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7. Jahrgang. 1 905 Heft ' 1 .
Zeitschrift
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für .
PtldadOdUcbe Psycholodie/
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PatbolodU tittd Ijlydieiie*
Herausgegeben
von
Ferdinand Kemsies und Leo HirschlaTf.
Inhalt von Heft 1. -^
Original-Artikel.
heo Hirschlaff, Der Schimpanse Konsul; ein Beitrag zur vergleichenden
Psychologie. CMit einer Illustrationsbeilage.)
Marx Lobsien, j^Experimentier-Pädagogik".
Otto Wendtlandt, Das Kinderzimmer.
Franz Medicus, Zur Frage des Ziehkinderwesens.
Siizongsberichte.
Psychologische Gesellschaft zu Berlin.
Berichte and Besprechnngen.
Schroedels pädagogische Klassiker, Bd. XIV. — A. Sicklnger, Organisation
grosser Volksschulkörper. — J.Moses, Das Sonderklassensystem der Mannheimer
Volksschule. — Jahresbericht über den Stand der städt. Schulen in Mann-
hciim 1903/04. — F.Förster. Kind und Alkohol. — A. Damaschke, Alkohol und
Volksschule. — R. Schenk, Lehrbuch der Geschichte für höhere Lehranstalten, 2. .Aufl.
— O. Bismarck, Das Kartenzeichnen, 3. Aufl. — Schreibers künstlerische Wand-
bilder 1. Lfg. — Monatsschrift für Kriminalpsychologie, I, 1. — Meyers
grosses Konversations-Lexikon.
Mittelinngen.
Neue Schulbauten. — Die soziale und politische Bedeutung der Schulreform. —
Der kluge Hans. — lieber den Einfluss- des Alkohols auf die Schiesstüchtigkeit
— Das Phonogrammarchiv. — Ueberbürdung der Schüler im lateinischen l'nter-
rfcht. — Berliner Gemeindeschulen.
BIbllottaeca pfldo- Psychologien.
BERLIN S.W.,
Hermann Walther Verlagsbuchhandlung
G. m. b. H.
Jährlich erscheinen 6 Hefte h 5—6 Bogen.
Preis: L u. II. Jahrgang ä Mk. 8.—. HI. Jahrgang, u. ff. ä Mk. 10. -.
Zeitschrift
^ für
pädagogische Psychologie.
Patbolodic und l^ygUne.
Herausgegeben
von
Ferdinand Kemsies und Leo Hirschlaff.
VII. Jahrgang.
Berlin W.
Hermann Walther Verlagsbuchhandlung G. m. b. H.
1905.
Zeitschrift
fQr
Püdagogiscbe Psychologie,
Pathologie und l^ysicne.
Herausgegeben
von
Ferdinand Kemsies und Leo Hirschlaff.
VII. Jahrgang.
Berlin W.
Hermann Walther Verlagsbuchhandlung 0. m. b. H.
1905.
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Inhalt des siebenten Jahrganges.
1905.
A. Abhandlungen.
Leo Hirschlaff, Der Schimpanse Consul; ein Beitrag zur ver-
gleichenden Psychologie i — 22
Marx Lobsien, „Experimentier-Pädagogik** ........ 23 — 30
Otto Wendtlandt, Das Kinderzimmer ........... 31 — 40
Franz Medicus, Zur Frage des Ziehkinderwesens ....... 41 — 45
Elisabeth Kölling, Charakterbilder schwachsinniger Kinder . . 81 — 99
Viktor Lowinsky, Hypothesen, Methoden und Anwendungen in der
Hallschen Kinder-Psychologie loc — 125
Theodor Benda, Besonderheiten in Anlage und Erziehung der
modernen Jugend, I . . 126 — 141
Beiträge zur Psychologie imd Pädagogik der Kinderlügen und
Kinderaussagen, I, II, III, IV, V 177 — 205
Theodor Benda, Besonderheiten in Anlage imd Erziehung der
modernen Jugend, II . 206 — 218
Emil Reuschert, Moritz Hill in seinem Leben und Schaffen . . . 249 — 266
L. William Stern, Ueber Beliebtheit und Unbeliebtheit der Schul-
fächer ..... 267 — 296
Gustav Lindner, Neuere Forschimgen und Anschauungen über die
Sprache des Kindes 337 — 392
Marx Lobsien, Kinderzeichnung und Kunstkanon ...... 393 — 404
Hans Zimmer und Theodor Fritzsch, Die Geschichte der Päda-
gogik im Jahre 1905 405 — 452
B. Sitzungsberichte.
Psychologische Gesellschaft zu Berlin.
Paul Möller, Die Grundlagen des psychol. Experiments 46 — 49, 142 — 143
Albert Moll, Die Analyse des Geschlechtstriebes ..... 50—54
Max Dessoir, Gemeinempfindungen 54 — 56
Arbeitsplan Sommer-Semester 1905 142
Albert Moll, Psychologie und Kurpfuscherei 297 — 299
Fritz Leppmann, Unzucht verbrechen an Kindern ....... 300 — 305
Weddigen, Goethe als Begründer des modernen psychologischen
Romans 305 — 306
Eysen, Symbolik der menschlichen Gestalt 307 — 308
Otto Gramzow, Anthropologbmus in der Feuerbachschen Re-
ligionsphilosophie . 308 — 311
Verein für Kinderpsychologie zu Berlin.
Sanunelbericht über die Sitzungen vom Nov. 1903 bis Febr. 1905 143-155
ß
VI
Komitee für Kinderforschung in Budapest«
Sammelbericht 155 — 159
Berliner Verein für Schulgesundheitspflege.
Ferdinand Kemsies, Ferienordnung imd Schulpensum ..... 220—221
Wassermann, Schule und Infektionskrankheiten ...... 221 — 224
Weinberg, Perlewitz, Wulk, Ferienordg. u. Schulpensum 224 — 230, 231 — 233
V. Ziegler, Die Kurzsichtigkeit der Schüler höherer Lehranstalten
eine Gefahr für die Landesverteidigung ....... 230 — 231
Erziehungs- und Fürsorgeverein für geistig zurück-
gebliebene (schwachsinnige) Kinder.
Müder, Ueber psychopathische Minderwertigkeiten in der Volks-
schule 453—454
Mertelsmann I, Ueber den Affekt und seine Verhütung bei schwach-
sinnigen Kindern .......... 455 — 456
W. Fürstenheim, Ueber den Veitstanz .......... 457 — 459
C. Berichte und Besprechungen.
Schwedeis pädagogische Klassiker, Bd. XIV 56 — 57
A. Sickinger, Organisation großer Volksschulkörper ..... 57 — 58
J. Moses, Das Sonderklassensystem der Mannheimer Volksschule 59 — 60
Jahresbericht über den Stand der städtischen Schulen in Mannheim
1903/04 60
F. Förster, Kind xmd Alkohol . . 60 — 61
A. Damaschke, Alkohol und Volksschule 61
R. Schenk, Lehrbuch der Geschichte für höhere Lehranstalten 61
O. Bismarck, Das Kartenzeichnen 62
Schreibers künstlerische Wandbilder 62 — 63
Monatsschrift für Kriminalpsychologie 63 — 64
Meyers großes Konversationslexikon 64 — 65
Lemlust, eine Komeniusfibel 160
Göbelbecker, Das Kind in Haus, Schule und Welt ..... 160
Kind und Kirnst, Jahrg. 1905 160 — 161
E. Ebert und E. Meumann, Ueber einige Grundfragen der Psycho-
logie der Uebungs Phänomene 234 — 235
J. Marcinowski, Im Kampf um gesunde Nerven 235 — 230
W. Preyer, Die Seele des Kindes . 236
M. W. Shinn, Körperliche und geistige Entwicklung eines Kindes 236 — 237
H. Pudor, Die neue Erziehimg 237 — 238
B. Brückmann, Die Formenkunde in der Volksschule ..... 238 — 239
J. Spieser, Ein Klassenversuch mit der begrifflichen Methode im
ersten Leseunterricht 239
E. Müller, Ueber mehrdimensionale Räume . ^. 312
S. Exner, Ueber den zentralen Sehakt , 312 — 313
R. Goldscheid, Ueber die Notwendigkeit willenstheoretischer Be-
trachtungsweise 313 — 314
R. Eisler, Der Wille zum Schmerz 314 — 315
Th. Elsenhans, Die Aufgabe einer Psychologie der Deutung . . 315 — 316
O. Lipmann, Der Einfluß einz. Wiederholungen auf Assoziationen 316 — 317
Bär, Ueber jugendliche Mörder 317 — 320
J. Bierens de Haan^ Die Bedeutung der Hypnose und Suggestion
für die Erziehung . ^ . . . . 320 — ^321
J. A, Gheorgov^ Die ersten Anfänge des sprachlichen Ausdrucks 321
A. M. Sk:hniidt, Aufbau luid Entwicklung des menschlichen Ge-
schlechtslebens f 321 — ^322
M. C. Schuyten, Sur les petits bonshommes dessines par les 6coliers
Auversois . . ^ 322 — 323
— , Sur les variations de la memoire des 6coliers , 323
— , Sur la droiterie et la gaucherie des enfants ....... 323 — 324
— , Ueber das Wachstum der Muskelkraft bei Schülemi .... 324
— , Les variations de la force musculaire 324
— , Les ^coliers de parents Auversois etc. ......... 324 — ^325
F. PoUe, Wie denkt das Volk über die Sprache 325
Rhenius^ Wo bleibt die Schulreform 325 — ^327
Th, Ziehen, Ueber die Beziehimgen der Psychologie zur Psychiatrie 327 — 328
0. Domblüth, Gesunde Nerven 328
H. Bosma, Nervöse Kinder 328 — 329
Baumgarten, Der Katechismus der Gesimdheitslehre ...... 329 — 330
Fünfzig Jahre Pensionserziehüng . 330
Enderlin, Erziehung durch Arbeit 330 — 331
D. Mitteilungen.
Neue Schulbauten . , 66 — 68
Die soziale imd politische Bedeutung der Schulreform ...... 68 — 71
Der kluge Hans 71 — 72
Ueber den Einfluß des Alkohols auf die Schießtüchtigkeit ... 73
Das Phonogrammarchiv 73
Ueberbürdung der Schüler im lateinischen Unterricht ..... 73 — 74
Berliner Gemeindeschulen 74
Ueber die gemeinsame Erziehung der Geschlechter ...... 162 — 164
Zur Frage der gemeinsamen Erziehung beider Geschlechter . . . 164 — 165
Bekämpfung des Alkoholgenusses bei Schulkindern ...... 165 — 167
Die Kommission für Jugenspiele und Wanderfahrten ...... 167 — 168
Der Verein für Freunde Herbartscher Pädagogik ...... 168 — 169
Für Lehrer und Lehrerinnen an Hilfsschulen 240
Internationaler Jugendaustausch 240—241
Ausstellung von Lehrmitteln in Leipzig 241 — 244
Neue Weihnachtsgaben für die Jugend 332 — 334
Die Selbstmorde in Preußen während des Jahres 1904 ..... 334 — 336
Kongreß für Kinderforschung und Jugendfürsorge 1906 . 460 — 462, 472 — 474
Kurs der medizinischen Psychologie 462
Kongreß für experimentelle Psychologie ..... 462 — 463, 471 — 472
Berliner Verein für Schulgesundheitspflege ......... 463
Familienerziehung und Anstaltspflege ........... 463 — 464
Berliner Gymnasiallehrerverein 464 — 465
Kinderausflüge 465 — 467.
Ueber die Charlottenburger Waldschule 467 — ^468
Centralverband zur Bekämpfung des Alkoholismus (Berlin) . . 468 — 471
Centrale für private Fürsorge 474 — 475
E. Bibliotheca paedo-psycholos^ica.
1. . 75~8o
II 170—176
III. . 245—248
22 Leo Hirschlaff.
9. Signor Domino. Dressierte und Dresseare. Berlin, S. Fischer,
1895. 247 S.
10. Charles Darwin. Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem
Menschen und den Tieren. Aus dem Englischen übersetzt von J. Victor Carus.
Stuttgart, E Schweizerbart'sche Verlagshandlg. 1874. 375 S.
11. Karl Georg Leroy. Philosophische Briefe über die Verstandes- und
Vervollkommnungsfähigkeit der Tiere, samt einigen Briefen über den Menschen.
Aus dem Französischen übersetzt von D. Johann Antou Müller. Nürnberg, Jobst
Wilhelm Witt wer. 1807. 238 S.
12. Th. Zell. Ist das Tier unvernünftig? Neue Einblicke in die Tier-
seele. Stuttgart, Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde. Franckh'sche Verlags-
handlg. 198 S.
13. Julius Frauenstädt. Das Seelenleben der Tiere, verglichen mit dem
des Menschen. 81 S.
30 Marx Lobsien.
allerdings ein ^undefinierbares Etwas** — und dieses Etwas be-
gegnet nun, wo Weber darzutun versucht, was er will, häufiger.
Ich kann mich bescheiden, dieses »Etwas** durch einige Aus-
lassungen des Verfassers selbst zu illustrieren.
Keiner von den exaktpsychologischen Pädagogen wird die
Didaktik ergründen, weil ihm das Organ für das zu Erforschende
abgeht. Nur wesensverwandtes kann das undefinierbare Etwas
finden. „Die Ergebnisse unserer*) Kinderpsychologie werden
kommen wie plötzliche Sonnenblitze, sie werden durchleuchten,
indes wir mitten im brauenden Gewölk des Schaffens stehen;
aber sie werden uns Blicke tun lassen in das Ureigentliche der
Kindesseele, Blicke, die uns mehr zeigen, als alle Statistiken zu-
sammengenommen.** — Da haben wir das neue Evangelium; es
ist sehr sonnenhaft geraten. Wann wird denn der wieder auf-
leben, der die Kunst verstand, aus dem Barte die Blitze zu blasen?
Ist er selbst oder sein Johannes in München schon erschienen,
oder sollen wir eines anderen warten? Wird er auch das
brauende Gewölk durchbrechen oder sich mit einem Muspelli
bescheiden?
Und doch steckt in diesem Mass- und Formvergessen ein
Quentchen Wahrheit — das von altersher anerkannt wurde: der
pädagogische Takt ist nicht lehrbar, er wird gleicherweise vod
den Göttern verliehen, wie die Gabe des Künstlers, der in Holz
oder Stein arbeitet Aber die Götter waren noch nie verschwen-
derisch. Und wenn nun diejenigen, an denen ihr „Sonnenblitz*
vorbeiglitt, sich in ehrlichem, echt wissenschaftlichem Bemühen
versuchen, sich das Rüstzeug zu erwerben, das der „Gottbegnadete"
intuitiv anwendet — na, da muss doch Freude sein im Himmel !
1) Von mir gesperrt! L.
Zur Frage des Ziehkinderwesens, 45
Dagegen ist, abgesehen von den organisatorischen Hindernissen
bezüglich der Ueberwachung der Kostkinder, die Tatsache nicht
zu vergessen, dass auch die strengste Beaufsichtigung bei gemüt-
und gewissenlosen Ziehmüttern nicht viel fruchten wird, weil
sie, wenn auch täglich beobachtet, genug Gelegenheit finden
werden, an den Kindern zu sündigen. Hinwiederum wird ohne
Zweifel eine gewissenhafte Person durch zu häufige Kontrole in
ihrem Ehrgefühl gekränkt und in ihrer Arbeitsfreudigkeit be-
einträchtigt werden.
Das Kostkinderwesen stellt bei unseren heutigen Verhält-
nissen ein beachtenswertes Kapitel für den Sozialpolitiker und
Volksbygieniker dar. Tausende von Menschenleben sind schon
der bisherigen Ausserachtlassung dieser Frage zum Opfer ge-
bllen, und noch steigern wird sich dieser Verlust an Nachwuchs
jährlich für den Staat, wenn bei dem stetigen Emporblühen der
Industrie und dem dadurch bedingten Umsichgreifen des Kost-
Underwesens die Festsetzung gesetzlicher Bestimmungen hinaus-
geschoben würde.
Sitzungsberichte.
Psychologische Qesellschaft zu Beriln.
Sitzung vom 19. Januar 1905.
Beginn 8V4 Uhr.
Vorsitzender: Herr Moll,
Schriftfahrer: Herr Martens.
Nett aafgenommen die Herren: Dr. Münzer, Dr. Frieden
Dr. Munter, Oberstabsarzt Dr. Adrian, Verlagsbuchhftndler Bc
Fräulein Gütschow.
Nett angemeldet: Frau Buttmann, die Herren Zahnarzt B<
und Dr. Jon Lehmann.
Herr Paul Möller hält den angekQndigten Vortrag:
^Die Grundlagen des psychologischen Experime
Das psychologische Experiment hat sich entwickelt aus dem {
logischen. Die ersten Anregungen zu psychologischen Experimenten
Webers Untersuchungen Qber ^^Tastsinn und GemeingefOhl* (i^S^)
dieser Gnmdlage ist das Gebiet weiter ausgebaut worden von Fee
Wundt, Helmholtz u. a. Alle diese wie auch die neueren Fo
arbeiteten jedoch gewissermassen vereinzelt, ohne dass über die gi
samen Bedingungen der psychologischen Experimente eine Verstän
herbeigeführt worden ist. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse dfli
dessen dadurch beeinträchtigt sein. Eine Einigung über die grundleg
Bedingungen psychologischer Experimente erscheint daher wünscheo
Dieselbe käme auch einer experimentellen Bearbeitung zu gute, ^
von L. W. Stern in seinen .Beiträgen zur Psychologie der Aussa
Gestalt von „Arbeitsgemeinschaften* vorgeschlagen worden ist I
gebnisse derartiger gemeinschaftlicher Forschungen können nur von
sein, wenn die gleichen wissenschaftlichen Grundbedingungen der
rimente gewährleistet werden. Diese Erwägungen lassen es als ber
und wünschenswert erscheinen, die grundlegenden Bedingimgen d<
chologischen Experimentes einer Untersuchung zu unterziehen. £
stellte Aufgabe soll nicht abschliessend und erschöpf end behandeh w
Es besteht im wesentlichen die Absicht, die Diskussion Über strittige 1
anzur^en. Der Einzelne kann auf diesem Gebiete naturgemäss nu
träge liefern. Vom allgemeinen Begriff des Experiments aasgehe
dasselbe als ein Komplex von Bedingungen zu betrachten, welche kc
58 Berichte und Besprechungen,
Wenn die Forderungen der Erziehung: Gewöhnung an intensh
Arbeit und die der Schulhygiene: Schonung der jugendlichen K
heitUch formuliert werden soll, so lautet das Ergebnis: die in c
richtsarbeit verlangte Leistung muss zu der vorhandenen Leistui
angemessenem Verhältnis stehen. Für diesen Ausgleich zwische
und Schonung muss das Einzelindividuum in Betracht gezogen
Die Möglichkeit der ErfüUung dieser Forderung ist der höheren S
eher als der Gemeindeschule gegeben. Soll auch die Gemd
dieser Forderung nachkommen, so mQssen die in einem I
einem Lehrer zu unterrichtenden Kinder ungefähr auf gleicher
stufe stehen, das zu unterrichtende Kollektivwesen muss gewisi
individuellen Charakter annehmen. Dieser Forderung kamen im
1900/01 erst aoO/0 der in der Abgangsstatistik enthaltenen StI
Einen erfreulichen Schritt vorwärts in dieser Bewegung hat
Berlin mit der Einrichtung ihres achtstufigen Systems getan, ¥
e« in der ersten Zeit schien, als wären die Elrfolge geringer. -
gebnis der Untersuchungen Sickingers ist, dass Aber die I
Kinder anter den jetzigen Verhältnissen ein-, zwei-, drei- und sc
mals Schiffbruch leidet, infolgedessen mit einer unzulänglich
bUdung, ohne Gewöhnung an intensive geistige Arbeit und ohne
auf die eigene Kraft hinanstritt ins Leben. — EKe Antwort anf
nach der Vereinigung der obigen beiden Forderungen, der päda
and der hygienischen, will die Schrift geben. Da selbst unter
Mig$ten Bedingungen, einem Stoffplan von verhältnismässig gern
fange bei einer Klassenfrequou von nur 38 bis 39 Köpfen, dod
aller Schüler dem uniformen Unterricht^ange nicht gewachsen s
eine Reform eintreten, wdche der Qaahttt der Lernenden ihre
merksamkeit luwendet und die auf dem Wege der Differenz
tekht wird. Nach diesen theoretischeh Erörteningen gibt der
auch Rat$chli^« diesen Erkenntnissen etne praktisclie Verwirk!
{^eben« die durchaus im Rahmen der Möglicbkeit hegt. In eine
mit Nuraial- und NebenkUssen iKlassen für krankhaft scfawad:
wie $ie Dr S. nennt> fordert er Khwsm, «dK einen Rildongswe}
unter MiiK^^ lebiungis^fikhi^n« at>a^ nicht abnorm sdiwadien S
wie die att$ äu^s^eren Gründen anre^efanissig geförderten Elemei
^^hrei^n haben*. Verfasser webt weiter hin: anf die Einreibni
mlMkki^^en in den GesamtschoIkCcper v^hnich wie <fie Xeb«
und |^\U die Fv%e einer Dreiteilnng des
V>Mäläi«Ki^ Weitgehendste Arbekstett—^
4ar hpX^htitiMii Eani^dtuuis: brini:^; «k wirksamste Faktofen
Viialühraii^L ^^ ^*:k<iarnc:^ omi die ste^
iMix^lMeiik IVr WwüKsic^ da$$ 4ie XtsseamiaehKa^ aeiur nad mA
bKit\>,h;^h^,*^xui^L w^rvSe;. ist a;ack ort cflfe$«re« awi wir rwcü
VN««» \^ ^H^ftciSt ^^uren T«^ x^u* Ert-^lSkSai^ bekrasea wenie.
We"*^e^*ee. Doki
Beruhte und Besprechungen, g5
in eiBfirBeihe von Bildnisüen ozib entgegentritt, nnd ^der Artikel „Griechische
liteittar^. Die schönen Künste und vor allem die Konstindastrie sind
•wtietaD durch die Artikel „G-laskonstindostrie'S „Glasmalerei", „Gk)ld-
fduniedekonst^', „Graphische Künste", die sich schon änsserlich durch die
prSchtig gelungenen farbigen und schwarzen Tafeln herausheben. Auch
dam Artikel Hamburg ist ein solcher Schmuck in der Tafel „Hamburger
Bauten*' beigegeben, um den Charakter imd den Kunstsinn der Stadt
kenntlich zu ^oachen. Auch bei den andern Grossstädten ist diese Methode
mit Erfolg angewendet. — 56 Beilagen zieren das schöne Werk neben gegen
zw€ikxmdert Textillustrationen, eine grosse Beihe davon sind ganz neu. Die
Anaführong ist eine durchaus mustergiltige, wie wir es bei den Verlags-
werken des Bibliographischen Instituts ja gewöhnt sind.
2tttMlirlfl fOr pidacogiiclie Ptydiolofk, Pathologie und Hygiene.
Mitteilungen.
K««e Sdivlbaiten ■■d die kirperUche AwMMoiff der imgmL
Vnstn ötTeniHchen Schulen sind Erziehungsanstalten und sollen, da der
Mensch aus Körf^er und Geist besteht nicht bloss den Geist aosbflden, sooden
auch dem Leibe ein gewisses Mass von Fürsorge zuwenden. Eine Anerkennong
dieses Orundsatfes enthalt die Einfuhrung des obligatoriscfaen Scfaoltuniens. Dis
Schuiturnen Yern;ag jedv>ch seine Aufgabe nicht genügend zu erfüllen, wenn ibs
nicht die Mittel zu seiner vollen Entfaltung gewährt werden. Man kann in (kr
fumKalle keine so ausgi^ige Lungengrmnastik treiben, wie sie der Lauf und
das Sftel un Fmen eriTi^oglichen; man kann in ihr nicht die Biicksdiulang uod
Handg«!SchN:kIichk!K: erreichen, die das Ballspiel auf dem freien Platze bevifkt
Solchen Eie;7achrjngea begegnet z^an jetzt husdcrtfach in den VcrsaflUB'
^;5^ce^, und P.'^bUuerr. der H\-gies4er vo= Berai. der Freunde der VoOcsgesnod-
^s«tt. der rurtser und Tumlehrer. Aber, obgleich zun sie Jahr ein und Jahr «"*
VNfen vvier j<*en kann, so sind, wenn es darauf ankocht, zu beweisen, dass «■*
:!\^ stt;gecr,jL$se Eriesntn:s lüiren Weg auci: zu öesen gefsndca habe, die duWoit
«ur r*: ;::rjKÄer tonnen, ct^rrjus ebesi c» Hirres näcii: zs Hasse, auf & ts tf-
kvvnts:: l\inn «ä: mj^ncSfcn c>e rar» 5^-cfcsci: auf ieo Gc&ibestcl der Ceii«*
S>her. m:* i» F.ir5v*o» f..r d* Herfien. Lur^es uad Xer
?-,^jCtoc IXÄrn "^noen u*r jlu:' de=r S'-iite, wc rrajn
uÄd K'^wr Nv>>er«^KC VrrsÄ>uSB? äu s:icber
K*rcC^e«*vic:T^; \'!trr*<3C>.?«c
V^ase Sc^^ije 5c^, t»*u «rrcttec w«öer .\Mr
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RababaramiT. A. — Vwlat ^rtia H«nMaa WaltiMr. V«
B*rliB8.w^ KomnaadaalMiatr 14. V«4rMitw^ott!ieh Ar ^,..,-....
laaMmto) Fr. Piiaiioh*«1WrUa. - Draok: J.&rr9aM.B«tliB&W.. K
Hermann Walther Verlagsbuchhandlung G. m. b. H.
Berlin S.W., Kommandantensir asse 14.
Geschichte der Philosophie
für
6ebiiaete und Studierende.
Von
Professor Dr. A. Rothenbucher,
Lehrer an der Militärtechnischen Akademie und an der Vereinigten
Artillerie- und Ingenieurschule.
ISS Bogen kl. 8".
Preis: brosch. Mk. 2,50, in biegsamem Leinwandband Mk. 3,—.
fiese Geschichte der Philosophie des Professor Rothenbucher ist
das Resultat von Stadien und ErwflgunKcn eines langen Lebens im
Inlande und Auslande. Die grossen Denker behandeh er gross,
ausführlich, die kleineren kurz» oft nur, um den Zusammenhang zu zeigen.
Hinvreise auf frühere und spätere Philosophen schärfen den Blick für das
allmflhlicbe Werden der Gedankenwelt. Uebcrall ist die Beziehung, Verwandt-
schaft oder der Gegensatz zu heutigen Lehren, Zuständen oder Einrichtungen
angedeutet. Natürlich geht es dabei nicht ohne Kritik ab, die oft scharf
genug ist, aber stets auf dem sichern Fundamente einer festgefügten und
vorurteilsfreien Welt- und Lebensauffassung ruht. Alle Scholastik, alles.
-was nicht in die Wissenschaft gehört, alle Spiele der Phantasie sind unnach-
sichtlich abgewiesen. Dem fortgeschrittenen Teile der Menschheit, der mit
dem Verfasser ernstlich die Wahrheit sucht, wird das Ruch ein treuer
Freund und Berater sein.
Diese Geschichte der Philosophie ermöglicht trotzt aUer Knappheit
eine umfassende Kenntnis des behandelten Gebietes ; sie ist daher
nicht nur für Studierende, sondern auch für jeden Gebildeten
ein brauchbares Hilfsmittel.
84 EÜsabeih KölUng.
setzend. Tagelang weinte er ununterbrochen. Es isi
9V|jahrigen und beschrankten Knaben ausserdem audi
Sache*, der .Dovenschule*" so bald wie möglich zu ei
Dieser Wunsch macht den Knaben eifiig im Lesen und \
E. geht in der Pause von selbst an die Rechenmaschine,
mit den Würfeln des Tillichschen Rechenkastens, Ii
selbst Es ist wahrhaft rührend, wie er allen Schwie
gegenüber, die ihm erschwerte Auffassung, Kurzsichtig
zuverlässiges Gedächtnis, die schwer zu dirigierenden
Organe bereiten, unverzagt bleibt Der tapfere kleine
wird aber voraussichtlich nie an das 2el seiner Wün
langen. Gegen andere Wissenszweige verschloss E. si
Zeit grundsätzlich. Er war der Meinung, es genüge rect
lesen zu können, um versetzt zu werden. Religion
schauung gingen ihn absolut nichts an. Seine Gedankt
schwer zu fesseln^ noch sch¥rerer zusammenzuhalten. S
oder schweiften umher. Heut ist E. geistiger Sammk
mehr unfähig. Es bedurfte unerbittlicher Straflheit d
um E. zum Aufmerken zu zwingen. Endlich erwachte
an Dingen» Personen, Geschehnissen.
Während E. anfangs eigensinnig und ungehorsan
er jetzt willig und fügsam. Die Neigung, sich abzusoi
ihm noch eigen. Am wohlsten fühlt er sich allein od
Nähe seiner Mutter. Elr wird wohl immer etwas ,
k«lirtes^ behalten. Doch verhält er sich nicht mehr a
gtes^n das Spiel mit anderen. Er sucht die Anderen ni
sieh aber finden. Zu eixählen hat er sich ünmer no
mit anden^n Knaben. Er hat keinen Freund. Wohl a
er die Khre zu würdigen« die Gunst eines grosseren S
I^Miiessen. Selten hüpft oder springt er im Hofe. ]
keinen Frohsinn. Früher geriet E. leicht in Zorn i
Handelte in seiner Wut die ältere Sdiwester und den
Rr^hier. Die Schwester« der er instinktiv kein Elrzieh
einräumt« wird er wohl nie lii^iien. Za dem jüngere
besteht eine Art Zuneigung:. Wenn es sich fügt dftss d
für beide Rn^ler tu gleicher Zeit aus ist dann war
den jüi^i^^rad Hruder« und Hand in Hand wmndem
Hau$e. Nach Aussai^ der Mutter kommt EL jetzt t
«einen iV^^ciiwi^lefti au^ Er ist ruh^s^er jpewtuden, Me
\^b er ^eine«! Vater lieb habe, beantwwtet E. mit «■
88 Elisabeth Kölling.
scheinung und Bewegung und das teils angenommene, teik
natürliche Wesen.
K. hat üppiges Negerhaar, eng nebeneinanderstehende,
dunkle Augen, die wie schwarze Schlitze wirken, grosse Stirn-
höcker, dicke, breite, weist rüsselförmig verzogene und sehr be-
wegliche Lippen. Die Stirn ist meist quergeninzelt Das dreist-
harmlose Posieren kennzeichnet sich durch Neigen des Kopfes,
Rollen der Augen, Verziehen des Mundes und anhaltendes
Schweigen bei der Aufforderung zum Sprechen. Die Augm
blicken verstohlen unter gesenkten Augenlidern hervor, vct*
kriechen sich in die Augenwinkel, bewegen sich lebhaft hm und
her. Die oft naive Kindlichkeit und Zutraulichkeit, der Eifer,
dessen das Mädchen fähig sein kann, besiegten nach und nach
alle Abneigung gegen dasselbe.
Verhängnisvolle Neigungen des Mädchens erfüllen die
Eltern mit Besorgnis und stellen ihre und der Lehrerin Geduld
auf harte Proben. K. ist zeitweise nur mit Mühe zum Sprechen
zu bringen. Manchmal gelingt es überhaupt nicht Sie zitt^
sie weint. Teils sind es echte, teils erlogene lYänen. Güte und
Strenge müssten sich bei dem Mädchen erschöpfen. K. expe-
rimentiert mit der Lehrerin. Es ist Eigensinn. Es scheint aber
auch, als handle das Mädchen unter einem Zwange. Wenn es
sich endlich dazu entschliessl. das beharrliche Schweigen aufea*
geben, so werden die Worte zitternd und geflüstert hervor-
gebracht. Ofllziell spricht K. stets leise. Wenn sie sich unbe-
obachtet weiss, spricht sie recht laut. Ausserordentliche Härte
gegen dieses Kind anzuwenden, muss den Eltern überlassen
werden.
Ausserordentliche unerwartete Freude brach kürzlich ein-
mal sehr schnell Eigensinn und Schwäche. Elin kleiner, mit Bast
ums|H>nnonor Stehrahmen, den ich in die Schale mitgenommeB»
sollte bei den Kindern die Lust an derartigen, nach den FeiieB
beginnenden Arlnnten wecken. K. hatte grosse FYeode an dei»
Rähmohon. loh gab ihr dasselbe gegen das Gelöbnis, von jctx^
an immer artig ru lesen - und sie las gegen ihre nrsprünglicb^
Al>sicht und etwaigen Zwang überwindend. Sie hatte ci©*
grenreuKv^e U'^rtnule. Ein Erinnern an Rahmen und Versprecht
l>eidt>s wiix) natürlich vergossen - haben einigemale gend^
sich der Anonlnung der Lehrerin tu fugen. Nach einiger 2««*
hatte der Rahmen seine /^ulverkraft eingebüsst
1*
'MV/A% «ueh «tuen in WHrtea. Er
^#' ^nmm iHkf 7^rl€i|e» bück.
riM>«^ 4tomiiie RhijjWtaiMfaM gririMih socb
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irMlf^ Immm^ wgPT ein lokfa ttiiMr», nidit ^ollca
firf^ aWv ,^K#^ ntM:r M4!4i weitet, and P. war toa einer gei
fhhftunnn 0ff1MU %tAn Ebrgefähl bekmidetc o^ andi
/l«NHi #f 4m im Winter gespendete Frohstnck mit Be
HtifHthm Vtm irinem Mitücbuler nahm er erst anf mei
^ftf0f9 thmtfn nn. R war dankbar für Freundlichkeit i
/f^M^ nm l#fi#'.hte)iten willig zu machen zum Goten i
rm/l tUfuMn Kr hatte Verständnis fmr Rücksichtn
^fOfih^h. Kr hrAchte es trotz körperlicher Schwerfallig!
«I^tf iiflUiitrhtir XII bewegen. Für Mitgefühl war er i
HtnitUhUlU^U llle Klnsegnung hat P. in gewissem Grad*
hu\iUiiu\ni, Kr M Icfilhollsch. Der vorbereitende Unt<
Ml i\hi HvUuU^ itfH'tigek hingen. Das Wort Sünde spiel
h\hi^ Himm^ Holle» in urlnen Heden.
l^idllMki^li lioM («liarakters ist bei dem Knaben ni
WhhIimIi NIoIiI wollig wirkten neben der geistigen Min
ki«ll MIniMi» iitiil llaiis stüremi auf das Bemühen d<
Nhi'Ii IhliM* Ali koiiule im der Mutter nicht gelingen,
hiiliiii» iIm tti«h\UI tier Liebe xu sich zu erwecken. So 1
hiiHlioii ilev H^imte lloru Uuhe bringenden tieferen Ei
\\\\ iU«i H \\W\\\ wwK'WxyA^w^iWlx war, verschlossen« Oefl
%\\A\ M^UUnvi uu\( MttUeher Huokgang bei R bemeri
^^'U\^^(WUh\ \\\ in^UvtMU li Jahrt^s P. wird immer der
\^\t^n^\^(V^\ UMK'u Siciu ualüriiohe$ Gefühl für I
^^H^v\'(\t K<^\\M iUm \mWr \iiMi «iMchikkften Va
^^\SS^^\ «^v\%^\^\'h^^^\Wu Sch^U is<«!^n dhf Stünne des 1
\MKK\vH \\\'HV|i>'^ \v^^«^ui^>\>tl bl die aii¥ol
vw^ ^^^v^\ <[V^ sW^ t^s(^^ Wk^il:;!^ Kkv^ss^iiA» u»£ Fe«
\^¥^^ V^NV^ Vx^^^V^I^ 4^^>^ H|^< ^^;n^ TiiC&^l
106 Victor Lawinsky.
heranzuziehen. Aber das genügte Hall entfernt nicht Psycho-
logie soll nach ihm durchweg die Grundlage der Schule bilden,
und so bedarf er ihrer ständigen Mitarbeit für alle Fragen des
kindlichen Seelenlebens. Sehen wir selbst von den aussäen
Schwierigkeiten ab; der weitgehenden Dezentralisierung des
amerikanischen Schulwesens, der Stellung eines schlecht be-
zahlten, heute zu 75 Prozent weiblichen Lehrerstandes, der nach
heute trotz seiner Hebung, durch die Hall sehe Arbeit, seinen
Beruf vielfach nur als Notnagel ansieht. Es blieb doch der
innere Widerspruch: dass die Grundlagen erst aus empirischen
General isationen gewonnen, und dennoch die Schule sich sofort
zum Versuch bereit stellen sollte. Nun ist von vornherein klar,
dass die absolute Versuchsschule ein pädagogischer Unfug ist,
den z. B. Tolstois Experimente ad absurdum bewiesen haben.
Voraussetzungen braucht der Lehrer, die für ihn den Wert des
Ideals haben müssen, erst recht, wenn er die glatte Bahn des
Versuchs betreten soll. Hall gab sie ihm in seinen Ideen über
praktische Bildung, die ihm zuerst die Leiter der normal schools,
der Lehrerbildungsanstalten, dann auch eine steigende Zahl
kommunaler und staatlicher Schulbehörden zuführten. War so
einmal Bresche gelegt, so förderte gerade die Dezentralisiemiig
den Mut zum Versuch, da ihn keine Einheitlichkeit des Schol-
plaps« keine behördlich heilig gesprochene Methode einengte.
Welche Ideen waren das? Erstens die Grundvoraussetzimg:
einzige Richtschnur des Lehrers ist die natürliche Anlage desza
Belehrenden. Damit steht noch vor der Feststellung dieser An-
lagen der methodische Grundsatz fest» dass die Eiziehnng tof
der Linie des geringsten Widerstandes vorzugehen habe. So
wird das demokratische Creiio, das selbst in England vor dem
Bakol ehrfurchtsvoll verstummt auch den Kindern gegenüber
aufrecht erhalten; Freiheit winl die Losung^ Wörter wie DiszipliOi
gleichförmige Methode, Einheitsschule werden leerer Schall, und
bereits sehen wir in den Jugendrepubliken dieses Ideal.za seinen
Äussersten Folgen gediehen, ein Ideal, dem Professor Dewey
einmal den Ausilruok gegeben hat : es sei wie die Tat des Köper*
nikus; der Sch>veq>unkt der alten Erziehung habe im Lehrer
gelegen, ilio neue tinde ihn im Schüler.
Oas Zweite ist das Ziel der Erziehung: es ist nach Hall
der praotioal man, der Mensch« den seine Schulbildung be-
fähigt, jede I.clKnslage zu üln^rsichauen. zu eiigreifen und zn be-
108 Victor Lounnsky.
schem Spiel und Nachahmung weckenden Lebensschilderungei,
Religion in Jugend verbänden mit ihm verständlichen etfaiflcfaen
Zwecken, und Märchen, Mythos und Geschichte sollen immer
nur Vorbilder liefern, die möglichst schnell in Spiel und Enut
zu lebendiger Tat werden müssen. Das Formale, wie neben
Lesen und Schreiben besonders das Rechnen, werden sehr nach-
drücklich in die zweite Stelle gerückt.
Noch aber fehlt ein Wichtiges: die Richtschnur, die angibt,
in weicher Reihenfolge und Verbindung diese Tätigkeiten im
Laufe der Erziehung aufzutreten haben. Die Ergänzung wird
von zwei Seiten her gewonnen. Einmal aus dem psychophys-
schen und physiologischen Studium der Muskelentwicklung;
zum zweiten aber aus einer anthropogenetischen Hypothese, die
ein KoroUar zu Hacke Is biogenetischem Grundgesetz ist, der
Hypothese nämlich, dass das Individuum in abgekürzter Fom
alle Lebensweisen wiederhole, die auf dem Wege zum Knltia^
zustand die ganze Menschheit in fester Reihenfolge habe dordi*
laufen müssen. Wir kommen darauf zurück.
Damit ist der Kreis der theoretischen Unterlagen geschlossa
und das damit aufgestellte Erziehungs- und Bildungsideai hat
auch alsbald in den amerikanischen Industrieschulen, einen
sehr eigenartigen Schultypus, den reinsten Ausdruck gefunden»
indem diese aber zunächst für alle Elementar- und Mittelschulen,
also für die gesamte Erziehung bis zum 13. und 14. Lebensjahre,
ausilrücklioh als Vorbilder hingestellt wurden, traten ganz nene
und j^n^sse Forderungen an die Lehrkräfte heran. Denn ei
konnte Hall und den Seinen gamicht darum zu tun sein, dem
I. ohrer etwa so. wie er sich bis dahin einen Vorrat von Wissen
eingephigt hatte« nun ein System von Verrichtungen auf den
Weg :\\ geben ungeHihr in der Art wie die Kindergärtnerin sich
die Frö beischeu Spiele aneignet. Der Lehrer soll sich bewosit
sein« dass er nicht Wissen verkauft« sondern einen Teil der
elterlichen Funktionen und laichten auf sich genonunen hati
denn cIhmi das Kreu/ unserer Pädagogik. Lehren und Erziehen
xu versöhnen, soll ja in Halls erziehendem Unterricht beseitig
sein. Si> niuss alles was nach Handwerk, Routine, Mechanismitf
schmeckt, um der kindlichen Freiheit willen vermieden werden-
So nuiss der LehixT in erster Linie nicht gegenständliches
Wisscr. una FerU^^keiten in seinen Beruf bringen, sondern d^
Kind soll er kennen, i^onerell und individuell, mit andere«*
HO Victor Lawinsky.
gnüge. Man könnte darum fürchten, dass Halbbildung der
Lehrenden und Verfiachung des Unterrichts sich einstellen
müssten. Da aber die neue Lehrweise den Lehrer in stete per-
sönliche Berührung mit dem Schüler bringt, so fühlt jener in
jedem Augenblicke, wo die Unterweisung Lücken hat, erweitert
und vertieft werden muss, sodass das Lembedürfhis in ihm
selbst stets wach bleibt und seine Kenntnisse lebendig; während
nach dem alten, und im ganzen auch nach dem deutschen Ver
fahren, der Lehrer wohl mit einem über die Schulbedürfnisie
weit hinausgehenden Wissen ins Amt eintritt, aber erstens den-
jenigen Teil davon, den er lehrend mitteilt, nicht zu kontrollieren
und erNveitem braucht, den andern aber, das Mehr, ohne Schaden
vergessen kann, da es ja zu dem ersten meist nur eine Zugabe ut,
keinerlei innerliche Beziehung hat. So mag die neue Methode
durch die Anregung, die sie in sich trägt, das Minus an pon-
tivem Wissen leidlich ersetzen. Scheint von dieser Seite die
Ausbildung erleichtert, so bleibt auf der nun wichtigsten, der
psychologischen, umsomehr zu tun, soviel, dass die Anfor
derungen gegen das ganze System bedenklich nouichoi and
schliesslich zu einer Abhilfe von zweischneidiger Güte gefuhrt
haben.
Zunächst das Bedenken. Halls Ideal der freien und
individuellen Erziehung gipfelt in der Lehre, dass man vom
Kinde lernen müsse, wie es erzogen werden wolle. Der Erzieher
sei also vor allem Beobachter; kann er es aber an sich nidit
beim Zusehen bewenden lassen, um wieviel weniger in dem
heutigen Jugendzustand der Kinderps^^chologie. Seine psst^
Ausbildung soll ihn dazu bringen, selbst zu forschen, mit fireier
Beherrschung des Rüstzeugs der experimentellen Psychologmi
gleichzeitig aber müsste er doch alle seine Funde doch auch in
die Praxis umsetzen können. Offenbar Chimäre. Selbst in der
Einzelerziehung drängt die Not des Augenblicks zu Massnahmen»
die nicht aus allseitiger Kenntnis des Zöglings und umCusender
Erwägung des Erfolges hervorgehen — und nun erst in der
Massenerziehung. Sind also auch fernerhin der individatb"
sierenden Abschätzung der Begabung und der Sonderttlenls
recht enge Grenzen gezogen« aus Mangel an Zeit und Arbeü»*
kraft des Erziehers, so fragt sich doch auch, ob die Psychologie
und Psyciiophsyik Methoden und Sjnithesen genug bieteD, n*
die erzieherische Ausbeute ihrer Resultate zu gesimtlen. ^
124 ila^r Umimsky.
'\%\ nein Verdienst nicht blo» ein natioiinlcsu Seme HsllplfMd^
runn^ die Grundla^n der Erdehnng im Kinde selbst n todiai,
knüfiff ihn an die Ton Ronssean ansgehende Riditmig an*
Atier in ihr hemchte der Gesicfatsponkt, das Kind ab Nodi*
niehterwsehsenen schonend an die Anfgaben heranzofahien, deren
Sinn und Ziel ihm verborgen blieben, sodass man meist nur er-
mittelte, was es noch nicht könne, ohne m fragen, was ihm
eigentümlich sei. Man ging von aussen nach innen* Hall sadit
den umgekehrten Weg. Das Kind soll sich frei aussprechen
un<l der Erwachsene soll der Rede der jungen Seele mhören*
nicht unterbrechen, sondern zu verstehen suchen, was sie irilL
Diese» soll er kräftigen und fördern, von der Ueberzeugnng ge*
leitet, das» es gut sei, auch auf die Gefahr hin, dass seine eigenen
Ideale dabei in die Brüche gehen. Das Kind hat Recht; denn
da» Kind ist die Zukunft. Das ist der gründlichste Gegensatz xu
Kückerts rohem Gleichnis. Der zu erziehende Mensch ist dieser
PAdiigogik kein Stein, der zu einer ihm fremden Form behauen
werden hiukh, sondern ein nach eigenen Gesetzen wachsender
OrffiiniMmuH. Während also freilich der Sammelmethode der Vor-
wurf nicht erspart werden kann, dass sie einen schlechten Demo-
krttÜHniuH fördere, findet doch in dem Ideal der Schule das
Individuum seine Anerkennung. Dementgegen bewegt sich die
deutsclu'! ICrr.iehung, nachdem sie das zwar individualistische«
aber philiströse und wirklichkeitsfremde klassizistische Ideal
otwiis brüsk und undankbar verabschiedet hat, jetzt in dem Fahr-
wiiKHor oinos ödon, manchesterlichen, künstlich nationalgefarbten
NiÜ/.liohkiMtsprinzipes. Da man aberzehn gegen eins wetten kann,
(Ihhs duH« wHs doni Mann nützlich sein wird, das Kind quält, so
wiixl b'rcudlosi^koit das Schandmal des Schulalters. In unsem
Sci\ulru hori^oht tlio Tatsache; in der Schule nach dem Herzen
Halls alu'r dio Tat, und zwar die mit Lust geübte Tätigkeit
l'nst'iv Volkssohulo drillt zu Fertigkeiten und bemisst die auf-
#u\vrudoudc/oit nach dorn gewünschten Mass dieser Fertigkeiten,
Hall will fivios Spiel der Tätigkeiten und bemisst den Zeitpunkt
t\U' eine jtHio nach dem psyohoph\^ichen Vermögen der jeweiligen
AUerK'dufe. Soweit unsere Schule Anschauungen vermittelt, zielt
xie auf Kenntnisse« Hall sieht auch hier überall aufis Können.
W i%sen ist Macht ; das ist aln^r, wenn Wissen nicht auch Machen ist,
nur eine UailH^Finsiebt. die unsdenliöttendienstdersicherenKennt-
niNW lM^'(vheli hat« ^euahii durch Visitatioos- und Eaamensnöte.
HaUsche Kinder • Psychologie, 125
Was Hall treibt, die Ehrfurcht vor dem Individuum, sollte
der Pol aller Pädagogik sein. Die Art freilich, wie er diesem
Ideal Leben gibt, ist so eigentümlich amerikanisch, dass sie
von ihrer werbenden Kraft für uns Deutsche viel einbüsst Dass
das Ziel aber zeitgemäss ist und einer tiefen Sehnsucht entgegen-
kommt, beweisen die Bestrebungen der Erziehung zur Kunst, in
denen wir das gleiche Problem deutsch-unpraktisch am hinteren
Ende anfassen. Lustvolles, freies Schaffen ist wohl gut; aber was
der Künstler tut, den Dingen lauschen und Erlebtes nachschaffen,
ist das Feinste und Letzte, und im Leben bleibt vorerst das
Wichtigere, die Dinge zu brauchen und zu schaffen, um das
Erleben zu beherrschen. Auf dieser Einsicht steht Halls natio-
nale Schule.
r
I
k
Besonderheiten in Anlage und Erziehung
der modernen Jugend.
Von
Theodor Benda.
Wenn auch nicht zu verkennen ist, dass gewisse gemei^'
samo Zü^o die gesamte Jugend unserer Zeit charakterisien?^
so l>e\lin^ doch andererseits die Verschiedenheit der Leber^^
\>^rhältnisse so tiefgreifende Unterschiede, dass eine gemeinsai^^
Behandlung der Kinder der höheren Stände und der Kinder d.^^
Volkes beiden nicht gerecht werden könnte. Auch das KxC^
der höheren Stände ist ein anderes auf dem Lande oder in d^^^r
kleinen Stadt, ein anderes in den grossen Centren derBildongondd^^^
Verkehrs, loh will meine Ausfuhrungen im wesentlichen hier a'^Q^
das Kind der höhen^n Stände in der Grossstadt beschränken; s^^^'
köqHTt dieses doch am reinsten den Beprifl des modenien Kind^s^
IVr Mensch ist das lYixlukt aus Anlage und Egxiehm mCi
beides im Nxcitestcn Sinne genommen.
Die Anlage nun wirxl von den mannighlligstm Faklui ^^
bestimmt Ka:«s$>en- und Volksaeigentiimlichkeitcii. klimatisrfae Vl^^
fS\\K\^,'S^lxt Verhältnisse« Besaonderfaeiten der Epoche^ die Eig^^^n-
^K^hafttn der Vortahren, vielleicht aucb Eäadracke wahrend ^^^
Kon^^ion uik: während ik^ Fötallebe9fe& rieUeacfat
bihcr.. d)e s:ch 7:00k un$aeI>^r Kenntnis entzielieBL
see^iÄ^hc v.iHi kvSrperiich? Vexifessun^ de*
itt d^CÄ^ti phx-SHVopÄThexi Kin^üssaen aber b
^thollCMTi^'^her Ar: h;r^c Isl a)2ch d>e direkle VcitriHi^g ^
wv^bcÄcr F^jj^r.schiftrr. v,T>4i ru d)es«x geboicm audi aol^^^'**
k::fc:RkhaÄ5rr \*^*:r T»ci: i^Tifeihaft. «> steht dodi fed, d— — -•*'
<^.i>r i'^^srcs.tLor, n: ^w-wjscr. E^:asckaflem. «^^k^oU phywi^*'^
<:^$chor ais a^NTh v^ith^vACTTSk-^her Xatatr. aitf die >
sc>>A,'^ ,;bcr^^h;
134 Theodor Benda.
ist. Das Schaufenster mancher Buchhandlung gibt ein voll-
ständiges Register aller sexuellen Anomalien. Oft unter der
Maske wissenschaftlicher Abhandlungen, meist mit hy^eniachm
oder psychologischem Titel spekulieren diese Erzeugnisse tof
die perversesten Triebe in der Menschennatur. Dieser Litentor
steht die darstellende Kunst würdig zur Seite, die die gleidien
Ziele verfolgt. Insbesondere die ganz neu erstandene Industrie
unsittlicher Ansichtskarten ist geeignet, grosse Verbreitung unter
der Jugend zu finden.
Kine ebenfalls durchaus ungesunde geistige Nahrung bietet
dem Kinde die Zeitung, auch die ernsteste und gediegenste.
Wie sehr sich der Charakter der Zeitnngslektüre in dei
letzten WS Jahren gewandelt hat, zeigt ein Vergleich zwischen
einer Nummer der damals einzigen Zeitung Berlins, der
Vossischen vom Jahre 1800, mit einem der modernen Blätter. Eil
Blattchen in Quartformat, das nur einige Korrespondenzen sns
eun>paischen Staaten, einige Gedichte, Hoftiachrichten, Familien-
anzeigen^ Theater- und Kunstanzeigen enthält, genügte den da-
maligen Ansprüchen.
Die heutigen Tagesblätter aber, von elwm zehnfachem Um-
fange, enthalten eine verwirrende Fülle von Einzelheiten ans
allen Gebieten des Lebens^ auch aus den fernsten Weltteilen; ii
dorn Vnterhaltungsteil meist realistische Darstelliingen oder
psychologische Analysen; in den ernsten Artikeln ein Uebe^
blicken und Zusammenfassen weiter Gebi^e — schon für den
Krwachsenen eine n^pektable geistige Leistung. Um wieviel mdr
für das Kind« bei dem die Bahnen noch nicht ansgetrelen sindi
in denen der Geist des gebildeten Erwachsenen sich mitLeiditig'
keit l^^wt'gt. Gewiss werden nicht viele Kinder die ZeitaBg
i:run\lUoh lesen, aber schon ein Uebeifliegen weckt eine nncn-
liche Zahl von tiedankenreihen. die um so verwiireiider wirket
w>nüen. je mehr das Material fehlt sie zn Ende za denka
AiHierer^ils wtrxi durvh das cAterflächUche Insidiaii&iduncB
w^ allerl^'i \Yissenshi\x^ken eine Haibtnldang craeogL die kicU
\k«i Glauben «tes Viel- xind Allesverslehems in den uueifea Kopien
wtvkt; uikI ein ^tes Teil der Selhstubeisclkalniig; nail weldicr
die jüngste Genemtion über alte IHn^ n nrteüen nntemimnif
6iUt \)er «Vttuii^rslektünr rar Ijasi. At>cli ist der rittirilige Parto-
slaiKt|H:nkt WMci wachem aus jece Zeituig die Wdtvoiijpmge
beurtt^it See>$net. ^«i Kiwie. dus hmsI nur die Zfftmg einer
Sitzungsberichte.
Psycliologische Qesellscliaft zu Berlin.
