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Full text of "Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane"

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In  Gemeinschaft  mit 

j.  H.  Aubert,  S.  Exner,  H.  v.  Helmholtz, 

E.  Hering,  J.  v.  Kri'es,  Th.  Lipps,  G.  E.  Müller, 

W.  Preyer,  C.  Stumpf 

herausgegeben  von 

Herrn.  Ebbingliaiis  und  Arthur  König. 


Erster  Band. 


Hamburg  und  Leipzig, 
Verlag  von  Leopold  Vobb. 

1890. 


HARVARD  LWIVMWTY 

LraiiARY 

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Draok  der  VerUgsa&italt  und  Druckerei  Actien-Geielltchaft 
(Tomuai  J.  F.  Sichter}  in  Hunburg. 


Inhaltsverzeichnis. 


S«tt« 

Zur  Einführung  1 

Abhandlangen. 

H.  Y.  Helmholtz.    Die  Störung  der  Wahrnehinuiig  kleinster  Hellig- 
keitsunterschiede durch  das  Eigenlicht  der  Netzhaut 5 

E.  Hbbikg.    Beitrag  zur  Lehre  vom  Simultankontrast 18 

G.   Th.   Fechner.     Über    negative    Empfindungswerte.     Briefe    an 

W.   Peeyer;   herausgegeben   von   W.  Preteb   (Dezbr.  1873  — 

Febr.  1874) 29 

S.  EzNEB.    Das  Verschwinden  der  Nachbilder  bei  Augenbewegungen      47 
H.  AuBBRT.  Die  innerliche  Sprache  und  ihr  Verhalten  zu  den  Sinnes- 

wahmehmungen  und  Bewegungen 52 

Th.  Lifps.    Über  eine  falsche  Nachbildlokalisation 60 

F.  ScHtJHAKN.    Über  das  Gedächtnis  für  Komplexe  regelmäfsig  auf- 

einander folgender,  gleicher  Schalleindrücke 75 

K.  L.  ScHAEFER.     Über   die   Wahrnehmung  und  Lokalisation   von 

Schwebungen  und  Differenztönen   ^ 81 

H.  MüNSTEBBEBO.    Die  Association  successiver  Vorstellungen 99 

G.  Th.  Fbuhneb.      Über    negative    Empfindungs werte.      Briefe    an 

W.  Pbbyeb;    herausgegeben    von    W.    Prbyer   (März    1874  — 

Juli  1874) 108 

W.  Uhthoff.    Über  die  kleinsten  wahrnehmbaren  Gesichtswinkel  in 

den  verschiedenen  Teilen  des  Spektrums '  155 

A.  DöRiKO.    Die  ästhetischen  Gefühle 161 

J.  V.  Kries.    Über  das  Erkennen  der  Schallrichtung 235 

Th.  Lipps.    Zur  Psychologie  der  Kausalität 252 

K.  L.  Sohaefer.    Zur  interaurealen  Lokalisation  diotischer  Wahr- 
nehmungen   300 

R.  Wähle.    Zur  Psychologie  der  Frage 310 

H.  Ebbihghaüs.    Über  negative  Empfindungswerte.  L  u.  II 320 

C.  Stumpf.    Über  Vergleichungen  von  Tondistanzen   419 

H.  Ebbinghaus.  Über  negative  Empfindungs  werte.  III,  IV  u.  Nachtrag  463 
W.  V.  Bezold.    TJrteilstäuschungen  nach  Beseitigung  einseitiger  Hart- 
hörigkeit   486 

J.  V.  Kbies.    Nachtrag  zu  der  Abhandlung  ^^Über  das  Erkennen  der 

Schallrichtung"   488 


IV  IfihaU8ver9ekhm$. 


Litteraturbericht  und  Besprechimgen. 

I.  AUgemeines. 

Seite 

W.  pRETEK.  Die  Seele  des  Kindes.  Beobachtungen  über  die  geistige 

Entwickelung  des  Menseben  in  den  ersten  Lebensjahren 208 

J.  LuBBocK.  Die  Sinne  und  das  geistige  Leben  der  Tiere,  insbesondere 

der  Lisekten 506 

F.  Marbach.    Die  Psychologie  d.  Firm.  Lactantius 234 

A.  BiACH.    Aristoteles'  Lehre   von   der   sinnlichen  Erkenntnis  und 

ihre  Abhängigkeit  von  Plato 233 

M.  Verworn.    Psycho-physiologische  Protistenstudien 123 

II.  Anatomie  der  nervösen  Oentralorgane. 

H.  H.  DoNALDSON.  Anatomical  Observations  on  the  Brain  and  Sense- 
organs of  the  blind  deaf-mute,  Laura  Bridom an 503 

L.  Edikger.  Bericht  über  die  Leistungen  auf  dem  G-ebiete  der  Ana- 
tomie des  Centralnervensystems  im  Jahre  1889 496 

G.  Jeloerma.  Das  Gehirn  ohne  Balken.    Ein  Beitrag  zur  Windungs- 

theorie      122 

P.  K.R0NTHAL.  Histologisches  von  den  grofsen  Zellen  in  den  Vorder- 
hörnern       216 

J.  Gaule.  Zahl  und  Verteilung  der  markhaltigen  Fasern  im  Frosch- 
rückenmark       213 

H.  Schiller.  Sur  le  nombre  et  le  calibre  des  fibres  nerveuses  du 
nerf  oculomoteur  commun  chez  le  chat  nouveau-n^  et  chez  le 
chat  adulte 123 

A.  Delbrück.    Zur  Lehre   von  der  Kreuzung  der  Nervenfasern  im 

chiasma  nervorum  opticorum 216 

ni.  Physiologie  der  nerrösen  Oentralorgane. 

J.  Steiner.  Die  Funktionen  des  Centralnervensystems  der  wirbel- 
losen Tiere 121 

Rabl-Büokhard.    Sind  die  Ganglienzellen  amöboid?  Eine  Hypothese 

zur  Mechanik  psychischer  Vorgänge 216 

W.  Bechterew.  Über  Erscheinungen,  die  nach  Zerstörung  verschie- 
dener Teile  des  Nervensystems  bei  neugeborenen  Tieren  be- 
obachtet werden,  und  über  die  Entwickelung  der  Gehirn- 
funktionen bei  denselben 217 

J.  Gaule.    Physiologische  Demonstration 217 

A.  V.  KoRANYi.  Über  die  Folgen  der  Durchschneidung  des  Hirn- 
balkens       122 

H.  Matjdslet.    The  cerebral  cortex  and  its  work 507 


Inhaliavereeiehnü,  V 

IV.  Siimesempflndiuigen,  Allgemeines. 

Seite 

W.  Jerusalem.  Laura  Bridgman.  Erziehung  einer  Taubstumm-Blinden. 

Eine  psychologische  Studie 605 

M.  Radakoyi&.    Über  Fechners  Ableitungen   der   psychophysischen 

Mafsformel 128 

G,  Itelson.    Zur  Geschichte  des  psychophysischen  Problems 127 

H.  MüNSTERBERO.    Beiträge  zur  ezpenmentellen  Psychologie.    (Neue 

Grundlegung  der  Psychophysik.) 199 

V.  PhyBiologiflche  und  psychologisclie  Optik. 

£.  WiEDEMANN.    Zur  Geschichte  der  Lehre  vom  Sehen 609 

S.  P.  Lanoley  and  F.  W.  Very.    On  the  cheapest  form  of  Light  . .     510 
O.  Schwarz.    Über   die  Wirkung   des   konstanten   Stromes  auf  das 

normale  Auge 218 

W.  Uhthopp.  Weitere  Untersuchungen  über  die  Abhängigkeit  der 
Sehschärfe  von  der  Intensität,  sowie  von  der  Wellenlänge  im 
Spektrum 134 

A.  Schuster.    Experiments  with  Lord  Eayleigh's  colour-box 510 

L.  Clark.    Testing  for  Colour-Blindness 219 

£.  HcRiiro.    Eine  Methode  zur  Beobachtung  des  Simultan kontrast es    219 
Prosift.  Bemarques  sur  la  Sensation  du  relief  d^aprös  une  interessante 

illusion  d'optique 136 

O.  Satz.    Die  Augenheilkunde  des  Galenus 609 

Förster.    Über  Bindenblindheit 507 

J.  Hirscbberg.    Diabetische  Kurzsichtigkeit 510 

J.  LoEB.  Der  Heliotropismus  der  Tiere  und  seine  Übereinstimmung 

mit  dem  Heliotropismus  der  Pflanzen 125 

J.  LoEB  und  Th.  T.  Groom.    Der  Heliotropismus   der  Nauplien  von 

Baianus  perforatus  und  die  periodischen  Tiefenwanderungen 

pelagischer  Tiere 220 

B.  DuBois.    Sur  la  perception  des  radiations  lumineuses  par  la  peau 

chez  les  Protzes  aveugles  des  grottes  de  la  Carniole 344 

—    Sur   le  möcanisme    des    fonctions  photodermatique  et  photo- 

gdnique  dans  le  siphon  du  Pholas  dactylus 344 

VI.  Physiologische  und  psychologische  Akustik. 

C.  Stumpf.    Tonpsychologie.  Bd.  II 345 

£.  Dreher.    Die  Physiologie  der  Tonkunst 222 

H.  Spencer.    The  Origin  of  Music 511 

J.  B.  Ewald.    Der  Acusticusstamm  ist  durch  Schall  erregbar 352 

A.  Charpektter.    Becherches   sur   Pintensitö   comparative    des  soiis 

d'apr^s  leur  tonalite 352 

A.  Eichhorn.    Die  Vokalsirene,  eine  neue  Methode  der  Nachahmung 

von  Vokalklängen 189 


VI  InhaUavereeichm», 

Seite 

L.  Hkrmank.    Über  das  Verhalten  der  Vokale  am  neuen  EoisoNsclien 

Phonographen 139 

H.  PipPiNG.    Zur  Klangfarbe  der  gesungenen  Vokale 353 

E.  König.    Über  Klänge  mit  ungleichförmigen  Wellen 137 

H.  Dennert.    Akustisch-physiologische  Untersuchungen  und  Studien, 

verwertet  für  die  praktische  Ohrenheilkunde 139 

R.  König.    Über  Stöfse  und  Stofstöne  zweier  in  demselben  Körper 

erregten  Schwingungsbewegungen 137 

W.  Prbter.    Über  Kombinationstöne 138 

0.  Lorenz.  Untersuchungen  über  die  Auffassung  von  Tondistanzen  140 
J.  B.  Ewald.    Über   motorische   Störungen   nach  Verletzungen  der 

Bogengänge 352 

J.  Habermann.    Über  die  Schwerhörigkeit  der  Kesselschmiede 221 

Vn.  Die  übrigen  speciflschen  SinneBempflndungen. 

a)  Muskel-  und  Gelenk-Empfindungen. 

A.  GoLDscHEiDBR.    Über  den  Muskelsinn  und  die  Theorie  der  Ataxie  145 

—  Untersuchungen  über  den  Muskelsinn 145 

BuHPF.     Sensibilitätsstörung  und  Ataxie 149 

P.  Lanolois   et   Ch.   Btchet.     De   la   sensibilite   musculaire    de   la 

respiration 223 

A.  GoLDSCHEiDER.    Über  die  Empfindlichkeit  der  Gelenkenden 356 

—  Ein  Bewegungsmesser  223 

b)  Geruch. 

B.  Katser.    Über  den  Weg  der  Atmungsluft  durch  die  Nase 222 

pROüHO.     Du  sens  de  l'odorat  chez  les  ötoiles  de  mer 356 

c)  Geschmack. 
Hj.  Öbrwall.    Untersuchungen  über  den  Geschmackssinn 141 

vm.  Baum-  und  Zeitwahrnehmung. 

M.  Falk.  Versuche  über  die  Baumschätzung  mit  Hilfe  von  Arm- 
bewegungen       357 

H.  MüNSTERBERO.  Beiträge  zur  experimentellen  Psychologie  (Zeitsinn, 
Schwankungen  der  Aufmerksamkeit,  Augenmafs,  Baumsinn 
des  Ohres) 129 

IX.  Bewufstsein  und  UnbewnTstes,    Aufinerksamkeit. 

J.  WoLFF.    Das  Bewufstsein  und  sein  Objekt 151 

A.  BiNET.    La  concurrence  des  6tats  psychologiques 150 

A.  PiLZECKSR.    Die  Lehre  von  der  sinnlichen  Aufmerksamkeit 223 

H.  MüNSTERBERO.    Siehe  Vm. 


InhdU$v§rMeichmt.  VII 

X.  Obung  und  Association. 

Salt« 

H.  HöFFDiKG.     Über  Wiedererkennen,   Association    und   psychische 

Aktivität 358.    511 

J.  Paneth.    Versuche  über  den  zeitlichen  Verlauf  des  Gedächtnis- 

büdes -224 

XI.  Vorstellnngen  und  Vorstellongskomplexe. 

G.  Ballet.    Die  innerliche  Sprache  und  die  verschiedenen  Formen 

der  Aphasie 150 

Xn.  Gefühle. 

A.  Mosso.    Die  Furcht 152 

Xm.  Bewegungen  und  Handlungen. 

A.  BiKET.    Becherches   sur   les   mouvements   chez   quelques  jeunes 

enfants 359 

A.  Maogiosa.    Über   die  Gesetze   der  Ermüdung.    Untersuchungen 

an  Muskeln  des  Menschen  187 

W.   T.   LoMBABD.     The    effect    of   fatigue    on  voluntary    muscular 

contractions  187 

A.  Mosso.    Über   die  Gesetze   der   Ermüdung.     Untersuchungen  an 

Muskeln  des  Menschen 187 

O.  Flügel.    Zur  Lehre  vom  Willen 360 

E.  Mendel.    Über  reflektorische  PupUlenstarre 224 

O.  Damsch.    Über  Pupillenunruhe  (Hippus)  bei  Erkrankungen   des 

Centralnervensystems 225 

XI7.  Neuro-  und  Psycliopatliologie. 

a)  Hypnotismus. 

E.  Mbkdbl.    Der  Hypnotismus 154 

MoRATCziK.  Das  hysterische  Gesichtsfeld  im  wachen  und  hypnotischen 

Zustande 220 

b)  Geisteskrankheiten. 

Th.  Güktz.   Die  Geisteskrankheiten.    Geschildert  für  gebildete  Laien  225 

F.  Scholz.    Handbuch  der  Irrenheilkunde 226 

Te.  Kibchhoff.   Grundrifs  einer  Geschichte  der  deutschen  Irrenpflege  230 

Th.  Methbbt.    Amentia,  die  Verwirrtheit 227 

A.  Spbengbb.  Mohammed  und  der  Koran.  Eine  psychologische  Studie    232 
P.  J.  Möbiüs.    J.  J.  Boüsbeaus  Krankheitsgeschichte 231 


YIII  Inhaltsverzeichnis. 

Eongrefsberlehte. 

Selto 

Congrfes  international  de  Psychologie  physiologique •  208 

Zehnter  internationaler  medizinischer  Kongrefs  zu  Berlin: 

I.  Sektion  für  Augenheilkunde 335 

II.        „          „    Ohrenheilkunde 340 

m.        „          „    Physiologie 489 

IV.        „           „    Neurologie  und  Psychiatrie 491 


Bibliographie. 

Die  psycho-physiologische  Litteratur  des  Jahres  1889 363 

Berichtigung 512 


Sachregister ^ 513 

Namenregister  517 


Zur  Einführung. 

Die  Psychologie  und  die  Physiologie  des  Nervensystems,  insbe- 
sondere der  Sinnesorgane,  haben  in  den  letzten  Jahrzehnten 
erheblichere  Bereicherungen  und  Umgestaltungen  erfahren  als 
vielleicht  je  zuvor.  Beide  sind  aufserdem  aus  fast  rein  theo- 
retischen Wissenschaften,  die  nur  den  engen  Kreis  der  Fach- 
genossen beschäftigten,  von  Bedeutung  auch  für  eine  grofse 
Anzahl  von  Wissensgebieten  geworden,  welche  in  das  praktische 
Leben  eingreifen,  und  daher  ist  die  Anzahl  derer,  welche  sich 
föi  ihre  Weiterentwicklung  und  ihre  Leistungen  interessieren, 
ja  berufsmäisig  interessieren  müssen,  in  stetem  Wachsen  be- 
griffen. 

Für  die  Psychologie  sind  die  raschen  Fortschritte  der  bio- 
logischen Wissenschaften  von  gröfstem  Einflufs  geworden.  Zu- 
nächst beschäftigt  mit  der  Erforschung  der  Lebensvorgänge, 
haben  Physiologen  und  Zoologen  auch  die  seelischen  Erschei- 
nungen, auf  welche  sie  allenthalben  stiefsen,  in  den  Kreis  ihrer 
Forschung  gezogen  und  die  Erkenntnis  derselben  in  schnellem 
Anlauf  erheblich  gefördert.  Hieraus  ist  der  Psychologie  reicher 
und  täglich  sich  mehrender  Gewinn  im  einzelnen  erwachsen; 
vor  allem  aber  ist  dadurch  in  der  ganzen  Art  ihrer  Behandlung 
ein  auf  ihrem  eigenen  Boden  bereits  vorbereiteter  Umschwung 
beschleunigt  worden.  Die  früher  weitaus  überwiegende,  ledig- 
lich  auf  logischen    Distinktionen   beruhende    und    äüfserlich- 

ZelUchrlft  fOi  Psychologie.  1 


2  Zur  Einführung. 

sohematische  Gruppierung  und  Ableitung  der  Erscheinungen 
ist  der  Untersuchung  kausaler  Verknüpfungen  und  der  Betrach- 
tung wirklicher  Entwickelung  gewichen.  Die  ersten  gelungenen 
Versuche  sind  gemacht,  die  psychischen  Phänomene  und  die 
Bedingungen  ihres  Auftretens  durch  Zählimg  und  Messung 
genau  festzustellen  imd  experimentell  zu  variieren.  Mit  einem 
Worte,  die  Erforschung  der  geistigen  Vorgänge  hat  begonnen, 
sich  zu  einer  so  weit  als  möglich  exakten  Wissenschaft  zu  ge- 
stalten. 

Die  Physiologie  der  Sinnesorgane  und  des  Nervensystems  im 
allgemeinen  verdankt  ihren  Ausbau  wesentlich  der  Vervollkomm- 
nung der  Forschungsmethoden  und  der  instrumenteUen  Hülfs- 
mittel.  Manche  Beobachtimgen  und  Messungen,  an  die  noch 
in  der  Mitte  dieses  Jahrhunderts  die  geübtesten  Forscher  kaum 
zu  denken  wagten,  gehören  jetzt  zu  der  täglichen  Praxis  der 
Laboratorien  oder  können  sogar  in  der  Krankenstube  ausgeführt 
werden.  Der  umfang  des  zugänglichen  Beobachtimgsmaterials 
ist  hierdurch  fast  ins  Unbegrenzte  gewachsen  und  dem  Fort- 
schritt der  Theorien  eine  breitere  und  zuverlässigere  Grundlage 
geschaffen  worden.  Dabei  aber  sind  zunehmend  auch  die  engen 
Beziehungen  dieser  Disciplinen  zur  Psychologie  ins  Licht  ge- 
treten. Die  Nervenphysiologie  verhält  sich  zu  ihr  nicht  nur 
gebend,  sondern  auch  empfangend ;  sie  ist,  indem  sie  sie  einer- 
seits vielfach  zu  fördern  vermag,  andererseits  wesentUch  auf 
sie  angewiesen.  Jene  Beschäftigung  mit  den  geistigen  Vor- 
gängen, zu  welcher  der  Physiologe  von  so  vielen  Punkten  aus 
geführt  wird,  beruht  nicht  auf  gelegentlichen  Übergriffen, 
sondern  auf  einer  inneren  Notwendigkeit,  auf  dem  Gebrauch 
«ines  unentbehrlichen   Hülfsmittels    seiner  eigenen  Forschung. 

Die  beiden  Gebiete  sind  sonach  von  beiden  Seiten  aus 
gleichsam  zu  einem  Ganzen  zusammengewachsen;  sie  fördern 
und  fordern  sich  gegenseitig  und  bilden  zwei  gleichberechtigte 
Glieder  einer  grofsen  Doppelwissenschaft.  Unbeschadet  aller 
der  Beziehungen,  die  sie  sonst  noch  haben,  können  sie  demnach 


Zur  Einfahrung.  3 

erfolgreich   auch  nur  loit    steter  ßücksicht  auf  diesen  Zusam- 
menhang betrieben  werden. 

Bisher  hat  den  zahkeichen  Arbeitern  auf  diesem  Doppel- 
gebiet kein  eigenes  Organ  zur  Verfügung  gestanden;  sie  pflegen 
daher  ihre  Itesultate  je  nach  ihren  sonstigen  Beziehungen  in 
physiologischen,  philosophischen,  physikalischen,  medizinischen 
und  anderen  Zeitschriften  niederzulegen.  Dadurch  wird  einmal 
mehr  als  zuträglich  das  Bewufstsein  zurückgehalten,  dafs  jede 
Beschäftigung  mit  diesen  Dingen  in  ein  einheitliches  imd  durch- 
weg zusammenhängendes  Ganzes  eingreift  und  dafs  sie,  um 
dieses  fördern  zu  können,  wiederum  von  einer  Kenntnis  des 
Ganzen  getragen  werden  mufs.  Aufserdem  aber  wird  durch 
jene  Zersplitterung  ein  Überbliok  über  die  Gesamtheit  der  ein- 
schlägigen Arbeiten  und  dadurch  das  weitere  Fortschreiten 
aufserordentUch  erschwert. 

Die  Zeitschrift  für  Psychologie  und  Physiologie  der  Sinnesorgatie 
will  versuchen,  diese  Lücke  auszufüllen.  Sie  toidmet  sich  au^- 
sckliefslich  der  Psychologie  und  der  dazu  gehörigen  Physiologie  des 
Nervensystems,  soweit  letztere  Beziehungen  zu  den  geistigen 
Vorgängen  besitzt,  namentlich  dem  am  meisten  ausgebauten 
Gebiet  der  Nervenphysiologie,  der  Physiologie  der  Sinnesorgane. 
Zur  näheren  Umgrenzung  ihres  Arbeitsgebietes  werden  die 
Namen  der  Männer  genügen,  welche  der  Redaktion  mit  grofser 
Bereitwilligkeit  ihre  thätige  Mitarbeit  und  Unterstützung  zu- 
gesichert haben.  Die  Aufgaben  und  Ziele  der  Zeitschrift  liegen 
in  eben  diesen  Namen  ausgeprägt:  sie  erstrebt  eine  Vereini- 
gung der  Personen  und  Anschauungen  zum  wissen- 
schaftlichen Dienst  an  einer  einheitlichen  grofsen 
Sache. 

Die  Verwirklichung  ihrer  Aufgabe  wird  die  Zeitschrift  in 
doppelter  Weise  zu  erreichen  suchen.  Zunächst  und  haupt- 
sächlich wird  sie  Originalbeiträge  bringen,  welche  innerhalb 
des  ihr  eigentümlichen  Gebiets  eine  thatsächliche  Erweiterung 


4  Zur  Einführung. 

unseres  Wissens  enthalten.  Sodann  wird  sie  in  möglichster 
Vollständigkeit  und  möglichster  Treue  Bericht  geben  von  allen 
einschlägigen  litterarilschen  Erscheinungen,  sowohl  von  den 
selbständigen  Publikationen,  wie  von  den  in  Zeitschriften  und 
Sammelwerken  enthaltenen  Abhandlungen.  Es  soU  hierdurch 
denjenigen,  die  nur  auf  einem  beschränkten  Teile  des  gesamten 
Gebietes  thätig  sein  können,  sowie  denen,  die  in  der  Praxis 
z.  B.  des  ärztlichen  Berufes  oder  der  Lehrthätigkeit  stehen, 
Gelegenheit  gegeben  werden,  sich  über  den  Fortgang  der  theo- 
retischen Arbeit  im  Zusammenhang  des  Ganzen  auf  dem  Lau- 
fenden zu  erhalten.  Im  Hinblick  hierauf  werden  für  die  Um- 
grenzung der  in  den  Beferaten  zu  berücksichtigenden  Gebiete 
etwas  weitere  Gesichtspunkte  mafsgebend  sein,  indem  auch  das 
Wichtigere  aus  den  blofs  benachbarten  Disciplinen  Erwähnung 
und  Besprechung  finden  wird. 


Die  Störung  der  Wahrnehmung  kleinster  Helligkeits- 
unterschiede durch  das  Eigenlicht  der  Netzhaut. 

Von 

H.  VON  Helmholtz. 

Es  ist  seit  lange  bekannt,  dals  Fbghnbb's  Gesetz,  wonach 
die  kleinsten  nnterscheidbaren  Helligkeitsunterschiede  der  ganzen 
Helligkeit  proportional  sein  sollen,  allerdings  in  einer  sehr 
weiten  Ausdehnung  für  die  mittleren  Abstufungen  der  Hellig- 
keit gilt,  aber  die  Empfindlichkeit  des  Auges  sowohl  für  höchste 
Lichtintensitäten,  wie  auch  für  niedrigste  sich  geringer  erweist, 
als  sie  nach  dem  genannten  Gesetze  sein  sollte.  Wenn  sehr 
starkes  Licht  in  das  Auge  fäUt,  wissen  wir,  dafs  dabei  objectiv 
erkennbare  und  langsam  schwindende  Veränderungen  in  der 
Netzhaut  entstehen,  die  für  einige  Zeit  die  Empfindungsstärke 
der  getroffenen  Netzhautstelle  herabsetzen,  und  dürfen  wohl 
darin  den  Grund  für  die  gleichzeitige  Herabsetzung  der  ünter- 
schiedsempfindlichkeit  für  Helligkeiten  suchen.  Für  die  niedrig- 
sten Helligkeiten  hat  schon  Fechkeb  selbst  die  Yermuthung  aus- 
gesprochen, dafs  die  Störung  des  Gesetzes  durch  die  subjective 
Lichtempfindung  der  Netzhaut,  das  sogenannte  Eigenlicht 
derselben  bedingt  sei,  und  Yolkmann  hat  darauf  eine  Methode 
gegründet,  durch  die  er  .die  Stärke  des  Eigenlichts  messen 
woUte.  Er  hat  dabei  aber  einen  auffallend  niedrigen  Werth 
gefunden,  nämlich  den  der  Helligkeit  einer  Fläche  von  schwarzem 
Sammt,  die  aus  9  Fufs  Entfernung  durch  eine  Stearinkerze 
beleuchtet  ist.  Dafs  dieser  Werth  viel  zu  gering  sei,  ergab 
sich  schon  aus  der  Thatsache,  dafs  auch  im  dunkelsten  Felde 
ein  langsam  eintretender,  im  Sehnerven  abwärts  fliefsender 
elektrischer  Strom   immer   noch   eine  recht  merkliche,  gleich- 


6  H.  van  Helmholtz, 

mäfsige  Verdunkelung  hervorbringt,  so  wie  auch  daraus,  dafs 
die  Flecken  des  Eigenlichts  auf  schwach  beleuchteten  Objecten, 
die  man  noch  deutlich  erkennen  kann,  und  die  viel  heller  sind 
als  jene  schwarze  Sanuntfläche,  ganz  deutlich  hervortreten. 

Neuerdings  haben  nun  die  sehr  sorgfältig  und  zweckmäfsig 
durchgeführten  Versuche  der  Hm.  A.  König  und  E.  Brodhun* 
über  die  Unterschiedsempfindlichkeit  für  die  Helligkeit  von 
Spectralfarben  sowie  von  dem  unzerlegten  Licht  eines  weifs 
glühenden  Zirkonplättchens  gezeigt,  dafs  auch  der  Gang  der 
Curve  der  Empfindlichkeit  deutlich  und  sicher  abweicht  von  dem, 
der  aus  Fechner's  und  Volkmann 's  Hypothese  sich  ergiebt,  wenn 
man  unter  der  Voraussetzung  einer  gleichmäfsigen  Stärke  des. 
Eigenlichts  rechnet.  Nun  ist  aber  in  Wahrheit  das  Eigenlicht  nicht 
gleichmäfsig  über  den  Q-rund  der  Netzhaut  verbreitet,  sondern 
wir  sehen  es  stets  unregelmäfsig  fleckig ;  die  Flecken  sind  theils 
grofs,  theils  ganz  feinkörnig  und  einem  fortdauernden  Wechsel 
ihrer  G-estalt  unterworfen.  Ja,  was  man  von  dieser  inneren 
Erregung  der  Netzhaut  unter  gewöhnlichen  Umständen  bei 
schwacher  äufserer  Beleuchtung  überhaupt  wahrnimmt,  sind 
wohl  nur  die  localen  Unterschiede  der  Helligkeit  in  den  Flecken, 
während  man  nur  ausnahmsweise  Gelegenheit  hat,  die  mittlere 
Helligkeit  des  Grundes  durch  Vergleichung  mit  noch  dimkleren 
Feldern  abzuschätzen.  Die  einzigen  Mittel  solcher  Art  sind 
negative  Nachbilder,  deren  Deutung  aber  bestritten  wird,  und 
die  schon  erwähnte  Anwendung  des  absteigenden  elektrischen 
Stroms. 

Dafs  die  Fleckigkeit  des  Eigenlichts  wirklich  das  Haupt- 
hindemifs  für  die  Wahrnehmung  sehr  schwach  beleuchteter, 
namentlich  kleinerer  Objecto  bildet,  indem  dieselben  zwischen 
den  Flecken  des  Eigenlichts  verschwinden  und  mit  solchen 
verwechselt  werden,  ist  bei  vielen  Gelegenheiten  zu  erkennen, 
und  ich  möchte  hier  einige  Erscheinungen  beschreiben,  die 
mich  lange  Zeit  geneckt  haben,  bis  ich  ihre  richtige  Erklä- 
rung fand. 

Mein  Schlafzimmer  ist  durch  dichte  Vorhänge  ziemhch 
stark  verdunkelt,  doch  nicht  so  sehr,  dafs  ich  nicht  um  die 
Zeit  des  Sonnenaufgangs  anfangen  sollte,  die  Umrisse  der  Fenster 


*  A.  Kövia  u.  E.  Brodhü^t:   Sitzher.  d.  Akad.   zu  Berlin  vom  26.  Juli 
1888  und  27.  Juni  1889. 


Bit  Störung  der  Wahmehtnung  kkinster  Helligkeitsunterschiede.  7 

hinter  den  Vorhängen  und  die  gröfseren  Gegenstände  im  Zimmer 
zu  unterscheiden.  In  der  Nacht  dagegen,  selbst  wenn  drauTsen 
der  Sternhimmel  hell  ist,  oder  der  Mond  an  der  abgewendeten 
Seite  des  Hauses  am  Himmel  steht,  sehe  ich  durchaus  nichts 
von  den  umrissen  der  Fenster,  die  hierbei  doch  diejenige 
Fläche  bilden,  von  welcher  alles  Licht  herkommen  müTste, 
wenn  wahrnehmbares  Licht  im  Zimmer  wäre.  Natürlich  sehe 
ich  auch  nichts  von  den  Gegenständen  im  Zimmer,  sondern 
nur  die  «Flecken  meines  Eigenlichts.  Nun  habe  ich  aber  seit 
einiger  Zeit  bemerkt,  dafs  ich,  wenn  ich  die  Arme  bewegte, 
die  Bewegung  der  sie  bedeckenden  weifsen  Hemdärmel  sehen 
konnte.  Da  nach  photometrischen  Gesetzen  jede  beleuchtete 
Fläche  weniger  hell  sein  muTs,  als  der  hellste  Theil  der  beleuch- 
tenden Fläche,  so  schien  es  mir  unmögUch,  dafs  ich  die  von  den 
Fenstervorhängen,  welche  selbst  unsichtbar  blieben,  her  be- 
leuchteten Hemdärmel  mittels  von  aufsen  kommenden  Lichts 
sollte  sehen  können,  und  ich  suchte  nach  anderen  Erklärungen. 

Ich  dachte  zuerst  an  Licht  von  Beibimgselektricität.  Aber 
alle  Versuche  durch  absichtliche  Reibung  der  Leinwand  mit  der 
Hand  oder  allerlei  andern  Körpern,  die  ich  in  der  Nähe  hatte, 
elektrisches  Leuchten  zu  erzeugen,  schlugen  fehl. 

Daneben  war  an  Phosphorescenz  zu  denken,  da  die  Lein- 
wand möglicherweise  Spuren  von  phosphorescirenden  Kalk- 
salzen enthalten  konnte  und  überhaupt  schwache  Spuren  von 
Fluorescenz,  die  doch  nur  eine  schnell  vorübergehende  Phosphor- 
escenz ist,  fast  an  allen  organischen  Stoffen  vorkommen,  wie 
ich  aus  firüheren  Versuchen  über  die  Sichtbarkeit  des  mtra- 
violett  wufste.  Das  Aussehen  der  Erscheinung  erinnerte  in  der 
That  sehr  an  Phosphorescenz. 

Andrerseits  waren  auch  die  älteren  Berichte  von  mehreren 
zuverlässigen  Beobachtern  zu  bedenken,  welche  lebhaft  vorge- 
stellte Objekte  im  Gesichtsfelde  gesehen  zu  haben  versichern. 
Unmöglich  wäre  es  ja  nicht,  dafs  der  VorsteUungsprocefs  die 
inneren  Enden  unserer  Sinnesnerven  in  Erregung  setzte.  Eine 
sehr  unzweckmäfsige  und  bedenkliche  EigenthümUckeit  unserer 
Himthätigkeit  wäre  dies  allerdings,  wie  die  vielen  pathologischen 
FäUe  zeigen,  wo  dergleichen  vorzukommen  scheint. 

Ich  suchte  zwischen  beiden  Annahmen  zu  entscheiden 
indem  ich  die  Augen  schlofs,  und  wieder  meine  Arme  bewegte. 
Wenn  die  Vorstellung   der  Bewegung   das   dazu   gehörige  Ge- 


8  H,  von  BehnhoUe. 

sichtsbild  hervorrufen  konnte,  mnfste  dies  auch  bei  geschlossenen 
Augen  geschehen  können,  und  ich  glaubte  in  der  That  zu- 
weilen die  bewegten  Arme  auch  durch  die  geschlossenen  Lider 
hindurchzusehen,  aber  sie  erschienen  viel  undeutlicher,  und  der 
Versuch  mifslang  sehr  oft,  während  ich  sie  bei  geöffiieten 
Lidern  unzweifelhaft  bemerkte. 

Wie  ich  hier  betreffs  dieser  Frage  über  Wirkung  der  Vor- 
stellung gleich  bemerken  will,  fand  ich  schlieislich,  dafs  unter 
absichtlich  fester  Fixirong  der  G^chtsUnie  die  Erscheinung 
bei  geschlossenen  Augen  nie  eintrat,  und  mir  ist  es  also  höchst 
wahrscheinlich  geblieben,  dals,  wenn  zufallig  um  die  Zeit  ein 
heller  Fleck  des  Eigenlichts  in  der  Mitte  der  Netzhaut  lag,  ich 
bei  dem  Versuch  die  Arme  zu  sehen,  mit  dem  Auge  dem  vor- 
gestellten Orte  derselben  folgte,  und  indem  mein  heller  Fleck 
mit  den  Augen  wanderte,  er  mir  den  Eindruck  der  bewegten 
hellen  Objecto  machte,  von  denen  ich  wufste,  dafs  sie  da 
waren  und  dafs  sie  in  übereiastimmender  Weise  sich  bewegten. 

Ich  mufs  allerdings  gestehen,  dafs,  wenn  man  gleichzeitig 
darauf  zu  achten  hat,  dafs  die  Lider  geschlossen  und  die 
Fixationsrichtung  festgehalten  wird,  die  Vorstellung  des  be- 
wegten Arms  nicht  so  ungestört  und  lebhaft  ausfallt,  als  wenn 
man  sich  ihr  ganz  hingiebt.  Das  kann  einen  Zweifel  auf  die 
von  mir  vorgetragene  Erklärung  der  Erscheinungen  bei  ge- 
schlossenen Augen  werfen. 

Endlich  aber  fand  ich,  dafs  ich  mit  meinen  Erklärungs- 
versuchen grofse  .Umwege  gemacht  hatte.  Denn  als  ich  nun 
die  Hand  in  Bichtung  der  Fenster  ausstreckte  und  dort  hin 
und  her  bewegte,  erkannte  ich  die  Hand  und  selbst  die  Finger 
als  dunkle  Schatten  viel  deutlicher,  als  nach  der  dunklen 
Seite  des  Zimmers  gewendet  den  Arm.  Ich  überzeugte  mich 
also,  dafs  eine  grofse  schwaches  Licht  aussendende  ruhende 
Fläche  vollkommen  unter  dem  Eigenlicht  der  Netzhaut  ver- 
schwinden kann,  während  sie  doch  genug  Licht  aussendet,  um 
von  ihr  beleuchtete  bewegte  Objecto  erkennbar  zumachen.  Dafs 
man  die  verhältnifsmäfsig  schnell  eintretenden  Wechsel  der 
Beleuchtimg,  welche  Körper  von  bekannter  Form  und  bekannter 
Art  der  Bewegung  in  dem  formlosen  Lichtchaos  des  dunklen 
Feldes  hervorbringen,  leichter  als  Bild  eines  Objects  interpretirt 
als  ruhende  helle  Flächen,  erklärt  sich  ohne  Schwierigkeit.  In 
d  er  That  haben  wir  es  hierbei  mit  verhältni&mäf sig  schnell  eintreten- 


Die  Störung  der  Wahrnehmung  läemster  HeUigkeitsunter schiede.  9 

den,  durch  einen  bewiifsten  Willensactveranlafsten  Erscheinungen 
zu  thtin,  die  dadurch  deutlich  von  dem  verhältnifsmäfsig  lang- 
sam und  ohne  bewirfst  gewordene  Veranlassung  eintretenden 
Wogen  und  Wallen  des  inneren  Lichtes  unterschieden  sind. 

Um  zu  zeigen,  dafs  in  der  That  die  Fleckigkeit  des  Eigen- 
lichts einen  ähnlichen  Gang  der  ünterschiedsempfindlichkeit 
hervorzubringen  geeignet  ist,  wie  er  in  den  Beobachtungen  der 
Hm.  König  und  Brodhun  sich  zeigt,  habe  ich  die  folgende 
Bechnung  angestellt,  welche  bei  dem  Mangel  ausreichender 
empirischer  Daten  nur  eben  den  Gang  der  Function  erläutern  soll. 

Versuch    einer   Theorie   des  Einflusses    der    fleckigen 

Vertheilung    des    Eigenlichts    der   Netzhaut    auf  die 

Gröfse   der  Unterschiedsschwellen. 

Es  sei  a  die  objective  Lichtstärke,  welche  nöthig  wäre, 
um  dieselbe  Stärke  der  Erregimg  in  einer  Stelle  der  Netzhaut 
hervorzubringen,  wie  sie  im  Eigenlicht  derselben  sich  zu  er- 
kennen giebt.  Da  das  letztere  fleckig  erscheint,  wird  a  auf 
verschiedenen  Stellen  der  Netzhaut  verschiedene  Werthe  haben 
müssen.  Der  Flächenraum  derjenigen  Stellen  dieser  Membran, 
deren  Eigenlicht  dem  Litervall  «  bis  («  +  da)  entspricht,  sei 
^.da,  worin  y>  im  allgemeinen  eine  Function  von  a  sein  wird. 

Wir  wollen  zunächst  Bezeichnungen  einführen  für  zwei 
Integrale.  Es  sei  a  der  höchste  vorkommende  Werth  von  a. 
Wir  setzen 


} 


A  ist  offenbar  der  Werth  des  Flächenstücks   der  Netzhaut,  auf 
welches  sich  unsere  Bechnung  bezieht.     Wir  setzen  ferner 


a 
^  .  ada  =  Ä  .  J \  1  a 


} 


Die  Gröfse  J  bezeichnet   hiemach  den   mittleren  Werth,    den 

die  Litensität  a  für  die  ganze  Ausdehnung  der  Fläche  Ä  hat. 

Die  Empfindungsstärke  dE  für  den  Helligkeitsunterschied 

dr  bei  der  objectiven  Lichtstärke  r  betrachten  wir  als  Summe 


10  S.  f>on  Heknholtz. 

aller  Einzelwirknngen,  die  den  einzelnen  Helligkeitsstufen  da 
entsprechen,  nnd  setzen  nach  Feohneb's  Gesetz 

dE^dr.  C"?^ \2 

um  diese  Integration  ansznführen,  föhren  wir  statt  a  eine  neue 
Variable  s  ein,  indem  wir  setzen 

Hier  bezeichnet  €  offenbar  die  Abweichung  der  einzelnen  Flecke 
vom  Mittelwerth  J. 

Da  a  von  o  bis  a  steigen  kann,  kann  e  von  ( — J)  bis 
{J-\-  ä)  steigen.  Indem  wir  diesen  Werth  von  a  in  die  Function  y 
einsetzen,  stellen  wir  diese  als  Function  von  €  dar. 

Wir  schreiben  dem  entsprechend  die  Gleichung  2) 

dE=dr  C''~        y*^"       J2a 


--r;^^^ } 


Da  die  Grenzen  der  Integration  immer   dieselben   bleiben, 
wollen  wir  sie  nicht  mehr  bezeichnen. 
Nun  ist  identisch 


+ 


«» 


J-\-r-\-s         Ji-r         (J+r)*     '    (J--|-r)«.(J'-f  r+«) 

was  leicht  zn  verificiren  ist.     Wenn   wir  dies  einsetzen  in  die 
Gleichnng  2a,  erhalten  wir: 

Das   erste  Integral  ist  dasselbe   wie    das  der   Gleichung  1 
und  hat  also  den  Werth  A.     Das  zweite  dagegen 

1^  .  €>  de  =  l  ^  ,  {a  —  e7).  da  =  0 

verschwindet. 

Der  ganze  Werth  von  dE  reducirt   sich  demnach   auf  fol- 
genden Ausdruck: 

,^        .     (?r       ,  dr  C  a>  ,€^  .de  \   ^ 
Ä.dr            dr      f  y  (« —  J)' .du 


Die  Störung  der  Wahmehmtmg  kleinster  Hdligkeitsunterschiede.         H 

Da  in  dem  letzteren  Integrale  aUe  Factoren  in  Nenner  und 
Zähler  nothwendig  positiv  sind,  so  ist  der  Werth  des  Integrals 
jedenfalls  positiv.  Dieser  zweite  Smnmand  im  Werthe  von 
dE  verschwindet  bei  grofsen  Werthen  von  r  gegen  den  ersten, 
welcher  dem  FEOHKER'schen  Gesetze  bei  gleichmäfsiger  Inten- 
sität J  des  Eigenlichts  entspricht.  Für  kleine  objective  Licht- 
stärken r  dagegen  vergröfsert  das  zweite  Glied  den  Werth  von 
dE  in  merklicher  Weise,  d.  h.  die  Wahrnehmung  des  Unter- 
schieds dr  wird  deutlicher,  als  sie  nach  dem  FECHNER'schen 
Gesetz  für  die  Intensität  des  EigenUchts  J  sein  sollte,  und  der 
Schwellenwerth  dr  kann  also  kleiner  gemacht  werden,  ohne 
ununterscheidbar  zu  werden. 

Das  in  (2  c)  noch  vorkommende  Integral  hat  dieselbe  Form 
wie  das  in  (2  a)  enthaltene,  mit  dem  einzigen  Unterschiede,  dafs 
die  zusammengesetztere  Function 

y  .  €*  .  d«  =  9)  {a  —  J)*  .  da 

unter  dem  Integralzeichen  an  Stelle  von  y> ,  ds  getreten  ist. 
Man  kann  das  neue  Intefiral  gerade  wie  das  frühere  behandeln, 
indem  man  setzt 

S  ^  '  {cc  —  e7)^ .  da  =  A2 

S  ^  '  {cc  —  jy  ,  a  .  da  =  A2  «Tj, 

worin  J,  wiederum  dem  Mittelwerth  der  Function  a  über  die 
ganze  Fläche  genommen,  aber  für  eine  andre  Vertheilung  der 
Werthe,  wie  sie  durch  y  (a — J)*  gegeben  ist,  bezeichnet.  Da- 
bei werden  die  mittleren  Werthe  einflufslos,  da  für  sie 

a  —  J=  0. 

So  erhält  man 

dE  = 

A.dr  A^dr  dr  C^,  (« — J^a — J^Y.  da 

J+7  +  (j+r)^  .  (J,  +r)  +  (/+  rY  (J,  +  r)U  ^+7 

Auch  das  neue  Integral  ist  nothwendig  positiv.  Man  kann 
so  weiter  gehen,  und  es  läfst  sich  auch  zeigen,  dafs  die  ent- 
stehende unendliche  !Beihe  convergent  sein  mufs  selbst  für 
kleine  Werthe  von  r.  Dafs  sie  für  gröfsere  Werthe  von  r 
schnell  convergiren  mufs,  ist  leicht  ersichtlich.  Da  die  Beihe 
der  verschiedenen  A  und  J  durch  lauter  positive  Integrale  ge- 
geben wird,  müssen  sie  auch  alle  positiv  sein. 


12  H,  van  HdmholU. 

Bei  Hern  bisher  gewonnenen  Material  von  Thatsaohen  wird 
es  genügen,  dafs  wir  uns  auf  die  ersten  zwei  GUeder  dieser 
Beihe  beschränken,  um  zu  zeigen,  in  welchem  Sinne  die  ge* 
machten  Annahmen  das  einfache  FECHNER'sche  Gesetz  verändern. 
Setzen  wir  also 

SO  ergiebt  dies 

dE       ^^  ^  '''■  LA  (/-l-  r)  (J,  +  r)  -f  ^J 


J'-l-r 


Fl 4i ^1 

J-\-r  A. 


\ 


Im  Nenner  des  zweiten  Gliedes,  welches  an  sich  schon  klein 
ist,  wird  sich  das  Glied  mit  r  im  Nenner  für  nicht  zu  kleine 
r  ebenfalls  vernachlässigen  lassen.     Dann  bleibt  nur  stehen 

är  .  J-\-r  A^ 


dE       "^  Ä  A{J^+r) 

Betrachten  wir  hierin  r  und  y  als  rechtwinkelige  Coordinaten,  so 
ist  dies  die  Gleichung  einer  Hyperbel,  deren  eine  Asymptote  der 
y  Axe  parallel  von  dieser  um  J^  nach  der  negativen  Seite  hin 
abstehend  verlaufen  würde.  In  Fig.  1  ist  diese  theoretische 
Curve  dargestellt.  O  ist  der  Anfangspunkt  der  Coordinaten, 
längs  der  horizontalen  Axe  OE  sind  die  Werthe  der  r  auf- 
getragen, senkrecht  dazu  die  Werthe  der  y,  welche  den  Unter- 
schiedsschwellen proportional  sind,  hier  aber  vergröfserten 
Maafsstab  haben,  um  die  Zeichnung  deutlicher  zu  halten.  AB 
und  CG  sind  die  beiden  Asymptoten  der  Hyperbel,  deren  über 
OB  liegendes  Stück  den  den  Beobachtungen  entsprechenden 
Theil  der  Curve  darstellen  würde.  Indessen  stellt  die  Hyperbel, 
wie  oben  bemerkt,  nur  eine  abgekürzte  Art  der  theoretischen 
Formel  dar.  In  der  That  würde  die  vollständigere  Formel 
eine  etwas  niedere  Führung  der  Curve  dicht  bei  0  bedingen, 
und    in    der  That   lassen    auch    die    Beobachtungen    eine  Ab- 


Die  Störung  der  Wahrnehmung  kleinster  HelUgheitsunter schiede.         13 

weichtuig  in  diesem  Sinne  erkennen.  Doch  ist  hier  in  dem  Ge- 
biete der  schwachen  Lichtstärken  die  Genauigkeit  der  Beob- 
achtungen wohl  kaum  zureichend,  um  noch  ein  weiteres  Glied 
der  Formel  zu  bestimmen.  Die  Versuche  mit  spectralem  Licht 
zeigen  auTserdem,  dafs  hier  Abweichungen  zwischen  den  ver- 
schiedenen Farben  bestehen,  und  wahrscheinlich  wird  auch 
das  Gesetz  durch  Mischung  verschiedener  Grundfarben  noch 
verwickelter. 

Die  Lage  der  Asymptote  AB  indessen  scheint  nach  den 
genannten  Beobachtern  für  alle  Farben  ziemlich  dieselbe  zu 
sein,  während   die  Lage   der  zweiten  Asymptote  und  der  Ab- 


C 


stand  des  Scheitels  der  Hyperbel  vom  Scheitelpunkt  der  Asymp- 
toten (d.  h.  Mittelpunkt  der  Hyperbel)  variiren  würden,  so 
weit  eben  die  Hyperbeln  überhaupt  einen  annähernden  Aus- 
druck für  den  Gang  der  Function  zu  geben  vermögen. 

Ich  gebe  hier  noch  in  Fig.  2  die  nach  den  Beobachtungen 
von  den  genannten  Beobachtern  construirten  Curvenformen 
für  das  spectrale  Both  (Wellenlänge  670  /i*/i*),  wobei  die  Ordi- 
naten  im  zehnfachen  Mafsstabe  der  Abscissen  aufgetragen  sind. 
Die  Curve  E  gilt  fär  das  trichromatische  Auge  des  Herrn 
A.  König,  B  für  das  dichromatische  Auge  des  Hm.  £.  Brodhun. 
Die  Punkte  und  kleinen  Kreise  entsprechen  den  wirklich  aus- 
geführten Beobachtungen.  Die  Ähnlichkeit  mit  hyperbolischen 
Bögen  ist  augenfällig,  namentlich  in  der  Curve  B.    Aber  man 


14 


H.  von  HelmhdUz. 


würde  geneigt  sein  die  zweite  Asymptote  der  Corve  nicht  ge- 
rade abwärts,  sondern  schräg  geneigt  zu  ziehen. 

Abweichend  von  der  Deutung,  welche  die  genannten  Be- 
obachter ihren  Curven  gegeben  haben,  würde  nach  den  unsrer 
Formel  zu  Grunde  gelegten  Voraussetzungen  die  mittlere  Stärke 
des  Eigenlichts  der  Strecke  AO  (Fig.  1)  entsprechen,  welche 
nach  der  Bechnimg  gegen  50  der  photometrischen  Einheiten 
betragen  würde,  nach  denen  die  Beobachter  gerechnet  haben. 
Dafs  die  Strecke,  welche  sie  als  Stärke  des  Eigenlichts  deuten, 


Flg,  2. 


0.71- 


verhältnifsmäfsig  zu  klein  ist,  selbst  im  Vergleich  zu  den  Flecken 
des  Eigenlichts,  ist  für  meine  Augen  unzweifelhaft.  Es  wäre 
noch  erst  zu  ermitteln,  ob  etwa  das  {Lebensalter  hierin  grofse 
Verschiedenheiten  bedingt.  Ich  selbst  kann  keinen  gröfseren 
Einflufs  des  Lichtstaubs  auf  meine  ^Sehschärfe  erkennen,  als 
ich  seit  jeher  gekannt  habe. 

Abweichungen  für  hohe  Lichtstärken. 

Die  Abweichungen  von  Fechner's  Gesetz ,  die  fürj '  hohe 
Werthe  der  Lichtstärke  r  entstehen,  können  wir  in  der  Formel 
ausdrücken,    indem   wir    dem    ersten    und    gröfsten  Gliede   der 


Die  Störung  der  Wahrnehmung  kleinster  Helligkeitsunterschiede.         15 

Oleichang  (2f )  noch  einen  mit  r  steigenden  Factor  im  Nenner 
hinzusetzen,  wie  ich  dies  schon  in  der  ersten  Ausgabe  meiner 
Physiologischen  Optik  gethan.     Setzen  wir  also: 

,_     •          A  .dr  ,  J.« .  Jg  .  dr  « 

dE=-;-zr-i — m T  + 


(J+r)(l  +  .r)     •    (/+r)MJ2+r) 

Darin  soll  €  eine  verhältniTsmärsig  kleine  Gröfse  sein, 
welche  für  alle  Farben,  gleichen  Werth  zu  haben  scheint,  so 
weit  bisher  die  messenden  Beobachtungen  reichen.  Da  die 
letzteren  nur  für  die  schwächeren  Grade  der  Blendung  ausführ- 
bar sind,  indem  bei  höheren  Graden  der  Zustand  des  Auges 
zu  schnell  sich  ändert,  so  läfst  sich  in  der  mathematischen 
Formuürung  höchstens  ein  Correctionsglied  angeben,  was  die 
kleinen  Correctionen  der  Beobachtungen  einigermafsen  richtig 
darstellt. 

Ich  gebe  in  der  folgenden  Tabelle  einen  Vergleich  der  Er- 
gebnisse dieser  Formel  mit  den  auf  spectrales  Koth  bezüglichen 
Beobachtungen  von  Hrn.  A.  König.  ^  Als  Einheit  der  Licht- 
stärke ist  hierbei  diejenige  gebraucht,  in  der  eine  mit  Mag- 
nesiumoxyd  über  einer  Magnesiumflamme  überzogene  Fläche 
erscheint,  die  in  einem  Abstände  von  1  m  von  einem  Zehntel 
Quadratcentimeter  schmelzenden  Piatinas  bestrahlt  wird  ("W.  Sie- 
mens' Platinlampe),  wenn  der  Beobachter  dabei,  um  den  Ein- 
flufs  des  Wechsels  der  Pupülenweite  zu  beseitigen,  durch  ein 
Diaphragma  von  1  Quadratmillimeter  ÖflEhung  bUckt.  Bei  der 
Bechnung  ist  -4=60,8825  der  Einheiten  der  Lichtstärke  r  ge- 
setzt, J=74,3933,  J^=2b.   A2=2,51i9.    A  und  -=150000.    Um 

ein  Maafs  für  die  relative  Präcision  der  Beobachtungen  zu 
geben,  die  bei  Bestimmungen  der  kleinsten  wahrnehmbaren 
Unterschiede  sich  nie  sehr  weit  treiben  läfst,  habe  ich  in  der 
vorletzten  Columne  für  die  gröfseren  Lichtstärken,  bei  denen 
die  verschiedenen  Farben  nach  dem  Urtheil  der  beiden  Beob- 
achter keine  regelmäfsigen  Differenzen  der  Unterschiedsschwellen 
zeigen,  noch  die  Mittel  der  Werthe  für  die  sechs  durchgemessenen 
Spectralfarben  hingesetzt.  Die  unterste  Beihe  der  Tabelle  bezieht 
sich  auf  die  Beizschwelle.     Hier  ist  eine  gröfsere  Abweichung 


*■  A,  König  und  £.  Brodhuk:    Sitzungsher,  d.  Äkad.  zu   Berlin.    1888. 
26.  Juli.  S.  922. 


16 


H.  von  HehnholU. 


vorhanden;  aber  auch  die  Abweichung  der  darüber  stehenden 
Zahl  ist  vielleicht  nicht  zufallig,  sondern  durch  die  Vernach- 
lässigung der  kleineren  Glieder  unserer  Reihe  bedingt. 

Die  letzte  Columne  giebt  aus  den  nach  der  Formel  be- 
rechneten Werthen  das  Maafs  der  von  mir  als  ^  Klarheit^  defi- 
nirten  Gröfse.* 


Höhere 
Lichtstärke 

(r  +  dr) 

Unterschiedsschwelle  dr 

für  Both  von  der 

Wellenlänge  670  fi/i 

beobachtet      berechnet 

Mittelwerthe 
für  die  6 

beobachteten 

Spectral- 

färben 

Maafs 
der  Klarheit 

r 
dr 

200000 

7158,2 

8500 

27,94 

100000 

2684 

2830 

37,26 

50000 

1050 

1080 

1150 

46,30 

20000 

320 

370 

371,2 

54,05 

10000 

156 

176 

169,75 

57,14 

5000 

88 

85,4 

82,5 

58,55 

2000 

33 

33,8 

36,5 

59,17 

1000 

16,9 

17,6 

18,02 

56,82 

500 

10,1 

9,30 

9,57 

53,76 

200 

4,40 

4,36 

4,50 

45,87 

100 

2,92 

2,64 

2,59 

37,88 

50 

1,88 

1,69 

29,59 

20 

0,89 

0,98 

20,41 

10 

0,655 

0,656 

15,25 

5 

0,459 

0,457 

10,94 

2 

0,343 

0,316 

6,329 

1 

0,258 

0,255 

3,921 

0,5 

0,188 

0,240 

2,083 

0,06 

0,060 

0,217 

1,000 

In  der  leti 

zten  Colum 

ne  zei£:t  si< 

3h  das  Maxii 

cnum  der  K] 

heit  bei  der  Lichtstärke  2000,  aber  von  500  bis  20000  weicht 
es  höchstens  um  ein  Zehntel  von  diesem  Maximum  ab,  also 
innerhalb  eines  Gebiets,  dessen  obere  Grenze  die  untere  40  mal 
an  Lichtstärke  übertriffb. 


'  H.  y.  Helmholtz  :  Handbuch  der  Physiologischen  Optik,  U.  Aufl.  S.  394. 


Die  Störung  der  Wahrnehmung  kleinster  Helligkeitsunterschiede.         17 

Bei  dieser  Lage  des  Maximum  hat  das  mit  Ag  multiplicirte 
Glied  der  Formel  3  kaum  nocli  Einflufs,  und  man  kann  die 
Lage  des  Maximum  allein  aus  dem  ersten  Gliede  bestimmen. 
Nach  der  Definition  ergiebt  sich  der  Werth  der  Klarheit  K 


dr 
Ar 


{J  +  r){l  i  er) 


^  l—sJ  Ll+er         J+r] 


Um  das  Maximum  zu  bestimmen,  müssen  wir  den  Differential- 
quotienten von  K  nach  r  gleich  Null  setzen. 


dK 
0  = 


_      A     r     J €     1 

""   1  — «jL(J-fr)«        (l+«r)«J 


Dies  giebt  das  Maximum  für 


r 


V? 


Dieser  Bechnung  nach  würde  das  Maximum  der  oben  be- 
rechneten Belhebei  r=3022  liegen  und  den  Werth  59,50  haben. 
Der  "Werth  der  Empfindlichkeit  ist  hier  merklich  kleiner  als 
man  bei  anderen  Vergleichsmethoden  erreicht  zu  haben  glaubte, 
vielleicht  weil  die  Felder  nicht  sehr  grofs  waren. 


SSeitBchrift  fttr  riychologlc 


Beitrag  zur  Lehre  vom  Simultankontrast. 

Von 

Ewald  Hering, 

Professor  der  Physiologie  an  der  deutschen  Universität  in  Prag. 

Schon  in  meinen  ersten  Abhandlungen  „2ur  Lehre  vom 
lAchtsinn"'  habe  ich  den  Zusammenhang  dargelegt,  welcher 
zwischen  den  Erscheinungen  des  simultanen  und  denen  des 
successiven  Kontrastes,  bezw.  den  Nachbildern  besteht.  Es 
ging  daraus  hervor,  dafs  auch  der  Simultankontrast  auf  Vor- 
gangen  beruht,  welche  im  wesentlichen  in  jeder  Hälfte  des 
nervösen  Sehorganes  (im  weitesten  Sinne  dieses  Wortes  *)  unab- 
hängig von  der  andern  Hälfte  ablaufen,  wie  dies  für  den  suc- 
cessiven Kontrast  schon  längst  angenommen  war.  Im  folgen- 
den will  ich  eine  Thatsache  besprechen,  welche  dies  ebenfalls 
darthut  und  zeigt,  dafs  das  eigentlich  Bestimmende  für  die 
Erscheinung  des  Simultankontrastes  nicht  die  HeUigkeit  oder 
Farbe  ist,  welche  man  wirklich  wahrnimmt,  d.  h.  welche  eben 
ins  Bewufstsein  tritt,  sondern  lediglich  die  ^  durch  das  äufsre 
Licht  in  jeder  einzelnen  Hälfte  des  Sehorganes  bewirkten  phy- 
siologischen Vorgänge.  Obgleich  diese  Thatsachen  nur  weitere 
Belege  für  etwas,  wie  ich  meine,  bereits  zureichend  Bewiesenes 
liefern,  so  scheint  mir  doch  ihre  Mitteilung  nicht   überflüssig. 

Schon  vor  einigen  Jahren  teilte  mir  Herr  Professor  Bren- 
tano mit,  wie  er  einen  bis  dahin  beharrlichen  Anhänger  der 
psychologischen  Theorie  des  Simultankontrastes  dadurch  bekehrt 
habe,  dafs  er  in  ein  Stereoskop  einerseits  eine  kleine  graue 
Scheibe  auf  blauem  Grunde,  anderseits  ein  buntmarmoriertes 
Papier  einlegte,  welches  jedoch  kein  Blau  enthielt.     Als   dann 

^  Zur  Lehre  vom  Lichtsinn.   %  3.     Anmerkung. 


Beitrag  gur  Lehre  vom  SimultankonirasL  ]9 

der  Beobachter  beim  Blick  in  das  Stereoskop  in  der  Mitte  des 
marmorierten  Papieres  einen  gelben  Kreis  auftauchen  sah, 
ohne  dafs  er  doch  irgendwo  im  Gesichtsfelde  Blau  bemerkt 
hatte,  erklärte  er  sich  —  freilich  etwas  voreüig  —  far  be- 
kehrt. Etwas  voreilig  deshalb,  weil  er  nicht  an  die  mögliche 
Mitwirkung  des  Successivkontrastes  gedacht  hatte.  Herr  Pro- 
fessor Brbntano  hatte  also  gar  nicht  nötig,  den  Versuch  auch 
noch  mit  jenen  Kautelen  anstellen  zu  lassen,  durch  welche  er 
sich  selbst  von  der  Beweiskraft  des  Versuches  überzeugte.  Der 
anfängliche  Gegner  war  schon  ohnedies  bekehrt. 

Der  Vorfall  ist  auch  insofern  von  Interesse,  als  er  zeigt, 
wie  es  bisweilen  weniger  darauf  ankommt,  dem  Gegner  ganz 
einwurfsfreie  und  deshalb  meist  umständlichere  Versuche  vor- 
zuführen, als  vielmehr  solche,  welche  far  denselben  etwas 
subjektiv  Packendes  haben.  Ich  habe  dieselbe  Erfahrung  an 
Einem  gemacht,  der  zwar  das  Wesen  der  Streitfrage  über  den 
Simultankontrast  recht  wohl  kannte,  aber  eigne  eingehendere 
Beobachtungen  nicht  angestellt  hatte.  Als  ich  demselben  zu- 
nächst die  farbigen  Schatten  durch  alle  Töne  des  Farbenzirkels 
hindurch  derart  vorführte,  dafs  ihm  der  subjektiv  gefärbte 
Schatten  in  ebensoschön  gesättigter  Farbe  erschien,  wie  der 
objektiv  gefärbte,  ihn  aber  nicht  darauf  aufmerksam  machte, 
welcher  von  beiden  Schatten  der  subjektiv  gefärbte  sei,*  und 
als  er  nun  anfangs  gar  nicht  zu  entscheiden  vermochte,  welche 
Farbe  nur  subjektiv  und  welche  objektiv  vorhanden  sei,  machte 
dies  einen  so  nachhaltigen  Eindruck  auf  ihn,  dafs  er  von  einer 
psychologischen  Erklärung  der  farbigen  Schatten  überhaupt 
nichts  mehr  wissen  wollte  und  nun  diese  Erklärung  auch  dann 
noch  verwarf,  als  ich  ihm  den  Versuch  mit  völligem  Ausschlufs 
des  Successivkontrastes  zeigte,  obwohl  hierbei  die  Kontrastfarbe 
weniger  gesättigt  erscheint.  Der  umstand,  dafs  ihm  eine  ganze 
Seihe  „subjektiver^  Farben  genau  ebenso  schön  und  eindring- 
lich erschienen  waren,  wie  die  unmittelbar  daneben  befindlichen 
„objektiven",  veranlafste  ihn,  nun  für  aUe  subjektiven  Kontrast- 
farben, gleichviel,  ob  sie  mit  oder  ohne  Mitwirkung  des  Suc- 
cessivkontrastes entstehen,  eine  physiologische  Erklärung  ebenso 
wie  für  die  „objektiven**  Farben  zu  fordern. 


*  Dem  Kundigen  verrät  die  schwache  Färbung  des  weifsen  Grundes 
die  „objektive"  Farbe. 

2* 


20  EwM  Hering. 

Es  besteht  noch  immer  eine  aus  der  Auffassungsweise  der 
Laien  in  die  Wissenschaft  mit  hinübergenommene  Neigung,  die 
Scheidung  der  Phänomene  des  Gesichtsinns  in  sogenannte  ob- 
jektive und  subjektive,  nicht  blofs  —  und  zwar  berechtigter- 
weise —  in  Bezug  auf  ihre  Ursachen  vorzunehmen,  sondern 
auch  unberechtigterweise  in  betreff  des  eigentlichen  Wesens 
dieser  Phänomene  gelten  zu  lassen.  Daraus  entwickelt  sich  dann 
die  weitere  Neigung,  zwar  die  durch  äufseres  Licht  oder  andere 
nachweisbar  äuTsere  Iteize  herbeigeführten  Phänomene  auf  phy- 
siologische Änderungen  im  Sehorgane  zurückzufuhren,  für  soge- 
nannte subjektive  Phänomene  aber  zu  psychologischen  Erklä- 
rungen zu  greifen,  sobald  eine  physiologische  Erklärung  nicht 
nahe  liegt.  Dies  hat  um  so  leichter  dazu  geführt,  der  psycho- 
logischen Erklärung  gewisser  Kontrasterscheinungen  den  Weg 
zu  bahnen,  als  man  dieselben  meist  unter  minder  günstigen 
umständen  beobachtet  hat,  daher  sie  nicht  jene  Eindringlichkeit 
und  sinnliche  Frische  hatten,  welche  ihnen  unter  günstigen 
Bedingungen  zukommt. 

Wie  sehr  für  viele  die  Mannigfaltigkeit  der  Bedingungen, 
von  welchen  bei  den  üblichen  Methoden  ihrer  Erzeugung  die 
meisten  subjektiven  Phänomene  des  G-esichtsinns  abhängen,  den 
Iteiz  zu  eingehender  methodischer  Untersuchung  derselben 
abstumpft,  lehren  uns  keineswegs  nur  die  Erscheinungen  des 
Simultankontrastes,  sondern  auch  die  des  Successivkontrastes 
und  der  damit  zusammenhängenden  Phänomene.  So  ist  es  z.  B. 
bekannt,  daiä  ein  schwaches  Nachbild  bei  Bewegungen  des  offenen 
Auges  leicht  entweder  vorübergehend  oder  auf  die  Dauer  un- 
termerklich wird,  und  dafs  selbst  stärker  entwickelte  Nachbilder 
während  der  sprungweisen  Bewegung  des  Blicks  von  Punkt  zu 
Punkt  zu  verschwinden  scheinen,  um  erst  wiederzukommen,  so 
oft  der  Blick  anhält.  Obwohl  diese  Thatsache  mit  den  Be- 
wegungen des  Auges  an  sich,  sofern  dieselben  nicht  etwa  be- 
sonders gewaltsame  oder  excessive  sind,  gar  nichts  zu  thun 
hat,  konnte  sie  doch  dazu  führen,  dafs  ein  ganzes  grofses 
Thatsachengebiet,  das  für  die  Physiologie  des  G-esichtsinnes 
von  grofser  Bedeutung  ist  und  wichtige  Schlüsse  auf  die 
Vorgänge  in  der  nervösen  Substanz  des  Sehorganes  zu  ziehen 
gestattet,  der  weiteren  Forschung  gleichsam  verschlossen  wurde- 
Ich  meine  das  unter  gewissen  Umständen  ganz  gesetzmäfsige, 
längere  Zeit  hindurch  periodisch  wiederkehrende  Verschwinden 


Beitrag  zur  Lehre  vom  Simtdfankonfrasl,  21 

und  Wiedererscheinen  der  Nachbilder  und  den  Wechsel  soge- 
nannter positiver  und  negativer  Phasen  derselben.  Man  be- 
gnügte sich  einfach  damit,  kleine  unwillkürUche  Bewegungen 
des  Auges  oder  der  Lider,  bezw.  andre  Zufälhgkeiten  dafür 
verantwortlich  zu  machen,  wenn  ein  Nachbild  vorübergehend 
untermerklich  wurde.  Damit  war  die  Angelegenheit  für  die 
meisten  erledigt.  Und  doch  würde  eine  einzige  Beihe  syste- 
matisch variierter  Versuche  hingereicht  haben,  jeden  davon  zu 
überzeugen,  dafs  das  Verschwinden  und  Wiederauftauchen  der 
Nachbilder  im  eignen  Wesen  derselben  begründet  und  von  den 
Augenbewegungen  als  solchen  unabhängig  ist.  Man  versuche 
doch  nur,  ein  gut  entwickeltes  Nachbild  bei  geschlossenem  oder 
noch  besser  bei  offenem  Auge  im  dunklen  Baume  durch  Augen- 
bewegungen oder  Lidschläge  zum  Verschwinden  zu  bringen, 
oder  auch  nur  seine  Deutlichkeit  zu  beeinträchtigen!  Freilich 
kann  es  auch  unter  diesen  Umständen  vorübergehend  verschwin- 
den; aber  es  wird,  wenn  es  zweckmäfsig  erzeugt  war,  trotz 
den  Bewegungen  des  Auges  wiederkehren,  und  zwar  unter 
günstigen  Umständen  mit  grofser  Energie,  eventuell  sogar 
positiv  werden,  nochmals  verschwinden  und  wieder  erschei- 
nen  etc.  Wenn  man  freilich  ein  Nachbild  bei  offiiem  Auge 
beobachtet  und  durch  Bewegungen  des  Auges  nicht  nur  die 
Netzhautstelle  des  Nachbildes,  sondern  die  ganze  Netzhaut 
durch  fortwährend  wechselnde  Lichtreize  alteriert,  während 
überdies  die  Aufmerksamkeit  durch  die  Mannigfaltigkeit  des 
gleichzeitig  Sichtbaren  zersplittert  wird,  so  kann  es  nicht 
wunder  nehmen,  dafs  auch  die  Merklichkeit  des  Nachbildes 
darunter  leidet.  Wer  Nachbilder  auf  Papier-  oder  Sammtflächen 
etc.  beobachtet,  darf  nicht  vergessen,  dafs  auch  solche  Flächen 
noch  zahlreiche  unterscheidbare  Einzelheiten  darbieten  xmd  dafs 
sich  im  Umkreise  dieser  Flächen  noch  viele  andre,  die  Netzhaut 
erregende  Dinge  befinden.  In  dem  Mafse,  als  man  dafür  sorgt, 
dafs  die  Fläche,  auf  welcher  das  Nachbild  erscheint,  nichts 
Unterscheidbares  darbietet  und  dafs  sie  möglichst  ausgedehnt 
ist,  wird  auch  die  Wahrnehmung  des  Nachbildes  bei  Bewe- 
gungen des  Blicks  immer  weniger  gestört,  und  man  bemerkt 
es  während  des  ganzen  Verlaufes  der  Bewegung,  es  sei  denn, 
dafs  es  aus  anderer,  in  ihm  selbst  liegender  Ursache  bereits  im 
Verschwinden  begriffen  ist.  Am  besten  freilich  erkennt  man 
die  Unschädlichkeit    der   Bewegungen,    wenn    man    die    ganze 


22  Skoald  Hering. 

« 

Netzhaut   in    gleichmäfsig  diffuser  Weise    beleuchtet,    oder   in 
ganz  dunklem  Baume  beobachtet. 

Man  hat  es  auffällig  gefunden,  dafs  ein  Stückchen  schwarzen 
Sammtes,  das  man  auf  einer  schwarzen  Papierfläche  verschiebt, 
während  seiner  Bewegung  immer  sichtbar  bleibt,  ein  negatives 
Nachbild  aber,  das  man  sich  von  einem  Stückchen  weiTsen 
Papiers  auf  schwarzem  Grund  erzeugt  hat,  auf  dem  schwarzen 
Papiere  bei  Blickbewegungen  verschwindet,  auch  wenn  zwischen 
der  scheinbaren  Helligkeit  des  schwarzen  Papiers  und  der  des 
Nachbildes  ungefähr  derselbe  Helligkeitsunterschied  besteht, 
wie  zwischen  ersterem  und  dem  schwarzen  Sammt.  Wie  ver- 
schieden aber  sind  in  beiden  Fällen  die  Zustände  und  Vorgänge 
im  Sehorgan!  Wenn  wir  auf  einem  minder  dunklen  Grunde 
ein  Stück  schwarzen  Sammtes  bewegen,  so  verschiebt  sich  das 
Bild  desselben  auf  der  Netzhaut  immer  von  neuem,  und  immer 
von  neuem  führen  wir  es  mittels  der  Augenbewegung  gleich- 
sam ruckweise  auf  die  Netzhautmitte  zurück.  Das  Netzhaut- 
bild wird  also  auf  der  Netzhaut  mit  mehr  oder  minder 
kleinen  Exkursionen  hin-  und  hergeschoben.  Dals  nun  ein  so 
auf  der  Netzhaut  bewegtes,  überdies  mit  scharfen  Konturen 
sich  absetzendes  und  viele  unterscheidbare  Eigenheiten  (Fasern, 
Stäubchen  etc.)  enthaltendes  Bild  sich  stärker  ins  BewuTstsein 
drängt  und  die  Aufmerksamkeit  mehr  fesselt,  als  das  absolut 
ruhende  und  überdies  meist  verwaschen  umrissene  Nachbild, 
erklärt  sich  schon  aus  rein  physiologischen  Gründen  sehr  leicht. 
Wie  leicht  ein  schwaches  Nachbild  auf  ungleichartigen  Flächen 
untermerklich  wird,  selbst  wenn  der  Blick  feststeht  und  nicht 
die  oben  beschriebenen  Vorgänge  während  einer  Blickbewegung 
die  Netzhaut  alterieren  und  die  Aufmerksamkeit  abziehen,  habe 
ich  an  einem  andern  Orte  bereits  dargelegt.  Ich  finde  es  des- 
halb auch  unzulässig,  das  „Verschwinden"  der  Nachbilder 
während  der  Blickbewegungen  unter  den  genannten  Umständen 
daraus  erklären  zu  wollen,  „dafs  bei  Beurteilung  eines  Gesichts- 
eindruckes nicht  blofs  die  Beleuchtung,  sondern  auch  der  (durch 
die  Erzeugung  des  Nachbildes  veränderte)  Erregbarkeitszustand 
der  betreffenden  Netzhautpartie  mit  in  Betracht  gezogen  wird." 
Durch  Urteile  oder  Inbetrachtziehen  von  Erregbarkeitszuständen 
verschwinden  keine  Nachbilder,  gleichviel,  ob  man  das  Auge 
ruhig  hält  oder  bewegt.  Mit  demselben  Rechte  lielse  sich  auch 
das  Entstehen  eines  Nachbildes   psychologisch,   z.  B.   folgen- 


Beiirag  sur  Lehre  vom  Simultankontrast.  23 

derma/äen  erklären:  Hat  man  einige  Zeit  ein  weifses  Feld  auf 
schwarzem  G-mnde  fixiert  und  blickt  dann  auf  eine  gleiob- 
mäfsig  schwarze  Fläche,  so  vergleicht  man  unbewufst  die  von 
der  bezüglichen  Netzhaut  jetzt  empfundene  geringe  Helligkeit 
mit  der  gröfseren,  zuvor  von  ihr  empfundenen  und  „der  Erfolg 
dieser  Vergleichung  ist  nun,  daJb  der  Unterschied  der  ver- 
glichenen Farben  (oder  Helligkeiten)  zu  grofs  erscheint",  und 
dafs  wir  daher  den  bezüglichen  Teil  der  Fläche  für  dunkler 
nehmen  als  die  übrigen,  obwohl  er  in  Wirklichkeit  ebensohell 
empfunden  wird.  So  wäre  dieses  Nachbild  psychologisch 
erklärt  und  zwar,  wie  ich  meine,  mit  demselben  Hechte,  mit 
welchem  man  die  Thatsache  psychologisch  zu  erklären  pflegt, 
dafs  ein  grauer  Streifen  auf  weifsem  Grunde  dunkler,  auf 
schwarzem  heller  erscheint  als  auf  grauem  Q-runde.  Dies  soll 
ja  ebenfalls  auf  einer  Vergleichung  zweier  Helligkeiten  (des 
Streifens  und  des  Grundes)  beruhen,  bei  welcher  der  wirkliche 
Unterschied  der  Empfindungen  überschätzt  werde.  Auch  der 
im  folgenden  beschriebene  doppelseitige  Kontrastversuch  würde 
sich  psychologisch  erklären  lassen,  wenn  man  annehmen  wollte, 
dafs  dabei  für  jede  Hälfte  des  Sehorganes  ein  besonderes  falsches 
Urteil  gefallt  wird. 


Wenn  sich  auf  einem  gröfseren,  weifslich- violetten  Grunde 
ein  kleines  graues  Feld  von  passender  Helligkeit  befindet, 
so  eispheint  uns  dasselbe  bekanntUch  nicht  farblos,  sondern 
infolge  des  Kontrastes  mehr  oder  weniger  deutUch  mit  der 
Gegenfarbe  gefärbt,  also  grünlich -gelblich.  Ein  weifslich- 
violetter  Ghrund  läfst  sich  auch  durch  binokulare  Farbenmischung 
herstellen,  wenn  man  eine  z.  B.  nur  dem  linken  Auge  sichtbare 
rotweifse  Fläche  mit  einer  nur  dem  rechten  sichtbaren  blauweifsen 
Fläche  zur  binokularen  Deckung  bringt.  Ist  nun  auf  jeder  dieser 
beiden  Flächen  je  ein  kleines,  beiderseits  ganz  gleiches  graues 
Feld  derart  gelegen,  dafs  seine  beiden  Bilder  sich  ebenfalls 
binokular  decken,  so  sieht  man  wieder  ein  einfaches  grünlich- 
gelbliches Feld.  Nach  der  jetzt  üblichen  psychologischen  Theorie 
des  Simultankontrastes  wäre  hier  die  violette  Farbe  des  Grundes 
die  Ursache  der  ungefähr  komplementären  Färbung  des  objektiv 
grauen  Feldes.     Bringt   man    aber  die    beiden   kleinen   grauen 


24  Ewald  Hering. 

Felder  in  eine  solche  Lage,  dafs  sie  nicht  mehr  binokular  ver- 
schmolzen werden  können,  sondern  auf  dem  in  der  weifsKch- 
violetten  Mischfarbe  erscheinenden  Grunde  in  geringem  gegen- 
seitigen Abstände  nebeneinander  gesehen  werden,  so  ist  ihre 
Farbe  nicht,  wie  nach  jener  Theorie  wohl  erwartet  werden 
könnte,  grünlich-gelblich,  sondern  die  beiden  Felder  erscheinen 
sehr  auffallend  verschieden  gefärbt,  nämlich  das  linke  bläulich- 
grün,^  das  rechte  gelb,  und  zwar  bei  passender  Wahl  der  Farben 
des  Grundes  und  der  Helligkeit  der  grauen  Felder  sogar  gesät- 
tigter, als  die  Mischfarbe  des  Grundes :  Beweis,  dafs  hier  nicht  die 
Farbe  des  Grundes,  wie  man  sie  eben  sieht,  das  Bestimmende 
für  die  Art  der  Kontrastfarbe  ist,  sondern  die  Beschaffenheit 
jedes  der  beiden  Lichter,  von  denen  die  beiden  Augen  erregt 
werden.  Das  linke  Auge  empfangt  ein  gelblich-rotes  Licht, 
und  das  ihm  angehörige  Bild  des  kleinen  farblosen  Feldes  er- 
scheint deshalb  trotz  der  violetten  Farbe  des  Grundes  blaugrün, 
das  andre  Auge  empfängt  blaues  Licht,  und  das  ihm  zugehörige 
Bild  des  grauen  Feldes  erscheint  deshalb  gelb,  also  ebenfalls 
nicht  gelbgrün,  wie  es  das  Violett  des  Grundes  nach  der  psy- 
chologischen Theorie  erwarten  liefs.  Der  Versuch  hat,  zweck- 
mäfsig  angestellt,  ein  ganz  sicheres  und  eindringliches  Ergebnis, 
sofern  nur  irgend  die  binokulare  Mischung  des  Bot  und  Blau 
zu  Violett  zu  stände  kommt,  was  nicht  leicht  ausbleiben  kann, 
wenn  hinreichend  weifsliche  Farben  benutzt  werden.  Selbst- 
verständhoh  kann  man  statt  des  Bot  und  Blau  beliebige  andre 
Farbenpaare  (auch  komplementäre)  wählen. 

Die  folgende,  in  Fig.  1  schematisch  dargestellte  Anordnung 
des  Versuches  erwies  sich  mir  schliefslich  als  die  zweckmäfsigste, 
besonders  für  Anfanger :  Eine  rote  (B)  und  eine  blaue  (B)  Glas- 
tafel von  möglichst  grofser  Beinheit  und  ebenen  Oberflächen, 
deren  jede  um  eine  horizontale  Achse  drehbar  ist.  Werden  mittels 
eines  Trägers  in  solcher  Lage  über  einer  Tischfläche  gehalten, 
dafs  sie  gleich  den  beiden  Flächen  eines  Daches  nach  oben 
konvergieren,  ohne  sich  jedoch  mit  ihren  oberen  parallel  lie- 
genden Bändern  zu  berühren;    vielmehr   müssen    die   letzteren 


^  Angenommen  nämlich,  dafs  die  für  das  linke  Auge  gewählte  Farbe 
vom  Tone  des  spektralen  Bot  ist,  welches  nicht  rein  rot,  sondern  gelblich- 
rot  ist.  Die  Herstellung  rein  roter  Farben  ist  meist  umständlich,  während 
rote  Papiere  und  Gläser  vom  Tone  des  spektralen  Rot  sehr  gewöhn- 
lich sind. 


Beitrag  zur  Lehre  vom  Sinmltankontrast, 


25 


80  weit  voneinandjBr  abstehen,  dafs  die  Nase  des  Beobachters 
zwischen  ihnen  Platz  hat,  wenn  derselbe  das  annähernd  hori- 
zontal gehaltene  Gesicht  dicht  an  die  Gläser  bringt,  um  durch 
dieselben  auf  eine  unter  den  Gläsern  auf  dem  Tische  befind- 
liche ganz  ebene  und  gleichartige,  mattweiTse  Papier-  oder  matt- 
geschliffene Milchglasfläche  (W)  zu  blicken.  Auf  derselben 
liegt  parallel  und  symmetrisch  zur  Medianebene  des  Kopfes  ein 
schmaler  Streifen  (s)  von  schwarzem  Tuchpapier.  In  passender 
Höhe  über  dem  Streifen  befindet  sich  ein  kleiner  weifser,  von 
einem  Drahte  gehaltener  Knopf  (Ä).  Wird  derselbe  vom  Be- 
obachter fixiert,  so  erscheint  der  Streifen  in  gleichseitigen 
Doppelbildern    nach   links    und   rechts    von    der    Medianebene. 


K 


w. 


w 


W^  und  W^  sind  zwei  in  passender  Höhe  angebrachte,  grolise, 
ganz  ebene  und  gleichartige  mattweifse  Papier-  oder  Milchglas- 
flächen^  welche  um  je  eine  vertikale  Achse  drehbar  sind,  so  dafs 
ihnen  eine  verschiedene  Neigung  zur  Einfallsrichtung  des  durch 
ein  Fenster  kommenden  Himmelslichtes  gegeben  werden  kann. 
Jede  dieser  Flächen  spiegelt  sich  an  der  ihr  zugewandten 
Oberfläche  des  farbigen  Glases  und  sendet  daher  je  nach  ihrer 
Lage  mehr  oder  weniger  weifses  Licht  in  das  beztigliche  Auge. 
Dieses  weifse  Licht  mischt  sich  mit  dem  von  der  weüjsen 
Horizontalfläche  W  kommenden  und  beim  Durchtritte  durch  das 
farbige  Glas  rot,  bezw.  blau  gewordenen  Lichte.  Das  linke 
Auge  sieht  daher,  wenn  das  rechte  geschlossen  ist,  die  Fläche 
W  rötlich-weifs,  das  rechte  sieht  sie  bei  Schlufs  des  linken 
bläulich-weils.    Sind  beide  Augen  offen,  so  erscheint  die  Fläche 


26  Ewald  Hering. 

in  der  Mischfarbe,  nämlich  violett-weiTs  (hell  lila).  Da  die  bei- 
den Netzhautbilder  des  schwarzen  Streifens  (s)  nur  durch  ge- 
spiegeltes weifses  Licht  erzeugt  werden,  so  würden  sie  farblos 
erscheinen,  wenn  nicht  der  Kontrast  sie  färbte,  welcher,  wie 
gesagt,  das  linksseitige  Bild  des  Streifens  blaugrün  erscheinen 
läfst,  das  rechtsseitige  aber  gelb,  oder  wenn  die  Farbe  des 
blauen  Glases  ins  ßötiiche  spielt,  gelb  mit  leichtem  Stiche  ins 
Grüne. 

Man  regelt  nun  die  Neigung  der  farbigen  Gläser  und  die 
Lage  der  weiTsen  Fläche  W^  und  W^  so,  dafs  die  beiden  Kon- 
trastfarben der  Streifenbilder  möglichst  schön  gesättigt  hervor- 
treten, wobei  man  sich  aber  hüten  muls,  durch  allznsteile 
Lage  der  farbigen  Gläser  oder  durch  zu  starke  Zumischung 
weiTsen  Lichtes  die  Schärfe  des  Umrisses  der  beiden  Streifen- 
bilder zu  zerstören.  Hierauf  bedeckt  man  die  weifse  Horizontal- 
fläche samt  dem  schwarzen  Streifen  mit  einem  schwarzen  Tuch- 
papier und  beschäftigt  die  Augen  längere  Zeit  mit  farblosen 
Dingen.  Erst  jetzt  wird  zum  eigentlichen  Versuche  geschritten, 
indem  man  zuerst  bei  der  beschriebenen  Kopfhaltung  den 
weiTsen  Knopf  fixiert  und  dcmn  das  schwarze  Papier  wegzieht: 
sofort  erscheint  auch  jetzt,  wo  jeder  Successivkontrast  aus- 
geschlossen ist,  das  linke  Streifenbild  blaugrün,  das  rechte  gelb. 

Streng  genommen  spiegelt  bei  diesem  Versuche  jede  Glasplatte 
nicht  nur  weifses  Licht  ins  Auge,  sondern  auch  ein  klein  wenig  farbiges, 
welches  in  die  Platte  eingedrungen  imd  an  der  andern  Oberfläche  reflek- 
tiert ist.  Ebenso  ist  der  schwarze  Streifen  nicht  absolut  dunkel,  sondern 
sendet  ein  Minimum  von  Licht  durch  das  farbige  Glas  ins  Auge.  Aus 
doppelter  Ursache  ist  also  dem  weifsen  Licht,  welches  die  Streifenbilder 
entwirft,  eine  Spur  farbigen  Lichts  beigemischt.  Da  der  Streifen  aber 
trotzdem  in  der  Gegenfarbe  erscheint,  so  ist  der  Versuch  nur  um  so 
beweisender. 

Der  Geübtere  kann  nun  noch  folgenden  sehr  belehrenden 
Versuch  anstellen:  Er  fixiere  20 — 30''  lang  den  weifsen  Enopf 
und  schiebe  sodann,  während  er  fort  fixiert,  ein  schwarzes 
Blatt  über  die  weifse  Horizontalfläche  (TF)?  so  wird  er  links 
ein  rotes,  rechts  ein  blaues  Nachbüd  auf  einem  schwach  oliven- 
farbigen  Grunde  sehen. 

Wer  mit  den  Gesetzen  der  binokularen  Farbenmischung  noch 
nicht  genauer  vertraut  ist,  könnte  gegen  die  Beweiskraft  des  Ver- 
suches vielleicht  einwenden^  dafs  das  Bild  des  grauen  Feldes  im 
linken  Auge  hier  nur  deshalb  nicht  grüngelb,  sondern  blaugrün 


Beitrag  zur  Lehre  vom  Simultankontrast.  27 

erscheint,  weil  die  korrespondierende  Netzhautstelle  des  rechten 
Auges  blaues  Licht  empfangt,  daher  eine  binokulare  Mischung  der 
linksseitigen  grauen  mit  der  rechtsseitigen  blauen  Empfindung 
eintrete,  und  dafs  das  so  entstandene  Blaugrau  im  Kontrast  zu 
dem  umgebenden  Violett  des  Grundes  blaugrün  erscheine,  wie 
dies  bei  einem  binokular  gesehenen  blaugrauen  Felde  auf  vio* 
lettem  Grunde  vorkommen  könnte.  Ebenso  könnte  man  meinen, 
dafs  das  kleine  graue  Feld  des  rechten  Auges  deshalb  nicht 
grüngelb,  sondern  gelb  erscheine,  weil  eine  binokulare  Mischung 
der  grauen  Empfindung  des  rechten  mit  der  roten  des  linken 
stattgefunden  habe.  Es  läfst  sich  aber  sehr  leicht  experimentell 
darthun,  dafs  diese  Auffassung  irrig  wäre. 

Zu  diesem  Zwecke  ersetzt  man  zunächst  das  blaue  Glas 
durch  ein  dem  andern  Glase  ganz  gleiches  rotes  und  wieder- 
holt den  Versuch.  Man  sieht  dann  beide  Bilder  des  schwarzen 
Streifens  blaugrün.  SchHe&t  man  ein  Auge,  nachdem  man  die 
Streifen  eben  noch  deutlich  blaugrün  gesehen  hat,  so  ist  eine 
Änderung  an  dem  Streifenbilde  des  offnen  Auges  kaum  oder 
gar  nicht  zu  bemerken,  sofern  nur  die  Konturen  des  Streifen- 
bilds scharf  sind.  Das  Bot  auf  der  korrespondierenden  Stelle 
des  andern  Auges  kommt  also  hier  gar  nicht  zur  Geltung;  sonst 
müfste  ja,  wenn  beide  Augen  offen  sind,  jeder  Streifen  etwa  grau, 
und  nur  bei  Schlufs  des  einen  Auges  blaugrün  erscheinen.  Jedes 
Streifenbild  erscheint  aber,  wenn  beide  Augen  offen  sind,  kaum 
merklich  weniger  grün,  als  bei  Schlufs  des  einen  Auges.  Hat 
man  sich  so  überzeugt,  dafs  das  Bot  im  einen  Auge  nicht  im 
stände  ist,  das  an  der  korrespondierenden  Stelle  des  andern  Auges 
durch  Simultankontrast  entstandene  Grün  auszutilgen,  so  macht 
man  den  analogen  Versuch  mit  zwei  blauen  Gläsern,  um  sich 
ebenso  zu  überzeugen,  dafs  das  subjektive  Gelb  des  einen  Auges 
nicht  durch  das,  die  korrespondierende  Stelle  des  andern  Auges 
beleuchtende  blaue  Licht  vernichtet  werden  kann. 

Dies  aUes  ist  nach  den  Gesetzen  der  binokularen  Farben- 
mischung und  des  sogenannten  Überwiegens  der  Konturen  und 
kleiner  von  scharfen  Konturen  umgebener  Felder  nicht  anders 
zu  erwarten.  So  oft  ein  kleines,  sich  hinreichend  scharf  von 
andersfarbigem  Grunde  absetzendes  Feld,  das  nur  einem  Auge 
sichtbar  ist,  mit  einem  Teil  des  ganz  gleichmäfsigen  anders- 
farbigen Grundes,  der  sich  im  andern  Auge  abbildet,  zu  bino- 
kularer Deckung  gebracht  wird,    empfängt  es  von  der  Farbe 


28  Ewald  Hering. 

dieses  Grundes  entweder  gar  keine  merkliclie  oder  doch  nur 
eine  äufserst  geringfügige  Beimischung.  Je  kleiner  das  Feld 
ist,  je  schärfer  es  sich  von  seinem  Grunde  absetzt,  und  je 
gleichmäfsiger  die  entsprechende  Stelle  des  dem  andern  Auge 
sichtbaren  Grundes  ist,  desto  weniger  leidet  die  Farbe  des 
kleinen  Feldes.  Bei  längerer  Fixierung  kann  freilich,  wie  bekannt, 
vorübergehend  die  Farbe  des  dem  andern  Auge  erscheinenden 
Grundes  die  des  kleinen  Feldes  mehr  oder  weniger  vordrängen 
oder  vorübergehend  ganz  übertönen;  dies  kann  aber  unsem 
Versuch  nicht  beeinträchtigen,  weil  es  sich  bei  demselben  nur 
um  kurz  dauernde  Fixierungen  handeln  darf.  Denn  bei  an- 
haltendem Fixieren  verlischt  die  Kontrastfarbe  und  schliefslich 
überzieht  sich  das  kleine  Feld  sogar  mit  der  Farbe  des  Grundes 
(simultane  Farbeninduktion). 

Ich  habe  bei  Beschreibung  des  Versuches  keine  Rücksicht 
auf  den  sogenannten  binokularen- Kontrast  genommen,  weil  der- 
selbe hier  gar  nicht  ins  Gewicht  fallt.  ^ 

*  Ein  zur  Anstellung  des  Hauptversuchs  und  der  Kontroll  versuche 
zweckmäfsig  zusammengestellter  Apparat  ist  vom  TJniversitäts-Mechaniker 
B.  BoTHE  (Prag,  Deutsches  physiologisches  Institut)  zu  beziehen. 


tTber  negative  Empfinduiigswerte. 

Von 

Gustav  Theodor  Fbohnbr  (f  18S7). 

Briefliche  Mitteilungen 

an 

W.  Preyer. 

In  den  Jahren  1873  bis  1683  stand  ich  mit  dem  Begmnder 
der  Psychophysik  im  Briefwechsel,  Derselbe  behandelt  hauptsächlich 
einige  schwierige  Fragen  der  Myophysik,  der  Erkenntnistheorie  j  der 
Psychophysik,  Fechners  die  letztere  betreffende  Mitteilungen  zeigen 
zum  Teil  besser  als  seine  veröffentlichten  Schriften,  wie  er  die  Grund- 
lagen seiner  inneren  Psychophysik  zu  befestigen  wufste,  NamenÜich 
die  Diskussion  der  negativen  Empfindungswerte,  zu  welchen  seine 
psychophysische  Mafsformel  führte  hat  ein  aktuelles  Interesse,  daher 
ich  diese  hier  ohne  Kürzung  zusammenstelle.  Ich  habe  nur  einige 
Hinweise  unter  dem  Text  hinzugefügt,  W.  P, 

Leipzig,  d.  20.  Dez.  73. 

Es  hat  mich  natürlich  nur  sehr  freuen  können,  dafs  Sie 
(nach  p.  98)  in  den  Resultaten  Ihrer  myophysischen  Unter- 
suchung ^  zugleich  eine  Unterstützung  meiner  Ansicht,  dafs  die 
Empfindung  logarithmisch  von  der  Bewegung  im  Nervensysteme 
abhängt,  gefunden  haben,  indes  Mach  und  andere,  meines 
Erachtens  ohne  zulängUche  Grunde,  sie  vielmehr  einfach  pro- 
portional damit  setzen  wollen,  was  das  logarithmische  Verhältnis 
auf  die  Abhängigkeit  der  Nervenerregung  vom  Beize  überträgt. 
Hiermit  fiele  der  Begriff  der  Schwelle   für  die   innere  Psycho- 


^  Das  myophysische  Gesetz,  Von  V^«  Prster.  Jena,  1874  (ausgegeb.  1873). 


30  ö^.  Th.  Fechner. 

physik  ganz  weg,  und  würde  dieselbe  überhaupt  eine  ganz 
andere  Q-estalt  annehmen,  als  ich  ihr  in  den  Elementen  der 
Psychophysik  gegeben.  Die  üntriftigkeit  der  BERNSTBiNschen 
Hypothese  werde  ich  gelegentlich  nachweisen.^ 

Ihrerseits  gestehen  Sie  zu,  dafs  das  myophysische  Gesetz 
Grenzen  seiner  Gültigkeit  hat,  indem  nach  p.  93  die  Hubhöhe 
durch  fortgesetzte  Steigerung  des  Beizes  nicht  über  eine  ge- 
wisse Grenze  hinaus  zu  treiben  ist,  und  nach  p.  95  negative 
Hubhöhen,  auf  welche  das  Gesetz  führt,  wenn  der  Beiz  unter 
die  Schwelle  fallt,  nicht  vorkommen ;  wie  ich  meinerseits  Gren- 
zen der  Gültigkeit  des  psychophysischen  Gesetzes  in  der  äuGsern 
Psychophysik,  also  in  Bezug  auf  den  äufsem  Beiz  anzuerkennen 
habe.  In  betreff  der  obem  Grenze  der  Gültigkeit  bemerken 
Sie  (S.  93  unten  u.  ff.),  dafs  dieselbe  vielleicht  nur  scheinbar 
sein  könne,  oder  (S.  94)  nur  von  einer  Zerstörung  des  Gewebes 
bei  hohen  Beizwerten  abhängen  könne,  wofür  ich  eine  ent- 
sprechende Annahme  in  der  Psychophysik  für  die  obere  Grenze 
gestellt  habe;  und  jedenfalls  kommt  man  in  der  Myophysik 
wie  Psychophysik  mit  einer  solchen  Annahme  für  Erklärung 
der  obem  Grenze  aus,  da  sie  sich  nicht  durch  Beobachtung 
widerlegen,  freilich  auch  nicht  beweisen  läfst ;  hingegen  würde 
es  doch  für  beide  Lehren  unbequem  sein,  wenn  sich  darin  eine 
Diskontinuität  in  der  Gültigkeit  des  Gesetzes  beim  Schwellen- 
werte nach  rationaler  Auslegung  der  negativen  Werte  zeigen 
sollte.  Was  nun  die  Psychophysik  anlangt,  so  habeich 
die  negativen  Empfindungswerte  unter  der  Schwelle 
als  imaginäre  gedeutet,  weil  die  Mathematik  über- 
haupt in  Fällen,  wo  die  Verminderung  einer  Gröfse 
unter  einen  positiven  Wert  überhaupt  nicht  möglich 
ist,  negative  Werte  dieser  Gröfse  als  imaginäre  fafst, 
und  sonst  diese  Deutung  in  den  El.  d.  Ps,  (T.  11.  S.  39  ff.) 
durch  verschiedene  Betrachtungen  zu  rechtfertigen 
gesucht.  Inzwischen  finde  ich  in  einer  Anmerkung  von  Ihnen 
(S.  95)  bemerkt,  dafs  Dblboeuf  Schwierigkeit  in  der  Deutung 
deoT;  negativen  Empfindungswerte  gefunden,  und  muJGs  daher 
glauben,  dafs  ihni  meine  Erörterungen  über  diesen  Punkt  nicht 
gQjnügi  haben.  Da  ich  erst  durch  Ihre  Anmerkung  auf  seine 
Schrift  aufinerksam  geworden  bin,   habe  ich   sie  mir  erst  jetzt 


*•  Fechneb:  in  Sachen  der  Psycho^ysik,  1877.  S.  20,  138  ff. 


Über  negative  Empfindungswerte.  31 

Yersclireibeii  können,  und  mufs,   bis  ich   sie  erhalte,  seine  et- 
waigen  Einwände  gegen  meine  Deutung  dahin  stellen. 

Gesetzt  nun,  sie  liefse  sich  nach  den  von  mir  aufgestellten 
Gründen  doch  for  das  psychophysische  Gesetz  halten,  so  würde 
ireilich  der  Hauptgrund,  auf  dem  ich  dabei  fufse,  dafs  nämlich 
eine  reale  Abnahme  der  Empfindungsgröfse  unter  Null  nicht 
möglich  ist,  negative  Werte  dieser  Gröfse  also  nur  imaginäre 
bedeuten  können,  auf  die  Myophysik  nicht  direkt  übertragbar 
sein,  weil  ein  Muskel,  vom  Schwellenwerte  an,  sich  ebensogut 
seiner  Natur  nach  verlängern  als  verkürzen  kann.  Aber  sollte 
nicht  vieUeicht  die  Sache  so  zu  fassen  sein?  Gehen  wir  von  einem 
im  gewissen  Sinne  analogen  Fall  aus.  Ein  Körper  bewege 
sich  unter  dem  Einflüsse  einer  konstanten  schiebenden  E!raft 
auf  einer  Ebene  fort  oder  solle  mittelst  einer  solchen  fortge- 
schoben werden,  so  wird  schon  der  kleinstmögliche  Wert  dieser 
Kraft  hinreichen,  eine  Bewegung  daran  hervorzubringen,  indem 
die  Teilchen  desselben  von  denen  der  Ebene  aus,  auf  denen 
sie  unmittelbar  aufliegen,  gegen  die  nächsten  vorrücken  (ato- 
mistische  Diskontinuität  der  Teilchen  dabei  vorausgesetzt);  aber 
wenn  die  Kraft  nicht  grois  genug  ist,  werden  sie  durch  die 
elastische  Gegenwirkung  dieser  Teilchen  in  einem  gewissen 
Abstände  von  denselben  ins  Gleichgewicht  kommen,  ohne  über 
dieselben  hinausgeführt  werden  zu  können,  was  erst  von  einem 
gewissen  Werte  der  Kraft,  dem  Schwellenwerte  des  Schubes,  an 
der  Fall  sein  kann.  Sollte  nun  eine  Formel  konstruiert  werden, 
welche  die  Geschwindigkeit  des  Gleitens  auf  der  Ebene  in 
Abhängigkeit  von  der  schiebenden  Kraft  und  den  umständen, 
unter  denen  sie  wirkt,  angäbe,  so  dürfte  die  durch  den  Wider- 
stand aufgehobene  Geschwindigkeit  bei  Kraftwerten  unterhalb 
der  Schwelle  auch  nicht  mit  Null,  sondern  mit  negativen  Werten 
auszudrücken  sein,  um  durch  die  verschiedene  Gröfse  dieser 
Werte  die  verschiedene  Annäherung  derselben  an  positive 
Werte  der  Geschwindigkeit  bei  fortbestehendem  Gleichgewicht 
zu  repräsentieren,  was  anders  ist  sowohl  bei  einem  Körper, 
der  ohne  treibende  und  gegenwirkende  Kräfte  in  Buhe  ist,  als 
bei  einem  solchen,  der  (wie  eine  belastete  Wagschale  durch 
eine  andere  gleichbelastete  Wagschale)  durch  eine  gegenwirkende 
Kraft  in  Buhe  ist,  ohne  dafs  mit  der  veränderten  absoluten 
Qröfse  der  sich  aufwiegenden  Kräfte  eine  Annäherung  oder 
Entfernung  von  der  Entstehung  positiver  Werte  der  Geschwin- 


32  ö^-  Th'  Fechner. 

digkeit  stattfindet,  in  welchen  Fällen  der  Euhezustand  aller- 
dings als  Null  der  Q-eschwindigkeit  zu  bezeichnen.  Die  Über- 
tragung dieser  Betrachtung  auf  den  tetanisierten  Muskel  ist 
leicht.  Auch  bei  diesem  wird  erst  eine  gewisse  Kraftgröfse 
erreicht  und  überschritten  werden  müssen,  um  die  Teilchen 
zwischeneinander  und  durch-  und  übereinander  hinauszuschie- 
ben; bis  dahin  werden  die  Teilchen  nach  einer  Näherung  in 
verschwindender  Gröfse  nur  in  einem  dauernden  Gleichgewichts- 
zustände verharren,  und  die  hierbei  aufgehobene  Geschwindig- 
keit und  davon  abhängige  Hebung  hiemach  auch  mit  negativem 
Vorzeichen  zu  bezeichnen  sein.  Jedoch  überlasse  ich  es  Ihnen 
zu  beurteilen,  ob  mit  diesen  Betrachtungen  der  Schwierigkeit 
beizukommen  ist,  und  möchte  selbst  nicht  behaupten,  dafs  sie 
ganz  evident  sind. 

Leipzig,  den  13.  Januar  1874. 
Was  die  untere  Gültigkeitsgrenze  Ihrer  Formel  anlangt, 
so  hat  sich  das  Blättchen  dahin  gewendet,  dafs  ich,  nachdem 
ich  Ihre  Auffassung  derselben  angegriflPen,  jetzt  vielmehr  meine 
Auffassung  gegen  die  Ihrige  zu  verteidigen  habe.  Sie  finden 
keinen  prinzipieUen  Mifsstand  darin,  dafs  die  myophysische 
Mafsformel  unterhalb  der  Schwelle  negative  Hebungen,  d.  h. 
Ausdehnungen  des  Muskels  gibt,  die  sich  doch  in  der  Erfahrung 
nicht  fi.nden,  und  acceptieren  die  Vorstellung  nicht,  die  ich  zur 
Beseitigung  dieses  Mifsstandes  geltend  zu  machen  suchte  und 
auch  jetzt  noch  geltend  mache,  nur  dafs  ich  in  der  Berufung 
auf  das  Beispiel  der  Reibung  statt  des  übereilt  gebrauchten 
Ausdrucks,  dafs  vernichtete  Geschwindigkeit  mit  negativem 
Vorzeichen  zu  bezeichnen  sei,  vielmehr  das,  was  an  posi- 
tiver Geschwindigkeit  noch  fehlt,  im  Sinne  meiner 
Vorstellungsweise  so  zu  bezeichnen  habe.  Doch  dies  beiseite. 
Sie  stimmen  hingegen  Delboeuf  in  dem  Einwurfe,  den  er  gegen 
meine  Auffassung  der  negativen  Empfindungswerte  erhebt,  bei 
und  können  dann  natürlich  auch  in  der  Myophysik  nicht  von 
dieser  Auffassung  Gebrauch  machen.  Nun  ist  mir  Dei.bobufs 
Schriftchen*  erst  vor  ein  paar  Tagen  zugekommen,  und  habe 
ich  es  daher  noch  nicht  durchstudieren  können,  aber  doch  das, 


*  Etüde  psychophysique  par  J,  Delboeuf.   BruxeUea,  1873  (Hayez).  Extrait 
du  tome  XXIII  des  Mimoires  pubiiis  par  VÄcad,  roy,  de  Belgique 


über  negatwe  Empfindungstoerte,  33 

worauf  es  in  der  hier  angeregten  Frage  ankommt,  näher  ein- 
gesehen und  hierüber  folgendes  zu  sagen: 

Delboeuf  macht  wesentlich  zwei  Einwände,  deren  ersten, 
mit  j^Devons  nous  insister^  etc.  auf  p.  15  beginnenden  ich 
glaube,  übergehen  zu  können,  teils  weil  ich  vermute,  dafs  Sie 
ihn  selbst  nicht  teilen,  teils  weil  er  samt  dem  daran  Geknüpften 
unsere  Differenz  nicht  wesentlich  angeht.  Was  aber  den  andern, 
von  Ihnen  geteilten  Einwurf  betrifft,  der  sich  direkt  gegen 
meine  Deutung  der  negativen  Empfindungswerte  richtet,  so 
kann  ich  nur  sagen,  dafs  er  auf  einem  Mifsverständnisse  meiner 
Auffassung  beruht,  von  dem  ich  wohl  glauben  mufs,  dafs  ich 
es  verschuldet  habe,  weil  Sie  mit  Delboeuf  darin  zusammen- 
treffen, aber  mich  doch  befremdet  finde,  dafs  es  der  Fall  ist. 

Delboeuf  sagt  p.  17:  j^Nous  powrrions  a  priori  rejeter  des 
sensations  negatives,  parceque  les  sensaUons  sont  necessairement  qudque 

chasej  et  que  Texpression  Sensation  negative  est  tm  non-sens 

If  apres  Fechner,  une  Sensation  negative  est  une  Sensation  tres  faible 
dont  on  n'a  pas  conscience^  etc.  Sie  werden  das  Übrige  leicht 
aus  dem  Gedächtnis  oder  durch  Nachschlagen  ergänzen;  doch 
kommt  wenig  darauf  an,  weil  sich  schon  hier  zeigt,  dafs 
Dblboeufs  Einwurf  teils  den  Gebrauch  eines  Wortes  trifflb, 
ohne  die  unterliegende  Sache  zu  treffen,  über  die  ich  mich 
deutlich  genug  ausgesprochen  zu  haben  glaubte,  teils  gegen 
eine  Auffassung  der  Sache  gerichtet  ist,  die  ich  gar  nicht  habe. 

In  der  That  verstehe  ich  ausdrücklich  unter  negativer  Em- 
pfindung nicht  eine  sehr  schwache  Empfindung,  von  der 
man  kein  Bewufstsein  hat,  wie  mir  Delboeuf  unterlegt,  sondern 
eine  imaginäre  Empfindung,  die  gar  nicht  da  ist,  indes 
doch  partielle  Bedingungen  ihrer  Entstehung  da  sind,  eine  Em- 
pfindung, an  deren  Zustandekommen  insofern  noch  etwas 
fehlt,  als  an  den  Bedingungen  ihres  Zustandekommens  noch 
etwas  fehlt,  oder  kurz,  das  Fehlende  an  einer  Empfindung 
als  Funktion  des  Verhältnisses  dessen,  was  von  den  Bedingungen 
dazu  doch  da  ist,  zu  dem,  was  da  sein  müfste,  soUte^ie  Em- 
pfindung wirklich  entstehen.  Und  wenn  man  fragt:  wie  läfst 
sich  überhaupt  noch  von  einer  Empfindung  sprechen,  wenn 
eine  solche  nicht  da  ist,  so  sage  ich,  in  demselben  Sinne  als 
sich  von  imaginären  Gröfsen  in  der  Mathematik  sprechen  läfst, 
ohne  dafs  eine  Gröfse  da  ist.  Auch  verwechsele  ich  negative 
und  imaginäre  Empfindungswerte  (die  nach  den  Verhältnissen 

Zeitschrift  für  Psychologie.  3 


34  (^'  Th.  Fechner, 

der  Empfindung  zusammenfallen)  eben  deshalb  nicht  mit  Null- 
werten   der  Empfindung,  weil  die  Mathematik  solche  Werte 
nicht  verwechselt,    und    sollte  meinen,  dafs  Sie,    wenn  Sie  die 
Notwendigkeit   solcher  Unterscheidung  in  der  Mathematik  an- 
erkennen,   schon    durch    die    Konsequenz    sich    dann    genötigt 
finden  müfsten,  solche  auch  in  der  Verwendung  der  Mathe- 
matik in  der  Psychophysik  anzuerkennen,  oder  mit  dieser  Ver- 
wendung die  Psychophysik  selbst    fallen  zu  lassen.     Aber  Sie 
finden  keinen  Anhalt   der  Vorstellung    für   eine    solche  Unter- 
scheidung im  Empfindungsgebiete.    Sie  sagen:    „Entweder  hat 
die  Ganglienzelle   eine  Empfindung  oder  sie  hat  keine.  ^     Und 
ich  selbst  sage:  sollte  die  Empfindung  an  sich,  abstrakt  von 
ihrer  physischen  Unterlage  betrachtet  werden,    so  wäre   jener 
Unterschied  nicht  zu  machen  oder  gleichgültig;   aber  so  ist  es 
ja  nicht,  vielmehr  ist  es  gerade  die  Abhängigkeit  des  Psychischen 
von    der   physischen  Unterlage,   womit   sich    die  Psychophysik 
beschäftigt,    sind   es    die   physischen    Entstehungsbedingungen 
der  Empfindung,  die  sie  durch   ihre  Formeln  unter  sich  fassen 
will.     Da  aber  ist  es  nicht  gleichgültig,  ob  eine  Empfindungs- 
gröfse  mit  Null  bezeichnet  wird,  wo  der  geringste  Zuwachs  der 
unterliegenden  psychophysischen  Bewegung  positive  Empfindung 
hervortreten  läfst,  oder  mit  gröfseren  oder  geringeren  negativen 
Werten,    wonach   erst   gröfsere    oder    geringere  Zuwüchse   der 
physischen  Bedingung  dazu    nötig   sind.     Auch    gewinnt    eine 
„Entfernung  der  Empfindung  vom  Dasein",  die  ich  als  negative 
Empfindung    fasse,    und  die  bei  einer    abstrakten  Empfindung 
keine  angebbare  Bedeutung  hätte,  als  Funktion  der  allgemeinen 
Daseinsbedingungen  der  Empfindung  und  nach  dem  Zusammen- 
hange   mit    den   Entstehungsbedingungen    der   positiven    Em- 
pfindung allerdings   einen    bestimmten  Sinn.     Sie   sagen:    man 
könne  sich  unter   „negativen  Farben,  negativen  Tönen"  nichts 
vorstellen.    Gewifs  nichts  unter  negativen  physischen  Farben 
oder  Tonschwingungen,  —  die   aber  in  der  Psychophysik  gar 
nicht  vorkommen,  da  selbst  den  negativen  Empfindungen  noch 
positive  Werte  psychophysischer  lebendiger  Kraft  zugehören,  — 
wohl    aber    unter    negativen    Empfindungen    von    Farben, 
Tönen,  wenn  man  sie  in  angegebener  Weise  fafst. 

Meinerseits  scheint  mir  das  gerade  eine  schöne  Eigenschaft 
der  Mafsformel,  dafs  sie  in  mathematischem  Zusammenhange 
mit  dem  Mafse  der  wirklich  vorhandenen  Empfindung  zugleich 


über  negative  Empfindungswerte.  35 

ein  Mafs  der  Entfernung  von  dem  wirklichen  Vorhandensein 
oder,  anders  gesagt,  mit  dem  Mafse  der  Bewufstseinshelligkeit 
ein  Mafs  der  Tiefe  des  UnbewuTstseins  giebt,  und  zugleich,  dafs 
sie  dem  unklar  oder  in  sich  widerspruchsvoll  erscheinenden 
Ausdruck  unbewufster  geistiger  Thätigkeit,  den  doch  die  Psy- 
chologie kaum  missen  kann,  eine  exakte  und  exakter  Ver- 
wertung fähige  Deutung  unterlegt. 

Ob  ich  Sie  mit  allen  diesen  Erörterungen  zu  befnedigen 
vermag,  weifs  ich  freilich  nicht,  da  Sie  durch  die  Erörterungen 
in  meinen  Elementen,  die  im  vorigen  nur  etwas  ausgeführt 
sind,  nicht  befriedigt  worden  sind;  doch  werde  ich  dabei  be- 
harren müssen,  so  lange  ich  mich  nicht  von  der  Triftigkeit  der 
Gegenerörterungen  zu  überzeugen  vermag. 

Aus  dem  bisher  nur  ganz  oberflächlichen  Einblick  in  den 
übrigen  Inhalt  der  DBLBOEUFschen  Schrift  sehe  ich,  dafs  er 
meine  Mafsformel  (die  ich  selbst  für  prinzipiell  streng  nur  im 
Gebiete  der  inneren  Psychophysik  ansehe)  dahin  modifiziert 
hat,  dafs  die  untere  Abweichung  derselben  von  der  Gültigkeit 
(die  in  der  äufseren  Psychophysik  nachweislich  ist)  im  Gebiete 
der  Lichtempfindung  (scheinbar)  wegfallt. 

Eine  nur  etwas  allgemeinere  Formel  habe  ich  schon  zu 
demselben  Zwecke  p.  108  und  195  des  zweiten  Teiles  meiner 
Elemente  gegeben  und  ziehe  bis  auf  weiteres  die  meinige  vor, 
da  Delboeufs  Formel  für  den  Fall,  dafs  gar  kein  Lichtreiz  das 
Auge  trifft,  die  Lichtempfindung  Null  werden  läfst,  indes  doch 
die  Empfindung  des  Augenschwarz  übrig  bleibt,  die  freilich 
manche  für  keine  Empfindung  halten  möchten.  Dies  wird  nicht 
hindern,  dafs  seine  Resultate  in  den  Grenzen  seiner  Versuche 
gut  genug  mit  der  Erfahrung  stimmen,  was  ich  voraussetze, 
ohne  sie  bisher  noch  darauf  angesehen  zu  haben. 

22.  u.  23.  Jan.  74. 

Sie  finden  es  disparat,  dafs  ich  die  negativen  Empfin- 
dungswerte als  Entfernungen  vom  Dasein  der  Empfin- 
dung, die  positiven  als  Empfindungsstärken  fasse,  was 
nicht  miteinander  vergleichbar  sei.  In  der  That  aber  fasse 
ich  die  negativen  Empfindungen  nicht  als  Entfernungen  vom 
Dasein  schlechthin,  sondern  —  trotz  Ihrer  unten  zu  be- 
trachtenden Bemerkung,  als  wenn  dies  auf  dasselbe  heraus- 
käme —  als   Entfernungen   vom    Nullpunkte    eines  Daseins, 

3* 


36  G.  n.  Fechner. 

was  quantitativer  Bestimmungen  fähig  ist,  und  ebenso  die 
positiven  Empfindungswerte  nicht  als  daseiende  Empfindungen 
schlechthin,  deren  Quantität  aufser  acht  fallt,  sondern  als 
Entfernungen  von  demselben  Nullpunkte  des  Daseins  nur  in 
entgegengesetztem  Sinne,  mit  Rücksicht,  dafs  Gröfsenbe- 
stimmungen  überall  einer  räumlichen  Repräsentation  fähig 
sind,  und  wüfste  nicht,  was  in  all  dem  Unzuläfsiges  oder  Dis- 
parates läge.  Wenn  man  aber  einwendet,  dafs  Entfernungen 
vom  Nullpunkte  in  negativem  Sinne  überhaupt  keine  Öröfsen 
bedeuten  können,  so  erwiedere  ich:  doch!  in  demselben  Sinne 
als  die  Mathematik  von  negativen  und  imaginären  Gröfsen 
spricht  und  sprechen  muGs,  und  ich  die  Mathematik  nun  eben 
auf  Grörsenbestimmungen  der  Empfindungen  anwende;  glaube 
aber,  schon  im  vorigen  Briefe  hierüber  genug  gesagt  zu 
haben. 

Nun  sagen  Sie  freilich:  „Setzt  man  statt  des  Wortes 
„Dasein"  das  Wort  „Nullpunkt",  so  ist  das  nur  eine  verbale 
Änderung,  keine  begriffliche."  Und  wenn  dem  wirklich  so 
wäre,  so  hätten  alle  Ihre  Gegenbetrachtungen,  die  diesen 
Satz  im  Hintergrunde  haben,  recht  und  wäre  es  mit  der 
ganzen  vorigen  Betrachtungsweise  nichts.  Aber  haben  Sie 
diesen  Satz  wohl  ernsthaft  überlegt?  Sollten  Sie  nicht  be- 
merken, dafs,  wenn  es  gilt,  die  quantitativen  Verhältnisse 
der  Empfindung  in  Abhängigkeit  vom  Körperlichen  unter  einen 
scharfen  Ausdruck  zu  fassen,  es  gar  nicht  gleichgültig  ist,  ob 
ich  die  Gröfse  der  Empfindung  als  positive  oder  negative 
(gröfsere  oder  geringere)  Entfernung  vom  Nullpunkte  des 
Daseins  oder  als  Entfernung  vom  Dasein  überhaupt  fasse 
und  räumlich  repräsentiere  ?  Letztere  Fassung  läfst  blofs  inso- 
fern eine  quantitative  Bestimmtheit  zu,  als  sie  in  die  erste 
übersetzt  wird,  Sie  aber  muten  der  Mathematik  zu,  die  be- 
stimmte Fassung  durch  die  unbestimmte  zu  ersetzen  oder  be- 
grifflich damit  zu  identifizieren.  Hier  handelt  es  sich  doch  nicht 
um  den  Begriff  der  Qualität,  sondern  der  Quantität  der  Em- 
pfindung, und  nur,  wenn  es  sich  um  erstere  handelte,  wäre 
Entfernung  vom  Dasein  und  vom  Nullpunkte  des  Daseins 
dasselbe. 

Sie  sprechen  Ihre  Auffassung  in  der  That  sehr  deutlich 
und  entschieden  aus,  wenn  Sie  sagen:  „das  Entfemtsein  hier 
(bei  der  Empfindung)  unräumlich  gedacht,  kann  sich  doch  nur 


über  negative  Empfindungswerte.  37 

auf  einen  Zustand  beziehen.  Ist  der  Zustand  erreicht, 
dann  kann  er  durch  Zunahme  der  Empfindungsgröfse  nicht 
noch  mehr  erreicht  werden,  als  er  schon  ist."  Aber  hierin 
liegt  eben  das  Proton  Pseudos  Ihrer  Auffassung,  dafs  Sie  auf 
dem  Begriffe  der  qualitativen  Seite  des  Zustandes  fufsen, 
während  es  sich  um  die  quantitative  Seite  handelt.  Setzeh  Sie 
einmal  statt  Empfindung  eines  körperlichen  Zustandes  Ver- 
mögen in  Geld  oder  Q-eldeswert.  Der  Begriff  des  Vermögens 
fäUt  nicht  mit  dem  von  Geldeswert  selbst  zusammen,  aber  ist 
eine  Funktion  desselben,  worunter  auch  Schulden  als  negatives 
Vermögen  treten.  Der  Begriff  des  Vermögens  in  diesem  Sinne 
ist  nun  auch  der  Begriff  eines  Zustandes,  aber  versuchen  Sie 
doch  einmal,  Ihre  Betrachttmgsweise  auf  quantitative  Be- 
stimmungen des  Vermögens  anzuwenden;  Sie  werden  sie  damit 
nur  unmöglich  machen,  und  zwar  nicht  minder  die  des  positiven 
Vermögens  als  der  Schulden.  Es  geht  nun  einmal  bei  Gröfsen- 
bestimmungen  nicht,  Entfernung  vom  Nullpunkte  des  Da- 
seins mit  Entfernung  vom  Dasein  überhaupt  begrifflich  zu 
identifizieren. 

Dies,  was  ich  etwa  Ihren  Eiuwürfen  gegenüber  zur  Becht- 
fertigung  meiner  Deutung  der  negativen  Empfindungswerte  zu 
sagen  vermöchte,  und  womit  ich  nicht  umhin  kann,  dieselbe 
auch  jetzt  noch  zu  vertreten.  Aber  ich  mufs  zugeben,  dafs, 
die  Zulässigkeit  derselben  in  der  Psychophysik  vorausgesetzt, 
die  Übertragung  dieser  Deutung  auf  negative  Geschwindig- 
keitswerte (in  der  Myophysik  und  Beibungslehre)  gewagt  er- 
scheinen kann,  und  ich  überlasse  es  gern  Ihrer  Beurteilung, 
ob  sie  Ihnen  hier  acceptabel  erscheint.  Ich  selbst  gestehe, 
nicht  ganz  klar  darüber  zu  sein.  Sie  haben  ja  freilich  recht, 
wenn  Sie  sagen:  „dafs  es  dem  mathematischen  Gebrauche  der 
Bezeichnungen  positiv  und  negativ  nicht  entspricht,  das,  was 
einer  Geschwindigkeit  zur  Erreichung  eines  gewissen  Wertes 
fehlt,  negative  Geschwindigkeit  zu  nennen.  Die  Bichtung 
sei  allein  mafsgebend."  Aber  erstens  handelt  es  sich  ja  hier 
nicht  darum,  das,  was  einer  Geschwindigkeit  zur  Erreichung 
irgend  eines  gewissen,  eines  beliebigen  "Wertes,  der  auch  posi- 
tiv sein  könnte,  noch  fehlt,  als  negative  Geschwiudigkeit  zu 
fassen,  sondern  das,  was  zur  Erreichung  des  ganz  bestimm- 
ten Nullwertes,  wo  die  Geschwindigkeit  eben  beginnt, 
noch   fehlt,    so    zu   fassen,    und   zwar   als  Funktion   der   vor- 


38  ö-   ^Ä.  Techner. 

handenen  Bedingungen  so  zu  fassen.^  Zweitens  kann  im  all- 
gemeinen daran  erinnert  werden,  dafs  die  mathematische 
Deutung  der  Vorzeichen  +  und  —  sich  überhaupt  den  Um- 
ständen und  Voraussetzungen  der  Aufgabe  anzupassen  hat, 
wonach  sich  auch  im  allgemeinen  fragen  läfst,  ob  jene  Deutung 
auf  Gegensatz  der  Eichtungen  bei  der  Geschwindigkeit  unter 
allen  Umständen  unverbrüchlich  sei,  und  ob  nicht  da,  wo  es 
in  der  Natur  der  Aufgabe  selbst  liegt,  vielmehr  das  Nicht- 
erreichen  und  das  Überschreiten  des  Punktes  beginnender  Ge- 
schwindigkeit in  Betracht  zu  ziehen,  als  den  Gegensatz  der 
Bichtungen,  die  von  mir  vorgeschlagene  Deutung  Platz  finden 
kann.  Ich  wüfste  wenigstens  mit  dem  Falle  der  Eeibung  nicht 
anders  zurecht  zu  kommen.  Doch  wie  gesagt,  ist  dies  eine 
Sache,  die  zu  entscheiden  Ihnen  näher  liegt  als  mir.  Nur 
möchte  ich  noch  erwähnen,  dafs  das  von  Ihnen  bei  dieser  Ge- 
legenheit angezogene  Beispiel  mit  dem  Glühen  des  Platin- 
drahtes mir  das,  wogegen  Sie  es  richten,  nicht  recht  zu  treffen 
scheint.  Gewifs  kann  der  Zustand  des  Platindrahtes,  bevor  er 
zu  glühen  beginnt,  nicht  als  negativer  bezeichnet  werden,  aber 
warum?  weil  es  fiir  den  Gebrauch  des  negativen  Vorzeichens 
eben  nicht  darauf  ankommt,  dafs  ein  gewisser  Wärme- 
zustand noch  nicht  erreicht  sei,  sondern  dafs  der  Nullpunkt 
der  Wärmeschwingung  noch  nicht  erreicht  sei;  dieser  ist  aber 
bei  allen  nicht  absolut  kalten  Körpern  schon  überschritten^ 
und  kein  Aidafs  in  der  Wärmelehre,  von  einer  Entfernung  vom 
Nullpunkt  noch  unterhalb  des  Nullpunkts  zu  sprechen,  da- 
her ein  negatives  Vorzeichen  in  Bezug  darauf  überhaupt  keinen. 
Platz  findet,  so  lange  wir  uns  in  der  Physik  halten.  Treten 
wir  aber  mit  dem  Beispiele  in  die  Psychophysik  über,  für 
welche  erst  das  Sichtbarwerden  des  Wärmezustandes  als 
Sache  der  Empfindung  Bedeutung  gewinnt,  so  geht  das 
negative  Vorzeichen  nach  den  von  mir  vertretenen  Prinzipien 


^  Delboeuf  glaubt  p.  17.  18.  seiner  Schrift,  einen  Einwand  gegen 
meine  Aufstellung  negativer  Empfindungswerte  darin  finden  zu  können^ 
dafs  der  Nullpimkt  der  Thermometerskala  beliebig  verschoben  und  so 
aus  negativen  positive  Temperaturgrade  gemacht  werden  könnten, 
warum  nicht  entsprechend  mit  der  Empfindung?  —  Deshalb  nicht,  weil 
der  Nullpunkt  der  Empfindungsskala  eben  nicht  willkürlich  wie  der 
der  Thermometerskala  verschoben  werden  kann.     [F.] 


über  negative  Empfindungstoerte.  39 

eben  unr  auf  die  Empfindung  über,  insofern  die  Wärme- 
schwingnng  nicht  zureicht,  sie  bis  auf  den  NuUpunkt  oder 
SchweUenpunkt  zu  bringen,  ohne  damit  auf  die  dazu  nicht 
zureichende  Wärmeschwingung  selbst  überzugehen;  und  ich 
denke,  dafs  aU  das  eben  nur  in  der  Konsequenz  dieser  Prin- 
zipien liegt. 

Wenn  Sie  bemerken,  dafs  „nach  meiner  Auffassung  Be- 
wuGstseinshelligkeit  und  Empfindungsstärke  solidarisch  ver- 
bunden seien" ,  und  „einander  genau  proportional  gehen" 
müssen,  so  haben  Sie  den  sehr  wesentlichen  Unterschied  über- 
sehen, den  ich  zwischen  der  Bewufstseinsintensität  mache, 
wiefern  sie  von  der  Oröfse  des  Empfindungsreizes  (oder  der 
dadurch  ausgelösten  psychophysischen  Thätigkeit  von  speciellem 
Charakter)  abhängt,  und  wiefern  sie  von  der  Aufmerksamkeit 
(oder  überhaupt  einer  allgemeinen  Bewufstseinsthätigkeit,  wo- 
für ich  einen  allgemeineren  psychophysischen  Prozefs  postuliere) 
abhängt,  worüber  ich  in  dem  die  innere  Psychophysik  be- 
handelnden Teile  meiner  Elemente  unter  Mitberücksichtigung 
der  Träume  sehr  ausführlich  gehandelt  habe.  Mag  sein,  dafs 
diese  Darstellung  anfechtbar  ist  und  darum  keine  sonderliche 
Beachtung  gefunden  hat,  so  kann  ich  danach  jedenfalls  die 
obbemerkte  „Solidarität^'  nicht  als  meinen  Ansichten  entsprechend 
anerkennen.  Eine  Empfindung  kann  vielmehr  danach  ebenso 
unter  die  Schwelle  des  Totalbewufstseins  fallen,  wenn  bei  gleich 
gehaltenem  Empfindungsreize  die  Aufmerksamkeit  (der  ihr 
unterliegende  Prozefs)  unter  die  Schwelle  fallt,  als  wenn 
bei  gleichgehaltener  Aufmerksamkeit  der  Empfindimgsreiz 
(der  dadurch  ausgelöste  eigentümliche  Prozefs)  unter  die 
SchweDe  fällt. 

Sie  fragen  endlich  noch:  „Warum  soll  den  B>eizen  unter- 
halb der  Schwelle  nicht  etwas  anderes  entsprechen,  als  Em- 
pfindung? aber  etwas,  was  später  mit  der  Empfindung  zu- 
sammengeht, z.  B.  Wärme,  Änderung  der  elektromotorischen 
Eigenschaften  der  QanglienzeUe  ähnlich  wie  beim  Muskel?" 
Verstehe  ich  Sie  recht,  so  treffe  ich  hierin  ganz  mit  Ihnen 
überein,  da  ich  ja  selbst  meine,  dafs  die  physischen  Ver- 
änderungen, die  mit  der  Empfindung  über  der  Schwelle  als 
wesentliche  Bedingungen  derselben  mitgehen,  auch  schon 
unterhalb  der  Schwelle  nur  in  unzureichender  Stärke  zur 
Erweckmng  der  Empfindung  vorhanden  sind. 


40  G,  Th.  Feckner. 

Doch  genug,  mit  der  Bitte,  dafs  Sie  diese  Bemerkungen 
so  freundlich  als  die  früheren  aufnehmen  mögen.  Mit  vor- 
züglicher Hochachtung 

der  Ihrige 

Fbchner. 


6.  Febr.  1874. 

Sie  bemerken :  in  betreff  meiner  Auffassung  der  negativen 
Empfindungswerte  sei  insofern  nicht  mehr  mit  mir  zu  streiten, 
als  ich  selbst  ,,  einräume,  von  den  Vorzeichen  4-  und  —  einen 
etwas  anderen  Gebrauch  zu  machen,  als  gemeinigUch  in  der 
Mathematik  üblich  ist''.  Aber  weder  habe  ich  dies  eingeräumt, 
noch  räume  ich  es  jetzt  ein,  wenn  ich  damit  einräumen  soll, 
dafs  ich  den  Sinn,  in  welchem  die  Mathematik  diese  Vor- 
zeichen braucht,  in  der  Psychophysik  irgendwie  verlasse,  da 
ich  viehnehr  immer  wiederholt  darauf  hingewiesen  habe,  dafs 
die  Mathematik  in  einem  ganz  entsprechenden  Falle  —  nicht 
entsprechende,  und  wären  sie  noch  so  zahlreich,  kann  man 
aber  doch  nicht  geltend  machen  —  die  Zeichen  -{-  und  — 
ganz  ebenso  braucht  als  ich.  Ihr  Ausdruck  „üblich''  bezieht 
sich  eben  nur  auf  die  Menge  nicht  entsprechender  Fälle. 
Dafs  die  von  mir  für  gewisse  Verhältnisse  vorgeschlagene 
Deutung  negativer  Qeschwindigkeitswerte  als  imaginärer  Zwei- 
feln unterliegen  kann,  habe  ich  schon  früher  anerkannt,  und 
es  liegt  auch  zunächst  kein  Interesse  für  mich  vor,  darauf  zu 
bestehen. 

Von  anderer  Seite  jedoch  bestreiten  Sie  aufs  neue  meine 
Auffassung  des  Verhältnisses  zwischen  positiven  und  negativen 
Empfindungen  aus  dem  Gesichtspunkte,  dafs  sich  solche  mit 
dem  von  mir  statuierten  Verhältnisse  zwischen  bewufst  und 
unbewufst  nicht  reimen,  oder  auch,  dafs  das  letztere  Ver- 
hältnis sich  mit  dem  ersten  nicht  reime,  kurz,  Sie  finden  hier 
etwas,  was  nicht  zusammenklappt.  Nun  gestehe  ich  offen, 
selbst  nach  wiederholtem  Durchlesen  kein  rechtes  Verständnis 
Ihres  hierauf  gehenden  Einwurfes  haben  gewinnen  zu  können ; 
wovon  ich  den  Grund  schliefslich  in  nichts  anderem  zu  finden 
weifs,  als  dafs  Sie  ebensowenig  im  letzten  als  vorhergehenden 
Briefe  sich  auf  eine  Unterscheidung  des  Bewufstseins  einlassen, 
die  ich  nicht  minder  zur  Präcisierung  als  Beantwortung  des  Ein- 


über  negative  Empfindungswerte.  41 

Wurfes  wesentlich  halte ;  daher  ich  mich  auch  hier  wieder  werde 
wiederholen  müssen,  indem  ich  auf  diese  Unterscheidung  zurück- 
komme. Ob  ich  damit  Ihren  Einwurf  eigentlich  treffe,  weifs 
ich  freilich  ebensowenig,  als  ob  Ihr  Einwurf  eigentlich  meine 
Auffassung  trifft;  doch  will  ich,  bevor  ich  auf  den  Versuch 
einer  Antwort  eingehe,  schematisch  zu  zeigen  suchen,  wie  ich 
mir's  denke. 

9eien  zwei  Punkte  übereinander  und  ein  Punkt  dazwischen 
gegeben;  die  Bichtung  nach  oben  sei  als  positiv  genommen, 
so  wird  der  Zwischenpunkt  sich  vom  untern  Punkte  in  posi- 
tivem, vom  obem  in  negativem  Abstände  finden.  Fragt  nun 
jemand,  ob  eine  gewisse  Eigenschaft  dessen,  was  sich  am 
Zwischenpunkt  befindet,  solidarisch  mit  seinem  positiven  oder 
negativen  Abstände  sei,  ohne  Unterscheidung,  auf  welchen 
Punkt  er  den  Abstand  bezieht,  so  scheint  mir  das  eine  Frage 
derselben  Art  zu  sein,  als  die,  der  ich  in  Ihrem  Einwurfe  be- 
gegne. Natürlich  kann,  was  in  einem  Sinne  stimmt,  nicht 
mehr  im  andern  Sinne  stimmen.     Doch  nun  ohne  Bild: 

Ich  meine,  man  hat  ein  höheres  BewuTstsein  zu  unter- 
scheiden, das  der  willkürlich  richtbaren  und  verlegbaren  Auf- 
merksamkeit, der  Beflezion,  Abstraktion  u.  s.  w.  —  bleiben 
wir  hier  nur  bei  der  willkürlich  verlegbaren  Aufcnerksamkeit 
stehen  —  und  ein  niedres  Bewufstsein,  das  der  sinnlichen 
Empfindung  und  ihrer  Beproduktion  in  Erinnerung.  So  ge- 
schieht es  schon  in  der  Psychologie  und  mufs  auch  in  der 
Fsychophysik  geschehen,  indem  man  ersterer  allgemeine, 
dieser  speciellere  psychophysische  Prozesse  (im  Sinne  der 
Erläuterung  im  42.  Abschn.  meiuer  Elemente)  unterlegt.  Ob 
nun  Bewufstsein  überhaupt  da  ist,  oder,  psychophysisch  aus- 
gedrückt, die  Schwelle  des  Totalbewufstseins  überschritten  oder 
nicht  erreicht  ist,  hängt  weder  von  der  Intensität  und  Schwelle 
der  einen  noch  andren  jener  Thätigkeiten  allein  ab,  sondern 
ist  eine  zusammengesetzte  Funktion  beider.  Sei  nun  die  will- 
kürliche Aufmerksamkeit  in  einem  Sinnesgebiete  tief  unter  der 
Schwelle,  während  die  durch  einen  Beiz  in  diesem  Gebiete 
erweckte  Empfindung  über  ihrer  Schwelle  ist,^  mithin  jene  in 
diesem  Sinnesgebiete  mit  negativem,  diese  mit  positivem  Vor- 
zeichen,   bezüglich    ihrer   respektiven  Schwellen,    behaftet,    so 


^  Beispiele  dazu  finden  sich  in  meinen  Elementen,    [F.] 


42  '     O.  Th.  Fechner. 

kann  trotz  dieses  positivien  Vorzeichens  der  Empfindung  doch 
das  BewuTstsein  derselben  fehlen,  weü  es  mit  dem  ganzen 
BewuTstsein,  dessen  Moment  es  ist,  unter  die  Totalschwelle 
fallt,  was  sich  selbst  schematisch  darstellen  läfst,  indem  man 
die  Totalschwellenhöhe  als  Mittel  der  komponierenden  Schwellen- 
höhen und  die  Höhe  des  Totalbewufstseins  der  über  oder 
darunter  als  (algebraische)  Summen  der  komponierenden  Be- 
wufstseinshöhen  bezüglich  ihrer  respektiven  Schwellen  dar- 
stellt^ (wobei  negative  von  positiven  in  Abzug  kommen).  In- 
sofern ist  also  positiver  Wert  der  Empfindung  bezüglich  ihrer 
Schwelle  und  Bewufstsein  der  Empfindung  nicht  solidarisch, 
indem  sie  dabei  doch  negativ  gegen  die  Totalschwelle  sein 
kann,  welche  für  Dasein  und  Nichtdasein  von  Bewufstsein 
überhaupt  den  Ausschlag  gibt.  Aber  wenn  man  die  Lehre 
von  den  psychophysischen  Verhältnissen  der  Empfindung  für 
sich  in  der  Beobachtung  verfolgt,  kann  man  es  doch  nur, 
während  das  Total  bewufstsein  im  betreffenden  Empfindungs- 
gebiete über  der  Schwelle  ist,  und  dann  ist  positiver  und  ne- 
gativer Wert  der  Empfindung  bezüglich  ihrer  Schwelle  aller- 
dings solidarisch  mit  Bewufstsein  und  Unbewufstsein  eben 
dieser  Empfindung,  obwohl  nicht  solidarisch  mit  Bewufstsein 
und  Unbewufstsein  überhaupt,  denn  während  eine  gewisse 
Empfindung  unter  der  Schwelle  ist,  kann  eine  andere  über  der 
Schwelle  sein,  oder  eine  intensive  Aufmerksamkeit  sich  z.  B. 
auf  das  Vernehmen  eines  Schalles  richten,  der  nicht  da  ist, 
oder  man  im  tiefem  Nachdenken  begriffen  sein.  Das  alles  ist 
für  mich  sehr  klar,  weil  ich  mich  in  diesen  Vorstellungskreis 
hineingelebt  habe,  ich  finde  es  aber  sehr  möglich,  dafs  es  für 
Sie  noch  ebenso  unklar  bleibt,  als  mir  Ihr  Einwurf  geblieben 
ist,  weil  ich  mich  nicht  ebenso  in  Ihren  Vorstellungskreis 
hineingelebt  habe.  Also  wollen  wir  miteinander  aufheben, 
wenn  wir  uns  nicht  weiter  in  der  Sache  zu  verständigen  ver- 
mögen, 

24.  u.  25.  Febr.  1874. 

In  betreff*  der  negativen  Empfindungswerte  bemerken  Sie, 
dafs  ich  selbst   zur  Erläuterung    derselben    das  Beispiel    nega- 

*  Dies  wenigstens   die  einfachste  Repräsentation,  woran  man  den- 
ken kann.    [F.] 


über  negative  Empfindungswerte.  43 

tiver  Geschwindigkeitswerte  bei  der  Beibang  herangezogen. 
In  dieser  Beziehung  täuscht  Sie  unstreitig  die  Erinnerung. 
Nicht  zur  Erläuterung  negativer  Empfindungswerte  in  der 
Psychophysik,  wozu  ich  das  Beispiel  für  untauglich  halte, 
weil  es  Schwierigkeiten  darbietet,  sondern  zur  möglichen 
Erläutenüg  der  negativen  Hebungswerte  in  der  Myophysik 
habe  ich  das  Beispiel  der  Eeibung  herangezogen,  indem  ich 
aUerdings  meinte,  dais  sich  aU  das  wohl  unter  einen  gemein- 
samen Gj-esichtspunkt  fassen  liefse,  es  auch  jetzt  noch  meine, 
nur  in  anderer  Weise,  als  woran  ich  früher  dachte,  —  wie  ich 
denn  von  Anfang  hierin  mich  keiner  E^larheit  in  dieser  Be- 
ziehung rühmte.  Die  Schwierigkeit,  negative  Q-eschwindig- 
keitswerte  bei  der  Beibung  und  negative  Hebungswerte  bei 
Ihren  Versuchen  als  imaginäre  zu  fassen,  liegt  nämlich  darin, 
dafs  die  Deutung  der  erstem  als  Geschwindigkeiten  von  ent- 
gegengesetzter Richtung  und  der  letztem  als  Verlängerungen 
des  Muskels  näher  liegt,  eine  Schwierigkeit,  die  bei  negativen 
Empfindungswerten  wegf&llt.  Denn  unter  Null  der  Empfindung 
oder  jenseits  derselben  giebt  es  eben  nichts,  was  durch  negative 
Werte  derselben  bedeutet  werden  könnte,  als  imaginäre  Werte 
derselben,  gerade  wie  beim  Baditis  vedor  der  Polarkoordinaten, 
daher  ich  nur  auf  diesen,  nicht  auf  die  Beibung  zur  Er- 
läuterung der  negativen  Empfindungswerte  in  den  Elementen 
der  Ps.  und  andeutungsweise  in  meinem  Schreiben  bezug  ge- 
nommen. Das  Beispiel  mit  der  Baddrehung,  was  Sie  heran- 
ziehen, tritt  aber  mit  dem  der  Beibung  ganz  unter  denselben 
Gesichtspunkt,  und  kann  ich  daher  die  Parallele  mit  der 
Empfindung,  auf  der  Sie  fufsen,  nicht  als  zutreffend  zuge- 
stehen. Bei  der  Baddrehung  würde  man  (entsprechend  als 
bei  der  Beibung,  anders  als  bei  der  Empfindung)  negative 
Drehungswerte  als  solche  von  entgegengesetzter  Bichtung  fassen 
können. 

Inzwischen  glaube  ich,  dafs  sich  allerdings  in  allen  diesen 
Fällen  eine  Parallele  mit  der  Empfindung  herstellen  läfst,  wenn 
man  dabei  nur  nicht  auf  negative  Geschwindigkeitswerte 
rekurriert,  wie  ich  meinte  zu  können.  Gehen  wir  auf  das 
Beispiel  der  Beibung  zurück,  denken  uns  einen  Körper  durch 
irgend  eine  Kraft  auf  einer  Ebene  fortgeschoben  und  stellen 
eine  Untersuchung  an,  bei  welchem  Werte  der  schiebenden 
Kraft  ein  Teilchen  a  des  Körpers  das  zunächst  vor  ihm  liegende  h 


44  (7.  7%.  Fedmer. 

der  Ebene  (atomistisch  in  kleiner  Entfernung  davon  gedacht) 
nicht  za  erreichen  und  zu  überschreiten  vermag,  so  werden 
wir  dem  Sinne  der  Aufgabe  gemäfs  die  Entfernungen  des 
Teilchens  a  von  h  als  negativ  oder  positiv  bezüglich  h  (als 
Schwellenwert)  zu  betrachten  haben,  je  nachdem  h  nicht  er- 
reicht oder  überschritten  ist,  und  soUte  sich  nach  Ausdruck 
durch  eine  Formel  zeigen,  dafs  bei  nicht  sehr  starken  Kraft- 
werten h  gar  nicht  erreicht  werden  kann,  mithin  der  Abstand 
von  a  bezüglich  h  negativ  bleibt,  so  hielse  das,  das  Über- 
schreiten von  h  hat  einen  negativen  Wert,  es  kann  zu  einem 
wirkUchen  Gleiten  von  a  über  h  hinaus  nicht  kommen,  son- 
dern blofs  zu  einer  Annäherung  an  diesen  Punkt.  So  könnten 
vielleicht  auch  bei  den  myophysischen  Versuchen,  möchte  die 
Frage  auf  das  Zustandekommen  von  Hebung  oder  Dehnung  eines 
Muskels  gerichtet  sein,  negative  Werte  der  Hebung  oder 
Dehnung  nur  bedeuten,  dafs  die  Kraft  zu  gering  war,  um 
irgend  ein  Teilchen  nach  Längen-  oder  Querrichtung  des  Mus- 
kels über  das  andere  hinauszuschieben  und  dadurch  eine  Hebung 
oder  Dehnung  merklich  werden  zu  lassen.  Doch  auch  das  mag 
dahingestellt  bleiben. 

Das  in  Ihrem  früheren  Briefe  vom  glühenden  Platindraht 
entnommene  Beispiel  ist  wesentlich  anderer  Art  als  das  bezüg- 
lich des  Wasserrades. 

Sie  argumentieren  gegen  meine  Auffassung  negativer 
Werte  aus  folgender  Parallele: 


Der  Draht  Die  Ganglienzelle 

1)  undurchströmt  \       i  ungereizt 

Kälte  \      {keine  psychophysische  Bewegung 


}{ 


Dunkelheit  f       \  keine  Empfindung 

2)  schwacher  Strom  ^       /  schwacher  Beiz 

Wärme  >      {schwache  psychophys.  Bewegung 


M 


Dunkelheit  )  l  keine  Empfindung 

3)  starker  Strom  \  /  starker  Beiz 

heiis  >  {starke  psychophysische  Bewegung 

Lichterscheinung  /  l  Empfindung. 


Sie  sagen,  dafs  in  dieser  Parallelie  alles  objektiv  zu  nehmen, 


über  negatUoe  Enipfindungswerte,  45 

dajGs  das  Glülieii  ebenso  notwendig  eintritt,  wenn  ein  gewisser 
Temperaturgrad  erreiclit  ist,  als  die  Empfindung,  wenn  ein 
gewisser  Wert  der  psychophysischen  Bewegung  erreicht  ist. 
Aber  ich  mufs  schlechthin  in  Abrede  stellen,  und  stelle  damit 
zugleich  alle  Eonsequenzen,  die  Sie  aus  der  Parallele  gegen 
mich  ziehen,  in  Abrede,  dafs  man  mit  den  Ausdrücken  Kälte, 
Wärme,  Hitze,  Dunkelheit,  Lichterscheinung  physische  Zustände 
fundamental  und  objektiv  bezeichnen  kann,  es  sind  vielmehr 
Ausdrücke,  welche  die  gröfsere  oder  geringere  Entfernung  des 
physischen  Zustandes  des  Drahtes  von  dem  Punkte  oder  über 
den  Punkt  hinaus,  wo  er  eine  gewisse  Empfindung  zu  erwecken 
anfangt,  unbestimmt  bezeichnen;  das  Glühen  das  Drahtes  tritt 
nicht  bei  einem  festen  Temperaturgrade  des  Drahtes  ein, 
sondern  wenn  die  Temperatur,  nachdem  sie  schon  vorher  die 
Schwelle  der  Wärmeempfindung  überschritten,  nun  auch  die 
Schwelle  der  Lichtempfindung  (ihrer  Erregung  nämlich)  zu 
überschreiten  anfangt,  d.  i.  bei  verschiedenen  Temperatur- 
graden je  nach  der  verschiedenen  Empfindlichkeit  der  Indivi- 
duen, und  tritt  für  den  Blinden  gar  nicht  ein.  Also  sind  alle 
jene  Ausdrücke  von  der  linken  Seite  auf  die  rechte  Seite  zu 
übertragen,  wonach  für  die  Unke  zur  objektiven  Bezeichnung 
des  physischen  Wärmezustandes  nur  gröfsere  oder  geringere, 
aber  überall  positive  Werte  von  lebendiger  Eraft  der  Wärme - 
Schwingungen  übrig  bleiben;  nirgends  ein  Nullwert,  rücklings 
dessen  man  von  negativen  Werten  der  Wärme  sprechen  kann, 
indes  man  allerdings  von  negativen  Empfindungswerten  sprechen 
kann,  die  rücklings  bestimmter  physischer  Wärmezustände  unter 
Voraussetzung  bestimmter  Empfindlichkeit  eintreten. 

Unsere  Differenz  über  Bewufstsein  anlangend,  so  glaube 
ich  jetzt  einzusehen,  obwohl  ich  darüber  nicht  sicher  bin,  dafs 
sie  blofs  auf  einer  verschiedenen  Weite,  in  der  wir  den  Begriff 
des  Bewufstseins  fassen,  ruht.  Ich  sage:  kein  Bewufstsein  ist 
da,  wenn  weder  sinnliche  Empfindung  noch  ein  höheres  Be- 
wufstseinsphänomen  da  ist,  wie  im  traumlosen  Schlafe,  rechne 
aber  in  meiner  weiteren  Fassung  des  Begriffes  die  sinnliche 
Empfindung  selbst  als  eine  Bestimmung  oder  ein  Moment  des 
BewuCstseins,  was  Sie  nicht  thun,  denn  nach  Ihnen  steigt  das 
Bewufstsein  in  keiner  Weise,  wenn  bei  höchst  gespannter  Auf- 
merksamkeit eine  Empfindung  hinzutritt,  nach  mir  steigt  es 
um  die  ganze  Intensität  der  Empfindung,  wobei  ich   aber  den 


46  ^-   Th.  Fedmer. 

niedren  BewniGstseinsakt  der  Empfindung  und  den  höheren 
der  Aufinerksamkeit  unterscheide.  Das  wäre  doch  ein  reiner 
Streit  der  Definitionen,  der  sich  bei  der  Unbestimmtheit  im 
allgemeinen  Gebrauche  des  Begriffes  Bewufstsein  nicht  rein 
ausfechten,  sondern  nur  von  jedem  durch  seine  eigene  Er- 
klärung fiir  seine  besonderen  Zwecke  entscheiden  läfst. 

(Fortsetzung  folgt  im  nächsten  Heft.) 


Das  Verschwinden  der  Nachbilder 
bei  Augenbewegungen. 

Von 

Sigmund  Exner. 

Jedem,  der  sich  mit  Nachbildversuchen  beschäftigt  hat, 
ist  die  Thatsache  geläufig,  dafs  Nachbilder  sich  am  besten  bei 
starrem  Blicke  entwickeln,  und  dafs  sie  bei  Augenbewegungen 
zu  verschwinden  pflegen,  um  bei  neuerlicher  Fixation  wieder 
aufzutauchen.  Ich  habe  es  immer  für  ziemlich  selbstverständ- 
lich gehalten,  dafs  die  Ursache  dieser  Erscheinung  in  dem 
ungleichen  Verhalten  der  subjektiven  und  objektiven  Eindrücke 
bei  Bewegungen  des  Bulbus  liege,  habe  diese  Deutung  auch 
schon  vor  Jahren  gelegentlich  in  einer  Anmerkung  erwähnt  * 
und  sie  erst  kürzlich  im  Verlaufe  einer  Diskussion  in  der  Q-e- 
Seilschaft  der  Arzte  zu  Wien  in  folgender  Form  ausge- 
sprochen:^   „Ich  mufs   daran  erinnern,   dafs  subjektive 

Gesichtserscheinungen,  deren  Ursprung  in  der  Netzhaut  ge- 
legen ist,  z.  B.  Nachbilder,  PuBKiNJEsche  Aderfigur,  oder  die 
in  Eede  stehende  Kreislauferscheinung,  fast  nur  gesehen, 
werden,  wenn  das  Auge  starr  nach  einem  Punkte  gerichtet 
ist;  sowie  man  eine  Blickbewegung  ausführt,  verschwinden  die 
subjektiven  Erscheinungen.  Es  hängt  das  ofienbar  damit  zu- 
sammen, dafs  objektive  und  subjektive  Eindrücke  nicht  als 
solche  zu  unterscheiden  sind,  so  lange  das  Auge  ruht,  dafs 
sie  aber  sogleich  voneinander  unterschieden  werden,  wenn  eine 


^  Die  mangelhafte  Erregbarkeit  der  Netzhaut  fOr  Licht  von  abnormer 
Einfallsrichtung.  Siteungsher.  der  Wiener  Akad.  d.  Wies.  LXXXVIII. 
Abt.  ni.    1883. 

'  Brotokoü  d,  k.  k,  Gesellach.  d.  Ärzte  in  Wien,  10.  Jänner  1890. 
Wiener  klin.  Wochenschr.    16.  Jänner. 


4S  Sigm.  Exner. 

Blickbewegnng  ausgeführt  wird,  denn  dann  gehen  die  subjek- 
tiven Erscheinungen  mit  der  Blickbewegnng,  die  objektiven 
verharren  an  ihrem  Orte.  Da  in  unsrem  Leben  im  aUgemeinen 
nur  die  gesehenen  äufseren  Objekte,  nicht  die  subjektiven  Er- 
scheinungen ein  Interesse  haben,  letztere  uns  vielmehr  in  der 
Verwendung  des  Sinnesorganes  hinderlich  sind,  so  ignorieren 
wir  diese,  sobald  sie  sich  überhaupt  als  solche  durch  die  Blick- 
bewegung kenntlich  gemacht  haben.  Dieses  Ignorieren  der 
subjektiven  Erscheinungen  geschieht  aber  nicht  durch  einen 
bewuTsten  Willensakt,  geschieht  vielmehr  durch  einen  centralen 
Mechanismus,^  der,  einer  Beflexhemmung  nicht  ganz  unähnlich, 
ohne  unser  Zuthun,  ja  ohne  unser  Wissen  die  betreffenden 
Eindrücke  dem  BewuTstsein  entrückt" 

Seitdem  sah  ich,  dafs  diese  Deutung  doch  wohl  nicht  so 
selbstverständlich  ist,  wie  ich  geglaubt  hatte.  Es  haben  näm- 
lich die  Hm.  EuG.  Fick  und  A.  Gürbbr,  angeregt  durch 
Hm.  A.  Fick,  in  einer  Abhandlung  über  Netzhauterholung* 
die  Ansicht  ausgesprochen,  dafs  das  Verschwinden  der  Nach- 
bilder bei  Blickbewegungen  auf  einer  plötzlichen,  wenn  auch 
kurzdauernden  Erholung  der  Netzhaut  beruhe,  diese  Erholung 
aber  dadurch  zu  stände  komme,  dafs  der  Zug  der  Augen- 
*  muskeln  den  intraokulären  Druck  ändere  und  dadurch  die  Zir- 
kulation im  Auge  begünstige.  Ähnlich  wie  Blickbewegungen 
wirken  Lidschlag  und  Wechsel  der  Accomodation.  Eine  An- 
zahl von  Versuchen  werden  zur  Erhärtung  dieser  Erklärung 
mitgeteilt. 

Eine  genauere  Erwägung  der  beiden  Deutungsarten,  von 
denen  die  letztgenannte  jedenfalls  den  grofsen  Vorzug  hätte, 
konkretere  und  anschaulichere  Vorstellungen  zu  enthalten, 
liefsen  mir  aber  doch  keinen  Zweifel,  dafs  die  erstere  vorzu- 
ziehen ist,  und  da  diese  Frage,  meines  Wissens,  überhaupt 
noch  nicht  eingehend  diskutiert  worden  ist,  erlaube  ich  mir 
einiges  von  den  Gründen,  die  für  mich  bestimmend  sind,  und 
die  mich  zu  meiner  Auffassung  führten,  hier  vorzubringen. 

Das  Verschwinden  der  Nachbilder  bei  Blickbewegungen 
ist  ein  specieller  Fall  der  allgemeineren  Regel,    dafs    subjek- 


*  Es  mag  hier  dahingestellt  bleiben,  ob  sich  derselbe  phylogenetisch 
oder  ontogenetisch  als  zweckmäfsiger  Apparat  entwickelt  hat. 

*  Bericht  d.  Ophthalmolog.  Geseüsch.  in  Heidelberg.    1889. 


Das  Verschwinden  der  Nachbilder  bei  Augenbewegungen,  49 

tive  Erscheinungen  überhaupt  bei  Blickbewegungen  ver- 
schwinden, also  auch  jene,  bei  welchen  die  Erholung  der  Netz- 
haut, die  FiCK  und  Gürber  zur  Erklärung  des  Verschwindens 
der  Nachbilder  heranziehen,  gar  nicht  in  Betracht  kommt.  Die 
HAiDiNGBRschen  Polarisationsbüschel,  die  Foveafigur,^  die  Netz- 
hautzirkulation, wie  sie  bei  Anstarren  des  blauen  Himmels  gesehen 
wird,  der  MAXWELLsche  Fleck  und  der  LöWEsche  Bing,  die  ich 
jeden  Morgen  beim  Aufschlagen  der  Augen  an  der  Zimmer- 
decke sehe,  in  gewissen  Fällen  die  PuREiNJBsche  Aderfigur 
u.  s.  w.,  sie  alle  verschwinden  bei  Blickbewegungen,  und  doch 
kann  man  nicht  behaupten,  dafs  es  sich  hier  um  Ermüdung 
der  Netzhaut  handele,  die  zum  Schwinden  gebracht  werden 
mufs,  um  die  Erscheinung  zu  zerstören.  Diese  Erscheinungen 
haben  mit  der  Ermüdung  nichts  zu  thun.  Ja  selbst  die  mouches 
volantes  sind  beim  starren  Blick  am  besten  zu  sehen  und 
verschwinden  bei  bewegtem  Blicke  zum  Teile.  Sofern  sie  nicht 
verschwinden,  gehen  sie  eben  nicht  genau  mit  dem  Blicke, 
sondern  bleiben  in  bekannter  Weise  etwas  zurück  oder  sind 
im  Flusse.  Es  wird  eben  alles  ignoriert,  was  die  Blickbewegung 
genau  mitmacht,  denn  es  verrät  sich  dadurch  als  subjektiv, 
und  es  werden  alle  Gesichtseindrücke  wie  jene  der  äufseren 
Objekte  bemerkt,  welche  nicht  Gelegenheit  gehabt  haben,  sich 
in  dieser  Weise  als  subjektive  zu  kennzeichnen. 

.  Auf  diesem  letzteren  umstände  beruht  es,  dafs  das  Zitter- 
licht eines  der  vorzüglichsten  Mittel  ist,  subjektive  Erscheinun- 
gen zu  beobachten.  Sei  es,  dafs  man  durch  die  Speichen 
eines  rotierenden  Bades,  oder  zwischen  den  rasch  hin-  und 
herbewegten  gespreizten  Fingern  hindurchsieht,  oder  nur  sehr 
rasch  hintereinander  blinzelt,  so  sieht  man  Aderfigur,  Fovea- 
figur,  die  Polarisationsbüschel  ohne  Zuhülfenahme  eines  Nikols 
an  den  betreffenden  Teilen  des  Himmels  u.  s.  w.  Man  sieht 
unter  diesen  umständen  auch  die  Nachbilder  in  der  vorzüg- 
lichsten Weise,  ja  ich  benützte  schon  vor  Jahren  das  Zitter- 
licht, das  durch  Blinzeln  erzeugt  wird,  geradezu  als  Mittel,  die 
letzten  Beste  eines  Nachbildes  noch  sichtbar  zu  machen.  Nach 
der    Erholungstheorie   sollte   man    erwarten,    dafs    man    unter 


^  TJm  sich  von  dem  Verschwinden  dieser  beiden  Erscheinungen  zu 
überzeugen,  ist  es  gut,  denselben  durch  Zuhülfenahme  eines  Kobaltgl^ses 
mehr  Stabilit&t  zu  geben. 

Zeitschrift  für  Psychologie.  ^ 


50  Sigm.  Exner. 

diesen  ümständeii  gerade  die  Nachbilder  am  wenigsten  zu 
sehen  bekomme.  Die  Ursache  aber,  ans  welcher  man  die  sub- 
jektiven Erscheinungen  bei  Zitterlicht  so  gut  sieht,  ist  die, 
dafis  in  dem  Bruchteil  einer  Sekunde,  durch  welche  die  Objekte 
jedesmal  gesehen  werden,  nicht  Oelegenheit  ist,  durch  Augenbe- 
wegungen Subjektives  vx>n  Objektivem  zu  unterscheiden,  es  ist 
also  wesentlich  dieselbe  Ursache,  wie  beim  Fixieren. 

In  derselben  Weise  erklart  es  sich,  dafs  man  so  häufig 
subjektive  Erscheinungen,  besonders  auch  Nachbilder,  in  dem 
ersten  Momente  zu  sehen  bekonmit,  wenn  man  von  einer 
Fixation  rasch  in  eine  andre  übergegangen  ist.  Sie  blitzen 
nur  für  kurze  Zeit  auf.  In  diesem  ersten  Momente  ist  eben 
Objektives  und  Subjektives  noch  nicht  getrennt.  So  haben 
HjSkmann,  A.  Fice,  Gübden  und  ich  das  Auftreten  der  Aderfigur 
dunkel  auf  hellem  Grunde  beschrieben,  wenn  man  des  Morgens 
beim  Erwachen  die  Augen  au&chlägt. 

Nach  der  Erholungsiheorie  ist  es  unverständlich,  dafs  ein 
Nachbild  bei  geschlossenem  Auge  nicht  schwindet,  wenn  man 
Blickbewegungen  macht,  auch  nicht,  wenn  man  rhythmischen 
Fingerdruck  auf  den  Bulbus  ausübt,  der  gewifs  grölsere 
Schwankungen  des  intraokulären  Drucks  erzeugt,  als  die  wiU- 
kürlichen  Augenbewegungen  u.  dergl.  Die  Nachbilder  gehen 
dann  mit  den  Blickbewegungen.  Auch  nach  meiner  Auffassung 
könnte  man  erwarten,  dafs  sie  verschwinden;  doch  glaube  ich, 
dafs  sie  im  ersten  Falle  wohl  deshalb  nicht  verschwinden,  weil 
nicht  nur  das  Mitgehen  mit  der  Blickbewegung,  sondern  auch 
das  Stehenbleiben  der  objektiven  Eindrücke  mafsgebend  ist, 
und  letzteres  hier  wegfallt;  deshalb  verschwinden  auch  andre 
subjektive  Erscheinungen  bei  geschlossenen  Augen  durch  die 
Blickbewegungen  nicht,  z.  B.  die  in  der  Umgebung  der  Fovea 
centralis  infolge  von  Druck  auf  den  Bulbus  auftauchende  Licht- 
erscheinung, oder  die  schon  von  Gobthe  beschriebenen  konzen- 
trisch eingehenden  oder  sich  ausbreitenden  komplementär  gefärb- 
ten Kreise;  im  zweiten  Falle,  wo  ein  wechselnder  Fingerdruok  aus 
geübt  wird,  sind  zwar  thatsächlich  Verschiebungen  und  Drehungen 
des  Bulbus  vorhanden,  doch  werden  dieselben,  da  sie  nicht 
durch  willkürliche  Blickbewegungen  hervorgerufen  sind,  nicht 
bemerkt.  Damit  hängt  es  auch  zusammen,  dafs,  wenn  derselbe 
Fingerdruck  bei  geöffnetem  Auge  ausgeübt  wird,  Scheinbewe- 
gungen der  äufseren  Objekte    gesehen   werden.     Ein  Nachbild 


Dixs  Vet^chtoinden  der  Nachbilder  hei  Augenhewegungen.  51 

aber,  das  man  bei  geöffnetem  Auge  beobachtet,  schwindet 
nicht  oder  doch  kaum,  wenn  während  der  Beobachtung  •  der 
Grund  durch  diesen  Fingerdruck  in  Scheinbewegung  versetzt 
wird,  schwindet  aber  wohl,  wenn  ebenso  ausgiebige  Augenbe- 
wegungen gemacht  werden. 

Schliefslich  will  ich  noch  erwähnen,  dafs  ich  beim  Mikro- 
skopieren eine  Erfahrung  gemacht  habe,  die  wohl  viele  Mikro- 
skopiker  bestätigen  dürften,  und  die  zu  der  vorgetragenen 
Auffassung  ein  Gregenstück  bildet.  Man  pflegt  beim  Mikro- 
skopieren das  Präparat  vielfach  zu  verschieben,  und  insbeson- 
dere beim  Unterricht  die  Hand  an  das  Präparat  zu  legen, 
sobald  man  das  Auge  an  das  Okular  bringt.  Da  habe  ich  nun 
vielfach  erfahren,  dafs  ich  es  mir  ganz  abgewöhnt  habe,  im 
Sehfeld  irgend  etwas  zu  bemerken,  was  sich  bei  Verschiebung 
des  Objektes  nicht  bewegt.  Oft  kommt  es  vor,  dafs  der  An- 
fanger mich  nach  einem  Gebilde  fragt,  das  ihm  auf  den  ersten 
Blick  aufgefallen  ist;  ich  hatte  es  nicht  bemerkt.  Ich  mufs 
nochmals  in  das  Mikroskop  blicken,  um  es  zu  erkennen  und 
dem  Schüler  zu  sagen,  es  sei  eine  Verunreinigung  im  Okular 
des  Instrumentes.  Es  hat  sich,  da  es  diesem,  und  nicht  dem 
Objekte  angehört,  nicht  mitbewegt.  Und  wie  oft  ist  der 
Mikroskopiker  erstaunt  über  die  groben  Verunreinigungen  im 
Okular,  die  er  erst  bemerkt,  wenn  er  dieses  dreht  und  ihnen 
so  Bewegung  erteilt. 

Bei  der  Benutzung  des  Mikroskopes  interessiert  uns  nur 
das  Objekt,  und  dieses  ist  dadurch  kenntlich,  dafs  es  sich  in- 
folge der  intendierten  Handbewegung  im  Sehfelde  vorschiebt. 
Deshalb  ignorieren  wir  mit  der  voUen  Macht  der  Gewohnheit 
und,  ohne  uns  dessen  bewu&t  zu  sein,  die  Gesichtseindrücke, 
deren  Ursprung  im  Instrument  liegt,  und  die  bei  dieser  Bewe- 
gxmg  in  Buhe  bleiben.  —  Bei  Benutzung  unseres  Auges  inter- 
essiert uns  auch  nur  das  Objekt,  und  auch  dieses  ist  dadurch 
kenntüch,  dafs  bei  der  intendie;ten  Blickbewegung  sein  Büd 
über  die  Netzhaut  streift.  Was  von  den  Gesiohtseindrücken 
auf  der  Netzhaut  in  Buhe  bleibt,  hat  sich  dadurch  als  dem 
Auge  angehörig  erwiesen  und  wird  ignoriert. 


*1 


Die  innerliche   Sprache  und   ihr  Verhalten  zu  den 
Sinneswahrnehmungen  und  Bewegungen. 

Von 

Hermann  Aubert. 

Dem  Bestreben,  die  physiologischen  und  psychologischen 
Komponenten  unserer  Sinnesthätigkeit  voneinander  abzugrenzen, 
wird  sich  auch  die  Untersuchung  komplexer  Bewegungsprozesse 
anzuschliefsen  haben,  welche  sowohl  mit  den  Funktionen  der 
Sinnesorgane,  als  mit  Seelenthätigkeiten  eng  verbunden  sind. 
Zu  diesen  Prozessen  gehört  die  Sprache,  wenigstens  derjenige 
Teil,  welcher  kürzlich  von  Ballet^  nach  dem  Vorgange  von 
Paülhan*  als  „innerliche  Sprache"  bezeichnet  worden  ist,  also 
die  Beziehung  der  Laut-  und  Schriftsprache  zu  den  Sinnes- 
wahmehmungen,  zu  dem  Vorstellungsvermögen,  dem  Gedächtnis 
für  Sinneseindrücke  und  für  gehörte  oder  gesehene  Worte^ 
sowie  zu  den  zum  Sprechen  oder  Schreiben  der  Worte  erforder- 
lichen Bewegungsvorstellungen. 

Eine  darauf  zielende  Analyse  der  Sprachkomponenten  ist 
schon  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  von  dem  eng- 
lischen Philosophen  David  Hartlby'  unternommen  worden^ 
welcher  unterschieden  hat:  1.  Die  Eindrücke,  welche  auf  das 
Ohr  gemacht  werden;  2.  die  Wirkungen  der  Sprachwerkzeuge; 
3.   Eindrücke,   welche   durch   die   Charaktere   (Schriftzüge)  auf 

*  Gilbert  Ballbt:  Die  innerliche  Sprache  und  die  verschiedenen  Formen 
der  Aphasie,    Deutsch  von  Paul  Bongebs.     1890. 

'  Paülhan:  Le  langage  interieur  in  Eevue  pJUlos.  1886,  Janv.  pag.  84. 

"  David  Hartley:  Observation  on  man,  his  frame,  his  duty  and  his  ex- 
spectations.  Übersetzung  von  1772  Bd.  11,  pag.  2—40.  (Hartlet  starb 
1757.  Eine  neue  englische  Ausgabe  seines  Werkes  ist  in  London  184ä 
erschienen. 


I>ie  innerliche  Sprache  und  ihr  VerhaUten  zu  den  Sinneswahmehmuugen.  53 

das  Auge  gemacht  werden ;  4.  Wirkungen  der  schreibenden 
Hand.  Hartlby  hat  über  die  Associationen  der  Wörter  mit 
den  Gegenständen  und  Ideen  beim  Erlernen  der  Muttersprache 
und  fremder  Sprachen  eine  grofse  Anzahl  treffender  Ausein- 
andersetzungen gemacht.  In  neuerer  Zeit  ist  die  Untersuchung 
der  Momente,  welche  die  Vorstellungen  unserer  Sinnes-  und 
Denkthätigkeit  mit  den  Bewegungsvorstellungen  der  Laut- 
und  Schriftsprache  vermitteln,  durch  die  Beobachtungen  über 
Aphasie  und  Agraphie  wieder  angeregt  worden,  und  nament- 
lieh  die  Pathologen  haben  diese  Untersuchungen,  deren  Bedeu- 
tung für  die  Psychologie  und  Physiologie  der  Sinnesorgane 
besonders  Stkickbr^  hervorgehoben  hat,  unternommen  und 
wesentlich  gefördert. 

Erst  durch  die  Beobachtungen  der  Pathologen  konnte  sicher- 
gestellt werden,  dafs  Aphasie  und  Agraphie  ohne  Störungen 
des  Intellektes  oder  der  Seelenthätigkeit  auftreten,  dafs  sie  ohne 
Lähmungen  der  Sinnesnerven,  ohne  Lähmung  der  beim  Sprechen 
und  Schreiben  in  Betracht  kommenden  Muskeln  oder  motorischen 
Nerven  stattfinden,  dafs  Aphasie  vorhanden  sein  kann,  ohne 
dafs  die  Fähigkeit,  Empfindungen  und  Gedanken  durch  die 
Schrifb  auszudrücken,  irgend  beeinträchtigt  ist.  Dahingehörige 
Beobachtungen  findet  man  bei  Kussmaul',  Bbrnard'  u.  a., 
meist  als  „Aphemie"  bezeichnet.  —  In  entsprechender  Weise 
kann  eine  Unfähigkeit,  zu  schreiben,  eintreten,  ein  Zustand, 
welchen  Ballst  (1.  c.  pag.  137)  treffend  „Aphasie  der  Hand^ 
nennt,  welcher  für  gewöhnlich  „Agraphie"  genannt  wird.  — 
Häufig  und  genau  beobachtet  sind  Fälle  von  „Alexie",  bei 
welchen  geschrieben,  gesprochen,  alle  Obliegenheiten  des  ge- 
wöhnlichen Lebens  prompt  besorgt  werden  können,  nur  die 
Fähigkeit,  Geschriebenes  oder  Q-edrucktes  zu  lesen,  eingebüfst 
ist.  Die  Alexie  wird  auch  als  cecite  verbale,  als  Wortblind- 
heit (Kussmaul  1.  c.  pag.  174,  Bernard  1.  c.  pag.  69,  Charoot, 


*  Stricker:  Stitdien  über  die  Sprachvorstellungen.  Wien,  1880.  pag.  26 — 50 
und  92—100. 

*  Küssmaul:   Die  Störungen  der  Stäche,  in  v.   Ziemssena  Handbuch 
der  Spedeüen  Pathologie  und  Therapie,   Bd.  XII,  Anhang  pag.  157. 

*  D^sir£  Bernard  :   De  V Aphasie.  2.  Ausgabe.  Paris,  1889.  pag.  118  u.  f. 
^  Charcot:   Neue  Vorlesungen  iJiher  die  Krankheiten  des  Nervensystems 

übersetzt  von  Freud.   Leipzig  und  Wien,  1886.   pag.  124. 


54  Herrn.  Äübert. 

Landolt^)  bezeiclmet.  —  Finden  wir  endlich,  dafs  ein  Mensch 
Gedrucktes  und  Geschriebenes  abschreiben,  Fehler,  auf  die  er 
in  der  Abschrift  aufmerksam  gemacht  wird,  richtig  korrigieren 
kann,  ohne  ein  Verständnis  davon  zu  haben,  so  mufs  man 
wohl  mit  Troussbau*  sagen:  „Ce  que  la  psychologie  n'a  pas 
ose  faire,  le  mal  Ta  realise." 

Folgen  wir,  ohne  hier  näher  auf  die  einzelnen  Beobach- 
tungen einzugehen,  den  Schematen,  welche  zur  Klassifizierung 
der  vorkommenden  Sprachstörungen  von  Baginsky,^  Wbrnicke*, 
Kussmaul  (L  c.  pag.  182),  Charcot,^  Lichtheim®  entworfen  wor- 
den sind,  so  finden  wir  im  wesentlichen  übereinstimmend,  wenn 
auch  im  einzelnen  sehr  verschieden  weit  ausgeführt,  immer 
aufser  dem  perzipierenden  Sinnesorgane  und  dem  Intellektcen- 
trum (Seelencentrum)  das  Postulat:  1.  eines  Sprachcentrums, 
2.  eines  Sprechcentrums,  3.  eines  Schrift-  und  4.  eines  Schreibe- 
centrums, welche  teils  untereinander,  teils  mit  den  Sinnes- 
organen und  dem  Intellektcentrum  durch  Leitungsbahnen  ver- 
bunden sind. 

Die  Worte,  aus  welcher  die  Laut-  und  Schriftsprache  ge- 
bildet wird,  sind  konventionelle  Zeichen  für  Empfindungen, 
Vorstellungen,  Gedanken,  Verhältnisse,  welche  den  Dingen 
völlig  inkongruent  sind.  Sie  werden  von  Generation  zu  Gene- 
ration überliefert  und  bilden  das  Mittelglied  zwischen  der 
Sinnes-  und  Geistesthätigkeit  des  einen  Individuums  zu  der 
eines  anderen.  —  Wir  wollen  die  Kombination  psychischer 
Thätigkeit  mit  Sinnesthätigkeit  beiseite  lassen  und  nur  eine 
einfache  Sinnesthätigkeit,  die  Empfindung  des  „Blau''  statt- 
finden lassen.  Dieses  Wort  setzt  aufser  der  Empfindung  im 
Sehnerven  eine  Gehörsempfindung  für  das  gesprochene  Wort 
voraus  —  und  mit  dieser  Gehörsempfindung  verbindet  sich 
auf   dem  Wege    des    Reflexes    ein  Bewegungskomplex,    durch 

^  Landolt:  De  la  cSciU  verbale  in  Feestbundel  DoNDEns-Jubileum. 
Amsterdam,  1888.    pag.  418. 

'  Trousseau  :   Bulletin  Äcad.  imp.  de  Midecine.    T.  XXX,  1865.  pag.  652. 

^  Bagikskt  :   Berliner  Jdiniscke  WocJienschrift   1871.   No.  36  u.  37. 

^  Wernicke:  Der  aphasiache  Symptomenkomplex,  Breslau,  1874;  und 
Lehrbuch  der  GehimhranTcheiten.   Kassel,  1885.   Bd.  I.   pag.  206. 

*  Charoot  :  Schema  s.  bei  D.  Berkard  1.  c.  pag.  37  \ind  Ballet  1.  c. 
-pag.  17. 

•  Lichtheim;  Über  Aphasie,  Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medicin.  1875. 
pag.  203.  (cf.  Ballet  1.  c.  pag.  149.) 


Die  itmerUcJie  Sprache  und  ihr  Verhalten  eu  den  Sinneewahmehmungen.  55 

welchen  das  Wort  gesprochen  wird  und  nun  wiederum  als 
gehörtes  Wort  die  entsprechende  Vorstellung  von  der  Gesiohts- 
empfindung  „Blau''  erzeugt.  Der  ganze  Vorgang  setzt  voraus : 
1.  ein  Sehorgan,  2.  ein  Associationsorgan  zwischen  Gesichts- 
und Gehörsempfindung,  3.  ein  Beflexorgan  zwischen  der  Ge- 
hörsempfindung und  dem  Bewegungskomplex  zum  Aussprechen 
des  Wortes,  4.  ein  Koordinationscentrum  für  die  Sprechbe- 
wegungen. Jedem  dieser  vier  Organe  muTs  eine  Gedächtnis- 
vorrichtung zugeordnet  sein,  wie  uns  die  Beobachtungen  an 
Aphasischen  lehren  —  denn  es  kann  bei  ihnen  die  Zugehörig- 
keit des  Wortes  zu  der  Empfindung  vergessen  worden  sein, 
oder  die  Vorstellung  für  die  Anordnung  der  Bewegungen  oder 
die  Zugehörigkeit  der  Bewegungsvorstellung  zu  der  Gehörs- 
wahmehmung ;  im  letzteren  Falle  kann  di^s  Wort  nur  unmittel- 
bar, nachdem  es  vorgesagt  worden  ist,  nachgesprochen  werden 
(Kussmauls  Fall  1.  c.  p.  166). 

Was  nun  die  jenen  Centren  zuzuschreibenden  Gedächtnisse 
betrifft,  so  gehen  wir  auf  diese  Frage  nicht  ein,  sondern 
schlieisen  uns  der  Auffassung  Herings^  an,  welcher  „das  Ge^ 
dächtnis  oder  Beproduktionsvermögen  als  ein  Grundvermögen 
der  organisierten  Materie^  nachzuweisen  sucht  —  was  in  Bezug 
auf  die  hier  in  Betracht  kommenden  Nervenelemente  wohl 
kaum  in  Zweifel  gezogen  werden  dürfbe.  Die  Ausbildung 
derselben  ist  Sache  der  Erziehung,  und  wir  lassen  es  unbe- 
stimmt, wie  weit  eine  Prädisposition  durch  Vererbung  mit  der 
individuellen  Entwickelung  vergesellschaftet  ist. 

Wenn  wir  die  genannten  Zwischenorgane,  das  Sprach-  und 
Sprech-,  das  Schrift-  und  Schreibecentrum,  welche  die  Ver- 
bindtmg  zwischen  unserer  Seele  und  unseren  Muskeln  bewirken, 
kurz  als  „Verständigungsorgane^  bezeichnen,  so  werden  wir 
dieselben  ihrer  physiologischen  Dignität  nach  den  Beflex- 
mechanismen  gleichzusetzen  haben:  sie  sind  selbständige  Cen- 
tra,  insofern  sie  fortbestehen  bei  den  verschiedenartigen 
Störungen  des  Verstandescentrums  —  aber  sie  sind  beim  ge- 
sunden Menschen  in  steter  Beziehung   mit   dem   psychischen 


^  £.  Hering  :  Über  das  Gedächtnis  als  eine  allgemeine  Funktion  der  orga- 
nisierten Materie.  Feierliche  Sitzung  der  Wiener  Akad.  vom  30.  Mai  1870. 
pag.  170.  —  cfr.  Galtok:  Inqwries  into  human  facuUy;  mental  imagerp, 
London,  1883.  pag.  83,  und  Latcock  :  A  chapter  on  some  organic  laws  of  per- 
sonal  and  ancestral  memory  in  Joum.  of  Mental  Science.   1875.  Juli. 


56  Herrn.  Aubert, 

Centnun,  von  welchem  ihnen  Erregongen  zugehen,  weldie  dann 
Wortvorstellungen  oder  Bewegungsvorstellungen  auslösen,  und 
umgekehrt.  Diese  Wechselbeziehungen  des  Verstandescentrums 
und  des  Yerständigimgscentrums  können  bei  Aphasischen  auch 
unterbrochen  sein  —  der  Kranke  verhalt  sich  dann  nach  dem 
treffenden  Vergleich  Exnebs^  »wie  ein  intelligentes  Tier,  das 
die  Sprache  des  Menschen  wohl  hört,  aber  nicht  versteht^  — 
oder  wie  ein  sprechender  Papagei,  welcher  Worte  ganz  deutlich, 
wie  ein  Mensch,  spricht,  aber  nicht  versteht.  Der  wortblinde 
Alexander  Spobch  (D.  Bbrnard  L  c.  pag.  101)  schreibt  und 
korrigiert  sogar  das  Geschriebene  richtig ,  ohne  es  zu 
verstehen. 

Die  Erscheinungen  bei  Aphasischen  regen  femer  die  Frage 
an,  ob  die  Innervation  unserer  Muskeln  und  die  von  ihnen 
auszuführenden  Bewegungen  einer  Kontrolle  in  Bezug  auf  die 
wirkliche  Ausfahrung  von  Seiten  unserer  Sinnesorgane  bedür- 
fen. Stricker  '  verneint  gerade  im  Hinblick  auf  die  Sprach- 
funktion diese  Frage.  Er  will  nur  ,,motorische  Vorstellungen 
als  Wortvorstellungen^  gelten  lassen  und  spricht  den  reinen 
Wortvorstellungen  jede  Beimischung  von  Sinnesvorstellungen 
ab.  Er  macht  dafür  geltend,  dais  Sinnesvorstellungen  beim 
Denken  in  Worten,  z.  B.  beim  stillen,  nicht  lauten  Lesen  aus- 
geschlossen erscheinen;  ebenso  bei  einem  Dialoge,  den  man  „im 
Geiste^  mit  jemandem  führt.  Ich  wüfste  auch  nicht,  durch 
welche  Sinnesorgane  eine  Kontrolle  unserer  Bewegungen  beim 
Sprechen  geübt  werden  soll.  In  dem  Falle,  welchen  D.  Ber- 
nard (1.  c.  pag.  75)  und  Charcot  (1.  c.  pag.  131)  mitteilen,  scheint 
auch  für  die  Bewegungen  beim  Schreiben  eine  derartige  Kon- 
trolle der  Sinnesorgane  völlig  ausgeschlossen  zu  sein:  der 
Alektische  oder  Wortblinde  sagt  geradezu:  „Ich  schreibe,  als 
wenn  ich  die  Augen  geschlossen  hätte,  ich  lese  nicht,  was  ich 
schreibe.^  Er  schreibt  seinen  eigenen  Namen;  aufgefordert, 
denselben  zu  lesen,  sagt  er:  „Ich  weifs  wohl,  dafs  es  mein 
Name  ist,  aber  lesen  kann  ich  ihn  nicht.''  Der  Auffassung 
Strickers  ganz  konform,  macht  er  es  indes  möglich,  zu  lesen 
dadurch,  dafs  er  einen  Buchstaben    des  Wortes    nach  dem  an- 


^  SiGM.  Exner:  Physiologie  der  Großhirnrinde  in  Her  manne  Handbuch 
der  Physiologie.   U,  2.  pag.  344. 

'  Stbickeb:  Studien  über  die  SprachvoreteUungen,  Wien,  1880.  pag. 
26-50. 


Die  innerUche  SpracJ^e  und  ihr  Verhalten  zu  den  Smneswahrnehmungen.  57 

dem  mit  dem  Finger  nachzieht  und  gelangt  durch  diese  Be- 
wegungen zu  der  Vorstellung  des  Wortes,  welches  er  nun  richtig 
ausspricht.  Dieser  Herr  hat  also  nur  Bewegungsvorstellungen 
von  dem  Worte  gehabt  —  ob  wir  aber  daraus  schliefsen  dürfen, 
dafs  überhaupt  beim  Schreiben  eine  Kontrolle  durch  den  Ge- 
sichtssinn und  Tastsinn  bedeutungslos  ist,  mufs  ich  im  Hinblick 
auf  die  ängstlichen  Bewegungen  der  Eänder  beim  Schreiben- 
lemen  bezweifeln.  Die  Selbstbeobachtung,  wenn  ich  schreibe, 
läfst  es  mir  freilich  unzweifelhaft  erscheinen,  dafs  die  motorische 
oder  BewegungsvorsteUung  hauptsächlich  mafsgebend  ist  für 
die  auszuführenden  Handbewegungen,  doch  sieht  meine  Hand- 
schrift, wenn  ich  beim  Schreiben  die  Augen  schliefse,  abge- 
sehen von  der  Dislokation  auf  der  Papierfläche,  ganz  anders 
aus,  als  wenn  ich  die  Augen  beim  Schreiben  offen  halte.  — 
Charakteristisch  für  den  grofsen  Einflufs  der  Bewegungsvor- 
stellung beim  Schreiben  ist  der  Ausspruch  eines  Agraphischen, 
welchen  Ballet  (1.  c.  pag.  141)  nach  Pitrbs  mitteilt :  Aufgefor- 
dert, das  Wort  „Bordeaux"  zu  schreiben,  sagt  er:  „Ich  weifs 
sehr  wohl,  wie  das  Wort  Bordeaux  geschrieben  wird,  aber 
wenn  ich  mit  der  rechten  Hand  schreiben  will,  weifs  ich  nicht 
mehr,  was  ich  machen  soll."  Den  Buchstaben  L,  den  er  sehr 
wohl  erkennt,  versucht  er  zu  schreiben,  vermag  aber  nur  un- 
zusammenhängende Striche  zu  ziehen,  die  in  nichts  an  die' 
allgemeine  Form  des  Buchstaben  L  erinnern. 

Einen  ähnlichen  Standpunkt,  wie  Stricker  gegenüber  den 
Bewegungen  beim  Sprechen,  nimmt  in  Bezug  auf  die  Augen- 
bewegimgen  Loeb  ^  im  Anschlufse  an  Mach  '  ein,  indem  er  von 
ihnen  sagt :  „Das  Lokalzeichen  eines  indirekt  gesehenen  Punktes 
sei  nichts  anderes,  als  der  Impuls  zur  Blickbewegung  nach 
diesem  Punkte.^^  Mach  hatte  schon  den  Satz  aufgestellt: 
„Der  Wille,  Blickbewegungen  auszuführen,  oder  die  Innervation, 
ist  die  Baumempfindung  selbst."  Gerade  beim  Sprechen  und 
Schreiben  machen  wir  fast  immer  die  Erfahrung,  „dafs  die 
ausgeführte  Bewegung  der  gewollten  genau  entspricht",  denn 
die  ausgesprochenen  Worte  entsprechen  genau  unseren  Wort- 
vorstellungen oder  „motorischen  Vorstellungen"  (Stricker),  und 
ebenso  die  gesungenen  Melodien ;  daher  würde  nach  Loeb  „der 

^  J.  Loeb  :  Untersuchungen  über  cUe  Orientierung  im  FOhlraume  der  Hand 

und  im  Bhckraume  in  Pflügers  Arch.  f.  d.  ges.  Fhysiol.   Bd.  46.  1889.  pag.  30. 

*  E.  Mach:  Beiträge  zur  Analyse  der  Empfindungen.  Jena,  1886.  pag.  57. 


58  Herrn.  Aubert. 

WiUensimpuls  zur  Bewegung,  aber  nicht  die  bei  der  Bewegung 
ausgelösten  Empfindungen  für  die  Ghröfse  und  Sichtung  unserer 
willkürlichen  Bewegungen  mafsgebend  sein".  Die  Bewegungs- 
vorstellung würde  also  dem,  was  Loeb  den  Willensimpuls  zur 
Bewegung  nennt,  gleich  zu  setzen  sein.  Genügt  dann  aber 
die  Bewegungsvorstellung  zur  wirklichen  Ausföhrung  der  Be- 
wegung durch  die  Muskeln,  ohne  dais  eine  Kontrolle  der 
ausgeführten  Bewegung  durch  irgend  welche  Sinnesorgane 
stattfindet  ? 

Dafs  der  Bewegungsvorstellung  eine  genaue  Innervation 
für  den  Grad  der  Zusammenziehung  der  zugehörigen  Muskeln 
zu  Gebote  steht,  wird  man  mit  Loeb  aus  der  Kontinuität  des 
Muskels  mit  der  Nervenzelle  folgern  können,  dafs  aber  ein 
bestimmter  Bewegungsimpuls  für  eine  beabsichtigte  Bewegung 
nach  Gröfse,  Bichtung  und  Zeit  gegeben  werde,  und  dafs  sogar 
die  JEUchtung  der  gewollten  Bewegung  für  die  Baumempfindung 
bestimmend  sei  entgegen  der  fehlerhaft  ausgeführten  Bewegung 
wird  nicht  ohne  Übung  zu  bewirken  sein.  —  Das  Erlernen 
der  Bewegungen  wird  aber  in  Bezug  auf  die  Kontrolle  durch 
ausgelöste  Empfindungen  wohl  zu  unterscheiden  sein  von  den 
Bewegungen,  welche  wir  nach  vielfacher  Übung  und  Erfahrung 
auszufahren  gelernt  haben.  Die  verschiedensten  Arten  von 
Bewegungen  werden  zu  der  Zeit,  wo  wir  sie  erlernen  d.  h. 
einüben,  nicht  so  ausgeführt,  dafs  sie  dem  Zweck  entsprechen, 
zu  welchem  wir  sie  ausfahren  —  das  tritt  u.  a.  sehr  deutlich 
hervor  beim  Spielen  musikalischer  Instrumente  die  Vorstel- 
lung der  Bewegung  und  die  Ausfahrung  der  vorgestellten 
Bewegung  harmonieren  anfangs  sehr  wenig,  und  es  ist  dann 
für  den  Anfänger  (z.  B.  auf  dem  Klavier)  eine  Kontrolle  der 
Bewegungen  durch  Gesicht  und  Getast  geboten;  erst  wenn 
unter  dem  Einflüsse  derselben  die  ausgeführte  Bewegung  häufig 
wiederholt  worden  ist,  gelingt  es,  die  Bewegungsvorstellung 
endlich  mit  einiger  Sicherheit  wirklich  zur  Ausführung  zu 
bringen.  —  Dann  ist  aber  die  eingeübte  Bewegung  zur  Beflex- 
bewegung  geworden,  bei  welcher  doch  immer  eine  Ausbildung 
besonderer  Leitungsbahnen  vorausgesetzt  werden  mufs,  welche 
im  ersteren  Falle  von  einer  Bewegungsvorstellung  auf  die  zu- 
gehörigen Muskelgruppen,  im  zweiten  Falle  von  einem  em- 
pfindenden Punkte  auf  die  zugehörige  Muskelgruppe  führen. 

Die  Bewegungen    des    Sprechens   und   Schreibens    werden 


Die  ifMcrUche  Sprache  und  ihr  Verhalten  zu  den  Sinneswahmehmtmgen.  59 

aber  in  einer  so  frühen  Lebenszeit  eingeübt,  dafs  eine  Selbst- 
beobachtung dabei*  noch  nicht  stattfinden  kann ;  doch  ist  nicht 
blofs  eine  individuelle  Ausbildung,  sondern  auch  eine  Ver- 
erbung der  ausgebüdeten  Leitungsbahnen  unzweifelhaft  an- 
zunehmen. 

Inwieweit  wir  über  die  wirkliche  Ausführung  vorge- 
stellter Bewegungen  durch  irgend  welche  Empfindungen  oder 
Wahrnehmungen  unterrichtet  werden,  ist  für  die  Bewegungen 
beim  Sprechen  und  Schreiben  ganz  besonders  schwierig  zu 
imtersuchen.  Es  wird  sich  empfehlen,  weniger  komplizierte 
Bewegungen  zu  beobachten,  und  ich  habe  schon  vor  30  Jahren 
bei  Gelegenheit  von  Beobachtungen  über  den  Ortssinn  der 
Haut»  die  Erfahrung  gemacht,  „dafs  man  bei  geschlossenen 
Augen  für  gewöhnlich  einen  Punkt  der  Hautoberfläche,  welcher 
eben  berührt  worden  ist,  mittelst  der  Hand-  und  Armbewegungen 
genauer  trifi't,  als  man  nach  der  Feiuheit  des  Baumsinnes  oder 
nach  der  Gröfse  der  Empfindungskreise  erwarten  sollte."  — 
Derartige  Bestimmungen  setzen  aber  nicht  blofs  eine  sehr 
genaue  Orientierung  auf  unserer  Haut,  sondern  auch  eine  ge- 
naue Ausführung  der  Bewegungsvorstellung  voraus. 


^  AuBBRT  und  Kaxmler  :  Untersuchungen  über  den  Druck-  und  Baumsinn 
der  Haut  in  Moleschotts  Untersuchungen  zur  Naturlehre  des  Menschen. 
Bd.  V.  1858.  pag.  175. 


über   eine   falsche  Nachbildlokalisation   und  damit 

Zusammenhängendes. 

Von 

Th.  Lipps. 

Das  Phänomen,  um  das  es  sich  im  Folgenden  handelt,  ist 
von  mir  seit  lange  beobachtet  worden.  Die  erste  darauf  be- 
zügUche  Mitteilung  findet  sich  aber,  so  viel  ich  weil's,  in  E.  Machs 
^Beiträgen  zur  Analyse  der  Empfindungen"^  ^  Jena  1886. 

Mach  berichtet  S.  58  der  genannten  Schrift:  „Wir  be- 
trachten in  einem  dunklen  Zimmer  ein  Licht  A  und  führen 
dann  eine  rasche  Blickbewegung  nach  dem  tieferen  Lichte  B 
AUS.  Das  Licht  A  scheint  hierbei  einen  (rasch  verschwindenden) 
Streifen  nach  oben  zu  ziehen.  Dasselbe  thut  natürlich  auch  das 
Licht  B^  etc. 

Diese  Angabe  Machs  bedarf  verschiedener  Ergänzungen. 
Hier  zunächst  eine  Bichtigstellung  ihres  Sinnes.  Wenn  Mach 
meint,  „dasselbe  thue  natürlich  auch  das  Licht  B^,  so  kann 
dies  nicht  heifsen,  bei  der  einen  und  selben  Blickbewegung 
von  A  nach  B  ziehe  nicht  nur  das  Licht  A^  sondern  auch  das 
Licht  B  einen  Streifen  nach  oben.  Dies  wäre  weder  „natürlich", 
noch  richtig.  Die  Meinung  kann  nur  die  sein,  das  Licht  B 
.ziehe  einen  Streifen  nach  unten,  wenn  der  Blick  rasch  nach 
oben,  also  von  B  nach  A  gehe. 

Oder  allgemeiner  gesagt:  Jeder  leuchtende  Punkt  oder 
Gegenstand,  von  dem  ich  meinen  nach  Blick  irgend  welcher 
Richtung  rasch  wegwende,  scheint  einen  rasch  verschwindenden 
Streifen  nach  entgegengesetzter  Bichtung  zu  ziehen. 

Auch  diese  Behauptung  mufs  noch  verallgemeinert  werden. 
Jedes  von  seiner  Umgebung  genügend  sich  abhebende  Objekt 


über  eine  fdlache  NachbilcUokalistUüm  und  damit  Zusammenhängendes.    61 

überhaupt  scheint  bei  rascher  Wegwendung  des  Blickes  einen 
Streifen  nach  entgegengesetzter  Richtung  aus  sich  zu  entlassen, 
das  leuchtende  Objekt  einen  leuchtenden,  das  weniger  leuch- 
tende einen  schwächeren  und  verwascheneren  hellen,  das  dunkle 
einen  verwaschenen  dunklen. 

Weiter  ist  keineswegs  erforderlich,  dafs  das  Auge  das 
Objekt  erst  fixiert  und  vom  fixierten  Objekte  sich  wegwendet. 
Auch  wenn  das  Auge  eine  rasche  Bewegung  ausführt,  die  den 
Blick  von  einem  indirekt  gesehenen  Objekte  weiter  wegführt, 
geht  aus  dem  Objekt  ein  Streifen  in  der  der  Richtung  dieser 
Bewegung  entgegengesetzten  Bichtung  hervor.  So  scheint, 
wenn  ich  von  einem  Punkte,  der  über  einer  Beihe  von  Lichtem 
sich  befindet,  meinen  Blick  rasch  nach  rechts  oder  weiter  nach 
oben  wende,  jedes  der  Lichter  einen  Streifen  nach  links,  bezw. 
nach  unten  zu  entsenden. 

Freilich  muTs  ich  bemerken,  dafs  es  den  meisten  sehr 
schwer  zu  fallen  scheint,  das  bezeichnete  Phänomen  zu  beob- 
achten. Dies  hat  gewifs  seinen  Hauptgrund  in  der  mangelnden 
Übung  im  indirekten  Sehen.  Darum  mufs  ich  doch  für  meine 
Beobachtungen  vollkommene  Sicherheit  in  Anspruch  nehmen. 
Ich  sehe  etwa,  seit  ich  mich  gewöhnt  habe,  darauf  zu  achten, 
des  Abends  von  den  Strafsenlatemen,  wenn  ich  den  Blick  weg- 
wende, überall  die  bezeichneten  leuchtenden  Streifen  ausgehen. 
Ich  sehe  sie  so  deutlich,  wie  ich  die  Streifen  sehe,  die  ein 
durchs  ruhende  Gesichtsfeld  rasch  hindurch  bewegter  leuchtender 
Gegenstand  erzeugt;  ich  habe  eine  bestimmte  Vorstellung  von 
ihrer  Länge  und  ihrem  meist  unregelm§,fsig  wellenförmigen 
bei  kürzeren  Augenbewegungen  gelegentlich  auffallend  bogen- 
förmigen Verlauf. 

Mach  sieht  in  dem  Streifen  ein  falsch  lokalisiertes  positives 
Nachbild  des  gesehenen  Objektes  und  ohne  Zweifel  mit  Becht 
Dagegen  ist  er  auf  falscher  Fährte,  wenn  er  dahingestellt 
lälst,  durch  welche  „organischen  Einrichtungen"  des  Auges 
diese  falsche  Lokalisation  zu  stände  komme.  Nicht  nui*  giebt  es 
sonst  nichts,  was  auf  solche  besonderen  organischen  Einrich- 
tungen hinwiese.  Es  scheint  mir  auch  jede  solche  Erklärung 
durch  die  Natur  des  Phänomens  ausgeschlossen. 

Dafjs  in  der  That  der  leuchtende  Streifen,  den  das  Licht 
nach  oben  entsendet,  wenn  ich  den  Blick  von  A  nach  unten 
richte,  ein  falsch  lokalisiertes  Nachbild  ist,  davon  habe  ich  den 


62  Th,  Lipps. 

deutlichsten  Eindruck,  wenn  ich  mich  bemühe,  den  BUck  nach- 
her ebenso  rasch  wieder  zum  Lichte  A  zurückzuwenden.  Ich 
sehe  dann  annähernd  denselben  Streifen  noch  einmal  aufleuchten, 
in  ähnlicher  Form  und  gleicher  Farbe  und  Leuchtkraft ;  zugleich 
annähernd  an  derselben  Stelle  und  ebenso  rasch  entstehend  und 
verschwindend.  Vor  allem  wenn  ich  mehrere  Male  nacheinander 
meinen  BUck  von  dem  Lichte  weg-  und  möglichst  rasch  wieder 
zu  ihm  zurückwende,  drängt  sich  mir  die  Gleichartigkeit  oder 
Identität  der  bei  der  Abwendung  und  Wiederkehr  des  Blicks 
auftretenden  Streifen  auf.  Folgen  sich  beide  Streifen  sehr 
rasch,  so  erscheint  schliefslich  das  Auftauchen  und  Verschwinden 
des  einen  und  des  andern  wie  ein  einziger  Vorgang.  Es  ist 
mir,  als  ob  bei  der  Abwendung  des  Blicks  von  dem  Lichte 
ein  Lichtstreifen  nach  oben  schösse,  der  dann  wiederum  durch 
die  Rückkehr  des  Auges  in  das  Licht  zurückgeführt  würde. 

Es  ist  aber  doch  wohl  kein  Zweifel,  dafs  der  bei  der 
Eückkehr  entstehende  Streifen  als  Nachbild,  oder  besser  als 
eine  stetige  Folge  von  Nachbildern  gefafst  werden  mufs.  Die 
Netzhaut  des  Auges  wird  bei  der  Bewegung  nacheinander  an 
einer  Reihe  von  Punkten  gereizt,  und  an  jedem  Punkte  dauert 
der  Beiz  oder  die  Wirkung  des  ßeizes  eine  Zeitlang  nach. 
Daraus  ergiebt  sich  bei  der  hier  vorausgesetzten  Bewegungs- 
richtung ohne  weiteres  die  Wahrnehmung  einer  Lichtlinie, 
die  nach  oben  zu  herausschiefst  und  nach  unten,  nach  dem 
Lichte  zu,  verschwindet. 

Ebensowohl  wird  man  dann  aber  auch  den  bei  der  Weg- 
wendung des  Blicks  entstehenden  Streifen  als  unmittelbare 
ßeiznachwirkung,  als  „Nachbild^  in  diesem  Sinne,  betrachten 
müssen.  Auch  hier  wird  ja  eine  Reihe  von  Netzhautpunkten, 
und  zwar  annähernd  dieselbe  Reihe,  mit  demselben  Ausgangs- 
und Endpunkt,  nacheinander  gereizt,  und  auch  die  Wirkung 
dieser  Reizungen  dauert  nach.  Es  entsteht  also  das  Nachbild 
faktisch.  Was  sollte  dann  der  in  Rede  stehende  Streifen  anders 
sein  als  eben  dies  Nachbild?  Wäre  er  etwas  anderes,  so  müXste 
ja  das  Nachbüd  noch  neben  ihm  gesehen  werden. 

Dieser  Auffassung  entspricht  es  denn  auch,  dafs  wir  den 
Streifen  sich  verkürzen  sehen,  wo  die  Bedingungen  für  die 
Verkürzung  des  Nachbildes  gegeben  sind.  Ich  stelle  etwa  das 
Licht,  das  den  Streifen  aussenden  soll,  so  tief,  dafs  es  bei 
einer  Bewegung  des  Kopfes   naQh  oben  sehr  bald  durch  den 


über  eilte  falsche  NachbildlokaHscaian  und  damit  Zusammenhängendes,     63 

unteren  Teil  des  Gesichts  verdeckt  wird.  Wenn  ich  dann 
vennöge  einer  Bewegung  der  bezeichneten  Art  —  während 
gleichzeitig  die  Augen  in  ihren  Höhlen  ruhen  —  den  Blick 
von  dem  Lichte  wegwende,  so  kann  nur  ein  kurzes  Nachbild 
entstehen.    Entsprechend  sehe  ich  den  Streifen  verkürzt. 

Nun  entwickelt  sich  freilich  das  Nachbild,  das  bei  der 
Wegwendung  des  Blickes  von  einem  Gegenstände  entsteht  oder 
richtiger  zurückbleibt,  in  gleicher  Sichtung,  um  in  entgegen- 
gesetzter zu  verschwinden,  während  bei  dem  in  Hede  stehenden 
Streifen  das  Gegenteil  stattzufinden  scheint.  Aber  eben  in 
diesem  letzteren  umstände  besteht  die  zu  erklärende  falsche 
Lokalisation. 

Diese  falsche  Lokalisation  nun  giebt  sich  bei  genauerer 
Betrachtung  des  bisher,  trotz  der  gemachten  Bemerkungen, 
noch  nicht  genügend  genau  bezeichneten  Phänomens  deutlich 
als  ürteilstäuschung  zu  erkennen. 

Wir  setzen  im  Folgenden  auf  Grund  des  oben  Gesagten 
an  die  Stelle  des  MACHschen  Lichtes  Ä  ein  beliebiges  Objekt  0. 
Von  ihm  denken  wir  uns  den  Blick  nach  oben,  nicht,  wie 
Mach  in  seiner  Mitteilung  voraussetzt,  nach  unten  gewandt. 
Der  Endpunkt  der  Bewegung  heifse  P.  Die  Bewegung  nach 
oben  setze  ich  voraus,  weil  mir  bei  den  dieser  Darlegung  zu 
Grunde  liegenden  Versuchen  die  Blickhebung  weit  müheloser 
erschienen  ist  als  die  BHcksenkung.  Wie  man  weiTs,  ist  im 
Interesse  einer  nachher  zu  erwähnenden  Lokalisationstheorie 
das  Gegenteil  behauptet  worden. 

