in unserem Falle
bestätigt die Ansicht, dass man bei einer schweren Pyämie sich be-
mühen muss, einen verborgenen wandständigen Thrombus aus der
Zirkulation gänzlich auszuschalten. Man wird sich bestreben, den Sinus
abzudämmen, soweit er venöse Zuflüsse aus dem Felsenbein und seiner
nächsten Umgebung aufnimmt. Die in dem abgedämmten Bezirk ge-
bildeten Thromben müssen später nach Eröffnung des Sinus entfernt
werden. Nun findet sich, worauf oben besonders hingewiesen wurde,
r
K r a m m : Beitrag zur Entstehung u. Behandlung d. otogenen Pjämie. 135
gerade im Sinnsknie Gelegenheit zur Entstehang einer wandständigen,
schwer diagnostizierbaren Thrombose, sodass das Sinnsknie unbe-
dingt von dem Kreislauf abgeschlossen werden muss.
Legt man den Sinus sigmoideus nach hinten samt dem Anfangsteil des
Sinus trans versus frei und dämmt den letzteren durch einen zwischen Knochen
und Sinus eingeschobenen Tampon ab, so wird man nach Eröffnung des Sinus
sigmoideus nicht selten eine heftige Blutung aus den grossen Zuflüssen
des Sinusknies, namentlich dem Sinus petrosus superior, erhalten. Nach
Entfernung des anliegenden Knochens kann aber das Sinnsknie selbst
nicht mehr andauernd komprimiert werden.
Es erscheint mir demnach folgende operative Behandlung einer
schweren Pyämie mit verborgener wandständiger Thrombose am zweck-
mälJsigsten :
1. Freiiegung des Sinus nach unten bis dicht an den
Bulbus der Vena jugularis und Einführung eines
Tampons zwischen Knochen und Sinus.
2. Freilegung des Sinus nach. oben bis dicht unter-
halb des Sinusknies; Ablösung des Sinusknies
und des Anfangsteiles des Sinus transversus vom
Sulcus; Einführung eines den Sinus komprimieren-
den Tampons zwischen Knochen einerseits, Sinus-
knie und Anfangsteil des Sinus transversus
anderseits.
3. Eröffnung und Ausräumung des Sinus sigmoideus
mit Ausschneidung der äusseren Wand.
Als Sitz einer wandständigen Thrombose käme nun noch der
Bulbus der Vena jugularis in Betracht. Ob nach der Abdämmung des
Sinus sigmoideus die Vena jugularis sofort zur Abschliessung des Bulbus
unterbunden ^werden soll, muss von der Lage des Falles abhängig ge-
macht werden.
Man könnte für die Unterbindung folgendes anführen: Ist der
Bulbus infiziert, so ist seine völlige Abschliessung erforderlich. Ist der
Bulbus aber nicht infiziert, so wird sich hier, bei genügender Sinus-
tamponade dicht oberhalb des Bulbus, auch nur. ein gutartiger Thrombus
ausbilden, da eine Infektion von oben her durch den Tampon ver-
hindert wird, wenn nicht die Sinuswanderkrankung nach abwärts fort-
schreitet.
136 Kramm: Beitrag zur Entstehang n. Behandlang d. otogenen Pjäxnie.
Gegen die Jagularisunterbindung kann zunächst ins Feld gefahrt
werden, dass sie vielleicht überflüssig ist. Feraer wird die plötzliche
Abdämmung eines bluthaltigen Sinus für das Gehirn vielleicht nicht so
bedeutungslos wie der Verschluss des Sinus durch einen allmählich
wachsenden Thrombus sein ; möglicherweise tragen die venösen Zuflüsse
des Bulbus der Vena jugularis doch dazu bei, die bei der Abdämmung
des bluthaltigen Sinus entstehende plötzliche Zirkulationsstörung zu
regulieren, sodass also die gleichzeitige Ausschaltung des Bulbus nicht
ganz gleichgültig wäre. Endlich schafft man durch die Jugularisunter-
bindung im Bulbus und obersten Teil der V. jug. Thromben, welche
man später nicht leicht entfernen kann.
Da also immerhin bei der Abdämmung des Sinus wegen wand-
ständiger Thrombose gewisse Bedenken gegen die gleichzeitige Jugularis-
unterbindung bestehen bleiben, so wird man im allgemeinen gut tun^
nach der Abdämmung des Sinus zunächst abzuwarten und erst bei Fort-
bestehen pyämischer Symptome die Vena jugularis zu unterbinden.
Erklärung der Abbildungen i und 2 auf Tafel XIIL
Schnitt 2 liegt etwas lateral von Schnitt 1.
1. Leitz, Oc. 1, Obj. 1.
M Mittlere Schädelgmbe.
A Hohle des extradnralen Abszesses; der Eiter wurde bei der Obduktion
grösstenteils entleert.
G Granulationen auf der Dura. Granulationsgewebe blau.
D Durchbrnch des Granulationsgewebes durch die Wand des Sinus petrosus
snperior.
P Obere Pjramidenkante.
8. p. 8. Sinus petrosus superior.
8. 8. Sinus sigmoideus.
T Hohle, in welcher der Tampon gelegen hat.
2. Oc. 1, Obj. 3.
P Gegend der oberen Pyramidenkante.
8. p. 8. Sinus petrosus superior.
L Lumen \
G Wandständiges Granulationsgewebe ] des Sinus sigmoideus.
Thr Frischer Thrombus )
T Hoble des Tampons.
Zdtsthi/t £ (Jhimhalkujide HF.
Tafif Xfff.
^
.1.
^üMk^.dA.
■•^^-Ir B-^jrT.,-v^e^li
lVL\!:--rv ~:-:-:k^rcl v H i^r.rt^ '■/.rrr.l-ir{.
F. Alt: Ein Beitrag zur Therapie der otitischen Grossbirnabszesse. 137
IX.
Ein Beitrag zur Therapie der otitischen
Grosshirnabszesse.
Von Dozenten Dr. Ferdinand Alt in Wien.
Im M&rz 1907 hatte ich Gelegenheit, einen otitischen Schläfen-
lappenabszess zu operieren und znr Ausheilung zu bringen, der in
mehrfacher Hinsicht Interesse beansprucht. Die einschlägige Literatur
ist wohl eine stattliche und bietet genug Anhaltspunkte fflr unser
diagnostisches und therapeutisches Vorgehen. Gleichwohl erscheint mein
Fall wegen der ungewöhnlichen Grösse des Eiterherdes im rechten
Schläfenlappen, sowie wegen verschiedener Begleitumstände mitteilens-
wert. Im Folgenden bringe ich den Auszug der Krankengeschichte:
Die 38 jährige Frau A. M. erkrankte Mitte Januar 1907 an Influenza
und einer rechtsseitigen akuten Mittelohreiterung. Vorher soll sie nie
ernstlich krank gewesen sein. Sie stand in meinem Ohrenambulatorium
des Krankenhauses Wieden in Behandlung. Nachdem Schmerz und
Fieber geschwunden waren und nur eine Otorrhoe zurückblieb, entzog
sie sich der ambulatorischen Behandlung. Ich sah die Kranke erst
nach Wochen am 8. März wieder, als sie vom Hausarzte mit der
Diagnose Meningitis ex otitide in das Krankenhaus eingeliefert wurde.
Die Kranke klagte Ober heftige Kopfschmerzen, war leicht be-
nommen, es bestand geringe Nackensteifigkeit, die Temperatur war am
Tage der Aufnahme 39«^— 39,8 ^ Puls 84.
Rechts bestand profuse Otorrhoe, das entzündete Trommelfell war
hinten unten perforiert, der Warzenfortsatz aufgetrieben und sehr druck-
empfindlich, das linke Ohr erwies sich als normal. Rechts wurde
Flflstersprache auf 1 m gehört. Der Webersche Versuch wurde nach
rechts lateralisiert , der Rinnesche Versuch war rechts negativ, die
Knochenleitung rechts verlängert, hohe Töne wurden rechts relativ
besser gehört als tiefe.
Bei der Trepanation des rechten Warzenfortsatzes, die sogleich
nach der £inlieferung in das Krankenhaus vorgenommen wurde, ent-
leerte sich nach den ersten Meisselschlägen putrider Eiter, die Zellen
im ganzen vertikalen Teile des Processus mastoideus waren erkrankt,
die Spitze musste abgetragen werden, im Antrum waren schlaffe Granu-
lationen.
Am Tage nach der Operation war die Patientin bei gutem Be-
finden, der Kopfschmerz war geschwunden, die Temperatur erreichte als
Maximum 38,1 ^
138 F. Alt: Ein Beitrag zur Therapie der otitischen Grosshimabszesse.
Bis zum 15. lU. war die Patientin lebhaft nnd gesprächig, zeigte
normale Temperaturen nnd machte den Eindruck vollkommenster
Rekonvaleszenz. Am Abend des 15. III. traten starke Kopfschmerzen
auf, die Patientin wurde somnolent, Fazialisparese links, Temperatur 38,
Puls 60.
Am 16. in. war die Kranke schwer somnolent, Temp. 38,4 — 39,6,
Puls 84, leichte Nackensteifigkeit, Fazialislähmung links, der Augen-
hintergrund links normal, rechts erweiterte, geschlängelte Gefässe, der
temporale Anteil der Papille verwaschen.
Die objektiven Symptome sprachen zweifellos für eine intrakranielle
Komplikation und die linksseitige Fazialislähmung Hess bei rechts-
seitiger Otitis an einen Herd im rechten Schläfenlappen denken. Ich
schritt an die Exploration des Gehirns und meisselte zunächst von der
froheren Operationswunde aus das Tegmen antri ab. Der Knochen war
hart und wurde schichtweise abgetragen, bis die Dura in mehr als
Kronengrösse freilag. Die Dura war äusserlich unverändert und zeigte
keinerlei Pulsation. Sodann punktierte ich den Schläfenlappen. Die
11 ccm fassende Punktionsspritze füllte sich mit grünlichem Eiter; es
wurde an die Nadel eine zweite Spritze angesetzt und neuerlich 1 1 ccm
Eiter aufgezogen. Hierauf machte ich einen Kreuzschnitt in die Dura.
Das Gehirn pulsierte nicht. Ich inzidierte das Gehirn und mochte
kaum 1 cm tief eingedrungen sein, als sich jauchiger Eiter und
krümelige Massen in einer Menge von etwa 25 ccm entleerten. Durch
eine Kornzange brachte ich das Inzisionslumen zum Klaffen, wodurch
neuerlich Eiter hervorquoll.
Das in die Abszesshöhle eingeführte dicke Drainrohr war sogleich
mit Eiter gefüllt und musste dreimal mit steriler, physiologischer Koch-
salzlösung gereinigt werden, ehe ich mich entschloss, es liegen zu lassen.
Der Abszess hatte sicherlich die Dimensionen eines grossen Apfels.
Kaum war ein Teil des Eiters entleert, als das Gehirn zu pulsieren
begann. Die Operation wurde, da die Patientin vollkommen somnolent
war, ohne Narkose ausgeführt. Die Kranke verhielt sich während des
Eingriffs, als ob sie tief narkotisiert wäre. Sofort nach Entleerung des
Eiters aus dem Gehirn begann sie zu reagieren und richtete den
operativen Eingriff betreffende Fragen an mich. Die weiteren Mani-
pulationen am Gehirn und die Einführung des Drains in die Abszess-
höhle wurden nicht schmerzhaft empfunden.
Die bakteriologische Untersuchung des Eiters (Prosektor Dr. Zemann)
ergab im nativen Präparat Stäbchen und Kokken. Kulturell wurden nur
Stäbchen nachgewiesen, die sich wie Bacterium coli verhielten.
Am Tage nach der Operation war die Kranke bei gutem Befinden,
Kopfschmerz, Nackensteifigkeit und Fazialislähmung waren geschwunden,
das Sensorium war vollkommen frei, die Patientin konnte beim Verband-
wechsel selbständig vom Bett, das in den Operationssaal geschoben
wurde, auf den Operationstisch steigen.
F. Alt: Ein Beitrag znr Therapie der otitischen Grosshimabszesse. 139
Die Abszesshöhle, die immer weniger sezernierte, wurde mit Rück-
sicht auf ihre Grösse durch 3 ^g Wochen oflfen gehalten und drainiert.
Inzwischen hatte sich die Operationswunde im Processus mastoideus bis
auf eine kirschengrosse , rein granulierende Wundhöhle geschlossen.
Ende April war der Heilungsprozess abgeschlossen, das Trommelfell und
die Hörweite wieder normal.
Aus der Krankengeschichte möchte ich folgende Punkte einer kurzen
Besprechung unterziehen:
Der Abszess war im Anschluss an eine akute Mittelohrentzündung
entstanden und war in kurzer Zeit zu 6iner ungewöhnlichen Grösse an-
gewachsen.
Nach den statistischen Zusammenstellungen von Jansen, Röpke^)
und Hammerschlag^) entstanden Abszesse des Grosshirns nach akuter
Otitis in 19— 25^/o.
Aus dem Abszesse wurden durch die Punktion 22 Kubikzentimeter
Eiter entleert, durch die Inzision etwa 25 ccm und noch bei der Ein-
fährung des Drains beiläufig 10 ccm, so dass die entleerte Eitermenge
ungefähr 60 ccm betrug.
Als Krankheitserreger der intrakraniellen Komplikation wurde
Bacterium coli nachgewiesen.
Die Patientin kam in vollkommen bewusstlosem Zustande auf den
Operationstisch, so dass ich von einer Narkose Abstand nahm. Sofort
nach Entleerung des Eiters aus dem Gehirn trat freies Sensorium ein,
80 dass die Patientin während des Restes der Operation ziemlich
orientiert war.
Der Exitus letalis bei Hirnabszess tritt nicht selten nur infolge
des gesteigerten Hirndruckes durch Herzlähmung ein.
Eine mehrere Tage anhaltende Bewusstlosigkeit bietet keine Kontra-
indikation für den operativen Eingriff, zumal mit der Entleerung des
Abszesses die Druckerscheinungen schwinden.
Die kontralaterale Fazialislähmung erwies sich als wertvolles in-
direktes Herdsjmptom, so dass ich mit ziemlicher Sicherheit den rechten
Schläfenlappen angehen konnte.
Das Hörvermögen des linken (kontralateralen) Ohres war die ganze
Zeit hindurch normal, die Funktionsprüfung des rechten Ohres entsprach
den Mittelohrveränderungen.
Eine gekreuzte Taubheit, wie sie von Eulenstein ^) und Meier*)
und jüngst wieder von Habermann ^) beschrieben wurde, war nicht
140 F. Alt: Ein Beitrag zur Therapie der otitischen Grosshirnabszesse.
nachweisbar. Eigentlich müsste wegen der partiellen Kreuzung des
Akustikus eine Beeinträchtigung beider Ohren erfolgen. Das Symptom
der gekreuzten Taubheit, das bei apoplektischen Insulten nicht selten
als vorübergehende Ausfallserscheinung auftritt, wurde ausser von den
genannten Autoren bei Ahszessen nicht beobachtet. Es w&re nicht un-
möglich, dass bei rasch auftretenden kleinen Eiteransammlungen in der
Gegend des Hörzentrums, analog wie bei H&morrhagien, als transitorisches
Symptom gekreuzte Taubheit sich einstellt. Viel wahrscheinlicher dQrfte
es jedoch sein, dass infolge des gesteigerten Hirndruckes die Nervi
acustici der Stauungspapille entsprechende Veränderungen erleiden und
bei der Funktionsprüfung eine kontralaterale Labyrinthaffektion nach-
gewiesen wird, die eigentlich nicht als Herdsymptom gedeutet werden
kann.
Der Inzision des Gehirnes pflege ich in der Regel nach Spaltung
der Dura die Punktion vorauszuschicken, nur in diesem Falle habe ich
durch die gesunde Dura hindurch die Exploration mit der Punktions-
nadel vorgenommen. Die Punktion, die zahlreiche Verfechter aufweist,
orientiert doch über Sitz und Tiefe des Abszesses, so dass die mitunter
vielfachen Explorationsinzisionen mit dem Skapell fiberflüssig werden.
Die Operation vom Tegmen tympani erwies sich bei dem unge-
wöhnlich grossen Abszesse als vollkommen ausreichend, es gelang, die
Inzision an der tiefsten Stelle auszuführen; die gesunde Himpartie,
welche man durchdringen musste, war sicher eine viel kleinere, als
wenn der Abszess von der Schuppe aus angegangen worden wäre. Eine
Gegenöffnung an der Schuppe anzulegen erschien nicht notwendig. Die
Einführung eines Drainrohres und nicht lockerer Gaze, wie sie von
anderer Seite empfohlen wird, leistete während des Wundverlaufes aus-
gezeichnete Dienste.
Literatur,
1. Fr. Kopke, Zar Operation des otitischen Grosshimabszesses mit besonderer
Berücksichtigung des Heilwertes der Operation. Zeitschr. f. Ohrenb. 1899.
2. V. Hammerschlag, Zur Kenntnis des otitischen Hirnabszesses. Monats-
schrift f. Ohrenh. 1901.
3. n. 4. Eulenstein, Meier zitiert nach Böpke.
5. J. Habermann, Zur Lehre vom otogenen Hirnabszess. Mitteilungen des
Vereines der Ärzte in Steiermark 1907, Nr. 5.
G. Krebs: Fremdkörper in der Nasenhöhle etc. 141
X.
Fremdkörper in der Nasenhöhle als Ursache von
Kieferhöhlenempyemen.
Von Dr. O. Krebs in HildeBheim.
Dass Fremdkörper in der Nasenhöhle zu Eiterungen der Neben-
höhlen fahren können, scheint wenig bekannt zu sein. Ich habe diese
Ätiologie der Empyeme weder in den mir zugänglichen Handbüchern
noch in der kasuistischen Literatur erwähnt gefunden. Hervorragende
Autoren bestreiten es geradezu, dass Eiterungen der Nasenhöhle (wie
sie sich bei längerem Verweilen der Fremdkörper wohl stets einstellen)
ohne Vermittlung einer Phlegmone oder Periostitis die Nebenhöhlen
anstecken können. So schreibt G. Killian^): »Ob und welche Rolle
die rein mechanische, d.h. die durch Hineinschneuzen rhinitischen
Sekretes (Harke) bedingte Infektion spielt, ist noch sehr fraglichf
und ferner »Zuckerkandl nimmt eine Fortleitung chronischer Ent-
zündungen von der Haupthöhle der Nase aus an, ohne sie jedoch be-
weisen zu können.«
Diesen Beweis glaube ich mit den beiden nachstehenden Kranken-
geschichten zu erbringen.
1. Margarete M. ans Lehrte, 11 Jahre alt, aus gesunder Familie
stammend, suchte mich im Juni 1901 wegen Nasenverstopfung auf.
Befund: Geringe Vergrösserung der Rachenmandel; linke Nasen-
höhle normal; rechte Nasenhöhle zeigt sich erfüllt von einem mit
schmierigem , übelriechenden Eiter und steinhatten Inkrustationen
bedeckten Fremdkörper. Dieser wird mit einer Hartmannschen Zange
leicht entfernt und entpuppt sich als ein Gummilutscher, wie er den
Kindern im Säuglingsalter oder in den nächstfolgenden Jahren mit
oder gelegentlich auch ohne Milchflasche verabfolgt wird. Von seinem
Aufenthalt in der Nase hatte weder das Kind noch die Mutter Kenntr
nis; er wird also wohl seit der Zeit, in welcher das Kind mit der
Milchflasche ernährt wurde, d. i. mindestens 7 Jahre, darin gehaust
haben.
Nach 14 Tagen sah ich das Kind wieder. Die Nasen Verstopfung
war gehoben und angeblich auch die Eiterung. Die Untersuchung der
rechten Kasenhälfte zeigt jedoch einen dünnen Eiterstreifen, welcher
vom hinteren Teil des Hiatus semilunaris über die untere Muschel
herunterzieht. Ulzerierte oder kariöse Stellen sind nicht vorhanden.
1) Hejmanns Handbuch der Larjngologie und Bhinologie III. 992.
142 G. Krebs: Fremdkörper in der Nasenhöhle
Bei DurchlenchtUDg der Nebenhöhlen bleibt die rechte Kieferhöhle
dunkel und die rechte Papille leuchtet nicht auf.
Am nächsten Tage derselbe Befund. Probepunktion der Kiefer-
höhle entleert grosse Mengen alten Eiters.
Auf den Vorschlag einer Operation der Kieferhöhle gingen die
Eltern des Kindes nicht ein.
Am 22. III. 1907 sah ich die inzwischen zur jungen Dame heran-
gewachsene Patientin wieder. Sie gab an, keinerlei Beschwerden
seitens der Nase zu haben. Befund : Linke Nasenhälfte normal, rechts :
im mittleren Nasengang befindet sich, den Hiatus semilunaris von vorn
bis hinten ausfüllend, ein gelber, feucht glänzender, breitbasig auf-
sitzender, weicher, an der Oberfläche etwas gekörnter Tumor. An
seinem hintersten Teil und über ihm quillt Eiter hervor, anscheinend
aus der Mündung der Kieferhöhle. Durchleuchtung: Stirnhöhle links
hell, rechts weniger, Kieferhöhle links hell, rechts stark verdunkelt.
Zähne alle gesund. Die Ausspülung der rechten Kieferhöhle durch die
natürliche Mündung mittelst des Hartmannschen Höhrchens gelingt
leicht und fördert grosse Mengen eines gelben, etwas stinkenden Eiters
zu Tage. Sondierung und Ausspülung der rechten Stirnhöhle gelingt
nicht. Nochmalige Durchleuchtung der Kieferhöhle nach der Ent-
leerung des Eiters zeigt dieselbe Verdunkelung wie vorher. Patientin
verweigert eine weitere Behandlung, da sie keine Beschwerden fühle.
Dass in diesem Fall ein Kieferhöhlenempyem bestand ist sicher,
(vielleicht auch ein Stirnhöhlenempyem) und dass es die Folge des
Fremdkörpers war, welcher jahrelang in der Nase geweilt und daselbst
eine Rhinitis purulenta erzeugt hatte, ist mindestens im hohen Grade
wahrscheinlich, zumal da sonstige Ursachen für das Kieferhöhlenempyem
,Zahnkaries, Lues etc.) nicht vorhanden waren. Beweisender aber noch
ist der zweite Fall, weil ich in diesem die Nase bereits vor der An-
siedelung des Fremdkörpers zu untersuchen Gelegenheit gehabt, und
dabei die Gesundheit der Nebenhöhlen festgestellt hatte.
2. W. S., Landwirt, 33 Jahre alt, stets gesund gewesen, kam im
Oktober 1904 wegen Nasen Verstopfung links in meine Behandlung.
Befund: Grosser, solitärer Schleimhaatpolyp links, entspringend
aus dem Hiatus semilunaris. Kein Eiter. Sämtliche Nebenhöhlen bei
Durchleuchtung hell.
Der Polyp lässt sich mit einem Schiingenzuge in toto entfernen.
Nach dem Grundsatze, bei Nasenpolypen die Nebenhöhlen genau
zu beobachten, bestellte ich den Patienten in den nächsten Wochen
wiederholt in meine Sprechstunde und kontrolierte die Nebenhöhlen;
sie zeigten nie das geringste Symptom einer Erkrankung.
Am 10. I. 07 kam Patient wieder in meine Sprechstunde mit
folgenden Angaben: Nach der Polypenoperation war die Nase zunächst
als Ursache yod Kieferhoblenempyemen. 143
ganz gesund. Im Oktober 1906 merkte er plötzlich beim Dreschen des
Weizens mit der Dreschmaschine, dass ihm ein Korn in die linke Nasen-
höhle flog. Beim Schnauben fühlte er, wie es sich hin- und her-
bewegte, es gelang ihm aber nicht, es herauszubef ordern. Die Nasen-
hälfte verstopfte sich im Laufe der nächsten Woche immer mehr, starke
Absonderung von gelbroter Farbe trat ein, vor 8 Tagen entzündeten
sich die Ränder des linken Nasenloches.
Befund der linken Nasenhöhle : Am Eingang Ekzem und Rhagaden.
Die Nasenhöhle ist erfüllt von eitrigem Sekret, welches sich in Folge
einer fast totalen Verstopfung nicht völlig ausschnauben oder ausspülen
lässt und daher eine genauere Befundaufnahme sehr erschwert. Am
Xasenboden sieht man einen grossen missfarbigen, weichen von eitrigem
Schleim innig umgebenen Tumor; dieser ist mit dem Nasenboden nicht
verwachsen, von ihm etwas abhebbar reicht, wie die Rhinoscopia posterior
erweist, bis an die Choane, nach oben zu scheint er in den mittleren
Nasengang sich fortzusetzen. Das fest anhaftende Sekret nimmt an
dieser Stelle fibrinösen Charakter an, so dass nach oben hin die Fest-
stellung seiner Grenzen zunächst nicht möglich ist. Ein leichter Zug
mit der Zange befördert ohne Blutung die Masse im Ganzen heraus.
Sie stellt sich bei makroskopischer Besichtigung folgendermafsen dar:
Ein torpedogestalteter, zirka 5 cm langer, 2 cm dicker Tumor ; Ober-
fläche teils glatt, teils höckerig, Konsistenz und Farbe stellenweise ge-
nau wie ein Nasenschleimhautpolyp, stellenweise etwas röter und weicher;
andere Stellen machen den Eindruck von verdicktem Schleim, An
einem Rande des Tumors sieht man, durch Gestalt und Konsistenz von
dem Landwirt und mir festgestellt, ein Weizenkorn ungequollen. Eine
blutende Ansatzstelle am Tumor nicht auffindbar.
Die mikroskopische Untersuchung (Kgl. Path. Institut zu Göttingen)
ergibt, dass der Tumor aus >. organisiertem Granulationsgewebe« bestand.
Nach Entfernung des Tumors stellt sich die linke Nasenhöhle stark
gerötet dar, ohne ülzerationen ; Ansatzstelle des Tumors nicht erkenn-
bar; im mittleren Nasengang eitriger Belag. Die Durchleuchtung der
Nasennebenhöhlen zeigt starke Dunkelheit der linken Kieferhöhle Durch-
spülung derselben von der natürlichen Mündung aus ergibt grosse
Mengen dünnen, mit Flocken vermengten Eiters. Nach der Durch-
spttlung nochmalige Durchleuchtung. Die linke Kieferhöhle bleibt dunkel.
Die Kieferhöhle wird in den folgenden 2 Wochen täglich mit Borwasser
von der natürlichen Mündung aus ausgespült Die Eiterung wird immer
geringer; zuletzt schwindet sie ganz. Gleichzeitig erhellt sich allmäh-
lich die linke Kieferhöhle. In den Monaten Februar und März stellt
sich Patient ab und zu zur Kontrolle ein; die Eiterung erweist sich
als geheilt.
Epikrise. In die Nase eines Mannes, dessen Kieferhöhlen bei
wiederholten früheren Untersuchungen als gesund festgestellt war, wird
ein Weizenkom hineingeschleudert Wahrscheinlich spiesste es sich in
144 ^- Krebs: Fremdkörper in der Nasenhöhle etc.
einer engen Bucht fest, wo es beim Ausschneuzen von dem Stoss der
Expirationsluft wenig getroffen wird, vielleicht in einer Nische des
Hiatus semilunaris. Leider Hess sich nachträglich durch den Augen-
schein die Stelle nicht ermitteln. In die Kieferhöhle selbst wurde der
Fremdkörper jedenfalls nicht geschleudert; denn er zeigte sich nach-
träglich eingebettet im Tumor, der nur in der Haupthöhle seinen Sitz
gehabt hatte. Der Reiz des Fremdkörpers verursachte eine auffallend
starke Bildung von Granulationen, welche sich — was ebenfalls auf-
fällig ist — im Laufe der Zeit organisierten Der grosse Granulations-
tumor vermehrte noch die Absonderung, so dass schliesslich EntzQndang
des Naseneingangs hinzutrat. Die Verdunklung der Kieferhöhle —
auch nach Entleerung des Eiters — lässt darauf schliessen, dass die
Schleimhaut der Kieferhöhle an der Entzündung stark beteiligt war.
Wahrscheinlich erfolgte die Infektion der Kieferhöhle nicht lange Zeit
nach dem Eindringen des Fremdkörpers. Als Infektionsmodus ist, da
eine Fortleitung durch Periostitis und Ostitis der Kieferwandungen
nicht vorhanden war, Hineinschnauben des durch den Fremdkörper ver-
ursachten eitrigen Nasensekretes anzunehmen.
Nasenhöhlen, in denen Fremdkörper lange Zeit geweilt haben, be-
kommt man nicht allzu häufig zu Gesicht. Man wird, wie die beiden
mitgeteilten Fälle zeigen, stets darauf zu achten haben, ob als Folge-
zustand nicht ein Empyem der Nebenhöhlen eingetreten ist. Der
Patient selbst wird unmittelbar nach Entfernung des Fremdkörpers und
der ihn etwa umhüllenden Inkrustationen sofort eine solche Erleichterung
seiner Beschwerden fohlen, dass ihn sein Empyem kaum stört; umsomehr
muss die objektive Untersuchung den Zustand der Nebenhöhlen beachten.
B e I* i e h t
ab«r die
Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde,
der Rhinologie und der übrigen Grenzgebiete
im vierten Quartal 1906 und im ersten Quartal 1907.
Zu8ainm6ng>e8tellt von ProfeBsor Dr. Arthur Hartman n.
--^
Anatomie und Physiologie.
358. Eishi. Formosa. Anatomie des Ohres der Japaner. I. Die Drfisen des
ftQBseren GehOrganges. A. f. 0. 70, S. 205—210.
Verf. will einige Unterschiede zwischen den Ceniminaldrüsen bei
den Japanern und den Europäern gefanden haben. Er glaubt, dass die
Ceruminalpfröpfe nicht ein Produkt der Ceruminal-, sondern ein solches
der Talgdrüsen sind. Zarniko (Hamburg).
359. Steinitz, Breslau. Beiträge zur Anatomie des M. stapedius. A. f. 0. 70,
S. 45—50.
Genaue histologische Details über das Verhältnis der Muskelfaser-
masse zu der des Bindegewebes im M. stapedius von Mensch, Katze,
Meerschweinchen und. Hatte; über die Endigungen der motorischen und
sensiblen Nerven des Muskels (insbesondere die sog. Muskelspindcln).
Zarniko.
360. Lewin, L., St. Petersburg. I. Das Vorkommen von Persistenz der Art.
stapedia beim Menschen und die vergleichend anatomische und phylo-
genetische Bedeutung dieses Phänomens. II. Eigentümliche Ezcre-
scenzen am Trommelfelle und Follikelbildung in der Paukenschleirohaut.
A. f. 0. 70, S. 28—44. (Gleichzeitig in der russischen Monatscbr.
f. Ohrenheilk. etc. Jan. 1907 erschienen.)
Verf. untersuchte die Schläfenbeine von einem an Diphtherie ver-
storbenen neunmonatigen Kinde und entdeckte dabei auf der rechten
Seite die Persistenz der Arteria stapedia, eines Gefässes, das bei vielen
Sängern ein bleibendes Gebilde darstellt, bei anderen jedoch (und so
auch beim Menschen) sich frühzeitig zurückbildet. — Dasselbe Schläfen-
bein wies auf dem vorderen Drittteil der inneren Trommelfellfläche eine
grosse Anzahl eigentümlicher, darmzottenähnlicher Auswüchse auf, die
vorzüglich aus dicht zusammengedrängten Lymphocyten bestehen, in der
Zdiischrift fftr OhrenbenkuDde, Bd. LIV. 10
146 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Achse eine Capillare beherbergen und an der Oberfläche von einer
Fortsetzung des Paukenhöhlenepithels bedeckt sind. Verf. glaubt, dass
diese Gebilde Überbleibsel des embryonalen Bindegewebes seien, das
an einzelnen Stellen einer Rückbildung nicht unterworfen gewesen sei.
Zarniko.
361. Bai den weck, L., Paris. Anatomische Untersuchungen über die Felsen-
beinspitze. Annales des mal. de Tor. etc. Febr. 1907.
Die Untersuchungen hatten den Zweck, die Beziehungen des Abdacens
zur Felsenbeinspitze und dem Mittelohr klar zu legen, zum Verständnis
der Abducenslähmung im Verlauf akuter Otitiden. Nach dem Durch-
tritt durch die Dura der hinteren Pyramidentiäche verläuft der Abducens
zwischen Dura und Felsenbeinspitze in einer knöchernen Halbrinne an
der äusseren Seite des Sinus petrosus inferior nach vorn zum Sinus
cavernosus. Auf diesem Wege liegt er in einer bis 1 cm langen Strecke
der äussersten Felsenbeinspitze direkt an. Diese wiederum ist zwar
bald nur kompakt oder spongiös, bald aber pneumatisch, und die
pneumatischen Spitzenzellen stehen sowohl auf der vorderen, hinteren,
wie unteren Pyramidenfläche mit den Mittelohrräumen in Verbindung,
sei es mit den Dachzellen oder den Bodenzellen der Pauke, sei es mit
den Warzenzellen. So ist bei Mittelohrentzündung der Weg zum Abducens
unter Umtänden geradezu präformiert. Boenninghaus (Breslau).
362. Wunsch, Dr., Max, Berlin. Angeborene habituelle Luxation des linken
Kiefergelenks mit gleichzeitigem Bildungs fehler des linken äusseren
Ohres. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 13, 1907.
Kurze Notiz über ein 14 Tage altes Kind, dem das linke äussere
Ohr bis auf ein Rudiment des Ohrläppchens sowie das Orificium externum
des Meatus acusticus fehlten. Das Übrige besagt der Titel.
Noltenius (Bremen).
863. Kubo, Ino, Fukuoka (Japan). Zur Frage des normalen Zustandes der
unteren Nasenmuscheln des Menschen. A. f. Laryngol. Bd. XIX, H. 2.
K. stellte seine Untersuchungen an Muscheln von Neugeborenen
an, bei denen also noch keine pathologischen Veränderungen zu erwarten
waren. Er fand, dass die Membrana limitans noch nicht ganz aus-
gebildet ist. Die Drüsen sind schon stark entwickelt, auf der medialen
Seite reichlicher als auf der lateralen; sie liegen oberflächlicher als
beim Erwachsenen. Die adenoide Schicht fehlt gänzlich, was bei
Erwachsenen noch nie beobachtet wurde. Markräume im Knochen, der
in ein sehr kompliziertes Lamellensystem zerfällt, fehlen ebenfalls. Das
Schwellgewebe ist namentlich auf der medialen Seite schon gut aus-
geprägt, von Eicken (Freiburg).
Anatomie und Physiologie. 147
364. Kubo, Inokichi, Puknoka (Japan). Beiträge zur Histologie der unteren
Nasenmnschel. A. f. Laryngol. Bd. XIX, H. 1.
Bas zur Untersuchung benutzte Präparat war durch natürliche
Iiyektion strotzend mit Blut gefüllt und eignete sich vorzüglich zum
Stodiom speziell der Gefässanordnung des Corpus cavernosum und seiner
elastischen Fasern. Der Arbeit sind ausgezeichnete Abbildungen bei-
gegeben, von Eicken.
365. Krueger, Felix. Beziehungen der experimentellen Phonetik zur Psychologie.
Sep.-Abd. aus dem Bericht über den 2. Eongress für experimentelle
Psychologie in Würzburg 1906.
Wir müssen uns darauf beschränken, auf die umfassende Arbeit
hinzuweisen. H.
366. Kalischer, Otto, Berlin. Zor Funktion des Schl&fenlappens des Grosshims.
Eine neue Hörprüfansfsmethode bei Hunden ; zugleich ein Beitrag zur
Dressur als psychologischer Untersuchungsmethode. Sitzungsberichte
der königl. preussischen Akademie der Wissenschaften 21. Februar 1907.
K. dressierte Hunde in der Weise, dass sie nur bei einem ganz
bestimmten Tone nach vor ihnen liegenden Fleischstücken schnappen
durften, bei anderen Tönen aber die Fleischstücke liegen lassen mussten.
Die Tiere konnten so weit gebracht werden, dass sie den Fresston von
den benachbarten halben Tönen mit Sicherheit unterscheiden konnten.
Nach Exstirpation beider Schläfenlappen blieb die Reaktion auf
den Fresston bestehen; es waren jedoch andere Ilörstörungen zu kon-
statieren, wenn die gewöhnlichen Hörprüfungen vorgenommen wurden;
insbesondere kam das prompte Reagieren auf Kommandos nach Aus-
schaltung der Schläfenrinde in Wegfall. Auch nach Zerstörung der
Vierhügel hatten die Tiere von der vorher erlangten Dressur nichts
eingebüsst.
»Jedenfalls geht aus der Gesamtheit meiner Versuche hervor, dass
nicht nur von der Grosshirnrinde aus, sondern unter bestimmten Um-
ständen auch von infrakortikalen Zentren aus Hörreaktionen erfolgen
können; und zwar auch solche Reaktionen, die man, wie die Ton-
unterschiedsempfindlichkeit bei der Dressur, bisher unbedingt als eine
Funktion der Grosshimrinde angesehen hatte.« H.
367. Körner, 0., Rostock. Können die Fische hören? Beiträge zur Ohren-
heilkunde. Festschrift zum siebzigsten Geburtstage des Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. August Lucae.
Unter kritischer Betrachtung der bisher von anderen Autoren an-
gestellten, auf dieses Thema bezüglichen Versuche kommt Körner auf
10»
148 Bericht über die Leistungen nnd Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Grund dieser und seiner eigenen Versuche (dieselben wurden mit dem
als Kinderspielzeug bekannten, einen einmaligen, kurzen, knackenden
Ton hervorbringenden Cri-cri ausgeführt) zu folgendem Resultat:
Es scheint, dass manche Fischarten auf im Wasser erzeugte oder
in dasselbe geleitete, in rapider Folge wiederholte Schallschwingungen
reagieren (Versuche mit Stimmgabeln und elektrisch betriebenen Glocken).
Dass die Fische solche andauernden Schallreize durch das soge-
nannte Gehörorgan wahrnehmen, ist trotz mühevoller und scharfsinnig
angestellter Versuche nicht bewiesen. Vielmehr scheinen dabei bald
Gefühls-, bald Gesichtseindrücke die von den Autoren beschriebenen
Reaktionen, sofern es sich wirklich um solche handelt, veranlasst zu
haben.
Unter Wasser erzeugte einmalige laute, knackende Geräusche
von verschiedener Stärke und Höhe hatten bei 25 Fiscbarten nicht die
geringste Reaktion zur Folge.
Die Tatsache, dass die Funktion anderer Sinne der Fische, wie
des Gesichts und des Gefühls, sich stets leicht und überzeugend nach-
weisen lässt, macht es fast sicher, dass auch das Gehör leicht und
überzeugend nachzuweisen wäre, wenn es die Fische hätten.
Da unter allen Wirbeltieren allein die Fische kein dem Cortischen
vergleichbares Nervenendorgan besitzen und, soweit bekannt, die einzigen
Wirbeltiere sind, bei denen sich ein Gehörsinn nicht nachweisen lässt,
darf man bei den Wirbeltieren nur dem Nervenendorgan der Gehör-
schnecke das Vermögen zuschreiben, Gehörseindrücke zu vermitteln.
Dass ein solches Vermögen auch irgend einem Teile des Vestibular-
apparates zukomme, ist eine zur Zeit unbegründete Hypothese.
Suckstorff (Hannover).
Allgemeines.
a) Berichte etc,
368. Schmiegelow, E. Mitteilungen aus der oto-lary ngologischen Abteilung
des St. Josephs Hospitals 1905. Kopenhagen 1906.
Es wurden während des Jahres 1905 331 Patienten entlassen und
14 sind gestorben. Es wurden 26 Anfmeisselungen des Warzenfortsatzes
und 60 Totalaufmeisselungen ausgeführt, ferner 37 Operationen der
Nasennebenhöhlen. Bei den Gestorbenen war die Todesursache viermal
eine nicht ins Bereich der Oto-Laryngologie fallende Krankheit, viermal
eine Kehlkopf-Lungenkrankheit; innerhalb des Bereichs der Oto-Rhino-
logie fallen demnach nur 6 Todesfälle, die sich folgendermaßen ver-
Allgemeines. 149
teilen: 1 Carcinoma niaxillae sup., 1 Cylindroma carcinomatosum naso-
orbitale, 1 Lympbosarcoma pharyngis, 2 Fälle otogener Meningitis und
1 Fall von Abscessos cerebri. In letzterem Falle handelte es sich um
einen 41jährigen Mann, der seit der frühesten Kindheit eine rechtsseitige
Ohreiterung trng, welche er jedoch seit dem 18. Jahre nicht mehr hatte
behandeln lassen. 9 Tage vor der Aufnahme heftige Schmerzen und
Erbrechen, später auch Sopor. Es wurde Totalaufmeisselung vor-
genommen, woran sich eine Kraniotomie schloss mit Punktnr von Gross-
hirn und Kleinhirn nach verschiedenen Richtungen hin, sowie von
Sinus, alles aber mit negativem Resultat. Bei der Sektion fand man
im vorderen Teil des rechten Frontallappens einen grossen Abszess.
Jörgen Möller (Kopenhagen).
869. Zemann, Wien. Bericht über die Tätigkeit während der Jahre 1908,
1904 und 1905. A. f. 0. 70, S. 169—186.
Es handelt sich um die Tätigkeit bei der Abteilung für Ohren-,
Nasen- nnd Halskranke im k. u. k. Garnisonsspital Nr. 1 in Wien. —
Tabellen. Bericht über die bakteriologische Untersuchung von 18 Warzen-
fortsatzempyemen. Charakterisierung der Streptokokkenempyeme und
eines durch Bact. coli commune erzeugten Empyems. Bemerkungen über
die Nachbehandlung nach Warzenfortsatzoperation. Sektionsbericht eines
Falles (Meningitis). Zarniko.
370. Ost mann, Marhurg a. L. Die Universitätspoliklinik für Ohren-, Nasen-
und Halskrankheiten zu Marburg a. L. A. f. 0. 70, S. 121—126.
Beschreibung der Poliklinik. Die Zahl der poliklinischen Zugänge
betrug im Jahre 1906 2147, der klinischen Kranken 182.
Zarniko.
371. Laser, Dr., Hugo, Schularzt in Köni/fsberg i. Pr. Über das Vorkommen
von Schwerhörigkeit und deren Ursachen bei Schulkindern. Deutsche
med. Wochenschr. Nr. 5. 1907.
Kurze tabellarische Übersicht über das Untersuchungsergebnis bei
1753 Schulkindern im Alter von 7 bis 14 Jahren. Als einziges Hilfs-
mittel diente der Hörmesser v. Politzer. Es fanden sich 315 Schwer-
hörige. Noltenius.
372. Schwartze, H., Halle a. S. Unzulässige Benennungen in unserer Lite-
ratur. A. f. 0 70, S. 100—109.
Der Unwillen des Verf.s richtet sich diesmal mit progressiv ge-
steigerter Stärke gegen folgende drei Benennungen : »Radikaloperation«,
»Bezoldsche Mastoiditis« und »Hartmannsches Paukenröhrchen«.
150 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
1. Den Ausdruck »Radikaloperation« will Verf. durch den besseren
»Totalaufmeisselung« ersetzt wissen. Trotz der Ausführungen des Verf.
erscheint der übliche Ausdruck Radikaloperation zutreffender als Total-
aufmeisselung, welcher für die Fälle gebraucht werden könnte, bei
welchen auch das Labyrinth freigelegt wird.
2. Was Verf. gegen die Benennung »Bezoldsche Mastoiditis« an-
führt, ist eine Erweiterung seiner Ausführungen auf S. 802 (nicht, wie
in der Arbeit falsch gedruckt steht, 702) des 2. Bandes des von ihm
redigierten Handbuchs der Ohrenheilkunde (Leipzig 1893). Der Satz:
»Bezold selbst hat gegen die missbräuchliche Verwendung seines Namens
nie formell Einspruch erhoben, sondern sie still geduldet« stellt die
Sachlage in falscher Beleuchtung dar. Bezold hat die Bezeichnung
nicht > still geduldet«, sondern er hat an einer Stelle, die dem Verf.
unbekannt geblieben zu sein scheint, sehr klar und präzis die vorhin
erwähnten Einwürfe des Verf.s zurückgewiesen. Er schreibt nämlich
auf S. 106 seiner ^Überschau über den gegenwärtigen Stand der Ohren-
heilkunde« (Wiesb., 1895) folgendes: »Neuerdings erklärt Schwartze
in dem von • ihm redigierten Handbuch diese Bezeichnung (sciL »Be-
zoldsche Mastoiditis«) für > ungerechtfertigt« und führt zum Beleg einen
Fall von Kuh, dessen Abbildung er in seiner patholog. Anatomie wieder-
gegeben, ferner einen Fall von Böke und drei eigene Beobachtungen
an. — Abgesehen davon, dass kasuistische Mitteilungen noch lange
nicht ausreichen, um eine Krankheitsform in ihrem typischen Verhalten
zu charakterisieren, handelt es sich in den ersten beiden von Schwartze
angeführten Fällen gar nicht um die von mir beschriebene Form von
akuter Mittelohreiterung, sondern um Karies mit Abstossung von
Sequestern, im Verlauf deren natürlich auch die sich bildenden Senkungs-
abszesse analoge Wege einschlagen können. Die drei eigenen kasuistisch
mitgeteilten Fälle von Schwartze illustrieren allerdings die von mir
beschriebene Form, wie schon ihr rascher Heilungsverlauf nach Eröffnung
des Warzenteils beweist ; ich konnte sie aber aus dem einfachen Grunde
nicht anführen, weil sie erst 2 Jahre später als meine obige Arbeit von
Schwartze mitgeteilt worden sind, nämlich im XIX. Bande des A. f.
0., 4. Heft, ausgegeben am 15. März 1883.«
Nach diesen Ausführungen ist anzunehmen, dass Bezold wenig
Anlass und Neigung haben dürfte, der Ermahnung Schwartzes Folge
zu geben, er möchte »auf Grund der von diesem gegebenen literarischen
Hinweisungen seine Vaterschaft desavouieren und den Irrtum seiner
Schüler und Freunde berichtigen«.
Allgemeines. 151
3. »Hart mann sehe Paukenröhre.« Auf die Angriffe, die Verf.
diesem kleinen und höchst nQtzlichen Instrnmentchen und Hartmann
selbst angedeihen lässt, hat dieser sachlich im 53. Bande dieser Zeit-
schrift, S. 236 f., geantwortet. Zarniko. .
373. Hecht. München. Demonstrationsvortra«:. A. f. 0. 1907. Nr. 1. S. 19 ff.
Kasuistische Mitteilungen verschiedener Art und einige instrumen-
tale Neuheiten (Kieferhöhlenkanüle, Haken fflr Stirnhöhlenoperation,
Gleitschlinge mit besserer Isolierung am vorderen Ende zur Gaumen-
mandelentfernung). Wittmaack (Greifswald).
374. Eillian, G. Die Grundlagen der modernen Rhinolaryngologie. Berl.
klin. Wochenschr. 1906. Nr. 47.
Den reichen Inhalt dieser kleinen, meisterhaft geschriebenen Arbeit
in einem kurzen Referat wiederzugeben, ist nicht möglich; die Lektüre
des Originals sei dafür um so dringender empfohlen. In 5 Abschnitten
behandelt K. diese Gegenstände: Die historische Entwickelung und Ab-
grenzung der modernen Rhinolar3Tigologie, die endoskopischen Methoden
als Grundlagen derselben, die allgemeinen anatomischen, physiologischen
und klinischen Grundlagen derselben, ihre speziellen Grundlagen, endlich
die Grenzgebiete der modernen Rhinolaryngologie. Was K. am Schlüsse
der Arbeit über das Spezialistentum in der Medizin überhaupt sagt,
kann ich mir nicht versagen, wörtlich zu zitieren: »Auf der Basis
gegenseitiger Würdigung und gerechter Beschränkung entfaltet sich
überall ein reges, wissenschaftliches Leben, welches der durch die
Spezialisierung herbeigeführten und immerfort beklagten Zersplitterung
der Medizin entgegenarbeitet. Durch unsere speziellen Bestrebungen
auf allen medizinischen Gebieten vertiefen wir unser Wissen und verstärken
wir unser Können und stellen dann beides wieder in den Dienst des
Ganzen. So befolgen wir in unserer ^Veise den Grundsatz: Getrennt
marschieren, vereint schlagen.* Rau (Stuttgart).
375. Kubo, Ino, Fukuoka (Japan). Zur Geschichte der alten Rhinologie.
A. f. Laryngol. Bd. XIX, Heft 1.
Mitteilungen über anatomische und physiologische Kenntnisse, Krank-
heitsbilder, Pathologie und Ätiologie und Behandlungsarten der Nase, wie sie
in den alten japanischen Schriften niedergelegt sind, von Eicken.
d) Allgemeine Pathologie und Symptomatologie.
376. Siebenmann, Basel. Über die Funktion und die mikroskopische Anatomie des
Gehörorgans bei totaler Aplasie der Schilddrüse (1 Taf.). A.f.0.70, S.83— 89.
Viele Kranke mit gewaltigen Kröpfen erfreuen sich eines völlig
152 Bericht über die Leistangen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
normalen Gehörs. Anch bei Degeneration der Schilddrüse kann, wie
eine Beobachtung des Verf. lehrt, das Gehör normal bleiben. — Noch
wichtiger als klinische sind jedoch in der Frage der »dysthyren Schwer-
hörigkeit« (Bloch) mikroskopische Feststellungen an Labyrinthen von
Individuen, bei denen das Fehlen jeglicher Schilddrüsensubstanz durch
makroskopische und mikroskopische Untersuchung festgestellt ist.
Verf. beschreibt den Befund bei einem derartigen Labyrinth.
Dieses stammte von einem 4^/2 monatigen, mit Myxödem behafteten
Kinde, das im Baseler Kinderhospital kachektisch zugrunde ging (vergU
Dieterle, Virchow -Archiv Bd. 184 und Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 64).
Die mikroskopische Untersuchung zeigte eine Otit. med. catarrhalis acuta ;
normale Formen und Grössenverhältnisse des Labyrinths
und seines Inhalts, Fehlen jeglicher Veränderungen, die
eine wesentliche Funktionsunfähigkeit des Gehörorgans
bewirken könnten; an der Labyrinthkapsel Veränderungen, wie
sie sonst auch an den Knochen athyreotischer Individuen festgestellt
sind. Nach diesen Befunden wünscht Verf., dass die Angaben der
Myxödemkommission über die Häufigkeit der Schwerhörigkeit beim
Myxödem einer erneuten sorgfältigen Nachprüfung durch erfahrene
Ohrenärzte unterzogen würden; dass dia Bezeichnung »dysthyre Schwer-
hörigkeit* aufgegeben werde, weil die Schwerhörigkeit bei Schilddrüsen-
affektion nicht hierauf, sondern auf andere Ursachen zurückgeführt
werden müsse. Zarniko.
377. SendziakfJ., Warschau. Nasen-, Rachen-, Kehlkopf- und Ohrenstömngen
bei den Krankheiten des Zirknlationsapparates. M. f. 0. 1906, Nr. 12.
Verf. gibt eine gedrängte Übersicht über die im Verlauf von
Erkrankungen des Zirkulationsapparates vorkommenden Miterkrankungen
in Nase, Rachen, Kehlkopf und Ohr mit Hervorhebung der wichtigsten
hierdurch ausgelösten Symptome. Wittmaack.
378. Gawrilow, T. Erkrankungen des Ohres, der Nase, des Rachens und
Nasenrachens beim Wechselfieber. Russische Monatsschr. für Ohren-
heilkunde etc. Oktober u. November 1906.
Der Wohnort des Verf. — die Stadt Ssamara an der Wolga -
nimmt nach der Zahl der Erkrankungen an Malaria und der Viel-
gestaltigkeit ihrer Formen eine sehr ansehnliche Stelle ein. Verschiedene
Störungen seitens der oben erwähnten Organe malarischen Charakters
werden da sehr oft beobachtet. Die malarischen Affektionen des Ohres
dokumentieren sich am häufigsten in Form von Ohrenschmerzen und
Schmerzhaftigkeit der Ohrmuschel beim Berühren derselben. Das
Allgemeines. 153
Trommelfell i3t dabei manchmal etwas gerötet, häufiger aber vod voll-
kommen normalem Aussehen. Erkrankungen des Gehörnerven sind
relativ selten; Verf. sah nur 2 Fälle von Reizzuständen desselben und
einige Fälle mit Herabsetzung seiner Funktion. Seitens der Nase werden
am häufigsten beobachtet Neuralgien der Zweige des ersten und zweiten
Trigeminusastes und sehr starke, oft lebensgefährliche Nasenblutungen.
Im Rachen tritt das Wechselfieber am häufigsten in der Form der sog.
Pharyngitis granulosa und Pharyngitis lateralis auf. Bei der ersteren
klagen die Patienten über Fremdkörpergeftthl und Kitzeln im Halse,
die zweite ruft Schluckbeschwerden, manchmal mit Stechen im ent-
sprechenden Ohre und starken trockenen Husten hervor, der zuweilen
anfallsweise auftritt. Bei allen diesen Formen der Malaria befreien
Chinin und Arsen die Patienten rasch von allen lästigen Symptomen.
Sa eher (Petersburg).
379. Kishi, K., Formosa. Über die otitische Dyspepsie der Säuglinge. A. f. 0.
70, S. 1—6.
Verf. sieht sich durch die Beobachtung einer grösseren Anzahl von
Fällen otitischer Dyspepsie zu folgenden Behauptungen berechtigt: »Die
otitische Dyspepsie der Säuglinge ist eine nicht selten vorkommende
Krankheit.« Als besonders wichtige Symptome sieht er Leber-
vergrösserung und Zähneknirschen an. »Solange Otit. med.
mit intaktem Trommelfell vorhanden ist, nimmt die Lebervergrösserung
nicht ab, auch ihre Konsistenz bleibt sehr hart. Ebenso knirscht das
Kind mit den Zähnen, sobald der Eiter in der Paukenhöhle sich zu
stauen anfängt. Diese beiden Symptome sind also eigentümlich für
die otitische Dyspepsie und immer Anzeichen, dass Otitis media der
Säuglinge vorhanden ist. Ferner kommen bei der otitischen Dyspepsie
nie starke entzündliche Erscheinungen am Trommelfell vor, sondern
nar starke Trübung und Wölbung.« Nach der Ansicht des Verf.
»entsteht die otit. Dyspepsie dadurch, dass in der Paukenhöhle ent-
standene Produkte durch die Tubae Eustachii in den Verdauungskanal
gelangen.«
Dem Verf. ist offenbar Preysings grundlegende Monographie
völlig unbekannt geblieben. Sonst hätte er gewiss seine wunderlichen
Behauptungen unterdrückt. Zarniko.
880. Levy, Max, Dr., Charlottenburg. Die Mortalität der Ohrerkrankungen
und ihre Bedeutung für die Lebensversicherung. Deutsche mediz.
Wochenschr. Nr. 13, 1907.
Von dem Gedanken ausgehend, dass ein mit chronischer Ohreiterung
154 Bericht über die Leistangeo und FortEchritte der OlireDheilkonde.
Behafteter nicht in allen Fällen als ungeeignet f&r eine Lebensyersicbenmg
zn bezeichnen ist, hat Le yy sich an sämtliche deutsche Lebensrersicherongs-
gesellschaften gewandt und von 37 derselben folgende Auskunft erhalten.
20 Gesellschaften, darunter einige der grössten, lehnen prinzipiell jeden
an chronischer Otorrhoe Leidenden ab, 16 entscheiden je nach Lage
des Einzelfalles yermutlich nach Anhörung eines Ohrenarztes, die letzte
schliesst für den Fall, dass der Tod an den Folgen der Ohreiterang
eintritt, ihre Zahlungspflicht aus. Auch die Ohrenärzte selbst beurteilen
die Frage sehr verschieden, indem einige, namentlich in früherer Zeit
(v. Tröltsch, Trautmann, Urbantschitsch) sich schroff ab-
lehnend verhalten, während andere (Patterson Cassels, Burger,
Brfihl etc.) wesentlich milder urteilen. Aus der Statistik einer sehr
bedeutenden Gesellschaft, die sich prinzipiell ablehnend verhält, geht
hervor, dass unter 46 480 Sterbefällen nur 58, das sind 0,12 ^/^ auf
das Konto der Mittelohreiterung entfallen. Einen etwas höheren Wert
(0,6 ^,()) ergibt die Statistik der Charite-Sektionen. Weitere Tabellen
lassen erkennen, dass der Höhepunkt der Todesfälle an chronischer
Otorrhoe in das 2. Decennium fallt, um dann rasch abzusinken, sodass
im 4. Decennium bereits die akute Otorrhoe prozentualiter tiberwiegt.
Verf. gelangt auf Grund seiner Untersuchung — weitere Einzel-
heiten mögen im Original nachgelesen werden -— zur Aufstellung folgen-
der Thesen:
1. Der prinzipiell ablehnende Standpunkt unserer deutschen Ver-
sicherungsgesellschaften Antragstellern mit chronischer Ohreiterung gegen-
über ist nicht berechtigt.
2. Wenn die Ohreiterung nach klinischer Erfahrung als gutartig
erscheint, kann Aufnahme mit erhöhter Prämie erfolgen.
3. Die Entscheidung kann nur ein Ohrenarzt treffen. Noltenius.
381. Clairmont, F. Über das Verhalten des Speichels gegenüber Bakterien.
Wiener klin. Wochenschr. Nr. 47, 1906.
C. stellt aus dem Überblick über die einschlägige Literatur fest,
dass nur 2 Tatsachen als erwiesen angesehen werden können, nämlich:
die Virulenzabschwächung der Pneumokokken im Speichel oder auf
speichelhaltigem Nährboden trotz gutem Wachstum und die Abschwäch-
ung oder Zerstörung von Toxinen durch Verdauungsfermente.
C. machte eingehende Versuche mit Sekret der Parotis und Sub-
maxillaris, welches besonders geeignet war, von Hunden, Katzen,
Kaninchen, Ziegen und Affen. Aus seinen Untersnchangen zieht C.
unter anderem folgende Schlüsse: Wenn Wunden in der Mundhöhle
AllgemeiDes. 155
per priroam heilen, so ist dies vor allem auf zwei Momente zurück-
zufahren, auf die schlechten Existenzbedingungen für die Bakterien und
die mechanische Wegschwemmung derselben durch den Speichel. Von
einer baktericiden Wirkung des Speichels kann im allgemeinen nicht
gesprochen werden. Jedoch findet eine geringe Anzahl von Keimen im
Speichel so ungünstige Lebensbedingungen, dass sie zu Grunde gehen.
Der menschliche Speichel steht in dieser Hinsicht dem einzelner Tiere
nach. Es sind Unterschiede zwischen dem Submaxillar- und Parotis-
speichel zu konstatieren; während ersterer gegenüber Bakterien keine
oder nur geringe schädigende Wirkung entfaltet, ist das Parotissekret
verschiedener Tiere und des Menschen im Stande, eine deutliche, das
Wachstum der Mikroorganismen hemmende Wirkung auszuüben. Unter
den schlechten Existenzbedingungen scheinen besonders die Staphylo-
mid Streptokokken zu leiden. Wird dem Speichel Bouillon zugesetzt,
so werden die Existenzbedingungen gute. Wird die Speichelsekretion
bei Tieren oder beim Menschen künstlich angeregt, so kann nach kurzer
Zeit der Speichel steril sein, oder so wenig Keime enthalten, dass die-
selben sich nicht vermehren, sondern zu Grunde gehen
Wir können somit nach C.s Ansicht in der Mundhöhle mit einem
gewissen Grade von Selbstschutz des Organismus rechnen und denselben
unterstützen, wenn wir die Speichelsekretion anregen und in der Mund-
höhle die Retention guter Nährböden für die Bakterien verhindern.
Wanne r (München).
382. Hechinger, J., Freiburg i. Br. Noma des Ohres. A. f. 0. 70, S. 7— U.
2 Tafeln.
Ausführliche Krankengeschichte, Sektionsprotokoll, Bericht über den
histologischen Befund. Auch in diesem Falle fand sich das nekrotische
Gewebe durchsetzt von einem dichten Gewirre von Streptothrixfäden, die
Verf. mit Perthes (Arch. f. klin. Chir. Bd. 59) für die Verursacher
der Noma hält. Von den Bezoldschen Fällen unterscheidet sich der
vorliegende dadurch, dass auch das Mittelohr von der Noma ergriffen war.
Z a r n i k 0.
383. Frey, Hugo u. Fuchs, Alfred, Wien, fipilepsie reflexe d'origine nasale,
auriculaire et pbaryngienne. Arch. internat. d'otol. etc. Bd. 22, Nr. 2,
1906.
Referiert im Bericht über die Verhandlungen der otolog. Sektion
des Internat, med. Kongresses zu Lissabon April 1906 Bd. 52, S. 397
dieser Zeitschrift. Oppikofer (Basel).
156 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
384. Royet, Lyon. Considerations ä propos de nouTelles observations de vertige
par Symphyse salpingo-pharyngienne. Arch. internat. d'otol. etc. Bd. 22,
Nr. 2, 1906.
Schwindel and Ohrgeränsche sind häufig durch Strangbildungen
verursacht, die von den Tubenwülsten nach der hinteren Pharynxwand
verlaufen. Durch Lösen der Verwachsungen mit dem in den Retronasal-
raum eingeführten Finger verschwinden Schwindel und Ohrgeräusche.
Um den Nutzen dieser Therapie darzulegen, zählt Roy et 5 Kranken-
geschichten auf, die aber nicht überzeugend sind. Nach Referent handelt
es sich vielmehr in diesen Fällen um hysterische oder neurasthenische
Patienten, die eben durch eine solche absonderliche und ungewohnte
Therapie beeinflussbar sind. R. hat bereits früher (Z. f. 0. Bd. 47,
S. 320) den Standpunkt vertreten, dass von der Tubenöffnung aus-
gehende Strangbildungen häufig die Ursache der Mittelobrsklerose seien.
Seither hat Referent bei 22 Stapesankylosen nach solchen Strangbild-
ungen gesucht, aber niemals finden können. Auch ist es, wenn wir uns
das histologische Bild dieser Krankheit vergegenwärtigen, nicht denkbar,
dass durch Lösen solcher Verwachsungen, die R. nicht mit dem Spiegel
sondern mit dem tastenden Finger konstatiert, eine Besserung oder gar
Heilung erzielt werden kann. Oppikofer.
385. Miodowski, F., BreslaiL Zur Pathologie der Schläfenbeinendotheliome.
A. f. 0. 69. S. 288—296.
5 5 jähr. Mann, schlecht genährt, kommt mit kompleter linksseitiger
Fazialislähmung und einer Geschwulst hinter dem Ohre in die Behand-
lung, die als der Ausdruck einer Bezoldschen Mastoiditis imponiert.
Vorher angeblich niemals Ohrlaufen oder Ohrenschmerzen. — Bei der
Operation zeigt es sich, dass ein Neoplasma vorhanden ist, das die
Spitze des Warzenfortsatzes vollkommen konsumiert hat, mit der Sinus-
wand und der Kleinhirndura verwachsen ist. Nach vorn reicht der
Tumor bis zum absteigenden Kieferast. — Trotz der Operation unauf-
haltsames Vordringen der Neubildung in den Meatus externus und schliess-
lich das Cavum cranii. Exitus am 21. Tage post operationem.
Die histologische Untersuchung lehrte, dass die Neubildung ein
typisches Endotheliom war. —
Verf. geht auf die beiden einzigen, sonst in der Literatur nieder-
gelegten Fälle (L entert, Nadoleczny) dieser im Schläfenbein sehr
seltenen Neubildung näher ein und bespricht die Schwierigkeit der
Diagnose und die für die Differenzierung wichtigen Anhaltspunkte (Fehlen
von Otorrhoe, Fazialislähmung, Kachexie). Zarniko.
Allgemeines. 157
386. Barth, A., Leipzig. Über musikalisches Falschhören (Diplacusis). Deutsche
med. Wochenschr. Nr. 10, 1907.
Barth ist nach wie vor der Meinung, dass die sogen. Diplacusis
auf Täuschung beruht, insofern der Patient mit dem erkrankten Ohre
den Ton mit veränderter Klangfarbe hört und dadurch verleitet wird,
den Ton als höher oder tiefer anzusetzen. Für den sichern Beweis einer
Diplacusis verlangt Barth, dass jedes Ohr mit sicherem Ausschluss des
anderen geprüft und der Patient angehalten wird, unter wechselnden
Bedingungen das Gehörte nachzusingen. Diesmal ist es dem Yerf. ge-
glückt in zwei Fällen von Erkrankung des inneren Ohres seine Auf-
fassung bestätigt zu finden, sodass er erklärt: >Es muss mir ein Fall
von wirklicher Diplacusis disharmonica erst vorgeführt werden, ehe ich
daran glaube.« N ölten ins.
c) Unter suchungS' und Behandlungsmethoden,
387. von Stein, Stanislas. Nouveau dynamometrographe universel et ergo-
gxaphe et leur importance pour le diagnostic du labyrinthe de roreille.
Während die bisher konstruierten Dynamometer allenfalls zum
Messen des Kraftaufwandes ausreichten oder wie Mossos Ergograph
die Höhe der Erbebung nur für ein gewisses Gewicht, nicht aber für
ein proportional zunehmendes Gewicht zu bestimmen gestatteten, hat
Stein einen neuen Apparat gebaut, der das Anwachsen der Kraft,
ihre Dauer und Abnahme durch eine fortlaufende Kurve festzulegen
vermag. Stein benutzt statt der sonst bei Dynamometrographen
benutzten Feder, deren Kraft ja mit der Zeit nachlässt, ein an einer
vertikalen Stange hängendes Gewicht. Zum Heben des Gewichtes ist
um so mehr Kraft nötig, je mehr sich das Gewicht der Horizontalen
nähert. Stein beschreibt seinen Apparat an der Hand von zahlreichen
Abbildungen genau und rühmt seine Einfachheit, seine Konstanz, die
Leichtigkeit, seine Angaben zu kontrollieren, die Vielseitigkeit seines
Gebrauchs und die Möglichkeit, durch Sekunden, Minuten und Stunden
ununterbrochen Kurven zu zeichnen.
Stein schildert dann zunächst die von Gesunden erhaltenen Dynamo-
gramme, von denen er der Arbeit, ebenso wie von kranken Individuen,
eine grosse Reihe beifügt : zunächst erhebt sich die Kurve ganz vertikal,
d. h. der Muskel zieht sich rapid zusammen; ist das Gewicht zur
maximalen Höhe gehoben, dann bleibt es einige Zeit in dieser Höhe,
zeichnet also eine horizontale Linie, die um so länger ist, je grösser
die Arbeitskraft des Individuums ist. Das Gewicht und damit die Kurve
senkt sich dann ziemlich schnell; dann wird der Fall sehr langsam,
158 Bericht Aber die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
bleibt aber progressiv, sodass die Kurve schliesslich fast horizontal wird.
Ein Fall bis 0 ist nicht beobachtet. Die Linie des progressiven Falles
nennt Stein >die negative Arbeitslinie«, die ganze Linie der Senkung
nennt er »die tetanische Kurve«. Die Kurve zeigt nach der ersten
Erhebung eine deutliche feine Wellenbewegung, »der Ausdruck der
leichten Kontraktionen der Muskelfibrillen«. Die negative Arbeitslinie
hält S t. für praktisch sehr wichtig ; nach ihr könnte man das passendste
Gewicht von Arbeitsinstrumenten, Hämmern u. s. w. bestimmen. Der
tetanisch kontrahierte Muskel kann sich nun weiter zusammenziehen
und so entstehen in der Kurve Sägezähne mit gewissen Eigentümlich-
keiten (»ergographische Kurve« Steins).
Wichtig war es für Stein, die Veränderungen der Muskelkraft
zu den Labyrinthstörungen in Beziehung zu bringen, nachdem von
Tieren unbestreitbar eine Schwächung der Muskelfunktion festgestellt war
(Ewald). An dieser Stelle werden auch die Arbeiten von Wanner
und Kümmel erwähnt.
Stein hat im ganzen 21 Fälle von Affektionen 1. des Labyrinths,
2. des Labyrinths und Gehirns, 3. des Zentralnervensystems untersucht.
Von seinen Schlussfolgerungen wäre Folgendes zu erwähnen:
Die initiale Wellenbewegung der tetanischen Kurve kann sehr wenig
ausgeprägt sein oder ganz fehlen:
a) bei partiellen Läsionen des Labyrinths einer Seite, besonders
bei Verengerung des horizontalen Bogenganges;
b) auf der Seite des zerstörten Labyrinths;
c) bei Labyrinthentzündung mit Geräuschen und Schwindel, aber
ohne Gehimläsion;
d) bei Läsion der Fasern des N. Vül;
e) bei der amyotrophischen Seitenstrangsklerose ;
f) bei Überdehnung der Muskeln.
Gesichtsein drücke haben keinen Einfluss auf das Fehlen oder
Vorhandensein der Wellen.
In dem Fehlen oder der Schwäche der Wellenbewegung kann man
also das Zeichen einer Läsion des Ohrlabyrinths oder seiner zentripetalen
Bahnen erblicken.
Die ergotetanische Kurve kann schwach gezeichnet sein oder fehlen:
a) während der von Schwindel und Geräuschen begleiteten Ent-
zündung des Labyrinths (keine ergotetanische Kurve auf der
kranken, schwache auf der gesunden Seite);
b) bei Abtragung des Labyrinths auf der beteiligten Seite;
Allgemeines. 159
c) bei Läsion gewisser Fasern des N. VIII;
d) bei amyotrophischer SeitenstrangskleroSe ;
e) bei Überdehnung der Muskeln;
f) bei Läsion des verlängerten Marks auch bei gutem Gehör;
' g) bei Läsion des horizontalen Bogenganges.
I Gesichtseindrücke spielen eine grosse Rolle beim Eintreten oder
Fehlen der ergotetanischen Kurve.
I In einzelnen Fällen von Läsion des Nervensystems fällt die Kurve
I in sehr verschiedenen Graden ab, was bei Erkrankungen des Ohres
I oder des N. YIII nie beobachtet wurde.
Die Kurven bei Akromegalie sind fast gerade und einheitlich, wie
nie bei Labyrintherkrankungen.
Bei Sklerosis disseminata und in der den Lähmungen der oberen
Extremität vorhergebenden Zeit beobachtet man unregelmäfsig gezähnte
oder grosswellige Kurven.
Stein stellt für die Diagnose folgende Schlusssätze auf:
1. Die feinen Wellenbewegungen zeigen, dass gewisse Teile des
LabvTinths intakt sind.
2. Ihr Fehlen deutet auf wichtige Läsionen von Teilen des
Labyrinths.
3. Schlecht gezeichnete Wellen zeigen, dass das Labyrinth wenig
lädiert ist.
4. Die absatzweise abfallende Kurve verrät eine Gehirnkrankheit.
5. Ebenso eine Kurve mit unregelmäfsigen Zähnen oder grossen
Wellen.
6. Die sich langsam oder mit Wellen erhebende Kurve beweist
eine Schwäche der Muskeln und wird gefunden bei Affektionen des
Gehirns oder Labyrinths.
7. Kürze, Unregelmäfsigkeit oder Fehlen der ergographischen Linie
findet sich
a) bei Labyrinthaffektionen (bei geschlossenen Augen),
b) bei gewissen reinen Labyrinthaffektionen oder solchen, die mit
zentralen Affektionen kombiniert sind.
8. Man darf bei den Versuchen etwaige periphere Affektionen der
Muskeln nicht übersehen.
Zur Bestätigung all dieser Tatsachen bedarf es noch zahlreicher
' weiterer Versuche. Brandt (Magdeburg).
160 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
888. ßlegvad, N. Rh., Kopenhagen. Über die Grenzen der Perceptionszeiten
von Stimmgabeln per Luftleitung und per Enochenleitung bei normalem
Gehörorgan. A. f. 0. 70, S. 78- -82.
Für ein Referat ungeeignet. Zarniko.
389. Blegvad, N. Rh., Kopenhagen. Einige Bemerkungen über den Web er-
sehen Versuch. A. f. 0. 70, S. 51—77.
Die Untersuchung zahlreicher (366) Telephonistinnen mit normalem
Gehör, einiger (8) mit einseitiger chronischer Mittelohreiterung, einiger
(26) mit Residuen von abgelaufener Mittelohr eiterung und einzelner mit
Cerumen obturans behafteter bestätigte die Ansicht, dass der Web ersehe
Versuch eine ziemlich unsichere und unzuverlässige Untcrsuchnngs-
methode ist. Zarniko.
890. Mulert, Dr., Plauen. Ein neuer Ohrmassageapparat. M. f. 0. 1906
Nr. 10, S. 656.
Empfiehlt den von der Gesellschaft >Electra« in Berlin in den
Handel gebrachten Ohrmassageapparat, »bei welchem in ebenso einfacher
wie sinnreicher Weise als treibende Kraft der faradische Strom ver-
wendet wird*. Wittmaack.
391. Richter, Ed., Plauen i.V. Über eine neue Paracentesenadel. M. f. 0.
1907, Nr. 1.
Die neue Nadel ist gleich den Dreikantdolchen für Punktionen mit
einer dreikantigen Krone versehen und wird in fünf Grössen angefertigt
(Wal b- Heidelberg). Der dreikantige Durchstich bietet neben den
besonderen Vorzügen der Schnelligkeit und der Gefahrlosigkeit noch
den Vorzug, dass die Perforationsöffnung dreilappig wird, besser klafft
und somit einen besseren Abfluss zulässt als die schlitzförmige.
Wittmaack.
392. Gnyot, J., Dr., Genf. Des indications de la m^thode de Bier en oto-
rhinologie. Revue m^dicale de la Saisse Roroande Nr. 5 1906.
G. beschreibt den Sonder man nschen Saugapparat und empfiehlt
dessen Anwendung hauptsächlich zur Behandlung der akuten Mittelohr-
und akuten Nebenhöhleneiterungen sowie zur Diagnosestellung der Neben-
höhlenempyeme. Oppikofer.
393. tJrbantschitsch, Ernst, Wien. Der therapeutische Wert des Fibroljsins
bei Mittelohrerkrankungen. M. f. 0. 1907 Nr. 2.
Das Mittel wurde subkutan (Oberarm, Oberschenkel oder Rücken)
anfangs in einer Dosis von nur 0,3 ccm — dann steigend auf 0,6 ccm,
1,2 ccm und schliesslich 2,3 ccm — appliziert. Durchschnittlich 20 — 30
Injektionen. Zuweilen traten sowohl lokale als auch allgemeine Neben-
Allgemeines. 161
Wirkungen aaf. Neben den Injektionen ist die Einleitung einer energischen
lokalen Behandlang (Katheter, Bougies, Massage etc.) nnerlässlich.
Besonders geeignet sind Fälle chronischen Mittelohrkatarrhs, Adhäsiv-
Prozesse and Otosklerose im Anfangsstadiam, namentlich bei Schwankungen
in der Intensität der Hörstörang. In diesen Fällen ist bei Anwendung
des Fibrolysins oft noch ein Erfolg zu verzeichnen, auch wenn eine
vorangegangene lokale Behandlung mit sämtlichen in Betracht kommenden
Methoden erfolglos geblieben war. Wittmaack.
8W. Wa gner v. Jauregg, Prof., Wien. Zweiter Bericht über die Behandlung
endemischen Kretinisrouses mit Schilddrüsensobstanz. Wiener klinische
Wochenschrift Nr. 6 1907.
W. führt Fälle an, in welchen schlechtes Gehör (Flüstersprache
nicht gehört) wesentlich gebessert wurde. Je früher man die Kur ein-
leitet, desto besser ist es.
Die Hörstörungen der Kretins beruhen nach W.'s Ansicht meist
auf Tubenkatarrhen neben adenoiden Vegetationen und Labyrinth-
erkrankungen, jedoch sind erstere häufiger. W. glaubt, dass es spezifische
adenoide Vegetationen bei den Kretins sind, auf welche die Schilddrüsen-
behandlung einen gewissen Einfluss ausübt; wenn auch im allgemeinen
bei Labyrintherkrankungen keine Besserung auftritt, so glaubt W. doch,
dass schwere Fälle, wenn sie frühzeitig in Behandlung genommen werden,
nicht ganz unbeeinflussbar sind. Zum Beweis führt W. einige Fälle an.
W a n n e r.
395. Alt, F., Docent, Wien. Über neuere Apparate zur Hörverbesserung. Wiener
med. Presse Nr. 9 1907.
A. bespricht die verschiedenen Arten der künstlichen Trommelfelle,
wobei er das von Gomperz angegebene aus Konvoluten chemisch reinen
Blattsiibers besonders empfiehlt. Diese Silberkügelchen verwendet A.
auch nach Radikaloperationen, wenn die Epidermisierung eingetreten ist.
Zur Auskleidung des Mittelohres und des Antrums. Neben der Hör-
verbesserung will A. auf diese Weise auch Oberflächenrecidive vermeiden
und schreibt diesen Konvoluten infolge der bakteriziden Wirkung des
Silbers auch eine antiseptische Wirkung zu.
Ferner beschreibt A. ein neues Hörinstrument, bestehend aus
Mikrophon, Telephon und Trockenelement mit Leitungsdrähten. Mikrophon
und Telephon sind so klein, dass sie mit der Hand umgriffen werden
können. Der ganze Apparat hat ein Gewicht von 625 g. Spricht man
das Mikrophon mit gewöhnlicher Stimme an, so hört man im Telephon
die Stimme so verstärkt, als ob man mit überlauter Stimme in das
ZeiUehriH Ar Ohrtoheilkande, Bd. UV H
162 Bericht über die LeistUDgen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Ohr schreien würde. Der Apparat soll bei hochgradiger Schwerhörigkeit
infolge von Mittelohr- nnd Labyrintherkrankung brauchbar sein. Um
die Verständigung nicht nur mit einer Person und aus beschränkter
Entfernung zu ermöglichen, liess A. das Telephon mit einem kleinen
Hörbecher versehen und auf dem Mikrophon einen Schallträger anbringen.
Damit war es möglich, mit Patienten, die kaum eine Hörweite von 30 cm
für Eonversationssprache hatten, aus ganz erheblichen Distanzen zu
konversieren. W a n n e r.
896. Raoult, A. et Pillement, F., Nancy. Quelques mots eur un nouvel
anesth6sique local. Arch. internat. d'otol. etc. Bd. 22 1906, S. 422.
Nach den beiden Autoren wirkt das Alypin namentlich in der Nase
ebenso anästhetisch wie das Kocain und ist weniger giftig. Oppikofer.
397. Koenig, C. J., Paria. Considörations sur Templui des anesth^siques
p^n^raux dans les petites interventions rapides. Arch. internat. d'otol.
etc. Bd. 22, Nr. 2 1906.
Das Lachgas, namentlich wenn es gleichzeitig mit Sauerstoff ver-
mischt wird, ist weniger gefährlich als Bromaethyl, Chlorethyl und
Somnoform. E. zählt einzelne amerikanische Zahnärzte auf, die an
mehr wie 100 000 Patienten Lachgas verabreicht haben, ohne je einen
Todesfall zu erleben. Oppikofer.
398. V. Schrotte r. Eine neue Beleuchtungsart von Kanälen nnd Höhlen.
Berl. kl. W. 1906 Nr. 47.
Die neue Methode beruht auf dem Prinzip der Fortleitung des
Lichtes durch einen Glasstab oder eine gläserne Röhre. Beleuchtet
man das eine Ende der Wand einer Glasröhre, so wird das Licht durch
die Röhrenwand fortgeleitet und das andere Ende erscheint leuchtend.
V. Seh. bringt also an dem proximalen Ende einer innen geschwärzten,
nach aussen durch einen Metallmantel geschützten Glasröhre vier kleine
elektrische Lämpchen an und erzielt dadurch eine intensive Beleuchtung
einer kurzen Strecke vor dem distalen Ende des Rohres, Er hält die
Methode für geeignet nicht allein für Oesophago- und Bronchoskopie,
sondern auch für die Untersuchung von Ohr, Nase, Nasenrachenraum,
Eieferhöhle und für sonstige Objekte der endoskopischen Untersuchung.
Müller (Stuttgart).
399. Po Hak, Eugen, Graz. Gesichtsschutzvorrichtungen für den Arzt. A. f.
Laryngol. Bd. 19, H 1.
Beschreibung und Abbildung eines Gesichtsschutzrahmens und eines
Gesichtsvorhanges; die Apparate sollen den Arzt vor dem Angehustet-
.werden schützen. von Eicken.
Äusseres Ohr. 163
400. Walliczek, Kurt, Breslau. Beinerkungen zu der Publikation von Dr. Eugen
Po Hak: Gesichtsschutzvorrichtungen für den Arzt, A. f. Laryngol.
Bd. 19. H. 2.
W. empfiehlt als SchutzvorrichtuDg Schutzbrillen und einen mit
der Brille nicht zusammenhängenden einfachen Gesichtsvorhang.
von Kicken.
401. Gerber, Prof., Königsberg. Technische Mitteilungen. M. f. 0. 1906
Nr. 10, S. 647 ff.
Neue subglottische Spiegel, ein Nasencompressorium und ein Taschen-
besteck für den Ohren-, Hals- und Nasenarzt. Wittmaack.
d) 1 aub stummheit,
402. Iwanow, A., Priv.-Doz. Zur pathologischen Anatomie der angeborenen
Taubstummheit. Rnss. Monatschr. f. Ohrenheilk. etc. März 1907.
In dem vom Verf. beobachteten Falle wurden beim Pat. intra vitam
das Gehör und Gleichgewichtsstörungen und nach dem Tode die histolo-
gischen Veränderungen des Labyrinths genau untersucht. S ach er.
Äussere» Ohr.
403. Sei i gm a n n , H., Frankfurt a. M. Eine Operationsmethode des Othämatoms.
A. f. 0. 69, S. 275—280.
Verf. spaltet unter lokaler Anästhesie die das Othämatom bedeckende
Haut, präpariert den Sack frei und exzidiert ihn in toto samt dem ge-
schädigten Knorpel. Heftpflasterverband. Heilung olme Entstellung.
An einer durch eine Abbildung illustrierten Besprechung des mikro-
skopischen Befundes begründet Verf. die Zweckmäfsigkeit seines Ver-
fahrens. Z a r n i k 0.
404. Hang, Rud., München. Über sogenannte Verknöcherung der Ohrmuschel
Monatschr, f. Ohrenheilk. 1906, Heft 12.
Beschreibung eines Falles von »sehr ausgedehnter knochenharter
Versteifung« der Ohrmuschel nach Erfrierung mit auffallend starker
Cerumenansammlung im erkrankten Ohre. Unter Hinweis auf analoge,
in der Literatur niedergelegte Fälle bespricht Verf. die Genese dieser
Verknöcherung. Er kommt hierbei zu dem Resultate, dass es wohl
zweifellos richtiger sei, von einer einfachen Verkalkung des Ohr-
knorpels zu sprechen, als von einer Verknöcherung, da es sich
lediglich um eine Imprägnierung des Knorpels mit Kalksalzen, nicht
aber um eine Umwandlung desselben in wahre Knochensubstanz handele.
Wittmaack.
11*
164 Bericht über die Leistungen and Fortschritte der Ohrenheilkonde.
405. Dali mann, Halle a. S. Zur Kasuistik der Tumoren des äusseren Gehör-
jfangs (Melanom). A. f. 0. 70, S. 97—99.
Melanotischer Hautnävns, den Meat. ext. einer 44jfthrigen Fraa
obturierend. Abtragung mit der GrlQhschlinge. Mikroskop. Befund.
Über vielleicht vorhandene Malignität muss die weitere Beobachtung
Anfschluss geben. Zarniko.
406. Krebs G., Dr., Hildesheim. Seltene Ausgänge der Otitis externa circum-
scripta. Therap. Monatshefte 1907, Februar.
K. teilt mehrere von ihm beobachtete Komplikationen der Otitis
externa mit: Knochenfistel in der hinteren Wand des knöchernen Gehör-
gangs, eine durchgebrochene Gehörgangsphlegmone unter dem Periost
des Warzenfortsatzes und endlich einen subperiostalen Abszess auf dem
Warzenfortsatz und oberflächlicher Karies desselben. Brühl (Berlin).
407. Seh wart ze, H., Halle a. S. Tod durch Meningitis nach fehlerhafben
Versuchen, einen Stein aus dem Ohre zu entfernen. Sektionsbefund.
A. f. 0. 70, S. 110—116.
5 jähr. Knabe steckt sich beim Spiel einen Kieselstein ins Ohr.
Extraktionsversuche von unberufener Hand befördern den Stein in die
Tiefe. Perforation des Trommelfells, Ostitis und Periostitis am runden
Fenster, Labyrinthitis, Leptomeningitis cerebrospinalis purulenta (Hydro-
cephalus internus. Eitrige Infiltration der Plexus und Tela chorioidea).
Pneumonie der beiden Unterlappen. Exitus.
Bei der Epikrise kommt Verf. zu dem Entschluss, in einem ähn-
lichen Falle mit der operativen Entfernung des Fremdkörpers nicht zu
warten, bis Fieber und deutliche Hirnreizungssymptome vorhanden sind,
sondern anhaltend heftige Schmerzen im Ohre schon als
Indikation zur sofortigen Operation gelten zu lassen. Zarniko.
408. Archipow, A. Zur Frage tlber die Ätiologie der traumatischen Vei^
letzungen des Trommelfells bei den Soldaten unserer Armee. Wojenno-
Medizinski Shurnal, Dezember 1906.
Verf. beschreibt 17 Fälle von Verletzungen des Trommelfells durch
Ohrfeigen, 10 verschiedene zufällige Verletzungen und 5 Fälle künst-
licher Perforationen des Trommelfells zur Befreiung vom Militärdienste. !
Sacher. i
409. Archipow, A. Zur Frage der Behandlung trockener Troromelfellperfora-
tionen mit Trichloressigsäure nach der Methode von Prof. Okunew.
Russ. Monatschr. f. Ohrenheilk. etc. Dez. 1906.
Im ganzen sind 29 Perforationen behandelt worden; von diesen
sind 12 vernarbt, 4 verkleinert worden, die 13 übrigen sind unverändert
geblieben. In 4 Fällen recidivierte die Eiterung. S ach er.
I
Mittleres Ohr. 165
410. Bichter, Ednard, Dr., Plauen. Seidenpapier als Trommelfellersatz. M. f. 0.
1906, Nr. 11, S. 725.
Damit das Seidenpapier brauchbar ist, als künstliches Trommelfell
Terwendet zu werden, wird es mit einer Paraffin-Fett-Mischung imprägniert,
dann mit einer Harzmasse dem Trommelfellrest aufgeklebt und schliess-
lich mit einer Schicht von Pulver, bestehend aus gebranntem Alaun
nnd Lindenkohle, bedeckt. Wichtig ist, dass diese »Papierprothese«
luftdicht abschliesst. Alle Einzelheiten müssen im Original nach-
gesehen werden. Indiziert ist die Applikation dieser Prothese vor allem
bei trockenen zentralen Trommelfelldurchlöcherungen.
Wittmaack.
Mittleres Ohr.
a) Akute Mittelohrentzündung.
411. Spiro, R., Krakau. Zur konservativen Behandlung akuter Mittelohr-
entzündungen nach der Bier- Klapp 'sehen Methode. (Vorläufige
Mitteilung.)
Sp. verwendet die Stauungsbinde nur bei akuten Mittelohrentzündungen
und glaubt im allgemeinen bessere Wirkung gesehen zu haben als von
den anderen bisher gebräuchlichen Be Handlungsweisen. Ist die Mittelohr-
entzündung von lokalen krankhaften Veränderungen in der Umgebung
des Ohres begleitet, verwendet Sp. nach der Stauungshyperämie den
Klappschen Saugapparat. Bei Schwellung und schmerzhafter Fluktuation
der Weich teile über dem Warzenfortsatz wird ein kleiner Punktions-
schnitt bis auf den Knochen gemacht. Die Saugglocke wird täglich
zwei- bis dreimal auf 5 — 10 Minuten in Unterbrechungen von 5 Minuten
angelegt. Sp. warnt jedoch bei entstehenden Fiebererscheinungen und
intrakraniellen Komplikationen die Methode zu lange zu versuchen.
Wann er.
412. Baratoux, J. De la Paralysie du Moteur oculaire externe au cours
des Otites. Paris 1907.
B. gibt in seiner lesenswerten Arbeit zunächst eine vollständige
Übersicht über die in der Literatur von 1796 bis zum Dezember 1906
verzeichneten Fälle von Abducens-Lähmung im Verlaufe von Ohr-
erkrankungen. Nach dieser Zusammenstellung sind diese Fälle nicht
gerade selten. In mehr als der Hälfte waren die Kranken noch nicht
25 Jahre alt. In weitaus der Mehrzahl der Fälle war die Abducens-
Lähmung isoliert, einigemale war auch das 3. und 4. Gehirnnervenpaar
mit ergriffen oder es bestand zugleich Neuritis optica, Stauungspapille,
Nystagmus. — Ausführliche Besprechung der Erklärungsversuche. —
Die Leichenöffnungen bringen keinen Aufschluss.
166 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Schlussfolgerung : Die Abducens-Lähmung bei Ohrerkrankung kann
als Ursache haben : 1. reflektorische Vorgänge, 2. die infektiöse Neuritis,
3. intrakranielle Läsionen, 4. lokale Läsionen an der Spitze der Felsen-
beinpyramide. Brandt.
b) Chronische Mitte lohreiterung,
413. La uff 8, Leipzij?. Über Proteus vulgaris bei Ohreiterungen. A. f. 0. 70,
S. 90-99, S. 187—204.
Verf. fand unter 26 im Anschluss an einfache und totale Auf-
meisselungen untersuchten Fällen der Leipziger Ohrenklinik sechsmal
den Proteus vulgaris, und zwar zweimal in Reinkultur, dreimal zusammen
mit Streptokokken und einmal zusammen mit Strepto- und Diplokokken.
Stets waren schwere Komplikationen vorhanden, nämlich einmal Schläfen-
lappen-Kleinhirnabszess, dreimal perisinuöser, einmal subduraler und
einmal Kleinhirn- und Hinterhauptslappenabszess mit gleichzeitiger Sinus-
verjauchung. Dreimal trat Exitus ein.
Aus derselben Klinik stammen bisher unveröffentlichte Unter-
suchungen von Bisch off über dasselbe Bacterium. B. fand es unter
52 Fällen fünfmal. Zweimal war Kleinhirnabszess, einmal Sinusphlebitis
und einmal Extraduralabszess vorhanden.
Es konnte demnach der Proteus vulgaris unter 78 Fällen der
Leipziger Ohrenklinik elfmal (d. h. in 14 Prozent der Fälle) bakteriologisch
nachgewiesen werden. Fast immer handelte sichs um Cholesteatome
(resp. »Atherome«; Verf. scheint diesen Ausdruck für breiig umge-
wandelte Cholesteatome in den otologischen Wortschatz einführen zu
wollen). Zehnmal lagen schwere intrakranielle Komplikationen vor.
Verf. glaubt, dass der Proteus vulgaris nicht der gleichgiltige
Saprophyt ist, für den er gewöhnlich gehalten wird. Namentlich in
solchen Fällen, in denen Cholesteatome den Knochen nach der Hirn-
höhle durchbrechen, könne er deletär werden
Klinisch manifestiert er sich ohne weiteres durch die Produktion
eines scheuslichen, an faules Gemüse erinnernden, charakteristischen
Gestankes . Z a r n i k o.
414. Jaumenne, BrüsseL Un cas de tröpanation inastoidienne opdr^ sans
anesthösie et sans douleur. Arch. intemat. d'otol. etc. Bd. 22, Nr. 8.
p]in 44 jähriger Patient, der an chronischer Mittelohreiterung litt,
zeigte eine auffallende Analgesie der Gehörgänge, eines Teiles der Ohr-
muschel und der Retroaurikulargegcnd. Auch im Gesicht Hessen sich
einzelne tinregelmäfsig verteilte analgetische Stellen nachweisen. Gestützt
Mittleres Ohr. 167
auf die ganze Körperuntersuchung stellte J. die Diagnose auf Hysterie
nnd fahrte, ohne lokale oder allgemeine Anästhesie und ohne dem
Patienten die geringsten Schmerzen zu verursachen, die Radikal-
operation aus. Oppikofer.
415. Mouret, J., Dr., Montpellier. Reflexions sur Tevidement petro-mastoidien.
ReYue hebdoraadaire de larvngologie, d'otologie et de rhinologie,
August 1906.
Mouret empfiehlt bei Erkrankungen des Warzenfortsatzes, die
besonders den hinteren Teil desselben betreifen und die sogenannte
Radikaloperation nötig machen, senkrecht auf die Mitte des gewöhnlichen
Hautschnitts noch einen zweiten horizontalen Schnitt anzulegen. Er
bildet so eine temporäre, retroaurikuläre Öffnung, die sich aber, falls
dieselbe weiter nach hinten, in dem von ihm angegebenen horizontalen
Schnitt liegt, immer von selbst mit dem Fortschreiten der p]pidermisierung
im Innern der Höhle schliessen soll. Im übrigen bringt die Arbeit
für uns nichts neues. Suckstorff (Hannover).
416. Alexander, G., Wien. Zur Technik des plastischen Schlusses retro-
auricularer Lücken. A. f. 0. 70, S. 117—120.
Modifikation der Passow sehen Plastik. Sie unterscheidet sich
von dieser dadurch, dass die beiden Etagennähte nicht übereinander,
sondern gegeneinander verschoben zu liegen kommen. Zarniko.
417. Alt, F., Dozent, Wien. Ein Beitrag zur operativen Behandlung der otogenen
Fazialislähmung. Wiener klin. Wochenscbr. Nr. 43, 1906.
Der Fazialis hat im allgemeinen grosse Neigung zur Regeneration ;
ungefähr ^/g von Fazialislähmungen bleiben bestehen; in diesen Fällen
ist die Anlegung einer Anastomose mit dem Nerv, accessorius bezw.
hypoglossus angezeigt, sobald die Lähmung 6 Monate bestanden hat und
eine Wiederkehr der elektrischen Erregbarkeit nicht nachweisbar ist.
Ferner hält A. die Pfropfung für indiziert in Fällen von liabyrinth-
nekrose, wenn bei Ausräumung des Sequesters ein mehrere cm langes
Stück des Fazialis mit entfernt werden musste.
A. teilt einen derartigen Fall mit, bei welchem nach der Entfernung
eines frei beweglichen Labyrinthsequesters der schon vorher nicht ganz
intakte Fazialis vollkommen gelähmt war. 4 Wochen nach der Radikal-
operation vereinigte A. den Fazialis mit dem Hypoglossus. Nach drei
Monaten war die Asymmetrie des Gesichtes bei Ruhestellung nahezu
ausgeglichen, beim Sprechen und Lachen jedoch noch bemerkbar; an
der rechten Zungenhälfte war geringe Atrophie aufgetreten.
168 Bericht über die Leistungen and Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Zum Schlüsse stellt A. einen Auszug aus einschlägigen, in der
Literatur niedergelegten Fällen zusammen, welche zu folgenden Schlüssen
führt:
Die nach der Operation auftretende Parese oder Paralyse im Gebiet
des Accessorius oder Hypoglossus ist meist vorübergehend und nicht
beträchtlich. Aktive Bewegung kann zunächst nur durch Mitbewegung
der Schulter- bezw. Zungenmuskulatur ausgeführt werden; nach längerer
Übung tritt eine Dissoziation der Bewegungen ein.
Ferner empfiehlt A. bei einer Verletzung des Fazialis während
der Operation den Fallopischen Kanal hinten oben in der Paukenhöhle
nach Anaemisierung durch Adrenalin zu eröffnen und den verletzten
Nerv in der Hohlrinne des Kanals einzubetten; ebenso verfährt A. bei
der Radikaloperation, wenn durch Eiterung bereits Fazialislähmung
vorhanden ist. Wann er.
c) Erkrankungen der Blutleiter,
418. Kümmel, W., Prof., Heidelberg. Über die vom Ohr ausgehenden septischen
Allgemeininfektionen. Mitteilungen ans den Grenzgebieten der Medizin
and Chirurgie. 1907. lU. Sapplementband.
K. gibt eine kritische Darstellung über zwölf von ihm beobachtete
otogene Sinuserkrankungen, welche er in sehr klarer und prägnanter
Weise darstellt. Acht von den Fällen wurden operativ geheilt. Fast
jede der Krankheitsgeschichten enthält interessante Einzelheiten, die
im Original eingesehen werden müssen. Von besonderen Symptomen
bespricht K. Schmerzen beim Schlingen bei Bulbuserkrankungen infolge
Entzündung des n. IX. Die Frage, ob pyämisches Fieber auch ohne
Sinus^rkrankung entstehen kann, lässt K. offen. Schüttelfröste bedeuten
ein ganz plötzliches Überschwemmen des Kreislaufes mit Toxinen : Ver-
schleppung eines infektiösen Thrombus. Für sehr wichtig erachtet K.
regelrechte bakteriologische Untersuchungen des Blutes aus dem all-
gemeinen Kreislauf, dem Sinus und dem Thrombus. Bei der Therapie
warnt K. vor jedem Schematismus. Beim Verdacht auf eine Sinus-
erkrankung wird der Sinus auch bei negativem äusseren Befund eröffnet.
Enthält er einen Thrombus, so wird derselbe möglichst vollständig
entfernt, wobei weder der Confluens sinuum nach hinten noch der Bulbus
nach unten eine Grenze bildet. Die Jugulariseröffnung hält K. für
nötig, wenn bei nachgewiesenem infektiösen Jugularisinhalt sich kein
abschliessender obturierender Thrombus nach dem Bulbus zu findet.
Findet sich in dem Sinus kein Thrombus, so versucht man bei der
Mittleres Ohr. 169
septischen Form CoUargolbehandlung, bei der pyämischen Form Eröffnung
TOD bulbus und von jagalaris. Brflhl.
419. Zebrowski, Alexander, Warschaa. Zur Frage der Heilbarkeit ond
operativen Behandlung der otogenen Pyämie. M. f. 0. 1906, Nr. 12.
Die Aasffihrangen des Verf. stützen sich auf 6 Fällen otogener
Sinnstbrombose. Vier von diesen Fällen iii^urden geheilt, zwei endigten
letal. Bezaglich der Operationsmethode befürwortet Verfasser eine
Modifikation derselben nach der Schwere der Erkrankung und den
anatomisch-pathologischen Veränderungen, die am Schläfenbein und in
den Himblutleitem bei der Trepanation gefunden werden. Die totale
Entfernung des Erankheitherdes aus dem Schläfenbein und die Frei-
legnng des Sinus transversus reicht öfters vollständig aus, um den
pyämischen Prozess zu koupieren. Das polyvalente Antistreptoccen-
Semm hatte in einem Falle sehr günstigen Einfluss auf den post-
operativen Verlauf. Das Auftreten von Symptomen, die auf Thrombose
des Sinus cavernosus deuten, sieht Verfasser als Zeichen eines bevor-
stehenden Exitus letalis an. Wittmaack.
420. Schaaf, Hngo, Giessen. Kasuistische Mitteilungen über Sinusthrombose.
Dissert Giessen 1906.
Seh. teilt 12 Fälle von Sinusthrombose aus der Univ.-Ohrenklinik
zn Giessen (L entert) mit, von welchen einer zur Zeit der Operation
schon ausgeheilt war. 3 Todesfälle und 8 Heilungen. Unter den 12
Fällen betrafen 6 chronische, 2 akute und 4 subakute Ohrerkrankungen.
Unter 3 Fällen gelang es zweimal durch die Lumbalpunktion Meningitis
anszuschliessen. Unter den 12 Fällen wurde 3 mal peribulbäre bezw.
perijnguläre Eiterung in Folge der Zerstörung der Bulbuswand an-
getroffen. H.
421. Moure, Prof. E. J. A propos de quelques cas de phl^bite buppur^e
du sinus lateral. Presse otolaryngologique Beige 1906. Heft. 11.
M. beleuchtet die Frage nach dem Pulsieren des infizienten Sinus
lateralis und nach der Unterbindung des Vena jugularis. Er kommt
zu dem Schluss : der infizierte Sinus pulsiert und zwar meist sehr stark
und synchron mit dem Puls; umgekehrt: ein Sinus, der pulsiert, ist als
erkrankt anzusprechen. Die Ligatur der nicht infizierten Vena jugularis
ist ein unnützes operatives Unternehmen und nicht im Stande, die von
der eitrigen Entzündung des Sinus lateralis ausgehende Infektion auf-
zuhalten. Brandt.
1
170 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
422. Schlegel, G., Braunscbweig. Ein Fall von doppelseitiger Sinusthrombose
mit einseitiger Jugularisunterbindung. A. f. 0. 69, S. 176 — 185.
Ausführlicher Krankenbericht, 26 jährige Patientin mit
linksseitiger Otit. med. und Mastoiditis. 19. X. Einfache Aufmeisselung.
4. XL Nachoperation , weil Schmerzen und Temperatur wiederkehren.
Eröffnung einiger kranker Jochbeinzellen, Freilegung der Dura im
Bereich der mittleren Schädelgrube. Schmerzen nehmen zu. 7. XL
Punktion des Schläfenlappens ohne Resultat. Ausräumung des throm-
bosierten Sinus, proximalwärts bis nahe zum Bulbus. Schmerzen bleiben.
Kräfte verfall. 14. XI. Punktion des Kleinhirns ohne Resultat. Es
stellen sich die Anzeichen jeiner rechtsseitigen Sinusthrombose ein, ferner
Lungenmetastasen. 5. XII. Unterbindung der Jugularis rechts. Schlechtes
Befinden bleibt. 30. XII. R. Schwerhörigkeit auf ners'öser Basis. An-
fang Januar Stauungspapille beiderseits, rechts Recurrensparese. Seit
Mitte Januar Befinden besser, Rekonvaleszenz. Langsame Heilung der
Operationswunden. Recurrensparese bleibt.
Eingehende Epikrise, Auffällig erscheint dem Ref. die
Annahme des Autors, es wäre das Überschreiten der Thrombosierung
von der ursprtlnglich erkrankten Seite auf die gesunde möglicherweise
durch die Bulbusoperation zu verhindern gewesen. Spricht doch der
Verf. selbst die Vermutung aus, dass die Überwanderung durch den
Confluens sinuum stattgefunden habe. Zarniko.
423. Strazza, Prof. G., Genua. Ein Fall von primärer Thrombose des Bulbus
der linken Jugularvene; Operation, Heilung. Archivio italiano di
otologia etc., XVIH Bd., 1. Heft.
Bei der 13 jährigen Patientin traten infolge acuter eitriger Mittelohr-
entzündung pyämische Erscheinungen auf, die nach Ausräumung der
im Bulbus enthaltenen septischen Thromben verschwanden. In den
Allgemeinbemerkungen über die otitische Pyämie, welche der aus-
führlichen Beschreibung des Falles folgen, wird die Diagnose der
Bulbusthrombose besprochen, die sich durch Schmerz und Schwellung
in der retromaxillären Grube und Reizungs- oder Lähmungserscheinungen
in jenen Gebiete, die vom IX, X, XI innerviert werden, kundgibt.
Die primäre isolierte Bulbusthrombose ist nach Verf. Ansicht selten.
Rimini.
424. Jonty, Antoine, Oran. Fall von Sinus- und Brlbnsthrorabose etc.
Annales des maL de Tor. etc. März 1907.
Der thrombosierte Sinus wurde breit gespalten von hinten her bis
in den Bulbus hinein, der Eiter enthält. Vena jugularis druckempfindlich,
r
I
Mittleres Ohr. 171
I doch nicht unterbunden, obwohl noch wochenlang nach der Operation
massenhaft pyämische Attacken. Schliesslich Heilung, trotz Lungen-
und Gelenkmetastase. Interessant ist die Pulsverlangsamung:
Temp. TOD 36—36,5 mit 48—50 Pulsen, Temp. von 40—40,8 mit
höchstens 76 Pulsen bei dem 14 jährigen Patienten. J. sieht mit Recht
in dieser auffallenden Pulsverlangsamung, die hätte an Gehirnabszess
denken lassen können, den Ausdruck einer Reizung des Vagus am
Baibus JQgularis. Boenninghaus.
42-5. Lnc, H., Paris. Beitrag zur BröflTnnng des Bulbus nach Ligatur der
Jugularis. Annales des mal. de Tor. etc. März 1907.
Schwerer Fall von Bezold scher Mastoiditis mit vielen und tiefen
Halsabszessen, kompliziert durch wandständige, puriforme Bulbus-
thrombose. Trotz 5 fachen Eingriffes während dreiwöchiger Krankheit
keine vollkommene Entfieberung bis zum Tode, der nach mehrstündigem
Coma eintrat, welches eingeleitet wurde durch einen epileptiformen
Anfall aus relativem Wohlbefinden heraus. Keine Sektion. L. ist nun
der Ansicht, dass es sich nicht um den üurchbruch eines Gehirn-
abszesses gehandelt habe, da selbst ausgedehnte Incisionen des Gross-
und Kleinhirns, die im Zustande des Comas vorgenommen wurden,
keinen Eiter ergaben. Er glaubt vielmehr an Yentrikelblutung
darch Stase nach Unterbindung der Jugularis, die übrigens dem Coma
etwa 8 Tage vorausging, umsomehr, als die rechte Jugularis die unter-
bundene war und die Vena facialis mit unterbunden wurde.
Boenninghaus.
426. Do diu, M. Zur Frage übrr die otogene Pjämie. Russ. Mon. für
Ohrenheilk. März 1907.
Ausführliche Beschreibung eines Falles. S ach er.
d) Cerebrale Komplikationen.
427. Citelli, S., Prof., Catania. Ein Fall von ausgedehntem, extraduralera
perisinuösem Abszess, der sich nach au.ssen spontan entleerte. Arcbivio
ital. di otologia etc. XYIII Bd., 2 Helt.
Zwei Monate nach der Heilung einer acuten eitrigen rechtsseitigen
Mittelohrentzündung, empfand der 37 jährige Patient, halbseitige dem
vorher kranken Ohre entsprechende Kopfschmerzen, 5 cm hinter dem
Antrum, 1 — 2 cm. oberhalb desselben, fand Verf. eine leichte fluktuierende
Schwellung. Bei der Operation wurde ein nach vorne bis zum Sinus
sigmoideus, nach hinten bis zum Torcular sich ausdehnender Abszess
entdeckt, der sich nach aussen durch eine kleine Knochenfistel, welche
172 Bericht über die Leistungen nnd Fortschritte der Ohrenheilkunde.
der Schwellung hinter dem Warzenfortsatz entsprach, eine Bahn
gebrochen hatte. Rimini.
428. Trötr6p. Volamineux absces du cerreau consecntiv a nne otite mojenne
purulente. La Presse otolaryngologiqae Beige, Heft. 9. 1906.