Arbeitsplan Sommer-Semester 1905.
i) 4. Mai. Herr Dr. Eysen, Symbolik der menschlichen Gesta. 1
(Mit LichtbUdem);
a) i8. Mai. Herr Dr. Fritz Leppmann, Die Unzuchtverbrech^
an Kindern;
3) 8. JunL Herr Dr. Weddigen, Goethe als Begründer d^
modernen psychologischen Romans;
4) 22. Juni. Herr Rechtsanwalt Dr. Löwenstein, Die psychische
Einflüsse der Untersuchungshaft;
5) 29. Juni. Herr Dr. Gramzow, Der Anthropologismus in d «
Fe uerbachschen Religionsphilosophie;
6) 20. Juli. HerrDr.LeoHirschlaff, Zur Psychologie des Urtei. 1
Die Sitzungen finden im kleinen Saal des Langenbeckhauses, Zieg^
Strasse 10/11, abends 8 Uhr statt Anfragen sind an den Vorsitzenden <!<
Psychologischen Gesellschaft, Berlin W., Blumeshof 9, zu richten.
Im Anschluss an den auf S. 49 dieses Jahrganges verOffentlicli.te
Sitzungsbericht der Psychologischen Gesellschaft vom 19. Januar x^.
ersucht uns Herr Dr. Möller um den nachträglichen Abdruck folgende
Ausführungen, die als Schlusswort der Diskussion über seinen Vortrag: „I>i<
Grundlage des psychologischen Experimentes* anzufügen sind :
Herr Möller (Schlusswort): Es wird zugegeben, dass einige der ifl)
Vortrage angeführten Bedingungen des psychologischen Elxperiments auch
auf andere Experimente anwendbar sind. Der Vollstftndigkeit wegen er-
schien es indessen notwendig, sämtliche Grundlagen des psychologischen
Experiments, auch die allgemeiner^ Natur, einer Besprechung zu unter'-
ziehen. Wenn es nicht in allen Fällen möglich sein wird, beim exakten
Versuch die individuellen Verschiedenheiten und realen Verhältnisse in
vollem Umfange zu berücksichtigen, so sollte man sich doch stets darüber
klar sein, dass ohne diese Berücksichtigung die experimentellen £rgebniaBe
nicht unbedingt Wirklichkeitswerte darstellen. Die Notwendigkeit, die ge-
nannten Momente zu berücksichtigen, haben in letzer Zeit u. a. die Erg^
nisse der Aussageforschung und die dabei zu Tage getretenen Fehler
•quellen besonders in die Erscheinung treten lassen.
144 Sitsungsberühte.
Sitzung vom 15. Januar 1904.
Vorsitzender: Herr Kemsies,
Schriftfflhrer: Frau Wegscheider-Ziegler.
Vortrag des Herrn Dr. Waise mann: „Ueber Zahlanschaou
nach den Ergebnissen einschlägiger Experimente"
Der Vortrag wird in der folgenden Sitzung fortgeführt.
Sitzung vom 12. Februar 1904.
Vortrag des Herrn Dr. Wals emann über ,Anschauungsle]
der Rechenkunst mit Benutzung von Zahlkörperapparaten*.
Der Vortras:, der die Darlegung des vorigen Vortrages im S:
der praktischen Verwendung im Rechenunterricht ergänzte, erregte •
lebhafte Diskussion:
Herr Kemsies: Das Vorgetragene gehört seinem Inhalte nach
psychologischen Pädagogik. Im Rechenunterricht wird seit Pestalozzi
Zahl versinnlicht durch Vorzeigen von Fingern, Knöpfen, v Steinen u.i
Aber sehr bald verlässt man die Anschauung und geht zum Zahlenrecl
über, d. h. zu den nach Regeln geformten Zahloperationen, und lässt enc
den Charakter der Zahl zum Symbol herabsinken. Vielleicht ist das Fa
lassen der Anschauung zu bedauern, doch erscheint es notwendig,
chologisch kann man fragen: darf man mit dem Vortragenden Zahl
straktion und Zahl-Konkretion unterscheiden? K. verneint diese Frag<
Herr Pfungst weist die Unterscheidung ebenfalls zurück.
Herr Möller: Die Veranschaulichung der Zahlen und eine
Zahloperationen wird wesentlich Gegenstand des Rechenunterrichtes
beiden ersten Schuljahre sein. Bei der Entwicklung des Versi
nisses von Brüchen und Bruchoperationen auf einer späteren Stuf<
ebenfalls die Veranschaulichung notwendig und im Sinne des Herrn
tragenden wohl anwendbar. Nach der Entwicklung des Verständni
wird es immer Aufgabe des Rechenunterrichtes sein, feste Zahl- und
griffsassoziationen zu bilden. Bezüglich der paarweisen Anordnung
Zahlanschauungsbilder sind auf dem gleichen Prinzip beruhende köi
liehe Veranschaulichungsmittel bereits vorhanden, z. B. an der Idic
anstalt in Idstein.
Herr Fischer lenkt die Aufmerksamkeit auf die Arbeit, die
Kinder, sobald sie einige Zahlenbegriffe erworben haben, ohne Lei
leisten; diese müsste zunächst noch genauer beobachtet werden. So
schäftigte sich sein sechsjähriger kleiner Sohn mit Strassennummem.
Herr Schumann fragt beim Vortragenden an, ob er VersudMI
gestellt hat, um zu zeigen, dass seine Methode des RechenuntM|||
andern Methoden überlegen ist.
Herr Pappenheim sucht die Notwendigkeit der
auch auf höheren Stufen des Unterrichtes aus dem Beisiiidt
phischen Unterrichtes klar zu machen.
Herr Fischer bezweifelt die Anwendbarkeit d
Grundbegriffe als Beispiel für den Zweck des Vortragi
Siisungsbcrichie. 149
desselben, eine £nqu6te über Kinderlügen zu veranstalten, angenommen
warde und nach Entgegennahme des Kassenberichts die Wahl des Vor-
sUodes stattfand.
I. Vorsitzender: Herr Direktor Dr. F. Kemsies, Weissensee b. Berlin.
a. Vonritzender: Herr Privatdozent Dr. K. L. Schaefer, Gr. Lichter-
felde-Ost
1. Schriftführer: Frau Dr. Wegscheider-Ziegler, Berlin W. 50.
2. Schriftführer: Herr Oberlehrer Dr. W.Pappenheim, Gr. Lichterfelde.
Kassenwart: Herr Rektor Gusinde, Berlin W.
Sitzung vom 2. Dezember 1904.
Vorsitzender: Herr Schaefer,
Schriftführer: Frau Wegscheider-Ziegler.
Vortrag des Herrn Privatdozenten Dr. H. Neumann über: Die
fanktionellen Nervenkrankheiten des Kind es alters.
Unter funktionellen Nervenkrankheiten sind solche zu verstehen,
bd denen pathologisch-anatomische Veränderungen des Organes nicht
vorlumden sind. Die abnormen Funktionen können ausgelöst werden i.
<lQrch Gifte, 2. ohne erkennbare Ursache, 3. durch grobe Veränderungen. So-
^ die normalen Reize des Lebens, als auch die physiologische Steige-
nmg der LebenstAtigkeit (Schulperiode, Entwicklung der Geschlechtsreile)
Qod abnorme Inanspruchnahme des Nervensystems (durch Onanie, lieber-
snstrengung oder Krankheiten) können Nervenkrankheiten auslösen.
Als abnorme Reaktion auf Reize, die durch Vermittlung der Aussen-
vtk tn das Kind herantreten, treten auf: Leichtes Erschrecken, Zittern.
Die Kinder werden weinerlich, wütend, reizbar, bis zu Krämpfen.
Die Anstrengung und Qual des Lebens, die im allgemeinen miss-
QQtig, ängstlich, übelnehmisch macht, erzeugt Phobien, Schlafstörungen,
Bcwegungsunnihe, Migräne und ähnliche Zustände.
Durch Ueberanstrengung werden hauptsächlich Gefühlsleben und
Babüdungskraft getroffen, die Einbildung überreizt das Gefühlsleben:
Ust an Lügen, Irresein in den verschiedensten Formen ist die Folge.
Der Vortragende weist darauf liin, dass die Behandlung eine nega-
^ beschützende, aber auch eine positive durch Uebung und Stärkung
fa gtnzen Organismas sein müsse.
Diskussion:
Frau Wegscheide r hält die Nervosität der Matter für eine viel-
Ui vorkommende Ursache der nervösen Störungen bei Kindern und
pUiert in solchen Fällen für eine ausserhäusliche Erziehung.
Herr Professor Neumann weist das als in den seltensten Fällen
••«ftüirbar zurück.
Sitzung vom 20. Januar 1905.
Vorsitzender: Herr Kemsies,
Schriftführer: Herr Pappen heim.
Vortrag des Herrn Professors Dr. A. Bag ins ky über: Zwei Fälle
▼onHystero -Epilepsie.
150 SitzungsberkhU.
V
Diskussion :
Herr Kemsies erinnert an seinen Vortrag Über Klinderlügen
LQgenkinder, worin er die Lügenhaftigkeit als Begleiterscheinung c
Symptom bei Hysterie und Epilepsie beschrieben habe. Das '
dem Vortragenden entworfene Schema der reflektorischen subkortiks
und kortikalen Vorgänge erscheint ihm geeignet zur Illustration des In<
anderübergehens derselben.
Herr Hammer fragt, ob in den angeführten Fällen Brom gewirkt h
und Zungenbisse bestanden hätten, was beides für Epilepsie sprechen wtk
Herr Baginsky meint, dass Zungenbisse möglicherweise vorhan
gewesen seien. Brom wirke auch bei Epilepsie nicht immer. Dagc
kämen die Dämmerzustände und sonstigen psychopathischen Erscheinai
bei Epilepsie meist nach dem Anfall, bei Hysterie vorher.
Herr Geheimrat Münch begrüsst mit Freude als Konsequenz
Vortrages, dass durch Erziehung bei Kindern daliin gewirkt werden k<
und müssC; dass sie gewisse Reflexe und Vorgänge durch Hemmui
bekämpfen lernen, im Gegensatz zu der im Publikum verbreiteten Mein
man solle Kinder möglichst wenig hemmen, sie sich individuell ausl
lassen.
Vortrag des Herrn Sanitätsrat Dr. Ben da über: Besond
heiten in Anlage und Erziehung der modernen Jag<
Diskussion fand wegen der vorgerückten Stunde nicht stal
Beide Vorträge werden in der Zeitschrift für Pädagogische Ps^
logie abgedruckt werden.
Sitzung vom 10. Februar 1905.
Vorsitzender: Herr Kemsies,
Schriftführer: Frau Wegscheider-Ziegler.
Tagesordnung:
Antrag Kemsies, eine Kommission von Fachmännern (Psychol*
Juristen, Pädagogen, Medizinern) zu wählen für Sammlung und Bearbe
des Materials über Kinderlügen.
Herr Kemsies beleuchtet und begründet den Antrag von |
gogischen, juristischen und medizinischen Gesichtspunkten; er zeigt
Möglichkeit der Durchführung einer solchen Enquete und legt die Sei
dar, die er zur Verwirklichung derselben bisher unternommen habe.
Für eine zweckmässige Durchführung der Untersuchung ist
nächst eine Begrenzung und Teilung des Stoffes nach prinzipiellen
Sichtspunkten herbeizuführen. Es wird die folgende Einteilung
Terminologie für Aussagen überhaupt und Lügen im besonderen vo
schlagen:*)
I. Die Aussage (A) stellt ein Gewusstes oder sachliches Wissen
in hörbarer oder sichtbarer Form dar, bestehe dieses Wissen
in einer einfachen Vorstellung, einem Begriff, Urteil, Schluss odc
einer beliebigen Verbindung dieser Elemente. Es kommen fl
Aussagen vor, bei denen ein sachliches Wissen fehlt (Wo).
*) Diese Einteilung wurde in etwas abweichender Form gegeben.
Sitzungsberichte, 151
2. Das Wissen kann sachlich richtig oder sachlich falsch sein (Wr oder
Wf). Uebei^i&nge kommen vor. Der Fehler kann in qualitativen
oder quantitativen Bestimmungen oder in beiden zugleich liegen;
dieser Unterschied soll vorläufig ausser Acht gelassen werden.
3. Die Aussage kann wiederum das Sachwissen richtig oder falsch
darstellen (Ar und Af); Uebergänge sind denkbar. Die Fälschung
der Aussage wird unbewusst in gutem Glauben geschehen oder in
bewusster Absicht stattfinden (Afu oder Afb).
Danach ergibt sich ein allgemeines Schema mit 8 Hauptfällen:
Ar I. Wahre Aussage.
Wf ^ Afu 2. Aussageirrtura oder unbewusste
Aussagefälschung.
Afb 3. bewusste Aussagefälschung oder
Lüge wider richtiges Wissen.
Ar ^ 4. Sachirrtum.
Wf ^ Afu 5. Sach- und Aussageirrtum.
Afb 6. Sachirrtum mit Lüge, Lüge wider
vermeintliches Wissen; es kann
dadurch eine sachrichtige Aussage
zustande kommen, die gleichwohl
Lüge ist.
A 7. Geschwätz oder leichtfertige Aus-
sage.
Afb 8. Lüge ohne Sachwissen.
Bei unserer Untersuchung kommen, falls wir uns auf das Gebiet der
agendichen Lügen beschränken wollen, nur 3 Fälle in Betracht, nämUch:
Lüge wider richtiges Wissen,
Lüge wider vermeintliches Wissen,
Lüge ohne Sachwissen.
Sie enthalten als gemeinsames Merkmal den Willen zur Unwahrheit
(dohis), d. L ein subjektives volitionales Moment, und die volle Erkenntnis
zwischen richtiger und falscher Aussage, daneben also ein subjektives
intellektuelles Moment. Dagegen unterscheiden sie sich in Bezug auf das
za Grunde liegende Sachvrissen, d. L das objektiv logische Moment Die
I^ ist an erster Stelle psychologisch, ethisch und juristisch (als Falsch-
^) stigmatisiert durch den dolus.
152 SüsimgsberichU.
Nun gibt es aber zahlreiche Uebergänge von der eigentfichen
zum Sach-Irrtum und zum Aussage-Irrtum, weil das subjektiv intdlek
Moment der richtigen Erkenntnis schwankt. Femer innerhalb des ^
zur Unwahrheit Uebergänge von unedlen, bis hinauf zu moraü
Motiven. Endlich muss man trennen die Lüge als einfachen morali
Defekt von dem dauernden Hang zum Lügen, der Verlogenheit, un<
der pathologischen Lügenhaftigkeit, sowie von ihrem sekundären Auft
bei Vergehen, Verbrechen und krimineller Geistesverfassung.
Es ergeben sich mit Beachtung dieser Gesichtspunkte in dem 1
bekannten Material (aus St. Hall und Sully) etwa 8 natürliche Gri
von Kinderlügen, die dem obigen Schema einzureihen sind:
I. Die uneigentliche Lüge im Spiel: Komödien, Kniffe, Ränke,
.Stellungen.
IL Der Aussageirrtum, Sachirrtum oder beide zugleich: ^
nehmungsfälschung, Urteilsfälschung, Erinnerungsfälschung
in. Die Lüge wider richtiges Wissen aus entschuldbaren Grü]
aus Angst, Verlegenheit, Schmeichelei, Prahlerei u. a.
IV, Die Lüge aus unedlen Motiven: aus Selbstsucht, Trotz,
Rachsucht.
V. Die Lüge aus edlen Motiven: aus Scham, Hingebung für ai
oder für eine Partei, auf Befehl einer Autorität.
VI. Die Verlogenheit als kindlicher Charakterfehler (Grenzzusi
VII. Die pathologische Lügenhaftigkeit: bei Hysterie, Epilepsie, i
insanity, Paralyse.
VIII. Die kriminelle Geistesverfassung: bei Betrug, Urkundenf&lsc
Diebstahl, Einbruch, Verbrechen gegen das Leben.
Diskussion: Herr Heubner erklärt sich mit dem Antrage ei
standen. Namentlich sei es nützlich, die Grenzbeziehungen zwischen
maier und fehlerhafter Anlage zu erforschen. Er selbst will nicht i
Kommission eintreten, schlägt aber vor, dass man Schulärzte, z. B. 1
Dr. Bendix oder Herrn Professor Hartmann, hineinwähle, daneben Psyc
und Lehrer.
Herr Kemsies hofft, durch dieses Unternehmen die Lehrer
mehr als bisher für die vom Verein vertretenen Interessen zu gewi
Die noch junge Wissenschaft der pädagogischen Psychologie, die in Dei
land erst vom Jahre 1895 an datiert, hat bei der grossen Mannigfalt
der pädagogischen Interessen Schwierigkeiten, sich durchzusetzen. £
antragt, zur Wahl eines Bureaus zu schreiten. Der Antrag wird
nommen und als vorläufiges Bureau gewählt:
I. Psychologen: i. Herr Dr. Schäfer, 2. Herr Dr. Liepmann, 3.
Geheimrat Stumpf, 4. Herr Dr. Stern-Breslau,
n. Pädagogen: 5. Herr Direktor Kemsies, 6. Herr Rektor Gusi
7. Frl. Schulvorsteherin Kaul, 8. Frl. Gertrud Pap
heim, 9. Herr Direktor Piper aus Dalldorf, lO. Herr
schullehrer Arno Fuchs.
III. Juristen: 11. Herr Geh. Rat v. Liszt, 12. Herr Geh. Rat Kahl.
VI. Mediziner: 13. Herr Professor Ziehen, 14. Herr Dr. Navrai
15. Herr Professor Baginsky, 16. Herr Dr. W. Be<
154 Sitzungsberichte.
denen gründliche psychologische und pädagogische Schulung vorband
ist. Will man z. B. Auskünfte von recht viel Eltern erhalten, so mc
die Einholung der Auskunft und die Ausfüllung der Bogen persönlich u
direkt durch geschulte Mitarbeiter der Kommission erfolgen.
C. und W. Stern.
Literatnran^be.
Albanel und Legras, les enfants menteurs. Revue philanth. et Sc
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Delbrück, Anton, Die pathologische Lüge und die psychisch abnonc
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Es wird gebeten, weitere Literaturangaben an Dir. Kemsies,
Weissensee b. Berlin, mitzuteilen.
i
Komitee ffir Kinderforschung in Budapest«
In Ungarn entstand die Idee der Gründung eines Vereins für Kinder-
^orsdmng im Jahre 1901, als auf Anregung des Lehrerseminardirektors
I«adislaus N a g y diesbezüglich eine Versammlung abgehalten wurde. Die
Grflndung des Vereins erfolgte jedoch erst im März 1903 unter dem Titel:
fKomitee f ürKinderf orschung^S dessen Präsident Graf Alezander
Teleki, Abgeordneter; leitender Vizepräsident Ladislaus Nagy, Lehrer-
scmmardirektor.
Der Verein wird besonders durch das Publikum, ferner durch
Aerzte und Pädagogen unterstützt.
Das Komitee führte zur Orientierung des Publikums die ö f f e n t -
liehen Si tzungen f ür Kinderf o rsch u ng ein, wo über ver-
schiedene Fragen der Kmderforschung Vorträge gehalten und die
Wünsche, Fragen, Interpellationen des Publikums erörtert werden. Bisher
^»irden folgende Vorträge gehalten:
Lehrerseminardirektor Ladislaus Nagy „Ueber Methoden und Auf-
gaben der Kinderforschung"; Dr. Paul Ranschburg , Definition der gei-
stigen Fähigkeiten des Kindes"; Professor Sigmund V d r a d i „Entwick-
'^g des Sprechens beim Kinde* ; Lehrerseminardirektor Michael Lang
«Instinktmässige Handarbeiten des Kindes* ; Professor Anton Streit-
^*nn „Die Zeichnungen der Känder"; Arzt Julius Grösz „Ueber die
Physische Entwicklung der Kinder" ; Professor Böla L a z 4 r „lieber die
Phantasie des Kindes*.
Das Komitee für Kinderforschung veranstaltete im Jahre 1904 unter
Leitiing des vorzüglichen Kinderpsychologen und Arztes Dr. Rausch-
" ^rg einen Kurs für Kinderforschung. Am Kurse nahmen
^W Lehrer aus Budapest teil. Derselbe bestand aus einem zwei-
monatlichen theoretischen und einem zweiwöchent-
**ckcn praktischenKurse. Ersterer erörterte alle bisher angewende-
156 SüKungsberichU.
ten Methoden der Experimental-Psychologie, während am praktisck^^^
Kurse die Teihiehmer Untersuchungen teils an normalen, teils an abm^^
malen (imbecillen) Kindern vornahmen und einübten. Aach nahmen ^
Mitglieder des Kurses an den klinischen Ordinationen Dr. Ransc^ \
b u r g s teil. Der Kurs wurde vom Municipium Budapests unterstQk.«^
Die gewesenen Teilnehmer des Kurses bilden Jetzt unter Leitung des ;2!>
Ranschburg die Schulabteilung des Vereins. Sekretär die
ser Abteilung ist der Lehrer G6za Jablonkay. Die Abteilung bew^x-j^.
stelligt ihre Untersuchungen nach festgesetztem Programme; der ^e.
sammelte Stoff wird gemeinschaftlich zur Zeit mit Untersuchungen betreffs
der Auffassungsgabe, des Vorstellungsinhaltes und Woz-t-
Schatzes der Kinder verarbeitet
Das Komitee für Kinderforschung veranstaltet im Herbste laufenden
Jahres eine Ausstellung der Kinderkunst welche 5 Abteilungen um-
fassen soll, und zwar: 1. Kinderforschungs-Abteilung, i) instinktmässigie
Zeichnungen der Kinder und der primitiven Völker, 2) instinktmftssigc
Handarbeiten der Kinder und des Volkes. II. Unterrichts -Abteilimg'
i) Zeichenunterricht der Volksschule, 2) Beschäftigungsgeräte der Kinde? ^'
gärten, 3) alle Stufen des Handarbeitsunterrichts. III. Kunst- AbteilaulSt
i) Sammlung der Anschautmgsbilder psychologischen und künstlerisch^^
Wertes, 2) Schulzimmer-Modell, vom hygienischen und ästhetischen Starm^'
punkte aus musterhaft eingerichtet. IV. Industrie-Abteilung, Sammln i^S
der vom psychologischen Standpunkte ausgewählten Gegenstände der ^^
und ausländischen Spielzeugindustrie. V. Musik-Abteilung, Primitive MosJA
ebensolches Spiel und Tanz der Kinder, Kinderlieder. Die meisten d*
Gruppen sind international geplant.
Das Komitee für Kinderforschung beabsichtigt, vom Jahre 1905 i
Hefte für Kinderforschung auszugeben.
Adresse: , Komitee für Kinderforschung", Ladislaus Nagy, leitend
Vizepräsident. Budapest, VIÜ, Üllöi üt 16.
Das Programm der y^Einderkunst-Aiisstelliing^*
Das Komitee für Kinderforschung plant für September 1905 ^
Budapest eine internationale Kinderkunst-Ausstellung zu dem Zweck^^
um für das Seelenleben des Kindes die Aufmerksamkeit der Oeff entließ -!>
keit zu erregen; jene Merkmale zu sammeln und zu pflegen, welche d^^
innere Seelenleben des Kindes sowohl in der universellen, wie au^^^
hauptsächlich künstlerischen und technischen Erziehung vervoUkommn
um hierdurch der nationalen Erziehung zu dienen.
Die Gruppen der Ausstellung werden folgende sein :
!• KInderforschODgg-Klasse.
Gruppe A. Das instinktmässige Zeichnen der Kinder.
Diese Gruppe umfasst jene Zeichnungen, welche aus dem eigenen
Instinkt der normalen und abnormalen Kinder entstanden sind, und zwar
sei es während des Spieles oder aus dem Gedächtnis oder nach da* Natur.
158 Sitzungsberichte.
Gruppe B. Die Beschäftigungslehrmittel der
Kinderbewahranstalten.
In dieser Gruppe werden die während des regulären Unterrichts
gefertigten Arbeiten der Zöglinge ausgestellt
Die instinktmässigen, aus freiem Antriebe gefertigten Arbeiten der
Kinder sind von dieser Gruppe ausgeschlossen, resp. werden, wenn einge-
sandt, in die Gruppe der instinktmässig gefertigten Arbeiten eingestellt
In dieser Gruppe sind auszustellen:
1. Aufbau der sogenannten Baukästen;
2. Aufbau aus kleinen Stäbchen, Obstkemen, einzelnen and mehrec*^^
Ringen ;
3. Gruppierungen von Bauklötzem;
4. Papierzusammenlegspiele ;
5. Papier- und Spänegliederungen;
6. Nachahmungen aus verschiedenen Stoffen und Materialien, i^ n-
fertigung von Kinderspielzeugen (Peitschenschnüren aus Bindfaden, Pupp^ <n
aus Werg, Papier, Stoff, Wagen, Gebrauchsgegenstände etc. aus ver-
brauchten Zündholzschachteln, Zwimspulen etc.;
7. Tonmodellierungsarbeiten ;
8. Sandmodellierungen, graphisch dargestellt.
Zu dieser Ausstellung wird die Landes Vereinigung der Kinderbewa l^r-
anstalten ersucht.
Gruppe C. Handarbeitsunterricht.
Hier werden die während des ordenUichen Unterrichts in den
Schulen oder als Hausarbeit aufgegebenen Handarbeiten ausgestellt, Hin-
gegen ausgeschlossen sind hierbei die handwerksmässig hergestellten Hand-
arbeiten, welche die Kinder, die zam Lebensunterhalt gezwungen sind,
fertigen.
Diese Gruppe umfasst die im Unterrichtsplan der Volksschulen,
der Seminare und Heilpädagogen-Institute vorgeschriebenen Handarbeiten,
und zwar:
1. Die Tonmodellierungen;
2. Die Arbeiten aus leichtem Papier;
3. Die Kartonnagenarbeiten;
4. Die Anfertigung aus Holz; weiterhin
5. Jene Gegenstände, welche zur Erlernung der Schulhandarbetten
dienen, Lehrmittel und Abbildungen von Schulateliers.
Zu dieser Ausstellung wird die Vereinigung des Landes-Handarbeits-
Erziehungs-Instituts ersucht.
8. Kvnst-Abteiliuig.
Gruppe A. Anschauungsunterrichtsbilder.
Der Zweck dieser Ausstellung ist die Vorführung der in den Schulen
gebräuchlichen Anschauungsbilder, fernerhin die Ausstellung der fOr die
Jugend gefertigten Illustrationen und Bilderbflcher, wie auch derwi kflnst-
ierische Vervollkommnung.
Sitzungsberichte, 159
Hier werden ausgestellt:
1. Zur Illustration des gegenwärtigen Entwicklungsstadiums ein bis
vci Bildergruppen, welche die historische Entwicklungstheorie kenn-
admen;
2. Zusammenstellung der hervorragenden patriotischen Wandbilder
d guten Bilderbücher;
3. Die hervorragenden ausländischen patriotischen Wandbilder
d Bilderbücher.
Das Arrangement dieser Gruppenausstellung übernimmt das Komitee
* Kinderforschung, wie auch ein Sachverständigen - Konsortium von
Dstlem imd Kaufleuten.
Gruppe B. Modellunterrichtssaal.
Zur Förderung des ästhetischen Gefühls wird hier ein Unterrichts-
1 von schönster Ausstattung ausgestellt.
Diese Gruppenausstellung bewerkstelligen:
Das Komitee der Kinderforschung und die schulärztliche Fachklasse
' Landeshygiene, unter Mitwirkung von kunstbegabten Sachverständigen.
4. Indnstrie-Abteiluig.
Im In- und Auslande gefertigte Spielzeuge.
In dieser Gruppe werden jene Erzeugnisse der Spielwaren-Industrie
^führt, welche für die Kinderpsychologie vom Unterrichts- und künst-
ischen Standpunkt von Interesse sind.
Die Abteilungen dieser Gruppe sind:
1. Ausstellung einheimischer Spielwaren, nach dem Kindesalter
ordnet ;
2. Ausländische Spielwaren ;
3. Nationale Spielwaren, welche für die erwachsene Jugend eines
»cbigcn Volkes erzeugt werden.
Diese Ausstellung ordnet die biographische Klasse des National-
^ums und das Komitee der Kinderforschung, unter Mitwirkung von
^Verständigen auf dem Gebiete der Spielwaren-Industrie.
5. Mnsik-AbteUnng.
Es werden ausgestellt :
a) Instinktmässig produzierte Kinderlieder, welche mit oder ohne
'^Uimus, mit oder ohne Text beim Spielen gesungen werden ;
b) Kindervolkslieder;
c) Kunstkinderlieder;
d) Liederbücher;
e) Rhythmische Bewegungen und Kindertänze.
Zum Arrangement dieser Ausstellung wird das Komitee der Kinder-
chung und die ungarische biographische Gesellschaft ersucht.
Budapest, 10. November 1904.
Das Ausstellungs-Komitee der Kinderforschnng.
Berichte und Besprechungen.
Lernlust, eine Comenius-Fibel. Für den zeitgemäss \
ten Sach-, Sprach- und Schreibunterricht nach ein
sandigen Lehrgang der kombinierten Laut- und
Wortmethode bearbeitet von L. F. Göbelbecker,
Mit 60 grossen Gruppenbildern und zahlreichen
Illustrationen versehen von H. Lentemann und
hervorragenden Künstlern. 20. Auflage. Verlag O
nich, Wiesbaden.
Die Comenius-Fibel zeigt einen Lehrgang, der sich als eii
nation der Schreiblese- und Normalwörtermethode darstellt, l
durch Gruppen von Bildern, deren Stoffe dem Leben der Ki
stammen, tritt in dieser Fibel der Anschauungsuntericbt ungek
den Dienst des Leseunterrichts. Durch den anlehnenden Sacl
und die damit verbundene Entwicklung der Selbsttätigkeit
Interesse der Schüler kräftig geweckt; die toten Buchstaber
Leben, sodass den Kleinen das Lesenlernen nicht als ,,Last*'
als ipLust** erscheint.
Weissensee. Be
f,Das Kind in Haus, Schule und Welt.*^ Ein Lehr- und I
im Sinne der Konzentrationsidee für das Gesa
des ersten Schulunterrichts, auf neuen Bahnen b
und den kleinen Anfängern gewidmet von L. 1
becker. 3. Auflage. Verlag Otto Nemnich, Wiesb
In dem 2. Teile des Buches tritt als Neuheit die Norma
gemischte Schreiblesemethode auf. Die Kinder werden im Am
die auf dem betreffenden Gruppenbilde vertretene neue Anzal
schauungsobjekte und Leseübungen auch nebenher in den 2
von I— 10 eingeführt.
Weissensee. B€
Kind und Kunst. Monatsschrift für die Pflege der 1
Leben des Kindes. Verlag Alex Koch, Darmsta
gang 1905.
Der Kampf ums Dasein raubt uns oft die Begeisterung ii
ruf und die ruhige Betrachtung der Dinge. Um den idealen
Beruhte und Beipreehungen.
161
■ ♦■»1
Sc
k-»-:r
^^Uie den Grosses nicht gedacht und getan werden kann, zu erhalten,
xz&tlsBeii wir frflhe den unentwickelten Menschen zur Harmonie mit sich
^^bst und der Welt erziehen, wir müssen ihm die Sphäre der Schönheit
^^i^cl die Heiterkeit der Kunst zeigen. Wie dies anzufangen ist, will uns
^cse Zeitschrift lehren. Was in ihr geboten wird, ist mehr als beachtens-
'^^''crt, ist wirklich bedeutsam, die Fülle des Stoffes reich, die Form der
Gabe anmutig, stilvoll, schön. Erzieher, Eltern und Kinder finden darin
S^löene Samenkörner. Neben gediegenen Abhandlungen und trefflichen
Pingerzeigen, glücklich gewählte Illustrationen, die sicherlich den wichtig-
sten Teil dieser Zeitschrift ausmachen. Zu welchen Resultaten die Kinder
ohne Lehrmeister gelangen können, zeigt die Zeitschrift in den Kuhl-
mannschen Schülerzeichnungen und den Zeichnungen von Ursula Falke-
Hamburg. Jeder Vater kann seinen Kleinen nach den obigen Beispielen
viele frohe Stunden bereiten, wenn er ihnen etwas Zeit opfert. Die Mutter
findet in den Gedichten und Märchen der Zeitschrift geeigneten Unter-
bahnngsstoff. In dem Bilder-A-6-C wird dem Kinde der Pinsel in die
Hind gegeben und es aufgefordert, nach eigenem Empfinden die Farbe
uifziitragen. Eine erfreuliche Arbeit bietet Hans Thoma dem Kinde im
IL Hefte durch Anlegen einer Landschaft. Eng verwandt mit dem Zeichnen
md Malen ist das Schneiden von Silhouetten. Im I. Hefte finden wir
bortiche Märchen-Silhouetten von Hollers. Auch der sonstige Bild- und
Onuunentschmack ist lobenswert Alle, die an der Kindererziehung be-
teiligt sind, können reichen Stoff schöpfen.
Wir begrüssen darum die Zeitschrift mit Freude und wünschen
ik gaten Erfolg.
Weiasensee. Jesse.
Bi
2cUadirift ffir pidagogische Piychologie, Pathologie und Hygiene.
Mitteilungen.
üeber ite gemeiume Bnd«kiiB9 imr Ctotekleelitar spricht Dr. M»
Friedrichs in der Halbmonatsschrift , Allgemeine Deutsche Umversititsseituig'
(Verlag Aeskulap, Berlin-Karlshorst) orgineUe und beachtenswerte Anskhtea v».
Zur ' Begründung seines dem gemeinsamen Schulunterricht von Knaben all
Mädchen günstigen Standpunktes führt er unter anderem folgendes ans: D•sVl^
häitnis der Geschlechter, wie wir es gegenwärtig und besonders in den btimwi
und gebildeten Klassen haben, zeigt eine eigentümliche Erscheinung, die sward«
oberflächlichen Beobachter nicht oder nur wenig auffallt, aber dem denkenden ttod
sittlich hochstehenden Menschen nicht verborgen bleiben und vor seinem prfiAi-
den Geiste nicht bestehen kann. Während die Allmutter Natur den Blaut und
das Weib als zwei verschiedene Geschlechtswesen geschaffen hat und beide gwids
auf Grund dieser Verschiedenheit unwiderstehlich zu einander hinzieht, während
ferner Vernunft und Gesittung in diese Zusammengehörigkeit Ordnung und Gesets
bringt, vor Zügellosigkeit und Ausartung schützt, ohne je die naturgewoUte &*
sammengehörigkeit gänzlich aufzuheben und eine völlige Entfremdung zwisdies
beiden herbeizuführen, sehen wir leider, wie sich solche Entfremdung doch infolge
weit verbreiteter irrtümlicher Anschauungen mehr und mehr ausgebildet hat ood
unser Kulturleben nachteilig beeinflusst. Um ein Beispiel anzuführen, so Ttf*
gleiche man einen Mann, der Gymnasium und Hochschule absolviert hat und vä
der Höhe der Bildung seiner Zeit steht, mit einer Frau, deren ganze wissenscbift'
liehe Ausbildung in dem besteht, was die höhere Töchterschule ihr geboten tut
Und selbst, wenn sie noch mehr als das empfangen hat in Pensionaten, Piiv*''
zirkeln und Seminaren, so bleibt doch der Unterschied zwischen ihrer und saiocf
Bildung sehr gross. Wir sehen selbstverständlich dabei von der eigentlichst
Fachkenntnis gänzlich ab und sprechen nur von der Summe der Erkenntnis, ^
der Mann sich zum Verständnis der Welt und des Lebens, seiner Zeit und der
sie bewegenden Fragen anzueignen pflegt Er empfangt dazu in der Schule gs^
andere Vorbereitungen, er lernt das klassische Altertum kennen und schätzen und
häufig auch den Schlüssel, der ihm die Pforten desselben öffnet, die alten SpncheOt
er bildet das logische Denken gründlicher aus, sieht die Macht desselben h«*
sonders in der Mathematik in imponierender Weise offenbart und lernt begrab
wie allein diese Wissenschaft ein tieferes Eindringen in die Natur ennögUcht; ihiD
166 MiiUüungeH.
keinen Alkohol getrunken. Schnaps tranken 250 Knaben, 270 Mielchen; Weit;
235 Knaben und 257 Mädchen; Bier tranken tfigUch 109 Knaben, 190 Midchet^
— Die Körperkonstitution war bei 65 Knaben, 87 Madchen gut, bei 325 Knab^
406 Mädchen mittel, bei 127 Knaben, 61 Mädchen schlecht Nordhausen: Doft
hatten in der 7. Klasse (siebenjährige Kinder) einer Volksschule von 49 KinderD
38 schon Wein, 40 schon Schnaps und alle schon, fum Teil regelmässig, 1^
getrunken. In einer 4. Klasse hatten von 28 Mädchen 27 schon Wein, 24 sehoo
Schnaps und alle schon Bier getrunken. Schöneberg: In einer Knabenscfaolt
tranken 56,2 pCt, in einer Mädchenschule 48,7 pCt regelmässig Bier, 30 pCt
der Knaben gegen 32,2 pCt der Mädchen tranken xeitweise sonstige Spirituoiem
Kein besseres Resultat wurde auch an höheren Schulen festgestellt Wir
geben kurx die Zahlen an, die Dr. Keese biter in einer Realschule im OiUs
Berlins ermittelt hat (Veröffentlicht in: Gesunde Jugend, 1904). Danach tnakss
durchschnittlich Mittags 43 pCt der Schüler regelmässig Bier, Abends 64 pCk>
Die krassesten Fälle sind folgende: Abends erhielten 84 pCt der Sextaner, IIÜ*
tags 64 pCt. der Quintaner Bier. Diese Schüler sind durchschnittlich 10- U
Jahre alt
Um nun auch ein Bild su geben, ¥rie der mehr oder weniger rcgelmiaiigt
Alkoholgenuss die Leistungen der Kinder beeinflusst, erUttben wir uns folg«di
Statistik su geben, die Schuldirektor Dr. Bayer in einer Wiener Volksschule nil
591 Knaben und Mädchen feststellte:
Es hatten von den Schülern die Censur
die nie alkoholische Getränke genossen
die nur gelegentlich tranken
die täglich einmal Bier u. s. w. bekamen
dia täglich x^^^eimal Bier u. s. w. bekamen
die täglich dreimal Bier u. s. w. bekamen
Nicht minder unheUbringend sind dM Wirkungen des Alkohols auf (ko
jugendhchen Organismus, besonders auf das Nervensystem.
So wächst durch den regelmässigen Alkoholgenoss während der Schnlieit €*•
alkoholisiertes Geschlecht heran, dem in der gefährlichen Uebergangszeit vom 14.bii
IS. Jahre die ph.vsische und moralische Widderstandskraft fehlt, und das oftmil*
in der späteren Lebensieit seinem körperlichen und sittlichen Untergange est-
gegengeht.
An dieser Tatsache ^-ird nichts geändert werden, so lange die Mütter, wdchi
das heranwachsende Geschlecht in körperlicher, sitthcher und hygienischer Br
siahung überwachen, von der Gelahrlidikeit dieses Giftes nicht unterrichtet
sind.*
Der Verein hat lu diesem Zwecke folgendes Merkblatt verlasst:
I« Alkohol ist in geistigen Getränken (Bier - Weiss- und Brasil
bier ^ Wein, Branntwein u. s. w.; enthalten. — 2. Der Alkohol ist eis
.:tngift - a. Kr schadigt leicht alte Organe und verursacht daher viele Krask*
heiten; Lebtr«, Nieren-« Lungen- and Henkrankfariiep, Gidit, Katanfae oo^
Gci«te«krankheilen, Kr raubt dem Körper meistens seine Wldefstaodsfüiigk*^
ii<^n anAieckende Krankheiten« t. B. Tuber^uloae. — 4^ Alle Gelehrten sind fic^
darin emig« das* für die heran^^achsende Jugend der Alkobolgenoss stets ^
gut ge-
un-
nügend
gen&geod
41,8 pCt 49,2 pCt
9 pa
a4,l . Ö6.6 ,
9,6 ,
27,8 . 58,4 „
13,7 .
24,9 „ 57,7 „
13,8 »
- . 33,3 .
66,6 ,
Mitteilungen, 169
lieh tuf die thüringischen Staaten. Zur HauptTersammlung hatten sich cirka 200
Sdmlmlnner und Lehrerinnen aus verschiedenen Teilen des Reiches eingefunden.
l^0ritenTsge befasste man sich mit «der gemeinsamen Erziehung beider
ßeichlechter*; Berichterstatter Direktor Trüper-Jena. Das Referat gipfelte in
MgMiden Leitsitsen, die im wesentlichen Zustimmung fanden:
1. Die Vereinigung der beiden Geschlechter in allen unseren Schulen ist
Httriich und praktisch, da sie dem Bau und Wesen der Familie und Gesellschaft
b|gt 2. Die Vereinigung ist unparteiisch, billig und gerecht, da sie dem einen
iNobtodit dieselbe Bildungsmöglichkeit gewährt wie dem anderen. 3. Die Ver-
ioigoog ist sparsam und flnanzwirtschaftlich am zweckmässigsten, weil die für
mere Schulen bestimmten Gelder so am nutzbringendsten verwendet werden
flonen. 4. Die Vereinigung wirkt vorteilhaft auf die Entwicklung von Geist,
iofil und Gewohnheiten der Zöglinge. 5. Die Vereinigung erleichtert sowohl
In Eltern wie den Leitern und Lehrern der Schulen die Erziehungsaufgaben und
•dnÜusst das Familienleben wie das Schulleben und den Unterricht in günstigem
ÜBoe.
Das Referat des zweiten Tages lautete: „Das Mannheimer Schul-
yitem"; Berichterstatter Direktor Scholz-Pössneck. Das Mannheimer System
teibt bekanntlich drei Bildungswege vor: für begabte, für mittelmässig be-
üliKts und für schwach begabte Schüler. Abgesehen von einigen Modifikationen,
un der Referent zur Empfehlung dieser Lehrmethoden, weil dadurch die längst
■ochte individuelle Behandlung der Kinder erleichtert werde.
Die nächste Hauptversammlung wird in Nordhausen stattfinden.
(Berliner Tageblatt.)
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Burgos, 1900, IX, 569-572.
^ ' (Schluss folgt)
Sohriftleitang: F. Kemsiet, WeisMosee, Könln-OhaiiMee 6 n. L. HlrMhlaA; BerUnW.,
Habsborfferttr. 6. — Verlag von Hermann Walther, Verlagabnchhandlnna, O. m K BL
Berlin 8. W^Kommandantenstr. 14. — ^erantwortlioh fttr G^esoh&ftllohe MmeUmicega «bI
Inserate: Fr. Paasohe-Berlin. — Dmok: J. &PreiUM, Berlin 8.W., Kommeikdear
Hermann Walther Verlagsbuchhandlung G. m. b. H.
Berlin S.W., Kommandantensirasse 14
Geschichte der Philosophie
für
äebildete und Smaierende.
Von
Professor Dr. A. Rothenbucher,
Lehrer an der Militärteclmischen Akademie und an der Vereinigten
Artillerie- und Ingenieurschule.
1/
=— 15 'S Bogen kl. 8». - — -
'reis: brosch. Mk. 2,50, in biegsamem Leinwandband Mk. 3,—.
^i^m0^
lese (Tcschichte der Pliilosopliie des l'rcfessor Roilienbiicher ist
das Resultat von Studien und Erwägungen eines langen Lebens im
Inlande und Auslande. Die gro.sscn I>enker boiiandelt er gr«)>>,
usführlich, die kleineren kurz, nft nur. um den /usammenhani; /u zeigen.
linweise auf frühere imd spätere l'hilusophcn scliärfou den Mlick für da$
llmfihlicbe Werden der Gedankenwelt. Lel^eralJ i.-^t die ne/iehiini^, Verwandi-
chaft oder der Gegensatz zu lieuii;:en Kehren. Zuständen oder Kinrichtuimeii
jigedeuict. Natürlich gehl e> dabei nicht ohne Kritik ab. die dIi M-liarl
enusZ i"^t, aber stets auf dem sichmi Fimdamcnie einer fe>ti:jefii:;H'n uüu
orurteilsireien Welt- und Lcben>auffassunu ruht. All«* Scliola*«nk, alles.
fMS flicbt in die Wissenscliaft i^ehört, alie .SpjiMe der riuinui>ie mikI iinnaeh-
ichtlicli abgewiesen. Dem fortgeschrittenen Teile <lei Men>ehheit, k\vv mit
em \'erf asser ernstlich die Wahrneii ^nclit, wird tias l'.ueh ein ::i'::«'i
rcuiiti und 13erater sein.
>iese Geschichte der Philosophie ermöglicht trotzt aller Knappheit
ine umfasseDde Kenntnis des behandelten Gebietes; sie ist daher
.icht nur lür Studierende, sondern auch für jeden Gebildeten
ein brauchbares Hilfsmittel.
Hermann Walther Verlajjsbuchhandlung G. in. b. H.
Berlin S.W., Kommandantcnstrasse 14.
H. Idelberger, Die Entwicklung der kindliciieti
Sprache. M.
Dr. Kurt Steinitz, Rechtsanwalt am Oberiandesgericht in
Breslau, Der Verantwortlichkeitsgedanke im
19. .Jahrhundert (Mit besonderer Rücksicht auf das
Strafrecht). M.
Dr. Robert Gaupp, Nervenarzt, Die Entwicklung der
Psvehiatrie im 19. Jahrhundert. M.
Dr. Ferdinand Kenifties, Die Entwicklung der pädago -
gischen Psychologie im 19. Jahrhundert. M.
— Sozialistische und ethische Flrziehung im
Jahre 2000. M.
Consistorialrat Dr. D. Carl von Hase, Prof. d. Theol., Die
psychologische Begründung der religiösen
Weltanschauung im 19. Jahrhundert. M.
Dr. Heinrich Sachs, Nervenarzt, Privatdoc. d. Nervenheilk.,
Entw icklung der (lehirnphysiologie im 19. Jahr,
hundert. Mir 3 Abbildungen. M.
Dr. L. William Stern, Privatdoc. d. Philos., Die psycho-
logische Arbeit im 19 Jahrhundert insbesondere
in Deut.-^chland. M.
Dr. phil. A. Huther, Die psychologischen Grund-
prinzipi'Mi dw Pädagogik. M.
Pastor M. Henipric'li. Die Erziehung unserer männ-
lichen srh\ilontlassenen Jugend. M.
Dr. F. Wollny, Kritiken und Erklärungen. M.
— Naturwissenschaft, .md Okkultismus. M.
Carl August, lue (irundlnütMi der Naturwissen-
schaf\ M.
2.-
1.-
-.«
1.-
1.-
1.-
1.-
1.-
l.ö(
—.51
>(• ..it» oxtin.K: F. Kerii^uu, \Vt.s«-iiiS!.»i-- l\u!..i.'-!-i.i..tis-.'<- u ;.r..i L. HimchlAff, Berlin W
Iihi .i.-.it!'*rrftr. »>. — Vt-rlftg %* ;; Heiii.ii'n. W; IthiT. Vpt I.t;^,shu(rhbandlung; 0. m. Ik K
Ri.::ii -\V. K"ti.mj«;..lHj«tf.T!-.tr. U — \-. • .01! \\».r:ii •'•. • .1 j»<s i:ätr]iche Mitteiluiigiien niM
itv: i'i. i'.'iA.'x.'hc'lJeuin. - 'i^'.UsV,. U s. v*n-.\-.. v.w'iv. "^VV« KommandMitMistr. U
7. Jahrgang. 1905 Heft 3.
Zeitschrift
für
Püdagodiscbe Psychologie,
Patbolodk Hiia Hygiene.
Herausgegeben
von
Ferdinand Kemsies und Leo Ilirschlaff.
Inhalt von Heft 3. ^
OrlKinal-Artikel.
Beiträge zur Psychologie und Pädagogik der Kinderlügen und
Kinderaussagen. I. II. III. IV. V.
Theodor Benda, Besonderheiten in Anlage und Erziehung der modernen
Jugend. II. (Schluss.)
Sitzungsberichte.
Berliner Verein für Schulgesundheitspflege.
Berichte and Besprechangen.
E. Ebert und E. Meumann, Ueber einige Grundfragen der Psychologie der Uebungs-
Phänomene. — J. Marcinowski, Im Kampf um gesunde Nerven. — W. Preyer,
Die Seele des Kindes. 6. Aufl. — M. VV. Shinn, Körperliche und geistige Knt-
wricklung eines Kindes. — H. Pudor, Die neue Erziehung. Essays. — B. Brück-
mann, Die Formenkunde in Volkschule. — J. Spieser, Ein Klassenversuch.
Mitteilungen.
Für Lehrer und Lehrerinnen an Hilfsschulen. — Internationaler Jugendaustausch.
— .Ausstellung von Lehrmitteln in Leipzig.
Bibliottaeca pädo-psyctaologica.
BERLIN S.W.,
Hermann Walther Verlagsbuchhandlung
Ci. m. b. IL
Jähriich erscheinen 6 Hefte a 5—6 Bogen.
Preis: I. u. IL Jahrgang a Mk. 8.—. 111. Jahrgang, u. fL a Mk. 10.—.
' . -'
.^
188
Firdinand KemsUs.
doch kann sich dieser auch während der Aussage selbst erst
herausbilden, vielleicht durch die Elnwiricungen oder unbewussten
Einflüsterungen des Richters. Das Schema spaltet sich jetEt in
27 F^älle, von denen nur 9 den dolus enthalten.
SacbricbtigM Wissen roll
Ar — I. in korrekter DarsteUung;
idealer Fall.
Auf a. mit Aussageirrtimiy
straffrei
Abf 8. mit Lage, strafbar.
Sacbrlchtiges, jetfock nasidieres Wtacs.
Ar — 4. in korrekter Darstdlnngi
gewöhnlicher FalL
Auf 5. mit Atissageintum,
straffrei,
Abf 6. mit LOge, strafbar.
Sachricht. Wissen scf.eif.Uekencsgu«i
Ar 7. in korrekter Darstdlong^
hat nur ZofaUswert
Auf 8. mit Anssageirrtnm,
straffrei
Abf 9. mit Lfige, strafbar.
Sacliirrtaa gegMi eigeae Uabtruigm
Ar 10. in korrekter Darstdlimg,
straffrei, gewOhnl FaE
als Zengenauss. pfllni
Auf II. mit Aassage- ^•« "•*•
Irrtum, straffrei.
Abf la. mit Lflge,
strafbar.
SacblrrtaH alt ZwdfoL
Ar — 13. in. korrekter Dantdbngi
straffrei. !***?*
Auf 14. mit Au8sageirrtiun,l,jJÜ^
straf fret /mp
Abf — 15. mit Lüge, straf barljg»
Uabtiwaifeltar Sacbkrtw.
Ar 16. in korrekter DarstdbiDft
straffrei.
Auf — 17. mit Au8saffeiiT-| ^ "^
tum, strafmL S
.. 18. mit Lflge I
strafbar.
Abf
Lüge bei Kindern unier 4 Jahren. 205
sn Scherz zu machen, was auch in anderer Weise reichlich
ing, und als gelungener Reinfall dem Kinde deutlich bewusst
. Kurz, das Vorspiegeln falscher Tatsachen wurde im guten
im bösen Sinne sportmässig betrieben, und es war mir in-
»ant, dies gerade bei einem Kinde feststellen zu müssen, bei
bereits in so jungen Jahren die Kennzeichen einer Hysterie
[eprägt waren, einer Krankheit, welche sich bekanntlich auch
{entlieh durch eine eigentümliche phantastische Lügenhaftig-
auszeichnet.
Also noch einmal, ich behaupte: auch Kindern unter
ihren ist die objektive Unwahrheit ihrer Reden be-
ist, und ich halte es nicht für zweckmässig, den Begriff der
e so eng zu fassen, dass diese und ähnliche objektive Un-
rheiten in unserer Arbeit nicht mehr Platz finden würden.
Besonderheiten in Anlage und Erziehung;
der modernen Jugend.
Von
Theodor Benda.
(Schluss.)
Der modernen häuslichen Erziehung wird von einer
Partei unter den Pädagogen und Aerzten die alleinige Schuld an
allen Mängeln physischer und psychischer Natur, wie sie die :
Grossstadtjugend der höheren Stände aufweist, zugeschoben.
Dieser Partei steht eine andere gegenüber, welche dem zweiten
Hauptfaktor in der Erziehung, der Schule, die Hauptschuld
gibt. Die Wahrheit dürfte auch hier in der Mitte liegen. Ohne
Frage sündigt die häusliche Erziehung viel an dem Kinde, ohne
Frage aber trägt auch die Schule ein vollgerüttelt Mass an Schuld.
Ich habe wiederholt an anderer Stelle darzulegen gesucht, in
welcher Weise die Schule in geistiger und leiblicher Hinsicht
auf die Entwicklung des Kindes einwirkt. Hier handelt es sieb
nur darum festzustellen, welche Besonderheiten die modern^
Schulerziehung aufweist, wie sie sich den vorhandenen Anlagen
des ihr anvertrauten Menschenmaterials und den ebenfalls ge*
gebenen allgemeinen Verhältnissen anpasst.
Die höheren Schulen der Gegenwart sind, wie so vielem
andere, eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts. Das Gymnasia0
erhielt seine jetzige Gestaltung durch Verbindung der humanisti
sehen mit den Realfächern; aus der alten lateinlehrenden Real
schule bildete sich einerseits das Realgymnasium, anderersdt
durch Fallenlassen des lateinischen Unterrichts die lateinlo»
Realschule mit ihrer Oberstufe, der Oberrealschule. Währei»
aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Humanismu
noch in Blüte stand, ist gegenwärtig ein siegreiches VordriiigG
236 Berichte und Besprechungen.
gänge vom Seelischen spielt u. a. Vielfach kommt der Verfasser auf ^t
Psychologie des Kindes zu sprechen, da er bei ihm die Wurzeln der
Nervosität sucht. Erziehungsfragen und Schulfragen sind ihm wichtiger,
als die Frage nach erblichen Anlagen, die zum Teil umbildungsffthig seien.