Lidem  ich  nun  von  0  meinen  Blick  rasch  gegen  P  wende, 
mache  ich  zunächst  eine  Beobachtung,  die  das  Bild,  das  Machs 
oben  citierte  Mitteilung  in  uns  erwecken  könnte,  wesentlich 
verändert.  Ich  sehe  nämlich  zunächst  das  0  selbst,  abgesehen 
von  dem  aus  ihm  hervorgehenden  Streifen,  um  eine  Strecke 
nach  unten  rücken.  Diese  Beobachtung  war  bei  meinen  Ver- 
suchen so  sehr  die  zuerst  sich  aufdrängende,  dafs  sie  sich  mir 
anäknglich  ausschlieislich  aufdrängte.  Ich  habe  sie  in  meinen 
yjPstfchölogischen  Shidien"'  im  ersten  Aufsatze  im  Interesse  meiner 
Lokalisationstheorie  verwendet,  ohne  dabei  des  Streifens,  weil 
ich  auf  ihn  nicht  geachtet  hatte,  zu  gedenken.  —  Es  ist  aber 
mit  der  Erklärung  dieser  scheinbaren  eigenen  Bewegung  des 
0  auch  zur  Erklärung  des  Streifens  das  Wesentlichste  gethan. 

Jene   scheinbare    eigene  Bewegung  des    0   habe   ich   nun 


64  Th.  Lipps. 

schon  am  eben  genannten  Orte  auf  TJrteilstäusolning  zurück- 
geführt. Ich  führe  diese  Erklärung  hier  näher  aus,  um  dann 
von  da  unmittelbar  zu  dem  Besonderen  unseres  gegenwärtigen 
Problems  weiter  zu  gehen. 

Voraussetzung  der  Erklärung  ist,  dafs  Bewegungsempfin- 
dungen des  Auges  mit  der  Einordnung  der  Gesichtseindrücke 
in  das  Sehfeld,  also  mit  der  Wahrnehmung  der  wechselseitigen 
.  Lage  und  Entfernung  gleichzeitig  gesehener  Objekte  nichts  zu 
thun  haben.  Oben  erwähnter  Aufsatz  giebt  —  mir  noch  immer 
zwingend  erscheinende  —  Gründe  für  diese  Voraussetzung. 
Es  ist  aber  eben  die  hier  in  Bede  stehende  Thatsache,  sofern 
ihre  Erklärung  jene  Voraussetzung  nötig  macht,  geeignet,  sie 
zu  bestätigen.  —  Übrigens  werde  ich  auf  die  Meinung,  Augen- 
bewegungen bestimmten  unser  Bewufstsein  der  Gröfse  wahr- 
genommener Entfernungen,  nachher  mit  einem  Wort  zurück- 
kommen. 

Dagegen  geben  gewifs  Bewegungsempfindungen  des  Auges, 
und  nicht  minder  solche  des  Kopfes,  des  Körpers  den  Mafsstab 
ab  zur  Abmessung  der  Verschiebungen,  welche  das  ganze 
Sehfeld  und  jeder  Punkt  desselben  innerhalb  des  uns  umge- 
benden, als  ruhend  gedachten  Gesamtraumes  erleidet;  wir 
beurteilen  nach  der  Gröfse  solcher  Bewegungen  oder  er- 
schliefsen  aus  ihr  die  Gröfse  des  Weges,  den  unser  Blick  eben 
vermöge  dieser  Bewegungen  in  dem  ruhenden  Baume  zurücklegt. 

Wie  dies  zugehe,  ist  leicht  verständlich.  An  sich  enthalten 
jene  Bewegungen  nicht  die  mindeste  Hindeutung  auf  Bäum- 
lichkeit,  also  auch  auf  Raumgröfsen  in  sich.  Sie  selbst  sind 
ja  für  unser  Bewufstsein  nichts  als  eine  Folge  rein  intensiver 
Zustände.  Aber  sie  können  durch  die  Erfahrung  dazu  ge- 
langen, durchmessene  Baumgröfsen  zu  bedeuten.  Ich  wende 
den  Blick  von  einem  ruhenden  A  zu  einem  ebensolchen  JS. 
Den  Weg  von  A  nach  B  und  seine  Gröfse  nehme  ich  wahr, 
unabhängig  von  allen  Augen-  und  sonstigen  Bewegungen.  Zu- 
gleich aber  habe  ich  das  Bewufstsein  jener  stetigen  Beihe  von 
intensiven  Zuständen,  in  welcher  die  Bewegungsempfindung 
besteht.  Das  Zusammentreffen  der  beiden  Bewufstseinsinhalte 
macht,  dafs  sie  sich  verknüpfen.  So  wird  die  Bewegung  zum 
Zeichen  des  durchlaufenen  Weges,  seiner  Bichtung  und  Gröfse. 

Nicht  immer  habe  ich  nun  aber  von  diesen  beiden  Objekten 
meiner  Wahrnehmung,  der  Bewegung  und  der  Weggröfse   ein 


über  eine  falsche  Nachbüdlokaiiaatian  und  damit  Zusammenhängendes.    65 

gleicli  deutliches  BewnCstsein.  Niclit  immer  insbesondere,  wenn 
ich  eine  Blickbewegong  ausführe,  achte  ich  gleich  sorgfaltig 
auf  die  Gröfse  des  durchlaufenen  Weges.  Wenn  ich  von  einem 
Punkte  mein  Auge  rasch  zu  einem  weiter  entfernten  wende, 
so  pflege  ich  dies  zu  thun,  weil  dort  ein  Objekt  ist,  das  meine 
Aufmerksamkeit  reizt.  Es  kommt  mir  dann  darauf  an,  das 
Objekt  möglichst  rasch  zu  fassen,  nicht  aber  mir  von  dem 
zwischen  beiden  Punkten  liegenden  Weg  und  seiner  Gröfse 
Itechenschaft  zu  geben,  und  umgekehrt,  wenn  mein  Interesse 
darauf  gerichtet  ist,  eine  Weggröfse  abzumessen  und  mir  ein- 
zuprägen, dann  fliege  ich  nicht  vom  Anfangspunkte  zum  End- 
punkt dieses  Weges  mögUchst  rasch  und  in  einem  Zuge,  ohne 
Anhalt  und  Beachtung  des  Zwischenliegenden,  sondern  gehe 
schrittweise,  da  imd  dort  thatsächlich  oder  in  Gedanken  anhal- 
tend, absetzend,  verweilend.  Ich  verfahre  so,  selbst  wenn  ich 
meine,  die  Bewegung  in  einem  Zuge  auszufahren.  Damit 
zerfällt  die  Bewegung  jedesmal  in  eine  Beihe  mehr  oder 
weniger  abgegrenzter  Teilbewegungen,  der  Weg  in  eine  Folge 
von  Wegteilen,  die  jenen  Teilbewegungen  zugehören.  Nicht 
die  Bewegung  als  unterschiedsloses  Ganzes,  sondern  diese  durch 
Haltpunkte  geteüte  Bewegung  wird  sonach  zum  Zeichen  des 
durchlaufenen  Weges  oder  der  Folge  von  Teilen,  in  die  er 
zerfallt,  und  es  leuchtet  ein,  dafs  die  Bewegung  zu  einem 
um  so  sichereren  Zeichen  für  den  thatsächhch,  d.  h.  nach  Aus- 
sage der  Wahrnehmung  durchlaufenen  Weg,  zu  einem  um  so 
sichereren  Mafsstab  für  die  Gröfse  dieses  Weges  werden  mufs, 
je  mehr  die  Bewegung  in  Teile  zerfiel  und  jeder  Teil  mit  dem 
zugehörigen  und  für  sich  aufgefafsten  Stück  des  durchlaufenen 
Weges  sich  verbinden  konnte. 

In  unserem  Zusammenhange  handelt  es  sich  nun  aber  um 
Bewegungen,  die  relativ  grofs  und  eben  dadurch  ausgezeichnet 
sind,  dafs  das  sie  ausfahrende  Auge  von  einem  Funkte  zum  an- 
dern ohne  Anhalt  fliegt,  so  dafs  die  Bewegung,  soweit  irgend  mög- 
lich, nur  als  unterschiedsloses  Ganzes  zum  Bewufstsein  kommt. 
Um  dies  zu  erhärten,  fuge  ich  hier  wiederum  den  oben  ge- 
machten Angaben  eide  ergänzende  Bemerkung  hinzu.  Die 
scheinbare  Bewegung  des  0  -*-  wenn  ich  von  0  nach  P  gehe  — , 
ist  bei  der  ersten  Blickbewegung  vielleicht  wenig  merklich. 
Sie  steigert  sich  dann,  wenn  ich  die  Blickbewegung  durch 
öftere  Wiederholung  einübe.     Sie  wird  am  gröfsten,   wenn  ich 

Zeitschrift  lOr  Psychologie.  ^ 


66  Th.  Li^pps, 

68  80  weit  gebracht  habe,  dafs  ich  die  Bewegung  unwillkürlich, 
einer  Art  von  Zwang  gehorchend,  also  so  leicht  nnd  anhaltlos 
als  möglich  vollziehe. 

Da  solche  Beweg^nngen  dnrch  die  Erfahrong  nicht  als 
solche  zn  Zeichen  von  bestimmten  Weggröfsen  haben  werden 
können,  so  kann  ich  die  Ghröfse  des  Weges,  der  dnrch  sie 
znrackgelegt  wird,  nnr  schätzen  nach  Analogie  der  vorhin 
bezeichneten  „geteilten''  Bewegungen.  Wie  die  Ghröfse  unser 
„ungeteilten"  Bewegungen  zur  Gröfse  dieser  „geteilten"  Be- 
wegungen, so  müssen  sich  die  durch  beide  zurückgelegten  Wege 
zu  einander  zu  verhalten  scheinen.  Jene  Bewegungen  werden 
aber  im  Vergleich  mit  diesen  notwendig  unterschätzt.  Also 
müssen  auch  die  durch  jene  zurückgelegten  Weggröfsen  unter- 
schätzt werden. 

Wir  schätzen  Zeitgröfsen  verschieden  je  nach  der  Art 
dessen,  was  sie  erfüllt.  Die  Zeit  verfliegt,  wenn  ein  einheit- 
licher und  stetiger  Zusammenhang  von  Gedanken  oder  Erleb- 
nissen uns  beschäftigt,  in  welchem  jedes  einzelne  Moment  nicht 
als  solches,  sondern  nur  als  Durchgangspunkt  innerhalb  des  Gan- 
zen in  Betracht  kommt.  Sie  schleicht,  wenn  wir  bald  dieser,  bald 
jener  äufseren  oder  gedanklichen  Beschäftigung  uns  zuwenden, 
oder  wenn  verschiedenartige,  gegeneinander  relativ  selbständige 
und  für  sich  bedeutungsvolle  Erlebnisse  sich  folgen. 

Dieser  Unterschied  der  Schätzung  überträgt  sich  auch  auf 
Weggröfsen.  Der  Weg,  den  ich  gehe,  wird  verkürzt  durch 
die  das  Interesse  spannende,  d.  h.  die  Vorstellungsthätigkeit  von 
Punkt  zu  Punkt  ohne  Anhalt  und  Unterbrechung  weiterfuhrende 
Unterhaltung ;  er  erscheint  lang,  wenn  die  Unterhaltung  stockt, 
immer  wieder  von  neuem  und  mit  neuen  Gedanken  einsetzt. 
In  ähnlicher  Weise  scheint  mir  unter  im  übrigen  gleichen 
Umständen  auch  der  geläufige  Weg,  den  ich  von  vorn- 
herein als  Ganzes  im  Auge  habe,  kürzer  als  der  neue,  der 
durch  immer  neue  Wahrnehmungen  für  meine  Auffassung 
in  eine  gröfsere  oder  geringere  Anzahl  selbständiger  Teile 
zerlegt  wird. 

Auch  die  Unterschätzung  der  ununterbrochenen  Linie  im 
Vergleiche  mit  der  durch  Querstriche  geteilten  kann  hierher 
gezogen  werden.  Wiederum  zerfällt  jene  für  meine  successive 
Auffassung  und  Einprägung  in  eine  Eeihe  relativ  selbständig 
auffafsbarer  Teile;  die  Querstriche  wirken   als  Haltpunkte,   die 


über  eine  falsche  NachbildlokaUsation  und  damit  Zusammenhängendes,    67 

dem    Zasammenscilrumpfen   wehren.      Dieser   fehlen   die  Halt- 
punkte, darum  schrumpft  sie  in  der  Vorstellung  zusammen. 

Nach  solchen  Analogien  nun  mufs  auch  die  Bewegung  des 
Blickes  von  0  nach  P,  also  auch  der  Weg,  den  ich  damit 
zurücklege,  unterschätzt  werden.  Zugleich  sehe  ich  doch,  wäh- 
rend ich  die  Bewegung  ausführe,  welche  wirkliche  Entfernung 
zwischen  0  und  dem  Blickpunkt  des  Auges  allmählich  entsteht. 
Soweit  die  Entstehung  dieser  Entfernung  nicht  der  Bewegung 
des  Blickes  ihr  Dasein  verdankt,  kann  sie  nur  in  einer  eige- 
nen, entgegengesetzt  gerichteten  Bewegung  des  0  ihren 
Grund  haben.  Ich  deute  also  notwendig  den  Vorgang  in 
diesem  Sinne. 

Von  hier  aus  nun  kann  ich  sogleich  weitergehen.  Jene  Deutung 
gerät  nämlich  in  Gefahr  des  Widerspruchs  mit  der  Wahrnehmung. 
Wenn  0  eine  eigene  Bewegung  nach  unten  ausführt,  so  muLs  es 
sich  auch  von  P  entfernen,  es  sei  denn,  dafs  auch  Pum  die  gleiche 
Gröfse  nach  unten  rückt.  Von  einer  solchen  Bewegung  des 
P  bemerke  ich  aber  nichts,  solange  mir  nur  daran  liegt,  von 
0  möglichst  rasch  nach  P  zu  kommen,  solange  0  nur  Aus- 
gangspunkt, P  nur  Zielpunkt  der  Bewegung  ist.  Als  Zielpunkt 
der  Bewegung  erscheint  mir  P  fest;  und  ich  denke,  es  ist 
leicht  zu  sehen,  warum.  P  erscheint  fest,  weil  ich  es,  eben 
als  Zielpunkt,  in  Gedanken  festhalte.  Dies  muTs  ich  aber  thun. 
Die  Blickbewegung,  um  die  es  sich  hier  handelt,  ist  eine  jedes 
Zögern,  jedes  Schwanken,  jede  Unbestimmtheit  ausschliefsende. 
Dies  setzt  voraus,  dafs  mein  auf  die  Bewegung  gerichtetes 
Wollen  ein  durchaus  bestimmtes,  eindeutiges,  ohne  Schwanken 
sich  selbst  gleiches  sei.  Und  deraxt  kann  mein  Wollen  nicht 
sein,  wenn  ich  mir  nicht  das  Ziel  als  ein  eindeutiges,  als  un- 
verrückbar dasselbe  denke.  Der  Wille  zu  jener  BUckbewegung 
schliefst  also  die  Vorstellung  der  räumlichen  Identität  des  P 
mit  sich  unmittelbar  in  sich.  Der  Gedanke  dieser  räumlichen 
Identität  ist  für  mich,  indem  ich  die  Bewegung  ausführen  will 
und  ausfahre,  unvermeidliche  Voraussetzung.  Ich  kann  danach, 
wenn  ich  die  Blickbewegung  unterschätze,  nicht  P  als  mir 
durch  eigene  Bewegung  entgegenkommend,  sondern  nur  0, 
das  durch  kein  solches  Vorurteil  an  der  eigenen  Bewegung 
verhindert  wird,    als  von  mir  fliehend  betrachten. 

Erst  wenn  ich,  statt  nur  immer  —  der  Absicht  nach  — 
von  0  nach  P  zu  gehen,  vielmehr  rasch  zwischen  0  und  P 

5* 


68  ^»-  Lipps. 

• 

hin  und  her  gehe  und  nach  Möglichkeit  auf  beide  zugleich 
achte  und  ihren  wahrgenommenen  räumlichen  Zusammenhang 
festhalte,  also  die  Bewegung  auf  das  feste  System  0  P  zu  be- 
ziehen mich  bemühe,  scheinen  mir  beide  in  der  meiner  Blick- 
bewegung entgegengesetzten  Sichtung  sich  zu  bewegen.  Ich 
kann  so  in  der  That  willkürlich  0  allein  oder  0  und  P  sich  schein- 
bar verschieben  lassen. 

Immerhin  können  auch  im  letzteren  Falle  die  scheinbaren 
Bewegungen  von  0  und  P  nicht  die  gleiche  Gröfse  haben. 
Ich  mag  noch  so  sehr  zwischen  0  und  P  hin  und  her  gehen, 
bei  jeder  einzelnen  Bewegung  ist  darum  doch  entweder  0  Aus- 
gangspunkt und  P  Zielpunkt  oder  umgekehrt.  Und  besteht 
überhaupt  die  Neigung,  den  Zielpunkt  als  fest  zu  betrachten, 
so  mufs  diese  Neigung  auch  hier  wirken.  Die  Bemühung,  0 
und  P  samt  ihrer  wahrgenommenen  räumlichen  Distanz  festzu- 
halten, wird  zwar,  wenn  P  Zielpunkt  ist,  das  P,  und  ebenso, 
wenn  0  Zielpunkt  ist,  das  0  in  die  scheinbare  Bewegung  mit 
hineinzwingen;  aber  die  der  Blickbewegung  entgegenkommende 
eigene  Bewegung  des  Zielpunktes  muss  doch  immer  hinter  der 
Fluchtbewegung  des  Ausgangspunktes  zurückzubleiben  scheinen. 

Darnach  ergiebt  sich  iu  beiden  hier  unterschiedenen  Fällen 
während  der  Blickbewegung  von"  0  nach  P  der  Gedanke  einer 
Eigenbewegung  des  0,  durch  welche,  wenn  sie  wirkUch  statt- 
fände, 0  um  eine  Strecke  von  P  weggerückt,  also  die  Ent- 
fernung 0  P  um  ein  Stück  vergröfsert  werden  müfste.  Durch 
diesen  Gedanken  nun  trete  ich  in  Widerspruch  mit  der  Wahr- 
nehmung, derzufolge  die  Entfernung  zwischen  0  und  P  wäh- 
rend des  Vorganges  sich  selbst  gleich  geblieben  ist.  Ich  sehe 
ja,  wenn  ich  bei  P  angelangt  bin,  0  von  P  soweit  entfernt, 
als  beim  Beginn  der  Bewegung  P  von  0  entfernt  war.  Freilich 
ist  dies  Gleichheitsbewufstsein  kein  absolut  sicheres;  es  schwankt 
zwischen  gewissen  Grenzen.  Eine  geringe  Vergröfserung  jener 
Entfernung  werde  ich  übersehen,  ich  werde  mir  also  auch  den 
Schein  einer  solchen  anstandslos  gefallen  lassen.  0  wird  sogar, 
ohne  dafs  der  Widerspruch  fühlbar  wird,  um  so  weiter  schein- 
bar nach  unten  rücken  und  dabei  P  hinter  sich  zurück  lassen 
dürfen,  je  gröfser  die  Entfernung  0  P  ist.  Und  es  ist,  wie 
wir  später  sehen  werden,  nicht  ohne  Bedeutung,  dafs  es  sich 
so  verhält.  —  Soweit  aber  jenes  Gleichheitsbewufstsein  reicht, 
bleibt  der  bezeichnete  Widerspruch  in  Kraft. 


über  eine  feilsche  NachbüdlokäUaatüm  und  damit  Zusammenhängendes,    69 

Soweit  er  nun  bestellt  und  in  Kraft  bleibt,  mufs  er  ge- 
löst werden.  Er  kann  aber  gelöst  werden,  wenn  es  eine 
Wabmehmung  giebt,  die  uns  erlaubt,  beide  einander  wider- 
sprechende Gedanken,  den,  dafs  0  nach  unten  rücke  und  P 
hinter  sich  lasse,  und  den  andern,  dafs  0  dann  doch  wiederum 
annähernd  in  der  ursprünglichen  Entfernung  von  P  sich  be- 
finde, in  dem  Gedanken  der  Bückkehr  des  0  nach  oben  zu  ver- 
einigen. —  Eine  solche  Wahrnehmung  nun  ist  die  Wahr- 
nehmung des  Nachbildstreifens. 

Indem  wir  diesen  Nachbildstreifen  jetzt  in  den  Kreis  der 
Betrachtung  ziehen,  haben  wir  aber  zunächst  Folgendes  zu 
beachten.  In  dem  Streifen  widerholt  sich  von  Punkt  zu  Punkt 
das  Bild  des  Objektes.  An  jedem  Punkte  haben  wir  das  Ob- 
jekt, wenn  auch  nicht  überall  gleich  deutlich.  Unterscheiden 
wir  dennoch  in  einem  solchen  Streifen  das  Objekt  selbst  von 
dem  Streifen,  der  von  ihm  ausgeht,  oder  den  es  nach  sich 
zieht,  und  weisen  diesem  Objekte  an  einem  bestimmten  Punkte 
des  Streifens  seine  Stelle  an,  so  müssen  wir  dafür  jedesmal 
einen  besonderen  Grund  haben.  Wir  wissen  aber  einstweilen 
noch  nicht,  wo  wir  bei  der  Eigenartigkeit  unseres  Phänomens 
Grund  haben  werden,  innerhalb  unseres  Streifens  das  „Objekt 
selbst^  zu  suchen. 

Danach  ist  für  uns  der  Streifen,  der  vom  Objekte  0  nach 
oben  geht,  zunächst  eben  ein  Streifen  —  ohne  weiteren  Zu- 
satz. Er  hat  ein  unteres  Ende,  das  wir  Oi,  ein  oberes,  das  wir 
Ck  nennen  wollen.  Bisher  sahen  wir  infolge  der  ünterschätzung 
der  Blickbewegung  das  0  nach  unten  rücken;  jetzt  verrückt 
sich  an  seiner  Stelle  der  Streifen.  Er  thut  es,  indem  er  nach 
oben  zu  entsteht. 

Setzen  wir  nun  die  Gröfse,  um  die  wir  die  Bewegung 
des  Blickes  unterschätzen,  also  zugleich  die  Gröfse,  um  welche 
der  Streifen  nach  unten  zu  rücken  scheint  =  m,  die  Länge 
des  Streifens  =  n,  und  nehmen  an,  m  sei  =  n.  Dann  mufs  (h 
während  der  Entstehung  des  Streifens  annähernd  in  Buhe  zu 
bleiben  und  der  Streifen  von  ihm  aus  nach  unten  zu  entstehen 
scheinen. 

Der  Streifen  verschwindet  dann  wieder  und  zieht  sich  in 
das  Objekt  zusanmien.  Zugleich  fordert,  indem  wir  dem  End- 
punkt P  der  Bewegung  uns  nähern  oder  nachdem  wir  bei  ihm 
angelangt  sind,  mehr  und  mehr  die  Wahrnehmung,  dais  Oi  nicht 


70  ^-  Lipps. 

wesentlich  von  P  sich  entfernt  habe,  ihr  Becht  und  zwingt 
uns,  den  Gedanken,  dafs  Oi  nach  unten  gerückt  sei,  rück- 
gängig zu  machen.  Dies  können  wir  nur,  indem  wir  die  Be- 
wegung des  Ol  in  Gedanken  rückgängig  machen.  Eben  dazu 
aber  bietet  uns  das  Verschwinden  des  Streifens  Gelegenheit. 
Dafs  der  Streifen  sich  in  das  Objekt  zusammenzieht,  und  dafs 
sein  unteres  Ende  trotz  der  scheinbaren  Bewegung  nach  unten 
nun  doch  annähernd  in  seiner  ursprünglichen  Lage  gesehen 
wird,  dies  beides  vereinigt  sich  von  selbst  zu  dem  Gedanken, 
der  Streifen  habe  sich  in  der  Richtung  nach  oben  ins  Objekt 
zusammengezogen.  Ich  deute  also,  was  ich  sehe,  in  diesem 
Sinn.  Indem  ich  so  den  zwingenden,  aber  der  Wahrnehmung 
widersprechenden  Gedanken  der  Bewegung  nach  unten  in 
meinen  Gedanken  korrigiere,    hebe    ich  den  Widerspruch  auf. 

Jetzt  erst  stellen  wir  auch  die  Frage  nach  dem  Orte,  den 
wir  dem  Objekte  selbst  innerhalb  des  Streifens,  also  während 
des  ganzen  wirklichen  und  scheinbaren  optischen  Vorgangs 
anweisen. 

Da  das  Objekt  selbst,   ich  meine  das  an  seiner  Stelle  ge- 
sehene und  nicht  blofs  als  Nachbild  im  Auge  vorhandene,  in 
Wirklichkeit  immer  das  untere  Ende  des  Streifens  bildet,  also 
mit  Oj  zusammenfallt,    so  sollte  man    zunächst  erwarten,    dafs 
man   es    auch  während   des    ganzen  Vorganges    da   zu   sehen 
glaubte.     Es  müfste  dann  das  Objekt  nach  unten  zu  schiefsen 
und  den  Streifen  hinter  sich  herzuziehen  scheinen,  um  nachher 
wieder,  während    der   Streifen  verlischt,    nach    oben  zurückzu- 
kehren.    Und    zwar  müfste    es    in    der  Weise  zurückzukehren 
scheinen,    als   ob    es    von    dem  sich   in  sich    selbst  zusammen- 
ziehenden Streifen  nachgezogen,    sozusagen  aufgesogen  würde. 
In  der  That  ist  diese  Deutung  nicht  die  naturgemäfse.    Ange- 
nommen,   das    Objekt    führte   jene    scheinbaren    Bewegungen 
wirklich  aus,  es  würde  etwa  ein  Licht  vor  dem  ruhenden  Auge 
rasch  nach  unten,  dann  wiederum  ebenso  rasch  nach  oben  ge- 
schoben,  so    ergäbe  sich   ja  ein   völlig    anderes  Bild.     Da  wir 
dies  Bild  nicht  haben,  sondern  nur  eben   das  Verlöschen  eines 
Streifens    wahrnehmen,    so    müssen   wir    die    entgegengesetzte 
Deutung   vorziehen,  d.  h.  wir    müssen    annehmen,    das    Objekt 
bleibe  annähernd   an  seiner  Stelle,   und   entlasse   den  Streifen 
nach  unten,  um  ihn  dann  nach  oben  zu  wieder  in  sich  zurück- 
zunehmen.    Diese  Deutung  ist  die  widerspruchlosere.     Sie    ist 


über  eine  faische  NcuihbildlohiUsation  und  damit  Zuseanmenhängendes,    71 

davon  abgesehes,  weil  sie  hinsichtlicli  des  Verhaltens  des  Ob- 
jektes die  einfachsten  Voraussetzungen  macht,  die  einfachste. 
Es  kommt  derselben  auikerdem  zu  gute,  dafs  überall  zwischen 
Anfang  und  Ende  des  Streifens  die  Bilder  des  Objektes  sich 
übereinander  schieben  und  nur  oben  und  unten  das  Objekt 
klarer  sich  abgrenzt,  dafs  aber  wiederum  das  untere  Ende  am 
weitesten  in  das  Gebiet  des  indirekten  Sehens  rückt,  wo  die 
Bestimmtheit  des  Sehens  mehr  und  mehr  sich  yermindert.  Wir 
sind  aber,  von  andern  Gründen  abgesehen,  gewifs  zunächst 
geneigt,  das  Objekt  da  zu  suchen,  wo  es  uns  am  klarsten  und 
bestimmtesten  entgegentritt.  Wir  suchen  es  im  übrigen  am 
naturgem&fsesten  da,  wo  wir  es  beim  Beginn  des  ganzen  Vor- 
ganges gesehen  haben  und  am  Ende  desselben  wiedersehen. 

Damit  ist  aber  doch  nicht  ausgeschlossen,  dais  auch  die 
thatsächliche  und  unserer  Beobachtung  sich  nicht  völlig  ent- 
ziehende Identität  des  Objektes  mit  0^  eine  gewisse  Wirkung 
übt.  In  der  That  sehe  ich,  wie  bereits  betont,  das  Objekt, 
indem  es  den  Streifen  nach  unten  aus  sich  zu  entlassen 
scheint,  immer  zugleich  selbst  in  gewissem  Grade  nach  unten 
wegschieisen  oder  wegzucken.  Es  ist  mir,  als  ob  es  eben  bei 
dieser  Bewegung  den  Streifen  sozusagen  aus  sich  herauswürfe ; 
nur  dafs  es  dabei  doch  nicht  wesentlich  von  der  Stelle,  bezw. 
von  P  hinwegzurücken  scheint.  Übrigens  begegnet  es  mir  auch 
gelegentlich,  dafs  ich,  die  entgegenstehenden  Momente  über- 
sehend, schwanke,  ob  nicht  doch  das  Objekt  selbst  die  ganze 
Bewegung  nach .  unten  auszufahren  und  dabei  den  Streifen 
hinter  sich  herzuziehen  scheine. 

Dais  dann,  wenn  auch  P  sich  zu  bewegen  scheint,  das 
Objekt  entsprechend  weiter  nach  unten  zu  rücken  imd  da  zu 
bleiben  scheint,  und  warum  das  der  Fall  sei,  ergiebt  sich  aus 
früher  Gesagtem. 

Eine  mittlere,  nicht  allzu  grofse  Entfernung  des  P  von  0 
habe  ich  bisher  in  Gedanken  vorausgesetzt.  Nur  bei  einer 
solchen  trifft  die  bisherige  DarsteUungsweise  in  allen  Teüen 
zu.    Lassen  wir  jetzt  die  Entfernung  kleiner  werden. 

Angenommen,  die  möglichst  rasche  Bewegung  des  Blickes 
von  0  nach  P  besäfse  bei  jeder  Gröfse  der  Distanz  OP  dieselbe 
Geschwindigkeit,  so  müfste  sich  immer  ein  gleich  langer  Nach- 
bildstreifen entwickeln  können.  Jene  Voraussetzung  trifft  aber 
offenbar  nicht  zu.     Ich  habe  ein  deutliches  Gefohl,  dafs  es  mich 


72  Th'  ^PP*' 

Mühe  kostet,  meinen  Blick  rasch  von  0  wegzuwenden  nnd  die 
Bewegung  an  einem  nahe  gelegenen  Punkte  P  zu  sistieren. 
Ich  bin  subjektiv  gewifs,  (Jafs  die  Bemühung,  den  Blick  nicht 
weiter  fliegen  zu  lassen,  die  Bewegung  verlangsamt.  Darum 
wundert  es  mich  nicht,  dafs  bei  kleineren  Entfernungen  OP 
die  Länge  n  des  Nachbildstreifens  sich  verkleinert  und  schlieiB- 
lieh  gar  kein  solcher  mehr  zu  stände  kommt.  Zugleich  ver- 
ringert sich  auch  das  Mals,  um  welches  die  Bewegung  unter- 
schätzt wird,  also  die  Ghröfse  m,  und  zwar,  wie  man  erwarten 
wird,   schneller  als  n.    m  wird  mehr  und   mehr  kleiner  als  n. 

Geschieht  dies  nun,  so  mufs  unseren  Voraussetzungen  zu- 
folge das  Objekt  den  rasch  verschwindenden  Streifen  night 
blois  nach  unten,  sondern  mehr  und  mehr  zugleich  nach  oben 
zu  entsenden  scheinen,  nicht  absolut  gleichzeitig,  sondern  so, 
dafs  der  Streifen  nach  oben  in  seinem  Entstehen  und  Vergehen 
dem  nagh  unten  etwas  vorauseilt.  Zugleich  werden  wir  augh 
hier  den  Eindruck  haben  müssen,  dafs  das  Obiekt  selbst  um 
ein  Stü,k,  nur  mn  ein  inuner  ^ringeres  Stüi  na«h  unten 
zuQkt.  Dies  entspricht  denn  augh  meinen  Beobachtungen  voll- 
kommen, und  ich  sehe  darin  eine  besonders  deutliche  Bestä- 
tigung der  Bightigkeit  meiner  Erklärung. 

EndÜQh  gelingt  es  mir  auch,  obgleich  nur  SQhwer  und  nur  bei 
möglichst  kleinen  und  wohleingeübten  Bewegungen,  den  Streifen 
nur  nach  oben,  gelegentlich  bis  zu  P  herausschiefsen  zu  sehen, 
während  das  Objekt  ganz  kurz  nach  unten  zu  zucken  scheint. 
Hier  schwindet  die  falsche  Lokalisation  des  Nachbildes  voll- 
ständig, weil  die  Bedingungen  geschwunden  sind,  auf  denen 
nach  unseren  Voraussetzungen  das  Phänomen  beruht. 

umgekehrt  scheint  das  Objekt,  wenn  die  Entfernung  OP 
sich  vergröfsert,  nicht  nur  einen  längeren  Streifen  nach  unten 
zu  ziehen,  sondern  zugleich  selbst  immer  stärker  nach  unten 
zu  rücken  und  da  zu  verbleiben.  Dies  erklärt  sich  daraus, 
dafs  wir,  wie  oben  bemerkt,  uns  bei  gröfserer  Entfernung  OP 
ein  stärkeres  Wegrücken  des  0  gefallen  lassen  können,  ohne 
den  Widerspruch  zwischen  diesem  G-edanken  und  der  Wahr- 
nehmung des  sich  gleichbleibenden  räumlichen  Verhältnisses 
zwischen  0  und  P  zu  fühlen. 

Noch  eine  Beobachtung  habe  ich  zu  erwähnen,  die  mir 
zuerst  an  dem  ganzen  Phänomen  als  das  Merkwürdigste  er- 
schien.    Angenommen,  das  Objekt,   von  dem  ich  meinen  Blick 


über  eine  falsche  NachbildlokalisaHon  und  danUt  Zuaammenhängendee.    73 

rasch  nach  oben  wende,  sei  ein  auf  einem  Tische  stehendes 
brennendes  Licht.  Dann  scheint  der  von  dem  Lichte  nach 
unten  gehende  Streifen  über  den  Tisch  hinweg  nach  unten  zu 
schiefsen.  In  solchen  Fällen  gewinnt  natürlich  der  Eindruck, 
dafs  wirklich  ein  vom  Objekte  verschiedener  Streifen  nach  unten 
gehe,  besondere  Stärke.  Der  bezeichnete  Umstand  verliert 
aber  sein  Wunderbares,  wenn  man  bedenkt,  dais  das  Auge  bei 
seiner  Bewegung,  ebenso  wie  das  Bild  des  Lichtes,  auch  das 
Bild  des  Tisches  mitnimmt  und  das  mitgenommene  Bild  ftlr 
das  an  seiner  Stelle  gebliebene  Objekt  hält.  Es  bewegt  sich 
also  in  der  That  der  Streifen  über  das  unbewufst  nach  oben 
verschobene  Nachbild  des  Tisches. 

Wie  schon  eingangs  gesagt,  finde  ich  in  dem  besprochenen 
Phänomen  eine  direkte  Bestätigung  meines  Widerspruches  ge- 
gen die  Theorie,  welche  die  Ausmessung  des  Sehfeldes  mit 
Augenbewegungen  in  Zusammenhang  bringt.  Unterschätze  ich 
die  Gröfse  des  Weges,  den  das  bewegte  Auge  zurücklegt,  d.  h. 
jBchätze  ich  sie  geringer,  als  sie  nach  Ausweis  der  Wahrneh- 
mung ist,  dann  giebt  es  eine  von  Augenbewegungen  unabhängige 
Wahrnehmung  von  räumlichen  Gröfsen.  Vielerlei  ist  ja  freilich 
zu  Gunsten  der  „Augenbewegungstheorie  ^,  wie  ich  sie  hier 
kurz  nennen  will,  vorgebracht  worden.  Aber  es  ist  doch  wohl 
gewüs,  dafs  alles  dies  nichts  bedeuten  kann,  wenn  auch  nur 
ein  einziger  entscheidender  Grund  dagegen  vorgebracht  werden 
kann.  Es  schiene  mir  danach  wohl  der  Mühe  wert,  dafs  man 
die  Gegengründe  sorgfältig  prüfte. 

VieUeicht  erweisen  sie  sich  bei  solcher  Prüfung  als  unstich- 
haltig. Dann  ist  noch  immer  kein  Beweis  der  Theorie  gegeben. 
Es  müfste  auch  gezeigt  werden,  dafs  die  Thatsachen,  die  zu 
ihren  Gunsten  gedeutet  werden  können,  nicht  auch  anders  zu 
deuten  sind.  Ich  erlaube  mir  daran  zu  erinnern,  dafs  ich  in 
meinen  ^^Psychologischen  Studien^  und  den  y^GrundlhaUachen  des 
SedenUbens^  mich  bemüht  habe,  entscheidende  Gründe  gegen 
die  Theorie  vorzubringen  und  mit  der  Theorie  wirklich  oder 
vermeintlich  übereinstimmende  Thatsachen  auf  anderem  Wege 
vei^ständlich  zu  machen. 

Ich  füge  aber  hier  noch  einige  Bemerkungen  hinzu.  1.  Eine 
Theorie  verdient  im  Grunde  erst  diesen  Namen,  wenn  sie  für 
das  zu  Erklärende  einen  Erklärungsgrund  nicht  nur  einfach 
statuiert,  sondern  auch  zeigt,   wiefern  er  Erklärungsgrund  sein 


74  1%.  L^itps. 

kann,  d.  h.  welcher  bekannte  oder  nacli  allgemeinen  Anscliau- 
nngen  yerständliche  Zusammenliang  zwischen  dem  Erklämngs- 
grund  und  dem  zu  Erklärenden  bestehe.  Die  Erfüllung  dieser 
Forderung  vermisse  ich  bei  der  „Augenbewegungstheorie**. 

2.  Noch  vorher  und  abgesehen  davon  mufs  die  Theorie  in 
sich  selbst  klar  sein.  Dieser  Forderung  widerspricht  jene 
Theorie  in  dreifacher  Weise.  Ich  unterschied  oben  zwei  völlig 
verschiedene  Arten  des  Baumbewufstseins,  das  Bewuistsein  der 
wechselseitigen  Entfernung  der  Objekte  innerhalb  des  Sehfeldes 
und  das  Bewufstsein  der  Lage  des  Sehfeldes  oder  eines  Punktes 
desselben  im  Gesamtraum.  Welches  Baumbewufstsein  meint 
die  Theorie,  welches  wird  ihr  zufolge  durch  Augenbewegungen 
erzeugt?  Soviel  ich  sehe,  bald  dieses,  bald  jenes,  ohne  deut- 
liches Bewufstsein  des  fundamentalen  Unterschiedes. 

3.  Auch  wenn  es  sich  nur  um  Baumgröfsen  innerhalb  des 
Sehfeldes  handelt,  hat  das  „Baum-  oder  Baumgröfsenbewufst- 
sein"  einen  doppelten  Sinn.  Es  kann  die  wahrgenommene  und 
die  im  Vergleich  mit  andern  geschätzte  Gröfse  gemeint  sein. 
So  sehe  ich  den  Mond  gleich  grofs  im  Zenith  und  am  Horizonte. 
Ich  schätze  ihn  aber,  durch  gewisse  Erfahrungsmomente  ver- 
anlafst,  gröfser  am  Horizonte.  Ich  frage  wiederum:  welches 
GröfsenbewuTstsein  meint  die  Theorie? 

4.  Die  Theorie  läfst  Entfernungen  gröfser  erscheinen,  wenn 
ihre  Durchmessung  gröfsere  Anstrengung  oder  Mühe  erfordert. 
Auch  diese  „Anstrengung''  oder  „Mühe''  hat  einen  doppelten 
Sinn.  Sie  ist  Anstrengung  aus  peripherischen  oder  Anstren- 
gung  aus  centralen  Gründen.  Möglichst  grofse  Seitwärts- 
drehung des  Auges  bei  ruhiger  Haltung  des  Kopfes  kostet 
Mühe,  weil  sie  eine  Zumutung  ist  für  den  Augenmuskel.  Da- 
gegen fallt  es  mir  aus  psychologischen  oder  „centralen"  Gründen 
schwer,  das  geradeaus  gerichtete  Auge  mit  bewufster  Absicht  um 
eine  kleine  Strecke  möglichst  rasch  zu  bewegen;  ich  bin  in  Ver- 
suchung, die  Bewegung  weiter  zu  führen.  Ich  frage  wiederum  : 
welche  Anstrengung  oder  Mühe  meint  man? 

Mir  scheint  die  Theorie  der  LokaUsation  auf  Grund  der 
Augenbewegungen  erst  emsthch  diskutierbar,  wenn  diese  Fragen 
genügend  deutlich  beantwortet  sind. 


Aus  dem  psychologischen  Institut  der  Universität  Göttingen. 

Über   das   Gedächtnis   für   Komplexe   regelmäfsig 
aufeinander  folgender,  gleicher  Schalleindrücke. 

Von 

F.  Schumann* 

Läfst  man  eine  Anzahl  einfaclier  Gehörseindrücke  in  be- 
stimmten Zwischenpansen  auf  das  Ohr  einer  Versuchsperson 
einwirken  und  darauf  nach  einer  Pause  eine  gröfsere,  gleiche 
oder  kleinere  Anzahl,  so  kann  die  Versuchsperson,  auch  wenn 
sie  nicht  zählt,  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  sehr  genau  die 
Gleichheit  bezw.  Verschiedenheit  der  beiden  Gruppen  erkennen. 

Die  ersten  systematischen  Untersuchungen  hierüber  sind 
unter  Wundts  Leitung  von  Dibtzb  gemacht  (vgl.  Ffiilosoph. 
Stud.  ly  S.  362  ff.).  Derselbe  benutzte  als  Beize  die  Pendel- 
schläge eines  Metronoms,  dessen  Pendel  in  jeder  Endlage  durch 
einen  Elektromagneten  arretiert  werden  konnte.  Die  zu  ver- 
gleichenden Gruppen  folgten  unmittelbar  aufeinander  und 
wurden  durch  ein  mit  dem  ersten  Schlage  gleichzeitig  ertönen- 
des Glockensignal  markiert.  Dietzb  bestimmte  nun  unter  ver- 
schiedenen umständen  das  Maximum  der  Anzahl  von  Schlägen, 
welche  in  einer  Gruppe  enthalten  sein  konnten,  wenn  eine 
Vermehrung  oder  Verminderung  derselben  um  einen  Schlag 
noch  in  80  Vo  der  Fälle  genau  erkannt  wurde.  Die  Haupt- 
resultate seiner  Untersuchung  sind  folgende: 

1.  Die  Genauigkeit  der  Schätzung  hängt  wesentlich  von 
der  Geschwindigkeit  der  Succession  der  Pendelschläge  ab. 
Die  günstigste  Geschwindigkeit  liegt  bei  einem  Intervall  von 
0,2—0,3  See. 


76  F.  Schumann. 

2.  Die  einzelnen  Pendelschläge  einer  Gruppe  werden  nicht 
vollkommen  gleichmäfsig  aufgefafst,  sondern  einzelne  unter 
ihnen  werden  rhythmisch  betont.  ^Eine  absolute  Unterdrückung 
dieser  rhythmischen  Gliederung  ist  unmögUch.  Der  einzige 
Effekt,  den  das  Streben  hierzu  hervorbringt^  besteht  in  der 
Beduktion  auf  die  einfachste  Taktform,  die  des  Zweiachtel- 
taktes, indem  regelmäfsig  einfach  betonte  und  nicht  betonte 
Eindrücke  miteinander  wechseln." 

3.  Das  Maximum  der  Anzahl  von  Schlägen,  welche  noch 
in  einer  Gruppe  enthalten  sein  können,  ist  wesentlich  abhängig 
von  der  Art  der  rhythmischen  Gliederung.  Werden  nur  2  Ein- 
drücke zu  einem  Takte  zusammengefafst,  so  beträgt  dasselbe 
etwa  16  Schläge,  während  es  bei  der  Zusammenfassung  von 
8  Schlägen  zu  einem  Takte  auf  40  Schläge  steigt. 

Ich  habe  nun  diese  Untersuchungen  wiederholt  mit  etwas 
veränderter  Versuchsanordnung.  An  einem  um  eine  horizontale 
Axe  mit  gleichmäfsiger  Geschwindigkeit  sich  bewegenden 
Bade  waren  in  gleichen  Abständen  Platinspitzen  befestigt, 
welche  in  ihrer  tiefsten  Lage  einen  Quecksilberkontakt  schlössen 
und  dadurch  bewirkten,  dafs  ein  kurzer  Schlag  eines  elektro- 
magnetischen Hammers,  wie  er  zu  Zeitsinnversuchen  gebraucht 
wird,  ausgelöst  wurde.  Durch  eine  weitere  in  den  Stromkreis 
eingeschaltete  Vorrichtung  zum  bequemen  Öffnen  und  Schliefsen 
des  Stromes  konnte  der  Experimentator  in  jedem  Augenblicke 
die  Auslösung  der  Schläge  unterbrechen.  Die  zu  vergleichen- 
den Ghnippen  wurden  durch  eine  kleine  Pause  getrennt. 

Die  unter  1.  und  3.  angeführten  [Resultate  Dietzes  kann 
ich  im  allgemeinen  bestätigen;  dagegen  mufs  ich  bestreiten, 
dafs  eine  Unterdrückung  der  rhythmischen  Gliederung  unmög- 
lich sei.  Die  verschiedensten  Versuchspersonen  gaben  auf 
Befragen  an,  dafs  sie  recht  gut  die  Schläge  singulär  auffassen 
könnten,  und  ich  selbst  kann  ein  gleiches  von  mir  behaupten. 
Allerdings  ist  durchaus  richtig,  dafs  durch  die  Gruppenbildung 
das  Vergleichen  wesentlich  erleichtert  wird,  von  einer  Unmög- 
lichkeit der  Unterdrückung  einer  rhythmischen  Gliederung 
kann  aber  durchaus  keine  Bede  sein.  Zur  Erklärung  dieses 
Widerspruchs  zwischen  meiner  Erfahrung  und  derjenigen 
DiETZBs  können  nun  zwei  Umstände  dienen:  der  Einflufs  der 
Übung  und  die  Verschiedenheit  der  Versuchsanordnung.  Hat 
man  sich  nämlich  erst  einmal  an  eine  taktmäfsige  Auffassung  der 


über  das  Gedächtnis  für  Kan^lexe  gleicher  Sehalleindrücke,  77 

Schläge  gewöhnt,  so  hält  es  allerdings  schwer,  sich  von  der^ 
selben  wieder  freizumachen.  So  gelang  es  z.  B.  einem  Herrn, 
der  sich  viel  mit  Metrik  beschäftigt  hatte,  erst  nach  einiger 
Übung  die  Schläge  singnlär  aufzufassen.  Zweitens  kann  auch 
die  Behauptung  Dibtzes  dadurch  bedingt  sein,  dafs  er  mit  den 
Pendelschlägen  eines  Metronoms  operierte.  Bei  einigen  Probe« 
versuchen  mit  dem  Metronom  fand  ich  nämlich  ebenfalls  eine 
grofse  Neigung  zur  Taktbildung,  die  sich  leicht  dadurch  erklärt^ 
dafs  die  beiden  Schläge,  welche  bei  den  beiden  verschiedenen 
Lagen  des  Pendels  ausgelöst  werden,  nicht  ganz  gleichmäfsig 
sind. 

Der  eigentliche  Zweck  der  Wiederholung  der  Versuche 
war,  etwas  näheres  zu  erfahren  über  das  Wesen  der  psychischen 
Vorgänge,  welche  beim  Vergleichen  von  Gruppen  successiver 
öehörseindrücke  stattfinden.  Da  ergab  sich  denn  leicht  durch 
Selbstbeobachtung  folgendes:  Die  einzelnen  Schläge  des  Ham-^ 
mers  begleitet  man  gewöhnlich  mit  irgend  welchen  Gliedbe- 
wegungen  oder  mit  Innervationen  der  Sprachmuskeln,  welche 
am  Kehlkopf  lokalisierte  Spannungsempfindungen  hervorrufen, 
u.  dgl.  m.  Werden  nun,  wie  es  bei  den  Untersuchungen  von 
DiETZE  geschah,  die  Versuche  in  der  Weise  angestellt,  dafs 
öfters  hintereinander  mit  derselben  Normalgruppe  (die  erste 
von  2  zu  vergleichenden  Gruppen  sei  als  Normalgruppe,  die 
zweite  als  Vergleichsgruppe  bezeichnet)  operiert  wird,  so  wird 
diese  Gruppe,  wie  sie  durch  ihre  Anzahl  charakterisiert  ist, 
in  das  motorische  bezw.  sensorische  Gedächtnis  aufgenommen. 
Während  man  nämlich  im  allgemeinen  nach  jedem  Schlage 
einen  folgenden  erwartet  und  die  begleitenden  Bewegungen 
vorbereitet,  hört  diese  Erwartung  und  diese  Vorbereitung  nach 
mehrmaligem  Operieren  mit  derselben  Normalgruppe  unwill-^ 
kärlich  mit  dem  letzten  Schlage  der  Normalgruppe  auf.  Bei 
der  Vergleichsgruppe  hört  dann  ebenfalls  die  Vobereitung 
imd  Erwartung  auf,  sobald  die  Anzahl  der  Schläge  derjenigen 
der  Normalgruppe  gleich  geworden  ist.  Folgt  nun  bei  der 
Vergleichsgruppe  noch  ein  Schlag  oder  eine  Anzahl  von  Schlaf 
gen,  nachdem  die  Erwartung  zu  Ende  ist,  oder  sind  bei  der- 
selben die  Schläge  beendet,  während  die  Erwartung  eines 
weiteren  Schlages  sich  noch  einstellt,  so  hält  man  die  Ver^ 
gleichsgruppe  für  gröfser,  bezw.  kleiner  als  die  Normalgruppe ; 


78  F.  Schumann, 

hören  andererseits  die  Schläge  mit  dem  zuletzt  erwarteten  auf, 
so  hält  man  Normal-  und  Vergleichsgruppe  für  gleich. 

Eine  derartige  EinsteUung  auf  die  Anzahl  der  Schläge 
der  Normalgruppe  tritt  natürlich  verschieden  rasch  ein,  je  nach 
der  Versuchsperson,  ihrer  Übung  in  derartigen  Versuchen 
und  je  nach  der  Anzahl  von  Schlägen,  die  zu  einer  Gruppe 
zusammengefafst  werden.  Nach  einiger  Übung  der  Versuchs- 
person wird  die  Einstellung  bei  Gruppen  von  6 — 7  Schlägen 
und  singulärer  Auffassung  derselben  gewöhnlich  schon  nach 
3 — 4  Versuchen  subjektiv  deutlich  merkbar  und  die  Urteile 
fallen  auch  subjektiv  sicher  aus,  während  bei  den  ersten  Ver- 
suchen nur  sehr  unsicher  geurteilt  wird. 

Das  von  mir  durch  Selbstbeobachtung  Gefundene  kann  na- 
türlich zunächst  nur  individuelle  Bedeutung  haben,  und  es  ist 
durchaus  nicht  unmöglich,  dafs  andere  Individuen  sich  anderer 
Hülfsmittel  beim  Vergleichen  solcher  Gruppen  bedienen.  Da 
ich  femer  schon  vor  Beginn  der  Versuche  vermutet  hatte,  dafs 
das  Vergleichen  in  der  oben  angedeuteten  Weise  zustande 
komme,  so  wäre  es  auch  nicht  undenkbar,  dafs  die  vorgefafste 
Meinung  meine  Selbstbeobachtung  beeinflufst  hätte.  Ich  habe 
daher  versucht,  durch  Heranziehen  verschiedener  Versuchs- 
personen hierüber  Aufschlufs  zu  erhalten.  Herr  Professor 
Müller  bestätigte  meine  Erfahrungen.  Von  den  anderen  in 
Selbstbeobachtung  nicht  geübten  Personen  war  es  dagegen 
schwieriger,  genügende  Aufklärung  über  die  beim  Vergleichen 
der  Gruppen  in  ihrem  Bewufstsein  stattfindenden  Vorgänge  zu 
erhalten.  Fragte  ich  nach  Anstellung  einer  Anzahl  von  Ver- 
suchen einfach  darnach,  so  konnten  die  Versuchspersonen  ent- 
weder gar  keine  Antwort  geben  oder  sie  gaben  Verlegenheits- 
antworten wie:  „Ich  habe  das  im  Gefühl"  u.  dgl.  m.  Teilte 
ich  ihnen  dann  meine  Erfahrungen  mit,  so  bestätigten  sie 
dieselben  teils  gleich,  teils  aber  auch  erst,  nachdem  sie  bei 
einigen  neuen  Versuchen  besonders  darauf  geachtet  hatten. 
Nur  ein  Herr  erklärte,  dafs  bei  ihrp  die  Erwartung  mit  dem 
letzten  Schlage  der  Normalgruppe  nicht  aufhöre.  Derselbe 
schätzte  aber  auch  verhältnismäfsig  sehr  ungenau. 

Soll  die  obige  Theorie  richtig  sein,  so  müssen  sich  femer 
noch  die  von  Dietzb  gefundenen  Thatsachen  durch  dieselbe 
erklären  lassen,  und  in  der  That  hat  dies  auch  keine  Schwierig- 
keiten. So  erklärt  sich  die  Erleichterung  des  Vergleichens  durch 


über  das  Oedächtma  für  Komplexe  gleicher  Schälleindr&cke.  79 

«in  taktmäfsiges  Auffassen  der  Schläge  leicht,  wenn  wir  be- 
denken, dals  die  zu  einem  Takte  znsammengefaJGsten  Schläge 
für  das  Gedächtnis  gleichsam  eine  Einheit  bilden,  und  dafs 
daher  die  taktmäfsig  gegliederten  Gruppen  leichter  reproduziert 
werden  können.  Zur  Erklärung  der  Thatsache,  dafs  ein  Inter- 
vall von  0,2  —  0,3  Sek.  zwischen  den  einzekien  Schlägen  das 
günstigste  für  die  Vergleichung  ist,  brauchen  wir  ferner  nur 
anzunehmen,  dafs  dieses  Intervall  auch  für  die  Aufnahme  ins 
Gedächtnis  das  günstigste  ist. 

Auf  einen  hohen  Gb*ad  von  Einstellung  dürfte  femer  die 
Thatsache  zurückzuführen  sein,  dafs  eine  meiner  Versuchs- 
personen, welche  früher  vielfach  bei  astronomischen  Beob- 
achtungen die  Schläge  einer  Sekundenuhr  gezählt  hatte  und 
zwar  in  der  Weise,  dafs  sie  immer  nur  bis  10  zählte  und  dann 
wieder  mit  1  anfing,  bei  den  obigen  Versuchen  jedesmal  den 
zehnten  Schlag  genau  angeben  konnte. 

Eine  wesentlich  verschiedene  Ansicht  über  die  Grundlage 
des  Vergleichens  von  Gruppen  successiver  Gehörseindrücke  hat 
WuNDT  (Physiol.  Psych.  11,  3.  Aufl.,  S.  248  f.)  entwickelt.  Der- 
selbe schliefst  in  folfi:ender  Weise :  ^ Apperzipiert  man  nämlich 
eine  Eeihe  aufeinander  folgender  Sinnesreize,  so  treten  bei 
jeder  neuen.  Apperzeption  die  vorangegangenen  allmählich 
weiter  in  den  dunklen  Umkreis  des  inneren  Blickfeldes  zurück 
und  verschwinden  endlich  ganz  aus  demselben.  Gelingt  es 
nun  zu  bestimmen,  welche  unter  der  Beihe  vorausgegangener 
Vorstellungen  soeben  an  der  Grenze  des  Bewulstseins  angelangt 
ist,  wenn  eine  neue  apperzipiert  wird,  so  ist  damit  auch  für 
den  Fall  aufeinander  folgender  einfacher  Vorstellungen  der 
Umfang  des  Bewufstseins  ermittelt.  Die  so  gestellte  Aufgabe 
läfst  sich  lösen,  indem  man  als  Sinnesreize  Pendelschläge  wählt, 
von  denen  immer  eine  fest  bestimmte  Anzahl  durch  regelmäfsig 
aufeinander  folgende  andere  Schalleindrücke  z.  B.  Glocken- 
schläge eingefafst  wird.  Ermittelt  man  nun,  wieviel  Pendel« 
schlage  auf  diese  Weise  zu  einer  Gruppe  zusammengefafst 
werden,  während  für  unser  Bewufstsein  die  Gleichheit  der 
aufeinander  folgenden  Gruppen  noch  deutlich  bleibt,  so  ist 
damit  zugleich  ein  Mafs  für  den  Umfang  des  Bewufstseins 
gewonnen.^  Gegen  diese  Schlufsfolgerung  erheben  sich  aber 
schwere   Bedenken.     Was    zunächst    die   Behauptung  Wundts 


gO  F.  Sekumatm, 

anbetrifflb,  dafs  bei  Apperzeption  eines  Schalles  ein  Teil  der 
vorangegangenen  noch  mit  im  Bewnistsein  sei,  so  fuhrt  der- 
selbe nichts  zn  ihrer  Begröndnng  an.  Ich  vermag  nnn  diese 
Behauptung  weder  dnrch  Selbstbeobachtung  zu  verifizieren,  noch 
ist  mir  irgend  eine  Thatsache  bekannt,  zu  deren  Erklärung 
eine  solche  Annahme  durchaus  erforderlich  wäre.  So  oft  ich 
auch  bei  den  obigen  Experimenten  versucht  habe,  etwas  von 
den  in  den  dunkeln  Umkreis  des  inneren  Blickfeldes  zurück- 
tretenden Vorstellungen  zu  bemerken,  so  ist  es  mir  doch  nie 
gelungen  und  ebensowenig  den  Versuchspersonen,  welche  ich 
darauf  aufmerksam  machte.  Folgten  die  Schläge  nicht  zu 
schnell  aufeinander,  so  konnte  ich  im  Gegenteil  ziemlich  sicher 
konstatieren,  dafs  beim  Auftauchen  eines  Eindruckes  im  Be- 
wufstsein  nichts  mehr  von  dem  vorangegangenen  vorhanden 
war,  falls  nicht  etwa  ein  Erinnerungsbild  desselben  willkürlich 
oder  unwillkürlich  reproduziert  wurde. 

Femer  beruht  die  weitere  Schluisfolgerung  Wondts  auf 
der  nicht  ausgesprochenen  Voraussetzung,  dafs  wir  Gruppen 
einfacher  Pendelschläge  hinsichtlich  ihrer  Anzahl  nur  dsinn 
genau  miteinander  vergleichen  können,  wenn  die  Schläge 
einer  Gruppe  gleichzeitig  im  Bewufstsein  vorhanden  sind. 
Nun  ist  doch  aber  bis  jetzt  überhaupt  noch  kein  ernstlicher 
Versuch  zu  einer  Theorie  der  beim  Vergleichen  stattfindenden 
psychischen  Vorgänge  gemacht,  so  dafs  eine  Voraussetzung 
hinsichtlich  dieser  Vorgänge  doch  erst  eingehend  begründet 
werden  mufs  und  nicht  stillschweigend  bei  Schlufsfolgerungen 
angewendet  werden  darf.  Zur  Begründung  der  Voraussetzung 
WüNDTs  wüfste  ich  aber  nichts  anzuführen. 


über  die  Wahrnehmung  und  Lokalisation  von 
Schwebungen  und  Differenztönen. 

Von 

Karl  L.  Sghasfeb, 

z.  Z.  d.  Unters.  Assistent  am  Physiologischen  Institut  in  Jena. 

I. 

Schwebungen. 

Für  die  "Walimeliiiiung  von  Schwebungen  ist")  es  gleich- 
gültig, aus  welcher  Bichtmig  uns  die  Töne,  welche  miteinander 
schweben,  treffen.  Dasselbe  gilt  hinsichtlich  der  Entfernung 
der  TonqueUen  vom  Kopfe  des  Beobachters,  vorausgesetzt,  dafs 
nicht  durch  dieselbe  die  Intensität  eines  der  Töne  oder  beider 
aUzu  gering  wird.  Die  Stimmgabeln  —  nur  solche  wurden  in 
der  vorliegenden  Untersuchoag  benutzt  —  mögen  dicht  neben- 
einander aufgestellt  oder  durch  eine  beliebige  Strecke  getrennt 
sein,  sich  auf  derselben  oder  auf  entgegengesetzten  Seiten  der 
unseren  Körper  in  vertikaler  Sichtung  sagittal  halbierenden 
„Medianebene^  befinden,  stets  sind  die  Schwebungen,  wenn  auch 
in  verschiedener  Intensität,  hörbar.  Da  dabei  in  der  Eegel  jedes 
Ohr  von   beiden  Tönen   getroflPen  wird,^   so   müssen    auch  die 


*  Gewöhnlich  geschieht  dies  auf  dem  Wege  der  Leitung  durch  die 
liuft.  Es  werden  aber  die  Schwebungen  auch  sehr  deutlich  vernommen, 
wenn  man  wie  Thompson  [Silyanüs  P.  Thompson.  On  Binaural  Äudition; 
Phüosoph.  Magaz,  Ser.  V.  Vol.  IV.  No.  25.  pag.  274  fT.]  die  Gabeln  in  zwei 
durch  ein  drittes  getrennten  Zimmern  aufstellt  und  ihre  Töne  mit  Hülfe 
von  Kautschuckschläuchen  je  einem  Ohre  des  in  einem  mit  jenen  Zimmern 
nicht  kommunizierenden  Baume  sich  aufhaltenden  Beobachters  zuleitet; 
eine  Versuchsanordnung,  bei  der,  zumal  wenn  die  Schläuche  mit  schlecht 
leitendem  Material  umwickelt  und  mit  leicht  in  die  Ohren  einfügbaren 
Ansatzstücken  armiert  sind,  eine  Überleitung  jedes  Tones  zum  anderen 
Ohre  durch  die  Luft  in  der  That  ausgeschlossen  sein  dürfte.  Thompson 
ist  der  wohl  sicher  richtigen  Ansicht,  welcher  auch  Mach  [Archiv  f.  Ohren- 
heilk.  Bd.  IX.  S.  76.  1875]  und  auf  Grund  anderer  Versuche  auch  Sbebeck 
[Poggendorffs  Ännalen,  LXVm,  449]  beitritt,  dafs  dieselbe  vielmehr  in 
diesem  Falle  durch  intracranielle  Leitung  stattfindet. 

Zeitschrift  fOr  Psychologie.  6 


82  ^orl  L.  Schaefer. 

Schwebungen  von  beiden  Ohren  wahrgenommen  werden.  Diese 
beiden  Wahrnehmungen  werden  jedoch  wie  andere  getrennt 
percipierte  aber  qualitativ  gleiche  SchaUeindrucke  zu  einem 
einzigen  Vorstellungsbilde  verschmolzen.  Die  folgenden  Ver- 
suche sollen  nun  die  Frage  beantworten,  in  welche  Kichtung 
wir  letzteres  verlegen,  wenn  wir  das  Intensitätsverhältnis,  in 
dem  die  schwebenden  Töne  zu  einander,  und  das  Lageverhältnis, 
in  dem  die  Gabeln  zu  einander  und  zu  dem  Kopfe  des  Beob- 
achters stehen,  in  verschiedenster  "Weise  variieren. 

1.  Verstimmt  man  zwei  unisono  Gabeln,  so  daJGs  langsame 
Schwebungen  hörbar  werden,  und  stellt  sie  an  beliebigem 
Orte  dicht  nebeneinander  auf,  so  giebt  eine  mit  geschlosse- 
nen Augen  dasitzende,  völlig  unbefangene  Versuchsperson  stets 
richtig  an,  ob  die  Stöfse  von  rechts  oder  links  kommen,  wird 
sich  auch  dessen  bewufst,  dafis  dieselben  bei  verschiedenen 
Versuchen  aus  bald  gröfserer,  bald  geringerer  Entfernung  das 
Ohr  treffen.  Mit  Hülfe  von  Kopf  bewegungen  wird  dann  selbst 
die  genauere  Angabe  der  Richtung  bis  auf  geringe  Fehler 
richtig  ausgeführt.  Fügt  aber  der  Beobachter  den  entsprechen- 
den Resonator  in  das  Ohr  der  entgegengesetzten  Seite,  so 
erscheinen  die  Schwebungen  nunmehr  auf  dieser  und  zwar  aus 
unmittelbarer  Nähe  vor  dem  Ohre,  aus  dem  Resonator  selbst, 
entspringend. 

2.  Hält  man  zwei  von  ihren  Resonanzkasten  abgeschraubte 
Gabeln,  die  möglichst  gleich  stark  angeschlagen  sind,  etwa  in 
der  Entfernung  doppelter  Handbreite  dicht  nebeneinander  vor 
das  eine  Ohr,  so  hört  man  die  Schwebungen  auf  der  nämlichen 
Seite.  Nähert  man  dann  eine  der  Gabeln,  beliebig  welche,  dem 
Kopfe,  so  kommen  auch  die  Schwebungen  aus  gröfserer  Nähe 
und  weichen  ebenso  zurück,  wenn  die  Gabel  an  ihren  Platz 
zurückkehrt.  Führt  der  Beobachter  dieselbe  aber  rasch  in 
nächste  Nähe  vor  die  OhröflEhung,  so  wird,  während  die  Stöfse 
nach  schnell  vorübergehender  anfanglicher  Verstärkung  ganz 
verschwinden,  nur  ihr  Ton  allein  wahrgenommen.  Offenbar 
wird  durch  dessen  überwiegend  grofse  Intensität  das  Ohr  phy- 
siologisch taub  gegen  den  schwächeren  Ton  und  damit  gegen 
die  Schwebungen.*     Diese  treten  wieder  auf,   wenn  durch  An- 


^  Bringt  man  in  einem  solchen  Falle  von  physiologischer  Taubheit 
den  schwächeren  Ton  vor  das  andere  Ohr,  so  werden  sofort  die  Schwe- 


LokaJisation  von  Schwebungen  und  Differenztönen.  83 

legen  des  Fingers  an  die  Zinken  der  zu  laute  Ton  rasch  ge-^ 
dämpft  wird.  Ist  er  dem  Verklingen  nahe,  so  gewinnt  man 
deutlich  den  Eindruck,  dafs  die  Stöfse  von  der  entfernteren 
Tonquelle  ausgehen. 

Es  mufs  bemerkt  werden,  dafs  diese  und  noch  mehr  die 
folgende  Versuchsreihe,  um  reine  Resultate  zu  Uefem,  G-abeln 
erfordert,  welche  nicht  allzu  rasch  und  vor  allem  nicht  ungleich 
rasch  ausklingen.  Tiefe  Töne  sind  überhaupt  ungeeignet,  da 
sie  ohne  Besonanzkasten  schon  in  relativ  sehr  geringer  Ent- 
fernung vom  Ohre  unhörbar  werden. 

3.  Befinden  sich  beide  Gabeln  auf  derselben  Seite  von  der 
Medianebene,  und  wird  die  eine  unmittelbar  vor  das  Ohr  ge- 
halten, die  zweite  aber  so,  dafs  ihr  Ton  dasselbe  aus  gröfserer 
Entfernung  von  vom,  von  oben,  von  hinten  oder  von  unten 
tri£%,  oder  aus  einer  Bichtung,  die  eine  Kombination  der 
genannten  darstellt,  so  ergiebt  sich,  dafs,  wenn  die  erste  Gabel 
die  lauter  tönende  ist,  die  Schwebungen  von  ihr  ausgehen; 
dagegen  von  der  entfernteren  zu  kommen  scheinen,  sobald  die 
nähere  durch  Anlegen  des  Fingers  gedämpft  oder  so  gedreht 
wird,  dafs  eine  der  vier  äufseren  Zinkenkanten  dem  Gehörein- 
gang  gegenüber  steht  —  wobei  bekanntUch  aus  physikalischen 
Gründen  die  Intensität  aufserordentlich  sinkt  —  oder  endlich 
von  vorneherein  die  relativ  leisere^  ist.  Dies  Resultat  wurde 
in  zahlreichen  Versuchen  gewonnen,  die  von  mir  an  verschiedenen 
Personen  imd  von  meinem  Freunde,  Herrn  Dr.  Axmann,  der  mir 
bei  der  vorliegenden  Untersuchung  mit  dankenswerter  Bereit- 
willigkeit seine  Unterstützung  gewährte,  auch  an  mir  angestellt 
worden  sind. 

Ist  die  vor  das  Ohr  gebrachte  Gabel  von  Anfang  an  die 
leisere,    so    wird   man    sich,    wenn  man  die  Augen  geschlossen 


bongen  sehr  laut  hörbar.  —  Herr  Prof.  C.  Stumpf,  dem  ich  überhaupt 
für  sein  reges  und  förderndes  Interesse  an  dieser  Untersuchung  zu 
wärmstem  Danke  mich  verpflichtet  fühle,  bestätigte  mir,  diese  Beob- 
achtung ebenfalls  schon  vor  längerer  Zeit  gemacht  zu  haben. 

*  Unter  dem  relativ  leiseren  Ton  soll  hier  wie  überhaupt  im  Fol- 
genden derjenige  verstanden  werden,  der  dem  Trommelfelle  die  geringere 
Schwingungsamplitude  erteilt,  unter  dem  absolut  leiseren  derjenige, 
dessen  eigene  Amplitude  die  kleinere  ist.  Diese  Unterscheidung  ist  für 
die  vorliegende  Frage  wichtig,  insofern  der  absolut  lautere  Ton  häufig 
durch  den  Unterschied  in  der  Entfernung  der  Gabeln  vom  Ohr  und  andere 
Momente  zum  relativ  leiseren  wird. 

6* 


84  Korl  L.  Schaefer. 

halt  und  den  Ort  der  Gabeln  nicht  kennt,  überhaupt  nicht  der 
Anwesenheit  einer  Tonquelle  uiunittelbar  vor  dem  Ohre  be- 
wnfet;  man  hört  die  Schwebimgeii  atis  viel  grölserer  Entfernung 
entspringen.  Bezüglich  des  ^ Woher 'P'^  kann  man  bisweilen  über- 
haupt nicht  zu  einem  Schlüsse  kommen;  noch  öfter  aber  giebt 
der  Beobachter  eine  falsche  ^Richtung  an.  Am  meisten  richtige 
Urteile  liefert  der  Fall,  wo  der  Ton  der  zweiten  Gabel  von 
vom  kommt. 

Es  scheinen  hier  ähnliche  Täuschungen  obzuwalten,  wie 
sie  von  Preyer  und  mir  bei  früheren  systematischen  Versuchen 
über  die  Wahrnehmung  der  Schallrichtung  festgestellt  sind.^ 

4.  Bringt  man  eine  Gabel  mit  Itesonanzkasten,  etwa  c^=5l2 
Schw.  p.  s.,  in  die  Medianebene  der  Stirn  gegenüber,  so  dais  ihr 
Ton  gleich  stark  beide  Ohren  trifiBb,  und  nähert  aus  gröfserer  Ent- 
fernung eine  Gabel  von  nahezu  derselben  Tonhöhe  aber  ohne 
Sesonanzkasten  einem  der  Ohren,  so  werden  anfangs  die  Schwe- 
bungen nur  von  vom  kommend  gehört.  Bei  fortgesetzter  An- 
näherung der  bewegten  Gabel  gehen  sie  bald  von  der  einen, 
bald  von  der  anderen  Gabel  aus,  bald  erfüllen  sie  die  ganze 
Begion  zwischen  beiden,  um  allmählich  ausschliefslich  auf  die 
bewegte  überzugehen. 

5.  Werden  zwei  auf  Besonanzkasten  geschraubte  Gabeln 
zu  gleich  lautem  Tönen  gebracht,  während  sie  sich  in  beliebiger 
Entfemung  voneinander  an  verschiedenen,  beliebigen  Punkten 
des  Zimmers  befinden,  so  entspringen  die  Schwebungen,  wenn 
man  sich  abwechselnd  der  Öffnung  eines  der  Kasten  nähert, 
bei  der  Mehrzahl  der  Versuche  aus  diesem,  kommen  also  von 
der  relativ  lauteren  Gabel. 

Mit  diesem  Besultat  steht  es  nur  scheinbar  in  Widerspruch, 
dafs  zuweilen  die  Schwebungen  ausschliefslich  aus  einem  Kasten 
und  zwar  dem  der  absolut  leiseren  hervorgehen,  indes  vor  dem 
anderen  immer  nur  sein  eigener  Ton  allein  hörbar  wird ;  oder  dafs 
man  überhaupt  nur  dann  Stöfse  hört,  wenn  man  in  der  Mitte 
zwischen  den  Gabeln  steht,  nicht  aber,  sobald  das  Ohr  nahe  an 
eine  von  diesen  gebracht  wird :  denn  derartige  Ergebnisse  erhält 
man  nur  dann,  wenn  ein  Ton  den  anderen  so  an  relativer  Intensität 
überwiegt,  dafs  das  Ohr  physiologisch  taub  gegen  letzteren  wird.' 

*  W.  Preyer:  Die  Wahrnehmung  der  SchctUrichtung  mittelst  der  Bogen- 
gänge.   Pflüg  er  8  Arch.  f.  d.  ges.  Fhysiol   Bd.  40. 

•  Vgl.  oben  S.  82  Versuch  2. 


LokaUsation  von  Schwebungen  und  Di fferene tönen.  86 

Es  kann  auch  vorkommen,  wenn  eine  der  Gabeln  rasch  verklingt, 
dafs,  trotzdem  man  das  Ohr  dicht  an  ihren  S>esonanzkasten 
hält,  die  Schwebungen  von  der  ferneren  herkommen.  Dann 
ist  eben  diese  die  lautere. 

6.  BosANQUET^  giebt  an,  die  Sohwebungen,  welche  er  beim 
gleichzeitigen  Anschlagen  zweier  Gabeln,  deren  eine  nahezu 
die  höhere  Oktave  der  anderen,  erhielt,  gingen  nur  von  der 
tieferen  aus,  oder  es  seien  doch  wenigstens  von  der  höheren 
herkonmiende  nur  bei  Anwendung  des  S>esonators  der  letzteren 
vernehmbar.  Bei  diesem  Versuche  sind  oflfenbar  —  wie  er  auch 
selbst  ausspricht  —  die  von  der  tieferen  Gabel  ausgehenden 
Schwebungen  solche  des  Differenztones  beider  Töne  mit  dem 
tieferen;  die  von  der  höheren  entspringenden  solche  des  höheren 
Primärtones  mit  dem  Oberton  des  tieferen.  Wir  haben  also 
hier  zwei  Tonpaare,  welche  Sphwebungen  liefern.  Letztere  sind 
von  gleicher  Anzahl,  aber  ungleicher  Intensität:  und  zwar 
müssen  die  Schwebungen  des  tieferen  Tonpaares  die  lauteren 
sein,  da  die  Intensität  von  Schwebungen  eine  Funktion  der 
Intensität  der  sie  erzeugenden  Töne  darstellt,  und  in  diesem 
unserem  FaUe  der  Oberton  der  bei  weitem  leiseste  der  vier  Töne 
ist,  oder  doch  durch  rasches  Verklingen  sehr  bald  wird.  Dem- 
nach dürfte  auch  in  dem  BosANQUBTschen  Experiment  die  Inten- 
sität der  far  die  Lokalisation  von  Schwebungen  mafsgebende 
Faktor  sein. 

Da  Differenztöne  von  allen  Beobachtern  in  oder  wenigstens 
dicht  vor  dem  Ohre  gehört  werden  —  gleichgültig,  aus  welcher 
Sichtung  die  primären  Töne  kommen  — ,  so  ist  es  mit  Rück- 
sicht auf  das  sub  3  Gesagte  von  Interesse  zu  bemerken,  dafs 
bei  dem  in  ßede  stehenden  Experiment  die  Schwebungen  stets 
direkt  aus  dem  Resonanzkasten  der  tieferen  Gabel  hervorzugehen 
scheinen. 

7.  Werden  die  Gabeln  480  und  512,  vor  dem  Beobachter 
auf  dem  Tische  stehend,  gleich  laut  angeschlagen,  und  ein  Ohr, 
etwa  das  linke,  mit  dem  Resonator  von  480  bewaffnet,  so  werden 
die  rasselnden  Intermittenzen  in  den  Resonator  verlegt.  Ebenso, 
wenn  dieser  nunmehr  in  die  rechte  Ohröffnung  gedrückt  wird. 
Nimmt  man  statt  des  Resonators  von  480  den  von  512,  so  ist 
das  Resultat  dasselbe.     Bei    diesen  Versuchen    darf  die  Gabel, 


*  Philosophical  Magazine.    Ser.  V.  Vol.Vm.  No.  49.  pag.290ff. 


86  Korl  L'  Schaefer. 

deren  Besonator  gerade  benutzt  wird,  niclit  lauter  tönen  als 
die  andere;  sonst  wird  das  Ohr  gegen  diese,  da  der  Besonator 
die  Intensität  jener  ja  noch  bedeutend  verstärkt,  physiologisch 
taub,  und  es  werden  keine  Schwebungen  vernommen. 

Fügt  man  beide  Besonatoren  gleichzeitig  in  die  Ohren,  so 
hört  man  unter  günstigen  Versuohsbedingungen  das  Bassein  in 
der  Medianebene  innerhalb  des  Kopfes.  Zieht  man  in  raschem 
Abwechseln  immer  einen  Besonator  aus  dem  Ohre,  während 
der  andere  fest  in  das  seinige  gedrückt  wird,  so  wandern  die 
Schwebungen  von  Ohr  zu  Ohr. 

8.  Es  werden  die  Enden  eines  etwa  1,5"^  langen  KAut- 
schuckschlauches  fest  in  die  Ohröffnungen  gefügt.  Setzt  man 
dann  die  Gabeln  mit  ihrem  Stiele  auf  verschiedene  beliebig  weit 
voneinander  entfernte  Punkte  des  Schlauches,  so  erscheinen 
die  Schwebungen  stets  auf  der  Seite  der  relativ  lauteren.  Be- 
findet sich  eine  Gabel  genau  in  der  Mitte  des  Schlauches,  so 
gilt  das  sub  4  Gesagte.  Setzt  man  beide  Gabeln  unmittelbar 
nebeneinander  auf  die  Mitte  des  Schlauches,  so  treten  die 
Schwebungen  in  der  Mitte  des  Kopfes  auf. 

9.  Haben  zwei  miteinander  schwebende  Gabeln  auf  Beso- 
nanzkasten  in  einer  durch  beide  Gehöreingänge  gehend  gedachten 
Yertikalebene,  die  eine  vor  dem  linken  Ohre,  die  andere  in  gleicher 
Höhe  und  Entfernung  vor  dem  rechten  Aufstellung  gefunden, 
und  werden  beide  ungleich  laut  angeschlagen,  oder  nach  gleich 
starkem  Anschlag  die  eine  dem  Kopfe  genähert,  so  gehen  die 
Schwebungen  von  der  lauteren  resp.  näheren  aus.  Bei  genau 
gleichem  Anschlag  und  genau  gleichem  Abstände  vom  Kopfe 
erscheinen  die  Schwebungen  in  der  Medianebene  vor  oder  über 
dem  Beobachter.^  Diese  Versuchsresultate,  namentlich  das 
letztere  werden  noch  deutlicher,  wenn  man  vor  die  Öffnung 
eines  jeden  der  Besonanzkasten  einen  Schalltrichter  aufstellt, 
die  Trichter  mit  Kautschuckschläuchen  armiert  und  diese  mit 
ihren  anderen  Enden  in  die  Ohröffnungen  einfügt.  Gleiche 
Länge  der  Schläuche  und  gleiche  Intensitäten  der  Töne  vor- 
ausgesetzt, haben  die  Schwebungen  in  der  Mitte  zwischen 
den  Ohren  ihren  Sitz  und  gehen  von  da,  wenn  ein  Schlauch, 
zugedrückt  wird,  auf  das  Ohr  der  entgegengesetzten  Seite  über. 

^  Bisweilen  auch  treten  sie  aufser  in  der  Medianebene  zugleich  in 
beiden  Ohren  auf  oder  längs  der  ganzen  Strecke  einer  die  Mittelpunkte 
der  Gehöreingänge  verbindend  gedachten  Geraden. 


Lokalisation  von  Schwdmngen  und  Differenztönen,  87 

Dies  Ergebnis  stimmt  mit  dem  analogen  Versuche  Thompsons^ 
vollkommen  überein.  Setzt  man  zwei  Gabeln  ohne  ßesonanz- 
kasten  auf  korrespondierende  Punkte  der  SchädeUiemisplLären, 
so  werden  die  Schwebungen  bei  gleicher  Intensität  ebenfaJls 
in  die  Medianebene  verlegt. 

10.  Es  ist  eine  bekannte,  von  Kessel^  genauer  untersuchte 
und  begründete  Thatsache,  dafs,  wenn  man  den  Stiel  einer 
tönenden  Gabel  oberhalb  des  einen,  also  beispielsweise  des 
linken  Ohres  in  der  Gegend  der  Linea  temporahs  sup.  fest 
gegen  den  Schädel  drückt,  der  Ton  auf  der  anderen  Seite,  also 
in  unserem  Beispiel  auf  der  rechten  gehört  wird.  Ebendorthin 
verlegt  man  auch  die  Schwebungen,  wenn  die  zweite  Gabel 
auf  die  entsprechende  Stelle  der  rechten  Kopfhälfte  gesetzt 
wird  und  dabei  die  leisere  ist.  Wird  sie  aber  vor  das  rechte 
Ohr  direkt  gehalten,  so  sind  unter  allen  umständen  die 
Schwebungen  rechts. 

11.  Hält  man  eine  der  schwebenden  Gabeln  unmittelbar 
vor  ein  Ohr,  während  die  zweite,  gleich  laute  aus  gröfserer 
Entfernung  dem  anderen  genähert  wird  —  wobei  stets  voraus  ge- 
setzt ist,  dafs  beide  Gabeln  in  der  Verlängerung  einer  die  Mittel- 
punkte beider  Gehöreingänge  verbindenden  Geraden  liegen  — , 
80  gehen  die  Schwebungen  von  der  näheren,  ruhenden  aus. 
Ihre  Intensität  wächst  bei  weiterer  Annäherung  der  bewegten 
Gabel  und  sie  selbst  verändern  dabei  ihren  Ort,  indem  sie  mehr 
oder  weniger  rasch  auf  die  Seite  der  letzteren  überspringen. 
Bei  einiger  Übung  und  Aufmerksamkeit  ist  ihr  Hindurchwandem 
durch  die  Medianebene  deutlich  wahrnehmbar,  man  kann  sie 
auch  durch  Arretieren  der  Gabel  dort  fixieren,  doch  eignet  sich 
dieser  Versuch  für  ungeübte  nicht  so  gut  zur  Demonstration 
der  medianen  Lokalisation  von  Schwebungen,  wie  etwa  der 
unter  9.  beschriebene. 

12.  Halte  ich  vor  das  linke  Ohr  zwei  Gabeln,  deren 
S^hwingungszahl  gleich  2000  resp.  1500  ist,  und  wird  eine 
Gabel  612  auf  B.esonanzkasten  der  Stirn  gegenüber  in  die 
Hedianebene  gebracht,  so  schwebt  der  Ton  512  mit  dem 
PifFerenzton  500.    Dabei  höre  ich  die  Schwebungen  stets  von 

*  Phiiosophieal  Magazine,  Ser.  V.  Vol.  IV.  No.  25.  S.  274  ff.  und  Vol. 
VI .  No.  38.  S.  383  ff. 

'  Über  die  Verschiedenheit  der  Intensität  eines  linear-erregten  Schalles  in 
verschied.  Bichtungen.    Arch.  f.  Oh  renheilk.  Bd.  18.  S.  129  ff. 


gg  Karl  L.  Bchaefer. 

vom  kommen.     Wird    dann  die  Gabel  512  vor  das  rechte  Ohr 
gestellt,  so  treten  die  Schwebungen  ebenfalls  rechts  auf. 

13.  Nimmt  man  ein  Paar  tiefer  Gabeln,  welche  sich  viel  besser 
als  hohe  zu  dem  folgenden  Versuche  eignen,  und  setzt  eine 
auf  den  Nasenrücken,  die  andere  auf  den  Hinterhauptshöcker, 
so  gehen  die  Schwebungen  stets  direkt  von  der  lauteren  aus. 
Ist  die  Intensität  beider  gleich,  so  kommen  die  Stöfse  von 
keiner  der  beiden  Gabeln,  sondern  aus  einer  nicht  genauer 
abzugrenzenden  Begion  zwischen  beiden.  Bei  diesen  Versuchen 
mufs  man  stets  beide  Gabelstiele  gleich  fest  an  den  Kopf 
drücken,  da  sonst  unkontrollierbare  Differenzen  der  relativen 
Intensität  gesetzt  werden. 

Die  Resultate  der  vorstehenden  Versuche  lassen  sich  nun 
in  folgenden  beiden  Sätzen  zusammenfassen: 

Für  die  Lokalisation  der  Schwebungen  zweier  Töne 
ist  bei  ungleicher  relativer  Intensität  der  letzteren 
unter  allen  Umständen  die  Richtung  und  Entfernung, 
aus  der  uns  der  relativ  lautere  Ton  trifft,  mafsgebend. 

Ist  die  relative  Intensität  der  Primärtöne  gleich, 
so  gehen  die  Schwebungen  aus  der  Region  zwischen 
den  beiden  Tonquellen^  hervor.  (Die  Verlegung  der 
Schwebungen  in  die  Medianebene  bei  Aufstellung 
der  Schallquellen  rechts  und  links  von  derselben 
ist  ein  spezieller  Fall  hiervon.) 

Eingangs  dieser  Untersuchung  wurde  besprochen,  dafs  die 
Schwebungen  in  der  Regel  doppelseitig  percipiert  werden.  Es 
ist  nun  ohne  weiteres  klar,  dafs  die  Schwebungen,  wenn  beide 
Gabeln  sich  auf  derselben  Seite  von  der  Medianebene  befinden, 
von  dem  Ohre  eben  dieser  Seite  lauter  vernommen  werden, 
dagegen  beiderseits  mit  gleicher  Intensität  auftreten,  wenn  die 
Tonquellen  in  der  Medianebene  Aufstellung  gefunden  haben. 
Für  den  Fall  aber,  dafs  die  Töne  von  verschiedenen  Seiten 
der  Medianebene  kommen,  läfst  es  sich  mathematisch  nach- 
weisen, dafs  bei  gleicher  relativer  Intensität  derselben  auch 
die  Intensität  der  Schwebungen  auf  beiden  Seiten  gleich  ist, 
dagegen  bei  ungleicher  relativer  Stärke  der  Primärtöne  die 
Schwebungen  lauter  sind  auf  der  Seite  des  stärkeren  Primärtones. 

*  In  den  Versuchen,  in  denen  Resonatoren  oder  Kautschuckschläuche 
in  Anwendung  kamen,  sind  natürlich  diese,  nicht  die  Gabeln  selbst,  als 
die  Tonquellen  anzusehen. 


Lokalisaiion  von  Schwebungen  und  Differenztönen.  89 

Hält  man  diese  Überlegungen  mit  dem  eben  gegebenen 
Sesume  der  beschriebenen  Versuche  zusammen,  so  könnte  man 
geneigt  sein,  demselben,  statt  der  oben  gewählten,  vielmehr 
diese  Form  zu  geben: 

„Die  Schwebungen  werden  nach  derjenigen  Seite  verlegt, 
von  deren  Ohr  sie  lauter  vernommen  werden,  in  die  Median- 
ebene aber,  wenn  sie  beide  Ohren  mit  gleicher  Intensität 
treffen.  Für  die  weitere  genauere  Feststellung  der  Richtung 
und  Entfernung  ist  dann  diejenige  des  relativ  lauteren  Primär- 
tones bestimmend.  Demnach  wird  die  Lokalisation  der  Schwe- 
bungen nach  denselben  Principien  vollzogen,  wie  diejenige 
diotisch  perdpierter  einfacher  Töne  und  G-eräusche.  Denn  auch 
diese  werden  (wie  Thompson,^  Urbantschitsch,*  Kbssbl,'  Prbyer* 
n.  a.  fanden)  nach  derjenigen  Seite  verlegt,  deren  Ohr  das 
stärker  erregte  ist,  resp.  in  die  Medianebene,  wenn  beide  Ohren 
mit  gleicher  Intensität  afßziert  werden.'' 

Allein  diese  Formel  würde  nicht  für  alle  Fälle  Gültigkeit 
haben.  Z.  B.  erstens :  Wenn  eine  der  schwebenden  Gabeln  in  der 
Medianebene  fest  gegen  den  Schädel  gedrückt,  die  andere,  leisere, 
aber  vor  ein  Ohr,  etwa  vor  das  rechte,  gehalten  wird,  so  sind 
offenbar  die  Schwebungen  im  rechten  Ohr  intensiver  als  links. 
Dennoch  werden  sie  an  den  Ort  der  lauteren  Gabel,  also  genau 
in  die  Medianebene  verlegt;  und  dies  dürfte  um  so  mehr  gegen 
die  in  £ede  stehende  Auffassung  sprechen,  als  nach  allen  bis- 
herigen Versuchen  darüber  bei  der  Lokalisation  diotisch  perci- 
pierter  SchaUeindrücke  Bechts,  Links  und  Median  mit  gröfster 
Präcision  unterschieden  und  auseinandergehalten  werden. 

Zweitens:  Setzen  wir  den  Fall,  der  eine  der  Primärtöne 
besäfse  so  überwiegende  Intensität,  dafs  er,  beide  Gabeln  vor 
demselben  Ohre  gedacht,  den  zweiten  übertönen,  das  Ohr 
physiologisch  taub  gegen  denselben  machen  würde,  dann  wäre 
bei  Verteilung  der  Gabeln  vor  beide  Ohren  die  Wahrnehmung 
von  Schwebungen  der  abzulehnenden  Auffassung  gemäjGs  nur 
möglich  auf  dem  Ohre  der  leiseren  Gabel.  Denn  deren  Ton  geht 
zwar  durch  Knochen-  oder  Luftleitung   auch  auf  das  Ohr  der 


*  A.  a.  0. 

*  Zur  Lehre  von  der  SchaUemp findung.   Pflüg  er  8  Ar  eh.  Bd.  24.  S.  579  ff. 
'  Über  die  Funktion  d.  Ohrmuschel  bei  d.  Haumwahmehmungen.    Arch.  f. 

Ohrenheilk.  Bd.  18.  S.  121. 

*  A.  a.  O. 


90  J^arl  L.  Scfiaefer. 

lauteren  Gabel  über,  kann  aber  hier,  zumal  er  durch  den 
Leitungswiderstand  noch  mehr  geschwächt  wird,  der  angenom- 
menen Bedinfi:unfi:  fi:emärs  mit  dem  andern  keine  Schwebun£ren 
Uefem.  In  wtkhcÄeit  werden  indes  die  Schwebungen  gerade 
auf  die  Seite  des  lauteren  Tones  verlegt. 

Hierzu  finden  wir  übrigens  ein  Analogen  in  folgendem  Ver- 
suche  ^:  Wenn  von  zwei  unisonen  Gabeln  die  eine  dicht  vor  das 
eine  Ohr  gehalten  wird,  die  andere,  gleich  laute,  in  grölserem  Ab- 
stände vor  das  andere,  so  wird  nur  erstere  gehört.  Wird  nun  die 
entferntere  hin  und  hergeschwimgen,  so  kommt  der  Ton  nach 
wie  vor  von  der  fixen  Gabel,  aber  im  Bythmus  der  Schwingungen 
intermittierend.  Es  werden  eben  in  der  Vorstellung  beide  quali- 
tativ gleichen  Töne  zu  einem  verschmolzen  und  dieses  Yorstel- 
lungsbild,  dessen  Intensität  in  jedem  Augenblicke  durch  eine  Art 
algebraischer  Summation  der  Intensitäten  der  Gabeltöne  be- 
stimmt wird,  nach  der  Seite  des  stärkeren  Gabeltones  verlegt.  So 
auch  in  unserm  Falle.  Auf  der  einen  Seite  hören  wir  den  über- 
wiegend lauten  Ton  rein,  auf  der  anderen  hören  wir  ihn  durch 
Leitungswiderstand  leiser  gemacht  und  (durch  Interferenz  mit 
einem  anderen  Tone)  intermittierend.  Das  Resultat  mufs  daher 
sein  und  ist  ja  auch  dasselbe  wie  in  dem  FfiCHNERschen  Ver- 
such: wir  verlegen  die  Intermittenzen  auf  die  Seite  der  gröfseren 
Intensität. 


n. 

Differenztöne. 

Die  Intensität  eines  Differenztones  hängt  von  sehr  ver- 
schiedenen umständen  ab.^  Sie  wechselt  mit  der  relativen 
Stärke  der  Primärtöne,  mit  dem  Intensitätsunterschiede  derselben 
und  vor  allem  mit  der  Sichtung,  aus  welcher  sie  den  Beobachter 
treffen.  Dies  illustrieren  folgende  einfache  Versuche  (zu  welchen, 
wenn  nicht  ausdrücklich  das  Gegenteil  bemerkt  ist,  stets  Gabeln 
ohne  Sicsonanzkasten  verwandt  wurden.) 

1.  Es  ist  eine  bekannte,  physikalisch  begründete  Thatsache,' 
dafs,    wenn   man    eine  vor  das  Ohr  gehaltene  Stimmgabel  um 

^  Feghner:    Über  einige  Verhältnisse  d.  binoadaren  Sehens.    Abhandig. 
d.  Sachs.  Gesellsch.  d.  Wissenschaften.    £d.  7.  (mathem.  Kl.  5.)  S.  561. 
*  Vgl.  auch  C.Stumpf:  Tonpsychol.  T.  II.  S.245fiF.  (erscheint  demnächst). 
3  Vgl.  Abschn.  I.    Versuch  3.  S.  83. 


Lokalisation  von  Schtoebungen  und  Differenztönen,  91 

90  ^  um  die  Axe  ihres  Stieles  dreht,  zweimal  ein  starkes  Absinken 
der  Intensität  eintritt,  dem  jedesmal  unmittelbar  ein  Wieder- 
ansteigen folgt.  Ganz  dasselbe^  geschieht^,  wenn  man  eine 
Gabel  von  vom  nach  hinten  derart  vor  dem  Ohre  vorüberführt, 
dafs  die  Zinken  immer  parallel  sich  selbst  verschoben  werden. 
Man  hört  dann  kurz  bevor  die  Gabel  der  Ohröflfnung  gegen- 
übertritt  und  beim  Passieren  des  hinteren  Ohrmuschelrandes  die 
bewufsten  Intensitätsschwankungeu. 

Stellt  man  nun  einen  dieser  Versuche  an,  während  gleich- 
zeitig eine  Gabel,  welche  mit  der  bewegten  eiuen  Differenzton 
giebt,  unbewegt  vor  dasselbe  Ohr  gehalten  wird,  so  macht  auch 
der  Differenzton   die    erwähnten  Intensitätsschwankungen  mit. 

2.  Bringt  man  beide  Gabeln  in  eine  solche  Lage  vor  das 
Ohr,  welche  als  Optimum  für  die  Wahrnehmung  von  Differenz- 
tönen betrachtet  werden  kann,  so  genügen  kleinste  Lagever- 
änderungen einer  der  Gabeln,  um  seine  Intensität  bedeutend 
zu  schwächen,  eventuell  auf  Null  sinken  zu  lassen;  und  schwingt 
man  eine  der  Gabeln  rythmisch  hin  und  her,  so  erscheint  auch 
der  Differenzton  in  demselben  Bythmus  intermittierend. 

3.  Macht  man  den  Unterschied  der  relativen  Intensität  der 
Primärtöne  sehr  grofs,  indem  man  entweder  die  Gabeln  sehr 
ungleich  laut  anschlägt  oder  von  den  gleich  laut  tönenden  die 
eine  unmittelbar  vor  die  Ohröfinung,  die  andere  weiter  ab  hält,  so 
tritt  auch  hier  physiologische  Taubheit  •  gegen  den  Differenz- 
ton ein.  Er  wird  überhaupt  nicht  gehört  und  erscheint  erst, 
sobald  man  die  Gabeln  vertauscht  oder  die  lautere  zweckent- 
sprechend dämpft.  Meiner  Ansicht  nach  ist  überhaupt  möglichst 
gleiche  relative  Intensität  der  Primärtöne  der  Wahrnehmung 
von  Differenztönen  am  günstigsten. 

4.  Besonders  deutlich  höre  ich  den  Differenzton  —  möglichst 
gleiche  absolute  Intensität  der  Primärtöne  vorausgesetzt  — , 
wenn  die  eine  Gabel,  etwa  2  bis  3  fingerbreit  vom  Ohr  entfernt, 
direkt  vor  dem  Gehöreingang  so  gehalten  wird,  dafs  die  breiten 


^  Wie  auch  Kbssbl  schon  beobachtete,  a.  a.  O.  Arch,  f.  OhßrenheHk, 
Bd.  18.  S.  123  f. 

'  Offenbar  auch  aus  demselben  Grimde,  denn  die  Erscheinung  bleibt 
aus,  wenn  man  die  breiten  Zinkenflächen  immer  parallel  der  Oberfläche 
des  Kopfes  verschiebt,  so  dafs  stets  nur  die  Fläche  und  nie  eine  der 
Kanten  nach  der  Ohröffiaung  sieht. 

»  Vgl.  Abschn.  I.  S.  82. 


92  Karl  L.  Schaefer. 

Zinkenflächen  der  Medianebene  parallel  sind,  die  zweite  in 
gleichem  Abstand  vom  Kopfe,  aber  1  bis  2^°^  weiter  nach 
Yom  so,  daJfe  ihre  breiten  Zinkenflachen  senkrecht  zur  Me- 
dianebene stehen.  Der  DifFerenzton  ist  weniger  gut  vernehmbar, 
wenn  beide  Primärtöne  von  vom,  und  noch  schlechter,  wenn 
beide  von  hinten  kommen. 

5.  Wird  nun  die  vordere  Gabel  ans  der  angegebenen 
Stellung  vom  Ohre  weg  weiter  nach  vom  gefnhrt,  so  erlischt  meist 
der  Differenzton,  sobald  sie  den  lateralen  Orbitahund  passiert; 
ebenso,  wenn  sie  bei  entsprechendem  Verschieben  nach  hinten 
in  gleiche  Linie  mit  dem  Hinterhauptshöcker  kommt;  oder 
endlich,  wenn  sie  die  Höhe  des  Scheitels  erreicht  beim  Anf- 
wärtsbewegen,  falls  dieses  in  der  Weise  geschieht,  dafs  die 
Längsaxe  der  Gabel  parallel  der  Sagittalaxe  des  Kopfes  ver- 
schoben wird. 

Dem  entspricht  genau,  dafs  wenn  man,  während  die  eine 
Gabel  unbewegt  vor  das  Ohr  gehalten  wird,  die  andere,  oder 
genauer  gesagt,  deren  Längsaxe  von  demselben  Ohre  aus  einen 
Cylindermantel  um  die  Vertikal-  oder  Sagittalaxe  des  Kopfes 
in  der  Bichtung  auf  das  andere  Ohr  zu  beschreiben  läfst,  dafs 
dann  der  Differenzton  schon  verschwindet,  bevor  die  Median- 
ebene erreicht  wird,  jedenfalls  nach  Passieren  derselben  auch 
bei  gröfster  Anspannung  der  Aufinerksamkeit  nicht  mehr  wahr- 
nehmbar ist. 

Es  bedarf  wohl  kaum  besonderer  Betonung,  dafs  man  zu 
diesen  Versuchen  Gabeln,  welche  nicht  zu  rasch  verklingen, 
also  am  besten  solche  tieferer  Tonlagen  verwenden  mufs. 

6.  So  konstant  nun  das  eben  angeführte  Versuchsresultat 
bei  der  Benutzung  freier  Gabeln  erhalten  wird,  so  verliert  es 
seine  Gnltigkeit,  wenn  man  solche  mit  Besonanzkasten  wählt. 
Thut  man  dies,  dann  wird  der  Differenzton  noch  gehört,  nachdem 
die  Medianebene  bereits  von  der  bewegten  Gabel  um  ein  gutes 
Stück  überschritten  worden,  erlischt  jedoch  auch  hier  stets,  ehe 
das  andere  Ohr  ganz  erreicht  ist.  In  der  That  wird  auch 
von  allen  früheren  Autoren  (Dove/  Thompson,*  Stumpf')  ein- 
stimmig   angegeben,    dafs,   wenn   man   unmittelbar   vor  jedes 


*  Foggendorffa  Anmalen.   CVn.  S.  653. 
»  A.  a.  0. 

'  A.  a.  0.    S.  256  Anmerk.    (Bei  den  hier  beschriebenen  Versuchen 
wurde  beiden  Gabeln  maximale  Intensität  erteilt.) 


Lokalisation  wn  Schwebungen  und  Bifferemtönen.  93 

Ohr  eine  der  Gabeln  hielte,  niemals  der  Differenzton  hörbar 
würde. 

Da  nnn  aber  der  G-egem^atz  der  sab  5  und  6  beschriebenen 
Versuchsergebnisse  mir  nur  durch  die  Annahme  erklärt  werden 
zu  können  scheint,  däfs  im  ersteren  Falle  ein  der  Wahrnehmung 
des  Differenztones  ungünstiges  Verhältnis  der  relativen  Inten- 
sität  der  Primärtöne  obwaltet  —  der  wandernde  ist  zu  leise  — , 
so  liegt  der  G-edanke  nahe,  dafs  das  bisher  negative  Resultat 
der  Versuche,  auch  bei  Verteilung  der  Gabeln  auf  beide  Ohren 
den  Differenzton  zu  hören,  ebenfalls  nur  die  Folge  unzweck- 
mäisiger  Versuchsanordnung  war,  —  um  so  mehr,  als  a  priori  nicht 
einzusehen  ist,  warum  der  Differenzton  im  besagten  Falle  nicht 
hörbar  sein  soUte.  Mufs  doch  auch  hier,  ebensogut  wie  bei 
der  Benutzung  miteinander  schwebender  Gabeln,  jeder  Ton 
auf  dem  Wege  der  intracraniellen  Leitung  beide  Gehörorgane 
afßzieren.    Wenn  man 

7.  eine  der  Gabeln  dicht  vor  ein  Ohr,  etwa  das  linke,  hält, 
die  andere  oberhalb  desjenigen  der  anderen  Seite,  also  rechts, 
in  der  Gegend  der  Linea  temporalis  sup.  fest  an  den  Schädel 
drückt,  1  so  vernimmt  man  den  Differenzton  mit  grofser  Deut- 
lichkeit vor  dem  Ohre  links.  Er  verschwindet,  wenn  der 
Beobachter  die  Gabel  rechts  vom  Kopfe  abhebt,  und  kehrt 
sofort  wieder,  wenn  dieselbe  wieder  fest  aufgesetzt  wird. 

Daraus  aber,  dals  man  den  Differenzton  hört,  wenn  man 
die  Gabel  der  rechten  Seite  direkt  auf  den  Schädel  setzt,  da- 
gegen nicht  hört,  wenn  sie  vor  das  rechte  Ohr  gebracht  wird, 
wird  der  SchluTs  gezogen  werden  müssen:  der  Ton  rechts 
werde  bei  dem  Übergang  von  der  Luft  resp.  dem  Ohre  auf 
die  Kopfknochen  in  seiner  Intensität  so  sehr  vermindert,  dafs 
er,  links  angelangt,  nicht  mehr  stark  genug  ist,  um  neben  dem 
von  dort  ungeschwächt  das  Ohr  treffenden  hörbar  zu  sein. 
Der  Ton  links  macht  eben  das  Ohr  physiologisch  taub  gegen  den 
von  rechts  kommenden,  und  damit  ist  natürlich  auch  die  Wahr- 
nehmung des  Differenztones  unmöglich. 

Ist  das  Gesagte  richtig,  so  mufs  der  Differenzton  bei  Ver- 
teilung der  Gabeln  vor  beide  Ohren  hörbar  werden,  wenn  eine 
der  Gabeln  um  ein  bedeutendes  lauter  tönt ,  als  die  andere, 
und  zwar   mufs    er  dann  vor  dem  Ohre  der  leiseren  auftreten, 


*  Vgl.  oben  Abschn.  I.  S.  87.  Versuch  10. 


94  Karl  L.  Schaefer. 

wie   sich    nach    den    angestellten    Betrachtungen    von    selbst 
versteht. 

Diese  Voraussetzung  wird  nun  durch  die  Versuche  vollauf 
bestätigt.     Denn  nimmt  man 

8.  zwei  Gabeln  auf  Besonanzkasten,  deren  eine  ganz  leise 
tönt,  während  die  andere  mögUchst  stark  angeschlagen  wird, 
und  deckt  die  Kasten  über  die  Ohren,  so  hört  man  deutlich 
den  Differenzton  aus  dem  Kasten  der  leiseren  kommen :  ^  wenn 
es  nämlich  gelingt,  bei  dem  Versuche  gerade  das  Optimum  der 
Intensitätsdifferenz  der  Primärtöne  zu  treffen.  Dies  ist  einer- 
seits sehr  schwierig  bei  Mangel  von  Gabeln,  deren  Intensität 
sich  zahlenmäfsig  abstufen  und  dann  konstant  erhalten  läfst, 
andererseits  notwendig  in  Bücksicht  auf  die  bereits  besprochene 
Abhängigkeit  der  Intensität  des  Differenztones  von  dem  Inten- 
sitätsunterschied der  Primärtöne.  Daher  denn  die  sehr  häufigen 
Mifserfolge  der  Bichtigkeit  der  Thatsache  keinen  Eintrag  thun 
können. 

Es  steht  im  Gegenteil  zweifellos  fest,  dafs  der  Differensston, 
wenn  eine  der  Gabeln  unbeweglich  vor  einem  Ohre  gehalten 
wird,  und  die  andere  von  dort  aus  in  irgend  einer  Richtung 
um  den  Kopf  herum  zum  Ohre  der  anderen  Seite  wandert,  bei 
jeder  Lage  der  letztgenannten  Tonquelle  gehört  werden  kann. 
Die  Tartinischen  Töne  unterscheiden  sich  also  in  dieser  Bezie- 
hung keineswegs  von  den  Schwebungen  und  haben  vielmehr, 
wie  wir  gesehen,  auch  das  mit  denselben  gemein,  dals  sie  wie 
diese  ^  am  besten  hörbar  sind,  wenn  beide  Gabeln  vor  dasselbe 
Ohr  placiert  werden,  weniger  gut,  wenn  eine  in  die  Median- 
ebene  versetzt,  und  noch  schlechter,  wenn  Verteilung  auf  beide 
Ohren  vorgenommen  wird. 


^  In  dieser  Beziehung  scheinen  auf  den  ersten  Blick  die  Tartinischen 
Töne  in  einen  Gegensatz  zu  den  Schwebungen  zu  treten,  von  denen 
oben  (Abschn.  I)  gesagt  wurde,  dafs  sie  unter  gleicher  Bedingung 
auf  die  Seite  des  lauteren  Primärtones  verlegt  werden.  Indes  verliert 
dieser  Gegensatz  den  Charakter  des  Principiellen,  wenn  man  überlegt, 
dafs  der  a.  a.  O.  für  die  in  Eede  stehende  Lokalisation  der  Schwebungen 
angegebene  Grund  keine  Gültigkeit  mehr  hat,  sobald  der  Abstand  der 
Primärtöne  rücksichtlich  ihrer  Höhe  hinreichend  grofs  wird,  um  an  die 
Stelle  von  blofsen  Intermittenzen  des  lauteren  derselben  einen  neuen 
Ton,  den  Differenzton,  treten  zu  lassen. 

'  Fechner,  a.  a.  0.  S.  541. 


Lokalisatian  von  Schwebungen  und  Differenztönen.  95 

9.  Einmal  aufmerksam  gemacht  auf  die  Thatsache,  dafs 
zur  Wahrnehmung  des  Differenztones  bei  Aufstellung  der 
Gabeln  rechts  und  links  vor  dem  Ohre  grofse  Ungleichheit  der 
absoluten  Tonintensitäten  Bedingung  sei,  gelang  es  mir,  auch 
Differenztöne  zu  hören,  wenn  ich  G-abeln  ohne  Besonanzkasten 
unmittelbar  vor  die  Ohren  hielt.  Ich  benutzte  dazu  eine  Serie 
-von  11  Gabeln,  deren  Tonhöhe  mit  je  einem  Abstand  von  100 
Schwingungen  von  1000  bis  2000  ansteigt.  Wurden  die  Gabeln 
möglichst  ungleich  stark  angeschlagen  und  eventuell,  nachdem 
sie  vor  die  Ohren  gebracht,  der  Intensitätsunterschied  durch 
Entfernen  oder  Drehen  der  einen  um  ihre  Längsaxe  noch 
passend  modifiziert,  so  konnte  ich  in  etwa  der  Hälfte  der  Ver- 
suche den  Tartinischen  Ton  deutlich  hören.  Die  Versuchsanord- 
nung war  dabei  meist  die,  dafs  die  Gabeln  erst,  nachdem  ich 
sie  in  passende  Lage  vor  die  Ohren  gebracht,  von  einem 
Assistenten  angeschlagen  wurden.  Lag  der  Differenzton  sehr 
tief  (100  und  200),  so  hörte  ich  ihn  selten;  dagegen  vernehme 
ich  regelmäfsig  den  Differenzton  (500)  der  Gabeln  ICXK)  und 
1500  resp.  1500  und  2(X)0.  Sehr  störend  ist  das  rasche  Ver- 
klingen der  Gabeln:  der  Differenzton  ist  in  der  Regel  nur  für 
einen  Moment  hörbar.  Auch  sei  die  Intensität  des  lauteren 
Primärtones  nicht  zu  grofs,  da  es  sonst  nicht  gelingt,  die  Auf- 
merksamkeit vorwiegend  auf  den  leiseren  zu  lenken.  Begünsti- 
gend wirkt  die  ununterbrochene  Fortsetzung  der  Versuche 
längere  Zeit  hindurch;  indessen  wird  die  so  erworbene  Übung, 
wie  ich  in  vollster  Übereinstimmung  mit  Stumpf^  finde,  sehr 
bald  wieder  verloren. 

Um  reinere  Resultate  zu  erzielen,  gab  ich  in  einer  Beihe 
anderer  Versuche  dem  Differenzton  einen  intermittierenden  Cha- 
rakter, eingedenk  der  Thatsache,  dafs  Schwebungen  viel  eher 
und  deutlicher  gehört  werden,  als  Tartinische  Töne. 

10.  Es  wurde  demgemäfs  eine  Gabel  512  mit  Eesonanzkasten 
in  der  Medianebene  der  Stirn  gegenüber  aufgestellt,  während 
die  Gabeln  2000  und  15(X)  vor  beide  Ohren  verteilt  waren. 
Nachdem  alle  drei  angeschlagen,  hörte  ich  auch  aus  dem  Kasten 
kommende  Schwebungen  der  Töne  500  und  512;  aber  nicht 
mit    der   erwarteten   Deutlichkeit.     Andere    analoge   Versuche 


»  A.  a.  O.  S.  249. 


96  Karl  L.  Schaefer, 

ergaben  ein  gänzlich  negatives  ßesultat;  auch  dann,  wenn  die 
Hülfsgabel  mit  vor  ein  Ohr  gebracht  wurde. 

11.  Eine  andere  Methode  lieferte  dagegen  sehr  gute  Erfolge. 
Sie  bestand  in  der  Anwendung  verstinunter  Oktaven,  wie  sie 
bei  dem  oben  ^  angeführten  Experimente  von  Bosanqubt  benutzt 
wurden.  Ich  wählte  zuerst  die  Gabeln  494  und  1000.  Wurden 
diese  auf  beide  Seiten  verteilt,  so  hörte  ich  häufig  beide  Töne 
intermittierend,  manchmal  aUerdings  auch  nur  den  höheren. 
Stets  aber  erloschen  die  von  dem  tieferen  ausgehenden  Stöfse 
um  vieles  eher  als  die  anderen.  Schlägt  man  nun  die  tiefe 
Gabel  recht  leise,  die  andere  sehr  laut  an,  so  hört  man  nur, 
und  zwar  sehr  deutlich,  die  erstere  schweben,  da  bei  leisem 
Anschlag  ihr  erster  Oberton  entweder  überhaupt  nicht  auftritt 
oder  doch  zu  schwach,  um  mit  dem  Tone  1000  Schwebungen 
zu  erzeugen.  Die  Intermittenzen  des  tieferen  Tones  können 
aber  nur  durch  Interferenz  desselben  mit  dem  Differenzton  506 
entstehen  und  sind  mithin  ein  strikter  Beweis  für  dessen 
Wahmehmbarkeit  auch  bei  Verteilung  der  Primärtöne  auf  beide 
Ohren.  Noch  an  einer  Beihe  anderer  Gabelpaare  wurden 
zahlreiche  Versuche  der  beschriebenen  Art  mit  genau  denselben 
Resultaten  ausgeführt,  deren  Dichtigkeit  mir  von  Herrn  Dr. 
AxMANN  bestätigt  wurde,  als  ich  einige  dieser  Experimente  — 
übrigens  ohne  vorherige  Mitteilung  ihres  Zweckes  —  an  dem- 
selben anstellte.  Er  konstatierte  auch,  dafs  die  Sphwebungen 
des  tieferen  Tones  um  so  deutlicher  hörbar  seien,  je  geringer 
ihre  Anzahl. 

Was  die  Sichtung  anlangt,  aus  der  die  Differenztöne  bei 
den  verschiedenen  angeführten  Versuchen  zu  kommen  scheinen, 
so  kann  ich  zunächst  nur  bestätigen,  was  C.  Stumpf'  darüber 
angiebt. 

12.  Befinden  sich  beide  Gabeln  auf  derselben  Seite  der 
Medianebene,  so  höre  ich  auch  den  Differenzton  auf  eben  dieser 
Seite  und  zwar  unmittelbar  vor  dem  Ohre,  ein  wenig  von 
hinten  und  unten  kommend.  Sein  Ort  macht  alle  Bewegungen 
des  Kopfes  mit,  als  ob  er  an  diesen  fixiert  wäre.  Herr  Dr. 
AxMANN  hatte  zuweilen  eine  eigentümliche  Tastempfindung  in 
der  Gegend  des  Trommelfelles,   und  mehrere  andere  Versuchs- 

*  Absclin.  I.  S.  85.  Versuch  6. 

•  A.  a.  O.  S.  246. 


Lokalisation  von  Schw^Hmgen  und  Differenztönen,  97 

personell  gaben  mir  an^  dals  sie  den  Ort  des  Differenztones, 
wenn  auch  nicht  immer  uiunittelbar  in  oder  vor  das  Ohr,  so 
doch  in  eine  seitliche  Bichtnng  verlegten  und  ihn  als  deutlich 
gesondert  von  dem  der  Primärtöne  empfönden. 

Hierin  zeigen  also  die  Tartinischen  Töne  ein  von  dem  der 
Schwebungen  durchaus  abweichendes  Verhalten.  Wir  sahen, 
dafs  die  Bichtung  und  Entfernung  der  letzteren  wesentlich 
mit  der  der  Primärtöne  wechselt. 

13.  Werden  die  G-abeln  auf  symmetrische  Punkte  der 
Schädelhemisphären  gesetzt,  so  tritt  bei  gleicher  Intensität  der 
Primärtöne  der  Differenzton  im  Innern  des  Kopfes  in  der 
Medianebene  auf. 

14.  Werden  dagegen  die  gleich  lauten  Gabeln  nicht  auf 
-den  Kopf  selbst,  sondern  auf  Besonanzkasten  gesetzt,  welche 
>an  korrespondierenden  Punkten  rechts  und  links  von  der  Me- 
-dianebene  vor  dem  Beobachter  auf  dem  Tische  stehen,  so  wird 
Ton  mir  selbst  der  Differenzton  zuweilen  längs  der  ganzen 
Strecke  einer  die  Mittelpunkte  der  Ohröfibungen  verbindend 
gedachten  Geraden  gehört,  zuweilen  in  der  Nähe  der  Gegend 
der  kleinen  Fontanelle,  von  Herrn  Axmann  dagegen  genau  in 
der  Mitte  des  Hinterhauptes,    an  der  Protuberantia  occipitalis. 

15.  Steht  die  eine  Gabel  mit  Besonanzkasten  in  der  Median- 
ebene vor  mir  und  halte  ich  die  andere  ebenfalls  median,  aber 
in  unmittelbarer  Nähe  vor  die  Stirn  oder  vor  das  Hinterhaupt, 
so  erscheint  der  Differenzton  wiederum  an  der  Stelle  der  kleinen 
Fontanelle.  Bei  diesem  Versuch,  ebenso  wie  bei  dem  vorigen,  er- 
probte ich  es  als  besonders  zweckmäfsig,  die  Differenztöne  immer 
Aur  fiir  Augenblicke  auftreten  zu  lassen.  Je  länger  ich  nämlich 
dieselben  zwecks  Feststellung  ihres  ürsprungsortes  beobachte, 
tun  so  unsicherer  pflege  ich  in  dem  Urteil  darüber  zu  werden. 

16.  Werden  die  Gtkbeln  dicht  nebeneinander  auf  die  Mitte 
eiaea  Schlauches  gesetzt,  dessen  Enden  fest  in  die  Ohren  ein- 
gefügt sind,  so  tritt  der  Differenzton  in  der  Medianebene  im 
£opfe  auf.  Er  wandert  von  dort  nach  einem  der  Ohren,  wenn 
die  Gabeln  zusammen  nach  dem  in  eben  diesem  Ohre  befestigten 
Schlauchende  zu  verschoben  werden. 

17.  Befinden  sich  Gabeln  von  ungleicher  Intensität  auf 
verschiedenen  Seiten  von  der  Medianebene,  so  war  in  den 
bisher  mitgeteilten  hierher  gehörigen  Versuchen  der  Differenz- 
ton auf  der  Seite  der  leiseren  zu  hören. 

Zeitschrift  fttr  Piyehologie.  7 


98  JSTaW  i.  Sehaefer. 

18.  Dies  findet  nun  auch  statt,  wenn  die  Gabeln  —  in 
diesem  Falle  wieder  auf  Besonanzkasten  —  so  weit  jederseits 
vom  Ohre  entfernt  aufgestellt  werden,  dass  die  Primärtöne> 
durch  Vermittelung  der  Luftleitung  beide  Gehörorgane  treflten. 
Befindet  sich  dabei  beispielsweise  die  leisere  Gabel  links  und 
dämpfe  ich  den  Ton  rechts  durch  Anlegen  des  Fingers,  so  dafe 
seine  Intensität  endlich  geringer  wird  als  die  des  anderen,  so» 
zieht  sich  der  Differenzton  entsprechend  aus  dem  linken  Ohre^ 
in  das  Innere  des  Kopfes  zurück,  um  allmählich  ganz  auf  das 
rechte  Ohr  überzugehen. 

19.  Bedient  man  sich  wieder  des  Kautschuckschlauches  wi» 
in  Versuch  16,  und  setzt  auf  ihn  rechts  und  links  von  der 
Mitte  eine  der  Gabeln,  welche  ungleich  laut  angeschlagen 
werden,  so  wird,  wie  Herr  Dr.  Axmann  und  ich  übereinstimmend 
fanden,  der  Differenzton  stets  auf  die  Seite  der  leiseren  verlegt. 
Am  leichtesten  überzeugt  man  sich  hiervon,  wenn  man  die^ 
Gabeln  abwechselnd  in  kurzen  Pausen  anschlägt.  Im  Momente 
des  Anschlagens  springt  jedesmal  der  Differenzton  auf  das- 
Ohr  der  entgegengesetzten  Seite  über. 

Zum  Schlüsse  die  Ergebnisse  der  Versuche  über  die  Lo- 
kalisation Tartinischer  Töne  zusammenfassend,  finden  wir,  dafs. 
man  den  Differenzton  zwischen  die  Ohren  (in  die  Medianebene) 
verlegt,  wenn  beide  Gabeln  in  der  Medianebene  aufgestellt, 
sind,  oder  wenn  die  Primärtöne  von  verschiedenen  Seiten 
derselben  kommen,  ihre  relative  Intensität  aber  gleich  ist. 
Wenn  beide  Primärtöne  den  Beobachter  von  derselben  Seite 
treffen,  wird  der  Differenzton  in  oder  unmittelbar  vor  dem 
Ohre  eben  dieser  Seite  gehört;  dagegen  auf  der  Seite  der 
leiseren  Gabel,  wenn  der  eine  Ton  von  rechts,  der  andere  von. 
links  kommt,  und  die  relative  Intensität  beider  ungleich  ist. 
Dafs  man  ihn  in  diesem  Falle  im  Gegensatz  zu  den  Schwe- 
bungen auf  die  Seite  des  schwächeren  Primärtones  verlegt,, 
dürfte  seinen  Grund  darin  haben,  dass  auf  dieser  Seite  ein  für 
seine  Wahmehmbarkeit  günstigeres  Intensitätsverhältnis  der 
primären  Töne  obwaltet  und  er  demgemäfs  überhaupt  nur  oder 
wenigstens  überwiegend  laut  auf  dieser  Seite  auftritt:  das- 
stärker  erregte  Ohr  ist  aber  bekanntlich  bei  der  Lokalisation 
einfacher  Töne  mafsgebend  für  die  Bestimmung  der  Richtung* 


Aus  dem  psychologischen  Laboratorium  zu  Freiburg  i.  B. 

Die  Association  successiver  Vorstellungen. 

Von 

H.  Münsterberg. 

Die  Theorien  über  Vorstellungsreproduktion  divergieren  in 
hohem  Mafse  bezüglich  der  Frage,  ob  die  innere  Verwandtschaft 
zweier  Vorstellungen  allein  schon  veranlassen  kann,  dafs  eine 
von  beiden  die  andere  ins  Gedächtnis  zurückruft  oder  ob  zu 
der  inneren  Ähnlichkeit  und  Abhängigkeit  stets  noch  äulsere 
Beziehungen,  wie  Gleichzeitigkeit  oder  zeitliche  Folge  als 
Bedingungen  der  Association  hinzutreten  müssen.  Bezüglich 
dieser  zweiten  Gruppe  von  Associationsgesetzen  befinden  sich 
die  Theorien  dagegen  in  weitreichender  Übereinstimmung;  jeder- 
zeit fast  wurde  zugegeben,  dafs  Vorstellungen,  welche  simultan 
oder  in  unmittelbarer  Succession  in  demselben  Bewufstsein 
erzeugt  werden,  sich  späterhin  gegenseitig  reproduzieren.  In 
der  That  zeigt  es  sich  ja  fortwährend,  dafs  nicht  nur  die  gleich- 
zeitigen Erregungen  mehrerer  Sinne  sich  im  Gedächtnis  mit- 
einander verknüpfen,  sondern  dafs  auch  die  nacheinander 
dargebotenen  Teile  einer  Beizreihe  sich  für  das  Bewufstsein 
derart  verbinden,  dafs  etwa  der  Anfang  einer  Tonfolge,  einer 
Wortreihe,  einer  Kette  von  Erlebnissen  sofort  die  Erinnerung 
an  die  Fortsetzung  wachruft;  alles  Auswendiglernen,  alle  Er- 
fahrung beruht  darauf. 

Trotzdem  der  Thatbestand  dieser  Gedächtnisleistung  nun 
unzweifelhaft  ist,  dürfte  die  übliche  Deutung  derselben  doch 
nicht  unanfechtbar  sein;  ich  glaube,  dafs  wir  nicht  berechtigt 
sind,  die  successive  Association  der  simultanen  zu  koordi- 
nieren, dafs  es  vielmehr  eine  unmittelbare  Association  successiver 
Vorstellungen  überhaupt  nicht  giebt.     Meines  Erachtens  kommt 


7* 


100  H.  Münsterberg. 

die  Verknüpfang  naclieiiiaiider  gebotener  Eindrücke  a  b  c  d 
auf  zwei  verschiedene  Weisen  zu  stände.  Entweder  ist  a  im 
Bewufstsein  noch  nicht  erloschen,  sobald  b  eintritt,  b  noch 
nicht  verschwunden,  sobald  c  kommt,  kurz,  obgleich  die  Beize 
succedieren,  sind  von  den  entsprechenden  Empfindungen  min- 
destens je  zwei  stets  simultan  im  Bewufstsein ;  nicht  die  Folge, 
sondern  die  Gleichzeitigkeit  wäre  dann  die  Ursache,  dafs  a  nun 
b  und  b  wieder  c  im  Gedächtnis  hervorruft.  Oder  zweitens: 
jeder  Reiz  ruft  in  uns  reflektorische  Bewegungen  hervor,  ein 
Wortbild  beispielsweise  Sprachbewegungen,  und  die  Reihe 
successiver  Reize  erzeugt  auf  diese  Weise  eine  Reihe  von  Be- 
wegungen, resp.  Bewegungsantrieben,  welche  sich,  genau  wie 
andere  eingeübte  Bewegungskomplexe,  miteinander  verbinden; 
die  erste  Bewegung  löst  die  zweite,  die  zweite  dann  die  dritte 
aus,  und  die  Wahrnehmung  der  vollzogenen  Bewegung  ruft 
durch  Simultanassociation  jedesmal  die  entsprechende  Vorstellung 
hervor.  Wenn  Vorstellung  b  firüher  auf  Vorstellung  a  folgte, 
so  wird  in  der  Erinnerung  jetzt  also  nicht  b  von  a  angeregt, 
wie  es  das  Gesetz  der  successiven  Association  fordert,  sondern 
a  ruft  die  Bewegung  Ä  hervor,  Ä  löst  dann  die  Bewegung  S 
aus,  die  früher  ebenfalls  nach  A  durch  b  hervorgerufen  war, 
und  erst  B  erweckt  die  Erinnerung  an  &;  inzwischen  hat  dann 
B  schon  C  ausgelöst,  das  c  mit  sich  zieht,  und  so  ist  der  Ab- 
lauf der  eingeprägten  Bewegungsreihenfolge  der  Anlafs  für  das 
successive  Auftauchen  der  Vorstellungsreihe.  Daus  aber  auf- 
einanderfolgende Bewegungen  sich  in  derselben  Reihenfolge 
leicht  wiederholen,  wie  wir  es  vom  ersten  Erlernen  des  Greifens 
und  Gehens  bis  hinauf  zur  Einübung  kompliziertester  Technik 
wahrnehmen,  das  hat  seinerseits  nichts  mit  VorsteUungsasso- 
ciationen  zu  thun,  sondern  beruht  auf  der  schnellen  Ausbildung 
von  Reflexbahnen.  Folgte  einmal  auf  die  Bewegung  A  die 
Bewegung  Bj  so  kann  zwischen  der  centripetalen  Erregung, 
die  bei  dem  Vollzug  der  Bewegung  A  entsteht,  und  der  gleich- 
zeitigen centrifugalen  Erregung,  die  zur  Bewegung  B  führt, 
auf  subkortikalen  Bahnen  Vermittelung  eintreten,  derart,  dafs 
die  Ausführung  der  Bewegung  A  künftig  zum  Signal  für  die 
reflektorische  Auslösung  von  B  wird. 

Welches  von  diesen  beiden  Hilfsmitteln,  Simultaneität  der 
benachbarten  Glieder  oder  Einübung  der  begleitenden  Be- 
wegungen, im  einzelnen  Falle  das  hervorbringt,  was  gemeinhin 


Die  Association  »uccessiver  Vorstellungen,  101 

als  successive  Association  aufgefafst  wird,  läfst  sich  leicht  er- 
kennen. Wo  der  erste  Weg  betreten  war,  da  wird  eine  Um- 
kehmng  der  Beihenfolge  die  Beproduktion  kaum  erschweren; 
wo  dagegen  die  zweite  Methode  benutzt  war,  wird  wie  bei 
allen  eingeübten  Bewegungsreihenfolgen  eine  Umkehr  unmöglich 
sein.  In  häufigen  Fällen,  z.  B.  beim  Auswendiglernen  gelesener 
Worte,  werden  beide  Hilfsmittel  sich  ergänzen,  sowohl  die 
Simultaneität  der  gesehenen  Wortbilder  als  auch  die  Einübung 
der  Sprachinnervationen  wird  hier  die  successive  Association 
ermöglichen.  Es  erklärt  sich  daher  auch,  das  Ebbinghaus  in 
seinen  bekanntei;L  Untersuchungen  über  das  Gedächtnis  eine 
nicht  unwesentliche  Ersparnis  für  die  Lemzeit  sinnloser  Silben- 
reihen auch  dann  noch  fand  (S.  154),  sobald  er  die  Beihenfolge 
der  früher  erlernten  Beihe  direkt  umkehrte.  Dafs  solche  Er- 
sparnis eintritt,  resultiert  eben  daraus,  dafs  subjektive  Simul- 
taneität der  benachbarten  Glieder  bei  der  Einprägung  mit- 
wirkte; dafs  diese  Ersparnis  dagegen  viel  geringer  ist  als  die 
beim  Neulemen  in  der  gleichen  Beihenfolge,  ergiebt  sich  dar- 
aus, dafs  die  Mithilfe  der  Bewegungseinübung  wegfiel.  Auch 
dafs  beim  Überspringen  einzelner  Silben  die  Ersparnis  an  Lem- 
zeit bedeutend  abnimmt,  ist  aus  der  Veränderung  der  Be- 
wegungsreihenfolge zu  erklären;  dafs  eine  gewisse  Ersparnis 
sich  aber  dennoch  nachweisen  läfst  (S.  145),  dürfte  darauf  be- 
ruhen, dafs  unser  Auge,  schneller  arbeitend  als  der  Sprech- 
apparat, auch  die  nicht  unmittelbar  sich  berührenden  Silben 
gleichzeitig  überblickt.  Hätte  Ebbinghaus  die  Silbenreihe  ver- 
deckt gehalten  und  stets  nur  jedesmal  eine  Silbe  nach  der 
andern  aufgedeckt,  so  wäre  das  Ergebnis  in  diesem  Punkt  viel- 
leicht ein  anderes  geworden. 

Die  dargestellte  theoretische  Auffassung  stützt  sich  auf 
Gründe  der  verschiedensten  Art.  Ich  habe  früher,  in  meinen 
Studien  über  willkürliche  Vorstellungsverbindung,  vornehmUch 
darauf  hingewiesen,  dafs  schon  das  Bedürfiiis  psychophysischen 
Verständnisses  unsere  Theorie  rechtfertigen  würde;  es  mufs 
psychophysisch  durchaus  unverständlich  bleiben,  wie  zwei  auf- 
einanderfolgende Gehimerregungen  eine  Disposition  zurück- 
lassen sollen,  der  zufolge  die  Erneuerung  der  einen  Erregung 
auch  die  andre  hervorruft.  Bei  simultaner  Erregung  zweier 
Ganglienkomplexe  können  wir  uns  vorstellen,  dafs  die  Erregung 
auf  die  verbindende  Leitungsbahn  übergeht ;  mit  der  funktioneUen 


102  H  Münsterberg. 

Disposition  der  G-anglien,  einem  erneuten  Erregungsanstofs 
leichter  zu  folgen,  würde  dann  auch  eine  Disposition  des 
Leitungsweges  übrig  bleiben,  die  Erregung  der  einen  End- 
station als  Bahn  des  geringsten  Widerstandes  auf  die  andere 
Endstation  zu  übertragen.  Bei  zeitlich  succedierenden  Vor- 
stellungen ist  dagegen  psychophysischer  Yeranschauliphung 
jeder  Anhalt  entzogen.  Wie  sollen  wir  uns  es  vorstellen,  dafs  die 
Erregung  einer  Q-aDglie  mit  der  einer  andern  sich  verbindet, 
wenn  die  eine  zu  funktionieren  aufgehört  hat,  sobald  die  andre 
anfängt,  von  einer  physiologischen  Wechselwirkung  beider  Er- 
regungen mittelst  ihrer  Verbindungsbahn  also  nipht  die  Rede 
sein  kann.  „Unsere  Aufinerksamkeit  wandert  gleichsam  vom 
Blitzeindruck  zum  Donner;  vom  optischen  Centrum  zum  akusti- 
schen wandert  aber  gar  nichts;  keine  Leitungsbahn  wird  ein- 
geübt, und  es  bleibt  rätselhaft,  wie  etwa  die  erneute  Erregung 
des  optischen  Centralapparates  nun  auf  physischem  Wege  die- 
jenige Erregung  des  akustischen  Apparates  hervorrufen  soll, 
deren  psyQhische  Begleiterscheinung  die  Vorstellung  des 
Donners  ist." 

Entscheidender  aber  als  theoretische  Erwägung  erscheinen 
mir  die  Resultate  von  Experimenten,  die  ich  in  meinem 
Laboratorium  ausgeführt  und  über  die  ich  hier  in  Kürze  be- 
richten möchte.  Sie  waren  zugespitzt  auf  die  Frage,  ob  die 
Association  successiver  Vorstellungen  auch  dort 
noch  möglich  ist,  wo  sowohl  die  Einübung  beglei- 
tender Bewegungen  als  auch  die  simultane  Auf- 
fassung benachbarter  Grlieder  durch  die  Versuchs- 
bedingungen ausgeschlossen  ist.  Bei  den  Versuchen, 
die  iph  während  der  letzten  zwei  Jahre  unter  Assistenz  ver- 
schiedener Studenten  in  jedem  Semester  wiederholte,  fungierte 
ich  selbst  stets  als  Versuchsperson.  Die  einfache  Vorrichtung 
war  folgende.  Um  eine  schwarze  Wandtafel  war  ein  schwarzes, 
2  dem  breites  Band  ohne  Ende  horizontal  befestigt.  Dasselbe 
konnte  auf-  und  abgeschoben  werden,  so  dafs  eine  Zeile  auf 
der  Tafel  gesQhrieben  und  dann  bedeckt  werden  konnte.  In 
diesem  Bande  war  ein  Fenster  von  der  Gröfse  eines  ndcm. 
Wurde  nun  eine  Zeile  einzelner,  voneinander  abstehender  Buch- 
staben aufgeschrieben  und  das  Band  langsam  weitergeschoben, 
so  erschien  ein  Buchstabe  nach  dem  andern  in  dem  Fenster; 
niemals  aber  war   mehr   als   einer  sichtbar.     Bei  allen  unseren 


Die  Association  successiver  Vorstellungen.  103 

Versuchen  wurde  von  dem  Assistenten  das  Band  nun  so  vor- 
wärts bewegt,  dals  jeder  BuQlistabe  genau  1  Sekunde  sichtbar 
blieb;  ein  Metronom  gab  die  entsprechende  Zeit  an.  Benutzt 
wurden  alle  Buchstaben  des  Alphabets,  die  Buchstabenreihen 
jedoQh  so  gebildet,  dafs  nirgends  sich  Worte  lesen  liefsen.  Der 
Assistent,  der  gleichzeitig  protokollierte,  schrieb  die  Buchstaben 
an,  ohne  dafs  igh  hinsah.  Mein  Platz  war  3  m  vor  der  Tafel; 
erst  sobald  die  Heihe  verdeckt  und  nur  der  erste  Buchstabe 
durch  die  quadratische  Öffnung  sichtbar  wurde,  erhielt  ich  ein 
Zeichen,  zur  Tafel  aufzublicken.  Meine  Aufgabe  war  jetzt,  die 
sich  hintereinander  darbietenden  Buchstaben,  gleichviel  mit 
welchen  subjektiven  Hilfsmitteln,  im  Gedächtnis  zu  behalten 
und  nach  der  Bedeckung  des  letzten  Buchstabens  die  Beihe 
Aufzusagen. 

Wir  begannen  mit  vier  Buchstaben,  nahmen  dann  fünf 
und  schritten  mit  je  zehn  Beihen  so  weit  fort,  bis  die  Grrenze 
meiner  Aufiiahmefähigkeit  erreicht  war.  Es  ergab  sich,  dafs 
ich  Beihen  von  7  oder  weniger  Buchstaben  ausnahmslos  richtig 
wiedergab  imd  bei  8  Buchstaben  in  zehn  Beihen  durchschnitt- 
lich 2  bis  3  Fehler  machte,  d.  h.  2  bis  3  von  den  gegebenen 
^0  Buchstaben  durch  falsche  ersetzte;  bei  neungliedrigen  Beihen 
wurde  schliefslich  ein  Drittel  der  Beihen  irgendwie  fehlerhaft, 
sei  es,  dafs  ich  falsche  Buchstaben  einschob,  sei  es,  dafs  ich 
einen  Teil  der  Beihe  überhaupt  vergafs.  Zehngliedrige  Beihen 
ergaben  sich  als  das  Maximum  der  Leistungsfähigkeit.  Ein 
Hinausschieben  dieser  Grenze  durch  Übung  konnte  ich  nicht 
bemerken;  dagegen  machte  sich  innerhalb  jeder  Yersuchsstunde 
bald  Ermüdung  geltend,  die  Versuche  wurden  deshalb  in  stets 
^wechselnder  Beihenfolge  angestellt  und,  wie  gesagt,  jedes  Se- 
mester wiederholt.  Übersehe  ich  nun  die  Gesamtheit  der  proto- 
kollierten Fehler,  so  tritt  das  eine  deutlich  hervor,  dafs  die  Ge- 
dächtnisirrtümer sich  fast  ausnahmslos  auf  den  Inhalt  der 
Vorstellungen,  nicht  auf  ihre  Beihenfolge  beziehen. 
Es  schlüpft  also  wohl  einmal  ein  falscher  Buchstabe  mit  unter, 
fast  niemals  aber  —  nur  3%  der  Fehler  —  werden  auch  in 
den  längsten  Beihen  die  Buchstaben  in  ihren  Stellungen  ver- 
tauscht. Die  Buchstaben,  die  ich  nicht  überhaupt  vergessen 
hatte,  tauchen  somit  fast  stets  an  der  richtigen  Stelle  auf,  die 
Association  ist  also  eine  vollkommene. 

Ganz  anders  sieht  es  nun  in  der  zweiten  Gruppe  aus, 


104  S.  Münsterberg. 

tun  derenwillen  die  üntersachung  eigentlich  angestellt  wnrda. 
Bei  der  ersten  Gruppe  waren  alle  geistigen  Kräfte  der  Gre- 
dächtnisanfgabe  untergeordnet;  es  konnte  also  jeder  Buclistobe 
sowohl  willkürlich  im  BewuTstsein  festgehalten  werden,  wenn 
er  an  der  Tafel  schon  verdeckt  war,  als  auch  innerlich  nach- 
gesprochen werden.  Beides  war  in  der  zweiten  Gruppe  aus- 
geschlossen, insofern  die  Darbietung  der  Buchstabenreihe  zwar 
in  gleicher  Weise  vor  sich  gingj  die  ganze  Aufmerksamkeit 
aber  einer  anderen  geistigen  Thätigkeit,  dem  lauten  Kopf- 
rechnen, zugewandt  wurde.  Die  Buchstaben  konnten  mit- 
hin weder  nachgesprochen  noch  willkürUch  festgehalten  werden, 
sie  wurden  lediglich,  einer  nach  dem  anderen,  wahrgenommen. 
Die  Bechenaufgaben  wechselten;  meistens  wurde  mir  von  dem 
Assistenten  gleichzeitig  mit  dem  Signal,  den  ersten  Buchstaben 
zu  betrachten,  eine  beliebige  Zahl  genannt,  und  ich  mufste  nun 
laut  7  und  wieder  7  so  lange  hinzuaddieren,  bis  der  letzte 
Buchstabe  vorbei  war.  Zuweilen  mufste  ich  auch  eine  gegebene 
Zahl  fortdauernd  mit  2  multiplizieren  oder  eine  grölsere  Zahl 
quadrieren.  In  jedem  Falle  nötigte  mich  die  Aufgabe,  meine 
Gedanken  auf  die  Zahl  zu  konzentrieren  und  ohne  Pause  laut 
zu  sprechen.  Während  ich  rechnete,  waren  die  Augen  natür- 
Ibh  auf  die  Tafel  gerichtet. 

Das  Ergebnis  ist  folgendes:  Die  Grenze  der  Leistungs- 
fähigkeit, die  vorher  bei  zehngliedrigen  Beihen  lag,  ist  hier 
schon  bei  siebengliedrigen  anzusetzen.  Von  je  7  Buchstaben 
waren  mir  meist  1  oder  2,  zuweilen  auch  mehr  ganz  entfallen. 
Bei  6  Buchstaben  ist  dagegen  durchschnittlich  nur  in  jeder  dritten 
Beihe  ein  falscher  Buchstabe,  in  zwei  drittel  der  Beihen  sind  alle 
6  Buchstaben  korrekt  reproduziert;  bei  5  und  4  GHedem  sind  nur 
ganz  ausnahmsweise  falsche  Buchstaben  hineingekommen.  Auf 
10  Beihen  von  5  Buchstaben  kommt  ein  einziger  falscher. 

Dagegen  ist  nun  —  und  darin  scheint  mir  das  Bedeutsame 
der  Besultate  zu  liegen  —  das  Ergebnis  der  Beproduktion  ein 
durchaus  ungünstiges,  sobald  die  Beihenfolge  der  Buchstaben 
beachtet  wird.  Von  100  viergliedrigen  Beihen  ist  zwar  nur 
bei  6  Beihen  ein  falscher  Buchstabe  untergelaufen, 
aber  bei  52  Beihen  ist  die  reproduzierte  Beihenfolge 
der  Buchstaben  eine  falsche.  Von  100  fün%liedrigen 
Beihen  ist,  wie  gesagt,  in  jeder  zehnten  Beihe  ein  falscher 
Buchstabe,  falsche  Beihenfolge  dagegen  bei  64  Beihen,  und 


Die  Association  successiver  Vorstellungen.  105 

bei  den  sechsgliedrigeu  Beihen  ist  die  richtige  Reihenfolge 
schon  geradezu  eine  Ausnahme,  83  Eeihen  werden  in  falscher 
Ordnung  wiedergegeben.  Als  Beispiel  führe  ich  hier  an :  statt 
lg  h  t:  hglt\  statt  m  ip  c:  mp  i  c;  statt  c  p  i  s  e:  p  s  i  c  e ; 
statt  s  mb  d  vp  :  s  d  m  v  b  p.  Ein  besonderer  Typus  der  falschen 
Anordnung  läfst  sich  nicht  herausfinden;  auffallend  ist  nur, 
dafs  häufig  die  reproduzierte  Beihe  mit  dem  vorletzten  Buch- 
staben begonnen  wird  und  dafs  fast  immer  der  letzte  Buch- 
stabe an  seinem  richtigen  Platze  bleibt. 

Wir  stehen  somit  vor  dem  Ergebnis,  dafs  in  der  ersten 
Gruppe  zwar  Qedächtnistäuschungen  bezüglich  einzelner  Buch- 
staben vorkommen,  die  Reihenfolge  der  richtig  behaltenen 
Buchstaben  aber  fast  ausnahmslos  unverändert  bleibt,  dafs 
dagegen  in  der  zweiten  Gruppe  die  falschen  Buchstaben  ganz 
zurücktreten  hinter  den  falsch  gestellten;  war  in  der  ersten 
Gruppe  kaum  1 7o  der  Beihen  falsch  geordnet,  so  sind  es  hier 
52 — 83  7o.  Wie  können  wir  das  erklären?  Liegt  der  Grund 
darin,  dafs  wir  das  erste  Mal  die  Aufmerksamkeit  den  Buch- 
staben zuwenden,  während  die  Aufmerksamkeit  in  der  zweiten 
Gruppe  durch  das  Bechnen  abgelenkt  ist?  Keinenfalls.  Die 
gröfsere  oder  geringere  Aufmerksamkeit  bei  der  Wahrnehmung 
der  einzelnen  Buchstaben  kann  doch  nur  bewirken,  dafs  uns 
die  Eindrücke  mehr  oder  weniger  fest  im  Gedächtnis  haften. 
Nun  ist  diese  Verschiedenheit  der  Aufmerksamkeitsintensität 
bei  unseren  Zahlen  ja  deutlich  konstatierbar ;  konnten  bei  kon- 
zentrierter Aufmerksamkeit  8  und  9  Buchstaben  noch  ziemlich 
zuverlässig  behalten  werden,  so  wollen  bei  abgelenkter  Auf- 
merksamkeit nicht  mehr  als  6  im  Gedächtnis  bleiben,  und  wäh- 
rend in  der  ersten  Gruppe  bei  4,  5,  6  Buchstaben  niemals  ein 
Fehler  vorkam,  werden  in  der  zweiten  Gruppe  nicht  selten 
Irrtümer  begangen.  Berücksichtigen  wir  nun  aber,  dafs  in 
100  viergliedrigen  Beihen  trotz  der  vielen  Vertauschungsfehler 
doch  394  von  400  und  in  100  fünfgliedrigen  489  von  600  Buch- 
staben richtig  behalten  wurden,  so  ist  doch  evident,  dafs  die 
Ablenkung  der  Aufmerksamkeit  nicht  der  eigentliche  Grund 
für  die  Beproduktionsstörung  sein  kann.  Die  verminderte  Auf- 
merksamkeit reicht  noch  völlig  aus,  um  jeden  Buchstaben 
isoliert  dem  Gedächtnis  einzuprägen,  sonst  würden  mehr  falsche 
Buchstaben  unterlaufen,  und  dennoch  wird  die  Mehrzahl  der 
Beihen  in  falscher  Beihenfolge  reproduziert. 


106  H'  Münsterberg. 

Es  bleibt  mithin  nur  eine  Erklärong  übrig.  Die  zweite 
Omppe  nnterscliied  sich  von  der  ersten  ja  nicht  nur  durch  die 
Ablenkung  der  Aufinerksamkeit,  sondern  auch  dadurch,  dafs 
unser  Sprachapparat  völlig  in  BescUag  genommen  war,  die  Buch- 
staben also  nicht  nachgesprochen  werden  konnten,  und  zweitens 
dadurch,  dafs  infolge  der  Beschäftigung  mit  der  Kechenauf- 
gabe  wir  nicht  willkürlich  den  einen  Buchstaben  innerlich 
festhalten  konnten,  wenn  uns  der  nächste  sich  darbot.  Sowohl 
simultane  Association,  wie  Einübung  von  Bewegungsreihen 
fielen  dadurch  fort,  und  da  in  der  Ablenkung  der  Aufmerk- 
samkeit der  direkte  örund  für  die  Verschiedenheit  der  Ergeb- 
nisse, wie  wir  sahen,  nicht  Uegen  kann,  so  bleibt  uns  nur 
übrig,  den  Grrund  in  jenen  zwei  Faktoren  zu  suchen;  in  allen 
übrigen  Punkten  sind  die  Bedingungen  ja  in  beiden  Gruppen 
identisch.  Können  wir  simultane  Associationen  zwischen  be- 
nachbarten G-liedern  bilden  und  begleitende  Bewegungen  in 
bestimmter  Beihenfoige  einüben,  so  bilden  sich  mithin  auch 
zwischen  successiv  gebotenen  Eindrücken  feste  Associationen; 
bei  unseren  Versuchen  zum  Ausdruck  gebracht  durch  die 
richtige  Buchstabenreihenfolge  in  den  reproduzierten  Reihen. 
Können  wir  aber  beides  nicht,  so  nimmt  imser  Bewufstsein 
die  succedierenden  Eindrücke  zwar  nicht  minder  in  sich  auf 
und  kann  jede  Vorstellung  auch  später  wieder  aus  dem  Ge- 
dächtnis hervorrufen,  jede  einzelne  aber  bleibt  isoliert, 
zu  einer  Association  derart,  dafs  eine  die  andere 
erweckt,  kommt  es  nicht;  unsere  Versuche  zeigen  es,  wie 
die  Buchstaben  dann  zwar  richtig  behalten,  aber  völlig  durch- 
einander gewürfelt  werden.  Nicht  ein  Buchstabe  erweckt  hier 
den  andern,  sondern  die  mit  den  Buchstaben  simultan  associ- 
ierten  Nebeneindrücke  rufen  bald  den,  bald  jenen  Buchstaben 
regellos  ins  Gedächtnis  zurück.  So  war  denn  auch  das  Tempo 
der  [Reproduktion  bei  der  zweiten  Gruppe  meist  langsamer  als 
in  der  ersten ;  ich  mufste  erst  allmählich  einen  Buchstaben  nach 
dem  andern  hervorsuchen.  In  der  ersten  Gruppe  erlebte  ich  da- 
gegen nicht  selten  das  Umgekehrte ;  ich  hatte  nach  der  Bedeckung 
des  letzten  Buchstabens  den  Eindruck,  als  wenn  ich  die  ganze 
Beihe  vergessen  hätte,  bis  die  richtigen  Buchstaben  dann  von 
selbst  auf  die  Lippen  traten,  einer  stets  den  andern  mit  sich 
ziehend.  Dafs  ein  solcher  Endeffekt  den  Schein  hervorruft, 
als  wenn  es  sich  wirklich  um  Association  successiver  Vorstel- 


Die  AsHodatUm  suceeasiver  Vcratelhmgen.  107 

luiigen  handelt,  ist  nicht  zu  bestreiten;  prinzipiell  muTs  aber 
daran  festgehalten  werden,  dafs  es  eine  successive  Asso- 
ciation nicht  giebt,  sonst  hätten  in  unserer  zweiten 
Versuchsgruppe  die  Fehler  durch  Vertauschung  ein- 
zelner Glieder  nicht  50  bis  80  mal  so  häufig  sein 
dürfen  als  in  der  ersten  Gruppe.  Wenn  Vorstellungen 
ohne  begleitende  Bewegungen  wirklich  successiv,  nicht  simultan 
ins  BewuTstsein  treten,  so  werden  sie  isoliert  und  nicht  associiert 
ins  Gedächtnis  aufgenommen. 


über  negative  Empfindimgswerte. 

Von 

Gustav  Theodor  Fechner  (f  1887). 

Briefliche  Mitteilungen 

an 

W.  Preter. 

(BchlnA.) 

Leipzig,  d.  16.  März  74. 
Sie  sagen: 

„Wenn  E=x  log  k 

und  i5?=Xi  log  \p 

so  ist  keineswegs  (wie  Elemente  d.  Ps.  IL.  429.  Z.  11 — 14.  v.  o.) 
gefolgert  wird,  tp  proportional  dem  X.  Auch  hier  bleibt  die 
Identität  der  Konstanten  x  und  x^  zu  beweisen."  Aber  so  fol- 
gere  ich  ja    gar  nicht,    sondern   so:    Wenn  E=x  log  Jl,    und 

xp=pk,    d.Yi.xp  proportional  A,    so  ist   auch  E=x  log     ^    ; 

P 

wogegen  sich  wohl  nichts  einwenden  lassen  wird,  und  wobei 
ein  Unterschied  zweier  Konstanten  x,  x^  gar  nicht  in  Frage 
kommt.  Dafs  die,  übrigens  nur  innerhalb  der  Grenzen  des 
gewöhnlichen  Sinnengebrauchs  von  mir  in  Anspruch  genom- 
mene Proportionalität  von  psychophysischer  Bewegung  mit 
Beiz  selbst  innerhalb  dieser  Grenzen  nur  hypothetisch  ist,  gebe 
ich  selbst  zu. 

um  von  hier  aus  zu  dem  einzigen  Punkte  überzugehen, 
über  den  wir  uns  in  unseren  bisherigen  Diskussionen  noch 
nicht  ganz  verständigt  haben,  betreffs  negativer  Werte  im 
physischen  und  psychischen  Gebiete,  so  sagen  Sie:  „Es  steht 
durchaus  nicht  fest,  dafs  es  unterhalb  der  Empfindung  Null 
nichts  Beales,  durch  negative  Werte  desselben  Ausdrückbares 
gebe.  Man  kann  sich  die  Möglichkeit  denken,  dafs  die  Gan- 
glienzelle (ihr  Protoplasma)    bei    der  Empfindung   sich  zusam- 


über  negative  Empfindungswerte.  109 

menzieht  und  unter  der  Empfindung  Null  sich  ausdehnt  .... 
Ich  habe  damit  nur  die  Möglichkeit  zeigen  wollen,  dafs 
negativen  Empfindungswerten  etwas  Beales  entsprechen  könne.  ^ 

Nun  behaupte  ich  ja  aber  selbst,  dafs  negativen  Werten 
im  Psychischen  etwas  Beales  im  Physischen  entspreche; 
denn  der  ganze  Schwellenbegriff  füfst  darauf.  Und  sollte  das 
physisch  Keale,  was  noch  unter  der  Schwelle  der  Empfindung 
in  funktioneller  Beziehung  dazu  fortbesteht,  zugleich  als  negativ 
und  real  zu  fassen  sein,  so  würde  die  dazu  funktionell  ge- 
hörige Empfindung  nichtsdestoweniger  als  nicht  real  zu  fassen 
sein,  weil  sie  faktisch  eben  nicht  da  ist.  Nicht  darum  handelt 
es  «ich  doch,  ob  unter  der  Schwelle  der  Empfindung  von  dem 
Physischen,  wozu  es  in  allgemeiner  Funktionsbeziehung  steht, 
überhaupt  noch  etwas,  sei  es  mit  positivem  oder  negativem 
Vorzeichen  real  da  ist,  sondern  ob  von  der  Empfindung  selbst 
noch  etwas  real  da  ist,  wenn  die  funktionelle  Beziehung  auf 
negative  Werte  derselben  führt.  Vielleicht  aber  verstehe  ich 
Ihren  Einwurf  noch  nicht  ganz  und  treffe  ihn  daher  auch  mit^ 
meiner  Entgegnung  nicht  ganz. 

Was  das  aus  den  photographischen  Wirkungen  des  Lichtes 
hergenommene  Beispiel  anlangt,  so  kann  daraus  meines  Erach- 
tens  in  keinem  Falle  ein  Einwurf  gegen  die  Deutung  der  nega- 
tiven Empfindungswerte  als  imaginärer  mit  der  Nebenbestim- 
mung gröfserer  oder  geringerer  Entfernung  von  der  WirkHchkeit, 
hervor£:ehen ;  denn  diese  Deutunc:  beruht  auf  keinen  Analoccien, 
sondert  auf  direkter  Betrachtung  der  Sachverhältnisse  im  psy^ 
chophysischen  Gebiete,  und  sollte  eine  Analogie  nicht  dazu 
stimmen,  so  würde  dies  nur  ein  Beweis  sein,  dafs  der  rechte 
Gesichtspunkt  der  Analogie  nicht  getroffen  ist.  Das  Psychische 
tritt  in  der  Psychophysik  als  Funktion  eines  anders  gearteten 
Wertes  des  Physischen  auf;  nun  kann  nur  die  Frage  sein,  ob 
sich  auch  innerhalb  des  physischen  Gebietes  für  sich 
etwas  Analoges  von  einem  derartigen  funktionellen  Verhältnisse 
finden  lasse,  dafs  Werte  einer  gewissen  Art,  welche  in  funktio- 
neller Abhängigkeit  von  Werten  andrer  Art  stehen,  als  ima- 
ginär mit  jener  Nebenbestimmung  gefafst  werden  müssen,  wenn 
sie  vermöge  der  fanktionellen  Beziehung  einen  negativen  Wert 
annehmen.  Ich  glaube,  dafs  es  der  Fall  mit  negativen  Werten, 
beharriichen  Abstandes  von  einem  gegebenen  Punkte  ald 
Funktion  geäuJfeerter  Kraft  sei,    wenn    die  Frage  auf  Nichter- 


110  G.  Th.  Feehner. 

reichnng  oder  Überschreitung  dieses  Punktes  gestellt  wird,  und 
die  Abstände  in  diesem  Sinne  der  Aufgabe  gemafs  gedeutet 
werden  ^  negativer  Abstand  =  imaginäres  Überschreiten  des 
Punktes  —  wie  ich  am  Beispiele  der  Beibung  zu  erläutern 
gesucht.  Aber  für  die  psychophysische  Deutung  der  negativen 
Empfindungswerte  ist  es  ganz  gleichgiltig ,  ob  diese  Analogie 
als  richtige  zatnSt  oder  als  nicht  richtige  nicht  zutrifft,  und 
möchten  Sie  auch  das  Beispiel  von  dem  glühenden  Draht,  der 
Drehung  des  Wasserrades  und  der  photographischen  Platte 
noch  so  sehr  variieren,  so  würde  immer  dieselbe  allgemeine 
Antwort  darauf  zu  geben  sein,  dafs  das  die  psychophysische 
Deutung  der  negativen  Empfindungswerte  nichts  angeht.  Führt 
die  Mafsformel  auf  negative  Empfindungswerte,  so  können  sie 
nicht  anders,  denn  als  imaginär  mit  jener  Nebenbestimmxmg 
gefafst  werden;  der  Zusammenhang  von  Bechnxmg  und  That- 
sachen  läfst  es  nicht  anders  zu.  Es  sei  denn,  dafs  man  die 
Giltigkeit  einer  Formel  selbst  bestritte,  welche  auf  negative 
Empfindungswerte  fahrt,  wie  es  ja  von  Dblboeuv  geschieht; 
dann  hört  mit  den  negativen  Empfindungswerten  natürlich  das 
Bedürfnis  einer  Deutung  von  solchen  auf;  aber  unsre  Diskussion 
ist  auf  Grund  der  Voraussetzung  von  solchen  geföhrt,  und  für 
Ihre  myophysische  Mafsformel  würde  doch  ein  entsprechendes 
Bedürfnis  noch  fortbestehen.  Dafs  ich  übrigens  den  Dblbobüf- 
schen  Gbitlnden  und  seiner  Formel  mich  nichts  weniger  als 
füge,  habe  ich  früher  bemerkt. 

Sollte  nun  aber  rücksichtslos  auf  eine  Bedeutang  für  die 
Psychophysik,  die  ich  nicht  zugestehen  kann,  das  Beispiel  der 
photographischen  Platte  in  Beziehung  auf  die  Frage  für  das 
physische  Gebiet  diskutiert  werden,  so  müfste  man  es  meines 
Erachtens  ebenso  wie  das  Beispiel  der  Beibung  erst  auf  be- 
stimmte Vorstellungen  bringen,  wonach  es  mir  auch  unter 
denselben  Gesichtspunkt  zu  treten  scheint.  Sie  sagen:  „Bei 
einer  gewissen  Gröfse  der  Wärmesohwingung  beginnt  die  che- 
mische Zersetzung.  Nun  kann  man  doch  nicht  wohl  die  Ab- 
wesenheit der  chemischen  Zersetzung  unterhalb  jenes  Punktes 
eine  negative  chemische  Zersetzung  nennen.**  Aber  was  ist  unter 
chemischer  Zersetzung  den  Wärmeschwingungen  gegenüber  zu 
verstehen?  Ich  denke,  eine  bleibende  Lagenänderung  der  Teil- 
chen gegeneinander,  oder  Schwingung  um  neue  Lagen  gegen- 
einander.    Nun   hat  es   ohne  solche   Klärung   der  Vorstellung 


über  negative  Empfindungswerte,  \\\ 

freilich  keinen  klaren  Sinn,  von  einer  negativen  chemischen 
Zersetznng  zu  sprechen,  hingegen  wird  es  m.  E.  weder  unklar,* 
noch  untriftig  sein,  zu  sagen :  so  lange  die  Wärmeschwingungen 
nicht  eine  gewisse  Grenze  überschreiten,  bleiben  die  Q-leichge- 
wichtslagen  der  Teilchen,  um  die  sie  schwingen,  dieselben; 
wird  eine  gewisse  Grenze  überschritten,  so  ändern  sich  die 
Gleichgewichtslagen.  Der  Abstand,  in  welchem  die  Schwin- 
gungen hinter  dieser  Grenze  zurückbleiben,  wird  bezüglich 
derselben  als  negativ  zu  fassen  und  zugleich  als  Mafs  der 
Entfernung  vom  Eintritt  einer  chemischen  Zersetzung  zu  be- 
trachten sein ,  diese  selbst  aber  als  imaginäre  bezeichnet  werden 
können. 

Inzwischen,  ich  gebe  Ihnen  vollkommen  recht,  wenn  Sie 
sagen^  dafs  dergleichen  „sehr  subtil''  ist,  und  man  erst  genau 
nachdenken  mufs,  ehe  man  dergleichen  acceptiert,  d.  h.  in 
physikalische  Betrachtungen  einführt;  und  wenn  Sie  sagen, 
dafs  Sie  das  noch  nicht  gethan  haben,  so  sage  ich  meinerseits 
dasselbe.  Ob  mit  dergleichen  etwas  anzufangen  ist,  kann  sich 
ja  erst  in  der  mathematischen  Durchführung  zeigen,  die  im 
physischen  Gebiete  zu  versuchen  ich  nicht  für  meine  Sache 
halte,  daher  ich  auch  vom  Anfange  her  in  das,  was  ich  in 
dieser  Beziehung  vorgebracht,  um  für  eine  Schwierigkeit,  zu 
der  Ihre  Formel  fahrt,  eine  mögliche  Abhilfe  zu  finden,  für 
unmafsgeblich  erklärt  habe.  Lassen  Sie  also,  sei  es,  dafs  Sie 
hier  keine  Schwierigkeit  anerkennen,  oder  ihr  auf  zufrieden- 
stellendere "Weise  zu  begegnen  wissen,  meinen  Versuch  in  dieser 
Hinsicht  auf  sich  beruhen,  was  ich  in  der  Ordnung  finde;  nur 
damit  werde  ich  mich  nicht  einverstehen  können,  dafs  Sie 
diese  Schwierigkeit  auf  die  Psychophysik  übertragen,  wo  sie 
nach  meiner  Fassung  und  Erläuterung  der  negativen  Empfin- 
dungswerte, so  weit  ich  es  übersehen  kann,   nicht  besteht. 


Leipzig,  d.  25.  Mai  74. 

um  noch  eines  Bestes  unsres  Streites  zu  gedenken,  so 
sagen  Sie,  dafs  die  Annahme  negativer  Empfindungen  in  meinem 
Sinne  (in  welchem  ich  aber  vielmehr  von  negativen  Empfin- 
dungsgröfsen  sprechen  würde,  indem  ich  mich  damit  nur 
auf  die  quantitative  Seite  der  Empfindung  beziehe),  wenn 
auch  auf  bisherigem  Wege   nicht    widerlegt,    doch   nicht  not- 


112  G.  Th.  Fechner. 

wendig  sei.  Ich  behaupte  allerdings,  dafs,  wenn  die  Mafsformel 
richtig  ist,  die  Auslegung  der  negativen  Empfindnngswerte, 
wozu  sie  fuhrt,  notwendig  ist;  aber  die  Richtigkeit  derselben 
wird  ja  von  Delboeuf  und  Plateau  bestritten;  hiergegen 
werde  ich  mich  noch  zu  wehren  haben  und  es  allerdings  thun,^ 
da  ich  nicht  in  Verlegenheit  bin,  wie  ich  es  zu  thun  habe; 
doch  bin  ich  immer  noch  nicht  dazu  gekommen. 


Leipzig,  d.  20.  Joni  74. 

In  unsrer  Diskussion  über  die  negativen  Empfindungswerte 
scheint  es,  dafs  wir  nicht  zum  Ziele  kommen,  indes  haben  wir 
wenigstens  das  Interesse  einer  wissenschaftlichen  Unterhaltung 
darüber.  Ich  kann  nicht  zugeben,  dafs  meine  Deutung  der 
negativen  Empfindungswerte,  die  aus  der  von  mir  aufgestellten 
Mafsformel  fliefsen,  irgendwie  an  einer  mir  eigentümlichen  Auf- 
fassung des  BewuTstseins  hängt,  sondern  nur  an  der  Thatsache, 
dafs  die  Empfindung  erst  bei  einem  endlichen  Heizwerte 
merklich  zu  werden  beginnt,  dafs  die  Formel  diese  Thatsache 
in  sich  aufnimmt,  hiermit  aber  zugleich  zu  negativen  Empfin- 
dungswerten führt,  die  dann  meines  Erachtens  gar  nicht  anders 
gedeutet  werden  können,  als  es  von  mir  geschieht.  Hierbei 
kommt  die  Frage  nach  dem  allgemeinen  Begriff  des  Bewufst- 
seins  gar  nicht  in  Bücksicht,  und  wenn  ich  die  negativen  Em- 
pfindungswerte auch  „unbewufste"  nenne,  so  ist  dies  ein  kurzer 
Ausdruck,  den  ich  durchaus  nicht  durch  den  dabei  ganz  frei- 
gelassenen allgemeinen  Begriff  des  BewuTstseins,  sondern  durch 
rein  faktische  Verhältnisse  erläutere.  Natürlich  aber,  wenn 
Formeln  aufgestellt  werden,  in  welche  negative  Empfindungs- 
werte nicht  eingehen,  wie  dies  mit  der  DELBOEUFschen  und 
PLATBAüschen  der  Fall  ist,  fällt  auch  das  Bedürfnis  einer 
Deutung  derselben  weg;  und  ich  habe  ja  schon  früher  erklärt, 
dals  ich  die  Notwendigkeit  meiner  Deutung  nur  für  den 
Fall  der  Eichtigkeit  meiner  Formel,  insoweit  überhaupt  nega- 
tive Empfindungswerte  als  Funktion  unzureichender  Reizwerte 
darin  eingehen,  in  Anspruch  nehme.  Die  Frage  nach  der  Rich- 
tigkeit meiner  Formel  ist  aber  doch  eine  ganz   andere,  als  die 


*  In  Sachen  der  Psycliophysiky   1877   und  Bevision  der  Hauptpunkte  der 
Psychophysik,  Leipzig,  1882.    [P.] 


über  negative  Empfindungewei^te,  113 

Trage  nach  der  Richtigkeit  jener  Deutung  im  Falle  der  Rich- 
tigkeit der  Formel.  Hierin  ändert  sich  auch  durch  die  Ansicht 
nichts,  welche  der  ungenannte  Verfasser  einer  Schrift,^  auf 
die  Sie  sich  beziehen,  über  die  Bedeutung  der  Schwelle  ausge- 
sprochen hat.  Diese  Ansicht,  sowie  der  Name  des  Autors  sind 
mir  nicht  unbekannt  geblieben.  Nun  aber  erkennt  der  Autor 
damit  entweder  die  Anwendbarkeit  der  Mafsformel  auf  die  in* 
nem  Bewegungsverhältnisse  des  Gehirns  an  und  macht  nur 
die  negativen  Empfindungswerte  für  das  GesamtbewuTstsein, 
statt  von  einer  Schwelle  direkter  Erregung  der  Ganglienzellen 
von  einer  Schwelle  der  Leitung  zwischen  denselben  abhängig, 
d.  h.  von  einem  Zurückbleiben  hinter  der  Schwelle,  dann  bleibt 
auch  meine  Deutung  jener  Werte  im  Rechte  und  notwendig, 
oder  er  erkennt  keinen  Schwellenwert  der  Leitung,  hiermit 
auch  keine  negativen  Empflndungswerte  an,  findet  hiermit  über- 
haupt meine  Mafsformel  innerlich  nicht  zutreffend,  dann  fallt 
für  ihn  natürlich  mit  den  negativen  Empfindun£:swerten  auch 
meine  Deutung  derselben  Jg.  Um  übrigens  noch  mit  ein 
paar  Worten  auf  die  eigentümliche  Ansicht  des  Verfassers  ein- 
zugehen, so  wül  derselbe,  wie  Sie  wissen,  nicht  blofs  den  Gan- 
glienzellen, sondern  jedem  Atom  Empfindung  vindizieren,  sta- 
tuiert aber  keine  Schwelle  für  die  Atome,  also  die  kleinste 
Bewegung  mufs  Empfindung  geben,  sie  mufs  sich  aber  auch 
den  benachbarten  Atomen  irgendwie  mitteilen,  oder  ich  möchte 
wissen,  worin  der  Verfasser  den  Widerstand  gegen  die  Mittei- 
lung von  Wärme- und  Schallschwingungen  sucht,  wodurch  die 
Leitung  gänzlich  unterbrochen  werden  soll  —  also  mufs  eine 
Leitung  stets  durch  das  ganze  Gehirn  stattfinden,  womit  die 
Ansicht  des  Verfassers  vom  isolierten  Bewufstsein  der  Gan- 
glienzellen durch  Unterbrechung  der  Leitung  dazwischen  sich 
von  selbst  aufhebt,  es  wäre  denn,  dafs  er  wirklich  einen  Schwel- 
lenwert der  die  Leitung  vermittelnden  Schwingungen  statuierte, 
wonach  er  konsequenterweise  einen  solchen  überhaupt  für  die 
Schwingungen  statuieren  müfste,  hiermit  aber  seinen  eigenen 
Voraussetzungen    widerspräche.     Das    ganze    Gehirn   ist    doch 


^  Das  Unbewufste  vom  Standpunkt  der  Physiologie  und  Descendemiheorie. 
Eine  kritische  Beleuchtung  des  naturphUosophischen  Teils  der  Philosophie  des 
Unbewufsten  aus  natunoissenschafüichen  Gesichtspunkten.    Berlin,  1872.  S.  59. 

Zeitfchrlfl  Ar  Psychologie.  8 


114  G.  Tk.  Fedmtr. 

warm  und  sonst  in  lebendiger  Erregung;  meint  er,  dafs  sich 
irgendwo  ein  absolut  kaltes  Atom  zwischen  die  Oehimzellen 
einschiebt? 

Mit  frenndschafUicher  Hochachtung 

der  Ihrige 

Fechütbb. 


Leipzig,  den  26.  Juni  1874, 

Hierbei  nehme  ich  zugleich  Gelegenheit,  unsere  Diskussion 
über  das  alte  Thema  etwas  fortzuspinnen. 

In  meinem  vorigen  Briefe  habe  ich  gesagt,  dafs  ich  bei 
meiner  Deutung  der  negativen  Empfindungswerte  den  Begriff 
des  Bewufstseins  ganz  frei  lasse,  und,  wenn  ich  diese  Werte 
unbewufste  nenne,  dies  der  Kürze  wegen  thue.  In  der  That 
verhält  es  sich  so  mit  der  fundamentalen  Deutung  dieser  Werte ; 
doch  ist  der  Ausdruck  unbewufst  allerdings  nicht  blofs  durch 
Kürze  motiviert,  vielmehr  finde  ich  mich  nach  jener  Deutung, 
welche  vom  Allgemeinbegriff  des  Bewufstseins  ganz  abstrahiert, 
im  stände,  das  ganze  unbewuiste  Seelenleben,  was  man  so 
nennt,  in  psyohophysischen  Thätigkeiten  unter  der  Schwelle 
ablaufend  zu  denken  und  dadurch  auf  einen  klaren  Gesichts- 
punkt zurückzuführen,  den  ich  bisher  vermifst  habe;  es  ist 
damit  etwas  aufweisbar,  was  nicht  auf  die  psychische,  sondern 
physische  Seite  der  Erscheinung,  als  unvollständige  Bedingung 
des  Eintrittes  der  psychischen,  fällt.  Insofern  hat  allerdings 
der  Name  „unbewufste*^  Empfindung  Beziehung  zu  den  herr- 
schenden Ansichten  über  Bewufstsein;  meine  Deutung  stützt 
sich  aber  nicht  darauf,  sondern  umgekehrt  kann  sich  eine  An- 
sicht über  das  Verhältnis  von  Bewufstsein  und  Unbewufstsein 
auf  meine  Deutung    der  negativen  Empfindungswerte   stützen. 

Sie  sagen:  „Um  die  —  y  wirklich  zu  deuten,  mufs  man,, 
meine  ich,  irgend  etwas  angeben,  was  dem  Entfernt- 
sein des  negativen  Wertes  vom  Nullpunkt  entspricht. 
Andernfalls  verzichtet  man  auf  eine  Repräsentation  derselben, 
und  die  negativen  ^^-Werte  sind  nichts  als  Zahlen,  nichts  als 
die  Logarithmen  von  anderen  Zahlen  mit  negativen  Vorzeichen." 
Aber  versuchen  Sie  doch,  mit  den  Logarithmen  der  Logarithmen- 
tafeln   das    unbewufste    Seelenleben    zu    repräsentieren,    ohne 


über  negative  Empfindungewerte.  115 

ihnen  die  Bedeutung  unterzulegen,  die  ich  im  Zusammenhange 
nach  positiver  und  negativer  Seite  in  der  Mafsformel  dafür  in 
Anspruch  nehme ;  und  wollen  Sie  nur  nicht  vergessen,  dafs  die 
Mafsformel  überhaupt  keine  rein  psychologische  Formel  ist,  sondern 
eine  Formel,  die  angeben  soll,  welches  Verhältnis  die  Empfin- 
dung in  Abhängigkeit  vomßeize  hat.  Dieses  Abhängig- 
keitsverhältsnis  durch  die  Beizskala  hindurch  will  sie  decken, 
und  da  die  Empfindung  bei  positiven  Beizwerten  unter  der 
Schwelle  noch  nicht  da  ist,  aber  sich  der  Entstehung  um  so  mehr 
nähert,  je  mehr  der  Beiz  dem  Schwellenwerte  zuwächst,  so 
wird  dies  durch  immer  mehr  abnehmende  negative  Empfindungs- 
werte dargestellt.  Gröfsere  negative  Empfindungs- 
werte bedeuten  insofern  eine  gröfsere  Entfernung 
vom  Eintritt  wirklicher  Empfindung,  als  die 
Beizwerte,  von  denen  sie  abhängen,  von  dem  Grade, 
wo  Empfindung  beginnt,  entfernter  sind;  sie  weisen 
also  auf  diese  gröfsere  Entfernung  hin,  lassen  die  Entstehungs- 
bedingungen der  Empfindung  unter  der  Schwelle  in  Zusammen- 
hang mit  denen  oberhalb  der  Schwelle  nach  einer  gemein- 
samen Funktion  verfolgen,  wonach  sie  eben  unter  der  Schwelle 
ebensowenig  als  die  positiven  Empfindungswerte  oberhalb 
der  Schwelle  den  Beizwerten  einfach  proportional  gesetzt 
werden  dürfen,  was  den  mathematischen  Konnex  aufheben 
würde.  Bein  psychologisch  genommen,  sage  ich  selbst, 
unterscheidet  sich  eine  negative  Empfindung  nicht  von  einer 
Null-Empfindung,  wohl  aber  psychophysisch,  und  zwar  auf 
eine  ganz  angebbare  Weise  nach  ihrem  Abhängigkeitsver- 
hältnisse vom  Beize  oder  der  psychophysischen  Bewegung, 
indes  Sie  das  Angebbare  im  psychologischen  Gebiete  far  sich 
aufgezeigt  haben  wollen,  wofür  die  Mafsformel  nicht  gemacht 
ist.  Das  ändert  sich  nicht,  wenn  Sie  für  einen  Schwellenwert 
der  Beizung  einen  Schwellenwert  der  Leitung  in  die  Formel 
substituieren,  und  irgend  einen  physischen  Schwellenwert  müssen 
Sie  doch  darin  substituieren,  um  sie  nicht  fundamental  zu  ver- 
werfen. Bei  jeder  Annahme  einer  Schwelle  aber  erhalten  Sie 
notwendig  negative  Empfindungswerte  daraus,  und  ich  frage 
nun,  welche  von  der  meinigen  abweichende  Deutung  Sie  da- 
für noch  möglich  halten,  denn  Ihre  Einwürfe  haben  mich  im 
Grunde  doch  im  Unklaren  darüber  gelassen.  Entweder  müssen 
es    wirkliche    oder    nicht    wirkliche    Empfindungen    oder    ein 

8* 


116  G.  Th.  Fechner. 

Zwischenwert  dazwischen  sein ;  können  Sie  aber  anders  als  ich 
in  dieser  Hinsicht  wählen?  Zu  dem,  was  Sie  selbst  von  der 
Möglichkeit  einer  verschiedenen  Deutung  der  negativen  Em- 
pfindungswerte angeführt  haben,  kann  ich  nur  die  Möglichkeit, 
sich  die  physische  Begründungsweise  der  Schwelle  und 
mithin  der  davon  abhängigen  negativen  Empfindungswerte  ver- 
schieden zu  denken,  erkennen. 

Sie  nehmen  bei  Gelegenheit  dieser  Besprechung  mindestens 
bedingterweise  die  HARTMASVsche  Ansicht  von  der  Schwelle 
des  Totalbewuistseins  als  bezüglich  auf  die  Leitung  zwischen 
den  Ganglienzellen  in  Schutz,  und  ich  selbst  kann  im  Prinzip 
nichts  gegen  die  Möglichkeit  einer  solchen  Auffassung  ein- 
wenden, da  ich  ja  selbst  in  der  inneren  Psychophysik  die  Dis- 
kontinuität des  BewuTstseins  zwischen  verschiedenen  psycho- 
physischen  Systemen  und  selbst  Teilen  eines  solchen  davon 
abhängig  mache,  dafs  die  psychophysische  Thätigkeit  zwischen 
ihnen  unter  die  Schwelle  sinkt,  was  recht  wohl  als  ein  Sinken 
der  Leitung  zwischen  ihnen  unter  die  Schwelle  gefafst  werden 
kann.  Ob  man  eine  solche  BewuTstseinsdiskontinuität  selbst 
zwischen  den  einzelnen  Ganglienkugeln  z.  B.  im  Schlafe  sta- 
tuieren wUl,  ist  Glaubenssache,  und  fragt  sich,  was  man  mit 
dieser  Hypothese  erreichen  will  und  erreichen  kann;  ich  lasse 
das  hier  dahingestellt,  werde  es  aber  nicht  zu  meiner  Hypothese 
machen.  Nur  dagegen  mufs  ich  mich  prinzipiell  erklären,  dafs 
Habtmann  die  Schwelle  fundamental  auf  Leitung  bezieht,  ohne 
für  die  psychophysisch  thätigen  Grundelemente,  wozwischen  die 
Leitung  stattfindet,  eine  Schwelle  anzuerkennen.  Wenn  die 
kleinste  Schwingung  eines  Atoms  Empfindung  mitführt,  so  weils 
ich  nicht,  worauf  die  Unterbrechung  der  Kontinuität  der  Em- 
pfindung im  Gehirn  zu  irgend  einer  Zeit  beruhen  soll,  da,  wie 
ich  sagte,  das  ganze  Gehirn  mindestens  warm  ist.  Lassen  Sie 
Fasern  zwischen  den  Ganglienzellen  reifsen,  so  schiebt  sich 
Flüssigkeit  oder  sonst  etwas  ein,  was  auch  warm  ist.  Hartmann 
spricht  von  einem  Widerstände  der  Leitung,  der  über- 
wunden werden  mufs,  soll  Kontinuität  des  Bewufstseins  be- 
stehen; aber  es  bleibt  nicht  blofs  ganz  unklar,  was  er  sich 
unter  diesem  Widerstände  denkt,  sondern  ich  halte  einen 
solchen  Widerstand  unmöglich,  wenn  jede  kleinste  Schwingung 
Empfindung  giebt;  nichts  unterbricht  dann  die  Mitteilung  da- 
von von  einem  zum  nächsten  Atom.     Mit  dem  Namen  Wider- 


über  negative  Empfindungawerte,  117 

stand  ist  es  doch  nicht  abgemacht,  man  muTs  sich  etwas 
darunter  denken,  was  anderm,  das  man  gedacht  hat,  nicht 
widerspricht.  Abgesehen  davon  teile  ich  die  Fundamental- 
ansicht Hartmanns,  die  übrigens  schon  vor  ihm  von  Zöllnbk 
in  seinem  Kometenbuche  ausgesprochen  ist,  dafs  jedes  Atom 
schon  für  sich  Empfindung  hat,  nicht,  sondern  halte  Bewuist- 
sein  überhaupt  für  eine  innere  Erscheinung  der  Wechselwirkung 
der  Materie;  dazu  gehören  aber  mindestens  zwei  Atome.  Der 
Grund,  daüs  Zusammensetzungen  der  Atome  kein  BewuTstsein 
geben  könnten,  wenn  nicht  schon  die  einzelnen  solches  hätten, 
zieht  nicht;  ebensogut  könnte  man  sagen:  wenn  nicht  schon 
in  den  einzelnen  Punkten  des  Kreises,  Vierecks  ein  Kreis,  ein 
Viereck  steckte,  könnte  auch  aus  der  Zusammenordnung  der- 
selben keines  entstehen.  Verbindung,  Wechselwirkung  ist  eben 
etwas  Neues,  woraus  etwas  Neues  entstehen  kann,  das  auch 
seiner  Möglichkeit  nach  nicht  in  den  einzelnen  Elementen  als 
solches  enthalten  ist.     Hierüber  aber  mag  sich  streiten  lassen. 


Leipzig,  d.  20.  Juli  74. 

Ich  glaube  doch,  es  wird  gut  sein,  wenn  wir  unsere  Dis- 
kussion über  die  negativen  Empfindungswerte  endlich  ab- 
brechen; Sie  sehen  selbst,  sie  hat  kein  Ende.  Ich  finde  auf 
alles,  was  Sie  in  Ihrem  letzten  Briefe  gegen  meine  Auffassung 
dieser  Werte  bemerken,  etwas  zu  erwiedem,  und  Sie  werden 
auf  alles,  was  ich  hier  gegenbemerke,  wieder  etwas  zu  er- 
wiedem finden;  ich  zweifele  nicht  daran,  aber  ich  lasse  Ihnen 
nun  endlich,  falls  Sie  es  anders  ergreifen  wollen,  das  letzte 
Wort. 

Sie  sprechen  von  einer  Sonderung  zwischen  negativen  und 
unbewufsten  Empfindungswerten,  die  ich  im  Widerspruche  mit 
dem  16.  Kap.  meiner  Elemente  mache;  doch  wüfste  ich  nicht, 
worin  diese  Sonderung  bestände.  Statt  beides  zu  sondern,  be- 
trachte ich  dasselbe  blofs  aus  zweierlei  Gesichtspunkten,  die 
sich  in  der  That  dann  verknüpfen. 

Sie  kommen  dapiuf  zurück,  dafs  „verschiedene  Empfindungs- 
stärken,  d.  h.  verschiedene  Empfindungen,  nicht  nur  nicht  ohne 
Zuziehung   des  Bewufstseinsbegriffes   gedacht  werden  können, 


118  G.  Th.  Fechner. 

sondern  selbst  eine  fundamentale  Bewofstseinserscheinung  sind ;  ^ 
solle  also  die  Maisformel,  und  sollen  speciell  die  — y,  die  aus 
ihr  flieisen  (psychologisch)  gedacht  werden,  so  müsse  man 
zuvor  eine  bestimmte  Auffassung  des  BewuTstseins  haben";  und 
ich  komme  meinerseits  darauf  zurück:  dais  man  von  Em- 
pfindungen  sprechen,  die  Mafsformel  in  Bezug  darauf  deuten 
kann,  ohne  schon  einen  allgemeinen  Bewuistseinsbegri£f 
dabei  vorauszusetzen,  dafs  man  diesen  zunächst  freilassen  kann, 
wohl  aber  nachher  den  Empfindungsbegriff  einem  allgemeinen 
BewuTstseinsbegriff  unterordnen  kann,  der  sich  übrigens  weiter 
und  enger  fassen  läfst,  ohne  dafs  das  in  der  Sache  etwas 
ändert. 

Sie  wiederholen,  dafs  meine  Auffassung  der  negativen  Em- 
pfindungswerte nur  die  Bedeutung  von  Zahlen  dafür  übrig 
lasse.  Meinerseits  kann  ich  nur  wiederholen,  dafs  sie  im  Zu- 
sammenhange der  ganzen  Auffassung  der  Mafsformel  eine  reale 
Bedeutung  für  die  Entstehungsverhältnisse  der  Empfindung 
haben. 

Sie  postulieren  als  Schlufs  einer  eingehenderen  Betrachtung 
„für  jeden  Reizwert  unterhalb  der  Schwelle  (ebenso  wie  über  ihr) 
einen  bestimmten  durch  die  Mafsformel  gegebenen  psychischen 
Zustand"  als  Bepräsentanten  der  zugehörigen  negativen 
Empfindung  und  nehmen  dafür  die  Privatempfindung  der 
Ganglienzellen  in  Anspruch,  die  sich  wegen  zu  starker 
Leitungswiderstände  zwischen  den  Zellen  nicht  zu  einem 
Eollektivbewufstsein ,  unserm  Ich  -  Bewufstsein ,  zusammenzu- 
schliefsen  vermöge,  sondern  ihrer  Stärke  nach  in  einem  ge- 
wissen Abstände  von  der  Stärke,  wo  sie  dies  vermöge,  also 
von  der  Schwelle  des  Ich-Bewufstseins  bleibe,  wodurch  die  Gröfse 
der  negativen  Empfindung  als  gemessen  angesehen  werden 
könne,  indes  die  Privatempfindung  ihr  noch  einen  realen  Inhalt 
verleihe.  Verstehe  ich  Sie  recht,  so  ist  dies  Ihre  Meinung. 
Nun  aber  bezieht  sich  doch  die  Mafsformel  auf  Empfindungen 
unsers  Ich,  nicht  auf  die  hypothetischen  Privatempfindungen 
der  Ganglienzellen;  also  sind  auch  die  — y  in  Bezug  auf  jene 
zu  deuten,  nicht  auf  diese;  und  mögen  diese  da  sein  oder 
nicht,    die  Deutung  in  Bezug    auf  jene    bleibt    ganz 

*  Vgl.  W.  Pbeyeb:  Elemente  der  reinen  Empfindungslehre,  Jena,  1877, 
§  22  („Die  negative  Intensität  und  Qualität  und  der  Nullpunkt  im  Em- 
pfindungsgebiet^^ ) 


über  negative  Empfindungswerte.  119 

dieselbe.  Nach  Urnen  sollen  die  ^y  zweierlei  zugleich  re- 
präsentieren: erstens  die  positive  Privatempfindung  der  Q-ang- 
lienzellen;  das  scheint  mir  an  sich  nicht  zu  gehen  und  Ihnen 
im  Ghrunde  doch  auch  nicht,  denn  wie  kann  ein  als  positiv  zu 
denkender  Wert  mit  einem  negativen  Vorzeichen  bezeichnet 
werden?  also  sollen  sie  anderseits  nach  Ihnen  den  Abstand 
dieses  positiven  Wertes  von  einem  andern  positiven  Werte, 
dem  des  Ich-BewuTstseins  bedeuten;  aber  da  das  ein  leerer 
Zwischenraum  wäre,  und  die  — y  doch  Empfindung  bedeuten 
sollen,  um  nicht  blofs  eine  geometrische  oder  Zahlenbedeutung 
zu  haben,  so  suchen  Sie  auch  den  ersten  Sinn  der  — y  festzu- 
halten. Meinerseits  weifs  ich  das  schlechthin  nicht  zu  ver- 
einigen, oder  Ihrer  Yorstellungsweise  keine  EQarheit  abzuge- 
winnen, die  ich  nur  in  einem  Entweder-Oder  finden  könnte, 
wo  Sie  ein  Sowohl-als-auch  haben. 

Gegen  die  HAETMANNsche  Hypothese  von  Privatempfin- 
dungen der  Atome  unter  den  von  H.  gemachten  Voraus- 
setzungen hatte  ich  eingewandt:  da  das  ganze  Gehirn  warm 
sei,  alle  Atome  also  darin  schwingen  und  schwingende  Nach- 
baratome haben,  sich  also  auch  wechselseitig  ihre  Schwingungen 
mitteilen  müssen,  so  wisse  man  nicht,  wo  ein  Leitungswiderstand 
zwischen  ihnen  überhaupt  herkommen  soll,  und  so  mülsten  alle 
Empfindungen  stets  zu  einem  Gesamtbewufstsein  im  Gehirn 
verflieüsen.  Denn  wenn  nach  Hartmanns  Voraussetzung  schon 
die  kleinste  Schwingung  eines  Atoms  Empfindung  giebt,  muTs 
auch  die  kleinste  Mitteilung  davon  als  Leitung  gelten.  Ich 
mufs  mich  aber  wohl  nicht  klar  genug  in  dieser  Hinsicht  aus- 
xredrückt   haben,    da   Sie   meinem   Einwände    entireffnen:    das 

die  MitteU^g  der  3ch™«ga.g  niolt  lund.n>  W,-  eher'  kO  Je 
man  in  gewissem  Sinne  die  Mitteilung  zwischen  gleich  warmen 
Atomen  leugnen,  absolut  gleich  warme  Atome  wird  es  aber 
nicht  geben.  Den  Hauptvorwurf,  den  ich  EEartbiann  hierbei 
mache,  ist,  dafs  er  eine  fundamentale  Ansicht  mit  einem  ent- 
weder fundamental  unklaren  oder  mit  seinen  Grundvoraus- 
setzungen widersprechenden  Begriffe,  was  sein  Leitungswider- 
stand ist,  aufstellen  will.  Nun  gehen  Sie  nicht  mit  Hartmann 
bis  auf  Privatempfindungen  der  Atome,  sondern  nur  der  Gang- 
lienzellen, zurück;  nach  Motiven,  denen  ich  nichts  entgegenzu- 
setzen habe,  und  ich  habe  selbst  zugestanden,  dafs  eine  solche 


120  ö^-  Th.  Fechner. 

Hypothese  möglicli  ist;  Sie  dürften  aber  beim  Versncb  einer 
Ausführung  dieser  Hypothese  doch  auch  nicht  mit  dem  blolsen 
Worte  Leitnngswiderstand  zwischen  den  ZeUen  operieren  können, 
sondern  sich  veranlaist  finden,  eine  bestimmte  Yorstellong 
darüber  darzubieten. 

Sie  sagen  bezüglich  einer  anderen  in  unsere  Diskussion 
eingetretenen  Frage:  „Bewege  ich  einen  Punkt  in  einer  Kreis- 
bahn, so  steckt  nicht  der  Kreis  in  ihm,  wohl  aber  die  Mög- 
lichkeit, einen  Kreis  ebenso  wie  jede  andre  Figur  zu  bilden 
durch  seine  Bewegung  oder  durch  Zusammenordnung  der  Orte 
im  Baum,  die  er  durchlauft."  Das  ist  sehr  wahr,  aber  dazu 
bedarf  es  doch  eben  noch  anderer  Punkte  im  Baume,  die  er 
durchlaufen  kann ;  nur  durch  die  Zusammenordnung  einer  Viel- 
heit von  Punkten  im  Baume,  nur  durch  die  Beziehung  der- 
selben zu  einander  ist  die  Möglichkeit  des  Ejreises  gegeben; 
und  so  nach  meiner  Ansicht,  nennen  Sie  es  Hypothese,  das 
Psychische  nur  durch  eine  Kraftbeziehung  zwischen  dem  Phy- 
sischen, deren  das  einfache  Atom  unfähig  ist.  Kann  sich  doch 
nicht  einmal  eins  für  sich  allein  bewegen.  Doch  hierüber 
wollen  wir  ja  nicht  erst  einen  Streit  anfangen,  wir  würden, 
vollends  nicht  damit  fertig  werden. 


Berichtigung  zu  den  in  Heft  I  abgedruckten  Briefen 

S.  42  Z.  6  y.  o.  lies  darüber  statt  der  über. 
S.  42  Z.  7  y.  o.     „     Summe        .,     Summen« 


Litteraturbericht. 


J.  Steineb.  Die  Funktionen  des  OentralnerTeneystems  der  wirbellosen 
Tiere.    Sitz-Ber.  d.  kgl  preufs,  Äkad.  d.  Wiss,  1890.  S.  39—49. 

In  den  Gruppen  der  Würmer,  Mollusken  und  Arthropoden  stellt 
das  Centralnervensy Stern  eine  ventral  gelegene,  mehr  oder  weniger  modi- 
fizierte Kette  von  Ganglien  vor  (Bauchmark),  deren  vorderstes,  unter 
dem  Schlund  gelegenes  (ünterschlundganglion)  mit  einem  über  dem 
Schlund  gelegenen  (Oberschlundganglion)  durch  zwei  seitliche,  den 
Schlund  umfassende  Kommissuren  in  Zusammenhang  steht.  Von  mor- 
phologischer Seite  ist  wegen  der  phylogenetischen  Beziehungen  der 
Würmer  zu  den  Wirbeltieren  schon  früher  vielfach  die  Frage  diskutiert 
worden,  welcher  Teil  des  Centralnerven  Systems  der  Würmer  dem  Gehirn 
der  Wirbeltiere  homolog  ist,  ohne  dafs  diese  Frage  bisher  eine  sichere 
Entscheidung  erfahren  hätte. 

Verfasser  stellt  sich  nun  in  vorliegender  Arbeit  vom  physiologischen 
Standpunkt  aus  die  entsprechende  Frage,  nämlich,  welcher  Teil  des 
Centralnervensystems  (speciell  des  Schlundringes)  der  Evertebraten  phy- 
siologisch dem  Gehirn  der  Wirbeltiere  gleichartig  ist.  Gestützt  auf  eine 
bereits  früher  von  ihm  gegebene  Definition,  nach  der  das  Gehirn  als 
die  Verbindung  des  allgemeinen  Bewegungscentrums  mit 
einem  oder  mehreren  höheren  Sinnescentren  aufzufassen  ist, 
sucht  Verfasser  diese  Frage  experimentell  zu  lösen. 

unter  den  Arthropoden  wurden  Krebse,  Insekten  und  Tausend- 
füfser  untersucht.  Sämtliche  Versuche  ftihrten  gleichmäfsig  zu  dem 
Ergebnis,  dafs  halbseitige  Abtragung  des  Oberschlundganglions  und 
ebenso  halbseitige  Durchschneidimg  der  Längskommissur  zwischen  Ober- 
und  Unterschlimdganglion  stets  eine  kreisförmige  Zwangsbewegung  der 
Tiere  nach  der  entgegengesetzten,  also  unverletzten  Seite  zur  Folge  hat. 
Da  also  im  Oberschlundganglion  der  Arthropoden  das  allgemeine  Bewe- 
gungscentrum gelegen  ist  und  da  femer  hier  höhere  Sinnesnerven  ent- 
springen, so  betrachtet  es  Verfasser  als  Gehirn. 

Versuche  an  Mollusken,  bei  denen  die  Bauchganglionkette  durch 
ein  einziges  Ganglion,  das  Pedalganglion,  vertreten  ist,  zeigten,  dafs  hier 
Zerstörung  resp.  Abtragung  des  Oberschlundganglions  die  Bewegungen 
in  keiner  Weise  beeinfiufst,  dafs  dagegen  die  Zerstönmg  des  Pedalgang- 


122  LUteraturherieht 

lions  die  Bewegung  sofort  zum  Stillstand  bringt.  Bei  einer  Form,  Cym- 
bulia,  gelang  es  Verfasser  durch  Zerstörung  der  einen  Hälfte  des  Pedal- 
ganglions eine  Zwangsbewegung  in  der  Bichtung  nach  der  verletzten 
Seite  zu  erzielen,  da  auf  dieser  Seite  die  Lokomotion  gelähmt  wurde. 
Ein  etwas  abweichendes  Verhalten  unter  den  Mollusken  zeigten  die 
Kephalopoden,  speciell  Octopus  vulgaris,  wo  zwar  einseitige  Abtrag^ung 
des  OberschlundgangUons  keine  Störungen  hervorruft,  wohl  aber  beider- 
seitige Abtragung,  indem  nämlich  alsdann  die  normalen  Bewegungen 
wohl  noch  ausgeführt  werden  können,  aber  nicht  mehr  spontan,  son 
dem  nur  auf  Beize  wirklich  ausgeftlhrt  werden.  Die  so  operierten 
Tiere  verharren  in  vollkommener  Buhe,  solange  sie  nicht  gereizt  werden, 
weichen  aber  Gegenständen,  die  ihnen  genähert  werden,  noch  ganz 
geschickt  aus.  Nach  diesen  Versuchen  bezeichnet  Verfasser  das  Ober- 
schlundganglion der  Mollusken  nicht  als  Gehirn,  sondern  als  Sinnescen- 
trum, da  ihm  das  allgemeine  Bewegungscentrum  fehlt.  Das  Oberschlund- 
ganglion der  Kephalopoden  speciell  versieht  nach  der  Ansicht  des 
Verfassers  lediglich  die  Funktionen  des  Grofshims  der  Wirbeltiere. 

Bei  den  Würmern  erhielt  Verfasser  ganz  dieselben  Besultate  wie 
an  Mollusken,  denn  die  Abtrennung  des  Oberschlundganglions  f&hrte 
hier  ebenfalls  keine  Bewegungsstörungen  herbei.  Verfasser  faCst  daher 
auch  das  Oberschlundganglion  der  Würmer  nur  als  Sinnescentrum,  nicht 
als  Gehirn  auf. 

Bei  den  Mollusken  und  Würmern  ist  es  daher  im  Sinne  des  Ver- 
fassers überhaupt  nicht  zur  Entwicklung  eines  Gehirns  wie  bei  den 
Arthropoden  und  Wirbeltieren  gekommen.  Vbbwobn  (Jena). 

A.  V.  KoRANYi.    Über  die  Folgen  der  Dnrcluichiieidiuig  des  Himbalkeiui. 

Pf  lüger  8  Archiv,    XLVn.  1890.  S.  35—42. 

Die  genau  in  der  Medianebene  ausgeführte  Durchschneidung  des 
Balkens  bei  Hunden  ergab  dem  Verfasser  keinerlei  merkliche  Störungen, 
weder  der  Bewegungen,  noch  der  Sinneswahmehmungen ,  noch  der  In- 
telligenz.   Zuweilen  erfolgten  Konvulsionen  des  ganzen  Körpers. 

Traten  bei  K's  Versuchen  Störungen  auf,  so  liefsen  sie  sich 
immer  auf  Mitverletzung  der  Hemisphären  zurückfähren.  Und 
zwar  betrafen  die  Störungen  bestimmte  Funktionen  auch  dann,  wenn 
die  verletzten  Teile  sehr  entfernt  von  den  jenen  Funktionen  zugeschrie- 
benen Bindengebieten  lagen. 

So  trat  auch  bei  vornliegenden  Verletzungen,  wenn  auch  schwächer, 
als  bei  hintengelegenen,  homonyme  Hemiamblyopie  auf. 

Sämtliche  Störungen  waren  trotz  Durchschneidung  des  Balkens 
vergänglich. 

Im  Übrigen  werden  ältere  Beobachtungen  von  Goltz  und  Lobb 
bestätigt.  LiBPMANN  (Berlin). 

G.  Jbloerma.   Das  Oebini  olme  Balken.  Ein  Beitrag  zur  Windungstheorie. 
Newrol  CentraJbl    1890.  No.  6. 
Die  graue  Substanz  verbreitet  sich  auf  der  Oberfläche  des  Gehirns 
mit  einer  innerhalb  der  Art  ziemlich  konstanten  Dicke.    Der  Baum  für 


Litteraturbericht.  1 23 

das  Wachstum  des  Gehirns  ist  beschränkt.  Wächst  der  Körper,  so 
nimmt  die  Oberfläche  mit  der  zweiten,  der  Inhalt  mit  der  dritten  Potenz 
des  Radios  zu.  Es  mufs  zu  einem  Mifsverhältnis  zwischen  grauer  und 
weifser  Substanz  kommen.  Dieses  wird  kompensiert  durch  Vergröfserung 
der  Oberfläche  und  Verkleinerung  des  Inhalts,  Faltenbildung.  Je  gröfser 
die  Oberfläche  und  je  kleiner  der  Inhalt,  desto  zahlreicher  und  kompli- 
zierter sind  die  Windungen. 

Beim  Gehirn  ohne  Balken  mufs  eine  normale  Quantität  grauer 
Substanz  sich  an  einen  stark  verkleinerten  Inhalt  accomodieren.  Dies 
ist  möglich  1.  durch  Ausdehnung  der  Seiten  Ventrikel ;  2.  durch  vermehrte 
Bildung  von  Gehirn windimgen.  Die  Flüssigkeit  in  den  erweiterten 
Seiten  Ventrikeln  ersetzt  das  Minus  an  Substanz  und  somit  das  entstehende 
Gavum  im  Schädelraum.  Ist  schon  normaliter  das  Volumen  der  weifsen 
Substanz  zu  gering  für  den  Inhalt  des  Körpers  und  entstehen  demzufolge 
Windungen,  so  mufs  dies  noch  mehr  der  Fall  sein,  wenn  die  Oberfläche 
sich  einem  noch  kleineren  Inhalt  accomodieren  mufs. 

Kronthal  (Berlin). 

H.  Schiller.  Sur  le  nombre  et  le  calibre  des  flbres  nenreuBes  da  nerf 
ocnlomotenr  commnn  ches  le  chat  nonveau-n^  et  chez  le  chat  adulte. 
Ccmptea  retidtts.    Bd.  CIX.  14. 

Die  Zählung  der  Fasern  der  die  Augenmuskeln  innervierenden 
Nerven  ergab  für  neugeborene  und  erwachsene  Katzen  annähernd  dieselbe 
Zahl  (2942  bezw.  3035  im  Mittel).  Das  geringe  Plus  bei  dem  erwachsenen 
Tier  erklärt  Verfasser  durch  die  Annahme,  dafs  bei  der  grofsen  Feinheit 
der  Fasern  der  neugeborenen  Katze  wohl  einige  Fibrillen  nicht  mitge- 
zählt wiirden. 

Nervenfasern  und  -Zellen  gehen  während  des  Lebens  weder  zu 
gründe  noch  werden  sie  regeneriert,  bemerkt  Forbl  in  einem  Zusatz  zu 
dieser  Arbeit.  Dies  steht  auch  im  Einklang  mit  der  Behauptung  von 
His  und  F.,  nach  welcher  jede  Nervenfaser  die  Verlängerung  einer  ein- 
zigen Zelle  vorstellt  und  ohne  Anastomosen  frei  endet.  F.  hebt  noch 
hervor,  wie  wichtig  die  Stabilität  der  Elemente  für  die  Erklärung  der 
Erscheinungen  des  Q-edächtnisses  ist.  Krokthal  (Berlin). 


M.  Vebwork.  Psycliophygiologische  Protistenstndien.  Mit  6  lithogr. 
Tafeln  und  27  Abbildungen  im  Text.  220  S.  Jena,  Fischer.  1889.  M.  10. 
Unseres  Wissens  ist  Verwobn  der  erste  Forscher,  welcher  eine 
gröfsere  Anzahl  Protisten  im  Zusammenhange  genauer  physiologischer 
Üntersuchimg  unterwirft.  Nach  kurzer  historischer  Übersicht  der  bis- 
herigen Resultate  früherer  Forscher,  stellt  Verfasser  die  Gesichtspunkte 
auf,  von  denen  aus  er  glaubt  das  Seelenleben  der  Protisten  beurteilen 
zu  müssen,  nämlich:  1.  Die  Frage  nach  der  Höhe  der  Entwicklungsstufe 
einer  Tierseele  im  Verhältnis  zu  der  relativ  bekanntesten  des  Menschen 
und  2.  die  Frage  nach  dem  Wesen  und  dem  Zustandekommen  der  psy- 
chischen Funktionen.     Von    der   Voraussetzung    ausgehend,   dafs  jede 


124  lAtteraturhericht. 

psychische  Funktion  mit  einer  Bewegung  Hand  in  Hand  gehe  und  dafs 
aufser  der  Beobachtung  der  Bewegungen  nur  etwa  die  Anwesenheit  von 
Sinnesorganen  Antwort  auf  diese  Fragen  geben  könne,  gelangt  Verfasser 
zur  Anwendung  folgender  Methoden:  1.  Reine  Beobachtung  der  normalen 
Lebensthätigkeit.  2.  Untersuchung  des  Verhaltens  auf  künstliche  Beize. 
3.  Untersuchung  nach  operativen  Eingriffen.  Als  Material  dienten  3 
Schizoprotisten,  3  Diatomeen,  1  Desmidiacee,  11  Bhizopoden,  2  Flagel- 
laten  und  25  Ciliaten. 

Indem  wir  den  einzelnen  Elapiteln  in  Kürze  folgen,  finden  wir  zu- 
nächst eine  Beschreibung  der  spontanen  Bewegungen,  der  sich  ein 
Kapitel  über  die  Reaktion  verschiedener  Protisten  auf  Beize  jeglicher 
Art  anschliefst.  Aus  der  reichen  Fülle  von  sorgfiLltigen  Beobachtungen 
möchten  wir  als  wesentlich  neu  die  folgenden  hervorheben :  1.  Abwesen- 
heit von  Beaktionen  auf  Lichtreize  bei  mehreren  Protisten.  2.  Thermo- 
tropismus  der  Amoeben.  3.  Bei  Stentoren  wirkt  nur  die  positive  Tem- 
peraturschwankung als  Beiz.  4.  Bhizopoden  reagieren  viel  weniger  auf 
mechanische  Beize  als  Infusbrien.  5.  Abwesenheit  jeglicher  Beaktions- 
iUhigkeit  auf  akustische  Beize.  6.  Manche  Stoffe,  welche  bei  höheren 
Tieren  bewegungslähmend  wirken,  z.  B.  Curare  bleiben  ohne  Einflufs 
auf  die  Cilienbewegung.  7.  Paramaecium  aurelia  zeigt  Galvanotropismus, 
d.  h.  bei  Durchleitung  eines  galvanischen  Stromes  durch  den  sie  ent- 
haltenden Tropfen  sammeln  sich  die  Protisten  an  der  Kathode.  Dafs 
es  sich  hierbei  um  eine  Lebensäufserung  und  nicht  um  einen  physika- 
lischen Vorgang  handelt,  wird  durch  Ätherisierung  der  Tiere  nachge- 
wiesen, bei  der  nicht  die  geringste  Bewegung  mehr  stattfindet.  Ein 
Vergleich  der  Beizbewegungen  ergiebt,  dafs  die  Protisten  sehr  verschie- 
dene Empfänglichkeit  für  Beize  und  eine  bisweilen  weitgehende  An- 
passung an  dieselben  besitzen.  An  diesen  an  Beobachtungen  aufserordent- 
lich  reichen  Abschnitt,  schliefst  sich  ein  Kapitel  über  die  sensiblen 
Elemente.  Licht  und  Wärme  zu  percipieren  scheint  eine  allgemeine 
Eigenschaft  des  Protoplasmas  zu  sein;  dagegen  sind  für  die  Perception 
mechanischer  Beize,  GelTseln  und  Wimpern  der  Flageelaten  und  Lifusorien 
geeigneter  als  das  Plasma;  ja  es  lassen  sich  sogar  in  der  Perceptions- 
iUhigkeit  der  Wimpern  deselben  Tieres  Unterschiede  konstatieren. 