T. knüpft an die Schilderung eines Falles von grossem Himabszess
in Folge einer Mittelohreiterong eine Darlegung seiner Ansichten über
die Öffnung des Warzenfortsatzes und des Atticus. Er warnt davor,
bei akuter Mittelohreiterung, besonders wenn man einen bleibenden
Substanzverlust der hinteren oberen Gehörgangswand findet, mit Aus-
spülungen die Zeit zu verlieren. Schmerzhaftigkeit irgend eines Gelenkes
drängen zur Operation. Das einzige konstante Zeichen einer Kom-
plikation im Schädelinnem sind die Schmerzen : alle anderen klassischen
Symptome können fehlen. Wenn es auch nicht immer leicht ist eine
endokranielle Komplikation zu diagnostizieren, so ist es bei unseren
heutigen Kentnissen doch noch sehr viel schwerer, ihren Sitz zu er-
mitteln, da Klein- und Grosshirnsabszesse mit verschiedenen Meningitis-
formen gleiche Symptome zeigen können. Brandt.
429. Voss, Dr., Königsberg. Multiple Himabszesse bei gleichzeitig bestehender
Mittelohreiterung und eitriger Bronchitis. A. d. Gebiete des Milit-
Sanitätsw. 35. Heft.
W. beobachtete in der Charit^ ein dreijähriges Kind, welches im
Anschluss an eine rechtsseitige akute Ohreiterung Erbrechen und
Krampfanfälle der linken Körperhälfte bekam. Die klinische Annahme,
dass es sich um eine Abszessbildung im Bereiche der rechten motorischen
Region handelte , wurde bei der Obduktion bestätigt. Es fanden sich
neun erbsengrosse Abszesse in der Gegend des oberen Endes der
Zentralfurche. Infolgedessen konnten sie auch bei der operativen Frei-
legung des Schläfenlappes (handtellergrosser Hautperiostknochenlappen)
nicht erreicht werden. Da das Kind gleichzeitig an eitriger Bronchitis
litt, lässt sich der otogene Ursprung der Himabszesse nicht mit Be-
stimmtheit behaupten, aber auch trotz der entfernten Lage der Abszesse
vom Mittelohr nicht bestreiten, da die Infektion des Gehirnes auf
Gefässbahnen eintreten könnte. Brühl.
430. Lannois, M. et Perreti^re, A., Lyon. De la meningite otogene et
de sa curabilite. Arch. Internat. d*otol. etc., Bd. 22, Nr. 3.
Bei einem 16 jährigen Patienten führt eine rechtsseitige chronische
Mittelohreiterung zu Meningitis und Kleinhirnabszess. Die Meningitis
wurde durch die Lumbalpunktion sowie durch die spätere Sektion fest-
gestellt, während der Kleinhirnabszess erst bei der Sektion aufgedeckt
Mittlere« Ohr. 173
wurde. Da nach Eröffnen des Warzenfortsatzes und nach Probe-
panktionen in den gesunden Schläfenlappen (reichliches Abfiiessen von
Gerebrospinalflflssigkeit) sich während 12 Tagen der Allgemeinzusland
besserte und bei einer zweiten späteren Lumbalpunktion die vorher
tr&be Flüssigkeit nun klar war, so glauben die Autoren an Hand ihres
Falles annehmen zu dürfen, dass die eitrige Meningitis besserungsfähig
oder sogar heilbar ist. Im Anschluss an die Krankengeschichte referieren
L und P. über die bis heute veröffentlichten Fälle von Heilung bei
eitriger Meningitis. Oppikofer.
431. CheTftlier Jackson, Pittsburg. M^niogisme en tant qu*affection
distingu^ de la m^ningite an point de vue otologiqne. Arch.
internat. d*otol. etc., Bd. 23, Nr. 1.
Infektionen, Intoxikationen, schwierige Dentition, Helminthiasis,
Magen- and Darmstörungen, Mittelohrentzündungen können das Symp-
tomenbild der Meningitis hervorrufen, ohne dass — wie der spätere
Verlauf zeigt — eine eigentliche Meningitis bestanden hat. Verfasser
hat 62 solcher Fälle von »Meningismus« beobachtet; er bespricht,
hauptsächlich vom otogenen Standpunkte aus, an Hand seiner Erfahrung
die einzelnen Krankheitssymptome. Oppikofer.
e) Sonstige Mittelohrerkrankungen,
^2. Gn^rin, Emile, Marseille. Das Hämatotympanum. Annales des maL
de For. Febr. 1907.
G u 6 r i n vermehrt die spärliche Literatur des spontanen Blutergusses
in das Mittelohr um einen Fall: 50 jährige gesunde Frau bekommt
plötzlich links Ohrenschmerz, Sausen und Schwindel. Zugleich ent-
leert sich aus Nase und Rachen blutiger Schleim. Das
dflsterrote Trommelfell ist stark vorgewölbt und schwer beweglich.
Resorption des Ergusses in 14 Tagen. Boenninghaus.
433. ürbantschitsch, E., Wien. Die Behandlung des chronischen Mittelohr-
katarrhs. Wiener klin. therapeutische Wochenschr. Nr. 6, 1907.
Aus der sehr umfangreichen Arbeit, welche nicht näher zu referieren
ist nnd deren Inhalt sich aus dem Titel ergibt, sind nur U.s Versuche
mit Einspritzungen von Fibrolysin zu erwähnen. U. macht subkutane
Injektionen zunächst von 0,3, dann 0,6, 1,0, 1,5, 2,0 und 3,0 g. Zeigt
sich nach 8 — 10 Injektionen nicht der geringste Erfolg, so ist ein
solcher auch nicht zu erwarten ; tritt jedoch eine Besserung auf, so sind
20—50 Ii^ektionen anzuwenden, am besten 3 mal wöchentlich. Der
günstige Einfiuss soll sich sowohl auf das Hörvermögeu als auch auf
die subjektiven Geräusche erstrecken. Wann er.
1
174 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
434. Mahler, L., Kopenhagen. Snr le Cancer de Toreille. Arch. intemat
d'otol. etc. Bd. 22, Nr. 2.
Linksseitiges Mittelohrkarzinom bei einer 50 jähr. Frau. Ob Ohr-
eiterung der Tumorbildung vorausgegangen, ist unsicher. Fazialislähmung.
Operation und Röntgenbehandlung ohne jeglichen Erfolg. 10 Monate
nach Auftreten der äusserst heftigen Ohrschmerzen Tod an Kachexie.
Im Anschluss an die Krankengeschichte bespricht der Verf. die einzelnen
Symptome der Krankheit. Oppikofer.
NerTÖser Apparat.
435. Stein, St. von. Ein Fall nicht eitrijjer Affektion des rechten Labyrinths.
Zerstörung des P^ndapparates. Folgen. Eine neue Funktion des Lab>-
rinths (Lichtlabyrinth). Russ. Monatsschr. f. Ohrenh. etc. Nov. 1906.
Der Inhalt dieses hochinteressanten Artikels lässt sich in einem
kurzen Referat nicht wiedergeben. Sa eher.
436. Lachniund, H., Dr., Nervenarzt in Breslau. Über nervöse Hörstörungen.
Monatsschr. f. Psychiatrie und Neurulogie Bd. XX, Ergänzun^sheft.
Vom Standpunkte des Neurologen aus erörtert L. die Diagnose des
Sitzes zentraler Hörstörungen an der Hand einer schematischen Dar-
stellung des Verlaufes der zentralen Hörbahn. Er berücksichtigt dabei
die vorhandene brauchbare Kasuistik, ist aber bei der Spärlichkeit
derselben vielfach auf theoretische Erörterungen angewiesen. Von grossem
Interesse ist der gründlich durchgeführte Vergleich zwischen den zentralen
Hör- und Sehstörungen. Leider eignet sich die interessante Arbeit
wegen der vielen wichtigen Einzelheiten nicht für ein kurzes Referat,
Körner (Rostock).
437. Hennebert, C, Brüssel Contribution clinique a Tötude du labyrinthisme.
Arch. intemat. d'otol. etc. Bd. 23, Nr. 1.
H. bespricht an Hand von 9 Fällen, über deren Krankengeschichten
kurz referiert wird, die Symptome der Labyrinthitis. Oppikofer.
438. Alexander, G., Wien. Sur la surdit^ progressive due ä Tatrophie de
Torgane de Corti. Arch. intemat. d'otol. etc. Bd. 22, Nr. 3.
Bei einer 63 jähr. Patientin, die auf dem linken Ohre Konv.sprache
nicht mehr hörte und rechts nur noch auf 1 5 cm, konnte A. folgenden
histologischen Befund aufnehmen ; Auf dem rechten noch besser hören-
den Ohre fand sich eine Atrophie des Cortischen Organes und der
Stria vascularis. Linkerseits waren übereinstimmend mit dem Hör-
befund die Veränderungen noch hochgradiger, indem das Cortische
Organ und die Stria vascularis fehlten, und zudem das Ganglion Spirale
und der Nervus cochlearis leicht atrophisch waren. — Der Befund der
Nase und Nasenrachenraum. 175
linken Seite stellt nur ein vorgerückteres Stadium der rechten dar.
Die Atrophie des Cortischen Organes ist, wie die Untersuchung des
rechten Ohres zeigt, das primäre ; erst sekundär erfolgte auf der linken
Seite eine Atrophie des zugehörenden Nerven. Oppikofer.
439. Berent, Walter, Dr., Berlin. Herdförmige Vehinderangen im Stamm des
NervQs cochlearis (graue Degeneration oder postmortales Artefakt?)
mit partiellem Schwund der Ganglienzellen bei akuter Ertaubung eines
Tuherkuliisen. M. f. 0. 1906, Nr. IL
Der Titel gibt bereits den Inhalt wieder. Bezüglich der herd-
förmigen Degenerationen stellt sich Verf. auf den Standpunkt M anasses,
dass pathologische Degenerationen im Nervenstamm möglicherweise den
Effekt einer Zerrung begünstigen und zwar so, dass in den degenerierten
Stellen die Fasern leichter zerreissen, wodurch dann jene Herde ent-
stehen. — »Danach wären also diese Herde aufzufassen als Endeffekte
der Wirkung sowohl intravitaler Degeneration, wie postmortaler Arte-
fizierung. Wittmaack.
440. Pause, R., Dresden-Neustadt. Klinische und pathologische Mitteilungen VIH.
Ä. f. 0. 70, S. 15—27.
Grosshirntaubheit (Fibrosarkom an der Innenseite des linken
Hinterhauptlappens im Bereich des Gyrus fusiformis). Kl ein hirn-
taub h ei t (Tumor in der hintern Schädelgrube). Acusticustaub-
heit (R. parenchymatöse Neuritis des Acusticus mit sekundärer Degene-
ration des Ganglion spirale und des Cortischen Organs; links Zerstörung
des Ohres durch Karzinom). Zarniko.
Na8e und Nasenrachenraum.
a) Allgemeijie Pathologie U7id Therapie,
441. Oppikofer, Ernst, Basel. Beiträge zur normalen und pathologischen
Anatomie der Nase und ihrer Nebenhöhlen. Arch. f. Laryng. Bd. XIX.
Heft 1.
0. hat die Nasen und Nebenhöhlen von 200 Leichen makroskopisch
und die Schleimhaut der unteren und mittleren Muscheln auch mikro-
skopisch untersucht. Die Ergebnisse seiner sehr eingehenden Arbeit
stellt 0. zum Schlüsse in 44 Punkten zusammen, von denen hier nur
einige erwähnt seien: In 3^/o der Fälle fanden sich kommunizierende
Keilbeinhöhlen. Beim männlichen Geschlecht finden sich Nebenhöhlen-
Affektionen häufiger (60®/o) als beim weiblichen (35 ^/o). Im jugend-
lichen Alter finden sich trotz der geringen Entwicklung der Neben-
höhlen Entztlndungen besonders häufig. Es gibt Fälle von Ozäna ohne
176 Bericht über die Leifitongen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
jede Miterkrankung der Nebenhöhlen. Platten- und Übergangsepitbel
ist in nicht von Ozäna befallenen Nasen nicht nur auf den unteren,
sondern auch auf den mittleren Muscheln häufig anzutreffen. Die so-
genannten intraepithelialen Drüsen kommen fast regelmäfsig auch in
normaler Nasenschleimhaut vor. von Eicken.
442. Schmiegelow. Beitrag zur Heleuchtang des Verhältnisses zwischen den
Krankheiten der Nase und denen des Auges. Hospitalstidende 1906,
Nr. 44.
Betrachtungen anlässlich zweier schon im dänischen oto-laryngo-
logischen Verein njitgeteilter Fälle (Sitzungen vom 23. 3. u. 2. 5. 1906).
Jörgen Möller.
443. Goerke, Max, Breslau. Bemerkungen zur pathologischen Anatomie der
Nase und ihrer Nebenhöhlen. Arch f. Laryngol. Bd. XIX, Hett 2.
Die Arbeit Oppikofers im vorigen Heft des Archivs f. Laryngol.
gibt G. Veranlassung, zu betonen: 1. dass er schon frQher darauf hin-
gewiesen hat, dass man bei Sektionen decrepider Individuen häufig Er-
güsse in den Nebenhöhlen der Nase findet und dass fOr diese der Mangel
klinischer Erscheinungen charakteristisch ist; 2. dass er zuerst auf das
Vorhandensein intraepithelialer Drttsen der Nasenschleimhaut aufmerksam
gemacht hat; 3. dass im Gegensatz zu Oppikofers Ansicht intra-
epitheliale Leukocythenhäufchen in der Schleimhaut der oberen Luft-
wege sehr häufig vorkommen ; 4. dass er schon früher die Aufmerksam-
keit auf die mannigfachen Degenerationsvorgänge gelenkt hat, die sich
im Epithel der Schleimhäute der Nase abspielen. von Eicken.
444. Ino Eubo, Fukuoka, Japan. Über die Entstehung der sogen, .lappigen
Hypertrophien" der Nasenniuscheln. Arch. f. Laryng. Bd. XIX, Heft 2.
Die Papillen bestehen aus zahlreichen Kapillaren, lockeren Binde-
gewebsfasern, Schleimzellen und zahlreichen Rundzellen; es finden sich
keine Drüsen- und Gefässlakunen. Der Gewebsteil der Papillen ent-
spricht also der adenoiden Schicht der Muscheln des Erwachsenen. Es
ist somit begreiflich, dass dieses Gewebe beim Bestreichen mit Kokain
keine Beeinflussung seines Volumens zeigt. Unter den Papillen treffen
wir die lakunäre oder die Schwellgewebsschicht an. Die Drüsen münden
regelmäfsig an den tiefsten Punkten der Täler zwischen den Papillen;
ihre Ausführungsgänge sind zuweilen zystisch erweitert, Die Lakunen
des Schwellkörpers sind reduziert im Vergleich zu normalen Nasen-
muscheln, die Bindegewebsfasern und das Zwischengewebe hingegen
vermehrt. Eine Hypertrophie der elastischen Fasern findet sich nament-
lich in der Nähe der Drüsenausführungsgänge. Im Gegensatz zu der
Nase und Nasenrachenraum. 177
lappigen Hypertrophie ist hei der glatten Hypertrophie die Schwellschicht
stärker entwickelt. Histologisch ist die lappige Hypertrophie der unteren
Mnscheln am ehesten den Polypenhildungen der mittleren Muschel ver-
gleichbar, von Eicken.
44o. Siebcnmann, F., Basel. Lapos pernio der oberen Luftwege. Arch.
f. Laiyngol. Bd. XIX, Heft 2.
S. geht ausführlich auf die spärlichen Angaben der Literatur über
diese seltene Erkrankung ein, die wohl zu den Tuherkuliden, nicht wie
es bisher mehrfach geschehen ist, zu den pseudoleukämischen Erkrank-
ungen zu rechnen ist. Der von ihm beobachtete Fall zeigte von Anfang
an ein Mitergriffensein der Schleimhaut des Mundes, des Rachens, des
Kehlkopfes und der Nase. Die Probeexzision ergab Tuberkel-ähnliche
Bildungen mit starker Bindegewebsentwickelung ohne Verkäsung. Die
Tierversuche verliefen negativ, das Koch sehe Tuberkulin löste keine
Reaktion aus. Sehr auffallend ist, dass ein interkurrentes Erysipel den
ganzen Prozess zum Schwinden brachte, bald aber setzte die Krankheit
von neuem ein. Eine sehr charakteristische Abbildung des Gesichtes
des Patienten zeigt, dass das obere und das untere Lid sowie gewisse
Teile der Backe zu entstellenden ödematösen Wolsten aufgetrieben sind.
Andere Abbildungen zeigen die Veränderungen an der Lippenschleim-
hant, dem Bachen und Kehlkopf. Zwei histologische Bilder geben die
Oewebsveränderungen wieder. von Eicken.
446. Fein. Beitrag zur Lehre von der primären Taberkulose (Lupus) der
Nasenschleimhaut. Berl. klin. Wochenschr. 1906. Nr. 48.
2 5 jähr. Krankenwärterin ohne jedes Anzeichen einer sonstigen
tuberkulösen Erkrankung. In der Nase war nur das vordere Ende der
rechten unteren Muschel von tuberkulösen Veränderungen befallen, die
den Charakter des Schlei mhautlupus trugen. F. neigt zu der Annahme,
dass in diesem Falle die Lifektion auf dem Wege des Luftstromes
stattgefunden habe. Müller.
447. C 0 h n , Georg, Königsberg. Altes und Neues zur Nasentuberkulose. Arch.
f. Laryngol. Bd. XIX, Heft. 3.
C. weist nach, dass in der neueren Literatur viele Dinge wieder
als neu angegeben werden, die schon in der älteren Literatur festgelegt
sind. Er kommt zu folgenden Schlusssätzen :
1. Unter den tuberkulösen Affektionen der Nasenhöhlen ist zu
unterscheiden: a) Lupus: mit oder ohne Lupus der äusseren Nase in
Form von Granulationen auftretend im vorderen Nasenteil, zumeist
ZeitaetriA flür Ohrenheilkunde. Bd. LIV. 12
178 Bericht Über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
am Septum, aber auch an den Muscheln und am Nasenboden bei sonst
gesunden, oft blühenden, meist jugendlichen Personen. Häufig unter
dem Bilde des Ekzema vestibuli und der Rhinitis sicca anterior,
b) Tuberkulose: Meist in Form von ülzerationen , event. mit In-
filtrationen, Tumoren und Granulationen vergesellschaftet. Fast immer
sekundär bei hochgradig tuberkulösen decrepiden Personen mit weit
vorgeschrittener Tuberkulose der Lunge und des Kehlkopfes, oft auch
des Rachens.
2. Der äussere Nasenlupus geht meist von dem vorderen Winkel
des Nasenloches aus; dieser beginnende Lupus ist oft nur durch Rhinen-
doskopie festzustellen.
3. Der primäre Lupus der Nasenschleimhaut kann Monate und Jahre
lang ganz isoliert, ohne eine sonstige tuberkulöse Erkrankung des Indi-
viduums, bestehen. von Eicken.
448. Gramer, M., Koburg. Zur Nasentuberkulose. Wiener klin. Rundschau
Nr. 10, 1907.
C. beschreibt 2 Fälle mit tuberkulösen Veränderungen an den
Muscheln. In dem einen Falle — 19 jähr. Patientin — wurde aus der
rechten Nase in Borken eingebettet die mit einer harten Kruste über-
zogene nekrotische untere Muschel, im anderen Falle — 43 j. Patient —
die sequestrierte mittlere Muschel extrahiert. In letzterem Falle auch
Eiterung der Oberkieferhöhle. Im Sekret wurden in beiden Fällen
reichliche Mengen Tuberkelbazillen nachgewiesen. Nach Auskratzung
ätzte C. mit 75 ^/^ Milchsäure und erzielte nach 3 Monaten beidemale
Heilung. W a n n e r.
449. Leroux, Robert. Nasenverstopfung und Tuberkulose. Annales des mal.
de Tor. Jan. 1907.
Kurze und klare Betrachtung der Verhältnisse ohne neue Gesichts-
punkte. Boenninghaus.
450. Escat, E., Toulouse. Nasenbluten und Morbus Werlhoffii. Annales des
mal de Tor. etc. Febr. 1907.
Auf Grund von 4, im Zeitraum von 2 Jahren beobachteten Fällen
von Nasenbluten, die sich bei näherer Körperuntersuchung als Teil-
erscheinung von Werlhoffscher Krankheit, vielleicht auch von Hämophilie
erwiesen, ermahnt E. bei habitueller Epistaxis besonders im Kindesalter
die Untersuchung von Haut und Schleimhaut auf Hämorrhagien nicht
zu vergessen. Boenninghaus.
Nase and Nasenrachenraam. 179
451. Uänselmann, C, Biel. Znr Nasentampon ade. M. f. 0. 1906. S. 65a
Verf. glanbt, dass die Nasentamponade zu umgehen ist and wegen
der mit ihr verknüpften Unannehmlichkeiten und Nachteile auch nach
Möglichkeit umgangen werden muss. Er empfiehlt hierzu die Anwendung
des Perhydrol Merck, dessen Applikation event. bei Wiederauftreten
der Blntung vom Kranken seihst vorzunehmen ist, und eventuell, falls
die Blntung aus einem grösseren Gefäss hiermit nicht zu stillen ist, die
Applikation einer ganz kleinen Kugel von Eisenchloridwatte.
Wittmaack.
452. Jürgens, E. Über die Behandlung der Nase beim Scharlach. Russ.
Monatsschr. f. Ohrenheilk. Dez. 1906.
Zur Entfernung des Eiters aus dem Nasenrachen empfiehlt Verf.
Ausspritzungen der Nase mittelst eines kleinen Gummiballons mit Bor-
säurelösung, physiologischer Kochsalzlösung, 2 — 3 ®/q Lösung von Wasser-
stoffsuperoxyd und in schweren Fällen von gangränöser Angina mit
Kalkwasser oder Sublimat (1 : 5—6000). Alle Lösungen müssen etwas
erwärmt sein. S a c h e r.
453. Lamann. W., Dr., St. Petersburg. Eine Bemerkung zur Anwendung
starker elektrolytischer Ströme in der Nase. M. f. 0. 1906, Nr. 10.
Warnt vor zu starken Strömen und mahnt zur Vorsicht bei An-
wendung der Narkose. Wittmaack.
454. Sonderraann. Zar Saugtherapie bei Nasenerkrankungen. Münchn. med.
Wochenschr. 1906, Nr. 45.
Verf. nimmt Stellung zu den seither erschienenen Aufsätzen über
Saugtherapie und empfiehlt anstatt der Maske eine besondere Olive,
welche leicht zu reinigen ist und das Eindringen von Sekret in den
Schlauch verhindert. Scheibe.
b) Ozäna.
455. Fr&nkel, B. Die Entwickelung der Lehre von der Ozftna. Berl. klin.
Wochenschr. 1906, Nr. 52.
Kurzer Überblick über die Geschichte der Ozänafrage seit der
ersten Arbeit von Frank el aus dem Jahre 1874. F. kommt zu dem
Schlüsse, dass wir trotz der zahlreichen und gründlichen Arbeiten über
den Gegenstand und trotz beträchtlicher Erweiterung unseres Wissens
darüber doch über seine damalige Theorie noch nicht sehr viel weiter
Unausgekommen sind. Müller.
^. Lermoyez. La contagion de Toz^ne. Berl. klin. Wochenschr. 1906, Nr. 47.
L. ist Anhänger der bazillären Theorie der Ozäna. Er führt
12*
^
180 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
klinische Beobachtungen, pathologisch-anatomische und bakteriologische
Tatsachen und theoretische Erwägungen dafür ins Feld. Des Ferneren
enthält die Arbeit kurze Kritiken der anderen Hypothesen über das
Wesen der Ozäna. Als praktische Schlussfolgerung ergibt sich aus L.s
Ansicht, dass Ozänakranke ihrer Umgebung und namentlich dea Kindern
gegenüber zu sorgfältigen Schutzmafsregeln verpflichtet sind.
Müller.
4c57. Sondermann, R., Dieringhausen. Nasentaroponade bei Ozäna. Müncho.
med. Wochenschr. 1906, Nr. 49.
Eine Hülle aus Gummi wird in die Nase geschoben und durch
einen mit derselben verbundenen Schlauch aufgeblasen, worauf der
letztere durch Absperrhahn abgesperrt wird. Zu beziehen durch Kühne,
Sievers & Neumann, Köln-Nippes. Scheibe.
458. Botey, R., Barcelona. Les injections de paraffine solide dans Tozöne.
Arch. internat. d'otol. etc. Nr. 3, 1906.
Bereits sind mehrere Spritzen im Gebrauch, welche den Ärzten
gestatten selbständig, ohne die Hilfe eines Assistenten, festes Paraffin
in die Nasenschleimhaut zu injizieren. B. gibt die Beschreibung und
Abbildung der Spritzen von Broeckaert, Lermoyez, Mahn,
Lagard e. Alle diese Spritzen haben hauptsächlich den Nachteil, dass
sie zur Winterszeit, wenn sie nicht vorher erwärmt werden, bei Gebrauch
von Paraffin mit Schmelzpunkt von 45® nur ungenügend oder unregel-
mäfsig funktionieren. B. empfiehlt deshalb eine von ihm erprobte Spritze
und bildet dieselbe ab. Diese Spritze ist ähnlich wie die oben er-
wähnten gebaut; sie hat aber den Vorteil, dass ihr Stempel noch mit
grösserer Kraft das Paraffin austreiben kann. — B. hat im Verlauf von
4 Jahren 360 Ozänafälle mit submukösen Paraffininjektionen behandelt.
Nach seiner Statistik sind 45®/q der Ozänakranken heilbar und weitere
20 ®/o soweit herzustellen, dass trotz noch bestehender Atrophie Borken
und Fötor verschwinden, sodass der Patient der Nasendouchen entbehren
kann. Durchschnittlich wurden pro Patient 20 Injektionen vorgenommen,
bei einem Patienten mit vorgerückter Ozäna sogar mehr wie 100 (in
letzterem Falle .nur mit geringem Erfolg), Nach Paraffininjektionen
unter die Septumschleimhaut sah B. nicht allzu selten (in 3 7o ^^^ Fälle)
Abszesse auftreten, aber meist nur dann, wenn in einer Sitzung mehr
wie 0,5 festes Paraffin eingespritzt wurde : diese Abszesse enthielten mehr
seröse als eitrige Flüssigkeit. Oppikofer.
Nase mxd Nasenrachenraum. 181
c) Neubildungen der Nase.
459. Lövy, Hugo. Dr., Karlsbad, über ürüsenzysten sowie andere Zysten in
Nasenpolypen. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 62.
Löwy nntersachte mikroskopisch eine Serie von 28 Nasenpolypen,
welche im Darchschnitt 'makroskopisch Zysten enthielten. Als disponierende
Momente für solche Zysten sieht Verf. besonders langgestreckten und
geschlängelten Verlauf der Drüsentnbuli bezw. der Ansftthmngsgänge, klein-
zellige Infiltration und Entzündungsvorgfinge um dieselben, Schrumpfungs-
vorgänge, Hämorrhagien und Kompression durch Nachbargebilde an.
Zweimal fand er Lymphzysten, die übrigen waren Drüsenzysten. Mehr-
fach fand er in den Zysten ziemlich lange geschlängelte Fäden von
spiraligem Bau, die morphologisch den Gursch mann sehen Spiralen
des Bronchialasthmas glichen und in der Hauptsache aas Schleim be-
standen. L. erklärt sich die Entstehung dieser Fäden ähnlich wie
A. Franke] dies für die Entstehung der Gursch mann sehen Spiralen
annimmt: Durch mechanische Einwirkungen der wechselnden Fort-
bewegung in den verschied enkalibri gen Bäumen, durch Wirbelungen,
werden bestimmte Substanzen des Zysteninhaltes förmlich ausgebuttert
und durch eine Art »Agglutination« vereinigt. Destruktive Prozesse,
die direkt zum Untergang des Drüsengewebes führten, fand L. nirgends.
Suckstorff.
460. Richter, Eduard, Planen i. V. Über eine neue Methode der Fibrom-
entfemung betreffend Rachendachfibrom. M. f. 0. 1907, Nr. 2.
Die Entfernung des Fibroms wurde dadurch erreicht, dass zunächst
eine Schlinge über dasselbe geführt wurde, die durch Umdrehungen
enger zusammengezogen wurde, so dass sie dasselbe abschnürte, um die
Gefässe abzuklemmen. Dann wurde eine zweite Schlinge kurz unterhalb
der ersten angelegt und nach Entfernung des Schiingenführers nach Art
einer Drahtsäge benutzt, wobei der Tumor in zirka 10 Minuten glatt ab-
getrennt wurde, ohne dass eine stärkere Blutung eintrat. Wittmaack.
461. Delamare, A. Contribution ä T^tude des sarcomes des fosses nasales.
Th^se pour le Docturat en mödecine. Paris 1905.
D. hat 27 Fälle von Nasenhöhlensarkom aus der Literatur zusammen-
gestellt und bespricht in ausführlicher Weise an Hand dieser Fälle
Ätiologie, Verlauf, Prognose urd Therapie. Die Sarkome der Nasen-
höhle kommen in jedem Lebensalter vor. Verlauf und Prognose hängen
wesentlich von dem mikroskopischen Bilde ab; je mehr Bindegewebe
die sarkomatöse Geschwulst zeigt, um so günstiger ist im allgemeinen
die Prognose zu stellen. Einzig die operative Therapie kann heilen.
Oppikofer.
182 Bericht fiber die Leistungen und Fortsehritte der Ohrenheilkunde.
462. Althoff, Emflt, Strassburg i. Eis. Über Endotheliome der inneren Nase
und der Nebenhöhlen. Arch. f. Laryngol. Bd. XIX, Heft 2.
A. geht ausführlich auf den Bau der Endotheliome ein und be-
spricht die Merkmale, die sie von den Karzinomen und Sarkomen unter-
scheiden. Mitteilung von 3 Fällen. von Eicken.
463. Prawossred, N. Carcinoma sinus frontalis. Wratschebnaja Gaseta
1906, Nr. 43.
Patient kam mit einer Fistel unter der linken Augenbraue und
Exophthalmus nach vorn und unten. Die Sonde gelangte bis zum
Foramen opticum und in den Sinus frontalis. Anfangs wurde Stim-
höhlenempyem diagnostiziert und nach Czerny zu operieren versucht,
wobei heftige Blutung erfolgte und Karzinommassen hervortraten. Die
vorderen Wände beider Stirnhöhlen und die obere Wand der linken
Augenhöhle waren zerstört. Die mikroskopische Untersuchung zeigte
Karzinomperlen. Bis jetzt sollen nur 3 Fälle von Stirnhöhlenkarzinom
beschrieben worden sein. Differentialdiagnostisch wichtig ist, dass beim
Empyem die Sonde in eine schmale Fistel eingeführt auf kariösen
Knochen stösst, während sie beim Karzinom ohne Hindernis meist nach
hinten gelangt. Sacher.
464. Engelhardt, G., Breslau. Über von der Zahnanlage ausgehende Tumoren
der Kieferhöhle. Arch. f. Laryngol. Bd. XIX, Heft 1.
An Hand von 2 Fällen, die einer genauen mikroskopischen Unter-
suchung unterzogen wurden, bespricht E. die Ätiologie der von den
Zahnanlagen ausgehenden Tumoren. von Eicken.
465. Gerber, Königsberg. Les ost^omes da sinus frontal. Arch. Internat.
d'otol. etc. Bd. 33, Nr. 1.
G. stellt 84 Osteome der Stirnhöhle aus der Literatur zusammen
und fügt dieser Statistik 2 eigene Beobachtungen mit ausführlichen
Krankengeschichten hinzu. Im grossen Ganzen kommt Verf. zu den-
selben Resultaten wie Hucklenbroich (Dissertation Freiburg 1905).
Oppikofer.
466. Stepinski, Paris. Polypes des choanes chez Tenfant. Arch. Internat.
d'otol. etc. Bd. 23, Nr. 1.
St. referiert über 5 Fälle von Choanenrandpolyp im kindlichen
Alter. 4 Fälle wurden mikroskopisch untersucht: Mixofibrom.
Oppikofer.
467. Iwanow, A. Über die Behandlung gefässreicher Neubildungen der Nase.
Russ. Monatsschr. f. Ohrenheilk. etc. Jan. 1907.
Verf. gibt einige wertvolle Hinweise zur Vorbeugung und Stillung
Nase und Nasenrachenraum. 183
starker Blntungen beim EntferDen gefässreicher Geschwülste der Nase
(Fibro angioma, Fibroma cavernosam). S ach er.
d) Nebenhöhlenerkrankungen,
468. M e r m 0 d» Lausanne. Betrachtungen über chronische KieferhOhleneiterungen
etc. Annales des mal. de Tor. etc. Jan. 1907.
M. ist begeisterter Anhänger der Caldwell-Lucschen
Methode, denn unter 141 Fällen hatte er 141 Heilungen in durch-
schnittlich 14 Tagen. In der Tat ein beneidenswerter Operateur. Unter
diesen Umständen hält er Deutschland, wo noch nicht so ausschliesslich
nach Caldwell-Luc operiert wurde, für rückständig. — Auch in
Deutschland ist man im allgemeinen längst von der Überlegenheit aller
Empyemoperationen überzeugt, welche freie Verbindung zwischen Nase
und Kieferhöhlen erstreben, mögen die Methoden nun dieses oder jenes
Beiwerk haben. Allein in Deutschland ist man nicht so allgemein
bereit, wegen eiLCs an sich wenig gefährlichen Leidens eine Narkosen-
operation zu machen und dazu, was die Narkose anbelangt, noch eine
recht unangenehme Narkosenoperation. Der Lokalanästhesie mit Kokain-
Adrenalin, die sich auch dem Autor bei diesen ausgedehnteren Kiefer-
operationen in der letzten Zeit trefflich bewährt hat, aber ist es vor-,
behalten, auch bei uns die minderwertigen Methoden allgemein zu
verdrängen. Boenninghaus.
469. Halle. Externe und interne Operation der Nebenhöhleneiterungen. Berl.
klin. Wochenschr. Nr. 42 u. 43, 1906.
H. befürwortet im allgemeinen die interne Behandlung der chronischen
Empyeme : Anlegung breiter Öffnungen nach der Nase zu und Vermeidung
einer Öffnung nach aussen oder nach der Mundhöhle, soweit dies möglich
ist. Er verwirft jede Behandlung der Nebenhöhlen, welche häufige
Spülungen erfordert, insbesondere auch die Anbohrung der Kieferhöhle
von der Alveole aus. Für die Kieferhöhle empfiehlt er die Anlegung
einer möglichst grossen Daueröffnung im unteren Nasengang mittelst
Fräse, unter Erhaltung der unteren Muschel.
Um auch die Stirnhöhle intern zu operieren, hat er eine neue
Methode ersonnen, deren Detail in einem kurzen Referat nicht wieder-
gegeben werden kann. Sie besteht darin, dass er von der Nase aus
mittelst geeigneter Fräsen den ganzen Boden der Stirnhöhle und einen
grossen Teil der Tabula externa des Stirnbeins fortnimmt, so dass man
das Instrument von aussen durch die Haut durchfühlt, und dass die
Öffnung der Stirnhöhle nach der Nase zu fast so gross wird, wie der
184 Bericht über die Leistungen and Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Abstand der Nasenwurzel von der Tabula interna. Die Operation wird
unter Anwendung besonderer Schutzvorrichtungen zur Vermeidung einer
Verletzung der Tabula interna und unter steter Kontrolle durch das-
Auge ausgeführt. H. hat sie im ganzen ]4mal gemacht und ist mit
den Erfolgen sehr zufrieden. Müller.
470. Nager, F. B., Basel. Anwendung der Lokalanästhesie mit Anämisiernng^
bei der Radikaloperation der Kieferhöhleneiterung. Arch. f. Larjngol.
Bd. 19, H. 1.
Das Verfahren unterscheidet sich von dem des Ref. nur dadurch^
dass man die Schleimhaut der Nase und der Kieferhöhle vor der
Eröffnung der Kieferhöhle von vorne unempfindlich macht.
von Eicken.
471. Cordes, Hermann, Berlin. Über Erhaltung der unteren Muschel bei der
Badikaloperation des chronischen Kieferhöhlenempjems mit Anlegung
einer nasalen Gegenöfifhnng. M. f. 0. 1906, Nr. 11.
Verf. tritt für die Erhaltung der unteren Muschel bei der Radikal-
operation des chronischen Kieferhöhlenempyems unter Anlegung einer
nasalen Gegenöffnung ein. Er hat fast sämtliche eine Operation erfor-
dernden Fälle nach der Denkerschen Methode operiert, nur mit dem
Unterschied, dass er die untere Muschel unberührt Hess, ohne dass er
wesentliche Nachteile für die Heilung hierbei bemerkt hat. Die Erhaltung
der unteren Muschel erscheint besonders wichtig bei doppelseitiger
Affektion und Operation. »Denn ein Verlust beider oder nur dea
grösseren Teiles der unteren Muschel hinterlässt ohne Frage dauernde
Unannehmlichkeiten und kann neben lokalen Erscheinungen in Hals und
Nase zu von uns vielleicht noch nicht genügend gewürdigten, dauernden
Schädigungen des Gresamtorganismus führen.« Wittmaack.
472. T e X i e r, Dr., V. Des sinosites noaxillaires casöeuses. Signes et diagnostic»
La Presse otolaryngologique Beige 1907, Heft 2.
Texier schildert an der Hand von 15 Fällen die Sinusitis maxillaria
caseosa, von der er zwei Formen, eine leichte und eine schwere, unter-
scheidet. Die Affektion ist eine chronische und befällt nur Erwachsene,
Männer und Frauen. Sie beginnt schleichend und besteht seit mehreren
Monaten bis Jahren, wenn die Kranken zum Arzt kommen; zuweilen
führen stürmische Symptome früher zum Arzt.
Die leichte Form unterscheidet sich nur wenig von der gewöhn-
lichen Kieferhöhlenentzündung. Diaphanoskopie lässt oft im Stich.
Die schwere Form: Verstopfte Nase, reichliche, stinkende, käsige
Massen; dabei lebhafte Schmerzen, Fistelbildung. Die Muschelschleimhaut
Nase und NaBenrachenranm. 185
schwillt bei Kokain- oder Adrenalin-Pinselnng nicht ab; die Muscheln
sehen aas wie b(ysartige Tumoren oder wie syphilitische Bildungen. Die
Diaphanoskopie ergibt positive Resultate. Das eigentliche diagnostische
Mittel ist die Punktion, ohne ihre Anwendung kann man sich irren
und die Krankheit mit Syphilis, malignen Tumoren, Fremdkörpern ver-
wechseln. Die Prognose ist gut. Einige Spülungen der Höhle genügen
meist zur Heilung. Zu weiteren Eingriffen ist erst nach 2 — 3 Wochen
zu raten, wenn die Spülungen im Stich lassen. Brandt.
473 TL 474. Van den Wildenberg, Antwerpen. Osteomyölite du maxillaire
snperienr et de Tethmoide avec empydme des sinus et de Torbite. Arch.
Internat, d'otol. etc. Nr. 2. 1906 und La Presse oto-laryngologique
Beige 1906, Heft 10.
Bei einem neugeborenen Kinde zeigt sich am dritten Tage nach
der Geburt am linken untern und innem Orbitalrand ein roter Fleck,
der sich immer mehr ausbreitet. Am 10. Tage konstatiert der Augen-
arzt ausgesprochenen linksseitigen Exophthalmus und Eiterausfluss aus
der linken Nasenöffnung. Zudem besteht auf derselben Seite am harten
Gaumen sowie an der Fossa canina je eine Fistel, aus welcher sich
ebenfalls reichlich Kiter entleert. Syphilis anamnestisch unsicher.
Operation: der Hautschnitt umkreist die innere Seite der Orbita; dann
wird die innere und untere Orbitalwand bis zum Foramen opticum vom
Periost entblösst. Im eiternden Siebbein liegen verschiedene kleine
Sequester. Zum Schlüsse Eröffnung der eiternden Kieferhöhle von der
Nasenhöhle aus. Da die Nekrose des Siebbeines wahrscheinlich auf
kongenitale Syphilis zurückzuführen ist, so wird Calomel in kleinen
Dosen verordnet. Nachträglich lösen sich noch einige Sequester ab,
dann Heilung. Oppikofer.
475. Onodi. Beiträge zur Lehre der durch Erkrankung der hintersten Sieb-
beinzelle und der Eeilbeinhöhle bedingten Sehstömng und Erblindung.
BerL klin. Wochenschr. 1906, Nr. 47.
Eingehende, durch photographische Abbildungen erläuterte anatomische
Beschreibung der verschiedenen Formverhältnisse der Siebbeinzellen und
der Keilbeinhöhle in ihren Beziehungen zum Canalis opticus und Sulcus
opticus, als Grundlage der Lehre von der canaliculären retrobulbären
Neuritis und Atrophia optica nasalen Ursprungs. Müller.
476. Sprenger, Stettin. Ein Fall von Schleimhautcyste der Stirnhöhle. Arch.
f. Laryngol., Bd. 19, H. 1.
Nach Ansicht des Ref. handelte es sich im vorliegenden Fall um
eine Mucocele, die von einer frontalen Siebbeinzelle ausgegangen war und
sich in die normale Stirnhöhle hinein entwickelt hatte, von Eicken.
186 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
477. Taptas, Constantinople. A propos de moii procM^ sur Top^ration de la
sinusite frontale chronique. Arch. Internat. d*otoL etc. Bd. 22, Nr. 3.
Um chronische Stirnhöhleneiterungen znr Aasheilang zu bringen,
empfiehlt T. ein Verfahren, welches sich von der Killianschen Operation
im wesentlichen nur dadurch unterscheidet, dass das Orbitaldach nicht
reseziert wird. Oppikofer.
478. Maljutin, E. N., Moskau. Zur Kasuistik der StimhöhlenentztLndung.
Arch. f. Laiyngol. Bd. 19, H. 2.
Zwei Fälle von abscedierender Stirnhöhleneiterung, die durch breite
Abtragung der vorderen Wand geheilt wurden. Der Weg nach der
Nase wurde absichtlich nicht erweitert. Im ersten Falle war Lues
vorausgegangen und es fehlte auch ein grosses Stück der hinteren
Stirnhöhlenwand, die Crista galli und der Sinus sagittalis lagen frei.
von Eicken.
479. Chavanne, F., Lyon. Algie.sinusienne frontal hysterique. Presse oto-
laryngologique Beige, August 1906.
Beschreibung eines Falles, in dem Hysterie eine Erkrankung der
Stirnhöhle vortäuschte. Die vorhandenen hysterischen Stigmata, das
Fehlen der typischen Eiterstrasse in der Nase und die bei Kneifen der
Haut oder Druck auf den Knochen gleichmäfsig bestehende Schmerz-
haftigkeit sicherten die Diagnose und bewahrten Patientin vor einer
Explorativoperation. Heilung in wenigen Tagen. Suckstorff.
480. D e 1 s a u X , Dr., Victor. Pseudosinusite frontale due k un abscds sousperiost^
du front, compliquöe de thrombophlöbite du sinus longitudinal sup^rieur.
M^ningite. Mort. Autopsie. La Presse otolaryngologique Beige 1906,
Heft 10.
D. hat einen interessanten Fall von Thrombose des Sinus longitudinalis
superior beobachtet, die sich bei gesunder Nase an einen subperiostalen
Abszess am Stirnbein anschloss. Die Kranke starb. Bei der Obduktion
fand sich eitrige Meningitis des rechten Stimlappens, Thrombose des
Sinus longitudinalis superior und des linken Sinus lateralis, Thrombose
der Vena jugularis. Hervorgerufen war die Infektion des Schädelinnem
vielleicht durch eine kleine das Stirnbein perforierende Vene.
D. zieht folgende Schlüsse: Auch ohne nasale Infektion kann sich
eine Thrombose des Sinus longitudinalis superior entwickelnd Das Nasen-
bluten, das man für diese Thrombose für pathognomonisch hält, kann
fehlen. Wegen der direkteren und weiteren Verbindung des Sinus
long. sup. mit dem linken Sinus lat. breitet sich der Prozess leichter
in letzterem Sinus aus. Der Sinus long. sup. kann und muss geeigneten
Falles chirurgisch behandelt werden. Brandt»
Nase and Nasenrachenraum. 187
e) Sonstige Erkrankungefi der Nase,
481. Sassedatelew, Th. Über das habituelle Erysipel der Nase und des
Gesichts. Russ. Monatschr. f. Ohrenheilk. Jan. 1907.
Anf Grund von zwei Fällen kommt S. zu dem Schluss, dass beim
habituellen Erysipel nicht jedesmal eine neue Infektion stattfindet, sondern
dass dieselbe im Organismas selbst steckt, besonders im Drüsengewebe,
und Yon dort darch die Lymphgefässe sich verbreitet za den Stellen,
die vom Erysipel betroffen waren. Sa eher.
i82. Gramer, M., Eobarg. Ein Fall von erworbener Atresia nasi. Wiener
klin. Rundschau Nr. 45, 1906.
C. berichtet über eine 28jährige Patientin, bei welcher sich vom
14. Lebensjahre an zweifellos Erscheinungen von Lues im Halse und
in der Nase einstellten. Die Nase war beiderseits im Yestibulum durch
eine in der Mitte ca. Vs ^^ dicke, feste Membran verschlossen. Da
deren Entfernung mit Messer und Schere auf der einen Seite Schwierig-
keiten bereitete, nahm C. auf der anderen Seite Hammer und Meissel,
womit er leicht zum Ziele kam. Wegen der grossen Gefahr der Wieder-
verwachsung liess C. zur Nachbehandlung Hartgummiröhrchen einführen.
W a n n e r.
483. Lundsgaard, K. E. E. Das prismatische und das Spiegel-Druckglas.
Hospitalstidende Nr. 8, 1907.
L. hat für die Schleimhautbehandlung ein besonderes Druckglas
konstruiert, ein aus Quarzplatten bestehendes hohles Prisma, in dem
das Kühlwasser zirkuliert; es gewährt eine fast totale Reflexion der
ultravioletten Strahlen, während ein für denselben Zweck konstruiertes
Prisma mit Quecksilberbelag nur 30 ^/^^ der Strahlen reflektiert. Die
betreffenden Druckgläser lassen sich u. a. für den vorderen Teil der
Nasenhöhle verwenden. Jörgen Möller.
484. Porchhammer, Holger. Die Resultate der Lichttherapie bei Lupus der
Nasen- und Mundhöhle. Ibd.
F. teilt die durch die Druckgläser von Lundsgaard erzielten
Besoltate mit. In der Nasenhöhle kann man mittelst dieser Druck-
gläser 1 bis 1 ^/g cm weiter hinein kommen als mittelst dem Langschen
Glas, sodass man die Übergangsstelle zur eigentlichen Nasenhöhle, die
Prädilektionsstelle des Lupus« erreichen kann. Unter 47 behandelten
Fallen gaben 38 = 80 ®/q ein günstiges Kesultat ; ferner sind verschiedene
Fälle von Lupus der Mundhöhle mit Erfolg behandelt worden.
Jörgen Möller.
188 Bericht über die Leistimgen nnd Fortschritte der Ohrenheilknnde.
485. Wolf f -Eisner, Alfred, Dr., Berlin. Erfahrungen über das Heafieber aus
dem Jahre 1906. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 7, 1907.
Die ungewöhnlich grosse Wärme im Frülyahr 1906 verfrühte die
Vegetation und damit den Beginn des Heufiebers um 14 Tage, was bei
den meisten Patienten gleichbedeutend war mit einer 14tägigen Ver-
längerung ihres Leidens pro 1906. Verf. ist entgegen Dunbar der
Ansicht, dass das Pollengift kein Toxin ist, dass das PoUantin daher
aucb kein Antitoxin ist nnd dass gegenüber der Pollenempfindlichkeit
nur eine ätiologische Therapie helfen kann. Als PoUendiagnosticum
empfiehlt Verf. >die Pollen von Roggen, Weizen, Gramineen in abge-
messener Menge in einer chemischen Reibschale mit Wasser oder Koch-
salzlösung zu verreiben und dann zu zentrifagieren ; die überstehende
Lösung ist dann das PoUendiagnosticum«. Als bester Schutz gegen
das Eindringen der Pollen in die Nase einpfiehlt Verf. den Schutz-
apparat von Mohr, modifiziert von Schulz, den er dadurch verbessert
hat, dass er das Charnier, »die schwache Stelle des Apparates«, über-
flüssig machte. Entgegen Mohr behauptet Verf., dass in selteneren
Fällen auch die Coigunctiva pollenempfindlich ist, und empfiehlt den
betreffenden Patienten, sich durch eine Brille zu schützen, die das
Auge völlig von der Aussenluft abschliesst, etwa ähnlich der von Auto-
mobilisten benutzten Brille. Noltcnius.
486. Böhm, W. Kasuistische Mitteilung über einen Fall von Nasenstein.
M. f. 0. 1907, Nr. 1, S. 27.
Der Nasenstein war wahrscheinlich durch Reste sogenannten
Schmalzlertabaks entstanden, die der Patient geschnupft hatte und die
wahrscheinlich den Kern des Fremdkörpers abgegeben haben.
Wittmaack.
487. Baum garten, E., Dozent, Budapest. Ein ZahnrhinoHth in der Nue.
Wiener med. Presse Nr. 1, 1907.
Ein 16 jähriges Mädchen litt seit 2 Jahren an linksseitigem Nasen-
bluten. Bei der Untersuchung fand B. eine harte Prominenz am Boden
des Nasenganges, welche sich als ein verkümmerter, rundlicher Milch-
zahn entpuppte; der ganz schwarze Rhinolith war die Zahnwurzel.
Gleichzeitig lag eine Obliteration der Oberkieferhöhle der gleichen
Seite vor. Wann er.
488. Manasse, Paul, Strassburg (Eis.). Einige FremdkOrperfäUe. Arch. f.
Laryngol. Bd. 19, H. 2.
M. berichtet über zwei Fremdkörperfälle der Luftwege, die bereits
im unterelsässischen Ärzteverein vorgeführt wurden. Der dritte P'all
J
Nase und Nasenrachenraum. 189
betrifft einen Fremdkörper in der Orbita, der eine Fraktur der unteren
Stimhöhlenwand vorgetäuscht hatte. Die Patientin war bei einem Sturz
die Treppe hinab mit der rechten Stirnseite auf eine Flasche gefallen,
die sie im Arme trug. Sie zog sich eine grosse Wunde über
dem Auge zu, die nach kurzer Zeit reaktionslos heilte. Bei der
Operation, die I Monat nach dem Unfall vorgenommen wurde, zeigte
sich, dass die Stirnhöhle intakt war und dass sich in der Orbita ein
grosser und 8 kleine Glassplitter befanden. von Eicken.
489. Daae, Hans, Kristiania. Eigentümliche Gehirnl&sion durch die Nase.
Arch. f. LaryngoL, Bd. XIX, H. 2.
Ein kurzsichtiges Individuum rannte mit grosser Gewalt mit der
Nase gegen die Spitze eines Kegenschirmes, den ihm ein Kamerad,
mit dem er in Streit geraten war, zur Abwehr entgegen hielt. Der
Schirm brach ab und die Spitze wurde von dem Verletzten selbst aus
der Nase gezogen. Zunächst nur leichtes Nasenbluten und Schmerzen
der linken Hälfte des Yorderkopfes. Erblindung des linken Auges.
Erst nach einigen Tagen Fieber und nach und nach Zeichen von
Meningitis. Erst am 12. Tage Exitus. Die Sektion ergab ausser
Meningitis eine Fraktur des Stirnbeins, Siebbeins und Keilbeins; ein
Loch in den Hirnhäuten, im linken Frontallappen bis in den linken
Ventrikel perforierend. Sehr auffallend ist der langsame Verlauf des
Leidens. von Eicken.
490. Link, Ernst, Königsberg. Bemerkungen über das Sklerom nebst Mit-
teilung eines neuen ostpreussischen Falles. Arch. fUr LaryngoL,
Bd. XIX. H. 1.
L. irrt, wenn er glaubt, dass in dem von ihm mitgeteilten Fall
das Bronchoskop zum Absuchen des tieferen Respirationstraktus nach
skleromatösen Veränderungen zum erstenmal benutzt sei. Pieniazek
hat in einer ganzen Reihe von Fällen derart von der Tracheotomie-
wunde aus mit seinen Trachealtrichtern nicht nur die Trachea inspiziert,
sondern auch skleromatöse Wucherungen unter Kontrolle des Auges
abgetragen (conf. Pieniazek: Die Verengerung der Luftwege, Wien,
Franz Dentike, 1901, und Nowotny: Arch. f. LaryngoL, Bd. XVII).
von Eicken.
491. Koch, Fritz, Berlin. Eine gedeckte Fraise zur endonasalen Operation
der Hockemase zwecks Formverbesserung. Arch. für LaryngoL,
Bd. XIX, H, 1.
Beschreibung und Abbildung der Fraise. von Eicken.
190 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
492. Herber, Prof. Kosmetische Nasenoperationen. Deutsche med. Wochen-
schrift Nr. 13, 1907.
Herber hat die operative Behandlung der teils angeborenen, teils
erworbenen Anomalien des Nasengerüstes, die zu Veranstaltung der
äusseren Nase führen, zum Gegenstand eines Vortrages gemacht. Dahin
gehören die Luxation des Septum cartilagineum , die Verschiebungen
zwischen knorpeligem und knöchernem Septum, femer die Nasenhöcker
sowie die excessiv konvexe, die zu breite und die zu lange Nase.
Herber führt alle Operationen nach dem Vorgange von Joseph und
Anderen subkutan mit Hilfe schmaler Messer, Raspatorien, Stichsägen
und Zangen aus, zumeist unter lokaler Anästesie mit Zuhilfenahme von
Adrenalin. Einige Abbildungen illustrieren das Gesagte. Noltenius.
f) Nasenrachenraum.
493. Jehle, L., Wien. Über das Vorkommen des Meningococcus und des
Micrococcus catarrhalis im Nasenrachenraum und DesinfektionsTer-
süche mit Pyocyanase bei diesen Infektionen. Wiener klin. Wochen-
schrift Nr. 1* 1907.
J. fand, dass schon eine relativ sehr geringe Menge unverdünnter
oder verdünnter Pyocyanase genügt, um das Wachstum der Meningo-
kokken zu verhindern ; geringer ist die Wirksamkeit auf das zellreiche
Sekret einer Lumbalpunktionsflüssigkeit. Zur Untersuchung muss man
bis in den Nasenrachenraum, resp. bis an die hintere Rachenwand
vorgehen, da keiner der beiden Infektionserreger in den vorderen
Nasenhöhlen auffindbar ist. Die Mengen der in den Nasenrachenraum
gebrachten Pyocyanase schwankten zwischen 0,5 und 3 cm'*.
Bei Micrococcus cat. wurde nach einmaligem Einträufeln von
Pyocyanase, bei sämtlichen Kindern bis auf eines — bei diesem aber
auch nach 48 Stunden — kein Mikrokokkus mehr gefunden. Auch
die Meningokokken verschwinden fast regelmäfsig aus dem Nasenrachen-
sekret und zwar genügt meist eine 1 — 2 malige Applikation.
Nach J.s Beobachtungen sind die Meningokokken, wenigstens bei
den gesunden Zwischenträgern, nur in den Schleimmassen, nicht in
der Schleimhaut selbst.
Die Wirkung der Pyocyanase war bei Strepto-, Staphylo-, Pneumo-
kokken und bei Bacterium coli eine äusserst geringe oder vollständig
fehlende. Wann er,
494. Kobrak, Franz, Breslau. Traumatische Angina, akutes Exanthem,
Wundscharlach. Arch. f. Laryngol., Bd. XIX, H. 2.
K. hat versucht die Frage, weshalb die Abtragung der Rachen-
Nase und Nasenrachenraum. 191
mandel zuweilen Fieber und Wundinfektion zur Folge hat, auf dem
Wege bakteriologischer Untersuchung und durch das Tierexperiment
m beantworten. Seine Untersuchungen ergaben, dass die Keimzahl und
die Virulenz des Sekretes im Nasenrachenraum vor der Operation meist
grösser als nach derselben ist. Das Operationsterrain ist in den meisten
Fällen arm an Keimen; es hat eine geschützte Lage, der Luftzutritt
und Sekretabfluss sind unbehindert. Es mtlssen also ganz besonders
schwere Infektionsbedingungen gegeben sein, wenn von der Wunde nach
Abtragung der Rachenmandel eine Allgemeininfektion ausgehen soll.
Wir werden der Empfehlung K.s nur beipflichten, der fordert, dass bei
nicht rein schleimigem sondern mehr oder weniger eitrigem Nasensekret
keine Operation vorgenommen wird, bevor nicht längere Zeit hindurch
eine antiseptische Behandlung erfolgt ist und dass man ebenso während
Scharlachepidemieen und anderweitiger Epidemieen akuter Infektions-
krankheiten die Rachenmandel nicht entfernt. von Eicken.
495. Hasslauer, München. Eine seltene Erkrankung der Rachenmandel.
Arch. f. Laiyngol., Bd. XIX, H. 1.
Fall von Herpes der Rachenmandel, der zugleich mit einer Herpes-
Eruption an der Oberlippe und dem Naseneingang auftrat, Nasen-
Verstopfung und Reizerscheinungen an den Augen und Ohren hervorrief
and nach einigen Tagen ohne Funktionsstörung heilte.
von Eicken.
496. Freer, Otto T., Chicago. Nonvelle m^thode d'ablation des y^g^tations
adenoides k travers les fosses nasales. Arch. intemat. d'otol. etc.
1906, S. 367.
Um die adenoiden Vegetationen zu entfernen, führt F. eine von
In g als angegebene Knochenzange durch den unteren Nasengang in
den Retronasalraum ein; der gleichzeitig in den Nasenrachenraum ein-
geführte Zeigefinger der linken Hand kontrolliert die Bewegungen der
Zange und den Gang der Operation. F. glaubt, dass diese Methode
viel sicherer als jede andere vor Recidiven schützt. Die Operation
dauert einige Minuten. Nachträgliche Verwachsung der unteren Muschel
mit dem Septum wurde nur in einem einzigen Falle beobachtet.
Oppikofer.
497. Baurowicz, A., Krakan. Modifikation des Schütz-Passo wachen Pha-
rjngotoms. Arch. f. Laryngol., Bd. XIX, H. 1.
Beschreibung des Instrumentes und seiner Vorzüge.
von Eicken.
192 Beriebt über die Leistungen nnd Fortschritte der Ohrenheilkunde.
498. Barth, Ernst, Berlin. Ein neues Pharynxtonsillotom. Arch. f. LaryngoL,
Bd. XIX, H. 2.
Das Instrument stellt eine Kombination des Beckmannschen nnd
Schützschen Tonsillotoms dar. von Eicken.
Bachen- und Mundhöhle.
499. Trantmann, G., München. Erythema ezsudativurn mnltiforme und
nodosum der Schleimhaut in ihren Beziehungen znr Syphilis. (Nach
einem Vortrag im München, ärztl. Ver.). Manchen, med. Wochen-
schrift, 1906, Nr. 43.
7 Fälle von jahrelang bestehender Lues mit frischen, meist
multipeln Erscheinungen in der Schleimhaut des Mundes, Rachens and
Kehlkopfes, welche ähnlich wie syphilistische Veränderungen aussahen,
aber als Erythema exsudat. multif. angesprochen wurden. Nach Salizyl-
säuretherapie in mehreren Wochen Heilung. Trautmann nimmt an,
dass die Syphilisinfektion die Disposition für das Erythema abgibt.
Scheibe.
500. Uffc norde, W., Göttiugen. Pharyngitis lateralis. Arch. f. Laryngol.
Bd. XIX, H. 1.
Im Gegensatz zu Boenninghaus ist U. der Ansicht, dass die
sogenannte Pharyngitis lateralis nicht auf eine primäre Neuritis, sondern
auf entzündliche Prozesse in den oberen Luftwegen zu beziehen ist.
Die Therapie ist daher gegen die Erkrankung der Schleimhaut zu
richten. von Eicken.
501. Goerke, Max, Breslau. Beiträge zur Pathologie der Tonsillen. V. Kritisches
zur Physiologie der Tonsillen. Arch. f. Laryngol., Bd. XIX, H. 2.
Nach G. stellt der lymphatische Rachenring eine wichtige Abwehr-
vorrichtung des Körpers dar, wofür sowohl die anatomischen, physiolo-
gischen, wie klinischen Tatsachen sprechen. Krankhaft hyperthrophisches
Mandelgewebe muss beseitigt werden. Eine radikale Entfernung aber
ist ausgeschlossen und es bildet sich stets wieder soviel von dem
Gewebe neu, wie für den Körper nötig ist. Erst wenn die Mandeln
keinerlei Funktionen mehr zu erfüllen haben, tritt eine Involution ihres
Gewebes ein. von Eicken.
502. Miodowski, Felix, Breslau. Über das Vorkommen aktinoroycesähnlicher
Körnchen in den Gaumenmandeln. Arch. f. Laryngol., Bd. XIX, H. 2.
M. hat in 147 Gaumenmandeln 12 mal Gebilde gefunden, die den
Aktinomycesdrüsen ähnlich sind. Sie bestehen aus einem radiär an-
geordneten Netzwerk von Haarpilzen, in das Kokkenhaufen eingestreut
Bachen- und Mundhöhle. 193
sind und das von solchen nmgeben ist. Kolben, wie bei Aktinomyces-
drüsen fehlen; die Pilzkompiexe sind grösser als die Aktinomycesdrttsen
ond sind vor allen Dingen nicht pathogen. von Eicken.
503. Chanveaa, C, Paris. Amygdale aberrante en arridre du pilier post^rieur
droit. Arch. intemat. d'otol. etc., Bd. 22, Nr. 3.
Ch. sah bei einem 29 jährigen Patienten rechtsseitig an der hinteren
Pbarynxwand eine taubeneigrosse gestielte und harte Geschwulst. Ge-
stützt auf den mikroskopischen Befund stellte er die Diagnose auf
Yerirrte Mandel. Oppikofer.
504. Henk es, J. C, Amsterdam. Zur Blutstillung nach Tonsillotomie.
M. f. 0., 07, Nr. •->, S. 76.
Henkes Methode beruht auf demselben Prinzip wie die Heermann-
Escatsche, nämlich auf der Vereinigung der beiden Gaumenbögen
über der blutenden Tonsille. Die Vereinigung erfolgt durch Klammern,
die mit besonders hierzu konstruierten Instrumenten anzulegen und
abzmiehmen sind. Einzelheiten müssen im Original nachgesehen werden.
Wittmaack.
505. Baumgarten, E., Docent, Budapest. Speichelstein seltener Grösse und
Recidiv. Wiener med. Presse, Nr. 8, 1907.
Bei einem 45 jährigen Patienten fand sich auf der linken Seite
des Mundbodens eine starke Schwellung, welche sich auf die vordere
Partie der Zunge erstreckte. Sprache unverständlich, starker Speichel-
fluss. Nach Entleerung von Eiter aus der Geschwulst findet sich in
der Tiefe ein grosser Stein mit runder Oberfläche von 2 cm Länge,
1^2 cm Dicke und Breite und 1,28 g Schwere. Derselbe bestand aus
phosphorsaurem Kalk. Der Stein sass an der Vereinigungsstelle von
Ductus Warthonianus und Ductus Bartolini, mehr in ersterem.
Nach 2 Jahren die gleichen Erscheinungen; abermals Entfernung
eines ganz ähnlichen Steines.
506. Kretschmann, Magdeburg. Halsbeschwerden verursacht durch Er-
krankung der Drtlsen des Mundbodens. Arch. f. Laryngol., Bd. XIX, H. 1.
E. fasst die Ergebnisse seiner Abhandlung in folgende Sätze zu-
sammen: 1) Für mannigfache Halsbeschwerden findet sich nicht selten
als Ursache eine pathologische Veränderung der Speicheldrüsen des
Mundbodens. 2) Die Veränderung ist meistenteils entzündlicher Natur,
seltener handelt es sich um einfache Sekretstauung. 3) Die Diagnose
beruht auf Vergrösserung und Empfindlichkeit des Organs, welche sich
mittelst bimanueller Palpation leicht feststellen lässt. 4) Die wirksamste
Zeitachriffc f&r Ohrenheilkonde. Bd. UV. 13
194 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Behandlung der Erkrankung bildet die bimanuelle Massage des Mund-
bodens und der Drüsenkörper. von Eicken.
507. Pappenheim, M. Isolierter halbseitiger Zungenkrampf. Ein Beitrag
zur Jackson sehen Epilepsie. Wiener klin. Wochenschrift, Nr. 6, 1907.
Bei geöffnetem Munde sah man die Zunge sich 30 — 70 mal in
der Minute in der Richtung von links hinten nach rechts vorne hin
und her bewegen. Die Dauer eines Anfalles schwankte zwischen 10 Sek.
und 1 Minute. Synchron mit diesen Zuckungen trat eine Abflachung
des rechten Zungengrundes und eine Verschmälerung der rechten
Zungenhälfte ein; gleichzeitig waren rhythmische Kontraktionen vor-
handen , die den vom Unterkiefer zum Zungenbein ziehenden Muskeln
entsprechen. Auf Brom gingen die Erscheinungen zurück.
Verf. glaubt, dass es sich um eine kortikale Epilepsie in folge
der toxischen Wirkung des Alkohols handelt. Wann er.
•508. Weisz, M., Heilanstalt Alland. Die Kombination von Milchsäurebehandlung
und Sonnenbelichtung bei einem tuberkulösen Geschwüre der Unter-
lippe. Wiener klin. Wochenschrift, Nr. 46, 1906.
In der linken Hälfte der Unterlippe nahe dem Mundwinkel befand
sich ein zirka linsengrosses Geschwür. Dasselbe wurde 3 Monate nach
dem Auftreten zirka 2 Monate lang mit 20 ^Jq Milchsäure ohne wesent-
lichen Erfolg behandelt. Nach einer Pause von 3 Monaten abermals.
Betupfen zuerst mit 25 ^Jq, dann mit 50 ^/^ Milchsäurelösung. Zuletzt
ausserdem Belichtung durch Sonnenlicht, im ganzen 80 Stunden lang;
darauf vollständige Vernarbung des Geschwürs. Wann er.
r
Berichte ttber otologische Oesellschafteu.
Bericht über die Verhandlungen des Dänischen
oto-laryngologischen Vereins.
Von Dr. Jörgen Möller in Kopenhagen.
42. Sitzung vom 24. Oktober 1906.
1. E. Schmiegelow zeigte einen Rhinolithen vor, den er aus
der Nase eines 7 4 jähr. Mannes entfernt hatte. Patient hatte seit 10
bis 20 Jahren eine stinkende Naseneiterung, die seine Angehörigen in
hohem Grade helästigte. Das Konkrement war so fest eingekeilt, dass
es nur in Narkose entfernt werden konnte.
3. P. Tetens Hald: Vergrösserung des spezifischen Ge-
wichts des Eiters hei der akuten Mittelohreiterung als
Indikation zur Aufmeisselung des Warzenfortsatzes.
H. bespricht die Fehlerquellen, welche der von af Forseiles
angegebenen Methode anhaften und erwähnt verschiedene Gründe, wes-
halb es nicht zu erwarten sei, dass die Methode für die Indikations-
stellung von Bedeutung sei. (Der Vortrag wird anderswo in extenso
veröffentlicht.)
Diskussion:
Schmiegelow hat auch gegen die besprochene Methode ein ge-
wisses Misstrauen gehegt und spricht seine Freude aus, dass Dr. Hald
die Fehlerquellen so genau angegeben hat. Er hat selbst einen Fall
gesehen, wo das spezifische Gewicht niemals höher als 1030 war, wo
aber bei der Operation der Warzenfortsatz in hohem Grade destruiert
gefunden wurde und mit Eiter und Granulationen gefüllt war. Übrigens
erscheinen ihm die gewöhnlichen Anhaltspunkte für die Indikations-
stellung ausreichend.
Blegvad macht einige die physikalischen Verhältnisse betreffende
Bemerkungen.
Grönbech hat die Methode nicht versucht, indem er meinte,
man gewänne erst bei der Operation das rechte Material zur Bestimmung
des spezifischen Gewichts des Eiters.
13*
196 Bericht über die Verhandlungen des Dänischen oto-laryngol. Vereins.
43. Sitzung Tom 38. November 1906.
1. Buhl: Fall von primärem Lnpus der Schlnnd-
schleimbaut.
Eine 47 jähr. Frau, deren Mutter an Lungenphthise gelitten hatte,
kam Yor 6 Wochen wegen Schwerhörigkeit zur Behandlung; von Seiten
des Schlundes niemals krankhafte Symptome. An der rechten Seite
des Gaumensegels fand man ein etwa 2 cm grosses, oberflächliches Ge-
schwür von körnigem Aussehen; in der Umgegend vereinzelte Knötchen.
An der Gesichtshaut sowie in der Nasenhöhle nichts Krankhaftes.
Mikroskopische Untersuchung noch nicht vorgenommen.
3. Oottlieb Xjaer: Primärer Krebs des Epipharynx.
Ein 64 jähr. Arbeiter war schon längere Zeit schwerhörig, hatte
ferner rechts starkes pulsierendes Klopfen, jetzt auch bisweilen lanzi-
nierende Schmerzen. Bei der Rhinoskopia posterior sieht man am
Rachendach ein flach - erhabenes , unreines Geschwür mit höckerigem
Rande. Ein Stückchen wird zur Mikroskopie entfernt; dieselbe ergab:
In den Spalträumen reichlicher Auswuchs grosser, polygonaler Zellen,
hie und da geht das Epithel zapfenförraig in die Tiefe. Durch Röntgen-
bestrahlungen hat sich das Geschwür jetzt etwas gereinigt.
5. Gottlieb Ejaer: Rhinoplastik.
Vorstellung eines 25 jähr. Mädchens, an dem im 19. Jahre Rhino-
plastik durch Herabdrehen eines Stirnlappens vorgenommen war; das
kosmetische Resultat war kein gutes, an der Stelle der äusseren Nase
sass ein weicher, abgeplatteter Hautlappen, der nait den Umgebungen
fast völlig verwachsen war, nur rechts bestand eine ganz feine Öffnung,
durch die das Wasser beim Ausspülen des Nasenrachens hervorsickert.
Übrigens ist auch die Oberlippe durch die Narbenbildung etwas evertiert.
Eine Prothese hätte sicher ein weit besseres Resultat gegeben.
44. Sitzung yom 17. Dezember 1906.
2. E. Schmiegelow : Akute linksseitige Mittelohreiter-
ung. — Sinusthrombose. — Operation. — Unterbindung
der Vena jugularis. — Exitus.
Ein 1 ^/4 Jahr altes Kind, das 9 Monate vorher vorübergehenden
Ohrenfluss gehabt, war jetzt seit 8 Tagen krank, Erbrechen, Speise-
verweigerung, Ausfluss stinkenden Eiters Fluktuierende Schwellung
über dem linken Warzenfortsatz. Bei der Operation grosser subperiostaler
Abszess, Knochen von Eiter durchtränkt, weich; perisinuöser Abszess,
Sinuswand durchulzeriert , Sinus selbst von zerfallenden, puriformen
Thrombenmassen gefüllt. Die Vena jugularis wird doppelt unterbunden
und durchgeschnitten, der Sinus bis zur Gegend des Torcular Herophili
ausgeräumt. — Schon an demselben Abend Exitus. — Thrombenmassen
bakteriologisch steril.
Bericht ober die VerhandluDgen des D&nischen oto-larjDgol. Vereins. 197
45. Sitznn^ Tom 23. Januar 1907.
1. E. Schmiegelow stellte zwei Patienten vor:
a) Einen 68 jähr. Mann mit riesigem Papilloma nasi villosum.
Die linke Nasenhälfte sowie die Kieferhöhle von blassroten Geschwulst-
massen ausgefüllt, sodass man nach Umschneiden der Nase und Spaltung
der Oberlippe die vordere Kieferhöhlenwand und den Proc. nasalis
resezieren musste. Die gesamte Geschwalstmasse wog 78 gr. Mikroskopie:
villöses, von Zylinderepithel bekleidetes Papillom.
b) Einen 45 jähr. Mann mit rechtseitigem Hirnabszess.
Epiduraler Abszess in der mittleren Schädelgmbe. Dura fistulös durch-
brochen und im Gehirn ein 4 cm grosser Abszess mit stinkendem Eiter.
Heilung.
2. Holger Mygind leitete eine Diskussion über die Indikationen
zurAufmeisselungdes Warzen forts atz es bei akuter Mittei-
ohreiterung ein. (Wird im Archiv für Ohrenheilkunde in extenso
veröffentlicht werden.)
Diskussion:
Schmiegelow hat bei seinem wesentlich aus Privatpatienten be-
stehenden Material eine geringere Mortalität (3 ^/q), indem er unter
150 während der letzten 5 Jahren behandelten akuten Eiterungen nur
4 Todesfälle hatte.
Bei vorhandenen Hirnsymptomen muss man gleich Totalaufmeisselung
Tomehmen, doch kann man bei Kindern bisweilen auch ohne Auf-
meisselung auskommen. Seh. empfiehlt — namentlich für Landärzte —
die Wildeschelnzision, bei der die Blutung tatsächlich oft günstig wirkt.
Unter den 150 Fällen von Seh. wurde 81 mal Mastoidoperation
vorgenommen; in 18 dieser Fälle bestand kein Ohrenfluss, trotzdem
fand man bei allen 18 Einschmelzung der Zellen. In 13 Fällen hatte
die Eiterung zur Schädelhöhle den Weg gefunden, in 7 dieser Fälle
war das Trommelfell intakt. In 8 der operierten Fälle war der Warzen-
fortsatz bei der äusseren Untersuchung völlig gesund.
Bentzen meint, es sei eher die im späteren Verlauf der Mastoiditis
auftretende diffuse Infiltration des Warzenfortsatzes als die am 7. bis
10. Tage auftretende, die die Operation indiziert; er hat mindestens
4 Fälle gesehen, wo Patienten wegen diffuser Schwellung zur Auf-
meisselung eingeliefert wurden und wo die Infiltration durch Aussaugen
des Eiters aus dem Gehörgange zum Schwinden gebracht wurde.
Yald. Klein macht einige praktische Bemerkungen.
Mygind: Die Wilde sehe Inzision wirkt sicher nur als rein
exspektative Behandlung. M. ist dessen nicht sicher, ob man bei endo-
kraniellen Komplikationen die einfache oder die Totalaufmeisselung vor-
nehmen soll ; bei der Meningitis kann man sich wohl mit dex einfachen
Aufmeisselung begnügen, während man bei Hirnabszess Totalaufmeisselung
vornehmen muss.
198 Bericht über die 16. Versaminl. der Deutsch, otol. Gesellschaft in Bremen.
Bericht über die sechszehnte Versammlung der
Deutschen otologischen Gesellschaft in Bremen
am 17. und i8. Mai 1907.
Von Dr. J. Hogener in Heidelberg.
Die Versammlung fand unter dem Vorsitz von Herrn Passow- Berlin
statt. Sie wurde eröffnet durch Begrüssungsansprachen der anwesenden Vertreter
des Hohen Senates, der Bremischen Medizinalbehörden, des Bremer Ärzte-
vereins und des Herrn Kollegen Wink 1er, der zusammen mit Herrn Noltenius
die Gesellschaft nach Bremen eingeladen und alles in vortrefflichster Weise
vorbereitet hatte. Nachdem der Vorsitzende für die warmen Begrüssungs-
worte herzlich gedankt hatte, begann der wissenschaftliche Teil mit der Be-
sprechung der beiden Keferate, die bereits vorher den Mitgliedern zugestellt
worden waren.
1. Hr. A. Hartmann (Berlin): Kommissionsbericht Über die Methode
der Ohruntersuchung bei Schulkindern.
Die Untersuchung auf Schwerhörigkeit kann in eine Voruntersuchung
und eine ohrenärztliche Untersuchung zerfallen. Die letztere hat den Zweck,
den Grad der Schwerhörigkeit, die Ursache, die Art der Erkrankung und
die Möglichkeit der Heilung festzustellen. Etwa die Hälfte der Schwer-
hörigen kann durch rechtzeitige Behandlung gebessert oder geheilt werden.
Die Prüfung der Schwerhörigkeit erfolgt durch beliebige, in flüsterndem Tone,
ohne besondere Betonung gesprochene Worte. Das nicht geprüfte Ohr muss
von einer dritten Person verschlossen werden. Die Kinder sind einzuteilen
in stark schwerhörige, wenn sie auf dem besser hörenden Ohre ^/2 m weit
und weniger, in mittelstark schwerhörige, ^/o — 3 m weit, leicht schwerhörige,
wenn sie 3— 8 m weit Flüsterstimme hören. — Die Aufgabe der Schule
bezüglich der schwerhörigen Kinder wird erörtert und ein besonderer Personal-
bogen für Schwerhörige empfohlen.
Diskussion: Hr. Wanner (München) empfiehlt die Untersuchungen
nach akuten Infektionskrankheiten zu wiederholen. — Hr. Siebenmann
(Basel) schlägt vor bei ungenügender Assistenz den Gehörgang mit feuchter
Watte zu verschliessen.
Die Versammlung beschliesst, Abdrücke dieses Koramissionsberichtes an
die Oberschulbehörden der Bundesstaaten zu übersenden.
2. Hr. Kümmel (Heidelberg): Über die Bakteriologie der akuten
Mittelohrentzündung.
Die zahlreichen bisherigen Untersuchungen des Sekretes bei akuten
Mittelohrentzündungen ermöglichen wegen der Ungleichart igkeit des aus-
gewählten Materials und der angewendeten Methoden bisher noch kein ab-
schliessendes Urteil über die relative Häufigkeit der einzelnen Entzündungs-
erreger; neue Untersuchungen mit gleichartiger Methodik etc. sind deshalb
wünschenswert. Nach einem Bericht über das, was von der Bakterienflora
des Gehörgangs, der Tube und der Paukenhöhle im normalen Zustande be-
kannt ist, gibt K. die Resultate der Untf^rsuchungen wieder, die Süpfle im
Heidelberger hygienischen Institut an fast 200 Otitisföllen der Heidelberger
Ohrenklinik angestellt hat. Neben 14 Fällen von sterilem sog. Transsudat
Bericht über die 16. Versamml. der Deutsch, otol. Gesellschaft in Bremen. 199
and 13 Fällen, in denen das Sekret von Otitiden im Frahstadium akuter
allgemeiner Infektionskrankheiten sich steril erwies, wurden in 144 Fällen
Mikroorganismen gefunden. Referent stellt daraufhin folgende Schlussätze auf:
1. Von den im Referat wiedergegebenen, in Heidelberg beobachteten
Mittelohrentzündungen waren rund 66 ^/q durch Streptoc. pyogenes, rund
17 '^'o durch den Str. lanceolatus, rund 11 ^/^ durch den Str. mucosus,
schliesslich rund 6 ®. ,^ durch den Microc. pyogenes aureus und albus hervor-
gerufen. Die durch Bact. pyocyaneum verursachten Otitiden sind nicht ganz
einwandsfrei.
2. Eine ähnliche Verteilung der Entzündungserreger darf nicht ohne
weiteres als gültig für andere Gegenden und andere Zeiten angesehen
werden. Jedoch ist das in der Literatur zumeist betonte starke Überwiegen
der Otitiden mit Str. lanceolatus wahrscheinlich dadurch bedingt, dass von
diesen die beiden anderen Streptokokkeuarten nicht immer mit genügender
Schärfe bakteriologisch gesondert wurden, speziell der Str. mucosus den
meisten früheren Untersuchern noch nicht bekannt sein konnte.
3. Der grösste Teil der Lanceolatus-Otitiden entfällt auf die ersten
beiden, vor allem das erste Lebensdecennium , die aber auch an den Fällen
mit Str. pyogenes besonders stark beteiligt sind.
4. Der Verlauf der Otitis hängt von der Natur der ursächlichen Ent-
zündungserreger insofern ab, als die Otitiden mit Microc. pyog. aureus und
albus nie, die mit Streptoc. lanceolatus nur selten und unter ganz besonderen
Umständen, fast immer dann im kindlichen Alter, eine Operation notwendig
machen. Bei den Otitiden mit Str. pyogenes ist die Wahrscheinlichkeit, dass
ein Eingriff notwendig wird, etwa 1:3, bei denen mit Str. mucosus etwa 1:1.
5. Die Staphylokokkenotitiden neigen dagegen, soweit das kleine
Material Schlüsse erlaubt, ein wenig zu verschlepptem Verlauf, und es ist
möglich, dass die häufige Beimengung der Staphylokokken zu anderen Ent-
zündungserregern bei verschleppten Otitiden an dieser Verlaufsart die Schuld
tragt. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass bei einem aus anderer Ursache
verschleppten Verlaufe die Staphylokokken als Saprophyten in das Sekret
der Otitis einwandern.
6. Chronischwerden einer akuten Otitis ist jedenfalls keine not-
wendige Folge der Anwesenheit von Staphylokokken in dem Si'kret.
7. Der den Otitiden mit Str. lanceolatus von vielen Seiten zugeschriebene
*cyklische Ablauf« konnte nur bei solchen Fällen beobachtet werden, die
Beben der Otitis noch anderweitige Lokalisationen, wahrscheinlich des gleichen
Entzündungserregers, zeigten.
8. Dem Str. mucosus scheint, auch nach den Erfahrungen anderer,
eine grosse Fähigk.eit zu Knochenzerstörungeu zuzukommen, die nicht selten
erst relativ spät in die Erscheinung treten, manchmal trotz Ausheilung der
Otitis selbst. Diese Eigentümlichkeit ist von früheren Untersuchern dem
Str. lanceolatus wohl irrtümlich zur Last gelegt worden, weil sie ihn nicht
von dem Str. mucosus differenzieren konnten.
9. Die Verlaufsweise hängt aber nicht allein von der Art der Ent-
zündungserreger ab, sondern auch von Eigentümlichkeiten, die im Patienten
selbst liegen, die uns aber nur zum kleinsten Teil bekannt sind.
10. Eine dieser Eigentümlichkeiten ist die individuelle Beschaffenheit
der Verbindung zwischen Epitympanum und Mesotympanum : eine freie Ver-
bindung zwischen beiden gibt bessere Aussichten auf Heilung der Otitis ohne
200 Bericht über die 16. Versamml. der Deutsch, otol. Gesellschaft in Bremen.
chirurgisches Eingreifen. Dei Unterschied in der Verlaufsweise der sog. epi-
und mesotyropanalen Otitiden tritt am deutlichsten bei den Fällen mit Str.
pyogenes hervor, insofern fast alle zur Operation gelangenden Fälle den epi-
tympanalen Typus aufweisen. Eine sichere pathologisch-anatomische Unterlage
für diese Sonderung fehlt aber bisher.
11. Ausserdem scheint es, als ob der Invasionsweg der EntzOndnngs-
erreger, je nachdem eine salpingogene oder hämatogene Otitis vorliegt, die
Yerlaufsweise insofern beeinflusst, als die hämatogenen Infektionen mehr das
Bild einer schweren Allgemeinerkrankung darbieten und dabei auch leichter
die Hohlräume des Warzenfortsatzes intensiv miterkranken. Unsere Kennt-
nisse in bezug auf die Invasionswege der Entzündungserreger bei Otitis sind
aber noch unzureichend.
12. Sog. sekundäre Otitiden können anscheinend manchmal zunächst
ohne Beteiligung von Mikroorganismen, also wahrscheinlich durch toxische
Einwirkungen entstehen, entweder ohne Dazutreteu von organisierten Ent-
zündungserregern rasch ausheilen oder nachträglich mit solchen infiziert werden
und dann wie andere Otitiden verlaufen.
3. Herr Denker (Erlangen) : über bakteriologische Untersuchungen bei
akuter Mittelohreiterung.
D. hat das dem eröffneten Proc. mastoideus entnommene Sekret von
29 in seiner Klinik operierten akuten Warzenfortsatzempyemen im Erlanger
bakteriologischen Institut sorgfältig untersuchen lassen. Das Ergebnis der
Untersuchungen war folgendes: Als Eitererreger wurden gefunden der
Streptococcus pyogenes in 62,1 ®/q, der Streptococcus mucosus
in 13,8 ®/q, der Staphylococcus pyogenes in 17,2 ®/^, gram-
beständige Diplokokken, die sich nach ihren Eigenschaften weder
unter die Streptokokken, noch unter die Staphylokokken einreihen Hessen, in
6,9% der FäUe.
Der Diplococcus pneumoniae fehlte gänzlich, obgleich unter
den Operierten sich 9 Kinder befanden.
Verglichen mit den Kümmel-Süpf leschen Resultaten zeigt sich,
dass die Häuügkeit des Vorkommens von Streptococcus pyogenes und
Staphylococcus mucosus bei beiden üntersuchuugsreihen fast die
gleiche ist.
Der Staphylococcus pyogenes wurde in Erlangen annähernd
doppelt so häufig als in Heidelberg festgestellt.
Sehr auffallend ist das Fehlen von Pneumokokken in D.s Fällen, die
bisher besonders bei Kindern als häufig vorkommende Eitererreger angesehen
wurden. Auch Kümmel-Süpfle fanden sie noch in 18,61% sämtlicher
von ihnen untersuchten Sekretproben. Wenn man aber bei den Heidelberger
Untersuchungen nur die Resultate in Betracht zieht, welche gewonnen wurden
ausschliesslich bei dem dem Warzenfortsatz entnommenen Eiter, so ergibt
sich, dass auch dort nur in 2 Fällen Pneumokokken gefunden wurden.
Und in diesen beiden Fällen, welche an Meningitis zu Grunde gingen,
wurden in der Lumbalpunktionsflüssigkeit resp. im Drüsenabszesseiter auch
Streptokokken gefunden.
In gleicher Weise geht demnach aus den Heidelberger und Erlanger
Untersuchungsergebnissen hervor, .dass der Diplococcus pneumoniae
bei akuten Warzenfortsatzempyemen nur in seltenen Fällen
als der eigentliche Krankheitserreger angesehen werden darf»
Bericht über die 16. Versamml. der Deutsch, otol. Gesellschaft in Bremen. 201
4. Herr Fr. Kobrak (Breslaa): Erreger und Wege der Infektion bei
der akuten Otitis media.
K. fasst die Ergebnisse seiner Untersuchungen in den folgenden Schluss-
sätzen zusammen.
1. Die Entwicklung der im Mittelohr zur Invasion gelangten Erreger
kann, ebenso wie klinisch in einer mehr oder weniger prägnant charakteri-
sierten Allgemeinreaktion, bakteriologisch im Verhalten des Blutes zum Aus-
druck kommen. Positive Blutbefunde zeigen nur solche Fälle, in denen aus-
geprägte Allgemeinerscheinungen den Mittelohrprozess begleiten.
2. Im Blute sind die Erreger selbst nur in einem kleinen Prozentsatz
auch der schweren Fälle nachweisbar. Die Fälle mit positivem Blutbefund
sind durch einen mehr oder weniger pyämischen Verlaufstypus charakterisiert.
Am häufigsten sind bei Otitiden, welche durch Strept. longus bedingt sind,
nur ausnahmsweise bei Infektionen mit Strept. mucosus, Pneumococcus oder
Staphylococcus aureus, die Erreger in der Blutbahn nachzuweisen.
3. Nur bei einer verhältnismäfsig kleinen Anzahl akuter Mittelohr-
entzündungen ist eine deutliche Serumreaktion — Agglutination der aus dem
Ohrsekret gezüchteten Erreger durch das Serum der Kranken — nachweisbar.
Das Agglutinationsphänomen stellt sich besonders bei Pneumokokkenotitiden
ein. Es scheint zur Schwere der Infektion und zur zyklischen Form des
Erankheitsablaufs in Beziehung zu stehen. Andere Serumreaktionen waren
bisher im Serum der von akuter Mittelohrentzündung betroffenen Individuen
nicht nachweisbar.
4. Tiervirulenz der Erreger der Mittelohrentzündung und Schwere der
durch die Erreger hervorgerufenen Infektion beim befallenen Individuum zeigen
kein korrespondierendes Verhalten.
5. Unter den Verlaufsformen der akuten Mittelohrentzündung scheint,
nach Mafsgabe der bisher gewonnenen Befunde, die zyklische Form am
häufigsten durch den Pneumococcus, eine mehr protrahierte (meist pyämisch-
septische) Form überwiegend durch den Strept. longus und eine »Intervall-
form« durch den Strept. mucosus bedingt zu sein. Diese letztere Form, bei
der zwischen der ersten Attacke der Otitis media und der später zutage
tretenden Komplikation kein kontinuierlicher Übergang sich vollzieht, sondern
ein mehr oder weniger freies Intervall liegt, kommt dadurch zustande, dass
die Infektion die Tendenz hat, im Primärherde entweder unmittelbar oder
nach wiederholten Schüben abzulaufen, während sie in den Nachbargebieten,
zunächst latent fortschreitet.
6. Die Ergebnisse der bisherigen bakteriologischen Untersuchungen recht-
fertigen zunächst folgende praktische Schlussfolgerungen:
a) Auch Streptokokken-Bakteriämie nach akuter Mittelohrentzündung
scheint — nach dem bisherigen Ergebnis der Untersuchungen in der Hälfte
der Fälle — der Heilung zugänglich zu sein.
b) Bei otogener Sepsis spricht Abnahme der Kolonienzahl im Blut und
der Hämolyse durchaus nicht ohne weiteres für eine günstige; schnelle Zu-
nahme der Keimzahl und der Hämolyse, aber immer für eine ungünstige
Prognose.
c) Mucosusbefunde mahnen zu weiterer Beobachtung der Kranken auch
nach scheinbarem Abklingen der ersten Attacke im Mittelohr.
202 Bericht über die 16. Versamuil. der Deutsch, atol. Gesellschaft in Bremen.
5. Herr H. Neumann (Wien) : Zur Bakteriologie der aicuten Mittelohr-
eiterungen.
N. hält für die Entstehung der Komplikationen bei akuter Otitis
die Art der ursächlichen Eutzündungserreger für wenig bedeutungsvoll, misst
vielmehr der pneumatischen Struktur des Warzenfortsatzes die wesentliche
Bedeutung dafür bei. Dagegen verschulden die Kapselkokken wesentlich
leichter als die nicht kapseltragenden ein Fortkriechen des Entzündungs-
prozesses in die Umgebung, und insofern erscheint die Art der Eutzündungs-
erreger von grosser Bedeutung für den Verlauf dieser Komplikationen.
6. Herr Wittmaack (Greifswald) : Zur Bakteriologie der akuten Mittel-
ohrentzündung.
Die durch den typischen Diplokokkus hervorgerufenen Entzündungen
verlaufen am schnellsten und leichtesten. W^ betont die weit grössere
Häufigkeit der Mastoiditiden bei Mukosusinfektionen und die Neigung dieses
Entzündungserregers, Extraduralabszesse u. dgl. zu produzieren, auch wenn
in der Paukenhöhle die Entzündung relativ leicht abläuft, hält deshalb seinen
Nachweis für klinisch sehr wichtig. Rotfärbung der Kapseln mit Thionin
ermöglicht oft schon ohne Kultur verfahren die Unterscheidung des Strept
mucosus vom Lanceolatus und pyogenes.
Diskussion zu 2 — 6: Herr Scheibe (München): Während froher
bei Aufmeisselungen von uns der Streptoc. pyog. in der Minderzahl gefunden
wurde, ist er jetzt fast ausnahmslos vorhanden. Es ist also mit der Zeit ein
Wechsel eingetreten. Seh. wundert sich, dass Kümmel keinerlei Influenza-
bazillen gefunden hat.
Herr Siebenmann (Basel): Kümmel hat gesagt, dass wir mit der
Bakteriologie der Eiterungen noch nicht weit gekommen sind. Ich glaube,
dass künftige Forscher die Süpfle sehe Arbeit ebenso verwerfen werden, wie
Süpfle es mit den früheren gemacht hat. Bis zur Gewinnung einer brauch-
baren Grundlage wird noch geraume Zeit vergehen. S. ist bei bakt. Unter-
suchungen in seiner Klinik ebenfalls ein auffallender Wechsel in der Gruppe
der Streptokokken aufgefallen, je nach Jahren, sogar je nach dem Assistenten,
oder Leiter der betreffenden Untersuchungen.
Herr Leutert (Giessen): Ergibt die Blutuntersuchung im Jugularisblut
positiven Bakterienbefund, während Blut aus der Armvene keine Bakterien
enthält, so handelt es sich um Sinus- resp. Bulbuserkrankung.
Herr Win ekler (Bremen): Der Streptokokkus liefert die schwersten
Erkrankungen. Er ist zu gewissen Zeiten und bei gewissen Epidemien häufiger
der Erreger, z. B. bei Scharlach. Bei solchen leicht zu allgemeiner Sepsis
führenden Streptok.-Infektionen empfiehlt W. ein energisches Vorgehen mit
Streptok. -Serum.
Herr R. Hoffmann (Dresden) verfügt über Untersuchungen von
30 akuten Empyemen des Warzenteils, bei der Operation entnommen. Es
fanden sich 10 mal Streptokokken, 9 mal Staphylokokken, 8 mal Diplokokken
(7 mal Fränkel), 1 mal Strepto- und Staphylokokken, 1 mal wahrscheinlich,
Imal sicher Sterilität. 23 Fälle waren genuin, 7 sekundär.
Herr Joöl (Görbersdorf ) : Ihm ist gelungen bei typischen tuberkulösen
Mittelohrentzündungen im Anfang stets Tuberkelbazillen nachzuweisen. Später
gelang es nicht mehr.
Bericht über die 16. Versamml. der Deatsch. otol. Gesellschaft in Bremen. 203
Herr Da hm er (Posen) ist nach seinen Erfahrungen der Ansicht, dass
sich Zeit, Gelegenheit uad Ort wohl vereinigen, um eine besondere Virulenz
henrorzarafen. Er bespricht einen Fall, bei dem es sich nach seiner Ansicht
nach dem Lumbalpunktat zuerst um Meningitis serosa handelte und nachher
eine typische epidemische Meningitis einstellte.
Herr Eflmmel (Heidelberg) Schlusswort: Es hat sich ergeben, dass
Streptoc. lanceol. nur in ganz besonderen Fällen zu operativen Komplikationen
führt. Das Material von Eobrak entstammt nur schweren Fällen. Das
mikroskopische Bild hilft nur bei einer Anzahl von Fällen, um Mucosus-
Befund sicherzustellen, oft ffihrt aber nur die Kultur zum Ziele. Die Erfolge
Wie c kl er s mit Streptokokken-Seri^m sind ermunternd. Bei den Leutert-
schen Angaben ist noch zu fragen, ob es sich da um einen vereinzelten Be-
fand handelt, man raüsste sich dann vor zuweitgehenden Schlüssen hüten,
denn die im Blute kreisenden Streptokokken können sehr wohl in einer Vene
zahlreich, in der andern spärlich sein.
7. Herr Hermann Dennert (Berlin): Akustisch-physiologische Unter-
suchungen, das Gehörorgan betreffend.
Obgleich sich experimentell zeigen lässt, dass der Schall auf allen drei
in Frage kommenden Wegen, dem Paukenhöhlenapparat, dem Knochen, speziell
dem Promontorium, auch dem runden Fenster ins Labyrinth gelangt, so ist
physikalisch der Paukenhöhlenapparat am zweckmäfsigsten für diese Aufgabe
TOD der Natur entwickelt und kommt ihm auch der Hauptanteil für die
Schallübertragung zu. In bezug auf den Modus der Schallübertragung durch
denselben stehen sich zwei Theorien gegenüber, die molekulare von Job.
Müller und den vergleichenden Anatomen und die massale von Ed. Weber.
Die Schallübertragung auf molekularem Wege macht nach den vom Verfasser
mitgeteilten Untersuchungen, sobald man Resonatoren im Ohr voraussetzt,
keine physikalischen Schwierigkeiten, da die Vibrationen schwingender Körper
oder Systeme sich vom Orte ihrer Entstehung mehr oder weniger durch jedes
Medium fortpflanzen und, wo sie auf ihrem Wege auf einen Körper gleicher
Schwingungsperiode mit der der Erreger der Schwingungen stossen, diesen
in demselben Sinne erregen müssen. Die Hauptschwierigkeit liege darin, zu
entscheiden, ob der molekulare Modus der einzig mögliche Weg der Schall-
fibertragung ist, oder ob nicht der massale Vorgang der zweckmäfsigere sei.
Dann könnten sich auch beide Vorgänge, der molekulare und der massale,
miteinander kombinieren. Zur Lösung dieser jedenfalls schwierigsten Aufgabe
der ganzen Frage der Schallübertragung wird man sich zuerst klar werden
müssen über das Wesen molekularer und massaler Schwingungsvorgängo, dann
müsse man die Wirkungen molekular und massal schwingender Körper und
Systeme auf kleine Flüssigkeitsmengen, so klein, wie sie den flüssigen Inhalt
des Labyrinths bilden, studieren, und drittens wird es sich darum handeln,
diese Wirkungen auf kleine Flüssigkeiten zu deuten und für die in Rede
stehende Frage zu verwerten. Es ist dem Vortragenden nun als sehr wich-
tiges Ergebnis der Untersuchungen durch Beobachtung der Wirkungen massal
schwingender Körper und Systeme auf kleine Flüssigkeitsmengen gelungen,
ein wohl charakterisiertes. Reagens für solche Schwingungsvorgänge zu finden,
das je nach der Wahl schwingender Körper oder Systeme und je nach der
Bewegungsgrösse und der Intensität der Schwingungen derselben ein ver-
schiedenes Verhalten zeigt. Durch Verwertung dieser Momente und der
objektiven experimentellen Wahrnehmungen der Wirkungen der Schwingungs-
204 Bericht über die 16. Versaraml. der Deutsch, otol. Gesellschaft in Bremen.
Vorgänge im Tropfen Flüssigkeit auf Resonatoren, wie die kritische Be-
leuchtung der Einrichtungen im Gehörorgan für diese Frage und , der ein-
schlägigen Beobachtungen an Ohrenkranken kommt er zu dem Schlüsse, dass
die massalen Wirkungen der Schallbewegungen in bezug auf den Hörakt
accidentelle Erscheinungen sind, die, wenn sie von grosser Intensität sind,
auf das Ohr schädlich wirken, bei mäfsiger Intensität, wie sie gewöhnlich
unser Ohr treffen, durch Einrichtungen im Ohr eliminiert werden. Es mass
somit die Theorie von Ed. Weber, wonach der Vorgang der Schallüber-
tragung ein massaler sei, als nicht zu Recht bestehend angesehen werden;
dagegen sprechen alle Momente dafür, dass der normale Vorgang beim Hören
ein molekularer ist.
8. Herr Karl L Schaefer (Berlin): Ober neuere Untersuchungen zu-
gunsten der H el m h Ol tz sehen Resonanzhypothese.
Die Helmholtz sehe Resonanzhypothese ist in den letzten Dezennien
namentlich auf dem Gebiete der sekundären Klangerscheinungen vielfach leb-
haft angegriffen worden. Vortr. setzt für die verschiedenen Arten der sekun-
dären Klangerscheinungen, d. h. für die Schwebungen, die Kombi nationstöne,
die Variationstöne und die ünterbrechungstöne, im einzelnen auseinander, von
wem und welche Einwände gegen Helmholtz erhoben wurden, und erörtert
Punkt für Punkt die Gründe, sowie die Beobachtungen, die zur Entkräftung
dieser Einwände ins Feld zu führen sind. Redner selbst hat, zumeist im
Verein mit 0. Abraham, eine Reihe von Untersuchungen verschiedener
Art über diesen Gegenstand ausgeführt und kommt zu dem Resultate, dass
die Resonanzhypothese allen erwähnten Anfechtungen Stand hält.
Diskussion: Herr Dennert.
9. Herr Wagener (Berlin): Kristalle und Riesenzellenbildung bei Mittelohr-
eiterungen.
Bei der Ausheilung von Warzen fortsatzeiterungen, die ohne Operation
zur Resorption gelangen, kommt es häufig zur Bildung von Cholestearin-
kristallen im eingedickten Eiter. Um diese ordnet sich das Bindegewebe in
bestimmter Forn an, häufig unter Bildung von Riesenzellen. Es ist dies ein
typischer Heilungsvorgang von soj^enannten Warzenfortsatzempyemen.
Diskussion: Herr Siebenmann: Bei chronischer Eiterung speziell
bei Cholesteatom sind kleine Epidermiseinschlüsse von Riesenzellen umgeben
häufig. — Herr Manasse hat einen ähnlichen Vorgang in einer vereiterten
Kieferzyste beobachtet. — Herr Brieger: In Ohrpolypen sind umwachsene
Kristalle sehr häufig.
10. Herr Manasse (Strassburg) : Demonstration eines Falles von an-
geborenem Defekt der Ohrmuschel.
Es handelt sich um die seltene Missbildung von totaler angeborener
linksseitiger Anotie ; dabei bestand kongenitale beiderseitige Taubheit. Genauere
Untersuchung steht noch aus.
Diskussion: Herr Kretschmann zeigt die Photographie eines
Falles von Ohrmissbildung mit Fazialislähmung.
11. Herr Dahmer (Posen): Die Trockenbehandlung der akuten und
chronischen perforativen Mittelohrentzündung.
Ausführliche Schilderung der verschiedenen Arten der Behandlung nach
erfolgter Perforation. Er lässt einen gestielten Ohrtampon einführen. Dieser
besteht aus einem vorne paraffinierten Buchsbaumstäbchen, das mit einem
Bericltt über die 16. VeTsammL der Deatsch. otol. Gesellschaft in Bremen. 205
Gazestreifen spiralig so umwickelt Ist, dass vorne ein pinselartiges Stück
flbersteht. Das Stäbeben wird nach Einführen des Tampons herausgezogen.
Die Kapillarität der Gaze soll jede Sekretansammlang vermeiden.
12. Herr Reichet (Bremen): Bericht über 60 nach Killians Methode
ausgeführte Radikaloperationen bei Nebenhtthleneiterung.
Er erhielt auf Umfrage bei 60 in der Nolteniusscfaen Klinik bisher
nach Killian operierten Patienten von 50 Auskunft. Eine Anzahl der Fälle
wird vorgestellt. R. macht darauf aufmerksam, dass zur Erlangung durchweg
guter Erfolge eine reiche Erfahrung in der Technik gehört. Im Anfang be-
friedigten deshalb einige Fälle nicht, leider gelangten auch 2 zum Exitus
durch hinzugetretene Meningitis. Von den 50 Patienten, über die Auskunft
zn erhalten war, war der Erfolg in Bezug auf Kopfschmerzen und Sekretion
bei 2 Patienten nicht befriedigend, bei 14 leidlich und bei 34 sehr gut.
Doppeltsehen trat anfänglich öfter auf, verschwand aber gewöhnlich nach
jiurzer Zeit. Deformationen, die bei den neueren Operationen vermieden
werden konnten, machten in 4 Fällen Paraftininjektionen erforderlich. Es
wird eine ziemlich breite (bis 1 cm bei grossen Höhlen) horizontale Knochen-
spange gebildet. Noltenius empfiehlt noch einige andere Modifikationen
der ursprünglichen Killian sehen Vorschrift. Nach der Operation wird ein
abgebogenes Glasdrain eingelegt, der Hautschnitt mit Mi c heischen Klammern
geschlossen. Zur Narkose wird eine kleine Mundmaske benutzt.
Diskussion: Herr W i n c k 1 e r (Bremen) : Hält eine Universaloperation
wie die Killiansche in einer anatomisch so variabelen Gegend für nicht
richtig. Er hat eine osteoplastische Operation angegeben, die natürlich auch
Dicht für alle Fälle (z. B. breite Ausdehnung der Orbitalzellen) sich eignet.
(Demonstration von Tafeln.) Die Stirnhöhle wird dabei nicht verödet, die
Schleimhaut ist ja nicht das Gefährliche, sondern die Siebbeinzellen. W.
demonstriert noch eine Patientin, bei der akute Nekrose der Kieferhöhle,
beider Stirnhöhlen, oberer und unterer Orbitalwand einen ausgedehnten Ein-
griff nötig gemacht hatten.
Herr Kretschmann (Magdeburg) empfiehlt zur Narkose die Intubation
nach Kuhn. Er hat in letzter Zeit die erkrankte Stirnhöhleuschleimhaut
nicht mehr entfernt, sondern den freigelegten Sack gespalten, tamponiert und
Restitution abgewartet bei möglichst offener Wundbehandlung.
Herr R. Hoff mann (Dresden): Die Paraffinprothesen sind sehr un-
sicher. Bei grosser und tiefer Stirnhöhle empfiehlt er temporäre Resektion
der vorderen Wand, die Winckl ersehe Methode scheint ihm etwas kompliziert.
Herr Voss (Königsberg) ist mit Killian immer ausgekommen, selbst
bei sehr ausgedehnten Höhlen.
Herr Noltenius (Bremen) hält die Win ekler sehe Operation nicht
für eine Verbesserung. Die Spange muss möglichst breit angelegt werden,
ist die Stirnhöhle klein wird von unten ausgekratzt, ist sie gross auch oben
eröffnet. Die untere Öffnung muss soweit wie möglich sein. Er ist stets mit
Killian ausgekommen.
Herr E.Hopmann(Cöln) empfiehlt mit Kretschmann die perorale Tubage.
Herr Eschweiler (Bonn) hat seine Patienten überredet, sich keine
Paraffinprothesen machen zu lassen.
Herr Pause (Dresden) empfiehlt statt der peroralen Tubage durch ein
Nasenloch zu narkotisieren.
206 Bericht über die 16. VerBamnil. der Deutsch, otol. Gesellschaft in Bremen.
Herr Passow (Berlin): Je weniger man von aussen operieren mnss,
um so besser. Es ist zu viel von aussen operiert worden.
13. Herr ROpke (Solingen): über die Osteomyelitis des Stirnbeins im
Anschluss an StirnhOlileneiterung und Über ihre intracraniellen Folge-
erl(ranl(ungen.
Die Osteomyelitis des Stirnbeins im Anschluss an Stirnhöhleneiterung
ist eine seltene Erkrankung, bis jetzt sind nur 13 Fälle in der Literatur
beschrieben worden. Vortragender berichtet über weitere 3 Fälle, welche
er beobachtet hat: In dem ersten Falle (eine 23jährige Dame) wurde der
Osteomyelitisherd durch Abmeisselung der erkrankten Partie des Stirnbeins,
begrenzt. Patientin starb an Abszess des Stirnlappens, der leider erst im
Terminalstadium (nach Durchbruch in den Seiten Ventrikel ?) operativ eröffnet
worden war. Der Himabszess hatte sich vor der Operation des durch
Eiterretention in der Stirnhöhle entstandenen Knochenprozesses entwickelt.
Der zweite Fall betraf einen ebenfalls 23 Jahre alten Studenten: die
Infektion der abnorm dicken Diploöschicht der vorderen Stirnhöhlenwand war
bei dem luetischen Patienten fünf Wochen nach Abtragung der vorderen
Wand der Stirnhöhle erfolgt. Breite Abmeisselung des erkrankten Stirnbeins
auf der linken Seite bis an den Haaransatz (2 Operationen). Tod an
Durchbruch eines rechtsseitigen Stirnlappenabszesses in die Meningen
und in den Seitenventrikel. Der Abszess war operativ eröffnet worden, als
er sich durch Parese des linken Facialis und der linken Extremitäten aa-
gedeutet hatte. Der Abszess hatte eine dicke Abszessmembran, nnd seine
Entstehung war nicht mit dem auch in diesem Falle durch die Operation
abgegrenzten Osteomyelitisherd in Zusammenhang zu bringen. In dem dritten
Falle (26 jähriger Gelbgiesser) war der Verlauf günstig. Die Osteomyelitis
beschränkte sich auf die beiderseitige, eine dicke Diploeschicht enthaltenden,
vorderen Stirnhöhlenwände.