Vor allem dünkt ihm unsere jetzige Unterrichtsmethode eine verfehlte,
denn die Entwicklungsgesetze des kindlichen Gehirns würden nicht g^
nügend berücksichtigt, die Erziehung zur Arbeit fehle (Handfertigkeit u. a.),
und für theoretisches Lernen werde nicht die genügende Reife abgewartet
Seine Kritik bestehender Verhältnisse ist wohl zu scharf und nicht allgemein
zutreffend; doch ist die Forderung nach grösserer Berücksichtigung psycho-
logischer Erkentnisse in Erziehung und Unterricht etwas, das man gern
unterschreiben wird. Im ganzen eine frische und wohltuende Schrift, voll
kräftigem Idealismus, die sich das Ziel steckt, nervöse Schwäche zu kraft-
vollerem und glücklicherem Dasein, vor allem durch eine sittliche Ver-
tiefung, umzubilden, und darin unterscheidet sich das Büdilein von den
heute zu Dutzenden erscheinenden Schriften populärer Art sehr wesentlich.
Weissensee b. Berlin. Kemsies.
W. Preyer: Die Seele des Kindes. Sechste Auflage.
Nach dem Tode des Verfassers bearbeitet and
herausgegeben von Karl L. Schaefer. Mit dem
Porträt des Verfassers. Leipzig 1905. XVI u. 448 S.
Das Interesse für die exakte Erforschung des kindlichen Seelenlebens
ist erfreulicherweise in stetem Wachsen begriffen, und die wissenschaftUchen
Arbeiten auf diesem Gebiete nehmen an Zahl mehr und mehr zu. Preyer
Werk ist aber wohl unbestritten dasjenige, von dem die meisten oi^
fruchtbarsten Anregungen ausgegangen sind. Noch jetzt, fast 25 Jabre
nach seinem ersten Erscheinen, hat es kaum an Bedeutung verioren. ^
habe es daher, als ich nach dem Tode Preyers von der fünften Aull^
an die Bearbeitung des Buches übernahm, im Einverständnis mit ^
Familie des Verstorbenen und dem Herrn Verleger für geboten gehaU^Of
an Form und Inhalt so wenig wie mö^ch zu ändern. Nur wo durch ^^
Wissenschaft als gesichert anzusehende neue Tatsachen aufgedeckt si^d
oder anderes sich als unzweifelhaft veraltet erwiesen hat, sind an ^^
entqfurechenden Stellen Aenderungen vorgenommen worden. Hauptsädi^
gilt dies von den Abschnitten, welche die EntwkJdung der Sinne und ^^
Willens zum Gegenstande haben. Möchte das Buch auch in dieser Aufl^
zur Förderung der Paedopsychologie beitragen.
Gr.-Lichterfelde b. Berlin. Karl U Schaefer«
Milicent W ashbarn Shinn. Körperlich« und geistig*
Entwicklung eines Kindes in biographischer D ^^
stellang. Bearbeitet und hera usgcgeben von P^^
fessor W. Glabbach und G. Weber. Mit einemF^^
träi der Verfasserin and ihrer Nichte. Lamg^l^
s a 1 1 a i^G^ VUl u. 645 S.
l^ erste Haupiteil des Buches behandeh
pl^'sMoitiicker and psychoicübcber Benebai^ der
238 Berichte und Besprechtngen,
Leben des Menschen ist Sache der Erziehung. Fast alle MAngel der Bil-
dung und Sitte sind auf Rechnung fehlerhafter Erziehung zu setzen, dis
gilt nicht nur vom privaten, sondern teilweise sogor vom öffentÜchen
Leben. „Fängt es aber mit der Jugend an, und es wird gelingen,* sagt
Goethe. Die Erziehung von heute ist, wie von vielen Seiten zugestanden
wird, eine einseitig formalistische, die zu viel Unterricht und zu wenig
wirkliche, den Menschen bildende Erziehung gibt. Sie ist einseitig gastig,
verstandesmAssig, zu wenig ethisch, fast gamicht leiblich. Die harmomscbe
Erziehung des Menschen ist das Programm des vorliegenden Boches,
„Die neue Erziehung^! Der „Erweiterung der Erziehung" gelten die Ka-
pitel Jugendspiele, Handarbeit, der Gartenbau in der Schule, der Sport in
der Erziehung und der ganze VIL Teil des Buches ,J>ie Erziehung des
Leibes". Als Autoritäten, die eine solche Erziehung in früheren Jah^
hunderten vertreten haben, werden im I. Teil Montaigne, Pestalozzi, Co-
menius, Lagarde behandelt
Eäne fernere, wesentUche und notwendige Ergänzung der Erziehung
ist die „Erziehung zur Kunst", die im VI. Teile berührt wird. Der Er-
ziehung zur Musik ist der folgende Abschnitt gewidmet. Daran schliesst
sich ein Kapitel über Volkserziehung im engeren Sinne, wie sie die nor-
dischen Volkshochschulen schon in fast idealem Sinne repräsentieren.
Endlich behandelt der letzte Teil verschiedene Lebens- und Erziehnngs-
fragen gesondert, so diejenige des Weibes, die Selbsterziehung, die Er-
ziehung zur Arbeit, den Enthusiasmus als Erziehungsmittel — gerade an
dem fehlt es oft in unserer modernen, gro&sstädtischen, bureankratischen
Erziehung, obwohl doch alle Welt weiss, dass ohne Enthusiasmus noch
niemals etwas Grosses geleistet worden ist
Berlin. Heinrich Pudor.
Die Formenkunde in der Volksschule. Ein Versuch, den
Knaben - Handarbeitsunterricht mit dem Anschaunngs-,
Raumlehre* und Zeichenunterricht zu vereinigen; von
Dr. B. Brückmann, Leipzig, 1905.
Die Schule muss dem praktischen Leben Rechnung tragen, heute
mehr als früher. Um unsere Kinder mehr als bisher für die Praxis aus-
zurüsten« bemühen sich namhafte Pädagogen, die Knabenhandarbeit als
Unterrichtsfach einzuführen. Schwierig ist es, ihm den richtigen Platz im
Unternchtsbetriebe und Lehrplan anzuweisen. Brückmann will ihn un
ersten und iweiten Schuljahre mit dem Anschauungs-, im dritten mit dem
Zeichenunterricht verbinden« Die Kombination ist kaum zu Killigf^n^ deflä
das Zeichneu nach dem neuen Lehrplan stellt an die Volksschule Att*
forderungen» die oft über di«» Kraft gehen werden; selbst wenn HandaibA
ein wirksames Hilfsmittel für den Zeichenunterricht wäre, wie der ^^
fasser meint« lies^^e sich die Verbindung dieser Fächer nicht
Im IVutschen ist eine Berücksichtigung der Handarbeit wegcA _
Stv>lfmeiig« nicht an^Eängig. Soll Handarbeit gelehrt wiriki, diP^ ^
selbständiges Fach» jiedoch ist von einer Ueberiastmiip der EM \
Vennehrung der SiuiMleiitahl abimebeik Der V
244 Mitteilungen.
im Kampfe gegen Unkenntnis und Aberglauben wirksam unterstützt,
dass sie aufklärend und belehrend in den weitesten Kreisen gewirkt,
dass sie auch die ^Laien* zu fleissiger Mitbetätigung an dem grossen
Ziele nach allgemeiner Volksgesundung angeregt hat. Indem sie die
vorhandenen Lücken erkennen Hess, gab sie auch die nötigen Anregungen
zur Vertiefung und zum Ausbau der beiden Unterrichtsfächer, tat sie
zugleich die unbedingte Notwendigkeit zweckdienlicher Reformen im
gesamten Unterrichtsgebiete dar.
Wohl gab die Ausstellung ein anschauliches Bild vom jetzigen
Stande des Lehrmittelwesens, nicht aber, wie die Veranstalter meinten, von
der PQege der Menschenkunde und Gesundheitslehre im Volksschulunterrichte;
das konnte sie überhaupt nicht, weil der Unterricht nicht abhängig ist
von der Zahl und Güte der vorhandenen LehrmitteL Diese beweisen
nur, dass die Lehrmittelindustrie auf den in Rede stehenden Gebieten zu aner-
kennneswerter Leistungsfähigkeit sich entwickelt hat, die aber wiederum nur zum
ailerkleinsten Teile abhängig ist vom Stande der Unterrichtsfacher in der Volks-
schule, da zum Absatzgebiete dieser Lehrmittel die ganze grosse Menge aller der
BUdungsinstitute gehört, in denen Anthropologie, Anatomie und Hygiene gelehrt
werden.
Vor allem müsste der Nachweis erbracht werden, dass die hauptsachlichsten
und für einen fruchtbringenden Unterricht unentbehrlichen Lehrmittel nun auch
wirklich zum Lehrmittelbestande jeder Volksschule gehören. Ist das
der Fall? Und wenn dem so wäre, will man dann ohne weiteres behaupten, dass
sie von jedem Lehrer gewissenhaft und fleissig benutzt werden? Die Wissenden
werden verstehen, wenn ich behaupte: Es sieht recht kläglich aus um die
Pflege der Menschenkunde in unseren Schulen!
Und genau dasselbe gilt von der Gesundheitspflege. Wohl konstruiert
man immerfort neue Schulbänke, die allen gesundheitlichen Anforderungen ent-
sprechen, wohl erfindet man immer neue Wandtafeln, staubfreie Kreiden, prak-
tische Federn und Federhalter, Spucknäpfe und hygienische Staubschutzmittel,
aber wer wollte damit sagen, dass unsere Schulen nun wirklich allen hygienischen
Ansprüchen genügen? O, wie traurig sieht's da oft noch aus selbst in grossen
Städten, die sich rühmen, ^Schulstädte* zu sein!
Nein, nein, diese Beweise konnten durch dte Ausstellung nicht erbracht
werden! Dazu gehören statistische Nachweise, die ich hiermit angeregt haben
möchte.
Doch eins haben uns die immer praktischen Leipziger mit dieser Aus-
stellung gezeigt: Die zukünftige .Ausgestaltung des Lehrroittelaus-
steltungs Wesens im allgemeinen. Ich glaube, wir befinden uns auf dem
rechten Wege, wenn wir unsere Ausstellungen so anlegen, dass sie dem Studium
der Lehrmittel die nötige Ausführlichkeit und Uebersichtlichkeit der
Objekte und die notwendige Müsse und Geistesfrische der Besucher
versprechen.
Möge die .Ausstellung zur .Anbahnung weiterer Reformen dieneo,
Inhalt anregend wirken auf die berufenen Vertreter und Herren der
sie Frucht tragen bei allen, die an ihr arbeiten, auf dass sie
aUe, die dort tum harmonischen Menschen gebildet werden
Halle a. S, £dtt«r4 S
Bibllotheca paedo-psycholog^lca
von
Leo Hirschlaff.
Literatur des Jahres 1901.
B. Specielle Kinderpsychologie.
c) Schulhygiene und -pathologie.
(SchluBs.)
2111. Treves, Z. : Ueber den gegenwärtigen Stand unserer Kenntniss die
Ergographie betreffend. Arch. f. d. ges. Physiol. (Pflüger's), 1901,
LXXXVni, 7-67.
21 J 2. Tri beulet, H, et F. Mathieu: L'alcool et l'alcoolisme. Paris,
G. Carr^ & C. Naud, 1900, 9>, 253 S.
2113. Troeger: Durch Kopfverletzung entstandene Geistesstörungen. Blatter
für gerichtliche Medicin, S. 241—205, 366—379. 1901.
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248
Bibliothica faedo-fsychohgiea.
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2177. Krankhafte Bewustseinsstörungen. Psychische Studien, S. 486—488. II
2178. Schüchterne Kinder. Neue Gesundheitswarte, S. 328, 344 1901.
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Maria-Laach, 60. B. S. 469-472. 1901.
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schulpflichtige Alter gelangten Kinder. Zeitschrift für schwei
Statistik, S. 457-478. 1901.
2181. Wie beeinflusst regelmässiger Alkoholgenuss in massiger Menge
Gehirntätigkeit? Schweizerische Blätter f. Gesundheitspflege, S. 5. 190L'
SohrifUeitaxig : F. Kemaiea, WeiMensee, Königg-Ohanasee 6 u. L. Hiraohlafl^
Habtburgentr. 6. — Verlag von Hermann "^^^ther, Verlagsbnohhandlaii^ O.
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Das GescMeclitsleben
und seine Gesetze.
296 Seiten gross 8^ Preis: M. 5,—.
Aus dem Vorwort des Verfassers:
«Ich habe viele Gründe zu nachstehender Arbeil gehabt,
vor allem jedoch waren dies die Mitteilungen, die mir von
meinen Patienten über ihren Kummer und ihre Leiden.
die auf sexuellen Ursachen beruhten, gemacht wurden.
Ich gebe auch zahlreiche derartige Mitteilungen wieder . . . und
kann auf diese Weise die Kranken selbst über ihre Krank-
heits- und Leidensgeschichte reden lassen.
Ich will die Gesundheit ihre Sprache sprechen lassen und
die Krankheit die ihrige; ich will das Evangelium der Lebens-
freude verkünden für diejenigen, die die Natur und das Natür-
liche im Menschen verstehen wollen, und die Verwüstungen
zeigen, die angerichtet werden, wenn die Grundgesetze des Lebens
nicht befolgt werden**.
Der Reichs-Medizinalanzeiger schreibt darüber:
Der Verf., der Direktor der Stockholmer Volksakadeniie,
wurde zu seiner Arbeit durch die vielen Klagen veranlasst, <lie
ihm von seinen Patienten über ihr sexuelles Leben vorgebracht
^'urden. Demgegenüber hebt der Aulor die gewaltigen Züge von
Grösse und Idealität hervor, die neben nianeheni Widerwärtigen
im Geschlechtsleben zu beobaeblen sind. Die ganze Dar-
stellung durchzieht ein ernster, von wissenschalll iclieii
Gesichtspunkten ausgehender Ton, der sieh ebenso frei
von Prüderie wie von Leiehtlertigkeit hält. .ledenralls ist das
treffliche Buch ein guter Krsatz für die weitver-
breitete Schundliteratur, die schon so viel l'nheil bei
jungen Leuten angestiftet hat. Möge es recht VvcV^w Ttv>'$»V
und Belehrung brinf^en!
D a a a D Neue Erscheinungen o a a a o
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Gaupp, Dr. Kobert, Die Entwi<*klung der Psychiatrie im 11). Jahr-
hundert. 2i) S. 8«. * Mk. -,60.
von Hase, Prof. Dr. 3). Carl, Die psyehologiselie Bep:ründun|2r der
religiö.sen Weltansobauun;^ ' im 10. Jahrhundert. 2f> S. 8*.
Mk. -,8a
Hather. Dr. A., Die psvcholofrisclien Grundprinzinien der Päda-
ixo^'ik. i\2 S. ^^ ^ Mk. 1,—.
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Psychologie im U». Jahrhundert. 42 S. 8". Mk. 1.—.
Moli, Dr. med. Albert, Nervenarzt, Der Einfluss des grossstädtischen
Leben.s und des Verkehrs auf das Nervensystem. 34 S. 8*.
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Moll, Dr. med. Ali>eit, (U'sundbeten, Medizin und Okkultismus.
47 S. H«». Mk. 1,-.
Moolet, Alfr. , Pioniere des sittlichen Fortschritts. Autorisierte
L'ebersetzung aus dem Französi.'<chen „Le mouvement etliiquc*. Von
Dr. 1{. VvuYAir. VI u. Uy2 S. 8«. Mk. 1,20.
Nyström« Dr. A., Das (Jeschlechtsleben und seine Gesetze. 29(> Seiten
;^r«»ss H'J. Mk. 5,—.
Rotheobficher, IVnf. Dr. A., (teschichte der Philosophie für (iebildete
und Studierende, l")» ^ B<»«rt*n kl. 8". Brosch. Mk. 2,50,
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Sachs, Dr. Heinrich. Nervenarzt, Privatd(»zent der Nervenheilkunde. Ent-
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Schnitzer, Dr. Hubert, (liefarzt »Um* Kückenmühler Anstalten in Stettin.
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Steinitz, Dr. Kurt. Iieihtsanwalt am ( )berbinde.Sirericht in Breslau, Der
Verant Nvurt lifbkoit .«^ireilank»' im U*. Jahrhundert. (Mit be-
somlrnT llii.'k-irht auf das Strafre.-bt . :V2 S. 8«. Mk. 1,-.
Stern, Dr. L. Wllliani. I*iivatd«»z»Mit der IMiilns.. Die psvchologische
Arl)eit im II». .1 a h rhuiuh'rt insbes«iii<lere in I)cntsoUland.
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i
Sohriitlfitiiu«;: K. Kvinnifs. Wei.ssensee, Königfl-UtiauMsoc *i u. L. Hirichlaff, BarlinW*,
Hal>s>ur:;*T.'4?r. <•. — VerlHt; voti lluimiuin \Valthf*r, Verliij^buchhandlaiiff, O., m bu B^
lierlin.S.W, KornmanilHiitensIr. lt. -- VerHtif wörtlich tar (teschiiftliche MltteilirngMI WM
iDStTHtf: h'r. Piuiichb- Berlin. - Diuck: .7. S. Pruu!«s, Ueriin SAV., KommandantcnalkaMi ]4>
7. lahisang. 1905. Heft 4.
Zeitschrift
fOr
PUdadogiscbe Psychologie,
Pathologie und l)ydieiie.
Herausgegeben
von
Ferdinand Kemsics iind Leo Hirsrhlaff.
- Inhalt von Heft 4. r=r^_
Abhandlungen^
» Emil Reoschert, Moritz Hill in seinem Leljen and Schaffen.
L. William Stero, Ueber Beliebtheit und Unbeliebtheit der Schnlfächer«
Mit. 6 Figuren und 7 Tabellen.
iSitzungsberichte.
Psychologische Gesellschaft.
Berichte und Besprechungen.
£. Müller, Ueber mehrdimensionale Räume. — S. Exner, Ueber den
oentralen Sehact. — R. Goldscheid, Ueber die Notwendigkeit willens-
theoreiischer Betrachtungsweise. — R. Eisler, Der Wille zum Schmerz.
— Th. Elsenhans, Die Aufgabe einer Psychologie der Deutung. —
Forttetnao anf der iweltan 8e ta des Umtohlagt
BERLIN S.W.
IHermann Walther Verlagsbuchhandlung
O. m. b. H.
Jährlich erseheinen 6 Hefte ä 6—6 Bogen.
Preis: I, u. II. Jahrgang k M. 8.—. IIL Jahrgang u. fl. ä M. 10.—.
250 Emil ReuscheH.
der Täubstummenbildung Wege zu weisen, die noch jetzt
schritten werden. Dafür gebührt ihm der Dank aller Mensch
freunde. Ganz besonders sind es aber die Taubstummenlehr«
die das Andenken ihres Altmeisters stets in Ehren gehalten hab
imd die jetzt zu der Himdertjahrfeier ihrer Ehrerbietung und
barkeit Ausdruck verleihen wollen. Ihre Fachzeitschriften sind voll ^^^
Festbetrachtungen imd Hillerinnerungen. Die Taubstummenlelm. :
Oesterreichs haben schon im April d. J. mit ihrer Vereinsversanr^
limg zu Wien eine Hill-Gedenkfeier verbunden, für die Direktor
Brunner, der Herausgeber der ,.Eos*% die Festrede übemomnc».^
hatte, und jetzt ist Hill in Weissenf eis, der Stätte seines Wirk^xris
ein stattliches Denkmal aus Erz und Stein errichtet. Der geschah -fs
führende Ausschuss des deutschen Taubstummenlehrerbundes h£fe.'C:t€
der vorgeschrittenen Zeit wegen von dem 8. Dezember AbstajxTid
genommen und den Termin der Enthüllungsfeier auf den 28.
tember gelegt, um einer grösseren Anzahl von Taubstummi
lehrem am Anfang der Herbstferien die Teilnahme an derselb
zu ermöglichen.
Zu der Weihe des Denkmals hatte sich ein erlesenes Pub
kum eingefunden. Vertreter der Behörden, der städtischen KoUegie
der Geistlichkeit beider Konfessionen und des Offizierkorps war^^^
zugegen. Von Bildungsanstalten waren ausser dem TaubstummetT""^
institut vertreten: die städtische Oberrealschule, das Kgl. Lehre '^
Seminar, die höhere Mädchenschule, die Kgl. Unteroffizierschid^^
die Bürgerschule, die Volksschulen und aus dem benachbartem
Langendorf die Landwaisen- Anstalt. Schulrat Walther, der Direkte^
der Kgl. Taubstummen- und Taubstummenlehrer-Bildungsansta—
zu Berlin, feierte als Vorsitzender des Bundes deutscher TauB
Stummenlehrer in der Festrede die Verdienste Hills. Sodarr
übernahm der Landeshauptmann Geheimrat Bartels das Denkma
eine Schöpfung des Bildhauers Peter v. Woedtke zu Berlin,
die Obhut der Provinz Sachsen; Seminardirektor Girardet begrüss
die Festversammlung im Namen der Kgl. Unterrichtsverwaltiu
und darauf folgten die Ansprachen der Vertreter des preussisch
bayrischen imd sächsischen Taubstummenlehrervereins imd mehre
Gauverbände. Das Ausland war vertreten durch Professor
Gallaudet zu Washington, Professor Ferreri zu Rom und T
Stummenlehrer Carstensen aus Dänemark, die gleich ihren
rednem Kränze am Denkmale niederlegten und in ihren R
den Einfluss Hills auf ihre Methode in der Heimat hervorh
252 Emil Reuschert,
Mendelssohns und Bernhard Kleins zu machen und unter il^ :x^^r
Leitung arbeiten zu dürfen. Aber auch in den WissenschaE-it^n
suchte er sich zu vervollkommnen; zu diesem Zwecke besuch l^^^g
er an der Universität Vorlesungen in Pädagogik, Mathema^-fiik,
Geographie imd Geschichte. Dei Berliner Aufenthalt war m^^^i^ch
seiner eigenen Aussage die schönste Zeit seines Lebens. Euer
empfing er so reiche Anregung, dass sich sein Blick weitete ^u^nd
sein geistiger Horizont weit über den Sehkreis seiner Standes ^ge-
nossen ausdehnte. Durch den Verkehr mit wissenschaftlich xüid
künstlerisch hervorragenden und gesellschaftlich bevorzug^ten
Persönlichkeiten eignete er sich ein weltmäimisches Auftreten, an,
das ihn vor anderen seinesgleichen sehr auszeichnete.
Zu seinem Leidwesen fand diese herrliche Zeit durch eine
Versetzung an die Weissenfelser Taubstummenanstalt ein trauriges
Ende. Nur mit Widerwillen nahm er seine neue, ihm aufgedrungene
Tätigkeit auf. Er konnte zunächst seiner Arbeit keinen Geschmack
abgewinnen, sodass ihn sein Vorgesetzter, Seminardirektor ID^-
Harnisch, ernstlich zurechtweisen musste. Was er bis dahin ni<^^^
aus Neigung zu tun vermochte, tat er mm aus Pflicht, und 1^
länger imd mehr er arbeitete, umsomehr wuchs sein Intere^^^
an der Sache, der er diente, und die ihn Zeit seines Leb^-^^^
nicht wieder los liess. In einer langen Berufszeit von 44 Jahr^^^
ging er schliesslich in seiner Arbeit ganz auf, sodass er ihr nic^ ^*^
nur die pflichtmässigen Dienststunden widmete, sondern aa"*^^
seine gesamte Freizeit zum Opfer brachte.
Es hat Hill nicht an Auszeichnungen gefehlt; denn sei
Verdienste fanden nach oben wie nach imten hin volle Würdigui
Hill war zweimal verheiratet, das erste Mal mit der Tochi
des Oberpfarrers und Superintendenten Schmidt. Der berühi
Literaturhistoriker Professor Dr. Erich Schmidt zu Berlin ist ein N&
von ihr. Die zweite Gattin, eine geborene Ramus, entstamir:^^^^*
der französischen Schweiz. Beide Ehen blieben kinderlos. JtJt^
starb am 30. September 1874. Seine zweite Frau, die ihm -^
seinem Alter eine treue Stütze war, ist ihm im Tode nur weni
Tage vorausgegangen.
Hills innerer Werdegang.
So einfach und schlicht und ohne bemerkenswerte Zwisch^^
fälle Hills äusseres Leben verlief, so überaus reich war s^^ -^
innerer Entwickelimgsgang.
254 Emil Ütutchert,
wenn es früher überhaupt ein bis in die Einzelheiten hin a
gebildetes Unterrichtsverfahren gegeben hat, war unter Petsd
und Dr. GrasshoS zu einer geistlosen Schablone herabgesunk
In dieser Verfassung hatte Hill während seines Berliner A
enthaltes den Taubstummenimterricht flüchtig kennen gelernt
Da trat Schulrat Graser auf. In seiner Schrift „Der dun
Gesicht und Tonsprache der Menschheit wiedergegebene Tau
stumme'* stellte er sich in direkten Gegensatz zu den alt
Berufstaubstummenlehren. Diese hatten in ihren Schriften behaupt
der Taubstumme sei ein Wesen, das von hörenden Mensch
grundverschieden sei. Er sprach ihm dagegen alle geistigen tu
moralischen Fähigkeiten jedes anderen Menschen wieder zu. S
hatten ihn von der menschlichen Gesellschaft isoliert, er wi
ihn in diese wieder hinein. Sie hielten geschlossene Anstalt
für nötig, in denen er nach einem komplizierten Verfahren ai
gebildet werden sollte. Er empfahl, ihn einfach mit den ander
Kindern in die Volksschule zu schicken und mit diesen gemeinst
zu unterrichten. Er stellte ein System auf, wonach es ga
gleich sei, ob ein Hörender die Sprache durch das Ohr vemehn
oder ein Taubstummer sie ohne weiteres durch das Gesicht v
dem Mimde des Sprechenden aufnehme. Man sieht, zu welch
Übertreibungen eine zu scharfe Opposition führen kann,
ist eine alte Wahrheit, dass sich Extreme in der Geschichte •
ablösen.
Grössere Gegensätze konnte es auf methodischem Gebi<
nicht geben als die Lehrmeinungen der 2^i^enossen Dr. Grassh
und Dr. Graser. Ersterer erblickte das Heil der Taubstunmi
in einer möglichst weitgehenden Ausbildtmg der Gebärdensprac!
und letzterer schuf inbezug auf den Lautsprachunterricht c
Taubsttunmen eine blosse Utopie. Waren auch Grasers Vorschll
nicht durchführbar, so bewirkten sie doch eine eingehec
Revision der alten Grundsätze, nach denen man beim Unteiri<
verfuhr.
Dr. GrasshoSs Aufruf, für alle erwachsenen Taubstumic
besondere Kolonien zu gründen, kam einer Bankerotterkläru
der deutschen Methode gleich» imd Dr. Graser verlor, als Philosc
der alten Schule seinen spekulativen Neigungen folgend, gs
den realen Boden unter den Füssen. Seine Leitsätze was
wissenschaftliche Seifenblasen, die danach angetan waren, dw
ihren Glanz anzuziehen, zu entzücken und zu bestechen, die ab
Moritz Hin in seinem Leben und Schaffen. 255
sobald sie mit der Wirklichkeit in Berührung kamen, in nichts
Hill war, als er die bestehenden Unterrichtsverfahren einer
unterzog, von keiner der Parteien präokkupiert, weil er
sich vorher nur herzenswenig um die ganze Taubstummen-
bildtingsangelegenheit gekümmert hatte. So war es ja nur zu
erklärlich, dass weder Dr. Grasshoff, noch Dr. Graser Einfluss
auf ihn gewonnen hatte. Wir finden es darum auch ganz natür-
lich, dass er bei seiner Prüfung ohne jede Voreingenommenheit
an die Sache herantrat. Scharfsinnig untersuchte er die einzelnen
Systeme, imd fleissig probierte er in der Praxis. Durch seine
theoretischen Erwägungen und seine praktischen Übimgen kam
er zu der Überzeugung, dass der eine wie der andere in der
Irre ging. Hatte er zuerst nur seine Schuldigkeit in der Schule
getan, um Harnisch, mit dem er auf sehr gespanntem Fusse
l^bte, keinen Anlass zu irgend welchem Tadel zu geben, so
'^gte sich nunmehr in ihm der Forschereifer. Er hielt sich für
hexten, der Entwicklungsgeschichte in ihrem Laufe eine andere
^ohtung zugeben. Er wollte Wege aufspüren, um auf methodischem
G^tiete Neuland zu gewinnen. Seine .ausserordentliche Energie
^^'^d Arbeitskraft liess es sich, nachdem einmal der Ehrgeiz
&^V^eckt war, nicht genug sein, die engeren Berufspflichten, die
'^^ normale Naturen schon reichlich bemessen sind, vollauf zu
er^tillen, sondern er entwickelte noch eine überaus rege schrift-
s^^^llerische Tätigkeit. Zunächst hielt er eine schonungslose
A-t^xechnung mit den Vertretern der alten Schule. An ihren
Sotriften übte er eine geradezu vernichtende Kritik*. Das alte,
sclion morsche Lehrgebäude rannte er hart an, dass es in allen
^^gen krachte und zusammenbrach, und auf den Trümmern
^^chtete er ein neues Unterrichtsgebäude, das für den Taub-
stummen zweckmässiger war. Bei seinen Arbeiten kam ihm seine
pädagogische Allgemeinbildimg ungemein zustatten. Er war in
^er Atmosphäre aufgewachsen, wo überall der Hauch pestaloz-
zischen Geistes zu verspüren war. Als er in Bunzlau war,
wirkten an dem dortigen Seminar die Schulmänner Hoffmann,
Henning, Dreist, Dr. Krüger, Karow und Kawerau, von denen
mehrere direkte Schüler Pestalozzis waren. In Berlin gehörte
es auch zu seinen Obliegenheiten, die Plamann'sche Anstalt zu
«Reucfaert, „HiU« S. 26—48.
256 Emil lieuscheH.
besuchen, die auf Anregung der preussischen Regierung die
Bestimmung hatte, im eigenen Vaterlande junge Lehrer mit der
Erziehungs- und Unterrichtsmethode des grossen Schweizer
Pädagogen vertraut zu machen. In Weissenfeis lernte Hill den
Pestalozzianismus in modifizierter Form kennen. Harnisch war
kein unmittelbarer Schüler Pestalozzis, deshalb huldigte er auch
nicht der strengen Auffassimg inbetreff des Grundprinzips von
der formalen Büdung, wie sie in Bunzlau herrschte. Auf düe
Frage, ob er ein Pestalozzianer sei, antwortete er auch nicht mit
einem kurzen, bedingungslosen .,Ja'*, sondern: „Wenn man
danmter einen Schulmann versteht, der weder in Gedächtnis-
werk, noch in gegenstandlosen Verstandesübungen, sondern in
allseitiger Ausbildung des ganzen Menschen das Ziel der pesta-
lozzi'schen Bestrebimgen imd in der Liebe das Mittel findet, um
es zu erreichen**. War Harnisch kein direkter Jünger Pestalozzis,
der den persönlichen Eindruck „dieses Mannes des Feuers und
der Liebe** durch ein Zusammenleben mit ihm an sich verspürt
hatte, so war er doch ein begeisterter Anhänger, der im allgemeinen
ganz auf der Grundlage „des Weisen von Ifferten** stand, indessen
in Einzelheiten nach freiem Ermessen Veränderungen eintreten
Hess. Für BüU bedeutete es einen Gewinn, den man nicht hoch
genug anschlagen kann, dass er in Schulanstalten leben und
lehren durfte, in denen der Pestalozzianismus herrschte, u. zw.
in den beiden Hauptrichtungen, in der strikten und in der freien.
Dadurch wurde es ihm vorbehalten, die Grundsätze, die in der
allgemeinen Menschenerziehung zur Geltung gelangt waren, auch
auf die Taubstummenbildung anzuwenden. Wie Pestalozzi die
Anschauung als das Fundament aller Erkenntnis bezeichnete,
so gründete auch Hill die gesamte Sprach- und Geistesbildung
des Taubstmnmen auf die unmittelbare Anschauung. Für seinen
Sprechimterricht war ihm die Entwicklung der Muttersprache bei
dem hörenden Kinde vorbildlich.
Jedoch nicht nur das, was Hill in seiner unmittelbaren
Nähe vorfand, griff er mit Geschick auf; er unternahm audi
Reisen, um andere Erziehungsanstalten näher kennen zu lemeiL
Ganz besonders vertiefte er sich bei seinen Studien aber ift
die Meisterwerke der Pädagogik imd ihrer HilfswissensrhlUlfc-
imi die Schätze, die er aus ihnen hob, für sein So»* * "* ^^ ' '
gangbare Scheidemünze zu verwandeln. So folgte «
Gruppierung des Anschauungsstoffes im grossen ^
Moritz HiU in seinem Leben und Schaffen. 257
Denzels Anschauungskreisen, und au! die Gestaltung des Sprach-
imterrichtes waren Beckers Schriften (Über die Methode des
Unterrichts in der deutschen Sprache. Schulgrammatik der
deutschen Sprache. Beide: Frankhirt 1832) von unverkennbarem
Einflüsse. Aber nirgends handelte es sich bei ihm um ein
blosses Nachahmen, sondern er erfasste alles mit lebendiger Kraft,
assimilierte es und liess es aus seiner praktischen Arbeit heraus in
seinen Schriften als ein abgeschlossenes Ganzes erstehen.
Hills Werke.
V. Theoretische Schriften für die Hand des Lehrers. Chrono-
logische Reihenfolge.
1. Leitfaden für den Unterricht der Taubstummen. Sonderab-
druckaus Diesterwegs „Wegweiser für deutsche Lehrer. 1838.
2- Vollständige Anleitung zum Unterricht taubstummer Kinder
im mechanischen Sprechen, Absehen, Schreiben und Lesen.
1839.
3- Ajüeitung zum Sprachunterrichte taubstummer Kinder. Für
Pfarrer imd Lehrer. 1840.
4-. Kurze Nachricht über die Taubstummenanstalt zu Weissen-
fels. 1853.
3- Beleuchtung der in preussischen Gesetzen enthaltenen Be-
stimmungen über taubstumme Personen. 1861.
t>. Der gegenwärtige Zustand des Taubstummenbildungswesens
in Deutschland. 1866.
7. Grundzüge eines Lehrplanes für Taubstimimenanstalten. 1867
8- Die Geistlichen und Schullehrer im Dienste der Taub-
stummen. 1868.
9. Die neuesten Vorschläge zur Förderung des Taubstummen-
bildungswesens. 1872.
lO. Entwurf eines Reglements für das Taubstummenbildimgs-
wesen. 1874.
^ Bildersammlimg für Taubstvmime. 1841. (24 Bilderbogen
mit je 16 Darstellungen von Einzelgegenständen. Farbig
und schwarz).
:. Schidbücher für die Hand der Kinder. In der Reihenfolge,
wie sie von den Kindern in der Schule gebraucht werden.
1. Lesefibel für Volksschulen und Taubstununenanstalten. 1853.
2. Erstes Wörter- imd Sprachbuch für Taubstumme. 1853.
258 J^9itf{ Reuschert.
3. Elementar-Lese- und Sprachbuch. 1852.
4. Dasselbe. II. Bändchen.
5. Kleine Erzählungen für Kinder. 1848.
6. Lese- und Sprachbuch für Oberklassen in Taubstumm,
anstalten. 1843.
7. Biblische Geschichten aus dem alten und neuen Testame
für Volksschulen. 1853.
8. Biblische Geschichten des Alten und Neuen Testameni
mit passenden Sprüchen versehen, zunächst für Taubsttuni
1847.
D. Abhandlimgen in Zeitschriften, (Darmstädter Allgem. Schi
Zeitung, Organ der Taubstummen- und Blind enanstaltef^^
Brandenburger Schulblatt, Diesterwegs Rheinische Blätte^^''
Zerrenners „Zwanglose Hefte", Wissenschaftliche Zeitschrift
von Vieweg in Braunschweig, Deutsche Allgemeine-, Han^^
növersche- imd Breslauer Zeitung).
E. Ein literarischer Nachlass von vielen ungedruckten Aufsätzen.
Hills Unterrichtssystem.
Nachdem Hill die Schwächen der alten Schule in rücksichts-
loser Weise aufgedeckt und die Rückständigkeit ihrer Vertreter
gegeisselt hatte, ging er zu positiver Arbeit über. In seinen drei
ersten theoretischen Schriften errichtete er ein neues Lehrgebäude,
das dem damaligen Stand der pädagogischen Wissenschaft nach
jeder Seite hin Rechnung trug. Im Leitfaden entwarf er zimächst
den Gnmdriss, und in den beiden Anleitungen liess er dann aus-
führliche Darstellungen seines Unterrichtssystems folgen.
In der kleinen Anleitung spricht Hill von dem Sprachzeichen-
unterricht, welcher es mit der äusseren Auffassimg und Nach-
bildung der Sprachzeichen zu tun hat, imd in der grossen Anleitung
behandelt er den Sprachunterricht, in welchem in dem Schüler
Vorstellungen und Gedanken erweckt werden sollen und in dem
der Schüler seine Vorstellungen imd Gedanken mittelst der Sprach-
zeichen ausdrücken und das von anderen Ausgedrückte verstehen
lernen soll.
Die „Vollständige Anleitung**, das erste Werk, das gegen-
über der „Anleitung zum Sprachunterricht*' nur von geringerem
Umfang war, zeichnete sich nach zwei Seiten vor ähnlichen Pacli-
Schriften aus:
260 Emil Reuschert,
waren die beiden Methoden grundverschieden. Die Franzo^^^
unterrichteten nur wenige ihrer Schüler, bei denen infolge späte^r^r
Ertaubung noch erhebliche Sprachreste vorhanden waren, oci
bei denen sich noch starke Gehörreste zeigten, in einigen besc^
deren Stunden nebenher in der Lautsprache. Diese Uebung"^?"^
in der Benutzung des Sprechinstrumentes standen indessen naait
dem eigentlichen Unterrichte, den sämtliche Schüler gemeixi-
sam genossen, in keinem inneren Zusammenhange, ungefähr ^4:),
wie der Unterricht eines Gymnasiasten im Flöteblasen aim-«^li
ausserhalb des Planes seiner Lehranstalt liegt. Die AusbildtUÄ^ig
in der Gebärdensprache war also in der französischen Schm-»lc
Selbstzweck. In der deutschen war sie nur Mittel zum Zwec^lc.
Wenn nun auch die Lautsprache überall gepflegt wurde, so natoxn
sie im Leben der Taubstummen doch immerhin eine eigenartige
Stellung ein. Sie konnte von dem Taubstummen zwar .s^l^
Ausdrucksmittel seiner Gedanken, Gefühle und Willensmeinung'^*^
benutzt werden, aber es fehlte trotzdem die Möglichkeit eic»^^
Gedankenaustausches. Diese Einseitigkeit hatte darin ihren Gt\xx%<^-
dass die Taubstummen wohl sprechen lernten, dass sie aber nic^ti^
in die Lage versetzt wurden, das Gesprochene anderer Perser»-^**
(mochten das nun Vollsinnige oder Taubstumme sein) zu
stehen. Man hielt in Wien das Sprechlesen, d. h. das Abseli
der Wörter vom Munde des Sprechenden einfach für nicht m&^'
lieh. Ebenso war es auch im deutschen Westreiche; denn 3^*^
machte auch Lachs in Berlin den Vorwurf, dass er in sein^^^
Heftchen das Absehen gar nicht betont habe. Weil nun cS*^
Lautsprache nur einseitig als Mitteilungsmittel benutzt wen
konnte, so waren die Taubstummenlehrer und ihre Schüler ^
zwtmgen, ihre Worte, wenn sie nicht an Vollsinnige gerichr
waren, immer mit Gebärden zu begleiten. Da aber die nat^
liehe Gebärdensprache, was Umfang und Bau betrifft, mit tmseC^ ^
Lautsprache nicht übereinstimmt, so musste sie einfach nach
Plane der Wortsprache künstlich umgestaltet werden. So
standen in Wien, Leipzig imd Berlin besondere Gebärdensystei
die nicht nur von dem französischen System wesentlich abwich <
sondern auch unter sich verschieden waren. Eine Eigentümü^
keit der HiU'schen Methode bestand nun darin, dass das
vom Munde geübt wurde. Dadurch wurde erst ein lautspfliHitifiiifff
Verkehr zwischen dem Lehrer imd seinen Schülern und
teren unter sich ermöglicht. Hill bedurfte darum a;K
Moritz Hill in seinem Leben und Schaffen. 261
willkürlichen, unverständlichen „Wortgebärden**; er räumte nur
der natürlichen Gebärdensprache einen Platz in seinem Unter-
richte ein.
Bei der Wichtigkeit, die Hill dem Absehen beimisst, ist es
ganz selbstverständlich, dass er diesem Zweige des Sprachunter-
"ichtes auch seine besondere Aufanerksamkeit in seiner „VoU-
»täncügen Anleitung** zuwendet.
Der „Vollständigen Anleitung** folgte im Jahre 1840 Hills
„Ajxleitung zum Sprachunterrichte taubstimimer Kinder**, die als
Fortsetzung des ersteren Schriftchens anzusehen ist. Hill gibt
darin eine genaue Darstellimg des gesamten Sprachunterrichtes
va der Taubstummenschule. Grosse Gesichtspimkte bei peinlich
minutiöser Kleinarbeit sind Vorzüge des Buches, die ihm einen
dauernden Erfolg sichern. Die „grosse Anleitung**, wie man sie
kurzweg nennt, gehört darum auch zu den bedeutendsten Werken,
die die Literatur des Taubstxmimen-Bildungswesens aufzuweisen
bat. Von ihrem Erscheinen an datiert überhaupt ein neuer Zeit-
abschnitt in der Geschichte des Taubstummenunterrichtes; denn
Hill brach hier vollständig mit dem alten System und gab der
ganzen Entwicklung eine neue Richtung.
Mit genialem Griff fasst er den Inhalt seiner Methode in
den Gedanken zusammen: Die Sprache muss dem Taub-
stummen zur organischen Lebenstätigkeit werden! Wie diese
Forderung zu erfüllen ist, zeigt er nun in seinem Werke mit
logischer Schärfe.
Seine Untersuchungen gipfeln in folgenden Leitsätzen:
1) „Der Taubstumme entbehrt beim Eintritt in die Schule aller
imd jeder sprachlichen Vorbildung**.
2) „Die Sprachbildung hat es darum nicht nur mit der Zeichen-
bildung und der Verknüpfung der Zeichen mit den Vor-
stellungen zu tun, sondern sie muss sich ausserdem auch
die Entwicklung der geistigen Anlagen imd die Erzeugung
von Vorstellungen zur Aufgabe machen**.
3) „Da die Gebärdensprache keineswegs als eine solche betrachtet
werden kann, die nur in die Lautsprache übersetzt zu
werden braucht, da sie deshalb nicht als genügende Grund-
lage zur Erlemimg der letzteren erscheint, und da ihre
Anwendbarkeit im Leben grossen Beschränkimgen imter-
worfen ist, so gestattet der Schulzweck, welcher ein durchaus
262 Emil Reuschert.
praktischer ist, zwar die gelegentliche Benutzung, aber nicht
eine künstliche Erweiterung und Ausbildung derselben'*.
4) „Soll die Sprachbüdung des Taubstummen die Bedeutung
für ihn gewinnen, die sie für den Vollsinnigen hat, soll sie
nämlich trotz dessen, dass sie in der Schule nur begonnen
werden kann, auch ihm für das ganze Leben ein Mittel zu
fortschreitender Geistesentwicklung und zur Beglückung
seines Daseins werden und bleiben, so haben wir dahin zu
streben, dass ihm die Sprache zu einer organischen Lebens-
tätigkeit wird".
Was ist darunter zu verstehen, die Sprache soll dem Taub-
sttmimen zur organischen Lebenstätigkeit werden? Einige Worte
mögen Femerstehenden als Erläuterung dienen.
Der Taubstumme, der nicht in unserer Sprache imterrichtet
wird, ist keineswegs Idiot. Er denkt auch, aber von unseren
Wörtern hat er natürlich bei seinen Denkakten keinen Schimmer.
Sein Denken vollzieht sich in Bildern und Szenen. Sein Ausdrucks-
mittel ist die Gebärde.
Wenn wir ims im alltäglichen Leben unserer Umgebung
mitteilen wollen, so überlegen wir gewöhnlich vorher nicht lange,
wie wir unsere Gedanken sprachlich einkleiden wollen, sondern
mit den Begriffen stellen sich von selbst auch zugleich die ent-
sprechenden Worte ein. Der Taubstummenunterricht soll o^^
nach Bülls Forderung so beschaffen sein, dass der Schüler gleich-
falls befähigt wird, seine Gedanken ohne weiteres in Worte ^^
fassen. Der Taubstumme soll also nicht mühsam aus ^^^
Gebärdensprache in die Lautsprache übersetzen und lange grübele«
ehe er den geeigneten sprachlichen Ausdruck findet, sondern d*^
Lautsprache soll ihm zum unmittelbaren Ausfluss seiner Gedank^^
werden, sie soll ihm, wie man zu sagen pflegt, in Fleisch ux^^
Blut, übergehen: sie soll ihm zur organischen Lebenstätigk^^
werden.
Das war nach dem alten Verfahren unter gewöhnlich«!^
Verhältnissen nicht möglich, die einzelnen Kapitel der GramflWtl'^
waren für den Fortgang im Unterricht massgebend. Eine Sigß!0^-rj^
entwicklimg nach den Seiten einer Sprachlehre entspc|^||ig||||||lfe^;
wie jeder aus eigener Erfahrung weiss, nicht dem C
Natiu.
Hül schlug bei der Sprachbildung seiner
Moritz Hill in seinem Leben und Schaffen. 263
iler einen Weg ein, wie er ihm durch den Sprachentwicklungs-
j des kleinen hörenden Kindes vorgezeigt war. Er stellte
ir als oberste Regel für die Schularbeit den Satz auf:
„Eittwickle die Sprache in dem taubstiunmen Kinde, wie
las Leben in dem vollsinnigen Kinde erzeugt**.
Daraus leitete er folgende Unterregeln ab:
„Erwecke in den Schülern das Sprachbedürfnis nach unserer
Sprache insbesondere!" (S. 178).
„Soll dies gelingen, so führe deinen Schüler Sachen vor
und schliesse daran unmittelbar imsere Sprache an!**
„Sowohl bei Vorfühnmg des Sprachstoffes, als auch bei der
Einführung der Sprachformen lasse dich von dem sprach«
liehen Bedürfnisse des Schülers und von dem natürlichen
Entwicklungsgang der Kinder überhaupt leiten!** (S. 184).
Verfolge im Sprachunterrichte des Taubstummen stets folgende
vier Zwecke gleichmässig nebeneinander:
a) die Ausbildung der Geisteskräfte,
b) die Aneignung von Sachkenntnissen,
c) die Ausbildimg der Sprachfertigkeit, wozu auch
d) die Steigertmg der mechanischen Fertigkeit im Sprechen,
Absehen, Schreiben imd Lesen gehört". (S. 196).
„Verweile vorzüglich bei den Elementen und gehe oft wieder
auf dieselben zurück*'. (S. 196).
„Zerlege den gesamten Unterricht in kleine Ganze, übe die
durchgemachten Pensa vollständig ein und stelle häufig
Wiederholungen an!** (S. 199).
„Wende die Lautsprache stets und überall an und fordere
die Anwendung derselben auch vom Schüler in diesem
Grade!** (S. 202).
Schulrat Walter schreibt in seiner Geschichte des Taub-
imen-Bildungswesens : „Durch diese Sätze gab Hill dem
ahren der Grammatisten den Todesstoss. In ihnen ist die
►rm des erneuten deutschen Unterrichtsverfahrens ausge-
eben**.
Während Hill den Anschauungs- und Sprechunterricht aus-
iesslich in der Lautsprache erteilt wissen wollte, liess er in
Religionsunterricht die Geberde neben der Lautsprache
t nur zu, sondern er verlangt sie ausdrücklich. So schrieb er
lal: „Es widerstrebt einerseits der Natur des Taubstummen
dem Wesen des Religionsunterrichts, anderseits verrät es
264 Emil ReuscheH.
ein Verkennen der „Deutschen Taubstummen-Unterrichtsmethode",
beim Religionsunterricht nur das Wort, das gesprochene oder
geschriebene, ohne die Unterstützung durch die Mimik und
Gebärde in Anwendung zu bringen. Nicht allein die innere
Stellung des Lehrers zu dem Lehrstoffe muss sich in seiner
Haltung und im Gesicht erkennen lassen, sondern auch die
Durchleuchtung des Wortes durch Miene und Gebärde muss •
stattfinden, wenn der Religionsunterricht seine Wirkung auf die
Taubstummen ausüben soll".
Hills Bedeutung.
In dem zweiten imd dritten Jahrzehnt des vorigen Jahr-
hunderts war es der eifrigen Werbearbeit Schulrat Grasers
gelungen, die Behörden tmd die Lehrerschaft für die Ver-
allgemeinerung des Taubstummenunterrichts zu interessieren.
Seine Schriften fanden demzufolge eine überaus weite Verbreitung;
in dem vierten Jahrzehnt wurden sie sodann von Hills Büchern
abgelöst. Die darin enthaltenen Ansichten über Taubstummen-
bildimg fanden in überraschend kurzer Zeit die Zustimmung in
den beteiligten Kreisen. Aber Hills Verdienste liegen nicht nur
auf literarischem Gebiet. Er vereinte in sich den scharfsinnigen
Theoretiker mit dem geschickten Praktiker, imd vor die Ent-
scheidung gestellt, ist es schwer, ob man dem Schriftsteller oder
dem Lehrer den Vorrang einräumen soll.
Während Graser es anderen überliess, seine Theorien i^
die Praxis umzusetzen, so hat Hill seine Ideen in seiner Anstalt
selbst praktisch diirchgeführt und damit am besten den Nachweis
ihrer Brauchbarkeit erbracht. Weissenfeis wurde das Reiseziel
•
aller strebsamen Taubstummenlehrer, um dort den Meister t^
der Arbeit aufzusuchen. Was die äusseren Verhältnisse anbelaftg^
so sahen sie freilich nur wenig. Die Anstalt hatte kein eigefli^
Heim. Sie musste sich abwechselnd mit einigen dunkd^^'
engen Zimmern des alten herzoglich sachsen-weissenfelsiscb^^
Jägerhofes imd imzureichenden Räumen im Gasthofe zum Raut^^"
kränz behelfen. Die Tische xmd Stühle darin waren von 4^^
primitivsten Art; einem Auge, das an die heutigen SchuleinricJ*"
tungen gewöhnt ist, würden sie geradezu vorsintflutlich erschein»^'
Dort stand der hagere, blasse Mann über vier Jahrzehnte laui^
und lehrte unermüdlich von früh bis spät, alle die Berufsgenosseti#
die seinem Unterrichte beiwohnten, bezaubernd tmd mit sich fo^
Moritz Hill in seinem Leben und Sdiaffen, 265
send. Keiner ging hier leer vondannen. Alle nahmen neue
'egungen und neuen Mut für ihre schwere Arbeit mit nach
ist. So konnte es nicht ausbleiben, dass sein Kuhm bald
r die deutschen Grenzen hinaus ging; denn Vertreter aller
Lonen der zivilisierten Welt strömten herbei und sassen dem
ster zu Füssen. Professor Gmilio Ferren zu Rom, der Heraus-
er der Educazione dei Sordomuti, ruft in der Besprechung
ner Büll-Festschrift begeistert aus: „Das Werk Hills gilt
it nur Deutschland, sondern der ganzen Welt der Taub-
Qmen!**
Ein Teil von Hills Schriften wurde in die französische,
ändische, dänische, schwedische und finnische Sprache über-
en, und seine Bilder fand man in England in allen Anstalten,
nach dem Oralsystem unterrichtet wurde.
Es war eine grosse Zeit für das Weissenfelser Seminar und
damit verbundene Taubstummenanstalt, als dort an dem
agogischen Himmel das Dreigestim Harnisch, Hentschel und
. leuchtete und seine Strahlen weit hinaus in alle Lande sandte.
;haft drang das Licht bis in die fernsten Schulstuben, wo
ler finsterer Unverstand in der Anwendimg der didaktischen
tel geherrscht hatte, und wirkte belebend, wo bis dahin ein
;ttötender Mechanismus sich breit gemacht hatte. Auch als
nisch bereits in das Pfarramt zurückgetreten war imd Hentschel
. Hill allein als die Träger der Tradition jener glänz-
en Zeit weiter wirkten, sprach man in Lehrerkreisen noch
ye dankbaren Herzens von dem dreifachen grossen H zu
issenfels.
Ziehen wir nun am Schlüsse unserer Betrachtimg mit
zen Worten die Summe von Hills Lebenswerke, so lassen sich
le Verdienste unter folgende Pimkte bringen:
Durch Hill ist die deutsche Taubstumraenunterrichts-Methode
in ein neues Stadium ihrer Entwicklung eingetreten, indem
er im Sprachunterricht der Gehörlosen die bei der Sprach-
aneignung der Vollsinnigen geltenden Gesetze befolgte.
Dadurch hat er die Methode des Taubstummenunterrichts
mit der allgemeinen Pädagogik in Verbindung gebracht.
Er hat insonderheit einen geordneten in der Lautsprache zu
erteilenden Anschauimgsunterricht eingeführt, in dem das
Sprachbedürfnis der Schüler Berücksichtigung fand.
Zcitscluift fOr psdagogüche Psychologie, Pathologie und Hygiene. ^
266 K7nil Heuachert,
TU. Er hat durch das Prinzip der unmittelbaren Lautspracki-
assoziation die in Volkskreisen unverständliche künstlioh^
Gebärde zu gunsten der Lautsprache zurückgedrängt.