Indem  Verfasser  von  Bewufstsein  nur  da  reden  will,  wo  es  zur 
Unterscheidung  eines  eigenen  Ich  von  der  Umgebung  kommt,  spricht 
er  als  seine  Überzeugung  aus,  dafs  bei  den  Protozoen  von  einem  Bewufst- 
sein in  diesem  Sinne  keine  Bede  sein  könne.  Ihre  Beizbewegungen  sind 
nicht  bewufste  Willensäufserungen,  sondern  haben  lediglich  den  Charakter 
von  Beflexbewegungen.  Selbst  aus  den  komplizierteren  Lebensthätig- 
keiten  der  Nahrungsaufnahme  und  des  Gehäusebaus,  zu  denen  Verfasser 
schöne  Versuche  an  Diffiugien  beibringt,  fand  er  keine  Anhaltspunkte, 
die  zur  Annahme  bewufster  Thätigkeiten  berechtigten. 

Um  zu  untersuchen,  ob  ein  bestimmtes  Organ oitd  als  Sitz  des  Le- 
bens bei  den  Protisten  zu  betrachten  sei,  bedient  sich  Verfasser  der 
operativen  Methode,  und  zwar  mit  gutem  Erfolge  trotz  der  Schwierigkeit 
der  Eingriffe  an  den  unter  dem  Mikroskop  sich  bewegenden  kleinen 
Wesen.    Selbst   die    kleinsten   Teilstücke   des   Protist enkörpers   führen, 


Litteraiurbtn'icht  125 

nach  Überwindung  eines  Eeizstadiilms,  genau  dieselben  Bewegungen  aus 
die  sie  im  Zusammenhange  mit  dem  Körper  ausführten;  dasselbe  gilt 
auch  für  Bewegungen  infolge  von  Beizung.  Aus  diesen  Resultaten  zieht 
Verfasser  den  Schlufs,  dafs  jedes  Protoplasmateilchen  selbständiges  Cen- 
troin  für  die  in  ihm  auftretenden  Seelenerscheinungen  sei,  und  dafs  alle 
Bewegungen  des  Tieres  Besultat  dieser  Elementarbewegungen  seien ;  das 
Problem  der  rhythmisch  schlagenden  Wimpern,  welches  dieser  Hypothese 
KU  widersprechen  scheint,  findet  seine  Erklärung  in  der  Annahme  eines 
Peristomwimpermechanismus. 

Auf  Grund  obiger  Hypothese  und  des  dieselbe  ergänzenden  Zu- 
satzes, dafs  die  Bew^egung  jedes  Protoplasmateilchens  Ausdruck  der  in 
ihm  stattfindenden  Prozesse  sei,  wird  sodann  die  ganze  Lebensthätigkeit 
des  Protozoons  als  Konsequenz  der  Stoffwechselvorgänge  abgeleitet  und 
die  Ansicht  bekämpft,  dafs  eine  Psyche  notwendig  an  die  Existenz  eines 
morphologisch  differenzierten  Nervensystems  gebunden  sei.  Dafs  endlich 
Terf asser  die  letzten  Ursachen  primitiver  psychischer  Vorgänge  in  die 
£i^enschaften  der  jedes  Plasmaelementarteilchen  konstituierenden  Mole- 
kille verlegt  und  dadurch  die  Schranken  zwischen  anorganischer  und 
organischer  Natur  niederzureifsen  sucht,  kann  also  nicht  n^iehr  ver wun- 
dem, fttr  ihn  giebt  es  auch  nicht  mehr  Elementarerkenntnis  und  Ele- 
mentarwillensvorgänge,  sondern  nur  einen  psychischen  Elementarprozefs, 
nämlich  die  Umsetzung  der  Erkenntnis  in  Willen.  Den  Schlufs  des 
Buches  bildet  eine  Übersicht  über  die  Entwickelung  des  psychischen 
liebens  im  Protistenreich,  welche  mit  der  morphologischen  Ent\^dckelung 
Hand  in  Hand  geht.  Bürckhardt  (Berlin). 

J.  LoEB.  Der  Heliotropismns  der  Tiere  und  seine  Übereinstimmung  mit  dem 
Heliotropismos  der  Pflanzen,  gr.  S^  IV  u.  118  S.  Würzburg  1890.  Ü.4. 

Der  Verfasser  hat  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht,  für  die  Abhängig- 
keit der  tierischen  Bewegungen  vom  Licht  in  der  gleichen  Weise  Gesetze 
zu  finden,  wie  sie  die  moderne  Pflanzenphysiologie  für  die  Bewegung  der 
Pflanzen  festgestellt  hat.  Durch  zahlreiche  Arbeiten  der  Pflanzenphy- 
siologen ist  bekannt,  dafs  die  Stellungnahme  der  Pflanzen  zum  Licht,  der 
sogenannte  Heliotropismus,  abhängig  ist  von  zwei  Faktoren,  einerseits 
von  der  Bichtung  der  Lichtstrahlen  und  andererseits  von  der  Wellen- 
länge derselben,  indem  hauptsächlich  die  kurzwelligen,  also  die  stärker 
hrechbaren  Strahlen  von  gewisser  Intensität  heliotropisch  wirksam  sind. 
Innerhalb  des  Lichts  von  bestimmter  Wellenlänge  stellen  die  Pflanzen 
von  radiärem  Bau  ihre  Längsaxe  in  die  Bichtung  der  Strahlen  ein, 
während  alle  Pflanzen  oder  Organe  von  dorsiventralem  Bau  ihre  Fläche 
senkrecht  gegen  die  Strahlenrichtung  einstellen.  Freibewegliche  Schwärm- 
sporen schwimmen  demzufolge  in  der  Bichtung  der  Strahlen  entweder 
der  Lichtquelle  zu,  sind  also  positiv  heliotropisch  oder  von  ihr  weg,  sind 
also  negativ  heliotropisch. 

Verfasser  hat  nun  in  einer  gprofsen  Anzahl  sehr  interessanter  Ver- 
suche,  die  fast  ausschliefslich  an  Lisekten  ausgeführt  wurden,  den  Nach- 
weis geführt,  dafs  dieselben  Faktoren,  welche  die  Bewegung  der  Pflanzen 
beim  Heliotropismus  beeinflussen,  auch  auf  die  der  Tiere  bestimmend  wirken. 


126  LitteraturberichL 

Als  typisch  können  die  Versuche  an  den  Baupen   von   Porthesia 
chrysorrhoea  betrachtet  werden.    Zu  diesen  Versuchen  wurden  eine 
grofse  Anzahl  der  kleinen  Baupen  iu  ein  Beagenzglas  gebracht  und  bei 
einer   Zimmertemperatiu:   von    12— 15*   C.   der   Wirkung  des   durch   ein 
Fenster   einfallenden   Tageslichts   ausgesetzt.     Wurde   das   Beagenzglas 
mit   seiner   Längsaxe   senkrecht  zur  Ebene  des  Fensters  horizontal  auf 
eine  dunkele  Unterlage  gelegt,  so  krochen  alle  Baupen   ohne  Ausnahme 
an  die  obere  Seite  und  dem   Fenster   zu,   so   dafs  der  Bauch  nach  oben 
und  der  Kopf  nach  vom,  beide  also  dem  einfallenden  Lichte   entgegen 
gerichtet  waren.    Innerhalb    1 — 5   Minuten  waren  sie  sämtlich  in  dieser 
Stellung   an   der  Fensterseite    des    Beagenzglases   versammelt,   wo    sie 
dauernd   sitzen   blieben.    Durch  eine  Umdrehung  des  Beagenzglases  um 
180  ^  konnte  jeden  Augenblick  wieder  dieselbe  Erscheinung  hervorgerufen 
werden.    Wurde  das  Beagenzglas  mit  der  Längsaxe  parallel  dem  Fenster 
gelegt,  so  blieben  alle  Baupen  gleichmäfsig  über  das  ganze  Beagenzglas 
zerstreut,  aber  kehrten  ihre  Bauchseite  imd  den  Kopf  ebenfalls  dem  ein- 
fallenden  Lichte   zu;   sobald   jedoch   das   Glas  mit  dem  einen  Ende  ein 
klein  wenig  gegen  das  Fenster  geneigt  war,  so  krochen  sämtliche  Baupen 
in  das  dem  Fenster  am  nächsten  gelegene  Ende,  wo  sie  sich  in  der  an- 
gegeben Bichtung  einstellten.    Waren  die  Tiere  an  der  Fensterseite  des 
senkrecht  zur  Fensterebene  gerichteten  Beagenzglases  versammelt,   und 
wurde    die   dem   Fenster   zugekehrte    Seite   mit  einem  undurchsichtigen 
Kästchen   bedeckt,    so   krochen  sie  sofort  nach  der  Zimmerseite  bis  an 
die  Grenze  der  Bedeckung.     Hier  kehrten  sie  um  und  blieben  mit  nach 
dem   Fenster   gekehrtem  Kopfe   dicht   an  der  Grenze  im  Hellen  sitzen. 
Im   direkten   Sonnenlicht   findet    die   Einstellung   und  Ansammlung  der 
Tiere  noch  viel  schneller  statt  als  im  difPusen  Tageslicht.    Die  Versuche 
zeigen  also,  dafs  die  Tiere  ebenso  wie  die  positiv  heliotropischen  Schwärm- 
sporen der  Pflanzen  sich  mit  ihrer  Längsaxe  in  die  Bichtung  der  Strahlen 
einstellen  und  sich  in  dieser  Bichtimg  zur  Lichtquelle  hin  bewegen. 

Dieselben  Versuche  wurden  ausgeführt,  nachdem  die  Fensterseite 
des  senkrecht  zur  Ebene  des  Fensters  stehenden  Beagenzglases  mit 
einem  blauen  Glasschirm  bedeckt  war.  Der  Versuch  hatte  genau  den 
selben  Erfolg  wie  im  Tageslicht.  Wurde  dagegen  statt  des  blauen  Glases 
rotes  Glas  angewendet,  so  blieb  die  Ansammlimg  ganz  aus  oder  dauerte 
bedeutend  länger ;  nur  im  direkten  Sonnenlicht  konnte  die  gleiche  Schnellig- 
keit erzielt  werden.  Also  auch  fttr  die  Baupen  sind  wie  für  die  Pflanzen 
die  kurzwelligen,  stärker  brechbaren  Strahlen  die  wirksamsten,  ohne  dafs 
bei  genügender  Intensität  den  weniger  brechbaren  die  Wirksamkeit  ganz 
fehlte.  Es  zeigt  sich  zugleich,  dafs  die  Orientierungsbewegungen  nur 
von  einer  bestimmten  Intensität  an  stattfinden. 

Aufser  dem  positiven  Heliotropismus  konstatierte  Verfasser 
bei  den  Baupen  auch  negativen  Geotropismus,  d.  h.  die  Eigentüm- 
lichkeit unter  Ausschlufs  anderer  Beize  der  Wirkung  der  Schwerkraft 
entgegen  zn  kriechen,  ferner  eine  Art  Kontaktreizbarkeit,  welche 
die  Tiere  veranlafst,  sich  an  konvexen  Ecken  der  Körper  festzusetzen, 
und  schliefslich  einen  negativen  Thermotropismus,  der  die  Tiere 
von  einer  Wärmequelle  fortkriechen  läfst.    Diesen  Erscheinungen   mufs 


lAtieraturbericht  127 

bei  der  Ausfübrimg  der  Versuche  über  den  Heliotropismus  zur  Vermei- 
dung von  Fehlern  Bechnimg  getragen  werden. 

AuTser  den  Baupen  von  Porthesia  chrysorrhoea  hat  Verfasser 
noch  eine  grofse  Anzahl  anderer  Insekten  auf  ihren  Heliotropismus 
untersucht  und  dabei  stets  die  analogen  Erscheinungen  gefunden.  Be- 
sonders ausführlich  behandelt  er  die  Beziehungen  des  Heliotropismus 
der  Insekten  zu  verschiedenen  Lebensthätigkeiten.  Es  ergeben  sich  bei 
diesen  Untersuchungen  eine  Fülle  interessanter  biologischer  Erschei- 
nungen. So  stellt  sich  z.  B.  heraus,  dafs  die  Nachtschmetterlinge,  von 
denen  man  bisher  glaubte,  dafs  sie  das  Tageslicht  fliehen,  während  sie 
das  Licht  einer  Kerzenflamme  trotz  seiner  verderbenbringenden  Wirkung 
aufsuchen,  durchaus  ebenso  wie  die  Tagesschmetterlinge  positiv  helio- 
tropisch  sind,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dafs  bei  ihnen  die  Reizbarkeit 
durch  Licht  periodischen  Schwankungen  unterworfen  ist  und  am  Tage 
gänzlich  fehlt.  Bei  anderen  Insekten  zeigt  der  Heliotropismus  Schwan- 
kungen von  grOfserer  Zeitdauer.  So  ist  der  sogenannte  Hochzeitsflug 
der  männlichen  und  weiblichen  Ameisen  bedingt  durch  den  zur  Zeit  der 
Geschlechtsreife  hervortretenden  positiven  Heliotropismus.  Andere  In- 
sekten, wie  die  Fliegenlarven  sind  im  Gegensatz  zu  den  bisher  besproche- 
nen negativ  helio tropisch,  d.  h.  sie  zeigen  dieselben  Erscheinungen 
in  umgekehrtem  Sinne,  indem  sie  sich  von  der  Lichtquelle  fort  bewegen. 
Weim  der  Verfasser  aber  aus  der  Thatsache,  dafs  gewisse  augenlose 
Muscidenlarven  negativ  heliotropisch  sind,  den  Schlufs  zieht,  dafs  bei 
Tieren  „die  heliotropische  Reaktion  Eigentümlichkeit  des  Protoplasmas 
und  nicht  spezifische  Eigentümlichkeit  der  Augen^'  ist,  so  dürfte  diese 
Verallgemeinerung  eines  speciellen  Falles,  der  selbst  nicht  ganz  einwands- 
frei  ist,  doch  wohl  nicht  ohne  weiteres  anzunehmen  sein.  Während  die 
Fliegenlarven  negativ  heliotropisch  sind,  ist  die  Fliege  selbst  positiv 
heliotropisch,  doch  tritt  der  Heliotropismus  bei  ihr  nicht  so  deutlich 
hervor,  da  er  durch  andere  Beizwirkungen  leicht  verdeckt  wird. 

Aufser  an  Insekten  wurden  vom  Verfasser  auch  an  Fröschen,  weifsen 
Mäusen,  Crustaceen,  Mollusken  und  Würmern  heliotropische  Eigenschaften 

gefunden. 

Die  letzte  Konsequenz,  welche  der  Verfasser  aus  seiner  Arbeit 
ziehen  zu  müssen  glaubt,  dafs  nämlich  die  „heliotropischen  Erschein 
ntmgen  nicht  auf  spezifischen  Eigenschaften  des  Centralnervensystems  be- 
ruhen", d.  h.  nicht  als  höhere  psychische  und  Beflexwirkungen  aufzufassen 
sind,  und  zwar  aus  dem  alleinigen  Grunde,  weil  auch  die  Tiere,  welche 
Nerven  besitzen,  sich  ebenso  verhalten  wie  die  nervenlosen  Pflanzen, 
dürfte  übrigens  nur  für  einen  verschwindend  kleinen  Teil  aller  mit  einem 
Centralnervensystem  versehenen  Tiere  physiologisch  haltbar  sein,  be- 
stimmt nicht  für  die  höheren  Tiere.  Verwork  (Jena). 


G.  Itelson.    Zur  Gegclüchte  des  psychophysisclLen  Problems.    Arch.  f. 
Oeseh.  d,  Philosophie,  III.,  1890,  S.  282—290. 
Aus   älterer   und  teilweise    abgelegener  Litteratur  stellt  I.    einige 
Erörterungen   zusammen    über  die  Mefsbarkeit,  bezw.  Nichtmefsbarkeit 


]  28  IJtteraturbericht. 

von  Empfindungen.  Die  Hauptstellen  sind:  1.  Malebhavche  {Rech,  de  la 
VeriU,  11«  6clairc.):  ,,  .  .  .  On  ne  peut  d6couvrir  clairement  le  rapport  qui 
est  entre  le  plaisir  et  la  douleur,  la  chaleur  et  la  couleur;  ...  on  ne 
peut  d^terminer  exactement  le  rapport  "qui  est  entre  le  vert  et  le  rouge, 
le  jaune  et  le  violet,  ni  mdme  entre  le  violet  et  le  violet."  (Alles  von 
den  Empfindungen  selbst  und  nicht  von  den  äufseren  Reizen  zu  ver- 
stehen.) 2.  Plodcquet  (Meihodus  cdkulandiin  JogiciSy  1763,  Einl.):  „Quaeritur, 
num  incrementa  lucis  et  ejusdem  decrementa  exprimi  possint  quantita- 
tibus  arithmeticis  vel  geometricis.  Bespondeo  negando.  .  .  .  Id  enim 
quod  percipitur  in  ipsa  visione  lucis  fortioris  non  est  perceptio  debilioris 
et  debilioris.  Itaque  lucis  intensio*qua  imago  non  metienda  est  ex  ad- 
ditione  minoris  et  minoris,  sed  ex  intensione  unius  ejusdemque  imaginis, 
quae  intensio  et  remissio  toto  coelo  differt  a  positione  et  positione,  seu 
repetitione  plurium.^  (Wie  J.  wahrscheinlich  zu  machen  sucht,  beruhen 
die  bekannten  abfälligen  Äufserungen  Kavts  über  die  Psychologie  in  der 
Vorrede  zu  den  Metaphys.  Anfangsgründen  d.  Natwno,  auf  Einwirkungen 
Ploucqüets.)  3.  Galluppi  {Saggio  filos.  aulUi  cntica  deüa  conoacema^  1819):  „.  .  . 
CosL  la  quantit&  appartiene  sempre  all'  oggetto  della  sensazione,  e  non 
mai  alla  sensazione.^^ 

Was  diese  Reminiscenzen  auch  für  gegenwärtig  beliebte  Erörterungen 
lehren,  ist,  dafs  es  mit  den  einleuchtendsten  Umgrenzungen  dessen,  was 
man  kann,  und  den  scharfsinnigsten  Deduktionen  dessen,  was  man  nicht 
kann  und  niemals  können  wird,  eine  eigene  Sache  ist.  Es  ist  im  ganzen 
zweckmäfsiger,  solche  Bestimmungen  der  Zukunft  zu  überlassen  und 
dieser  von  den  jeweiligen  beschränkten  Gesichtspunkten  der  Gegenwart 
aus  nicht  vorzugpreifen.  Ich  erbaue  mich  in  dieser  Beziehung  bisweilen 
an  ein  paar  Zeilen  in  Comtes  Philos.  etstronomique  (Ckmrs  de  Philos.  pas. 
XIX«  le^.,  Anf.).  Comte  will  auch,  ehe  er  der  Sache  zu  Leibe  geht,  „com- 
mencer  par  circonscrire  avec  exactitude  le  veritable  champ  des  con- 
naissances  positives  que  nous  pouvons  acquerir  k  l'^gard  des  astres.^' 
Er  findet  dann  aus  den  und  den  Gründen:  Nous  concevons  la  possibilit6 
de  d^ terminer  les  formes  des  astres,  „leurs  distances,  leurs  grandeurs  et 
leurs  mouvements;  tandis  que  nous  ne  saurions  jamais  6tudier  par  aucun 
moyen  leur  composition  chimique  etc.  .  .  .  En  un  mot .  .  .  nos  connaissances 
positives  par  rapport  aux  astres  sont  n^cessairement  limit^es  ä  leurs 
seuls  ph6nom^nes  g^om^triques  et  m^caniques,  sans  pouvoir  nullement 
embrasser  les  autres  recherches  physiques,  chimiques  etc."  Alles  voll- 
kommen zwingend,  gar  nicht  anders  denkbar,  noch  sehr  viel  plausibler 
als  die  Nichtmefsbarkeit  von  Empfindungen  —  im  Jahre  1834;  und  wie- 
derum alles  vollkommen  antiquiert,  gänzlich  unfruchtbare  Spekulation  — 
im  Jahre  1860.  Ebbinohaus. 

M.  Badakovic.  Über  Fechners  Ableitungen  der  psychophysiBclLen  MaTs- 
formel.  Vierteljahr sschr,  f.  wiss.  Philos.  XIV  (1890).  S.  1—26. 
Bekanntlich  werden  gegen  die  Art  und  Weise,  wie  Fechner  aus  den 
Beobachtungsresultaten  über  eben  merkliche  Unterschiede  seine  logarith- 
mische Formel  für  die  Beziehungen  zwischen  Beizgröfsen  und  Empfin- 
dungsgröfsen  ableitete,  immer  noch  Einwendungen  erhoben.     Mit  Bezug 


Litteraturbericht  129 

hierauf  giebt  B.  einerseits  eine  eingehende  und  sorgfältige  Diskussion 
der  Voraussetzungen,  welche  den  drei  verschiedenen  von  Fbohnbb  gege- 
benen Ableitungen  unausgesprochen  zu  Grunde  liegen,  und  versucht 
andrerseits,  um  mancherlei  hierbei  sich  ergebende  Bedenken  zu  ver- 
meiden, eine  neue  und  strenge  Ableitung.  Unter  den  Annahmen,  dafs 
die  Funktion,  welche  die  Abhängigkeit  der  Empfindung  von  den  Beizen 
ausdrückt,  stetig  und  differenzier  bar  ist,  sowie  dafs  sie  zwischen  ihrem 
Anfang  und  Ende  keine  Maxima  und  Minima  hat,  sondern  ununterbrochen 
zunimmt,  gelangt  er  zu  der  logarithmischen  Formel  mit  Hilfe  des  Tat- 
LOBSchen  Satzes,  in  einer  Weise,  die  eine  verkürzte  Darstellung  nicht 
zxdäfst.  Ebbinohaüs. 

H.  MüNSTERBBBo.  Beltr&ge  zur  experlmezitellen  Psychologie.  Heft  2 
Freiburg  i.  B.,  Mohr,  1889.  234  S.  Jt  4. 
Der  Vexfasser,  Privatdocent  der  Philosophie  in  Freiburg,  teilt  in 
den  „Beiträgen*'  die  Besultate  von  experimentellen  Untersuchungen  mit, 
die  er  in  seinem  Privatlaboratorium  ausgeführt  hat.  Die  sämtlichen 
Untersuchungen  sollen  ein  gemeinschaftliches  Ziel  haben  in  der  Be- 
kämpfung von  WuKDTs  Apperzeptionstheorie  imd  in  dem  Nachweis,  dafs 
alles,  was  dort  der  Thätigkeit  des  Bewufstseins  zugeschrieben  wird,  auf 
psychophysisch  verständliche  Veränderungen  des  Bewufstseinsinhaltes 
zurückzuführen  sei.  Dieser  Nachweis  soll  hauptsächlich  experimentell 
geführt  werden.  —  Nun  enthalten  zwar  die  bis  jetzt  vorliegenden  Hefte 
wertvolle  Versuchsthatsachen,  leider  aber  auch  eine  grofse  Zahl  wenig 
oder  gar  nicht  begründeter  Theorien,  welche  die  Hauptstütze  der  Beweis- 
führung des  Verfassers  bilden.  In  dem  hier  folgenden  Beferate  über 
den  Inhalt  des  zweiten  Heftes  beschränkt  sich  Beferent  auf  die  Anfüh- 
rung der  Versuchsthatsachen  und  der  Hauptpunkte  der  theoretischen 
Erörterungen. 

Die  erste  Abhandlung  ^^Der  Zeitsinn^^  beschäftigt  sich  mit  den  Grund- 
lagen der  Vergleichung  von  Zeitintervallen«  Der  Verfasser  will  durch 
Selbstbeobachtung  festgestellt  haben,  dais  die  Grundlage  für  alles  Zeit- 
schätzen Spannungsempfindungen  bilden,  und  zwar  sollen  diese  Spannungs- 
empfindungen in  den  Muskeln  der  verschiedensten  Organe  dadurch  her- 
vorgerufen werden,  dafs  sich  die  Aufmerksamkeit  den  das  Zeitintervall 
begrenzenden  Eindrücken  zuwendet  Jeder  Eindruck  rufe  reflektorisch 
Muskelkontraktionen  hervor,  welche  eine  Adaptation  des  Sinnesorganes 
und  dadurch  ein  Deutlicherwerden  der  Empfindung  bewirkten.  Der 
Eintritt  der  so  entstehenden  Spannungsempfindungen  und  des  Deut- 
licherwerdens der  Empfindung  sei  die  Aufmerksamkeit  selbst.  —  Von 
der  Aufmerksamkeit  als  einem  besonderen  inneren  Vorgange  könne  er 
-durch  Selbstbeobachtung  nichts  wahrnehmen  und  einen  über  dem  psy- 
chophysischen  Mechanismus  schwebenden  rein  geistigen  Faktor  dürfe 
man  nicht  annehmen.  Wenn  nun  noch  während  des  Vorhandenseins 
•der  vom  ersten  Eindrucke  ausgelösten  kontinuierlich  abnehmenden 
Spannungsempfindung  der  zweite  das  Intervall  begrenzende  Eindruck 
eintrete,  so  habe  man  an  der  Intensität  der  Spannungsempfindung  ein 
MalB  für  die  Gröfse   der  Zwischenzeit.    Da   man   ferner  voraus  wüfste, 

Zeitschrift  f&r  Piychologie.  ^ 


130  LittenUwrherickL 

dafs  auf  den  ersten  Eindruck  ein  das  Intervall  abschlieisender  zweiter 
Eindruck  folge,  so  rufe  das  Vorstellungsbild  dieses  Eindruckes  eine  vor- 
bereitende Muskelspannung  hervor,  die  beginne,  sobald  die  vom  ersten 
Eindrucke  herrtüirende  Spannung  verschwunden  seL  Die  Intenatät,  welche 
diese  Spannungsempfindung  in  dem  Moment  erreicht  habe,  wo  der  zweite 
Eindruck  eintreffe,  diene  dann  als  Grundlage  f&r  die  Schätzung  etwas 
gröüiserer  Zeiten«  Dem  Übelstande,  der  durch  die  zeitliche  Grenze  der 
Zunahme  der  vorbereitenden  Spannung  entstehe,  helfe  dann  die  Atmung 
ab.  Mit  jeder  Exspiration  lasse  die  Spannungsempfindung  nach,  mit  jeder 
Inspiration  nehme  sie  wieder  zu,  so  dafs  auch  grOlsere  Zeiträume  durch 
die  periodisch  zu-  und  abnehmenden  Spannungsempfindungen  ausgeftdlt 
seien.  Auf  diese  Periodicität  sucht  dann  der  Verfasser  das  für  den  kon- 
stanten Fehler  von  einigen  Beobachtern  gefundene  Periodicitätsgesetz 
zurückzuführen,  wobei  er  noch  die  Hülfsannahme  macht,  dafs  die  Beob- 
achter die  Einatmung  und  Ausatmung  durch  stoüsartiges  Absetzen  und 
Wiederansetzen  in  mehrere  Abteilungen  zerlegt  hätten« 

Das  Bisherige  sind  nur  die  Hauptpunkte  der  langen  theoretischen 
Erörterungen,  welche  den  gröDsten  Teil  der  Abhandlung  einnehmen. 
Hervorgehoben  sei  nur  noch  die  sonderbare  Behauptung,  dals  ebenso 
wie  bei  der  Augenmaisschätzung  eine  Synthesis  von  Gesichts-  mit  Muskel- 
empfindungen vorliege,  so  auch  „die  Zeitvorstellung  eine  Synthese  ans 
der  Wahrnehmung  der  die  Zeitteile  abgrenzenden  äuüseren  Eindrücke 
imd  den  an  Intensität  zu-  und  abnehmenden  Muskelspannungsempfin* 
dimgen^  sei. 

Einige  nach  der  Methode  der  mittleren  Fehler  angestellten  Versuchs- 
reihen, welche  der  Verfasser  zum  SchluTs  mitteilt,  sollen  den  EinfiuTs 
der  von  den  Atemzügen  abhängigen  Spannungen  xmd  Entspannungen  auf 
unsere  Zeitschätzung  beweisen.  Er  fand  bei  zwei  parallelen  Versuchsreihen, 
mit  Zeiten  von  6 — 60  Sekunden,  bei  deren  einer  das  zweite  Signal  vom 
Assistenten  inmier  so  angegeben  wurde,  dafs  es  in  derselben  Atmungs- 
phase der  Versuchsperson  eintrat  wie  das  erste,  während  bei  der  anderen 
vom  Assistenten  keine  Bücksicht  auf  die  Atmung  der  Versuchsperson 
genommen  wurde,  dafs  bei  der  ersteren  der  mittlere  Fehler  wesentlich 
geringer  war.  Femer  konnte  er  auch  sicher  schätzen,  wenn  er  das  Inter- 
vall mit  Spannungen  und  Entspannungen  der  Aufmerksamkeit  ausflülte, 
die  von  der  Bespiration  unabhängig  blieben. 

Referent,  welcher  sich  ebenfalls  mit  Untersuchungen  über  den  Zeit- 
sinn beschäftigt  hat,  kann  die  Anschauungen  des  Verfassers  nur  zum 
kleineren  Teil  bestätigen.  Im  allgemeinen  hat  derselbe  wesentlich  andere 
Resultate  erhalten,  woüber  derselbe  an  anderer  Stelle  ausführlich  be- 
richten wird« 

Die  zweite  Abhandlung  „Schwankungen  der  Aufmerksamkeit*'  soll 
nachweisen,  dafs  die  Intermissionen  eben  merkbarer  Empfindungen,  welche 
N,  Lange  hinsichtlich  ihres  zeitlichen  Verhaltens  .näher  untersucht  hat, 
nicht  central  durch  Schwankungen  der  Apperzeption,  sondern  peripher 
bedingt  sind.  Der  Verfasser  hat  neue  Versuche  angestellt  und  zwar  hat 
er  sich  schwacher  Lichtreize  (eben  merkbarer  grauer  Ring  auf  dem 
weiTsen  Hintergrunde   einer  Drehscheibe)   bedient,   weil   bei  Lichtreizen 


Litteraturbericht  131 

die  Bedingungen  der  Beobachtung  sich  mannigfaltiger  variieren  lassen 
als  bei  Schallreizen.  Es  ergaben  sich  folgende  Besultate  an  einer  und 
derselben  Versuchsperson:  1.  Bei  einfacher  Beobachtung  des  Ringes  war 
die  mittlere  Zeit  einer  Schwankung  6,9  Sekunden.  2.  Wurden  der  Ver- 
suchsperson in  regelmäfsigen  Intervallen  von  je  2  Sekunden  zwei  gleich 
gerichtete  Prismen  vor  die  Augen  gehalten  und  wieder  weggenommen, 
wodurch  alle  2  Sekunden  eine  seitliche  Bewegung  der  Augen  hervorge- 
rufen wurde,  so  dauerte  eine  Schwankung  durchschnittlich  11—14  Sekun- 
den. 3.  Schlofs  die  Versuchsperson  in  Intervallen  von  1  oder  2  Sekunden 
fQr  einen  Moment  kräftig  die  Augenlider,  so  trat  ein  Abschwellen  bis 
zum  Verschwinden  überhaupt  nicht  ein.  Wurde  dagegen  in  gleichen 
Intervallen  für  einen  Augenblick  die  fixierte  Fläche  durch  ein  graues 
Kartonblatt  verdeckt,  so  wurden  die  Schwankimgen  noch  häufiger  als 
bei  normalem,  ununterbrochenem  Fixieren.  4.  Bei  Fixation  eines  blanken 
Schraubenknopfes  in  der  Mitte  der  Scheibe  und  Beobachtung  des  grauen 
Ringes  im  indirekten  Sehen  war  die  Periode  der  Schwankungen  ver- 
längert (8,2  Sekunden).  5.  Wurde  der  ganze  Apparat  langsam  hin  und 
her  bewegt,  so  hörten  die  Intermissionen  ganz  auf.  6.  Willkürliche  Be- 
schleunigung oder  Verlangsamung  der  Atmung  zeigte  sich  von  Einflufs 
auf  die  Dauer  der  Schwankungen. 

Die  Ursache  der  Schwankungen  soll  nun  in  den  Fixations-  und 
Accomodationsmuskeln  der  Augen  liegen.  Da  bei  dem  minimalen  Hellig- 
keitsunterschiede zwischen  Ring  und  Umgebung  ein  exaktes  Fixieren 
und  eine  genaue  Accomodation  erforderlich  sei,  so  sei  die  anzuwendende 
Mnskelspannung  relativ  stark  und  rufe  rasch  eine  von  den  Muskeln  aus- 
gehende Ermüdungsempfindung  hervor,  welche  als  Reiz  zur  Entspannung 
der  Muskeln  wirke.  Nach  kurzer  Zeit  werde  dann  dieser  Ermüdungsreiz 
stärker  als  der  Erregungskomplex  (welcher  zusammengesetzt  sei  aus  den 
von  der  Scheibe  ausgehenden  Reizen  und  aus  den  dem  Gedanken  des 
Fixierensollens  entsprechenden  Erregungen)  und  bewirke  so  eine  Ent- 
spannung der  Muskeln.  Infolge  der  Entspannung  höre  aber  der  Ermü- 
dungsreiz auf  imd  der  ursprüngliche  Erregungskomplex  gewinne  wieder 
die  Oberhand  u.  s.  w.  Charakteristisch  für  die  Art  und  Weise,  wie  der 
Verfasser  aus  dieser  seiner  Anschauung  die  von  ihm  gefundenen  That- 
sachen  abzuleiten  sucht,  ist  die  Annahme,  durch  momentanes  kräftiges 
Zudrücken  des  Lides  werde  die  durch  gleichmäfsige  Spannung  entstehende 
Ermüdung  des  Accomodationsmuskels  beseitigt. 

In  analoger  Weise  sollen  dann  auch  die  Schwankungen  minimaler 
Gehörsreize  zu  erklären  sein.  Die  Schwankungen  der  durch  elektrische 
Reize  ausgelösten  Empfindungen,  welche  wohl  schlecht  zu  der  Theorie 
des  Verfassers  passen  dürften,  werden  nicht  berührt. 

In  der  dritten  Abhandlung  „Augenmafs"  bringt  der  Verfasser  neues 
Material  zur  Begründung  der  vielfach  ausgesprochenen  Ansicht,  nach 
welcher  das  Augenmafs  seine  Grundlage  in  den  Muskelempfindungen  hat. 
Der  Verfasser  hat  20  (XX)  Versuche  über  das  Augenmafs  nach  einer  Modi- 
fikation der  Methode  der  mittleren  Fehler  mit  mannigfacher  Variation 
der  Versuchsumstände  angestellt,  um  zu  zeigen,  dafs  alles,  was  die 
Muskelbewegung  erschwert,  bez.   erleichtert,  die  scheinbare  Gröfse  der 

9* 


132  Litteratwhericht 

durchmessenen  Distanz  vermehrt,  bez.  vermindert.  Verglichen  wurden 
Pnnktdistanzen  (10,  20,  30  ....  200  mm),  welche  durch  weifse  Quadrate 
von  1  mm  Seite  auf  einer  dunkelgrünen  Fläche  markiert  waren  und  aus 
einer  Entfernung  von  600  mm  betrachtet  wurden.  Die  so  unter  den 
verschiedenen  Versuchsbedingungen  erhaltenen  Resultate  vermag  der 
Verfasser  zwar  nicht  im  einzelnen  mit  Hilfe  der  Annahme  von  Muskel- 
empfindimgen  zu  erklären,  glaubt  aber  doch  im  allgemeinen  aus  den 
Resultaten  schlieüsen  zu  können,  dafs  die  Bewegung  der  Augen  einen 
entscheidenden  EinfluTs  auf  die  Schätzung  ausübt.  Die  Hauptresultate 
sind  folgende:  1.  Die  links  liegende  Strecke  wurde  im  Verhältnis  zu  der 
rechts  liegenden  Strecke  konstant  überschätzt.  Der  Verfasser  bringt 
dies  mit  der  Thatsache  in  Zusammenhang,  daüs  wir  beim  Lesen  und 
Schreiben  gewohnt  sind  die  Augen  von  links  nach  rechts  zu  bewegen. 
2.  Beim  monokularen  Sehen  ergab  sich  im  Gegensatze  zu  dem  von  Ku¥DT 
erhaltenen  Resultate,  dafs  das  rechte  Auge  die  rechte  Seite,  das  linke 
Auge  die  linke  Seite  überschätzte.  3.  Wurden  Normal-  imd  Vergleichs- 
distanz dem  Auge  successive  geboten,  so  wurde  die  Normaldistanz  im 
allgemeinen  überschätzt.  4.  Beim  successiven  Schätzen  zeigte  sich  im 
Gegensatze  zum  simultanen  Schätzen,  dafs  Linien  im  Vergleich  mit 
Punktdistanzen  nicht  überschätzt  wurden.  5.  Beim  Vergleichen  von 
Linien  wurde  die  Vergleichslinie  überschätzt.  6.  Senkrechte  Distanzen 
wurden  gegenüber  horizontalen  nur  unter  drei  Bedingungen  überschätzt. 
Es  mufsten  erstens  Punktdistanzen  sein,  zweitens  muTste  die  Vertikale 
den  rechten  Winkel  zur  Horizontalen  nach  oben  hin  bilden  und  drittens 
mufsten  beide  Augen  sich  frei  bewegen.  Die  Täuschung  hörte  auf,  wenn 
beide  Augen  den  Eckpunkt  des  rechten  Winkels  fixierten.  Ferner  v^nirden 
nur  kleine  vertikale  Linien  im  Verhältnis  zu  den  horizontalen  überschätzt, 
bei  gröfseren  Distanzen  fand  das  Umgekehrte  statt.  7.  Bei  den  simul- 
tanen Schätzungsversuchen  mit  bewegten  Augen  schwankte  der  mittlere 
Fehler  zwischen  1,1%  und  2,3%,  dagegen  bei  den  Versuchen  mit  fixierten 
Augen  zwischen  3,7  7o  und  4,9^7o.  In  diesem  Resultate  sieht  der  Verfasser 
einen  Hauptbeweis  für  seine  Ansicht.  8.  Das  WKBEBSche  Gesetz  ervdes 
sioh  als  annähernd  giltig. 

Diese  Thatsachen  sind  zwar,  wenigstens  wenn  sie  allgemeinere  Giltig- 
keit  haben  (was  allerdings  erst  noch  zu  erweisen  ist),  sehr  interessant 
imd  wertvoll,  aber  keineswegs  beweisend  für  die  Ansicht  des  Verfassers. 
Ein  Einflufs  der  Augenbewegung  auf  die  Gröfsenschätzung  mufs  aller- 
dings wohl  angenommen  werden;  daraus  folgt  aber  nicht  ohne  weiteres, 
dafs  die  Muskelempfindung  die  Grundlage  des  Augenmafses  bildet.  Gegen 
die  letztere  Annahme  sprechen  vielmehr  eine  Reihe  von  Gründen  (vgl. 
z.  B.  G.  E.  Müller  und  Schümann,  „Pflügera  Arch.*',  46,  S.  82  AT.),  welche 
der  Verfasser  gar  nicht  erwähnt  hat. 

Li  der  vierten  Abhandlung :  „Der  Raumsinn  des  Ohres"  vertritt  der 
Verfasser  diejenige  Ansicht,  welche  die  Wahrnehmung  der  Schallrichtung 
durch  die  Bogengänge  vermittelt  werden  läfist.  Von  den  Bogengängen 
aus  sollen  Bewegungen  des  Kopfes  und  seiner  Teile  hervorgerufen  werden, 
durch  welche  das  Auge,  bez.  die  Nase  dem  Reize  zugewendet  wird.  Die 
so  auslösbaren  Kopf  bewegungen   sollen  dann  mittelst  des  Muskelsinnes 


lAtteraturbericht  183 

ein  „dreifach  mannigfaltiges  System  von  Bewegungsempfindungen''  her- 
vorrufen, welches  die  Grundlage  unseres  Gehörraumes  bilde.  Ein  grofser 
Vorzug  dieser  Theorie  ergebe  sich  aus  dem  Umstände,  dafs  sie  auch  die 
bei  Beizung  der  Bogengänge  an  Tieren  beobachteten  Kopfbewegungen 
zu  erklären  vermöge.  Femer  sucht  der  Verfasser  seine  Theorie  zu  unter- 
stützen durch  Besultate,  welche  derselbe  bei  Bestimmung  der  eben  merk- 
lichen Bichtungsänderung  eines  Schalles  nach  der  Methode  der  Minimal- 
änderungen erhalten  hat.  Bei  diesen  Versuchen  fand  die  Verschiebung 
der  Schallquelle  auf  Kreisen  von  1  m  Badius  statt,  deren  Mittelpunkt 
in  der  Mitte  der  Verbindungslinie  der  beiden  Trommelfelle  der  Versuchs- 
person angenommen  wurde,  und  zwar  hat  sich  der  Verfasser  auf  die  in 
der  Horizontalebene,  vertikalen  FrontfJebene  und  vertikalen  Medianebene 
liegenden  Elreise  beschränkt.  Diese  3  Kreise  schneiden  sich  in  6  Punkten, 
die  wir  hier  der  Kürze  halber  als  den  oberen  und  unteren,  vorderen  und 
hinteren,  rechten  und  linken  Hauptpunkt  bezeichnen  wollen.  Für  den 
Horizontalkreis  ergab  sich  nun,  dafs  die  eben  merkbare  Bichtungsänderung 
eines  Geräusches  von  vom  nach  hinten  regelmäfsig  zunahm,  und  zwar 
waren  die  Ergebnisse  für  beide  Seiten  fast  genau  symmetrisch.  Das 
Minimum  war  ca.  1^,  das  Maximum  ca.  6^.  Im  vertikalen  Frontalkreis 
lagen  Minima  der  eben  merklichen  Bichtungsänderung  an  den  4  Haupt- 
punkten dieses  Kreises,  Mazima  in  der  Mitte  zwischen  diesen  Punkten. 
Für  den  vertikalen  Mediankreis  ergaben  sich  3  Minima:  das  eine  lag  in 
der  Mitte  zwischen  dem  vorderen  und  dem  unteren  Hauptpunkte,  die 
beiden  anderen  bei  dem  oberen  \ind  dem  hinteren  Hauptpunkte.  War 
femer  das  rechte  Ohr  verschlossen,  so  zeigte  sich  im  Horizontälkreise 
allgemein  eine  Zunahme  der  eben  merkbaren  Bichtungsänderung  und 
besonders  natürlich  an  der  rechten  Seite.  Über  den  Einflufs  der  Ohr- 
muscheln auf  das  Lokalisieren  gaben  schliefslich  noch  die  folgenden 
Versuchsreihen  Aufschlufs.  Bei  der  ersten  wurde  die  Aufsenseite  beider 
Ohrmuscheln  durch  eine  dicke  aufgeklebte  Wachskappe  aufser  Funktion 
gesetzt.  Es  trat  in  diesem  Falle  eine  Erhöhung  der  Lokalisationsschwelle 
nur  für  Geräusche,  die  von  vom  kamen,  ein.  Bei  der  zweiten  Versuchs- 
reihe wurden  die  Ohrmuscheln  ebenfalls  mit  Wachs  beklebt  und  zugleich 
die  Hände  gewölbt  über  den  Eingang  des  Ohres  gehalten,  zuerst  nach 
hinten  offen,  dann  nach  vom.  Im  ersteren  Falle  sank  die  Unterschieds- 
schwelle hinten,  im  zweiten  Falle  vom  tiefer  als  bei  funktionierenden 
Ohrmuscheln. 

Diese  Besultate  sollen  nun  nach  dem  Verfasser  leicht  aus  der  obigen 
Theorie  abgeleitet  werden  können,  den  anderen  Hypothesen  über  den 
Batunsinn  des  Ohres  dagegen  widerstreiten.  So  soll  z.  B.  das  für  den 
Horizontalkreis  gewonnene  Besultat  eine  Folge  der  regelmäfsigen  Zu- 
nahme der  Intensität  der  Bewegungsempfindung  vom  vorderen  zum 
hinteren  Hauptpunkte  sein,  da  ja  mit  der  Zunahme  der  Intensität  auch 
die  eben  merkbare  Intensitätsänderung  zunehme. 

F.  Schumann  (Göttingen). 


134  LitteraturberichU 

W.  Uhthoff.    Weitere  üntenucliiuiceii  fiber  die  Abh&ngigkeit  der  Seh- 
ecUrfe  Ton  der  Intensit&t,  sowie  Ten  der  Wellenl&nge  im  Spekfemm. 

Gräfes  Arch.  f.  Opkfhtüm.    Bd.  XXXVI.  (1.) 

Frühere  Versuchsreihen  desselben  Verfassers  {Gräfes  Arch,  Bd. 
XXXn  [1])  bezogen  sich  bereits  auf  die  Abhängigkeit  der  Sehschärfe 
von  der  Lichtintensität.  Damals  wurden  aber  die  Bestimmungen  der 
Sehschärfe  entweder  bei  weLGsem,  d.  h.  alle  Wellenlängen  des  sichtbaren 
Spektrums  enthaltendem  Lichte  oder  solchem  Lichte,  welches  von  £Etr- 
bigen  Pigmenten  reflektiert  war,  ausgeführt.  Die  wesentlichen  Mängel 
dieser  letzten  Versuchsreihen  bestanden  darin,  dafs  auch  bei  den  besten 
farbigen  Pigmenten  niemals  von  spektraler  Reinheit  der  Farben  die  Bede 
sein  kann  und  dafs  vor  allem  bei  Grün  imd  Blau  nur  geringe  Intensität 
zu  erzielen  ist. 

Es  wurde  bei  den  jetzigen  Versuchen  vermittels  eines  Hohlprismas 
von  ungefähr  12  cm  Durchmesser,  welches  mit  zinmitsaurem  Äthyläther 
gefüllt  war,  und  einer  entsprechenden  achromatischen  Linse  ein  Spektrum 
entworfen.  In  der  Ebene  des  Spektrums,  die  etwa  2V>  m  von  der  Linse 
entfernt  war,  befand  sich  ein  Schirm,  der  eine  kreisrunde  öffiiung 
von  2  mm  Durchmesser  enthielt.  Blickte  man  nun  durch  diese  Öffnung 
gegen  die  Linse  hin,  so  sah  man  diese  als  eine  runde  Fläche  von  unge- 
fähr 2^  scheinbarem  Durchmesser,  erleuchtet  in  derjenigen  Spektralfarbe, 
welche  durch  die  kleine  Offiiung  hindurch  in  das  Auge  gelangte.  Indem 
man  den  Schirm  verschob,  konnte  jeder  Teil  des  Spektrums  eingestellt 
werden.  Diese  Öffnung  und  die  genannte  Linse  war  durch  eine  Gleitbahn 
verbunden,  auf  der  die  in  Stanniol  ausgeschlagenen  und  zwischen  zwei 
Glasplatten  festgeklemmten  Sehzeichen  in  der  altem  SNELLENSchen  Form 
hin-  und  her  geschoben  werden  konnten.  Als  Lichtquelle  diente  meistens 
ein  Triplex-Gasbrenner,  Die  Änderung  der  Intensität  geschah  durch 
Änderung  der  Breite  des  dicht  vor  dieser  Lampe  stehenden  Spaltes. 

Die  Versuche    und  die  durch  sie  erhaltenen  Ergebnisse   lassen    sich 
in  zwei  Hauptgruppen  sondern. 

1»  An  sechs  verschiedenen  Stellen  im  Spektrum  und  zwar  bei  den 
Wellenlängen  670 /i^,  605 /li^,  575 /«/«,  505 /i^,  470 /i^  und  430  fifA  wurde 
von  der  kleinsten  noch  sicher  mefsbaren  bis  zu  der  gröüsten  in  Bezug 
auf  die  Beinheit  des  Spektrallichtes  noch  zulässigen  Spaltbreite  die 
Intensität  variiert  und  die  Sehschärfe  bestimmt. 

Die  Sehschärfe  stieg  bei  zunehmender  Intensität  anfänglich  sehr 
schnell,  dann  langsamer,  bis  sie  sich  endlich  asymptotisch  einem  kon- 
stanten Werte  näherte,  der  aber  (bei  Benutzung  des  Gasbrenners)  kaum 
in  den  hellsten  Teilen  des  Spektrums  erreicht  wurde.  Dieser  Verlauf 
stimmte  völlig  überein  mit  dem  früher  bei  Weifs  und  bei  rotem  und 
gelbem  Lichte  erhaltenen.  Von  den  jetzt  gefundenen  Besultaten  seien 
die  auf  Licht  von  der  Wellenlänge  605  fifjt  bezüglichen  als  Beispiel  ange- 
geben. Die  Sehschärfe  ist  hier  in  der  bekannten  und  allgemein  benutzten 
SKELLENschen  Einheit  gemessen.  (Es  ist  hier  also  schon  eine  Umrechnung 
der  mit  den  altern  Zeichen  direkt  als  Versuchsergebnisse  gewonnenen 
Zahlen  auf  die  jetzt  übliche  Einheit  ausgeführt.) 


Litteraturhericht 

Intensität 

Sehschärfe 

Intensität 

Sehschärfe 

0.5 

0.40 

10 

2.10 

1 

1.24 

40 

2.26 

2 

1.65 

60 

2.32 

4 

1.83 

80 

2.35 

6 

1,98 

100 

2.37 

8 

1.99 

135 


Die  für  die  Sehschärfe  aDgegebenen  Werte  sind  stets  die  Mittel 
aus  mehreren  £inzelbeobachtungen. 

2.  Aufserdem  wurde  noch  bei  konstanter  Spaltbreite  an  einer 
gröfseren  Anzahl  von  Stellen  im  Spektrum  die  Sehschärfe  bestimmt. 
Indem  man  nun  die  Wellenlängen  als  Abscissen  und  die  erhaltenen  Seh- 
schärfen als  Ordinaten  aufzeichnet,  erhält  man  eine  Kurve,  die  man 
wohl  als  Intensitätskurve  des  benutzten  Spektrums  bezeichnen  könnte, 
falls  die  relative  Höhe  der  Ordinaten,  d.  h.  die  Gestalt  der  Kurve  unab- 
hängig von  der  benutzten  Spaltbreite  wäre.  Dieses  ist  aber,  wie  schon 
aus  den  unter  1.  angefahrten  Versuchsergebnissen  und  der][Thatsache, 
dafs  die  Gröfse,  welcher  sich  die  Sehschärfe  bei  steigender  Intensität 
asymptotisch  nähert,  f&r  alle  Wellenlängen  mit  sehr  grofser  Annäherung 
die  gleiche  ist  (was  durch  Benutzung  von  Knallgaslicht  gefunden  wurde), 
vorauszusehen  ist,  nicht  der  Fall;  denn  verringert  man  die  Intensität 
des  gesamten  Spektrums,  so  sinkt  der  bei  normalen  Farbensystemen  im 
Gelben  liegende  Gipfel  der  Kurve  relativ  weniger,  als  die  übrigen  Teile 
der  Kurve;  dadurch  wird  diese  immer  spitzer  und  es  zeigt  sich  nun, 
dafs  ihre  Gestalt  stets  ähnlicher  wird  derjenigen  Kurve,  welche  früher 
Brodhün*  durch ^Yergleichung  der  Helligkeit  nach  ihrem  rein  subjek- 
tiven Eindruck  gewonnen  hat.  Es  ist  zu  erwarten,  dafs  sie  bei  noch 
g^eringeren  Intensitäten,  als  sie  ühthoff  aus  äufseren  Gründen  be- 
nutzen konnte,  völlig  damit  zusammenfällt.  Brodhük  hat  fernerhin 
gefunden,  dafs  die  Helligkeitskurve  des  Spektrums  bei  sogenannten 
Grünblinden  fast  zusammenfällt  mit  derjenigen,  welche  den  Besitzern 
normaler  trichr  omatisch  er  Farbensysteme  zukommt,  dafs  hingegen  so- 
genannte Botblinde  eine  wesentlich  anders  gestaltete  Kurve  erhalten. 
Uhthoff  hat  nun  eine  Beihe  von  Sehschärfenbestimmungen  sowohl 
bei  einem  „Grünblinden"  wie  auch  bei  einem  „Rotblinden"  vorgenommen 
und  auch  hier  gefunden,  dafs  die  Kurve  der  Sehschärfe  in  der  er- 
wähnten Weise  mit  derjenigen  der  Helligkeitsschätzung  im  Zusammen- 
hang steht. 

Die  folgende  Tabelle  giebt  für  Uhthoff  selbst  (normales  trichro- 
matisches  Farbensystem)  und  den  untersuchten  „Rotbünden"  die  erhal- 
tenen Resultate  an. 

Es  sind  darin  die  Intensitäten  Ji  >  Jii  >  Jiii  >  Jiy» 


^  Broobuk:    Beih'äge   zur  Farbenlehre.     Inaugural-Dissertation.     Ber- 
lin 1887. 


136 


JJtiarttiwbenckt. 

8  e 

hschärfe 

Wellenlinse 

nonnftl 

„nrtbliiMr* 

Jl 

Ju 

/in 

Jiv 

JlV 

660 /</i 

1.92 

1.03 

0.28 

— 

645„ 

2.09 

1.41 

0.77 

0.28 

0.16 

620  „ 

2.12 

1.66 

0.96 

0.45 

0.33 

605„ 

2.16 

1.71 

1.04 

0.47 

0.39 

690  „ 

2.17 

1.74 

1.02 

0.43 

0.40 

575  „ 

2.17 

1.73 

0.9S 

0.37 

0.41 

660„ 

2.1B 

1.65 

0.89 

0.33 

— 

545, 

2.09 

1.54 

0.74 

0.28 

0.35 

525, 

2,02 

1.40 

0.48 

0.20 

0.23 

505„ 

1.88 

1.11 

0.34 

0.17 

490, 

1.66 

0.87 

0.20 

— 

470, 

1.38 

0.53 

— 

— 

460  , 

1.17 

0.32 

— 

430  » 

0.89 

_ . 

— . 

Zwei  KurventÄfeln,  in  denen  die  erhaltenen  Werte  graphisch  ein- 
getragen änd,  veranschaulichen  die  Ergebnisse  in  sehr  übersichtlicher 
Weise.  Aufser  der  Darstellung  der  eigenen  Versuche  giebt  der  Verfasser 
an  mehreren  Stellen  auch  noch  kurze  historische  Bückblicke  auf  das 
vor  ihm  von  andern  Beobachtern  auf  demselben  oder  benachbarten  Ge- 
biete Gefundene.  Abthub  König. 

Prompt.    Bemarqnes  snr  la  Bensatloii  dn  relief  d'apres  ime  intöressant« 
illnsion  d'optiQlie.    Archives  de  PhysioL  1890  (I).  S.  59—67. 

Die  neuhergestellte  (gegen  Westen  gerichtete)  Fassade  des  Doms 
von  Florenz  trägt  als  Bekrönung  eine  Balustrade,  wie  der  ganze  Bau 
aus  weifsem  Marmor,  in  welcher  zur  Verzierung  rosettenartige  Figuren 
ausgeschnitten  sind.  An  diesen  beobachtet  Verfasser  folgende  Täuschung. 
Stellt  man  sich  am  Nachmittage  so,  dais  man  durch  die  Bosetten 
hindurch  den  dahinterliegenden  blauen  Himmel  erblickt,  so  ist  es 
unmöglich,  anschaulich  zu  sehen,  dafs  man  es  mit  Löchern  zu  thun 
hat.  Man  kann  natürlich  in  abstracto  diese  Vorstellung  festhalten, 
aber  der  sinnliche  Anblick  ist  der  einer  soliden  Balustrade,  in  welche 
blaue  Mosaiken  eingesetzt  sind,  die  mit  dem  weifsen  Grunde  in  einer 
^bene  hegen.  Beobachtet  man  dagegen  am  Vormittage,  so  ist  die  Illu- 
sion verschwunden  und  schlechterdings  nicht  wiederzugewinnen;  man 
sieht  jetzt  ebenso  anschaulich  eine  durchbrochene  Balustrade  vor  dem 
entfernteren  Himmelsgrunde.  Als  Ursache  der  Erscheinung  erkennt  Ver- 
fasser zunächst  die  verschiedenen  Helligkeitsverhältnisse.  Der  Beschauer 
sieht  von  Westen  gegen  den  Osthimmel.  Am  Vormittage  ist  dieser 
relativ  hell  und  weifslich-blau,  während  die  Domfront  im  Schatten  liegt; 
am  Nachmittage  empfängt  die  Fassade  direktes  Sonnenlicht  tind  der  Ost- 
himmel ist  relativ  dunkel.  Solche  Helligkeitsverschiedenheiten  aber 
sind,  wie  Verfasser  unter  Bezugnahme   auf  eine   früher  von   ihm  aufge 


LüteraturberichL  137 

stellte  Theorie  behauptet,  mafsgebend  für  die  Art,  wie  wir  bei  grOfseren 
Entfemungen  Belief  sehen.  Eine  weifse  Figur  auf  dunklerem  Grunde 
sehen  wir  nach  ihm  regelmäfsig  losgelöst  von  ihrem  Grunde  und  sich 
abhebend,  eine  dunklere  Figur  auf  hellerem  Grunde  dagegen  ebenso 
regelmäfsig    nicht   losgelöst,    sondern   in    der  Ebene   ihrer    Umgebung 

^^^^^^'  Ebbinohaüs. 


EüDOLPH  KöKio.  über  Stöfse  nnd  Stofstöne  zweier  in  denuielbeii  Körper 
erregten  Schwingnngsbewegangen.  Wiedemanns  Ann,  Bd.  XXXIX. 
pag.  395— 402.    (1890.) 

Im  Jahre  1876  hatte  K.  in  Pogg.  Ann.  157.  pag.  177  ff.  darauf  hin- 
gewiesen, dafs,  wenn  ein  Ton  von  der  Schwingungszahl  n  mit  einem 
Tone  h.n'\'m  gleichzeitig  erregt  wird ,  wobei  Tinter  h  eine  ganze  Zahl 
verstanden  wird  und  m-^n  ist,  zwei  Arten  von  Schwebungen  auftreten 
können.  Einmal  kann  hn+m  mit  dem  h*«^  Oberton  des  Tones  n  Schwe- 
bimgen,  deren  Anzahl  =  m,  geben,  welche  K.  „untere  Stöfse'^  nennt; 
dann  aber  auch  mit  dem  (Ä  +  l)'"»  Oberton  von  n  „obere  Stöfse",   deren 

Anzahl  =  (ä  +  1)  n  —  [hn  +  m]  =  «  —  fit  =  m*.    Ist  m  nahezu   gleich  —^ 

so  treten  obere  und  untere  Stöfse  gleichzeitig  auf;  ist  m  viel  kleiner ^ 
nur  die  unteren;  ist  es  viel  grOfser,  nur  die  oberen.  Unter  geeigneten 
Bedingungen  gehen  die  Stölse  m  und  m)  in  Stofstöne  über.  Verfasser 
weist  nunmehr  experimentell  nach,  dafs  dies  Gesetz  seine  Gültigkeit 
behält,  wenn  die  Primärtöne  nicht  von  getrennten  Tonquellen,  sondern 
von  ein  und  demselben  Körper  ausgehen.  Es  werden  hierzu  vierkantige^ 
an  den  Enden  freie  und  mit  bestimmten  Stellen  auf  zwei  Stegen  ruhende 
Metallstäbe  benutzt.  Ein  solcher  Stab  giebt,  wenn  seine  Breite  und 
Dicke  verschieden  sind  und  er  gleichzeitig  in  vertikale  und  horizontale 
Schwingungen  versetzt  wird,  bei  günstiger  Versuchsanordnung  zwei 
deutliche  Transversaltöne  nebst  Stöfsen  resp.  Stofstönen. 

Bezüglich  der  an  diese  Versuche  geknüpften,  rein  physikalischen 
Erörterungen  mufs  auf  das  Original  verwiesen  werden. 

ScHABFER  (Jena). 

Rudolph  König.  Über  Erlange  mit  nngleiclifOnnigeii  Wellen.  Wiede- 
manna  Ann,  Bd.  XXXIX.   S.  403—411.  1890. 

Giebt  man  auf  verschiedenen  musikalischen  Instrumenten  verschie- 
dene Töne  an  und  stellt  diese  mit  den  sie  begleitenden,  die  Klangfarbe 
bedingenden  Tönen  in  Form  je  einer  Klangkurve  graphisch  dar ,  so  zeigen 
nicht  selten  (infolge  der  steten  Phasenverschiebung  der  Teiltöne)  die  ein* 
zelnen  Wellen  dieser  Kurven  eine  beständig  wechselnde  Form.  Es  ist  also 
die  einheitliche  Empfindomg  des  Klanges  durchaus  nicht  an  die  Kongruenz 
der  aufeinander  folgenden  Wellen  gebunden. 

Indem  nun  K.  aus  den  Sinuskurven  je  eines  Grundtones  und  meh« 
rerer,    entweder    unrein    harmonischer    oder   unharmonischer    Teiltöne 


138  LiUeratmhencfU, 

diverse  Klangkurven  von  ungleichförmigen  Wellen  konstruierte,  am 
Bande  einer  Kreisscheibe  ausschnitt  und  diese  vor  einer  Anblasevor- 
richtung  rotieren  liefs,  fand  er,  „dais  das  Ohr  ein  Tongemisch,  welches 
aus  einem  Grundton  und  einer  Beihe  nach  der  Höhe  zu  mehr  und  mehr 
verstimmter  harmonischer  Töne  besteht,  sehr  wohl  als  einen  Klang  em- 
pfinden kann,  und  dieses  um  so  leichter  thut,  als  diese  Töne  eine  voll- 
ständigere Beihe  bilden  und  ihre  Intensitäten  sich  einer  regelmäisigen 
Abnahme  nach  der  Höhe  zu  nähern.  Befinden  sich  dagegen  in  der  Beihe 
grofse  Lücken,  oder  haben  einzelne  dieser  Töne  eine  beträchtlich  gröfsere 
Intensität  als  die  anderen,  so  verliert  das  Tongemisch  dadurch  mehr 
oder  weniger  seinen  einheitlichen  Charakter^. 

Weitere  Versuche  zeigten  dann,  dafs  kleine  willkürliche  Änderungen 
der  Kurven,  wenn  nur  die  Grundform  der  Wellen  intakt  bleibt,  die  Bil- 
dimg des  Klanges  nicht  hindern.  —  Einen  Ellang  liefern  auch  aufeinan- 
derfolgende Wellen  von  sehr  verschiedener  Form,  wenn  sie  gleich  lang 
sind,  ihre  Amplituden  sich  immer  wenigstens  ziemlich  gleich  bleiben, 
und  die  Verdichtungs-  und  Verdünnungsmaxima  „isochrone  Beihen  bilden". 

ScHAEFBK  (Jena)« 

W.  Preteb.  über  Kombinatioimtöiie.  Wiedemanns  Ann.  XXXVm  (1889). 
S.  131—136. 

Diese  wichtige  Arbeit  liefert  empirische  Belege  für  die  bisher  blois 
auf  theoretischen  Vorstellungen  beruhende  Annahme  (y.  Hblxholtz),  dais 
als  Entstehungsort  der  Kombinationstöne  das  Trommelfell  ansnisehen  sei. 
Dieser  Nachweis  wird  geführt  durch  Versuche  an  Personen  mit  teils 
ein-,  teils  doppelseitigem  Defekte  oder  angeborenem  gänzlichen  Mangel 
des  Trommelfelles.  Solche  Defekte  lassen  nur  die  primären  Töne  wahr- 
nehmen. Differenztöne  werden  ausnahmslos  nicht  gehört ;  wohl  aber  mit 
dem  gesunden  Ohre  bei  Einseitigkeit  des  pathologischen  Zustandes.  Für 
die  somit  bewiesene  Entstehung  der  Differenztöne  im  Trommelfelle  ist 
nur  dessen  Eigenschaft  als  „empfindliche  (belastete)  Membran'^  wesentlich, 
nicht  seine  spezifische  histiologische  Struktur.  Denn  die  Differenztöne 
werden  auch  gehört,  wenn  Narbengewebe  oder  nach  Einträufeln  von 
einigen  Wassertropfen  in  den  Gehörgang  eine  dünne  Wasserschicht  den 
Defekt  schliefst.  Unabhängig  vom  Verfasser  machte  0,'Luuui:R(^Verhandl. 
der  phys.  Ges.  7.  Juli  1886.  pag.  66  —  woselbst  auch  das  nähere  nachzu' 
lesen)  mit  Hülfe  dünner  Kautschuckmembranen  Differenztöne  objektiv 
hörbar. 

Was  die  Summati onstöne  anlangt,  so  konnte  Verfasser  experi- 
mentell die  Hypothese  widerlegen,  nach  welcher  die  Summationstöne 
Differenztöne  höherer  Ordnung  sein  sollen  [25 — (5  —  a)  =  a  +  b.].  Es 
wurden  Stimmgabeln  benutzt,  deren  Obertöne  durch  Kautschuckringe 
gedämpft  waren.  Trotzdem  wurde  der  Summationston  deutlich  wahr- 
genommen, und  damit  eine  wesentliche  Stütze  der  HELMHOLTZschen  Theorie 
gewonnen,  derzufolge  die  Summationstöne  auf  einer  objektiven  Addition 
der  Schwingungen  beruhen  müssen.  «  (l      ^ 


Litteraturbericht  139 

A.  Eichhorn.  Die  Vokalsirene,  eine  nene  Methode  der  Nachahmimg 
YOn  Vokalkl&ngen.  Wiedemanns  Am.  Bd.  XXXIX.  pag.  148-154. 
(1890.) 

Mit  Benutzung  der  von  Lahr  in  seiner  Untersuchung  über  „Die 
Grafsmannsche  Vokaltheorie  im  Lichte  des  Experimentes*'  (Wied.  Ann,  27. 
pag.  94.  1886)  gegebenen  Tabellen,  berechnete  und  konstruierte  £.  mit 
möglichster  Genauigkeit  Klangkurven  der  Vokale  a,  äj  e,  t,  o,  ö,  u,  ü. 
Jede  dieser  Kurven  —  nur  ö  und  e  kamen  bisher  nicht  zur  Prüfung  — 
ward  nach  dem  Muster  der  bekannten  KöNioschen  Wellensirene  in  pho- 
tographisch verkleinertem  Mafsstabe  etv^a  20  mal  hintereinander  am 
Eande  eines  Cy linders  ausgeschnitten;  letzterer  dann  in  Botation  ver- 
setzt und  während  derselben  durch  einen  senkrecht  zur  Fläche  gerich- 
teten Luftstrom  angeblasen.  Die  Reproduktion  der  Vokale  a  und  ä 
gelang  sehr  gut.  Weniger  deutlich  kamen  o  und  u  zu  G-ehör.  Versuche 
mit  •  aber  mifslangen  ganz,  während  an  Stelle  von  ü  ein  u-Laut  aufbrät. 
Verfasser  hofft;  indessen  bestimmt,  mit  vervollkommneten  Apparaten 
auch  bessere  Erfolge  zu  erzielen.  Schaefeb  (Jena). 

L.  Hermann.  Über  das  Verhalten  der  Vokale  am  nenen  Edisonschen 
Phonographen.    {Pflügers  Archiv,  XLVH,  1890,  S.  42—44.) 

H.  untersucht,  ob  der  Charakter  der  Vokale  sich  ändert,  wenn  sie 
mit  dem  neuen  Phonographen  bei  einer  andern  Drehgeschwindigkeit  re- 
produziert werden,  als  der  beim  Aufschreiben  verwendeten«  Er  findet, 
dafs  dies  unzweideutig  der  Fall  ist.  Bei  Steigerung  der  Beproduktions- 
geschwdndigkeit  nähert  sich  E  dem  J",  U  dem  0,  und  schliefslich  verlieren 
sich  alle  Unterschiede  der  Vokalklangfarben.  Bei  Verlangsamung  des 
Ganges  tritt  diese  Verwischung  noch  viel  früher  ein.  H.  sieht  hierin 
einen  Seweis  dafür,  dafs  wenigstens  einer  der  Hauptcharaktere  der  Vo- 
kale in  festen  und  nicht  in  relativen  Partialtönen  liegt,  d.  h.  in 
Partialtönen  von  absoluter  Tonhöhe  und  nicht  in  solchen,  die  wie  bei 
den  Klangfarben    der    Instrumente   mit   der  Höhe   des  Grundtons   sich 

ebenfalls  ändern.  -ci 

Ebbinohaus. 

H.  Deknert.  Akustiscli-physiologlsche  üntersnchnngen  nnd  Stndien, 
▼erwertet  für  die  praktische  Ohrenheilkunde.  Archiv  für  Ohrenheil- 
kunde. XXIX  (1889/90).  pag.  68-83. 

Ob  die  Schnecke  für  die  Perzeption  aller  Schalleindrücke  ausreicht, 
oder  ob  sie  ausschliefslich  der  Wahrnehmung  der  Töne  dient,  und  neben 
ihr  noch  ein  besonderer  Apparat  für  die  Wahrnehmung  von  Geräuschen 
postuliert  werden  mufs,  ist  eine  noch  immer  nicht  endgültig  entschiedene 
Präge.  Verfasser  steht  der  Annahme  eines  speciellen  Geräuschapparates 
ablehnend  gegenüber,  weil  7,der  Beweis  ftir  die  Existenz  re^iner  Geräuschs 
....  nicht  erbracht  ist'^  Die  Unhaltbarkeit  der  Auffassung,  dafs  Ge- 
rausche  und  Klänge  ganz  difierente  Schallqualitäten  sind,  darzuthun, 
ist  das  Ziel  der  vorliegenden  Untersuchung. 


140  LitteraturberidU. 

Verfasser  weist  zunächst  auf  die  Schwebungen  hin,  die  bei  einer 
gewissen  Frequenz  den  Charakter  des  Schwirrens,  Basseins,  Knarrens 
annehmen,  also  den  Charakter  von  Geräuschen.  Diese  Geräusche  werden 
aber  nicht  getrennt  von  den  schwebenden  Tönen  perzipiert,  denn  mit 
Schwerhörigkeit  —  auch  wenn  sie  nervöser  Natur  —  behaftete  Personen, 
welche  die  schwebenden  Töne  nicht  hören,  hören  auch  die  geräusch- 
artigen Schwebungen  nie. 

Seine  Untersuchungen  über  die  physikalische  Beschaffenheit  der 
zahllosen  Beibegeräusche ,  von  denen  zunächst  die  Kurve  des  Zischens 
mit  Hilfe  der  KöHioschen  Flamme  im  rotierenden  Spiegel  darzustellen 
versucht  wurde,  bezeichnet  Verfasser  als  noch  nicht  zu  völlig  befrie« 
digendem  Abschlufs  gelangt.  Indessen,  „sind  die  Komponenten  irgend 
eines  Beibungsgeräusches  periodische  Bewegungen  und  erfolgen  solche 
während  der  einzelnen  Phasen  der  Beibung  in  genügender  Anzahl  auf- 
einander, um  gehört  zu  werden,  so  wird  auch  selbstverständlich  ihre 
Auslösung  in  Teilen  des  Gehörorgans  erfolgen  müssen,  wo  die  aus  perio- 
dischen Bewegungen  sich  zusammensetzenden  Klänge  ausgelöst  werden^. 

Die  Knallgeräusche,  welche  beim  Zusammenschlagen  von  Büchern 
oder  Händen,  beim  Herausschleudern  von  Korken  aus  Windbüchsen  und 
bei  anderen  Gelegenheiten  entstehen,  zeigen  alle  im  rotierenden  Spiegel 
unter  Anwendung  der  KöKioschen  Kapsel  mehrere  Wellen.  Aus  diesem 
Grunde,  und  zumal  da  die  Anzahl  der  wirklich  auftretenden  Wellenbe- 
wegungen mit  grofser  Wahrscheinlichkeit  die  der  sichtbaren  noch  über- 
trifft, dürfte  zuzugeben  sein,  dafs  „die  Bedingungen  für  eine  Schallper- 
zeption  vorhanden  sind,  ohne  die  Annahme  eines  besonderen  Geräusch- 
apparates^^ 

Durch  Kombination  von  Tönen  verschiedener  Qualität  und  Schwin- 
gungsdauer mit  Zuhülfenahme  von  Schwebungen  gelang  es  dem  Verfasser 
die  verschiedensten  Geräusche  und  ihre  Übergänge  zu  Klängen  darzu- 
stellen, was  als  weiteres  Moment  zu  Ungunsten  der  strikten  Scheidung 
zwischen  Klängen  und  Geräuschen  angesehen  werden  darf.  Für  einen 
specifischen  Geräuschapparat  kann  man  auch  nicht  den  Umstand  geltend 
machen,  dafs  von  manchen  Schwerhörigen,  welche  Töne  und  Sprache 
schlecht  perzipieren,  knipsende  und  tickende  Geräusche  noch  gut  ver- 
nommen werden.  Denn  bei  derartigen  Geräuschen  handelt  es  sich  um 
Schallqualitäten  mit  relativ  geringer  Anzahl  von  Wellenbewegungen, 
imd  Verfasser  konnte  in  vielen  Fällen  nachweisen,  dafs  die  Beaktions- 
fähigkeit  des  Gehörorganes  auf  kurze  Beize  von  Tonqualität  durchaus 
nicht  dem  Grade  der  Hörfähigkeit  für  Töne  überhaupt  zu  entsprechen 
braucht.    Die  im  Anschlufs  hieran  beschriebenen  Hörprüfung^methoden 

fUr  kurze  Beize  sind  im   Original  nachzulesen. 

ScHAEFEK  (Jena). 

C.  Lorenz.    Untersuchimgen  über    die  Anffassimg  von  TondistaaseiL 

Wundts  Phüos,  Studien,    VI.  Band.  1.  Heft  (1890),  S.  26—103. 
WüNDT  erwähnt  bereits  1887  in  der  3.  Aufl.  der  Physiol.  Psychologie 
Versuche   von  Lorenz   zur  Prüfung   des   WsBERschen   Gesetzes   mit   der 
Fragestellung,  welcher  Ton  zwischen  zweien  in  der  Mitte  liege.   Seitdem 


lAtteraturbericht.  141 

sind  dieselben  noch  bedeutend  (zu  mehr  als  110000  Einzelversuchen) 
erweitert  und  nun  auch  vom  Urheber  selbst  veröftentlioht.  Es  wurden 
immer  8  Töne  nacheinander  gegeben  in  der  Ordnung  ihrer  Höhe,  bald 
von  unten  nach  oben,  bald  umgekehrt.  Der  mittlere,  dem  bei  gleichen 
AuXsentönen  noch  verschiedene  Höhen  erteilt  wurden,  wurde  von  den 
TJrteilssubjekten  bald  als  wahre  Mitte,  bald  als  dem  höheren  oder  tieferen 
Aufsenton  nftherliegend  bezeichnet.  Die  hiemach  tabellarisierten  Ergeb- 
nisse sind  dann  auf  Grund  einer  eigentümlichen  Betrachtungsweise  unter 
den  Begriff  von  wahren  imd  falschen  Fällen  gebracht  und  umgerechnet. 
IjOmskz  schliefst  mit  Wunbt,  dals  gleichen  Unterschieden  der  Tonempfin- 
dungen wahrscheinlich  gleiche  Differenzen,  jedenfalls  aber  nicht  gleiche 
Verhältnisse  der  Schwingungszahlen  entsprechen.  Bei  der  außerordent- 
lichen Ausdehnung  der  Untersuchungen  und  der  methodischen  wie  sach- 
lichen Wichtigkeit,  welche  sie  zu  beanspruchen  hätten,  ist  um  so  mehr 
zu  bedauern,  dafs  ihnen  schwere  Bedenken  gegenüberstehen,  die  dem- 
nächst eingehend  dargelegt  werden  sollen.  Stumpf  (München). 


Hj.  öhbwall  [in  Upsala].  üntersucliimgen  über  den  OeschmackssixuL. 
Upsala  ßJcareßrens.forh,  1888—89.  S.  353,  Skandmav.  Archiv  für  Physio- 
logie, Bd.  n  (1890),  S.  1—69.  (Selbstanzeige.) 
Der  Hauptzweck  dieser  Arbeit  ist,  einen  Beitrag  zur  Beantwortung 
der  Frage  zu  liefern,  wie  sich  die  Geschmacksempfindungen  zu  der  Lehre 
von  den  spezifischen  Sinnesenergien  verhalten.  Nach  einer  einleitenden 
Darstellung  dieser  Lehre  sucht  der  Verfasser  sich  eine  Ansicht  darüber 
zu  bilden,  welches  die  verschiedenen  Arten  von  Geschmacksempfindungen 
sind,  und  nach  einer  Erörterung  älterer  und  neuerer  Anschauimgen  schliefst 
er  sich  der  Ansicht  derjenigen  Physiologen  an,  welche  nur  Bitter,  Süfs. 
Salzig  und  Sauer  als  solche  aufstellen.  Der  alkalische  und  der  Metall- 
geschmack bestehen  sicherlich  gleichwie  der  adstringierende  aus  einer 
Mischung  von  Gefühlssensationen  und  einer  oder  mehreren  der  gewöhn- 
lichen Geschmacksempfindungen  (Salzig,  Sauer,  SüTs  und  Bitter)  in  wech- 
selnder Stärke.  Auf  Grund  eigener  Untersuchungen  und  älterer  Angaben 
nimmt  der  Verfasser  an,  dafs  diese  vier  Kategorien  nicht  weiter  eingeteilt 
iverden  können.  Bittere  Substanzen  z.  B.  können  beim  Schmecken  nicht 
Toneinander  unterschieden  werden,  aufser  durch  Verschiedenheiten  der 
Litensität  des  Geschmacks  oder  durch  Beimischung  von  anderen  Ge- 
schmacks-, Gefühls-  oder  Geruchsempfindimgen.  Der  Verfasser  sucht 
zunächst  auseinanderzusetzen,  wie  die  sogenannten  Geschmacksarten 
sich  zu  einander  verhalten.  Wenn  es  keine  verschiedenen  Arten  der 
vier  Geschmackskategorien  Süfs,  Sauer,  Salzig  und  Bitter  giebt,  dann  ist 
es  offenbar,  dass  es  noch  weniger  einen  kontinuierlichen  Übergang  von 
einer  dieser  Geschmackskategorien  zu  irgend  einer  der  anderen  durch 
eine  Serie  qualitativ  verschiedener  Empfindungen  giebt,  so  wie  dies  der 
Pall  ist  bei  verschiedenen  Farben  oder  bei  Tönen  verschiedener  Höhe. 
Das  Spektrum  des  Geschmackssinnes  ist  diskontinuierlich,  aus  einer 
Minderzahl  weit  getrennter  Linien  bestehend,   welche  sich  nicht  einmal 


142  UtUratiuhenckL 

in  eine  bestimmte  Ordnung  bringen  lassen.  Die  einfachen  Geschmacks- 
empfindungen Isssen  sich  auch  nicht  wie  die  Farben  zu  neuen  Empfin- 
dungen mischen,  welche  man  nicht  in  ihre  einfachen  Bestandteile  zerlegen 
kann.  Eine  Mischung  z.  B.  von  salzig  und  sauer  schmeckt  entweder 
sowohl  salzig  als  sauer  oder  nur  salzig  oder  sauer  u.  s.  w.  Wir  be« 
sitzen  also  das  Vermögen,  die  Geschmacksempfindungen  in  ihre  einfachen 
Bestandteile  zu  zerlegen  und  der  Geschmack  gleicht  in  dieser  Hinsicht 
dem  G«hÖr.  Sowohl  vom  Gesicht  als  vom  Gehör  unterscheidet  sich  aber 
der  Geschmack  durch  die  Abwesenheit  von  Über^btigen  zwischen  den  Ter- 
schiedenen  Geschmackskategorien,  und  dieser  Abwesenheit  von  Überg&nger 
zufolge  müssen  sie  gemäfs  der  von  Hblmholtz  angestellten  Unter- 
schiede zwischen  Modalität  und  Qualität  (Die  Thatsachen  in  der  Wahr- 
nehmung S.  8)  nicht  als  verschiedene  Qualitäten  desselben 
Sinnes,  sondern  als  verschiedene  Modalitäten,  d.  h.  ganz  und 
gar  als  verschiedene  Sinne  betrachtet  werden.  Die  Geschmacks- 
kategorien müssen  als  ebenso  selbständig  im  Verhältnis  zu  einander 
angesehen  werden,  wie  die  Wärme-,  Kälte-  und  Druckempfindungen,  die 
auch  früher  für  Qualitäten  desselben  Sinnes  gehalten  wurden,  welche 
aber  demselben  Grundsatze  gemäüs  ohne  Zweifel  als  Modalitäten  zu  be- 
trachten sind  (innerhalb  deren  Qualitätsdifferenzen  wahrscheinlich  ebenso 
wenig  existieren,  wie  innerhalb  der  Geschmackskategorien),  und  die  man 
auch  allgemein  anfängt  selbständige  Sinne  zu  nennen. 

Die  von  Helmholtz  aufgestellten  Unterschiede  zwischen  Modalität 
und  Qualität  sind  von  A.  Fick  angegriffen  worden,  indem  er  anzeigt,  dafe 
man  einen  vollkommen  stetigen  Übergang  zwischen  zweien  Sinnesgebieten 
angehörenden  Empfindimgen  herstellen  könnte,  wenn  man  z.  B.  eine 
Reihe  von  Gemengen  aus  Pfefferextrakt  und  Kochsalzlösung  nach  ein- 
ander auf  die  Zunge  brächte,  in  denen  der  Gehalt  an  dem  einen  Bestand- 
teil von  0 — 1  variierte;  nämlich  zwischen  Geschmack  (nur  Kochsalz), 
und  Tastsinn  (nur  Pfeffer).  Der  Verfasser  weist  nach,  dafs  in  Fick» 
Beispiel  von  zusammengesetzten  Empfindungen  die  Rede  ist,  während 
Helmholtz  offenbar  nur  von  einfachen  Empfindungen  spricht. 

Der  Verfasser  tritt  danach  verschiedenen  Einwänden  entgegen,  die 
gegen  die  neue  von  ihm  verfochtene  Auffassung  von  den  Geschmacks- 
kategorien gemacht  werden  könnten,  und  stellt  dabei  fest,  dafs  die  Frage, 
welche  Sinnesempfindungen  zu  einem  Sinne  gezählt  werden  müssen,  eine 
physiologische  und  psychologische  Frage  ist,  und  dafs  dabei  weder  ana- 
tomische noch  histologische  Verhältnisse  entscheidend  werden  können. 
Ebenso  wenig  kann  die  Beschaffenheit  des  adäquaten  Reizmittels  der 
Klassifizierung  der  Sinnesempfindungen  zu  Grunde  gelegt  werden.  [Giuiz 
dieselbe  äufsere  Ursache  kann  das  adäquate  Reizmittel  für  ganz  ver- 
schiedene Sinne  sein,  z.  B.  ein  Sonnenstrahl,  der  auf  der  Haut  eine 
Wärmeempfindung,  auf  der  Retina  eine  Lichtempfindung  bewirkt.]  In 
betreff  näherer  Details  dieser  Erörterung  muss  auf  das  Original  hinge- 
wiesen werden.  Hier  mag  nur  hervorgehoben  werden,  dafs  der  Verfasser 
auf  Grund  einer  Kritik  älterer  Angaben  und  gemäüs  eigener  Unter- 
suchungen den  Nachweis  führt,  dafs  Kontrast-  und  Kompensationserschei- 
nungen zwischen  den  verschiedenen  Geschmackskategorien  nicht  existieren. 


LiUeraturheiicht  143 

Zunächst  bespricht  der  Verfasser  die  bisher  gemachten  Beobach- 
tungen, welche  für  die  Annahme  besonderer  peripherischer  Endappa- 
rate fOr  die  verschiedenen  Gattungen  der  Geschmacksempfindungen, 
und  dadurch  für  die  Lehre  der  spezifischen  Sinnesenergien,  von  Bedeu- 
tung sind. 

Zu  Gunsten  dieser  Theorie  spricht  der  Umstand,  dafs  gewisse  Sub- 
stanzen mit  zusammengesetztem  Geschmack  verschiedene  Geschmacks- 
empfindungen auf  der  Spitze  der  Zunge  und  auf  deren  Basis  verur- 
sachen, und  weiterhin,  dafs  die  Reaktionszeit  für  den  bitteren  Geschmack 
auf  der  Zungenspitze  länger  ist  als  für  die  anderen  Geschmacksarten, 
auf  der  Zungenbasis  aber  für  alle  Geschmacksarten  ungefähr  dieselbe. 
Wenn  die  Angabe  von  Addüco  und  Mosso  sich  bestätigte,  dafs  Kokain 
die  Empfindlichkeit  für  den  bitteren  Geschmack  aufhebt,  aber  nicht  für 
die  übrigen,  würde  dies  eine  gute  Stütze  für  die  genannte  Theorie  aus- 
machen. Hierbei  scheinen  indessen  individuelle  Verschiedenheiten  eine 
grofse  Rolle  zu  spielen.  Bei  Versuchen,  die  der  Verfasser  mit  sich  selbst 
angestellt  hat,  zeigte  es  sich  dafs  Kokain  sämtliche  Geschmacksempfin- 
dungen aufhob. 

Der  sogenannt«  elektrische  Geschmack  ist  unter  den  Geschmacks- 
empfindungen die  einzige,  deren  Erklärung  für  die  Lehre  von  den  spezi- 
fischen Sinnesenergien  bisher  gewisse  Schwierigkeiten  geboten  hat.  Um 
diese  zu  beseitigen,  ist  Hermann  zu  der  älteren  elektrolytischen  Theorie 
zurückgekehrt,  nämlich  dafs  Säure  oder  Alkali  durch  die  Einwirkung 
des  elektrischen  Stromes  frei  wird  und  die  Geschmacksempfindungen 
hervorruft.  Da  aber  bei  diesen  Versuchen,  wie  es  Rosenthal  gezeigt 
hat,  Säure  an  der  Oberfläche  der  Zunge  nicht  auftritt,  nimmt  Hermann 
an,  dafs  die  Abscheidimg  derselben  zwischen  Hülle  imd  Kern  der  Nerven- 
röhren vor  sich  geht.  Der  Verfasser  weist  nach,  dafs  diese  Erklärung 
nicht  aufrecht  erhalten  werden  kann.  Die  Säure  sowohl  wie  das  Alkali 
würde  dann  ebensowohl  die  süfs-,  bitter-  und  salzperzipi  er  enden  als  die 
sauerperzipierenden  Fasern  angreifen,  und  die  qualitativen  Verschieden- 
heiten der  Empfindungen  bei  auf-  und  absteigendem  Strom  bleiben  ebenso 
unerklärlich,  wie  bei  der  Annahme,  dafs  der  Strom  direkt  die  Nerven 
reizt.  Der  Verfasser  nimmt  daher  an,  dafs  der  Strom  direkt  die  End- 
apparate reizt,  eine  Ansicht,  für  die  er  in  dem  Umstand  eine  Stütze 
findet,  dass  Kokain  auf  seiner  Zungenspitze  nicht  nur  die  Empfindlichkeit 
für  adäquate  Reize  aufhebt,  sondern  auch  die  Geschmacksempfindungen, 
welche  vom  konstanten  Strom  gewöhnlich  hervorgerufen  werden.  Es 
entstand  nur  eine  Empfindung  von  Hitze;  der  negative  Pol  bewirkte 
gleichfalls  ein  Gefühl  von  Hitze,  aber  schwächer  und  auf  eigentümliche 
Weise  von  einem  Gefühl  von  Kälte  begleitet.  Die  Temper aturempfind- 
lichkeit  war  auch  bei  adäquatem  Reiz  nicht  aufgehoben. 

Den  Hauptteil  der  Abhandlung  bilden  die  Untersuchungen  des 
Geschmackssinns,  welche  der  Verfasser  ausgeführt  hat  nach  derjenigen 
Methode,  mittelst  welcher  es  Bux  gelungen  ist,  in  so  schlagender  Weise 
das  Vorhandensein  besonderer  Nervenendigungen  für  Kälte-,  Wärme- 
und  Druckempfindungen  in  der  Haut  aufzuweisen  —  nämlich  die  isolierte^ 
punktförmige  Erregung  der  Sinnesfläche. 


1 44  LiUeraturbericht 

Mittels  in  stark  schmeckenden  Lösungen  getränkter  Pinsel  und  unter 
Anwendung  eines  vergröfsemden  Konkavspiegels  hat  der  Verfasser 
den  Geschmackssinn  einer  Anzahl  einzelner  Pap.  fungiformes  an  der 
Spitze  und  den  Seitenrändem  der  Zunge  untersucht,  nachdem  er  eine 
Art  von  Karte  von  den  betreffenden  Partien  der  Zunge  hergestellt  hatte, 
auf  welcher  Karte  die  Papillen  bezeichnet,  in  Gruppen  verteilt  und  nach 
ihrer  Gröfse  numeriert  waren.* 

Es  zeigte  sich,  dafs  nur  die  Pap.  fungiformes,  nicht  die  Pap.  fili- 
formes schmeckten,  dais  die  Deutlichkeit  der  Geschmacksempfindimgen 
da,  wo  eine  Geschmacksempfindung  überhaupt  auftrat,  gewöhnlich  so 
grofs  war,  dafs  ein  Zweifel  Über  den  Charakter  derselben  gar  nicht  auf- 
kommen konnte,  und  dafs  die  Papillen  grofse  funktionelle  Verschieden- 
heiten zeigten.  Von  den  untersuchten  125  Papillen  reagierten  27  weder 
auf  Weinsäure  (2—5  7o),  chlorwasserstoffsaures  Chinin  (2  7o),  noch  Zucker 
(40  7o);  unter  den  98,  die  überhaupt  ein  Geschmacksvermögen  besafsen, 
reagierten  60  sowohl  auf  Zucker,  Chinin  als  Weinsäure,  während  unter 
den  übrigen  einige  auf  Weinsäure  und  Zucker,  aber  nicht  auf  Chinin, 
andere  auf  Weinsäure  und  Chinin,  aber  nicht  auf  Zucker,  andere  auf 
Zucker,  aber  nicht  auf  Weinsäure  und  Chinin  u.  s.  w.  reagierten.  Alle 
125  Papillen  waren  empfindlich  für  Berührung,  sowie  für  Wärme  und 
Kälte.  Die  Empfindungen,  die  bei  isolierter  Erregung  entstehen,  sind 
daher  oft  sehr  zusammengesetzter  Natur.  Zunächst  spürt  man  die 
Berührung  des  Pinsels  und  beinahe  gleichzeitig  oder  etwas  später  eine 
Kälteempfindung;  darauf  die  Geschmackssensation,  von  welcher  bei  An- 
wendung einer  Mischung  von  Zucker  und  Chinin  der  süise  Geschmack 
eher  als  der  bittere  auftritt.  Ein  Verhältnis  zwischen  Gröfse  oder  Lage 
der  Papillen  einerseits  und  ihren  funktionellen  Eigenschaften  anderer- 
seits konnte  nicht  nachgewiesen  werden.  Bei  der  elektrischen  Beizung 
der  einzelnen  Papillen  —  ein  mit  Speichel  getränkter  Pinsel  diente  hierbei 
als  Beizelektrode  —  bewirkten  schwache  Induktionsströme,  auf  den 
meisten  Papillen  sehr  zusammengesetzte  Empfindungen,  unter  welchen 
ein  vibrierendes  sowie  ein  Gefühl  von  Kitze  in  den  meisten  Fällen  über- 
wiegend war.  Gewöhnlich  aber  traten  auch  Geschmacksempfindungen 
auf,  vorherrschend  Sauer,  aber  auch  Suis  und  Bitter;  aber  nur  auf  den- 
jenigen Papillen,  die  bei  adäquatem  Beiz  sich  als  mit  Geschmacksvermögen 
begabt  erwiesen  hatten.  Bei  ähnlichen  Versuchen  mit  dem  konstanten 
Strom  zeigte  der  positive  Pol  die  stärkste  Wirkung  und  löste  beinahe 
auf  allen  sauerschmeckenden  Papillen  vorzugsweise  sauren  Geschniack 
nebst  einem  Gefühl  von  Hitze  aus.  Der  negative  Pol  erregte  vorzugs- 
weise süfsen  und  bitteren  Geschmack  nebst  der  Empfindung  von  Hitze, 
zuweilen  auch  gleichzeitig  eine  kühlende  Empfindung.  Schwache  Ströme 
erweckten  nie  andere  Geschmacksempfindungen  als  solche,  die  bei  ge- 
wöhnlicher Untersuchung  mit  schmeckbaren  Substanzen  ausgelöst  werden 
konnten. 


^  Eine  nach  einer   dreifach  vererölserten  Augenblicksphotographie 
gezeichnete  Abbildung  der  Zungenspitze  ist  der  Abhandlung  beigelegt. 


Litterahirbmeht  145 

Die  gefundenen  funktionellenVerschiedenlieiten  zwischen  den  einzelnen 
Papillen  können  nach  der  Ansicht  des  Verfassers  nur  erklärt  werden 
durch  die  Annahme  spezifischer  Endapparate,  welche  in  relativ  verschie- 
dener Anzahl  auf  verschiedenen  Papillen  vorkommen,  und  bestätigen 
daher  auch  für  die  Geschmacksempfindungen  das  Gresetz  der  specifischen 
Sinnesenergien.  Öhrwall  (TJpsala). 

Zahlreiche  Angaben  der  Abhandlung  Öhrwalls  werden  bestätigt 
durch  A.  Gtoldscheider  und  H.  Schmidt  (Centralbh  f,  Physiol  IV,  1890, 
S.  10 — 12),  auf  Grund  von  gemeinsam  angestellten  Versuchen  aus  dem 
Jahre  1885.  Wie  diese  Autoren  noch  fanden,  tritt  bei  wiederholter 
Eeizung  derselben  Papille  gelegentlich  eine  partielle  Ermüdung  für  eine 
bestimmte  Geschmacksart  ein,  während  die  Empfindlichkeit  für  die 
übrigen  Geschmacksqualitäten  noch  fortbesteht.  Nur  bei  Beizung  mit 
Essigsäure  erfolgt  Abstumpfung  für   alle  Geschmacksarten. 

Alfred  Goldscheider:  Über  den  Muskelsiim  und  die  Theorie  der  Ataxie. 

Zeitschrift  für  hlmische  Median.    Band  XV.  1889,  S.  82—161. 

Derselbe:   XJnterBUcliiingen  über  den  Mnskelsinn.   Arch.  f  Anat.  u,  Phys. 
Phys.  Abt.  1889.    S.  369— 502.   Suppl.-Bd.    S.  141— 218.    (Selbstanzeige.) 

Die  Frage  nach  dem  Wesen  des  Muskelsinns  ist  eine  weitergreifende 
als  der  von  Ch.  Bell  herrührende  Name  vermuten  läfst  und  erledigt  sich 
nicht  mit  derjenigen  nach  der  Muskel-Sensibilität.  Wenn  auch  die 
Entdeckung  E.  H.  Webers,  dafs  wir  ein  feineres  ünterscheidungsvermögen 
für  gehobene  als  für  lastende  Gewichte  haben,  den  Muskel  als  Sitz  eines 
besonderen  Sinnes  erscheinen  liefs  und  Sachs  die  von  Bichat,  Spiess, 
Schiff  angezweifelte  Muskel -Sensibilität  als  vorhanden  nachwies,  so 
wurden  doch  weiterhin  Beobachtungen  bekannt,  welche  berechtigte 
Zweifel  erregten,  nicht  nur,  ob  dieser  Muskel -Sensibilität  in  dem  ge- 
samten Gebiete  der  dem  Muskelsinn  zugeschriebenen  Sinnesleistungen 
eine  alleinige,  sondern  sogar,  ob  ihr  überhaupt  eine  erhebliche  Bedeutung 
zukomme.  Leyden  beschrieb  Fälle,  bei  welchen  trotz  des  Verlustes  der 
Muskelsensibilität  das  Vermögen  Gewichte  zu  unterscheiden  und  ebenso 
dasjenige  die  Lage  der  Glieder  zu  erkennen,  in  normaler  Weise  fortbestand. 
Es  wurde  vielfältig  diskutiert,  inwieweit  die  sensiblen  Nerven  der  Haut, 
femer  der  tieferen  Teile  wie  Sehnen,  Bänder,  Gelenke,  Knochen  für  die 
fraglichen  Sinnesleistungen  heranzuziehen  seien,  und  es  wurde  von  manchen 
Forschem  den  ersteren  die  hauptsächliche  Bedeutung  zuerkannt,  während 
andere  das  gemeinsame  Wirken  der  oberflächlichen  und  tieferen  Sensi- 
bilität betonten.  Daneben  wurde  aufgestellt,  dafs  der  motorische  Impuls 
selbst  empfanden  werde  und  dieser  Innervationsempfindung  teils  fttr  sich, 
teils  in  Verbindung  mit  jenen  von  der  Peripherie  zugeleiteten  Sensationen 
eine  integrierende  Bedeutung  zugesprochen.  Es  kommt  nun,  wie  ich 
meine,  nicht  lediglich  darauf  an,  welches  Substrat  dem  Muskelsinn 
diene,  sondern  gleichzeitig,  auf  welche  Empfindungs- Elemente  sich  die 
komplexen  Sinnesleistungen,  welche  unter  diesem  Begriff  subsummiert 
werden,  zurückführen  lassen.  Somit  haben  die  vorliegenden  Unter- 
suchungen einmal  eine  Analyse  der  Empfindungen  und  weiter  eine  ent- 

ZdtBChrin  fttr  Psychologie.  10 


146  LUteraturhericht. 

sprechende  Scheidung  der  Substrate  zum  Gegenstand.  Die  erstere  scheidet 
die  gesamten  dem  Muskelsinn  zugeschriebenen  Leistungen  zunächst  in 
folgende  Kategorien:  1.  Empfindung  passiver  Bewegungen;  2.  Empfindung 
aktiver  Bewegungen;  3.  Wahrnehmung  der  Lage  der  Glieder;  4.  Empfindimg 
der  Schwere  imd  des  Widerstandes. 

Bei  der  Untersuchimg  der  Fähigkeit  passive  Bewegungen  zu  em- 
pfinden, wurde  zunächst  erstrebt  Grenzwerte  festzustellen.  Die  Versuchs- 
reihen bezogen  sich  auf  die  Gelenke  des  linken  Zeigefingers,  das  Hand-, 
Ellbogen-,  Schulter-,  Hüft-,  Knie-  und  Fufsgelenk.  Unter  Fixierung  des 
proximalen  Körper- Abschnittes  wurde  der  distal  (nach  der  Peripherie  zu) 
von  dem  betreffenden  Gelenk  gelegene  passiv  bewegt,  und  zwar  so,  dafs 
Erregungen  des  Druckgefühls  der  Haut  möglichst  ausgeschlossen  wurden 
(durch  Bekleidung  des  zu  bewegenden  Gliedteiles  mit  einer  mit  Wasser 
gefüllten  Gummimanschette).  Die  Bewegungen,  in  Hebung  und  Senkung 
bestehend,  wurden  bei  den  gröfseren  Gliedabschnitten  auf  hydraulischem 
Wege  ausgelöst.  Der  bewegte  Teil  verzeichnete  seine  Exkursion  in  ver- 
gröfsertem  Mafsstabe  auf  einen  rotierenden  Cylinder,  so  dafs  durch  Aus- 
messung der  Abscissen-  und  Ordinatenwerte  der  zeitliche  Verlauf  und 
die  Gröfse  des  Ausschlags  bestimmt  und  zugleich  die  Gleichmäfsigkeit 
der  Bewegung  kontrolliert  werden  konnte.  Bei  maximaler  aber  noch  nicht 
Erschütterung  erzeugender  Geschwindigkeit  der  Bewegung  ergaben  sich 

nun  folgende  Schwellenwerte  für  das  Merklichwerden  der  Gelenk-Be- 
wegung: 

Zweites  Interphalangeal-Gelenk  (zw.  Nagel-  und  Mittelglied) .     1,03—1,26® 

Erstes  Literphalangeal-Gelenk 0,72—1,05® 

Metacarpo-Phalangeal-Gelenk  (zw.  Finger  und  Mittelhand    .    0,34®— 0,48® 

Handgelenk 0,26®— 0,42® 

Ellbogengelenk 0,40®— 0,61® 

Schultergelenk 0,22®— 0,42® 

Hüftgelenk 0,50®— 0,79® 

Kniegelenk 0,50®— 0,70® 

Fufsgelenk 1,15®-1,30® 

Bei  Variation  der  Geschwindigkeiten  stellte  sich  heraus,  dafs  für 
diejenigen  Gelenke,  welche  eines  geringeren  Exkursions -Winkels  be- 
durften, auch  die  Geschwindigkeit  eine  geringere  sein  durfte.  Es  liefs 
sich  ferner  eine  eigentümliche  Beziehung  zwischen  ElongationsgrÖfse  und 
Geschwindigkeit  ermitteln,  derart,  dafs  mit  zunehmender  Elongation  der 
Bewegung  die  zum  Merklichwerden  notwendige  Geschwindigkeit  abnimmt. 
Besondere  Sorgfalt  wurde  der  Frage  zugewandt,  ob  bei  einem  und  dem- 
selben Gelenk  die  Variation  der  Ausgangsstellung  Verschiedenheiten  der 
Schwellenwerte  bedinge;  es  zeigte  sich,  dafs  derselben  ein  nennenswerter 
Einflufs  nicht  zukommt.  Bezüglich  des  Substrates  der  Fähigkeit  Be- 
wegungen der  Glieder  zu  empfinden  komme  ich  zu  dem  Schlüsse,  dafs 
dieses  in  der  tiefen  Gelenk-Sensibilität  zu  suchen  sei,  wobei  ich 
mich  namentlich  auf  Versuche  stütze,  in  denen  mittels  des  unterbrochenen 
elektrischen  Stromes  eine  Herabsetzung  der  Empfindlichkeit  erzeugt 
wurde.  Auf  Grund  mehrerer  hier  nicht  näher  auszuführender  Beweis- 
momente stelle  ich    schliefslich   den  Satz   auf,   dafs  die   durch   die  Ver- 


LiUeraturberichL  147 

Schiebung  der  Glieder  in  den  Gelenken  entstehende  Empfindung  in 
uns  unmittelbar  die  Vorstellung  des  Bewegt werdens  anspreche ^  dafs  es 
sich  hierbei  also  um  eine  der  Zustands- Änderung  entspringende  Be- 
wegungs -Empfindung  einfacher  Art  und  nicht  um  eine  aus  den  ver- 
schiedenen, Anfangs-,  End-  und  Zwischen -Zuständen  abstrahierte  Wahr- 
nehmung handele,  wobei  ich  mich  auf  die  analoge  von  mehreren  Autoren 
vertretene  Anschauung  von  einer  Bewegungs- Empfindung  der  Netzhaut 
stütze. 

Weiterhin  gelangt  die  Empfindung  der  Schwere  zur  Untersuchung. 
Bezüglich  der  Versuchs-Anordnung  lege  ich  Wert  auf  den  Unterschied 
zwischen  eingliedriger  und  mehrglledriger  Hebung.  Bei  letzterer,  der 
gewöhnlichen  Art,  entstehen  fortgeleitete  Wirkungen  auf  alle  mitbe. 
wegten  Segmente,  wodurch  die  Erscheinung  kompliziert  wird.  Die 
eingliedrige  Hebung  dagegen  bei  Fixierung  der  proximal  vom  bewegten 
Gelenk  gelegenen  Segmente  gestattete,  den  Einflufs  der  Sensibilität  des 
bewegten  Teiles  zu  prüfen.  Hierbei  ergab  sich,  dafs  die  Empfindlich- 
keit der  Haut  von  keinem  Belang  ist,  dafs  dagegen  eine  Herabsetzung 
der  tieferen  Sensibilität  in  der  Gegend  des  Gelenks  die  Scj^were- 
Empfindung  sehr  beeinträchtigt  und  das  Substrat  der  letzteren  wahr- 
scheinlich hauptsächlich  in  den  Sehnen  gelegen  ist.  Der  bei  eingliedriger 
Hebung  entstehende  Eindruck  unterscheidet  sich  nun  qualitativ  von 
demjenigen  bei  mehrglledriger  Hebung:  während  nämlich  bei  letzterer 
die  deutliche  Vorstellimg  von  einem  aufserhalb  des  Gliedes  befindlichen 
schweren  Objekt,  welches  an  einer  bestimmten  Stelle  angreift  und  in 
einer  bestimmten  Baumlage  lokalisiert  wird,  vorhanden  ist,  so  hat  man 
bei  eingliedriger  Hebung  nur  die  Empfindung  einer  erschwerten  Bewe- 
gung. Bei  ersterem  Verfahren  tritt  uns  das  Gewicht  gleichsam  plötzlich 
entgegen,  und  wir  fQhlen  den  Widerstand,  welchen  es  uns  bietet,  ehe 
wir  es  heben;  bei  letzterem  fühlt  man  nur,  dafs  die  vorher  leichte 
Bewegung  schwerer  von  statten  geht.  Geeignete  Versuche,  bei  welchen 
mehrgliedrig  gehoben,  jedoch  die  Sensibilität  der  distalen,  das  Gewicht 
haltenden  Segmente  herabgesetzt  bez.  die  Mitwirkung  derselben  durch 
Schienen  ausgeschaltet  wurde,  zeigten,  dafs  der  geschilderte  Unterschied 
in  der  That  davon  abhängig  ist,  ob  das  Gewicht  unmittelbar  am  heben- 
den Segment  befestigt,  oder  vermittelst  distaler  haltender  Segmente  mit 
ihm  verbunden  ist.  Und  zwar  lassen  uns  letztere  eine  von  der  Schwere- 
Empfindung  zu  sondernde  Sensation,  die  Widerstands-Empfindung, 
zukommen,  welche  nun  weiterhin  der  Untersuchung  unterworfen  wird. 
Es  wird  nachgewiesen,  dafs  es  sich  bei  der  Perception  des  Widerstandes 
nicht  um  eine  durch  das  Sistieren  der  Bewegung  ausgelöste  Veränderung 
der  ablaufenden  Vorstellungen  handelt,  sondern  um  eine  positive  eigen- 
artige Sensation.  Als  Substrat  derselben  ergeben  sich  mit  grofser  Wahr- 
scheinlichkeit die  Gelenkenden,  welche  durch  den  entstehenden  Stofs 
erschüttert  bezw.  gedrückt  werden.  Dafs  die  Wirkung  von  aufsen  her 
auf  die  Haut  belanglos  ist,  geht  unter  anderem  aus  einer  Erscheinung 
hervor,  welche  ich  als  „paradoxe  Widerstands-Empfindung"  bezeichne  : 
wenn  man  ein  an  einem  Faden  hängendes  Gewicht  in  der  Schwebe  hält 
und  senkt,  so  hat  man  die  Empfindung  der  Schwere;  sobald  man  es  aber 

10* 


148  Litteraiurherieht 

während  der  Abwärtsbewegung  auf  einen  festen  Körper  aufsetzen  läfst, 
so  hat  man  eine  sehr  deutliche  Widerstands-Empfindung.  Diese  Sensa- 
tion bedarf  natürlich,  um  die  Vorstellung  eines  äufseren  Widerstandes 
zu^erwecken,  gewisser  Verknüpfungen  mit  anderen  Eindrücken  und  Vor- 
stellungen; sind  aber  diese  Bedingungen  gegeben,  so  ist  sie  in  hohem 
Grade  geeignet,  aus  der  begleitenden  Empfindung  der  erschwerten  Be- 
wegung die  Vorstellung  eines  aufserhalb  befindlichen  schweren  Objekts 
zu  entwickeln.  Auch  die  Bruckempfindung  dient  zur  Objektivierung,  ist 
jedoch  entbehrlich.  Hiermit  ist  der  Unterschied  bei  Ausschilufs  und  bei 
Mitwirkimg  der  distalen  Segmente  erklärt.  Bezüglich  der  Frage,  ob  zum 
Entstehen  einer  Vorstellung  von  der  Schwere  eines  Objekts  eine  Inner- 
vations-Empfindung  als  erforderlich  angenommen  werden  müsse,  führe 
ich  einen  Versuch  an,  welcher  die  Wiederholung  eines  früher  von 
Bernhardt  angestellten  Versuches  ist  und  darin  besteht,  dafs  Gewichte 
mittelst  elektrischer  Beizung  des  Muskels  gehoben  werden.  Es  zeigt 
sich,  dafs  hierbei  die  Schwere-Empfindung  gleichfalls  zu  stände  kommt, 
trotz  Ausschliefsung  des  Willens -Impulses.  Zu  demselben  Ergebnis 
führt  es,  wenn  die  Muskel-Kontraktion  auf  dem  Wege  des  Beflexes  aus- 
gelöst wird.  Gleiches  gilt  für  die  Empfindung  des  Widerstandes.  Die 
Vorstellungen  eines  aufser  uns  befindlichen  schweren  Objektes  oder 
eines  von  aufsen  wirkenden  Widerstandes  sind  komplexe  Produkte,  aber 
nicht  aus  Gliedern,  welche  die  von  uns  aufgewendete  Kraftleistung,  so- 
wie den  Erfolg  derselben  in  Form  von  Merkmalen,  welche  auf  die  Seele 
wirken,  umfassen,  sondern  aus  solchen,  welche  von  der  gesamten  Kette 
von  physiologischen  Vorgängen  lediglich  die  Veränderungen  und  Ein- 
wirkungen, welche  die  der  Aulsenwelt  gegenübergestellte  Peripherie  des 
Körpers  erleidet,  enthalten.  Ejisuistlsch  hat  man  das  Vermögen,  Gewichte 
zu  erkennen,  bei  herabgesetzter  Sensibilität  in  manchen  Fällen  bedeutend 
herabgesetzt,  in  anderen  auffallend  wenig  beeinträchtigt  gefunden.  Dies 
erklärt  sich  daraus,  dafs  man,  wie  die  Untersuchungen  gelehrt  haben, 
eine  Schwere-Empfindung  auch  haben  kann,  wenn  die  AngrifPsstelle  der 
Last  selbst  anästhetisch  ist,  und  dafs  der  funktionelle  Ausfall  der  distalen 
Segmente  die  Schwere-Empfindung  zwar  abstumpft,  aber  nicht  aufhebt. 
Bei  der  vergleichenden  Prüfung  dieses  Vermögens  an  verschiedenen 
Extremitäten  sind  bisher  die  statischen  Verhältnisse  nicht  genügend,  die 
Mitwirkung  der  haltenden  Segmente  so  gut  wie  gar  nicht  berücksichtigt 
worden. 

Bezüglich  der  Wahrnehmung  der  Lage  und  Haltung  der  Glieder 
unterscheide  ich  zwischen  der  Stereognosie,  d.  h.  der  Wahrnehmung 
von  der  Form  des  einzelnen  Segments  und  der  Enklisiognosie,  d.  h.  der- 
jenigen von  der  gegenseitigen  Stellung  der  Segmente.  Für  beide  Fähig- 
keiten bilden,  wie  durch  Versuche  nachgewiesen  wird,  peripherische 
Sensationen,  nur  in  verschiedenartiger  Verwertung,  die  Merkmale,  welche 
die  betreffenden,  durch  Erfahrung  erworbenen,  optischen  Vorstellungen 
hervorrufen.  Die  Erörterung  dieser  verschiedenen  Merkmale  kann  hier 
nicht  wiedergegeben  werden. 

Auch  für  die  Perception  der  aktiven  Bewegung  konmien  im  wesent- 
lichen von  der  Peripherie  zugeleitete  Sensationen   in  Betracht:    so  wird 


lAUeraturbericht  149 

durch  Versuche  gezeigt,  dafs  das  merkliche  Minimum  von  Exkursion  bei 
passiver  und  aktiver  Bewegung  sich  nicht  wesentlich  voneinander  unter- 
scheiden. Durch  künstliche  Herabsetzimg  der  Sensibilität  wird  die 
Bewegungsempfindung  in  derselben  Weise  abgestumpft  wie  für  passive 
Bewegungen.  Es  gelingt  endlich,  auch  untermerkliche  aktive  Bewe^ 
.gungen  auszuführen,  so  dafs  also  ein  Übergang  besteht  von  dem  blofsen 
Vorstellungsbild  der  Bewegung  durch  ein  Stadium  des  Zweifels  über 
eine  stattgehabte  Willkür-Bewegung  bis  zum  deutlichen  Eindruck  einer 
solchen,  ein  Übergang,  welcher  durch  die  wachsende  Elongationsgröfse 
der  Gelenkbewegung  des  peripherischen  Gliedteiles  markiert  wird.  Die 
Vorstellung  des  aktiven  Bewegens  kommt  dadurch  zu  stände,  dafs  eine 
von  der  Peripherie  zugeleitete  Bewegungsempfindung  einer  vorher 
gefaisten  Beweg^ungsvorstellung  entspricht.  Auch  die  übrigen  bei  der 
Ausführung  willkürlicher  Bewegungen  uns  zugehenden  Empfindungen, 
insoweit  sie  die  vorher  gefafste  Bewegungsvorstellung  angehen,  werden 
von  uns  als  Attribute  unserer  Willensthätigkeit  aufgefafst.  Indem  also 
in  die  primäre  Vorstellung  einer  intendierten  Bewegung  Bewegungs- 
Empfindungen  von  einer  gewissen  Intensität,  Schwere-  und  Widerstands- 
Empfindungen  von  einer  gewissen  Intensität  einschneiden,  wird  die  Vor- 
stellimg,  dafs  diese  Empfindungen  die  Folge  einer  willkürlichen  Hand- 
lung sind,  dahin  erweitert,  dafs  letztere  als  ein  Kraftaufwand  von  einer 

gewissen  Stärke  gedeutet  wird. 

GoLDSCHEiDER  (Berlin). 

BuMPF.  SenBibilitfttBStörung  nnd  Ataxie.  Deutsch.  Ärch.  f.  kUn,  Med 
Bd.  XL  VI.  S.  35.    Marburg. 

Ataxie  nennt  man  einen  Zustand,  in  welchem  die  zu  einer  kompli- 
cierten  Bewegung  notwendig  zu  innervierenden  Muskelgruppen  in  einer 
für  die  Erreichung  des  Zieles  nicht  zweckmäfsig  koordinierten  Weise 
in  Thätigkeit  versetzt  werden.    (Defin.  d.  Eef.) 

Nach  Letdek,  Goldscheide b  u.  a.  kommt  die  Ataxie  durch  Störung 
der  Sensibilität  zustande.  Verfasser  ist  auf  Grund  klinischer  Beobachtung 
nicht  dieser  Ansicht.  Er  hat  Fälle  hochgradiger  Sensibilitätsstörung 
ohne  Ataxie  gesehen.  Bei  einem  Patienten,  der  beide  Erscheinungen 
bot,  untersuchte  B.,  wie  viel  die  Kontrole  der  Augen  das  Gefühl  ersetzen 
kann.  Die  Schrift  des  Gesunden  wird  durch  Schlufs  der  Augen  nicht 
geändert.  Ist  Sensibilitätstönmg  vorhanden,  so  wird  die  Schrift  bei 
Augenschlufs  gröfser,  ist  noch  Ataxie  dabei,  so  wird  sie  noch  deutlicher 
ataktisch. 

Verfasser  giebt  folgende  Erklärung :  Der  Gesunde  kontrolliert  seine 
Schrift  mit  den  Augen.  Schliefst  er  sie,  so  tritt  das  Centrum  der  Em- 
pfindungen für  die  bewegten  Apparate  ein.  Ist  die  Sensibilität  herab- 
gesetzt, so  müssen  die  Bewegungen  gröfser  sein,  um  percipiert  zu  werden. 
Daher  wird  die  Schrift  gröfser,  aber  nicht  ataktisch. 

Kronthal  (Berlin). 


150  LitteriUurbencht 

A.  BiNET.    La  concurrence  des  ^tats  psychologiaiies.  Beme  phüos.  F6yr. 
1890.    8.138—155. 

B.  untersucht  die  Erscheinungen  der  sog.  Enge  des  Bewufstseins 
und  zwar  so,  dafs  er  sie  nach  Möglichkeit  mit  einer  graphisch  registrier- 
baren Aktion  der  Versuchspersonen  verbindet.  Er  studiert  2  Fragen 
1.  Wie  verändert  sich  ein  einfacher  willkürKcher  Bewegungsvorgangr 
durch  das  Hinzutreten  eines  anderen  psychischen  Vorgangs,  wenn  die 
Aufmerksamkeit  beiden  möglichst  gleichmäfsig  zugewandt  wird?  2.  Was 
geschieht,  wenn  bei  möglichst  energischer  Koncentration  der  Aufmerk- 
samkeit auf  einen  einzigen  Vorgang  der  Organismus  gleichzeitig  noch 
zu  einer  einfachen  Bewegung  veranlagst  wird? 

Zu  1:  Ein  mit  einer  Begistriervorrichtung  verbimdener  Kautschuk- 
schlauch wird  von  einer  Versuchsperson  in  einem  bestimmten  Rhythmus 
je  mehrere  Male  hintereinander  gedrückt  und  dazu  dann  eine  einfache 
geistige  Arbeit  aufgetragen  (Lesen,  Bezitieren,  Kopfrechnen).  Es  zeigt 
sich,  dafs  die  Bewegungen  langsamer  werden  bis  zum  völligen  Ausbleiben, 
dafs  die  Stärke  des  Drucks  nachläfst,  die  Anzahl  der  Drucke  und  ihre 
Form  unregelmäfsig  wird  und  dergl.  Bisweilen  werden  die  Bewegungen 
thatsächlich  ausgeführt,  kommen  aber  nicht  ordentlich  zum  BewuTstsein ; 
die  Versuchsperson  weifs  nicht  recht  zu  sagen,  ob  und  wie  sie  gedrückt 
hat.  Zu  2:  Es  wird  einer  Versuchsperson  aufgetragen,  ihre  Aufmerk- 
samkeit energisch  auf  irgend  eine  Thätigkeit  zu  koncentrieren,  und  dann 
ihrer  Hand  seitens  des  Experimentators  eine  einfache  passive  Bewe- 
gung erteilt.  Läfst  der  Antrieb  des  Experimentators  allmählich  nach, 
so  fährt  die  vorher  geführte  Hand  automatisch  in  der  begonnenen  Be- 
wegung fort.  Die  Sache  gelingt  um  so  besser,  je  mehr  die  Versuchs- 
person anderweitig  beschäftigt  wird ;  sehr  sicher  z.  B.  wenn  ihre  geistige 
Thätigkeit  mit  lautem  Aussprechen  verbunden  wird.  Nur  wenn  die 
Inanspruchnahme  in  einer  komplicierten  willkürlichen  Bewegung  der 
einen  Hand  besteht,  ist  es  nicht  möglich,  die  andere  zu  einer  anderen 
automatischen  Bewegung  zu  bringen.  Ist  die  Aufmerksamkeit  auf  einen 
rhythmisch  sich  abspielenden  Vorgang  gerichtet,  so  macht  sich  der 
Rhythmus  in  automatischen  Handbewegungen  geltend  auch  ohne  Zuthun 
des  Experimentators.  Ebbinohaus. 

G.  Ballet.  Die  innerliclie  Sprache  nnd  die  verschiedenen  Formen  der 
Aphasie.  Nach  d.  2.  Aufl.  übersetzt  von  Dr.  P.  Bongers.  Leipzig  u. 
Wien,  Deuticke.    1890.   196  S.  m.  12  Abbld. 

Das  französische  Original,  eine  zusammenfassende  Darstellung  der 
in  der  CHARCOTSchen  Schule  herrschenden  Anschauungen  über  den  Sprach- 
mechanismus, ist  der  Pariser  Fakultät  im  März  1886  vorgelegt  worden, 
berücksichtigt  daher  noch  nicht  eine  Beihe  neuerer  Arbeiten  über  den 
Gegenstand,  wie  die  von  Werkicke  und  Grashey.  Doch  hat  sich  der 
"Übersetzer  das  Verdienst  erworben,  den  Standpunkt  dieser  beiden  Forscher 
in  einem  Anhangskapitel  zum  Vergleich  zu  skizzieren.  Der  Gang  des 
klar  imd  fesselnd  geschriebenen  Buches  ist   kurz  folgender: 

Der  erste  Teil  giebt  eine  psychologische  Analyse  des  normalen 
Sprachmechanismus.    B.  betont  die  Notwendigkeit  der  Verbindung   der 


LittercOurherichL  151 

psychologischen  Zergliederung  mit  der  klinischen  Erfahrung,  allgemeiner 
der  „ideologischen"  mit  der  „biologischen"  Mei^hode.  Die  psychologische 
Untersuchung  ergiebt  das  Wort  als  einen  „SammelbegrijßE**,  nämlich  die 
Verknüpfung  von  vier  Bildergattungen,  einem  Gehörs-  (Sprach-),  Gesichts- 
(Schrift-),  Sprech-  und  Schreibe-Bilde.  Sie  bilden  zusammen  die  „inner- 
liche Sprache",  welche  unser  Denken  als  seinen  „Körper"  begleitet.  Die 
Menschen  zerfallen,  je  nachdem  sie  sich  vorwiegend  einer  dieser  inneren 
Sprach  Verrichtungen  bedienen,  in  die  vier  Gruppen  der  in  Sprach-, 
Schrift-,  Sprech-  und  Schreibvorstellungen  Denkenden.  Dazu  kommt  die 
fünfte  der  „Gemischten".  Jeder  dieser  Typen  wird  an  Beispielen  lebendig 
charakterisiert. 

Die  Hauptformen  der  unter  dem  Titel  der  Aphasie  zusammenge- 
fafsten Sprachstörungen,  welchen  der  zweite  umfangreichere  Teil  gewidmet 
ist,  bestehen  für  den  Verfasser  in  dem  Verlust  einer  jener  Bildergattungen. 
Der  Verlust  der  Sprachbilder  ergiebt:  Worttaubheit;  Erlöschen  der 
Schriftbilder:  Wortblindheit;  Einbufse  des  Sprachgedächtnisses:  mo- 
torische Aphasie;  des  Schreibgedächtnisses:  Agraphie. 

Im  Unterschiede  von  den  mehr  den  Komplikationen  des  thatsäch- 
lichen  klinischen  Materials  nachgehenden  deutschen  Forschern,  legt  B. 
den  Hauptwert  auf  die  scharfe  Herausarbeitung  dieser  vier  Idealtypen, 
womit  er  jedenfalls  ein  durch  seine  leichte  Fafslichkeit  für  die  einfüh- 
rende Orientierung  sehr  geeignetes  Schema  gewinnt. 

Diejenigen  Störungen,  welche  aus  einer  Unterbrechung  der  Verbin- 
dungen der  Bildergattungen  untereinander  hervorgehen,  die  sog.  Leitungs- 
aphasien,  werden  nur  gestreift,  als  noch  nicht  so  sicher  erkannt  wie  die 
„unkomplicierten  Fälle".  Das  LiOHTHEiHSche  System  wird  als  »jgeist- 
reicher  Versuch"  beurteilt. 

Eine  absolute  und  allgemeine  Unterordnung  einzelner  dieser  Funktio- 
nen unter  andere  oder,  anatomisch  gesprochen,  der  betreffenden  Centren 
untereinander,  wie  sie  fast  allgemein  in  Deutschland  angenommen  wird 
(wie  des  Schreibecentrums  unter  das  Schriftcentrum  und  beider  unter  das 
Sprachcentrum),  will  Verfasser  nicht  anerkennen.  Die  durch  den  Sym- 
ptomenkomplex häufig  angezeigten  thatsächlichen  Unterordnungen  führt 
B.  auf  die  geistige,  durch  Anlage  und  Ausbildung  bedingte  Verfassung 
der  betr.  Individuen  vor  ihrer  Erkrankung  zurück,  wie  er  überhaupt 
den  psychologischen  Typus  eines  Individuums  (s.  oben)  weitgehend  zur 
Erklärung  der  die  Hauptform  der  Aphasie  begleitenden  Neben-  und 
Allgemeinstörungen  verwertet. 

Zum  Schlufs  wird  jeder  der  vier  Sprachverrichtungen  ein  Centrum 
zugewiesen  (den  Sprach-  und  Sprechbildern  in  der  ersten  Schläfen-  bezw. 
dritten  Stimwindung  als  sicher,  den  Schreib-  und  Schriftbildern  in  der 
zweiten  Stimwindung  bezw.  dem  unteren  Scheitellappen  als  höchst 
wahrscheinlich)  und  eine  Anleitung  zur  Erkennung  der  verschiedenen 
Formen  der  Aphasie  gegeben.  Liefmank  (Berlin). 

J.  WoLFP  (Prof,  d.  Philos.  a.  d.  Univ.  Freiburg,  Schweiz).    Das  Bewilfst- 
sein  und  sein  Objekt.    Berlin,  Mayer  &  Müller.  1889.  620  S.  JH  12. 
Das  Buch  stellt  sich  dem  Eeferenten   dar  als  eine  Wissenschafts- 


152  LiUeraturbericht 

lehre,  in  der  aber  empirisclie  Psychologie  und  Metaphysik  sich  gegen- 
seitig erläutern  sollen.  Zwar  fehlt  die  Formel  der  FicHTESchen  Wissen- 
schaftslehre vom  Ich  und  Nicht-Ich  bei  Wolff,  aber  seine  Darlegungen 
erinnerten  den  Beferenten  an  Fichte  und  so  mittelbar  auch  an  Kakts 
synthetische  Einheit  der  Apperception.  Ist  gegen  jene  „Erläuterung^' 
durch  empirische  Psychologie  (wobei  Neuere  öfter  berücksichtigt  werden) 
nichts  einzuwenden,  so  scheint  dem  Beferenten  gerade  zu  bedauern,  dafs 
vielmehr  jene  andern  alten  Fragen,  aus  deren  Behandlung  nichts  Neues 
zu  erhoffen  ist,  so  viel  Baum  in  Anspruch  nehmen. 

Läfst  sich  Bewufstsein  zunächst  ganz  allgemein  als  „Interesse^' 
bestimmen  (31.  98),  so  näher  in  der  Art,  dafs  es  einheitlich  ist,  also 
Fühlen  des  Fühlens,  Wollen  des  WoUens,  nicht  reflektiertes  Wissen  vom 
Fühlen  u.  s.  w.  Die  Doppelheit  des  psychischen  Aktes  und  das  Wissen 
davon  sind  eins  (94.  97),  das  reine  Bewufstsein  nicht  etwas  von  seinen 
Akten  verschiedenes  (68).  Nachdem  seine  Definitionen  geprüft  sind  (75. 
82.  86)  und  sein  Verhältnis  zur  Aufmerksamkeit  (59  f.),  wird  das  psycho- 
logisch Unbewofste  eingehend  bekämpft  (101  f.  178).  Statt  seiner  sei 
Asscoiation  (137.  166.  191)  und  Gewohnheit  (180)  zur  Erklärung  der  Phäno- 
mene zu  benutzen.  Nicht  einmal  „die  kleinsten  Elemente  der  Empfindungen^ 
seien  unbewufst  (145).  Entgegenstehende  Thatsachen,  wie  Beflexbewe- 
gungen  und  Instinkte  (161  f.),  besonders  das  Gedächtnis  (209  f.)  werden 
ausführlich  besprochen.  ' 

Bewufstsein  hat  die  Seele.  Sie  ist  Substanz  oder  Substrat  (11.  297), 
aber  ohne  besondere  „Anlagen''  (203).  Ihr  Verhältnis  zum  Leibe  430, 
Sitz  des  Bewufstseins  215,  Lokalisierung  der  Empfindung  411  f.  Alle  Ein- 
heit des  Wissens  hat  ihren  Grund  im  Ich  (231.  245.  275.  263). 

Das  Objekt  ist  natürlich  zuerst  ein  inneres  (315  f.),  woraus  sich 
das  äufsere  „entwickelt"  (332.  350  f.).  Dafür  ist  die  Analyse  der  Leibes- 
empfindung von  besonderer  Wichtigkeit  (372  f.  404).  Die  erste  Empfindung 
ist  die  des  Baumes  (473  f.  494.  500.  513),  und  zwar  ist  sie  Qualitäten- 
Empfindung,  so  dafs  Verfasser  hierin  weder  Kant  noch  Lotze,  sondern 
einigermafsen  nur  Spekceb  beistimmt  (507  f.). 

Ist  nun  das  Objekt  als  äufseres,  inneres  (=  psychischer  Akt  in  seinen 
Modifikationen,  Urteil,  Gefühl,  Wille),  auch  als  Subjekt,  das  von  sich 
selbst  weifs,  betrachtet,  so  ist  noch  das  Verhältnis  des  Leibes  zur  Aufsen- 
welt  (522  f.),  sowie  das  der  Beflexion  zum  primären  Bewufstsein  (573. 
591),  endlich  der  Wert  und  die  Sicherheit  des  Wissens  selbst  (7.  603)  fest- 
zustellen. K.  Bküchhann  (Berlin). 

A.  Mosso.  Die  Furcht.  Aus  dem  Italien,  von  W.  Fikgeb.  Mit  7  Holz- 
sehn.  u.  2  Lichtdrucktafeln.  Leipzig,  Hirzel.  1889.  251  S.  ü.  5. 
Dabwin  versuchte  bekanntlich  die  Ausdrucksbewegungen,  zwar 
nicht  ausschliefslich  aber  doch  vorwiegend,  als  Bewegungen  aufzufassen, 
die  ursprünglich  einmal  einen  irgendwie  gewollten  Sinn  hatten  oder  mit 
absichtlich  Gewolltem  in  engem  Zusammenhang  standen,  und  dann  durch 
Vererbung  im  Laufe  zahlreicher  Generationen  zu  festen  Gewohnheiten  wur- 
den, auch  wo  der  ursprüngliche  Sinn  verloren  ging.  Das  Aufreifsen  von 
Augen  und  Mund  z.  B.  in  der  Furcht  lasse  sich  verstehen,  meint  er,  als 


Litteraturbericht.  153 

ein  Mittel,  in  der  Gefahr  so  scharf  als  möglich  zu  sehen  und  so  deutlich 
als  möglich  zu  hören;  Herzklopfen,  Schweifs,  Zittern  u.  s.  w.  aus  den 
Anstrengungen,  dem  Gegner  zu  entfliehen  oder  sich  seiner  zu  erwehren. 
Gewohntermafsen  tritt  das  alles  jetzt  regelmäfsig  ein,  wenn  wir  uns 
fürchten,  auch  wo  es  gar  nichts  zu  sehen  oder  scharf  zu  hören  gieht 
und  ein  eigentlicher  Gegner  gar  nicht  vorhanden  ist. 

Gegen  diese  Auffassimg  wendet  sich  der  Grundgedanke  des  Mosso- 
sehen  Buches.  Die  Ausdrucksbewegungen  der  Furcht  sind  nichts  irgend- 
wann wegen  seiner  Zweckmäfsigkeit  absichtlich  Gewolltes  oder  mit  einem 
gewollten  Zwecke  irgendwie  Zusammenhängendes,  sondern  lediglich 
Beflexbewegungen.  Freilich  stehen  sie,  wie  alle  Eeflexbewegungen,  im 
Dienste  eines  bedeutenden  Zweckes,  aber  nicht  sie  sind  das,  worauf  es 
dabei  eigentlich  ankommt.  Sie  bilden  blofse  Nebeneffekte,  welche  die 
Natur  sozusagen  mit  in  den  Kauf  nehmen  mufste,  indem  sie  aus  anderen 
Rücksichten  gewisse  verwickelte  Anordnungen  zum  Besten  des  Organismus 
schuf.  Durchweg  die  höchste  Sorge  bei  Beizungen  des  Nervensystems 
zeigt  die  Natur  für  dessen  ausgiebige  Ernährung.  Selbst  bei  den  gering- 
fügigsten Eindrücken  verstärkt  sie  sofort  den  Blutreichtum  des  Gehirns. 
So  auch  bei  den  Eindrücken,  die  uns  fürchten  machen;  nur  besonders 
stark  in  diesem  Falle,  weil  auch  die  Beizung  einen  starken  Angriff  dar- 
stellt. Daher  die  plötzliche  Blutleere  nicht  nur  der  Haut,  sondern  des 
ganzen  übrigen  Organismus,  sowie  die  Verstärkung  des  Herzschlages.  Das 
Hintreiben  des  Blutes  zum  Gehirn  geschieht  durch  Kontraktion  der  die 
Gefäfswände  bekleidenden  Muskeln.  Gefäfsverengerungen  sind  aber 
regelmäfsig  begleitet  von  Kontraktionen  der  glatten  Muskulatur  über 
haupt.  Daher  die  Zusammenschnürung  der  Blase  imd  der  Därme,  das 
Auspressen  des  Schweifses,  die  Gänsehaut  und  das  Aufrichten  der  Haare, 
sowie  die  mit  Kontraktion  der  glatten  Muskeln  stets  Hand  in  Hand 
gehende  Erweiterung  der  Pupille  (durch  die  das  Sehen  viel  undeutlicher 
wird,  als  es  durch  Aufreif sen  der  Augen  verbessert  werden  könnte). 
Alles  das  wird  begleitet  von  Veränderungen  der  Atmung,  von  Be- 
klemmungen und  einem  Bingen  nach  Luft;  aber  auch  hierin  äufsert 
sich  nichts  Anderes,  als  was  bei  jeder  stärkeren  Beizung,  z.  B.  bei 
einem  Sturzbade,  eintritt.  Die  mit  den  höchsten  Graden  der  Furcht 
verbundenen  Ausdrucksbewegungen,  das  heftige  Zittern,  das  Wanken 
der  Knie,  die  allgemeine  Lähmung  der  willkürlichen  Muskeln  sind  Zeichen 
der  Schwäche,  hervorgerufen  durch  die  von  den  höchsten  Graden  der 
Beizung  verursachte  Erschöpfung.  Für  die  Erhaltung  des  Organismus 
sind  diese  Äufserungen  direkt  unzweckmäfsig,  da  sie  seine  leichtere 
Vernichtung  durch  den  Gegner  ermöglichen ;  sie  sind  daher  geradezu 
als  Krankheitserscheinungen  aufzufassen. 

Das  Buch  ist  mit  einer  behaglichen  Breite  geschrieben,  die  an  den 
Gelegenheiten  zu  einem  kleinen  Exkurs  nicht  vorübergeht.  Daraus  ent- 
springen z.  B.  in  der  Einleitung  treffende  allgemeine  Bemerkungen 
über  die  physiologischen  Funktionen  von  Gehirn  und  Bückenmark, 
weiterhin  ein  (in  dem  italienischen  Original  fehlendes)  Kapitel  über  den 
Schmerz,  mit  16  vortrefflichen  Momentphotographien  eines  schmerzver- 
zogenen Gesichts.  Ebbivghaus. 


1 54  Litieraturberich  t 

£.  Mendel.   Der  Hypnoüsillllg.  Sammlung  gemeimerst.  wiss.  Vartr,  v.  Virghow 
u.  WiTTEKBACH.    Heft  93,  1890  (38  S.).    A  0,80. 

Ein  einleitender  historischer  Überblick  ergiebt  dem  Verfasser  fol- 
gendes :  Die  heute  als  „Hy pnotismus^^  bezeichneten  Erscheinungen  waren 
den  Menschen  seit  Urzeiten  bekannt.  Die  Methode  des  „Anstarrens^ 
wurde  schon  von  den  alten  Aegyptern  geübt.  Selbst  die  „Suggestion'^ 
der  Nancy  er  hat  ihre  Vorgängerin  in  dem  „Dormez^*  des  Abbe  de  Faria 
(1819).  Von  jeher  wurden  die  Erscheinungen  zu  Wimderkuren  imd  zu 
Gunsten  eines  religiösen  Mysticismus  benutzt,  von  jeher  von  Schwindlern 
zu  ihrem  Vorteil  ausgebeutet.  Ebenso  aber  haben  stets  wissenschaftliche 
Kommissionen  die  Haltlosigkeit  der  mystischen  Verwertung  der  Phäno-* 
mene  und  die  Beimischung  offenbaren  Betruges  konstatiert. 

Zu  der  heutigen  Bewegung  nimmt  Verfasser  folgendermafsen  Stel* 
lung:  Von  den  neueren  Untersuchungen  dieses  Gegenstandes  haben  wissen- 
schaftlichen Wert  nur  die  Charcots,  seiner  Schule  und  einiger  deutscher 
an  jene  sich  anschliefsender  Forscher.  Die  Nancy  er  Gegner  sind  durch 
Leichtgläubigkeit  und  Kritiklosigkeit  argen  Täuschungen  verfallen,  so- 
wohl in  der  Annahme  unglaublichster  Wunder,  wie  durch  ihr  excen- 
trisches  Vertrauen  zu  der  Heil-  und  Erziehimgskraft  des   Hypnotismus. 

Unzweifelhaft  ist,  dafs  sich  durch  Fixierung  und  Suggestion  Zu- 
stände der  Anästhesie,  Katalepsie,  Sinnestäuschungen,  Nachahmungsbe- 
wegungen u.  s.  w.  erzielen  lassen.  Sie  charakterisieren  sich  wesentlich 
als  Zustände  krankhaft  gesteigerter  Einbildungskraft,  was  aber  keine 
Erklärung  ist,  wie  überhaupt  eine  solche  bisher  fehlt. 

Die  Erscheinungen  sind  nur  bei  nervösen,  meist  hysterischen 
Personen  hervorzurufen,  und  sind  als  akute  Geisteskrankheit  aufzufassen» 
Nur  eine  beschränkte  Gruppe  von  Krankheitserscheinungen  läfst  sich 
durch  Hypnose  beseitigen,  meist  gelingt  es  nur  Symptome  zu  entfernen. 
Wiederholtes  Hypnotisieren  wirkt  andrerseits  häufig  durchaus  schädi« 
gend  auf  das  Nervensystem. 

Den  Mitteilungen  der  „Enthusiasten"  ist  daher  mit  gröfster  Vor- 
sicht und  kritischer  Zurückhaltung  zu  begegnen.  Vor  ausgedehnter 
leichtfertiger  therapeutischer  Verwendung  der  Hypnose  ist  als  geradezu 

unheilstiftend  aufs  dringendste  zu  warnen. 

LiEPMANN  (Berlin). 


über   die  kleinsten  wahrnehmbaren  Gesichtswinkel 
in  den  verschiedenen  Teilen  des  Spektrums. 

Von 

Dr.  W.  Uhthoff, 

Privatdocent  in  Berlin. 

Über  die  Grrenzen  der  Wahnielimbarkeit  kleinster  Objekte, 
resp.  den  kleinsten  Gesichtswinkel,  unter  welchem  das  normale 
menschliche  Auge  noch  erkennt,  liegen  eine  Reihe  von  Unter- 
suchungen früherer  Beobachter  vor.  Wenn  wir  von  der  frühem 
Diskussion  der  Frage,  unter  einem  wie  kleinem  G-esichts- 
winkel  2  Sterne  voneinander  differenziert  werden  können 
(Hocke,  Mabdlbb,  Humboldt,  Aübert,  Maüthner  u.  a.)  absehen, 
da  Sterne,  wie  Mauthnbr  sehr  richtig  betont,  aus  verschiedenen 
Gründen  sehr  ungeeignete  Objekte  zur  Feststellung  des  kleinsten 
Gesichtswinkels  für  das  normale  Auge  sind  und  gewöhnlich 
viel  zu  groüse  Werte  liefern,  so  beginnen  auch  hier  wieder  die 
mafsgebenden  Experimente  mit  günstigeren  Prüfungsobjekten 
mit  den  Untersuchungen  von  Tobias  Mater  {Commentar  Soc.  reg. 
Scientiar.  Goettingens.  Tom.  IV.  1754).  Er  benutzte  schwarze 
parallele  Linien  auf  weiTsem  Grunde,  weiTse'  Quadrate  durch 
«in  schwarzes  Gitter  getrennt,  und  weifse  und  schwarze  Vier- 
ecke im  Schachbrettmuster  miteinander  wechselnd.  Hieran 
Bchliefsen  sich  die  Untersuchungen  von  Huege  (^Über  die 
Oreneen  des  Sehvermögens^^  Müllers  Arch,  1840)  mit  schwarzen 
Punkten  auf  weifsem  Grunde,  von  A.  W.  Volkmann  („flfeAen". 
Wagners  Handwörterbtich  der  Physiologie,  Bd.  HI.,  pag.  329, 
1846)  mit  2  Spinnwebf&den,  von  E.  H.  Weber  {^Über  den 
Maumsinn  und  die  Empfindtmgshreise  in  der  Haut  und  im  Auge^, 
Berichte  über  die   Verhandlungen  der  Königl  Sachs,   GeseUsch.  der 

Zeltschrift  fQr  Psyclioloffle.  11 


l 


156  W.  ühthoff, 

Wissensch.  zu  Leipzig,  matheiQat.-pliysikal.  Klasse,  1852),  wo 
Th.  Wbbbr  und  mehrere  andere  Untersnchmigen  mit  paral- 
lelen schwarzen  Linien  mit  gleich  breiten  weiTsen  Zwischen- 
ränmen  anstellten,  von  C.  BEBGifANN  {j^Änatomisdies  und  Physio- 
logisches über  die  Netzhaut  des  Auges^^  ZeUschr.  für  rat.  Medio. 
von  Henle  und  Tfeuffer,  3.  Eeihe,  Bd.  11.,  1868,  pag.  83—108) 
mit  parallelen  Linien  mit  gleichbreiten'  Zwischenräumen,  von 
Helmholtz  {j^Physiol  Optih^y  I.  Auflage),  von  Hirschmann  (dito), 
mit  feinem  Drahtgitter,  Drähte  und  Zwischenräume  gleich  breit,, 
von  AüBBRT  (j^Physiol.  Optik^  ^  Handb.  d,  ges.  Augenheük.  von 
Oraefe  und  Saemisch)  für  weiTse  und  schwarze  Quadrate,  von  C 
DU  Bois-Rbtmond  {^Seheinheit  und  Meinster  Sehwinkd^^  v.  Graefes 
Ärch.  XXXn.,  Heft  3.  1886)  mit  siebförmig,  regelmäfsig  durch- 
löchertem Stanniolblatt  von  Werthheih  ii^Uber  die  Zahl  der 
Seheinheiten  im  mitäeren  Teile  der  Netzhaut^ ,  v.  Oraefes  Areh, 
/.  Ophthalm.y  XXXTTT. ,  Abt.  2).  Derselbe  benutzte  die  ana- 
loge Untersuchungsvorrichtung  wie  0.  du  Bois-Rbymond, 
prüfte  auch  excentrische  Netzhautpartien  und  ebenso  in  ver- 
schiedenfarbigem, wenn  auch  nicht  spektralem  Lichte.  Die 
Resultate  dieser  Untersuchungen  finden  sich  zum  grofsen  Teil 
tabellarisch  geordnet  in  der  2.  Auflage  von  Helmholt z^  Physiot, 
Optik  zusammengestellt  und  ergeben  abgesehen  von  einigen 
Versuchsresultaten  doch  im  ganzen  übereinstimmende,  wenn 
auch  je  nach  der  individueUen  Beschaffenheit  des  untersuchten 
normalen  Auges,  etwas  voneinander  abweichende  Resultate. 
Auch  die  Bückschlüsse  verschiedener  Autoren  aus  diesen  Ver- 
suchen auf  die  Zahl  und  Gröfse  der  Zapfen  im  Netzhautcentrom 
stehen  in  ziemlichem  Einklang  mit  den  anatomischen  Unter- 
suchungen über  die  Gröfse  der  perzipierenden  Elemente 
(KoELLiKEB,  M.  ScHULTZB,  H.  MüLLEB,  Welcbsr  u.  a.)  Und  über 
die  Anzahl  derselben  in  der  Netzhautgrube  (F.  Salzer:  Sitz.- 
Bericht  d.  K.  Akadetn.  d.  Wissensch,  in  Wien,  LXXXI.,  3.  Abt. 
1880,  Januarheft.). 

Li  Anschlufs  nun  an  meine  ft'üheren  Untersuchungen  über 
das  Verhalten  der  Sehschärfe  bei  verschiedenen  Beleuchtungs- 
intensitäten und  den  verschiedenen  Wellenlängen  im  Spektrum 
{v.  Graefes  Ärch.  f.  Ophthahn.,  XXXH.  pag.  171  u.  XXXVI., 
Heft  1)  trat  an  mich  noch  die  Aufgabe  heran,  mit  möglichster 
Schärfe  den  kleinsten  Gesichtswinkel  in  den  verschiedenen 
Teüen   des  Spektrums   zu   bestimmen  und  diese  Werte   unter- 


über  die  lUeinaten  wahrnehmbaren  G^sichtstoinkel.  157 

einander   zu   vergleichen,    Versuche,    die   bis   dahin  im  reinen 
spektralen   monochromatischen  Lichte   noch  nicht  ausgeführt 
worden  waren.    Die  Prüfxmg  mit  den  früher  benutzten  Snbllbn- 
schen  Haken  schien  für  diesen   speciellen  Zweck  nicht  ganz 
auszureichen.    Nach  Vorschlag  von  Prof.  Kobnio,  der  mich  auch 
bei  diesen  Versuchen  in  gütigster  Weise  unterstützte,  wurde  von 
dem  Mechaniker  Nobhden  im  physikalischen  Institut  ein  ganz 
feines  Drahtgitter  angefertigt,  in  welchem  die  einzelnen  feinen 
Drähte  genau  um  ihre  Dicke  auseinander  standen.    Es  wurde 
dies  in  der  Weise  erreicht,   dafs  2  ganz  gleich  starke  Drähte 
nebeneinander   aufgewickelt  wurden,  worauf  dann  später  der 
eine  wieder  abgerollt  ward.    Die  Messung  mit  der  Teilmaschine, 
welche  Prof.  EoEKia  ausführte,  ergab  für  den  einzelnen  Draht 
und  Zwischenraum  ein  Durchschnittsmafs  von  0,0463  imn  und 
von  der  Mittellinie  eines  Drahtes  bis  zur  Mittellinie  des  anderen 
gerechnet,  also  eine  Entfernung  von  0,0926  mm.    Die  Versuchs- 
anordnung war   im   übrigen   eine   analoge   wie  die  in  meiner 
letzten  Arbeit  {v.  Oraefes  Ärch.  f.  OpMhaJm,  XXXVI.,  pag.  37) 
abgebildete.    Vermittelst  eines  grofsen  mit  zimmtsaurem  Äthyl- 
äther gefüllten  Prismas  und  Linsen  von  entsprechender  Qröise 
wurde  ein  Spektrum  von  etwas  mehr  als  20  cm  Länge  erzeugt. 
In  der  Ebene  dieses  Spektrums  befand  sich  ein  verschiebbarer 
Metallschirm  mit  einer  ungefähr  3  mm  im  Durchmesser  enthal- 
tenden Öffnung.     Dem  durch  die  Öffnung  hindurch  blickenden 
Beobachter    erschien    dann    die    Prismenfläche    in   derjenigen 
Spektralfarbe  leuchtend,  welche  dem  auf  die  Offiiung  fallenden 
Spektralteil  entsprach.    Auf  einer  Schnurbahn  konnte  zwischen 
Auge  und  Prisma  das  oben  beschriebene  Gritter    entfernt  und 
genähert   werden.      So   war   es    also   möglich,   in    einem   rein 
monochromatisch    spektral    erleuchteten    gröiseren   Felde    den 
kleinsten  Gresichtswinkel  für  die  Stäbe  und  Zwischenräume  des 
Gitters  aufzufinden.     Im  ganzen   wurden  bei  7  verschiedenen 
Wellenlängen  des    Spektrums  auf  diese  Weise  die  gröfstmög- 
liehen  Sehschärfen  festgestellt  sowohl  für  das  Auge  von  Prof. 
KoBNie  als  für  mein  eigenes,  natürlich  mit  jedesmaliger  genauer 
Korrektion  des  Auges.    Die  Helligkeit  wurde  so  gewählt,  dais 
bei  einer    weitem   Steigerung    derselben   keine  Verminderung 
des  kleinsten  wahrnehmbaren  Gesichtswinkels  eintrat,  wovon 
wir    uns   jedesmal    durch  den  direkten  Versuch  überzeugten. 
Um  diese  Intensität  zu  erzeugen,  mufste  für  die  Wellenlängen 

11* 


168 


W.  Uhthoff. 


670,  535,   505,   430,  470  fifi  ZirkonUcht,    für  605  und  575  /i*/* 
konnte  jedoch  Ghaslicht  verwendet  werden. 

Die  Besnltate  waren  folgende  (unter  Annahme  der  Net»- 


KoKsriG : 

Wellenlänge 

Entfern,  d.  Unter- 
such, y.  Gitter 

Gedchtswijikel  KetxhftvtblldgrSfoe 
ffir  1  Draht              v.  1  Draht 

KetKhautbildg. 

V.  1  Draht  n. 

1  Zwischenraum 

670^^ 

300,6  mm 

31,7" 

0,0023  mm 

0,0046  mm 

605  „ 

285,0    „ 

33,5" 

0,0024    „ 

0,0048    „ 

575  „ 

285,8    „ 

33,4" 

0,0024    „ 

0,0048   „ 

535  „ 

293,8    „ 

32,6  " 

0,0023    „ 

0,0046   „ 

505  „ 

290,4    , 

32,8  " 

0,0023    „ 

0,0046   „ 

470  „ 

293,4    „ 

32,5  " 

0,0023    „ 

0,0046   „ 

430,, 

286,8    ,. 

33,4" 

0,0024    „ 

0,0048   „ 

Uhthoff: 

670^^ 

337,6  mm 

28,2  " 

0,0022  mm 

0,0044  mm 

605  „ 

358,6    „ 

26,6" 

0,0019    „ 

0,0038   „ 

575,, 

358,8    „ 

26,6  " 

0,0019    „ 

0,0038   „ 

635,, 

340,8    „ 

28,8  " 

0,0020    „ 

0,0040   „ 

505  „ 

342,8    „ 

27,8" 

0,0020    „ 

0,0040   „ 

470  „ 

343,0    „ 

27,8  " 

0,0020    „ 

0,0040   „ 

430,, 

337,4    „ 

28,3  " 

0,0020    „ 

0,0040   „ 

Der  Durchschnittswert  des  kleinsten  Gesichtswinkels  resp. 
des  kleinsten  Netzhautbildes  von  1  Draht  oder  1  Zwischen- 
raum beträgt  somit: 

KoENiG : 

kleinst.  Gesichtsw.  =  32,8  "  =  kleinst.  Netzhb.  =  0,00234  mm 

Uhthoff  : 

kleinst.  „  =27,6"=       „  „        =0,002       „ 

Aus  den  obigen  Tabellen  ergibt  sich  zunächst,  dafs  der 
kleinste  Gesichtswinkel  resp.  die  gröfste  erreichbare  Sehschärfe 
in  den  verschiedenen  Teilen  des  Spektrum  im  wesentlichen 
dieselbe  ist,  sobald  es  nur  gelingt,  ein  hinreichend  helles  spek- 
trales monochromatisches  Feld  herzustellen.  Nur  die  Zahlen 
bei  Wellenlänge  605  und  575  fifi  weichen  sowohl  bei  Koenig  als 
bei  mir  etwas  von  den  übrigen  ab,  und  zwar  sind  sie  bei 
Koenig  etwas  kleiner,  bei  mir  etwas  gröfser  als  die  andern. 
Es  erklärt  sich  diese  kleine  Abweichung  der  Besultate  wohl 
daraus,  dafs  sie  an  einem  andern  Tage  gewonnen  wurden. 
Im  übrigen  also  bestätigen  auch  diese  Gitterversuche  meine 
früher  mit   den  SNELLENschen  Haken  im  spektralen  Licht  ge- 


über  die  kleinsten  wihrnehmbaren  Qesichtsmnkel  159 

woimenen  Ergebnisse  über  die  Höhe  der  erreicilbaren  Seh- 
schärfe  in  den  verschiedenen  Teilen  des  Spektrums.  loh  er- 
innere hier  auch  an  die  Angaben  Wjsrthheims  (1.  c),  der  eben- 
£Edl8  einzehie  Versuche  über  die  gröfstmögliche  Sehschärfe  im 
farbigen  Licht  (farbige  Gläser)  angestellt  hat  und  kurz  anfahrt , 
dafs  im  roten  und  grünen  licht  die  Sehschärfe  im  wesent- 
lichen dieselbe  sei,  wie  far  gemischtes  Licht;  tax  Blau  dies 
nachzuweisen,  war  ihm  jedoch  nicht  möglich,  da  ihm  kein 
geeignetes  homogenes  Glas  zur  Verfügung  stand. 

Wenn  ich  mich  den  Ausführungen  von  v.  Hblmholtz  an- 
schliefse  und  nicht  den  Abstand  2  Drähte  resp.  die  Dicke 
1  Drahtes  als  kleinstes  Objekt  rechne,  sondern  die  Breite  eines 
Drahtes  und  eines  Zwischenraumes  zusammen  genommen,  so 
beträgt  far  Koenig  der  kleinste  Gesichtswinkel  65,6  Sekunden, 
die  dazu  gehörige  Netzhautbildgröüae  0,00468  mm,  und  far  mein 
eigenes  Auge  Gesichtswinkel  =  55,2  Sekunden  und  dazu  ge- 
hörige Netzhautbildgröfse  =  0,004  mm.  Hierbei  ist  zu  be- 
merken, dafs  bei  Prof.  KosNia  mit  einer  Myopie  von  10  D  die 
Netzhautknotenpunktdistanz  wohl  ziemlich  sicher  gröfser  als 
der  in  Bechnung  gezogene  Wert  ist.  Wir  können  daraus  nach 
y.  HsLMHOLTZ  den  Schlufs  ziehen,  dafs  der  Durchmesser  der  per- 
cipierenden  Elemente  in  der  Netzhautgrube  jedenfalls  nicht 
kleiner  als  0,00234  mm  und  nicht  gröfser  als  0,00468  mm  für 
KoBNiG  ist,  und  für  mich  zwischen  0,002  mm  und  0,004  mm  liegt ; 
denn  der  kleinste  erkennbare  Abstand  zwischen  den  einander 
zugekehrten  Bändern  zweier  Drähte  beträgt  =  0,00234  mm 
(Kobnig)  und  0,002  mm  (Uhthofp)  ;  würde  der  Durchmesser  eines 
percipierenden  Elementes  noch  kleiner  sein,  so  müfste  auch 
ein  noch  kleinerer  Abstand  von  einem  normalen  Auge  erkannt 
werden,  da  wir  annehmen  können,  dafs  jedenfalls  nicht  mehr 
als  1  percipierendes  Element  von  dem  Bilde  eines  Stäbchens 
gedeckt  zu  sein  braucht,  um  denselben  als  schwarzen  Zwischen- 
raum empfinden  zu  lassen.  Auf  der  andern  Seite  aber  liegt 
auf  der  Hand,  dafs  der  Durchmesser  des  percipierenden  Ele- 
mentes gröfser  sein  kann,  als  das  kleinste  Netzhautbild  eines 
einzelnen  Drahtes ;  denn,  selbst  wenn  die  Oberfläche  des  perci- 
pierenden Elementes  noch  aus  dem  dunklen  Bilde  eines 
Drahtes  in  die  benachbarten  hellen  Bilder  der  angrenzenden 
Zwischenräume  hineinragt,  so  'wird  doch  noch  eine  Empfindung 
einer  lichtleeren  Lücke    ausgelöst    werden,    so    lange    das  be- 


160  w.  üh^o/f. 

treffende  Element  weniger  Licht  als  seine  Nachbarn  erhalt; 
erst  wenn  es  ebenso  viel  Licht  von  den  Bildern  der  angrenzen- 
den heuen  Zwischenräome  erhält  wie  die  Nachbarn,  ma£s  die 
ünterscheidnng  des  Objektes  als  Gitter  aufhören.  Darum 
feübrte  V.  Hblmholtz  das  Bild  von  der  Mittellinie  eines  Drahtes 
resp.  eines  Zwischenranmes  bis  zur  Mittellinie  des  benachbarten 
als  das  kleinste  Netzhautbild  ein  und  rechnete  auch  in  seiner 
aufgestellten  Tabelle  in  diesem  Sinne  die  Besultate  früherer 
TJntersucher  um.  Es  ergibt  sich  also  in  ziemlicher  Überein- 
stimmung mit  frühem  üntersuchem,  dafs  ungefähr  ein  G-esichts- 
Winkel  von  1  Minute  der  kleinste  war,  unter  welchem  noch 
erkannt  wurde,  in  den  verschiedenen  Teilen  des  Spektrums  bei 
KoENio  etwas  grölser,  65,6  Sekunden,  bei  mir  etwas  kleiner, 
55,2  Sekunden.  —  Dafs  die  von  Volkmahn  für  den  Baumsinn 
gewonnenen  Werte  so  niedrig  ausfielen  (Gesichtswinkel  147,5^07 
liegt  wohl  zum  Teil,  wie  schon  E.  H.  Wbbeb  in  seiner  Abhand- 
lung hervorhebt,  daran,  „dafs  die  Spinnwebfaden  verhältnis- 
mäßig zu  ihrer  eignen  Dicke  weitläufig  lagen,  denn  unter 
diesen  umständen  sind  wohl  die  Zwischenräume  grols  genug, 
um  sie  aus  gröfserer  Entfernung  als  die  hier  angewendete  noch 
wahrzunehmen,  aber  die  Fäden  sind  zu  dünn,  um  sie  in  einer 
solchen  Entfernung  zu  sehen.  ^  Übrigens  erzielte  ein  zweiter 
TJntersucher  mit  denselben  Spinnwebfaden  Yolemanns  einen 
erheblich  kleineren  Gesichtswinkel  (80,4 '0-  Auf  die  von  Volk- 
HANN  besonders  betonten  Irradiationserscheinungen  bei  An- 
wendung von  Gittern  und  Liniensystemen  ist  bei  unsem  Unter- 
suchungen, ebenso  wie  auch  von  den  meisten  andern  Unter- 
Suchern  keine  besondere  Bücksicht  genommen.  Im  übrigen 
glaube  ich,  dafs  unsere  Yersuchsanordnung  für  die  Auffindung 
des  kleinsten  Gesichtswinkels  in  den  verschiedenen  Teilen  des 
Spektrums  eine  zweckmälsige  war,  und  dafs  dadurch  auch 
möglichst  die  von  Aubbrt  so  mit  Becht  hervorgehobenen 
Übelstände  bei  derartigen  Versuchen  vermieden  waren. 


Die  ästhetischen  Gefühle. 

Von 
A.  DöRINQ. 

I. 

Es  handelt  sich  hier  um  das  Problem,  diejenige  Species  der 
Oefuhle,  die  als  Lust  aus  dem  Schönen  und  als  Unlust  aus  dem 
Häfslichen  jedem  bekannt  sind  und  im  Einzelfalle  instinktiv 
ziemlich  richtig  von  anderen  Grefühlen  unterschieden  werden, 
durch  sichere  Merkmale  von  den  übrigen  koordinierten  Species 
abzusondern  und  als  eine  selbständige  G-ruppe  innerhalb  der 
Gefiählswelt  aufzuweisen.  Dafs  ein  neuer  Lösungsversuch  dieses 
Problems  seine  Berechtigung  hat,  bedarf  ftir  den,  der  mit  den 
vorhandenen  Begriffsbestimmungen  des  Schönen  und  Häfslichen 
vertraut  ist,  keiner  Begründung. 

Um  überhaupt  zu  einer  fruchtbaren  Übersicht  und  Ghrup- 
pierung  der  Geftihle  zu  gelangen,  sind  bekanntUch  die  den  Ge- 
fiihlen  selbst  anhaftenden  Verschiedenheiten,  wie  Stärke,  Dauer, 
Lust-  und  Unlustqualität  nicht  ausreichend.  Es  bedarf  dazu 
vielmehr  eines  Zurückgreifens  auf  die  Gefühlsursachen.  Freilich 
nicht  auf  die  äulseren  Ursachen  —  das  würde  zu  zoologischen, 
meteorologischen  und  wer  weifs  was  sonst  für  G-efühlen  führen  — , 
sondern  auf  die  inneren  Ursachen  der  G-efühle.  Li  Bezug  auf 
diese  ist  der  Begriff  des  Bedürfnisses  von  fundamentaler 
Bedeutung. 

Schon  der  gewöhnliche  Sprachgebrauch  versteht  unter  Be- 
dürfois  nur  im  abgeleiteten  Sinne  ein  Befriedigungsmittel,  ein 
äufseres  afßzierendes,  im  ursprünglichen  Sinne  aber  eine  Be- 
schaffenheit unsrer  Organisation,  vermöge  deren  bestimmte 
Arten  der  Affektion  Lust,  ihr  Ausbleiben  oder  das  Eintreten 
solcher  Affektionen,  die  zu  den  lustbringenden  im  Q-egensatze 
stehen,  Unlust  auslöst.     Nicht  als  ob  uns  die  Bedürfiiisse  nach 


162  Ä.  Döring. 

ihrer  Beschaffenheit  an  sich  miniittelbar  vor  Angen  lägen  oder 
erkennbar  wären;  nnr  die  durchgängige  gegensätsdiche  Koordi- 
nation gewisser  Ghrnppen  von  äniseren  GefELhlsursachen  ermöglicht 
ihre  Erschlielsnng  als  des  inneren  Bealgmndes  bestimmter 
Gruppen  von  Gefühlen  nnd  damit  eine  brauchbare  Einteilnng 
der  Gefohle.  Indirekt  nämlich  bilden  die  durch  das  Band  dieser 
gegensätzlichen  Koordination  zusammengehaltenen  Gruppen  der 
äufseren  Gefohlsursachen,  direkt  die  ihnen  entsprechenden 
Ghruppen  zusammengehöriger  Lust-  und  ünlustgefuhle  den  Er- 
kenntnisgrund bestimmter  Bedürfhisse  als  innerer  Geföhls- 
Ursachen. 

Nach  diesem  Verfahren  der  Erschliefsung  sind  wir  in  Stand 
gesetzt,  die  primären  oder  Grundbedürfnisse  unsrer  Orga- 
nisation systematisch  aufzustellen.  Wir  dürfen  wohl  von  vorn- 
herein erwarten,  wenn  wir  nicht  die  noch  unentwickelte  oder  in 
ihrer  Entwickelung  verkümmerte,  sondern  die  normal  entwickelte 
Menschennatur  als  mafsgebend  zu  Grunde  legen,  unter  diesen 
primären  Bedürfhissen  auch  dasjenige  anzutreffen,  dem  die 
ästhetischen  Gefühle  entspringen.  Die  hervorragende  Position 
der  letzteren  in  der  Gesamtheit  des  menschlichen  Gefühlslebens 
verbürgt  uns  dies.  Unser  Problem  würde  sich  also  auf  die  Frage 
zuspitzen:  Welcher  Gruppe  der  menschlichen  Grund- 
bedürfnisse entspringen  die  ästhetischen  Gefühle? 

Ich  habe  in  meiner  „Phüosaphischen  Grüterlehre"  (1888)  mit 
ausführUcher  Begründung  den  Versuch  gemacht,  die  Tafel  der 
menschlichen  Grundbedürfmsse  zu  entwerfen.  Hier  soU  ein  ab- 
gekürztes Verfahren  platzgreifen.  Insbesondere  lasse  ich  die 
beiden  dort  von  mir  unterschiedenen  groisen  Ghruppen  der  Aus- 
drucksbedür&isse  und  des  Bedürfnisses  der  Normalität  fremder 
Zustände,  dem  die  Mitgeftihle  entsprechen,  mit  BewuTstsein  bei 
Seite,  obwohl  allerdings  beiden,  und  zwar  ersteren  durch  den 
in  ihnen  wurzelnden  Trieb  zur  Produktion  des  Schönen,  letzteren 
wegen  der  aristotelischen  Theorie  vom  Mitleid  als  der  Quelle 
der  Lust  am  Tragischen  eine  gewisse  Beziehung  zum  Ästhetischen 
beiwohnt. 

Nach  Absonderung  dieser  beiden  Gruppen  ergiebt  sich  for 
die  übrigbleibende  Masse  der  auf  die  eigenen  Zustände  des  In- 
dividuums bezüglichen  Bedür&isse  eine  Vierteilung  durch  Kreu- 
zung zweier  Einteilungsprinzipien.  Einesteils  sind  sie  entweder 
körperliche  oder  seelische,  d.h.  die  ihnen  entspringenden 


Die  ästhetischen  Gefühle.  163 

Gefühle  haften  entweder  unmittelbar  an  der  Modifikation  des 
körperlichen  Zustandes,  ohne  dafs  zu  ihrem  Zustandekommen 
ein  vorgängiger  BewuTstseinszustand  erforderlich  wäre,  oder  aber 
die  ihnen  entspringenden  Gefühle  haften  als  Geftüilston  an  Be- 
wuTstseinszuständen,  d.  h.  an  Vorstellungen,  Strebuugen  oder 
auch  an  anderen  Gefühlen,  welcher  letztere  Punkt  erst  im 
weiteren  Verlaufe  deutlich  werden  kann. 

Nach  dem  anderen  Einteilungsprinzip  beruhen  die  in  Bede 
stehenden  Grundbedürfiiisse  entweder  auf  realen,  inhaltlichen 
Erfordernissen  unsrer  Organisation,  oder  sie  sind  Funktions- 
bedürfnisse, die  im  Gegensatze  gegen  die  inhaltlichen  auch 
formale  genannt  werden  können.  JDie  Thatsächlichkeit  dieser 
letsteren,  für  unsre  Untersuchung  besonders  bedeutsamen  Be- 
dürfnisgruppe  muTs  nachdrücklich  behauptet  werden;  es  mufs 
behauptet  werden,  dafs  die  zunächst  im  Dienste  der  inhaltlichen 
oder  materialen  Bedür&isbefriedigung  fungierenden  Organe,  An- 
lagen, Fähigkeiten  daneben  ein  selbständiges  Funktionsbedürfnis 
besitzen,  das  sich  auch  da,  wo  durch  die  Funktion  einem  ma- 
terialen Bedürfnis  genügt  und  materiale  Lust  geschaffen  wird, 
zugleich  in  rein  formaler,  wenngleich  nicht  deutlich  unter- 
scheidbarer Funktionslust  manifestiert,  dafs  ferner  diese 
Fanktionslust  auch  da  vorhanden  ist,  wo  die  ma- 
teriale Wirkung  der  Affektion  Unlust  ist,  oder  wo 
ein  materiales  Interesse  bei  der  Funktion  nicht  ins  Spiel  kommt. 
Für  den  Fall  der  Nichtbefriedigang  des  Funktionsbedürfiiisses 
hat  natürlich  jene  Lust  in  einer  entsprechenden  Unlust  ihr 
Seitenstück. 

Durch  Kombination  dieser  beiden  Einteilungsprinzipien 
erhalten  wir  zunächst  das  Gebiet  der  materialen  körper- 
lichen Grundbedürfnisse,  das  in  die  Bedürfnisse  der 
Normalität  der  Körperreize  und  der  Sinnesreize  zerfallt.  Nur 
diejenige  Lust  und  Unlust  kommt  hier  in  Betracht,  die  unmittelbar 
und  ausschliefslich  dem  Beize  entspringt.  Im  empirischen  Seelen- 
leben kommen  diese  Gefühle  nur  in  Verbindung  mit  gleich- 
zeitig entspringenden  seelischen  Gefühlen  vor  und  können  nur 
durch  eine  künstliche  Abstraktion  für  die  Perzeption  isoliert 
werden. 

Die  körperlichen  Funktionsbedürfnisse,  die  die  zweite 
Gruppe  bilden,  machen  sich  nur  insoweit  gesondert  geltend,  als 
sie  nicht   schon  durch  die  materialen  Prozesse   ihre  Deckung 


164  Ä.  Döring. 

finden.  Im  letzteren  Falle  erzeugt  ihre  nebenher  eintretende 
Befriedigung  einen  —  nicht  gesondert  ins  Be wuistsein  tretenden  — 
Zuschuls  zur  materialen  Lustwirkung,  zur  materialen  Unlust- 
wirkung aber  ein  abschwächendes  Q-egengewicht.  Wird  ihnen 
in  Abwesenheit  eines  materialen  Bedürfoisses  G-enüge  geleistet 
oder  nicht  G-enüge  geleistet,  oder  gar  Hemmung  bereitet,  so 
entsteht  rein  formale  körperliche  Lust  oder  Unlust.  Die  for- 
malen körperlichen  Bedürfnisse  sind  je  nach  der  Art  des  Organs 
und  seiner  Funktionsweise  Bedürfnisse  der  Erregung  oder  der 
Bethätigung. 

Die  dritte  Gruppe,  die  der  materialen  seelischen  Be- 
dürfnisse, umfaist  primär  (worauf  sich  ja  unsere  Unter- 
suchung beschränkt)  ausschliefslich  Bedürfrusse  des  Vorstellens, 
und  zwar  des  Vorstellens  mit  der  Nebenvorstellung  des  Vor- 
handenseins des  Vorgestellten.  Das  Gefühl  kann  hier  nicht  in 
Betracht  kommen,  da  es  unter  dem  materialen  Gesichtspunkte 
nur  Folge  und  Symptom  des  vorhandenen  Gb'ades  der  Befrie- 
digung der  Vorstellungsbedürfhisse  ist,  das  Streben  nicht,  weil 
es  erst  sekundär  als  Folge  vorhandener  Unlust  oder  unzu- 
reichender Lust  in  Aktion  tritt.  Die  somit  allein  übrigbleibenden 
Vorstellungsbedürfnisse  zerfallen  wieder  in  zwei  Gruppen;  sie 
betreffen  einesteils  die  Vorstellung  des  Vorhandenseins  des  zu 
unserm  Wohlsein  Erforderlichen,  die  Normalität  unsres  Schick- 
sals, die  Übereinstimmung  der  Welteinrichtung  mit  den  Er- 
fordernissen unsrer  Organisation,  sowohl  im  grofsen  und  ganzen, 
wie  in  den  wechselnden  Einzelfallen  der  jedesmal  vorliegenden 
Situation,  andemteils  als  Selbstschätzungsbedürfms  die  Vor- 
stellung des  Vorhandenseins  oder  Nichtvorhandenseins  eines 
Wertes,  einer  Bedeutung  unsrer  Person. 

Uneingeschränkt  und  universell  hinsichtlich  der  Arten  der 
seelischen  Vorgänge  sind  dagegen  die  Bedürfriisse  der  vierten 
Gruppe,  die  seelischen  Funktionsbedürfnisse.  Jede  Er- 
regung des  Gefühls  oder  des  Vorstellens,  jede  Bethätigung  der 
intellektuellen  Aktivität  oder  des  Strebens,  mag  sie  aufserdem, 
im  Sinne  eines  materialen  Interesses  verlaufend,  einen  materialen 
Lust-  oder  Unlustaffekt  erzielen  oder  des  materialen  Impulses 
entbehren,  ist  rein  als  solche  lustvoll,  jede  Nichtbefriedigung 
oder  Hemmung  des  seelischen  Beschäftigungsbedürfnisses  rein 
als  solche  unlustvoll.  Es  entspringt  hier  z.  B.,  wie  ich  a.  a.  O. 
des   Näheren   nachgewiesen    habe,    ein    dreifacher    Begriff   der 


Die  ästhetiachen  Gefühle,  165 

Langeweile,  als  G-eftUilsleere,  intellektuelle  Leere  und  Leere  des 
Strebens.  Ebenso  habe  ich  a.  a.  0.  zu  zeigen  versucht,  welche 
ungeheure  Menge  der  menschlichen  Bestrebungen  dieser  Be- 
dürfhisgruppe  entspringt  und  wie  grofs  daher  Uire  Bedeutung 
fiir  unser  Wohlsein  geschätzt  werden  mufs.  Hier  nun  erhält 
die  obige,  anscheinend  paradoxe,  aber  für  unsre  Untersuchung 
hochbedeutsame  Behauptung  von  Gefühlen  aus  Gefühlen  ihr 
volles  Licht.  Das  durch  irgend  welche  Verursachung  entstehende 
Gefühl,  sei  es  Lust  oder  Unlust,  ist  als  seelische  Funktion  lust- 
voU.  Wir  haben  also  hier  vom  primären  Vorgang,  dem  Zu- 
stande des  Lust-  oder  Unlustempfindens,  einen  sekundären,  die 
Lust  aus  dem  unmittelbaren  Innewerden  der  Funktion  als  einem 
seelischen  Bedürfnis  Genüge  leistend,  zu  unterscheiden.  Bei 
der  Lust  werden  diese  beiden  Elemente  imunterscheidbar  ver- 
schmelzen, bei  der  Unlust  aber  läfst  der  Kontrast  die  sekundäre 
Funktionslust  deutlich  als  etwas  Verschiedenes  hervortreten. 

Ich  unterlasse  nun  kürzehalber  den  negativen  Nachweis, 
dafs  die  ästhetischen  Gefühle  weder  aus  den  beiden  Gruppen 
der  körperlichen  Bedür&isse,  noch  aus  den  materialen  seelischen 
Bedür&issen  entspringen,  und  behaupte  kurzweg,  dafs  ihre 
Quelle  in  den  seelischen  Funktionsbedürfnissen  zu  suchen  ist. 
Dafs  die  seelischen  Funktionen  an  sich  lustvoll,  ihr  Ces- 
sieren  oder  ihre  Hemmung  an  sich  unlustvoll  ist,  haben  wir 
gesehen.  Für  die  Verknüpfung  der  Funktionslust  wenigstens 
aus  der  Erregung  von  Gefühlen  mit  dem  ästhetischen  Gebiet 
besteht  femer  eine  alte  Tradition,  für  die  sich  Namen  wie 
Plato,  Aristotblbs,  Desoartbs,  Dubos,  Kant,  Schillbb  ins  Feld 
fuhren  lassen.  Vor  allen  ist  hier  Aristoteles  als  Gewährsmann 
zu  nennen.  Mit  einseitiger  Ausschliefslichkeit  leitet  er  alle 
und  jede  Lust  im  Zusammenhange  mit  seinen  metaphysischen 
Grundprinzipien  dvvagjbig  und  ivi^e^a  aus  der  ins  Bewufstsein 
fallenden  Bethätigung  einer  Anlage  ab  (Eth.  Nie.  X.  4,  1174 
b.  24,  33;  VH.  14,  1153  b,  10  ff;  Ehet.  LH,  1369  b,  33),  und 
somit  steht  seine  berühmte  Lehre  von  der  Katharsis  als  der 
von  Lust  begleiteten  intensiven  Erregung  der  tragischen  Unlustr 
geftihle  im  direkten  Zusammenhange  mit  den  letzten  Prinzipien 
seiner  Metaphysik.  Die  tragische  Lust  ist  Lust  aus  einer 
Funktion,  aus  der  Bethätigung  einer  Anlage.  Der  alles  Werden 
umspannende  Begriff  der  ivi^eia  bezeichnet  die  Verwirklichung 
des  potentia  Vorhandenen  einesteils  alsEntwickelung,  andernteils. 


166  ^.  Döring. 

wie  in  unserem  Falle,  als  Bethätigung,  nnd  letztere  ist  es,  auf 
die  Aristotelbs  nicht  nur  die  ästhetische,  sondern  schlechthin 
alle  nnd  jede  Lust  znrückfahrt.  Eine  vollbewofste,  mit  deut- 
licher Erkenntnis  des  Prinzips  nnitemommene  nnd  das  ganze 
Gebiet  der  ästhetischen  Gefühle  umfassende  Ableitung  der 
letzteren  aus  dieser  Bedürfhisgruppe  ist  jedoch  noch  niemals 
auch  nur  entfernt  yersucht  worden ;  sie  hat  die  Bewährung  der 
Hypothese  zu  bilden. 

Ehe  jedoch  zu  dieser  Bewährung  übergegangen  werden 
kann,  bedarf  es  noch  bedeutender  Einschränkungen  des  weiten 
Gebietes,  ehe  die  Begion  der  ästhetischen  Gefühle  abgegrenzt 
sein  wird.  Das  Gebiet  der  seelischen  Funktionslust  ist  schlecht- 
hin unbegrenzt ;  es  giebt  keinen  empirischen  Gefühlsvorgang  — 
die  empirischen  Gefühlsvorgänge  d.  h.  die  Gefühlsvorgänge,  wie 
sie  sich  der  unmittelbaren  innem  Erfahrung  ohne  künstliche 
Zergliederung  darbieten,  sind  nämlich  sämtlich  Gefühlskomplexe 
von  oft  sehr  vielfacher  und  unendlich  mannigfaltiger  Zusammen- 
setzung —  an  dem  sie  nicht  in  irgend  einem  Mafse  Anteil  hätte. 
Nun  giebt  es  zwar  eine  Gruppe  von  Gefühlskomplexen,  in  der 
die  aus  dem  Beschäftigungsbedürfnis  entspringenden  Gefühle 
als  das  eigentlich  Charakteristische,  Ausschlaggebende  des  betref- 
fenden Komplexes  deutlich  im  Vordergrund  stehen,  sei  es,  dafs  das 
Beschäfbigejide  sich  ungesucht  darbietet,  sei  es,  dafs  das  unbe- 
friedigte Beschäftigungsbedürfiiis  ein  Streben  nach  intellek- 
tueller, Wülens-  oder  Gefühlsbeschäfbigung  entfesselt  hat.  Doch 
zeigt  ein  sehr  grofser  Bruchteil  der  hierhergehörigen  Fälle 
unbeschadet  dieses  in  erster  Linie  mafsgebenden  formalen 
Interesses  ein  sofortiges  sekundäres  Verfloohtenwerden  in  ma- 
teriale  Interessen,  eine  Verunreinigung  des  formalen  Gefühls 
durch  materiale  Beimischungen  und  Zusätze.  Es  handle  sich  um 
ein  Gespräch,  eine  Lektüre,  ein  Studium,  ein  Spiel,  eine  Intrigue, 
ein  Abenteuer;  das  ursprünglich  mafsgebende  Interesse  sei 
durchaus  das  der  seelischen  Beschäftigung :  sofort  aber  erzeugen 
tausend  herzudringende  materiale  Interessen  sekundärer  Art, 
das  Gelingen  oder  Mifsüngen,  der  Gewinn  oder  Verlust,  der 
sinnliche  Genufs,  das  Gefördertwerden  durch  verwandte,  der 
Konflikt  mit  widerstreitenden  Interessen,  die  Hebung  oder  Nieder- 
drückung des  SelbstbewuTstseins,  das  Streben  nach  Beschaffung 
'  der  Mittel   und  Beseitigung   der  Hemmnisse  solcher  Beschäftd- 

I  gungen,   die  Sorge  um  die  Möglichkeit,   der  Schmerz  um  das 

li 


Die  äslheHsehm  Gefühle.  167 

Eingetretensein  ihres  Verlustes  u.  s.  w.,  ein  sekundäres  Yer- 
flochtenwerden  in  materiale  Interessen  und  Bestrebungen,  die 
diesen  Teü  der  aus  dem  seelischen  Beschafügungsbedürfhisse  ent- 
sprungenen Bestrebungen  den  von  Haus  aus  materialen  Bestre- 
bungen ununterscheidbar  naherüokt.  Sie  werden  durcb  eine  Art 
von  Assimilation  in  die  Sphäre  des  materialen  Lebens  hineinge- 
sogen und  durch  die  Schlacken  desselben  verunreinigt.  Demgegen- 
über muTs  fiir  die  Sphäre  der  ästhetischen  Gefühle  als  erste 
Forderung  die  der  Beinheit  und  Ausschliefslichkeit  des 
formalen  Interesses  gelten.  Die  Objekte  dürfen  keine  andere 
Bedeutung  für  uns  haben,  als  die,  eine  seelische  Funktion  aus- 
zulösen. Hier  haben  wir  den  wahren  Sinn  und  die  zutreffende 
Begründung  einer  mit  seltener  Einstimmigkeit  in  der  Sache, 
wenn  auch  in  verschiedenen  Ausdrücken,  von  den  Ästhetikern  auf- 
gestellten Grundforderung.  Das  Entspringen  der  Lust  lediglich 
aus  der  seelischen  Funktion  (der  als  ihr  Gegensatz  die  Unlust 
aus  dem  Brachliegen  oder  der  Hemmung  derselben  gegen- 
übersteht), ist  das,  was  Kant  mit  dem  interesselosen  Wohl- 
gefallen meint,  SoHBLLme  mit  der  ästhetischen  Anschauung, 
ScHOPSNHAUEB  mit  der  willensfreien  Betrachtung,  von  Hartmann 
mit  der  Bezeichnmig  der  ästhetischen  Gefühle  als  „Schein- 
gefähle^.  Nur  sind  diese  Ausdrücke  mehr  oder  minder  unzu- 
länglich. Ein  interesseloses  Wohlgefallen  ist,  wenn  unter  Inter- 
esse alles  und  jedes  verstanden  wird,  was  einem  Bedürfnisse 
Genüge  leistet,  also  Lust  (Wohlgefallen)  erregt,  eine  contradictio 
in  adjecto.  Wir  wissen  ja  nun  wohl,  dafs  Kant  nur  an  die  materia- 
len Bedürfnisse  denkt ;  immerhin  aber  bleibt  seine  Bezeichnung 
eine  lediglich  negative;  sie  bezeichnet  nur  eine  leere  Stelle,  für 
die  hier  eben  durch  Nachweis  des  zugehörigen  Interesses  die  pas- 
sende Ausfüllung  gegeben  werden  soll.  Der  Ausdruck  „Scheinge- 
f[Lhle"  ist  wenigstens  sprachlich  zu  beanstanden;  ein  Scheingefühl 
ist  das  Gegenteil  eines  wirklichen  Gefohls;  gemeint  ist  aber 
ein  durch  den  blofsen  Schein  ausgelöstes  Gefahl.  An  sich 
ist  der  Ausdruck  „Schein^  für  die  Quelle  der  ästhetischen 
Gefühle,  auf  die  auch  Schiller  mit  den  Worten:  „An  dem 
Scheine  mag  der  Blick  sich  weiden^  hinweist,  überaus  zutreffend ; 
das  Af£zierende  ist,  sei  es  durch  einen  Akt  des  Betrachtenden 
selbst,  sei  es  durch  die  Vorschub  leistende  Vorarbeit  des  Künst- 
lers, der  hier  wirkt,  wie  ein  guter  Vorleser,  dem  aber  doch 
wieder    eine    kongeniale  Haltung   des   Geniefsenden  entgegen- 


168  A.  Dörmg. 

kommen  mois,  ans  der  Sphäre  der  realen  Dinge  nnd  Interessen 
heransgelöst,  nnd  seine  ganze  Wirkung  beschränkt  sich  jetzt 
anf  die  Auslösung  seelischer  Funktionen  und  der  aus  diesen 
resultierenden  Lust;  das  ästhetische  Verhältnis  zu  den  Objekten 
kann,  wenn  man  den  Ausdruck  nur  richtig  deuten  will,  ab 
ein  unpersönliches  bezeichnet  werden. 

Wir  müfsten  also  der  genereUen  Bestimmung:  ^^Ästhetische 
Lust  ist  die  Lust  aus  der  Funktion  eines  seelischen  Vermögens, 
ästhetische  Unlust  die  Unlust  aus  dem  Brachliegen  oder  der 
Funktionshemmung  eines  solchen*^  als  erste  Bestriktion  das 
Merkmal  anftLgen:  ,, vorausgesetzt,  dafs  diese  formalen  Gefühle 
durch  keine  materiale  Beimischung  gefälscht  oder  vernnreinigt 
werden.** 

An  diesen  Punkt  knüpft  sich  wohl  die  E/ledigung  der 
Frage  an,  warum  die  niederen  Sinne  keine  ästhetischen  Wir- 
kungen vermitteln  können.  Ich  möchte  diese  Frage  hier  nur 
streifen.  Die  Lösung  wird  wohl  dann  bestehen,  dais  bei  den 
niederen  Sinnen  die  Lust  aus  der  seelischen  Funktion  zwar 
mit  erregt,  aber  fast  nie  rein  und  unvermischt  erhalten  werden 
kann.  Ganz  zwar  durfte  diese  Möglichkeit  nicht  abzuweisen 
sein.  Das  Erkennen  nnd  Vergleichen  aromatischer  Düf)>e  und 
Gesohmäcke  z.  B.  kann  rein  als  intellektuelle  Funktion  vor- 
kommen. Dagegen  dürfen  die  Associationen,  auf  die  Fechitbr 
beim  Schönen  unter  Übergehung  der  eigentlichen  Natur  des- 
selben ein  ungebührliches  Gewicht  legt,  hier  nicht  herangezogen 
werden.  Der  Duft  einer  Orangenblüte  kann  mich  an  Italien, 
der  Geschmack  einer  Speise  oder  eines  Getränkes  an  ein  Fest, 
dem  ich  beigewohnt  habe,  erinnern,  aber  das  sind  rein  zufallige 
von  Individuum  zu  Individuum  verschiedene  Associationen, 
während  doch  dem  Schönen  der  Charakter  einer  gewissen 
menschlichen  AUgemeingültigkeit  zugeschrieben  werden  mnfs. 

Wir  müssen  aber  noch  ein  zweites  einschränkendes 
Merkmal  beifügen.  Das  Objekt  nämlich,  das,  um  mit  Schilleb 
zu  reden,  jeden  Zeugen  menschlicher  Bedürftigkeit  ausgestofsen 
hat,  und  nun  nur  noch  in  einem  einzigen  Sinne  af&zierend 
wirken  soll,  mufs,  um  nicht  wirkungslos  zu  bleiben,  eine  erhöhte, 
gesteigerte  Wirkungsfahigkeit  erhalten.  Das  einem  materialen 
Bedürfnisse  Genüge  Leistende  schaffen  wir  uns,  wenn  es  sich 
nicht  von  selbst  einstellt,  herbei,  Wir  setzen  es  aus  seinen 
Elementen,  die  wir  aus  aUen  Ecken  zusammensuchen,  zusammen 


Die  äathetiecTten  Gefühle,  169 

und  scbeuen  in  dieser  Beziehtuig  keine  Mühe.  Auch  schon 
das  sekundäre  materiale  Interesse,  das  sich  dem  seelisch  Be- 
schäftigenden verunreinigend  beimischt,  ist  stark  genug,  um 
allerlei  Schwierigkeiten  der  Perzeption  zu  überwinden.  Das 
rein  und  ausschliefslich  seelisch  Beschäftigende  aber  muTs  uns, 
um  wirken  zu  können,  als  ein  Fertiges  und  zugleich  als  ein  an- 
schauliches Einzelnes  entgegentreten,  es  mufs  anschauUch  sein,  sei 
es  im  Sinne  der  Perzeption  durch  Sinnesthätigkeit,  sei  es  als 
Objekt  der  durchs  Wort  vermittelten  Phantasieanschauung. 
Hier  rechtfertigt  sich  von  unserm  Prinzip  aus  eine  zweite 
Qrundforderung,  die  von  jeher  an  das  ästhetisch  Wirksame 
gestellt  worden  ist:  die  Forderung  der  Anschaulichkeit,  um 
hier  nur  ein  Beispiel  beizubringen:  Warum  verwandelt  Schiller 
im  Binge  des  Polykrates  die  Vorgänge  zwischen  diesem  und 
Amasis,  die  bei  Herodot  durch  brieflichen  Austausch  vermittelt 
sind,  in  einen  unmittelbaren  Verkehr  von  Person  zu  Person, 
warum  rückt  er  gleichzeitig  die  unerhörten  Glücksfälle  in  die 
gröfste  zeitliche  Nähe  zusammen  ?  Aus  keinem  anderen  Ghrunde, ' 
als  um  die  Vorgänge  phantasiemäfsig  anschaulich  zu  machen, 
weil  nur  so  die  ästhetische  Wirkung  in  genügender  Stärke 
zu  erzielen  war. 

Wir  werden  also  zu  der  obigen  Definition  noch  die  weitere 
Bestriktion  hinzufügen  müssen,  dafs  die  ästhetische  Lust  nur 
vom  fertig  dargebotenen  anschaulichen  Einzelnen  ausgehen 
kann.  Diese  Bedingung  ist  nicht,  wie  die  vorige,  eine  Bedin- 
gung der  Beinheit  und  ünvermischtheit,  sondern,  die  Beinheit 
und  ünvermischtheit  als  Postulat  vorausgesetzt,  eine  Bedingung 
für  die  Möglichkeit  des  Zustandekommens. 

n. 

Somit  wäre  denn  der  erste  Teil  unsrer  Aufgabe  gelöst; 
wir  haben  far  die  Entstehungsbedingungen  und  damit  für  das 
Wesen,  die  unterscheidende  Eigentümlichkeit,  der  ästhetischen 
Gefühle  einen  scharfen,  bezeichnenden  Ausdruck  gefunden. 
Ob  er  der  richtige  ist,  das  mufs  sich  ergeben,  wenn  wir  nun- 
mehr versuchen,  durch  Explikation  und  weitere  Einteilung  des 
gewonnenen  Begriffes  seinen  Inhalt  klarzulegen  und  seine 
Leistungsfähigkeit  zu  erproben.  Hierbei  mufs  sich  ja  heraus- 
stellen, ob  alles  Ästhetische  und  nur  das  Ästhetische  in  ihm 
Baum  findet. 


170  ^'  Donng. 

Es  wird  sich  empfehlen,  bei  diesem  G-eschäfbe  vorab  eine 
Zweiteilung  vorzonehmen  und  zuerst  ausschlieüalich  von  der 
ästhetischen  Lust  und  dem  Schönen,  nachher  gesondert 
von  der  ästhetischen  Unlust  und  dem  Häfslichen  zu 
handeln.  Es  soll  also  zunächst  ausschlieislich  vom  Schönen 
die  Bede  sein.  Für  die  Durchmusterung  desselben  können  uns 
die  bekannten  Eottegorien  des  empirischen  Schönen,  wie  an- 
hängendes und  selbständiges  Schönes,  Schönes  der  Wirklichkeit 
und  Schönes  der  Kunst,  keine  Dienste  leisten,  weil  das  empi- 
rische Schöne  das  ästhetisch  Lustvolle  stets  in  einer  gewissen 
Komplexität,  als  Zusammensein  einer  Mehrheit  ästhetisch  wirk- 
samer Momente,  darbietet. 

Wir  müssen  uns  für  die  Auflösung  des  ästhetiBch  Lustvollen 
in  seine  schlechthin  einfachen  Elemente  nach  anderen  Ein- 
teilungsprinzipien umsehen.  Da  bietet  sich  denn  zunächst  von 
der  gewonnenen  prinzipiellen  Bestimmung  des  Schönen  als  des 
eine  seelische  Funktion  Auslösenden  aus  die  Dreiteilung  nach 
den  Arten  der  seelischen  Funktionen.  Es  kann  sich  um  die 
Sollicitation  einer  intellektuellen  Funktion,  eines  Ge- 
fühls oder  eines  Aktes  des  Strebens  handeln.  Hinsichtlich 
des  Gefühls  ist  hierbei  an  das  bereits  Bemerkte  zu  erinnern, 
dafs  auch  die  erregte  Unlust  qua  Erregung  sekundär  lustvoll 
ist.  Wir  dürfen  hinzufügen,  dafs  das  Bedenken,  die  primäre 
Unlust  müsse  doch  diese  sekundäre  Funktionslust  unterdrücken 
und  ersticken,  auf  dem  ästhetischen  Gebiete  infolge  der  Über- 
fiihrung  aus  der  Sphäre  des  Materiellen  und  Bealen  in  die  des 
Scheines  und  des  Unpersönlichen  ohne  Bedeutung  ist.  Für  die 
ästhetische  Betrachtung  ist  nicht  nur  das  Kunsterzengnis,  son- 
dern auch  die  Wirklichkeit  nur  ein  Schein,  ein  illusorisches 
Bild,  wenngleich  in  beiden  Fällen  der  Schein  ein  wahrer,  d.  h. 
die  echte  Wirklichkeit  der  Dinge  widerspiegelnder  sein  mulis. 
Nur  wo  die  Unterscheidung  von  Schein  und  Wirklichkeit  nicht 
vollzogen  wird  und  die  Illusion  eine  totale  ist,  wird  die  Unlust 
die  sekundäre  Lust  überwältigen.  Es  soll  ja  im  Westen  der 
Vereinigten  Staaten  vorkommen,  dafs  nach  dem  Theaterböse- 
wicht mit  Bevolvem  geschossen  wird,  und  ein  kleines  Mädchen 
rief  bei  einer  Aufführung  des  Schneewittchen  mit  lauter  Stimme, 
dafs  es  durch  das  ganze  Theater  schallte:  „Schneewittchen 
lals  die  böse  Stiefinutter  nicht  hinein!" 

Dieser  Dreiteilung   nach    den  Arten    der  seelischen  Punk- 


Die  ästhetischen  Gefühle.  171 

tioaen  ist  aber  eine  andere  Einteilung  überzuordnen,  die  auf 
der  Art  und  Weise  beruht,  in  der  das  ästhetisch  Wirksame 
vermöge  seiner  Beschaffenheit  die  seelische  Sollicitation  auslöst. 
Diese  Auslösung  kann  nämlich  stattfinden  entweder  sympa- 
thisch, d.  h.  durch  unmittelbare  Übertragung  der  im  Objekt 
wirkhch  oder  anscheinend  sich  ausdrückenden  seelischen  Zu- 
stände, oder  durch  blofse  Perzeption,  indem  die  Be- 
schaffenheit des  Objekts  eine  solche  ist,  dafs  sie  seelische  Zu- 
stände zwar  nicht  ausdrückt,  aber  auslöst.  Aufserdem  ist  noch 
ein  dritter  Fall  möglich,  indem  das  Objekt  in  erster  Linie 
dm'ch  seine  Beschaffenheit  geeignet  ist,  seelische  Funktionen 
auszulösen,  aufserdem  aber  auch  solche  ausdrückt. 

Innerhalb  der  ersten  Gruppe,  der  des  sympathiBch  Wirk- 
samen, werden  wir  also  zunächst  die  Untereinteilung  nach  den 
drei  Arten  der  seelischen  Funktionen  zur  Anwendung  bringen. 
Es  kann  jedoch  hier  noch  eine  vierte  Untergruppe  statuiert 
werden,  die  Fälle  umfassend,  in  denen  das  Objekt  ohne  be- 
stimmte Differenzierung  der  seelischen  Zustände  mehr  nur  als 
überhaupt  beseelt  gilt  und  in  diesem  mehr  unbestimmten  Sinne 
sympatisch  aflS^ierend  wirkt. 

Innerhalb  jedef  der  so  entstehenden  vier  Untergruppen 
des  sympatisch  Wirksamen  aber  wird  wieder  nach  dem  Ge- 
sichtspunkte, ob  der  seelische  Zustand  im  Objekte  wirklich 
vorhanden  ist  oder  nur  durch  ein  unbewufstes  Hineintragen 
in  das  Objekt  hineinverlegt,  demselben  geliehen  wird, 
um  alsdann  rückwirkend  zum  Subjekte  zurückzukehren,  eine 
doppelte  Weise  des  Wirkens  zu  unterscheiden  sein.  Im  ersteren 
Falle  wirkt  das  Objekt  sympathisch  durch  die  Symptome  der 
wirklich  in  ihm  vorhandenen  seelischen  Zustände,  es  wirkt 
symptomatisch,  im  zweiten  finden  sich  an  ihm  Symptome,  die  in 
•der  ästhetischen  Betrachtung  unwillkürlich,  obgleich  ohne  reale 
Berechtigung,  nach  der  Analogie  wirklicher  Symptome  des 
Seelischen  gedeutet  werden  und  daher  seelisch  affizierend  rück- 
wirken;  es  wirkt  analogisch-symptomatisch. 

Betrachten  wir  denn  nach  diesen  beiden  zuletzt  aufgestellten 
Gesichtspunkten  zunächst  den  Fall  der  Beseeltheit  im  all- 
gemeinen. Symptomatisch-sympathisch  wirkt  das  wirk- 
lich Beseelte,  indem  seine  ganze  Erscheinungsweise  die  Beseelt- 
heit widerspiegelt.  Insbesondere  ist  es  die  Physiognomie,  die 
auch  ohne  dafs  die  Symptome    bestimmter    einzelner  seelischer 

Zeitschrift  f9r  Psychologie.  12 


172  A.  Dörmg. 

Vorgänge  in  ihr  unterschieden  werden,  in  diesem  Sinne  sympa* 
thisch  affizierend  wirkt.  Auch  die  höhere  Tierwelt,  die  Welt 
der  Säugetiere,  vorab  der  Hund,  der  seelenvolle  Gtefährte  des 
Menschen,  hat  an  dieser  physiognomischen  Ansdmcksfahigheit 
Anteil.  Aber  auch  abgesehen  von  diesem  besonderen  Agena 
vermitteln  uns  unzählige  Eindrücke  des  Ghesichts  und  Gehörs 
das  Bild  der  Beseeltheit  am  Menschen  und  an  der  gesamten. 
Tierwelt. 

Analogisch-symptomatisch  empfangen  wir  den  sym- 
pathischen Eindruck  der  Beseeltheit  2sunächst  da,  wo  die  that- 
sächlich  nur  mechanisch  wirkenden  Kräfte  sich  verstecken  und 
für  eine  nicht  wissenschaftlich   analysierende  Betrachtung    der 
Eindruck  des  von    innen    heraus  sich  Bethätigenden  und  Ent- 
wickelnden, eines   seelischen  Prinzips,    entsteht.     So  vorab  bei 
der  Pflanzenwelt.     Der   älteren  Naturbetrachtung   erschien  so- 
gar wissenschaftlich   und   realiter   die  gesamte  Natur  von  den 
Gestirnen    abwärts    beseelt;    die  ästhetische  Betrachtungsweise 
bleibt,  ohne  viel  zu  grübeln  oder  die  Grenzlinie  zwischen  dem 
blois  Analogischen   und    dem  realiter  Symptomatischen  scharf 
zu  ziehen,  dieser  Betrachtungsweise   mit  Vorliebe   treu.    Aber 
diese  analogisch-symptomatische  Wirkung  einer  blols  geUehenen 
Beseeltheit  erstreckt   sich    auch  auf  Gebiete,  wo  das  Bewulst- 
sein   ihrer   Irrealität    gleichzeitig   vollkommen   vorhanden    ist. 
Wir   reden  von    der  Physiognomie    einer  Landschaft;  von  ein- 
zelnen Objekten  gehört  hierher  insbesondere  der  Fall,  wo  ihre 
Formen  einen  Anklang  nicht  sowohl  an  die  Ausdrucksformen 
bestimmter    einzelner   wechselnder   seelischer  Zustände    als  an 
die    typischen   Erscheinungsformen    des  Seelischen   überhaupt 
zeigen,    femer    die    rastlose  Beweglichkeit  des  flieisenden  oder 
an  das  Gestade  anschlagenden  Wassers.    Ebenso  wird  jede  an- 
dauernde lebhafte,    doch   nicht   in    einer  besonderen  Bichtung 
scharf  charakterisierte  Bewegung,  wie  das  Wogen  des  Kornes, 
das  Zittern    des  Laubes  im  Winde,    den  allgemeinen  Eindruck 
der  Beseeltheit  hervorrufen.     Schon  Home    bezeichnet   treffend 
die  sympathische  Wirkungsweise  des  Bewegten,  indem  er  sagt, 
durch  einen  sich  bewegenden  Körper  werde  die  Seele  selbst  in 
eine  ähnliche  Bewegung  versetzt ;  man  habe  das  Gefühl,  als  ob 
die  Seele  fortgeführt  werde. 

Dieselbe  Zweiteilung  gilt  für  die  Ausdrucksformen  der  b  e- 
sonderen  Arten  seelischer  Zustände,  zu  denen  wir  jetzt 


Die  ästhetischen  Gefühle.  17g 

übergehen.  Die  intellektuellen  Funktionen  sollicitieren 
symptomatisch,  wenn  sie  in  Miene  und  Gebärde  ihren  Aus- 
druck finden.  Dieser  Ausdruck  ist  ein  habitueller  im  Ant- 
Utz  und  gesamten  Habitus  des  Denkers  und  Forschers,  des 
Geistvollen,  Feinen,  Witzigen  u.  s.  w.,  ein  momentaner  z«  B. 
im  sinnenden  Ausdruck,  in  der  Gesamthaltung  des  angestrengt 
Denkenden  u.  dgl.  Analogisch-symptomatisoh  dürften  den 
intellektuellen  Habitus  auslösen  einfache  grofse  Felslandschaften, 
die  Unendlichkeit  der  Meeresfläche  oder  des  Sternenhimmels. 

Das  Gefühl  überträgt  sich  symptomatisch  durch  die 
tmendliche  Fülle  der  Ausdrucksformen,  in  denen  sowohl  die 
habituellen  Stimmungen,  als  die  ganze  Skala  der  wechselnden 
aktuellen  Gefühlszustände  sich  ausprägt.  Beider  an  alogisch- 
symptomatischen Form  der  Gefühlsübertragung  zeigt  schon 
der  Sprachgebrauch,  wie  geläufig  dem  allgemeinen  Bewufstsein 
diese  Form  der  Gefühlssollicitation  ist.  Wir  reden  von  einer 
düstem  Gewitterstimmung,  von  lachenden  Fluren,  von  einem 
munter  hüpfenden  Bächlein  u.  dgl.  Femer  aber  darf  wohl  be- 
hauptet werden,  dafs  die  Welt  der  Töne,  auch  abgesehen  von 
ihrem  Auftreten  als  symptomatisches  Ausdrucksmittel  der  Ge- 
fühle, eine  analogische  Wirkung  aufs  Gefahl  besitzt  und  dafs 
eben  auf  dieser  Wirkung  ihre  Verwendung  zum  symptomatischen 
Ausdruck  des  Gefühlslebens  nicht  nur  in  der  eigentlichen 
Musik,  sondern  schon  im  Gesang  der  Vögel,  im  Jodler  und 
Juchzer  des  Gebirgsbewohners  ihren  Ursprung  nimmt.  Die 
Tonhöhe,  die  Klangfarbe  und  die  Mannigfaltigkeit  der  Ton- 
folgen haben  offenbar  analogische  Beziehungen  zum  Gefühls- 
leben. Der  tiefe  Ton  entspricht  mehr  der  Unlust,  der  hohe 
der  Lust,  die  Klangfarbe  büdet  ein  Analogen  zu  den  mannig- 
fachsten Gefahlsschattierungen.  Die  Tonstärke  entspricht  vor- 
nehmlich der  Intensität  des  Gefühls,  bezeichnet  aber  vielfach 
auch  qualitative  Unterschiede,  Freude,  Trauer,  Gedrücktheit 
u.  dgl.  Auch  beim  Rhythmus  und  seinen  Modifikationen  durch 
die  verschiedene  Gröfse  der  Zeiteinheit  (Andante,  Presto  u.  s.  w., 
accelerando,  ritardando),  sowie  beim  staccato  und  seinem  Gegen- 
teil scheint  die  analogisch-symptomatische  Beziehung  zum  Gefähl 
unzweifelhaft,  ich  begnüge  mich  jedoch  hier  mit  dem  blofsen 
Hinweis.  Von  den  Farben  haben  unzweifelhaft  Schwarz  und 
Weifs,  sowie  die  Helligkeitsstufen  der  bunten  Farben  eine 
Analogie  zu  den  Qualitäten  des  Gefühls ;  unter  Umständen  wohl 

12* 


174  ^-  Döring, 

auch  die  Sättigongsstufen,  obgleicli  diese  ii^  erster  Linie  wohl 
den  Intensitätsgraden  korrespondieren.  Inwieweit  die  Qualität 
der  bunten  Farben  nach  Abzug  dieser  beiden  so  bedeutsamen 
Faktoren  eine  hierher  gehörige  Bedeutung  hat,  ist  deshalb 
schwer  zu  bestimmen,  weil  die  Farbe  nach  Abzug  des  Hellig- 
keits-  und  Sättigungsgrades  ein  nicht  existierendes  Abstraktum 
ist  und  namentlich  die  Helligkeitsstufe  den  Gesamtcharakter 
einer  Farbe  total  verändert  (z.  B.  Purpur,  Ziegelrot,  Bosa,  ein 
ganz  helles  oder  sehr  dunkles  Violett,  Grün,  Blau),  doch  fallt 
oeteris  paribus  unzweifelhaft  auch  die  reine  Qualität  der  Farbe 
in  dem  in  Bede  stehenden  Sinne  ins  Gewicht. 

Für  die  symptomatische  Form  der  sympathischen  Aus- 
lösung des  Strebens  bedarf  es  besonderer  Nachweise  nicht, 
da  es  sich  hier  um  die  wohlbekannten  Ausdrucksmittel  in 
Mienen  und  Gebärden  handelt.  Jedes  kräftig  ausgedrückte 
Streben  wirkt  sympathisch  soUicitierend  und  dadurch  lust- 
voll. Analogisch-sympathisch  wirkt  ebenso  zunächst  jede 
energische,  in  einer  bestimmten  Richtung  oder  auf  ein  be- 
stimmtes Ziel  zu  vorschreitende  Bewegung:  die  mächtig  aus- 
greifenden Teile  einer  arbeitenden  Maschine,  der  majestätisch 
dahinroUende  Strom,  die  gegen  einen  Felsen  anstürmende 
Brandung,  die  Rakete,  der  Sprmgbrunnen,  der  begierig  und 
unaufhaltsam  abwärts  stürzende  Wasserfall.  Femer  aber  auch 
unbewegtes:  der  dräuende  Fels,  der  gähnende  Abgrund. 