In seinem Resümee verweist Vortragender auf die umfassenden Arbeiten,
welche Schilling (Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. 48, Supplementheft)
und Guisez (Annales des mal. de Toreille, 1906, p. 600) über diesen
Gegenstand veröffentlicht haben.
14. Herr Escilweiler (Bonn): Demonstration von Präparaten der
Sclileimliaut bei akuter und clironischer NebenhifhIenentzUndung.
15. Herr Brieger (Breslau): Zur Patliologie der otogenen Pyämie.
Wandständige Thrombosen werden zur Erklärung derjenigen Fälle
herangezogen, in denen in Sinus und Bulbus ausgedehntere, sog. obturierende
Thrombosen vermisst werden. Sie dürfen aber, selbst dann, wenn ihr Vor-
handensein einwandsfrei nachgewiesen ist, nicht ohne weiteres für Entstehung
und Fortdauer der Allgemeininfektion verantwortlich gemacht werden. Klinische
Befunde sind nur dann beweisend, wenn die Anwesenheit eines Thrombus
nicht aus immer unsicheren Eindrücken geschlossen, sondern in dem nach
Meier-Whiting abgeklemmten Sinus direkt nachgewiesen wird . Anatomische
Befunde sind einwandsfrei nur dann, wenn ein Thrombus von solcher Be-
schaffenheit gefunden wird, dass man annehmen kann, er habe nicht nur den
Eintritt der Bakterien in die Blutbahn vermittelt, sondern auch die
pyämische Allgemeininfektion weiter unterhalten. Man begegnet aber
auch in Fällen ganz florider metastasierender Pyämie Thromben in so vor-
geschrittener Organisation, dass sie das zum Fortbestand der Allgemeininfektion
Beriebt Über die 16. Yersamml. der Deutscb. otol. Gesellscbaft in Bremen. 207
Dötige Infektionsmaterial scbwerlich liefern könnten. In diesen Fällen mass
mit direkter, d. b. nicbt darcb Tbromben vermittelter, Einfuhr der Erreger
in die Blutbahn gerechnet werden Für diese Vorstellung sprechen auch die
Bakterienbefunde im Blut. Man hat, wenn man die Ergebnisse dieser
Untersuchungen bei Pyfimie nach akuten und chronischen Mittelohreiterungen
vergleicht, mit der für die Erklärung des klinischen Bildes der sogenannten
Osteophlebitis-Pyämie wesentlichen Möglichkeit zu rechnen, dass bei ersteren
Formen nicht aus dem Thrombus immer wieder frisch eingeschwemmte Er-
reger, sondern in der Blutbahn kreisende, vielleicht in dieser sich verviel-
fältigende Erreger die Hauptrolle spielen. Bei der Therapie ist die
Möglichkeit zu berücksichtigen, dass bei der Pyämie nach akuten Eiterungen
SiDQsthrombose ganz fehlen oder, wenn sie zunächst bestand, für den Fort-
bestand der pyämischen Erscheinungen, insbesondere die Metastasenbildung,
nicht diejenige ausschliessliche Bedeutung besitzt, die dazu berechtigte, solche
Fälle immer, auch ohne besondere Indikation, am Sinus anzugreiten.
16. Herr H. Neumann (Wien): Ein Instrument zur ErKffnung des
Bulbus venae jugularis.
N. führt einen mit einer Giglisäge armierten Nelaton-Katheter nach
Eröffnung der V. jugularis bis in den freigelegten Sinus durch, oder um-
gekehrt, sägt dann die äussere Knochenspange des For. jugulare von innen
nach aussen durch.
17. Herr H. Rudeloff (Magdeburg): Demonstration eines Operations-
stuhles.
18. Herr R. Hoffmann (Dresden) demonstriert Präparate von einem
in Heilung begriffenen Hirnabzess (Details im Original), ferner eine stereo-
skopische Aufnahme von einem Hirnabszess mit Balgkapsel.
19. Herr Hegener (Heidelberg): Demonstrationen zur Lehre vom
Hirnabszess.
a. Solitärer Abszess der rechten motorischen Rindenregion, entstanden
Ton einer Sinusphlebitis aus, durch Fortleitung in der Troll ard sehen Vene,
b. Nicht operierter Kleinhirnabszess neben Sinusphlebitis nnd Labyrinthitis;
Abszess und Phlebitis wahi-scheinlich entstanden durch Vermittelung des
Saccnlus endolymphaticus, c. Kleinhirnabszess nach Labyrinthitis, wahr-
scheinlich entstanden aus einer toxischen Meningo-Encephalitis. d. Photo-
graphien einer trotz breiter Abszesseröffnung etc. durch 2^1^ Monate dauernd
progressiven Vereiterung der Grosshirnhemisphäre, die schliesslich zum Tode
durch Atmungslähmung, nicht Meningitis, führte.
Diskussion zu 18/19: Herr Manasse (Strassburg) : Demonstriert
Zeichnung zu einem von Hegener erwähnten Fall von transitorischer Aphasie
und Agraphie, die die thrombosierte Vene deutlich zeigt. Er bespricht kurz
einen Fall von diagnostiziertem rechtsseitigen Kleinhirnabszess, entstanden
8 Monate nach Ausräumung eines linksseitigen intraduralen Abszesses.
Herr Siebenmann (Basel) fragt Herrn Wagner, ob er daran ge-
zweifelt, dass es sich im He gener sehen Falle um ein Empyem, des Saccnlus
endolymphaticus handelt. Ein Fall seiner Klinik, von Boesch publiziert,
war diesem auffallend ähnlich. Er wendet sich scharf gegen Wagener, der
diesen Fall nicht als beweiskräftig fttr ein Sacculus-Empyem ansieht.
Herr Wagen er ist nicht anwesend.
208 Bericht über die 16. Versamml. der Deutach. otol. Gesellachaft in Bremen.
Herr Lange (Berlin): Der Fall von Wagener sah genau aus. wie
der von Hegen er demonstrierte und erwies sich mikroskopisch nicht als
Sacculus-Empyem.
Herr Siebenmann betont, dass im Fall Boesch Eiter im Labyrinth,
im Aquaeductus nachgewiesen sei, der Sacculus war zerfetzt.
Herr H. Neumann (Wien): Es ist nicht möglich von einer so kleinen
Öffnung, wie demonstriert, genügend zu drainieren.
Herr Kümmel (Heidelberg): Der eine Abszess ist erst nachträglich
gefunden, der drainierte ist vollständig und dauernd entleert.
20. Herr Oppikofer (Basel): Untersuchungen der Nase zur Zeit der
Menses, der Schwangerschaft und unter der Geburt.
Wie Freund und Zacharias hat auch 0. bei seinen Untersuchungen
an schwangeren Frauen nicht selten Veränderungen im Naseninneren gefunden.
Im Gegensatze zu den beiden Autoren möchte aber 0. diese Veränderungen
(Hyperämie und leichte Hypertrophien der Schleimhaut) nicht als wirkliche
intranasale Graviditätsveränderungen auffassen. Leichte pathologische Ver-
änderungen sind auch in der Nasenhöhle häu6g und haben mit der Schwanger-
schaft als solcher nichts zu tun.
Die Angabe von Freund, dass bei Frauen unter der Geburt zuweilen
kurz vor Eintritt einer Wehe die Nasenschleimhaut anschwillt, kann 0. nicht
bestätigen. Der enge Zusammenhang zwischen Nase und Genitalorgan unter
der Geburt, wie Freund ihn schildert, besteht nicht.
Endlich hat 0. auch Frauen zur Zeit der Menses untersucht. Die An-
gabe, dass die Muscheln regelmäfsig in dieser Zeit anschwellen, kann für die
überwiegende Mehrzahl der Fälle nicht bestätigt werden. Dass die
Schleimhaut zur Zeit der Menses leicht blutet oder in besonderem Grade aof
Sonderberührung schmerzhaft empfindlich ist, hat 0. in keinem seiner Fälle
beobachtet. Als Regel darf aufgestellt werden, dass ein normales Naseninnere
zur Zeit der Menstruation sich nicht verändert.
Diskussion: Behrendt, Pause.
21 Herr Bäriny (Wien): Zur Theorie des Nystagmus.
B. demonstriert ein Schema, in welchem auf Grund physiologischer und
pathologischer Beobachtungen die Hirnbahnen für den Nystagmus dargestellt
Bind. Die Hauptsache liegt darin, dass nur die langsame Bewegung des
Nystagmus vestibulär ausgelöst erscheint, die rasche Bewegung aber vom
supranucleären Blickzentrum ausgeht. Durch leichte Narkose kann man die
rasche Bewegung des Nystagmus zugleich mit der Willkürbewegung lähmen,
während die langsame Bewegung noch bestehen bleibt. Bei Lähmung im
Bereiche des Blickzentrums konstatierte B. auf vestibuläre Reizung lediglich
langsame Augenbewegungen, während der Nystagmus vollständig fehlte (zwei
klinische Beobachtungen). B. schlägt für diese Art der Lähmung den Namen
supranucleäre Ophthalmoplegie vor, im Gegensalz zur nucleären Ophthalmoplegie
einerseits, zur PseudoOphthalmoplegie Wernickes andererseits.
22. Herr Voss (Königsberg in Pr.): Die Radiologie in der Ohren-
heilkunde.
Nach einem geschichtlichen Rückblick auf die bisherigen Versuche,
röntgenologische Untersuchungen des Gehörorgans vorzunehmen, hebt V. die
Notwendigkeit und das Aussichtsvolle derartiger Untersuchungen an der
Hand einer grösseren Reihe von Radiogrammen hervor, die teils am Präparat,
Beriebt über die 16. Vergamml. der Deutsch, otol. Gesellschaft in Bremen. 209
teils am Lebenden gewonnen sind. Von ersteren sind es namentlich
stereoskopische Aufnahmen im Wheatston eschen Spiegelstereoskop, durch
die eine hervorragende plastische Wirkung erzielt wird. Vortragender emp-
fiehlt deshalb diese Methode als ganz besonders geeignet, um das Röntgen-
verfahren zu einem immer brauchbareren Faktor des obren ärztlichen Arma-
mentariums in anatomischer und diagnostischer Hinsicht auszugestalten.
23. Herr M. Wassermann (München): Die Bedeutung des Röntgen-
verfahrens fUr die Diagnose der Kieferhöhlen-, Siebbein- und Stirnhöhlen-
erl(rankungen.
W. empfiehlt die Anwendung des Röntgenverfahrens für den Überblick
erkrankter Nebenhöhlen als zuverlässige Methode, in sicherer und schnellerer
Weise als bisher den Erkrankungsherd zu finden. Vor allem gelingt mittels
des Skiagramms die oft schwierige Differentialdiagnose zwischen Stirnhöhlen-
eitemng und Siebbeinerkrankung oder Kombination beider am 1. Tage unserer
Behandlung, während bei den bisherigen Methoden oft wochenlange Beob-
achtung notwendig war und bei enger Nase manchmal überhaupt nicht zum
Ziele führte. In allen Fällen zeigten sich die Anhaltspunkte, die durch das
Röntgen verfahren gegeben waren, als wertvoll, insofern der positive Eiter-
befund und die pathologisch verdickte Schleimhaut don operativen Eingriff
als gerechtfertigt erwies. Aber nicht nur hinsichtlich der Wahl des Eingriffs,
sondern auch hinsichtlich der Methode, namentlich der Stirnhöhlenoperationen,
ist das Verfahren von Wichtigkeit. Die Aufnahmen sind aber auch berufen,
unsere Operationsresultate zu kontrollieren, insofern sich bei Heilungen wieder
Aufhellungen früher erwiesener Trübungen zeigen.
24. Herr WInckler (Bremen): Rttntgenauf nahmen der Warzenfortsatz-
gegend.
W. zeigt, dass man aus Röntgenaufnahmen in occipito-frontaler, wie
auch in transversaler Richtung prognostisch wichtige Schlüsse über die Lage
des Sinus, die Dicke des Tegmen tympani, die pneumatische, spongiöse oder
kompakte Beschaffenheit des Warzen fortsatzes ziehen kann und dass unter
günstigen Umständen sogar Sequester nachweisbar sind. Auch Abszesse,
namentlich des Schläfenlappens, sollen mittelst Röntgenstrahlen vor der Ope-
ration untersucht werden.
25. Herr A. Hartmann (Berlin) demonstriert einen kleinen Instru-
mentenschrank und ein einfaches Phantom für rhiuologische, |
laryngologische und bronchoskopische Übungen. !
26. Herr Siebenmann (Basel): Ober Osteomyelitistaubheit. (In diesem |
Bande der Zeitschrift veröffentlicht.) ^
27. Herr Siebenmann (Basel): Demonstration von Taubstummen- j
labyrinthen.
S. zeigt Präparate und Abbildungen von 'anatomischen Labyrinth- j
Veränderungen, welche er in Vorhof und Schnecke gefunden hat bei einem .
an Retinitis pigmentosa leidenden, von Prof. Lemcke während des ^
Lebens geprüften Taubstummen. Diese Veränderungen sind bisher noch nicht i
beschrieben worden, aber auf Grund der funktionellen Prüfungsergebnisse bei
einer kleinen Zahl derartiger Taubstummer hat Bezold, wie S. nachweist,
richtig vorausgesagt, welcher Art diese anatomischen Störungen sein dürften. ;
Bas Mitergriffensein des statischen Apparates charakterisiert diese Gruppe der
mit Retinitis pigmentosa kombinierten Form von Taubheit.
ZetUehrift Ar ObrenheUknnde. Bd. LIV. 14,
210 Bericht über die 16. Versamml. der Deutsch, otol. Gesellschaft in Bremen.
28. Herr Wittmaack (Greifswald): Ober Schädigungen des Gehttrorgans
durch Schalleinwirkung. (In diesem Bande der Zeitschrift veröffentlicht.)
29. Herr Eschweiler (Bonn): Demonstration zur pathologischen Histo-
logie des Taubstummenohres.
Das Präparat entspricht dem Typus des von Alexander in der
Anatomie der Taubstummheit mitgeteilten Falles.
30. Herr R. Panse (Dresden-N.) : Was kOnnen wir im histologischen
Präparat des inneren Ohres als sicher krankhafte Veränderungen be-
trachten?
P. nennt als sicher krankhaft: im Knochen Fehlen des Malleolus, Re-
sorption durch Osteoblasten, Apposition durch Osteoblasten, Bildung von
Spangen und Ausfüllung vorgebildeter Hohlräume mit Knochen oder Binde-
gewebe, Blut, Eiter, Exsudat mit Fibrin. Bakterien. Im häutigen Labyrinth
muss man mit der Deutung von Formveränderungen der Häute und Zellen
äusserst vorsichtig sein. Ausser obigen Krankheitsstoffen ist Kolloid sicher
krankhaft. Verschiebung der Ansätze der Membr. Reissneri beweist Er-
weiterung des Ductus cochlearis, bei Veränderungen der Papille ist nur bei
deutlich erhaltenen Kern- und Zellgrenzen Fäulnis und Kunsterzeugnis aus-
zuschliessen. An den Nerven ist in den Knochenkanälen Querschnitts-
verroinderung Beweis für Atrophie; im Akustikusstamm auch Folge von
Zerrung bei Herausnahme des Gehirns. Ganglion spirale zeigt in der Basis
öfters spärliche Zellen als Zeichen seniler Atrophie. Nervenförbung infolge
Fäulnis und der Säuren unsicher.
31. Herr Voss (Königsberg): Wodurch entsteht der Nystagmus bei
einseitiger Labyrinthverletzung?
Mitteilung der Beobachtung eines Falles, in dem bei nachgewiesener
Unerregbarkeit eines Labyrinthes, infolge einer Verletzung des änderen, vorher
erregbaren Labyrinthes Nystagmus nach der unverletzten Seite hin auftrat
V. erörtert die verschiedenen Möglichkeiten, die diesfalls für die Entstehung
des Nystagmus in Betracht kommen.
32. Herr Bäräny (Wien): Untersuchungen über das Verhalten des
Vestibularapparates bei Kopftraumen und ihre praktische Bedeutung.
B. bespricht die Untersuchung des Vestibularapparates bei traumaUschen
Fällen mit Schwindel. Er verfügt über \0 derartige, genau beobachtete
Fälle. Bei der Untersuchung wird zunächst eine genaue Anamnese erhoben,
die besonders auf die Art des Schwindels eingeht. Sodann wird auf spon-
tanen, rhythmischen Nystagmus in den Endstellungen der Augen untersucht.
Nur stärkere Grade desselben bei intaktem Sehorgan haben eine klinische
Bedeutung, geringere Grade sind auch bei Normalen häufig. Von grosser
Wichtigkeit ist die Beobachtung von Nystagmusanfällen mit Schwindel bei
raschen Kopfbewegungen (Rückwärtsneigen des Kopfes, Bücken etc.). B. konnte
in der Hälfte seiner Fälle dadurch die Angaben seiner Patienten verifizieren.
Drittens wird der Nystagmus und Schwindel bei Drehung auf dem Drehstuhl
untersucht. Hier ist die Identifikation des experimentellen Schwindels mit
dem spontan auftretenden von Bedeutung. Diese Identifikation erfolgt in der
Regel bis ins kleinste Detail bei Hervorrufung des rotatorischen Nystagmus,
entsprechend der Tatsache, dass auch der spontane Schwindel von rota-
torischem Nystagmus begleitet ist. Viertens empfiehlt B. neuerdings die Unter-
suchung der GegenroUnng der Augen für diese Fälle (cf. Archiv f. Ohren-
Bericht fiber die 16. VersamiDl. der Deutsch, otol. Gesellschaft in Bremen. 211
heilk., 1906). Am Schlosse macht B. einen terminologischen Vorschlag. Er
legt die Verwirrung dar, die durch den Gebrauch der Namen M^ni Presche
Krankheit, Menier escher Sjmptomenkomplex, Pseudomeniere etc. in der
Ohren- und Nervenheilkunde gestiftet wurde, indem heterogene Zustände mit
ähnlichem oder gleichem Namen bezeichnet wurden, und schlägt die Be-
zeichnung vestibuläre Erkrankung mit Angabe des Sitzes und der Art der
Erkrankung vor.
33. Herr Neumann (Wien): Über zirkumskripte Labyrintheiterung.
N. unterscheidet sowohl bei den diffusen wie bei den zirkumskripten
Labyrinthitiden die manifesten und die latenten Formen. Vorhandensein oder
Fehlen des spontanen Nystagmus (bei Blick nach der ohrkranken bezw. der
ohrgesunden Seite), der Erregbarkeit des Vestibularapparates, der Hörfunktion
geben, eventuell im Zusammenhalt mit dem Befunde an der Labyrinthwand
bei der Eröffnung der Mittelohrräume, nach N.s Erfahrungen zuverlässige
Anhaltspunkte dafür, ob eine einfache Radikaloperation bezw. konservative
Behandlung am Platze oder die Eröffnung der Labyrinthräume im Anschluss
an die Radikaloperation indiziert ist. Wegen der Details muss auf die aus-
ftthrliche Mitteilung in den »Verhandlungen der Deutschen otologischen Ge-
sellschaft« verwiesen werden.
Die folgenden beiden Vorträge konnten aus Zeitmangel nicht mehr ge-
halten werden; sie erscheinen aber in den Verhandlungen d. D. o. G.
34. Herr Stimme! (Leipzig): Zur Behandlung der chronischen Otitis
media durch Saughyperämie nach Bier.
Während St. mit Hyperämie durch Halsvenenkomprcssion keine wesent-
lichen Erfolge hatte und die Saugstauung bei akuter und subakuter Otitis
media perforativa bald aufgab, kann er über sehr günstige Erfolge berichten,
die durch längere Zeit fortgesetzte Saugstauung bei einer Anzahl nicht sehr
veralteter chronischer Otitiden erzielte. Natürlich wurden nur solche Fälle
dieser Behandlung unterworfen, bei welchen zur Zeit noch keine gefahr-
drohenden Symptome bestanden. Es wurde neben promptem Zurückgang von
Eiterung und Foetor häufig wesentliche Hörbesserung beobachtet.
Die Zahl der einzelnen Saugstauungen, die 15 Minuten nicht über-
schritten und jeden zweiten bis dritten Tag zur Anwendung kamen, betrug im
hartnäckigsten Falle 35, im günstigsten 5.
35. Herr Reinhard (Cöln): Ein Fall von Gonokokken-Otitis.
14tägiges Kind mit ßlenorrhoe der Augen leidet an rechtsseitiger Otitis
media. Im Ohreiter wurden Gonokokken nachgewiesen. Trockenbehandlung
ohne Erfolg. Ausspülen mit Kaliumpermanganatlösung, Reinigen und Instillation
von 1®/q Protargol brachten schnelle Heilung.
In der Geschäftssitzung wurde als Ort der nächstjährigen Versammlung
Heidelberg gewählt; dem Vorstaude wurde überlassen, eventuell nach Unter-
handlung mit dem Verein Süddeutscher Laryngologen den Zeitpunkt so zu
verschieben, dass der Besuch beider Versammlungen erleichtert werde. Als
Vorstandsmitglied an Stelle des verstorbenen Reinhard- Duisburg wurde
A. Hartman n-Berlin gewählt
Die Mitgliederzahl beträgt jetzt 381. Die Präsenzliste wies 98 Namen
auf Die Gesellschaft hat auch in diesem Jahre ein neues Heft des Werkes
über die Anatomie der Taubstummheit herausgegeben, das zwei Abhandlungen
von Schwabach -Berlin und Denker- Erlangen enthält.
^
212 Bericht über die Sitzung der Österreich, otol. Gesellsch. y, 24. Juni 1907.
Bericht über die Sitzung der österreichischen
otologischen Gesellschaft vom 24. Juni 1907,
Vorsitzender: Prof. ürbantschitsch.
Schriftführer: Doz. Frey.
1. Dr. E. Ürbantschitsch demonstriert einen nahezu geheilten Fall von
Radikaloperation mit Stehenlassen der Gehttricnttchelchen und des Trommel-
felles. Hörweite vor der Operation für die Uhr a. c, nach der Operation 25 cm.
2. Doz. Alt stellt mehrere Fälle mit „tamponloser'' Nachbehandlung vor.
Diskussion: Doz. Alexander bemerkt, dass an der Klinik Hofrat
Politzers seit vielen Jahren ohne Tamponade behandelt werde; nach dem
3. oder 4. Verbandwechsel» wird der Patient angewiesen, das Ohr mit Per-
hydrol, später mit Borspiritus mehrmals täglich zu reinigen, und einen kurzen,
sterilen Gazestreifen einzuführen. Von Ätzmitteln und dem scharfen Löffel
wird nur äusserst selten Gebrauch gemacht. Vorzügliche Resultate ergibt
ein Aufenthalt im Süden. Alexander bezeichnet diese Methode als Nach-
behandlung mit exakter Drainage.
Dr. Ruttiu hat die Erfahrung gemacht, dass sich in einzelnen Fällen
ohne Tamponade leicht Septen bilden, wie in einem der vorgestellten Fälle.
Doz. Frey bemerkt, dass ohne Tamponade der Raum des Antrums
sich wesentlich verkleinere.
Doz. Neumann hat von jeher den Standpunkt eingenommen, dass
Medikamente und Verbandstoffe keinen wesentlichen Einfluss auf die Epi-
dermisation üben. Die Hauptsache ist, dass bei der Operation alles krank-
hafte entfernt werde, namentlich, dass das Labyrinth gesund sei. Im allgemeinen
bedürfe man der Tamponade nicht; nur wenn sich Nischen bilden, oder der
Gehörgang sich trichterförmig verengere, sei dies notwendig.
Doz. Frey und Alt halten die Bildung von Nischen und die trichter-
förmige Verengerung des Gehörgangs für kein Unglück..
Prof. ürbantschitsch bemerkt, dass in 4 Fällen Dr. Bondy die
tamponlose Nachbehandlung ausgeführt habe, 3 heilten anstandslos, in einem
war er gezwungen, die allzureichlich sich bildenden Granulationen auszukratzen.
3. Doz. Frey demonstriert makroskopische und mikroskopische Präparate
von einem Anencephalus.
Mit Ausnahme einer Verminderung der Ganglienzellen im Ganglion
Scarpae und Ganglion spirale fand sich keine wesentliche Anomalie im Gehör-
organ. Die bei den bisher beschriebenen Fällen gefundenen Entwicklungs-
störungen des Gehörorganes sind daher als zufällige Missbildungen zu betrachten.
4. Doz. Frey demonstriert Schädel und Gehirn eines Falles von multiplen
Sarkomen, deren eines die linke Pyramide grösstenteils zerstört hatte.
5. Doz. Neumann stellt einen Mann mit Sinusthrombose und Labyrinth-
eiterung vor, bei welchem er wegen schlechter Narkose die typische Labyrinth-
operation nicht sofort vornehmen konnte; vor der Operation bestand bereits
Fazialisparese, die wahrscheinlich durch Sequesterdruck bedingt ist und ver-
mutlich zurückgegangen wäre, wenn die typische Labyrinthoperation ausgeführt
Bericht über die Sitzung der Österreich, otol. Gesellsch. v. 24. Juni 1907. 213
worden wäre. Dafür spricht ein zweiter Fall (Sjähriges Kind), bei welchem
eine 4 Wochen alte Fazialislähmung einen Tag nach der Radikal- und
Labyrinthoperation zurückging. Bei der Labyrinthotomie wurde ein grosser
Sequester entfernt.
6. Doz. Neumann stellt eine Frau mit Labyrinthftstel bei akuter Otitis
Tor. Das Labyrinth ist durch Ausspritzen mit kaltem Wasser erregbar, bei
Kompression und Aspiration im äussern Gehörgang tritt Nystagmus auf.
7. Dr. Bäräny macht Mitteilung von zwei neuen Nystagmusphänomenen.
Dreht man eine Versuchsperson bei aufrechter Kopfstellung 10 mal nach
links, so entsteht bekanntlich beim Anhalten ein horizontaler Nystagmus nach
rechts, der meist 30—45 Sekunden anhält. Dann sind die Augen wieder in
Ruhe. Dreht man die Versuchsperson 20 oder 30 mal nach links, so dauert
der Nach-Nystagmus nach rechts kürzere Zeit als nach 10 maliger Drehung,
und nach Beendigung desselben tritt ein sehr kleinschlägiger, oft eine Minute
dauernder Nystagmus nach links auf. Diese Beobachtungen sind bei Be-
nützung der von Dr. Barany eingeführten undurchsichtigen Brille mit Blick
gradans gewonnen. Ein analoger, aber nur aus 2 — 3 Schlägen bestehender
Nacb-nach- Nystagmus tritt auch nach 20 — 30 maligem Drehen beim rotatorischen
und vertikalen Nystagmus auf. Dr. Bä,rany hält diesen 2. Nachnystagmus
für eine Art Nachbild im Sinne Dr. Abels, jedenfalls aber für zentral aus-
gelöst. In 2 Fällen mit zirkumskripter Erkrankung des Labyrinths beobachtete
Dr. Bdräny beim Aufsetzen einer stark angeschlagenen Stimmgabel auf den
Warzenfortsatz das Auftreten von rotatorischem Nystagmus. Dieser trat auch
aof, wenn die (sehr tiefe) Stimmgabel nicht gehört wurde und beruht ver-
mutlich auf der mechanischen Erschütterung der Nervenendstellen.
8. Dr. Bäräny demonstriert ein kleines Instrument zur Beobachtung
des rotatorischen Nystagmus nach Drehen und Ausspritzen; es besteht aus
einer Stirnbinde , an welcher ein zirka 30 cm langes Stäbchen , das eine
Fixationsmarke trägt, befestigt ist; das Stäbchen ist in der Horizontal ebene
drehbar und fixierbar. Hat man z. B. einen Patienten mit spontanem rota-
torischen Nystagmus nach links, bei dem die Reaktion des rechten Ohres für
kaltes Wasser festgestellt werden soll, so setzt man dem Patienten die Stirn-
binde auf und gibt dem Stäbchen eine solche Stellung, dass Patient bei
Fixation der Maske gerade keinen Nystagmus zeigt; die geringste Reaktion
beim Ausspritzen wird dadurch deutlich. Dr. Robert Barany.
^
Besprechungen.
Sur les suppurations du Labyrinthe consöcutives aux
lösions purulentes de roreille moyenne. Pax le Professeur
G. Gradenigo de Turin. Traduction par M. Menier.
Paris, Librairie J. B. Baillifere et fils, 1906.
Die vorliegende Monographie (187 Seiten) enthält eine sehr eiD-
gehende Beschreibung der Labyrintheiterungen mit Verwertung zahl-
reicher eigener Beobachtungen. H.
Klinik der Bronchoskopie von Dr. Hermann von
Schrötter in Wien. Mit 4 Tafeln und 72 Abbildungen
im Texte. Verlag von Gustav Fischer in Jena, 1906.
Die Bronchoskopie ist von dem Verf. in ausführlichster und sorg-
fältigster Weise bearbeitet (688 Seiten) und kann jedem, der sich mit
Bronchoskopie befasst, als vortrefflicher Wegweiser dienen. Die Aus-
stattung des Buches ist sehr gut. H.
Some points in the Surgical Anatomy of the
Temporal Bone from birth to adult life. Von Arthur
H. Cheatle. London, J. & A. Churchill, 1907.
Cheatles Veröffentlichung ist mit 112 nach photographischen
Aufnahmen sehr schön wiedergegebenen Abbildungen des SchläfenbeiDS
geschmückt, an welchem die für chirurgische Eingriffe wichtigen Ver-
hältnisse zu ersehen sind. Die beigefügten Erläuterungen sind kurz
gefasst. H.
Faoh- und Personalnachrichteii.
In den Ergebnissen der allgemeinen Pathologie und patho-
logischen Anatomie des Menschen und der Tiere X. Jahrgang,
Ergänzungsband, herausgegeben von Prof. Lnbarsch und Prof. Ostertag,
wurde die Pathologie des Ohres von Rudolf Pause, Dresden-Neustadt,
bearbeitet.
Im XII. Band der Veröffentlichungen aus dem Egl. Museum
fOrVölkerkunde (Sammlung B a e s s 1 e r, Schädel von polynesischen Inseln)
hebt von Luschan die Verdienste der Ohrenärzte um die Nomenklatur der
Ohrgegend hervor. Die Spina supra meatum (B e z o 1 d), die Fossa mastoidea
finden Anerkennung, ebenso dass »die ungeschickte und zweideutige Bezeichnung«
der gerade bei polynesischen Schädeln sehr häufig vorkommenden Verlängerung
der oberen Kante des Jochbogens nach hinten als Linea temporalis durch die
viel passendere Bezeichnung Crista temporalis ersetzt wurde. H.
Die medizinische Fakultät in Rostock empfiehlt den Studierenden in
dem neu revidierten > Studienplan«, an dem Kursus der Oto-, Rhino- und
Laryngoskopie bereits im ersten klinischen Semester teilzunehmen, damit sie
die Klinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkranke bereits in den mittleren
klinischen Semestern belegen können. Es soll hierdurch einer allzustarken
Arbeitshäufung in den letzten Semestern vorgebeugt werden.
Nachdem die Professoren Körner- Rostock und Denk er- Erlangen
Berufungen als Leiter der Ohrenabteilung des städtischen Krankenhauses in
Frankfurt a. M. abgelehnt hatten, wurde die Stelle dem Privatdozenten und
Titularprofessor Stabsarzt Dr. Voss in Königsberg übertragen.
Prof. Kil Hau- Freiburg wurde zum Ehrenmitglied der American
laryngological, rhinological and otological Society und der American medical
Association ernannt.
216 Fach- und PersoDalnachrichteD.
An der Universität Wien hat sich Dr. Neu mann als Privatdozent ftr
Ohrenheilkunde habilitiert.
Prof. Zaufal in Prag feierte am 12. Juli seinen 70. Geburtstag. Wir
glauben im Namen aller Ohrenärzte zu sprechen, wenn wir dem um die Ohren-
heilkunde hochverdienten Forscher unsere herzlichsten Glückwtlnsche zu seinem
Jubeltage aussprechen. Die bahnbrechenden Arbeiten Z auf als nehmen einen
dauernden Ehrenplatz auf dem Forschungsgebiete der Rhinologie und Otologie
ein. Seine Arbeiten über vordere und hintere Rhinoskopie, über Ozäna, über
die Eadikaloperation , Sinusthrombose, über die Bakterien der Mittelohr-
entzündung legten den Grund für viele andere Arbeiten.
Die Bescheidenheit und Selbstlosigkeit Z auf als ist daran schuld, dass
ihm zu der jetzigen Feier keine grösseren Ovationen dargebracht werden, die
er in erster Linie verdient hätte. Red.
Dni«k Too O^rl Kitter. G. m b. H., in WiMbadra.
F. R. Nager: Beiträge zur Histologie etc. 217
XL
Aus der otolaryngologischen Universitäts-Klinik Basel,
Direktor Prof. Dr. F. Siebenmann.
Beiträge zur Histologie der erworbenen
Taubstummheit.
Von Dr. F. B. Nager,
I. Amstontra der Klinik.
Mit 6 Abbildungen auf Tafel XIV -XIX.
I. Taubstummheit nach Masernmeningitis.
Taubstummheit infolge Meningitis nach Masern ist sehr
selten. Ein hierher gehöriger Fall konnte von uns funktionell und
anatomisch genau untersucht werden ; da er auch klinisch vor, während
und nach der Ertaubung in sorgfältiger Weise beobachtet worden ist,
kommt ihm eine besondere Bedeutung zu.
Die betreifenden Felsenbeine verdanken wir der Liebenswürdigkeit
von Herrn Professor Hagenbach, Vorsteher des hiesigen Kinderspitals.
Den verschiedenen Krankengeschichten entnehmen wir folgende
Angaben :
A. Fritz, geb. 8. V. 1897, gest. 29. IV. 1903.
In der Familienanamnese keine für Schwerhörigkeit etc. belastende
Momente: die noch lebenden 5 Kinder sind gesund, ein älteres
Schwesterchen starb laut Sektionsbefund an Erstickung infolge Aspiration
einer Ascaris. Der Knabe selbst war seit der Geburt schwächlich und
oft krank. Im 1. Jahre litt er an Rhachitis mit ausgedehnter Furunku-
lose und lernte erst mit 2 Jahren gehen. Mit 3 Jahren, im Januar
1900, wurde uns das Kind wegen behinderter Nasenatmung in die
otolaryngologische Poliklinik zugeführt. Wenn des Alters wegen auch
keine sehr ausführliche funktionelle Prüfung angestellt werden konnte,
so ergeht aus unserem poliklinischen Journale und den Angaben der
Eltern hervor, dass das Kind zu dieser Zeit ordentlich hörte; die
Sprache war noch nicht ganz vollkommen, jedoch kannte es die Be-
zeichnungen für alle Gegenstände seiner Umgebung und sprach sie
durchaus richtig aus. Es wurden damals das beidseitige Vorhandensein
eines leichten katarrhalischen Tubenabschlusses und als dessen Ursache
adenoide Vegetationen festgestellt, sowie die Abtragung der letzteren vor-
genommen. Noch in der Rekonvaleszenz nach der Operation acquirierte
der Knabe die Masern von seinen Geschwistern. Die Infektion schien
durchaus normal abzuklingen, es bestand nur noch eine leichte Bronchitis,
als plötzlich das Kind unter meningitischen Erscheinungen von neuem
ganz schwer erkrankte: tiefer Sopor mit Unruhe, Aufschreien, hohe
Zeitsclirin fbr OhrenbeUlruade. Bd. LIV. 15
218 F. B. Naf^er: Beiträge zur Histologie
Temperaturen und Pulszahlen, Nackenstarre etc. Aus der Kranken-
geschichte der allgemeinen Poliklinik (Direktor Prof. Dr. F. Egg er),
die uns in freundlicher Weise zur Verfügung gestellt war, geht mit
Sicherheit hervor, dass eine Meningitis vorlag. Daneben bestand
eine Angina. Erst nach 14 Tagen kehrte das Bewusstsein zurück und
damit begann die Genesung; vorübergehend war auch eine Schwellung
des Ellbogengelenkes festgestellt worden. Während der Kekonvaleszenz
bemerkten die Eltern, dass der Knabe auf Anrufen garnicht
mehr reagierte, durch diese Erkrankung hatte er das
Gehör vollkommen verloren. Es dauerte auch längere Zeit, bis er
wieder gehen konnte. Im Juni des gleichen Jahres stellte Prof. Sieben-
mann bei einer Konsultation vollkommene Taubheit fest: Wegen des
noch immer bestehenden Tubenabschlusses wurde das Kind in unsere
Klinik aufgenommen, die Paracentese ausgeführt und ein Transsudat
entleert; nach der Luftdusche war das Trommelfell beiderseits in
normaler Stellung. Mehrfache genaue Untersuchung ergab, dass absolute
Taubheit vorlag: alle Schallquellen, Sprache, Stimmgabeln, Pfeifen
wurden nicht perzipicrt. Eine besondere Prüfung des Yestibularapparates
ist entsprechend dem damaligen Stand der Untersuchungsmethoden nicht
durchgeführt worden. Noch im gleichen Jahre erkrankte das Kind
mehrfach, so an Urticaria, lacunärer Angina und Bronchopneumonie.
Drei Jahre später erlitt der Knabe auf der Strasse einen schweren
Unfall : er wurde von einem Wagen überfahren, und kam schwerverletzt
in das Kinderspital, wo er nach einiger Zeit verstarb.
Die Sektion innerhalb der ersten 24 Stunden post mortem ergab
einen Hämatopyopneumothorax, Wirbel- und multiple Rippenfrakturen
mit Verletzung von Lunge und Pleura. Das Gehirn erschien bei der
makroskopischen Inspektion durchaus unverändert, ein Verhalten, das
trotz der abgelaufenen Meningitis nicht wunderbar erscheint nach den
Ausführungen von Siebenmann (cf. Grundzüge der Anatomie der
Taubstummheit, Seite 26).
Beide Felsenbeine zeigen makroskopisch keine Abweichung
von der Norm ; Duraoberfläche, Sinus, Gegend des Saccus endolymphaticus
und die Tubenöffnung o. B. Der Akustiko-facialis erscheint etwas verdünnt.
Nach der Fixation wurde aus der Pyramide beiderseits ein Würfel
herausgesägt, der uneröffnet Paukenhöhle und Labyrinth enthält. Das
weitere Vorgehen bezüglich Härtung, Schneiden und Färbung geschah
nach den Angaben von Siebenmann (loc. cit. Seite 94). Dabei
wurde das rechte Felsenbein in eine vertikale, das linke in eine
horizontale Schnittserie zerlegt.
Mikroskopisch ergibt das Mittelohr beidseits die gleichen
Befunde: es liegt eine frische Otitis media catarrhalis acuta
mit Exsudatbildung vor. Die Schleimhaut der Paukenhöhle ist
überall auf das mehrfache der Norm verdickt;*^ sie trägt hohes Zylinder-
epithel im Zustand hochgradiger Entzündung: Auflockerung des Zell-
gefüges, unregelmäfsige Anordnung der vermehrten Kerne, lebhafte
den- erworbenen Taubstummheit. 219
Desquamation und reichliche Exsudatbildung. Auch die Submncosa
zeigt die entsprechenden entzündlichen Veränderungen; die gewaltige
Dickenzunahme beruht neben der Bindegewebsvermehrung auf ödematöser
Durchtranknng, bedeutender kleinzelliger Infiltration sowie Ektasie der
Blutgefässe. Auffallend ist die Papillenbilduug der Schleimhaut, wo-
durch Krypten und durch Verlötung der einzelnen Exkreszenzen selbst
schleimhaltige Zysten entstehen. Die Gehörknöchelchen sind von
der veränderten Mucosa eingehüllt, abnorme Schleimhautfalten durch-
ziehen die Paukenhöhle; die Ligamente der einzelnen Knöchelchen
erscheinen derb und fibrös, die Gelenkfiächen jedoch nicht wesentlich
von der Norm abweichend. In der Paukenhöhle selbst findet sich ein
zellreiches Exsudat, dessen Grundsubstanz homogen erscheint und
nach dem tinktoriellen Verhalten als geronnene Lymphe aufzufassen
ist. Die Fensternischen sind durch die geschwellte und gefaltete
Schleimhaut teilweise aufgefüllt. Das Ringband erscheint derbfaserig,
aber ohne Infiltration. Die Knorpelüberzüge von Fensterrahmen und
Steigbügelplatte sind in durchaus normaler Weise erhalten. Die runde
Fenstermembran ist grobfibrillär und verdickt aber nur infolge der
Schleimhautschwellung.
Die Trommelfelle sind beidseits verdickt, die Volumenzunahme
betrifft besonders die reich vaskularisierte und kleinzellig infiltrierte
Membrana propria ; auch hier ist das Paukenhöhlenepithel abnorm hoch
und zylindrisch, jedoch finden sich weder Verkalkungen noch atrophische
Stellen.
Die Labyrinthkapsel weicht auf beiden Seiten nicht wesentlich
von der Norm ab, sie ist sklerotisch ; Zahl, Gestalt und Verteilung der
Interglobularräume sind normal ; das Knochenmark ist in der Umgebung
der Paukenhöhle fibrös, in den übrigen Teilen der Pyramide aber
lymphoid.
Inneres Ohr — linke Seite.
Pars superior. Das Lumen und die Gestalt der knöchernen und
häutigen Bogengänge ist unverändert. Gegen das Vestibulum zu findet
sich nur eine geringe Vermehrung des Gewebes der Rüdinger sehen
Ligamente. Auch die Ampullen, selbst mit den Cupnlae, sind erhalten,
nur erscheinen die Epithelien der Cristae sonderbar aufgelockert, stellen-
weise abgehoben (Artefakt?).
Im Vestibulum fällt vor allem wieder das vermehrte Vorhanden-
sein von Bindegewebe im perilymphatischen Räume der Zisterne auf.
In ganz abnormer Weise sind die häutigen Gebilde durch solche derbe
Brücken und Stränge mit den umgebenden Knochenwandungen verbunden ;
80 bestehen ausgedehnte Strangbildungen zwischen der vorderen
Utricularwand und der Innenseite der Stapesplatte. In
den tieferen Partien des Vorhofs bildet das neugebildete Bindegewebe
ein ausgedehntes Polster, so dass das Lumen konzentrisch bedeutend
verengt, der perilymphatische Raum aufgehoben und nur ein Lumen
fttr die häutigen Gebilde erhalten ist. An diesen Stellen findet sich
15*
220 F. R. Nager: Beiträge zur Histologie
auch eiDC beträchtliche knöcherne Endostwucherung, indem neu-
gebildete Knochenbalken korallenartig in das Bindegewebe hereinragen.
Der Aquaeductus vestibuli mündet mit normaler innerer Apertur
ins V^estibulum; auch im Knochen lässt sich sein Verlauf kontinuier-
lich verfolgen. Der ütriculus ist wie auch der Sacculus bedeutend
erweitert; auf den Horizontalschnitten berühren sie sich im Niveau
ihrer Maculae auf eine weite Strecke hin. Bei dieser Schnittrichtang
kann der Zustand des Macula-epithels nicht völlig beurteilt werden, es
scheint wie auch das subepitheliale Gewebe aufgelockert zu sein ; darüber
liegt eine zusammengebackene Schicht von Wimperhaaren und Otoconien-
membran ohne genauere Differenzierung. In der ütricularwand finden
sich ganz vereinzelte Epithelzysten. Die zugehörigen Nerven sind wenig
atrophisch und zeigen eine kleinbündelige Anordnung.
Pars inferior.
Der Sacculus ist gewaltig ektasiert; nicht nur von der Seite
sondern auch von hinten und von vorn umfasst er den ütriculus, so
dass er u. a. beinahe den oberen Rand des ovalen Fensterrahmens
erreicht. Die Macula ist sehr verändert, ihre Kerne sind stark ge-
lichtet und unregelmäfsig angeordnet, die Fadenzellen als solche nicht
zu erkennen; über der Kernschicht liegt ein homogener dichter
Streifen, der als Rest der veränderten Haare und der Otoconien-
masse aufgefasst werden muss. Das subepitheliale Gewebe und die
zugehörigen Nerven erscheinen bedeutend aufgelockert.
Die Einmündungsstelle des Sacculus in den Ductus endo-
lymphaticus bildet einen deutlichen weiten Trichter.
Schnecke. Das Skelett der Spindel weicht nicht wesentlich von
der Norm ab, die Verengerung der Nervenkanäle ist nur eine geringe.
In der Scala tympani des Vorhofsteils finden sich ausgedehnte neu-
gebildete Bindegewebsstränge , welche das Lumen durchqueren. Sie
sind in der Umgebung der Apertura interna des Aquaeductus
cochl. sogar stellenweise verknöchert, so dass abnorme Bindegewebs-
und Knochenbalken die trichterförmige Öflfnung bis zu deren Obliteration
überdecken. Diese knöcherne Atresie reicht aber von der inneren
Mündung an nicht weit in die Tiefe, sondern das Lumen wird bis
zur äusseren Apertur durch fibröses Gewebe vollkommen verlegt. Der
Venenkanal (Can. Cotunnii) ist in seiner ganzen Ausdehnung weit und
enthält die gut gefüllte Vene.
Nur in der Basalwindung weicht die Scala vestibuli von der
Norm ab, indem sich ein feines sichelförmig erscheinendes Polster von
neugebildetem Bindegewebe mit ganz vereinzelten Knochenbalken an
die Spindel anlehnt.
Der Ductus cochlearis ist im Vorhofsteil und in der Basal-
windung deutlich ektasiert; die Reissn ersehe Membran ist heranf-
gedrängt und von der oberen Ansatzstelle an gegen die Spindel auf eine
der erworbenen Taubstummheit. 221
kürzere Strecke hin mit der oberen Wand der Windung verlötet; ihre
histologischen Elemente sind in Form und Anordnung normal. Vom Anfang
der zweiten Windung an entspricht das Lumen des häutigen Schnecken-
kanals wieder der Norm. Er enthält stellenweise einen leicht krümeligen
Inhalt mit yereinzelten abgestossenen Zellen. Seine epithelialen Elemente
sind in den einzelnen Windungen in verschiedener Weise verändert.
Im Yorhofsteil und in der ersten Windung ist das Ligament, spirale
aufgelockert, seine Promin entia spiralis ist erhalten, das darin liegende
Vas spirale erweist sich in der Basalwindung obliteriert. Während die
Stria vascularis stark aufgelockert erscheint, sind die Zellen des Sulcus
spiralis ext. normal. Das Cor tische Organ erscheint als wirre un-
regelmäfsige Zellgruppe, die bei normal gebliebener Länge etwa V4
seiner gewöhnlichen Höhe besitzt ; darin sind kaum noch die
deformierten Pfeilerzellen, besser noch die Zellarten von Claudius
und Böttcher zu erkennen, während die übrigen Elemente sich
Dicht mehr differenzieren. Dass hier wirklich degenerative Erschein-
ungen vorliegen, geht mit Sicherheit daraus hervor, dass diese
ganze Zellgruppe in den oberen Windungen viel besser erhalten ist.
Die Zellen der Crista spiralis sind besonders in der äusseren Hälfte
wenig differenziert und auffällig aufgelockert, tiefe Spalten trennen
einzelne Gruppen von Zellen ab. Der Canalis laminae spiralis ist
relativ gut mit Nervenfasern aufgefüllt.
In den oberen Windungen ist das Gefüge der Stria vascularis ein
etwas engeres ; das C 0 r t i sehe Organ ist daselbst besser erhalten ; doch
auch an den besterhaltenen Stellen, in der Mitte der zweiten Windung,
ist eine Differenzierung der Haar- und Stützzellen nicht möglich. Die
Veränderungen der Cortischen Membran erfordern eine besondere
Besprechung. Im Vorhofteil und in der Basalwindung schwebt sie
— in ihren Umrissen unscharf — losgelöst über der Crista spiralis.
Am Ende der ersten und Anfang der zweiten Windung ist sie
zu einem querovalen kleinen Wulst geschrumpft und liegt im Winkel
zwischen Crista spiralis und Membr. vestibularis , umhüllt von einer
dünnen kernhaltigen Zelllage. Etwas grösser und hocboval wird sie
in der Mitte der zweiten Windung; aber r,uch hier ist sie noch
ohne deutliche Struktur, jedoch von der Zellhülle umgeben. Reich-
liche Bindegewebsfibrillen sind zwischen der unregelmäfsigen Crista
spiralis und der Membr. vestibularis ausgespannt. Am Ende der
zweiten Windung rückt die Ansatzlinie der Membr. tectoria immer
mehr nach aussen, sie liegt der Crista nicht mehr direkt auf,
sondern erscheint mit ihr nur durch einen dünnen Stiel verbunden
und bietet so auf dem Durchschnitt ein halbmond- oder eher noch
pilzhutförmiges Gebilde mit mehr oder weniger deutlicher Kernhülle.
In der dritten Windung hat die C 0 r t i sehe Membran ein fast
keulenförmiges Aussehen; sie setzt mit feinem Stiel am Labium
vestibuläre an und ragt über den Sulcus internus hinweg. An
dieser Stelle ist auch noch eine Andeutung ihres Zahnes erkennbar.
222 F. R. Nager: Beiträge zur Histologie
Überall aber färbt sie sich mit Säurefuchsin auffallend rosa und ist
ohne ihre normale Längsstreifung.
Die Ganglienzellen der Schneckenspindel sind ihrer Zahl nach
bedeutend vermindert; dementsprechend liegt eine starke Veimehrung
des peri- und intraganglionären Bindegewebes vor. Die Nervenfasern
weisen ein leicht aufgelockertes Gefüge auf. Doch nimmt mit zu-
nehmender Höhe der Windungen die Atrophie ab. Cochlearis und
Vestibularis enthalten viel endoneurales gewelltes Bindegewebe. Lumina
und Wandungen der Gefässe weichen nicht wesentlich von der Norm ab.
Das rechte Labyrinth wurde in eine vertikale Serie zerlegt
und unterscheidet sich von der linken Seite dadurch, dass die Cochlea
stärker verändert ist, während im Vestibül um die Abweichungen
weniger bedeutend sind als links. Es solJen daher nur die Unter-
scheidungspunkte hervorgehoben werden. Die runde Fenstermembran
ist verdickt, weil die Knochenauflagerung von der Innenseite her viel
ausgedehnter ist. Die Bindegewebsentwicklung in der Cisterna peri-
lymphatica beschränkt sich -— vor allem in den tieferen Partien, im
Recessus cochlearis -- auf breite Stränge und Brücken, ohne eigentliche
Polsterbildung; auch ist die Einlagerung von Knochenbalken eine spär-
lichere. Der normal erscheinende Aquaeductus vestibuli trägt ein autfallend
hohes kubisches Epithel; ein freies Lumen lässt sich im ganzen Ver-
laufe verfolgen. Der Utriculus ist ebenfalls gewaltig erweitert, die
Bindegewebsstränge zwischen seiner vorderen Wand und der Stapesplatte
sind hier stärker ausgebildet. Die Macula verhält sich gleich wie links;
nur sind die Veränderungen hier deutlicher zuerkennen. Der Sacculus
scheint noch stärker ektasiert als links, derart, dass er besonders in der Um-
gebung der sehr knochenreichen Crista vestibuli mit dem ebenfalls stark
erweiterten Vorhofblindsack in breite Berührung tritt. Wegen der verti-
kalen Schnittrichtung lässt sich die Macula sacculi nicht genau unter-
suchen, die Ebene des Schnittes fällt mit derjenigen der Macula zusammen.
In der stärker veränderten Schnecke der rechten Seite ist die
Entwicklung von Bindegewebe und Knochen in der Basalwindung eine
viel ausgedehntere als links (cf. Taf. XIV/XV, Fig. 2). Die Scala tympani
ist in ihrem unteren Dritteil fast gänzlich mit Knochen aufgefüllt, darüber
finden sich mehr Bindegewebsstränge und nur vereinzelte Knochen-
balken; vollkommen frei ist nur etwa ^/g des normalen Lumens und
zwai' direkt unterhalb der Lamina spiralis membranacea. Die knöcherne
Auffüllung der Apert. interna des Aquaed. Cochleae ist hier ebenfalls
eine vollkommene. In den höheren Windungen nimmt die Bindegeweb.s-
neubildung in der Scala tympani rasch ab und fehlt schon am Anfang
der zweiten Windung. Auch in der Scala vestibuli findet sich eine
ähnliche Neubildung von Bindegewebe und Knochen. Speziell hervor-
gehoben seien diese Stränge und Balken um den Modiolus herum, wo-
durch das Lumen des Helicotrema verlegt wird.
Ductus cochlearis. Die gewaltige Ektasie des Schnecken-
kanals hat in der Basalwindung zu einer breiten Verlötung zwischen
der erworbenen Tanbstammheit. * 22;5
der Membrana vestibali und dem neugebildeten Bindegewebspolster an der
Spindel geführt (cf. Fig. 2 m. v. Taf. XIV/XV). Auch am Anfang der
zweiten und in der Spitzenwindnng finden wir den gleichen Zustand
<cf. Fig. 1 Taf. XIV). In der Mitte der zweiten Windung besteht dagegen
-vielmehr ein Kollaps des Ductus cochlearis. Die Ektasie ist ferner eine
«ehr unregelmäCsige, indem recessusartige Ausbuchtungen entstehen können,
-welche teilweise verbogen sind, sodass auf einem Schnitt ein oder mehrere
Hohlräume neben dem normalen Ductus getroffen werden können.
Die epithelialen Elemente der rechten Schnecke sind in gleicher
Weise verändert wie links, nur scheint die degenerative Atrophie der
Zellen weiter vorgeschritten zu sein. Das Ligament, spirale ist auf-
fallend zellarm, die Hauptmasse des Grundgewebes besteht aus radiär
gerichteten Bindegewebsfibrillen. Die Stria vascularis ist noch bedeutend
mehr atrophisch als links. Die Crista spiralis lässt die auf der linken
Seit« festgestellte Auffaserung nicht in der gleichen Deutlichkeit her-
vortreten. Die Cortische Membran ist in den unteren Windungen ent-
weder nicht vorhanden oder abgelöst, in den höheren Abschnitten der
Schnecke ist sie wie links geschrumpft und von einem kernhaltigen
Kutikularsaum umgeben. Stellenweise überragt sie ebenfalls pilzförmig
das Labium vestibuläre. Ihre Struktur ist undeutlich, sie erscheint auf-
fallend homogen. Die Veränderungen des Gortischen Organs sind
rechts viel bedeutender als links: in der Basalwindung finden sich
überhaupt nur noch vereinzelte Zellen und Plasmakugeln. In den oberen
Windungen wird der Zellhaufen etwas höher, relativ am besten sind
die Zellen in der Spitzen windung erhalten; hier gelingt gerade noch
die Differenzierung einzelner Zelltypen — mit Ausnahme der Hörzellen.
Alle Elemente sind jedoch gänzlich deformiert, die Färbbarkeit des
Protoplasmas kaum erhalten; die Kerne heben sich tinktoriell etwas
besser hervor.
In der Verteilung der nervösen Elemente bestehen rechts keine
anderen Verhältnisse als links; bedeutende Reduktion ihrer Zahl mit
Ersatz durch gewuchertes peri-ganglionäres und peri- resp. endoneurales
Bindegewebe findet sich in jeder Skala, am meisten in der Basal-
windung.
Die Veränderungen in den Labyrinthen des vorliegenden Falles
bieten nach verschiedenen Richtungen hin noch ein besonderes Interesse.
Es darf vor allem hervorgehoben werden, dass es sich um funktionell
^enau geprüfte Gehörorgane handelt, welche mit allen Tonquellen sich
als taub erwiesen hatten, es sind die Veränderungen daher auch physio-
logisch zu verwerten.
Die histologischen Befunde gehen nach den heutigen Kenntnissen
der Labyrinthpatbologie auf eine früher überstandene Otitis interna
zurück; bei dem ziemlich symmetrischen Auftreten auf beiden Seiten,
224 F. R. Nager: Beiträge zuj* Histologie
beim Fehlen irgend welcher Einbruchstellen an der Labyrinthkapsel
oder an den Fenstern wird die Otitis interna auf eine Meningitis
zurtlckzuführen sein , was auch die Anamnese durchaus bestätigt.
Es liegt demnach eine Meningitistaubstummheit vor. Die bei
dieser Form der Taubstummheit vorkommenden Labyrinthveränderungen
gehören zu den am besten gekannten. Siebenmann hat sie in seiner
Anatomie der Taubstummheit in erschöpfender Weise zusammengestellt
und auch pathogenetisch erklärt. Sie lassen sich in die drei Gruppen
zusammenfassen : a) Neubildung von Bindegewebe und Knochen im peri-
lymphatischen Räume mit consekutiver Gestaltsveränderung der knöchernen
und auch der häutigen Gebilde im Labyrinth, b) Gestalt- und Lumen-
veränderung des Ductus cochlearis mit Degenerationen der epithelialen
Elemente, c) atrophische Prozesse der nervösen Bestandteile,
Ein Vergleich unserer Bilder mit der Mehrzahl der histologisch
genau untersuchten Gehörorgane von Meningitistaubstummen ergibt,
dass hier die Anomalien relativ geringe sind. Es wäre der Schluss
daraus wohl erlaubt, dass die Intensität der Otitis resp. der Meningitis
keine sehr starke gewesen ist, sodass die Zerstörungen nicht allzu aus-
gedehnte waren.
Aber gerade durch die relativ geringen Veränderungen gewinnen
die Präparate des vorliegenden Falles eine weitere Ähnlichkeit mit
gewissen Bildern der angeborenen Taubstummheit, welche einen
ganz besonderen Typus (Sieben mann) darstellen (cf. loc. cit. S. 76).
Für jene Fälle hat dieser Autor ätiologisch eine fötale Meningitis
angenommen. Angesichts der Befunde des vorliegenden Falles, welche
mit Bestimmtheit auf eine intra vitale Meningitis zurückgehen,
erhält die Siebenmann sehe Annahme eine weitere bedeutende Stütze.
Aus der Anamnese geht aber weiter hervor, dass die Meningitis
zweifellos in der Rekonvaleszenz einer Masernerkrankung auf-
getreten ist und zwar 7 Tage nach der Hauteruption bei bestehender
starker Bronchitis. Es entsteht die Frage, in welcher Weise die Taub-
stummheit mit den Masern in Zusammenhang steht. Durch die ein-
gehenden Untersuchungen von Bezold-Rudolf (Z. f. 0. Bd. 28 und
M. M. W. 1896, Nr. 10 und 11) wissen wir, dass das Mittelohr bei
Masern mit grosser Regelmäfsigkeit raitzuerkranken pflegt, doch wird das
Exsudat in den meisten Fällen ohne weiteres resorbiert. Aus den
verschiedenen Taubstummenuntersuchungen (Bezold, Schubert»
Schwendt, Denker, Nager sen.) geht deutlich hervor, dass die
der erworbenen Taubstummheit. 22 S
Masern auch eine ätiologische Rolle für die Taubstummheit spielen. In
Seiner angeführten Arbeit konnte Sieben mann die Sektionsbefunde
über 6 derartiger Gehörorgane zusammenstellen. In 3 Fällen Hess sich mit
Sicherheit der tympanale Ursprung der deletären Otitis interna nach-
weisen, bei den 3 andern rauss infolge der ungenauen und differierenden
Berichte diese Frage offen gelassen werden. Aber der gleiche Autor
hegte schon die bestimmte Vermutung, dass ein Teil der Masern-
taubstummheit meningitischen Ursprungs sei. Dafür spricht vor
allem der Umstand, dass ein grosser Bruchteil der Masern taubstummen
normale Trommelfelle aufweist, nach Bezold und Schmalz etwa
60^/q, Nager sen. 50^/^ etc. Mit diesem Befunde wäre die An-
nahme einer tympanal entstandenen Otitis interna gar nicht zu
vereinbaren.
Das Vorkommen von Meningitis bei Masern ist sehr selten.
Aus den neueren Werken über Kinderheilkunde geht immer mehr
hervor, dass die Masern an und für sich eine harmlose Krankheit sind :
bedenklich werden sie nur durch ihre Nachkrankheiten oder Kompli-
kationen. Für das Nervensystem speziell ist kein Fall einer schweren
direkten Schädigung durch das Maserngift bekannt (Jürgensen in
Nothnagels Handb. Bd. IV, S.Teil, I.Abt.). Vorübergehende
Funktionsstörungen, Delirien, Erbrechen etc. kommen nicht allzu selten
vor, sind aber eher auf die hohen Temperaturen im Kindesalter zurück-
zuführen. Es ist nun freilich eine kleine Anzahl von Fällen bekannt
geworden, wo in der Rekonvaleszenz nach Masern als sehr seltene
Nachkrankheit Meningitis auftrat. Ausser den bei Siebenmann
zitierten Fällen von Fürbringer und Joel erwähnen wir u. a. die
Beobachtungen folgender Autoren: Stark (Jahrb. f. Kinderheilk. 1897)
mit Ausgang in Heilung, Steffens (Deutsch. Arch. f. kliu. Med. 1899),
Levoux (zit. nach Rev. mens.. Che adle (zit. nach Grane her),
Sepet (Epidemie von Marseille 1899), Rey (Epidemie von Aachen),
Cuno (HI. Vers, des Vereins der Westdeutschen Kinderärzte Dez. 1905).
Bei einer der letzten Epidemien in Basel 1893/94 wurden bei 42 Spital-
patienten mit Masern 2 mal meningi tische Symptome beobachtet. Die
Obduktion dieser sowie 2 anderer nicht klinisch beobachteter Fälle
ergab als anatomisches Substrat dafür Hirnödem. Alle 4 Patienten
wiesen klinisch und anatomisch Bronchopneumonien auf (cf. Ben n er,.
Ing.-Diss. Basel 1895).
Da wir nun einerseits als häufigste und gefürchtetste Komplikation
der Masern Bronchitiden und Bronchopneumonien kennen, anderseits in
1
226 F. R. Nager: Beitrage zur Histologie
der neueren Literatur die Ansicht und Erfahrung immer wieder betont
wird, dass sich eine Meningitis relativ häufig in zeitlicher und kausaler
Folge aus einer bronchopneumonischen Erkrankung entwickeln kann
[cf. u. a. Siebenrannn (loc. cit. S. 16), femer Thiemich in
Pfaundlers Handb. d. Kinderheilk.], so glauben wir uns zum Schlüsse
berechtigt, dass dieMasernmeniugitis in den meisten Fällen
— vielleicht sogar ausschliesslich — als eine metasta-
tische oder metapneumonische Affektion aufzufassen ist.
Weiterhin geht aus den Angaben der Autoren hervor, dass die
Masemmeningitis relativ gutartig ist, jedenfalls finden sich unter obigen
Fällen eine Reihe von Heilungen. Soweit nun aber bakteriologische
Untersuchungen vorliegen, scheint gerade die Pneumokokken-
meningitis am ehesten zur Heilung tendieren, ausserdem sojl sie
mehr in der hinteren Schädelgrube lokalisiert sein — Meningitis
basilaris posterior — (Fränkel, Thursfeld, zit. n. Thiemich).
Trotz der relativen Gutartigkeit wird eine Miterkrankung des Labyrinthes
mit folgender Zerstörung der häutigen Gebilde daher sehr leicht möglich
sein. Dieser Infektionsmodus würde die erwähnten negativen Trommel^
fpllbefunde gut erklären.
Obige Ausführungen und die vorliegende Erfahrung drängen zu
der Annahme, dass der ohne erhebliche Mittelohrerkrankung
eintretenden Maserntaubstumniheit eine metastatische
und zwar metapneumonische, wahrscheinlich durch
Pneumokokken bedingte Meningitis zu Grunde liegt.
Es bleibt uns noch die gesonderte Besprechung einzelner histo-
logischer Veränderungen übrig. Zunächst sei auf die Verteilung der
Anomalien in bezug auf die einzelnen Windungen hingewiesen; es sind
die unteren Abschnitte viel mehr betroffen als die höheren, entsprechend
der bekannten Erfahrung, dass Zerstörungs- und Eiterungsprozesse dort
in der Regel intensiver auftreten (Siebenmann, loc. cit. S. 25).
Dies gilt sowohl für den perilymphatischen als auch für den endo-
lymphatischen Raum.
Dass auch der Vestibularapparat in unserem Falle gelitten
hat, wie es gewöhnlich bei Meningitis die Regel bildet, geht aus den
histologischen Bildern ihrer Maculae deutlich hervor. Damit steht auch
die Angabe, dass das Kind in der Rekonvaleszenz langsam wieder gehen
gelernt hatte, durchaus in Einklang.
Besonderes Interesse verdient das Verhalten der Cortischen
.Membran. Wo dieses Gebilde erhalten ist, erscheint es disloziert
der erworbenen Tanbstummheit. 227
und abgehoben, deformiert und {geschrumpft ; sie ist ausserdem von einer
kntikulaähnlichen kernhaltigen Httlle umgeben. Dieser Befund kehrt
Mers wieder bei den Beschreibungen der angeborenen Taub-
stummheit (Scheibe, Siebenmann, Alexander , Habermann,
Oppikofer, Lindt, Katz u. a.), femer bei den albinotischen
Tieren (Alexander, Tandler, Rawitz, Beyer etc.); bis vor
kurzem galt er als typisch far die Kongenitalität der Taubstummheit.
Nun hat neuerdings Stein (Anatomie der Taubstummheit, Lief. III),
die Felsenbeine eines Falles von erworbener (meningitischer?) Taub-
stummheit beschrieben, wo er die gleiche Veränderung findet. Diesem
Falle reiht sich der unsrige an.
Die pathogenetische Erklärung daffir hat schon Hickenbacher
in einer unter der Leitung von Prof. Siebenmann durchgeführten
Untersuchung über die embryonale Membrana tectoria gegeben (cf.
Anatomische Hefte, Wiesbaden 1901 und Ing.-Diss. Basel) in der An-
nahme von Residuen einer Entzündung, wie solche sich in
pleuritischen und perikarditischen Belägen und Schwielen finden. Stein
<loc. cit.) gibt diese Möglichkeit für seinen Fall zu, glaubt aber noch, dass
die Membr. tectoria wie übrigens auch die Otolitheumembran der Maculae
als tote, funktionslose Masse die Neigung habe, sich mit einer Zell-
schicht zu umgeben und zu organisieren. Für seinen P'all (Anat. d.
Taubstummheit, Atlas Lief. II) verweist Alexander auf die Resultate
von Untersuchungen, die Joseph (M. f. 0. 1902) über die Entwicklung
der Deckmembran angestellt hat. Letztere soll nach Joseph aus einer
Kutikula hervorgehen, die in einem gewissen Entwicklungsstadium die
Innenfläche des endolymphatischen Raumes überzieht. Diesen Befunden
stehen die älteren von Rickenbacher gegenüber, welche für die
Membr. tectoria einen doppelten Ursprung orgeben: die innere primäre
Zone wird vom grossen Epithelialwulst abgeschieden, während die schmale
Randzone eine sekundäre Bildung darstellt, die auf dem kleinen Epithelial-
wulst abgesondert wird. Bei dem Anlass darf darauf hingewiesen werden,
dass die Joseph sehen Befunde der embryonalen Kutikula, soweit sie
überhaupt vorhanden ist, schon von Rickenba eher beschrieben und
abgebildet wird.
Die vorliegenden Präparate zusammengenommen mit der Kranken-
geschichte sprechen unstreitbar für die entzündliche Entstehung jener
kutikulären Einhüllung der Cortischen Membran, sodass wir uns dem-
nach, wie dies Stein getan, der Anschauung von Siebenmann -
Ricken b ach er anschliessen .
1
228 F. R. Nager: Beiträge zur Histologie
Wenn wir kurz die wesentlichen Merkmale dieses Falles noch
einmal zusammenfassen, so ergeben sich folgende histologischen Befunde
an den Gehörorgauen:
Bei intakter Labyrinthkapsel finden sich beiderseits
die Residuen einer abgelaufenen Otitis interna in Form
von Bindegewebs- und Knochenneubildung im peri-
lymphatischen Raum; diese hat zur Obliteration der
Schneckenwasserleitung und zur konzentrischen Ver-
engerung des Vestibulums sowie zu abnormen Adhäsionen
zwischen den häutigen Grebilden und den umgebenden
Knochenwandungen geführt. Weiterhin liegen Zustände
von Ektasie und teilweise von Kollaps des häutigen
Labyrinthes und schliesslich weitgehende degenerative
Erscheinungen an den epithelialen und nervösen Ele-
menten des Vestibulär- und Cochlearapparates vor.
In klinischer Hinsicht gelang uns der Nachweis für
den vorliegenden Fall, dass der Taubstummheit hier
eine metapneumonische Meningitis ätiologisch zu Grunde
lag, womit zugleich die Pathogenese der Maserntaub-
stummheit, die ohne wesentliche Miterkrankung des
Mittelohrs verläuft, vollkommen klargelegt wurde. End-
lich liefert dieser Fall einen wesentlichen Beitrag zur
Pathologie der Cortischen Membran. Sämtliche Befunde
beanspruchen eine besondere Bedeutung durch die intra
vitam ausgeführte funktionelle Prüfung der Gehörorgane.
Erklärung der Abbildun^efi auf Tafel XIV\XV und XVJ XVII.
Fig. 1. Vertikalschnitt durch die rechtsseitige Schnecke 20 : 1. Schon bei
dieser Vergrösserung treten die Ektasie (resp. Kollaps) des Schnecken-
kanals und die atrophischen Prozesse der Epithelien deutlich zu Tage.
Fig. 2. Vertikalschnitt durch die Basalwindung 40 : 1. Die Gewebsneubildung
in den beiden Skalen sowie die Verlötung der Membr. Reissneri (ni. v.)
mit dem Bindegewebspolster ist sehr deutlich. Der Aquaeductus Cochleae
(a. c.) und die über dessen innerer Apertur liegenden Abschnitte der
Scala tynipani sind mit neugebildeten Knochenmassen aufgefüllt.
Fig. 3. Cortische Membran in der II. Windung der rechten Schnecke 150: 1,
umgeben von einer kernhaltigen Kutikulai; ausserdem besteht eine
Auflockerung der Crista spiralis und AnfföUung des Winkels zwischen
der Crista spiralis und der Membr. Eeissneri mit Bindegewebsfibrillen.
der erworbenen Taubstummheit. 229
IL Tanbstammheit nach Trauma
(zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Pathogenese
von traumatischer Ertaubung).
Da erst eine einzige Untersuchung über die traumatische Taub-
stummheit vorliegt, so ist eine eingehendere Beschreibung eines
weiteren genau histologisch untersuchten Falles wohl berechtigt.
Die Felsenbeine verdanken wir der Liebenswürdigkeit von Professor
Ernst in Heidelberg, damals Vorsteher des pathologischen Institutes
in Zürich. Aus den uns zu Gebote stehenden Angaben über die
Lebensgeschichte des Kranken entnehmen wir folgende Daten.
Johann Jakob Att. aus D., Kt. Zürich, 64 Jahre alt, stammte
aus einer Familie, in welcher keine Fälle von Taubstummheit bekannt
sind; 2 Brüder leben noch, 1 Bruder starb an einer Brustkrankheit.
Nach schriftlichen Angaben des Pat. selbst, sowie nach den verschiedenen
anderen Erkundigungen steht fest, dass als 4jähriger Knabe ein schwerer
Balken auf seinen Kopf fiel, dass er in das Spital verbracht wurde, und
dass er im Anschluss daran Gehör und Sprache verlor. Die noch
sichtbare Narbe auf dem Scheitel bezeichnet den Ort des Traumas. Er
kam sodann in die Taubstummenanstalt in Zürich, verblieb dort bis
zum 16. Jahre: aus den Anstaltsprotokollen ist nichts weiteres zu eruieren.
Später wandert« die Familie nach Genf aus; er wurde Uhrmacher und
war dann während 30 Jahren in der gleichen Fabrik tätig, bis er in-
folge abnehmender Sehschärfe von der Heimatgemeinde versorgt werden
musste. Wegen Magenbeschwerden wurde er dann in das Kantonspital
in Zürich verbracht und verstarb daselbst an Carcinoma ventriculi
am 10. IL 1904. Die Angaben über seinen Charakter lauten über-
einstimmend dahin, dass er ein geschickter, zuverlässiger und fleissiger
Arbeiter gewesen sei und über einen gewissen Bildungsgrad verfügt
habe ; er hatte gut schreiben und rechneu gelernt ; psychische Anomalien
sind nicht verzeichnet, er war unter seinen Mitarbeitern beliebt. Aus
der Krankengeschichte der medizinischen Klinik, die uns durch
Herrn Prof. Eichhorst gütigst zur Verfügung gestellt wurde, ent-
nehmen wir bezüglich des Status folgende Angaben: Sensorium bei
der Aufnahme frei, Kopf frei beweglich, Pupillen träge reagierend; es
besteht Strabismus divergens; über den Parietalia und Occipitalia
ist eine 5 frs-stückgrosse vertiefte Narbe; keine Struma.
Eine funktionelle Prüfung mit Stimmgabeln wurde nicht ausgeführt,,
doch hatte Pat. für keine Tonquelle — Musik, Pfeifen, Donner,
Klatschen, laute Sprache, Strassenlärm etc. — eine Empfindung;
wir dürfen also wohl das Vorhandensein von absoluter Taubheit an-
nehmen. Die Sprache des Patienten ist leise, nicht gut verständlich.
Er selbst verständigt sich mehr durch Schreiben als durch Ablesen.
230 F. K. Nager: Beiträge zur Histologie
Die Autopsie wurde innerhalb der ersten 12 Stunden post. mort.
durch Prof. Ernst ausgeführt; ihm verdanken wir auch folgenden
Protokollauszug (Prot. Nr. 54/35, 1904, Med. Kl.):
Schädelsektion: Schädeldach etwas assymmetrisch , Dura
adhärent, besonders über der Stirngegend. Ausgesprochene Atrophie
des Stirnhirns: schmale Gyri, tiefe Sulci; Atrophie auch bds. in der
Gegend der Zentralwindung, Pia daselbst injiziert. — Sehr starke
Arteriosklerose der Gebirngefässe; Ventrikel weit, Ventrikularflüssigkeit
vermehrt ; Ependym glatt. Rechts findet sich auf der Höhe der Corpora
mamillaria (d. h. in derselben Frontalebene) zwischen Nucleus caudatus,
Linsenkern und Thalamus ein gelblich verfärbter Erweichungsherd von
Erbsengrösse. In den Sinus der Basis etwas Cruor und flüssiges Blut.
Nervus acusticus sehr auffallend verdünnt.
Anat. Diagnose: Gare, ventriculi mit Metastase am Zwerchfell^
Peritoneum, Mesenterium und Rectum; Prostatahypertrophie; Muskatnuss-
leber, arteriosklerot. Schrumpfniere, Infarkte der senil-atrophischen Milz,
Lungenemphysem, allgemeine Arteriosklerose bes. der Gehimgefässe und
Cronararterien ; Verwachsung zwischen Dura und Schädel im Gebiet des
Stirnhirns mit Atrophie dieser Gegend, ebenso wie der Umgebung der
Fossa Sylvii und der Zentralfurchen; Akustikusatrophie.
Bis zur Verarbeitung hatten die Felsenbeine mehrere Monate in
lO^/o FormoUösnng gelegen. Bei dem Versuche vor der Einbettung
den oberen Bogengang leicht zu eröffnen, konnte sein Lumen an der
üblichen Stelle nicht aufgefunden werden. Schon bei der Zerlegung in
die Schnittserie, welche in horizontaler Richtung zu 15 — 25 yu Dicke
ausgeführt wurde, fiel bei der Sektion die hochgradige Veränderung des
Vestibularlumens infolge endostaler Knochenwucherung auf.
R. Felsenbein: Die makro- und mikroskopische Untersuchung
des Mittelohrs ergab normale Verhältnisse, ebenso fand sich am Trommel-
fell, an den Gehörknöchelchen und an der Schleimhautauskleidung der
Paukenhöhle keine Spur einer frischen Eiterung oder einer voraus-
gegangenen Fraktur.
Die Stapesplatte ist mit dem vorderen Umfang etwas nach
aussen gedrängt ; an dieser Stelle ist dsis Ringband verlängert und ver-
dickt, im übrigen ist dieses sowie auch der Fensterrand und seine Um-
gebung normal, ohne Zeichen von Knochenwucherung. Auf der vesti-
bulären Seite der Stapesplatte liegt ein Bindegewebspolster, das weiter
unten noch erwähnt wird. Die Labyrinthkapsel ist etwas stärker
sklerotisch als es gewöhnlich der Fall ist; die Interglobularräume sind
in ziemlicher Zahl vorhanden. Beim Suchen nach vorhandenen Spuren
einer früheren geheilten Fraktur fanden wir in der Tat Bilder, von
denen wir anfänglich glaubten, sie in diesem Sinne deuten zu müssen.
Auf Horizontalschnitten, bei denen der Vorhof blindsack, die Kuppe der
runden Fensternische und die Gegend der hinteren Ampulle getroffen
sind, findet sich nämlich eine Knochenspalte, die von der hinteren
knöchernen Ampulle ausgeht und an das Ende der Scala vestibuli gegen
der erworbenen Taubstummheit. 231
die Lamina spiralis secundaria zieht: in tieferen Lagen reicht sie bis
znr runden Fensternische. Beröcksichtigt man nach der Anzahl der
Schnitte die Höhenausdehnnng dieser Spalte, so ergibt sich daraus das
Vorhandensein einer senkrecht verlaufenden feinen Fissur, die in einer
Höhe von etwa 3 mm von der Macula cribrosa inferior zum Recessus
cochlearis, weiter gegen die Lam. spiral. secundaria und nach vorn
unten bis gegen die runde Fensternische reicht. Diese Fissur ist wie
die Haversschen Kanäle mit einer scharfen dunklen Linie begrenzt,
der Rand erscheint stellenweise etwas zackig oder ausgekerbt. Aus
dem umliegenden Knochen münden vereinzelte kleinere Haverssche
Kanäle herein. Der Inhalt der Spalte besteht aus einer kernlosen sich
hellrosa färbenden Grundsubstanz mit deutlicher Querfaserung , die
einzelnen Fasern setzen an den Zacken der Rinde an ; ferner finden sich
ilarin vereinzelte abenteuerlich aussehende Knochenköiperchen, kleinere
Pigmentansammlungen und endlich sind darin einzelne Gefässe eingebettet.
Diese sind meist quer getroffen, so dass sie also senkrecht verlaufen
müssen. Die Annahme, es liege eine pathologische Frakturlinie vor,
musste aber fallen gelassen werden, nachdem die Durchsicht einer grossen
Reihe von verschiedenen Schnittserien unserer Sammlung ergeben hatte,
dass eine Fissur in dieser Gegend bei Erwachsenen wenn auch nicht
t(anz in der hier vorliegenden Ausdehnung, so doch fast regelmäfsig
(in 12 von 15 daraufhin untersuchten Felsenbeinen) zu finden ist.
Nach Untersuchungen an Korrosionspräparaten aus der Sammlung
von Prof. Siebenmann handelt es sich wahrscheinlich um einen
Raum von Fasermark, welcher Lymphbahnen und Äste der accessorischen
Yene des Aquaeductus Cochleae enthält. Eine ähnliche Fissur ist vom
letzteren Forscher in der Umgebung der ovalen Fensternische als
Fissur eil a post fenestram oval, beschrieben worden. Im übrigen
fanden sich in der Knochensubstanz nirgends Spuren einer frischen
Fraktur,
Die Nachforschung nach den Bogengängen ergibt, dass sie
grösstenteils knöchern aufgefüllt sind, und zwar ist die Obliteration
in ihrer Scheitelgegend und im Grus simplex eine vollkommene. Es
gelingt daselbst kaum mehr mit Sicherheit den ursprünglichen vom
neugebildeten Knochen zu unterscheiden. Vom oberen Bogengang ist
auch das Grus commune ausgefüllt. Nur in der nächsten Umgebung
ihrer Ampulle ist das Lumen der 3 Bogengänge teilweise erhalten.
Die Abhängigkeit der Auffüllung zu der Weite des Kanals ist in
diesem Falle sehr deutlich. Wird ein derart aufgefüllter Bogen-
gangsabschnitt gegen das ampuUäre Ende verfolgt, so stellt sich
der Übergang zwischen aufgefülltem und freigebliebenem Lumen nicht
als scharfe Linie dar, sondern zuerst findet sich eine zentrale Lichtung
des Knochengewebes, weiter eine kleine zentrale Lücke, später zieht
sich das Knochengewebe bis auf stalaktitenförmige Reste zurück, die
vom Rande weit ins Lumen hineinragen, einen mit Kernfarbstoffen
intensiv dunkel gefärbten Saum tragen (Kalkreichtum?) und an welche
^32 F. R. Nager: Beiträge zur Histologie
^in engmaschiges und zellarmes Bindegewebe sich ansetzt. Die gleichen
Veränderungen finden sich auch im Vestibül um. Dieses ist durch
Knochen- und Bindegewebsneubildung, welche von der oberen, lateralen
und hinteren Wand ausgeht, auf ^/g des normalen Volumens eingeengt ;
nur der Recessns sphaericus ist von der Auffallung frei. Auf der
Vorderwand findet sich das obenerwähnte ßindegewebspolster an
-der Innenseite der Stapesplatte, welches direkt in das neugebildete
Auffüllnngsmaterial der Vorhofswandungen übergeht. Eine Trennung
zwischen der Labyrinth kapsei und der endostalen Knochenwucherung ist
nur an denjenigen Stellen möglich, wo die etwas stärker gefärbte in
^er Norm dem Endost anliegende Knochenschicht hervortritt. In den
tieferen Abschnitten des Vestibulums findet sich vorwiegend eine binde-
gewebige Auffüllung, jedoch liegen in diesem Gewebe noch zystische
mit kernhaltiger Membran umschlossene Räume, die offenbar als Reste
des Utriculus, resp. dessen Sinus posterior zu deuten sind; der
Recessus cochlearis enthält wieder mehr Knochen.
Der Aquaeductus vestibuli ist in seinem ganzen Verlaufe
erhalten; er scheint sehr weit und ist mit Bindegewebe gefüllt, in
welches stellenweise tnbulös angeordnete mit kubischem Epithel aus-
gekleidete Gänge liegen ; dazwischen sind einzelne homogene (hyaline V)
Kugeln in kernhaltige Hüllen eingestreut. Die innere Mündung des
Aquaeductus tritt durch sein trichterförmiges Aussehen deutlich zu Tage,
indem die neugebildeten Knochenmassen den Zugang hierfür ausgespart
haben. Der Meatus audit. internus ist besonders im Fundiis sehr
weit, die Nervenkanäle dementsprechend auffallend kurz; auch hier
keine Spuren einer früheren Fraktur.
Die häutigen Gebilde des Vestibularap parates zeigen
schwere Alterationen. Vom oberen und horizontalen Bogengang ist gar
nichts erhalten; in der Gegend der häutigen Ampullen finden sich ver-
einzelte formlose, membranöse Reste. Die zugehörigen Nervenkanäle
sind vollkommen mit Bindegewebe ausgefüllt. Auch der Utriculus fehlt
in der Hauptsache, es bestehen nur noch einige häutige Gebilde mit
homogenen Kugeln, sowie die erwähnten zystischen Räume, die im
unteren Vestibularabschnitt in der Auffüllungsmasse eingebettet liegen.
Endlich sind noch eine Anzahl von Kristalldrusen zu erwähnen, die an
der lateralen Wand des Vorhofs liegen. Die Pyramis vestibuli ist ver-
kümmert, die ihr normaler Weise anliegende Macula utriculi fehlt
vollkommen ; an ihrer Stelle und in den Nervenkanälen sind nur Binde-
gewebsfasern gelegen.
Im Gegensatz zur Pars superior ist die Pars inferior des Laby-
rinthes etwas besser erhalten. So ist der Sacculus wenigstens vor-
handen, aber in exzessiver Weise ektasiert; er füllt das ganze, noch
erhaltene Vestibularlumen aus. Seine Wandung ist mit den Binde-
gewebspolstern über den neugebildeten Knochenmassen adhärent und vor
Willem haftet sie fest auf dem Bindegewebslager, das die
der erworbenen Taubstummheit. 233
vestibuläre Seite der Stapesplatte überzieht, Es fehlt so-
mit vollkommen die Cisterna perilymphatica. Die Einmündung in den
I Ductus endolymphaticus liegt sehr tief; letzterer selbst biegt im ferneren
I Terlauf als weiter Schlauch nach oben, indem er dabei dem Sacculus
: anliegt und sich in die trichterförmige Apertur des Aquaeductus vesti-
! buli fortsetzt. Die Macula sacculi ist noch angedeutet; ihre Aus-
I dehnung entspricht wohl deijenigen der Norm ; die Gestalt der Epithelien
I ist dagegen ganz deformiert. Es findet sich eine einschichtige, stellen-
^ weise ungleich hohe, mehr kubische Zelllage, die keine Unterscheidung
I in Sinnes- und Stützzellen zulässt. Darüber liegt eine homogene, wenig
differenzierbare Gewebsschicht, die auf beiden Seiten von einer kern-
haltigen Hülle umgeben ist. Diese dreischichtige Lamelle bedeckt nur
die vordere Hälfte der Macula; in der Mitte bildet sie aus 2 — 3 fachen
Falten einen kleinen Wulst und verläuft von da als einschichtige Membran
' quer durch den Sacculus und inseriert an der gegenüberliegenden Wand
<cf. t in Fig. 4, Taf. XVIH/XIX). Es findet dadurch eine TeUung des Saccular-
lumens in einen grösseren vorderen und kleineren hinteren Abschnitt statt.
Das Epithel der hinteren Hälfte der Macula ist von unregelmäfsiger und
kubisch-atrophischer Gestalt; es fehlt aber daselbst jede Andeutung einer
Otolithenmembran, während die vordere Hälfte stellenweise Reste davon
in Form krümmeliger mit Hämatoxylin dunkel sich färbender Massen
! aufweist. Die Nervenversorgung der Macula ist etwas besser als diejenige
der übrigen Yestibularendstellen. Die Nervenkanäle der Macula cribrosa
I media weisen viele Bindegewebsfasern nebst einer beschränkten Anzahl
' dünner, atrophischer Nervenfasern auf.
Die schweren Veränderungen an der Schnecke lassen
sich in folgende 3 Anomalien einteilen:
a) Neubildung von Knochen- und Bindegewebe im perilymphati-
schen Räume — eine chronisch - produktive und
I obliterierende Labyrinthitis teils fibröser, teils
knöcherner Natur.
b) Gewaltige Ektasie des Ductus cochlearis.
c) Atrophische Degeneration der Epithelien aller nervösen Elemente.
Die Auffüllung des perilymphatischen Raumes ist im untersten
I Abschnitt der Scala tympani, d. h. in der Ausdehnung des Vorhof-
blindsackes eine vollkommene und knöcherne (cf. Taf. XVI/XVII, Fig. 6).
Das ganze Lumen zwischen der unteren Wand der Basalwindung, und der
I Lamina spiralis ossea und secundaria, sowie der runden Fenstermembran ist
' durch eine sklerotische Knochenmasse obliteriert. Dabei ist die innere
Mündung der Schneckenwasserleitung vollkommen vermauert; in ihrem
I weiteren Verlaufe ist letztere durch Bindegewebe aufgefüllt. Höher hinauf in
der Scala tympani lockert sich das Gefüge des auffüllenden Knochens, es
treten Hohlräume darin auf, vor allem in der Umgebung der Lamina
spiralis ossea; an Stelle des Knochens tritt allmählich ein lockeres
w^eitmaschiges Bindegewebe auf und verlegt das Lumen. Indessen bleibt
von der L Windung an immer ein Raum direkt unter dem häutigen
Zeitoctinfl: für Ohrenheilkande, Rd. LIV. 16
234 F. R. Nager: Beiträge zur Histologie
Spiralblatt ausgespart, welcher als dttimer Kanal beginnt, von einer
strukturlosen Membran umgeben ist und sich deutlich vom umgebenden
Bindegewebe abhebt. lu den höheren Windungen nimmt die Gewebs-
neubildung auch in der Paukentreppe ab.
Die Scala vestibuli weist ähnliche Narbenbildungen auf und
zwar in Form eines ebenfalls von unten nach oben an Dicke abnehmen-
den Polsters, welches der Spindel anliegt und auf dem Durchschnitt als
Sichel erscheint. Dadurch wird eine deformierende Dickenzunahme des
Modiolus bedingt. Im Helicotrema sind Bindegewebsstr&nge quer aus-
gespannt.
Die auffallendste Veränderung bildet nun aber die gewaltige
Ektasie des Ductus cochlearis, die einen bisher kaum beob-
achteten Grad erreicht hat. Die Reissnersche Membran ist stark
aufgebläht und legt sich direkt an das axial gelegene Bindegewebspolster
an, woselbst sie fest adhärent ist. Dadurch wird das Lumen der Scala
vestibuli vollkommen aufgehoben. Aber nicht diese Dislokation der
Membr. Reissneri allein bedingt die gewaltige Ektasie des Schnecken-
kanals, sondern wir finden sogar eine Lageveränderung des
membranösen Spiral blattes. Dieselbe entsteht durch Verschiebung
ihrer Ansatzlinie der äusseren Wand der Windung entlang nach unten.
In der Mitte der I Windung beginnt eine Ausbiegung des Lig. spirale
membranac. gegen die Scala tympani; von der II. Windung an ver-
schiebt sich seine äussere Insertionslinie nach unten; in der oberen
Hälfte der gleichen Windung setzt dieselbe nicht mehr an der lateralen,
sondern an der unteren Wand der Wendung an, resp. am Boden
der Scala tympani. Dadurch erscheint das Lumen des Ductus cochlearis
ganz bedeutend vergrössert, denn es geht die äussere Hälfte der Panken-
treppe in ihm auf. Ein Querschnitt durch eine solche Windung sieht
infolge dessen sehr eigenttlmlich aus (cf. Figg. 3 u. 4, Taf. XVI — XIX).
Sogar die knöcherne Spirallamelle ist in ihrer Lage verändert,
indem sie in den oberen Windungen nicht mehr senkrecht von der
Spindel ausgeht, sondern mit derselben einen nach der Schneckenbasis
zu spitzen Winkel bildet. Dies tritt besonders in der Spitzenwindung
hervor, wo infolge der Lageveränderungen des Spiralblattes und der
Membr. Reissneri das Lumen des häutigen Schneckenkanals das 4 — 5 fache
der Norm beträgt.
Hand in Hand mit der erwähnten Dislokation der häutigen Spiral-
lamelle geht eine atrophische Degeneration des Ligamentum
spirale und zwar führt dieselbe bis zu ihrem vollkommenen Schwund.
Überall da, wo die Insertionslinie der Lamina spiralis verschoben ist,
fehlt dieses Ligament vollkommen. Die Stria vascularis ist in der
ersten Windung zwar noch erhalten aber bedeutend reduziert; mit der
nach oben allmählich zunehmenden Atrophie des Lig. spir. nimmt auch
die Stria bedeutend ab, sodass in den oberen Schneckenabschnitten nur
noch vereinzelte Epithelien direkt auf dem Endost gelegen sind und
uns die frühere Stelle der Stria sowie des Ligamentum spirale angeben.
der erworbenen Taubstummheit. 235
Ferner finden sich in den atrophischen Bezirken wiederum vereinzelte
von einer Kutikula umgebene hyaline Kugeln. Die Crista spiralis
ist in der Basalwindnng ziemlich gut erhalten, ihre Kerne färben sich
ordentlich. Weiter oben tritt besonders in der äusseren Hälfte dieses
Gebildes eine Auflockerung des Zellgefüges mit schlechterer Färbbarkeit
der Kerne auf. An denjenigen Stellen, wo die erwähnte Dislokation
der häutigen Spirallamelle zu einer winkligen Knickung mit dem
knöchernen Spiralblatt führt, beteiligt sich die Crista spiralis ebenfalls
daran und erscheint dort abgeknickt.
Die Cortische Membran ist in der I. Windung nicht mehr
erhalten. In der Mitte der IL Windung erscheint sie andeutungsweise
in den Sulcus internus herabgedrückt, sie wird daselbst von einer kern-
haltigen Membran überzogen; weiter oben werden selbst diese Reste
wieder vermisst. Der Epithelbelag des Sulcus internus fehlt
vollkommen ausser an den erwähnten Stellen, welche von der rudi-
mentären Cortischen Membran bedeckt sind. Das Cortische Organ
ist nirgends erhalten, an der entsprechenden Stelle ist die Lamina spiral.
membranac. glatt und dünn. Einzig eine flache, unregelmäfsige und
einschichtige Zelllage ohne erkennbare Details zeigt die frühere Lage
an. Ebenso fehlt der Zellbelag des Sulcus exterhus.
Die Nervenkanäle der Spindel sind teils durch Bindegewebe
aufgefüllt, teils erscheinen sie leer und ohne Nerven. Immerhin finden
sich noch ganz vereinzelte Trümmer von nervösen Elementen in Form
atrophischer geschrumpfter Ganglienzellen, die ohne Zellstruktur sich
in tote mit Kernfarbstoffen dunkel färben; ferner sind stellenweise
ebenso spärliche dünne Nervenfasern erhalten. Der sehr atrophische
N. cochlearis ist im Fundus meatus kurz vor der Zerteilung in die
einzelnen Nervenbündel abgerissen; im noch vorhandenen Abschnitt
ßillt der Reichtum an peri- und endoneuralem Bindegewebe auf. Vom
N. vestibularis ist im Präparat nur noch der Ramus saccularis
und auch dieser nur als bindegewebiger Zug vorhanden; allerdings
enthält er noch einijje wenige Nervenfasern, und die in kleiner Anzahl
I vorliegenden ' Ganglienzellen sind atrophisch und degeneriert.
j Die hochgradige Verdickung der Gefässwand der Art. auditoria
I interna tritt deutlich zu Tage als Teilerscheinung der allgemein aus-
gesprochenen Arteriosklerose.
Das linke Felsenbein weist im grossen und ganzen die gleichen
hochgradigen Veränderungen auf wie dasjenige der R. Seite. Es sollen
' im folgenden vorwiegend die Abweichungen gegenüber rechts angeführt
werden. In der Paukenhöhle findet sich das Bild einer akuten
katarrhalischen Otitis media mit leichter Schwellung der Schleimhaut,.
i geringer Erweiterung der Gefässe, entzündlicher Auflockerung der Epithelien
und Ansammlung eines geringen zellreichen Exsudates. Auch auf dieser
Seite findet sich die auf pag. 230 und 231 erwähnte Fissur in der
gleichen Ausdehnung. Die Luxation der vorderen Stapesplatte nach aussen
i — gegen die Paukenhöhle — ist links eher stärker ausgesprochen als
i 16*
236 ^'' R. Nager: Beiträge zur Histologie
rechts ; das Ringband ist mit Ausnahme der dadurch bedingten Dehnung
normal. Die Bogengänge sind links in gleicher Weise aufgefüllt. Der
Aquaeductus vestibuli ist weit angelegt, zeigt aber auffällige Knochen-
neubildung, sodass stellenweise das Lumen stark verengt ist.
Das Yestibulum zeigt die gleiche Auffüllung mit Knochen- und
Bindegewebe, wenn auch nicht in so ausgedehnter Weise wie rechts;
die hintere Wand ist von der K n o c h e n neubildung verschont, dafür
ist die Bindegewebsentwicklung stärker; in dieses Gewebe ragen
zackige Knochenspangen herein. In der oberen Hälfte sind vereinzelte
grössere zystische Räume von unregelmäfsiger Gestalt eingelagert; es
kann nicht mit Sicherheit entschieden werden, ob diese die spärlichen
Reste von häutigen Gebilden der Pars superior darstellen. Sämtliche
Nervenendstellen der Bogengänge und des Utriculus sind verödet,
die Nervenkanäle bindegewebig aufgefüllt. In höherem Grade als rechts
finden sich grosse hyaline von einer Kutikula eingehüllte Kugeln in
der Umgebung der Nervenendstellen und in den Wandungen der zystischen
Räume.
Vom häutigen Vestibularapparat ist nur der Sacculus als solcher
noch erkennbar, aber hochgradig verändert. Die Ektasie ist hier
wieder sehr ausgesprochen, die Wandungen weisen ausgedehnte Adhäsionen
mit dem umgebenden neugebildeten Knochen- und Bindegewebe des
Yestibulums auf. Auch von der Innenseite der Stapesplatte gehen
derbe Bindegewebsstränge in den Vorhof, speziell an die ektasierte Wand
des Sacculus. In ihrer unteren Hälfte, vom Niveau des ovalen Fensters
an, ist die ganze Saccularwand von einer beträchtlichen Schicht
krümeliger und scholliger Massen ausgekleidet, die teilweise von Binde-
gewebssepten durchzogen und von einer feinen Hülle umgeben sind.
Auch bei starker Vergrösserung lässt sich keine andere Struktur darin
erkennen; diese Schollen färben sich intensiv mit Kernfarbstoffen, bes.
mit Hämatoxylin, sodass wir sie füglich als Kalkansammlungen deuten
dürfen. In der Macula speziell ordnen sich diese Massen noch mehr
schichtförmig an, die bindegewebigen Septen sind deutlicher, dazwischen
finden sich einzelne kleinere Reihen von niederen zylindrischen Zellen
als einzige Reste des Maculaepithels. Im gleichen Niveau liegen stellen-
weise auch hyaline Kugeln. Dadurch, dass sie sich mit Hämatoxylin-Eosin
gelbrot färben, heben sie sich deutlich von den dunklen Kalkmassen
ab. Verbindungen des Sacculus mit dem Ductus endolymphaticus oder
mit anderen zystischen Räumen lassen sich nicht nachweisen. Es fehlen
fernerhin alle Nervenfasern für die Macula sacculi, die Nervenkanäle
sind vollkommen mit Bindegewebe aufgefüllt.
Die linke Schnecke ist in gleicher Weise hochgradig verändert
wie die rechte: Auffüllung des perilymphatischen Raumes, gewaltige
Ektasie des Ductus cochlearis und Atrophie der Nervenelemente kenn-
zeichnen auch hier das Bild. Die knöcherne Obliteration der Scala
tympani im Vorhof blindsack ist ebenfalls eine vollkommene wie auch der
der erworbenen Taubstummheit 237
Verschluss des Aquaedactns Cochleae. Nach oben zu nimmt wie auf der
andern Seite die Neubildung von Knochen gegenüber deijenigen von
Bindegewebe ab. In der Umgebung der Lamina modioli liegt reichlich
weitmaschiges Bindegewebe. Die Ektasie des Ductus cochlearis ist
hier noch stärker als rechts. Die Ausbuchtung der Lamina spir. membr.
gegen die Scala typpani mit der damit verbundenen Verschiebung ihrer
lateralen Insertionsiinie ist schon in der Mitte der I, Windung sehr
deutlich ausgesprochen. In der ganzen Mittelwindung sitzt das derart
dislozierte Spiralblatt an der unteren Wand der Scala tympani. Die
knöcherne Spirallamelle ist nicht nur wie rechts heruntergedrückt,
sondern sie erscheint in der IL Windung auch gefaltet und verkürzt.
Der Ductus cochlearis der Spitzenwindung ist mit dem Haraulus herauf-
geschoben, er hängt am neugebildeten Bindegewebe der oberen und
äusseren Wand der Gupnla. Ein Rest der Crista spiralis ist noch
deutlich erhalten. Durch die benachbarte Neubildung von Bindegewebe
und Knochen einerseits und einer deutlichen Atrophie der Knochenbalken
andrerseits ist das Aussehen der Schneckenspindel ein durchaus verändertes.
Einen Unterschied weist der linke Ductus cochlearis gegenüber rechts
auf, dadurch, dass in der Basalwindung feine bindegewebige Stränge das
Lumen durchqueren; auch in der verschobeneu Spitzenwindung sind
solche Fäden zwischen dem Labium vestibuläre, der atrophischen Crista
und der oberen Ductuswand ausgespannt.
Die epithelialen Gebilde des Schneckenkanals sind zum
grössten Teil atrophisch degeneriert. Relativ am besten scheint die
Crista spiralis erhalten, doch ist das Zellgefüge sehr unregelmäfsig, auf-
gelockert, die Kerne schlecht färbbar, die einzelnen Zellen kaum von
einander zu differenzieren.
Das Cortische Organ fehlt vollkommen, eine niedere kaum
erkennbare Zellreihe am Anfang der I. Windung gibt ihre frühere Lage
an und eine ähnliche einschichtige Lage niederer unregelmäfsiger Elemente
an der lateralen Wand der Windung bezeichnet den Rest der Stria
vascularis. Von der Cortischen Membran ist als letztes Rudiment
ein durchscheinendes kugeliges Gebilde erhalten, das sich an ganz um-
schriebener SteDe der Mittelwindung über dem Labium vestibuläre der
Crista spiralis befindet. Die nervösen Elemente der Spindel sind auf
dieser Seite ebenfalls hochgradig atrophisch degeneriert. Es finden sich
nur noch ganz vereinzelte und verkümmerte Ganglienzellen mit spär-
lichen Nervenfasern. Der Kanal des Spiralblattes ist durchaus leer.
Im übrigen sind die Nervenkanäle der Area cribrosa reichlich mit
Bindegewebe aufgeftlUt Der atrophische Cochlearisstamm besteht
zum grössten Teil aus Bindegewebsfasern, zwischen welchen spärliche
Nervenfasern zerstreut liegen. Der Raraus Saccularis ist links
atrophischer als rechts, entsprechend der stärker ausgesprochenen
Degeneration der Macula.
Im Fundus und auch in einzelnen Nervenkanälen sind reichliche
Psammomkörner und Kalkkonkremente eingelagert.
1
238 F. R. Nager: Beiträge zor Histologie
Die Arteriosklerose der Arteria auditiva ist auch hier sehr aus-
gesprochen und lässt sich weit in die Gefässe der Spindel hinein ver-
folgen.
Wie oben angedeutet, ist erst ein einziger histologischer Befund
tlber traumatische Taubstummheit in der Literatur niedergelegt.
Diese Seltenheit erklärt sich aus dem umstände, dass mechanische
Traumen als Ursachen der Taubstummheit überhaupt selten sind.
Bezold fand diese Ätiologie in 3^/^, Lemke in 5^/^,, Holger
Mygind in 1,4 ^/^ der untersuchten Taubstummen. Es liegt in der
Natur der Sache, dass die Verletzung innerhalb des ersten Dezenniums
eintreten muss, wenn sie Taubstummheit nach sich ziehen soll. In
diesem Alter sind aber Schädel Verletzungen weniger häufig. In der
Statistik von Brun aus der Krön lein sehen Klinik (cf. Bruns Bei-
träge, Bd. 38) ist unter 470 Schädel Verletzungen das erste Jahrzehnt
mit 57 Fällen (l2,l^/o) vertreten; davon sind 13 Kinder (29®/o) der
Verletzung erlegen. Ob unter den geheilten Patienten später ein Teil
taubstumm geworden ist, darüber gibt diese Zusammenstellung keine
Auskunft.
Die Mitteilung dieses bisher einzigen anatomischen Befundes stammt
von Bochdalek und wurde 1842 in den Mediz. Jahrb. d. österr. Staates
Bd. 40 (Fall VIII) veröffentlicht.
Fall auf den Kopf im 2. Lebensjahr, daran anschliessend eine
ernstliche Erkrankung und Verlust von Sprache und Gehör. Tod im
12. Lebensjahr an Tuberkulose. Mittelohr, Vorhof und Schnecke
makroskopisch normal, ebenso die Pyramidenoberfläche, es besteht eine
in den Bogengängen, besonders der peripheren Abschnitte, eine ver-
schieden stark ausgesprochene Auffüllung mit Knochenmassen. Weitere
Veränderungen am Kopfskelett, insbesondere Spuren einer früheren
Fraktur fanden sich nicht.
Wenn wir uns ein Bild über die Pathogenese dieser Labyrinth-
veränderungpn machen wollrn, so müssen wir nach dem Vorgehen von
Siebenmann (loc. cit.) die histologischen Befunde der traumatischen
Schwerhörigkeit resp. Taubheit heranziehen.
Es ist bekannt, dass gerade das Gehörorgan bei Kopftraumen häufig
mitbetroffen wird. Nach der erwähnten Arbeit von Brun fanden sich
in oO Fällen klinisch nachweisbare hochgradige Hörstörungen; dazu
kommen noch 36 Patienten, bei denen der Verlauf der Frakturlinie
durch (las Felsenbein autoptisch festgestellt wurde, mithin also 6 6 Fälle
der erworbenen Tanbetammheit. 239
:auf 470 Schädelverletzungen bezw. auf 275 Basisfrak-
turen, was einem Prozentsatz von 14 ^/^ resp. 24 ^/^ entspricht.
Die histologischen Veränderungen über traumatische Taubheit, so-
weit sie in der Literatur niedergelegt sind, lassen sich in 2 Gruppen
einteilen :
1. Auf der einen Seite haben wir die Befunde von Patienten, die
sehr bald ihrer Verletzung durch Hinzutreten einer meningitischen
Komplikation erlegen sind- Dazu gehören u. A. die Fälle von Voltolini,
Weber (M. f. 0. 1869), Politzer (A. f. 0., Bd. 2 und Bd. 41),
Thiery (cit. n. A. f. 0., Bd. 30), Scheibe (V. d. D. 0. G. 1897),
Manasse (Z. f. 0., Bd. 49). Diese Patienten waren nachgewiesenermafsen
taub. Die histologischen Veränderungen des inneren Ohres setzten sich in
diesen Fällen zusammen a) aus den direkten mechanischen Folgen
des Traumas, b) aus den Zeichen der eitrigen Otitis interna.
Diese letztere kann primär infolge Infektion vom Mittelohr durch die
Bruchspalte entstanden sein, oder aber sie bildet eine Teilerscheinung
der eitrigen Meningitis, die durch einen anderen Infektionsmodus als
dem otogenen entstanden ist. Reine traumatische Veränderungen
des inneren Ohres (ohne begleitende Meningitis) kurz nach dem Trauma
haben u. a. Zaufal (Wien. Med. W. S. 18H5 — nur makroskopisch),
Moos (Z. f. 0., Bd. 2), dann vor allem Barnick (A. f. A., Bd. 43)
und Lange (Z. f. 0., Bd. 53) untei-sucht. In diesen letzteren Fällen
verliefen Basisfrakturen in der Umgebung der Labyiintbkapsel oder
durch diese hindurch. Besonders wichtig sind die Arbeiten der beiden
letzten Forscher, die zeigen, dass bei schweren Basisfrakturen Ver-
letzungen des Gehörorgans auf indirektem Wege, selbst ohne Läsion
der Labyrinthkapsel entstehen können und zwar entweder in Form von
Nervenzerreissungen (Lange) oder von peri- und endoneuralen Hämor-
rhagien, die bis zu den Nervenendstellen führen (Bar nick). In wie
weit gerade solche histologische Veränderungen die Funktion des Gehör-
organs beeinträchtigen, wissen wir noch nicht, da wegen des soporösen
Zustundes der Patienten eine genaue funktionelle Prüfung nicht
möglich war.