IV. Er hat neben dem Sprachimterricht dem Religions-, Rechn.^^-
und Realienunterricht die ihnen gebührende Stellung in cfL«t
Taubstummenschule zugewiesen.
V. Er hat nicht nur ein theoretisches Lehrgebäude aufgebsi-^t
sondern seine Ideen in seiner Anstalt praktisch durchgefü'fcÄit
und dadurch die Vortrefflichkeit seiner Methode am wiirl-
samsten bewiesen.
VI. Er hat für die Ausbreitung seiner Methode Sorge getrag ^Ji,
1) durch die Ausbildung von Taubstummenlehrem, die dgiyin
an anderen Anstalten in seinem Geiste weiter wirkten,
2) durch die Belehrung fremder Taubstummenlehrer
a) durch sein Vorbild bei Gelegenheit von vorübergehenden
Besuchen seiner Anstalt,
b) durch eine Reihe sorgfältig geschriebener, theoretiscl^cr
Schriften,
c) durch einen ausgedehnten Briefwechsel,
d) durch Reisen an andere Anstallen,
3) durch die Bearbeitung von Schulbüchern für die Hand der
Kinder, wodurch die Grundlage, für einen Unterricht im
Sinne Hills gegeben wurde.
Die vorliegende kleine Skizze hat uns gezeigt, wie bedeutend
Hills Einfluss auf die Entwicklung des Taubstummen-Bilduxxgs-
wesens war, und seine hervorragenden Leistungen auf dieseni
Spezialgebiete der Erziehung abnormer Kinder werden ihm f'ör
alle Zeiten einen Ehrenplatz in der Geschichte der Pädagogik
sichern.
i
Ueber Beliebtheit und Unbeliebtheit
der Schulfächen
Eine statistische Untersuchung von
L, William Stern.
(Unter Mitwirkung von Frau Oberlehrer Hanke, Schulvorsteherin; Frl. King,
Schalvorsteherin; Frl. Bauer, Lehrerin; Frl. Gläser, Lehrerin; Herrn Kosog,
Lehrer; Herrn Feuerherdt, cand. phil.; Herrn Scheifler, stud. phil.)
Inhalt: L Das Verehren. II. Allgemeine Ergebnisse. III. Die einzelnen Fächer.
IV. Die Altersstufen, V. Höhere und niedere Schulen. VI. Die beiden
Geschlechter. VI[. Stadt und Land.
1. Das Verfahren.
1) Veranlassung.
Die Statistik, über die hier berichtet werden soll, ist auf
eigentümliche Weise, fast ohne meine Absicht, entstanden. Im
Winter 1904/1906 hielt ich ein Kolleg über Pädagogik imd
Ejndespsychologie, dem einmal wöchentlich eine Diskussionsstunde
angefügt war. In einer dieser Stunden referierte ich über die
Arbeit von Lobsien „Kinderideale" >), in der über eine an 500
Schulkindern in Kiel angestellte Statistik berichtet wird. Die
Kinder waren nach ihrem liebsten Schulfach, dem liebsten Spiel,
Buch, Tier, dem schönsten Gebäude der Stadt, der sympa-
thischsten biblischen und historischen Persönlichkeit gefragt
worden. Bei der Besprechung in erwähnter Diskussionsstunde
fand besonders das die Schulfächer betreffende Ergebnis Interesse.
Wenige Tage darauf teilten mir einige Studenten mit, dass
sie, durch jene Besprechung angeregt, Lehrer, zu denen sie
in Beziehimg standen, zu einer ähnlichen Enquete veranlasst
hätten; das Beispiel fand Nachfolge bei einigen ebenfalls am
1) Zdtschr. f. päd. Psychol. V. 323—344 und 457—494* 1903.
2»
268 L, WiUiam Stern.
Kolleg beteiligten, der Praxis angehörigen Pädagogen (einerft
Lehrei*, 2 Lehrerinnen und 2 Schulvorsteherinnen); und so kam
im Laufe des Februar 1905 das Material zusammen, das, einmssiV
gewonnen, natürlich auch nach Ausnutzung verlangte.
Diesen unsystematischen Ursprung der Statistik muss mm^
im Auge behalten, um zu ihren Ergebnissen die richtige Stellar»^
zu finden. Sie dürfen keineswegs überschätzt werden. IhrHauptwe^ '
ruht m. E. darin, dass sie die Gangbarkeit des Weges erweisen
und zu einer Fortsetzung auf einer viel umfassenderen
systematischeren Grundlage auffordern. Gewisse lohnende Ei
blicke in das Interessenleben der lündespsyche gewähren ab
auch schon die vorliegenden Resultate; imd gewisse pädagogisc
Fragen rücken auch jetzt schon in ein neues oder wenigstens
ein schärferes Licht.
2) Das Schülermaterial.
In Folge des Zusammenarbeitens einer grösseren Zahl v
Personen verfügen wir über eine fünffach so grosse Zahl v
Prüflingen wie Lobsien, nämlich über 1461 Knaben und 10
Mädchen, zusammen 2556. Hierzu kommen dann nach 1 -^^ 1
Schülerinnen eines Lehrerinnenseminars. Während L. nur Schüi^^r
und Schülerinnen einer bestimmten Schulgattung, nämlich c3L<^r
städtischen Volksschule prüfte, besitzen wir Ergebnisse von s^lnr
verschiedenen Schulgattungen; es sind nämlich vertreten: Voll "s^ *^-
schulen einer Grossstadt von nicht ganz einer halben MilUL^iJ^n
Einwohner und einer Mittelstadt von 30000 Einwohnern, D
schulen, eine Seminarübungsschule, die einer gehobenen \*ol
schule entspricht, eine Mittelschule, höhere Töchterschulen,
Lehrerinnenseminar. Sehr zu bedauern ist, dass die höh.
Knabenschule fehlt, bei der die Ergebnisse vermutlich wieder
ganz neues Bild zeigen dürften. Die Schulen liegen sämtlich
der Provinz Schlesien und zwar in den Regierungsbezirk
Breslau und Liegnitz.
Die von uns geprüften Altersstufen decken sich bei ci^^ß
Knaben im Allgemeinen mit denen von Lobsien (9. — 14. Jatu^r;)."
bei den Mädchen dagegen sind auch solche von 6 — 8
(in sehr geringer Zahl) und solche von 15—18 Jahren mit
bezogen worden.
Wie sich das geprüfte Schülermaterial auf Geschlechtc?/;
zy
i
270 L. Wiüiam Stern.
4) Die Verarbeitung.
Für die Verarbeitung des weitschichtigen Materials stcllteti
sich in dankenswerter Weise dieselben Herren und Dam^^
zur Verfügung, welche die Erhebungen selbst voi^enommen od^^
veranlasst hatten. Zunächst brachte jeder die von ihm gefunden^tv
Zahlen in eine kleine Tabelle ; diese Tabellen wurden nun von d^n
Herren Scheif 1er und Feuerherdt zu grossen „BLaupttabellcKra.'''
verarbeitet, welche hektographiert wurden und ziu* Grundlage A^^v
weiteren Untersuchungen gemacht werden konnten. Die v^^ir-
schiedenen Gesichtspunkte, nach denen das Material verwertl:^ sur
erschien, wurden unter die Mitarbeiter auf folgende Weise v^^jt-
teilt Es verarbeiteten : Herr K o s o g die Unterschiede dL^t
Geschlechter, Frl. Bauer und Frl. G 1 ä s e r die Altersunterschieci^,
Frau Hanke und Frl. Klug den Unterschied der verschiedeai^ii
Schulgattungen, Herr S c h e i f 1 e r den Unterschied von Stadt- uxnci
Landschulen.
Da indessen in diesen Einzelbearbeitungen die SchemaL"tsi,
nach denen die Spezialtabellen angelegt wurden, untereinander asti
sehr divergierten, manche Ergebnisse sich naturgemäss mehrfstoli
wiederholten, und eine iVneinanderreihimg zu breit und bi-irit
scheckig geworden wäre, so habe ich in einer nochmaligem
Ueberarbeitung das Ganze zusammengefasst, hierbei zugleich die
Berechnung erneut kontrolliert, die Tabellen neu gestaltet iJi"rÄd
durch graphische Darstellungen veranschaulicht.
5) Die Haupttabellcn.
Aus typographischen Gründen müssen wir leider dar^*-^
verzichten, die sehr umfangreichen Haupttabellen selber tx^-^
wiederzugeben : um aber für etwaige Durchführung ähnlicl^- ^
Feuerherdt hat sich der grossen Mühe unterzogen, die Ergebnisse dieser
bei mehreren Hunderten Knaben und Mädchen tabellarisch zu ordnen.
sehen wir von einer VeröiTentlichung der Ergebnisse ab, da die Methode
unexakt ist. Bei jeder einzelnen Frage wird dem Kind aufgegeben, sich über
in Betracht kommenden Möglichkeiten Rechenschaft zu geben und dann iniu
dieser Möglichkeiten eine Entscheidung zu treffen, die auch den ErMrachseneD ^^^
schwer genug wird. Mutet man nun gar den Kindern zu, binnen wenigen VHa^"^
aus 8— lO Gebieten solche Vorzugsurteile zu fallen, so werden beliebige Eiiiß*-*^*
und wildeste Willkür die Entscheidungen bestimmen. Gerade wenn man S9^"
auf den so schwankenden Boden psychologischer Statistik begiebt, mnss
doppelte Vorsicht üben, nicht in die gefahrliche Manier der amerikanischen Eaquc^^''
zu verfallen.
U^er Beliebtheit und Unbeliebtheit der Schulfächer, 271
tiken einen Anhalt zu bieten, sei ihre Anlage, wie sie sich
zter Fassung darstellte, kurz geschildert.
Es wurden 6 Haupttabellen gebildet, nämlich je eine Bevor-
igs- und Ablehnungstabelle für die Knaben aus den niederen
en, die Mädchen aus den niederen Schulen und die Mädchen
en höheren Schulen (nebst Seminaristinnen).
Die Tabellen enthalten für jede geprüfte Erlasse die absoluten
n der Bevorzugungs- oder Ablehnungsteüe, die auf jedes
gefallen sind. Die Klassen werden diu'ch die senkrechten
men, die Fächer durch die wagerechten Reihen dargestellt,
^inkt bedeutet, dass das Fach in der betreffenden Klasse
unterrichtet wird, eine O dagegen, dass das Fach zwar
richtet wird, aber als liebstes, (bezw. unliebstes) nicht ein
jes Mal genannt worden ist.
Gewisse Ungleichartigkeiten in der Veranstaltung der
mngen machen sich auch in den Tabellen bemerkbar. So
ten bei einigen Schulen Bruchzahlen angegeben werden. Diese
•en sich daraus, dass sich zuweilen die Kinder nicht ent-
tssen konnten, ein einziges Fach als beliebtestes (oder un-
stes) zu nennen und deshalb mehrere hinschrieben. In der
ren Mädchenschule Q ist dies Verfahren auf Anfrage den
erinnen ausdrücklich gestattet worden, daher häuften sich
diese Mehrheitsnennungen. Die Berechnungen mussten in
en Fällen so geschehen, dass sämtliche von einem Kinde
mten Fächer im Ganzen als eine Nennung rechneten,
n daher 2 Vorzugsfächer genannt worden, so wurde jeder
Iq in Anrechnug gebracht, bei 3 jedes mit Vs-
Andererseits kam es vor, dass sich Schüler überhaupt
einer Nennung entschliessen konnten: diese Fälle sind als
itschieden** gezählt worden. Solches Versagen fand sich bei
Ablehnungen weit häufiger, als bei den Bevorzugungen, in
höheren Schulen häufiger als in den niederen, am häufigsten
eminar, wo jede dritte Schülerin die Nennung des unbelieb-
1 Faches unterliess.
Endlich muss noch eine Ungleichmässigkeit erwähnt werden,
)eim Fach „Deutsch" auftrat. Es wurde hier nämlich statt
allgemeinen Bezeichnung „Deutsch** oft ein Spezialgebiet
deutschen Unterrichts genannt, namentlich Grammatik und
1. Die Tabellen enthielten die für diese beiden Spezialfächer
ten Zahlen in Klammern: doch wurden in der Reihe „Deutsch**
272 L. Wüliavi Stern.
alle Nennungen, die sich auf den deutschen Unterricht beziehea,
die allgemeinen und die speziellen, zusammengezählt.
6) Verrechnung und Darstellung.
Auf Grund dieser Tabellen sind alle folgenden Berechnungen
ausgeführt worden. Diese sind stets prozentuell: die
absolute Zahl der Vorzugs- (+) oder Ablehnungs- (— ) Urteile
wurde ins Verhältnis gesetzt zu derjenigen Schülerzahl, die in
dem Fach unterrichtet wurde. Nehmen wir ein Beispiel, „h
den Mädchen-Volksschulen betragen die Werte für Geographie
+ 6*Vo und — 127« ®/o** bedeutet: Von allen Schülerinnen der
Volksschule, die in Geographie unterrichtet werden, haben 6*/o
Geographie als liebstes imd 1 21/2 PA. ^ unliebstes Fach benannt.
Diese Berechnung ist dadurch etwas kompliziert
dass die Schülerzahlen, zu denen die Urteilszahlen in Beziehung
gesetzt werden mussten, fortwährend wechselten. So wird z. B.
auf höheren Töchterschulen Religion, Deutsch, Rechnen in
allen Klassen, Zeichnen in den 5 obersten, Physik in den 2
obersten, Naturgeschichte in 4 oder 5 mittleren Klassen unter-
richtet. Aber die Berechnung ist unvermeidlich, da man nur so
korrekte Einblicke in den Beliebtheitsgrad der Fächer gewinnen
kann. Eine Folge dieses Wechsels der Gesamtzahlen ist, dass
sich für eine bestinmite Schule die Prozentzahlen der Bevorzugimgen
bezw. Ablehnimgen nicht immer genau zu 100 summieren.
Als klarste und anschaulichste Darstellung dieser positiven
und negativen Werte wählte ich die Form eines Diagramms,
in welchem die Fächer durch nebeneinanderstehende, senkrechte
Linien dargestellt werden. Von einer wagerechten O-Linie aus
erstrecken sie sich nach oben und nach unten: die Länge des
nach oben gerichteten Abschnittes giebt den Prozentsatz der Be-
vorzugungen an, die Länge der nach unten gerichteten Ordinate
zeigt die relative Ablehnungszahl; die Prozentzahlen und die
Fachnamen sind jeder Linie beigesetzt.
Nunmehr können wir dazu übergehen, die Ergebnisse zu
schildern und zu diskutieren.
IL Allgemeine Er|[ebnisse.
Das Interesse, das die Schulkinder den einzelnen Fächern
entgegenbringen, wird durch eine ganze Reihe von Faktoren be-
stimmt, die zum Teil im Kinde selbst, zum Teile ausserhalb seiner
liegen. Zu der ersten Gruppe gehören Alter, Geschlecht und be-
Utber BetiOitheü und UnbOÄebtheii der Sehulfäcker. 273
sondere B^abung des Kindes ; zu der zweiten Gruppe Stoff, Lehr-
plao, Lehrmetbode und Lehrerpersönlichkeiten. Bei einer solchen
Buntscbeckigkeit der Bedingungen könnte man zunächst zweifebi.
ob eine Beliebtheitstatistik mehr als blosse Zufallsergebnisse zu zei-
tigen vermöchte. Insbesondere wird von vielen Beurteilem einer
der obengenannten Faktoren, die Persönlichkeit des Lehrers,
ausserordentlich hoch eingeschätzt; der Schüler interessiere sich
eben für dasjenige Fach, in dem er einen Lehrer habe, der es
interessant zu machen verstehe ; von irgend welchen allgemeineren
Gesetzen der Beliebtheil nnd Unbeliebtheit könne demnach keine
Rede sein. Nun ist es ja unzweifelhaft, dass in zahlreichen
Einzelfällen die Persönlichkeit des Lehrers das Urteil beeinflussen
wird. Dennoch ist dieser Einiluss nicht im Stande, die Bedeutung
der anderen, allgemeineren, Faktoren zu überdecken. In dem
Nachweis, dass es einen von der Persönlichkeit des
Lehrers relativ unabhängi gen Beliebtheits wert
der Fächer gibt, erblicke ich eines der Hauptergebnisse der
vorliegenden Statistik.
Da wir für diesen Satz in den folgenden Einzelbetrachtungen
noch zahlreiche Belege finden werden, so sei hier nur ein Bei-
spiel gegeben. Fi^. 1 und 2 enthalten die Beliebtheitsprozente der
von Lobsien geprüften Volksschule in Kiel. >) Hiermit mögen
V .<■' Fig. i.
*) Da die L'schen Tabtllen in der Publikation mehrere störende Dmck-
fcbl« entlialteD, habe ich den Figg, korrigierte Tabellen lu Grunde gelegt, die mir
Herr L. fmiadliclut lur VerfBgnne steUte.
L. WiUiam Stern.
die schlesischen Volksschulen verglichen werden (Figg, 3 und 4,
S. 276 u. 277), und zwar, da Lobsien nur die Beliebtheit geprÜJ*
hatte, lediglich in den nach oben gerichteten Ordinalen. Es zeigt
sich nun sofort, dass den selbstverständlich vorhandenen Uat«i-
schieden doch überraschend viel Uebereinstimmungen gegeniil>*'
stehen. In den Knabenschulen finden wir beide Male Zeichi*«"
und Turnen an der Spitze. Die beliebtesten theoretischen Fäct»*^
der Knaben sind in Kiel Rechnen und Geschichte, in Breslau CS*
schichte und Rechnen. Sehr geringe Beüeblheitscoeöicienten bal>*''
hier wie dort die naturwissenschaftlichen Fächer, Rel^fic:"''
Geographie und deutsche Grammatik. Die Mädchenschulen s'ti*^'"
men überein in der vorherrschenden Bevorzugung von Handart»*"'
und Rechnen und in der starken Vernachlässigung der GeogT*^
phie, der deutschen Grammatik und der naturwissenschaftlich ^°
Fächer.
Natürlich dürfen diese und die anderen von uns gefunden^"
Uebereinstimmungen zwischen verschiedenen Schulwi nocb
nicht zu vollständigen Verallgemeinerungen benutzt werden ;
immerhin aber ermutigt das Ergebnis dazu, eine solche .Statistik
auf noch viel breiterer Grundlage (ortzusetzen ; denn wir dürfet»
□tmmebr mit Bestimmtheit hoffen, dass sich aus sehr grosse**
Zahlen von Schulen und Schülern die in den Einzelfällen vcff
handenen Sondereinflüsse etnigermassen kompensieren und wir!*"
liehe Gesetzmässigkeiten der Beliebtheits- und Unbeliebtheit^-
Verteilung herausstellen werden. —
Utber Beliebtheit und Unbeliebtheit der Schulfächer. 275
Eine zweite Einsicht allgemeinerer Natur wurde erst dadurch
ih, dass wir den Beliebtheitsurteilen die Unbeliebtheitsurteile
ügen Hessen. So lange man nur die Beliebtheit berück-
fte, ordneten sich die Fächer, wie Figg. 1 und 2 zeigen, ledig-
X eine absteigende Skala. Nunmehr aber scheiden sie sich
2h in vier Gruppen. Die erste Gruppe wird gebildet durch
Lcher mit weit überwiegender Beliebtheit: „positive Fächer;"
tzte Gruppe durch diejenigen mit weit überwiegender Un-
Iheit : „n e g a t i ve Fächer." Dazwischen stehen die „i n -
e r e n t e n Fächer** der Gruppe 2, welche weder starke Be-
5its-, noch starke Unbeliebtheitswerte zeigen, und die „b i p o -
n Fächer** der Gruppe 3, welche sowohl starke Beliebtheits-
Jnbeliebtheitswerte zeigen.
Dieser Einteilung fügen sich die Fächer in den weitaus
3n Fällen ganz zwanglos, dennoch kann man hier imd da
renzfällen zweifelhalt sein, zu welcher Gruppe man ein Fach
en soll. Ich habe daher in solchen Zweifelsfällen folgende
inne gehalten: Zu den eindeutigen Fächern (Gruppe 1
!■) rechnete ich stets diejenigen, bei denen die vorherrschende
mg mehr als 5®/o und mindestens den doppelten Wert der
^engesetzten Richttmg betrug (so zählte ich Englisch in der
en Mädchenschule noch zu den „positiven** Fächern, da es bei
D nur — 2% zeigte). Zu den „indifferenten** rechnete ich alle
jr, bei denen keine Richtung mehr als das Doppelte der an-
betrug und keine den Wert von 10®/o überstieg. (So ist
lg an den Volksschulen indifferent mit 5 ®/o Beliebtheit und
Inbeliebtheit). Bipolar dagegen ist dasjenige Fach, das nach
Seite mehr als 10®/o und nach der anderen Seite mehr als
[älfte der überwiegenden Seite zeigt. (Zu dieser Gruppe ge-
[ast stets niu- ein einziges Fach, dies aber in allen geprüften
en: Rechnen). In den Diagrammen sind die einzelnen
pen durch breitere Zwischenräume von einander getrennt.
Aus dieser Grruppierung ersieht man, wie ungleich lehrreicher
iesultate durch Hinzunehmen der 'Ablehnungen geworden
Während z. B. nach Lobsien Rechnen zu den durchaus
^testen Fächern gehörte, ist der Nachweis der Bipolarität des
enunterrichts einer der wichtigsten Befunde unserer Statistik.
111. Die einzelnen Ficlien
Der Betrachtung dieses Abschnitts sind durchweg die
ramme Figg. 3 — 6 zu Grunde gelegt. Sie enthalten die Be-
L. WÜliam Stern.
Hebtheits- und Unbeiiebtbeitswerte von allen jenen Schülemmen und
Schülern, die nach b e i d e m gefr:^ worden sind. (Diejenigen
Kinder also, von denen nur Beliebtheitsurteile vorliegen, sind hier
nicht mitgerechnet.) Da den Ordinalen, welche die einzelnen
Fächer repräsentieren, stets in kleinen Ziffern die I^xnentEalilen
der Bevorzugung und Ablehnung beigesetzt sind, war hier die
Aufstellung besonderer Tabellen überflüssig.
Ueber BtUebtheü and ÜnbeUel>theit der Schulfäcker
"' -S)t^ w
1) Die technischen Fächer.
Ich b^inne mit diesen, weil sie in den meisten Schulen die
weitaus stärksten Beliebtheitsprozente aulzuweisen haben. Obwohl
man das ja im Allgemeinen wusste, ist dennoch der Grad
dieser Berorzugusg überraschend. In den Knaben -Volksschulen
ialleo auf Turnen und Zeichnen allein mehr als die Hälfte aller
positiven Stimmen; in den höheren Mädchenschulen erhalten die
278 L. Wmiam Stern.
24- i-^
«i
Ueber Beliebtheit und Unbeliebtheit der Schulfächer, 279
len Fächer immerhin noch den vierten Teil der Stimmen; in
Iilädchen- Volksschulen fällt jede dritte Stimme auf Handarbeit;
wenn Turnen hier nicht bloss facultativer Lehrgegenstand
esen wäre^), hätte es wahrscheinlich auch eine ziemliche
ixnenzahl auf sich vereint, wie die Büeler Befunde zeigen. Im
igen ist die Übereinstimmimg mit Edel sehr deutlich. Den starken
orzugungen stehen ganz verschwindend wenig Ablehnungen der
suinten Fächer gegenüber, nur das Lehrerinnen-Seminar macht
5 später zu besprechende Ausnahme.
Worauf beruht diese starke Vorliebe der Kinder für
» Technische? Vor allem wohl darauf, dass das hier
>gliche sensomotorische Verhalten der lündespsyche
il adäquater ist, als die in den theoretischen -Fächern
rlangte Hemmung der Bewegungen. Wenn man in
n letzten Jahren (wie z. B. Lay u. a.) betont hat, dass nicht
ahmehmen, Auffassen und innerliches Verarbeiten die ursprüng-
(le Form des psychischen Daseins ist, sondern die Umsetzung
n Eindrücken in motorische Betätigung, so ist imsere Statistik
i Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung.
BKerzu kommt dann aber noch als nicht zu imterschätzendes
)ment, dass die technischen Fächer zugleich diejenigen sind,
denen die Aufmerksamkeit der Kinder sehr viel weniger in
ndiger Anspannung und ihr Gemüt sehr viel weniger in ängst-
lier Erregung gehalten wird, als in den anderen Fächern. Sie
rden nicht gefragt und überhört; sie haben eine \del grössere
eiheit und Selbständigkeit des Tuns.
Was die Einzelfächer anlangt, so ist über Turnen und
andarbeit nichts Besonderes zu sagen. Die Beliebtheit des
len Faches bei den Knaben, des anderen bei den Mädchen ist
bekannt. Dagegen hätte man sicherlich für Zeichnen nicht einen
hohen, für Gesang einen höheren Beliebtheitscoefficienten
wartet.
In Bezug auf Zeichnen vermute ich, dass vor einem
hrzehnt die Statistik einen weit geringeren Wert ergeben hätte,
asere hohen Zahlen darf sich wohl zum grossen Teil die neue
jichenmethode, die von Anfang an mit dem Abzeichnen oder
>) Daher wurde es von den Mädchen überhaupt nicht zu den richtigen Schul -
ihem gerechnet und blieb ungenannt.
280 L. WiUiam Stern.
dem Gedächtniszeichnen von Naturobjekten arbeitet, als ihr Ver-
dienst anrechnen!).
Dass Gesang nirgends zu den ausgesprochen positiven
Fächern, sondern stets zu den indifferenten, in den höheren
Mädchenschulen sogar zu den deutlich negativen Fächern gehört,
mag verwunderlich erscheinen. Der Grrund wird wohl darin liegen.,
dass die sicherlich sehr verbreitete Beliebtheit des Gesanges doch
nicht immer so stark ist, um eine Nennimg als beliebtestes Fach
überhaupt zu bewirken (es sollte ja nur ein Fach genannt werden),
dass dagegen bei dem wirklich Unmusikalischen die Abneigung
gegen den Gesangsunterricht recht stark ist, so dass hier verhält-
nismässig oft dies Fach an der Spitze der unbeliebten marschiert.
Schreiben zeigt insofern seine Zugehörigkeit zu den
technischen Fächern, als es nirgends zur negativen Gruppe gehört-
In der Mädchenvolksschule ist es sogar neben Handarbeit das
einzig einseitig positive Fach, wenn auch mit weit geringerem
Prozentsatz. Die Knaben und höheren Schülerinnen verhalten
sich zu dem Fach indifferent.
2) Die theoretischen Hauptfächer.
Unter dem Namen „theoretische Fächer" fassen wir alle niclit
technischen Fächer zusammen, also diejenigen, welche die eigentlioh
geistige Ausbildung zur Aufgabe haben. Die Beurteilimg dieser
Fächer wird dadurch etwas erschwert, dass so ausserordentlioh
viel Stimmen schon durch die technischen Fächer absorbiert warx^^
so dass für die grosse Zahl der übrigen Disziplinen nur noch
etwa die Hälfte der Stimmen übrig bHeb. Bei einer künftig^^
Statistik wäre es vielleicht empfehlenswert, einmal unter A*^^'
Schaltung der technischen Fächer lediglich die Beliebtheits- ujä^^
Unbeliebtheitsverhältnisse innerhalb der geistigen Fächer zu prüf^^-
Beginnen wir mit den Hauptfächern : Religion, Deutsc^^
und Rechnen, so fällt sofort das wenig erfreuliche Ei^ebi^-^
auf, dass wenigstens in den Volksschulen keines vo ^
den dreien in die Gruppe der vorzugsweise b^ "
liebten Fächern gehört. Sie verteilen sich über d^*
drei anderen Gruppen so, dass Religion meist indifierent. Rechne?^
bipolar imd Deutsch vorwiegend imbeliebt ist.
Religion. Lobsien hatte für Religion ein besonder^
ungünstiges Ergebnis erzielt, indem das Fach bei den Mädchen
') Auch Lobsien misst, wie er mir mitteilt, die hohe Belid>theit det Zdchnaif
in Kiel hauptsächlich der neuen Methode in.
282 L. William Stern,
19 (also jede dritte) Religion als Lieblingsfach genannt; in der
Dorfschule I erhält Religion die Hälfte aller Mädchen- und den
vierten Teil aller Knabenstimmen-; in der Knabenschule D endlich
haben von den 167 Schülern der dritten Klasse 25 Religion ge-
nannt: Nachfragen ergaben, dass die Klasse in mehrere Abtei-
lungen gegliedert ist und jene 25 Schüler fast alle aus einer Ab-
teilung stammten. In diesen Ausnahmeerscheinungen haben wir
fraglos den Einfluss der Lehrerpersönlichkeit zu sehen: durch
besondere Hingebung an den Religionsunterricht und besondere
pädagogische Begabung muss es hier der Lehrer verstanden
haben, die in der Methode und der Stoffmasse Hegenden Beliebtheits-
hemmungen zu überwinden. Ueber den einen der in Betracht
kommenden Lehrer wird auch ausdrücklich berichtet, dass er
den Religionsunterricht mit besonderer Inbrunst erteilt und die
Schüler hinzureissen versteht. —
Deutsch, Dasjenige Fach, dem neben der Religion die
grösste erziehliche Bedeutung beigemessen wird, ist der deutsche
Unterricht. Das hierfür vorliegende Material ist dadurch etwas
ungleichmässig geworden, dass bald „Deutsch**, bald das eine
oder andere Partialfach des Deutschen, z. B. Lesen oder deutsche
Grammatik, genannt wurden.
Nehmen wir zunächst das „Deutsche** als Ganzes, so zei'
gen die niederen und höheren Schulen ein entgegengesetztes
Bild. In der höheren Töchterschule und im Lehrerinnenseminar
steht Deutsch mit mehr als dem vierten Teile sämtlicher Vor-
zugsurteile an der Spitze, in den Volksschulen mit mehr als dem
vierten Teil aller überhaupt gegebenen Ablehnungen am anderen
Ende der Skala. Woher dieser Unterschied ? Er liegt wohl in der
Verschiedenheit der zum Deutschen gehörigen Partialfächer. F^^
die höhere Mädchenschule bekommt Deutsch durch die Literatur-
geschichte, in den Volksschulen durch den Grammatikunterricnt
sein Gepräge. Deshalb stammen dort die Vorzugsurteile meist
aus den oberen Klassen, hier die vielen Ablehnungen meist attf
den unteren imd mittleren Klassen. Innerhalb der Volksschule
wird dies Verhältnis dadurch bestätigt, dass ja oft ausdrückS* ,j
das Partialfach genannt wurde. Und da sehen wir deniit
die relativ wenigen Vorzugsurteile, die auf Deutsch
nur dem Lesen gegolten haben, dass dagegen d e u t s '^
matik ein Fach von fast absoluter Q
h e i t ist (bei den Knaben — 20>/q gegen +
Ueber Beliebtheit und Vnbeliebtheit dor Schulfächer. 283
Q — 31% gegen + 2V,%). Lesen erhält dagegen eine
lassen erträgliche Stellung: bei den Knaben steht es auf
nze zwischen den positiven und indifferenten Fächern
— 4«/o); bei den Mädchen ist es bipolar (+ 9%,— 12Vo).
lieh die Kieler Erlebnisse zeigten ein ähnliches Verhältnis
immatik und Lesen.
► sehr man sich im Allgemeinen davor hüten muss, in
)tum der Kinder schon einen Richterspruch zu sehen, so
doch der vorliegende Fall beinahe dazu zu zwingen :
aposante Einhelligkeit in der Ablehnung des Grammatik-
lits i s t eine Verurteilung. Und die Ursachen liegen nicht
1, Der intensive so frühe Betrieb und die Methode des
;hts in deutscher Grammatik sind hergeleitet aus logischen
, vernachlässigen aber gröblich die psychologische Be-
heit des Schülers. Als der Volksschulunterricht seine
3n erst auszubilden begann, stand der höhere Schuluntei-
tion lange in Blüte und hatte seine fest eingebürgerten
mgsweisen: kein Wunder, dass die junge Volksschulpä-
, wo sie konnte, dort Anleihen machte. Das galt be-
vom Sprachunterricht. Die Methode, nach welcher man
Lateinschule die fremden Sprachen betrieb, wurde also
i Muttersprachunterricht der Volksschule übertragen imd
lie grammatische Zergliederung an den Anfang gestellt.
aber ist zweierlei übersehen: 1) dass die Anfangsgründe
ämdsprache mit Schülern einer höheren Altersstufe ge-
wurden, die für die logischen Momente der Grammatik
nehr Fähigkeiten und Interesse haben konnten; 2) dass
tersprache eine total andere Behandlung verlangt, als eine
prache. Denn die Fremdsprache ist für den Anfänger
;t noch eine Null, er baut sie sich langsam aus den Ele-
und deren Verknüpfung auf; die Muttersprache aber ist
Kind, schon ehe es in die Schule kommt, lebendiger Be-
ir Ausdruck seines Fühlens und Denkens; und die Um-
ag dieses Besitzes in ein Aggregat von grammatischen
ten wirkt auf das Kind, als wenn ein eben noch lustig
3r bunter Schmetterling ihm nun als fein secierter imd
irter Leichnam dargeboten würde. Selbstverständlich soll
rf auf die logische Schulung, die in der granmiatischen
5 liegt, nicht verzichtet werden; aber sie muss in stetem
aenhang mit der lebendigen Sprache bleiben. Zu fordern
284 L. Wiüicmi Stern,
ist Grammatik als eine innerhalb des deutschen Unterrichts tszu-
wendende Unterrichtsweise, zu verwerfen aber Grammatik als be-
sonderes unteres Fach, namentlich für die jüngsten Schülergenc-
rattonen.
Das Fach „Anschauung" ist in den Volksschulen augen-
scheinlich in Deutsch mit einbegriffen und darum nicht besonders
genannt worden ; dagegen ist es in der 8. und 9. Klasse der höheren
Mädchenschule besonderes Fach und hat hier überraschender
Weise eine sehr starke Ablehnung erfahren. Von den 52 Schüler-
rinnen dieser Klasse haben es nur 2 als liebstes dagegen 10 als
unliebstes Fach bezeichnet.
Mathematik. Das Rechnen nimmt eine Sonder-
stellung unter allen Fächern ein durch seine Bipolarität. Diese
Erscheinung ist eine durchgängige; in sämtlichen DiagranuD^^
fällt sofort die eine Ordinate auf, die sich nach beiden Richtung«^
weit erstreckt; es ist die Rechenlinie. Sehen wir von dem
Lehrerinnenseminar ab, so ist Rechnen bei mehr als dem 1^-
Teile aller Kinder das liebste, aber auch bei mehr als dem 1^-
Teile das missliebigste Fach. Im Allgemeinen ist die Zahl d^
Ablehnungen noch grösser als die der Bevorzugungen. Nur ^^^
Mädchen- Volksschulen zeigen das umgekehrte Bild ; hier ist Rech-
nen das Lteblingsfach jedes fünften Kindes, während etwa jed^
achte es ablehnt.
Die Ursache dieser Bipolarität ist wohl ohne Zweifef ^^
Anla^^everschiedcnheiten der Kinder zu suchen ; Rechnen ist d^^'
jenige Fach, in dem Leistungsfähigkeit und Interesse weit tneh^
von einer speziellen Veranlagung abhängt, als in irgend einc^
anderen Fach. Für die lünder mit rechnerischer Veranlagu^i?
ist Rechnen eine ganz besonders gern geübte Tätigkeit, für dt^
mathematisch Unbegabten dagegen ist der Abstand von den A^'
deren und die Schwierigkeit, das Verlangte zu leisten, so gro^^
dafis das Fach geradezu verhasst wird. ^)
Sehr im Unterschiede zum Rechnen geniesst der and^^.
Zweig des Mathematikunterrichts, die Geometrie, gar krf^^
Beliebtheit. In den Volksschulen gehört Raumlehre tM dett
Hell negativen Fächern (bei Knaben + ^'j^/o und — 9%, dtf '^
*) Eine Weiterführunjj dieser Untersuchung^ würde gewiss Alt'*
die Veiteiltxni; der mathematischen Be^^abung bei den Kindern gtfjb
dtnn auch untersvcben, inwiefern sich s&it Be(^^Mnig»agf und Mk
jwns lodere ptychdogiicht TjpeBbilder fcrlttflpiMi.
i..irj8
28ö L. WiUiam Stertu
Umwandlung begriffen ist. Dass der Gegenstand als solcher
das Kind hohes Interesse haben kann, ist ganz zweifellos; unsere
Ergebnisse müssen also auch hier wieder hauptsächlich der
Methodik zugeschrieben werden. Vielleicht wird noch immer
zu viel Wert auf das Systematische und zu wenig auf das
Biologische gelegt.
Eine Nachprüfung gerade dieses Resultats an einer grösseren
Zahl von Schulen erscheint dringend geboten.
Auch bei dem naturgeschichtlichen Unterricht zeigt sich
ein dem obigen ähnliches Beispiel für die Bedeutung des spezieliea
Lehrstoffes. In Schule A erteilt derselbe Lehrer Naturgeschichte
sowohl in la wie in Ib; aber in la erhält das Fach 15 Vorzugs-
stimmen, in Ib keine, weil dort das höhere Tierreich, hier das
'niedere Tierreich, femer Kryptogamen u. a. zur Behandlung ge-
kommen waren.
Geschichte und Geographie. Diesen beiden so
eng zusammengehörigen Gebieten kommt das Interesse nicht
gleichmässig entgegen. Geschichte gehört nur in den Mädchen-
volksschulen zu den unbeliebten Fächern (+ 3^/o gegen
— 9V2®/o)t sonst zu den positiven; bei den Knaben (+ Wlt^i*
gegen — 3V//o) und den Seminaristinnen (+ IS^/J^lo gegen
— 1 V«®/o) ist diese Beliebtheit sogar recht erheblich ; massiger in
den höheren Mädchenschulen (+ 6®/o gegen — 3^/o). Bei den
Knaben ist Geschichte das beliebteste theoretische Fach über-
haupt. Auf den Geschlechtsunterschied im Geschichtsinteresse
komme ich weiter unten zu sprechen.
Anders Geographie. Sie ist in den Volksschulen bei beiden
Geschlechtern negativ (Knaben + 2% und — 9V2**/o. Mädchen
+ 6«/o und — 12V4^/o); ebenso im Seminar (+ 2^lo und — WlM'^
in den höheren Mädchenschulen indifferent (+ 8®/o imd — 7*.'o).
Vermutlich macht die starke Überlastung des mechanischen
Gedächtnisses mit Länder-, Fluss-, Gebirgs- und Städtenamen die
Erdkunde so unbeliebt.
Fremde Sprachen. In der höheren Mädchenschule
ist Englisch schwach positiv (+ 6®/o gegen — 2®/o), Französisch
ziemlich stark negativ (+ 6®/o gegen — lAy^^lo). Natürlich ist
das kein Ergebnis, das allgemeine Giltigkeit beanspruchen dürfte;
in anderen Schulen wird sich vielleicht das Verhältnis umkehren.
Hier mag in der Tat die Lehrerpersönlichkeit von grossem B^"
Ueber Beliebtheit und Unbeliebtheit der Schulfächer. 287
5in. Im Lehrerinnen-Seminar sind „fremde Sprachen** ver-
sie erfreuen sich ziemlicher Beliebtheit (+ ll^/o^'o gegen
/o).
idlich sei noch das nur im Seminar vorkommende Fach
i d a g o g i k erwähnt, das, wie es sich bei künftigen
ginnen gebührt, mit dem dritten Teil aller Bevorzugungs-
1 und keiner Ablehnung, das Höchstmass der Beliebtheit
IV. Die Altersstufen.
ne Einteilung der Ergebnisse nach Altersstufen begegnet
iwierigkeit, dass die Anzahl der zu einem einzelnen Jahr-
ehörigen Individuen oft zu klein war, um eine Statistik
üben. Wenn sich die Ajigaben von 40 Kindern über
ler verteilen, so kann jeder Zufall die Prozentzahl für ein
;es Fach total verändern. Es lag daher die Notwendigkeit
ehrere Jahrgänge zu je einer Altersgruppe zu vereinigen;
/ar geschah dies in der Weise, dass stets drei Stufen
en wurden: eine Unter- eine Mittel- imd eine Oberstufe,
n niederen Schulen der Knaben und Mädchen, bei denen
zwischen 8 — 14 Jahren geprüft worden waren, umfasst
tufe zwei Jahre. (Die wenigen Ergebnisse, die von
irigen vorliegen, sind hierbei ausser Betracht gelassen
). Bei den höheren Mädchenschulen mit ihren neim
gen umfasst jede Stufe drei Jahre. Ausserdem ist den
innten Schulen noch das Lehrerinnenseminar als vierte
ngefügt.
i diesen Berechnungen sind nur diejenigen Schulen zu-
1 worden, von denen mehrere getrennte Altersstufen zur
[ gekommen waren, (daher mussten die Dorfschulen fort-
1 werden, weil hier alle Altersstufen zusammen unterrichtet
) — und nur diejenigen Fächer, die auf mehr als einer
ufe unterrichtet wurden (darum fehlen Anschauung, Chemie,
gik, welche nur in einer Stufe vorkommen). Da im Ganzen
?hr Kindern Beliebtheits- als Unbeliebtheitsurteile gefordert
waren, so sind bei diesen Tabellen die Gesamtzahlen,
len die Prozente gezogen wurden, nicht gleich,
ie Tabellen III — V enthalten die Werte für ICnaben,
Mädchenschulen und höhere Mädchenschulen. Hieraus
rieh folgende Ergebnisse ablesen:
288 L. William Stern.
Bei den Knaben der Volksschule bleibt durch die
drei Altersstufen ziemlich stabil das positive Interesse für Zeichnen -^
und das negative für Geographie. An Beliebtheit wachsen mit
zunehmendem Alter die naturwissenschaftlichen Fächer, (Natux-
geschichte und Physik) ; eine Abnahme der Unbeliebtheit zeigen
Religion, vSchreiben, Gesang. Bemerkenswert ist hierbei, dass
Religion gerade bei den jüngsten Generationen, (den 8 — lOjährigeJJ^)
eine starke Unbeliebtheit geniesst. (+ 4^/20/^ gegen — 21Vo^'
vermutlich ein Zeichen, dass die dem Rcligionsstoff ehtgeg^^'
kommende geistige Entwicklung erst später einsetzt, so dass ^^
den ersten Jahren der Religionsunterricht vorwiegend als bloi^
Gedächtnisbelastung empfunden wird.
Die Unbeliebtheit nimmt zu durch die drei Altersstufen
den mathematischen Fächern; Rechnen ist erst ein positives Fa<^^ ^'
wird dann bipolar und endlich fast negativ (+ 5V»'>/o g^g^^^
— l%o); Raumlehre ist bei der Oberstufe viel unbeliebter, r^ls
bei der Mittelstufe. Die Beliebtheit nimmt dauernd ab h^^*
Geschichte — was ein einigermassen überraschendes imd \n^^'"
leicht durch Zufälle bedingtes Resultat sein dürfte.
Es bleiben nun noch zwei Fächer übrig, bei denen 4 ^^
Altersfortschritt kein eindeutiger ist: Deutsch und Turnen. E>i^
Unbeliebtheit des deutschen Unterrichts ist zwar schon bei d^^f
Unterstufe sehr stark, nimmt aber in der Mittelstufe noch beträchi^'
lieh zu, um dann in der Oberstufe wieder zurückzugeben^
auf etwa den halben Wert. Turnen bietet das Gegenstüc*^«
Hier kulminiert die Beliebtheit in der Mittelstufe, wo es \cy^
jedem dritten Kinde gewählt wird. Die Kleinen zeigen nocrh
sehr wenig, die Grössten ziemlich reges Interesse ; jeder vierte
Schüler nennt es hier.
Die Mädchen der Volksschule zeigen zum Teri^
ein hiervon sehr verschiedenes Bild. Bas erste, was in di^
Augen fällt, ist das ungeheure Ueberwiegen der Handarbeit a^t^
der Oberstufe mit nicht weniger als 57*^/0 aller Stimmen, üies^^
Umstand wirkte auf alle anderenErgebnisse ein: denn die säff»**
liehen übrigen Fächer müssen sich hier in die noch restierend
43*^/0 der Stimmen teilen, d. h. sie werden durchweg auf
geringe Zahlen herabgedrückt; ein einigermassen adäquates
Bild ihrer Beliebtheitsverhältnisse ist daher kaum mdr ^^^'i
erwarten. *)
') Hier sieht man, wie Dötig eine Statistik wäre, die unter Bei'
der technischen Fächer nur nach den theoretischea Wk
lieber Beliebtheit uiid Unbeliebtheit der Schulfächer, 289
Stabilität durch alle Altersstufen finden wir bei keinem Fach
eisende Beliebtheit zeigt die schon genannte Handarbeit,
m Coefficient auf der imteren und mittleren Stufe ziemlich
LI bleibt und sich dann plötzlich mehr als verdoppelt; und
Naturgeschichte, die sich wenigstens aus der absoluten
^liebtheit bis zur Indifferenz herausarbeitet. Eine schwache
Lahme der Unbeliebtheit bietet Geographie. Das Verhältnis
Religion ist dauernd ziemlich indifferent, inmierhin mit einer
<ienz zur allmählichen Steigerung des Interesses.
Eine Sonderstellung nimmt Geschichte ein, die in der
^Istufe stark verhasst ist, während sich die Mädchen der
crstufe völlig, die der Oberstufe ziemlich indifferent zu ihr
lalten.
Alle übrigen Fächer zeigen eine Abnahme der Beliebtheit
h oben hin. Rechnen wird aus einem stark bipolaren Fach mit
Twiegender Beliebtheit zu einem schwächer bipolaren Fach mit
rwiegender Unbeliebtheit. Bei Deutsch stehen auf den beiden
terstufen den starken Unbeliebtheitscoefficienten (über 25^/o)
Derhin Beüebtheitscoefficientcn von über lO®/o gegenüber; in
Oberstufe nimmt der Unbeliebtheitsgrad etwas ab, die Beliebt-
t schwindet aber fast völlig. Gegen die technischen Fächer,
lang. Zeichnen, Schreiben, .die bei den kleineren Mädchen
Qerhin ziemliches Interesse finden, werden die älteren ganz
chgiltig; alle technischen Interessen werden eben von Hand-
eit absorbiert.
Die höherenMädchenschulen weisen darin eine merk-
'dige Uebereinstimmung mit den niederen auf, dass auch hier
Oberstufe durch das besonders starke Ueberwiegen eines Faches
:ennzeichnet ist; doch ist es diesmal nicht die Handarbeit, son-
n das Deutsche. Und der Prozentsatz der Beliebtheit ist zwar
'as niedriger, als dort derjenige von Handarbeit; immerhin
räsentiert er fast die Hälfte aller zu den Klassen HI. II. 1.
lörigen Schülerinnen (47%). Die Ursachen dieser Erscheinung
1 ja bekannt ; einerseits die Schwärmerei für deutsche Literatur,
lererseits die Schwärmerei für den Literaturlehrer. Merkwürdig
das dieser Hochstand des Interesses für Deutsch nicht durch
adigen Aufstieg erreicht wird, sondern dass zxmächst vonderUnter-
fe zur Mittelstufe eine deutliche Abnahme, und dann erst, also
ra mit dem Eintritt der Geschlechtsreife, der plötzliche Auf-
290 L, William Stern.
schw\ing erfolgt. Im Seminar ist Deutsch auch noch sehr beliebt,
muss aber einen grossen Bruchteil der Stimmen an das hier neu
auftretende Fach der Pädagogik abgeben.
Zunehmende Tendenz besitzt dann nur noch Geschichte, und
zwar stetig bis ins Seminar hinein. Alle anderen Gebiete werden
entweder ständig unbeliebter, oder ständig indifferenter. Die Un-
beliebtheit steigt mit zunehmendem Alter vor allem bei den
meisten technischen Fächern Schreiben, Turnen, Zeichnen und (im
Gegensatz zu den Volksschülerinnen) Handarbeit ; die drei letzten
in der Unterstufe fast total positiven Fächer sind im Seminar total
negativ geworden. Femer werden Naturgeschichte und Französisch
von der Mittel- zur Oberstufe unbeliebter, tmd Rechnen wird aus
einem stark bipolaren ein stark unbeliebtes Fach. Der Gang des
Interesses für Rechnen ist also allen drei Schulgattungen, die wir
überblicken, gemeinsam.
Ständig indifferenter wird Religion, ein Fach, das ursprüng-
lich bipolar ist, und Gesang, der ursprünglich stark unbeliebt ist
Wir haben in Kürze sämtliche Ergebnisse, die wir in Be-
zug auf die Altersstufen gefunden haben, registriert, möchten aber
betonen, dass wir gerade diesen Resultaten am wenigsten ADg^
meingiltigkeit zumessen, da sie aus so kleinen Schülennengen
abgezogen werden mussten. Hier ist Erweiterung des Materials
am dringlichsten erforderlich.
V. Höhere und niedere Schulen.
Die schon mehrfach erwähnten Verschiedenheiten zwischen
höheren imd niederen Schulen seien nun noch dadurch auf einepfäct"
sereFassung gebracht, dass wir ausbeiden Gruppen vonSchulgattung^
gleiche Altersgruppen herausschneiden und nebeneinanderstellet
In Tab. VI kommen daher die Ergebnisse für die 9 — Hjähiig^
Mädchen zur Vergleichung, die einerseits den niederen, ändert'
seits den höheren Schulen angehören. In den höheren TöcWcf*
schulen sind hierbei die Klassen HI, IV, V, \l vereinigt word^
Um die Vergleichbarkeit zu erhöhen, sind nur die grossstadtisd^:
Mädchen berücksichtigt worden.
Das Hauptresultat der Vergleichung ist aus der
berechnung am Schluss erkennbar ; das Inte
Volksschülerinnen istviel mehrder
motorischen Seite des Unterricht j
Ueber Beliebtheit und UnhelieWi(it der Schulfücher. 291
[s technische Fächer sind hierbei Schreiben, Gesang, Turnen,
icbnen und Handarbeit gezählt). Die höheren Schülerinnen
ivegen sich mit merkwürdiger Gleichmässigkeit für beide Ge-
ito und für Ablehnung und Bevorzugung zwischen 4Wo und
Vo. Bei den Volksschülerinnen dagegen steht einer 63®/oigen
liebtheit der technischen Fächer eine nur 48% ige für die theo-
iscben gegenüber, und was noch auffallender ist, eine nur
^/mloige Verhasstheit der technischen eine 80 Vorige der theo-
ischen.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich dann noch, dass sich die
^C3ndere technische Neigung der Volksschülerinnen auf Hand-
^^it und die besondere theoretische Abneigung auf Deutsch
ri. zentriert. Ich glaube, wir stehen hier wieder vor einem Er-
b>iiis allgemeinerer Natur. Ein Entwicklungsgesetz geistigen
fc^ens beisagt, dass das sensomotorische Verhalten eine niedere,
s mehr intellektuelle Verhalten eine höhere Entwicklungsstufe
«^stelle: und wie wir dieses Gesetz bei den Altersstufen im
X:>ssen bestätigt fanden, so gilt es, wie wir jetzt sehen, bei
wichen Altersstufen auch für verschiedene geistige Bildungs-
Wichten des Volkes. Aus den Volksschulen gehen hauptsächlich
^G körperlichen Arbeiter, aus den höheren Schulen die geistigen
»-rbeiter hervor; und man sieht jetzt, wie diese Differenzierung
chon von Anfang an vorbereitet ist in den Interesserichtimgen
Icr Kinder.
An weiteren Differenzen sei dann noch erwähnt, dass sich
die höheren Schülerinnen gegen Religion und Rechnen sehr viel
indifferenter verhalten, als die niederen. Beide Fächer werden
n den Volksschulen sowohl häufiger bevorzugt, als auch häufiger
ibgelehnt. Für Geschichte ist die Neigung bei den höheren
Schülerinnen viel stärker, ein ähnliches Verhältnis, nur in gc-
ingerem Grade, besteht für Geographie.
Endlich ist bemerkensv/ert, dass die niederen Schülerinnen
üe gestellten Fragen stets mit positiver Nennung eines Faches be-
mtworteten, während die höheren Schülerinnen sich zuweilen
ies Urteiles enthielten. 4^lo von ihnen konnten sich nicht ent-
schliessen, ein Fach als beliebtestes zu bezeichnen, 7V«®/o vet-
>agten bei dem unbeliebtesten. Zwei psychologische Gründe
Icönnen hierfür herbeigezogen werden. Einerseits sind die
Kjnder des Volks, wie in ihrem ganzen Denken und Fühlen,
so auch in ihren Interessenrichtungen einfacher und entschiedener.
292 L. William Stern.
als die Kinder der gebildeten Stände, bei denen die grössere
Manigfaltigkeit des geistigen Inhalts das naive Stellungnehmen er-
schweren kann. Andererseits aber bekundet sich in obigem Phae-
nomen auch die grössere Selbständigkeit der Töchterschülerinnen,
Die Volkschülerinnen sahen in der Frage einen Befehl, der auf
alle Fälle zu vollziehen war: und so manche Antwort wird hier
nicht Ausdruck des wirklichen Beliebtheits- und Unbeliebtheits-
maximums, sondern blosse Wirkung des Suggestivzwanges sein.
Die höheren Schülerinnen wagen es dagegen, wenn sie innedich
nicht zu einer Entscheidung kommen können, dies auch äusserlicb
durch ein ,,ich weiss nicht** zu dokumentieren.
VI. Die beiden Gesclilechten
Wenn auch im Vorangehenden das Verhalten der Knaben
und Mädchen oft im einzelnen genannt worden ist, so bedarf doch
die Frage, ob sich Geschlechtsunterschiede typischer Art heraus-
gestellt haben, einer besonderen Prüfung. Die Vergleichung ist
bei unserem Material nur möglich für die Volksschulen (Fig. 3
und 4).