Die  zweite  Hauptmasse  umfafst  diejenigen  Objekte, 
die  nicht  selbst  in  irgend  einem  Sinne  seelische  Zustände  aus- 
drücken, sondern  nur  durch  ihre  Beschaffenheit  an  sich  ge- 
eignet sind,  solche  auszulösen. 

Hier  scheint  nun  zunächst  der  Fall  der  Auslösung  eines 
Strebens  ausgeschlossen  werden  zu  müssen.  Was  auf  meinen 
seelischen  Zustand  ausschliefslich  in  dem  Sinne  einwirkt, 
dafs  es  ein  Begehren  wachruft,  hört  damit  auf  ästhetisches 
Objekt  zu  sein.  Das  auf  ein  Objekt  gerichtete  Streben  in  mir 
ist  der  Erhebung  in  die  Sphäre  des  unpersönlichen  Scheines 
unfähig.  Wohl  kann  ein  Objekt,  das  Begierden  (Sinnlichkeit, 
Habsucht  u.  s.  w.)  wachruft,  unter  einem  andern  Gesichtspunkte, 
dem  einer  intellektuellen  oder  Gefühlssollicitation,  ein  ästheti- 
sches Objekt  werden,  das  ist  aber  nur  durch  Beiseiteschiebung, 
Eliminierung,  Unterdrückung  der  Begierde  möglich.  Es  bleiben 
also  hier  nur  zwei  Unterabteilungen. 


Die  ästhetischen  Gefühle.  175 

Ein  sehr  umfassendes  Gebiet  ist  liier  das  des  intellek- 
tuell Sollicitierenden.  Zu  den  intellektuellen  Funktionen 
gehört  zunächst  die  passive,  blofs  erregungsmäfsige,  aber  allen 
weiteren  seelischen  Punktionen,  nicht  nur  den  intellektuellen 
zur  Voraussetzung  dienende  Grundfunktion  der  Perzeption, 
des  Bewufstwerdens.  Wir  müssen  nach  unserer  Voraussetzung 
auch  dieser  Grundfunktion  eine  ästhetische  Lust  zugesellen,  und 
damit  erweitert  sich  das  Gebiet  der  ästhetischen  Lust  zur 
vollen  Universalität  im  Bereiche  des  bewufsten  Seelenlebens. 
Jedes  Bewufstwerden  ist  von  Lust  begleitet.  Freilich  ist  diese 
ästhetische  Lust  aus  der  blofsen  Perzeption  von  schwächster 
Intensität  und  wird  nur  für  aufsergewöhnlich  ästhetisch 
empfangliche  Naturen  überhaupt  bemerkbar  werden.  Ein 
Specimen  solcher  erhöhter  ästhetischer  Sensibilität,  die  fast 
ästhetische  Hyperästhesie  genannt  werden  könnte,  bietet  das 
Gedicht  in  Leopold  Schefebs  Laienbrevier: 

Mit  Ehrfurcht  grüfse  jedes  Menschenhaupt, 
Das  in  der  Sonne  dir  entgegenwandelt. 

Der  Dichter  verlangt  im  weiteren  Verlaufe,  dafs  auch  die 
Eose  gegrüfst  werde  und  weiterhin  (ich  citiere  nach  dem  Ge- 
dächtnis): „Und  wenn  du  willst,  so  grüfse  auch  den  Stein," 
wofür  als  Grund  angegeben  wird:  „Denn  er  ist."  Hier  haben 
wir  offenbar  kein  anderes,  als  das  bis  zur  höchsten  Sensibilität 
gesteigerte  ästhetische  Interesse  am  esse-percipi,  am  blofsen 
Aflziertwerden  des  Bewufstseins  durch  das  im  übrigen  völlig 
indifferente  Objekt. 

Von  den  Fällen,  wo  das  Objekt  durch  seine  blofse  Be- 
schaffenheit eine  aktive  intellektuelle  Funktion  (intellektuelle 
Bethätigung)  herausfordert,  nenne  ich  zunächst  diejenige  Gruppe, 
wo  die  Perzeption  eine  unvollständige,  zur  Ergänzung  an- 
regende ist.  In  diesem  Sinne  erzeugen  intellektuelle  Bethäti- 
gxmgslust  z.  B.  das  Fragment,  der  Torso,  der  zertrümmerte 
Gegenstand,  die  fragmentarische  und  zweideutige  Bezeichnung 
des  Objekts  im  Eätsel.  Hierher  gehört  femer  das  Interesse 
an  einem  vor  uns  sich  abspinnenden  Vorgange  oder  Bericht, 
an  einem  geschürzten  Knoten,  soweit  es  ein  blofs  intellektuelles 
ist;  die  ergänzende  Phantasie,  als  der  hier  in  Funktion  tretende 
intellektuelle  Faktor,  wird  gleichsam  zur  Mitarbeit  an  dem  sich 
entwickelnden  Vorgange  wachgerufen. 


176  ^'  Döring. 

In  aufserordentlich  mannigfaltiger  Weise  können  Objekte 
die  intellektuelle  Funktion  des  Yergleichens  anregen.  Ich 
kann  vergleichen  ein  Objekt  mit  einem  andern,  oder  das  Objekt 
mit  mir  oder  mit  einem  anschaulichen  Typus,  einer  Norm,  die 
bereits  ausgebildet  in  mir  vorhanden  ist.  Ich  kann  quantitativ 
nach  extensiver  oder  intensiver  Gröfse  vergleichen  (die  extensive 
kann  wieder  kontinuierliche,  Eaum-  oder  Zeitgröfse,  andrerseits 
diskrete  oder  Zahlgröfse  sein) ;  ich  kann  qualitativ  nach  diesen 
oder  jenen  qualitativen  Bezügen  vergleichen ;  ich  kann  universell 
nach  der  Gesamtheit  der  quantitativen  und  qualitativen  Merk- 
male vergleichen.  Selbstverständlich  kann  die  Funktion  des 
Yergleichens  ihren  Charakter  als  lustvoll  nur  dann  bis  zu  Ende 
aufrecht  erhalten,  wenn  sie  nicht  resultatlos  in  der  Schwebe 
bleibt,  sondern  zu  einem  formuherbaren  Abschlufs  gelangt.  Das 
Verhältnis,  das  sich  zwischen  dem  Verglichenen  in  der  von 
der  vergleichenden  Thätigkeit  eingeschlagenen  Richtung  heraus- 
stellt, mufs  ein  gewisses  Mafs  von  Deutlichkeit  und  Bestimmt- 
heit haben.  Dagegen  ist  es,  wenigstens  soweit  nur  die  Lust- 
wirkung der  vergleichenden  Funktion  in  Betracht  kommt, 
gleichgiltig,  ob  das  Resultat  Gleichheit,  vorwiegende  Ähnlich- 
keit, vorwiegende  Unähnhchkeit  oder  Kontrast  ist,  wenn  nur 
ein  gewisser  Abschlufs  erzielt  wird.  Einige  besondere  Fälle 
sind  bei  der  Vergleichung  mit  mir  selbst  die  Vorstellung  der 
eigenen  Überlegenheit  oder  der  Überlegenheit  des  Objekts,  bei 
der  extensiven  Vergleichung  mit  dem  Typus  oder  mit  mir  selbst 
die  Vorstellung  der  abnormen  Gröfse  oder  Kleinheit  (der  Kiese, 
Zwerg,  das  Kind),  bei  der  universellen  Vergleichung  mit  dem 
Typus  die  Vorstellung  der  Normalität  oder  Übereinstimmung 
mit  dem  Typus  oder  Ideal,  die  der  partiellen  Eigenartigkeit 
als  Abweichung  vom  Typus  oder  das  Charakteristische,  die 
der  völligen  Abnormität  u.  s.  w. 

Zur  Funktion  der  Vergleichung  gehört  auch  die  Lust  aus 
der  Erkennung  des  künstlerischen  Abbildes  im  Verhältnis  zum 
Original,  in  der  für  die  rohe  Kunstbetrachtung  des  grofsen 
Haufe];is,  falls  nicht  noch  ein  materiales  Interesse  am  Darge- 
stellten hinzutritt,  meist  die  ganze  ästhetische  Wirkung  des 
Kunstwerks  aufgeht.  Es  ist  ein  seltsames  Müsgeschick,  dafs 
Aristoteles  durch  eine,  wenigstens  in  unserem  verstümmelten 
Texte  der  Poetik^  ohne  Einschränkung  dastehende  Betonung 
gerade   dieser  intellektuellen  Lustwirkung  der  Kunst  fast   der 


Die  ästhetischen  Gefühle.  .  177 

ganzen  nachfolgenden  Ästhetik  und  Kunstübung  die  unglück- 
liche Vorstellung  eingeimpft  hat,  als  ob  diese  Lust  aus  der 
Nachahmung  des  Wirklichen  die  ganze  Bedeutung  der  Kunst 
erschöpfe.  Im  Gegensatze  zu  dieser  scheinbaren  Einseitigkeit 
in  der  Formulierung  des  Kunstzieles  aber  zeigt  Aristoteles 
schon  durch  seine  Theorie  der  Ghefühlssollicitation  durch  das 
Tragische,  dafs  er  umfassendere  und  höhere  Gesichtspunkte 
ftir  die  ästhetische  Lustwirkung  besitzt. 

Auch  das  Verhältnis  der  Teile  des  Objekts  zu  einander 
fordert  die  Funktion  des  Vergleichens  heraus.  Hier  ist,  soweit 
nur  die  Funktion  des  Vergleichens  in  Betracht  kommt,  das  Resultat 
gleichgültig,  wenn  nur  überhaupt  ein  Resultat  möglich  ist. 

Nun  kommt  aber,  wo  es  sich  um  ein  einheitliches  Objekt 
oder  doch  um  eine  als  Einheit  vorstellbare  Mehrheit  handelt, 
aufser  der  Tendenz  zum  Vergleichen  noch  eine  andere  intellek- 
tuelle Funktion  in  Betracht.  Der  Verstand  hat  das  Vermögen 
und  zugleich  das  Streben,  eine  sich  darbietende  Mannigfaltigkeit 
zur  Einheit  zusammenzufassen.  Weder  das  absolut  Einförmige, 
d.  h.  der  Mannigfaltigkeit  Entbehrende,  noch  das  in  rein  dis- 
parater Mannigfaltigkeit  Auseinanderfallende  bietet  diesem  Ver- 
mögen Gelegenheit  zur  Bethätigung.  Einheit  in  der  Mannig- 
faltigkeit hat  vielfach  geradezu  für  die  das  Wesen  des  Schönen 
erschöpfende  Formel  gegolten;  jedenfalls  beruht  auf  der  An- 
regung der  intellektuellen  Einheitsfunktion  durch  ein  Mannig- 
faltiges in  vielen  Fällen  die  ästhetische  Lust.  Auf  ihm  beruht 
z.  B.  das  Wohlgefällige  der  Symmetrie.  Es  gibt  eine  Symmetrie 
der  Dimensionen,  femer  eine  numerische  Symmetrie  der  Teile 
in  Verbindung  mit  Symmetrie  der  Anordnung.  Ln  letzteren 
Falle  findet  die  Einheitsbeziehung  ihren  Ausdruck  im  Vor- 
handensein eines  Mittelpunktes,  von  dem  aus  die  Anordnung 
bestimmt  wird.  Beispiele:  die  symmetrische  Anordnung  von 
Fenstern,  Baugliedem,  Dekorationen  an  einem  Gebäude,  die 
quirlförmige  Anordnung  der  Zweige  eines  Baumes.  Unter  Um- 
ständen kann  die  Symmetrie  auch  mifsfäUig  wirken,  indem  bei 
völliger  ÜbersichtUchkeit  das  Moment  der  Einheit  gegen  das 
der  Mannigfaltigkeit  zu  sehr  in  den  Vordergrund  tritt  und  so 
Einförmigkeit  und  unzureichende  Beschäftigung  der  intellek- 
tuellen Einheitsfunktion  entsteht. 

Vom  Gesichtspunkte  der  Einheit  in  der  Mannigfaltigkeit 
aus  scheinen  auch  die  Resultate  der  FBCHNBRschen  Experimente 


178  ^.  BMng. 

mit  dem  goldenen  Schnitt  und  anderen  linearen  Y^liältBisseu 
ihre  Erklärung  zu  finden.  Den  geringsten  Beifall  fanden  bei 
seinen  Beurteilem  einesteils  die  einer  instinktiven  Yerh&ltnis- 
bestimmung  am  wenigsten  zugänglighen  komplizierteren  Längen- 
Verhältnisse,  andemteik  die  völlige  Gleichheit,  wie  bei  den 
Seiten  des  Quadrats.  Eine  ausschlielsliche  Bevorzugung  gerade 
des  goldenen  Schnittes  als  solchen  hat  sich  ebenfalls  nicht  er- 
geben. Vielmehr  verteilt  sich  die  Bevorzugung  auf  die  Gre- 
samtheit  der  dem  Verhältnis  von  2:3  sich  annähernden  Ver- 
hältnisse. Das  Verhältnis  von  2:3  ist  aber  doch  wohl  der 
einfachste  Ausdruck  der  Einheit  im  Mannigfaltigen  auf  dem 
Gebiete  der  Längendimension. 

Wohlgefällig  ist  femer  ein  Objekt,  das  der  intellektuellen 
Funktion  der  kausalen  Erklärung,  der  Verknüpfung  von  Ur- 
sache und  Wirkung,  Bethätigung  gewährt.  Hier  sind  drei  Fälle 
möglich.  Es  können  Ursache  und  Wirkung  gegeben  sein  (der 
Blitz  zerschmettert  einen  Baum,  der  zerstörende  Anprall  eines 
stark  bewegten  Gegenstandes);  es  kann  nur  die  Wirkung  ge- 
geben sein,  die  Ursache  wird  hinzugedacht  (Gletscherschliffe,, 
vom  Wasser  gegrabene  Sinnsale  im  Wege,  die  Höhlung  unter 
der  Dachtraufe,  die  Porosität  feuerflüssig  gewesener  Miueralien^ 
die  Spuren  der  Geschützwirkung);  es  kann  endlich  nur  die 
Ursache  in  der  Wahrnehmung  gegeben  sein,  während  die 
Wirkung  erst  abgewartet  oder  erforscht  werden  mufs,  in  Ge- 
danken aber  anticipiert  wird  (das  Schiefsen  nach  der  Scheibe, 
der  ferne  Blitz  oder  das  Aufblitzen  eines  Schusses,  wo  die  Ge- 
hörwirkung erwartet  wird). 

Von  entschiedener  Lustwirkung  ist  die  Auslösung  der  Ver- 
knüpfung von  Mittel  und  Zweck,  die  anschaulich  hervor- 
tretende Zweckmäisigkeit.  Hierauf  beruht  zu  einem  wesent- 
lichen Teile  die  Schönheit  des  höheren  tierischen  Organismus 
und  die  (von  Schopenhauer  bestrittene)  Berechtigung  der  Be- 
zeichnung des  schönen  Geschlechts.  Der  Naturzweck  des  Weibes 
ist  einesteils  einheitlicher,  als  der  des  Mannes,  andernteils  für 
die  instinktive  Erkenntnis  mit  in  die  Augen  springender  Deut- 
lichkeit markiert.  Im  Sinne  des  Eindruckes  bewulster  Zwedt- 
thätigkeit  wirkt  femer  schon  der  Eindruck  des  freien  SchaltenB 
menschlicher  Willkür  in  der  Gestaltung  eines  Objekts  (z.  B.  eine» 
Gebäudes)  auch  auf  Kosten  der  Symmetrie  und  selbst  wenn 
wir  dabei  einen  Zweck  nur  vermuten,  wohlgefällig. 


Die  äsiheUsehm  GtfüTOe,  179 

Auf  der  Vorstelltmg  der  ZweckmäTsigkeit  beruht  auch  die 
^ohlgefUligkeit  der  Proportioniertheit.  In  einem  zusammen- 
geseteten  Ganzen,  das  einer  Mehrheit  von  Zwecken  dienen  soll, 
kann  der  einzehie  Tefl  nur  dasjenige  Grölsenmafs  beanspruchen, 
das  der  verhältnismälBigen  Bedeutung  seiner  Funktion  entspricht. 
In  diesem  Sinne  erscheint  ein  wagerechter,  ziemUch  weit  vor- 
springender Mützenschirm  und  der  Bussel  des  Elefanten  wohl- 
gefällig, eine  Biesennase,  übermalsig  lange  Arme  oder  Beine, 
übergrolse  Hände  oder  FüTse,  Ohren  etc.  mifsfallig.  Der  Hals 
und  die  Beine  der  Giraffe  erscheinen  uns  nur  deshalb  unpro- 
portioniert, weil  wir  die  gewohnten,  nicht  die  uns  fremden 
licbensbedingungen  des  Tieres  als  Mafsstab  anlegen.  — 

Gefühle  werden  ausgelöst  von  solchen  nicht  selbst  Ge- 
fühle ausdrückenden  Objekten,  die  als  bestimmend  für  das 
A^ohl  und  Wehe  fühlender  Wesen,  insbesondere  des  Menschen, 
als  Schioksalsmächte,  oder  doch  als  Attribute  und  Werkzeuge 
einer  Schicksalsmacht  aufgefafst  werden.  Hierher  gehört  in 
erster  Linie  die  waltende  Natur  in  ihren  mannigfachen 
«Gestaltungen,  sofern  sie  nach  ihrer  Bedeutung  für  das 
menschliche  Wohl  und  Wehe  ins  Auge  gefafst  wird,  bis  herab 
zum  Stillleben;  femer  die  persönliche  Schicksalsmacht,  im 
Grofsen  als  Gottheit,  Heros,  geschichtliche  Gröfse,  aber  auch 
in  bescheidnerem  Umfange  als  ausgeprägte  Persönlichkeit  über- 
haupt, wie  sie  uns  z.  B.  das  Forträt  vor  Augen  stellt.  Andern- 
teils  Embleme  und  Vorgänge  aller  Art,  die  an  Schicksals  Ver- 
hältnisse erinnern,  wie  Waffen,  das  Grab,  der  Leichenzug  u.  s.  w. 

Die  dritte  Hauptmasse  des  ästhetisch  Wirksamen  wurde 
durch  diejenigen  Objekte  gebildet,  die  zugleich  durch  ihre  Be- 
schaffenheit und  sympathisch  seelische  Funktionen  auslösen. 
£in  solches  Zusammensein  ist  nur  dadurch  möglich,  dafs  das 
Objekt  nicht  selbst  eine  Schicksalsmacht,  sondern  ein  von  der 
Schicksalsmacht  im  guten  oder  schlimmen  Sinne  Affiziertes,  in 
einer  Schicksalslage  Befindliches  ist  und  zugleich  dieser  Affi- 
ziertheit  den  entsprechenden  Ausdruck  verleiht.  Es  wirkt  so 
sowohl  durch  seine  zuständliche  Beschaffenheit,  die  Schicksals- 
lage, als  auch  sympathisch  durch  den  hinzutretenden  Ausdruck. 
Durch  Beides,  die  Schicksalslage  wie  den  Gefuhlsreflex  derselben, 
werden  aber  von  den  drei  Arten  der  seelischen  Funktionen 
endgültig  nur  die  Gefühle  ausgelöst,  es  fehlen  daher  in 
diesem   dritten  Hauptteil   die  beiden  andern  psychologischen 


180  ^  mring. 

Subdivisionen.  Dagegen  tritt  hier  wieder  eine  der  Unter- 
scheidung des  Symptomatischen  tind  Analogisch -Symptoma- 
tischen entsprechende  Zweiteilung  hervor.  Die  sich  sympa- 
thisch ausdrückende  Schicksalslage  kann  entweder  eine  wirkliche, 
d.  h.  fühlenden  Wesen  anhaftende,  oder  eine  nur  durch  leihende 
Hineintragung  analogisch  vorgestellte  sein.  In  ersterer  Hinsicht 
ergiebt  sich  hier  nach  der  Seite  der  glücklichen  Schicksalslage 
das  Idyllische,  nach  der  Seite  der  unglückUchen  sowohl  das  Komi- 
sche, wie  das  Tragische,  in  letzterer  diejenige  Besonderheit  des 
Landschaftlichen,  bei  der  nicht  fühlende  Naturobjekte  als  von 
segensreichen  oder  schädigenden  Kräften  afßziert  und  dieser 
Affiziertheit  auch  den  entsprechenden  Ausdruck  verleihend 
analogisch  aufgefafst  werden. 

Nach  der  an  die  Spitze  dieses  Abschnitts  gestellten  Zwei- 
teilung bleiben  jetzt  noch  die  ästhetischen  ünlustgefühle 
und  ihr  Korrelat,  das  Häfsliche,  zu  betrachten.  Wir 
können  uns  hier  kürzer  fassen. 

Das  nächste  und  unmittelbarste  Gegenstück  des  Schönen 
ist  das  ästhetisch  Gleichgültige,  das  nach  unsem  Vor- 
aussetzungen mit  dem  keine  seelischen  Funktionen  Auslösenden 
und  daher  auch  keine  ästhetische  Lust  Erzeugenden  zusammen- 
fällt. Ein  absolut  ästhetisch  Gleichgültiges  giebt  es  nach  den 
vorhergehenden  Ausführungen  nicht,  soweit  wenigstens  noch 
irgend  eine  Perzeption  stattfindet.  Annäherung  an  das  absolut 
ästhetisch  Gleichgültige  findet  da  statt,  wo  die  Anregung  zu 
seelischen  Funktionen,  ja  zur  elementarsten  Funktion  der  Per- 
zeption, auf  ein  Minimum  reduziert  ist.  Es  ist  das  Öde,  Finstre, 
Stille,  absolut  Einförmige.  Belativ  ästhetisch  gleichgültig  wäre 
das,  das  für  die  einzelnen,  bestimmten,  besonderen  seelischen 
Funktionen  keinen  Ertrag  liefert;  es  gliedert  und  vermannig- 
faltigt  sich  nach  demselben  Schema,  nach  dem  wir  das  Schöne 
abgehandelt  haben. 

Damit  das  ästhetisch  Gleichgültige  zum  Häfslichen 
werde,  d.  h.  ästhetische  Unlust  erzeuge,  mufs  das  Begesein  des 
Funktionsbedürfuisses  und  die  berechtigte  Erwartung  einer 
seelichen  SoUicitation  als  Vorbedingung  hinzutreten.  Die  Un- 
lust des  Häfslichen  ist  die  Unlust  der  Enttäuschung  des  Funk- 
tionsbedürfuisses und  der  berechtigten  Funktionserwartung. 
Es  giebt  hiernach  auch  kein  absolut  Häfsliches,  sondern  nur 
Annäherung  an  dasselbe.     Arten   des  relativ  Häfslichen  giebt 


Die  äsiheüschm  Gefühle.  181 

es  so  viele,  wie  es  Arten  des  Schönen  giebt.  Jedes  relativ 
HäfsUche,  d.  h.  in  der  gerade  erwarteten  Bichtang  die  Erwar- 
tung Täuschende,  mag  in  anderen  Beziehungen  schön  sein, 
das  wird  ihm  aber  ebensowenig  zu  gute  geschrieben,  wie  es 
dem  in  einer  bestimmten,  gerade  an  dieser  Stelle  zu  erwarten- 
den Sichtung  Schönen  Abbruch  thut,  dafs  es  in  anderen  Be- 
ziehungen kein  Schönes  ist.  Und  das  mit  Hecht,  sofern  die 
Auslösung  gerade  derjenigen  seelichen  Funktion  ausbleibt,  deren 
Eintreten  wir  zu  erwarten  berechtigt  waren.  In  diesem  Sinne 
ist  z.  B.  das  erscheinende  Zweckwidrige  oder  das  blofs  Unsym- 
metrische immer  häfslich.  Doch  kann  man  wegen  der  Unmög- 
lichkeit eines  absolut  Häfslichen  sagen,  dafs  sich  in  gewissem 
Sinne  das  Paradoxon  bewahrheitet :  Schön  ist  häfslich,  häfslich 
schön.  Ja  man  könnte  in  der  Paradoxie  noch  ein  Stück  weiter 
gehen  und  behaupten,  dals  ja  das  relativ  HäfsHche,  indem  es 
gerade  durch  sein  Zurückbleiben  hinter  bestimmten  Erwar- 
tungen doch  auch  wieder  intellektuelle  Funktionen  auslöst,  eben 
dadurch  auch  wieder  die  aus  diesen  seelischen  Funktionen  ent- 
springende ästhetische  Lust  erzeuge,  und  dafs  sich  somit  das 
scherzhafte  Oxymoron  bewähre,  es  könne  etwas  durch  seine 
HäisUchkeit  schön  sein.  Vielleicht  beruht  auf  diesem  Zusammen- 
hange teilweise  die  Verwendung  des  Häfslichen  in  der  Kunst, 
welche  Verwendung  freilich  andemteüs  in  der  Kontrastwirkung 
ihre  Begründung  findet,  die  das  Häfsliche  als  aufgehobenes 
Moment  im  Schönen  übt. 

Die  einzelnen  Arten  des  Häfslichen  entsprechen  den  ein- 
zelnen Kategorien  des  Schönen  und  sind  daraus  mit  Leichtig- 
keit abzuleiten;  es  bedarf  also  für  unseren  Zweck,  so  interessant 
auch  die  Durchführung  der  Gliederung  des  Häfslichen  an  sich 
sein  mag,  einer  besonderen  Detaillierung  nicht. 

Zum  Schlüsse  dieses  Abschnittes  stelle  ich  die  etwas 
komplizierte  Einteilung  des  ästhetisch  Wirksamen  ihren  Q-rund- 
zügen  nach  in  einer  Übersichtstafel  zusammen. 

Das  ästhetisch  Lustvolle. 

A.  Das  sympathisch  Wirkende. 

L  Allgemein  seelische  Sollicitation: 
1«  symptomatisch, 
2.  analogisch-symptomatisch. 


182  Ä   Döring. 

n.  Intellektuelle  Sollicitation: 

1.  symptomAtiflch, 

2.  analogisch-symptomatisch. 

m.  Gefühlssollicitation: 

1.  symptomatisch, 

2.  analogisch-symptomatisch. 

lY.  Sollicitation  des  Strebens: 

1.  symptomatisch, 

2.  analogisch-symptomatisch. 

B.  Das  nur  durch  die  Beschaffenheit  des    Objekts  Wirkende. 

I.  Intellektuelle  Sollicitation. 
II.  Gefühlssollicitation. 

C.  Das  durch  die  Beschaffenheit  des  Objekts  und  sympathisch 
Wirkende. 

Gefühlssollicitation 

1.  durch  reales  Vorhandensein  beider  Faktoren, 

2.  analogisch. 

Das  ästhetisch  Gleichgültige  und  Unlustvolle. 

Einteilung  nach  denselben  Kategorien. 

ni. 

Wir  haben  somit  in  allerdings  nur  flüchtigen  Schritten  und 
ohne  Anspruch  auf  Vollständigkeit  das  Gebiet  des  ästhetisch 
Wirksamen  durchmessen.  Wenn  auch  nach  Lage  der  Sache 
der  vollständig  erschöpfende  Beweis  des  Zutreffens  unsrer  De- 
finition damit  nicht  erbracht  ist,  so  dürfte  doch  ein  starker 
und  nachhaltiger  Eindruck  von  der  prärogativen  Berechtigung 
der  aufgestellten  Hypothese  erzielt  worden  sein.  Es  erübrigt 
noch,  zwei  Gesichtspunkte,  die  für  die  vollständige  Durch- 
führung einer  Ästhetik  vom  Prinzip  der  Sollicitation  aus  von 
besonderer  Bedeutung  sind,  wenigstens  flüchtig  anzudeuten. 

Erstens  entsteht  die  Frage,  wie  sich  unter  der  Herrschaft 
dieses  Prinzips  die  Grenzbestimmtmg  des  selbständigen 
Schönen,  speziell  des  bedeutsamsten  Hauptteils  desselben,  der 
eigentlichen  Kunst,  gegen  das  anhängende  Schöne  gestaltet. 
Diese  Grenzbestimmung  ist  ja  im  Prinzip  durch  den  Gegensatz 
des  Anhängenden  und  Selbständigen  gegeben.  Das  anhängende 
Schöne  ist  das  Schöne  an  einem  Objekt,  das  —  auch  fiir  die 
ästhetische  Betrachtung  —  nicht  völlig  im  ästhetischen  Zwecke, 
der  Auslösung  seelischer  Funktionen,  aufgeht,  sondern  die  noch 


Bie  ästhetischen  Gefühle,  183 

anderweitige  Bedeutung  seines  Daseins  auch  der  unpersönlichen 
Intuition  unabweisbar  aufdrängt.  So  beim.  Bauwerk  und  den 
verzierten  und  künstlerisch  gestalteten  Geräten  des  Kunsthaud- 
werks.  Es  xnuTs  jedoch  eine  wichtige  Konsequenz  aus  dieser 
prinzipiellen  Bestimmung  noch  ausdrücklich  hervorgehoben 
werden.  Es  ist  nämlich,  was  freiUch  für  jetzt  nicht  weiter 
ausgeführt  werden  kann,  nur  bei  dem  das  Gefühl  Sollicitie- 
renden,  nicht  auch  bei  dem  die  beiden  übrigen  Seelenvermögen 
Anregenden,  die  Möglichkeit  vorhanden,  restlos  als  dem  ästhe 
tischen  Zwecke  dienend,  also  als  selbständig  Schönes,  aufzu- 
treten. Daraus  folgt,  dafs  das  selbständige  Schöne  und 
speziell  die  eigentliche  Kunst  nur  im  Gebiete  des  das  Gefühl 
Sollicitierenden  gefunden  werden  kann.  Ein  Kunstwerk  ist  ein 
Erzeugnis  menschlicher  Thätigkeit,  das  keinem  anderen  Zwecke 
dient,  als  Gefahle  zu  erregen. 

Daraus  ergiebt  sich  femer  auch  die  Grundeinteilung  des 
selbständigen  Schönen.  Wir  fanden  die  Gefühlssollicitation 
in  jedem  der  drei  Hauptgebiete.  Das  Gefühl  koninte  sympa- 
thisch erregt  werden  und  zwar  sowohl  symptomatisch,  wie 
analogisch-symptomatisch:  hier  haben  wir  das  lyrische  Schöne. 
Das  Gefühl  konnte  durch  die  bloXse  Beschaffenheit  der  Objekte 
solUcitiert  werden,  sofern  diese  Schicksalsmächte  darstellten  oder 
an  solche  erinnerten;  hier  haben  wir  das  plastische  Schöne. 
Es  konnte  endUch  sollicitiert  werden  durch  Objekte,  die  eine 
Schicksalslage  samt  dem  entsprechenden  Gefühlsausdruck  dar- 
stellten: hier  haben  wir  das  episch- dramatische  Schöne. 

Es  muTs  bei  dieser  Dreiteilung  jedoch  dem  Müsverständnis 
entgegengetreten  werden,  als  sollte  mit  derselben  ein  Zusammen- 
fallen dieser  drei  Arten  des  selbständigen  Schönen  mit  der  Lyrik, 
der  bildenden  Kunst  und  der  episch-dramatischen  Poesie  be- 
hauptet werden.  Wo  bliebe  da  die  Musik?  Und  wie  enge  wäre 
damit  das  Gebiet  der  bildenden  Kunst  begrenzt!  Die  Sache 
verhält  sich  so:  die  lyrsiche  Kunst  umfafst  allerdings  die  ge- 
samte Lyrik,  au&erdem  aber  auch  den  grölsten  Teil  der  Musik, 
soweit  diese  rein  und  ausschHefslich  sympathisch  wirkt,  womit 
nicht  ausgeschlossen  ist,  dafs  es  nicht  auch  eine  episch-drama- 
tische und  vielleicht  sogar  eine  plastische  Musik  gibt,  endlich 
auch  Elemente  der  bildenden  Kunst,  nämlich  einen  Teil  der 
Landschaft.  Die  bildenden  Künste  können  nicht  nur  plastisch, 
sondern  auch  lyrisch  und  episch-dramatisch  auftreten;  die  episch- 


184  ^   Dönng. 

dramatische  Kunst  nmfafst  anfser  Epos  und  Drama  auch  Be- 
standteile der  bildenden  Kunst  und  der  Musik.  Jene  Benennung 
der  drei  Hauptarten  ist  also  nur  eine  Benennung  a  potiori  und 
nach  der  charakteristischen  Art  der  ästhetischen  Wirkung,  der 
sympathischen,  objektiven  und  objektiv-sympathischen.  — 

Der  andere  Punkt  ist  folgender.  Man  kann  gegen  meine 
Bestimmung  des  ästhetisch  Wirksamen  den  Vorwurf  erheben, 
sie  entwürdige  das  Schöne  und  die  Kunst,  indem  sie  ihr  eine 
so  gleichgiltige  Aufgabe,  wie  die  blofse  Beschäftigung  der 
seelischen  Vermögen,  also  die  Vertreibung  der  Langeweile,  zu- 
weise. Ich  könnte  darauf  erwidern:  Ist  etwa  die  Befriedigung 
eines  menschhchen  Grundbedürfnisses  eine  gleichgiltige  Auf- 
gabe? Ist  vielleicht  die  blofse  Natumachahmung  oder  die  Auf- 
fassung und  Nachbildung  der  in  der  Wirklichkeit  realisierten 
„Ideen^  oder  die  Flucht  aus  der  gemeinen  Wirklichkeit  in  eine 
Welt  der  Ideale  —  um  nur  einige  der  bekanntesten  Theorieu 
über  den  Zweck  der  Kunst  anzuführen  —  eine  wichtigere  und 
würdigere  Aufgabe?  Die  Verteidigung  meiner  Auffassung  des 
Schönen  kann  aber  doch  noch  auf  eine  wirksamere  Weise  ge- 
führt werden.  Es  tritt  nämlich  hier  der  Begriff  des  Stils  er- 
gänzend ein.  Dieser  Begriff  ist  nach  meiner  Auffassung  von 
so  fundamentaler  Bedeutung  für  die  Ästhetik,  dafs  ihm  geradezu 
neben  dem  ersten  Hauptteil,  der  von  den  ästhetischen  Gefühlen 
oder  vom  Schönen  handelt,  ein  zweiter  koordinierter  und  eben- 
hurtiger  Teil  der  Ästhetik  gewidmet  werden  muls. 

Der  Begriff  des  Stils  ist  noch  nicht  hinlänglich  fixiert.  Der 
Gegensatz  der  idealisierenden  und  der  realistischen,  auf  Natur- 
wahrheit ausgehenden  Kunst  hat  nur  indirekt  durch  die  Affi- 
nität des  einen  oder  andern  seiner  Glieder  zum  einen  oder  andern 
Stil  mit  diesem  Begriffe  zu  thun.  Vergegenwärtigen  wir  uns 
die  historische  Aufeinanderfolge  der  Stilarten  in  der  antiken 
sowohl  wie  in  der  christlichen  Welt,  denken  wir  daran,  dafe 
es  ebenso  wie  für  ganze  Zeitalter  auch  für  Nationen  und  In- 
dividuen Stüunterschiede  und  Stilgegensätze  gibt,  so  mufs 
schon  daraus  erhellen,  dafs  das  Wesen  des  Stils  nicht  in  den 
kleinen  Aufserlichkeiten  und  Einzelheiten,  die  an  der  Oberfläche 
die  Stilarten  kenntlich  machen,  aufgeht,  sondern  dafs  der  Stil 
mit  den  tiefsten  Bezügen  und  Wandlungen  des  Kulturlebens 
zusammenhängt.  Meiner  Überzeugung  nach,  zu  deren  Begrün- 
dung hier  nicht  mehr   der  Baum  ist,  beruht  das  innerste  Ge- 


Die  äsihetischen  Gefühle.  185 

liemuiis  des  Stils  auf  der  Stellung  des  oder  der  Produzierenden 
2U  den  Gütern  des  Lebens,  auf  dem  Werturteil,  das  sie  f&llen, 
auf  dem  Glückseligkeitsideal,  dem  sie  anhängen.  Daraus  ent- 
springen auch  die  wahren  und  wesentlichen  Stilunterschiede, 
die  in  den  historischen,  nationalen  und  individuellen  unter- 
schieden nur  ihre  mehr  oder  minder  deutlichen  Iteflexe  finden. 
Es  gibt  nach  dem  wahren  Wesen  des  Stils  einen  hedonistischen 
Stil,  der  auf  der  ausschliefslichen  Schätzung  des  sinnlich  An- 
genehmen beruht  (Bokoko),  einen  universaleudämonistischen 
Stil  mit  dem  Motto:  ,Nihil  humani  a  me  alienum  puto'  und  mit 
zahlreichen  Abarten,  je  nachdem  besondere  Arten  von  Lebens- 
gütem  oder  „Idealen^  (dies  Wort  im  Sinne  des  SoHiLLERschen 
Gedichts  „Die  Ideale^  genommen)  eine  stark  bevorzugte  Schätzung 
empfangen  (Renaissance  und  Barock  als  Ausdruck  vorwiegender 
Schätzung  edlerer  Güter  und  Freuden),  einen  transcendenten 
Stü,  der  das  Glück  erst  in  einer  jenseitigen  besseren  Welt  er- 
wartet (das  Nazarenertum),  einen  pessimistischen,  weltschmerz- 
lichen Stil,  der  die  Lehre  predigt,  dafs  es  überhaupt  keine 
Güter  gibt  (hierher  gehört  grofsenteüs  der  heutige  extreme 
„BeaUsmus");  es  giebt  endlich,  oder  könnte  doch  geben,  einen 
exklusiveudämonistischen  Stil,  der  in  einem  einzigen  summum 
bonum  die  wahre  Lösung  der  GlückseUgkeitsfrage  findet,  mit 
so  mancherlei  Abarten,  als  es  Bestimmungen  des  summum  bonum 
geben  kann.  (Für  das  genauere  Verständnis  mehrerer  der  hier 
gebrauchten  Termini  muTs  ich  auch  hier  wieder  auf  meine 
„Philosophische  CHUerlehre"^  verweisen.) 

Nach  diesen  Voraussetzungen  gibt  der  Stü  die  eigentliche 
Beichte  und  Konfession  des  Künstlers:  le  style  c'est  Thomme; 
nach  ihnen  ist  es  der  Stil,  vermöge  dessen  die  Kunst  „der 
Spiegel  und  die  abgekürzte  Chronik  des  Zeitalters^  ist;  nach 
ihnen  kann  durch  den  Stil  der  Künstler  Prediger  und  Prophet, 
nicht  einer  besseren  Moral,  was  nicht  Sache  der  Kunst  ist,  aber 
einer  berechtigteren  Güterschätzung  werden,  im  Sinne  der  For- 
derung des  Aristoteles,  dafs  die  Kunst  oQ^dSg  x^^Q^^^f  oQd'wg  ^tkeip 
xal  fAiifeiVi  d.  h.  richtig  schätzen  lehren  solle,  und  im  Sinne  der 
ScHiLLBBschen  Mahnung  an  die  Künstler: 

Der  Menschheit  Würde  ist  in  eure  Hand  gegeben, 

Bewahret  sie! 

Sie  sinkt  mit  euch,  mit  euch  wird  sie  sich  heben! 


186  A,  Ddrim^, 


also  li^^  die  wahre  Beditfeirtigimg  des  SdöBfia  und 
der  Kirnet:  die  Wirkimg  auf  die  geeHechen  Venndgeii  ist  nur 
das  muTerBell  wirksame  HilfiBmittel  mid  Yehikel,  dadurch  die 
fundamentale  SteUnng  des  Menschen  m  den  Oütem  des  Lebens 
nnd  so  indirekt  allerdings  anch  die  Bichtong  ihres  Strebens 
bestimmt  wird.  Wohin  keine  Philosophie  und  keine  Predigt 
dringt,  da  ist  die  Kunst  am  Werke,  depravierend  und  emiedrigeiid 
oder  erhebend  und  veredelnd. 


Besprechungen, 


1.  Ako.  Mosso.    Über  die  Gesetze  der  Errnttdimg.    Untersnchongen  an 
Mnskeln  des  Menschen.   Dubois'  Archiv.   1890.    S.  89—168. 

2.  Ark.  Maogioba.    Über  die  Gesetze  der  Ermttdnng.  üntersnchungen 
an  Muskeln  des  Menschen.    Ebenda  S.  191—243. 

3.  Wabben  T.  Lombabd.    The  effect  of  fatigne  on  voliintary  mnscnlar 
contractions.    American  Journal  of  Psychology,  TU  (1890).    S.  24—42. 

Die  von  Mosso  und  dessen  Schüler  Maggioba  ausgeführten  Unter- 
suchungen besitzen  nicht  blofs  für  die  Physiologie  und  die  Diätetik  der 
körperlichen  Bewegungen,  sondern  auch  für  die  experimentelle  Psycho- 
logie eine  grofse  Tragweite.  Das  Versuchsverfahren  bestand  im  wesent- 
lichen darin,  dafs  der  Mittelfinger  einer  Hand  durch  Willensthätigkeit 
oder  durch  elektrische  Tetanisierung  des  betreffenden  Nerven  oder  der 
betreffenden  Beugemuskeln  selbst  veranlafst  wurde,  eine  Reihe  von 
Gewichtshebungen  mit  nur  kurzen  Zeitintervallen  (in  der  Kegel  2  Sek.) 
zwischen  den  einzelnen  Hebungen  auszuführen.  In  den  meisten  Fällen 
wurde  die  Beihe  der  Gewichtshebungen  nicht  eher  beendet,  als  bis  die 
Muskeln  nicht  mehr  im  stände  waren,  das  gegebene,  gewöhnlich  als 
Überlastung  dienende  Gewicht  zu  erheben.  Der  Gesamtbetrag  der 
mechanischen  Arbeit,  welche  bei  einer  solchen  Hebungsreihe  geleistet 
worden  war,  wurde  bestimmt.  Variiert  wurde  aufser  der  Art  der  Muskel- 
reizung die  Dauer  des  zwischen  2  Einzelhebungen  verfliefsenden  Zeit- 
intervalles,  die  Gröfse  des  zu  hebenden  Gewichtes,  der  Zustand  der 
Muskeln  bei  Beginn  der  Hebungsreihe  u.  a.  m. 

Die  von  den  beiden  Forschern  erhaltenen  Resultate,  von  denen  wir 
die  für  die  experimentelle  Psychologie  bedeutungsvolleren  zuerst  an- 
führen, sind  folgende: 

1.  Wie  sich  schon  aus  Versuchen  von  Fick  ergiebt,  vermag  der 
Wille  eine  höhere  Spannung  und  gröfsere  Arbeitsleistung  der  Muskeln 
zu  erzielen,  als  durch  maximale  elektrische  Tetanisierung  der  Muskeln 
selbst  oder  des  zugehörigen  motorischen  Nerven  erzeugt  werden  kann. 
Allein  es  giebt  eine  Ermüdung  des  auf  Bewirkung  einer  bestimmten 
Muskelbewegung  gerichteten  Willens,  die  sich,  nach  Mosso,  darin  zeigt, 
dafs  der  Wille  nach  einer  Beihe  von  ihm  hervorgerufener  Gewichts- 
hebungen schlief slich  gar  keine  Erhebung  des  Gewichtes  mehr  zu  erzielen 

Zeitschrift  fUr  Psychologie.  13 


1 88  Besprechungen. 

vermag,  während  in  eben  diesem  Stadium  die  elektrische  Reizung  der 
Muskeln  oder  des  motorischen  Nerven  noch  sehr  wohl  wirksam  ist  und 
eine  nicht  unerhebliche  weitere  Reihe  von  Gewichtshehungen  auszulösen 
vermag.  Wird  der  Versuch  in  umgekehrter  Ordnung  ausgeföihrt,  wird 
also  zuerst  die  elektrische  Reizung  zur  Hervorrufnng  der  Gewichts* 
hebungen  benutzt  und  bis  zum  Unwirksam  werden  beibehalten  und  hier- 
auf  der  Wille  in  Anspruch  genommen,  so  vermag  derselbe  trotz  des 
XInwirksamseins  der  künstlichen  Reizung  noch  eine  beträchtliche  Reihe 
von  Gewichtshebungen  auszulösen.  Dieses  Verhalten  erklärt  sich  einfach 
daraus,  dafs  der  unermüdete  WiUe  ein  wirksamerer  Reiz  ist  als  die 
künstliche,  elektrische  Reizung. 

Läfst  man  durch  Willensanstrengung  die  Muskeln  so  lange  an  dem 
Gewicht  Arbeit  leisten,  bis  die  Hebimgen  nur  noch  sehr  niedrig  ausfallen, 
und  veranlafst  hierauf  durch  elektrische  Nervenreizung  die  Muskeln  zu 
einer  kurzen  weiteren  Reihe  von  Gewichtshebungen,  so  erholt  sich  der 
Wille  während  des  Zeitraumes,  wo  letztere  Hebimgsreihe  stattfindet. 
Dies  zeigt  sich  darin,  dafs  sofort  nach  Beendigung  der  durch  die  elek- 
trische  Reizung  bewirkten  Hebungsreihe  der  Wille  bedeutend  ausgie- 
bigere Hebungen  auslöst,  als  er  unmittelbar  vor  Beginn  dieser  Hebungs- 
reihe bewirkte.  Es  findet  also  auch  während  eines  solchen  Zeitraumes, 
während  dessen  die  Muskeln  durch  peripherische,  künstliche  Reizung  zur 
Arbeitsleistung  veranlafst  werden,  noch  eine  Erholung  der  auf  eine 
Hebungsthätigkeit  dieser  Muskeln  gerichteten  Willenskraft  statt.  Hin- 
gegen zeigen  Versuche,  bei  denen  in  eine  Reihe  durch  elektrische  Reizung 
hervorgerufener  Gewichtshebungen  eine  kurze  Reihe  willkürlicher  He- 
bungen eingeschoben  wird,  dafs  die  Muskeln  während  eines  Zeitraums, 
wo  sie  infolge  von  Willensanstrengung  eine  Anzahl  von  Hebungen  aus- 
führen, für  die  elektrische  Reizung  sich  nicht  erholen. 

2.  Durch  elektrische  Tetanisierung  des  motorischen  Nerven  oder 
der  Muskeln  selbst  können  die  durch  den  Willen  angestrebten  Muskel- 
kontraktionen gehemmt  werden.  Das  Minimum  der  Zeit,  das  zwischen, 
dem  Beginn  der  elektrischen  Reizung  und  dem  Erscheinen  der  Hemmung 
verstrich,  fand  Mosso  gleich  Vs  Sekunde.  Mosso  teilt  nicht  die  Ansicht 
FicKs,  dafs  es  sich  bei  dieser  Hemmung  der  durch  den  Willen  ange- 
strebten Spannungen  oder  Kontraktionen  der  Muskeln  um  eine  Reflex- 
erscheinung handele.  Er  glaubt,  dafs  diese  Erscheinung  eine  tiefgehende 
Analogie  zu  den  vom  Vagus  ausgehenden  Hemmungswirkungen  besitze,, 
und  dafs  sie  mit  letzteren  Hemmungswirkungen  zusammen  „imter  das 
Gesetz  falle,  welches  alle  Muskeln  und  alle  Nerven  regiert,  nämlich, 
dafs  durch  einen  übertriebenen  Reiz  in  der  Substanz  des  Muskels  Alte- 
rationen entstehen,  wodurch  derselbe  unfähig  wird,  auf  seinen  natür- 
lichen Reiz  zu  reagieren". 

3.  Sehr  auffallend  ist  folgendes  von  Mosso  gefundene  Versuchs- 
resultat. Wird  einer  Versuchsperson,  deren  Fingermuskeln  durch  elek- 
trische Nervenreizung  zu  einer  Reihe  in  konstanten  Intervidlen  aufein- 
ander folgender  Gewichtshebungen  veranlafst  werden,  plötzlich  die 
Oberarmarterie  komprimiert,  so  steigen  die  Hubhöhen  zunächst  an^ 
entsprechend  der  schon  von  verschiedenen  Forschern  festgestellten  That-- 


Besprechungen.  Ig9 

flache,  dafs  die  Anämie  der  Muskeln  zunächst  erhöhend  auf  die  Erreg- 
barkeit derselben  wirkt.*  Wird  nun  während  der  Fortdauer  der  Muskel- 
anämie in  einem  Stadium,  wo  die  durch  die  elektrische  Nervenreizung 
erzielten  Hubhöhen  noch  gröfser  sind,  als  sie  vor  Herstellung  der  Anämie 
waren,  die  elektrische  Beizung  sistiert  und  die  Versuchsperson  aufge- 
fordert, die  Fingermuskeln  willkürlich  zur  Gewichtshebung  zu  kon- 
trahieren, so  gelingt  es  derselben  trotz  aller  Anstrengungen  nicht,  das 
Gewicht  auch  nur  um  ein  Geringes  zu  bewegen.  Hingegen  hat  die 
elektrische  Reizung  des  motorischen  Nerven  sofort  wieder  dieselbe 
Kontraktion  wie  vorher  zu  Folge.  Gegen  den  Verdacht,  dafs  die  Hem- 
mung der  Willenswirkung  von  der  Kompression  des  Nerven  abhänge, 
schützte  sich  Mosso  dadurch,  dafs  er  die  Elektroden  höher  gegen  die 
Achsel  zu  anlegte  und  die  Kompression  tiefer  unten  vornahm.  „Wenn 
die  Hemmung  von  der  Kompression  des  Nerven  abhinge,  hätte  nun  nicht 
nur  die  Wirkung  des  Willens  ausbleiben  müssen,  sondern  auch  die  des 
Nervenreizes,  was  aber  nicht  der  Fall  war."  Für  denjenigen ,  welcher 
die  hier  in  Kede  stehende  Erscheinung  (auf  die  wir  am  Schlüsse  dieser 
Besprechung  bei  einer  allgemeineren  Betrachtung  noch  zurückkommen 
Tverden),  vom  psychologischen  Standpunkte  aus  erwägt,  ist  vielleicht  die 
Bemerkung  nicht  unwichtig,  dafs  während  der  Anämie  des  Armes  die 
Tastempfmdung  in  den  blutleeren  Fingern  gut  erhalten  war,  „soweit  sich 
dies  durch  den  Erfolg  einfacher  Berühnmgen  feststellen  liefs". 

4.  Mosso  stellte  femer  Versuche  von  der  Art  an,  dafs  die  Muskeln 
bei  jeder  Kontraktion  nur  so  lange  auf  das  Gewicht  wirkten,  als  ihre 
Kontraktion  einen  bestimmten,  für  alle  Versuche  konstanten  Grad  noch 
nicht  erreicht  hatte;  war  dieser  Punkt  erreicht,  so  vollzog  sich  die 
weitere  Kontraktion  ohne  jede  Belastung,  abgesehen  natürlich  von  dem 
Schreibapparate  und  Zubehör.  Wurden  nun  bei  derartigen  Versuchen 
die  Muskeln  durch  Nervenreizung  zur  Kontraktion  veranlafst,  so  ver- 
ringerte sich  infolge  der  Ermüdung  im  Verlaufe  der  Versuchsreihe  die 
Strecke,  um  welche  sich  die  Muskeln  nach  ihrer  Entlastung  weiter  ver- 


*  Dieser  förderliche  Einflufs  der  Anämie  auf  die  Muskelerregbarkeit 
ist  vom  Referenten  {Nachr.  v,  d.  Cfes.  d.  Wtss.  eu  Göttmgen,  1889,  S.  16z)  durch 
das  von  ihm  auf  Grund  einer  Analyse  der  myothermischen  Erscheinungen 
aufgestellte  und  als  myothermisches  Grundgesetz  bezeichnete  allgemeine 
Gesetz  erklärt  worden,  dafs  jede  Verringerung  des  osmotischen  Druckes, 
unter  dem  der  Muskelsaft  steht,  im  Sinne  einer  Zunahme  der  Muskel- 
erregbarkeit (im  Sinne  einer  Erleichterung  der  Auslösung  der  im  Muskel- 
saffce  angehäuften  chemischen  Spannkräite)  sich  geltend  macht.  Nach 
physikalischen  Gesetzen  mufs  die  Herstellung  einer  Muskelanämie  not- 
i^endig  von  einer  Abnahme  jenes  im  Muskelsaft  herrschenden  Druckes 
begleitet  sein.  Da  femer  die  an  der  Oberfläche  eines  ausgeschnittenen 
Muskels  imter  Umständen  vor  sich  gehende  Verdimstung  gleichfalls  im 
Sinne  einer  Abnahme  jenes  Saftdruckes  wirken  mufs,  so  hat  Referent 
als  eine  Bestätigung  des  obigen  myothermischen  Grundgesetzes  schon 
früher  (a.  a.  O.  S.  151)  auch  die  von  Blix  festgestellte  Thatsache  ange- 
führt, dafs  der  Muskel  bei  der  Reizung  mehr  Wärme  entwickelt,  wenn 
er  von  trockener  Luft  umgeben  ist,  iQs  dann,  wenn  er  sich  in  einer 
feuchten  Atmosphäre  befindet.  Hierzu  kommt  noch  als  eine  weitere, 
schöne  Bestätigung  des  obigen  Gesetzes  die  von  Kunkel  in  seinen  Unter- 
suchungen „  Üaer  eine  Grundtoirkung  von  Giften  auf  die  quergestreifte  Muskel'^ 

13* 


190  Besprechungen. 

kürzten,  und  mithin  auch  der  Gesamtbetrag  der  Kontraktion.  Wurden 
hingegen  die  Muskelkontraktionen  durch  den  Willen  bewirkt,  so  nahm 
jene  Strecke  und  der  Gesamtbetrag  der  Kontraktion  allmählich  zu. 

MoBso  glaubt,  dafs  dieser  interessante  Unterschied  zwischen  der 
durch  elektrische  Nervenreizung  bedingten  und  der  durch  den  Willen 
bewirkten  Kontraktionsreihe  „durch  den  wachsenden  Nervenreiz  hervor- 
gerufen werde,  welchen  die  Centren  zu  dem  Muskel  entsenden,  je  schwie- 
riger die  materiellen  Bedingungen  der  Kontraktion  fdr  den  Ermüdungs- 
prozefs  werden^.  Beferent  glaubt,  dafs  die  hier  angedeutete  Erklärungs- 
weise mindestens  etwas  unvollständig  ist.  Die  in  Bede  stehende  Erscheinung 
dürfte  sich  in  ganz  ungezwungener  Weise  einfach  folgendermaisen  er- 
klären. Die  Ermüdung  des  Muskels  durch  wiederholte  Beizung  hat 
bekanntlich  die  Wirkung,  den  Erreg^ungsprozessen,  welche  in  demselben 
entstehen,  eine  gröfsere  zeitliche  Dauer  zu  geben.  Eine  solche  Ver- 
gröfserung  der  Erregungsdauer  ist  aber,  falls  es  sich  um  einen  Einzelreiz 
oder  eine  nur  sehr  kurze  Zeit  dauernde  tetanisierende  Beizfolge  handelt, 
innerhalb  gewisser  Grenzen  an  und  für  sich  förderlich  für  die  Kontrak- 
tionsgröfse.  Es  ist  eben  innerhalb  gewisser  Grenzen  mit  einer  längeren 
Andauer  des  Erregungsprozesses  zugleich  auch  eine  längere  Andauer  der 
im  Muskel  erweckten  kontrahierenden  Kräfte  und  hiermit  wiederum  die 
Erreichung  eines  höheren  Kontraktionsgrades  verbunden.  Durch  diesen 
Gesichtspunkt  hat  Beferent  bereits  früher  z.  B.  die  Thatsache  erklärt, 
dafs  nach  Versuchen  von  Heidenhaik,  Fick  tmd  Nawalichik  bei  fort- 
schreitender Ermüdung  die  Hubhöhe  zuweilen  eine  Abnahme  nicht  er- 
kennen läfst,  w^ährend  die  Wärmebildimg  sich  deutlich  verringert.  In 
solchen  Fällen  wird  die  durch  die  Ermüdung  bewirkte  und  an  der 
Wärmebildimg  deutlich  hervortretende  Abnahme  der  Muskelerregbarkeit 
hinsichtlich  ihres  Einflusses  auf  die  Hubhöhe  durch  die  für  letztere 
günstige  Verlängerung  der  Erregungsdauer  mehr  oder 'weniger  vollständig 
kompensiert.  Soll  nun  unter  den  oben  angegebenen  Versuchsbedingungen 
durch  den  Willen  eine  Beihe  von  Muskelkontraktionen  ausgelöst  werden, 
so  wird  allerdings  die  Erregbarkeit  der  Muskeln  im  Verlaufe  der  Ver- 
suchsreihe abnehmen,  zugleich  werden  aber  die  centralen  Impulse  in 
dem  Mafse  gesteigert   werden,   dafs   durch   diese  Impulssteigerung  jene 

Substanz^  festgestellte  Thatsache,  dafs  Muskelgifte,  welche  den  Wasser- 
gehalt der  Muskeln  verringern,  im  allgemeinen  die  Muskelerregbarkeit 
und  die  Zuckungsgröfse  steigern,  während  solche  Gifte,  welche  die 
Muskelsubstanz  wasserhaltiger  machen ,  die  Muskelerregbarkeit  und  die 
Zuckungsgröfse  vermindern.  In  Hinblick  auf  diesen  Thatbestand,  sowie 
in  Hinblick  darauf,  dafs  nach  den  Gesetzen  der  Diosmose  eine  Änderung, 
welche  der  Gehalt  des  Blutes  an  Nährmaterial  oder  Abfallstoffen  erfährt, 
im  allgemeinen  zugleich  auch  eine  Änderung  des  Flüssigkeitsgehaltes 
der  Muskelfasern  und  des  innerhalb  der  letzteren  bestehenden  Saftdruckes 
zu  Folge  haben  mufs,  erhebt  sich  die  Frage,  ob  nicht  die  Änderungen, 
welche  die  Muskelerregbarkeit  bei  durch  geistige  oder  körperliche  Thätig- 
keit,  durch  Fasten,  durch  Genufs  von  Speise  u.  dergl.  m.  herbeigeführten 
Änderungen  der  stofflichen  Zusammensetzung  des  Blutes  er&hrt,  zu 
einem  gewissen  Teile  auch  auf  den  Einflufs  zurückzuführen  sind,  den 
diese  Änderungen  der  Blutbeschaffenheit  auf  den  Flüssigkeitsgehalt  der 
Muskelfasern  und  den  innerhalb  derselben  bestehenden  Saftdruck  ausüben. 


Besprechungen.  X91 

Abnahme  der  Erregbarkeit  hinsichtlich  ihres  Einflusses  auf  die  Spannung, 
mit  welcher  die  Muskeln  auf  das  Gewicht  wirken,  möglichst  kompensiert 
wird.  Die  durch  den  "Willen  bewirkte  Erregung  und  Spannung  machen 
sich  also  trotz  der  fortschreitenden  Ermüdung  bei  allen  Hebungen  mit 
annähernd  denselben  Werten  an  dem  Gewichte  geltend.  Da  nun  aber 
die  durch  den  Willen  bewirkten  Erregungsprozesse  infolge  der  Ermüdung 
auTserdem  noch  an  Dauer  gewinnen,  so  muTs  die  Strecke,  um  welche 
sich  die  Muskeln  nach  ihrer  Entlastung  verkürzen,  und  der  Gesamtbetrag 
ihrer  Kontraktion  im  Laufe  der  Versuchsreihe  anwachsen.  Werden  die 
Muskeln  durch  elektrische  Beizung  des  motorischen  Nerven  zu  den  Kon- 
traktionen veranlafst,  so  wird  allerdings  die  Dauer  der  eintretenden 
Muskelerregungen  durch  die  Ermüdung  gleichfalls  verlängert,  aber  der 
Beiz,  der  vom  Nerven  aus  auf  die  Muskeln  wirkt,  wird  nicht  im  Sinne 
einer  Konstanterhaltung  der  anfänglichen  Intensitätswerte  der  Muskel- 
erregung verstärkt,  sondern  bleibt  höchstens  konstant,  imd  so  kommt 
es,  dafs  infolge  der  Abnahme  der  Muskelerregbarkeit  (infolge  des  Ver- 
brauches des  im  Muskel  angehäuften  erregbaren  Materiales)  der  Betrag 
der  Muskelkontraktion  allmählich  abnimmt. 

Vorstehendes  dürfte  genügen,  um  darzuthun,  dafs  es  mindestens 
etwas  übereilt  sein  würde,  wenn  man  den  Grund  der  Eigentümlichkeit 
des  obigen,  von  Mosso  erhaltenen  Versuchsergebnisses  sofort  in  einer 
Besonderheit  unseres  psychologischen  Verhaltens,  nämlich  darin  erblicken 
würde,  dafs  unter  den  obigen  Versuchsbedingungen  bei  fortschreitender 
£rmüdung  die  von  dem  Willen  ausgehenden  Impulse  mehr  gesteigert 
w^ürden,  als  zur  Konstanterhaltung  der  auf  das  Gewicht  einwirkenden 
Muskelspannungen  erforderlich  ist.  Die  in  Frage  stehende  Erscheinung 
erklärt  sich  ganz  ungezwungen  auf  rein  physiologischem  Wege  durch 
den  Einflufs  der  Ermüdung  auf  die  Andauer  der  Muskelerregungen.  Eine 
gründlichere  Darlegung  der  im  Vorstehenden  angedeuteten  Auffassung 
jener  Erscheinung  kann  nur  in  engem  Anschlüsse  an  bestimmte  theo- 
retische Anschauungen  betreffs  des  Wesens  der  Muskelkontraktion  gegeben 
werden,  wozu  hier  nicht  der  Ort  ist.  Eine  experimentelle  Prüfung  der 
hier  angedeuteten  Auffassung  jener  von  Mosso  gefundenen  Erscheinung 
dürfte  verhältnismäfsig  leicht,  z.B.  dadurch  möglich  sein,  dafs  in  eine 
Beihe  willkürlicher  Muskelkontraktionen,  die  unter  den  oben  angegebenen 
Versuchsbedingungen  stattfinden,  unvermuteterweise  Fälle  eingeschoben 
inrerden,  wo  die  erregten  Muskeln  nicht  auf  das  Gewicht,  sondern  auf 
einen  Spannungsanzeiger  wirken.  Es  mufs  sich  zeigen,  dafs  die  durch 
den  Willen  hervorgerufenen,  zur  Gewichtshebung  bestimmten  Muske 
Spannungen  im  Verlaufe  der  Versuchsreihe  nicht,  wie  Mosso  zu  schliefsen 
scheint,  zunehmen,  sondern  annähernd  konstant  bleiben. 

5.  Durch  unmittelbar  vorhergehende  angestrengte  Geistesthätigkeit 
wird  die  Kraft,  welche  die  Muskeln  bei  gegebenem  Beize  entwickeln, 
geschwächt,  mag  der  Beiz  in  Willensimpuls  oder  ein  den  motorischen 
Nerven  oder  den  Muskel  selbst  treffender  elektrischer  Beiz  sein.  Nach 
Mossos  Ansicht  kommt  die  hieraus  sich  ergebende  Ermüdung  der  Mus- 
keln durch  angestrengte  Geistesthätigkeit  dadurch  zu  stände,  dafs  durch 
die   gesteigerte  Arbeit  des   Gehirns   Zersetzungsprodukte  in   den  Kreis- 


192  Besprechungen . 

lauf  kommen  j    welche  die  Muskeln  vergiften  und   sie  unfähig  machen, 
ihre  volle  Energie  zu  entfalten. 

6.  Allgemein  sind  zwei  verschiedene  Arten  der  Ursachen  der  Er- 
müdung oder  Schwächung  der  Muskeln  zu  unterscheiden,  die  beide 
natürlich  auch  gleichzeitig  nebeneinander  vorkommen  können.  Die  eine 
Art  der  Schwäche  beruht  auf  einer  Verarmung  des  Muskels  an  Stoffen, 
deren  er  zur  Arbeitsleistung  bedarf.  Diese  Art  von  Schwäche  wird 
z.  B.  durch  Fasten  bewirkt.  Sie  wird  in  wunderbar  schneller  Weise 
durch  den  Genufs  von  Speise  beseitigt.  Die  zweite  Art  von  Muskel- 
schwäche wird  durch  geistige  Anstrengpung,  durch  Nachtwachen,  durch 
angestrengte  Märsche  und  dergl.  bewirkt  und  beruht  wahrscheinlich  auf 
einer  Vergiftung  der  Muskeln  „durch  Substanzen,  welche  das  Nerven- 
system während  seiner  Thätigkeit  entwickelf^.^  Bei  Vorhandensein  dieser 
Muskelschwäche  hat  die  Speise  wenig  stärkenden  Einflufs.  Die  volle 
'Erholung  erfordert  unvergleichlich  längere  Zeit  und  ist  nur  dann  zu 
erzielen,  wenn  dem  Nervensysteme  die  Buhe   durch  Schlaf  zu  teil  wird. 

Den  Beweis  dafür,  dafs  nach  angestrengter  Muskelthätigkeit  giftige 
Stoffe  im  Blute  enthalten  sind,  hat  Mosso  dadurch  erbracht,  dafs  er  das 
Blut  eines  Hundes,  welcher  fast  bis  zur  Erschöpfung  im  Tretrade  gelaufen 
war,  einem  anderen,  im  normalen  Zustande  befindlichen  Hunde  injizierte. 
Letzterer  zeigte  sofort  nach  der  Injektion  die  Symptome  von  Müdigkeit 
und  Niedergeschlagenheit;  oft  erfolgte  sogar  Erbrechen.  Hingegen  rief 
die  Injektion  des  Blutes  keine  derartigen  Symptome  hervor,  wenn  der 
Hund,  dem  das  Blut  entnommen  w^urde,  nicht  durch  körperliche  Arbeit 
ermüdet  war. 

7.  Dafs  durch  angestrengte  Muskelthätigkeit  nicht  blols  die  ange- 
strengten, sondern  auch  noch  andere  Muskeln,  z.  B.  durch  angestrengtes 
Marschieren  auch  die  (während  des  Marschierens  möglichst  in  Ruhe 
erhaltenen)  Armmuskeln,  stark  an  Leistungsfthigkeit  verlieren,  und  dals 
diese  Ermüdung  im  wesentlichen  eine  Ermüdung  der  Muskeln  und  nicht 
etwa  der  centralen  Organe  ist,  zeigt  Maogiora  durch  ausdrücklich  hierauf 
gerichtete  Versuche,  bei  denen  sich  angestrengtes  Marschieren  auch  für 
die  Leistimgs^higkeit  der  auf  elektrischem  Wege  direkt  oder  vom  Nerven 
aus  gereizten  Fingermuskeln  als  sehr  nachteilig  erwies.  ^ 

8.  Ebenso  zeigte  Maogiora  durch  besondere  Versuche,  bei  denen  der 
motorische  Nerv  oder  die  Muskeln  selbst  elektrisch  gereizt  wurden,  dafs 
die  Schwäche,  welche  durch  Fasten  bewirkt  wird,  in  der  Hauptsache 
nicht  auf  einer  geringeren  Energie  des  Gehirns  und  Rückenmarkes,  son- 
dern auf  einer  Schwäche  der  Muskeln  selbst  beruht.' 

9.  Die  überraschende  Schnelligkeit,  mit  welcher  die  durch  Fasten 
geschwächten  Muskeln  sich  nach  einer  Mahlzeit  erholen  —  schon  V«  Stunde 
nach  einer  Mahlzeit,  durch  welche  ein  24 stündiges  Fasten  beendet  wurde 

^  Dafs  nach  angestrengtem  Marschieren  und  anderer  körperlicher 
Anstrengung  diese  Giftstoffe  nur  dem  Nervensysteme,  nicht  auch  dea 
Muskeln  selDst  enstammen,  ergeben  die  vorliegenden  Versuche  nicht. 

'  Was  die  Erschöpfung  durch  Nachtwachen  anbelangt,  so  ist  aus 
den  Versuchsangaben  von  Magoiora  (S.  226)  leider  nicht  mit  Sicherheit 
zu  ersehen,  ob  die  dadurch  bewirkte  Verringerung  der  von  den  Muskelu 


Besprechungen.  193 

iKraren  die  Muskeln  wieder  völlig  erholt  —  lassen  in  Hinblick  auf  die 
Länge  der  Zeit^  welche  die  Verdauung  der  in  den  Magen  gebrachten 
Nahrungsmittel  erfordert,  Maooioba  die  Annahme  wahrscheinlich  er- 
scheinen, dafs  die  durch  Nahrungsau&ahme  zu  stände  kommende  Erholung 
der  durch  Fasten  geschwächten  Muskeln  „zum  Teile  auch  von  der  ge- 
steigerten Aktivität  der  Blutcirkulation  abhängt,  welche  auf  die  Nahrungs- 
«u&ahme  folgt".  Maooiora  erinnert  an  Untersuchungen  von  Mosso,  aus 
denen  sich  ergiebt,  dafs  nach  der  Nahrungsaufnahme  die  Herzschläge 
rasch  stärker  werden  und  die  Tonicität  der  Blutgefäfse  wächst.  Die 
erwähnte  Annahme  von  Maooiora  zeigt  sich  durch  Versuche  dieses 
Forschers  bestätigt,  bei  denen  sich  ergab,  dafs  ein  durch  Fasten  bewirkter 
hochgradiger  Schwächezustand  der  Muskeln  durch  Massage  der  Muskeln 
stark  verringert,  ja  sogar  fast  ganz  aufgehoben  werden  kann. 

10.  Die  weiteren  Untersuchungen  der  beiden  Forscher  sind  mehr 
von  rein  physiologischem  Interesse.  Sie  betreffen  die  Kontraktur  und 
die  sogenannten  Veränderungen  der  Muskelelasticität  bei  der  Ermüdung, 
den  Einflufs  der  Unterstützung  auf  die  Kontraktionshöhe,  den  erholen- 
den Einflufs  der  Massage  und  die  Abhängigkeit,  in  welcher  der  Ver- 
lauf der  Ermüdungskurve  (im  Sinne  Kroneckebs)  und  die  Qröfse  der 
bei  einer  Hebungsreihe  geleisteten  mechanischen  Arbeit  zu  verschiedenen 
Faktoren  (Individualität,  Gewicht,  Beizintervall,  Erholungspause  xmd 
dergl.  mehr)  steht.  Die  Resultate  dieser  Untersuchungen  bestätigen  zum 
Teil  die  bereits  von  anderen  Forschern  erhaltenen  Versuchsergebnisse, 
ziim  Teil  sind  sie  neu  und  von  Interesse,  wenn  sie  auch  dem  Beferenten 
in  theoretischer  Beziehung  wichtige  neue  Gesichtspunkte  nicht  an  die 
Hand  zu  geben  scheinen.  Wenn  Mosso  (S.  164  ff.)  bei  willkürlicher  Kon- 
traktion der  Fingermuskeln  und  auch  bei  kurzdauernder  (Vs  Sekunden 
dauernder)  Tetanisierung  des  betreffenden  motorischen  Nerven  gar  keinen 
oder  wenigstens  keinen  sicher  eintretenden  Einflufs  der  Unterstützung 
auf  die  Kontraktionshöhe  gefunden  hat,  so  kann  Referent  in  Hinblick  da- 
rauf, dafs  jede  willkürliche  Kontraktion  thatsächlich  tetanischer  Art  ist,  in 
diesem  Versuchsergebnisse  nur  eine  Bestätigung  der  bereits  von  v.  Frey 
erhaltenen  Versuchsresultate  erblicken,  welcher  beim  Tetanus  die  Unter- 
statztmg  gleichfalls  ohne  Einflufs  auf  die  Kontraktionshöhe  fand.  Mosso  er- 
achtet ferner  in  Hinblick  auf  die  von  ihm  erhaltenen  Versuchsresultate  vor- 
läufig die  Annahme  für  wahrscheinlich,  „dafs  für  den  frischen  Muskel  wäh- 
rend seiner  ersten  Kontraktionen  das  Gewicht  gleichgültig  sei,  so  dafs 
derselbe,  wenn  er  einmal  zur  Kontraktion  angeregt  wird,  eine  grofse  Ver- 
kürzung ausführt,  gleichgültig,  ob  das  Gewicht  während  der  ganzen  maxi- 
malen Kontraktion  oder  blofs  während  eines  Teiles  derselben  gehoben  werden 
soll;  wenn  aber  die  Energie  des  Muskels  infolge  der  Ermüdung  abnimmt, 
dann  gereicht  es  ihm  zum  Vorteile,  wenn  man  ihm  mittelst  der  Unter- 
stützimg    zu   Hilfe    kommt".      Referent    möchte    bemerken,    dafs    diese 


geleisteten  mechanischen  Arbeit  bei  willkürlicher  Erregung  oder  bei 
elektrischer  Reizung  derselben  erhalten  worden  ist.  Waren  die  Kon- 
traktionen willkürliche,  so  ist  das  Resultat  natürlich  zweideutig,  weil 
aulser  der  Muskelschwächung  auch  noch  die  psychische  Erschlaffung  in 
Betracht  kommt. 


X94  Besprechungen. 

vorläufige  Annaliine  Mossos  in  direktem  Widerspruche  zu  den  von 
V,  Frey  erhaltenen  Versuchsresultaten  steht,  nach  denen  der  unterschied, 
der  zwischen  den  Zuckungshöhen  des  unterstützten  und  des  frei  be- 
lasteten Muskels  besteht,  bei  fortschreitender  Ermüdung  sich  verrin- 
gert und  bei  hoher  Ermüdung  es  sogar  vorkommen  kann,  daijs  die 
Zuckungshöhe  des  frei  belasteten  Muskels  die  höhere  wird.  Alle  diese  und 
andere  das  Verhalten  der  Kontraktionshöhe  bei  variabler  TJnterstützungs- 
höhe  betreffende  Thatsachen,  insbesondere  auch  die  von  Mosso  von  neuem 
festgestellte  Thatsache,  die  denselben  zu  der  soeben  erwähnten  irrigen 
Annahme  bewogen  zu  haben  scheint ,  nämlich  die  Thatsache ,  da£3  eine 
Steigerung  des  vom  Muskel  zu  hebenden  Gewichtes  den  förderlichen 
EinfluTs  der  Unterstützung  auf  die  Kontraktionshöhe  deutlicher  (und  zwar 
auch  bei  kurzdauernden  Tetanisierungen)  hervortreten  läfst,  erklären 
sich  ganz  ungezwungen  aus  den  vom  Referenten  früher  (a.  a.  0.  S.  147  f. 
und  160)  entwickelten  Anschauungen.  Was  die  betreffs  der  Kontraktur 
von  Mosso  erhaltenen  Versuchsresultate  anbelangt,  so  erklären  sich  die- 
selben sämtlich  im  Sinne  der  vom  Beferenten  a.  a.  0.  S.  157  ff.  gegebenen 
AusfÜhnmgen  in  ungezwungener  Weise  als  die  Folgeerscheinungen  einer 
im  Verlaufe  der  Versuchsreihe  stattfindenden  Zunahme  der  Zähigkeit 
des  Muskelsaftes.  Die  von  Maggiora  (S.  211)  gewonnenen  interessanten 
Versuchsresultate,  welche  ergeben,  dafs  die  späteren  geringeren  Kon- 
traktionen einer  bis  zum  Versagen  des  Hebungsvermögens  fortgesetzten 
Hebungsreihe  der  Leistungsfähigkeit  der  Muskeln  nachteiliger  sind,  als 
die  ausgiebigeren  früheren  Kontraktionen,  möchte  Eeferent  in  Analogie 
zu  den  namentlich  von  Lükjanow  beobachteten  Erscheinungen  der  Er- 
holungsmüdigkeit bringen  und  im  Sinne  des  vom  Beferenten  a.  a.  O. 
S.  161  f.  Bemerkten  durch  den  herabsetzenden  Einflufs  erklären,  welchen 
die  durch  eine  starke  Ermüdung  bewirkte  Erhöhung  der  Zähigkeit  des 
Muskelsaftes  auf  den  Stoffaustausch  zwischen  Blut  und  Muskelfaser- 
innerem ausübt.  Da  bei  einer  Beihe  von  Gewichtshebimgen,  welche  nach 
Abschlufs  des  Blutstromes  von  den  Muskeln  stattfindet,  die  bei  den  ein- 
zelnen Hebungen  gebildeten  Zersetzungsprodukte  sich  sämtlich  in  den 
Muskeln  ansammeln  und  die  Zähigkeit  des  Muskelsaftes  in  ungewöhnlich 
hohem  Grade  erhöhen,  so  läfst  es  sich  in  Hinblick  auf  den  soeben  er- 
wähnten Einfiufs  der  Zähigkeitszunahme  des  Muskelsaftes  leicht  begreifen, 
dafs,  wie  Maggiora  fand,  es  einer  ziemlich  langen  Buhepause  bedarf, 
damit  die  Muskeln  nach  einer  bei  Ausschlufs  des  Blutstromes  bis  zur 
völligen  Erschöpfung  fortgesetzten  Hebungsreihe  unter  dem  Einflüsse 
der  wiederhergestellten  Blutcirkulation  die  Fähigkeit  wiedererlangen, 
das  Gewicht  zu  heben.  — 

Zum  Schlüsse  möchte  sich  Beferent  in  Beziehung  auf  ein  bei  diesen 
Untersuchungen  von  Mosso  und  Maggiora  mehrfach  zur  Anwendung 
gebrachtes  Versuchsverfahren  eine  namentlich  auch  im  Interesse  der 
Psychologie  vielleicht  nicht  ganz  unwichtige  Bemerkung  erlauben.  Mag- 
giora hebt  gelegentlich  hervor,  welche  Wichtigkeit  fCbr  die  experimentelle 
Psychologie  die  bei  seinen  Versuchen  benutzte  Methode  besitze,  die  darin 
bestehe,  durch  direkte  Beizung  der  Nerven  oder  der  Muskeln  „die  Aktion 
der  nervösen  Centren  von  der  der  peripherischen  Organe,  d.  h.  der  Nerven 


Besprechungen .  195 

und  der  Muskeln,  zu  trennen".  Wie  dem  Referenten  scheint,  ist  nun 
bei  Anwendung  dieser  Methode  ein  Punkt  nicht  zu  übersehen,  der  merk- 
würdigerweise in  diesen  ganzen  Untersuchungen  von  Mosso  und  Maggioba 
auch  nicht  mit  einem  Worte  erwähnt  wird.  Nach  den  zur  Zeit  herrschen- 
den, doch  keineswegs  ganz  aus  der  Luft  gegrifPenen  und  erst  neuerdings 
durch  die  Versuche  von  Beaunis  wieder  betonten  Anschauungen  werden 
nämlich  bei  einer  willkürlichen  Muskelbewegung  im  allgemeinen  auch 
diejenigen  Muskeln,  welche  die  Antagonisten  der  im  Sinne  dieser  Bewe- 
gung wirksamen  Muskeln  sind,  in  eine  hinsichtlich  ihrer  Stärke  und  ihres 
zeitlichen  Verlaufes  nach  der  Art  der  betreffenden  Bewegung  sich  bestim- 
mende Erregung  versetzt.  Wird  also  unter  gewissen  Versuchsbedingungen 
bei  willkürlicher  Erregung  der  Muskeln  ein  wesentlich  anderes  Resultat 
erhalten  als  bei  elektrischer  Reizimg  derselben,  so  ist  der  Unterschied 
der  in  beiden  Fällen  erhaltenen  Erfolge  nicht  ohne  weiteres  sofort  darauf 
zu  beziehen,  dafs  der  Reiz,  der  bei  der  Willensthätigkeit  von  den  ner- 
vösen Centren  auf  die  Muskeln  ausgeübt  werde,  von  anderer  Art  sei  und 
anderen  Gesetzen  gehorche  als  die  elektrische  Reizung,  sondern  man  hat 
sich  vor  allem  zu  fragen,  ob  jener  Unterschied  seinen  Grund  nicht  ein- 
fach darin  haben  könne ,  dafs  bei  der  willkürlichen  Muskelbewegung  zu- 
gleich auch  die  betreffenden  Antagonisten  in  Erregung  versetzt  werden. 
So  erhebt  sich  z.  B.  hinsichtlich  der  oben  (auf  S.  142  f.)  erwähnten  Versuche 
Mossos,  bei  denen  sich  nach  einer  Reihe  auf  elektrischem  Wege  ausge- 
löster Kontraktionen  der  Wille  an  den  anämisch  gemachten  Muskeln 
anscheinend  als  unwirksam  erwies,  während  die  elektrische  Reizung  noch 
eine  erhöhte  Wirksamkeit  entfaltete,  sofort  die  folgende  Frage:  Kann 
dieses  eigentümliche  Versuchsresultat  nicht  einfach  darin  seinen  Grund 
haben,  dafs  die  Antagonisten  der  bei  den  Gewichtshebungen  wirksamen 
Beugemuskeln  zu  der  Zeit,  wo  die  Reihe  der  elektrischen  Auslösungen 
der  Gewichtshebung  sistiert  wurde  und  der  Wille  der  Versuchsperson 
für  die  Gewichtshebung  in  Anspruch  genommen  wurde,  sich  in  Vergleich 
zu  jenen  Beugemuskeln  in  einem  Zustande  beträchtlich  höherer  Erreg- 
barkeit befanden,  so  dafs  die  Impulse,  welche  bei  der  Willensanstrengung 
den  Antagonisten  zugesandt  wurden,  hinreichend  waren,  um  die  beabsich- 
tigte Gewichtshebung  ganz  zu  verhindern?  Die  Annahme,  dafs  in  jenem 
Momente  der  Inanspruchnahme  des  Willens  die  Antagonisten  der  Beuge- 
muskeln  sich  in  Vergleich  zu  diesen  in  einem  Zustande  beträchtlich 
höherer  Erregbarkeit  befanden  haben,  ist  nämlich  keineswegs  eine  ganz 
willkürliche.  Es  ist  in  Rücksicht  zu  ziehen,  dafs  jenem  Momente  eine 
Reihe  auf  elektrischem  Wege  hervorgerufener  Gewichtshebungen  vorher- 
gingen, bei  denen  nur  die  Beugemuskeln,  nicht  aber  auch  ihre  Antago- 
nisten in  Thätigkeit  versetzt  wurden.  In  der  von  Mosso  näher  mitge- 
teilten Versuchsreihe  gingen  der  ersten  Inanspruchnahme  des  Willens 
nicht  weniger  als  99  durch  elektrische  Reizung  hervorgerufene  Gewichts- 
hebungen vorher,  von  denen  40  vor  und  59  nach  eingetretener  Kompression 
der  Oberarmarterie  stattfanden.  Da  nun  die  Anämie  nicht  dazu  dient, 
dafs  das  im  Muskel  vorhandene  erregbare  Material  an  Menge  zunimmt, 
sondern  nur  bewirkt,  dafs  an  demselben  derjenige  mit  Wärmebildung 
verbundene  chemische  Umwandlungsvorgang,  den  wir  als  Erregungsprozefs 


196  Besprechungen . 

bezeichnen,  zunächst  leichter  ausgelöst  werden  kann,  und  mithin  zunächst 
zu  Folge  hat,  dafs  der  Muskel  durch  eine  gegebene  Anzahl  von  Beizen 
bestimmter  Art  und  St&rke  mehr  an  erregbarem  Materiale  verliert,  als 
er  bei  erhaltener  Blutcirkulation  durch  dieselben  Beize  verlieren  würde, 
so  muJGsten  bei  dieser  Versuchsreihe  Mossos  die  Beugemuskeln  durch 
jene  99  auf  elektrischem  Vf^^Q  hervorgerufenen  und  zwar  der  Mehrzahl 
nach  bei  vorhandener  Anämie  hervorgerufenen  Gewichtshebungen  bereits 
eine  bedeutende  Einbufse  ihres  erregbaren  Materiales  erfahren  haben. 
Diese  Muskeln  mufsten  trotz  des  ümstandes,  dafs  an  ihnen  der  die  Aus- 
lösbarkeit der  angehäuften  chemischen  Spannkräfte  fördernde  Einflufs 
der  Anämie  noch  zu  Tage  trat,  sich  in  Vergleich  zu  ihren  Antagonisten, 
die  mit  der  erleichterten  Auslösbarkeit  der  vorhandenen  chemischen 
Spannkräfte  auch  noch  den  Vorzug  eines  reichlicheren,  durch  vorherige 
Beize  nicht  geschmälerten  Besitzes  solcher  Spannkräfte  verbanden,  im 
Zustande  erheblich  geringerer  Erregbarkeit  befinden.  Es  erhebt  sich 
also  in  der  That  die  Frage,  ob  jenes  eigentümliche  Ausbleiben  der  Ge- 
wichtshebung bei  Inanspruchnahme  des  Willens  nicht  einfach  nach  Ana- 
logie derjenigen  pathologischen  Fälle  (Nothnagel)  aufzufassen  sei,  bei 
denen  der  Wille  die  Extremitäten  infolge  übermäfsiger  gleichzeitiger 
Erregung  der  Antagonisten  nur  mit  äufserster  Anstrengung  langsam  zu 
bewegen  vermag.  Beferent  kann  sich  bis  auf  weiteres  der  Ansicht 
Mossos  nicht  anschliefsen ,  dafs  jene  von  diesem  Forscher  beobachtete, 
auffallende  Erfolglosigkeit  der  Willensanstrengung  „wahrscheinlich  den 
Beweis  für  den  tiefgehenden  Unterschied  liefert,  welcher  zwischen  der 
Wirkung  des  Willens  und  jener  der  elektrischen  Erregimg  besteht".* 

In  ähnlicher  Weise,  wie  in  dem  Vorstehenden  an  einem  Beispiele 
gezeigt  worden  ist,  mufs  auch  bei  Erwägung  anderer  Besultate,  die  sich 
bei  Untersuchungen  der  hier  betrachteten  Art  im  Falle  willkürlicher 
Muskelerregung  ergeben  haben,  stets  vor  allem  die  Frage  erhoben  werden, 


*  Wenn  man  derjenigen  Deutung  der  oben  erörterten,  von  Mosso 
gefimd^nen  Erscheinung,  welche  Beferent  durch  das  zur  Zeit  Vorliegende 
nicht  für  ausgeschlossen  hält,  die  Frage  entgegenhalten  sollte,  weshalb 
nach  einer  Beihe  elektrisch  ausgelöster  Gewichtshebungen  der  Wille  sich 
nicht  auch  dann  als  unwirksam  erweise,  wenn  die  Blutcirkulation  in  den 
Muskeln  erhalten  bleibe,  so  kann  nur  nochmals  auf  die  Besonderheit  des 
Falles  hingewiesen  werden,  wo  durch  die  Anämie  die  Auslösbarkeit  der 
angehäuften  chemischen  Spannkräfte  zwar  in  allen  in  Betracht  kommenden 
Muskeln  erhöht  worden  ist,  aber  die  im  Sinne  der  Gewichtshebun^  wirk- 
samen Beugemuskeln  unter  Benutzung  dieser  erhöhten  Auslösoarkeit 
trotz  des  Ausschlusses  der  ergänzenden  Stoffzufuhr  bereits  durch  zahl- 
reiche Beize  erschöpft  worden  sind,  während  die  Antagonisten  dem  ersten 
sie  treffenden  Willensimpulse  eine  sowohl  durch  die  Anämie  in  ihrer 
Auslösbarkeit  stark  geförderte,  als  auch  durch  vorhergehende  Beize  nicht 

geschmälerte,  reichliche  Menge  chemischer  Spannkräne  entgegenbringen, 
a  diesem  Falle  mufs  zwischen  der  Erregbarkeit  der  Beugemuskeln  und 
derjenigen  ihrer  Antagonisten  ein  wesentlich  anderes  Verhältnis  bestehen 
als  in  dem  Falle,  wo  während  der  Beihe  elektrisch  ausgelöster  Gewichts- 
hebungen die  Blutcirkulation  in  den  Muskeln  erhalten  blieb.  Versuche, 
bei  denen  neben  den  Beugemuskeln  gelegentlich  auch  die  Antagonisten 
auf  elektrischem  Wege  gereizt  werden ,  können  hierüber  leicht  authen- 
tische Auskimft  geben. 


Besprechungen.  197 

ob  die  Eigentümlichkeit   der  betreffenden  Eesultate   ihren  Grund  nicht 
einfach  in  der  Miterregung  der  antagonistischen  Muskeln  habe.  ^ 


Die  gleichfalls  im  Institute  von  Mosao  angestellten  Versuche  von 
IjOhbäbd  stehen  in  engem  Zusammenhange  mit  den  im  Vorstehenden 
besprochenen  Untersuchungen,  mit  denen  sie  im  wesentlichen  auch  die 
Methode  gemeinsam  haben.  Lombard  ergänzte  die  oben  (S.  141)  ange- 
führten, die  Willensermlldung  ergebenden  Versuchsresultate  Mossos  durch 
den  Nachweis,  dafs,  wenn  der  Wille  durch  Herbeiführung  einer  langen 
Beihe  von  Bewegimgen  bestimmter  Art  ermüdet  ist,  alsdann  diese  Willens- 
ermüdung sich  nur  auf  die  Ausführimg  von  Bewegungen  dieser  Art,  nicht 
aber  auch  auf  Bewegungen  bezieht,  bei  denen  andere  Muskeln  beteiligt 
sind.  Ferner  beobachtete  Lombard  an  sich  selbst  und  zwei  anderen  Per- 
sonen, dafs  im  späteren  Verlaufe  einer  durch  den  Willen  bewirkten 
Hebungsreihe  starke,  sog.  periodische  Schwankungen  der  Hubhöhe  ein- 
traten. An  6  anderen  Personen  indessen  konnten  diese  Schwankungen 
nicht  mit  Deutlichkeit  erhalten  werden.  Da  diese  Schwankungen  bei 
elektrischer  Nerven-  oder  Muskelreizung  nicht  auftraten,  da  femer  in 
solchen  Momenten ,  wo  der  Erfolg  des  Willens  ein  Minimum  war ,  die 
elektrische  Beizung  beträchtlich  gröfsere  Hubhöhen  erzielte,  und  da  endlich 
die  Schwankungen  der  Hubhöhe  nach  ihrem  Auftreten  durch  Massage 
zwar  hinsichtlich  ihrer  Ausgiebigkeit  verringert,  aber  nicht  aufgehoben 
werden  konnten,  so  glaubt  Lombard  eine  centrale  Ursache  dieser  Schwan- 
kimgen  annehmen  zu  müssen.  Des  Näheren  nimmt  er  als  Sitz  der  Ursache 
der  Schwankungen  diejenigen  centralen  Teile  an,  welche  speciell  der 
Ausführung  der  in  Frage  stehenden  Bewegungen  (Gewichtshebungen) 
vorstehen,  da  durch  die  von  ihm  gefundenen  Resultate  die  Annahme 
ausgeschlossen  ist,  dafs  es  sich  bei  derartigen  Versuchen  um  periodische 
Schwankungen  einer  Ermüdung  des  Willens  für  alle  möglichen  Bewe- 
gungsarten handelt  und  mithin  der  Sitz  der  Ursache  der  Schwankungen 
auch  nicht  in  einem  Centrum  gesucht  werden  kann,  welches  für  alle 
Arten  wiUkürlicher  Beweg^ungen  gleiche  Bedeutung  besitze.  Vom  prin- 
zipiellen Standpunkte  aus  mufs  man  hier  den  obigen  Ausführungen  des 
Referenten  gemäfs  die  Berücksichtig^ung  der  Möglichkeit  vermissen,  dafs 


^  Man  könnte  geneigt  sein,  von  dem  hier  geltend  gemachten  Staod- 
punkte  aus  sogar  zu  bezweifeln,  ob  durch  die  oben  (auf  S.  141)  erwähnten 
Versuche  Mossos  überhaupt  die  Ermüdbarkeit  des  auf  eine  bestimmte 
Bewegung  gerichteten  Willens  bewiesen  sei.  Denn  wenn  nach  einer 
grofsen  Keine  willkürlicher  Gewichtshebungen  der  Wille  schliefslich  ganz 
unfllhig  sei,  eine  weitere  Gewichtshebung  auszulösen,  während  die  elek- 
trische B^izunß  sich  noch  sehr  wohl  als  wirksam  erweise,  so  könne  jene 
eingetretene  Imfähigkeit  des  Willens  ja  möglicherweise  nur  darauf  be- 
ruhen, dafs  infolge  der  viel  stärkeren  Ermüdung  der  im  Sinne  der  Ge- 
wichtshebung  wirksamen  Beugemuskeln  die  Miterregung  der  Anta&^onisten 
verhältnismälsig  zu  stark  geworden  sei.  Lidessen  scheint  uns  doch  die 
von  Mosso  dar^ethane  Thatsache,  dafs  der  Wille  nach  einer  starken 
Herabsetzimg  semer  Fähigkeit,  eine  Gewichtserhebung  zu  bewirken,  durch 
Einschiebung  einer  Beihe  auf  elektrischem  Wege  ausgelöster  Gewichts- 
erhebungen in  dieser  Fähigkeit  wieder  gefördert  werden  kann,  zu  be- 
weisen, oafs  hier  eine  Willensermüdung  imd  Willenserholimg  im  Spiele  ist. 


198  Bt'^prtchungtn. 

die  gefundene  »og.  Pertodicität  —  streng  genommen  kann  man  von 
Perioden  hier  nicht  reden :  denn  die  Zeiträume  zwischen  den  aufeinander 
folgenden  Minima  oder  Maxima  zeigen  aulserordentliche  Variationen  — 
ihren  Grund  einfach  in  dem  Wechsel  des  Verhältnisses  gehabt  habe,  in 
welchem  die  Enegbarkeit  der  im  Sinne  der  Gewichtshebung  wirksamen 
Muskeln  zu  der  Erregbarkeit  der  antagonistischen  Muskeln  stand.  Es  ist 
klar,  könnte  jemand  sagen,  dafs  vom  Anbeginn  der  Versuchsreihe  an  die 
ersteren  Muskeln  zimächst  stärker  ermüden  muXsten  als  die  letzteren, 
die  nur  von  schwächeren  Impulsen  getroffen  wurden.  3£acht  man -nun 
die  plausible  Annahme,  dafs  das  Stärkeverhältnis,  in  welchem  die  den 
ersteren  und  die  den  letzteren  Muskeln  vom  Willen  zugesandten  Impulse 
zu  einander  standen,  immer  dasselbe  blieb,  so  mufste  die  durch  die 
Willensanstrengung  bewirkte  Kraft  der  im  Sinne  der  Gewichtshebxmg 
wirksamen  Muskeln  in  Vergleich  zu  derjenigen  der  Antagonisten  immer 
geringer  werden,  und  es  muiste  ein  Punkt  erreicht  werden,  wo  infolge 
der  verhältnismäfsig  starken  Gegenwirkung  der  letzteren  Muskeln  die 
Hubhöhe  nur  noch  minimal  war,  obwohl  ein  elektrischer  Beiz,  der  nur 
die  im  Sinne  der  Gewichtshebung  wirksamen  Muskeln  erregte,  noch  sehr 
wohl  fähig  war,  eine  nicht  unbeträchtliche  Hubhöhe  zu  erzielen.  War 
dieser  Punkt  erreicht,  so  mufste  der  weitere  Verlauf  der  Erregbarkeit 
in  den  beiden  miteinander  kämpfenden  Muskelarten  einen  in  komplizierter 
Welse  verschiedenen  Verlauf  nehmen,  so  dafs  leicht  noch  eine  groise 
Anzahl  von  Maxima  und  Minima  durchlaufen  werden  konnte.  Denn  bei 
Erreichung  jenes  Punktes  befanden  sich  beide  Muskelarten  keineswegs 
in  demselben  Zustande,  und  demgemäfs  mufste  auch  der  weitere  Verlauf 
ihrer  Ermüdung  ein  anderer  sein.  Hierzu  kommt,  dais  dementsprechend 
auch  der  erholende  Einflufs  des  Blutstromes  für  beide  Muskelarten  einen 
verschiedenen  Verlauf  nahm.  Ferner  spielt  natürlich  auch  die  Verschie- 
denheit der  beiden  Muskelarten  hinsichtlich  ihrer  Dicke,  Länge,  feineren 
Struktur  und  dergl.  hier  eine  Bolle  u.  a.  m.  Man  mufs  zugeben,  dafs  der 
hier  angedeuteten  Erklärung,  wenigstens  auf  den  ersten  Blick,  die  That- 
Sache  nicht  günstig  ist,  dafs  Lombard  gefunden  haben  will,  dais  die 
Schwankungen  der  durch  den  Willen  erzielten  Hubhöhe  nach  Einschiebung 
einer  Beihe  durch  elektrische  Beizung  ausgelöster  Gewichtshebungen 
zunächst  mit  etwas  geringerer  Frequenz  auftreten.  Indessen  ist  der 
Sprung  von  dem  der  experimentellen  Untersuchung  verhältnismälsig  so 
leicht  und  direkt  zugänglichen  Peripherischen  (dem  Muskelkomplexe)  zu 
dem  so  schwer  zugänglichen  Centralen  ein  so  gewaltiger,  dafs  aus  me- 
thodischen Gründen  jede  irgendwie  denkbare  Vermutung,  welche  die 
Ursache  der  in  Frage  stehenden  Erscheinungen  in  die  an  der  Peripherie 
vorhandenen  Verhältnisse  verlegt,  nach  allen  Seiten  hin  in  eingehende 
Erwägung  und  Prüfung  genommen  werden  mufs,  ehe  man  sich  dazu 
entschliefsen  darf,  zu  dem  Centrum  seine  Zuflucht  zu  nehmen.  Im 
übrigen  ist  auch  das  vorliegende  Versuchsmaterial  betreffs  der  hier  in 
Bede  stehenden  Schwankungserscheinungen,  die  sich  nach  obigem  über- 
haupt nur  an  einem  Drittel  der  bisher  untersuchten  Personen  gezeigt 
haben,  zur  Zeit  noch  zu  gering,  als  dafs  ein  abschliefsendes  Urteil  über 
die  Ursache  derselben  und  über  die  Beziehung,  in  welcher  dieselben  zu 


Besprechungen.  199 

den  in  anderen  Gebieten  der  Physiologie  und  Psycliologie  auftretenden 
ähnlichen  Schwankungserscheinungen  stehen,  jetzt  schon  gefällt  werden 
könnte.  G-.  E.  Müller  (Göttingen). 


H.  MüNSTBBBBBG.    BeÜTägo  ZOT  experimeiitelleiL  Psycliologie.     Heft  3. 

Neue  OrundUffung  der  Psyckophysik.    122  S.    Freiburg  i.  B.  1890,  Akad. 

Verlagsbuchhandlung  von  I.  C.  B.  Mohr.    Preis  M.  3. — 
Das  Heft  ist  zerlegt  in  drei  inhaltlich  eng  zusammenhängende  Teile: 
I.  Theorie  der' Empfindungsmessung,  11.  Neue  Versuche,  lU.  Das  psycho- 
physische  Gesetz. 

M.  erörtert  zunächst  die  Frage,  ob  Empfindungen  gemessen  werden 
können.  In  den  Angriffen  eines  Boas,  ton  Kries,  Stadler,  F.  A.  Müller, 
Zeller,  Elsass  gegen  die  Mefsbarkeit  der  Empfindungen  findet  M.  den 
richtigen  Grundgedanken,  „dafs  die  starke  Empfindung  fOr  unser  Bewufst- 
sein  nicht  das  Multiplum  einer  schwachen  Empfindung  ist,  dafs  die  starke 
Empfindung  psychologisch  nicht  aus  schwachen  zusammengesetzt  ist, 
Tielleicht  etwas  ganz  Neues,  in  gewissem  Grade  unvergleichbar  ist,  so 
dafs  einen  mefsbaren  Unterschied  zwischen  starken  und  schwachen  Schall- 
empfindungen oder  Lichtempfindungen  oder  Temperaturen  u.  s.  w.  zu 
suchen,  zunächst  nicht  mehr  Sinn  hat,  als  den  Unterschied  zwischen 
salzig  und  sauer  oder  zwischen  Kopfschmerz  und  Zahnschmerz  mathe- 
matisch berechnen  zu  wollen.'^  (S.  3).  Die  starken  und  schwachen 
Empfindungen  sind  „zwei  ganz  verschiedene  Bewufstseinsinhalte,  von 
denen  wir  zunächst  nichts  anderes  aussagen  können,  als  dafs  sie  ver- 
schieden, d.  h.  nicht  identisch  sind.^'  Setzt  man  die  Verschiedenheit 
eines  Empfindungspaares  gleich  der  eines  andern,  so  wird  eiae  Eigen- 
schaft der  physischen  Gröfsen  auf  das  psychische  Gebiet  in  ungerecht- 
fertigter Weise  übertragen.  (S.  ö).  Intensitätsunterschiede  sind  Qualitäts- 
xinter schiede.  (S.  6.  25).  Eine  quantitative  (intensive)  Unterscheidung 
giebt  es  nicht. 

Was  ist  denn  dann  aber  die  Intensität  der  Empfindungen?  M.  ant- 
wortet, dafs  Qualität  und  Intensität  nicht  zwei  besondere  Eigenschaften 
(Seiten)  der  einen  Empfindung  sind,  sondern  nur  die  Eichtungen  be- 
zeichnen, in  welchen  die  eine  Empfindung  mit  anderen  Empfindungen 
verglichen  werden  kann  (S.  10).  Der  Grund  der  Unterscheidung  (Ein- 
ordnung in  der  intensiven  Richtung)  mufs  dann  anderswo  als  in  der 
Empfindung  selbst  gesucht  werden  (S.  12).  Denn  auch  die  Erfahrung, 
dafs  die  Beizverstärkungen  und  -Verminderungen  intensive  Unterschiede 
begründen,  reicht  zur  Erklärung  nicht  aus,  weil  umgekehrt  erst  die 
Empfindungsunterscheidung  jene  Erfahrung  ermöglicht  (S.  13).  Ein 
accessorisches  Moment  also,  das  zu  der  Reizwahmehmung  hinzutritt, 
mufs  die  Ursache  sein  (S.  13).  Dies  accessorische  Moment  (es  besteht 
natürlich  in  Muskelempfindungen)  macht  die  sonst  nur  qualitativ  ver- 
schiedenen Empfindungen  aber  nicht  blofs  nach  ihrer  Intensität  unter- 
scheidbar, sondern  auch  mefsbar. 

Worauf  beruht  denn  überhaupt  die  Möglichkeit  irgend  einer  Messung? 
Alle  physikalische  Messung  beruht,  so  nimmt  M.  mit  von  Kries  an,  auf 


200  Be^prechungem. 

Raum-.  Zeit-  und  MaBsevergleichung  rS.  11  u  Der  Grand  der  Anwendung 
gerade  dieser  liegt  darin,  dafs  wir  ^Ramngröfeen  untereinander,  Zeit- 
Strecken  untereinander  und  Gewichte  untereinander  in  unmittelbarer 
fmbjektiver  Schätzung  vergleichen  können^ ;  „ohne  diese  subjektive  Fähig- 
keit wären  alle  objektiven  Mefsinstrumente  für  uns  so  sinnlos,  wie  ein 
Mikroskop  wertlos  wäre  ohne  Augen"  (S.  19;.  Keineswegs  ist  aber  die 
Vergleichbarkeit  von  Baum-  imd  Zeitstrecken  untereinander  in  ihrer 
nattkrlichen  Anschaulichkeit  oder  im  letzten  Grunde  in  der  räumlichen 
Anschaulichkeit  begründet.  Vorstellungen  sind  gleich  beim  Messen, 
wenn  eine  bestimmte  Empfindung  in  beiden  identisch  ist,  so  sehr  auch 
die  übrigen  Elemente  der  Synthese"  (der  bei  den  Vorstellungen  vor- 
kommenden Empfindungen)  „differiren  mögen"  (S.  21).  Diese  identische 
Empfindung  ist  Muskelempfindung  (und  zwar  bei  räumlichen  Grölsen  die 
durch  die  Augenbewegungen  hervorgerufenen,  bei  Zeitgrölsen  Empfin- 
dtmg  der  Muskeln  des  Hinterkopfes,  des  Halses,  der  Schultern,  des 
Rumpfes  und  der  Glieder,  beim  Gewicht  die  Spannungsempfindung  der 
den  Hub  ermöglichenden  Muskeln),  ^ie  einzige  psychologische  Grund- 
lage unserer  physikalischen  Messungen  ist  mithin  unsere  Muskelempfindnng 
insofern  alles  Messen  auf  Messung  der  Baum-,  Zeit-  und  Massegröfsen 
beruht  und  eine  Beurteilung  der  in  die  betreffenden  Vorstellungen  als 
Faktor  eingehenden  Muskelempfindung  möglich  ist"  (S.  22).  Nur  diese 
hat  die  Eigenschaft,  dafs  sie,  wenn  das  Wahmehmungsobjekt  zerteUt 
wird,  in  jedem  Teile  in  geringerem  Mafse  enthalten  ist,  als  im  Ganzen. 
Zwei  ungleich  grofse  Objekte  lassen  sich  in  verschieden  viele  Teile  von 
gleicher  Gröfse,  also  von  gleicher  Muskelempfindung,  zerlegen  und  sind 
darum,  und  nur  darum  allein,  mefsbar  (S.  23). 

Nun  beruht  auf  derselben  Grundlage  nach  M.  auch  alle  Messung 
psychischer  Gröfsen,  der  Empfindungsintensitäten ;  und  „weil  die  Grund- 
lage dieselbe  ist,  kommt  der  psychischen  Intensitätsmessung  auch  die- 
selbe Berechtigung  zu,  wie  aller  physikalischen  Messung"  (S.  23).  Das 
geschieht  aber  folgendermafsen :  Jede  Beizwahmehmung  ist  mit  einer 
Muskelspannung  verbunden,  abhängig  von  der  Intensität.  Veränderung 
der  Intensität  bewirkt  eine  andere  Muskelspannimg,  und  „diese  Änderung' 
tritt  als  Spannungsempfindung  in  unser  Bewufstsein"  (S.  24.  92.  122  und 
öfter).  Zwei  successive  Beize  von  verschiedener  Intensität  bilden  eine 
komplexe  Vorstellung,  die  auch  jene  aus  der  Änderung  der  ersten  pri- 
mären Muskelempfindungin  die  zweite  hervorgehende  Spannungsempfindung 
enthält.  Diese  Spannimgsempfindung  tritt  also  an  Stelle  der  Unterschieds- 
empfindung (Empfindung  der  Differenz  zweier  intensiv  verschiedener 
Beize)  (S.  24  und  122).  Nun  weifs  das  Bewufstsein,  an  was  es  sich  zu 
halten  hat  bei  der  Vergleichung.  Die  Analogie  der  ganzen  Erwägung^ 
mit  den  berühmten  Lokalzeichen  liegt  auf  der  Hand.  Sie  tritt  deutlich 
genug  hervor  in  folgendem  Satze :  „So  wie  wir  dem  qualitativen  Eindruck 
durch  die  psychophysisch  bedingte  Verbindung  mit  bestimmten  Bewegungs- 
empfindungen einen  bestimmten  Lokalwert  geben,  so  geben  Wir  dem 
qualitativen  Eindruck  durch  die  ebenfalls  psychophysisch  notwendige 
Verbindimg  mit  bestimmten  Spannungsempfindungen  den  bestimmten 
Inten sitäts wert"  (S.  28).     Ohne  diesen  würden  wir  nur  jene  Beihe  quali- 


Besprechungen.  201 

tativer  Empfindung  haben,  es  würde  jede  Intensitätsunterscheidimg  un- 
möglich sein  (S.  29). 

Für  die  Theorie  spricht  nach  M.  zunächst  ein  biologisches  Moment 
(S.  26).  Dies  besteht  darin,  dafs  Beize,  die  zu  keiner  Bewegung  führen, 
keine  centrifugale  Wirkung  haben,  unzweckmäfsig  sind  (S.  26).  Als  ob 
nicht  das  Gedächtnis  eine  eigene  Einrichtung  wäre,  zeitlich  weit  zurück- 
liegende Beize  nachträglich  fruchtbar  zu  machen. 

Sodann  ein  psychophysisches,  bestehend  in  einer  weiteren  ganz  be- 
sonderen Eigenschaft  der  Muskelempfindungen  (S.  29).  Es  liegt  nach 
M.  nämlich  keineswegs  ein  Zirkel  vor,  insofern  jene  verschiedenen 
Spannungsempfindungen,  welche  die  Intensitätsreihe  bewirken,  auch  ihrer- 
seits wieder  nur  infolge  eines  besonderen  Merkmals  in  jene  Beihe  ge- 
ordnet werden  könnten  (ein  Einwurf,  den  übrigens  Stumpf,  Tonpsychologie  I, 
8.  350,  schon  vorweg  genommen  hat).  Vielmehr  nehmen  die  Muskel- 
empfindungen eine  „völlig  exceptioneUe^'  Stellung  ein;  „die  schwache 
Muskelempfindung  ist  thatsächlich  in  der  starken  enthalten,  und  beide 
sind  nicht  qualitativ  voneinander  verschieden,  sondern  nur  durch  ihre 
zeitliche  Dauer  und  räumliche  Ausdehnung  (S.  30).  Und  hier  appelliert 
M.  sogar  an  die  Selbstwahmehmung  (S.  32).  Sie  zeigt,  dafs  die  Muskel- 
empfindung erstens  nicht  „einen  Zustand,  sondern  eine  Veränderung  zum 
Ausdruck  bringt'^,  und  zweitens,  dafs  sie  „in  jeglichem  Stadium  inhaltlich 
unverändert  bleibt,  nur  bezüglich  zeitlicher  und  räumlicher  Ausdehnung 
wechselt^^  „Beim  Muskelsinn  handelt  es  sich  für  jedes  Muskelgebiet  nur 
um  einen  einzigen  inhaltlich  bestimmten  Bewufstseinsinhalt,  der  beim  An- 
wachsen des  Beizes,  beim  Stärkerwerden  der  Spannung  oder  Bewegung,  nicht 
etwa  sich  ändert,  sondern  lediglich  länger  andauert,  so  dafs  dem  starken 
Beiz  eine  Empfindung  entspricht,  welche  durch  successive  Aneinander- 
fügung  aus  den  psychischen  Bepräsen tauten  des  schwächsten  Beizes 
entsteht"  (S.  33).  Auch  beim  Übergang  einer  Empfindung  von  der  Inten- 
sität a  in  die  von  der  Intensität  b  ist  keine  inhaltliche  Verschiedenheit 
der  betreffenden  Spannungsempfindung  möglich  von  denjenigen,  wenn 
etwa  p  in  g  übergeführt  wird ;  „in  einem  Falle  wird  sie  kürzer  oder  gleich 
oder  länger  andauern,  als  im  andern,  aber  im  übrigen  identisch  sein  und 
eben  deshalb  eine  Messung  ermöglichen;  denn  die  länger  anhaltende 
Empfindung  können  wir  ja  nun  genau  so  an  der  kürzeren  messen,  wie 
wir  es  dann  thun,  wenn  wir  Baum-  oder  Zeit-  oder  Massegröfsen  messen'^ 
(S.  35).  So  wird  denn  also  schiefslich  von  M.  die  Anschaulichkeit,  in- 
sonderheit die  des  Baumes,  einfach  auf  seine  Muskelemj>findung  über- 
tragen und  dann  geht  die  Sache. 

Schliefslich  werden  noch  einige  Einwendungen  abgewiesen.  Die 
Tonschätzimgen,  welche  als  Beispiel  unmittelbarer  Empfindungsschätzung 
angeführt  werden  könnten,  beruhen  nach  M.  ebenfalls  auf  Muskel- 
empfindungen (S.  36—45).  Bei  den  Affekten  ist  die  Intensität  der  jeweilig 
hervortretendsten  der  Organempfindungen,  aus  denen  der  Affekt  besteht, 
ein  Mafs  für  die  Intensität  des  Affekts  (S.  46).  Dafs  dies  nicht  immer 
Muskelempfindungen  sind  (Drüsensekretion),  wird  übersehen.  Wichtiger 
für  die  Sache  ist,  dafs  M.  betont,  dafs  wir  der  Muskelempfindungen,  auf 
denen  alle  Messung  und  Schätzung  nach  ihm  beruht,  als  solcher  nicht  be- 


202  Besprechungen. 

wufist  werden.  Sie  verschmelzen  mit  den  übrigen  Empfindungen  zu  einer 
untrennbaren  Einheit.  „Eine  auf  Selbstwahmehmung  gestützte  Behaup- 
tung, dafs  wir  die  besprochenen  Muskelspannungen  als  solche  gar  nicht 
wahrnehmen,  widerspricht  mithin  in  keiner  Weise  der  skizzierten  Theorie" 
(S.  49).  DafSs  bei  abgelenkter  Aufmerksamkeit  die  Bichtung  der  Ungleich- 
heit verschiedener  und  verschieden  intensiver  Empfindungen  oft  uner- 
kennbar ist,  soll  sich  nach  M.  nur  aus  seiner  Theorie  erklären  lassen,  inso- 
fern dann  die  Verschiedenheit  der  eigentlichen  Empfindung  stark  genug  ist, 
um  erkannt  zu  werden,  die  Intensität  der  Muskelempfindung  aber  nicht  grols 
genug,  um  bemerkt  zu  werden  (S.  51).  Bisher  hat  niemand  AnstoÜs  daran 
genommen,  die  Erscheinung  aus  den  Sinnesempfindungen  selbst  zu  er- 
klären. Was  für  die  Muskelempfindung  recht  ist,  mufs  für  die  Sinnes- 
empfindung doch  schliefslich  billig  sein.  Auch  dafs  jede  exakte  Inten- 
sitätsvergleichung eine  Succession  der  zu  vergleichenden  Empfindungen 
verlangt,  weil  sonst  keine  Spannungsempfindimg  entsteht,  scheint  mir 
angesichts  der  Schattenversuche  nicht  unanfechtbar  zu  sein.  Und  wenn 
zuletzt  M.  meint,  das  Erinnerungsbild  bei  Vergleichen  sehr  schnell 
folgender  verschieden  intensiver  Beize  sei  darum  zum  Vergleiche  ge- 
eignet, weil  es,  wenn  auch  nicht  so  stark  wie  die  Wahrnehmung,  doch 
von  gleich  starken  Spannungen  begleitet  sein  „könne"  (S.  55),  so  steht 
dieser  Annahme  was  wir  z.  B.  vom  Tongedächtnis  wissen  direkt  ent- 
gegen, wenigstens  soweit  wir  die  Tonschätzungen  nach  M.  mit  den  Inten- 
sitätsschätzungen in  Parallele  stellen  wollen. 

Soweit  die  Theorie.  Es  folgen  im  zweiten  Abschnitte  die  Versuche. 
Dieselben  sollen  beweisend  sein,  weil  sich  ihre  Möglichkeit  und  ihr  Er- 
gebnis nur  durch  die  Theorie  erklären  lassen  soll.  Beruht  alle  Intensitäts- 
vergleichung auf  Spannungsempfindungen,  so  müssen  sich,  sag^  M.,  zwei 
Empfindungspaare  auch  dann  bezüglich  ihrer  Unterschiedsgröfse  ver- 
gleichen lassen,  wenn  sie  disparaten  Sinnesgebieten  angehören"  (S.  57). 
Denn  gleiche  Spannungsempfindungen  kann  es  natürlich  auch  in  dis- 
paraten Sinnesgebieten  geben.  Welche  Unterschiede  in  zwei  Sinnes- 
gebieten gleich  sind,  kann  nur  der  Versuch  selbst  ergeben.  Keineswegs 
ist  von  vornherein  der  gleich  merkliche  Unterschied  als  gleicher  Unter- 
schied anzusehen.  Die  „stillschweigende  Identifizierung  des  gleich  merk- 
lichen Unterschiedes  mit  dem  gleichen  Unterschied  ist  der  prinzipielle 
Fehler  der  ursprünglichen  Psychophysik"  (S.  58). 

Wie  M.  berichtet,  gingen  die  Versuche  subjektiv  leicht  und  ohne 
Schwierigkeit  vor  sich  (S.  66).  Die  gefundenen  Zahlen  sollen  noch  keine 
absolute  Gültigkeit  besitzen;  es  handelte  sich  zunächst  um  eine  vorläufige 
Orientierung  (S.  60).  Es  wurden  zuerst  (Tab.  I,  11,  HI,  S.  72)  paarweise 
Lichtintensitäten  (je  zwei  durch  rotierende  Scheiben  hergestellte  Hellig- 
keiten zwischen  20°  weifs  und  180«  weifs),  Druckgröfsen  (je  zwei 
zwischen  50  g  und  500  g  liegende  und  an  den  beiden  Zeigefingern  auf- 
gehängte Gewichte)  und  Schallstärken  (durch  den  Fall  einer  3  g  schweren 
Kugel  von  10  cm  bis  50  cm  Fallhöhe  erzeugt)  verglichen  mit  je  zwei 
Armbewegungen;  die  linke  war  konstant  gleich  20  cm,  die  rechte  wurde 
der  jeweiligen  Vergleichsgröfse  aus  dem  andern  Sinnesgebiet  angepafst. 
Überall  ergab  sich  „eine  ausnahmslos  stetige  Zunahme  der  entsprechen- 


Besprechungen,  20? 

den  Armbewegung  bei  zunehmender  Beizstärke,  obgleich  die  Beize  regel- 
los zwischen  schwachen,  mittleren  und  starken  fortwährend  wechselten". 
Eine  zweite  Versuchsgnippe  (Tab.  IV,  V,  VI,  S.  77,  78)  umfafst  ähnliche 
Vergleichungen  von  Licht-,  Gewicht-  und  Schallpaaren  (hier  wog  die 
Kugel  10  g)  mit  Augenmafsgröfsen  (die  konstante  Punktdistanz  war 
gleich  50  mm).  Dasselbe  Besultat.  Sodann  wurden  aus  den  letzten  drei 
Tabellen,  die  den  ungefähr  gleichen  Augenmafsgröfsen  entsprechenden 
Xiicht-,  Schall-  und  Gewichtspaare  berechnet  und  unter  einander  gleich- 
gesetzt (Tab.  Vn,  Vm,  IX,  S.  81),  ein  Verfahren,  das  in  der  voraus- 
gesetzten Gleichheit  der  betreffenden  Muskelempfindung  wohlbegründet 
ist;  und  endlich  wurde  jedes  der  letztgenannten  drei  Beizpaare  mit  jedem 
auch  direkt  im  Versuch  verglichen  (Tab.  X  bis  XV,  S.  82,  83).  Auch 
hier  ergab  sich  stetige  Zunahme  der  Durchschnittsvergleichszahlen. 
Vergleicht  man  die  durch  Berechnung  gefundenen  Werte  mit  den  durch 
Versuch  gefundenen,  so  sind  die  letzteren  durchweg  etwas  gröfser  als 
die  ersteren.  M.  folgert  daraus  aber  nichts  gegen  die  Verläfslichkeit  der 
Muskelempfindungen,  sondern  nimmt  die  Zeitfolge  für  die  Erklärung  in 
Anspruch ;  der  Unterschied  des  ersten  Beizpaares  wird  nach  ihm  überall 
überschätzt  (S.  84). 

Es  werden  endlich  in  Tab.  XVI  und  XVll  (S.  85)  Vergleichungen 
von  je  zwei  Gewichtsreihen  untereinander  hinzugefügt.  In  Tab.  XVI 
stieg  das  erste  Beizpaar  von  30  g  bis  200  g  in  Stufen  von  20,  25  und 
50  g  und  das  konstante  Anfangsgewicht  des  zweiten  Paares  war  300  g; 
in  Tab.  XVII  wechselte  umgekehrt  das  erste  Beizpaar  zwischen  dem 
regelmäfsigen  Anfangsgewicht  von  300  g  bis  2000  g  in  Stufen  von  200, 
250  und  500  g,  und  das  konstante  Anfangsgewicht  des  zweiten  Beizpaares 
^betrug  30  g.  Wieder  sind  die  Vergleichsreihen  stetig  ansteigend.  Bildet 
man  aber  die  Quotienten  der  sich  entsprechenden  Vergleichsgpröüsen  mit 
den  Anfangsreizen  (die  relativen  Unterschiede),  so  entsprechen  keines- 
w^egs  den  gleichen  Verhältniszahlen  des  ersten  Beizpaares  gleiche  Ver- 
hältniszahlen des  zweiten.  Vielmehr  entspricht  der  gleichen  Quotienten- 
reihe  des   ersten  Beizpaares   (— ,    -^,    -^,    -q-,    -^,    -q-)    das  eine  Mal, 

wenn  das  erste  Beizpaar  aus  den  kleinen  Gewichten  gebildet  wird  die 
^  .^     296       431       688       871      1223     1704        ,  ,  ^       vr  i  ^i- 

^^^^300»   ^OÖ»    3ÖÖ-'    lÖÖ'   ^ÖÖ'   -300  ^d  das  andere  Mal,  wenn  die 

^oisen  Gewichte  die  erste  Beihe  bilden,  die  Beihe  -j-zr,    -ö^,    -s^,    -^ 

-^zr-,    -^^r-.     M.  schliefst  aus  diesen  Zahlen  aber  nicht,  dafs,  wenn  man 

^ui  ihnen  das  WEBERSche  Gesetz  messen  will,  von  einer  Gültigkeit  des- 
selben nicht  mehr  gesprochen  werden  kann,  sondern  dais  derselbe  relative 
übermerkliche  Unterschied  bei  schwachen  Beizen  kleiner  erscheint  als 
bei  grofsen.  Auch  wie  dieser  „selbe  relative  Unterschied",  der  doch  eine 
Muskelempfindung  ist,  so  verschieden  erscheinen  kann,  wird  nicht  erklärt. 
An  die  Versuche  schliefst  sich  noch  eine  Berechnung,  wie  grofs 
durchschnittlich  der  relative  Lichtzuwachs  (Schallzuwachs,  Gewich tszu- 
~wachs)  sein  mufs,  um  demselben  Bewegungszuwachs  gleichgeschätzt  zu 

Zelttohrift  für  Piyeholoffie.  ^^ 


204  Besprechungen. 

werden.  Das  vorhandene  Material  wird  zu  6  Gleichungen  zwischen  je 
einem  Gewicht-,  Schall-  und  Lichtverh&ltnis  benutzt.  Sodann  wird  der 
Zuwachs  in  jeder  Dreigleichung  in  Procenten  des  Grundreizes  ausge- 
drückt, die  Summe  in  jeder  Bubrik  gezogen  und  die  sich  so  ergebende 
Gesamtgleichung  durch  den  kleinsten  der  Summenwerte  dividiert. 
£s  ergeben  sich  die  Zahlen  2,0  und  1,0  tmd  1,24.  Diese  besagen  nach 
M.,  dafs  unter  den  vorliegenden  Bedingungen  Gewichtszuwachs,  Schall- 
zuwachs und  Lichtzuwachs  einander  gleich  erscheinen,  wenn  sie  durch- 
schnittlich sich  wie  2:  1:  1,24  verhalten.  Dasselbe  Verhältnis  (von  einer 
unbedeutenden  Abweichung  abgesehen)  ergiebt  sich  aus  dem  Vergleich 
derselben  Beize  mit  Punktdistanzen.  Wie  wenig  diese  schöne  Überein- 
stimmung ein  Beweis  für  die  Genauigkeit  des  Besultates  ist,  ergiebt  sich,, 
abgesehen  von  der  Willkürlichkeit  bei  der  Wahl  der  Anfangswerte^ 
aus  dem  Vergleich  des  Durchschnittsverh&ltnisses  mit  den  einzelnen 
Beihen.  Diese  müfsten,  die  Bichtigkeit  der  Theorie  vorausgesetzt^ 
sämtlich  wenigstens  annähernd  das  gleiche  Verhältnis  zeigen.  Es  finden 
sich  aber  unter  den  12  benutzten  Gleichimgen  die  6  folgenden:  2,5:  1: 
0,7;  2,3:1:0,8;  1,3:1:1,3;  4:1:2;  1,7:1:1,1;  1,8:1:1,3.  Wenn  auch 
M.  selbst  seinen  Zahlen  keinen  endgültigen  Wert  zuspricht,  so  hätte 
doch  die  innere  Übereinstimmung  derselben  gröfser  sein  müssen,  um  die 
Ziehung  eines  allgemein  verwendbaren  Durchschnittswertes  zu  berech- 
tigen. Schliefslich  stellt  M.  in  den  drei  genannten  Beizklassen  noch  je 
einen  einzigen  eben  merklichen  Unterschied  fest  und  findet  wieder  das 
gleiche  Verhältnis  der  relativen  Beizzuwüchse  (S.  90).  Auch  diese  drei 
Zahlen  können  angesichts  des  Widerspruches,  in  dem  sie  sich  mit  den  bis- 
herigen sorgfaltig  festgestellten  Thatsachen  befinden,  und  infolge  der 
Willkürlichkeit  bei  der  Wahl  gerade  dieser  Beizgpröfsen  nicht  den  ge- 
ringsten Wert  beanspruchen. 

Eine  kurze  Erörterung  bespricht  im  dritten  Teile  das  Verhältnis 
des  neu  Gefundenen  zu  den  bisher  bekannten  Thatsachen  (S.  95 — 122). 
Was  folgt  vor  allen  Dingen  für  das  WESERsche  Gesetz?  Es  wäre  von 
vornherein  nach  M.  nicht  unmöglich  gewesen,  dafs  das  WssERSche  Ge- 
setz sich  auf  Sämtliche  disparate  Sinnesgebiete  hätte  ausdehnen  lassen. 
Dann  hätten  zwei  Beizpaare  überall  als  gleich  verschieden  erscheinen 
müssen,  falls  sie  in  demselben  Verhältnis  zu  einander  standen.  Die  ge- 
nauer untersuchten  Klassen  (Licht,  Schall,  Gewicht)  ergeben  aber  einen 
jeweilig  verschiedenen  Verbal tniskoefficienten  für  den  gleich  erschei- 
nenden relativen  Beizzuwachs.  Wohl  soll  sich  aber  nach  M.  das 
WEBERSche  Gesetz  im  allgemeinen  innerhalb  des  gleichen  Sinnesgebietes 
bestätigt  haben.  Er  folgert  dies  aus  den  schon  charakterisierten  Tabellen 
XVI  und  XVII.  Dasselbe  heifst  bei  ihm:  „Je  zwei  Beize  rufen  dieselbe 
Änderung  der  reflektorisch  erregten  Muskelspannung  und  dadurch  die- 
selbe als  Mafs  der  Empfindung  benutzte  Spannungsempfindung  hervor^ 
wenn  das  Verhältnis  der  Beize  unverändert  bleibt"  (S  100).  So  wäre 
das  WEBERsche  Gesetz  gerettet.  Eine  innere  Beziehung  desselben  zur 
Unterschiedsschwelle  besteht  aber  nach  M.  nicht.  Diese  gehört  zunächst 
ganz  in  das  sensorielle  Gebiet  (hat  also  mit  Muskelspannungen  nicht» 
zu  thun).  Es  ist  ein  Zufall,  dafs  der  eben  merkliche  Unterschied  ebenfalls 


BeaprecJMngm.  205 

gleichen  Reizrerhältnissen  entspricht.  Der  Punkt  der  eben  merkbaren 
Verschiedenheit  deckt  sich  keineswegs  mit  demjenigen,  bei  welchem  der 
kleinste  m  eis  bare  Empfindnngsunterschied  wahrgenommen  wird,  also 
mit  dem  Punkte,  wo  die  zur  Messung  notwendigen  Spannungsem- 
pfindungen auftreten.  Die  Vernachlässigung  dieser  Unterscheidung  soll 
nach  M.  der  Hauptgrund  zu  der  UnregelmäTsigkeit  der  Versuchsergebnisse 
beim  WEBSBschen  G-esetz  bilden  (S.  109).  Der  genannte  Zufall  ist  aber 
die  glückliche  Veranlassung,  die  Muskelspannungstheorie  noch  zu  ver- 
allgemeinern. So  ganz  unabhängig  sind  die  Verschiedenheitsschwelle 
und  die  Schwelle  der  musk.  TJnterschiedsempfindung  voneinander  doch 
nicht.  Auch  die  Empfindung  einer  Reizverschiedenheit  beruht  auf  einer 
Muskelempfindung  (S.  111).  Jeder  wirkliche  Bewufstseinsinhalt  verlang^ 
Muskelempfindung.  Während  also  anfangs  nach  M.  ohne  die  Muskel- 
empfindung die  Welt  in  eine  Summe  blofs  qualitativer  Empfindungen, 
oder  wie  es  dort  heifst  „Reizen**,  zerfiel  (S.  24),  so  heifst  es  jetzt:  „Wo 
keine  Muskelempfindung  in  den  BewuTtseinsinhalt  eingeht,  da  verschwindet 
überhaupt  jedes  bewufste  Erlebnis**  (S.  112).  Damit  glaubt  M.  diejenige 
Theorie  fest  begründet  zu  haben,  welche,  von  aller  Metaphysik  sich  fem 
haltend,  jegliche  psychische  Veränderung  nicht  als  Veränderung  des 
Bewufstseins,  sondern  als  Veränderung  des  Bewufstseinsinhaltes  auffafst 
imd  jede  Änderung  des  Bewufstseinsinhaltes  als  Begleiterscheinung  eines 
physisch  bedingten  Gehimvorgangs  ansieht.** 

Wir  haben  bisher  lediglich  die  Ansichten  M.s  berichtet,  nur  einige 
Einwände  einschaltend,  welche  innerhalb  •  des  Gedankenkreises  M.s  nötig 
erschienen.  Wir  bedauern  nunmehr  hinzufügen  zu  müssen,  dafs  wir  auch 
nicht  einem  einzigen  Punkte  der  neuen  Aufstellungen  M.s  beistimmen 
können  imd  dafs  ims  auch  die  Versuche  nicht  geeignet  erscheinen,  irgend 
eine  der  von  ihm  daraus  gezogenen  Schlüsse  zu  bestätigen. 

Bereits  der  Grundbegriff  der  blofs  qualitativen  Empfindungsreihe 
bei  M.  ist  anfechtbar.  Auf  Worte  soll  kein  Wert  gelegt  werden.  Die 
Frage  ist  aber,  ob  z.  B.  ein  Ton  von  bestimmter  Höhe  ein  empfindbares 
imd  unterscheidbares  Moment  enthält,  wenn  er  das  eine  Mal  schwach, 
das  andere  Mal  stark  angeschlagen  wird.  Ist  dies  der  Fall,  so  ist  diese 
Empfindungsverschiedenheit  der  Töne  und  ihre  Ähnlichkeitsgrade  jeden- 
falls der  Grund  für  das  Bewufstsein,  die  intensive  Reihe  herzustellen  und 
nichts  anderes.  M.  könnte  sagen,  diese  Verschiedenheit  rühre  eben  von 
den  Muskelempfindungen  her,  die  mit  der  Empfindung  jedesmal  ver- 
bunden sind.  Dann  wäre  die  Muskelempfindung  die  metapsychologische 
Ursache  der  Verschiedenheit;  denn  als  solche,  als  Muskelempfindung, 
soll  sie  nach  M.  nicht  zum  Bewufstsein  kommen.  Aber  sei  dies  so. 
Nun  soll  die  Muskelempfindung  die  Eigenschaft  haben,  qualitativ  stets- 
inhaltsgleich  zu  sein;  nur  räumliche  Ausbreitung  und  zeitliche  Dauer 
bringen  nach  M.  Unterschiede  hervor.  Das  pafst  schon  nicht  mehr  auf 
jenes  wirklich  im  Bewufstsein  vorhandene  Moment,  durch  welches  der 
schwache  und  starke  Ton  von  gleicher  Höhe  sich  unterscheidet;  denn 
dies  hat  eine  von  der  Beizdauer  und  nicht  von  der  Stärke  des  Tones 
abhängige  Dauer ;  es  ist  eng  mit  der  Höhenempfindung  verbunden.  Schon 
hier  r  also  steht  die  Theorie  ganz  im  Imaginären.     Denke  ich  mir  einen 

14* 


206  ^  Betpreelmmgm, 

Ton  aUmAblich  an  Intensität  zunehmend,  so  kann  ich  mir  eine  Anncht, 
welche  die  Zunahme  auf  die  Daner  des  Beises  und  die  dadurch  bewirkte 
räumliche  Ausdehnung  desselben  schiebt,  wenigstens  yorstellen,  wenn 
auch  der  Unterschied  zwischen  einem  dauernden  in  der  Stärke  gleich- 
bleibenden Tone  und  einem  dauernden  in  der  Stärke  anwachsenden  un- 
erklärt bliebe;  nicht  aber  bei  zwei  intensiv  verschiedenen  Tönen  von 
gleicher  bestimmter  Dauer;  es  wären  sonderbare  physiologische  Vor- 
stellungen, zu  denen  man  auf  diese  Weise  gelangte.  Aber  auch  die 
Muskelempfindungen  selbst,  soweit  sie  wirklich  und  unterscheidbar  be- 
wuist  werden,  sind  nicht^durchaus  gleichartig;  ebenso  ist  es  bei  den 
Druckempfindungen.  Und  endlich  ist  auch  der  Zirkel  nicht  vermieden! 
gegen  den  sich  M.  verwahrt.  Beruht  die  Auffassung  räumlicher  und 
zeitlicher  Verschiedenheiten  auf  Muskelempfindungen,  so  kann  man  nicht 
die  Verschiedenheiten  der  Intensität  wieder  auf  räumlich  und  zeitlich 
verschiedene  Muskelempfindungen  zurückf&hren  wollen. 

Aber  auch  von  allen  diesen  Bedenken  abgesehen,  wttrde  die  Theorie 
zweitens  zu  weit  einschneidenderen  Forderungen  in  betreff  der  Intensitäts- 
vergleichung zwingen,  als  die  von  M.  gestellten  und  in  seinen  Versuchen 
verwirklichten  sind.  Erhält  jede  Empfindung  erst  infolge  einer  Muskel- 
empfindung eine  bestimmte  und  durch  die  eigne  Natur  der  Muskelem- 
pfindung mefsbare  Intensität,  so  muis  bei  der  vorausgesetzten  Gleich- 
artigkeit der  Muskelempfindungen  sich  notwendigerweise  jede  einzelne 
Empfindung  von  einer  bestimmten  Intensität  als  jeder  andern  entweder 
gleich  oder  ungleich  erweisen«  Wir  müTsten  dann  im  wahren  Sinne  des 
Wortes  einen  Ton  von  bestimmter  Stärke  einem  bestimmten  G-ewichte 
oder  einer  bestimmten  Lichtintensität  gleich  finden,  oder  es  müXsten  sich  die 
gesamten  Sinnesempfiadungen  in  einer  intensiven  Reihe  ordnen  lassen. 
Dafs  dies  nicht  der  Fall  ist,  dafs  es  schwierig  ist,  für  Vergleichungen 
disparater  Beize  einen  geeigneten  Anfang  zu  finden,  zeigen  gerade  die 
Versuche  M.s,  und  es  ist  dies  fCür  ähnliche  Unternehmungen  als  positiver 
Nutzen  derselben  festzustellen.  Dais  die  Willkürlichkeit  des  Anfangs 
jenen  Versuchen  und  den  sich  an  sie  anknüpfenden  Berechnungen  allein 
schon  jeden  Boden  entzieht,  wurde  bereits  hervorgehoben. 

So  bleibt  denn  dem  Referenten  nur  noch  die  eine  Aufgabe,  zu  er- 
klären, wie  die  Versuche  M.s  überhaupt  möglich  gewesen  sind.  Es  soll 
dies  möglichst  kurz  geschehen.  Die  neue  Theorie  der  Intensitätsmessung 
(denn  darum  und  nicht  um  eine  „neue  Grundlegung  der  Psychophysik" 
handelt  es  sich  im  Grunde  in  unserem  Buche)  geht  aus  von  dem  auch 
uns  richtig  erscheinenden  und  schon  oft  hervorgehobenen  Gedanken,  dals 
eine  Empfindung  von  gewisser  Stärke  sich  nicht  in  eine  bestimmte  An- 
zahl einzelner  Empfindungen  von  einer  als  Einheit  dienlichen  geringem 
Stärke  zerlegen  läTst.  Man  kann  dies  zugeben  und  doch  das  WEBBSsche 
Gesetz  anerkennen;  nur  die  FzcmraBsche  Differentialformel  muTs  jener 
Auffassung  der  Unzerlegbarkeit  der  einzelnen  intensiven  Empfindung 
weichen.  Das  WEBEBSche  Gesetz  bezieht  sich  auf  die  e.  m.  Unterschiede. 
Die  relative  Unterschiedsschwelle  ist  nach  unserer  Ansicht  die  Funda- 
mentalthatsache  der  Psychophysik,  eine  wirkliche  Empfindungsgrund- 
thatsache,  welche  die   wirkliche  Beziehung  von  Reiz  imd  Empfindung 


Bespredmngen.  207 

ziiin  Ausdruck  bringt.     Erst  die  Verallgemeinerung  der,   soweit  es  sich 
um  das  WEBERSche  Gesetz  handelt,  bildlichen  mathematischen  Darstellung 
des  Funktionsyerhältnisses  zwischen  Beiz  und  Empfindung  ftüirt  zu  den 
gerügten  bedenklichen  Konsequenzen  in  Bezug  auf  die  Messung  psychi- 
scher Gröfsen.  Die  Thatsache  der  TJnterschiedsschwelle  zwingt  nun  zu  der 
Folgerung,  dafs  von  irgend  einem  Anfangspunkt  innerhalb  der  Beizskala 
an  bis  zu  irgend  einem  Endpunkt  nur  stets  eine  ganz  bestimmte  Anzahl 
intensiv   abgestufter  und  aufeinander  folgender  Empfindungen  möglich 
(merkbar)  ist,  während  die  Beize  in  kontinuierlicher  Weise  anwachsen. 
Zwischen  je  zwei  übermerklichen   Empfindungsunterschieden  liegt  nur 
eine  jedesmal  bestimmte  Anzahl  von  Empfindungsmöglichkeiten.   Dieselbe 
kann  sich  vervielfachen,   wenn  man   sich  den  Anfangspunkt   ein   wenig 
nach  oben  oder  unten  verrückt  denkt,  jedoch  so,  dafs  der  neue  Anfangs- 
punkt noch  unter  der  Schwelle  des  ersten  Anfangspunktes  liegt.    Nun 
heifse    der    Zwischenraum    zwischen   zwei   verschieden    intensiven  Em- 
pfindungen irgend  eines  Sinnesgebietes  eine  psychische  Strecke,  ein  Be- 
griff, der  sich  ebenso  für  die  qualitativen  Unterschiede  der  Empfindung 
verwenden  läfst.     Dann  ist  das  natürliche  MaTs  der  Strecke  die  durch 
die    Unterschiedsschwelle    bestimmbare   Anzahl^  der    möglichen   in    sie 
fallenden   Empfindungen.     Je   gröfser   die   Anzahl,   um  so   gröüser  die 
Strecke.    In  diesem  Sinne  kann  man  von  den  Versuchen  M.s  sagen,  dafs 
b.ei  ihnen  verschiedene  psychische)  Strecken  miteinander  verglichen  seien. 
Eine  solche  Vergleichung  ist  notwendig  ungenau.     Sie  könnte  nur  dann 
genau  sein,  wenn  es  überall  nur  einen  bestimmten   Anfangspunkt  zur 
Peststellung  der  Empfindungsmöglichkeiten  gäbe.   Es  ist  dies  der  Grund, 
welcher  mir  denj  Wert  der  Methode  der  mittleren  Abstufungen    noch 
immer   geringer^  erscheinen   lassen^  will, ^  als  die  auf  dem  e.  m.  U.  be- 
ruhenden* Mafsmethoden.     Dafs  M.  trotzdem   zu  stets   kontinuierlichen 
Vergleichsreihen   gelangte,   erklärt  sich  dadurch  leicht,  dais  er  nur  mit 
verhältnismäfsig  wenigen  und  sehr  deutlich  unterschiedenen  Beizpaaren 
arbeitete.   Ebenso  wie  mit  Bewegungsempfindungen  oder  Punktdistanzen 
hätte  M.  seine  Intensitätenreihen  mit  Tonhöhen  oder  mit  Farbennuancen 
vergleichen  können.   Auch  da  hätte  er  voraussichtlich  stetige  Beihen  er- 
halten,  und   es  wäre   weder   aufiallend,  noch  für   unsere  Kenntnis  des 
psychischen  Lebens  von  fundamentaler  Bedeutung  gewesen. 

Götz  Mabtitjs  (Bonn). 


Litteraturbericht. 


W.  Pretbr.  Die  Seele  des  Kindes.  Beobachtnngen  ftber  die  geistige 
Entwickelung  des  Menschen  in  den  ersten  Leben^ahren.  Dritte 
vermehrte  Auflage.  XVI  und  539  S.  Leipzig  1890,  Th.  Griebens 
Verlag  (L.  Femau).  Preis  Mt.  9. —  Selbstanzeige. 
Die  erste  Auflage  erschien  Ende  1881,  die  zweite  1884.  Die  dritte 
unterscheidet  sich  von  beiden  durch  mehrere  Zugaben  und  Weglassungen. 
Zu  jenen  gehört  eine  chronologische  Übersicht  der  wichtigeren  £nt- 
Wickelungsmerkmale  (S.  479 — 621)  nebst  drei  Zeittafeln  zur  Alters- 
bestimmimg in  Tagen,  Wochen,  Monaten.  Das  Sachregister,  welches 
der  zweiten  Auflage  fehlte,  ist  ausführlicher  als  das  der  ersten.  Fort- 
geblieben sind  die  Berichte  über  das  Sehenlemen  Blindgeborener.  Statt 
dessen  sind  die  SchluTsfolgerungen  des  Verfassers  daraus  in  den  Ab- 
schnitt über  das  Sehen  des  Kindes  übergegangen.  Desgleichen  wurden 
die  Beilagen  über  die  wortlose  Sprache  taubsttunmer  Kinder,  über  das 
Fehlen  der  Sprache  bei  Mikrocephalen  und  über  das  Sprechenlemen 
normaler  in-  und  ausländischer  Elinder  mit  yielen  neuen  Zusätzen  that- 
sächHchen  und  theoretischen  Inhalts  dem  Texte  einverleibt.  Dieser 
selbst  hat  eine  sehr  genaue  Revision  erfahren  und  ist  an  mehreren 
Stellen  umgearbeitet  worden.  Namentlich  der  Abschnitt  über  die  Aphasie 
und  die  anderen  Sprachstörungen  Erwachsener  ist  mit  Bücksicht  auf 
neuere  klinische  und  pathologisch-anatomische  Beobachtungen  lungeformt, 
die  Erörterung  des  kindlichen  Wortschatzes  durch  neues  Material  be- 
reichert worden.  Fast  allen  Kapiteln  wurden  neue  psychogenetisch  be- 
merkenswerte Einzelthatsachen  eingefügt.  Dagegen  blieben  viele  ältere 
Angaben,  welche  zur  Begründung  der  Besultate  nicht  mehr  erforderlich 
sind,  fort.  Im  ganzen  ist  die  ursprüngliche  Einteilung  in  drei  Teile 
(1.  Sinne,  OrgangefOhle  und  Emotionen;  2.  Wille  und  Bewegungen; 
3.  Verstand,  Sprache  und  Ichbeg^ff)  beibehalten  worden.  Durch  die  an- 
gegebenen Änderungen  wurde  das  Buch  zum  Nachschlagen  brauchbarer 
gemacht  und  auch  zum  Lesen  bequemer  eingerichtet. 

Oongrto  international  de  Psychologie  phTsiologitine.    Campte  rendu  prisent^ 
par  la  SocUU  de  ipeyehoJogie  physiciogique,    157  S.    Paris  1890.    Bureau 
des  Bevues. 
Obwohl  dieser   erste   psychologische  Kongrels   bereits  vor   einem 

Jahre  stattgefunden  hat,  wird  es  doch  bei  dem  Interesse,  welches  sich 


Litteraturbericht  209 

an  manche  seiner  Verhandlungen  knüpft,  gerechtfertigt  erscheinen,  wenn 
wir  ihm  an  der  Hand  des  ehen  erst  erschienenen  offiziellen  Berichts  noch 
einen  kurzen  Bückhlick  widmen. 

Die  Teilnehmer  des  Kongresses,  unter  denen  sich  manche  be- 
deutende Namen  befanden,  waren  in  ziemlich  grofser  Anzahl  erschienen 
und  vertraten  fast  alle  Länder  der  Erde.  An  Stelle  des  Präsidenten 
OHAacoT,  der  sich  von  dem  Kongresse  fernhielt,  begrüfste  Eibot  sie  in 
der  ErOfinungsversammlung.  Er  wies  auf  die  vielen  und  bedeutenden 
Leistungen  hin  auf  dem  Gebiete  der  Psychologie  in  den  letzten  zwanzig 
Jahren,  er  betonte,  dafs  das  Studium  des  Nervensystems  das  Bindeglied 
bedeute  zwischen  Physiologie  und  Psychologie,  dafs  die .  Forschung  mit 
letzterem  eine  objektive,  experimentelle  geworden  wäre,  —  und  schlois 
mit  dem  Wunsche,  der  erste  Kongreis  möge  nicht  auseinandergehen, 
ohne  Zeit  und  Ort  fClr  den  zweiten  bestimmt  zu  haben. 

Ch.  Biohet,  der  Generalsekretär  und  vortre£Pliche  Organisator  des 
Kongresses,  stellte  dann  in  sehr  sympathischen  Worten  das  Programm 
fest:  Li  den  allgemeinen  Sitzungen  sollten  folgende  Fragen  be- 
handelt werden:  1)  Statistik  der  Kallucinationen,  2)  Vererbung 
und  3)  Hypnotismus. 

Daneben  bildete  sich  eine  Anzahl  von  Sektionen,  von  denen  eine 
jede  für  sich  ein  bestimmtes  Thema  zu  beraten  hatte;  aufser  den  drei 
genannten  u.  a.  noch  den  Muskelsinn,  das  Hören  in  Farben  (au- 
dition  color^e)  und  die  Organisation  eines  internationalen  Ver- 
bandes sämtlicher  psychologischer  Gesellschaften. 

Wie  es  bei  dem  zur  Zeit  heftig  entbrannten  Streit  der  „Schule  von 
Nancy"  und  der  „Schule  von  Paris''  nicht  anders  zu  erwarten  war, 
drängte  sich  der  Hypnotismus  in  den  Vordergrund  des  Literesses. 
Einige  der  wichtigsten  Ergebnisse  der  zum  grofsen  Teil  sehr  interessanten 
Vorträge  und  Diskussionen  seien  hier  erwähnt. 

Ch.  Bichet  hatte  vorgeschlagen,  sich  über  die  Bedeutung  der  auf 
diesem  Gebiete  gangbaren  Ausdrücke  zu  einigen.  Bei  Gelegenheit  der 
Besprechung  des  Automatismus  wurde  festgestellt,  dafs  sich  zwischen 
automatischem  Akt,  Beflexakt  und  Willensakt  keine  scharfe 
Grenze  ziehen  läfst. 

Bezüglich  der  Unterscheidung  zwischen  tierischem  Magnetis- 
mus und  Hypnotismus  einigt  man  sich,  dafs  ersteres  Wort  der 
Wissenschaft  beigelegt  werden  soll,  welche  sich  mit  den  gewöhnlich 
unter  diesem  Begriff  verstandenen  nervösen  Erscheinungen  beschäftigt 
und  diese  letztere  anders  als  durch  Suggestion  erklärt.  Das  Wort  Hyp- 
notismus dagegen  soll  diejenige  Wissenschaft  bezeichnen,  welche  die 
bezüglichen  nervösen  Erscheinimgen  auf  Suggestion,  Autosuggestion  und 
ähnliche  Beaktionen  der  Versuchsperson  zurückführt.  Diese  Erklärungen 
dürften  sich  wohl  kaum  einer  allgemeinen  Zustimmung  erfreuen;  sie 
sind  zu  allgemein;  aufserdem  ist,  was  Forel  hervorhob,  der  Gedanke  an 
die  Fluidums-Theorie  von  Mbssmeb  von  der  Auffassung  des  tierischen 
Magnetismus  imzertrennlich« 

Zur  Suggestion  gehören  nach  Beekhbdc  —  imd  so  wurde  es  auch 
vom  Kongrefs acceptiert ,  —  drei  Dinge:  1.  Einführung  einer  Idee  in  das 


210  LUUratmHferiekt 

Gehirn,  2.  Annahme  derselben  und  3.  Verwirklichung  derselben,  und 
zwar  so,  dals  auch  der  Versuch  der  Realisation  von  selten  des  In- 
diTiduums  schon  für  den  Begriff  der  Suggestion  genügt. 

Die  Auffassung  des  Somnambulismus  (somnambulisme  proYoqu6) 
als  eines  hypnotischen  Zustandes  mit  mehr  oder  weniger  voll- 
kommener Amnesie  nach  dem  Erwachen  (BcBVBSDi)  ist  wohl  all- 
gemein anerkannt. 

OoHOBOwicz  brachte  die  Frage  der  hypnotischen  Empfäng- 
lichkeit zur  Diskussion.  Das  ganze  Thema,  welches  einen  enormen 
Umfang  hat,  konnte  natürlich  nicht  besprochen  werden.  Besonders 
interessierte  die  Frage,  ob  Hypnotisierbarkeit  und  hysterischer 
(neuro pathischer)  Zustand  insoweit  identisch  wären,  dals  der  eine 
Zustand  den  andern  in  sich  schliefse  und  umgekehrt.  Die  Frage  wurde 
besonders  in  Anbetracht  der  reichen  gegenteiligen  Erfahrungen,  die 
Bbbvhsdc  zur  Geltung  brachte,  allgemein  verneint.  —  Die  Hypnotisier- 
barkeit, so  lieis  sich  die  Ansicht  des  Kongresses  weiter  vernehmen, 
ist  nur  wenig  geknüpft  an  die  Individualität  der  Rasse,  und  sie  hängt 
ebensosehr  ab  von  dem  Geschick  und  der  Übung  des  Hypnotiseurs  wie 
von  der  allgemeinen  und  sogar  auch  augenblicklichen  Stimmung  des 
Individuums.  —  Die  Bedeutung  des  von  Ochorowicz  demonstrierten 
Hypnoskops,  eines  ringf5rmigen  Magneten,  zur  Erkennung  der 
Hypnotisierbarkeit  durch  gewisse  an  dem  betr.  Individuum  aus- 
geloste motorische  und  sensible  Beizerscheinungen  wird  von  Delbobuf 
u.  a.  mit  Recht  angezweifelt.  Aus  andern  von  Mme.  Sidowick  (London), 
Cb.  Richet,  Mtebs  (London)  u.  a.  geäufserten  Erfahrungen  scheint  un- 
zweifelhaft hervorzugehen,  dafs  gerade  die  Individualität  des  Hypnoti- 
seurs eine  ungemein  wichtige  Rolle  spielt. 

Von  Ochorowicz  wurde  femer  die  Frage  aufgeworfen,  ob  alle  Er- 
scheinungen des  hypnotischen  Zustandes  allein  als  durch 
Suggestion  hervorgerufen  erklärt  werden  könnten. 

Ochorowicz  stellte  sich  auf  den  Standpunkt,  daJGs  eine  rein  physi- 
kalische Mafsnahme  (z.  B.  Auflegen  der  Hände  auf  den  Kopf  u.  s.  w.) 
Hypnose  herbeiführe,  er  betonte  auch  die  Thatsache,  dais  sich  als 
Folge  einer  Hypnose  häufig  Zustände  einstellen,  die  der  Hypnotisierende 
durchaus  nicht  hervorzurufen  beabsichtigt  hatte,  z.  B.  später  Schlaf  — 
—  bei  vorausgegangener  Schlaflosigkeit  —  nach  einer  Hypnose,  in  der 
nur  die  Suggestion  gegeben  war,  dafs  eine  Neuralgie  oder  dergL  ver- 
schwinden solle.  Bbbvhbim  dagegen  meinte  —  und  Forbl  stimmte  ihm  bei — , 
dafs  zwischen  die  physikalische  Einwirkung  und  den  in  der  eingetretenen 
Hypnose,  dem  Aufhören  von  Schmerzen  u.  s.  w.  sich  äufsemden  Erfolg 
ein  psychischer  Vorgang  trete,  welcher  die  Vermittelung  zwischen  beiden 
übernehme ;  an  jede  physische  Einwirkung,  meint  er,  knüpfe  sich  zuerst 
eine  Idee  bei  dem  beeinflufsten  Individuum  (Autosuggestion),  durch 
welche  dann  erst  weitere  Wirkungen  ausgelöst  würden. 

In  einer  andern  Sitzung  präzisierte  Babivski  auf  Ersuchen  des  Prä- 
sidenten die  Lehren  der  CHARCOTSchen  Schule:  Die  wichtige  Rolle  der 
Suggestion  wird  anerkannt,  aber  die  Unabhängigkeit  gewisser  hypnotischer 
Zustände,  wie  der  3  Stadien  des  grand  hypnotisme,  von  der  Suggestion 


Litteraturbericht.  21 1 

aufrecht  erhalten;  man  hätte  sonst  diese  drei  Stadien  experimentell 
hervorbringen  können ,  was  noch  niemand  gelungen  wäre.  Gewisse 
physische  Mittel  könnten  ganz  allein  für  sich  hypnotisierend  wirken; 
auch  bei  der  neuromuskulären  Erregbarkeit  hätte  die  Suggestion  nichts 
zu  thun.  Die  Wichtigkeit  somatischer  Symptome  wie  des  eben  angedeuteten 
bezüglich  der  Simulationsfrage  wird  von  B.  besonders  hervorgehoben, 
Die  Schule  der  Salpdtri&re  bleibt  dabei,  dafs  der  hypnotische  Zustand 
ein  pathologischer  sei,  was  mit  groiser  Einmütigkeit  in  der  Diskussion 
bestritten  wird. 

LoMBROso  (Turin)  teilte  mit,  dafs  es  ihm  nur  gelungen  wäre,  20  Vo 
Hypnotisierbare  herauszufinden,  woraus  er  gegenüber  den  bei  weitem 
bessern  Besultaten  von  Bebnheim  und  Fobel  auf  endemische  Dispositionen 
in  Nancy  und  BurghÖlzli  schlieist.  L.  bricht  eine  Lanze  für  die  „schöne 
Entdeckung^  der  Polarisation,  welche  er  selber  bei  vielen  Versuchen 
hätte  bestätigen  können,  und  konstatiert,  im  Gegensatz  zu  Bernhedc,  dafs 
das  hypnotisch-hallucinatorische  Bild  ein  reelles  wäre  und  durchaus  den 
Gesetzen  der  Optik  folge. 

Eine  Mitteilung  von  Prof.  Dakilewskt  (Charkow)  bezog  sich  auf  die  Hyp- 
nose der  Tiere.  Es  ist  gelungen,  Frösche,  Eidechsen,  Krokodile,  Schlangen, 
Schildkröten,  verschiedene  Vögel  und  Fische,  Krabben,  Krebse,  Hummern 
u.  s.  w.  in  Hypnose  zu  versetzen.  Von  höhern  Tieren  ist  Meerschweinchen 
imd  Kaninchen  hypnotisierbar,  während  beim  Hund  leider  alle  Versuche 
gescheitert  sind.  Die  Hypnose  wird  in  der  Weise  eingeleitet,  dals  man 
dem  betr.  Tier  irgend  eine  anormale  Stellung  (z.  B.  Itückenlage)  gibt  und 
es  durch  sanften  Händedruck  darin  so  lange  erhält,  bis  es  jede  Wider- 
stands- und  Fluchtbewegung  aufgibt.  Ein  hypnotischer  Frosch 
zeigt  eine  allgemeine  Anästhesie  der  Haut  und  der  tiefer  gelegenen 
Organe,  selbst  auch  der  Sinnesorgane;  die  Abwehrbewegungen,  welche 
der  Frosch  normalerweise  jedem  äufsem  Reiz  entgegensetzt,  kommen 
nicht  zu  Stande.  (Aufhebung  der  Eeflezerregbarkeit.)  Ein  an- 
deres Experiment  soll  zeigen,  dafs  auch  eine  Lähmung  des  Willens 
stattgefunden  hat:  ein  Stück  befeuchtetes  Fliefspapier,  dem  normalen 
Frosch  auf  die  Nase  gelegt,  wird  sofort  durch  eine  schnelle  Patten- 
bewegung weggeschleudert.  Werden  die  Patten  angenäht  oder  fest- 
gebunden, so  entsteht  eine  Art  asthmatischen  Anfalls  und  lebhafte  Un- 
ruhe des  Tieres.  Am  hypnotisierten  Frosch  wird  die  Pattenbewegung 
zur  Befreiung  des  Atmungsorgans  vermifst.  Der  Vorgang  bei  derselben 
erscheint  dem  Verfasser  zu  kompliziert,  um  ihn  als  Jßeflex  auffassen  zu 
können;  er  sieht  darin  eine  willkürliche  Bewegung  imd  in  dem  Nicht- 
zustandekommen  derselben  eine  Willenslähmung. 

Bemerkenswert  ist,  dafs  bei  einem  hypnotisierten  Frosch, 
"welcher  seines  ganzen  Gehirns  beraubt  ist,  die  Anästhesie 
nicht  zu  Stande  kommt  und  der  asthmatische  Anfall  viel 
schwächer  auftritt.  Aus  dem  Eintreten  der  Anästhesie  beim  hyp- 
notisierten normalen  und  dem  Wegfall  der  Anästhesie  beim  hypno- 
tisierten enthimten  Frosch  schliefst  D.,  dafs  das  Gehirn  im  hypnotischen 
Zustand  eine  aktive  Bolle  spielen  mufs,  dais  es  sich  in  dem  speciellen 
Falle  um  keine  lähmende  Wirkung  der  Hypnose  handeln  kann. 


212  Litteratufberiau, 

D.  erwähnt  weiter,  dafs  oft  wiederholte  Hjpnotisationen  hei  Tieren 
häufig  Gesundheitsstörungen,  wie  Appetitmangel,  Ahschwächung  der 
willkürlichen  Bewegungen  und  Stumpfsinn  hervorhringen.  Im  ührigen 
hetont  er  die  Analogie  zwischen  der  Hypnose  des  Menschen  und 
der  Tiere:  heim  Menschen  stelle,  die  Hypnose  nur  einen  etwas  kom- 
plizierteren Vorgang  dar;  heim  Tier  werde  durch  die  Hypnotisations- 
methode  (Festhalten  mit  der  Hand  in  unnatürlicher  Lage)  das  Gefühl  der 
Ohnmacht,  sich  zu  verteidigen  und  der  Nutzlosigkeit  jedes  Yerteidigungs- 
versuches  erweckt,  nur  der  Willensimpuls  werde  unterdrückt.  Bei  der 
Hypnotisierung  des  Menschen  würde  der  körperliche  durch  einen 
psychischen  Zwang  ersetzt;  hei  manchen  Methoden  indessen,  z.  B.  hei 
den  sogen.  MsssMERschen  Strichen,  sei  die  Analogie  vollständig. 

Auf  die  vielen  Einzelheiten  üher  die  Eigenheiten  des  hypnotischen 
Zustandes  andrer  Tiere,  wie  der  Schlange  u.  s.  w.,  kann  hier  nicht  näher 
eingegangen  werden. 

Die  von  demKongrefs  gelieferten  Beiträge  zur  Entscheidung  der  Frage 
nach  dem  Wesen  des  Muskelsinns  brachten  nichts  besonderes  Neues. 

Bezüglich  der  von  der  Society  for  psyehical  reaearch  in  London  an- 
geregten Sammelforschung  üher  die  Hallucinationen  bei  normalen 
Menschen  wurde  die  Einsetzung  eines  permanenten  Komitees  be- 
schlossen, in  welches  Sidqwick,  Mtebs,  James,  Gbotb  und  Mabtllibb  ge- 
wählt wurden. 

An  demselben  Tage  entspann  sich  auf  Anregung  von  Charles  Bichet 
eine  Diskussion  über  die  Gedankenübertragung  ohne  äuTsere  Hülfsmittel, 
welche  vorher  auch  die  Sektion  für  Hypnotismus  beschäftigt  hatte. 
Mtebb,  SmowiCK,  Ch.  Richet  und  Oohobowicz  erklärten,  auf  Grund  ihrer 
Experimente  zu  der  festen  üeberzeugung  gelangt  zu  sein,  dafs  es  eine 
solche  Übertragung  wirklich  gebe.  Allerdings  hätten  die  Phänomene, 
wie  namentlich  Mtebs  auseinandersetzte,  etwas  Kapriciöses.  Bisweilen 
gelängen  die  Experimente  bei  Beobachtung  aller  erdenklichen  Vorsichts- 
mafsregeln  in  einer  jede  Möglichkeit  des  blofsen  Zufalls  ausschliefsenden 
Häufigkeit,  bisweilen,  und  zwar  mit  denselben  Personen  und  anscheinend 
unter  ganz  denselben  Umständen,  gelängen  sie  nicht.  Man  könne  also 
nicht  ohne  weiteres  zu  den  Zweiflern  sagen :  kommt  und  sehet.  Dblboeüf 
giebt  das  üeberraschende  der  Serien  von  Erfolgen  zu,  erklärt  aber,  infogle 
ebenso  frappanter  Miiserfolge,  seinerseits  Skeptiker  geblieben  zu  sein. 

In  der  Kommission,  welche  die  Frage  der  Heredität  zu  behandeln 
hatte,  wurde  von  Galton  (London)  mit  Hinweis  auf  sein  neueres  Werk 
„Naturtil  tnheritanc^  und  die  diesbezüglichen  VeröfiPSentlichungen  im  Journal 
de  Ja  SocUU  entomologique  ausgeführt,  dafs  man  bei  planmälsigen  Züchtungen 
von  Tieren  sein  Augenmerk  hauptsächlich  darauf  zu  richten  habe,  in  wie 
weit  sich  erworbene  Gewohnheiten  vererbten,  und  welche  Veränderung 
die  „Gröise''  der  Tiere  erlitte,  sei  es,  dafs  man  vorher  eine  Zuchtwahl 
getroffen  oder  die  Mischung  der  Geschlechter  dem  Zufall  überlassen  habe. 

Um  der  Frage  der  Vererbung  beim  Menschen  näher  zu  treten, 
beschlois  der  Kongrefs  die  Aufstellung  eines  von  Galtoh  proponierten 
einfachen  Fragebogens,  der  den  Familien  zur  Ausfüllung  übergeben 
werden   soll.     Berücksichtigt   wird    darin    1.   Vater    mit   Geschwistern, 


Litteraturbericht  213 

3.  Mutter  mit  Geschwistern,  3.  Sölme  und  Töchter  (auch  Stief-Söhne  oder 
-Töchter  väter-  oder  mütterlicherseits).  Gewünscht  wird  Angabe  des 
ausführlichen  Namens,  Datum  der  Geburt  oder  des  Todes,  „Augen'', 
„Ähnlichkeiten  (dem  Vater  oder  der  Mutter)'',  „unterscheidende  Züge 
jedes  Mitgliedes  einer  Gruppe".  Die  Anweisung,  welche  zur  Ausfüllung 
dieses  Fragebogens  gegeben  wird,  ist  höchst  dürftig. 

Im  AnschlujCs  daran  soll  noch  Auskunft  erbeten  werden  (mit  der 
Feststellung  des  endgiltigen  Planes  wird  die  SocUtS  de  Psychologie  physio- 
ioffique  betraut)  über  physische  und  psychische  Ähnlichkeiten  der  väter- 
lichen Gruppe,  Übertragung  der  erworbenen  Gewohnheiten,  technische 
Fertigkeiten  u.  s.  w.  In  zweiter  Beihe  soll  festgestellt  werden,  inwie- 
weit der  Volksglaube  berechtigt  ist,  dafs  körperliche  oder  geistige  Er- 
schütterungen der  Mutter  zur  Zeit  der  Schwangerschaft  besondere  Zeichen, 
Merkmale  oder  Anlagen  in  dem  Kinde  entwickeln  —  im  Sinne  der  For- 
schung von  Darwins  Vater. 

Gbote  (Moskau)  will  die  Fragebogen  noch  ausführlicher  aufgestellt 
und  beantwortet  wissen. 

Von  den  zahlreichen  sonstigen  interessanten  Vorkomnmissen  des 
Kongresses  erwähne  ich  nur,  dafs  y.  Schbbnck-Notzino  (München)  Photo- 
graphien von  Hypnotisierten  in  dramatischen  Stellungen  vorlegte,  die 
allseitiges  Interesse  erweckten  und  von  denen  auch  Schauspieler  manchen 
Nutzen  ziehen  könnten. 

Zum  Schluis  noch  ein  Wort  über  die  Thätigkeit  der  sogen.  Commission 
tPorgamsaHon,  welche  die  Aufgabe  hatte,  einen  Plan  über  die  Fortführung 
des  begonnenen  Werkes  aufzustellen.  Ihren  Vorschlägen  gemäfs  wurde 
beschlossen,  den  nächsten  Kongrefs  unter  dem  Namen:  „Kongrefs  für 
experimentelle  Psychologie"  im  August  des  Jahres  1892  in  London 
abzuhalten.  Um  das  Programm  für  denselben  vorzubereiten,  wurde  eine 
Kommission  gewählt,  welche  sich  im  Dezember  1891  zu  einer  beschluTs- 
fassenden  Sitzung  vereinigen  soll.  Mitglieder  dieser  Kommission  sind 
für  Frankreich:  Beatthis,  Bebnhbih,  Bebtrakd,  Espinas,  Febbabi,  Gley, 
Mabit.t.teb,  Ob.  Bichet,  Bibot;  für  England:  Galtok,  F.  Myebs,  Sidowick; 
für  die  Vereinigten  Staaten:  James;  für  Deutschland:  Mubnstebbebo, 
y.  ScHBEKCK-NoTznro,  Speblino;  für  die  Schweiz:  Fobel  und  Hebzen;  für 
Italien:  IioicBBOso;fÜr  Biil^and:  Danilewski,  Ochobowicz,  Gbote,  NEioLiCKf ; 
für  Belgien:  Delboeuf;  für  Osterreich:  Benedikt;  für  Bumänien:  Gbvbeb. 

Speblino  (Berlin). 

J.  Gaule.    ZaU  und  Verteilung  der  markhaltlgen  Fasern  im  FroBch- 
rttckenmark.    Abhandh  d,   Sachs.    Ges.  d.    Wissensch.     Math.'phys.   Kl. 
Bd.  XV.    No.  9.    S.  737—780.    Mit  X  Tafeln.     Leipzig    1889,   Hirzel. 
(Selbstanzeige.) 
Diese  Arbeit  hat    ein    doppeltes  Gesicht.    Einerseits   löst   sie  eine 
rein  thatsächliche  Aufgabe.   Es  wird  ermittelt  die  Zahl  der  Nervenfasern, 
T^elche   sich  in   der   weiisen  Substanz  des  Froschrückenmarks  befinden. 
Zu   diesem  Zwecke   werden  5  Querschnitte   durchgezählt,   die    den  ver- 
schiedenen Abschnitten   entnommen   sind,   nämHch   von   dem   Übergang 
zur  med,  oblongata,  von  der  Mitte  der  Armanschwellung,  aus  der  Mitte 


214  LiOerainrbmcht 

des  Brustxnarks,  yom  Anfang  der  Lendenanscbwellnng  und  von  jenseitA 
der  letzteren.    Es  wurden  gefunden: 

Übergang  s.  med.  obl.       Armaoicfawellg.       Bmetmark        LendeiuuiBeliwellg. 
56674  74699  41825  61058 

Jentelto  dertelbeii  unter  dem  IX.  Herr. 
16313. 

Was   Laben   diese  Zahlen  fCür   einen  Sinn?    Zwei  Hypothesen,   die 
s.  Z.  in  der  Wissenschaft   eine  Bolle  spielten,   vertragen  sich   mit  den- 
selben absolut  nicht.    Die  erste  derselben  meinte,  dals  dieselben  Fasern 
sich  durch  die  ganze  Länge  des  Bückenmarks  fortsetzten  —  dann  müi}3t6n 
die  Zahlen  in  allen  Höhen   gleich  sein  — ,  die  zweite  nahm  an,  dafs  die 
in   den  Wurzeln   der   peripheren  Nerven   enthaltenen   Fasern   sich   dem 
Bückenmark   anschlössen  —  dann   müTsten   die  Zahlen   von  unten  nach 
oben  stetig  wachsen.    Beides  ist  nicht  der  Fall.    Moderne  Theorien  auf 
physiologischen,   pathologischen   und  entwicklungsgeschichtlichen  Beob- 
achtungen fuisend,  haben  längst  angenommen,  dafs  die  Fasern  der  weilsen 
Substanz   eine   mannigfaltige  Bedeutung  haben,    dafs   sie   verschiedenen 
Systemen  angehören.   Beschränkt  man  sich  auf  die  physiologische  Über- 
legung, so  wird  man  dem  heutigen  Stand  unserer  Kenntnisse  schon  ent- 
nehmen können,   dafs  jede   in  den   hinteren  Wurzeln  zum  Bückenmark 
gelangende  Erregung   mindestens  3  Wirkungen  haben    kann.    Sie  kann 
einen  Beflex  hervorbringen  in  dem  Glied  der  gleichen  oder  der  gekreuzten 
Seite,  oder  der  Beflex  kann  sich  weiter  ausdehnen  und  auch  das  andere 
Gliederpaar  mit  betreffen,  oder  die  Erregung  kann  hinauf  wandern  zu  den 
höchsten  Abschnitten  und  dort  eine  bewuTste  Empfindung  auslösen.  Auf 
der   andern   Seite   wird   die   Erregung,    die  in   einer  motorischen  Faser 
dem  Muskel  zuströmt,  sich  kombinieren  mit  Erregungen  der  gleichen  Art, 
so   dafs   es   sich  nur  um   die  Bewegung   eines  Gliedes  handelt,  oder  es 
können  *  beide  Gliederpaare   zu   einer  Bewegung   vereinigt  sein,    endlich 
kann  diese  Bewegung  unter   dem  Einflufs   der  höchsten  Abschnitte  des 
Nervensystems  geschehen  oder  auch  ohne  diesen«   Damit  haben  wir  ein- 
gesehen,  dafs   die   centralen  Enden   der   motorischen   wie  der  sensiblen 
Faser    oder   vielleicht   vorsichtiger    die    Teile   der   grauen  Substanz,   in 
welche    sich    die    vorderen    wie    die    hinteren   Wurzeln    hineinbegeben, 
mindestens  dreifache  Verbindungen  haben  müssen,  1.  mit  dem  gesamten 
Bezirk,  der  als  ein  Ganzes  sich  bewegt  oder  reflektorisch  erregt  werden 
kann,  also  z.  B.  die  Einmündungsstellen  der  von  und  zu  einem  Glied  hin- 
gehenden Nervenfasern  untereinander,  2.  die  Verbindung  der  verschiedenen 
Bezirke  untereinander,  hauptsächlich  die  Verbindung  der  centralen  Enden 
für  das  untere  Gliederpaar  (Lendenanschwellung)  mit  dem  oberen  (Arm- 
anschwellung),  3.  die   Verbindung   mit   dem   Gehirn.    Jede   dieser   Ver- 
bindungen wird   aus   gleichseitigen  und  gekreuzten,  aus  aufsteigend  und 
absteigend  leitenden  Fasern  bestehen,  jede  kann  einfach  oder  mehrfach 
vorhanden  sein.    Dafs   unsere  Zahlen    einer   solchen   Ahnahme  günstig 
sind,  lehrt  schon  ein  Blick  auf  die   gewaltige  Zu-  und  Abnahme,  die  sie 
in  der  Lenden-  und  Armanschwellung  zeigen,  wo  die  vielen  kurzen  Ver- 
bindungen der  ersten  Art   hinzukommen.    Aber   eine  viel  genauere  Prü- 
fung läfst  sich  anstellen,  wenn  man  die  Zählung  zu  Hülfe  nimmt,,  welche 


lAtteratwrherieht  215 

Herr  Biugb  vor  einigen  Jahren  unter  meiner  Leitung  von  den  Fasern 
der  vorderen  und  hinteren  Wurzeln  des  Frosches  anstellte.  »Dieselbe 
gestattet  festzustellen,  wie  viel  Wurzelf asem  in  irgend  einer  Höhe 
des  Bückenmarks  aus  demselben  ein-  oder  ausgetreten  sind.  Wenn  man 
-vrOiste,  wie  viele  Verbindungen  jede  dieser  Wurzelfasern  haben  muJB, 
könnte  man  berechnen,  wie  viel  in  jedem  Querschnitt  man  Fasern  in  der 
weiTsen  Substanz  zu  erwarten  hat.  Eine  Überlegung  der  physiologischen 
Bedingungen,  sowie  der  Zahlen  selbst  führt  zu  der  Hypothese,  dafs  8 
kurze  Verbindungen  (2  absteigend,  2  aufsteigend  und  die  gleiche  Zahl 
auf  der  gekreuzten  Seite),  1  mittlere  zur  Verbindung  mit  dem  andern 
Oliederpaar  und  zwei  lange  zur  Verbindung  mit  den  höheren  Abschnitten 
zu  jeder  Wurzelfaser  gehören. 

Berechnet  man  danach  die  Zahlen  für  die  5  untersuchten  Quer- 
schnitte, so  erhält  man: 

Übeig.  sar  med.  obl.     ArmaiuchweUg.     Brostmark.     Lendenanschwellg.     Unter  IX.  Nerv. 

56000  74000  45600  60500  18000 

die  wirklich  geflindenen  Zahlen  sind 

56674  74699  41825  61058  16313 

Diese  Übereinstimmung  ist  eine  genügende,  um  die  Hypothese  zu 
beweisen,  und  damit  ist  eine  Vorstellung  von  der  Natur  und  den  Auf- 
gaben der  Fasern  der  weifsen  Substanz  gewonnen,  welche  sich  für  eine 
Heihe  von  physiologischen  Betrachtungen  nützlich  erweisen  kann. 

Der  zweite  Gesichtspunkt  wird  in  dem  „Zweck"  überschrieb enen 
Abschnitt  auseinandergesetzt.  Er  knüpft  an  die  Betrachtungen  an, 
"welche  ich  unter  dem  Titel  „Der  Okus  der  Zellen"  als  Beitrag  zu 
der  Cabl  Ludwig  gewidmeten  Festschrift  veröffentlichte.  Dort  war  ge- 
sagt worden,  dafs  nicht  blofs  morphologische  Verhältnisse  das  Objekt 
unserer  mikroskopischen  Durchforschung  sein  können,  dafs  das  eigent- 
liche Band,  welches  die  Zellen  zum  Organismus  zusammenbinde,  der  ge- 
meinsame Stoff-  und  Kraftwechsel  sei. 

Sieht  man  die  Zellen  aber  an,  nicht  blofs  als  die  morphologischen 
Sausteine,  sondern  als  die  Kraftquellen  und  Kraftcentren  des  Organismus, 
80  folgt,  dais  auf  das  Verhältnis  ihrer  Zahlen  alles  ankommt.  Denn  das 
Gesamtleben  des  Organismus  erscheint  als  das  Problem  des  Gleichgewichts, 
der  von  den  einzelnen  Elementen  ausgeübten  Kräfte,  imd  dieses  Gleich- 
gewicht ist  daran  gebunden,  dafs  die  verschiedenen  Kraftquellen,  also 
die  verschiedenen  Zellenarten  in  einem  bestimmten  Mengenverhältnis 
vorhanden  sind.  Eine  gewisse  Anzahl  von  Ganglienzellen  fordert  also 
eine  entsprechende,  sagen  wir  kurzweg  eine  äquivalente  Anzahl  von  Nerven- 
zellen, Muskelzellen,  Blutzellen  u.  s.w.  Das  Gesetz  des  Okus  (d.  i.  Haushalt), 
-wie  es  hier  formuliert  wird,  kann  angesehen  werden  als  entsprechend 
dem  Aquivalentgesetz  der  Chemie.  Wie  in  dem  organischen  Molekül  die 
Zahlenverhältnisse  der  Atome  die  Natur  und  den  Charakter  der  Ver- 
bindung bestimmen,  so  wird  hier  das  lebende  Wesen  durch  die  Äquivalent- 
mengen  der  dasselbe  aufbauenden  Zellen  charakterisiert.  Natürlich  hat 
jede  Art  die  ihr  eigentümlichen  Zahlen,  ihre  Formel,  wenn  man  so  sagen 
darf,  und  die  Aufgabe  eines  zukünftigen  Fortschreitens  der  Physiologie 
-wird  es  sein,  diese  quantitative  Analyse  der  Organismen  durchzuführen 


216  lAUeraturberic?U. 

und  die  Gesetze  des  Gleiobgewicbts  der  Kräfte  der  Elementarteile  zu  ent«' 
wickeln.  Zu  dieser  Lösung  aber  wird  hier  ein  thatsäcblicher  Beitrag 
geliefert,  indem  festgestellt  wird,  dafs  jeder  Faser  der  Wurzeln  eine 
bestimmte  Anzahl  von  Fasern  in  der  weiTsen  Substanz  entsprechen,  und 
gezeigt  wird,  welche  physiologische  Bedeutung  diesem  Yerh&ltnis  inne- 
wohnt. Julius  Gauls  (Zürich). 

P.  Krokthal.     HlBtologisclies  von  den  grofsen  Zellen  in  den  Vorder- 
liömern.    Neural.  Centralbl  1890.   No.  2.   Selbstanzeige. 

An  frischen  in  einer  eigentümlichen  Art  gefärbten  Zellen  aus  den 
Vorderhömem  des  Bückenmarks  erkenne  ich  deutlich  die  fibrilläre  Stuktur 
der  Fortsätze  und  massenhafte  Fibrillen,  die  sich  im  Innern  der  ZeUe 
kreuzen.  Stellenweise  gelingt  es  eine  Faser  zu  verfolgen,  welche 
durch  einen  Fortsatz  in  die  Zelle  eintritt,  dieselbe  durchsetzt  und  in 
einem  anderen  Fortsatz  verläfst.  Ich  vermute  als  Sinn  dieser  Ein* 
richtung,  dafs  die  der  Zelle  durch  eine  Faser  zugeführte  Erregung,  die 
jedenfalls  Bewegung  ist,  in  ihr  den  sämtlichen  sie  durchsetzenden  übrigen 
Fasern  mitgeteilt  werde. 

Babl-Eückharo.  Sind  die  Ganglienzellen  amöboid?  Eine  Hypothese  zur 
Mechanik  psychischer  Vorgänge.  Neurohg.  Centrdlblatt  1890.  No.  7. 
8. 199. 
Ausgehend  von  der  Annahme,  dafs  das  Protoplasma  in  seiner  höch- 
sten Differenzierung,  wie  sie  uns  in  den  Hirnzellen  entgegentritt,  G-e- 
dächtnis  hat  und  dafs  unsere  ganze  höhere  geistige  Thätigkeit  nur  die 
stets  wechselnde  Kombination  der  in  den  Molekülen  der  Ganglien  auf- 
gespeicherten Einzelvorstellungen  ist,  möchte  Verfasser  als  einen  „hin- 
geworfenen, vielleicht  fruchtbaren  Gedanken''  die  in  Betreff  ihrer  Mög- 
lichkeit vorerst  nicht  anzuzweifelnde  Hypothese  aufstellen,  dafs  die 
Protoplasmafortsätze  der  höheren  Ganglienzellen,  aus  denen  das  nervöse 
Netzwerk  (Neurospongium  Waldeters)  im  Gehirn  hervorgeht,  dem  Spiel 
amöboider  Veränderungen  unterworfen  seien  und  auf  diese  Weise  durch 
eine  wechselnde  Verbindung  untereinander  den  Austausch  und  die  Kom- 
bination der  verschiedenen  Einzelvorstellungen  vermittelten.  Ein  ab- 
gerissener Gedankenfaden  würde  dann  zum  abgerissenen  Protoplasma- 
faden einer  Gedächtniszelle,  eine  geistreiche  Kombination  wäre  die  Ver- 
bindung verschiedener  Ganglienzellen,  deren  Protoplasmafortsätze  mit 
besonders  lebhaften  amöboiden  Bewegungen  ausgestattet  wären  etc.  — 
ein  mechanisches  Verständnis  psychischer  Vorgänge  wäre  damit  an- 
gebahnt. Peretxi  (Bonn). 

A.  Delbrück.  Zur  Lehre  Ton  der  ELrenzung  der  Nervenfasern  im  chiasmA 
neryormn  opticoram,  Archiv  f.  Psychiatrie  u.  Nervenhrankh.  1890.  Bd.  XXI. 
Eine  genauere  anatomische  Untersuchung  eines  Falles  läist  den 
Verfasser  auch  mit  der  Mehrzahl  der  Forscher  den  Standpunkt  ver- 
treten, dafs  sich  die  Fasern  des  Sehnerven  nicht  vollständig  kreuzen, 
sondern  ein  Teil  ungekreuzt  zur  gleichseitigen  Netzhaut  gelangt. 

Kronthal  (Berlin). 


lAUeraturhericht  2  VI 

J.  Gauls.  PliyBiologlBclie  Demonstration.  Correspondetu^l  f.  Schweiger 
Ärzte  1890.    No.  10. 

Der  „Gesellschaft  der  Ärzte  inZürich'^  stellte  Prof.  Gaülb  in 
der  Sitzung  vom  8.  März  einen  Hund  vor^  dem  er  nach  dem  Vorgange 
von  G^LTZ  die  Poci  (vnlgo  Centren)  der  Vorder-  und  Hinterpfoten  ezstirpiert 
hatte.  (Die  Foci  waren  durch  Aufsuchen  der  durch  den  galvanischen 
Strom  erregbaren  Stellen  festgestellt  worden.) 

Der  Vortragende  teilte  mit,  daXs  das  Tier  durch  halbjährige  Dressur 
den  Einflufs  der  Intelligenz  auf  seine  Bewegungen  wieder- 
erlangt habe.  In  der  That  gab  der  Hund  auf  Kommando  die  gewünschte 
Pfote,  bediente  sich  beim  Ausgraben  von  versteckten  oder  eingewickelten 
Fleischstückchen  beider  Pfoten  mit  gleicher  Leichtigkeit  und  gab  noch 
eine  Beihe  anderer  Proben  von  durchaus  intelligentem  Gebrauch  seiner 
Vorderpfoten.  Allerdings  waren  seine  Bewegungen,  wie  immer  in  solchen 
FäUen,  plump  und  von  zahlreichen  zwecklosen  Mitbewegungen  begleitet. 

In  der  Analyse  des  Phänomens  kam  .G.  zu  dem  Schlufs,  dafs,  da 
erstens  an  der  Grofshimrinde  als  dem  Sitze  der  Intelligenz  festzuhalten 
sei,  zweitens  aber  eine  restitutio  in  integrum  ezstirpierter  Teile  er- 
fahrungsgemäfs  nicht  einträte,  andere  Teile  unter  Bildung  neuer 
Verbindungsbahnen  die  Bolle  der  verlorenen  Foci  über- 
nommen haben  müfsten. 

Gegen  diese  Ansicht  wurden  vornehmlich  zwei  Bedenken  erhoben. 
Das  eine  richtete  [sich  gegen  die  Ausbildung  neuer  Nervenfasern  unter 
Hinweis  auf  die  zahlreichen,  gewöhnlich  nicht  benutzten  Beservebahnen 
des  Gehirns,  die  nur  „ausgeschliffen"  zu  werden  brauchten  (Honeooer).  Das 
zweite  gab  dem  Zweifel  Ausdruck,  ob  hier  wirklich  die  ganze  motorische 
Bindenregion  der  Pfote  entfernt  sei.  Vermutlich  sei  ein  Teil  nicht  nur 
der  Pyramidenbahn,  sondern  auch  der  zugehörigen  Binde,  vor  allem 
des  wegen  seiner  tiefen  Lage  der  Beizung  und  Entrindung  schwer  zu- 
gänglichen sulcus  calloso-marginalis  stehen  geblieben.  Demnach  läge 
keine  Bildung  neuer  Faserverbindungen  vor,  sondern  nur  eine  Wieder- 
au&iahme  der  Thätigkeit  seitens  jener  durch  die  Operation  vorüber- 
gehend  funktionell   (cirkulatorische    Störungen)  geschädigten  Begionen 

(V.   MOKAKOW). 

Der  Vortragende  erklärte,  unter  Aufrecht^rhaltung  seiner  Ansicht, 
den  Hauptwert  darauf  legen  zu  wollen,  dais  von  den  Leistungen  des 
Hundes  Akt  genommen  werde.  Was  anatomisch  wirklich  im  Gehirn 
vorläge,  werde  er  durch  nochmalige  Absuchung  des  Gehirns  mittelst  des 
elektrischen  Stroms  und  durch  postmortale  mikroskopische  Untersuchung 
feststellen.  Alfr.  Lewandowski  (Berlin). 

W.  Bechtbrer.   Über  Erscheinungen,  die  nach  Zerstörung  yersebiedener 
Teile  des  Nervensystems  bei  neugeborenen  Tieren  beobachtet  werden, 
und  über  die  Entwickelung  der  Qehimfnnktionen  bei  denselben. 
Medieinskcfje  Ohosrenje  1890.   No.  4.  (Bef.  i.  Neur.  CetUralbl.  v.  Bosekbach). 
Die  Operationen  an  markhalt  igen  Teilen  des  Gehirns  von  neuge- 
borenen bringt    dieselben  Effekte  hervor,  wie  bei  erwachsenen   Tieren, 
an  den  marklosen  Teilen   aber  fehlen  sie   häufig  oder  sind  gemildert. 


218  lAtteraturberieht 

Aus  dieser  Thatsache  wie  auch  aus  dem  Umstand,  dafs  die  marklosen 
Partien  fUr  den  elektrischen  Strom  nicht  erregbar  sind,  schliefst  Ver- 
fasser, dafs  sie,  solange  sie  kein  Mark  haben,  überhaupt  nicht  an  den 
Fimktionen  des  Nervenapparates  teilnehmen. 

Die  Markentwickelung  erfolgt  übrigens  sehr  rapid  in  den  ersten 
Lebenstagen,  die  Funktionen  der  Sinnesorgane  und  Bewegungsapparate 
treten  im  gleichen  Verhältnisse  mit  der  Markentwickelung  auf. 

Kbokthal  (Berlin). 


O.  Schwarz.    Über   die  Wirkniig  des  konstanteii  Stroms  anf  das  nor- 
male Auge.    Ärchw  ßr  PsycIUatrü,  Bd.  XXI,  2.    1889. 

Die  eigenen  Versuche  des  Verfassers  ergaben  zunächst  in  Überein- 
stimmung mit  dem  Besultate  der  Untersuchungen  von  Helmholtz',  dafs 
die  Netzhaut  durch  den  galvanischen  Strom  partiell  erregbar  sei  und  daüs 
die  im  Gesichtsfelde  genau  zu  lokalisierenden  Lichterscheinungen  durch 
direkte  Wirkung  auf  die  Netzhaut  entstehen.  Zugleich  brachten  die 
Versuche  den  Beweis,  dafs  diese  partielle  galvanische  Erregung  nicht  in 
der  Nervenfaserschicht,  sondern  nach  aufsen  von  ihr  und  zwar  in  den 
radiären  Netzhautelementen,  wahrscheinlich  in  der  Zapfenschicht  zu 
Stande  kommt.  Die  betreffenden  Elemente  kommen  in  Katelektrotonus 
bei  der  Bichtung  des  Stroms  von  den  Ganglienzellen  zu  den  zugehörigen 
Zapfen  (bei  Schliefsung  des  aufsteigenden  und  Öffnung  des  absteigenden 
Stroms)  und  in  Anelektrotonus  bei  entgegengesetzter  Stromrichtung. 
Eintritt  in  Katelektrotonus  (oder  Austritt  aus  Anelektrotonus)  erzeugt 
bei  nicht  zu  schwachen  Strömen  eine  von  einer  „kurzwelligen  Farbe" 
begleitete  Lichtempfindimg,  welche  auch  die  Empfindung  des  objektiven 
Lichts  beeinflufst.  Eintritt  in  Anelektrotonus  (oder  Austritt  aus  Kate- 
lektrotonus) bewirkt  eine  Herabsetzung  der  Erregbarkeit,  die  sich  in  Ver- 
minderung der  Empfindung  des  Eigenlichts  der  Netzhaut  und  in  einer 
geringen  und  rasch  vorübergehenden,  aber  deutlichen  Herabsetzung  der 
Empfindlichkeit  für  objektives  Licht  kundgiebt.  Die  Eintrittsstelle  des 
Sehnerven  weicht  in  Bezug  auf  die  Erscheinungen  von  der  übrigen  Netz- 
haut ab,  nach  von  Helmholtz  vermutlich  infolge  ihres  durch  anatomische 
Verhältnisse  bedingten,  abweichenden  Leitungswiderstandes.  —  Ob  stär- 
kere Ströme  auch  in  den  Nervenfasern  der  Netzhaut  und  des  Sehnerven 
eine  Erregung  bewirken,  was  ja  an  sich  zu  vermuten  wäre,  läfst  sich 
erst  nach  Untersuchimg  geeigneter  pathologischer  Fälle  feststellen. 

Die  im  zweiten  Teile  der  Arbeit  besprochenen  Untersuchungen  über 
den  Einflufs  des  konstanten  Stroms  auf  die  Empfindlichkeit  der  Netzhaut 
gegen  objektives  Licht  in  Beziehung  auf  Sehschärfe,  Licht-  und  Farben- 
sinn und  die  Nachbilder  führten  zu  dem  Eesultate,  dafs  der  konstante 
Strom  im  stände  ist,  einen  langdauemden  Folgezustand  im  Sehorgane  zu 
bewirken,  der  sich  in  einer  Erhöhung  der  Empfindlichkeit  für  objektives 
Licht  verschiedener  Qualität,  wenigstens  in  der  Peripherie  der  Netzhaut 


LUteratturbencht,  219 

seigt.  Wie  der  Zustand  bewirkt  wird,  durch  direkte  Einwirkung  auf  ädß 
I^etzhautelemente  oder  auf  das  centrale  Sehorgan  oder  durch  Beein- 
flussung des  Kreislaufs,  ist  noch  nicht  zu  entscheiden,  ebensowenig  ob 
dieser  Folgezustand  von  der  Stromrichtung  abh&ngig  ist.      Bbib  (Bcoin). 

£.  Hbbikg.  Eine  Methode  znr  Beobachtung  des  Simnltankontrastes. 
Pflügers  ÄrcMv,  XLVII,  1890.  S.  236—242. 
Beschreibung  eines  einfachen  Verfahrens,  welches  sowohl  eine  in- 
struktive Beobachtung  der  Kontrasterscheinungen  an  sich  gestattet,  als 
auch  die  Berücksichtigung  einiger  Nebenxunstände,  die  fUr  die  Erklärung 
des  Phänomens  von  Bedeutung  sind.  Man  denke  sich  zwei  aneinander 
^enzende  Farbenflächen  A  und  B,  Etwas  entfernt  von  der  Trennungs- 
linie und  senkrecht  zu  ihr  liegt  auf  Ä  ein  schmaler  Streifen  von  B 
xmd  auf  B  ein  schmaler  Streifen  von  Ä.  Das  Ganze  wird  durch  ein 
doppelbrechendes  Prisma  betrachtet,  und  zwar  so,  dafs  die  Streifen  senk- 
recht zu  ihrer  Längsrichtung  zu  Doppelbildern  auseinandergeschoben 
T^erden,  die  mindestens  um  ihre  eigene  Breite  voneinander  getrennt  sind. 
Physikalisch  enthalten  dann  sämtliche  Streifen  gleichgemischtes  Licht; 
nichtsdestoweniger  sehen  die  auf  dem  einen  Grunde  liegenden  Doppel- 
bilder durch  Kontrast  ganz  anders  aus,  als  die  auf  dem  andern  Grunde. 
Zur  Beinheit  des  Versuchs  gehört  Vermeidung  von  Augenbewegungen, 
*was  durch  Anbringung  einer  Fixationsmarke  leicht  erzielt  werden  kan^. 
TTm  die  bekannte  Frage  zu  prüfen,  ob  die  körperliche  Selbständigkeit 
der  aufeinander  wirkenden  Farben  von  Einflufs  auf  den  Kontrast  sei, 
legt  man  die  Streifen  nicht  direkt  auf  die  Farbenflächen,  sondern  be- 
festigt sie  an  Drähten  und  bringt  sie  so  an,  dafs  sie  sich  sichtlich  ober- 
halb des  farbigen  Grundes  befinden.  Die  Kontrastwirkung  zeigt  sich 
liierdurch  durchaus  nicht  geändert.  EBBDfOHATrs. 

Latdcbb  Clabk.  Testing  for  Oolonr-Blindness.  Letter  to  the  Editor.  Natwe 
1890,  12.  Juni,  S.  147. 

Der  bekannte  Physiker,  der  sich  als  partially  colour-blind  bezeichnet, 
hat  beobachtet,  dafs  manche  Blumen,  wie  z.  B.  Epilobium  (Weidenröschen) 
^mgustifolium,  die  ihm  in  der  Natur  bläulich  oder  purpurfarben  erscheinen, 
in  illustrierten  botanischen  Werken  entschieden  rötlich  und  ganz  anders 
^s  in  der  Wirklichkeit  aussehen.  Er  folgert  daraus,  dafs  Farben,  die 
für  das  normale  Auge  identisch  sind,  von  dem  Farbenblinden  unter  Um- 
frtiänden  unterschieden  werden  können. 

Wäre  das  so  ohne  weiteres  richtig,  so  wäre  es  sowohl  neu  als  theo- 
retisch unerklärlich.  Die  Sache  verhält  sich  aber  vermutlich  folgender- 
mafsen.  Für  jeden  sog.  Farbenblinden  existiert  ein  gewisses  Grün,  welche  s 
Ihm  farblos,  d.  h.  grau,  erscheint.  Ebenfalls  grau  erscheint  ihm  natürlich 
die  Komplementärfarbe  jenes  Grün,  nämlich  ein  gewisses  bläuliches  Bot. 
AUe  übrigen  Farben  sieht  er  entweder  blau  oder  gelb.  Die  Farbe  von  Epilo- 
bium (etwa  die  des  gewöhnlichen  roten  Wiesenklees)  liegt  nun  für  Latimeb 
Olabk  ganz  in  der  Nähe  des  von  ihm  neutral  gesehenen  Bläulichrot,  nur 
ein  wenig  nach  Blau  hin.  Dafs  bei  der  Nachbildung  einer  natürlichen 
Farbe   durch   den  Druck   ganz   derselbe  Farbenton  getroffen  wird,   ist 

Zeitsolnlfk  fUr  Psychologie.  15 


220  LiUendufheridU. 

höchst  selten,  in  der  Begel  findet  eine  kleine  Verschiehnng  statt.  Sieht 
man  die  beiden  Farben,  von  denen  die  eine  die  Wiedergabe  der  anderen 
sein  soll,  unmittelbar  nebeneinander,  so  sieht  man  sofort  den  unterschied; 
sieht  man  sie  nicht  nebeneinander,  so  fUlt  die  Abweichung  im  allgemeinen 
nicht  weiter  anf,  wenn  nur  auf  die  nachgebildete  Farbe  noch  einiger- 
mafsen  die  allgemeine  Bezeichnung  der  vorbildlichen  (rot,  gelb  u.  s.  w.) 
anwendbar  ist.  Nur  für  den  Farbenblinden  kann  allerdings  auch  in  einem 
solchen  Falle  die  Abweichung  sich  noch  bemerkbar  machen;  dann  näm- 
lich, wenn  die  Verschiebung  Über  die  von  ihm  neutral  gesehene  Farbe 
hinausgeht.  Es  ändert  sich  für  ihn  dann  der  Farbenton,  imd  das  ist  bei 
dem  Vorhandensein  von  nur  zwei  Farbentönen  etwas  sehr  Auffallendes» 
So  verhält  es  sich  offenbar  in  dem  Falle  L.  C's.  Die  künstlich  nach- 
gebildete Farbe  liegt  von  seinem  neutralgesehenen  Bot  etwas  nach  Rot 
hin,  wie  die  natürliche  etwas  nach  Blau  hin.  Der  Unterschied  ist  so 
gering,  dass  er  bei  der  blofs  gedächtnismäfsigen  Vergleichung  von  dem 
Normalsehenden  nicht  bemerkt  wird;  L.  C.  aber  sieht  das  eine  Mal  eine 
bläuliche,  das  andere  Mal  eine  gelbliche  Farbe  Man  darf  deshalb  nun  aber 
nicht  sagen,  dafs  der  Farbenblinde  unter  Umständen  Farben  unterscheiden 
kann,  die  das  normale  Auge  identisch  sieht,  denn  identisch  sieht  das 
normale  Auge  solche  Farben  in  keinem  Falle;  sondern  man  muTs  sagen^ 
dafs  schwache  Farbenunterschiede,  die  für  den  Normalsehenden  nichts 
Aufsergewöhnliches  haben,  für  den  Farbenblinden  unter  den  oben  be- 
stimmt angegebenen  Umständen  etwas  so  Frappierendes  gewinnen  können, 
dafs  er  sie  selbst  bei  blofs  mentaler  Vergleichung  noch  bemerkt. 

Ebbivghaus. 

Mroatczik.    Das  hysterische  Gestchtsfeld  im  wachen  und  hypnotischen. 
Zustande.    Neurolog.  Centralblatt    1890.    No.  8.    S.  230. 

Verfasser  beobachtete  bei  einer  Hystero-Epileptischen,  dafs  äufsere 
Reize,  wie  Hiechen  von  Äther,  Bestreuen  der  Zunge  mit  Salz,  Reizung 
des  Gehörnerven  durch  eine  schwingende  Stimmgabel,  Applikation  von 
Wärme  oder  Äther  auf  die  Hand  konstant  eine  bedeutende  Erweiterung 
des  an  sich  konzentrisch  verengten  Gesichtsfeldes  herbeiführten.  In  der 
Hypnose  war  das  Gesichtsfeld  um  mehrere  Grade  gröfser,  als  im  wachen 
Zustande,  und  peripherische  Reize  hatten  ebenfalls  die  erwähnte  Wirkung. 
Übereinstimmend  mit  den  Beobachtungen  Thomsens  und  Oppenheims  und 
ScHiELES  von  dem  Einflüsse  der  Gemütsstimmung  auf  die  Ausdehnung 
des  Gesichtsfeldes  fand  Verfasser  bei  suggerierter  Freude  eine  Erweiterung, 
bei  suggeriertem  Leid  eine  Einengung  des  Gesichtsfeldes. 

Peretti  (Bonn). 

J.  Loeb  und  Th.  T.  Groom.    Der   HeliotropismiiB    der  Nanplien    von 
Balanns  perforatus  nnd  die  periodischen  Tiefenwaadernngen  pelagi- 
scher  Tiere.    Biolog.    CentralblaU.    Bd.   X.    No.  5  u.  6.    1.  Mai   1890. 
S.  160—178. 
Im  Anschlufs    an   seine   früheren  Untersuchungen   über  den  Helio- 
tropismus  der   Tiere   (s.    diese  Zeitschr.    I.  S.  126)   stellte  Verfasser  an 
den   Larven    (Naupliusstadium)   gewisser  niederer    Crustaceen    (Baianus 


Litteratwrberieht.  221 

perforatus),  die  in  grofsen  Scharen  im  Meere  pelagisch  leben,  eine  Anzahl 
von  Versuchen  an,  welche  einerseits  zur  Feststellung  derselben  Erschei- 
nungen fahrten,  die  schon  vom  Verfasser  bei  seinen  früheren  Versuchen 
gefunden  waren,  andererseits  aber  noch  die  interessante  Erscheinung 
der  Ümkehrung  des  Heliotropismus  aus  positivem  in  negativen  und 
umgekehrt  wahrnehmen  liefsen,  in  ganz  genau  derselben  Weise,  wie 
sie  Strasbübgvb  früher  für  manche  Algenschwärmer  nachgewiesen  hat. 
Während  nämlich  die  Nauplien  morgens  ganz  früh  sämtlich  positiv  helio- 
tropisch waren  (d.  h.  sich  zum  Lichte  hin  bewegten),  wurden  sie  mit 
zunehmender  Helligkeit  nach  und  nach  alle  negativ  heliotropisch.  Tiere, 
die  mittags  aus  dem  Dunkeln  in  das  Licht  gebracht  wurden,  zeigten  sich 
ebenfalls  zuerst  alle  positiv  heliotropisch  und  wurden  erst  nach  einiger 
Zeit,  bei  gröfserer  Lichtintensität  schneller  als  bei  geringerer,  negativ 
heliotropisch.  Es  geht  also  daraus  hervor,  dals  die  Umkehr  nicht  auf 
einen  periodischen  Wechsel  der  Empfindlichkeit  bei  Tag  und  Nacht  be- 
ruhen kann.  Bei  einer  gewissen  sehr  geringen  Lichtintensität  scheinen 
die  Tiere  dauernd  positiv  heliotropisch  zu  bleiben. 

Aus  diesem  Verhalten  ergiebt  sich  mit  Notwendigkeit  die  eigen- 
tümliche Thatsache,  dafs  die  Nauplien  nachts  sich  an  der  Oberfläche 
des  Meeres  aufhalten,  während  sie  bei  Tage  bis  in  eine  gewisse  Tiefe 
hinabsteigen,  um  gegen  Abend  wieder  die  Oberfläche  aufzusuchen  etc. 
Auch  die  Jahresperiode  der  Tiefenwanderung  könnte  event.  auf  diese  Er- 
scheinungen zurückzuführen  sein.  Eine  Verallgemeinerung  der  heliotro- 
pischen Ursache  für  die  Tages-  und  Jahresperioden  der  Tiefenwanderungen 
aller  pelagischen  Tiere  dürfte  indessen  vor  der  Hand  noch  nicht  am 
Platze  sein.  Verwobn  (Jena). 


J.  Habbrmakn.    über  die  Schwerhörigkeit  der  KeBselBchmiede.   Arch.  f. 
Ohrenheük.,  Bd.  XXX  (1890).  S.  1-25. 
Verfasser  untersuchte  31  Kesselschmiede   auf  das  Gehör  und  wies 
bei  allen  eine  Schwerhörigkeit  verschiedenen  Grades  nach,  die  durch  die 
Einwirkung  der  intensiven  Geräusche  bei   der  Arbeit   entstanden  war. 
Bei  allen  XJntersuchungspersonen  war  das  Gehör  besonders  für  hohe  Töne 
hochgradig  herabgesetzt;   eine  ähnliche  Beobachtung  stellte  Büreneb  an 
Lokomotivführern  an,  ferner  GRADSinGO  an  2  Steinmetzen  und  2  Müllern, 
Bezold  an  Scheibenschützen,  Sohwabtzb  nach  einem  Lokomotivpfiff.    Be- 
sonderes Interesse  bietet  der  Befund  dar,  den  Habjbbicakn  an  den  beiden 
Schnecken  eines  75jährigen  Kesselschmiedes  vorfand:  die  Untersuchung 
der  Schnecke  ergab  nämlich  an  beiden  Gehörorganen  einen  Schwund  der 
Nerven  in  der  Schneckenbasis,  der  gegen  das  untere  Ende  der  Schnecke 
zunehmend  stärker  erschien;  es  wurden  daselbst  nur  wenige  Ganglien- 
zellen  im   Canalis   ganglionaris   angetroffen  und  nur   spärliche,    dünne 
Nervenfasern,  bei  vollständigem  Fehlen  des  Oortischen  Organes.    Weiter- 
nach  aufwärts  dagegen,  der  Schneckenspitze  zu,  zeigten  sich  die  Ganglien 
zeUen   in   zunehmender  Anzahl,   die   Nervenstämmchen  nur  etwas  ver- 
schmälert, sonst  normale  Verhältnisse.    Da  nun  die  höchsten  Töne  von 

16* 


222 

der  Sohneckenbasis,  die  tieferen  von  den  oberen  Sk>hneGkenwinduiigen 
aiks  zur  Perception  gelangen,  so  stinunt  dieser  histologische  Befund  mit 
dem  nachweislichen  Ausfall  der  höchsten  Töne  bei  Keeselsoluiiiedmi 
vollst&ndig  überein.  Die  Ursache  dieses  Neryenschwundes  dttrfte  in  der 
besonders  starken  Einwirkung  der  hohen  Töne  bei  Kesselschmiedarbeiten 
sm  suchen  sein,  vielleicht  in  der  besonderen  Empfindlichkeit,  die  unser 
Ohr  gegen  hohe  Töne  aufweist,  derzufolge  die  Einwirkung  eines  starkeat 
Schalles  überhaupt,  ohne  Bücksioht  auf  die  Tonhöhe,  auf  den  basalen 
Teil  der  Schnecke  vorzugsweise  schädlich  einwirken  dürfl;e. 

UBBAHcsoHcrseH  (Wien). 