In die 2. Gruppe der bisher bekannten Befunde über traumatische
Veränderungen des inneren Ohres sind diejenigen Fälle zu zählen, die
lange Zeit nach dem Trauma zur Obduktion kamen. Wir nennen die
Beobachtungen von Kund rat (cit. nach Z. f. 0., Bd. 16', ferner die
kasuistischen Mitteilungen von Riebet, Ghassaignac u. A., die
Bergmann (Die Lehre von den Kopfverletzungen pag. 219) an-
240 F. R. Nager: Beiti-äge zur Histologie
führt, weiterhin den Fall von M anasse (Verh. d. D. 0. G. 1905) ^>
endlich denjenigen von Lucae (A. f. 0., Bd. XV) und von Haber-
mann (cit. nach A. f. 0. Bd. 31). Bei sämtlichen Fällen dieser
Gruppe, die beiden letzten ausgenommen, konnten Spuren von ge-
heilten Basisfrakturen sicher festgestellt werden; auch.
Habermann neigt zur Annahme einer Basisverletzung für seinen Fall
(cf. Passow, Verletzungen d. Gehörorgans pag. 143), sodass eine
solche nur für denjenigen von Lucae nicht sicher steht.
Aus diesen Fällen geht nun mit Deutlichkeit hervor, dass da, wo
schwere Verletzungen des inneren Ohres als Folge der
Einwirkung einer stumpfen Gewalt auf den Kopf vor-
lagen, gewöhnlich auch Basisfrakturen vorhanden sind.
Durch die Arbeiten von Bruns (Die chirurgischen Krankheiten
des Gehirns etc.) und Bergmann (loc. cit.) sind die Heilungs-
vorgänge von Schädelfrakturen im allgemeinen vollkommen klargelegt.
Nach diesen Autoren bildet ein knöcherner Verschluss der Fraktur-
linie die Regel; nur dauert es hier viel länger als am übrigen
Skelet bis die Heilung vollkommen ist. Ausser in den Periostverhält-
nissen, die für den Schädel charakteristisch sind, liegt der Grund hierfttr
in der Unbeweglichkeit der Frakturenden, wodurch der zur Kallusbildung
erforderliche Reiz ausbleibt. In denjenigen Fällen, bei denen autoptiscb
längere Zeit nach dem Trauma festgestellt wurde, dass die Heilungs-
vorgänge noch gar nicht begonnen hatten, lagen schwere fieberhafte
Erkrankungen oder Eiterungen in der Schädelhöhle vor (Bergmann).
Unter den von Bergmann zitierten geheilten Schädelfrakturen
findet sich eine grosse Anzahl, bei denen die Fraktur durch das Felsen-
bein ging. Diese Beobachtung zusammengenommen mit den obigen
Ausführungen Hesse sich vielleicht klinisch dahin verwerten, dass
eine nach Kopftrauma entstandene hochgradige Schwerhörigkeit oder
Taubheit geradezu als Beweis für einen tiberstandenen Schädelbruch zu
deuten ist. Diese Annahme gilt übrigens auch in der Augenheilkunde
nur mit dem Unterschiede, dass das Auge infolge seiner exponierten Lage
viel mehr durch direkte Traumen gefährdet ist. Zu den grossen
Seltenheiten gehören Beobachtungen wie diejenige von M anasse (V. d.
D. 0. G. 1905)*). wo nach 15' Jahren der Verschluss der Bruchspalte
ein vorwiegend fibröser war. Die Auffüllung der Labyrinthräume fehlt
auch hier nicht.
1) cf. Anmerkung bei der Korrektur.
der erworbenen Taubstummheit. 241
Die histologischen Befunde, die bei tpanmatischer Taub-
stummheit von Bochdalek und von uns erhoben werden konnten ^
stimmen durchaus mit der obigen 2. Gruppe überein. Bochdalek
erwähnt freilich keine Spuren von Schädel Verletzung. Im Sektions-
protokoll unseres Falles dagegen können wir die noch bestehendeiv.
Narben, die an umschriebener S|elle vorliegenden Adhäsionen zwischen
Schädel, Dura und Gehirn durchaus im Sinne einer stattgehabten.
Schädelfraktur verwerten.
Dass wir keine mikroskopischen Reste von Bruchspalten im Felsen-
bein fanden, spricht nicht gegen eine solche, indem nach Riebet
(cit. nach Bergmann) Glätte und Vollständigkeit des Verschlusses
derart sein kann, dass jede Spur der früheren Trennung verschwindet.
Ferner muss darauf hingewiesen werden, dass die eventuelle Fraktur
in eine Lebensperiode gefallen ist, in welcher sich vom Deckknochen
der Pyramide erst eine dünne Schicht angelngert hatte. In den später
apponierten, oberflächlicheren Knocheupartien wird die Fraktur begreif-
licherweise sich nicht mehr geltend machen.
Wir kommen demnach in Bezug auf die Pathogenese unseres
Falles — und auch desjenigen von Bochdalek — zur Annahme,
j dass das Kopftrauma mit einer Schädelfraktur verbunden war und
letztere auf direktem oder indirektem Wege die schweren Veränderungen
I im Ohr herbeigeführt hat.
I Die histologischen Bilder erinnern aber auch noch an einzelne
I Befunde von Meningitistaubstummheit. Die Möglichkeit einer
posttraumatischen Hirnhautentzündung mit sekundärer Otitis interna ist
nicht absolut sicher auszuschliessen ; doch fehlen in der ganzen Kranken-
geschichte sämtliche dafür sprechende Momente. Aber auch angenommen,
dass die Verletzung eine Meningitis zur Folge gehabt und diese zur
Taubstummheit geführt hatte, so würde dennoch in der Auffassung
unseres Falles als traumatische Taubstummheit keine Änderung
eintreten müssen.
! Neben dem Befunde von Bochdalek (loc. cit.) gleicht unser
Fall besonders demjenigen von Ma nasse (V, d. D. 0. G. 1905) \);
' hier wie dort die Bindegewebs- und Knochenneubildung im Labyrinth
[ mit Ektasie des Ductus cochlearis und degenerativer Atrophie der
nervösen Elemente. Nur weisen die Präparate von Manasse beids.
symmetrische Querfrakturen durch das Felsenbein auf, weiche-
fibrös, zum geringsten Teil knöchern aufgefüllt sind.
1) cf. Anmerkung bei der Korrektur.
1
242 F. K. Nager: Beiträge zur Histologie
Eine kurze Besprechung erfordert noch die auf pag. 230 und 231
erwähnte Fissur. Die anfänglich gehegte Vermutung einer alten Fraktnrlinie
konnte nicht aufrecht erhalten bleiben, nachdem wir wie erwähnt diese
Spalte an der gleichen Stelle bei einer Reihe von mindestens 12 Felsenbein-
serien wieder gefunden haben. Allerdings wurde bei diesen Vergleichen
festgestellt, dass bei Kindern der ersten Lebensjahre diese Fissur nur
als feinste Linie erscheint, während sie jenseits des 2. Dezenniums mit
grosser Regelmäfsigkeit vorhanden ist. Wir haben oben schon aus-
einandergesetzt, dass es sich um einen Fasermarkraum mit Lymphbahnen
und vereinzelten Blutgefässen handelt.
Bekommt man solche Bilder zu Gesicht, wo diese Fissur von der
]iinteren knöchernen Ampulle zur Basalwindung der Schnecke und zur
Nische des runden Fensters führt, so liegt die Vermutung allerdings
nahe, darin öine direkte Gefassverbindung zwischen Mittelohr und
Labyrinth durch die Labyrinthwand hindurch zu finden. Über das
Vorkommen solcher Anastomosen sind die Ansichten bekanntlich geteilt ;
Politzer (A. f. 0., Bd. XI) und Manasse (Z. f. 0., Bd. 49),
Alexander (V. d. D. 0. G. 1904) haben solche festgestellt, während
sie durch die Gefässkorrosionen in den Arbeiten von Siebenmann
und Eichler, sowie auch durch neue Untersuchungen von Braun-
stein und Buhe (A. f. 0., Bd. 56) nicht bestätigt werden konnten.
Von Interesse schien uns der Umstand zu sein, dass im Falle von
Manasse (V. d. D. 0. G. 1905) die nur partiell verschlossene
Frakturlinie gerade in der Richtung jener kleinen Fissur verläuft, dass
letztere also die Bahn für eine Bruchspalte darstellte.
Fassen wir zum Schlüsse die Hauptveränderungen dieses Felsen-
beines zusammen, so ergibt die histologische Untersuchung des zweiten
Falles von traumatischer Taubstummheit:
Auffüllung der halbzirkelförmigen Kanäle bis in
die Umgebung ihrer Ampullen, Neubildung von Kochen-
und Bindegewebe im perilymphatischen Räume des Vor-
hofs und der Schnecke mit knöcherner Obliteration
der Schnecken Wasserleitung; vollkommenes Fehlen der
Parssuperior labyrinthi'mit ihren Nervenendstellen und
den zuzuführenden Nerven. Ektasie des vorhandenen
^acculus mit degenerativer Veränderung der Macula
und derNervenäste. Bedeutende Erweiterung des Ductus
•cochlearis selbst mit Lageveränderung der Spiralla*
mellen; Degeneration sämtlicher epithelialen Elemente ,
der erworbenen Taubstummheit. 243
besonders des Sinnesepithels; hochgradige Atrophie der
Nervenfasern und Ganglienzellen; dabei normale Pauken-
höhlen und intakte Labyrinthkapsel.
Diese Veränderungen gehen auf ein Kopftrauma
zurück, das vor 60 Jahren der damals 4jährige Patient
erlitten hatte; sie bewirkten funktionell den Verlust
von Gehör und Sprache undalsanatomisch-histologisches
Substrat dafür findet sich eine chronische und obli-
terierende teils fibröse teils knöcherne Labyrinthitis.
Nach den vorliegenden Erfahrungen über Schädel-
basisfrakturen und deren Heilung haben wir die Ver-
mutung, dass auch unserem Falle ein Schädelbruch zu-
grunde liegt.
Anmerkuni;? bei der Korrektor.
Während der Drucklegung erschien die ausführliche Bearbeitung des
oben mehrfach erwähnten Falles von Ma nasse (cf. pag. 240 u. 241)
in Virchüws Archiv Bd. 189, pag. 188. Aus dem Protokoll über die
mikroskopische Befunde geht die weitgehende Übereinstimmung dieser
Beobachtung mit den unsrigen deutlich hervor; sie lässt sich bis in
kleine Details verfolgen, in den beiden Fällen z. B. war die Cor tische
3Iembran von der Kernhülle umgeben. Diese Form der chronisch-
produktiven und obliterierenden Labyrinthitis wird von M anasse als
Periostitis ossificans bezeichnet. , Den Anschauungen über die Patho-
genese dieser Veränderungen — als Residuen früherer Entzündungen
oder Reizungen — können wir nur beistimmen. Einzig die Fälle von
>progressiver labyrinthärer Schwerhörigkeit- mit Mittelohrveränderungen,
die histologisch ähnliche Bilder aufweisen, glauben wir aus dieser
Gruppe aussondern zu sollen, nachdem wir in einer früheren Arbeit
über Cholesteatomtaubheit (Z. f. 0. Bd. 53) nachweisen konnten, dass
diese Befunde ebenfalls als Residuen abgelaufener Labyrinthitiden auf-
zufassen sind.
Die erschöpfende Beschreibung dieses seltenen Falles von Manasse
zusammen mit der vorliegenden Beobachtung dürfte wesentlich dazu
beitragen, die Histologie der traumatischen Taubheit resp. Taubstumm-
heit vollkommen zu charakterisieren.
1
244 F. R. Nager: Beiträge zur Histologie etc.
Erklärung zu den Abbildungen auf Tafel XV I\XVI1 u. XVIII: XfX.
Fig. 4.
Horizontalschnitt durch die Spindel und den ektasierten Sacculus der
rechten Seite in 20fa€her Vergrösserang.
st = Stapesplatte, mit der vorderen Hälfte nach aussen gedrängt,
k = neugehildete Knochensubstanz im Vestibulum.
s = sehr ektasierter Sacculus.
m = rudimentäre Macula sacculi mit dem bei f abgehenden Strang,
rs = Ramus Nervi saccularis, sehr atrophisch.
sty = Scala tympani der I. Windung und sty* = dieselbe des Anfangs der
II. Windung, wo die Spirallamelle Is bereits nach unten gedrängt ist.
1 s = häutige Spirallamelle, die an der unteren Wand der Windung ansetzt.
Sv = Rudimente der Stria vascularis.
m r = dislozierte und adhärente Reissn ersehe Membran.
D c 3 = Spitzenwindung, ektasiert und durchzogen von Bingewebssträngen.
Auf dem Lab. vestibuläre der Crista spiralis Reste der Corti sehen
Membran.
Fig. 5.
Horizontalschnitt durch das linke Labyrinth 15 : 1.
Im Vestibulum reichlich neugebildete Knochenmassen ; die zackigen Enden
sind mit Bindegewebe umgeben.
8 = Sacculus, dessen Wand mit einer dunklen Schicht von krümeligen
Massen belegt ist; zwischen Sacculus und Innenseite der Stapesplatte^
Biudegewebsstränge.
8 1 == Scala tympani, partiell durch Knochen und Bindegewebe aufgefüllt,
b u. b^ = Biudegewebsstränge im Ductus cochlearis ausgespannt,
s v = Reste der Stria vascularis. \
dc'= Ductus cochlearis der Spitzenwindung, disloziert und ganz nach oben
gegen die narbige Bindegewebsmasse gezogen.
1 s = das nach unten gedrängte Spiralblatt.
Fig. 6.
Ende des rechtsseitigen Vorhof blindsackes 20 : 1.
s V = Scala vestibuli mit der verschobenen Membr. Keissneri mr und neu-
gebildetem Knochen und Bindegewebe.
8 t = obliterierte Scala tympani.
a c = knöchern verschlossener Aquaeductus Cochleae.
m t = Membrana tympani secundaria,
r f = Nische des runden Fensters.
fi = Knochenfissur zwischen der Macula cribrosa inferior und der runden
Fensternische.
I
Zeitschrift f. Ohrenheilkunde LIV
C.Krapf. Iith
Taf. XIV/^
Ver/agr v J F Bergmann. Wiesbaden
Boenninghans: Ein atypischer Fall von Sinus thromb ose etc. 245
XU.
(Aus dem St. Georgskrankenhaus.)
Ein atypischer Fall von Sinusthrombose und
Kleinhirnabszess.
Von Privatdozent Dr. Boenninghaus in Breslau.
Mit einer Abbildung im Texte.
Unsere Kenntnis der intrakraniellen Komplikationen von Mittelohr-
eiterungen ist heute bereits so gut fundiert, dass nur noch die ein-
gehendere Veröffentlichung solcher Fälle gerechtfertigt erscheint, die
vom gewöhnlichen Verlauf erheblich abweichen. Ein solcher Fall,
glaube ich, ist der vorliegende; ich wenigstens konnte in der Literatur
keinen ähnlichen finden. Es handelt sich um einen Kleinhirnabszess
mit gut ausgebildeten klinischen Symptomen, der nur deshalb bei der
Operation nicht gefunden wurde, weil er nicht in der vorderen Hälfte
des Kleinhirns sass, wie gewöhnlich, sondern in der hinteren Hälfte.
Hervorgerufen war er durch einen Thrombus des Sinus transversus,
der ebenfalls bei der Operation nicht entdeckt wurde, weil er aus-
nahmsweise nicht in der vorderen, sondern in der hinteren Hälfte
des Sinus sass. Die Sinusthrombose endlich war induziert durch das
246 Boenninghaus: Ein atypischer Fall von Sinusthrombose
Empyem einer >\eit aberranten pneumatischen Occipitalzelle, eine Lokali-
sation der Eiterung, wie sie ebenfalls nicht zu den Alltäglichkeiten ge-
hört. Die beigegebene Skizze erläutert die Situation. Sie ist dem
Körn ersehen Buche über die otitischen Erkrankungen des Gehirns
entnommen. Sie stellt einen Blick in die hintere rechte Schädelgrube
dar. 1 ist der gewöhnliche Sitz tiefliegender, vom Labyrinth aus-
gehender, 2 derjenige hochliegender, vom Sinusknie ausgehender Klein-
hirnabszessc, 3 ist der vorliegende Kleinhirnabszess, 4 der Sinus trans-
versus, 5 das Torkular, 6 der Thrombus, (s. Abb. S. 245).
Der 38jährige Kutscher St. erscheint am 3. April 1907 in der
Poliklinik des St. Georgskrankenhauses. Lärmend und gestikulierend
verlangt er sofortige Untersuchung des Kopfes und rechten Ohres, da
er sehr krank sei. Die Anamnese, die durch spätere Angaben des
Arztes und der Frau des Kranken ergänzt wird, ergibt nur soviel, dass
der Patient am 8. Januar 1907 unter Fieber, Kopfschmerz und Rücken-
schmerz an Influenza erkrankte, dass er 8 Tage später Schmerzen in
der rechten Kopfseite und im rechten Ohr bekam, die trotz mehrfacher
Trommelfellschnitte nicht nachliessen, dass er seit 6 Wochen ans Zimmer
gefesselt sei, dass er eigentliche Schüttelfröste nicht gehabt, wohl aber
in der letzten Zeit mehrfach erbrochen habe. Patient ist zwar sehr
erregt, doch gut orientiert, prägnant in seinen Angaben, die nur sehr
langsam und mit schwerer Zunge, doch ohne eigentliche Aphasie er-
folgen. Funktion rechtes Ohr: Flüstersprache am Ohr, Knochen-
leitung stark verlängert, Rinne negativ, Galton normal, C-Gabel per
Luft nicht gehört. Otoskopischer Befund: Gehörgang trocken,
Trommelfell graurot getrübt, abgeflacht, hintere obere Gehörgangswand
gesenkt. Trommelfellschnitt entleert Eiter, übriger Befund: Ganze
rechte Kopfseite auf Klopfen schmerzhaft, am stärksten merkwürdiger-
weise die Stirn, wo auch der Hauptsitz des Spontanschmerzes ist. Warze
normal, nicht schmerzhaft. Schwankender, breitbeiniger Gang, Stehen
nur mit gespreizten Beinen und offenen Augen möglich. Pupillen mittel-
weit, langsam re<agierend. Starke Stauungspapille beiderseits, Nystagmus
in Endstellung bei Blick nach rechts und links. Gesicht lebhaft kon-
gestioniert, ohne leidenden Ausdruck. Zunge leicht belegt. Keine
Nackenstarre, keine Paresen. Temp. 38,1, Puls 56. Wahrscheinlich-
keitsdiagnose: Kleinhirnabszess. Operation, die schon in ver-
schiedenen Kliniken vorgeschlagen, seitens des Patienten abgelehnt. —
Am 4. April Status idem, nur normale Temperatur. Am 6. April
ebenso: weitere operationslose Behandlung meinerseits abgelehnt. Patient
wird endlich am 7. April spät abends zur Aufnahme gebracht, ist be-
nommen, dabei unruhig, ja aggressiv.
8. April erste Operation: Haut stark hyperämisch, ebenso das
verdickte Periost. Warzenfortsatz fast rein diploisch. Nur an der
Spitze einige mit Eiter oder Granulationen gefüllte Zellen. Knochen
1
und Kleinhimabszess. 247
äusserst venös hyperämisch. Antrum eröffnet, mehr dem Gefühl, folgend
als, dem Auge; in ihm Eiter. Sinusknie freigelegt, doch Knochen-
blutung so stark, dass nur Momentbilder. Daher hier Tamponade und
mittlere Schädelgrube freigelegt: Dura blass, prall gespannt, pulsiert
keine Spur trotz breiter Knochen lücke. Revision der oberen Pyramiden-
fläche durch Abheben der Dura. Dabei entleeren sich einige Tropfen
dtlnnen Eiters. Dach des Antrnms verfärbt, Fortnahme desselben. Jetzt
Spaltung der Dura. Grosshim pulslos^ anämisch, trocken, sich stark
vordrängend, 4 tiefe Inzisionen, die durch Kornzange erweitert werden :
Kein Eiter. Ventrikelpunktion:, 3 — 4 ccm klaren Serums. Vergeblicher
Versuch, am Sinus weiter zq arbeiten. 9. April: Patient ist ruhig,
ohne Schmerzen, somnolent.
10. April zweite Operation: Blutung heute weniger stark,
lässt sich beherrschen durch 30^,'^ Wasserstoffsuperoxyd. Sinus frei-
gelegt nach unten bis dicht an den Bulbus, nach hinten bis halbwegs
zum Torkular. Dabei in der Occipitalschuppe eine Reihe kleiner, mit
Eiter und Granulationen gefüllter pneumatischer Zellen eröffnet. Sinus-
punktion negativ. Spaltung der freigelegten Strecke. Wand braun,
verdickt. Sinus vollkommen leer, Intima glatt. Beim Abdrängen des
Kleinhirns mittelst in den Sinus eingeführter Hohlsonde entleert sich
aus dem Bulbus Blut, vom Torkular her aber nicht. Dort stösst die
Sonde auf einen Widerstand, der leider als Knochenhemmung betrachtet
wird. Dura des Kleinhirns glatt, prall, pulslos. Spaltung. Kleinhirn
blass, pulslos, drängt sich mächtig prall elastisch vor, sodass man den
Eindruck gewinnt, man brauche nur einzustechen, damit sich Eiter ent-
leere. 3 breite, 4 cm tiefe Schnitte, parallel der Pyramide, also schräg
nach vorn, mit der Hohlsonde noch um 1 cm verlängert. Kein Eiter.
11. April Exitus unter Respirationslähmung.
Sektion: Bei der Herausnahme des Gehirns platzt ein Kleinhirn-
abszess. Er ist kleinapfel gross und nimmt die hintere Hälfte des
rechten Kleinhirns ein. Er hat eine dicke, gewulstete Abszessmembran,
die mit der Dura seitlich fest verwachsen ist, sodass die äussere Hälfte
der Abszesswand an der Dura hängen bleibt. Der Sinus transversus
beherbergt an dieser Stelle einen kaum 2 cm langen, in der Mitte
puriform zerfallenden Thrombus, dessen hinteres Ende spitz in das
Torkular hineinragt. Der Eiter des Abszesses sowohl wie des Thrombus
ist dick und geruchlos. In der Hinterhauptschuppe noch einige pneuma-
tische mit Eiter gefüllte Zellen, deren letzte und grösste dicht unter-
halb der thrombosierten Stelle liegt und den Knochen erweicht hat.
Gehimsubstanz überall blass, trocken, derb, Ventrikel alle erweitert.
Der hinterste Schnitt ins Kleinhirn hatte die Abszessmembran tangential
berührt, aber nicht durchbohrt. Keine Spur von Meningitis. Kein Eiter
im inneren Gehörgang.
^48 H. Zwaardemaker: Über die Einrichtung
XIII.
Über die Einrichtung eines geräuschlosen
Untersuchungszimmers.
Von H. Zwaardemaker in Utrecht.
Mit 4 Abbildungen auf Tafel A.
Seit 1904^) besitzt das hiesige physiologische Institut ein kleines
Zimmer zu akustischen Untersuchungen, welches zwei Anforderungen
zu genügen hat: 1. dass kein Lärm von aussen in dasselbe eindringen
kann, 2. dass die Wände den Schall fast nicht zurückwerfen. Die
Veranlassung zur Herstellung eines solchen Zimmers war der Wunsch,
auch tagsüber Beobachtungen anstellen zu können, während der leitende
Oedanke hauptsächlich der Analogie mit dem Fall der optischen Unter-
suchung, wofür seit Aubert allgemein Dunkelzimmer vorgefunden
werden, entnommen wurde. Einigermafsen liess ich mich auch noch
leiten durch eine Veröffentlichung von Charpentier^) aus dem Jahre
1890, der zu akustischen Beobachtungen mit bestem Erfolge eine
matelazierte Zelle benutzte, während die Aufgabe eine bedeutende Ver-
einfachung bekam durch die Erfahrungen der Neuzeit über Telephon-
Kabinette.
Es hat sich herausgestellt, dass die pcaktische Bedeutung eines
derartigen Untersuchungsraumes für ein physiologisches Laboratorium,
wo man Akustik treibt, noch viel grösser ist, als ich anfangs ver-
mutete. Gar manche Erscheinungen, die sonst schwer zu beobachten
sind, treten im akustischen Zimmer ungemein deutlich hervor, andere
lassen sich dort allein darstellen und fast in allen Beobachtungsreihen
ist der Zeitgewinn ausserordentlich gross. Ähnliche Vorteile würden
auch ohrenärztliche Kliniken aus einem geräuschlosen resonanzfreien
Raum ziehen können, um so wichtiger, als es in einem Poliklinik-
Lokal, wo Patienten ab- und angehen und mehrere Ärzte gleichzeitig
zu arbeiten haben, nicht möglich ist, genauere akustische Beobachtungen
auszuführen, und auch das Zurückbestellen von Patienten in grösseren
Kliniken, wo nie vollkommene Stille herrscht, kaum zum Zweck führt.
Auch die Zeitersparnis wird in den Kliniken wahrscheinlich noch mehr
als in den physiologischen Instituten gewürdigt werden. Ich brauche
1) H. Zwaardemaker, Ned. Tydschr. v. Gen. 1905, Bd. I, p. 571.
2) A. Charpentier, Arch. de Physiol. norm. et. path. 1890, p. 499.
Zeitschrift f. Ohrenheilkunde LIV
C. Kropf. Jith
Taf. XVI/xvfl.
^
Verlag- v J. F Bergmann. Wiesbaden
1
Zeitschrift f. Ohrenheilkunde LIV
sty.
C. Ära ff hth
Taf. xvnyxK.
Verlag- v J. F Bergmann, Wiesbaden
eines geränschloBen Untersachungszimmers. 249
diese an sich selbstverständlichen Tatsachen nicht besonders zu betonen
und werde wohl nicht auf Widerspruch stossen, wenn ich behaupte,
dass ein akustisches Zimmer zu den Desideraten eines jeden otriatischen
Instituts gehört. Diese Überlegungen veranlassen mich, die Einrichtung
des hiesigen Zimmers an dieser Stelle einigermafsen ausführlich zu be-
schreiben.
Wer sich ein geräuschloses Zimmer einrichten will, wird hierzu in
der Regel weder das Souterrain noch die ebene Erde benutzen, weil
es ihm in diesem Falle nie gelingen wird, den Lärm vorübergehender
j Fuhrwerke los zu werden. In der Mitte eines sehr grossen, ausser-
ordentlich geschlossen konstruierten Gebäudes möge es sich ausführbar
zeigen, eine zentral gelegene erschütterungsfreie Stelle aufzufinden, in
einer Klinik, die wohl selten massiv und also unhygienisch gebaut sein
wird, werden sich solche Stellen für gewöhnlich im oder am Boden
I nicht ergeben. Man ist gezwungen, das Zimmer in einer Etage ein-
zurichten. Auch in unserm Laboratorium lag dieser Fall vor und da
übrigens die Wahl der Lokalität keiner besonderen Beschränkung unter-
I lag, wurde das oberste Stockwerk gewählt, in der Umgebung von
Räumen, die verhältnismäfsig selten benutzt werden (photogr. Atelier,
photogr. Dunkelzimmer, Glasmagazin u. s. w.). Unerlässlich notwendig
ist es das akustische Zimmer von der Aussenwand des Gebäudes ^u
i trennen, was sich unter den bei uns vorliegenden Verhältnissen durch
I Ausmauerung eines kleinen • Nebenraumes hat erreichen lassen. Aber
I noch auf einige andere Punkte ist zu achten. Wie man sich die Kon-
I «truktion auch darstellen will, in jedem Falle soll sie eine solche sein,
dass das Ganze eine sehr bedeutende Schwere bekommt. In unserem
Falle befürchtete der Architekt sogar Nachteile für das ganze Stock-
werk und fand er sich veranlasst, den Boden des Stockwerks um das
akustische Zimmer herum mit eisernen Stäben am Dache des Gebäudes
noch besonders zu befestigen. Diese Mafsreg^l hat sich als zweck-
entsprechend erwiesen. Unser geräuschloses Zimmer befindet sich also
im obersten Stockwerke des Instituts, halb gestützt auf den Etageboden,
halb schwebend am Dache.
Die Abmessungen des Raumes an der Innenseite gemessen sind
{siehe Abb. 1 und 2): die Höhe 2,28 M., die Länge 2,28 M., die
Breite 2,20 M. Die Türe befindet sich in einer der Längsseiten und
ihr gerade gegenüber ein kleines viereckiges Fenster von 38 auf 47 cm.
Die Türe (Abb. 3) führt nach einem Korridor, das Fenster, nach dem
Süden gekehrt, öffnet sich nach dem bereits erwähnten kleinen ab-
Zeitschrift ftr Ohrenheillnisde, Bd. LIV. 17
250 H. Zwaardemaker: Über die Binrichtnng
sichtlich hergestellten Nehenraum, der das akustische Zimmer von der
äasseren Mauer des Instituts trennt. In dieser äusseren Mauer befindet
sich gerade gegenüber dem Fenster des Kabinetts ein etwas schief ge-
stelltes, wenig grösseres Glasfenster, sodass die Mittagssonne in das
akustische Zimmer hinein scheinen kann. Beide Fenster können behufs
Ventilation geöffnet werden. Das äussere Fenster bleibt aber auch
dann durch eine Mückengaze geschlossen, damit keine Insekten, nament-
lich keine Motten, hinein gelangen können. Das innere Fenster kann
mehrfach verschlossen werden und zwar 1. von einem den Fensterpfostea
überragenden Laden, 2. von einem in Holz gefassten genau abschliessen-
den Fensterglas, 3. von einem Vorhange.
Die Wände des kubischen Baumes bestehen aus sechs Schichten^
die wir hier nach einander beschreiben wollen.
1. Die am meisten nach innen gelagerte Schicht besteht aus ge-
flochtenem Pferdehaar, Trichopiese genannt, das wir bezogen haben aus
der Fabrik »La Trichopiese« von G. van de Casteele & Co.,
Molenstraat 1, Ledeberg bei Gent. Ich verdanke die Bekanntschaft
mit diesem für die Auskleidung von Telephon-Kabinetts hergestellten.
Stoff Herrn N. H. Biltris, Prof. am Königl. Athenäum in Gent.
Eine Mitteilung über die akustischen Eigenschaften des interessanten
Stoffes fand seitens dieses Gelehrten in der Flämischen Naturforscher-
Versammlung 1901 statt. Aus vielen Materialien zeigte sich das
Trichopiese am meisten geeignet, den Sofaall zurückzuhalten. Sowohl
die Durchlässigkeit für Schall als die Reflektion desselben ist äusserst
gering^). Auf Rat des Ck)llegen Biltris wählten wir die animalische
Trichopiese, da die vegetabilische, obgleich viel billiger, eine ziemlich
grosse Brandgefahr mit sich bringt. »La Trichopiese ordinaire ou
animale« kostet ungefähr* 4 Francs pro Kilo, während der Bedarf pro
Quadratmeter ungefähr 3 Kilo ist.
2. Das Trichopiese ist mittelst Metallnadeln und eines au seiner
Oberfläche angebrachten Drahtnetzes auf der nächstfolgenden weit
dickeren und stabileren Schicht festgemacht worden. Letztere besteht
aus porösem Stein, wobei die Spalten zwischen den gesonderten Stein-
blöcken in gewöhnlicher Weise mit Kalk ausgefüllt sind. Abweichend
ist nur die Lagerung der Mauer auf dem Boden des Stockwerks. Sie^
1) Man siehe für Zahlenangabe S. 28 der Abhandlungen des Kongresses.
(A. N. H. Biltris, Handelingen v. h. Vlaamsch Natuar- en Geneeskundig^
Congres 1901, p. 23.)
eines geräuschlosen Untersuchongszimmers. 251
geschah in der Weise, dass erst eine Bleischicht von 3 Millimeter auf
den Boden gelegt wurde und auf dieser die Steine aufgemauert worden
sind. Die Dicke der steinernen Schicht beträgt 7,5 cm.
3. Nach aussen von der Stein wand kommt eine Luftschicht von
2 ä 3 cm Dicke. Ich beabsichtigte hiermit, das Ganze zu einer Doppel-
dose zu machen, und zwar so, dass die Wände der inneren Dose jene
der äusseren Dose nirgends berühren. Dies Hess sich am besten durch
einen Zwischenraum erreichen, der jedoch andererseits nicht so gross
sein durfte, das5 sich hierin Resonanzerscheinungen zeigen konnten.
Eine Luftschicht von 2 ä 3 cm schien mir in dieser Hinsicht am ge-
eignetsten, denn diese Weite erlaubt noch gerade, sich durch Abtasten
mittelst eines dünnen Rottanstocks vom vollständig frei sein des Zwischen-
raumes zu überzeugen.
4. Dann folgt eine Holzwand von 2^/^ cm, die übrigens nichts be-
sonderes darbietet. Sie dient hauptsächlich zur Befestigung der weiteren
nach aussen gelagerten Schichten und ist zu diesem Zwecke noch mit
Querleisten verstärkt worden. Solcher Querleisten finden sich drei, eine
unten, eine oben und eine in der Mitte. Sie lassen einen freien Raum
an der Oberfläche der Holzwand offen, der, nachdem die 6. Schicht
angebracht worden war, mit porösem Material angefüllt wurde. Letzteres
bildete die 5. Schicht, welche wir jetzt beschreiben wollen.
5. Ein Gemisch, aus Sand und Eorkstückchen hergestellt, wurde
locker zwischen die Holzwand und die am meisten nach aussen ge-
lagerte feste Wand gestreut. Die Dicke dieser Schicht ist nicht überall
die gleiche. Wo die Holzdielen vorhanden sind, fehlt sie vollständig,
an allen übrigen Stellen ist sie ungefähr 4 cm dick.
6. Endlich kommt Korkstein, 6 cm dick, den wir aus der Fabrik
von Grünzweig und Hart mann in Ludwigshafen a/Rhein bezogen
haben. Der Korkstein bildet ein verhältnismäfsig billiges Material
(3 Mark pro Quadratmeter), dessen akustische Eigenschaften von
H. Sieverling und A. Brehm untersucht und beschrieben worden
sind'). Er hat dazu noch den Vorteil, sehr leicht zu sein (zirka 15 Kilo
pro Quadratmeter). Wir wählten Plattenformat, 100x25cm, wie ge-
sagt in einer Stärke von 6 cm. Die Spalten füllten wir mit Zement
and Gips aus und bekleideten das Ganze mit einem Gipsüberzug.
Die soeben gegebene ausführliche Beschreibung bezieht sich auf
die Seitenwände des Zimmers. In etwas abweichender, aber doch ana-
1) H. Sieverling und A. Brehm. Ann. d. Physik (4) XV, S. 814.
17*
252 H. Zwaardemaker: Über die Einrichtung
loger Weise wurde das Dach hergestellt. In erster Linie ist auf die
4 in den Ecken aneinanderschliessenden Mauern aus porösem Stein ein
leichtes Holzgitter aufgelegt worden, das an der unteren Seite mit
Trichopiese bekleidet wurde. An der oberen Seite befindet sich eine
3 mm dicke Bleischicht. Dann folgt wieder die früher beschriebene
Luftschicht, an welche sich ein Holzdach und zuletzt Asphaltpapier und
Sand anschliessen. Das Prinzip der Doppeldose ist also auch hier
durchgeführt, nur ist an Stelle des porösen Steins Blei gekommen und
statt des Korksteins eine Asphaltpapier- und Sandschicht. ^)
Der Boden des akustischen Zimmers musste leider in etwas anderer
Weise gebildet werden, denn wir fanden den Holzboden des Stockwerkes
vor und hatten mit diesem zu rechnen. Wären wir ganz frei gewesen,
so hätten wir gewiss einen Marmorboden gewählt, den wir dazu noch
auf kleinen steinernen Säulen hätten ruhen lassen. Da wir uns mit
möglichst einfachen Mitteln zu begnügen hatten, wurde der bestehende
Holzboden mit einer 3 mm dicken Bleischicht bedeckt. Dann kam ein
Teppich von 1 cm Dicke. Der Nachteil dieser Bodenkonstruktion, wobei
das Prinzip der .von einer dünnen Luftschicht getrennten Doppelwände
aufgegeben wurde, ist, dass die Erschütterungen, welche in einem
anderen Teile des Stockwerks hervorgerufen werden, sich bis in das
akustische Zimmer fortpflanzten. Nun ist es zwar leicht, während der
Versuche andere Arbeiter aus dem oberen Stockwerk des Instituts, das
nur Photographieräume und Magazine enthält, zu entfernen, aber was
für Fusstritt Geltung hat. ist mutatis mutandis auch anwendbar auf die
dem Boden mitgeteilten Schallschwingungen. Nicht nur also, dass die
elektrisch getriebenen Stimmgabeln, die ausserhalb des akustischen
Zimmers in den Nebenräumen aufgestellt sind, ganz besondere Funda-
mente erforderten, damit ihre Schwingungen sich dem Boden nicht mit-
teilten, auch die von anderen kräftigen Schallquellen abgegebenen Luft-
schwingungen liessen sich störend gelten. Wir haben uns bis jetzt auf
zwei Wegen ziemlich befriedigend geholfen. In erster Linie haben wir
den Boden des akustischen Zimmers mit einem zweiten Teppich be-
kleidet, jetzt aus besonders dicht gewebter Wolle angefertigt (Smyrna-
Muster aus der Teppichfabrik in Deventer). In zweiter Linie haben
wir die Schallquellen, es sei denn Stimmgabeln oder Orgelpfeifen, statt
frei in einem der Nebenzimmer (photographisches Atelier), in einem
i) Vor kurzem habe ich auch an der Stelle dieser Sandschicht Korkstein
anbringen lassen ; hierdurch ergab sich die Gelegenheit noch eine Zwischenschiclit
aus Seegras aufzunehmen.
eines geräuschlosen Untersuchungszimmers. 253
besonderen Doppelzelt auf von Bleistücken getragenen Steinplatten auf-
gestellt. Ein derartiges Doppelzelt lässt sich leicht herstellen, wenn
man ein eisernes Grerippe mit einem rohen Filzüberzug und darüber mit
Peluche, wie man ihn zu Vorhängen benutzt, umkleidet. Diese Anord-
nung bietet den Vorteil, dass im Zelte selbst keine Resonanz zu Stande
kommt und von der im. Zelte hervorgerufenen Schallmenge sehr wenig
nach aussen übertritt. Im Nebenraum selbst herrscht infolge dessen
zwar keine absolute Ruhe, aber jedenfalls kein nennenswerter Schall,
sodass sich fast nichts dem Boden und von diesem dem akustischen
Zimmer mitteilen kann.
In der Beschreibung, insoweit sie bis jetzt vorliegt, haben wir uns
darauf beschränkt, die Anordnungen anzugeben, deren Zweck es ist,
eine möglichst vollkommene akustische Isolierung des Beobachtungs-
raumes hervorzurufen. Durch die besonderen Eigenschaften der inneren
Schicht erhielten wir zu gleicher Zeit einen nahezu resonanzfreien Raum.
Wenn die Aufstellung der Schallquelle, wie in den meisten klinischen Unter-
suchungen in der unmittelbaren Nähe des Beobachters, im nämlichen Räume
stattfinden dürften, wäre hiermit die Sache als erledigt zu betrachten.
Aber für manche physiologisch-akustische, sowie für vereinzelte klinische
Untersuchungen ist es erwünscht, eine Schallquelle ausserhalb des
Zimmers aufzustellen und einen Teil des Schalles, und zwar einen ge-
messenen Teil, mittelst besonderer Vorrichtungen ins Zimmer hinein-
zuleiten. In einem solchen Falle hat man notwendig in einer der
Wände eine Öflfnung gemessener Grösse anzubringen, ohne dass man
eine nicht schalldichte Verbindung zwischen der Doppelwand hervorruft.
Eine zweckmäfsige Anordnung ist die folgende:
An der Stelle >t« (Fig. 2) findet sich in der inneren der Doppel-
wände des akustischen Zimmers »A« (Fig. 4) eine kreisrunde, von
einer Kupferröhre »u« begrenzte Öffnung. Die Kupferröhre wird von
einer eingemauerten grossen Marmorplatte »z« unbeweglich festgehalten.
Dieser Bohrung gegenüber befindet sich in der Aussen wand B des
Zimmers eine ziemlich grosse von einer dicken Bleiplatte >x« ge-
schlossene Lücke. In der Bleiplatte >x« befindet sich eine Öffnung,
die dem liUmen der soeben beschriebenen Kupferröhre »u« genau gegen-
tiber liegt, deren Ränder aber das abgeschnittene Ende derselben nicht
berührt. In den so gebildeten Kanal »t w« kann ein massiver, von
einem dünnen Kupferüberzug zusammengehaltener lUeistopfen geschoben
werden, der sowohl die Innen- als die Aussenwand des Zimmers genau
254 H. Zwaardemaker: Über die EiDrichtang
abschliesst. Eine Abscblussplatte »w« drückt mittelst einer Filz*
schiebt >y« scbaildicbt auf die grossen Bieiplatten »x« der Aussen-
wand. In dieser Weise ist eine schalldichte bleierne Verbindung zu
Stande gebracht, welche die ganze Dicke der Zimmerwand durchsetzt.
Wir halten nun mehrere |Bleistopfen vorrätig: 1. ganz massive,
die Verwendung finden, wenn man keinen Schall von aussen einzuführen
hat, solche 2. mit einfacher Bohrung von 1,5 cm lichte Weite ^), solche
3. mit doppelter Bohrung von je 0,8 cm lichte Weite, mit 0,6 cm
Zwischenraum *).
Sowohl in der westlichen als in der östlichen Seitenwand des
Zimmers sind derartige Öffnungen mit Bleistopfen aufgenommen, die
beide sich als zweckdienlich ernriesen haben; es ist nach unseren Er-
fahrungen nicht erwünscht, sich auf eine Wandöffnung zu beschränken.
Von Zeit zu Zeit hat sich die Notwendigkeit ergeben, zum An-
blasen von Orgelpfeifen innerhalb des akustischen Zimmers über einen
Strom verdichteter Luft oder Kohlensäure zu verfügen, und denselben
innerhalb des Kabinetts regulieren zu können. Zu diesem Zweck ist
durch die das Fenster umgebenden Marmorplatten »m« ein Bleirohr ge-
führt, das durch den gemauerten Nebenraum bis in die benachbarten
Zimmer geht.
Femer sind auf die nämlichen Marmorplatten mehrere Stopfen für
elektrische Beleuchtung, elektrische Treibkraft, elektrische Signale und
Telephon ketten montiert. In dieser Weise ist das Zimmer zu möglichst
vielseitiger Verwendung geeignet gemacht. Ein ausschliesslich zu klini-
schen Zwecken hergestelltes Kabinett bedarf vieler dieser Hilfsmittel
natürlich nicht, obgleich es nicht ratsam erscheint, sich bei der Kon-
struktion zu sehr zu beschränken. Man nehme lieber etwas zu viel
als zu wenig dieser Anordnungen vor, denn wenn sich später das Be-
dürfnis zeigen würde, hält es vielleicht schwer oder ist es vielleicht
gänzlich unmöglich, sie ohne grossen Kostenaufwand noch nachträglich
anzubringen.
Zum Schluss möchte ich kurz die Hygiene des Zimmers berühren.
Sie wird gefördert durch den Zutritt der südlichen Sonne durch das
kleine, während der Versuche akustisch abschli essbare Fenster. AUe
1) H. F. Minkema, Onderz. Physik. Lab. (5), Bd. 6. p. 136, 1905.
2) Am besten fü' rt man Kautschukröhren, deren Lumen nicht unter 0,4cm
heruntergehen darf, hinein.
Zeitschrift für Ohrenheilkunde Band LTV.
3-.,.
^^ —
Vertikaler Durchschnitt des Zimmers vom Osten nach
dem Westen (durch die beiden Bleistopfen).
i
^-1
.t»'^^.«^^ *^'^%.' /vx » r^*.-^'
^1
Grundriss.
— ih
A Innenraauer 1 , ^
T» . } der Doppelddso.
B Aussenmauer ) ^
a Balkenlage.
b Hölzerner Boden, Seitenwände
und Plafond.
c Bleibekleidung.
d Teppich.
e Trichopiöse.
f Poröser Stein.
g Luftlage
h Feiner Sand.
1 Eorkstein.
j Zement.
k Innere Türe des Fensters.
1 Äussere Türe des Fensters.
m Marmorplatten.
n Mückengaze.
0 Dachfenster.
p Filzbekleidung.
q Türchen.
r Innere Türe.
s Äussere Türe.
t Öffnungen der Bleistopfen.
u Kupferrohr.
V Bleistopfen.
w Ringkragen des Bleistopfen.
X Bleiplatte.
y Filzscheibchen.
z Marmorplatte.
Nachher ist das Dach des Ziromerj
noch mit Seegras bedeckt worden,
während zwischen die Holzbalken
Seegras geschichtet wurde. Auch
Hess ich die Diele des Bodens rings-
um durchsägen und die so ent-
standenen Spalten mit Blei wieder
nch Hessen.
p
Tafel A.
Vertikaler Durchschnitt des Zimmers vom Norden nach dem Süden
(durch die Türen und die zwei Fenster).
cfiÄ^
J8
1 rr — ■■-.'^^i.'rt*^:"^
Seitenmauer mit Blcistopfen.
Vehlaü von J. f. Beh(.;mann, Wiesbadkn.
eines geräuschlosen TJntersachungszimmers. 255
Ecken zeigen sich infolge dessen während des Tages hell helenchtet.
Die Ventilation wird, wie beschrieben, zwischen den Yersachen darch
das dann zn öffnende Fenster vorgenonunen.' Von Zeit zu Zeit lasse
man von einem Staabsaugapparat eine gründliche Reinigung vornehmen,
wenn nötig, eine Formalindampfdesinfektion stattfinden. Unser Labora-
torium-Yersuchszimmer hat sich jedoch auch ohne diese Maisnahmen
während der vier Jahre seiner Existenz in vorzüglichem Zustande erhalten.
Zusammenfassung.
Das oben geschilderte akustische Zimmer hat fünf Charaktere:
1. Durch eine dünne Luftschicht getrennte, mehrschichtige Doppcl-
wände.
2. Reflektionslose, schalldichte Trichopiese als innere Auskleidung.
3. I^eichter, schalldichter Korkstein als äussere Auskleidung.
4. Trennung von der Aussenmauer des Gebäudes durch einen ein-
gemauerten kleinen Nebenraum.
.5. Durchbohrung der Seitenwände durch akustisch isolierte Blei-
stopfen.
256 G. Alexander: Entfernung eines Fremdkörpers ans dem Ohre
XIV.
(Aus der Üniversitäts-Ohrenklinik [Vorstand: Hofrat
Professor Pollitzer] in Wien.)
Entfernung eines Fremdkörpers aus dem Ohre
mit dem Elektromagnet.
Von Q. Alezander in Wien.
Die Mitteilung von Koellreutter (diese Zeitschrift Bd. 52>
veranlasst mich hier einen Fall mitzuteilen, in welchem ich eine in der .
Tiefe des äusseren Tiehörganges eingekeilte Stahlkugel mit Hilfe des
von den Ophthalmologen benutzten Hirschberg sehen Elektromagneten
entfernt habe. Über den Fall sind folgende Daten vorhanden^):
Der 4 jährige Johann F. hatte sich am Vormittag des 10. September
1901 eine Eisenkugel aus dem Kugellager eines Fahrrades in den linken
äusseren Gehörgang gebracht, eine Stunde später wurde ein Arzt auf-
gesucht. Derselbe versuchte zunächst, den Fremdkörper durch Aus-
spritzen zu entfernen. Als dies nicht gelang, ging er mit einer Pinzette
in den Gehörgang ein, vermochte jedoch auch damit die Kugel "nicht
zu extrahieren. Schliesslich stand er, da das Kind lebhafte Schmerzen
äusserte und sich eine Blutung aus dem äusseren Gehörgang einstellte^
von weiteren Versuchen ab und wies die Mutter an die Üniversitäts-
Ohrenklinik.
Bei der Aufnahme an die Klinik wird das Kind äusserst ängstlich .
und erregt gefunden. Es besteben mäfsige linksseitige Ohrschmerzen.
Otoskopisch zeigt sich der normal weite Gehörgang von Blut erftlUt,
und nach Sptllung erblickt man im Grunde des Gehörganges die konvexe,
spiegelnde Metallfläche der Eisenkugel.
Ich versuchte nun die Kugel durch Spritzen zu entfernen ; zunächst
in gewöhnlicher Kopfstellung bei weit geöffnetem Munde des Patienten,
dann in linker Seitenlage b^i aufwärts gerichtetem Spritzenstrahl und
in der von Voltolini und He dinge r empfohlenen Rückenlage mit
überhängendem Kopfe.
Die Kugel änderte ihre Lage nicht im geringsten. Ich brachte
nun das Kind an die ü. Augenklinik, um die Kugel mit dem Magnet
zu entfernen. Zunächst wurde dabei der Ha ab sehe Elektromagnet
angewendet.
Unter dem überaus starken magnetischen Strom rückte die Kugel
eine eben merkliche Strecke nach aussen, extrahiert wurde sie jedoch
nicht. Da der Knabe sehr unruhig war und sein linkes Ohr nur mit
Mühe an den kegelförmigen Magnetpol gebracht werden konnte, liess
1) Siehe auch Klinisch-therapeutische Wochenschrift, Wien 1901, Nr. 48.
r
mit dem Elektromagnet. 257"
ich das Kind narkotisieren, um noch einen Versuch mit dem Hirsch-
bergschen Magnet zu machen und, falls auch dies erfolglos sein sollte^
die Kugel nach Ahlösung des häutigen Gehörganges zu entfernen.
Mit dem Hirschbergschen Magnet, der mit einem geeigneten
griffeiförmigen Ansätze versehen wurde, gelang die Extraktion sofort.
Sobald der Ansatz auf etwa 0,5 cm Tiefe in den äusseren Gehörgang
gebracht worden war, wurde unter einem hörbaren Klatschen die Kugel
angezogen und blieb am Magnet, der nun zurückgezogen wurde, haften.
Die nunmehr mögliche Inspektion des Trommelfelles ergab eine
etwa 2 mm lange , vertikal verlaufende Ruptur im hinteren , oberen
Quadranten, in deren Umgebung das Trommelfell in der Grösse eines
Hanfkorns dellenförmig eingedrückt erschien. Das innere Gehörgangs-
ende ist in der ganzen Zirkumferenz blutig suflfundiert, zum Teile
exkoriiert.
Die Ruptur des Trommelfelles ist durch den Arzt bei seinem Ver-
suche, die Kugel mit der Pinzette zu entfernen, erzeugt worden, indem
die Kugel, den Branchen entgleitend, gegen das Mittelohr zurückwich
und so das Trommelfell eindrückte. Ausserdem erschien sie jetzt in
die Gehörgangstiefe jenseits des Isthmus einge'keilt. In dieser Beziehung
gehört also der vorliegende Fall in die grosse Reihe derjenigen, in
welchen durch irrationelle Extraktionsversuche von Gehörgangsfremd-
körpern Verletzungen dieses letzteren und des Trommelfelles entstanden
sind. Durch die Entfernung des Fremdkörpers mit dem Elektromagneten
ist dem Kinde die operative Extraktion der eingekeilten Kugel durch
Ablösung des häutigen Gehörganges, eventuell sogar durch Entfernung
der hinteren, knöchernen Gehörgangswand erspart worden, upd ich
glaube, für alle magnetopositiven Fremdkörper des Gehörorganes (Stahl-
perlen und ähnliches) die Entfernung mit dem Elektromagneten empfehlen
zu können.
258 M. Th. Edelmann: Obertonfreie Stimmgabeln obne Belastung.
XV.
Obertonfreie Stimmgabeln ohne Belastung.
Von Prof. Dr. K. Th. Edelmann in München.
Mit 4 Abbildungen im Text.
I.
Im Besitze des Herrn Hofrates Prof. Dr. Bezold befindet sich
-eine anbelastete A-Gabel (110 v. d.) von merkwürdiger Eigenschaft:
wenn man ihren Stiel fest in die Hand nimmt, and dieselbe mit dem
•der Bezoldschen Tonreihe beigegebenen Gammischlagel so kräftig als
möglich anschlägt, so erlischt ihr erster Zinken-Oberton bereits nach
zwei Sekunden vollständig, während der Grundton im ganzen zirka
90 Sekunden lang hörbar ist.
Bei jeder anderen Gabel bleibt unter ähnlichen Umständen der
•erste Oberton der Zinken verhältnismäfsig viel länger bestehen, haupt-
sächlich dann, wenn die Gabeln aus vorzüglichem Materiale und mög-
lichst formrichtig hergestellt werden. So war z. B. bei einer Kopie
obiger Gabel die Hördauer für den Grundton zirka 200 Sekunden und
für den ersten Oberton 53 Sekunden.^)
Infolge ihrer relativen Obertönefreiheit eignet sich selbstverstÄnd-
lich die Bezoldsche Original- A-Gabel ganz vorzüglich zur Vornahme
•der verschiedenen Hörprüfungen von Luft- und Enochenleitung , des
Schwabachschen und Rinneschen Versuches etc.-) Bezold hat
deshalb seit Jahren immer von neuem darauf gedrungen, dass bezüglich
■der Kopien seiner A-Gabel die obengeschilderten Eigenschaften unbedingt
wieder erreicht werden müssten; er legte besonderes Gewicht auf Ver-
vollkommnung gerade dieser Gabel, weil er seit vielen Jahren damit
-(und mit einer a^- Gabel) vorwiegend die Knochenleitungsdauer voni
•Scheitel aus geprüft hat.*) Allein alle Mühe in dieser Richtung war
bis vor kurzer Zeit durchaus vergeblich. Wollte man den stören-
1) Derselbe war etwa f^ = 690 v. d. Bekanntlich kann man zwar noch
höhere Obertöne hervorbringen; allein solche kommen wegen ihrer nnter allen
Umständen nur sehr kurzen Dauer bei den Hörprüfungen der Otiater weniger
in Betracht.
2) Lehrbuch der Ohrenheilkunde von Bezold, Wiesbaden 1906, S. 77«
9) Statistische Ergebnisse etc. 1887; in denges. Abb.: ,Über die funktionelle
Prüfung des raenschl. Gehörorgans", Bd. I, S. 60 von Bezold, Wiesbaden 1897.
r
M. Tb. Edelmann: Obertonfreie Stimmgabeln ohne Belastung. 259
deu Oberton wegbringen, so blieb nichts anderes übrig, als entweder
durch kurzes Berühren der Gabel an geeigneter Stelle — dem Schwingungs-
banch b ') — den Oberton abzudämpfen, oder es musste an eben diesem
Orte über die Zinken (nach Appun) je ein Stück Gummischlauch ge-
schoben sein, welches die nötige Dämpfung besorgt.
Es wird vielleicht von allgemeinerem Interesse sein, den Werdegang
von ohertonfreien Stimmgabeln zu schildern, da er die Lösung einer
akustischen Aufgabe darstellt, welche zunächst unlösbar zu sein schien,
nachdem formgetreue Nachbildung der Bezoldschen Gabel und viele
andere Versuche durchaus resultatlos blieben ; es war hier geradeso wie
bei den alten italienischen Meistergeigen, auch die getreueste Nach-
bildung einer Amati -Geige liefert bekanntlich keine solche; man
schiebt die Ursache des Misserfolges — vielleicht auch bei den Geigen
mit Unrecht — auf das angewandte Material, welches nicht mehr zur
Verfügung steht und hat damit eine billige Entschuldigung; aber die^
Sache ist, wenigstens was die Stimmgabeln anbetrifft, vollkommen anders
gelagert.
Die Ausmafse der Bezoldschen Original- A-Gabel sind: Zinken-
länge 250 mm, deren Dicke 7,5 mm, Breite 19mm; innere Entfernung
der Zinken von einander im Mittel 20 mm; Länge des Stieles 130 mm:
letzterer ist rund, konisch und zwar da, wo
er an der Gabel ansitzt 15 mm, an seinem Fig. 1.
Ende 17 mm dick. Die Gabel wurde von einem ^^
Schlosser hergestellt und erweist sich, vom Stand-
punkte des Präzisions mechanikers aus betrachtet, a -
als recht minderwertig gearbeitet.
So lange nun die Gabel in dem Zustande
sich befand, wie sie bis jetzt geschildert ist, u..
hatte dieselbe ebenso ihren Oberton, wie jede
andere Stimmgabel; sie war für Hörprüfungs-
versuche wenig geeignet. Als sie aber Bezold
an jener Stelle, wo sich der Stiel an der Gabel
ansetzt, in einem Schraubstock einklemmte, war
sie obertonfrei, und dieser Versuch war für
ihn die Veranlassung, dass er an eben dieser
1) Fig. 1 zeigt die Sehwingungsform der Zinken für diesen Oberton; bei
a bildet sich ein Schwingungsknoten; bei b und c sind die Stellen grösster
£longation.
260 M. Th. Edelmann: Obertonfreie Stimmgabeln ohne Belastung.
Fig. 2.
Stelle vermitteist eines aus zwei Teilen ab Fig. 2 hergestellten und
mit Zinn aufgelöteten zylindrischen Wulstes (22 ram dick, 13 mm hoch)
die Gabel belasten Hess; nun war und blieb die Gabel obertonfrei.
Indessen, wie schon oben erzählt : so viele Gabeln (aus allen möglichen
Materialien) ich herstellen Hess, und was man auch als Belastung an-
lötete, die Gabeln wollten die unangenehme Eigenschaft, ihren lang-
tönenden ersten Oberton erklingen zu lassen, nicht ablegen. Manchmal
schien zwar der Oberton etw^as ktlrzer dauernd zu werden^
allein das einzige Heilmittel war und blieb eben doch
nur der übergeschobene Gummischlauch; und doch war
durch die Bezoldsche Originalgabel unumstössHch dar-
getan, dass die Möglichkeit der Herstellung von oberton-
freien Stimmgabeln vorhanden sei. Nun kam der Zufall
zu Hilfe.
Im Laufe von etwa zehn Jahren, seit welcher Zeit
einige Tausend Bezold scher Gabeln hergestellt worden
sind, hat es sich ereignet, dass manchmal der Schmied,
ein äusserst zuverlässiger Arbeiter, eine Stimmgabel ab-
lieferte, welche schon im unbearbeiteten Zustande eine
auffallend kurze Schwingungsdauer für den Grundton
hatte; solche Gabeln w^urden, obwohl sie äusserlich gut
aussahen und der Schmied behauptete, »es könne nichts
fehlen«, als selbstverständlich mit Querrissen behaftet,
zurückgewiesen ; eine solche habe ich seit geraumer Zeit
als Kuriosum aufbewahrt.
Vor kurzer Zeit wurde wieder ein Dutzend unbelasteter
g^-Gabeln abgeliefert, welche sämtlich im rohen Zu-
stande eine sehr lange Schwingungsdauer hatten: nach
ihrer FertigsteUung hatte aber eine derselben gar
keinen Ton; sie war akustisch etwa ebenso wertlos
wie ein blecherner Löffel. Dies erschieti nun doch sehr
merkwürdig, da unter gar keinen Umstänrlen angenommen werden konnte,
dass die Stimmgabel während ihrer Bearbeitung ausgetauscht werden
oder gar einen Riss hätte bekommen können; wie sollte man auch im
Stande sein, eine so derbe Form von nur 85 mm langen und 15 mm
dicken und breiten Zinken zu verderben.
Als die Gabel kräftig in einen Schraubstock geklemmt wurde,
konnte man sie zwar etwas weniges biegen, aber sie brach nicht; folg-
lich hatte sie auch keinen Riss: sie war »nicht unganz«, wie der
r
M. Th. Edelmann: Obertonfreie Stimmgabeln ohne Belastung. 261
terminus technicus lautet. Der Grund, warum sie, an dem Stiele zur
Hand genommen und an den Zinken angeschlagen, gar keinen Ton hören
liess, war bald gefunden und erklärt.
Man kann jede Stimmgabel auf zweierlei Weise zum Tönen bringen :
Zunächst als Stimmgabel wie gewöhnlich; sodann aber auch dadurch,
dass man sie, wie Fig. 3 zeigt, auf zwei hölzerne Schneiden legt und
Fig. 3.
e
A
#
^
y
// /
T
i)
in der Mitte bei a oder am Stielende bei b mit einem harten Gegen-
stande anschlägt. Sie erklingt dann in der Art, wie eine auf zwei
Schneiden frei aufliegende parallelepipedische Metallplatte oder ein
elastischer Stab Fig. 4 ; an zwei Punkten c d bilden sich Schwingungs-
knoten; hier bleibt der Stab in Ruhe und es müssen auch, wenn der
Ton möglichst rein und anhaltend sein soll, die beiden Schneiden genau
an den passenden Stellen untergelegt werden. In der Mitte bei e ist
. Fig. 4.
p e H
?*-
I I
\
der Ort der grössten Elongation (Bauch). Auch beide Enden des Stabes
schwingen, jedoch selbstversändlich nach abwärts, wenn e nach aufwärts
geht und umgekehrt. Es soll im weiteren Verlaufe dieser Zeilen der
so erzeugte Ton »Plattenton« genannt werden, während der auf gewöhn-
liche Weise durch Anschlagen der Gabel an den Zinken hervorgebrachte
als »Zinkenton« bezeichnet wird.
Als nun unsere klanglose Stimmgabel in Bezug auf diese zwei
Töne untersucht wurde, stellte es sich heraus, dass bei derselben der
Plattenton (zufällig) dem Zinkenton gleich geraten war.
262 M. Th. Edelmann: Oberton freie Stimmgabeln ohne Belastung.
Bas nämliche konnte auch sehr nahezu bei der oben erwähnten
unbearbeiteten Gabel konstatiert werden und eine dritte Stimmgabel, bei
welcher ursprünglich der Plattenton um eine kleine Terz höher als der
Zinkenton war (wobei die Gabel eine lange Schwingnngsdauer besass)^
wurde um so kürzer tönend, je näher durch Befeilen beide Töne ein-
ander gebracht wurden. Nachdem sie identisch geworden, war auch
diese Gfibel, am Stiele fest zur Hand genommen, stumm. Um auch an
einer solchen Gabel den Zinkenton hervorbringen zu können, hängt man
die Gabel an einer Schnur zwischen beiden Zinken auf; ihr Stiel wird
hierbei nicht gebremst und sie schwingt dann ziemlich lange; je fester
man dagegen den Stiel in die Hand nimmt, desto klangloser erweist
sie sich.
Die Erklärung hierfür ist ganz einfach: Die Schwingungen der
Zinken fangen mit ihrem Entstehen an, sich sofort durch Resonanz^)
in den Plattenton umzusetzen. Beim Schwingungsvorgang des Platten-
tones vibriert aber auch der Stiel der Gabel transversal und letztere
Schwingungen werden von der Hand, die den Stiel umfasst, aufgenommen
und gedämpft, so dass schon nach kürzester Zeit durch Umsetzung des
Zinkentones in Plattenton die ganze Schwingungsenergie vernichtet ist.
Nach der Erkenntnis, dass man den Grundton einer Stimmgabel
ertöten känn^), lag der Gedanke nahe, auf dieselbe Weise auch den
ersten Oberton zu annullieren: man hat der Stimmgabel nur eine
solche Form zu geben, dass nunmehr ihr erster Oberton identisch mit
ihrem Plattenton wird ; der erste Versuch bewies sofort die volle Richtig-
keit dieses Gedankens. Je näher man dieser Identität kommt, desto
Zinkenoberton-reiner wird die am Stiele gehaltene Gabel; und als die
Bezoldsche Originalgabel auf dieses hin untersucht wurde, stellte es
sich heraus, dass durch die oben beschriebene Belastung des Stieles
zufällig die Identität zwischen Oberton der Zinken und Plattenton er-
reicht worden war. Es bietet nach dieser Erkenntnis nunmehr durch-
1) Nach dem akustischen Grundsätze: »Wenn in einem Körper zwei, Ter-
schiedenen Schwingungsarten angehörende Töne nahezu im Einklänge stehen,
so kann keiner dieser Töne für sich allein hervorgerufen werden." Pisko, Die
neueren Apparate der Akustik, Wien 1865, S. 154.
S) Diese Erfahrung lehrt nehenbei umgekehrt, dass lange im Grundton
schwingende Gabeln nur dann zustande kommen, wenn zwischen Grnndton und
Plattenton ein hinreichender Unterschied stattfindet. Ausserdem spielt selbst-
verständlich die richtige Wahl des Materials und Formvollendung eine wesent-
liche Bolle.
]f. Th. Edelmann: Obertonfreie Stimmgabeln ohne Belastung. 26$
aus keine Schwierigkeiten mehr, auch unbelastet gelassene obertonfreie-
Stimmgabeln zu liefern.^)
II.
Ausser dem ersten Obertone der Zinken kann man bei vielen
Stimmgabeln — und zwar am Stiele — bekanntlich noch die nächst-
höherliegende Oktave des Grund tones wahrnehmen.^) Dieser Begleitton
ist bei Versuchen über Knochenleitung, wo das Stielende als Tonquelle
benutzt wird, in besonderem Grade störend, umsomehr als dieser Ton
nicht wie die Zinken-Obertöne durch Berühren der Zinken gedämpft
werden kann; diese Oktave dauert, wenn überhaupt vorhanden, ebensa
lange als der Grundton, da sie durch die Bewegung der Zinken kine-
matisch erzwungen wird.
In dieser Zeitschrift^) habe ich bereits ausführlich dargelegt, auf
welche Weise dieser aus longitudinalen Schwingungen des Stieles be-
stehende Ton entsteht, und dass derselbe ausbleiben muss, wenn die
beiden Schwerpunkte der Zinken von einander einen grösseren (oder
kleineren) Abstand haben, als jene beiden Orte unten am Scheitel der
Gabeln, welche vermöge der elastischen Biegsamkeit des Stahles gleich-
sam als Drehachsen für die Oscillation der Zinken dienen.
Diese erforderliche Verlegung des Schwerpunktes der Zinken an
normal geformten Stimmgabeln (d. h. an solchen, bei welchen die Zinken
parallel zu einander verlaufen) aus der Symmetrieachse jeder Zinke
heraus nach ihrer Aussenseite geschieht bei den belasteten Gabeln der
Bezoldschen Tonreihe vermöge der gegenüber den Zinken unsym-
metrischen Form der Belastungsgewichte.^) Bei solchen Gabeln ist, wie
wir bereits wissen, die Oktave am Stiele vollkommen vermieden.
Bei normal gearbeiteten Gabeln (Zinken parallel) der alteren Form ^),.
an welchen wegen der elastischen Biegsamkeit des Scheitelbogens die
Oscillationen der Zinken schon nahe beim Stiel beginnen, liegen die
1) Die mit Schiebegewichten belasteten Gabeln der Bezoldschen Tonreihe
sind vermöge der die Obertöne d&mpfenden Wirkung der Belastnngsgewichte
gtets obertöuefrei.
^ Edelman-n, Untersuchungen über den Schwingangsvorgang am Stiele
tönender Stimmgabeln; diese Zeitschr. LIII, S. 341.
^ Kinematische Studie über die longitudinalen Bewegungen des Stieles-
einer tönenden Stimmgabel, LIII, S. 64.
*) Diese Zeitschr. Uli, S. 68.
5) Diese Zeitschr. LIII, S 342, Fig. 1.
■1>64 M. Th. Edelmann: Obertonfreie Stimmgabeln ohne Belastung.
Drehpunkte der Zinken eo ipsp näher aneinander, als die Schwerpunkte
-der Zinken, weshalb hier die Oktave des Grundtones wenig in Erscheinung
tritt, insbesondere dann, wenn der Bogen von gleicher oder geringerer
Dicke als die Zinken geformt wird, ferner wenn diesem Bogen ein ver-
hältnismäfsig grosser Durchmesser gegeben wird, d. h. immer dann,
wenn die Drehachsen der Zinken möglichst nahe an den Stiel heran-
rücken.
Ein sehr einfaches Mittel aber, die Schwerpunkte der Zinken nach
aussen zu verlegen und jeder Gabel diesen störenden Begleitton zu
nehmen, ergibt sich daraus, dass man die Zinken nicht parallel zu
rsich verlaufen lässt, sondern denselben oben einen grösseren Abstand
gibt, als unten am Scheitel. Auch bei der Bezold sehen Original-
A-Gabel, welche, wie eingangs erwähnt, sich nicht durch vollkommene
Mechaniker-Arbeit auszeichnet, ist vermöge ihrer mangelhaften Form-
gebung ein Klaffen der Zinken bemerkbar und damit auch wieder zu-
fällig (ausser der an sich so ziemlich oktavenfreien älteren Form) er-
reicht worden, dass die Stiel-Oktave fehlt und diese Stimmgabel in
ihren vortrefflichen akustischen Eigenschaften als Muster dienen konnte.
IlL
In den vorstehenden Zeilen sind die Regeln und deren wissenschaft-
liche Begründung angegeben, um auch unbelastete Stimmgabeln oberton-
und stieltonfrei herzustellen. Dass hierdurch otiatrisch brauchbare Stimm-
gabeln entstehen, haben nachfolgende neue Zeitbestimmungen am normalen
Ohre ergeben, welche Bezold mit seiner alten und der nach obigen
Regeln hergestellten neuen A-Gabel erhalten hat.
1. Bezolds Original- A-Gabel : Schwingungsdauer durch Luftleitung
allein 93 Sek. ; auf den Scheitel aufgesetzt klingt dieselbe
durchschnittlich 24 Sek. und dann per Luft am Ohre weitere
• 42 Sek.
2. Edelmanns neue A-Gabel: Luftleitung 170 Sek.; Knochen-
leitung 30 Sek. und dann noch am Ohre 53 Sek.
Zeitschrift f. Ohrenheilkunde LIV
/
C. Krapf. Jith
Taf. XX/xxi
Ver/aff v J F Bergmann. W/esr.aät^n
Zeitschrift f. Ohrenheilkunde UV
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9.
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Epithel v.d vord Flachs d. Cr isla amßuU ext.
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C.Krapf. hth
Taf. XM/xxffl
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VtrJagr v J. F Bergmann, Wiesbaden
Seitsehrift f. Ohranholknnde LIV.
Tafel XXIV.
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Zeitsehrift f. Ohrenheilkunde LIV.
Tafel XXVI.
Verlag von J. F. Bsromann In Wiesbaden.
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9. von normalem Kontrollmaterial. 5. Spindelzelle Spörick's.
rrn von Spörick (nach Nissl-Präparaten).
F. S i e b e nin a n n u. B. ß i n g : Über den Labyrinth- u. Hirnbefand etc. 265
XVI.
Über den Labyrinth- und Hirnbefund bei einem
an Retinitis pigmentosa erblindeten Angeboren-
Taubstummen.
Von Prof. F. Siebenxnann und Br. B. Bing in Baael.
Mit 23 Abb. auf Taf. XX— XXVIII.
I.
Bei den angeborenen Formen von Taubstammheit findet sich in der
Kegel eine normale Beaktion auf mechanische, galvanische und thermische
Reize, und in Übereinstimmung damit beschränken sich die anatomischen
Veränderungen auf die Schnecke (und den Sacculus). £ine eigenartige
Ausnahme bilden die an Retinitis pigmentosa leidenden Taubstummen, deren
Vestibularapparat experimentell und klinisch sich wie bei der Mehrzahl der
nach der Geburt Ertaubten verhält. Nach der Ansicht von Bezold, der
zuerst auf diese Tatsache aufmerksam gemacht hat, ist zu erwarten, dass
bei den mit Retinitis pigmentosa kombinierten Formen von angeborener
Taubheit tiefere anatomische Störungen nicht nur in der Schnecke
sondern auch in dem häutigen Bogengangsapparat vorhanden sein müssen.
Sektionen, welche nach dieser Richtung hin Aufschluss zu geben ver-
möchten, lagen aber bis heute nicht vor.^) Um so grösserer Wert kommt
nun dem folgenden Falle zu, welcher sowohl klinisch als anatomisch
genau beobachtet worden ist.
Herr Dr. Bing, Dozent für Neurologie in Basel, hatte zudem die
Freundlichkeit, auch die Veränderungen in der zentralen Akustikusbahn
einer besonderen Untersuchung zu unterwerfen und seine interessanten
Resultate an dieser Stelle d. h. im zweiten Teile der Arbeit mitzuteilen.
1) Luc^e (A. f. 0. Bd. 15, S. 275/276) hat die Sektion der Gehörorgane
eines an Retinitis pigmentosa leidenden Mannes mitgeteilt, welcher im 6. Lebens-
jahre ertaubte und erblindete. Es fanden sich noch Hörreste in der Mitte
der perzipierbaren Skala und zwar dehnte sich dieser Rest mehr nach
unten als nach oben aus. — Das Mittelohr wie der Nervus acusticus waren ohne
wesentliche Veränderungen, die Striae acusticae dagegen atrophisch. Da die
Labyrinthe ohne weitere Fixation lediglich in Chromsäure resp. in Grlyzerin auf-
bewahrt und offenbar weder entkalkt noch mikroskopisch geschnitten worden
sind, lässt sich der Befund (Pigmentation der Lamina spiralis« Otolithenbildung
auf den Cortischen Fasern, schwarze Ealkklumpen an mehreren Stellen etc.)
leider nicht verwerten, muss aber der Vollständigkeit halber doch hier erwähnt
werden.
Zeiteehrift fftr Ohrenheilkande, Bd. LIV. 18
266 F. Siebenmann a. R. Bing: Über den Labyrinth- u. Hirnbefund
Es handelt sich um einen der taabstammen Mecklenburger, welche-
von Cb. Lemcke anlässlich seiner bekannten verdienstvollen Samniel-
forschnng nntersacht worden sind.
Spörik, Carl, Korbmacher, geb. 1834, gest. 1903.
Patient trägt die Nummer 2S der Lemcke sehen Statistik. Er
wurde, wie wir dem betreffenden, von Prof. Körne^; uns gütigst zur
Einsicht fibersandten Journal entnehmen, 6 Jahre nach der Verheiratung
seiner unter sich nicht verwandten Eltern geboren und zwar als das
4. von 8 Kindern. Von seinen 7 Geschwistern waren das 2., 6. und 8.
— 2 Schwestern und 1 Bruder — angeboren taubstumm. Die Taub-
heit war nach der Untersuchung von Lemcke auch bei dem 2. (Mädchen)
und 6. Kinde (Knabe) eine totale; das letztere litt zudem an Retinitis
pigmentosa, und die galvanische Prfifung des statischen Sinnes ergab
bei beiden in gleicher Weise keine deutliche Reaktion. Das 8. Kind,
ein taubstummes Mädchen, scheint nicht untersucht worden zu sein,
wenigstens sind hierQber keine Notizen vorhanden. Das 1. Kind starb
im »frtkhesten Alter* und war angeblich vollsinnig (?). Weitere Fälle
von Taubstummheit sind in der Familie, auch bei den Seiten verwandten,
nicht vorhanden. Ebenso fehlen Fälle mit Tuberkulose, Lues, Potatorium
und Geisteskrankheit. Patient hat nie gehört und nie gesprochen.
Später erblindete er. Zeichen von Skrophulose, Tuberkulose, Rhachitis,
Lues, Lähmung, Epilepsie und Blödsinn waren, wie Lemcke angibt^
nicht vorhanden.
Die gegen Ende der 80 er Jahre vorgenommene Untersuchung des
äusseren Ohres und seiner Umgebung sowie des Trommelfelles ergab
normale Verhältnisse. Patient hörte keine Stimmgabeln und keine
Vokale. Die Prüfung der Kopfknochenleitung lieferte unsichere Resultate.
Ebenso fehlte eine deutliche galvanische Reaktion der beiden Gehör-
organe.
Die beiden Felsenbeine, welche der Sammlung von Herrn Professor
Körner entstammen, wurden sofort nach dem 1903 erfolgten Tode
der Leiche entnommen, aber entgegen der von Herrn Prof. Körner
getroffenen Bestimmung erst nach 18 Stunden in Müll er sehe Lösung
und später in Formol-Müller verbracht; sie wurden uns am 7. Juni 1904
mit dem betreffenden, in 10 ®/o Formol aufbewahrten Gehirn durch
Herrn Prof. Körner übergeben. Hier in Basel wurden sie am 15. Juni
zunächst während einem Tage ausgewaschen, dann 3 Tage in Alkohol
nachgehärtet, bis am 3. Juli in 5 ^/^ Salpetersäure entkalkt und bis
am 13. Juli in Alkohol entwässert. Dann wurde ein aus Mittelohr
und Labyrinth bestehender Würfel aus jedem Felsenbein herausgeschnitten^
bis Ende August mit Zelloidin durchtränkt, gehärtet und schliesslich in
Serienschnitte von 15 — 20 ccm zerlegt.
Bei der nun folgenden mikroskopischen Untersuchung stellte sich
heraus, dass zwar die Konservierung des Präparates ziemlich gut und
sämtliche Hohlräume desselben mit Ausnahme der oberen und äusserea
bei einem an Betinitis pigmentosa erblindeten Angeboren-Tanbstummen. 267
Bogengänge auch vollkommen mit Zelloidin gefüllt waren. Allein der
Knochen erwies sich, wie ich dies schon früher bei einem in ähnlicher
Weise während mehreren Jahren in Müllerlösung aufbewahrten Präparate
gesehen habe, leider derart morsch und brüchig, dass schon das blosse
Herausschneiden des Würfels und namentlich das beim Einbettungs-
verfahren öfter notwendig werdende Erfassen derselben mit der Pinzette
genügt hatten^, ihn bis in die Hohlräume hinein zu quetschen. Die
dabei eintretenden typischen Weichteilzerreissungen kommen offenbar
hauptsächlich dann zu Stande, wenn das abnorm weiche und spröde
Präparat in der Richtung der Schneckenachse komprimiert und im
Querdurchmesser entsprechend gedehnt wird. Die Lamina spiralis mit
dem Cortischen Organ leidet dabei durchaus nicht, aber das Ligamentum
Spirale wird fast durchwegs vom Knochen losgelöst und die Reissn er-
sehe Membran durchgerissen.
In einem ähnlichen Falle würde es sich in Zukunft empfehlen, das
ganze Felsenbein, welches durch die längere Behandlung mit Solutio
Mülleri seine feste Konsistenz eingebüsst hat, zunächst unverkleinert in
Zelloidin einzubetten, in 80 ®/q Alkohol zu härten, dann zu entkalken
und den zu Serienschnitten bestimmten Würfel erst zum Schluss in der
gewünschten Form und Grösse aus dem eingebetteten und gehärteten
Präparat zu schneiden.
Das Resultat der mikroskopischen Untersuchung war
auf beiden Seiten ziemlich genau das gleiche:
Während das äussere und das mittlere Ohr inklusive Binnenmuskel
und Labyrinth fenster normale Verhältnisse ergaben, fanden sich im
Innern Ohr wichtige Veränderungen und zwar sowohl an den Nerven
als an den Nervencndstellen von Schnecke und Bogengangapparat.
a. Schneckenner? und Schnecke.
Der Nervenstamm des Cochlearis entspricht in seinem
Dickendurchmesser ungefähr der Norm; er ist aber sehr reich an
Bindegewebe und enthält nur wenige mit Eisenhämatoxylin van Gieson
sich schwärzende Fasern. Die Wände seiner Arterienstämme sind
kolossal verdickt, sodass das Lumen der Art. cochlearis und dasjenige
der Art. vestibulo-cochlearis nur die Hälfte der Norm beträgt; die
Hauptverdickung betrifft die Muskularis, in welcher keine Kerne sicht-
bar sind; im zentralen Ende finden sich an der Grenze der Adventitia
zwei tinctoriell ganz deutlich ausgeprägte und durch eine lockere Schicht
von konzentrisch angeordnetem Bindegewebe getrennte Verkalkungszonen.
Die Form und Grösse der knöchernen Schnecke im allgemeinen,
sowie der Skalendurchschnitte im besonderen ist anscheinend normal
(vergl. Taf. XX/XXI, Fig. 1). Die Ganglienzellen des Rosenthal-
schen Kanals sind dagegen in allen Windungen so spärlich vorhanden, dass
für je eine Windung deren nicht mehr als 5—20 pro Schnitt gezählt
werden. Die einzelnen noch vorhandenen Ganglien sind bezüglich Bau,
18*
26s P* Siebenmanu u. B. Bing: Über den Labyrinth- o. Hirnbefund
Grösse und Form ziemlich Dormal. Sie liegen mit den wenigen Nerven-
fasern in lockerem, grossmaschigem, entsprechend vermehrtem Binde-
gewebe.
Die Reissnersche Membran ist zwar überall nachweisbar,
besitzt aber nur auf wenigen Schnitten ihren normalen gestreckten
Verlauf, da sie durch die Vorbehandlung meistens entzwei gerissen ist.
Ein sorgfältiges Studium auf Serienschnitten ergibt aber, dass sowohl
Kollaps und Verklebung als Verschiebung der Ansatzstellen mit Sicher-
heit überall auszuschliessen ist. das Lumen des Ductus cochleans also
keine Veränderung erlitten hat.
In allen Windungen und auf sämtlichen Schnitten fehlt ein normales
Cortisches Organ. Im untersten Teil der Schnecke ist gar keine
Andeutung davon vorhanden. Erst am oberen Ende der Basalwindung
beginnt es aufzutreten als eine ganz flächenhafte einreihige Anhäufung
von sich etwas dunkler färbenden kubischen Epithelzellen mit fein-
kömigem Plasma (Taf. XXII; XXIII, Fig. 2); dieser Zellhaufen
sitzt aber abnormerweise der Crista ligam. spiralis be-
deutend näher als der Crista spiralis.
Verfolgen wir das Cortische Organ weiter gegen die Schneckenspitze
hin, so sehen wir, dass es in der Mittel Windung (Taf. XXII/XIII, Fig. 3 u. 4)
allmählich an seine richtige Stelle rückt und einen kompakten Haufen
zylindrischer Zellen bildet, ohne Tunnelräume, aber stellenweise mit
deutlicher normaler Anordnung der äussern und innem Stützzellen. Die
Cortischen Pfeiler' sind dagegen nirgends als solche differenziert, ebenso
wenig erkennbar sind die Deiterschen Zellen und noch weniger die
Haarzellen. Das ganze Organ besitzt etwa die Hälfte der normalen
Höhe; die Form des Durchschnittes ist flach oval. Seine Zellkerne
lassen sich nicht überall deutlich nachweisen. Von der Mitte der
mittleren Windung weg aufwärts atrophiert das Cortische Organ wieder
etwas, doch bleibt es bis in die Spitzenwindung hinein deutlich nach-
weisbar, ohne irgendwo derart abzuflachen, wie es in der Basalwindung
der Fall ist. Auf der linken Seite ist es im ganzen besser entwickelt
als rechts : man sieht sogar — allerdings bloss auf wenigen Schnitten —
in der Mitte der 2. Windung ein Cortisches Organ, an welchem die
Haar- und die Deiterschen Zellen mit ihren Kernen, sowie die äussern
und die Stützzellen beinahe vollständig entwickelt sind.
Die Membrana tectoria fehlt nirgends, ist aber überall und
namentlich in der Basalwindung, wo das Cortische Organ fehlt, auffallend
dünn und zart, auf dem Durchschnitt homogen hell und bildet ein
stellenweise kaum doppelt konturiertes Häutchen ; sein normalerweise auf
der untern Fläche hervorstehender Zahn fehlt überall, . ebenso die An-
schwellung im äussern Drittel.
Die Striavascularis erscheint im Ductus höher gegen die Membr.
Reissneri hinaufgerückt und schwächer ausgebildet zu sein als unter
normalen Verhältnissen, d. h. sie ist auf dem Durchschnitt von niederer
und dünnerer Gestalt. Namentlich in der Basalwindung ist diese
bei einem an Betinitis pigmentosa erblindeten Angeboren-Taubstummen. 269
Hypoplasie auffallend ausgesprochen, recbterseits fehlt die Stria völlig
an dieser Stelle. Im oberen Ende der Mittelwindung präsentiert sie
sich als ein kräftigerer, stellenweise zweihöckeriger Buokel. In der Mitte
der 2. Windung enthält sie recbterseits ein grosses, auf dem Durch-
schnitt wie eine Zyste erscheinendes Gefäss. — Die Zellen der Stria
sind locker gelagert, die oberflächliche Schicht zeigt die normale Dunkel-
färbung mit Eisenhämatoxylin weniger deutlich.
Die Lamina spiralis ossea ist etwas dünner als normal; ihr
für Nerven und Gefässe bestimmter Raum ist meist leer oder nur teil-
weise gefüllt mit kernarmem Bindegewebe. Das Labium vestibuläre
ist in der ßasalwindnng besonders lang und dünn. Die Claudiusschen
Zellen sind etwas plumper als normal : ihre Kerne sind besonders scharf
und deutlich gefärbt. Die tympanale Belagschicht der Lamina spiralis
membranacea ist etwa am die Hälfte dünner als normal. — Auffallend
dünn sind auch die knöchernen Zwischenwände der Skalen.
Das Ligamentum spiralje nimmt in seiner Mächtigkeit von
unten nach oben auffallend rasch ab. In der Basalwindung zeigen
sich Unregelraäfsigkeiten im Verlauf und unscharfe Konturierung seiner
Faserzüge.
Gefässe: Die früher erwähnten arteriosklerotischen Veränderungen
der grossen Stämme finden sich nur in ihrem retrolabyrinthären Verlauf;
intralabyrinthär sind die Gefässwandnngen im ganzen zart und meist von
normalem kapillärem Bau; hyaline Verdickungen finden sich selten. Die
Vaskularisation ist aber im ganzen Kapillargebiet eine auf-
fallend spärliche. Dafür sind die vorhandenen Gefässe um so weiter.
Dies tritt namentlich deutlich auf den Striadurchschnitten in den
knöchernen Zwischenwänden und im ganzen Ligam. spirale zu Tage ;
so findet sich z. B. in der Mitte der 2. Windung nur ein einziges
gewaltiges Gefdss der Stria; die Prominentia ligam. spiralis enthält
kein Gefäss. Auch die Spindel ist im ganzen etwas gefässarm. —
Sehr interessant ist der Umstand, dass ein Vas spirale nur in der
Mittelwindung, also auf derjenigen Strecke des Ductus sich findet, wo
das Cortische Organ weitaus am besten entwickelt ist. Doch liegt
abnormerweise das Gefäss hier nicht an der Stelle, welche dem Tunnel-
raume entsprechen würde, sondern vielmehr unter oder neben den
inneren Stützzellen, oder sogar noch etwas mehr spindelwärts von den-
selben, d. h. unter dem Sulcus internus. — Am deutlichsten zeigt sich
die Gefässarmut in den knöchernen Zwischenwänden, welche nur ^j^
der normalen Dicke besitzen und auf den meisten Schnitten gar keine
Kanäle aufweisen, sondern solid gebaut sind. Die wenigen Kanäle sind
eng, mit derbem Bindegewebe ausgefüllt; selten trifft man darin ein
radiäres enges Gefäss. Dies gilt auch von der Vaskularisation der
unteren Wand der Basalwindnng.
Der Pigmentgehalt ist nicht bedeutend, doch ist er nicht
abnorm gering. Grössere Anhäufungen finden sich in der Spindel nur
an wenigen Stellen der 2. u. 3. Windung Eine auffallende Pigment-
armut herrscht einzig im Gebiet der Stria vascularis.
270 F. Siebenmann u. R. Biog: Cber den Labyrinth- u. Hirnbefund
b. Yestibalum.
Bei blosser Lupenbetrachtang erscheint das . knöcherne Yestibulam
und sein häutiger Inhalt normal. Der Nervus vestibularis und
seine einzelnen Zweige sind kräftig entwickelt, die Ganglien bezüglich
Zahl, Grösse und Form ohne Besonderheit; die Maculae und Cristae
verhalten sich anscheinend auch normal, sowohl was ihre Lage and
Grösse, als ihre Zellstruktnr anbelangt. Bei näherer mikroskopischer
Untersuchung zeigt sich jedoch das Epithel der Cristen mit
normalen Präparaten verglichen um zirka ^/g zu niedrig,
an vereinzelten Stellen plump, gequollen, hyalin verändert, ohne die
normale leiterförmige Anordnung, wie ich sie zuerst in Bardelebens
Anatomie (Abschnitt Mittelohr und Labyrinth, Bd. V, S. 304/305) be-
schrieben und abgebildet habe (Taf. XXILXXIII, Fig. 8 u. 9). Das Ampullen-
epithel färbt sich femer mitEisenhämatoxylin (Heidenhain- van Gieson)
auffallend diffus schwarz, gegenüber dem auf dem nämlichen Schnitte heller
sich tingierenden Maculaepithel (Taf. XXII/XXIII, Fig. 5). Die hintere
Ampulle zeigt zudem namentlich in der Mitte eine eigentümliche Verdickung
und schollig hyaline Beschaffenheit der Basalmembran, welche sich unter Ver-
wischung der Grenzen auf das Epithel fortsetzt. — Während das Epithel des
Sacculus in Grösse, Gestalt und Anordnung links sich fast überall normal
verhält, ist das Sacculusepithel des rechten I^abyrinths, noch mehr aber
das Utriculusepithel beider Seiten hie und da auf kurze, etwa die Breite
von 1 — 3, seltener von 4 — 10 Zellen umfassende Strecken hyalin oder
colloid degeneriert und gequollen in Form von unregelmäfsigen, mit Eosin-
hämatoxylin blassrosa, seltener hellrot, mit Heidenhain-van Gieson
schwarz sich färbenden unregelmäfsigen Kugeln ,(Taf. XXII/XXIII, Fig. 6
und 7) ; die Oberfläche springt an solchen Stellen zuweilen bucklig vor.
Bezüglich der Otolithenmembran des ütriculus und der Eupula der
Ampullen lässt sich wegen dem etwas mangelhaften Konservierungs-
zustand des Präparates nichts absolut Sicheres aussagen. Jedenfalls
aber sind die Epithelwimpern des Sacculus stellenweise gut erhalten. —
Die Vaskularisation des Vestibulum scheint weniger gestört zu sein als
diejenige der Schnecke; doch lässt sich aubh hier wie in der Schnecke
fast überall wieder Armut an Kapillaren und hie und da abnorme Grösse
der wenigen vorhandenen Gefässzweige nachweisen. Die hintere AmpuUe
der rechten Seite bildet insofern eine Ausnahme, als sie angiomartig
von grossen strotzend gefüllten dünnwandigen Gefässen reichlich durch-
zogen wird. — Sowohl in der Schnecke als im Labyrinth finden sich
sehr selten hyaline oder colloide Endothel kugeln.
Kurz zusammengefasst handelt es sich in den beschriebenen Laby-
rinthen um folgende, zu der angeborenen Taubheit in ätiologischer Be-
ziehung stehende Veränderungen:
1. Hochgradige Atrophie des Ramus cochlearis und seiner Nerven-
zellen.
bei einem an Retinitis pigpnentosa erblindeten Angeboren-Taubstummen. 27 1
2. Sehr spärliche Vaskularisation der Nervenendstelien in Schnecke
und Vorhof; abnormer Verlauf und abnorme Weite typischer
Kapillaren.
3. Hypoplasie und teilweise Verlagerung des Cortischen Organs
und der Stria vascularis; die am besten entwickelte Strecke
liegt in der Mitte der mittleren Windung; in der unteren
Hälfte der Basalwindung fehlt jede Andeutung des Cortischen
Organs.
4. Streckenweise Degeneration des £pithels der Maculae und be-
sonders der Cristae bei anscheinend normalem Verhalten des
Ramus vestibularis mit seinen Ganglien und Zweigen.
5. Dagegen keine wesentlichen Veränderungen der Pigmentation
noch der Gefässwände im Labyrinth.
Epikrise: In unserem Falle kommt den Veränderungen in der
Schnecke kein ganz eigenartiger Charakter zu. Eine Vereinigung von
mangelhafter Entwicklung des Kapillarnetzes, Hypoplasie resp. Degene-
ration der Stria und des Cortischen Organs mit gänzlicher Aplasie des
letzteren in der Basalwindung haben Siebenmann-Oppikofer, so-
wie Alexander auch bei anderen angeboren Taubstummen gefunden,
bei denen keine Retinitis pigmentosa nachzuweisen war und in deren
Blutsverwandtschaft Fälle solcher Art fehlten. Auch der Umstand, dass
<lie besterhaltene Strecke in der mittleren Windung liegt, ist nicht neu ;
das Alles findet sich bei den Repräsentanten der Gruppe II A meiner
Einteilung (Anat. der Taubstummheit S. 70), zu denen auch der Fall
Denker gehört (Atlas der Anatomie der Taubstummheit 4. Lief.); bis dahin
nie beschrieben ist einzig die hier gefundene Dislokation des Corti-
schen Organs. — Der Umstand, dass in der Mitte der Länge des
Ductus cochlearis und unmittelbar darüber beiderseits das Cortische
Organ am besten entwickelt ist, gewinnt aber in dem vorliegenden Falle
ein ganz besonderes Interesse: Bezold (das Hörvermögen der Taub-
stummen, Wiesbaden 1896, S. 97 — 99) ftthrt nämlich unter seinen
Untersuchten zwei mit Retinitis pigmentosa Behaftete auf; von diesen
4 Gehörorganen war das eine total taub, während bei den 3 anderen
sich in übereinstimmender Weise eine Hörinsel fand, welche in der
kleinen und grossen Oktave lag und welche bei dem einen auch noch
ein Stück über die Kontraoktave sich ausbreitete. Einen ähnlichen Hörrest
beschreibt Lncae (s. o.). Findet sich nun eine solche relativ gut erhaltene
Strecke der Papilla acustica in der gleichen Weise und an nämlicher Stelle
regelmäfsig auch bei anderen Fällen von Taubheit, welche mit Retinitis
272 F. Siebenmann n. B. Bing: Über den Labyrinth- u. Hirnbefnnd
pigmentosa kompliziert sind, aber die von Bezold unterhalb der Mitte
der perzipierbaren Skala konstatierte Hörinsel noch besitzen, so dürftea
solche Befunde als Stütze für die v. H e 1 m h o 1 1 z sehe Theorie herangezogen
werden und dies um so eher, wenn, wie in unserem Falle, der besser
erhaltene Teil der Papilla acustica in dem Oberen Schneckenabschnitt,,
d. h. da liegt, wo nach H e 1 m h o 1 1 z die für die Perzeption der tieferen:
Töne gelegenen Sinneszellen sich finden. — Von Interesse ist ferner die
Tatsache, dass hier, gerade wie in dem früher von mir beschriebenea
Falle Anna Hill (Verb. d. D. otol. Ges. 1904) trotz Erhaltensein ganz:
weniger Ganglienzellen mit ihren Nervenbahnen und nur geringen Ver-
änderungen der dazugehörigen Strecke des CSortischen Organs doch
absolute Taubheit konstatiert worden ist. —
Bezüglich der vestibulär en Veränderungen waren wir auf grössere
augenfälligere Funde vorbereitet; denn Lemcke hatte bei unserm
Taubstummen einen deutlichen Defekt der galvanischen Reaktion vor-
gefunden und, wie es scheint, bildet die Reaktionslosigkeit des Vesti-
bulums ja überhaupt die Regel bei der mit Retinitis pigmentosa
kombinierten Form der Taubstummheit. Die beiden oben erwähnten
Taubstummen der B e z o 1 d sehen Untersuchungsreihe zeigten in gleicher
Weise unsicheren Gang und Herabsetzung der Schwindelerregbarkeit
bei aktivem und passivem Drehen. Bei einem dritten, ebenfalls hier-
hergehörigen Falle, ein angeboren taubstummes und schwachsichtiges
Kind betreffend, bei dem die Netzhaut nicht getigert aber auf einem
Auge fein punktiert und bei dem auch auf dem anderen Auge die
Netzhautgefässe sehr eng waren, wurde von Bezold beiderseits totale
Taubheit und starke Herabsetzung der Schwindelerregbarkeit konstatiert.
Durch neuere Untersuchungen von H. Frey und V. Hamm erschlag
sind diese Angaben Bezolds, soweit sie die Vestibularfunktion be-
treffen, durchaus bestätigt worden. Sie fanden nämlich (Untersuchungen
über den Drehschwindel der Taubstummen Z. f. 0. Bd. 48, 1904,
Seite 350) unter den auf Drehschwindel untersuchten 43 angeboren
Taubstummen 4 mit Retinitis pigmentosa. Davon waren 3 sicher total
taub, beim vierten ist das Resultat unsicher. Alle waren geistig zurück-
geblieben, zwei derselben hatten taubstumme imbecile resp. idiotische
Geschwister und alle 4 waren Drehversager. — In einer
anderen Untersuchungsreihe ergab die galvanische Reaktion, welche von
V. Hammerschlag (zur Kenntnis der hereditär-degenerativen Taub-
stummheit Z. f. 0. Bd. 51, Seite 87) bei 3 an Retinitis pigmentosa
leidenden Taubstummen geprüft wurde, dass in 2 Fällen bei der galva-
r
bei einem an Retinitis pigmentosa erblindeten Angeboren-Taubstummen. 27 $
nischen Prüfung wie beim Drehversuch die Reaktion ausblieb und bei
einem dritten Falle (Nr. 4 der Tabelle) dieselbe für beide Prüfungs^
weisen zwar vorhanden, aber sehr herabgesetzt war. ^ Über das Vor-
handensein allfälliger Hörreste ist in der letztern Arbeit nichts angegeben.
Die anatomischen Veränderungen, welche wir in Vestibulum..
Ampullen und Vorhofnerv gefunden haben, entsprechen diesen klinischen
Beobachtungen von Bezold, Frey und Hammerschlag nur un-
vollständig. Sie mtlssen geradezu als auffallend gering bezeichnet
werden. Wenn man bedenkt, dass die von Lemcke ausgeführte
Prüfung der statischen Funktion hier, in Übereinstimmung mit den an
anderen Fällen solcher Art gewonnenen Resultaten, gar keine Reaktion
zu erzielen vermochte, während doch der Vorhofnerv mit seinen Ganglien
nicht merklich verändert und das Epithel der Maculae auf lange Strecken
ganz normal ist, das Cristaepithei aber in der Hauptsache bloss durch,
etwas zu geringe Höhe und etwas verschiedene Färbbarkeit sich aus-
zeichnet. Weitere, an besser konservierten Präparaten gewonnene
Sektionsbefunde mögen vielleicht später noch weiteres Licht zur Klärung
dieser Frage verbreiten. Immerhin möchten wir schon an dieser Stelle
auf die im 2. Teil dieser Arbeit mitgeteilten Resultate von Bing hin-
weisen, wonach auch der zentrale Verlauf des N. vestibularis keine
Abnormitäten bietet.
Die von Bezold konstatierten Funktionsstörungen im Gehörorgan
von Taubstummen, welche an Retinitis pigmentosa leiden, legten ihm
den Gedanken nahe, dass >für diese Fälle in der Endausbreitung der
Hörnerven im Labyrinth analoge Veränderungen vorliegen, wie wir sie
in der Peripherie der Netzhaut direkt zu sehen imstande sind. Sogar
die Einengung des Gesichtsfeldes, welche die Sehstörung bei Retinitis
pigmentosa charakterisiert, fände in den- Gehörorganen seiner unter-
suchten Taubstummen ihre Analogie in einer ähnlichen Einengung des
Hörbereichs, welche sich natürlich auch einmal bis zum vollkommenen
Tonausfall steigern kann.« Es' liegt ja in der Tat sehr nahe, eine
Analogie der Veränderungen in der Schnecke mit denen des Augen-
hintergrundes zu vermuten und wir haben deshalb die histologischen
Veränderungen der letzteren zum Vergleich heranzuziehen versucht:
Die Beschreibung der anatomisch untersuchten Fälle von typischer
Retinitis pigmentosa durch die Ophthalmologen stimmen ziemlich mit
einander überein (Greeff). Danach stellen die hyalinen Gefäss-
veränderungen in der ganzen Chorioidea wohl die primäre Erkrankung
dar. Diese bewirkt ein Absterben der Pigmentepithelien und eine
1
274 F. Siebenmann u. R. Bing: Über den Labyrinth- u. Hirnbefund
Atrophie der Sinnesepithelien. Die geschädigten Pigmentepithelien werden
zuerst abgestossen und gelangen dann in die atrophische mit Hohl-
räumen durchsetzte Netzhaut und zwar hauptsächlich in die liymph-
scheiden der grossen Gefässe der Nervenfaserschicht. Aderhaut und
Netzhaut verwachsen, und an den entsprechenden Stellen gehen nicht
nur die nervösen Elemente zu Grrunde, so dass nur eine reine faserige
Struktur mit Ungezogenen Kernen übrig bleibt, sondern auch die
Ohorioidea atrophiert vollständig, so dass nur noch einige grössere
Oefässe erkennbar sind. Dieselben zeigen eine starke hyaline Ver-
dickung der Wandungen bis zur vollständigen Obliteration des Lumens.
Bezüglich der Veränderungen im Gebiete der Sinneszellen bestehen
in Aug und Ohr ja nun sicher eine Anzahl identischer Vorgänge und
Zustände. Vorzüglich ist es die Gefässarmut, welche sowohl im
Augenhintergrund als im Labyrinth in der nämlichen auffälligen Weise
zu Tage tritt; ferner zeigen die Sinnesepithelien der Schnecke
namentlich im untersten Teil der Basalwindung eine Form von Degene-
ration, wie sie in der Retina von Greef f u. a. gefunden und beschrieben
Avird; in beiden Organen ist sicher die Gefässarmut eine Ursache der
Degeneration, wie wir*) schon früher für das Taubstummenlabyrinth
sowie Alexander und T a u d 1 e r ^) bei ihren Untersuchungen an jungen
albinotischen Raubtieren es vermutungsweise ausgesprochen haben. Die
im Auge meist beobachtete Pigmentverschleppung ins Gebiet des
Sinnesepithels hinein fehlt dagegen selbstverständlich im Labyrinth, da
hier kein chorioideaähnliches exzesssiv pigmentreiches Gewebe unter der
nerven- und epitheltragenden Schicht der Schnecke liegt. Dass übrigens
auch die Pigmenteinwanderung in die Retina nicht unbedingt zum Bild
dieser Augenveränderungen gehört, sondern in seltenen Fällen fehlen
kann, ist bekannt und wird gerade durch den oben erwähnten dritten
Fall von Bezold illustriert. Ganz abweichend von dem für den Augen-
Hintergrund festgestellten histologischen Verhältnisse ist dagegen das Ver-
halten der Gefässwände im Labyrinth. Denn nur sehr selten haben vrir
Stellen mit hyaliner Degeneration und Verdickung gefunden; fast überall
waren vielmehr die Wände der feineren Labyrinthgefässe von zartem
kapillarem normalem Bau, und zwar sowohl in der Basis als in der
Spitze der Schnecke, im Vorhof wie in den Bogengängen.
Die Parallele zwischen Aug und Ohr auch auf die liOkalisation
<les Prozesses innerhalb der Fläche des befallenen Gebietes auszudehnen,
1) Anatomie der Taubstammheit. Wiesbaden 1904, S. 13.
2j A. f. 0. Bd. 66.
bei einem an Betinitis pigmentosa erblindeten Angeboren-Taubstummen. 275
dürfte kaum gestattet sein, da gewöhnlich der Augenhintergrund nicht
allein im Zentrum, sondern auch in der äusseren Zone der Peripherie
(Greeff) die wenigsten Veränderungen aufweist.
Erklärung der Figuren auf Tafel XX— XXIV.
Fig. 1. Axialer Horizontalschnitt durch die Schnecke.
Fig. 2. Ductus cochlearis in der Mitte der Basalwindnng. Das Cor tische
Organ ist in abnormer Weise nach aussen verlagert and bildet bloss
eine einreihige Schicht kubischer /eilen.
Fig. 3. Ductus cochlearis in der Mitte der 2. Windung der linken Schnecke.
Das Yas spirale ist verlagert.
Fig. 4. Cortisches Organ von der n&mlichen Stelle der rechten Schnecke.
Fig. 5. Horizontalschnitt durch die äussere Ampulle (A) und die Macula
utriculi (M).
Fig. 6—7 Bilder aus der Macala sacculi bei stärkerer Vergrösserung. Einzelne
Epithelien sind gequollen und teils hyalin teils coUoid degeneriert.
(Eisen-Haematoxylin-van Gieson.)
Fig. 8—9. Bilder von der Crista aropullae ext. bei stärkerer Vergrösserung.
(Eosin-Haematoxylinpräparat.)
II.
Bei der makroskopischen Untersuchung des Gehirns des
69jährigen Taubstummen Spörik') fanden sich nirgends meningi-
tische Veränderungen vor. Die Pia im ganzen relativ dick,
besonders über den Sylvischen Spalten. Gefässe durchwegs stark
entwickelt, dilatiert. An der Basilaris und über dem Circulus Willisii,
hauptsächlich aber an den Abgangsstellen der beiden Sylviae, zahl-
reiche sklerotische, knochenharte Plaques und Spangen.
Im angeschnittenen rechtsseitigen Schläfenlappen, unmittelbar unter
dem Gyrus uncinatus, erbsengrosse schwarzbraune Hämor-
rhagie.
Die Seiteuventrikel sind bei der Sektion eröffnet worden (nach
Virchow) und mit Watte austamponiert. Gewicht nach Abzug von
Pia und Gefässen 1266 g. [Korrektur für Formolhärtung nicht
anzubringen, da (nach Fla tau) bereits Rückkehr auf Anfangsgewicht
infolge des bereits 4 jährigen Aufenthalts in lO^/^ Formollösung schon
längst eingetreten sein muss. (Pat. f 1903.)]
^) Die hier mitgeteilten Notizen über den Gehirnbefund können nur den
Charakter einer .vorläufigen Mitteilung" beanspruchen, da die Durch antersuchung
des Gehirns noch geraume Zeit erheischen wird, aber die Veröffentlichung des
bereits Festgestellten Herrn Prof. Siebenmann schon im Anschluss an seine
Arbeit opportun erschien.
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4.,fvt'iii^jt u,u,:c»* f\\(^^, an h^i'irL er»*.'«':: Schüfen windaneen,
> '/ (( I >: ' jMr ri O r ad an, LinkA korrimr daiiarch -^»ear zwischen mittlerem.
f/r./| Utuifft-m tntiU'l (U-^ Oym«» temj». I eine von der hochgradig
$n\n/U'fUu Wirir|rjri(( kreinfonnij( nmzoffene Einsenkang, Cisteme^
/i/-»;ir»/l*r, /|p*f (hi«i pjonihnin d^rr ganzen Kleiutingerknppe gestattet.
AM«^<'rd<'fn find^rt Mich ah^r links eine seltene Furchungsanomalie,
hvU'm «In tjnK''^^'^inlichf;r Sulcus von der obenerwähnten Einsenkun^
HU«i/^lM'nd diit /wt'lf«? und die dritte Temporal Windung zwischen mittlerem
(ifid lihifrriMri l)rlU<d rmthtwinklig durchschneidet, om so an der basalen
vInrM'ii Wlndiui« ««-iri Kndo zu erreichen.
hin inllitonKopiNrhn HutrachtunK der Hörrinde^) (speziell l.Temporal-
') M»»IImmIimi. NihhI, KiMi'iihllinntoxylin, Pikrokarmin.
r
bei einen] an Retinitis pigmentosa erblindeten Angeboren-Taubstummen. 27 7
windang) ergibt dentliche Veränderangen, für deren Zastaodekommen,
soweit Kontrollpräparate lehren, die nicht sehr beträchtlichen senil-
endarteriitischen Alterationen der Rindengefässe in keiner namhaften
Weise mitverantwortlich zu machen sein dflrften.