Gemeinsam ist beiden Geschlechtern die starke Vorliebe für
die technischen Fächer, die bei Knaben, wie bei Mädchen mehr
als 50^/ü aller Bevorzugungsstimmen erhalten; bei den Mädchen
konzentriert sich hierbei das Interesse ganz vorwiegend auf Hand-
arbeit, bei den Knaben verteilt es sich auf Zeichnen und Turnen.
Gemeinsam ist ferner die Bipolarität des Rechnens, die starke
Abneigung gegen deutsche Grammatik, gegen Chemie und
Geographie.
Ein Unterschied zwischen beiden Geschlechtern besteht zu-
nächst darin, dass Zeichnen und Naturgeschichte bei den Knaben
beträchtlich höher in der Beliebtheitsskala stehen, als bei den Mäd-
chen, dass dagegen Rechnen fast doppelt so viel weibliche Lieb-
haber findet, als männliche (in Kiel betrug freilich der Prozent-
satz der positiven Stimmen für Rechnen bei beiden Geschlechtem
gleicbmässig 14^/o).
Den Hauptunterschied aber glaube ich in den Interesaen
für Religion und Geschichte zu sehen. Hier verhalten sich näm-
lich die Mädchen gerade umgekehrt wie die Knaben: In den
Mädcheninteressen spielt Religion eine stär-
kere Rolle als Geschichte, in den Knabeninie-
ressen Geschichte eine grössere Rolle als
Ueber Beliebtheit und Unbeliebtheit der Schulfächei\ 293
i g i o n. ^) Es scheint demnach zwischen Religions- und
^hichtsinteresse eine Art umgekehrter Proportionalität zu be-
en, derart, dass sich die Teilnahme an der menschlichen
tur, entweder auf ihre historisch-politische oder auf ihre religiöse
e zuspitzt; jenes wäre dann mehr Knabenart, dieses mehr
Ichenart. Ich gebe diese Deutung vorläufig unter allen Vor-
alt, möchte aber doch erwähnen, dass noch manches andere
ir spricht. So werden Märchen und Sagen, die beiden frühesten
stesnahrungen der Kinder, auch nicht von beiden Geschlechtern
chmässig geliebt; vielmehr neigen die Mädchen meist zu den
chen, (die mit ihren Dämonen, Feeen, Zwergen u.s.w. eine
litive Mythologie oder Religion darstellen), die Knaben mehr
den Sagen'' (die ja die Urform aller Geschichte sind). Und
das Gleiche nicht von Erwachsenen? Welches Geschlecht
; die Kirchen und welches treibt Politik? 2)
Zahlenmässig ist der von uns in den Volksschulen gefundene
chlechtsunterschied namentlich bei „Geschichte** sehr stark:
iben-+ 14^/o gegen ~ 3VA, Mädchen + 3% gegen — 9V«®'o
te sich ein ähnliches Verhältnis auch bei weiteren Statistiken
lusstellen, so wäre dies ein, allerdings negativer, Beitrag zum
ma der Coedukation.
Endlich scheint auch die Gruppierung der Kinder nach
irsstufen eine charakteristische Geschlechtsdifferenz zu ver-
n: nämlich in Bezug auf die Vielseitigkeit der Interessen
den Knaben sind die Interessen stets so verteilt, dass selbst
beliebteste Fach höchstens Vg aller Stinmen erhält. Dies ist
Fall auf der Mittelstufe für Turnen; auf der Oberstufe ist die
teilung sogar noch grösser geworden ; kein Fach erlangt mehr
den vierten Teil der Stimmen. Anders bei den Mädchen,
r zeigen Unter- und Mittelstufe stärkere Verteilung (kein Fach
t über 25%); aber in der Oberstufe, und zwar sowohl in der
£S- wie in der höheren Mächenschule vereinigt sich das Inte-
e derart^ das etwa die Hälfte aller Stimmen — dort etwas mehr,
etwas weniger — allein von einem Fach absorbiert wird.
0 In Kiel, wo Religion durchweg sehr imbeUebt war, gilt zwar der obige
nicht genau, aber es besteht doch eine Annähemng an ihn. Dort hat oanüich
lichte bei beiden Geschlechtem einen Beliebtheitsvorsprung vor Religion, aber
Icn Knaben um 8.4O/0, bei den Mädchen um nur 4,30/0- In <lcn von uns ge-
en Dorfschulen (s, Tab. XIII) hat wiederum Religion bei beiden Geschlechtern
Vortprung. doch hei den llädchtii uit 14^/9. M des Kaatm um I^/q.
') Aeholich Lobsien, a. a. O. S. 330.
294 L. William Slern.
VII. Stadt und Land.
Ein letzter Gesichtspunkt der Vergleichung bezieht sich aiai
das Verhältnis der städtischen zu den dörflichen Schulen. Aller--
dingfs ist die Zahl der Landesschüler viel zu klein um eine ver'—
allgemeinerungsfähige Statistik zu erlauben (160 Knaben ua
166 Mädchen). Ausserdem sind diese Kinder fast nur a
Beliebtheit geprüft worden; nur von 28 Knaben und 42 Mädchera
liegen auch Ablehnungen vor, bei denen sich natürlich eirt^e
Prozentberechnung vollständig verbietet. Die Beliebtheitsprozenle,
die aber wie gesagt, zu Schlüssen über die geprüften Schulen
hinaus nicht verwertet werden dürfen, sind in Tabelle VII zu-
sammengestellt. Die Zahlen müssen mit den städtischen
Volksschulen (Fig. 3 und 4) verglichen werden. Beide Mal
handelt es sich um dieselbenAltersstuf en : 9—14 Jahr.
Ein grosser Unterschied in der Beliebtheitsverteilung zwischen
Stadt und Land ist ja von vom herein zu erwarten. Die Ver-
schiedenheit der Umwelt, der Lebensgewohnheiten und der
gesamten Anschauungskreise, die Trennung der Geschlechter
dort, die fast stete Coedukation hier, die bessere Stellung der
Stadtschulen hinsichtlich der Lehrmittel, der Umstand, dass die
Landkinder zumeist denselben Lehrer in allen Fächern durch
alle Jahre haben, während in der Stadt ein wohltuender Wechsel
stattfindet, endlich die verschiedene Stoff- und Stundenverteilung
— all dies muss sich auch in den Interessenrichtungen der
Kinder äussern. Aber trotz alledem ist man doch nicht auf eine
solche Grösse der Differenz gefasst, wie sie unsere Zahlen ergeben.
Eine gewisse Übereinstimmung besteht eigentlich nur in der
starken Beliebtheit des Rechnens, der massigen Beliebtheit des
Schreibens und in der sehr geringen Beliebtheit der natur-
wissenschaftlichen Fächer und der Raumlehre. Aber das Haupt
Charakteristikum der städtischen Volksschule, die starke Vorliebe
für die technischen Fächer, ist auf dem Lande total verschwunden.
An der Spitze steht nicht mehr bei den Knaben Zeichnen oder
Turnen und bei den Mädchen Handarbeit, sondern dort Deutsch
und Rechnen, hier Religion imd Rechnen. Während in den
grosstädtischen Volksschulen die technischen Fächer 45®/o der
Knabenstimmen und 57 ^/o der Mädchenstimmen absorbieren,
lauten die entsprechenden Zahlen auf dem Lande 34Vso/o (Knaben)
und gar nur 26Vs^/o (Mädchen).
Ueber Beliebtheit und Unbeliebtheit der Schul fächer. 295
Die Landschüler verhalten sich also zu den Stadtschülem
ich wie sich nach unseren früheren Befunden, innerhalb der
Lt, die Schüler der höheren Schulen zu den gleichaltrigen der
eren Schulen verhalten. Demnoch wäre es verfehlt, den
srschied hier auf die gleichen psychologischen Gründe
Lckzuführen wie dort. Die stärkere Bevorzugung der theo-
ichen Fächer durch die Dorfkinder beruht sicherlich nicht
Liif, dass sie auf einer höheren geistigen Entwicklungsstufe
en als die gleichaltrigen Stadtkinder, sondern auf einer
le gänzlich anderer Motive. Erstens werden die technischen
her auf dem Lande bei weitem nicht so gepflegt wie in der
3t: sie erhalten viel weniger Unterrichtsstunden, verfügen über
r viel geringere Lehrmittel und sind vielleicht auch noch in
Methode zum Teil hinter den Stadtschulen zurück (was
lentlich auf die Ergebnisse für Zeichnen eingewirkt haben
fte). Geturnt wird im Winter auf dem Lande überhaupt
lt; und da unsere Erhebxmgen in Februar stattfanden, so war
Turnen so ziemlich dem Gesichtskreis der Schüler entrückt
äitens aber muss das Milieu eine Interessenverschiebung
wirken. Die Stadtkinder haben fortwährend, nicht nur in der
nie, sondern auch auf dem Schulwege, auf der Strasse und
Hause eine abwechselungsreiche Fülle geistiger Eindrücke;
; intellektuelle Aufmerksamkeit ist in ganz andern Masse in
ve Spannung versetzt, als es bei dem einförmigen Land-
en möglich ist. Dagegen kommen in der Stadt oft die
ken Bewegungsinpulse zu kurz. Da wirken nun die tech-
dien Fächer als Gegengewicht; sie bedeuten zugleich ein
illektuelles Ausruhen und ein motorisches Sich - austummeln-
inen. Auf dem Lande dagegen ist der Normalzustand ein
Qgel an intellektuellen Anregungen und Abwechselungen imd
;estörte Bewegungsmöglichkeit im Freien; hier wirken dann
ade wieder die wissenschaftlichen Fächer als das neue Besondere,
Anregung und Abwechslung.
Nun noch wenige Worte über einige spezielle Ergebnisse.
5S das Religionsbedürfnis bei Mädchen lebhafter ist als bei
iben, hatten wir schon in den vorangegangenen Statistiken
mden; es wiederholt sich auch auf dem Dorfe, und zwar in
z besonders starken Masse. Ist doch bei den Mädchen
igion mit dem vierten Teil aller Stimmen das beliebteste
dchenfach üerhaupt. Allerdings hat an diesem Ergebnis eine
296 L, WiUiam Stetm.
einzelne Schule (J.) besonderen Anteil, der jedenialls der Lehr^ ^^
persönlichkeit zuzuschreiben ist; aber auch, wenn man diese 1>^*
Seite lässt bleibt Religion noch immer mit dem Satz von Iff^y^
an der Spitze aller Fächer. Sonderbarer Weise sind auf de
Lande die Mädchen auch im Geschichtsinteresse den Knabe
überlegen; doch mag das ein reines Zufallsergebnis sein.
Dass die in unmittelbarer Berühnmg mit der Natur lebende
Dorfkinder für die naturwissenchschaftlichen Fächer so weni
Interesse übrig haben, darf nicht Wunder nehmen; gerade di
allzugrosse Vertrautheit und Selbstverständlichkeit der Objekt
muss bewirken, dass eine der Hauptmotive des Interesses, d
Reiz der Neuheit und Ungewöhnlichkeit, hier wegfällt >)
Die wenigen Ablehnungen, die aus Dorfschulen vorliegi
verbieten zwar, wie gesagt, Prozentberechnimgen; doch kan
man schon die Vermutung aussprechen, dass nach der n^atiy<
Seite hin die Abweichung von den Stadtschulen nicht so
sein würde. Bei beiden Geschlechtem wurden Deutsch
Rechnen relativ oft abgelehnt, bei den Mädchen dann
Geschichte, und, merkwürdiger Weise, Zeichnen.
Ich schliesse mit dem herzlichen Dank an alle Damen
Herren, die durch Anstellung der Erhebungen die Arb^üf
ermöglicht und durch Teilnahme an der Verarbeitung dL«s
Materials ihren Abschluss gefördert haben,
') Bekanntlich ist ja auch der sogenannte .,Nattirsinn'' bei dem DSrOer yM
weniger atxsgebildet als bei dem StSdter. Es sind dies mir SpeiitIflQlff def dl-
gemeincn Satset, dass rom Sich- wandern -köuen tine gewiss« XHttns fO*
Objekt gdiört.
Sitznns^sberichte.
Psychologische Gesellschaft zo Berlin.
Donnerstag, den 4. Mai 1905.
Beginn 8»/* Uhr.
Vorsitzender: Herr Martens,
Schriftfahrer: Herr Westmanit.
Herr Albert Moll spricht über: „Ps)chologie und Kur-
P^^^^eherei«.
Wenn wir die geschichtliche Entwickelung der Psychotherapie ins
p, fassen, so haben wir zweierlei zu unterscheiden: erstens die
^^^iiichte der praktischen Psychotherapie und zweitens die der theorc-
^en. Erstere umschliesst alle psychotherapeutischen Massnahmen, die
"^tr Praxis vorgenommen worden sind, letztere betrifft die theoretisdie
^rbeitung der einschlägigen Fragen. Beide Gebiete haben zwar Be-
^^^^i^ungspunkte miteinander, fallen aber durchaus nicht immer zusammen.
^^ mancher therapeutischen Massnahme, z. B. bei vielen elektrothera-
"^^>ltischen Kiu-en, nahm man irrtümlich lange Zeit als wirksames Prinzip
^ti physischen bezw. chemischen Einfluss an, während man erst später
^^^ psychische Beeinflussimg als das Wirksame erkannte. D. h. man hat
die Elektrotherapie schon früher psychotherapeutisch verwertet, die
Psychische Wirksamkeit aber erst später erkannt. (Es bezieht sich dies
^titriich nicht auf alle elektrotherapeutischen Massnahmen.)
Getrennt von der praktischen Verwertung der Psychotherapie ist
deren wissenschaftliche Erforschung. Es hat von jeher einzelne Ärzte
und andere Forscher gegeben, die bei bestimmten Massnahmen eine
psychische Wirksamkeit erkannten. Im Altertum fmden wir u. a. schon
bei Hippokrates, Galen, Seneca, in den späteren Zeiten vielfach auch bei
den katholischen Schriftstellern Massnahmen empfohlen, die als psycho-
therapeutische bereits damals erkannt waren. Ganz besonders aber vnirde
die wissenschaftliche Erforschung der Ps) chotherapie durch die Lehre
vom Hypnotismus angebahnt. Dieser bewies die Bedeutung der Sugges-
Zeitfchrift für pädagogische Psychologie, Pathologie und Hygiene. «
298 Sitzungsberichte.
tion; es zeigte sich aber sehr bald, dass die Saggesdon ofci
Hypnose Bedeutung hatte, und wir erkannten dann wdia,
nur die Suggestion, sondern auch zahkeiche andere psydix
kungen therapeutisdi wirksam sind. Hierzu gehören (fie 1
Therapie, die Willens-Therapie, die Beschäfdgungs-Therapie i
andere.
Die Beziehungen von Kurpfuscherei und Psycho^
äusserst zahlreich, indem sich jene \'ieler Einwirkungen bcd
psvciiische Bedeutung sie leugnet, bei denen aber die wiss
Medizin eine psychische Wirkung annimmt Der Umstand,
Tatsache oft verkannt wird, hat viele Irrupgen veranlasst m
Zeit zu Zeit immer wieder zu jenen Vorgängen, die in Fonn
Epidemieen in den verschiedensten Ländern auftreten.
Epidemie bildete bei uns erst vor wenigen Jahren das Gesa
Die Kurpfuscherei bedient sich, wie schon ai^egd
psydiischer Einwirkungen. Sie unterscheidet sidi aber ga
wissensdiafthchen Psychotherapie dadurch, dass sie ' den i
psydiischen Wert dieser Mittel leugnet. Ab Beispiel . r d
tung wollen wir den sogenannten Heilmagnetismas wähle
wir die Heilerfolge der Magnetiseure durch Soggesticm i
Einwirkungen erklaren können, müssen wir dies tun. Eist
Erklärungsmoghcfakeit versagt, haben wir das Redit, eine
klärung zu suchen. Nun behaupten freilich die Heihnagi
andere Kurpfuscher, dass sie Heilungen zu stände biii^
durch Suggestion oder ähnliche psychische Einflösse eiklaib
besonders weisen sie mit Vorliebe, um dies zu b^rönden^
dass sie auch organisdie Krankheiten durch Suggestion heSe
hegt hier ein Tnigscfahiss vor. Auch bei organischen Krank
sich wesentliche Besserungen oft genug durdi psycfaisclic
^neichen« ohne dass man eine organische Verändenmg de*
nennen braucht. Auf aDe Erklärungsversuche kann ich n»
Ich erwähne kurz, dass bei organischen Krankheiten die
weiter reicht, als dem organischen Herd entsprichL Ohara
halb mit Vorliebe eine begleitende Hysterie bei vielen oi|
kranknngen an. während andere nur eine .\rt Shockwiikm
die sich am" andere Abschnitte des Organismus eisüeiAl a
die direkt lädiert sind. Diese Voraussetzung würde scboi
therapeutische Bessermi^ von Symptomen bei derartigen
efklären. Vergessen wir femer nichL dass auch bei oigani
beiten durch Ablenkung der Azinnerksamkeit und St^gesd
minderm^ der Schmerzen erreich: werden kann. Jeden£di
bevor wir an die Heilung organisdier Knnkbeitesi dnrc
nugnecism'^ giauben. eis: in dieser Weise alle Mc^ücakeite
beiuLopcen ja die Heilm igneti^eure. dass sie das I
SüsBungsberichte, 299
>eweisen können. Es sind aber bisher alle wissenschaftlich
''ersuche misslungen, und die zwei Heilmagnetiseiure, die sich
ler betreffenden Untersuchung zur Verfügimg gestellt haben,
rht im stände, auch nur das Mindeste nach dieser Richtung zu
Wir haben natürlich nicht alles mit dem Worte „Suggestion"
Kurpfuschern abziunachen. Es kommen, wie angedeutet, auch
sychische Einflüsse hinzu. Das moralische Kontagium, das diese
urch veröffentlichte Annoncen angeblich Geheilter vorbereiten,
e Rolle; ebenso der Affektzustand, in den die Patienten versetzt
ind der durch die angespannte Erwartung bestimmte Wirkungen
e kommen lässt. Es kommt weiter hinzu, dass bei einzelnen
hem eine äusserst starke persönliche Einwirkung stattfindet, wie
lupt der Wert der Persönlichkeit im Leben ein sehr grosser ist.
wie der eine Lehrer stark auf den Schüler psychisch wirkt, so
Qcher Kurpfuscher.
in darf femer nicht vergessen, dass die meisten Patienten von
ewisser. Vertrauen beseelt zum Kurpfuscher kommen. Dem
cht nicht der Umstand, dass mancher ohne blindes Vertrauen
pfuscher geht. Wenn auch das Vertrauen nicht dauernd imd
f sein mag, gänzlich ohne solches dürfte so leicht keiner dort
t werden.
Diskussion:
;rr Munter führt aus:
e Hoffnungslosigkeit des Patienten, der die Unheilbarkeit seiner
t kennt, führt den Leidenden zu Kiurpfuschem. Das Aufgeben
ges zum Leben ist etwas Psychopathologisches. Die Suggestiv
:lche zur Erhaltung des Lebens aufgewandt wird, kann eine
e Resistenz gegen die schädliche Krankheit selbst schaffen
organische Veränderungen bei der Suggestion können dturch
ngen bei der Cirkulation erklärt werden, z. B. Stauungen.
;rr Moll erwidert auf die Bemerktmgen des Herrn Munter
5.
1 bestreite nicht, dass durch psychische Vorgänge organische
rungen bewirkt werden können. Im Gegenteil, ich halte dies für
Ich verweise auf die Versuche, durch Suggestion die Wirkung
asenpflasters zu erzielen, femer auf die Physiognomieen be-
Berufe. Ich glaube indessen, es ist bisher noch nicht nach-
, dass man durch psychische Einflüsse gerade die zur Heilung
panischen Erkrankung nötigen Veränderungen erzielen könne.
Schluss der Sitzung: 9 Vi Uhr.
300 Süxungsberiehie.
Donnerstag, den 18. Mai 1905.
Anfang 8V4 Uhr.
Vorsitzender: Herr MolL
Schriftführer: Herr Westmann.
Ak Mitglieder wurden aufgenommen die Herren: Referendar Franz
Heinemanü, Ludwig Freiherr von dem Busche Lehe, Frta
Lina Kats. Znt Aufnahme gemeldet wurden die Herren: Dr. Valen-
tin, Dr. Maroinowski, stud. phil. Kurt Burohardt, FrL Biren-
aweig.
Herr Dr. Fritz Leppmann spridit über „Unzuchtverbrecheo
an Kindern.*'
Es erregt Befremden und BeunruhigUBg, dass Kindersdiändungot
so häufig und von Angehörigen vetschiedenster Gesellschaftsklassen Ttr^
übt werden. Der Laie nimmt an, dass nur besonders rohe und wüsl^
oder aber geistig abnorme Menschen dazu im Stande seien. Denn der
normale Geschlechtstrieb richte sich nur auf reife Individuen, tmd es sei
Gelegenheit genug, ihn auf rechtszulässige Weise zu befriedigen.
In Wirklichkeit aber kann die Gelegenheit zu normalem Gesdiledito-
verkehr sehr eingeengt, ja aufgehoben sein, entweder durch zufällige sozbk
Umstände, oder dadurch, dass einzelnen Menschen diejenigen Eigensdiafteo
fehlen, welche zur Erlangung geschlechtlicher Gtmst von Erwachsenen not*
wendig sind (körperliche AnsehnHchkeit, ein gewisses Mass von Keck-
heit, Gewandtheit oder dgl.)
Dagegen ist Gelegenheit zur Verlockung von Kindern überall leicht
gegeben, da sich allerorts unbeaufsichtigte Kinder herumtreiben, welche
teils aus Unverstand (jüngere Kinder), teils auch aus bereits erwaditer '
Lüsternheit (Mädchen von 12 — 13 Jahren) den Männern folgen, die sicfa j
an sie heranmachen. Eine besonders nahe Gelegenheit zur Verführung 'Z
von unreifen Mädchen bieten auch autoritative Verhältnisse, insbesondere -^
das der Erzieher (Lehrer, Geistliche), zu den Kindern.
Es muss freilich zu der Gelegenheit immer noch der Reiz hin- —
zutreten. Es gibt aber mannigfache Bedingimgen, unter denen auch unreife ^
Individuen einen Geschlechtsreiz auslösen können. Längst nicht bei allen j
Menschen ist die Richtung des Geschlechtstriebs auf erwachsene Personen j
des anderen Geschlechts so fest und unabänderUch, dass sie tmter allen ::
Bedingungen ausschlaggebend bliebe.
Weit verbreitet ist eine mehr oder weniger vollständige geschlecht-
Uche Wahllosigkeit. Sie tritt am krassesten zu Tage bei Geistes* -
schwäche verschiedenster Entstehung und bei augenbliddicher Alkohol-
wirkung. Aber auch ohne solche grobe Gehimschädigungen genügen för
viele Menschen bestimmte äussere Bedingungen, lun den Geschlechtstrieb
auch durch Unerwachsene auslösbar zu machen. Hierzu gehört ins-
besondere der Anblick unbekleideter oder wenig verhüllter weibUcher
Körper, wie er zumal bei engem Zusammenwohnen sich aufdrängt [Sehr
302 Sitzungsberichte.
£s gibt auch Motive zu Sittlichkeitsverbrechen, welche ganz abseits
vom Geschlechtsleben liegen. Am wesentlichsten sind die abergläubischeD
Vorstellungen, dass Geschlechtskranke durch Verkehr mit unbcräbtteu
Mädchen geheilt und Greise durch Beilager mit Jimgfrauen vcijüngt
werden können. Man darf aber nicht so weit gehen, bei jedem n
venerischer Ansteckung des Kindes führenden Schändungsveibredwi
auf abergläubischen Ursprung zu schliessen.
Die hier schematisch auseinandergehaltenen Motive pflegen sidi in
Wirklichkeit vielfach zu verflechten, wie Vortragender dies an Beispid«
dartut. Die seelischen Mängel der Verbrecher spielen in der grossen
Mehrzahl aller Fälle, auch nach Abzug der auf Grund des § 51 R.StG
nichtstrafbaren unzurechnungsfähig Geisteskranken, eine Rolle. Sie wiAen
aber selten einseitig bestimmend, gewöhnlich müssen noch andere Ein-
flüsse hinzukommen, tun das Sittlichkeitsverbrechen auszulösen. Kncr
Häufung solcher Einflüsse bedarf es in der Regel bei der MindenaU
den geistig vollgesunden Sittlichkeitsverbrechem. Neben der Augenbüds-
Wirkung des Alkohols sind namentlich die im Einzelnen bereits oben
angedeuteten sozialen Verhältnisse von ausschlaggebender Wichtigkeit
An diese Ermittlungen knüpfen sich praktische Folgenmgen zunächst
in strafrechtlicher Beziehung. Bei den meisten Kinderschändem bestehen
im Siime des geltenden Rechtes mildernde Umstände : die Einen sind
wegen seelischer Defekte minder fähig, ihre Triebe zu zügeln, die Anderen
geraten ins Verbrechen mit Hilfe gehäufter unglücklicher Zufälle. Sdion
von diesem Standpunkte aus sind die ganz hohen Strafen (5 und mehr
Jahre) bedenklich. Dieselben sind aber auch unzweckmässig. Denn
für Affektverbrecher ist das bei langen Strafen unvermeidliche Zusammen-
leben mit Gewohnheitsverbrechern immer gefährlich, und ausserdem wird
die Gesundheit grade bei Personen von stärkerer geschlechtlicher Erreg*
lichkeit durch lange Freiheitsstrafen besonders gefährdet. Wenn sokhe
Personen darm entlassen werden, so sind sie sozial unbrauchbarer vS
vor der Strafe. Es empfiehlt sich daher eine Strafzeit von mittlerer Dauc^
an welche — entsprechend den Beschlüssen des vorjährigen KriminalisteO"
und Juristentages — bei gemeingefährlichen Minderwertigen eine andeß*
artige weitere Verwahrung auf unbestimmte Zeit sich anschliessen müsste
Die neuerdings wieder empfohlene Prügelstrafe ist ausser aus allgemeine^
Erwägungen, die hier zu weit führen würden, schon deswegen zur Be-
kämpfung der Sittlichkeitsverbrechen ungeeignet, weil sowohl Prügeln**
Geprügeltwerden vielfach geschlechtlich aufregend wirkt und zu VeriirtDl'^ i
des Geschlechtstriebes Anlass gibt.
Das Wichtigste ist die Prophylaxe der SittlichkeitsverbrechiÄ
rechtzeitige Fürsorge für jugendliche Minderwertige, durdi
des Wohnungselends und der Trinksitten, durch Fürsonr^
Beaufsichtigung der Proletarierkinder und durch vemOi
Erziehung von Knaben und Mädchen in den EntwiGÜQi
304 SiUst^g^berid^.
Ursachen für die Sitüidikeitsverbrechen bei Kindern angeführt Es gibt
aber, ifne ich ergänzend bemerke, eine Anzahl von Männern, bd denen
^}^ episodisch, ganz vorübergehend Neigung zu Kindern voil^mmt» und
zwar scheint dies durch eine Assoziation einzutreten, die durch ia^ xaxte
Knabengesicht, das ja dem Gesicht des Weibes weit mehr tthnelt als dem
Männergesicht, herbeigeführt wird.
Die Gefahren der Prügelstrafen sind anzuerkennen. Ich selbst
)i^ gerade über die sexuellen Reizungen, die die Prügelstrafe leidit
herbeiführt, einmal geschrieben. Trotzdem mus» untersdüeden werden
zwischen einer gelegentlichen Prügelstrafe und der methodisch fortgesetzten
Prügelstrafe. Avif die erstere wird bei der Rohheit vieler Schüler nidit
ganz verzichtet werden können, und ich glaube nicht, dass es im Interesse
der Disziplin läge, den Lehrern allzu strenge Vorschriften hierin r^
machen.
Was die Frage des Angeborenen imd Erworbenen betrifft, so wek^Bt
ich auf folgendes hin. Ich behaupte nicht, dass es eine eingebore^^^^
sexuelle Neigtmg zu Kindern gibt; aber der eine Grund, der 'umm^'^^
wieder gegen das Eingeborene angeführt wird, tmd den auch H^^sn
Dr. Fritz Leppmann erwähnt hat, das primäre Auftreten des pervers^^**^
^mpfmdens, scheint mir heute nicht mehr stichhaltig. Eingebore^z=^^
Neigungen brauchen nicht immer primär aufzutreten. Die AusfÜhruqg^- "^
über den undifferenzierten Geschlechtstrieb bei Beginn der Pubertät,
sie Max Dessoir zuerst gegeben hat, zeigen, dass anscheinend p
Neigungen primär auftreten und dass später das Normale durchbric
und zwar gerade weil die Disposition zu den normalen zweifellos
geboren ist.
Herr Westmann erachtet langdauemde Freiheitsstrafen wegen ff^ ^^
starken Anreizes zur Begehung von Sittlichkeitsdelikten und w^en der^^^^
Gemeingefährlichkeit sowohl vom Standpunkte der klassischen als ai^=^-J^
dem der soziologischen Kriminalistenschule bei Erwachsenen für
gebracht.
Herr F. Leppmann: Herrn Löwenstein gebe ich zu, dass
von ihm dargelegten gesetzlichen Verhältnisse an der besonderen
fung von „Sittlichkeitsverbrechen'' bei Personen tmter 15 Jahren exhi
liehen Anteil haben. Daneben aber bleibt bestehen, wais ich über
Einfluss der Pupertät sagte.
Im Anschluss an die AusRlhrungen Herrn Munters bemerke i
dass eine unzulängliche gerichtliche Würdigung aus § 51 nach meiiv-.^°
Erfahnmgen am ehesten bei Epileptikern und bei betrunkenen Scfawa^^'
sinnigen vorzukommen pflegt
Zu der Auffassung Herrn Mo 11s bezüglich des undifferepziffrC)^
Geschlechtstriebes wollte ich mit meinen Darlegimgen nicht in QegpBißM^
treten.
306 Sitzungsberichte.
Handlung, Handlung und Moral leiden unter Einkleidung in das Gewand
des griechischen Altertums; schemenhaft, aber nicht lebensvoll.
Goethe ist Schöpfer des neuen Romans durch Werthers Leiden,
Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre und durch die Wahlverwandt-
schaften.
Werther, der empfmdsame Geist der Aufklärungsepoche. Neu ist
die packende und einheitliche klare Zeichnimg des Innenlebens eines
jeden, alles ist aus der Seele der Menschheit heraus geschildert, nicht
aus der eines Menschen. Das allgemein Menschliche ist zugleidi mit
den charakteristischen Farben einer bestimmten Zeit geschildert Dadmcfa
wird auch das wertvoll, was sonst bei Seite bliebe. Leidenschaftliche
Aufregung gegenüber der geltenden Moral, herbe Kritik der soriakn
bürgerlichen Verhältnisse, revolutionäre neue Zeit. Wilhelm Meister:
Alles Überzeugung, Gedanke, Berechnimg; Erziehung zum Leben, ein
Hauptproblem der damaligen Welt. Reiches Gedankenmaterial, Vervoll-
kommnung in Sprache und Bildung. Ziel: Harmonische Ausbildung nach
Aussen und nach Innen. Soziale Bedeutung, der dritte Stand spielt eine
Rolle, Überwindung gesellschaftlicher Schranken. Klar gezeichnet sind
die Stimmungen und Gedanken über die menschlichen Charakter-
schilderungen.
Wilhelm Meisters Wanderjahre sind lediglich eine Folge von
Novellen, sie stehen im Baime des reinen abstrakten Gedankens, ein
Roman sind sie nicht.
Wahlverwandtschaften: Gedanken und Handlung sind zu einer Ein-
heit verschmolzen. Die Handlung ist die Durchführung des Gedankens
selbst. Die Gedanken prägen sich in der Entwicklung aus. Die Hanö-
lung ist der Ausdruck des Gedankens, der Gedanke ist die Seele der
Handlung. Damit der gewaltigste Schritt zu der Entwicklung des deutschen
Romans getan. Die Konsequenz, mit der das Thema von der Heiligkeit
der Ehe behandelt wird, macht die Wahlverwandschaften zum ersten
Roman, der der Idee des Romans entspricht: ein einheitliches in der
Handlung und nach den scharf erfassten Gesetzen seelischer Anlagt*
gestaltetes Abbild des Lebens und von Zeitproblemen, keine gekünstelte
Altertümelei.
Kein Gegensatz zwischen Gesinnung und Charakteren, Begebe^'
heiten und Taten in den Goetheschen Romanen. Der Romanheld tosß^
handeln und leiden, wie das Leben handeln und leiden lässt Wtf^ ,-
hat Streit- und Nachahmungsschriften hervorgerufen, Wilhelm Meister ij^
bahnbrechend für den Bildungsroman des 19. Jahrhunderts g
Haupteinfluss Goethes in der unbeirrten Wiedergabe des
in der Kunst, Handlung und Gedanken in eins zu schaffen.
Eine Diskussion fand nicht statt.
Schluss der Sitzung 9Va Uhr. t
; i\
306 SiteungaberichU.
schon darauf hin; dass die betreffende KörperbilduDg gewissermassen
eine symbolische Bedeutung für die entsprechenden seelischen ^en-
schaften habe.
Eine Diskussion fand nicht statt
Schluss der Sitzung 11 7« Uhr.
Donneistag, den 29. Juni 1905.
Vorsitzender: Herr Mo IL
Schriftführer: Herr Westmann«
Beginn der Sitzung: 8 Uhr 80 Minuten.
Als Mitglieder wurden aufgenommen: Herr P. lic. BohD «ad
Herr stud. phil. Lehmann. Zur Aufnahme gemeldet: Herr ProieMor
von den Steinen und Herr prakt. Arzt Dr. Holst. Auagetreten iit
Herr Bechtsanwalt Dr. Bieber.
Herr Gramzow hielt über den
»Anthropologismus in der Feuerbachschen Religions-
philosophie''
einen Vortrag, in dem er Folgendes ausführte:
Hegel versucht den ganzen Werdeprozess der Welt mit öcm
Gedanken zu umspannen, alle Einzelheiten des „Geschehens** in eincD
einheithchen Zusammenhang zu bringen, er tmterscheidet den Geist als
subjektiven, objektiven und absoluten Geist. Der absolute Geist ist sidi
seiner selbst bewusst: in der Form der Anschauung in der Kunst, ^
der Form des Gefühls in der Religion, in der Form des Begriffs in der
Philosophie.
Alle Entwicklungsstufen, die durchlaufen werden, existieren fort als
aufgehobene Momente : der Gegensatz, der in dieser Entwicklungsphase
sich kundgibt, wird beseitigt, die einzelnen Entwicklungsmomente weiden
aufbewahrt. Jeder Begriff erzeugt sein Gegenteil, ein Begriff baut sid^
aus dem andern auf. Die Religion ist eine Entwicklungsstufe des
menschlichen Geistes, die Philosophie ist die höhere Offenbarung der
ReUgion. Der Begriff oder die Idee besitzt die Macht, die ganze Wiik-
lidikeit der Natur und die Geschichte aus sich hervorzutreiben. Wenn
der Weltgrund vernünftig ist, muss die ganze Welt vernünftig sein uid
so ist es möglich, aus der menschUchen Vernunft allein die ganze Ab-
straktion der Welt abzuleiten.
Feuerbach durchschaut die Leerheit der Hegeischen SpekuladoB,
der die notwendige Grundlage der Wirklichkeit fehle und dadurch der
Inhalt. Er sieht diesen Inhalt im Anthropologismus:
Gott ist das Erzeugnis des Menschen. Die Theologie ist Anthro-
pologie, wie die Philosophie. Der ganze Mensch mit dem Intellekt, dem
Sitzungsberichte. 311
•j Diskussion:
Herr Stern führte aus, dass bereits Xenophanes im 6. Jahr-
hundert vor Chr. den Satz aufgestellt habe, die Religion sei lediglich die
Selbstvergötterung des Menschen.
Herr Moser: Feuerbach habe die Trinität verkannt, Maria ge-
höre nicht hinein. Der Gedanke der Trinität sei folgender: Gott er-
kenne sich selbst, und indem er sich erkenne und ausspreche, produziere
er das Wort. Dieses sein substanziales Erkennen sei nicht ein vorüber-
gehendes Denken, sondern selber eine Substanz, der Sohn Gottes. In-
dem Vater und Sohn sich selber erkennen und lieben, sei diese Liebe
als substanzial zu verstehen und sei der heilige Geist, ausgehend von
Vater und Sohn. Es sei nicht ein zeitliches Geschehen, sondern ein
notwendiges ewiges Geschehen in der Natur. Gott sei nur der eine,
dreifach in derselben Person, drei verschiedene Eigenschaften. In der
griechischen Kirche gehe der heilige Geist nur vom Sohne aus, Maria
sei lediglich eine Kreatur Gottes, die den Vorzug der vaterlosen
Mutterschpift Jesu habe.
Herr Gramzow entgegnet, für die rationalistische Erklärung Gottes
sei die Trinitätslehre imbegreiflich imd unfruchtbar. Feuerbachs Stand-
punkt führe vor allem zur religiösen Toleranz, die spiritualistische Er-
klärung Gottes und der Trinität sei als Gegensatz gegen den Bilderdienst
in den ^'rsten beiden Jahrhunderten nach Christi entstanden, der rein
geistige • !ött des Judentiuns sei den Bekennem zu abstrakt, nicht fassbar
gewesen.
Herr Westmann führt aus, der Anthropologismus Feuerbachs
sei nicht rein rationalistisch entstanden, sondern stehe im engen Zu-
iv
sammenriang mit der Romantik, welche als Fortbildung und zum Teil
als Gegensatz gegen den abstrahierenden Rationalismus des 18. Jahr-
hunderts plastisch die Welt belebe und die ganze Natur beseele und
vermenschliche, er enthalte somit auch ein poetisches Element, welches
im unmittelbarsten, historischen Zusammenhang mit der ganzen Zeit-
strömung stehe. Auch der Entwicklungsge ianke sei für die Erklärung
des religiösen Phänomens als heuristisches Prinzip von Feuerbach an
gewandt worden.
Herr Gramzow führt in seinem Schlusswort aus, die Entwicklimg
des Mittelalters sei aus dem Buchstaben, abb ikter Begriffskonstruktion
und Weiterbildung heraus entstanden, nicht dagegen aus klaren Vor-
stellungen. Die Trinität sei ein „übervemünftiges" Dogma, welches
lediglich aus dem Verstände heraus zu begreifen sei.
Schluss der Sitzimg 10 Uhr 10 Minuten.
Berichte uad Besprechuisfeo.
Emil Müller. Ueber mehrdimensionale Räume. Wiss ob*
schaftl. Beil. z. 17. Jahresber. d. Phil. Ges. a. d. üniTC^^TB»
Wien. ö. 1—14.
Leipzig, Barth. 1904. Pr. M. 2,—.
Verfasser definiert zunächst eine Mannigfaltigkeit (oder einen Ba==iUD)
▼on einer Dimension, zeigt dann, wie daraus eine Mannigfaltigkeit (c=>der
ein Raum) von zwei und daraus wieder eine solche Yon drei DimensioB^'JiMi
sieh ableiten lässt. Auf dieselbe Weise nun gewinnt man, wenn i^taitQ
Yon der räumlichen Anschaulichkeit absieht, Mannigfaltigkeiten von ^^vier
Dimensionen. Auch unser Ansehauungsraum ist nur dreidimendo'^!^
wenn man ihn als P unkt -Mannigfaltigkeit betrachtet; wählt man an^^"^
Gebilde als Elemente, so ist er yier- und mehr-dimensional.
Der Nutzen dieser Anschauungsweise für die Mathematik nun Irn^^C^
darin, dass man an Stelle der Raum- eine Mannigfaltigkeitslehre set^^^'^
kann. Hat man f&r eine beliebige dreidimensionale Mannigfaltiglc^'^
z. B. fQr unseren Raum, einen Satz bewiesen, so gilt er entspreche
Ar jede dreidimensionale Mannigfaltigkeit, z. B. für sämtliche Kr<
der Ebene.
Vom Standpunkte der Denk-Oekonomie aus ist also „die Scha^ta^*^
einer (Geometrie desn-dimensionalen Raumes*' anzustreben, die es ermögliob-^^
würde, analoge Beziehungen nicht nur, wie eben gesagt, in Manx^^^-
faltigkeiten gleicher Dimension, sondern in allen Mannigfaltigkdm.4^'^
jeder beliebigen Dimension gleichzeitig aufzuzeigen.
Berlin. Lipmann.
8. Exner. üeber den zentralen Sehact. Wiss. Beil. z. 17. Jah^^res-
bericht der Philos. Ges. a. d. Unirers. Wien. S. 16 •^^«
Leipzig, Barth. 1904. Pr. M. 2,—.
Zur Kenntnis des zentralen Sehactes.
Ztschr. f. Psych, u. Phys. d. Sinnesorg. Bd. 36. S. 19
212. 1904.
Verletzt man bei einem Hunde die Grosshimrinde bepw. der
Hemisphäre, so tritt Hemiamblyopie, d. h. Herabsetzung des S<
die rechte Hälfte des Ghesichtsfeldes ein. Herrorgerufen ist diep
ic3-
320 Berichte und Besprechungen,
als bei solchen Leuten findet, die vom Lande stammen oder, ausstaifcer
Lebensbetätigung herausgerissen, im Zochthads, unter den elenden Ge-
nossen, ihr Elend empfinden lernen — als psychisch feiner organisieite
Menschen. — Besonders bei den jugendlichen Verbrechern, die den
Grossstädten entstammen, fehlt vielfach die sittliche Regung« Das ist
die Folge davon, dass das Milieu, in welchem die unglüdcseligen G^
schöpfe aufvrachsen, gar oft ein erschreckendes Bild gewährt Vater.
Mutter tmd Geschwister gehen mit dem bösen Beispiel der Roheit gegen
Mensch tmd Tier, der Unsittlichkeit in Wort und Tat, der moralischen
Verkommenheit tmd Versumpftheit des Gefühls, der Unempfindlicfakeit
gegen jedes Leiden der Mitwelt voran. Dazu kommt vielfadi noch der
Hang zur Lüge, der ja bei den Kindern aus solcher Umgebung besondeis
stark vorhanden ist tmd entwickelt wird. Zum Schhiss macht Baer aodi
auf die körperliche Entartung aufmerksam, die in der späteren Kindheit
durch die mangelhafte Ernährung, durch schlechte Wohnung und falsdie
Lebensweise erworben wird.
Weissensee bei Berlin. Diemann.
J. Bierens de Haan. Die Bedeutung der Hypnose
und Suggestion für die Erziehung.
Leipzig. Max Altmann. 1905. Mk. 1. —
„Zweck der Lebens ist zuerst die Bildimg des Charakters* — be-
stimmt durch Fühlen imd Wollen — , „alsdann die Persönlichkeit" — nodi
weiter bestimmt durch das Können. Damit ist auch das Ziel der Erzi^
hung gegeben: der Charakter wird gebildet durch „geistige Führung*,
die Persönlichkeit ausserdem noch durch den Unterricht Der Unterridit,
der ja also auf die Erweiterung des Könnens, der Denkkraft, des Vor-
stellungslebens, abzielt, hat sein Augenmerk zu richten auf eine Stärkung
der Aufmerksamkeit; er erreicht dies durch psychische Uebung. Zweck
der „geistigen Führung" ist die Vertiefung des Gefühlslebens, imd zwar
des höheren, d. i. des ethischen und aesthetischen Gefühlslebens: ihre
Methode besteht in der Erweckung und Offenbarung „dessen, was in
unserer Seele schlummert".
Neben den Unterricht nun tritt für die Erziehung des Vorstellungs-
lebens, der Persönlichkeit, die Suggestion. Das Wesen beider ist die
Ueberzeugung; ist diese so stark, „dass ihr Inhalt nicht bloss für wahr
gehalten wird, sondern auch wahrgenommen oder erinnert zu werden
scheint", so sprechen wir eben von Suggestion. Ihre Wirkung kann noch
verstärkt werden in der Hypnose. — Dagegen ist es völlig unmöglidi,
psychotherapeutisch auf das Gefühlsleben, d.i. auf die Charakterbildung
einzuwirken. —
Damit hält Verf. die Aufgabe für gelöst: die übertriebene Wert-
schätzung, die B^rillon der hypnothisch-suggestiven Behandlung für die
Erziehung beimisst, ist auf ihr richtiges Mass zurückgeführt.
Berichte und Besprechungen, 321
Ref. kann freilich nicht in aUem dem Verf. folgen; doch ist mit
m um so weniger zu rechnen» als er mehrfach erklärt, dass er nur die
Dsicht, welche aus seiner Lebensauffassung hervorgeht, zur Erwägung bietet
Berlin. Lipmann.
A. Gheorgov. Die ersten Anfänge des sprachlichen
Ausdrucks für das Selbstbewusstsein bei Kin-
dern,
omptes rendus du Ilme Congr^s intern, de Philosophie,
Gen^ve, 1904. S. 520— 536 und Arch. f. d. ges. Psychol.
V. 3/4. S. 329—404. 1905.
Verf. giebt einen Ueberblick Über die sprachliche Entwickelung
iner beiden Söhne. Besonderen Wert legt er auf die Feststellung des
sten Auftretens der Personal-Possesiva und Reflexiv-Pronomina, be-
»nders der ersten Person. Während der ältere Sohn, bevor er zur Be-
ichnung seiner eigenen Person das „Ich" verwendet (am 711. Tage)»
ch mit seinem Eigennamen oder mit „Er" bezeichnet, überspringt der
ngere dieses Stadium imd spricht von sich, sobald er überhaupt von
ch redet, nur in der ersten Person (am 586. Tage). Diese Eigentüm-
:hkeit seines jüngeren Sohnes hält Gheorgov für begründet durch dessen
m vornherein besonders stark entwickelten WiUen. „Diesen seinen
lUen sehe ich eben schon früh in der sprachlichen Entwickelung durch-
•echen, indem er schon frühzeitig in der Sprache seine eigene Person
ir Geltung bringt". Beachtenwert ist auch, dass bei beiden Kindern
IS „Du" gamicht zur Bezeichnung der eigenen Person verwandt wurde,
mer dass das Personalpronomen eher erscheint als das Possessiv-
onomen. — Die Arbeit enthält femer eine interessante Uebersicht über
e hauptsächlichsten bisher veröffentlichten diesbezüglichen Beobachtungen
der Entwickelung der Kindersprache.
Berlin. Lipmann.
r. Alfred M. Schmidt. Aufbau und Entwickelung
des menschlichen Geschlechtslebens, ein
Grundproblem der pädagogischen Psychologie.
)6S. Langensalza 1905. Pr. 3.00 M.
Verf. will einen Vortrag zur Lösung der Pädagogik geben. Er
^schränkt sich auf die Behandlung zweier der umstrittensten Fragen der
idagogischen Psychologie, die nach dem kausalen Zusammenhange aller
ewusstseinstatsachen und nach den physischen Kräften, welche die Ent-
ehung der Bewusstseinsinhalte und den Aufbau des psychischen Lebens
jrursachen. Er gibt eine historische Darstellung der Entwickelimg der
ehre von der physischen Kausalität imd im 2. Hauptteile eine Beurtei-
ng und Darstellung der pädagogischen Bedeutung der Lehre von der
jychischen Kausalität des physiologisch-psychischen Mechanismus und
*r freiwirkenden Causalitäten.
322 Berichte und Besprechungen,
Verf. fusst auf der Psychologie Strümpells, deren pragmatisdien
Wert er ungleich überzeugender darzulegen weiss als ihre dieoretisdie
Fundierung. Trotz redlichsten Bemühens kann auch er nicht Überzeugen,
dass es Strümpell gelungen sei, die Grenze zwischen mechaniscfaer und
freiwirkender Kausalität eindeutig zu ziehen. Dazu bedurfte es, wie mir
scheinen will, einer ernsteren Würdigung des stetigen Fortsdireitens des
Mechanisierungsprozesses. — Mit Strümpell hält Schmidt das Gefühl für
die eigentliche Quelle jeglicher geistiger Fortwirkung, doch diarakterisieit
er Wesen imd Stellung der Kausalität des Gefühls ein wenig anders, als
Strümpell. Er nimmt in der Kausalität des GeHihls eine das ganze Gebiet
des psychischen Mechanismus erfüllende Seelenkraft an, die sich in Ver-
bindung mit den Empfmdungen und deren mechanischen Verbindungs-
produkten äussert, wobei die Gefühlselemente bald sekundär, bald primär
auftreten köimen. Diese Gefühlsdokumente verknüpfen sich ganz nach
den Gesetzen des psychischen Mechanismus; das Resultat der Ver-
knüpfung ist das allgemeine Wohl- und Wehegefühl, auch Stimmung.
Die Kausalität des Gefühls ist bis zu ihrem letzten Erzeugnis, der allge-
meinen Stimmung hin, als eine schlechthin mechanisch ¥drkende Kraft
atifzufassen. Die Stimmung aber lässt keine Ruhe, keine Stagnation im
Innern eintreten; solange sie da ist, ist in ihr stets ein Antrieb da-
Erst infolge der ersten Spuren der Aktivität von innen aufsteigender
neuer Kräfte, die durch die Wirksamkeit der Kausalität des Gefühls
gleichsam den Boden bereitet bekamen, und durch deren letztes GHed,
die Stimmung, zum Hervortreten getrieben wurden, wird über das blosse
Allgemeingefühl hinaus ein Fortschritt erzeugt. Jeder weiss, wie den
meisten Stimmungen der instinktive Trieb nach Klarheit innewohnt, eine
formale Eigenschaft. Dieser Klarheitstrieb wird bewusst und dadurch erst-
recht kräftig (GefUhlsbewusstsein), wird aber dadurch keine neue Qualität-
Stellt sich diese ein, so ist sie, die entweder logischer oder äsüietisdier
oder ethischer Natur ist, vorbereitet zwar durch die Kausalität des Ge-
fühlslebens, tmmittelbar zu stände gekommen aber durch die logisdie
bezw. ästhetische oder ethische Kausalität — Trotz fleissiger Bezugnahme
auf Wundt mangelt besonders Klarheit über die Entwickehing der
Willensvorgänge. — Die pädagogische Beurteilung der Psycholog»«
Strümpels ist besonders wertvoll.
Kiel. MarxLobsien.
M. C. Schuyten. Sur les petits bonshommes dessin^s
par les ^coliers Auversois. R^sum^.
Paedol. Jaarboek, V. 1904. S. 84— 87.
Verf. liess von 4000 Kindern auf Blätter von bestimmter Grösse
Männchen zeichnen, und zwar standen 100 Knaben und 100 Mädcbco
im Alter von 3V«, 100 im Alter von 4, , 100 im
Alter von 12 Vi und 100 im Alter von 13 Jahren. Die Kinder wurden
324 Berichte und Besprechungen,
Da die Procentzahl der linkshändigen Knaben und Mäddim nkk
constant von dem Monat abhängt, so scheint die Linkshflndigkett in der
Constitution m liegen und nicht nur ein Product der Endehmig zu seia
(?) — Unter den weniger intelligenten Schulkindern befinden sidi mdir
Linkshänder als unter den intelligenteren. — Ob sich unter den Kindtn
reicher oder denen armer Eltern mehr Linkshänder befinden» lässt aidi
aus der vorliegenden Untersuchung nicht ersehen, ^ Unter den sdnräd)-
liehen Kindern sind mehr linkshändig als imter den kräftigeren. — Die
Linkshändigkeit scheint mit dem Alter abzunehmen.
Berlin. Lipmann.
M. C. Schuyten. Ueber das Wachstum der Muskel-
kraft bei Schülern während des Schuljahres.
(Z weite Mi tteilung.) Auszug.
Paedol. Jaarboek. V. 1904. S. 129— 130.
Während Verf. in seiner ersten Mitteilung (Paedol. Jaarboek 1900,
S. 111 — 112) über Versuche berichtete, die er mit 12 — 15 jährigen
Kindern „mit Stimulanz" vorgenommen hatte, schliesst er jetzt eine
Untersuchung daran, die sich auf 10 — 11jährige Kinder erstredlc
und „ohne Stimulanz" vorgenommen wurde. Die Resultate der ersten
Untersuchung wurden im wesentlichen bestätigt, d. h. auch hier fand sidi,
dass die Muskelkraft der Kinder im März die geringste ist. — Das Ver-
hältnis der Muskelkraft des rechten zu der des linken Armes ist bei
Knaben und Mädchen dasselbe und auch durch die Stimulanz nidit
wesentlich verändert. — Die social gut gestellten Eltern haben kräftigere
Kinder als die armen Eltern. — Die intellectuell höchst entwickelten
Kinder haben auch die höchste Muskelkraft.
Berlin. Lipmann.
M.C Schuyten. Les variations de la force muscu-
laire et le d^veloppement inteUectuel des dl^ves.
R^ SU m^.
Paedol. Jaarboek. III. u. IV. S. 153—154. 1902/3.
Verf. hat 2 Jahre hindurch in jedem Monat die Muskelkraft
10 jähriger Kinder festgestellt. Betrachtet man die Kinder als die intelH-
genteren, die in einer höheren Klasse sitzen als gleichaltrige andere
Kinder, so zeigte es sich, dass in jedem Monat die intelligenteren audi
die kräftigeren Kinder waren. Sowohl unter den intelligenten wie unter
den minder intelligenten Kindern waren die reicher Eltern denen armer
Eltern an Muskelkraft überlegen.
Berlin. Lipmann.
M. C. Schuyten. Les ^coliers de parents Auversois
ais^s sont-ils musculair e men t plus forts que
ceuxde parents pauvre.s? R^sumd.
Paedol. Jaarboek. III u. IV. 1902/3. S. 51-53.
328 Beinchte und Besprechungen.
geworden. Das Programm enthält neben diesen grossen und aUgemdnn
Gresichtspmikten noch eine Fülle von Einzelheiten über experimoitelk
Technik etc imd die Anfgabestellung in der Psychologie.
Marcinowski.
Gesunde Nerven. Aerztliche Belehrungen vonDr
med. O. Dornblüth. Zweite Aufla[ge. Berlin.