EüOEK  Dbxhkr.  Die  Physiologie  der  Tonkunst.  Halle  a.  S,  1889 ,  C.  E. 
M.  Pfeffer  (Bobert  Stricker).  Preis  JL  2.40. 
Den  ersten  Teil  dieser  über  100  Seiten  umfassenden  Abhandlung 
durchzieht  als  roter  Faden  die  Aufzählung  der  fundamentalsten  That- 
Sachen  der  Akustik,  z.  B.  der,  „dafs  die  Luftteilchen  in  der  Bichtung 
des  Schallstrahles  (longitudinal)  erzittern'^ ;  dais,  wenn  die  Schwingungs- 
zahl  zu  grofs  oder  zu  klein  ist,  jede  Tonwahmehmung  ,,schweigt^;  dats 
hinreichend  tiefe  Töne  auch  die  Tastnerven  „erzittern  lassen"  u.  s.  w. 
An  diese  Erörterungen  knüpfen  sich  dann  überall  physikalische,  physiolo- 
gische und  psychologische  Auseinandersetzungen.  Von  diesen  sei  nur 
folgendes  erwähnt.  Dr.  bezeichnet  das  „Herausfühlen"  der  Partialtöne 
einer  schwingenden  Saite  als  eine  akustische  Täuschimg  (S.  61).  Die 
Möglichkeit,  durch  Besonatoren  die  Teiltöne  hörbar  zu  machen,  sei  kein 
Beweis  für  ihre  objektive  Existenz,  „da  die  Besonatoren  nichts  weiter 
aussagen  können,  als  dafs  sie  verhältnismäfsig  stark  von  der  sie  treffen- 
den Lufbwelle  erschüttert  werden"  (S.  60).  Auf  die  durch  eine  derartige 
Auffassung  mehr  als  nahegelegte  Frage,  warum  bei  jedem  Klange  nur 
bestimmte  und  nicht  beliebige  Besonatoren  angesprochen  werden,  geht 
Verfasser  nicht  ein.  S.  45 — 47  wird  der,  dem  Beferenten  leider  nicht 
ganz  verständlich  gewordene  Nachweis  geführt,  da£s,  wenn  Grundton 
und  Oktave  zusammenklingen  und  gleichsinnige  Schwingungsrichtung 
am  Anfang  jeder  Sekunde  statthat,  ein  Kombinationston  auftritt,  dessen 
Schwingungszahl  um  1  von  der  Differenz  der  Schwingungszahlen  der 
Primärtöne  verschieden  ist.  Wäre  dieser  Schluüs  richtig,  so  müfsten 
offenbar  unter  den  in  Bede  stehenden  umständen  Schwebungen  hörbar 
werden,  was  aber  bekanntlich  nicht  der  Fall  ist.  —  Der  zweite  Teil  der 
Physiologie  der  Tonkunst  ist  lediglich  ästhetischen  Betrachtungen  gewidmet. 

ScHAEFER  (Jena). 


B.  Katser.  Über  den  Weg  der  Atmungslvft  durch  die  Nase.  Zeitschr. 
f.  Ohrenheilk.,  Bd.  XX  (1889). 
Aus  den  experimentellen  Untersuchungen  Paülsstb  an  Leichen- 
köpfen  ergab  sich,  dafs  der  in  die  Nase  eindringende  Luftstrom  die 
Bichtung  nach  aufwärts  einschlägt,  entlang  dem  Nasendache  verläuft 
und  nach  unten  bogenförmig  abfällt;  der  untere  Nasengang  bleibt  voaoi 
Luftstrom  unberührt. 


223 

Katsxb  stellte  an  Lebenden  Versuche  mit  Einatmung  von  Magnesia- 
pulveor  dturcH  die  Nase  an  und  fand  hierbei  in  Übereinstimmung  mit 
Pauisik  den  unteren  Nasengang  frei  von  Pulver.  Stark  best&ubt  erwies 
sich  das  vordere  Ende  des  Septums,  ca.  IVt  cm  von  der  Nasenspitze  ent- 
fernt, und  ferner  der  vordere  Rand  der  mittleren  Muschel.  Die  Ent- 
fernung der  unteren  Nasenmusehel  ergab  dasselbe  Resultat  betreffs  des 
Pulvemiederachlages.  Bei  stofsweiser  Aspiration  fliegen  die  Pulverkömer 
aahlreicher  als  bei  ruhiger  Atmung  in  die  oberen  Partien  der  Nasenhöhle 
und  liefern  also  die  experimentelle  Erklärung  für  die  beim  Schnüffeln 
stärkere  Geruchswahmehmung,  wobei  übrigens  auch  das  beim  Schnüffeln 
vermehrte  Eindringen  von  Riechstoffen  in  Betracht  kommt.  Verfasser 
hebt  femer  die  Bedeutung  der  bogenförmigen  Luftstromrichtung  in  der 
Nase  für  die  Zurückhaltung  des  Staubes  hervor. 

ÜRBANTSCHITSCH  (Wien). 

A.  G0LD8OHEIDER.  Bin  BewegimgsiiieMer.  BerUner  kUn.  Wochemehr.  1890. 
No.  14. 
Beschreibung  eines  kleinen  Instruments  zur  bequemen  Messung  der 
Bewegungsempfindlichkeit  imserer  GUeder,  sowohl  für  klinische  wie 
normale  Prüfungszwecke.  Eine  gepolsterte  Schiene,  die  auf  das  zu  be- 
wegende Glied  fest  aufgelegt  wird,  trägt  ein  leicht  bewegliches  aber 
schweres  Pendel,  welches  also  bei  Elevationen  des  Gliedes  lotrecht 
hängen  bleibt.  Hinter  dem  Pendel  bewegt  sich  ein  mit  der  aufgelegten 
Schiene  fest  verbtmdener  Kreissektor,  an  dem  die  Elevationswinkel  bis 
au  halben  Graden  abgelesen  werden  können.  Der  Sektor  kann  auch 
senkrecht  zur  Längsrichtung  des  Gliedes  gestellt  werden  und  dient  dann 
zur  Ablesung  der  Gröfse  von  Rotationsbewegungen  des  Gliedes. 

Ebbikohaüs. 

P.  Langlois  et  Ch.  Richet.  De  la  sensibilit^  musculaire  de  la  respiration. 
Bevue  phiha.  1890.  No.  5.  S.  557—559. 
Vorläufige  Versuche,  die  Feinheit  des  sog.  Muskelsinns  bei  Atem- 
bewegungen zu  bestimmen.  Die  Verfasser  lassen  beim  Ausatmen  den 
Druck  einer  Quecksilbersäule  von  verschiedener  Höhe  überwinden  und 
ermitteln,  bei  welcher  Veränderung  dieses  Drucks  die  Widerstands- 
änderung für  das  Bewufstsein  eben  merklich  wird.  Sie  finden,  dafs  dies 
bei  mäfsigen  Druckstärken  bereits  bei  einer  Änderung  von  1  mm  Queck- 
silber der  Fall  ist  und  fügen  zum  richtigen  Verständnis  dieser  Zahl  hin- 
zu, dafs  der  stärkste  überhaupt  überwindbare  Druck  100—120  mm  beträgt. 

Ebbinohaus. 


A.  PiLZBCKEB.    Die  Lehre  von  der  sinnlielien  AnCmerkBamkeit.    CHiUmger 

Inmig,'IH88trt,  1889.  84  S. 

Diese  imter  Leitung  von  G.  E.  Müller  entstandene  Abhandlung 
giebt  eine  Übersicht  über  die  gesamte,  die  Lehre  von  der  sinnlichen 
Außofterksamkeit  betreffende  Litteratur.  Nach  einer  kurzen  Zosammen- 
flteUung  der  Ansichten  dor  älteren  Philosophen  imd  Physiologen  werden 
die  Ausführungen  von  Lotze,  Fechneb,  Ribot,  Wukdt  und  N.  Lavoe  aus- 


224  LUteraturbencht 

fahrlicher  wiedergegeben  und  kritischen  Betrachtungen  unterworfen. 
Femer  wird  die  Theorie  der  willkürlichen  sinnlichen  Aufmerksamkeit 
Yon  G.  £.  Müller  gemäfs  den  modernen  psyohophysischen  Ansichten 
modifiziert  und  weiter  ausgeftlhrt.  Es  wird  unterschieden  zwischen 
einer  qualitativen  Bichtung  der  Aufmerksamkeit,  einer  lokalen  und  einer 
Bichtung  der  Aufmerksamkeit  auf  bestimmte  Intensitäten  der  Sinnes- 
eindrücke. Zum  Schluis  wird  das  Verhalten  der  Aufmerksamkeit  bei 
den  Beaktionsversuchen  erörtert;  insbesondere  wird  gezeigt,  dafs  man 
weder  durch  die  DovDSBSsche  noch  durch  die  WuvDTSche  Methode  die 
reine  Erkennungszeit  erhalten  kann.  Schumavk  (Göttingen). 

J.  Paiteth.  Versnehe  über  den  leitlielien  Verlauf  des  Gedftchtniabildes. 

Mitgeteilt  von  Siom.  Exver.  CmtrcM.  f.  Physiol,  TV,  1890.  S.  81—88. 
P.  prägte  sich  zeitliche  Intervalle  von  Bruchteilen  einer  Sekunde 
bis  zu  mehreren  Sekunden  ein  und  versuchte  diese  nach  einer  gewissen 
Pause  (bis  zu  6  Minuten)  durch  Niederdrücken  einer  Taste  zu  reprodu- 
zieren, um  so  die  abnehmende  Schärfe  des  Gedächtnisbildes  als  Funktion 
der  Zeit  zu  ermitteln.  Es  ergab  sich,  dafs  die  Schärfe  des  Gedächtnis- 
bildes solcher  Zeitintervalle  im  Laufe  von  5  Minuten  nur  um  so  Geringes 
abnimmt,  dafs  die  Abnahme  mit  den  angewandten  Methoden  nicht  sicher 
erkannt  werden  konnte. 

Wie  E.  richtig  hinzufügt,  ist  dieses  scheinbar  überraschende  Be- 
sultat  so  zu  erklären.  Ein  sinnlicher  Eindruck  rein  als  solcher  schwindet 
ziemlich  schnell,  und  wenn  man  ihn  lediglich  passiv  erlebt  hat,  so  ist 
man  nur  wenige  Sekunden  lang  im  stände,  sein  Erinnerungsbild  noch  zu 
reproduzieren.  Hat  man  dem  Eindruck  aber  in  einer  bestimmten  Absicht 
die  Aufmerksamkeit  zugewandt,  so  wird  er  in  Verbindung  mit  bereits 
bestehenden  Erinnerungen  gebracht,  er  wird  gleichsam  an  einer  g^ewissen 
Stelle  des  vorhandenen  Vorstellungsschatzes  eingetragen  und  rubriziert. 
Wir  sind  dann  später  im  stände,  nicht  sowohl  den  Eindruck  als  solchen 
wieder  hervorzurufen,  als  vielmehr  uns  jenes  Ortes  und  jener  Beziehungen 
zu  erinnern,  die  er  in  unserem  Gedächtnisschatz  zugewiesen  bekommen 
hat,  und  hierbei  ist  es  dann  ziemlich  gleichgültig,  ob  das  5  Sekunden 
oder  5  Minuten  nach  dem  Sinneseindruck  geschieht.       Ebbikohaus. 


E.  Mekdbl.  Über  reflektorische  Papillenstarre.  Deutsche  mediz.  Wochen- 
schrift 1889.  No.  47. 
Fällt  Licht  auf  die  Betina,  so  erweitert  sich  die  Pupille.  Es  muls 
also  im  Hirn  ein  Beflexbogen  existieren  vom  Opticus  zum  Oculomotorius. 
Diese  Bahn  wurde  allgemein  so  konstruiert:  Tractus  opticus,  Vierhügel, 
MsTNBBTSche  Fasern,  Sphinkterencentrum  im  Oculomotoriuskem,  Oculo- 
motorius, trotzdem  Versuche  von  Kvoll  imd  von  Guddek  nicht  dafür 
sprechen.  Diese  Forscher  zerstörten  nämlich  die  Vierhügel  und  fanden 
keine  Störung  der  Pupillenreaction. 

Zerstört  man  bei  einem  neugeborenen  Tier  ein  Org^n,  so  bleibt  der 
dieses  Organ  versorgende  Teil  des  centralen  Nervensystems  in  der  Ent- 
Wickelung  zurück.    Auf  Grund  dieser  Erfahrung  wurden  bei  einer  grofsen 


LUteraturbericht  225 

Anzahl  neugeborener  Hunde,  Kaninchen  und  Katzen  bald  nach  der  Ge- 
burt gröüsere  Partien  der  Iris  auf  einer  Seite  entfernt.  Die  Operation 
hatte  nur  bei  wenigen  Tieren  den  gewünschten  Erfolg,  da  bei  der  Mehr- 
zahl das  Auge  zu  gründe  ging.  Die  geeigneten  Tiere  wurden  nach 
mehreren  Monaten  getödtet,  die  Q-ehime  in  lückenlose  Serien  geschnitten. 
Die  Vergleichung  der  beiden  Himh&lften  mufste  nun  Differenzen  ergeben. 
Es  zeigte  sich  eine  geringere  Entwickelung  des  G-anglion  habenulae  auf 
der  operierten  Seite.  Das  Q-anglion  habenulae  ist  eine  Ansammlung  von 
2ellen  in  einem  dreieckigen  Felde  —  trigonum  habenulae  —  welches 
lateral  der  hinteren  Kommissur  anliegt. 

Nach  früheren  rein  anatomischen  Untersuchungen  gehen  Pupillar- 
fasern  in  das  Ganglion  habenulae  und  in  die  Glandula  pinealis.  M.  hält 
nunmehr  ersteres  für  das  reflektorische  Centrum  der  Pupillenbewegung. 
Ein  Teil  der  hinteren  Kommissur  stellt  auch  die  Verbindung  zwischen 
den  beiden  Ganglien  habenulae  dar.  In  dieser  Kommissur  fehlten  an 
der  dem  atropischen  Ganglion  anliegenden  Seite  Fasern.  Dies  deutet 
den  Weg  zum  Sphincterenkem.  Da  der  Oculomotoriuskem  stets  gesund, 
der  GvDDBvsche  Kern  aber  zwei  Mal  erkrankt  gefunden  wurde,  stellt  M. 
die  Beflexbahirso  dar:  Nervus  opticus,  Tractus  opticus,  *  Gunglion  habe- 
nulae derselben  Seite,  hintere  Kommissur,  GuDDZvscher  Kern,  Oculomo- 
torius.  Kroitthal  (Berlin). 

O.  Damsch.  Über  Pnpillennnnüie  (Hippas)  bei  Erkrankungen  des  Central- 
nerrensystems.    Neural.  Centralbl.  1890,  No.  9. 

Kleine  Oscillationen  der  Pupillen  sind  auch  beim  gesunden  Menschen 
zu  beobachten.  Stärkere  Schwankungen  der  Pupillenweite  (Hippus)  hat 
D.  bei  einigen  Erkrankungen  des  Nervensystems  gesehen.  Es  handelt 
sich  also  um  Steigerung  einer  physiologischen  Erscheinung,  die  hervor- 
gerufen sein  kann  durch  abnorm  starke  Beize  oder  eine  übergrolse 
Empfindlichkeit  des  bewegenden  Centrums.  Auch  pathologische  Vor- 
gänge im  Centralnervensystem  können  jenes  Centrum  zu  stark  er- 
regen, wie  es  auch  selbst  erkrankt  zu  starke  Beize  auslösen  kann. 

Kronthal  (Berlin). 


Th  SOBALD  GüNTz.  Die  Q«lflt6HkTftnkh alten.  Gesehildert  für  gebildete 
Laien.  156  S.  Leipzig  1890,  J.  J.  Weber.  Preis  M,  2.—. 
Wie  schon  der  Titel  besagt,  soll,  was  hier  vor  uns  liegt,  kein  Lehr- 
buch der  Psychiatrie  sein,  und  der  Herr  Verfasser  bestätigt  dies  aus- 
drücklich in  der  Einleitung.  Sein  Zweck  ist,  gegen  die  Unkenntnis  und  die 
Vorurteile  der  Laien  anzukämpfen,  die  sofort  und  überall  da  zu  Tage  treten, 
wo  es  sich  um  Geisteskranke  handelt.  Dementsprechend  werden  wir  keine 
wissenschaftliche  Schilderung  der  Geisteskrankheiten  in  all  ihren  Formen 
und  Phasen  zu  erwarten  haben,  sondern  lediglich  eine  Beschreibung  der 
Anfangsstadien,  um  auf  Grund  der  Erkenntnis  der  Ursachen  womöglich 
eine  Verhütung  der  Geisteskrankheit  anzustreben  (S.  4).  Dieses  Programm 
hat  der  Verfasser  mit  unleugbarem  Geschick  ausgeführt.  Überall  hat 
er  das  Ziel  der  Belehrung  und  das  Verständnis  des  Laien  im  Auge,  seine 
Ausführungen  sind  kurz  und  klar  und  frei  von  allem  gelehrten  Beiwerk. 


226 

Die  Schilderung  der  einzelnen  Formen,  so  namentlich  der  Melancholie, 
enthält  bei  aller  Knappheit  ein  treffendes  Bild  der  Erkranknng,  und  gat 
auegewählte  Beispiele  unterstützen  das  Verständnis. 

Man  merkt  es  dem  Buche  an  und  es  kommt  ihm  zu  gute,  dais  sein 
Verfasser  jahrelang  einer  der  gröisten  Privatanstalten  Deutschlands  vor- 
gestanden hat,  und  dafs  er  ein  ebenso  scharfer  wie  durch  und  durch 
praktischer  Beobachter  ist.  Die  eingestreuten  Bemerkungen  tiber  Schüler-^ 
Selbstmord,  Einfluls  der  Presse,  Überbtkrdung  der  Schuljugend  u.  s.  "w. 
sind  vortrefflich,"  und  zumal  wir  Psychiater  von  Fach  haben  alle  Ur* 
Sache,  ihm  ebenso  dankbar  zu  sein  für  das,  was  er  hier  giebt,  als  auch 
fftr  das,  was  er  unterl&fst. 

Gerade  Laien  gegenüber  ist  es  doppelt  geboten,  nur  das  zweifellos 
Feststehende  zu  geben,  und  alle  noch  etwa  strittigen  Gebiete  zu  vermeiden ^ 
wie  es  deren  in  einer  so  jungen  Wissenschaft,  wie  es  die  Psychiatrie 
nun  einmal  ist,  leider  noch  viele  giebt.  Hier  liegt  die  Gefahr  besonders 
nahe,  da£i  derartige,  nicht  von  allen  geteilte  Ansichten,  einseitig  auf- 
gefttüSst  und  zum  Nachteile  des  Einzelnen  wie  der  ganzen  Wissenschi^ 
verwertet  werden,  weshalb  sie  in  einem  für  weitere  Kreise  bestimmteit 
Werke  am  besten  ganz  unberührt  bleiben. 

Aus  einer  gleichen  Erwägung  hätte  auch  das  sogenannte  „moraUsclie 
Irresein*'  ruhig  fortfallen  können,  um  so  mehr,  als  es  schwer  halten 
dürfte,  auf  Grund  der  vorliegenden  Schilderung  zu  einer  Erkenntnis  zu 
gelangen,  weshalb  ein  solcher  „moralisch  Irrer^  ein  Geisteskranker  und 
kein  Verbrecher  sei. 

Die  letzten  Kapitel  „Vorbeugende  Mafsregebi^'  und  „Behandlung'^ 
enthalten  gewissermafsen  die  Nutzanwendung  der  bisherigen  Ausführungen, 
und  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dafs  es  um  die  Geisteskranken  ein 
ganz  Teil  besser  stehen  würde,  wenn  alles  das  auch  gewissenhaft  befolgt 
würde,  was  hier  angeraten  wird. 

Wir  können  daher  das  Buch  allen  denen  auf  das  angelegentlichste 
empfehlen,  die  Veranlassung  haben,  sich  mit  Irren  und  Irrenpflege  be- 
schäftigen  zu  müssen«  ohne  gerade  zünftige  Psychiater  zu  sein. 

Pblman. 

Fr.  Scholz.   Handbuch  der  Irrenheilkonde.  Gr.  8^  VIII  u.  184  S.  Leipzig, 
1890,  E.  H.  Mayer.    Preis  iL  3.60. 
Der  Versuch,  „Kürze  mit  möglichster  Vollständigkeit  zu  verbinden, 
alles  Spekulative  auszuscheiden  und  nur  Thatsachen  zu  bringen",  ist  Sch. 
bei  Abfassung  seines  Handbuches  nicht  mifslungen;   das  nur  184  Seiten 
starke  Bändchen  umfafst  in  fünf  Abschnitten  das  Wesentliche  der  Psy« 
chiatrie  und  läfst  selbst  die  juristischen  Fragen  nicht  unberührt.    Ent>- 
sprechend  der  Bestimmung  des  Buches  für  Ärzte  und  Studierende,  welch« 
die  Psychiatrie  nicht  zur  ihrer  Specialität  erwählt  haben,  hat  Verfasser 
den  fünften  und  letzten  Abschnitt  „Allgemeine  Diagnostik  und  Therapie", 
welcher  räumlich  den  vierten  Teil  des  ganzen  Werkes  ausmacht,  besonders 
eingehend  bearbeitet,   und   das  Kapitel   über   die   psychiatrische  Unter- 
suchung wird  manchem  von  Nutzen  sein  können.    Von  den  andern  Ab- 
schnitten  enthält   der   erste   die   psychischen   Elementarstörungen,    der 
zweite  die  körperlichen  Elementarstörungen   imd  Begleiterscheinungen, 


Litteraturbericht  227 

der  dritte  die  Ursachen  des  Irreseins.  Die  Einteilung  der  Irreseinsformen, 
deren  Besehreibtmg  der  vierte  Abschnitt  gewidmet  ist,  lehnt  sich  an 
T.  Kbaitt-Ebino  niid  an  Mshdbl  an,  und  wenn  sich  auch  über  Einzelnes, 
wie  die  Auffossung  der  melancholischen  Tobsucht,  die  Stellung  der 
sekundftren  Paranoia  Meinungsverschiedenheiten  unter  den  Fachgenossen 
finden  möchten,  so  kann  man  doch  der  Gesamteinteilung  zustimmen  und 
man  muTs  anerkennen,  dafs  Verfasser  dem  Bestreben,  knappe  und  klare 
Bilder  zu  zeichnen,  vollauf  gerecht  geworden  ist.  Es  werden  folgende 
Formen  aufgestellt:  angeborene  oder  in  frühester  Kindheit  erworbene 
Eatwickelungshemmungen  des  Gehirns  (Idiotismus,  Kretinismus,  mora- 
lisches Irresein),  Psychoneurosen  (primärer  Blödsinn,  akute  hallucina- 
torische  Verworrenheit,  Melancholie,  Manie,  Tobsucht,  sekundäre  Schwäche- 
zustände,  Paranoia,  periodisches  Irresein),  Geisteskrankheiten,  die  mit 
centralen  Neurosen  (Epilepsie,  Hysterie,  Hypochondrie,  Chorea)  ver- 
bunden sind,  Vergiftungspsychosen  (alkoholistisches  Irresein,  Morphinis- 
mus, Irresein  durch  Bleivergiftung)  und  schliefslich  organische  Geistes- 
krankheiten (akutes  Delirium,  Irresein  der  Greise,  Paralyse,  luetisches 
Irresein,  traumatisches  Irresein  nebst  Bail-way-spine,  Irresein  bei  der 
multiplen  Sklerose  und  Irresein  bei  Neubildungen  im  Gehirn). 

Jedem,  der  sich  über  den  jetzigen  Stand  der  Irrenheilkunde  in- 
formieren will,  kann  das  klar  geschriebene  und  gut  ausgestattete  Buch 
bestens  empfohlen  werden.  Peretti  (Bonn). 

Th.  Mbynert.     Amentia,   die  Verwirrtheit.    Jährbücher  für   Psychiatrie, 
Bd.  IX.  1890,  S.  1—112. 

Unter  dem  Namen  „Amentia,  die  Verwirrtheit^,  schildert  M.  ein 
Krankheitsbild,  in  welchem  sich  der  Mangel  von  Verbindung  der  Sym- 
ptome untereinander,  der  Mangel'  von  Verbindung  der  äufseren  Wahmeh- 
mongen,  ein  in  weit  auseinanderliegenden  Abstufungen  gänzlicher  oder 
teilweiser  Ausfall  der  Associationsleistung,  der  Koordination  der 
Rindenbilder,  der  Gedankengänge  geltend  macht.  Die  Verwirrtheit,  wie 
sie  aus  diesem  Associationsmangel  resultiert,  wird  am  besten  durch  das 
Wort  Amentia  (Geistesmangel)  ausgedrückt  imd  ist  wohl  zu  unterscheiden 
von  der  Dementia,  dem  Blödsinn,  bei  welchem  trotz  des  Mangels  der 
Associationen  das  BewuTstsein  weniger,  als  bei  der  Verwirrtheit  getrübt 
ist,  und  von  der  Betäubung,  bei  der  die  Wahrnehmungen  herabgesetzt 
sind,  während  der  Verwirrte  die  Wahmehmimgen  hat,  aber  sie  nicht 
versteht.  Neben  dem  Zerfall  der  Associationsanordnung  ist  als  weiteres 
Grundsympton  der  Verwirrtheit  die  Illusion  anzuführen,  welche,  da 
sich  Ausdruck,  Benennung  und  Wahrnehmung  nicht  mehr  decken,  eine 
tiefere  kortikale  Störimg,  als  die  Hallucination  bedingt  und  ihrer  Ahn- 
liohkeit  mit  der  Suggestion  in  der  Hypnose  wegen  als  unbegrenzte 
Selbsteinredung  bezeichnet  werden  kann. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  die  klinischen  Auseinandersetzungen  des 
Verfassers,  welcher  der  Verwirrtheit  eine  Beihe  von  bisher  bei  ver- 
schiedenen anderen  Formen  beschriebenen  Krankheitsbildem  zuweist, 
bis  in  ihre  Einzelheiten  zu  verfolgen,  wenn  schon  für  den  Fachpsychiater 
der  anregenden   und   zweifellos   auch  fruchtbringenden  Gedanken  viele 


228  Litteraim'heri€ht. 

dArin  enth&lten  sind.  Erw&hnt  mag  nur  werden,  dais  VerCaaaer  5  Formen 
der  Amentüi :  1.  zusammengesetzte  Verwirrtheit,  2.  hallncinatorische  oder 
illusorische  Verwirrtheit  durch  die  ganze  Krankheitsdauer,  3.  eine  durch 
Angstgefühle  deprimierte  Verwirrtheit,  4.  eine  rasch  durch  manische 
Stimmung  erregte  Verwirrtheit  und  b,  eine  rasch  in  Stupor  übergehende 
Verwirrtheit  unterscheidet,  dals  die  typischeste  Form,  die  hallucinato- 
rische  Verwirrtheit,  das  Anfangsstadium  der  zusammengesetzten  Amentia 
ist,  in  eine  manische  Form  meistens  mit  Erholung  und  in  eine  stuporOse 
Form  oft  bis  zu  gänzlichem  Aufhören  psychischer  Auiserungen  übergehen 
kann,  dals  das  Delirium  acutum  nicht  als  eine  besondere  Form  von  der 
Verwirrtheit,  deren  tiefsten  Grad  es  vorstellt,  abzuscheiden  ist,  dals  die 
periodische  Verwirrtheit  trotz  mancher  Ähnlichkeiten  nicht  mit  der  Epi- 
lepsie zusammengeworfen  werden  darf,  dals  das  Fieberdelirium  ebenfalls 
eine  Form  der  Amentia  ist,  dals  das  Delirium  tremens  eine  Verwirrtheit 
bei  Alkoholintozikation  und  die  Hundswut  eine  intensive  Form  a^piter 
Amentia  auf  bacillärer  Grundlage  darstellt. 

Fun  den  Psychologen  sind  von  besonderm  Interesse  die  AusftLh- 
rangen  des  Verfassers  über  den  normalen  und  pathologischen  Mechanismus 
der  Hirnrindenfunktionen  und  es  soll  daher  in  folgendem  versucht 
werden,  den  Gedankengang  des  Verfassers  etwas  ausführlicher  dar- 
zulegen. ^--^'; 

Der  anatomische  Mechanismus  des  Vorderhirns  besteht  aus  den 
Bindenzellen,  welche  die  Sinneseindrücke  aufbewahren,  aus  den  Projek- 
tionssystemen, welche  den  Zellen  die  Eindrücke  zuführen  und  die  Be- 
weg^ungsimpulse  von  der  Binde  zur  Muskulatur  leiten,  und  schüelslich 
aus  den  Associationssystemen,  welche  diese  Eindrücke  in  eine,  ihren 
Ablauf  überdauernde  Verbindung  im  Bewuistsein  bringen.  Associiert 
werden  sowohl  alle  Eindrücke,  die  im  räumlichen  Nebeneinander  zu- 
gleich einwirkten,  wie  z.  B.  gleichzeitige  Gehör-  und  Gesichtswahr- 
nehmungen, als  auch  alle  Eindrücke,  die  im  zeitlichen  Nebeneinander 
einwirkten,  wie  z.  B.  nacheinander  gehörte  und  gemerkte  Worte.  Beim 
Kinde  ist  diese  Associationsfähigkeit  ursprünglich  noch  in  einem  unge- 
ordneten Zustande,  die  Verbindungen  entstehen  nach  Zufall,  doch  tritt 
allmählich  eine  Anordnung  der  Associationen  ein,  indem  sich  von  den 
Zufallsverbindungen  nur  diejenigen,  welche  der  GesetzmäTsigkeit  in  der 
Natur  entsprechen,  durch  Wiederholung  befestigen,  während  die  nur 
einmal  entstandenen  und  untauglichen  Verbindungen  wieder  abklingen. 
Der  ungeordnete  Urzustand,  die  genetische  Verwirrtheit,  bestand 
so  lange,  als  die  Bindenverbindungen  ihrer  Intensität  nach  gleichwertig 
waren,  die  Ordnung  in  den  Gedankengängen  beruht  auf  erworbener, 
grölserer  Intensität  der  kortikalen  Verbindungen. 

Alle  Stellen  der  Binde  hängen  durch  die  Association  allseitig  zu- 
sammen; jeder  Associations Vorgang  entsteht  dadurch,  dafs  von  irgend 
einer  Bindenstelle  aus  lebendige  Kraft  auf  die  bei  dem  Vorgange  be- 
teiligten Elemente  übertragen  wird.  Der  Associations  Vorgang  wird 
begleitet  von  einer  funktionellen  Hyperämie,  und  weil  durch  die  Starr- 
heit der  Schädelkapsel  eine  allgemeine  fluxionäre  Hirnschwellung  aus- 
geschlossen ist,  so  kann  ein  Zustand,  in  welchem  alle  Associationen  über 


lAtteraturbericht  229 

der  Schwelle  des  BewuTstseins  d.  h.  alle  mitwirkenden  Elemente  auf 
einer  zulänglichen  Nutritionshöhe  ständen,  nicht  vorkonunen,  eine  aUge- 
meiner  Schlaf  ist  denkbar,  stets  aber  nur  ein  partielles  Wachen  (Feohnkr). 
Gegenstand  unserer  Aufmerksamkeit  ist  nur  der  Teil  der  Associations- 
bildungen,  der  über  der  Schwelle  des  Bewufstseins  steht,  während  die 
Überzahl  derselben  gleichzeitig  im  partiellen  Schlaf  liegt,  ohne  daüs  aber 
deshalb  fOr  letztere  die  Intensität  der  Erregung  gleich  Null  wäre,  denn 
ein  Zuwachs  an  Intensität  hebt  sie  über  die  Schwelle. 

Diese  Intensitätsunterschiede  wird  man  als  Unterschiede  in  der 
Höhe  der  Ernährung  und  die  Associationsverbindungen  als  mit  einem 
chemisch -synthetischen  Prozesse  (daher  Abnahme  der  Phosphoraus- 
Scheidung  während  geistiger  Arbeit,  Wood,  Mbitdsl)  und  mit  einer 
Schwellung  der  Elemente  durch  molekulare  Attraktion  (Virchow)  ver- 
bunden auffassen  müssen.  Es  erklärt  sich  dann  auch,  dafs  die  nicht- 
erregten Elemente,  denen  von  den  erregten  die  nutritive  Gewebsflüssig- 
keit entzogen  wird,  in  ihren  Funktionen  gehemmt  werden. 

Je  intensiver  die  Funktionshöhe  in  irgend  welchen  Verbindungen 
ansteigt,  um  so  tiefer  und  verbreiteter  ist  der  anderweitige  partielle 
Schlaf,  und  ein  intensiv,  z.  B.  mit  der  Lösimg  einer  verwickelten  mathe- 
matischen Gleichung  beschäftigter  Mensch  nimmt  alles,  was  um  ihn 
herum  vorgeht,  mit  sehr  verminderter  Intensität  auf.  Für  gewöhnlich 
sind  im  jeweiligen  Denkvorgange  Haupt-  und  Nebenassociationen 
2EU  unterscheiden;  so  wird  der  bewuiste  Denkprozels  von  unter  der 
Schwelle  des  Bewulstseins  ablaufenden  Nebenvorstellungen  begleitet, 
welche  aber  doch  die  Intensität  haben,  Beweg^ungsvorgänge,  nämlich  die 
Mimik,  auszulösen,  und  auch  die  Reime,  Assonanzen,  Übertragungen  und 
Ähnlichkeiten  von  Klang  und  Sinn,  die  bei  jedem  Worte  leicht  in  das 
Bewuistsein  treten,  sind  solche  Nebenassociationen.  In  dem  geordneten 
Gedankengange  treten^^die  Nebenassociationen  zurück,  derselbe  hat  ein 
Bindenbild  als  Ziel  und  gelangt  zu  diesem  Ziel  durch  Hilfsvorstellungen 
(Angriffsvorstellungen).  Zwischen  den  Rindenherden  der  Angriffs- 
vorstellungen Tind  der  Zielvorstellung  verlaufen  Associationsbündel  mit 

zweiseitiger  Leitungsrichtung,  in  deren  Verlauf  sowohl  von  den  Herden 
des   Ziels,    als    von    denen   des   Angriffs    aus    funktionelle    Attraktion 

sich  geltend  macht,  und  diejenigen  Associationsbündel,  innerhalb  deren 
beim  Denkakt  zwei  Kraftquellen,  die  der  Ziel-  und  die  der  Angriffs  vor 
steUung,  aufeinander  gleichsam  zielen,  erlangen  lebendige  Kraft  zur 
Erhebung  über  die  Bewuistseinssch welle  immer  von  zwei  ideal 
einheitlichen  Rindengebieten  her,  die  Nebenassociationen  aber  nur  von 
einem  dieser  beiden  Gebiete,  dem  der  Ziel-  oder  dem  der  Angriffsvor- 
stellung aus. 

Dieser  geordnete  Gedankengang  ist  nun  bei  der  Verwirrtheit  nicht 
möglich;  der  Inanitionszustand  der  Hirnrinde  lälst  Rindenbilder  von 
der  Stärke,  dafs  sie  sich  im  Ablaufe  einer  langen  und  verwickelten 
Überlegung  noch  im  Bewulüstsein  befinden,  nicht  zu,  und  die  Neben  Vor- 
stellungen werden  deshalb  nicht  gehemmt,  der  Verwirrte  reiht  Reime, 
Assonanzen  und  Wortaufzählungen  aneinander.  Diese  Inanition  der 
Hirnzellen  und  Bahnen  kommt  zum  Teil  durch  Übermüdung  zu  stände. 


230  LUieraimheridU. 

denn  während  Wiederholmig  und  Ausdauer  die  Bindenbilder  verstArkt, 
schwftcht  ÜberbOrdnng  dieselben. 

,4He  Verwirrtheit  ist  eine  Herabsetzung  des  elementaren  £r- 
nfthnings-Ph&noinens  der  geweblichen  Attraktion  im  kortikalen  Organe, 
welche  die  Association  in  weitgreifendem  Zosainmenhange,  die  h<Vher 
koordinierte  Association  in  verschiedenem  (}rade  beeinträchtigt,  so  dafs 
das  Gewebsplasma  einerseits  nicht  mit  für  geordnete  Gedankengänge 
gentkgender  Intensität  chemisch  angezogen  wird,  damit  diese  über  der 
Schwelle  des  Bewnistseins  sich  halten,  und  andererseits  nicht  durch 
diese  Anziehung  in  grofsen  Zusammenhängen  den  aUOrtlich  vorhandenen 
Nebenleitungen  nach  allen  Richtungen  entzogen  wird,  welche  der  Zu- 
sammenhang aller  Rindenstellen  untereinander  in  der  anatomischen  Ein* 
richtung  darbietet,  innerhalb  deren  aber  die  Gewebsattraktion  eine 
Anordnung  gestaltet.  "2 

Die  Verwirrtheit  ist  also  ein  Ausfallssymptom;  das  Auftreten 
von  Hallucinationen  spricht  aber  dafCür,  dafs  gleichzeitig  mit  dem  Herab- 
sinken der  kortikalen  Leistung  die  subkortikalen  Sinnescentren  Reiz- 
erscheinimgen  darbieten.  M.  erklärt  dies  aus  den  anatomischen  Verhält- 
nissen der  Blutgefäfsbahnen.  Peretti  (Bonn). 

Th.  KiBCHBorF.  Gmndrilii  einer  Oeaehichte  der  deuUchen  Irrenpflege. 
192  S.    Berlin  1890,  Hirschwald.    Preis  M.  5.—. 

Unter  diesem  bescheidenen  Titel  bringt  uns  der  Verfasser  eine 
ganze  Fülle  an  interessanten  und  lehrreichen  Thatsachen,  wobei  er  den 
Begriff  der  Irrenpflege  im  weitesten  Sinne  auffafst  und  ihn  auf  das 
Hexen-  und  Dämonenwesen  ausdehnt. 

Das  Buch  gewinnt  dadurch  weit  über  den  Kreis  der  Fachgenossen 
hinaus  an  Wert,  und  die  Untersuchungen  des  Verfassers  über  Einflufs 
und  Ausbreitung  des  Hexenwesens,  sowie  über  die  Stellimg  verschiedener 
grofser  Männer  jener  dunkeln  Zeit  zu  diesen  traurigen  Verirrungen 
Paraobl8ü8,  Weter,  Platter,  Luther  u.  a.  m.)  haben  ein  allgemeines 
Interesse. 

Selbst  ein  so  gewaltiger  Geist,  wie  Luther,  steht  unter  dem  Banne 
des  Aberglaubens  seiner  Zeit,  und  da  man  den  Teufel  überall  vermutete, 
hatte  man  auch  die  Befriedigung,  ihn  oft  zu  finden. 

Ihm  und  seinen  Zeitgenossen  einen  Vorwurf  daraus  zu  machen , 
dafs  sie  Kinder  ihrer  Zeit  gewesen,  wäre  aber  so  thöricht  wie  unvor- 
sichtig. Wir  wissen  zwar,  dafs  bis  in  die  neuere  Zeit  hinein  dogmatische 
Erscheinungen  und  insbesondere  der  Teufelsglauben  eine  eigentliche 
Irrenpflege  unmöglich  machten,  was  wir  aber  nicht  wissen,  oder  in 
unserer  raschlebigen  Zeit  wieder  vergessen  haben,  das  ist,  dafs  uns  von 
diesen  mittelalterlichen  Anschauungen  nur  ein  winzig  kleiner  Zwischen- 
raum trennt,  ja  mehr  noch,  dafs  sie  bis  auf  den  heutigen  Tag  ihre  An- 
hänger und  Verteidiger  finden. 

Hkinroth  und  seine  Schule  (1818)  näherte  sich  wieder  der  Teufels- 
theorie, oder  hatte  sich  vielmehr  nie  davon  entfernt,  Görres  findet  in  seiner 
vielbewunderten  „ckrisüichm  Mystik^  (1842)  den  Ursprung  aller  Krank- 
heiten in  der  Sünde,  und  endlich  hatte  Vilmar   (1856)  den  traurigen  Mut, 


Litteraktrbencht  281 

den  HezengUuben  zu  s^ner  alten  Pracht  und  Herrlichkeit  aufzuwecke  n 
und  den  Teufel  in  seine  persönlichen  Bechte  auf  den  Menschen  wieder 
einzusetzen.  Es  schadet  nichts,  wenn  uns  diese  Thatsachen  von  Zeit  zu 
2eit  vorgehalten  werden,  und  dem  Verfasser  müssen  wir  dafOr  wie  für 
vieles  andere  dankbar  sein,  das  er  uns  in  dem  inhaltreichen  Buche  bietet. 

P.  J.  MöBius.    J.  J.  Bousseans  EruUieitBgescliiehte.  191  S.  Leipzig  1889, 
Vogel.     Preis  M.  4. — . 

MöBivs  hat  uns  in  der  Krankheitegeschichte  J.  J^  Roüssbaus  ein 
wirklich  gutes  Buch  geliefert,  das  jeder  mit  GenuGs  und  Belehrung  z«r 
Hand  nehmen  wird.  Derartige  retrospektive  Untersuchungen  sind  auüser- 
ordentlich  umständlich  und  zeitraubend,  und  je  dickleibigere  Bücher  der 
Jiann  selber  geliefert  hat,  um  dessen  Lebensgeschiehte  es  sich  handelt, 
imd  je  mehr  über  ihn  geschrieben  wurde,  um  so  lunfangreicher  wird  die 
Angabe.  Handelt  es  sich  nun  gar  um  einen  Mann  wie  J.  J.  Rousseau, 
dessen  Namen  zwar  jeder  gelegentlich  im  Munde  führt,  dessen  Werke 
Aber  zur  Zeit  kaum  mehr  in  gleichem  Mafse  gelesen  werden,  dann  gehOrt 
personlicher  Mut  dazu,  seine  Krankheitsgeschichte  zu  schreiben. 

MöBius  hat  diesen  Mut  gehabt  und  er  hat  die  Aufgabe,  die  er  sich 
^^tellt,  in  einer  geradezu  mustergütigen  Weise  gelöst. 

Vor  unsem  Augen  rollt  er  ein  klares  und  scharf  gezeichnetes  Bild 
von  der  Entwickelung  jenes  auXserordentlichen  Mannes  auf,  das  ihn  uns 
Auch  gemütlich  näher  bringt  und  uns  zum  Mitgefühle  zwingt. 

Wir  machen  sein  Ringen  und  sein  Kämpfen  mit  ihm  durch,  wir 
empfinden  seine  köi^erüchen  und  seelischen  Leiden,  und  wir  treten  ihm 
auf  diese  Weise  menschlich  näher,  ja  wir  gewinnen  ihn  trotz  seiner 
Schrullen  und  seiner  uns  sonst  nicht  ganz  verständlichen  Absonderlich- 
jLeiten  wirklich  lieb. 

MöBius  erreicht  diese  echt  künstlerische  Wirkung  durch  die  ein- 
fachsten Mittel  der  Darstellung,  indem  er  seinen  Kranken  meist  selber 
reden  läfst  und  nur  selten  mit  seiner  eigenen  Anschauung  an  den  Leser 
lierantritt. 

Wenn  wir  so  die  zahllosen  Enttäuschungen  und  Kränkungen 
BovssBAüs  gleichsam  mitdurchleben,  so  treten  wir  mitten  in  das  Ver- 
ständnis seiner  geistigen  Störung  hinein,  wir  empfinden  sie  als  eine  ein- 
fache logische  Folge  jener  Schädlichkeiten,  und  auch  hierin  zeigt  sich 
die  Kirnst  des  Darstellers,  daSa  er  es  vielfach  fraglich  erscheinen  läfst, 
ivas  in  den  Beeinträchtigungsideen  Roüssbaüs  als  Wahn  und  was  als 
Wirklichkeit  anzusehen  ist. 

Seit  1766  war  R.  um^eifelhafb  geistesgestört  und  er  blieb  es  bis  zu 
seinem  Tode  1778. 

In  diesen  langen  Jahren  gab  es  allerdings  bessere  Zeiten,  und  oft 
hatte  es  den  Anschein,  als  sei  er  ganz  von  seiner  Krankheit  frei,  im 
Grunde  aber  wucherte  sie  weiter  und  entwickelte  sich  nach  und  nach  zu 
einem  ausgebildeten  Wahnsystem.  Überall  witterte  er  Verfolgung  und 
Gefahr,  die  Wände  und  Fufsböden  seiner  Wohnung  waren  in  passender 
Weise  eingerichtet,  um  ihn  mit  Spionen  zu  umgeben,  und  nirgends  hält 
er  es  mehr  aus,  bis  er  endlich  seiner  eigenen  Frau  nicht  mehr  traut  und 


232  lAtteraiwrbericht 

ruhelos  yon  seinem  Wahne  von  Stadt  zu  Stadt,  von  Land  zu  Land  ge- 
trieben wird. 

Und  trotz  alledem  bleibt  er  ein  grofser  Geist. 
Der  Ausspruch  GaiMifs  über  ihn  und  seine  „Gespräche",  „Ohne 
Zweifel  war  B.  verrückt,  als  er  das  Werk  ver&rste,  aber  es  scheint  nicht 
weniger  gewifs,  dals  R.  der  einzige  Mensch  auf  der  Welt  war,  der  es 
schreiben  konnte,"  enthält  die  Anerkennung  seines  erbittertsten  Gegners, 
der  wir  nur  zustimmen  können. 

Die  ungewöhnlich  hohe  Intelligenz  B.'s  ermächtigt  ihn  trotz  seiner 
Geistesstörung  zu  so  wunderbaren  Leistungen,  wie  wir  sie  in  seinen 
„Bekenntnissen"  vor  uns  sehen,  während  die  Gröfse  seines  Charakters 
ihn  vor  jeder  niedrigen  Handltmgs-  und  Denkweise  bewahrte. 

Für  uns  Psychiater  ist  diese  „Krankheitsgeschichte"  von  besonderem 
Interesse,  xmd  zwar  nicht  nur  dem  Inhalte,  sondern  auch  der  Form  nach. 
Sie  lehrt  uns  unter  anderem,  was  wir  allzu  leicht  vergessen,  dafs 
die  Geistesstörung  unter  Umständen  die  Persönlichkeit  wohl  beeinträch- 
tigen, aber  nicht  von  Grund  aus  verändern,  und  ein  wahrhaft  grofser 
Mensch  auch  noch  in  seiner  Erkrankung  grofs  bleiben  kann. 

Pklkan. 
A.  Spbenoer.    Mohammed  und  der  Koran.    Eine  psychologische  Studie. 
Sammhmg  gemeinverst  wissenschaftl  Vorträge.   Heft  84/85.  74  S.   Hamburg 
1889,  Verlagsanstalt.    Preis  M.  1.20. 
Mohammed  und  der  Koran  betitelt  sich  eine  Arbeit,  die  in  der 
Sammlung  gemeinverständlicher  wissenschaftlicher  Vorträge  von  Vibchow 
und  HoLTZEHDORFF  erschienen  ist  (Heft  84/85),   xmd  Herrn  A.  Sprenger  in 
Heidelberg  zum  Verfasser  hat.    Durch   den  Zusatz  „eine  psychologische 
Studie"  soll  doch  wohl  die  Art  der  Auffassung  angedeutet  werden.   Nun 
wird  man  aber  bei  aller  Aufmerksamkeit  von  einer  psychologischen  Auf- 
fassung herzlich  wenig  finden,   und  wer  ohne  anderweitige  Belehrung 
über  Mohammed  und  den  Koran  seine  Kenntnisse  lediglich  aus  der  vor- 
liegenden Studie  schöpfen  will,  wird  schwerlich  seine  Bechnung  finden. 
Offenbar  kommt  Mohammed  hier  gar  zu  schlecht  weg,  und  eine  psycho- 
logische Entwickelung  seiner  Eigenart  und  seines  Werkes   wird  kaum 
versucht.      Den   Propheten   einfach    mit   der   Diagnose    des   „religiösen 
Wahnsinnes"  abzuthun,  scheint  mir  bei  einem  Manne  von  der  Bedeutung 
Mohammeds  doch  etwas  gewagt  zu  sein. 

Gewifs  ist  vieles  in  dem  Leben  des  Propheten  recht  bedenklicher 
Natur,  und  es  wäre  eine  ebenso  dankenswerte  wie  schwierige  Aufgabe, 
seine  psychologische  Entwickelungsgeschichte  zu  schreiben. 

Ein  Geisteskranker  in  unserem  Sinne  war  er  sicherlich  ebensowenig, 
wie  ein  gewöhnlicher  Betrüger,  obwohl  er  zeitweilig  den  Tribut  ent- 
richten mufste,  ohne  den  nun  einmal  kein  Prophet  durchkommt,  wenn 
er  sich  über  Wasser  halten  will. 

Wenn  der  Koran  reich  an  Widersprüchen  ist,  so  erklärt  sich  dies 
aus  der  Art  seiner  Entstehung,  indem  er  alle  Ereignisse  aus  dem  Leben 
des  Propheten,  die  grofsen  sowohl  wie  die  kleinen,  in  augenblicklichen 
Momentbildem  wiederspiegelt,  und  uns  so  eine  getreue  Kunde  von  der 
jeweiligen  Gemütsstimmung  Mohammeds  gibt.    Seine  Dogmen  wurzeln  in 


lAtteraturbericht.  233 

mystischen  Grundan schaumigen,  die  ihm  die  Kraft  verleihen,  und  seine 
Begeisterung  schöpft  er  aus  dem  direkten  Verkehre  mit  seinem  Gotte, 
der  sich  ihm  offenbart.  Daher  die  wirkliche  Begeisterung  fQr  den  reinen 
Glauben,  die  ihn  wenigstens  zur  Zeit  seines  Aufenthaltes  in  Mekka  be- 
herrschte und  die  seiner  Sprache  den  poetischen  Schwung  und  die  Kraft 
verlieh. 

Späterhin,  in  Medina,  trat  eine  andre  Aufgabe  an  ihn  heran.  Er 
war  nicht  mehr  blofs  der  Bote  Allahs,  der  den  reinen  Glauben  verkündet, 
er  war  auch  Gesetzgeber,  Krieger  und  Politiker  geworden,  und  der  Koran 
wird  zum  Gesetzbuch,  die  poetische  Sprache  der  ersten  Periode  wird  zur 
praktischen  Prosa,  die  kurze  Sure  zur  längeren  Verordnung. 

Dafs  damit  auch  die  Begeistenmg  mehr  und  mehr  nachlieis,  die  ihn 
während  der  Zeit  des  Bingens  getragen,  ist  erklärlich,  deshalb  aber  die 
Überzeugung,  er  sei  ein  Bote  Allahs,  fCLr  die  Wahnidee  eines  Verrückten 
zu  erklären,  der  nach  einer  vierjährigen  Krankheit  genesen  sei,  scheint 
mir  doch  etwas  bedenklich. 

Von  den  krampfartigen  Anfällen  wissen  wir  zu  wenig;  auch  in  Be- 
zug auf  sie  möchte  ich  eine  epileptische  Grundlage  ablehnen.  Ekstatische 
Zustände,  das,  was  man  fr&her  „  Verzücktingen ^^  nannte,  sind  bei  christ- 
lichen Heiligen  eine  so  gang  und  gäbe  Erscheinung,  dafs  man  sie 
auch  Mohammed  zu  gute  halten  und  nicht  sofort  als  Epilepsie  zu- 
rechnen sollte. 

um  auf  die  vorliegende  kleine  Schrift  zurückzukommen,  so  kann 
ich  mein  urteil  nur  wiederholen,  dafs  sie  nicht  eigentlich  gehalten,  was 
sie  versprochen,  nämlich  eine  „psychologische  Studie^^  zu  sein. 

Pelman. 


A.  BiACH.    Aristoteles.  Lehre  yon  der  sinnlichen  Erkenntnis  nnd  ihrer 
Abhängigkeit  von  Plato.  Phäos.  Monatsheft.  1890,  Bd.  XXVI.  Heft  5  u.  6. 
Zweck  der  Abhandlung  ist  der  Nachweis,  dafs  Aristoteles'  Lehre 
von  der  sinnlichen  Erkenntnis  in  allen  Hauptpimkten  von  Plato  abhängig 
sei.     Dies  darzulegen,  mag  in  der  gröfseren   nicht  publizirten    Schrift, 
von  der  dieser  Aufsatz  (vgl.  S.  5)  ein  umgearbeiteter  Teil  ist,  versucht 
worden  sein.     Hier  kommt  nach  einer  sehr  summarischen  Vergleichung 
der  allgemeinen  aristotelischen  und  platonischen^  Bestimmungen  über  die 
Empfindung   eigentlich   nur   noch   das    „Gedächtnis^*   ausführlicher    zur 
Sprache.    Denn  der  dritte  Abschnitt  über  die  Phantasie  behandelt  von 
dieser  nur  die  „Erscheinungen,   welche  wir   mit   dem  Worte  Phantasie 
verknüpfen".     Wenn  diese  Gegenüberstellungen  auch  nicht  ohne  Wert 
sind,  so  wird  doch  niemand  behaupten  wollen,  dafs  mit  dem  hier  Gege- 
benen das  unwahrscheinliche  Resultat  erbracht  werden  könne,  „dafs  A. 
auch  in   der  Lehre  von   der  sinnlichen  Erkenntnis,  trotzdem  er   einige 
Punkte  genauer  ausführt,  vollkommen  auf  den  Schultern  Piatos  stehe." 
Hierzu  müfsten    doch   wohl   erstens   die  keineswegs   nur   in  Äufserlich- 
keiten     voneinander   abweichenden    Erklärungen     der    einzelnen   Sinne 
'wissenschaftlich  verglichen  sein  und  vor  allem  müfste  der  Verfasser  sich 
mit   den  fundamentalen  Verschiedenheiten  der  beiderseitigen  psycholo- 


234  Litieraimrberkht 

giflchfln  H«upt0fttz6  »bgefuBden  habtn.  Selbst  wer  der  gleichen  Tendenz 
wie  der  Verfaneor  huldigt,  müikte  es  verlrnngen.  Mir  erBcheint  indessen  die 
gsnse  —  beseichneBderweise  an  BsssAsioir  anknüpüsnde  —  Themssetzmg, 
die  etwas  nach  apologetischer  Tendenz  schmeckt,  nicht  glü<ddich.  Sie  ist 
wohl  avch  Schuld  daran,  dals  der  Verfasser  den  historisch  viel  wichti- 
geren Fragen  nach  dem,  was  wirklich  platonisch  ist  in  den  doch  inuner 
nur  embryonalen  Ansfttaen  zur  aristotelischen  Physiologie,  welche 
sich  bei  Plato  finden,  gar  zu  schnell  aus  dem  Wege  geht. 

Bauvs  (Kiel). 

F.  MiasAOH.  Die  PijGhelocie  d.  Firm.  Laetaaüiui.  E.  BeUr.  «.  OtKk.  d. 
P^ehol  80  S.  Halle  1889,  Pfeffer.  Preis  A  IM, 
Als  Beitrag  zur  Kenntnis  des  eigenartigen  Yerarbeitungsprozesses, 
den  die  antiken  Philoeopheme  in  dem  jungen  Christentum  erfuhren,  ist 
diese  Darstellung  der  Anschauungen  des  zum  Christentum  übergetretenen 
Bhetors  Lactanz  (uln  300  n.  Chr.)  Aber  die  menschliche  Seele  von  kultur- 
historischem Interesse.  VerfiMser  ftthrt  die  Aufstellungen  desselben  zu 
den  bekannten  Schulthematen:  Bealit&t,  Substanz,  Fortdauer,  Sitz  der 
Seele  u.  a.  vor  imd  fEifst  den  Standpunkt  des  L.  dahin  zusammen,  dafe 
er  die  Lehren  der  Alten,  insbesondere  der  Stoiker,  soweit  gelten  Iftlst, 
als  sie  nicht  der  „neuen  Überzeugung  von  dem  Werte  der  Einzelseele'' 
widersprechen,  sonst  aber  dieser  entsprechend  umgestaltet.  Das  daraus 
entstehende  Gemisch  der  Aufstellimgen  des  L.  gehört  mehr  in  eine  Ge- 
schichte der  Dogmen  als  der  Psychologie.  Denn  die  bei  den  Alten  vor- 
handenen Anfinge  zu  einer  unvoreingenommenen,  lediglich  vom  Wissens- 
interesse geleiteten,  Beobachtung  der  seelischen  Vorg&nge  verlassend, 
läitst  L.  seine  Lehren  durchweg  von  aufserwissenschaftlichen,  auf  dem 
Boden  des  Glaubens  und  der  sittlichen  Begeisterung  gewachsenen  Vor- 
überzeugungen beherrschen.  Sie  kOnnen  also  dem  Psychologen  höchstens 
als  lebhafte  Veranschaulichung  derjenigen  Faktoren  dienen,  welche  jahr- 
hundertelang der  Ausbildung  einer  wissenschaftlichen  Erkenntnis  der 
Bewuüstseinserscheinungen  im  Wege  gestanden  haben. 

LiKPMAinr  (Berlin). 


über  das  Erkennen  der  Schallrichtung. 

Von 

Professor  J.  v.  Kries. 

Die  Frage,  auf  welchen  physiologischen  Vorgängen  das 
Erkennen  der  Schallrichtung  beruhe,  war  bekannÜich  bis  vor 
kurzem  durchaus  kontrovers.  In  neuester  Zeit  ist  durch  Prbyer^ 
auf  Grrund  umfassender  Versuche  die  schon  früher  gelegentlich 
erwähnte  Hypothese  aufgestellt  worden,  dafs  je  nach  dem  Ort 
der  Schallquelle  verschiedene  Beizungen  der  halbzirkelförmigen 
Kanäle  hierbei  ins  Spiel  kommen;  es  hat  dann  auf  G-rund 
eigner  Versuche  auch  Münsterberg*  dieser  Annahme  (im  Spe- 
ciellen  zwar  unter  wesentlicher  Abweichung  von  Preyers  Vor- 
stellungen) sich  angeschlossen.  Es  sei  gestattet,  an  dieser 
Stelle  einige  Bemerkungen  über  die  interessante  Frage  vorzu- 
bringen und  über  einige  einschlägige  Versuche  kurz  zu  berichten. 

Betrachten  wir  zunächst,  was  auf  Grund  der  älteren  An- 
nahmen über  die  Funktion  des  Gehörorgans  ohne  Hinzunahme 
der  PBEYBRschen  oder  ähnlicher  Hypothesen  erklärt  werden  kann. 
Wie  bekannt,  wäre  hier  an  erster  Stelle  das  Verhältnis  der 
Schallintensitäten  in  den  beiden  Ohren  zu  erwähnen.  Dafs  ein 
Schall,  der  von  der  rechten  Seite  herkommt,  das  rechte  Ohr 
auTserordentlich  viel  stärker  afßziert  als  das  linke,  ist  theoretisch 
einleuchtend,  auch  experimenteU  leicht  zu  erweisen.  Die  Bechts- 
Links-Lokalisation,  wenn  ich  der  Kürze  halber  diesen  Ausdruck 
gebrauchen  darf,  erscheint  also  im  allgemeinen  hiemach  erklärbar. 
Auch  die  neuerdings  von  Münsterbbro  bekannt  gemachten 
Thatsachen,    welche    sich    aaf   die    Genauigkeit    der   Bechts- 

^  Preyer:  Die  Wahrnehmung  der  Schalhrichtung  mitteis  der  Bogengänge, 
Pf  lüg  er  8  Archw.    Bd.  40.    S.  566. 

'  MüKSTEBBEso:  Beiträge  swr  experimenteüen  Psychologie.   Heft  n. 

Zeitschrift  Ar  Psychologie.  16 


236  «?•  Kries. 

Links-Lokalisation  beziehen,  scheinen  mir  mit  der  Annahme, 
dafs  dabei  das  Intensitätsyerhältnis  im  rechten  nnd  linken 
Ohr  in  Betracht  komme,  nicht  unvereinbar  zu  sein.  Be- 
stimmteres würde  sich  dieserhalb  erst  sagen  lassen,  wenn 
festgestellt  wäre,  wie  sich  für  jedes  Ohr  die  Intensitäten  ver- 
ändern, wenn  die  Schallquelle  z.  B.  in  einem  Horizontalkreise 
um  den  Kopf  herumbewegt  wird.  Es  ist  sehr  fraglich,  ob 
sich  in  dieser  Hinsicht  der  vordere  und  der  hintere  Halbkreis 
genau  gleich  verhalten.  Was  die  absoluten  Werte  jener  Ge- 
nauigkeit anlangt,  so  soll  nach  einer  Berechnung  Lord  Sayleiohs 
die  Abweichung  von  der  Medianebene  schon  bemerkt  werden, 
wenn  der  Unterschied  der  Schallstärke  in  beiden  Ohren  nur  1% 
beträgt.  Dies  erscheint  sehr  auffallend,  wenn  man  bedenkt, 
dafs  nach  allen  Untersuchungen  die  Empfindlichkeit  des  Ohres 
für  Schallintensitäten  nicht  kleinere  Unterschiede  als  10 — 20% 
wahrzunehmen  gestattet.  Indessen  sind  die  Voraussetzungen 
der  BiAYLEiOHschen  Berechnung  wohl  kaum  über  jeden  Zweifel 
erhaben;  aüfserdem  aber  erscheint  wenigstens  denkbar,  dafs 
die  Vergleichung  zweier  gleichzeitig  (rechts  und  links)  zu 
stände  kommenden  Schallempfindungen  genauer  geschieht,  als 
die  zweier  zeitlich  aufeinander  folgenden,  welche  bei  den 
Bestimmungen  der  Unterschiedsempfindlichkeit  allein  in  Be- 
tracht kam. 

Im  Gegensatz  hierzu  könnte  man  nun  glauben,  dafs  ohne 
die  Hinzunahme  neuer  Annahmen  über  die  Funktion  des  Gehör- 
organs eine  Unterscheidung  von  Schallrichtungen  gar  nicht 
erklärt  werden  könne,  welche  in  Bezug  auf  die  Beteiligung 
des  rechten  und  linken  Ohres  übereinstimmen,  so  z.  B.  die 
Unterscheidung  irgend  welcher  in  der  Medianebene  gelegener 
Punkte,  eine  Medianlokalisation,  wie  kurz  gesagt  werden 
mag.  Indessen  ist  die  Meinung  derjenigen  Autoren,  welche 
die  Bechts  -  Links  LokaUsation  in  der  eben  erwähnten  Weise 
durch  das  binaurale  Hören  erklären  wollen,  doch  nicht  dahin 
gegangen,  dafs  eine  Median-Lokalisation  überhaupt  unmöglicli 
sei.  Vielmehr  ist  wohl  als  ein  zweiter  Faktor  immer  die  ja 
zweifellos  vorhandene  Modifikation  der  Qualität  und  nament- 
lich der  Intensität  anerkannt  worden,  welche  der  Schall  erfährt, 
je  nachdem  er  z.  B.  von  hinten  oder  vom  kommt.  Es  würde 
zu  erwarten  sein,  dafs  diese  Lokalisation  nur  dann  stattfinden 
kann,  wenn   der  betreffende   Schall   seiner  Beschaffenheit  nacli 


über  das  Erkennen  der  SchcUlrichtung.  237 

im  voraus  bekannt,  wenn  so  zu  sagen  bereits  erlernt  ist,  wie 
er  von  vom  her  und  wie  er  von  hinten  her  kHngt.  Man  könnte 
vermuten,  dafs  bei  einem  gänzlich  unbekannten  Schall  eine 
Unterscheidung  verschiedener  Pimkte  in  der  Medianebene  im- 
möglich sein  werde,  ähnlich  wie  dies  z.  B.  auch  bezüglich  der 
Entfemungslokalisation  meist  angenommen  wird. 

Wenn  man  die  Möglichkeit  einer  solchen  auf  geringen  und 
schwer  definierbaren  Modifikationen  des  Schalles  beruhenden 
Lokalisation,  ich  will  eine  solche  im  folgenden  als  mittelbare 
Lokalisation  bezeichnen,  mit  in  Betracht  zieht,  so  erscheinen 
die  Versuche  Preybrs  mit  einer  gewissen  Unsicherheit  behaftet ; 
denn  da  stets  derselbe  Schallreiz  angewandt  wurde,  so  waren 
für  eine  solche  mittelbare  Lokalisation  jedenfalls  die  günstig- 
sten Bedingungen  gegeben.  Es  erschien  aus  diesem  Grunde 
von  einigem  Literesse,  die  Versuche  über  Medianlokalisation  des 
Schalles  so  anzustellen,  dafs  von  Versuch  zu  Versuch  die 
Qualität  und  die  Stärke  des  Schalles  in  ganz  unregelmäfsiger 
Weise  gewechselt  wurde,  wodurch,  wie  man  hoffen  durfte,  die 
mittelbare  Lokalisation  ausgeschlossen  oder  doch  wesentlich 
erschwert  werden  würde.  Lisbesondere  empfahl  es  sich,  auch 
die  Entfernung  der  Schallquelle  gleichzeitig  wechseln  zu  lassen, 
da  voraussichtlich  hierdurch  ähnliche  kleine  Variierungen  in  die 
Schallbeschaffenheit  gebracht  werden  konnten.  Eine  Anzahl  von 
Versuchen,  welche  in  dieser  Art  angestellt  wurden,  zeigte  nun 
zwar  sogleich  die  grofse  Unsicherheit  der  Medianlokalisation; 
aber  es  stellte  sich  auch  alsbald  heraus,  mit  welcher  Vorsicht 
die  Resultate  beurteilt  sein  wollen. 

Ich  schicke  der  Besprechung  der  Ergebnisse  einige  Bemer- 
kungen über  die  Technik  der  Versuche  voraus.  Ich  benutzte 
zu  einem  Teil  der  Versuche  den  Knall  eines  Telephons,  durch 
welches  Öffnungs-  oder  Schliefsungs-Induktionsschläge  geschickt 
wurden;  teils  der  Wechsel  zwischen  den  Öffnungs-  und 
Schliefsungsschlägen  (welche  meistens  etwas  verschieden  klin- 
gen), teils  die  Variierung  des  Eollenabstandes  in  dem  Induk- 
tionsapparat gestatteten  hier  eine  unregelmäfsige  Veränderung 
der  Sohallreize.  Femer  verwendete  ich  bei  einigen  Versuchen 
2  Münzen  oder  2  Holzplättchen ,  die  mit  dem  Daumen  und 
Mittelfinger  gegen  einander  gedrückt  und  durch  das  Heraus- 
ziehen des  zwischengeklemmten  Zeigefingers  zusammengeklappt 
werden.  Man  kann  auf  diese  sehr  einfache  Weise  den  Schall  leicht 

16* 


238  ^-  -^'**^- 

innerhalb  gewisser  Grenzen  stärker  und  schwäclier  machen,  wobei 
er    sich   wohl    auch    qualitativ    etwas    ändern    dürfte.     Femer 
konnten   kleine  Pfeifen  benutzt   werden,   welche  mittels   eines 
Gummischlauchs  mit  dem  Munde  angeblasen  wurden ;  mit  der 
Stärke  des  Anblasens  ändert  sich  die  Intensität  des  Tones,  zu- 
gleich auch  die  Beimischung  von  Geräuschen.  In  einigen  Fällen 
benutzte  ich  auch  in  unregelmäfsigem  Wechsel  eine  offene  und 
eine  gedackte  Pfeife  von  gleicher  Tonhöhe,  aber  etwas  verschie- 
dener Klangfarbe,  um  auf  diese  Weise  noch  gröfseren  Wechsel  in 
der  Beschaffenheit  des  Schalles  zu  erzielen.  —  In  edlen  Fällen 
wurde  so  verfahren,  dafs   dieselben   Schallgeber   bald  an  den 
einen,    bald   an    den   anderen   Ort    der  Medianebene   gebracht 
wurden,  niemals  etwa  so,  dafs  an  einer  SteUe  immer  die  einen, 
an  der  andern  die  andern  benutzt  wären,  weil  auf  diese  Weise 
zu  leicht  konstante  Differenzen  der  Schallgeber  die  Lokalisation 
hätten  ermöglichen  können.    Selbstverständlich  wurde  Sorge  ge- 
tragen, dafs  der  dem  Schallgeber  vor  jedem  Versuch  gegebene 
Ort  weder  durch  optische  noch  durch  akustische  Eindrücke  ver- 
raten oder  auch  nur  irgendwie  vermutet  werden  konnte.     Es 
wird   nicht   nötig    sein,    die   zu    diesem   Zweck   erforderlichen 
Yorsichtsmafsregeln  genau  zu  besprechen.  Ich  beschränkte  mich 
in  allen  Fällen  darauf,  sehr  stark  abweichende  Dichtungen  mit- 
einander zu  vergleichen,  weil   es  mir  zunächst  darum  zu  thun 
war   festzustellen,  mit   welcher   Sicherheit  diese   unterschieden 
werden.     Dem  Sinne  der  Versuche  entsprechend,  liefs  ich  aber 
kleine  Variierungen  jeder  einzelnen  Richtung  zu,  wie  sie  von 
selbst  vorkommen,  wenn   dem  Beobachter  aufgegeben  ist  den 
Kopf  still  zu  halten,    aber   eine  besondere   Fixation   desselben 
unterlassen  ist.     Die   Einstellung   der  Schallgeber  geschah  zu- 
meist vermöge  ihrer  Befestigung  genau  an  dem  gleichen  Orte,  in 
manchen  Versuchsreihen  aber  auch  aus  freier  Hand,  so  dafs  auch 
hierdurch   kleine  unregelmälsige  Variierungen  jeder    einzelnen 
Sichtung  hervorgebracht  wurden.^    In  allen  Versuchen  wurden 


^  pRBTEB  giebt  zwar  an,  dais  bei  manchen  Schallriclitungen  (z.  B. 
Hinten-Oben)  eine  kleine  Abweichung  von  der  genauen  Richtung  genüge, 
um  gewisse  Verwechselungen  zu  begünstigen.  Da  indessen  doch  zweifellos 
alle  Dinge,  auf  die  es  hier  ankommen  kann,  in  stetiger  Weise  von  der 
Kichtung  der  Schallquelle  abhängen,  so  kann  für  die  Unterscheidung 
zweier  ganz  verschiedener  Bichtungen  das  Schwanken  jeder  einzelnen 
um  einige  Grrade  wohl  kaum  in  Betracht  kommen. 


über  das  Erkennen  der  Schällrichtung,  289 

nur  2  Schallrichtungen  benutzt,  welche  überdies  dem  Beob- 
achter zum  voraus  bekannt  waren.  Der  Beobachter  wufste 
also  z.  B.,  dafs  der  SchaU  vom  oder  hinten  gegeben  werden 
würde,  und  hatte  nur  anzugeben,  ob  das  eine  oder  das  an- 
dere geschehen  wäre.  Ob  das  Eesultat  richtig  oder  falsch 
war,  wurde  dem  Beobachter,  um  die  Erlernung  der  et- 
waigen verschiedenen  Klänge  zu  erschweren,  niemals  mit- 
geteilt. Der  gröfste  Teil  der  Versuche  wurden  von  mir  und 
meinem  Assistenten  Herrn  Baadbr  gemeinsam  in  der  "Weise 
ausgeführt,  dafs  einer  abwechselnd  als  Beobachter  resp.  als 
Gehülfe  funktionierte. 

Ich  berichte  nunmehr  über  die  Versuche  nach  der  Zeitfolge 
ihrer  Anstellung.  Bei  der  Unterscheidung  von  vorn-oben 
und  hinten-oben  (einfacher  Knall  im  Telephon  ca.  20  cm  über 
Scheitelhöhe  und  20  cm  nach  vom  resp.  nach  hinten  von  der 
ScheiteUinie  entfernt)  wurde  in  der  ersten  Versuchsreihe  vom 
Beobachter  B.  18  mal  richtig  und  17  mal  falsch  geurteilt,  von 
K.  5  mal  richtig  und  1 1  mal  falsch,  während  in  4  Fällen  kein 
Urteü  abgegeben  werden  konnte.  Die  Fortsetzung  der  gleichen 
Versuche  an  mir  selbst  ergab  sich  hier  zunächst  als  nutzlos, 
weil  mit  voller  Begelmäfsigkeit  sowohl  der  vom  als  auch  der 
hinten  erzeugte  Knall  vorn  gehört  wurde.  Die  Ermittelung 
einer  Verhältniszahl  richtiger  oder  falscher  Urteile  hat  unter 
diesen  Umständen  natürlich  keinen  Sinn.  Bei  einer  zweiten 
Versuchsreihe  war  die  Höhe  auf  wenig  über  1  cm  über  Scheitel- 
höhe reduziert  und  die  Entfernung  wechselte,  wurde  jedoch 
so  gewählt,  dafs  die  Kichtung  niemals  mehr  als  45  ®  von  der 
Horizontalen  abwich,  ja  meistens  sich  dieser  sehr  annäherte. 
Das  [Resultat  war  ähnlich.  Beim  Beobachter  B.  25  richtige 
und  14  falsche  Urteile  (in  2  Fällen  kein  Urteil  abgegeben),  bei 
Kr.  18  richtige  und  17  falsche;  einmal  konnte  kein  Urteil  ab- 
gegeben werden.  Auch  hier  wurde  der  von  hinten  kommende 
Schall  in  19  Fällen  16  mal  nach  vorn  und  nur  3  mal  nach 
hinten  verlegt;  der  von  vom  kommende  dagegen  in  18  Fällen 
15  mal  richtig  und  nur  1  mal  falsch  lokaHsiert. 

Man  kann  zweifeln,  ob  bei  Ergebnissen  dieser  Art  eigent- 
lich von  der  Fähigkeit  einer  Medianlokalisation  überhaupt  ge- 
sprochen werden  kann.  Thatsächlich  machte  keiner  der  beiden 
Beobachter  einen  sehr  grofsen  Unterschied  in  der  Auffassung 
des  von  vorn  und  des    von  hinten  kommenden  Schalles;    einer 


240  ^-  Kries. 

lokalisierte  gleickmäfsig  beide  bald  nach  vorn,  bald  nach  hinten, 
der  andere  dagegen  fast  alle  nach  vom. 

Zu  schon  etwas  günstigeren  Resultaten  führten  die  Versuche 
über  die  Unterscheidung  von  oben  und  von  unten  kommender 
Schallreize;  dieselben  wurden  so  angeordnet,  dafs  die  Schallquelle 
in  beiden  Fällen  sich  etwas  nach  vorn  vom  Beobachter  befand. 
Wir  erhielten  bei  Anwendung  einer  Pfeife  von  Beobachter  B. 
18  richtige  und  8  falsche  Urteüe  (in  einem  Falle  kein  Urteil), 
von  Beobachter  Kr.  15  richtige  und  8  falsche  Urteile  (in  zwei 
Fällen  kein  Urteil). 

Auch  eine  Versuchsreihe  über  die  Unterscheidung  von 
hinten  und  oben  kann  hier  angereiht  werden,  bei  welcher  das 
oben  erwähnte  Zusammenklappen  zweier  Münzen  als  Schallreiz 
diente.  Wir  erhielten  bei  Beobachter  B.  10  richtige,  10  falsche 
und  11  halbrichtige,  bei  K.  16  richtige,  6  falsche  und  9  halb- 
richtige Urteüe.  Unter  halbrichtigen  sind  hier  solche  verstanden, 
bei  denen  die  Schallrichtung  um  45^  falsch  wahrgenommen 
wurde,  also  z.  B.  hinten-oben  angegeben,  während  der  Schall 
gerade  von  oben  oder  gerade  von  hinten  kam. 

Die  zunächst  naheliegende  Annahme,  dafs  der  Grund  für 
die  Schwierigkeit  der  Medianlokalisation  in  der  bei  all  diesen 
Versuchen  bestandenen  unregelmäfsigen  Variierung  der  Beize 
zu  suchen  sei,  erwies  sich  indessen  bei  der  Fortsetzung  der 
Versuche  als  nicht  zutreffend.  Es  wurden  vielmehr  in  späteren 
Beihen,  zum  Teil  wohl  infolge  besserer  Einübung,  zum  TeU 
auch,  wie  zu  erwähnen  sein  wird,  durch  die  Anwendung  an- 
derer Beize,  erheblich  bessere  Besultate  erhalten. 

Die  Versuche  über  Höhenlokalisation  (Unterscheidung  von 
vorn-unten  und  vom-oben)  ergaben  zunächst  bei  dem  einen  Beob- 
achter (Bji.)  bei  Anwendung  eines  einfachen  Ejialls  nur  1  falsches 
Urteil  auf  18  richtige  (neben  5  Fällen,  in  denen  kein  Urteil  ab- 
gegeben werden  konnte).  Der  andere  Beobachter  lieferte  bei  dem 
gleichen  Versuche  15  falsche  auf  32  richtige  Urteile  (2  Fälle 
ungewifs),  unterschied  also  wenig  besser  als  in  den  ersten  Fällen. 
Noch  günstigere  Resultate  ergab  ein  späterer  Versuch  an 
mir  selbst,  in  welchem  wegen  gesteigerter  Komplikation  der  Ver- 
suche ein  ungünstigeres  Resultat  hätte  erwartet  werden  können. 
In  Hinblick  nämlich  auf  die  Annahme,  dafs  irgend  welche  leichte 
Modifikation  der  Schallqualität  die  Lokalisation  bedingt,  liefsen 
wir  in  dieser  Reihe  vom  und  hinten  7  verschiedene  Q-eräusche 


über  d€i8  Erkennen  der  SchallrichUmg.  241 

tmregelmäfsig  abwechseln;^  icli  lokalisierte  39  mal  richtig,  4  mal 
falsch  und  war  2  mal  ungewils.    Femer  sei  hier  eine  Versuchs- 
reihe angeführt,  in  welcher  Herr  B.  (bei  Telephonknall)  24  mal 
richtig,  3  mal  falsch  urteüte  und  nur  1  mal  ungewils  war.*   Eine 
Begünstigung  der  Unterscheidung  schien,  namentlich  für  mich, 
dann  einzutreten,   wenn   statt    des   einfachen  Knalls    ein   kurz 
(vielleicht  Va — 1  Sekunde)  dauerndes  knatterndes  Geräusch  an- 
gewandt  wurde.     Dasselbe  wurde  im  Telephon  durch  schnell 
folgende  Öffiiung  und  Schliefsung  des  primären  Stromes   des 
Induktionsapparates  bewirkt.     Da  wir  dies  durch  Aneinander- 
streichen  zweier,  den  primären  Strom  schliefsenden  Drähte  oder 
durch  Drehen  eines  Disjunktors  aus  freier  Hand  bewirkten,  so 
war  das  Geräusch  auch  hier  seinem  Charakter  nach  sehr  unrefi:el- 
mäfsig;    es  wurde  aufserdem  noch  durch  die  Variieruug   des 
Kollenabstandes  modifiziert.     Ich  urteilte   unter  44  Versuchen 
39  mal  richtig,  1  mal  falsch  und  war  4  mal  im  Zweifel,  während 
unmittelbar  zuvor  bei  einer  Versuchsreihe  mit  einfachem  Knall 
unter  43  Versuchen  12  falsche  und  3  halbrichtige  (in  dem  oben 
S.  240  angegebenen  Sinne)  neben  26  richtigen  Urteilen  (2  Fälle 
ungewifs)  gewesen  waren. 

Auch  die  Höhenlokalisation  (Unterscheidung  von  oben  und 
unten,  beide  Orte  wenig  nach  vom  gelegen)  gelang  mir  bei 
der  Anwendung  des  Knattems  besser,  indem  unter  25  Fällen 
22  mal  richtig  geurteilt  wurde. 

Die  Fähigkeit  einer  Medianlokalisation  auch  bei  unregel- 
mäfsiger  Variierung  der  Schallbeschaffenheit  kann  hiemach 
nicht  bezweifelt  werden.  Jedoch  zeigt  sich  dieselbe  in  hohem 
Mafse  von  der  Beschaffenheit  des  gewählten  Schalls,  von  der 
Einübung  und  übrigens  wohl  auch  von  jeweiliger  Disposition 
abhängig.  Gerade  der  zu  den  ersten  Versuchen  gewählte  Tele- 
phonknall scheint  schwerer  zu  lokalisieren  zu  sein,  als  z.  B.  das 
Zusammenschnellen   der  Holzplättchen.     Doch   ist    es    schwer, 


*  Dieselben  waren:  1.  Der  Knall  des  Telephons.  2.  Derselbe  durch 
Bedeckung  des  Schallbechers  mit  einem  Papierblatt  gedämpft.  3.  Des- 
gleichen durch  Bedeckung  mit  einem  Uhrglas  gedämpft.  4.  Zusammen, 
schnellen  zweier  Münzen.  5.  Schlag  mit  einem  Holzstäbchen  auf  eine 
Münze.  6.  Der  Fall  eines  Schrotkorns  in  eine  Porzellanschale.  7.  Ein 
durch  Kratzen  mit  einem  Glasstab  auf  Sandpapier  verursachtes  Geräusch. 

*  Dabei  ist  allerdings  zu  bemerken,  dafs  der  Knall  stets  irrtüm- 
licherweise mehr  oder  weniger  oben  gehört  wurde;  es  wurde  also  immer 
statt  vorn  und  hinten,  vom  oben  und  hinten  oben  angegeben. 


242  V.  Krieg. 

hierüber  bestimmte  Angaben  zu  machen,  weil  auch  andere  Dinge 
von  bedentendem  EinfloTs  sind.  Wir  bemerkten  öfter,  dafs  der 
Beobachter  nach  einer  Reihe  sicherer  und  richtiger  urteile 
unsicher  zu  werden  anfing,  zuweilen  auch  im  Gegenteil  nach 
einer  Anzahl  falscher  Urtefle  eine  annähernd  sichere  Unter- 
scheidung gewonnen  wurde,  als  ob  die  Unterscheidung  im 
Laufe  der  Versuchsreihe  erlernt  worden  wäre. 

Zu  noch  besseren  Ergebnissen  aber,  als  durch  Fortsetzung 
der  Versuche  an  denselben  Beobachtern  gelangten  wir  durch 
Übergang  zu  anderen  Versuchspersonen.  Ich  wurde  zu  der 
Anstellung  der  Versuche  an  einer  gröl'seren  Zahl  von  Personen 
durch  folgende  Erwägung  geführt.  Wer  an  die  Fähigkeit  einer 
auf  besonderen  physiologischen  Hilfsmitteln  beruhenden  SchaU- 
lokalisation  nicht  zu  glauben,  vielmehr  nur  eine  mittelbare  Lo* 
kalisation  anzunehmen  geneigt  ist,  der  wird  immer  behaupten 
können,  es  sei  die  in  den  Versuchen  erzielte  Variierung  der 
Schallreize  keine  zureichende  oder  keine  geeignete  gewesen; 
gewisse  Eigentümlichkeiten,  z.  B.  des  zeitlichen  Verlaufs  oder 
des  Timbres  könnten  doch  wohl,  je  nach  Lage  der  Schallquelle, 
für  alle  Beizarten  sich  in  ähnlicher  Weise  geltend  machen  und 
far  die  wenigen  in  den  Versnoheu  zur  Anwendung  kommenden 
Beize  insgesamt  leicht  erlernt  werden.  Es  lag  im  Binblick  auf 
diesen  Einwand  nahe,  eine  erworbene  Kenntnis  der  Beize  in 
der  Weise  zu  verhindern,  dafs  die  zur  Ausschliefsung  des  Zu- 
falls erforderliche  Häufung  der  Versuche  durch  Heranziehung 
einer  grofsen  Zahl  von  Beobachtern  erreicht,  mit  jedem  einzehien 
aber  nur  ganz  wenige  (5)  Versuche  angestellt  würden.  Ich  expe- 
rimentierte auf  diese  Weise  an  22  Studenten;  es  wurde  stets 
der  durch  Zusammenschnellen  zweier  Holzplättchen  bewirkte 
Knall  (übrigens  auch  in  wechselnder  Intensität  und  Entfernung) 
benutzt,  und  zwar  gerade  hinter  und  gerade  vor  dem  Kopf 
erzeugt.  Bei  den  so  erhaltenen  111  Versuchen  (an  einem  Beob- 
achter wurden  6  ausgeführt)  wurde,  obwohl  stets  im  voraus 
gesagt  war,  dafs  der  Schall  gerade  vorn  oder  gerade  hinten 
sein  würde,  häufig  gerade  nach  oben  oder  auch  nach  hinten- 
oben  oder  vome-oben  lokalisiert;  die  Urteile  zerfallen  also  in 
richtige,  in  solche,  die  um  45^,  um  90^  oder  mehr  als  90®  falsch 
waren,  indem  ich  unter  der  letzten  Kategorie  die  Verwechselung 
z.  B.  von  vorn  mit  hinten  und  mit  hinten-oben  zusammenfafste. 
So  fanden   sich  unter  den   111  Versuchen  47   richtige   Urteile, 


über  das  Erkennen  der  Schaiürichtung.  24S 

um  mehr  als  90®  falsch  waren  23, 
um  90®       „  „       14, 

um  45®       „  «21, 

in  6  Fällen  konnte  der  Ort  nicht  angegeben  werden. 

Dies  [Resultat  kann  im  ganzen  wohl  auch  ein  sehr  un- 
günstiges genannt  werden,  welches  eher  gegen  als  für  das  Vor- 
handensein eines  physiologischen  Hilfsmittels  der  Lokalisation 
sprechen  würde.  Es  war  aber  die  kleine  Zahl  der  an  jeder 
Person  angestellten  Versuche  ausreichend,  um  einige  indi- 
viduelle Eigentümlichkeiten  zu  entdecken,  welche  bedeutungs- 
voller waren,  als  das  Gesamtergebnis.  Unter  den  22  Personen  war 
nur  eine  (stud.  J.),  welche  in  6  Versuchen  hintereinander  stets 
richtig  urteüte.  Ich  setzte  die  Versuche  mit  diesem  Beobachter 
fort  und  erhielt  bei  der  Unterscheidung  von  vom  und  hinten 
in  30  Fällen  29  richtige  Urteile,  während  der  Beobachter  in  1  Fall 
ungewifs  war.  Ich  stellte  sodann  32  Versuche  mit  demselben 
Beobachter  an,  in  welchen  vom,  oben  und  hinten  wechselte; 
es  wurde  30  mal  richtig  geurteilt,  in  2  Fällen  kein  Urteil  ab- 
gegeben. Als  Beiz  diente  in  diesen  Fällen  ebenfalls  ein  ein- 
facher Knall  (zwei  Holzplättchen),  der  an  Stärke  und  Klang- 
farbe variabel  war,  und  es  wurde  zugleich  die  Entfernung 
beträchtlich  verändU  Bei  dem  hohen  Prozentsatz  richtige! 
Urteile  reicht  die  kleine  Zahl  vollkommen  aus,  um  jede  Täu- 
schung durch  Zufall  auszuschliefsen.  Worauf  aber  die  ent- 
schieden sehr  ungewöhnliche  Sicherheit  im  Erkennen  der  Schall- 
richtungen bei  diesem  Beobachter  zurückzuführen  ist,  weifs  ich 
nicht  anzugeben;  musikalisch  war  derselbe  weder  beajilagt  noch 
ausgebildet. 

Mit  Hecht  hat  Münstbrberq*  darauf  hingewiesen,  dafs  in 
Pretbrs  Versuchen  —  da  jedesmal  angegeben  werden  sollte,  an 
welcher  von  26  bestimmten  Stellen  der  Schall  erzeugt  wäre  —  die 
Aufgabe  des  Beobachters  sehr  schwer  gemacht  ist,  das  Loka- 
Hsationsvermögen  also  unter  relativ  ungünstigen  Bedingungen 
in  Thätigkeit  kommt.  Bei  den  von  uns  angestellten  Versuchen 
ist  dies  in  weit  geringerem  Mafse  der  Fall,  da  es  sich  nicht 
um  die  richtige  Erkennung  einer  von  26,  sondern  nur  einer  von 
2  Schallrichtungen  handelt.  Immerhin  kann  man  sagen,  dafs 
auch  hier  die  gestellte  Aufgabe  nicht   die  einer  Unters chei- 


»  A.  a.  0.  S.  222. 


244  f>.  Rries. 

dang  unter  möglichst  günstigen  Bedingungen ,  sondern  mehr 
die  einer  Bekognition  war.  Es  liefs  sich  erwarten,  dais  die 
Erkennung  eines  Bichtungsunterschiedes  leichter  und  sicherer 
gelingen  werde,  wenn  die  beiden  Schallreize  in  ganz  kurzem 
Intervall  nacheinander  zu  Gehör  gebracht  würden.  Auch  hierbei 
konnte  ihr  Verhalten  bezüglich  Stärke  und  Entfernung  gewechselt 
werden.  In  der  That  fanden  wir  dies.  Indem  ich  je  zwei  Holz- 
plättchen  vor  und  hinter  dem  Kopf  des  Beobachters  B.  zusam- 
menschnellte, mit  einem  Zeitintervall  von  etw  1  Sekunde,  unter- 
schied dieser  die  Beihenfolge  vom-hinten  von  der  entgegen- 
gesetzten in  25  Versuchen  mit  voller  Sicherheit  (ohne  einen 
einzigen  Fehler),  während  vorher  die  Bekognition  der  Einzelreize 
ziemlich  unsicher  gewesen  war.  Dabei  wurde  allerdings  der 
Übergang  von  vom  nach  oben  als  demjenigen  von  vom  nach 
hinten,  ebenso  der  von  oben  nach  hinten  dem  von  vom  nach 
hinten  etc.,  als  gleichsinnig  betrachtet  und  somit  als  richtiges 
Urteü  gerechnet,  wenn  die  Angaben  auch  nur  in  dieser  bedingten 
Weise  der  Wahrheit  entsprachen. 

Die  Wahrnehmung  der  Schallrichtung  ist,  wie  schon  Prbyeb 
mitgeteilt  hat  und  auch  hier  bereits  berührt  wurde,  durchaus 
nicht  blofs  in  dem  Sinne  eine  unsichere,  dafs  etwa  2  Bich- 
tungen,  a  und  h,  verwechselt  und  dabei  ebenso  leicht  a  für  &, 
wie  b  für  a  gehalten  würde.  Es  zeigen  sich  vielmehr  nicht 
selten  konstante  Tendenzen  zu  ganz  bestimmten  Irrtümern. 
Hierfür  haben  auch  unsere  Versuche  zahlreiche  Beispiele  ergeben. 
Die  Tendenz,  den  von  hinten  kommenden  Schall  nach  vom 
zu  verlegen,  war  bei  mir  selbst  in  den  ersten  Versuchsreihen  in 
ausgeprägtester  Weise  vorhanden;  ich  fand  sie  in  gleicher 
Weise  noch  bei  2  andern  Personen.  Die  eine  derselben  (Kp.) 
lokalisierte  den  durch  2  Holzplättchen  bewirkten  Knall  im  Aji- 
fange  einer  ersten  Versuchsreihe  immer  nach  vom  *,  schien  aber 
dann  die  Unterscheidung  einigermafsen  zu  lernen  und  lokali- 
sierte vom  stets  und  hinten  wenigstens  ziemlich  oft  richtig, 
um  die  Einübung  auszuschliefsen,  stellte  ich  mit  Kp.  während 
mehrerer  Tage  täglich  nur  4  Versuche  an,  und  es  wurde  dabei 
durchgängig  sowohl  der  von  vom  als  der  von  hinten  kommende 
Schall   nach   vom    lokalisiert.     Bei   Anstellung    einer    langem 


^  Die  gleiche  Tendenz,  den  von  hinten  kommenden  Schall  nach  vorn 
zu  versetzen,  bestand  hier  auch  für  hohe  Pfeifentöne, 


über  das  Erkennen  der  SchaUrichtung.  245 

Beihe  ergab  sich  dann  wieder  das  erste  Resultat;  zwar  wurde 
keine  hohe  Sicherheit  der  Unterscheidung  gewonnen,  aber  doch 
eine  Anzahl  von  Malen  hinten  richtig  erkannt,  während  vom 
niemals  nach  hinten  verlegt  wurde.  Bei  mir  selbst  hatte  sich 
nach  einer  längeren  Unterbrechung  der  Versuche  das  Verhältnis 
umgekehrt  und  ich  lokalisierte  hinten  fast  durchgängig  richtig, 
vorn  dagegen  meist  gleichfalls  nach  hinten. 

Sehr  häufig  scheinen  aber  auch  die  Irrtümer  bezüglich  der 
Höhe  zu  sein  und  zwar  zunächst  in  dem  Sinne,  dafs  die  in 
Wirklichkeit  mit  dem  Kopf  gleich  hoch  liegende  Schallquelle 
nach  oben  verlegt  wird.  Herr  B.  verlegte  den  Telephonknall, 
obwohl  ihm  bekannt  war,  dafs  er  grade  vor  oder  hinter  dem 
Kopf  hervorgebracht  wurde,  stets  ziemlich  stark  nach  oben, 
unterschied  also  nur  vom  oben  oder  hinten  oben,  statt  vom 
und  hinten,  und  nahm  gelegentlich  den  Schall  auch  grade  oben 
wahr.  Auch  mir  schien  der  Telephonknall  stets  mehr  oder 
weniger  von  oben  zu  kommen.  Bei  uns  beiden  persistierte  diese 
Täuschung,  selbst  wenn  das  Telephon  erheblich  unter  die  Kopf- 
höhe gebracht  wurde.  Beachtenswert  scheint  mir,  dafs  die 
Täuschung  in  weit  geringerem  Q-rade  vorhanden  war,  wenn 
statt  des  Telephonknalls  die  zusammenklappenden  Holzplättchen 
benutzt  wurden,  deren  Knall  im  allgemeinen  lauter  und  schärfer 
klang,  als  der  des  Telephons. 

Von  den  untersuchten  Studenten  lokalisierte  einer  den  Knall 
der  Holzplättchen  von  hinten  stets  richtig,  der  von  vom  kom- 
mende dagegen  wurde  in  allen  FäUen  grade  oben  wahrge- 
nommen. Eine  irrtümliche  Lokalisation  des  Schalles  nach  unten 
habe  ich  dagegen  nie  beobachtet. 

Aus  den  mitgeteilten  Versuchen  läfst  sich,  trotz  der  nu- 
merischen Geringfügigkeit  des  Materials,  zweierlei  ersehen. 
Erstlich,  dafs  eine  nahezu  sichere  Medianlokalisation 
(wenigstens  in  Bezug  auf  die  Unterscheidung  von  vom  und 
hinten)  unter  Umständen  auch  dann  stattfinden  kann, 
wenn  die  Schallreize  von  Versuch  zu  Versuch  ihrer 
Qualität  und  Stärke  nach,  sowie  bezüglich  ihrer  Ent- 
fernung ganz  unregelmäfsig  wechseln.  Zweitens  aber  fallt 
die  aufserordentliche  Unsicherheit,  welche  die  gleiche 
Lokalisation  unter  anderen  Umständen  zeigt,  in  die  Augen. 
Welche  theoretische  Folgenmg  bei  dieser  Sachlage  zu  ziehen 
ist,  das  scheint  mir  nicht  ohne  weiteres  klar.  Wenn  man  nur  eine 


246  t7.  Kries, 

mittelbare  Lokalisation  anztmehinen  geneigt  ist,  wird  man 
doch  schwer  begreiflich  finden  müssen,  dais  diese  bei  beständig 
wechselnder  Schallbeschaffenheit  möglich  ist.  Wenn  man  da- 
gegen mit  Prbtbr  eine  besondere,  der  Lokalisation  dienende 
physiologische  Einrichtung  annimmt,  so  wird  es  zum  mindesten 
auffallend  erscheinen,  dafs  diese  häufig  so  äuiserst  mangelhaft 
funktioniert,  in  vielen  Fällen  die  grade  entgegengesetzten 
Richtungen  verwechselt  werden  und  zwar,  was  vielleicht  beson- 
ders merkwürdig  ist,  Angaben,  die  um  180^  falsch  sind,  mit 
positivster  Sicherheit  ausgesprochen  werden* 

Ohne  eine  Entscheidung  versuchen  zu  wollen,  möchte  ich 
noch  zwei  Thatsachen  anführen,  die  zur  Vorsicht  mahnen.  Für 
die  indirekte  Natur  der  Medianlokalisation  würde  es  offenbar  in 
hohem  Grade  sprechen,  wenn  es  möghch  wäre,  willkürlich  durch 
die  Natur  der  gewählten  Geräusche  oder  Klänge  das  Ergebnis  der 
Lokalisation  zu  bestimmen.  Uns  ist  im  allgemeinen  nichts  der- 
artiges gelungen ;  wir  konnten  z.  B.  nicht  fiüaden,  dafs  etwa  der 
schwächere  Klang  mit  Vorliebe  nach  hinten,  der  stärkere  nach 
vom  verlegt  worden  wäre.  Nur  in  einer  Versuchsreihe  ergab 
sich  mit  einer  gewissen  Kegelmäfsigkeit  ein  derartiges  Resultat. 
Es  wurden  nämlich  bei  den  schon  oben  erwähnten  Versuchen,  in 
denen  eine  gröfsere  Anzahl  verschiedener  Geräusche  in  unregel- 
mäfsigem  Wechsel  verwendet  wurden,  von  Herrn  B.  alle  fast 
durchgängig  richtig  lokalisiert;  nur  eines  wurde  unter  10  FäUen 
9  mal  nach  hinten  versetzt,  obwohl  es  vom  hervorgebracht 
wurde.  Es  möchte  hieraus  doch  zu  schliefsen  sein,  dafs  wenn 
auch  ein  physiologisches  Hülfsmittel  der  Schall-Lokalisation 
existiert,  doch  neben  demselben  auch  Qualität  und  Intensität  des 
Schalles  in  Betracht  kommen,  und  auf  das  Ergebnis  von  Ein- 
flufs  sind,  ähnlich  wie  ja  auch  bei  der  optischen  Entfernungs- 
Lokalisation  sehr  verschiedenartige  umstände  von  Einflufs  sind, 
ohne  dafs  man  im  allgemeinen  sich  bewufst  würde,  worauf  das 
Resultat  beruht.  —  Die  Annahme  aber,  dafs  geringfügige  Diffe- 
renzen der  Schallart  mit  grofser  Feinheit  aufgefafst  werden, 
scheint  eine  gewisse  Stütze  auch  in  den  Thatsachen  zu  finden, 
welche  sich  auf  die  Wahrnehmung  der  Entfernung  einer  Schall- 
quelle beziehen.  Auch  diese  ist  nämlich  weit  vollkommener, 
als  man  erwarten  sollte,  wenn  man  davon  ausgeht,  dafs  sie  auf 
Schlüssen  aus  der  Intensität  und  dem  Timbre  des  Schalles  beruht 
und  dafs  daher  nur   bei  im  voraus  bekanntem  Schallreize  eine 


über  das  Erkennen  der  SchaUrichtung.  247 

richtige  Beurteilung  der  Entfernung  möglich  sei.  Wir  liefsen, 
um  uns  hierüber  zu  orientieren,  den  Knall  des  Telephons  ab- 
wechselnd in  25  und  65  cm  Entfernung  vom  Kopfe  des  Beob- 
achters in  genau  seitlicher  Richtung  erklingen,  dabei  die  In- 
tensität durch  Wechsel  des  Bollenabstandes  unregelmäfsig  vari- 
ieren und  zwar  in  einem  Spielraum,  von  dem  schon  ein  kleiner 
Teil  genügte,  um  die  mit  der  Abstandsänderung  verknüpfte 
Variierung  der  Intensität  zu  kompensieren.  Der  Beobachter 
hatte  in  einer  Beihe  von  Einzelversuchen  jedesmal  angegeben, 
ob  der  Schall  von  der  nahen  oder  von  der  entfernten  Stelle 
kam.  Dabei  wurden  von  B.  in  27  Fällen  24  richtige  und 
3  falsche,  von  K.  in  27  Fällen  23  richtige  und  3  falsche  Urteile 
(in  einem  Falle  kein  Urteil)  abgegeben.  Bei  Versuchen  mit 
2  schnell  aufeinander  folgenden  Knallen  (Holzplättchen),  von 
denen  der  nähere  in  20—40  cm,  der  entferntere  in  100 — 140  cm 
Abstand  gegeben  und  ebenfalls  die  Intensität  stark  geändert 
wurde,  konnte  nicht  minder  die  Reihenfolge  (Nah-Fern  oder 
umgekehrt)  in  allen  Fällen  richtig  erkannt  werden;  keineswegs 
gelang  es  das  Urteü  durch  grofse  Intensität  des  fernen  und 
geringe  des  nahen  Schalles  irrezuführen.  Sollte  man  auch 
hier  einen  physiologischen  Mechanismus  annehmen?  So  viel 
ich  sehe,  würde  die  Ausdehnung  der  Preter  sehen  Hypothese 
auf  die  Entfemungswahmehmung  auf  einige  Schwierigkeit 
stofsen.  Auch  nach  der  Auffassung  Münsterbbrgs  könnten  die 
Hülfsmittel  der  Bichtungswahmehmung  wohl  für  die  Beurteilung 
der  Entfernung  nichts  nützen,  da  der  Bewegungsanstofs  in  beiden 
Fällen  qualitativ  gleich  sein  würde;  auch  könnte  es  nicht  ge- 
nügen, etwa  dem  entfernten  Beiz  der  Auslösung  eines  stärkern 
Bewegungsimpulses  zuzuschreiben,  da  die  Stärke  doch  jedenfalls 
auch  von  der  Schallintensität  abhängig  gedacht  werden  mufs. 
Überdies  mag  daran  erinnert  werden,  in  welcher  Weise  gerade 
bezüglich  der  Entfemungsbeurteüung  die  willkürliche  Herstellung 
gewisser  Schallqualitäten  zu  Täuschungen  führt ;  die  Leistungen 
geschickter  Bauchredner  sind  in  dieser  Hinsicht  sehr  belehrend. 
Wie  dem  nun  auch  sein  mag,  jedenfalls  scheint  mir  die 
Fri^  der  Schalllokalisation  noch  keineswegs  vollständig  klar 
zu  liegen.  Vielleicht  wird  durch  eine  systematische  Vergleiohung 
der  Entfemungs-  und  der  Bichtungswahmehmung  am  ehesten 
eine  weitere  Sicherung,  sei  es  der  einen,  sei  es  der  andern 
Anschaaiung  zu  gewinnen  sein. 


248  V.  Kries. 

Ich  möchte  endlich  noch  auf  eine  eigentümliche  Konse- 
quenz gewisser  Lokalisationstheorien  aufmerksam  machen, 
welche  teils  für  den  vorliegenden  Gegenstand  von  einiger  Be- 
deutung^ teils  wohl  auch  von  allgemeinem  Interesse  ist.  Es 
ist  häufig  angenommen  worden,  dafs  eine  Lokalisation  auf 
irgend  welchen,  die  betreffenden  Empfindungen  regelmäfsig 
begleitenden  Nebenerscheinungen  beruhe,  welche  je  nach  der 
Art  des  Heizes  verschieden  wären.  Das  erste  Beispiel  hierfür 
bietet  wohl  Lotzes  Theorie  der  optischen  Lokalisation,  nach 
welcher  die  Erregung  jeder  Netzhautstelle  einen  Bewegungs- 
impuls erzeugt ;  derselbe  wird  so  beschaffen  gedacht,  dafs  durch 
Ausfuhrung  der  betreffenden  Bewegung  die  Stelle  des  deut- 
lichsten Sehens  an  den  Platz  der  erregten  Netzhautstelle  ge- 
bracht würde.  ^  Dieser  Ansicht  sehr  nahe  steht  die  Anschauung, 
welche  Münterberq  über  den  ßaumsinn  des  Ohres  sich  gebildet 
hat;  nach  ihm  sollen  es  die  durch  ^Reizungen  der  halbzirkel- 
förmigen  Kanäle  reflektorisch  ausgelösten  Impulse  zu  Kopfbe- 
wegungen sein,  auf  denen  die  Lokahsation  der  SchaUempfin- 
dungen  beruht. 

Soviel  ich  nun  sehe,  ist  eine  Theorie,  welche  in  dieser 
Weise  die  Lokalisation  auf  Begleiterscheinungen  der  Em- 
pfindung zurückführt,  nicht  im  stände,  die  gleichzeitige  richtige 
Lokalisation  mehrerer  Empfindungen  zu  erklären,  fuhrt  viel- 
mehr zu  der  Konsequenz,  dafs  eine  solche  unmöglich  sein  müsse. 
In  der  That  denken  wir  uns  die  Empfindung  X  mit  dem  Be- 
wegungsimpuls a,  Y  mit  dem  Bewegungsimpuls  ß  verknüpft ; 
entsteht  nun  X  und  F,  demgemäfs  auch  a  und  ß  gleichzeitig, 
wie  unterscheidet  sich  der  psychische  Effekt  in  diesem 
Fall  von  dem  entgegengesetzten,  dafs  ß  durch  X  und  a  durch 
Y  hervorgerufen  worden  ist?  Ich  vermag  diese  Frage  auf  dem 
Boden  einer  derartigen  Theorie  nicht  zu  beantworten,  wenigstens 
nicht  ohne  ganz  neue  und  wenig  wahrscheinUche  Annahmen 
in  dieselbe  einzuführen.  Mir  scheint  vielmehr  zunächst  als 
Konsequenz  sich  zu  ergeben,  dafs  entweder  die  beiden  Bewe- 
gungsimpulse zu  einem  einheitlichen  von  mittlerer  Beschaffenheit 
verschmelzen  und  sodann  die  beiden  Empfindungen  an  dem- 
selben Ort  lokalisiert  würden,  oder  aber  dafs  beide  unabhängig 
bestehen  bleiben  und  alsdann  beide  Orte  richtig  erkannt  werden, 


*  Lotze:  Medizinische  Psychologie.    S.  353  f. 


über  das  Erkennen  der  Schcillrichiung.  249 

die  Lokalisation  aber  nun  verwechselbar  ist.  Welche  Em- 
pfindungen an  den  einen,  welche  an  den  andern  Ort  zu  ver- 
legen ist,  müfste  zunächst  ungewifs  bleiben  und  könnte  erst 
jedesmal  z.  B.  durch  Bewegungen  festgestellt  werden.  Es  ist 
hinlänglich  bekannt,  dafs  für  das  Auge  die  Sache  sich  nicht 
so  verhält ;  wir  erkennen  ja,  wenn  z.  B.  ein  rotes  und  ein  grünes 
Licht  im  Gesichtsfelde  aufblitzt,  jederzeit  sogleich  den  Ort 
eines  jeden,  und  niemals  kommt  eine  Verwechselung  etwa  derart 
vor,  dafs  man  das  Grüne  unten  und  das  Eote  oben  zu  sehen 
glaubte,  während  es  sich  in  Wirklichkeit  umgekehrt  verhält. 
Mir  ist  aus  diesem  Grunde  die  LoTZEsche  Theorie  der  optischen 
Lokalisation  nie  genügend  erschienen.  Bezüglich  der  Schall- 
okalisation  war  es  indessen  bisher  ungewifs,  wie  die  Thatsachen 
in  dieser  Hinsicht  eigentlich  lägen,  und  es  erschien  deswegen 
von  einigem  Interesse,  Versuche  über  die  gleichzeitige  Lokali- 
sation zweier  Schallreize  anzustellen.  Ich  gestehe,  dafs  ich  mit 
wenig  Vertrauen  an  diese  Versuche  heranging;  denn  zwei  Beob- 
achtungen gewisser  Art  gleichzeitig  zu  machen,  mufs  unter  allen 
Umständen  schwierig  und  im  Ergebnis  unsicherer  sein,  als  eine 
einzelne.  Hiemach  schien  zu  befürchten,  dafs,  selbst  wenn  der 
ganze  Mechanismus  der  Lokalisation  derart  wäre,  dafs  auch  die 
Erkennung  zweier  Richtungen  gleichzeitig  dadurch  nicht  ausge- 
schlossen würde,  doch  praktisch  diese  sich  unausführbar  er- 
weisen möchte.  Ein  negatives  Resultat  hätte  also  in  keiner 
Richtung  etwas  beweisen  können.  Die  Versuche  ergaben  in- 
dessen durchaus  nicht  die  Unmöglichkeit  einer  doppelten  Lo- 
kalisation. Es  mufste  bei  denselben  natürlich  auf  strenge  Gleich- 
zeitigkeit der  zwei  zu  unterscheidenden  Schallreize  geachtet 
werden.  Ich  verfuhr  deswegen  zunächst  so,  dafs  mittels  eines 
Gabelrohrs  und  Gummischläuchen  zwei  Pfeifen  gleichzeitig 
angeblasen  wurden;  klingt  die  eine  zu  laut,  so  kann  man 
leicht  den  zu  ihr  führenden  Schlauch  ein  wenig  zuklemmen 
und  so  die  erforderliche  Gleichheit  der  Stärke  herstellen.  Bläst 
man  nun  die  Pfeifen  in  solcher  Stellung  an,  dafs  die  eine 
rechts,  die  andere  links  von  der  Medianebene  des  Beobachters 
sich  befindet,  so  ist  der  Erfolg  allerdings  zunächst  meist  ver- 
wirrend; es  werden  die  Töne  nach  rechts  und  links  lokalisiert, 
es  scheint  aber  nicht  sicher,  welcher  Ton  rechts  und  welcher 
links  klingt.  Nach  kurzer  Einübung  aber  gelingt  dies  ganz 
gut,  namentlich  wenn  man  die  Töne  von  recht  unglei9her  Höhe 


250  t7.  Kries, 

und  dissonierend  wählt.  Noch  leichter  und  sicherer  fand  ich  die 
Unterscheidung,  wenn  nur  auf  der  einen  Seite  eine  Pfeife  an- 
gewandt, das  andere  Ende  des  Schlauches  aber  stark  verengert 
und  auf  diese  Weise  durch  die  herausströmende  Luft  ein 
zischendes  Geräusch  hervorgebracht  wurde.  Es  wird  alsdann, 
wie  ich  mich  an  mehreren  Beobachtern  in  zahlreichen  Versuchen 
überzeugte,  mit  Leichtigkeit  und  Sicherheit  Ton  und  Geräusch, 
jedes  an  seinem  richtigen  Platz  gehört.  Um  sich  vor  Irrtümern 
zu  schützen,  ist  es  übrigens  notwendig,  bei  den  Versuchen  auch 
Bolche  Fälle  einzuschalten,  in  denen  Geräusch  und  Ton  an  der- 
selben Stelle  gegeben  werden,  da  sonst  der  Verdacht  entstehen 
könnte,  es  würde  nur  eine  der  beiden  SchaUarten,  etwa  als 
stärkere,  richtig  lokalisiert,  und  der  anderen  nur  gemäfs  der  zum 
voraus  bekannten  Einrichtung  der  Versuche  der  entgegengesetzte 
Ort  zugeschrieben.  —  Bezüglich  der  Rechts-Links-Lokali- 
sation ist  also  die  gleichzeitige  richtige  Wahrnehmung 
zweier  verschiedener  Schallrichtungen  in  der  Weise 
möglich,  dafs  jede  Schallart  in  ihrer  wahren  Richtung 
gehört  wird.  Soviel  ich  sehe,  wird  auch  derjenige,  der  die 
Annahmen  Münsterbbrgs  adoptiert,  zur  Erklärung  dieser  Unter- 
scheidungen doch  auf  die  Vergleichung  der  Litensität  jedes 
Schalles   in   den   beiden  Ohren  rekurrieren  müssen. 

Es  ist  nach  jeder  Theorie  begreiflich,  dafs  der  gleiche 
Versuch  bezüglich  der  an  sich  viel  weniger  sicheren  Median- 
lokalisation  weniger  schlagend  ausfällt.  Gleichwohl  findet  man 
auch,  wenn  Ton  hinten  und  Geräusch  vom  erklingt  oder  um- 
gekehrt, wenigstens  im  aUgemeinen  die  Möglichkeit  einer  doppel- 
ten Richtungswahmehmung.  In  einer  mit  Herrn  J.  ausgeführten 
Versuchsreihe  wurden  beide  Schalle  dann  richtig  lokalisiert, 
wenn  sie  beide  vom  oder  beide  hinten  erzeugt  wurden,  ebenso 
auch,  wenn  der  Ton  hinten  und  das  Geräusch  vom  erzeugt 
wurde;  regelmäfsig  wurde  dagegen  falschlich  sowohl  Geräusch 
als  Ton  nach  hinten  verlegt,  wenn  in  Wirklichkeit  nur  das 
erste  hinten,  die  Pfeife  aber  vom  sich  befand.  Die  Lokalisation 
des  Pfeifentones  für  sich  allein  war  zwar  bezüglich  vom  und 
hinten  auch  nicht  ganz  sicher,  doch  wurden  hier  selten  Fehler 
gemacht.  Kein  Zweifel  also,  dafs  das  von  hinten  klingende 
Geräusch  die  Lokalisation  des  vom  erzeugten  Tones  beein- 
trächtigt. Bei  der  entgegengesetzten  Anordnung  aber  wurde 
doch    mit   voller    Sicherheit    der    eine   Schall  nach   vom,    der 


über  das  Erkennen  der  SchciBrichtung,  251 

andere  nach  hinten,  der  Wirklichkeit  entsprechend  verlegt;  die 
Möglichkeit  einer  doppelten  Bichtungswahrnehmung  besteht  also 
jedenfalls  auch,  und  auch  hier  scheint  es  kaum,  dals  die  beiden 
gehörten  Schallarten  sozusagen  ganz  zufallig  in  die  beiden 
wahrgenommenen  Bichtungen  verteilt  würden.  Herr  Baadeb, 
der  bezüglich  der  Medianlokalisation  überhaupt  weniger  sicher 
war,  hörte  meist  die  beiden  Schalle  an  der  gleichen  Stelle  und 
zwar  da,  wo  in  Wirklichkeit  das  Geräusch  war.  Doch  wurden 
nicht  selten  auch  beide  Bichtungen  wahrgenommen,  zuweilen 
jeder  Schall  an  richtiger  Stelle,  zuweilen  auch  vertauscht. 

Die  mitgeteilten  Beobachtungen  prätendieren  natürlich 
durchaus  nicht,  den  Gegenstand  erschöpfend  aufzuklären;  doch 
dürften  sie  genügen  um  zu  zeigen,  dafs  auch  ein  weiteres  Studium 
der  Doppel-Lokalisationen  und  der  dabei  auftretenden  Verwech- 
Belungen  von  einigem  Interesse  und  für  die  Theorie  der  Lokcdi- 
sation  von  Bedeutung  sein  würde. 


ZeitBohrift  fttr  Psychologie. 


17 


Zur  Psychologie  der  Kausalität. 

Von 

Th.  Lipps. 

I.  Einleitung. 
Associationen  und  Associationspsychologie. 

Die  folgende  Untersuchung  will  die  Kausalität  auf  Associa- 
tion, das  Kausalgesetz  auf  das  Associationsgesetz  zurückführen. 
Es  ist  kein  neues  Problem,  um  das  es  sich  dabei  handelt.  Man 
wird  es  darum  begreiflich  finden,  wenn  ich  auch  schon  Gesagtes 
und  Bekanntes  berühre  oder  wiederhole.  Nicht  Bekanntes,  wohl 
aber  schon  Gesagtes  werde  ich  zu  wiederholen  haben,  insofern 
ich  das  Hauptsächlichste  von  dem,  was  ich  hier  vorbringen 
will,  selbst  schon  bei  anderer  Gelegenheit  anzudeuten  versucht 
habe.* 

Eine  allgemeine  Bemerkung  schicke  ich  voraus.  Associa- 
tionen sind  jetzt  Gegenstand  gewohnheitsmäfsigen  Mifstrauens. 
Dies  Milstrauen  bitte  ich  für  einen  Augenblick  ruhen  zu  lassen. 
Die  ganze  Richtung  in  der  Psychologie,  die  man  mit  dem  Namen 
der  Associationspsychologie  beehrt,  hat  mit  Vorurteilen  zu 
kämpfen.  Gewifs  tragen  daran  Associationspsychologen  ihren 
Teil  der  Schuld.  Kecht  unzureiphende ,  vielleicht  kindliche 
Vorstellungen  vom  Wesen  der  Association  und  dem  möglichen 
Sinn  der  Associationspsychologie  mögen  sich  bei  ihnen  finden. 
Dafür  ist  aber  doch  nicht  ohne  weiteres  die  Associationspsycho- 
logie als  solche  verantwortlich  zu  machen. 

So  liegt  es  durchaus  nicht  im  "Wesen  der  Associations- 
psychologie, dafs  sie  „die  Verknüpfungen  der  Vorstellungen 
lediglich  für  mechanische  Wirkungen  ihrer  Elemente  hält". 
Zunächst  hätte    es    einigen  Wert   zu  erfahren,    was    für   einen 

*  Vgl.  meine  „Grundthatsachen  des  SeeUnlebens''  in  den  erkenntnistheo' 
retischen  Kapiteln. 


Zur  Psychologie  der  Kausalität,  253 

Begriff  man  eigentlich  in  der  Psychologie  mit  dem  Worte 
„mechanisch"  verbindet,  oder  worin  dies  „mechanisch"  seinen 
Gegensatz  hat.  Aber  auch  abgesehen  davon  wüTste  ich  für 
mein  Teil  mit  jenem  Satze  wenig  anzufangen.  Das  einheitliche 
Wesen  des  Geistes  oder  der  Seele  —  worin  immer  dieses  Wesen, 
an  sich  betrachtet,  bestehen  mag  —  ist  gewifs  der  letzte  Grund 
und  eigentliche  Träger  alles  seelischen  Geschehens.  Vorstellungen 
sind  nicht  selbständige  Wesen,  die  sich  in  der  Seele  als  ihrem 
„passiven  Schauplatz"  nach  ihren  eigenen  Gesetzen  tummelten, 
sondern  sie  sind  Thätigkeiten,  Erscheinungsweisen  der  Seele 
selbst.  Sie  sind,  was  sie  sind,  soviel  wir  irgend  wissen,  nur  in 
dem  einheitlichen  Zusammenhang  des  seelischen  Lebens.  Sie 
sind  nichts,  blofse^Abstraktionen,  wenn  wir  sie  isolieren  und  aus 
diesem  Zusammenhang  herausreifsen.  Dies  hindert  doch  nicht,  dafs 
die  Psychologie  diese  Isolierung  vollbringen,  d.  h.  die  Vorstellungen 
zunächst  für  sich  betrachten  mufs.  Sie  darf  auch  und  mufs 
den  einzelnen  Vorstellungen  Kräfte  und  Kraftwirkungen  zu- 
schreiben. Sie  weifs  darum  doch,  dafs  diese  Kräfte  und  Kraft- 
wirkungen nichts  sind  aufserhalb  der  Seele  und  ihres  Zusammen- 
hanges.  Sie  sind  die  Kraft  und  Thätigkeit  der  Seele  selbst, 
wie  sie  sich  an  einer  bestimmten  Stelle  des  seelischen  Lebens- 
zusammenhanges oder  in  einer  bestimmten,  nämlich  der  durch 
die  einzelnen  Vorstellungen  bezeichneten  Richtung  offenbart. 
Mit  dieser  Notwendigkeit,  in  der  Betrachtung  zu  isolieren, 
was  in  solcher  Isolierung  nicht  existiert,  steht  die  Psychologie 
ja  auch  nicht  vereinzelt.  Jeder  Wissenschaft,  die  auf  Erkenntnis 
der  Wirklichkeit  gerichtet  ist,  stellt  sich  zunächst  das  Einzelne 
als  solches  dar,  und  jede  sieht  Kräfte  und  Ejraftwirkungen 
zunächst  an  das  Einzelne  gebunden.  Damit  leugnet  sie  doch 
nicht,  dafs  das  Einzelne  nur  als  Moment  in  einem  umfassenderen 
oder  weniger  umfassenden  Zusammenhang  das  zu  leisten  pflegt, 
was  es  leistet.  Und  gewifs  gehört  dann  jedesmal  diesem  Zu- 
sammenhang die  Kraft  oder  Kraftwirkung  in  Wahrheit  an. 
Er  ist  ihr  wahrer  „Träger".  Er  ist  zugleich,  sofern  er  als 
Ganzes  und  nur  als  Ganzes  ihr  Träger  ist,  mit  Eücksicht  auf 
sie  eine  ungeteilte  und  unteilbare  Einheit.  Er  ist  im  Vergleiche 
mit  der  Einzelerscheinung  und  der  an  sie  gebundenen  Krafb. 
und  Kraftwirkung  sachlich  das  Frühere  und  Erste.  Aber  so 
sehr  er  sachlich  das  Erste  ist,  so  gewifs  ist  er  wissenschaftlich 
nicht  das  Erste,  sondern  das  Ziel.    Die  Wissenschaft  sucht  den 

17* 


254  Th,  lApps. 

Zusammenliang  erst  zu  gewinnen,  und  sie  gewinnt  ilin  gewüGs 
nicht  anders  als  auf  Grund  der  Erkenntnis  des  Einzelnen  und 
seiner  Gesetzmäfsigkeit.  In  der  Gesetzmäfsigkeit,  der  das  Ein« 
zelne  unterliegt,  offenbart  sich  eben  der  Zusammenhang  und 
die   das  Einzelne  und  seine  Kraft  tragende  Einheit. 

So  kann  auch  keine  Bede  davon  sein,  dafs  irgendwelche  erst 
für  sich  existierende  Vorstellungen  aus  eigener  Macht  associative 
Beziehungen  knüpften.  So  gewifs  Vorstellungen,  soweit  nämlich 
wir  wissen,  nur  aus  der  Einheit  des  Geistes  heraus  enstehen,  so  ge- 
wifs stehen  sie  von  vornherein  unter  den  Bedingungen  dieser  Ein- 
heit, und  von  dieser  Einheit  giebt  eben  die  Association  Zeugnis. 
Nicht  Vorstellungen  verknüpfen  sich  und  erzeugen  die  Einheit 
des  Geistes,  sondern  die  Einheit  des  Geistes,  die  der  Grund  ist 
ihres  Daseins,  stellt  sich  in  ihrer  Verknüpfung  dar.  Die 
Association  sagt  gar  nichts  anderes,  als  dafs  Vorstellungen 
nicht  selbständig  existieren,  sondern  in  ihrem  Dasein  bedingt 
sind,  dafs  sie  sich  verwirklichen  auf  Grund  von  Zusammen- 
hängen, dafs  sie  in  solchen  Zusammenhängen  ihre  einheitlichen 
Träger  haben.  Diese  Zusammenhänge  oder  ihre  Elemente  sind 
dann  wiederum  bedingt  durch  weitere  Zusammenhänge  und 
haben  darin  ihre  einheitlichen  Träger.  So  erscheint  eben  in 
der  Thatsache  der  Association  jedes  Element  des  seelischen 
Lebens  als  Moment  in  weiteren  und  weiteren  Einheiten  und 
schliefslich  in  der  alles  umfassenden  Einheit  des  Geistes  oder 
der  Persönlichkeit.  Je  unmittelbarer  und  enger  ein  seelisches 
Geschehen  in  den  ganzen  Zusammenhang  des  seelischen  Lebens 
verflochten  ist,  um  so  unmittelbarer  und  vollständiger  bethätigt 
sich  in  ihm  das  ganze  Wesen  des  Geistes,  seine  allgemeine  Natur 
oder  seine  individuelle  Eigenart.  Die  Associationen  sind  der 
Ausdruck  oder  die  unmittelbare  Bethätigung  der  Einheit  des 
Geistes,  also  das  volle  Gegenteil  eines  „Mechanismus*^,  zu  dem 
sich  der  Geist  passiv  verhielte. 

Aber  freilich,  es  scheint  schwer,  dieser  letzteren  Vorstellungs- 
weise zu  entsagen.  Ich  lasse  dahingestellt,  wie  weit  Associa- 
tionspsychologen  an  ihr  hängen.  Gewifs  ist,  dais  manche  ihrer 
Gegner  sich  derselben  schuldig  machen.  Immer  wieder  begegnen 
wir  dem  seltsamen  Begriff  eines  Geistes,  der  sich  zu  seinen 
eigenen  Thätigkeiten  passiv  oder  als  unthätiger  Zuschauer  ver- 
hielte. Man  leugnet  nicht,  sondern  behauptet  die  vorstellende 
„Thätigkeit"  der  Seele.     Zugleich  findet   man   doch  kein  Arg 


Zur  Psychologie  der  Kausalität  255 

darin,  die  Seele  in  dem  gesetzmäfsigen  Zusammenhang  und 
Nacheinander  der  Akte  dieser  Thätigkeit  passiv  oder  unthätig 
sein  zu  lassen.  Als  ob  in  der  Art  des  Zusammenhanges  der 
Akte  eines  thätigen  Wesens  nicht  erst  recht  die  einheitliche 
Natur  des  Wesens  sich  bethätigen  müsse. 

Hält  man  aber  an  jener  sich  selbst  widersprechendjan  Vor- 
stellung fest,  dann  muTs  man  am  Ende  sich  genötigt  sehen,  den 
begangenen  Fehler  nachträglich  wieder  gut  zu  machen.  Zu 
der  „passiven"  Thätigkeit  des  Geistes  gesellt  sich  eine  „Selbst- 
thätigkeit",  zu  der  man  das  Zutrauen  hat,  dafs  sie  nun  endlich 
wirkliche  Thätigkeit  sein  werde.  Vermöge  dieser  Selbstthätig- 
keit  greift  der  Geist  „selbst"  —  der  ja  sonst  am  Ende  ganz 
überflüssig  wäre  —  in  den  psychologischen  Mechanismus  wenig- 
stens nachhelfend  ein.  Die  Vorstellungen  „verknüpfen  sich"; 
der  Geist  verknüpft  sie  durch  seine  „Kategorien"  noch  einmsJ. 
Die  Vorstellungsbewegung  „läuft  ab";  aber  damit  sie  nicht  all- 
zusehr nach  ihren  „eigenen"  Gesetzen  ablaufe,  bestellt  ihr  der 
Geist  einen  Aufseher,  der,  man  weifs  nicht  recht  wie  weit,  die 
Bewegung  zu  „beeinflussen"  oder  zu  „regeln"  vermag.  So  ent- 
steht eine  gröfsere  oder  geringere  Anzahl  von  Kräften,  Ver- 
mögen, Formen,  Funktionen,  durch  die  man  das  geistige  Leben 
verständlich  zu  machen  und  zugleich  die  Ehre  der  Seele  zu  retten 
meint.  Beides  mit  Unrecht.  Jene  zur  Erklärung  postulierten  Fak- 
toren erweisen  sich  bei  genauerer  Prüfung  als  Namenwesen,  die  gar 
nichts  erklären,  und  der  Ehre  der  Seele  entspricht  ohne  Zweifel 
die  Einheit  und  einheitliche  Gesetzmäfsigkeit  in  höherem  Grade, 
als  das  Flickwerk  und  Stückwerk  aus  allerlei  Faktoren,  die  sich 
wechselseitig  ins  Gehege  geraten  und  ihre  Gesetzmäfsigkeit 
korrigierend  ergänzen.  —  Diese  Anschauung  ist  es,  gegen 
welche  die  wahre  Assooiationspsychologie  mit  allen  Kräften 
angeht.  Mit  welchem  Brcchte,  das  soll  hier  an  einem  speciellen 
Punkte  einleuchtend  gemacht  werden. 

n.    Kritisches  über  den  Kausalbegriff. 

unsere  erste  Frage  lautet:  Wessen  sind  wir  uns  bewufst, 
wenn  wir  uns  eines  ursächlichen  Verhältnisses  zwischen  irgend 
einem  A  und  irgend  einem  B  bewufst  zu  sein  behaupten? 
Diese  Frage  hat  zuerst  Hume  mit  Bestimmtheit  gestellt,  ohne 
sie  doch  vollständig  zu  beantworten.    Sie  muTs  aber  vollständig 


256  Th,  lAppa. 

beantwortbar  sein.  Es  handelt  sich  ja  um  einen  Inhalt  des 
Bewufstseins. 

In  mancherlei  Wendungen,  wie  sie  schon  der  gemeine 
Sprachgebrauch  an  die  Hand  giebt,  kann  man  jene  Frage  su  be- 
antworten und  das  Wesen  der  Kausalität  zu  verdeutlichen 
meinen.  Ursache  sei  das,  „wodurch^  ein  Anderes  zu  stände 
komme,  oder  „woraus"  es  „hervorgehe".  Die  Ursache  „bringe" 
die  Wirkung  „hervor"  oder  „erzeuge"  sie.  Wirkung  sei,  wie 
es  der  Name  sage,  nicht  einfach  sich  abspielendes,  sondern  „be- 
wirktes" Geschehen;  Kausalität  sei  „Thätigkeit",  „KraftäuCse- 
rung"  u.  s.  w. 

Diese  Wendungen  haben  nicht  alle  den  gleichen  Sinn,  aber 
sie  sind  alle  gleich  wenig  zur  Verdeutlichung  der  Verursachung 
geeignet.  Das  „Durch",  das  „Hervorgehen",  „Erzeugen"  sagt 
nichts  über  das  Wesen  der  Kausalität,  sondern  fugt  zu  dem 
verursachten  Vorgange  ein  anschauliches  Moment,  das  sich  bei 
ihm  in  speciellen  Fällen  findet,  allgemein  hinzu.  Es  liegt  aber 
einmal  in  unserer  Natur,  dafs  wir  leicht  das  Anschauliche,  das- 
jenige, was  ein  Bild  giebt,  für  verständlich,  ja  schhefsKch  fiir 
selbstverständlich  halten.     Indem  .wir   das  Bild  dann  auch  auf 

9 

Anderes,  zu  dem  es  nicht  pafst,  übertragen,  meinen  wir  weiter- 
hin auch  dies  Andere  uns  verständlich  gemacht  zu  haben. 

Das  anschauliche  Moment  fällt  weg  und  ein  noch  verfüh- 
rerisches tritt  an  die  Stelle,  wenn  wir  die  Ursache  als  das  Be- 
wirkende bezeichnen  oder  die  Begriffe  der  Thätigkeit  und  Kraft 
in  den  Kausalbegriff  hineintragen.  Eine  Bewegung  unseres 
Körpers  erscheint  uns  als  von  uns  „bewirkt"  oder  als  unser 
„Thun",  wenn  sie  nicht  nur  geschieht,  sondern  in  diesem  G-e- 
schehen  unser  Wollen  sich  befriedigt.  Das  beftiedigte  Wollen, 
dieser  Inhalt  unseres  Selbstgefühls,  bildet  den  einzigen,  über 
das  blofse  thatsächliche  Geschehen  hinausgehenden,  erfahrungs- 
gemäfsen  Sinn  der  Worte  Wirkung  oder  Thätigkeit.  In  dieser 
„Wirkung"  oder  „Thätigkeit"  steckt  dann  zugleich  die  „Kraft". 
Kraft  —  ich  rede  nicht  von  dem  wissenschaftlichen,  sondern 
von  dem  gemeinen  Kraffcbegriff  —  kennen  wir  nur  als  Inhalt 
unseres  Kraftgefühls  oder  des  Gefühls  unserer  bei  einer  Leistung 
aufgewandten  Willensanstrengung.  Kraft  in  der  unbeseelten  Welt 
ist  ein  blofses ,  wenn  auch  bei  richtiger  Verwendung  vielleicht 
recht  nützliches  Wort.  Es  liegt  aber  wiederum  in  unserer  Natur 
die  Neigung,  solche  Inhalte  unseres  Selbstgefühls  auf  die  nicht- 


Zur  Psychologie  der  Kausalität  257 

fahlenden  Dingezu  übertragen.  Nichts  ist  uns  geläufiger  als  der 
Zosammenliang  zwischen  unserem  Wollen  und  dem  Geschehen 
an  oder  in  uns.  und  das  Geläufige  scheint  uns  begreiflich, 
keiner  weiteren  Erklärung  bedürftig.  So  meinen  wir  auch  das 
Geschehen  aufser  uns  zu  begreifen,  indem  wir  es  in  einen 
solchen  Zusammenhang  einfügen. 

Die  Täuschung  liegt  auf  der  Hand.  Angenommen,  wir 
hätten  zu  der  Übertragung  ein  Recht,  so  wäre  von  neuem  für 
das  Verständnis  der  Kausalität  gar  nichts  gewonnen.  Die  Frage 
nach  dem  Wesen  des  ursächlichen  Verhältnisses  wäre  nicht  be- 
antwortet, sondern  zurückgeschoben.  Wir  würden  nicht  mehr 
fragen,  worin  besteht  das  „Band""  zwischen  Ursache  und 
Wirkung?  wohl  aber,  wie  ist  das  Band  beschaffen,  das  mit 
dem  in  den  Dingen  sitzenden  Wollen  oder  Streben,  der  in  ihnen 
wohnenden  Kraft  ihre  Wirkung  oder  „Verwirklichung"  verbindet. 

Die  Übertragung  ist  aber  nicht  nur  unberechtigt,  sondern 
sinnlos.  Wie  sie  trotzdem  geschehen  kann,  versteht  man,  wenn 
man  zusieht,  wie  weit  die  Neigung  zu  solchen  Übertragungen 
geht.  Wir  wissen  oder  sollten  wissen  —  und  der  Erkenntnis- 
theoretiker vor  allem  mufs  es  wissen  — ,  dafs  wir  beständig 
die  Inhalte  unseres  Selbstgefühls  in  die  Welt  der  Dinge  hin- 
eintragen. Alle  Schönheit  und  Häfslichkeit  der  Welt  der  Ob- 
jekte, all  unser  positives  und  negatives  Interesse  an  ihr  ist 
durch  solches  Objektivieren  unserer  selbst  oder  Vermenschlichen 
der  Aufsenwelt  bedingt  oder  mitbedingt,  überall  sehen  und 
geniefsen  wir  uns  selbst,  wo  wir  nur  die  Dinge  zu  sehen  und 
zu  geniefsen  meinen.  Es  ist  eines  der  erkenntnistheoretisch 
wichtigsten  Worte,  das  kein  Erkenntnistheoretiker,  sondern 
Goethe  ausgesprochen  hat:  Der  Mensch  begreift  niemals,  wie 
anthropomorphisch  er  ist.  Darum  ist  es  die  Pflicht  des  Er- 
kenntnistheoretikers, und  fast  seine  erste  Pflicht,  ernstUch  mit 
sich  zu  Bäte  zu  gehen,  ob  er  nicht  für  einen  Erkenntnisfaktor, 
am  Ende  gar  für  einen  ersten  und  ursprünglichen  Erkenntnis- 
faktor ausgiebt,  was  nur  der  vermenschlichenden  Einbildungs- 
kraft sein  Dasein  verdankt,  also  durchaus  nicht  der  wissen- 
schaftlichen, sondern  nur  der  ästhetischen  Weltbetrachtung  ange- 
hört. Die  höchste  Stufe  solcher  Vermenschlichung  wird  durch 
die  konkret  persönlich  gedachten  Gebilde  der  Mythologie  reprä- 
sentiert. Diese  sind  aus  unserer  wissenschaftlichen  Betrachtung 
der  Welt  verschwunden.    Ebenso  gut  wie  sie  müssen  aber  auch 


i 
258  Th,  lApps. 

die  nnpersönliclieii  Thätigkeiten,  die  Aktivitäten,  die  ihnen  ent- 
sprechenden Passivitäten,  die  Wirkungen,  die  Kräfte  u.  s.  w. 
aus  unser  Betrachtung  der  Wirklichkeit  weichen.  Ich  sage: 
aus  unserer  Betrachtung,  nicht  aus  unserer  Sprache;  denn  die 
können  wir  nicht  weniger  anthropomorphistisch  machen,  als  sie 
fast  in  jedem  ihrer  Worte  ist.  Man  mufs  aber  den  Kampf 
gegen  diese  zahmere,  darum  nicht  minder  unlogische  Mythologie 
zu  Ende  fuhren  und  ihre  Ausgeburten  bis  in  ihre  letzten  Schlupf- 
winkel verfolgen.  Wer  auf  die  grob  menschlich  gedachten 
Kräfte,  Strebungen  und  dergleichen  verzichtet,  aber  doch 
schliefslich  eine  feinere  Art  der  Vermenschlichung  aufrecht  er- 
hält, steht  auf  einem  Standpunkt  der  Naturbetrachtung,  der  mit 
jenem  konkret  mythologischen  der  Art  nach  völlig  identisch  ist. 
Die  Meinimg,  etwas  den  Inhalten  des  menschlichen  Selbstgefühls 
noch  so  entfernt  Analoges  müsse  den  Dingen  doch  am  Ende  zuge- 
standen werden,  ist  gar  nichts  anderes,  als  das  Bekenntnis,  dafs 
man  sich  nicht  entschüefsen  kann,  mit  seiner  richtigen  Einsicht 
völlig  Ernst  zu  machen.  Der  nach  Abzug  des  spezifisch  Mensch- 
lichen übrig  bleibende  Best  des  Menschlichen  in  den  Dingen  ist 
nur  ein  bei  aller  Bemühung  des  klaren  Denkens  übrig  bleiben- 
der Best  von  Unklarheit,  ein  Stück  Dichtung  an  Stelle  der 
Wahrheit,  ästhetische  Betrachtung  an  Stelle  der  Erkenntnis 
und  Erkenntnistheorie. 

Wir  sind  aber  mit  unserer  Kritik  noch  nicht  zu  Ende.  Noch 
ein  Begriff  bietet  sich  uns  zur  Verdeutlichung  des  Kausal- 
begriffes dar,  nämlich  der  Begriff  des  Gesetzes.  Ein  Geschehen 
verursacht  ein  anderes,  d.  h.  sie  folgen  sich  nach  einem  Gesetz. 
Aber  was  heifst  dies?  Das  Gesetz  ist  zunächst  der  Geltung  for- 
dernde und  sich  Geltung  verschaffende  Wille.  Meint  man  das  Ge- 
setz in  diesem  Sinne  ?  Dann  wäre  von  neuem  die  Frage  nach  dem 
Wesen  der  Kausalität  nicht  beantwortet,  sondern  zurückge- 
schoben. Wir  würden  fragen,  welches  ist  das  kausale  Band, 
das  das  Gesetz  mit  seiner  Verwirklichung  verbindet.  In  der 
That  ist  unser  wissenschaftlicher  Begriff  des  Naturgesetzes  nicht 
so  beschaffen.  Das  Gesetz  ist  die  Abstraktion  von  einer  be- 
stimmten Art  des  Geschehens  selbst,  oder  aber  es  ist  das  Gesetz 
unseres  Denkens. 

Worin  nun  besteht  die  Art  des  Geschehens,  von  der  das 
Gesetz  eine  Abstraktion  sein  könnte?  Man  sagt,  sie  bestehe  in. 
der  Notwendigkeit  des  Geschehens.    Das  Band,  das  die  Wirkung 


Zur  PsycMlogie  der  Kausalität  259 

an  die  Ursache  binde,  sei  das  Band  „realer"  oder  „objektiver" 
Notwendigkeit.  Jetzt  bestellt  die  Pflicht,  den  erfahrongsge- 
mäfsen  Sinn  des  Wortes  Notwendigkeit  festzustellen.  Die  Er- 
kenntnistheorie hat  nicht  das  Kecht,  ein  solches  Wort  auch 
nur  in  den  Mund  zu  nehmen,  ehe  sie  dieser  Pflicht  genügt 
hat.  Das  Ergebnis  ist,  dafs  wir  eine  neue  Art  von  Anthropo- 
morphismus  entdecken.  Nicht  die  Ursache,  sondern  die  Wirkung 
ist  jetzt  das  Vermenschlichte.  Die  kraftbegabte,  strebende, 
thätige  Ursache  zusammen  mit  der  notwendigen  Wirkung,  darin 
schliefst  sich  das  System  von  Anthropomorphismen  konsequent 
in  sich  zusammen. 

Zwei  Menschen  sehen  denselben  dritten  sehr  krank.  Der 
eine  sagt:  er  wird  sterben;  der  andere:  er  mufs  sterben.  Was 
macht  den  Unterschied  jenes  Sterbens  und  dieses  Sterben- 
müssen s?  Was  unterscheidet  überhaupt  das  thatsächliche  Ge- 
schehen von  dem  notwendigen?  Wenn  es  dasselbe  Geschehen 
ist,  ganz  gewifs  nichts.  Jene  Beiden  wollen  denn  auch  nicht 
einen  objektiv  verschiedenen  Vorgang  ankündigen.  Der  Unter- 
schied besteht  ausschliefslich  darin,  dafs  der  eine  sich  bescheidet, 
ihn  anzukündigen,  während  der  andere  zugleich  andeutet,  dafs 
er  Gründe  habe,  die  ihn  nötigen,  an  den  Vorgang  zu  glauben. 

Wie  der  Inhalt  des  Begriffes  der  Thätigkeit,  des  Strebens, 
der  Kraft,  so  finden  wir  auch,  was  den  Sinn  des  Wortes  Not- 
wendigkeit ausmacht,  nur  in  uns.  Keine  Zergliederung  irgend 
eines  wahrgenommenen  oder  gedachten  Objektes  läsft  uns  etwas 
entdecken,  das  den  Namen  der  Notwendigkeit  oder  des  Müssens 
tragen  könnte.  Nur  als  Inhalt  unseres  Erlebens  kommt  Not- 
wendigkeit für  uns  vor.  Das  Erfahrungsobjekt,  das  wir  mit 
dem  Worte  meinen  und  einzig  meinen  können,  ist  uns  gege- 
ben, wenn  wir  wollen,  und  dies  Wollen  in  seiner  Verwirk- 
lichung gehindert  ist.  Notwendigkeit  ist  Inhalt  des  dem  Kraft- 
gefühl  als  Gegenstück  entsprechenden  Zwangsgefühls.  So  wenig 
wie  den  Inhalt  des  Kraftgefühls  können  wir  den  Inhalt  des 
Zwangsgefühls  in  nicht  lebende  Wesen  verlegen  wollen. 

Liegt  also  in  der  kausalen  Beziehung  Notwendigkeit,  dann 
kann  sie  weder  in  der  Wirkung,  noch  in  der  Ursache,  sondern 
nur  in  uns  liegen,  die  wir  beide  denken.  Auf  ein  Ä  folgt  ein 
£  notwendig,  dies  heifst,  wir  müssen  es  in  Gedanken  darauf 
folgen  lassen;  Ä  nötigt  uns,  es  folgen  zu  lassen.  Nicht  das 
irgendwo  in   der  Welt  wirkliche  Ay   sondern  das  Ä  als  Inhalt 


260  Th.  Upps. 

meines  BewuTstseins.  Auch  diese  Nötigung  ist  eine  ^objektive^^ 
aber  nicht  in  dem  Sinne,  dafs  das  Nötigen  oder  G-enötigtsein 
in  den  Objekten  Ä  und  B  als  eine  zu  ihnen  gehörige  Bestim- 
mung vorkäme,  sondern  insofern  ich  durch  den  Vollzug  der 
Vorstellung  des  Objektes  A  oder  das  Bewufstsein  seiner  Wirk- 
lichkeit zur  Hinfiigung  des  B  oder  zum  Gedanken  seiner  Wirk- 
lichkeit genötigt  bin. 

m.   Grund  und  Ursache. 

Ist  damit  die  kausale  Beziehung  erschöpfend  bezeichnet?  — 
Ein  Dokument,  das  ich  aufgefanden  habe,  nötigt  mich  zur  An- 
nahme eines  historischen  Faktums.  Auch  diese  Nötigung  ist 
eine  objektive  im  eben  bezeichneten  Sinne.  Darum  neSen  wir 
doch  das  Dokument  nicht  Ursache  des  historischen  Faktums. 
Es  ist  nur  sein  Erkenntnisgrund.  Auch  Ursachen  sind  freilich 
Erkenntnisgründe.  Das  Bewufstsein,  die  Ursache  sei  gegeben, 
nötigt  mich  immer,  auch  an  die  Folge  zu  glauben.  Aber  ebenso 
sicher  gilt  nicht  das  Umgekehrte.  Erkenntnisgründe  sind  nicht 
ohne  weiteres  Ursachen. 

Aber  sie  sind  es,  wenn  wir  eine  nähere  Bestimmung  hin- 
zufügen. Das  Dokument  nötigt  mich,  an  die  Thatsache  zu 
glauben.  Aber  das  Dasein  des  Dokumentes  ist  nicht  die  Vor- 
aussetzung, unter  der  allein  ich  an  die  Thatsache  glauben 
darf.  Angenommen,  ich  wüfste  nichts  von  dem  Dokument,  hätte 
wohl  gar  Grund,  zu  glauben,  es  gebe  nichts  dergleichen,  so 
wäre  ich  doch  um  deswillen  nicht  genötigt,  die  Thatsache  zu 
leugnen.  Das  Dokument  ist  vielleicht  erst  sehr  spät  entstanden, 
hat  also  lange  Zeit  nicht  existiert,  darum  bestand  doch  die  That- 
sache schon,  mufste  also  auch  schon  anerkannt  werden. 

Dagegen  ist,  wenn  A  und  B  sich  wie  Ursache  und  Wirkung 
verhalten,  die  Annahme  des  A  sowohl  Grund  der  Annahme  des 
B,  als  auch  in  jedem  einzelnen  Falle,  in  dem  das  kausale  Ver- 
hältnis obwaltet,  notwendige  Voraussetzung  oder  Bedingung 
derselben.  Anders  ausgedrückt;  nicht  nur  die  Bejahung  des  A 
nötigt  mich  zur  Bejahung,  sondern  auch  die  Verneinung  des  A 
nötigt  mich  zur  Verneinung  des  B.  Nicht  ein  einfaches,  sondern 
ein  doppeltes  Band  der  Notwendigkeit  besteht  zwischen  Ursache 
und  Wirkung.  Man  hat  das  Gesetz  des  zureichenden  Grundes 
in  dem  Satze  formuliert:  mit  dem  Grund  sei  die  Folge  gegeben. 
Dies  ist  kein  Gesetz,  sondern  eine  Definition  des  Grundes.    Die 


Zur  Psychologie  der  KausalitäL  261 

ihr  entsprechende  Definition  der  Ursache  würde  lauten :  Ursache 
ist  der  Grund,  mit  dem  die  Folge  zugleich  gegeben  und  auf- 
gehoben ist.     Die  Folge  helTst  dann  Wirkung. 

Oder  leugnet  jemand,  dafs  es  sich  so  verhält?  Soviel  ich 
sehe,  sind  mit  dem  Gesagten  die  Bedingungen,  unter  denen 
wir  etwas  als  Ursache  bezeichnen,  vollständig  angegeben.  Es 
gibt  in  keinem  Falle  ein  anderes  Kriterium  der  Anwendbarkeit 
des  UrsachbegrifFs.  Was  in  einem  gegebenen  Falle,  wo  etwas 
geschieht  oder  ist,  auch  fehlen  könnte,  ohne  dafs  das  Geschehen 
oder  der  Thatbestand  unterbliebe,  also  verneint  werden  müfste, 
ist  nicht  Ursache.  Und  umgekehrt:  Was  zwar  Grund  ist  für 
die  Annahme  eines  Geschehens  oder  eines  Thatbestandes,  aber 
nicht  Ursache  desselben,  das  können  wir  immer  verneineo,  ohne 
damit  zugleich  zur  Verneinung  des  Geschehens  oder  Thatbe- 
standes genötigt  zu  sein. 

Damit  ist  auch  schon  gesagt,  warum  niemals  das  Spätere 
„Ursache^  des  Früheren  sein  kann,  so  sehr  es  sein  £rkenntnis- 
grund  sein  mag.  In  dem  Augenblick,  wo  das  frühere  Ereignis 
stattfindet,  ist  das  spätere  noch  nicht  da;  wir  können  also 
das  letztere  nicht  nur,  sondern  müssen  es  verneinen,  während 
wir  das  erstere  schon  bejahen  müssen.  Das  frühere  Ereignis 
kann  nicht  nur,  sondern  mufs  unabhängig  von  der  Bejahung 
des  späteren  bejaht  werden.  Das  spätere  Ereignis  ist  nicht 
Grund  für  die  Bejahung  des  früheren  in  dem  besonderen  Sinne, 
dafs  erst  dann,  wenn  es  in  Übereinstimmung  mit  der  Erfahrung 
bejaht  werden  kann,  die  Bejahung  des  früheren  stattfinden 
darf,  es  ist  mit  einem  Worte  nicht  notwendige  Voraussetzung 
der  Bejahung  des  früheren. 

Ich  fuge  einige  weitere  Bemerkungen  hinzu.  Die  Ursache  des 
Verhaltens  eines  chemischen  Elementes,  etwa  des  Sauerstoffs,  zu 
anderen  chemischen  Elementen  Uegt,  so  sagen  wir  vielleicht, 
in  der  Natur  des  Elementes.  Die  Verhaltungsweisen  sind  Wir- 
kungen der  eigenartigen  Natur  des  Sauerstoffs.  Aber  wenn  ich 
die  Verhaltungsweisen  in  Gedanken  aufhebe,  also  annehme,  sie 
fehlen  bei  einem  Körper,  muls  ich  dann  dem  Körper  nicht 
auch  die  Sauerstoffnatur  abstreiten,  also  von  dem  Körper  sagen, 
er.  sei  nicht  Sauerstoff?  Und  wenn  dem  so  ist,  erscheinen  dann 
nicht  unserer  Begriffsbestimmung  zufolge  die  Verhaltungsweisen 
des  Sauerstoffs  als  Ursachen  der  Sauerstofinatur? 

Ich  mache  mir  diesen  Einwand,   um  ähnlichen  Einwänden 


262  Th.  Lipps, 

zu  begegnen  nnd  darauf  anfinerksam  zn  machen,  dafs  es  sich 
hier  am  genaue  Begriffe  handelt.  Zunächst  ist  die  Natur  des 
Sauerstoifs  nicht  die  Ursache  seiner  Verhaltungsweisen,  sondern 
lediglich  eine  Teiiursache  derselben.  Der  Sauerstoff  verhält 
sich  zum  Wasserstoff  so,  wie  er  es  thut,  immer  nur,  wenn  er 
zum  Wasserstoff  in  bestimmte  Beziehung  tritt,  er  verhielte  sich 
zu  ihm  gar  nicht,  wenn  es  keinen  Wasserstoff  gäbe.  Trotzdem 
bliebe  der  Sauerstoff  Sauerstoff.  Wir  bejahen  also  die  Natur 
des  Sauerstoffs  auch  unter  der  Voraussetzung,  dafs  ein  be- 
stimmtes Verhalten  zu  Wasserstoff  und  ebenso  zu  den  sonstigen 
Elementen  nicht  stattfindet,  wir  bejahen  sie  selbst  unter  der 
Voraussetzung,  dafs  gar  kein  derartiges  Verhalten  stattfinden 
könnte.  Also  sind  die  Verhaltungsweisen  des  Sauerstoffs  nach 
unserer  Begriffsbestimmung  in  keiner  Weise  die  Ursache,  auch 
nicht  die  Teilursache  der  Sauerstofinatur.  Nur  wenn  die 
Fähigkeit  zu  den  Verhaltungsweisen  bei  einem  Körper  ver- 
neint werden  mufs,  dann  müssen  wir  dem  fraglichen  Körper 
auch  die  Sauerstoffnatur  abstreiten.  Die  Fähigkeit  zu  jenen 
Verhaltungsweisen  ist  eben  ein  Teil  der  „Natur^  des  Sauerstoffs. 

Ähnliches  wäre  gegen  einen  ähnhchen  Einwand  zu  erwidern. 
Das  Atomgewicht  des  Sauerstoffs  läfst  uns  den  Sauerstoff  als 
solchen  erkennen,  veranlafst  uns  also,  auch  die  sonstigen  Eigen- 
schaften des  Sauerstoffs  als  vorhanden  anzunehmen,  umgekehrt 
würden  wir,  wenn  das  bestimmte  Atomgewicht  fehlte,  an  diese 
sonstigen  Eigenschaften  nicht  glauben.  Wiederum  könnte  man 
daraus  folgern,  dafs  für  uns  das  Atomgewicht  Ursache  jener 
sonstigen  Eigenschaften  sein  müsse.  Aber  auch  das  Atomgewicht 
ist  eine  Verhaltungsweise,  nämlich  eine  Weise  des  Verhaltens  zur 
Erde,  die  nicht  stattfände,  wenn  die  Erde  nicht  die  Erde  wäre, 
oder  überhaupt  nicht  wäre.  Trotzdem  blieben  die  sonstigen 
Eigenschaften  des  Sauerstoffs  bestehen.  Also  ist  das  Atomge- 
gewicht für  uns  nicht  Ursache  derselben.  Oder  wären  mit  der 
Aufhebung  des  Verhaltens  zur  Erde,  wie  es  in  dem  Atomgewicht 
ausgesprochen  liegt,  die  Eigenschaften  mit  aufgehoben,  dann 
wäre  für  jedermann  dies  Verhalten  zur  Erde  Ursache  oder 
Teilursache  der  Eigenschaften. 

Allgemein  gesprochen:  Wir  schliefsen  von  Wirkungen  A 
eines  Dinges  auf  das  Dasein  oder  die  Natur  dieses  Dinges,  und 
auf  andere  Wirkungen  B  desselben  Dinges.  Dabei  setzt  immer 
die  Wirkung  A  aufser  dem  Dinge  anderweitige  Umstände  vor- 


Zur  Fsychologie  der  Kausalität  263 

ans,  unter  denen  sie  geschieht,  wir  müssen  also  A  in  Gedanken 
verneinen,  wenn  wir  die  Umstände  in  Gedanken  aufheben. 
Damit  ist  aber  niemals  das  Dasein  oder  die  Natur  des  Dinges 
bezw.  die  unter  anderen  umständen  sich  vollziehende  Wirkung 
mit  aufgehoben.  Oder  ist  dies  der  Fall,  dann  gestehen  wir 
ebendamit  zu,  dafs  die  „Wirkung^  A  Mitursache  ist  des  Dinges 
oder  seiner  Beschaffenheit,  bezw.  dafs  sie  Mitursache  ist  der 
Wirkung  B.  Im  letzteren  Falle  stehen  A  und  B  im  Verhältnis 
der  Wechselwirkung;  jedes  ist  Ursache  oder  Mitursache  des 
anderen. 

So  ist  die  Wahrnehmung  der  Farbe  eines  Dinges,  die  für 
das  gemeine  Bewufstsein  Wirkung  ist  der  dem  Dinge  anhaften- 
den Farbe,  vielmehr  Mitursache  derselben:  erst  in  unserem 
Wahrnehmen  kommt  die  Farbe  zu  stände.  So  ist,  wenn  zwei 
Atome  zu  einem  Molekül  sich  verbinden,  jedesmal  der  relative 
Ort  des  einen  Wirkung  und  zugleich  Mitursache  des  relativen 
Ortes  des  anderen. 

Noch  ein  anderes  mögliches  Mifsverständnis  schliefse  ich 
aus.  „Die  Einführung  einer  gewissen  Dosis  Arsenik  in  den  leben- 
den menschlichen  £örper  ist  Todesursache;  aber  auch,  wenn  ein 
Mensch  sich  nicht  mit  Arsenik  vergiftet,  stirbt  er.  Die  Auf- 
hebung der  Ursache  hebt  also  die  Wirkung  nicht  auf**.  —  Hier 
liegt  wiederum  eine  Ungenauigkeit  des  Ausdrucks  vor.  Nicht 
ohne  Bedacht  habe  ich  gesagt,  die  Aufhebung  der  Ursache 
nötige  uns,  in  jedem  gegebenen  Falle  auch  die  Wirkung 
aufzuheben.  Wirkung  des  Giftes  ist  nun  in  jedem  gegebenen 
Falle  nicht  der  Tod,  sondern  ein  bestimmter,  vor  allem  zu 
bestimmter  Zeit  eintretender  Tod.  Angenommen,  in  einem  be- 
stimmten Falle  wäre  der  Tod  ebenso  und  in  derselben  Weise 
eingetreten,  auch  wenn  das  Gift  gefehlt  hätte,  dann  könnte 
nach  jedermanns  Meinung  das  Gift  nicht  als  Ursache  des  Todes 
bezeichnet  werden. 

So  dürfen  wir  dabei  bleiben,  unsere  Begriffsbestimmung 
der  Ursache  far  zutreffend  und  vollständig  zu  halten.  Sie 
schliefst  vollkommen  genau  die  Bedingungen  in  sich,  unter 
denen  wir  von  einem  ursächlichen  Verhältnisse  sprechen.  Wird 
man  nicht  daraus  schliefsen  müssen,  dafs  sie  auch  den  vollstän- 
digen Sinn  des  Kausalbegriffes  in  sich  schliefse?  Was  ist  denn 
am  Ende  der  Sinn  eines  Begriffes  anders,  als  der  Inbegriff  der 
Bedingungen,  unter  denen  wir  ihn  anwenden? 


264  Th.  Lipps. 

Die  kausale  Beziehimg  ist  eine  doppelte  Beziehung  der 
Notwendigkeit  in  nnserem  Denken.  Ist  man  zu  der  Überzeugung 
gelangt,  so  erhebt  sich  die  Frage:  Giebt  es  einen  allgemeineren 
und  umfassenderen  psychologischen  Thatbestand,  zu  dessen 
Eigenart  es  gehört,  Beziehungen  der  Notwendigkeit  in  sich  zu 
enthalten.  Giebt  es  einen  solchen,  so  besteht  die  Pflicht, 
wenigstens  den  Versuch  zu  machen,  ob  sich  die  kausale  Bezie- 
hung daraus  ableiten  lasse.  Kein  noch  so  starkes  Vorurteil 
kann  von  dieser  Pflicht  entbinden.  In  der  That  liegt  ein 
solcher  Thatbestand  vor  in  der  Association. 

IV.     Erkennen  und  Urteilen. 

Ehe  wir  den  Versuch  machen  aus  der  Thatsache  der 
Association  Kausalbegriff  und  Kausalgesetz  abzuleiten,  scheinen 
einige  allgemeinere  Begriffsbestimmungen  am  Platze.  Soweit 
die  dabei  angewandte  Terminologie  dem  sonstigen  Sprachge- 
brauche nicht  entspricht,  bitte  ich  sie  mir  zugute  zu  halten. 
Ich  will  durch  Terminologien  nichts  beweisen,  sondern  nur 
meine  Meinung  fixieren. 

Erkenntnis  wird  man  allgemein  zu  definieren  haben  als  Ein- 
ordnung von  Erfahrungen  in  einen  widerspruchslosen  und  ge- 
setzmäfsigen  Zusammenhang  der  Erfahrungen.  Dabei  ver- 
stehe ich  unter  „Erfahrungen^  alles  irgendwie  im  Bewufstsein 
Gegebene,  und  unter  der  Gesetzmäfsigkeit  die  objektive  Not- 
wendigkeit im  oben  als  allein  berechtigt  bezeichneten  Sinne 
des  Wortes.  —  Das  Denken  ist  die  Thätigkeit  der  Einordnung 
und  Zusammenordnung,  auch  die  blofs  versuchsweise  und  mifs- 
lingende. 

Genauer  sind  zwei  Arten  der  Erkenntnis  wohl  zu  unter- 
scheiden. Ich  würde  sie  mit  Hüme,  obgleich  nicht  ganz  und 
gar  aus  Humes  Gründen,  als  analytische  und  synthetische  Er- 
kenntnis bezeichnen  können,  wenn  es  nicht  seit  Kant  üblich 
wäre,  als  „analytisch^  eine  Erkenntnisart  zu  bezeichnen,  die 
im  Grunde  so  synthetisch  ist,  wie  die  „synthetische",  nur  dafs 
sie  einem  besonderen  Gebiet  der  synthetischen  Erkenntnis  zu- 
gehört. Körper  sind  ausgedehnt ;  dies  KANTsche  Beispiel  einer 
analytischen  Erkenntnis  sagt,  dafs  die  Ausgedehntheit  im  Be- 
griff des  Körpers  liegt,  d.  h.  dafs  das  Wort  Körper  etwas 
Ausgedehntes  bezeichnet,  oder  dafs  die  Menschen,  die  das  Wort 
Körper  gebrauchen,  damit  etwas  Ausgedehntes  meinen.     Diese 


Zur  Psychologie  der  Kausalität  265 

Einsicht  aber  ist  eine  synthetische  Erkenntnis.  Sie  ist  genauer 
eine  psychologische  Erfahrungserkenntnis.  —  Ich  halte  die 
KANTsche  Unterscheidung  nicht  nur  für  allzuwenig  tiefgehend 
und  darum  prinzipiell  verwerflich,  sondern  auch  für  bedenk- 
lich in  ihren  Konsequenzen.  Trotzdem  mufs  mich  die  Rück- 
sicht auf  EIants  Sprachgebrauch  abhalten  hier  dem  HuMEschen 
zu  folgen.  Ich  will  darum  im  Folgenden  statt  von  analytischer 
und  synthetischer  Erkenntnis  im  HuMSschen  Sinne,  lieber  von 
formaler  und  materialer  Erkenntnis  sprechen. 

Der  grundsätzliche  Unterschied  zwischen  beiden  Erkenntnis- 
arten besteht  darin,  dafs  die  eine,  die  formale,  keinerlei,  weder 
positive  noch  negative  Beziehung  zur  objektiven  d.  h.  von 
meinem  Bewufstsein  unabhängigen  Wirklichkeit  in  sich  schliefst, 
während  in  der  anderen,  der  materialen,  diese  Beziehung  jeder- 
zeit enthalten  liegt.  Jener  ersteren  Art  ist  beispielsweise  die 
geometrische  Erkenntnis.  Die  Einsicht,  das  Dreieck  habe  eine 
Winkelsumme  =  2  JJ,  besteht  in  dem  Bewufstsein,  dafs  mit 
der  geradlinigen  Figur,  Dreieck  genannt,  ganz  abgesehen  da- 
von, ob  sie  nur  dem  Bewufstsein  oder  auch  der  Welt  aufser- 
balb  des  Bewulstseins  angehöre,  jene  Winkelsumme  notwendig 
gegeben  sei.  Ich  kann  das  Dreieck  gar  nicht  vorstellen, 
geschweige  für  objektiv  wirklich  halten,  ohne  jene  Winkel- 
summe. 

Die  andere  Art  fallt  zusammen  mit  der  Sacherkenntnis  oder 
Erfahrungserkenntnis  im  engeren  Sinne  des  Wortes.  Von  ihr 
gilt  das  eben  Gesagte  nicht.  Wenn  ich  von  einem  bestimmten 
mir  bekannten  Menschen  weifs,  dafs  er  blondhaarig  ist,  so 
heifst  dies  keineswegs,  dafs  die  blofse  Vorstellung  dieses 
Menschen  unvollziehbar  werde,  wenn  ich  die  blonde  Haarfarbe 
durch  eine  andere  zn  ersetzen  versuche.  Der  Versuch,  die 
Vorstellung  oder  das  Bild  der  Menschen  in  allem  zu  belassen, 
wie  es  ist,  und  nur  statt  der  blonden  Haarfarbe  die  schwarze 
zu  setzen,  gelingt,  so  gewifs  der  Versuch  eine  ebene  geradlinige 
Figur  vorzustellen,  die  drei  Ecken  hätte,  damit  aber  eine  Winkel- 
summe ^  2  ü  verbände,  mifslingt.  Nur  die  Erkenntnis  der 
ersteren  Art  ist  Bewufstsein  der  „unbedingten"  Vorstellungs- 
notwendigkeit; bei  der  anderen  ist  die  Erfüllung  einer  Be- 
dingung vorausgesetzt. 

Ich  kann  den  blondhaarigen  Menschen  schwarzhaarig  vor- 
stellen d.  h.  jene  Vorstellung,  als    solche,  in  diese  ver- 


266  Th.  Upps. 

wandeln.  Aber  ich  kann  nicht  den  bestimmten  wirklichen 
Menschen  schwarzhaarig  vorstellen,  d.  h.  ich  kann  nicht  die 
Vorstellungsveränderung  vollziehen  und  dabei  das  Bewufstsein 
haben,  das  Vorgestellte  sei  auch  nach  dieser  Veränderung  noch 
jener  bestimmte  wirkliche  Mensch.  Vielmehr  weifs  ich,  dafs 
mit  der  Verwandlung  der  Blondhaarigkeit  in  die  Schwarz- 
haarigkeit zugleich  das  Bild  des  Menschen  aufgehört  hat,  Bild 
jenes  wirklichen  Menschen  zu  sein,  und  ein  blofses  Phantasie- 
bild geworden  ist.  Soll  es  dies  nicht  werden,  soll  das  Be- 
wufstsein der  objektiven  Wirklichkeit  des  Vorgestellten  be- 
stehen bleiben,  dann,  aber  auch  nur  dann  mufs  ich  bei  der 
Vorstellung  der  Blondhaarigkeit  bleiben. 

Die  Erfahrungserkenntnis  ist  das  Bewufstsein  der  Not- 
wendigkeit einen  Bewufstseinsinhalt  in  einen  Zusammenhang 
von  Bewufstseinsinhalten  einzuordnen,  unter  der  Voraussetzung, 
dafs  jenem  Zusanmienhang  von  Bewufstseinsinhalten  objektive 
Wirklichkeit  zukommt,  oder  kürzer  gesagt:  sie  ist  die  objektiv 
notwendige  Einordnung  eines  vorgestellten  Inhaltes  in  einen 
Zusammenhang  objektiver  Wirklichkeit.  Jene  „Voraus- 
setzung" ist  es,  die  die  Erfahrungserkenntnis  oder  materiale 
Erkenntnis  von  der  blofs  formalen  unterscheidet.  In  dem 
speziellen  Falle,  von  dem  wir  redeten,  ist  der  „Zusammenhang 
objektiver  Wirklichkeit"  bezeiphnet  durch  den  bestimmten 
wirklichen  Menschen. 

Wenn  ich  ein  Dreieck  vorstelle,  so  mufs  ich  es  als  begabt 
mit  der  Winkelsumme  =  2  JS  vorstellen.  Die  Vorstellung  des 
Dreiecks,  abgesehen  von  der  Winkelsumme,  zwingt  mich  zum 
Vollzug  der  Vorstellung  der  bestimmten  Winkelsumme.  Wenn 
ich  einen  Menschen  nicht  blofs  vorstelle,  sondern  in  dem 
Vorstellungsinhalt  zugleich  einen  mir  bekannten  wirklichen 
Menschen  sehe,  dann  mufs  ich  die  bestimmte,  an  ihm 
wahrgenommene  Haarfarbe  mitvorstellen.  Nicht  die  Vor- 
stellung, sondern  das  Bewufstsein  der  objektiven  Wirklich- 
keit des  Vorgestellten  zwingt  mich  in  diesem  Falle  zur 
Hinzufügung  der  bestimmten  Haarfarbe.  Was  mich  zum 
Vollzug  einer  Vorstellung  zwingt,  ist  für  mich  Grund  derselben ; 
der  Grund  ist  ein  objektiver,  wenn  mich  ein  gegebenes  Objekt 
zwingt,  zu  ihm  einen  anderen  Vorstellungsinhalt  hinzuzufügen. 
Der  objektive  Grund  ist  der  logische  oder  Erkenntnisgrund.  Also 
ist  der  Unterschied  der  beiden  Arten  der  Erkenntnis  ein  Unter- 


Zur  Bsychologie  der  Kausalität.  267 

schied  der  objektiven,  logischen  oder  Erkenntnisgründe.  Alle 
Erkenntnis  ist  objektiv  begründetes  Vorstellen  bezw.  Verbinden 
von  Vorstellungen.  Bei  der  lediglich  formalen  Erkenntnis  be- 
steht der  objektive  Grund  im  Dasein  eines  Bewufstseinsinhaltes, 
bei  der  materialen  oder  Erfahrungserkenntnis  im  engeren  Sinne 
besteht  er  im  BewufstseiQ  der  objektiven  Wirklichkeit  eines 
Bewufstseinsinhaltes. 

Die  materiale  oder  Erfahrungserkenntnis  ist  Natur-  oder 
psychologische  Erkenntnis.  Es  ist  eine  der  gefährlichsten  er- 
kenntnistheoretischen Illusionen,  dafs  es  materiale,  insbesondere 
Naturerkenntnis  geben  könne,  ohne  den  Gedanken  einer  vom 
Bewufstsein  unabhängigen  Wirklichkeit.  Jede  Beschreibung 
einer  solchen  Erkenntnis  bewegt  sich  in  einem  Widerspruch 
mit  sich  selbst. 

Es  ist  aber   das  Bewufstsein  der    objektiven  Wirklichkeit, 
wie    es    nach    dem   Gesagten    bei    der    materialen  Erkenntnis 
vorausgesetzt  ist,  selbst  Erkenntnis  und  materiale  Erkenntnis. 
So    ist    das    bei    der  Erkenntnis   der  Blondhaarigkeit    des    be- 
stimmten Menschen  vorausgesetzte  Bewufstsein  der  objektiven 
Wirklichkeit  des  vorgestellten  Individuums   auch  ein  Akt  ma- 
terialer Erkenntnis.  Damach  haben  wir  innerhalb  der  materialen 
Erkenntnis  wiederum  zwei  Arten,   oder  besser  zwei  Stufen  zu 
unterscheiden:  ich  weifs,  dafs  J.  jB  ist;  und  ich  weifs,  dafs  A 
ist.   Diese  Erkenntnis  ist  die  Voraussetzung  jener,  d.h.  ich 
mufs  mit  dem  A  das  B  verbinden,  nur  unter  der  Voraussetzung, 
dafs  A  als  der  Welt  der  objektiven  Wirklichkeit  zugehörig  ge- 
dacht wird.    Thue  ich  dies  nicht,  sondern  betrachte  A  als  blofse 
Vorstellung,  so  kann  ich  statt  des  B  ebensowohl  jedes  beliebige 
non-B  mit  A  verbinden.   Wir  wollen  die  blofse  Erkenntnis,  dafs 
etwas  objektiv  wirklich  ist,  also  das  einfache  Bewufstsein  der  vom 
Bewufstsein  unabhängigen  Existenz  primitive  Erkenntnis  nennen. 
Der   Name    rechtfertigt    sich    eben    daraus,    dais    solphe    Er- 
kenntnisse   bei  jeder  sonstigen  materialen  Erkenntnis   voraus- 
gesetzt sind.    Was  der  primitiven  Erkenntnis  auf  dem  Gebiete 
der  blofs  formalen  Erkenntnis  entspricht,  ist  nicht  wiederum 
Erkenntnis,  sondern  das  blofse  Dasein  von  Vorstellungen.    Die 
Erkenntnis    von    der    Gröfse    der  Winkelsumme    des    Dreiecks 
setzt  lediglich  das  Dasein  von  Dreiecken  in  der  Vorstellung 
voraus. 

Das  Urteü  ist  der  einzelne  Akt  der  —  wirklichen  oder  ver- 

Zeitschrift  flir  Psychologie.  18 


268  Th.  Upps. 

meintliclieii,  objektiv  oder  nur  subjektiv  giltigen  —  Erkenntnis. 
Es  giebt  also,  abgesehen  von  den  formalen  Urteilen,  primitive  und 
nichtprimitive  materiale  Urteile.  Primitive  Urteile  vollziehen 
wir  jedesmal  in  der  Wahrnehmung.  Jedes  Wahmehmungs- 
urteil,  d.  h.  jedes  Bewufstsein,  dafs  Wahrgenommenes  objektiv 
wirklich  ist,  läfst  sich  schliefsUch  sogar  in  ebensoviele  pri- 
mitive Urteile  auflösen,  als  es  unterscheidbare  Bestandteile 
enthält.  Die  primitiven  Urteile  sind  für  sich  betrachtet  be- 
ziehungslose,  die  anderen  können  im  Gegensatz  zu  ihnen 
Beziehungsurteile  heifsen.  Formale  Urteile  sind  immer  Be- 
ziehungsurteile. 

Statt  „beziehungslose**  können  wir  auch  sagen  „unbe- 
stimmte" Urteile.  Die  primitiven  Urteile  sind  unbestimmte, 
sofern  sie  einem  Bewufstseinsinhalte  nur  überhaupt  objektive 
Wirklichkeit  zuschreiben.  Dagegen  sind  die  Beziehungsurteile 
bestimmte,  sofern  sie  einen  Vorstellungsinhalt  in  einen  be- 
stimmten Yorstellungszusammenhang  bezw.  einen  bestimmten 
Zusammenhang  objektiver  Wirklichkeit  einordnen.  Auch  die 
primitiven  Urteile  ordnen  ein,  aber  nur  in  den  Zusammenhang 
objektiver  Wirklichkeit  überhaupt,  also  in  der,  denkbar  allge- 
meinsten Weise. 

Die  Beziehung,  die  in  den  Beziehungsurteilen  stattfindet, 
ist  die  Beziehung  zwischen  „Subjekt"  und  „Prädikat".  Dabei 
verstehe  ich  unter  Subjekt  und  Prädikat  das  logische  Subjekt 
und  Prädikat,  das  mit  dem  sprachlichen  in  keiner  Weise  über- 
einzustimmen braucht.  Logisches  Prädikat  mufs  aber  ohne 
Zweifel  der  Bewufstseinsinhalt  heifsen,  in  dessen  Einfügung 
in  einen  Yorstellungszusammenhang  oder  Zusammenhang  ob- 
jektiver Wirklichkeit  die  Absicht  oder  Leistung  des  Urteils 
besteht,  logisches  Subjekt  dasjenige,  was  dabei  „zu  Grunde  liegt" 
oder  vorausgesetzt  ist,  was  sich  zur  Aufnahme  oder  Einfügung 
des  Prädikates  darbietet  und  sie  fordert,  also  der  Vorstellungs- 
zusammenhang oder  Zusammenhang  objektiver  Wirklichkeit 
selbst,  bezw.  die  Stelle  des  Zusammenhanges,  an  welcher  das 
Prädikat  eingefügt  wird  und  eingefügt  werden  mufs. 

Es  erhellt,  dafs  nach  dieser  Fassung  von  Subjekt  und 
Prädikat  das  Subjekt  der  Grund  des  Prädikates  ist.  Ihre  Be- 
ziehung ist  die  Beziehung  zwischen  Grund  und  Folge.  Ich 
sehe  nicht,  wie  man  das  logische  Subjekt  und  Prädikat  anders 
bestimmen  will. 


2^r  Bsychohgie  der  Kausalität  269 

So  ist  in  dem  Urteil,  das  dem  Dreieck  die  Winkelsumme 
=  2  R  zuschreibt,  das  Dreieck  —  abgesehen  von  dieser  Winkel- 
summe —  Subjekt  und  Q-rund  des  Prädikates.  Nicht  minder 
fallt  bei  dem  Urteile  ^Gold  ist  gelb**  Subjekt  und  Grund  des 
Prädikates  zusammen.  Vielleicht  fragt  man,  ob  wir  denn, 
wenn  wir  die  Einheit  von  Eigenschaften,  die  —  von  der  gelben 
Farbe  abgesehen  —  das  Gold  ausmacht,  irgendwo  wirklich 
denken,  jederzeit  die  gelbe  Farbe  hinzufügen  müssen,  auch 
dann,  wenn  wir  annehmen,  dafs  es  Nacht  sei,  oder  kein  mensch- 
liches Auge  von  dem  Golde  a£SLziert  werde.  Darauf  antworte 
ich,  dafs  ebendarum,  weil  dies  nicht  der  Fall  ist,  der  Satz, 
dafs  Gold  gelb  sei,  nicht  als  der  richtige  Ausdruck  für  das 
ihm  zu  Grunde  liegende  Urteü  gelten  könne.  Nicht  vom  Golde 
überhaupt,  sondern  vom  Golde,  das  beleuchtet  und  von  einem 
Atige  gesehen  wird,  meinen  wir,  dafs  es  gelb  sei.  Nicht  das 
Gold  überhaupt  ist  also  das  logische  Subjekt  des  Urteils,  sondern 
das  beleuchtete  und  wahrgenommene  Gold.  Und  genau  dieses 
Gold  ist  auch  der  Grund  des  Prädikates,  das  Prädikat  seine 
Folge.  Es  handelt  sich  uns  hier  eben  nicht  um  den  sprach- 
lichen Ausdruck  des  Urteils,  sondern  um  das  Urteil.  Wir  haben 
es  zu  thun  mit  der  Psychologie  der  Erkenntnis,  nicht  mit  der 
Psychologie  der  Sprache. 

In  dem  erwähnten  Falle  ist  das  Subjekt  des  Urteils  un- 
vollständig ausgesprochen.  Es  kann  aber  freilich  auch 
unvollständig  gedacht  sein.  Dann  wird  auch  der  Grund  des 
Prädikates  nicht  vollständig  in  ihm  enthalten  sein.  Wenn  ich 
von  einem  Menschen  nur  weifs,  dafs  er  krank  war,  ohne  zu- 
gleich zu  wissen,  wann  er  es  war,  dann  genügt  gewifs  das 
Subjekt  des  Urteils  —  der  der  objektiv  wirklichen  Welt  an- 
gehörige  bestimmte  Mensch  —  nicht,  um  mich  zur  Hinzufügung 
des  Prädikates  —  der  Krankheit  —  zu  nötigen.  Aber  war  der 
Mensch  wirklich  nur  zu  einer  bestimmten  Zeit  krank,  so  ist 
eben  nur  der  Mensch  in  der  bestimmten  Zeit  das  wirkliche 
Subjekt  des  Urteils. 

Bei  den  materialen  Urteilen,  sagte  ich,  sei  der  Grund  des 
Prädikates,  oder  wie  wir  jetzt  ebensogut  sagen  können,  das 
Subjekt  des  Urteils,  ein  als  objektiv  wirklich  gedachter  Vor- 
stellungsinhalt bezw.  Zusammenhang  von  Vorstellungsinhalten. 
Wir  sahen  dann,  dafs  jenes  Bewufstsein  der  objektiven  Wirklich- 
keit selbst   ein   materiales  Urteil  sei.      Andererseits  wird  auch 

18* 


270  Th,  lApps, 

das  Prädikat  dadurch,  dafs  es  in  einen  Zusammenhang  ob- 
jektiver Wirklichkeit  eingeordnet  wird,  zu  etwas  objektiv 
Wirklichem.  Auch  dies  Bewufstsein  objektiver  Wirklichkeit 
ist  für  sich  betrachtet  ein  materiales  Urteil.  Sonach  können 
wir  das  materiale  Beziehungsurteil  auch  als  eine  Beziehung 
von  Urteilen  bezeichnen.  Die  Beziehung  ist  die  von  Grund 
und  Folge.  Dies  giebt  sich  sprachlich  darin  zu  erkennen,  dais 
wir  statt  zu  sagen:  Gold  ist  gelb,  auch  sagen  können:  Wenn 
etwas  oder:  Wenn  irgendwo  Gold  ist,  ist  es  gelb.  Der  ein- 
fache Satz  ist  zu  einer  konditionalen  Satzverbindung  geworden. 
Dagegen  ist  das  primitive  Urteil  als  solches  jederzeit  ein  ein- 
faches Urteil. 

y.   Association  und   Erinnerungsurteil. 

Wir  haben  im  Vorstehenden  verschiedene  Urteilsarten 
unterschieden.  In  diesem  und  dem  folgenden  Abschnitt  be- 
schäftigt uns  ausschliefslich  das  materiale  Beziehungsurteil. 
Und  zwar  zunächst  das  einfache  Erinnerungsurteil. 

Ich  habe  gestern  an  einem  bestimmten  Orte  und  zu  einer 
bestimmten  Zeit  einen  Thatbestand  wahrgenommen.  Den  Ort 
und  den  Zeitpunkt,  bezw.  was  den  Ort  und  Zeitpunkt  für  mein 
Bewufstsein  bestimmt,  wollen  wir  £7",  den  Thatbestand  T  nen- 
nen. Dies  U'T  nun  kann  in  meiner  Erinnerung  wiederkehren. 
Ich  erinnere  mich,  dafs  an  dem  bestimmten  Ort  und  zu  der 
bestimmten  Zeit  T  stattfand.  Diese  Erinnerung  besteht  nicht 
in  der  blofsen  Wiederkehr  der  Vorstellungen  U  und  T,  Viel- 
mehr ist  mit  diesen  Vorstellungen  zugleich  das  Bewufstsein 
ihrer  objektiven  Wirklichkeit  verbunden.  Es  ist  damit  ver- 
bunden, weil  es  in  der  Wahrnehmung  damit  sich  verband. 

So  ist  überhaupt  unser  Beproducieren  nicht  ein  blofses 
Beproduzieren  von  Vorstellungen,  sondern  zugleich  eine  Repro- 
duktion ihres  logischen  oder  Erkenntniswertes.  Angenommen, 
ich  habe  gestern  ein  Ereignis  nicht  erlebt,  sondern  nur  vor- 
gestellt, gedacht,  meiner  Einbildungskraft  vergegenwärtigt. 
Ich  sah  etwa  nicht  an  einer  bestimmten  Stelle  und  zu  einer 
bestimmten  Zeit  Regen  niederfallen,  sondern  ich  stellte  mir 
nur  vor,  dafs  er  falle.  Auch  dieses  Phantasieerlebnisses  kann 
ich  mich  erinnern.  Dabei  sind  die  reproduzierten  Vorstellungen 
genau  dieselben,  oder  können  genau  dieselben  sein,  als  ob  das 
Erlebnis  ein  wirkliches    gewesen   wäre.     Aber   die  Erinnerung 


Zur  Psychologie  der  Kausalität.  271 

hat  dennoch  in  beiden  Fällen  einen  ganz  verschiedenen  Inhalt. 
Das  Phantasieerlebnis  ist  auch  für  meine  Erinnerung  ein 
Phantasieerlebnis,  die  erlebte  Wirklichkeit  auch  fiir  meine  Er- 
innerung Wirklichkeit.  —  Ich  lasse  hier  dahingestellt,  wie  sich 
dieser  unterschied  genauer  bestimme.  Ich  stelle  nur  fest,  dafs 
er  besteht. 

Fassen  wir  nun  die  Erinnerung  an  das  wirklich  Erlebte 
näher  ins  Auge.  Wir  finden  dann  im  Akte  der  Erinnerung 
ein  Moment,  das  bei  dem  Erlebnis  selbst  fehlte. 

Zur  Wahrnehmung  des  TJ  oder  der  dasselbe  konstituieren- 
den umstände  gesellte  sich,  als  ich  U-T  erlebte,  die  Wahr- 
nehmung des  T;  mit  dem  Gedanken  der  objektiven  Wirklichkeit 
des  J7,  oder  dem  Urteil,  dafs  U  sei,  verband  sich  der  Gedanke  der 
objektiven  Wirklichkeit  des  T,  oder  das  Urteil,  dafs  T  sei.  Aber 
dies  letztere  Urteil  verband  sich  mit  jenem  ersteren  nur  that- 
sächlich,  nicht  notwendig.  Beide  Urteile  zwar  waren  notwendig, 
aber  ihre  Verbindung  war  es  nicht.  Ich  hatte  nicht  das  Be- 
wufstsein,  weil  ich  TJ  „bejahte",  auch  T  „bejahen"  zu  müssen, 
d.  h.  ich  war  mir  nicht  bewufst,  in  den  objektiv  wirklichen  Zu- 
sammenhang des  TJ  das  T  einfügen  zu  müssen,  weil  es  eben 
dieser  Zusammenhang  objektiver  Wirklichkeit  sei.  Mein  Be- 
wulstsein,  dafs  T  sei,  war  nicht  durch  das  Bewufstsein,  daXs 
TJ  sei,  „objektiv  begründet".  Ich  bejahte  das  T,  weil  ich  es 
wahrnahm.  Aber  ich  würde  es  auf  das  Geheifs  der  Wahr- 
nehmung haben  bejahen  müssen,  auch  abgesehen  von  der  vor- 
angehenden oder  gleichzeitigen  Bejahung  des  TJ,  Ich  hätte  es 
bejahen  müssen,  auch  wenn  ich  TJ  nicht  wahrgenommen,  also 
gar  keine  Gelegenheit  gehabt  hätte  das  TJ  zu  bejahen.  Ich 
hätte  andrerseits,  nachdem  ich  TJ  bejaht  hatte,  oder  während 
ich  dies  that,  durch  die  Wahrnehmung  ebensowohl  genötigt 
werden  können,  statt  des  T  ein  won-T  zu  bejahen,  und  keine 
aus  der  Bejahung  des  TJ  entspringende  Notwendigkeit  der 
Bejahung  des  T  würde  gegen  diese ^  auf  der  Wahrnehmung 
beruhende  Notwendigkeit  der  Bejahung  des  non-T  Einsprache 
erhoben  haben. 

Jetzt  dagegen,  in  der  Erinnerung,  besteht  jene  Beziehung 
der  Notwendigkeit  zwischen  der  Bejahung  des  TJ  und  der 
Bejahung  des  T,  Ich  mufs  eben  jenem  TJ —  sofern  ich  es  als  das 
von  mir  erlebte  wirkliche  TJ  denke  —  das  T  hinzufügen,  dagegen 
jedes  non-T  von   ihm   abweisen.     Indem   ich   in  den  Ort  und 


272  Th.  Lipps. 

Zeitpunkt  oder  mit  einem  Worte  in  die  Stelle  des  objektiv 
wirklichen  Weltverlaufs,  in  der  ich  ehemals  den  Begen  beob- 
achtete, mich  zurückversetze,  bin  ich  genötigt  eben  an  dieser 
Stelle  den  Begen  wiederum  zu  bejahen.  Wohl  kann  ich  in  der 
Vorstellung  das  Gegenteil,  den  heiteren  Himmel,  an  die  Stelle 
setzen,  aber  ich  kann  dies  Gegenteil  nicht  für  eine  an  jener 
Stelle  des  Weltverlaufs  stattfindende  objektiv  wirkliche  That- 
sache  halten.  Oder  was  dasselbe  sagt,  ich  kann  es  vorstellen, 
aber  nicht  so,  dafs  ich  das  Bewufstsein  habe,  auch  mein  durch 
den  Vollzug  dieser  Vorstellung  modifizierter  Vorstellungszusam- 
menhang entspreche  noch  der  objektiven  Wirklichkeit.  Der 
Vollzug  der  Vorstellung  erscheint  als  mein  willkürliches  und 
der  Forderung  des  Zusammenhanges  der  objektiven  WirkHch- 
keit,  insbesondere  des  Ortes  und  der  Zeit,  worin  ich  den  Begen 
beobachtete,  widersprechendes  Thun.  —  und  es  ist  zunächst 
nur  dieser  raumzeitliche  Zusammenhang  oder  diese  SteUe  des 
Weltverlaufs,  die  mich  nötigt  den  Begen  einzufügen,  und  hin- 
dert, den  Sonnenschein  an  die  Stelle  zu  setzen.  Ersetzte  ich 
den  Ort  durch  einen  anderen,  oder  die  Zeit  durch  eine  andere, 
so  schwände  die  objektive  Nötigung. 

Woher  nun  diese  Nötigung?  Darauf  wird  jeder  antworten: 
aus  der  zwischen  U  und  T  in  der  ehemaligen  Wahrnehmung 
geknüpften  Association.     Oder   verweigert    man    die   Antwort? 

Dann  weifs  ich  nicht,  was  überhaupt  man  noch  unter 
Association  verstehen  will.  Associationen  sind  nicht  etwas  an 
sich  Bekanntes;  nie  hat  jemand  eine  Association  als  solche  ge- 
sehen. Wir  kennen  nur  ihre  Ursachen  und  ihre  Wirkungen: 
gleichzeitige  BewuHstseinsinhalte  erscheinen  in  der  Folge  an- 
einander gebunden,  d.  h.  die  Wiederkehr  des  einen  nötigt  zum 
Wiedervollzug  des  anderen.  Genau  darum  aber  handelt  es  sich 
hier.  Gewisse  Wahmehmungsinhalte ,  die  als  solche  zugleich 
für  objektiv  wirklich  genommen  wurden,  waren  gleichzeitig 
gegeben;  eben  sie  erscheinen  jetzt  aneinander  gebunden; 
und  sie  würden  nicht  aneinander  gebunden  erscheinen,  wenn  sie 
nicht  gleichzeitig  gegeben  gewesen  wären.  Da  diese  Bindung 
auf  Grund  der  Wahrnehmung  entstand,  so  konnte  sie  nicht 
schon  bestehen,  als  die  Wahrnehmung  stattfand.  Das  Band 
der  Nötigung  muTste  im  Akt  der  Wahrnehmung  selbst  noch 
fehlen. 

Ich  brauche  nicht  zu  sagen,  dafs  die  Association,  von  der 


Zur  Psychologie  der  Kausalität.  273 

ich  hier  rede,  nicht  die  Association  überhaupt  ist.  Es  giebt 
eine  Associationsart,  die  auf  Ähnlichkeit  oder  Verwandtschaft 
beruht.  Aber  nicht  diese,  sondern  nur  die  Association  auf  Grund 
des  gleichzeitigen  Gregebenseins  von  BewuTstseinsinhalten,  oder 
kürzer,  nur  die  Erfahrungsassociation  kommt  hier  für  uns  in 
Frage. 

Nur  von  dieser  Erfahrungsassociation  kann  ja  auch  gesagt 
werden,  sie  erweise  sich  darin,  dafs  die  Wiederkehr  eines  Be^ 
wufstseinsinhaltes  zum  Wiedervollzug  eines  bestimmten  anderen 
nötige.  Einem  BewuTstseinsinhalt  A  ähnlich  oder  verwandt 
sind  jederzeit  viele  Bewufstseinsinhalte  JBt,  B^  etc.,  so  dafs  A 
an  Stelle  eines  Bi  ebensowohl  ein  B%^  Bz  etc.  reproduzieren 
könnte.  Vollends  ist  keine  Bede  davon,  dafs  wir  auf  örund 
der  Ahnlichkeitsassociation  dem  A^  weil  es  dieses  bestimmte 
A  ist,  ein  bestimmtes  und  zugleich  zu  A  in  bestimmtem  zeit- 
lichen bezw.  raumzeitlichen  Verhältnis  stehendes  B  mit 
Ausschlufs  aller  anderen  B  zuordnen  müfsten.  Die  Ahnlichkeits- 
association begründet  keinerlei  objektive  Nötigung. 

Aber  auch,  dafs  die  Erfahrungsassociation  einem  U 
ein  T  hinzuzufügen  „nötige"  oder  „zwinge",  ist  nicht  so  zu 
verstehen,  als  müfse  sich  zu  dem  wiedergekehrten  TJ  das  T  jedes- 
mal unweigerlich  gesellen.  Nur  dies  ist  damit  gesagt,  dafs  dann, 
wenn  überhaupt  die  Reproduktion  von  ü  aus  die  E.ichtung  ein- 
schlägt, der  das  T  angehört,  das  T  dem  U  sich  an-  oder  ein- 
fügen müsse,  dafs  also  kein  derselben  B>ichtung  angehöriges, 
mit  T  unverträgliches  non-T  an  seine  Stelle  treten  könne, 
ohne  dafs  das  U  dagegen  Widerspruch  erhebe.  Ich  habe  schon 
oben  versucht,  diesen  Sinn  der  „objektiven'  Nötigung"  deutlich 
heraustreten  zu  lassen.  Ich  lege  aber  darauf,  um  Mifsverständ- 
nissen  vorzubeugen,  hier  noch  besonders  Gewicht. 

Ich  sah  etwa  an  einer  bestimmten  Stelle  und  in  einem 
bestimmten  Zeitpunkte  einen  Menschen,  der  trug  schöne  Kleider, 
hatte  eine  wohllautende  Stimme,  einen  stolzen  Gang  und  der- 
gleichen. Alle  diese  Dinge  sind  jetzt  für  mich  mit  dem  Bilde 
des  Menschen  auf  Grund  der  Erfahrung  verknüpft.  Aber  durch 
diese  Verknüpfung  ist  ganz  und  gar  nichts  darüber  ausgemacht, 
ob  sich  dann,  wenn  ich  mir  den  Menschen,  samt  Ort  und  Zeit, 
worin  ich  ihn  sah,  wiederum  vergegenwärtige,  meine  Gedanken 
der  Kleidung  oder  dem  Gang  oder  der  Stimme  oder  einem 
sonstigen  Thatbestande,  den  ich  an  ihm  oder  in  raumzeitlichem 


274  Th.  Lipps. 

Zusanmienliang  mit  ihm  wahrnahm,  zuwenden.  Nnr  dies  liegt 
in  der  Thatsache  der  Association  eingeschlossen,  dafs  ich, 
wenn  etwa  mein  Gedankengang  die  Richtung  auf  die  Stimme 
nimmt,  dem  Menschen  nur  die  wohllautende  und  nicht  eine 
andere,    übelklingende  Stimme  zuschreiben  kann. 

Freilich  könnte  mir  jemand  sagen,  der  in  Rede  stehende 
Mensch  habe  eine  krähende  Stimme  gehabt,  und  mich  dadurch 
/v^eranlassen,  versuchsweisie  die  entsprechende  Vorstellung  zu 
vollziehen.  Es  könnte  ebensowohl  mein  eigener  Vorstellungs- 
verlauf für  einen  Augenblick  einen  solchen  Gedanken  in  mir 
aufkommen  lassen.  Sobald  aber  das  Bild  des  Menschen,  wie 
ich  es  in  der  Erfahrung  gewonnen  habe,  einschliefslich  des 
Bewufstseins,  dasselbe  repräsentiere  jenen  wirklichen  Menschen, 
sich  mir  wiederum  darstellte  und  die  Verknüpfung  zwischen 
ihm  und  der  wohllautenden  Stimme  Kraft  gewänne,  müfste 
jeder  solche  Gedanken  weichen.  —  Lassen  wir  einstweilen  dar 
hingestellt,  wie  weit  sonst  die  nötigende  Kraft  der  Associa- 
tionen geht  oder  aus  welchen  Gründen  sie  in  vielen  Fällen  keine 
zwingende  ist.  In  dem  hier  in  Eede  stehenden  Falle  hat  jeden- 
falls  die  Association  durchaus  „zwingende"  Kraft. 

Wir  können  nun  aber,  was  die  Association  in  unserem  Falle 
bewirkt,  auch  noch  mit  anderen  Worten  bezeichnen.  Ich  habe 
bereits  den  Akt  der  Erinnerung  U-T  den  materialen  Beziehungs- 
urteilen zugeordnet.  Dies  Beziehungsurteil  U-  T  ist  eben  durch 
die  Association  zu  stände  gekommen.  Innerhalb  desselben  ist  TJ, 
nämlich  die  damit  bezeichnete  Stelle  im  Zusammenhange  der 
objektiven  Wirklichkeit,  Grund  des  T,  nicht  subjektiver,  sondern 
objektiver,  logischer  oder  Erkenntnisgrund.  Es  wäre  überflüssig, 
zu  sagen:  zureichender  oder  zwingender  Grund,  da  ein  nicht 
zureichender  oder  nicht  zwingender  Grund  in  Wahrheit  nicht 
Grund  ist,  obgleich  er  Teilgrund  sein  mag.  Die  Einfügung  des 
T  in  jene  Stelle  der  objektiv  wirklichen  Welt  oder  die  Bejahung 
des  T  an  f7  ist  die  Folge  des  Grundes.  U  ist  ebendamit  zu- 
gleich logisches  Subjekt,  T  logisches  Prädikat  des  Urteils  U-T 
oder  der  Association,  die  dem  Urteil  zu  Grunde  liegt.  Sie  sind 
zu  allem  dem  geworden  durch  die  erfahrungsgemäfse  Association. 

VI.  Die  Association  und  das  allgemeine  Urteil. 

Der  Akt  der  Erinnerung  oder  das  Erinnerungsurteil,  womit 
wir  es  bisher  zu  thun  hatten,  war  ein  Einzelurteil.    Es  war  dies, 


Zur  Fsyehologie  der  Kattsälttät  275 

weil  in  ihm  der  Grand  oder  das  Subjekt  des  Prädikates  T  indivi- 
duell bestimmt  waren.  U  bezeichnete  eine  räumlich  und  zeitlich 
bestimmte  Stelle  des  allgemeinen  Zusammenhanges  der  objektiv 
wirklichen  Welt.  Diese  individuelle  oder  raumzeithche  Be- 
stimmtheit haben  wir  uns  jetzt  zunächst  näher  anzusehen. 

Das  Prädikat  T  des  Urteils  U-T  war  an  einen  bestimmten 
Zeitpunkt  und  an  einen  bestimmten  Ort  geknüpft.  Aber  kein 
Zeitpunkt  als  solcher  ist  für  mein  Bewufstsein  ein  bestimmter, 
von  anderen  unterschiedener;  ebenso  kein  Ort  im  Räume.  Der 
Zeitpunkt,  in  dem  ein  Geschehen  stattfindet,  wird  für  mich  dieser 
oder  jener,  das  Geschehen  wird  für  mein  Bewufstsein  zu  einem 
in  diesem  oder  jenem  Zeitpunkte  stattfindenden  ledigUch  dadurch, 
dafs  es  in  bestimmten  zeitlichen  Verhältnissen  zu  bestimmten 
anderen  Vorgängen,  Thatbeständen,  kurz,  Objekten  meines  Be- 
wuTstseins  steht.  Ebenso  ist  der  Ort  im  Baum,  an  dem  sich 
ein  Gefi:enstand  befindet,  für  mein  Bewufstsein  einzig:  bestimmt 
und  b^timmbar  durch  die  räumlichen  Beziehungen  des  Gegen- 
Standes  zu  bestimmten  anderen  Gegenständen.  Begen  wurde 
von  mir  wahrgenommen  in  einem  bestimmten  Zeitpunkt  und 
Ort,  das  heifst:  er  wurde  wahrgenommen  als  stattfindend  nach, 
gleichzeitig  mit  oder  vor  bestimmten  anderen,  zugleich  in 
bestimmten  räumlichen  Verhältnissen  zu  ihm  stehenden  Wahr- 
nehmungsinhalten. Die  Bestimmtheit  des  Zeitpunktes  und 
räumlichen  Ortes  bestand  zunächst  in  der  Bestimmtheit  der 
unmittelbaren  raumzeitUchen  Umgebung.  Diese  Umgebung 
war  wiederum  zeitlich  und  räumUch  bestimmt.  Aber  auch 
diese  zeitliche  und  räumliche  Bestimmtheit  konnte  für  mein 
Bewufstsein  in  nichts  anderem  bestehen,  als  in  der  Ein- 
ordnung in  eine  weitere  zeitliche  und  räumliche  Umgebung 
von  bestimmter  Beschaffenheit  u.  s.  w.  So  stellt  sich  jede 
Bestimmtheit  oder  Verschiedenheit  der  Zeitpunkte  oder  räum- 
Uchen  Orte  für  unsere  Wahrnehmung  oder  VorsteUung  dar  als 
eine  sachliche  Verschiedenheit,  d.  h.  eine  Verschiedenheit  dessen, 
was  in  immer  weiteren  und  weiteren  Kreisen  den  Zeitpunkt 
oder  räumlichen  Ort  zeitlich  und  räumlich  umgiebt.  Ein  Gegen- 
stand verändert  seinen  Ort,  d.  h.  er  wechselt  seine  nähere 
oder  entferntere  Umgebung.  Die  Ortsveränderung  eines  Gegen- 
standes, die  von  der  gesamten  näheren  oder  entfernteren  Um- 
gebung, soweit  sie  Gegenstand  unserer  Wahrnehmung  ist,  mit- 
gemacht würde,   so  dafs  nirgends   ein  Teil  der  Umgebung  aus 


276  Th.  lAppa. 

seiner  relativen  Lage  zu  jenem  Gegenstande  herausträte  und 
ein  anderer  an  seiner  Stelle  in  dieser  relativen  Lage  sichtbar 
würde,  existierte  für  unsere  Wahrnehmung  nicht.  So  kann 
es  überhaupt  für  unsere  Wahrnehmung  keine  Verschie- 
denheit von  Orten  geben,  die  nicht  darin  bestände,  dafs 
Gleiches  in  verschiedener  oder  Verschiedenes  in  gleicher  Bezie- 
hung zu  den  Orten  oder  dem,  was  in  den  Orten  sich  befindet, 
wahrgenommen  wird.  Und  das  Gleiche  gilt  von  der  Zeit.  — 
Ich  sage  damit  nichts,  als  was  unter  dem  Namen  der  [Relati- 
vität aller  Baum-  und  Zeitbestimmungen  jedermann  geläufig  ist. 

Im  gegenwärtigen  Zusammenhang  nun  handelt  es  sich 
uns  aber  nicht  darum,  welche  raumzeitliche  Umgebung  den 
Zeitpunkt  und  räumlichen  Ort  eines  Thatbestandes  fiir  unser 
Bewufstsein  überhaupt  bestimmt  und  von  anderen  unter- 
scheidet. Nur  dies  kommt  für  uns  hier  in  Betracht,  welche 
raumzeitliche  Umgebung  den  Zeitpunkt  und  räumlichen  Ort 
des  T  für  mein  Bewufstsein  bestimmte  und  von  anderen  unter- 
schied, als  ich  die  Wahrnehmung  des  T  voll  zog,  welche 
raumzeitliche  Umgebung  also,  oder  welche  begleitenden  Um- 
stände mit  meiner  Wahrnehmung  des  T  in  meinem  Bewulist- 
sein  zusammentrafen.  Nur  mit  diesen  konnte  die  Wahr- 
nehmung des  T  in  unmittelbare  Association  treten.  Nur  diese 
können  dann  auch  bei  der  Reproduktion  oder  Erinnerung  das  un- 
mittelbar Beproduzierende  oder  das  die  Erinnerung  unmittelbar 
Bestimmende  sein. 

In  meinem  Bewufstsein  zusammentreffen  konnten  aber  mit 
der  Wahrnehmung  des  T  nur  die  gleichzeitigen  und  unmittelbar 
vorangehenden  Umstände,  weiterhin  auch  die  unmittelbar 
folgenden.  Dabei  schUefse  ich  in  die  „Umstände"  zugleich  eiQ 
die  mitwahrgenommenen  räumlichen  Beziehungen  derselben 
untereinander  und  zu  dem  T\  nicht  minder  ihre  zeitlichen  Be- 
ziehungen untereinander  und  zu  T,  Durch  diese  zeitlich 
unmittelbar  benachbarten  Umstände  und  nur  durch  sie 
war  dem  T  in  der  Wahrnehmung  unmittelbar  seine  zeit- 
räumliche Stelle  angewiesen.  Die  zeitlich  unmittelbare  Um- 
gebung des  T,  soweit  sie  mitwahrgenommen  wurde,  machte 
für  die  Wahrnehmung  des  T  das  Jetzt  und  Hier  des  T  aus. 
Diese  unmittelbare  Umgebung  also  und  sonst  nichts  konnte 
mit  der  Wahrnehmung  des  T  in  unmittelbare  Association  treten. 
Auch  die  weitere  Umgebung  verknüpfte  sich    damit,  aber  nur 


Zur  Fsychohgie  der  KcwsaUtät  277 

sofern  sie  sich  mit  der  näheren  Umgebung  verknüpfte.  Sie 
konnte  dann  in  der  Erinnerung  die  nähere  Umgebung  reprodu- 
zieren. Aber  erst  diese  nähere  Umgebung  konnte  T  reproduzieren, 
also  der  unmittelbare  und  eigentliche  Grund  der  Reproduktion 
des  T  oder  das  zur  Bejahung  des  T  unmittelbar  und  eigentlich 
Nötigende  sein. 

Wiederum  aber  haben  in  dieser  zeitlich  unmittelbaren  Umge- 
bung die  der  "Wahrnehmung  des  T  nachfolgenden  Elemente  für 
uns  keine  Bedeutung.  Welche  Umstände  auch  immer  nachgefolgt 
sein  mögen,  die  gleichzeitigen  und  vorangehenden  Umstände 
waren  nun  einmal  vorher  da,  und  T  zögerte  nicht  mit  ihnen 
in  Association  zu  treten;  es  wartete  damit  nicht,  bis  auch  die 
nachfolgenden  Umstände  sich  eingestellt  hätten.  Entsprechend 
erweist  sich  auch  das  Erinnerungsurteil  als  unabhängig  von 
dem,  was  dem  T  folgte.  Es  genügt,  dafs  ich  dem  Gange  meines 
Erlebens  in  Gedanken  folge  bis  zu  dem  Punkte,  wo  mir  T  be- 
gegnete, und  die  Bejahung  des  T  erweist  sich  mir  an  eben 
diesem  Punkte  meines  Erlebens  als  notwendig,  und  es  thut 
nichts  zur  Sache,  ob  ich  dann  auch  noch  des  Folgenden  mich 
erinnere.  Jene  Notwendigkeit,  das  T  dem  Komplex  der  voran- 
gehenden und  gleichzeitigen  Umstände  einzufügen,  wird  da- 
durch weder  stärker  noch  schwächer. 

Dafs  es  so  ist,  liegt  aber  überhaupt  in  der  Natur  der 
Association  und  Reproduktion.  Die  Reproduktion  ist  nicht 
Wiederkehr  des  Verknüpften  überhaupt,  sondern  Wiederkehr 
in  gleicher  Ordnung.  In  der  Folge,  in  der  die  Wahrnehmungen 
sich  aneinander  reihten,  kehren  sie  auch  in  der  Erinnerung 
wieder.  Was  sich  an  eine  Wahrnehmung  anfügte,  oder  zu  ihr 
hinzutrat,  das  fügt  sich  auch  in  der  Erinnerung  an  die  repro- 
duzierte Wahrnehmung  an  oder  tritt  zu  ihr  hinzu.  Jede  Re- 
produktion in  veränderter  oder  umgekehrter  Ordnung  mufs 
ihren  besonderen  Grund  haben,  d.  h.  es  mufs  die  Association 
irgendwie  zugleich  in  umgekehrter  Ordnung  sich  geknüpft 
haben.  Sie  ist  von  Hause  aus  in  doppelter  Richtxmg  —  von 
A  nach  B  und  zugleich  von  B  nach  A  —  geknüpft,  insoweit 
die  Elemente  —  A  und  B  —  gleichzeitig  gegeben  waren. 