Die gefundenen Veränderungen betreffen:
a) Die Massenverhältnisse der einzelnen Schichten,
b) die Dichtigkeit der spezifischen Elemente in denselben,
c) die Morphologie der Zellen.
ad a) Die auf Taf. XXV beigegebenen Schemata veranschaulichen
die nach Projektionen gepausten Massenverhältnisse der Hörrinde und
der Hörrindenschichten
a) beim Gehirn Spörik,
ß) bei einem normalen Kontrollgehirn (allerdings etwa 10 Jahre
jüngeres Individuum, ein brauchbares gleichaltriges Kontroll-
material war z. Z. nicht zu beschaffen).
Man bemerkt die das Mafs der individuellen Variabilität beträchtlich
fiberschreitende Verschmälerung der Rindenbreite, welche ganz besonders
auf Kosten der folgenden Schichten zustande kommt: Schicht der
kleinen Pyramiden, Schicht der tiefen mittelgrossen
Pyramiden, Spindelzellschicht.
Demgegenüber ist die Schicht der oberflächlichen grossen
Pyramiden entschieden verbreitert.
ad b) (vergleiche Mikrophotogramme auf Taf. XXVI).
Die letzterwähnte Schicht lässt unter dem Mikroskope sofort
erkennen, dass mit dieser Verbreitung keineswegs eine Vermehrung
ihrer ganglionären Elemente Hand in Hand geht. Im Gegenteil. Es
herrscht in ihr ein weitergehendes Zurücktreten der grossen Pyramiden-
zellen vor dem Stützgewebe vor, als unter normalen Verhältnissen:
die nervösen Elemente sind gelichtet.
Dasselbe gilt von der Schicht der tiefen mittelgrossen
Pyramiden (6), von der Schicht der kleinen Pyramiden (2),
während die Schicht 3 (mittelgrosse Pyramiden) auch in dieser Hinsicht
sich als relativ normal documentiert.
An ihr vermissen wir femer auch die starke Vermehrung der
Gliakerne, die sich in den anderen Schichten geltend
macht, und zwar hauptsächlich in Schicht 2, 6 und 7.
Letztere, die »Spindelzellschicht«, ist so arm an Spindelzellen, dass sie
im vorliegenden Gehirne diesen Namen kaum rechtfertigt.
278 F. Siebenmann u. R. Bing: Über den Labyrinth- u. Hirnbefund
Resümierend können wir sagen, dass die Redaktion der
edlen Elemente und die (kompensatorische) Gliose haupt-
sächlich die Spindelzellschicht, die Schicht der
tiefen mittelgrossen Py-Zelien, und die Schicht
der kleinen Pyramiden betrifft, also Schicht 2, 6 und 7,
während Schicht 3 am wenigsten in dieser Hinsicht Ab-
weichendes darbietet.
ad C) In erster Linie muss betont werden, dass die vorhandenen
parenchymatösen (nervösen) Elemente jede gröbere Anomalie ihrer
Masse und der äusseren Gestalt ihres Zellleibes durchaus vermissen
lassen, dass man also keineswegs berechtigt ist, von einer Atrophie,
bezw. Hypoplasie der verschiedenen Elemente zu sprechen. — und dies
trotz hohen Alters und diffuser Arterienerkrankung!
Dagegen ist die Zellstruktur in N i s s 1 - Präparaten insofern als
schwer alteriert zu erkennen,
dass die Pyramidenzellen der verschiedensten
Schichten und der verschiedensten Grössen durch-
wegs jede Zellgranulierung vermissen lassen.
(Vergl. beigegebene Skizzen 1—6 auf Taf. XXVH/XXVm im Gegensatz
zu den von norm. Material stammenden Hörrindenzellen 6 — 9.) So
allgemeine und hochgradige Abnormität liegt nach unserer Erfahrung
ausser Bereich der senilen Kortikal Veränderungen.
Wir sind wohl berechtigt, die in Frage stehende Anomalie als das
Korrelat einer absoluten und stabilen Funktionslosigkeit anzusprechen.
Ein weniger konstanter und wohl auch weniger schwerwiegender Befund
ist die häufige Exzentrizität des (im übrigen normalen konsti-
tuierten) Zellkerns.
Die Glia (Fig. 10) zeigt nichts Besonderes. Fibrillenpräparate
sind noch nicht angefertigt worden.
NB. Die »spezifischen Riesenzellen der Hörrinde» von Ramon
y Cajal konnten in dem Material Spörik nicht festgestellt werden,
waren aber auch im Normalmaterial nicht mit Sicherheit zu agnoszieren.
Sie dürften überhaupt nur bei Golgi-Imprägnation, die hier nicht
anwendbar, in ihrer charakteristischen Eigenart hervortreten.
Die Untersuchung der Kern gebiete des Akustikus und seiner
Wurzeln in der Oblongata hat sich bis jetzt (um das Material zur An-
fertigung von Serienschnitten nicht untauglich zu machen ^) auf folgende
Gebilden beschränkt:
r
bei einem an Retinitis pigmentosa erblindeten Angeboren-Taubstummen. 2 7 9>
Nucleus acustici dorsalis (Yestibnlariskem).
Nucleus acustici ventralis (Cochleariskern).
Acnsticus-Wurzel.
Striae acusticae.
Trapezfasern.
Teile der direkten sensorischen Kleinhirnbahi>
(zu Nucl. Deiters und Bechterew ziehend).
(Letzterwähnte Kerne selbst sind im Zusammenhang mit dem
Kleinhirn gelassen und noch nicht untersucht worden.)
Die betreffenden Schnitte wurden dicht am kaudalen Brückenrande
entnommen (Falsche Färbung mit Boraxkarmin-Gegenfärbung) und in
der Höhe dem oberen Olive (N i s s l - Präparate).
A. Cochlearis.
Der Kern ist schwer alteriert. Zellen äusserst spärlich und
sehr klein (atrophisch? hypoplastisch?). Die Glia zeigt dagegen ein
abnorm dichtes Gefüge. Das Areal des Kerngebietes ist verkleinert und
von auffällig unregelmäfsiger Kontur.
Auch die Faserzahl der eintretenden Akustikuswurzel ist reduziert,
ihr Kaliber schmächtig. Eine Portion der Fasern, die von durchaus
normalem histologischem Ansehen ist, dürfte höchstwahrscheinlich (erst
durch Serienschnitte sicherzustellen ! *) dem Vestibularisanteil entsprechen^
während die Cochlearisfasern bei ihrem Eintritte äusserst
dünn, mit schmalem, varikösem und schlecht tingier-
barem Myelinsaum erscheinen.
Auffällig ist dagegen die tadellose Beschaffenheit der in
der Kaphe zur Schleife ziehenden Stria acustica-Fasern, ebenso
diejenigen der zur gleich- und gegenseitigen Oliva superior tendierenden
Corpus-trapezoid es -Faserung.*)
1) Nachtrag bei der Korrektur: Die unterdessen vorgenommene
Anfertigung einer Serie durch die Oblongata hat die Bestätigung der oben mit-
geteilten Befunde erbracht. Beizufügen wäre noch, dass sich das Akustikusfeid
von normaler Grösse erwies, und die , absteigende Wurzel' nichts Anomales
darbietet. Herr Prof. E d i n g e r, Direktor des Senckenbergischen neurologischen
Instituts in Prankfurt a. M. hatte die Güte, die Serie einer Durchsicht zu unter-
ziehen, woftlr ihm aoch an dieser Stelle gedankt sei.
^ Dies mag in Hinsicht auf die Alteration des Nucl. cochl. paradox er-
scheinen; doch ist zu betonen, dass wir über die sekundären Verbindungen des
Vestibularis mit dem Mittelhim so gut wie nichts wissen, und die Annahme
hat viel für sich, dass diese, vielleicht durch Kontrast besonders schön hervor-
tretenden, Stria- und Trapezfasem solche sekundären Vestibularis neurone sind.
— Hervorhebung verdient besonders das abweichende Verhalten der Stria-Faseri\
im Falle Lucae (s. o. S. 265, Fussnote.)
^80 F. Siebenraannu. E.Bing:Über den Labyrinth- u. Hirnbefund etc.
Ba in der Schleife nichts Pathologisches aufgedeckt werden kann,
ist die Vermutong berechtigt, dass auch die hinteren Vierhügel keine
iiennenswerle Läsion aufweisen dürften.
B. Yestibularis;
Der Vestibulariskern zeigt Elemente die vielleicht spärlicher und
kleiner sind als normaliter, jedenfalls aber nicht in beträchtlichem
Mafse, die aber, nach Nissl untersucht, den Eindruck normaler,
oder jedenfalls nicht tiefgehend alterierter, sensibler Ganglienzellen
-erwecken.
Es sei noch erwähnt, dass die Ventrikelepithelien durch-
aus normal sind.
B^sum^ (soweit aus dem bisher Festgestellten zu schliessen):
Ein das periphere Cochlearisneuron betreffender be-
trächtlicher atrophischer oder hypoplastischer Prozess.
Deutliche Alterationen im Nucleus ventralis. — Intakt oder jedenfalls
wenig verändert die Verbindungsneurone des Cochlearis zum Mittelhirn
(laq. later.). — Ebenso das periphere Vestibularisncuron nebst Nucl.
dorsalis.
Es darf schon vor der Durchuntersuchung des Hirnstammes und
Kleinhirns die Intaktheit bezw. annähernde Intaktheit der Vierhügel
(wegen des negat. Befundes in der Schleife) und gesamten Vestibularis-
systems (wegen der norm. Verhältnisse des hint. Längsbündels und der
direkten sensoriscben Kleinhirnbahn) angenommen werden. Die Ver-
änderungen im kortikalen Zentrum dürften lediglich
sekundär sein, Resultat der Inaktivität. Hervorzuheben ist
immerhin die pathologische Furchenbildung in nächster Nähe des linken
akustischen Kindenzentrums.
Erklärung der Figuren auf Tafel XXIV—XXVllL
Taf. XXIV. Gehirn Spörik v. links, nach Abziehen der Häute.
Taf. XXV. Mächtigkeit der Rinde und deren einzelner Schichten (Nomenclatur
nach S. Eamön y Oajal) in der 1. 1. Schläfenwindnng, beim
Gehirn Sp. (a) und dem normalen Kontrollgehim (/ß).
Taf. XXVI. Aufbau der 1, 1. Schläfenwindung von Sp. Kombination zweier
Mikrophotogramme. Erklärung der Ziffern auf Taf. XXV.
,^ ^ XXVII. \ Skizzen von Zellen aus der 1. 1. Schläfen Windung (Sp. u. KontroU.).
* 'XXVIII.|Nis8l-Färbung. Erläuternder Text auf der Tafel.
Otto Vögeli: Zur Frage des therapeutischen Wertes etc. 281
XVIL
(Aus der otolaryngologischen Klinik der Universität Basel.
Direktion: Prof. Siebenmann.)
Zur Frage des therapeutischen Wertes des Fibro-
lysin in der Ohrenheilkunde.
Von Dr. Otto Vögeli,
AMistent der Klinik.
Die erste Arbeit, welche über die Verwendung des Thiosinamin,
des im Fibrolysiu enthaltenen wirksamen Stoffes, in der Ohrenheilkunde
berichtet, stammt von Sugar (Archiv f. Ohrenheilk., 1904, Bd. 62,
Seite 241). Er wandte das Mittel teils subkutan teils intratympanal
an und seine Erfahrungen veranlassten ihn, das Thiosinamin in der
Behandlung des chronischen Mittelohrkatarrhs als ein vielversprechendes
Mittel zu empfehlen, welches »unbedingt angezeigt sei in den Anfangs-
stadien der Otosklerose« und bei bindegewebigen Adhäsionen am Schall-
leitungsapparate. Dieser Veröffentlichung folgten seither eine Keihe
anderer, die in gleicher Weise wie die Su gär sehe sehr ermutigende
Erfolge zu verzeichnen haben. So berichtet Hirschland (Archiv
f. Ohrenheilk., Bd. 64, Seite 107) über gelungene Kuren mit dem
unterdessen durch F. Mendel (cf. Therapeut. Monatshefte, Febr. 1905)
dargestellten, in Wasser löslichen Fibrolysin, auf Grund deren er das
Mittel in der Behandlung der chronischen Schwerhörigkeit mit Aus-
nahme von nervöser Schwerhörigkeit und fortgeschrittener Otosklerose
für angezeigt hält. Kassel (Zeitschr. f. Ohrenheilk., Bd. 50, Seite 96)
hat 8 Fälle von Otosklerose ohne jeden Erfolg behandelt, dagegen er-
wiesen sich 4 Fälle von »Adhäsionen am schalleitenden Aparate nach
Mittelohreiterung« der neuen Therapie zugänglich. S. McCullagh
(Xewyork) beschreibt in den Medical News (Dez. 1905) die Wirkung
<ies Thiosinamin auf subjektive Geräusche als besser denn die irgend
eines anderen Mittels. Löwensohn (cit. nach Archiv f. Ohrenheilk.,
Bd. 71, Seite 134) hat in 5 Fällen von Residuen »gute Resultate«
gehabt ; es trat augenfällige Hörverbesserung und Verkürzung der vorher
verlängerten Knochenleitung ein. Zwei Sklerosen dagegen blieben un-
beeintlusst. Endlich empfiehlt E. Urbantschitsch in der neuesten
Veröffentlichung über diese Frage (Monatsschrift f. Ohrenheilk. Bd. XLI,
Seite 63 und Klinisch-therapeutische Wochenschrift Nr. 6, 1907) Fibro-
lysin für eine Reihe von Mittelohrerkrankungen: »den vorgeschrittenen
Zeitselirift f&r Ohrentaeilkiinde, Bd. LIV ]9
282 Otto Vögeli: Znr Frage des therapeatischen Wertes
trockenen chronischen Mittelohrkatarrh, die adhäsiven Prozesse iu der
Paukenhöhle and die Sklerose in ihrem Anfangsstadinm, besonders wena
das Gehör kein konstant schlechtes ist, sondern zeitweise wenigstens
wechselt». \
Ablehnend dagegen äossem sich Vohsen (Frankfurt) in einer
mfindlichen Mitteilung in der »Vereinigung westdeutscher Hals- und
Ohrenärzte* (XVII. Sitzung v. 26. XI. 05), ferner Brieger in zwei
Referaten Qber die oben zitierten Arbeiten von Sugdr und Hirsch-
land (Intemation. Monatsschr. f. Ohrenheilk., Bd. III, Seite 76 und
Bd. in, Seite 276). Tapia (cit. nach Archiv internat. de laryngologie,
d*otologie etc. Tome XXHI, Nr. 2, Seite 638) hat ebenfalls bei Oto-
sklerose keinerlei und bei Residuen nur geringe Erfolge gesehen, »die
zu den von gewissen Autoren angegebenen in keinerlei Verhältnis stehen«.
Ihm schliesst sich ferner Baratoux (cit. nach Arch. internal, de laryngo-
logie, d'otologie etc. Tome XXHI, Nr. 3, Seite 1005) in seinen Schluss-
folgerungen an.
Im folgenden möchte ich über Versuche berichten, welche 1905
in hiesiger Klinik auf Veranlassung von Prof. Siebeumanu durch
Dr. Nager mit Fibrolysin ausgeführt wurden. Zur Verwendung ge-
langte das Fabrikat M e r c k -Darmstadt, von welchem eine Ampulle
a 2,3 ccm 0,2 g der wirksamen Substanz Thiosinamin enthält. Von
solchen Ampullen wurden 15 — 20 in ebenso vielen Sitzungen, meist
täglich intramuskulär injiziert. Die Kur war verbunden mit einer
energischen mechanischen Therapie, bestehend in täglich Imal aus-
geführter Lufteintreibung durch den Katheter. Ich lasse die Kranken-
geschichten der behandelten Fälle einzeln folgen. Es handelt sich um
zwei Kategorien von Mittelohraifektionen, 1. um 3 Fälle von stationären
Residuen abgelaufener Eiterungen und 2. um 4 Fälle von pro-
gressiver Spongiosierung mit Stapesankylose. Hinsichtlich
der definitiven Hörprttfungsresultate möchte ich noch vorausschicken,
dass dieselben wenn nichts besonderes bemerkt ist, stets nach voraus-
gegangenem Katheterismus notiert worden sind.
I. Residuen.
1. Residuen rechts mit Adhäsionen nach Otitis media
purul. tuberculosa.
Luise P., 35 Jahre. 2 Brüder an Lungenschwindsucht gestorben.
Vor 18 Jahren litt Pat. an einem 7 Wochen dauernden Ausfluss aas
dem rechten Ohr. Jetzt vor ^/^ Jahr wurde ein retronasaler Tumor
des Fibrolysin in der Ohrenheilkunde. 283
eutfernt. (f]pitheloidzellentuberkulose der Rachenmandel.) Pat. hat
beständig starkes Ohrensausen auf der rechten Seite; kein Schwindel.
Status localis. Trommelfell rechts diffus und radiär getrübt,
reflexlos, kurzer Fortsatz stark vorspringend ; Trommelfell der Labyrinth-
wand adhärent. Vorn oben zirkumskripte Perforation. Links ist das
Trommelfell ebenfalls getrübt. Bei Okularinspektion und Kathetorismus
keine Exsudat- noch Transsudatansammlnng.
I 25
H = Q^^ cm für Flüsterzahlen.
Exp. Weber-Schwabach aj = -|- 4 (nach rechts lateralisiert).
Rinne a^ =
obere Tongrenze =-
\ tyc)'^ untere Tongrenze = { ^^
^'f Galton-Edelmann = 33000 v. d.
Therapie: 20 Injektionen in 20 Tagen. Katheterismus. — Die
Injektionen wurden lokal und allgemein sehr gut ertragen.
Resultat unmittelbar nach der Kur: Trommelfelle nicht ver-
ändert. Subjektive Geräusche geringer. Hörweite unverändert.
Kontrollunters uchung nach 16 Monaten:
i 20
^ ^ 900 ^^ ^**^ Flüsterzahlen.
Sausen wie unmittelbar nach der Kur.
2. Residuen beiderseits mit Verkalkungen der Trommel-
felle. Akute Tubenaffektion, Rhinitis acuta.
Josephine H., 31 Jahre. In der Familie keine Schwerhörigkeit.
Seit 3 — 4 Jahren hört Pat. schlecht, erst links, dann auch rechts.
Keine Schmerzen, kein Ausfluss. Im Finstern Schwindel. Viel donner-
ähnliches Geräusch im linken Ohr.
Status localis. Trommelfell recht« reflexlos; Verkalkungen
hinten oben ; vorn oben atrophische Narbe. Links fehlt der Reflex eben-
falls ; es finden sich verschiedene verkalkte Stellen. Beim Katheterismus
trotz richtig sitzendem Katheter (Spiegelkontrolle) auffallend schwaches
Durchströmegeräusch. Beide Tubenostien geschwellt.
120
.- cm für Flüsterzahlen, v o r Katheterismus.
H = L/v/^ cm fürPlüsterzahlen, nach Katheterismus.
Therapie: 13 Injektionen in 22 Tagen; Katheterismus; Pat. ist nach
Angabe ihrer Umgebung seit den Einspritzungen sehr nervös geworden.
Resultat unmittelbar nach der Kur: Geräusche stark vermindert.
(60
o^^ cm für Flüsterzahlen nach Katheterismus.
Kontrolluntersuchung nach 1^/3 Jahren: Das Ohrensausen
ist wieder stark. Diesen Winter hat Pat. »furchtbar schlecht« gehört;
jetzt geht es besser.
19*
284 Otto Vögeli: Zur Frage des therapeutischen Wertes
H = , . cm für Fltisterzahlen vor Katheterismus.
[14
H " ' 2 ^™ ^^^ Flüsterzahlen nach Katheterismus.
Weber-Schwabach a^ = -f- 3 (nicht lateralisiert).
^2 untere Tongrenze = j . *
^'!j Galton-Edelmann = 35000 v.
Rinne a^ =
obere Tongrenze =
3. Residuen beiderseits.
August H., 20 Jahre. Keine Schwerhörigkeit in der ' Familie.
Vor 9 Jahren Ohrenfluss rechts; seither hat das Gehör sehr stark
abgenommen; links hört Pat. immer gut. Rauschen und kratzendes
Geräusch im rechten Ohr; kein Schwindel.
Statuslocalis. Trommelfell rechts mit mehrfachen Verkalkungen ;
links zirkumskripte atrophische Stelle hinten unten. Bei Okularinspektion
und Kathetrismus keine Exsudat- oder Transsudatansammlung.
f 5
H = L^ «cAr^ cni für Flüsterzahlen.
[ z> oOO
Weber-Schwabach a^ = — 12 (nach links lateralisiert).
Rinne a^ = ^- untere Tongrenze = .^^
in 9
obere Tongrenze = ' Galton-Edelmann = 32000 v. d.
Therapie: 18 Injektionen in 20 Tagen; Katheterismus. — Die
Injektionen machten keine Beschwerden.
Resultat unmittelbar nach der Kur:
H = L^ -^- cm für Flüsterzahlen.
[ J> 500
Geräusche haben andere Qualität; sind aber gleich intensiv.
Kontrolluntersuchung nach 2^4 Jahren.
H =^ { -^*^rv/N cm für Flüsterzahlen.
Die Geräusche haben langsam abgenommen und sind jetzt ver-
schwunden.
II. Progressive Spongiosierung mit Stapesankylose („Otosklerose").
4. Progressive Spongiosierung der Labyrinthkapsel rechts
mit Stapesankylose.
Leopoldine M., 39 Jahre. Ein Bruder leidet an doppelseitigem
Cholesteatom; im übrigen keine Ohrerkrankungen in der Familie. Seit
V2 Jftbr bemerkt Pat., dass er rechts zunehmend schlechter hört. Er
hatte nie Ausfluss aus dem Ohr ; nie Schmerzen. Zeitweise Ohrensausen ;
kein Schwindel.
r
des Fibrolysin in der Ohrenheilkunde. 285
Status localis: Trommelfell rechts zeigt durchscheinende Bötung
der Labyrinthwand. Bei Okularinspektion und Katheterismus keine Ein-
Senkungserscheinungen, keine Exsudat- noch Transsudatansammlung.
H = ^^ .^^ cm für Flüsterzahlen.
\^ oOO
Weber-Schwabach aj = -f" ^ "*^^ rechts i.e. ins kranke Ohr
lateralisiert.
Rinne a. = | :^ 25 gekreuzt, ""*^^« Tongrenze = [^^_^
( 0 7
obere Tongrenze = 'V Galton-Edelraann = 35000 v. d.
Therapie: 14 Injektionen innerhalb 1 7 Tagen. Die Einspritzungen
wurden gut ertragen.
Resultat unmittelbar nach der Kur: Ohrensausen besser. Hör-
vermögen unverändert.
Kontrolluntersuchung nach 2 Jahren:
H = I i^ cm für Flüsterzahlen.
Weber-Schwabach a^ = + 4 (nach rechts lateralisiert).
Rinne % = j" ^g gekreuzt, ""*«'« Tongrenze = \^^^^
( 0 7
obere Tongrenze = ' ' Gal ton -Edelmann = 35000 v. d.
Sausen unverändert.
5. Progressive Spongiosierung der Labyrinthkapsel mit
Stapesankylose.
Marie S., 28 Jahre. In der Familie keine Schwerhörigkeit. Vor
3 Jahren Beginn der Krankheit mit Ohrensausen und langsam zunehmender
Schwerhörigkeit.
Status localis: Trommelfell beiderseits normal. Bei Okular-
inspektion und Katheterismus keine Einsenkungserscheinungen, keine
Exsudat- noch Transsudatansammlung nachweisbar.
Weber-Schwabach a^ = + 0. (nicht lateralisiert).
A = + 40
Rinne a^ = ~ ^ untere Tougrenze = /^
obere Tongrenze = j ^'^ Galton-Edelmann = | ^J^JJ v. d.
Therapie: 15 Injektionen in 25 Tagen. Keine unangenehmen
Nebenwirkungen.
Resultat unmittelbar nach der Kur:
H = j^, cm für Flüsterzahlen.
- |o,i
286 Otto Vogel i: Zur Frage des therapeutdschen Wertes
Weber-Schwabach a, = -r 0 (nicht lateralisiert).
A = -f 40
Hl
H,
Kinne aj = ! - „ untere Tongrenze ==■
13 3
'^ Galton-Edeli
18000
20000 ^'
imann =
Ohrensausen und Schwindel unverändert.
Kontrollnntersnchung nach 2 Jahren: Sansen unverändert.
i30
2^ cm für Konvcrsationssprache.
Weber-Schwabach aj = + 0 (nicht lateralisiert).
Rinne a^ = ~ . . untere Tongrenze =
obere Tongrenze = L' Galton-Edelmann = -.^oof) ^- *^-
6. Progressive Spongiosierung der Labyrinthkapsel mit
nervöser Schwerhörigkeit und Stapesankylose.
Alvin D., 24 Jahre. In der Familie keine Schwerhörigkeit. Seit
10 Jahren hat das üörvermögen des Pat. stetig abgenommen. Ausfluss
war nie vorhanden. Pat. hat beständig Ohrensausen; kein Schwindel.
Status localis: Trommelfelle beiderseits normal. Bei Kathetcrismus
keine Zeichen von Exsudat- noch Transsudatansammlung.
jj _ J-I5 für Flüsterzahlen.
I 3 cm für Konversationssprache.
Weber -Schwabach aj = — 9 (nach rechts lateralisiert).
Rinne a^ = j _ ^ untere Tongrenze = | ^
Ih^
obere Tongrenze = {,5 Galton-Edelmann.
Therapie: 25 Injektionen in 32 Tagen; wurden gut ertragen.
Resultat unmittelbar nach der Kur: Sausen und Hörvermögen
unverändert.
Kontrolluntersuchung: Pat. hat der Einladung zu derselben
2 Jahre später (1907) keine Folge geleistet.
7. Progressive Spongiosierung der Labyrinthkapsel -j-
nervöse Schwerhörigkeit + Stapesankylose.
Robert E., 23 Jahre. In der Familie keine Schwerhörigkeit.
Das Hörverraögen hat sich seit V2 Jahr (?) allmählich verschlechtert.
Nie Ausfluss. Ohrensausen, kein Schwindel.
Status localis: Rechtes Trommelfell mit kleiner atrophischer
Stelle; links normal. Bei Okularinspektion und Katheterismus keine
Einsenkungserscheinungen noch Exsudat- oder Transsudatansammlung.
des Fibrolysin in der Ohrenheilkunde.
287
o^ cm für Flüsterzahlen.
Weber-Schwabach aj = ± 0 (nicht lateralisiert).
. Rinne a^ = j ~ . ^ untere Tongrenze = .
[21000 ,
120000 ^- •
Therapie: 20 Ipjektiouen in 25 Tagen wurden gut ertragen.
Resultat unmittelbar nach der Kur: Sausen und Hörvermögen
unverändert.
Kontrolluntersuchung nach l^'g Jahren:
1
H =
I 2 5
obere Tongrenze = { j.' Galton-Edelmann =
1 -6,0
H
cm für Flüsterzahlen.
Weber- Schwabach a^ = -f 0 (nicht lateralisiert).
Rinne »1=1" ^L untere Tongrenze = { .
obere Tongrenze
__ )5,3
4,0
Galton-Edelmann =
113000
I 16000
d.
Sausen unverändert.
Um Eines gleich vorweg zu nehmen, möchte ich von den Neben-
wirkungen des Fibrolysin berichten, dass wir ausser dem wenig lästigen
Knoblauchsgeruch der Atemluft, bei unsern Patienten keine unan-
genehmen lokalen oder allgemeinen Erscheinungen gesehen haben. Nur
bei einer Patientin Nr. 3 wurde anfangs über grössere Nervosität
geklagt.
Überblicken wir im übrigen das endgültige Resultat unserer Kuren,
so ist dasselbe, sowohl bei den drei Fällen von Residuen als auch bei
den vier Fällen von progressiver Spongiosierung gleich Null.
Der eine Fall unter den Residuen Nr. 3, welcher unmittelbar nach
der Kur eine Hörverbesserung von H = | .p, auf H = looo ^"^ ^^^
Flüsterzahlen zeigte, war zweifellos kompliziert mit beidseitiger akuter
Tubenaffektion ; dafür spricht die Beeinflussung des Hörvermögens bei
Anwendung des Katheters. Dieser Fall ist also nicht als reines
Experiment zugunsten des Tbiosinamin verwertbar; dagegen scheint er
uns in anderer Hinsicht Beachtung zu verdienen. Wir halten ihn nämlich
für geeignet, uns über die mit unsern eigenen Ergebnissen im Widerspruch
stehenden günstigen Resultate anderer Autoren aufzuklären. Kassel
und Urbantschitsch bemerken beide in ihren Arbeiten, dass sie
ihre Erfolge immer nach den ersten Injektionen haben eintreten sehen,
und dass auch spätere Einspritzungen bei Fällen, welche sich im Anfang
288 Otto Vögeli: Zur Frage des therapeutischen Wertes
refraktär verhielten, keinen Nutzen brachten. In einer Zusaimmen-
fassung (pag. 70) sagt Urbantschitsch wörtlich, dass für die
Fibrolysinkur sich »besonders Fälle eignen, bei denen das Gehör kein
konstant schlechtes sei, sondern zeitweise wenigstens wechsle». Dies
erweckt den Verdacht, dass auch dort wie in unserem »günstigen*
Falle interkurrente akute Komplikationen mitgespielt haben, welche
jene Resultate vortäuschen konnten. Überhaupt ist die Forderung, dass
mit der Fibrolysinbehandlung zugleich auch eine mechanische Therapie
verbunden werden müsse, eine etwas sonderbare mit Bezug auf die
Ansicht, dass die Resultate, welche durch dieses kombinierte Verfahren
erzielt werden, allein oder wenigstens vorzüglich auf Rechnung der
Fibrolysinanwendung gesetzt werden sollen.
Wir haben während der Behandlungsdauer auch nie direkt mit
dem Spiegel verfolgbare Veränderungen am Trommelfell sehen können,
wie z. B. Transsudatbildungen in die Paukenhöhle, welche sogar
Parazentese notwendig machten, und welche Hirschland (pag. 114)
als unmittelbare Folge subkutaner Fibrolysininjektionen beschreibt. Viel-
mehr haben wir den bestimmten Eindruck, dass hier nicht Arznei-
respektive Thiosinaminwirkungen, sondern Komplikationen mit Tuben-
affektionen vorgelegen haben.
Auch die total negativen Ergebnisse, welche wir in den vier Fällen
von progressiver Spongiosierung erhalten haben, nötigen uns, die Publi-
kationen, welche Erfolge mit Thiosinamin bei dieser Krankheit auf-
zuweisen haben, sehr skeptisch entgegenzunehmen. Gerade bei Patienten
mit diesem Leiden hören wir klagen, dass bei jedem Witterungswechsel ihr
Gehör schlechter sei und solch akute vorübergehende Verschlimmerungen
führen sie in der Regel wieder dem Arzte zu. Günstige Resultate,
welche wie die bisher publizierten nach einer nur kurzen Beobachtungs-
dauer gewonnen sind, müssen daher mit grösster Vorsicht aufgenommen
werden. Denselben Einwand (Sugar) kann man gegenüber Erfolgen,
welche mit der Phosphortherapie im Laufe einer längeren Reihe von
Jahren gewonnen worden sind, nicht erheben.
Wir haben auch bei der Auswahl unserer Versuchsfälle von pro-
gressiver Spongiosierung der Krankheitsdauer Rechnung getragen. Bei
zwei Fällen wurde der Beginn auf ^/^ Jahr, bei einem auf drei und
bei einem weitern auf zehn Jahre zurückverlegt. Doch sind die
Resultate unterschiedslos gleich ungünstige. Sugar hat als erster
Thiosinamin für Otosklerose im Anfangsstadium empfohlen und sich
des Fibrolysia in der Ohrenheilkunde. 28&^
dabei daraaf berufen, dass der Spoiigiosierung ein bindegewebiges
Zwischenstadium vorangehe, welches durch Fibrolysin günstig zu be-
einflussen sei. Hirschland hat sich dieser theoretischen Auffassung
angeschlossen, und er wie Urbantschitsch wollen auch wirklich gute
Erfolge bei Frühformen von Otosklerose gesehen haben. Nun kommt
aber nach den Untersuchungen von Siebenmann (Zeitschrift f. Ohren-
heilk. Bd. 34, Heft 4) ein solches bindegewebiges Zwischenstadium
nicht vor. Was an der Labyrinthkapsel und ihrer nächsten Umgebung
resorbiert wird, ersetzt sich im Gegenteil unmittelbar durch osteoide
Substanz, die selbst wieder sehr rasch verknöchert. In der Tat sindr
ja auch unsere Ergebnisse total negativ, ebenso diejenigen der bereits
erwähnten 8 Fälle von Kassel, der Versuche von Vohsen und von
Tapia.
Die Einführung der Fibrolysinbehandlung in die Ohrenheilkunde-
entbehrt einstweilen einer sicheren Grundlage. Die guten Resultate,
welche veröffentlicht wurden, sind an ungeeignetem, nicht genügend
einwandsfreiem Material gewonnen worden. In den einschlägigen^
Arbeiten, die über günstige Resultate zu berichten wissen, ist auf
genaue Beschreibung des Krankheitsbildes zu wenig Wert gelegt worden.
Krankengeschichten mit der blossen Angabe einer Diagnose wie »trockener
chronischer Mittelohrkatarrh» genügen nicht. Anatomisch und funktionell
wohl definierte, objektiv vergleichbare Befunde dürfen nicht fehlen.
Die Zahl unserer Versuche ist gering. Indessen haben wir doch
in keinem einzigen unserer Fälle eine Besserung erzielt. Wir müssen
uns daher günstig lautenden Berichten gegenüber zum mindesten sehr
skeptisch verhalten. Für zukünftige Arbeiten auf diesem Gebiete aber
müssen wir, sollen dieselben wirklich Beachtung verdienen, die Erfüllung
dreier Forderungen wünschen : Es sollen nur Fälle mit möglichst reinen
Krankheitsbildern verwendet werden; die Lokalbefunde, sowie die
Ergebnisse der funktionellen Prüfung sollen detailliert mitgeteilt werden ;
und endlich soll durch Kontrolluntersuchungen, welche längere Zeit
nachher vorgenommen worden sind, das definitive Resultat festgestellt
:werden.
•290 Rud. Riester: Über d. osteomyelit Erkrankungen d. Schläfenbeins.
XVIII.
(Aus der Universitäts-Ohrenklinik zu Heidelberg
[Vorstand Prof. Dr. Kümmel]).
Über die osteomyelitischen Erkrankungen des
Schläfenbeins.
Von Dr. Bud. Biester in Odessa,
froher Yolontftr-Antstent d«r EUntk.
Während die Lehre von der Osteomyelitis der übrigen Skelettknochen
Ton den Chirurgen längst nach allen Richtungen studiert und sehr
<]^enau bekannt ist, liegen bei den osteomyelitischen Erkrankungen . des
Schläfenbeins eine Menge von schwierigen Fragen vor. Theoretisch
wird die Möglichkeit einer Osteomyelitis von Vielen zugegeben
[Brieger/) Körner,^) Walb^)], doch sind auch diese Autoren in
manchem Einzelnen verschiedener Ansicht. Ihre primäre Entstehung ohne
vorausgegangene Mittelohrerkrankung halten die Chirurgen (Küster) für
möglich, viele Otologen (z.B. Schwartze) für einwandsfrei noch niemals be-
wiesen. Die Schwierigkeiten für die Beurteilung dieser Frage liegen wesent-
lich in der Nachbarschaft des Gehörorgans, dessen Affektionen oft das Bild
verwischen. Die Osteomyelitis der flachen Knochen ist ja äusserst selten :
wenn wir die von den Chirurgen beschriebenen Fälle der Osteomyelitis cranii
nach verschiedenen anderweitigen Krankheiten ausschliessen, so finden
wir in der otologischeh Literatur bis jetzt nur 27 Fälle vor, die von
tlen Autoren als osteomyelitische ICrkrankungen aufgefasst und beschrieben
sind, die aber bei näherer Betrachtung zum Teil gar nicht als solche
zu bezeichnen sind. Bevor ich aber diese Fälle zur Analyse ziehe,
möchte ich einige interessante Krankengeschichten anführen, die zur
Beurteilung dieser Fragen etwas beitragen können.
Fall 1. L. Otto, 17 Jahr, Seminarist.
Anamnese 6. III. 1907. Der Pat. hatte vor 3 Wochen angeblich
Influenza, anfangs mit hohem Fieber, sehr starken Kopfschmerzen, einige
Tage später Ohrenschmerzen, die, nach eingetretener Sekretion, nachliessen.
Seit 5. III. wieder Fieber, das inzwischen vollständig verschwunden
*^^ewesen sein soll. Pat. stand die ganze Zeit in ärztlicher Behandlung.
1) Brieger, Über primäre Ostitis des Warzenfortsatzes A. f. 0. Bd. 43,
S 211.
•i 2) Körner, Bericht über die dritte Versammlung der deutschen otol.
Gesellschaft. A. f. 0. Bd. 37, S. 128.
8) Walb, Fall von primärer Ostitis des Warzenfortsatzes mit sekundärer
Beteiligung des Mittelohres. A. f. 0. Bd. 30, S. 281.
Rud. Biester: Über d. osteomyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins. 29 1
Befund: Blasser, schmächtiger, junger Mann. Urin: kein Albumen,
kein Zucker, T. 39,0.
R. Ohr: Profuse Sekretion. Trommelfell gerötet ohne erkennbare
Einzelheiten. Vorne unten eine kleinerbsengrosse Perforation mit leb-
haft pulsierendem Lichtreflex. Flüsterstimme 20cm. L. Ohr: Profuse
Sekretion, Trommelfell gerötet, Proc. brevis erkennbar. Vorne unten
ebenfalls kleinerbsengrosse Perforation mit lebhaft pulsierendem Licht-
reflex. Flüsterst. 10 cm. Starke Kopfschmerzen. Warzen fortsatz ohne
Befund.
10. III. Links sehr reichl. Sekretion, Warzenfortsatz ohne Befund.
Abend-Temp. 37,9.
13. in. T. 40. Leichte Übelkeit. Beiderseits starke Eiterung,
doch keine Vorwölbung am Trommelfell, keine Druckempfindlichkeit am
Proc. mastoideus. Allgemeine Untersuchung ergibt nichts Abnormes,
doch wird Influenza angenommen.
14. IIL Bei Bewegung Schmerzen in der Mitte des linken Vorder-
arms. T. 37,5. Sonst keine Veränderungen. Bakteriologische Blut-
untersuchung negativ.
18. III. Ständig hohes Fieber. Ohren in gleichem Zustande.
Proc. mast. ohne Odem, Druckschmerz. Jugularis am Halse nicht druck-
empfindlich.
19. III. Am linken Arm ausgedehnte phlegmonöse Schwellung,
Inzision entleert reichlich Eiter. Im Eiter Streptokokkus pyog. Sonstiges
Befinden gut, keine Kopfschmerzen, T. 38,5.
24. III. T. geht zur Norm zurück.
26. III. Ein Gang führt von der Inzisionsöfl'nung nach oben, za.
15 cm. tief bis an das Schultergelenk, resp. den Humeruskopf. Ohren
trocken.
28. III. Prof. Voelcker (Chir. Kl.) nimmt eine Osteomyelitis^
des Humeruskopfes mit Beteiligung des Gelenkes und Senkungsabszess
nach hinten an.
2. IV. Ohren trocken. Schulter nicht mehr schmerzhaft.
10. IV. Ohrbefund derselbe, keine Sekretion. Schmerzen bei
Bewegung des Schultergelenks.
22. IV. Nur noch eine flach granulierende Wunde am Arm.
Schulter noch beschränkt in ihrer Beweglichkeit, aber keine Schmerzen.
Allgemeinbefinden sehr gut, Pat. wird entlassen.
Epikrise. Bei diesem Pat. sehen wir eine allgemeine fieber-
hafte Erkrankung, zuerst unbekannter Natur, die sehr bald zu beider-
seitiger Ohreiterung führte, mit starken Kopfschmerzen und hohen
Temperaturen; diese Erscheinungen Hessen nach kurzer Zeit nach, die
beiderseitige Ohreiterung blieb bestehen. Beide Ohren zeigen grosse
Perforationen, profuse Sekretion, am Warzen fortsatze fanden sich aber
keinerlei Erscheinungen, die auf seine Beteiligung schliessen lassen
Könnten. 4 Wochen nach Beginn der Erkrankung eine Phlegmone-
.-•'.."■-j-^ L'-- r--.:~ :::_ '■> r> m i: 7"mLr, Ail L <»iir will
■ - - ■ < -^ 1 • I^. - ' i. - in •:'-:- •i.n'^rr^'T.. • »Lr^ LSiUi^^L er-
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1...: L^ ..1 .-- iiiAi Y ^ ^-^ — lÄ-. ^-i^-l: ."inx ; u. Li. ktoi >tT re- Lien
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z. ?.J.'. _:_^ .«.;-'^:.» *•-?•'.- >".^'i- "^ _i ji»' ri'ti ül IiLtri ••hr
i. ;.-n. -4- i.: . < : -m.--.: •^. - --i-- -. - -^-i: .:^.ri.Lii -i i an
-vi«, •^.n-.ii >- I, !.^- - : .^- w.zT ii.r 1 liT^rit'iir i. -*b
JL\*.* .\"'\' ' lAs :/..»- '•":• in T.'fj --. = x~ V -r, •:=: H ,
i ^" :. :---;?. Vr.2 V ^.^^t... Axr-1:- >:----!
>..»:: i.:^ ij iV 2£i^».. i-r Zrir 1.;.. i u I^'i. i.A>: ix- ziz^ii.i
•.;.'! »-rr.iir.rL n:.»! w^r-i-a r.i-ihr -LJ-f-rnt. E'[ü>t:ik 2i:i K'rrer,
r
Kad. Riester: Über d. osteoniyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins. 293
14. III Da immer noch hohe Temperatur und heftige Schmerzen
bestehen, weitere Inzision auf dem Dorsum der linken Handwurzel Es
wird ein osteomyelitischer Herd an der Basis des Metacarp. IV , bezw .
am Os naviculare aufgefunden. Auskratzen mit scharfem Löffel. Von
der Inzision über Metac. IV. führt ein Fistelgang unter den Streck-
sehnen zum Metacarp. II. Eine weitere Inzision zwischen I. und II.
Metacarp. am proximalen Teil entleert etwas Eiter. Ohrwunde sieht gut aus.
3. II. 07. Die Wunde an der grossen Zehe heilt gut. Aus der
Operationshöhle des Warzenfortsatzes Sekretion gering. Trommelfell
noch nicht klar erkennbar. Granulationen überall gut ausgebildet.
8. I. Urin o. B. Fusswunde geheilt.
16. I. Operationshöhle des Warzenfortsatzes fast völlig trocken.
Trommelfell durch Vorwölbung der vorderen unteren Grehörgangswand
vollständig verdeckt und unsichtbar.
23. I. Trommelfell etwas sichtbar, doch Einzelheiten lassen sich
nicht erkennen. Wunde an der Hand völlig geheilt. Schwellung der
Finger und Hand im Rückgang. Beweglichkeit in den Gelenken wird
allmäblich besser.
vS. II. Operationshöhle völlig trocken, bis auf zwei kleine granu-
lierende Stellen Flüsterstimme 1 m. Die Hand ist abgeschwollen,
Beweglichkeit noch mangelhaft.
16. II. Fat. wird mit völlig geheiltem Ohr entlassen.
Mikroskopischer Befund. Die knöchernen Wände der
]uieumatischen Zellen in dem herausgenommenen Sequester zeigen fast
überall lakunäre Ausbuchtungen, die mit Osteoklasten besetzt sind ; zum
Teil sind diese Laknnen recht gross und greifen tief in den Knochen
hinein. In einigen Markräumen sind die Ränder rauh und zernagt,
doch ist der Prozess nicht überall gleich regelmässig ausgebildet; die
Knochenkörperchen sind erhalten und färben sich gut, nur vereinzelt
treten Knochenlamellen ohne Knochenkörperchen auf. Die Schleimhaut
hat ihre Epithelbekleidung verloren, ist stark verdickt und infiltriert
mit Rundzcllen, sodass sie stellenweise den Charakter eines Granulations-
gewebes annimmt Die normale Struktur ist nur stellenweise zu er-
kennen. Die Kapillaren und kleinen Gefässe sind erweitert, enthalten
ein ausgeprägtes Fibrinnetz mit Blutkörperchen. Eine Verdickung der
Periostschicht und Neubildung von Knochen ist kaum zu bemerken.
Bakterien (Streptokokken) finden sich sehr spärlich im Gewebe der Schleim -
hant, immer in dem an den Knochen angrenzenden Teil und nie frei
auf der Oberfläche, zumeist in der nächsten Nähe der Gefässe. In Ge-
fässen und im Knochengewebe sind dieselben nicht gefuiKlen worden.
Epikrise. In diesem Falle haben wir einerseits eine ausgeprägte
schwere fieberhafte Allgemeinerkrankung, wie bei der akuten infektiösen
294 Bud. Biester: Über d. osteomy elit. Erkrankungen d. Schläfenbeins.
Osteomyelitis: gleich im Beginn heftige Ohrenschmerzen und Infiltration
der Gehörgangswände. Das Fieber hielt an, und am folgenden Tag
bildete sich eine Phlegmone am linken Handrücken and an der grossen
Zehe. Am Tage daranf geringe Ohreiterang, wegen der starken Gehör-
gangsschwellung war aber kein Trommelfell bild zu erhalten. Wieder einen
Tag später trat erst reichliche Eiterentleerang aus dem Ohre auf, gleich-
zeitig starke Entzündnngscrscheinangen am Warzenfortsatz. Die ver-
schiedenen Abszesse worden eröffnet, der Warzenfortsatz aafgemeisselt
und anch eine Knochenerkrankang entdeckt. Aliein das Anhalten des
Fiebers bei gutem Zustande der Warzenfortsatzwunde liess eine tiefer-
liegende Erkrankung am Handrucken vermuten, die sich auch als
Knochenherd im Metacarpus bei der folgenden Operation herausstellte.
P^.ndlich, nach Auskratzung dieses Herdes, schwand das Fieber
Fall UI. Th. Jakob, 42 J. Wagnermeister aus Darmstadt.
Anamnese. 5. IV. 07. Mit Ausnahme von Gonorrhoe vor 27
Jahren immer gesund gewesen. Vor einem Jahr Magenbeschwerden
und zeitweise Schwerhörigkeit. Der behandelnde Arzt stellte angeblich
ein Herzleiden fest. Ohrenkrank war Fat nie gewesen. Seine jetzige
Krankheit rührt seit Ende Januar her. Fat. war wegen Beschwerden
von Seiten des linken Ohres 9 Wochen in Behandlung. Mitte Februar
stellte sich Ohrenlaufen links ein, das vor 14 Tagen aufgehört hat,'
dabei waren nie Schmerzen hinter dem Ohr Seit 5 Tagen Schwellung
über dem Ohr und etwas Druckschmerz vor dem Ohr.
Befand: Btlstiger Mann. Irregularitas cordis, ohne Geräusch, mit
perkutorisch normalen Herzgrenzen. Lungen ohne Befund. Urin: ent-
hält weder Albumen noch Zucker.
L Ohr: stark ausgeprägtes Ödem und Infiltration über und vor
dem Ohr in der Ausdehnung des Muse, tempor. Druckschmerzhaftigkeit
über dem Ohr und auf dem Planum mastoideum. Der Mund kann
nicht vollständig geöffnet werden. Die Spitze des Proc. mastoideus ist
druckempfindlich, aber keine Infiltration darüber Gehörgang stark ver-
engt, sodass das Trommelfell nicht sichtbar ist. Beim Anssptüen Schuppen
und mäfsige Massen alten Sekretes.
Gehörprüfung: Flüsterstimme L. 5 — 10cm, c (128) durch Luft
90" (normal 280), vom Warzenfortsatz 200" (n. 190"). Obere Grenze
a^, untere Grenze A^
R. Ohr ohne Befund, Nase desgleichen.
L. Pupille etwas weiter als die rechte, beide gut reagierend.
Ophthalmoskopischer Befund normal.
6. IV. Operation. Weit vorn ansetzender Bogenschnitt. Muse.
tempor. infiltriert Nach Durchtrennung desselben wird über dem Ohr
vor dem Ansatz der Ohrmuschel ein snbperiostaler Abszess eröffnet.
Derselbe erstreckt sich weit nach vom, deshalb Schnitt dahin ver-
längert. Am Ansätze des Jochbogens an der Squama kirschkemgrosser
r
Rud. Riester: Ober d. osteomyelit Erkrankungen d. Schläfenbeins. 295-
Defekt mit verfärbten Rändern : derselbe führt in eine etwa kirschgrosse-
Höhle, in der ein flacher Sequester liegt, medial liegt Dura der mittleren .
Schädelgrube frei in der Höhle. In der Höhe des Antrum wird eine
zweite Höhle von gleicher Ausdehnung freigelegt, die einen zum Teil
noch anhaftenden, z. T. gelösten Sequester enthält. Auch hier liegt
Dura frei, und die beiden Höhlen kommunizieren durch einen Extra-
dnralabszess. Die hintere Höhle geht frei in das Antrum über. Ab-
tragung der Ränder bis auf normalen Knochen. Im Abszesseiter Strepto-
coccus mucosus.
10. IV Gutes Befinden. Keine Temperaturerhöhung.
13. IV. Wunde sieht gut aus, gute Granulationen auf der stark,
pulsierenden Dura mit wenig Sekretion. Keine Schmerzen.
20. IV. Pat. klagt über etwas Kopfschmerzen. Vor dem Ohr oben
leichtes Ödem., Es wird von der Wunde aus weit nach vorn tamponiert.
Sekretion mäfsig. Dura granuliert gut; oben Knochen der Schuppe
noch freiliegend. Gehörgang trotz Tamponade sehr eng, sodass Trommel-
fell nicht deutlich zu sehen ist.
27. IV. Kein Ödem mehr nachweisbar, doch noch zeitweise
Schmerzen.
4. V. Wunde sezerniert nicht wesentlich, Squama mit Granu-
lationen bedeckt. Nach vorn noch ein tiefer Gang, der weiter tampo-
niert wird; oberflächlich schliesst sich die Wunde schon.
Pat. wird zur Privatbebandlung entlassen ; die Wunde verkleinerte
sich rasch, ist aber am 8. VH. noch nicht geschlossen, sodass zur Frei-
legung der schlecht zugänglichen tiefen Teile der Knochenwunde eine
Nachoperation in Narkose nötig wurde. Jetzt in Heilung.*)
Mikroskopische Untersuchung des Sequesters und einiger anderer
Knochenstücke ergab folgenden Befund. Die einzelnen Lamellen des
Knochens zeigen sich vorwiegend in der mittleren Schicht schwächer
gefärbt und weisen hier keine Knochenkörperchen auf. Diese nekrotischen
Teile sind regelmäfsig von einer bei van G i e s o n -Färbung dunkelrot
gefärbten Schicht bedeckt, die wechselnde Dicke hat und deutlich sicht-
bare gut gefärbte Knochenkörperchen besitzt. Diese Neubildung des
Knochens geht sowohl an der Peripherie der dünnen Lamellen, wie auch
in den Markräumen vor sich, um die die frischen Knochenablagerungen
sich scheidenartig, durch die abweichende Färbung und das Vorhanden-
sein von Knochenkörperchen ausgezeichnet, anlagern. Lakunäre
Resorption findet überall statt, doch mit verschiedener Energie, und
auch in den Markräumen finden sich zahlreiche Osteoklastenherde. Das
Periost an der Peripherie des neugebildeten Knochens ist stellenweise
verdickt, an anderen Stellen fehlt es. Die Schleimhaut ist grösstenteils
stark verdickt, doch sind ihre Epithelzellen zum Teil noch vorhanden;
1) Änm. b. d. Korr.: Pat. ist jetzt völlig geheilt.
::>96 K u d. R i e s t e r : t'ber d. osteomyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins.
ihr Stroma zeigt stellenweise Rundzelleniniiltration von verschiedener
Stärke, die zuweilen follikelähnliche Herde bilden und sich deutlich
von dem Bindegewebe abzeichnen. Die Schleimhautauskleidung in
•den Hohlräumen des Seiiuesters ist auch zum Teil nekrotisch und
zeichnet sich durch schwächere Färbung und mangelhafte Kernfärbung
aus. In den Venen finden sich oft hyaline Thromben, an vielen Stellen
auch mit Eosin sich glänzend mattrosa färbende feinkörnige Massen.
Im Protoplasma der Eiterkörpercheu sind oft hyaline Kügelchen sicht-
bar. Die gefundenen Streptokokken sind zahlreich im Secjuester und
in anderen Knochenstücken und finden sich vorzugsweise an 2 Stellen
vor — in der Schleimhaut, wo sie mehr in der Nähe der Gefässe vor-
kommen, und in den Markräumen, wo sie im Inneren der Gefasse oder
perivaskulär und ziemlich zahlreich sind.
Epikrise. Betrachten wir diesen Fall, so bemerken wir ein sehr
verschlepptes Ohrenleiden, bei dem sich ziemlich spät der Ausfluss ein-
stellte, das aber im übrigen den gewöhnlichen Verlauf einer Otitis
media aufweist, mit der Ausnahme, dass die auftretenden Schmerzen
sich immer vor und oberhalb des Ohres zeigten. Hier trat auch kurz
Tor der Aufnahme in die Klinik Schwellung und Druckschmerz auf.
Bei der Untersuchung zeigte sich Schmerzlosigkeit des Warzenfortsatzes,
aber Schwellung und ödem des oberhalb dUvon liegenden Teils des
Schläfenbeins, was die Veranlassung zum operativen Eingriff gab. Bei
der Operation fand man an der betroffenen Stelle zwei Höhlen im
Knochen, die beide nach der Dura zu durchgebrochen waren, sich
vorne nach aussen unter dem Periost und hinten frei ins Antrum er-
öffneten, und miteinander durch einen Extraduralabszess kommunizierten.
Wir hatten also mit einer intensiven Knocheneinschmelzung zu tun. Auch
die mikroskopischen Präparate zeigten deutlich, dass wir einen ostitischen
Prozess vor uns hatten mit Einschmelzung und parallel laufender
Knochenneubildung. Als nächste Ursache dieser Knochenerkrankung
erschien die Mittelohreiterung, die bereits 5 Wochen bestanden hatte,
als sie 14 Tage vor dem Eintritt in die Klinik aufhörte. Hier hat die
Eiterung vorwiegend die Schläfenschuppe angegriffen und Hess einen
Teil des Warzenfortsatzes vollständig frei.
Fall IV. Leopold H., 35 J., Forstwart.
Anamnese 4. VII. 1907. Pat. hatte im März nach >Influenza«
kurze Zeit Ohrenschmerzen, auch Ohrensausen (?), sowie Schwerhörig-
keit. Letztere dauerte an, während die übrigen Erscheinungen bald
schwanden.
Rud. Riester: Über d. osteomyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins. 297
Seit 14 Tagen von neuem Schmerzen in wechselnder Stärke, wegen
deren er am 27. VI. die Ambulanz aufeuchte.
Befund : R. Ohr : starke Verengerung und Rötung des Gehörgangs,
vom Trommelfell nur ein kleiner Teil sichtbar, blassgrau mit Radiär-
gefässinjektion.
Flüsterstimme 50 cm.
L. Ohr ohne Befund.
2. YII. Gehörgang rechts spaltförmig, Trommelfell nicht sichtbar.
Ohrmuschel stärker als links abstehend, hintere Falte nicht verstrichen,
starkes Ödem über und vor dem Ohr, bis an den Tragus. Proc. mast.
nicht druckempfindlich, dagegen die Gegend des Emissarium mastoideum.
Pat. wird während der Untersuchung übel.
3. Vn. Inzision in die obere hintere Gehörgangswand, ergibt
keinen Eit^r.
4. vn. Aufnahme in die Klinik.
R. Gehörgang stark geschwollen. Über, vor und hinter der Ohr-
muschel befindet sich eine flache, fluktuierende Schwellung, die die Ohr-
muschel nach vorn und unten verdrängt und die hintere obere Gehör-
gangswand vorwölbt. Druckschmerz unmittelbar am Ansätze der Ohr-
muschel, die retroaurikuläre Falte ist nicht verstrichen. Im medianen
Teil des Gehörganges Schuppen, kein Eiter.
Fl. 40— 50 cm.
6. VII. Probe-Punktion der Schwellung hinter dem Ohre: Blut mit
Eiterflocken, daraus wird Streptococcus mucosus in Reinkultur gezüchtet.
6. vn. Parazentese: kein Sekret.
8. VII. Fluktuation deutlicher, Schwellung grösser. Im Gehörgang
etwas seröse Flüssigkeit.
9. VII. Operation in Chloroformnarkose. Bogeninzision, über der
Muschel, eröffnet eine grosse Abszesshöhle, aus der sich ^^ Reagensglas
Toll Eiter entleert. Über dem Planum mastoideum ist der Knochen
vom Periost entblösst, blutreich. Nach Abmeisselung wird eine Warzen-
fortsatzzelle eröffnet, die voll Eiter ist. Antrnm wird nicht eröffnet,
da weiterhin Knochen und Schleimhaut normal sind. — Nachher glatte
Heilung.
Epikrise. Wie aus der Krankengeschichte zu sehen ist, haben
wir einen Fall von ausgesprochener Knochenerkrankung vor uns, dessen
Beginn aber etwas unklar ist Durchgemachte Influenza hinterliess eine
Ohraffektion, die aber ohne Eiterung bald vergangen war. Dann folgte
eine längere Pause, während deren nur Schwerhörigkeit bestand. Nach
mehr als 2 Monaten kam Pat mit Erscheinungen, die einer Otitis
externa ähnlich sahen; diese Erscheinungen gingen nicht zurück^ dazu
gesellte sich die Ausbildung eines Abszesses oberhalb, aber in der
nächsten Nähe der Ohrmuschel. Bei der Operation wurde ein um-
schriebener Knochenherd vorgefunden, ohne einen Hinweis auf Beteiligung
ZeiUehrift f&r Ohrenheilknnde, Bd. LIV. 20
298 Biad.Bie8ter: Über d. orteom jelit. Erkrankangen d. Sehl&fenbeins.
des Antium, dagegen wohl begleitet von einer leichten Entzfindang der
Paokenhöhlenschleimhant. Im Eiter fand man Reinkoltor von Strepto-
C0CCQ8 mucosus. Nach dem Rrankheitsbilde zn urteilen müssen wir
hier einen primären Knochenherd ohne wesentliche Beteiligung der
Paukenhöhle annehmen. Von welcher Infektionsquelle aus er entstanden
ist, ist zwar unmöglich zu ergründen.
Von diesen 4 geschilderten Fällen haben die zwei ersten ein be-
sonderes Interesse för die Beurteilung und Aufklärung der Frage nach
den osteomyelitischen Erkrankungen des Ohres. Obgleich in der otologi-
schen Literatur etwa 27 Fälle als solche Erkrankungen bezeichnet
werden, ist doch nur für einen kleinen Teil derselben diese Benennung
zulässig. An der Hand unserer 4 Fälle will ich versuchen die An>
gaben der Literatur zu analysieren.
Betrachten wir den klinischen Verlauf dieser Fälle, so können wir
2 grosse Gruppen unterscheiden. Ihre Verschiedenheit besteht im Vor-
handensein oder Fehlen einer allgemeinen Osteomyelitis im klinischen Sinne^
In die erste Gruppe, wo im Verlaufe einer Osteomyelitis Ohrer-
krankungen aufgetreten sind, kommen
1. ein Fall von vorwiegender Schleimhautaffektion, im Laufe einer
Osteomyelitis [Zeroni (15)], 2. ein Fall von Labyrinthentzündnng
während der ersten Woche einer Ho merusosteomyelitis [Steinbrügge
(12)], vielleicht 3. noch ein Fall von (anämischer?) Taubheit während
einer chronischen Osteomyelitis [Wage n hänser (14)]. Hierher möchte
ich auch 4. den von KümmeP) beschriebenen Fall mitrechnen, wo
eine seit der Jugend bestehende chronische Osteomyelitis der linken
Tibia vorhanden war und eine rekurrierende Otitis media linkerseits.
Der Patient wurde operiert wegen eines Schlaf enlappenabszesses und
Extraduralabszesses, bei der Autopsie fand sich ein Entzündungsherd im
Schläfenbein nach unten und medial wärts von der Eminentia arcuata,
eine siebartig durchlöcherte und gelblich verfärbte Enochenpartie, die
sich bis zum Antrum hinzog, und bei mikroskopischer Untersuchung gar
keine Färbung annahm. Dieser Fall erinnert etwas an den Fall
Steinbrügge, und der Verfasser spricht die Vermutung aus, dass es
sich vielleicht um Osteomyelitis petrosa handeln könnte.
Die zweite Gruppe bilden diejenigen Erkrankungen des Schläfen-
beins, die rein lokal bleiben. Unter diesen Fällen nehmen eine be-
sondere Stelle ein die von Torner (13), und B rieger (1), ohne
1) W. Kümmel. Weitere Beiträge zur Pathologie der intrakraniellen
Komplikationen von Obrerkranktingen Z. f. 0. Bd. 31, Fall IV.
Rh d. Riester: Über d. osteomy elit. Erkrankungen d. Schläfenbeins. 299
Beteiligang des Mittelolires, und der «von Moure (8), wo die Osteo-
myelitis des Schläfenbeins als Komplikation von Influenza fast ohne
Mittelohraffektion auftrat. Zu diesen darf wohl auch unser Fall 4
gestellt werden. Alle übrigen so be/?eichneten Erkrankungen sind im
Anschluss an eine Ohreiterung bezw. Stimhöhleneiterung entstanden
[Hennebert (5), D^Uvore (3), Richardson (10), Dench (2),
Laurens (7), Panzat (9), Knapp (6), Guisez (4,) und z. Teil
Schilling (11)].
Nach dieser Einteilung würden unsere zwei ersten Fälle, bei denen
eine akute Osteomyelitis in klinischen Sinn bestand, der ersten Gruppe
angehören, Fall 3 und 4 dagegen der zweiten.
Nur für die erste Gruppe ist es berechtigt, den Namen Osteomye-
litis anzunehmen} Es mnss besonders betont werden, dass durch die
Verwechslung des klinischen Krankheitsbildes Osteomyelitis mit dem
pathologisch-anatomischen Zustande gleichen Namens grosse Verwirrung
entstehen kann. Es wäre deshalb geraten, für die Bezeichnung der patho-
logischen Veränderungen, die lokal auftreten, den Namen Ostitis aus-
schliesslich zu verwenden, denn die Knochenerkrankung bei Osteomyelitis
ist, wie Brieger^) bemerkt, anatomisch eine Ostitis. Eine solche
kann ebensowohl von einer Lokalinfektion, z. B. nach Trauma, ihren
Ausgang nehmen, wie von vorneherein den Charakter einer Allgemein-
infektion haben, die wir eben als akute infektiöse Osteomyelitis zu
bezeichnen pflegen. Mithin ist jede Osteomyelitis pathologisch-anatomisch
eine Ostitis, jedoch nicht jede Ostitis ist klinisch eine Osteomyelitis.
Untersuchen wir die einwandsfreien Fälle von Osteomyelitiden *), so
sehen wir, dass es sich bei Steinbrügge um eine Iiabyrinthentzündung
handelte, bei Wagenhäuser um eine Taubheit, deren pathologisches
Substrat unbekannt blieb, bei Zeroni um eine Schleimhautentzündung,
die eine pneumatische Zelle betraf. Daraus ist zu ersehen, wie ver-
schieden die Affektionen des Ohres bei Osteomyelitis sein können: das
ist aber fast selbstverständlich, da ja diese Erkrankung nur eine be-
sondere schwere Fonn der septischen Allgemeininfektion darstellt. Unsere
zwei Fälle, die eine Osteomyelitis der Peripherie aufweisen, zeigen in
einem Fall nur die Beteiligung der Mittelohrschleimhaut, im anderen
dagegen in. erster Linie eine Knochenentzündung mit Sequesterbildung
im Warzen fortsatz. Nun muss die Frage erwogen werden, ob im Fall 1
1) Brieger, 1. c. S. 211.
s) Die neuen Mitteilangen von Siebenmann über Osteomyelitisertaubung
konnten hier nicht mehr verwertet werden.
20*
300 Bnd. Riester: Über d. osteomyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins.
nicht vielleicht die schon zwei Wochen bestandene Otitis eine Humerus-
osteomyelitis hervorgerufen haben könnte. Allerdings lässt sich darüber
nur rein akademisch disputieren, denn schlagende Beweise oder Gegen-
beweise sind nicht aufzubringen. Die Gesetze und Wege einer Infektion
sind von sovielen Bedingungen beeinflusst, und uns in Einzelheiten noch
so wenig bekannt, dass wir nicht in jedem einzelnen Falle imstande sind,
dieselben zu ergründen. Dennoch Hesse sich auch in diesem Falle
etwas finden, was gegen diese unwahrscheinliche Vermutung spricht.
Dass eine so harmlos verlaufende und dabei im Abnehmen be-
griffene Otitis noch eine Osteomyelitis heiTorrufen könnte, das wäre eine
grösste Seltenheit, die in der Literatur nicht vorgekommen ist, wie es
bei Völckor, Fröhncr^) zu sehen ist. Ausserdem würde maii,
wenn die Entzündungserreger im Ohre noch eine nennenswerte Viru-
lenz aut^ewiesen hätte, schon annehmen dürfen, dass noch eher der
Warzonfortsatz erkrankt wäre. Die Annahme einer wandständigeu
Sinusaffektion im Sinne Leuterts hat wenig Wahrscheinlichkeit für
sich: bei der harmlosen Otitis wäre auch die regionäre Ausbreitung
etwas unbegreifliches. Unter diesen umständen drängen die allgemeinen
Ph'scheinungen und der Zustand des Patienten zur Annahme, dass die
Otitis nur Lokalerscheinung eines Allgemeininfektes sei, dessen Vor-
handensein das Fieber anzeigte; dafür sprach auch das vollständige
Verschwinden des Fiebers und der bisherigen Sekretion in zwei Tagen
nach der blossen Eröffnung des osteomyelitischen Herdes am Arm. Demnach
muss der ganze Prozess vermutlich folgenderweise aufgefasst werden :
eine allgemeine akute Osteomyelitis, unter dem Bilde der septischen
Allgemeininfektion, affizierte in erkennbarer Weise zunächst nur die
bekanntlich sehr leicht reagierende Mittelohrschleimhaut; erst nach
3 Wochen manifestierte sich der einzige sonstige osteomyelische Herd.
W^arum dies so spät geschah, darüber lassen sich höchstens Vermutungen
ohne Beweise aufstellen. Der zweite Fall beweist aber, dass eine starke
Infektion schon in 3 Tagen eine sichtbare Phlegmone am Warzenfortsatz und
eine rasche Knochen cntzündung mit Sequesterbildung hervorrufen kann.
Unserem ersten Fall steht am nächsten der von Zeroni, mit dem
Unterschiede, dass er doch eine, allerdings erst beginnende, Knochen-
entzttndung zeigt, wogegen unser Fall wohl nur eine reine Schleimhaut-
affektion darstellt. Bei den Fällen Steinbrügge und Wagenhäuser
ist das Knochengewebe des Felsenbeins und die Mittelohrschleimhaut
1) Cit. nach V. Czerny, Über akute infektiöse Osteomyelitis 1908, S. 698.
Sonderabdnick aus »Die deutsche Klinik am Eingange des 20. Jahrhunderts.'
Bnd. Riester: Über d. osteoitiyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins. 30 1
andaacrad völlig unbeteiligt geblieben. Für die Entstehungsweise einer
osteomyelitischen Erkrankung des Gehörorgans, bezw. Schläfenbeins
kann nur ein Weg in Betracht kommen, der hämatogene. Das beweisen
deutlich die vielen Fälle, die uns die Chirurgie liefert, obgleich wir selbst
über keine positiven Blutbefunde verfügen. Unser negativer Blutbefund
kann nicht dagegen sprechen, denn die Mikroorganismen verschwinden
bekanntlich im Blut bald, und selbst wenn sie noch im Blut zirkulieren,
ist es sehr vom Zufall abhängig, ob man sie gerade in der entnommenen
Blutprobe findet. Somit kann nur einem positiv ausfallenden Resultate
ein Wert beigemessen werden, das negative dagegen beweist nichts.
In den vielen Präparaten, die ich untersuchte, fanden sich nur sehr
spärliche, fast einzelne Streptokokken, die immer in der Nähe der
Gefässe waren; leider habe ich dagegen keine Streptokokken innerhalb
der Gefässe trotz eifrigen Suchens finden können. Dennoch wäre es
wünschenswert, dass man speziell dieser Frage volle Aufmerksamkeit
schenkt und in diesem Sinne in anderen Fällen weiter sucht. Viel-
leicht liegt das negative Ergebnis daran, dass der Prozess den Patienten
sehr rasch zur Operation führte, und im ganzen nur 8 Tage nach
Anfang der Erkrankung anhielt. Eines geht aber aus der mikroskopischen
Untersuchung sicher hervor, dass die Streptokoken nicht von der
Oberiläche der Schleimhaut her einwirkten, da dieselben überall nur
in den am Knochen angrenzenden Schichten zu sehen sind.
Für die interessante Frage, ob in solchen Fällen die Er-
krankung der Schleimhaut oder die des Knochens die primäre
ist, verfügen wir nicht über soviel Material, dass sie endgültig be-
antwortet werden könnte. Den Fall Steinbrügge mit Labyrinth-
entzündung können wir nicht berücksichtigen, da für dessen Entstehung
der Verfasser eine andere direkte Ursache vermutet, nämlich eine
Encephalomeningitis. Im Falle Z e r o n i und unserem ersten Falle haben
wir Fälle einer hauptsächlichen Schleimhautaffektion, bei Zeroni
mit kaum beginnender Diploeentzündung. Solche Fälle von reiner
Schleimhauterkrankung osteomyelitischen Ursprungs können entweder
durch kurze Zeitdauer des Prozesses, wie Zeroni annimmt, erklärt
oder vielleicht als leichtere Infektion aufgefasst werden. Dass die
hämatogene Infektion verschieden verlaufen kann, zeigen auch unsere
zwei Fälle, von denen der eine die leichtere (Fall Ij, der andere die
schwerere Form (Fall II) darstellte. Worauf dieser Unterschied beruht,
können wir nicht sagen, der Entzündungserreger war in beiden Fällen
Streptococcus pyogenes.
302 Bud. Kiester: Über d. Osteom yelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins.
Die beiden ersten Fälle weisen trotz der verschiedenen Einzel-
heiten im klinischen Verlaufe doch Analoges auf. Im Initialstadium
bestand bei beiden ein ähnlicher Zustand schwerer fieberhafter All-
gemeininfektion, wie auch sonst bei der infektiösen Osteomyelitis.
Besonders wertvoll erscheint Fall II für die klinische Auffassung:
hier traten fast gleichzeitig eine Ohr- und Enochenerkrankung auf,
und dabei war Pat. vom allerersten Beginn der Erkrankung in
unserer klinischen Beobachtung. Dadurch ist es fast zweifellos, dass
alle Herde nur Lokalisationen des gleichen Allgemeininfektes darstellen.
Fall 1 war nicht von vorneherein so klar zu beurteilen. Hier erweckte
der oben erwähnte Kontrast zwischen der Schwere des Allgemein-
zustandes und der leichten Otitis den Verdacht, es müsste sich hier
doch um eine allgemeine Infektion handeln, deren Natur aber in den
ersten Tagen vollständig unerkannt blieb. So kam die Notdiagnose
Influenza zustande, um einigermafsen die bestehenden Erscheinungen
und das Fieber zu erklären. Ein Verdacht auf irgendwelche intrakraniale
Komplikation war wenig wahrscheinlich, da von Beginn der Erkrankung
alle Symptome seitens des Warzenfortsatzes fehlten; darum durfte man
auch etwas abwarten, bis die aufgetretene Humerusosteomyelitis die
Sache auflclärte. Hier wie im Falle 2 ermöglichte das Auftreten
des osteomyelitischen Extremitäten -Herdes erst die richtige Deutung
des Befundes am Ohr.
Auch die lokale Ohrerkrankung war bei diesen Fällen verschiedenartig:
Im 1. Fall sehen wir eine einfache Entzündung der Pauken-
höhlenschleimhaut ohne Knochenerkrankung, im 2. ganz frühzeitig
einen Knochenherd, der makroskopisch ganz das Bild wie bei der
osteomyelitischen Erkrankung eines Extremitätenknochens gibt. Diese
Verschiedenheit der Ohrerkrankung bei Osteomyelitis muss besonders
hervorgehoben werden, denn sie lässt eben ersehen, dass die Nieder-
lassung der zirkulierenden Entzündungserreger ganz vom Zufall abhängig
sein kann; finden sie ihre Ansiedelungsstätte in der Schleimhaut, so
kann die leichte reine Schleimhauterkrankung entstehen; gelangen sie
in die Knochengefässe, so kommt es zu viel schwereren, nicht so leicht
abklingenden Krankheitserscheinungen.
Betrachten wir die drei letzten Fälle, so finden wir, dass sie sich
von den ersten durch Beschränkung auf das Schläfenbein, ohne Meta-
stasen an anderen Körperknochen, unterscheiden. Der ganze Verlauf
ist mehr schleppend, nicht so stürmisch, wie bei den beiden ersten
Fällen, besonders gilt das für Fall 4.
Bud. Biester: über d. Osteom} elit Erkrankungen d. SchUfenbeins. 303
Die InvasioDsstelle dieser Entzündungserreger ist ja in allen 4
Fällen nicht zu ermitteln ; im dritten kann man daran denken, dass die
Otitis der Ausgangspunkt der Knocbenaffektion war; der Infektionsweg
für das Mittelobr blieb aber unbekannt. Man kann den Fall 3 ver-
schieden auffassen: entweder ist der Knochenherd sekundär, durch die
Otitis entstanden, oder die Otitis ist sekundäre Erscheinung infolge
einer Erkrankung des benachbarten Knochens. Beide Möglichkeiten
sind a priori denkbar; ftLr die zweite Annahme wtlrde das Vorhanden-
sein zahlreicher Streptokokken speziell in dem Markräumen sprechen.
Doch bleibt die erste Annahme die geläufigere.
Im 4. Fall handelt es sich wohl sicher um einen primären
Knochenherd, bei dem es zu keiner ausgesprochenen sekundären Otitis
kam. Kurz zusammenfassend müssten wir die Fälle folgend bezeichnen :
Fall 1. Otitis media, entstanden durch osteomyelitische allgemeine
Infektion.
Fall 2. Osteomyelitische Infektion des Schläfenbeins.
Fall 3. Ostitis mit sekundärer Otitis, oderOtitis mit sekundärer Ostitis.
Fall 4. Primäre Ostitis ohne wesentliche Otitis.
Abgesehen von den oben angeführten 4 Fällen kann man die
von den Autoren als osteomyelitische beschriebenen Erkrankungen
des Schläfenbeins im Anschlüsse an lokale Otitiden als Osteomyeli-
tiden höchstens im pathologisch-anatomischen Sinn bezeichnen ; es ist
Aber richtiger, den Namen Osteomyelitis für die Fälle zu reservieren,
in denen eine klinische, typische, allgemeine akute Osteomyelitis
anamjiestisch oder in der klinischen Beobachtung festgestellt ist. Die
Autoren bezeichnen als Osteomyelitis des Schläfenbeins vorwiegend
Knocheneiterungen, die um sich greifen, teilweise mit subperiostalem
und extraduralen Abzessen. Es handelt sich häufig um einen Prozess,
der sprungweise vor sich geht, und in dessen Verlaufe man zunächst
nur eine lokale, und höchstens erst später eine allgemeine Infektion
auftreten sieht. In der ausführlichsten dieser Arbeiten von Schilling
gibt uns der Verfasser auch die Bedingung an, die von grossem Werte
für die progressive Verbreitungsweise ist, nämlich die Erkrankung der
Diploe, deren stark ausgebildete Gefässnetze den Anlass zur Ver-
schleppung des Prozesses geben.
Auch für die erste Entstehung solcher Knochenerkrankung zeigt
uns Schilling den Weg. Er nimmt an, dass zweierlei Infektion
stattfindet: per continuitatem kann nach Zerstörung der Schleim-
hautauskleidung die Knochen wand, erkranken und dadurch die Diploe
304 Rud. Biester: Über d. osteomyelit. ErkraDkungen d. Schl&fenbeins.
infiziert werden ; oder sie erkrankt indirekt durch Vermittelnng kleiner
Gefässe, etwa im Sinne Körners. Doch stellt der Verfasser letztere
Entstehungsweise nicht als sicher hin, sondern betrachtet seine Er-
wägungen als theoretische and gibt za, dass sich der Infektionsmodos
mit Sicherheit nicht feststellen lässt. Speziell Ober die Rolle der
Diploöstrnktar und Verbreitung des Infektes in derselben können wir
hier nicht sprechen, und verweisen auf die Originalarbeit des Verfassers.
In keinem dieser Fälle aber handelt es sich um eine Allgemeininfektion,
vielmehr springt der Unterschied zwischen Schillings Fällen und
den oben beschriebenen Osteomyelitiden in unseren ersten 2 Fällen in
die Augen. Die osteomyelitischen Fälle beginnen unter heftigen Er-
scheinungen, hohem Fieber und Schmerzen, wogegen die lokalen
progressiven Otitiden zuweilen nur rein lokale Erscheinungen machen.
Späterhin verschwinden bei den typischen Osteomyelititiden die All-
gemeinerscheinungen sehr rasch nach Eröffnung der einzelnen Krank-
heitsherde, während die lokalen Ostitiden auch trotz der Eröffnung
ihren progressiven Charakter oft behalten. In der Anamnese linden
wir bei den lokalen Ostitiden gewöhnlich lang bestehende starke
Eiterung, zuweilen ist die nächste Ursache Eiterretention. Solche
Fälle und ähnliche, ausgehend von dei Stirnhöhle, sind, wie u. a.
Schilling hervorhebt, vollständig identisch mit der in der Chirurgie
bekannten Erkrankung der ilachen Schädelknochen traumatischen Ur-
sprungs, die gewöhnlich als Ostitis traumatica s. diffusa cranii be-
zeichnet wird. Sie entsteht genau so, bei Eröffnung der Diploe mit
darauffolgender Infizierung derselben, hat denselben progressiven Verlauf
und dieselben Erscheinungen, und ergreift auch die sämtlichen Knochen-
schichten. Auch hier verdankt der Prozess einer lokalen Ursache
bezw. Schädigung seine Entstehung und trägt nicht im mindesten den
Charakter einer allgemeinen Erkrankung. Für solche Prozesse kann
nur eine Bezeichnung in Betracht kommen — Ostitis. Aber Ostitis mit
akuter Osteomyelitis synonym zu gebrauchen, würde nur zu unrichtigen
Auffassungen und Irreführungen Anlass geben, die wenig zu einer Auf-
klärung dieser Frage beitragen würden. Wir müssen die sämtlichen
in dieser Gruppe angeführten Fälle nur als Ostitiden auffassen und
uns damit begnügen, dass richtige, einwandsfreie Osteomyelitiden der
flachen Knochen wirklich sehr selten vorkommen. Als" Beispiel jedoch
einer wirklichen Osteomyelitis mag wohl der von Fischer^) stammende.
1) 8. bei Schilling, Z. f. 0. Bd. 48, Ergänzungsheft S. 53.
Rnd. Riester: Über d. osteomyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins. 30S
von Schilling genau citierte Fall dienen, der einen grellen unterschied
im Vergleiche zu den Ostitiden aufweist.
Und noch einige Worte Ober Ostitiden, die keine Beteiligung des
Mittelohrs aufweisen, wie die Fälle Torner, Brieger und unser
vierter Fall. Die Ätiologie unserer Fälle ist dunkel und der Verlauf
und die Erscheinungen zeigen nichts, was auf allgemeine Infektion
schliessen Hesse; sind sie deshalb ohne Bedenken nur als Ostitiden
zu betrachten? Ob nicht manche dieser Fälle doch als Osteomyeiitideii
mit solitfirer Lokalisation der Fntzündungserreger aufgefasst werden
dürfen, bleibt eine offene Frage.
Zum Schlüsse dieser Auseinandersetzung erlaube ich mir einige
Schlusssätze aufzustellen, die aus dem vorhin Gesagten folgen.
1. Die Enochenerkrankungen des Gehörorgans J^reten in 2 ver-
schiedenen Krankeitsbildern: auf Osteomyelitis und Ostitis.
2. Als Osteomyelitis des Gehörorgans und seiner knöchernen Teile
darf nur eine Teilerscheinung einer wohl charakterisierten allgemeinen
Infektionskrankheit, der akuten infektiösen Osteomyelitis, bezeichnet
werden.
3. Pathologisch-anatomisch stellt diese Knochenerkrankung bei
der infektiösen Osteomyelitis einen ostitischen Prozess dar.
4. Bei der infektiösen Osteomyelitis können alle Teile des Gehörorgans-
primär und unabhängig von einander erkranken; sowohl die Schleimhaut
der Mittelohrräume, wie die Knochen, wie schliesslich die Labyrinth-
hohlräume.
5. Als Ostitis des Schläfenbeins, im klinischen Sinne, kann man
Entzündungsprozesse im Knochen bezeichnen, die von einer in der
Nachbarschaft lokalisierten Infektionsquelle aus entstehen, und bei
denen eine Allgemeininfektion nicht die Ursache darstellt, aber aller-
dings nachfolgen kann.
6. Diese ostitischen Prozesse treten in zwei Arten auf: a) die
Ostitis kann sich auf die unmittelbare Nachbarschaft des Gehörorgans
beschränken; oder b) durch Erkrankung der Diploevenen kann ein
solcher Prozess progressiv werden und sich selbständig weiter entwickeln.
7. Ohne nachweisbare Beziehungen zu einer Allgemeininfektion
oder einer Otitis können ostitische Prozesse am Schläfenbein als solitäre,.
umschrieben bleibende Herde auftreten, eventuell auch eine sekundäre
Otitis herbeiführen.
306 Bud. Riester: Über d. osteomyelit. Erkrankungen d. Schläfenbeins.
Zum Schiasse erlaube ich mir Herrn Prof. Kümmel meinen auf-
richtigsten Dank für die Überlassunc^ dieser Fälle und bereitwillige Hilfe
bei deren Bearbeitung auszusprechen.
* Literaturverzeichnis,
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A. f. O. Bd. 57, S. 156.
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Ref. A. f. 0. Bd. 39, S. 194.
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the Amer. Ot. Soc. 1904. Voll. VIII, Part 3. Ref. A. f. 0. Bd. 64,
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schluss an Entzündungen dor Stirnhöhle und des Mittelohres. Z. f. O.
Bd. 49. Ergänzungsheft S. 52.
12. Steinbrügge, Die pathologische Anatomie des Gehörorgans. Lieferung
4 von Orts Lehrbuch der path. Anatomie 1891. Ref. A. f. 0. Bd. 32,
S. 176.
' 13. Tome.-, Ein Fall von ausgedehnter Osteomyelitis des Schläfenbeins ohne
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Bd. 48, S. 329.
14. Wagenhäuser, Taubheit im Verlaufe einer osteomyelitischen Erkrankung
bedingt durch Anäemie. A. f. 0. Bd. 46. S. 33.
^15. Zeroni, Über Beteiligung des Schläfenbeins bei akuter Osteomyelitis
A. f. 0. Bd. 33, S. 315.
0. Muck: Beitrag zur Kenntnis der gefährlichen Felsenbeine. 307
XIX.
Beitrag zur Kenntnis der gefährlichen Felsenbeine.
Von I>r. O. Muck in Essen.
Nachdem durch Bezold, Rüdinger, G. v. Meyer und Körner
festgestellt war, dass bei der Mehrzahl der Schädel der Sinus transvei*sns
rechts stärker ist als links, fand Rüdinger weiterhin, dass auch die
Fossa jugularis rechts durchschnittlich grösser und tiefer ist als links.
Körner*) vermutete, dass, wo die Fossa jugularis grösser und tiefer
ist, auch die Knochen wand, welche sie von der Paukenhöhle trennt,
dünner sein und häufiger Lücken zeigen müsse. Er fand dies dadurch
bestätigt, dass sich bei 30 Schädeln Dehiscenzen in der Fossa jugularis
fanden und zwar rechts 22 mal und links 8 mal. Solche anatomischen
Befunde helfen auch erklären, warum rechtsseitige Ohrerkrankungen
häufiger zum Tode führen als linksseitige^.
Mit Recht kann mau deshalb ein Felsenbein mit sog. vorgelagertem
Sinus und dünner oder dehiscenter Fossa jugularis als gefährliches Felsen-
bein bezeichnen. Diese ominöse Benennung verdient eine weitere Be-
rechtigung insofern, als auch bei operativen Eingriffen an einem solchen
Felsenbein eine gefährliche Klippe zu vermeiden ist (Sinusverletzung).
Dazu kommt, dass durch direkte und indirekte Traumen, welche ein
solches gefährliches Felsenbein treffen, auch leicht Verletzungen der
Vena jugularis, da wo sie solchen Knochenlücken anliegt oder in solche
hineinragt, erfolgen können. Bekannt sind die Fälle, bei denen die
Paracentesennadel in den durch eine Dehiscenz in den Boden der Pauken-
höhle hineinragenden Bulbus der Vena jugularis geriet und eine be-
drohliche Blutung entstand. Ich verweise hierbei auf die Veröffent-
lichungen von Gomperz^) und Rohr er*). Im folgenden will ich mit
Rücksicht auf die relative Seltenheit derartiger Fälle ^) über eine trauma-
tische Ruptur des rechten Sinus transversus bei einer Dehiscenz der
1) Körner, Arch. f. 0., Bd. 30.
«) Körner, Arch. f. 0., Bd. 27, pag. 126.
^) Gomperz, Die Erkennang der Vorwölbung des Bulbus venae jugularis
in die Paukenhöhle am Lebenden. — Vortrag in der 66. Vers, deutsch. Naturf.
n. Ärzte in Wien 1894.
*) Bohrer, Über die blaue Farbe des Trommelfells und über das Auf-
treten von Varicen am Trommelfell. Z. f. 0. XXXEX. Bd., 1. Heft.
*) Vergl. Passow, die Verletzungen des Gehörorgans. Wiesbaden, Verl.
von J. F. Bergmann, 1905, pag. 70 u. 117.
:iOs «\ Muck: Beitrag nr Kenntnis der gefährlichen Felsenbeine.
rei'hteu Fo^^ä^ jauulari> berichten und im Anschluss daran einen Fall
\oii 'blüoem Trommelfeil« kurz beschreiben.
I. Traumatisches Hümatoni in der hinteren Schädelgrube
nach Ruptur des rechten Sinus transvcrsus mit nach-
folgendem Bluterguss aus dem Gehörgang bei Dehiscenz
der Fossa jugularis und alter trockener Trommelfell-
perforation. — Operation. — Heilung.
l>er :i^ Jahre alte Schreinereiarbeiter F. R. aus Altenessen erhielt
am $. Febr. d. J. beim Abheben einer sog. »Kappe« von einem Schrank
einen heftigen Schlag durch dieselbe auf den Kopf Er verspürte danach
ein leichtes Schwindelgef&hl. Am folgenden Tag mehrmaliges Erbrechen
und Schwindel.
Dieser Zustand hielt die nächsten 4 Tage an, trotzdem arbeitete
Patient weiter. Am 14. Febr., also 6 Tage nach dem Unfall, hob
Patient ein schweres Möbelstück. Da trat plötzlich heftiger Schwindel
und Bewusstlosigkeit ein. Es erfolgte Erbrechen, Patient tiel um, nach
jedesmaligem Erbrechen fioss reichlich Blut aus Ohr. Nase und Mund.
Als nach kurzer Zeit das Bewusstsein wiederkehrte, klagte er über
heftigen Stirnkopfschmerz und Schwindelgefühl: derselbe Zustand am
nächsten Tag. Am lt>. Febr. sah ich mit dem behandelnden Kollegen
Dr. Büchner (Altenessen) den Patient zum erstenmal. Guter Er-
nährungszustand, Haut wachsgelb, feucht und kühl. Puls 52, Atmung 16,
Temp, 36.5. Sensorium frei. Beim langsamen Aufrichten im Bett,
wobei Patient nicht selbst den Kopf zu halten vermag, tritt sofort Er-
brechen und Schwindel ein. Am Kopf keine Spur einer Verletzung.
An der Gegend des rechten Emissarium mastoideum deutliches Ödem,
starke Druckschmerzhaftigkeit an dieser Stelle. Die gleich weiten
Pupillen reagieren prompt. Im rechten Gehörgang angetrocknetes Blut-
gerinnsel, aus einer trockenen, nierenförmigen Perforation des Trommel-
fells herkommend. Nach diesem Befund lag ein raumbeschränkender
Vorgang im Schädelinnern vor, der vermutlich durch einen Bluterguss
entstanden war. Die vor wenigen Tagen vorausgegangene profuse Blutung
aus dem Ohr und das noch vorhandene Gerinnsel im Gehörgang legten
die Annahme nahe, dass es sich um ein Hämatom in der hinteren
Schädelgrube handelt, wenn auch eine intrakranielle eitrige Komplikation
trotz der abgelaufenen Ohreiterung nicht auszuschliessen war. Das
Ödem im Bereich des Emissarium mastoideum gab einen weiteren
Fingerzeig für die Trepanationsstelle Eine Ruptur der Arteria meningea
media war auszuschliessen, denn es fehlten Herderscheinungen. —
Operation. Bogenförmiger Schnitt, 1 cm entfernt von dem Ansatz der
Ohrmuschel durch die ödematöse Haut. Starke parenchymatöse Blutung
aus den Weich teilgefässen. Periost fixiert durch straffe Bindegewebs-
fasern in der sehr deutlichen Fissura petrososquamosa. Nach Lö.sung
der Adherenzen andauernde Blutung aus zahlreichen Knochen gefässen.
0. Mack: Beitrag zur Kenntnis der gefahrlichen Felsenbein^. 309
die unter Abwarten mit Tamponade steht. Nach einigen Meisselschlägen
zeigt sich, dass der Sinus transversus auf einer Ausdehnung von 1 bis
0,5cm mit altem, geronnenem Blut bedeckt frei liegt und fasi; un-
mittelbar der hinteren Gehörgangs wand anliegt In den wenigen Warzen-
fortsatzzellen altes, geronnenes Blut, das bis zum .Antrnm mastoideum
führt. Weiter nach oben und nach der hinteren Schäielgrube zu findet
sich auf einer Strecke ein extradurales Blutgerinnsel. Als die Dura
soweit freigelegt war, begann das Hirn mit dem Sinus za pulsieren.
Noch während der Narkose hob sich der Puls von 52 auf 75. Eine
Punktion mit einem spitzigen Messer in den Sinus ergibt, dass er
flüssiges Blut enthielt. Lockere Tamponade. Am anderen Morgen nach
der Operation erbrach Patient nicht mehr, war schwindelfrei; ebenso
in den folgenden Tagen. Der Druckpuls von 52 wich einem Durch-
schnittspuls von 68 in den ersten 8 Tagen nach der Operation. Durch-
schnittstemperatur 36,8, fieberfreier Verlauf der Wundheilang nach
8 Wochen. Die Respiration war vom Tag an nach der Operation normal.
Es handelte sich also um eine Ruptur des rechten Querblutleiters
nach einem Schlag auf den Kopf. Der Bluterguss in die hintere Schädel-
grube erfolgte jedoch einige Tage später nach der ursächlichen Ver-
letzung, als Patient eine schwere Last hob. Es trat ein Bluterguss in
die hintere Schädelgrube ein, der glücklicherweise bei einer spoutanen
Dehiscenz der rechten Fossa sigmoidea und bei einer bestehenden alten,
ti*ockenen Trommelfellperforation einen Abfiussweg nach aussen fand.
Der bei der Operation aufgedeckte Bluterguss machte schon trotz der
relativ geringen Grösse so schwere Hirndruckerscheinungen, die un-
mittelbar nach dem Eingriff schwanden.
Wie haben wir uns nun in diesem Falle den Mechanismus der
Sinusverletzung vorzustellen? Ein von bestimmter Stelle fortgeleiteter
rapid seine höchste Intensität erreichender Druck (vulgo Stoss) schädigt
die Gehimmasse nur am entgegengesetzten Pole bis zur Zerreissung der
Gefässe, auf der ganzen dazwischenliegenden Strecke dagegen nicht.
Es ist auch nicht gleichgültig, ob letztere auf eine knöcherne Unterlage
oder gar eine Kante einen strammen Fascien oder Knochenrand, oder
ob sie gegen unterliegende weiche Hirnmassen angedrückt werden, über-
haupt einigermafsen ausweichen können^).
Dass in unserem Falle der rechte Sinus transversus zerriss, ist
kein Zufall, sondern wohl bedingt durch die spontane Dehiscenz der
Fossa jugularis. Die Sinuswand lag lufthaltigen Warzenfortsatzzellen an
und hatte hier also einen Locus minoris resistentiae.
1) VergL Hirnerschütterung, Hirndruck und chirurgische Eingriffe bei Hirn-
krankheiten von Prof. Dr. Tb. Kocher in Nothnagels Handbuch, IX. Bd., 3, p. 196.
310 0. Muck: Beitrag zur Kenntnis der gefährlichen Felsenbeine.
Ks wiire interessant, festzustellen, ob Rupturen des rechten Sinus
transversus häufiger sind als die des linken, und ob dann in diesen
Fällen sich rechtsseitig die in Frage kommenden Knochenlacken in der
Fossa jugulans finden. Es steht nämlich fest^), dass die Rupturen des
Sinus transversus sich häufiger finden als die des Sinns longitudinalis,
bald mit bald ohne Fraktur.
II. Tympanum caeruleum — Dehiscenz im Boden der
rechten Paukenhöhle.
Auch in diesem Falle zeigt das r e c h t e Felsenbein die Abnormität.
Frl. T. P., 18 Jahre alt, konsultierte mich Anfang d. J. wegen
einer Schwerhörigkeit, die seit 14 Tagen bestehe.
Otoskopischer Befund:
Rechtes Trommelfell Hammergrift stark einwärts gezogen. Die
beiden unteren Quadranten sind durch ein dahinter liegendes Gebilde
von stahlblauer Farbe und annähernd kugelrunder Oberfläche (zu ver-
gleichen in Gestalt und Farbe mit den Flügeldecken eines Mistkäfers)
vorgewölbt (Lupenvergrösserung). Mit der Lupe sieht man ferner durch
das transparente Trommelfell hinter dem Hammergriff ein Gebilde von
graublauer Farbe in das am Boden der Pauke befindliche Gebilde hinab-
steigend. Durch den Katheterismus entsteht ein reines Blasegeräusch
ohne Rasseln. Di^ Membran ändert nicht ihre Stellung. Mit dem
Si gl eschen Trichter sieht man, dass sich die untere Partie des Trommel-
fells anscheinend mitsamt dem beschriebenen Gebilde bewegt. Auf meine
Frage erfuhr ich, dass Patientin dauernd ein rhythmisches Geräusch in
dem rechten Ohr höre. Sie habe es, so lange sie sich besinnen könne,
und meinte, alle Menschen hätten dies Geräusch im Ohr. Durch eine
starke Kompression mit einem Bindenkopf am vorderen Rande des r.
M. sternocleidomastoideus und um den Hals gelegten Bier sehen Staa-
band wurde das rhythmische Geräusch vollständig aufgehoben. Patientin
sass mit zufriedenem Lächeln auf dem cyanotischen Antlitz da, erfreut,
das Geräusch, das sie zeitlebens begleitete, fttr einige Augenblicke nicht
zu hören, obwohl sie es sonst durch die Gewöhnung nicht störend
empfand. Nach höchster Inspirationsstellung des Thorax wird das
Venengeräusch von der Patientin stärker vernommen als bei ruhiger
Atmung.
Durch diese beiden Versuche ist bewiesen, dass es sich in diesem
Falle um ein entotisches Gefässgeräusch handelt. Das otoskopische Bild,
das ich im Verlauf eines halben Jahres unverändert fand, spricht dafür,
dass es sich um den in den Boden der Paukenhöhle hineinragenden
Bulbus der Vena jugularis handelt. Jedenfalls habe ich nicht den Mut,
hier eine Probepunktion zu machen. ^
1) Vergl. F. König, Lehrbuch der speziellen Chirnrgi«, Berlin 1893.
Fr. B e i n k i n g : Über die Ausbreitung des Schleimhautepithels etc. 311
XX.
(Aus der Kgl. Üniversitäts-Poliklinik für Ohren-, Nasen- und
Halskrankheiten in Breslau [Prof. Dr. Hinsberg]).
Über die Ausbreitung des Schleimhautepithels auf
die Wundflächen nach Operationen am Mittelohr.
Von Dr. Fr. Keinking,
I. Assistent.
Mit 2 Abbildungen im Text.
Wenn bei der Aufmeisselung des Warzenfortsatzes das Antrum
mastoideum eröffnet worden ist, so haben wir einen Wundtrichter vor
uns, der von zwei A/ten von Epithel begrenzt wird, aussen von der
Epidermis der äusseren Haut, in der Tiefe von dem kubischen Schleim-
hautepithel des freigelegten Antrums. Bei normalem Heilungsverlauf
schliesst sich der zwischen beiden Epithelarten befindliche Trichter
durch Granulationen, die dann auf der medialen Seite von kubischem
Epithel überkleidet werden, während sie sich aussen mit Epidermis
bedecken. Ist indessen die Granulationsbildung nur gering, oder wird
sie durch unzweckmäfsige, feste Tamponade niedergehalten, oder bleibt
die Eiterung aus dem Antrum profus, so kann es vorkommen, dass der
Wundtrichter sich nicht schliesst, beide Epithelarten sich ausbreiten
und sich schliesslich begegnen. Es resultiert eine ins Antrum führende
Fistel, die in ihrem lateralen Teil epidermisiert, in ihrem medialen Teil
mit Epithel bedeckt ist, welches dem Mittelohr entstammt. Ist die Er-
krankung des Warzenfortsatzes nicht sehr ausgedehnt gewesen, so bleiben,
auch an den Wänden des Operationstrichters öfter kleine Schleimhaut-
inseln aus eröffneten Warzenfortsatzzellen zurück. Diese fallen unter
normalen Verhältnissen entweder bald der Wundeiterung zum Opfer,
oder aber sie werden von den Granulationen überwuchert. Bei geringer
Granulationsbildung indessen vermag auch von diesen Inseln aus das
Epithel sich auszubreiten und die Trichterwände zu überkleiden.
Fälle von persistenten Antrumfisteln sind mehrfach in den Lehr-
büchern und in der Literatur erwähnt; indessen findet sich nirgends
eine Erwähnung der Tatsache, dass sich das Schleimhautepithel an der
Aaskleidung der Fistelwände in hervorragender Weise beteiligen kann..
Ich möchte deshalb einige Fälle, die in unserer Poliklinik zur Be-
obachtung kamen, veröffentlichen.
Clara Seh., eine schmächtige, anämische Frau, 24 Jahre alt,
kommt am 31. XII. 06 wegen linksseitiger Otitis media acuta in unsere
Behandlung. Ausserdem leidet sie an einer mit Nebenhöhleneiterungen
komplizierten Ozäna.
312 Fr. Beinking:: Über die Ausbreitung des Schleimhautepithelä
A\ ährend anfangs die Temperatur nur wenig erhöht oder normal
-war, stieg sie in der dritten Woche an und sehwankte zwischen 38"
und 39*^. Wir haben darauf am 19. I. 07 den Warzenfortsatz eröfihet
und, um eine intrakranielle Komplikation sicher ausschliessen zu können,
Sinus und Dura freigelegt. Der Befund war im wesentlichen negativ.
Wir haben dann in der üblichen Weise in das eröffnete Antrum einen
schmalen Vioformgazestreifen eingeführt und die Wundhöhle locker
tamponiert. Die weitere Behandlung bestand in lockerer Tamponade.
Die Temperatur war noch etwa eine Woche lang erhöht, um dann
langsam zur Norm zurückzukehren.
Die Operationswunde begann bald zu granulieren; doch war die
Granulationsbildung schwach und kam nach einiger Zeit zu völligem
Stillstande, sodass sich der Wundtrichter nicht schloss, sondern das
Antrum offen blieb. Während anfangs die Sekretion den gewöhnlichen
serös-eitrigen Charakter hatte, wurde das Sekret in der Tiefe mehr
und mehr schleimig-eitrig; die Granulationen nahmen ein spiegelndes
Aussehen an, sodass wir auf Grund früherer Beobachtungen ein Über-
wachsenwerden der tiefliegenden Granulationen von dem Epithel der
Schleimhaut des Antrums diagnostizierten. Wiederholte Ätzungen der
Wundhöhle mit Lapis in Substanz änderten das Bild nur wenig; die
Sekretion wurde sogar stärker. Wir haben deshalb am 17. II. die Gra-
nulationen aus der Tiefe mit der Kürette entfernt.
Die histologische Untersuchung dieser von der Epidermis noch
durch eine epithelfreie Granulationszone getrennt gewesenen Granulationen
^rgab folgendes:
Das Stroma ist ein zell- und gefässreiches Gewebe, welches von
zahlreichen Leukocyten durchsetzt ist; es hat durchaus den Charakter
des Granulationsgewebes. Das Epithel, welches dem Stroma direkt
aufsitzt, ist nicht bei allen untersuchten Partikeln gleich: stellenweise
findet sich ein einschichtiges, kubisches Epithel, an andern Stellen ist
das Epithel zwei- und dreischichtig. Die tiefe Zelllage erscheint hier
kubisch, die darüber liegenden Zellen sind von unregelmäfsiger Gestalt.
Zwischen den Epithelien sieht man reichlich Leukocyten, die auf der
Durchwanderung begriffen sind.
Nach dem Kürettement der Wundhöhle ersetzten sich die entfernten
Granulationen zwar etwas stärker, doch war das Antrum selbst nach
achtwöchiger Behandlung noch nicht geschlossen. Am 20. III. wurde
die Patientin mit einer breiten ins Antrum führenden Fistel, die mäfsig
eiterte, auf ihren Wunsch in die Heimat entlassen und dem Hausarzt
zur weiteren Hehandlung empfohlen. Wir haben über die weiteren
Schicksale der Patientin leider nichts mehr in Erfahrung bringen können.
Im vorliegenden Falle gab die geringe Granulationsbildung dem
Antrumepithel Gelegenheit zur Ausbreitung auf die Wände des Wund-
trichters. Nun sind Fälle von geringer Granulatiousbildung nach Auf-
meisselung des Processus mastoideus nicht allzu selten und schon mehr-
fach beschrieben worden. So führt Heine in seinem Buche der
auf die Wandflächen nach Operationen am Mitteiohr. 313
»Operationen am Ohr« einige derartige Beobachtungen an. Er erwähnt
«inen von ihm selbst behandelten Fall, in dem infolge spärlicher Gra-
nulationsbildung eine Antrumßstel resultierte. Wie weit vom Antrum
herstammendes Epithel die Fistel auskleidet, ist indessen nicht angegeben.
Gerber berichtet im Archiv für Ohrenheilkunde (Bd. 63) über einen
Fall, in dem der freigelegte Sinus und die Dura nicht von neugebildetem
Knochen bedeckt wurden, sondern die Epidermis sich über die spär-
lichen Granulationen hinwegschob, sodass nach der endgültigen Heilung
die epidermisierte Dura und der Sinus frei zu Tage lagen. Ein weiterer
von Heine angeführter Fall ist von Winkler publiziert worden
(Verhandlungen der deutschen otologischen Gesellschaft 1904, S. 134).
Hier blieb trotz aller Ätzungen, Auskratzungen, Anfrischungen und
Transplantationen hinter der Ohrmuschel »eine tiefe Fistel« zurück.
Was die Ursache der geringen Granulationsbildung anlangt, so
handelt es sich wohl stets um geschwächte Individuen. Unsere Patientin
war im Anfang der Behandlung derart anämisch, dass sie bei jedem
Terbandswechsel mit Ohnmachtsan Wandlungen zu kämpfen hatte. Heines
Patientin hatte lange in den Tropen gelebt und eine schwere Malaria
durchgemacht. Gerber glaubt für die schlechte Granulations- und die
mangelnde Knochenneubildung eine verminderte vitale Energie des lange
von Eiter umspülten Knochens annehmen zu müssen.
Hat sich nun über die langsam wachsenden Granulationen von
medial her das Epithel des Antrums, von lateral die Epidermis der
Haut hinübergeschoben, so ist damit dem Wachstum der Granulationen
ein Ende gemacht. Ein spontaner Schluss der Fistel ist nicht mehr zu
erwarten. Man wird deshalb in einem solchen Falle die tiefer ge-
legenen Fistelwände mit der Kürette oder dem scharfen Löffel von Epithel
gründlich säubern, den Allgemeinzustand des Patienten zu bessern
suchen und kann dann hoffen, dass die stärker nachwachsenden Granu-
lationen das Antrum zum Verschluss bringen.
In unserm oben angeführten Falle haben wir nach der ersten Auskratzung
dieses Ziel nicht erreicht. Dass man jedoch die Hoffnung, die Fistel auf diese
Weise zu schliessen, nicht allzu schnell aufzugeben braucht, das beweist ein
Fall, den ich kürzlich in unserer Poliklinik zu sehen Gelegenheit hatte.
Walter R., 9 Jahre alt, ein schwach entwickelter Knabe, wird
von seiner Mutter zwecks Kontrolle seines vor 6 Jahren wegen Mastoiditis
acuta operierten linken Ohres vorgestellt. Die Nachbehandlung hatte
sich lange hingezogen. Die Granulationsbildung war so gering gewesen,
dass anfangs eine Antrumfistel resultierte mit weit nach lateralwärts
Zeiiselirift Ar OhrenbeUkande. Bd. LIV. 21
314 Fr. Beinking: Über die Aosbreitang des Schleimhantepithels
Terbreitetem Scbleimhantepithel. Der mediale Teil der Fistel wurde mehr-
fach kOrettiert, doch erst nach der sechsten Kürettage kam es zu einem
membranartigen Verschlnss des Antrums. In dem tiefen Rezessus hinter
dem Ohr blieb indessen, trotzdem auch hier noch mehrfach kürettiert wurde,
eine etwa pfennigstuckgrosse Stelle mit Schleimhautepithel bedeckt.