W. Werther.
Hygiene der Nerven und des Geistes im gesunden
und kranken Zustande von Prof. Dr. Aug. Forel
Stuttgart. C. H. Moritz. Band 9 der Bibliothek
der Gesundheitspflege. 3 M.
Beide Bücher sind echte Propheten imter vielen falschen. Gtmcflh
verständliche Belehrungen über Lebensführung für Nervöse gibt es
unzählige, aber gute nur vereinzelt. Dornblüths Schrift liegt in
zweiter Auflage vor, die wohl wenig gegen die erste verändert wurde.
Die schöne Gabe gemeinverständlicher Schreibweise neben reichem Wissen
und gesunden Anschauungen haben der ersten ihren Absatz gebndil;
er wird auch der zweiten beschieden sein.
F o r e 1 s Buch hat in ganz anderem Masse den Charakter eines
kleinen Lehrbuches für Laien, und ich möchte es gerade deshalb mit
Freude begrüssen, weil wir Forel seit vielen Jahren als einen Meister
des scharfen Denkens imd der kristallklaren Darstellung sdiwieriger
philosophischer und psychologischer (Probleme verehren. Ich erinn^
nur an die berühmte Rede auf der Naturforscherversammlimg: Ueber
Gehirn imd Seele l Ein grosser Teil des Buches ist dem Bemühen ge-
widmet, diese Klarheit in das herrschende Dunkel imd Wirrwarr der
Laienwelt zu giessen. Wenn das grosse Publikum mehr solcher Lehrer
hätte, wir würden vom Standpunkte des Pädagogen, des Arztes und des
Fürsten nicht immer so unglaublichen Anschauungen als zähen Widerstand
für notwendige Reformbestrebungen zu bekämpfen haben. Idi halte es
für unsere Pflicht, dem Buche durch ständige Hinweise zu einer raschen
Folge vieler Auflagen zu verhelfen. Marcinowski.
Nervöse Kinder. Medizinische, pädagogische und
allgemeine Bemerkungen von H. Bosma, aus dem
Holländischen übersetzt. Rickerscher Verlag.
Giessen 1904.
Der Verlag hat sich bereits einigemale Verdienste erworben durch
den Vertrieb wertvoller und gediegener Aufklärungsschriften. (Mutter und
Kind. Wie man heikle Gegenstände mit Kindern behandeln kaim. -*
Gesundheit und Erziehung eine Vorschule der Ehe von Prof. G. Sticker.)
Auch das vorliegende Heft enthält durchweg gesunde Gedan-
ken und moderne Anschauungen in des Wortes bestem
330 Berichte und Buprtthungwi,
lischen Gegenden. Der Wille mag gut sein, aber die Musik ist sdüedit
Pädagogen sind die Verfasser jedenfalls nicht
Tegel. Marcinowski.
Fünfzig Jahre Pensionserziehung. (April 1852—1902.)
Ein Bericht über die Entwicklung und die Grundsitze des
.„Rauhen Hauses**, welche bekanntlich in der gruppenwdsen
Anordnung einer kleinen Anzahl von Knaben gipfeln, die sich um je
einen Erzieher zu gemeinsamem „Familienleben" scharen. Der Gedanke
hat sich bewährt und ist gut, aber selbstverständlich fehlt seiner Duidh
führung mit der sorgenden Mutter das Innige und die Gemütstiefe, die
nur in einem Kreise gedeihen, der eine wirkliche Familie, kein Surrogat,
darstellt. Auch will mir aus dem Bericht dünken, dass viele innerüdi
gesteckten Ziele nicht erreicht wurden, weil die Einsicht von ihrer Not-
wendigkeit imd der Trieb, die rechten Mittel und Wege zur Erreichung
zu ünden, nicht stark genug waren. So ist der ganze Plan, die Knaben
mittelst allerhand einfachen Handwerksverrichtungen zu erziehen — er
könnte gerade dort eine prächtige Diu-chführung erfahren, und zu einer
gesunden Grundlage der ganzen Organisation werden — »praktisdien
Erwägimgen** (also nicht sachlichen im pädagogischen Sinne) langsam
zum Opfer gefallen. Damit hat sich das „Rauhe Haus" einer richtigen
Handhabe begeben, die es gerade seinem Knabeimiaterial gegeni&er
nötiger brauchte als andere Erziehungsanstalten. Es ist damit in der
Entwicklung nicht nur zurückgebUeben, sondern hat gegen seinen Anfang
entschieden Rückschritte gemacht Das soll uns nicht blind machen
gegen die sonstigen Vorzüge der Anstalt Aber an wertvollen und aner-
kaxmten Erziehungseinrichtungen stelle ich eben auch entsprechend höhere
Ansprüche.
Ich möchte den Leitern des „Rauhen Hauses" dringend ans Herz
legen, die folgende Arbeit fleissig zu studieren und danach zu handeln.
Tegel. Marcinowski.
Erziehung durch Arbeit. Eine Untersuchung über
die Stellung der Handarbeit in der Erziehung.
Von M. Enderlin.
Leipzig, Frankenstein u. Wagner.
Das kleine Buch ist theoretisch wie praktisch gleich bedeutsam
und erfordert eine entschiedene Stellungnahme zu Gunsten der darin ver-
tretenen Ansichten. Ich habe an anderer Stelle betont, was mir aus
einem Gespräch mit erfahrenen Pädagogen in Erinnerung geblieben war:
„Aus der Lernschule muss eine Arbeitsschule werden? So allein
erscheint mir der Unterricht auf einer physiologisch richtigen Grundlage
angebaut zu sein. Denn Unterricht bedeutet Gehimentwicklungp sogar
im grob anatomischen Sinne. Diesem Zusammenhange wird der Ver-
Berichte und Beeprechungen, 381
fasser durchaus gerecht und stellt sich damit auf den korrekten »natur-
wissenschaftlichen'' Standpunkt. In interessanter Weise bringt er selbst
die Entwicklung des Sprachzentrums im Gehirn mit der Ausbildung der
Handbetätigungen in Verbindung.
Er will vor allem statt der üblichen, rein formalen imd intel-
lektuellen Dressur des Kindes eine Erziehung durch Tun, durch eigenes
Handeln anbahnen. Eigene Erfahrungen soll das Kind sammeln, keine
gelernten Kenntnisse fremder Erfahrung. Dies ist aber der wichtigste
Punkt in allen Fragen der Schulreform, und das was der Gehimphysio-
loge, vulgo Psychologe, in erster Linie von ihr fordern muss. Deshalb
ist dem Verf. der Handfertigkeits-Unterricht auch nicht etwa nur ein
»neues Fach" in der Schule, sondern ein „neues Prinzip der Erziehung
(S. 38) und eine bessere Methode", — sie bedeutet ihm also eine Um-
wälztmg der Schulprinzipien von Grund aus, imd das ist gutl Was er
erstrebt ist die Bildung von Begriffen und Vorstellungen durch „Umgang
mit den Dingen" (S. 21) im Handeln und in der Arbeit mit ihnen. Er
bekämpft die blosse Bildung von „gegenständlichen Vor-
stellungen" (Hertelsches System), in welchem nur Form, Farbe und
andere sinnliche Eindrücke zur Geltung kommen. Er verlangt, dass die
Zustände der Dinge den Kindern zum Bewustseinsbesitz gelangen,
und das kann ntu: im Umgang mit ihnen erreicht werden, nicht durch
Anschauung im bisherigen Sinne.
Eine ausserordentlich wertvolle und bedeutende Schrift.
Tegel. Marcinowski.
6*
986
ftUgMMÜMB euM sehr mmomgfMgß; ^Mk mai es i^iif rtiiiBiih mtM
Mittel, die eeüeae der Lebenemftdtn siur Bgeiiihiing ilixMi TorWMBt k
Anwendnbg keinme«, aftmlich ia dar Aeikeafolge 1er filofigkeik ikiei
AnwendoBg: Briiiiigen, firdrosseln oder Erwte^en, Erteftuken, Enchiienni
ErBfteefaea, Schnitt an den Hak, öüaeoL der Adern, AnfiiclnMiden den BmuckM,
Einnehmen Ton Qtft, Einatmen giftiger Gase, ÜlMrfiüwenlaaaen dnndi dit
Eisenbahn nnd Sinn aas der fiöhe. Da die Art der SelbsMOteng ve^
nehmlioh von der soaialen SteUnng und den Qeaehleefate des fletol»
mördeis abhängig ist, so zeigen siefti in dieser Hinsicht Ton Jdhr an lahr
nnr geringe Vesinderongen. £8 echeiden sonach vmi den Minnliphin
Selbatatodem all|j&hrlich lortgeaelat ongeühr awet Dsittefie dareh Et-
hängen ans dem Lehen, während dies besüglich des weibUchen Oesehkichti
mit nahesn der HäHte der Fall Ist; von dem ietsteren sncht feiner ia
jedem Jahre etwas aber «in Drittel den Tod im Wasser, wähssnd von 6m
männlichen Selhstmördem nnr etwa ein Achtel diese Todesart wählt. In
§ut ähnlicher Gleichmässic^reit bewegen sieh die Zahlen bei dem Si^
schiesseny Vergifiten, Erstechen nsw^ Übeifahxenlaaaen dnroh die "Bisimbsha
und StnxB aas der Höhe, wobei eastei%g mehr von den mäanfieheo,
letaterss sowie das Vergiftai aAchr vion den weibliohen Lebensmäden aor
Eneichnng ihres bedanerliehen Zieles gewählt wird. Anf die fibrjgtn
Todesarten: Erdroaaeln oder Erwürgen, Schnitt in den Hala, öffiaan der
Adern« Anischneiden des Banches and dnrch Anwendnng anderer lliUal
entfällt nnr ein geringer Anteil, der 0,9 v. H. aller Selbstmorde nieht
ftbemteigt.
: • I
i
7,
HERMANN WALTHER VERLAGSBUCHHANDLUNG G.m.b.H.
BERLIN S.W. 19, Koinmandantenstrasse 14.
Sobfneau's Rassen- Philosophie.
^^«tf^^«^^"^««^^i«^^«^i^^^i^^^^^>^MM^H^^"^^^M^"«^^i«WMN^«^^^^tf^#
(S[(ai iur Flnägalit^ des races humaines).
Ddrgestent"
von
Dr. Paul Kleinecke.
t4 Selten gr. 8*. Preis: Mk. M».
Magazin f. Lltterctnr: . . . In kurzen, übersichtlichen und leichtfasslicb«n
Kapiteln virerden wir in die Gedankenwelt Gobincau's eingefBhrt; . . . allen
denen empfohlen, die Gobineau's Ideen kennen lernen wollen, zur Durcharbeitung
4es vierbändigen Werkes aber aus beruflichen Gründen dieZrit rieht finden können
I
Empfehlens werte Jugendschrißen :
ii Für 8-jflhris:e: !>
H. Otto, Nagten nndJHilrehcn, mit 11 Bildern. geb.Mk.'2.50
Für io-jahris:e:
H. Otto, OdySMee, mit 10 Vollbildern, geb. Mk. 2.25
— lliaM, mit <S Bildern, geb. Mk. 2.'i5
~ AenelM, göb. Mk. 2. —
— Xibelanipeiiy 2 Hrinde. geb. ^ Mk. 2. —
Fflr i2-]flhrige:
B. Ott(K FürHt RiHmarckH l^ebeiiMwerk, ^>. Ami.
70 Seiten, geb. 1.40
Fflr 14 i6-iahrige;
B. Otto, Ilie^ase yoiu J>r. Iffeinrifli Fannt, VIR
und 259 Si.iton, geb. Mk. 5.--
A. Rösslor, l«ei»Ming^, Mein LelK^n iind »eine
Werkes I. Band, geb. \ Mk. 4.60.
Verlag von K. G. Th. Scheffer, Leipzig,
Nostittstrasse g.
>\
."■ff
I
7. Jahrgang. 1905. H«ft 5/6.
Zeitschrift
für
P(ld(idOdi$cl)e Psychologie,
Pathologie und I)y9ieii<.
Herausgegeben
von
Ferdinand Kemsies und Leo Hirschlaff.
Inhalt von Heft 5/6.
Abhandlungen.
■
(Jii.slav I.indniir, Neuere Forselinnpreii unil Ans<'haininffoii iibfM- <lio
Sprache des Kind<»s.
Marx Lohsien, Kinderztuchnimjr und Kunstkanon.
Hans Zimmer und Theodor Fritz.sch. Die (Josrhichto dor Pädaj^ogik
im .lahi-e 190.".
Sitzan^berichte.
l']rziohun^.s- und Füraor^everein füi- ^oisii^* zuriickgeblifhene
(st'IiNvachsinni^O Kindor. l^äda^o^H^fho Kommission.
Mitfellangreii.
Kon^ro.ss für KindiM-forschunir und .lujrondfür.'^nr^** l<>n(». -. Fjn
Kurs der medizini?!i'hen Psycholojrie. — Der nächste Kon^rcss für medi-
zinische Ps.vcholovric. - - Herliiu'r Verein für Si'huljresundheitsptlo^. —
Familienerzie}uin>2: und Ansiahsptlcjr«'. — Dczemhersitzunv: i\eü BtM'iiner
("Jyninasiallehrerverein*«. — Kinderausfliigc. — l'eher die ( 'harlotton))urger
Waldscliuln. Zcnlr;jlvtMl)and zur J^okämpfun^ des Alkoholismu!}. —
KonsTC.^s für oxperimontt^lh' l*sycholo«ri«*. — Konirress für Kinderforschung
und .Iugi.'ndfiirs.ir^;e. Zentrale für private l'iirsorge.
Titel und Inhalt des siebenten Jahrganges.
Berlin W. 30.
Hermann Walther Verlagsbuchhaudluuv; Q. \w.Vn,W,
Jährlich erschjgjui^q 6 HeH« .^ ^— ^ ^^t^«^.
rrcis: I. ri. IL JaJirgnnsr u M. 8.—. IW. AvvXwpvvw;::: w. \^. ''ä. "^^^ V>.—
r
7. Jahrgang. 1»05. Heft 5/6.
Zeitschrift
für
pädagogische Psychologie;
Patl)ol«di< vM l)ygieii<.
Herausgegeben
von
Ferdinand Kemsies und Leo Hirschlaff.
Inhalt von Heft 5/6.
Abhandloni^eii.
(JiistaA' Lindnor, Neiiero Kors4»liunpen iiiul Ans4'hji\iun'?tMi übor (iie
Sprache des Kiiidt^s.
Marx Lobsien. Kinderze ich nun«: und Kiinstkanon.
Hans Zimmer und Theodor Kritzsi-h, Die (M\si'hichlc» der I*äiia^)gik
im .Jahre UH)'.
8itzaii{^berichte.
Ii]rziehiinps?- und l'Tiraorffeverein fiii- pMsli^ zurückjjfobliohcno
(schwachsinni^n^) l\inch?r. I'äda>ro^isi.'he Knininissiou.
Miffeilnn^ren.
Kon^ress für l\in(hTfors('hJin!r und .lujrendfürsorjre l'>«u.. — Kin
Kurs der medizinischen Psych j>Io.irie. — Der niielislo Kons^ress für medi-
zinii^che J'sycholopc — Herliiicr Verein für Schul^esundheitspflejifu. —
Familienerzieliunjr und Anstallspliepc. — Dczemhersitzun«; des iJerliuer
(Gymnasiallehrer Vereins. — Kindoraufliliijre. — l'ehcr die (-harloltcnhurper
Wahischule. Zentralvcrhaml zur Hekämpfunir de«? Alkoludismus. —
Konijress für cxperimentcMc Psycholnw-ic. — Kiuisrress für K inderforsch un^^
und .lu^ndfürsorire. - ZtMitrale für private l'iirsorire.
Titel und Inhalt des siebenten Jahrganges.
Berlin W. 30.
Hermann Walther Verlaijsbuchhaudliuvjf Q. \w.^.V\,
I'reis: I. ii. IL ./nJiipinjr ii M. 8.— . IV\. Aa\vvs-.vt\R w. «.••>. >»\- "^''^-
7. Jahrgang. 1905. H?ft 5/6.
Zeitschrift
• • •. r- I
für
Padagodiscbe Psycbolodie,
Patbologk und l^ygiCMe.
Herausgegeben
von
Ferdinand Kemsies und Leo Hirschlaff.
Inhalt von Heft 5/6.
Abhandlangen.
(tiistav Lindner, Neuere Forsi*lninß"en und Anschaiuinp-on über die
Sprache des Ivindos.
Marx Lohsien, Kindorzoii.!hnuM«r und Kiinstkanon.
Hans Zimmer und Tln'odor Fiitzstrh. Die (icsrliiohlo dor PHtiajropk
im .Jahre IW.".
SItzangrsberichte.
Krzieliun^s- und Fürsorge verein fin- pMsliy 7.uriickgt;bli<'h(*no
(8ch\vaohsinni>r<0 Kiniler. P:idag(.)«ri'^«*he Knmniission.
Mitfeilangren.
Kon^ross für Kindt-rforsoliunir und Jujrendfiirsor^f.» l*Hie». — Kin
Kurs dei- me<lizinlsc*hen Psvcholoirie. — Der näohsle Knnjrre.ss für modi-
/.iriiHche Ps.vc'hi)lojEri<'. — Uerliiirr Verein für Srliuljresundlioilsptlo^iii. —
Faniilienerziehun^ und Aiistallspl|p^»'f». — Dilzem hei*sitzunir des M»M-Iiner
rjyninasiallehrervereins. — Kinderausnüj:fi*. — l'eber *Iie ('harlnitonhur^er
Waldschule. Zentralverliaiid zur Hekänipfun^ des Alkoholjsmu:?. —
Koncrreps für experimenlplli' P.s\ fhol«»p'i<». — K«)nsrress für Kinderforsrhunff
und Jugi>ndfüi'<nr^^o. - Zentrale für privato l''ürsor«re.
Titel und Inhalt des siebenten Jahrganges.
Berlin W. 30.
Hermann Walther Verlaiisbucliliandliuvr Q. vw, t\, V\,
, , ßHiHieh erschjii|9Q 6 HeU« .ä %— ^ ^^w^.
Preis: l. ii. ff. .laln-gniif; ä M. 8.— . l\\. AaUvjjivnvt w. «. "a ^\- '^^^^
360 Gustav Lindner.
der Individualität jedes Kindes die wunderbare Tätigkeit der
Phantasie des Menschen, ferner das geniale Kind und das
Genie überhaupt, vor allem aber die Anlage des Sittlichen
und des Gewissens im Menschen. Ich verweise hier auf das,
was ich in meinen „Beobachtungen und Bemerkungen über
die Entwicklung der Sprache des Kindes" S. 32 — 33 über
die Entwicklimg des sittlichen Willens mitgeteilt habe.
II.
Nach dieser langen grundsätzlichen und grundlegenden
Auseinandersetzung mit meinen Gegnern sei es mir gestattet,
die oben zitierten Werke derselben noch einer Sonderbesprech-
ung und Würdigung zu unterziehen.
Ich beschäftige mich zuerst mit Aments Buche „Die Ent-
wicklung von Sprechen und Denken beim Kinde '^
A. untersucht zunächst einleitungs weise Begriff und Auf-
gabe seines Buches auf Vs Druckseite, sodann weist er die
, »Quellen** der Erkenntnis des kindlichen Seelenlebens — ob-
jektive Beobachtung des Kindes, Deutung der Ausdrucksmittel
des Geistes, nämlich Gebärde und Sprache und der durch sie
vermittelten geistigen Erzeugnisse des Kindes — in aller Kürze
auf, dann gibt er eine ebenso kurze Uebersicht über die Be-
obachtungsmethoden, nämlich die experimentelle, beobachtende
und vergleichende. Nun folgt ein kurzer Abriß der Geschichte
der Kinderforschung und im Zusammenhange damit ein Ueber-
blick über die kinderpsychologische Literatur, der außerordent-
lich reich ausgefallen ist, da er alle die hineinzieht, welche über
ihre eigene Kindheitsentwicklung irgendwelche Mitteilungen ge-
macht oder Kinder überhaupt in ihren Werkei\ erwähnt und
berücksichtigt haben. Daher findet man unter ihnen neben
Goethe auch Ranke, Spielhagen, Rosegger, Georg Ebers u. s. w.
Auch die Reihe der eigentlichen Kinderforscher, die er als
Philosophen, Aerzte, Sprachforscher, Pädagogen, Natur-
forscher und Rechtsgelehrte genau voneinander geschieden hat,
ist weit größer als man sonst anzunehmen gewöhnt ist. Diese
rein äußerliche Gruppierung der Forscher nach ihren Berufs-
ständen ist natürlich wenig zweckentsprechend, und darum ist
er auch mit ihr nicht ausgekommen oder hat sie wenigstens
verlassen; denn er stellt dann Preyer ganz allein hin als den-
362 Gustav Lindner.
reine, ohne Rücksicht aiif pädagogische Interessen. „Die
reine kinderpsychologische Forschung den Psychologen, ihre
Resultate den Pädagogen** lautet sein Urteil.
In dem Engländer SuUy erblickt er den Hauptvertreter
einer zweiten Entwicklimgsstufe der Kinderforschung, nämlich
der vergleichenden, und in dem Amerikaner Baldwin
(„Geistige Entwicklung des Kindes und der Rasse**) die An-
fänge zu einer dritten, von ihm am höchsten geschätzten, der
erklärenden. Als Absicht seiner eigenen „langen mühsamen
Arbeit** bezeichnet er „die Anbahnung einer zielbewußten er-
klärenden Forschung und die scharfe Trennung einer
reinen und angewandten Richtimg.**
Man sieht, an Idealen imd Selbstgefühl fehlt es dem jungen
Gelehrten nicht. Aber sein Streben geht noch höher: er will
aus der Kinderpsychologie eine besondere Kindersprach-
wissenschaft ausgeschieden wissen. Und er stellt dieser
neuen Kinderpsychologie unter anderem als Ziel in Aussicht,
„daß sie selbst eine Herrin unter den Wissenschaften spielen
darf, der die anderen Wissenschaften wünschend nahen werden,
um sich Aufschluß und Ergänzung zu erholen** (28).
Nach diesem einleitenden imd geschichtlichen Abriß folgt
die eigentliche Untersuchung, an die man nach dieser An-
kündigung mit den höchsten Erwartungen heranzutreten be-
rechtigt ist. Es kann nicht meine Absicht sein, den ganzen
weiteren Inhalt der folgenden 11 Bogen so eingehend dar-
zustellen, als diese beiden ersten, die über Plan und Aufgabe
seines Buches belehren wollen. Ich muß mich in der Hauptsache
mit einer Angabe der Gliederung seines Stoffes begnügen.
Sie ist folgende: Im i., nur 4 Seiten umfassenden Kapitel
untersucht er die Beziehung zwischen Sprechen und Öenken;
im 2., 130 Seiten imifassenden, die Entwicklung der Worte
und ihrer Bedeutungen ; im 3. die Entwicklung der Sätze
und ihrer Bedeutungen und im 4. die Entwicklung der Sti-
listik (so sagt er wörtlich I) und die Gesamtbedeutimg des
kindlichen Denkens und der kindlichen Weltanschauung. Das
3. und 4. Kapitel umfassen auch nur je 13 Seiten.
Schon aus der Angabe des Umfanges der einzelnen Kapitel
ersieht man, daß der Hauptinhalt des Buches auf dem in
Kapitel 2 Mitgeteilten beruht. Ihm möge darum auch noch eine
besondere Betrachtungen gewidmet sein I Es handelt zunächst
364 Gustav lAndner.
Wenn ich ihn recht verstanden habe, so gibt er in dieser
Uebersicht eine Darstellung des Bedeutungswandels der 200
ersten sprachlichen Begriffe, um daran die nach seiner Meinung
beim Kinde vorhandenen Umfangserweiterungen und Umfangs-
verengerungen zu zeigen. Seine ganze mit großer Mühe ge-
machte Statistik erscheint mir im gfroßen und ganzen sehr
unfruchtbar und problematisch; sie ist auch von Wundt in
der Völkerpsychologie I, 283, als irrtümlich zurückgewiesen
worden.
An den mitgeteilten Beobachtungen ist mir sehr unwahr-
scheinlich, daß das Kind das einmal erfaßte Pronomen „ich"
für die eigene Person 125 Tage lang nicht wieder gebraucht
haben solle und daß es mit 757 und 769 Tagen, also in einem
Alter von über 2 Jahren, noch gar kein Gefühl für die Biegung
des Wortes „ich** erworben haben soll. Vieles, worin er eine
Umfangerweiterung von Seiten des Kindes erblickt, erklärt
sich für mich außerordentlich viel einfacher durch eine
andere, natürlichere Auslegung der selbstverständlich sehr oft
mehrdeutigen Satzworte des Kindes. Seine ganze Ansicht
über die Umfangser Weiterungen scheint mir eine haltlose
Theorie zu sein ; denn die Sprach- und Begriffsentwicklung der
Kinder geht allermeist den entgegengesetzten Weg: nämlich
nicht der Umfang, sondern der Inhalt seiner Begriffe erweitert
sich. Die „Urworte** der Kinder sind Worte von dem denkbar
größten Umfang ; daher lernen die Kinder auch sehr frühe das
Wort „das**, ebenso ein allgemeines Wort für alles Eß- und
Trinkbare, aber allmählich treten an die Stelle des einen sehr
allgemeinen Begriffes durch genauere Unterscheidung des
Inhaltes eine ganze Menge Begriffe; dadurch verengt sich der
Umfang jedes einzelnen Begriffes, aber sein Inhalt wird größer.
Das gibt auch Ament selbst zu (S. 141) und somit widerstreitet
er seiner eigenen Theorie von der Umfangserweiterung der
kindlichen Begriffe.
Noch weniger als die Uebersicht der 200 Begriffe
befriedigt mich die aus ihr abgeleitete Tabelle der Wort-
form in Rücksicht auf Umfangserweiterungen und zwar schon
ihrer Terminologie wegen. Er unterscheidet in dieser Tabelle
in granmiatischer Hinsicht Laute und Lautgruppen, 'Substan-
tiva, Adjektiva, Pronomen, Verben, Numeralia, Adverbien,
Interjektionen und Suffixe; und stellt übersichtlich dar, Wie
376 Gustav Lindner.
eine nicht unwesentliche Rolle. Dentiöch gelang es mir trotz
detitender Gebärden erst nach vielen, vielen mißglückten Ver-
suchen, die Assoziation zwischen SächvorstelKnig töid Wott-
vorstellung im Kinde hergestellt zu sehen, imd wie es mir
äcJiien, ohne inein tJesonderes Zutun.
Der Bezeichnungsweise Steinihals folgend, untersucht er
im weiteren das Verhältnis zwischen äußerer und
innerer Sprachform oder, wie wir kurz imd ebenso ver-
ständlich sagen können, zwischen Form utid Inhalt oder Leib
und Geist der Spraclle. Fritz Mauthners Behauptung, „daß
auch die allerkleinste lautliche Verändenmg des Wortes einen
Bedeutungswandel zur Folge haben müsse,** hätte er nach
meinem Dafürhalten viel einfacher durch einen Hinweis auf
die Geschichte der Sprache widerlegen können; denn daß das
nämliche althochdeutsche Wort im Neuhochdeutschen infolge
seiner ganz veränderten Form auch seine Bedeutung gewandelt
haben müsse, wird wohl auch Mauthner nicht im Ernste be-
haupten wollen; auch die abweichende Form eines und des-
selben Wortes in verschiedenen Mimdarten spricht gegen
Mauthners Auffassung.
Ich muß es mir versagen, um Sie nicht allzusehr zu er-
müden, den weiteren Inhalt des Meumannschen Buches einiger-
maßen erschöpfend zu behandeln, sondern werde mich im
weiteren nur auf eine Uebersicht des Ganzen uhd auf kurze
Stichproben, die mir besonders beachtenswert erscheinen^ be-
schränken.
Er unterscheidet bezüglich der Entwicklung deräußeren
Sprachform, also der lautlichen Form des Wortes als
I. Stufe die onomatopoetische und als 2. die des Er-
lernens vorgesprochener oder gegebener Worte,
und als eine Art Zwischenstufe, die bei manchen Kindern be-
obachtete Stufe der Worterfindung, von der er aber
selbst nichts wissen will. Die Wichtigkeit der onomatopoetischen
Worte für die kindliche Sprachentwicklung scheint er mir nicht
genügend gewürdigt zu haben. Warum er, der eine eigent-
liche Worterfindung des Kindes mit Wundt imd Karl Stumpf
überhaupt leugnet, den geradezu romantischen Bericht des
Amerikaners Gale (S. 32 — 33) über die Erfindung einer eigenen
Sprache von Seiten zweier Kinder nicht als das bezeichnet, was
er für einen wirklichen Kinderforscher ist und sein muß« näm-
380 Gustav Lindner.
nach haben die efsten Worte des Kindes eine sehr mannig-
fache Bedeutung. Sie sind reine Wunschworte oder,
wenn sie als gegenständliche Bezeichnungen ver-
wendet würden, gälten sie nicht dem Gegenstände als Ganzem,
sondern nur wenigen Teilen oder Sehen desselben. Ist das
aber nicht auch mit der Sprache der Erwachsenen der Fall?
Die Worte sind ja überhaupt nur Münzen von veränderlichem
Werte, der auch in den einzelnen sprechenden Individuen ein
sehr verschiedener ist und sein muß. Und welches Wort der
Spracho ist überhaupt so umfassend, daß es a 1 1 e Seiten eines
Gegenstandes, also einen logischen Begriff desselben be-
zeichnen könnte? Für mich ist zwischen den Worten der
Erwachsenen und denen des Kindes nur ein abgestufter, aber
nicht ein wesentlicher Unterschied vorhanden. Darum ver-
mag ich auch seine weiteren Anschauungen von der Kinder-
sprache, wonach das Kind bei Anwendung der Sprache an-
fangs nur den einen Zweck derselben, den des Ausdruckes
erktnne, nicht aber den der Mitteilung und Bezeich-
nung, während beim Erwachsenen alle drei Zwecke der
Sprache normalerweise gewöhnlich zusammenfielen, nicht zu
meiner eigenen zu machen. Das zu behaupten, erscheint mir
außerordentlich gewagt. Ich vermag nicht zu glauben, daß
das so sehr von Antrieben des Begehrens beherrschte Kind
isein Wort für „essen** (bei meinem Kinde apne lautend) nur
ganz theoretisch und platonisch, gewissermaßen als Reflex
seiner eigenen Gefühle imd Willensakte äußert, sondern
nach meiner Beobachtung ist sogar die Mitteilung an einen
fremden Willen und mit ihr die Beeinflussung dieses fremden
Willens in seinem eigenen Sinn die Hauptsache tmd der
Hauptzweck bei der Aeußerung des Wortes. Oder sollte wirk-
lich das Kind, das seine Umgebung durch Schreien und Ge-
bärden unzählige Male zu seinen eigenen Gunsten beeinflußt
hat, zu der Entdeckung, daß diese Beeinflussung auch durch
Worte geschehen könne, so unsagbar schwer kommen ? Un-
möglich ist natürlich diese Auffassung nicht, aber für mich
als Kinderbeobachter ganz unwahrscheinlich. Doch diese ganze
Untersuchung würde eine Abhandlung für sich erfordern,
wenn sie das von Meumann gegebene und voh mir ganz anders
gedeutete Material berücksichtigen wollte.
Zum Beweise für die in den ersten Kinderworten liegende
384 Gustav Lindner.
Worte zustande kommea aus Beispielen von Tracy, Preyer,
Sigismund^ Stumpf und aus meineo^i 3uche.
Weiterhin gedenkt er der statistischei;i A^zeichaungen ame-
rik^anischer Sprachforscher ui;id Psychologen, besonders des
Horatio Gaje, der nicht bloß die Worte selbst aufzeichnete,
sondern auch g:anze Gespräche des Kii^des, also eine, von
Meumann eingangs so warm befürwortete Gebrauchs-
statistik führte. Ich halte diese sehr nxiihevollen Aufzeichnun-
gen imgefähr für ebenso wertvoll als die prozentualen Er-
hebungen der orthographischen Fehler in einer Schulklasse
im Sinne eines Wertmessers für den geistigen Zustand der
betreffenden Klasse oder Schule, oder als die Prüfung des
Geistesgehaltes einer wissenschaftlichen Arbeit oder redne-
rischen Leistung auf Grund der prozentualen Ermittlung der
zum Aufbau verwandten Wortarten oder Phrasen, d. h. Rede-
wendungen. Das war es, was ich oben als geräuschvollen
KJeinver schleiß bezeichnete.
Wenn Meumann weiterhin die Vermutung ausspricht, daß
alle Kinder anfangs die grammatischen Kategorien durchaus
nicht richtig verwenden, so vermisse ich hier den ebenso
wichtigen Hinweis, auf den ich durch n;ieine Beobachtungen
aufmerksam gemacht habe, daß das Kind schon verhältnis-
mäßig frühe ein feines Gefühl für die grammatische Funktion
von Worten erwirbt, ohne daß ihm der Ii;ihalt des* Wortes
begannt zu sein braucht. Seine weitere Vermutung, daß die
echten Dingwörter xmd Tätigkeitswprter sich ^us jgranuna-
tischen «Mischprodukten herausi ent;v^ickeln, , djie wec^er 4^ edne
noch das ajcidere sind, sondern die Bedeut,u]ig von Interj^tipnen
^ben, ist eine Folgerung von sei^^r Auf fa^siuig . der KiiKler-
sprache, .djle von einer künftigen Beobachtung scharf ins
Auge zu £a,ssen wäre, auf die ich aber durch meine 3epb^ch-
tungen früher niemals gestoßen b,in.
Zmn Beweise 4afür, wie staunen^M(ert 4^^ Q€;istesarbeit
des Kindes in der Aneignung . der Spij^ctie sei, führt ,er die
Statistik des Amer^caners Gale an, der von einem seiner
Kinder aJm 182. Tage des dritten Jal;ires 9290 Worte a.uf-
.schrieb imd von einem anderen I{jt\a|;>en an des^n z)yeitem
Geburtstage 10507 Worte zählte, 4^u^unter 751 vei^scjbied^ne.
Jiiese Statistiken übert auf mich ^icjtit ninr, eipe kpiyi j^sgl^e ,Wir-
^ung.jaus, sjOjndern sie erscheinen mir.sjog^r r^q^t rl^i^ji^i^cb.
386 Gustav Lindner.
des zweiten könnte ich nicht angeben, ohne ein näheres Ein-
gehen auf denselben. Zum Schlüsse gibt er noch einen Nach-
trag von Beobachtungen, die während seiner Abwesenheit im
15. bis 19. Lebensmonat seines Kindes von seiner Gattin ge-
sammelt worden sindy und die ich auch oben teilweise berück-
sichtigt habe. Idelbergers Arbeit umfaßt 5V2 Druckbogen.
Da Meumannimd Idelberger Schüler Wilhelm Wimdts sind,
so halte ich es für meine Pflicht, auch noch kurz der hierher-
gehörigen Arbeit des Altmeisters der physiologischen Psycho-
logie imd zugleich des wichtigsten Vertreters der experimen-
tellen Psychologie zu gedenken. Wundts Ansichten über die
Sprache des Kindes finden sich in seiner Völkerpsycho-
logie im ersten Bande des ersten Teiles, der von der Sprache
handelt, wo sie im Rahmen des ganzen, großangelegten W^erkes
nur reichlich zwei Druckbogen umfassen, aber dennoch zum
Bedeutendsten gehören, was über Kindersprache geschrieben
worden ist. Das wird bei der Bedeutung Wundts um so weniger
überraschen, ,als Wundt nicht bloß zu den Kennern, sondern
sogar zu den speziellen Forschern und Beobachtern der Kinder-
spracher gehört; denn er hat zwei seiner Kinder aufs ein-
gehendste selbst beobachtet. Leider hat er seine Beobachtungs-
resultate nur in allergedrängtester Form mitgeteilt und der-
art zur Theorie verdichtet, daß eine Diskussion darüber so
gut wie ausgeschlossen ist. Aber aus dem wenigen, was er
aus seinen Beobachtungen mitgeteilt hat, sieht man, ein wie
feiner, scharfer und umsichtiger Beobachter er gewesen ist
und wie er zuweilen den scheinbar widerspruchsvollen Ergeb-
nissen mit Erfolg nachging, bis es ihm gelang, das Wider-
spruchsvolle zu enträtseln. Seine Anschauungen über die
Kindersprache stützt er, außer auf seine eigenen Beobach-
tungen, ausdrücklich und fast ausschließlich auf die Beobach-
tungen Preyers, für den er eine viel höhere und gerechtere
Würdigung besitzt als seine Schüler Meumann und Idelberger,
obwohl ^uch er nicht mit allem übereinstimmt, worauf Preyer
liebondcren |Nachdruck legen zu müssen glaubte.
Knapp imd kurz faßt er seine Anschauungen unter fol-
m^iuU*. fünf Gesichtspunkte zusanmien: i. Stadien der
Laiiihildung beim Kinde, 2. angebliche Wort-
en jfiu düng des Kindes, 3. psycho -physische Be-
din^ungcn der individuellen Sprachentwick-
392 Ouatav Lindner.
ausgeklügelt sein, sondern durch einfache Grundgedanken,
die an sich evident sind/*
Alles in allem aber darf auch der Erforscher der Kinder-
sprache nicht vergessen, daß das Geistes- und Empfindungs-
leben des Kindes ganz ähnlich oder noch viel mehr wie beim
Erwachsenen r e i c h e r ist als das Vermögen, den Empf indungs*
inbalt der Seele auszudrüdken und in Worte zu fassen. So
wie wir Erwachsenen im Zustande höchster Freude oder tief-
sten Schmerzes entweder die Worte nicht finden, die der
Fülle unseres Herzens einen entsprechenden Ausdruck ver-
leihen könnten, oder, die Worte sogar verachten, da sie xmsere
Gefühle gewissermaßen profanieren würden, so hat auch schon
das kleine Kind eine Art instinktives Gefühl dafür, daß oft
ein stummer Händedruck mehr besagt imd beredter ist als
unsere beredtesten Worte. Die Sprache ist zwar der klarste,
aber nicht immer der volle Ausdruck für unseren Seeleninhalt
— das sollte auch der Erforscher der Kindersprache nicht
außer acht lassen.
/
394 Marx Lobsien.
hältnisse: Kopf zu Gestalt = i:8 (0,125); Verhältnis ver-
schiedener Kopfteile untereinander, nämlich Kinn zu Nasen-
basis, Nasenbasis zu Nasenwurzel, Nasenwurzel zu Beginn
des Haarwuchses = 1:3 (0,333) ; Armlänge zu Länge der
Gestalt = 3:8 (0,375); Fuß zu Gestalt = 1:6 (0,166); Hand
zu Fuß =: 2:3 (0,666); Hand zu Angesicht = i:i (1,000).
Die Ergebnisse Schuytens stelle ich kurz hierher: Die
Kinderzeichnungen offenbarten, daß das Verhältnis von Kopf
zu Gestalt von den Knaben besser annähernd erreicht wurde
alS( von den Mädchen; die letzteren zeichneten durchweg
größere Köpfe und kleinere Gestalten. Ebenso näherten sich
die Knaben bei der Darstellung der Nase dem Verhältnis
0,333 mehr als die Mädchen. Das Verhältnis von Armlänge
zu Gestalt ward übereinstimmend bei beiden Geschlechtem
nahezu erreicht, wenngleich die Mädchen oft kleinere Arme
zeichneten als die Knaben. Bezüglich des Verhältnisses Fuß
zu Gestalt ist zu bemerken, daß die Knaben .näher an die
Zahl 0,166 herankamen als die Mädchen, während sie bei
dem Verhältnis Fuß zu Hand beinahe um das Zehnfache von
der Zahl 0,666 abwichen. Das Verhältnis i : i wird nahezu
übereinstimmend beachtet. — Verfolgt man diese Angelegen-
heit auf den verschiedenen Altersstufen, dann gewahrt man,
daß im 6. Lebensjahre die Abweichung von den theoretischen
Quotienten am größten war, größer als vorher und nachher.
Schuyten schließt daraus, daß die Entwickelung des Schön-
heitssinnes um diese Zeit herum eine Störung erleidet, di«
auf den Einfluß der Schule zurückzuführen ist. Die tieferen
Ursachen liegen allerdings noch im dimkeln. Die aufein-
anderfolgenden Altersstufen zeigen allmähliche Annäherung
an die ideale Proportion.
Meine Untersuchungen.
Ihre Methode unterscheidet sich nicht von derjenigen
Schuytens. Die Blättchen hatten die gleiche Größe. In Weg-
fall kam für meine Beobachtimgen das Verhältnis der ein-
zelnen Gesichtsteile zueinander, weil ihre Darstellung sie
nicht in zureichender Deutlichkeit kundgab. Des weiteren ver-
zichtete ich auf Bruchteile bei den Millimeterangaben. End-
lich — es ist selbstverständlich, daß nur ein Bruchteil der ge-
wonnenen Bildchen eine durchgehende Wertung im Sinne
398
Marx Lobsien.
Tabelle II.
Mädchen.
Altor
1 = 0.125
qu
II = 0,375
a
qu
III = 0,166
qu
IV = 0,666
a
qu
V = 1,000
a
qu
8 Jahre
8 Jahre
11 Jahre
11 Jahre
13/14
Jahre
13/14
Jahre
Gute Zeichnerin
35:119
0,294
24:119
0,202
7:119
0,059
2:7
0,285
2 : 32
16: 65
0.246
31: 65
0,477
6: 65
0,092
4:6 0,066
4:14
15: 73
0.208
23: 73
0,315
5: 73
0,069
4:5
0,800
4:11
36:122
0,295
36:112
0,321
7:112
0,062
7:7
1.000
7:25
19: 77
0,245
19: 77
0,247
9: 77
0.117
3:9
0.333
3:17
0.%2
0,286
0,363
0,28»)
0,170
Schlechte Zeichnerin
22 : 95
0,231
15:95
0,158
9:95
0.095
2:9
0,222
2:14!
16:57
0.281
14:57
0.245
4:57
0,070
2:4
0,500
2:15
18:70
0,257
18:70
0,257
6:70
0,086
5:6
0.833
5:14
22:13
0,236
14:93
0.151
9:93
0,095
3:9
0,333
3:13
17:60
0,283
19:60
0,316
6:60
0,100
3:6
0,500
3:14
Gute Zeichnerin
13:68
0,132
21:68
0,309
8:68
0,118
3: 8
0,375
3: 8
25:75
0,333
23:75
0.306
7:75
0,099
8: 7
1,111
8:22
11:72
0,194
20:72
0.277
7:72
0,097
5: 7
0,111
5:10
14:65
0.215
23:65
0,356
8:65
0,123
5: 8
0,625
5:10
10:72
0,139
23:72
0,319
10:72
0,139
4:10
0,400
10: 9
Schlechte Zeichner in
14:70
0,200
22:70
0,314
4:70
0,057
3:4
0,750
3:14
15:90
0,166
25:90
0.299
7:90
0,078
4:7
0,555
4:11
20:64
0,312
15:64
0,234
7:64
0.109
7:7
1.000
7:17
10:45
0,222
10:45
0,222
5:45
0.111
3:5
0.600
3: 9
21:88
0,238
31:88
0,352
8:88
0,090
5:8
0,625
5:21
Gute Zeichnerin
13:96
0,135
15:96
0.156
7:96
0,073
7:7
1,000
7:12
14:71
0.197
17:71
0,238
5:71
0,070
1:5
0.200
1:10
12:68
0,176
22:68
0,823
6:68
0,088
7:6
1,111
7: 8
14:86
0.163
30:86
0,348
6:86
0.069
5:6
0,833
5:10
Schlechte Zeichnerin
16: 82
0,171
25: 82
0,305
5: 82
0.061
5:5
1,000
5:14
15: 96
0.156
25: 96
0,260
7: 96
0,053
—
-^
—
18:105
0,171
33:105
0,314
7:105
0,066
9:7
1,286
9:14
17: 90 0,188
18: 90 0,200
6: 90
0,066
2:6
0,333
2:11
23:100
0.230
23:100
0,230
4:100
0,040
3:4
0,750
3:14
15: 77
0.194
25: 77
0,324
6: 77
0,078
3:6
0.500
3:10
0.133
0,357
0,231
0,214
0,375
0,365
0.500
0,50<3
l.lll
0.214
0.363
0.411
0.333
0.238
0.583
0.100
0.875
0,500
0,357
0.643
0.187
0.214
0.300
Bei den Imbezillen ließ ich durch eine Ziffer angeben,
wie weit sie von der Normalität abweichen. Natürlich handelt
Kinder Zeichnung und KutuÜcanoa. 399
63 sich dabei nur um Schätzungen, aber doch seitens solcher
Beobachter, die in stetem Umgange mit derartigen Schülern
ihren Blick geschärft haben. Die Werte bewegen sich abwärts
von Vj bis Vi- Di^ nachfolgende Tabelle enthält eine neue
Kolonne, in der diese Werte verzeiclinet sind.
Tabelle III.
Imbezile : Knaben.
400
Marx Xro6«{eit.
Tabelle IV.
Imbezile : Mädchen.
lll
^1
1 = 0,125
II = 0.375
m = 0,166
IV = 0.666
V = 1.0üO
a
^u
a
qu
a
qu
a qu
a
qn
V,
14
20:70
0,286
22:70
0,314
8:70
0,114
5:8
0.625
5:10
0,50j
11
11
14
10:43
20:50
18:67
0,232
0.400
0.268
14:43
17:50
26: 67
0,325
0,340
0,388
5:43
7:50
3:67
0.116
0.140
0,045
6:5
7:7
3:7
1.200
1.000
0.428
6: 8
7:20
5:15
1
O.TS-J
0.350
0,333
»/4
15
16:43
0.322
13:43
0,302
4:43
0.093
2:4
0,500
2:10
0.200
12
10
11
14
15:30
6:30
10:32
0.500
0.200
0.302
15:32
10:30
0,469
0,333
2:30
4:32
0.066
0.122
2:7
0.285
6:7
O.S57
V4
20:65
0.308
17:65
0,261
3:65
0,046
3:3
1.000
3:20
O.IjO
V4
9
13
9
13:50
17:56
9:29
0.260
0.303
0,310
15:56
5:29
0.268
0,170
4:50
7:56
3:29
0.080
0.125
0.104
7:5
2:3
1.400
0.666
3:20
5:15
3: 9
O.lDÖ
0,333
0,333
Zunächst will ich aus den Tabellen Typenbilder hervor-
heben für die Altersstufen und Geschlechter der Normal-
begabten einerseits und die Imbezillen andererseits und dann
die Frage erörtern, ob die Begabung für Zeichnen von be-
sonderem Einfluß ist.
I. Typenbilder für die Geschlechter und
Altersstufen Normalbegabter.
Ich begnüge mich damit, die Verhältniszahlen allein her-
auszuheben.
Knaben.
Alter
1 = 0,125
n - 0,375
III = 0,166
IV =0,666
V = 1.000
8
0.225
0,238
0.101
0.369
0.216
11
0,261
0.479
0.307
0.633
0,249
13/14
0,227
0.288
0.103
0,624
0,320
Relativ am genauesten werden Verhältnis III und IV
aufgefaßt, am ungenauesten I und V. Ob aber mit steigen-
dem Alter eine Annäherung an den Kanon stattHndet, läßt
sich der Tabelle nicht entnehmen.
Kinderzeichnung und Kunstkanon.
401
Mädchen.
Alter
1 — 0,125
II = 0.375
m — 0.166
IV = 0,666
V — 1,000
8
0,248
0.269
0,085
0,487
0,227
11
0,215
0.299
0,102
0,475
0,341
13/14
0,178
0,270
0.066
0,668
0,417
Auch hier finden wir relativ genaue Schätzung des Ver-
hältnisses IV. Für V und III kann man mit zunehmendem
Alter eine steigende Annäherung an die Maße der Wirklich-
keit festhalten imd damit — ■■■ natürlich unter der oben be-
rührten Einschränkung — mit größerer Wahrschemlichkeit
eine Entfaltung des Schönheitssinnes behaupten. Charakte-
ristisch für beide Geschlechter ist, daß das Verhältnis von
Kopf- zur Gestalt länge und von Hand zu Gesicht stark ver-
zeichnet ist: der Kopf wird durchgehends viel zu groß ent-
worfen, dementsprechend die Hand zu. klein. Man darf zur
Erklärung dieser Erscheinung auf ein doppeltes aufmerksam
machen: i. erfordert die zeichnerische Darstellimg des Kopfes
unter allen Leibesgliedem die meiste Arbeit und bietet
das meiste Vergnügen, weil auch die relativ einfachste
Darstellimg der Augen, des Mimdes usf. in ihren unvermeid-
lichen kleinen Abweichungen von Fall zu Fall immer ein neues
Bild, einen neuen Gesichtsausdruck zur Folge haben, das zu
Andeutungen anregt; 2. physiologisch betrachtet erscheint
dem Auge immer diejenige Fläche als die größere, die
die meisten Teildarstelluiigen enthält. Je öfter das be-
obachtende Auge 2rum Verweilen gezwungen wird, desto
größer erscheint der Schätzung die umrissene Fläche.
Die ästhetisch richtige Darstellung des Verhältnisses vom
Kopf zu den übrigen Teilen des Leibes gehört gewiß
zu den schwierigsten Anforderungen, die an das Kind
zu stellen sind. Haben wir doch in Zeiten der Geschmacks-
wirrnis allerlei Bemühimgen erlebt, den Kopf möglichst zu
vergrößern. (Haartracht der Frauen; der Zopf, der zwar nach
der verkehrten Himmelsrichtung' wies; endlich auch jene Ver-
längerung in glänzender Schwärze, die eines Hauptes länger
Zeitschrift für pädagogische Psychologie, Pathologie o. Hygiene, t &
402
Marx Lobsien,
macht als alles Volk — der Kothurn hat sich als Assistent
zu unpraktisch erwiesen.) Ein gewisser Zusammenhang in der
naiven Falschdeutung und Falschwertimg besteht, so glaube
ich, zwischen hüben und drüben. Endlich darf man aber
nicht vergessen, daß die Proportionen des kindlichen
Körpers wesentlich andere sind als die des erwachsenen,
besonders das Verhältnis von Kopf zu Gestalt.
Wenigstens die Vermutimg liegt nahe, daß besondere
Begabimg für Zeichnen auch eine stärkere Annäherung an
den Kanon bedingt. Folgende Tabellen zeigen meine Er-
gebnisse.
Knaben.
Alter
1 — 0,125
II — 0.375
111 = 0,166
IV — 0.666
V= 1.000
»u
0,302
0.387
0.229
0,245
0,101
0.099
0.432
0.305
0.231
0.1%
^^ u
0,258
0,263
0,406
0,570
0,113
0.202
0.720
0.490
0.257
0.237
13/14 [«
0,194
0,246
0,261
0,309
0,108
0,099
0.422
0.825
0.388
0,151
Mädchen.
Alter
1 — 0,125
II = 0,375
ni = 0.166
IV = 0,666
V = 1.000
8 i«
0,257
0,258
0,312
0,225
0.079
0,089
0.497
0,478
0.234
0,216
11 i«
\m
0,203
0,228
0,313
0,284
0.115
0,089
0,244
0.706
0.370
0.312
^'^n^U
0,168
0.185
0,216
0,272
0.075
0.061
0.786
0.574
0,514
0,339
Boraerkua^: g = ^tor Zeichner; m = sohleohter Zeiohner.
Im allgemeinen findet sich die Vermutung bestätigt, daß
besondere Befähigung für Zeichnen auch größere Kanonnähe
bedingt, aber keineswegs durchgehends ; die Ueberschätzung
der Kopfgröße bleibt charakteristisch. Es scheint, daß die
Kinderzeichnung und Kunstkanon.
403
tüchtigen Zeichnerinnen ihren männlichen Altersgenossen über-
legen sind — im Gegensatz zu dem Resultate Schüytens.
3. Zeichnungen Imbeziller.
Ich ordne die Zeichnimgen nach dem Maße der Imbe-
zillität und nicht nach dem Alter der Zeichner. Dazu halte
ich mich deshalb berechtigt, weil eben nur diese Unterschiede
unter sich und mit der Normalität verglichen werden sollen.
Die Verschiedenheit der Begabung fürs Zeichnen bleibt un-
berücksichtigt. Folgende Werte berechnete ich:
•
Knaben.
Grad der
Imbezille
1 — 0,125
II = 0,375
m = 0,166
IV = 0,666
V= 1,000
'U
0.319
0,369
0,061
0,958
0,316
"12
0,240
0,308
0,091
0,242
0.312
'U
0,276
0,287
0,139
0,699
0.434
Mädchen.
Grad der
Imbezille
1 = 0,125
II — 0,375
m = 0,166
IV = 0,666
V= 1.000
V4
0,309
0,215
0,075
0,833
0.242
Va
0,286
0,314
0.114
0,625
0,500
%^
0,303
0.322
0.107
0,900
0,362
Vergleicht man diese Tabellen zunächst unter sich, so
gewahrt man im allgemeinen, daß dort, wo die Imbezillität am
größten ist, auch am stärksten gesündigt wird gegen das
richtige Maß. Doch trifft das nicht immer zu, wie bei dem
Verhältnis II der Knaben.
Vergleich mit den Normalen.
Zu dem Zwecke lasse ich die schlechten Zeichner unbe-
achtet und lösche die Altersdifferenzen dadurch aus, daß ich
aus den drei Stufen das Mittel ziehe. Der Vergleich ermöglicht
sich am einfachsten in folgender Zeichnung :
5*
Marx Lobtiat.