Mit  Vorstehendem  sind  wir  um  einen  wesentlichen  Schritt 
weitergekommen.  Das  Erinnerungsurteil  U-T  erschien  als  ein 
Einzelurteil,  weil  das  Subjekt  ?7  individuell  bestimmt  war.  Jetzt 
hat  sich  uns  aus    dem  Einzelurteil  sozusagen   als   sein    eigent- 


278  Th,  Lipps. 

lieber  Kern  ein  allgemeines  urteil  herausgelöst.  Sein  Prädikat 
ist  gleichfalls  T,  sein  Subjekt  aber  ist  von  jenem  U  dadurch 
unterschieden,  dafs  ihm  die  individuelle  Bestimmtheit  fehlt. 
Subjekt  dieses  Urteils  ist  der  Ingriff  und  zeiträumliche  Zu- 
sammenhang der  bei  der  Wahrnehmung  des  T  mitwahrge- 
nommenen, dem  T  unmittelbar  vorangehenden  und  gleichzeitigen 
umstände.  Er  ist  in  vollem  Sinne  Subjekt  dieses  T,  sofern  er 
der  zureichende  und  genügende  Grund  der  Bejahung  des  T 
ist.  Er  ist  nur  unmittelbares  oder  nächstes  Subjekt.  Aber  nur 
das  unmittelbare  oder  nächste  Subjekt  kommt  för  uns  hier 
in  Frage.  "Wollen  wir  auch  dies  neue  aus  dem  Erinnerungs- 
urteile U'T  herausgelöste  Urteil  noch  mit  Ü-T  bezeichnen,  so 
müssen  wir  unter  U  jetzt  ausschliefslich  den  Zusammenhang 
der  wahrgenommenen,  dem  T  unmittelbar  vorangehenden  und 
gleichzeitigen  Umstände  verstehen. 

Angenommen,  dieses  selbe  U  kehre  an  einer  anderen  zeit- 
lichen und  räumlichen  Stelle  des  Weltverlaufs  wieder,  so  kann 
ich  nicht  umhin  in  gleichem  zeiträumlichen  Zusammenhang 
mit  ihm  dasselbe  T  wieder  zu  bejahen.  Ich  sage:  dasselbe  U. 
Man  könnte  einwenden,  diese  Identität  sei  lediglich  qualitative, 
nicht  numerische  Identität.  In  der  That  können  numerisch 
identische  Umstände  nicht  wiederkehren.  Aber  von  der  nume- 
rischen Verschiedenheit  der  Umstände  findet  sich  eben  in  der 
Vorstellung  der  Umstände  nichts,  die  Vorstellung  U  und 
ihre  associative  Beziehung  zu  T  ist  durchaus  eine  und  dieselbe, 
gleichgültig  in  wie  vielen  numerisch  verschiedenen  Fällen  das 
U  in  der  objektiven  Welt  verwirklicht  erscheinen  mag.  Die 
eine  und  selbe  Vorstellung  U  und  Association  U-T  umfafst 
oder  repräsentiert  in  gleicher  Weise  aUe  gleichartigen  wirklichen 
oder  als  wirklich  gedachten  U.  Indem  die  Association  des  U 
mit  T  sich  knüpfte,  knüpfte  sie  sich  unweigerlich  für  alle 
möglichen  ü";  das  Urteil  U-T  kann  darum  nicht  bestehen,  ohne 
zugleich  den  Wert  eines  allgemeinen  zu  haben. 

Damit  ist  nicht  gesagt,  dafs  das  allgemeine  Urteil  U-Tnixn 
auch  gleich  als  solches  objektive  GrUtigkeit  habe.  Es  besteht 
zunächst  nur  für  mich,  der  ich  T  unter  den  vorangehenden 
und  begleitenden  Umständen  U  wahrgenommen  habe. 

Und  selbst  dies  ist  zu  viel  gesagt.  Anderweitige  Erfahrungen 
können  mich  zwingen,  das  allgemeine  Urteil  wieder  aufzuheben, 
ja  das  Urteil  kommt  vielleicht,    weil  ihm   bereits  anderweitige 


Zur  Psychologie  der  KausaMtäL  279 

Erfahrungen  im  Wege  stehen,  gar  nicht  zu  stände.  Aber  mit 
solchen  anderweitigen  Erfahrungen  habe  ich  es  hier  einstweilen 
nicht  zu  thun.  Ich  rede  hier  nur  von  dem,  was  in  der  auf  örund 
der  Wahrnehmung  des  U  und  T  von  mir  geknüpften  Association 
U'T  als  solcher  für  mich  enthalten  Hegt. 

Im  Obigen  ist  eine  psychische  Thatsache  bezeichnet,  die 
aUe  Allgemeinheit  von  Urteilen  bedingt.  Dafs  eine  und  die- 
selbe Vorstellung  oder  *  Vorstellungsverbindung  beliebig  und 
schliefslich  unendlich  viele  Objekte  und  Zusammenhänge  von 
Objekten,  dafs  etwa  eine  und  dieselbe  Vorstellung  eines  Tones 
von  bestimmter  Stärke,  Höhe  und  Klangfarbe,  obgleich  als 
Vorstellung  eine  und  dieselbe,  dennoch  Vorstellung  dieses  und 
zugleich  jenes  Tones  von  der  bestimmten  Stärke,  Höhe  und 
Klangfarbe  ist,  das  ist  eine  wahre  „Erkenntnisbedingung^,  soweit 
Erkenntnis  in  allgemeinen  Urteile  jl  besteht.  Eine  Vorstellung 
oder  allgemeiner  ein  Bewufstseinsinhalt  kann  aber  viele  Objekte 
repräsentieren,  weil  es  gleiche  Objekte,  oder  wenigstens  überall 
Gleiches  in  Objekten  giebt  und  weil  diese  Gleichheit  nicht  da- 
durch aufgehoben  wird,  dafs  die  Objekte  verschiedenen  Zeit- 
punkten oder  räumlichen  Orten  angehören.  Damach  können 
wir  auch  die  Gleichheit  der  Zeitpunkt  und  räumlichen  Orte  oder 
die  Homogeneität  von  Zeit  und  Baum  als  eine  der  Bedingungen 
bezeichnen,  unter  denen  allgemeine  Erkenntnis  möglich  ist. 

Jedes  in  der  Erfahrung  gewonnene  Einzelurteü,  ich  rede 
hier  immer  noch  speziell  von  Beziehungsurteilen,  ist  ohne  weiteres 
ein  allgemeines.  Dies  ist  so,  weil  Associationen  immer  in  der- 
selben Weise  wirken.  Und  dafs  es  so  ist,  ist  nur  eine  Tautologie ; 
ich  brauche  nicht  zu  wiederholen,  dafs  wir  von  Associationen  nichts 
kennen,  als  ihre  Wirkungen.  Das  einzig  nicht  Tautologische  ist, 
dafs  es  Associationen  giebt,  die  viele  Zusammenhänge  von  Ob- 
jekten zugleich  repräsentieren.  Diesen  Thatbestand  kann  man  als 
Gesetz  des  zureichenden  Grundes  mit  Bücksicht  auf  diematerialen 
Beziehungsurteile  aussprechen:  Die  begleitenden  und  voran- 
gehenden Umstände,  unter  denen  ein  Thatbestand  wahrgenom- 
men wurde,  treten  mit  diesem  in  associative  Beziehung,  d.  h.  sie 
werden  in  der  Folge  zu  zureichenden  Gründen  für  den  Thatbestand. 

Vn.    Associationen  und  objektiv  giltige  Gründe. 

Das  eben  Gesagte  bedarf  einer  Ergänzung.  Es  scheint,  als 
habe  ich  mich  dadurch  mit  der  Erfahrung  in  schreienden  Wider- 


280  Th.  Lipps. 

Spruch  gesetzt.  Man  sagt  mir:  Was  unter  gewissen,  von  mir 
beobacliteten  begleitenden  und  vorangehenden  Umständen  statt- 
fand, kann  recht  wohl  unter  denselben  Umständen  unterbleiben. 
Es  kann  unterbleiben,  ohne  dafs  ich  mich  wundere,  geschweige 
dafs  ich  darin  einen  Widerspruch  sehe.  Associationen  haben 
keine  gleichmäfsig  zwingende  Wirkung.  Es  giebt  kein  Gesetz 
der  Association  im  eigentlichen  und  strengen  Sinne  des  Wortes. 
So  leugnet  man  schliefslich  alle  psychologische  Gesetzmäfsigkeit, 
ohne  zu  sehen,  dafs  man  damit  auch  alle  Gesetzmäfsigkeit  der 
Dinge  leugnet. 

Aber  ist  man  denn  je  auf  den  Einfall  gekommen,  das  Fall- 
gesetz zu  leugnen,  weil  es  vorkommt,  dafs  Körper  nicht  fallen, 
sondern  steigen?  Leugnet  man  das  Gesetz  der  Beharrung,  weil 
auf  der  Erde  kein  geworfener  Körper  in  gleicher  Sichtung  und 
mit  gleicher  Geschwindigkeit  weitergeht  oder  weiterzugehen 
„strebt",  sondern  jeder  Körper  von  vornherein  „bestrebt**  ist, 
sich  der  Erde  zu  näheni,  also  seine  Richtung  und  seine  Ge- 
schwindigkeit zu  ändern.  Hier  ist  man  sich  des  Sinnes  des 
„Gesetzes"  wohl  bewufst.  Nur  der  sich  selbst  überlassene 
Körper  beharrt  in  seiner  Richtung  und  Geschwindigkeit,  oder 
„strebt"  darin  zu  beharren.  So  wird  man  auch  nur  von  der 
sich  selbst  überlassenen  Association  verlangen  dürfen^  dafs  sie 
ihre  Richtung  beibehält.  Man  wird,  allgemeiner  gesagt,  keine 
psychische  Gesetzmäfsigkeit  fordern  dürfen,  die  allem  dem  wider- 
streitet, was  man  sonst  unter  Gesetzmäfsigkeit  versteht. 

Die  richtig  verstandene  Gesetzmäfsigkeit  der  Association 
ist  aufser  Zweifel.  Ich  frage  zunächst:  Haben  nicht  Associa- 
tionen bei  dem  einen  mehr,  bei  dem  anderen  weniger  zwingende 
Krafb?  Dies  mufs  uns  veranlassen,  statt  Behauptungen  auszu- 
sprechen, die  Bedingungen  zu  untersuchen,  unter  denen  der- 
gleichen stattfindet.  Wir  finden,  Associationen,  die  bei  dem 
wissenschaftlich  Gebildeten,  dem  Erfahrenen  und  Weitsichtigen 
keine  zwingende  Kraft  mehr  haben,  ihn  also  nicht  mehr  zu 
allgemeinen  Urteilen  und  Voraussagungen  verleiten,  haben  diese 
Kraft  und  üben  die  entsprechende  Wirkung  beim  Ungebildeten, 
Unerfahrenen,  Beschränkten.  Auch  bei  jenem  knüpfen  sich  die 
Associationen;  aber  er  „überläfst"  sich  ihnen  nicht  mehr,  oder 
die  Associationen  sind  bei  ihm  nicht  mehr  sich  selbst  „überlassen". 
Anderweitige  Erfahrungen  und  erfahrungsgemäfse  Associationen 
treten  ihnen  entgegen.   Also  haben  doch  Associationen  an  sich 


Zur  Psychologie  der  Kausalität.  281 

nötigende  Kraft.  Die  nötigende  Kraft  mufs,  wönn  sie  nicht 
mehr  da  sein  soll,  aufgehoben  werden.  —  Dafs  Associationen 
wirken  in  dem  Mafse,  als  man  sich  ihnen  ^überläfst^  oder  sie 
sich  „überlassen^  sind,  sagt  alles.  Eine  ganz  und  gar  sich  über- 
lassene  Association,  also  eine  Association  in  einem  Geiste,  der 
im  übrigen  aller  Erfahrung  baar  wäre,  müfste  durchaus  zwin- 
gende Kraft  haben. 

Dies  giebt  aber  auch  im  Grunde  jeder  zu.  Jeder  wenigstens, 
der  das  Kausalgesetz  zugiebt.  Angenommen,  ich  hätte  alle 
gleichzeitigen  und  vorangehenden  Umstände  eines  Thatbestandes 
festgestellt,  es  läge  also  der  ganze  gleichzeitige  und  voran- 
gehende Weltzustand  mir  deutlich  vor  Augen.  Müfste  ich  dann 
nicht  annehmen,  dafs  bei  Wiederkehr  eben  dieses  Weltzustandes 
derselbe  Thatbestand  von  neuem  sich  einstellte?  Würde  es 
nicht  dem  „Kausalgesetze"  widersprechen,  wenn  in  dem  zweiten 
Falle  der  Thatbestand  ein  anderer  wäre? 

Und  angenommen,  ich  hätte  nicht  alle  umstände  festge- 
stellt. Ich  wüfste  aber  einstweilen  nichts  von  der  Existenz 
anderer  als  der  festgestellten  Umstände.  Sie  existierten  in  Wirk- 
Uchkeit,  aber  nicht  für  mich.  Oder  ich  wüfste  von  ihnen,  ver- 
stattete ihnen  aber  für  einen  Augenblick  auf  mein  Denken 
keinerlei  Einflufs.  Dann  wäre  es  für  mein  Denken  ebenso  gut, 
als  ob  sie  nicht  existierten.  Die  festgestellten  Umstände  waren 
für  mein  Denken  alle  Umstände.  Ich  müfste  also  wiederum 
annehmen,  dafs  die  Wiederkehr  der  Umstände  mit  der  Wieder- 
kehr des  Thatbestandes  verbunden  sei.  Damach  trägt  einzig  mein 
Wissen,  es  gebe  noch  andere  Umstände,  und  die  Wirksamkeit 
dieses  Wissens  die  Schuld,  wenn  ich  die  Annahme  nicht  machen 
mufs.  Abgesehen  davon,  also  an  sich  hätte  die  Association 
auch  hier  zwingende  Kraft. 

Ich  appelliere  noch  bestimmter  an  das  „Kausalgesetz".  Jede 
Veränderung  eines  Thatbestandes  fordert  ihre  Ursache.  Sie 
fordert  genauer  als  Ursache  eine  Veränderung,  auf  die  sie  un- 
mittelbar folgt,  also  eine  Veränderung  innerhalb  des  Komplexes 
der  gleichzeitigen  und  vorangehenden  Umstände.  Nun  betrachte 
man  diese  verursachende  Veränderung  als  nicht  geschehen.  Ea 
bleiben  dann  die  unveränderten  Umstände.  Unter  Voraussetzung 
derselben  ist  die  Veränderung  des  Thatbestandes  undenkbar ;  ich 
mufs  sie  also  in  Gedanken  aufheben,  d.  h.  den  unveränderten 
Thatbestand    in    Gedanken     fortbestehen    lassen.     Mit    einem 


282  Th,  Lippe. 

Worte :  die  Annahme  gleicher  umstände  zwingt  mich,  Gleiches 
zu  bejahen.  —  Dies  ist  genau,  was  ich  sage.  Natürlich  können 
mich  nur  solche  Umstände  zwingen,  die  ich  beobachtet  habe, 
die  also  mit  dem  Thatbestand  in  Association  getreten  sind.  Dafs 
einmal  geknüpfte  Associationen  zwingend  wirken,  solange  nur 
eben  diese  Associationen  wirken  und  nicht  anderweitige  Er- 
fahrungen hinzutreten,  die  diese  zwingende  Wirkung  aufheben, 
dieser  Satz  steht  so  fest,  wie  das  Kausalgesetz.  Es  ist  so  aus 
keinem  anderen  Grunde,  als  weil  in  jenem  Satz  eben  das 
richtig  verstandene  Kausalgesetz  enthalten  liegt. 

Unter  welchen  Bedingungen  können  aber  anderweitige  Er- 
fahnmgen  die  zwingende  Wirkung  einer  Association  aufheben? 
Gewifs  nicht,  wenn  sie  mit  der  Association  inhaltlich  gar  nichts 
zu  thun  haben.  Auch  nicht,  wenn  sie  die  Association  bestätigen. 
Der  Association  U-T,  die  sich  jetzt  in  mir  knüpft,  kann  die 
zwingende  Kraft  nur  fehlen,  wenn  ich  irgendwelche  Erfahrung 
gemacht  habe,  in  der  sich  an  U  oder  eines  der  Elemente,  aus 
denen  U  besteht,  statt  des  T  ein  non-T  fügte.  Aus  dieser  Er- 
fahrung ist  eine  Gegenassociation  entstanden,  d.  h.  eine  Asso- 
ciation, deren  Wirkung  mit  der  Wirkung  der  Association  U-T 
in  Widerspruch  tritt.  Nur  solche  Gegenassociationen  können 
die   zwingende  Kraft  einer  Association  zerstören. 

Ich  habe  jetzt  eben  eine  rote  Rose  gesehen.  In  Folge  der 
Wahrnehmung  hat  sich  mit  der  Gestalt  der  Hose  die  rote  Farbe 
verknüpft.  Die  Gestalt  der  Böse  hatte  etwas  Individuelles,  aber 
auch  etwas  der  Gattung  Gemeinsames.  Sofern  die  Association 
der  Gestalt  mit  der  roten  Farbe  die  Association  dieses 
„Gemeinsamen^  mit  der  roten  Farbe  i^L  sich  schliefst,  gilt 
die  Association  als  solche  für  jede  Böse,  die  ich  in  Zukunft 
wahrnehmen  werde.  Ich  müfste,  wenn  diese  Association  für 
sich  wirken  könnte,  von  jeder  Böse  erwarten,  dafs  sie  dieselbe 
rote  Farbe  zeige.  Vorausgesetzt  wäre  nur  in  jedem  einzelnen 
Falle,  dafs  die  Association  überhaupt  wirkte,  d.h.  dafs  jede 
neue  Böse  vermöge  der  Übereinstimmung  ihrer  Gestalt  mit  der 
Gestalt  der  jetzt  gesehenen  Böse  diese  reproduzierte.  Dem  mit- 
reproduzierten Gemeinsamen  müfste  ich,  wenn  nichts  wäre,  das 
daran  hinderte,  die  rote  Farbe  wiederum  anfügen. 

Aber  es  giebt  eben  solche  hindernde  Momente.  Die  Asso- 
ciation der  Böse  mit  der  roten  Farbe  ist  und  wirkt  thatsächlich 
nicht  mehr  für  sich.    Ich  habe  auch  schon  andersfarbige  Bösen 


Zur  Psychologie  der  Kausalität  283 

gesehen.  Auch  das  genügt,  dafs  Blumen,  die  nicht  Bösen  waren, 
aber  mit  Sosen  etwas  wahrnehmbar  Gemeinsames  hatten,  andere 
Farben  zeigten.  Oder  ich  weifs,  andere  Eosen  wachsen  auf 
anderem  Boden,  in  anderer  Umgebung,  in  anderem  Licht,  er- 
fahren andere  Pflege,  oder  sind  sonst  irgendwie  von  der  jetzt  eben 
gesehenen  verschieden.  Und  auch  an  diese  unterscheidenden 
Momente  haben  sich  erfahrungsgemäfs  andere  Farben  geknüpft. 
So  stehen  der  einen  Association  nicht  eine,  sondern  unzählige 
Gegenassociationen  gegenüber.  Kein  Wunder,  wenn  die  Asso- 
ciation nicht  mehr  wirkt,  was  sie,  blofs  sich  selbst  überlassen» 
wirken  würde. 

In  ähnlicher  Weise  finden  die  meisten  Associationen,  die 
wir  knüpfen,  ihre  Gegenassociationen  schon  vor.  Sie  sind  schon, 
indem  sie  geboren  werden,  nicht  mehr  für  sich  oder  sich  selbst 
überlassen,  können  also  nicht  mehr  die  in  ihrer  Natur  lie- 
gende Wirkung  voUbringen.  Nicht  an  ihnen,  sondern  nur  an 
den  jungfräuUchen,  noch  von  Gegenassociationen  freien,  können 
wir  diese  Wirkung  erproben. 

Aber  es  scheint  fast,  als  könne  es  nach  dem  eben  Gesagten 
für  uns  gar  keine  solchen  Jungfräulichen^  Associationen  mehr 
geben.  Dann  wäre  unser  Versuch,  die  Kausalität  auf  Associa- 
tion zurückzuführen,  hinfällig.  Die  kausalen  Associationen,  d.  h. 
diejenigen  associativen  Beziehungen,  die  wir  als  ursächliche 
bezeichnen ,  können  ja  gewifs  nur  unter  den  „jungfräulichen" 
gesucht  werden.  Denn  giebt  es  eine  Erfahrung,  die  mit  einem  A 
ein  non-B  verbunden  zeigt,  so  kann  nach  jedermanns  Meinung 
A  nicht  Ursache  des  B  sein ,  wenn  es  auch  seine  Teilursache 
sein  mag. 

Nun  hat  auch  die  rote  Farbe  der  Rose,  von  der  wir  vorhin 
sprachen,  ihre  Ursache.  Sie  besteht  —  wenn  wir  von  Licht 
und  Auge,  ohne  die  es  gar  keine  Farbe  gäbe,  absehen  —  all- 
gemein gesagt  —  in  der  Konstitution  der  Brose.  Die  Associa- 
tion zwischen  dieser  „Konstitution"  und  der  roten  Farbe  müfste 
also  eine  in  ihrer  zwingenden  Wirkung  durch  keine  Gegen- 
association  gestörte  sein.  Und  doch  scheinen,  nach  Obigem, 
solche  Gegenassociationen  nicht  fehlen  zu  können.  Auch  die  Kon- 
stitution unserer  Kose,  so  gut  wie  ihre  Gestalt,  hat  ja  etwas 
allen  Bösen  Gemeinsames.  Und  dieses  „Gemeinsame"  hat  sich 
in  der  Erfahrung  oft  genug  mit  anderen  Farben  verknüpft.  Ich 
bin  also  auch  bei  der  in  Bede  stehenden  Böse  genötigt,  diesem 

Zeitsehrlll  fttr  Piyehologle.  Id 


284  Th.  Lippe. 

^Gemeinsamen^  imdere  Farben  hinznzufogen ,  oder  ich  bin  ge- 
nötigt, sie  zu  der  Konstitution  der  Böse  hinzuzufügen,  sofern 
diese  Konstitution  jenes  Gemeinsame  in  sich  schliefst.  Eben 
damit  ist  aber  die  „zwingende  Krafb^,  d.  h.  die  ausschliefsliche 
Wirkung  der  Association  zwischen  jener  Konstitution  und  der 
roten  Farbe  aufgehoben. 

Indessen  dieser  scheinbare  Widerspruch  löst  sich,  wenn 
wir  mxkm  nähere  Bestimmung  des  Wesens  der  Association,  die 
schon  bei  Bespreehung  des  Erinnerungsurteils  Torausgesetzt 
war,  nunmehr  ausdrücklich  henrorheben.  Das  Subjekt  U  einer 
Association  Ü-T  läfst  sich  jederzeit  in  mehrere  Elemente  Ä^ 
B,  C  zerlegen,  es  ist  eine  Einheit  oder  ein  Zusammenhang  der 
Ä^  B,  C.  Indem  die  Association  TJ-T  in  der  Wahrnehmung 
sich  knüpft,  knüpfen  sich  auch  unweigerlich  die  Teilassocia- 
tionen  A-T^  B-T,  C-T.  und  diese  Teilassociationen  sind,  solange 
es  für  sie  keinerlei  Gegenassociationen  giebt,  zwingend,  wie 
jede  Association.  Haben  sie  aber  ihre  zwingende  Kraft  ver- 
loren, dann  ist  damit  nicht  auch  die  zwingende  Krafb  der  ganzen 
Association  U-T  dahin.  Diese  Association  wirkt  als  Ganzes, 
als  eine  Association  eigener  Art.  Ihre  Wirkung  setzt  sich  nicht 
zusammen  aus  der  Wirkung  der  Teilassociationen,  sond^n  ist 
davon  völlig  unabhängig. 

So  vergegenwärtigt  uns  ein  Wort  das  Bild  eines  Gegen- 
standes mit  Ausschlufs  anderer,  obgleich  die  Vokale  und  Kon- 
sonanten, aus  denen  das  Wort  besteht,  für  sich  gar  nichts  der* 
gleichen  thun.  So  erinnert  uns  ein  Haus  an  seine  Bewohner, 
oder  das,  was  wir  in  dem  Hause  erlebt  haben,  während  die  einzelnen 
Steine  oder  farbigen  Flächen,  aus  denen  es  für  unsere  Wahr- 
nehmtuig  besteht,  jeder  Stein  oder  jede  Fläche  für  sich  betrachtet, 
ims  eher  an  alles  andere  erinnern  würden.  In  eben  derselben 
Weise  nun  kann  mir  auch  die  Konstitution  der  jetzt  eben 
wahrgenommenen  Böse  als  Ganzes  die  Vorstellung  der  roten 
Farbe  ausschlieislich  aufnötigen,  obgleich  das,  was  diese  Kon- 
stitution mit  der  Konstitution  anderer  Bösen  gemein  hat,  diese 
Ausschliefslichkeit  der  Nötigung  längst  hat  aufgeben  müssen. 
—  Dafs  Associationen  als  Ganzes  eine  von  der  Wirkung  der 
Teilassociationen  unabhängige  Wirkung  üben,  das  ist  wiederum 
eine  der  Grundthatsachen  des  Erkennens,  oder  eine  letzte  Er- 
kenntnisbedingung. 

Die   Konstitution    der   Böse    war    die    Ursache  der   roten 


Zur  Fsychologie  der  Kausalität  285 

Farbe.  So  sind  alle  ursächliclieii  Beziehnngen  Associationen,  die 
als  Ganzes  zwingend  wirken  nnd  diese  zwingende  Wirkung 
behaupten,  trotzdem  ihre  Teilassociationen  sie  im  Widerstreit 
mit  Gegenassociationen  verloren  haben. 

Solche  Associationen  aber  müssen  in  unserem  Denken  ge- 
wonnen werden.  Auch  „Ursachen**  werden  ja  von  uns  ge- 
wonnen. Wie  gewinnen  wir  jene  Associationen?  Die  Beant- 
wortung der  Frage  ergiebt  sich  aus  der  Beantwortung  der 
anderen:  Wie  können  G-egenassociationen  sich  wechselseitig  ihre 
zwingende  Elraft  rauben? 

Wenn  einer  Association  U-T  eine  Association  U-fkm-T  gegen- 
übertritt, ist  dann  die  Association  U-T  gar  nicht  mehr  vor- 
hfmden?  Dnd  wenn  sie  noch  vorhanden  ist,  kann  sie  es  dann 
ohne  weiteres  unterlassen,  zu  „zwingen^  ?  In  der  That  unterläTst 
sie  es  nicht  ohne  weiteres.  Nur  dafs  die  Gegenassociation  es 
ebensow^g  unterläXst.  und  dafs  Gegenassociationen  sich 
bilden,  dies  zu  verhindern  liegt  eben  nicht  in  der  Natur  der 
Association. 

Die  Association  U-T  zwingt,  mit  einem  CT  ein  T,  die  Asso- 
ciation U-non~T  zwingt,  mit  demselben  U  ein  non-T  zu  verbin- 
den. Ich  muTs  im  Zusammenhang  mit  U  das  T  annehmen  und 
abweisen,  bejahen  und  verneinen.  Damit  befinde  ich  mich  im 
Zustande  des  logischen  Widerspruchs.  DaGs  jede  Association 
als  solche  zwingt,  dies  bedingt  den  Widerspruch. 

Dieser  Widerspruch  nun  muTs  aufgehoben  werden.  Man 
wird  nicht  fragen,  warum  er  aufgehoben  werden  müsse,  oder 
ob  man  sich  nicht  auch  bei  ihm  beruhigen  könne.  Der  Widerspruch 
ist  eben  dasjenige,  bei  dem  man  sich,  nämlich  denkend,  nicht 
beruhigen  kann.  Vielleicht  gelingt  es  mir,  den  einen  der  beiden 
erfahrungsgemäisen  Zusammenhänge  über  dem  anderen  zu  ver- 
gessen. Dann  freilich  kann  ich  mich  dem  anderen  ungestört 
überlassen.  Aber  das  Denken  besteht  nicht  darin,  dafs  ich  eine 
Erfahrung  über  der  anderen  vergesse,  sondern  dafs  ich  beide 
vereinige,  d.  h.  zugleich  in  mir  vollziehe.  Und  dies  ist  in  un- 
serem Fall  unmöglich.  In  dieser  Denkunmöglichkeit  besteht 
der  Widerspruch. 

Was  würde  denn  auch  aus  dem  Kausalgesetz,  wenn  wir 
bei  jenem  Widerspruch  beharren  könnten.  Jeder  Veränderung 
müssen  wir  eine  Ursache  zugestehen.  Gewifs  „müfsten**  wir 
nicht,   wenn  nicht  das  Gegenteil  unmöglich  wäre,   wenn  nicht 

19* 


286  Th.  Lipps. 

der  Gedanke  der  ursacblosen  Veränderung  irgendwie  in  uns  auf 
Widerspruch  stiefse.  Nur  dafs  man,  so  lange  man  das  Kausal- 
gesetz nur  behauptet  und  nicht  sagt,  worin  es  besteht,  auch 
diesen  "Widerspruch  oder  diese  Denkunmöglichkeit  nur  be- 
hauptet und  es  unterläfst,  zu  sagen,  worin  sie  bestehe. 

Man  hätte  aber  leicht  den  Sitz  des  Widerspruches  ent- 
decken können.  Ich  legte  schon  oben  darauf  Gewicht,  dafs 
die  vom  Kausalgesetz  geforderte  Ursache  der  Veränderung 
eines  Thatbestandes  T  in  einer  Veränderung  in  den  das  T  be- 
gleitenden und  ihm  vorangehenden  Umständen  U  bestehe.  Ich 
schlofs  daraus,  dalSs  nicht  nur  für  uns,  sondern  für  jeden,  der 
das  Kausalgesetz  anerkenne,  unter  vöUig  gleichbleibenden 
Umständen  U  der  unveränderte  Fortbestand  des  T  gefordert 
sei.  Damit  ist  der  Sitz  des  Widerspruches  bezeichnet.  Eine 
Veränderung  des  T,  also  ein  Übergang  von  T  in  non-T^ 
wenn  nicht  zugleich  ein  Übergang  von  U  in  non-  U  stattfände, 
würde  dieser  Forderung  widersprechen.  Und  warum  besteht 
die  Forderung?  Warum  mufs  ich  dabei  bleiben,  dem  mit  sich 
identischen  U  das  sich  selbst  gleichbleibende  T  hinzuzufügen? 
Wie  gleichfalls  schon  oben  gesagt,  nur  darum,  weil  die  Er- 
fahrung mit  dem  U  nun  einmal  das  T  verknüpft  hat.  Also  ist 
der  Widerspruch  ein  solcher  zwischen  der  Vorstellungsver- 
bindung JJ-non-T  einerseits  und  der  erfahrungsgemäfsen  Ver- 
knüpfung, oder  der  Association  U-T  andererseits.  Es  verhält 
sich  mit  andern  Worten  wiederum  für  jeden,  der  das  Kausal- 
gesetz gelten  läfst,  genau  so,  wie  wir  sagen. 

Damit  ist  auch  schon  gesagt,  worin  die  Aufhebung  des  Wider- 
spruches besteht.  In  der  Annahme  einer  Veränderung  des  TT 
nämlich.  Unter  gleichen  Umständen  U  müssen  wir  Gleiches 
annehmen.  Also  müssen  wir  die  Umstände  ungleich  denken, 
wenn  wir  auf  Grund  der  Erfahrung  Ungleiches  —  zuerst 
ein  T,  dann  ein  wow-  T  —  anzunehmen  genötigt  sind.  Wir 
müssen  annehmen,  neben  der  wahrgenommenen  Gleichheit  des 
U  bestehe  eine,  obgleich  nicht  wahrgenommene  Ungleichheit, 
es  sei  also  mit  U  das  eine  Mal  ein  nichtwahrgenommenes  Ele- 
ment a,  das  andere  Mal  ein  Element  non-a  verbunden  gewesen. 
Weitere  Erfahrung  entscheidet  dann,  worin  das  a  und  non-a 
besteht. 

Wir  nannten  das  U  Grund  oder  Subjekt  des  T.  Gleiche 
Gründe  haben   gleiche  Polgen,    gleiche  Subjekte    gleiche  Prä- 


Zur  Psycholoffie  der  KauaaUtät  287 

dikate.  Sind  also  Folgen  oder  Prädikate  ungleich,  so  müssen 
auch  die  Gründe  oder  Subjekte  ungleich  gedacht  werden. 

Durch  iene  Korrektur  oder  Ercänzunir  sind  nun  die  U-T  und 
U^ar^T  denkbar  gemacht;  derWidersp4h  zwischen  ihnen  ist 
gelöst.  Er  ist  gelöst  dadurch,  dafs  die  ursprünglichen  Asso- 
ciationen CT-Tund  ü-non-T  als  ^Teilassociationen^  aufgenommen 
sind  in  die  durch  a  und  noip-a  ergänzten  Associationen  27-Tund 
U-non-T.  Diese  letzteren  haben  jetzt  die  zwingende  Kraft,  die 
von  Hause  aus  allen  Associationen  eignet.  Die  ursprünglichen 
haben  sie  nur,  sofern  sie  die  Ergänzung  erfahren  haben.  Sie 
haben  sie,  aber  nicht  mehr  als  solche.  Wir  haben  ja  oben  ge- 
sehen, dafs  Associationen  als  Ganzes  zwingende  Kraft  haben 
können,  auch  wenn  die  Teilassociationen  als  solche  sie  nicht 
mehr  haben.  Der  Widerspruch  der  ursprünglichen  Associationen 
besteht  nicht  mehr,  d.  h.  er  kann  nicht  mehr  aktiv  werden, 
weil  ich  in  meinem  Denken  von  dem  U-T  und  U-non-T  sofort 
zu  der  Ergänzung  mich  zurückwenden  und  die  „ergänzten"  ü 
als  solche,  also  als  Ganzes  betrachten  und  in  mir  wirken  lassen 
kann.  Als  Ganzes  sind  sie  verschieden,  fordern  also  nicht  mehr 
die  Hinzufügung  des  Gleichen,  und  ich  kann  jene  Denk- 
bewegung nicht  nur  vollziehen,  sondern  ich  bin  eben  durch 
den  Widerspruch  der  zwischen  dem  J7-T  und  JJ-won-T,  abge- 
sehen von  der  Ergänzung  besteht,  dazu  genötigt.  Der 
Widerspruch  selbst  ist  die  treibende  Kraft.  So  sind  überhaupt 
Widersprüche  zwischen  Associationen  die  treibenden  Kräfte  in 
unserem  Denken,  soweit  dasselbe  über  die  unmittelbare  Wirkung 
der  Associationen  hinausgeht.  Diese  unmittelbare  und  jene 
mittelbare  Wirkung  der  Associationen  macht  das  Denken  aus 
und  läfst  die  Erkenntnis  entstehen.  Ich  rede  auch  hier  speziell 
von  der  materialen  Erkenntnis,  obgleich  sich  die  Behauptung 
auf  alle  Erkenntnis  ausdehnen  läfst. 

Jetzt  erst  ist  auch  die  Frage,  wie  Associationen,  die  wir 
jetzt  knüpfen,  von  vornherein  ohne  zwingende  Wirkung  sein 
können,  vollständig  beantwortet.  Ich  meinte  oben,  sie  seien 
eben  nicht  mehr  „für  sich",  d.  h.  sie  hätten  ihre  Gegenassocia- 
tionen  bereits  gefunden.  Jetzt  müssen  wir  hinzufügen,  dafs  sie 
auch  in  anderem  Sinne  nicht  mehr  „für  sich"  sind;  in  dem 
Sinne  nämlich,  dafs  sie  und  ihre  Gegenassociationen  verschieden- 
artige Ergänzungen  gefunden  haben,  oder  dafs  sie  von  uns  aut 
Grund  der  Erfahrung  als  Teilassociationen  in  verschiedenartige 


288  Th.  lApps. 

^ weitere^,  d.  h.  in  ihren  Subjekten  verschiedenartig  ergänzte 
Associationen  aufgenommen  worden  sind.  Weil  diese  ergänzten 
oder  „weiteren"  Associationen  hinsichtlich  ihrer  Subjekte  ver- 
schiedenartige sind,  darum  besteht  zwischen  ihnen  kein  Wider- 
spruch mehr. 

So  bin  ich  nicht  mehr  gezwungen,  alle  Bösen  in  meinen 
Gedanken  mit  der  Farbe  der  jetzt  eben  wahrgenommenen  aus- 
zustatten, es  schlieft  also  das  BewuTstsein,  es  gebe  auch  anders- 
gefärbte Bösen,  für  mich  keinen  Widerspruch  mehr  in  sich, 
weil  es  für  mich  Bösen  schlechtweg,  als  diese  isolirten  Be- 
wufstseinsinhalte,  gar  nicht  mehr  giebt,'sondem  nur  Besen  von 
dieser  oder  jener  inneren  und  äulseren  Beschaffenheit,  wie  sie 
in  den  Namen,  die  ihnen  der  Botaniker  oder  Gärtner  giebt,  aus- 
gesprochen liegt,  aulaerdem  Bösen  in  dieser  oder  jener  Um- 
gebung, Bösen  unter  dieser  oder  jener  Pflege  u.  s.  w.  In  glei- 
cher Weise  verschwindet  überall  der  Widerspruch,  es  verstummt 
die  Frage:  wie  ist  es  möglich,  dafs  dies  A^  dasJB  war,  jetzt  nicht 
mehr  B  ist  ?  —  in  dem  Mafse,  als  ich  gelernt  habe,  Erfahrungs- 
inhalte in  weitere  und  weitere  und  damit  zugleich  immer  mehr 
sich  differenzierende  Zusammenhänge  einzuordnen  und  in  diesen 
Zusammenhängen  mir  zu  vergegenwärtigen.  Immer  ist  es  eben 
der  Widerspruch,  der  mich  zu  solcher  Einordnung  bringt,  also 
seine  Aufhebung  selbst  möglich  macht. 

Mit  dem  Gesagten  ist  doch  nicht  behauptet,  dais  die  er- 
gänzten Associationen,  insbesondere  die  Association  U-T  nicht 
wiederum  mit  Erfahrungen  in  Widerspruch  geraten  können. 
Geschieht  dies,  dann  wiederholt  sich  der  Prozefs  der  Ergän- 
zung. Er  kann  sich  wiederholen,  solange  die  Gefahr  des  Wider- 
spruches besteht.  Besteht  sie  nicht  mehr,  so  ist  die  Association 
U'T  eine  endgiltige  oder  objektiv  giltige,  es  ist  das  in  ihr 
repräsentirte  allgemeine  Urteil  ein  end^tiges  oder  objektiv 
giltiges  geworden. 

Genauer  ist  es  der  Grund  des  T,  oder  das  Subjekt  der 
Association  oder  des  allgemeinen  Urteils,  das  die  Ergänzung 
erfährt.  Der  Grund  war  ein  subjektiv  giltiger,  das  Subjekt 
ein  subjektiv  giltiges.  Jetzt  ist  der  objektiv  giltige  Grund 
des  T  oder  das  objektiv  giltige  Subjekt  in  dem  Urteile,  dessen 
Prädikat  T  ist,  gefunden.  Im  Kampfe  der  Erfahrungen  und 
Erfahrungsassociationen  um  das  Dasein  in  meinem  Geiste 
werden  solche  objektiv  giltigen  Gründe  oder  Subjekte  erzeugt. 


Zur  Fsycholoffk  der  KausaUtät.  289 

Sie  siiid  objektiv  giltige,  weil  sie  durch  den  Kampf  hindurch- 
gegangen sind,  und  darum  den  Kampf,  'd.  h.  die  Gefahr  der 
Widerauf hebung  durch  den  Widerspruch  mit  der  Erfahrung 
nicht  mehr  zu  furchten  haben. 

Vin.    Das  Kausalgesetz, 

Dafs  gleiche  Ursachen  gleiche  Wirkungen  haben,  diese 
Überzeugung  wäre  vom  Kausalbegriff  gänzlich  unabhängig, 
wenn  Objekte  fär  uns  dadurch  zu  Ursachen  und  Wirkungen 
wurden,  dafs  wir  ein  „objektives^  kausales  „Band^  oder  „reales^ 
Band  der  Notwendigkeit  zwischen  ihnen  geknüpft  dächten. 
Dafs  ein  solches  Band  einmal  an  ein  A  ein  B  festknüpfte, 
daraus  folgte  ja  keineswegs,  daDs  es,  in  gleicher  Weise  mit  jedem 
anderen  A  dasselbe  B  verknüpfen  müfste.  Vielmehr  müfste  es 
ein  eigenes  Gesetz  geben,  das  diese  Gleichmäfsigkeit  der  Ver- 
knüpfung verbürgte.  Wir  hätten  aber  sogar,  wenn  wir  bedenken, 
dafs  auch  schon  jene  erste  Anwendung  des  Kausalbegriffs  nicht 
willkürlich  von  uns  geschieht,  neben  dem  Kausalbegriff  zwei 
fielbständige  Kausalgesetze  anzuerkennen:  das  eine  das  sagt, 
dafs  wir  unter  bestimmten  Umständen  das  kausale  Band  vor- 
handen denken  müssen,  und  das  andere,  das  uns  nötigt,  wenn 
wir  einmal  unter  diesen  Umständen  den  Gedanken  vollzogen 
haben,  ihn  unter  gleichen  Umständen  immer  wieder  zu  voll- 
ziehen. —  In  der  That  ein  merkwürdiger  Reichtum  des  mensch- 
lichen Geistes,  merkwürdig  vor  allem  wegen  seiner  Nutzlosig- 
keit. Denn  von  diesen  drei  psychologischen  Thatbeständen 
wären  zwei,  nämlich  der  Elausalbegriff  und  jenes  erste  Kausal- 
gesetz für's  Denken,  vollkommen  überflüssig. 

Aber,  so  entgegnet  man  uns,  wenn  ein  B  notwendig  an  ein 
A  geknüpft  ist,  mufs  es  dann  nicht  jeder  Zeit  an  das  A  geknüpft 
sein?  Hier  spielt  man  mit  Worten,  und  es  ist  merkwürdig,  wie 
selbst  einsichtige  Erkenntnis-Psychologen  sich  von  diesem  Spiel 
täuschen  lassen.  Was  heifst  denn  das :  £  ist  an  ^  „notwendig^ 
geknüpft?  Soll  damit  in  der  That  nur  gesagt  sein,  dafs  in 
einem  gegebenen  Falle  jenes  angebliche  „reale^  Band  der  Not- 
wendigkeit zwischen  A  und  B  bestehe?  Dann  bleibt  es  dabei, 
dafs  das  Dasein  dieses  realen  Bandes  an  einer  Stelle  der 
Wirklichkeit  nicht  ohne  weiteres  sein  Dasein  an  anderen  Stellen 
der  Wirklichkeit  in  sich  schlieüst.  In  Wahrheit  hat  man  aber 
etwas  Anderes  im   Sinn.     Ohne   es   selbst   zu  wissen,    schiebt 


290  Th.  Lippa, 

man  jenem  realen  Bande  der  Notwendigkeit  ein  ideelles,  jener 
in  den  Objekten  gedachten  Notwendigkeit  die  Notwendig- 
keit des  Denkens  unter.  Erst  hat  man  das  reale  Band  für 
nnerlässlich  erklärt,  jetzt,  wo  es  für  das  Benken  nutzbar 
werden  soll,  wirft  man  es  —  mit  vollem  Bechte  —  weg  und 
ersetzt  es  durch  etwas  vollkommen  Anderes,  nämlich  das  Band 
der  Notwendigkeit  zwischen  Denkakten.  Und  nun  allerdings 
gut  jene  obige  Behauptung.  Nötigt  mich  in  einem  Falle  ein  Ä^ 
ein  B  mit  ihm  verbunden  zu  denken,  so  liegt  darin  far  mich  die 
Nötigung,  mit  jedem  Ä  dasselbe  B  verbunden  zu  denken.  So 
gewifs  das  reale  Band  der  Notwendigkeit,  das  an  ein  Ä  ein 
B  bindet,  nicht  ohne  weiteres  alle  A  umfafste,  so  gewiCs  um- 
fafst  das  Band  der  Notwendigkeit,  das  an  die  Annahme,  dafs 
A  sei,  die  Annahme,  dafs  B  sei,  bindet,  alle  A  der  Welt. 
Dies  letztere  ist  so,  weil,  wie  wir  gesehen  haben,  die  eine  und 
selbe  Vorstellung  des  A  und  B  alle  A  und  B  zumal  reprä- 
sentiert. —  So  schlägt  auch  hier  der  mythologische  Kausalbegriff 
gegen  seinen  Wülen  in  den  wahren,  psychologischen  Kausal- 
begriff um. 

Diesen  wahren  Kausalbegriff  haben  wir  nun  nicht  mehr 
zu  erörtern.  Ebenso  ist  für  das  Verständnis  des  Gesetzes 
der  Kausalität  das  Wesentlichste  bereits  gethan.  Dafs  Ver- 
änderungen Ursachen  haben,  pflegt  man  zunächst  als  Sinn 
des  Gesetzes  zu  bezeichnen.  Auch  diese  specielle  Formu- 
lierung des  Kausalgesetzes  wurde  oben  schon  in  Betracht  ge- 
zogen. Freilich  hatten  wir  es  zunächst  nicht  mit  der  Verän- 
derung, sondern  mit  dem  Anderssein  überhaupt  zu  thun. 
Aber  davon  ist  eben  die  Veränderung  ein  Specialfall:  Mit  U 
ist  in  einem  Falle  T,  in  einem  anderen  non-T  verbunden; 
oder  mit  ü"  ist  in  diesem  Momente  T,  im  nächsten  nan-T 
verbunden.  So  gut  wie  das  erstere,  so  gut  schliefst  das  letztere, 
solange  U  sich  selbst  gleich  gedacht  wird,  einen  Widerspruch 
in  sich.  Wir  müssen  dem  U  des  einen  Momentes  T,  und  dem- 
selben Uy  sofern  wir  es  im  folgenden  Momente  wirklich  denken, 
non-T  hinzufügen.  Diesem  Widerspruch  können  wir  nur  ent- 
gehen, indem  wir  die  beiden  Momente  des  U,  d.  h.  da  Momente 
an  sich  nicht  verschieden  sind,  das,  was  in  den  beiden  Momen- 
ten zu  U  hinzutritt,  verschieden  denken.  Wir  entgehen  mit 
anderen  Worten  dem  Widerspruch,  indem  wir  annehmen,  es 
habe  an  U  eine  Veränderung  stattgefunden. 


Zur  Psychologie  der  KauaaUtät,  291 

Gehen  wir  aber  hierauf  etwas  näher  ein.  Die  Veränderung 
an  Uj  die  die  Erfahrung  zunächst  aufweist,  heifse  v^,  das  Umit 
der  Veränderung  Uvj^.  Statt  non-T  sagen  wir  von  jetzt  an,  um  es 
als  ein  bestimmtes  non-T zu  bezeichnen:  jT^.  Dafs  an  Stelle  des 
T  im  zweiten  der  beiden  aufeinanderfolgenden  Momente  T,  ge- 
treten ist,  dafs  also  die  Veränderung  TT^  stattgefunden  hat, 
dies  ist  denkbar  geworden  durch  das  Bewufstsein,  auch  U  sei 
ein  anderes  geworden,  oder  kurz  durch  das  Bewufstsein  der 
Wirklichkeit  des  Uv^  an  Stelle  des  blofsen  U.  Indem  ich  Uv^ 
denke  imd  von  diesem  Uv^  als  Ganzem  zu  TT^  übergehe, 
schwindet  der  Widerspruch.  Mit  dem  Vollzug  dieser  relativ 
neuen  Gedankenverbindung  ist  aber  eine  relativ  neue  Associa* 
tion  entstanden,  nämlich  eben  die  Association  Uv^-TT^,  Inner- 
halb derselben  ist  Uv^  der  zureichende  Grund  des  TI\. 

In  diesem  Uv^  ist  nun  zugleich  für  mein  Bewufstsein  die 
Ursache  des  TT^  oder  der  Veränderung  des  T  enthalten.  U  mufste 
ja  zu  Uv^  ergänzt  werden,  wenn  die  Veränderung  TT^  an  ~U  oder 
in  bestimmtem  zeitlichen  bezw.  zeiträumlichen  Z^sammenhang 
mit  U  denkbar  sein  sollte.  Der  Gedanke,  zum  ehemaligen  U  sei  v^ 
hinzugetreten,  ist  die  Bedingung  oder  Voraussetzung  der 
Möglichkeit,  d.  h.  der  widerspruchslosen  Denkbarkeit  des  TT.  Wir 
brauchen  nur  diesen  Gedanken  wieder  rückgängig  zu  machen, 
und  der  Gedanke,  die  Veränderung  TT^  habe  stattgefunden, 
wird  so  unvollziehbar,  wie  er  es  ursprünglich  war.  Dies  aber 
ist,  wie  wir  gesehen  haben,  das  Kennzeichen  der  Ursache: 
Ursache  eines  Thatbestandes  ist  der  Bewufstseinsinhalt,  dessen 
Bejahung  uns  zwingt,  den  Thatbestand  anzunehmen,  und  den 
wir  in  einem  gegebenen  Falle  nicht  verneinen  können,  ohne 
dafs  auch  der  Thatbestand  für  uns  undenkbar  wird. 

Damit  sind  wir  indessen  noch  nicht  zu  Ende.  Auch  hier 
braucht,  was  Grrmd  ist,  sich  nicht  als  solcher  zu  bewähren« 
Üt7j  braucht  sich  nicht  als  objektiv  giltiger  Grund  des  TT^ 
zu  erweisen.  Dann  enthält  es  auch,  nicht  die  objektiv  giltige 
oder  wirkliche  Ursache  der  .Veränderung  in  sich.  Der  Wider- 
spruch, dem  wir  durch  Entdeckung  des  Uv^  entgingen,  kann 
von  neuem  auftreten.  Er  thut  dies,  sobald  in  der  Erfahrung 
an  einem  U  die  Veränderung  v^  bemerkt  wird,  ohne  dafs  ein 
mit  dem  U  verbundenes  T  in  T^  übergeht,  oder  positiv  ausge- 
drückt, sobald  ich  es  erlebe,  dafs  U  sich  in  der  bestimmten 
Weise   verändert   und  T  bleibt,    oder  zu  T,  wird.     Geschieht 


292  Th.  JJppa. 

dies,  so  mufs  ich  nach  einer  neuen  Yerändernng  an  U  suchen, 
also  eine  neue  Ergänzung  der  Association  vollziehen  oder  in 
der  Erfahrung  sich  vollziehen  lassen.  Die  neue  Association 
heiTse  Vv^v^-TT^.  Angenonunen,  dieselbe  erweist  sich  in  wei- 
terer Erfahrung  als  objektiv  giltige  Association,  oder  was  das- 
selbe sagt,  UvyV^  behauptet  sich  widerspruchslos  als  Grund  far 
die  Bejahung  des  T2\,  dann  ist  in  Uv^v^  zugleich  die  wirkliche 
Ursache  der  Veränderung  des  T  in  2\  eingeschlossen. 

Sie  ist  darin  eingeschlossen  oder  enthalten.  Damit  will 
ich  sagen,  dafs  nicht  das  ganze  JJv^v^  die  Ursache  zu  sein, 
d.  h.  dafs  nicht  jedes  Element  des  Uv^v^  sich  als  objektiv  gil- 
tige Bedingung  des  TT^  zu  erweisen  braucht.  Welche  Elemente 
solche  Bedingungen  sind,  welche  Elemente  also  zur  Ursache 
des  TT^  in  Wahrheit  hinzugehören,  davon  mufs  ich  mich  noch 
besonders  überzeugen.  Ich  thue  dies,  indem  ich  zusehe,  welche 
Elemente  des  Uv^v^^  bezw.  welche  Komplexe  von  solchen  Ele- 
menten bei  gleichbleibenden  übrigen  Elementen  thatsächlich, 
d.  h.  nach  Aussage  der  Erfahrung,  wegfallen  können,  ohne  dafs 
die  Veränderung  TT^  unterbleibt.  Nach  unserer  obigen  Voraus- 
setzung kann  t?,,  nämlich  das  ganze  t;,,  nicht  wegfallen.  Da- 
gegen könnte  v^  und  könnten  Elemente  des  17 und  des  v^  weg- 
fallen und  doch  die  Verändenmg  stattfinden.  Indem  ich 
dergleichen  erlebe,  entstehen  engere  Associationen,  d.  h- 
Associationen,  in  denen  der  zureichende  Grund  der  Veränderung 
auf  weniger  Elemente  sich  reduziert.  Bin  ich  endlich  bei  einer 
erfahrungsgemäfsen  Verknüpfung  zwischen  einem  Uv  und  der 
Veränderung  TT^  angelangt,  die  so  bescha£Pen  ist,  dafs  die 
Wegnahme  oder  Veränderung  jedes  Elementes  des  Uv  bei  gleich- 
bleibenden übrigen  Elementen  das  TT^  erfahrungsgem&fs  auf- 
heben würde,  dann  habe  ich  die  Ursache  des  TT^.  Uv  ist  die 
Ursache.  Die  associative  Beziehung  zwischen  jenem  Uv  und 
der  Veränderung  TT^  ist  die  kausale  Beziehung  zwischen  den 
beiden. 

Hiermit  ist  die  Bückführung  des  Kausalgesetzes  auf  das 
Associationsgesetz  vollzogen.  Dafs,  wenn  Bewuistsemsinhalte 
zu  Bewufstseinsinhalten  sich  hinzufügen,  zwischen  ihnen  Asso- 
ciationen entstehen,  die  an  sich  zwingend  wirken  und  beliebig 
viele  Verknüpfimgen  von  Objekten  repräsentieren  können;  dais 
der  Widerspruch  der  Associationen  zur  ergänzenden  Umgestal- 
tung der  Associationen  nötigt;   dafs  endlich  Associationen  in 


Zur  Bsychologie  der  Kausalität  293 

der  Erfahrung  sich  verengem,  d.  h.  eine  Eedoktion  der  Ele- 
mente, in  denen  ihr  Subjekt  besteht,  erfahren  können:  das  sind 
die  Thatsachen,  die  das  Kausalgesetz  konstituieren. 

IX.  Über  die  Anwendung  des  Kausalbegriffs. 

Es  beschränkt  sich  aber  dies  associative  Kausalgesetz 
keineswegs  darauf,  für  Veränderungen  Ursachen  zu  fordern. 
Die  Veränderung,  sagte  ich,  sei  ein  Spezialfall  des  Andersseins. 
So  ist  auch  die  Forderung,  dafs  eine  Veränderung  ihre  Ursache 
haben  müsse,  nur  ein  Specialfall  der  Forderung,  dals  das  An- 
derssein seine  Ursache,  oder  wenn  man  lieber  will,  seinen  Beal- 
grund  habe.  Da  schlieislich  alles,  was  ist,  anders  ist  als  Anderes, 
so  müssen  wir  allem,  was  ist,  seine  Ursache  oder  seinen  Beal- 
grund  zugestehen.  Immer  ist  Ursache  oder  Bealgrund  eines 
(Fhatbestandes  der  Inbegriff  oder  zeitliche  bezw.  raumzeitliche 
Zusammenhang  derjenigen  Elemente  der  Wirklichkeit,  mit 
denen  der  Thatbestand  auf  Grund  der  Erfahrung  und  der  in 
der  Erfahnmg  geknüpften  Association  verbunden  werden  mufs, 
und  von  denen  kein  Element  wegfallen  kann,  ohne  dafs  nach 
Aussage  der  Erfahrung  der  Thatbestand  selbst  verneint  wer- 
den mufs. 

Jedes  Werden  ist  eine  Veränderung,  wenn  nicht  des 
Werdenden,  so  doch  des  gesamten  Wirklichkeitsbestandes,  in 
den  es  durch  sein  Werden  eintritt.  Jedes  Werden  fordert  also 
ein  vorangehendes  Geschehen  als  Ursache  oder  Teilursache. 
Gibt  es  fär  etwas,  das  jetzt  ist,  keine  Ursache  seines  Werdens, 
so  ist  es  nicht  geworden,  sondern  war  schon.  Dafs  es  war, 
ist  dann  eine  Bedingung  oder  Teilursache  seines  Daseins.  Das 
Nichtgewordene  ist  insofern  Ursache  seiner  selbst  oder  „causa 
sui^.  Mag  sich  die  gewöhnliche  Anschauung  gegen  diesen  Be- 
griff sträuben,  logisch  ist  er  so  berechtigt,  wie  der  Begriff  der 
verursachenden  Veränderung. 

Damit  ist  schon  angedeutet,  dafs  uns  die  Bezeichnung 
eines  Verursachenden  als  „Ursache^  nicht  unter  allen  Umständen 
gleich  geläufig  ist. 

Andere  Namen,  wie  „Träger^,  „Substrate^,  ;,Substanzen^, 
treten  in  gewissen  Fällen  an  die  Stelle.  Man  spricht  auch 
wohl  einfach  von  einer  „Summe  von  Bedingungen,^.  Oder  man 
bezeichnet  gewisse  TeUursachen  oder  Elemente  d<;|  Bealgrundes 
speziell  als  Ursachen  oder  Träger  dessen  was  gesr  .  pht,  oder  ist, 


294  Th,  Lipps. 

und  läfst  andere  als  „Reize",  „Anstöfse",  „ Veranlassungen **y 
„blofse"  Bedingungen  zu  ihnen  hinzutreten.  Endlich  belegt  man 
auch  das  Kausalverhältnis  selbst  mit  verschiedenen  Namen.  Vor 
allem  meint  man,  neben  die  Kausalität  ein  Verhältnis  der  ,,In- 
härenz"  stellen  zu  müssen.  Diese  Namen  und  Namenunter- 
scheidungen können  nicht  nur  unschädlich  sein,  sondern  auch 
ihre  guten  Dienste  leisten.  Vorausgesetzt  ist  nur  das  deutliche 
Bewufstsein,  dafs  die  verschiedenen  Namen  keine  Verschieden- 
heit der  kausalen  Beziehung  oder  des  „realen  Zusammenhanges'^ 
in  der  Welt  bezeichnen,  sondern  einer  und  derselben,  vom 
Associationsgesetz  beherrschten  Art  des^Zusammenhanges  unse- 
rer Gedanken  zum  Ausdruck  dienen.  Fehlt  dies  Bewufstseiny 
so  ist  die  Verschiedenheit  der  Namen  nicht  unschädlich,  son- 
dern im  höchsten  Mafse  irre  führend. 

Zunächst  ist  ja  gewifs,  dafs  die  Verschiedenheit  der  Namen 
mit  dem  oben  im  zweiten  Abschnitt  besprochenen  Bestreben 
der  VeranschauUchung  und  VermenschUchung  eng  zusammen- 
hängt. DaJGs  aus  einer  Veränderung  eine  andere  Veränderung 
„hervorgehe",  hält  man  für  eine  sinnvolle  Wendung;  darum 
scheut  man  sich  nicht,  jene  Veränderung  als  Ursache  dieser 
Veränderung  zu  bezeichnen.  Dagegen  hätte  es  für  niemand 
Sinn  zu  sagen,  die  Bewegung  eines  Körpers  gehe  aus  diesem 
Körper,  oder  gar,  ein  Ding  gehe  aus  sich  selbst  hervor.  Man 
ersetzt  darum  dort  die  Ursache  durch  den  zugleich  anschau- 
lichen und  an  menschliches  Thun  erinnernden  „Träger",  und 
begnügt  sich  hier,  etwa  von  einer  „Bedingung"  des  Daseins  zu 
sprechen. 

AUes  dies  könnte  man  nun  wohl  hingehen  lassen,  solange 
keine  Gefahr  besteht,  dafs  die  Erkenntnis  dadurch  verfälscht 
werde.  Aber  diese  Gefahr  liegt  nahe.  Umfassende  philoso- 
phische Theorien,  ja  ganze  Weltanschauungen  liefern  den 
Beweis. 

Eine  Gefa.hr  besteht  darin,  dafs  man  aus  dem  einheitlichen 
Zusammenhang  von  Elementen  der  Wirklichkeit,  der  nur  als 
solcher,  d.  h.^^als  Ganzes  oder  als  Einheit  ein  Sein  oder  Ge- 
schehen verursacht  oder  begründet,  einzelne  besonders  an- 
schauliche odex  sich  aufdrängende  Elemente  herausgreift,  und 
nicht  nur  spej^iell  als  Ursachen  oder  Träger  bezeichnet,  son- 
dern auch  m^t,  man  besitze  in  ihnen  in  Wahrheit  das  Ver- 
ursachende cp^  Tragende,  kurz  den  wirklichen  Realgrund  des 


Zur  Psychologie  der  KauadUtät.  295 

Seins  oder  Geschehens.  Veränderungen  oder  Vorgänge,  „Kräfte" 
und  Dinge,  die  nur  als  Momente  in  umfassenderen  einheitlichen 
Zusammenhängen,  schUefslich  vielleicht  als  Momente  der  Welt- 
einheit etwas  wirken  oder  tragen,  werden  für  sich  als  Ursachen 
und  Träger  genommen.  Die  Einheit  der  Seele  wie  die  der  Welt 
wird  auf  solche  Weise  zerrissen  in  eine  Menge  selbständiger  Kräfte, 
Träger,  Substanzen,  die  doch  an  sich  zu  nichts  kräftig  sind,  nichts 
zu  tragen,  nicht  zu  subsistieren  vermöchten.  Die  falsche  Asso- 
ciationspsychologie  unterliegt  dieser  Gefahr  ebenso  wie  ihre 
oben  bezeichnete  Gegnerin,  die  doch  grundsätzlich  auf  dem 
gleichen  Boden  steht.  Und  dasselbe  gilt  von  einer  gewissen 
Art  der  Naturbetrachtung,  die  Miene  macht,  aus  selbständigen 
Atomen  und  Atomkräften  die  Welt  sich  zusammensetzen  zu 
lassen. 

Vielleicht  unterläfst  man  es,  unselbständige  Teilursachen 
oder  Elemente  des  Bealgrundes  für  selbständige  Ursachen  und 
Bealgründe  zu  nehmen,  fingiert  aber  zwischen  Teilursachen 
oder  Elementen  des  Bealgrundes  eine  Bangordnung,  unter- 
scheidet zwischen  wesentlicheren  und  unwesenthcheren  Faktoren, 
solchön  die  mehr,  und  solchen,  die  weniger  zur  Wirkung  „bei- 
tragen". Auch  diese  Unterscheidung  entbehrt  jeder  logischen 
Berechtigung.  Eine  Bedingung  irgend  welchen  Geschehens 
mag  uns  inhaltlich  noch  so  nichtsbedeutend  erscheinen,  als 
Bedingung,  also  hinsichtlich  ihres  kausalen  Wertes,  steht  sie 
mit  allen  anderen  Bedingungen  völlig  auf  derselben  Stufe.  Sie 
ist  wie  alle  anderen  absolut  wesentlich,  oder  sie  ist  nicht  wirk- 
lich Bedingung  des  Geschehens.  Auf  ihr  beruht  das  ganze 
Geschehen,  so  gut  wie  auf  jeder  der  anderen.  In  Wahrheit 
beruht  es  auf  keiner  der  Bedingungen  als  solcher,  sondern  auf 
ihrer  Einheit.  Keine  der  Bedingungen  „trägt"  zum  Geschehen 
irgend  etwas  ^^bei",  die  Einheit  derselben  nur  macht,  dafs  das 
Geschehen  sich  vollzieht.  Eben  dadurch  erweist  sie  sich  als 
reale,  von  der  Summe  der  Elemente  verschiedene  Einheit.  Jede 
reale  Einheit  ist  solche  ursächliche  Einheit,  oder  Einheit  der 
Verursachung. 

Mit  der  Vorstellung  dör  Bangverschiedenheit  verbindet  sich 
aber  von  selbst  die  Vorstellung  einer  quaUtativen  Verschieden- 
heit der  kausalen  Beziehung.  Der  Dualist  etwa  bezeichnet  die 
immaterielle  Seele  als  das  Empfindende,  als  den  Träger  oder 
die  eigentliche  Ursache  der  Empfindung,  der  materielle  Vorgang, 


296  Th.  Lipps. 

der  hinzukommen  mufs,  wenn  die  Empfindung  entstehen  soll, 
ist  ilim  jiJmT^  der  die  Empfindung  ^auslösende  Beiz".  Ich 
frage :  was  will  diese  Verschiedenheit  der  Namen?  Gewifs  soll 
sie  eine  Verschiedenheit  des  kausalen  Verhältnisses,  oder  der 
Art,  wie  die  Seele  und  der  materielle  Vorgang  zur  Erzeugung 
der  Empfindung  „beiträgt^,  andeuten.  Aber  diese  Verschieden- 
heit ist  eine  reine  Illusion.  Niemand  hat  eine  Vorstellung  von 
der  kausalen  Beziehung  zwischen  der  Seele  und  der  Empfindung 
und  eine  inhaltlich  anders  geartete  Vorstellung  von  der  kausalen 
Beziehung  zwischen  dem  materiellen  Vorgang  und  der  Em- 
pfindung. Die  „Inhärenz«  der  Empfindung  in  der  Seele  ist,  abge- 
sehen  von  unberechtigten  anschaulich  räumlichen  Vorstellungen, 
ein  blofses  Wort,  ohne  jeden  über  die  überall  gleiche  Kausalität 
hinausgehenden  Sinn.  Und  es  verhält  sich  nicht  anders  mit 
dem  „auslösenden  Beiz^?  Nichts  welTs  der  Dualist  oder  kann 
er  zu  wissen  glauben,  als  dafs  die  Empfindung  nicht  wäre  ohne 
die  Seele  und  ebenso  nicht  wäre  ohne  den  materiellen  Vorgang. 
Sie  ist,  weil  beides  ist  und  beides  in  bestimmter  Beziehung 
steht;  oder  besser:  sie  ist,  weil  die  Einheit  der  beiden  ist,  die 
die  Beziehung  der  beiden  zugleich  in  sich  schliefst.  —  Dann 
kann  aber  mit  demselben  Becht  oder  Unrecht,  wie  die  Seele, 
auch  der  materielle  Vorgang  beanspruchen,  Träger  oder  eigent- 
liche Ursache  der  Empfindung  zu  heifsen.  Der  Dualist  steht 
unweigerlich  mit  dem  einen  Fufse  im  Materialismus. 

Ebenso  unlogisch  ist  jede  Hineintragung  der  BegrifiB  d^ 
Aktivität  und  Passivität,  Bezeptivität  und  Spontaneität  in  den 
Kausalbegriff.    Hier   ist   der   Anthropomorphismus   auf  seiner 

vollen  Höhe. 

X.    Schlufsbemerkung. 

Ich  breche  damit  die  Untersuchung  ab,  mit  dem  vollen 
Bewufstsein,  nur  einen  Teil  desjenigen  gesagt  zu  haben,  was 
über  den  G-egenstand  zu  sagen  wäre.  Vielleicht,  dafs  mir 
Einwürfe  oder  Angriffe  zu  späterer  Ergänzung  Gelegenheit 
geben. 

Auch  dessen  bin  ich  mir  wohl  bewufst,  dafs  ich  mich  auf 
ein  besonderes  Gebiet  der  Anwendung  des  Kausalgesetzes  be- 
schränkt habe.  Ich  redete  nur  von  der  kausalen  VerknüpAmg 
solcher  Bewufstseinsinhalte,  die  von  uns  bereits  als  der  Welt 
der  objektiven  Wirklichkeit  zugehörig  erkannt  sind.  Dies  Be- 
wufstsein der  objektiven  WirkUchkeit  setzte  ich  als  bestehend 


Zur  Psychologie  der  Kausalität  297 

yorans.  Ich  war  dazu  berechtigt ,  insofern  es  dergleichen  ohne 
Zweifel  giebt.  Aber  die  Erkenntnis  dieser  Wirklichkeit,  wie 
nicht  minder  die  Erkenntnis  der  subjektiven  Wirklichkeit,  oder 
Wirklichkeit  als  Inhalt  „meines  BewoCstseins^,  beruht  selbst  schon 
auf  der  Wirkung  des  Kausalgesetzes  in  mir.  Man  wird  die  Frage 
stellen,  wiefern  auch  dabei  das  Kausalgesetz  mit  dem  Asso- 
ciationsgesetz  zusammenfalle,  wiefern  also  auch  das  Bewufstsein, 
es  sei  etwas  unabhängig  vom  Bewufstsein,  oder  es  sei  im 
Bewufstsein,  aus  erfahrungsgemäfser  Association  entspringe. 
Den  Versuch  der  Beantwortung  dieser  Frage,  oder  nach  einem 
früheren  Ausdruck,  die  BückfÜhrung  solcher  „primitiven^  Er- 
kenntnis auf  das  associative  Geschehen  behalte  ich  mir  für 
eine  spätere  G-elegenheit  ausdrücklich  vor. 

Dagegen  will  ich  es  nicht  unterlassen,  der  gegenwärtigen 
Untersuchung  dadurch  eine  Art  Abschlufs  zu  geben,  dafs  ich 
noch  einmal  zu  dem  Philosophen  zurückkehre,  von  dem  ich 
bei  der  Kritik  des  Kausalbegriffes  ausgegangen  bin. 

HxJMBs  Leistung  und  sein  Fehler,  beides  ist  aus  dem  Vor- 
stehenden deutlich.  Dafs  der  kausale  Zusammenhang  ein  Zu- 
sammenhang ist  unserer  G-edanken,  nicht  ein  Zusammenhang 
des  Gedachten,  dafs  die  Notwendigkeit,  die  diesen  Zusammen- 
hang auszeichnet  in  der  psychologischen  Nötigung  besteht,  mit 
einer  Thatsache  eine  andere  zu  verbinden,  dafs  diese  Nötigung 
in  der  Association  ihren  Grund  hat,  das  ist  Hümbs  Entdeckung 
und  diese  Entdeckung  ist  eine  der  wichtigsten  in  der  Geschichte 
der  Philosophie.  Dafs  die  Welt  für  uns  zu  einer  gesetzmäfsigen 
wird,  indem  wir  sie  der  Gesetzmäfsigkeit  unseres  Geistes  unter- 
werfen, dieser  anthropocentrische  Erkenntnisstandpunkt  war 
damit  entschieden. 

Nur  darin  bestand  HuifEs  Fehler,  dafs  er  die  voUe  Be- 
deutung des  Associationsgesetzes  nicht  erkannte  und  dafs  er 
eben  darum  nicht  sah,  welche  associativen  Beziehungen  mit 
der  ursächlichen  Beziehung  ohne  weiteres  identisch  sind.  Dem 
daraus  sich  ergebenden  Mangel  sollte  das  Gewohnheitsprinzip 
abhelfen.  Nicht  das  Associationsprinzip,  sondern  dies,  das 
Associationsprinzip  seiner  Ejraft  beraubende  Gewohnheitsprinzip 
hinderte,  dafs  Hüme  die  Antwort,  nämlich  die  wahre  Antwort 
auf  die  Frage  gab,  wie  allgemeine  uud  notwendige  Erfahrungs- 
urteile möglich  seien. 

Das  Gewohnheitsprinzip  fordert  zu  viel  und  zu  wenig.  Keine 


298  Th.  lApps, 

Wiederholung  einer  Erfahrung  kann  die  Association,  die  aus 
ihr  entstand,  zwingender  machen,  als  sie  von  vornherein  ist. 
Der  Naturforscher,  der  einen  Versuch  unter  gewissen,  genau 
beobachteten  umstanden  ein  einziges  Mal  gemacht  und  dabei 
einen  bestimmten  Erfolg  erzielt  hat,  erwartet  von  einer  unter 
genau  denselben  umständen  angestellten  Wiederholung  genau 
desselben  Versuches  mit  Sicherheit  genau  denselben  Erfolg,  wenn 
er  annehmen  kann,  jene  von  ihm  beobachteten  Umstände  seien 
die  einzigen  für  den  Erfolg  in  Betracht  kommenden,  d.  h.  es 
seien  keine  Umstände  von  ihm  unbeobachtet  geblieben,  deren 
Anderssein  ihn  auf  Grund  bereits  geknüpfter  Associationen 
nötigen  würde,  einen  anderen  Erfolg  anzunehmen.  Er  er- 
wartet von  einer  Wiederholung  nicht  mit  Sicherheit  denselben 
Erfolg,  wenn  diese  Voraussetzung  nicht  erfüllt  ist.  Mag  er 
aber  den  Erfolg  mit  Sicherheit  erwarten  oder  nicht,  in  jedem 
Falle  wird  weder  die  Sicherheit  gröfser,  noch  die  Unsicherheit 
geringer,  wenn  er  den  Versuch  thatsächlich  zum  zweitenmale 
und  unter  genau  den  gleichen  Umständen  anstellt  und  dabei  den 
gleichen  Erfolg  erzielt.  Nur  solche  Fälle  können  überhaupt 
seine  Erkenntnis  fördern,  in  denen  der  Erfolg  unter  gleichen 
Umständen  nicht  eintritt,  weil  diese  Fälle  ihn  nötigen,  eine 
neue  und  widerstandsfähigere  Association  zu  bilden.  Und 
andererseits  helfen  ihm  die  Fälle,  in  denen  der  Erfolg  unter 
teilweise  anderen  Umständen  eintritt,  weil  sie  ihn  veranlassen, 
gewisse  Umstände  oder  nähere  Bestimmungen  von  Umständen 
aus  der  Association  auszuscheiden,  also  die  Association,  nach 
dem  oben  gebrauchten  Ausdruck,  zu  ^ verengern^.  Es  helfen 
ihm  mit  einem  Worte  die  Wiederholungen  seiner  Erfahrung, 
die  keine  blofsen  Wiederholungen  sind,  und  weil  sie  es  nicht 
sind.  Das  Gewohnheitsprinzip  fordert  zu  viel,  insofern  es  die 
Wiederholungen  fordert;  und  es  fordert  zu  wenig,  insofern  es 
die  Bedeutung  der  Erfahrungen  verkennt,  die  mit  gleichartig 
wiederkehrenden  Momenten  neue  Momente  verbinden. 

Was  HuMB  entging,  so  können  wir  auch  sagen,  das  ist  das 
Wesen  der  Induktion.  Unsere  Ableitung  des  Kausalgesetzes 
war  zugleich  eine  Beschreibung  des  induktiven  Verfahrens. 
Und  darin  liegt  der  eigentliche  Beweis  ihrer  Berechtigung. 
Wir  begannen  mit  der  Analyse  des  Kausalbegriffs.  Solche 
Analyse  ist  an  sich  niemals  einwurfsfrei.  Die  Synthese  muJfe 
hinzutreten  und   sie  bestätigen.     Diese  Synthese    nun  wird    in 


Zur  Psychologie  der  KatisaUtät  299 

unserem  Fall  jedesmal  vollzogen,  wenn  jemand  auf  dem  Wege 
der  Induktion  —  und  einen  anderen  giebt  es  nicht  —  aus  ein- 
zelnen Erfahrungen  allgemeine  Erkenntnisse  gewinnt.  Das 
induktive  Vorfahren  schafft  die  allgemeinen  Erkenntnisse,  in- 
dem es  für  unser  Bewufstsein  die  Ursachen  schtifft.  Geht  bei 
solcher  Schaffung  einer  Ursache  in  den  Ursachbegriff  nichts 
ein,  als  was  jene  Analyse  in  ihm  hat  erkennen  lassen,  so  ist 
die  Probe  auf  die  [Richtigkeit  der  Analyse  gemacht.  Diese 
Voraussetzung  trifft  aber  zu.  Wer  Induktion  treibt,  beobachtet 
die  Umstände,  unter  denen  ein  Thatbestand  stattfindet.  Er 
überläfst  sich  der  dadurch  geknüpften  Association  mit  gröfserer 
oder  geringerer  Sicherheit,  je  nachdem  schon  vorher  gewonnene 
anderweitige  Erfahrungen  und  erfahrungsgemäfse  Verknüpfungen 
ihn  dies  erlauben,  oder  —  weil  sie  Gegenassociationen  in  sich 
echliefsen  —  ihn  daran  verhindern,  d.  h.  er  gründet  auf  seine  Be- 
obachtung eine  mehr  oder  weniger  sichere  Hypothese.  Er 
läist  sich  seine  Association  umwandeln  oder  ergänzen  durch 
neue  Erfahrungen,  die  mit  jener  Association  oder  Hypothese 
in  Widerspruch  geraten,  und  fährt  darin  fort,  bis  er  solchen 
Widerspruch  nicht  mehr  zu  fürchten  hat.  Er  läfst  sich  end- 
lich durch  Erfahrungen,  in  denen  der  zu  erklärende  Thatbe- 
stand stattfand,  ohne  dafs  doch  alle  in  jener  endgiltig  ergänzten 
Association  enthaltenen  Umstände  zugegen  waren,  diese  er- 
gänzte Association  reduzieren  oder  „verengem",  d.  h.  von  un- 
nötigen Elementen  säubern.  Er  hat  schliefslich  eine  Association, 
die  Stich  hält  und  nichts  Überflüssiges  mehr  in  sich  enthält. 
Und  nun  spricht  er  ohne  weiteres  von  Ursache  und  ursächlicher 
Beziehung.  —  Wer  ihm  das  Recht  dazu  einräumt,  erkennt  zu- 
£;leich  das  Becht  unserer  Theorie  der  Kausalität  an. 


^eltsdizlft  Ar  Psychologie.  ^ 


Zur  interaurealen  Lokalisation  diotischer 

Wahrnehmungen. 

Von 

Karl  L.  Sghaefer 

in  Jena. 

Bei  den  Untersuohungen  über  die  Wahrnehmung  und  LokdUsor 
üon  von  Schwebungen  und  Differensftönen^  wurde  konstatiert,  daCs 
der  scheinbare  Ausgangspunkt  der  Schwebungen  zweier  Töne 
zwischen  die  Tonquellen  (Stimmgabeln)  verlegt  wird,  aber  um 
so  näher  der  lauteren,  je  gröfser  die  Intensitatsdifferenz.  Dem- 
gemäfs  wird  der  Ursprungsort  zwischen  den  Ohren  gesucht, 
wenn  die  Frimärtöne  in  gleicher  Stärke,  der  eine  dem  rechten, 
der  andere  dem  linken  Ohre  zugeleitet  werden.  Bei  ein- 
gehenderer Prüfung  ergab  sich  aber  die  Lokalisation  bei  solcher 
Verteilung  der  Gabeln  auf  beide  Ohren  als  sehr  unbestimmt 
und  wechselnd.  Zum  Teil  hört  man  nämhch  die  Stöfse  genau 
in  der  Medianebene  und  zwar  bald  im  Innern  des  Kopfes,  bald 
in  gröfserer  Entfernung  vor  oder  über  sich,  in  anderen  Fällen 
treten  sie  zugleich  median  und  in  den  Ohren  selbst  auf  oder 
scheinen  wohl  auch  oberhalb  des  Kopfes  aus  einer  durch  die 
Mittelpunkte  der  Gehöreingänge  gehend  gedachten  Vertikal- 
ebene  zu  entspringen.  Es  dürfte  nicht  unwichtig  sein,  die 
Bedingungen  und  Ursachen  dieser  Verschiedenheit  der  Ver- 
suchsresultate aufzudecken. 

SiLVANUs  P.  Thompson  *  hat  über  die  interaureale  Lokalisa- 
tion, offenbar  ganz  unabhängig  von  den  viel  fiüheren  Angaben 
PuRKTN^*,  sehr  genaue  Erhebungen  angestellt,  aUerdings  ohne 

*  Jahrgang  I,  Heft  2  dieser  Zeitschrift.    S.  81  ff. 

"  Phenomena  of  Binaurai  Audition,  TL,  Philosoph,  Magae.  Serie  V. 
No.  38,  S.  383  ff. 

•  Eeferat  darüber  in  der  „Prager  ViertdjahrssehHff',  1860,  Bd.  8,  S.  94* 


Zur  interaureälm  LohaiisatUm  dioUscher  Wahrnehmungen.  301 

den  interessanten  Ergebnissen  derselben  eine  Erklärung  hinzu- 
zufügen. Er  fand  zunächst,  dafs,  wenn  man  zwei  Telephone, 
deren  Platten  Schwingungen  von  gleicher  Frequenz  und  Am- 
plitude ausführen,  fest  an  die  Ohren  drückt,  nur  eine  akustische 
Wahrnehmung  und  zwar  median  im  Hinterkopfe  gemacht  wird. 
Dazu  müsse  jedoch  noch  die  dritte  Bedingung  erfüllt  sein,  dafs 
nämlich  die  Platten  immer  gleichzeitig  sich  dem  Kopfe  nähern 
resp.  von  ihm  entfernen,  also  stets  in  entgegengesetztem  Sinne 
schwingen.  Dafselbe  ergab  sich  dann  für  Stimmgabeltöne, 
wenn  ein  solcher  beiden  Ohren  in  gleicher  Intensität  und  so 
zugeführt  wurde,  dals  die  Maxima  der  Verdichtungen  und 
ebenso  die  der  Verdünnungen  rechts  und  links  immer  genau 
gleichzeitig  eintrafen.  Urbahtsohitsoh^  bestätigte  letzteren 
BeAind  an  einer  gröfseren  Anzahl  Personen  und  fugte  die 
Thatsache  hinzu,  dafs  fiir  verschiedene  Individuen  und  Ton- 
höhen auch  die  LokaUsation  gewissen  Schwankungen  untei> 
werfen  ist,  indem  der  wahrgenommene  Ton  nicht  ausschliefslich 
in  das  Hinterhaupt,  sondern  auch  in  die  Stirn  oder  an  einen 
Punkt  zwischen  beiden  verlegt  wird,  ja  zuweilen  gar  nicht 
median,  sondern  an  zwei  symmetrischen  Stellen  rechts  und 
links  von  der  Mittelebene  auftritt. 

Dafs  wir  för  zwei  gleichzeitig  beide  G-ehörapparate  treffende 
quantitativ  und  qualitativ  gleiche  Eindrücke  einen  einzigen 
ürsprungsort  in  der  Medianebene  annehmen,  ist  eine  einfache 
Konsequenz  der  alltäglichen  Erfahrung,  dafs  mediane  Auf- 
stellung einer  Schallquelle  und  gleiche  Intensität  der  beider- 
seitigen Wahrnehmung  sich  gegenseitig  bedingen.  Auffallend 
aber  ist  die  endocephale  Lokalisation,  die  sich  in  den  meisten 
Fällen  dem  Beobachter  trotz  des  doch  bestehenden  Bewufst- 
seins  grober  akustischer  Täuschung  unwiderstehlich  aufdrängt. 
Bei  gründlicherem  Eingehen  auf  diese  Verhältnisse  stellt  .sich 
indessen  doch  heraus,  dals  man  nur  unter  einer  ganz  bestimmten 
Bedingung  gewissermafsen  gezwungen  von  der  Verlegung  des 
akustischen  Bildes  in  die  mediane  Umgebung  des  Kopfes 
Abstand  nimmt,  um  da&elbe  intrakranieU  zu  lokalisieren. 

Gehen  wir  von  dem  ursprünglichen  Telephonversuohe 
Thompsons   aus.      loh   pflege   mich   zu   seiner  Anstellung   des 


^  Zur   Lehre   von   der.  SchaOen^fMung.     Pflüg  er  8   Archiv,    Bd.   24, 
S.  579  ff. 

20» 


:302  ^<^^  L,  Schaefer, 

Doppelinduktoriums  von  Pretbr^  zu  bedienen,  einer  Mo- 
difikation des  Dü-Boisschen  Schlittens,  welche  in  sinnreicher 
und  einfacher  Weise  es  ermöglicht,  mittelst  einer  und  derselben 
primären  Spirale  gleichzeitig  durch  zwei  sekundäre,  mit  deren 
jeder  ein  Telephon  in  Verbindung  steht,  Induktionsströme  zu 
senden.  Durch  Verschieben  der  sekundären  EoUen  hat  man 
es  jederzeit  in  der  Hand  die  Intensität  der  Telephongeräusche 
beliebig  zu  variieren.  Leistet  man  nun  den  oben*  bereits  er- 
wähnten Versuchsbedingungen  Genüge  und  drückt  die  Tele- 
phone fest  an  die  Ohren,  so  wird  also,  wenn  beiderseits  gleiche 
Hörschärfe  besteht  —  umgekehrt  kann  dies  Experiment  zu 
vergleichenden  Messungen  derselben  benutzt  werden  —  das 
intermittierende  Knacken  in  der  Mitte  des  Hinterhauptes  ver- 
nommen. Wird  durch  Annähern  seiner  Rolle  an  die  primäre 
Spirale  eines  der  Telephone  zu  lauterem  Tönen  gebracht,  dann 
nähert  sich  das  akustische  Bild  die  Medianebene  verlassend 
dem  entsprechenden  Ohre,  und  so  kann  der  Beobachter  dasselbe 
durch  Änderungen  der  Bollenabstände  im  Kopfe  hin-  und 
herwandem  lassen.  Während  nun  diese  Resultate  Thompsons 
auch  von  unbefangenen  Beobachtern  schon  bei  den  ersten  Ver- 
suchen mit  grofser  Leichtigkeit  und  Bestimmtheit  bestätigt  za 
werden  pflegen,  verliert  die  eigentümliche  Erscheinung  eines 
endocephalen  Geräusches  sofort  ihre  charakteristische  Deut- 
lichkeit, wenn  man  die  Telephone  weiter  vom  Kopfe  entfernt. 
Dann  bleibt  zwar  der  scheinbare  ürsprungsort  des  Rasseins 
median,  aber  er  ist  nicht  mehr  wie  vorher  scharf  zu  umgrenzen; 
es  besteht  mindestens  ebenso  grofse  G-eneigtheit,  ihn  aufser^ 
halb  des  Kopfes  wie  innerhalb  zu  suchen;  und  läfst  man  das 
Geräusch  jetzt  von  Ohr  zu  Ohr  wandern,  so  geschieht  dies 
nunmehr  deutlich  aufserhalb  des  Kopfes,  also  um  diesen 
herum. 

Man  könnte  a  priori  versucht  sein,  das  ursächliche  Moment 
hierfür  in  der  Verringerung  der  Intensität,  welche  durch  das 
Entfernen  der  Telephone  vom  Kopfe  gesetzt  wird,  zu  ver- 
muten. Allein  man  überzeugt  sich  leicht,  dafs  das  Gesagte 
auch  bei  sehr  grofser  Intensität  seine  Giltigkeit  behält,  während 
andererseits,    sobald    die    Telephone   den   Ohren   fest  anliegen. 


*  Zeitschrift  für  Instrumentenkunde,  Jahrgang  IV,  Januar  1884. 

*  S.  265  Absatz  2. 


Zur  interaurealen  LokalisaUon  diotischer  Wahrnehmungen,  303 

das  Geknatter,  auch  wenn  es  fast  bis  zur  Grenze  der  Wahr- 
nehmbarkeit  abgeschwächt  wird,  immer  gleich  deutlich  im 
Innern  des  Schädels  bleibt. 

Daraus  geht  also  offenbar  hervor,  dafs  die  Schätzung  des 
Abstandes  der  wahren  Schallquellen  von  den  Ohren  eine  wesent- 
liche BoUe  bei  der  medianen  Lokaüsation  spielt.  In  der  That 
läfst  sich  durch  eine  Seihe  einfacher  Versuche  zeigen,  dafs  je 
näher  die  Schallquellen  einzeln  vernommen  geschätzt  werden, 
um  so  näher  dem  Kopfe  auch  bei  ihrem  Zusammenwirken  das 
median  auftretende  akustische  Bild  lokalisiert  wird,  und  dafs 
dafselbe  dann  im  Schädel  selbst  erscheint,  wenn  man  jede  der 
Schallquellen,  für  sich  beobachtet,  direkt  im  Ohre  ihrer  Seite 
hört.  Setzt  man  beispielsweise  eine  maximal  laut  tönende 
Stimmgabel  auf  die  Mitte  eines  Kautschuckschlauches,  dessen 
eines  Ende  fest  in  ein  Ohr,  sagen  wir  in  das  rechte,  eingefügt 
wird,  so  wird  der  sehr  starke  Ton  unmittelbar  im  rechten 
äufseren  Gehörgang  vernommen.  Armiert  man  dann  auch  das 
linke  Ohr  mit  dem  anderen  Schlauchende,  so  tritt  alsbald  me- 
diane und  zwar  intrakranielle  Lokalisation  ein,  die  noch  präciser 
wird,  wenn  man  die  Gabel  wiederholt  abhebt  und  gleich  nach- 
her fest  wieder  auf  den  Schlauch  setzt.  Verfahrt  man  hierauf 
ganz  analog  mit  einer  möglichst  leise  tönenden  Gabel,  so  wird 
im  ersten  Teil  des  Versuches  der  Ton  deutüch  aufserhalb  des 
Ohres  in  schwer  genauer  zu  bestimmender  Entfernung  vor 
demselben  gehört  und  ebenso  aufserhalb  des  Kopfes,  nachdem 
auch  das  andere  Ohr  in  Verbindung  mit  dem  Schlauche  gebracht 
ist.  Dasselbe  Verhalten  zeigen  übrigens  Schwebxmgen,  falls 
solche  statt  eines  einfachen  Tones  in  Anwendung  kommen,  in- 
dem beide  Gabeln  dicht  nebeneinander  auf  die  Schlauchmitte 
placiert  werden. 

Eine  Variation  der  beschriebenen  Versuchsanordnung  be- 
steht nun  darin,  dafs  eine  Schallquelle  vor  einen  Trichter 
gebracht  wird,  der  durch  einen  gleichschenklig  gegabelten 
Schlauch  mit  beiden  Ohren  in  Kommunikation  steht.  Ich  habe 
in  dieser  Weise  folgendes  recht  instruktive  Experiment  anstellen 
können.  Es  ward  ein  BELLsches  Telephon  mit  der  sekundären 
Spirale  eines  Du-Boisschen  Schlitteninduktoriums  verbunden, 
bei  grofsem  Bollenabstand  in  Thätigkeit  gesetzt  und  in  nächste 
Nähe  des  Trichters  gebracht.  Darauf  wurden  die  Ohren  mit 
den  Schläuchen   armiert  und  unter  langsamem  Annähern  der 


304  ÄaW  L.  Schaefer. 

Bolle  an  die  Primärspirale  das  Verhalten  der  Lokalisation  beob- 
achtet. Es  liefs  sich  so  in  zahlreichen  Versuchen  an  anderen 
und  an  mir  feststellen,  dafs  der  mediane  scheinbare  ürsprungs- 
ort  des  Basselns  proportional  der  Verringerung  des  Bollenab- 
standes sich  dem  Kopfe  nähert,  dann  in  denselben  förmlich 
hineinkriecht,  und  schliefslich  mehr  oder  weniger  genau  zwischen 
den  Ohren  Halt  macht.  Wird  dann  ein  Schlauchende  zugedrückt, 
so  tritt  sofort  das  Geräusch  im  Q-ehörgang  der  entgegengesetzten 
Seite  auf.  Es  wandert  aus  diesen  in  den  Baum  hinaus,  wenn 
der  BoUenabstand  langsam  vergröfsert  wird,  und  wird  nun  der 
zusammengepresste  Schlauch  wieder  frei  gegeben,  so  findet 
auch  wieder  extrakranielle  Lokalisation  statt.  Von  dem  Augen- 
blicke an,  wo  das  akustische  Bild  den  Kopf  verläfst,  ist  eine 
genauere  Bestimmung  seines  Ortes  innerhalb  der  Medianebene 
gewöhnlich  überhaupt  unmöglich  oder  es  werden  wenigstens 
arge  Irrtümer  begangen.  Nur  solange  ich  allein  experimentierend 
den  Ort  des  Telephons  —  vor  mir  auf  dem  Tische  —  kannte, 
machte  ich  beim  Hin-  und  Herschieben  der  BoUe  deutlich  die 
Wahrnehmung,  wie  das  Bassein  von  aufsen.  durch  die  Nasen- 
wurzel in  den  Schädel  hinein  vordrang  oder  denselben  auf  dem 
nämlichen  Wege  verliefs. 

Den  Ton  einer  median  auf  den  Scheitel  gesetzten  Q-abel 
hört  man  median  über  der  Ansatzstelle.  Wird  aber  ein  Ohr 
fest  verschlossen,  so  springt  er  in  dieses  hinein.  Dieser  bekannte 
WBBBRsche  Versuch  gelingt  stets  besonders  gut,  wenn  die 
Gabel  sehr  laut  tönt.  Ist  aber  das  Gegenteil  der  Fall,  so  ver- 
läfst der  Ton  zwar  auch  die  Medianebene  in  der  Bichtung  auf 
den  verschlossenen  Gehöreingang  zu,  ist  aber  nicht  recht  genau 
zu  lokalisieren,  und  vor  aUem  hat  man  nicht  den  Eindruck,  als 
entspränge  er  im  Ohre  selbst.  Diese  Thatsache  bietet  eine 
weitere  Handhabe  zur  Bestätigung  der  vorliegenden  These. 
Verschliefst  nämlich  der  Beobachter  beide  Ohren  und  setzt 
eine  laute  Gabel  fest  auf  die  angegebene  Stelle,  so  er- 
füllt der  Ton  den  ganzen  intrakraniellen  Teil  der  Median- 
ebene, um  sofort  aus  dem  Kopfe  in  den  Baum  oberhalb  des 
selben  überzutreten,  sowie  der  Gabelstiel  gelockert  wird. 
Durch  rasch  alternierendes,  loseres  und  festeres  Andrücken 
kann  man  sich  auch  hier  am  besten  von  dem  Lokalisations- 
wechsel  überführen.  Es  entspricht  also  auch  in  diesem  Falle 
die     intrakranielle     Lokalisation     diotischer    Wahrnehmungen 


Zmt  interattrealen  LokctUsation  dtoHscher  Wahrnehmungen,  305 

der  intraanrealen  xnonotischer,  die  extrakranielle  der  extra- 
aurealen.^ 

Wenn  bei  dem  Doppelinduktoriumversuohe  ein  Telephon 
fest  an  ein  Ohr  gedrückt  und  das  zweite  dem  anderen  Ohr 
aus  gröijserer  Entfernung  mäfsig  rasch  genähert  wird,  so  findet 
sich,*  dafs  der  Ton  des  ersteren  sich  zunächst  erheblich  ver- 
stärkt, ohne  aber,  wie  wohl  theoretisch  zu  erwarten  wäre, 
gleichzeitig  einen  Ortswechsel  gegen  die  Medianebene  hin  zu 
beginnen.  Erst  wenn  die  Annäherung  an  das  zweite  Ohr  sehr 
erheblich  fortgeschritten,  scheint  der  Ton  in  das  Innere  des 
Kopfes  einzudringen.  Es  ist  wirklich  auch  bei  grofser  Übung 
und  Aufmerksamkeit  so  gut  wie  unmöglich,  zugleich  mit  der 
Verstärkung  auch  den  Eintritt  einer  Platzänderung  des  G-eräusches 
zu  beobachten.  Dies  gelingt  aber  sofort,  wenn  man  in  dem 
Augenblicke,  wo  der  Intensitätszuwachs  ganz  deutlich  geworden 
ist,  das  bewegte  Telephon  plötzlich  zum  Schweigen  bringt. 
Man  hat  in  diesem  Moment  ausdrücklich  die  Empfindung,  dafs 
das  Geräusch  von  einer  der  Medianebene  näher  gelegenen 
Stelle  in  das  Ohr  zurückspringt.  Das  Nämliche  gilt  von  dem 
Ton  unisoner  und  auch  von  den  Schwebungen  verstimmter, 
auf  beide  Ohren  verteilter  Gabeln. 

Bei  rein  monotischen  Wahrnehmungen  gelingt  es  bekannt- 
lich im  Gegensatz  hierzu  auch  unter  gröfstmöglicher  An- 
näherung und  Intensitätssteigerung  nie,  den  Schalleindruck  der 
Medianebene  näher  als  bis  höchstens  in  deii  äufseren  Gehör- 
gang zu  bringen.  Hält  man  diese  beiden  Befunde  vergleichend 
zusammen,  so  folgt  daraus  das  psychophysiologisch  bedeutungs- 
volle Ergebnis,  dafs,  trotzdem  bei  quantitativ  gleicher  aber 
verschieden  starker  diotischer  Erregung  das  schwächer  afficierte 
Ohr  ebenso  „physiologisch  taub^  erscheint,  wie  bei  alleiniger 
Erregung  des  anderen  Gehörorganes,  das  Sensorium  dennoch 
sehr  wohl  darüber  unterrichtet  ist,   ob   beide  akustische  Ner- 


^  Hierher  gehört  noch  folgende  Beobachtung,  die  sich  mit  Erfolg 
an  mehreren  Normalhörigen  anstellen  liefs.  Wird  ein  recht  tiefes  „u^ 
laut  gesungen,  tm.d  dabei  ein  Ohr,  aber  nicht  ganz  fest,  verschlossen,  so 
rückt  das  „k^  aus  dem  Kehlkopf  in  das  Ohr  und  von  da  in  die  Mittel- 
ebene des  Schädelinnern,  wenn  auch  das  zweite  Ohr  in  gleicher  Weise 
behandelt  wird. 

'  Vgl.  Preteb:  Die  äkumefyrische  Verwendung  des  BelUchen  Telephons. 
SitzgS'Ber.  d,  Jenaer  GeseUsch.  f,  Mediz,  u.  Naturw.  vom  21. 11.  1879. 


306  ^orl  L.  Schaefer. 

venapparate  oder  ausschlielslicli  einer  an  der  Yermittelnng  der 
Perception  beteiligt  sind. 

Immerhin  ist  die  Wahmehmnng  vom  Wechsel  des  Ortes 
bei  weitem  weniger  präcise  als  die  einer  Intensitatsanderong. 
Ist  das  Doppelinduktorinm  fior  intrakraniell-mediane  Lokalisation 
eingestellt,  so  darf  die  eine  Telephonrolle  mn  mehrere  Conti- 
meter  weit  verschoben  werden,  bevor  das  G-eräosch  die  Mittel- 
ebene zu  verlassen  an&ngt.  Wird  indessen  nun  der  Versuch 
abgebrochen  und  ohne  vorherige  Korrektur  der  bestehenden 
Ungleichheit  des  Bollenabstandes  nach  einer  Pause  wieder  auf* 
genommen,  so  wird  dann  in  den  meisten  Fällen  den  Verhältnissen 
richtig  entsprechend  extramedian  lokalisiert.  Darin  bestätigt 
sich  die  schon  bei  früheren  Gelegenheiten  betonte  Thatsache 
aufs  neue,  dafs  momentane  akustische  Beize  oder  länger  an- 
dauernde im  ersten  Augenblicke  ihres  Auftretens  leichter  und 
richtiger  lokalisiert  werden,  als  nach  längerer  Beobachtung, 
was  von  der  Ermüdung  der  Aufinerksamkeit,  von  Beflexionen, 
von  Suggestion  abhängig  sein  mag. 

Fbohnbr  ^  hat  zuerst  gezeigt,  dafs  nicht  nur  der  Ton  zweier 
unisoner  vor  beide  Ohren  verteilter  Gabeln  ausschliefsUch  auf 
der  Seite  der  lauteren  gehört  werde,  sondern  auch  die  Schwe- 
bungen derselben,  welche  entstehen,  sobald  die  Gabel  vor  dem 
physiologisch  tauben  Ohre  in  nicht  zu  grolsen  Exkursionen 
rhythmisch  geschwungen  wird.  Auch  er  übersah,  dafs  der 
Ton  jedesmal  während  der  Annäherung  sich,  aufser  dafs  er 
stärker  wird,  auch  der  Medianebene  nähert,  und  bemerkte  dies 
erst,  wenn  die  Elongationen  der  bewegten  Gabel  sehr  ausgiebig 
wurden.  In  Proportion  zu  deren  Wachsen  wanderte  der  Ton 
bei  der  Näherung  in  die  Medianebene  und  eventuell  über  diese 
hinaus  in  das  andere  Ohr,  gemäfs  dem  Prinzip  von  der  Ver- 
legung des  Schalles  nach  der  Seite  der  stärkeren  Erregung. 

Vervollständigt  man  die  FBCHNBKschen  Untersuchungen  dahin, 
dafs  beide  Gabeln  gleichzeitig  in  Bewegung  gesetzt  werden, 
so  läfst  sich  folgendes  eruieren. 

1.  Es  sollen  anfangs  beide  Gabeln  in  gleichem  Abstände 
von  der  Medianebene  vor  den  Ohren  fixiert,  ihr  Ton  also  me- 
dian lokalisiert  sein.     Beginnen  nun  beliebig  rasche  synchrone 


^  Über   einige    Verhältnisse  des   binokularen  Sehens.     Äbhdlg.    d.   Sachs. 
Oesettsch.  d,  Wiss.  (Mathemat.  Klasse  V)  Bd.  7.   S.  543  ff. 


Zur  interaurealen  Lokalisatum  dioHscher  Wahrnehmungen.  307 

Schwingungen  von  beiderseits  gleicher  Weite  und  in  stets 
genau  entgegengesetztem  Sinne,  so  kommen  mediane  Schwe- 
bungen zu  Gehör. 

2.  "Werden  aber  beide  Gabeln  immer  a  tempo  nach  rechts 
oder  links  verschoben,  also  gleichsinnig,  so  wandert  der  Ton 
von  Ohr  zu  Ohr,  solange  die  Schwingxmgen  in  geringer  Fre- 
quenz geschehen.^ 

3.  Werden  sie  hingegen  möglichst  rasch  vollführt,  so  haben 
die  Schwebungen  (und  zwar  ausschliefslich)  in  den  beiden 
Ohren  ihren  Sitz. 

Der  erste  Versuch  entspricht  genau  dem  Doppeltelephon- 
versuche Thompsons.  Die  beiden  anderen  enthalten  die  bisher 
noch  ausstehende  Erklärung  fiir  dessen  zweite  Entdeckung, 
dafs  nämlich  das  mediane  Geräusch  aus  der  Mittelebene  in 
beide  Ohren  verlegt  wird,  wenn  die  Telephonplatten  gleich- 
sinnig schwingen,  die  eine  sich  also  dem  Kopfe  nähert,  während 
die  andere  zurückgeht.  Dafs  wir  in  Versuch  2  den  Ton  von 
Ohr  zu  Ohr  durch  die  Medianebene  wandern  hören,  ist  wie- 
derum, wie  kaum  mehr  erwähnt  zu  werden  braucht,  in  dem 
Prinzip  der  Schallverlegung  nach  der  Seite  stärkerer  Intensität 
begründet.  Geschieht  nun  dieser  Wechsel,  wie  in  Fall  3,  zu 
schnell,  als  dafs  wir  seine  einzelnen  Phasen  noch  verfolgen 
könnten,  so  nehmen  wir  nur  noch  die  beiden  Endlagen  des 
hin-  und  herwandemden  Tones  wahr.  Diese  Erscheinung 
dürfte  als  akustisches  Analogen  zu  jener  optischen  aufzufassen 
sein,  welche  zum  Beispiel  ein  rasch  genug  schwingender,  an 
einem  Ende  festgeklemmter,  dünner  Metallstab  darbietet.  Auch 
diesen  sieht  man  scheinbar  in  seinen  Endlagen  fixiert  ruhend, 
während  zwischen  diesen  Endlagen  nichts  als  höchstens  ein 
schattenhaftes  Flimmern  wahrzunehmen  ist.  Die  obige  Über- 
legung mufs  nun  auch  für  die  gleichsinnig  schwingenden  Tele- 
phonplatten gültig  sein,  denn  auch  bei  deren  Benutzung  springt 
die  gröfsere  Intensität  in  raschem  Wechsel  von  Ohr  zu  Ohr. 
Das  Bestehen  einer  Intensitätsdifferenz  aber  ergibt  sich  daraus, 
dafs  das  Geräusch,  welches  beim  Angezogenwerden  der  Platte 
durch  den  Magneten  auftritt,  sich  quantitativ  merklich  unter- 
scheidet von  dem  beim  Loslassen  entstehenden,  wie  man  leicht 

*  Denselben  EfiPekt  erzielt  übrigens  die  Aufstellung  sehr  wenig  ver- 
stimmter und  also  ganz  langsam  schwebender  Gabeln  rechts  und  links 
vorm  Ohre. 


308  ^arl  L.  Schaefer. 

durch  abwechselndes  Schliefsen  und  öffiien  eines  durch  das 
Telephon  geschickten  konstanten  Stromes  findet. 

AuTserdem  sind  aber  auch  öffiiungs-  und  Schliefsungs- 
ticken,  wenigstens  bei  den  zur  vorliegenden  Untersuchung  be- 
nutzten Instrumenten,  qualitativ  verschieden  —  und  dies  ist 
ein  weiteres  Moment,  das  wohl  geeignet  ist,  getrennte  Lokalisation 
in  beiden  Ohren  zu  veranlassen.  Man  darf  diese  Folgerung 
aus  den  klassischen  Taschenuhrversuchen  E.  H.  Wbbers  her- 
leiten, in  denen  gezeigt  worden  ist,  dafs  zwei  in  verschiedenem 
Takte  schlagende  Uhren,  monotisch  vernommen,  den  Eindruck 
des  Zusammenklanges  in  rhythmischen  Perioden  machen,  wäh- 
rend bei  diotischer  Verteilung  solche  Kombination  nie  stattfindet. 
Daraus  und  aus  leicht  anzustellenden  ähnlichen  Versuchen  geht 
die  grofse  TJnterschiedsempfindlichkeit  gegenüber  getrennt 
diotischen  Schalleindrücken  von  qualitativer  Verschiedenheit 
hervor. 

Eben  diese  ünterschiedsempfindHchkeit  gibt  nun  auch 
Aufklärung  darüber,  in  welchen  FäUen  Schwebungen  statt  in 
der  Medianebene  in  beiden  Gehörgängen  gehört  werden.  Ver- 
bindet man  einen  Trichter  durch  einen  gegabelten  Schlauch 
mit  den  Ohren,  bringt  ein  schwebendes  Gabelpaar  vor  seine 
Schallöffnung  und  nähert  derselben  dann  abwechselnd  die 
tiefere  und  die  höhere,  so  nehmen  entsprechend  die  Schwe- 
bungen einmal  einen  tieferen,  das  andere  Mal  einen  höheren 
Charakter  an.  Dies  richtet  sich  also  nach  der  jedesmal  lauteren 
Gabel.  Gesetzt  nun,  es  werden  die  Gabeln,  gleich  laut  tönend, 
in  gleichem  Abstände  vor  je  ein  Ohr  gehalten,  etwa  links  die 
höhere,  rechts  die  tiefere,  dann  erregt  der  höhere  Ton  ent- 
weder auf  dem  Wege  der  Luft-  oder  der  Knochenleitung  von 
links  kommend  auch  das  rechte  Ohr,  aber  durch  den  Leitungs- 
widerstand abgeschwächt  weniger  stark  als  der  tiefe.  Ebenso 
überwiegt  links  der  höhere  Ton  an  Litensität.  Daher  werden 
die  Schwebungen  links  höher,  rechts  tiefer,  also  auf  beiden 
Seiten  qualitativ  etwas  verschieden  wahrgenonmien  werden. 
Dieser  Unterschied  mufs  nun  um  so  merklicher  werden,  je 
mehr  die  Differenz  der  Schwingungszahlen  zunimmt,  und  in  der 
That  lehrt  die  Beobachtung,  dafs  es  viel  leichter  gelingt,  die 
Schwebungen  eines  Gabelpaares  mit  vier  Stöfsen  (etwa  512 
und  516)  in  die  Medianebene  zu  verlegen  —  wie  dies  doch  die 
doppelseitige   Wahrnehmung    von    Schwebungen    in    gleicher 


Zur  interaurealen  Lokälisatwn  diotischer  Wiüimehtnungen,  309 

Frequenz  mid  Intensität  erfordert  — ,  als  wenn  die  Differenz 
der  Schwingtingszalilen  z.  B.  22  beträgt,  wie  bei  den  Tönen 
494  nnd  516. 

Findet  Lokalisation  der  Schwebtingen  in  die  Medianebene 
entweder  rein  oder  zusammen  mit  einer  Verlegung  in  die  Ohren 
statt,  so  sind  f&r  die  weitere  genauere  Bestimmung  der  Lage 
und  Entfernung  des  scheinbaren  Ursprungsortes  die  im  ersten 
Abschnitt  dieser  Untersuchung  aufgestellten  G-esichtspunkte 
mafsgebend. 


Zur  Psychologie  der  Frage. 

Von 

Eich.  Wähle, 

Privat -Docent  a.  d.  Universität  Wien. 

Es  sei  mir  gestattet,  ehe  ich  das  vorgesetzte  Thema  in 
Angriff  nehme,  einige  einleitende  Bemerkungen  über  die  Psy- 
chologie im  allgemeinen  voranzuschicken. 

Die  Psychologie  wird  auch  heutzutage  noch  von  vielen 
Psychologen,  trotz  der  Anerkennung  einer  gewissen  Berührung 
dieser  Wissenschaft  mit  der  Physiologie,  in  einer  unklaren 
Separation  von  letzterer  gedacht.  Der  und  jener  glaubt  z.  B., 
dafs  ein  Teil  eben  und  derselben  psychophysischen  Frage 
dem  Psychologen,  ein  anderer  Teil  dem  Physiologen  zufalle. 
Ich  will  mich  nicht  beim  Falschen  aufhalten;  die  richtigen 
Verhältnisse  zwischen  diesen  Wissenschaften  scheinen  mir  fol- 
gende zu  sein.  Physiologie,  im  Sinne  wissenschaftlicher  Be- 
trachtung in  der  Beschränkung  auf  Bewegungsvorgänge  an 
organisierter  Materie,  ist  abgetrennt  von  Psychologie,  als  der. 
Betrachtung  von  Bewufstseinsvorgängen.  Physiologie  anderer- 
seits, im  Sinne  der  wissenschaftlichen  Betrachtung  und  Er- 
klärung von  Lebensvorgängen  überhaupt,  schliefst  Psychologie 
ein.  Doch  auf  diese  gewifs  richtigen  Distinktionen  lege  ich  selbst 
gar  keinen  Wert.  Sie  sind  gar  nicht  orientierend,  denn  sie 
sind  zu  abstrakt  und  verrathen  gar  nichts  vom  positiven  Gang 
der  Forschung.  Wichtig  ist  nur  die  Darlegung  der  konkreten 
Beziehungen  der  beiden  Wissensgebiete.  Physiologie  ist  eine 
auf  das  Leben  gerichtete  Forschxmg,  welche  sich  nur  physika- 
lischer Methoden  (im  weitesten  Sinne)  bedient;  Psychologie 
aber  —  ihrem  Wesen  nach  auf  das  Bewufstsein  gerichtet  — 
erhält  von  der  psychischen  Wahrnehmung  zwar  ihren  Stoff, 
ist  aber  in  der  wissenschaftlichen  Durcharbeitxmg  desselben 
auf  die  physiologischen  Operationen  angewiesen. 


2kvr  Psychologie  der  Frage,  311 

Dieser  unserer  Auffassung  steht  die  andere  entgegen,  welche 
die  Methode,  die  Waffe,  das  Vehikel  der  Forschung  für  die  Physio- 
logie in  der  Physik,  für  die  Psychologie  aber  in  der  inneren 
Wahrnehmung  sieht  und  so  zwischen  beiden  einen  Trennungs- 
graben zieht.  Auch  wir  können  natürlich  nicht  bestreiten, 
dafs  ja  das  Material  der  Psychologie  im  BewuTstsein  liegt,  aber 
dieses  Bewufstwerden  der  Vorkommnisse  ist  ohnmächtig  für 
die  Eruierung  ihrer  Gesetze.  Worauf  kommt  es  denn  einer 
Wissenschaft  an?  Zuerst,  zur  Vorbereitung,  sind  die  verschlun- 
genen Phänomene  derselben  und  deren  Verlauf  zu  deskribieren, 
dann  Zusammenhang  und  Ursachen  zn  ergründen.  Letzteres 
kann  aber  die  Psychologie  nimmermehr  dadurch  erreichen,  dafs 
sie  die  Phänomene  selber  nur  bemerkt.  Ersteres  wiederum,  was 
wohl  durch  Wahrnehmung  geschehen  kann,  wäre  eine  so  leichte 
Aufgabe,  dafs  sie  gar  nicht  der  Bede  wert  wäre,  wenn  nicht 
die  Psychologen  —  was  ja  dem  Wesen  der  Wissenschaft  ganz 
zufälUg  und  fremd  ist  —  durch  die  Sprache  verwirrt,  voll- 
kommen fiktive  Kategorien  geschaffen  hätten,  die  man  jetzt 
aus  dem  Wege  räumen  mufs.  —  An  dieser  Aufgabe  habe  ich 
in  meinem  Gehirn  und  Bewufstsein  (Wien  1884,  Holder)  gear- 
beitet, mich  bemüht,  den  Schein  von  separaten  Bewufstseins- 
akten  zu  zerstören,  das  Wunder  der  Einheit  des  Bewufstseins 
aufzulösen  und  alles  Psychische  als  verschiedene  Summen  auf- 
zuzeigen von  extensiven  Vorstellungen,  wozu  ich  die  wirklichen 
Objekte,  die  Körperempfindungen  und  die  Erinnerungsminiaturen 
rechne.  Auch  die  folgende  Analyse  soll  zeigen,  welches  der 
wahre  psychische  Bestand  ist,  der  dem  Namen  „Frage"  ent- 
spricht. Diese  Analysen  müssen  aber  bald  beendigt  sein  und 
was  kann  dann  das  innere  Wahrnehmen  ergründen?  Nichts! 
Wir  kennen  die  Formen  der  Ideenassociationen;  man  hat  sie 
gewifs  in  einer  halben  Stunde  Nachdenkens  gefunden;^  aber 
was  nützt  es  uns,  dafs  wir  wissen,  die  a -Vorstellung  folgt  der 
& -Vorstellung,  weil  ihre  entsprechenden  Objekte  einmal  zu- 
sammen wahrgenommen  wurden,  oder  einander  ähnlich  sind  — 
wenn  wir  doch  nicht  wissen,  warum  von  der  Unzahl  der  Vor- 
stellungen, die  in  eben  solchen  Verhältnissen  zu  h  stehen, 
gerade  a  erschien.  ELerbart  hat  einen  genialen  aber  ganz  un- 
zulänglichen Versuch  gemacht,  das  zu  erklären,  und  dem  blofsen 

*  Feineres,  wichtiges  Detail  in  Wähle  :  Über  Ideenaasodaticnen.    Viertel 
jahrsschr,  f.  wissensch,  Phil,  1885,  und  Höffdiko  ib.  1890. 


312  Sdch.  WaMe. 

inneren  Anschauen  wird  es  niemals  gelingen.  Für  die  Psycho- 
logie ist  die  innere  Wahrnehmung  die  conditio  sine  qna  non, 
aber  sie  ihr  Forschongsmittel  zu  nennen,  ist  so  lacherlich,  als 
wenn  man  den  G-esichtssinn  als  Vehikel  der  Chemie  bezeichnen 
würde.  —  „Psychologie"  hat  die  klare  Aufgabe  der  Eruierung 
der  G^esetze  des  Psychischen;  aber  „phychologisch''  ist  keine 
Bezeichnung  fui  irgend  eine  Methode;  die  innere  Wahrnehmung 
könnte  man  allenfalls  das  rein  psychologische  Verfahren  nennen, 
das  aber  nichts,  als  den  zu  durcharbeitenden  Stoff  liefert;  die 
physiologischen  Operationen  jedoch  sind  ein  Mittel  der  Psycho- 
logie. Alles,  was  sich  auf  das  Sehen  z.  B.  bezieht,  gehört  zur 
Psychologie,  wird  aber  durch  Physiologie,  d.  h.  physiologisch 
angewandte  Physik,  eruiert.  G-eräusche  und  Töne  werden  vom 
inneren  Wahrnehmen  natürlich  schon  unterschieden,  aber  ohne 
physikalische  Analysen  ist  der  unterschied  kaum  präcisierbar 
und  fiir  Auffindung  von  Gesetzen  gar  nicht  fruktifizierbar.  Es 
ist  freilich  reine  innere  Wahrnehmung,  "wenn  wir  merken: 
„jetzt  spüre  ich  wieder  eine  neue  Empfindung,  ^^  aber  das  bleibt 
nichtig,  ohne  Bestimmung  der  Bedingungen  des  „jetzt,  ^  —  und 
diese  werden  geliefert  nur  durch  physikalisch-physiologische 
Forschung.  —  Es  ist  eine  Folge  unserer  Charakteristik,  dals 
man  es  unterlassen  soUte,  einen  Namen  „Psychophysik^  zu 
gebrauchen;  denn,  was  man  darunter  versteht,  ist  nichts,  als 
Psychologie  mit  selbstverständlichem,  experimentierenden  Be- 
trieb. —  Der  Tendenz  nach  giebt  es  für  das  Bewufstsein  nur 
die  Bewufstseinswissenschaft,  d.  h.  die  Psychologie;  diese  aber 
muTs  sich,  nachdem  sie  die  zu  erklärenden  Phänomene  nett 
herausgestellt  hat,  zur  Erklärung  anderer  Methoden,  als  des 
blofsen  Anschauens  bedienen  und  zwar  in  hervorragendster 
Weise  der  physiologisch -physikalischen.  Ich  sage  „in  her- 
vorragender Weise,^;  denn  es  ist  im  allgemeinen  gar  nicht 
abzusehen,  auf  welchen  Wegen  man  zur  Entdeckung  von 
psychischen  Gesetzen  kommen  kann.  Vielleicht  erschliessen 
sich  durch  Hypnose  und  Suggestion  Gesetze  des  Gedächtnisses. 


^  Ich  habe  in  „Gehirn  und  Bewußtsein*^  und  „Über  Intensität  und  Ahn- 
Uchkeit**  {Vierte^ahrsschr.  f.  toisaensch,  Fkü.,  1890)  zu  zeigen  gesucht,  dals 
es  nicht  gleiche  Qualität  bei  verschiedenen  Intensitäten,  sondern  nur 
wechselnde  Qualitäten  gebe  und  dafs  somit  alle  sogenannten  psy- 
chophysischen  Mafsbestinmiungen  eine  andere,  genauere  Terminologie 
erhalten  müisten* 


Zur  Bsychologie  der  Frage.  313 

Vielleicht  hilft  uns  die  Einführung  einer  Hypothese  oder  eines 
Begriffes.  Nur  um  ein  Beispiel  zu  geben,  fahre  ich  eine  Idee 
an,  im  psychologischen  Baisonnement,  für  einzelne  Vorstellungen 
—  besonders  für  diejenigen  des  Kindesalters,  zur  Zeit  ihrer  ersten 
AcquirieruDg  —  ihre  physiologischePotenz  einzusetzen,  das  heifst, 
ihre  Häufigkeit  des  Auftretens  und  ihre  Wirkungsstärke,  ihre 
Macht,  Bewegungen  zu  erzeugen.  Diese  hängt  z.  B.  ab  von  der 
relativen  Leere  des  Bewufstseins  im  Momente  des  Eintrittes  der 
Vorstellung.  Das  Bild  eines  widerlichen  Tieres,  das  uns  aus 
dem  Schlafe  nachts  erweckt,  kann  bis  weit  in  den  Tag  hinein, 
ja  für  Jahre  von  mächtigster  Wirkung  sein.  Oder  man  denke 
an  das  Kräftigwerden  eines  Klanges  im  Zustande  der  Hypnose.^ 
Kurz,  über  die  Methoden  sage  man  lieber  nichts;  nur  das 
bleibt  sicher,  dafs  es  ohne  physikalisch-physiologische  Opera- 
tionen so  gut  wie  keine  Psychologie  giebt,  denn  was  ohne  diese 
geschehen  ist,  z.  B.  hier  von  mir  geschehen  soll,  ist  ledig- 
lich vorbereitende  Arbeit. 

Die  Psychologie  hat  —  der  Idee  nach  —  einen  allgemeinen 

Teil,  welcher  die  Gesetze  der  geistigen  Successionen  im  allgemei- 
nen darlegt.  Dann  hat  sie  specielle  TeUe,  welche  die  Gesetze  be- 
sonderer Funktionen  z.B.  die  Gesetze  der  Leidenschaften,  des 
Charakters  —  einzelner  und  Völker  — ,  der  Talente  etc.  darlegen 
sollen.  Alles,  was  bisher  hierin  geschehen  ist,  hat  den  Wert,  den 
ein  guter  Boman  besitzt.  Man  kann  ja  alle  Eigentümlichkeiten 
analysierend  auf  gewisse  Associationsreihen  zurückfuhren  —  aber 
das  ist  wenig  mehr,  als  vorbereitende  Arbeit  für  die  kommende 
Zeit  der  Erklärung.  Ein  Fundamentalunterschied  der  Menschen 
offenbart  sich  bei  den  Kindern ;  die  einen  sind  bedrückt  durch 
Eindrücke,  scheu,  die  anderen  ergreifen  sie  offen;  die  einen 
werden  grübelnd,  theoretisch,  sentimental,  auf  sich  gestellt,  oft 
eitel  etc.,  die  anderen  licht,  praktisch,  naiv,  schlicht,  gesellig 
etc.  Wieviel  liefse  sich  da  reden  und  wie  vage  wäre  das 
Gerede  —  ehe  die  Physiologie  diese  eventuellen  Fundamental- 
nnterschiede  wissenschaftlich  fundiert  hätte.    Von  den  Sprachen^ 


*  Wenn  icli  hier  gewöhnlichen  Schlaf  nnd  Hypnose  zusammenstelle, 
so  geschieht  es  nicht,  weil  sie  mir  sonst  sehr  ähnlich  erscheinen.  Der 
Schlaf  ist  ein  Zustand  der  Ermüdung  des  ganzen  Körpers,  im  Zustande 
seiner  chemischen  Veränderung,  Hypnose  eine  partielle  Buhe  an  einer 
Stelle  eines  arbeitskräftigen  Körpers ;  Schlaf  ist  Ohnmacht ,  Hypnose 
eigentlich  mächtige  Koncentrierung. 


314  Ä«*-  Wähle. 

Sitten  und  Ideen  der  Völker  kann  die  Psychologie  nichts 
lernen;  im  Gegenteil  all  dies  bildet  Teile  der  Psychologie, 
welche  erst,  nachdem  wir  eine  wissenschaftliche  allgemeine 
Psychologie  haben  werden,  mit  guten  Aussichten  in  Angriff 
zu  nehmen  sind.  Von  den  verschiedenen  sprachlichen  Formen 
des  Urteiles  z.  B.  werden  wir  für  die  Erkenntnis  der  ürteils- 
funktion  nichts  lernen,  sondern  die  Kenntnis  des  Urteilens 
könnte  uns  über  die  Gründe  der  Auswahl  verschiedener  Aus- 
drucksweisen  belehren. 

Somit  haben  wir  das  Verhältnis  der  Psychologie  zu  Phy- 
siologie   bestimmt    ausgesprochen    und    auch    die    dereinstige 
Struktur  der  psychischen  Wissenschaft  angedeutet  und  wollen 
nur    noch    davor  warnen,    dafs  man,    bei   dem  Sprechen    über 
die   Wissenschaften,    nicht   diese    mit    den  zufallig   ihnen    an 
verschiedenen  Fakultäten  gewidmeten  Lehrkanzeln  verwechsle. 
—  Länger   will   ich  meinem  Hauptthema   nicht    fem  bleiben; 
es    ist    die    Frage,    welches    ist    das   psychische    Vorkommnis 
oder  die    Summe   von   Vorkommnissen,  die  man  „eine  Frage" 
nennt?  Sowie  der  Physiologe   nicht  mit  dem   vulgären  Begriff 
der  Haut  z.  B.  und  der  Chemiker  nicht  mit  der  vulgären  Vor- 
stellung des  Wassers  rechnet,  sondern  alle  auf  die  letzten  ihnen 
erreichbaren  Elemente  eingehen,   so   darf  sich  der  Psychologe 
nicht  früher  beruhigen,    als    bis    er    die    einzige  Aufgabe,    die 
durch  einfaches    Achthaben    überhaupt    gelöst   werden    kann, 
vollendet  hat,   nämlich  bis  er  zu  Ende   analysiert  hat.  —  Die 
Sprache  mit  ihrer  praktischen  Tendenz   thut   gerade  das  Ent- 
gegengesetzte von  dem,  was  die  Psychologie  —  die  vorbereitend 
deskriptive   —  thun    soll.      Die    Sprache    sucht   so    vieles   als 
möglich,    z.  B.    alle  Eigenschaften    eines  organisierten  Dinges, 
mit    einem    Worte    zusammenzufassen.      Wie     viele^  vorge- 
stellte Summanden  bedeutet   „Mensch,"  „Staat,"  „musikalisch" 
etc.!  Kein  Mensch  vielleicht   denkt  bei  einem  Worte  dasselbe, 
wie  ein  anderer  Mensch.     Wir  kommen  nur  zusammen  in  den 
äufseren  Dingen  und   Handlungen  und  in   den  terminologisch 
präzisierten  Wissenschaften,  sonst  aber  in  Poesie,  dem  gewöhn- 
lichen   Eeden,    den    Mitteilungen    der    Gefühle    etc.    versteht 
eigentlich  keiner  den  anderen. 

HuME  lehrte  am  nachhaltigsten,  dafs  man  das  wahre  Sub- 
strat der  sprachlichen  Ausdrücke  suchen  müsse,  indem  er 
fragte,  was  man  unter  „Ursache"  verstehe,  wenn  er  auch  eine 


Zur  Psychologie  der  Frage.  315 

ungenügende  Antwort  gab.  Das  ganze  psychische  Inventar 
kann  man  nicht  ohne  weiteres  aufnehmen,  —  wie  Leute,  die 
mit  dem  Empirismus  flunkern,  vorgeben.  Die  Wegweiser  für 
die  Analyse  und  für  die  völlige  Aufnahme  der  psychischen 
Landschaft  werden  anfangs  die  sprachlichen  Kategorien  sein 
und  so  wenden  wir  uns  zur  „Frage".  Der  Laie  wird  zunächst 
meinen:  eine  Frage  ist  eben  eine  Frage;  er  ist  natürlich  gegen 
das  Aufgestörtwerden  aus  seinem  ruhigen,  leichten  Gebrauch 
der  Worte;  deshalb  wenden  sich  an  ihn  mit  Glück  jene 
Psychologen,  welche  die  Seele  mit  möglichst  vielen  irreduciblen 
Akten  ausgestattet  sein  lassen,  den  „Willen"  und  das  „Ähnlich- 
finden" etc.  als  lauter  „Letztes",  „Eigenartiges"  bezeichnen. 
Bald  wird  aber  der  Laie  einsehen,  dafs  vor  allem  der  sprach- 
liche Ausdruck  für  die  Frage  nicht  wesentlich  ist;  denn  es 
wird  wohl  auch  der  Stumme  in  seinem  Geiste  fragen.  Er  wird 
dann  vielleicht  glauben,  diese  wortlose  Frage  ist  ein  „Wissen- 
wollen" und  das  Wollen  ist  ihm  wahrscheinlich  ein  Letztes. 
Wir  haben  aber  gezeigt  ^,  dafs  Wollen  nur  ein  Ausdruck  ist  für 
eine  bestimmte  Art  von  Reihen,  gebüdet  aus  kommenden  und 
gehenden  Vorstellungen,  Aktionsvorstellungen  etc.;  wir  woUen 
das  nicht  verfolgen  und  haben  es  nur  angeführt,  um  zu  zeigen, 
dafs  man  solche  Analysen  nicht  in  sicherem,  geraden  Fortschritte 
txntemehmen  kann,  sondern  immer  wieder  auf  neue  Analysie- 
rungsaufgaben  stöfst.  Nur  wenn  man  schon  viel  Übung  erlangt 
hat  im  Auflösen  dieser  wie  aus  lauter  einzelnen  Fäden  gebil- 
deten Fragen-Knäuel,  kann  man  eine  Darstellung  geben,  die 
hier  hoffentlich  für  ganz  einfach  und  simpel  gehalten  werden 
wird,  welche  übrigens  leider,  der  Natur  der  Sache  nach,  eine 
etwas  gewundene  Schreibweise  mit  sich  bringt. 

Der  psychische  Zustand  der  Frage,  welcher  sich  die 
mannigfachsten  sprachlichen  und  sonstigen  Aufserungen  ver- 
schaffen kann,  besteht  in  dem  „während  einer  ünentschiedenheit 
Sichbereithalten  für  eine  Wahrnehmung  der  Entscheidung". 

Doch  dieser  Satz,  wie  er  Resultat  einer  Analyse  ist,  bedarf 
noch  weiterer  Einsätze  elementaren  psychischen  Materiales  in 
seine  Ausdrücke.  (Wir  wollen  dies  zuerst,  wie  im  Kampfe  mit 
einem  entgegengesetzt  Gesinnten  geben,  dann  aber  einfach  die 


^  Zeitschrift  ßr  Philosophie  und  phü.  Kritik,  Bd. 92.,  und  „Gehirn  und 
Bewußtsein". 

Zeitschrift  fttr  Psychologie.  21 


316  Bkh,  Wohle, 

Thatsaclien  zusammenstellen.)  Zuerst :  was  heilst  unentschieden- 
heit,  was  ist  das  psychische  Substrat  ftr  diesen  Namen?  Man 
konnte  glauben,  dais  „XJnentschiedenheit^  bereits  das  „Bedürfiiis 
der  Entscheidung^  voraussetze,  dals  dieses  aber  identisch  sei  mit 
einer  ^yFrage''  und  dafs  wir  also  fehlerhafterweise  das  zu  Er- 
klärende in  die  Erklärung  aufgenommen  hätten.  Aber  dem 
gegenüber  halte  man  fest,  da£s  „ünentschiedenheit^  ja  aller- 
dings einen  Teil  der  „Frage*^  selbst  bildet,  dais  es  aber  selbst 
schon  etwas  Zusammengesetztes  ist,  was  wir  jetzt  eben  dar- 
legen wollen. 

„TJnentschiedenheit"  ist  eine  „Unsicherheit",  „eine  Flucht 
von  Vorstellungen,  welche  Gegensätze  enthalten**.  Nun  wird 
man  sagen,  ein  blofses  Vielerlei  von  Vorstellungen  ist  als  solches 
ein  rechtmäfsiges  historisches  Faktum;  wieso  gilt  es  als  un- 
befiiedigende  Unsicherheit?  Diese  kommt  dadurch  hinein,  dafs 
eine  Vorstellung,  durch  gleich  zu  bezeichnende  umstände,  als 
die  interessierende  Zielvorstellung  fungiert,  im  Verhältnis  zu 
welcher  die  anderen  als  feindliche  gelten.  Wir  werden  mit 
einem  "Worte  die  Negierung,  das  „nicht"  psychisch  aufzuzeigen 
haben;  denn  sie,  ja  und  non,  nein,  giebt  eben  „Unsicherheit". 
Jene  Vorstellungen,  welche  sich  positiv  anstatt  der  „inter- 
essanten" einstellen,  sind,  in  Bezug  auf  sie,  das  „nicht".  Es 
giebt  nicht  psychisch  ein  aktuelles  „nicht",  sondern  „nicht" 
bedeutet  nur  „ein  anderes".  —  Wodurch  wird  nun  das  „Inter- 
esse" konstituiert?  Man  wird  sagen,  durch  „Bedürfiiis"  und 
dies  wird  man  wie  einen  „Wunsch"  für  etwas  halten,  was 
primär,  irreducibel,  nicht  durch  Vorstellungen  ausdrückbar  ist. 
Das  ist  aber  unrichtig.  Ein  kleines  Beispiel  wird  das  zeigen. 
Ein  Kind  verspürt  Hunger,  eine  extensive  Leibesempfindung, 
es  schreit;  es  erhält  Nahrung,  man  bringt  sie  oder  es  greift 
darnach,  und  das  Hungergefühl  verschwindet,  angenehme  Em- 
pfindungen treten  auf.  Nach  einigen  solchen  Sucoessionen  oder 
wahrscheinlich  schon  nach  einer  einzigen,  ist  diese  Beihe  asso- 
ciiert.  Wenn  das  Kind  nun  Hunger  verspürt,  reiht  sich  weiter 
daran  z.  B.  „Vorstellung  der  Nahrung  und  Damach-greifen", 
oder  „Schreien  und  Vorstellen  des  Zubringens  derselben";  —  und 
will  man  noch  mehr,  um  einen  Wunsch  bei  dem  Kinde  zu  statu- 
ieren? Wir  sehen  also  hiemit,  wie  „Bedürfnis"  durch  eine  Beihe 
von  Vorstellungen,  darunter  Aktions  Vorstellungen  gebildet  wird. 
Ein  solches  Bedürfnis  ist  auch  etwas,  was  man  ein  „Interesse 


Zur  Psychologie  der  Frage.  317 

an  etwas"  nennt.  Doch  kann  „Interesse"  auch  durch  andere 
Verhältnisse  gebildet  werden.  Jedes  Objekt,  auf  welches  hin 
wir  unsere  Ichthätigkeit,  also  das  Hindrehen  des  Kopfes,  das 
Hingreifen  etc.,  gerichtet  wissen,  ist  ein  „interessantes  Objekt**, 
oder,  wie  wir  sagen  wollen,  ein  „Zielobjekt",  ein  „pointiertes". 
Ebenso  ist  jede  Vorstellung,  auf  welche  rekurriert  wird,  eine 
„pointierte".  Nun  können  wir  unsere  Analyse  des  „nicht"  ab- 
schliefsen:  was  anders  ist,  als  das  Pointierte,  —  was  z.  B., 
während  ein  Raum  fixiert  ist,  an  diesen  nur  angrenzt,  oder  was 
seine  eben  fixierte  Form  verändert,  oder  was  statt  des  Dien- 
lichen (die  Nahrung  z.  B.).  eintritt  —  heifst,  in  Erinnerung  an 
das  Pointierte,  dessen  „nicht".  —  Jetzt  können  wir  einfach 
sagen,  was  „Unsicherheit"  und  „Schwanken"  ist;  es  ist  der 
Wechsel  von  pointierter,  interessirender  und  negativer  Vor- 
stellung. Holen  wir  unser  Kinderbeispiel  wieder  hervor,  so 
wird  der  Hunger,  Vorstellung  der  Nahrung,  Heranbringen  der- 
selben. Forttragen  derselben,  Wiederbringen  etc.  ein  „Schwanken" 
des  Geisteszustandes  des  Kindes  konstituieren. 

Was  heifst  nun  „Entscheidung"  ?  Die  Menschen  sind  sich 
eines  höchst  einfachen  und  tiefgreifenden  Unterschiedes  in 
ihren  Vorstellungen  bewufst.  Die  einen  sind  verschwommen, 
blafs,  klein,  zerrissen,  inkomplet,  die  Phantasie-  und  Erinnerungs- 
vorstellungen —  ich  nannte  sie  Miniaturen  — ;  die  anderen 
haben  jenen  Habitus,  den  man  eben  „Wirklichkeit"  nennt.  Das 
vorgestellte  Empfangen  des  Briefes  ist  etwas  anderes,  als  das 
wirkliche  leuchtende  Papier,  das  feste  Greifen  nach  demselben; 
die  Wehmut,  deren  Eintritt  ich  erst  befürchte,  etwas  anderes, 
als  die  wirkliche  Wehmut. 

„Entscheidung"  wird  nun  geboten  durch  etwas,  was  den 
Habitus  der  „Wirklichkeit"  trägt,  oder  bleibende,  stabile  Kon- 
sequenzen nach  sich  zieht;  wie  z.  B.  wenn  einer  bei  sich  über- 
legt, ob  er  an  Gott  oder  sein  Talent  glauben  soll  oder  nicht 
und  hierauf  einer  Annahme  entsprechend  sich  weiter  geriert. 

Jetzt  erst  halte  ich  es  für  angemessen,  darauf  aufmerksam 
zu  machen,  dafs  „pointiert"  nicht  soviel  bedeutet,  wie  „wirk- 
lich". Wenn  ich  z.  B.  nach  Hause  gehen  will,  um  zu  schlafen, 
so  ist  mein  Haus,  das  jetzt  meine  Schritte  zu  sich  lenkt  und 
mein  Bett  in  der  Phantasie  en  miniature,  die  pointierte  Vor- 
stellung, aber  noch  nicht  das  „Wirkliche". 

Eine  besondere  Erläuterung  des  Begriffes  „sich  bereit  halten 

21* 


318  ^»cA    WahU. 

ZTXT  Wahrnehmung  der  Wirklichkeit"  ist  hier  kaum  nötig.  Man 
muij9  die  Augen  öffnen,  hinblicken,  hingreifen,  hingehen  etc., 
um  ein  Wissen  zu  erreichen.  In  den  Kreis  dieser  Erschei- 
nungen gehört  auch  das  Stutzen,  Aufschauen,  Lauem;  auch 
die  entsprechenden  Stellungen  und  Empfindungen  der  Tiere, 
die  gewifs  ebenfalls  die  „Frage"  haben. 

Die  ^Entscheidung"  mufs  eine  tJbereinstimmung  einer 
„Wirklichkeit"  mit  einer  Phantasievorstellung  enthalten.  Wie 
wir  selbst  hervorgehoben  haben,  kann  Wirklichkeit  (abnorme 
Fälle  ausgenommen)  der  Phantasie  nicht  gleichen;  es  handelt 
sich  hier  also  um  gröfstmögliche  stellvertretende  Ähnlichkeit 
der  Form.  Über  die  Korrespondenz  des  Psychischen,  das  en 
miniature  auftritt,  mit  dem  Wirklichen  müfste  man  natürlich 
noch  ex  professo  handeln. 

Nun  geben  wir  in  ununterbrochenem  Zuge  das  psychische 
Schema  der  Frage:  Eine  pointierte  Vorstellung,  Wechsel  der- 
selben mit  ihren  negativen  Vorstellungen,  d.  h.  Wechsel  mit 
anderen  an  die  pointierte  Vorstellung  sich  anschliefsenden 
Vorstellungen,  Bereithalten  für  eine  Wahrnehmung  einer  Wirk- 
lichkeit, welche  auf  die  pointierte  Vorstellung  pafst  und  dem 
Wechsel  in  der  Phantasie  ein  Ende  macht. 

Ein  Beispiel!  Das  Bild:  „Wird  das  Boot  die  Landspitze 
umsegeln?"  Seemänner  stehen  am  Strande.  Sie  haben  das 
Phantasiebild,  Miniaturbild  das  Schiffes  hier  und  dort,  nah 
und  fem  der  Landspitze,  also  immer  von  der  Landspitze  aus 
gemessen ;  sie  lugen  aus  und  wissen,  es  wird  eine  Wahrnehmung 
des  Wirklichen,  korrespondent  dem  Vorgestellten,  eintreten, 
worauf  ihre  Miniaturbüder  verschwinden  werden. 

Ein  solches  Aggregat  von  Vorstellungen,  welches  eben  eine 
eigenartige  Konstellation  hat,  heifst  eine  Frage;  aber  von  eigen- 
artigen Akten  und  BewuTstseinsweisen  ist  nichts  zu  beobachten. 

Es  kann  weiter  verschiedene  Arten  von  Fragen  geben; 
z.  B.  die  Frage:  was  wird  überhaupt  geschehen?  bedeutet  die 
Erwartung,  das  Bereitsein  für  eine  Wahrnehmung,  welche  dem 
Nichts-Greschehen  ein  Ende  machen  wird,  der  Vorstellung  von 
„etwas"  entspricht.  (Das  Abstrakte  müfste  besonders  behandelt 
werden.)  Neugierig  zum  Fenster  hinaussehen  ist  eine  an  die 
Gasse  gerichtete  Frage.  -  -  Einen  an  nervöser  Spannung  sehr 
reichen  Zustand  giebt  es,  in  welchem  nämlich,  obzwar  die 
Frage  schon  entschieden  ist,    die  geistigen  Vorgänge   wie  vor 


Zur  PsycJiologie  der  Frage.  319 

der  Entscheidung  immer  wiederkehren,  die  immer  wieder  be- 
hobene Unsicherheit  nachzittert. 

Ein  Urteil  ist  oft  nichts  anderes,  als  ein  Name  für  eine 
Thatsaphe  oder  ein  Ereignis,  sei  es  einem  wirklichen  oder  einem 
in  der  Phantasie,  Erinnerung  nachgebildeten,  z.  B.  es  regnet 
oder  es  regnete.  Es  enthält  psychisch  gar  nichts  anderes,  als 
blofse  Vorstellungen;  nur  enthält  es  oft  die  Vorstellungen  des 
betreffenden  Wahmehmens  des  Gegenstandes  auch  noch.  — 
Von  nennenswerter  Wichtigkeit  sind  meist  nur  solche  Urteile, 
welche  auf  einen  Zustand  der  Unsicherheit  folgen.  Die  Psy- 
chologie der  Frage  steht  demnach  im  innigsten  Konnex  mit 
der  des  Urteilens  und  der  der  Aufmerksamkeit.  Letztere  bildet 
ja  nur  ein  schon  behandeltes  Element  der  Frage,  und  es  bliebe 
eigentlich  noch  übrig,  die  Operation  und  die  Arten  des  Auf- 
merkens  im  Detail  darzulegen.  Das  soll  aber  hier  nicht  mehr 
geschehen.  Das  Wichtigste  für  die  Analyse  ist  „das  Interesse'^, 
die  „Pointierung"  einer  Vorstellung,  welche,  ohne  ein  aparter 
psychischer  Akt  zu  sein,  wie  wir  gesehen  haben,  durch  Schmerzen 
oder  Freuden,  durch  ihre  Verwendung  als  Mittel  etc.,  durch 
Hichtung  des  Blickes  oder  des  Ergreifens ...  zu  einer  uns  occu- 
pierenden  wird. 

Durch  die  Aktionen  wird  von  Eandheit  an  in  das  Qewoge 
einzelner  Vorstellung  Richtung,  quasi  Polarisation  gebracht. 
Bemerkenswert  ist  es  für  meine  Methode,  dafs  so  viele  soge- 
nannte psychische  Funktionen  ineinander  überzufliefsen  scheinen. 
Das  ist  auch  thatsächlich  der  Fall  und  stellt  sich  bei  der  Grup- 
pierung der  verschiedenen  Schemata  deutlich  heraus.  So  ist 
z.  B.  der  Zustand  beim  Wollen  ganz  verwandt  d^m  der  Frage. 

Ich  werde  im  Anschlufs  an  mein  y^Gehim  und  Bewufstseinf'  die 
wirkKchen  psychischen  Thatsachen  für  alle  Begriffe  geben  und 
aus  einer  solchen  vollständigen  Aufzählung  ergiebt  sich  ein 
System  von  psychischen  Gruppen,  mit  wechselseitigen  Über- 
gängen, welches,  mit  seinem  Überstreifen  der  gewöhnlichen 
psychologischen  Abteilungen,  für  die  physiologische  Erklärung 
und  auch  für  Psychiatrie  von  einiger  Brauchbarkeit  sein  dürfte. 


über  negative  Empfindungswerte. 

Von 

H.  Ebbinqhaüs. 

I. 

Die  in  den  beiden  ersten  Heften  dieser  Zeitschrift  mitge- 
teilten Briefe  Fbchnbrs  über  negative  Empfindungswerte  werden 
in  einer  Beziehung  ftir  jeden,  der  von  ihnen  Kenntnis  ge- 
nommen hat,  eine  äufserst  interessante  Lektüre  gewesen  sein, 
insofern  sie  nämlich  einen  anziehenden  Einblick  in  die  wissen- 
schaftliche Persönlichkeit  ihres  Verfassers  gewähren.  Auf  die 
geistige  ünermüdlichkeit  des  ausgezeichneten  Mannes  —  und, 
wie  ich  sagen  möchte,  latenten  Mitbegründers  dieser  Zeit- 
schrift, —  auf  seinen  durchdringenden  Scharfsinn,  auch  auf 
seine  Zähigkeit  in  Festhaltung  einmal  angenommener  Ansichten 
fällt  durch  sie  ein  charakteristisches  Licht.  Aber  wie  steht  es 
in  sachlicher  Beziehung?  mit  den  negativen  Empfindungswerten 
selbst  nämlich?  Sollte  wohl  einer  der  ausgesprochenen  Gegner 
der  FBCHNEKschen  Auffassung  durch  die  vielseitige  Beleuchtung 
und  Verteidigung  dieser  Auffassung  zu  ihr  bekehrt  worden 
sein?  Oder  sollte  die  vermutlich  viel  gröfsere  Zahl  Derer  nun 
wirkliche  Klarheit  gewonnen  haben,  welche  nicht  recht  wissen, 
was  sie  mit  den  negativen  Empfindungen  anfangen  sollen,  aber 
freilich  auch  nicht  recht  wissen,  wie  sie  von  ihnen  als  einer 
notwendigen  Konsequenz  annähernd  richtiger  Formeln  los- 
kommen können?  Ich  glaube  beides  nicht,  sondern  vermute, 
die  meisten  Leser  der  Briefe  werden  sie  mit  dem  unbestimmten 
Gefühl  aus  der  Hand  gelegt  haben,  dafs  die  Sache  doch  wohl 
noch  irgend  einen  Haken  haben  müsse. 

Freüich  hat  sie  noch  einen  Haken.  Und  da  die  Frage 
nach  den  negativen  Empfindungswerten  nicht  nur  für  sich 
selbst  Bedeutung  hat,  sondern  auch  auf  die  ganze  Auffassung 


über  negative  Empfindungswerte,  321 

dessen,  was  unter  positiven  Empfindungswerten  und  unter  der 
Messung  solcher  Werte  zu  verstehen  ist,  orientierend  zurück- 
wirkt, da  femer  über  diese  Dinge  —  wie  die  neueste  Ver- 
öffentlichung von  MüNSTERBEBG  zeigt  —  selbst  unter  den 
Psychologen  von  Fach  noch  Unklarheit  herrscht,  so  will  ich 
versuchen,  jenen  Haken  aufzuzeigen  und  herauszuziehen. 

Nicht  als  ob  hierüber  noch  etwas  ganz  Neues  zu  sagen 
wäre.  Was  ich  meine,  ist  schon  vor  Jahren  gesagt  worden, 
nämlich  von  Delboeuf,^  aus  dessen  Versuchen  die  einzig  mög- 
liche Interpretation  der  negativen  Empfindungswerte  besonders 
leicht  sich  ergab.  Wenn  seine  Darlegungen  nicht  durch- 
schlagend gewirkt  haben,  so  liegt  das  vermutlich  daran,  dafs 
sie  nicht  in  der  ganzen  ihnen  zukommenden  Einfachheit  ge- 
geben worden  sind.  Dblboeuf  verwickelt  die  Sache  durch 
Hineinziehung  der  sogenannten  Ermüdungserscheinungen  und 
seiner  auf  diese  gebauten  allgemeinen  Theorie  der  Sensibilität. 
Aber  die  Bestimmung  positiver  und  negativer  Empfindungs- 
werte ist  ganz  und  gar  unabhängig  davon,  ob  es  Ermüdungs- 
erscheinungen giebt  oder  nicht,  und  sie  kann  auch  in  der  That 
ganz  aus  diesem  ihr  inadäquaten  Zusammenhang  losgelöst 
werden.* 

n. 

Was  negative  Empfindungswerte  sind  und  allein  sein 
können,  muTs  klar  werden  aus  der  Bestimmung  dessen,  was 
positive  Empfindungswerte  sind.  Denn  wenn  die  Benennung 
der  einen  als  negativer  und  der  anderen  als  positiver  Werte 
überhaupt  einen  Sinn  haben  soll,  so  mufs  sie  dem  Verhältnis 
Rechnung  tragen,  zu  dessen  Bezeichnung  eben  jene  Termini 
dienen.  Sollte  sich  ergeben,  dafs  etwas  einem  solchen  Ver- 
hältnis Entsprechendes  auf  dem  Gebiete  der  Empfindungen 
nicht    existiert,    so    ist    die   Bezeichnung    sinnlos,    d.  h.    ein 

^  Besonders  deutlich  nicht  in  den  älteren  Schriften,  sondern  in  der 
mit  Berücksichtigung  der  TiNNERYSchen  Bedenken  geschriebenen  Abhand- 
lung in  der  Bevue  philosopkique  V  (1878),  die  im  wesentlichen  wieder  ab- 
gedruckt ist  u.  d.  T.:  Examen  criUque  de  la  loi  paychophysique,  Paris,  1883. 

'  Stumpf  z.  B.  interpretiert  {Tonpaychologie,  I.  399)  die  FECHKERSche 
Formel  gewissermafsen  im  BELBOEUFschen  Sinne,  aber  frei  von  der  irre- 
leitenden Hineinziehung  der  DELsoEUFschen  Theorien.  Was  hier  über 
die  negativen  Empfindungswerte  folgt,  ist  nichts  als  die  logische  Kon- 
sequenz einer  solchen  Anschauung,  die  auch  die  meinige  ist. 


322  ^'  Ebhinghaua. 

blofser  Name  für  gewisse  analytische  Konsequenzen,  die  sach- 
lieh  keine  Bedeutung  haben.  Negative  Empfindungswerte 
müssen  also,  wenn  überhaupt  etwas,  dann  „unter  allen  üm- 
ständeja  solche  sein,  die  mit  gleich  groDsen  positiven  additiv 
verknüpft  den  Wert  0  geben."*  Das  heifst:  wenn  ich  einer 
behebigen  Empfindung  erst  einen  positiven  imd  dann  einen 
gleich  grofsen  negativen  Wertzuwachs  erteile  (oder  umgekehrt), 
so  mufs  der  Effekt  derselbe  sein  als  ob  ich  sie  ganz  ungeän- 
dert  gelassen  hätte.  Was  sind  denn  nun  aber  positive  Em- 
pfindungswerte? 

Wertangaben  sind  Zahlenangaben,  wenigstens  soll  das 
Wort  hier  durchaus  in  dieser  engeren  Bedeutung  verstanden 
werden.  Um  aber  irgend  einen  Inhalt  durch  eine  Zahl  dar- 
stellen zu  können,  ist  es  nicht  genügend,  dals  man  ihn  in 
Bezug  auf  einen  anderen  als  gleich  oder  ungleich  beurteilen  kann, 
auch  noch  nicht,  dafs  die  beiden  etwa  das  Verhältnis  einer 
Steigerung  oder  ihres  G-egenteils  erkennen  lassen.  Man  mufs 
vielmehr  aufserdem  noch  angeben  können,  was  in  Bezug 
auf  die  Zählung  als  Einheit  betrachtet  werden  soll 
und  wie  oft  diese  Einheit  in  dem  betreffenden  Inhalt 
enthalten  ist.  Der  Inhalt  mufs  als  Vielfaches,  als  Mul- 
tip lum  eines  anderen  beurteilt  werden  können,  um  zählbar 
zu  sein. 

Ich  betrachte  es  nun  als  einen  durch  die  Diskussionen 
über  Empfindungsmessung  ausgemachten  Satz:  wenn  blols 
zwei  elementarste  Empfindungen  eines  beliebigen  G-ebiets  in 
irgend  einer  Hinsicht  miteinander  verglichen   werden,   so  wird 


*  Worte  Lakoers:  Chrundlagen  der  Psychophyaik,  8.61.  Man  darf  nur, 
um  im  Folgenden  nicht  irre  zu  gehen,  diese  Definition  nicht  so  naifsver- 
stehen,  wie  es  Langer  selbst  begegnet.  Ein  positiver  Wert  mit  einem 
gleich  grofsen  negativen  additiv  vereinigt  ergiebt  den  Nullwert.  Aber 
wenn  jene  beiden  Werte  wieder  funktionell  oder  ursächlich  von  anderen 
Werten  abhängig  sind,  so  liefert  nicht,  wie  L.  verlangt,  die  additive 
Vereinigung  dieser  letzteren  notwendig  auch  den  Wert  0.  Bereits 
FfiCHNEB  hat  gegen  Langer  ein  treffendes  Beispiel  geltend  gemacht  {In 
Sachen  d.  Fisychoph.,  S.  38).  Der  Cosinus  eines  Winkels  ist  gleich  dem 
seines  Nebenwinkels,  nur  mit  entgegengesetztem  Vorzeichen.  Die  beiden 
Cosinus  sind,  also  in  Bezug  zu  einander  positive  und  negative  G-röfsen, 
es  ist  cos  a  +  cos  (180  —  a)  =  0.  Aber  wenn  ich  zuerst  die  beiden  Winkel 
addiere ,  so  ist  der  Cosinus  dieser  Summe  durchaus  nicht  mehr  gleich  0, 
sondern  gleich  —  1. 


I 


über  negative  Empfindungswerte.  323 

niemals  die  eine    als    ein  Vielfaches    der    anderen    empfunden. 
Die  beiden  Empfindungen  können  als  gleich  oder  als  verschieden 
bexirteilt  werden.    Wenn  aber  letzteres  der  Fall  ist,  so  ist  ein- 
fach die  eine  anders  als  die  andere,   aber   sie   ist,    lediglich 
für  den    unmittelbaren   Eindruck,    kein   Mehrfaches    der 
anderen,  sie  enthält  nicht  die  andere  und  aufserdem  sonst  noch 
etwas  in  sich.      Eine    blaue  Fläche  ist  anders    als    eine  grüne, 
aber  sie  hat,    lediglich   mit  Bücksicht    auf   ihre  Farbe,   nichts 
von  einem  Doppelten  oder  Dreifachen  der  grünen  an  sich,  und 
so  ist  eine   hellgraue  Fläche    einfach    anders    als    eine  dunkel- 
graue,   aber   kein   Multiplum    dieser.      Ein   tiefer    Ton   klingt 
anders  als  ein  hoher  Ton    und   in    ähnlicher  Weise    eiu  lauter 
Ton  anders  als  ein  leiser.     Ganz  entsprechend   verhält   es  sich 
mit  allen  anderen  Elementarempfindungen,  mit  Gerüchen,  Tem- 
peraturen, Druckempfindungen,  sog.  Muskelempfindungen  u.  s.  w. 
Freiüch  scheint  es  sich  in  einer  Hinsicht  anders  zu  ver- 
halten, nämHch  in  Bezug  auf  die  sogenannte  Stärke  der  Em- 
pfindungen.   Man  bezeichnet  doch  ganz  allgemein  die  Helligkeit 
einer  Flamme  oder  einer  Fläche  als  das  10-  oder  12-fache  einer 
anderen  Helligkeit  und  könnte,    wie   es    scheint,    ganz    ebenso 
zwanglos    einen   lauten  Ton   als  das  Doppelte    oder  Dreifache 
eines   leisen    Tones    bezeichnen.     Aber  was    hier   vorhegt,    ist 
durchaus  nicht  mehr   eine   unmittelbare  Empfindung    oder   un- 
mittelbare Beurteilung  von  Empfindungen,  sondern  beruht  auf 
der  Hineintragung    von  Erfahrungen.     Wir   können   es    aUer- 
diDgs    erleben  und   erleben    es   aUe   Tage,    dafs    das  Zustande- 
kommen eines  Helleren  oder  Lauteren  auf  einer  Vervielfältigung 
eben  derjenigen   physikalischen  Dinge  oder  Vorgänge 
beruht,  die  bei  geringerer  Anzahl  den  Eindruck  des  Dunkleren 
oder  Leiseren  hervorrufen.     Um  von    einer  Fläche    einen  Ein- 
druck  gröfserer  Helligkeit  zu  haben,  kann  man  die  Anzahl  der 
sie    beleuchtenden  Gasflammen  vermehren,    tun    einen  Ton    zu 
verstärken,  vervielfältigt  man  die  Anzahl  der  ihn  hervorbringen- 
den Instrumente.     Solche  Erfahrungen   in  Bezug   auf  die  Ur- 
sachen   der    Empfindung    tragen    wir    in    deren    unmittelbare 
Anschauung  hinein  und  glauben  das  Zählbare,    das  den  einen 
allerdings  fnhaftet,  auch  ohne  weiteres  in  den  anderen  zu  haben. 
Es  ist  psychologisch  schwierig,  hiervon   loszukommen,    wie  es 
ja  auch  schwierig  ist,  einem  grasgrünen  Apfel  nicht  sofort  an- 
zusehen, da£s  er  sauer  ist.  Aber  wenn  man  die  doch  immerhin 


324  H.  Ebbinghaus. 

mögliche  Loslösung  von  den  Nebengedanken  vollzieht,  dann 
wird  es  klar,  dafs,  wie  der  blofse  Gesichtseindruck  eines  Apfels 
nichts  von  Säure  an  sich  hat,  so  auch  der  blofse  Eindruck  einer 
Helligkeit  nichts  von  der  Mehrheit  von  Kerzen  besitzt,  auf  deren 
Vorhandensein  er  allerdings  vielfach  beruht,  und  dafs  der  Ein- 
druck einer  gröfseren  Helligkeit  lediglich  etwas  Anderes  ist 
als  der  einer  geringeren.  Dafs  wir  einer  ähnlichen  Täuschung 
in  Bezug  auf  die  Parbentöne  und  Tonhöhen  nicht  unterliegen, 
sondern  in  dieser  Hinsicht  ohne  weiteres  sicher  sind,  die  Ver- 
schiedenheiten nicht  als  Multipla  beurteilen  zu  können,  liegt 
lediglich  daran,  dafs  uns  hier  die  auf  die  Ursachen  bezüglichen 
Nebenerfahrungen  fehlen.  Ständen  uns  aber  über  die  Ab- 
hängigkeit dieser  Verschiedenheiten  von  der  Schwingungs- 
frequenz ebenso  leichte  und  alltägliche  Erfahrungen  zu  Gebote, 
wie  über  die  Abhängigkeit  der  Empfindungsstärke  von  der 
Anzahl  der  äufseren  Ursachen,  so  könnte  es  gar  nicht  fehlen, 
dafs  wir  in  den  hohen  Tönen  und  den  blauen  Parben- 
schattierungen  etwas  Schnelleres  zu  empfinden  meinen  würden 
als  in  den  übrigen. 

Abgesehen  von  Nebenerfahrungen  und  rein  an  und  für 
sich  beurteilt  sind  also  zwei  einfache  Empfindungen  in  keiner 
Hinsicht  ein  Vielfaches  voneinander ;  es  kann  daher  auch  nicht 
die  eine  in  der  Einheit  der  anderen  irgendwie  ausgezählt 
werden.^ 


^  Man  pflegt  die  obige  Behauptiuig  vielfach  so  auszusprechen:  Alle 
sog.  Intensitätsunterschiede  der  Empfindungen  sind  eigentlich  Unter- 
schiede der  Qualität.  Ich  vermeide  diese  Formulierung  absichtlich,  weil 
die  in  sie  eingehenden  Termini  nicht  ganz  eindeutig  sind  und  eine  Dis- 
kussion in  ihnen  daher  leicht  zu  Verwirrung  oder  zu  einem  blofsen 
Wortstreit  führt.  Töne  und  Geräusche  z.  B.  unterscheiden  sich  in  zwie- 
facher Weise  voneinander,  in  Bezug  auf  hoch  und  tief  und  in  Bezug 
auf  laut  und  leise.  Man  bezeichnet  jenes  als  ihre  Qualität,  dieses  als 
ihre  Intensität.  In  beiden  Beziehungen  besteht  nun  die  einfache  That- 
sache,  dafs  ein  Ton  an  und  für  sich,  verglichen  mit  einem  anderen  nicht 
als  Multiplum  beurteilt  werden  kann.  Man  formuliere  dies  „die  Inten- 
sitätsunterschiede der  Töne  sind  eigentlich  als  Qualitätsunterschiede 
aufzufassen",  so  entsteht  sofort  folgendes  Plaidoyer.  A.:  Wie  kann  man 
nur  der  Behauptung,  dais  Intensitäten  eigentlich  Qualitäten  seien,  über- 
haupt einen  Sinn  abgewinnen?  Beides  sind  doch  wohl  auseinanderzu- 
haltende, völlig  heterogene  G-rundeigentümlichkeiten  der  Empfindung, 
die  freilich  nicht  getrennt  voneinander  vorkommen,  aber  deshalb  doch 
nicht  miteinander  identifiziert   werden  dürfen.     B. :  Wie   kann  man  nur 


über  negative  Empfindungswerte,  325 

Man  hat  bekanntlich  ungezählte  Male  und  mit  Emphase 
aus  diesem  Satze  die  Folfi^erune:  fi^ezogen,  dafs  es  mit  einer 
Messung  der  Empfindungen  nichtf  sei  unk  nichts  sein  könne, 
denn  wenn  man  die  Empfindungen  als  solche  nicht  zählend 
miteinander  vergleichen  kann,  wie  kann  man  sie  messen?  Eine 
andere  Konsequenz,  welche  die  glücklich  halb  geklärte  Sachlage 
aufs  neue  zu  verwirren  droht,  hat  neuerdings  Münsterbbrg^ 
aus  demselben  Satze  abgeleitet,  dafs  nämlich  die  den  Em- 
pfindungen an  sich  allerdings  abgehende  Mefsbarkeit  in  be- 
gleitenden Muskelempfindungen  zu  suchen  sei.  Dafs  beide 
Folgerungen  irrig  sind,  und  wo  die  Empfindungszählung  bezw. 
-messung  eigentlich  zu  suchen  ist,  darüber  orientiere  ich  zu- 
nächst an  einem  besonders  einfachen  zu  ihr  gehörigen  Falle, 
nämlich  an  der  räumlichen  Messung. 

Die  räumlichen  Bestimmungen  bilden  wie  Farben,  Töne  u.s.w. 
ein  eigentümliches  Empfindungsgebiet  und  nichts  anderes.  Auch 
für  dieses  G-ebiet  aber  hat  durchaus  der  oben  formulierte  all- 
gemeine Satz  Gültigkeit,  dafs  je  2  Elementarempfindungen  zwar 
als  gleich  und  verschieden,  aber  nicht  als  Vielfache  voneinander 
beurteilt  werden  können.  Die  psychischen  Elemente  der  Ilaum- 
empfindung  oder  Baumanschauung  sind  die  Orte.  Zwei  Orte 
nun  können  als  gleich,  d.  h.  als  gleichgelegen  empfunden 
werden  (z.  B.  bei  successiver  Betrachtung  oder  Betastung)  oder 


den  einfachen  Sinn  der  Behauptung,  dais  Intensitäten  Qualitäten  seien, 
überhaupt  verkennen?  Die  sogenannten  Intensitätsverschiedenheiten 
der  Empfindungen  pflegt  man  aufzufassen  als  solche,  die  einer  quantita- 
tiven Bestimmung  zugänglich  sind,  bei  den  Qualitätsverschiedenheiten 
giebt  jedermann  zu,  dafs  hiervon  keine  Bede  sein  könne.  Nun  ist  aber 
diese  Auseinanderhaltung  der  beiden  Arten  von  Verschiedenheiten  irrig. 
Wenn  man  absieht  von  Erfahrungen  bezüglich  der  äufseren  Beize,  so 
sind  bei  Intensitäten  Qualitätsbestimmungen  ebenso  unmöglich,  wie  bei 
Qualitäten ;  Empfindungen  können  immer  nur  als  gleich  oder  verschieden 
beurteilt  werden,  nicht  aber  als  ein  Vielfaches.  Und  eben  das  ist  der 
Sinn  des  Satzes,  dafs  Intensitäten  im  Grunde  auch  Qualitäten  seien. 
(Als  Beleg  solcher  Diskussionen  diene  Münsterbero:  Beiträge  z.  experiment, 
Psychol,  H.  3,  S.  5—10.  Ebda.  S.3  auch  die  litterarischen  Verweise).  Natür- 
lich haben  A.  und  B.  beide  recht;  sie  gebrauchen  eben  die  allgemeinen 
Termini  in  etwas  verschiedenem  Sinne.  Dafs  ihre  Erörterung  überflüssig 
sei,  kann  man  auf  dem  Boden  dieser  Termini  nicht  eigentlich  sagen, 
aber  dafs  sie  förderlich  sei,  doch  gewils  auch  nicht. 
^  Beiträge  z,  eoq>enm.  Psychologie,  Heft  3. 


326  B:.  Ebbingham. 

aber  als  ungleich.  Die  üngleichlieit  kann  in  mehreren  Be- 
ziehungen oder  Arten  stattfinden;  ein  Ort  z.  B.  kann  oben 
Uegen,  ein  anderer  unten,  ein  Ort  rechts,  ein  anderer  links, 
einer  vorn,  der  andere  hinten.  Auch  können  mehrere  Arten 
der  Ungleichheit  gleichzeitig  bestehen,  indem  z.  B.  ein  Ort 
rechts  oben  von  einem  anderen  Uegt.  Niemals  aber  enthält  die 
Ungleichheit  zweier  Orte,  wenn  blofs  diese  an  und  für 
sich  beurteilt  werden,  etwas  Vielfaches  und  Zählbares; 
der  eine  Ort  wird  anders  empfunden  als  der  andere,  das  ist 
alles.  Oben  sein  ist  etwas  ganz  anderes  als  unten  sein  (worin 
anders,  das  empfindet  jeder  in  unmittelbarer  Anschauung),  es 
ist  aber  nicht  ein  Doppeltes  oder  überhaupt  irgend  ein  Viel- 
faches von  unten  sein;  ein  Ort  rechts  von  einem  anderen  sieht 
anders  aus  als  eben  dieser  andere,  der  da  links  von  jenem  Uegt, 
aber  keiner  ist  ein  Multiplum  des  anderen.  Freilich  können 
auch  hier  Nebenerfahrungen  stattfinden,  durch  deren  ffinein- 
tragung  der  Anschein  numerischer  Verschiedenheiten  entsteht. 
Ein  Ort  oben  kann  mit  einer  langen  Stange  in  Verbindung 
stehen,  durch  sie  gestützt  werden  u.  dergl.,  ein  Ort  unten  mit 
einer  kurzen  Stange;  ein  Ort  rechts  kann  durch  wenige  Be- 
wegungen erreichbar  sein,  ein  Ort  links  erst  durch  sehr  viele 
u.  s.  w.  Aber  wenn  man  absieht  von  solchen  allerdings  zähl- 
und  mefsbaren  Nebenbestimmungen  und  lediglich  die  Orte 
als  solche  betrachtet,  so  haben  ihre  Verschiedenheiten 
nichts  Quantitatives  an  sich  und  sind  nichts  Vielfaches  von- 
einander. 

Wann  und  wodurch  wird  denn  nun  also  das  Räumliche 
numerisch  bestimmbar?  Dadurch,  wie  allbekannt,  dafs  nicht 
mehr  bloüs  zwei,  sondern  mindestens  drei  B.aumelemente  mit 
einander  verglichen  werden.  Zwei  Orte  sind  blofs  überein- 
stimmend oder  nicht  übereinstimmend  in  ihrer  Lage,  sonst 
nichts.  Werden  aber  drei  in  Betracht  gezogen,  so  können  die 
zwischen  ihnen  bestehenden  Ortsverschiedenheiten,  die 
Distanzen,  verglichen  werden  und  diese  sind  nicht  mehr 
nur  gleich  und  ungleich,  sondern  sie  sind  auch  gröfser  und 
kleiner  in  Bezug  zu  einander  und  namentlich  können  sie  als 
Vielfache  voneinander  beurteilt  werden.  Von  2  Punkten  a 
und  b  liegt  einfach  der  eine  oben,  der  andere  unten.  Bei  drei 
Punkten  a,  b  und  c  aber  kann  a  verglichen  mit  c  mehr  oder 
weniger  oben,  höher  oder  tiefer  liegen  als  b  verglichen  mit  c; 


über  negative  Empfindungswerte.  327 

die  Ortsverschiedenheit  a/c^  kann  ebenso  grofs,  gröfser  oder 
kleiner  sein  als  die  Ortsverschiedenheit  b/c.  Ist  eine  beliebige 
Ortsverschiedenheit  b/c  erstens  ebenso  grofs  wie  die  Ortsver- 
schiedenheit a/b  und  zweitens  eine  Verschiedenheit  derselben 
Art  wie  a/b  (d.  h.  in  gewöhnlicher  Ausdrucksweise :  liegen  die 
Orte  b  und  c  in  derselben  Bichtung  in  Bezug  zu  einander  wie 
die  Orte  a  und  b\  dann  ist  die  Distanz  a/c  das  Doppelte  der 
Distanz  a/b  (oder  b/c)]  sie  enthält  die  letztere  zweimal  in  sich; 
ausgezähit  oder  gemessen  in  der  Einheit  a/b  (bezw.  b/c)  hat  sie 
den  Zahlwert  2.  Analog  verhält  es  sich  mit  gröfseren  Zahl- 
werten,  überall  aber,  wo  BäumUches  mit  Zahl-  und  Mafs- 
bestimmungen  auftritt,  beruhen  diese  in  solcher  Weise  auf 
einer  Vergleichung  nicht  der  Elemente  des  Räumlich eu,  der 
Orte,  sondern  der  zwischen  ihnen  bestehenden  Verschiedenheiten, 
auf  einer  Vergleichung  der  Distanzen;  es  gehören  also  zu  einer 
numerischen  Baumbestimmung  nicht  zwei,  sondern  mindestens 
drei  (im  allgemeinen  aber  4)  Orte.  Ob  diese  bei  der  Zahlen- 
angabe ausdrücklich  genannt  sind  oder  nicht,  ist  gleichgültig; 
hinzugedacht  sind  sie  allemal;  ohne  die,  mindestens  implizierte , 
Bezugnahme  auf  sie  hat  die  Zahlenangabe  keinen  Sinn.  Ein 
Berg  ist  1800  m  hoch,  heifst:  ein  Ort  auf  dem  Gipfel  des 
Berges  und  ein  beliebiger  Ort  auf  dem  Meeresniveau  haben, 
blofs  mit  Brücksicht  auf  das  Oben-unten  beurteilt,  eine  solche 
Lageverschiedenheit  voneinander,  dafs  sich  zwischen  beiden 
1799  andere  Orte  angeben  lassen,  welche  sämtlich,  jeder  von 
seinem  Nachbar  und  wieder  blofs  mit  Bücksicht  auf  das  Oben- 
unten,  eben  die  Distanz  haben,  die  man  konventionell  als  ein 
Meter  bezeichnet. 

Ich  sage  nun:  ganz  dieselbe  Art  von  Mefsbarkeit, 
die  für  das  räumliche  Empfindungsgebiet  besteht, 
besteht  (im  Prinzip)  auch  für  alle  übrigen  Empfindungs- 

^  Der  Vertikalstrich  bedeutet  ein  blofses  Trennungszeicbeii  der 
Buchstabensymbole  und  ist  absichtlich  gewählt,  um  jeden  irreleitenden 
Gedanken  an  Verwandtes,  aber  nicht  hierher  Gehöriges  auszuschliefsen. 
Die  Ortsverschiedenheit  oder  Distanz  a/b  ist  weder  aufzufassen  als 
Differenz  (denn  eine  Differenz  besteht  nur  zwischen  Zahlen,  die  bloDsen 
Orte  a  und  b  aber  sind  nichts  Zählbares),  noch  ist  sie  identisch  mit  der 
Strecke  ab  im  geometrischen  Sinne,  d.  h.  mit  dem  Inbegriff  der  sämt- 
lichen Orte,  die  in  der  Bichtung  b  zwischen  a  und  b  liegen.  Sie  ist 
blofse  Punktdistanz  und  als  solche  etwas  sui  generis,  dessen  man  un- 
mittelbar inne  wird,  wenn  man  die  beiden  Punkte  ansieht  oder  betastet. 


328  S,  Ebbinghaus. 

gebiete;  diejenige  Mefsbarkeit  von  Empfindungen 
aber,  deren  Fehlen  man  so  oft  als  etwas  Besonderes 
der  Farben,  Töne,  Gerüche  u.  s.  w.  hervorhebt,  besteht 
auch  für  das  ßäumliche  nicht.  Sucht  und  versucht  man 
die  Empfindungsmessung  nur  da  und  auf  solche  Weise,  wie 
ihre  Möglichkeit  für  das  BäumUche  seit  undenklichen  Zeiten 
vor  AUer  Augen  hegt,  so  wird  man  sie  auch  finden.  Wenn 
man  sie  freüich  anderswo  gesucht  und  dann  nicht  gefunden 
hat,  so  soll  man  sich  nicht  wundem;  man  hat  eben  uLinniges 
gesucht  und  damit  nur  konstatieren  können,  dafs  eine  von 
schiefen  Gesichtspunkten  angefafste  Sache  allerdings  nicht  geht. 
Am  deutlichsten  ist  dieses  Verhältnis  vielleicht,  nächst  den 
B.aumempfindungen,  bei  den  Farben-  und  speziell  den  Hellig- 
keitsempfindungen. Ich  beschränke  mich  daher  darauf,  die 
Nutzanwendung  des  oben  Ausgeführten  auf  die  letzteren  zu 
machen.  Wie  zwei  Orte,  so  sind  auch  zwei  Helligkeiten,  an 
und  für  sich  betrachtet,  lediglich  gleich  oder  ungleich  und 
weiter  nichts.  Mehrere  Arten  der  Ungleichheit,  wie  bei  den 
Orten,  giebt  es  nicht,  wenn  man  blofs  Helligkeiten  ins  Auge 
fafst;  diese  bilden  eine  bestimmte  Art  der  Verschiedenheiten, 
welche  den  Farben  im  allgemeinen  zukommt.  Alle  Vorstellungen 
femer  von  einer  numerischen  Gröfse  der  Verschiedenheiten 
der  isolierten  Helligkeiten  beruhen  auf  Hineintragung  von 
Nebenerfahrungen,  nicht  auf  unmittelbarer  Beurteilung.  Nume- 
risch bestimmbar  wird  die  Verschiedenheit  von  Helligkeiten 
für  die  unmittelbare  Empfindung  erst  dann  (in  diesem 
Falle  aber  ist  sie  es  auch  immer),  wenn  ihrer  nicht 
mehr  zwei,  sondem  mindestens  drei  vorhanden  sind  und  nicht 
mehr  die  einzelnen  Helligkeiten,  sondem  die  zwischen  ihnen 
bestehenden  Verschiedenheiten  oder  Distanzen  verglichen  wer- 
den, wenn  die  Art  und  Weise  beurteilt  wird,  um  einen 
geläufigen  und  treffenden  Ausdruck  zu  gebrauchen,  wie  die 
einzelnen  Helligkeiten  gegen  einander  abstechen.  Sind 
z.  B.  die  vier  Helligkeiten  a,  6,  c  und  d  gegeben,  so  kann 
man  beurteilen,  ob  die  Distanz  je  zweier  von  ihnen  gröfser 
oder  kleiner  ist  als  die  Distanz  je  zweier  anderen,  d.  h.  ob, 
abgesehen  von  allen  Nebenerfahrungen  und  rein  an  und  für 
sich  betrachtet,  h  stärker  oder  schwächer  von  a  absticht  als  c 
von  h  oder  d  von  c.  Findet  sich  dann  etwa,  dafs  die  beiden 
Verschiedenheiten  a/6  und  h/c  einen  gleichen  Eindruck  machen, 


über  negative  Empfindungatoerte.  329 

dafs  also  a  und  b  sich  ebenso  sehr  voneinander  abheben ,  wie 
b  und  c,  so  wüfste  ich  nicht,  wie  man  dieses  Verhältnis  anders 
ausdrücken  sollte,  als  indem  man  sagte,  die  Distanz  a/c  ist  das 
Doppelte  von  a/b  (oder  auch  von  6/c),  c  sticht  doppelt  so  stark 
von  a  ab,  wie  b  von  a  oder  wie  c  von  b.  Würden  alle  drei 
Distanzen  a/b,  b/c  und  c/d  als  gleich  grofs  beurteilt,  so  wäre 
a/d  das  Dreifache  von  jeder  der  aneinander  schliefsenden  und 
untereinander  gleichen  Teildistanzen.  Durch  Fortsetzung 
solcher  Vergleichungen  kann  man  offenbar  jede  beliebige  Hellig- 
keitsdistanz in  jeder  beliebigen  Einheit  auszählen  oder  aus- 
messen, und  für  die  rein  subjektiven  Helligkeitsempfindungen 
in  Beziehung  zu  einander  numerische  Werte  gewinnen,  die 
je  nach  umständen  ganzzahhg  oder  auch  gebrochen  sein  können. 
Was  man  so  thut,  ist  prinzipiell  genau  dasselbe,  was  bei  der 
räumUchen  Messung  geschieht.  „Eine  gewisse  Baumdistanz  ist  das 
Doppelte  einer  anderen"  heifst:  es  läfst  sich  innerhalb  der  ersten 
Distanz  ein  Ort  angeben,  der  aus  ihr  zwei  aneinanderschliefsende 
und  gleichgerichtete  Teildistanzen  macht,  welche  ihrerseits  beide 
gleich  der  zweiten  Distanz  und  also  auch  untereinander  gleich 
sind.  Und  ganz  konform  ist  eine  Helligkeitsdistanz  das  Doppelte 
einer  anderen,  wenn  sich  innerhalb  jener  eine  Helligkeit  an- 
geben läfst,  welche  zwei  untereinander  und  einer  dritten  gleiche 
kleinere  Helligkeitsdistanzen  abteilt.  Zahlenwert  also  hat  nicht 
die  einzelne  Helligkeit  verglichen  mit  einer  anderen,  wenn 
blofs  die  Empfindungen  und  nicht  die  hier  gar  nicht  in  Betracht 
kommenden  objektiven  Ursachen  beurteilt  werden.  Sondern 
Zahlwert  haben,  ganz  wie  bei  den  Orten,  immer  nur  die 
Distanzen,  die  Abstände  je  zweier  Helligkeiten  in  Bezug  zu 
einander.  Um  die  Helligkeiten  a  und  b  rein  subjektiv  numerisch 
mit  einander  zu  vergleichen,  ist  immer  eine  dritte  Helligkeit  c 
erforderlich,  auf  die  jene  beiden  bezogen  werden,  in  Bezug  auf 
welche  der  Abstand  oder  das  Abstechen  von  a  und  b  beurteilt 
wird.  Ob  diese  zum  Vergleich  unbedingt  nötige  Helligkeit  c 
ausdrücklich  genannt  ist  oder  nicht,  ist  gleichgültig.  Hinzu- 
gedacht mufs  sie  sein,  sonst  hat  die  Zahlenangabe  keinen 
Sinn.  Man  kann  aber  für  sie,  ganz  ebenso  wie  bei  Höhen- 
angaben, Temperaturbestimmungen  u.  dergl.,  ein  für  allemal 
eine  konventionelle  Festsetzung  treffen,  so  dafs  sie  dann  bei 
den  einzelnen  Zahlenangaben  nicht  immer  ausdrücklich  genannt 
zu  werden  braucht,   obwohl  sie  immer  mit  gemeint  sein  mufs. 


330  ^'  Ebbinghaus. 

Man  könnte  z.  B.  sagen,  alle  subjektiven  Helligkeitsangaben 
sollen  auf  diejenige  Helligkeit  als  Ausgangspunkt  bezogen 
werden,  welche  man  empfindet,  wenn  man  nach  der  Betrachtung 
des  diffusen  Wolkenhimmels  in  einen  möglichst  lichtlosen  Baum 
blickt.^  Denkt  man  sich  einen  solchen  konventionellen  Null- 
punkt \  hinzu,  dann  gewinnen  auch  Zahlenangaben,  in  denen 
blofs  von  zwei  Helligkeiten  die  Bede  ist,  als  reine  Em- 
pfindungswerte einen  Sinn.  Ein  Grau  h^^  ist  zehnmal  so 
hell  als  ein  anderes  h^  heifst  dann:  zwischen  \q  und  jenem 
willkürlichen  Nullpunkt  h^  lassen  sich  neun  andere  Grau  an- 
geben, von  denen  je  zwei  aufeinanderfolgende  stets  ebenso 
stark  gegeneinander  abstechen  wie  \  von  A^. 

Die  Übertragung  auf  andere  Empfindungsgebiete,  nament- 
lich auf  die  besonders  wichtige  Tonwelt,  liegt  auf  der  Hand, 
überall  kann  man  das  unmittelbar  Empfundene  zählen  und 
messen,  ganz  wie  auf  dem  Gebiete  der  Baumempfindungen, 
aber  überall,  wieder  ganz  wie  bei  dem  Bäumlichen,  nicht  schon 
die  isolierten  Elemente,  sondern  erst  die  Gröfse  der  zwischen 
ihnen  bestehenden  Verschiedenheiten. 

Alles  das,  wie  mehrfach  betont,  prinzipiell.  Praktisch 
freilich  bestehen  grofse  und  stellenweise  ungeheure  Verschieden- 
heiten zwischen  der  räumHchen  und  jeder  anderen  Art  der 
Empfindungsmessung,  die  das  Verkennen  der  prinzipiellen  Ver- 
wandtschaft wieder  begreiflich  und  entschuldbar  machen.  Die 
räumliche  Empfindungsmessung  ist  für  das  tägliche  Leben  von 
auTserordentlicher  Bedeutung  und  wird  daher  unendlich  häufig 
geübt;  sie  wird  gleichzeitig  durch  eine  besondere  Eigentüm- 
lichkeit der  Natur,  nämlich  durch  die  Möglichkeit,  räumliche 
Distanzen  aufeinanderzulegen,  zu  einer  besonders  leichten 
und  genauen  Sache.  Die  sonstigen  Empfindungsmessungen 
dagegen  spielen  im  täglichen  Leben  eine  geringere,  teilweise 
gar  keine  Bolle;  sie  sind  also  teUs  gar  nicht,  teils  nur  unvoU- 

^  Man  wolle  die  obige  Bestimmung  blofs  als  Beispiel  betrachten 
und  nicht  daran  herummäkeln.  Erstens  wäre  sie  für  genaueste  Zwecke 
bei  weitem  noch  nicht  genau  genug  und  bedürfte  mannigfacher  Zusätze^ 
und  zweitens  ist  es  fraglich,  ob  sie  gerade  praktisch  bequem  sein  würde. 
Aber  in  anderen  Fällen  ist  das  nicht  anders.  Das  Meeresniveau  z.  B.| 
auf  welches  wir  unsere  Berghöhen  beziehen,  ist  erstens  etwas  stetig 
Fluktuierendes,  so  dafs  noch  genauere  Bestimmungen  nötig  sind,  welche 
Höhe  eigentlich  gemeint  ist,  und  kann  zweitens  im  Inneren  des  Landes 
auch  immer  erst  durch   mannigfache  Vermittelungen  festgestellt  werden. 


über  negatifoe  Empfindungstoerte.  331 

kommen  geübt,  und  sie  werden  femer,  wieder  daroli  besondere 
Eigentümlichkeiten  der  JSTatur,  zn  relativ  schwierigen  und  un- 
genauen Operationen.  Aber  diese  Unterschiede  des  praktisch 
Brauchbaren  und  Unbrauchbaren ,  des  in  der  Ausführung 
Leichten  und  Schwierigen,  haben  für  die  Wissenschaft  nur 
sekundäre  Bedeutung.  Für  das  Eindringen  in  die  Struktur 
sozusagen  des  Empfindungslebens  kommt  es  durchaus  auf  die 
prinzipiellen  Verhältnisse  an. 

AuTserdem  ist  übrigens  die  Bestimmung  von  Empfindungs- 
distanzen keineswegs  in  dem  Grade  schwierig  und  unsicher, 
wie  man  dies  gelegentlich  behauptet  findet.  Wenigstens  nicht 
far  Helligkeitsdistanzen,  über  die  ich  Erfahrungen  besitze. 
Natürlich  darf  man  sich  nicht  mit  den  bezügHchen  Fragen  an 
vorwiegend  abstrakt  beschäftigte  Gelehrte  wenden.  Die  allen 
Menschen  verliehene  Anschauung  kann  freilich  auch  ihnen 
nicht  abgehen,  allein  sie  ist  erstens  nicht  ausgebildet  und  ist 
zweitens  meist  durch  physikalische  oder  auch  durch  erkenntnis- 
theoretische  Nebengedanken  getrübt.  Aber  man  frage  Zeichen- 
und  Malschüler,  Verkäufer  in  Stickwaren-  und  Stoffgeschäften, 
kurz  Leute,  die  mit  Farben  zu  thun  haben,  von  objektiven 
Helligkeiten  und  Ätherwellen  nichts  wissen  und  namentlich 
noch  nicht  a  priori  überzeugt  sind,  dafs  es  das,  was  sie  sehen, 
eigentlich  nicht  geben  kann,  und  man  wird  finden,  dafs  ihnen 
die  rein  subjektive  Beurteilung  gleicher  und  ungleicher  Grade 
des  AbStechens  der  Farben  und  Helligkeiten  voneinander 
etwas  durchaus  Geläufiges  ist.  Auch  Studenten  sind  brauchbar. 
Die  Bestimmung  gleicher  Helligkeitsdistanzen  durch  die  vox 
populi  gewissermafsen  eines  Auditoriums  ist  ein  ganz  sicheres 
Vorlesungsexperiment. 

Mit  dem  Bisherigen  wäre  nun  endlich  die  oben  (S.322)  ge- 
stellte Frage  beantwortet :  was  sind  positive  Empfindungswerte? 
Sie  sind,  lautet  die  Antwort,  auf  allen  übrigen  Empfindungs- 
gebieten eben  das,  was  sie  bei  den  Baumempfindungen  sind, 
nämhch  Empfindungsdistanzen  oder  Distanzempfindungen  zwi- 
schen je  zwei  Empfindungselementen  des  betreffenden  Gebiets. 
Von  anderen  Zahlwerten  der  Empfindung  zu  sprechen  hat  gar 
keinen  Sinn. 

Damit  ist  aber  auch  sofort  die  weitere  Frage  klar,  auf  die 
wir  ja  hinauswollten,  was  nämlich  negative  Empfindungswerte 
sind  und    allein   sein  können.     Negative  Werte   sind  all- 

Zeitschrift  für  Psychologie.  ^ 


332  S,  Ebbinghaua. 

gemein  solche,  die  mit  gleich  groiGsen  positiven  additiv  ver- 
einigt, diese  annullieren.  Etwas  anderes  negativ  zu  nennen,  hat 
wiederum  gar  keinen  Sinn.  Es  sei  nnn  gegeben  ein  Empfindnngs- 
wert  eje^^'j  dieser  werde  vermehrt  um  den  Wert  eje^]  es  re- 
sultiert die  Empfindung  eje^.  Jetzt  entsteht  die  Frage :  Durch 
Zufügung  welcher  weiteren  Empfindung  wird  der  Effekt  des 
Zuwachses  eje^^  wieder  aufgehoben?  welchen  Empfindungswert 
mufs  ich  zu  eje^  hinzuthun,  um  die  Ausgangsempfindung  eje,^ 
wiederherzustellen?  Offenbar  ist  die  erforderliche  Zuthat  als 
eje^  zu  bezeichnen,  d.  h.  ich  muTs  von  e;  aus  denselben  Schritt 
zurückthun,  den  ich  von  e^  aus  vorwärts  that.  Die  Empfindungs- 
distanzen eje^  und  eje^j  die  zwar  zwischen  denselben  Elementen 
bestehen,  aber  in  gegensätzlicher  Bichtung,  sind  Werte, 
die  sich  ganz  wie  positive  und  negative  Gröisen  zu  einander 
verhalten.  Handelt  es  sich  z.  B.  um  Helligkeiten  und  ist  e; 
heller  als  e^,  so  ist  eje^  die  Empfindung  der  Aufhellung,  die 
ich  habe,  wenn  ich  nach  dem  Anschauen  von  e^  zu  e^  fort- 
schreite, und  ganz  entsprechend  umgekehrt  eje,^  die  Empfindung 
der  Verdunkelung,  mit  der  ich  die  Bückkehr  von  e.  zu  c„  er- 
lebe. Die  Helligkeiten  sind  in  beiden  Fällen  dieselben,  auch 
die  Gröfse  des  zwischen  ihnen  bestehenden  Gegensatzes,  aber 
die  Art  dieses  Gegensatzes  ist  eine  zwiefach  verschiedene,  und 
diese  Verschiedenheiten  haben  genau  die  Eigentümlichkeit 
positiver  und  negativer  Werte:  additiv  vereinigt  annullieren 
sie  sich.  Negative  Empfindungswerte  also,  so  ist  zu  sagen, 
sind,  ganz  wie  positive,  Empfindungen  einer  Distanz,  einer 
Verschiedenheit,  zwischen  irgendwelchen  Elementarem- 
pfindungen, nur  ist  die  Sichtung  dieser  Disteuxz  in  entgegen- 
gesetzter Bichtung  von  derjenigen  zu  rechnen,  die  man  für  die 
positiven  Empfindungswerte  gewählt  hat. 

Das  beruht  alles  nicht  auf  besonderen  Annahmen  oder 
Konventionen,  sondern  ist  eine  einfache  und  ganz  unausweich- 
liche Eonsequenz  der  Art,  wie  wir  nun  einmal  empfinden. 
Numerischen  Wert  haben  für  uns  nicht  die  Elementarem- 
pfindungen an  sich,  sondern  die  zwischen  ihnen  bestehenden 
Distanzen.  Jede  Distanz  aber  hat  ihrer  Natur  nach  zwei 
Bichtungen,  die  unmittelbar  als  etwas  Verschiedenartiges  em- 
pfunden werden.  Ein  Sprung  nun  von  dem  einen  Ende  der 
Distanz  zu  dem  anderen  in  einer  Bichtung  und  dazu  derselbe 
Sprung  in  umgekehrter  Bichtung,  das  hat  denselben  Effekt, 


über  n^ative  JSn^findungswerte.  333 

als  ob  gar  kein  Spnmg  stattgefunden  hätte,  d.  h.  beide  Sprünge 
bezw.  Bichtungen  verhalten  sich  völlig  wie  positive  und  negative 
Grofsen  zu  einander.  In  welcher  Sichtung  man  die  Distanz- 
empfindung als  positiv  und  in  welcher  als  negativ  bezeichnet, 
ist  natürlich  irrelevant;  die  Bezeichnungen  haben  ihren  Sinn 
nur  in  wechselseitiger  Beziehung  zu  einander.  Betrachtet  man 
z.  B.  den  Eindruck  einer  weifsen  Spitze  auf  schwarzem  Ghrunde 
als  etwas  Positives,  dann  ist  der  Eindruck  desselben  Spitzen- 
musters in  Schwarz  auf  weifsem  Grunde  das  entsprechende 
Negative  und  umgekehrt.  Aufsteigende  Tonfolgen  und  ab- 
steigende Tonfolgen,  Morgendämmerung  und  Abenddämmerung, 
Crescendo  und  Decrescendo  sind  andere  Beispiele  solcher  corre- 
laten  Empfindungswerte. 

Ganz  wie  von  hypothetischen  Annahmen,  so  ist  die  richtige 
Bestimmung  der  negativen  Empfindungswerte  aber  femer  auch 
völlig  unabhängig  von  irgend  welchen  Beziehungen,  in  denen 
die  Empfindungen  sonst  noch  stehen,  wie  z.  B.  von  der  in  dem 
WEBERschen  Gesetz  ausgesprochenen  Beziehung,  an  die  hier 
vor  allem  zu  denken  ist.  Wenn  die  als  äufsere  Ursachen  der 
Empfindungen  auf  den  Organismus  einwirkenden  Energien  ver- 
stärkt werden,  so  wachsen  auch  die  Empfindungswerte  (in  dem 
mehrfach  dargelegten  Sinne),  und  zwar  in  einer  eigentümHch 
verlangsamten,  hinter  der  Proportionalität  zurückbleibenden 
Weise.  Streckenweise  geschieht  ihre  Zunahme  annähernd  pro- 
portional den  Logarithmen  der  äufseren  Beize.  Aber  ob  sie 
so  oder  anders  geschieht,  ist  für  das  Wesen  der  negativen  Em- 
pfindungswerte völlig  gleichgültig.  Sie  würden  bleiben,  was 
sie  sind,  auch  wenn  die  Abhängigkeit  der  Empfindungen  von 
den  äufseren  Reizen  eine  ganz  andere  wäre.  Ihre  Existenz 
hängt  ja  gar  nicht  wesentlich  davon  ab,  dafs  die  Empfindungen 
äufsere  Ursachen  haben,  sondern  lediglich  davon,  dafs  die, 
einerlei  wie  zu  stände  kommenden  Empfindungen  an  und  für 
sich  nicht  als  Gröfsen  beurteilt  werden  können.  Diese  That- 
sache  aber  würde  sich,  so  viel  zu  übersehen,  mit  allen  möglichen 
Beziehungen  zwischen  den  Empfindungswerten  und  den  Stärken 
der  äufseren  Beize  gleich  gut  vertragen. 

Man  muXs  sich  also  ganz  und  gar  von  der  Vorstellung 
freimachen,  als  ob  die  negativen  Empfindungswerte  etwas  wären, 
was  besonders  enge  Beziehungen  zu  Fbghnebs  logarithmischer 
Formel  hätte.     Sie  stecken  freilich  in  dieser  und  können    aus 

22* 


334  ^*  Ebinnghaus. 

ihr  heransinterpretiert  werden;  aber  sie  müssen  ebenso^t  in 
jeder  beliebigen  anderen  Formel  darinstecken^  in  der  von 
Empfindungs werten  die  Bede  ist.  Denn  Empfindungswerte 
sind  eben  ihrer  Natur  nach  Grölsen,  die  f%Lr  jeden  absoluten 
Wert  sowohl  positiv  wie  negativ  sein  können,  und  eine  Em- 
pfindungsmafsformel,  die  dem  nicht  Bechnung  trüge,  die  nicht 
in  solchem  Sinne  interpretiert  werden  könnte,  wäre  eine  falsche 
Formel. 

Wie  sich  die  Interpretation  in  konkreten  Fällen  gestaltet, 
will  ich  weiterhin  zeigen.  Zuvor  werfe  ich  noch  einen  Blick 
auf  die  FECHNEBsche  Auffassung  der  Sache. 

(Schlufs  im  nächsten  Heft.) 


Versammlungen. 


X.  Internationaler  medisinischer  Kongrefs  zn  Berlin  1890. 

I. 
Sektion  für  Augenheilkunde, 

Beferiert  von  Claude  du  Bois-Betmokd, 
SchriftfCOirer  der  Sektion. 

In  seinem  Vortrag  über  Behandlung  der  Kapsel  während  und 
nach  der  Staarextraktion  hatte  Knapp  (New-York)  folgende  Bechnung 
aufgestellt:  Durchschnitts-Sehschärfe  nach  —  minus  Durchschnitts-Seh- 
schärfe vor  —  der  Kapseldiscission  gleich  dem  Gewinn  der  Operierten, 
und  auf  Grund  mehrerer  grofser  Beihen  behauptet,  die  Operierten  ge- 
wönnen mehr  durch  die  Discission  als  durch  die  Hauptoperation. 

Hierzu  bemerkte  in  der  Diskussion  Dufour  (Lausanne):  Ich  bin 
verwundert,  dafs  Knapp  Fälle  mit  'V«  tmd  selbst  ***/»o!  der  Discission 
unterwirft.  '7so  ist  eine  sehr  gute  Sehschärfe,  mit  welcher  Arzt  und 
Patient  zufrieden  sein  können.  Es  ist  mit  Bücksicht  auf  das  psychophy- 
sische  Gesetz  zu  bezweifeln,  dafs  die  Befriedigung  des  Operierten,  von 
"•/m  auf  **/io  gebracht  zu  werden,  nach  den  Zifferwerten  bemessen 
werden  kann. 

Yalude  (Paris)  erörtert  die  Frage  nach  der  Entstehung  des 
Schielens.  Er  entwickelt  die  Ansicht,  dais  das  Schielen,  welches  ja  auch 
als  anerkanntes  Entartungsmerkmal  Neuropathischer  von  Lombroso  und 
F^RE  aufgestellt  wird,  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  nur  mittel- 
bar aus  optischen  Ursachen  entspringe.  Diese  sollen  vielmehr  meist  nur  eine 
prädisponierende  Wirkung  haben;  das  Schielen  wird  dann  bei  solchen 
geeigneten  Individuen  durch  Zufälle  neuropathischer  Natur,  z.  B.  hyste- 
rische Krämpfe,  veranlafst.  Auch  ohne  optische  Prädisposition  wird 
diese  Form  beobachtet.  Er  stützt  diese  Behauptungen  durch  eine  Beihe 
von  Fällen,  wo  trotz  Operation  und  Korrektion  Bückfälle  eintraten,  oder 
das  Schielen  als  begleitendes  Symptom  von  Neurosen  auftrat  und  der 
Behandlung  mit  Nervenmitteln  sich  zugänglich  erwies. 

Gbadle  (Chicago)  demonstriert  seine  Vorrichtungen  zur  Auf- 
hebung der  Fusionstendenz  der  Augen.  Er  hat  die  Prüfimg  mit 
Prismen  unzuverlässig  ge^nden,  weil  dabei  leicht  zu  grofse  Ablenkungen 
angegeben  werden.  Der  Apparat  ist  im  wesentlichen  eine  die  Blickfelder 
trennende  Wand,  dem  Gesichtsprofil  anliegend,  von  30  cm  Länge,  mit  einer 
durchsichtigen  Tafel  für  die  nahen  Objekte.  Indem  beiden  Augen  verschie- 


336  Veraanmhmgm, 

dene  Tafeln  mitMafsstäben  dargeboten  werden,  erhält  man  exakte,  subjektive 
Messungen.  Es  ist  gewissermaisen  die  bekannte  Schielprobe,  bei  welcher 
man  unter  der  deckenden  Hand  die  Schielneigung  beobachtet,  zur 
messenden  Methode  erhoben.  Bedner  hat  60  Normale  und  100  Asthen- 
opische  untersucht.  In  der  Hälfte  aller  Fälle  wurde  eine  merkliche 
Vertikal- Abweichimg  gefunden.  Dieses  „latente  Aufwärtsschielen  (Hyper- 
phorie/' bedingte  keine  Störung,  wenn  es  Vb^  nicht  überstieg.  Dabei 
zeigte  sich  nicht  selten  Baddrehung,  selbst  bis  zu  15^,  welche  keine 
Beschwerden  verursachen  soll.  Die  Methode  ermöglicht,  alle  Arten  der 
Schielneigxmg ,  beim  Fem-  und  Nahesehen,  zu  bestimmen.  Bei  weitem 
am  häufigsten  besteht  Divergenzneigung,  besonders  in  der  Nähe.  Bei 
dieser  Abweichung  sind  die  gefundenen  Winkel  wenig  konstant  und 
schwanken  besonders  unter  Einflufs  von  Ermüdung.  Vertikale  und 
horizontale  Abweichung  können  verschiedenartig  kombiniert  vorkommen. 
In  einem  Vortrag  über  Prüfung  auf  Farbenblindheit  wies  Gaoss- 
MANV  (Liverpool)  darauf  hin,  dafs  kleine  centrale  Farbenskotome  bei  der 
HoLMGBEN'schen  Wollprobe  unbemerkt  bleiben  können.  Solche  sind  nicht 
so  selten,  als  man  bisher  annahm,  und  können  dem  Träger  ganz  unbe- 
kannt geblieben  sein.  Femer  ist  auch  die  normale  Fovea  weniger  licht- 
empfindlich als  ihre  nächste  Umgebung.  G.  hat  mit  kleinen  künstlichen 
Lichtquellen  und  keilförmig  geschliffenen  Bauch-  und  Farbengläsem 
gearbeitet,  und  beabsichtigt  die  Empfindlichkeit  des  normalen  Auges  mit 
diesen  Mitteln  festzustellen  und  einen  ZifPemausdruck  für  den  Farben- 
sinn der  Fovea,  analog  der  Sehschärfenmessung,  aufzustellen. 

Bählmahk  (Dorpat)  setzte  die  Empfindlichkeit  des  Auges  für 
Licht  von  bestimmter  Farbe  umgekehrt  proportional  der  Lichtintensität, 
welche  die  schwächste  Empfindung  auslöste,  und  konstruierte  so  eine  Em- 
pfindlichkeitskurve für  das  normale  und  farbenblinde  Auge  über  der  Farben- 
leiter. Diese  Kurve  ist  für  das  farbenblinde  Auge  durchaus  abweichend, 
und  Bedner  meint,  dafs  seine  Grundempfindungen  in  abnormer  Weise  mit 
Weifs  gemischt  sind,  wodurch  die  perverse  Empfindung  sich  erklären  lasse. 

Sehr  interessante  Untersuchungen  über  die  Adaptationdes  Auges 
trug  ScHiBMEB  (Göttingen)  vor.  Unter  Einfiufs  des  Lichts  finden  Bewe- 
gungen der  Pigmentkömehen  im  Netzhautepithel  statt,  welche  vielleicht 
der  Adaptation  dienen.  Sohirmeb  prüfte  4  Albinos  auf  ihren  Lichtsinn  bei 
verschiedener  Helligkeit.  Von  diesen  war  allerdings  nur  einer  völlig 
pigmentlos,  aber  auch  bei  den  andern  mit  dem  Augenspiegel  keine  Spur 
vom  Pigmentepithel  sichtbar.  Bei  genauer  Berücksichtigung  der  Adaptation 
fand  S.  das  psychophysische  Gesetz  für  die  Unterschiedsempfindlichkeit 
gültig  füür  das  Normalauge  von  1—1000  Meterkerzen  (Webers  Photometer). 
Sie  betrug  für  sein  eigenes  Auge  ^/sit.  Die  Adaptation  tritt  langsamer  ein 
als  die  natürliche  Abenddämmerung,  so  dafs  wir  von  etwa  5  M.-K.  an 
schlechter  sehen,  als  bei  gleicher  Helligkeit  nach  hinreichender  Adaptation. 
Zwei  Albinos  zeigten  eine  Empfindlichkeit  von  Vios  innerhalb  27 — 463M.-EL, 
über  welche  Grenzen  hinauszugehen  die  äufsem  Umstände  nicht  gestat- 
teten. Die  beiden  andern  gaben  eine  so  geringe  Empfindlichkeit  an,  dafs 
Bedner  diese  Zahlen  weglassen  zu  müssen  meinte.'  Die  Beizschwelle,  mit 
FöRSTEBS  Photometer  gemessen ,  war  normal ,  ebenso  die  Adaptationszeit. 


Versammlungen,  337 

'Es  hat  den  Anschein ,  als  'ob  nur  die  obere  G-renze ,  die  nicht  bestimmt 
werden  konnte,  der  TJnterschiedskonstante  bei  Albinos  herabgesetzt  sei. 
Daher  die  Lichtscheu  der  Albinos,  die  auch  durch  Lochbrillen  nicht 
aufzuheben  ist.  Bei  463  M.-K.  eine  knappe  Stunde  geprüft,  klagten  die 
albinotischen  Knaben,  die  bei  mittlerer  oder  Lampenbeleuchtung  ohne 
Beschwerden  arbeiten  konnten,  über  nachfolgende  Sehstörung  und 
Schmerzen,  wie  sie  normal  Pigmentierte  bei  der  zwei-  bis  dreifachen 
Helligkeit  verspüren.  Nach  Schirmers  Auffassung  ist  die  Nachtblindheit 
also  nicht  als  Anomalie  der  Eeizschwelle,  sondern  als  Schwächung  oder 
Yerlangsamung  der  Adaptation  zu  erklären.  Darum  sehen  Hemeralopen 
bei  der  Lampe  besser,  als  bei  gleicher  oder  selbst  höherer  Helligkeit  in 
der  schnell  einbrechenden  Abenddämmerung,  und  geben  auch  an,  in  der 
Morgendämmerung  viel  besser  zu  sehen.  Treitel  hat  schon  nachgewiesen, 
dafs  ein  nicht  adaptiertes  normales  Auge  sich  ebenso  verhält,  wie  ein 
nachtblindes  in  der  Dämmerung.  Schirmer  prüfte  nun  mit  Försters 
Photometer,  welches  er  an  Stelle  der  Strichtafel  mit  einem  Papierdia- 
phragma versah,  um  vom  Baumsinn,  der  ja  bei  vielen  Untersuchten 
beeinträchtigt  sein  konnte,  unabhängiger  zu  sein,  eine  ganze  Beihe  von 
Fällen  krankhafter  Hemeralopie.  In  der  bisher  üblichen  Weise  nach 
V«  Stunde  Adaptation  geprüft,  zeigten  alle  merklich  herabgesetzte 
Schwellenempfindlichkeit,  aber  es  stellte  sich  heraus,  dafs  sie  bei  allen 
noch  im  Steigen  war  und  immer,  wenn  das  Auge  nur  lange  genug  im 
Dunkeln  gelassen  werden  konnte,  normalen  Lichtsinn,  L  =  l,  erreichte. 
So  sah  er  einen  Fall  von  Betinitis  pigmentosa,  der  nach  V«  Stunde  noch 
nicht  V1800  L  hatte,  nach  4  Stunden  Dunkelaufenthalt  allmählich  auf  nor- 
malen Lichtsinn  gelangen.  Die  Adaptation  ist  in  hohem  Grade  abhängig 
von  der  vorangegangenen  Helligkeit ;  durch  Blendung  kann  in  normalen 
Augen  die  Schwellenempfindlichkeit  sehr  stark  herabgesetzt  werden,  und 
vielleicht  sind  die  oben  angeführten  Kranken  als  solche  anzusehen,  die  schon 
das  gewöhnliche  Tageslicht  blendet  und  deren  Adaptation  verlangsamt  ist. 
Aus  Beobachtungen  an  Augen  mit  Netzhautablösung  ging  hervor,  dafs 
auch  die  abgelöste  Netzhaut  eine  verlangsamte  Adaptation  noch  besitzt. 
Auch  die  Blendung  normaler  Augen  beim  Übergang  aus  dem  Dunkel  ins 
Helle  verschwindet  durch  eine  Art  von  Adaptation.  Zur  Erklärung  aller 
dieser  Erscheinungen  knüpft  Sohirmer  an  die  Hypothesen  von  Hering  an, 
imd  erinnert  auch  an  die  Begeneration  des  Sehpurpurs.  Zur  Adaptation  be- 
fähigt wird  das  Auge  durch  eine  Sehstoff  erzeugende  Vorrichtung,  neben 
welcher  auch  noch  das  Vorrücken  des  Pigments  und  das  Pupillenspiel 
rein  optisch  thätig  sind.  Aus  der  Abhängigkeit  der  Sehstoffproduktion 
von  der  Netzhautbelichtung  und  anderen,  krankhaften  Einflüssen  vermag 
er  den  ganzen  Komplex  der  Adaptationserscheinungen  am  gesunden  und 
kranken  Auge  befriedigend  zu  erklären. 