Diese sich durch ihre rosa Farbe von der grauweissen Epidermis
scharf abhebende Stelle ist für gewöhnlich trocken. Bemerkenswert ist
jedoch, dass sie nässt, sobald der Knabe sich erkältet; es tritt dann
auch an dieser von den übrigen Schleimhäuten abgesonderten Stelle eine
katarrhalische Entzündung ein. Von Interesse ist ferner die Tatsache,
dass sich der Schleimhautbezirk im Laufe der Jahre merklich verkleinert
hat. Eine Einschränkung der von Schleimhautepithel bekleideten Fläche
durch die Epidermis kann also wohl stattfinden. Es ist bekannt, dass
auf Hautwunden transplantierte Schleimhautstücke mit der Zeit völlig
den Charakter der äusseren Haut annehmen. Indessen betrifft dieser
Umwandlungsprozess die transplantierte Schleimhaut meist in toto, nicht
etwa nur an den Rändern. Es kommt durch die vielfältigen Reize, die
die Schleimhaut treffen, die Austrocknung durch die Luft, das Reiben
der Kleidungsstücke zu einer Metaplasie des Epithels. In unserm Falle
sind äussere Reize von der Schieimhautpartie anfangs durch Verbände tun-
lichst femgehalten worden ; später wurde die äussere Öffnung des Rezessus
durch einen lockeren Wattetampon stets sorgfältig verschlossen. Dennoch
hatte von den Rändern her eine Substitution des Schleimhautepithels durch
Epidermis stattgefunden. Ich nehme an, dass die katarrhalischen Affektionen
öfter kleine Epitheldefekte herbeigeführt haben, die. wenn sie randständig
waren, der angrenzenden Epidermis Gelegenheit zur Ausbreitung gaben.
Während in den heiden oben angeführten Fällen schwache Granu-
lationsbildung dem Epithel die Ausbreitung ermöglichte, ist der folgende
ein Beispiel dafür, dass diese auch dann eintreten kann, wenn durch länger
dauernde feste Tamponade die Granulationsbildung niedergehalten wird.
Es handelte sich um einen siebzehnjährigen jungen Mann, bei
welchem wegen einer akuten Mastoiditis die Aufmeisselung des Processus
mastoideus ausgeführt worden war. Die Erkrankung des Warzenfort-
satzes war nicht sehr ausgedehnt, sodass an den Wänden des Wund-
trichters möglicherweise lebensfähige Schleimhaut eröffneter Warzenfort-
satzzellen zurückblieb. Die Wunde wurde von nicht spezialistischer Seite
längere Zeit hindurch fest tamponiert. Die Folge davon war eine Antrum-
ßstel, deren Wände nur einen schmalen, lateral gelegenen Epidermissaum
zeigten, während alles übrige von Schleimhautepithel ausgekleidet war.
Wir standen hier vor der Frage, ob wir auch in diesem Falle
durch Kürettage der Fistelwände das Epithel entfernen und von der
dann einsetzenden Granulationsbildung den Verschluss erwarten sollten,
oder ob es vorzuziehen sei, durch eine plastische Operation die Fistel
zu verschliessen. Wir zogen letzteres vor, frischten die Fistel wände im
äusseren Teile an, schoben über die äussere Öffnung von hinten her
einen brückenförmigen Hautlappen, dessen vorderer Rand mit dem an-
gefrischten Fistelrand durch einige Nähte vereinigt wurde (s. Zeichnung).
auf die Wundflächen nach Operationen am Mittelohr. 315
Kij,'. i.
• Schnittlinie zwecks Bildung der HautbrUcke. Vor der vorderen Schnittlinie spindelförmige Anfriechung.
Fig. 2.
Nach Yei Schiebung der HautbrUcke. Hinten WundflHche. die spiUcr vernarbt.
21*
316 Fr. BeinkiDg: Über die Aasbreitmia^ des Schleimhantepithels
Die nächste Folge dieses Eingriffes war ein Rezidiv der Otitis media;
doch klang die Entzändang in venigen Tagen wieder ab. Die Haat-
brQcke heilte an, die Fistel war geschlossen und zu einem grossen Hohl-
raum geworden, der mit der Paukenhöhle kommunizierte. Der Patient
ist dauernd beschwerdefre;.
Wie nach Eröffnung des Warzenfortsatzes, so grenzen auch nach
Ausführung der Kadikaioperation zwei Epithelarten an die angelegten
Wundflächen. Einerseits die Epidennis des zum Zwecke der Plastik
gespaltenen Gebörgangs. event. bei Anlegung einer retroaurikulären
Fistel die Epidermis der äusseren Haut: andererseits das Schleimhant-
epithel der Tuba Eustachi! am Tubenwinkel. Ferner können auch
Epithelreste, die sich auf der medialen Paukenhöhlen- uud Antrumwand,
spez. in den Fensternischen erhalten haben, für die Epithel isierung
der Operationshöhle in Betracht kommen. Ks ist ja allbekannt, wie
häufig im ausgeheilten radikaloperierten Ohre die Gegend des Promon-
toriums von Schleimhaut bekleidet ist. In seltenen Fällen mögen auch
auf der hinteren Wand der Wundhöhle Schleimhautinseln bestehen
bleiben, die von der Auskleidung noch vorhanden gewesener, bei der
Operation eröffneter Warzenfortsatzzellen übrig geblieben sind. In der
Mehrzahl der Fälle kommt es indessen zu vollkommener Epidermisiernng
der Wnndhöhle. Meist wird die Tnbenöffnung von Granulationen über-
wachsen und verschlossen, und dadurch das Epithel der Tube an der
weiteren Ausbreitung gehindert. Die Epithelien der medialen Pauken-
höhlen- und Antrumwand, der Warzenfortsatzzellen sind vielfach schon
der Eiterung, die Veranlassung zur Operation gab, zum Opfer gefallen;
ist dies nicht der Fall, so werden sie meist durch die Kürette des
Operateurs, oder durch die in der Operationshöhle sich etablierende
Eiterung eliminiert. Bleiben jedoch lebensfähige Schleimhautreste zurück,
oder kommt es nicht zum Verschluss der Tube, so vermögen auch im
radikal operierten Ohre Schleimhautepithelien auf einen weiten Bezirk
sich zu verbreiten.
Ich habe zwei Fälle dieser Art beobachtet. Bei dem ersten, dem
am 13. Xn. 1906 von uns wegen chronischer Mittelohreiterung radikal
operierten 17jährigen Gymnasiasten Johannes P. hat sich der laterale
und hintere Teil der Höhle epidermisiert. Von Schleimhaut bekleidet
ist ausser der medialen Paukenhöhlen- und Antrumwand der mediale
Teil des Sporns und der mediale Teil des Daches der Höhle, also ohne
jeden Zweifel auch Flächen, die erst durch die Operation geschaffen
worden sind. Die epithelialisierte Partie ist von rosa Farbe, feucht-
glänzend. Die Tube ist offen. Mehrmals schon hat Patient in der
letzten Zeit bei Erkältungen und Schnupfen an Eiterungen der Schleim-
haut des radikal operierten Ohres gelitten.
auf die Wundflächen nach Operationen am Mittelohr. 317
Der zweite Fall betrifft den Iß Jahre alten Schüler einer Prä-
parandenanstalt Karl Th., der im Jahre 1898 von Prof. Kümmel
wegen einer chronischen Mittelohreitemng radikal operiert worden ist.
Er stellt sich bei uns ein, weil sein operiertes Ohr nässt. Auf Befragen
gibt er an, dass es immer von Zeit zu Zeit abgesondert habe, besonders
bei Schnupfenanfällen, aber auch unabhängig von diesen. Die Unter-
suchung des radikal operierten Ohrfes ergibt ein Bild, welches dem oben
beschriebenen ausserordentlich ähnelt. Die mediale Paukenhöhlen- und
Antrumwand, der mediale Teil des Sporns und des Daches sind von
rosa Farbe, von schleimigem Eiter bedeckt. Der übrige Teil der Höhle
zeigt die normale grauglänzende Epidermisauskleidung. Die Grenze
beider Bezirke gegeneinander ist nicht scharf, vielmehr gehen dieselben
ineinander über, derart, dass zwischen ihnen eine etwa 1 mm breite
Zone liegt, die in unregelmäfsiger Anordnung zwischen roten Partien
weisse, abschilfernde Epidermis zeigt. Der Valsalva'sche Versuch
beweist, dass die Tube durchgängig ist.
Zwei weitere Fälle stellte Herr Prof. Hinsberg mir zur Verfügung.
Der erste betrifft ein jetzt 14 jähriges Mädchen, bei welchem vor
7 Jahren wegen Scharlacheiterung zunächst die Warzenfortsatzaufmeisselung
ausgeführt wurde. Da infolge von Knochennekrose keine Heilung eintrat,
wurde das Ohr zwei Jahre später radikal operiert. Die Heilung erfolgte
in folgender Weise: Epidermisiert sind die lateralen zwei Drittel des
Fazialissporns und der laterale Teil des Daches und der Hiuterwand
der Operationshöhle, während der übrige Teil von Schleimhaut aus-
gekleidet ist. Einzelne Vertiefungen, die in diesem mit Schleimhaut
bekleideten Teil erkennbar sind, dürften wohl als eröffnete Zellen zu
deuten sein. Die Schleimhaut sondert in der Regel nur geringe Mengen
eines sehr zähen, glasklaren Schleimes ab, der etwa zweimal wöchentlich
durch Ausspülen mit Borsäurelösung entfernt wird. Bei Schnupfen-
anfällen pflegt die Absonderung erheblich stärker zu werden. Die
Grenze zwischen Schleimhaut und Epidermis ist seit etwa drei Jahren
vollkommen stationär.
Einen weiteren Fall, bei welchem fast die ganze Operationshöhle
mit Schleimhaut ausgekleidet war, beobachtete Prof. Hiusberg in
Königsberg.
Ich habe bei dem zweiten von mir beobachteten Patienten. Karl Th.,
«in kleines Stück der Schleimhaut exzidiert und zwar vom Dach der
Höhle, da, wo nach Ausführung der Radikaloperation sicher eine Wund-
fläche bestanden hatte. Die histologische Untersuchung ergab folgendes:
Das Stroma ist ein kern- und gefässreiches Bindegewebe, welches
von Leukocyten reichlich durchsetzt ist. Das Epithel ist nicht in
allen untersuchten Schnitten gleich. Die meisten zeigen ein zwei-
schichtiges, niedriges Zylinderepithel, andere weisen mehr kubische und
platte Zellen auf mit distinkt färbbaren Keinen. An einzelnen Stellen
318 Fr. Beinkill g: Über die Attsbreitang des Schleimhaatepithels
liegt dem Stroma eine Schicht kubischer Epithelzellen auf, deren Kerne
sich mit Hämatoxylin stark färben : darüber liegen 4 bis 5 Lagen nach
der Oberfläche mehr und mehr abgeplatteter Zellen, deren Kerne den
» FarbstoflF nur schwach annehmen. Zwischen den Epithelien sind ver-
einzelte Leukocyten sichtbar.
Wir fanden also auf der Schleimhaut nicht mehr das einfache
kubische Epithel des Mittelohres oder das geschichtete Flimmerepithel
der Tube, sondern wenige Lagen kubischer oder niedrig-zylindrischen
Epithels, dessen oberste Zellen sich da, wo sie in mehreren Schichten
übereinander lagen, abgeplattet hatten. Dass es zu dieser Epithel-
metaplasie kam, ist nicht zu verwundern. Es ist ja bekannt, wie sehr
Schleimhautepithelien unter dem Einfluss ihnen fremder Reize sich ver-
ändern können. Nun sind zwar die nach der Radikaloperation sich
ausbreitenden Schleimhautepithelien gegen grobe mechanische, chemische,
thermische Reize relativ geschützt. Doch dürfte schon die während
der Nachbehandlung geübte Tamponade den Charakter der Epithelien
beeinflussen, späterhin die häutigen katarrhalischen Entzündungen, da«
reizende Sekret, sich ansammelnde Epidermisschuppen und Cerumen eine
Metaplasie des Epithels herbeiführen.
In unserem Falle hatte die Schleimhaut ihren Chäraktei* als solche
nicht verloren. Makroskopisch war sie von rotem Aussehen, feucht-
glänzend, produzierte unter dem Einfluss der Entzündung ein schleimig-
eitriges Sekret ; auch mikroskopisch war sie als Schleimhaut unverkennbar,
trotz der stellenweise eingetretenen Metaplasie.
Ist schon das Offenbleiben der Tube und das Bestehen von Schleim-
hautresten auf dem Promontorium — ein häufiger Befund in radikal
operierten Ohren — eine sehr unangenehme Sache, weil immer wieder
Eiterungen am Tubenwinkel eintreten, so ist die Ausbreitung des Schleim-
hautepithels auf einen grösseren Bezirk wirklich ein ganz fataler Ausgang.
Unsere Patienten leiden fast ständig an mehr oder minder starker Ab-
sonderung aus dem Ohr. Der Arzt, der seinem Patienten durch die
Operation Heilung von seiner Ohreiterung versprochen hatte, befindet
sich auch nicht gerade in angenehmer Lage; er wird einen ständigen,
>' treuen«, aber nicht sonderlich dankbaren Patienten haben, den von
seinem Ohrenfluss dauernd zu befreien, ihm so schnell nicht gelingen
dürfte. Wir wenigstens haben uns vergeblich bemüht, unsere Patienten
durch Spülungen, Einträuflungen, Pulvereinblasungen u. s. w. zu heilen.
Eine Entfernung der Schleimhautpartieu mit dem scharfen Löffel oder
deren Zerstörung durch Galvanokaustik liaben wir noch nicht versucht.
aaf die Wundflftchen nach Operationen am Mittelohr. 319
vielleicht lässt sich auf diese Weise ein Erfolg erzielen. Die Anwendung
der Lapissonde hatte nur eine Vermehrung der Absonderung zur Folge.
Bei solch unangenehmen Folgen der Epithelausbreitung und bei
•der Schwierigkeit ihrer Beseitigung ist es von besonderem Interesse,
aus der Ätiologie die Konsequenzen für die Prophylaxe zu ziehen. Die
Grundbedingung für die Verbreitung der Schleimhautepithelien ist An-
wesenheit von Schleimhautresten auf den Wänden der Wundhöhle oder
das Offenbleiben der Tubenmündung. Ob noch andere Momente mit-
spielen, lässt sich aus unseren Fällen nicht schliessen. Vielleicht ist
der Umstand, dass alle Patienten in jugendlichem Alter stehen, mehr
als blosser Zufall. Was die Anwesenheit von Schleimhautepithelresten
an der medialen Paukenhöhlen- und Antrumwand betrifft, so ist es
nicht möglich, bei der Operation alles zu entfernen. Besonders die
Gegend der Labyrinthfenster mit ihren Nischen ist einerseits der Kürette
an sich unzugänglich, andererseits wird sie auch vom Operateur aus
guten Gründen gemieden. Befand sich also hier zur Zeit der Operation
noch intaktes Epithel, so bleibt es während derselben unberührt und
durchaus lebensfähig. Nun bin ich zwar der Meinung, dass in einer
grossen Zahl von Fällen diese Epithelien der sich bald nach der Operation
in der Wundhöhle etablierenden Eiterung zum Opfer fallen, es müssten
sonst die von mir beschriebenen Zustände viel häutiger zur Beobachtung
kommen. In manchen Fällen jedoch wird das Epithel nicht abgestossen
und verbreitet sich nun über einen mehr oder weniger grossen Bezirk.
Es sind dies die nicht seltenen Fälle, bei denen sich nach der Heilung
auf der medialen Paukenhöhlenwand kleine Schleimhautpartien finden
bei geschlossener Tubenmündung. Gegen die Entstehung dieser Schleira-
hautinseln aus Epithelresten in der Gegend der Labyrinthfenster dürfte
prophylaktisch kaum etwas auszurichten sein.
Anders steht es mit dem Offenbleiben der Tubenmündung. Die
Unannehmlichkeiten, die dieser Zustand für den Patienten mit sich
bringt, auch ohne dass weit ausgebreitete Schleimhautflächen bestehen,
haben schon zu einer ganzen Reihe von Vorschlägen Veranlassung ge-
geben, die darauf abzielen, den Verschluss zu sichern.
So empfehlen einige die Kürettage des Tubenwinkels. Win kl er
begnügt sich in Fällen, in denen die Tube an der Eiterung stark be-
teiligt ist, nicht mit der einfachen Kürettage; er hebelt in solchen
Fällen den Gehörgangsschlauch vollkommen heraus, verdünnt bis zur
Tölligen Übersichtlichkeit des Tubenostiums, wenn nötig, die vordere
Oehörgangswand und entfernt dann erst die eiternde Schleimhaut.
320 Fr. Reink-ing: Über die Ausbreitung des Schleimhautepithels
Mehrfach hat er dann über das Ostium tubae Reverdinsche Läppchea
transplantiert. (73. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte iir
Hamburg 1901.) Die Transplantation von Hautläppchen auf das Tuben-
ostium ist auch von anderer Seite (Gerber) versucht worden. Heine
rät, den etwa vorhandenen Trommelfellrest über die Mündung der Tube
zu legen und aufheilen zu lassen. Siebenmann sieht Ton einer
Kürettierung des Tubenwinkels der Paukenhöhle seit langen Jahren ab
und glaubt, diesem Umstände, sowie der Schonung des Trommelfells es
zu verdanken, dass Eiterungen aus dem Tubenostium »so zu sagen nie
mehr« zur Beobachtung kommen. (Nager, Wiss. Bericht der oto-
laryngologischen Klinik und Poliklinik Basel vom 1. 1. 03 bis 31. XII. 04.
Zeitschr. f. Ohrenheilkunde, Bd. LIII, 193.)
Schliesst sich während der Nachbehandlung das Tubenostium nicht
spontan oder treten in dem im übrigen ausgeheilten radikal operierten
Ohr später Eiterungen von Seiten des Tubenwinkels ein, so empfiehlt
Grün er t zur Erzielung eines Verschlusses Ätzungen resp. Kauterisationen
des Tubenostiums. (Grunert, Beiträge zur operat. Freilegung der
Mittelohrräume. Archiv f. Ohrenheilk. XL, 232.) Wir stehen mit
unsern Mafsnahmen im allgemeinen auf dem Standpunkt Siebenmanns
und lassen den Tubenwinkel durchgehends unberührt. Wir sind mit
den Resultaten wohl zufrieden ; immerhin sehen wir auch hin und wieder
einmal ein Offenbleiben der Tube.
Zweierlei ist für das Zustandekommen eines Verschlusses von Be-
deutung: die anatomischen Verhältnisse nach der Operation und die
Art der Nachbehandlung. Soll sich die Tube schliessen, so ist das^
Vorhandensein einer epithelfreien Zone rings um die Mündung Grund-
bedingung. Ist diese vorhanden, so wird hier eine Granulationsbildung
eintreten, die Granulationen können sich begegnen, sich vereinigen und
das Ostium verschliessen. Geht das Epithel der Tube kontinuierlich in
das Epithel eines Schleimhautrestes auf dem Promontorium über, sa
kommt es mitunter zur Bildung eines membranartigen Verschlusses durch
die ringsum wachsenden Granulationen ; es entsteht eine Art von neuem
Trommelfell. Besonders tritt dieser Heilungsmodus dann ein. wenn
Reste des Trommelfells vorn und unten erhalten worden sind. Diesen
Schliessungsprozess darf die Nachbehandlung nicht stören; wird die
Pauke, spez. der Tubenwinkel, zu fest tamponiert, so werden dadurch
die Granulationen im Wachstum und an ihrer Vereinigung über der
Tubenöffnung gehindert, Epithel, bezw. Epidermis breitet sich über sie
aus und machen die Öffnung zu einer dauernden. Also die zweite Be*
auf die Wundflächen nach Operationen am Mittelohr. 321-
dingung für das Zustandekommen des Tuben verschlusses ist die Ver-
meidung allzu fester Tamponade der Pauke, spez. des Tubenwinkels^
Die strikte Durchführung dieser Regel an der Siebenmannschen Klinik
darfte die yorzOglichen Resultate derselben zeitigen.
Grunert hat drei verschiedene Heiluugsmethoden des radikal
operierten Ohres aufgestellt:
1. Epidermisiernng der ganzen Höhle.
2. Epidermisiernng der Höhle exklusive Pauke, die mit Schleim-
haut bekleidet bleibt. Bildung einer abschliessenden Membran
über der Pauke.
3. Epidermisiernng der Höhle mit Ausnahme der Pauke, die von
Schleimhaut bekleidet ist. Kein Abschluss derselben durch,
eine neugebildete Membran. Kein Verschluss der Tube.
Ich möchte auf Grund vorstehender Ausführungen und unserer Be-
obachtungen noch zwei weitere Heilungsmodus hinzufügen:
4. Epidermisiernng der Höhle exkl. des von Schleimhaut bekleideten
Promontoriums und der Fenstergegend. Verschluss der Tube.
5. Ausbreitung des Schleimhautepithels auf weite Bezirke des
radikal operierten Ohres; Epidermisierung des Restes; Offen-
bleiben der Tube.
Zum Schlüsse ist es mir angenehmste Pflicht, Herrn Prof. Hins-
berg für die Anregung zu dieser Arbeit und die liebenswürdige-
Durchsicht derselben meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen.
Nachtrag.
Bald nach Abschluss dieser Arbeit stellte sich die Patientin Clara
Seh. wieder bei uns vor (13. VHI. 07).
Der Befund an dem operierten Ohr ist folgender: .
Das Trommelfell ist blass, getrübt, mäfsig eingezogen ; Narbe hinten
oben. Hinter dem Ohr befindet sich eine breite, bis ins Antrum führende
Fistel. Im äusseren Teile ist diese epidermisiert, im medialen Teile
ist sie von Schleimhaut bekleidet. Beide Zonen sind durch einen etwa
1 mm breit vorspringenden, membranartigen Saum geschieden. In der
Tiefe der Fistel bildet die Schleimhaut einige zarte Brücken, sodass das
Antrum von feinen Maschen erfüllt ist. Der von Schleimhaut ausge-
kleidete Teil der Fistel, von dem Saume bis zum Antrum, hat eine
Länge von 13 mm und ist bis ins Antrum ziemlich gleichmäfsig zirka
7 mm breit. Dieser Teil der Fistel produziert dauernd eine geringe^
Menge glasigen Schleimes.
Patientin lehnt die ihr vorgeschlagene operative Schliessung der
Fistel ab, da ihr diese keine Beschwerden macht.
•322 Hermann Ivo Wolff: Über rezidivierende Mastoiditis.
XXI.
iAns der Klinik und Poliklinik fflr Ohren-, Hals- und Nasen-
krankheiten des Privatdoz. Br. G. Brühl zu Berlin.)
Über rezidivierende Mastoiditis.^)
Von Dr. Hermann Ivo Wolff,
Aaaistant d«r Klinik •
Unter rezidivierender Mastoiditis verstehen wir die im Anschloss
an akate Mittelohrentzündungen wiederholt auftretenden Erkrankungen
des Warzenfortsatzes. Die Häufigkeit und die Ursachen dieser Rezidive
sind bisher noch nicht zusammenhängend in der Literatur behandelt
worden.
Der Krankheitsverlauf gestaltete sich in den von uns beobachteten
Fällen folgendermafsen :
Bedingt durch eine akute Mittelohrentzündung entwickelte sich eine
Erkrankung des Warzenfortsatzes, die zur Abszedierung führte. Der
Krankheitsprozess im Warzenfortsatz und in der Paukenhöhle heilte nach
der notwendig gewordenen Operation vollständig aus. Nach kürzerem
oder längerem Zwischenraum entstand infolge einer neuen Otitis wiederum
eine Mastoiditis, die ausseroidentlich schnell zur Abszedieruug
führte, ein Vorgang, der sich nach unserer Beobachtung mehrfach
wiederholen kann.
Wir bezeichnen mit Samuel (1) eine Wiedererkrankung als Rezidiv,
»wenn es sich um die Rückkehr derselben bereits erloschenen Krank-
heit auf Grundlage der früheren Erkrankung handelt«. Die Ursachen
eines Rezidivs können verschiedene sein.
Der Kranke kann derselben Krankheitsursache häufig ausgesetzt
.sein, wie z. B. einer berufsmäfsigen Schädigung oder durch eine lokale
Disposition in dem betreffenden Organe oder dessen Umgebung zur
Wiedererkrankung neigen. So ist z. B. die rezidivierende Otitis eine
häufige Erkrankung bei Kindern, die an adenoiden Vegetationen leiden,
und der rezidivierende Mittelohrkatarrh findet sich oft bei Kranken mit
Anomalien in der Nase oder häufigen Erkrankungen derselben.
Wird eine Krankheitsursache nach der Heilung nicht völlig aus
dem Körper eliminiert, so kann dieselbe nach einer Latenzzeit eine
neue Erkrankung hervorrufen. Auch solche Fälle sind als Rezidive
und nicht als Exazerbationen anzusehen, da bei letzteren dauernd-
1) Nach einem Vortrage, gehalten in der Berliner otologisehen Gesellschaft
am 11. Juni 1907.
.V
Hermann Ivo Wolff: Über rezidivierende Mastoiditis. 323
Krankheitserscheinungen beobachtet werden müssen. Als Beispiel für
dieses Vorkommnis in der Otiatrie möchte ich die von Zaufal (2) be-
schriebenen Fälle von Diplokokken- Mastoiditiden anführen, aus denen
hervorgeht, dass sich nach Verschwinden der Eiterung in der Pauken-
höhle in dem Antrum Diplokokken erhalten resp. einkapseln können,
die längere Zeit lebensfähig bleiben, ohne Krankheitserscheinungen her-
vorzurufen, jedoch plötzlich wieder zur Weiterverbreitung der Entzündung
in die Umgebung, zur Knocheneinschmelzug und Abszessbildung auf dem
Warzenfortsatz den Anstoss .geben können.
War die Ursache der ersten Erkrankung eine Konstitutionsanomalie,
so kann die Krankheit auf derselben Grundlage rezidivieren.
Sehr häufig bleiben nach einer Krankheit materielle Veränderungen
in dem betreffenden Organe zurück, und es entsteht somit ein Locus minoris
resistentiae, wie z. B. persistente Perforationen nach einer chronischen
Mittelohrentzündung. Ebenso könnten zurückgebliebene materielle Ver-
änderungen im Warzen fortsatz für die Entstehung der rezidivierenden
Mastoiditis von Bedeutung sein. Wir haben wiederholt beobachtet, dass
sich bei antrotomierten Patienten bei geringen Entzündungsprozessen in
der Paukenhöhle, wie sie durch eine leichte Hyperämie des Trommel-
fellSf radiäre Injektion und Injektion der Hammergefässe gekennzeichnet
sind, eine leichte Rötung der Narbe hinter dem Ohre und eine Schmerz-
haftigkeit des Knochens findet. Eine ähnliche Beobachtung ist in einer
Arbeit von Piffl (3) erwähnt. Die Fortpflanzung des Entzündungs-
prozesses auf die oberflächlichen Weichteile scheint also bei Antrotomierten
erleichtert zu sein. Der Gedanke lag deshalb nahe, auch für unsere
Fälle von rezidivierender Mastoiditis eine materielle örtliche Schädigung
durch die frühere Erkrankung und Operation anzunehmen, umsomehr,
als die Abszedierung bei den von uns beobachteten Rezidiven ungewöhn-
lich schnell von statten ging. Man könnte daran denken, dass sich
nach der Antrotomie nicht immer ein solider knöcherner Verschluss der
Operationswunde bildet, sondern hier und da ein Knochenspalt bestehen
bleibt, durch den der Eiter, ähnlich wie durch eine offene Sutura
mastoideo - squamosa unter das Periost dringt.
Ich hielt es deshalb für notwendig, mir ein Urteil über die
normalen Kuocheuregenerations'verhältnisse nach Operationen am Warzen-
fortsatz zu bilden. In der Literatur habe ich darüber nichts finden
können, abgesehen von zwei kurzen Bemerkungen von Schwartze (4)
und Bezold(5. Bezold schreibt, dass »nach der Operation meist
«in sehr ausgedehnter Knochenersatz stattfindet« ; Schwartze, dass
324 Hermann Ivo Wolff: Ober rezidivierende Mastoiditis.
»die Wundhöhle von Granulationen ausgefüllt wird, die sich später in
ossifizierendes Bindegewebe umwandeln.« Trotzdem gewiss eine grosse
Anzahl frtlber antrotomierter Patienten später obduziert worden ist, fehlt
bisher eine histologisch anatomische Untersuchung ttber Knochenregeneration
im Warzenfortsatz nach Antrotomien. Meinen Bemühungen ist es vor-
läufig nicht gelungen, das fragliche Material zu erhalten. Durch das
Röntgenbild konnte ich keinen sicheren Aufschluss gewinnen, ob ein
vollständiger knöcherner Verschluss der Operationswunden stattfindet.
Ich habe deshalb eine experimentelle Untersuchung begonnen.
Vorläufig sind wir zur Beurteilung dieser Frage auf unsere Befunde
bei mehrfach Operierten (wobei zu bedenken ist, dass es sich in diesen
Fällen um Befunde bei Kranken handelte, die nicht ohne weiteres auf
die Vorgänge im Warzenfortsatz bei Antrotomierten, bei denen später kein
Recidiv aufgetreten ist, übertragen werden können) und auf die Palpation
angewiesen. Wir können ausserdem pathologisch-anatomische Erwägungen
auf Grund allgemeiner chirurgischer Beobachtungen heranziehen.
Bei allen antrotomierten Patienten, die ich zu untersuchen Gelegen-
heit hatte, war unter der oft stellenweise adhärenten Narbe eine knochen-
harte Masse mit unregelmässiger Oberfläche zu fühlen, die gegen die
Umgebung eine Niveaudifferenz zeigte, welche von wenigen Millimetern
bis zu einer tiefen Depression variierte, letzteres besonders bei alten
Leuten und solchen in schlechtem Ernährungszustande. Diese allgemein
bekannte Beobachtung beweist s.chon, dass die Callusbildung am Warzen-
fortsatze viel weniger ausgiebipj erfolgt, als an den Knochen der Glied-
mafsen, an denen sich zunächst ein überschüssiger Callus bildet. Ein
gewisser Grad von Knochenneubildung findet dagegen am Warzenfortsatz
regelmäfsig statt und nicht ausnahmsweise, wie es nach den Arbeiten
vieler Chirurgen, z. B. v. Bergmann (6), für die flachen Schädelknochen
feststeht. Knochendefekte in den flachen Schädelknochen ersetzen sich
vollständig nur ausnahmsweise, obgleich die Möglichkeit der Knochen-
neubildung aus den Knochenbildnern des Periostes, der Dura und der
Markräurae vorliegt Die geringe Vascularisation des Schädelperiostes
und die Unverrückbarkeit der Knochenwundflächen gegeneinander werden
zur ErkläiTing für das Ausbleiben des Knochenersatzes herangezogen.
Am Warzenfortsatz liegen die Bedingungen für den Knochenersatz
m. E. günstiger, wie an den flachen Schädelknochen, da ausser dem
Oberflächenperiost und der gut vascularisiei-ten Spongiosa zwischen den
Zellen (7) noch das Schleimhautperiost der Zöllen für den Knochen-
aufbau in Betracht kommt. Bleiben doch selbst bei ausgedehnter
r
Hermann Ivo Wolff: Über rezidivierende Mastoiditis. 325
Kesektion des Processus mastoideus immer noch kleine Zellen und Teile
von Zellen mit Schleimhantresten bestehen.
Waren wir genötigt, wegen rezidivierender Mastoiditis zum zweiten
Male zu operieren, so fanden wir fast regelmäfsig eine beträchtliche
knöcherne Verengung der früheren Operationshöhle. — Besonders deut-
lich war die Knochenneubildung an den oberflächlichen Teilen, während
der Knochen in der Tiefe zum grössten Teile eingeschmolzen oder
ungenügend wiedergebildet war. Über den Bau des neugebildeten
Knochens wissen wir nichts Bestimmtes. Wir können aber nicht an-
nehmen, dass wieder ein zellhaltiger Knochen gebildet wurde, sondern
eine gleichmäl'sige spongiöse oder kompakte Knochenmasse. Nach
unseren Beobachtungen scheint sich in der Tiefe spongiöser, an der
Oberfläche kompakter Knochen neu zu bilden. Unsere Fälle zeigen,
dass der neu gebildete Knochen sehr wenig resistent ist, da der Eiter-
durchbruch bei Rezidiven ausserordentlich schnell erfolgte.
Nach der Antrotomie scheint also in der Regel eine Knochen-
neubildung, dagegen keine Restistutio ad integrum stattzufinden. Dass
wir mit Recht das Zell- und Oberflächenperiost für die Knochen-
jieubildung beanspruchen, lehrt auch das geringe Mafs von Knochen-
ersatz, welches wir nach der Radikaloperation beobachten.
Die epidermisierte Höhle nach der Totalauf meisslung unterscheidet
sich in ihrer Gonfiguration nur wenig von der bei der Operation an-
gelegten. Selbst wenn sich die Höhle kurz nach der Heilung verengt
zeigt, beobachten wir, dass das unter der Epidermis liegende junge
Bindegewebe bald schrumpft und die Höhle nach einigen Monaten
wieder die ursprünglichen Grössenverhältnisse aufweist. Bildete ein bei
der Operation freigelegter Sinus einen Teil der Höhlenwand, so bleibt
er auch später vom Knochen unbedeckt. Ich erinnere an die Fälle von
Schwab ach (8) und Gerber (9), in denen ein oberflächlich gelegener,
bei der Operation freigelegter Sinus später direkt unter der Haut lag
und zum Schutze eine osteoplastische Bedeckung erforderte. Wichtig
ist auch die Beobachtung von Pas so w (10), der oft bei der Schliessung
retroaurikulärer Oeffnungen einen bei der Operation freigelegten Sinus
von Knochen unbedeckt fand. Zeroni (11) hat zwei total auf-
gemeisselte Schläfenbeine von Kranken, die sechs Wochen resp. ein Jahr
nach der Operation gestorben waren, histologisch untersucht. An
ersterem war keine Knochenneubiidung nachweisbar, während an letz-
terem an einzelnen Stellen eine dünne Schicht neugebildeten Knochens
entstanden war. Zur Zeit der histologischen Untersuchung fanden sich
326 Hermann Ivo Wolff: Über rezidivierende Mastoiditis.
nirgends mehr Osteoblasten, so dass der Knochenneubildungsprozess wohl
abgeschlossen war. Die Gründe für den geringen Knochenersatz, die
Zeroni nicht erörtert, liegen vermutlich in den besonderen chirurgischen
und anatomischen Verhältnissen nach der Totalaufmeisslung. Durch die
anschliessend an die Operation vorgenommene Plastik wird das Ober-
flächenperiost aus der Wundhöhle ausgeschaltet, während das Gehör-
gangsperiost zum Teil bei der Verdünnung der Lappen zu Grunde geht
oder bei sekundär vorgenommener Plastik zunächst der Knochenwund-
fläche nicht aufliegt.
Der zweite Faktor für die Knochenneubildung, das Schleimhaut-
periost der Zellen, fehlt, da wir es bei alten chronischen Otitiden, bei
denen die Totalaufmeisslung indiziert ist, fast immer mit sklerotischem
oder zellarmem Knochen zu tun haben. Schliesslich verhindern wir
durch das bei der Nachbehandlung übliche Aetzen der Granulationen
eine reichliche Entwicklung des Knochenkeimgewebes. Letzteres stammt
wohl von dem Endost der Ha ver 'sehen Kanäle und etwaigen Knochen-
buchten mit Schleimhautresten, wie es auch aus den Untersuchungen
Zeronis hervorzugehen scheint. — Nach dieser kurzen Abschweifung
wende ich mich zu der spärlichen Literatur, die ich über die rezi-
divierende Mastoiditis finden konnte. Die Bedingungen für den Knochen-
ersatz fand ich nicht erörtert, vermutlich, weil diese Vorgänge als
Ursache des Rezidivierens nicht angesehen wurden.
Einige Fälle von rezidivierender Mastoiditis sind aus der Klinik
Gradenigo's zuletzt von C a 1 a m i d a (12) veröffentlicht worden. Der
Verfasser konnte ebenso wie wir beobachten, dass sich der Wund-
heilungsvorgang nach der ersten Erkrankung des Processus mastoideus
in normaler Weise vollzog. Er ist der Ansicht, dass sich die Höhle
nach der Antrotomie lediglich durch Bindegewebe füllt, eine Ansicht,
die wir an der Hand unserer Befunde bei Wiederoperierten nicht für
richtig halten können. Die Ursache für das Wiederauftreten subperiostaler
Abszesse sucht Calamida in einer individuell bedingten geringen
Resistenz des neugebildeten Gewebes gegen Infektionen oder in einer
besonders virulenten Infektion, durch die eine spätere Otitis hervor-
gerufen wird.
Auffälligerweise fand ich in den Berichten aus den grossen Kliniken
nichts über die uns interessierende Erkrankung. Nur Nager (13) gibt
in dem letzten Bericht aus der Basler Ohrenklinik ein Operationsverfahren
zur Vermeidung des Rezidivierens von Mastoiditiden an, woraus wir
Hermann Ivo Wolff: Über rezidivierende Mastoiditis. 327
schliessen, dass solche Fälle häufig in der Basler Klinik zur Beobachtung-
gekommen sind. Xager geht von der Ansicht aus, dass sich durch
die narbige Umwandlung der die Knochenwunde ausfüllenden Granu-
lationen unter Umständen Hohlräume unter der Haut bilden, die die
gleiche Rolle wie grosse pneumatische Terminalzellen spielen. Ob diese
Ansicht auf einer anatomischen Untersuchung basiert ist, geht aus der
Arbeit nicht hervor. Ist es nicht der Fall, so könnte man gegen die
Annahme der Höhlenbildung geltend machen, dass die Knochenwunde
nach der Antrotomie in der Regel eine aussen offene Knochenmulde
darstellt, so dass die narbige Retraction des neugebildeten Gewebes
wohl nur eine gleichmäfsig zunehmende Depression der äusseren Weich-
teile bewirken würde. Das Granulationsgewebe, das den Operations-
trichter ausfüllt, zeigt beim Verbandwechsel ein gleichmäfsig dickes
Polster. Anfangs bildet sich durch die Tamponade bis ins Antrum ein
Fistelgang, dessen Wandungen bei späterer oberflächlicher Tamponade
verwachsen, wie überall, wo sich granulierende Flächen gegenüberliegen.
Dadurch entsteht ein lückenloses Granulationspolster ohne Hohlräume.
Eine auch nur teilweise Ossifizierung dieses Gewebes scheint Nager
nicht anzunehmen. Um die angebliche Hohlraumbildung zu vermeiden,
wird in der Basler Klinik folgendes Verfahren angewandt. Es wird
eine möglichst flache Knochenmulde gebildet durch Resektion des Warzen-
fortsatzes weit nach hinten und Abtragung des äusseren Teiles der
hinteren knöchernen Gehörgangswand. Die Weichteile werden mit dem
Periost gut mobilisiert, in die Knochenwunde hineingezogen und an die
Knochenwundfläche antamponiert. Nach 4 — 6 Tagen wird die Tamponade
fortgelassen. Die Haut heilt bei diesem Verfahren fest an die Unter-
lage an, so dass sich kein Granulationsgewebe und somit später keine
Höhlen bilden können.
Ich glaube nicht, dass dieses Verfahren vor Rezidiven bewahrt, da
ja zunächst der sonst wenigstens teilweise eintretende Knochenersatz
hintenangehalten wird und in der Mitte des Defektes die gewöhnlichen
Verhältnisse bestehen bleiben, mit dem Unterschied, dass die Hautnarbe
noch dichter wie sonst an das Antrum zu liegen kommt.
Bereits einmal wurden einige Fälle von rezidivierender Mastoiditis
aus der Klinik von Hrn. Dr. Brühl veröffentlicht (14), dem ich auch an
dieser Stelle für die Anregung zu dieser Arbeit meinen Dank ausspreche. —
Wir verfügen jetzt im Ganzen über 8 Fälle, die, bis auf einen, Kinder
betreffen; 3 mal begann die Erkrankung im frühesten Kindesalter von
32b Hermann Ito Wolff: Über rezidmerende Mastoiditis.
4. 7, 18 Monaten: 4 mal im Alter von 4^ ^, 5, 8 and 9 Jahren. Nar
Imal erkiankte ein 3 3 jähriger Mann an einem Rezidiv.^)
Das vornehmliche Vorkommen im Kindesalter mag damit zasammen-
<hängen. dass ja auch das Rezidivieren von Otitiden in dieser Lebens-
f>eriode besonders häufig ist. Ffagen wir uns nach weiteren Gründen,
-die das Rezidivieren der Mastoiditis im Kindesalter begünstigen könnten,
müssen wir an die besonderen anatomischen Verhältnisse bei Kindern
-denken, wie z. B. die noch unvollkommene Aasbildung des W^arzenfort-
Satzes und die dadnrch bedingte oberflächliche Lage des Antrums. Ich
möchte diesen anatomischen Verhältnissen bei Kindern jedoch keine
ursächliche Bedeutung für das Rezidivieren der Mastoditiden beilegen,
4a das Vorkommen der rezidivierenden Mastoiditis im Verhältnis zur
-Gesamtzahl der bei Kindern ausgeführten Antrotomien ein relativ
seltenes ist.
Die zwischen den Erkrankungen des Warzenfortsatzes liegenden Zeit-
räume schwanken in der weiten Grenze von 4 Monaten bis zu 3 ^/j Jahr.
Die subperiostalen Abszesse entwickelten sich bei Rezidiven oft in
■auffällig kurzer Zeit nach Beginn der Erkrankung; trotzdem fanden wir
unter der fistulös durchbrochenen und unterminierten Corticalis meist
eine grosse, von Granulationen ausgefüllte Höhle.
Das Vorhandensein einer Corticalis beweist uns, dass zum mindesten
ein oberflächlicher Knochenersatz stattgefunden hatte. Auf einen teil-
weisen Knochenersatz in der Tiefe können wir daraus schliessen, dass
wir bei einer Wiederoperation den früher freigelegten Sinus von Knochen
bedeckt, in einem anderen Falle den Zugang zum Antrum durch spongiösen
Knochen verlegt fanden.
Ob der Operationstrichter vollständig von Knochen ausgefüllt wird,
bleibt dahingestellt, jedenfalls zeigte das im Warzenfortsatz neu ent-
standene Gewebe in unseren Fällen eine geringere Resistenz gegen
Infektionen als der ursprüngliche Knochen.
In allen wiederholt operierten Fällen trat schliesslich eine tiefe
Dellenbildung hinter dem Ohre ein. Das Knochenregenerationsvermögen
scheint also nach mehrfachen Schädigungen durch Erkrankungen und
Operationen abzunehmen, vielleicht weil das Schleimhautperiost der Zellen
j^.um grössten Teil zu Grunde gegangen ist.
1) Unter 20000 Patienten der Br.schen Poliklinik befanden sich 2750 mit
akuter Mittelohrentzündung; von dieaen wnrden 126 (4,6 o/o) antrotomiert Bei
8 (6,30/0) der Antiotomierten traten Rezidive der Mastoiditis auf, die eine
Operation erforderten.
Hermann Ivo Wolff: Über rezidivierende Mastoiditis. 329
^ Krankengeschichten.
Fall I betrifft einen 9jährigen Knaben, der nach Masern eine
auffällige Neigung zu Otitidcn zurückbehalten hatte. Gelegentlich solcher
Otitis stellte sich eine Mastoiditis ein. Bei der Operation fanden wir
den Knochen des Warzenfortsatzes kariös, aber nirgends fistulös durch-
brochen. Die Heilung ging langsam von statten. Nach 12 Wochen
war der Trommelbefund normal, die Wunde auf dem Warzenfortsatz mit
mäfsiger Dellenbildung vernarbt. Wenige Wochen später entstand gleich-
zeitig mit einer neuen Otitis media eine Mastoiditis, die in zwei Tagen
zur Abszedierung führte. Bei der Operation fanden wir eine grosse,
von Granulationen ausgefüllte Höhle. Die Heilung verlief ungestört
und erfolgte mit normalem Trommelfell, normaler Hörweite und mäfsiger
Depression der Narbe auf dem Warzen fortsatze. Das gleichzeitige Ein-
treten der Erkrankung in der Paukenhöhle und im Warzen fortsatze
und die kurze Zeit zwischen der ersten Erkrankung und dem Rezidiv
lassen darauf schliessen, dass latente Keime im Warzenfortsatze das
Rezidiv verursacht haben. Eine spätere rezidivierende Otitis heilte aus,
obgleich sofort wieder eine Rötung der Narbe hinter dem Ohre eintrat.
5^2 Monate später stellte sich zugleich mit einer neuen Otitis
wieder eine Rötung der Narbe ein und nach einer Woche ein Abszess,
bei dessen Spaltung wir eine Fistel in der neugebildeten Corticalis und
eine ausgedehnte Knochenerkrankung fanden. Die Eltern drangen auf
eine Radikalheilung, so dass wir die Totalauf meisselung vornahmen. —
Bei diesem Knaben, der sehr zu Otitiden neigte — adenoide Vegetationen
waren nicht vorhanden — war offeobar eine verminderte Resistenz des
Warzen Fortsatzes gegen Infektionen entstanden, die ihre Ursache viel-
leicht in einer unvollkommenen Verknöcherung des Narbengewebes hatte.
Die ungenügende Verknöcherung kann durch die schwächliche Allgemein-
konstitution des Knaben begründet werden, verhängnisvoll wurde die-
selbe durch die gleichzeitig bestehende Neigung zu Otitiden.
In einem weiteren Falle entstand bei einem 8jährigen Knaben
nach Masern eine Otitis media und wenige Tage später eine fluktaiereiide
Schwellung auf dem Warzen fortsatz. Bei der Operation fanden wir eine
Fistel im Planum mastoideum. — Die vollständige Heilung mit mäfsiger
Depression dauerte 9^/5, Monate. Schon nach 4 Monaten enstand eine
neue Otitis und schon nach ötägiger Erkrankung ein neuer Ab-zess
hinter dem Ohre. Wir fanden bei der Operation ein erbsengrosses
Loch und eine ausgedehnte Karies, die die Fortnahme des äusseren
Drittels der hinteren knöchernen Gehörgangswand erforderte. Diese
ausgedehnte schnell entstandene Karies lässt darauf schliessen, dass als
die Ursache dieses Rezidivs wohl eine Infektion mit besonders virulenten
Keimen angesehen werden muss. Die Heilung erforderte nur 5'/_, Wochen,
im Trommelfell blieb eine kleine Perforation bestehen und hinter dem
Ohre eine erhebliche zirka 1 cm tiefe Depression.
Erheblich längere Pausen zwischen den Rezidiven im Warzenfort-
satz wie in den bisher besprochenen Fällen finden wir im 8.|und 4. Falle,
ZeiUehrifl fftr Ohrenheilkunde. Bd. LTV. 22
330 Hermann Ivo Wolff: Über rezidivierende Mastoiditis.
bei Kindern, die ohne hereditäre Belastung eine schlechte allgemeine
Konstitution aufwiesen.
Bei einem 7 Monate alten Mädchen entstand 3 Wochen nach Beginn
einer genuien Otitis ein Abszess hinter dem Ohre. Bei der Operation
fanden wir eine Fistel im Planum mastoideum. Die Heilung war nach
3 Woclien vollständig beendet. 1' ^ Jahre später entstand eine neue
genuine Otitis und fast gleichzeitig eine Mastoiditis, die in zirka
2 Wochen zur Abszessbildung führte. Bei der Operation fanden wir
ein tistulüs durchbrochenes Planum mastoideum, das also seit der ersten
Operation neu gebildet und neu erkrankt war. Nach 3^\, Jahren trat
wieder ein Rezidiv ein und nach nur 2tägiger Erkrankung wieder ein
Abszess hinter dem Ohre. Bei der Operation fand sich neben einer
Fistel im neu ^'ebildeten Planum mastoideum eine ausgedehnte kariöse
Erkrankung der bei dem jetzt 5 ^^ jährigen Kinde entstandenen Warzen-
fortsatzzellen. Die vollständige Heilung, die mit erheblicher Dellen-
bildung hinter dem Ohre erfolgte, erforderte 7 Monate. Die ausser-
gewöhnlich schnelle Knocheneinschmelzung bei der letzten Erkrankung
lässt wohl darauf schliessen, dass bei der schlechten Allgemeinkonstiiuticm
des Kindes der neu gebildete Knochen minderwertig war.
Ein ähnliches Verhalten linden wir im 4. Falle bei einem 472jährigen
Knaben, der im 2., 3. und 4. Lebensjahre eine I.ungenentztindung durch-
gemacht hatte und nach Scharlach an einer doppeKeitigen Otitis media
erkrankte. Sieben Tage nach Beginn derselben bildete sich im rechten
Ohre eine Fistel in der hinteren knöchernen Gehörgangswand. - Nach
der Antrotomie ging die Heilung der Paukenhöhle schnell von statten,
während die Knochenerkrankung im Warzen fortsatze erst nach einem
zweiten operativen Eingriffe nach 8 Monaten ausheilte.
Ein Rezidiv der Mastoiditis nach l'.\, Jahren entwickelte sich mit
grosser Sohneiligkeit. Zwei Tage nach Beginn der Erkrankung bestand
bereits Fluktuation auf dem Warzenfortsatze. Bei der Operation fanden
wir (la^ ni'u gebildete Planum mastoideum fistulös durchbrochen. ■ — Der
bei der früheren Operation freigelegte Sinus war von einer dünnen
Knochonlaiiiello bedeckt. Nach 5 Wochen war das Mittelohr normal
und die Operationswunde vernarbt. Eine tiefe Delle hinter dem Ohre
blieb bestellen.
Die schlechte Allgemeinkonstitution wird auch in diesem Falle die
Ursache für die auffällig geringe Resistenz des neu gebildeten Knochens
gewesen sein.
Der f). Fall betrifft einen 5jährigen Knaben, der wiederholt an
Otitiden erkrankt war. Nach Scharlach stellte sich wieder eine Otitis
media ein, die naeh 6 Wochen zur Bildung eines Abszesses hinter dem
Ohre führte. Nach der Antrotomie ging die Heilung glatt von statten
mit Herstellung der normalen Hörweite und geringer Dellenbildung.
In gewissen Zwischenräumen traten neue leichte Otitiden auf ohne
Knochenerkrankung
Hermann Ivo Wolf f: Über rezidivierende Mastoiditis. 331
Zirka 1 \',^ Jahr nach Heilung der ersten Knochenerkrankung trat
mit einer neuen Media ein Rezidiv der Mastoiditis auf. Nach 4 Tagen
war bereits ein Abszess liinter dem Ohre entstanden. Das Periost und
das neu gebildete Planum mastoideum waren fistulös durchbrochen. Die
ausgedehnte Knochenerkrankung erstreckte sich bis zum Sinus. Nach
der 7 Wochen erfordernden/ Heilung fanden sich völlig normale Ver-
hältnisse im Mittelohr und eine massige Dellenbildung hinter dem Ohre.
Dreierlei kommt für die Entstehung dieses Rezidivs in Betracht:
1. die bei dem sonst gesunden Knaben bestehende Disposition zu Otitideu
und damit zu Erkrankungen des Warzenfortsatzes, 2. die Art der In-
fektion, da inzwischen mehrere leichte Otitiden ohne Knochenerkrankung
verlaufen waren, 3. eine gerin;,'e Resistenz des Narbengewebes, die
dadurch deutlich wird, dass nach 4 tägiger Erkrankung schon das Periost
vom Eiter durchbrochen war.
Ein zweites Rezidiv, das 4 Monate nach erfolgter Heilung bei
diesem Knaben eintrat, war dadurch gekennzeichnet, dass in wenigen
Tagen Fluktuation auf dem Warzen fortsatz entstand, ehe noch das
Trommelfell perforiert war.
Die kurze Heilungsdauer zwischen erstem und zweitem Rezidiv
und die ausgedehnte Erkrankung des Warzenfortsatzes, die wir bei der
Operation feststellten, bei mäfsigen Entztindungserscheinungen in der
Pauke, rechtfertigen die Annahme, dass dieses zweite Rezidiv auf Grund
latenter Keime im Prozessus mastoideus entstanden ist. Die Heilung
ging in 7 Wochen glatt von statten mit normalem Mittelohr und starker
leellenbildung hinter dem Ohre. Der Knabe ist noch mehrfach an
Dichten Otitiden erkrankt, die mit Rötung der Narbe hinter dem Ohie
einhergingen, aber nicht zur Abszedierung ftlhrten.
Der 6. Fall betrifft ein IV, jähriges Mädchen. Wir mussten wegen
eines Abszesses hinter dem Ohre die Antrotomie vornehmen. Bei dem
Kinde bestand seit zirka 4 Monaten eine gleichseitige Ohreiterung und
vor 2 Monaten war ein Abszess hinter demselben Ohre von dem Haus-
arzte eröffnet worden. Die Knochenerkrankung war sehr ausgedehnt.
Die vollständige Heilung erforderte 12 Wochen. Nach 13 Monaten
erkrankte das Kind an einer neuen Otitis und infolge derselben an
einer neuen Mastoiditis. Der Befund und Verlauf waren die gleichen,
wie schon mehrfach beschrieben.
Ein besonderes Interesse bietet der 7. Fall. Zur Zeit der ersten
Antrotomie war das betreffende Kind 4 Monate alt. 5 Monate nach
der vollständigen Heilung wurde uns dasselbe mit einer doppelseitigen
Otitis media acuta und einem Abszess hinter dem operierten Ohre ge-
bracht. 14 Tage später bildete sich hinter dem anderen Ohre ein
Abszess. Es ist wohl anzunehmen, dass die Neuinfektion beider Ohren
annähernd gleichzeitig erfolgt ist. die Resistenz des Narbengewebes aber
erheblich geringer war, als die des Knochens auf der früher nicht er-
krankten Seite, so dass die Abszedierung auf letzterer erheblich lang-
samer erfolgte.
22*
332 Hermann Ivo Wolff: Über rezidivierende Mastoiditis.
Vor Kurzem beobachteten wir zum ersten Male bei einem Er-
wachsenen eine rezidivierende Mastoiditis. Zwischen den beiden Erkrank-
ungen liegt ein Zeitraum von zirka 2 V2 Jahren. Die erste £rkranknn(i(
bietet keine Besonderheiten. Das Rezidiv führte unmittelbar nach Be-
ginn einer neuer heftigen Otitis media zu einer Rötung der eingezogenen
adh&rent^n Narbe hinter dem Ohre. 4 Tage später war die Narbe vor-
gewölbt und Fluktuation nachweisbar. Noch am selben Tage erfolgte
der Eiterdurchbruch durch die Haut. Bei der Operation fanden wir eine
zirka haselnussgrosse Höhle, die sich auf das Planum mast. öffnete. Die
unebene Corticalis war unterminiert und teilweise kariös. Erst nach Entfern-
ung von spongiösem Knochen und Granulationen gelang es, das Antrum zu
sondieren. In diesem Falle war eine sichere Knochenneubildung sowohl
in der Tiefe wie an der Oberfläche des Operationstrichters festzustellen.
Bei dem sonst völlig gesunden Manne hat sich das im Warzen-
fortsatze neugebildete Gewebe sehr wenig resistent erwiesen, da die
Abszedierung selbst für eine Infektion mit besonders virulenten Keimen
ungewöhnlich schnell von statten ging.
Wenn ich das Resultat meiner Untersuchungen kurz zusammenfassen
darf, so kann ich nachstehende allgemeine Folgerungen ziehen:
1. Die Knochenwunde nach der Antrotomie wird an der Oberfläche
und zum mindesten teilweise in der Tiefe von Knochen aus-
gefüllt. Ob ein vollständiger knöcherner Verschluss des Operations-
trichters stattfindet, wissen wir nicht.
2. Das nach Erkrankungen und Operationen im Warzenfortsatz
neugebildete Gewebe scheint dem Vordringen eines Entzündungs-
prozesses von der Paukenhöhle weniger Widerstand zu bieten,
wie der normale knöcherne Warzenfortsatz.
3. Bei mehrfacher Schädigung des Warzenfortsatzes durch Er-
krankungen und Operationen nimmt das Knochenregeuerations-
vermögen ab.
Bezüglich der Ätiologie, Therapie und Prognose der rezidivierenden
Mastoiditis möchte ich folgern, dass als ätiologische Momente zu be-
trachten sind:
1. Das Zurückbleiben latenter Keime im Warzenfortsatz.
2. Eine Neuinfektion des Warzenfortsatzes von der Paukenhöhle
aus mit stark virulenten Keimen.
3. Eine Neuinfektion mit schwach virulenten Keimen, die bei der
durch die erste Erkrankung und Operation entstandene ver-
ringerte Resistenz des Warzenfortsatzes zur Abszedierung führen
kann, wenn gleichzeitig eine schlechte Allgemeinkonstitution
oder eine Disposition zu Otitiden besteht.
Hermann Ivo Wolff: Über rezidivierende Mastoiditis. 333
Für die Therapie möchte ich die Folgerung ziehen, dass eine Ab-
änderung des gebräuchlichen Operationsverfahrens keinen Erfolg ver-
spricht. Bei mehrfachen Rezidiven könnte man sich unter Umständen
zur Totalaufmeisselung mit Schonung des Trommelfells und der Gehör-
knöchelchen entschliessen. Die von manchen Autoren (15) empfohlene
Ausgiessung der Wundhöhle mit Hartparaffin zur Abkürzung des Heilungs-
verlaufes dürfte für die Entstehung eines knöchernen Ersatzgewebes
hinderlich sein. Der anzustrebende knöcherne Ersatz muss durch eine
entsprechende Therapie möglichst gefördert werden.
Prognostisch ist zu beachten, dass durch die Antrotomie die Chancen
für die spätere nochmalige Entstehung einer Mastoiditis vergrössert werden,
besonders bei Individuen mit schlechter Allgemeinkonstitution und Dis-
position zu Otitiden.
Literatur- Verzeichnis,
1. Samuel, Eulenburgs Realencyclopädie: Rezidiv.
2. Zaufal, Prager med. Wochenschr. 1889.
3. Piffl. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 51: Über die Aufmeisselung des Warzen-
fortsatzes.
4. Schwartze, Die chirurgischen Krankheiten des Ohres. Stuttgart 1885.
5. Bezold, Lehrbuch der Ohrenheilkunde. Wiesbaden 1906.
6. von Bergmann, Die Lehre von den Kopfverletzungen. Deutsche Chir.
Bd. 30.
Stieda, Verhandl. des Chirurgen-Kongr. 1905.
von Bergmann-Bruns, Handbuch d. Chir. Bd. L Stuttgart 1907.
7. Siebenmann, Mittelohr und Labyrinth im Handb. d. Anat. d. Menschen
von Bardeleben. Jena 1897.
8. Schwabach, Verhandl. d. Berl. otol. Ges. 1905.
9. Gerber, Arch. f. Ohrenheilk. Bd. LXIIL
10. Passow, Verhandl. d. Berl. otol. Ges. 1905.
11. Zeroni, Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XLV.
12. Calamida, Arch. internat. de Laryngol. etc. T. XXIII, No. 1. R6inf.
mast. chez les op^räi de mastoidite.
13. Nager, Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. Uli. Wissenschaftl. Bericht aus der
Basler Klinik.
14. Porter. Edinburgh Med. Journal Juno 1906. Rec. acute Inflam, of the
mastoid. proc.
15. Politzer, Wien. med. Wochenschr. 1903, Nr. 30.
3:j4 A- T. Eoj»iiert: Bericht über die wahrend der Jahre 1892—1901
xxu.
(Ans der k. otiatrischen Universitäts-Klinik zu Manchen
[Vorstand: Prof. BezoldJ.)
Bericht über die während der Jahre 1892 — 1901
in der Münchner otiatrischen Klinik zur Ausführung
gekommenen Totalaufmeisslungen.
Von Dr. Adolf v. Buppert,
In den Jahren 1892 — 19i»l kamen in der kgl. Univerhitäts-Klinik
zn Manchen im Ganzen 1450 chronische Mittelohreiterangen zur Be-
handlang, von denen bei 65 Fällen die radikale Freilegung der Mittel-
ohrräume notwendig wurde. Es entfällt somit auf 22,3 chronische
Mittelohreiternngen eine Totalaufmeisslung = 4.48 " „. Es wurde gerade
dieser Zeitraum gewählt, weil für den gleichen eine Statistik der Ope-
rationen bei akuten Mittelohreiterungen in zwei Arbeiten von Leimer^)
schon vorliegt. Bei akuter Mittelohreiterung konnten wir uns durchgängig
auf die einfache Eröffnung des Antrums und der Zellen beschränken.
Geschlecht.
^■on den operierten Fällen waren 52 männlichen (±= 80 "/q) und
13 weiblichen Geschlechts (=20",,)). Es ergibt sich somit ein Über-
wiegen des männlichen Geschlechts um das vierfache.
Alter.
Es treffen auf das
1. — 10. Lebensjahr 33 Fälle. 31. — 40. Lebensjahr 7 Fälle.
11.— 20. « 14 « 41.-50. * 1
21.— 30. * 7 * 51—60. « 3 *
Die ausserordentlich starke Beteiligung des 1. Jahrzehnts erklärt
sich nur zum Teil aus der verhältnismäf^ig grossen Anzahl von Kindern,
die der Ohrenklinik vom H a u n e r sehen Kinderspital aberwiesen wer-
den, da das kindliche Alter (sogar bis zu 15 Jahren gerechnet) nach
Bezold immerhin nur mit 29,5 ^/^ an den chronischen Mittelohr-
eiterungen teilnimmt; sie darfte vielmehr vor allem auf die leider noch
grosse Gleichgültigkeit der unteren Klassen zurackzuführen sein, die
far ihre an Ohreiterung leidenden Kinder erst ärztliche Hilfe in An-
spruch nehmen, wenn schon die Zeichen der Sekretverhaltung oder
1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XLm, 273 und Bd. XLVIII, 231.
in d. MfljichD. utiatr. Klinik zur Aus führ, gekomm. Totalaufineissl. 335
eines Dürchbruchs nach aussen aufgetreten sind, also erst dann, wenn
schon die Indikation für eine Operation gegeben ist. Ausserdem ist
ja auch die konservative Behandlung bei Kindern ungleich schwieriger
durchzuführen als bei Erwachsenen.
Seite.
Die Totalaufmeisslung betraf 28 mal (=43,1^/,,) die rechte und
37 mal (=56,9^/o) die linke Seite; doppelseitige Radikaloperation hat
sich nur I mal als notwendig erwiesen
Dauer, Vorgeschichte, Ursache.
Der Beginn der Ohreiterung lag in den meisten Fällen um Jahre
und Jahrzehnte zurück und wurde oftmals in die Kindheit verlegt, oder
es wurde wenigstens Schwerhörigkeit auf dem kranken Ohr als seit
längerer Zeit bestehend angegeben. Nur Lei 5 Patienten war die
Eiterung erst seit weniger als einem Jahr aufgetreten. Die Indikation
zur Operation war in diesen o Fällen : 1 mal Fazialisparalyse und rauher
Knochen im Gehorgang, 2 mal Schwellung auf der Pars mastoidea, 1 mal
Fistel im Gehörgang und 1 mal rasch fortschreitende Abnahme des
fjehörs neben anhaltender fötider Eiterung. Die Totalaufmeisslung deckte
2 mal ein Cholesteatom und in den anderen 3 Fällen ausgedehnte Sequester-
bildung auf, so dass auch diese Fälle der chronischen Mittelohreiterung
zuzuzählen sind.
Über die Ursache der Ohreiterung fehlen meist die Angaben, resp.
es war keine zu eruieren; wo eine solche verzeichnet ist, wurde
Scharlach, Diphtherie, Masern oder Typhus angegeben.
Bei 7 Fällen w^ar vorher schon die einfache Eröffnung des Antrura
nach Schwartze gemacht worden — in 2 Fällen sogar 2 mal — ,
die in 4 Fällen die Eiterung auch für einige Zeit zum Stillstand ge-
bracht hatte, während bei den übrigen 3 die Sekretion anhielt (1 Laby-
rinthnekrose, 1 Cholesteatom, 1 Fall mit Sequesterbildung).
Objektiver Befund vor der Operation.
a) Warzenteil.
Ohne abnormen Befund in 20 Fällen.
Narbe, 2 mal von früherem Durchbruch, 1 mal von einer
Operation herrührend in 3 Fällen.
Druckempfindlichkeit ohne Schwellung in 4 Fällen,
2 mal nur auf der Spitze des Warzenfortsatzes, 1 mal
in der Fossa mast. und entlang der Jugularis, 1 mal
auf der ganzen Pars mast.
336 A. V. Ruppert: Bericht über die während der Jahre 1892—1901
Schwellung auf dem Warzenteil in 26 FäUen^
darunter in 13 Fällen über die Crista temp. und
rückwärts über den Warzenteil hinaus. 1 mal reichte
die Schwellung bis zum Auge (Abszess in der mitt-
leren Schädelgrube) ; 1 mal war die ganze Gesichts-
seite ödematös (Pachymeningitis externa) ; 1 mal er-
streckte sic}^ die Schwellung herab bis zum oberen
Drittel des Halses (Thrombophlebitis des Sinus transv.,
Sin. sagittalis u. rectus, Grosshirnabszess, Senkung).
Hautfisteln (5 mal mit bestehender Schwellung) . . . in 12 Fällen,
in 1 Falle davon waren 5-6 Fisteln vorhanden.
Die Fisteln rührten 6 mal von einem Spontandurch-
bruch her, der 2 mal in einer früheren Operations-
narbe und 1 mal in einer früheren Durchbrnchsstelle
erfolgt war ; 5 mal war auswärts eine Incision in die
Schwellung gemacht worden, 1 mal eine Operation.
S.mal fühlte die Sonde beim Eingehen in die Fistel
rauhen Knochen.
65 Fälle.
b) Gehörgang.
Ohne Veränderung in 24 Fällen.
Vorwölbung der hinteren oberen Gehörgangswand . . in 10 Fällen,
3 mal mit Bildung eines Polypen.
Fistel in der hinteren oberen Gehörgangswand . . . in 13 Fällen.
6 mal mit Polypenbildung am Fistelrand.
Veren*rerung des Gehörgangslumens bis zu einem schmalen
Spalt in 3 Fällen.
Ausfüllung des Gehörgangslumens durch eine Wucherung in 12 Fällen.
Polyp am Boden des Gehörgangs (Fraktur) .... in 1 Fall.
Ausfüllung durch Cholesteatommassen in 1 Fall.
Wegen ausserordentlich profuser Eiterung nicht zu übersehen in 1 Fall.
65 Fälle,
c) Trommelfell.
Das Trommelfell war wegen Schwellung, Polypenbil-
dung etc. nicht zu übersehen in 37 Fällen.
Eine zentrale Perforation, welche sich innerhalb eines
halben Jahres über die ganze untere Hälfte aus-
gebreitet hatte (bei einem Patienten mit Spitzen-
infiltration) bestand in l Fall.
in d. MünchD. otiatr. Klinik zar Ansfähr. gekomm. Totalaufmeissl. 337
Defekte, die entweder das ganze Trommelfell betrafen
oder bis zum hinteren oberen Margo tympanicns
oder noch Aber denselben hinaas bis in den knö-
chernen Gehör gang sich erstreckten in 14 Fällen
Perforation der Membrana flacc. S h r a p n e 1 1 i ohne oder
mit Übergreifen auf die angrenzende knöcherne
Gehörgangswand in 10 Fällen
Grössere Perforation, durch welche sich Granulationen
von der Paukenhöhleninnenwand herausdrängten,
zwischen denen rauher Knochen gefühlt wurde in 2 Fällen.
65 Fälle,
d) Andere Seite.
Keine Xotiz - .... in 11 Fällen
Normaler Befund «21
Trommelfellperforation mit bestehender Eiterung . . . « 11
Trommclfellperforation ohne Eiterung «7
Narben «6
Eiosenkungserscheinungen «9 «
65 Fälle.
In der Hälfte der Fälle also war auch das Mittelohr der nicht
operierten Seite ebenfalls nicht normal und bestand entweder ein
Eitemngsprozess oder war ein solcher mit bleibenden Veränderungen
am Trommelfell zum Stillstand gekommen oder es waren Einsenkungs-
erscheinungen vorhanden, die ja für die Entstehungsart der Eiterung
auf der anderen Seite von so wichtiger Bedeutung sind.
e) Augenhintergrund.
Über die Untersuchung des Augenhintergrundes fehlen Notizen bei
35 Füllen, meist dem kindlichen Alter angehörend.
Von den übrigen 30 Fällen war er 18 mal normal.
Bei 1 Fall, der bei der Operation ausser einem grösserem Choleste-
atom keinen weiteren Befund aufwies, bestand diffuse Rötung des
Sehnerven ein tritts mit scharfer Pupillengreuze.
In 7 Fällen waren die Grenzen des Sehnerveneintritts auf beiden
Seiten verschwommen.
In 3 Fällen nur auf der gesunden Seite (2 mal mit Rötung der Pupille
auf der kranken Seite).
In 1 Fall war eine besonders starke Injektion der Gefässe und der
äusseren Pupillengrenze zu konstatieren.
338 A. V. Ruppert: Bericht über die während der Jahre 1892 -1901
Diese letzten 11 Fälle, bei denen der Angenhintergiiind Ver-
änderungen aufwies, die auf endokranielle Komplikationen hindeuteten,
waren mit Ausnahme von zweien, bei denen die Neuritis optica nur
gering war, auch sämtlich mit solchen verbunden. Es bestand bei ihnen
2 mal Pacbymeningitis externa : 1 mal perisinuöser Abszeß : 1 mal
Abszess in der hinteren und mittleren Schädelgrube : 3 mal Thrombose
des Sinus oder Bulbus, darunter 1 mal mit Grosshirnabszess ; 1 mal
Schläfenlappenabszess : 1 mal Meningitis.
Indikation.
1. Bei 12 Fällen das Bestehen einer Plstel auf dem Warzenteil.
2. Bei 7 Fällen das Bestehen einer Fistel im Gehörgang.
3. Bei 23 Fällen eine Schwellung auf dem Warzenteil, 8 mal mit
Temperatursteigerungen, 1 mal mit Schüttelfrost und 1 mal mit
Fazialisparalyse verbunden.
4. Bei 6 Fällen das Auftreten von Schwindel neben Erbrechen, 1 mal
mit während der Beobachtung eintretender Taubheit, 1 mal mit
Fazialisparalyse, 3 mal zugleich bei benommenem Sensorium.
6. Bei 4 Fällen ausgesprochene Schüttelfröste neben anderen Allgemein-
erscheinungen.
6. Bei 1 Fall eine durch die Untersuchung mit der Sonde und durch
die funktionelle Prüfung festgestellte Labyrinthnekrose.
7. Bei 1 Fall rasch fortschreitende Abnahme der Hörweite neben an-
dauernd fötider Sekretion bei einem schon einmal nach Schwartze
operierten Phthisiker.
8. Bei 1 Fall eine starke konzentrische Verengerung des Gehörgangs
mit nicht zu beseitigender fötider Eiterung.
9. Bei 10 Phallen wurde die Totalauf meisslung nötig, da die regelmäfsig
und längere Zeit hindurch ausgeführte konservative Behandlung
den Fötor der Eiterung nicht zu beseitigen vermochte. Unter
diesen Fällen befanden sich 5 mit Perforation der Membrana
Shrapnelli. Bei 3 derselben war schon einmal in früheren Jahren
die Eröffnung des Antrum vorgenommen und dadurch ein längeres
Sistieren der Eiterung- erzielt worden (im 1. Fall 2 Jahre, im
2. Fall 1 Jahr und im 3. Fall 5 Jahre).
Weitere 4 Fälle wiesen einen vollkommenen Defekt des
Trommelfelles auf; bei dem 10. war nur noch ein Hammerrest
erhalten, während die Perforation sich hinten oben bis zum Marge
tympanicus erstreckte.
in d. Müiichn. otiatr. Klinik zar Ausfuhr, gekoitfin. Totalaufmeissl. 339
Bei diesen 10 Patienten war durch längere Zeit hindurch — nur
1 mal unter ^^ Jahr (Patient von auswärts) — die in solchen Fällen
sonst stets zum Ziele führende Behandlung durch Ausspritzung mit dem
Antrumröhrchen regelmäfsig d. h. mindestens 3 mal die Woche an-
gewandt worden. Wie jedoch das Anhalten des Fötors der Eiterung
bewies, gelangte der Spritzenstrahl nicht tiberall hin in die erkrankte
Höhle, sonst hätte er sie von den zersetzten Massen zu säubern ver-
mocht, und daher konnten die Gefahren der Eiterretention nur durch
die vollkommene Blosslegung der Höhle beseitigt werden.
Was nun den Grund anlangt, warum in diesen Fällen nicht wie
gewöhnlich der Fötor zum Verschwinden gebracht werden konnte, so ist
dies aus den Operationsprotokollen nicht immer ersichtlich. Bei den
Perforationen der Membrana Shrapnelli werden es vor allem Hammer-
und Ambosskörper sein, welche dem Spritzenstrahl im Wege standen, so
dass die Spülfitlssigkeit nicht oder wenigstens nicht mit dem nötigen
Druck in das Antrum gelangen konnte: z. T. mag dies wenigstens für
den Ambosskörper auch in den Fällen mit Totaldefekt in Betracht
kommen, wie ich aus einigen in den letzten Jahren operierten Fällen
schliessen möchte; in einem Falle lag der Grund in der Grösse der
Cholesteatomhöhle , die das Volumen einer Walnuss erreichte. In
anderen Fällen jedoch, in denen die Operation im hinteren Ende des
Antrum Granulationen, im vorderen Teil und im Aditus Epidermis-
schalen aufdeckte, ist der Grund für das Versagen der konservativen
Behandlung nicht recht ersichtlich.
Die Operation selbst wird bei uns in folgender Weise vorgenommen :
Bogenförmige Umschneidung der Muschel in ihrer Ansatzlinie bis
herab zur Spitze des Warzenfortsatzes; über dem Musculut temporalis
wird der Schnitt, um ein späteres Herabsinken der Muschel zu ver-
hüten, nur bis auf die Muskelfascie geführt; Zurückschieben des
Periosts; succesive Abmeisslung der Decke der Pars mastoidea und der
hinteren Gehörgangswand mit möglichst breiten (15 mm) Meissein, bis
das Antrum erreicht ist; Wegnahme der knöchernen Gehörgangsbrücke
mit kleineren Meissein unter Einführung des etwas modifizierten Stake-
schen Schätzers; Granulationen werden nur in der Warzenfortsatzhöhle,
im Antrum und Aditus entfernt, dagegen in der Paukenhöhle wegen
der Gefahr einer Steigbügelverletzung unberührt gelassen. Die
Cholesteatommatrix bleibt ebenfalls als erwünschte Auskleidung der
Höhle stehen. Die Lappenbildung geschieht bei kleineren Höhlen nach
Körner, bei grösseren durch einen Schnitt entlang der hinteren oberen
1
340 A. V. Ruppert: Bericht ttber die während der Jahre 1892-1901
Gehörgangswand und einen zweiten senkrecht auf diesen im Gehörgangs-
eingang.
Operationsbefund.
Der Operationsbefund ergab bei 51 Fällen Cholesteatombildung,
bei 11 Fällen Nekrose ohne Cholesteatom und bei 3 Fällen eine
einfache chronische Mittelohreiterung.
A. Fälle mit Cholesteatombildung.
Fast '^/g der Totalaufmeisslungen wurden demnach durch die An-
sammlung von Epidermis in den Mittelohrräumen und die dadurch
hervorgerufenen Komplikationen veranlasst.
Was das Alter betrifft, so gehörte die Hälfte (26) dieser Patienten
dem ersten Jahrzehnt an, 12 dem zweiten, 5 dem dritten, 5 dem vierten,
1 dem fünften und 2 dem sechsten Jahrzehnt.
Der jüngste operierte Cholesteatomfall war 2 ^2 Jahre alt. Bei
der Aufnahme zeigte er eine starke Schwellung auf dem Warzenfortsatz,
freistehenden Margo tyrapanicus und unter demselben eine Wucherung.
Die Operation deckte einen subperiostalen Abszess auf, eine erbsen-
grosse, in das hintere Ende des Antrum führende Fistel und ein
Cholesteatom, welches Antrum und Aditus vollkommen ausfüllte. Der
Warzenfortsatz war schon völlig ausgebildet, nur an der hinteren Gehör-
gangswand einige kleine Zellen vorhanden.
Der älteste Patient stand im Alter von 58 Jahren.
Nur bei 9 Cholesteatomfällen war der Totalaufmeisslung eine längere
Behandlung vorausgegangen, ohne dass es aber derselben gelungen war,
der Eiterung den fauligen Geruch zu nehmen. Die sämtlichen übrigen
42 kamen schon mit Erscheinungen in die Behandlung, welche an sich
die Totalaufmeisslung indizierten. Die Gefahren der chronischen Mittel-
ohreiterung beginnen ja mit dem Augenblick, in dem der Eiter durch
irgend welche Ursachen, seien es nun Polypen oder vorgelagerte
Epidermismassen, in seinem Abfluss teilweise oder ganz behindert ist
und sich durch den Knochen andere Auswege sucht, d. h. entweder
nach der Aussenfläche des Warzenteils oder nach der Schädelhöhle za.
Bei 34 Fällen zeigte sich der drohende oder schon vollzogene Durch-
bruch des Eiters durch eine Schwellung oder Fistel auf dem Warzen-
teil oder im Gehörgang an, die übrigen 8 Fälle kamen mit so bedroh-
lichen Allgemeinsymptomen (Fieber, Schüttelfrost. Schwindel, Erbrechen,
Bewusstlosigkeit) in Behandlung, dass ein Durchbruch nach der Schädel-
höhle zu angenommen werden musste.
in d. Münchn. otiatr. Klinik zur Ansführ. gekomm. Totalaufmeisil. 341
Demgemäfs warde auch fast bei allen diesen letzten 42 Fällen die
Totalaufmeisslung je nach Dringlichkeit der Erscheinungen sofort oder
an dem auf den Eintritt folgenden Tage vorgenommen, nur bei 2 Kindern
von 6 und 8 Jahren mit Fistel- und Polypenbildung im Gehörgang erst
nach versuchter konservativer Behandlung 5 resp. 3 ^/^ Wochen nach
Eintritt.
Es findet sich demnach unter den Cholesteatomoperationen kein
einziger Fall, bei dem erst während der Behandlung eine Komplikation,
welche die Operation verlangte, sich entwickelt hätte — ein Beweis
für unsere Erfahrung, dass bei den zahlreichen Fällen von Cholesteatom,
die seit Jahren im Ambulatorium in Behandlung oder regelmäfsiger
Beobachtung stehen, wenn einmal durch Ausspritzung mit dem Antrum-
röhrchen die Eiterung geruchlos gemacht werden konnte, eine Komplikation
nie mehr eintrat, selbst in der verhältnismäfsig geringen Zahl von
Fällen nicht, bei welchen die Eiterung nicht vollständig sistierte. Diese
jahrzehntelange Erfahrung zeigt uns, dass wir — abgesehen von den
vorhin erwähnten Ausnahmen — durch die konservative Behandlung
die Erkrankung beherrschen können, und dass eine Operation, wenn
der Kranke nicht schon mit dringenden Erscheinungen in Behandlung
tritt, meist nicht notwendig wird.
Operationsbefund bei den Cholesteatomfällen.
1. Weichteile.
Keine wesentliche Veränderung Hessen die Weichteile der Pars
mastoidea bei 26 Patienten erkennen. 25 Fälle zeigten vor der Operation
eine Schwellung auf dem Warzenteil; diese bestand, wie sich bei der
Eröffnung zeigte, bei 9 Fällen nur in einer Verdickung der Weichteile,
während bei 16 sich schon Eiter aus dem Warzenteil entleert hatte
und zwar zwölfmal zwischen Knochen und Periost und viermal in eine
Tasche zwischen Periost und Haut.
2. Knochen- Aussenfläche.
Die Knochen- Aussenfläche war unverändert in 17 Fällen
Gefässlöcher in der Fossa mastoidea verfärbt oder erweitert « 4 «
die Aussenfläche rauh « 1 Fall
kleine Granulation auf der Aussenfläche < 1 «
Fistel auf der Aussenfläche des Warzenteils .... «15 Fällen
Fistel auf der Aussenfläche und im Gehörgang ... * 7 «
Fistel nur im Gehörgang « 6
51 Fälle.
342 A. V. Ruppert: Bericht über die während der Jahre 1892— 1901
5 Fälle mit Fisteln waren schon früher nach Schwartze operiert
worden und es hatte sich bei diesen ein Defekt von Stecknadelkopf-
bis ßohnengrösse, einmal sogar die ganze Aussenwand des Warzenteils
einnehmend, erhalten.
Was die übrigen Fistelji anlangt, so sassen 8 in Erbsen- bis
Kirschenj?rösse in der Fossa mastoidea (dem hinteren Ende des Antrums
entsprechend, hinter der Spina supra mcatum); bei 2 Fällen davon
bestand gleichzeitig ein zweiter Defekt der ganzen resp. eines grösseren
Teils der hinteren Gehörgangswand. so dass die beiden Fisteln nur
durch eine schmale, noch stehen gebliebene Knochenbrücke getrennt
waren. Diese Knochenbrücke war auch noch zerstört in 5 . Fällen :
infolgedessen erstreckte sich hier der meist über kirschengrosse Defekt
der Aussenwand kontinuierlich bis in die Paukenhöhle hinein. 2 weitere
Fälle zeigten eine grössere (')ffnung an Stelle der Spina supra meatum,
einmal sass die Fistel 3 cm hinter dem Gehörgang, einmal nahm sie
einen grossen Teil der Aussenfläche ein.
Von den 6 Gehörgangsfisteln waren 8 sondenkopf- bis erbsengross
und am Anfang der hinteren oberen knöchernen Wand gelegen; zwei
nahmen den grössten Teil und eine die ganze hintere Gehörgangswand ein.
Sieht man von den 5 von früherer Operation herrührenden Fisteln
ab, sü ergibt sich, dass die äussere Decke des Warzenteils allein fast
doppelt so oft durchbrochen war, als der Gehörgang allein (10 : ß) und
dass ca. \.j der Fisteln beide betrafen.
Liegt sch(m in der häufigeren Mitbeteiligung des Gehörgangs ein
Unterschied gc^^enOber den Durchbrüchen bei der akuten Mittelohr-
eiterung, so zeigt sich ein noch grösserer in der Ausdehnung der
Defekte. Beim Empyem des Warzenfortsatzes infolge Otitis media acuta
überschreiten die FistelöflPnungen selten Bohnengrösse, da nach der
Druckentlastung des Eiters der Resorptionsprozess der Knochenwände
aufhört. Bei den vorliegenden Cholesteatomfällen jedoch war die Öffnung
meist grösser und betraf in einem nicht geringen Teil so ziemlich die
ganze Aussenwand der erkrankten Höhle d. h. Decke des Warzenteils
und hintere Gehörgangswand. Der Grund liegt in der gegenüber der
akuten Otitis media teilweise verschiedenen Lage der Höhle und in
einer verschiedenen Entstehungsweise der Fisteln. Beim Empyem infolge
Otitis media acuta besteht die Höhle oft ohne direkte Verbindung mit
dem Antrum aus einer grossen oder mehreren kleinen verschmolzenen
Zellen im Warzenfortsatz. Dieselben erweitern sich nach allen Seiten
gleichmäfsig, bis die Oberfläche an einer Stelle erreicht wird und diese
r
in d. Munchn. otiatr. Klinik zur Ausführ, gekomm. Totalaurmeissl. 343
ist, entsprechend der Lage der grossen Zellen entfernt vom Antrum,
viel häutiger an der Aussendecke gelegen als im Gehörgang. Beim
Cholesteatom jedoch geht die Erweiterung der Höhle direkt von den
zentralen Räumen, d. h. dem Antrum oder dem Aditus aus, und es ist
erklärlich, dass der Gehörgang bei seiner Nähe viel häufiger als bei
der akuten Otitis fistulös durchbrochen wird. Zieht man noch die vielen
Fälle von Perforation der Membrana Shrapnelli und freistehendem
hinteren oberen Margo tympanicus in Rechnung, bei denen der Defekt
oft weit auf die knöcherne Gehörgangswand übergreift und die infolge
dieses so zweckmäfsigen Prozesses einer Operation entgehen, so darf
man sagen, dass bei der chronischen Mittelohreiterung die knöcherne
Gehörgangswand weit häufiger einen Defekt erleidet als die Aussendecke
des Warzenteils.
Die Entstehung der Fisteln scheint mir in der Minderzahl durch
das langsame, nach allen Seiten hin gleichmäfsig sich vollziehende
Wachstum eines grossen Cholesteatoms bedingt zu sein. Es konnte dies
dann angenommen werden, wenn in der Fistelöflfnung selbst die weissen
Cholesteatom massen zu Tage traten. In der Mehrzahl, besonders bei
den kleinen in der Fossa mastoidea gelegenen Offnungen gelangte man erst
durch einen mehr oder weniger lausten Fistelkanal in das Antrum oder
zuerst in eine von fötidem Eiter und schmutzigen Granulationen gefüllte
Höhle, ehe der eigentliche Sitz des Cholesteatoms erreicht wurde. Es
ist anzunehmen, dass in diesen Fällen der fötide Eiter den Gefäss-
kanälen entlang weiter kriecht und so zu Ernährungsstörungen im
Knochen führt, welche seine teilweise so ausgedehnte Zerstörung be-
dingen. Die Fisteln sitzen deshalb auch so häufii^ in der Fossa
mastoidea, da diese die Mündung zahlreicher kleiner Knochengefässe
enthält.
Die für die Orientierung wichtige Spina supra raeatum war in
22 Fällen vorhanden, 4 mal durch eine Spalte angedeutet, 7 mal in der
Knochenlücke aufgegangen, 1 mal fehlte sie und in 17 Fällen findet
sich darüber keine Notiz.
3. Knochen Substanz.
Über die Beschaffenheit der Knochensubstanz ist in 7 Fällen nichts
notiert. Von den übrigen 44 Fällen war bei 33 (= 75 ^ q) eine so
ausgedehnte Sklerosierung zustande gekommen, dass 21 durchaus soliden
Knochen aufwiesen, bei H Fällen nur gegen die Spitze zu etwas
Spongiosa und nur bei 4 eine oder einige ganz kleine Zellchen in der
344 A. T. Ruppert: Ber:cbt über die während der Jahre 1892—1901
Spitze oder in der hinteren Gehörgangswand entfernt vom Antrum er-
halten waren.
Mehr nnd grössere Zellen worden bei 8 Patienten aufgedeckt, bei
je einem Fall schmatzig verfärbte nnd von zerfallenen Massen durch-
setzte Spongiosa : 1 mal ist die Knochensabstanz als weich bezeichnet.
4. Höhle and Inhalt.
Bei 21 Fällen blieb die Epidermisbildang aaf die Haupträame,
Aditos and Antram, beschränkt nnd zwar zeigten 6 Fälle ausser einer
weissen Epidermisauskleidung der Wände keine wesentliche Ansammlung
von abgestossenen Hautlamellen, während bei 15 Patienten sich diese
zentralen Räome mit melir oder weniger zerfallenen Epidermismassen
neben fötidem Eiter und Granulationen ausgefüllt fanden.
In 30 Fällen hatte die Höhle die normalen Grössenverhältnisse des
Antrum überschritten und die Epidermismatrix war in noch' bestehende
Zellenräume im Warzenfortsatz vorgedrungen oder hatte schon
sklerosierten Knochen aufs neue usuriert. 1 7 mal ist dabei das Antrum
nur als erweitert bezeichnet, davon 4 mal nach rückwärts und 5 mal
nach aussen zu. Eine als gross oder grösser bezeichnete Höhle lag in
6 Fällen vor ; 2 mal war sie taubeneigross und 5 mal walnussgross.
5. Gehörknöchelchen.
Eine Notiz hierüber fehlt in 27 Fällen
Von den Gehörknöchelchen war nichts zu sehen ... in 9 Fällen
Der Amboss allein wurde entfernt in 7 Fällen
(3 mal davon ist er als nackt, kariös oder nekrotisch
bezeichnet, 2 mal fehlten beide Schenkel, 2 mal der
lange Schenkel allein.)
Der Hammer allein wurde bei der Operation mit entfernt in 4 Fällen
(1 mal war er teilweise defekt, 1 mal der Kopf in
eine Granulation verwandelt, 1 mal wurde der
Hammer durch Circumcision des Trommelfells
herausgelöst.)
Beide Gehörknöchelchen wurden entfernt in 1 Fall
(Amboss nackt, Hammer kariös zerfressen.)
Beide Gehörknöchelchen wurden mitsamt der Pars tensa
des Trommelfells absichtlich stehen gelassen . . in 3 Fällen
(Mehrere solche Fälle sind wahrscheinlich noch unter
den ersten 27 ohne Notiz über die Gehörknöchelchen.)
51 Fälle.
in d. Münclin. otiatr. Klinik zur Ausführ, gekomm. Totalaufmeissl. 345
6. Verhalten der Dura und endokranielle Komplikationen.
Bei 21 Fällen kam die Dura im Verlauf der Operation nicht zum
Vorschein (= in 41,16 ^/q).
15 mal wurde sie in der eröffneten Höhle schon blossliegend vorgefunden
und zwar:
13 mal in der hinteren Schädelgrube, wobei sie in 3 Fällen normal
und in 10 Fällen pathologisch verändert war (Bei 2 der
letzteren wurde zugleich die mittlere Sch'ädelgrube operativ
blossgelegt.)i und
2 mal in der mittleren Schädelgrube, beidemale erkrankt, wie auch
die der hinteren Schädelgrube mit dem Sinus, welche bloss-
gelegt werden musste.
19 mal wurde die Dura bei der Operation freigelegt (darunter bei
4 Fällen mit an anderer Stelle schon biossliegender Dura)
und zwar:
8 mal in der hinteren Schädelgrube (4 mal erkrankt und 4 mal
normal),
4 mal in der mittleren Schädelgrube (jedesmal normal),
7 mal zugleich in der hinteren und mittleren Schädelgrube, wobei
beide je 3 mal normal und 3 mal erkrankt waren und Imal
der Sinus allein pathologische Veränderungen aufwies.
Unter den 51 Cholesteatomfällen war demnach die Dura bei
18 Patienten miterkrankt und zwar 13 mal allein in der hinteren und
5 mal zugleich in der hinteren und mittleren Schädelgrube, niemals in
der mittleren Schädelgrube allein.
Nach Körner wird die Dura häufiger bei rechtsseitigen Schläfen-
beinerkrankungen in Mitleidenschaft gezogen als bei linksseitigen. A^on
den /orliegenden Cholesteatomoperationen trafen 28 auf die linke und
nur 23 auf die rechte Seite. i)ie Dura jedoch war in 39 ^/^ der
rechtsseitigen und nur in 32 ^j^ der linksseitigen Cholesteatome mit-
erkrankt.
Die Dura erschien hierbei entweder mit roten, häufig schmutzigen
Granulationen besetzt, oder sie war missfarben, schmutzig oder schwärzlich
verfärbt.
Zu einer grösseren Eiteransammlung zwischen Dura und Knochen
(extra dural er, perisinuoser Abszess) war es in der hinteren Schädel-
grube dreimal, in der mittleren einmal und in beiden zugleich auch
einmal gekommen.
Zeitschrift fttr Ohrenheilkunde, Bd. LIV. 23
346 A. V. Bnppert: Bericht über die während der Jahre 1892—1901
Wie oben erwähnt, war der Knochen, welcher den Sinns ursprQnglich
Ton der Cholesteatomhöhle trennte, bei 13 Fällen schon dem Krankheits-
prozess zum Opfer gefallen ; bei den 8 Patienten, bei welchen die Wand
des Sinns erst während der Operation freigelegt wurde nnd sich als
pathologisch verändert erwies, war jedesmal der zn entfernende Knochen
brfichig. morsch, missfarben oder nekrotisch nnd wies somit schon durch
sein Aussehen und seine Beschaffenheit dem Meissel den Weg. Aos-
gangsstelle för das Übergreifen der Eiterung auf die hintere Schädel-
grube war meist das hintere Ende des Antrums.
Schon vor der Operation waren fast bei allen 18 Fällen mit
erkrankter Dura Anzeichen vorhanden, welche für eine mehr oder
weniger starke Beteiligung des Sinus sprachen; nur bei zweien findet
sich keine diesbezügliche Notiz. Solche Anzeichen waren vor allem
Temperatursteigerungen. Schüttelfröste und Veränderungen im Augen-
hintergrunde.
Eine Thrombose des Sinus resp. Bulbus wurde bei 6 Patienten
nachgewiesen, viermal auf der rechton und zweimal auf der linken Seite.
Bei einem Fall davon, der trotz mehrfacher Lnngenabszesse nach langer
Zeit noch zur Heilung gelangte, deckte die Operation eine bereits
bestehende grössere Fistel in der Sinuswand auf. Bei den nächsten
beiden Fällen entleerte die Spaltung, einmal nur Punktion der Sinus-
wand, nur Blut und erst die Sektion ergab eine Sinusthrombose. Im
4. Fall bestand eine feste Thrombose im unteren Teil des Sinus gegen
den Bulbus zu, während aus dem peripheren Blut hervorquoll. Der
Fall endete gleichfalls letal. Bei dem fünften fand sich flüssiger fötider
Eiter im Sinus, der bis zum Bulbus blossgelegt wurde. Wegen Verdacht
auf Hirnabszess wurde bei diesem Patienten später noch eine Incision
in die Hirnsubstanz gemacht, der Abszess jedoch erst durch die Sektion
an der Grenze zwischen Occipital- und Parietal läppen gefunden. Fall 6
ist insofern von Interesse, als hier durch einen Sturz auf den Kopf
eine Fraktur durch ein Schläfenbein erfolgte, in welchem eine seit
Kindheit vorhandene chronische Mittelohreiterung mit Cholesteatom
bestand. Durch die Fraktur wurden den Eitererregern die Wege nach
dem Schädelinnern eröffnet und der Patient ging an Pyämie zu gründe.
Bei der Totalaufmeisslung, 12 Tage vor dem Exitus, hatte sich die
Sinuswand normal gefunden. Die Sektion ergab eine Thrombophlebitis
des Bulbus und Erweichungsherde an der Hirnbasis.
Bei einem 7. Fall, der mit Schüttelfrösten, hohem Fieber und
zeitweiser Bewusstlosigkeit in die Klinik kam und bei dem ein grosser
in d. Münchn. otiatr. Klinik zur Ausführ, gekomm. Totalaufmeissl. 347
perisinuöscr Abszess durch die Totalaufmeisslung entleert, der Sinus
aber, da er sich elastisch anfühlte, nicht incidiert wurde, wurde die
Sektion verweigert, so dass die Wahrscheinlichkeitsdiagnose Sinusphlebitis
nicht bestätigt werden konnte.
Fieber von 39 bis 41 ®, Schüttelfröste, bei dreien auch schwere
Veränderungen im Augeuhintergrunde, waren die Erscheinungen, welche
auf eine weitgehende Beteiligung des Sinus hinwiesen.
Die übrigen bei den Totalaufmeisslungen beobachteten endokraniellen
Komplikationen waren folgende:
Ein Fall endete tötlich an Sepsis. Er wurde wegen Schwindel,
Erbrechen und Eintritt von Taubheit operiert. Nachdem das Befinden
nach der Totalaufmeisslung zuerst zufriedenstellend war, wurde nach
3 Wochen wegen Auftreten von Schüttelfrösten und Benommenheit eine
Punktion des normal erscheinenden Sinus vorgenommen, jedoch nur
Blut entleert. Ein weiterer Versuch, einen vermuteten Kleinhirnabszess
zu linden, verlief ebenfalls ergebnislos. Die Sektion erwies Sinus und
Dura normal, ebenso makroskopisch das Labyrinth ; erst die histologische
Untersuchung ergab eine Eiterung im Labyrinth. Ebenso erwies sich
bei einem anderen Fall mit bef der Operation normal aussehender
Dura der mittleren und hinteren Schädelgrube, der unter septiko-
pyämischen Erscheinungen zu gründe ging, die Sektion insofern ergebnislos,
als der Übergang der Eiterung in die Blutbahn nicht aufgefunden
werden konnte. Der Prozess hatte zu multiplen Metastasen in der Lunge
geführt. Eine Meningitis war in diesen beiden Fällen nicht vorhanden.
An einer eitrigen Meningitis starben 3 Patienten. Bei einem Fall
davon dürfte der Übergang auf die Hirnhäute durch einen Durchbruch
in das Labyrinth vermittelt worden sein (3 Wochen vor Eintritt heftiger
Schwindel mit Erbrechen ; bei der Operation absolute Taubheit). Das
Labyrinth wird gegenwärtig noch nachträglich histologisch untersucht.
Bei Fall 2 fand die Überleitung auf die Meningen wahrscheinlich von
einer kleinen wandständigen Sinusthrombose aus statt. Der 3. Fall
zeigte ausser der Meningitis über dem Tegmen tympani eine in der
Mitte schmutzig grünlich verfärbte, fibrinös - eitrige Auflagerung auf
der Dura und ausserdem an der Unterfläche des Schläfenlappens eine
von schmutzigen Zerfallsmassen gebildete Höhle (Hirnabszess ?) ; der
Sinus, dessen Wand bei der Operation missfarben ausgesehen hatte,
war im Innern normal.
Ausser dem oben schon bei den Sinusthrombosen erwähnten Hirn-
abszess wurde noch ein Temporalabszess eröffnet, der aber trDtz anfäng-
23*
348 A. V. Kupper t: Kevlcht über die während der Jahre 1892— 1901
liehen Wohlbefindens nach 3 Wochen noch zum Exitus kam, da trotz
täglicher sorgfältiger Entleerung des umfangreichen Abszesses es nicht
vermieden werden konnte, dass der innerste Teil desselben sich absackte
und dann noch in den Ventrikel durchbrach.
Da also bei 18 Patienten Veränderungen an der Dura gefunden
wurden und ausserdem noch 4, wie oben ausgeführt, an endokraniellen
Komplikationen ohne makroskopisch sichtbare Veränderungen an der
Dura erkrankten, so sind im ganzen in 22 Fällen Folgeerkrankungen
von Seiten des Schädelinnern zu verzeichnen (= 43,1 ^/^ der zur Operation
gekommenen Cholesteatome), welche noch einmal kurz zusammengefasst
in folgendem bestehen:
1. Sinus mit Granulationen besetzt (Pachymeningitis externa) 6 Fälle
2. Extraduraler bezw. perisinuöser Abszess (1 Fall vielleicht
Sinusthrombose) 4 «
3. Sinus- oder Bulbusthrombose (1 Fall zugleich mit perisinuösem
Abszess und 1 Fall mit Grosshirnabszess) .... 6 «
4. Sepsis und Septikopyämie 2 *
6. Hirnabszess allein 1 «
6. Meningitis (1 Fall mit wandständiger Sinusthrombose) . 3 «
22 Fälle.
Gestorben sind von diesen 22 Fällen 12 Patienten.
B. Fälle reiner Nekrose.
Nekrotische Enochenprozesse im Anschluss an chronische Mittelohr-
eiterung ohne Cholesteatombildung waren in 11 Fällen die Ursache von
Erscheinungen, welche die Totalaufmeisslung veranlassten.
7 der Patienten, also fast 2 Drittel, standen im Alter von 2 — 7 Jahren
(bei den Gholesteatomfällen gehörte die Hälfte dem ersten Lebensjahrzehnt
an); die übrigen 4 waren Erwachsene.
Die Indikation zur Totalaufmeisslung war 8 mal eine Schwellung
auf dem Warzenteil, davon 5 mal mit einer Hautfistel, einmal eine
Fistel im Gehörgang, einmal durch Funktionsprüfung und Sondierung
festgestellte Labyrinthnekrose, einmal rasche Abnahme des Gehörs neben
fötider Eiterung. Bei 3 Fällen war ausserdem eine Fazialisparalyse
zu konstatieren.
Wenn man nach der Ursache forscht, welche bei den 7 Kindern
das Absterben des Knochens veranlasste, so ist zu erwähnen, dass es
sich bei 5 wohl um eine Mastoiditis tuberculosa gebandelt haben dürfte.
in d. Münchn. otiatr. Klinik zur Aasfähr, gekomm. Totalaufmeissl. 349
Ein bakteriologischer oder histologischer Beweis liegt nicht vor, doch
waren diese Kinder meist heriditär belastet und kränklich. 2 litten
gleichzeitig an DrOsenabszessen, 1 an Kyphose, bei einem trat ein
Langenleiden während der Nachbehandlung auf, eines hatte die Ohr-
eitemng nach einer Lungenentzündung erworben. Das 6. Kind hatte
die Otitis nach einer Infektionskrankheit (Masern) bekommen. Bei dem
7. findet sich keine Notiz über Heridität oder Allgemeinzustand.
In diesen Fällen erwies sich die Wegmeisslung der hinteren Gehör-
gangswand meist erst während der Operation durch die Ausdehnung des
nekrotisierenden Knochenprozesses als notwendig. Zahlreiche ähnliche
Fälle mit gerfngerer Ausbreitung der Nekrose, bei welchen die ein-
fache Aufmeisslung resp. Sequestrotomie ohne Entfernung der hinteren
Gehörgangswand genügte, sind in dieser Zusammenstellung nicht auf-
gezählt.
Die Sequesterbildung hatte sich in 4 Fällen noch nicht ganz voll-
zogen und es fand sich der kranke Knochen nur mehr oder weniger
deutlich von dem gesunden abgegrenzt durch seine Rauhigkeit und
grau-grünliche oder schwärzliche Verfärbung auf der Aussenfläche des
Warzenteils, durch seine brüchige Beschaffenheit und sein missfarbenes
Aussehen im Inneren bis zur Paukenhöhle und zum Antrum. Kleine
Sequesterchen waren jedoch auch schon hier vorhanden oder stiessen
sich noch während der Nachbehandlung ab.
Schon vollendet war die Sequestrierung bei den übrigen 8 Kindern,
so dass der Sequester aus den einschliessenden Granulationen einfach
mit der Kornzange gehoben werden konnte. Er war im allgemeinen
von ähnlicher Form und Grösse und stellte ein pyramidenförmiges Stück
Knochen dar, dessen Seiten von der Aussenfläche des Warzenteils, von
der hinteren Gehörgangs wand und der Aussenfläche des Antrum (einmal
von Zellwänden) gebildet \('urden.
Unter den Erwachsenen betrifft der erste Fall einen Mann mit
noch nicht sehr ausgedehnter Lungentuberkulose, bei dem eine Mittel-
ohreiterung vollkommen unter dem Bilde der Otitis media acuta be-
gonnen hatte und die einfache Aufmeisslung gemacht worden war. Die-
Eiterung blieb jedoch fötid, in der Wundhöhle fühlte man ausgedehnt
biossliegenden Knochen und, da plötzlich sich das Gehör bedeutend ver-
schlechterte, wurde die Totalaufmeisslung vorgenommen, wobei die ganze
hintere Gehörgang?wand sich als brüchig erwies. Bei der letzten Notiz,
7 Wochen nach der Operation, war die ganze Höhle epidermisiert und
nur noch geringe geruchlose Sekretion vorhanden, ein Beweis, dass
:)50 A. T. Bnppert: Bericht über die während der Jahre 1892—1901
anch bei Tuberkaiose, besonders wenn der Allgemeinzustand noch gut
ist, die Operation einen Vorteil fflr den Patienten bedentet.
Zweimal war bei Erwachsenen Labyrinthnekrose vorhanden. Im
einen Fall war die Totalanfmeisslong durch Fistelbildnng hinter dem
Ohr (von einer Operation auswärts herrührend) mit rauhem Knochen
in der Tiefe neben starker Eiterung und Eop&chmerzen indiziert, im
andern Fall durch kaum zu beherrschende und sich stets wieder er-
neuernde Granulationsbildung in der Paukenhöhle bei profuser Sekretion.
Bei der Operation hatte sich der Labyrinthsequester noch nicht so weit
herausgeschoben, dass er entfernt werden konnte; er stiess sich erst
2 resp. 7 Monate später aus und bestand in ersterem -Fall aus einem
Teil der ersten Schneckenwindung, in letzterem aus einem Teil des Yor-
hofs mit den halbzirkelförmigen Kanälen. Bei diesem Patienten trat
Fazialislähmung auf nach einer 2. Operation (Entfernung des hinteren
Teils der Promontorialwand), bei dem anderen war eine solche zur Zeit
des Eintritts in die Behandlung, nachdem sie 2 Monate früher be-
standen hatte, schon wieder völlig verschwunden.
In dem letzten elften Nekrosefall handelte es sich um eine
Lnetikerin, die mit ausgedehnter Schwellung hinter und unter dem Obr,
Fazialisparalyse und Taubheit, alles die Folgen einer seit einem Jahr
bestehenden linksseitigen Mittelohreiterung, in Behandlung kam. Der
Operationsbefund ergab: 3 Fisteln auf dem Warzenteil und zwischen
den Fisteln nackten Knochen; die ganze hintere Gehörgangswand bricht
in einem Stück ein; im Warzenteil eine hühnereigrosse, mit schlaffen
Granulationen gefüllte Höhle. Nach der Operation schritt der Nekro-
tisierungsprozess unter wiederholter Abstossung von Sequestern weiter
und 4 Monate später traten heftige Kopfschmerzen und Delirien auf.
Die Erscheinungen wurden auf ein Hirngumma zurückgeführt; als die
Patientin jedoch starb, ergab die Sektion einen Abszess im linken
Schläfenlappen.
Endokranielle Komplikationen waren somit in den Fällen reiner
Nekrose nur bei dem letzterwähnten Fall von Lues vorhanden, der auch
als der einzige zum Exitus kam ; von den 7 Kindern standen allerdings
2 nur 4 Wochen lang nach der Operation, also nicht bis zur voll-
ständigen Heilung, in Beobachtung.
C. Einfache chronische Mittelohreiterung.
3 Fälle von chronischer Mittelohreiterung kamen zur Totalauf-
meisslang, bei denen weder Cholesteatom noch Nekrose vorlag.
in d. Münchn. otiatr. Klinik zur Ausführ, gekoinm. Totalaufmeissl. 351
Ein Patient wies eine starke konzentrische Verengerung des Gehör-
gangs auf, welche eine sorgfältige Reinigung in der Tiefe unmöglich
machte, so dass die fötide Eiterung nicht zum Stillstand gebracht
werden konnte. Wegen Andauer des Fötors wurde auch der 2. Fall
operiert, bei dem eine randständige Trommelfellperforation vorlag,
Cholesteatommassen jedoch nie entfernt worden waren. Bei dem dritten
gaben heftige Drehschwindel- Erscheinungen die Indikation ab.
Der Befand im Warzenteil war bei allen der gleiche : Das Antrum
nicht vergrössert und nur mit Granulationen und schleimig-eitrigem
Sekret gefüllt. Der das Antrum einschli^ssende Knochen war ebenso
wie bei der Mehrzahl der Cholesteatome vollkommen sklerotisch.
In einem Falle wurde die Dura der mittleren Schädelgrube und
in einem Falle der Sinus blossgelegt und normal gefunden.
Alle 3 Fälle kamen zur Heilung.
Nachbehandlung und Ausgang.