Die Figur zeigt, daß das Verhältnis I, also von Kopf-
länge und Gestalt durchweg von Unbegabten wie Be-
gabten — von letzteren weniger — überschätzt wird. Dem
Verhältnis 11 (Arm- zu Gestaltlänge) begegnet das Umgekehrte,
doch kommen im allgemeinen die Imbezillen näher an den
Kanon heran. Das Verhältnis III (Fuß und Gestalt) wird
aber in annähernd gleichem Maße zu niedrig gegriffen. Die
beiden letzten Daten werden von den normal Begabten zu
niedrig angegeben. Ein Teil der Imbezilen, V* und >/*> über-
schätzen IV. Das \'erhältnis endlich von Hand und Gesicht
ist stark verzeichnet, alle geben das Gesicht viel zu groß an;
das hängt natürlich mit I ^us^mlme^.
Will man so objektiv werten, so kann man auf Grund des
vorliegenden Beobachtungsmateriales nicht wohl sagen, daß
die minder Befähigten sich dem Kanon mehr nähern als die
anderen.
406 Hans Zimmer und Theodor FrÜzseh.
Bayreather Waisenhauses (1730 — 69) mit. Sie lassen deutlicK
die Einwirkungen der pietistischen Pädagogik erkennen. —
Einen Ueberblick der geschichtlichen Entwicklting des höhe-
ren Mädchenschulwesens in Bayern bis zur Gegen-
wart bringt das 8. Beiheft zu den Mitteilungen der „Gesellschaft
für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte" aus der Feder
Heigenmoosers (Berlin, A. Hofmann & Komp. IV u, 93 S. S%
Er will den Anfang auf diesem Gebiete machen und zu fleißiger
Forscherarbeit ermuntern. „Was die Arbeit bietet, ist der § i
einer Denkschrift über das höhere Mädchenschulwesen in
Bayern, allerdings mit vielfachen Erweiterungen; sie möge ge-
nügen, bis über das Gesamtgebiet dieser Schulgattung mehr
Licht verbreitet werden kann." — In Heft i des von ihm heraus-
gegebenen „Archivs für schweizerische Schulgeschichte" be-
handelt Ernst Schneider „Die bernische Landschule am Ende
des 18. Jahrhimderts" (240 S. gr. 8^ 4, — Frcs.; Bern, Gusuv
Grimau). Er machte es sich zur Aufgabe, die Stapf ersehe
Schulenquete des Jahres 1799 zu einer Darstellung der bemi-
schen Volksschulen auf dem Lande zu verwerten, und unter-
sucht die Frage, welche erzieherischen Forderungen der Staat
des 18. Jahrhunderts an Kirche und Schule stellte, mit welchen
finanziellen Mitteln und mit welchem Lehrermaterial er sie
verwirklichen wollte. Hieran reiht sich eine Schilderung des
eigentlichen Schiilbetriebes hinsichtlich des zu erreichenden
Zieles imd der zur Verwendung gelangenden Bildung^smitteL
Eine Anzahl statistischer Tabellen sind den einzelnen bemischen
Landschulorten gewidmet. — Von Eduard Trapps und Her-
mann Pinzkes vielbenutztem Buch „Das Bewegimgsspiel", das
in § I seines ersten Teils auch eine ganz knappe Geschichte
des Spiels vom griechischen Altertum bis zur Gegenwart gibt,
ist die 8. vermehrte imd verbesserte Auflage erschienen (XII
u. 219 S. kl. 8<^; Langensalza 1905, Herrn. Beyer & Söhne. —
„Landschulwesen und Landschullehrer im Herzogtum Cleve
\-or 100 Jahren*' behandelt W. Meiners im „Ardiiv für Kultur-
geschichte** (IIL 3). — Ueber „Die sozialpädagogischen Ziele
und Erfolge der Comeniiis-Gesellsehaft'' berichtet L. Keller
im „Archiv für Sozialwissenscbaft imd Sozialpolitik" (III, 2).
— „Beiträge zur Schul- und Kirchengeschichte Dflrens [in der
Rheinprovinz]** bietet ein Anikel von A. Schoop in der ,^eit-
Schrift des Aachener Geschichts\-ereins" (Bd. 26), — „Beiträge
408 Hans Zimmer und Theodor Fritzach,
erschienen (VI u. 154 S. in 8^ geh. i, — Mk., geb. 1,25 Mk.).
Sie ist, wie das Vorwort sagt, aus Vorträgen entstanden, die
der Verfasser im Marburger Ferienkursus gehalten hat. „Ge-
schichte der Pädagogik ist die anspruchslose Arbeit mit Ab-
sicht nicht genannt worden, weil dieser Name einerseits viel
mehr verspricht, als auf einem so kleinen Räume geboten
werden kann, und anderseits durch manche Veröffentlichung
in Mißkredit gebracht worden ist.** Auf Literaturangaben
mußte bei dem bemessenen Räume verzichtet werden, jedoch
hat Knabe alle wertvollen Arbeiten, auch die jüngst er-
schienenen, benützt. So kann es als zuverlässiger Führer aufs
wärmste empfohlen werden, namentlich wird es allen denen
großen Nutzen stiften, die sich auf ein Examen vorbereiten.
Von allen Umrissen der Geschichte der Pädagogik ist das vor-
liegende Werkchen an erster Stelle zu nennen. Auf eine kleine
Inkorrektheit sei aufmerksam gemacht. Auf S. 91 wird auf das
Jahr 2440 hingewiesen, von dem man die Verwirklichimg ge-
wisser Pläne erhofft habe. Dies Jahr entstammt aber nicht
dem Büchlein des Rektors Fischer vom Jahre 1790, sondern
einer Utopie: „L*an 2440. A Londres 1772.** — Von Erwin
Rauschs „Geschichte der Pädagogik und des gelehrten Unter-
richts im Abrisse" ist die zweite, „verbesserte und vermehrte**
Auflage erschienen (VIII u. 192 S. in gr. 8®, 3,20 Mk., geb.
3,80 Mk.; Leipzig, A. Deichertsche Verlagsbuchhandlung
Nachfolger). Das Buch ist hervorgegangen aus Exzerpten der
bekannten Werke von Paulsen, Ziegler u. a. Namentlich sind
aber gewisse Leipziger Kollegienhefte benützt worden. So wird
es — seinem Zwecke entsprechend — meist von Examinanden
benützt, und diesem Umstände verdankt es seinen Erfolg.
Einzelne Punkte entsprechen nicht mehr dem gegenwärtigen
Standpunkte der Wissenschaft. — Eine 12. „verbesserte und ver-
melirtc** Auflage ist erschienen von J. Chr. Gottlob Schumanns
und Gustav Voigts „Lehrbuch der Pädagogik. Teil i : Ein-
leitung und Geschichte der Pädagogik mit Musterstücken aus
den pädagogischen Meisterwerken der verschiedenen Zeiten**
(XV u. 484 S. gr. 8^ 4,50 Mk., g'eb. 5,20 Mk.; Hannover,
Carl Meyer [Gustav Prior] = „Pädagogische Bibliothek**,
Bd. I). — Von Kehreins bekanntem „Ueberblick der Ge-
schichte der Erziehung und des Unterrichts für Lehrer- und
Lehrerinnenseminare**, bearbeitet von Johannes Kayser, ist die
410 Hans Zimmer und Theodor Fritzwh,
nungen [Klassen] vorzunehmenden Anschaffung der Tische und
Bänke"; er befürwortet aus praktischen Gründen die Beibe-
haltung der alten Sitzbänke ohne Lehne und Schreibgelegen-
heit gegenüber der geplanten Neuanschaffung von Bänken
modernerer Konstruktion. — Hans Zinmier hat in der neuen
Auflage des Werkes von Hans Meyers: „Das deutsche Volks-
tum**, einen Abschnitt bearbeitet, der die Ueberschrift führt:
„Die deutsche Erziehung und die deutsche Wissenschaft'*.
Dieser ist auch besonders erschienen und zwar in einer Aus-
gabe, die ihm weiteste Verbreitung sichert, als No. 141 7 — 142a
in Meyers Volksbüchern. (277 S. in 8®, 0,40 Mk., Leipzig und
Wien. Bibliographisches Institut.) Der Verfasser, der mit
seiner „Volkstumspädagogik** der Erziehungswissenschaft ganz
neue Wege gezeigt hat, untersucht in einem ausführlichen ge-
schichtlichen Rückblicke, was in den einzelnen pädagogischen
Lehren der Vergangenheit wie der Gegenwart an deutschem
Gehalte steckt, besonders geschieht dies ausführlich an Herbarts
Pädagogik. Daß sich in Einzelheiten mit dem Verfasser
rechten läßt, ist bei der Fülle des verarbeiteten Materials
selbstverständlich. Hoffentlich wird uns nun recht bald eine
Geschichte der Pädagogik beschert, die den vom Verfasser
bereits beschrittenen Weg einschlägt. — An dieser Stelle muß
auch Fr. Kretzschmars „Politischer Pädagogik für Preußen**
gedacht werden. Bis jetzt ist der erste der beiden Bände er-
schienen (XV u. 607 S. 8^ 6, — Mk.; Leipzig, Paul Schinunel-
witz); er bespricht die Erziehungsobjekte, die Unterrichts-
fächer und die Schulgattungen. Dieses schulpolitische Hand-,
Lehr- und Lesebuch vom Verfasser des nützlichen „Handbuches
des preußischen Schulrechts** (1899), d^s zwar zunächst für
Preußen bestimmt ist, in Wirklichkeit aber für die gesamte
deutsche Schule von Bedeutung ist, gibt in fleißigster Zu-
sammenfassung einen zwar nicht ganz lückenlosen, aber doch
alles Wesentliche klar imd bestimmt darbietenden Ueberblick
über die realen schulpolitischen Verhältnisse der Gegenwart.
Da diese das Produkt geschichtlicher Entwicklung sind, konnte
es nicht fehlen, daß der Verfasser, wo immer er eine Spezial-
frage zu verfolgen hatte, auch die geschichtüche Betrachtungs-
weise zu Hilfe rufen mußte, und diese mehr oder weniger
kurzen Abschnitte des Werkes sind es, die ihm hier eine Er-
wähnung eintrugen. Als Materialsammlung eine Fundgrube
412 Hans Zimmer und Theodor Fritzsch.
aufgebessert wurden. Im Jahre 1788 waren in der Kurmark
beispielsweise 44 Landgnadenschulen. Heute gehören sie der
Geschichte an. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts verschwin-
den sie allmählich aus dem preußischen Schulwesen. „Sie
wurden s. Z. gegründet, weil Zedlitz keinen anderen Ausweg
wußte, den Fonds zu verteilen. So unpraktisch auch ihre Ein-
richtimg und die Auswahl der Orte war, so sind sie doch als
Musteranstalten für Lehrer, Gemeinde imd Patrone von Be-
deutung gewesen.** Der Aufsatz ist beachtenswert, da er auf
gründlichen Studien beruht. — Landschulen s. Bern und
Cleve. — Lehrerstand s. Cleve, Oberlehrer. — Als Fort-
setzung einer Artikelreihe in No. 13, 19 und 32 des 8. Jahr-
gangs der „Leipziger Lehrerzeitung** bringt Hummel in dieser
(XII, 18) unter dem Titel „Das Leipziger Volksschulwesen
älterer Zeit im Urteile auswärtiger Schulmänner** einen be-
achtenswerten Abschnitt aus J. C. Krögners „Reise durch
Sachsen nach Böhmen imd Oesterreich.** — Eine Festschrift
zur 350 jähr. Jubelfeier des Kgl. Comenius-Gymnasiums zu
Lissa ist Alfred von Sandens Arbeit „Zur Geschichte der
Lissaer Schule 1555 — 1905** (104 S. mit Abbildungen und
I graphischen Tafel, Lex.-8^ 2,50 Mk., geb. 4, — Mk.; Lissa,
Friedrich Ebbeckes Verlag). — Mädehensehnlwesen s. Bayern.
— Mittelschule s. Bayern. — „Zur Geschichte der Volks-
schule im Mosellande" liefert Markgraf einen Beitrag in der
Allg. Deutschen Lehrerzeitung (1905, No. 30). Er gibt einen
U eberblick über die Entwicklimg der Volksschule von den
Anfängen im 15. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. —
K. Klärners Schriftchen „Die Simultanschide des ehemaligen
Herzogtums Nassau" (24 S. 8^ 0,50 Mk.; Wiesbaden, Rudolf
Bechthold & Komp.) ist wenigstens in seinem Eingang („Ent-
stehung, Einrichtung**) dem historischen Gebiete zugehörig. —
Einen Beitrag zur Schul- und Kulturgeschichte des 18, Jahr-
hunderts liefert J. Grüner mit seiner Schrift „Das Schulwesen
des Netze-Distrikts zur Zeit Friedrichs des Großen (1772
bis 1786)** (XII u. 135 S. gr. 8», 2,— Mk.; Breslau, Ferdinand
Hirt). — Wie sich „Der Oberlehrer im Spiegel der Dichtung**
ausnimmt, untersucht an der Hand eines reichen Materials
A. Rosika in der „Zeitschrift für den deutschen Unterricht**
(XV III, 10, 1 1). Wie Lenz, der Maler Müller, Salzmann, Goethes
Vetter Ludwig Textor, den rohen, verbitterten, lieblosen, geistig
414 Hans Zimmer und Theodor FriUsch.
einige wertvolle Aktenstücke zur Reform des Abtes von Sa-
gan. Der zweite Anhang enthält Auszüge aus GymnasiaUehr-
büchern jener Zeit, die meist sehr selten geworden sind, z. T.
auch in der ersten Auflage gar nicht mehr aufgefunden werden
konnten. — Es scheint, als ob bei der Darbiettmg des Materials
zu wenig auf die Gesamtentwicklung Rücksicht ge-
nommen ist. Eine Verarbeitimg des umfangreichen Stoffes
wird zeigen, daß in Oesterreich dieselben Gegensätze auf-
einanderstoßen wie in Norddeutschland; Vertreter der altoi
Richtung ist da Gratian Marx und der Neuerer ist Felbiger.
Von den „Beiträgen zur österreichischen Erziehungs- und
Schulgeschichte**, herausgegeben von der österreichischen
Gruppe der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schul-
geschichte, ist Heft 6 ausgegeben worden, (III u. 279 S. gr. 8*
mit I Tafel, 8,40 Mk. ; Wien, Wilhelm Braumüller). — „Die
Entwickelung des deutschen Gymnasiums in Oesterreich seit
1849" schildert V. Thumser in der Zeitschrift „Das humanistische
Gymnasium** (XVI, 3). — In der Zeitschrift „Deutsch-Evan-
gelisch** (IV, 3) bespricht Braunschweig „Die evangelische
Volksschule Oesterreichs in Geschichte imd Gegenwart**. —
Eine umfänglichere „Geschichte des österreichischen Unter-
richtswesens** lieferte G. Strakosch-Graßmann (7,50 Mk. ; Wien.
A. Pichlers Witwe). — Ueber das Schulwesen in Plauen i. V.
bis zum Jahre 1841 gibt Freytag Auszüge aus einer Schrift
Husters „Alt-Plauen in Wort und Bild" in Justs Praxis der
Erziehungsschule (19. Bd. 2. Heft). — „Die Versuche einer
politischen Unterweisung in den deutschen Schulen des 17.
und 18. Jahrhunderts** stellt Paul Rühlmann in den „Preußi-
schen Jahrbüchern** (CXXII, i) zusammen. Die letzten Er-
gebnisse seiner sehr sorgfältigen Arbeit faßt er selbst in die
Worte: „Der Ruf nach politischer Bildung ist durchaus nicht
neu, er ist bereits in Deutschland schon einmal ertönt, leise
und vereinzelt im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus,
lebhafter und allgemeiner unter der Herrschaft des Merkan-
tilismus. Die äussersten Grenzen bilden die allerdings mög-
lichst approximativ gedachten Zahlenangaben von 1650 und
1800** . . . „Die Staatstheorie des 17. Jahrhunderts fordert
politischen Unterricht nur für die künftig zur Regierung be-
rufenen Kreise; die sich bildenden großen Territorialstaaten
mit dem absoluten Fürsten an der Spitze brauchen technisch-
416 Hans Zimmer und Theodor Fritzsch.
Stiftungen, Schulsitten, Schulfeste usw. besprochen. — „Studien
zur Entstehungsgeschichte der kursächsischen Kirchen- und
Schulordnung von 1580** bietet Ernst Schwabe in den „Neuen
Jahrbüchern für das klassische Altertum usw." (XVI, 4). —
„Urkundliche Beiträge zur Geschichte des schlesischen Schul-
wesens im Mittelalter" liefert Wilhelm Schultes Glatzer Gym-
nasialprogramm (28 S. 4®). — Adolf Matthias, der bekannt-
lich seinen zahlreichen Verdiensten tun das Schulwesen und
die pädagogische Wissenschaft durch Uebernahmie der obersten
Leitung der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- imd Schul-
geschichte ein neues hinzugefügt hat, ist der Verfasser der
bei aller Gedrängtheit überaus wertvollen Studie „Die soziale
und politische Bedeutung der Schulreform vom Jahre 1900"
(36 S. 8^, 0,75 Mk.; Berlin, Alexander Dimcker). Der zweite
Teil dieses Sonderabdruckes aus der von Lohmeyer begrün-
deten „Deutschen Monatsschrift" gehört — als eine Be-
sprechung der sozialen und politischen Bedeutung der Schul-
reform — nicht hierher, obwohl sein offener, gerader Ton
wohl anreizte, sich mit ihm auseinai;iderzusetzen. Aber der erste
historische Teil ist desto ausdrücklicher von ims zu würdigen.
Er gibt ein klares, anschauliches und rundes Bild der geschicht-
lichen Entwicklung und hat keineswegs bloß aktuellen Wert
als Behandlung einer die Gegenwart noch inuner durchklin-
genden Tagesfragen, sondern wird dauernden Wert behalten
als knappe, scharfe imd geschlossene Darstellimg geschicht-
licher Verhältnisse von hoher Verwickeltheit : in der ver-
wirrenden Vielgestaltigkeit dieser Schiebungen, Fort- imd Rück-
schritte, Ansätze und Kämpfe ist er ein sicherer Führer, zu-
gleich übrigens auch eine kurze Geschichte der preußischen
Schulverwaltung, der Berechtigxmgsfrage, der Ueberbürdungs-
frage usf. Wir haben alle Ursache, dem Verfasser für diese
wertvolle literarische Gabe dankbar zu sein. — „Der Deutsche
Schulverein*' in seiner Entwicklung von 1880 bis 1905 wird
besprochen von J. Bendel in der „Wage** (VIII, 21). — Die
Verhandlungen im preußischen Abgeordnetenhause über das
Schulunterhaltungsgesetz veranlassen die Leipziger Lehrer-
zeitung, auf die historische Grundlage der Simnltanschnlfrage
näher einzugehen. Paul Hofmann veröffentlicht dort eine
Reihe von Artikeln über „Die konfessionslose Staatsschule,
eine hundertjährige Forderung". Als Vertreter der Idee der
418 Hans Zimmer und Theodor Fritzach.
Instanz fürs Reich mit Nachdruck erhoben wird. — Das dies-
jährige Programm des Grazer Ersten Gymnasiiuns enthält den
ersten Teil („Das Mittelschulwesen der Landeshauptstadt")
von Jos. Holzers Untersuchung „Die Entwicklung des stei-
rischen Mittelschulwesens seit dem Erscheinen des „Organi-
sationsentwoirfes* " (31 S. 8®). — Eine geschichtliche Ueber-
sicht über „Das Schulwesen des Bistums Strassborg zur Siehe-
rung des Nachwuchses für die theologischen Studien von 1802
bis 1904** bietet (i. Abschnitt) mit Urkunden und Tabellen
F. Landmann in seiner Programmschrift (65 u. 13 S. Lex.-8',
1,50 Mk. ; Straßburg, Agentur von B. Herder). — „Beiträge
zur Geschichte des höheren Schulwesens Tflbingens" enthält
ein Programm R. Stahleckers (102 S. gr. 8^ 2,80 Mk. ; Tübin-
gen, Franz Fues). — Auf die Bedeutung der mittelalterlichen
Handschriften für die Geschichte des Unterrichtsbetriebes
weist Alfred Heubaum in den Mitteilungen d. Ges. f. d. En.
u. Schulg. (XV. Jahrg. i. Heft) hin. Er fordert zur Mitarbeit auf
diesem sehr vernachlässigten Forschimgsgebiet auf. — Volks-
schule, Volksschulwesen s. Karlsruhe, Leipzig, Moselland,
Oesterreich, ferner Spener. — „Das Schulwesen im ehemaligen
Deutschordensgebiet des Königreichs Wfirttemberg unter der
Herrschaft des Ordens schildert H. Schöllkopf in den „Würt-
tembergischen Vierteljahrsheften für Landesgeschichte" (N. F.
XIV, 3). -
II. Persönlichkeiten, Korporationen,
Richtungen.
In Reinhold Hofmanns Monographie „Dr. Georg Agri-
cola. Ein Gelehrtenleben aus dem Zeitalter der Reformation"
(3, — Mk.; Gotha, Friedrich Andreas Perthes) wird Agricola
nicht nur als Schöpfer der Bergbau- imd Hüttenkunde, als
Arzt, Philosoph, Ratsherr, Bürgermeister, Geschichtsschreiber
und Staatsmann besprochen, sondern auch als hervorragender
Schulmann zum ersten Male weiteren Kreisen vorgeführt. Bei-
gegeben sind der Schrift ein authentisches Bildnis Agricolas
und ein Verzeichnis seiner Werke. — Aristoteles s. Platon.
— „Die pädagogischen Anschauungen E. M. Arndts im Zu-
sanunenhange mit seiner Zeit" werden dargestellt von Cle-
mens Geißler im Pädagogischen Archiv (47. Jahrg. 1905.
420 Hans ZinDner und Theodor FriUtch.
Hipler war es s. Zt. nicht vergönnt, <len handschriftlichen
Fund jaus der Königsberger Universitätsbibliothek zu ver-
werten, dja der Tod ihn abrief. R. Galle hat sich nun der
schwierigen Aufgjabe unterzogen, Täas Werk herauszugeben,
so daß jetzt jeder in der Lage ist, sich mit der Pädagogik Bit-
schins bekannt zu machen. Bitschins Heimat war das gegen-
wärtige Westpreußen und die Zeit, in der wir bestimmte
Kunde seiner Existenz erhalten, liegt zwischen 1430 — 1464.
Da die Handschrift nur in einem einzigen Exemplare vorhanden
ist, so muß man annehmen, daß die Mit- imd nächste Nach-
welt von Bitschins Werk keine Notiz genommen hat. Das
neue Licht, das von Italien her sich bald über Deutschland
verbreitete, stellte die fleißige Arbeit des alten Scholastikers
in den Schatten. Und doch verdient sein Werk Beachtung,
wenn es auch nicht den Anstoß t\i neuen Entwiddungen, gegeben
hat, da es die Pädagogik systematisch gestaltet und sie auf
Ethik, Psychologie tmd Anthropologie gründet. Die Arbeit
des Herausgebers verdient in allen Punkten das größte Lob,
sie ist geradezu musterhaft. Auch die Opferwilligkeit des Ver-
legers muß hervorgehoben werden, denn es ist doch immer-
hin fraglich, ob er bei dem kleinen Kreis derer, die sich
für solche Arbeiten interessieren — selbst bei so hervorragend
tüchtigen Leistungen wie der vorliegenden — , auf seine Kosten
kommt. — „Die pädagogisch-didaktischen Theorien Charles
Bonnets'* untersucht William Fritzsche in Friedrich Manns
„Pädagogischem Magazin** (Heft 259; VI u. 120 S. 8^ 1,50 Mk.;
Langensalza, Hermann Beyer imd Söhne). Bisher hat Bonnet
weder in Deutschland noch selbst in Frankreich als Pädagog
wissenschaftliche Behandlimg gefunden : man vergaß den Päda-
gogen über dem Psychologen. Daß er aber mit Fug und
Recht auch in der Reihe der Aufklärungspädagogen ge-
nannt zu werden verdient, beweist unwiderleglich Fritzsches
vortreffliche Arbeit, der eine grundlegende Bedeutung für zu-
künftige Bonnet-Studien zugesprochen werden muß. Mit Fleiß
und Umsicht hat F. aus elf in Betracht kommenden Schriften
B.'s dessen verstreut niedergelegte pädagogische Anschauungen
zu einem einheitlichen Bild zusanunengeschlossen, eine Auf-
gabe, die nicht wenig erschwert war durch die eigentümliche,
oft sich wiederholende und oft auf Nebensächliches abirrende
Dar stellungs weise Bonnets. Wenn man der ausgezeichneten
422 Hans Zimmer und Theodor FriUsch,
eines Sehers auf dem Gebiete der Erziehung.** Wenn
Kvacala schreibt : „Wie groß auch die Aehnlichkeiten (zwischen
Campanella und den Philanthropinisten) sind^ finde ich für eine
direkte Einwirkung Campanellas keine Stützpunkte/* so sei
darauf verwiesen, daß Trapp Campanella öfter erwähnt. Vgl.
z. B. Th. Fritzsch, E. Chr. Trapp, S. 177: „Trapp meint
mit Campanella, daß zu viel Sprachenlemen, zu viel Lesen
und zu wenig meditieren, eine Hauptursache sei, warum wir
von den Alten übertroffen werden.** — „J. H. Campe als
Jugendschriftsteller** ist Gegenstand einer Dissertation von
Karl Arnold, die im „Praktischen Schulmann** (1905, Heft i
bis 4) zuerst gedruckt ist. S. auch Rousseau. — In den
von der Kirchenväter-Kommission der Kgl. preußischen Aka-
demie der Wissenschaften herausgegebenen „Griechischen
christlichen Schriftstellern der ersten drei Jahrhunderte" sind
als Bd. I einer von O. Stählin besorgten Ausgabe von Clemens
Alexandrinus „Protrepticus** und „Paedagogus" erschienen
(LXXXIII und 352 S. gr. 8«, 13,50 Mk., geb. 16,— Mk.;
Leipzig, J. C. Hinrichs'sche Buchhandlimg). — In den Mit-
teilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schul-
geschichte, die unter Alfred Heubaums umsichtiger Leitung
einen großen Aufschwung genommen haben, handelt Karl'Keni
über Sebastian Coccius, den Erzieher und Lehrer des Prinzen
Eberhard von Württemberg (1551 — 62). — Der zweite Band
von Joh. Kvaöala, „Die pädagogische Reform des Comenias
in Deutschland bis zum Ausgange des 17. Jahrhunderts**, ist
nunmehr erschienen. (Monumenta Germaniae Paedagogica,
Bd. XXXn. VII und 238 S. in 80. Berlin, A. Hofmann und
Comp.) Schon im vorigen Berichte ist über Kva6alas grund-
legendes Werk ausführlich berichtet worden, so daß wir uns
hier mit einer Inhaltsangabe begnügen können. Der vor-
liegende zweite Band gibt zunächst einen historischen Ueber-
blick in folgender Gruppierung: I. Des Comenius geistige
Anleihe bei den Deutschen. II. Erziehungsreform auf natio-
naler und kirchlicher Grundlage. III. Die Erweiterung des
Arbeitskreises. Die Pansophie als Ziel des Unterrichts.
IV. Weltverbesserung imd Schulbücherverbesserung. V. Die
Reformbewegung während der zweiten Verbannung des Co-
menius und dessen letzte Arbeiten. VI. Nachklänge. Zum
Schluß betont Kvaöala, daß die Comenianische Reformbe-
424 Hans Zimmer und Theodor
großen Böhmen, so daß der Leser zum Verständnis sov
pädagogischen Wirksamkeit und Bedeutimg gelangt. So kona
diese Bücher nicht nur zur Vorbereitung für Prüfungen,»
dern auch als sehr brauchbare Interpretationen Comeniamsd«
Schriften empfohlen werden. Die graphische DarsteUungdB
Lebens des Comenius im 17. Bande wird bald NaA
ahmer finden. — Als Bd. 30 der ^^Sammliing der b6
deutendsten pädagogischen Schriften aus alter und neuer
Zeit", herausgegeben von J. Gänsen, A. Keller und B. Schob,
ist die „Didactica magna" des Comenius, für den SchTIlg^
brauch und für das Privatstudium bearbeitet von Wilhelm
Altemöller, erschienen (LXXX u. 189 S. 8«, 2, — Mk.; Pader-
born, Ferdinand Schöningh). — Von C. Th. Lions erläuterter
und mit einer Biographie versehenen Ausgabe Von Comenias*
„Großer Unterrichtslehre" (Friedrich Manns ^,Bibliothek pä-
dagogischer Klassiker" Bd. 10) ist die 5. verbesserte Auflage
erschienen (CII u. 300 S. 8<>, 3, — Mk., geb. 4, — Mk.; Langen-
salza, Hermann Beyer & Söhne). — Mitteilungen „Ud)er
einen Plan zur Herausgabe der gesammelten Werke des Co-
menius" macht J. Kvajala in den „Monatsheften der Co-
menius-Gesellschaft" (XIV, 4). Die geplante, streng wissen-
schaftliche Ausgabe soll von der Zentralorganisation der böhmi-
schen Lehrervereine in Mähren ins Leben gerufen werden,
und die Einleitungen zu allen, die Uebersetzungen zu den
lateinischen Werken des Comenius sollen zimächst in tschechi-
scher Sprache gegeben werden; eine deutsche Parallelausgabe
— die Texte bleiben sich ja gleich — wäre sehr zu wünschen
und verlagstechnisch, sofern nur mit Stereotypplatten ge-
arbeitet wird, nicht allzu schwierig und teuer herzustellen. —
Eine Erlanger Dissertation von Bruno Druschky gibt eine
„Würdigung der Schrift des Comenius ,Schola Ludus* " (170 S.
8^). - „Die Didaktik des Comenius und der erziehende Unter-
richt" lautet das Thema von Max Busses Programm (30 S. 4')
der 2. Leipziger Realschule. — Eine Leipziger Dissertation von
Max Möhrke behandelt „Johann Amos Comenius und Johann
Valentin Andrea, ihre Pädagogik und ihr Verhältnis zueinander"
(165 S. 8 0). S. auch „Meister der Pädagogik**, ferner Diester-
weg. „M. Phil. Jac. Crophius, Rektor des St. Anna-Gymnasiums
in Augsburg 1704 — 1742** behandelt eine Studie K. Köberlins
in den „Blättern für das Gymnasialschulwesen" (XLI, i). Cro-
420 Hans Zimmer ufid Theodor Fritzsch.
eines Bändchens der bekannten Sanxmliing „Aus Natur und
Geisteswelt** wird von berufener Seite das wichtigste über
Friedrich Fröbel dargeboten. Band 82 genannter Sammlung
betitelt sich : „Friedrich Fröbel. Sein Leben imd Wirken. Von
Adele von Portugall.** (Verlag von C. G. Teubner in Leipzig,
geh. I Mk., geb. 1,25 Mk. VI u. 154 S. S^,) Es werden die
grundlegenden Gedanken von Fröbels Methode dargestellt, wir
erhalten einen U eberblick seiner wichtigsten Schriften mit Be-
tonung aller jener Kemaussprüche, die den Müttern als Weg-
weiser in Ausübung ihres Berufes dienen können. Eine Lebens-
skizze ist vorangeschickt, und 5 Bildertafeln sind dem Büch-
lein beigegeben. Es wird Erziehern in Schule und Haus
gute Dienste leisten. — Auch von Friedrich Fröbels erster
Gattin ist ein Lebensbild erschienen: Wilhelmine FröbeL
Nach Quellenschriften aus dem Fröbel-Museum bearbeitet von
Eleonore Heerwart. Mit einem Porträt von Wilh. Fröbel und
zwei Ansichten von Keilhau. (Hofbuchdruckerei Eisenach,
H. Kahle. VI u. 326 S. in 8^, br. 2,50 Mk.). Der großen
Fröbelgemeinde dürfte dieses Buch eine willkommene Gabe
sein. Wilhelmine Fröbel stand ihrem Gatten von 18 18 — 1839
zur Seite. Ihr Leben ist aufs engste mit den Schicksalen
und Plänen Fröbels verknüpft. So gibt das Buch auch über
manches Aufschluß, was bisher noch unbekannt war. Auch
für weitere Kreise hat das Buch Interesse, denn es ist ein
treffliches Lebensbild einer edlen Frau, die der letzten Zeit
des 18. und ersten des 19. Jahrhunderts angehörte. — Als
Festgabe zur Freiburger Girard-Feier am 18. Juli 1905 schrieb
E. Lüthi im Auftrag der schweizerischen permanenten Schul-
ausstellung in Bern das Lebensbild „Pater Gregor Girard"
(39 S. gr. 8^ mit Abbildungen, i, — Mk.; Bern, Emil Baum-
gart). — „Goethe xmd die Kinderwelt" macht O. Kiefer zum
Gegenstand einer Studie in der „Deutschen Kultur" (I, 5). —
Eine Jenaer Dissertation (124 S. S^) von G. Ronberg-Madsen
behandelt „Bischof N. F. Grundtvig und seine Bedeutung
als Pädagog". — In Ronberg-Madsens Schrift über „Grundt-
vig und die dänischen Volkshochschulen" (Friedrich Manns
„Pädagogisches Magazin", Heft 253, VI u. 124 S. 8«, 1,60 Mk.;
Langensalza, Herm. Beyer & Söhne) ist uns eine wertvolle
Abhandlung geboten worden, die Dank und Anerkennimg in
reichem Maße verdient. Nachdem er die politisch-geschicht-
428 Hans Zimmer und Theodor Friizaek.
bis 1897** hat nun seine Biographie erhalten; Otto Leisner
hat sie geschrieben (III u. 158 S. gr. 8« mit i Bildnis, 2,50 Mk.,
geb. 3,50 Mk.; Leipzig, Arwed Strauch). Hempel war der
erste Leipziger Schulaufsichtsbeamte, der bei der Reorgani-
sation des sächsischen Schulwesens im Jahre 1873 nach Leipzig
berufen wurde. Er hat aber durch seine Schriften über den
Religionsunterricht weit über Sachsens Grenzen hinaus einen
Ruf erlangt. Insofern ist das Buch' nicht nur von Bedeutung
für die Schulgeschichte Leipzigs, sondern auch für die Ge-
schichte des Religionsunterrichtes. — Im 37. Jahrbuch des
Vereins für wissenschaftliche Pädagogik, herausgegeben von
Th. Vogt, (Dresden, Bleyl & Kämmerer) veröffendicht
Th. Fritzsch die Schlußserie der Briefe Herbarts an Drobisch,
die freilich nur insofern in diesen Jahresbericht gehören, ab
sie das Verhältnis Herbarts zu Strümpell mitberühren. — „Wie
kam Herbart zur Pädagogik?" Diese Frage macht Johannes
Kretzschmar zum Gegenstand einer „kritischen Studie" in der
Allg. Deutschen Lehrerzeitung 1905, No. 14 u. 15. Herbart
sei erst Philosoph, späterhin auch Pädagog gewesen. „Die
Selbsttätigkeit der pädagogischen Spekulation zeigte sich nicht
schon in Jena, auch noch nicht in Bern, sondern erst einige
Jahre nach der Hauslehrerzeit, in dem Augenblicke, als die
philosophische Produktivität vorübergehend versagte — und
hervorgerufen durch Anregung von außen her!" Diesem Er-
gebnis gegenüber muß aber darauf hingewiesen werden, daß
— wenn auch keine aktenmäßigen Beweise vorhanden wären
— Herbarts Berichte an Steiger genügten, die bisherige Mei-
nung aufrecht zu erhalten und daß Willmanns Ausführungen
(in der Einleitung zu seiner Herbart-Ausgabe) wohl den Tat-
sachen entsprechen. Uebrigens sei mit einem andern Refe-
renten (in der Zeitschr. f. Phil. u. Päd. 13. Jahrg., i. Heft)
auf ein Wort Herbarts in der Allg. Päd. aufmerksam gemacht,
welches Kretzschmar ganz übersehen hat: „Gelernt habe ich
durch diese Erfahrung nicht die Motive; diese sah ich vor-
her ; deutlich genug, um mein Lehrgeschäft damit anzufangen."
— „Herbarts Gedanken über das Verhältnis der Erziehung
zum Staate** im Zusammenhang darzustellen, war ein glück-
licher Einfall, den H. Popig in den „Pädagogischen Studien**
XXVI, I f . durchgeführt hat. — Unter dem Titel: „Männer
der Wissenschaft** bringt ein rühriger Leipziger Verleger (Wil-
430 Hans Zimmer und Theodor FriizBch.
Stube) gelegentlich helles Licht fällt. Muthesius hat recht,
wenn er sagt: „Wer Herder als Pädagogen nur aus seinen
Schulreden und Schulbüchern kennt, kennt ihn nicht ganz.
Die Praxis seiner Hauspädagogik erst vervollständigt das
Bild/* — Einen Vergleich zwischen „Herder und Kant'* zieht
Alfred Böhme in der Allg. Deutschen Lehrerzeitung (1905,
No. 7 u. 8). — Im „Archiv für die Geschichte der Philo-
sophie** (XVni, 2 == N. F. XI, 2) behandelt W. Uebele
die geistigen Beziehungen zwischen „Herder imd Tetens", wo-
bei die Sprachtheorie im Mittelpunkt des Interesses steht. —
„Die pädagogischen Grundgedanken Herders** schildert Klee-
spics im Programm des Zwickauer Realgynmasiums (41 S. 4®)
im Zusammenhang mit Herders gesamter Weltanschauung und
der geistigen Bewegung seiner Zeit. — Das 20. Heft der
„Lehrer-Prüflings- und Informations-Arbeiten** enthält einen
Beitrag von N. Knauf, betitelt „Der Fabeldichter Wilhelm
Hey und seine Bedeutung für die Schule** (3. Aufl., 51 S. 8^
0,80 Mk.; Minden, Alfred Hufelands Verlag). — Ein Gedenk-
blatt zirni 100. Geburtstag des Reformators des deutschen
Taubstummenunterrichts ist E. Reuscherts Buch über „Fried-
rich Moritz Hill" (185 S. gr. 8» mit i Büdnis, 4,— Mk.;
Berlin, Selbstverlag). — Mit „Michael Hilsbach", einem ober-
rheinischen Schulmanne des 16. Jahrhimderts, macht uns
L. Pfleger in der „Zeitschrift für die Geschichte des Ober-
rheins** (N. F. XX, 2) bekannt. — In der „Täglichen Rund-
schau** (Unterhaltungsbeilage 15 und 16) weist H. Gersten-
berg in seinem Aufsatz „Hoffmann von Fallersleben über
nationale Erziehung** imter Benutzung von Gedichten sowie
bisher unveröffentlichten Tagebuch- und Briefstellen Hoff-
manns auf dessen beharrlichen Kampf für ein „deutsches**
Bildungsideal und schroffe Ablehnung der altphilologi-
schen Studien hin. Die gründliche Arbeit ist als Bei-
trag m einer Geschichte der „deutschen" Pädagogik
willkommen m heißen. — Hnmanismns, s. Raimundus.
— Friedrich Ludwig Jahns und Ernst Eiselens „Deutsche
Turnkunst** hat in der „Universalbibliothek** (No. 4713, 4714;
192 S. kl. 8^ 0,40 Mk.; Leipzig, Philipp Reclam jim.) Hugo
Rühl herausgegeben und mit einer schlichten Einleitung ver-
sehen, welche die große geschichtliche und praktische Bedeu-
tung der „Deutschen Tiimkimst" klar hervorhebt und vor allem
432 Hans Zimmer und Theodor Fritzeth.
sehen Schulmannes" macht Ludwig in seinem Programm des
Realgymnasiums am Zwinger zu Breslau (17 S. 4®) Mittei-
lungen über Cäsar Albano Kletke, der 1836 — 76 erster Lehrer
der genannten Schule war. — Ueber „Moritz Lazarus als
Pädagog" handelt Bernhard Münz in der „Wage" (VIII, 18).
— Franz Proschs Programm des Weidenauer Staatsgymna-
siums „Fürsterzbischof Jakob Ernst Graf von Lichtenstein
und seine Stiftungen, für das PiaristenkoUegiiun, das Piaristen-
gymnasiiun und den Markt Weißwasser** (24 S. 4 ^) ist als \ox-
geschichte des genannten Gymnasiiuns gedacht. — J. Leckes
Erziehungslehre beleuchtet geschichtlich imd psychologisch L.
Schiller in der Zeitschrift für das Realschulwesen (30. Jahrg.,
II. Heft). S. auch „Meister der Pädagogik**. — „Briefe der Kö-
nigin Luise an ihre Erzieherin** teilt B. Krieger im Januarheft der
„Dutschen Revue** mit. — Luther, s. „Meister der Pädagogik'*.
— Auch den Pädagogen wird der Aufsatz interessieren, der
über den Theologen Johannes Mathesins (1532 Rektor in
Joachimsthal) in No. 23 f. der „Grenzboten** im An-
schluß an Georg Loesches Ausgabe „Ausgewählter Werke
des Johannes Mathesius** (vollendet 1904) erschienen ist. —
In Heusers Verlag, Neuwied a. Rh., erscheint eine Sammlung
von Heften unter dem Titel: „Die Meister der Pädagogik
nach ihrem Leben, ihren Werken imd ihrer Bedeutung kurz
vorgeführt von E. Spielmann.** Bisher sind erschienen : Luther,
Comenius, Locke, Rousseau, Pestalozzi, Herbart, Montaigne,
Ratke, Francke, Basedow, Overberg, Diesterweg. Jedes Bänd-
chen ist 1V2 bis 2 Bogen stark und kostet 60 Pfg. Die Büch-
lein wollen folgende Vorzüge vor andern ähnlichen Unter-
nehmen besitzen: i. Die Meister der Pädagoge werden als
typische Erscheinungen ihrer Zeit, aus der sie erwuchsen, be-
trachtet. 2. Es wird ein Ueberblick über ihr Werden und
Wachsen in ihren Aufgaben imd Zielen an der Hand ihrer
hauptsächlichsten Werke gegeben. 3. Dasjenige, was für die
Allgemeinentwicklung der Pädagogik bedeutend und bleibend
war, wird hervorgehoben. 4. Es wird Anleitung gegeben,
zu eingehendem Studium des betr. Pädagogen durch den Hin-
weis auf Quellenwerke und Bearbeitungen. — Man kann aller-
dings dem Verfasser das Zeugnis nicht versagen, daß er —
soweit es der beschränkte Raum gestattet — seine Ver-
sprechungen erfüllt. Doch halten wir den Weg, den er den
450 Hans Zimmer und Theodor Fritzach.
sehen Gesellschaft m Halle a. S. gehaltenen) Vortrag „Fichtes
Auffassung von der akademischen Freiheit" („Grenzboten",
No. 35) das Thema unter Herbeiziehung von Fichtes sechster
Vorlesung über das Wesen des Gelehrten erschöpfend be-
handelt. — „Ueber die Entstehimg der Statuten der Berliner
Universität** handelt Max Lenz in den Sitzungsberichten der
kgl. preuß. Akademie der Wissenschaften, philosophisch-
historische Klasse (No. 15). — ,yBiirschenschafterbriefe aus
der Zeit der Juli-Revolution** teilt Otto Oppermann in den
„Neuen Heidelberger Jahrbüchern** (XIH, i u. 2) mit. Es
handelt sich lun einen Bestand von Briefen aus dem Nachlaß
des Justizrates Gerhard Joseph Combes, der eine Geschichte
der Burschenschaft zu schreiben beabsichtigte imd sich zu
diesem Zwecke auch die von ihm ausgegangenen Briefe zurück-
geben ließ. Eine längere, sehr schöne Einleitimg Oppermanns
über Combes und seine Korrespondenten, Heidelberger
Burschenschaftsverhältnisse usw. geht der wertvollen Ver-
öffentlichung voraus. — Unter dem Titel „Die Alma Mater
Dorpatensis" bringt in Heft 24 der „Akademischen Tum-
zeitung** ein Anonymus eine ausführliche und fesselnde Schil-
derung des studentischen Wesens, wie es sich in eigenartiger
Weise an der Dorpater Hochschule historisch entwickelt hat.
— Ueber „Leibesübungen an der Universität Erlangen vor
100 Jahren** berichtet Martin in „Körper und Geist** (XIV, 7).
— E. Roths Artikel „Die Frequenz der deutschen Universitäten
von ihrer Gründung bis zur Gegenwart** in der Beilage 32 zur
„Allgemeinen Zeitung** ist eine anerkennende Besprechimg yoa
Fritz Eulenburgs gleichbetiteltem Buch (Leipzig 1904, B. G.
Teubner) und stellt geschickt die Hauptergebnisse von Eulen-
burgs mühsamen Untersuchtmgen zusammen. — Im „Ergän-
nmgsheft I zum Archiv für Kulturgeschichte** behandelt R.
Fester den „Universitätsbereiser Friedrich Gedicke und seinen
Bericht an Friedrich Wilhelm IT* (3, — Mk., Berlin, Duncker).
— Zwei Beiträge zur Geschichte der Universität Heidelberg
bietet F. W. E. Roth im „Neuen Archiv für die Geschichte der
Stadt Heidelberg und der rheinischen Pfalz** VI, 2: „Aus der
Gelehrtengeschichte der Universität Heidelberg 1456 — 1572"
und „Geleitsbrief der Heidelberger Hochschule**. — „Die Grün-
dung der Universität Helmstedt'' behandelt eine Marburger
Dissertation von Hermann Hofmeister (74 S. 8^). — Heyder,
1
462
Heb» Ezarncn in QevoMark** < 56 S. 8», 1^3 ML; Boxm. Rohr-
fchdd und TLlbtckt). — Zum Thema emer Gxaoer Rektonts-
rede hat A, Luschin von Ebengreutfa JOitt UmrcrBitil)^'' er-
wählt und sowohl einen Rückblick wie einen AusUkk gegd».
— Zürn .Schhisse muß es eines Werkes £rwähnmig getan ]
werden, das zwar nicht unmittelbar in diesen Bericht gehört,
aber do^^.h so überaus wertvolles Material zur Ges<^chte da
f 8. Jahrhunderts, insbesondere der Universitäten — namentlich
Leipzig und Göttingen — liefen, daß es der pädagogische Ge-
schichtsschreiber nicht übersehen darf. Eis ist die deutsche
Uebersetrung des dänischen Werkes : „Bemstorffeme og Dan-
mark'' von Aage Friis: „Die Bemstorffe. Erster Band: Lehr-
und Wanderjahre. Ein Kulturbild aus dem deutsch-dänischen
Adels- und Diplomatenleben im achtzehnten Jahrhundert.*' (VI
und 522 S. gr. 8^. Geheftet 10 Mk., vornehm gebunden 12 Mk.
Leipzig, Wilhelm Weicher). Aage Friis hat sich die Aufgabe
gestellt, mit einer Darstellung der Bemstorffschen Familien-
geschichte von 1750 — 1835 ^^^'^ Schilderung der kulturellen
Wechselwirkung zu verbinden, die damals zwischen Dänen und
Deutschen bestand und bekanntlich auch für die Pädagogik
bedeutsam gewesen ist. Weit über 150000 Briefe hat der Ver-
fuHser gesammelt und verarbeitet. So lernen wir das Leben
einer deutschen Familie kennen, wie es sich durch drei Gene-
rationen auf den Gütern in Norddeutschland, in den Lehr-
jahren an verschiedenen Universitäten, in den Wanderjahren
in West- und Südeuropa, und in ihrer diplomatischen Tätigkeit
an den Höfen in Dresden und Warschau, beimReichstag in Frank-
furt und in Piiris entfaltete. Gerade diese Seite des deutschen
Kulturlebens ist ja in Deutschlands Literatur kaiun. behandelt
worden. So wird das Buch weiteste Verbreitung finden. Die
Uebcrtragung ins deutsche ist vorzüglich. 8 Porträts und
2 Landschaftsbilder zieren das nach jeder Richtung gediegene
Werk.
Sitzungsberichte.
Erziehungs- und FUrsorgeverein
für geistig zurüclcgebliebene (schwachsinnige) Kinder.
Pädagogische Kommission.
Sitzung am 19. Januar 1905 im Stadt. Schulmuseum,
Stallschreiberstr. 54, nachmittags 5 Uhr.
Vorsitzender : Herr Rektor S t o d t.
Schriftführer : Herr Lehrer Mertelsmann I.
Nach Begrüßung der Versammlung durch den Vorsitzenden, Herrn
Rektor Stodt, nimmt Herr Müder das Wort zu dem Vortrage :
Ueber psychopathische Minderwertigkeiten in der
Volksschule.
Nachdem der Vortragende an einigen typischen Beispielen in markanter
und interessanter Weise eine Schilderung psychopathisch belasteter Volks-
schüler gezeichnet hatte, verlangte er als einzig richtige Behandlungsmethode
für derartige Individuen die assoziierende und hielt deshalb eine Absonderung
von den Gesunden für erforderlich, wozu außerdem die Gefahr einer psy-
chischen Ansteckung nötige. Da diese Forderung jedoch vorläufig ein
frommer Wunsch bleiben dürfte, so habe eine geeignete Behandlung die
gekennzeichneten Anormalen vor allzu großem Schaden ihrer Persönlichkeit
zu behüten. Dazu sei die erste Aufgabe des Lehrers ein genaues Studium
dieser Kinder, das die intellektuellen und moralischen Fehler genau imter-
suche. Des weiteren sei Rücksprache mit den Eltern, Feststellung der Be-
lastungen, gemeinsame Arbeit mit dem Schularzte notwendig. Bei der Be-
strafung solcher Schüler sei körperliche Züchtigung ausgeschlossen, dagegen
eine Einwirkung durch Ruhe zu empfehlen. In vielen Fällen würden sich
psychische Störungen durch geeignete Vorbeugungsmittel verhüten lassen.
D iskussion:
Herr P a p e warnt vor zu langen Lektionen, um Nervosität der Schüler
zu verhüten.
Herr Rektor Stodt beklagt die imgenügende Größe der Schulhöfe
und wünscht für den Winter geheizte Korridore.
Herr Scheibe hält Aktenstücke über derartige Schüler, wie sie
Redner geschildert, für wünschenswert, worauf
454 8%Uungd)eriMe.
Herr Rektor Schumacher auf die vorgeschriebenen Ueberwachungs-
scheine hinweist.
Die Herren Wulk, Frauendienst, Rektor Henstorf und
Scheibe äußern verschiedene Wünsche über die Tätigkeit der Schulante,
von denen sie eine Besserung in den Zuständen der psychopathisch Minder-
wertigen erhoffen.
Herr Rektor Rupnow hält eine Aussonderung der Kinder aus der
Familie für außerordentlich gefährlich und empfiehlt daher die größte
Vorsicht. ^
Hen Schulinspektor Dr. Lorenz bittet, sich nicht zu überstürzen in
der Fürsorge für die Schwachsinnigen; er gla\^t, daß sich die Schale
noch viel mehr selber helfen könne, als sie es bisher tue, und erwartet von
der Tätigkeit der Schulärzte nicht allzu viel. Von den Seminarien mehr
zu verlangen, hält er nicht für wünschenswert. Für ersprießlich hält er eine
Herabsetzung der ungeheuren Stoff menge, die im Lehrplan vorgeschrieben
sei, eine längere Einwirkung des Lehrers auf seine Schüler, eine Herab-
setzung der Unterrichtszeit. Einen Bericht über die Ausführungen des Re»
ferenten an die Behörden hält er für wünschenswert.
Herr Rektor Stodt will diesem Wunsche gern nacbkommen, sobald
die Anregung dazu von den Behörden ausgehe.
Der Herr Referent spricht im Schlußwort über die schädliche Ein-
wirkung des Fachlehrersystems auf die belasteten Kinder, empfiehlt mög-
lichste Anwendung der Selbsthilfe und unausgesetztes Studium der Psy-
chologie.
Schluß 7 Uhr 40 Min.
m
NB. Der Vortrag des Herrn Müder erschien inzwischen in der „Deut-
schen Schulzcitung" (Redakteur O. Jankc-Berlin) 1905, 35. Jahrg., No. 34
und 35.
Am 18. Februar 1905 besuchte die Päd. Kommission die l. Schüler-
werkstatt des „Berliner Hauptvereins für Knabenhand-
arbeit*' im Falk-Realgymnasium. Der Vorsteher dieser Werk-
statt, Herr Lehrer F r e n k e 1 , begriißte die zahlreich erschienenen Gäste,
gab die Gesichtspunkte an, nach denen die Knabenhandarbeit in den Werk-
stätten betrieben wird, und führte darauf die Besucher durch die einzelnen
Abteilungen. Es wurde das Modellieren, die Kerbschnitzerei, die Papp-
arbeit, die leichte Holzarbeit und die Hobelbankarbeit vorgeführt; zugleich
wurden die Zeichnungen und Arbeiten der Schüler in Augenschein ge-
nonmien. — Für die Besucher, die wohl fast sämtlich der Handarbeit eine
hervorragende Wichtigkeit für den Hilfsschulunterricht zuerkannten, war
es von besonderem Wert, einmal die sogenannten „Brettchenarbeiten** im
Betrieb kennen zu lernen und sich auf diese Weise ein Urteil zu bilden
über ihre \>rvicrtbarkeit für die Hilfsschule. Viel beachtet wurden ferner
die von den Schülern gefertigten Tonmodelle; sie bildeten die beste Emp-
fehlung des Tonmodellierens für den Unterricht der geistig Schwachen und
regten dazu an, diesen Zweig der Handarbeit in den Nebenklassen mit in
berücksichtigen.
466 8iizung8beriekt€.
Herr Sprockhoff legt im Gegensatz hierzu das Hauptgewicht anf
die den Bestrebungen der innem Mission nahestehende Beeinflußung des
Elternhauses.
Herr Mertelsmann erklärt, daß er sich nicht gegen diese Be-
strebungen ausgesprochen, sondern nur auf die Schwierigkeiten hingewiesen
habe, die sich ihnen u. U. entgegenstellten.
Herr Rennicke sucht die Ansicht des Referenten durch einen Fall
aus der Praxb zu bestätigen.
Herr Schulinspektor Dr. von Gizycki hält es vor allem für nötig,
darauf zu achten, daß das Kind seitens der Eltern nicht um geringfügiger
Ursachen willen in Affekt versetzt werde.