XJhthoff  wandte  in  der  Diskussion  ein,  dafs  er  bei  seinen  Unter- 
suchungen über  Sehschärfe  bei  verschiedener  Beleuchtung,  auch  mit 
Berücksichtigung  längerer  Adaptationszeit,  Erhöhung  der  Beizschwelle  bei 
Hemeralopischen  fortbestehen  sah.  Er  ist  der  Ansicht,  dafs  nur  die 
leichtesten  Grade  der  Hemeralopie  durch  verlang^mte  Adaptation  erklärt 
werden  könneil. 


338  Versammlungen, 

Eine  Verfeinerung  der  gewöhnlichen  Gesichtsfeldmessung 
hat  Bjbrrüm  (Kopenhagen)  versucht.  Er  benutzte  ein  mattschwarzes  Bouleau 
von  mehr  als  2  m  Breite,  ohne  auffällige  Teilung,  und  weÜse  Objekte 
von  6  bis  3  mm  Durchmesser.  Durch  abwechselnde  Verwendung  ver- 
schiedener Fizierpunkte  reicht  diese  Fläche  aus,  um  selbst  in  einer  Ent- 
fernung von  1  oder  2  Metern  zu  untersuchen,  denn  die  äufsersten  TeUe 
des  Gesichtsfelds  brauchen  hier  nicht  berücksichtigt  zu  werden.  Die 
Objekte  werden  an  einer  langen  geschwärzten  Metallstange  gehandhabt. 
Bjebbum  nahm  zuerst  am  gewöhnlichen  Perimeter  mit  einem  weÜsen 
runden  Objekt  von  ungefähr  2®  Gesichtswinkel  die  Grenzen  auf,  und 
prüfte  dann  in  2  m  Entfernung  vom  Bouleau  mit  weifsen  Objekten  von 
10  und  5  Minuten  Gesichtswinkel.  Während  bei  30  Minuten  noch  die- 
selben Grenzen,  wie  für  gröfsere  Objekte,  gefunden  wurden,  gab  das 
10 '-Objekt  für  das  Normalauge  als  Minimumsgrenzen:  60,  40,  40  und 
35  Grad  aufsen,  innen,  unten,  oben,  und  das  5 '-Objekt  noch  um  10  bis 
15  Grad  engere  Grenzen.  Individuelle  Verschiedenheiten  bei  Normalen 
zeigten  sich  nur  als  koncentrische  Variationen,  niemals  als  laterale,  sek- 
torförmige  oder  skotomartige  Defekte.  Befraktionsfehler  müssen  korri- 
giert sein  und  etwaige  Niveauverschiedenheiten  des  Augengrundes  beachtet 
werden.  Der  normale  blinde  Fleck  wurde  nach  allen  Bichtungen  um 
etwa  Vs*^  vergröfsert  gefunden.  An  einer  Beihe  von  Krankheitsfällen 
erörterte  dann  Bedner  die  sehr  lehrreichen  Aufschlüsse,  welche  diese 
Prüfung  zu  geben  vermag. 

Arminbki  (Essek)  skizzierte  in  einem  allgemeinem  Überblick  die 
Wechselwirkung  zwischen  dem  Befraktionszustand  und  der 
Beschäftigung  des  Menschen.  Aus  der  Zweckmäfsigkeit,  welche 
überall  der  Bau  des  Auges  darbietet,  müsse  gefolgert  werden,  dafs  auch  die 
Ametropien  zweckmäfsig  seien.  Denn  die  eingehendere  Erforschung  hat  das 
Gebiet  der  wirklichen  Emmetropie  immer  enger  erwiesen.  Auch  die  Tierwelt 
finden  wir  hypermetropisch.  Schiffer,  Wüstenbewohner,  Indianer,  in 
civilislerten  Ländern  Kinder  und  Soldaten,  als  Vertreter  des  Normalzu- 
standes ebenfalls.  Nach  Anführung  der  Ansichten  vieler  Autoren  über 
die  Entstehungsursachen  der  Myopie  verwirft  er  die  Anschauung,  dafs 
das  hypermetropische  Auge  unausgebildet  sei.  Man  könne  nicht  drei- 
viertel der  Menschheit  als  imentwickelt  betrachten.  Das  Hypermetropische 
müsse  als  das  eigentliche  Normalauge  Vorteile  gewähren,  wofür  Bedner 
eine  grofse  Zahl  von  Möglichkeiten  aufzählt.  Bildung  und  Schule  schufen 
die  Schwierigkeit,  die  Asthenopie,  und  aus  diesem  Bedürfnis  läfst  er  die 
Myopie  entstanden  sein.  Sie  kann  als  vorteilhaftes,  im  Laufe  mehrerer 
Generationen  konstant  werdendes  Erbteil,  das  im  Daseinskampf  begün- 
stigt, betrachtet  werden.  Dunkel  sei  noch  die  Art  des  Übergangs,  bei 
der  Bedner  besonders  Krämpfen  des  Accommodationsapparat^  eine  Bolle 
zuschreibt.  Er  meint,  dafs  die  Zustände  des  myopischen  Auges  im  Stadt- 
leben durch  Anpassung  einer  gesunderen  Festigung  entgegengehen,  die 
Hypermetropie  bilde  gleichsam  einen  Born  der  Verjüngung,  und  werde 
in  der  Überzahl  bleiben. 

WiLBRAND  (Hamburg)  sprach  über  Gesichtsfeldveränderungen 
bei  funktionellen  Störungen  des  Nervensystems  und  über  das 


Versammlungen'  339 

oscillierende  Gesichtsfeld.  Um  die  von  Föbster  imd  Schiele  bekannt  ge- 
machten Erscheinungen  der  Gesichtsfeldermüdung  nachzuweisen,  fährt 
Bedner  mit  einem  5  Onim  grofsen  weifsen  Objekt  vom  temporalen  Bande  des 
Gesichtsfeldes  auf  demselben  Meridian  mit  gleichförmiger  Geschwindigkeit 
bis  zum  nasalen  Bande  und  gleich  wieder  zurück,  dies  wiederholend  und 
jeden  Ort  des  Erscheinens  und  Verschwindens  anmerkend,  bis  keine 
Einschränkung  mehr  auftritt.  Dies  Verfahren  giebt  einen  Überblick,  ob 
normales  oder  eingeengtes  Gesichtsfeld  vorhanden  ist,  ob  imd  wie  rasch 
die  Sehsphäre  sich  ermüden  lälst  und  auf  welcher  Gesichtsfeldhälfte 
vornehmlich  Ermüdung  eintritt.  Schiele  hatte  beobachtet,  dafs  die  Er- 
müdung eines  Meridians  kaum  einen  Einflufs  auf  einen  Nachbarmeridian 
ausübte^  dagegen  die  Ermüdung  der  zugehörigen  Sehsphäre  durch  gewisse 
Einschränkungen  der  homonymen  Gesichtsfeldhälfte  des  anderen  Auges  sich 
kimdgab.  Das  oscillierende  Gesichtsfeld  nennt  Wilbravd  ein  seltneres 
Symptom  funktioneller  Störungen  des  Nervensystems,  wobei  auf  einem 
Meridian  das  Objekt  in  regelmäfsigen  oder  unregelmäfsigen  Zwischen- 
räumen verschwindet  und  wiedererscheint  und  zwar  an  wechselnden 
Orten,  so  dafs  keine  übereinstimmenden  Aufnahmen  erhalten  werden.  Es 
scheinen  flüchtige  Skotome  über  das  Gesichtsfeld  hinzuziehen.  Auch  mit 
farbigen  Objekten  kann  dieser  Zustand  nachgewiesen  werden.  Die  vor- 
gelegten Befunde  gehören  zur  Neurasthenie.  Die  gleiche  Art  der  funktio- 
nellen Neurose  kann  verschiedene  Formen  der  Gesichtsfelddefekte  her- 
vorbringen, z.  B.  ein  normales,  aber  durch  leichte  Ermüdbarkeit  schnell 
aufs  höchste  eingeschränktes  Gesichtsfeld,  oder  ein  allgemein  koncentrisch 
verengtes  von  längerem  Bestand,  aber  nicht  ermüdbar,  oder  endlich  das 
beschriebene  seltnere  Symptom  des  osciUierenden  Gesichtsfelds. 

In  der  Diskussion  wies  Pflügeb  (Bern)  auf  die  Einwirkung  der 
Suggestion  hin,  durch  welche  es  ihm  zuweilen  gelang,  in  einer  Sitzung 
das  Gesichtsfeld  mehrmals  nacheinander  zu  ver engem  und  zu  erweitern. 

Die  scharfsinnigen  und  sorgfältigen  Versuche  von  Widma.rk  (Stock- 
holm) zur  Peststellung  der  Ursachen,  welche  die  Sonnen- 
bräunung der  Haut  und  die  analoge  Entzündung  in  den  vor- 
deren Augenmedien  bewirken,  will  ich  nur  erwähnen.  Er  führte 
den  Nachweis,  dafs  nur  die  Absorption  ultravioletter  Strahlen  in  der 
Konjunktiva,  Kornea  und  Linse  im  Übermafs  diese  Beizungserscheinungens 
welche  bis  zur  Trübung  und  Zerstörung  gesteigert  werden  können,  hervor- 
bringt. Diese  Absorption  schützt  die  zarte  Netzhaut  vor  Schädigung  und 
ist  vielleicht  auch  in  optischer  Hinsicht  von  Nutzen. 

Jayal  (Paris)  zeigte  als  mechanisches  Kuriosum  eine  bikonische 
Konvexlinse.  Zwei  gekreuzte  Streifen  optischen  Glases  mit  konischen 
Flächen  ergeben  auf  ihrem  Deckimgsgebiet  eine  Befraktion,  welche  der 
einer  accommodierbaren  sphärischen  Konvexlinse  sehr  nahe  kommt, 
weil  die  Brennweite  durch  Verschiebung  der  Streifen  stetig  verändert 
werden  kann. 

Sulzer  (Winterthur)  besprach  den  Einfluls,  welchen  die  natürliche 
DecentrierungderKornea  auf  ophthalmometrische  Bestimmungen  des 
Astigmatismus  haben  muTs.  Die  Sehaxe  bildet  mit  der  Scheitelnormalen 
einen  Winkel,   den  Winkel  «.    Er  demonstrierte   an  Javals   Ophthalmo- 


340  Versammlungen, 

meter  die  Veränderung  des  Bildes,  die  wahrgenommen  wird,  wenn  man, 
statt  der  Sehaxe,  die  Scheitelnormale  zur  Axe  macht,  d.  h.  die  Kornea 
richtig  centriert. 

In  der  Diskussion  über  Ophthalmometrie  erinnerte  Cohh (Breslau) 
an  die  Magnesiumphotographie,  welche  jetzt  ausmefsbare  Momentbilder 
auch  bei  unruhigem  Auge  liefert,  und  demonstrierte  Aufnahmen  von 
Keratoskopbildern. 

Valude  (Paris)  zeigte  die  jetzt  in  Frankreich  fabrizierten 
Torusgläser.  Eine  Torusfläche  ist  die  Bahn  eines  Kreises,  der  lun  eine  in 
seiner  Ebene  liegende  Grade  gedreht  wird.  Die  optische  Wirkimg  kommt 
der  einer  sphärocylindrischen  Kombination  gleich,  soll  jene  aber  in  peri- 
skopischer Ausdehnung  des  deutlichen  Bildes  übertrefPen. 

Bernheimer  (Heidelberg)  machte  eine  vorläufige  Mitteilung  über  seine 
Serienschnitte  des  Tractus  opticus  und  seiner  Wurzeln.  Mit  Be~ 
nutzung  der  Mar kfasement Wickelung  an  verschiedenaltrigen  Embryonen 
gelang  es,  den  Faserverlauf  von  der  Ganglienzelle  bis  in  den  Traktus 
hinein  in  günstiger  Isolierung  zu  verfolgen,  was  im  erwachsenen  Gehirn 
nicht  mögüch  war.  Für  einen  Faserkomplex,  der  von  einem,  im  vor- 
deren frontalen  Teil  des  Thalamus  liegenden  Ganglienzellhaufen  ent- 
springt, ist  diese  Untersuchung  abgeschlossen.  Diese  Beobachtungen  be- 
stätigten wieder,  dafs  die  Markentwickelimg  von  den  Wurzeln  des  Seh- 
nerven bis  zur  Peripherie  allmählich  herabsteigt. 


X.  Internationaler  medizinischer  Kongrefs  zn  Berlin  1890. 

n. 

Sektion  für  Ohrenheilkunde, 

Beferiert  von  Dr.  KaAKAüER-Berlin, 
Schriftfilhrer  der  Sektion. 

In  seinem  Vortrage:  „Über  die  vordere  Tenotomie  des  Muse, 
tensortympani"  erörtert  Professor  KsssEL-Jena  die  physiolog^ischen  Vor- 
gänge beim  Hören,  indem  er  sich  hierbei  im  allgemeinen  der  HELunoLTzschen 
Theorie  anschliefst.  Speziell  geht  er  auf  das  Accommodationsvermögen 
ein,  worunter  er  die  Fähigkeit  versteht,  das  Ohr  so  einzurichten,  dafs 
für  übermäfsig  starken  und  übermäfsig  schwachen  Schall  eine  deutliche 
Wahrnehmung  entsteht:  „Sinkt  die  Exkursion  bis  zur  Amplitude  der 
Schwelle  der  Empfindung  herab,  so  kann  die  Amplitude  vergröfsert,  ist 
die  Amplitude  bis  zur  Abwehr  gewachsen,  so  kann  sie  verkleinert  werden." 
In  der  Buhe  ist  die  Steigbügelplatte  fOr  die  Amplitude  der  deutlichen 
Wahrnehmung  eingestellt.  Zum  Accommodationsapparat  gehören  vor 
allem  die  Binnenmuskeln  des  Ohres,  der  Tensor  tympani  und  der  Stapedius. 
Ersterer  verkleinert  durch  Dauerkontraktionen  die  Amplitude  der  Abwehr 
indem  er  die  Widerstände  im  schallleitenden  Apparat  vermehrt,  letzterer 
vergröfsert  die  Amplitude  der  Schwelle  durch  Verminderung  der  Wider- 
stände. Hand  in  Hand  damit  gehen  Veränderungen  der  Resonanz  am 
Trommelfell.  Der  Tensor  schwächt  durch  seine  Kontraktion  die  Elänge 
und  Geräusche,  besonders  des  unteren  Hörbereiches  (8—64  Schwingungen), 


Versammlungen.  341 

ebenso  deren  Besonanz;  der  Stapedius  verstärkt  besonders  die  Klänge 
des  oberen  Hörbereiches  (5000—54000  Schwingungen)  und  deren  Besonanz. 
Die  Verkleinerung  der  Amplitude  steht  in  Verbindung  mit  der  Vermeh- 
nmg  der  Widerstände,  die  Abnahme  der  Besonanz  mit  der  Abflachung 
der  Badiärsaiten  des  Trommelfelles.  Zur  Feststellung  der  HörstOrungen 
bedient  man  sich  zweckmäfsig  der  Auffindung  des  Schwellenwertes  ver- 
mittelst der  Flüstersprache  (normal  25  Meter).  Die  Veränderungen  am 
nervösen  Apparat  bestimmt  man  durch  15  G-abeln  von  64—40000  Schwin- 
gungen. In  der  Diskussion  wendet  sich  PoLLAK-Wien  speziell  gegen  die 
physiologischen  Ausführungen  des  Bedners,  indem  er  hervorhebt',  dafs 
die  Funktion  der  Binnenmuskeln  als  Accommodationsmuskeln  noch  nicht 
entschieden  sei.  Beim  Hunde  seien  zwar  von  Hbnsbk  und  Bockend ahl 
Kontraktionen  durch  Hörreize  nachgewiesen,  nicht  so  beim  Menschen. 

GRADENioo-Turin  untersuchte  die  Form  der  Ohrmuscheln  bei 
Normalen,  Geisteskranken  und  Verbrechern  imd  fand,  dafs  Formanomalie 
bei  Geisteskranken  und  Verbrechern  viel  häufiger,  als  bei  normalen  Indi- 
viduen seien.  Auch  kommen  bei  letzteren  verhältnismäfsig  häufiger 
leichtere  Anomalien  (angewachsenes  Läppchen,  auf  das  Läppchen  fort- 
gesetzte Fossa  scaphoidea),  bei  Geisteskranken  und  Verbrechern  schwerere 
Anomalien  vor.  Meist  sind  die  Anomalien  bilateral,  sonst  häufiger  rechts 
als  links,  mit  Ausnahme  der  abstehenden  Ohrmuschel,  welche  bei  Män- 
nern häufiger  links  vorkommt. 

In  dem  von  Magnus -Königsberg  und  Sghwabach -Berlin  gegebenen 
Beferat  über  die  Bestimmung  der  Hörfähigkeit,  sowie  in  dem  von 
BczoLD-München  gehaltenen  Vortrage  über  Hörprüfungsmittel  erkennen 
alle  drei  Bedner  die  hervorragende  Bedeutung  der  Prüfung  durch  die  Sprache 
teils  mit  den  Zahlen  von  1 — 100,  teils  mit  bestimmten  Worten  (Wolf)  an. 
Auch  sind  die  Bedner  darüber  einig,  dafs  es  rationell  sei,  zur  Bezeich- 
nung der  Hörfähigkeit  eines  Bruches  sich  zu  bedienen  (Knapp).  Viel 
dringender  erscheint  Bezold  die  Verbesserung  der  Hörprüfungsmittel  für 
Tontaubheit.  Ein  Ausfallen  von  Farben  habe  für  die  Sehschärfe  an  sich 
keine  Bedeutung,  ein  Ausfallen  von  Tönen  aber,  beispielsweise  im  mitt- 
leren Teil  der  Skala,  könne  das  Ohr  taub  erscheinen  lassen,  während 
dies  doch  nur  für  die  betreffende  Tonreihe  zutreffe.  Er  hat  zur  voll- 
ständigen Tonprüfung  8  Gabeln  und  2  Orgelpfeifen  konstruiert,  welche, 
in  Verbindung  mit  dem  Galtonpfeifchen,  den  Anforderungen  zu  genügen 
scheinen.  Diese  Beihe  erstreckt  sich  vom  Kontra-C  (32  Doppelschwin- 
gungen) bis  zu  den  höchsten  Tönen,  welche  das  menschliche  Ohr  perzi- 
pieren  kann.  Aufserdem  seien  die  produzierten  Töne  nahezu  frei  von 
Obertönen.  Aus  seinen  Untersuchungen  kann  er  bis  jetzt  nur  einen 
Satz  mit  Sicherheit  herleiten:  „Der  Schallleitungsapparat  ist  nur  für  die 
dem  unteren  Teil  der  Skala  angehörenden  Töne  zur  Überleitung  durch 
ärotympanaler  Leitung  notwendig;  für  den  oberen  Teil  ist  er  entbehr- 
lich." In  der  Diskussion  bemerkt  Jaoobson  (Berlin),  dafs  auch  er  für 
praktische  Zwecke  wenigstens  die  Flüstersprache  als  bestes  Hörprüfungs- 
mittel betrachte.  Dagegen  kann  er  sich  mit  dem  Vorschlage,  die  Hör- 
schärfe mit  der  Hörweite  umgekehrt  proportional  zu  setzen  imd  nach 
dieser  Belation  die  pathologische  Hörschärfe  als  Bruchteil  der  normalen 


342  Versammlungen. 

auszudrücken,  nicht  einverstanden  erklären.  Denn  wenn  man  auch  an- 
nehmen will,  dafs  die  Intensität  des  Schalles  umgekehrt  proportional 
sei  dem  Quadrat  der  Entfemimg,  so  gelte  dieses  doch  nur  für  den  un- 
endlichen Baum.  In  einem  geschlossenen  Baume  aber,  wie  z.  B.  in 
einem  ärztlichen  üntersuchungszimmer  bestehe  zwischen  Schallintensität 
und  Entfernung  der  Schallquelle  keine  bestimmte  oder  auch  nur  be- 
stimmbare gesetzmäfsige  Beziehung. 

Aus  der  Beihe  der  physiologischen  Untersuchungen  über 
das  mittlere  Ohr,  welche  Dr.  Sbcchi- Bologna  im  physiologischen 
Laboratorium  seiner  Heimat  angestellt  hat,  interessieren  uns,  abgesehen 
von  der  Thatsache,  dafs  die  Luft  in  der  Trommelhöhle  unter  einem 
3  mm  Alkohol  höheren  Druck,  als  die  äuTsere  Luft  stehe,  noch  diejenigen, 
welche  sich  auf  Druckschwankungen,  hervorgebracht  durch  Tonreize, 
beziehen.  Er  fand  an  Hunden,  denen  er  in  die  eröffnete  Bulla  ossea  ein 
Manometer  luftdicht  eingefügt  hatte,  dais  der  endotympanale  Druck 
sich  bei  jedem,  auch  dem  leisesten  Tone,  der  die  Aufmerksamkeit  des 
Tieres  fesselt,  erhöht,  während  er  selbst  bei  lauteren  aber  wohlbekannten 
Tönen  oft  unverändert  bleibt.  Die  Drucksteigerung  hält  so  lange  an, 
als  der  Ton  dauert.  Sie  wird  am  höchsten  bei  akuten,  sehr  intensiven, 
zumal  unerwartet  gehörten  Tönen.  Bei  in  Intervallen  sich  folgenden 
Tönen  zeigt  das  Manometer  eben  so  viele  entsprechende  Erhebungen. 
Über  80  hinaus  werden  die  Schwankungen  immer  behinderter,  bis  sie  in 
eine  einzige  verschmelzen.  Die  Drucksteigerung  tritt  auch  durch  die 
verschiedenen  Vokale  ein,  mehr  durch  a,  c,  o,  als  durch  i  und  w.  Nach 
Durchschneidung  des  Tensor  tympani  sah  Bedner  den  endotympanalen  Druck 
unter  der  Einwirkung  akuter  und  intensiver  Töne  abnehmen.  Verfasser, 
der  seine  Experimente  noch  fortsetzen  will,  ist  geneigt  anzunehmen,  dafs 
die  Schallwellen  sich  nicht  so  wohl  durch  die  Knöchelchen  als  vielmehr 
auf  dem  Luftwege  der  Schnecke  mitteilen  und  zwar  nach  dem  Prinzip 
Pascals  vom  Trommelfell  zur  Fenestra  rotunda. 

Auf  Grund  eines  Falles  von  Diplacusis  echotica  erörtert  Katssb- 
Breslau  die  beiden  Formen  der  Diplacusis,  die  Diplacusis  disharmo- 
nica,  bei  welcher  bestimmte  Schallreize  auf  beiden  Ohren  qualitativ  ver- 
schieden empfunden  werden,  und  die  Diplacusis  echotica,  bei  welcher 
die  Wahrnehmung  auf  beiden  Ohren  qualitativ  gleich,  aber  temporär  getrennt 
ist.  Während  die  Diplacusis  disharmonica  unter  Zugrundelegung  der  Helh- 
HOLTzschen  Theorie  leicht  als  Verstimmung  einzelner  Teile  des  CoBTischen 
Organes  zu  erklären  ist,  mufs  die  Diplasusis  echotica  als  eine  verlang- 
samte Gehörsempfindung  auf  dem  kranken  Ohre  gedeutet  werden.  Die 
Verspätung  der  Empfindung  kann  bedingt  sein  1.  durch  verlängerte  Dauer 
des  Anklingens  (Urbaktsohitsch);  2.  durch  verspätete  Perzeption  im 
Centralorgan ;  S.  durch  verlangsamte  Nervenleitung,  doch  müfste  bei  der 
Kürze  des  Acusticus  die  Verlangsamung  eine  beträchtliche  sein.  In  der 
Diskussion  erwähnt  BARTH-Berlin,  dafs,  wenn  man  musikalischen  an  Dipla- 
cusis disharmonica  leidenden  Individuen  bei  verschlossenem  gesunden  Ohre 
eine  Stimmgabel  vor  das  kranke  Ohr  hält,  sie  meist,  wenn  sie  zum 
Nachsingen  aufgefordert  werden,  einen  unbestimmt  schwankenden  Ton, 
häufig  mit  schwachem  Überschlagen  in  die  Fistelstimme,  angeben.    Bei 


Versammlungen.  343 

Wiederholungen  wird  der  Ton  meist  richtig ,  manchmal  in  der  Oktave 
nachgesungen.  Wenn  man  ihnen  die  Gabel  abwechselnd  vor  das  gesunde 
und  kranke  Ohr  hält,  so  überzeugen  sich  die  Patienten,  dafs  sie  den- 
selben Ton  hören,  dafs  er  nur  verschieden  klingt.  In  allen  seinen  Fällen 
handelte  es  sich  um  Mittelohrkatarrhe,  also  um  eine  Erkrankung  des 
schallleitenden  Apparates.  Seiner  Ansicht  nach  ist  die  Hypothese  von 
der  Verstimmung  des  CoRTischen  Organes  überflüssig.  Es  werden  auf 
dem  Wege  der  Leitung  eben  einzelne  Teilschwingungen  des  Tones  ge- 
dämpft, andere  fallen  ganz  aus,  dazu  kommt  noch  das  dumpfe  Q-efühl 
bei  Verlegung  des  Ohres  und  die  begleitenden  subjektiven  Geräusche, 
so  dafs  also  die  verschiedenartige  Wahrnehmung  nicht  verwunderlich 
ist.  JACOBSOK-Berlin  kann  dieser  Deduktion  nicht  beipflichten.  Nach 
den  Gesetzen  der  Besonanz  kann  ein  mitschwingender  Körper,  sei  dies 
nun  die  Platte  eines  Telephons,  sei  es  das  Trommelfell,  immer  nur  in 
der  Periode  des  erregenden  Tones  schwingen.  Werden  seine  physi- 
kalischen Konstanten  geändert,  so  wirkt  dies  nur  auf  die  Amplitude, 
nicht  auf  die  Zahl  der  Mitschwingungen.  Es  wird  also  bei  Schallleitungs- 
erkrankungen das  Trommelfell  weniger  stark,  eventuell,  wenn  die  Ampli- 
tude =0  wird,  gar  nicht  mitschwingen.  Seiner  Ansicht  nach  kann  die 
Diplacusis  disharmonica  nur  nach  v.  Wittioh  durch  eine  partielle  oder 
totale  Verstimmimg  der  elastischen  Endapparate  der  Hömerven  erklärt 
werden.  Tritt  das  Phänomen  bei  Mittelohrerkrankungen  auf,  so  folgt 
daraus  eben  nur,  dafs  auch  das  Labyrinth  miterkrankt  ist.  Notwendig 
aber  ist  es,  dals  man  bei  Untersuchimg  auf  Diplacusis  disharmonica 
nicht  Klänge,  sondern  einfache  Töne  benütze,  welche  „Teilschwin- 
gungen^  überhaupt  nicht  enthalten. 


(Berichte  über  die  physiologische  und  neurologische  Sektion 

im  nächsten  Hefb.) 


Litteraturbericht. 


BAPHAfiL  DüBois.  Snr  le  m^caaisme  des  fonetloiui  photodennatiaae  ei 
pliotogönique  dans  le  Biphon  du  Pholas  dactylus.  Ckmptes  rmdus^  Bd. 
CIX.  S.  233,  August  1889. 
Die  im  Laboratorium  zu  Boscoff  angestellten  Versuche  ergaben,  daijs 
die  Bohrmuscbeln  eine  hohe  Lichtempfindlichkeit  besitzen ;  obschon  keine 
Augen  nachweisbar  sind,  genügen  leichte  Beleuchtungsdifferenzen,  um 
Kontraktionen  des  Sipho  hervorzurufen.  Mit  Hilfe  der  graphischen  Me- 
thode gelang  es  nachzuweisen,  dafs  diese  Bewegungen  durch  zwei  Muskel- 
systeme erzeugt  werden.  Das  erste  derselben  („appareil  avertisseur'Of 
das  System  der  primären  Beaktion,  besteht  aus  subepitheHalen  Muskel- 
bündeln, welche  in  Kontraktion  versetzt  werden,  sobald  ein  Lichtstrahl 
das  Über  denselben  gelegene  Pigmentepithel  trifiPt.  Diese  Beaktion  über- 
trägt sich  vermittelst  der  peripheren  Elemente  auf  die  GangHen,  welche 
eine  sekundäre  Beaktion  der  mächtigen  die  Wandung  der  Sipho  aus- 
kleidenden Muskeln  hervorruft.  Wir  haben  es  also  hier  mit  einem  Über- 
gange von  Tastempfindimg  in  Lichtwahrnehmung  zu  thun. 

Die  an  der  inneren  Wand  der  Saugröhre  befindlichen  Leuchtorgane 
sind,  wie  schon  Panceri  behauptete,  Wimperepithelien,  welche  mit  Nerven- 
zellen in  Verbindung  stehen.  Bei  Beizung  sondern  sie  einen  leuchtenden 
Schleim  in  kleinen  Tröpfchen  ab,  in  welchem  zahlreiche  weiTse  Blut- 
körperchen und  das  leuchtende  Bacterium  pholas  enthalten  sind. 

Zwischen  lichtempfindenden  und  lichterzeugenden  Organen  bestehen 
anatomische  und  funktionelle  Analogien.  Burgkhardt  (Berlin). 

BaphaSl  Dübois.    Bor  la  peroeption  des  radiations  lomineiuieB  par  la 

peau  cliez  les  Protöes  avengles  des  grottes  de  la  Oamiole.    Compus 

rendus,  Bd  CX.  S.  358,  Februar  1890. 

Bei  den  Olmen    sind  infolge  der  Lebensweise  die  Augen  so  sehr 

degeneriert,  dafs  sie  weder  Linse   noch  Glaskörper  besitzen.    Dennoch 

sind  die  Tiere  sehr  lichtempfindlich;    diese  Eigenschaft  läfst  sich  aber 

auch  an  Olmen  nachweisen,  deren  Augen   mit   einer  undurchsichtigen 

Masse  überklebt  sind ;  nur  verstreichen  in  letzter m  Falle  24  Sekunden  bis 

zur  Muskelreaktion,  während  bei  ungeblendeten  Thieren  dieselbe  nach 

11  Sekunden  eintritt.    Dafs  es  sich  hierbei  nicht  um  eine  Wftrmewirkung 

handelt,  kann  durch  Einschieben  einer  Alaunlösung  in  den  Lichtstrahl 

gezeigt  werden. 


Lüteraiurberieht  345 

An  nicht  geblendeten  Olmen  beträgt  die  Beaktionszeit  für  verschie- 
dene Farben  folgende  Sekondenzahlen:  Uebergang  von  Schwarz  in  Violett 
26,  in  Blau  23,  in  Both  16,  in  Grün  13,  in  Gelb  10,5.  Dübois  glaubt, 
diesen  Zahlen  keine  Beziehungen  zur  Beleuchtungsintensität  beimessen 
zu  sollen.  Doch  teilt  er  des  weiteren  mit,  dafs  die  Olme  die  Farben 
in  folgender  Beihenfolge  vorziehen :  schwarz,  roth,  gelb,  grün,  violett,  blau. 

Beferent  glaubt,  bei  der  Schwierigkeit,  Farblösungen  oder  Gläser 
von  gleicher  Absorption  der  Lichtmenge  herzustellen,  däls  obige  Zahlen 
doch  von  der  Beleuchtungsintensität  herrühren  dürften. 

BuROKHARDT  (Berlin). 


C.  Stumpf.  Tonpsychologie.  ü.  Band.  Xm  u.  582  S.  Leipzig  1890, 
Hirzel.    Preis  A  12.    (Selbstanzeige.) 

Auf  Wunsch  der  Bedaktion  gebe  ich  im  Folgenden  eine  Übersicht 
der  wesentlichsten  Untersuchungen  und  Ergebnisse  dieses  zweiten  Bandes 
meiner  Tonpsychologie.  Der  erste  hatte  die  TJrteilserscheinungen  bei 
aufeinanderfolgenden  (oder  isolierten)  Tönen  zum  Gegenstand,  dieser 
untersucht  sie  bei  gleichzeitigen  Tönen.  Li  beiden  ist  aber  von  der 
Auffassung  der  Töne  als  Konsonanzen,  Dissonanzen,  Intervalle,  Akkorde, 
Melodien,  also  von  eigentlich  musikalischen  Auffassungen  noch  abgesehen. 
Diese  sollen  den  Gegenstand  des  dritten,  die  Tongefühle  endlich  den  des 
vierten  Bandes  bilden. 

Den  Ausgangspunkt  und  zugleich  den  Mittelpunkt  des  vorliegenden 
Bandes  bildet  die  Frage  nach'  der  Möglichkeit  und  den  Bedingungen  des 
gleichzeitigen  Hörens  mehrerer  Töne.  Drei  Meinungen  stehen  sich 
gegenüber  (§  16) :  die  gewöhnliche  (Mehrheitslehre),  wonach  wir  mehrere 
Töne  streng  gleichzeitig  hören  können ;  die  Wettstreitslehre,  wonach  die 
Gleichzeitigkeit  Täuschung  ist  und  in  Wahrheit  ein  rascher  Wechsel  der 
Töne  in  der  Empfindung  stattfindet;  und  die  Einheitslehre,  wonach  die 
Mehrheit  Täuschung  ist  und  wir  in  Wahrheit  die  allezeit  streng  einfache 
Empfindimg  nur  auf  eine  Mehrheit  objektiver  Töne  beziehen.  Alle  drei 
Ansichten  involvieren  Schwierigkeiten.  Aber  die  Schwierigkeiten  der 
beiden  letzten  scheinen  mir  unüberwindlich,  die  der  ersten  nicht  (§  17). 
Diese  liegen  hauptsächlich  darin,  dafs  erstens  gleichzeitige  Töne  sich  im 
Bewufstsein  räumlich  durchdringen  müTsten,  während  Empfindungen 
anderer  Sinne  nur  unter  der  Bedingung  gleichzeitig  sein  können,  dafs 
sie  räumlich  auTser  einander  sind;  dafs  zweitens  gleichzeitige  Töne 
schwerer  unterscheidbar  sind  als  aufeinanderfolgende,  während  doch 
zwei  Empfindungen  im  allgemeinen  um  so  leichter  in  irgend  einer  Be- 
ziehung beurteilt  werden,  je  mehr  sie  sich  in  allen  anderen  Beziehungen 
gleich  (hier  also  gleichzeitig)  werden. 

Die  erste  Schwierigkeit  scheint  mir  indessen  nicht  auf  einem 
zwingenden,  a  priori  einleuchtenden  Prinzip  zu  beruhen,  sondern  nur  auf 
der  Analogie  anderer  Sinne,  welche  uns  auch  sonst  vielfach  im  Stich 
läfst  (kein  Kontrast  im  Tongebiet,  keine  mefsbare  Ausdehnung  der 
Töile  u.  s.  f.).  Man  mufs  jeden  Sinn  zunächst  nach  seinem  eigenen 
Becht  richten.    Es  schliefst  sich  hieran  ein  Exkurs  über  die  räumlichen 


346  Litteraturberichi. 

Eigenschaften  der  Töne,  worin  ich  einen  (quasi-)  lokalen  Empfindungs- 
nnterschied  der  Töne  des  rechten  und  linken  Ohres,  sowie  eine  mit  der 
Tonhöhe  abnehmende  (Quasi-)  Ausdehnung  als  immanentes  Moment  der 
Tonempfindungen  vertrete,  dagegen  eine  mit  der  Höhe  wechselnde 
örtlichkeit  der  Töne  im  Bewufstsein  (Mach's  Tonraum)  nicht  für  gegeben 
oder  erforderlich  halte. 

Die  zweite  Schwierigkeit  läfst  sich  nicht  blofs  bei  Tonempfindungen 
sondern  überall  aufwerfen  imd  führt  zur  Konstatierung  eines  besonderen 
Verhältnisses  zwischen  gleichzeitigen  Empfindungsinhalten  (auf  welches 
unter  den  Sinnesphysiologen  zuerst  E.  H.  Weber  aufmerksam  machte, 
das  aber  auch  schon  Aristoteles  berührt).  Gleichzeitige  Empfindungen 
sind  immer  nur  Teile  eines  Empfindungsganzen.  Den  Begriff  des  Em- 
pfindungsganzen kann*man  sich  am  besten  an  den  sog.  Momenten  einer 
Empfindung  klar  machen;  Intensität,  Qualität  und  dergleichen  sind  Teile 
der  Empfindung.  In  ähnlicher,  wenn  auch  nicht  gleich  inniger,  Weise 
bilden  alle  gleichzeitigen  Empfindungen  ein  Ganzes.  Wir  nennen  das 
Verhältnis  in  diesem  Falle  Verschmelzung.  Sie  ist  aber  wieder  von  un- 
gleicher Engigkeit,  wenn  es  sich  um  Empfindungen  verschiedener  oder 
um  solche  Eines  Sinnes  handelt,  und  auch  hier  gibt  es  wieder  Grad- 
unterschiede. Die  Definition  der  Verschmelzung  kann  überall  nur  darin 
bestehen,  diese  thatsächlichen  Unterschiede  an  Beispielen  aufzuzeigen 
und  zu  klassifizieren;  wie  man  auch  das  Verhältnis  der  Momente  zu 
einander  durch  keinerlei  blofs  abstrakte  Definition  wird  klar  machen 
können.  In  Anbetracht  der  Verschmelzung  nun  läfst  sich  auch  der  An- 
schauung, wonach  wir  bei  einem  Accord  nur  Eine  Empfindung  hätten 
(Einheitslehre),  eine  relative  Berechtigung  zugestehen.  Jedenfalls  aber 
bleibt  es  dabei,  dafs  diese  Empfindung  mehrere  Töne  enthält  und  nicht 
blofs  auf  eine  Mehrheit  objektiver  Töne  bezogen  wird.  Nach  der  Zahl 
der  empfundenen  Qualitäten  aber  pflegen  wir  doch  die  Zahl  der  Em- 
pfindungen zu  bestimmen. 

Eine  weitere  Untersuchung  betrifft  die  Frage,  ob  Erfahrung,  also 
vorgängiges  Hören  der  einzelnen  Bestand theile,  und  ob  Aufmerksamkeit 
eine  unentbehrliche  Bedingung  für  die  Analyse  sei.  Hblmholtz  hat  die 
in  den  drei  ersten  Auflagen  der  „Lehre  v,  d.  T<mempfindungen*f  vertretene 
Theorie,  welche  auf  dem  auch  in  der  Baumlehre  durchgeführten  „em- 
piristischen^  Prinzip  gründet,  dafs  wir  Sinnesempfindungen  um  so  weniger 
leicht  auseinanderhalten,  je  häufiger  sie  uns  als  Zeichen  einheitlicher 
Objekte  dienten,  in  der  vierten  Auflage  bereits  selbst,  doch  ohne  An- 
gabe der  Motive,  aufgegeben.  In  der  That  läfst  sich  schon  der  Umstand, 
dafs  Musikalische  unter  sonst  gleichen  Umständen  leichter  als  Unmusi- 
kalische Obertöne  heraushören,  und  Anderes  nicht  wohl  damit  vereinigen. 
Hblmholtz  legt  nunmehr  das  Hauptgewicht  auf  die  vorangehenden  Er- 
fahrungen. Je  häufiger  jemand  die  Bestandteile  einzeln  gehört  und  die 
Zusammensetzung  des  Ganzen  aus  ihnen  wahrgenommen  hat,  um  so 
leichter  die  Analyse.  Ganz  unentbehrlich  ist  jedoch  diese  Bedingung 
nur  unter  Voraussetzung  der  Einheitslehre;  die  Mehrheitsansicht  dagegen 
führt  zu  der  Folgerung,  dafs  bei  günstigen  Umständen  (grofsem  Abstand 
der  Töne,   gleicher  Intensität  u.  s.  w.)   vor  jeder  Erfahrung  und  sogar 


Litter<Uurber%cht  347 

oline  Aufmerksamkeit  eine  Mehrheit  von  Tönen  als  solche  sich  dem 
Bewnfstsein  aufdrängen  kann. 

§  18  bespricht  die  anatomisch -physiologischen  Bedingtmgen  der 
gleichzeitigen  Tonmehrheit.  Anatomische  Sonderung  erscheint  mir  als 
die  notwendige  Konsequenz;  und  als  beste  Erfüllung  dieses  Postulates 
trotz  mancher  Angriffe  immer  noch  die  HfiLMHOLTZsche  Lehre  von  der 
„ Schnecken klaviatur".  Was  für  und  gegen  sie  an  Thatsachen  erbracht 
ist,  war  ich  bemüht  zusammenzustellen.  Nur  die  Verlegung  der  Klaviatur 
in  die  Haarzellen  des  CoRTischen  Organs  ist  vielleicht  nicht  von  der 
Hand  zu  weisen;  aber  das  Prinzip,  die  Zerlegung  der  Gesamtwelle  durch 
mitschwingende  Teile,  bliebe  auch  dann  gewahrt. 

Diese  Betrachtung  führt  zu  einer  weiteren  über  die  specifischen 
Energien.  Der  Tonsinn  bietet  das  Hauptbeispiel  einer  Durchführung 
derselben  innerhalb  des  Qualitäten  kr  eises  eines  und  desselben  Sinnes. 
Doch  scheint  es  nötig,  eine  Accommodation  der  Energien  an  den  augen- 
blicklichen Tonreiz  innerhalb  enger  Grenzen  anzunehmen,  infolge  deren 
ein  einfacher  objektiver  Ton,  obgleich  er  eine  Beihe  benachbarter 
Ganglien  in  Erregung  versetzt,  doch  nur  eine  einfache  Empfindung 
erzeugt  (vergl.  unten).  Dagegen  für  eine  irgend  erhebliche  Entwickelung 
der  specifischen  Energien  (nach  der  Geburt)  liegen  keine  Anhaltspunkte 
vor.  Vollends  die  Bekämpfung  der  ganzen  Lehre  scheint  mir  dunkel 
und  widerspruchsvoll.  (Diese  Bogen  waren  vor  der  Kontroverse  zwischen 
WuNBT  und  MuKK  gedruckt.  Die  sogenannte  „Stellvertretung"  bei  Exstir- 
pationen,  welche  Wükdt  hierbei  besonders  betont,  ist  doch  auch  noch 
sehr  verschiedener  Deutung  fähig.) 

Die  folgenden  §§  (19  und  20)  beschäftigen  sich  mit  der  genaueren 
Untersuchung  der  Tonverschmelzung.  Sie  tritt  in  fCbif  Hauptstufen  auf, 
und  zwar  in  abnehmender  Beihenfolge  bei  der  Oktave,  Quinte,  Quarte, 
den  Terzen  und  Sexten,  endlich  den  übrigen  Tonkombinationen.  Jenseits 
des  ümfangs  einer  Oktave  wiederholen  sich  dieselben  Stufen.  Diese 
zunächst  auf  individueller  Beobachtung  ruhenden  Aufstellungen  habe 
ich  durch  Versuche  an  unmusikalischen  über  die  Frage,  wie  viele  Töne 
sie  bei  entsprechenden  Kombinationen  zweier  objektiver  Töne  zu  ver- 
nehmen glaubten,  zu  erhärten  gesucht.  Die  Fälle,  in  denen  sie  nur  einen 
zu  hören  glaubten,  waren  weitaus  am  zahlreichsten  bei  der  Oktave  und 
nahmen  von  da  durch  Quinte,  Quarte,  Terzen  bis  zu  dissonierenden 
Intervallen  ab;  in  einzelnen  Beihen  allerdings  mit  Ausnahmen,  welche 
die  Stellung  der  kleinen  Terz  und  der  Quarte  betreffen  und  sich  aus 
den  besonderen  Versuchsumständen  (den  durch  das  jeweilige  Orgelregister 
und  die  Tonlage  bedingten  Schwebungen  und  dergleichen)  erklären, 
während  die  Stellung  von  Oktave,  Quinte,  gr.  Terz,  Tritonus  (bezw.  Se- 
kunde) gegeneinander  auch  selbst  in  allen  einzelnen  (mit  verschiedenen 
Instrumenten  an  verschiedenen  Personen  angestellten)  Versuchsreihen 
genau  die  gleiche  blieb. 

Die  Tonverschmelzung  läjGst  sich  weder  aus  psychologischen  Ge- 
setzen  der  Wechselwirkung  von  Vorstellungen,  noch  aus  Ahnlichkeits- 
verhältnissen  der  Töne,  noch  aus  häufiger  Koexistenz  im  Bewufstsein 
oder  aus  sonst  einem  psychologischen  Prinzip  herleiten  (§  20).   Sie  ist  viel- 

Zeitschrift  für  Psychologrie.  ^^ 


348  Litteratwbericht 

melir  als  ein  Verhältnis  der  Empfindungsin halte  nur  physiologisch  er- 
klärbar.  Sie  fahrt  auf  den  Begriff  „specifischer  Synergien*'.  G-enerelle 
Entwickelung  bleibt  hier  wie  bei  den  specifischen  Energien  denkbar. 
Eine  Idee  in  dieser  Bichtung  habe  ich  angegeben,  ohne  derselben  (eben- 
sowenig wie  derjenigen  im  I.  Band  über  Entwickelung  des  Tonsinnes 
und  der  ünterschiedsempfindHchkeit  von  der  Höhe  zur  Tiefe)  ein  son- 
derliches Gewicht  beilegen  zu  wollen. 

Die  folgenden  Paragraphen  untersuchen  zwei  andere  Bedingungen  des 
Analysierens  und  Heraushörens :  S  21  das  Stärke  Verhältnis  der  Töne,  §  22 
die  Aufmerksamkeit,  ungleiche  Intensität  führt  zur  Erschwerung,  zuletzt 
zur  Unmöglichkeit  der  Analyse,  zur  „Unterdrückung'^  eines  Tones  durch 
den  anderen,  eine  Thatsache,  die  sowohl  experimentell  als  theoretisch 
noch  zu  wenig  berücksichtigt  ist.  Im  Einzelnen  wird  dann  das  Heraus- 
hören von  regelmäfsigen  Beitönen,  namentlich  Kombinationstönen  und 
Obertönen,  und  zuletzt  die  Frage  nach  dem  Vorkommen  einfacher  Töne 
besprochen  (ob  bei  AusschluTs  objektiver  Obertöne  subjektive  un- 
vermeidlich sind,  wie  es  sich  femer  mit  H.  Bibhanks  Untertönen,  mit 
Macbs  Zerlegung  der  Töne  in  die  Elemente  „Dumpf  und  HelP'  verh&lt). 
Es  besteht  meiner  Meinung  nach  kein  triftiger  Grund,  gewisse  Klänge 
nicht  als  völlig  einfache  anzusehen,  z.  B.  ganz  schwache  Töne  von 
Stimmgabeln  auf  Besonanzkästen,  subjektive  Töne,  Obertöne  und  Kom- 
binationstöne, endlich  die  höchsten  wahrnehmbaren  Töne. 

Die  Betrachtungen  über  den  EinfluTs  der  Aufmerksamkeit  auf  die 
Analyse  (§  22)  beginnen  mit  allgemeinen  Erläuterungen  über  das  Wesen 
und  die  Wirkungen  dieser  Kraft,  welche  das  im  I.  Band  Vorgebrachte 
teils  ergänzen,  teils  berichtigen  sollen.  Dann  wird  besonders  eingehend 
die  Verstärkung  schwacher  Klang-Komponenten  durch  Aufmerksamkeit 
und  das  Verhältnis  der  letzteren  zu  Muskelaktionen  untersucht.  Ich 
halte  daran  fest,  dafs  Aufmerken  sowie  auch  Verstärkung  durch  Auf- 
merken (welches  nur  eine  gelegentliche,  nicht  die  Hauptwirkung  ist) 
ohne  jede  Muskelaktion  erfolgen  kann,  und  dafs  die  Muskelaktion,  wo 
sie  erfolgt,  wesentlich  nur  eine  Begleiterscheinung  darstellt.  Zuletzt 
wird  die  Möglichkeit  und  die  Bedingungen  des  gleichzeitigen  Aufmerkens 
auf  eine  Mehrheit  von  Empfindungen  besprochen. 

§  23  stellt  die  Bedingungen  für  die  Zuverlässigkeit  der  Analyse 
und  des  Heraushörens  klassifikatorisch  zusammen,  wobei  die  schon  einzeln 
besprochenen  kurz,  die  Übrigen  weitläufiger  zur  Sprache  kommen;  unter 
diesen  besonders  der  tonale  Abstand  der  Ellangkomponenten  (Beob- 
achtungen über  die  gleichzeitige  Schwelle,  welche  höher  liegt  als  die 
successive,  aber  wie  diese  sich  mit  der  Tonpegion  ändiert),  sowie  die 
partiellen  Veränderungen  in  der  Höhe  oder  Stärke  d^r  Klangkomponenten. 
Einige  schwierige  Punkte,  Einflufs  der  Klangfarbe,  Verschwinden  des 
höheren  Oktaventons  in  bestimmten  Fällen  (Helmholtz'  Tonempf,  S.  103), 
Analyse  von  Nach-  und  Gedächtnisbildern  werden  dann  noch  mit  Bezug 
auf  die  unterschiedenen  Bedingungen  besprochen. 

Wie  im  I.  Band  folgen  der  Übersicht  der  Bedingungen  Besohrei- 
bungen  individueller  Unterschiede  (§  24).  Es  werden  hier  die  Fähig- 
keiten des  Analysierens  und  Heraushörens  vonseiten  einiger  Individuen, 


lAtieraturbericht.  349 

die  als  Typen  ganzer  Klassen  gelten  können,  besonders  aber  von  IJn- 
musikalischen  und  von  Kindern  eingehender  beschrieben.  Bei  Kindern 
fSJlt  namentlich  die  Neigung  auf,  Zweiklänge  für  eine  um  gröfsere  An- 
zahl von  Tönen  zu  erklären,  je  weniger  sie  konsonieren. 

Ist  bis  dahin  ausschliefslich  von  urteilen  über  Einheit  oder  Mehr- 
heit die  Bede  gewesen,  so  handeln  nun  §§  25  und  26  von  Qualitäts-  und 
Intensitätsurteilen  über  zusammengesetzte  Klänge  und  deren  Teile  (also 
solche  Urteile,  die  bei  aufeinanderfolgenden  Tönen  den  Hauptgegen- 
stand bildeten).  Wir  fassen  einen  Zusammenklang,  selbst  wenn  er  analy- 
siert uns  vorschwebt,  gleichwohl  als  ein  Ganzes  und  schreiben  ihm  als 
solchem  eine  gewisse  Höhe  zu,  und  zwar  hat  ein  ruhender  Zusammen- 
klang als  solcher  die  scheinbare  H^Hie  des  tiefsten  Tones  (womit  in  der 
Musik  die  Verlegung  des  Haupttons  in  die  Tiefe,  die  Bezeichnung 
„Grundton^  zusammenhängt).  Dieser  Zug  erklärt  sich  nur  psychologisch, 
nämlich  aus  der  gröfseren  Ausdehnung  der  tieferen  Töne,  welche  den 
jeweilig  tiefsten  als  den  tragenden,  als  Fundament,  erscheinen  lassen. 
Bei  aufeinanderfolgenden  Zusammenklängen  femer  macht  das  Ganze 
scheinbar  die  Bewegung  der  in  den  gröfsten  Schritten  bewegten  Stimme. 
Weiter  wird  der  scheinbare  EinfluJGs  eines  Tons  auf  die  Höhe  eines  an- 
deren gleichzeitigen  Tons  (Accommodation,  Kontrast)  und  dgl.  besprochen 
und  die  meisten  dieser  ZiSige  auch  an  Beispielen  aus  der  Musik  erläutert. 

§  26  bestätigt  an  Erscheinungen  bei  gleichzeitigen  Tönen  die  gröfsere 
Empfindungsstärke  höherer  Töne  (I  365),  stellt  sodann  fest,  dafs  dem 
Gesamteindrucke  bei  geeigneten  Yersuchsumständen  keine  gröfsere 
Stärke  zuerkannt  wird  als  dem  stärksten  Teil  (ein  neues  Zeugnis  gegen 
die  Einheitslehre),  dafs  sich  gleichzeitige  Töne  vielmehr  gegenseitig 
physiologisch  schwächen.  Das  doppelohrige  gegenüber  dem  einohrigen 
Hören,  sowie  minimale  Eindrücke  werden  in  dieser  Hinsicht  noch  be- 
sonders betrachtet,  weil  sich  hier  die  Beobachtungen  nur  sehr  schwer 
genau  ausführen  lassen,  und  zuletzt  ohrenärztliche  Beobachtungen  und 
solche  bei  andern  Sinnen  zur  Vergleichung  herangezogen. 

Die  beiden  letzten  Paragraphen  behandeln  besondere  Erscheinungen, 
welche  ausschliefslich  oder  vorwiegend  an  gleichzeitige  Töne  gebunden  sind : 
Schwebungen,  Geräusche,  Klangfarbe  (bez.  die  Auffassung  dieser  Erschei- 
nungen). §  27  untersucht  zunächst  den  verschiedenen  Charakter  der 
Schwebungen  je  nach  Umständen,  die  Grenze  ihrer  Schnelligkeit  (die  ich 
weit  höher  fand  als  sie  bisher  angegeben  wird,  bei  etwa  400  in  der 
Sekunde),  die  verwickelten  Bedingungen  ihrer  Stärke  und  ihrer  Merk- 
lichkeit; darauf  die  Tonhöhe  bei  Schwebungen.  Hört  man  beide  schwe- 
bende Töne  oder  einen  einheitlichen  dritten,  und  diesen  von  konstanter 
oder  von  periodisch  schwankender  Höhe?  Es  war  mir  nicht  möglich, 
den  hin-  und  hergehenden  Schwebungston,  welchen  Hblmholtz  beschreibt 
und  theoretisch  ableitet  und  welchen  Sbdlbt  Taylor  sogar  als  die 
eigentliche  Ursache  der  Dissonanz  betrachtet,  zu  beobachten.  Ich  fand 
die  Erscheinung  verschieden  je  nach  dem  Höhenabstand  der  schwebenden 
objektiven  Töne.  Bei  g'  a'  höre  ich  nur  diese  beiden  Töne  selbst,  und 
sie  sind  es,  welche  schweben  Bei  gi»*  a'  höre  ich  ebenfalls  diese  beiden ^ 
aufser  ihnen  aber  einen  dritten  dazwischenliegenden,  und  dieser  allein 

23* 


350  LittercaurherieM. 

schwebt.  Bücken  die  primären  Töne  noch  näher  zusammen,  so  ver- 
nehme ich  zuletzt  natürlich  nur  einen  und  diesen  schwebend.  Die  physio- 
logische Erkläriing  ergibt  sich  aus  dem  Prinzip  der  specifischen  Energien 
in  Verbindung  mit  dem  obenerwähnten  Hilfsprinzip  der  Accommodation. 
Zuletzt  handelt  dieser  Paragraph  von  der  Zuteilung  der  Schwebtingen  in  der 
Auffassung  an  das  Ganze  oder  bestimmte  Teüe  eines  Klanges;  speciell 
von  der  Zuteilung  an  den  tieferen  Ton  bei  den  Schwebungen  verstimmter 
Konsonanzen  ^:1,  wo  h  nur  wenig  von  einer  ganzen  Zahl  differiert 
(Bosakqüet). 

Die  Versuche,  Geräusche  vollständig  auf  Töne  zurückzuführen  (es 
werden  in  §  28  drei  solche  Auffassungen  unterschieden),  scheinen  mir 
viel  Wahres  zu  enthalten,  aber  nicht  allgemein  durchführbar;  wonach 
auch  ein  besondres  Organ  im  Ohr  für  den  nicht  reducierbaren  geräuschigen 
Erdenrest  vorauszusetzen  bliebe. 

Bezüglich  des  KlangfarbenbegrifPes  endlich  mufs  die  Zurückführung 
auf  die  Teiltöne,  Helmholtz'  bewunderungswürdige  Theorie,  als  ausge- 
macht gelten;  sie  bedarf  nur  gewisser  psychologischer  Ergänzungen.  Zu- 
nächst muls  auch  den  einfachen  Tönen  eine  Farbe  zuerkannt  werden,  wenn 
das  Klang-Ganze  eine  solche  besitzen  soll.  Die  tiefen  sind  dunkler,  die  hohen 
heller  und  eben  dadurch  wird  ein  Klang  um  so  heller,  je  mehr  und  je 
höhere  Obertöne  hinzukommen.  Worin  besteht  nun  aber  die  Tonfarbe 
selbst?  Sie  ist  nicht,  wie  ich  dies  früher  versuchte,  mit  Tongefühl  zu 
identifizieren.  Sie  löst  sich  auf  in  die  drei  Momente  der  Tonhöhe,  Ton- 
stärke  und  Tongröfse.  Die  Prädikate,  womit  wir  die  Farbe  von  Tönen 
und  infolgedessen  von  Klängen  kennzeichnen,  beziehen  sich  auf  diese  drei 
Momente  zusammen,  bald  mehr  auf  dieses,  bald  mehr  auf  jenes.  Ton- 
und  Klangfarbe  ist  also  nicht  ein  Moment  neben  der  Stärke  und  der 
Höhe.  WoUte  man  ein  solches  anführen,  so  wäre  nur  die  Gröfse  (die  Quasi- 
Ausdehnung) zu  nennen,  welche  aber  das,  was  man  gemeinhin  unter  die 
Klangfarbe  rechnet,  nicht  erschöpft. 

Derselbe  Zug  der  Auffassung,  der  bereits  in  den  drei  vorangehenden 
Paragraphen  mehrfach  berührt  wurde,  macht  sich  hier  geltend ,  dafs  wir 
einem  imanalysierten  Ganzen  in  gewissem  Grade  Eigenschaften  seiner 
Teile  zuschreiben.  Es  ist  eben  jedem  seiner  Teile  um  so  ähnlicher,  je 
intensiver  er  darin  enthalten  ist.  (Diese  Prädikation  ist  natürlich  nicht 
die  Folge  einer  Vergleichung,  einer  Wahrnehmung  der  Ähnlichkeit,  sondern 
eine  Folge  der  Ähnlichkeit  selbst.  Wir  subsumieren  das  Ganze  unter 
denselben  Begriff,  unter  den  wir  früher  das  für  sich  wahrgenommene 
Element  subsumierten.)  Darauf  reduziert  sich  die  Chemie  der  Empfin- 
dungen ;  nicht  entstehen  neue  Inhalte,  weder  ein  mittlerer,  noch  gar  eine 
neue  Gattung. 

Von  hier  aus  lassen  sich  auch  die  einzelnen  HELMHOLTzschen  Begeln 
ableiten.  Es  folgt  aber,  dafis  nicht  blofs  die  relative  sondern  auch  die  abso- 
lute Höhe  der  Teütöne  und  darunter  vor  allem  die  des  Grundtones  selbst 
von  Einflufs  auf  die  Klangfarbe  sein  mufs;  was  sich  u.  a.  auch  an  der 
(nur  berührten)  Vokaltheorie  bestätigt. 

Die  Anwendung  derselben  Prinzipien^-auf  die  Klangmischungen  leitet 
schlielslich  noch  zu  der  Frage  über,  auf  welchem  Wege  wir  in  einer 


LiUeratii^rbmckt.  351 

EJangmischung  mehrere  Instrumente  heraushören  können.  Diese  Frage 
ist  analog  der  Ausgangsfrage,  wie  wir  in  einem  Mehrklang  mehrere  Töne 
unterscheiden,  aber  sachlich  wohl  von  dieser  zu  trennen.  Hier  ist  in 
der  That  die  einizige  Lösung  die,  dafs  wir  nach  Anhaltspunkten,  welche 
nur  die  Erfahrung  Hefem  kann,  auf  das  Vorhandensein  bestimmter 
Instrumente  schHefsen,  den  Klang  auf  sie  beziehen.  Es  gibt  ein  Heraus- 
hören von  Tönen,  aber  nicht  ein  Heraushören  von  Instrumenten,  voraus- 
gesetzt, dafs  sie  wirklich  streng  gleichzeitig  erklingen. 

Der  Selbstanzeige  sei  es  gestattet  eine  Selbstkritik  hinzuzufügen. 
Einem  Bedenken  wenigstens,  das  mir  beim  Durchblättern  aufgestofsen, 
würde  ich  als  Eecensent  folgenden  Ausdruck  geben: 

„Der  Verfasser,  der  gegen  andere  mitunter  scharf  polemisiert,  hat 
sich  doch  selbst  in  Hinsicht  der  sogenannten  Verschmelzungsthatsachen 
eine  Undeutlichkeit  zu  schulden  kommen  lassen.  Denn  er  behauptet  S.137, 
die  Verschmelzung  gehe  bei  allen  Tonpaaren,  die  nicht  schon  der 
niedersten  Verschmelzungsstufe  angehören,  in  diese  Stufe  über,  ohne 
die  etwaigen  Zwischenstufen  zu  durchlaufen.  Die  Kurve  aber,  durch 
welche  S.  176  die  Verschmelzungsverhältnisse  dargestellt  werden,  durch- 
läuft, indem  sie  von  den  höheren  Stufen  zur  niedersten  (Berührung  mit 
der  Absoisse)  übergeht,  jedesmal  die  zwischenliegenden  Stufen,  wie  dies 
ja  auch  geometrisch  innerhalb  einer  Ebene  gar  nicht  anders  möglich  ist." 

In  der  That  müssen  wohl  beim  Übergang  z.  B.  von  der  grofsen 
Septime  zur  Oktave  oder  von  dieser  zur  kleinen  None  alle  Verschmelzungs- 
grade durchlaufen  werden,  wenn  anders  unter  den  letzteren  ein  einfaches 
Steigerungsverhältnis  stattfindet.  Aber  es  ist  ein  Unterschied  zwischen 
blofsen  Graden  und  Stufen  der  Verschmelzung  (S.  185).  Die  Stufen 
sind  im  geometrischen  Bilde  durch  die  Wendepunkte  der  Kurve  charak- 
terisiert, und  es  ist  durchaus  richtig,  dafs  die  höchste  in  die  niederste 
und  umgekehrt  übergeht,  ohne  die  Zwischenstufen  zu  durchlaufen.  Da- 
gegen halte  ich  es  allerdings  für  wahrscheinlich,  dafs  sich  auch  auf 
einer  solchen  Strecke  ohne  Wendepunkte  durch  hinreichende  Übung, 
durch  Emanzipation  des  Urteils  von  allen  Nebeneinfiüssen  die  den  et- 
waigen Zwischenstufen  entsprechenden  Verschmelzungsgrade  wieder- 
finden lassen. 

Ich  verhehle  mir  nicht,  dafs  überhaupt  der  Begriff  der  Verschmel- 
zung als  eines  eigentümlichen,  nicht  weiter  zurückführbaren  Verhältnisses 
von  Sinnes  in  halten,  wie  er  den  Mittelpunkt  der  Untersuchungen  dieses 
Bandes  bildet,  manchen  Angriff  erfahren  wird.  Der  eine  wird  ihn  für 
absurd  erklären,  der  andere  für  eine  altbekannte  Sache,  für  die  nur  die  Er- 
klärung noch  zu  entdecken  wäre.  Ich  will  nichts  im  voraus  zur  Verteidigung 
sagen;  ich  weifs  nur,  dafs  er  so,  wie  er  hier  steht,  für  mich  das  Ergebnis 
vieler  Beobachtungen  und  vieles  Nachdenkens  ist  und  auf  viele  Ersehei- 
nxmgen  Licht  wirft,  von  denen  die  im  vorliegenden  Bande  erwähnten 
(man  sehe  das  lange  Verzeichnis  im  Begister  unter  „Verschmelzung")  ikvat 
ein  kleiner  Teil  sind.  Es  liegt  hier  jedenfalls  ein  Zug  der  £dnnlieh«ft 
Welt,  mit  dem  wir  rechnen  müssen,  mögen  ihn  auch  andere  anders  und 
besser  definieren. 


352  Litteratwbencht 

J.  B.  Ewald.  Der  AcnatlcnBittainTn  ist  durch  Sehall  erregbar.  BerUn.  kUn. 
Wochenachr.  1890.  No.  32.  S.  731. 

Tauben,  denen  auf  beiden  Seiten  das  gesamte  Labyrinth  entfernt 
worden  war,  reagierten  schon  wenige  Stunden  nach  der  Operation  leb- 
haft auf  Schall  und  hörten  auch  dann  nicht  schlechter,  wenn  zudem, 
noch  das  äufsere  Trommelfell  und  die  Oolumella  herausgenommen  und 
sämtliche  Federn  kurz  abgeschnitten  wurden. 

Die  Annahme,  dafs  der  Acusticusstamm  wirklich  Schallempfindlich- 
keit besitzt,  konnte  Ewald  endgültig  dadurch  beweisen,  dais  es  bei 
einigen  der  operierten  Tauben  gelang,  den  Acusticusstamm  durch  Kro- 
tonöl  oder  Arsenpaste  zur  Degeneration  und  Atrophie  zu  bringen  und 
dafs  dann  die  Tiere  nunmehr  völlig  taub  waren.  Piretti  (Bonn). 

J.  B.  Ewald.  Über  motorische  Stöninf  en  nach  Verletzimgen  der  Bogen- 
gänge.   Centralbl  f.  d,  medig.  Wissmsch,    1890.    No.  7  und  8. 

Verfasser  konstatierte  bei  Tauben  nach  Herausnahme  des  rechten 
ütrikularapparates  eine  Abnahme  der  Muskelkraft  auf  der  ganzen  rechten 
Seite.  Um  das  rechte  Bein  zu  strecken,  genügte  ein  viel  geringerer  Zug 
als  links ;  der  rechte  Flügel  funktionierte  bedeutend  weniger  kräftig  als 
der  andere,  und  ein  ähnliches  Verhalten  zeigten  die  Drehmuskeln  des 
Halses.  Dem  entsprechend  war  auch  der  Widerstand  gegen  passive 
Bewegungen  rechts  weit  weniger  ausgesprochen  als  links.  Verfasser 
schliefst  hieraus,  dafs  normalerweise  beständig  vom  Ohrlabyrinth  sen- 
sible Beize  ausgehen,  welche  die  Muskelkontraktion  beeinflussen. 

Es  ist  nicht  recht  einzusehen,  welcher  Art  diese  Beize  z.  B.  bei 
absolut  unbewegtem  Kopfe,  wo  also  ein  etwaiger  EinfluTs  von  Endolymph- 
strömungen nicht  in  Frage  kommt,  sein  sollen;  man  müJGBte  sich  denn, 
wie  übrigens  E.  auch  zu  thun  scheint,  der  Annahme  zuneigen,  dafs  die- 
selben akustischer  Natur  seien.  Es  bleibt  abzuwarten,  ob  sich  hierfür 
stichhaltige  Gründe  anführen  lassen,  und  ob  es  nicht  vielmehr  gerecht- 
fertigter sein  dürfte,  die  in  Bede  stehenden  Erscheinungen  auf  irgend 
welche  durch  den  operativen  Eingriff  gesetzte  Funktionsstörungen  be- 
nachbarter Gehimregionen  zu  beziehen.  Sohabfkb  (Jena). 

Chabpentieb,  A.  Recherches  snr  Tintensitö  comparative  des  sona  d'aprto 
lenr  tonalitö.  —  Arch.  de  phys.  norm,  et  path,  1890,  No.  3.  S.  496—507. 
Verfasser  unterzog  sich  der  Aufgabe,  für  Töne  von  verschiedener 
Höhe,  aber  genau  gleicher  Amplitude  den  Abstand  festzustellen,  bis  zu 
welchem  die  Tonquelle  vom  Ohr  entfernt  werden  muij9,  damit  der  Ton 
eben  verschwindet,  mit  anderen  Worten  die  Schwelle  erreicht  wird.  Es 
war  nicht  leicht,  die  geforderte  Gleichheit  der  Amplituden  zu  erreichen. 
Mehrere  Methoden  mussten  wieder  verworfen  werden.  Am  geeignetsten 
erwies  sich  die  Anwendimg  eines  für  den  vorliegenden  Zweck  etwas 
modificierten  Spieldosen  Werkes.  Die  wesentlichen  Bestandteile  eines 
solchen  bilden  bekanntlich  eine  kammartig  gezähnte  Metallplatte  und 
oin  rotierender  Cylinder,  besetzt  mit  Stacheln,  welche  die  verschiedenen 
Zähne,  und  zwar  —  worauf  es  gerade  hier  ankommt  —  immer  um  die- 
selbe Strecke  aus  der  Gleichgewichtslage  bringen,  also  in  Schwingungen 


Ldtteraturbericht,  353 

versetzen.  Es  wurden  immer  höchstens  zwei  Töne  gleichzeitig  beobachtet 
und  die  Beobachtungen  möglichst >  rasch  angestellt,  da  die  Hörschärfe 
von  Augenblick  zu  Augenblick  wechselt.  In  dieser  Weise  und  unter 
vorsichtiger  Ausschaltung  störender  Einflüsse,  wie  Reflexion,  Tageslärm 
u.  s.  w.  lieisen  sich  brauchbare  Besultate  gewinnen.  Je  höher  die  Töne, 
um  so  gröüser  konnte  die  Distanz  zwischen  Instrument  und  Ohr  genom- 
men werden,  ehe  die  Schwelle  erreicht  wurde.  Die  Octave  wurde  2,87; 
die  Quinte  1,75;  die  Quarte  l,73mal  so  weit  gehört  als  der  Grundton. 
Daraus  folgert  Verf.,  dafs  die  Intensit&tsempflndung  ceteris  paribus  eine 
Funktion  der  Anzahl  der  Beize  in  der  Zeiteinheit  ist,  wonach  diesen 
also  eine  cumulierende  Wirkung  zuzuschreiben  wäre.    Schaefer  (Jena). 

Httgo  PippiNo.  Zur  Klangfsurbe  der  gesniigeiien  Vokale.  Untersuchung 
mit  Hbnseks  Sprachzeichner,  ausgefCQirt  im  physiologischen  Institut 
zu  Kiel.  ZeitschHft  ßr  Biologie,  Bd.  XXVII.  N.  F.  IX.  (1890),  80  S. 
Während  die  Natur  der  Vokale  als  Klänge  bereits  lange  feststand, 
haben  bekanntlich  zuerst  Whbatstonb  (1837)  und  Dokdbbs  (1857)  die  ge- 
nauere Analyse  auf  Grund  der  Thatsache  angebahnt,  dafs  die  Mundhöhle 
in  ihrer  fdr  jeden  Vokal  specifischen  Konfiguration  einen  Besonator  dar- 
stellt, welcher  auf  einen  oder  zwei,  alsdann  durch  ein  gröfseres  Spatium 
getrennte,  bestimmte  Töne  oder  richtiger  Tongruppen  („Verstärkungsge- 
biete") abgestimmt  ist,  da  neben  dem  maximal  verstärkten  Ton  auch  in 
abnehmendem  Mafse  die  ihm  nächststehenden  höheren  und  tieferen 
Töne  der  Skala  mit  verstärkt  werden.  Das  vorliegende  Material  vervoll- 
kommnend, definierte  Helmholtz  (1877)  die  Vokale  als  „Klänge  mem- 
branöser  Zimgen,  nämlich  der  Stimmbänder,  deren  Ansatzrohr,  nämlich 
die  Mundhöhle,  verschiedene  Weite,  Länge  und  Stimmung  erhalten  kann, 
so  dafs  dadurch  bald  dieser  bald  jener  Teilton  des  Klanges  verstärkt 
wird;"  —  und:  „Die  Vokalklänge  unterscheiden  sich  hiemach  von  den 
Klängen  der  meisten  anderen  Instrumente  wesentlich  dadurch,  dafs  die 
Stärke  ihrer  Obertöne  nicht  nur  von  der  Ordnungszahl  derselben,  sondern 
überwiegend  von  deren  absoluter  Tonhöhe  abhängt.  Wenn  ich  z.  B.  den 
Vokal  A  auf  die  Note  Es  singe,  ist  der  verstärkte  Ton  6"  der  zwölfte  des 
Klanges,  und  wenn  ich  denselben  Vokal  auf  die  Note  &'  singe,  ist  es  der 
zweite  Ton  des  Klanges,  welcher  verstärkt  wird."  Nachdem  nun  gegen 
diese  Theorie  des  „absoluten  Momentes"  schon  1875  v.  Quakten  die  Frage 
aufgeworfen,  wodurch  denn  Vokale  charakterisiert  seien,  die  auf  einen 
Ton  gesungen  würden,  welcher  den  charakteristischen  Verstärkungston 
(in  obigem  Beispiel  b")  gar  nicht  als  Oberton  enthielte,  vielmehr  z.  B. 
selbst  höher  sei  als  dieser ;  führte  Auerbach  1876  das  „relative  Moment" 
in  die  Vokaltheorie  ein,  wonach  also,  wie  bei  unseren  Musikinstrumenten, 
gleichgültig,  welches  der  Grundton  ist  (auf  den  der  Vokal  gesungen 
wird),  die  entstehenden  Obertöne  immer  dasselbe  Verhalten  zeigen,  das 
natürlich  eben  für  jeden  Vokal  ein  specifisches  ist.  Ähnlich  hatte  übri- 
gens schon  Gbasskank  1854  unter  anderem  den  Satz  aufgestellt,  die 
Vokale  Ü-Ü-J  seien  durch  Mitschwingen  nur  eines  Obertones  neben  dem 
Grundtone  charakterisiert;  Ä  durch  eine  Beihe  von  Obertönen  von  fast 
gleicher  Stärke.    Schneebeli  (1879)  folgerte  aus  seinen  Untersuchungen, 


354  LUiercOwrbendU. 

daüs  ein  beliebiger  Ton  (c';  g'\  c";  ^%  wenn  sein  erster  Oberton  aus 
der  Klangmasse  besonders  heraustritt,  regelmftfsig  den  Charakter  des 
0  erhält. 

Die  Arbeiten  dieser  Autoren  und  eine  Reihe  anderer  unterzieht 
PiFpnro,  welcher  umfassendste  litteraturstudien  angestellt,  eingehender 
Kritik.  Er  bezeichnet  zunächst  mit  Recht  die  subjektive  Methode  der 
Klanganalyse,  die  Feststellung  der  Verstärkungsgebiete  durch  Vorhalten 
von  Stimmgabeln  vor  die  Mundhöhle  oder  durch  Perkussion  des  Kehl- 
kopfes, als  streng  wissenschaftlichen  Anforderungen  nicht  genfigend, 
ebenso  die  objektive  Synthese  der  Vokale  aus  Stimmgabeltönen,  und  er- 
klärt die  graphischen  Methoden  und  unter  diesen  wieder  die  Aufzeich- 
nung der  Vokalkurven  mittelst  des  HEvssKschen  Sprachzeichners  für 
allein  brauchbar.  Eine  Beschreibung  nebst  Abbildung  desselben  in  seiner 
ursprünglichen  Form  findet  sich  in  'Httihanns  Hcmdbueh  der  Physiologie, 
Bd.  I.,  T.  2.  S.  187—189.  Die  Vokale  werden  gegen  eine  trommelfellartig 
über  die  Offntmg  eines  Sprachrohrs  gespannte  Membran  gesungen.  An 
deren  Aufsenseite  ist  das  Ende  eines  Schreibhebels,  und  zwar  eines  zwei- 
armigen Hebels,  befestigt.  Die  Drehungsaxe  des  letzteren  ist  so  kon* 
struiert,  dafs  zugleich  mit  der  Drehxmg  auch  eine  zur  Verhütung  von 
Eigenschwingungen  hinreichende  Dämpfung  erzielt  wird.  Der  Schreib- 
hebel endet  in  einer  Glasfeder,  welche  die  Kurve  auf  eine  berufste  Glas- 
platte zeichnet.  Letztere  stellt  die  Oberfläche  eines  Schlittens  dar,  der  mit 
der  Hand  während  des  Zeichnens  verschoben  wird.  Die  Registrierung 
der  Zeiteinheiten  vollzieht  eine  an  dem  Stative  der  Membran  mit  ange- 
brachte Stimmgabel,  welche,  wenn  der  Apparat  in  Funktion  tritt,  ange* 
geschlagen  wird  und  dann  ebenfalls  mit  einer  Glasfeder  ihre  Kurve  neben 
der  Vokalkurve  verzeichnet.  An  dem  Sprachzeichner,  den  bereits  Hensbm 
inzwischen  vervollkommnet,  wurden  für  die  vorliegende  Untersuchimg 
noch  wesentliche  Verbesserungen  vorgenommen.  Als  wichtigste  mu/js 
erwähnt  werden,  dais  die  Glasfedem  durch  konisch  geschliffene  Dia- 
manten ersetzt  sind.  Dies  ermöglicht  die  Zeichnung  feinster  Striche, 
was  von  grofser  Bedeutung  für  die  Ausmessung  der  Kurven  ist,  die  alle 
mikroskopisch  sind.  Ferner  wurde  zur  Erleichterung  der  späteren  Ordi- 
natenmessuDgen  noch  ein  dritter  Diamant,  der  einen  geraden  Strich  neben 
die  Vokalschrift  zeichnet,  angebracht.  Besondere  Accuratesse  wurde 
auf  die  Festhaltung  des  Grundtons  verwendet.  Zunächst  ward  dem 
Singenden  die  Tonhöhe  mittelst  einer  KöKioschen  Stimmgabel  angegeben 
und  nachher  unter  sorgfältigster  Ausschlielsung  gewisser  Fehlerquellen 
durch  genaues  Messen  und  Vergleichen  der  Vokal-  und  Stimmgabelwellen 
kontrolliert.  —  Der  Apparat,  mit  dem  die  den  Berechnungen  zugrunde 
liegenden  Messungen  der  Ordinaten  ausgeführt  wurden,  besteht  aus 
zwei  übereinander  gelegten,  durch  Mikrometerschrauben  verstellbaren 
Schlitten,  deren  Bewegungslinien  einander  rechtwinklig  gegenüberstehen. 
Die  eine  Schraube  mifst  die  Abscissen,  die  andere  die  Ordinaten.  Zehn- 
tausendstel Millimeter  liegen  noch  im  Bereiche  der  Messung.  Zur  Mes- 
sung wurde  immer  eine  tadellose  Gegend  der  Kurve  aufgesucht  und  hier 
eine  Welle  für  die  Messung  gewählt.  Die  Wellenlänge  wurde  mehr£Btch 
präzise  gemessen,  und  die  gefundene  Mittelzahl  zur  Abscissenberechnung 


LUteraturherieht,  355 

benutzt.  Es  wurde  stets  von  einer  Abscisse  zu  der  nächstfolgenden 
weiter  fortgeschritten  und  zur  Eontrolle  zuletzt  immer  die  y-Ordinate 
der  nächsten  Periode  gemessen.  Nur  selten  zeigte  sich  zwischen  den 
beiden  j^Ordinaten  eine  gröisere  Differenz  als  0,0002.  Aus  den  Diffe- 
renzen wurde  jedesmal  das  Mittel  gezogen.  Die  Ordinaten  wurden  nur 
einmal  gemessen,  in  der  ftegel  von  dem  geraden  Striche  aus.  Bei  drei 
Kurven  nur  wurde  Beduktion  der  Abscissen  mit  Rücksicht  auf  ungleich- 
mäfsiges  Schlittenziehen  nötig. 

Die  Endresultate  seiner  Messungen  und  Berechnungen  hat  Verfasser 
in  Tabelle  IQ.  (S.  41)  niedergelegt.  Diese  Tabelle  gibt  an,  wie  viel 
Prozente  von  der  Gesammtintensität  des  gesungenen  Vokales  auf  jeden 
seiner  Partialtöne  entfallen.  Aus  diesen  Daten  werden  nun  nachstehende 
Folgerungen  gezogen.  Der  Vokal  ü  hat  zwei  Verstärkungsgebiete.  Das 
eine  umfafst  in  der  Breite  einer  Oktave  den  maximal  verstärkten  Ton 
c';  das  andere  a"  in  der  Breite  einer  Quinte.  Der  Vokal  Ä  hat  zwei 
Verstärkungsgebiete,  eins  in  der  Umgebung  von  cw'"  oder  d'",  ein  anderes 
um  eine  Octave  höher.  Der  Vokal  Ä  hat  den  charakteristischen  Ton  f" 
(oder  vielleicht  c'");  die  Verstärkungsbreite  ist  etwa  eine  Oktave.  Eine 
sekundäre  Verstärkung  erfährt  der  10.  Ton.  Bei  dem  Vokal  J  liegen 
die  Grundtöne  selbst  im  untern  Verstärkungsgebiet.  Ein  oberes  erstreckt 
sich,  scharf  begrenzt  von  c""  bis  d"".  Bei  F  liegt  der  Maximalpunkt  des 
untern  Gebietes  unter  der  Mitte  der  eingestrichenen  Oktave.  Das  obere 
Gebiet  fällt  mit  dem  von  J  zusammen,  ist  aber  noch  enger  wie  dort 
{c"").  Vokal  Ö  hat  ein  noch  nicht  genauer  zu  bestimmendes  unteres 
Gebiet  in  der  eingestrichenen  Oktave;  ein  zweites  enges  in  der  Nähe 
von  c'".  Vielleicht  besteht  noch  ein  drittes  um  c"".  Die  Verstärkungs- 
gebiete von  E  verteilen  sich  auf  die  eingestrichene  Oktave  und  in  engemi 
Umfang  auf  d"".  Sehr  unbefriedigende  Resultate  lieferte  A,  Dagegen 
lieis  sich  nach  Jeitkin  und  Ewino  für  0  ein  Verstärkungsgebiet  in  der 
oberen  Hälfte  der  eingestrichenen  Oktave  von  gut  Oktavenbreite  be- 
rechnen. 

Schon  aus  diesen  Angaben  wird  der  Leser  entnehmen,  dafs  Pippimo 
sich  fQr  das  absolute  Moment  als  das  in  der  Charakterisierung  der  Vokale 
dominierende  entscheidet.  In  der  That  erkennt  er  nach  seinen  ünter^ 
suchungen  dem  relativen  Moment  einen  minimalen  EinfluTs  zu:  ,,Die 
Intensitäten  der  einzelnen  Teil  töne  hängen  in  keinem  nennenswerten 
Grade  von  ihren  bezüglichen  Ordnungszahlen  ab.^  (S.  77).  Die  Methode 
AüEBBAOHS,  die  Partialtonintensitäten  nach  dem  Grade  ihrer  Verstärkung 
durch  Resonatoren  bestimmen  zu  wollen,  enthalte  bedeutende  Fehler- 
quellen, und  seine  Art  der  Elimination  des  absoluten  Momentes  sei  in- 
korrekt. Ähnliche  Zurückweisungen  erfahren  Grassmaitn,  Lahr  und 
ScHNSBBBLi.  —  Aus  der  genauen  Periodizität  seiner  Kurven  folgert  Ver- 
fasser, dafs  keine  unharmonischen  Teiltöne  die  gesungenen  Vokale  be- 
gleiten, deren  Vorkommen  Hblmholtz  behauptet,  und  ebensowenig  Ge- 
räusche, deren  Vorhandensein  Dokders  als  gerade  charakteristisch  fiir 
Vokale  ansprach.  Die  Accommodationshypothese  von  Jenkik  imd  Ewino, 
der  zufolge  das  Centrum  der  charakteristischen  Verstärkung  bedeutend 
verschoben  werden  kann,  damit  irgend  ein  Teilton  in  seine  Nähe  fallen 


356  lAUeraturbmcht. 

möge,  ist  ganz  abzulehnen.  Vielleicht  käme  sie  für  die  F&lle  in  Betracht, 
wo  der  Vokal  auf  einen  so  hohen  Ton  gesungen  wird,  dafs  der  untere 
maximale  Resonanzton  unterhalb  des  Gnmdtones  liegt.  Auf  solche  F&lle 
dehnte  Verfasser  seine  Versuche  noch  nicht  aus,  glaubt  jedoch,  dals 
dann  die  Vokalbildimg  überhaupt  nach  komplizierteren  Gesetzen  vor 
sich  gehen  dürfte.  Auch  abgesehen  hiervon  bezeichnet  Pipfiko  seine 
Untersuchimgen  als  durchaus  nicht  erschöpfend.  Indessen  sind  dieselben 
offenbar  mit  einem  bemerkenswerten  Aufwand  von  Sorgfalt  imd  Mühe 
angestellt,  so  dafs  sie  ohne  Zweifel  ein  sicheres  Fundament  für  weitere 
Forschungen  abgeben.  Schaefbr  (Jena.) 


Prouho.  Du  Bens  de  rodorat  cliez  les  steiles  de  mer.  Comptes  rendus, 
Bd.  CXI.  S.  1343.  Juni  1890. 

Bringt  man  in  die  Nähe  eines  ruhenden  Seeigels  (Asterias  glacialis) 
eine  Lockspeise  z.  B.  einen  todten  Fisch,  so  bewegt  sich  der  Seeigel 
lebhaft  in  der  Eichtung  nach  dem  Objekte  hin.  Lebende  Fische,  die 
festgebunden  sind,  werden  mit  einem  Arm  ergriffen  und  dem  Munde 
genähert.  Dafs  die  Augen  nicht  die  lebhafte  Bewegxmg  veranlassen, 
läfst  sich  durch  Exstirpation  derselben  nachweisen,  wodurch  das  Wahr- 
nehmungsvermögen des  Seeigels  nicht  leidet.  Bei  weiteren  Versuchen 
wurde  das  Versuchstier  von  der  Lockspeise  durch  eine  undurchsichtige 
Wand  getrennt,  in  welcher  an  einer  bestimmten  Stelle  eine  Ofi^ung 
war.  Der  Seeigel  kroch  immer  in  der  Eichtung  auf  dieselbe.  Werden 
die  Taster  abgeschnitten,  so  hört  die  Wahrnehmung  auf,  auch  bei  voll- 
st-ändiger  Erhaltung  der  Augen.  Durchtrennen  der  peripheren  Nerven 
beeinträchtigt  die  Beaktionsfahigkeit  der  Taster  nicht,  macht  jedoch  den 
centralen  Teil  des  Körpers  vollständig  teilnahmlos. 

Aus  diesen  Versuchen  schliefst  Pbouho  auf  die  Anwesenheit  eines 
ziemlich  gut  entwickelten  chemischen  Sinnes,  welcher  in  den  Tastern 
seinen  Sitz  hat  und  den  Gesichtssinn,  wenigstens  bei  Asterias,  an  Fein- 
heit übertrifft.  Bubckhabdt  (Berlin). 

A.  GoLDscHBiDBR.  Ober  die  Empfindlichkeit  der  GMenkenden.  Sitzgs.- 
Ber.  der  Berliner  Physiolog.  Gesellsch.  vom  14.  März  1890.  Areh,  für 
Anatomie  und  Physiologie  1890.    S.  380—384. 

Da  die  Gelenkkapseln  erwiesenermaHsen  mit  Nerven  und  Nerven- 
endigungen versehen  sind,  so  ist  damit  ein  anatomisches  Substrat  fftr 
Sensationen  gegeben,  die,  bei  Beweg^ungen  durch  Faltimgen  etc.  der 
Kapsel  hervorgerufen,  zur  Auslösiuig  von  Bewegungsempfindungen  bei- 
tragen können.  Zu  untersuchen  war,  ob  auch  für  Widerstandsempfin,- 
dungen,  ausgelöst  durch  das  Aneinanderpressen  der  freien  Gelenkenden, 
ein  solches  Substrat  vorhanden.  Genügende  mikroskopische  Unter- 
suchungen liegen  nicht  vor.  Es  wurde  nun  an  Kaninchen  —  Frösche 
eigneten  sich  nicht  gut  —  die  untere  Gelenkfiäche  der  Tibia  mechanisch 
und  thermisch  gereizt,  und  es  gelang  durch  diese  Beize  die  Atmung 
reflektorisch  zu  beeinflussen.  Die  Beizbarkeit  blieb  bestehen,  nachdem 
die  Gelenkoberfiäche  mit  dem  Messer  abgetragen,  und  erlosch  auch  nicht 


LiUeraturbericht  357 

bei  fortgesetztem  Abtragen  dünner  Schichten  der  Epiphyse,  ja  wurde  eher 
stärker,  wenn  endlich  das  blofsgelegte  Mark  gereizt  ward.  Hiemach 
l&lst  es  sich  zwar  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden,  ob  die  Gelenkober- 
fläche empfindlich  ist,  da  der  Beizerfolg  auf  Fortleitung  des  Beizes  in 
die  tieferen  Schichten  bezogen  werden  kann;  doch  „darf  wohl  die  Be- 
rechtigung, die  Gelenkenden  als  Substrat  einer  Sensation  anzusehen,  be- 
reits anerkannt  werden.^  Scbabfeb  (Jena). 


Max.  Falk.    Versuche  ttber  die  BaumscliätBimg  mit  Hilfe  ▼on  Arm- 
bewegungen.    Inaug.-JDissertation.    Dorpat  1890.    57  S. 

Der  Verfasser,  ein  Schüler  von  Kbabpelin,  untersuchte  die  ünter- 
schiedsempfindlichkeit  für  Baumgröfsen,  die  durch  Bewegungen  des 
rechten  Armes  erzeugt  wurden.  £r  bediente  sich  hierbei  eines  leicht 
beweglichen  Wagens,  welcher  dem  Unterarm  eine  feste  Grundlage  bot,  und 
der  Methode  der  Minimaländerungen,  der  r.  u.  f.  Fälle,  der  mittleren  Fehler 
und  einer  kombinierten  Methode.  Die  letztere  besteht  darin,  dais  die 
innerhalb  der  ünterschiedsschwelle  (oder  eigentlich  zwischen  dem 
Gleichheits-  und  Übermerklichkeitspunkt)  liegenden  Werte  der  Me- 
thode der  Minimaländerungen  teils  nach  der  Methode  der  r.  u.  f.  Fälle, 
teils  nach  derjenigen  der  mittleren  Fehler  in  Bechnung  gezogen  werden. 
Auf  diese  Weise  liefsen  sich  unter  Anwendung  desselben  Verfahrens  der 
konstante  und  variable  Fehler,  das  Präzisionsmafs,  welches  nach  Fbchker 
der  XJ.  £.  proportional  gesetzt  wurde,  und  die  ünterschiesdsschwelle 
bestimmen.    Die  Besultate  waren  im  wesentlichen  folgende: 

1.  Kleine  Distanzen  werden  gröfser,  gröfsere  kleiner  reproduziert, 
der  Indifferenzpunkt  liegt  für  die  Vorwärtsbewegung  etwa  bei  7 — 8  cm, 
für  die  Bückwärtsbewegung  etwa  bei  15  cm.  Innerhalb  dieser  Grenzen 
befinden  sich  die  im  praktischen  Leben  häufigst  vorkommenden  Be- 
wegungsgröfsen.  Auf  den  konstanten  Fehler  der  Beproduktion,  welcher 
nicht  mit  dem  Urteil  über  die  Fehldistanz  in  Übereinstimmung  steht, 
zeigte  sich  die  jeweilige  Endlage  des  Armes  von  Einflufs.  Verfasser 
vermutet  daher,  dafs  der  von  Lob  gefundene  Zusammenhang  zwischen 
dem  konstanten  Fehler  und  dem  Verkürzungsgrad  der  thätigen  Muskeln 
auch  hier  vorliege.  Der  für  die  Bewegung  erforderliche  Kraftaufwand 
(durch  verschiedene  Belastung  des  Wagens  variiert)  zeigte  sich  ohne 
Einflufs,  Übung  verringerte  den  konstanten  Fehler. 

2.  Die  absolute  U.  E.  ist  am  geringsten  bei  kleinen  Distanzen,  wächst 
aber  sehr  schnell,  um  von  5  cm  an  nur  langsam  zuzunehmen.  Bei 
gröfseren  Strecken  (10 — 20  cm)  konkurriert  sie  mit  der  bei  Augenmafs- 
versuchen  ge^mdenen.  Für  die  Bückwärtsbewegung  ist  sie  geringer 
als  für  die  Vorwärtsbewegung.  Ein  Einflufs  der  Geschwindigkeit  und 
des  Kraftaufwandes  auf  die  U.  E.  war  nicht  erkennbar,  ebenso  wenig  ein 
solcher  der  (auf  einem  Kymographion  verzeichneten)  Bewegungsform 
oder  der  Geschwindigkeit  der  einzelnen  Phasen  der  Bewegung  und  der 
Übung. 

3.  Die  relative  U.  E.  ist  nicht  konstant. 


358  LiUeraturhencht 

Die  sorgfältigen  und  zahlreichen  Versuche  erstreckten  sich  blofs 
auf  5  Distanzen  (1;  2,  5;  5;  10;  20  cm),  und  die  wichtigsten  Thatsachen, 
der  Gang  des  konstanten  Fehlers  und  der  ü.  £.,  sind  unerklärt  geblieben. 

0.  KüLFE  (Leipzig). 
H.  HöFFDivG.    Über  Wiederkennen,  Assoeiation  und  psyehisclie  Akti- 
vltftt.  VierieJßahr88ckr.f,wi88.Phü,Xni.,^,  8.420-468;  XIV.,  1,  S. 27-54; 
XIV.,  2,  8.  167—205. 

In  dieser  noch  nicht  vollständig  erschienenen  Abhandlung  behandelt 
der  Verfasser  in  fQnf  Abschnitten  1.  das  unmittelbare  Wiederkennen, 
2.  die  Voraussetzungen  der  Berührungsassociation,  3.  die  Ähnlichkeita- 
association,  4.  das  Verhältnis  zwischen  der  Vorstellungsassociation  und 
der  vergleichenden  Denkthätigkeit ,  5.  den  Begaff  der  psychischen 
Aktivität  im  allgemeinen.  Vollständig  liegen  bis  jetzt  nur  die  ersten 
drei  Abschnitte  vor. 

Nach  einer  kurzen  Einleitung,  in  welcher  der  Verfasser  die  innere 
Verbindung  zwischen  diesen  verschiedenen  Problemen  auseinandersetzt, 
sucht  derselbe  im  ersten  Abschnitt  die  Theorie  des  unmittelbaren  Wieder- 
kennens,  welche  er  schon  in  seinem  Lehrbuche  der  Psychologie  dar- 
gestellt hat,  ausführlicher  zu  begründen.  In  vielen  Fällen,  in  welchen 
die  Selbstbeobachtung  nicht  die  geringste  Spur  von  anderen  durch  die 
erkannte  Erscheinung  erweckten  Vorstellungen  zeige,  sei  die  Auffassung 
des  Unterschiedes  zwischen  etwas  Bekanntem,  Vertrautem  und  etwas 
Neuem,  Fremdem  eine  unmittelbare.  Der  Unterschied  sei  so  einfach 
und  klar,  dafs  er  sich  ebenso  wenig  näher  beschreiben  lasse,  wie  der 
Unterschied  zwischen  Lust  und  Unlust  oder  zwischen  G-elb  und  Blau;  er 
sei  ein  unmittelbarer  Qualitätsunterschied.  Da  nun  diese  Bekanntheits- 
qualität  jedenfalls  irgendwie  mit  dem  früheren  Vorhandensein  der  Em- 
pfindung im  BewuTstsein  zusammenhängen  müsse,  so  sei  sie  offenbar  durch 
eine  Nachwirkimg  des  früheren  Zustandes  hervorgerufen.  Ferner  sei 
die  einfachste  Annahme  hinsichtlich  dieser  Nachwirkung,  dafs  dieselbe 
in  der  gröfseren  Leichtigkeit  bestehe,  mit  welcher  bei  "Wiederholung  ein 
Zustand  eintrete.  Die  von  anderer  Seite  aufgestellte  Erwartimgstheorie, 
welche  annimmt,  dafs  man  von  einem  zusammengesetzten  Empfindungs* 
komplexe  (-4  +  5  +  C  +  .  .  .)  zunächst  nur  einen  Teil,  z.  B.  A,  wahr- 
nimmt, dafs  dieser  die  übrigen  Theile  reproduziert  und  dafs  dann  durch 
die  Übereinstimmung  der  reproduzirten  Vorstellungen  6,  c,  (i  .  .  .  mit 
den  darauf  eintretenden  Empfindungen  J3,  C,  D  . . .  das  Wiederkennen 
bedingt  ist,  erkennt  der  Verfasser  als  richtig  an,  sucht  aber  nachzuweisen, 
dafs  diese  Theorie  nicht  fOr  alle  Fälle  pafst.  Man  könne  z.  B.  glauben, 
ein  Gesicht  zu  kennen,  obgleich  nur  ein  einzelner  Zug,  z.  B.  das  Auge, 
dem  eines  bekannten  Menschen  ähnlich  sei.  Würde  nun  in  solchen 
Fällen  das  Auge  Vorstellungen  von  der  Stirn,  dem  Munde  etc.  des 
wirklich  bekannten  Menschen  reproduzieren,  so  müTsten  diese  Vor- 
stellungen ja  gleich  in  Streit  mit  den  wirklichen  Empfindungen  geraten 
und  ein  Wiederkennen  unmöglich  machen.  Ferner  setzt  sich  der  Ver- 
fasser noch  mit  den  Einwänden  auseinander,  welche  von  A.  Löchiv 
in  einer  Schrift  {Sp^gamaal  vedkommende  de  afasiske  Sygdomme,  Christiania 
1888)  gegen   die   Annahme    des    unmittelbaren  Wiederkennens   erhoben 


Litterahirbericht  359 

sind,  und  mit  A.  Lehmank  (Über  das  Wiederkennen,  *Phil.  Stud.  V.),  welcher 
auf  experimentalem  Wege  dieselbe  Annahme  widerlegen  zu  können  ge- 
glaubt hat.  Gegen  den  letzteren  hebt  Verfasser  insbesondere  hervor, 
dafs  es  unmöglich  sei,  durch  Versuche,  die  doch  stets  unter  gewissen 
bestimmten  Verhältnissen  stattfinden  mülsten,  den  Beweis  zu  führen, 
daJGs  das  Wiederkennen  unter  anderen  Verhältnissen  nicht  auch  auf 
andere  Weise  stattfinden  könne. 

Der  zweite  Abschnitt  sucht  nachzuweisen,  daiÜs  die  Berührungs- 
association  ein  unmittelbares  Wiederkennen  voraussetzt.  Wenn  eine 
gewisse  Anzahl  von  Malen  die  Empfindung  bezw.  der  Empfindungs- 
komplex B  auf  die  Empfindung  bezw.  den  Empfindungskomplex  A  im 
Bewxiistsein  gefolgt  sei  und  es  werde  nun  beim  Eintreten  von  Ä  wieder 
B  reproduziert,  so  könne  dies  nur  durch  die  Annahme  erklärt  werden, 
daüs  bei  häufiger  Wiederholung  im  Bewufstsein  und  Hirn  eine  gewisse 
Disposition  oder  Tendenz  zurückbleibe,  die  sich  auslösen  lasse,  ohne 
dafs  die  Erscheinung  selbst  gegeben  zu  sein  brauche.  Da  nun  aber  A 
ebenso  oft  als  B  wiederholt  sei,  so  müsse  dieselbe  Disposition,  die  hin- 
sichtlich B  stattfinde,  auch  hinsichtlich  A  stattfinden,  und  diese  Dis- 
position müsse  natürlich  beim  Eintreten  von  A  noch  in  weit  höherem 
Mause  erregt  werden,  als  die  auf  B  bezügliche  Disposition. 

Der  dritte  Abschnitt  wendet  sich  gegen  die  Versuche,  alle  Ähnlich- 
keitsassociation  auf  Berührungsassociation  zurückzuführen.  Die  Annahme, 
dafs  alle  einander  ähnlichen  Erscheinungen  wenigstens  ein  Element  ge- 
meinsam hätten,  und  dafs  dieses  Element  die  Association  vermittle, 
lasse  sich  nicht  aufrecht  halten,  da  z.  B.  die  verschiedenen  Nuancen  des 
Bot  kein  gemeinsames  Element  haben  könnten.  Die  andere  Annahme, 
dafs  das  Wort,  die  gemeinschaftliche  Bezeichnung,  als  Mittelglied  zwischen 
zwei  verwandten  Vorstellungen  diene,  reiche  auch  nicht  immer  zur  Er- 
klärung aus.  Denn  wenn  man  z.  B.  auch  annehmen  wolle,  dais  die 
Wortvorstellung  Feldherr  die  Vorstellung  von  Napoleon  und  die  Vor- 
stellung von  Alexander  zusammenknüpfe,  so  sei  doch  zu  bedenken,  dafs 
das  Wort  Feldherr  gebildet  sei,  um  solche  Menschen  wie  Napoleon  und 
Alexander  zu  bezeichnen,  und  dafs  daher  diese  Berührungsassociation 
vorhergehende  primäre  Bewufstseinsthätigkeit  voraussetze,  durch  welche 
Napoleon  und  Alexander  (oder  ähnliche  Männer)  zum  erstenmale  zu- 
sammengestellt seien.  Schliefslich  sucht  dann  der  Verfasser  noch  nach- 
zuweisen, dafs  die  Ähnlichkeitsassociation  nicht  unerklärlicher  sei  als 
die  Berührungsassociation  und  entwickelt  eine  psychophysische  Hypo- 
these zur  Erklärung  derselben.  Schümann  (Göttingen). 

BivET,  A.  Becberches  snr  les  mouyementa  clies  quelques  jeunes  enfaats. 
Bevue  pkihs.  1890.  No.  3.  S.  297—309. 
BnrsT  macht  zunächst  bezüglich  des  Beginns  der  Gehversuche  da- 
rauf au£nerksam  und  erläutert  eingehend  an  einem  Beispiel,  wie  sehr 
hier  Erziehung,  Charakterdifferenzen  und  die  verschiedensten  äufseren 
Einflüsse  von  Belang  sind.  Sicher  aber  sei,  dais  —  wofür  auch  Pbbtsb 
in  seiner  „Seele  des  Kindes^  eintritt  —  der  Instinkt  die  Quelle  der 
ersten  Gehversuche  ist.    Verfasser  hatte  mehrfach  Gelegenheit,  zu  beo- 


360  Litteraturberieht 

bachten,  wie  kaum  einige  Wochen  alte  Kinder  bereits  in  völlig  coordi- 
nierter  Weise  etliche  Schritte  machten,  wenn  sie  unter  die  Achsel  ge 
fafst  und  so  gehalten  wurden,  dafs  die  Fufssohlen  die  Unterlage  berührten. 
Letzteres  war  von  wesentlicher  Bedeutung.  Dais  bewufste  Ortsver&nde- 
rungen  erst  viel  später  begonnen  und  mühsam  erlernt  werden,  berechtigt 
nicht,  das  Gehen  den  einfach  erworbenen  Eigenschaften  zuzurechnen.  — 
Im  zweiten  Abschnitte  wird  die  Thatsache  registriert,  dafs  bei  Kindern 
von  einigen  Wochen  in  direktem  Gegensatz  zu  mehrjährigen  stets  die, 
meist  explosive,  Bewegung  des  einen  Armes  von  der  nämlichen  seitens 
des  anderen  begleitet  oder  sehr  bald  gefolgt  ist ;  dafs  ferner  in  den  ersten 
Wochen  die  Hände  bei  schlaff  herabhängenden  Armen  eine  auffallend 
ausgeprägte  Pronationsstellung  einnehmen  und  —  was  sehr  wichtig  — 
genaue  Orientierung  Über  den  Grad  der  Sicherheit  gegen  etwaiges  Fallen 
besteht,  derart,  dafs  bereits  ein  geringes  Lockern  der  haltenden  Hände 
genügt,  heftiges  Sträuben  und  Geschrei  auszulösen.  Verfasser  nimmt 
zur  Erklärung  ein  auf  Vererbung  beruhendes  frühzeitiges  In-Funktion- 
treten  des  Muskelsinnes  an.  —  Ein  drittes  Kapitel  handelt  von  den 
automatischen  Bewegungen.  Kitzeln  der  Hohl  band,  Hineinlegen  von 
Gegenständen  in  dieselbe  reicht  hin,  um  ein  Schliefsen  der  Finger  her- 
beizuführen, nicht  nur  trotz  anderweitiger  Inanspruchnahme  der  Auf- 
merksamkeit, sondern  sogar  im  Schlafe.  Andererseits  werden  manchmal 
gewisse  Fingerstellungen  längere  Zeit  zwecklos  innegehalten,  als  wären 
sie  vergessen  worden.  Es  erinnert  das,  rein  äuXserlich  betrachtet,  an 
gewisse  kataleptische  Erscheinungen  der  Hysterie.  Der  Impuls  zu  einer 
Bewegung  bleibt  eben  bestehen,  auch  wenn  eine  anderweitige  Inanspruch- 
nahme des  Intellektes  Platz  greift.  Ein  analoges  Beispiel  rein  psychischer 
Art  erlebte  Verfasser  an  einem  heftig  weinenden  Mädchen.  Über  den 
Anblick  einer  Flamme  vergafs  es  augenblicklich  seinen  Kummer,  allein 
dieser  blieb  doch  im  Hintergrunde  des  Bewufstseins  und  brach  immer 
gleich  wieder  hervor,  wenn  das  Licht  verlöscht  ward.  —  Zum  Schlüsse 
werden  einige  Angaben  über  die  Reaktionszeit  bei  Kindern  von  durch- 
schnittlich 4  Jahren  gegeben.  Es  war  die  Aufgabe,  auf  ein  Metronom- 
signal einen  MABSTschen  Tambour  in  Aktion  zu  setzen.  Die  Beaktions- 
zeit  erwies  sich  als  sehr  lang  (zwischen  0,2"  und  1,0").  Die  gleichzeitig 
aufgenommenen  Kurven  der  Muskelkontraktion  zeigten  sehr  verschie- 
dene Form  und  waren  sehr  flach.  Schaefbb  (Jena). 

0.  Flügbl.    Zur  Lehre  Tom  Willen.     Zeitschrift  für  exakte  PhiJoeopkie 
Band  18.  (1890),  H.  1.  S.  30-67. 

KüLPB  hatte  in  seiner  Habilitationsschrift  über  die  Lehre  vom  Willen 
in  der  neueren  Psychologie  die  WuNDTSche  Willen stheorie  zu  vertei- 
digen gesucht;  als  indirekter  Beweis  für  ihre  Richtigkeit  wollte  er  die 
ünhaltbarkeit  aller  übrigen  modernen  Willenslehren  aufdecken  und 
muTste  somit  unter  anderen  auch  Herbarts  bezügliche  Anschauungen  der 
Kritik  unterziehen.  Der  Herbartianer  Flügel  wehrt  nun  in  der  vorlie- 
genden Arbeit  den  Angriff  ab,  weist  nach,  daXs  Külpe  der  HESBARTSchen 
Theorie  nicht  gerecht  geworden  ist  und  wägt  aufs  neue  die  von  Külpb 
verteidigte  Lehre  gegen  die  von  ihm  bekämpfte  ab.    Die  Grundfrage  ist, 


Lüteraturberieht  361 

ob  der  Wille  etwas  Ursprüngliches,  Selbständiges  sei,  wie  Külpe  will, 
oder  etwas  Abgeleitetes,  von  den  Vorstellungen  Bedingtes,  wie  Flügel 
annimmt.  Külpe  hatte  Hbrbart  vorgeworfen,  er  komme  zu  der  letzteren 
Anschauung  nur  aus  metaphysischen  Gründen;  Flügel  weist  nach,  wie 
vielmehr  die  Analyse  des  empirisch  Gegebenen  dahin  führte.  Die  Selbst- 
beobachtung zeigt  nie  einen  Willen  oder  auch  nur  ein  Begehren  ohne 
ein  Begehrtes,  zeigt  das  Begehren  nur  verbunden  mit  anderen  Seelen- 
vorgängen, aber  während  kein  Wille  ohne  Vorstellungen,  existieren  fort- 
während Vorstellungen  ohne  Willen.  Hbbbabts  Auffassung  stimmt  somit 
zur  Erfahrung,  dagegen  weifs  unsere  Erfahnmg  nicht  das  geringste  von 
jenem  abstrakten  Willen,  den  Külpe  sich  „einer  metaphysischen  Theorie 
zuliebe  zurechtmacht."  Gegeben  sind  uns  ja  nur  die  einzelnen  Willens- 
akte; aus  diesen  abstrahiert  Külpe  den  logischen  Allgemeinbegriff  etwa 
des  Begehrens,  und  dana  wird  weiter  von  dem  wesentlichen  Merkmal, 
welches  die  Erfahrung  stets  beim  Begehren  zeigt,  nämlich  von  der  Be- 
ziehung auf  ein  Begehrtes,  abgesehen,  und  so  kommt  endlich  ein  dunkler 
Trieb  heraus,  der  als  reale  Ursache  des  geistigen  Geschehens  gesetzt 
wird.  Andererseits  wird  nun  aber  diesem  ursprünglichsten  Triebe  alles- 
mögliche  von  vornherein  mitgegeben;  er  muDs  Sinnlichkeit  haben,  denn 
er  richtet  sich  nach  den  Wahrnehmungen,  er  hat  Verstand,  denn  er  be- 
folgt seine  Mahnungen,  kurz  der  Wille  wird  zu  einer  vollständigen  Persön- 
lichkeit, in  der  alles  das  schon  vorausgesetzt  wird,  was  erklärt  werden 
sollte.  Flügel  citiert  hier  Ballaüffs  treffendes  Wort:  Alle  die  einzelnen 
gegebenen  Willensakte  auf  einen  nicht  gegebenen,  sondern  zur  Erklärung 
angenommenen  einheitlichen  Willen  zurückführen,  das  ist  nichts  anderes 
als  wenn  die  Griechen  als  Ursache  alles  Streites  in  der  Welt  ein  und 
dasselbe  Wesen,  die  Eris  ansahen. 

Die  wichtigste  Folgerung  aus  der  Lehre  von  dem  persönlichen  Ur- 
wülen  ist  die,  dafs  auf  der  Einheitlichkeit  dieses  Willens  die  Einheit 
des  gesamten  Geisteslebens  beruht;  Flügel  weist  nach,  dafs  auch  hier 
die  Erfahrung  widerspricht.  Der  Wille  ist  nicht  Ursache  des  Ich,  sondern 
das  Ich  ist  Ursache  des  Willens.  Wir  können  vor  allem  dasselbe  wollen 
und  zugleich  nicht  wollen;  der  vernünftige  Wille  ist  gegen  die  niedre 
Begierde  u.  s.  w.  Derartige  Schwankungen  und  innere  Kämpfe  dürften 
nicht  vorkommen,  wenn  es  in  uns  eine  Funktion  gäbe,  die  allen  Willens- 
akten einheitlich  zu  Grunde  läge.  Külpe  meint  schliefslich,  dafs  der 
einzige  psychische  Inhalt,  welcher  nicht  vom  Willen  abhängig  ist,  die 
perzipierten  Emfindungen  seien,  diese  aber  nur  eine  Schattenexistenz 
führen,  nur  den  Stoff  bieten,  den  der  Wille  erst  uns  verwertbar  macht. 
Mit  Recht  erwidert  Flügel,  dafs  diese  »uns'',  für  welche  die  Sinnes- 
empfindungen Schattenexistenz  führen,  nur  völlig  ausgebildete  Köpfe 
sein  können.  Beim  ungebildeten  Menschen,  beim  Kind  und  gar  beim 
Tier  ist  es  ganz  anders,  da  läfst  sich  noch  beobachten,  wie  die  Vor- 
stellungen nach  ihren  eigenen  Gesetzen  sich  verbinden  und  hemmen. 
Der  Zustand  des  ausgebildeten  charaktervollen  Geistes,  dessen  Wille  alle 
inneren  Begnügen  beherrscht,  ist  also  erst  ein  Erzeugnis  allmählicher 
Entwickelung ;  unmöglich  darf  dieses  Letzte  zum  Ersten  gemacht  werden. 
Überdies  deutet  keine  Erfahrung  darauf  hin,  dafs  die  Vorstellungen  aus^ 


362  Litteraturberieht 

einander  fallen  würden,  wenn  sie  nicht  von  einem  Willen  zusammen- 
gehalten würden;  im  Gegenteil  beweisen  die  vielen  Verwechselungen 
und  Verallgemeinerungen,  dafs  die  Vorstellungen  von  Natur  einheitlich 
zusammenfliefsen  und  oft  erst  der  Wille  sie  auseinanderhält. 

Es  läfst  sich  nicht  leugnen,  dafs  die  psychologische  Erfahrung  im 
allgemeinen  für  Flügel  gegen  Külpb  spricht;  nur  darf  diese  Zustimmung 
zur  empirischen  Willensanalyse  nicht  ausgedehnt  werden  auf  die  theo- 
retischen Grundvoraussetzungen,  mit  denen  Hebbart  sie  verknüpft  hat 
und  für  die  nun  auch  Flügel  wieder  eintritt.  Schon  durch  die  Forde- 
rung nach  psycho-physischem  Verständnis  werden  diese  beseitigt,  denn 
darin  täuscht  sich  Flügel:  für  eine  wissenschaftlich  konsequente  Psycho- 
physik  ist  Herbarts  Bealienmetaphysik  genau  so  unfruchtbar  wie  die 
Apperceptionsmetaphysik  von  Külpb. 

Münsterberg  (Freiburg  i.  Br.). 


Bibliographie 


der  psycho-physiologisclieii  Litteratnr  des  Jahres  1869. 


Die  nachfolgende  Zusammenstellung  ist  als  erster  Versuch  natur- 
gemäfs  unvollkommen,  sowohl  in  Bezug  auf  Vollständigkeit  wie  in  Bezug 
auf  Abgprenzung  gegen  die  Nachbargebiete  und  innere  Anordnung.  Da 
wir  für  jedes  Jahr  ein  ähnliches  Verzeichnis  zu  bringen  beabsichtigen, 
so  bitten  wir  diejenigen  Leser,  welche  Veranlassung  haben,  das  gegen- 
wärtige zu  benutzen,  uns  auf  die  ihnen  beim  Gebrauch  entgegentretenden 
Mängel  aufmerksam  machen  zu  wollen. 

Die  Bedaktian. 


Inhaltsübersicht. 


I.  Allgemeines. 

a.  Lebrbttcher.    No.  1—10. 

b.  Seele  und  Leib.    No.  11—29. 

e.  Entwiokelungsgescbichte,  Methode, 
Vencbiedenes.    No.  30—57. 

d.  Tierpsychologie.    No.  58—65. 

e.  Historisches.    Ko.  66—78. 

a.  Anatomie    der    nerröeen     Central - 
Organe. 

a.  Allgemeines.    Ko.  79—80. 

b.  Straktnrelemente.    Ko.  81—86. 

c.  Gehirn.    Ko.  87—118. 

d.  Himnerren.    Ko.  119—186. 

e.  Rttckenmark.    Ko.  137—146. 

f.  Pathologisches.    Ko.  147—159. 

g.  Tiere.    Ko.  160—190. 

Zeitschrift  für  Psychologie. 


m.  Physiologie  der  nerrftsen  Oentral- 
organe. 

a.  AUgemeines.    Ko.  191—208. 

b.  Physiologie  der  Fasern  und  Zellen. 
Ko.  204—227. 

c.  Gehim.  Allgemeines.  Ko.  228—264. 

d.  Gehim.  Specielles:  Gesicht  Ko.  265 
—  277;  Motilität  Ko.  278  —  297; 
Sprache  Ko.  298— 312;  Verschiede- 
nes ,.Ko.  818—831. 

e.  BQckenmark.    Ko.  382-845. 

f.  Blutcirkulatlon  des  Gehirns.  Ko.  346 
—353. 


IV.  Sinnesempflndongen. 

Allgemeines.    Ko.  354—875« 

24 


364 


InhaUsuberMcfU. 


▼.  PliTilologliolieiuidptyolioioglselie 
Optik. 

a.  Allgemeines.    Ho.  876. 

b.  Anatomiflehea.    No.  877—400. 

c.  Akkomodation,  Befraktion  und 
Sehachftrfe.    No.  401— 429. 

d.  Licht-  vnd  Farbenempllndnngen. 
Ho.  430—456. 

c.  Angenbewegonircn  und  binoknlareB 
Sehen.    Ho.  466—460. 

f.  BesiehongenradenftnikeraDBeisen 
(Ermüdung,  Kontraat,  WBBBBSchea 
Oeaeta  etc.).    Ho.  467—474. 

g.  PathologlacheB.    Ho.  476—607. 
h.  Tieraagen.    Ho.  606— 626. 

i.  Apparate.    Mo  627—680. 

VI.  PhyilologlBOlie  und  psychologlielie 
Akuittk. 

a.  Bau  and  Daiatellang  des  Ohres. 
HO.  681-640. 

b.  Schallreize.    Ho.  641—648. 

c.  Ton-  und  Geräoachempflndnngen. 
Ho.  544—664. 

d.  Sonstige  Fnnktionen  des  Ohres. 
Ho.  665-667. 

c.  Pathologisches.    Ho.  668— 666. 

vn.  Die   ttbrigen  ipeolflsclieB   Biiuios- 
empflndungen. 

a.  HantsensibiUtftt    Ho.  666— 678. 

b.  Muskel-  und  Oelenkempflndungen. 
Ho.  674-681. 

c.  Gkruch.    Ho.  682—688. 

d.  Geschmack.    No.  589—698. 

e.  GemeinempAndungen.    Ho.  599. 

vnx.  Wahmolmiiiiig  tob  Banm,  Zolt  und 
Bowognng.    Ho.  600—617. 


IX.  BewunrtMtn  undünbewnlkt— .  Aaf- 
merksamkotfe.  Belilal  Ho.  618— 682. 

X.  U1l1iag111ldAMOOUtlOB.Ho.683— 640. 

XI.  YontoUiiBgm  BBd  YonttlliiBgB- 
komploxo. 

a.  Vorstellungen,  Wahrnehmungen 
und  Illusionen.    Ho.  641—647. 

b.  Sprache.    Ho.  648—656. 

c.  Zeitbestimmungen.    Ho.  657— 664. 

d.  Versdiiedenea.    Ho.  666—690. 

Xn.  GolUao.    Ho.  691—709. 

Xm.  BeWOgOBgOB  BBd  EftBdlBBgeB. 

A.  Muskelkontraktion.  Ho.  710—712. 
b.  Beflexbewegungen.  [Ho.  718—726. 

e.  Instinkt.   Ho.  727—729. 

d.  Wille  und  Willkttrbewegungen. 
Ho.  730—739. 

e.  Ansdrucksbewegnngen.  Hu.  740— 
741. 

f.  Willensfreiheit  und  Sittilchkeit 
Ho.  742—761. 

g.  Pathologisches.    Ho.  762— 771. 

XI7.  Neuro-  HBd  Psychopatliologlo. 

a.  Heuropathologie.    Ho.  772— 788. 

b.  Hypnotismus.    Ho.  789—838. 

c.  Hysterie.    Ho.  889—844. 

d.  Geisteskrankheiten.  1.  Allgemeines 
Ho.  846— 866;  2.SpecieUes  Ho. 867 
—891. 

e.  Kriminalpsychologie.  Ho.  892— 899. 


AfikaBg:    Alphabetisehes  Verseiehnls  der 
Antomamen. 


I.  Allgemeines. 


a.  Lehrbücher. 

1.  Baldwik,  Jambs  Mabk.  Handbook  of  Psychology.  „Senses  and  InteUect." 
New  York,  1889,  Henry  Holt  &  Co.    In-8.  XTTT.  343  S. 

2.  Ballaüf,  Ludw.  Die  Qrundlehren  der  Psychologie  und  ihre  Anwendung 
auf  die  Lehre  von  der  Erkenntnis.  2.  sehr  verm.  Bearb.  der  „Elemente 
der  Psychologie".    Cöthen,  Schnitzes  Verlag.    Gr.  8^  Xu,  364  S. 

3.  Bboffbbio,  A.    Manudie  di  psicologia,    Milano,  Briola.    In-12. 

4.  CoüPLAxo),  W.  C.  2%e  Elemente  of  Mental  and  Moral  Science  as  applied 
to  Teaching.    London,  1889,  Joseph  Hughes.   103  S. 

5.  Hagbkahn,  Geo.  Elemente  der  PhHosopJiie.  III.  Psychologie.  Ein  Leit- 
faden für  akad.  Vorl.,  sowie  zum  Selbstunterr.  5.  durchges.  n.  verm. 
Aufl.    Freiburg  i.  Br.,  Herder.    Gr.  8\  VIH,  207  S. 

6.  Hbbbabts,  Job.  Fbibdb.,  Sämmtliche  Werke.  Herausg.  von  G.  Habtevstbiv. 
2.  Abdr.  7.  Bd.  Inhalt:  Schriften  zur  Psychologie.  3.  Teil.  Kleinere 
Abhandlungen  zur  Psychologie.  Mit  2  Steindr.-Taf.  Hamburg,  Voss . 
Gr.  8^  X,  683  S. 

7.  HoLHBS-FoBBBS.  Know  Thyaelf;  or  Psychology  for  the  People.  Dublin, 
1889,  Hodges,  Figgis  &  Co.    52  S. 

8.  Kants,  Immanübl,  Vorlesungen  iiber  Psychologie.  Mit  einer  Einleitung: 
Kabts  mystische  Weltanschauung.  Herausg.  von  Dr.  Cabl  du  Pbbl. 
Leipzig,  1889.  Günther.    LXIV,  96  S. 

9.  Sbbbati,  Abt.  Bobmibt.  Psychologie,  traduit  de  Pitalien  par  E.  Second. 
Paris,  Perrin.    2  vol. 

10.  Tbighuöllbb,   Gustav.     Neue  Grundlegung   der  Psychologie   und  Logik, 
Herausg.  v.  J.  OhbA.  Breslau,  1889,  Wilhelm  Koebner.  In-8.  XU,  348  S. 

b.  Seele  und  Leib. 

11.  Bobbiot,  DB.    Vame  et  1a  physiologie.  Paris,  1889,  Betaux-Bray.    In-8. 
13.   Chichxibb,  N.    Des  phinom^nes  psycho-physiques  au  point  de  vue  de  la 

thiorie  micanique  de  Vünivers.   Voprosy  filosofii  i  psichologuii,  I.  No.  1. 

13.  CoBBBLius,  C.  S.    Besprechung  von  Dr.  Hack  Tukes  Oeist  und  Körper. 
Zeitschr.  f.  exakte  Philos.,  XYII,  3.    S.  322. 

14.  DuQUBBBOY,   F.    Vunion  de  Väme  et  du  corps;  Les  faits,  qui  la  mani- 
festent   Ann.  de  Philos.  Chr6t.  Nouv.   S6rie  XX,  19—46,  444—468. 

24* 


366  Allgemeines. 

15.  FoBCHHAmixB,  P.  W.  Materie  und  Geist  Kiel,  üniversit&tsbuchh.  Gr.  8^. 
24  S. 

16.  Olabveckb.  Körperliche  und  geistige  Veränderungen  im  weibH^ien  Körper 
nach  künstlichem  Verluste  der  Ovarien  einerseits  und  des  Uterus  andererseits. 
Arch.  f.  QynaekoL,  XXXV,  1.    S.  1. 

17.  HsBZEV,  A.  GruncUinien  einer  allgemeinen  PsychopJiysiologie.  Darwinistische 
Schriften.  Erste  Folge.  Bd.  17.  Leipzig,  1889,  Ernst  Günther.  Gr.  8^ 
n  u.  150  S. 

18.  HoLLAin>BB,  B.  Some  ohservatians  an  ihe  relaüons  beiween  brain-functions 
and  human  character.   Illustr.  Med.  News.  London.  IV.    S.  255. 

19.  Lbuhanv,  Ebkst.  Die  Seelenthätigkeit  in  ihrem  Verhältnis  gu  Blutmnlauf 
und  Atmung,    Philos.  Studien,   1889.   Mit  1  Holzschn.   V,  618—631. 

20.  MiBiLLniB,  L.  Le  cangr^  de  Psychologie  physiologique  de  1889.  Bev. 
philos.   Jahrg.  XIV,  Bd.  28.  S.  539—546. 

21.  MüNSTBBBBBO,  H.  Beumfstssin  uni  Oehim.  Beitr.  z.  ezper.  Psychologie. 
Freibarg  i.  Br.,  1889,  Mohr.    Heft  1,  Einl.   8.1—68. 

22.  —  Gedankenübertragung.    Freibarg  i.  Br.,  1889,  J.  C.  B.  Mohr. 

23.  BiBOT,  Th.  La  psgchologie  physiologique  en  1889.  Bey.  scientif.,  1889. 
n,  6.    177  S. 

24.  BiCBBT,  Ch.  Les  traivaux  du  Congrls  de  Psychologie  physiologique.  Bev. 
scientif.,  1889.  n,  6.  S.  178. 

25.  Sablo,  Fbang.  DE.  Veechia  emtovaFisiopsicohgia.  (Kjdtische  Bemerkung 
über  das  1887  in  dritter  Auflage  erschienene  Werk  des  Prof.  Herrn 
Mabio  Pakizza:  La  Fisiologia  del  sistema  nervosa  e  i  fatti  psidnciy  Biv. 
di  Filos.  Scientif.  Ser.  2».  Vm,  S.  686—696. 

26.  Somacjc,  J.  H.  Geist  oder  Stoff?  Gespräche  über  die  irdische  LebewelL 
Leipzig,  Spohr.    Gr.  8^  VH,  163  S.   2.  Aufl.  VHI,  163  S. 

27.  ScBTOGHBBBAOK,  A.  E.  Materialien  sum  Studium  über  den  Umsaig  von 
N»  und  P.  in  qualitativer  und  quantitativer  Begiehung  unter  dem  Einfluß 
geistiger  ThäOgkeit.    St.  Petersb.  Med.  Wochenschr.,  1889.  No.  3,  S.  25. 

28.  SiOAUD.    Etüde  de  psycho-physiologie.  Paris,  J.  B.  Bailliöre.    Li-^. 

29.  Whitb,  f.  E.  Muscle  and  Mind.  Populär  Science  Monthlyi  XXXV. 
8.  377. 

c.  Entwickelungsgeschichte,  Methode,  Verschiedenes. 

30.  Benini,  V.  De  Tobservation  psychique  interne.  Biv.  ital.  di  filos.  Sept. 
1889  bis  Febr.  1890. 

31.  BoüBBU,  H.,  et  BoBOT,  P.  Variations  de  la  personnaKte.  Paris,  Baüliöre 
et  Fils. 

32.  Braun,  E.  La  Logique  de  VAhsolu,  une  loi  de  Vesprit  humain  et  sa  portie 
phHosophdque.    Paris,  Perrin.   In-12. 

33.  Brat,  Chablbs.  The  Fhilosophy  of  Necessity:  or  Law  in  Mind  as  tu 
Jdatter.  Third  Edition,  revised  and  abridged.  London,  1889,  Long- 
manns, Green  &  Co.    VH,  407  S. 

34.  Carkio,  L.  Die  Menschenseele.  Ein  Beitrag  sur  Analyse  und  Ersiehung 
des  Menschen.    Wien,  Konegen.   Gr.  8*.  118  S. 

35.  PiuJiiMoia),  Hbnbt  M.    Les  lois  de  la  nature  dans  le  monde  spirituel. 


nes.  367 

Traduit  de  l'anglais  par  C.  A.  Sahgbau.   Fischbacher,  1889.  2©  6d.  1  vol. 
In-8.  408  S. 

36.  Fixk,  Oh.  Note  paur  seroir  ä  Vhiatoire  de  Viiat  mental  des  mourants. 
C.  E.  Soc.  de  Biologie,  16.  P6vr.  1889.    S.  108. 

37.  FiBOHBB,  Kabl.  BibHsche  Psychologie,  Biologie  und  Pädagogik,  Gotha, 
Perthes.   In-8. 

38.  Flüosl,  O.  Zur  VöUcerpspchoJogie.  Zeitschr.  f.  exakte  Philos.,  1889. 
XVn,  Heft  2,  158—176. 

39.  Fbibdbioh,  Gbobg.  Die  persönlicJie  Kraft  und  ihre  Bedeutung  fikr  die 
geistige  und  physi8<^  Lebensthätigheit  des  Menschen,  München,  1889. 
Gr.  8«.   26  S. 

40.  GaiiTok,  Fbakcis.  Natural  Inheritance,  London,  1889,  Macmillan  Sc  Co. 
X,  259  S. 

41.  Gaul,  A.  Unser  Leben.  Auf  Grund  neuerer  Forschungen  nach  den  bedin- 
genden Ursachen  unseres  Cha/rakters,  unserer  Gestalt,  Fähigheiten  und  Schick - 
aale  dargestellt    Berlin,  Bentzel.   2.  Aufl.  Gr.  8.  116  S. 

42.  Gbddbs,  Patbioe  and  Thomson,  J.  Abthüb.  Hie  Evolution  of  Sex.  With 
104  Illustrations.    London,  1889,  Walter  Scott.    XVI,  322  S. 

43.  GuTAü,  M.  Education  et  hhreditt.  Etüde  sociologique.  Paris,  1889 
P.  Alcan.    In-8.  V,  804  S. 

44.  Hbtmans,  G.  Erkenntnistheorie  %md  Psychologie.  Philos.  Monatsh.,  XXV, 
50.    28  S. 

45.  Ibeland,  William  W.  Through  the  Ivory  Gate.  Studies  in  Psychology 
and  History.    Edinburgh,  1889,  Bell  and  Bradfute.    VII,  311  S. 

46.  MA]n>BLLi,  A.  Bemard  Peres  et  la  psicologia  dd  infante.  Trevisini, 
Milano,  Borna,  1889.    90  S. 

47.  Obhbn.  Ea^perimentelle  Studien  zur  Individualpsychologie.  Inaug.-Diss. 
Dorpat,  1889.    86  8. 

48.  Pflügbb,  E.  Die  allgemeinen  Lebenserscheimmgen.  (Bektoratsrede.)  Bonn, 
1889. 

49.  Bbich,  Ed.  Gesittung  und  Krankheit  Berlin,  H.  u.  H.  Zeidler.  Gr.  8^. 
m,  110  8. 

50.  Bobbbtt,  E.  ds.  VInconnaissable.  Sa  Meiaphysique.  Sa  Psychologie, 
Paris,  1889,  F.  Alcan.    1  vol.   In-18.   192  8. 

51.  BoMANES,  G.  J.     Origin  of  human  fadulty.   Brain.   XU,  3.  8.  289. 

52.  BoMANES,  Gbobgb  John.  Mental  Evolution  in  Man.  Origin  of  Human 
Faculty.    London,  1889,  Kegan  Paul,  Trench  A  Co.    In-8.  IX,  452  8 . 

53.  8bb6i,  GnrsBPPE.  Le  Degenerazione  umane.  Milano,  1889,  Fratelli  Du- 
molard.    228  8. 

54.  8nTTA,  Hbinbioh.  Diepsyehologisehe  Forschung  und  ihre  Aufgabe  in  der  Gegen- 
wart Akademische  Antrittsrede.  Freiburg  i.  Br.,  1889,  J.  C.  B.  Mohr.  36  8 

55.  Wbismann,  August.  Essays  upon  Heredity  and  kindred  Biological  Pro- 
blems. Authorised  translation,  edited  by  Edwabd  B.  Poulton,  8blmab 
8oBÖNLANi>,  and  Abthub  E.  8hiplbt.  Oxford,  1889,  Clarendon  Press. 
Xn,  455  8. 

56.  WoLF7,  J.  Das  Bewußtsein  und  sein  Objekt  Berlin,  1889,  Mayer  & 
Müller.    620  8. 

57.  WuNDT,  W.    Biologisehe  Probleme.   Philos.  8tudien,  1889.  V,  437—380. 


368  Allgemeines. 

d.  Tierpsychologie. 

58.  Bbbthoüd,  S.  H.  Veeprit  des  oiseaux,  Illustr.  par  Tan'Dargent.  Tours, 
Maine  et  Fils. 

59.  BiNET,  Alfrbd.    The  Psychic  Life  of  Micro- Orgamsms.   Translated  from 
.  the  French  by  Thomas  M'Cobmaok.    With  a  Preface  by  the  Author 

written  especially  for   the   American  Edition.     Chicago,  1889,   The 
Open  Court  Publishing  Company.  XTT,  121  S. 

60.  HoüBSAT,  F.    IjSS  industries  des  cmimaux.    Paris,  1889,  J.  B.  Bailli&re. 

61.  LiTBBOOK,  J.  On  ihe  senses,  InsUncts  and  InteUigenos  of  Ammals,  with 
special  reference  to  Insects,  London,  1889,  Kegan  Paul,  Trench  A  Co* 
(Internat,  wissensch.  Biblioth.,  Bd.  67.  —  Deutsch  u.  d.  T.;  Die  Sinne 
und  das  geistige  Ld)en  der  Tiere,  insbes,  der  Insekten.  Übers,  v.  W. 
Mabschall.    Mit  118  Abbild.   Leipzig,  1889,  Brockhaus. 

62.  PiftBEZ,  J.    Les  abeiUes.    Paris,  1889,  Hachette.  In-16.  348  S. 

63.  BoMANBS,  G.  J.  On  the  mental  facuUies  of  an  anthropitheeus  cahus., 
Nature,  1889.    S.  160. 

64.  TmiBT.  Les  moeurs  de  VhirondeUe  domestica.  (Ejrundo  rustica  Lin.)  Joum. 
de  Gen^ve,  1889.   30  Juillet  k  3  Aoüt. 

65.  Vbbwobv,  M.  Fsycho-Physiologische  Protisten- Studien.  6  lithogr.  Tafeln. 
27  Textabbild.    Jena,  1889,  Fischer.    8^  219  S. 

e.  Historisches. 

66.  AoHELis,  Th8.  Zwr  Würdigung  G.  Th.  Fechners.  Zeitschr.  f. 
Völkerpsychol.  u.  Sprachw.,  1889,  XIX,  Heft  2  u.  3.   164—192. 

67.  BABomjDABiAN,  JoH.  In  wiefern  ist  Leihniz  in  der  Psychologie  ein  Vor- 
gänger H  erb  ort  s.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Psychologie.  Jena, 
Pohle.    Gr.  8«.  51  S. 

68.  Blabc,  Elib.  Traiti  de  phHosophie  scölastique,  tome  27,  Chsmologie  et 
Psychologie.    Paris,  Vic  et  Amat. 

69.  Chaiobbt.  Histoire  de  la  Psychologie  des  Cfrecs,  tome  U,  525  S.  Paris, 
1889,  Hachette. 

70.  DABSABrns,  Elias.  Die  Psychologie  und  Pädagogik  des  PhUarch.  Inaug.- 
Diss.  (Erlangen.)  Griech.    Gotha,  1889,  Perthes. 

71.  KuHLBBBBOK,  LüDwio.  Brunos  Lehre  von  den  Spannungen  der  Seele. 
Sphinx,  März  1889,  VH.   168—178. 

72.  Mabbaoh,  Fb.  Die  Psychologie  des  Firmianus  Lactantius.  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  der  Psychologie.  Inaug.-Diss.  Halle  a.  S.,  Jena,  Dabis. 
Gr.  8^   80  S. 

73.  Papalb,  Vadale.  Dati  psicologid  neUa  dotirina  di  G.-B.  Vioo.  Borna, 
Bocca.    In-8. 

74.  Sibbbox,  H.  Anfänge  der  neueren  Psychologie  in  der  Scholastik.  Zeitschr. 
f.  Philos.,  Bd.  94,  Heft  2. 

75.  —  Zur  Psychologie  der  Scholastik.  Arch.  f.  Gesch.  d.  Philos.,  1889,  IL 
22—29,  180—193,  414—426,  517—526. 

76.  SiMsov,  E.  W.     Der  Begriff  der  Seele  bei  Plato.    Leipzig,  1889. 


Anatomie  der  nervösen  Centraiorgane.  369 

77.  Stout,   G.  f.     Herbart  compared  wiih  English   Psychologists  and  with 
Beneke,    The  Mind,  1889.  vol.  14.  1—26. 

78.  —  The  Psychological  Work  of  HerharU  Disciples.    The  Mind,  1889.  Vol. 
14.    363—368. 


II.  Anatomie  der  nervösen  Oentralorgane. 


a.  Allgemeines. 

79.  EoiNGER,  LuDw.,  Zivölf  Vorlesungen  über  den  Bau  der  nervösen  Centrai- 
organe. Für  Ärzte  und  Studierende.  Leipzig,  F.  C.  W.  Vogel. 
2.  umgearb.  Aufl.  mit  133  Abbüd.    Gr.  8<».   Vm,  164  S. 

80.  ViONAL,  W.  DSveloppements  des  ilhnents  du  systhme  nerveux  dr&trospinal. 
Nerfs  pMpMnques.  Mobile,  Couches  corticales  du  cerveau  et  du  cervelet 
Paris,  1889,  Masson.   Av.  14  pl.  et  9  fig.    Gr.  8^ 

b.   Strukturelemente. 

81.  Gad,  J.  und  Joseph,  M.  Über  die  Beziehungen  der  Nervenfasern  eu  den 
NervenseUen  in  den  Spinal- Ganglien*  Du  Bois-Rbtmonds  Arch.  1889. 
Nr.  3/4.  S.  199. 

82.  His,  WiLHBLic.  Die  Neuröblasten  und  deren  Entst^ung  im  embryonalen 
Mark.  (Aus  „Abhandig.  d.  königl.  s&chs.  Gesellsch.  d.  Wissensch.'^) 
Leipzig,  Hirzel.    Lex.-8.   Mit  4  Taf.   62  S. 

83.  y.  LEKHossiK,  M.  Untersuchungen  über  die  Entwicklung  der  Markscheiden 
und  den  Faserlauf  im  Bückenmark  der  Maus.  Arch.  f..  mikr.  Anat. 
XXXm.   S.  71. 

84.  Lbrebours.  Theories  ricentes  sur  la  siruciure  des  ilSments  nerveux, 
L'Encdphale,  Janr.  Febr.  1889. 

85.  Letdio,  f.  Bemerkungen  zum  Bau  der  Nervenfaser.  Biol.  Centralbl. 
IX,  199—204. 

86.  Rbtzius,  G.  Der  Bau  des  AxeneyUnders  der  Nervenfasern,  Verh.  d. 
Biolog.  Vereins  in  Stockholm.    Bd.  I,  No.  4. 

c.    Gehirn. 

87.  Anderson,  W.  and  Makins,  G.  H.  Experiments  in  cranio-cerebral  tqpo- 
graphy.    The  Journ.  of  Anat.  and  Physiol.    XXIE,  3,  S.  456. 

88.  Bbbr,  B.  Zur  Entwicklung  der  Hemisphären  des  mensehUcJien  Embryo. 
Verh.  d.  K.  K.  zool.-bot.  Ges.  i.  Wien.    XXXIX,  2,  S.  51. 

89.  Beer,  B.  Über  die  Furchen  der  Konvexität  der  Großhirnhemisphäre  des 
menschUehen  Foetus.    Wien.   Med.  Presse.  XXX,  38. 

90.  Bellonci,  G.  et  Stefavi,  A.  Contrihution  ä  Fhistog^ise  de  Vicorce 
dribeUaire.    Arch.  Ital.  de  Biol.  XI,  21—25. 

91.  Boettobb,  A.  Beitrag  zur  Lehre  von  den  c?ironisc?ien  progressiven  Äugenr 
muskeüähmungen  und  zur  feineren  Himanatomie.  Arch.  f.  Psychiatrie, 
XXI,  2,  S.  513. 


370  Ätiatomie  der  nervösen  Centralorgane. 

92.  BoROHERiNi,  A.  Coninbutian  ä  Vhiatohgie  normale  du  eervdet  Arch. 
Ital.  de  Biol.  Xu,  3. 

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Boib-Retmofds  Arch.,  1889,  No.  3/4.    S.  238. 

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del  midoüo  spinale.    Gaz.  med.  Lomb.,  1889,  No.  21.     S.  212. 

339.  Fbbdbbicq,  L.  L'aninUe  eapSrimentaJe  comme  proddi  de  dissociation  des 
propriitis  motrices  et  sensitives  de  la  moeUe  ipinihre.  Comm.  pr^lim. 
Acad.  roy.  de  Belgique;  Cetr.  de  Bull.  3  s6r.,  XVUI,  7,  S.  54. 

340.  Gley,  E.  Proced^  de  destruction  compUte  de  la  moelle  chez  les  mammiferes, 
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347.  DoRTA,  T.  Eiude  critique  et  expMmentcde  sur  la  tempirature  otribraU  k 
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8«.    75  S. 

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physik.-med.  Ges.  z.  Würzburg,  1889,  No.  6.  S.  125.  —  Münch.  med. 
Wochenschr.,  1889,  No.  34.    S.  591. 

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351.  MoBAT,  J.  P.  Becherches  expMmentales  sur  les  nerfs  vasomoteurs  de  la 
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IV.  Binnesempfindiuigen. 


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355.  CouTouz,  L.  Une  consiquence  de  Vintermittence  des  sensations,  Bev. 
scientif.,  1889,  I,  10,  S.  316. 

356.  Fbchkeb,  Gust.  Th.  Elemente  der  Psychophysik.  2.  unveränd.  Aufl., 
m.  Hinweis,  auf  d.  Verf.  spät.  Arb,  u.  e.  chronologisch  geordneten 
Verzeichnis  seiner  sämtl.  Schriften.  2  Teile.  Hrsgb.  v.  W.  Wündt. 
Leipzig  1889,  ßreitkopf  &  Hftrtel.    XVI,  346  u.  XH,  571  S. 

357.  HsNBT,  Ch.  Becherches  psychophysiques :  Le  contraste,  le  rhyihme,  la  me- 
sure,    Bev.  phüos.,  XIV,  Bd.  28,  S.  356—381. 


384  Thysiologiaehe  und  psychologische  Optik. 

358.  Mabchebini,  G.  Uunitä  deile  sensazioni  e  il  senso  taülle.  Biv.  di  Filos . 
Scientif.,  Vm,  Heft  6/7  (1889). 

359.  Mbinono,  A.  über  Begriff  und  Eigenschaften  der  Empfindung.  (Schlafs.) 
Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philosophie,  XTTT,  S.  1—32  (1889). 

360.  Mebkkl,  Julius.  Die  Abhängigkeit  zwischen  Beiz  und  Empfindung.  TL  u. 
ni.  Mit  1  Tafel.  Philos.  Studien,  V,  245—291,  499-557,  1889.  (I  in 
Bd.  IV,  S.  541-595.) 

361.  Mülleb-Lybk,  f.  C.  Psychophysische  Untersuchungen.  Du  Bois-Ebt- 
HONDs  Arch.,  1889.    Suppl.    S.  91. 

362.  MuBANO,  O.  Bicerche  specimentali  suUa  legge  psicofisica  di  Fechner.  Ren- 
diconti  del  B.  Instituto  Lombardo,  Xu,  S.  542. 

363.  Beid,  T.    Intermittent  sensations.    Nature,   1889.     S.  318. 

364.  T ARGHANOFF,  J.  Über  die  galvanischen  Erscheinungen  in  der  Haut  des 
Menschen  bei  Beizungen  der  Sinnesorgane  und  bei  verschiedenen  Formen 
der  psychischen  Thätigkeit  Pflüoebs  Arch.,  XL  VI,  S.  46.  Vergl.  auch 
C.  B.  Soc.  de  BioL,  29.  Juni  1889.     S.  447. 

365.  TüKE,  Hack,  D.  Hallucinaiions  and  the  subjecUve  sensations  of  the  sane. 
Brain,  Jan.  1889.     S.  441. 

366.  TuRNEB,  G.  Lyon.  The  Senses  in  a  Course  of  Psychology.  The  Mind. 
1889.     Vol.  14,  550—553.    Diskussion. 

367.  ÜPHüES,  GoswiN.  Wahrnehmung  und  Empfindung.  Leipzig,  1889,  Duncker 
&  Humblot.     In-8. 

368.  Wähle,  B.  Fragen,  betreffend  Ähnlichkeit  und  Intensität,  Vierteljahrs- 
schr. f.  wiss.  Phüos.,  Xm,  274—288.  (1889.) 


369.  Beaunis.     Des  differents  sens  chez  les  animaux.    Bev.  scientif.,  1889,  I, 
24,  S.  749. 

370.  JoüRDAN,  E.    Les  sens  chez  les  animaux  infhriewrs,    Paris,  1889,  J.  B.. 

Bailli^re  et  fils. 

371.  MoEWBS,  F.    Der  Orientierungssinn  der  Tiere.    Humboldt  1889,  No.  12. 

S.  462. 

372.  Patten,  W.    Segmental  sense  Organs  of  Arthropods.  Joum.  of  MorphoL, 

n,  3,  S.  600. 

373.  Sahasin,  f.  Die  Sinnesorgane  der  CäriUen,  Verh.  d.  Anat.  Ges.,  1889.  S.  95. 

374.  TmKLE,  J.  Die  abdominalen  Sinnesorgane  der  Lamellibranchier.  Zeitschr. 
f.  wissensch.  ZooL,  XLVm,  1,  S.  47. 

375.  Thiele,  J.  Über  Sinnesorgane  der  Seitenlinie  und  das  Nervensystem  v, 
Mollusken,  Zeitschr.  f.  wiss.  Zoologie,  S.  385 — 432.  (Auch  separat 
erschienen.    Leipzig  1890). 


V.  Physiologische  und  psychologische  Optik. 


a.  Allgemeines. 

376.  Helmholtz,  H.  v.  Handbuch  der  physiologischen  Optik.  2.  umgearb 
Aufl.  mit  vielen  in  den  Text  eingedr.  Holzschn.  5,  Liefg.  Hamburg, 
Voss.    Gr.  8^   S.  321-400. 


Physiologische  und  psychologische  Optik.  385 

b.  Anatomisches. 

377.  Alexander,  A.  Über  die  Lymphkapülaren  der  Chorioidea.  His-Braunxs 
Arch.,  1889,  1/2.     S.  117. 

378.  Bebgeb,  E.  Anatomie  normale  et paihologique  de  Toeil.  Paris  1889,  0.  Doin. 

379.  Chiewitz,  J.  H.  Die  Area  centralis  retinae.  Verh.  der  Anat.  Ges., 
1889.     S.  77. 

380.  —  Untersuchungen  über  die  Area  centralis  retinae.  His-Braünes  Arch., 
1889.     Suppl.    S.  139. 

381.  Denibsekko,  G.  Zur  Frage  vom  Bau  der  Augen  der  Knorpelchorioidea, 
Klin.  Monatsbl.  f.  Augenheilk.,  XXVH,  Juli,  S.  260. 

382.  Ddbois,  B.  et  Benaüt,  J.  Sur  la  cotitinuite  de  Vipithelium  pigmenti  de 
la  retine  avec  les  segments  externes  des  cones  et  des  batonets  et  la  valew 
morphologique  de  cette  disposition  chez  les  Vertebris.  Compt.  rend.,  CIX, 
20,  S.  747. 

383.  Gboenoüw,  A.  Wo  liegt  die  vordere  Grenze  des  ophihcümoshopisch  sicht- 
baren Augenhintergrundes.  Gbaefes  Arch.  f.  Ophthalmol.,  XXXY,  3, 
S.  29. 

384.  GüDDEN,  B.  V.  Über  das  Verhältnis  der  Centralgefäfse  des  Auges  zum 
Gesichtsfelde,  v.  G*s  gesam.  hinterl.  Abh.  Herausg.  v.  H.  Gbashey. 
Wiesbaden  1889. 

385.  Hache,  E.  Sur  Vhydloide  et  la  zone  de  Zinn.  Recueil  d'OphthalmoL, 
1889,  No.  7.    S.  386. 

386.  KuHKS.  Histologische  Studien  an  der  menschlichen  Netzhaut.  Jenaische 
Zeitschr.  f.  Naturw.,  N.  F.,  XVII,  1,  S.  177. 

387.  Leboy,  C.  J.  A.  Recherches  sur  Vinfluence  exerde  par  les  muscles  de 
Toeil  sur  la  forme  normale  de  la  comee  humaine.  Arch.  de  Physiol.  (5), 
I,  1/2,  S.  141. 

388.  Naümow.  Zur  Frage  der  Entstehung  des  gelben  Fleckes  der  menscJUichen 
Netzhaut.  St.  Petersb.  med.  Wochenschr.,  1889,  No.  3.  S.  26.  —  Cen- 
tralbl.  f.  prakt.  Augenheilk.,  1889.  S.  178.  —  Arch.  f.  Augenheilk., 
XXI,  1,  S.  114. 

389.  RuMscHEWiTSCH,  C.  über  die  Anastomosen  der  hinteren  Ciliargefäße  mit 
denen  des  Opticus  und  der  Betina.  "Klin.  Monatsbl.  f.  Augenheilk., 
XXVU,  2,  S.41.  —  Rev.  g6n.  d'Ophthalmol.,  m,  7,  S.294.  (französisch). 

390.  ScHiBMEB,  Otto.  Histologische  und  histochemische  Untersuchungen  über 
Kapselnarbe  und  Kapselkatarakt  ne^st  Bemerkungen  übet  das  physiologische 
Wachstum  und  die  Struktur  der  vorderen  Linsenkapsel.  Mit  4  Tafeln. 
Gbabfbs  Arch.  f.  Ophthalmol.,  XXXV,  Abt.  1,  220—270. 

391.  ScHiöTz,  Hj.  Ein  Beitrag  zu  der  Lehre  von  den  Verhaltnissen  der  Augen- 
muskeln.   Archiv  f.  Augenheilk.,  Bd.  XX,  1889. 

392.  ScHLOESSEB.  ÜbcT  die  Lyfnphbahnen  der  Linse.  Münch.  med.  Wochen- 
schr., 1889,  No.  7.  S.  108.  Sitzber.  d.  Ges.  f.  Morph,  u.  Physiol.  in 
München,  IV,  3,  S.  118. 

393.  ScHNELLEB.  Über  Formveränderung  des  Auges  unter  Muskeldruck,  Gbaefes 
Arch.,  XXXV,  1,  S.  76. 

394.  Schön,  W.  Die  Konkavität  des  vordem  Zonulablattes  nach  vom.  Arch. 
f.  Augenheük.,  Bd.  XXI,  1889. 


886  Phyaioloffische  und  psychologische  Optik. 

895.  ScHWABz,  O.  Über  die  Wirkung  des  konstanten  Stromes  auf  das  normale 
Äuge.    Arch.  f.  Psychiatrie  u.  Nervenkrankh.,  XXI,  2,  S.  588. 

396.  Smith,  "P,  On  Ihe  si$e  of  the  comea  in  reJaUon  to  age,  sex,  refracHon  and 
primary  glaucoma.  Brit.  Med.  Journ.,  1889,  No.  1508.  S.  1155.  —  The 
Lancet,  1889,  No.  3456.    S.  1062. 

397.  Staue,  M.  Über  das  Gleichgeicieht  der  Gewebs-  und  Flüssigkeitsspanmmgen 
im  Äuge.  Abschn.  6:  Betrachtung  über  die  Entstehung  der  Kurssichtig' 
keit.    Graefes  Arch.  f.  Ophthalm.,  XXXV,  Abt.  2.  S.  52. 

398.  Thoma,  B.  Über  die  Elasticität  der  Netzhautarterien.  Gbasfes  Arch, 
f.  Ophthalm.,  XXXV,  Abt.  2,  1—28. 

399.  Weiss,  L.  Über  direkte  Messung  des  Neigungswinkels  des  OrbitaJeinganges. 
Arch.  f.  Augenheilk.,  XXI,  1,  S.  1. 

400.  Wildhark,  E.  J.  Über  den  Einfluß  des  Lichtes  auf  die  vorderen  Medien 
des  Auges.    Skandinav.  Arch.  f.  PhysioL,  I,  4  u.  5,  S.  264. 

c.  Akkomodation,  Befraktion  und  Sehschärfe. 

401.  Ahrbns,  B.  und  A.  Neue  Versuche  über  anisomorphe  Akkomodation,  Be- 
Yorwortet  von  W.  v.  Zbbendeb.  £lin.  Monatsbl.  f.  Augenheilk.,  XXVII, 
Aug.    S.  291. 

402.  Base,  A.  N.  Über  das  Verhalten  des  Orbita-Index  bei  den  verschiedenen 
Befraktionszuatänden  vom  10. — 19.  Lebensjahre.  Inaug.-Diss.  München  1889. 

403.  Bajabdi.  DeUa  visione  negU  Ästigmatici.  Ann.  d'Ottalm.,  XVllI,  1—2, 
S.  138. 

404.  BüRHETT,  S.  M.  Lenticular  regulär  astigmatism.  Philad.  Med.  News, 
LV,  11,  S.  279. 

405.  CoHN,  H.  Die  neuesten  Forschungen  über  die  Entstehung  der  Kuntsich- 
tigkeit.    Allg.  med.  Centralztg.,  1889,  No.  56.    S.  1484. 

406.  Hess,  Carl.  Versuche  über  die  angebliche  ungleiche  Akkomodation  bei 
Gesunden  und  Änisometropen.  Graefes  Arch.  f.  Ophthalm.,  XXXV, 
Abt.l,  157—171. 

407.  y.  Hippel.  Über  den  Ein  flu fs  hygienischer  Mafsregeln  auf  die  Schulmyopie, 
Giefsen  1889,  Bicker.    70  S. 

408.  HoQüART.  Physiologie,  anatomie  et  pathologie  de  VappareU  acoomodateur. 
Arch.  d'Ophthalm.,  IX,  4,  S.  358. 

409.  Imbert,  H..  De  Vitat  de  Vaccomodation  de  Voeü  pendant  les  observations 
au  microscope.    Paris  1889,  J.  B.  Bailli^re  et  fils. 

410.  Jouo,  W.  de.  Beitrag  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Myopie.  Diss. 
Freiburg  1889. 

411.  Kbperstbin.  Über  die  Entstehung  der  Kurzsichtigkeit  Berl.  klin. 
Wochenschr.,  1889,  No.  24.    S.  545. 

412.  Kirchner,  M.  Untersuchungen  über  die  Entstehung  der  KurzsichtigieiL 
Zeitschr.  f.  Hygiene,  VH,  3,  8.  397. 

413.  Leroy,  C.  D.  A.  Diplopie  monoculaire.  Compt.  rend.  de  l'acad.  des 
Sciences.,  CVm,  24,  S.  1271. 

414.  MoTAis.    De  Vheridit^  de  la  myopie.    Arch.  d'Ophthalm.,  IX,  4,  S.321. 

415.  NüEL  et  Leplat.  Les  vaisseaux  ritiniens  dans  la  myopie  conginitale.  Ann. 
d'Ocul.,  Gl,  S.  154. 


Fhysioloffische  und  psychologische  OpUk.  387 

416.  Pkbeles,  nacli  Untersuchungen  von  F.  Halsoh  und  H.  Pbbeles« 
Über  die  relative  Akkomodaticnsbreite.  Mit  20  Fig.  i.  Text.  Graefes 
Arch.  f.  Ophthalm.,  XXXV,  Abt.  4,  84—115. 

417.  PiOQüt.  Etüde  experimentdle  sur  les  mouvements  de  la  pupiüe,  Arch. 
d'Ophthalm.,  IX,  5,  S.  469. 

418.  ScHMiDT-RiMPLXB.  Bemerkungen  zu  Stillings  Aufsatz:  Über  Orbital" 
Messungen  bei  verschiedenen  Befraktionen,  Fortschr.  d.  Med.,  VII,  15, 
S.  573. 

419.  —  Noch  einmal  die  Orbital-Messungen  bei  verschiedenen  Befraktionen, 
Fortschr.  d.  Med.,  VH,  20,  S.  769. 

420.  ScHMiDT-ItiHPLEB,  H.  Kurzsichtigkeit  und  AugenhöJUenbau,  Graxfbs 
Arch.  f.  Ophthalm.,  XXXV,  Abt.  1,  200—219. 

421.  —  Zur  Frage  der  Schulmyopie.  Zweiter  Teil.  Mit  4  Fig.  i.  Text. 
Gbabpes  Arch.,  f.  Ophthalm.,  XXXV,   Abt.  4,  249—286. 

422.  Schön,  W.  Eine  Verzerrungserscheinung  am  kurzsichtigen  Auge.  Arch. 
f.  Augenheilk.,  XXI,  1,  S.  103. 

423.  ScHWEioGXB,  C.  Über  Befraktionsbestimmung  durch  die  BeleuchUmgsprobe. 
Arch.  f.  Augenheilk.,  XX,  4,  S.  442. 

424.  SiLEX.  On  ihe  questUm  of  accomodation  of  the  aphakial  eye.  Arch.  of 
Ophthalm.,  Sept.  1889. 

425.  Stilling,  J.  Über  neue  Orbitalmessungen  an  Kurz-  und  Normalsichtigen. 
Fortschr.  d.  Med.,  VII,  17,  S.  647. 

426.  —  Auch  noch  einmal  Myopie  und  Orbitalbau.  Fortschr.  d.  Med.,  VU, 
22,  S.  861.  

427.  LoTz,  Abnold.    Internationale  Sehproibentafel  mit  einfachsten  Zeichen  zur 

Bestimmung  der  Sehschärfe  bei  Nichtlesem  und  Kindern  nach  der  Sn eilen' 

d 
sehen  Formel  V  =^ -^=r-  .  qu.  Fol.  Mit  deutschem  u.  französ.  Text.  Gr.  8, 

&  3  S.    Basel,  Sallmann  &  Bonacker.    In  Mappe. 

428.  NiEDEN,  A.  Schrifttafeln  zur  Bestimmung  der  Sehschärfe  für  die  Feme. 
Neue  Folge,    qu.  Fol.  2  Taf.  mit  1  S.  Text.    Wiesbaden,  Bergmann. 

429.  WoLFPBEBG,  Loüis.  Belieftafßln  zur  Prüfung  der  Sehschärfe,  zur  Kontrolle 
der  Beletichtungsintensität  und  zu  diagnostischen  Zwecken.  Eine  vorläufige 
Mittheilung.    Breslau,  Preuss  &  Jünger.    Gr.  8.  7  S. 

d.  Licht-  und  Farbenempfindungen. 

430.  Anoelücci.  Becherches  sur  la  fonction  visueUe  de  la  riiine  et  du  cerüeau. 
Eec.  d'Ophthalm.    Oct.  —  Nov.  1889. 

431.  Babsevi.  Sulla  sensibiUtä  deUa  periferia  deUa  retina  per  la  huse  e  per  i 
colori  in  occhi  normaU  ed  in  alctmi  casi  patologici.  Ann.  d'Othalm.  XVDI, 
1—2,  S.  41.  —  Arch.  f.  Augenheük.  XXI,  1,  S.  119. 

432.  Bellabminow,  L.  Ueber  intermittierende  Netzhautreizwig,  Gbaefes  Arch. 
f.  Opthalmol.  XXXV,  Abt.  1,  25—49. 

438.  BuBTON,  Ch.  V.  Versuche  über  Farifemoahmehmung  und  über  eine  photo- 
elektrische  Theorie  des  Sehens.  Proc.  of  the  Cambridge  Phil.  Soc. 
VI,  S.  308. 


388  Physiologische  und  paychologiache  OpUk. 

434.  Edbidge-Green,  F.  W.  The  detection  of  colowr  bUndness  from  a  prac- 
tical  point  of  view.    London,  1889,  Balliere,  Tindall  and  Cox. 

435.  Frabnkel.  Farbige  Brillen  für  Farbenblinde.  Klin.  Monatsbl.  f.  Augen- 
heük.  XXVn,  2,  S.  57. 

436.  Green.  Colourblindnes  and  colour  perception,  Ophth.  Bev.,  1889,  April. 
—  Centralbl.  f.  prakt.  Augenheilk.,  1889,  S.  172.  —  Arch.  f.  Augen- 
heük.,  XXI,  1,  S.  119. 

437.  Grossmann,  K.  Zur  Prüfung  auf  Farbetiblindheit  Klin,  Monatsbl.  f. 
Augenheilk.,  1889,  Jan.,  S.  13. 

438.  V.  Helmholtz,  H.  üeber  das  Eigenlicht  der  Netzhaut  Verb.  d.  Pbysik. 
Ges.  zu  Berlin.,  Vn,  13,  S.  85. 

439.  Henry,  Ch.  Cercle  chromatique,  presentant  tous  les  compUments  et  toutes 
les  harmonies  de  couUurs,  avec  une  introduction  sur  la  thiorie  genitale  de 
la  dgnamoghiie,  autrement  dit  du  contraste,  du  rhythme  et  de  la  mesure. 
Paris,  1889.     Gr.  Folio. 

440.  Hering,  Ewald,  üeber  die  Hypothesen  zur  Erklärung  der  peripheren 
Farbenblindheit  Mit  3  Holzscbn.  Graefs  Arcb.  f.  Ophtbalm.,  XXXY, 
Abt.  4,  63—83. 

441.  Hess,  Carl,  über  den  Farbensinn  bei  indirektem  Sehen.  Graefes  Arcb. 
f.  Ophtbalm.,  XXXV,  Abt.  4,  1—62. 

442.  HiLLEBRAND,  F.  über  die  specifische  Helligkeit  der  Farben.  Beiträge  zur 
Psychologie  der  Gesichtsempfindungen,  mit  Vormerkungen  von  L.  Hering. 
Sitzber.  d.  K.  Akad.  d.  Wiss.  i.  Wien,  matb.-naturw.  EH.,  Bd.  XCVm, 
Abt.  in.     S.  70. 

443.  HoLMGREN.  Studien  über  die  elementaren  Farbenempfindungen.  Skandinav. 
Arch.  f.  Physiol.,  I,  1/3,  S.  125. 

444.  KiRSCHMANN,  A.  über  die  Helligkeitsempfindung  im  indirekten  Sehen. 
Mit  7  Holzscbn.    Philos.  Studien,  1889,  V,  447—497. 

445.  Koller.  Ea^erimental  Scotomn  by  pressure  on  the  eyebaU.  Arcb.  of 
Ophtbalm.,  XVII,  2. 

446.  Kkenchel,  0.  Grundzüge  einer  mechanischen  Theorie  der  Lichtempfindung. 
Vierteljabrsscbr.  f.  wiss.  Philos.,  XIII,  2. 

447.  LoMMEL,  E.  Subjektive  Interferenzstreifen  im  objektiven  Spektrum.  "Wiede- 
MANNS  Ann.,  XXXVI,  1889.    S.  729—730. 

448.  LucANXis,  Dr.  C.  Über  die  Schwäche  des  Farbensinnes.  Arch.  f.  Augen- 
heilk.. XXI  Heft  1,  1889.    S.  41-50. 

449.  Norrie,  G.  Waldemar  Kren  ch  eis  Grundzüge  einer  mechanischen  Theorie 
der  Lichtempfindung.  Vierteljabrsscbr.  f.  wiss.  Philos.,  Xm,  1889. 145—159. 

450.  Bampolbi.  Sopra  un  fenomeno  subiettivo  della  visione.  Ann,  di  Ottalm., 
XVin,  6,  S.  487. 

451.  Stilling.  Pseudo-isochromaiische  Tafeln  für  die  Prüfung  des  Farbensinnes. 
Leipzig  1889,  Tbieme. 

452.  Treitel,  Th.  Über  den  Lichtsinn  der  Netzhautperipherie.  Mit  1  Holzscbn. 
Graefes  Arch.  f.  Ophtbalm.,  XXXV,  Abt.  1,  50—75. 

453.  Uhthoff,  W.  Über  die  ünterschiedsempfindlichkeit  des  normalen  Auges 
gegen  die  Farbentöne  im  Spektrum*  Arcb.  f.  Ophthalm, ,  XXXIV,  4, 
S.  1.  —  Du  Bois-Eeymonds  Arcb.,  1889,  No.  1/2.     S.  171. 


Physiologische  und  psychologische  Optik.  389 

454.  AiiBBBTOKX,  PiETBO.  über  Beziehungen  zwischen  Farben  und  Tönen,  Cen- 
tralbl.  f.  Physiol.,  1889.    S.  345—347. 

465.  Bampoldi,  B.  Sui  rapporU  fisiologici  che  esisteno  tragli  apparati  della 
vista  et  delV  udito.    Pavia  1889. 

e.   Augenbewegungen  und  binokulares  Sehen. 

466.  FiCK,  A.  EuQBN.     Über  die  Faktoren  der  SehacJ^enkonvergenz,  Korrespbl 
f.  Schweiz.  Ärzte,  1889,  XIX,  2,  S.  141.    Diskussion.    S.  151. 

457.  Gbasfe,  Alfbed.  Über  die  Einstellung  der  Äugen  bei  Unterbrechung  des 
binokularen  Sehens.  Mit  1  Holzschn.  Gbabfbs  Arch.  f.  Ophthalm., 
XXXV,  Abt.  1,  137—146. 

468.  —  Noch  einmal  „Die  Konvergenz fakforen*' .  Gbabfbs  Arch.  f.  Ophthalm., 
•   XXXV,  Abt.  4,  333—339. 

459.  Landolt,  Edm.  Antwort  auf  obigen  Artikel.  (Siehe  No.  457).  —  Gbabfbs 
Arch.   f.  Ophthalm.,    XXXV,  Abt.  3,  265-272. 

460.  Lawfobd,  J.  B.  Congenital  hereditary  defect  of  ocular  movements.  Trans- 
act.  of  the  ophthalm.  soc,  Vm,  S.  262. 

461.  Bandall,  B.  A.  Simple  tests  of  the  ocular  musdes.  Philad.  Med.  News, 
LV,  10,  S.  263. 

462.  Sbgall,  S.  Contribution  ä  Vetude  de  la  relatiar{  entre  Vadduction  et  Tab- 
duction  des  yeux  en  rapport  avec  la  duree  des  occupations.  Wjestnik. 
Ophthalm.,  Juli-Okt.  1889.  (Bussisch.)  (Besprochen  in  Bev.  gen. 
d'Ophthalm.,  VIH,  11,  S.  487. 


463.  Gbsbn.  Stereoscopic  illusions  provoked  by  the  use  of  unequal  glasses  before 
the  two  eyes.    Ophthalm.  Bev.,  Oct.  1889. 

464.  Hyblop,  J.  H.  On  Some  Facts  of  Binocular  Vision.  The  Mind,  1889. 
Vol.  14,  392—401.    Diskussion. 

465.  Kalt.  Importance  de  la  netteti  des  images  retiniennes  pour  la  conservation 
de  la  Vision  binoculaire.    C.  B.  Soc.  de  BioL,  12.  Okt.  1889.    S.  586. 

466.  Vbnn,  John.  On  Some  Facts  of  Binocular  Vision.  The  Mind,  1889. 
Vol.  14,  251—260. 

Wahrnehmung  von  Baum  und  Bewegung  s.  6(X) — 611. 

f.  Beziehungen  zu  den  äufseren  Beizen  (Ermüdung,  Kontrast, 

WBBEBSches  Gesetz  etc.). 

467.  AxENFELD,  D.  Sur  la  vision  des  couleurs  de  contraste.  Arch.  ital.  de 
BioL,  XI,  1,  S.  81—90.  —  BoU.  della  B.  Acc.  Med.  di  Boma,  XIV,  7. 

468.  Ebbinohaüs,  H.  Über  den  Grund  der  Abweichungen  von  dem  Web  ersehen 
Gesetz  bei  Lichtempfindungen.    Pflügebs  Arch.,  XLV,  S.  113. 

469.  Ebebt,  H.  Bemerkungen  zu  Herrn  Lang  leg s  Aufsatz  „Energy  aTfid 
Vision"*.    WiEDBMANNs  Ann.,  XXXVI,  2,  S.  592.  (Prioritätsreklam.) 

470.  FicK,  A.  E.  und  Gübbbe,  A.  Über  Netzhauterholung.  Ber.  d.  Ophthalm. 
Ges.  in  Heidelberg,  1889.  S.-A. 

471.  König,  A.  und  Bbodhün,  E.  Experimentelle  Untersuchungen  über  die 
psychophysische  Fundamentalformel  in  Bezug  auf  den  Gesichtssinn.  Sitzber. 
d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.,  XXXn,  1889,  S.  641. 


390  Physiologische  und  psychologische  Optik. 

472.  Lanolbt,  J.  P.  Energy  and  Vision,  The  Amer.  Joum.  of  Science  (8), 
XXXVI,  215,  8,  359.  —  Philos.  Mag.  and  Joum.  of  Science,  Jan.  1889, 
S.  1.  —  Ann.  de  Chim.  et  de  Physique,  XVII,  5,  S.  62. 

473.  Sbamüjlow.  Zur  Frage  der  Ermüdung  der  NeUhcmt  durch  verschiedene 
Farben,  St.  Petersb.  med.  Wochenschr.,  1889,  Nr.  3.  —  Arch.  f- 
Augenheilk.,  XXI.,  1,  S.  119.  —  Wjestnik  Ophthalm.,  1889,  Nr.  2. 

474.  Stewart,  G.  N.  Ist  das  Talhotsche  Gesetz  gültig  für  sehr  schnell  inter- 
mittierendes Licht?    Proc.  of  the  Roy.  Sc.  of  Edingburgh,  XV,  127, 

S.  441. 

g.    Pathologisches. 

475.  FüCHS,  Ernst.  Lehrbuch  der  Augenheilkunde.  Mit  168  Holzschn.  Wien, 
Denticke.    Gr.  8^  XH,  798  S. 

476.  Imbbrt,  A.  Les  anomalies  de  la  vision.  Avec  une  iniroduction par  E,  Javal 
Paris,  1889,  Bailli^re  et  fils. 

477.  Möller,  H.  Lehrbuch  der  Augenheilkunde  für  Tierärzte.  Mit  30  Abbild, 
und  2  Farbent.     Stuttgart,  Enke.     Gr.  8°.  VII,  247  S. 

478.  Sattler,  H.  über  die  Beziehungen  des  Sehorgans  zu  den  allgemeinen  Er- 
krankungen des  Organismus,  Med.  Wandervorträge,  Heft  7  u.  8.  Berlin, 
Fischers  med.  Buchhandl.     Gr.  8^ 

479.  Schhidt-Eimplbr.  Augenheilkunde  und  Ophthalmoskopie.  Für  Ärzte  und 
Studierende  bearbeitet,  4.  verb.  Aufl.  mit  169  Abbild,  in  Holzschn.  u. 
1  Farbent.    BerUn,  Wreden.     Gr.  8^  XV,  664  S. 

480.  SizERANNE,  Maurice  de  la.  Les  Aveugles  par  un  Aveugle,  Avec  une  Frifaee 
deM.le  Comte  d^Haussonvüle  de  VAcadimie  Fran^.  Paris,  1889,  Hachette. 
XVIII,  176.  

481.  Babinski.  Migraine  ophthahnique  hystirique.  C.  B.  Soc.  de  Biol.  27  JuiUet 
1889.   S.  547. 

482.  Bbroer,  E.  Die  Sehstörungen  bei  Tabes  dorsalis  und  Versuch  einer  ein- 
heitUchen  Erklärung  des  Symptomenkomplexes  der  Tabes.  Aus  „Arch.  f. 
Augenheilk.".  Mit  24  Holzschn.  Wiesbaden,  Bergmann.  Gr.  8*.  114  S. 

483.  Bbroer,  E.  Recherches  sur  les  troubles  ocuUures  dans  le  tabes  dorsal  et 
essai  d'une  explication  unique  du  complexus  des  sympiomes  dans  le  tabes, 
C.  B.  Soc.  de  Biol.    23  Mars  1889.     S.  225. 

484.  Bruhn,  Chr.  Ein  Fall  von  Verletzung  des  Sehnerven,  Blutung  in  die  OrbOa 
und  Opticusscheide  und  direkter  Zerreifsung  der  Choroidea.  Inaug.-Diss. 
Kiel,  Lipsius  &  Tischer.    Gr.  8^  11  S. 

485.  CoLLiNS,  W.  J.  Gase  of  paralysis  of  sensory  branches  of  right  fifth  nerve, 
with  cataract,  and  without  any  comeal  change,  Transact.  of  the  ophthalm. 
Soc.  Vin,  S.  254. 

486.  DuFOüR,  M.  Sur  la  vision  nulle  dans  rhenUopie.  Bev.  Med.  de  la  Suisse. 
Eom.   rX,  8,  S.  445. 

487.  DüNAN.  Un  nouveau  cos  de  Guerison  d'Aveugle-ni.  Bev.  philos.,  XIV. 
Jahrg ,  Bd.  27,  S.  58—72. 

488.  Falchi,  f.  Über  Karyokinesen  in  der  verumndeten  Betina,  Beiträge  zur 
pathol.  Anatomie,  V,  3,  S.  523. 

489.  Grifpith,  H.  Functional  eye  Symptoms  in  hysteria  and  aXUed  conditions. 
Transact.  of  the  ophthalm.  Soc,  VIII,  S.  292. 


Physiologische  und  psychologische  Optik.  391 

490.  QüAiTA.  Sulla  distinzione  ottahnoscopica  del  pigmento  retinico  e  coroideale 
e  sulla  patogenesi  deW  emeralopia,    Ann.  d'Ottalm.,  XVII,  6,  S.  501. 

491.  HowABD,  B.  P.  Gase  of  bilateral  ophthalmoplegia  externa  and  interna 
associated  with  tabes  dorsaUs,  bulbar  paralgsis;  loss  of  vision  and  hearing, 
Americ.  Joum.  of  the  med.  sc.    März  1889. 

492.  Javal.  Sur  le  ritabUssement  de  la  vision  binoculaire  chez  les  strabiques. 
C.  K.  Soc.  de  BioL,  26  Oot.  1889,  S.  599. 

493.  Ejllt.  Des  aHtrations  oculaires  dans  Vhhniairophie  fadale  progressive, 
C.  B.  Soc.  de  BioL,  23  F6vr.  1889,  S.  151. 

494.  Landebbb,  J.  J.  Sur  les  iroubles  de  la  vue  survenus  ä  la  suite  de  Vobser- 
vaiion  microscopigue,    Compt.  rend.,  CIX,  2,  S.  74. 

495.  LüYS  et  Bacohi.  De  Vexamen  ophihabnoscopique  du  fond  de  Voeil  chez  les 
hypnotiques.  C.  B.  Soc.  de  Biol.,  23  Nov.  1889,  S.  659.  —  Compt.  rend., 
OrX,  21,  S.  772. 

496.  Makbocki,  Fbibdbich.  Ein  FaU  von  CanaHs  Cloqueti  und  Coloboma  nervi 
optici.  Mit  2  Abbild,  im  Texte.  Arch.  f.  Augenheilk.,  XXI,  Heft  1, 
29—40,  1889. 

497.  Maüthkfb,  L.  Die  Lehre  von  den  Äugenmuskeüähmungen.  Wiesbaden, 
Bergmann. 

498.  Mitchell,  S.  Wkib.  Äneurism  of  an  Anomalous  Ärtery  causing  Äntero- 
Posterior  Division  of  the  Chiasm  of  (he  Optio  Nerves,  and  produdng 
Bitemporal  Hemianopsia.  Joum.  of  Nervous  and  Mental  Diseases, 
Jan.  1889. 

499.  MüHLHAüs,  F.  Über  koordinierte  Zwangsstellung  der  Bulbi  bei  Apoplexien 
und  anderen  GeMmerkrankungen.    Diss.    München  1889. 

500.  Natanson,  Alex.  Über  Olaukom  in  aphakischen  Augen,  Inaug.-Diss. 
Dorpat,  Karow.    Gr.  8*.  76  S. 

501.  NiCATi.  Mögen  expMmenUü  de  produxre  le  dicolletnent  de  la  ritine  et  dt- 
ductions  gue  Von  en  peut  tirer  au  point  de  vue  de  la  thiorie  et  du  traite- 
ment,    G.  B.  Soc.  de  Biol.,  7  Dec.  1889,  S.  699. 

502.  Baehlmakk,  C.  Über  die  NetzhautarkulaiiUm  bei  Anämie  nach  chronischen 
Blutungen  und  bei  Chlorose  und  über  ihre  Abhängigkeit  von  der  BluÜfe- 
schaffenheit.    Klin.  Monatsbl.  f.  Augenheilk.,  XXVII,  Dez.,  S.  496. 

603.  ScHÖLXB.  Zur  operativen  Behandlung  und  Heilung  der  NetehautablÖsung, 
Mit  24  in  den  Text  gedr.  Holzschn.,  Zeichngn.  u.  5  Chromolith. 
Berlin,  H.  Peters.    Gr.  8».    98  S. 

504.  XJhthofp,  W.  Untersuchungen  über  die  bei  der  multiplen  Herdsklerose  vor- 
kommenden Augenstörungen.  Arch.  f.  Psychiatrie,  XXI,  S.  55—116, 
303—410.    Auch  Berlin,  Hirschwald.   2  Teile  m.  Tafeln  u.  Holzschn. 

505.  Vetsch.  Über  das  Eotsehen.  Korrespbl.  f.  Schweiz.  Ärzte,  XIX,  19 
S.  583. 

506.  Wbstphal.  Über  Ophihahnoplegia  externa.  Centralbl.  f.  Nervenheilk., 
Xn,  1,  S.  16. 

507.  WiOLESwoBTH,  J.  On  a  connection  between  epUepsy  and  errors  of  ocular 
refraction,    Brain,  Jan.  1889.    S.  468. 

S.  auch  766,  767,  769,  840. 


392  Physiologische  und  psychologische  Optik. 

h.    Tieraugen. 

■ 

508.  Carbiäre,  J.  Über  MoUnskenaugen.  Arch.  f.  mikr.  Anat.,  XXXTTTy 
378  S. 

509.  Chatin,  J.  Contributions  experimentäles  ä  Vetude  de  la  chromatopsie  chee 
les  bairaciensj  les  crustaces  et  les  insectes,    Paris,  Gauthier  &  Villars. 

510.  CiACCio,  G.  V.  Sur  la  forme  et  la  structure  des  facettes  de  la  comee  et 
sur  les  milieiix  refringents  des  yeux  composes  des  Musddis,  Ac.  B.  des 
Sc.  de  Bologne,  20  Avril  1888.  —  Joum.  de  Micrographie,  1899, 
No.  3.     S.80. 

511.  DuvAL,  M.  et  Kalt.  Des  yeuxpinSaux  multiples  chez  Vorvet.  C.  B.  Soc. 
de  Bio!.,  9  F6vr.  1889.     S.  85. 

512.  ExNER,  S.  Bas  NetzhauÜnld  des  Insektenauges.  Wiener  Sitzber.,  XCVm, 
3,  1889,  S.  13.     Bepert.  d.  Physik.,  XXV,  9  u.  10. 

513.  —  Durch  Licht  bedingte  Verschiebungen  des  Pigments  im,  Insektenauge  und 
deren  physiologische  Bedeutung.  Wiener  Sitzber.,  XCVlll,  3, 1889,  S.  143. 
Auch  separat.    Lex-8.   Mit  1  Taf.    9  S.     Wien,  Tempsky  in  Kom. 

514.  FiCK,  A.  E.  über  Lichtwirkungen  auf  die  Netzhaut  des  Frosches.  Ber, 
d.  Ophthalm.  Ges.  in  Heidelberg,  1889.     S.-A. 

515.  Gbiffini,  L.  et  Mabchi6,  G.  Sur  la  reghieration  totale  de  la  ritine  cheg 
les  tritons.    Arch.  ital.  de  Biol.,  XII,  82—89. 

516.  H^RRiCK,  P.  H.  Tlie  development  of  the  Compound  eye  of  Alpheus.  Zool. 
Anz.,  Xn,  303,  S.  164. 

517.  Hess,  Carl.  Beschreibung  des  Auges  von  Talpa  europa^a  und  von  Pro- 
teus anguineus.  A.  d.  Laborat.  v.  Prof.  Sattler  in  Prag.  Gbaefbs 
Arch.,  XXXV,  1. 

518.  Kehnel,  J.  v.  Einfache  Augen  der  Arthropoden  und  Augen  der  Anneliden. 
Sitzber.  d.  Naturf.-Ges.  zu  Dorpat,  VIII,  3,  S.  405. 

519.  Kohl,  C.  Einige  Notizen  über  das  Auge  von  Talpa  europaea  und  Proteus 
anguineus.    Zool.  Anz.,  XII,  No.  312  und  313. 

520.  Krause,  W.  Die  Betina  der  Torpedineen.  Internat.  Monatsschr.  f. 
Anat.  u.  Physiol.,  6,  S.  206. 

521.  NiCATi,  W.  Sur  la  disposition  et  le  fonctionnement  normal  et  paihologique 
d^un  veritable  appareil  glandulaire  dans  Voeü  des  Mamn^ifhres  (^friÜUUum 
des  proces  ciUaires  et  organes  annexes).  Compt.  rend.,  CVlU,  16,  S.  865. 

522.  Platbact,  F.  Becherches  expSrimentales  sur  la  vision  chez  les  Arthropodes 
(V.  partie).  Bull,  de  l'ac.  roy.  des  Sciences  de  Beige,  XVI,  11,  S.  395« 

523.  Bamon  y  Cajal,  S.  ^S^  la  morphologie  et  les  connexions  des  elements  de 
la  retine  des  oiseaux.    Anat.  Anz.,  IV,  S.  111. 

524.  ScHBWLAKOFF,  W.  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Akalephenauges.  Morphol. 
Jahrb.,  XV,  1,  S.  21. 

525.  Tornatola,  S.  Bicerche  süW  occhio  della  Testudine  marina:  commumcazione 
preventiva,     Tip.  del.  Progresse.    Messina  1889. 

526.  Watase,  ^.  On  ihe  structure  and  development  of  the  eyes  of  the  Umulus, 
Johns  Hopkims  Univ.  Circ,  Baltimore  1889.     VIH,  34. 

i.  Apparate. 

527.  Cohk,  H.  Über  Photographieren  des  Auges.  Jahresber.  d.  Schles.  Ges. 
f.  vaterl.  Kultur,  LXVI,  S.  253. 


Physiologische  und  psychologische  Akustik.  393 

528.  Lbboy,  C.  J.  A.     Quelques  perfectionnements  de    Vophthahnomktre  Leroy 
et  Dubois.    Rev.  gen.  d'ophthalm.,  VIII,  3,  S.  111. 

529.  Lümmer,  0.  und  Bbodhun,  E.    Ersatz  des  Photometerfleckes  durch  eine 
rein  optische  Vorrichtung.  Zeitsclir.  f.  Instrumentenkunde,  IX,  2,  S.  41. 

—  Naturw.  Rundsch.,  IV,  7,  S.  81. 

530.  LuMMEB,  0.  und   Brodhün,  E.     Lichtmessung   durch  Schätzung   gleicher 

Helligkeitsunterschiede,  Kontrasiphotometer,    Zeitschr.    f.   Instrum.,    IX, 
12,  S.  461. 


VI.  Physiologische  und  psychologische  Akustik. 


a.  Bau  und  Darstellung  des  Ohres. 

531.  Babth,  A.  Über  die  Darstellung  des  häutigen  Labyrinths,  Ar  ob.  f.  Anat. 
u.  Physiol.    Physiolog.  Abt.  1889,  3  u.  4. 

532.  Bloch,  £.  Das  Ohr  des  Saltomortale- Tänzers,  Zeitscbr.  f.  Obrenbeilk., 
XX,  1. 

533.  HsNNiCKE,  C.  R.  Das  Gehörorgan  der  Vögel.  Monatsscbr.  d.  dtscb, 
Vereins  zum  Scbutze  der  Vogelwelt,  XIV,  19. 

534.  Katz,  L.  über  die  Endigung  des  nervus  Cochleae  im  Cortischen  Organ  mit 
Demonstrationen  von  Präparaten.  Mit  1  Abbild.  Arcb.  f.  Ohrenheilk., 
XXIX,  64—60.  —  Berl.  klin.  Wocbenscbr.,  1889,  Nr.  49,  S.  1078.  — 
Monatsscbr.  f.  Obrenbeilk.,  XXm,  11,  S.  248. 

535.  Löwe,  L.  Über  ein  Verfahren^  GypsabgOsse  vom  Gehörgang  und  Trommel- 
feil  des  Lebenden  zu  gewinnen.     Monatsscbr.   f.    Obrenbeilk.,    XXTTy 

3,  S.  49. 

536.  Netteb.  Des  alterations  de  Voreille  moyenne  chez  les  enfants  en  bas  äge* 
C.  R.  Soc.  de  Biol.,  20  Avril  1889,  S.  305. 

537.  PoLiTZEB,  A.  Die  anatomische  und  histologische  Zergliedemng  des  mensch- 
lichen Gehörorgans  im  normalen  und  kranken  Zustande  für  Anatomen,  Ohren-- 
ärzte  und  Studierende.    Stuttgart,  1889,  F.  Enke.  245  S. 

538.  Sabasin,  P.  Über  das  Gehörorgan  der  ceylonesischen  BlindwuhU.  Ichthyophis 
gkitinosa.  Sitzber.  d.  Ges.  naturf.  Freunde  zu  Berlin,  1889,  Nr.  6,  S.  137. 

539.  SiBBENMANN.  Über  die  Ir^jektion  der  Knochenkanäle  des  Aquäductus 
vestibuli  und  Cochleae  mit  Woodschem  Metall,  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis 
der  Gefäfskanäle  des  knöc?iemen  Labyrinths.  Verb.  d.  Naturf.-Ges.  in 
Basel,  Vni,  8. 

540.  Stedtbbüooe.  Verhalten  der  Beifsnerschen  Membran  bei  intrakrameUer 
Drucksteigerung.    Monatsscbr.  f.  Obrenbeilk.,  XXTTT,  11,  S.  248. 

b.   Scballreize. 

541.  Bezold,  Fb.  Zweiter  Nachtrag  zu  den  Stimmgabeluntersuchungen.  Zeitscbr, 
f.  Obrenbeilk.,  XIX,  3,  S.  212. 

542.  Raps,  A.  Zur  objektiven  Darstellung  der  Schallintensität.  Inaug.-Diss« 
Berlin,  1889.  —  Wisdemamits  Ann.,  XXXVI,  2,  S.  273. 

543.  Wien,  M.    Über  die  Messung  der  Tonstärke.  Wibdemauhs  Ann.,  XXXVI, 

4,  S.  834. 


394  FhysiologiKhe  und  payeholoffische  Äkwttik. 

c.   Ton-  und  Gerftuscbempfindungen. 

544.   Blake,  J.    Über  den  Einflufa  des  Telephongebrauches  auf  das  Hörvermögen. 

Zeitschr.  f.  Ohrenheilk.,  XX,  1,  S.  83. 
645.    Canb,  f.  E.     The  Hearing  of  seamen.    The  Lancet,  13.  April  1889. 

546.  Dbnmkbt,  Hbrhann.  Akustisch-physiologische  Untersuchungen  und  Stufen, 
verwertet  für  die  praktische  Ohrenheilkunde,    Arch.  f.  Ohrenheilk.,  XXIX, 

68—83. 

547.  EiTBLBERG,  A.  Die  sukJekHven  Gehörsempfindungen.  Wien,  1889,  Urban 
&  Schwarzenberg.  —  Auch  Wiener  Klinik,  1889,  Nr.  7. 

548.  Gkllä.  De  Vauditxm  au  miUeu  du  hruit  Etüde  critique  expSrimentaJe. 
Eevue  de  Laryngol.  d'otologie  etc.,  1889,  S.  273. 

549.  Jacobson,  L.   Beiträge  zur  Hörprüfung,   Arch.  f.  Ohrenheilk.,  XXVm, 

26—40. 

560.  LovE,  J.  Kbbe.  The  limits  of  hearing,  Ähstract  of  a  thesis  presented  to 
the  üniversitg  of  Glasgow  far  ihe  degree  of  M.  D.  The  Journ.  of  Anat. 
and  Physiol.,  XXHI.,  2,  S.  336—339. 

561.  Nddbr,  H.  Über  die  Wirkungen  der  Detonation  der  Feuerwaffen  auf  das 
Gehör.    Der  Militärarzt,  1889,  Nr.  14.  ^^ 

562.  Pbbtbb,W.  Über  KombinaOonstöne.  Wiedbmakns  Ann.,  XXXVlii,  1889, 
S.  131—136. 

553.  STBPANDa,  A.  Über  die  kleinste  Energie,  die  notwendig  ist,  um  eine  SchaU- 
empfindung  hervoreurufen.    H  nuovo  Cimentö  (3),  XXIV,  S.  218. 

564.  Wn.DEBicuTH.  Untersuchungen  über  den  Musiksinn  der  Idioten.  AUg. 
Zeitschr.  f.  Psychiatrie,  XLV,  5/6,  S.  574. 

d.   Sonstige  Funktionen  des  Ohres. 

565.  FÄBi,  Ch.  et  Laut,  H.  Note  sur  la  Physiologie  du  paviOon  de  VoreOk. 
Bull,  de  la  Soc.  Anat.  de  Paris,  1889,  Nr.  10,  S.  237. 

566.  Dblaob,  Ives.  La  fonction  non-auditive  de  Voreiüe  mteme.  Rev.  scientif., 
1889,  n,  20,  S.  610. 

567.  Ewald,  J.  Rice.  Zur  Physiologie  der  Bogengänge.  Aus  dem  physich 
Inst.  d.  Univ.  Strafsburg.  —  Pflügbbs  Arch.,  XLIII,  S.319. 

e.   Pathologisches. 

568.  BiKDBB.  Das  Morelsche  Ohr.  Eine  psychiatrisch-anthropologische  Studie. 
Mit  1  Holzschn.  Aus  „Arch.  f.  Psychiatrie".  Berlin,  Hirschwald. 
Gr.  8^    56  S. 

569.  GBADEmoo,  G.  Vorecchio  dei  delinq^ienti.  BoUet.  delle  malattei  deU'or.  etc., 
1889,  Nr.  3. 

660.  —  Das  Ohr  des  Verbrechers.  Arch.  f.  Ohrenheilk.,  XXVIII,  183—190. 
—  Auch  Wiener  klin.  Wochenschr.  1889,  Nr.  37. 

561.  fLiBEBHAifK.  Taubheit  der  Kesselschmiede.  Monatsschr.  f.  Ohrenheilk., 
XXm,  12,  S.  278. 

562.  Hauo,  Büd.  Das  künstliche  Trommelfell  und  die  zu  seinem  Ersätze  vor- 
geschlagenen Methoden.  Eine  otologische  Studie.  München,  Tb.  Acker- 
manns Verl.     Gr.  8«.  43  S. 


Die  übrigen  spedfischen  Sinnesempfindungen.  395 

563.  Katz,  L.  Ein  künstliches  Trommelfell  aus  Celloidin.   Dtsch.  med.  Wochen- 
schr.,  1889,  Nr.  28. 

564.  K1BS8ELBACH.   Die  Hyperäsihesie  des  AcusHcus.   Besprechung  einiger  neuerer 
Arbeiten  iiber  dieselbe.    Monatsschr.  f.  Ohrenheilk.,  XXIH,  1,  S.  1. 

565.  Selms,  Adb.  v.  Zur  Kasuistik  des  Doppelthörens.  Inaug.-Diss.  Berlin,  1889. 

S.  auch  840,  863. 


VII.   Die  übrigen  speciflschen  Sinnesempfindungen. 


a.  Hautsensibilität. 

566.  Babbs,  A.     On  the  disturbances  of  Ihe  tactile  sensory  function  of  the  skin 
in  cases  of  peripher.  Neuritis.   The  Americ.  Journ.  of  the  Med.  Scienc. 

567.  G-ELLB,  M.    A  propos  d^une  Observation  de  perte  de  la  sensibiUti  periphS- 
rigue  Umiite  au  bras.    0.  B.  Soc.  de  Biol.,  20.  Avril  1889.    S.  302. 

568.  Mabohesini,  G.   Vunitä  deUe  sensaeione  e  il  senso  tattile*  Biv.  di  Filosof . 
scientif.,  VITE,  S.  371. 

569.  Battoi^e.    Presenea  di  corpuscoh  di  Pacini  neUe  pareti  deW  aorta  toradca 
deir  uomo.     Giomale  della  B.  Acc.  di  m^d.  d.  Torino,  LI,  12. 

570.  Beboül.    Anesthisie  par  difaut  d'oxyghne  chez  la  grenouiUe.    C.  B.  Soc. 
de  Biol.,  1.  Juin  1889.    S.  390. 

571.  BuKPF.     Sensibilitätsstörungen  und  Ataxie.    Dtsch.  Arch.  f.  klin.  Med., 
XLVI,  S.  35. 

572.  —  Über  einen  Fall  von  Syringomyelie  nebst  Beiträgen  eur   Untersuchung 
der  Sensibilität,    Neurol.  Centralbl.,  VIU,  7  u.  ff. 

573.  ZiEHL,  F.    Zur  Kasuistik  der  partiellen  Empfindungslähmung  peripheren 

Ursprungs  nebst  einigen  Bemerkungen  ü&er  die  Prüfung  des  Temperatur- 

Sinnes  und  über  dessen  Leitungsbahnen.   Dtsch.  med.  Wochenschr.,  1889, 

No.  17.    S.  335. 

S.  auch  839—841. 

b.   Muskel-  und   Gelenkempfindungen. 

574.  Bertrand,  Alexis.    La  Psychologie  de  VEffort  et  les  Doctrines  contem- 
porames.    Paris,  1889,  F  .Alcan.    In-18.    S.  203. 

575.  Brown,  A.  C.     Owr  sensations  of  motion,    Nature,  1889.    S.  449,  Auch 
französisch:  Bev.  Scientif.,  1889,  II,  18,  S.  546. 

576.  FouiLLÄB,  A.    Le  senUment  de  Veffort  et  la  conscience  de  Vaction,    Bev. 
philos.,  XIV,  Bd.  28,  S.  561-582. 

577.  Glet.     Travaux  de  la  commission  du  sens  musculaire.    Compt.  rend.  du 
Congr.  psycho-physiologique.   Le  Progrfes  M6d.,  1889,  No,34.  S.  189. 

578.  GoLDSCHBiDER,  A.     UntcTstichungen  über  den  Muskelsinn.    Du  Bois-Bet- 
UONDs  Arch.,  1889.    S.  369— 502  u.  640.    Suppl.  S.  141— 218. 

579.  —     Über  paradoxe  Widerstandsempfindung.   Centralbl.  f.  Physiol.,  Lit« 
1889,  No.  5,  90  u.  91. 

Zeitschrift  fttr  Psychologie.  26 


396  I^  übrigen  specifischen  Smnesempfitubmgen. 

580.  Müller,  G.  E.  tind  SoHuvAinf,  Fb.  Über  die  psychologischen  Grundlagen 
der  Vergleichung  geJiobener  Gewichte.  Pfluoers  Arch.,  XLV,  S.  37 — 112. 
Auch  sep.  Bonn,  E.  StrauTs. 

581.  ScHAVBB,  K.  Die  Erklärung  der  Bewegungsempfindungen  durch  den 
Muskelsinn.    Inaug.-Diss.    Jena,  1889,  H.  Dabis. 

S.  auch  861. 

c.   Geruch. 

582.  Baümgarten.  Einige  Fäüe  von  Störungen  des  Geruches  und  Geschmackes. 
Pester  med.-chirurg.  Presse,  1889,  No.  9. 

583.  Gbaber,  y.  Über  die  Empfindlichkeit  einiger  Meertiere  gegen  Biechstoffe. 
Biol.  Centralbl.,  Vm,  No.  24.    S.  473. 

584.  Gra.881,  B.  und  Castronovo,  A.  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Cferuchsor- 
ganes  des  Hundes.    Arch.  f.  mikrosk.  Anat.,  XXXIV,  S.  385. 

585.  ZwAARDBMAKBR,  H.  L'olfcuitomHre  double  et  son  emploi  dans  les  recherches 
physiologiques.    Arch.  n^erlandaises  d.  sc.  exp.  et  nat.,  XXTTT,  5,  S.  445. 

586.  —  Kompensation  von  Gerüchen  mittelst  des  Dqppelriechmessers.  Fortschr. 
d.  Med.,  Vn,  19,  S.  721. 

587.  —  Cocai^Änosmie.    Fortschr.  d.  Med.,  VII,  13,  S.481. 

588.  —  La  mesure  des  sensations  olfactives  et  Volfactomeire.  Bev.  scientif., 
1889,  n,  26,  S.  810. 

d.  Geschmack. 

589.  Ottolbnohi,  S.  H  gusto  nei  criminali  in  rapporto  ai  normaU.  Giom.  d. 
r.  Acc.  di  med.  di  Torino  (3),  XXXVII,  S.  218. 

590.  Pope,  F.  Taste  function  of  the  ghssopharyngeai  nerve.  The  Lancet, 
Aug.  1889.    S.  458. 

591.  Pope,  F.  M.  Thrombrosis  of  vertebral  artery  pressing  on  ghsso-phtayngeal 
nerve:  unilateral  loss  of  taste  at  back  of  tongue.  Brit.  Med.  Joum., 
1889,  No.  1508.    S.  1 148. 

592.  TüCKERMANN,  F.  An  undescribed  taste  area  in  Perameles  nasuta.  Anat. 
Anz.,  IV,  13,  S.  411. 

593.  —  On  the  gustatory  Organs  of  Arctomys  monax.  Anat.  Anz.,  IV,  11, 
S.  334. 

594.  TucKERHAKN,  F.  Gustotory  Organs  of  Vulpus  vulgaris.  The  Journ.  of 
Anat.  and  Physiol.,  XXTTT,  2,  S.  201. 

595.  —  The  gustatory  organs  of  Bdideus  ariel.  The  Joum.  of  Anat.  and 
Physiol.,  XXIV,  1,  S.  85. 

596.  — .  Gustatory  Organs  of  the  American  Hare,  Lepus  Americanus.  The  Amer* 
Joum.  of  Science,  1889,  Nr.  226,  S.  277. 

597.  —,0n  the  development  of  the  taste-organs  of  man.  Journ.  of  Anat.  and 
Physiol.,  XXin,  S.  559. 

598.  —  Further  observations  on  the  development  of  the  taste  organs  of  Man. 
The  Joum.  of  Anat.  and  Physiol.,  XXIV,  1,  S.  130. 

e.  Gemeinempfindungen. 

599.  Bbaünis,  H.   Les  sensations  internes.   Paris,  1889,  F.  Alcan.    In-8'.  256  S. 


Wahrnehmung  vati  Baum,  Zeit  und  Bewegung.  397 


Vni.   Wahrnehmung  von  Baum,  Zeit  und  Bewegung. 


600.  AuBEKT.  Die  Orientierung  im  Baume  bei  ruhendem  und  bewegtem  Körper 
und  über  den  Schwindel  Ar  eh.  d.  Ver.  d.  Fr.  d.  Naturg.  in  Mecklenburg, 
XLH,  2,  S.  249. 

601.  AxBNPBLD,  D.  Iniomo  alV  origine  della  nojsione  di  spazio.  Riv.  di  Filos. 
scientif.,  Vm,  S.  349. 

602.  Beblin^E.  über  die  Schätzung  der  Entfernungen  bei  Tieren.  Festschr. 
d.  kgl.  Tierarzn.-Sch.  zu  Stuttgart  z.  25.  Eeg.-Jubil.  Sr.  Maj.  d.  K. 
V.  Württemberg.    Stuttgart,  1889,  59  S. 

603.  Blondbl,  Maurice.  Vagrandissement  des  asires  ä  Vhorizon.  Hev.  philos., 
XIV.  Jahrg.,  Bd.  27,  S.  197—199. 

604.  Dahl,  Fb.  Die  Insekte^,  können  Formen  unterscheiden.  Zooig.  Anz., 
XII,  Nr.  306,  S.  243. 

605.  HiLKEBj  W.  Versuche  über  die  Fähigkeit  der  Schätzung  nach  der  Tiefen- 
dimension  bei  den  verschiedenen  Brechungszuständen  der  Äugen,  bei  Seh- 
Schärfenherabsetzung  und  beim  Fehlen  des  binokularen  Seh -Aktes.  Inaug.- 
Diss.    Marburg,  1889. 

606.  L Note  sur  Facquisition .  de  la  notion  d'espace  ä  propos  d'observaiions 

recemment  faites  par  M.  Dunan,    La  crit.  philos.,  V,  4. 

607.  LoEB,  J.  Untersuchungen  über  die  Orientierung  im  FüMraum  der  Hand 
und  im  BUckraum.    Pflügebs  Arch.,  XLIY,  S.  1. 

608.  Mabtius,  Götz.  Über  die  scheinbare  Gröfse  der  Gegenstände  und  ihre  Be- 
ziehung zur  Gröfse  der  NeizhautbUder.    Philos.  Studien,  V,  601—617, 1889. 

609.  Mümstebbbbo.  Augenmafs.  Beitr.  z.  exper.  Psychologie,  Heft  2,  S. 
125—181.    Freiburg  i.  B.,  1889,  Mohr. 

610.  —  Baumsinn  des  Ohres.  Beitr.  z.  exper.  Psychologie,  Heft  2,  S.  182 
—234.    Freiburg  i.  B.,  1889,  Mohr. 

611.  RivE,  L.  de  LA.  Sur  la  ghikse  de  la  notion  d^espace.  Bev.  philos.,  XIV. 
Jahrg.,  Bd.  27,  S.  452—462. 


612.  Beevob.  On  apparent  movements  of  dbjects  associated  wiih  giddiness.  Oph- 
thalm.  Review,  Juli  1889.  —  Centralbl.  f.  prakt.  Augenheilk.,  XTTI, 
10,  S.  299.  —  Rev.  g6n.  d'Ophthalm.,  VIH,  11,  S.  487. 

613.  Ejneb,  Mich.  Experimentelle  Studien  über  den  Zeitsinn,  Inaug.-Diss. 
Dorpat  1889,  47  S. 

614.  KAWCznrsKi,  Maximilibn.  Essai  comparatif  sur  Vorigine  et  Vhistoire  des 
rythmes,    Paris,  1889,  E.  Bouillon,  220  S. 

615.  Lanoley,  S.  P.  On  ihe  Observation  of  sudden  phenomena,  The  Amer. 
Joum.  of  Science,  XXXVm,  Aug.  1889,  S.  93. 

616.  Münstebbebo,  H.  Zeitsinn.  Beitr.  z.  exper.  Psychologie,  Heft  2,  S. 
1—68.    Freiburg  i.  B,  1889,  Mohr. 

617.  ScHiscHVANOW,  IwAN.  Untersuchungen  über  die  Empfindlichkeit  des  Inter- 
vallsinnes.    Phüos.  Studien,  V,  558—600,  1889. 


26* 


398  Bewufstsem  und  ünbewufsUs.  —  Übung  und  Association. 


EE.  Bewußtsein  und  ünbewa&tes.    AnflnerkMmkeit.    Schlaf. 


618.  Bechterew,  W.  Das  Bewufstsein  und  seine  Grenzen.  Centralbl.  f. 
Nervenheilk.,  Xu,  7. 

619.  Bebtels,  A.  Versuche  über  die  Ablenkung  der  Aufmerks&mkeit.  Inaug- 
Diss.  Dorpat,  1889,  Karow.     72  S. 

620.  Binet,  A.  Becherches  sur  les  alterations  de  la  conscience  chee  les  hystt- 
riques.    Eev.  philos.,  XIV.  Jahrg.,  Bd.  27,  S.  135—170. 

621.  BROWK-StqtTARD.  Le  sommeU  normal,  comme  le  sommeil  hypnoUque  est  le 
rSsultat  d^une  Inhibition  de  Vactivit^  vntellectuelle.  Arch.  de  Physiol.  (5), 
I,  1/2,  S.  333. 

622.  Dandolo,  G.  La  conoscienza  nel  sonno:  studio  di  Psicologia.  Padova, 
1889,  A.  Draghi. 

623.  Dessoir,  M.  Das  Doppel-Ich.  Schrift,  d.  Ges.  f.  experim.  Psychol., 
Mai  1889.    Berlin,  C.  Siegismund.    In-8^ 

624.  GouLD.  Dreams,  Sleep,  and  Consciousness.  Reprint  from  „The  Open 
Court"  of  Jan.  24.  a.  31.  1889. 

625.  Heerwaoen,  Friedrich.  Statistische  Untersuchungen  über  Träumen  und 
Schlaf.  Mit  1  Holzschn.  u.  1  Tafel.  Philos.  Studien,  V,  Heft  2, 
301—320.    1888. 

626.  Hericoürt,  J.  L*activ%U  inconsciente  de  Vesprit.  Ber.  scientif.,  1889, 11, 
9,  S.  257. 

627.  Löwenfbld.  Über  hysterische  Schlafzustände.  Münch.  med.  Wochenschr., 
1889,  No.  52.    S.  922. 

628.  Marchesivi,  G.  Consdo  ed  inconscio.  Biv.  di  Filos.  Scient.,  Ser.  2a, 
Vm,  11,  S.  641—650. 

629.  Marillieb,  L.  Bemarques  sur  le  micanisme  de  Vattention.  Rev.  philos., 
XrV.    Bd.  27,  S.  666—587. 

630.  Münsterbkro,  H.  Schwankungen  der  Aufmerksamkeit  Beitr.  z.  experim. 
Psychol.,  Heft  2,  S.  69—124.    Preiburg  i.  Br.,  1889,  Mohr. 