Was die Nachbehandlung anlangt, so bleibt der erste Verband,
wenn nicht Temperatursteigerungen und sonstige Allgemeinerscheinungen
oder besonders starke Sekretion durch den Verband hindurch auftreten,
gewöhnlich 6 — 7 Tage liegen. Beim Verbandwechsel wird jedesmal
die Höhle mit Borsäure-Injektion gereinigt, sorgfältig mit watte-
umwickelter Sonde ausgetrocknet und dann Borsäurepulver insuffliert,
hierauf sehr locker mit Jodoformgaze tamponiert, später nur mehr am
Eingang der Operationsöffnung, um nicht durch Reizung vermehrte
Granulationsbildung zu veranlassen. Bei Kindern ist dieselbe jedoch
oft kaum einzudämmen, wodurch sich die Nachbehandlung bei ihnen
meist schwieriger als bei Erwachsenen gestaltet.
Ausser den schon bei den endokraniellen Komplikationen und bei
den Nekrose-Fällen erwähnten Nachoperationen waren nur bei wenigen
Fällen kleinere Eingriffe wie Abtragung von Granulationen oder
Spaltung von neugebildeten Synechien nötig.
Über das definitive Resultat der Operation fehlen die Angaben bei
10 Fällen, teils weil sie zur Nachbehandlung bald nach auswärts ent-
lassen wurden, teils weil sie eigenmächtig weggeblieben sind.
Bei 2 weiteren Fällen bestand bei der letzten Notiz 3 resp. 3 ^/j
Monate nach der Operation die Eiterung noch fort.
13 Patienten sind gestorben.
Die Sekretion kam nie vollkommen zum Stillstand bei 4 Fällen,
sämtlich mit Cholesteatombildung. In 3 Fällen davon bestand stets
352 A. T. Bappert: Bericht über die «ährend der Jahre 1892—1901
eine geringe geruchlose Absondening von Schleim ent^reder im Antrum
oder in der Tabengegend fort, von nichtepidermisierten Schleimhaut-
flächen ausgehend. Im vierten, bei dem rflckwärts ein Yerschlass der
Wunde erzielt worden war, lag der Grund für das Fortbestehen der
Eiterung vermutlich in einem Becessus der Operationshöhle nach ab-
wärts \und rückwärts, der bei einer ungenügenden Nachbehandlung aus-
wärts vom -Gehörgang aus nicht gereinigt werden konnte. Es wurde
deshalb nach einigen Jahren durch Anlegung einer persistenten retro-
aurikulären ÖEuuug auch dieser Teil der Behandlung besser zugänglich
gemacht.
Zum Stillstand gelangte die Eiterung bei 36 Patienten und zwar
bei 3 nach 5 Wochen,
* 3 * 6
* 5 « 7 «
* 1 * 8
< 3 * 9
* 5 * 10
* 4 * 11
* 1 « 13
« 3 * 14
und bei je einem nach 16, 17, 24, 28, 34 und 52 Wochen.
Bei 2 Fällen ist der Zeitpunkt, wann die Eiterung sisticrte, nicht
angegeben, und e^ ist nur bei einer späteren Kontrolle vermerkt, dass
das Ohr trocken geblieben sei.
Sieht man von diesen beiden letzten Patienten ab, so beträgt die
durchschnittliche Ileilungsdauer 12^ ^ Wochen, also ca. 3 Monate.
Diese Durchschnittsdauer wird, wie aus der l'bersicht erkenntlich, durch
die letzten langdauernden Fälle sehr in die Höhe geschraubt; in
Wirklichkeit befinden sich 24 Fälle, also über ^/g unter diesem Durch-
schnitt.
In den ersten Jahren wurde die Erhaltung einer retroaurikulären
Öffnung bevorzugt und mehr angestrebt als in den späteren Jahren, wo
man sich mehr nach der Grösse der Höhle richtete und, wenn diese
nicht sehr ausgedehnt war, einen Verschluss der Wunde hinter dem
Ohr herbeiführte. Der Vorteil der bequemeren und übersichtlicheren
Nachbehandlung bei einem eventuellen späteren Rezidiv besonders auch
durch den Nichtspezialarzt spricht sehr zu Gunsten der persistenten
Öffnung hinter dem Ohr und auch, was das kosmetische Resultat an-
langt, ist die persistente Öffnung, deren Durchmesser fast durchgängig
in d. Mttnchn. otiatr. Klinik zur Ausfuhr, gekomm. Totalaufmeis«!. 353
1 — 2 cm nicht überschreitet ihid die' so weit nach vorwärts gelegt
wurde, dass sie von der Muschel gedeckt wird, nicht wesentlich mehr
entstellend als ein operativ erweiterter Gehörgangseingang, wie er bei
Verschluss der rückwärtigen Öffnung notwendig wird.
Rezidive.
Dass durch die Totalaufmeisslung keine Radikaloperation d. h.
keine dauernde Heilung der chronischen Mittelohreiterung mit Sicherheit
erzielt werden kann, geht auch aus dem weiteren Verlauf von manchem
der vorliegenden Fälle hervor, wenngleich sich ein richtiges Bild
von der Häufigkeit der sogenannten Rezidive nicht ergeben kann, da
nur wenige Patienten stets in Kontrolle bleiben und dies dann natur-
gemäfs meist solche sind, welche sich gezwungen wieder vorstellen, d. h.
solche, die eben ein Rezidiv bekommen haben.
Notizen über Kontrolle von 2 — 6 Jahren, wobei die Operations-
höhle stets trocken war, finden sich bei 8 Patienten.
Bei einem weiteren Patienten stellte sich schon nach ^f^ Jahr, bei
je einem nach 1, 2, 5, 7 Jahren wieder Eiterung in dem operierten
Ohr ein, die bei einigen öfter wiederkehrte. Bei einer Patientin hatte
sich nach 4 Jahren ein Schimmelrasen in der durch die retroaurikuläre
Öffnung frei zugänglichen Höhle gebildet, bei einer weiteren l^'g Jahr
nach der Operation eine Borke und darunter eine Granulation ; ein Fall
stellte sich nach 12 Jahren wieder zum erstenmal vor, wobei die ganze
grosse Operationshöhle vollkommen mit Epidermismassen und einer
grossen Wucherung ausgefüllt war.
Diese spärlichen Notizen dürften jedoch ziemlich hinter der Häufig-
keit der Rezidive xurtickbleiben, besonders wenn man darunter auch
die Ansammlung von abgestossenen Hautlamellen versteht, die ja fast
bei allen Fällen nach kürzerer oder längerer Zeit stattfindet. Ob die
liegengebliebenen Hautpfröpfe dann als Fremdkörper noch Eiterung er-
regen, ist oft lediglich davon abhängig, dass sie nicht frühzeitig genug
entfernt werden, oder es kommt dadurch zur Sekretion, dass Flüssigkeit
in die Höhle gelangt und Zersetzung der Epidermislamellen veranlasst.
Im allgemeinen sistiert die Eiterung rasch wieder nach der Entfernung
der angesammelten Hautmassen. Immerhin hat sich eine Kontrolle
nach der Totalaufmeisslung in regelmäfsigen Zeiträumen als durchaus
notwendig erwiesen, denn die Möglichkeit, dass auch bei einer voll-
kommen freiliegenden Höhle hinter ausfüllenden Epidermismassen eine
Eiterung und Retention eintritt, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
354 A. V. Ruppert: Bericht über die während der Jahre 1892—1901
wenngleich wir eine gefahrdrohende Komplikation von diesen nachträg-
lichen Rezidiven sich niemals entwickeln sahen.
Gehör vor und nach der Totalaufmeisslung.
Die Funktion des Ohres wurde vor der Operation regelmäfsig mit
der Sprache und mit der unbelasteten a^ Stimmgabel in liUft- und
Enochenleitung geprüft; nur bei 3 Patienten fehlt eine Notiz und bei
9 war die Hörprüfung wegen kindlichen Alters nicht möglich.
6 weitere Gehörorgane gehörten 5 Taubstummen an — ein Fall
wurde doppelseitig operiert.
Bei den übrigen 47 ergab die Hörprüfung vor der Operation
folgendes Resultat:
6 mal wurde die Stimmgabel a ^ per Luft nicht mehr und vom
Scheitel in das gesunde Ohr gehört, d. h. es wurde mittels dieses ein-
fachen, für praktische Zwecke genügenden Versuches Taubheit konstatiert.
Bei 41 Patienten war Gehör vorhanden und zwar bei 2 nur ein
ganz minimaler Rest, indem a^ per Luft nicht gehört, jedoch vom
Scheitel noch sicher in's kranke Ohr verlegt wurde: ferner wurde ge-
hört: Flüstersprache am Ohr unsicher, a^ per Luft jedoch sicher und
vom Scheitel in's kranke Ohr von 17 Patienten.
Flüstersprache bis zu 10 cm Entfernung von 10 Patienten,
« ««20 cm « «4 «
« « « 30 cm « « 4 «
« « « 40 cm « « 1 «
« « « 50 cm « « 2 «
« ««80 cm « «1 «
Über die Hörweite nach der Totalaufmeisslung liegen leider nur
bei 15 schon vorher geprüften Fällen Notizen vor.
In 7 Fällen davon war kein oder kein wesentlicher Unterschied -
zu konstatieren, d. h. es betrug in keinem dieser Fälle der Unterschied
der Hörweite für Flüstersprache mehr als -10 cm.
Eine Besserung der Hörweite wurde konstatiert in 7 Fällen, davon
2 mal von Flüstersprache unsicher auf Flüstersprache 25 cm,
1 « « « nicht « « 50 cm,
1«« « 4 cm« « 6 Meter,
1 « « « 20 cm « « 5 Va *
1«« « 80 cm« « 5«
Unter diesen 3 letzten Fällen mit so bedeutender Hörbesserung
waren 2 mit Perforation der Membrana Shrapnelli, bei welchen die
r
in d. Münchn. otiatr. Klinik zur Ausführ, gekomm. Totalanfmeissl. 355
Totalanfmeissluüg mit Erhaltang des Trommelfells und der Gehör-
knöchelchen durchgeführt wurde. Über den 3. Fall fehlt eine dies-
bezügliche Notiz.
Eine Hör Verschlechterung trat ein in 2 Fällen. Einmal sank die
Hörweite für Flüstersprache von 30 cm auf 10 cm. Der andere Patient,
der mit Schwindelerscheinungen in Behandlung trat, hatte vor der Ope-
ration a^ per Luft noch gehört: 3 Monate nachher war jedoch auch
dieser Hörrest geschwunden und Taubheit eingetreten.
Mortalität.
Unter den 65 Fällen von Totalaufmeisslung kamen 13 zum
Exitus = 20 °/(j. Dieser Prozentsatz erscheint auf den ersten Blick
als ein verhältnismäfisig hoher, ist jedoch nicht geeignet, ein
Bild von der Mortalität der Totalaufmeisslung überhaupt, d. h. im
Vergleich mit den Ziffern anderer Kliniken zu geben, da die Vor-
bedingung hiezu eine überall gleiche Indikationsstellung wäre. Diese
bewegt sich an der Münchener Ohrenklinik in sehr engen Grenzen, was
ja aus der geringen Zahl von Operationen (65 in 10 Jahren) wie aus
den früher angegebenen Indikationen hervorgeht, welche mit Ausnahme
der 10 prophylaktischen Operationen fast alle als momentan dringende zu
bezeichnen sind. Die Mortalität wird natürlich um so geringer, je
weiter die Grenzen für die Indikationsstellung gezogen werden und je
mehr Fälle, bei denen nicht eine Indicatio vitalis vorliegt, zur Total-
aufmeisslung kommen. Die Operation bildet ja nur einen kleinen Teil
unseres gesamten therapeutischen Vorgehens ; es kann sich also ein Bild
vom Wert der ganzen Behandlungsmethode der chionischen MJttelohr-
eiterung nur ergeben, wenn man die Todesfälle — natürlich die ohne
Operation Gestorbenen mit eingerechnet — in ein Verhältnis setzt zur
Zahl sämtlicher im gleichen Zeiträum behandelten chronischen Mittel-
ohreiterungen. Die an den Folgen einer chronischen Mittelohreiterung
letal geendeten Fälle in dem Zeitraum von 1892 — 1901 sind:
1. 13 Patienten starben von den 65 zuf Totalaufmeisslung Gekommenen.
2. 2 Fälle von akutem Rezidiv einer chronischen Mittelohreiterung
bei zentraler Trommelfellperforation, bei denen nur eine einfache
Eröffnung des Antrum und der Zellen vorgenommen wurde, starben
an allgemeiner Sepsis.^)
1) B e z 0 1 d : Allgemeine Sepsis bei chronischer Mittelohreiterung mit zentral
gelegener Troramelfellperforation. Zeitschr. f. Ohrenh. XLII, Heft 2.
356 A. V. Buppert: Bericht über die während der Jahre 1892—1901
3. Bei 7 Fällen mit letalem Aasgang, die sämtlich schon mit schweren
Komplikationen eingeliefert wnrden, war keine Operation mehr
vorgenommen worden. Die Sektion ergab in 6 Fällen davon
Cholesteatom, zweimal mit Schläfenlappen-, zweimal mit Kleinhim-
abszess, einmal mit Sinusthrombose and einmal mit Meningitis.
Im 7. Falle mit Fazialis-Paralyse fanden sich verkäste Tuberkeln
in der Fossala petrosa.
Es starben mithin in den 10 Jahren von 1450 an chronischer
Mittelohreiternng leidenden Patienten 22 = 1,52%. Es übertrifft diese
Ziffer nur um weniges die früher von Bezold (Arch. f. Ohrenh.
21. Bd., 221) angegebene Mortalitätsziffer von 1,2%, welche auch die
Privatkranken umfasst.
In den eingangs erwähnten beiden Statistiken von Leim er über
im ganzen 97 Operationen bei akuten Mittelohreiterungen im gleichen
Zeitraum ist die Gesamtzahl der behandelten akuten Mittelohrentzündungen
nicht angegeben, es ist deshalb auch nicht zu entnehmen, in welchem
Verhältnis Operationen und Todesfälle zur Gesamtzahl stehen. Zum
Vergleich möchte ich jedoch anführen, dass nach Dölgers Zusammen-
stellung^) von 1897—1901 über das von Bezold klinisch und in
Privatpraxis beobachtete Krankenmaterial sich unter 530 Fällen von
akuter Mittelohreiterung 10 oder 1,9 "/^ Todesfälle ergeben haben.
Scheibe verzeichnet bei der Gesamtzahl seiner akuten Mittelohr-
entzündungen der Jahre 1890—1901 0,7 ^/^ Todesfälle vom Ohr aus.
Zu letzterer Prozentzahl ist zu bemerken, dass in der Privatpraxis, in
welcher die im terminalen Stadium einlaufenden Komplikationen viel
seltener sind als an einem grossen Krankenhause, die Mortalitätszahlen
durchgängig viel kleiner ausfallen. So geht aus der Zusammenstellung
von Dölger hervor, dass in Bezolds Privatpraxis in den Jahren
1881 — 96 unter 2888 akuten und chronischen Mittelohreiterungen
nur 20 oder 0,7 ";\, tötliche Komplikationen vom Ohr aus und in den
Jahren 1897 bis 1901 sogar nur 1 oder 0,2 ^/o unter 591 Mittelohr-
eiterungen sich befunden haben.
Bei den vorliegenden letalen Fällen von den Totalaufmeisslungen
handelte es sich sämtlich um solche, die schon mit schweren Komplikations-
erscheinungen in unsere Behandlung traten, so dass die Operation den
^) Die Mittelohreiterangen auf Grundlage der statistischen Berichte
Bezolds (1869 — 1896) und einer eigenen Fortsetzung derselben bis zum Jahre
1901 inkl., bearbeitet von Dr. E. Dölger. München 1908, Lehmanns Verlag.
in d. Münchn. otiatr. Klinik zur Ausführ, gekomm. Totalauf raei^sl. 357
Exitus nicht mehr zu verhindern vermochte. Der Umstand, dass von
6 Sinusthrombosen nur eine in Heilung überging, ist wohl dem teil-
weise schon längeren Bestehen der Thrombose zuzuschreiben, deutet
aber doch im allgemeinen auf einen schweren Verlauf der infolge
chronischer Mittelohreiterung entstandenen Sinuserkrankungen hin;
denn von den im gleichen Zeitraum operierten 5 Sinusthrombosen bei
Otitis media acuta in der Leim er sehen Statistik endeten 2 letal und
kamen 3 zur Heilung. Eine Scheidung nach der akuten und chronischen
Form der Eiterung dürfte sich deshalb in Zukunft bei der Statistik
der Sinusthrombosen sehr empfehlen. Die MortalitätszifFer der mit
Eröffnung des Sinus resp. Unterbindung der Jugularis operierten Fälle
von Sinusthrombose hat sich jedoch in den letzten 5 Jahren auch bei
den chronischen Eiterungen unserer Klinik wesentlich günstiger gestellt,
indem von 3 Fällen 2 zur Heilung gelangten.
Als erfreuliches Zeichen der Ausbreitung einer sachgemäfsen
Behandlung der chronischen Mittelohreiterung darf weiterhin die in den
letzten Jahren beobachtete Tatsache gelten, dass bei einer steigenden
Patientenzahl des Ambulatoriums und der otiatrischen Klinik die Zahl
der mit Komplikationen eingebrachten Fälle sank und mithin auch die
Zahl der Totalaufmeisslungen abgenommen hat. Möge auch die vor-
liegende Zusammenstellung dazu beitragen, dass die Zahl der Fälle
immer seltener wird, deren Schicksal durch den bereits erfolgten Eintritt
von tötlichen Komplikationen infolge zu später Einlieferung unabänderlich
geworden ist.
Eingehenderen Bericht ücer die Sektionsergebnisse sowohl
der operierten als der nicht operierten Todesfälle aus der Münchener
otiatrischen Klinik wird Herr Professor Bezold in einer späteren
Arbeit geben.
Bericht
Ob«r die
Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde,
der Rhinologie und der Übrigen Grenzgebiete
im z^A^eiten Quartal des Jahres 1907.
Zusammengestellt von Professor Dr. Arthur Hartmann.
-^
Anatomie und Physiologie.
509. Cheatle, Arthur H. Infantile Typen des Warzenfortsatzes tei 96 Präpa-
raten. Journal of Laryng., Rhinol, und Otology. Juni 1907.
Als infantil beschreibt Ch. einen diploischen Warzenfortsatz, bei
welchem das Antrum durch eine kompakte Knochenschicht von der
Oberfläche getrennt ist. 3 Abbildungen aus einer Sammlung von 500
Schläfenbeinen. Unter diesen Verhältnissen kann 1. die Eiterung nicht
auf den Warzenfortsatz übergreifen, 2. die äusseren Zeichen eines
akuten Antrumempyems sind nicht vorhanden oder gering, 3. die Aus-
breitung einer Infektion findet leichter in die Schädelhöhle oder in das
Labyrinth statt.
510. Galamida, U., Turin. Vari^t^s et anomalies mastoidiennes. Arch. itit.
d'otol. etc. Bd. 23, Nr. 2.
An Hand von 400 Warzenfortsatzoperationeu der Gradenigo-
schen Klinik studierte C. Grösse und Lage des Antrums und der
übrigen W'arzenfortsatzzellen und notierte sich die verschiedenen
Varietäten und Anomalien. Seine Befunde lassen sich nicht vergleichen
mit den zuverlässigeren Resultaten, die an Leichenmaterial gefunden
werden. Bei 3,25 ^/o der Fälle, (10 mal rechts und 3 mal links),
reichte der Sinus bis nahe an die vordere Gehörgangswand heran.
Oppikofer (Basel).
511. Cover, M. R. Einige Variationen in den Stirnhöhlen. Journ. Americ.
Med. Assoc. 26. Jan. 1907.
Der Verf. illustriert und beschreibt die verschiedenen Variationen.
Er fand zwei Fälle, in welchen die innere W^and fehlte oder unvoll-
ständig war. Zur Erkennung des Verhaltens der Stirnhöhle ist die
Durchleuchtung gewöhnlich ungenügend, auch die klinische Erfahrung
Anatomie und Physiologie. 359
hat wenig Wert, da nicht zwei F&lle einander gleich sind. Am besten Auf-
klärung gibt ein stereoskopisches Radiogramm. Clemens (New- York).
512. Ewald. J. Rieh, und Jäderholm, G. A. Auch alle Geräusche geben,
wenn sie intermittiert werden, Intermittenztöne. Pflflgers Archiv f.
die ges. Physiologie Bd. 115, S. 555—563, 1906.
Die von den Autoren benutzte Versuchsanordnung war die folgende :
Die Geräusche wurden in einem gesonderten Zimmer erzeugt, sodass
sie vom Beobachter direkt, d. h. ohne telephonische Übertragung nicht
gehört werden konnten. Sie wurden unmittelbar auf der Platte eines
Aufnahmetelephones hervorgebracht, indem auf derselben Schrotkörner
in Rotation versetzt wurden, oder Sand hin- und hergerieben oder ein
Wasserstrahl aufgefangen wurde. In jedem dieser Fälle waren die
Geräusche von grösstmöglicher Reinheit und keine vereinzelten Töne
herauszuhören. Die Intermittenzen wurden durch Unterbrechungen der
Leitung erzeugt, die das Aufnahmetelephon mit dem Abgabetelephon,
an welchem beobachtet ward, verband. Zu den Unterbrechungen dienten
abwechselnd zwei Stimmgabeln, von denen die eine 100, die andere
128 Schwingungen pro Sekunde machte. Die elektrisch betriebene
ünterbrechergabel schloss mittelst eines mit der einen Zinke in Ver-
bindung stehenden harten Metallkontaktes bei jedem Niedergang der
Zinke die Leitung, während beim Aufwärtsschwingen die Öffnung er-
folgte. Hierbei wurde stets im Aufnahmetelephon die 100- resp. 128-
malige Unterbrechung des Geräusches als ein Ton von 100 bezw. 128
Schwingungen gehört. Da nach der bekannten Ewaldschen Schnell-
bildertheorie regelmässig periodische Unterbrechungen nicht nur von
Tönen sondern auch von Geräuschen subjektive Tonempfindungen im
Ohre erzeugen müssen, so betrachten die Autoren ihre Ergebnisse als
eine Sttltze der E w a 1 d sehen Ilörtheorie. Leiderhaben sie aber unter-
lassen, den Nachweis zu führen, dass die in Rede stehenden Unter-
brechungstöne nicht etwa rein physikalisch in der Telephonmembran
entstehen. Referent hält gerade dies nach seinen vielen Erfahrungen
über Membranklänge und Unterbrechungstöne für mehr als wahrschein-
lich. Jedenfalls sind die Ewald- Ja der ho Im sehen Geräusch-Unter-
brechungstöne, bevor ihre Entstehungsweise nicht aufgeklärt ist, für
die Theorie des Hörens in keiner Weise verwertbar.
Karl L. Schaefer (Berlin).
513. Geigel, Würzburg. Die Bedeutung der Ohrmuschel für das Hören.
Münchn. med. Wochenschr. 1907, Nr. 30.
Das Hören soll hauptsächlich durch t'bersetzung der Schallwellen
360 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
von der Luft auf den Knorpel der Ohrmuschel und von da auf den
knorpligen Gehörgang, den knöchernen Gehörgang und auf das Trommel-
fell zustande kommen, während der Luftleitung bis zum Trommelfell
viel weniger Bedeutung beigemessen wird. Geigel kommt zu diesem
Schluss durch folgenden Versuch: Nähert man die Hand der Ohr-
muschel, zunächst ohne sie zu berühren, so wird ein Geräusch lauter
gehört, berührt man nun die Muschel selbst, so wird das Geräusch un-
vergleichlich intensiver. Letzteres kann Refer. nicht bestätigen.
Eine Bekräftigung seiner Ansicht sieht Geigel femer darin, dass
bei Verstopfung des Gehörganges durch Cerumen, wenn es nur das
Trommelfell nicht berührt, das Gehör nicht herabgesetzt sein soll. Diese
Beobachtung beruht aber sicherlich auf einem Irrtum, da bei lücken-
loser Verstopfung das Gehör bekanntlich stark herabgesetzt ist.
Scheibe (München).
514. Abels, Hans, Dr., Wien. Über Nachempfindungen im Gebiete des kin-
asthetischen und statischen Sinnes. Ein Beitrag zur Lehre vom Be-
wegungsschwindel (Drehschwindel). Zeitschr. f. Phys. Bd. 43, S. 268—269
und S. 374—422.
Breuer, Josef, Wien. Bemerkungen zu Dr. Hans Abels Abhandlung:
,Über Nachempfindungen im Gebiete des kinästhetischen und statischen
Sinnes*. Ibid. Bd. 45, S. 78—84.
Abels, Hans, Dr., Wien. Ist der „Nachschwindel* im Endorgan oder
nervös bedingt? Zu den Bemerkungen Dr. Breuers Ober meine Ab-
handlung: Über Nachempfindungen im Gebiete des kinästhetischen
und statischen Sinnes. Ibid. Bd. 45, S. 85—91.
Die ausgezeichnet und anregend geschriebene Arbeit von Dr. Abels
ist eine vorwiegend kritische.
Er betrachtet die von Mach, Breuer, Hitzig, Jensen, Ewald
u. a. gefundenen Tatsachen vielfach von neuen Gesichtspunkten aus.
Abels will vornehmlich die Hypothese Breuers über den Reizauslösungs-
vorgang in der Ampulle nicht anerkennen. Breuer nimmt bekanntlich
an, dass z. B. im Beginne einer Drehung nach rechts die Endolymphe
im rechten horizontalen Bogengänge zurückbleibt und dadurch die Cupula
auf der Crista ampuUaris des rechten Bogenganges kanalwärts verschiebt.
Dauert die Drehung längere Zeit an, so werde allmählich die Cupula
teils durch die Elastizität der ßaarfortsätze, teils durch die Retraktion
von Schleimbändern und Schleimtropfen allmählich in ihre Normallage
zurückgezogen. Solange dies nicht erreicht ist, dauere die Reizung der
Haarzellen der Crista ampuUaris und damit die Empfindung der Drehung
Abels ist der Gedanke unsympathisch, dass auf diese Weise durch den
Anatomie und Physiologie. 361
momentan wirkenden Reiz eine Empfindung von längerer Dauer aus-
gelöst werde, da sich die Empfindungen des Vestibulär- Apparates dadurch
von denen aller anderer Sinnesorgane unterscheiden würden. Für die
Tatsache, dass bei länger dauernder Drehung die im ersten Moment ent-
standene Empfindung längere Zeit anhält, gibt er eine andere Erklärung.
Er meint, dass die während der Drehung ständig wirkende Zentrifugal-
kraft, also eine beständig wirksame Beschleunigung auch längere Zeit
hindurch empfunden werde und dass diese die Empfindung der Drehung
ergänze. Gegen diese Anschauung von Abels wendet sich Breuer in
seiner Erwiderung, indem er hervorhebt, dass die Zentrifugalkraft nur
die Empfindung der Schiefstellung der Vertikale verursache, aber mit
der Drehempfindung nichts zu tun habe. Sehen wir von der Empfindung
ab, so beobachten wir bei längerer Drehung einen längere Zeit anhalten-
den vestibulären Nystagmus. Versuche, die Referent auf Drehstuhl und
Drehscheibe ausgeführt hat, ergeben, wie ja zu erwarten war, dass dieser
Nystagmus von der Zentrifugalkraft vollkommen unabhängig ist. Er
kann also nur vom Bogengaugsapparate herrühren. Damit muss wohl
Abels Ansicht darüber, dass der momentan in der Aropulle wirkende
Reiz nur einen momentanen Effekt hat, fallen gelassen werden und es
kann als sicher betrachtet werden, dass dieser Momentanreiz eine länger
dauernde Wirkung hervorbringe, die einerseits in der länger dauernden
Empfindung der Drelin, g, andererseits in dem reflektorisch hervor-
gerufenen, länger dauernden Nystagmus besteht. Mit dieser Konstatierung
ist allerdings die Br%euersche Hypothese über den Reizauslösungsvorgang
in der Ampulle keineswegs bewiesen. Dies könnte überhaupt nur der
direkte Augenschein. Man kann sich ohne weiteres vorstellen, dass nur
der momentane Endolympbstoss als vestibulärer Reiz wirksam ist und
dass die Andauer der Empfindung resp. des Nystagmus durch Auslösung
von bereit gehaltenen Spannkräften in den betreffenden Nervenzentren
(Deiters scher Kern) zustande komme. Bis zu einem gewissen Grade
ist man direkt gezwungen zur Erklärung des Nystagmus zentrale Ur-
sachen heranzuziehen. Untersucht man nämlich, sei e< den Nystagmus
während der Drehung, sei es den Nachnystagmus bei einer grossen Zahl
von Individuen, so fin«!"t man zunächst enorme Unterschiede in der
Dauer des horizontalen Nystagmus. Die äussersten Grenzen betragen
15 Sekunden und 2 Minuten. Ferner ergibt sich bei einem und dem-
selben Individuum fast regelmäfsig ein ganz enormer Unterschied zwischen
der Dauer des horizontalen und des rotatorischen oder vertikalen Nystag-
mus; während die Empfindung der Scheindrehung bei dem horizontalen
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Hd. LIV. 24
862 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Nachnystagmus am schwächsten und kürzesten ist, danert dieser oft
1 V'jj Minuten länger, als der rotatorische oder vertikale, welche letztere
die Dauer von 15 — 20 Sekunden nur selten überschreiten (nach zehn-
maliger Drehung in ca 20 Sekunden). Diese Tatsachen lassen sieb
nur zentral erklären, da sicherlich der Zustand des Sinnesorgans solche
Unterschiede nicht bedingen kann.
Auch das vom Referenten in der Sitzung der letzten otologischen
Gesellschaft am 24. Juni 1907 demonstrierte Phänomen des in der
Drehrichtung auftrenden zweiten Nachnystagmns ist nur zentral zu
erklären. Bei der Verfechtung seines Standpunktes, dass der reizaus-
lösende Endolymphstoss nur einen momentanen Effekt hervorbringe,
stützt sich Abels insbesondere auf das bekannte Experiment Ewalds
mit dem pneumatischen Hammer. Hier bewirkt der über dem Kanal
angekettete Glasharamer tatsächlich nur eine einmalige langsame Kopf-
bewegung. Gegen die Ansicht Abels hat bereits Breuer in seiner
Erwiderung eingewendet, dass man es hier sicherlich mit einem durch
Präparation geschädigten Nervapparat zu tun habe, und dass namentlich
die Cupula sicherlich abgerissen worden sei.
Referent hat dem Ewald sehen Versuch analoge Beobachtungen
an Menschen mit Labyrintfisteln gemacht. Hatte der Vestibular-Apparat
seine Erregbarkeit für Drehen und Ausspritzen durch den Krankheits-
prozess bereits teilweise eingebtisst, dann hatte Luftverdichtung und
Verdünnung im äusseren Gehörgange und Druck auf die Fistel mit
Wattebausch oder Sonde nur eine einmalige langsame Augenbewegung
zur Folge. In Fällen jedoch, in welchen die Erregbarkeit nicht
gelitten hatte, trat bei Luftverdichtung und Verdünnung im äusseren
Gehörgange oder bei direktem Druck auf die Fistel, heftiger Nystag-
mus von ca. f) Sekunden Dauer auf. Es ergaben also diese Beobachtung
eine wenn auch recht kurze Nachdauer des momentanen Reizes.
Interessant sind die Ausführungen Dr. Abels über den galvanischen
Nachschwindel. Es ist eine vor Dr. Abels entschieden zu wenig
gewürdigte Tatsache, dass bei Öffnung eines galvanischen Stromes,
Schwindel und Nystagmus entsteht. Befindet sich die Katode am
rechten Ohr, so entsteht bei Öffnung des Stromes rotatorischer Nystagmus
nach links, genau von derselben Art, wie wenn die Anode rechts
eingeschaltet worden wäre, nur von geringerer Intensität und Dauer.
Abels sieht die Ursache dieses Öffnungsschwindels in der vorher-
gegangenen längeren Reizung der Centren durch den galvanischen
Strom. Hierzu ist folgendes zu bemerken: Befindet sich die Katode
Anatomie and Physiologie. 363
am Ohr, so wird der Nervus vestibularis in Katelektrotonus versetzt;
dieser bewirkt an und für sich bereits eine dauernde Reizung des
Nerven, andrerseits aber steigert er die Leitungsfähigkeit des Nerven,
so dass von der Peripherie kommende Reize leichter fortgeleitet werden.
Breuer hat angenommen, dass in beiden Labyrinthen eine bestfindige
leiseste Bewegung der Endolymphe vorhanden sei, die als Eigenreiz
wirke. Da diese Bewegung in beiden Labyrinthen symmetrisch erfolge,
so heben sich de norma die einander entgegengesetzten Reize auf.
Entsteht nun rechts Katelektrotonus, so werden die Reize vom rechten
Labyrinth verstärkt und machen Nystagmus nach rechts, Auch wenn
man die Breuersche Hypothese vom Eigenreiz in dieser Form nicht
annimmt, so ist man doch gezwungen anzunehmen, dass, sei es von
den Sinneszellen, sei es von dem Ganglion vestibuläre beständige Reize
dem Deitersschen zufliessen, denn die Wirkung der Anode, welche
Nystagmus nach der Gegenseite verursacht, lässt sich kaum anders
erklären, als dass der Anelektrotonus das Zuströmen dieser Reize auf
der betreffenden Seite verhindere und dadurch die Gegenseite über-
wiegt. Das Auftreten des Nystagmus bei Stromöffnung erklärt sich
ebenfalls daraus, dass nach Aufhören des Katelektrotonus eine vorüber-
gehende Herabsetzung der Leitungsfähigkeit in dem gereizten Nerven
auftritt und dadurch die andere Seite überwiegt. Möglich, dass für
die Entstehnng des Nystagmus bei der Stromöffnung nicht bloss die am
gereizten Nerv entstehende Verminderung der Leitungsfähigkeit eine
Rolle spielt, sondern dass auch zentrale Vorgänge beteiligt sind. Man
kann wohl mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die beiden
Deitersschen Kerne einen beständigen vestibulären Tonus der Augen-
muskel unterhalten, indem der rechte Deiters sehe Kern beständig
Inervationen aussendet, welche einen horizontalen und rotatorischen
Nystagmus nach rechts verursachen würden, wenn nicht die symmetrischen
Innervationen des linken Deitersschen Kernes eine derartige Bewegung
gerade aufheben würden. Bewirkt nun die Katode eine Reizzunahme
rechts, so entsteht Nystagmus nach rechts. Während der Dauer dieses
Nystagmus kommt es zur Ansammlung von Spannkräften im linken
Deitersschen Kern und bei Öffnung der Katode fliessen diese ab
und machen Nystagmus nach links. Diese Theorie entspricht auch der
von Abels gelegentlich der Besprechung der Täuschungen des kin-
ästhetischen Sinnes (z. B. das Gefühl des Gehobenwerdens bei plötz-
lichem Fallenlassen einer grösseren Last) angeführten Erklärung, die
ich mit seinen Worten hierhersetze:
24*
3()4 Üericbt über die Lei>tungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
*\Vird der Erregungszustand zweier verschiedener Nervenpartien,
deren Empfindungen sich in der Ruhe das Gleichgewicht halten, sich
gegenseitig ausloschen, durcli eine von aussen wirkende Kraft für
einige Zeit verschoben, und wird sodann zum Ausgangsstand über-
gegangen, so überwiegen die Empfindungen der eine Zeit lang ungereizt
gebliebenen Nervengruppen; es entsteht gewissermafsen als negatives
Nachbild die Empfindung einer der Richtung jener Kraft entgegen-
gesetzten Bewegung.«
Abels führt Beobachtungen von Jensen an, wonach nach
Exstirpation eines Labyrinthes, galvanische Reizung hier keinen Effekt
mehr habe. Demgegenüber muss jedoch betont werden, dass wir
Gelegenheit hatten, an der Klinik mehrfach Fälle zu sehen, bei welchen
eine Labyriuthexstirpation vorgenommen worden war und trotzdem auf
dieser Seite sich bei entsprechend grosser Stromstärke typischer galvanischer
Nystagmus auslösen liess (Dr. Neumanu). Man kann hier nur an
die Auslösung durch Stromschleifen zum Deitersschen Kern denken.
Dr. Abels bespricht ferner die Tatsache der Gewöhnung an den
Schwindel. P> fand bei Tauben, welche mehrere Tage hindurch
täglich mehrere 100 Umdrehungen stets nach derselben Seite absolviert
hatten, eine starke Abnahme des Kopfnystagmus, sowohl während der
Drehung, als beim Anhalten; dagegen war bei Drehung in der ent-
gegengesetzten, nicht eingeübten Richtung keine Abnahme des Dreh-
und Nachnystagnuis zu konstatieren. Es kann dies selbstverständlich
nur auf einer Adaptation der Nervenzentren beruhen. Beim Menschen
tritt eine Verminderung des Schwindelgefühls beim Tanzenlernen sehr
bald ein. Ruppert, welcher an derartigen Personen den Nachnystagmus
untersuchte, fand, dass durch Tanzen in der gewohnten Drehrichtung
ein viel schwächerer Nystagmus erregt wurde, als durch Tanzen in
der ungewohnten Richtung.
Referent hat bei Untersuchung mittels passiver Drehung auf dem
Drehstuhl keine derartige Differenz in der Stärke und Dauer des Nach-
nystagmus konstatieren können, der Unterschied im Schwindel beschränkte
sich lediglich auf das subjektive Empfinden und auf die Herabsetzung
der Reaktionsbewegungen.
Am Schlüsse seiner Arbeit bespricht Abels die kurzen Dreh-
bewegungen des Kopfes, wie sie unter normalen Lebensbedingungen am
häufigsten vorkommen. Die Breuer sehe Erklärung für .die Tatsache,
dass nach derartigen kurzen Drehungen ein Nachnystagmus nicht auf-
tritt, besteht darin, dass durch den beim Anhalten entstehenden Gegen-
Allgemeines. 365
stoss die Cupula aus der durch den Anfangsstoss herbeigeführten Ver-
lagerung wieder in die Normallage zurückgeführt werde Hiergegen
wendet Ah eis ein, dass dies nur bei mit gleichmäfsiger Geschwindig-
keit ausgeführten Drehungen zutreffe, keineswegs aber gelte dies für
die Bewegungen des Kopfes, bei welchen derselbe mit langsam steigender
Geschwindigkeit in Drehungen versetzt und plötzlich mit einem Rucke
angehalten werde oder auch bei der umgekehrten Bewegung. Die
Reibungs- und Spannungsverhältnisse in den Ampullengebilden müssten
bewirken, dass rasche Hewegungen eine unverhältnismäfsig grössere
Verschiebung bewirken als langsame. Gegen diese von Abels an-
geführten Bedenken muss man einwenden, dass es sich hier um die
Schwelle handelt, bei welcher Beschleunigung bereits eine Verschiebung
der Cupula auftritt. Abels hat es nicht nachgewiesen, dciss bei im
gewöhnlichen Leben vorkommenden langsamen Bewegungen die Reibung
eine so grosse ist, dass eine Verschiebung ausbleiben respektiv unver-
hältnismäfsig klein sein müsten. Sein Vergleich mit einer auf einem
Brettchen bewegten Münze ist doch den hier vorliegenden Verhältnissen
zu wenig angepasst.
Wenn wir demnach den Ausführungen Dr. Abels grösstenteils
widersprechen müssen, und die Breu ersehe Hypothese uns nicht er-
schüttert, erscheint, so behält doch Dr. Abels das Verdienst, zuerst
auf die Wichtigkeit der zentralen Vorgänge in der Theorie des Vesti-
bular-Apparates aufmerksam gemacht zu haben. Bar an y.
AHgenieines.
a) Berichte.
515. Bentzen, SophuM. Jahresbericht der oto-laryngologischen Abteilunir des
St. Elisabeths Hospitals zu Kopenhagen 1905 — 00.
Ausser den statistischen Mitteilungen enthält der Bericht folgende
2 Krankengeschiditen : I. 22 jährige Dame mit chronischer Eiterung, Koi)f-
weh und Schwindel; Totalaufmeisselung wird vorgenommen. Nach 10 Tagen
pyämische Erscheinungen, Sinus wird entblösst, enthält flüssiges Blut,
dagegen wird eine kleine thrombosierte Knochenvene gefunden und aus-
geräumt, danach Heilung.
n. 47 jähriger Mann mit seit 4 Wochen bestehender rechtsseiti}:er
Fazialisparese, vor 4 Wochen Ohrschmerzen und angeblich etwas Aus-
fluss (nach Meinung des Hausarztes doch zweifelhaft). Ferner besteht
eine rechtsseitige seröse Sinusitis maxillaris, die durch Punktur entleert
wird. Die Fazialisparese wird durch elektrische Behandlung gebessert.
Jörgen Möller (Kopenhagen).
^•y, fcr.-.- -•. t>tT die Ltist-üg« GBd Fcjrts-.hntte der Ohrenheilkunde.
ö A*.^e7K£^zm Pathjiogi€ und Symptomatologie.
öl'. Bc^an.. L. Dr. ncd Frasf-la. T_ Dr. Über den Einflass der An-
strcr-zn-,? a-* dkE «jehOrorgin, Ar^hiTio italiano di otologia etc.
^\UL bL 4. Hrft
Aoi «irrL b-e: u.*rLrer»rL tt-Li* ohrgesonden teils ofarkranker Soldaten
iiL MiliUrprä^idiGHi \o;. Si^rüa au gü-^ellien Versuchen, schliessen Verfasser.
das? ditr AL*r;reL;nitg imiLer eice Abnahme des Hörvermögens bedingt,
v eil he beider-r-triti.: aiiftriit. je narh der Intensität der Anstrengung
variiert und nach einer m^hr itder weniger langen Ruheiieriode voll-
st in iiz 5^hwind-t. Bimini (Triest).
.017. Amberjf. En^ii. Drtfoit «Michliraxi . Ear Affections and Mental
DistnrLanors. Journ. «.f t.kty. and mrat, diseases. Sept. 1906.
Verfas^H^r be-i-ritht hier <iei-t«f-5t orangen im Znsammenhang von
Obraff^ktiun an der Hau«! von mehreren Fällen. Gehörs-Hallnzinationen
basieren nü<:h Urbantsrhiisch auf Kindenreizung und sind besonders
häurig bei Geisteskranken. Hantsc hei (Berlin).
51* Allp'jrt. Frank, I»r., Chicago. The Eves and Ears of Sch'>olchildrtrn.
M-«i-c. E. G. Schrift 19J6.
Verfasser emptiehit die jährliche systematische Prüfung der Augen
und Ohren der Schulkimler und zwar die einfache Prüfung durch den
Kla5>eniehrer. Bei Kindern mit Augen- oder Ohrerkrankungen sollen
W'amuiiirs karten an die Eltern ireschickt werden, mit der Mahnung zur
ärztlichen Behandlung. Iii den vereinigten Staaten schätzt Verfasser
die Myoide der Schulkinder auf 20 ^ ,^. während sie bei uns. in Deutsch-
land (iO '^ fj betragen soll. Neben den W'amungsk arten gibt der Ver-
fasser zugleich aach eine Instraktionstafel für die Klassenlehrer zur
Prüfung an. Diese Einrichtung besteht in einigen Staaten mit gutem
Erfolge, jedenfalls dürfte die Anstellung von Schulärzten wie wir sie in
Deutschland bereits an den meisten Volksschulen in den grösseren
Städten haben, viel zweckmässiger sein, als derartige Prüfungen Laien
zu überlassen. Hantschel.
519. Jürgens, E., Dr., Warschau. Aflections de Tappareil auditif, du nez et
de la gorg<', constcutives ii Texplosion de bombes ou a des coups de feu.
La Presse otolarjn^^ologique Beige 1907, Heft 5.
J. schildert zunächst kurz 13 Fälle von Beschädigung des Gehör-
apparates durch Bombenattentate. Das dem Ort der Explosion zuge-
wandte Ohr litt meist recht beträchtlich, weniger das abgewandte Ohr.
Einigemal entleerte sich gleich nach dem Attentat Blut aus dem Ohr,
auch bestand zuweilen Ohreiterung unter dem Bilde der subakuten
r
Allgemeines. 367
eiterigen Mittelohrentzündung. Die Perforationen hatten nichts
Charakteristisches. Über Schwindel wurde nur einmal sehr geklagt.
Das Hauptsymptom war die Herabsetzung des Hörvermögens für die
tiefen Töne mit Neigung zur Besserung und Heilung, weshalb eine
Blutung oder Erschütterung gerade ihren Sitz in der Schneckenkuppel
hat, dafür kann J. eine Erklärung nicht geben. Nach seiner Meinung
kommt sowohl bei einmaligen, sehr heftigen Explosionen (bei Dynamit-
attentaten) und bei oft wiederholten Explosionen (z. B. bei alten
Artilleristen) weniger die topographische Lage der Nervenendigungen
oder des Ner^'enstammes in Betracht als ein uns noch unbekannter,
vielleicht entzündlicher Prozess. Deshalb haben die Folgen einmaliger
Schädigungen die Neigung zurückzugehen, die wiederholten Schädigungen
heilen nicht. Eigentümlich ist auch die Intaktheit der Bogengänge bei
diesen Explosionen. (Fortsetzung folgt). Brandt (Magdeburg).
520. Brock, Erlangen. Untersuchungen über die Funktion des Bogengang-
apparates bei Normalen und Taubstummen. A. f. 0. Bd. 70, S. 222—262,
Bd. 71, S. 56-84.
Verf. hat unter Leitung Denkers die 50 Zöglinge der im Jahre
1905 eröflfneten Nürnberger Kreistaubstummenanstalt auf Gehörs- und
^Gleichgewichtsstörungen sorgfältig untersucht. Über die Resultate
seiner Untersuchungen, soweit sie sich auf Gleichgewichtsstörungen be-
ziehen, berichtet er in der vorliegenden Arbeit unter ausgiebiger Her-
beiziehung der einschlägigen Literatur. (Ref. möchte gleich hier seinem
Bedauern Ausdruck geben, dass Literaturnachweise vollkommen
fehlen. Dem Leser, der sich von einer derartigen Arbeit zur Ver-
tiefung in die Materie angeregt fühlt, wird ein solches Beginnen un-
nötig erschwert, oder gar verleidet, wenn er sich die angeführte Literatur
mühsam zusammensuchen soll !)
Verf. resümiert sich zum Schluss folgendermalsen :
,,1. Totale doppelseitige Taubheit ist in der grossen Mehrzahl der
Fälle postembryonal erworben.
2. Der Ausfall der Prüfung auf Nystagmus nach Rotation und
nach Einspritzung verschieden temperierter Flüssigkeit in die Gehör-
gänge ist bei den beiderseitig total Tauben meistens negativ.
3. Für die einseitig Tauben lässt sich eine bestimmte Regel nicht
aufstellen.
4. Die Gruppe VI der Besthöreuden (nach Bezold; ,, Unwesent-
licher oder kein Defekt am oberen, von weniger als 4 Oktaven bis
Null am unteren Ende der Skala") verhält sich hinsichtlich der Reaktion
368 Bericht über die Leistungen und FoHsciiritte der Ohrenheilkunde.
auf Rotation und Ausspritzung der Ohren in der überwiegenden Mehr-
zahl wie die Normalhörigen.
5. Die Gruppen I — V lassen sich hinsichtlich der Funktion des
Bogengangapparates nicht in ein bestimmtes Schema unterbringen.
6. Meine Untersuchungen haben ergeben, dass im ganzen die
Resultate des Drehversuchs tibereinstimmen mit den Ergebnissen der
Prüfung des calorischen Nystagmus; es dürfte daher:
7. Zur Untersuchung auf Gleichgewichtsstörungen, auf die erhaltene
oder erloschene Funktion des Bogengangapparates in Zukunft genügen,
die von B a r a n y angegebene Methode der Ausspritzung der Ohren mit
warmen und kaltem Wasser und die Untersuchung des hierbei auf-
tretenden Nystagmus auszuführen, zumal diese Methode insofern genauere
Resultate liefert, als man im Stande ist. die Prüfung der Gleichgewichts-
störungen für jedes Ohr isoliert vorzunehmen.
8. Das Auftreten des in entgegengesetzter Richtung bemerkbaren
Nystagmus nach Einspritzung von Wasser über und unter Körper-
temperatur in die Gehörorgane macht es in hohem Mafse wahrscheinlich,
dass sowohl die Bewegung der Endolymphe vom glatten Ende zur
Ampulle als auch die umgekehrte Bewegungsrichtung ein reizauslösendes
Moment darstellt.'' Zarniko (Hamburg).
521. Mc. Kernen, Jos. F. Die klini^che Bedeutung der differentiellen Blut-
zähluiip; in der operativen Otologie. New- York. med. Journ. 19. Jan. 1907.
Die differentielle Blutzählung unterstützt eine vollständige Diagnose.
Wenn celluläres Knochengewebe wie der Warzenfortsatz septisch ent-
zündet ist, ohne Beteiligung der Blutgefässe ergibt die differentielle
Blutzäblung einen relativ geringeren polinukleären Prozentsatz als wenn
ein septischer Prozess die Weichteile ergriffen hat. Diese Tatsache er-
klärt der Verf. damit, dass die Absorption von Toxinen in Knochen-
höhlen weniger schnell vor sich geht. Clemens.
522. Tylecobe. Meningismus. Med. Clironicle. Juni 1907.
In den Fällen von Meningismus bestehen zwar die Erscheinungen
einer Meningitis und tritt der Tod ein. bei der Sektion wird jedoch
die Diagnose einer Meningitis nicht bestätigt. T. unterscheidet zwei
Gruppen, eine organische und eine funktionelle. Die erstere kann durch
Mittelohrentzündung verursacht sein wahrscheinlich durch intrakraniellen
Druck hervorgerufen. Die zweite Gruppe kann auftreten im Verlauf
einer Cerebrospinalmeningitis, Mumps, Erysipel, Scharlachfieber, Diph-
therie etc. und ist es möglich, dass sie das Resultat der Aufnahme von
Allgemeines. 369
Toxinen in die Meningen und die Hirnrinde ist. Es besteht kein
Fieber, keine Schwächung oder Verlangsamung des Pulses, keine un-
regelmälsige Respiration, kein Kernig. Nackenstarre kann vorhanden
sein, aber von kurzer Dauer und intermittierend. Lumbalpunktion
wirkt meistens vorteilhaft.
523. Pennington, M. E. Die Virulenz der Diphtheriebazillen im HaUe ge-
sunder Schulkinder und Dii»htherierekunvaleszenten. Journ. Infekt.
Diseases. Jan. 1907.
P. fand, dass unter gesunden Schulkindern ungefähr 10 ^/^^ Bazillen
im Halse haben, welche morphologisch den Diphtheriebazillen entsprechen.
Die Hälfte dieser Bazillen haben keine Einwirkung auf Meerschweinchen,
etwa 30 '^/j, hatten abgeschwächte Wirkung, 14*^ ,, töteten die Tiere
ziemlich prompt. Die Bazillen aus dem Hals gesunder Kinder, welche
einer Ansteckung nicht ausgesetzt waren, waren in der Mehrzahl der
Fälle nicht virulent. Sie können aber bisweilen eine richtige diphtherische
Ansteckung vermitteln. Die Bazillen von gesunden Kindern, welche
einer Ansteckung ausgesetzt waren, können leichter Ansteckung herbei-
führen als die von nicht exponierten Kindern. Die Bazillen von
Rekonvaleszenten sind sehr virulent.
524. Fräser und Comric. Der Naso-pharynx als Infektionsträ«;er bei einer
Cerebrospinalineningitisepidemie. Scott, med. and surg. Journal.
Juli 1907.
Bei der kürzlich stattgehabten Epidemie in Leith waren 83 Er-
krankungen mit 53 Todesfiillen. Bei 63 infizierten Fällen wurde
2 mal der Meningokokkus in Nase und Nasenrachenraum gefunden. Bei
69 gesunden Personen, welche in Berührung mit den Erkrankten ge-
kommen waren, wurde der Meningokokkus in 10 Fällen gefunden.
80^,3 der Fälle war unter 16 Jahre alt. *Der Meningokokkus wurde
in der Luft des Maschinenraumes eines Schiffes gefunden, in welchem 5
von den Arbeitern Väter von infizierten Kindern waren. Es wird an-
genommen, dass die Entwicklung des Meningokokkus begünstigt wird
durch eine heisse, staubige, schlecht ventilierte Atmosphäre. Der hohe
Prozentsatz der bazillentragenden Väter macht es wahrscheinlich, dass
die Väter die Erkrankung auf die Kinder übertragen.
525. Flexner, Simon. Experimentelle Cerebrospinalflüssigkeit bei Affen.
Journ. experim. Med. März 1907.
Affen können ohne Schwierigkeit mit dem Diplococcus intracellularis
infiziert werden. Die olfaktorische Infektion braucht nicht von der Naben-
schleimhaut auszugehen, wie beim Menschen angenommen wird. Clemens.
370 Beriebt über die Leistungen und Fortschritte der Obrenbeilkunde.
c) Untersuchungs- und Behandlungsmethoden,
526. Stenger. Prof., Königsberg. Simulation und Dissimulation von Ohr-
krankheiten und deren Feststellung. Deutsche med. Wochenschr.
Nr. 24, 1907.
In einer interessanten Zusammenstellung beschreibt Stenger die
von Voltolini, Coggin, Bloch, Lucae und Anderen ersonnenen
Methoden zur Entlarvung von Personen, die Ohrerkrankungen simulieren.
Meist handelt es sich um einseitige, seltener doppelseitige hochgradige
Schwerhörigkeit, resp. Taubheit, bisweilen auch um Simulation von
Taubstummheit oder Ohrerkrankuugen, die mit einem Unfall in Zu-
sammenhang gebracht werden. Eine genügende ausführliche Be-
schreibung der verschiedenen Methoden eignet sich nicht für ein kurzes
Referat, vielmehr muss auf die Originalarbeit verwiesen werden. Nur
soviel muss gesagt werden, dass der objektive Nachweis der Simulation
nicht immer gelingt, und dass derjenige, welcher einen Simulanten ent-
larven will, nicht nur mit den Krankheitsprozessen und Cntersuchungs-
methoden des Gehörorganes genau vertraut sein, sondern auch ein er-
hebliches Mafs von Menschenkenntnis besitzen muss. Der Nachweis
der Dissimulation, d. h. der Verheimlichung tatsächlich vorhandener
Funktionsstörungen, spielt eine wichtige Rolle bei Personen, die einen
Beruf ausüben, der die Intaktheit des Ilörorgans als conditio sine qua
non verlangt. Noltenius (Bremen).
527. Hald, P. Tetens. Hypopharyngoskopie. Hospitalstidende 1907, Nr. 17.
Enthält ausser einer geschichtlichen Übersicht über die Entwick-
lung der Methode Bericht über einen Fall von Karzinom des Hypo-
pharynx, in welchem es nur mittels der Hypopharyngoskopie möglich
war, eine exakte Diagnose zu erreichen. Jörgen Möller.
528. Schmiegelow, E. Über Ösophago-, Tracheo- und Bronchoskopie.
Ugeskrift for Läger 1907. Nr. 20—23.
Ausser einer Übersicht über die Technik und Indikationen enthält
die Arbeit einige kasuistische Mitteilungen : von Ösophagusleiden wurden
u. a. ein Fall von narbiger Striktur, einer von Divertikelbildung und
zwei von Fremdkörpern behandelt. Jörgen Möller.
529. Herschel, Dr., Halle a. S. Eine neue Ohrelektrode. Deutsche med.
Wochenschr. 1907, Nr. 23.
Herschel glaubt, dass die elektrische Ohrbehandlung bei
Neuralgie, Schwerhörigkeit und Ohrensausen infolge Mitbeteiligung des
Hörnerven deswegen so wenig Anhänger gefunden hat, weil kein ge-
r
Allgemeines. 371
eignetes Instrumentarium vorlag und beschreibt seine durch mehrfache
Abbildungen erläuterten Ohr- und Halselektroden. Ref. will nicht be-
streiten, dass besagte Elektroden wohl sehr zweckdienlich sind, hält
dieselben aber auch für sehr kompliziert, was einer weiteren Ver-
breitung hinderlich sein dürfte. Über die erzielten Erfolge gibt Verf.
nur kurze Andeutungen. Noltenius.
530. Stein, Saxtorph V. Eine neue Paraffinspritze nebst Bemerkungen über
Paraffinschmelzpunkte. Hospitalstitende 1907, Nr. 18.
Die Spritze besteht aus einem sehr solide gebauten Zylinder, der
behufs sicherer Handhabung mit einer Querstange versehen ist und der
durch die ganze Länge seines Inneren Schraubengewinde trägt: der
massive Kolben ist ebenfalls in seiner ganzen Länge mit Schrauben-
gewinde versehen. Die einfache, solide Konstruktion der Spritze ermög-
licht das sehr leichte Einspritzen von Hartparaffin in festem Zustande.
Jörgen Möller.
531. Leu wer, Dr., Bonn. Ein neuer Ohrsauger. Deutsche med. Wochenschr.
1907, Nr. 25.
Leu wer gibt Abbildung und Beschreibung eines Apparutes zum
Absaugen des Eiters aus dem Mittelohr. Das Instrument ist aus Glas
gefertigt mit trichterförmig ausgezogener Spritze für den Gehörgang,
mit sackartiger Ausbuchtung für den ausgezogenen Eiter und mit einem
Ansatz für den Gummischlauch des Saugballes. Verf. rühmt die Wirk-
samkeit seines Apparates. Noltenius.
532. Vohsen, Karl, Frankfurt a. M. Beitrag zur Stau- und Saugtherapie in
Ohr und oberen Luftwegen. (Nach einem Vortrag auf der Versamral.
westdeutsch. Ohren- und Halsärzte zu Köln am 2. Dez. 1906.) Münchn.
med. Wochenschr. 1907, Nr. 9.
Sowohl bei Stauung als auch bei Saugung konnte mit dem
Hirschmannschen Endoskop eine Verlegung des pharyngealen Tuben-
ostiums beobachtet werden. Es ist anzunehmen, dass die engen Ostien
der pneumatischen Zellen und der Nebenhöhlen der Nase ebenso durch
Schwellung ihrer Schleimhaut verengt werden.
Auf die normale Rachenschleimhaut wirkt die Bepinselung mit
L ngoischer Lösung andanender hyperämisirend, als die Saugung und
Stauung. Bei der letzteren schwellen die hinteren Muschelenden in
wenigen Sekunden sehr stark an.
Die Hammergriffgefässe füllen sich bei Saugung wesentlich stärker
als bei Stauung.
372 Bericht über die Lei«taiigen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Ein heilender Einfluss der Stauung auf akute und chronische
Katarrhe der Nase und des Rachens konnte nicht festgestellt werden.
Auch bei Ozaena konnten die Krusten durch Stauung nicht abgelöst
werden.
Zur Entleerung des Sekretes aus den Nebenhöhlen der Nase
empfiehlt Vohsen auf Grund eines Experimentes an Stelle der Luft-
verdünnung mit dem Sondermann sehen Gummiballon, Luftverdichtung
kombiniert mit Luftverdünnung, welche der Patient durch Zusammen-
pressen und Ansaugen der Nasenhöhlenluft bei zugehaltener Nase er-
zeugt. Scheibe.
533. Baratoux, J. B. De Teniploi de la thiosiiiamine en otologie. Le progres
medical 1907, Nr. 3.
Die Injektionen von Fibrolysin und die Plinträufelungen von
Thiosinamin in den Gehörgang waren bei den 15 Patienten ohne Ein-
fluss auf Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche. Hin und wieder glaubt
Verfasser eine Besserung konstatieren zu können, wenn er neben den
Injektionen von Fibrolysin gleichzeitig eine mechanische Behandlung
einleitet. Oppikofer.
534. Levy, Robert, Dr., Denver. Surgical Treatment of Tuberculosis of the
Upi)er Air passages and The Ear. Denver med. Times 1907.
Der Autor behandelt hier zuerst die Tuberkulose des Ohres und
hebt besonders hervor, dass nicht alle Fälle von Mittelohreiterungen bei
tuberkulösen Individuen als tuberkulös angesehen werden dürfen.
Operative Eingriife sind vorzunehmen, wenn der Allgemeinzustand gut
ist, wenn Temperatur und Puls keine sich rapid entwickelnde Erkrankung
zeigen und wenn die Ohr-Läsion in einer Knochenzerstörung besteht.
Wenn es angängig ist Ossiculectomie mit nachfolgender Kürettage und
Anwendung von Milchsäure und antiseptischer Spülung. Bei Mastoiditis
rät Verfasser zur Radikaloperation. Des weiteren behandelt der Autor
die Tuberkulose der Nase, des Pharynx und Larynx mit Besprechung
der Therapie, ohne etwas Neues zu bringen. Hantschel.
535. Eysselt, A., Edler von Kliinpöly, Littau, Ein Jahr Kretinenbehandlung
mit Schilddrüsensubstanz. Wiener med. Wochenschr. 1907, Nr. 1, 2, 3.
An 46 zu diesem Zwecke sorgfältig ausgewählten Kretinen wurden
1 Jahr lang eingehende Beobachtungen gemacht. Sie erhielten täglich
1 Tablette ä 0,3 gr. Die Erfolge waren sehr gute sowohl hinsichtlich
des Wachstums, als namentlich der Kröpfe und des Allgemeinbefindens.
Besonderes Interesse bieten die Beobachtungen über Gehör- und
Äusseres Ohr. 373
Sprachstörungen. Erstere waren von den geringfügigsten bis zur
völligen Taubstummheit vertreten; durch die Behandlung wurde eine
deutliche Besserung erzielt. Kretine, welche vorher nur halblaut ge-
sprochene Konversationssprache hörten, hörten nach 6 — 12 monatlicher
Behandlung Flüstersprache, solche, welche letztere nur auf kurze
Distanz hörten, hörten Worte auf grössere F.ntfernung. Fälle mit
schweren, beinahe an vollständige Taubstummheit reichenden Sprach-
und Gehörstörungen zeigten ganz unbedeutende oder überhaupt keine
Erfolge. Um Resultate zu erzielen, muss in Fällen mit totalem Defekt
der Schilddrüse die Behandlung in kleinen Dosen die ganze Lebens-
dauer fortgesetzt werden, in Fällen dagegen, in welchen die Drusen-
funktion noch vorhanden ist, kann dieselbe voraussichtlich nach 2 — 4
Jahren ausgesetzt werden. Wanner (München).
536. Moszkowicz, L., Wien-Doebling. Zur Technik der Operation an der
Hypophyse. Wiener klin. Woohenschr. 1907, Nr. 26.
M. beschreibt^ seine bis jetzt nur an der Leiche ausgeführte
Operationsmethode. In der ersten Sitzung wird die Nase aufgeklappt,
das Septum, Muscheln und Siebboin, soviel als nötig erscheint, entfernt,
ferner wird die Keilbeinhöhle eröffnet, aber die letzte Knochenspange
intakt gelassen. Nun wird ein gestielter Hautlappen von genügender
Länge von der Stirne auf die wundgemachte üntfiiliiche der Schädel-
basis gelegt, sodass seine Spitze in die Keilbeinhöhle zu liegen kommt.
Ist dieser durch Tamponade angedrückte Lappen angeheilt, wird in
einer 2. Sitzung, bis zu welcher die Nase aufgeklappt bleibt, die letzte
Knochenlamelle entfernt und nach Abtragung des Tumors die zuvor
etwas zurückgeklappte Spitze des Hautlappens in die Knochenlücke am
Boden des S. turcica pepresst und antamponiert. Beigegebene Zeich-
nungen veranschaulichen die Operationsmethode, sowie die zur Operation
verwendeten Instrumente. Wanner.
Äusseres Ohr.
537. Citelli, Catania. Kyste demioide du lobule de Toreille. Arch, intern.
d'otol. etc. Bd. 23, Nr. 2.
Die halberbsengrosse derbe und schmerzlose Geschwulst im linken
Ohrläppchen bemerkte der 30jährige Patient seit 6 Jahren. Schmerzen
traten erst nach unvollständig ausgeführter Operation auf. Durch
Exstirpation Heilung. Genaue Beschreibung des histologischen Befundes.
Oppikofer.
374 Bericht über die Leistungeu und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
r)3!^. Bindi, G., Dr. Über das primäre Epitheliom der Ohrmuschel beim Weibe.
Archivio italiano di otologia etc. XVIII. Bd. 4. Heft.
Mitteilung eines einschlägigen vom Verfasser operierten Falles.
Der Aufsatz enthält weiterhin ausführliche klinische, histologische
und therapeutische Betrachtungen. Rimini.
539. Ravogli, A. Lupus vulgaris des Ohres. Journ. Araeric. Med. Assoc.
5. Jan. 1907.
Bericht über zwei Lupusfälle. In beiden wurde in ausgedehnten
Ulcerationen der Tuberkelbazillus gefunden. In dem einen Falle war
auch das Knochengewebe ergriffen. Finsenlicht war im ersten Fall
ohne Einwirkung, im zweiten Fall trat anfänglich Besserung ein.
X-Strahlen besserten nur vorübergehend. Die Anwendung von reinem
Lysol gab die besten Resultate. Es bildet einen festen weissen Schorf
mit nachfolgendem gesunden Narbengewebe. Die Knötchen öffnen sich,
der Inhalt entleert sich, mit Lysol getränkte Watte wird eingelegt, in
kurzer Zeit tritt Heilung ein. Clemens.
540. H^lot, Ronen. Les vers d'oreille. Arch. internat. d'otul. otc. Bd. 23,
Nr. 8.
In einer kurzen Abhandlung weist H. darauf hin, wie häufig in
früheren Jahrhunderten Würmer im Gehörgang diagnostiziert wurden,
und welche grosse Holle man denselben, namentlich bei Affektionen
des Kopfes, zuschrieb. Auch H. macht die Angabe, dass in vernach-
lässigten Ohreiterungen sich Fliegenlarven vorfinden können; doch sagt
er nicht, ob diese Angabe sich auf eigene Erfahrungen stützt.
Oppikofer.
541. Török, B. von, Budapest. Verschluss beider Gehörgänge und partielle
knöcherne Obliteration der Paukenhöhle. A. f. 0. Bd. 70, S. 213—218.
Bei einem 14 jähr. Mädchen konnte bei der klinischen Untersuchung
und Operation festgestellt werden: beiderseits Verschluss des Gehör-
gangs am inneren Ende des häutigen Teils, der knöcherne Anteil des
Meatus extcrnus, die Ohrmuscheln normal. Desgleichen der Warzen-
fortsatz und sein Ilöhlensystem und dife Tuben. Dagegen die Pauken-
höhle eingeengt durch eine knöcherne Masse, die gegen das ovale
Fenster und das Promontorium zu gleichmäfsig mit der Labyrinthwand
verschmolzen ist. Durch Beseitigung der häutigen Atresie konnte das
Gehör beiderseits deutlich verbessert werden. (In den einleitenden
entwickelungsgeschichtlichen Bemerkungen steht konsequent »Keim-
spalte« und > Keimbogen« statt »Kicmenspalte« und »Kiemenbogen«.)
Z a r n i k o.
Mittleres Ohr. 375
Mittleres Ohr.
a) Akute Mittelohrentzündung.
542. S ü p f 1 e , Karl, Dr., Heidelberg. Stadien über die Bakteriologie der akuten
Mittelohrentzündung. Zentralbl. f. Baktenologie etc. 42. Bd., 1906.
Auf Veranlassung von Kümmel hat S. 57 Fälle von Otitis media
bakteriologisch untersucht. Im normalen äusseren Gehörgang fand S.
zahlreiche Mikroorganismen, in 70 *^ ^^ der Fälle Micrococcus pyogenes
albus, dagegen niemals Streptokokken oder Pneumokokken. Auch ver-
tritt er die Anschauung, dass die normale Paukenhöhle in der Regel
keimfrei ist. Das untersuchte klinische Material wurde nach Kümmel
in mesotympanale Otitiden und in epitympanale eingeteilt. Jedoch zeigt
es sich, dass bei klinisch gleichartigen Formen verschiedenartige Bakterien,
andererseits bei klinisch verschiedenen Formen die gleichen Bakterien
sich vorfanden. Aus seinen Untersuchungen kommt S. zu folgenden
Schlüssen :
»Zu allgemein giltigen Schlüssen berechtigt ein Material, das. wie
das vorliegende, zeitlich und örtlich beschränkt ist, nicht. Die wichtige
Tatsache aber kann aus dieser Beobachtungsreihe abgeleitet werden,
dass die bisherigen Anschauungen über die Bakteriologie der Otitis
media nicht durchweg auf wohlbegrüudeten Ergebnissen fussen. Will
man diese Frage zu einer endgültigen Klärung bringen, so ist eine grosse
Zahl weiterer bakteriologischer Untersuchungen von möglichst verschiedenen
Seiten unentbehrlich.
Die Schlussfolgerungen, die S. aus seinen Untersuchungen ziehen
kann, sind folgende:
1. Das Hauptkontingent der Otitiden sind Streptokokkenotitiden.
Gegenüber der herrschenden Anschauung von dem Überwiegen der
Pneumokokkenotitiden ist dieses Ergebnis ganz besonders hervorzuheben.
2. Neben dem Streptococcus pyogenes, den S. in fast 60 ^/^^ sämt-
licher überhaupt keimhaltigen Ergüsse fand, treten alle anderen Arten
von Mikroorganismen in den Hintergrund. Als solche wurden beobachtet :
Streptococcus lanceolatus, Streptococcus mucosus, Micrococcus pyogenes.
3. Die Organismen aus der Gruppe der Kettenkokken treten zu-
meist in Reinkultur auf; in manchen Fällen sind sie mit Staphylokokken
vergesellschaftet, denen aber in dieser Art des Vorkommens nur eine
Nebenbedeutung zuzukommen scheint.
4. Dagegen kann auch der Micrococcus pyogenes als alleiniger
Erreger auftreten und steht dann den Kettenkokken gleichwertig zur
Seite; in dieser Eigenschaft tritt er aber nur sehr selten auf.
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V».,/. f. ir ir;; X, -.ic'.h'-r.t.hfi'jf: Tf.it «l^r A-jiratioD durchgeführt werden.
Sacher.
r
Mittleres Ohr. 377
o46. Es eh Weiler, Bonn. Die Behandlung der Mastoiditis mit Stauangs-
hyperämie nach Bier. A. f. 0. Bd. 71, S. 85—110.
Verf. bekennt sich wie schon bei früherer Gelegenheit so auch in
der vorliegenden Arbeit als warmen Anhänger der Bi ersehen Stau-
ungshyperämie bei der Behandlang der akuten Mastoiditis. Er unter-
zieht zunächst die Mitteilungen der Gegner der Methode einer Kritik,
in der er deren Einwendungen zu entkräften sucht. Sodann berichtet
er eingehend über 11 eigene Fälle. Von diesen sind 8 geheilt; 4 von
ihnen waren mit eitriger Periostitis über dem Warzenfortsatz behaftet.
Besonders erfreulich war die Heilung einer Scharlachmastoiditis und
eines Falles mit bedeutender Störung des Allgemeinbefindens. — Von
den 3 nicht geheilten Fällen starben 2, ohne Schuld der Stauung, der
dritte ging in andere Behandlung über. — In einem Nachtrage werden
3 weitere Fälle berichtet, darunter 1 Diabetes, aUe mit günstigem Aus-
gange. ^ Z a r n i k 0.
Ö47. FröBe, Halle a. S. Ein weiterer Beitrag zu den Erfahrangen bei der
klinischen Behandlung von Mittelohreiterungen mit Stauungshjperämie
nach Bier. A f. 0. Bd. 71, S. 1—55.
Fortsetzung der Mitteilungen Isemers aus Schwartzes Klinik
(Arch. f. Ohrhlk. 69, S. 131 ff. ref. diese Zeitschr. 53, S. 364). 18
ausführlich mitgeteilte Krankheitsfälle. Von diesen gelangten unter
Mithilfe oder bei alleiniger Anwendung der Bier sehen Stauung, die
dreimal mit der Sangtherapie kombiniert wurde, 11 (darunter 3 doppel-
seitige Eiterungen) zur Heilung. Bei 5 Kranken musste schliesslich die
typische Aufmeisselung des Warzenfortsatzes vorgenommen werden. In
einem sechsten Falle blieb die Eiterung kopiös und bei einem Kinde
wurde nach kurzer Stauungsdauer aus äusseren Gründen die Behandlung
abgebrochen. — Die Angaben des Verf. über Ätiologie, Warzenfortsatz-
komplikationen, Dauer bis zur Heilung, die Ergebnisse der mikro-
skopischen und bakteriologischen Untersuchungen, die theoretischen Er-
wägungen über die Wirkung der Stauungshyperämie müssen im Original
nachgelesen werden. — Im Allgemeinen wurde die Stauung gut ertragen.
Besonders günstig beeinfiusste sie die subjektiven Beschwerden der
Kranken. Mehrfach wurden Gehörgangsentzündungen durch das Ver-
fahren begünstigt, zweimal kam es in dem nicht entzündeten Ohre zu
> Mittelohrkatarrh«, einmal — bei einem Pat. von apopiektischem
Habitus — zu einer Blutung aus dem Mittelohre.
Verf. resümiert sich zum Schluss folgendermafsen : » 1 . Die anatomische
Struktur des W'arzenfortsatzes und die ungünstige Lage und oft geringe
Zeilschrift für OhrenheilVnnde. Bd. LIV. 25
378 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Weite seiner natürlichen Abflnssöffnung bieten der erfolgreichen An-
wendung der Stauungshyperämie nach Bier bei Mastoiditi den erhebliche
Schwierigkeiten. 2. Da die in Knochenkanälen verlaufenden abführenden
Gefässej welche die Hohlräume des Warzenfortsatzes umgeben, zu der
von der Bindenstauung beanspruchten Dilatation ihrer Wandungen un-
fähig sind, wird die Resorption aus dem Entzündungsherde in den
Stauungspausen beeinträchtigt, während die Stauung dem Auftreten einer
kumulativen Reizhöhe im Warzenfortsatze, zunächst bei fehlendem Fieber,
Vorschub leistet und somit Stase und Sequestration fördert. 3. Dieser
ungünstige Ausgang scheint bei schweren Infektionen des Mittelohrs
und Warzenfortsatzes, die vor der Stauung nicht zur Bildung eines
subperiostalen Abszesses geführt hatten, die Regel zu sein. Getrübt
wird die Prognose anscheinend auch durch ein erst kurzes Bestehen
des Ohrenleidens, durch das Vorhandensein umfangreicher adenoider
Vegetationen im Nasenrachenraum und durch Konstitutionskrankheiten
(Skrophulose, Anämie). 4. Die Tuberkulose des Warzenfortsatzes kann
durch die Kopfstauuug wahrscheinlich nicht geheilt werden. 5. Die
eigentliche Domäne der Stauungstherapie dürften leichte akute unkom-
plizierte Otitiden und solche mit Mastoiditis einhergehenden genuinen
subakuten und nicht zu frischen akuten Fälle sein, in denen mit oder
ohne Kortikalisdurchbruch bereits ein periostischer Abszess über dem
Warzenfortsatze besteht. Bei letzteren ist die gleichzeitige Anwendung
des Saugnapfs indiziert. 6. War die Parazentese des Trommelfells
erforderlich, so ist ihre stetige weite Oifenhaltung von grosser Wichtig-
keit. 7. Chronische Eiterungen ohne Karies und Cholesteatom scheinen
durch die Stauungshyperämie günstig beeinflusst zu werden, bedürfen
jedoch häufig noch andrer therapeutischer Mafsnahmen. Bei Verdacht
auf Osteosklerose ist von der Stauung Abstand zu nehmen. 8. Bakterio-
logisch gibt der Virulenzgrad der Erreger den Ausschlag. Ceteris paribus
scheinen Staphylokokkeninfektionen die Prognose günstiger zu gestalten.«
Zarniko.
548. Matt he WS on. Vier ungewöhnliche Fälle von akuter Mastoiditis. Montreal
Med. Jonrn. Mai 1907.
Im zweiten Fall trat die Mittelohrentzündung im Anschluss an
eine Basisfraktur auf. 10 Tage später war wegen akuter Mastoiditis
die Aufmeisselung erforderlich. Heilung.
549. Blake, John, Dr., Boston. The Value of the Bluod Clot. Ab a Primary
Dressing in Mastoid Operations. Brit. med. Association 1906.
Verfasser empfiehlt bei Warzenfortsatzoperationen die Blutschorf-
ifittleres Ohr. 379
behandlüng, indem er die Operationshöhle nach sorgfältiger Tamponade
und nach Entfernung des Tampons mit Blut füllt, die Wunde schliesst
bis auf den untern Wundwinkel, der zum Abtluss des Serums dient. Vor
der Operation wird die Parazentese gemacht. In Fällen, wo keine ge-
sunden Granulationen sich' unter dem Schorf bilden, wird derselbe ent-
fernt und ein sekundärer Schorf gebildet. Die Blutschorfbehandlung ist
nicht anwendbar bei tieferliegender Erkrankung wie Sinuserkrankung und
Extradural- Abszessen. Das Blutgerinnsel ist nach seiner Meinung nicht
nur ein blosses Fallmateriai und gewährt in seinem Senim ein Schutzmittel,
sondern fördert die Bildung von Granulationen und gibt daher schnellere
und befriedigendere Resultate, als wenn die Wunde von Anfang an
trocken tamponiert wird, nur in Fällen, wo wegen des pyogenen
Charakters ein Offenhalten der Operationshöhle wünschenswert erscheint,
mnss davon abgesehen werden. Hantschel.
550. Allport. Frank, Dr., Chicago. Akute Maatoid- Abszesse. Cliicago med.
Rec. 1906.
Verfasser bespricht hier die Ätiologie der akut, absced. Mastoid.
und deren Symptome, desgleichen auch die Bezoldsche Mastoiditis.
Schmerz und Druckempfindlichkeit an der Spitze ist nach der Meinung
des Verfassers wohl beachtenswert, aber nicht allgemein wichtig, da
dies auch, wie bekannt, bei einfacher Otorrhoe und anderen unkom-
plizierten Erkrankungen der Paukenhöhle und des Antrum aufzutreten
pflegt, jedoch wichtig ist Schmerz und Druckemptindlichkeit über dem
Antrum und der inneren oberen knöchernen Gehörgangswand, und bei
Rötung und Schwellung derselben muss zur sofortigen Operation geraten
werden. Hantschel.
551. A 11p ort, Frank. Chicago. The Differential Diagnosis between some o
the serious Sequelae of Purulent Otitis Media. Chic. med. Rec. 1906.
Verfasser hält die Frühdiagnose der absced. Mastoid., der Phlebitis
und Thrombose des Sin. für viel leichter als die Diagnose des Gross-
und Kleinhirnabszesses. Alle atrsc. Mast, folgen auf Otitis med. purul.
Politzer glaubt, dass eine Mast, ohne spontane oder andere Perforation
heilen kann und dass in diesen Fällen die Zellen sich mit Granulationen
füllen und der Eiter resorbiert wird. Der Verfasser empfiehlt jedoch
bei einem akuten Ausbruch einer Mastoid. mit typischen Symptomen
sofortige Operation. Der Schmerz des Warzenfortsatzes ist mehr ein
initiales Phänomen von Entzündung des Knochens und Periosts als von
Nekrose, bei letzterer ist gewöhnlich wenig oder gar kein Schmerz
380 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
vorhanden. Weiterhin behandelt er die Diagnose der Bezoldschen
Mastoiditis und die Dififerentialdiagnose der Mast, mit Furunkulose des
äusseren Gehörganges. ^^ aller Ohrerkrankungen sind chronische
Otorrhoeen. Die Extraktion der Gehörknöchelchen sollte der Sadikal-
operation immer vorhergehen. Diabetes ist keine Eontraindikation zur
Radikaloperation, 50 ^^^ heilen davon.
Die Symptome der Sinuskomplikationen und Hirnabszesse werden
von ihm eingehend geschildert, sie sind hauptsächlich bei Männern im
jugendlichen und mittleren Alter zu finden, sehr selten bei Kindern.
Perisinuöse Abszesse werden mehr bei akuten wie bei chronischen
Eiterungen gefunden. Sinuspunktion bei wandständigen Thrombus hat
keinen diaghostischen Wert, ^j^ — ^/^ aller llimabszesse entstehen durch
Infektion von Mittelohreiterung. 40®/o davon heilen. Hantschel.
d) Chronische Mitte lohreitertmg,
552. Muck, 0., Essen. Aphoristische Mitteilungen von Beobachtungen über
den Einflnss der vom Gehörgang aus durch Saugwirkung hervor-
gerufenen Stauongshyperämie auf Paukenhöhleneiterungen. Munchn.
med. Wochenschr. 1907, Nr. 9.
In 20 Fällen von hartnäckiger chronischer Schleimhauteiterung des
Mittelohres wurde das Saugverfahren 1 — 2 Minuten lang mit Pausen
von 1 Minute eine Viertelstunde lang angewandt und — in allen
Fällen? Ref. — Heilung erzielt.
Muck empfiehlt auch die Saugung bei akuten Mittelohreiterungen
mit ungünstiger Lage der Perforation und mit zitzen förmiger Öffnung.
Scheibe.
553. Iseraer. Zwei Fälle von Ohrschwindel, durch Operation geheilt (Aus
der Univ. -Ohrenklinik Halle a. d. S.) Münchn. med. Wochenschr.
1907, Nr. 1.
Chronische Mittelohreiterung mit plötzlich eintretendem Schwindel,
Im übrigen keine Labyrinthsymptome. Heilung nach Radikaloperation.
Scheibe.
554. Stein, Königsberg i. Pr. Die Nachbehandlung der Totalaufmeisselung
ohne Tamponade. A. f. 0. Bd. 70, S. 271—282.
Verf. berichtet über die ausgezeichneten Erfolge der tamponlosen
Nachbehandlung und entkräftet überzeugend die gegen die Methode von
berufener und unberufener Seite gemachten Einwendungen. Es ist zn
hoffen, dass nunmehr auch weitere Kreise sich des zu Unrecht ange-
feindeten und missachteten Verfahrens annehmen und es wenigstens
einer Prüfung unterziehen werden. Zarniko.
Mittleres Ohr. 381
555. von zur Mühlen, A., Ri^a. Bemerkung zur Arbeit des Hm. Dr. Stein,
Königsberg i. Pr.: ,Die Nachbehandlung der Totalaufmeisselung ohne
Tamponade* (A, f. 0. Bd. 70, S. 271). A. f. 0. Kd. 71, S. 117-119.
Stein hat in seiner soeben referierten Arbeit geäussert, von zur
Mühlen hätte die Methode der tamponlosen Nachbehandlung von
Zarniko (Deutsche med. Wschr. 1898 Vereinsbeil. S. 255) über-
nommen und auf Grund seiner eigenen günstigen Erfahrungen drei Jahre
spater empfohlen (Zeitschr. f. Ohlk. 39, S. 380). Dagej^en gibt
Y. z. Mühlen an, er hätte bereits zwei Jahre vor der Publikation
Zarnikos die Methode anzuwenden begonnen und diese Publikation
wäre ihm z. Zt. der Abfassung seiner Arbeit nicht bekannt gewesen.
(Für die Frage nach der Priorität ist dieser Tatbestand vollkommen
unwichtig d. Ref.)
Auf die übrigen Ausführungen des Verf.s, werde ich, soweit sie
sich mit meiner Publikation befassen, an anderer Stelle zurückkommen.
Zarniko.
556. Gerber, Königsberg i. Pr. Tamponlose Nachbehandlung und Tuben-
abschluss. A. f. 0. Bd. 70, S. 263—270.
Verf. hat mit dem (zuerst vom Referenten, Deutsche med.
Wschr. 1898, Vereinsbeilage S. 255 angegebenen) Verfahren der tarapon-
losen Nachbehandlung nach Totalaufmeisselung die besten Erfahrungen
gemacht. — Um einen Tubenabschluss zu erzielen hat er mehrfach
Transplantation von T h i e r s c h sehen Läppchen versucht. Mit welchem
Erfolge, ist aus den Krankenberichten nicht deutlich zu ersehen. —
Ref. behält sich vor, die historischen Bemerkungen des Verfs. an anderer
Stelle richtig zu stellen. Zarniko.
557. Gerber, Königsberg i. Pr. Über Tubenabschluss nach der Totalauf-
meisselung. A. f. 0. Bd. 70, S. 211 ff.
Vf. teilt mit, dass er vor mehreren Jahren versucht hat, nach der
Totalaufmeisselung durch Paraffininjektion einen Tubenabschluss zuwege
zu bringen, dass diese Versuche aber — vielleicht, weil zu weiches
Paraffin verwandt wurde — missglückt sind. Einen Bericht Ober andere
Verfahren stellt er in Aussicht. Am verheissungsvollsten erscheint ihm
die primäre Transplantation eines Epidermisläppchens über den Tuben-
eingang. Zarniko.
558. Török, B. v., Budapest. Karies des horizontalen Bogenganofes in Ver-
bindung mit ungewöhnten klinischen Erscheinungen. A. f. 0. Bd. 70,
S. 219-221.
Chron. Mittelohreiterung in Folge von Scharlach. Exazerbation
382 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
mit Schmerzen, Schwindel, Erbrechen, starkem Nystagmus beim Blick
nach der gesunden Seite. Wurde der Kranke aufgefordert, den in
kurzer Entfernung (bis 1 \ 2 ™) ^'^^ ^^^ Auge befindlichen Finger zu
fixieren, so trat plötzlich starke Konvergenz der Bulbi ein. Nach
wenigen Sekunden normale Stellung. Bei der Operation fand sich eine
Fistel im horizontalen Bogengang, Cholesteatom. Danach kein Erbrechen
mehr, nur noch minimaler Schwindel, Nystagmus und Schielphänomen
ausgelöscht. Zarniko.
559. Allport, Frank, Chicago. Indications for the So-Called Badical Mastoid
Operation. St. Paul med. Joum. 1906.
Verfasser empfiehlt die Radikaloperation bei hartnäckiger chronischer
Otorrhoe nach ungefähr 6 monatllicher konservativer Behandlung, aus-
genommen natürlich Streptokokkeninfektionen und andere sichere intra-
mastoide oder intrakraniale Komplikationen, welche sofortige Operation
notwendig machen. Bei chronischer purulenter Otorrhoe ohne Kom-
plikationen, bei welcher sich der Prozess nur auf die Paukenhöhle be-
schränkt, empfiehlt der Verfasser den Versuch mit Extraktion der
Gehörknöchelchen. Weiterhin behandelt der Autor die Gefahren der
Verletzung des Fazialis, des horizontalen Bogengangs, des Sinus und
anderer mehr. Schlechte Heilresultate werden durch Mangel an Sorg-
falt bei der Entfernung aller nekrotischen Teile, durch schlechte Plastik
oder ungenügendes Abkratzen der Tube Eust. von Seiten des Operateurs
verschuldet. Eine unvollkommene Heilung erfolgt ferner durch Fehler
beim Abtragen der oberen Knochenleiste zwischen Gehörgang und Kuppel-
rauni. Die Operation ist vollendet, wenn die obere Gehörgangswand
mit der oberen Wand des Kuppelraumes oder Tegmen tymp. sich in
einer Fläche befinden. Die Hörfähigkeit bleibt nach der Operation
dieselbe oder wird gebessert. Hantschel.
560. Cheatle, Arthur H. Ein Fall von chronischer Mittelohreitenmg mit
Nekrose des Labyrinths, Fazialislähmung, starker Parotisschwellung
und Eiterung, welche sich hinter dem Unterkiefer bis zum weichen
Gaumen und den TonsiDen erstreckte. Joum. of Laryngology, Bhin.
and Otolügy. April 1907.
Bei der Operation war der Warzenfortsatz diploisch und gesund,
das Antrum klein. Eine grosse Öffnung führte von der oberen, hinteren
und unteren Mittelohrvvand in eine grosse mit Granulationen ausgefüllte
Höhle und enthielt einen aus einem Teil des Vestibulums und den
Halbzirkelkanälen bestehenden Sequester. Der Finger konnte in eine
Abszesshöhle eingeführt werden, welche die Tonsille vorgetrieben hatte.
Mittleres Ohr. 3S3
Eine Gegenöffnung warde angelegt zwischen dem Abszess und der Ober-
fläche des Nackens. Heilung.
c) Cerebrale Komplikationen,
561. Tanturri» Domenicu, Prof., Neapel. Schwere und rasch eingetretene
endokranielle Komplikation bei einem Falle von akuter eitriger Otitis-
Operation. Heilung. BoUettino delle malattle dell'orecchio etc.
25. Jahrg. Nr. 7.
12 jährige Patientin au rechtsseitiger eitriger Otitis erkrankt. Kurz
nach deren Beginn heftige Kopfschmerzen und Erbrechen, Temp. 39.8,
komatöser Zustand. Rechtsseitige Abducenslähmung.
Bei der sofort vorjfenommenen Operation wurde ein ExtraduraU
abszess in der mittleren Schädelfrrube entdeckt: äussere Sinuj>wand mit
Granulationen bedeckt. Nach der Operation gingen die schweren er-
wähnten Erscheinungen rasch zurück. Die Lähmung des rechten
Abduzens nahm allmählich ab.
Der Mitteilung des Falles folgt eine ausführliche Epikrise.
R i nn n i.
o62. Habermann, J., Graz. Contributiun a l'etude de Tabsces c^r^bral d'origine
ütique. Arch. Internat. d'ot<il. etc. Bd. 23, Nr. 2.
Die seit lü Jahren bestehende rechtseitige Mittelohreiterung führt
bei einer 31j. Patientin zu Schläfenlappenabszess. Interessant an der
Beobachtung ist die Angabe, dass die Temperatur nie über 37,8 erhöht
war und neben Lähmung des linken Armes auch linksseitige Anosmie
und linksseitige Taubheit (Schädigung der Leitungsbahnen in der Capsula
interna) bestanden. Operation, Heilung. Nach Entleeren des Abszesses
gingen die Armlähmung und die Anosmie vollständig zurück, das Gehör
besserte sich wieder, nicht nur auf dem rechten operierten, sondern
auch auf dem linken zur Zeit der Operation tauben Ohre.
Oppikofer.
563. De Stella, Gent. Absces du lobe tempurosph6n«»idal et m^ningite otitique.
Arch. Internat, d'otol. etc. Bd. 23, Nr. 2.
Schläfenlappenabszess und Meningitis im Anschluss an alte vernach-
lässigte Mittelohreiterung bei 25 jähr. Patienten. Da die Symptome un-
bestimmt waren, so wurde der Abszess erst durch die Sektion aufgedeckt.
Oppikofer.
Ö64. Richards, John D. Fall von Kleinhirnabszess. New-Yurk. med. Joum.
4. Mai 1907.
Operation, Gummischlauchdrainage, Heilung.
384 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
565. Delsaux, L., Dr., Brüssel. Apropos de six cas de thrombo-phlebite des
Sinns craniens d'oripine otitique. La Presse otolaryngologique Beige,
1907, Heft 7.
Wenn man die Ligatur der Jugularis ausführt, muss man dies an
einem von dem Orte der Infektion genügend entfernten Orte tun, d. h.
man muss sehr tief und auch sehr früh unterbinden. In dem Moment,
wo sich am Halse Zeichen der Thrombophlebitis zeigen, muss man die
Jugularin in der Gegend des Schlüsselbeins unterbinden; sind keine
klinischen Zeichen am Halse zu finden, dann ist es besser die Jugularis
unberührt zu lassen. Die Durchspülung ist nur ein Mittel zur Ver-
minderung der Infektion, hat aber keinen Einfluss auf die Erkrankung
der Venenwand. Brandt.
566. Langworthy, H. G., Dubuqne. Thrombose der Sinus cavemosi. Boston
Med. Journ. 25. April 1907.
Bericht über 4 Fälle. Der erste war mit Sinusthrombose, der zweite
mit Extraduralabszess, der dritte mit Bronchopneumonie, der vierte mit
Meningitis kompliziert. Alle starben an Pyämie. Clemens.
567. Langworthy, H. Optic Neuritis in Thrombosis of the Cranial Sinuses
and Intenial Jagular Vein. Occurrence 30 0/q in twenty-six Gases.
The laryngoskop. St. Louis Jan. 1907.
Doppelte optische Neuritis ist konstant bei Hirntumor. Nach
Knapp 80 "/^ Papillitis bei Hirntumor. Die Papille scheint nicht von
der Lokalisation des Tumors abzuhängen. Bei Meningitis ist opt.
Neuritis konstant. De Schweinitz kennt 4 Arten von Meningitis:
einfache, tuberk., traumat., und cerebrospin. Men. Tuberk. des Hirns
ist die häufigste Ursache der optisch. Neur. 76 — 81 ^/q. In nahe ^/^
der Fälle wurde die Diagnose ohne Veränderungen am Auge gemacht.
30 ^/o von opt. Neuritis bei Sinusthrombose. Dieselbe geht immer
zurück. Hantschel.
d) Sonstige Mitte lohr er krankungen.
568. Botella, E., Madrid. Sarcome de Toreille moyenne. Arch. internat.
d'otol. etc. Bd. 23, Nr. 2.
Seit 4 Monaten fliesst bei der 43 j. Patientin übelriechender Eiter
aus dem rechten Ohre. Der Gehörgang ist mit spontan blutenden
weichen Polypen ausgefüllt, die sich bei der mikrosk. Untersuchung als
sarkomatös erwiesen. Keine Schmerzen ; keine Fazialislähmung. Taub-
heit. Bei Eröffnen des Warzenfortsatzes zeigt es sich, dass die malignen
Tumormassen vom Aditus ausgehen. 1 Jahr nach der Operation kein
Nervöser Apparat. 385
Rezidiv. Im Anschlass an die KraDkengeschichte Zasammenstellang
der diesbezüglichen Literatnr. Oppikofer.
569. Langworthy, H. Glover. Dr., Dubuqae. A Gase of Hysterical Mastoid
Tenderness and Paio, Without Fanctional Distnrbauce.
Verfasser berichtet über einen Fall von hyst. Druckempfindlichkeit
nnd Schmerz des rechten Proc. raast. ohne Funktionsstörung. Nach
elektr. Behandlung Genesung. Hantschel.
NerYOser Apparat«
570. Schönborn, Heidelberg. Über Polyneuritis cerebralis acuta mit Beteili-
gung der N. acustici. (Polyn. cerebr. menierifonnis Fran kl -Hoch-
wart.) MOnchn. med. Wochenschr. 1907, Nr. 20.
Fall von akuter Erkrankung des linken Abduzens und Fazialis und
beider Akustici mit Ausgang in Heilung resp. Besserung. Scheibe.
571. Parry, T. WiLon. Über die Differentialdiagnose zwischen Meni Drescher
Erkrankung nnd anderen Fällen von Meni ereschem Symptonien-
komplex mit Bemerkungen ül«er den praktischen Wert des Haarseils.
Brit. med. Jonmal 11. Mai 1907.
Nach kurzen Bemerkungen über die Differentialdiagnose berichtet
P. über den Fall einer Krankenwärterin, bei welcher die Einführung
eines Haarseils in den Nacken, welches ein Jahr lang getragen wurde,
alle Erscheinungen verringerte, nachdem die Patientin 5 Jahre lang
ihrem Berufe nicht nachgehen konnte. P. nimmt an, dass das Haarseil
durch Reflexwirkung die vasomotorischen Nerven beeinflusst. Die chronische
Gefässdilatation wird in normalen Tonus verwandelt.
572. Baräny, Robert. Die Untersuchung der reflektorischen vestibulären und
optischen Angenbewegungen und ihre Bedeutung für die topische
Diagnostik der Augenmnskellähmun<fen. Nach einem in der österr.
otologr. Gesellsch. gehauenen Vortrag. (Aus der Univ. -Ohrenklinik
Wien.) Mönchn. med. Wochenschr. 1907, Nr. 22.
Auf Grund eines mitgeteilten Falles von totaler Blicklähmung, bei
welchem durch Reizung des Vestibularapparates noch Bewegung der
Augen in der Richtung der langsamen Bewegung des Nystagmus hervor-
gerufen werden konnte, während die schnelle Bewegung des vestibulären
Nystagmus ebenso wie der optische fehlte, nimmt Bar4ny an, dass
nur die langsame Bewegung des vestibulären Nystagmus vestibulär ent-
steht, während die rasche Komponente auf der Bahn der Willkür-
inneivation im kontralateralen Blickzentrum zu stände kommt. Hierfür
spricht auch die Beobachtung, dass in Narkose bei Reizung des Vestibular-
apparates die rasche Componente fehlt.
386 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
B. gibt ein Schema für die Bahnen, welche der Reiz bei Auslösung
des Nystagmus durchläuft.
An der Hand interessanter Krankengeschichten, welche im Original
nachgelesen werden müssen, wird die Bedeutung des vestibulären
Nystagmus für die topische Diagnostik der Augenmuskellähmungen erörtert.
Scheibe.
573. Stern , Arthur. Über Cysticerken im IV. Ventrikel. Zeitschr. f. klin.
Med. 1907, Bd. 61, sJ 64.
Stern bespricht auf Grund von 4 eigenen und 68 Fällen der
Literatur die Symptomatologie und Diagnose des Cysticercus im 4. Ventrikel.
Von besonderer Wichtigkeit für die Diagnose ist der Wechsel
zwischen dem Auftreten schwerer Gehirnerscheinungen und vollständigem
Wohlbefinden mit Zurückbildung sämtlicher Herderscheinungen. Lang-
dauernde und ziemlich vollständige Remissionen kommen auch bei
(gefässreichen) Geschwülsten vor, doch bestehen in der Zeit des guten
Befindens immerhin irgendwelche Ilerdsyraptome weiter, wenn sie während
der Verschlechterung aufgetreten waren. Von lokalen Symptomen ist
besonders das Brunsschc diagnostisch wertvoll.
Stern erwähnt nur dieses von Bruns im Jahre 1902 beschriebene
Symptom, ohne des im Jahre 1898 von Schmidt publizierten und
nach ihm benannten ganz ähnlichen Symptoms zu gedenken.
Das Schmidtsche Symptom besteht darin, dass Patient bei Ein-
nahme einer bestimmten Kopfstellung Erbrechen respektive Schwindel,
Erbrechen und Ohrensausen bekommt. Schmidt will aus der Seite
der Lagerung des Patienten auf die Seite des Tumors schliessen.
Oppenheim, der überhaupt zuerst den Einfluss der Lagerung
auf das Auftreten von Schwindelanfällen beobachtet hat und diese
Erscheinung bei Labyrinthaffektionen, bei Erkrankungen im Gebiete des
Nervus vestibularis, der Kleinhirn^chenkel und des Kleinhirns sah, konnte
die von Schmidt angegebene Gesetzraäfsigkeit nicht bestätigen. Auf
das Auftreten von Nystagmus hat keiner der genannten Autoren geachtet.
Referent hat sowohl bei Erkrankungen des Labyrinths als auch
bei Erkrankungen des Kleinhirns resp. Tumoren an der Schädelbasis
im Bereiche des Nervus acusticus, das Auftreten von Schwindel und
rotatorischem Nystagmus, sowie von typischen vestibulären Gleichgewichts-
störungen, von Übelkeiten und auch Erbrechen wiederholt gesehen.
Er hält das Schmidtsche, Bruns sehe Symptom und die Oppen-
heim sehen Beobachtungen für ein Zeichen der Reizung des Nervus
vestibularis, sei es im peripheren Endorgane, sei es in seinem Verlaufe.
Nas^ und Xasenrachenraura. 387
Das Symptom an sich lässt deshalb nach des Referenten Ansicht eine
genaue Lokalisatiou nicht zu. Aus den Begleiterscheinungen, sowie
aus der Intensität und Häufigkeit seines Auftretens wird man jedoch
nicht selten in der Lage sein, eine genauere Lokal isationsdiagnose
zu stellen.
Als Ursache des Brunsschen Symptoms betrachtet Stern eine
plötzliche Zunahme des intrakraniellen Druckes; diese Annahme ist
nicht gerechtfertigt, wenn man bedenkt, dass bei Erkrankungen des
Nervus vestibularis, wo von Drucksteigerung keine Rede sein kann,
dasselbe Symptom vorkommt. Nach Ansicht des Referenten lässt sich
aus diesem Symptom nur auf eine abnorme Reizbarkeit im Bereiche
des Nervus vestibularis schliessen. Diese hat zur Folge, dass bereits
bei geringen Veränderungen der Kopfstellung Nystagmusanfälle auftreten.
Von Interesse sind die Beobachtungen Sterns über die suggestive
Beeinflussbarkeit der cerebellaren Ataxie seiner Kranken und einiger
in der Literatur beschriebener Fälle. Es stimmt dies mit den Er-
fahrungen des Referenten überein, da:?s dort, wo Schwindel und Gleich-
gewichtsstörungen anfallweise auftreten, auch in der Zwischenzeit zwischen
den Anfällen auf neurotischer Basis Gleichgewichtsstörungen ohne Schwindel
sich zeigen, welche dann suggestiver Behandlung zugängig sind. Man
darf nur nicht in den Fehler verfallen, wegen des Vorhandenseins
hysterischer Symptome eine organische Erkrankung auszuschliessen.
Störungen von Seiten des Nervus cochlearis, wie Ohrensausen und
Schwerhörigkeit, sind nur in vier Fällen beschrieben. Meyer führt
sie auf Kompressicm der Striae acusticae zurück. Nach Ansicht zahl-
reicher Neurologen hat eine Störung in den Striae acusticae keinen
Einfluss auf das Gehör. Baräny.
Nase und Naseurachenraum.
a) Allgevieine Pathologie und Therapie,
574. Gutmann, Dr., Berlin. Äussere Auj^^enerkrankungen in ihrer Beziehuiii,'
zu Nasenleiden. Deut>che med. Wochenschr. 1907, Nr. 20, 21, '22.
Aus der umfangreichen Arbeit interessiert uns folgendes. Endet
der Tränennasengang unter dem vorderen Ende der unteren Muschel
mit weiter scharfrandiger Öffnung, entsprechend der Länge des knöchernen
Ductus lacrymalis, so pflegen die Entzündungserreger der Nase nach
dem Bindehautsack zu wandern und der akuten Rhinitis die Conjuncti-
vitis zu folgen. Setzt sich der Tränennasengang über das Ostium des
knöchernen Ductus lacrymalis noch eine Strecke in der Nasenschleimhaut
388 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
fort, so entsteht dadurch an der medialen Seite die sogenannte Valvula
Hasneri, die als Klappe dient, Conjunctivitis verhütet, aber Tränen-
träufeln bedingt. Nicht selten werden sensitive und andererseits vaso-
motorische Reflexneurosen des Auges von der erkrankten Nase ausgelöst
und durch geeignete Behandlung (Beseitigung der hypertrophischen
Nasenschleimhaut, der Spinen, Cristen oder Deviationen des Septum
narium, etwaiger Verwachsungen daselbst etc.) geheilt. Was den Bak-
teriengehalt der Nase anlangt, so ist zwar die Wanderung von Bakterien
von der Nase aus durch den Tränennasenkanal in einzelnen Fällen mit
Sicherheit nachgewiesen worden, doch dtirfte die Übertragung der Keime
des Nasensekrets auf die Conjunctiva zumeist durch die Hände, Tücher etc.
erfolgen. Gleichzeitige Untersuchungen in der Königl. Augenklinik und
der Klinik für Ohrenkranke zu Berlin haben ergeben, dass von 100
an Ekzem der Binde- und Hornhaut leidenden Patienten 93 derselben
gleichzeitig ein Nasenleiden hatten, davon 81 ein chronisches. Unter
den Nasenleiden nehmen die adenoiden Vegetationen mit fast 50 ^Jq die
erste Stelle ein. Andererseits spielt bei chronischer Conjunctivitis die
chronische Rhinitis bei Crista oder Deviatio septi die Hauptrolle.
Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Dacryocystoblennorrhoe, doch
spielt hier naturgemäls die eitrige Entzündung der Nasenschleimhaut
resp. der Nasenebenhöhlen eine grössere Rolle. Als besonders auffällig
ist hervorzuheben, dass von diesen Patienten 79 ^/q weiblich waren
gegenüber 21 ^/^ männlichen. Für das Trachom ergab die Untersuchung,
dass etwa GO^j^ der Patienten ein exquisit chronisches Nasenleiden
hatten. Gleichzeitiges Auftreten von Tuberkulose resp. Lupus der Binde-
haut und der Nasenschleimhaut ist einigemale beobachtet worden, aber
nicht häufig genug, um die Frage zu entscheiden, ob die Bindehaut-
oder Nasenschleimhauttuberkulose in der Mehrzahl das Primäre ist.
Schliesslich erwähnt G u t m a n n die gelegentlich beobachtete Colncidenz
von Pemphigus der Bindehaut und der Nasenschleimhaut und bemerkt
dabei, dass dieses Zusammentreffen wahrscheinlich zufälliger Natur sei.
Noltenius.
575. Hartmann, Arthur, Prof. Dr., Berlin. Über nasalen Kopfschmerz und
nasale Neurasthenie. Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 18.
Hartmann geht davon aus, dass Peritz und namentlich Nor-
ström mehrfach die Erfahrung gemacht haben, dass chronische Ent-
zündung der Halsmuskeln (Sternocleido mast., Trapecius, Splenius)
namentlich, wenn die Insertionsst eilen am Schädel betroffen sind, häufig
Anlass gibt zu heftigen migräneartigen Kopfschmerzen, die durch Massage
Nase und Nasenrachenraum. 389
(Norström), Kochsalzinjektion (Peritz), Faradisation (Hart mann)
bisweilen überraschend schnell beseitigt werden können. Häufiger ist es die
mangelhafte Nasenatmuug, die durch ungentlgende Sauerstoffaufnahme und
verminderte Abgabe der Verbrennungsprodukte das Auftreten der Kopf-
schmerzen und von Neurasthenie bedingt. Bei Kindern spielen die adenoiden
Vegetationen die Hauptrolle, bei Erwachsenen Schwellungszustände der
Schleimhaut, Verbreiterungen der Nasenscheiden wand, enge Bauart der
Nase, erschlaffte Nasenflügel und in nicht seltenen Fällen Erkrankung
der Nasennebenhöhlen, seltener Nasenpolypen. Schlaffe Nasenflügel
werden durch den Feld bausch sehen Diktator abgehoben, in den
meisten anderen Fällen ist die chirurgische Behandlung am Platze:
Entfernung der adenoiden Vegetationen, Beseitigung der Hypertrophien
durch Galvanokaustik oder Schlinge, der Spinen und Cristen durch
Säge oder Meissel, der zu stark vorspringenden Muscheln mittelst scheren-
artiger Instrumente, der deviierten oder gebrocheneu Scheidewand durch
partielle Resektion. Nebenhöhlenaffektionen werden manchmal mit Erfolg
auf endonasalem Wege behandelt, in schweren Fällen sind äussere Ein-
griffe nicht zu umgehen, aber stets erst dann, wenn schonendere Ver-
fahren nicht zum Ziele geführt haben. Noltenius.
b) Ozäna.
576. 0 k u n »^ > , W. N., Prof. Ein Fall symmetrischer Atrophie der Haut und
(Icb Unterhantzellgewebes an den Seitenteilen der Nase bei Ozaena
Tnlgaris. Russische Monatsschr. f. Ohrenheilk. etc., April 1907.