Herr Fuchs gibt einige Hinweise auf die Art, wie Ziehen die Affekte
exakt zu beobachten versucht hat.
Fräalein Otto glaubt, einige Widersprüche zwischen der Auffassung
Ziehens und der bisherigen Anschauung zu finden, und möchte femer die
beratende Besprechung mit gewissen Eltern in das Schulhaus verlegen.
Schluß: 7 Uhr.
Sitzung am 2. Juni 1905, nachmittags 5 Uhr,
im Saale des Schulmuseums.
Vorsitzender : Herr Rektor S t o d t.
Schriftführer: Herr Lehrer A. Fuchs.
Der Vorsitzende teilt mit, daß die Kommission beabsichtige, in diesem
Sommer die »»Anstalt für Epileptische" in Wuhlgarten zu besichtigen.
Darauf referierten:
Herr Fuchs über den äußeren Verlauf des V. Verbandstags Deut-
scher Hilfsschulen in Bremen und über das Thema: ,,Die Ausbildung der
Hilfsschullehrer • ;
Herr Mertelsmann I über : .,Die Behandlung von Sprachgebrechen
in den Hilfsschulen";
Herr G r a w e r t über ».Moralische .\nästhes:e** und ..Berücksichtigung
der Schwachsinnigen im Sirafrecht des Deutschen Reiches**.
Das Referat des am Erscheinen verhinderten Herrn Martini über
den .»gegenwärtigen Stand der Fürsorge" verlas Herr Rektor S t o d L
.\n der Diskussion beteiligten sich die Herren Stodt, Zille,
Fraueudionst. Wettstädt, Rennicke, Hildebrandt und
Fuchs, Coiionsund der Diskussion war: Schulpflicht schwachsinniger
Kinder» Notwencigkei: der Fortbildungskurse für Hilfsschullehrcr, Absonde-
rung der Schwachsinnigen \-on den Normalen, der zweijährige Vorkursus
»chwaihsinniger Schüler in der Volksschule u. a.
Der Voisitxende ixberreichtc der X'crsanunlung .Vniragsformularc der
9oyialen Kommission.
D:e Xersammlung beschloC. kunftic die Siiruaii^a auf S Uhr abends
ru \or.ej:cr..
.Tur.: >chluß legte Herr F u c h s cit neueste Literatur über das Hüfs-
9chuhiresen aus.
Sitzungsberichte. 457
Am 30. Juni 1905, nachmittags 5 Uhr, stattete die Päd. Kommission
der Erziehungsanstalt für jugendliche Epileptiker in
Wuhlgartenbei Biesdorf einen Besuch ab. Herr Inspektor Dr. phil.
Schepp hatte die Freundlichkeit, die Besichtigung zu leiten. Besichtigt
wurden die Schulräume, Schlafräume, Spielzimmer, Eßzimmer, Arbeits-
zimmer und Spielplätze der jugendlichen Epileptiker, sowie einige Gebäude,
Einrichtungen und die Anlagen der für die Erwachsenen bestimmten Anstalt.
Die Besucher überzeugten sich davon, daß die Stadt Berlin in dieser Anstalt
eine mustergültige Einrichtung geschaffen hat, die wohl geeignet ist, das
traurige Los vieler hundert epileptischer Männer, Frauen und Kinder so
freundlich als möglich zu gestalten. Allgemein drängte sich bei den Be-
suchern — besonders nach der Besichtigung der Pflegeabteilung — das
Gefühl der höchsten Anerkennung imd Wertschätzung für alle diejenigen
auf, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, für diese bedauerns-
werten Kranken zu wirken.
In der Erziehungsanstalt betrug die Anzahl der Kinder am i. 4. 1903 = 82
(52 Knaben und 30 Mädchen); im Laufe des Etats Jahres 1903 wurden dann
noch 28 Knaben und 16 Mädchen aufgenommen, von denen schon 3 Kinder
einmal auf ärztlichen Rat entlassen worden waren. Von den im Laufe des
Jahres entlassenen Kindern kamen 13 Knaben und 5 Mädchen in die Ab-
teilung für Erwachsene, 17 Knaben und 7 Mädchen zu ihren Eltern nach
Berlin, i Knabe nach der Idiotenanstalt, i Mädchen starb.
Von 82 Kindern waren 75 evangelisch, 6 katholisch, i dissidentisch.
Vor der Aufnahme in die Anstalt besuchten eine Berliner Gemeindeschule
14 Kinder, eine Berliner Nebenklasse 2 Kinder, die Idiotenanstalt Dall-
dort 5 Kinder, andere Schulen 5 Kinder, keine Schule 18 Kinder.
Das Durchschnittsalter ging in den letzten Jahren zurück; es betrug
im Jahre 1902 = 13V2 Jahr; 1903 = 12^/9 Jahr; 1904 := 11V4 Jahr.
Der Unterricht wird in sechs aufsteigenden Klassen erteilt; Klasse I
hat 24, II und III = 22, IV und V = 19 und VI = 11 Stunden Unter-
richt. Die Schule wurde am Schlüsse des 'Jahres von 30 Knaben und
26 Mädchen besucht.
Zum Schlüsse der Besichtigung sprach der Vorsitzende der Päd. Kom-
mission, Herr Rektor S t o d t , Herrn Erziehungsinspektor Dr. Schepp
für die Führung und die bereitwilligst erteilten Aufschlüsse über Organisation
und Betrieb der Anstalt den herzliclisten Dank aus.
Sitzung am 8. Dezember 1905, abends 8 Uhr,
im Saale des Schulmuseums.
Vorsitzender: Herr Rektor S t o d t.
Schriftführer: Herr Lehrer A. Fuchs.
Der Vorsitzende erteilt sofort Herrn Kinderarzt Dr. W. Fürsten-
h e i m das Wort zu seinem Vortrage über den
Veitstanz.
Nachdem Ref. eine schematische Uebersicht über die Hauptformen
unwillkürlicher Muskelbewegung gegeben hatte, behandelte er zimächst die
458 Sitzungsberichte.
ins Gebiet der pädagogischen Pathologie fallenden Bewegungen, die teOi
auf Erregung, teils auf Hemmungslähmungen beruhen. Ref. führte dann
weiter aus: Auf der Grenze zwischen pädagogischer und medizinischer Pa-
thologie stehen die nervösen Bewegungsgewohnheiten, die nach Entstehung,
Verlauf und Bewegungscharakter verwandt, aber doch meist deutlich zu
trennen sind von den sogenannten Ticzuständen, die schon völlig in die
medizinische Pathologie gehören. Eine besondere Rolle im Rahmen unwiU-
kürlicjier Muskelbewegung spielen die Veitstanzbewegungen, die entweder
als Teilerscheinung anderweitiger Erkrankungen des Nervensystems auf-
treten, oder aber ein eigenes Krankheitsbild, den Veitstanz im engerea
Sinne, ausmachen, das sich im Gefolge verschiedener Infektionskrankheiteiiy
sehr häufig des Rheumatismus, entwickelt. Bei belasteten, schwächlichen
Kindern genügt schon ein geringerer Anlass: Schreck, Fall usw., um die
Krankheit hervorzurufen. Für den Lehrer wichtig ist die Kenntnis de»
hysterischen Veitstanzes, der sich auf dem Wege der Nachahmimg ver-
breitet; sämtliche bisher in Schulen beobachteten Veitstanzepidenüen ent-
puppen sich bei genauerem Zusehen als hysterische Erscheinungen. — Der
Schule selbst kommt bei der Entstehung der Krankheit nur eine sehr geringe
Rolle zu, wohl aber führt Unkenntnis der ersten Anfänge, vor allem der
psychischen Erscheinungen, leicht zu ungerechtfertigten Bestrafungen, die
den Krankheitsverlauf im ungünstigen Sinne beeinflussen. Besonders für
die Hilfsschule, die ja eine Ansammlung schwächlicher und belasteter Kinder
darstellt, ist eine Vertrautheit der Lehrerschaft mit solchen krankhaften
Zuständen, deren Verkennung in der Schule das kranke Kind, seine Mit-
schüler und damit den Schulbetrieb gefährdet, dringend zu wünschen.
(Autorreferat)
Diskussion:
Herr Rektor S t o d t spricht dem Referenten für seinen mit grossem
Beifall aufgenommenen Vortrag den Dank der Kommission aus. Er wünscht
den Darlegungen des Vortragenden die größte Verbreitung, nicht
nur in Lehrerkreisen, sondern auch im Laienpublikum, da gerade hier —
wie ein Fall aus jüngster Zeit treffend beweise — sehr oft Un-
kenntnis und Mangel an Verständnis für Personen, die mit Veitstanz oder
veitstanzähnlichen Bewegungen behaftet sind, zu falscher Behandlung führten.
Herr Dr. Fürstenheim wendet sich, angeregt durch diese Be-
merkungen, nochmals der Behandlung der permanenten Fälle zu und stellt
an die Zuhörer die Frage nach Anzahl, Art und Behandlung der mit
Veitstanz behafteten Kinder in der Schule.
Herr Fuchs erklärt, daß die ausgeprägte Form des Veitstanzes in
der Schule (Volks- und Hilfsschule) nur selten, dagegen veitstanzähnlichc Be-
wegung öfter, besonders in der Hilfsschule, beobachtet werde.
Herr Rektor S t o d t weist im Anschluß daran auf die Angaben des
„Berichts über die Tätigkeit der Berliner Schulärzte im Jahre 1904/05**
(erstattet von Prof. Pr. Hartmann) hin. Dr. P. Meyer habe von 1857
Kindern 130 (7 0/0) ^n nervösen Affektionen leidend gefunden, darunter
12 Kinder (7 Mädchen und 5 Knaben) an Veitstanz.
Die Väter zweier an Veitstanz leidender Kinder geben durch ihre
Sitzungsberichte. 459
Schildening der Erscheinungen, die sich mit den Ausführungen des Refe-
renten durchaus deckt,
Herrn Dr. Fürstenheim Gelegenheit, nochmals auf den großen
Tic und den Veitstanz als rheumatisches Aequivalent einzugehen und femer
eine ausführliche Darstellung des postepileptischen Schwachsinns mit seinen
Ausfällen an psychischen Fähigkeiten zu geben.
Herr Rektor Wienidke bestätigt die Mitteilungen des Herrn Fuchs
nut einigen Schilderungen itus der Schulpraxis.
Herr Dr. Fürstenheim hebt in seinem Schlußworte die Not-
wendigkeit der Einrichtung yon Fortbildungskursen für Lehrer, betr. die
Grenzgebiete der Medizin und Pädagogik, hervor.
Mitteilungen:
Herr Rektor Stodt teilt mit, daß sich die Geschäftsstelle des Vereins
C. 2, Spandauerstr. 57 v. III Tr. befinde. Nach einem Beschluß des Vor-
standes werde die Bibliothek dorthin verlegt werden.
Herr Professor Dr. Ziehen hat für das nächste Vierteljahr Vorträge
für Lehrkräfte an Nebenklassen, die in der Psychiatrischen Klinik abgehalten
werden sollen, freundlichst in Aussicht gestellt, ebenso der Berliner Fröbel-
Verein einen Kursus in Fröbelarbeiten. Nähere Mitteilungen werden den
Mitgliedern des Vereins seinerzeit zugehen.
Herr Frauendienst weist auf das am 5. Januar 1906 stattfindende
Wohltätigkeitsfest des Vereins hin, das zugunsten einer im nächsten Jahre
abermals auszusendenden Ferienkolonie für schwachsinnige Kinder veran-
staltet wird.
Schluß: 10 Uhr.
Mitteilungen.
Kongreß fOr Kinderforschimg und Jngendfflnorge 1906w
Hochgeehrter Hexrl
Anbei senden wir Ihnen einen Abdruck unserer „Vorläufigen Mit-
teilungen über den Kongreß für Kinderforschung und Jugendfürsorge*' mit
der ergebenen Bitte um Bekanntgabe in den Ihnen zugänglichen und für
die Sache interessierten Kreisen. Zugleich bitten wir um Ihre Vorschlage
für wünschenswerte allgemeine Vorträge, bezw. Sonderberichte, unter Angabe
der dafür geeigneten und bereitwilligen Referenten.
Ueber die Auswahl unter den überhaupt zur Anmeldung kommenden
Vorträgen wird der Gesamtvorstand entscheiden.
Der geschäftsführende prov. Vorstand.
Den letzten Mitteilungen*) zufolge hatte der in Berlin erwählte Aus-
schuß einen Vorstand zu wählen. Die Wahl fiel — nach der Stimmen-
zahl aufgeführt — auf die Herren
Geh. Med. -Rat Prof. Dr. Ziehen- Berlin,
Institutsdirektor T r ü p e r - Jena,
Prof. Dr. Rein- Jena,
Geh, Med. -Rat Dr. H e u b n e r - Berlin,
Direktor Dr. Klumker- Frankfurt a. M.,
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. M ü n c h - Berlin.
Dem Wunsche des geschäftsführenden Ausschusses des deutschen
Lehrervereins um Beteiligung an den Vorarbeiten des Kong^resses und um
Einreihung seines Vorsitzenden, Lehrer R ö h 1 in Berlin, in den vorbereitenden
Ausschuß ist durch Rundschreiben mit allen gegen eine Stimme statt-
gegeben worden.
Der Vorstand wählte aus seiner Mitte für die Geschäftsführung Prof.
Ziehen und Direktor T r ü p e r. Auf Vorschlag von Prof. Rein wurde
noch Dr. A m e n t - Würzburg als Schriftführer hinzugewählt.
Herr Prof. Ziehen lehnte aber den Vorsitz ab und beharrte un-
bedingt bei seiner Ablehnung. Nunmehr wurde Geh. Reg.-Rat Prof. Dr.
M ü n c h - Berlin an seiner Stelle gewählt.
Die Ortsfrage mußte aufs neue erörtert werden. Denn für das
Zustandekommen des Kongresses zu Ostern in Frankfurt hatten sich allerlei
*) T r ü p e r , Ein Kongreß für Kinderforschung imd Jugeqdfürsorge.
Langensalza, Hermann ^eyer & Söhne (Beyer & Mann). Wird vom Ver-
leger unentgeltlich verabfolgt.
462 Mitteiiungen.
Die vorläufige Anmeldung von Vorträgen, über deren Annahme die
Entscheidung dem Gesamtvorstande vorbehalten bleibt, nimmt entg^en u&d
nähere Auskunft erteilt
der geschäftsführende provisorische Vorstand:
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. W. Münch- Berlin W. 30, Luitpoldstr. 22,
Anstaltsdirektor J. Trüper- Jena-Sophienhöhe,
Privatgelehrter Dr. phil. W. A m e n t - Würzburg, Sanderglacisstr. 44,
Ein Kurs der medizinischen Psychologie mit Bezug auf Behand-
lung und Erziehung der angeboren Schwachsinnigen*)
wird von Montag den 2. bis Samstag den 7. April 1906 in
G i e s s e n (Klinik für psychische und nervöse Krankheiten) stattfinden.
Der Kurs wird folgende Themata umfassen:
1. Die verschiedenen Formen der Idiotie.
2. Ursachenforschung, Prophylaxe und Therapie im Gebiet der
Idiotie.
3. Untersuchung der Schädelabnormitäten mit praktischen
Uebungen.
4. Medizinische Psychologie mit Bezug auf Behandlung und Er-
ziehung der angeboren Schwachsinnigen mit psychophysischen
Uebungen.
5. Experimentelle Didaktik mit Bezug auf die angeboren Schwach-
sinnigen.
6. Das Hilfsschulwesen.
7. Die Zwangserziehung.
8. Die strafrechtlichen Beziehungen des angeborenen Schwach-
sinnes.
9. Jugendliches Verbrechertum.
10. Der angeborene Schwachsinn im MiUtärdienst.
11. Die Anstalten für Schwachsinnige usw. mit Besichtigungen,
Als Vortragende werden außer dem Unterzeichneten und Herrn Privat-
dozenten Dr. Danncmann- Giessen noch Herr Prof. Dr. Weygandt-
Würzburg und Herr Seminarlehrer L a y - Karlsruhe mitwirken. Das genauere
Programm der Vorträge und Uebungen soll Ende Februar 1906 versandt
werden. Die Einschreibegebühr wird je nach den Kosten der Vorbereitung
etwa 10 bis 20 Mark betragen. Zu dem Kurs sind alle an der Behandlung
und Erziehung der angeboren Schwachsinnigen ernsthaft interessierten Per-
sonen, besonders Aerzte imd Lehrer eingeladen.
Giessen, Dezember 1905. Prof. Dr. Sommer.
Der nächste Kongreß für experimentelle Psychologie wird vom 18.
bis 21. April zu Würzburg stattfinden. Wegen der am 20. imd 21. April
*) Vergl. Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift 1905, No. 20
und 23.
Mitteiiungen. 463
zu München stattfindenden Tagung des Deutschen Vereins für Psychiatrie
werden diejenigen Gegenstände, die von größerem Interesse für die Psy-
chiater sind, auf die Tagesordniuig des i8. und 19. April gesetzt werden.
Referate werden erstatten : F. Krüger über die Beziehungen zwischen ex-
perimenteller Phonetik und Psychologie, O. Külpe über den gegenwärtigen
Stand der experimentellen Aesthetik, F. Schumann über die Psychologie
des Lesens, R. Sommer über Psychiatrie und Individualpsychologie,
W. Weygandt über die psychologische Untersuchung des angeborenen
Schwachsinnes. Es wird gebeten, Anmeldungen betreffend Teilnahme, Vor-
träge und dergl. an Herrn Prof. Dr. O. Külpe zu Würzburg zu richten^
Der Berliner Verein für Schulgesundheitspflege beabsichtigt die
Begründung einer schulhygienischen Bibliothek in Berlin. Derselbe bittet
daher alle Autoren, die über schulhygienische oder verwandte (pädagogische,
psychologische, hygienische usw.) Fragen Arbeiten veröffentlicht haben, diese
dem Verein einzusenden, resp. ein Verzeichnis ihrer Arbeiten zu geben
zur eventuellen Anschaffung.
Auch werden die Herren Verleger gebeten, ein Verzeichnis der in
ihrem Verlage erschienenen einschlägigen Werke einzusenden.
Sendungen sind zu richten an
R. Schulz,
Bibliothekskustos des Vereins für innere Medizin, Schönebergerufer 11.
Der Vorstand.
Familiener Ziehung und Anstaltspflege. Der Magistrat und die
Stadtverordneten von Berlin haben sich in gemischter Deputa-
tion mit der Frage der Familienerziehung oder der Anstalts-
pflege der Berliner Waisenkinder beschäftigt. Die Berliner
Gemeinde- Waisenräte — Damen und Herren — haben in drei großen öffent-
lichen Versammlungen, die im Sophien-, Andreas- und Askanischen Gym-
nasium stattfanden, zu dieser die öffentliche Meinung schon jahrelang be-
schäftigenden Frage Stellung genommen.
Das große Interesse an dieser Frage bekundete der zahlreiche Be-
such dieser Versammlungen und die lebhafte Erörterung. Unter den Er-
schienenen bemerkten wir die Stadträte Wirkl. Geh. Oberregierungs-Rat
V. Friedberg, Gehricke, Dr. Münsterberg, die Stadtverordneten Ulrich,
A. Schulze u. a., Amtsgerichtsrat Richter, Amtsrichter Roeder und viele andere
bekannte Personen, Pastoren, Rechtsanwälte usw. Stadtschulrat Dr. Gersten-
berg hielt nach der Begrüßung der Gäste durch den Vorsitzenden Stadtv.
Hammerstein den einleitenden Vortrag.
Der Vortragende führte u. a. folgendes aus: „Die Frage der Fa-
milien- oder Anstaltspflege ist so alt, wie die Waisenpflege. Besonders leb-
haft wurde sie erörtert nach Aufhebung der Klöster, in der Zeit der Re-
formation. Anfang des 18. Jahrhunderts, in der Zeit der Gründung der
ersten Waisenhäuser imd dann in der Zeit Pestalozzis wurde sie von neuem
464 Mitteilungen,
lebhaft aufgeworfen. *Dann entbrannte der Kampf wieder, als aus der
staatlichen Armenpflege eine kommimale wurde, imd nun mit dem an-
tritt in die sozialpolitische Gesetzgebung, seit der Gründung des Deutseben
Reiches ist diese Frage nicht von der Tagesordnung verschwunden. Fast
durchweg haben sich die Waisenverwaltungen und ihre Organe infolge der
günstigen Erfahrungen der Familienerziehung für diese ausgesprochen. Nur
in bestimmten Fällen glaubt man der Anstaltspflege nicht entraten zu können.
Das Waisenkind kommt aus der Familie. Seine Wurzel liegt, wie bei
jedem anderen Kinde, in dieser. Die Familienerziehung individualisieit^
die Anstaltspflege mit ihrem wechselnden Personal nivelliert sehr oft. Die
Untugenden der einzelnen Kinder werden in den Anstalten sehr oft auf
die übrigen übertragen. Diese Gefahren u. a. sind bei der Familienerziehung
geringer. Diese setzt natürlich voraus, daß die Kinder möglichst früh-
zeitig in Famüienpflege kommen \md die Pflegeeltern nicht nur sorgfältig
ausgesucht, sondern auch überwacht werden.
Das heutige System und die Organisation der Waisen-Verwahung
bietet eine Bürgschaft für eine gute Familienerziehung. Dies wird durch
die Erfahrungen bestätigt. In Familienpflege gehören nur gesunde Kinder.
Andere sind besser in Anstalten aufgehoben. Auch Kinder mit Untugenden
imd verbrecherischen Neigungen gehören in die strengere Zucht einer An-
stalt. Diese ist für kranke Kinder besonders eingerichtet und mit einer
Heilstätte usw. verbunden. Das Rummelsburger Waisenhaus wird deshalb
seinen alten Ruf behalten und die dort untergebrachten kränklichen und
älteren Kinder fürs Leben vorbereiten. Diese Dreiteilung, Familienerziehung
für alle normalen Kinder, Anstaltspflege für kränkliche und für solche mit
schlechten Neigungen, fand allgemeine Zustimmung.
(Nationalzeitung.)
In der Dezember-Sitzong des Berliner GymnasiaUehrer-Vereüs
sprach der Vorsitzende, Professor Lortzing, einige Worte der Erinne-
rung an die Gründung des Vereins, der im Dezember 1872 seine erste
ordentliche Versammlung abgehalten hat. Er begrüßte dann die als Gäste
anwesenden Herren Ministerialdirektor Alt hoff \md Geh. Regierungs-
rat Reinhardt aus dem Kultusministerium, Geh. Regierungsrat G e n z
vom Provinzial-Schulkollegium, sowie Stadtschulrat Michaelis.
Darauf hielt Provinzialschulrat Dr. Klatt einen Vortrag über
„Schülerpensionen, mit besonderer Berücksichtigung
der Provinz Brandenbur g". Der Vortragende, der nicht bloss ge-
naue statistische Nachweise über jede einzelne höhere Lehranstalt benutzen
konnte, sondern auch eine sehr große Anzahl von Schülerpensionen in den
verschiedensten Teilen der Provinz persönlich in Augenschein genommen
hat, setzte zunächst auseinander, welche einschneidende Bedeutung für das
gesamte Unterrichtswesen des preußischen Staates der Frage der Schüler-
pensionen zukomme. Schon die für die ganze Monarchie im Jahre 1903
angeordnete Erhebung hat aufklärend gewirkt imd eine weitere Unter-
suchung der Pensionsverhältnisse veranlaßt. Insbesondere sind in der Provinz
Brandenburg die eingehendsten Ermittelungen darüber angestellt worden.
466 Müieüunjfm.
Unkultur wirken zu lassen. Die Kinder werden für die Aasfluge ?oq
den Rektoren und Schulärzten ausgewählt; sum Vorschlag werden lolcke
Kinder gebracht, f&r deren körperliches Befinden ein öfterer Aufenthail m
Fielen, ein tüchtiger Spaziergang usw., vorteilhaft erscheint, oder solche, doei
Eltern es durch ihre Berufstätigkeit versagt oder durch ihre wirtschaftliche Lage
unmöglich ist, ihre Kinder vor die Tore hinauszuführen.
Für die Ausflüge werden die Kinder in Gruppen von 12 — 15, Koabea
und Mädchen gemeinsam, gesondert Jede Gruppe wird von zwei soge-
nannten Helferinnen geführt, jungen Frauen und Mädchen, die es begriffet
haben, daß der Dienst an einer an Jugendlust armen Jugend nicht nur
eine soziale Gemeinschaftsplicht, sondern auch eine Quelle eigener schönster
Befriedigung ist. Meist ist der Grunewald das Ziel, das mit der Stadtbahn
erreicht wird. Nach der Ankunft wird ein Spaziergang gemacht, dann im
Freien gelagert \md der mitgenommene Proviant — belegte Brote, Obst,
Milch (wozu jedes Kind eine eigene Flasche hat) — verzehrt; gemeinsame
Spiele folgen, manch munteres Lied wird gesimgen. Pflanzen werden ge-
sucht imd erklärt, zuweilen wird auch aus einem geeigneten Buch vor-
gelesen, und so vergehen sehr schnell die Stunden, bis die anbrechende
Dämmerung zur Heimkehr mahnt.
Jede Abteilung hat in den Monaten Aphl bb Oktober etwa dreissi|[
Ausflüge untemonmien; im ganzen waren bis jetzt 180 Kinder an den
Ausflügen beteiligt. Der Verein, den die städtischen Behörden Charlotten-
burgs in dankenswerter Weise durch einen namhaften Jahresbeitrag unter-
stützen, will nach Maßgabe der vorhandenen Mittel die Zahl seiner Schutz-
befohlenen von Jahr zu Jahr vermehren mit dem Endziel, aus jeder der
24 Charlottenburger Gemeindeschulen etwa dreissig Kinder berücksichtigen
zu können.
Mit den bisher erzielten Resultaten können die Leiter des Vereins
durchaus zufrieden sein: Die Kinder nehmen mit großer Freude teil, in
den Schulen übersteigt die Zahl der Meldungen um ein Vielfaches die
Ziffer der Mitzimehmenden, irgendwelche Störungen haben sich aus dem
Zusanmiensein beider Geschlechter nie ergeben; die Eltern erkennen die
Bestrebungen des Vereins dankbar an uind unterstützen sie dadurch, daß
sie ihre Kinder pünktlich imd sauber» aber einfach gekleidet zu den Treff-
punkten schicken; die Helferinnen bewahren sich fast durchweg durch
verständnisvolles Eingehen auf die Intentionen das Vereins, erfüllen ihre
übernommenen Verpflichtimgen gewissenhaft uind haben an ■ dem Zu-
sammensein nüt den Kindern die gleiche Freude, wie diese selbst. So
bat sich denn schnell ein Gefühl der Zusammengehörigkeit herausgebildet,
das den Wxmsch rege werden ließ, auch für den Winter die Spaziergänge
nicht ganz ruhen zu lassen. Dementsprechend machen alle Abteilungen
alle vierzehn Tage im Winter einen Spaziergang im Tiergarten oder treffen
«eh auf den dort belegenen Spielplätzen; bei Anbruch der Dunkelheit be-
geben sie sich dann in private Schulräume, die dem Verein zur Verfügung
gestellt sind, wo nach eingenonmiener Erfrischung Spiele veranstalte^
Frdbelarbeiten gemacht werden. Wachs und Ton geknetet wird usw.
Wir haben die Tätigkeit des Vereins in dieser der solialen Hygiene
gewidmeten Wochenschrift niedergelegt, einmal um miserem Untemdmiet
Mitteilungen. ^ßl
n/eue Freunde zu gewinnen, dann aber, um gerade in ärztlichen Kreisen
zur Nachahmung anzuregen; die nach den Berichten der Schulärzte ge-
sundheitlich recht minderwertige Schuljugend imd deren bekanntlich leider
tausendfältig schwer um ihre Existenz kämpfenden Eltern würden es gewiß
mit Freuden begrüßen, wenn tatkräftige Männer und Frauen jauch für
Berlin eine ähnliche Organisation ins Leben riefen.
Dr. M. Cohn-Charlottenburg. (Med. Reform.)
Üeber die Charlottenburger Waldschule veröffentlichen Stadtschulrat
Dr. Neufert und Privatdozent Dr. med. Bendix, der Arzt der Schule (im
Verlage von Urban & Schwarzenbcrg in Berlin) eine Schrift. Ein besonderes
Interesse haben die Mitteilungen über die Unterrichtsergebnisse. Es wird
darüber gesagt, nachdem die in gesundheitlicher Hinsicht erzielten Erfolge
dargestellt worden sind: Auch in pädagogischer Beziehung haben wir alle
Ursache, mit dem Erfolge der Waldschule zufrieden zu sein. Auf das
Betragen des Kindes hat der Aufenthalt in der Waldschule einen günstigen
Einfluß gehabt, besonders zur Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit,
sowie zur Verträg^lichkcit untereinander wurden die Kinder erzogen. Das
Leben im stillen Waldwinkel, fem von allen schädlichen Einwirkungen, das
beständige Zusammensein mit gebildeten Menschen, das lebhafe Gefühl für
das Gute, was an ihnen getan wurde, alles das bewirkte, daß die Kinder
sich bemühten, sich der empfangenen Wohltaten würdig zu zeigen. Unge-
zogenheiten kamen in den letzten Wochen viel seltener als anfangs vor.
Ein wichtiger Faktor war dabei auch der erziehliche Einfluß, welchen die
Kinder aufeinander ausübten. Es erfuhren z. B. Kinder, die in ihrem An-
fug nicht ganz sauber waren oder im Gebrauch des Taschentuches nicht
auf der Höhe standen, von den Mitschülern eine so kräftige Kritik, daß
sie sich bald der öffentlichen Meinung fügten. Natürlich vermochte ein
dreimonatiger Aufenthalt in der Waldschule nicht alle vorhandenen Lücken
auszufüllen oder gar aus einem unbegabten Kinde ein begabtes zu machen;
aber das ist erreicht worden, daß nahezu jedes Kind am Unterricht rege
teilnahm und nach Kräften sich bemühte. Mit großer Einmütigkeit berich-
teten am Schluß der Waldschule die Lehrer, daß mit der zunehmenden
körperlichen Kräftigung, die Aufmerksamkeit und Frische sich im Unter-
richt gehoben habe; nur in drei von 120 Fällen wurde Klage geführt, daß
ein Kind nicht rege genug war. Dem entsprechen auch die Leistungen.
In weitaas den meisten Fällen wurde Genügendes oder der Begabung Ent-
sprechendes geleistet. Nur bei fünf Kindern äußern die Lehrer ihre Unzu-
friedenheit, einmal allerdings mit der Motivierung, daß das kranke Kind
durch die Eltern mit Zeitungsaustragen vor Beginn des Unterrichts sehr
angestrengt wurde. Dafür wird aber in nicht weniger als 13 Fällen aus-
drücklich bezeugt, daß die Leistungen eines Kindes in sämtlichen oder
einzelnen Fächern ganz wesentlich besser geworden sind. Es ist vorge-
kommen, d^ Schüler, die ursprünglich ungenügend waren, beim Schluß
der Schule Genügendes leisteten, an Stelle eines Mangelhaft ist bei vielen
^ Genügend oder gar eine bessere Zensur eingetreten. Ja, ein Kind,
9*
468 Mitteilungen.
welches die Lehrer schon nach der Hilfsschule überweisen wollten, hob
sich so weit, daß es am Unterricht mit genügendem Erfolg teilnehmen
konnte, auch nachdem es wieder in die Gemeindeschule zurückgekehit
war. Allein man könnte vermuten, daß die Berichte der Waldschullehrer,
welche die Schüler lieb gewonnen hatten, aus naheliegenden Gründen viel-
leicht zu schön gefärbt sein möchten: das entscheidende Urteil könne erst
der Lehrer fällen, in dessen Klasse die Kinder nach Schluß der Wald-
schule wieder einrückten. Der Stadtschulrat hat sich daher wenige Wochen
nach dem Wiedereintritt der Kinder in die Gemeindeschule bei den drei
Rektoren verschiedener Schulen erkundigt und ausnahmslos günstige Ur-
teile über die Zurückgekehrten vernommen; namentlich wurde wieder die
größere Frische und regere Teilnahme am Unterricht hervorgehoben. An-
fang Januar wurden sodann von sämtlichen Gemeindeschulen amtliche Be*
richte über die Klassenleistungen der ehemaligen Waldschüler eingefordert,
namentlich darüber, ob die Kinder durch den Unterricht in der Waldschule
derartig gefördert worden sind, daß sie in ihren früheren Klassen mit fort-
konunen. Nach denselben sind die Leistungen nur in 12 einzelnen Fächern
schwächer geworden, in den übrigen sind sie gleich geblieben; in mehreren
haben sie sich sogar gebessert. Es ist hierbei aber zu berücksichtigen, daß
inz>\'ischen leider in manchen Fällen das körperliche Befinden infolge der
ungünstigen Ernährungs- und Wohnungsverhältnisse, der zu großen An-
strengung des 4- bis 5 stündigen Unterrichts, zum Teil auch infolge akuter
Erkrankungen ungünstig beeinflußt worden war. Je4enfalls geht aus den
Berichten deutlich hervor, daß das pädagogische Ziel, das der Waldschule
bei ihrer Gründung gesteckt worden ist, daß nämlich die Kinder bei ihrer
Rückkehr in die Volksschule mit ihren ehemaligen Klassengenossen fort-
kommen können, erreichbar und von dem weitaus größten Teile der Kinder
auch erreicht worden ist. Dabei ist zu bedenken, daß bei den zur Verfügung
gestellten Mitteln doch nur die allerkränksten Kinder — 6 v. T. der ge-
samten Schülerzahl — Aufnahme finden konnten. Sollte es dereinst mög-
lich sein, einen erheblich größeren Prozentsatz in Waldschulen unterzu-
bringen, — nach überschläglicher Schätzung erachten die Aerzte etwa
4 V. H. aller Schüler für waldschulbedürftig — und sollte durch ein fest-
stehendes Schulsanatorium ihnen Sommer- und Winterkur und auch der
Nachtaufenthalt ermöglicht sein, so werden die Resultate naturgemäß noch
günstiger werden.
(Voss. Zeitung.)
CentralTerband zur BekSmpftiDg des Alkoholiitiiiiig (Berlin).
WisseDSchaUliche Kurse zum Studium des Alkoholismat.
Abgehalten in Berlüi vom 17. — 21. Aprü 1906 im Baracken- Auditorium
der Universität (Eingang Kastanienwäldchen).
Die Alkoholfrage steht im Vordergrimd des öffentlichen Interesses.
Kein Einsichtiger leugnet mehr, daß schwere Mißstande, welche in den
Statistiken der Irrenhäuser und Gefängnisse, der Armen- und Polisei>
Verwaltungen, der Anstalten für Nervenkranke und körperlich und geistig
Mitteilungen, 469
Gebrochene, der Kranken- und Unfallkassen und in anderen Untersuchungen
und Feststellungen zum Ausdruck kommen, mit dem Alkoholismus in ur-
sächlichem Zusammenhang stehen und nur gleichzeitig mit ihm wirksam
bekämpft werden können. Diese Mißstände greifen so tief hinein in das
Erwerbs- und Erholungsleben, in die Verhältnisse der Gemeinden und des
Staats, in die soziale und nationale Entwicklung unseres Volkes, daß sie
nicht nur den einzelnen Alkoholiker und dessen Angehörige angehen, son-
dern jeden, welcher sich seiner sozialen Verantwortlichkeit für das Ge-
samtwohl bewußt ist, zur Mithilfe bei ihrer Beseitigung herausfordern. Diese
Erkenntnis bricht sich in der Gegenwart inmier mehr Bahn; dagegen sind
die Kenntnisse des Tatsachenmaterials aus dem Gebiet des Alkoholismus
und die Ansichten über die geeigneten Mittel und Wege der Bekämpfung
des Alkoholismus in weiten Kreisen noch wenig geklärt. Gerade diejenigen,
welche, sei es innerhalb oder außerhalb ihres Berufs, sei es durch Mitarbeit
in Vereinen, an der Lösung dieser sozialen Aufgabe mithelfen wollen, emp-
finden das Bedürfnis, von erfahrenen und sachkundigen Vertretern der
Wissenschaft Bereicherung für das Wissen und Anregung für den Willen
imd das praktische Leben zu empfangen. Diesem Zwecke werden auch in
diesem Jahre die wissenschaftlichen Vorlesungen zum Studium des Alko-
holismus dienen, welche sich bereits vortrefflich bewährt haben und in
diesem Jahre zum dritten Male veranstaltet werden. Mit der Ueberreichung
des Programms verbinden wir die Bitte, an den Vorlesungen teilnehmen,
für Bekanntmachung derselben Sorge tragen und zum Besuch einladen
zu wollen. Die Teilnahme ist unentgeltlich. Programme sind gegen Porto-
vergütung von Herrn A. Kochanowski, Berlin O 112, Samahter-
strasse 35, zu beziehen.
Der Vorstand des Centralverbandes zur Bekämpfung des Alkoholis-
mus : Dr. von Strauß und Torney, Senatspräsident des Oberver-
waltungsgerichts, I . Vorsitzender — Frau Liska Gerken-Leitgebel,
2. Vorsitzende — Alfred Kubatz, stud. phil., i. Schriftführer — Dr. med.
Waldschmidt, Stadtrat, 2. Schriftführer — Pfarrer W a ß m a n n ,
Säckelmeister — Dr. med. Agnes Hacker, Beisitzerin — Stadtrat
S a m t e r , Beisitzer.
Programm der Vorlesungen: Dienstag, den 1 7. April,
91/2 Uhr : Eröffnungssprache (Geh. Medizinalrat Prof. Dr. R u b n e r ,
Berlin), 10 — 11 Uhr: Alkohol als Nahrungsmittel (Geh. Medizinalrat Prof.
Dr. Rubner, Berlin), 11 — 12 Uhr: Alkohol und Jugend [hygienisch] (Prof.
Dr. med. Hartmann, Berlin), abends 8 — 10 Uhr: Alkohol und Seelen-
leben (Hof rat Prof. Dr. med. K r a e p e 1 i n , München). — Mittwoch, den
18. April, 10 — 12 Uhr: Alkohol und Jugend [pädagogisch] (Direktor Dr.
phil. Bergemann, Striegau), abends 8 — 10 Uhr: Alkohol und Arbeiter-
versicherung (Regierungsrat Dr. W e y m a n n , Berlin). — Donnerstag, den
19. April, 10 — II Uhr: Geschichte der älteren deutschen Mäßigkeits- imd
Enthaltsamkeitsbewegung (Pastor Dr. Stubbe, Kiel), 11 — 12 Uhr: Ein-
richtungen und Veranstaltungen im Kampfe gegen den Alkoholismus (Dr.
med. L aquer, Wiesbaden), abends 8 — 10 Uhr: Die Wirkungen des
Alkohols auf die inneren Organe (Dr. med. Liebe, Waldhof-Elgers-
hausen). — Freitag, den 20. April, 10 — 11 Uhr: Geschichte der älteren
470 Mitteilungen.
deutschen Mäßigkeits- und Enthaltsamkeitsbewegung (Pastor Dr. Stubbe,
Kiel), II— 12 Uhr: Alkohol und Rassenhygiene (Dr. med. Ploetz, ScWad-
tensee-Berlin), abends 8—10 Uhr: Alkohol und Strafgesetz (Oberarzt Dt.
Juliusburger, Steglitz-Berlin). — Sonnabend den 21. April, 10—12
Uhr: Belastung des kommunalen Etats durch den Alkoholismus (Stadtrat
Kappelmann, Erfurt). Schlußansprache: Dr. von Strauß und
Torney, Berlin, Senatspräsident das Oberverwaltungsgerichts.
Geheimer Medizinalrat Professor Dr. Rubner, Berlin, Leiter der
wissenschaftlichen Kurse.
Der Arbeitsausschuß zur Vorbereitung der Kurse : J. F 1 a i g , Deutscher
Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege — Liska Gerken-
L e i t g e b e 1 , Auskunftsstelle der Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur
— J. Gonser, Deutscher Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke
— Hedwig Haist, Allgemeiner Deutscher Lehrerinnenverein — Dr.
Juliusburger, Bund für alkoholfreie Kultur — A. Kochanowski,
Charitas verband — A. Kubatz, stud. phil., Verein abstinenter Studenten,
Berlin — Anna Misch, Mädchen -und Frauengruppe für soziale Hilfe-
arbeit — Margarete Schwan, Verein Berliner Volksschullehrerinn«i
— Troschke, Pastor, Brand. Provinzialausschuß für Innere Mission —
Dr. Weymann, Rcg.-Rat, Deutscher Verein ffir Volkshygiene — Martha
Worms, Freiwilliger Erziehungsbeirat für schulentl. Waisen — Dr. Zim-
mermann, Bureau für Sozialpolitik.
Die im Jahre 1905 abgehaltenen Vorlesungen der wissenschafthchen
Kurse zum Studiiun des Alkoholismus wurden vom Centralverband zur Bc-
kämpfimg des Alkoholismus herausgegeben: „Der Alkoholismus. Seine
Wirkungen und seine Bekämpfung", Bd. I und II. (Verlag B. G. Teubncr-
Leipzig, Preis des Bandes brosch i. — Mk., gebd. 1.25 Mk.)
Führung durch sozia 1 h y gienische Einrichtungen.
Am Nachmittag des Dienstag, 17. April, Mittwoch, 18. April, Donnerstag,
19. April und eventl. Sonnabend, 21. April finden unter sachkundiger Führung
Besichtigungen sozialhygienischer Einrichtungen statt. Hierfür sind ins
Auge gefasst:
Arbeiterinnenheim am Kottbuser Ufer,
Asyl für Obdachlose in der Wiesenstraße,
Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt in der Fraunhoferstraße
Berliner Arbeiterkolonie in der Reinickendorferstraße,
Gewerkschaftshaus am Engelufer,
Hygiene-Museum der Kgl. Universität in der Hessischen Straße»
Kaffee- und Spcischalle (mit Gesellenheim) in der Schon-
hauserstraße,
Meierei Bolle in Alt-Moabit,
Säuglingsheim in der Kürassierstraße und Wöchnerinnenheim
in der Blumenstraße,
Wohlfahrtseinrichtungen in Charlottenburg (Arbeitergärten,
Volksbadeanstalt, Volkslesehalle, Waldschule),
Wohnhäuser des Vaterländischen Bauvereins in der Hussitenstr.
Mitteilungen. 471
Der Freitag Nachmittag bleibt frei. Für Sonnabend Nachmittag wird
ein Besuch der Heilstätte Waldfrieden bei Fürstenwalde (Spezialanstalt für
Alkoholkranke) in Aussicht genommen.
Bezüglich des nächsten in Würzburg stattfindenden Kongresses
fttp experimentelle Psychologie erlauben wir uns noch folgendes bekannt
zu geben:
Der Wohnungs-Ausschuß besteht aus den Herren Dr. Ament (San-
derglacisstraße 44) und Dr. Mayer (Amalienstraße 2). An diese Herren
bitten wir vorläufige Wünsche und Anfragen bez. der Wohnungsverhältnisse
zu richten. Während der Dauer des Kongresses wird im Hotel ,,Russischer
Hof* (Theaterstraße) ein Wohnungsbureau eingerichtet sein. Ein Empfang
am Bahnhof findet nicht statt.
Mitgliedskarten zu 10 Mk. und Hörerkarten zu 10 Mk. (für in Würz-
burg ansässige Kongreßteilnehmer um die Hälfte des Preises, für Mitglieder
der Gesellschaft für experimentelle Psychologie unentgeltlich) sind im
Wohnungsbureau in Empfang zu nehmen.
Ueber das Programm des Kongresses steht einstweilen folgendes fest:
Dienstag, den 17. April von 7 Uhr ab Begrüßungsabend im Russischen
Hof. — Mitwoch, den 18. Apiil von 9 — i Uhr vorm. imd von 4 — 8 Uhr
nachm. Sitzungen (in der Vormittagssitzung die Sammelreferate von Som-
mer und Weygandt). — Donnerstag, den 19. April von 9 — i Uhr
vorm. und von 4 — 8 Uhr nachm. Sitzungen (in der Vormittagssitzung die
Sammelreferate von K r u e g e r und Schumann). — Donnerstag von
V2 9 Uhr ab Festessen im Hotel zum Schwan (trock. Gedeck zu 3 Mk.).
— Freitag, den 20. April von 9 — i Uhr vorm. und von 4 — 8 Uhr nachm.
Sitzungen (in der Vormittagssitzung das Sammelreferat von K ü I p e). —
Samstag, den 21. April von 9 — i Uhr vorm. Sitzungen, — Samstag von
3 Uhr nachm. ab Ausflug nach Veitshöchheim. — Außerdem Mittwoch,
Donnerstag, Freitag, Samstag abends zwanglose Zusammenkünfte im Rus-
sischen Hof.
Mit der Abhaltung von Sammelrefcraten sind von der Gesellschaft für
experimentelle Psychologie betraut worden: i. Krueger: Beziehungen
der Phonetik zur Psychologie. 2. K ü 1 p e : Gegenwärtiger Stand der experi-
mentellen Aesthctik. 3. Schumann: Die Psychologie des Lesens.
4. Sommer: Individualpsychologie und Psychiatrie. 5. Weygandt:
Die psychologische Untersuchung der schwachsinnigen Kinder.
Ferner sind folgende Vorträge und Demonstrationen bisher ange-
meldet worden : Ach- Marburg : Experimentelle Untersuchungen über den
Willen. B ü h 1 e r - Würzburg : Experimentelle Analyse komplizierter Denk-
prozessc. Dürr- Würzburg : Willcnshandlung und Assoziation. Heller-
Wien: Ueber pathologische Gedächtnisleistungen. H u ghe s- Soden: Zur
Lehre von den einzelnen Affekten. L i p m a n n - Berlin : Ueber die Wir-
kung von Suggestivfragen. M a r b e - Frankfurt a. M. : Demonstration
einer Versuchseinrichtung für kurzdauernde optische Reize. Messer-
G i e s s e n : Experimentelle psychologische Untersuchungen über das
472 Mitteilungen.
Denken. Peters- Wien : Die Messung des Aufmerksamkeitsgrades.
Pfeiffer- Würzburg : Eine Methode zur Feststellung qualitativer Arbeits-
typen in der Schule. Schnitze- Würzburg : Ueber Wirkungsakzente.
Specht- Tübingen : Die Divergenz von Unterschiedsschwelle imd Reix-
scbwf Ue unter Alkohol. Stumpf- Berlin : Ueber psychologische Beob-
achtung. Veraguth- Leipzig : Ueber den galvanischen psychophysischen
Reflex. W i r t h - Leipzig : a) Ueber die Aufmcrksamkeits - Verteilung,
b) Ueber das Ansteigen der Sinneserregung. W i t a s e k - Graz : Metho-
disches zur Gedächtnismessung.
Ein Projektionsapparat (ohne epldiaskopischc Vorrichtung) steht den
Vortragenden zur Verfügung (Bildgröße 8 oder 8,5 zu 10 cm). Auch sonst
können für Demonstrationen bei rechtzeitiger Anmeldung Hilfsmittel ge-
währt werden. Einige Mechaniker beabsichtigen Apparate im Würzburger
psychologischen Institut auszustellen. Das endgültige Programm mit ge-
nauer Verteilung der Vorträge und Demonstrationen wird den Kongreß-
teilnehmern bei der Ankunft in Würzburg im Wohnungsbureau ausge-
händigt werden. Möglichst baldige Anmeldung auch derjenigen Teilnehmer,
die keine Vorträge und Demonstrationen ankündigen wollen, erbitten wir
bei Herrn Professor Dr. K ü 1 p e erfolgen zu lassen. Die noch fälligen
Beiträge der Mitglieder der Gesellschaft für exp. Psych, bitten wir an
Herrn Dr. A m e n t zu senden.
Das Lokalkomitee : Ament, Dürr, von Frey, Heß, Kreiß.
Kül[)e, Mayer, Roetteken, Weygandt.
fiongres» fQr Kinderforschung und JagendfUrsorge.
Unser Jahrhundert hat als Erbteil aus den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahr-
hunderts das erneute und vielseitig gepflegte Interesse für das Kind und seine Ent-
wicklung in gesunden und kranken Tagen übernommen. Wie in anderen
Kulturländern, so sind auch bei uns im deutschen Sprachgebiete vielver-
zweigte Bestrebungen auf zuverlässige wissenschaftliche Erforschung der
Natur des Kindes nach der leiblichen wie seelischen Seite gerichtet, sowohl
in seiner Einzelentwicklung als im Zusammenhange mit den Problemen der
sog. Völkerpsychologie. Allen diesen Bestrebungen fehlt indessen bis jetzt
eine gemeinsame Zentralstätte und den Vertretern dieser Forschung eine
Gelegenheit zu Unmittelbarem geistigen Austausch.
In gleichem Maße ist aber auch das Interesse gewachsen für die
großen praktischen Fragen der Erziehung des Kindes wie der gesamten
Jugendfürsorge, so daß sich die Pädagogik, die im 1-aufe des 19. Jahr-
hunderts je länger desto mehr zu einer bloßen Schulpädagogik oder gar
nur Schuldidaktik sich zu verengen drohte, wieder zu einer Erziehungs-
wissenschaft im großen Stil zu erheben strebt. Ihr dienen denn auch eine
Reihe aufblühender praktischer Organisationen für Jugendfürsorge in mannig-
fachem Sinne. Doch auch hier fehlt die Möglichkeit gegenseitiger Be-
rührung, Kenntnisnahme und Verbindung. Und weiter fehlt noch ganz und
gar die Brücke zwischen jenen forschenden und diesen fürsorgenden voIks-
X
474 Mitteüungtn.
Der vorbereitende Ausschuß und Vorstand : Dr. W. M ü n c h , Geh.
Regierungsrat u. Prof. a. d. Universität, BerUn W. 30, Luit-
poldstrasse 22, Vorsitzender. — J. Trüper, Direktor d. Er-
ziehungsheims auf Sophienhöhe bei Jena, steUvertretender Vor-
sitzender. — Dr. W. A m e n t , Privatgelehrter in Würzburg,
Sanderglacisstraße 44, Schriftführer.
Dr. A. Baginsky, Professor der Kinderheilkunde und Direktor des
Kaiserin Friedrich-Krankenhauses in Berlin. Pastor Dr. H e n n i g , Direktor
des Rauhen Hauses in Hom bei Hamburg. Geh. Med.-Rat Dr. Heubner,
Prof. der Kinderheilkunde imd Direktor der Universitäts-Kinderklinik in
Berlin. Dr. Chr. Klumker, Dir. d. Zentr. f. priv. Fürsorge in Frank-
furt a. M. Amtsgerichtsrat Dr. K ö h n e , Vormundschaftsrichter in Berlin.
Dr. E. Meumann, Prof. d. Pädagogik u. Psychologie a. d. Universität
in Königsberg. Dr. Petersen, Direktor des städt. Waisenhauses in
Hamburg. H. Piper, Erziehungsinspektor der Idiotenanstalt in Dalldorf.
Dr. W. Rein, Prof. der Pädagogik u. Direktor des pädagogischen Uni-
versitätsseminars in Jena. R ö h 1 , Volksschullehrer und Vorsitzender des
Ausschusses des deutschen Lehrervereins in Berlin. Dr. S i c k i n g e r ,
Stadtschulrat in Mannheim. Dr. Sommer, Prof. der Psychiatrie in Gießea
V a 1 1 e r , Direktor der Taubstummenanstalt in Frankfurt a. M. W i e d o w ,
Direktor der Blindenanstalt in Frankfurt a. M. Geh. Med.-Rat Dr. Th.
Ziehen, Prof. der Psychiatrie und Direktor der psychiatrischen Klinik
der Charit^ in Berlin.
Die „Centrale fflr private Fürsorge*' in Frankfurt a. M. veran-
staltet in diesem Jahre wieder einen Ausbildungskursus in der
Fürsorgearbeit. Zweck dieser Kurse ist, einer sachgemäßen Schulung
freiwilliger wie besoldeter Hilfskräfte in der Fürsorgearbeit zu dienen.
Organisation und Technik unserer modernen Fürsorgebestrebimgen bUden
deshalb den Hauptgegenstand der Kurse. Um eine umfassende Behandlung
des Stoffes zu ermöglichen, werden in alljährlich wechselnder Folge Einzel-
gebiete der Fürsorge ausgewählt. Dabei werden die wichtigsten Anstalten,
wie sie in Frankfurt und dessen Umgebung die sehr vielseitig entwickelte
gemeinnützige Tätigkeit bietet, besucht imd von den Leitern eingehend
erläutert. Im Anschluß daran werden einschlägige Fragen durch Vorträge
von Fachleuten behandelt imd auch mehrfach in mündlichen Besprechungen
erörtert. In diesem Jahre wird der Kursus über Kinderfürsorge
vom. 23. April bis 5. Mai sich nüt folgenden Fragen beschäft^en: 1. Säug-
lingsfürsorge : Säuglingssterblichkeit, Wöchnerinnenfürsorge, Ammenwesen,
Milchbeschaffung, Säuglingsheime und SäUigUngsberatungssteUen, Kost-
kinderwesen, Pflegestellenvernüttlung, (ärztliche und polizeiliche Aulsicht.
2. Vormundschaftswesen: Uneheliche Kinder: ihre Rechtsverhältnisse, Eixuel-
imd Berufsvormundschaft, Gemeindewaisenrat, Fürsorge und Aufsicht dss
Vormmidschaftsgerichts ; BerufsausbUdung imd Kriminalität. Elterliche Ge-
malt: Kecht des Kindes auf Erziehung, Einschränkung der Soi^e f^ 4ie
Person, Erziehungsverfahren nach dem B. G. B. roxi ^ry^ff^g^i'ftifflrbwi^
Hermann Waltlier Verlagsbuchhandlung G. ni. b. H.
Berlin \V. 30. Nollendorfplatz 7.
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Lehrerin für die 8d)ule ?
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