Bei der schon viele Jahre an Ozäna leidenden Pat. sah man an
den Seitenteilen der knorpligen Nasenhälfte, an der Grenze des knöchernen
Nasenrückens, im Gebiete der Cartilag. triangularis gleichmäfsige Grübchen,
deren Grösse etwa dem der Kleinfingerkuppe entsprach. Die Haut mit
Unterhautzellgewebe waren an diesen Stellen stark atrophiert. Es
handelte sich hier wahrscheinlich um eine Trophoneurose der Haut-
verzweigungen der Nn. ethmoidales (vom N. nasociliaris des I. Trigeminus-
astes), Durch Paraffininjektionen wurden die Grübchen ausgefüllt und
eine vollkommen normale Nasenform erzielt. S ach er.
c) Neubildungen der Nase.
577. Schmidt, Alois, Würzburg. Ein blutender Polyp der unteren Muschel
(Angioma cavemosum). Arch. f. Laryngol. Bd. XIX, Heft 3.
Der erbsengrosse, blaurote, von der rechten unteren Muschel ab-
getragene Tumor zeigte vor allem einen grossen Reichtum von Blut-
räumen, die durch Bindegewebs-Septen von einander getrennt waren.
von Eicken (Freiburg).
390 Bericht übtT die Leistungen und Forti^chritte der Ohrenheilkunde.
57^. Citelli, Catania. Un cas de m^lanosarcome de la muqueuse nasale.
Arch. internat. d'otol. etc. Bd. 23, Nr. 3.
Das Melanosarkom lag bei der 68 jähr. Patientin in der Gegend
der mittleren Muschel und war von hier aas auf die Orbita und den
Oberkiefer übergegangen. Keine Operation. Tod unter meningitischen
Symptomen, mehr wie 2 Jahre nach Beginn der Erkrankung. Genauer
mikroskopischer Befund. Nicht zutreffend ist die Angabe, dass die
Nasenschleimhaut immer pigmentfrei sei. Oppikofer.
579. Denker, Alfred. Erlangen. Zur Operation der malignen Nasengeschwülste.
Arch. f. Laryngol. Bd. XIX. Heft 3.
Mitteilung von zwei Fällen maligner Tumoren, die nach der von
D. angegebenen Methode (Münch. med. Wochenschr. 1906, Nr. 20)
operiert wurden. Fall 1 blieb bis jetzt — 7 Monate nach der Ope-
ration — rezidivfrei. Fall 2 starb an Meningitis. Das Verfahren D.s
bietet inbezug auf breite Freilegung des Operationsgebietes die gleichen
Vorteile wie die bisher geübten mit einer Kontinuitätstrennung der
äusseren Haut einhergehenden grossen Voroperationen und hat den Vorteil
der geringeren Gefahr einer Aspirationspneumonie und des Wegfalls
jeglicher Entstellung.
580. Downic, Walther. Sarkom der Nase. (ilast?ow med. Journal August 1907.
Über () Fälle wird berichtet.
d) Nasenscheidewand.
5S1. Schmidt, Alois Würzburg. Fall von Fibroma oedematosum der Nasen-
scheidewand. Arch. f. Laryngol. Bd. XIX. Heft 3.
von Eicken.
582. Anton, Wilb. Dr., Prag. Partielle angeborene Atrophie der Nasenschleim-
haut. Ein Beitrag zur Ätiologie des T'lcus septi perforans. Prag,
med. Wochenschr. 1907, Nr. 1^,
Unter 130 Kinderleichen beobachtete A. dreimal angeborene partielle
Atrophie der Nasenschleimhaut im vorderen Teil der Nasenscheidewand
und glaubt, dass diese Atrophie für eine ganz beträchtliche Anzahl von
Perforationen des Septums verantwortlich gemacht werden kann.
Hartmann.
583. Vanden Wildenberg, Antwerpen. Nouveau speculum ponr les resections
endonasales. Arcb. internat. d'otol. »tc. Bd. 23, Nr. 3.
Für die submuköse Septumreaktion gibt Verf. Abbildung und Be-
schreibung eines Nasenspekulums, das gestattet, vom unteren Nasengang
aus das Loslösen von Schleimhaut und Knorpel zu beobachten. Die
kürzere Branche hebt den Nasenflügel vom Septum ab und die längere
Nase und Nasenrachenraum. 391
liegt zwischen der bereits abgelösten Schleimhaut und dem biossliegenden
Knorpel. Oppikofer.
584. Mosch er, Harris. P. Ein Spekulum für die submuköse Resektion des
Septums. Laryngoskope Jan. 1907.
Die beiden Blätter des K i 1 1 i a n sehen Spekulms sind durch Blätter
von Draht ersetzt. Die gefensterten Blätter sind genügend stark und
lassen sich für jede Länge anpassen. Clemens.
585. Miller, E. E. Beobachtungen über eine ideale lokale Anästhesie für
submuköse Resektion. Med. Record. 23. Febr. 1907.
M. löst Kokainkristalle durch Auftropfen von Adrenalinlösung
1 : 1000, bis die Kristalle gelöst sind. Die Anästhesie dauert ^/^ Stunden.
Clemens.
e) Nebenhöklen,
586. Heimerdinger, A., Strassburg i. E. Beiträge zur pathologischen An atomie
der Kieforhöhle. Arch. f. Laryngol. Bd. XIX, H. 8.
Mitteilung eines Falles von Cholesteatom und eines Falles von
Cholestearincyste der Kieferhöhle mit mikroskopischer Untersuchung.
Fall 1 betraf einen Patienten mit Ozäna, bei dem schon früher im
unteren Nasengang nach der Kieferhöhle hin eine Öffnung angelegt
worden war. Bei der erneuten Eröffnung der Höhle fanden sich grosse
zwiebelschalenartig angeordnete Epithelmassen, zwischen denen Cholestearin-
kristalle eingestreut waren. Autor ventiliert die Frage, ob diese Bildung
etwa von. dem metaplastischen Epithel der Ozäna ihren Ausgang ge-
nommen haben.
Fall 2 betrifft eine kranke Kieferhöhle, in der eine von der
Gegend des Foramen maxillare ausgehende Erweichungscyste gefunden
wurde. Neben Cholestearinkristallen wurden zahlreiche Riesenzellen
angetroffen. von Eickeu.
587. A lag na, G. Dr., Turin. Über die pathologische Histologie der Sinusitis
maiillaris chronica. Archivio italiano di otologia etc. Bd. XVIII, H. 4.
Ausführliche Mitteilung des pathologisch - histologischen Befundes
der Schleimhaut des Sinus maxillaris beim chronischen Empyem. Nach
der Beschreibung der pathologischen Veränderungen des Epithels teilt
Verf. diejenigen der subepithelialen Schicht mit. Letztere bestehen aus
der Alteration der Gefässe und der Drüsen, aus polypösen und papillo-
matösen Bildungen und aus dem Vorhandensein von Plasmazellen und
ihren Degenerativformen. Die einschlägige Literatur wird ausführlich
mitgeteilt. Rimini.
392 Bericht über die Leistongcn und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
588. Kyle, D. Braden, M. D., Prof. of Laryng. in Jefferson Medical College.
General pathologic Processes associated with or following Infections
of the accesaory sinnses.
Verf. teilt die pathologischen Veränderungen der Auskleidung der
Nebenhöhlen in 2 Klassen: 1. AflFektionen der Schleimhaut, 2. Affektionen
der tiefer liegenden Partien und der knöchernen Umrahmung. Die
Schleimhaut der Nebenhöhlen ähnelt der Beschaffenheit der Schleimhaut
der oberen Luftwege, nur mit einer geringeren Anzahl von Drüsen-
elementen und Nervenendigungen versehen. Da das Epithelpolster dünner
ist, ist die Schleimhaut auch weniger widerstandsfähig, und es sind die
Entzündungen schneller und intensiver. Verf. bespricht dann die Folgen
der Nebenhöhlenerkrankungen und führt deren Ursache in der Majorität
der Fälle auf Erkrankungen der Nase zurück.
Wichtig für Nebenhöhlenerkrankungen und Sinuserkrankungen sind
die Augensymptome. Ödem der Lider ist nach der Meinung des Ver-
fassers eines der Hauptsymptome der Nebenhöhlenerkrankungen. Die
Keilbein- und Siebbeinhöhlen neigen mehr zur Knochennekrose wie Stirn-
und Kieferhöhle, die der chirurgischen Behandlung zugänglicher sind.
Hantschel.
589. Gold mann, Edwin und K i 1 1 i a n , Gustav, Freiburg i. B. Über die Ver-
wendung der X-Strahlen für die Bestimmung der nasalen Nebenhöhlen
und ihrer Erkrankungen. Beitr. zur klin. Chirurgie, Bd. 54, Heft 1.
In der vorliegenden mit 16 Röntgenphotographien auf 8 Tafeln
ausgestatteten Arbeit führen die Yff. den Nachweis für die diagnostische
Verwertbarkeit der X-Strahlen für die Ausdehnung der Nebenhöhlen
und für die Erkrankung der Stirn-Siebbeinzellen und der Kieferhöhlen.
Fast ausschliesslich werden Aufnahmen im sagittalen Schädeldurchmesser
gemacht mit Hilfe der Albersscden Blende. Der Kranke wurde mit
der Stirn auf die Platte gelegt. Die Blende wird so gerichtet, dass
die Protüberantia occipitalis im Mittelpunkt ihres Ausschnittes steht.
In der Regel genügt eine Expositionsdauer von 1^2 — 2 Minuten mit
weicher oder halbweicher Röhre. Es ist mit Bestimtheit zu erkennen,
ob überhaupt eine Stirnhöhle vorhanden ist, sodann lässt sich mit
grösster Schärfe die Konfiguration der Stirnhöhlen und deren Grösse
erkennen. Durch Verschleierung der Bilder lässt sich eine Erkrankung
der Stirnhöhlen, der Siebbeinzellen und der Kieferhöhlen feststellen.
Hartmann.
590. D'Acutolo, G. Prof., Bologna. Über die verkehrte Diaphanoskopie des
Antrum Highmori. Bollettino delle malattie dell' orecchio etc.
XXV. Jahrg., Nr. 8.
Verf. nimmt die Durchleuchtung des Sinus maxillaris durch d&s
Na«e uniV Nasenrachenraum. 393
Y 0 h s e n sehe Lämpchen von aussen vor, indem dasselbe au den unteren
Orbitalrand gesetzt wird. Bei normalem Sinus wird der harte Gaumen
und die Molarstrecke des Alveolarfortsatzes an der entsprechenden Seite
hell. Diese Methode der Durchleuchtung der Highmorshöhle bietet ver-
schiedene vom Verf. ausführlich erwähnte Vorteile. Rimini.
591. Compaired, C, Madrid. Un cas de mncoc^le ethmoidale. Arch. internat.
d'otol. etc. Bd. 28. Nr. 3.
Im Anschluss an Trauma rechtscitige Siebbeinmukozele bei 19 jähr.
Mann. Erwähnenswert sind an der Beobachtung das rasche Wachstum
und die Grösse der Mukozele. Oppikofer.
592. Maljutin, E. N., Priv.-Doz. Zur Kasuistik der Stirnhöhlenentzündungen.
Uusskij Wratsch 1906, Nr. 51.
Verf. beschreibt 2 Fälle. Im ersten wurde bei der Operation eines
Stirnhöhlenempyems eine sehr seltene Anomalie konstatiert, nämlich das
Fehlen der hinteren Wand der Stirnhöhle. Im zweiten Falle mit syphi-
litischer Aifektion der Stirnhöhle verbreitete sich der Prozess auf die
weniger nachgiebige vordere Wand, während die hintere vollkommen
unberührt blieb. Sache r.
593. Hajek, M., Dozent, Wien. Über Operationsmethoden bei Stirnhöhlen-
entzündungen. Wiener med. Wochenschr. 1907, Nr. 18.
In Form eines Vortrage« vor Laryugologon und ()i)hthalmologen
bespricht n. die verschieden« ii Methoden und empfiehlt die Kuhntsche
bei einfachen akuten Empyemen.
Ferner teilt IL die von ihm ausgeführte Modifikation der Killianschen
Operation mit. er löst in schwierigen Fällen die Weichteile orbitalwärts
von der Spange vollkommen ab, wodurch die untere Wand der Stirn-
höhle in ihrem ganzen Umfange tadellos zugänglich wird; auch die
Drainage gegen die Nasenhöhle kann dann hauptsächlich durch das
Siebbeinlabyrinth aufgeführt werden. Vom Process. nas. wird nur der
hintere Rand, soweit er durch Nischen und Buchten unterminiert ist,
entfernt.
H. hat 7 Fälle in dieser Art operiert. Trotz der Ablösung der
Trochlea gaben die Kranken schon 8 Tage nach der Operation keine
Sehstörungen mehr an; auch augcnürztlich konnte kein Ausfall der
Funktion des Obliqu. sup. festgestellt werden. Wann er.
594. Steppetat. Kreuznach. Beitrat? zur Ka^^uistik der Fremdkörper in der
Stirnhöhle. Arch. r. Laryni^ol. Bd. XDC, H. 3.
Dem Patienten wurden zirka GO kleine Porzellanstückchen aus der
Stirnhöhle entfernt: vor 4 Jahren wurde ihm eine Kaffeetasse an den
Z<>itschrilt fbr Uhr<'nhi'ilkande. Bd. LIY 26
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*o !-."n H-ii-:'*tr ti:. •! Fi"- iriri-z. iir.ji A*?-cll-ij ir:? Antmms
5.1 i r. i. :. -. -- : jth L.n"' In.- -i ' - n-m : 1- F • i. i t- i^zifl:. Xor ein
M---^:r ;:. iirr L-ri -vi Fi.> »rri-i :i eii '::5 rs-:W.>hen daueriid
i'rr.^:.*. Ciemens.
->>'. f : - ;. r.'. i L ' , P. B- rl z. *r.-:r:':i': - i 1'-* .i-r i«^ I& ne^r** de< loins
Ar h. -vtt: i:. i :..L >:•! . B^ Ä Xr ä
N-«^^:. drn ^-;7 ■:.:.!: L-rc V. r^: L:^n.a-%rr^-rlii empfehlt Hey mann
Nase und Nasenrachenraum. 395
das Medikament längere Zeit vor Eintritt der Heuschnapfenperiode
nahmen, blieben beschwerdefrei; bei den 16 übrigen konstatierte Hey-
mann eine Besserung. Oppikofer.
599. Baerwald, Dr.. Berlin. Alpine Heofieberstationen. Deutsche medizin.
Wochenschr. 1907, Nr. 17.
Baerwald, der selbst ein hochgradig empfindlicher Heafieber-
kranker ist, hat an sich selbst die Erfahrung gemacht, dass manche
Punkte der Hochalpen, darunter namentlich Pontresina, sowie die
noch höher gelegenen Berninahäuser geeignete Plätze sind, die so
lange henfieberfrei bleiben, dass der Patient in das Flachland zurück-
kehren kann, da die gefahrlichste Zeit der Roggenblüte dann vorüber
ist. Doch gibt es auch sogenannte Vorläufer, die durch die blumigen
Alpenwiesen bereits vor der Gräserblüte einigermafsen belästigt werden.
Da viele Heufieberkranke an nervösen Herzbeschwerden leiden und die
Höhenluft schlecht vertragen, so bezeichnet Baerwald den 1500m
hoch gelegenen Platz Lenzerheide, der ein rauhes Klima und in-
folgedessen sehr verspätete Vegetation und gleichzeitig den Vorzug aus-
gedehnter Wälder hat. als den denkbar günstigsten Platz für Heufieber-
kranke, während das erheblich höher, aber sehr geschützt gelegene
Arosa nicht zu empfehlen ist. Noltenius.
600. Boesser, Dr., Chemnitz. Behandlung des Heuasthmas mit Atropin-
Chinin-Injektion. Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 2^.
Um mit der günstigen Wirkung des Corticin (salzsaures Chinin-
koffein) auf die Schwellkörper der Nase eine spezifische Behandlung der
geschwollenen Bronchialschleimhaut zu verbinden, hat Boesser sich
der Atropin-Corticin-Injektionen bedient und rühmt die rasche und zu-
gleich nachhaltige Wirkung beim Heuasthma. Noltenius.
601. Berliner. M., Breslau. Therapeutische Mitteilungen aus drr Nerven-
praiis. Wiener klin. Rundschau 1907, Nr. 25.
Berliner fand bei Rhinitis nervosa und bei Asthmatikern, dass,
wenn an einer Stelle am Septum, welche vorne entlang dem Nasen-
rücken in die Höhe steigt; und eine zweite, zirka 6 cm vom Nasen-
eingang entfernt, am Grunde des Septums liegende, mit dem konstanten
Strom berührt, Kitzel, Niesreiz, Husten und vermehrte Secretion hervor-
gerufen werden. Durch Galvanisation lässt sich eine Beeinflussung
dieser Stellen erreichen, sodass die Symptome eine Einschränkung resp.
Beseitigung erfahren. Die Prozedur muss zirka 12 — 14 Tage durch-
geführt wnrden. Man beginnt mit schwachen Strömen und steigt all-
26*
396 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
mählich bis zu 5 Milliampere. Berliner verwendet l^/gmni starke
und etwa 1 1 cm lange, mit Zelluloid überzogene Messing- oder Kupferstäbe,
deren schraubenförmige Spitze mit Watte armiert und befeuchtet wird.
Bei Rhinitis vasomot. empfiehlt Berliner eine Schnupfensalbe
»Rhisan«, die eine Verbindung von Athrolen und üng. Dericini ist.
W a n n e r.
602. Merker, H. P. Ein Fall von tödlicher Meningitis nach Entfernung des
vorderen Endes der mittleren Muschel. Boston med. and surg. Joum.
30. Mai 1907.
Die Operation war in gewöhnlicher Weise wegen Naseneiterung
ausgeführt. Tamponade mit steriler Gaze, welche am folgenden Morgen
entfernt wurde. Das Antrum wurde sorgfältig ausgespült. Heftige
Stirnkopfschmerzen und psychische Störungen. Aufmeisselung der Stirn-
höhle, welche mit Eiter gelullt war. Tod na*ch wenigen Tagen. Nach
des Operateurs Ansicht war die Todesursache die Tamponade. Infektion
der Meningen durch die Lamina cribrosa. Clemens.
603. Melzi, U. Milan. Une dent aberrante dans la cavite nasale droite. Arch.
Internat, d'otol. etc., Bd. 23, Nr. 3.
In den rechten unteren Nasengang ragte bei einem hereditär syphi-
litischen Kind ein Zahn herein. Im Oberkiefer fehlte der rechte mittlere
Schneidezahn. Oppikofer.
604. Boras, J., Czernowitz. Ein Fall von primärem Lupus der Schleimhäute.
Aroh. f. Laryngol., Bd. 19, H. 3.
Bei fehlendem Lupus der äusseren Haut fanden sich charakter-
istische lupöse Veränderungen an der Schleimhaut der Nase, der Ton-
sillen, Uvula, Epiglottis und des rechten Aryknorpels. v. Eicken.
605. Perkins, R. G. Beziehung der Bacillus mucosus capsulalus Gruppe zum
Rhinosklerora. Joum. Infect. Diseases. Jan. 1907.
Perkins schliesst aus seinen Untersuchungen, dass der sogen.
Rhinosklerombazillus nicht in ätiologischer Beziehung zur Rhinosklerom-
erkrankung steht, sondern nur ein sekundärer Eindringling ist. Die
Organismen, welche in der Nase und in den nasalen Geschwülsten bei
Rhinosklerom gefunden werden, sind verschieden in verschiedenen Fällen,
gehören allerdings derselben Gruppe an. Clemens.
606. Streit, H., Königsberg. Weitere Beiträge zum Sklerom. Arch. f. Laryn-
golo^ie, Bd. 19, H. 3.
Der Autor betont die Wichtigkeit der histologischen Untersuchung,
auf Gnind deren allein mit Sicherheit die Diagnose des Sklerom ge-
Nase und Nasenrachenraum. 397
stellt werden kann. Eine sichere Differentialdiagnose zwischen Fried-
länder-Bazillus and Sklerom-Bazillas ist nach den heutigen Kennt-
nissen weder durch die üblichen Kulturverfahren noch durch die Sero-
diagnostik, noch durch die Tierpathogenität zu erbringen. Der Beweis,
dass der sogenannte Sklerombazillus der alleinige Erreger des als Sklerom
bezeichneten endemisch auftretenden Krankheitsbildes ist, kann bisher
nicht mit Sicherheit geführt werden. Mit grosser Wahrscheinlichkeit
ist dagegen die Annahme berechtigt, dass der Sklerombazillus durch
seine Invasion im Gewebe die hyperplastischen Stadien der Krankheit
erzeugt. von Eicken.
607. SchluBser, H., Prof., Innsbruck. Erfolgreiche Operation eints Hypo-
physentumors auf nasalem Wege. Wiener klin. Wochensohr. 1907,
Nr. 21.
Schlosser demonstrierte einen 30jährigen Patienten, bei welchem
er vor 8 Wochen eine partielle Exstirpation eines Ilypophysentumors
mit gutem Erfolg vorgenommen hatte. Der Pat. litt seit 7 Jahren an
zuletzt unerträglichen Kopfschmerzen, ausserdem bestand seit 2 — 3 Jahren
starke Anämio, Haarausfall, resp. -schwund *ani ganzen Körper; soit
1 Jahr bitemporale Hemianopsie.
Die Diagnose wurde ausserdem durch das Röntgenbild geg^^ben;
es zeigte sich eine Erweiterung der Sella turcica zu einer fast uuss-
grossen Höhle. Die Vergrössorung der S. turcica kann in solchen
Fällen dreifacher Natur sein; ohne Veränderung des Eingangs. Erwei-
terung desselben oder eine Kombination beider. (Beigegebene Zeich-
nungen veranschaulichen die Verhältnisse.) Die ersten Fälle eignen
sich zur Operation, während die zweite Art imperabel und bei der
dritten die Beurteilung schwierig ist.
Bei der Operation verfährt Schlosser folgendermafsen : Nach
Aufklappung der ganzen Nase wurden sämtliche Muscheln und das
Septum excidiert, die innere Wand der Highmorshöhle und der Orbita
bis nahe an das Foramen optici und ein Teil des Nasenfortsatzes des
linken Oberkiefers entfernt, die Siebbeinzellen und die Keilbeinhöhle
eröffnet. Zur Orientierung hatte Schlosser am Röntgenbild die
Entfernung zwischen der knöchernen Nasenwurzel und der vorderen
Wand der S. turcica gemessen; genau dieser Distanz (5,3cm) ent-
sprechend, traf er eine quergestellte dünne Knochenwand, welche sich
mit der Pinzette losbrechen Hess. Die Geschwulst, welche sich nach
Inzision der Dura hervordrängte, wurde mit einem Spatel aus bieg-
samem Blech schichtenweise unter geringer Blutung abgetragen. Die
398 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Höhle in der S. tarcica wurde mit in Pembalsam getauchter Gaze
aastamponiert.
Histologisch erwies sich der Tamor als Adenom.
Irgend welche Ansfallserscheinangen, welche auf den Verlust von
Hypophysisgewebe zu beziehen wären, sind nicht aufgetreten. Da keine
wesentliche Blutung, ausser bei der Ausräumung der Nase, sowie auch
keine Meningitis eintrat, hält Schlosser die Methode keineswegs fQr
ein besonderes Kunststück. Nach einiger Zeit konnte ein stärkeres
Wachstum beobachtet werden. Wann er.
g) Nasenrachenraum,
608. Odgers, N. B. Ein Fall von retro-pharyngealem Fibrom. Brit. med.
Journal, 25. Mai 1907.
Der eigrosse Tumor wurde entfernt nach einer longitudinalen In-
zision längs der Schleimhaut und Enukleation mit dem Finger. Die
mikroskopische Untersuchung ergab ein Angiofibrom mit mehrweniger
abgegrenzter Kapsel. Nach 4 Monaten kein Rezidiv.
609. Janquet, Dr. £. Deux cas de polypes naso-pharyngieus op^r^ par des
inethodes diff<5rentes. La Presse oto-laryngologique Beige 1907, H. 7.
Der eine Tumor wurde nach Resektion der Gesichtsknochen, der
andere auf dem natürlichen Wege und unter Zuhilfenahme von Küretten
abgetragen. Janquet kommt dabei auf den Wert der verschiedenen
Methoden zu sprechen:
Die elektrolytische Methode ist bei schnell fortschreitenden Fällen
nicht brauchbar, da sie sehr langsam ist und eine grosse Zahl von
Sitzungen verlangt. Die galvanokaustische Methode braucht ebenfalls
viel Zeit und ist gefährlich, da die Schorfe eine Quelle der Infektion
und Blutung darstellen. Schnelle Abtragung mit Kürettage auf natür-
lichem Wege scheint trotz der Blutung die beste Methode zu sein, wenn
der Eingriff vollständig ist.
Einen für alle Fälle passenden künstlichen Weg gibt es nicht.
Jeder Tumor ist genau zu untersuchen und der Weg zu ihm nach dem
Resultat der Untersuchung zu wählen. Brandt.
Oaumeu, Bachen- und Mundhöhle.
610. Ponti, Delli G. , Dr., Neapel. Adenocarcinom des Velums und des
Gaumens. La Pratica oto-rino-laryngoiatrica VII. Jahrg., H. 3.
Mitteilung des einschlägigen Falles nebst histologischem Befund,
die verschiedenen am Velum und Gaumen vorkommenden Neubildungen
werden ausführlich besprochen. Rimini.
Gaumen, Rachen- und Mundhöhle. 399
611. Swershewski, L. Harter Schanker der Gaumenmandeln Medizinskoje
Obosrenje 1906, Nr. 22.
Verf. beschreibt 17 Fälle aussergeschlechtlicher Syphilisinfektion
der Mandeln. Charakteristisch für diese Affektionen sind folgende Er-
scheinungen: 1. Einseitige Lokalisation der Erkrankung; 2. einseitige
Vergrösserung und Verhärtung der Lymphdrüsen; 3. harter Grund und
Ränder des Ulcus; 4. lange Dauer der Erkrankung. Sa eher.
612. Hamm, A. und Torhorrt, H., Strassburg i. £. Beiträge zur Pathologie
der Keratosis pharyngis mit besonderer BerQcksichtigung der bakterio-
logischen Verhältnisse. Arch. f. Laryn«rol. Bd. 19, H, 3.
Die Autoren halten die von ihnen gefundenen Kapselbazillen für
die Ursache des Leidens, eine Auffasung, welche durch die Agglutinations-
resultate gestützt zu werden scheint. Die Kapselbazillen zeigten hohe
Tierpathogenität. Die Therapie bestand in einer mechanischen Ent-
fernung der Pfropfe und Pinselung mit Jodglyzerin, von Eicken.
613. Wolf, F. M., Würzburg. Seltene Lokalisation der Mycosis leptothricia
(Nasen- Rachenraum). Arch. f. Laryngol. Bd. 19, H. 3.
Die mäfsig vergrösserte Rachentonsille zeigte sich in dem mitgeteilten
Fall mit kleineren und grösseren Pfropfen dicht besetzt. Auch die Rosen-
müll ersehen Gruben waren nicht frei von ihnen. von Eicken.
614. Sommer, Hermann, Dresden. Ein Lipom der Tonsille. Arch. f. Laryngol.
Bd. 19, H. 3. .
Mikroskopische Beschreibung des Tumors, der eine gelblich weisse
Geschwulst von Haselnussgrösse bildete und vom oberen Pol der rechten
Tonsille entfernt wurde. von Eicken.
615. S c h e i e r , Max, Berlin. Krankheiten der Mundhöhle bei Glasbläsern. Arch.
f. Laryngol. Bd. 19, H. 8.
Sc hei er hat zahlreiche Glasbläser untersucht und bei 6^jq der
Arbeiter eine Erweiterung des Ductus Stenonianus gefunden. Die Backen
werden dadurch zuweilen hochgradig ballonförmig aufgetrieben, zuweilen
auch Emphysem der Backen beobachtet. Die Schleimhaut der Hacken
zeigt oft weissgraue plaqnesartige Schleimhautverdickungen. Die Schneide-
zähne verfärben sich schmutzig grau und werden durch das Festhalten
der Ansatzstücke abgeschliffen. An den Lippen zeigten sich oft Fissuren
und Schrunden. Der Uralang des Halses nimmt durch venöse Stauung
zu. S c h e i e r weist auf die grosse Gefahr der Übertragung von Syphilis
bei Glasbläsern hin, bei denen die Pfeifenansätze von Mund zu Mund
wandern und macht Vorschläge zur Beseitigung dieses Übelstandes.
von Eicken.
Berichte über otologrische Gesellschaften.
Vierzehnte Versammlung des Vereins Süddeutscher
Laryngologen zu Heidelberg. Pfingsten 20. Mai 1907.
(Ans dem Bericht des Seh n'ft : ahrcTs I>r. FelixBlumenfeld -Wiesbaden. ^)
Den Vorsitz der von 88 Mitgliedern besachten Versammlung fQhrte
Herr Professor Lindt (Btrm .
4. Herr Volueii (Frankfort a. M.): Wert der Durchlenclitiuig bei £r-
kranknngen der Stimbdble.
Die Methode, vor 17 Jahren von V. bekannt gegeben, hat sich noch
nicht den Platz erobert, der ihr bei der Diagi.ose der Stimhöhlenerkrankung
gebührt. Alle bekannten diagnostischen Behelfe und Symptome sind unsicher^
event. nicht in allen Fällen anwentibar. wie z. B. die Sondierung, Aus-
spülung. Der Grun«l2edanke der V. bei der Durchleuchtung leitete, war
von der Ba<is aus die horizontale und vertikale Ausdehnung der Stirnhöhle
dadurch sichtbar zu machen, dass wir gut abgeblendetes Licht in die Höhle
senden: hierzu i^t allerdiuiis ein uutes Instrumentarium, das es gestattet,
vollkommen abseblentletes Lieht in die Stirnhöhle zu werfen, unbedingt
erforderlich. Die Durchlenchtung der Stirnhöhle von der vorderen Wand aus
leistet nicht dasselbe >\ie die von der Ha^is aus. doch ist sie als Ergänzung
der Vohsen scher. Methode unter Umständen von Wert, da sie z. B. Aus-
kunft geben kann über die sa^ittale Austlehnung der Stirnhöhle.
V. hat eine neue Dnrohleuchtuu'jslau pe bei 0. E b e r t - Frankfurt a. M,
konstruiert, deren wichtigster Teil für ihese Zwecke die Kappe zum Abblenden
ist; sie muss exakt schliessen, sie muss ge>tatten, dass der Leuchtkörper
dicht unter die obere Öffnung tritt, ihr gut abgerundeter Rand muss so
gearbeitet sein, dass er auch bei starkem Druck beim Aufsetzen — und ein
solcher i?t nötig — keine Schmerzempfindung veranlasst. Eine den Verhältnissen
des betreffenden Teiles des Orbitaldaches sich richtig anpassende Lampe ist
ebenso unerlässlich zum Gelingen der Durchleuchtung, wie absolute Ver-
dunkelung des Untersuchungsraunies. Die Untersuchungsmethode erfordert
eine genaue Beachtung gewisser technischer Feinheiten (Einschalten des
Lichts etc.) wie auch eine Gewöhnung des Auges an die Abstufungen der
Helligkeit, die erworben sein will. Die Methode Gerbers, der 2 Vohsen sehe
Durchleuchtungsapparate zugleich anwendet, um Vergleiche der Helligkeit
anstellen zu können, ist nicht durchführbar. Es kommt auch auf die
Helligkeitsunterschiede allein nicht an, vielmehr ist Vohsens Durchleuchtung
auch noch in anderer Weise zur Diagnose zu verwerten, nämlich in Bezng
auf die Stellung des Septums. Überschreitet der gleichmäfsig durchleuchtete
Bezirk stark die Mittellinie, so ist mit Fehlen ^des Septums zu rechnen, wenn
die andere Seite bei der Durchleuchtung dunkel bleibt; auch auf die Stellung
1) Die Verhandlungen erscheinen ausführlich bei A. Staber, Würzbnrg.
Vierzehnte VersammJ. d. Vereins Süddeutscher Laryngologen zu Heidelberg. 401
des Septums und auf Verschiedenheiten der Grösse bei der Stirnhöhle lässt
sich aus der Durchleuchtung schliessen.
Der Durchleuchtung steht die Röntgendurchstrahlung im sagittalen
Durchmesser nicht überlegen gegenüber; auch hier fällt, wie das auch für
die Durchleuchtung der Fall ist, die Dicke der Knochenwandungen im Gewicht,
sowohl die der hinteren wie der vorderen, während bei der Durchleuchtung
nur die Dicke der vorderen Wand von Bedeutung ist. V. ist der Ansicht,
dass das kostspieligere und umständlichere Röntgen verfahren für die Diagnose
der Stirn höhlenerk rankungen keinerlei Vorzüge hat; das gleiche gilt von
der Sondenkontrolle durch Röntgenstrahlen nach Sehe y er. V. resümiert:
>Die Durchleuchtung nach meiner Methode ist bei latenten Erkrankungen
der Stirnhöhlen eiiies der wichtigsten diagnostischen Hilfsmittel. Sie kann
von der Meyer' sehen Modifikation unterstützt, von der Röntgendurchstrahlung
in sagittaler Richtung ersetzt werden. Letztere aber zeigt bis jetzt keine
Überlegenheit gegenüber meiner Methode; wohl fixiert sie im Radiogramra
dauernd den Eindruck, dagegen entfallen bei ihr die wichtigen Symptome der
Septumdurchleuchtung. «
5. Herr Oppikofer (Basel): Mikroskopische Befunde von Nebenhöhlen-
schleimhänten bei chronischem Empyem.
Bis jetzt wurde auf Veranlassung von Herrn Professor Siebenmann
die Schleimhaut von 100 chronisch eiternden Nebenhöhlen untersucht, einige
Präparate werden vorgelegt. Plattenepithel wurde unter diesen Fällen über-
raschend häufig gefunden, unter hundert Fällen 35 mal und zwar in
(SO Kieferhöhlen 27 mal
22 Stirnhöhlen 7 mal
10 Siebbeinzellen 1 mal.
Bei den einzigen zwei Keilbeinhöhleneiterungen, die 0. untersuchte, fand
sich nur Zylinderepithel. Das Plattenepithel ist vorwiegend nur auf einige
Teile der Schleimhaut beschränkt, nur selten war die Metaplasie ausgedehnt.
Wichtig war das Resultat einer Untersuchung der Stirnhöhlenschleinihaut, die
man makroskopisch für akut entzündet hätte halten können, doch zeigte das
Präparat dickes Plattenepithel mit Verhornung. Die Metaplasie kommt
also, wie (). sich an 65 Fällen akuter Nebenhöhleneiterung überzeugen
konnte, bei der akuten Form nicht vor. Plattenepithel in einem gewonnenen
Scbleimhautstück einer Nasenhöhle lässt also einen Schluss auf den Charakter
der Eiterung insofern zu, als das Vorhandensein von Plattenepithel auf
chronische Eiterung deutet, das Fehlen desselben schliesst aber solche nicht
aus. — Bemerkenswert ist, dass das Plattenepithel sich ebenso wie in der
Nase namentlich auf der Höhe einer Schleimhautfalte findet Ein Präparat
(durch Operation nach Luc gewonnen) zeigte beginnendes Karzinom, das
auf die Schleimhaut beschränkt war; die sorgfältige Auskratzung der Schleim-
haut — die Diagnose Karzinom wurde erst später gestellt — hat ein Recidiv
verhütet. Ausserdem fand sich hier ein Kalkconcrement.
Eine strenge Einteilung der Nebenhöhleneiterungen in solche von oede-
matösem und solche von fibromatösen Typus erwies sich als nicht durchführbar.
6. Herr Denker (Erlangen) : weitere Erfahrungen über die Badikaloperation
des chronischen Kieferhöhlenempyems.
Vor zwei Jahren publizierte Denker drei Fälle von hartnäckigem,
langwierigem Empyem der Kieferhöhle, die nach seinem Verfahren operiert
402 Vierzehnte Versamml. d. Vereins Süddeutscher Lary ngologen zu Heidelberg.
und geheilt sind; diesen schliessen sich 15 weitere an, die zur Operation
kamen, ohne dass etwa eine Erweiterung der Indikation auch auf leichtere
Fälle stattgefunden hätte, vielmehr handelte es sich auch hier um Fälle, die
sich einer konservativeren Behandlungsweise als unzugänglich erwiesen hatten.
In einem Falle wurde (als kürzeste) Dauer des Bestehens ^1^ Jahr angegeben,
in den übrigen Fällen hatte sie mehrere (bis zu 16) Jahre gedauert. Das
Verfahren, welches D. einschlägt, ist eine Kombination der Operation von
Luc-Bönninghaus mit den Vorschlägen von Friedrich und Kretsch-
mann, bei welchem nach primärem Verschluss der oralen Wunde die Nach-
behandlung durch die Nase vor sich geht. Die Tampons liegen bis zum 3. — 4.
Tage, vom 10. Tage an Ausspülungen von der Nase aus mit Hilfe eines
weiten, gebogenen Glasrohres und Borsäure-Insufflationen.
In den meisten Fällen konnte die erkrankte Schleimhaut der Kiefer-
höhle erhalten werden, sodass am Schluss der Operation fast die ganze
Wundhöhle mit Ausnahme der fazialen Wand mit Epithel bedeckt war; D.
glaubt, dass durch dieses Vorgehen die Heilungsdauer wesentlich abgekürzt
werden kann. Nur in den Fällen, wo die degenerierte Schleimhaut das
Lumen der Höhle fast gänzlich ausfüllte, wurde sie gründlich entfernt
und die Heilung durch Granulationsbildung angestrebt. Durchschnittlich
wurden die Patienten 16^2 Tage nach dem Eingriff entlassen, die längste
Dauer der Nachbehandlung betrug 30 Tage, die kürzeste 6 Tage, wobei zu
bemerken ist, dass die Kranken besonders in der ersten Zeit länger als
eigentlich erforderlich zur Beobachtung in der Klinik behalten wurden.
Der Heilungsverlauf war immer glatt, Störungen von seiten des Tränen-
apparats wurden nicht beobachtet, auch kein Ausfallen von Zähnen.
In allen Fällen wurde Heilung erzielt, der Geruch verlor sich, die
Eiterung sistierte und bei der Kontrolle ergab sieb, dass kein ReT^idiv auf-
getreten ist. In Übereinstimmung hiermit stehen anderweitige mit D.s Ver-
fahren gemachte Erfahrungen. Wenn Cordes vorschlägt, die partielle
Resektion der mittleren Muschel zu unterlassen, da er Borkenbildung fürchtet,
und deshalb die orale Wunde teilweise offen lassen will, um von da aus den
Tampon zu entfernen, so ist dem zu entgegnen, dass diese Befürchtung sich
nach eingehenden Nachforschungen D.s als unbegründet erwiesen, ebenso wie
die weitere Befürchtung, dass Neigung zu Katarrhen auftrete. Bei den
letzten Operationen wurde nur etwa das vordere Drittel der unteren Muschel
entfernt, hierauf ist im Interesse des vollkommenen Verschlusses der oralen
Wunde nicht zu verzichten.
Diskussion zu Vortrag 4, 5 und 6.
Herr von Eicken tritt dafür ein, die orale Wunde nicht zu nähen.
Herr Brünings hebt die Vorzüge des Röntgen Verfahrens für die
Diagnose der Stirnhöhle hervor.
Herr Denker und Vohsen Schlusswort.
7. Herr Katz (Kaiserslautern): Demonstration eines neuen elektromedi-
zinischen TTniversalapparates für das ärztliche Sprech- und
TJntersuchungszimmer.
Auf Veranlassung der vereinigten Elektrotechnischen Institute Frankfurt-
Aschaffenburg konstruierte K. einen höchst kompendiösen Apparat, der allen
Anforderungen des Laryngo-Otologen entspricht. Durch Verlegung aller
r
Vierzehnte Versamml. d. Vereins Süddeutscher Laryngologen zu Heidelberg. 403
staabfangenden Teile in das innere des Tisches ist es gelungen, das Äussere
nur aus Glas und Metall zu konstruieren, sodass den äussersten Forderungen
der Asepsis entsprochen wird.
12. Herr Kander (Karlsruhe): Meningitis beim Keilbeixüiöhlen-Empyem mit
Ansgi^ng in Heilung.
Im Anschluss an einen früher beschriebenen Fall von Keilbeinhöhlen-
empyem, der durch Vermittelung einer eiterigen Meningitis zum Exitus kam
(Beitr. z. Klin. Chir. Bd. 35) berichtet K. von einem solchen, der durch
Behandlung des Empyems geheilt wurde.
Es handelt sich hier um einen Fall, in dem ausgehend von einem
Empyem der linken Keilbeinhöhle eine Infektion der Meningen, eine eitrige
Meningitis entstanden ist. Sie ist direkt nachgewiesen durch das positive
Ergebnis der Lumbalpunktion. (Eiter und Kokken im Liquor cerebrospinalis).
Als Ausdruck der Meningitis fand sich ausgesprochene Nackenstarre, rasender
Kopfschmerz, Muskelhyperästhesie, Bewusstseinsstörungen, Lähmungszustände
bald des rechten, bald des linken Fazialis, Erbrechen, Pupillendifferenz, ophthal-
moskopisch Neuritis optica und schliesslich Fieber mit unregelmäfsigem Verlauf.
Mit der Beseitigung des Empyems der Keilbeinhöhle verschwanden diese
sämtlichen Erscheinungen. Es war also die Keilbeinhöhle die einzige Stelle,
von der aus die Infektion der Meningen statt hatte.
13. Herr Georg Avellis (Frankfurt a. M.): örtliche seröse Meningitis bei
aknter Keilbeineiterung mit Spontanheilung.
25 Jahre alte Kranke nach Influenza mit hohem Fieber und starken
Kopfschmerzen bietet die Erscheinungen eines akuten Keilbeinempyems links,
übrige Höhlen frei. Augenerscheinungen: Temporale Seiten beider Papillen
verwaschen, die Papillen hochrot, die Venen hyperämisch, weiterhin Ab-
duzensschwäche links, Okulomotorius, Pupillenreaktion intakt. Heilung mit
sehr langer Rekonvaleszens. Die Diagnose: Seröße Meningitis begründet A. :
Zu der sicher festgestellten Keilbeinhöhleneiterung links kommen folgende
Begleitsymptome: Ödem der linken Augenlider, Hyperämie der temporalen
Papillenhälfte beiderseits, Anschwellung der Venen des Augenhintergrundes,
Abduzensparese bei Ausfall eines Fixierpunktes. Der Okulomotorius wird
frei geblieben sein, da die Pupillenreaktion nicht gestört war. Die
spätere Unmöglichkeit zu lesen und zu schreiben kann auf die Entkräftung
zurückgeführt werden. Alle diese Erscheinungen können nur durch die An-
nahme einer zirkumskripten Meningitis in der Gegend des Sinus cavernosus
erklärt werden.
14. Herr Theophil Hug (Luzern): Über einen Fall von akuter Leukämie
mit Exitus nach Adenotomie.
Das dreijährige sehwächlich aussehende Kind hatte erheblich vergrösserte
Kachen- und Gaumenmandeln, deren Aussehen nichts Besonderes bot, Ent-
fernung der Adenoiden ohne Narkose, keine Nachblutung, etwa 8 Tage
grosse Schwäche, Vergrösserung von Leber und Milz, hier und da kleine
Petechien. Nach weiteren 8 Tagen Exitus, eine 16 Stunden vorher geraachte
Blutuntersuchung ergab einen für akute liCukämie typischen Befund, der
auch durch die Sektion bestätigt wurde. Es ist wahrscheinlich, dass eine
latente Leukämie schon vorher bestand. Auffällig ist, dass eine stärkere
Blutung nach der Adenotomie fehlte.
404 79. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Dresden.
79. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte
in Dresden, 15. — 21. September.
Abteilung für Ohrenheilkunde.
Bericht von Dr. Juat in Dresden. '
Nach den üblichen Empfangsfeierlichkeiten konstituierte sich die Sektion
für Ohrenheilkunde am 16. September Nachmittags in der Technischen
Hochschule. Der Einführende, Herr Wiebe, begrüsste die anwesenden
Otologen und empfahl, dass die eigentlichen Sitzungen und die Erledigung
der angemeldeten Vorträge auf den 17. Sept. Nachmittags verschoben würden,
damit den Anwesenden Gelegenheit gegeben wäre, an den Sitzungen der
laryngologischen Sektion, die gleichzeitig mit der Deutschen Laryngologischen
Gesellschaft tagte, teil zu nehmen. Am 17. Sept. Nachmittags fand eine
gemeinsame Sitzung mit der Sektion der Ophthalmologen und Laryngologen
statt unter dem Vorsitz der Herren Schmidt-Rimpler, Chiari und
Kümmel, in der Herr Mann, Dresden, seinen Vortrag über Orbitalphlegmone
bei acuter Otitis media hielt.
Er berichtet über eine Orbitalphlegmone, die zu einer Otitis media und
Mastoiditis derselben Seite hinzutrat und durch Eröffnung des Antrums
geheilt wurde. Der Vortragende bespricht die Schwierigkeit, der Differential-
diagnose dieses Falles und erörtert die Möglichkeiten . durch welche die
Miterkrankung der Orbita zustande gekommen ist.
Möglich sei erstens, da der Otitis media eine Angina lacunaris voraus-
ging, eine Infektion des Orbitalgewebes von der Tonsille her durch die
Flügelgaumengrube und die Fissura orbitalis inferior. Die zweite Möglichkeit
sei die, dass sowohl Otitis media wie Orbitalphlegmone auf dem Wege der
Blutbahn entstandene Metastasen der Angina waren. In der Blutaussaat
waren Streptokokken gewachsen. Als dritten möglichen Weg betrachtet Herr
Mann folgenden: Die Angina verursachte eine Otitis media und diese durch
Vermittelung des nahe der Vorderwand des Mittelohres gelegenen Plexus
venosus der Carotis interna eine Thrombose des Sinus cavernosus.
Der Vortragende glaubt aber aus dem überraschend günstigen Erfolge
der W'arzenfortsatzeroffnung schliessen zu dürfen, dass keine der drei
Eventualitäten vorlag, sondern dass sich vom Kuppelraum aus entweder durch
Gefässkanäle oder knöcherne Dehiszenzen ein entzündliches (')dem bis auf
den Inhalt des Canalis caroticus erstreckt hat. Die seröse Durchtränkung
des perivaskulären Gewebes hat bei der Unnachgiebigkeit des knöchernen
Kanales einerseits und der Festigkeit der Carotis andrerseits zu einer
Strangulierung des gesamten Venenplexus geführt. Von liier aus setzte sich
die Stauung bis auf den Sinus cavernosus und die Venae ophthalmicae fort.
Als durch die Antrumeröfinung dem Eiter freier Abfluss geschaffen war,
seien mit dem kollateralen Ödem zugleich die Stauungserscheinungen der
Orbita verschwunden.
Diskussion:
Herr El sehn ig zweifelt daran, dass eine Stauung im Sinus cavernosus
Orbitalerscheinungen der geschilderten Art veranlassen könne. Eigene und
anderer Autoren Versuche sprechen dagegen. Nur Phlebitis, die bis auf die
Orbitalvenen übergriffe, bewirke das Bild einer Orbitalphlegmone. Er glaubt,
dass in Manns Falle Periostitis vorgelegen habe.
79. Versaramlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Dresden. 405
Her Schirm er schliesst sich durchaus den Bedenken Elschnigs an
und erinnert speziell daran, dass selbst die marantische Thrombose des
Sinus cavernosus so gut wie niemals zu Exophthalmus und Lidödem führe.
Auch er nimmt eine echte Entzündung an und schliesst aus dem prompten
Erfolge des operativen Eingriffs, dass toxische Substanzen aus dem Mittelohre
in die Orbita gelangt seien.
Sitzung am 17. September nachmittags.
Vorsitzender: Prof. Kümmel, Heidelberg.
Herr Friedrich (Kiel): Farbige Photographien der Labyrinthe eines
Tanbstnnunen.
Herr Friedrich demonstrierte einige nach Lumiere farbig photo-
graphierte, mikroskopische Präparate von den Labyrinthen eines Taubstummen.
Der Fall ähnelt dem Denkerschen Falle. (Anatomie der Taubstummheit,
Heft IV.)
Die Labyrinthfenster warem ohne Besonderheiten, was mit dem normalen
Befunde im Mittelohre übereinstimmte. Dagegen ergab sich eine Atrophie
des Cortischen Organs, die am stärksten in der basalen Windung entwickelt
war und nach der Spitze allmählich abnahm, ohne dass jedoch auch dort
die epitheloiden Zellen den Charakter der cochlearen Sinneszellen erkennen liessen.
Zeichen von überstandenen Entzündungen waren nicht vorhanden. Die
Innenräume des Labyrinths erschienen normal weit. Die R eis sn er sehe
Membran war straff gespannt. Die Stria vascularis gut entwickelt. Die
nervösen Elemente der Schnecke, die Nerven im Modiolus, die Ganglienzellen
waren degeneriert. Ektasien oder Kollapszustände des häutigen Labyrinths
fehlten.
Friedrich sieht die geschilderten Veränderungen nicht als P^nt-
wickluDgshemmung an, sondern als Produkte einer degenerativen Neuritis
und wendet sich gegen die allzu freigebige Aufstellung von > Typen« der
Anatomie der Taubstummheit. Er ist der Ansicht, dass mit dem Fortschreiten
unserer Kenntnisse auf dem Gebiete der pathologischen Histologie des Labyrinths
wir viel häufiger als früher an den Taubstummenohren wohlcharakterisierte
anatomische Rückstände von Krankheiten erkennen werden» und dass die
auf Bildungshemmung zurückgeführten Fälle immer seltener werden. Zum
Schlüsse gibt Herr Friedrich einige Winke in Bezug auf Technik der
Farbenphotographie und empfiehlt das Verfahren als Ersatz für die mühsame
Herstellung farbiger Abbildungen.
Diskussion:
Herr Panse betonte, dass folgende zweifellos pathologische Ver-
änderungen in den Präparaten von Herrn Friedrich nachweisbar seien:
Fixierung der verlagerten R e i s s n e r sehen Membran durch Bindegewebe,
Verlagerungen der Ansatzstellen und Überwachsen der in den Sulcus spiralis
hinein verlagerten Cortischen Membran durch eine Epithellage.
Herr Herzog wies bezüglich der Ätiologie des Falles darauf hin,
dass die Lageveränderungen der R. M. wohl als Residuen von entzündlichen
Prozessen aufzufassen seien. Seiner Ansicht nach seien die Verschiebungen
der häutigen Teile auf eine frühii.- Labyrinthitis zurückzuführen.
406 '79. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Dresden.
Herr Friedrich bemerkt in seinem Schlusswort, dass er, entgegen
den Anschauungen des Herrn Herzog keine entzündlichen Bindegewebs-
nenbildungen innerhalb der Schnecke habe finden können.
Herr Herzog (München): Lageveränderungen des Mutigen Labyrinthes
bei entzündlichen Erkrankungen des Labyrinthinnem.
Herr Herzog berichtet über Ektasien oder Kollapszustände des häutigen
Labyrinthes bei 5 Fällen eigner Beobachtung und demonstriert mikroskopische
Präparate dieser Veränderungen. Es handelte sich durchgängig um mit
tuberkulösen Mittelohreiterungen behaftete Individuen, die kurz vor ihrem
Tode ertaubt waren, und deren Hörvermögen intra vitam genau geprüft
worden war.
Die mikroskopischen Bilder des Labyrinthinnem konnten pathologisch-
anatomisch entweder als Anfangsstadien oder als Residuen einer mildverlaufenden
Entzündung betrachtet werden.
Mit diesen Formen der Labyrinthitis verbunden wiederholten sich die
Befunde von Ektasie oder Kollapszuständen in einer derartigen Regelmäfsigkeit,
dass Herr Herzog hieraus ihre Abhängigkeit von der Entzündung selbst
annimmt. Der Vortragende erklärt das Zustandekommen dieser Veränderungen
folgendermafsen : Bei Entzündungen kommt es zu einer erheblichen Störung
der osmotischen Druckkonstanz. In den erwähnten Fällen bilde das eitrig
erkrankte Mittelohr den zentralen Herd, das Labyrinth die äussere Zone
eines entzündlichen Ödems. Der Druck steigere sich durch Hyperämie und
vermehrte Transsudation, und sobald die Volumenzunahme der Flüssigkeit
durch die physiologischen Ausgleichsvorriehtungen nicht mehr kompensiert
werden könne, bilde das ganze Höhlensystem einen abgeschlossenen Raum,
dessen Wände unter erhöhtem Innendruck stehen. Dadurch, dass die ent-
zündlichen Ausscheidungen von den verschiedensten Seiten aus erfolgten,
müssten Druckschwankungen des Labyrinthwassers enstehen, die Verschiebungen
und Zerrungen der gespannten feinen Membranen bedingten.
Warum es in einzelnen Fällen zu einer Auftreibung nur des endolym-
phatischen, in anderen Fällen nur des perilymphatischen Sackes käme, sei
nicht ohne weiteres zu entscheiden. Wahrscheinlich kämen die Abfiussverhält-
nisse der Lymphe durch den Aquaeductus Cochleae dafür in Betracht. Die
regulatorische Funktion der Wasserleitung könne vollkommen ausgeschaltet
werden, wenn abgestossene, gequollene Endothelien die Mündung des Aquae-
duktes verstopften. Andrerseits könne der endolymphatische Druck durch
eine starke Absonderung aus der Stria vascularis erheblich vermehrt werden.
Ektasien des häutigen Labyrinthes seien bei direkten Labyrinth-
eitcrungen, die meist stürmisch verlaufen und zu den schwersten Zerstörungen
führen, niemals beobachtet worden, sondern nur bei den Frühstadien der
durch Mittelohrtuberkulose hervorgerufenen Labyrinthitis, die einen langsam
fortschreitenden Prozess darstelle.
Diskussion:
Herr Kümmel bittet bei Urteilen über Lageverschiebungen im Labyrinth
zu berücksichtigen, dass die Membranen des Labyrinths durch verschiedene
Dicke und Konsistenz komplizierte Verhältnisse bedingen, dass ferner die
Zirkulationsverhältnisse im Ductus peri- und endolymphaticus noch wenig
bekannt seien und dass alle diese Unklarheiten bei der einfach mechanischen
Erklärung von Lageveränderungen zur Vorsicht mahnten.
79. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Dresden. 407
Herr Friedrich trägt Bedenken, den anatomischen Befunden von
Verlagerungen der Reissn ersehen Membran eine zu grosse Bedeutung bei-
zulegen. Die theoretischen Erklärungen über Druckschwankungen im endo-
und perilymphatischen System bei Entzündungen könnten nicht befriedigen,
besonders sei es fraglich, ob man den Begriff der Osmose zur Erklärung
heranziehen könnte.
Herr Herzog weist noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass seine
Deutungsversuche keine endgiltigen Erklärungen darstellen sollten. Allerdings
seien Lageverschiebungen der R. M. mit grösster Vorsicht aufzunehmen,
wenn aber auf dem einen Bild eine mächtige ballonförmige Auftreibung des
Sacculus zu sehen sei, dessen Wand bindegewebig an die Fussplatte fixiert
sei, und daneben der zusammengefallene Utriculus, so könne wohl von einem
Artefakt hier keine Rede sein. In dem nämlichen Präparate findet sich
wiederum eine Schlängelung der R. M. Alle diese Veränderungen auf die-
selbe Ursache zurückzuftQiren, sei jedenfalls das Nächstliegende.
Herr Fanse (Dresden): Präparate zur Histologie der Labyrintherkrankungen.
(Selbstbericht.)
I. Tuberkel in der Schnecke.
n. Knochenwucherung in den Fenstern bei Cholesteatomtaubheit (mit Dege-
neration des Cortischen Organs),
in. Blutungen in Akustikus und Schnecke bei Milzbrand.
IV. Exsudate ebenda bei Leukämie.
V. Meningitis nach Trauma durch Labyrinth und Fenster in die Pauke dringend.
VL Kolossaler Hydrocepbalus ohne Depression der R e i s s n e r sehen Membran.
Vn. Meningitis epidemica mit Degeneration des Cortischen Organs.
Herr Eeinking (Breslau): Über die operative Behandlung der Labyrinth-
eitemngen.
Von den an der Breslauer Üniversitäts-Poliklinik geübten diagnostischen
Methoden haben die von Steinschen statischen und dynamischen Versuche,
sowie der Goniometer die sichersten Anhaltspunkte für das Bestehen von Aus-
fallserscheinungen seitens des statischen Apparates gegeben. Zirkumskripte
Eiterungen werden nach Ausführung der Radikaloperation exspektativ behandelt.
Diffus eiterig erkrankte Labyrinthe, bei denen sich bei der Radikaloperation
ein Defekt an der Labyrinthwand nachweisen lässt, werden nach der Methode
Hinsberg eröffnet. Die Resultate der Breslauer Klinik sind gut. 2 6 mal
wurde in unkomplizierten Fällen das Labyrinth eröffnet. Keiner der Patienten
starb. Von 19 ohne weitere Komplikationen zur Beobachtung kommenden
Labyrintheiterungen, bei denen das Labyrinth nicht eröffnet wurde, starben 5.
In einem dieser Fälle wurde das Labyrinth erst nach dem ersten Anzeichen
der Meningitis eröffnet, doch Hess sich der tödliche Ausgang nicht mehr
abwenden. Auch nach Eröffnung des Labyrinths kann infolge Sequester-
bildung noch Meningitis eintreten. Seitdem an der ßreslauer Klinik regel-
mäfsig vor der Radikaloperation auf Labyrinthsymptome und während der
Operation auf Infektionspforten an der Labyrinthwand gefahndet wird, sind
Überraschungen durch postoperative Meningitis nicht mehr vorgekommen.
Diskussion:
Herr Kümmel hat auch keine postoperative Meningitis mehr gesehen,
40S 'i^- Versammlung deutscher Naturforscher und Arzte in Dresden.
seit er eine genaue Prüfung auf Labyrintherkraukung regelmäfsig jeder Radikal-
operation vorausg('hen lässt.
Herr Friedrich hält daran fe>t. dass ein eiterig erkranktes Labyrinth
geöffnet werden muss, die Prognose aber stets vorsichtig zu stellen ist.
Herr Eronenberg (Solingen): Zar Ätiologie des Othämatoms.
Die Pathologie des Othämatoms ist in den letzten Jahren entschieden
gefördert worden besonders durch Versuche von Voss, der nachwies, dass die
Geschwulst durch tangentiale Gewalt entsteht, wobei es nicht darauf ankommt,
dass ein starkes Trauma einwirkt. Die Stärke kann ersetzt werden durch Wieder-
holung einer mäfsigen Gewalt (Reiben von Kaninchenohren zwischen den Fingern).
Ätiologisch sind dagegen die meisten Fälle unklar. Ein bestimmtes
Trauma ist selten nachweisbar. K. sah nur zwei F'älle, in denen er die Art
der Gewalteinwirkung sicher feststellen konnte, einmal einen Heizer, der mit
der Kohlenschaufel die Ohrmuschel streifte, und das andere Mal einen Pflasterer,
der beim Tragen der > Ramme« auf der Schulter ein Othämatom acquirierte.
Hei Geisteskranken sitzen die Othämatome bekanntlich meist linksseitig.
Im Gegensatz dazu wird bei geistig Gesunden diese Erkrankung ebenso oft
oder noch öftei- rechts beobachtet. Daher kommt es, dass man noch vielfach
eine idiopathische Entstehung annimmt.
K. beobachtete mehrere Fälle, in denen das Hämatom mit Sicherheit
in der Nacht während des Schlafes entstanden war, und vermutet, dass hierbei
der Kopf auf der eingeknickten Ohrmuschel, auf dem untergeschobenen Arm
oder einer anderen festen Unterlage gelegen hat, so dass durch die stunden-
lange Einwirkung eines schwachen Traumas die Geschwulst entstand. Er hat
sich überzeugt, dass schon durch kurz dauerndes Auflegen in der beschriebenen
Art stundenlang Wärme und Rötung an der Ohrmuschel entsteht. K. glaubt,
dass eine Reihe der bisher als idiopathisch bezeichneten Othämatome dem
beschriebenen Vorgang ihre Entstehung verdanken, wenn auch zuzugeben ist,
dass eine Disposition dazukommen kann.
Diskussion:
Herr Rudi off erwähnt, dass unter den Patienten, die er in den
letzten Jahren wegen Othämatom behandelt habe, sich ein auffallender Prozent-
satz von Syphilitikern befände. P^r habe daran gedacht, das^ die liUes in der
Ätiologie des Othämatoms eine Rolle spielen könne. In der Literatur fände
sich darüber keine Angabe. Er möchte aber an den Herrn Vortragenden die
Anfrage richten, ob er dieselbe Beobachtung gemacht habe.
Herr Katz führt einen Fall von Othämatom an, der durch tangentialen
Insult hervorgerufen worden sei. Als Therapie empfiehlt er einfache Inzision
unter Beobachtung peinlichster Asepsis. P^ntzündungen wären meist auf sekundäre
Infektion zurückzuführen. Herr Katz weist ferner darauf hin, dass die
Othämatome in den Irrenanstalten selbst entstehen.
Herr Barth kennt einen Fall, wo bei einem kleinen Kinde, das häufig
beim Spielen die Ohrmuschel zusammenknickte und in den Gehörgang zu
stecken pflegte, auf beiden Seiten ein starkes Hämatom entstand.
Im Schlusswort erwidert Herr Krone nberg Herrn Katz, dass die
Othämatome Geisteskranker auch heute noch häufig zu linden seien und zwar
meist als Resultate der Misshandlung durch Wärter, das sei ja bekannt.
Herrn Rudioffs Beobachtung, dass viele Träger von Othämatomen früher
an Lues gelitten haben, bestätige sich an seinen P'ällen nicht. Er hält es
79. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Dresden. 4()&
aber immerhin für möglich, dass durch luetische Gefässveräuderungen die
Disposition zu Othämatom wachse. ^
Herr Beinking (Breslau): Über Himprolapse in der Oto-Bhino-Chimrgie.
Herr Reinking teilt 4 Fälle aus der Breslauer Universitäts-Poliklinik
mit. Im ersten Falle trat nach Stirnhöhlenoperation und Eröffnung eines
Stirnhirnabszesses ein Prolaps von Hirnsubstanz ein. Exitus infolge Durch-
bruchs in den Ventrikel und Meningitis.
Im zweiten Falle Prolaps 14 Tage nach Eröffnung eines Kleinhirn-
abszesses. Oberfläche wurde gangränös. Exitus nach 6 Wochen.
Im dritten Falle wurde die Dura des Grosshirns wegen otogener
Meningitis inzidiert. Sofortiges starkes Prolabieren, nach Abtragung von
Neuem. Der Druck, mit dem sich das Gehirn an die Ränder der Trepa-
nationsöffnung anlegte, Hess keinen Tropfen Liquor abfliessen.
Ein vierter Fall von Hirnprolaps wurde nach diagnostischer Inzision ins
Kleinhirn beobachtet. Der Prolaps epidermisierte sich allmählich, retrahierte
sich jedoch nicht, sondern bildete merkwürdigerweise nach Jahren noch
Fisteln, aus denen Liquor cerebrospinalis abfloss.
Die Therapie des Hirnprolapses verlangt möglichste Asepsis. Stört der
Prolaps bei der Nachbehandlung und begreift er keine Gebiete des Gehirns ein,
deren Entfernung Ausfallserscheinungen bedingt, so empfiehlt sich seine Abtragung.
Diskussion:
Herr Pause hält den Hirnprolaps für den Ausdruck einer Encephalitis,
entweder in Form eines Hydrocephalus internus oder einer Entzündung des
Gehirns. Hydrocephalus externus liefe beim Einschneiden der Dura ab. Bei
Hydrocephalus internus würde Lumbalpunktion zu empfehlen sein, gegen Ent-
zündung der Himsubstanz seien wir machtlos. Er würde Bepulvern mit Acid.
boric. 4. Jodoform 1. empfehlen.
Herr Barth meint, dass grössere Prolapse, die längere Zeit bestehen,
leicht an der Oberfläche eintrockneten. Bestände ein Prolaps längere Zeit,
so sei von seiner Oberfläche aus kaum noch eine Infektion zu befürchten.
Er habe bei den nicht gerade häufigen Fällen, wo ein Prolaps abgetragen
wurde, keine starke Blutung gesehen. Bei starkem Prolaps fände sich bei
der Autopsie die entsprechende Hirnhemisphäre verkleinert und die Gyri
zögen radienähnlich nach dem Prolaps hin.
Herr Kümmel führt aus, dass die Himprolapse nach Hirnabszessen
zumeist von einer fortdauernden Encephalitis herrührten, welch letztere zweifellos
oft durch den Reiz eines Drainrohres herbeigeführt werde. Er rät, kein
Drainrohr anzuwenden, sondern möglichst breit zu eröffnen, dann aber nur
Jodoformgaze locker einzulegen.
Herr Bndloff (Wiesbaden) : Über Plastik naoh Badikaloperation. (Selbstbericht.)
Rudi off hat bei 11 Operierten die Stackesche Plastik mit der Ein-
pflanzung eines vom hinteren Rande der retroaurikulären Hautwunde gebildeten
Lappens kombiniert und den retroaurikulären Hautschnitt geschlossen, nachdem
er zuvor vom Stiele des Lappens die Epidermis abgetragen hatte. Die Vor-
aussetzung war dabei die, dass es auf diese Weise gelingen würde, den Heilungs-
vorgang zu beschleunigen. Nur bei 3 Operierten heilte der eingepflanzte Lappen
vollständig an, bei 4 Operierten wurde der Lappen zum Teil, bei 3 Operierten
in toto nekrotisch. Aus diesem Grunde hat R. das Verfahren nicht mehr geübt.
Zeitschrift fttr Ohrenbeillcaiide, Bd. LIV. 27
410 Bericht über die Yerhandliiiigen der Berliner otologiscben Gesellsehaffc.
Bericht Über die Verhandlungen der Berliner otologischen
Gesellschaft.
Von Ihr. K. lieichtentritt.
Sitzung Tom 13. Norember 1906.
1. Herr Herzfeld stellt einen 15 jährigen jnngen Mann vor. bei dem
bereits 10 Tage nach begonnener Mittelohreiternng die Operation eine
obturierende Sinnstbrombose ergab. An dem Fall ist weiter bemerkenswert
die ophthalmoskopisch festgestellte Stannngspapille, die anf der ohrkranken
Seite weniger stark aasgebildet war. wie anf der obrgesonden. sowie der
bakteriologische Befund des Eiters. Während der aus dem Sinus entnommene
Eiter Reinkulturen von Streptokokken aufwies, zeigte der bei der Operation
dem Ohr entnommene solche von Staphylococcus pyogenes aureus.
2. Herr SesBons demonstriert mehrere Patienten mit chronischer Mittel-
ohreiterung, bei denen eine Wanderung des zu einer fadenförmigen Borke
eingetrockneten Sekretes von der Mitte des Trommelfells zur Peripherie und
weiter zur oberen Gehörgangswand stattgefunden hat.
3. Herr Wagner demonstriert a) einen 65jährigen Mann mit einem
grossen Tumor des linken Felsenbeins, der seit 35 Jahren besteht; es handelt
sich wahrscheinlich um ein Endotheliom der Dura; b) einen 13jährigen, seit
1 ^jo Jahren schwerhörigen Knaben mit pulsierendem Trommelfell.
4. Herr Herzfeld: VorBtellung eines Patienten mit Fraktur der
vorderen knöchernen Oehörgangswand.
Derselbe hat sich die Verletzung dadurch zugezogen, dass er beim Fallen
mit dem Kinn auf Steinpflaster aufschlug.
5. Diskussion nber 1, 2, 3, 4.
An derselben beteiligen sich die Herren Brühl, Katz, Lucae, Sessons
und Passow.
6. Herr Passow: Zur Othaematomfrage. Erankenvorstellnng und
Demonstration mikroskopischer Präparate.
Vortragender hat nach seinen neueren Beobachtungen die Ansicht, dass
das Otbaematom zumeist traumatischen Ursprungs ist, bestätigt gefunden. Das
gleich gute Resultat, wie mit seiner eigenen Methode, hat er auch in einem
Falle erzielt, den er nach dem Vorgehen französischer Ohrenärzte operiert
hat. Diese eröffnen das Otbaematom durch einen an der oberen Peripherie
der Geschwulst dem Ilelix parallel verlaufenden Schnitt.
In der Diskussion, an der sich die Herren Fliess, Katz und
Herzfeld beteiligen, tritt Herr Katz für die keilförmige Exzision ein^
während Herr Herzfeld dem linearen Schnitt das Wort redet.
Sitznng Tom 8. Jannar 1907.
1. Herr Herzfeld: a) Demonstration einer Nasenschere.
Dieselbe unterscheidet sich von den gebräuchlichen dadurch, dass sie
wesentlich stärker ist.
Bericht über die Verhandinngen der Berliner otolugischen Gesellschaft. 411
b) Yontelliuig eines Zungenakrobaten.
Derselbe ist imstande, mit Leichtigkeit seine Zunge in den Nasen-
rachenraum hineinzubringen, mit ihr die Nasenspitze, ebenso den unteren Rand
des Kinnes zu berühren.
2. Herr Pauow: Plastisclie Operationen:
a) Vorstellung eines Patienten, bei dem vor drei Tagen wegen Othaema-
toms die von den Franzosen geübte Operationsmethode zur Anwendung gebracht
worden ist.
b) Demonstration einer komplizierten plastischen Operation bei einer
Patientin mit Katzenohr.
3. Herr Wagener: Mitteilung über Hystagmus.
Vortragender berichtet über einen Fall von Himabszess, bei dem auf
Grund eines starken, nach der erkrankten Seite gerichteten Nystagmus der
vermutliche Sitz ins Kleinhirn^vei*legt war, während die Operation, und spätere
Sektion einen grossen Eiterherd im Schläfenlappen ergaben. Er schliesst
hieraus, dass dem nach der erkrankten Seite gerichteten Nystagmus differential-
diagnostisch nicht die ihm von anderer Seite beigemessene Bedeutung zukommt.
Diskussion: Die Herren Herzfeld und Schwabach teilen Fälle
chronischer Mittelohreiterung mit Nystagmus mit, ohne dass eine Himkompli-
kation vorlag.
Herr Beyer schliesst sich den Anschauungen des Vortragenden auf
Grund experimenteller Kleinhirnoperationen an, bei denen er nie dauernden
Nystagmus in der als charakteristisch angenommenen Weise beobachtet hat.
Herr Lange will an der Hand des Charitematerials dem geschilderten
Nystagmus nicht ganz die diagnostische Bedeutung absprechen und sieht in
ihm immerhin ein Zeichen dafür, dass in der hinteren Schädelgrube irgend
ein pathologischer intrakranieiler Prozess besteht.
Sitzung vom 12. März 1907.
1. Herr Wagner stellt einen Patienten mit lokalisierten Muskelkrämpfen
der rechten Gesichtshälfte vor, bei denen das auslösende Moment eine chronische
Mittelohreiterung ist.
Diskussion: Herr Lncae.
2. Herr Passow zeigt zwei Fälle von Fraktur des äusseren Gehör-
ganges, bei denen, obwohl schon Jahr und Tag seit der Verletzung ver-
gangen sind, die Risse in der oberen Gehörgangswand deutlich zu sehen sind,
Diskussion: Herr Lucae.
3. Diskussion über den Vortrag des Herrn Max Levy : Die Mortalität
der Ohrerkrankungen und ihre Bedeutung für die Lebensversicherung.
An derselben beteiligen sich die Herren Brühl, Sonntag, Passow
und Lucae, die sämtlich die Statistik des Herrn Levy anfechten, ins-
besondere die von ihm berechnete Mortalitätsziffer für zu niedrig halten.
27*
412 Bericlit über die Verhandl. der St. Petersburger oto-laryng. Gesellschaft.
Bericht über die Verhandlungen der St. Petersburger
oto-lary ngologischen Gesellschaft.
Erstattet von Dr. A. 8 ach er.
Sitzang am 6. Oktober 1906.
1. A. Sacher: Hachweis des Sitzes eines in das Schläfenbein ein-
gedmngenen Projektils mittelst Röntgenstrahlen.
S. demoustriert die Radiogramme des Kopfes eines 19 jährigen jungen
Mannes, der sich vor einem Jahre durch zwei Revolverschüsse zu töten ver-
sucht hatte. Die eine Kugel hat sich Pat. ins rechte Ohr geschossen, die
zweite in die rechte Schläfe. Das Bewusstsein hat Pat erst nach ^g Stunde,
nach der Einlieferung ins Hospital, verloren. In den ersten zwei Tagen
bestanden recht starke Blutungen aus dem Ohre, Schmerzen im Ohre und
Erbrechen. Im Hospital blieb Pat. einen Monat und klagte während dieser
Zeit nur über Schwindel. Eine Operation wurde an ihm da nicht vorgenommen.
Das ganze Jahr hat das Ohr bald mehr, bald weniger geeitert. Die Unter-
suchung des Ohres ergab folgendes : Ohrenmuschel und Gehörgang unverändert,
im letzteren keine Narben nachweisbar. Die vordere Hälfte des Trommelfells
zerstört, mäfsige Eiterung, der Eiter kommt von oben aus einem Fistelgang,
wahrscheinlich aus dem Atticus. Schleimhaut der Trommelhöhle nicht gelockert,
vollkommen glatt und nur am obenerwähnten Fistelgange stösst die Sonde auf
entblössten Knochen. Seitens des Gehirns und der Gehirnnerven keine Er-
scheinungen, Facialis normal. Die Stimmgabeluntersuchung zeigte, dass nur
der schalleitende Apparat affiziert ist, während das Labyrinth vollkommen
intakt blieb. Auf Grund der klinischen '"Symptome und analoger Fälle aus
der Literatur wurde angenommen, dass das Projektil wahrscheinlich im
Becessus epitimpanicus stecken geblieben ist, was durch die Röntgenaufnahme
vollkommen bestätigt wurde. An letzterer sind zwei Kugeln zu sehen: die
eine in der Schläfengegend, ausserhalb der Schädelkapsel, unter dem M. tem-
poralis; die andere in der Pyramide, unter dem Tegmen tympani, wahrschein-
lich im Recessus epitympanicus, hinter dem Canalis pro nervo facialis, welch*
letzterer deutlich zu sehen ist.
2. P. Hellat demonstrierte eine Patientin mit einer Hasencyste.
Die Cyste sass im Nasenflügel, vor dem vorderen Ende der linken
unteren Muschel.
3. M. Litschknss stellte eine Patientin vor, bei der die trockene Perforation
des Trommelfells durch gewöhnliches englisches Pflaster geschlossen war,
wobei eine bedeutende Gehörsverbesserung eintrat. Eine ähnliche Verschliessung
des Trommelfells wurde auch in 5 anderen Fällen ausgeführt; in allen Hess
sich eine Gehörsverbesserung konstatieren und in 3 sogar eine Vernarbung
des Trommelfells unter dem Pflaster.
4. P. Hellat: Über das chronische Spucken.
Aus dem interessanten Vortrage sollen hier nur die Thesen angeführt
werden: 1. Das chronische Spucken beginnt zufällig, am häufigsten nach
Erkrankungen der Mundhöhle. 2. Einen Einfluss hat es vorzugsweise auf
die oberen Luftwege. 3. Der durch das chronische Spucken hervorgerufene
Bericht über die Verhandlangen dee Dänischen oto-lary ngologischen Vereins; 413
Speichelverlast affiziert das Nervensystem und führt nicht selten zu echten
Psychosen. 4. Neurastheniker und Hysterische werden von der Krankheit
häufiger befallen als andere, das chronische Spucken ist aber keine Erscheinung
der Neurasthenie oder Hysterie. 5. Die leichten Grade des Spuckens haben
keine besondere Bedeutung. 6. Die schweren Formen sind der Kacbexia
thyreopriva ähnlich. 7. Die Ercheinungen des chronischen Spuckens lassen
sich durch den Verlust der oxydierenden Oxydose erklären, die, nach Sslowzow,
in der Parotis ausgearbeitet wird. 8. Das Wesen der Krankheit ist eine
spezifische Störung der Gewebsernährung oder der Ernährung der Zelle.
9. Das chronische Spucken ist also eine eigenartige, spezifische Erkrankung
der Ernährung.
Der Vortrag veranlasste lebhafte Diskussion, an der sich zahlreiche
Mitglieder der Gesellschaft beteiligten. Die meisten sprachen sich dahin aus,
dass das chronische Spucken wahrscheinlich nur ein Symptom der Neurasthenid
oder Hysterie ist.
Bericht über die Verhandlungen des Dänischen oto-
laryngologischen Vereins.
Von Jörgen Möller in Kopenhagen.
47. Sitzung vom 24. April 1907.
1. Sohmiegelow : Smusthrombose bei akuter Mittelohreitemng. — Operation.
— JugularisunterbindTing. — Heilung.
Vor 2 Monaten Ohreiterung, jetzt seit 10 Tagen wiedergekehrt, Schwellung
und Empfindlichkeit des Warzenfortsatzes, weshalb vom behandelnden Arzte
Aufmeisslung vorgenommen wurde, er fand jedoch keinen Eiter, nur spärliche
Granulationen ; abends Schüttelfrost, Tp. 40,2. Zwei Tage später wird von S.
die Wundhöhle erweitert und eitrige Sinusthrombose gefunden ; Jugularis wird
oberhalb der Y. facialis unterbunden und Sinus ausgeräumt. Nach der Operation
Gesichtsödem, namentlich rechts.
Diskussion:
Bentzen meint, das Ödem sei durch Verlegung der Oeffnung der
Y. facialis durch den Thrombus im zentralen Teil der V. jugularis hervorgerufen.
Es liegt hierin eine Gefahr der Jugulaiisunterbindung, indem der Blutstrom
der V. facialis sehr leicht Thrombenpartikeln losreissen und so Embolien ver-
ursachen kann.
Schmiegelow ist kein unbedingter Anhänger der Jugularisunterbindung,
doch scheint die Statistik einen etwas grösseren Prozentsatz von Heilungen nach
Ligatur zu ergeben.
2. Mahler: Fall von otogenem Abszess im rechten Temporallappen.
32 jähriger Mann mit rechtsseitiger akuter Mittelohreiterung ohne
Mastoiditis, einige Druckempfindlichkeit in der rechten Schläfengegend, Puls
54-- 62. Alles schien nprmal zu verlaufen, bis er nach 3 Wochen Schmerzen
in der rechten Schläfe bekam, Schwindel und Erbrechen; er magerte schnell
ab, Tp. normal, Puls 42. Bei der Aufmeisslung wurde ein ziemlich grosser
Hirnabszess gefunden; nach weiteren 14 Tagen konnte er das Bett verlassen,
jetzt geheilt.
414 Geselbchaft sächsisch-thüringischer Kehlkopf* und Ohrenärzte zu Leipzig.
Gesellschaft sächsisch -thüringischer Kehlkopf- und
Ohrenärzte zu Leipzig.
Sitzung am 4. Mai 1907.
1. Sr. Trantmann demonstriert einen Fall von Lähmung des linken
mnsc. posticns laryngis, des weichen Oanmens und der Bachenwand auf
der gleichen Seite, ohne bekannte Ursache plötzlich entstanden und ohne
Behandlung in 6 Wochen wieder geheilt. Es bestand gleichzeitig eine sub-
akute linksseitige Mittelohreiternng ohne Komplikation. Sensibilität des Rachens
und Kehlkopfes herabgesetzt, geringe Schmerzen an der linken üalsseite.
Nervenstatus und Augenhintergrund ohne Besonderheiten; Puls und Atmung
normal. T. hält die Erkrankung für eine Neuritis n. vagi, das Zusammen-
treffen mit der Mittelohreiterung für zufällig.
2. Dr. Lauffs zeigt zwei Fälle von stürmisch einsetzender Stim-
höhleneiterung, welche der Klinik zur Operation zugewiesen waren, bei
welchen aber die endonasale Behandlung genügte. In dem einen bestand
Fieber bis 38,4^, sehr starke Schmerzen, Periostitis der facialen und orbi-
talen Stirnbeinwand, hochgradiges Ödem des oberen Augenlides und Exophthal-
mus. Heilung nach 3 Wochen unter täglichen Ausspülungen. Ausserdem
Vorstellung eines Mannes mit anfallsweise auftretendem hysterischen Spasmus
laryngis bei gleichzeitiger chronischer Laryngitis, bei welchem anderwärts
schon die Ausführung der Tracheotomie beabsichtigt war.
3. Die Behandlung der unkomplizierten chronischen Mittelohreiterung.
Diskussionsthema. Geheimrat Schwartze wünscht nicht, dass der Vor-
sitzende zuerst das Wort nimmt, damit die Anwesenden sich möglichst unbeeinflusst
äussern sollen. Da jedoch niemand sich zum Wort meldet, führt Prof. Barth
aus, dass die Art der Behandlung eine so verschiedene, z. T. widersprechende
sei, dass eine Verständigung durch gegenseitige Aussprache versucht werden
sollte. Auf Schwartzes Vorschlag folgt zuerst die Besprechung der all-
gemeinen Behandlung. An der Diskussion beteiligen sich noch die Herren
Mejer, Thies I, Schmiedt, Robitzsch, Stimmel. Alle sind sich über
die Wichtigkeit auch der Allgemeinbehandlung, besonders bei Kindern, einig.
Vor allem ist hervorzuheben, dass Schwartze auch Aufenthalt nicht nur in
Luftkurorten, sondern selbst an der See (Ostsee und Mittelmeer, nicht Nord-
see) empfiehlt und dortselbst auch Wannenbäder nehmen lässt. Barth ist
bei genügendem Schutz des Ohres selbst nicht gegen Seebäder. Nur Patienten
mit progressiver Schwerhörigkeit (Mittelohrsklerose) ist der Aufenthalt an der
See zu verbieten. Schwartze stimmt dem zu. Robitzsch empfiehlt auch
Licht-Luftbäder. Stimmel hat gute Erfolge von der Ansaugungstherapie
gesehen. • Barth.
Besprecliuxigeii.
Über die Geschwülste des Kleinhirns und der
hinteren Schädelgrube von Professor Dr. Seif f er
in Berlin. Beihefte der med. Klinik. III. Jahrgang.
Besprochen von
Dr. Bär an 7 in Wien.
Professor Seiffer bespricht auf Grand des Stadiums der Literatur
Anatomie und Physiologie des Kleinhirns sowie Symptomatologie und
Diagnose der Kleinhirnerkrankungen.
Uns interessieren hauptsächlich die dem Yestibular-Apparat an
mehreren Stellen der Arbeit gewidmeten Ausführungen. Hier müssen
leider beträchtliche Lücken in der Literaturkenntnis des Autors kon-
statiert werden. So führt er für die Erklärung der Funktion des
Vestibulär- Apparates einen von Raymond und Egg er (1905) ge-
machten Erklärungsversuch ausführlich an, ohne die viel ältere und viel
genauere Mach -Breuer sehe Theorie überhaupt zu erwähnen. Den
Angaben von Gordon-Holmes und Grainger Stewart, welche
Autoren über die Physiologie des Yestibular-Apparates ebenfalls nicht
hinreichend genau orientiert sind, wird zu grosses Gewicht beigelegt.
Diese Autoren hatten auf Grund der Untersuchung von 22 durch die
Obduktion resp. Operation bestätigten Befunden die Annahme aufgestellt,
dass man durch Berücksichtigung der Angaben der Patienten über die
Art ihres Schwindels die Differentialdiagnose zwischen intra- und extra-
cerebellaren Tumoren stellen könne. Sie fanden bei intra- und extra-
cerebellaren Tumoren während des Schwindels die Scheinbewegung der
Objekte von der kranken nach der gesunden Seite, die scheinbare
Bewegung des eigenen Körpers bei den intracerebellaren Tumoren von
der kranken nach der gesunden Seite, bei den extracerebellaren Tumoren
umgekehrt.
Zunächst muss hervorgehoben werden, dass die beiden englischen
Autoren, obwohl sie dem Nystagmus im allgemeinen einen beträchtlichen
Wert bei der Diagnose zuerkennen, über keine Beobachtungen des
Nystagmus während des Schwindelanfalles berichten, wiewohl gerade
416 Besprechungen.
diese Beobachtungen von grösster klinischer Bedeutung wären. Man
darf hier nicht einwenden, dass die Beobachtung eines Schwindeianfalles
sehr selten möglich sei. Gerade bei diesen Kranken hat man recht
häufig dazu Gelegenheit.
Untersucht man eine grössere Zahl von Personen auf dem Dreh-
stuhl, so wird man bald gewahr, wie unzuverlässig die Angaben über
Richtung der Scheinbewegungen der Objekte, insbesondere aber des
eigenen Körpers sind. Genauere Angaben über Scheinbewegungen des
eigenen Körpers kann man überhaupt nur dann erhalten, wenn der
Patient während des Schwindels sich vollkommen ruhig verhält. Sowie
er in dieser Zeit eine Bewegung ausführt, tritt eine Vermischung der
vom Vestibulär -Apparat einerseits herrührenden Erregung und den
während der Bewegung entstandenen Muskel- und Gelenksempfindungen
andrerseits ein. Da diese beiden Empfindungen einander stets entgegen-
gesetzt sind, indem die ausgeführte reale Bewegung die Reaktion auf
den Vestibularreiz bildet, so erhält man bei verschiedenen Personen
bald diese, bald jene Angaben. Es muss also den von den englischen
Autoren angeführten Merkmalen jeder diagnostische Wert abgesprochen
werden.
Seite 12 hebt Seiffer hervor, dass die Untersucl'ung des
Schwindels auf dem Drehstuhl, bisher zu keinem praktischen Ergebnis
geführt habe, jedoch mit Eifer fortgesetzt zu werden verdiene.
Dem gegenüber möchte Referent auf die eigenen Arbeiten, besondere
über die kalorische Reaktion des Vestibulär- Apparates hinweisen, welche
gerade in diesen Fällen berufen ist, eine sichere Auskunft über den
Zustand des Vestibulär- Apparates zu geben. Fehlt die kalorische
Reaktion zum Beispiel rechts, und besteht starker rotatorischer Nystag-
mus nach rechts, so kann mit Bestimmtheit auf eine in der hinteren
Schädelgrube befindliche Ursache (Tumor, Abszess, Meningitis) geschlossen
werden, welche einerseits die Lähmung des peripheren Vestibular-Apparates
bewirkt (Fehlen der kalorischen Reaktion) andrerseits durch Reizung
des Deitersschen Kerns den Nystagmus nach der kranken Seite her-
vorruft; gleichzeitig wird Fallen nach der gesunden Seite (links), bei
liinksdrehung des Kopfes Fallen nach hinten, bei Rechtsdrehung Fallen
nach vorne beobachtet.
Das Studium der vestibulären Ataxie ist noch nicht so alt, als
dass aus der Unkenntnis dieses Punktes dem Verfasser ein Vorwurf
gemacht werden könnte. Immerhin muss betont werden, dass es nicht
angängig .ist, wenn der Patient taumelt, von cerebellarer Ataxie zu
sprechen, ohne auf vestibulären Nystagmus genauestens untersucht zu
haben.
Referent muss hier wieder auf die von ihm hervorgehobenen Be-
ziehungen zwischen der Richtung des Nystagmus, der Richtung der
Gleichgewichtsstörung und die Beeinflussung der Gleichgewichtsstörung
durch Drehung des Kopfes verweisen.
Besprechungen . 417
Der Otitische Kleinhirnabszess von Dr. Heinrich
Neumann in Wien. Franz Deuticke, Leipzig- Wien 1907.
Besprochen von
Dr. Gustav Brtthl.
Nenmann hat die seit 1900 in der Literatur beschriebenen and
die auf der Klinik von Politzer beobachteten Fälle von Kleinhirn-
abszessen, gesammelt. Das grosse Material von 196 Fällen ist nach
jeder Richtung hin kritiscli bearbeitet, sodass man einen ausgezeichneten
Überblick tlber den augenblicklichen Stand unserer Kenntnisse auf diesem
Gebiet bekommt. Neumann bespricht zunächst die statistischen Ver-
hältnisse, dann die Ätiologie und pathologische Anatomie, die Sympto-
matologie, das Initialstudium, Manifestes Stadium, die Diagnose,
Differentialdiagnose, Prognose, die Operationsmethoden, und die Nach-
behandlung des Kleinhimabszesses. Zum Schluss bringt er ausführliche
Krankengeschichten von 165 Fällen, 25 aus der Klinik Politzer.
In allen Kapiteln finden sich intd^essai^te Einzelheiten und An-
regungen. Mit besonderer Ausführlichkeit ist die Symptomatologie be-
arbeitet. »Die Herdsymptome der Kleinhirnerkrankungen, somit auch
die des Kleinhirnabszesses, resultieren einerseits aus der Läsion des
Deiters sehen Kernes und der zu — und abführenden Bahnen, ander-
seits aus der Läsion von sensiblen Bahnen, welche der gleichseitigen
Körperhälfte angehören und mit der Koordination der Muskeltätigkeit
in Beziehung stehen. Die Läsion des Deitersschen Kernes ruft
vestibulären Nystagmus, Schwindel und vestibuläre Ataxie hervor, die
Läsion der sensiblen Körperbahnen Hemiparese und Hemiataxie der
oberen und unteren Extremitäten derselben Seite »ohne Störung der
bewussten Tiefensensibilität.« »Bei den von uns in den letzten Jahren
beobachteten otitischen Kleinhirnabszessen, bei welchen eine genaue
Untersuchung auf Nystagmus vorgenommen wurde, lag stets eine Kom-
bination von Kleinhirnabszess mit Labyrintheiterung vor. In diesen
Fällen gestalten sich nun die Unterscheidung des cerebellaren von einem
labyrinthären Nystagmus in folgender Weise:
1. Angenommen, es besteht Nystagmus nach der kranken Seite, so
kann eine zirkumskripte Labyrintherkrankuug oder ein Kleinhirnabszess
vorliegen.«
2. Es besteht rotatorischer Nystagmus nach der kranken Seite.
Das Labyrinth ist nicht errregbar. In diesem Falle kann sofort die
Diagnose auf Auflösung des Nystagmus in der hinteren Schädelgrube,
also bei entsprechendem Verhalten von Temperatur und Puls- auf Klein-
hirnabszess gestellt werden.
3. »Es besteht Nystagmus nach der gesunden Seite, das Labyrinth
ist nicht erregbar, so kann dieser Nystagmus sowohl vom Labyrinth wie
vom Cerebellum ausgelöst sein. Hier wird vor der Labyrinthoperation
die Unterscheidung auf Grund dieses Symptomes nicht möglich sein.«
Weitere interessante Einzelheiten, die das Buch in Fülle enthält,
müssen aus dem Original ersehen werden.
418 BespiechoDgen.
Grundriss und Atlas der speziellen Chirurgie von
Prof. Dr. Georg Sultan, I. Teil. Mit 40 farbigen Tafeln
und 218 zum Teil zwei- bis dreifarbigen Abbildungen.
München 1907. Lehmanns Medizin. Handatlanten.
Band XXXVI.
Besprochen Ton
Dt, Gustav Brfihl.
Der vorliegende Atlas erfordert auch das Interesse des Otologen,
weil in demselben vieles znr Darstellung und Abbildung gelangt, was
für denselben von grosser Bedeatnng ist. So sei die Darstellung der
Himtopographie, der Trepanation, der Schädelbasisbrüche, der Lumbal-
punktion, der Missbildungen des Gesichts, des Gaumens, der Geschwülste
des Oberkiefers, der Zunge hervorgehoben. Die Chirurgie der Nase,
des Nasenrachenraums und der Stirnhöhle, der Kiefer, des Rachens und
der Tonsillen, die Chirurgie des Ohres, des Kehlkopfe und der Trachea
bilden besondere Kapitel, die dem Umfange des Ganzen entsprechend kurz
gehalten sind. Wie in den übrigen Teilen des Werkes, so sind auch
in diesen Kapiteln ausgezeichnete Abbildungen enthalten. Originell ist
der Versuch einer farbigen Darstellung der Durchleuchtung der Stirn-
höhle und der Oberkieferhöhle. Die Ausstattung des Werkes ist ebenso
wie die Ausführung der Bilder und die textliche Darstellung ausgezeichnet.
Die ohrenärztliche Tätigkeit des Sanitätsoffiziers.
IL Teil. Einige wichtige Fragen aus dem Gebiete der Ohren-
heilkunde unter besonderer Berücksichtigung der Bezold-
Edelmann sehen Tonreilie bearbeitet von Dr. Robert
Dölger, Stabsarzt in Frankfurt a. M. Wiesbaden, Verlag
von J. F. Bergmann, 1907.
BesprocheD von
Arthur Hartmann.
In der vorliegenden Schrift (48 Seiten) soll nach dem Vorwort
dem Sanitätsoffizier eine rasche Orientierung gewährt werden über einige
der wichtigsten für ihn unbedingt notwendigen Fragen aus dem Gebiete
der Ohrenerkrankungen. Insbesondere will D. die »Allgemeinheit der
Sanitätsoffiziere« für die kontinuierliche Tonreihe interessieren. Die
Untersuchung mit der Tonreihe und deren Verwendung für die Diagnose
spielt deshalb auch eine grosse Bolle in der kleinen Veröffentlichung.
Wenn auch die Bezoldsche Stimmgabelserie zum etatmädsigen Besitz
der Korpsohrenstationen gehört, so wäre es doch wohl zweckmäfsig
gewesen, wenn in einer für die Allgemeinheit der Sanitätsoffiziere be-
Besprechungen. 419
stimmten Arbeit aach die Untersnchung mit weniger kostspieligen Stimm-
gabelserien erwähnt worden wäre, da gerade der Sanitätsoffizier sich
mit der Untersuchang von Taubstummen, wozu die ßezoldscbe Serie
ja in erster Linie geeignet ist, nicht zu befassen hat. In den einzelnen
Kapiteln ist neben der Stimmgabelprüfung der Gang der Untersuchung
bei Erkrankungen des Hörorganes, die Fehler bei der funktionellen Prüfung,
die Simulation, die Erankheitsbilder des mittleren und inneren Ohres,
die operativen Eingriffe in systematischer Weise besprochen. Angefügt
ist eine schematische Darstellung der Bezold-Edelmannschen
kontinuierlichen Tonreihe, eine schematische Übersicht über die funktionellen
Befunde bei Hörstörungen durch Erkrankung des mittleren und inneren
Ohres und eine Tafel mit schematischen Trommelfellbildern.
Die chronische , progressive Schwerhörigkeit.
Ihre Erkenntnis und Behandlung. Von Dr. August Lucae.
Berlin, Julius Springer, 1907. 392 Seiten, mit 25 Text-
figuren und 2 Tafeln. Preis M. 18. —
Besprochen yon
Prof. Hinsberg in Breslau.
Locae bietet uns in der vorliegenden Monographie über die
chronische, progressive Schwerhörigkeit die Erfahrungen, die er während
einer langen, arbeitsreichen Tätigkeit an einem Material, wie es nur
wenig Otologen zur YerfQgung steht, gesammelt hat. Wenn jemand, so
war er zu dieser Arbeit berufen, denn gerade die Erforschung der
Physiologie des Gehörorganes, ihrer Störungen unter pathologischen Ver-
hältnissen, die Diagnostik der Hörstörung und ihrer Therapie zieht sich
wie ein roter Faden durch all seine Publikationen, sie bildet einen
grossen Teil seiner Lebensarbeit. Er ist dabei, wie er auch selbst
betont, zum grossen Teil seine eigenen Wege gewandelt.
Die Ffllle des im vorliegenden Werke niedergelegten Materials ist
so gross, dass es unmöglich ist, im Rahmen einer >Besprechung« näher
darauf einzugehen. Nur einige prinzipiell wichtige Punkte seien kurz
angedeutet.
Bemerkenswert ist in erster Linie, dass nach L u c a e s Ansicht die
Bedeutung der zur Stapesankylose führenden Spongiosierung der
liabyrinthkapsel (Otosklerose im engeren Sinne) für das Zustandekommen
der progressiven Schwerhörigkeit geringer ist, als heute von manchen
Autoren angenommen wird. L. glaubt vielmehr, dass die »trockenen
chronischen Mittelohrprozesse«, d. h. postkatarrhalische und postotitische
Adhäsivprozesse im Mittelohr, viel häufiger zu progressiver Schwer-
hörigkeit führen, als die Otosklerose im engeren Sinne, und dass wir
häufig nicht in der Lage sind, zu entscheiden, welcher Prozess die
Ursache der Schwerhörigkeit abgibt. Er folgert daraus, dass der heute
420 fiesprechangen.
vielfach geltende Nihilismus in der Therapie nicht bei jeder progressiven
Schwerhörigkeit angebracht ist und beweist durch eine grosse Zahl
eigener Beobachtungen, dass auch in anscheinend sehr ungünstig liegenden
Fällen manchmal noch recht gute Resultate zu erzielen sind.
Die Wege, auf denen die Hörverbesserung erreicht wurde, sind
verschieden (Drucksonde, positive oder negativ-positive Pneumomassage
bezw. Wassermassage, operative Eingriffe am Trommelfell und Gehör-
knöchelchen). Zur Diagnostik empfiehlt L. dringend genaue Unter-
suchung der Beweglichkeit des Trommelfells, die seiner Ansicht nach
heute gegenüber der Stimmgabeluntersuchung vielfach mit Unrecht ver-
nachlässigt wird.
Wie aus diesen kurzen Andeutungen hervorgeht, stehen Lucaes
Anschauungen vielfach im Widersprych zu den heute vorherrschenden,
es dürften deshalb auch manche seiner Ausführungen wohl kaum un-
widersprochen bleiben.
Das bedeutet jedoch keineswegs eine Verminderung des Wertes des
Buches ; denn wenn es auch nicht die definitive Lösung all der Fragen
bietet, die heute noch bezüglich der progressiven Schwerhörigkeit offen
stehen, und wenn manche der Hypothesen Lucaes sich vielleicht
später als nicht zutreffend erweisen sollten, so bietet das Buch doch
eine solche Fülle von Anregungen und positivem Material, dass jeder
Otologe dem Autor dankbar dafür sein wird.
Fach- und Personalnachrichten.
Ende September d. J. erlag Professor Kessel in Jena nach
qualvollen Leiden einem bösartigen Mediastinaltumor.
Jean Kessel war 1839 in Rheinhessen geboren, ist also 68 Jahre
alt geworden. Er studierte 1857 bis 1865 in Giessen und Würzburg
und erlangte 1866 in Giessen Doktortitel und Approbation. Die erste
Anregung sich mit Ohrenheilkunde zu beschäftigen, scheint er dem
Giessener Chirurgen Wernher zu verdanken. In jener Zeit war
Wernher der einzige deutsche Chirug, der Verständnis und Inseresse
für die noch schwer um Anerkennung ringende Ohrenheilkunde
gewonnen hatte ; nicht nur als Chirurg, sondern auch als pathologischer
Anatom — er vertrat viele Jahre lang gleichzeitig beide Fächer — suchte
er sich und anderen Kenntnisse in der Ohrenheilkunde zu verschaffen.
Wir verdanken ihm bekanntlich eine grundlegende Arbeit über die
Pneumatocele supramastoidea. Die unter Wernhers Leitung aus-
gearbeiteten Dissertationen standen in sehr gutem Rufe; auch Kessels
Dissertation ist von ihm angeregt. Sie behandelt Fälle von Otitis
interna — wir würden jetzt sagen media — mit Vereiterung der
Zellen des Warzenfortsatzes und Sinusthrombose, sowie die chirurgische
Eröffnung — damals Trepanation — des Warzenfortsatzes ; die Dissertation
wird also beiden Arbeitsgebieten des Lehrers, der sie angeregt hatte,
gerecht.
In den auf seine Promotion und Approbation folgenden Jahren
finden wir Kessel bei von Tröltsch in Würzburg, bei dem Histo-
logen Stricker in Wien, für dessen Handbuch der Gewebelehre er
das äussere und mittlere Ohr (1870) bearbeitete, und bei dem Physiker
Mach in Prag, mit dem er seine bekannten Versuche über die Akkomm-
modation des Ohres (1872) anstellte. Erst im 37. Lebensjahre (1876)
legte Kessel den Wanderstab nieder und habilitierte sich in Graz.
1886 wurde er als a. o. Professor nach Jena berufen. Hier wirkte
er bis zu seinem Tode. Seinen Bemühungen verdankt die Thüringische
Universität eine gute Ohrenklinik, bei deren Eröffnung er den Hofrats-
titel erhielt.
Ausser den schon genannten Arbeiten veröffentlichte Kessel noch
eine lange Reihe von solchen aus verschiedenen Gebieten der Ohren-
422 Fach- und Personalnachricbten.
heilknnde. Mit Vorliebe bearbeitete er die Tenotomie der Binnen-
iDUskeln des Ohres und die Mobilisierung und Extraktion des durch
pathologische Vorgänge fixierten Steigbügels. Im Schwartze sehen
Handbuch der . Ohrenheilkunde lieferte er 1892 den Abschnitt: Histo-
logie des äusseren und mittleren Ohres, 22 Jahre nach seiner ersten
Bearbeitung des gleichen Themas in Strickers Gewebelehre.
Kessel war ein heiterer lebensfroher Mann. Hatte er es doch
verstanden die fröhliche Studentenzeit über das Doppelte der damals
üblichen Semesterzahl auszudehnen! Später, in der Zeit ernster Arbeit,
suchte er seine Erholung gern auf der Jagd. Bei den Fachkongressen
war er in seinen besten Jahren ein gern gesehener Kollege; im Alter
freilich zeigte er sich dort empfindlich und leicht reizbar und blieb
schliesslich den Versammlungen fern. Wer ihm persönlich näher treten
durfte, wird sein Andenken in Ehren halten; in der Geschichte der
Ohrenheilkunde hat er sich selbst ein Denkmal gesetzt. K.
Beim Ausscheiden Politzers aus seinem Lehramte an der Wiener
Universität fand in dem mit Blumen geschmückten Ambulatorium der
Ohrenklinik am 30. September eine Abschiedsfeier statt, zu welcher
sich der Dekan der Universität, eine grosse Anzahl von Professoren,
Vertreter des Unterrichtsministeriums und der Statthalterei und frühere
Schüler eingefunden hatten. Der Dekan, Professor Pollack,
Dozent Alexander hielten Ansprachen, in welchen die Verdienste
Politzers gefeiert wurden. Der Präsident der amerikanischen Ärzte-
assoziation von Wien überreichte ein Ehrendiplom, Professor Po Hack
ein von Schülern und Freunden gestiftete Plakette. In der Beantwortung
auf die Ansprachen gab Politzer einen kurzen Rückblick auf die
Geschichte der Ohrenheilkunde seiner Zeit.
Zum Nachfolger Politzers wurde Professor Urbantschitsch
ernannt.
Dozent Dr. Alexander, bisher Assistent der Universitätsohren-
klinik in Wien, wurde zum Nachfolger von Professor Urbantschitsch
an der allgemeinen Poliklinik in Wien gewählt.
Geh. San.-Rat Dr. Keim er, a. o. Mitglied der Akademie in
Düsseldorf, hat den Titel Professor erhalten. Die ihm unterstehende
neu eröffnete Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der
allgemeinen Krankenanstalten in Düsseldorf entspricht durch ihre
zweckmäfsige, den Grundsätzen der Asepsis entsprechende Einrichtung
und reiche Ausrüstung den jetzt üblichen Ansprüchen. Die Klinik
besteht aus Wartezimmer, Untersuchungs- und Behandlungszimmer mit
anschliessendem Dunkelkabinett für Durchleuchtungen und Röntgen-
Fach- und Person alnkchrichten. 423
aufnahmen, Operationszimmer und Zimmer des Direktors. FtLr klinische
Behandlung stehen 3 Betten erster Klasse, 4 Betten zweiter Klasse und
etwa 20 Betten dritter Klasse zur Verfügung.
Die Leitung der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten
am neuen städtischen Krankenhaus in Karlsruhe wurde Dr. Ludwig
K ander übertragen.
Hofrat Dr. Köbel, Ohrenarzt in Stuttgart, wurde zum Geheimen
Hofrat ernannt.
Dem Privatdozenten der Ohrenheilkunde Dr. RudolfEschweiler
in Bonn ist das Prädikat Professor verliehen worden.
Dr. Schutter in Groningen ist zum ausserordentlichen Professor
für Oto-, Rhino-Laryngologie ernannt.
Der Verleger unserer Zeitschrift, Herr J. F. Bergmann, wurde
von der Würzburger medizinischen Fakultät zum Dr. med. honoris
causa promoviert.
Professor Körner wurde für das Prüfungsjahr 1907/8 zum
Mitgliede der ärztlichen Prüfungskommission in Rostock ernannt.
Privatdozent Dr. L ü s c h e r wurde zum ausserordentlichen Professor
für Laryngologie und Otologie an der medizinischen Fakultät in Bern
ernannt.
Der Privatdozent für Ohrenheilkunde Dr. Gomperz in Wien hat
den Titel eines a. o. Universitätsprofessors erhalten.
Im Verlage von S. Karger, Berlin, erscheinen in ztvanglosen
Heften von etwa 5 Bogen: Beiträge zur Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Ohres, der Nase und des Kehlkopfes, herausgegeben
von Geh. Rat Prof. Dr. A. Passow und Prof. Dr. K. L. Schäfer
in Berlin.
Dem ersten Jahresberichte des deutschen Taubstummblindenheims
zu Nowawes, Juli 1906 bis Juli 1907, entnehmen wir, dass das Heim
vom Oberlin verein in Berlin im Anschluss an ^ie Krüppelpflegeanstalten
des OJberlinhauses zu Nowawes als deutsche Zentralanstalt für Taubstumm-
blinde ins Leben gerufen wurde. Es wurde für 75 000 M. ein Grund-
stück mit zwei alten Häusern erworben. Die Häuser wurden in Stand
gesetzt und eingerichtet und die Anstalt mit 2 Taubstummblinden am
424 Fach- und Personalnachrichten.
2. Juli 1906 feierlich eingeweiht und eröffnet. Im Laufe des Jahres
kamen 4 taabstummhlinde Kinder hinzu, so dass sich der Bericht über
6 tanbstummblinde Insassen erstreckt; 4 weitere sind angemeldet. Das
Heim ist vorerst für 15 Plätze eingerichtet, es werden nicht nur Kinder,
sondern auch Erwachsene aufgenommen. Der Provinziallandtag der
Provinz Brandenburg bewilligte 5 Freistellen. Das Pflegegeld beträgt
jährlich 730 Mark. Da es sich ausschliesslich um Einzelunterricht
handelt, ist eine grosse Anzahl von ünterrichtskräften erforderlich.
Der Unterricht steht unter Leitung des Taubstummenlehrers Riemann
und wird von zwei weiblichen Hilfskräften erteilt. Ref. hatte selbst
Gelegenheit die ausserordentlichen Erfolge zu konstatieren, welche Herr
Riemann bei einer Insassin des Heims erzielt hat. Es kann erwartet
werden, dass das neu errichtete Heim eine segensreiche Wirksamkeit
entfalten wird. Hartmann.
Druck von Oarl Ritter, G. m. b. H., in Wiesbaden.
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