631.  RiBOT,  Th.    Psychologie  de  Fattention.    Paris,  1889,  F.  Alcan.    180  S.  Sf^. 

632.  TsoHiscH,  F.  W.  Über  den  Umfang  des  Bewufstseins  bei  Gesunden  tmd 
Geisteskranken.    Russ.  Arch.  f.  Psychol.,  X,  1--3. 

Hypnotismus  s.  789—838. 


X.  Übanf  und  ABsociation. 


633.  Ardioö,  R.     La  sfarzo  associativo  e  la  dinannica  mentale.   Riy.  di  Filos. 
scientif.,  Vm,  2,  S.65. 

634.  Bernhedi.    De  tamntsie  rHroacUve  dans  le  sommeU  provogue.    Rev.  de 
rhypnot.  et  psychol.  physiol.,  IV,  12. 

635.  Bullen,  J.    A  case  of  Amnesia  with  post-mortem  appearances.    Brain, 
Jan.  1889.    S.  514. 


Vorsteüungen  und  VorsteUungshompkxe.  399 

636.  BuRVHAM,  W.  H.    Memory,  JSistoricäUy  and  ExpenmentaUy  Cansidered. 
Amer.  Joum.  of  Psycho!.,   n,  39—90,  225—270,  431-~464,  568—622. 

637.  HöFFDiXG,  H.*  Über  Wiedererkennen,  Association  und  psychische  ÄkHmtät, 
Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philos.,  XTTT,  420—458.    (1889.) 

638.  KoRSAKOFF.    Sur  une  forme  des  maladies  de  la  memoire.    Bey.  philos., 
XIV.    Bd.  28,  S.  501—530. 

639.  Lanob,  Kabl.     Über  Äpperception,    Dritte  Aufl.   Plauen,  1889,  F.  E. 
Neupert. 

640.  ScHUMANir,  F.    Über  Kontrasterscheinungen  infolge  von  Einstdkmgen.   Eine 

vorl&uflge  Mitteilung.    Nachr.  y.  d.  kgl.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Göttingen, 

1889,  No.  20.    5  S. 

S.  auch  880. 


ZI.  Vorstellnngen  und  VorBtellnngskompleze. 


a.   Vorstellungen,  Wahrnehmungen  und  Illusionen. 

641.  Ekoch,  W.  Der  Begriff  der  Wahmehmwng:  Eine  Studie  zur  Psychologie 
und  Erkenntnistheorie.    In-8.    Hamhurg,  Carly. 

642.  Glet,  E.  EiJcpSrience  relative  au  pouvoir  moteur  des  images  ou  reprisen- 
taUons  mentales,    Bey.  philos.,  XIV,  Bd.  27,  S.  539—542. 

643.  HoppK,  J.  Erhläßrung  der  8innestäus<hungen  (HaUucinationen  und  Bhh 
sionen  edier  fünf  Sinne)  hei  Gesunden  und  Kranken.  Würzburg,  A.  Stuber. 

644.  Laqüedb.  Über  eine  eigentümUche  Art  von  Gesichtswakmehmungen,  Cen- 
tralbl.  f.  d.  med.  Wiss.,  No.  42,  14.  Oktober  1889. 

645.  MüllbbtLtsb,  F.  C.  Optische  Sinnestäusokungen.  Dd  Bois-Bbthonss 
Arch.,  1889.    Suppl.   S.  263. 

646.  Olzklt-Nswiv,  Anvoir.  Über  Phantasie 'Vorstellungen.  Graz,  1889, 
Leuschner  &  Lubeneky.    130  S. 

647.  PiLLON,  F.    Les  iüusions  des  sens  et  de  Vesprit.  La  crit.  philos.,  V,  4. 

S.  auch  861,  863,  865. 

b.    Sprache. 

648.  Ballbt,  Gilbsbt.  Die  innerliche  Sprache  und  die  verschiedenen  Formen 
der  Aphasie.  Autoris.  Übers,  y.  Dr.  Paul  Bongbbs.  Leipzig  und 
Wien,  1889,  Franz  Deuticke. 

649.  Bbbxhav,  O.  Über  Störungen  der  SpracJiC  und  Schriftsprache.  Für  Ärzte 
und  Lehrer  dargestellt.  Mit  Holzschn.  u.  2  Taf.  Gr.  S\  VII,  89  S. 
Berlin,  Hirsch wald. 

660.  Gaguillot,  L.  et  Laj>bbit  bb  lb  ÜHABBiiBB.  Comment  on  fait  parier  les 
sourds^muet    Paris,  1889,  G.  Masson. 

651.  Hbidsibk,  J.  Der  Taubsiumme  und  seine  Sprache.  Erneute  Unter* 
suchungen  über  das  methodologische  Fundamentalprinzip  der  Taub> 
Stummenbildung.    Breslau,  1889,  M.  Woywod. 

652.  Klbibpaul,  Budolf.  Sprache  ohne  Worte.  Leipzig,  W.  Friedrich.  VUE. 
456  S. 


400  Vorstellungen  und  Vorstellungskomplexe. 

653.  Mabty,  A.  über  Sprachreflex,  Nativismus  und  absichtliche  Sprachbildung. 
(IV.  u.  V.  Artikel.)  Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philos.,  XTTT,  S.  195—220, 
304—344.    (1889.) 

654.  PoLLE,  Fbiedbich.  Wie  denkt  das  Volk  über  die  Sprache?  Leipzig,  1889, 
Teubner. 

655.  Beonaüd,  Paxtl.  VivoluUon  phonetique  dulangage.  Rev.  philos.,  Bd.  27, 
S.  262—272. 

656.  Stefan,  B.  H.     Sur  un  cos  de  mutisme  hystSrigue.    Bev.  de  M6d. ,  IK, 

9,  S.  794. 

Aphasie  298—312. 

S.  ferner  770,  859,  881. 

c.    Zeitbestimmungen. 

657.  DuMBEiOHEB,  O.  Zur  Messung  der  Beaktionszeit.  Inaug.-Diss.  Strafs- 
burg,  1889. 

658.  F£r£,  Ch.  Note  sur  le  temps  de  la  reacUon  chez  les  hystSriques  et  chez 
les  ipileptiques.    0.  B.  Soc.  de  Biologie,  2.  F6vr.  1889.    S.  67. 

659.  Frigke,  Kabl.  Über  psychische  Zeitmessung.  Biol.  Centralbl. ,  Vm, 
S.  673—690;  IX,  S.  234—256,  437-448.  467—479. 

660.  Landereb,  J.  J.  Sur  Vequation  personneUe.  Compt.  rend. ,  CVm,  5, 
S.  219. 

66L  B^MOKD,  A.  Becherches  explrimentales  sur  la  duree  des  actes  psyehiques 
les  plus  simples  et  sur  la  vitesse  des  courants  nerveux  ä  Vttat  normal  et  ä 
Titat  pathohgique.    1  vol.  In-8®.   140  S.    Paris,  O.  Doin. 

662.  Sanford,  E.  C.  Personal  Equotion.  Amer.  Journ.  of  PsychoL,  11, 
S.  3—38,  271—298,  403-430. 

663.  Walitzky,  Marie.  Contribution  ä  Vitude  des  mensurations  psychomltriqu€s 
chez  les  aUSnes,    Bev.  philos.,  XIV,  Bd.  28,  S.  582—595. 

664.  Wislicenüs,  W.  F.    Untersuchungen  über  den  absoluten  persönlidien  Fehle 
bei  Durchgangsbeobachtungen.    Leipzig,  W.  Engelmann. 

S.  auch  730. 

d.    Verschiedenes. 

665.  Ardio6,  B.  La  science  expirmentale  de  la  pensee.  Bev.  scientif.,  1889, 
I,  17,  S.  514. 

666.  BiNET,  A.  La  vision  mentale.  Bev.  philos.,  XIV.  Jahrg.,  Bd.  27, 
S.  337—374. 

667.  BüRNHAM,  Wm.  H.  Economy  in  Intellectual  Work.  Scribners  Maga- 
zine, März  1889. 

668.  Canb,  f.  E.  The  physiology  of  dreams.  The  Lancet,  1889,  No.  3461. 
S.  1330. 

669.  Cellarier,  F.   Eiudes  sur  la  raison.   Paris,  1889,  F.  Alcan,  275  S.   12«. 

670.  Crichton-Browke,  J.  The  hygienic  use  of  imagination,  The  Brit.  Med. 
Journ.,  1889,  No.  1495.    S.  399.  —  The  Lancet,  1889,  No.  3443.  S.  358. 

671.  Galton,  Fr.  BecJierches  sur  la  faiigt*e  mentale.  Bev.  Scientif.,  Jan. 
26,  1889,  I,  7.     S.  98. 


Vorstellungen  und  Voratdlungskomplexe,  401 

672.  Hoppe.  Die  Verbindungen  der  Vorstellungen  nach  Professor  Wundts 
Kritik  und  die  in  der  Psychologie  tüiedergefundene  Seele.  Allg.  Zeitschr. 
f.  Psychiatrie,  XL  VI,  S.  119—125. 

673.  d'Istbia,  Fb.  Colonna,  Le  genie  et  les  mStamorphoses  de  la  folie.  Bev. 
philos.,  XIV,  Bd.  27,  S.  385—392. 

674.  James,  William.  The  Psychologie  of  BeUef-  The  Mind,  vol.  14,  S.  321 
—352.    1889. 

675.  Janet,  P.  L^automatisme  psychohgique.  Essai  de  psychologie  exp6ri- 
mentale  sur  les  formes  int6rieures  de  TactivitS  hmnaine.  Paris,  1889, 
F.  Alcan.    X  Vol.   In-8^    496  S. 

676.  Kerry,  B.  Über  Anschauung  und  ihre  psychische  Verarbeitung,  (5.  u.  6. 
Artikel.)  Vierte Jjahrsschr.  f.  wiss.  Philos.,  S.  XTTT,  71—124,  392—419. 
(1889.) 

« 

677.  Leter,  L.   VinielUgence  des  carbeaux.  Bev.  scientif.,  1889,1,12.8.380. 

678.  MiLLEs,  Q-.  Edle  de  Vobjet  et  du  sujet  dans  les  iMories  grecques  de  la 
connaissance.    La  crit.  philos.,  V,  No.  2. 

679.  MiNOT,  C.  S.  Second  Beport  on  Experimental  Psychohgy:  upon  the  Dia- 
gram  Tests,  Beprint  from  Vol.  I,  No.  4.  —  Proceedings,  Amer.  Soc. 
for  Psychol.  Besearch,  1889. 

680.  MoNTOOMERT,  Edmund.  Mental  Activity,  The  Mind,  Vol.  S.  14,  488—510. 
1889. 

681.  Münsterberg,  H.  WiUkürUche  und  unwilUcürUcJie  VorsteUungsverbin- 
düng.  Beitr.  z.  experim.  Psychologie,  Heft  1,  S.  64—188.  Frei- 
burg L  Br.,  1889,  Mohr. 

682.  Paulhan,  Fr.  VActiviU  Mentale  et  les  ElSments  de  VEsprit.  Paris,  1889, 
F.  Alcan.    588  S. 

683.  BiCHET,  Ch.     Le  ginie  et  la  folie.    Bev.  scientif.,  1889,  I,  3.    S.  83. 

684.  Bieger,  C.  Beschreibung  der  InieUigenjsstörungen  infolge  einer  Bmwer- 
leteung  nebst  einem  Entumrf  eu  einer  allgemein  anwendbaren  Methode 
der  InteUigenzprüfung.  Verh.  d.  Würzbnrg.  phys.-med.  Ges.,  n.  F., 
XXn  u.  XXTTT,  126  S.    Auch  sep.    Wtirzburg,  Stahel. 

685.  BoYCE,  JosiAH.  Beport  of  the  Committee  on  Phantasma  and  I^esentiments. 
Proc.  Amer.  Soc.  for  Psychical  Besearch,  Vol.  I,  No.  4.   März  1889. 

686.  ScHMiDKUNz,  H.  Analytische  und  synthetische  Phantasie.  Halle  a.  d.  S. 
1889,  Stricker. 

687.  ScRYMoouR,  E.  P.  Perception  and  ConcepUon ;  and  Cause  and  Personality, 
London,  1889,  Harrison  a.  Sons.    32  S. 

688.  ÜPHUE8,  GoswiN  K.  Über  die  Erinnerung.  Leipzig,  1889,  Duncker 
&  Humblot.    In-8^    Xu.  100  S. 

689.  Weddinobn,  A.  y.  Les  bases  de  Vöbjecümti  de  la  connaissance  dans  le 
domaine  de  la  spontanSiti  et  de  la  rSflexion.    Bruxelles,   Hayez.    In-8. 

690.  Witte,  J.  Die  simultane  Apprehemion  bei  Kant  Zeitschr.  f.  Philos., 
Bd.  94,  Heft  1. 


402  QefükU. 


xn.  OeflLhle. 


691.  BiVET,  A.  ContribuHon  a  TiUnde  de  la  doukur  chez  lea  hysthiques.  Hey. 
philos.,  XrV.  Jahrg.,  Bd.  28,  S.  169—174. 

692.  Collier,  W.  The  comparcUive  insenaibiUty  of  ammdle  to  pam.  Nineteentli 
Cent.  N.  Y.,  1889.    S.  622. 

693.  Ykst^  Ch.  La  pression  artSrieüe  dans  les  paroxysmes  ipileptiques  et  dans 
la  coUre,    C.  B.  Soc.  de  Biol.,  25.  Mai  1889.    S.  368. 

694.  FoTHBBOiLL,  J.  MiLLNEB.  The  Moods  of  the  Sane.  Alienist  and  Nen- 
rologist,  April  1889. 

695.  Q-üYAü,  M.    Vart  au  point  de  vue  eociologique,    Paris  1889. 

696.  Hanau,  C.  Del  Hso  e  del  eonriso.  Biv.  di  Filos.  Scientif.,  Vm,  Heft  8. 
(1889.) 

697.  KöBTLiK,  K.    Prolegomena  gur  ÄeihetA.    Tübingen  1889. 

698.  Lipps,  Th.  Bemerkungen  gwr  Theorie  der  Gefühle*  Vierteljahrsschr.  f. 
wiss.  PhUos.,  XTTT,  1889.    S.  160—194. 

699.  —  Psychologie  der  Komik.  (III— V).  Philos.  Monatsh.,  XXV,  S.28— 60. 
129—160,  284—307,  408—432. 

700.  LuYS,  J.  Les  imoUons  dans  Vetai  d'Jtypnotisme.  Paris,  J.B.  Baill^re.  In-12. 

701.  Maktega^za,  P.  Die  Physiologie  des  Hasses,  Übers,  v.  B.  Tbüschner. 
Jena,  1889,  H.  Costenoble. 

702.  Masoi,  Filifpo.    Psieologia  del  Comico.    Memoria  letta  off  Äcademia  äi 
Sdenee  MoraM  e  PoUUche  deUa  Societä  Beale  di  NapoU.   Napoli,  Tipo 
grafia  delle  Begia  UniversitÄ,  1889.    80  S. 

703.  Mosao,  A.   Die  Furcht.   Übers,  v.  W.  Finger.  Leipzig,  1889,  S.  HirzeL 

704.  Nauntn,  B.  Über  die  Auslösung  von  Sehmereempfindung  durch  Summaiion 
sich  seiiUch  folgender  sensibler  Erregungen;  ein  Beitrag  gwr  Physiologie  des 
Schmerzes,    Arch.  f.  experim.  Pathol.  u.  Pharmat.,  XXV,  3/4,  S.  272. 

705.  SouRiAu,  P.  Vesthitique  du  mouoement.  Paris,  1889,  Alcan.  In-^.  331  8. 
Daraus 

706.  —  Le  pkUsir  du  mouoement    Bey.  scientif.,  1889,  I.    S.  365. 


707.  Benard,  Ch.    L'esihiiigue  d'Äristote  et  de  ses  suecesseurs.    Paris,   1889^ 
Picard  A  Alcan.    386  S. 

708.  BoBTscHBw,  Nicola.    Die   Gefühlslehre  von  Kant  bis  auf  unsere  Zeit 
Dissert.    Leipzig,  Osw.  Mutze. 

709.  Lipps,  Th.    ÄsOietischer  Litteraturberieht  Philosoph.  Monatsh.,  XXVI» 
S.  17—42,  169-201,  323—346. 


Bewegungen  und  Handlungen.  403 


Xin.  Bewegungen  und  Handlungen. 


a.  Muskelkontraktion. 

710.  BsAüNis,  H.  Becherchea  physiologiques  sur  la  contraction  eumdtanie  des 
muades  antagonietea.    Arch.  de  Physiol.  (5),  I,  1/2,  S.  55. 

711.  Müller,  G.  E.  Die  Theorie  der  Muskelkontraktion.  Vorläufige  Mit- 
teilung. Nachr.  d.  K5nigl.  Ges.  d.  Wies.  u.  d.  Georgs-Aug.-Univ.  z. 
Göttingen,  No.  7,  1889.    S.  132—179. 

712.  Pbtebson,  Fredebigk.  A  Contribution  to  ihe  Study  of  Muscular  Tremor» 
Beprint  from  Joum.  Nerv,  and  Ment.  Diseases,  Febr.  1889. 

b.  Reflexbewegungen. 

713.  Benedikt,  M.  Einige  qualitative  Varietäten  des  KniepTUinomens.  Neurol. 
Oentralbl.,  Vm,  17  u.  19. 

714.  Cebga,  G.  Vaction  riflexe  et  la  conscience.  Bassegna  Critica,  März- 
Juni  1889. 

715.  Feilghenfeld,  W.  über  einige  von  der  Oberfläche  der  Conjunetiva  und 
Cornea  ausgeloste  Beflexe.  Klin.  Monatsbl.  f.  Augenheilk.,  Jan.  1889,  No.  8. 

716.  Ftni,  Ch.  Notes  sur  les  reflexes  tendineux  du  genou  et  enparticuUer  sur 
la  contraction  riflexe  successive.  C.  E.  Soc.  de  Biol. ,  27.  Juillet  1889. 
S.  530. 

717.  Herzog,  Josef.  Ein  Beitrag  zur  Lehre  über  Ohrreflexe,  bedingt  durch 
Ansammlung  von  Cerumen  im  äufseren  Gehörgang.  Monatsschr.  f.  Ohren- 
heilk.,  1889.    No.  5. 

718.  Herzog.  Beiträge  zur  Lehre  iüber  Ohrreflexe.  Monatsschr.  f.  Ohren- 
heük.,  1889,  No.  5. 

719.  Lombard,  W.  P.  Die  Variationen  des  normalen  Kniestofses  (Kni^häno- 
mens)  und  deren  Verhältnis  zur  Thätigkeit  des  Centralnervensystems.  Du 
Bois-Retmonds  Arch.,  1889.    Suppl.    S.  292. 

720.  —  On  the  Nature  of  the  knee-jerk.  Beprint  from  the  Joum.  of  Phy- 
siology,  Vol.  X,  Nos.  1  u.  2. 

721.  Magnus,  H.  Die  Entstehung  der  reflektorischen  Fupülenbewegungen.  Für 
den  akademischen  und  Selbstunterricht.  Farbige  Tafeln  (in  Fol.) 
und  Text.    Breslau,  1889,  Kern.   8.  20  S. 

722.  Mendel.  Über  reflektorische  PupiUenstarre.  Berl.  klin.  Wochenschr., 
1889,  No.  47.  S.  1029.  —  Dtsch.  med.  Wochenschr.,  1889,  No.  47. 
S.  957. 

723.  Bosenbach,  O.  Über  Empfindungen  und  Befleasbewegungen,  welche  bei 
Büekenmarkshranken  durch  die  Summaiion  schwacher  sensibler  Beize  aus- 
gelöst werden.    Dtsch.  med.  Wochenschr.,  1889,  No.  18.    S.  248. 

724.  Steinbrügoe,  H.  Ein  seltener  Fall  von  AcusHcus-Beflexen,  Zeitschr. 
f.  Qhrenheilk.,  XIX,  4,  S.  328.    Nachtrag.    Ebenda  XX,  2,  S.  113. 

725.  Verworn.  Die  polare  Erregung  der  Protisten  durch  den  galvanischen 
Strom.  Fortsetzung.  Mit  3  Tafeln  u.  5  Holzschn.  Pflüoers  Arch., 
Bd.  XCVI,  S.  267. 

726.  Verworn,  Max.  Die  polare  Erregung  der  Protisten  durch  den  galvanischen 
Strom.    Pflüoers  Arch.,  XLV,  S.  1. 


404  Bewegungen  und  Handlungen. 

c.  Instinkt. 

727.  A.  D.  Formation  d^un  insiinct parmi  des  animaux  vivant  en  societe.  Bev. 
scientif.,  1889,  I,  18.    S.  570. 

728.  Fautelle.     De  Vinstinct    Bull.  Soc.  d'anthrop.  de  Paris,  1889.    S.  47. 

729.  Flügel,  O.  Über  den  Instinkt  der  Tiere.  Mit  besonderer  Bücksicht 
auf  RoMANES  und  Spencer.  Zeitschr.  f.  exakte  Philos.,  XVII,  S.  1—33. 
1889. 

d.   Wille  und  Willkürbewegungen. 

730.  Franck,  Conr.  Über  die  eeitUchen  Verhältnisse  des  reflektorischen  und 
mllkürlichen  Ltdschlusses.  Inaug.-Diss.  Königsberg,  Gräfe  &  Unzer. 
Gr.  8».    34  S.  

731.  BiNET,  A.  Recherches  sur  les  mouvements  volontaires  dans  Panesthesie 
hystSrique.    Rev.  philos.,  XIV.  Jahrg.,  Bd.  28,  S.  470—500. 

732.  F£r£,  Gh.  Note  sur  Vexploration  des  mouvements  de  la  langue.  0.  B. 
Soc.  de  Biol.,  13.  AvrU  1889.    S.  278. . 

733.  —  La  gaucherie  acquise.    Bev.  scientif.,  1889,   19.     S.  605. 

734.  —  L^energie  et  la  vitesse  des  mouvements  volontaires»  Avec  6  fig.  Bev. 
phüos.,  XIV.  Jahrg.,  Bd.  28,  S.  37—68. 

735.  Hermann,  G.  Der  physiologisch  richtige  Gebrauch  der  Stimme,  Köln, 
Greven.    8^ 

736.  LoEB,  J.  und  A.  y.  KorInyi.  Über  den  Emftufs  der  Schwerkraft  auf  den  zeit- 
licTten  Verlauf  der  geradlinigen  Willkürbewegungen  unseres  Armes.  Pflüokrs 
Arch.,  XLVI,  S.  101. 

737.  Orschanskt,  J.  Zi4r  Lehre  von  der  Willensihätigkeit  Du  Bois-Betmovds 
Arch.,  1889,  3/4.     S.  173. 

738.  Külpe,  Oswald.  Die  Lehre  vom  Willen  in  der  neueren  Fsychologie.  Philos. 
Studien,  V,  S.  179—244,  1888;  S.  381-446,  1889. 

739.  Warner,  F.  Muscular  movements  in  Man  and  their  evolution  in  the  tn- 
fant  A  study  of  movement  m  Man  and  its  evolution,  together  toith  infe- 
rences  as  to  ihe  prqperties  of  nerve-centres  and  their  modes  of  (Ktion  in 
eocpressing  sought    The  Joum.   of  Ment.   Science,  April  1889.     S.  23. 

Beaktionszeiten  s.  657  f. 

e.   Ausdrucksbewegungen. 

740.  Schulz,  Ernst.  Über  verschönernde  Gesichisbädung.  Physiognomische 
Plaudereien  und  Batschläge.  Berlin,  Freund  &  Jeckel.  X VL  8.  328  S. 

741.  PiDERiT,  Th.  La  mimigue  et  la  physiognomie.  Tradnitde  rallemand  sur 
la  deuxifeme  Edition   par  A.  Girot.     Paris,  F.  Alcan.    In-S'.     280  S. 

f.  Willensfreiheit  und    Sittlichkeit. 

742.  Beaunis,  H.  La  douleur  morale,  Bev.  philos.,  XIV.  Jahrg.,  Bd.  27, 
S.  251—261. 

743.  Brentano,  Franz.  Vom  Ursprung  süüicher  Erkenntnis.  Leipzig  1889, 
Duncker  So  Humblot.    Xn.  In-8.  122  S. 

744.  CiMBALi,  Giuseppe.  La  VoUmta  ümana  in  rapporto  äff  Organismo  Na- 
turale, Sociale  et  Giuridico.    Borna,  1889,  Fratelli  Bocca.    129  S. 


Bewegungen  und  Handlungen.  405 

745.  Clat,  E.  R.  Le  sens  commun  conire  le  dSterminiame.  Rev.  philos.,  XIV, 
Bd.  27,  S.  463—487. 

746.  Cutler,  Carrol.  The  Beginnings  of  Ethics.  New  York  1889,  A.  C. 
Armstrong  and  Son.     XIV.  324  S. 

747.  DiEFFENBAGH,  LuDwiG.  DcT  menschUchc  Wille  und  seine  Ghrundlagen.  Die 
Freiheit  des  Willens  und  die  Zurechnung.  Darmstadt-Bessungen,  Selbst- 
verlag.   8^    130  S. 

748.  FoNSEORivE,  G.  L.  Essai  sur  le  libre  arbiire,  sa  tJUorie,  son  histoire 
(couronne  par  VAcadhnie).    Paris,  Alcan.    In-8. 

749.  Gardair,  J.  Le  libre  arhitre.  Ann.  de  Philos.  Chr^t.  —  Nouv.  S6rie. 
T.  XX,  S.  6—18,  201—205.    April  u.  Juni  1889. 

750.  —  Note  sur  la  thiorie  du  libre-arbitre.  Ann.  de  Philos.  Chröt.  Nonv. 
S^rie.  T.  XX,  S.  186—193. 

751.  HüPEDEX,  GüST.  Die  menschliche  Freiheit  und  ihre  Beziehung  ssum  christ- 
lichen Glauben.    Gr.  4^    52  S.     Leipzig,  Fock. 

752.  JoTAü,  £.    Essai  sur  la  UbertS  morale.    Paris,  Alcan. 

753.  Kandler,  Franz.  Die  Willenskraft  Zeitschr.  f.  exakte  Philos.,  XVII, 
Heft  3,  S.  233—275.  1889. 

754.  EIratz,  ECeixb.  Die  Freiheit  des  Menschen.  Eine  philosophisch -theolog. 
Untersuchung,    8^   42  S.    Hanau,  Alberti. 

755.  Maldidier,!  J.  Du  libre  arhitre.  Une  nouvelle  preuve  sur  une  ancienne 
definition.    La  crit.  philos.,  V,  4. 

756.  Münsterberg,  Hugo.  Der  Ursprung  der  Sittlichkeit  Freiburg  i.  Br., 
1889,  J.  C.  B.  Mohr  (Paul  Siebeck).    120  S. 

757.  Schmidt,  Wilh.  Das  Gewissen.  Leipzig,  Hinrichs  Verl.  VI.  Gr.  8**.  376  S. 

S.  auch  889,  891,  892—899. 


758.  Dereux,  H.  Du  fondement  de  la  morale  d^aprls  Herhart  (suites  et  fin). 
La  crit.  philos.,  V,  No.  1,  3,  5. 

759.  Schanz,  Joh.  Das  Freiheitsproblem  hei  Kant  und  Schopenhauer. 
Dissert.    Leipzig,  Löfsnitz,  Sülze. 

760.  SiETEL,  £.  G.  Die  Lehre  von  der  Freiheit  hei  Kant  und  Schopen- 
hauer.   Dissert.    Erlangen,  Jung  &  Sohn. 

761.  Wahn,  J.  Kritik  der  Lehre  Lotzes  von  der  menschlichen  Freiheit, 
Inaug.-Diss.    Zeitschr.  f.  Philos.,  Bd.  94,  H.  1. 

g.   Pathologisches, 

762.  Anton,  G.  Ein  Fall  von  MihrocephaUe  mit  schweren  Bewegungsstörungen. 
Wiener  klin.  Wochenschr.  v.  31.  Januar  1889. 

768.  Bern  ARD,  A.  G.  The  catises,"  ireatment  and  eure  of  stammering,  London, 
1889,  J.  A.  Churchill. 

764.  Binder.  Üher  motorische  Störungen  stereotypen  Charakters  hei  Geistes- 
kranken mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Katatonie.  Arch.  f.  Psy- 
chiatrie, XX,  3,  S.  628. 

765.  CoBN,  Baf.  Das  StotterObel.  Mit  Berücksichtigung  der  streng  individua- 
lisierenden Behandlung  nach  den  neuesten  praktisi^- wissenschaftlichen  Er- 
rungenschaften dargestellt    Gr.  8^.    125  S.    Stuttgart,  Enke. 


406  Neuro-  und  Psychopathologie. 

766.  Heddaeüs,  £.     über  reflektorische  PupiOemstarre.    Centralbl.  f.  Nerven- 
heilk.,  Xn,  3,  S.  66. 

767.  —  Über  Prüfung    und  Deutung    der  Pupiüensymptome.     Centralbl.   f. 
Nervenheilk.,  XH,  15,  S.450. 

768.  Lbgoedoknueb,  Michel.    De  la  nature  des  troubles  mateurs  dans  la  parth 
Jysie  ghdrcde,    Thfese  de  Lille,  1889.    In-8^   S.  67. 

769.  Meitdel,  E.     tJber  reflektorische  PupüUnstarre.    Allg.  med.  Oentralztg., 
1889,  No.  95.    S.  2583. 

770.  Sainsbüry  ,  H.    A  case  of  difficuüy  of  speech.    The  Joum.  of  Ment. 
Science,  Jan.  1889. 

771.  SsiEORSKi,  J.     Über  das  Stottern,    St.  Petersburg  1889.  (Bussiscb.) 

S.  auch  844. 


UV.  Neuro-  und  Psychopathologie. 


PablikaÜODen,  deren  Titel  eine  bestimmte  Besiehung  za  einer  der  vorangehenden  Rnbriken 
erkennen  lieften,  sind  im  allgeraeinen  bei  diesen  einrangiert 

a.  Neuropathologie. 

772.  Hughlikos-Jagkson.  On  the  comparative  study  of  diseases  of  the  nervous 
System,  The  Brit.  Med.  Journ.,  1889,  No.  1494.  S.  355.  —  The  Lancet, 
1889,  No.  3443.    S.  355. 

773.  Seoüin,  E.  C.  and  Wood,  H.  C.  The  relation  between  tropMc  lesions 
and  diseases  of  the  nervous  System,  Trans,  of  the  assoc.  of  Amer. 
physicians.,  m.  

774.  FsRRitRE,  Am^^e.  (Kontribution  ä  TStude  de  VStat  mental  chez  les  apo- 
plectiques.    Thhse  de  Paris,  1889.    In-8.     S.  73. 

775.  Friese,  Carl.  Bückenmarkskrankheiten  und  ihre  Behandhing,  Mit  spe^ 
cieller  Berücksichtigung  der  neuen  Heilmethode  Professor  Chareots.  Gr.  8\ 
IV,  69  S.    Berlin,  Steinitz'  Verl. 

776.  Müller,  K.    Über  Sensibilität  bei  Tabes  dorsalis.  Inaug.-Diss.  Berlin  1889. 

777.  Oppenhedi.  Über  einen  Fall  von  kombinierter  Erkrankung  der  Biueken" 
markssiränge  im  Kindesalter,    Centralbl.  f.  Nervenheilk.,  Xu,  1,  S.  12. 

778.  Bissler,  J.  Zur  Kenntnis  der  Veränderungen  des  Nervensystems  bei 
PoUomyeUtis  anterior  acuta,    Nord.  med.  Arch.,  XX,  22.    (Deutsch.) 

779.  ScHVETTEB,  J.  Der  nervöse  Kopfschmerz,  Eine  klinische  Studie*  G-r.  8. 
43  S.    Heidelberg,  C.  Winter. 

780.  ZiEBL,  Fb.  Ein  Fall  von  isolierter  Lähmung  des  ganeen  dritten  Trigemimu- 
astes  n^t  einigen  Bemerkungen  über  den  Verlauf  der  Geschmaeksfasem 
der  Chorda  iympani  und  die  Innervation  des  Oeschmackes  viberhaiipL 
ViBOHows  Arch.  (11),  VIT,  1,  S.  52. 


Neur(h  und  Fsyehopatholoffie.  407 

781.  Bkard,  G.  M.  Die  Nervenschwäche  (Neuras^tenie),  ihre  Symptome,  Natur ^ 
Fcigenzustände  und  Behandlung.  Mit  einem  Anhang:  Die  Sehhrankheit 
und  der  Gebrauch  der  BrammitteL  Übers,  u.  bearb.  von  M.  Neisser. 
3.  verm.  Aufl.  Gr.  8^  Vm,  198  S.    Leipzig,  F.  C.  W.  Vogel. 

782.  Bbroer,  Paul.  Die  Nervenschwäche  (Neurasthenie),  ihr  Wesen,  ihre  Ur- 
sachen und  Behandlung.  Gemeinverständlich  dargestellt.  8.  verb.  u. 
verm.  Aufl.    Gr.  8*.  61  S.    Berlin,  Steinitz'  Verlag. 

783.  LoEWENFELD.  Die  moderne  Behandlung  der  Nervenschwäche  (Neurasthenie), 
der  Hysterie  und  verwandter  Leiden.  Mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Luftkuren,  Bäder,  Anstaitshduindlung  und  der  Mitchell- Play  fair  sehen 
Mastkur.    2.  verm.  Aufl.  Gr.  8^  X,  131  S.   Wiesbaden,  Bergmann. 

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u.  m.  einigen  begleit,  u.  erläut.  Bemerkungen  yers.  y.  Dr.  F.  Wollnt. 
Gr.  8*.   59  S.    Leipzig,  0.  Wigand. 

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887.  TiLiNO,  Th.     Über  die  bei  der  aXkoholischen  Neuritis  multiplex  beobachtete 
Geistesstörung,  Allg.  Zeitschr.  f.  Psychiatrie,  XLVI  (1889),  S.  233—256. 

888.  Wagnbb,  Jüliüs.     Über  Osteomälakte  und  Geistesstörung,   Jahrb.  f.  Psy- 
chiatrie, IX,  Heft  1  u.  2,  S.  113—128.    1889. 


889.  Habsb.  Zur  Frage  der  geminderten  Zurechnungsfähigkeit,  Allg.  Zeitschr. 
f.  Psychiatrie,  XLVI  (1889),  S.  336— 337. 

890.  Mehdbl.  Die  Geisteskranken  in  dem  Entwurf  des  bürgerlichen  Gesetü- 
buches  für  das  Deutsche  Reich,  (Aus  ,^Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl. 
Med.".)    Gr.  8^   42  S.    Berlin,  Hirschwald. 

891.  Bollbb.  Über  geminderte  Zurechnungsfähigkeit,  Allg.  Zeitschr.  f.  Psy- 
chiatrie, XLVI  (1889),  S.  337-340. 

e.  Xriminalpsychologie. 

892.  CoBBB,  A.  Les  criminels,  Caracthres  physiqites  et  psychohgiques.  1  VoL 
In-18^  (412  S.  avec  43  fig.  dans  le  texte).  De  la  Bibliothöque  des 
actualites  m^dicales  et  scientifiques.    Paris  1889,  Oct.  Doin. 

893.  Fobbl,  A.    Zwei  kriminalpsychologische  Fälle,    In-8^.   Bern,  Staempfi. 

894.  y.  Höldeb.     über   die  körperUehen  und  geistigen  EigentümUcKkeilen  der 

Verbrecher,    Arch.  f.  Anthropol.,  XVm,  3,  S.  205. 

895.  Lombboso,  Cbsabb.  Vuomo  deUfiquente,  2  Vol.  Torino,  Bocca.  Aach 
deutsch. 

896.  —  Der  Vebrecher  in  anthropologischer,  ärztlicher  und  juristischer  Beziehung, 
Deutsch  y.  N.  0.  Fbankbl.  I,  1889;  II,  1890.  Hamburg,  Verlagsan- 
stalt A.-Q-. 

897.  Lutz.  Über  Atavismus  des  Verbrechens.  Allg.  Zeitschr.  f.  Psychiatrie, 
XLVI  (1889),  S.  99—111. 

898.  BicHTEB,  Alfbed.  Zwei  im  CtvHverfahren  abgegebene,  motioierte  Gutachten 
iüber  der  SimuÜation  verdächtig  gewesene  Verbrecher,  Allg.  Zeitschr.  f. 
Psychiatrie,  XLVI  (1889),  S.  257—285. 

899.  Tabde.    Le  crime  et  Tipilepsie,  Bey.  philos.,  XIV,  Bd.  28.   S.  449--469. 


Alphabetisches  Verzeichnis 
der  Autornamen  der  Bibliographie. 


A. 

Achelis  66. 
Adler  298. 
Adttoco  278. 
Ahrens  401. 
Albert  346. 
Albertoni  454. 
Alezander  377. 
Anderson  87.  265. 
Anfimow  206. 
Angelncci  266.  480. 
Anton  762. 
Apdthy  191. 
Ardigö  633.  665. 
Arndt  207. 
d'Arsonval  208. 
Arthur  42. 
Aubert  600. 
Auerbach  137.  139. 
Axenfeld  467.  601. 

B. 

Babes  209. 
Babinski  481.  789. 
Bacchi  495. 
Badal  318. 
Baer  402. 

Baginsky  131.  132. 
Baierlacher  790. 
Bajardi  403. 
Bald!  192.  332. 
Baldwin  1.  228. 
Ballauf  2. 
Ballet  648. 
Barchudarian  67. 
Barrs  566. 
Barsevi  431. 


Bartels  859. 

Barth  531. 

Batemann  299.  791. 

Baumgarten  582. 

Baudouin  201. 

Beard  781. 

Beaunis  599.    710.  742. 

792. 
Bechterew  229.  230.  279; 

314.  333.  618. 
Beck  793. 
Beer  88.  89. 
Beevor  318.  612. 
Bellarminow  432. 
Bellonci  90.  169. 
B61ugou  354. 
Benard  707, 
Benedikt  713. 
Benett  267. 
Benini  30. 
Beranek  119. 
Berger  378. 482. 483. 782. 
Berkhan  649. 
Berlin  602. 
Bemard  763. 
Bemheim  634.  794. 
Bemheimer  123. 
Berteis  619. 
Berthoud  58. 
Bertrand  574. 
Bevan  851. 
Bezold  541. 
Biemacki  795. 
Binder  558.  764. 
Binet  59.  620.  666.  691. 

731.796.839.840.841. 
Binswanger  797. 


Blake  544. 
Blanc  68. 
BHx  210. 
Bloch  532. 
Blomberg  845. 
Blondel  603. 
Bobtschew  708. 
Bocci  211.  212.  334. 
Boettger  91. 
Bonamy  280. 
Bonnet  860. 
Bonniot  11. 
Borgherini  92.  231.  232. 

281. 
Bouchard  335. 
Bourru  31. 
Bouvier  160. 
Braun  32. 
Bray  33. 
Brentano  743. 
Brock  193. 
Brodhun  529.  530. 
Brofferio  3. 
Brown  233.  575. 
Brown-S^quard  234. 

235.  236.  282.  621. 
Bruce  147. 
Brügelmann  798. 
Bruhn  484. 
Bruns  136.  336. 
Bryson-Delavan  283. 
Bullen  635. 
Bumm  184. 
Bumett  404. 
Bumham  636.  667. 
Burot  799. 
Burton  433. 

27* 


414 


Natnenverz^hnis  eur  BStHioffraphie, 


0. 

Campbell  846. 
Cane  545.  668. 
Camio  34. 
Carolus  800. 
Carrifere  508. 
Castronovo  584. 
Catrin  801. 
Cellarier  669. 
Cesca  714. 
Chaignet  69. 
Charcot  802. 
Charri&re  650. 
Chatin  170.  507. 
Chiarugi  120.  135. 
Chiewitz  379.  380. 
Christian!  847. 
Ciaccio  510. 
CimbaH  744. 
Clay  745. 
Clure  171. 
Coön,  R.  765. 
Cohn,  H.  405.  627. 
Collier  692. 
CoUins  485. 
Cope  172. 
Corre  892. 
Coste  803. 
Coupland  4. 
Coutoux  355. 
Cramer  861. 
Crichton-Browne  670. 
Cunningham  93.  148. 
Cutler  746. 


Dackschewitsch  124. 
Dahl  604. 
Dana  94.  284.  285. 
Dandolo  622. 
Danilewsky  213. 
Danillo  237. 
Dassaritis  70. 
Dassy  195. 
Deboeck  337. 
Delage  556. 
Delboeuf  804.  805. 


Denissenko  381. 
Dennert  546. 
Dent  862. 
Dercum  95.  96. 
Dereuz  758. 
Descourtis  863. 
Dessoir  623. 
Dieflfenbach  747. 
Dorta  347. 
Dreher  806. 
Drummond  35. 
Dubois,  B.  194.  382. 
Dufay  807. 
Dufour  486. 
Dumr eicher  647. 
Dunan  487. 
Dupain  864. 
Dupuy  238.  315. 
Duquesnoy  14. 
Duval  195.  511. 

E. 

Ebbinghaus  468. 
Ebert  469. 
Eckard  316. 
Edinger   79.     138.    139. 

173. 
Edridge-Green  434. 
Egger  149. 
Eisenlohr  300. 
Eitelberg  547. 
Ejner  613. 
Ellenberger  174. 
Enoch  641 
Evans  301. 
Ewald  557. 
Ewart  185. 
Exner  239.  240. 512.  513. 

P. 

Falchi  488. 
Falcone  97. 
Faravelli  125. 
Fasola  125.  268. 
Fauvelle  286.  728. 
Fechner  356. 
Feilchenfeld  715. 
F6r6  36.  196.  555.  658. 


693.  716.  732.  733.  734. 

842. 
Ferrannini  353. 
Ferraresi  154. 
Ferrier  241. 
Ferrifere  774. 
Fick,  A.  E.  456. 470. 614. 
Fischer  37. 
Fluck  317. 
Flügel  38.  729. 
Fonsegrive  748. 
Fontan  808. 
Forchhammer  16. 
Forel  809.  810.  865.  893. 
Fornaro  338. 
Fothergill  694. 
Franck  730. 
Fränkel  435.  811. 
Frankl-Hochwart  867. 

868. 
Franseschi  98. 
Fr^dericq  339. 
Frei  866. 
Freund  302. 
Fricke  659. 
Friedmann  150. 
Friedrich  39. 
Friese  775. 
Frisch  269. 
Fuchs  475. 


Gad  81.  203.  214. 
Gaguillot  650. 
Gallerani  242. 
Galton  40.  671. 
Gardair  749.  750. 
Garnier  303. 
Gaskell  121.  161. 
Gaul  41. 
Geddes  42. 
Geigel  348. 
Gelle  548.  567. 
Gerster  812. 
Giacomini  175. 
Gibotteau  243. 
Glaevecke  16. 
Gley  202.  340.  642. 


Namenverzeidmia  ewr  Bibliographie, 


415 


Goldscheider  578.   579. 
Goltz  244.  245.  246. 
Gotsch  247. 
Gould  624. 
Gouzer  248. 
Graber  583. 
Grabower  841. 
Gradenigo  215. 
Graefe  457.  458. 
Graf6  869. 
Grassi  584. 
Green  436.  463. 
Gri£ani  515. 
Griffitb  489. 
Groenouw  883. 
Grofsmann  287.  437. 
Grützner  204. 
Guaita  490. 
Gudden  100.  126.  384. 
Goillaunie  140. 
Gninon  843. 
Gürber  470. 
Guyau  43.  695. 


Habermann  561. 
Hache  385. 
Hagemann  5. 
Haller  162. 
Halliburton  101. 
Hanau  6%. 
Hartmann  304. 
Haslam  870. 
Hasse  889. 
Haug  562. 
H6don  349. 
Heddaeus  766.  767. 
Heerwagen  625. 
Heidsieck  651. 
Hellich  821. 
Helmholtz,  v.  376.  438. 
Hemmeter  288. 
Hennicke  533. 
Henry  249.  357.  439. 
Henschen  250.  289. 
Herbart  6. 
H6ricourt  626. 
Hering  440. 


Hermann  735. 
Herrick  102.  516. 
Herzen  17. 
Herzog  717.  718. 
Hess  406.  441.  517. 
Heubner  305.  306. 
Heymans  44. 
Hillebrand  442. 
Hilker  605. 
Hippel  407. 
His  82.  103.  104.  133. 
Hodge  216. 
HofiPmann  176. 
Holder  894. 
Hollander  18.  251.  342. 
Holms-Forbes  7. 
Holmgren  443. 
Hooper  217. 
Hoppe  648.  672. 
Hoqtiart  408. 
Horsley  290.  297. 
Houssay  60. 
Howard  491. 
Hughlings-Jackson  772. 
Httpeden  751. 
Hürthle  350. 
Hyslop  464. 

I. 

niers  307. 
Imbert  409.  476. 
Ireland  45.  252. 
Istria  673. 

Jackson  318.  319.  772. 
Jacobson  549. 
Jakowenko  141.  320. 
James  674. 
Janet  675. 
Javal  492. 
Jelgersma  177. 
Jickel  163. 
Joyau  752. 
Joug  410. 

K. 

Kalt  465.  493. 
Kandier  753. 
Kant  8. 
Katz  584.  563. 


Kawczynski  614. 
Kazzander  127. 
Keferstein  411. 
Kelp  871. 
Kemp  218. 
Kennel  518. 
Kerry  676. 
Kiesselbach  564. 
Eirchner  412. 
Kirschmann  444. 
Kleinpaul  652. 
Knie  343. 
Koch  848. 
Koehler  164. 
Kohl  519. 
Koller  445. 
Konrdd  813. 
Koppen  142. 
Kordnyi  736. 
Korsakoff  638.  872. 
Korybutt  -  Daszkiewicz 

197. 
KOster  151. 
Köstlin  697. 
Kraepelin  849.  873. 
Krafft-Ebing   253.   814. 

874.  875. 

Kratz  754. 

Krause  520. 

Krenchel  446. 

Kronenberg  850. 

Kückenthal  165. 

Külpe  738. 
Kuhlenbeck  71. 

Kuhns  386. 

Kurella  815. 


Landerer  494.  660. 
Landolt  459. 
Lange  639. 
Langley  472.  615. 
Langlois  291.  292. 
Langsdorff  816. 
Lannegrace  270. 
Lannelongue.  254. 
Laqueur  644. 
Lawford  460. 


416 


Namenverzeiehnia  «ur  B^iographie, 


Lecbe  105. 
Lecordonnier  768. 
Legrain  876. 
Lelong  817. 
Lenhoss^k  83.  186. 
Leplat  415. 
Lerebours  84. 
Leroux  166. 
Leroy  387.  413.  528. 
Leter  677. 
Leumann  19. 
Lewis,  Bevan  851. 
Leydig  85.  321. 
Li^bault  818. 
Li^ois  819. 
Lipps  698.  699.  709. 
Lissauer  271. 
Loeb  607.  736. 
Lombard  719.  720. 
Lombroso  827.  895. 896. 
Lommel  447. 
Love  550. 
Löwe  535. 
Löwenfeld  627.  783. 
Lubbock  61. 
Lucanus  448. 
Lummer  529.  530. 
Lutz  897. 
Luys  495.  700.  820. 


Macpberson  852. 
Madrillier  20. 
Magnus  721. 
Makins  106. 
Makrocki  496. 
Malidier  755. 
MandeUi  46. 
Manouyrier  322. 
Mantegazza  198.  701. 
Marbacb  72. 
Marcacci  219. 
Marcband  152. 
Marchesini  358.  568. 628. 
Mar&s  821. 
MarUUer  629. 
Marique  293. 
Markwald  323. 


Martinotti  107. 
Martins  608. 
Marty  653. 
Masci  702. 
Matuscb  877. 
Mautbner  497. 
Meinong  359. 
Mendel    294.   722.    769. 

878.  890. 
Merkel  360. 
Mettler  108.. 
Meyer,  A.  153. 
Meynert  110.  786. 
Mies  191. 
Mieseber  205. 
Milles  678. 
Mills  119.  255. 
Mingafzini  112.  154. 
Minot  679. 
Mitchell  498. 
Möbius  857. 
Moewes  371. 
Moll  822. 

Möller  178.  187.  477. 
Monakow,y.l34. 272. 308. 
Monin  879. 
Montgomery  680. 
Monti  220. 
Monticelli  167. 
Morand  823. 
Morat  351. 
Moreau  853. 
Moriggia  221. 
Morselli  113.  880. 
Mosso  703. 
Motais  414. 
Müblbaus  499. 
Müller,  F.  824. 

—  F.  C.  854. 

—  G.  E.  580.  711. 

—  K.  776. 

—  L.  A.  114. 
Müller-Lyer  361.  645. 
Munk  273. 
Münsterberg  21.  22. 609. 

610.  616.  630.  681.  756. 
Münzer  129. 
Murano  362. 


N. 

Natanson  500. 

Naumow  388. 

Naunyn  704. 

Negrini  182. 

Negro  256. 

Neisser  881. 

Netter  536. 

Nicati  501.  521. 

Nieden  428. 

Nimier  551. 

Nissl  179. 

Nivelet  295. 

Nonne  825. 

Norrie  449. 

Nothnagel  257.  258. 259. 

Noyes  882. 

Nuel  415. 

0. 

Ocborowicz  826. 
Oebl  222. 
Oehm  47. 
Ölzelt-Nevin  646. 
Oppenheim  777. 
Orschansky  737.  883. 
Osbom  180. 
Ostroumoff  188. 
Ott  324.  325. 
Ottolenghi  589.  827, 
Oulmont  274. 

P. 

Papale  73. 
Patten  372. 
Paulhan  682. 
Pereies  416. 
P6rez  62. 
Perlia  128.  189. 
Peterson  712. 
Petrazzani  352. 
Petrina  784. 
Pflüger  48. 
Pick  260. 
Picqu6  417. 
Piderit  741. 
Pilliet  155. 


Namenverzeichnü  ew  Bibliographie, 


417 


PiUon  647. 
Pinel  326. 
Piotrowski  223. 
Pitres  844. 
Plateau  522. 
Plümacher  828. 
Politzer  587. 
Polle  654. 
Pope  590.  591. 
Popoff  143. 
Prel,  du  829.  855. 
Preyer  552. 

Baehlmann  502. 
Bamön  y  Cajal  115. 528. 
Bampoldi  450.  455. 
Eandall  461. 
Baps  542. 
Battone  569. 
Beboul  570. 
Begnaud  655. 
Beich  49. 
Beicliert  224.  344. 
Beid  144.  363. 
Bemond  661. 
Betzius  86. 
Bibot  23.  631. 
Bichet  24.  683. 
Bichter  116.  898. 
Bieger  684. 
Bingier  .830. 
Biye,  de  la  611. 
Boberty  50. 
Boller  891. 
Bomanes  51.  52.  63. 
Boscbansky  145. 
Bosenbach  327.  723. 
Bosentbal,  A.  309. 
Boyce  685. 
Bühmekorb  261. 
Bumscbewitsch  389. 
Bummo  353. 
Bumpf  571.  572. 

S. 

Sachs  296. 
Sainsbury  770. 


Saint-Bemy  181. 
Salgö  856. 
Sanders  168. 
Sanford  662. 
Sarasin  373.  538. 
Sarlo  25. 
Sattler  478. 
Sass  345. 
Sawicki  225. 
Schäfer,  K.  581. 
Schanz  759. 
Schewlakoff  524. 
Schiff  156. 
Schirmer  390. 
Schischminow  617. 
Schiotz  391. 
SchlOss  884. 
Schlöbser  392. 
Schmick  26. 
Schmidkunz  686. 
Schmidt  328.  757. 
Schmidt-Bimpler  418- 

421.  479. 
Schneckenberg  785. 
Schneller  393. 
Schnetter  779. 
Schnitzler  831. 
Schöler  503. 
Schön  394.  422. 
Schrader  262. 
Schrenck-Notzing,  v. 

832.  833. 
Schtscherback  27. 
Schulz  740. 
Schumann  640. 
Schütz  117. 
Schwarz  395. 
Schweigger  423. 
Scrymgour  687. 
Segall  462. 
S6glas  885. 
Seguin  773. 
Seims  565. 
Semon  297. 
Serbati  9. 
Sergi  53. 
Sharkey  275. 
Sherrington  226. 


Shore  122. 
Siebeck  74.  75.. 
Siebenmann  539. 
Siemerling  276.' 
Sievel  760. 
Sigaud  28. 
Süex  424. 
Simonin  834. 
Simson  76. 
Singer  129. 
Sizeranne  480. 
Smith  396. 
Snell  886.  . 
Souriau  705,. 706. 
Soury  263. 
Spitta  54. 
Ssamujlow.473. 
Ssikorski  771. 
Starr  310. 
Staub  397. 
Stefan  656. 
Stefanini  553. 
Steinbrügge  540.  724. 
Steinthal  787. 
Stembo  835. 
Stepp  788. 
Stewart  474. 
Stilling  425.  426.  451. 
Stout  77.  78. 


Tarchanoff  364. 
Tarde  899. 
Teichmüller  10. 
Tenchini  182. 
Thiele  374.  375. 
Thoma  398. 
Thury  64. 
Tieling  887. 
Tomaschewsky  277. 
Tomforde  311. 
Tornatola  190.  525. 
Tourette  836. 
Treitel  452. 
Trolard  99. 
Tschaussow  130. 
Tscherewow  329. 


418 


Namenverzeichms  zur  Bibliographie, 


TschiBch  632. 
Tuckermann  592—598. 
Tuke,  Hack  365. 
Turner  366. 


U. 

Ulithoff  453.  504. 
TJphues  367.  688. 


V. 

Vanlair  227. 

Venu  466. 

Vera  264. 

Verwom  65.  725.  726. 

Vetsch  505, 

Vignal  80. 


W. 

Wagner  200.  888. 
Wähle  368. 
Wahn  761. 
Waldeyer  146. 
Walitzky  663. 
Warner  739. 
Watase  526. 
Weddingen  689. 
Weismann  55. 
Weiss  399. 
Wemicke  157. 
Westphal  506. 
Wetterstrind  837. 
White  29.  330. 
Wien  543. 
Wightman  183. 
Wiglesworth  507. 


Wüder  118. 
Wildermuth  554. 
Wüdmak  400. 
Wislicenus  664. 
Witte  690. 
Wolff  56. 
Wolffberg  429. 
Wundt  57. 


Zacher  158. 
Ziehen  331. 
Ziehl  573.  780. 
Ziemann  312. 
Zuckerkandl  159. 
Zwaardemaker  585- 
588. 


über  Vergleichungen  von  Tondistanzen. 

Von 

C.  Stumpf. 

I. 

Unter  Distanz  oder  Abstand  verstehe  icli  den  Grad  der 
TJnähnlichkeit  zweier  Sinnesinhalte ,  sei  es  hinsichtlich  ihrer 
Qualität  oder  Intensität  oder  Örtlichkeit  oder  Zeitlichkeit.  Im 
■allgemeinen  ist  es  möglich,  zwei  Distanzen  unter  sich  zu  ver- 
gleichen d.  h.  sie  als  gleich  oder  ungleich  und  letzterenfalls 
die  eine  als  gröfser  zu  erkennen.  Hierauf  beruht  alle  Messung, 
da  sie  nichts  anderes  ist  als  die  Zählung  unter  sich  gleicher 
iuieinandergrenzender  Distanzen,  die  zusammen  eine  gegebene 
Distanz  ausmachen.  Insofern  und  insoweit  ist  kein  Unterschied 
zwischen  räumlicher,  zeitlicher,  qualitativer  und  intensiver 
Messung.  (Vgl.  m.  Tonpsychologie  I  57.)  Unterschiede,  auf  die 
wir  hier  nicht  eingehen  wollen,  geben  aUerdings  der  räumlichen 
und  zeitlichen  Messung  und  besonders  der  ersteren  einen  Vorrang 
vor  allen  anderen.  Dafs  aber  auch  die  qualitative  und  intensive 
nicht  prinzipiell  unmögUch  ist,  beweisen  ausgeführte  Versuchs- 
reihen aus  verschiedenen  Gebieten,  welche  als  „Methode  der 
Äquivalente",  „Methode  der  mittleren  Abstufungen"  oder  „der 
tibermerklichen  Unterschiede"  bezeichnet  und  als  ein  Mittel 
zur  Bestimmung  der  Unterschiedsempfindlichkeit  und  zur 
Prüfung  des  FBCHNBRschen  Gesetzes  betrachtet  werden.  Ob- 
gleich mir  nun  dieses  Gesetz  keineswegs  als  das  Alpha  und 
Omega  aller  sinnespsychologischen  Versuche  und  die  ver- 
schiedenen Ellassen  von  Sinnesurteilen  nicht  blofs  als  Methoden 
zur  Prüfung  desselben  erscheinen,  so  möchte  ich  doch  gerade 
dieser  Klasse,  den  Distanzvergleichungen,  eine  direktere  Be- 
ziehung zu  jenem  Gesetz   zuschreiben  als  allen   anderen.     Ich 

Zeitfchrift  für  Psychologie.  28 


420  C,  Stumpf. 

habe  (a.  a.  0.  I  399)  darauf  hingewiesen,  dafs  das  Gesetz, 
abgesehen  von  seiner  thatsächlichen  Bewährang,  überhaupt 
nur  als  Gesetz  von  Empfindungsdis tanzen  verstanden  werden 
kann.  Eine  Empfindung  doppelt  so  stark  als  eine  andere  zu 
nennen,  hat  genau  genommen  keinen  Sinn  und  wird  durch 
keinerlei  Bechnungskünste  einen  gewinnen.  Es  ist  ungefähr 
ebenso  absurd,  wie  wenn  wir  einen  Ort  oder  einen  Zeitpunkt 
als  das  Doppelte  eines  anderen  bezeichnen  wollten.  Nur  auf 
Distanzen  finden  Mafs-  oder  Gröfsenbegriff'e  Anwendung.  Hier- 
nach ist  denn  auch  Distanzenvergleichung  der  einzige  Weg, 
welQher  ganz  direkt  (abgesehen  natürlich  von  etwaigen  kon- 
stanten ürteilstäuschungen)  zu  Gesetzen  hinfuhren  kann,  die 
sich  auf  irgend  welche  Mafsverhältnisse  im  Gebiet  der  Empfin- 
dungen beziehen^. 

Die  berühmte  Frage  nach  der  Gleichheit  der  ebenmerk- 
lichen Unterschiede,  von  welcher  unsre  Schlüsse  auf  das  Ver- 
halten der  ünterschiedsempfindlichkeit  nach  der  Methode  der 
ebenmerklichen  Unterschiede  abhängig  sind^,  ist  selbst  eine  Frage 
nach  dem  Verhältnis  von  Distanzen,  jedoch  unter  äuTserst 
ungünstigen  Umständen.  Die  Leichtigkeit  von  Distanzver- 
gleichungen nimmt  von  gewissen  mittleren  Distanzen  aus  ab, 
wenn  wir  zu  immer  kleineren  oder  gröfseren  übergehen,  und 
sie  verschwindet  völlig  bei  der  allerkleinsten,  die  wir  überhaupt 
noch  wahrnehmen  können.  Die  Frage  ist  also  experimentell 
unbeantwortbar.  Nur  deduktiv  läfst  sich  vielleicht  sagen, 
dafs  wir  zwei  ebenmerkliche  Empfindungsunterschiede  als  unter- 
einander gleich  betrachten  dürfen,  wenn  Aufmerksamkeit, 
Übung  und  alle  möglichen  Einflüsse  auf  das  Urteil  die  näm- 
Uchen.sind  und  besonders  auch  die  Sinnesinhalte  der  gleichen 
Gattung  angehören  und  in  der  gleichen  Beziehung  (Intensität, 
Qualität  u.  s.  f.)  untersucht  werden.  Bei  übermerklichen 
Distanzen   kann  man  freiUch  auch  immer  fragen,    ob  die   als 


^  Historisch  iikteressant  ist  eine  Äufserung  Lichtenbergs  {Vermischu 
Schriften,  1801,  UI  416):  „Dafs  die  Distanz  von  1 — 100  in  unserer  Vor- 
stellung gröfser  ist  als  die  von  100—500,  habe  ich  sehr  früh  bemerkt 
und  durch  Linien  und  Flächen  auszudrücken  versucht.^ 

*  WuNDT  hält  in  der  3.  Auflage  seiner  „Physiol  Psychologie"  die 
Yoraussetzung  der  Gleichheit  nun  doch  auch  für  „möglicherweise  be- 
streitbar'' (I  348),  nachdem  er  sie  in  der  1.  Aufl.  für  selbstverständlich 
erklärt  und  in  der  2.  die  Frage  danach  als  zwecklos  abgelehnt  hatte. 


über  Vergleichungen  von  Tondistangen,  421 

gleicli  geschätzten  wirklich  genau  gleich  empfunden  werden. 
Aber  bei  hinreichender  Bestimmtheit  des  Urteils,  wofür  sich 
aus  den  Tabellen  die  Anhaltspunkte  ergeben,  werden  die  Ab- 
weichungen relativ  zur  Gröfse  der  geschätzten  Distanzen  nur 
minimal  und  für  die  Schlüsse  irrelevant  sein. 

Ein  besonders  wichtiges  und  umstrittenes  Gebiet  von 
Distanzvergleichungen  bilden  die  TonquaUtäten  (Tonhöhen). 
Hier  sind  die  gröfsten  Gegensätze  der  Meinungen  aufgetreten. 
Die  Einen  wollen  in  den  musikalischen  Intervallen  ein  evidentes, 
ja  seit  alten  Zeiten  feststehendes  Zeugnis  für  das  FECHNERsche 
Gesetz,  Andere  nicht  die  geringsten  Anhaltspunkte  zu  sei- 
nen Gunsten  erblicken.  Die  Einen  glauben  hier  Distanz  ver- 
gleichungen mit  gröfster  Sicherheit  auszuführen,  die  Anderen 
bleiben  absolut  skeptisch.  Den  Hauptgegenstand  der  folgenden 
Studie  bilden  neuere  Versuchsreihen  hierüber  von  0.  Lorenz,  die 
zu  den  ausgedehntesten  gehören,  die  jemals  in  psychophysischen 
Dingen  gemacht  wurden,  und  schon  darum  eingehende  Betrach- 
tung verdienen.*  Für  mich  liegt  aufserdem  nicht  blofs  in  der  eige- 
nen Beschäftigung  mit  dem  Tongebiet,  sondern  auch  in  der  her- 
vorragenden Bedeutung,  die  nach  dem  eben  und  schon  früher 
von  mir  Dargelegten  Distanzvergleichungen  überhaupt  zukommt, 
ein  mehrfacher  Beweggrund  zu  genauer  Prüfung.  Ich  über- 
gehe hierbei  die  Eiitik,  welche  der  Verfasser  über  meine  eigenen 
und  die  PRETERschen  Versuche  vorausschickt,  da  dieselben  sich 
eben  nicht  auf  Vergleichung  von  Tondistanzen,  sondern  auf 
die  Fragen  bezogen,  ob  zwei  Töne  gleich  oder  verschieden  und 
welcher  der  höhere  sei,  und  da  ich  auf  diese  Kritik  bereits 
{Tofipsych.  11  556  f.;  geantwortet  habe. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  zuerst  kurz  die  Entwickelung 
der  Angelegenheit.  E.  H.  "Weber  und  Fechner  hatten  be- 
kanntlich die  Thatsache,  dafs  ein  Intervall  uns  in  allen  Ton- 
regionen, also  bei  beliebigen  absoluten  Schwingungszahlen,  als 
das  gleiche  erscheint,  wenn  nur  das  Verhältnis  der  Schwingungs- 


^  Untersuchungen  über  die  Auffassung  von  Tondistanzen.  Von  Carl  Lobenz. 
In  den  „FhHosophischm  Studien""  von  WuimT.  Bd.  VI  (1890).  S.  26—103.  — 
Aucb  MüvsTEBBERO  hat  Versuche  gemacht,  über  welche  sich  aber  nicht 
urteilen  läfst,  da  ervorlänfig  nur  die  allgemeinsten  Ergebnisse  mitteilte. 
(Beiträge  z,  expenrn.  Psychologie^  Heft  3,  S.  37,  41).  Danach  sollen  Unmusi- 
kalische die  arithmetische  (absolute)  Mitte  der  Schwingungszahlen, 
Musikalische  die  geometrische  (relative)  als  Empfindungsmitte  angeben. 

28* 


422  C.  Stumpf. 

zahlen  das  gleiche  ist,  als  eine  offenbare  mächtige  Stütze  der 
Begel  betrachtet,  wonach  allgemein  gleichen  ünterschiedea 
der  Empfindung  gleiche  Verhältnisse  der  Beüse  entsprachen. 
G.  E.  MüLLBR  warf  zuerst  ein,  dafs  ein  Intervall  nicht  dur<^ 
einen  bestimmten  Unterschied  der  Töne,  sondern  durch 
ein  bestimmtes  Konsonanz-  (allgemeiner:  Verwandtschafls-)  Ver- 
hältnis d.  h.  nach  Hblmholtz  durch  zusammenfallende  Obertone 
charakterisiert  sei.  Wundt,  der  in  der  1.  Aufl.  seiner  j^Physüd. 
Psychologie^  Feohnbr  energisch  (wenn  auch  nicht  ohne  gegen- 
teiUge  Äufserungen)  zustimmte* ,  bUeb  auch  in  der  2.  Aufl. 
trotz  MüLLEBs  Einwendungen  und  einiger  Umarbeitung  im 
wesentlichen  auf  diesem  Standpunkt,  wobei  er  sich  besonders 
auf  die  Thatsache  berief,  dafs  wir  auch  bei  einfachen  Tönen 
Intervalle  erkennen.  Dennoch  liefs  er  dieselben  Intervalle  auch 
durch  die  Klangverwandtschafb  gegeben  sein,  die  er  mit 
Hblmholtz  auf  übereinstimmende  Teiltöne  gründete.  Ich  habe 
auf  das  Bedenkliche  dieses  Kompromisses,  dieser  Doppeldefinition 
hingewiesen  {Tonpsych.l  338):  das  thatsächUche  Zusammen- 
fallen der  durch  reine  Distanzmessung  und  der  durch  gemeinsame 
Obertöne  festgestellten  Oktaven,  Quinten  würde  ja  ein  unglaub- 
licher Zufall  sein.  Die  Beurteilung  der  Intervalle  einfacher 
Töne  bilde  einen  Einwand  gegen  die  HELMHOLTZsche  Verwandt- 
schafbslehre.  Aber  es  gebe  vieUeicht  ein  Kriterium  der  Ver- 
wandtschaft, welches  weder  mit  Obertönen  noch  mit  Distanzen 
der  Qrundtöne  etwas  zu  thun  habe.  Hiermit  meinte  ich  die 
später  im  11.  Bande  aufgezeigten  Verschm^ungsstufen.  An 
einer  anderen  Stelle  des  I.  Bandes  (247  f.),  die  speciell  von 
Distanzvergleichungen  bei  Tönen  handelt,  hob  ich  u.  a.  hervor, 
dafs  die  dem  Bewufstsein  bereits  eingeprägten  Verwandtschafts- 
verhältnisse vielmehr  gerade  das  gröfste  Hindernis  für  reine 
Distanzurteile  bilden  und  dafs  auch  selbst  bei  nichtmusikalischen 
Verhältnissen  wie  71  :  97  :  111  die  so  entstandenen  Urteils- 
gewohnheiten  beträchtlich   stören   müssen.     Soweit  sich  mein 


^  8. 364  (Amn.):  »Es  ist  zwar  wahrscheinlich,  dafs  die  aus  der  Klang- 
Verwandtschaft  entspringenden  Eigenschaften  die  sichere  Bestimmung 
der  Ton  Verhältnisse  unterstützen,  aber  als  die  eigentliche  Grundlage 
derselben  kann  man  sie  unmöglich  betrachten/'  Dagegen  S.  363*.  „Die 
Auswahl  der  Tonstufen  wird  zunächst  durch  Begeln  bestimmt,  welche 
auf  die  .  .  .  Gesetze  der  Klangverwandtschaft  gegründet  sind."  VgL 
noch  S.  497—8. 


über  Vergleichungen  von  Tandisianeen,  423 

eigenes  Urteil  festsetzen  wollte,  glaubte  ich  sagen  zu  dürfen, 
da£s  ein  nnd  dasselbe  Intervall  als  Distanz  betrachtet  nach  der 
Höhe  zu  gröfser  werde  (also  z.  B.  die  Quinte  nach  oben  etwas 
gröfser  als  nach  unten  von  gleichem  Ausgangston  aus),  und 
glaubte  dasselbe  auch  auf  einem  indirekten  Wege  aus  der 
Zunahme  der  relativen  ünterschiedsempfindUchkeit  bis  etwa 
c'  erschUefsen  zu  dürfen. 

WuNDT  hielt  auch  in  den  j^JEssays*'  1885  (S.  159  f.)  an  der 
alten  Auffassung  fest  und  berief  sich  darauf,  dafs  wir  auch  das 
nichtharmonische  Verhältnis  eines  ganzen  oder  halben  Tons 
wiedererkennen  —  worauf  freilich  Jeder  sofort  entgegnen  wird, 
dafs  hier  eine  sog.  indirekte  Verwandtschaft  mafsgebend  ist. 
C  und  D  sind  durch  (r,  G  und  Cis  durch  Ä  miteinander  verwandt. 

In  WuNDTs  psychologischem  Laboratorium  unternahm  nun 
Lorenz  seine  Tondistanzvergleichungen.  Die  erste  Nachricht 
von  den  Ergebnissen  erhielten  wir  durch  Wundt  in  der  3.  Auflage 
der  Physiol  Psychologie  1887  (I  428  f ).  Er  fand  darin  die 
„vollkommenste  Bestätigung",  den  „endgültigen  Beweis"  for 
seine  Behauptung  über  die  Fähigkeit  unseres  Gehörs,  Ton- 
stufen ohne  alle  Bücksicht  auf  das  harmonische  oder  dishar- 
monische Verhältnis  messend  zu  vergleichen.  Freihch  zugleich 
auch  die  entschiedenste  Widerlegung  seiner  bisherigen  An- 
nahme, dafs  die  auf  solchem  Wege  gefundenen  Tonstufen  mit 
den  musikalischen  zusammenfallen,  damit  also  auch  des 
EscHNERschen  Gesetzes.  Nicht  die  relative,  sondern  die  absolute 
Beizmitte,  nicht  das  gleiche  Verhältnis,  sondern  die  gleiche 
Differenz  der  Schwingungszahlen  werde  als  Mitte  zwischen 
zwei  Tönen  anerkannt. 

Um  zu  prüfen,  was  Wundt  einerseits  berechtigte,  von  einem 
endgültigen  Beweis  zu  sprechen,  andererseits  nötigte,  eine  Lehre 
preiszugeben,  die  ihm  früher  vöUig  bewiesen  schien,  wollen  wir 
Lorenz'  Versuche,  obschon  dieser  sie  seitdem  bedeutend  er- 
weitert hat,  zuerst  so  berücksichtigen,  wie  sie  bei  Wundt 
(I  432)  erscheinen.     Hier  ist  die  Tabelle  (s.  folgende  Seite). 

Die  erste  £olumne  giebt  die  Nummern  der  Versuchsreihen. 
Li  der  2.  und  3.  bedeuten  t  und  h,  T  und  H  den  tiefen 
und  hohen  Ton,  zwischen  denen  ein  variabler  mittlerer  darge- 
boten wurde;  und  zwar  giebt  die  2.  Koltmine  die  einfachsten 
Verhältniszahlen,  die  3.  die  wirklichen  Schwingungszahlen  dieser 
Grenztöne,  m  und  M  ist  die  berechnete  absolute  (arithmetische) 


424 


C.  Stumpf, 


Mitte.  Pund  L  sind  die  beiden  Beobachter,  Innd  IE  die  Yersnclis* 
abteilangen:  inl  wnrde  vom  tiefen  dnrcli  den  mittleren  znm  hohen 
Ton  übergegangen,  in  11  umgekehrt.  Die  Zahlen  unter  diesen 
Bnbriken  bedeuten  den  vorwiegend  als  Mitte  anerkannten  Ton. 
R  ist  die  zur  Yergleichung  berechnete  relative  (geometrische) 
Beizmitte.  Hier  sind  jedoch  bei  Wundt  zwei  Fehler:  bei 
Nr.  12  160,4  statt  170,4,  bei  Nr.  14  731,6  statt  733,6.  In 
beiden  Fällen  nähert  sich  durch  die  Korrektur  JR  dem  M,  Der 
erste  beträchtliche  Fehler  steht  jetzt  auch  in  Lokbnz'  Original- 
abhandlung  (S.  85). 


Nr. 

t.m 

:h 

T:M: 

M 

. 

L. 

E 

Q 

I. 

n. 

I. 

n. 

1 

2: 

8 

:   4 

256 :  384  : 

512 

384 

384 

384 

384 

362,3 

364 

2 

2 

3 

;  4 

264 :  396 : 

528 

400 

400 

404 

396 

373,3 

372 

3 

3 

:   4 

:   5 

300 :  400 : 

500 

404 

404 

404 

396 

387,3 

388 

4 

4 

5 

:   6 

256 :  320 : 

384 

320 

320 

320 

324 

313,5 

312 

5 

5 

:   6 

:   7 

320 :  384 : 

448 

384 

384 

384 

384 

378,6 

380 

6 

5 

6 

.  7 

340 :  408 : 

476 

412 

408 

408 

400 

402,3 

404 

7 

8 

:  B 

:  10 

256 :  288 : 

320 

288 

288 

284 

288 

286,2 

288 

8 

16: 

:  17 

:  18 

256  ;  272 : 

288 

276 

276 

272 

276 

271,5 

272 

9 

30- 

31 

32 

480 :  496 : 

512 

496 

496 

496 

496 

495,7 

496 

10 

37. 

45: 

53 

296 :  360 : 

424 

364 

360 

360 

356 

354,2 

356 

11 

97- 

107 

117 

388 :  428 : 

468 

432 

428 

432 

428 

426,1 

428 

12 

3: 

4 

5 

132 :  176 : 

220 

184 

180 

184 

176 

170,4 

172 

13 

11; 

13 

15 

176 .  208 : 

240 

216 

212 

212 

208 

205,5 

204 

14 

5: 

6 

7 

620 :  744 : 

868 

748 

740 

lU 

740 

733,6 

732 

15 

8: 

9: 

10 

800:900: 

1000 

916 

916 

904 

912 

894,4 

896 

Femer  muTs  die  ganze  Kolumne  It  noch  umgerechnet 
werden.  Die  Versuche  wurden  nämlich  an  einem  Tonmesser 
vollzogen,  dessen  Töne  um  je  4  Schwingungen  diflPerierten.  Nun 
kann  man  doch  billigerweise  nicht  verlangen,  daTs  die  Töne 
R  =362,3  u.  s.  w.  als  Mitte  anerkannt  wurden,  da  der  Tonmesser 
sie  nicht  enthält,  da  sie  also  gar  nicht  vorgelegt  wurden.  Um 
also  diejenigen  Zahlen  zu  erhalten,  die  man  erwarten  mufs, 
wenn  die  relative  Mitte  als  Empfindungsmitte  galt,  muGs  man 
die  Zahlen   unter  R  so  verändern,    dafs   jedesmal    die   nächst- 


über  Vergleichungen  van  Tandistaneen.  425 

liegende  durch  4  teilbare  Zahl  dafür  eingesetzt  wird.  Dies  ist 
in  der. von  mir  beigefügten  Kolumne  q  geschehen.  Man  sieht 
sogleich,  dafs  zufällig  in  den  meisten  Nummern  die  Zahlen 
sich  wiederum  erhöhen  und  damit  der  absoluten  Mitte  nähern. 

Aus  dem  gleichen  Grunde  mufs  man  zu  den  Zahlen  unter 
P  und  L  stets  einen  Wert  bis  zu  +2  hinzudenken  und  wird 
dann  die  Übereinstimmung  mit  Jf,  wo  solche  vorhanden,  schon 
weniger  auffallend  finden.  Es  leuchtet  ein,  dafs  man  unmöglich 
ein  richtiges  BUd  gewinnen  kann,  wenn  man  einerseits  für  die 
beobachteten  Jlf- Werte  nur  von  4  zu  4  fortschreitende  Zahlen, 
andererseits  fär  die  damit  zu  vergleichenden  JS -Werte  unter- 
schiede von  Decimalen  gelten  läfst. 

Vergleichen  wir  nun  M  mit  g,  so  sehen  wir,  dafs  bei  Nr.  7, 
8,  9,  11  die  absolute  Mitte  mit  der  relativen  (nach  der  eben 
angegebenen  notwendigen  Veränderung)  zusammenfällt. 
Diese  sämtlichen  Versuche  sind  also  zu  streichen, 
wenn  durch  die  Tabelle  bewiesen  werden  soll,  dafs  Distanz- 
urteile sich  nicht  nach  der  relativen,  sondern  nach  der  ab- 
soluten Mitte  richten. 

Sodann  bei  Nr.  5,  6,  10,  12,  13,  15  beträgt  der  unterschied 
von  M  und  q  nur  eine  einzige  Taste  des  Tonmessers.  Diese 
Versuche  sind  also  von  sehr  schwacher  Beweiskraft.  Die  Er- 
gebnisse, die  Zahlen  unter  P  und  L,  fallen  im  ganzen  (bei 
Nr.  15  keineswegs)  nahezu  mit  der  absoluten  Mitte  zusammen, 
entfernen  sich  aber  auch  nicht  viel  von  der  relativen. 

So  bleiben  nur  Nr.  1 — 4  und  14  als  diejenigen  Versuchs- 
reihen übrig,  welche  etwa  eine  erhebliche  Beweiskraft  bean- 
spruchen könnten.  Nun  aber  handelt  sich's  hier  unglücklicher- 
weise bei  1  und  2  tmi  die  Oktave,  in  welche  die  Dominante,  bei 
3  und  4  um  die  äufseren  Töne  von  Durdreiklängen,  in  welche 
der  fehlende  dritte  Ton  als  Mitte  eingeschaltet  wurde.  Bei  14 
ist  der  mittlere  Ton  die  kleine  Terz  des  tieferen  (5  :  6)  und 
bildet  mit  beiden  G-renztönen  einen  verminderten  Dreiklang 
(Näheres  s.  u.).  Dafs  hier  musikalische  Motive,  harmonische  Ge- 
wohnheiten den  Ausschlag  gegeben  haben,  liegt  auf  der  Hand. 
Daher  auch  die  besondere  Sicherheit  des  Urteils,  die  Überein- 
stimmung der  Ergebnisse,  zumal  bei  der  Oktave  (1)  und  dem 
Durklang  in  erster  Lage  (4).  Und  selbst  wenn  man  es  be- 
zweifeln wollte,  mufs  man  die  Möglichkeit  zugeben,  womit 
allein  schon  der  „endgültige  Beweis^  dahinfällt. 


426  C'  Stumpf. 

Soviel  im  Vorübergehen  zur  Belenchtnng  Wuinyrscher 
Beweise.  Saoblicli  ist  die  Diskussion  durch  die  Fortf&hnmg; 
der  Versuche  ohnedies  verschoben. 

Dafs  übrigens  auch  Wündts  neue  positive  Behauptung  über 
die  absolute  Reizmitte  als  Empfindungsmitte  zweifellos  und 
handgreiflich  falsch  ist,  sieht  man  an  dieser  Beihe: 


^^ 


jb: 


-Ä>- 


I 


Alle  hier  benachbarten  Töne    müfsten  gleich  weit  in  der 

Empfindung    voneinander     abstehen ,     da     die  i  Differenz     der 

Schwingangszahlen  dieselbe  ist.    Man  vergleiche  nur  den  letzten 

Schritt  mit  dem  ersten!     Wenn  wir  jenen  als  entschieden  viel 

kleiner  bestimmen,  so  wird  man  dies  nicht  etwa  darauf  schieben 

wollen^    dafs  wir  ihn  als  Sekunde,  c — c*  als  Oktave  erkennen; 

in  solchem  Mafs  ist  das  Distanzurteil  doch  nicht  ohnmächtig 

und  blind,  dafs  es  sich  einen  gewaltigen  Unterschied  vortäuschen 

liefse,    wo   gar   keiner  wäre.     Auch  erkennt  den  Unterschied 

jeder,  mag  er  die  Intervalle  als  Sekunde  und  Oktave  erkennen 

oder  nicht. 

Und  wie,    wenn  wir  eine  beliebige  Oktave  nehmen,   z.  B* 

c* — c*  (612 — 1024),  und  die  Aufgabe  stellen,  eine  gleiche  Distanz 
nach  unten  in  der  Empfindung  abzumessen?  Jede  Oktave  er- 
giebt  durch  Subtraktion  der  gleichen  Schwingungszahlendifferen^ 
Null.  Der  Ton  also,  der  von  c*  ebensoweit  nach  unten  läge^ 
wie  c^  von  c»,  läge  in  unendlicher  Tiefe. 

Die  neue  Behauptung  ist  aber  für  Wunbt  nicht  blofs  das 
Durchschnittsergebnis  obiger  Versuchsreihen.  Man  könne  sich, 
sagt  er  (n  66),  auch  am  Klavier  leicht  davon  überzeugen^ 
dafs  die  Mitte  zwischen  c*  und  c*  in  c*  (nicht  in  c*)  liege.  Zwei 
Jahre  zuvor  hatte  er  in  den  ^Essays"  S.  159 — 160  genau  das  Um- 
gekehrte als  eine  sehr  auffällige  und  leicht  zu  beobach- 
tende Erfahrung  bezeichnet,  dafs  nämlich  fiir  unsere  Empfin- 
dung eine  Oktave  immer  den  gleichen  Höhenunterschied  gebe. 
Wir  sind  an  dem  berühmten  Experimentalpsychologen  gewohnt^ 
dafs  er  sich  in  seinen  allgemeinsten  Begrifi^en  und  Theorien 
fortwährend  widerspricht.  Die  Leichtigkeit,  mit  der  er  auch  das 
Entgegengesetzte  beobachtet,  kann  nur  den  Wunder  nehmen^ 


über  VergUiehungen  von  Tondiatanzen.  427 

der  seine  Angaben  nicht  näher  kontrolliert.  Die  hier  er* 
wfthnten  Beobachtungen  stehen  denen  über  Klangeinheit,  über 
Schwebnngen,  über  Obertöne  und  über  tie&te  Töne  würdig  znr 
Seite  (vergl.  Tonpmfch.  H,  231,  330,  461,  472;  Vierlelj.'Schr. 
f.  Musihwiss.,  IV,  541,  547). 

"WuNDT  glaubt  auch  über  die  Abweichungen  des  Urteils 
von  der  absoluten  Mitte  und  den  Einflufs  der  Zeitfolge  hierauf 
eine  Kegel  aufstellen  zu  können :  „Bei  jeder  Zeitfolge  ist  man 
geneigt,  die  jenseits  der  wirklichen  Mitte  gelegenen  Töne  in 
gröfserer  Anzahl  als  die  diesseits  gelegenen  als  Mitteltöne  zu 
schätzen^  (S.  429).  Diese  Behauptung,  die  sich  „in  übereinstim- 
mender Weise^  aus  den  die  ürteilszahlen  versinnlichenden  Kurven 
ergeben  soll,  ist  von  Lorenz  selbst  (S.  100  f.)  auf  das  richtige 
Mafs  zurückgeführt  worden.  Sie  trifft  nur  bei  Einem  Beobachter,. 
P,  und  auch  da  nur  in  einem  Teil  der  Versuchsreihen  zu.  In 
6  unter  den  15,  die  bereits  Wundt  vorlagen,  stimmt  sie  nicht 
einmal  für  P.  Bei  L  und  den  spätiBr  hinzugetretenen  Beob- 
achtern sind  andere  oder  gar  keine  bestimmten  Neigungen  zu 
erkennen.  Von  einer  einheitlichen  und  einigermafsen  durch- 
greifenden Begel  keine  Spur.  Vielleicht  waren  die  Kurven 
ursprünglich  der  Behauptung  günstiger  (die  Versuchszahlen 
scheinen  inzwischen  teilweise  vermehrt  worden  zu  sein) :  jeden- 
falls hat  sich  dieselbe  als  voreilig  herausgestellt. 

Übrigens  müfste  sich  ein  solcher  Einflufs  der  Zeitfolge 
auch  in  der  obigen  Tabelle  erkennen  lassen,  obgleich  sie  den 
Verlauf  der  Kurven  in  den  einzelnen  Versuchsreihen  nicht 
angeben:  die  Abweichungen  von  M  müTsten  bei  I  vorwiegend 
nach  oben,  bei  11  nach  unten  hegen.  Thatsächlich  liegen  sie 
zwar  bei  I  16  mal  nach  oben  und  nur  1  mal  nach  unten,  aber 
auch  bei  11  9  mal  nach  oben  und  nur  5  mal  nach  unten.  Das 
einzig  Bemerkenswerte  ist  also,  dafs  überhaupt  die  Abweichungen 
nach  oben  bedeutend  überwiegen  (bei  P  findet  sich  unter  17 
Abweichungen  sogar  nur  eine  einzige  nach  unten.  Berück- 
sichtigt man  auch  die  Gröfse  der  Abweichungen,  so  beträgt 
die  Summe  nach  oben  144,  nach  unten  28.).  Gerade  dies  aber 
hat  WüNDT  nicht  bemerkt. 

n. 

Lorenz  hat  nun  in  den  folgenden  Jahren  noch  andere  Personen 
zu  den  Versuchen  herangezogen,  femer  neue  Tonverhältnisse,  be- 
sonders auch  gröfsere  Tondistanzen  berücksichtigt.    Es  müssen 


428 


C.  stumpf. 


indes  aach  die  früheren  YerBaohe  von  den  früheren  Beobachtern 
fortgesetzt  worden  sein,  da  die  bezüglichen  Werte  in  Wcrdts 
and  LoBBNz'  Tabellen  meistens  nicht  übereinstimmen.  Für  die 
tiefen  Regionen  wurden  jetzt  Tonmeaser  benatzt,  deren  Töne 
nur  am  2  Schwingungen  differierten.  Die  Beobachter  waren  hin- 


Aus  Tab.  Ym. 
r:3f..H=264:896:628  (=2:J 


Ans  Tab.  XIX. 
T:  M.H=BO0 :  900 :  1000{=8 :  9  :  10). 


8« 

85 

15 

_ 

92 

_ 

S44 

92 

— 

8 

100 

_ 

848 

62 

23 

15 

92 

_ 

8Ö2 

61 

8 

31 

100 

_ 

866 

92 

— 

8 

84 

8 

860 

69 

8 

23 

85 

15 

864 

77 

8 

15 

100 

_ 

868 

70 

15 

16 

100 

— 

872 

46 

23 

31 

92 

_ 

876 

56 

14 

30 

81 

8 

880 

54 

29 

17 

75 

11 

884 

82 

29 

39 

71 

15 

888 

87 

82 

81 

86 

8 

892 

35 

34 

31 

67 

19 

896 

23 

48 

29 

53 

87 

900 

19 

41 

40 

57 

29 

904 

15 

47 

38 

25 

43 

908 

19 

45 

36 

31 

37 

912 

10 

12 

78 

32 

15 

916 

4 

27 

69 

23 

35 

920 

8 

19 

73 

21 

35 

924 

8 

15 

77 

29 

10 

928 

15 

_ 

85 

54 

8 

932 

8 

8 

84 

15 

23 

936 

— 

23 

77 

31 

15 

940 

15 

— 

85 

23 

15 

944 

15 

— 

85 

38 

_ 

948 

— 

15 

85   8 

15 

952 

_ 

8 

92  — 

8 

966 

— 

— 

00  15 

— 

960 

~ 

6 

92 

~^ 

—  1 

über  Vergleichungen  von  Tondistanzen,  429 

sichtlich  ihres  Gehörs  und  ihrer  musikalischen  Anlage  und  Bil- 
dung äafserst  verschieden,  besonders  P  sehr  musikalisch,  Ln 
dagegen  so  wenig,  dafs  er  anfangs  kaum  unterscheiden  konnte, 
ob  T  oder  H  der  höhere  Ton,  obschon  es  sich  nicht  um  kleine 
Differenzen,  sondern  um  Terzen,  Quinten,  Sexten  in  mittlerer 
Lage  handelte.  Einen  solchen  Beobachter  würde  ich  nicht 
blofs  „ziemlich  unmusikalisch^  nennen.  Die  Urteilenden  notierten 
jedesmal,  ob  ihnen  ein  zwischen  T  und  H  eingeschalteter  ver- 
änderlicher Ton  M,  als  Mitte  (m)  oder  als  dem  T  näherliegend 
(u)  oder  dem  H  näherliegend  (o)  erschien.  Die  Anzahl  der 
bezüglichen  urteile  ist  in  den  Tabellen  angegeben.  Zwei  voll- 
ständige Beihen  mögen  eine  Anschauung  geben  und  zugleich 
erläutern,  wodurch  sich  gut  und  schlecht  verwertbare  Reihen 
unterscheiden. 

Die  Tabelle  Vlli  besagt  also  z.  B.,  dafs  zwischen  den  unver- 
änderlichen Grenztönen  264  und  528  vom  Experimentator  ein 
dritter  M^  angegeben  wurde,  dessen  Schwingungszahl  zwischen 
^6  und  436  wechselnde  Werte  annahm.  Die  absolute  Mitte 
M  =  396  ist  in  der  Überschrifb  mitangegeben.  Unter  P  stehen 
die  Anzahlen  der  Urteile  dieses  Beobachters  in  Prozenten  der 
jeweiligen  Gesamtzahl;  diese  selbst  steht  unter  n.  Um  die  ab- 
solute Mitte  herum  wurden  immer  eine  gröfsere  Zahl  von  Ver- 
suchen gemacht. 

Es  ist  nun  offenbar,  dafs  in  einer  gut  brauchbaren,  durch- 
sichtigen Versuchsreihe 

1,  die  Werte  u  mit  zunehmendem  Jf,  ab-,  die  o  zunehmen 
müssen,  gleichviel  welches  M^  als  Mitte  erscheint,  da  die  Ähn- 
lichkeit des  jeweiligen  3f,  mit  T  immer  mehr  ab-,  die  mit  H 
zunimmt,  je  weiter  M^  in  der  Tonreihe  gegen  H  rückt.  Je 
regelmässiger  der  bezeichnete  Gang  der  w-  und  o -Werte,  um 
so  besser  wird  das  Ergebnis  den  wirklichen  Empfindungsver- 
hältnissen entsprechen.  Grofse  Unregelmäfsigkeit  würde  auf 
Unfähigkeit  zu  Tonurteilen  überhaupt  deuten.  Die  Empfin- 
dungsmitte sodann  wird  den  Einflufs  haben,  daüs 

2.  in  der  Gegend  derselben,  wo  sie  auch  liege,  sowohl  die 
u  als  die  o  bei  hinreichender  Festigkeit  und  Bestimmtheit 
des  Urteils  nahe  gleich  Null,  wenigstens  viel  geringer  als  die  m 
geworden  sein  müssen.  Je  mehr  also  die  drei  Beihen  Uj  m,  o 
ineinander  übergreifen,  je  gröfser  die  Strecke  der  M, ,  auf  der 
noch  in  allen  3  Kolumnen  erhebliche  Werte   vorkommen,  um 


430  C.  Stumpf, 

80  mehr  schwankt  das  urteil,  um  so  weniger  läfst  sich  schlielBeB. 
Im  günstigen  Fall  ist  allerdings  noch  nicht  ohne  weiteres  da» 
bezügliche  M^  als  Empfindongsmitte  anzusehen,  sondern  erst 
zu  prüfen,  ob  nicht  eine  Qaelle  konstanter  Täuschnng  dieselbe 
Wirkung  thun  kann. 

3.  Für  die  Bestimmtheit  des  Urteils  wird  ein  weiteres. 
Kriterium  die  SchneUigkeit  sein,  mit  welcher  unter  m  von  dem 
erwähnten  Mittelpunkt  (Maximum)  aus  die  Werte  nach  oben 
und  unten  in  der  Tabelle  abnehmen,  und  die  Begelmäfsigkeit, 
mit  der  dies  geschieht. 

4.  Endlich  muis  das  Maximum  der  m -Werte  sich  unter  I 
und  II  innerhalb  einer  Versuchsreihe  bei  dem  nämlichen  oder 
bei  nur  wenig  verschiedenen  JM^  finden.  Denn  die  Empfindungs- 
mitte ist  natürlich  die  nämliche,  mag  die  Zeitfolge  T  M,  H 
oder  H  M^  T  sein. 

Von  den  mitgeteilten  Beispielen  erfüllt  das  Stück  au» 
Tabelle  YIIT  fast  sämtliche  Bedingungen  in  befriedigender 
Weise;  nur  steht  unter  I  der  Maximum  wert  von  m  (44)  gegen 
den  einschlägigen  von  u  (50)  zurück,  statt  ihm  überlegen  zu 
sein.  Die  erste  und  elementarste  Bedingung  ist  überhaupt  fast 
in  allen  Tabellen  erfüllt.  Die  übrigen  dagegen  nur  in  wenigen 
derart,  dafs  kein  ernstliches  Bedenken  erwächst;  und  alle  zu- 
sammen in  keiner  einzigen.  Ein  Beispiel,  wie  es  nicht  sein 
sollte,  ist  aus  Tabelle  XIX  angefahrt.  Da  sind  unter  m,  also 
in  der  wichtigsten  Rubrik,  die  Zahlen  wie  durcheinanderge- 
würfelt; nicht  weniger  als  6mal  hebt  und  senkt  sich  die 
Zahlenkurve.  Sogar  das  tiefste  und  das  höchste  Jf,  (840  und 
960)  beurteilte  Ln  noch  gelegentlich  als  Mitte  zwischen  80O 
und  1000.  Aus  einer  solchen  Tabelle  läfst  sich  überhaupt  nichts- 
schliefsen,  als  dafs  der  Mann  vollkommen  ratlos  war. 

Ebenso  vergleiche  man  in  der  Abhandlung  selbst  die 
Tabelle  V  für  denselben  Beobachter;  wo  z.  B.  unter  11  bei 
dem  höchsten  M^  noch  einmal  21 7o  m  auftauchen,  und  m  sowohl 
unter  I  als  unter  11  überhaupt  nur  das  Maximum  32  errreicht 
Ahnlich  Tabelle  XVIII  bei  Ln,  Elurz  ziemlich  überall,  wo  dieser 
Beobachter  beteiligt  ist. 

Ebenso  erweist  sich  der  Beobachter  B  als  absolut  unsicher» 
Siehe  die  Originaltabellen  II,  III,  IV  (überall  wo  er  vorkommt). 

Auch  der  Beobachter  M  schwankt  meist  sehr  bedenklich, 
z.  B.  Tabelle  XXI,   wo   w  unter  I  die  Werte  0,  0,  20,  15,  5, 


über  Vergleichwiffen  von  Tondistaneen. 


431 


20,  10,  0,  13,  13,  10,  16,  8,  10,  40,  0,  0,  0  annimmt,  wo  also 
nach  5  Steigungen  der  Maximumwert  beinahe  am  Schlafs  und 
•dagegen  in  der  Nähe  der  Mitte  ein  0  steht,  anstatt  umgekehrt. 
Jlbenso  daselbst  unter  II.     Femer  Tabelle  XXII  unter  Ml. 

Ein  grofser  Teil  der  Versuche  verliert  hiermit  schon  so  gut 
-vrie  völlig  seine  Beweiskraft.  Damit  wir  aber  einen  systema- 
tischen Überblick  erhalten,  will  ich  aus  allen  Tabellen  die 
Mittelstücke,  d.  h.  die  Werte,  welche  um  die  Beizmitte  herum- 
liegen, hier  mitteilen  und  besprechen.  Derjenige  Wert  JK,, 
welcher  die  Beizmitte  darstellt,  ist  fett  gedruckt.  Ebenso  die 
Maxima  von  m.  Das  mitgeteilte  Stück  ist  jedesmal  so  grofs 
gewählt,  dafs  es  die  Maximalzahlen  der  m  enthält  und  meist 
auch  die  Baschheit  der  Abnahme  nach  oben  und  unten  noch 
erkennen  läfst.  Die  Bubrik  n  ist  weggelassen,  die  Bezeich- 
nungen I,  II,  ti,  m,  0  nur  in  der  ersten  Tabelle  hingesetzt. 

Wir  gruppieren  die  Tabellen  sogleich  nach  musikalischen 
Gesichtspunkten. 

Erste  0-ruppe:  T  und  H  bilden  musikalische 
Intervalle  innerhalb  einer  Oktave  (einschliefslich  der 
Oktave  selbst). 

a)   Oktave. 
Tab.  VII  (256  :  512  —  1 :  2).     Wundt  Nr.  1 . 


P 

Lz 

Jf, 

I 

1 

n 

I 

n 

u 

m 

0 

u 

m 

0 

u 

m 

0 

u 

m 

0 

376 

96 

2 

2 

90 

6 

4 

60 

20 

20 

58 

40 

2 

d80 

86 

14 

— 

62 

32 

6 

40 

26 

34 

52 

32 

16 

8S4 

3 

96 

1 

1 

98 

1 

9 

88 

9 

4 

88 

8 

388 

46 

34 

20 

54 

12 

34 

10 

74 

16 

6 

80 

14 

392 

42 

2 

56 

50 

— 

50 

16 

28 

56 

16 

52 

82 

Hier  wird  die  absolute  Mitte  384  mit  grofser  Bestimmtheit 
als  Mitte  bezeichnet.  Die  Abweichungen  (Tabelle  VIII)  sind 
nicht  bedeutend.  Aber  diese  Beihen  sind  überhaupt  für  den 
vorliegenden  Zweck  verfehlt,  weü  ja  384  nichts  anderes  ist  als 
die  Dominante,  also  die  musikalische  Mitte,  unter  diesem 
Ausdruck  denjenigen  Ton  verstanden,  der  nach  unseren  musi- 
kalischen   Gewohnheiten   die  Hauptrolle  zwischen  den  beiden 


432 


C.  stumpf. 


Tab.  Vm 

(264 :  528  « 

=  1: 

2). 

WUNDT  Nr. 

2. 

M. 

P 

Lz 

388 

100 

._ 

^_ 

96 

__ 

4 

91 

9 

^. 

72 

9 

19 

392 

98 

1 

1 

96 

4 

— 

59 

40 

1 

54 

29 

17 

896 

50 

44 

6 

23 

65 

12 

64 

35 

1 

18 

61 

31 

400 

27 

39 

34 

13 

71 

16 

24 

67 

9 

4 

45 

51 

404 

46 

3 

51 

19 

9 

72 

16 

63 

21 

1 

9 

90 

Grenztönen  spielt  und  ihnen  nicht  allzunahe  liegt.  Das  Distanz- 
urteil schwankt  natürlich  nur  innerhalb  einer  gewissen  Zone; 
wenn  der  Zwischenton  dem  oberen  oder  unteren  Grenzton 
näher  und  näher  rückt,  wird  die  Ungleichheit  der  Distanzen 
unzweifelhaft.  Wo  nun  innerhalb  jener  Zone  ein  Ton  von 
musikaHsch  hervorragender  Bedeutung  vorhanden  ist,  da  wird 
man,  wenn  der  drastische  Ausdruck  erlaubt  ist,  auf  ihn  herein- 
fallen. 

Dafs  dieser  Einfiufs  hier  nicht  blofs  möglicherweise,  sondern 
wirklich  stattfand,  bezeugt  eine  Eigentümlichkeit  der  [Rubriken 
u  und  0,  die  wir  auch  in  ähnlichen  Fällen  wiederfinden  werden 
imd  auf  welche  auch  Lobenz  selbst  gelegentlich  hingewiesen 
hat:  während  nämlich  die  Zahlen  unter  diesen  Bubriken  sonst 
schön  regelmäfsig  ab-  bez.  zunehmen ,  ist  bei  Jf,  =  384  in 
Tabelle  VII  jedesmal  ein  wunderlicher  Sprung.  Bei  380  z.B.  noch 
86,  bei  388  wieder  46,  dazwischen  3!  Bei  reinen  Distanzurteilen 
sind  diese  Sprünge  unerklärlich.  Sie  begreifen  sich  aber  sehr 
einfach  daraus,  dafs  das  Erscheinen  der  musikalischen  Mitte 
dem  ürteü  eine  sonst  ganz  ungewöhnliche  Bestimmtheit  erteilte. 

b)  Grofse  Sexte. 
Tab.  V   (132  :  220  =  3  :  6).     Wundt  Nr.  12. 


Mp 

P 

Lz 

168 

100 

.^ 

_ 

96 

2 

2 

94 

3 

3 

61 

7 

32 

172 

97 

3 

— 

77 

23 

— 

79 

20 

1 

68 

16 

16 

176 

81 

18 

1 

39 

60 

1 

63 

85 

2 

34 

27 

39 

180 

74 

21 

5 

74 

21 

5 

66 

32 

2 

19 

27 

54 

184 

70 

30 

56 

— 

44 

53 

31 

16 

1 

15 

84 

über  VergUiehmgm  von  Tondistamen. 


433 


Mv 

B 

Ln 

m 

168 

88 

3 

9 

73 

2 

25 

75 

9 

16 

82 

11 

7 

172 

20 

78 

2 

34 

38 

28 

46 

23 

31 

71 

11 

18 

176 

100 

5 

86 

9 

48 

25 

27 

59 

14 

27 

180 

19 

65 

16 

22 

28 

50 

45 

82 

23 

47 

82 

21 

184 

45 

5 

50 

12 

5 

83 

34 

13 

53 

53 

13 

34 

Tab.  rx  (300 :  500  =  3  : 5).    Wühdt  Nr.  3. 


M^ 

P 

Lz 

392 

100 

— . 

-_ 

99 

.._ 

1 

76 

21 

3 

59 

32 

9 

396 

88 

6 

6 

84 

12 

4 

37 

58 

5 

24 

40 

36 

400 

54 

42 

4 

43 

47 

10 

18 

79 

3 

15 

30 

55 

404 

54 

29 

17 

27 

33 

40 

6 

84 

10 

4 

4 

92 

408 

35 

22 

43 

9 

1 

90 

6 

65 

29 

6 

3 

91 

Die  musikalische  Mitte  der  grofsen  Sexte  ist  die  Quarte 
des  unteren  Tons.  Hören  wir  g  e^  (auJDserlialb  eines  musika- 
lischen Zusammenhangs),  so  treiben  uus  musikalische  Gewohn- 
heiten, c^  als  Tonika  hineinzudenken.  Man  frage  nur  einen 
nicht  ganz  unmusikalischen,  welchen  dritten  zwischeuliegenden 
Ton  er  zu  jenen  ergänze.  Warum  dies  so  und  nicht  andera 
ist,  gehört  nicht  hierher.  Die  Wirkungen  aber  zeigen  sich 
wieder  in  den  Versuchsreihen.  Die  absolute  Beizmitte  400,  die 
hier  wieder  im  ganzen  mit  auffallender  Bestimmtheit  ala 
Empfindungsmitte  bezeichnet  wurde,  ist  eben  zugleich  jene 
musikalische  Mitte.  Wiederum  zeigt  sich  auch  in  verschie- 
denen Beihen  die  vorhin  erwähnte  Eigentümlichkeit  der 
w-  und  o-Bubrik,  namentlich  bei  R  in  Tab.  V.  Bei  diesem 
„gut  musikalisch  beanlagten^  Beobachter  muTsten  sich  ja 
auch  die  musikalischen  Gewohnheiten  am  stärksten  merklick 
machen. 


434 


C.  Stumpf. 


o)  Quinte. 
Tab.  X  (256  :  384  ~  2  : 3).     Wundt  Nr.  4. 


M, 

P 

Le 

312 

98 

1 

1 

93 

6 

1 

60 

40 

10 

83 

14 

3 

316 

73 

26 

1 

64 

31 

5 

19 

77 

4 

53 

42 

5 

820 

5 

95 

— 

6 

94 

— 

2 

97 

1 

36 

61 

3 

324 

44 

45 

11 

28 

57 

15 

6 

81 

13 

30 

47 

23 

328 

32 

13 

55 

15 

6 

79 

4 

43 

53 

16 

15 

69 

I 


Wiederum  ausgezeichnet  schönes  Ergebnis,  Überall  die 
ttbsolute  Mitte  bevorzugt  —  warum  auch  nicht,  da  sie  ja  mit 
der  grofsen  Terz  zusammenfällt!  Der  Abkömmling  eines  Volkes, 
welches  vorwiegend  in  Moll  musiziert,  würde  wohl  die  kleine 
Terz  als  Empfindungsmitte  angeben.  Sehr  bezeichnend  ist  hier 
wieder  der  Gang  der  «-  und  o -Werte :  JH  ==  320  macht  fast 
durchgehends  einen  mächtigen  Bifs  in  ihre  Kontinuität. 

d)  Grofse  Terz. 
Tab.  Xm  (256  :  320  =  4  : 5).     Wundt  Nr.  7. 


3f. 

P 

Lg 

280 

96 

4 

_- . 

88 

12 

_ 

80 

6 

14 

82 

16 

2 

284 

18 

82 

— 

30 

68 

2 

2 

96 

2 

36 

62 

2 

288 

2 

98 

4 

96 

— 

— 

97 

3 

14 

88 

3 

292 

20 

74 

6 

44 

50 

6 

— 

86 

14 

20 

72 

8 

296 

54 

4 

42 

62 

2 

36 

16 

8 

76 

26 

12 

62 

Tab.  XIX  (800  :  1000  =  4:5).    Wündt  Nr.  16. 


Jf» 

P 

Le 

892 

64 

34 

2 

63 

87 

^^_ 

60 

45 

5 

78 

16 

6 

896 

78 

21 

1 

79 

19 

2 

27 

72 

1 

81 

10 

9 

900 

56 

36 

8 

70 

26 

4 

20 

77 

3 

77 

13 

10 

904 

51 

88 

11 

65 

25 

10 

18 

74 

8 

64 

19 

17 

sm 

55 

26 

19 

67 

12 

21 

15 

59 

26 

59 

10 

31 

über  Vergieiehungen  von  Tondiatanten. 


435 


Mv 

E 

Im 

892 

15 

77 

8 

11 

81 

8 

35 

34 

31 

67 

19 

14 

896 

11 

87 

2 

23 

73 

4 

23 

48 

29 

53 

37 

10 

900 

11 

85 

4 

29 

67 

4 

19 

41 

40 

57 

29 

14 

904 

4 

86 

10 

14 

67 

19 

15 

47 

38 

25 

48 

32 

908 

8 

71 

21 

10 

54 

36 

19 

45 

36 

31 

37 

32 

In  Tabelle  XITI  tritt  die  absolate  Mitte  glänzend  hervor. 
Selbstverständlich,  denn  sie  ist  identisch  mit  der  grofsen  Se- 
kunde, der  musikalischen  Mitte  innerhalb  der  grofsen  Terz. 
Bei  den  w-  und  o -Werten  auch  wieder  die  frühere  Erscheinung. 
Wir  können  so  auch  die  regelmäfsigen  TTnregelmäfsigkeiten 
erklären. 

In  Tabelle  XIX  liegt  das  Maximum  der  m  nur  einmal  bei 
900,  aber  in  den  übrigen  Beihen  nicht  weit  davon  und  ziem- 
lich gleichmäfsig  nach  oben  und  unten,  so  dafs  das  Gesamter- 
gebnis ebenfalls  der  absoluten  —  imd  in  gleichem  Mafse  der 
musikalischen  Mitte  günstig  ist. 

e)   Grofse  Sekunde. 
Tab.  XIV  (256  :  288  =  8  : 9).     Wündt  Nr.  8. 


M^ 

P 

Lz 

264 

100 

___ 

__ 

100 

„^^ 

— 

100 

__ 

98 

— 

2 

268 

66 

32 

2 

82 

4 

14 

46 

40 

14 

82 

14 

4 

272 

29 

68 

3 

44 

42 

14 

1 

89 

10 

29 

59 

12 

276 

18 

62 

20 

12 

60 

28 

2 

64 

34 

12 

60 

28 

280 

— 

4 

96 

2 

14 

84 

22 

78 

— 

— 

100 

Die  absolute  Mitte  tritt  gut  hervor,  doch  erhält  auch  die 
darauffolgende  Taste  erhebliche  Zahlen,  besonders  bei  der 
Zeitfolge  11  (entgegen  der  WüNDTschen  Äegel).  Musikalische 
Mitte  ist  hier  der  Halbton,  also  256 .  Jf  =  273.  Diese  Zahl 
ist  am  Tonmesser   nicht  vorhanden,    die   nächste   vorhandene 

Zeitschrift  fttr  Psycliolo^ie.  ^ 


4S6 


C.  Stumpf. 


ist  272  —  die  absolute  Mitte.  Yielleiolit  stehen  mit  dem  umstand, 
dafs  die  musikaUsche  Mitte  ein  wenig  höher  liegt,  auch  die 
erheblichen  Zahlen  der  nächstfolgenden  Taste  in  Zusammenhang. 


f)  Kleine  Sekunde. 
Tab.  XV  (480 :  512  =  15  :  16).    Wündt  Nr.  9. 


Ä 

P 

Lg 

488 

92 

8 

—  Iioo 

— 

-  100 

_^ 

-  94 

2 

4 

492 

70 

30 

94 

6 

— 

72 

22 

6  1  80 

14 

6 

496 

10 

86 

5 

42 

50 

8 

16 

7a 

14 

15 

68 

17 

500 

10 

22 

68 

4 

58 

38 

10 

28 

62 

6 

32 

62 

504 

— 

— 

100 

2 

98 

2 

12 

86 

2 

4 

94 

Bei  Tonunterschieden  innerhalb  einer  kleinen  Sekunde  sind 
reine  Distanzurteile  möglich,  weil  hier  eine  musikalische  Mitte 
fär  unser  BewuTstsein  nicht  gegeben  ist.  Aber  hier  mftfsten 
-viel  feinere  Unterschiede  zum  Versuch  benutzt  werden,  als  die 
des  Tonmessers  mit  4  Schwingungen  Differenz.  Auf  diesem 
liegen  ja  zwischen  380  und  512  überhaupt  nur  7  Tasten. 

Da  ist  es  kein  Wunder,  wenn  sich  die  meisten  urteile  auf 
die  mittlere  vereinigten  (bei  P  11  auf  die  nächsthöhere,  wieder 
im  Qegesatz  zu  Wundts  Siegel).  Eher  ist  es  erstaunlich,  dafs 
doch  sogar  die  Töne  484  und  508,  die  den  Grenztönen  unmittel- 
bar benachbarten  Tasten,  noch  Stimmen  erhalten,  dafs  484 
noch  3mal  für  die  Mitte  zwischen  480  und  512  gehalten  wer- 
den konnte  ^  und  dafs  dem  L^r  in  5  Fällen  (10  %)  der  Ton  484 
näher  an  512  als  an  480  schien.  Das  deutet  auf  eine  Unsicher- 
heit des  Distanzurteils,  die  nicht  einmal  ich  bei  Geübten  far 
möglich  gehalten  hätte. 

Wir  bemerken  noch,  dafs  auch  im  vorigen  Falle  e)  nur 
7  Tasten  zwischen  256  und  288  lagen,  und  dafs  bei  e)  wie  f) 
die  absolute  auch  mit  der  relativen  Mitte  (nach  der  oben  S.  424 
begründeten  ßeduktion)  zusammenfallt. 

^  Da  die  4  m  bei  P  I  und  die  2  m  bei  Zi0  11  als  Prozentzahlen  zu 
verstehen  sind  und  die  wirkliche  Gesamtzahl  der  Urteile  hier  ijnmflr 
50  betrug,  so  waren  die  wirklichen  XJrteilszahlen  2,  bez.  1. 


über  Vergleichungen  von  Tandistanzen. 


497 


Zweite  Gruppe:    T  und  H  bilden  mnsikalisclie  In 
tervalle  über  eine  Oktave. 

g)   Grofse  None. 
Tab.  IV  (48:108  =  4:9). 


M^ 

u 

70 

93 

6 

1 

93 

7 

90 

10 

72 

86 

8 

6 

63 

9 

28 

58 

25 

74 

91 

7 

2 

94 

3 

3 

67 

15 

76 

87 

10 

3 

75 

10 

15 

35 

28 

78 

73 

20 

7 

49 

29 

22 

10 

88 

80 

55 

38 

7 

20 

85 

45 

— 

30 

82 

17 

44 

39 

5 

24 

71 

— 

5 

M 


17 
18 
37 
52 
70 
95 


90 
65 
47 
25 
18 
10 
5 


5 

5 

27 

8 

28 

25 

42 

33 

52 

30 

27 

63 

12 

83 

95 

5 

„^ 

2 

80 

20 

— 

— 

95 

5 

— 

— 

83 

12 

5 

— 

65 

20 

15 

10 

45 

35 

20 

45 

15 

40 

45 

Bei  der  None  bietet  sick  eine  musikalische  Mitte  wenige 
bestimmt  und  eindeutig  dar,  als  bei  den  Intervallen  a)  bis  e). 
Am  meisten  wird  man  geneigt  sein^  zwischen  C  und  d  vom 
musikalischen  Standpunkt  6r  als  Mitte  anzusehen,  da  es  mit 
beiden  eine  Quinte  bildet  und  die  indirekte  Yerwandtschajßb  von 
C  und  d  hauptsächlich  vermittelt.  Dies  würde  hier  dem  Ton  72 
entsprechen.  Doch  hat  auch  Ä  etwas  für  sich,  da  es  ebenfalls 
mit  C  und  d  direkt  verwandt  ist  (konsoniert)  und  darum  die 
indirekte  Verwandtschaft  ebenfalls  vermittelt,  auch  nicht  allzu- 
nah an  einem  der  Q-renztöne  liegt  (während  i^doch  zu  offenbar 
näher  an  C  hegen  würde).  Dies  wäre  der  Ton  80.  Das  urteil 
wird  also  zwischen  72  und  80  schwanken  und  bei  dieser 
Schwankung    auch    vielfach    den    zwischen    beiden    liegenden 

29* 


438  C.  Stumpf, 

Tönen  zufallen.  In  der  That  finden  wir  ein  sehr  beträchtliches 
Schwanken  der  Maximalwerte  von  m,  sogar  zwischen  72  und  82. 
72  ist  aufserdem  durch  ein  fast  in  allen  Beihen  sehr  merkliches 
(auch  von  Lorenz  S.  95  bemerktes)  relatives  Maximum  aus- 
gezeichnet ;  die  m-Zahlen  steigen  beim  Übergang  von  70  zu  72 
sehr  auffallend,  um  dann  wieder  zu  sinken. 

Im  ganzen  erfüllen  diese  Beihen  die  oben  aufgestellten 
Bedingungen  äufserst  unvollkommen.  Sogar  die  Abnahme  der 
w-  und  die  Zunahme  der  o- Werte  erfolgt  mit  bedeutenden  Un- 
stetigkeiten.  Das  Maximum  der  m  liegt  nicht  blofs  sehr  un- 
gleich, es  ist  auch  fast  immer  nur  klein  (bei  Ps  1  =  18!),  so 
zwar,  dafs  es  von  den  nebenstehenden  u  oder  o  öfters  ganz 
bedeutend  übertrofien  wird,  und  die  3  Kolumnen  greifen  auf 
weiter  Strecke  ineinander  über.  Alles  Zeichen  grofser  Unsicher- 
heit.    Am  traurigsten  sieht  die  Tabelle  bei  Ps  und  B  aus. 

Es  bleibt  noch  zu  erklären,  waram  die  Mitte  doch  viel 
mehr  gegen  80  als  gegen  72  hin  gelegt  wurde,  während  letzterer 
Ton  vorzugsweise  als  musikalische  Mitte  erscheint.  Diese  Neigung 
scheint  in  der  That  mit  Distanzverhältnissen  zusammenzuhängen. 
Ich  erwähnte,  dafs  mir  schon  vor  Wundt  und  Lorenz  die 
Quinte  nach  unten  als  Distanz  betrachtet  etwas  kleiner  als  die 
nach  oben  und  so  jedes  Intervall  nach  oben  hin  (bis  etwa  zur 
dreigestrichenen  Oktave)  an  Distanzgröfse  zuzunehmen  schien. 
Ist  dies  richtig,  so  wird  hier  und  überall,  wo  die  musikalische 
Mitte  ein  nach  beiden  Seiten  identisches  Intervall  bildet,  die 
Empfindungsmitte  mehr  nach  oben  von  dem  musikalischen 
Mittelton  liegen.  Aus  unserer  Tabelle  würde  ich  dies  wegen 
ihrer  schlechten  Beschaffenheit  nicht  gerade  erschliefsen,  aber 
sie  bietet  immerhin  für  das  vorher  bereits  Wahrscheinliche  eine 
gewisse  Bestätigung.  Wo  die  Empfindungsmitte  genauer  liegt, 
das  lehrt  auch  sie  nicht. 

h)  Oktave  -f-  Quinte  (Duodecime). 

Musikalisch  ist  der  hervorragendste  Zwischenton  hier 
zweifellos  die  Oktave,  z.  B.  zwischen  C  und  g  das  c.  Aber 
eine  musikalische  Mitte  in  dem  oben  definierten  Sinne  bildet 
er  nicht,  da  die  Distanzen  C — c  und  c — g  doch  zu  offenbar 
verschieden  sind.  Wir  haben  also  wieder  grofse  Schwankungen 
zu  erwarten.  Und  sie  sind  da,  sowohl  in  der  Lage  des  m- 
Maximums,  als  im  sonstigen  Gang  der  Werte  (noch  besser  an 


über  Vergleichungen  von  Tondi8ta»ueH. 


489 


Tab.  II  (34:102  = 

=  1: 

3). 

M, 

Lz 

M 

66 

88 

10 

2 

68 

12 

20 

50 

80 

20 

45 

37 

18 

«8 

87 

13 

— 

49 

14 

37 

38 

25 

37 

30 

42 

28 

70 

59 

30 

11 

21 

88 

46 

37 

18 

45 

37 

35 

28 

73 

36 

39 

25 

5 

16 

79 

8 

10 

82 

15 

30 

55 

74 

47 

34 

19 

5 

24 

71 

3 

12 

85 

22 

78 

76 

47 

43 

10 

3 

23 

74 

— 

5 

95 

2 

13 

85 

78 

24 

44 

32 

4 

32 

« 

64 

10 

10 

80 

10 

10 

80 

Mp 

Ps 

B 

66 

83 

7 

10 

68 

15 

17 

77 

23 

^^ 

88 

12 

_« 

68 

38 

25 

37 

8 

70 

22 

63 

32 

5 

85 

15 

— 

70 

15 

5 

80 

12 

10 

78 

60 

35 

5 

90 

8 

2 

72 

5 

— 

95 

— 

— 

100 

45 

38 

17 

30 

48 

22 

74 

2 

98 

3 

12 

85 

17 

65 

18 

50 

35 

15 

76 

2 

— 

98 

2 

5 

93 

13 

57 

30 

35 

45 

20 

78 

— 

20 

80 

— 

7 

93 

— 

80 

20 

20 

50 

30 

der  vollständigen  Originaltabelle  ersichtlicli);  auch,  die  Höhe 
des  Maximomwerts  ist  wieder  fast  überall  recht  gering.  Kurz, 
es  läfst  sich  nichts  entnehmen.  Spräche  aber  doch  etwas  för 
die  absolute  Beizmitte,  so  spräche  es  auch  für  den  musikalischen 
Zwischenton,  denn  beide  fallen  hier  zusammen. 

Nur  eins  ist  wieder  merkwürdig:  die  Neigung,  die  Mitte 
noch  höher  als  68  (Oktave)  zu  legen.  Dem  Ton  78,  welchem 
eine  merkliche  Bevorzugung  zu  teil  wird ,  entspricht  (für  C 
als  Grundton)  ungefähr  eSy  genauer  dis.  Es  scheint  schwer 
begreiflich,  wie  man  dazu  kommt,  diesen  Ton  als  Mitte  zwischen 
C  und  ^  aufzufassen ;  jeder  mag  es  am  Klavier  versuchen.  Ja, 
Ljs  bezeichnete  sogar  noch  den  Ton  84  in  40  7o|  den  Ton  86  in 
28  7o  der  Fälle  als  Mitte  (in  dem  mitgeteilten  Bruchstück  nicht 
ersichtlich).  Das  wäre  etwa  e,  die  grofse  Decime  des  unteren 
Grenztons. 


440 


C.  Stumpf, 


Nnn  handelt  es  sich  hier  nicht  um  C  und  g  selbst,  sondern 
um  viel  tiefere  Töne;  der  Grundton  34  ist  etwa  Des^  (in  der 
Kontraöktave),  und  ich  halte  es  nicht  fOr  unwahrscheinlich, 
dals  in  dieser  Tiefe  die  Distanzen  sich  so  rasch  verkleinem, 
dafs  die  Empfindungsmitte  der  Duodedme,  in  reinem  Distanz- 
urteil aufgefafst,  sich  dem  höheren  Ton  mehr  nähern  muJGs  als 
bei  Duodecimen  der  mittleren  Begion.^ 

Doch  auch  mit  Des^  und  As  als  Grenztönen  will  einem  die 
Wahl  Yon  E  oder  F^  der  kleinen  oder  groüaien  Decime,  als 
Mitte  fast  unmöglich  scheinen,  und  so  gedachte  ich  eben 
diese  Ausschweifungen  des  Urteils  als  unlösliches  Batsel  auf 
sich  beruhen  zu  lassen  —  als  sich  auf  dem  alten  Wege  die 
Erklärung  darbot.  Diese  tiefen  Zungen  des  Tonmessers  haben 
überaus  starke  Obertöne,  und  es  ist  eine  bekannte  Erscheinung, 
dafs  man  den  Qrundton  hier  mit  seinem  ersten  Oberton  ver- 
wechselt, also  eine  Oktave  höher  taxiert.  Wurde  nun  Des^  als 
Des  gefafst,  so  War  zwischen  Des  und  As  die  musikalische  Drei- 
klangs-Mitte  F.  Kleine  und  grofise  Terz  {E  und  F)  sind  in 
dieser  Tiefe  von  nicht  besonders  Geübten  leicht  zu  verwechseln. 
So  wird  das  unmögliche  wenigstens  möglich. 


i)  Oktave  4~  kleine  Sexte. 
Tab.  m  (40:128  =  6:16). 


3f« 


82 

84 
86 
88 
90 
92 
94 
96 


73 
70 
64 
47 
23 
25 
8 
8 


26 
25 
30 
36 
48 
35 
20 
24 


Lz 


5 

6 
17 
34 
40 
72 
68 


1     3^ 


M 


34 

19 

47 

25 

38 

37 

20 

85 

45 

26 

89 

35 

18 

42 

40]  7 

86 

58 

14 

30 

56 

13 

30 

67  - 

33 

67 

8 

9 

83 

15 

17 

68 

5 

17 

78 

1 

2 

97 

5 

2 

93 

2 

8 

90 

1 

8 

91 

5 

7 

88 

— 

10 

90 

— 

— 

100 

20 

10 

70 

— 

— 

100 

— 

— 

100 

— 

100 

10 

10 

80 

*  Nach  LüFTs  Versuchen  würde  allerdings  von  der  grofsen  Oktave 
zur  Kontraoktave  die  ünterschiedsempfindlichkeit,  von  welcher  die 
Distansschätzung  abhängig  zu  sein  scheint,  zunehmen.  Aber  in  diesem 
Punkte  sind  seine  Angaben  stark  unsicher  (s.  m.  Tonpsych.  TL  553). 


über  Vergkidumgen  von  Tondistaneen. 


441 


M^ 

P8 

1   ■ 

82 

68 

2 

30 

55 

25 

20  50 

45 

5 

63 

30 

7 

84 

42 

25 

88 

15 

80 

65  58 

40 

2 

53 

80 

17 

86 

22 

18 

60 

10 

42 

48  43 

42 

15 

85 

45 

80 

88 

5 

2 

93 

8 

2 

90  33 

40 

27 

28 

40 

82 

90 

2 

— 

98 

5 

5 

90  82 

35 

83 

8 

25 

67 

92 

2 

— 

98 

5 

5 

90 

15 

50 

85 

— 

80 

70 

94 

10 

— 

90 

— 

100 

— 

50 

50 

— 

20 

80 

96 

— 

— 

100 

— 

100 

— 

50 

50 

— 

10 

90 

Dieses  groDse  Intervall  enthält  keinen  Zwischenton,  der 
einer  gebräuchlichen  harmonischen  oder  melodischen  Kombi- 
nation entspräche.  Am  ehesten  noch  allenfalls  die  Oktave  des 
höheren  Grenztons,  z.  B.  zwischen  c  und  as^  das  as.  Auf  dieses 
wird  man  beim  Singen  am  leichtesten  verfallen  und  es  bei  der 
Wiederholung  am  leichtesten  treffen.  Aber  es  liegt  doch  zu 
offenbar  näher  am  unteren  Grenzton  und  wird  darum  nicht 
einmal  musikalisch  als  eigentliche  Mitte  angesehen  werden. 
Übrigens  wurde  in  den  Versuchen  der  entsprechende  Ton  (64) 
gar  nicht  dargeboten. 

So  finden  wir  denn  die  Schwankungen  wieder  sehr  bedeutend. 
Aber  auch  wieder  dieselbe  Merkwürdigkeit:  mit  Vorliebe  wer- 
den Töne  als  Mitte  bezeichnet,  die  nicht  blofs  von  jenem  musi- 
kalischen Zwischenton,  sondern  auch  von  der  absoluten  Beiz- 
mitte nach  oben  hin  liegen,  und  die  man  in  keiner  Weise  als 
Mitte  würde  gelten  lassen,  wenn  man  den  Versuch  etwa  am 
S[lavier  in  der  mittleren  Begion  ausführte.  Der  Ton  96, 
welcher  dem  Beobachter  B  noch  in  50^0  Fällen  als  Mitte  er- 
schien, entspricht  z.  B.  bei  c  und  as^  als  Grenztönen  dem  es^. 
Ja,  sogar  der  Ton  102,  der  etwa  dem  e^  entspräche,  wurde  von 
diesem  Beobachter  noch  30  7o  mal,  von  Ijjs  12  Vo  mal  als  Mitte 
beurteilt.  Das  erscheint  wieder  ganz  unmöglich.  Die  obige 
Erklärung  greift  aber  auch  hier  Platz:  die  Versuche  spielten 
in  der  allertiefsten  Begion,  der  tiefe  Grenzton  34  =  E^  wurde 
als  seine  Oktave  E  aufgefafst.  In  der  so  entstehenden  kleinen 
Sexte  E — c  ist  aber  der  mittlere  Accordton  des  Durdreiklangs 
ö  =  96. 


442 


C.  Stumpf. 


k)  Doppeloktave. 
Tab.  XX  (64 :  256  =  1 : 4). 


Mv 

Lz 

M 

160 

48 

38 

14 

88 

13 

49 

20 

25 

55 

38 

28 

34 

164 

54 

33 

13 

20 

8 

72 

18 

82 

50 

25 

28 

47 

168 

47 

25 

28 

12 

15 

73 

8 

30 

62 

20 

13 

67 

172 

40 

40 

20 

8 

2 

90 

8 

8 

84 

10 

15 

75 

176 

17 

25 

58 

2 

8 

90 

2 

8 

90 

8 

8 

84 

Tab.  XXT  (128 

:612  — 

1:4). 

Mp 

Lz 

M 

S20 

62 

30 

8 

35 

13 

52 

30 

13 

57 

75 

17 

8 

324 

70 

25 

5 

13 

30 

57 

13 

13 

74 

58 

15 

27 

328 

60 

27 

13 

5 

27 

68 

8 

10 

82 

52 

18 

30 

332 

50 

32 

18 

17 

23 

60 

2 

15 

83 

30 

15 

55 

336 

8 

50 

42 

— 

10 

90 

2 

8 

90 

35 

27 

38 

340 

40 

27 

33 

2 

15 

83 

5 

10 

85 

27 

28 

45 

344 

10 

40 

50 

— 

100 

10 

40 

50 

20 

20 

60 

348 

20 

— 

80 

— 

100 

100 

40 

80 

30 

Tab.  XXn 

:  (266 :  1024 

—  1 

:4). 

Mp 

Lz 

M 

640 

78 

17 

5 

32 

13 

55 

8 

12 

80 

35 

25 

40 

644 

87 

8 

5 

40 

20 

40 

18 

10 

72 

30 

15 

55 

648 

75 

13 

12 

15 

17 

68 

25 

17 

58 

57 

10 

33 

652 

63 

20 

17 

— 

15 

85 

32 

10 

58 

50 

8 

42 

656 

30 

28 

42 

— 

13 

87 

5 

2 

93 

23 

20 

57 

660 

32 

15 

53 

— 

2 

98 

7 

8 

85 

30 

20 

50 

664 

30 

— 

70 

10 

80 

60 

— 

10 

90 

20 

— 

80 

668 

20 

— 

80 

— 

— 

100 

— 

10 

90 

— 

100 

672 

— 

10 

90 

— 

100 

— 

15 

85 

— 

20 

80 

676 

30 

— 

70 

— 

— 

100 

— 

20 

80 

40 

— 

60 

über  VergJeichungen  von  Tondistatuen,  443 

Eine  musikalische  Mitte  ist  hier  aufs  unzweideutigste 
gegeben  in  der  Oktave.  Alle  Welt  hatte  darum,  solange  man 
zwischen  Distanz  und  Intervall  nicht  unterschied,  die  Oktaven 
als  gleich  grofse  Distanzen  bezeichnet,  und  jeder  theoretisch 
unvorbereitete  thut  es  noch  heute.  Dies  ist  ja  der  stärkste  Be- 
weis  für  die  G-ewalt  der  musikalischen  Erfahrungen. 

Wenn  nun  trotzdem  die  Oktave  in  Tab.  XX  und  ^^'^ 
(in  XXn  wurde  sie  nicht  vorgelegt)  fast  in  keinem  einzigen 
Fall  als  Mitte  anerkannt  wurde,  so  ist  klar,  dals  man  sich 
diesmal,  wo  die  Versuchung  s.  z.  s.  am  nacktesten  herantrat, 
ausdrücklich  und  kräftig  dagegen  gestemmt  hat,  während  man 
ihr  in  den  früheren  Fällen,  wo  sie  versteckter  auftrat  oder  (wie 
beim  Dreiklang)  nicht  viel  Spielraum  Hefs,  unterlag.  Dies  ist 
das  Erste,  was  sich  aus  den  Tabellen  erkennen  läfst. 

Das  Zweite  ist  aber,  dafs  mit  Aufgabe  jenes  Stützpunktes 
das  Urteil  fast  ganz  seinen  Halt  verlor:  Zeichen  dessen  die 
jammerwürdigen  Schwankungen  der  Lage  des  Maximums,  be- 
sonders in  den  zwei  letzten  Tabellen,  und  die  sonstigen  ün- 
regelmäfsigkeiten  jeder  Art,  die  in  den  vollständigen  Tabellen 
noch  krasser  hervorspringen.  Da  folgen  sich  z.  B.  in  XXI 
unter  Jf  I  die  w- Werte:  0,  0,  20,  15,  5,  20,  10,  0,  13,  13,  10, 
15,  8,  10,  40,  0,  0,  0.  Ähnlich  XXTE  unter  L0  I  u.  s,  f.  Man 
erhält  den  Eindruck,  dafs  das  Maximum  nur  zufällig  da  liegt, 
wo  es  liegt.  Und  welche  Maximal  Das  gröfste  in  allen  drei 
Tabellen  ist  50,  in  der  letzten  Tabelle  30.  Das  heifst,  im 
günstigsten  Fall  wurde  der  bezügliche  Ton  eben  so  oft  für  die 
Mitte  als  nicht  für  die  Mitte  erklärt. 

Drittens  läfst  sich  erkennen,  dafs  die  Töne,  denen  das 
Maximum  zufiel,  fast  durchgehends  über  der  absoluten  Beiz- 
mitte liegen.  Beweisen  die  Zahlen  hier  überhaupt  etwas,  so 
beweisen  sie  gegen  die  Theorie  Wundts  und  des  Verfassers. 

Die  Urteile,  welche  zum  Vorschein  kommen,  sind  im 
einzelnen  wieder  oft  sehr  schwer  begreiflich;  z.  B.  dafs  in 
Tabelle  XXII  sogar  676  =  etwa  P  von  dem  Beobachter  M 
noch  20%  mal  für  die  Mitte  zwischen  c^  und  c*,  40  7o  mal 
sogar  fiir  näher  an  c*,  auch  von  La  30  7o  mal  für  näher  an  c* 
erklärt  werden  konnte. 

Es  ist  nicht  anzunehmen,  dafs  hier  wieder  für  den  tieferen 
Grenzton  dessen  Oktave  eingetreten  sei.  Denn  gerade  diese 
Tabelle  bezieht  sich  auf  Töne  der  mittleren  Eegion ;  auch  wäre 


444 


C,  Stumpf, 


-dann  eine  noch  stärkere  Verschiebung  zu  erwarten.  Gleichwohl 
•dürften  die  Obertone  auch  hier  die  Schuld  tragen,  indem  eie 
■6ie  E[langfarbe  erhellen  und  dadurch  den  Klang  scheinbar 
erhöhen.  Diese  Wirkung  mufste  sich  bei  dem  tiefer^i  Greneton 
viel  mehr  geltend  machen,  weil  dessen  sämtliche  Obertöne  bis 
2um  8.  (c^ — e^)  in  die  am  stärksten  hörbare  Region  fallen, 
während  bei  dem  höheren  Grenzton  nur  der  erste  [c^)  besonders 
«tark  war  (vgl.  Tanpsychol.  U  239).  Wurde  nun  der  tiefere 
Grenzton  scheinbar  höher,  so  mufste  auch  die  Empfindungsmitte 
scheinbar  gegen  den  höheren  zu  rücken.  In  geringerem  Mafse 
^ilt  dies  auch  bei  Tab.  XX  und  XXI,  da  tiefere  Klänge  eben 
im  allgemeinen  stärkere  Obertöne  haben  als  höhere.^  Wo  die 
Empfindungsmitte  aber  in  Wahrheit  liegt,  läfst  sich  aus 
keiner  entnehmen. 


Dritte  Gruppe:  Nichtmusikalische  Kombinationen. 

1)  Verstimmungen  der    verminderten   Quinte  oder 
iibermäfsigen  Quarte..* 


Tab.  XT  (320 : 

448 

—  5:7) 

.    WuNDT  Nr.  5. 

M, 

P 

Lg 

376 

78 

16 

6 

64 

32 

4 

20 

68 

12 

50 

44 

6 

380 

72 

6 

22 

38 

24 

38 

46 

28 

26 

46 

14 

40 

884 

27 

68 

5 

9 

80 

11 

4 

88 

8  1    9 

80 

11 

388 

52 

22 

26 

36 

14 

50 

2 

76 

22  1  16 

52 

32 

392 

30 

20 

50 

10 

8 

82 

4 

28 

68 

4 

44 

52 

^  Das  nämliche  kann  noch  auf  andere  Tabellen,  z.  B.  bei  der 
None,  neben  den  dort  erwähnten  besonderen  Erklärungsgründen  An- 
wendung finden. 

■  Unter  der  übermäfsigen  Quarte  verstehe  ich  hier  den  Tritonus, 
unter  der  verminderten  Quinte  dessen  Umkehrung,  also  in  der  C-Tonart 
f—h  und  Ä—/*^  So  existieren  jene  Intervalle  für  das  musikalische 
Bewufstsein.  Mathematisch  entsprechen  ihnen  die  Verhältnisse  32  :  45 
und  45 :  64. 


über  Vergleichuttgen  vwt  Tondistanten. 


445 


Tab.  Xn  (340 :  476  «=  6 :  7).    Wondt  Nr.  6. 


ür« 

P 

Lb 

400 

9a 

1 

1 

63 

tt 

15 

81 

14 

5 

50 

16 

34 

404 

85 

3 

12 

61 

11 

28 

45 

40 

15 

24 

16 

60 

408  1  62 

25 

13 

25 

22 

53 

24 

50 

26 

13 

13 

74 

412 

59 

7 

34 

11 

3 

86  1  12 

49 

39 

5 

14 

81 

416 

20 

1 

79 

— 

— 

100 

6 

30 

64 

3 

79 

Tab,  XVm  (620  :  868  =  5  :  7).    Wündt  Nr.  14. 


Mp 


728 
732 
736 
740 
744 


94 
92 
74 
63 
71 


Lz 


5 

1 

77 

21 

2  |57 

36 

5 

8 

73 

15 

12  1  41 

50 

13 

18 

56 

21 

23  I44 

33 

25 

12 

54 

16 

80|  30 

51 

18 

16 

56 

9 

35  1  30 

43 

7 

62 

20 

9|  52 

17 

23 

47 

17 

19 

28 

22 

27  1  27 

22 

1 

I 

18 
31 
36 
50 
51 


Mp 

E 

728 

43 

44 

13 

47 

38 

15 

40 

31 

29 

61 

23 

16 

732 

36 

43 

21 

38 

45 

17 

44 

25 

31 

55 

20 

25 

736 

27 

61 

12 

25 

54 

21 

29 

40 

31 

36 

29 

25 

740 

29 

56 

15 

25 

50 

25 

39 

27 

34 

44 

29 

27 

744 

34 

47 

19 

31 

46 

23 

37 

38 

25 

51 

20 

29 

Nicbtmusikalische  Kombinationen  werden  gleiohwobl  von 
jedem  mnsik-infizierten  BewuTstsein  nach  musikalischen  G-ewohn- 
heiten  und  Gesiclitspunkten  aufgefafst:  sie  werden  mit  den 
nächstliegenden  Intervallen  identiiSziert  oder,  wenn  die  Ab- 
weichungen von  denselben  merklich  sind,  eben  als  Yer« 
Stimmungen  oder  Annäherungen  aufgefafst.. 


446  C.  Stumpf. 

In  obigen  Fällen  erscheint  uns  5 : 7  als  das  Intervall  der 
verminderten  Quinte  (z.  B.  c — gesy^  und  in  diese  wird  die  kleine 
Terz  des  Grundtons  (e^)  als  Mitte  ergänzt,  welche  mit  den 
Grenztönen  einen  verminderten  Dreiklang  darstellt.  Das  ist 
aber  genau  derselbe  Ton,  welcher  der  absoluten  Beizmitte 
entspricht. 

Oder  man  fafst  5  :  7  als  übermäfsige  Quarte  {c — f%8\  welcher 
es  sich  mathematisch  noch  mehr  nähert  als  der  verminderten 
Quinte  (diese  wäre  z.  ß.  320  :  4557»,  jene  320  :  450,  und  der 
Ton  7  in  der  Tab.  XI  ist  448),  obschon  sie  ja  enharmonisch 
zusammenfallen.  Die  musikalische  Mitte  der  übermäfsigen  Quarte 
ist  wiederum  die  kleine  Terz  des  Grundtons,  es  (oder  die  damit 
enharmonisch  identische  des  oberen  Tons,  dis\  welche  mit  den 
Grenztönen  den  oberen  Dreiklang  des  allbekannten  verminderten 
Septimenaccords  bUdet. 

Der  Mittelton  ist  besonders  in  Tab.  XI  gut  erkannt,  in 
den  beiden  anderen  mit  einer  kleinen  Neigung  nach  unten,  die 
bei  den  höheren  Schwingungszahlen  weniger  bedeutet,  sich  aber 
aus  der  leichten  Vertiefung  des  oberen  Grenztons  gegenüber  den 
wahren  musikaUschen  Intervallen  erklären  Hefse,  wenn  diese 
Erklärung  nicht  allzu  fein  wäre  —  diese  Tabellen  sind  ja  über- 
haupt nicht  gut  beschaffen.  Bei  XI  sind  dem  Mittelton  auch 
ungleich  mehr  Versuche  gewidmet  (350  gegenüber  50  bei  den 
übrigen  Tönen),  und  es  scheint,  dafe  durch  die  h&ufige  Angabe 
dieses  Tones  die  Erkenntnis  desselben  als  der  musikalischen 
Mitte  immer  mehr  erleichtert  wurde.  Auch  in  aUen  anderen 
Tabellen,  wo  eine  gleiche  Begünstigung  des  Mitteltons  statt- 
fand,  macht  sich   ein  ähnlicher  Einflufs   bemerklich    (VJLl,   X, 

xin,  XIV,  XV,  XVI,  xvn). 

AuTser  diesem  Ton  tritt  in  Tab.  XI  aber  auch  der  Ton  360 
(in  unsrem  Bruchstück  nicht  enthalten)  merklich  hervor,  was 
Lorenz  selbst  richtig  darauf  bezieht,  dafs  dieser  Ton  mit  beiden 
Grenztönen  musikalische  Intervalle  büdet.  Er  giebt  nämlich 
mit  ihnen  den  oberen  Dreiklang  eines  Dominantseptimenaccords 
in  dritter  Lage  (c  d  fis). 


^  Der    den   Musiktheoietikem    wohlbekaniite    Ton    7   (Kibkbbrobrs 
Ton  t,  die    „natürliche  Septime^),    wird  sogar  manchmal  im  Dominant- 
septimenaccord,    dessen    oberen  Teil   der  verminderte  Dreiklang  bildet 
wirklich  statt  der  musikalischen  Septime  intoniert.    In  Fällen  wie  den 
gegenwärtigen  bleibt  aber  der  unterschied  überhaupt  unmerklich. 


über  Vergleichungen  von  Tondistamen. 


447 


Tab.  VI  (176: 

240 

—  11:15). 

WüNDT  Nr. 

13. 

Mv 

P 

Lz 

200 

99 

._ 

1 

96 

3 

1 

98 

_ 

2 

86 

3 

11. 

204 

95 

1 

4 

93 

2 

5 

93 

5 

2 

50 

5 

45 

208 

72 

28 

— 

46 

44 

10 

81 

16 

3 

37 

28 

40 

212 

83 

2 

15 

59 

13 

28 

37 

47 

16 

8 

14 

78 

216 

51 

— 

49 

50 

8 

42 

26 

33 

41 

2 

3 

95 

220 

6 

94 

17 

1 

82 

10 

14 

76 

1 

1 

98 

224 

4 

4 

92 

2 

2 

96 

4 

5 

91 

— 

— 

100 

Mt 

E 

Ln 

200 

79 

7 

14 

67 

29 

4 

47 

31 

22 

63 

81 

6 

204 

92 

4 

4 

50 

25 

25 

44 

87 

19 

56 

22 

22 

208 

57 

32 

11 

32 

46 

22 

28 

22 

50 

44 

25 

31 

212 

61 

14 

25 

4 

39 

57 

25 

25 

50 

28 

12 

60 

216 

14 

29 

57 

7 

18 

75 

19 

22 

59 

25 

22 

53 

220 

— 

50 

50 

14 

7 

79 

12 

3 

85 

22 

16 

62 

224 

7 

50 

43 

4 

11 

85 

9 

3 

88 

9 

3 

88 

Hier  liegt  eine  weitere  Vertiefung  der  übermäfsigen  Quarte 
vor,  welche  zwischen  dieser  und  der  reinen  Quarte  die  Mitte 
hält  (die  reine  Quarte  von  176  ist  234«/«,  die  übermäfsige  247  V2). 
Infolge  der  viel  strengeren  Anforderungen  an  die  Eeinheit 
von  ^Konsonanzen  als  von  Dissonanzen  wird  dieses  Intervall 
nicht  etwa  schon  als  Quarte,  sondern  entschieden  noch  als 
übermäfsige  Quarte  gefafst  und  daher  die  kleine  Terz  des 
Grundtons  als  Mitte  angesehen,  aber  eine  etwas  vertiefte,  weil 
das  Intervall  selbst  doch  auch  merklich  vertieft  ist. 

Die  kleine  Terz  wäre  211  Vs,  die  nach  der  Tiefe  zunächst- 
liegende Taste  des  Tonmessers  ist  208 :  derselbe  Ton,  der  auch 
die  absolute  Beizmitte  bildet.  Er  erscheint  in  der  Tabelle  im 
grofsen  und  ganzen  als  Mitte.  Aber  auch  die  bedeutenden 
Schwankungen  in  der  Lage  und  die  geringe  absolute  Anzahl 
der  Maximumwerte  begreifen  sich  für  uns  vollkommen,  während 
es  nicht  begreiflich  wäre,  warum  das  reine  Distanzurteil  hier 
mehr  Schwierigkeiten  als  sonst  finden  soUte. 


448 


a  stumpf. 


Tab.  XVI  (296 :  424  = 

=  37 

:53) 

.    WüNDT  Nr.  10. 

Mv 

P 

La 

352 

88 

12 

— 

64 

40 

6 

18 

74 

8 

64 

32 

4 

356 

76 

22 

2 

30 

54 

16 

20 

64 

16 

24 

54 

22 

860 

20 

79 

1 

3 

SS 

9  1    2 

94 

4 

9 

67 

24 

364 

18 

56 

26 

10 

48 

42 

2 

94 

4 

8 

54 

38 

368 

36 

24 

40 

44 

16 

40 

6 

56 

38 

26 

42 

32 

Hier  ist  umgekehrt  die  verminderte  Quinte  etwas  erhöht 
sie  wäre  richtig  =  421),  aber  noch  weit  von  der  reinen  (444). 
Man  wird  also  die  kleine  Terz  des  Grundtons  hier  ein  wenig 
erhöht  als  Mitte  fassen.  Die  kleine  Terz  ist  355Vs,  die  nächste 
Taste  356,  die  nächste  merklich  höhere  aber  360,  zugleich  die 
absolute  Mitte,  die  hier  denn  auch  mit  guter  Übereinstimmung 
getroflfen  ist.  Der  Mittelton  wurde  aber  hier  nicht  weniger  als 
400  mal  vorgelegt,  alle  anderen  nur  je  50  mal  (vgl.  o.  zu 
Tab.  XI).  Man  kann  diesen  Einflufs  der  Vermehrung  auch 
daraus  erschliefsen ,  dafs  bei  Wündt  (s.  die  Tab.  oben  S.  424) 
die  Zahl  360  nur  in  2  von  den  4  Vertikalreihen  (P 11  und  Lz  1} 
als  Mitte  angegeben  ist,  in  den  beiden  anderen  364  und  356. 
Die  Beobachtungen  von  P  und  La  müssen  also  inzwischen 
vermehrt  und  die  bessere  Übereinstimmung  hierdurch  erzielt 
worden  sein. 

Wir  finden  in  dieser  Tabelle,  wie  auch  in  der  vorigen  und 
in  XI,  zugleich  dieselbe  Erscheinung  in  den  u-  und  o-Breihen,die 
bei  der  reinen  Quinte  auffiel:  die  sonst  ziemlich  stetige  Ab- 
und  Zunahme  erleidet  bei  360  (bz.  208,  384)  mehr  oder  weniger 
bedeutende  Unterbrechungen :  eine  weitere  Auszeichnung  dieser 
Töne,  welche  sich  nicht  aus  reinen  Distanzurteilen,  sehr  wohl 
aber  aus  der  harmonischen  Bedeutung  der  Töne  begreift. 

m)  Verstimmung  der  kleinen  Terz. 

Tab.  XVn  (388  :  468  =  97  :  117).     Wundt  Nr.  11. 


Mv 

P 

Lz 

424 

58 

34 

8 

70 

22 

8 

50 

44 

6 

24 

68 

8 

428 

19 

74 

7 

11 

78 

11 

23 

71 

6 

6 

85 

9 

432 

20 

68 

12 

8 

54 

38 

14 

74 

12 

12 

66 

22 

über  Vergleichungen  van  Tondistanzen.  449 

Wir  haben  hier  eine  etwas  zu  grofse  kleine  Terz  (rein 
wäre  sie  bei  465,6),  aber  die  Abweichung  ist  sehr  gering.  Bei 
der  nachstniedrigeren  Taste  des  Tonmessers  würde  das  Intervall 
schon  zu  klein  ausfallen.  Kleine  Terzen  von  so  geringer  Un- 
reinheit hören  wir  fortwährend  in  der  Musik.  Eine  musikalische 
Mitte  hat  aber  die  kleine  Terz  nicht.  Zwischen  c  und  es^ 
liegen  d  und  des  (eis),  das  erstere  aber  offenbar  näher  an  eSy 
das  letzere  an  c.  Hierüber  und  insoweit  läfst  uns  das  reine 
Distanzurteil  nicht  im  Zweifel.  Man  wird  also  die  Mitte  zwischen 
d  und  des  suchen,  hier  mit  entschiedener,  durch  die  Umstände 
aufgenötigter  Emancipation  von  den  musikalischen  Intervallen^ 
dennoch  aber  geleitet  durch  die  beiden  anstofssnden  musika- 
lischen Töne ,  die  Skylla  d  und  die  Charybdis  des^  die 
natürlich  auch  nicht  unter  diesen  Buchstabenzeichen,  wohl  aber 
als  Töne  vorgestellt  werden,  d  wäre  436V»)  unter  den  Tasten 
des  Tonmessers  also  436;  des  wäre  414,  unter  den  Tasten  also 
412  oder  416.  Zwischen  436  und  416  liegt  in  der  That  die  Taste, 
auf  welche  die  meisten  tn-Schätzungen  entfielen,  428.  Kleine 
Ausbiegungen  der  m-Kurve  bei  416  (PI  und  II)  und  436 
(jLet  n)  scheinen  übrigens  auch  direkt  auf  die  Anziehungskraft 
der  Skylla  und  Charybdis  hinzudeuten.  Übrigens  ist  die  I^eiz* 
mitte  428  hier  auch  wieder  weit  häufiger  vorgelegt  worden. 


Zusammengefafst  ergiebt  sich: 

1.  Bei  allen  Intervallen,  welche  eine  ausgesprochene 
musikalische  Mitte  besitzen,  wurde  dieselbemitgrofser 
Bestimmtheit  als  Empfindungsmitte  bezeichnet,  aus- 
genommen bei  den  Doppeloktaven. 

2.  Bei  diesen,  wo  das  urteil  sich  energisch  von 
dem  musikalischen  Eindruck  emancipierte,  und  in  allen 
Fällen,  wo  eine  musikalische  Mitte  nicht  eindeutig 
vorhanden  war,  ergaben  sich  starke  Schwankungen  des 
Urteils.  Doch  entsprachen  in  den  letzteren  Fällen  den 
mehreren  zwischenliegenden  musikalisch  ausgezeich- 
neten Tönen  gleichwohl  häufig  sekundäre  Maxima» 
Bei  den  um  eine  Oktave  vermehrten  Quinten  und  Sex- 
ten machte  sich  die  musikalische  Mitte  zwischen  dem 
höheren  Grenzton  und  dem  ersten  Oberton  des  tieferen 
in  solcher  Weise  geltend. 


460  C.  Stumpf. 

* 

3.  Bei  unmusikalisclien  Tonkombinationen  wurde 
die  musikalische  Mitte  des  nächstliegenden  musika- 
lischen Intervalls  als  Empfindungsmitte  angegeben; 
doch  auch  hier  mit  gröfseren  Schwankungen  als  beil. 

4.  Wo  überhaupt  eine  gröfsere  Bestimmtheit  des 
Urteils  hervortrat,  also  wo  eine  musikalische  Mitte 
deutlich  vorhanden  war,  da  waren  es  die  musikalisch 
begabteren  und  geübteren  Beobachter,  welche  diese 
bestimmten  Urteile  abgaben,  während  die  Tabellen 
der  Unmusikalischen  die  gröfsten  Schwankungen  und 
Unregelmäfsigkeiten  zeigen. 

Kurz,  bis  in  alle  Einzelheiten  werden  uns  die  Tabellen 
verständlich,  wenn  wir  das  musikaUsche  IntervaUbewufstsein 
im  eigentlichsten  Sinn  als  mafs gebend  betrachten. 

Wenn  irgend  etwas,  so  ist  dies  durch  Lorbnz'  Versuche 
bewiesen;  wie  es  sich  ja  schon  aus  Wundts  Referat  deutlich 
erkennen  liefs.  Man  mufs  anerkennen,  dafs  Lorenz  selbst  auf 
diesen  Einflufs  an  zahlreichen  Einzelheiten  aufmerksam  macht 
und  denselben  in  nicht  weniger  denn  15  Einzelreihen  unver- 
kennbar findet.  Ich  kann  seinen  Ausfahrungen  darüber  (S.  94  f., 
femer  66  f.,  99  f.)  nur  zustimmen. 

Lorenz  meint  jedoch  aus  einigen  Fällen  erschlief sen  zu 
dürfen,  dafs  die  Klangverwandtschafb  „sich  doch  nicht  überall 
geltend  mache,  wo  die  Verhältnisse  der  Schwingungszahlen  es 
ihr  gestatten*^,  und  f&hrt  nun  ganz  in  WuNDTschem  Tone  fort: 
„Damit  wird  um  so  deutlicher  die  Thatsache  bewiesen,  dafs 
für  die  Auffassung  der  Töne  in  erster  Linie  nicht  die  Ver- 
hältnisse der  Schwingungszahlen,  sondern  die  absoluten  Unter- 
schiede der  Schwingungszahlen  in  Betracht  kommen."  (S.  96.) 
Man  traut  seinen  Augen  kaum,  wenn  man  nach  so  starken  Zuge- 
ständnissen mit  solcher  Zuversicht  und  Allgemeinheit  einen 
solchen  Schlufs  gezogen  findet.  Und  was  ist  es,  das  diese 
Wendung  bewirkt? 

Erstlich  die  Tab.  XIX  (oben  d).  Hier  könne  von  einem  Einflufs 
des  Ganztonintervalls  nach  den  Versuchsergebnissen  nicht  die 
Rede  sein.  Warum  nicht?  Die  Maximalwerte  von  m  liegen  alle 
um  den  Ganzton  (900)  herum,  soweit  sie  nicht  mit  ihm  zusammen- 
fallen. Aufserdem,  da  die  absolute  Mitte  der  Schwingungszahlen 
ebenfalls  900  ist,  so  sind  ja  alle  Schwankungen  und  Abweichungen 
vom  Ganzton  zugleich  ebensolche  von  der  absoluten  Mitte! 


über  Vergldchungen  von  Tondistanzen.  451 

Zweitens  sei  auch  in  einigen  anderen  Beihen,  wo  die 
Schwingungszahlen  harmonische  Verhältnisse,  und  zwar  zum 
Teil  sehr  günstige  und  leicht  erkennbare  —  wie  in  Vlii  und 
XI  (oben  a  und  b)  —  zum  Teil  solche  von  geringeren 
Graden  der  Klangverwandtsohaft  —  wie  in  XII  und  XVHI 
(oben  b),  XX  bis  XXTT  (oben  k)  —  bilden,  der  Einflufs  dieser 
harmonischen  Beziehungen  aus  den  Yersuchszahlen  entweder 
gar  nicht  oder  doch  nicht  in  so  auffallender  Weise  zu  erkennen ; 
„d.  h.  die  für  die  Beizmitte  M  erhaltenen  Versuchsreihen  (lies 
Versuchszahlen)  sind  zum  Teil  immer  noch  ausgezeichnet  durch 
das  Maximum  der  Schätzungen  m  oder  durch  das  Verhältnis 
der  Schätzungen  u  und  o,  sie  stehen  aber  nicht  in  einem  so 
auffälligen  Kontraste  zu  den  Versuchszahlen  der  Nachbartöne, 
wie  bei  den  im  Vorhergehenden  erwähnten  Reihen." 

Wir  haben  aber  gesehen,  dafs,  wo  immer  ein  irgend  hervor- 
tretendes m-Maximum  in  diesen  Reihen  sich  findet,  dasselbe 
allemal  auch  mit  der  musikalischen  Mitte  zusammenfallt.  Wo 
die  Reizmitte  eine  andere  ist  als  diese,  wie  bei  1 : 4  in  XX 
bis  XXn,  da  werden  überhaupt  nur  sehr  niedrige  Maximal- 
zahlen erreicht  und  schwankt  deren  Lage  hin  und  her.  Natürlich 
ist  dann  auch  der  Xontrast  zu  den  ürteilszahlen  der  Nachbar- 
töne geringer,  da  die  Zahlen  selbst  geringer  sind. 

Das  sind  die  Beweise!  Das  ist  die  Maus,  die  aus  dem 
kreifsenden  Berg  von  Versuchen  herausspringt!  Damit  wir 
aber  nichts  übersehen:  es  soll  auch  noch  der  Umstand  für 
obigen  Schlufs  sprechen,  „dafs  ähnliche  Verhältnisse  wie  bei 
einigen  der  harmonischen  auch  bei  einigen  der  vollständig 
unharmonischen  Reihen,  z.  B.  in  Tab.  XIV,  XV,  XVII  (oben 
e,  f,  m),  wo  allerdings  nur  verhältnismäfsig  kleine  Distanzen 
zur  Vergleichung  kamen,  sich  beobachten  lassen."  Darüber 
verweise  ich  auf  das  oben  zu  diesen  Reihen  Gesagte. 

III. 

Die  eigentümliche  Betrachtungsweise  müssen  wir  noch  ins 
Auge  fassen,  durch  welche  Lorenz  seine  Bestimmung  der 
Empfindungsmitte  „etwas  exakter"  zu  gestalten  glaubt  und  auf 
Grund  deren  er  sämtliche  Tabellen  umrechnet  (S.  69  f.).  Denn 
auch  sie  würde  eventuell  eine  gröfsere  Tragweite  besitzen. 
LoRBNZ  subsumiert  die  gefundenen  w-,  t^-,  o-Urteile  unter  den 
Begriff  der  richtigen  und  falschen  Fälle  (r  und  /).     Es 

Zeitschrift  für  Psychologie.  30 


462  C.  Stwnpf. 

solle  beurteilt  werden,  ob  der  Ton  M  in  der  Mitte  swischen 
T  und  H  liegt  oder  nicht,  und  letzterenfalls ,  welchem  er 
näher  liegt.  Liegt  er  nun  den  Schwingongszahlen  nach 
nicht  in  der  Mitte,  sondern  dem  tieferen  näher,  so  bezeichnet 
Lorenz  die  Schätzungen  u  als  „richtig"  (sc.  objektiv  richtig), 
die  0  als  falsch,  im  umgekehrten  Fall  umgekehrt.  Die 
Schätzungen  m  sind  in  beiden  Fällen  unrichtig.  Lokbkz 
rechnet   sie   aber   zur   Hälfte    den  richtigen,   zur   Hälfbe   den 

falschen  zu  fr'  =  r  +  ^j     mit   Berufung   auf   die    analoge 

(doch  auch  nicht  ganz  durchsichtige  und  nicht  auf  Distanz- 
vergleiohungen  bezügliche)  Behandlung  der  „Oleichheits*  oder 
Nullfälle"  durch  Fbchnbr. 

Liegt  sodann  der  Zwischenton  den  Schwingungszahlen 
nach  wirklich  in  der  Mitte,  so  sind  die  m  natürlich  die  objektiv 
richtigen  ürteUe.  G^leichwohl  werden  sie  wiederum  halbiert,  damit 
alles  auf  u  oder  o  reduziert  werde,  und  wird  hier  als  Zahl  der 

richtigen  Fälle  r'  =  w  ^ — ^  bestimmt. 

Also  wo  die  m  falsch  sind,  werden  sie  zur  Hälfte  als 
richtige,  und  wo  sie  richtig  sind,  zur  Hälfte  als  falsche  gerechnet. 

Die  Zahl  i^,  welche  hienach  in  den  umgerechneten  Tabellen 
an  die  Stelle  der  Zahlen  m,  u,  o  tritt,  hat  infolgedessen  eine 
doppelte  Bedeutung  (S.  81).  Li  den  Fällen,  wo  der  Zwischen« 
ton  nicht  in  der  Beizmitte  liegt,  giebt  sie  an,  wievielmal 
unter  100  Fällen  die  den  Schwingungszahlen  nach  kleinere 
Distanz  für  kleiner  gehalten  wurde,  also  die  objektiv  richtigen 

Urteüe,  einschliefslich  jedoch  der  — ^  falschen.  Bei  der  Beiz- 
mitte aber  giebt  sie  an,  wie  oft  unter  100  Fällen  eine  der 
beiden  und  zwar  die  tiefere  Distanz  als  die  kleinere  aufgefafst 

wurde,  also  die  objektiv  falschen  Urteile,  einschUefslich  der  — ^ 

richtigen.  Das  ist  doch  eine  vertrackte  Art,  die  Dinge  zu  be- 
handeln. Die  Begriffe  von  Bichtig  und  Falsch  verlieren  ja 
auf  diesem  Wege  ganz  ihren  Sinn. 

Die  Empfindungsmitte  soll  nun  da  liegen,  wo  r'  c=  50, 
d.  h.  wo  die  eine  Distanz  ebenso  oft  (einschliefslich  obiger 
(Fiktionen  für  kleiner  wie  für  gröfser  gegenüber  der  anderen 
beurteilt  werde.    Aber  welche  Bürgschaft  haben  wir  überhaupt^ 


L 


über  Vergletchungen  von  Tondistanzen.  453 

dafa  der  90  präparierte  Wert  r'  irgend  einmal  die  wahre  oder 
auch  nur  wahrscheinliche  Empfindungsmitte  darstellt?  Ab- 
gesehen von  allen  übrigen  Manipulationen  liegt,  soviel  ich  ver- 
stehe, schon  im  Ausgangspunkt  eine  Verwechselung  oder  Er- 
Sühleichang.  Es  sollte  doch  beurteilt  werden,  ob  der  Ton 
subjektiv,  für  die  Empfindung,  in  der  Mitte  liegt.  Ob  also 
ein  Urteil  in  dieser  Beziehung  richtig  oder  falsch  ist,  das 
kann  nicht  durch  sein  Verhalten  zur  Mitte  der  Schwingungs- 
zahlen definiert  werden;  es  sei  denn  unter  der  Voraussetzung, 
dafs  die  subjektive  mit  der  objektiven  Mitte  zusammenföUt, 
was  doch  erst  bewiesen  werden  soll.  Wenn  wir  die  Empfin- 
dungsmitte schon  kennen,  so  kann  auf  diesem  Wege  etwa 
bestimmt  werden,  wie  fein  das  urteil  eines  Beobachters  ihr 
entspricht,  wie  grofs  die  Fehler  sind,  und  es  kann  daraus  viel- 
leicht weiter  auf  die  Unterschiedsempfindlichkeit  geschlossen 
werden.  Aber  mit  welchem  Recht  die  Empfindungsmitte  selbst 
80  erschlossen  werden  könne,  leuchtet  nicht  ein. 

Nehmen  wir  einmal  an,  die  Empfindungsmitte  {E.  Jf.)  Uege 
in  der  Tonreihe  unterhalb  der  absoluten  Beizmitte  {B.  M.\  und 
es  haben  sich  für  einen  Ton  Jf,,  welcher  zwischen  E,  M.  und 
JR.  M.  liegt, 

T  KM,    M,    B,M.  H 

die  Urteilsanzahlen  ergeben:  20  m,  50  m,  80  0,  so  berechnet 
sich  r'  =  20  -f  25  =  45.  Dies  wären  die  „richtigen  Fälle** :  sie 
wären  aber  sämtlich  in  Bezug  auf  die  Empfindungsmitte  falsch. 

Nehmen  wir  an,  dafs  ein  Beobachter  ausschliefslich  und 
genau  so,  wie  er  empfindet,  urteile,  und  dafs  unter  Voraus- 
setzung der  gleichen  Lage  von  E.  M,  der  veränderliche  Ton 
JC  gerade  mit  R,  Jlf.  zusammenfalle,  so  würden  sich  ergeben: 
—  u,  — m,  100  0.  Danach  r'  =  0:  und  doch  wären  alle  Urteile 
in  Bezug  auf  die  Empfindungsmitte  richtig. 

Nun  kann  man  sagen :  r  und  f  und  r*  sind  Buchstaben, 
algebraische  Werte,  und  müssen  nicht  auf  die  Begrifie  von 
Wahr  und  Falsch  bezogen  werden.  Sie  sind  nur  rechnerische 
Hilfsmittel  zur  Vereinfachung  der  Tabellen.  In  der  That  ist 
eine  Vereinfachung  möglich,  da  die  dritte  Kolumne  nur  das 
Complement  der  beiden  ersten  zu  100  ist  und  diese  selbst 
durch  die  beiden,  zunächst  dann  allerdings  willkürlichen,  For* 

30* 


454  C.  Stumpf. 

mein  auf  Eine  gebracht  werden  können.  Auch  ist  klar,  daXs 
in  einer,  wenn  nicht  idealen,  doch  sozusagen  normalen  (die 
oben  S.  429  erwähnten  Bedingungen  erfüllenden)  Versuchsreihe 
bei  der  wirklichen  Empfindungsmitte,  wo  sie  auch  liege,  r' 
etwa  =  50  sein  mufs.  Denn  die  u  müssen  mit  fortschreitendem 
Jf,  an  diesem  Punkte  bis  0  oder  nahe  0  abgenommen  und  die 
m  bis  100  oder  nahe  100  zugenommen  haben.     Insoweit  wird 

also  der  Wert  r'  =  w  -j — —  faktisch  verwendbar  und  zwar  ohne 

Einführung  der  Beizmitte  in  die  Definition. 

Aber  die  Frage  ist,  ob  dadurch  die  Übersicht  und  die 
Einsicht  in  den  durch  die  Originaltabellen  ausgedrückten  Sach- 
verhalt nicht  vielmehr  leidet.  Dies  ist  ganz  entschieden  der 
Fall.  Denken  wir  uns  in  der  «-  und  m-Kolumne  einer  Ver- 
suchsreihe folgende  zusammengehörige  Wertreihen:  u  =  50, 
40,  30,  20,  10,  0;  w  =  0,  20,  40,  60,  80,  100:  so  wird  für 
sämtliche  6  verschiedene  M^  r'  =  50.  Statt  dafs  also  die 
Lage  der  Empfindungsmitte  deutlicher  hervorträte,  streitet  sich 
nun  eine  ganze  Zone  von  Jfi- Werten  darum. 

Bei  einer  weniger  normalen  Versuchsreihe  wird  nicht  für 
unmittelbar  aufeinanderfolgende,  aber  für  mehr  oder  weniger 
getrennte  Jf,  das  gleiche  r^  herauskommen,  und  zwar  auch  ge- 
legentlich r'  =  50,  und  man  wird  es  diesen  Fällen  dann  in  der  um- 
gerechneten Tabelle  nicht  mehr  ansehen,  aus  wie  verschiedenen 
Mischungen  von  Hr  und  9n-Zahlen  sie  entstanden  sind.  Es 
werden  also  Sprünge  in  den  r' -Werten  der  neuen  Tabellen  auf- 
treten, die  noch  wunderlicher  sind  als  alle  in  den  alten,  und  uns 
zwingen,  zum  Verständnis  doch  wieder  auf  diese  zurückzugehen. 

In  der  That  ergiebt  sich  dasselbe  und  noch  mehr  Inkon- 
venientes  für  Lorenz.  Seine  obigen,  nicht  eben  einfachen 
Feststellungen  genügen  nicht,  um  in  den  einzelnen  Fällen 
unzweideutig  irgend  eine  Lage  für  die  Empfindungsmitte 
herauszurechnen,  sondern  es  werden  eine  Menge  weiterer  Über- 
legungen (S.  82  f.)  nötig,  welche  für  die  Gewissenhaftigkeit 
des  Verfassers  ein  gutes  Zeugnis  ablegen,  das  Zutrauen  zu 
seiner  Methode  aber  nicht  erhöhen :  es  muls  zwischen  mehreren 
Prätendenten  auf  die  Empfindungsmitte  gewählt  werden;  es 
wird  aber  auch  umgekehrt,  wo  gar  kein  r'  herauskommt,  wel- 
ches nahezu  =  50  wäre,  durch  Literpolation  eines  hineinge* 
rechnet  u.  s.  f. 


über  Vergleichungen  von  Tondisianzen.  455 

Und  schliefslicli  fallt  die  Qeneralübersiclit  der  so  für  die 
Terscliiedeneii  Grenztöne  resultierenden  Mitten  (S.  85)  teilweise 
noch  weniger  zu  Gunsten  der  absoluten  ßeizmitte  aus  als  die 
ürtabellen,  z.  B.  bei  V,  VI,  XIX,  wo  der  so  erhaltene  "Wert 
sich  von  der  absoluten  Eeizmitte  bedeutend  entfernt.  Die  drei 
letzten  Fälle  (XX — XXII)  erscheinen  hier  allerdings  recht 
günstig  für  die  absolute,  sehr  ungünstig  für  die  relative  Mitte. 
Aber  wir  wissen  ja,  woran  dies  liegen  kann;  und  zudem  wird 
bei  dieser  Umrechnung  alles,  was  zur  Beurteilung  des  Zuver- 
lässigkeitsgrades   dient,    alle  Unterschiede   der   Schwankungen 

u.  s.  f.  getilgt. 

IV. 

Die  Ausdehnung  der  LORBNZschen  Untersuchungen  mag 
auch  die  Ausdehnung  unserer  Kritik  rechtfertigen.  Sie  ist 
nicht  zu  lang,  wenn  sie  allen  denen,  welche  sich  von  einer 
solchen  Milchstrasse  von  Zahlen  imponieren  lassen,  zum  hellsten 
Bewufstsein  bringt,  wieviel  mehr  auf  genaue  Kenntnis  und 
Beachtung  der  eine  Urteilsklasse  beeinflussenden  Faktoren 
ankommt,  als  auf  die  Anzahl  der  Versuche.  Sachlich  war  dem 
Wesen  nach  nichts  anderes  zu  sagen,  als  was  ich  bereits  im 
I.  Bande  der  Tonpsychologie  vorausgesagt  und  worauf  ich 
auch  in  einer  Kritik  der  ganzen  WuNDTschen  Tonlehre  ( Viertelj.' 
Seh,  für  Musiktoiss,  1888.  S.  540  f.)  bei  Erwähnung  der  damals 
vorliegenden  LoREKZschen  Ergebnisse  kurz  hingewiesen  hatte. 
Aber  die  Bemerkungen  scheinen  eben  noch  zu  kurz  gewesen 
zu  sein. 

Mehr  noch  als  den  Leser  dieser  Kritik,  wenn  sie  zu  lang 
ist,  mufs  ich  jedenfalls  den  fleifsigen  Experimentator  bedauern, 
der  mit  übelberatenem  Eifer  Jahre  hindurch  nebst  seinen  Ge- 
nossen Zeit  und  Arbeitskraft  verschwendete,  wo  doch  von  vorn- 
herein   ein  klares   Ergebnis    mit  Klarheit  ausgeschlossen  war. 

Das  Einzige,  wofür  in  positiver  Beziehung  aus  einigen 
Tabellen  eine  schwache  Vermutung  sich  ableiten  liefs,  dafs 
nämlich  die  Empfindungsmitte  (innerhalb  der  jeweilig  unter- 
suchten Tonregion)  höher  als  die  relative  Reizmitte  liege,  ist  als 
Vermutung  nicht  neu ;  und  dafs  es  hier  bewiesen  wäre,  läfst  sich 
angesichts  des  allgemeinen  Zustandes  jener  Tabellen  und  der 
Versuchsumstände  nicht  behaupten. 

Auch  das  freilich  haben  wir  gelernt,  dafs  hier,  wenn 
•irgendwo,  Tadeln  leichter  ist  als  Bessermachen.     Ich  will  aber 


456  C.  Stumpf. 

wenigstens  noch  hinzufägen,  bezw.  in  Erinnerung  bringen,  wie 
ioh  mir  Versuche  über  Tondistanzen,  wenn  sie  einige  Aussicht 
auf  Erfolg  haben  sollen,  angestellt  denke. 

Vor  allem  nicht  als  blofse  Massenversuche,  am  wenigsten 
durch  eine  Art  Volksabstimmung,  an  der  sich  Musikalische  und 
unmusikalische  gleichmäfsig  beteiligen,  sondern  ausschlieMioh 
mit  musikalisch  wohlgeschulteu  Beobachtern  (woU- 
geschult  natürlich  dem  G-ehör  nach,  nicht  der  Technik  naoh). 
unmusikalische,  welche  oft  nicht  einmal  deutlich  erkennen,  ob 
T  oder  H  der  höhere  Grenzten,  oder  welche  wenigstena  bei 
kleineren  Veränderungen  des  Zwischen tons  nicht  einmal  erkennen, 
ob  er  höher  oder  tiefer  wird,  können  unmöglich  irgend  eine 
Sicherheit  darüber  haben,  ob  er  zwischen  den  Grenztönen  in  der 
Mitte  liegt.  Man  würde  fast  ebenso  zweckmäfsig  durch  Volks- 
abstimmung eine  Gleichung  lösen.  Der  Musikalische  allein  ist 
auch  fähig,  in  deutlicher  Phantasievorstellung  einen  gegebenen 
Mittelton  zu  variieren*  und  sich  ein  urteil  zu  bilden,  ob  er 
durch  Erhöhung  oder  Vertiefung  der  Mitte  näher  kommen 
würde.  Überdies  haben  Musikalische  auch  eo  ipso  eine  Übung 
in  wirklichen  Distanzschätzungen.  Welcher  Eonsonanztheorie 
man  huldigen  möge,  immer  wird  man  anerkennen  müssen,  dafs 
die  Intervalle  nicht  durch  die  Thatsachen  der  Konsonanz  und 
Dissonanz  allein  im  Bewufstsein  charakterisiert  sind  und  an 
deren  Merkmalen  wiedererkannt  werden,  sondern  dafs  Distana- 
urteile  in  das  Intervallurteil  mit  eingehen.  Ich  will  hier  nicht 
von  den  exotischen  Leitern  reden,  welche  in  viel  gröfserem 
Mafse  als  die  unsrigen  auf  das  Distanzprinzip  gegründet  sind 
(vgl.  Helmholtz  Tonempf.  4.  Aufl.  423).  Jeder  Musikalische 
kann  nicht  umhin  zu  bemerken,  dafs  die  kleine  Terz  dem 
Grundton  näher  liegt  als  die  grofse,  wie  ja  auch  der  Name 
besagt;  und  selbst  wenn  der  Unterschied  beider  Terzen  ein 
unterschied  der  Konsonanz  ist,  so  spielt  in  unserem  Bewufst- 
sein doch  der  Distanzunterschied  eine  sehr  wesentliche  Bolle 
in  der  Auffassung  und  weiterhin  auch  in  der  Gefühlswirkung 
dieser  Intervalle.  Damit  ist  nicht  behauptet,  dafs  die  grofae 
Terz  in  allen  Begionen  die  nämliche  Distanz  bedeute,  sondern 
nur  dafs  von  einem  Grundton  aus,  z.  B.  von  c\  nach 
gleicher  Richtung  grofse  und  kleine  Terz  ausschlielslich  oder 
mit  durch  ihre  Distanz  voneinander  unterschieden  werden. 
Dem   unmusikalischen  ist  selbst  diese  leichteste  Art  der  Dia- 


über  Vergleichungen  von  Tondiatanzen.  457 

tazizvergleiohung  weniger  oder  gar  nicht  geläufig.  Der  Musi- 
kalische aber  hat  durch  die  hierin  erlangte  unfehlbare  Sicher- 
heit auch  einen  Yorsprung  für  andere  Arten. 

Denkbar  ist  vielleicht  ein  Individuum,  welches  keine  An- 
lage für  Musik  (genauer:  für  alles,  was  von  Konsonanz  und 
Dissonanz  abhängt)  und  doch  Anlage  für  Tonurteile  in  Hinsicht 
der  blofsen  Höhenunterschiede  besäfse.  Aber  das  unmusi- 
kalische Leben  bietet  wenig  Veranlassung,  diese  Anlage  aus- 
isubilden^  das  musikalische  fort  und  fort;  und  diese  zeitlebens 
fortgesetzte  Übung  kann  schwerlich  durch  eine  nachträgliche, 
und  wenn  auch  Semester  daraufgehen,  ersetzt  werden. 

Zweitens  mit  psychologisch  ad  hoc  eingeübten 
Beobachtern.  Damit  meine  ich  solche,  die  nicht  blofs 
theoretisch  den  unterschied  von  Verwandtschaft  und  Distanz 
klar  erkennen,  die  auch  nicht  blofs  im  allgemeinen  eine  prak- 
tische Übung  in  wissensohaftlichen  Sinnesurteilen  erworben 
haben,  sondern  die  eine  grofse  Übung  speciellin  der  Ab- 
straktion von  den  Verwandtschaftsverhältnissen 
besitzen.  Dadurch  mufs  der  Einflufs  der  musikalischen  Gewohn- 
heiten paralysiert  werden,  während  doch  die  erzielte  Feinheit 
des  Gehörs  erhalten  bleibt.  Es  giebt  eine  gröfsere  Anzahl  von 
«innespsyohologischen  Untersuchungen  (besonders  auch  im 
Farbengebiet),  bei  welchen  gewisse  Nebenumstände  in  Wirk- 
lichkeit nicht  ganz  beseitigt  werden  können  und  das  einzige 
Mittel  gegen  ihren  Einflufs  in  der  Gewöhnung  besteht,  von 
ihnen  abzusehen  (vgl.  Tanpsych.  11, 141 ,  822).  Diese  läfst  sich  durch 
besondere  Übung  erwerben,  in  unserem  Falle  namentlich  mit  Hilfe 
von  Vergleichungen  eines  und  desselben  Intervalles  in  ver- 
schiedenen Tonregionen.  Dadurch  kann  man  sich  immer  mehr 
gewöhnen,  das  innere  Ohr  von  dem  deutlich  erkannten  Ver- 
wandtschaftsverhältnis gleichwohl  ausdrücklich  ab-  und  dem 
reinen  Distanzverhältnis  zuzuwenden.  Ein  einziges  Urteil  eines 
solchen  Beobachters  wiegt  mehr  als  tausend  von  Unmusikalischen 
und  Ungeübten. 

Drittens  mit  stetiger  Tonveränderung.  Der  Beob- 
achter selbst  oder  ein  anderer  mufs  den  Zwischenton  so  lange 
hin  und  her  verändern,  bis  er  endgiltig  gleich  weit  von  den 
äufseren  entfernt  scheint,  und  diese  Veränderung  mufs  stetig 
erfolgen  können.  Dann  allein  sind  genauere  Bestimmungen 
möglich,  zumal  bei  kleineren  Unterschieden  der  Grenztöne.   Es 


458  C,  Stumpf. 

kann  aucli  der  unterste  und  der  Zwischenton  fest  gegeben 
und  der  obere  Gxenzton  veränderlich  sein,  oder  umgekehrt. 

Viertens  mit  einfachen  Tönen.  Wir  erwähnten  schon, 
dafs  starke  Obertöne  in  mehrfacher  Weise  Einflufs  gewinnen 
können,  indem  sie  einen  Klang  mehr  als  den  anderen  erhellen 
und  damit  scheinbar  in  die  Höhe  rucken,  oder  indem  sie  gar 
eine  Verwechslung  des  Grundtons  mit  seiner  höheren  Oktave 
bewirken.  Besonders  der  erste  Umstand  macht  bei  gröfseren 
Distanzen  alle  Versuche  mit  zusammengesetzten  Klängen,  am 
meisten  also  mit  Zungenklängen,  unrein.  Es  ist  merkwürdig, 
wie  sich  das  Urteil  über  die  Distanz  ändert,  wenn  man  zu 
einfachen  oder  auch  nur  nahezu  einfachen  Klängen  übergeht» 
Dieselben  zwei  Grundtöne  scheinen  eine  weitere  Distanz  anzu- 
nehmen. Man  pfeife  mit  dem  Munde  den  höchsten  und  den 
tiefsten  Ton,  den  man  hervorbringen  kann  (gewöhnlich  etwa 
c* — c*,  bei  Geübten  mehr):  sie  machen  den  Eindruck  einer 
gröfseren  Distanz  als  dieselben  Töne  auf  dem  Klavier.  Oder  man 
vergleiche  auf  einem  sehr  milden  Orgelregister  (Hohlflöte,  Eohr- 
flöte.  Flaute  amabile)  einen  Ton  der  eingestrichenen  mit  dem 
gleichnamigen  der  kleinen  Oktave,  so  hat  man  den  Eindruck 
als  ob  mehr  als  eine  Oktave  dazwischen  läge.  Man  schätzt 
eben  diejenigen  Töne,  die  man  gewöhnlich  nur  mit  zahlreichen 
Obertönen  zu  hören  bekommt,  jetzt,  wo  sie  von  nur  wenigen  oder 
keinen  Obertönen  begleitet  sind,  tiefer.  Betrüge  nun  dieser  Unter- 
schied der  scheinbaren  Höhe  gleichviel,  so  würde  sich  die  schein- 
bare Distanz  nicht  ändern.  So  aber  beträgt  er  der  Begel  nach  for 
die  höheren  Töne  weniger  als  für  die  tieferen,  weil  bei  Instru- 
menten mit  scharfen  Klängen  die  Zahl  und  Stärke  der  Ober- 
töne nach  unten  wächst.  Daher  müssen  solche  Instrumente 
uns  ein  verschobenes  Bild  der  Distanzen  darbieten.  Dieselben 
werden  nach  unten  immer  mehr  verkürzt  gegenüber  den  wahren 
Distanzen,  d.  h.  denen  der  einfachen  Töne.  Und  dies  mufs 
sich  besonders  bei  gröiseren  Distanzen  geltend  machen. 

Hier  lag  die  zweite  konstante  Fehlerquelle  der  LoRBNZschen 
Versuche  (neben  der  Einwirkung  der  Verwandtschaftsverhält- 
nisse) ,  deren  Wirksamkeit  uns  in  einigen  Fällen  besonders 
deutlich  schien.  Selbst  wenn  die  Versuche  unzweifelhaft  er- 
geben hätten,  dafs  wir  gleiche  Distanzen  da  annehmen,  wo 
gleiche  Schwingungsunterschiede  vorhanden  sind,  dafs  also  bei 
gleichem  Intervall  die  Distanz  nach  oben   immer  mehr  gröfser 


Über  VergLichungen  «o»  Tandisiamen.  459 

erscheint,  so  könnte  dieses  Ergebnis  immer  noch  auf  dem  oben- 
genannten Umstand  beruhen,  und  es  würde  über  die  wahren 
Distanzen  der  Tonqualitäten  und  gegen  die  FBCHNERsche  Formel 
in  unserem  Gebiet  nichts  gefolgert  werden  können. 

Gleichwohl  bin  ich,  wenn  ich  ausgeführten  Versuchen  mit 
einfachen  Tönen  vorgreifen  darf,  nach  bisherigen  Beobachtungen 
der  Meinung,  dafs  sich  das  FECHNBRsche  Gesetz  auch  da  nicht 
bewähren  wird  und  dafs  wirklich  die  Distanzen  nach  oben  hin 
zu  etwa  c^  gröfser  werden. 

Aber  diese  Vergröfserung  beträgt  ganz  sicher  nicht  soviel, 
als  sie  nach  Wundt  betragen  müfste,  der  hier  wie  so  manch- 
mal einen  richtigen  Gedanken  anderer  falsch  gewendet  bezw. 
übertrieben  hat.  Zwischen  c^  und  c'  bildet  zwar  nicht  c*,  aber 
sicherlich  auch  nicht  c*  die  Mitte,  sondern  beiläufig  d*.  Zwischen 
c^  und  g^  nicht  c*,  sondern  beiläufig  6^.  Zwischen  c^  und  d* 
nicht  g^,  sondern  beiläufig  gis^. 

V. 

Aufser  der  Feststellung  der  wirklichen  Distanzverhältnisse 
unter  den  Tonqualitäten  hat  nun  aber  auch  die  weitere  Ver- 
folgung jener ,  wenngleich  falschen,  Distanzauffassungen  ein 
Interesse,  welche  aus  Veranlassung  bestimmter  sonstiger  Ein- 
flüsse mit  Begelmäfsigkeit  unter  gewissen  umständen  eintreten. 
Wir  hörten  oben  von  einer  Begel  hinsichtlich  der  Zeitfolge, 
die  sich  aber  nicht  allgemeiner  bestätigte.  Eine  Fülle  bemerkens- 
werter Züge  liefert  dagegen  die  Analyse  des  musikalischen 
Denkens.     Nur  andeutungsweise   möchte  ich  Einiges   beifügen. 

Eine  Beihe  musikalischer  Kenntnisse  über  die  Gleichheit 
zweier  Intervalle  (z.  B.  Quinten)  als  solcher,  vielleicht  auch  die 
Gleichheit  der  Distanzen  auf  dem  Klavier  u.  s.  f.  bewirken  die 
erste  Abweichung  von  der  richtigen  Auffassung  der  Empfin- 
dungen: die  Intervalle  gleicher  Art  scheinen  uns  gegen  die 
Höhe  nicht  gröfser  zu  werden,  sondern  gleich  zu  bleiben. 

Erfahrungen  und  Vorstellungen  anderer  Art  hingegen,  wie 
die  Verkleinerung  der  Griffe  auf  den  Saiten-Instrumenten  und 
besonders  die  geringere  (scheinbare  und  wirkliche)  Ausdehnung 
der  höheren  Töne  und  damit  zusammenhängende  Associationen,, 
treiben  noch  weiter:  das  Tonreich  scheint  sich  gegen  oben 
immer  mehr  zu  verkleinem.  Eine  in  der  höheren  Oktave 
wiederholte  Melodie  erscheint  unter  Beibehaltung  der  Distanz- 


460 


C.  Siun^f, 


Terhältnisse  doch  hinsichÜioh  der  absoluten  Grofse  der  Schritte 
wie  eine  verkleinerte  Kopie  der  ursprünglichen.  Diese  Täuschung 
ist  in  wirklicher  Musik,  im  musikalischen  Zusammenhang  sogar 
die  herrschende,  die  vorige  dagegen  mehr  bei  der  Vargleichung 
der  Intervalle  im  isolierten  Zustand.  In  Yerbindung  mit  der 
Torstelhmg  des  „Aufsteigens^  in  der  Tonreihe  und  des  Zurüok- 
kehrens  bei  der  Oktave  führt  sie  zur  Darstellung  des  Tonreiches 
Als  einer  nach  oben  sich  verjüngenden  Wendeltreppe. 

Femer  erleidet  auch  die  musikalische  Mitte  zwischen  zwei 
Orenztönen,  wie  sie  oben  definiert  wurde,  je  nach  den  Um- 
ständen Verschiebungen. 


1-       •» 


^^^^ 


^^ 


3= 


/t\ 


3.-, 


4. 


s: 


^ 


3t 


5. 


BE 


^ 


Idb^fa?^^ 


t 


Bei  1.  wird  e*,  bei  2.  cP  als  Tonmitte  zwischen  a*  und  a* 
aufgefafst.  Die  Erklärung  ist  einfach.  In  beiden  Fällen  scheint 
der  Schritt  Tonica-Dominante  vor-  und  rückwärts  gleich  grofs. 
Aber  bei  1.  (Beginn  der  9.  Symphonie  Beethovens)  werden  die 
Orenztöne  als  Tonica  und  e^  als  Dominante  gefafst  (erst  später 
ändert  sich  diese  Auffassung).  Bei  2.  dagegen  (Hatdks  „Dudel- 
saok-Sjnmphonie")  wird  der  mittlere  Ton  cP  als  Tonica  gefafst, 
die  Grenztöne  als  Dominante.  Daher  der  Unterschied.  Nichts 
kann  deutlicher  zeigen,  wie  wenig  der  musikalische  Eindruck 
uns  über  die  wahren  Distanzverhältnisse  Aufschlufs  geben  kann. 
Zwischen  denselben  beiden  Grenztönen  a*  und  a'  kann  es  doch 
nicht  zwei  Distanzmitten  geben.  ^ 

Ebenso  wird  in  3.  die  grofse,  in  4.  die  kleine  Ter«  als 
Mitte  angesehen.  Es  kommt  eben  darauf  an,  ob  uns  die  Dur- 
oder   Mollauffassung    durch    die    augenblicklichen    Umstände 

^  Es  wird  auch  vorkommen,  dafs  Jemand  im  1.  Beispiel  den  zweiten 
Schritt  für  den  gröfseren  erklärt.  Auch  dann  wird  zimächst  der 
musikalische  Eindruck  schuld  sein,  insofern  der  Schritt  von  der  Dominante 
zur  Tonica  herab,  zumal  bei  diesem  Rhythmus,  etwas  besonders  Wuch- 
tiges hat,  was  nicht  so  sehr  in  der  GrOfse  des  Schrittes  als  in  der 
Bedeutung  (Jvyufu^)  der  Töne  innerhalb  der  Leiter  seinen  Grund  hat. 


über  Vergleichungen  von  Tandisiamen.  461 

n&hergelegt  wird.  Bei  6.  (Martha)  wird  die  grofse  Terz  nach 
oben  nnd  die  kleine  nach  unten  von  c\  soweit  sich  überhaupt 
während  des  Melodiehörens  die  Distanzauffassuiig  entfaltet,  als 
gleich  gefafst :  e^  erscheint  als  Mitte,  hier  also  wie4er  die  kleine 
7erz  des  tieferen  Ghrenztons,  obsohon  wir  uns  in  Dur  befinden  und 
<lies  auch  erkennen.  Von  der  ToniQa  c^  geht  die  Bewegung  sym- 
metrisch nach  beiden  Seiten,  denn  beidemale  geht  es  durch  die 
nächste  zur  übernächsten  Stufe.  Durch  die  Gleichheit  des  Bhyth- 
mus  wird  dieser  Eindruck  der  Symmetrie  noch  vervollkommnet. 
Infolge  dieser  Symmetrie  erscheint  momentan  auch  die  Grölse 
<ier  Schritte  gleich;  der  Unterschied  c* — ä*  gegenüber  c* — d^ 
wird  nicht  merklich,  zumal  A*  und  d*  nur  als  kurze  Durch- 
gangsnoten auftreten.  So  erweckt  auch  in  vielen  anderen 
Fällen  die  Symmetrie  der  Bewegung  innerhalb  der  gegebenen 
Leiter  den  Anschein  gleicher  Bewegungsgröfse. 

Feinere  und  zugleich  tiefer  wurzelnde  Täuschungen  betreffen 
den  Unterschied  der  Ganztöne  in  der  Leiter.  Mathematisch 
ist  in  der  C-Leiter  der  Schritt  c — d  (8 : 9)  gröfser  als  d — c 
(9 :  10).  Für  die  gröbere  musikalische  Auffassung  sind  die 
Schritte  gleich  grofs.  Wenn  man  aber  Musiker  bittet,  einmal 
genauer  zu  prüfen,  ob  ihnen  nicht  einer  der  Schritte  etwas 
gröfser  scheint,  so  pflegen  sie  den  zweiten  Schritt  für  gröfser 
zu  erklären.  Dies  hängt  mit  der  besonderen  Bedeutung  der 
Terz  (des  „charakteristischen  Tons^)  für  die  Leiter  zusammen. 
Der  wichtigere  Schritt  erscheint  als  der  gröfsere.  Analoges 
ergiebt  sich  bei  den  übrigen  Ganztonschritten  der  Leiter. 

Diese  konstante  Täuschung  hat  aber  nicht  etwa  zur 
Folge,  dafs  man,  nach  der  Mitte  zwischen  c  und  e  gefragt,  ein 
etwas  erhöhtes  d  als  solche  bezeichnet.  Dergleichen  Sinnes- 
täuschungen kennen  ja  keine  Konsequenz.  Dasselbe  musika- 
lische Bewufstsein,  welches  die  erste  Aussage  erzeugt,  sperrt 
sich  gegen  die  zweite,  welche  ihm  die  Vorstellung  eines  musi- 
kalisch unmöglichen  Tones  aufdrängen  würde,  obgleich  beide 
Aussagen  logisch  auf  das  Nämliche  hinauslaufen.  Man  wird 
die  Konsequenz  als  solche  anerkennen,  weil  man  mufs;  aber 
man  würde  die  Frage,  in  der  zweiten  Form  gestellt,  direkt 
nach  dem  Sinneseindruck  nicht  so  beantworten. 

Noch  feiner  endlich  und  doch  ebenfalls  von  gröfser  Festig- 
keit sind  die  Auffassungen  der  enharmonischen  Verschieden- 
heiten.    Es  ist  ein  bekannter  Streit,  ob  man  dis  oder  es  höher 


462  C'  Shmpf. 

intoniert.  Mathematisch  ist  es  höher.  In  Wirklichkeit  wird 
meistens  dis  höher  genommen.  Man  stellt  sich  den  Schritt 
dahin  (z.  B.  d — rf«,  e — dis  n.  s.  f.)  gröDser  vor,  als  den  nach  es- 
(d—es,  c — es  n.  s.  f.).  Dies  hängt  wieder  mit  der  harmonischen 
und  modnlatorischen  Bedentnng  der  Schritte  nnd  ihrer  dadurch 
bedingten  eigentümlichen  Gefuhlsqnalität  zusammen. 

Die  letzten,  aus  dem  Zusammenhang  der  Tonpsychologie 
herausgegriffenen  Bemerkungen  sollten  nur  (um  den  etwa» 
mageren  Körper  dieser  Untersuchung  ein  wenig  aufzuputzen) 
hindeuten  auf  die  Menge  der  Umstände  und  Einflüsse,  welche 
innerhalb  der  Musik  die  Distanzvorstellungen  bedingen.  Und 
nirgends  als  in  der  Musik  wird  ja  die  Auffassung  der  Töne^ 
als  solcher  in  ausgedehnterem  Mafse  praktisch  und  lebendig. 
Ganz  dürfen  aber  auch  diese  so  leicht  veränderlichen  Be- 
dingungen selbst  bei  psychophysischen  Versuchen  obenbe- 
sprochener Art  nicht  übersehen  werden.  Man  wird  bei  der 
Auswahl  der  Versuchsumstände  und  bei  der  Auslegung  der  Er- 
gebnisse beständig  die  Möglichkeit  im  Auge  behalten  müssen, 
dafs  neben  den  gröberen  auch  solche  feinere  musikalische  Ge- 
wöhnungen ihre  Nachwirkung  äufsem.  Wenn  es  sich  beispiels- 
weise gezeigt  hätte,  dafs  innerhalb  der  Quinte  bei  absteigender 
Folge  neben  der  grofsenauch  die  kleine  Terz  gerne  als  Mitte  ange- 
sehen würde  (was  etwa  der  WüNDTschen  Segel  entspräche,, 
thatsächlich  aber  nicht  der  Fall  ist),  so  würde  man  vor  allen 
weiteren  Folgerungen  zunächst  daran  zu  denken  haben,  dafs. 
Mollmelodien  sich  mit  Vorliebe  von  der  Dominante  abwärts 
zur  Tonica  bewegen  (vgl.  Beispiel  4  mit  3).  Wie  weit  solche 
Einflüsse  reichen  können,  läfst  sich  natürlich  nicht  von  vorn- 
herein bestimmen. 


über  negative  Empfindungswerte. 

Von 

H.  Ebbinqhaus. 

(Fortsetzung  und  Schlufe.) 

lU. 

über  den  materiellen  Gehalt  der  FsoHNERschen  Aajffassung 
ist  freilich,  nicht  viel  zu  sagen.  Sie  ist  irrig  und  irreleitend, 
das  wird,  wie  ich  vertraue,  aus  der  Gesamtheit  der  gegenwärtigen 
Ausführungen  für  .jeden,  der  sich  in  diese  hineindenkt,  hervor- 
gehen. Von  Interesse  ist  nur  die  Würdigung  der  Gesichtspunkte, 
die  in  Fbghkers  Geiste  zu  ihrer  Entstehung  Anlafs  gaben  und 
ihn  gewissermafsen  in  sie  verwickelten.  Sein  Irrtum  wird  da- 
mit noch  auf  andere  Weise  überwunden. 

Die  richtige  Auffassung  des  Wesens  von  Empfindungswerten 
fehlt  durchaus  nicht  bei  Fsghneb.  Sie  liegt  z.  B.  ganz  und 
gar  seiner  rechnerischen  Behandlung  der  ebenmerklichen  Unter- 
schiede zu  Grunde,  die  deshalb  in  diesem  Punkte  auch  völlig 
in  Ordnung  ist.  Er  betrachtet  die  ebenmerklichen  unterschiede 
als  Differentiale  im  mathematischen  Sinne,  d.  h.  als  sehr  kleine 
Gröfsen.  Nun  haftet  aber  doch  die  Differentialnatur  weder 
der  einen  noch  der  anderen  Empfindung  an,  zwischen  denen 
der  Unterschied  bemerkt  wird,  auch  ist  das  Empfindungsdiffe- 
rential sehr  wohl  zu  unterscheiden  von  dem  Unterschied  der 
objektiven  Beize,  durch  den  es  verursacht  wird.  Es  besteht 
also  allein  in  dem  Bewufstsein  einer  geringen  Verschiedenheit, 
eines  kleinen  Abstandes  0(Jer  einer  kleinen  Distanz  zwischen 
den  beiden  gegebenen  Elementarempfindungen.  Als  sehr  kleine 
Empfindnngsgröfse  wird  mithin  die  Empfindung  einer  sehr 
kleinen  Distanz,  oder,  wie  man  sagen  kann,  eine  sehr  kleine 
Distanzempfindung  betrachtet,  ganz  in  Übereinstimmung  mit 
den  obigen  Ausführungen  über  Empfindungswerte. 


464  B.  EbbinghoMS. 

Aber  diese  richtige  Yorstellimg  von  der  Sache  wirkt  nur 
sozusagen  im  geheimen  und  aoüser  an  diesem  einen  Punkte  nur 
gelegentlich  einmal^ ;  sie  ist  nicht  recht  deutlich  zum  BewuTst- 
sein  gekommen  und  nicht  konsequent  durchgeführt.  Die  ein- 
fache Folgerung  z.  B.,  daXs,  wenn  das  Differential  eines  Empfin- 
dungswertes die  Empfindung  einer  sehr  kleinen  Distanz  sei^ 
dals  dann  notwendigerweise  ein  endlicher  Empfindungswert  die 
Empfindung  einer  gröfseren  Distanz  sein  müsse  und  gar  nichts 
anderes  sein  könne,  findet  sich  nirgendwo  klar  und  bündig  aus- 
gesprochen in  den  Elementen  der  Psychophysik.  An  einer 
Stelle  der  Briefe  klingt  ein  solcher  Gedanke  einmal  an.  „In 
der  That  aber  fasse  ich  die  negativen  Empfindungen  nicht  al» 
Entfernungen  vom  Dasein  schlechthin,  sondern  ....  als 
Entfernungen  vom  Nullpunkte  eines  Daseins,  was  quantita- 
tiver Bestimmungen  fähig  ist,  und  ebenso  die  positiven  Empfin- 
dungswerte nicht  als  daseiende  Empfindmigen  schlechthin,  deren 
Quantität  auXser  acht  fallt,  sondern  als  Entfernungen  von  dem- 
selben Nullpunkte  des  Daseins  nur  in  entgegengesetztem 
Sinne  .  .  .  ."'.  Allein  diese  Auffassung  ist  doch  wesentlich 
eingeschränkter  als  die  richtige  und  der  Behandlung  der  eben- 
merklichen unterschiede   zu   Grunde   liegende.    Letstere   sind 

^  Z.  B.  noch  einigermafsen  bei  der  3*^  Ableitung  der  logarithmi- 
sehen  Formel,  EUm.  d.  Psychophysik,  11,  S.  36. 

'  S.  diese  Zeitschr.,  I,  S.  35/36.  Zu  vollerer  DurchftÜinmg  ist 
dieser  Gedanke  gelangt  in  der  letzten  Publikation  Fecbkebb  kurz  vor 
seinem  Tode:  „Über  die  psychüehen  Maßprintipien  und  das  Weher  sehe 
Gesett^  in  Wundts  Pkihs.  Studien,  IV,  8.  179  ff.  (1887).  Wuvdt  hatte  den- 
selben Gedanken  schon  seit  der  2.  Aufl.  seiner  Physiolog,  Psychologie 
(1880)  deutlich  herausgearbeitet.  Er  interpretiert  das  logarithmische 
Gesetz  ganz  in  dem  Sinne,  dem  ich  selbst  folge:  „Die  Merklichkeit 
einer  Empfindung  wächst  proportional  dem  Logarithmus  des  Beizes^  und 
ftigt  dann  hinzu,  dais  die  Merklichkeit  gemessen  werde  durch  die  Ent- 
fernung der  Empfindung  von  ihrem  der  Beizschwelle  entsprechenden 
Nullwerte  nach  oben  und  nach  unten  (a.  a.  O.  S.  858).  Die  Abweichung 
gegen  die  1,  Aufl.  wird  auf  die  Anregungen  der  TAKKERYSchen  Kontro- 
verse (1878)  zurückzuführen  sein,  an  der  sich  ja  Wundt  beteiligte.  Aber 
er  hat  dem  Druck  dieser  Kontroverse  nur  sozusagen  um  ein  ebenmOg- 
liches  Minimum  nachgegeben  und  sie  nicht  in  ihre  unabweislichen  Kon- 
sequenzen verfolgt.  In  allen  übrigen  Punkten,  wie  z.  B.  auch  in  Bezug 
auf  die  negativen  Empfindungen,  ist  er  wesentlich  bei  Fbchkeb  stehen 
geblieben.  Die  unten  (S.  468  f.)  folgenden  Ausführungen  über  Nullwert 
und  Nullpunkt  der  Empfindungen  und  über  die  Hereinziehung  der 
Schwelle  richten  sich  daher  auch  gegen  die  WuirnTSche  Darstellung. 


über  negalwe  Empfindungswerte.  4g& 

Grö&en  als  Entfernungen  je  zweier  ganz  beliebiger,  nur  sehr 
ähnliclier  Empfindungen  voneinander,  nach  der  Stelle  der 
Briefe  dagegen  sollen  die  Empfindungen  Qröfsen  sein  lediglich 
als  Entfernungen  von  einem  einzigen  Punkte,  dem  sogenannten 
Nullpunkte  ihres  Daseins. 

Ja,  in  einer  bestimmten  Hinsicht  bewegt  sich  Fbchnbb  in 
Yorstellangen,  die  einen  direkten  Gegensatz  gegen  die  Auffas- 
sung der  Empfindungswerte  als  Distanzen  involvieren,  nämlich 
durch  seine  gesonderte  Behandlung  der  sogenannten  unter- 
sobiedsempfindungen.  unsere  Empfindungen  von  Distanzen^ 
die  da  einzig  und  allein  das  sind,  was  an  den  Empfindungen 
numerischen  Wert  und  Gröfsencharakter  hat,  sind  ganz  dasselbe, 
was  Fbchneb  als  Unterschieds-  oder  Kontrastempfindung  be- 
zeichnet; die  logarithmische  Formel  ist  also  eigentlich,  in 
FBCHKBBscher  Terminologie,  eine  ünterschiedsmaisformel.  Aber 
Fbghhbr  betrachtet  erstens  die  Empfindungen  als  Gröisen  und 
zweitens  die  üntersohiedsempfindungen  ebenfalls  als  Gröfsen; 
er  mufs  sich  demnach  unter  den  einfachen  Empfindungsgröfsen^ 
trotz  seiner  Behandlung  der  ebenmerklichen  Unterschiede,  doch 
wieder  dunkel  etwas  vorstellen,  was  zwar  Ghröfse,  aber  von 
Unterschieds-  oder  Distanzempfindungen  verschieden  sei.  Ganz 
dementsprechend  konstruiert  er  auch  zwei  Formeln,  eine  Empfin- 
dungsmafsformel  und  eine  UnterschiedsmaTsformeL  Der  letzteren 
hat  meines  Wissens  noch  niemand  irgendwelche  sachliche 
Brauchbarkeit  abgewinnen  können,  und  diese  Thatsache,  nach 
einem  Menschenalter  so  lebhafter  Beschäftigung  mit  den 
FiCHBBRsohen  Leistungen,  mag  als  ein  Fingerzeig  dafür  dienen, 
dais  die  Duplicität  der  Formeln  eine  Hjrperplasie  ist.^ 

Die  bei  Fbohnbk  unzweifelhaft  vorhandene  Vorstellung  da- 
von, dafs  Empfindungsgröfsen  eben  Distanzempfindungen  sind,. 
ist  also  gekreuzt  und  in  den  Hintergrund  gedrängt  durch  andere 


*  Kürzlich  maclite  Badakovic  (Vierte^,  f.  wiss.  JPhihs.,  XIV.  8.  20) 
scharfsiimig  auf  den  Widerspruch  aufmerksam,  in  dem  die  Unter- 
BchiedsmaTsformel  gegen  eine  der  FEOHKSBSchen  Ableitungen  seiner  Em- 
pfindungsmafsformel  steht,  und  zwar  gegen  die  in  der  Psychophysik  an 
dt«r  Stelle  gegebene  (Psychoph.,  ü,  S.  36  f.).  Bas  Bemedium  ist  nach 
dem  Obigen  einfach.  Man  ignoriere  die  unhaltbare  und  überflüssige 
ünterschiedsmarsformel ,  dann  verschwindet  der  Widerspruch  und  die 
betreffende  Ableitung,  die  von  allen  die  einfachste  und  brauchbarste 
ist,  verbleibt  in  der  ihr  gebührenden  Geltung. 


466  ^-  Ebbinghaus. 

Vorstellaiigen.  Sie  ist  daher  auch  ganz  einfialBlos  geblieben 
für  die  Auffassung  der  negativen  Empfindungswerte.  Diese 
letzteren  empfangen  ihre  Deutung  yielmehr,  ^fie  bekannt,  aus 
dem  ganz  anderen  Gedankengange  heraus,  der  seinen  Mittel- 
punkt in  der  sogenannten  Thatsache  der  Schwelle  hat.  Auf 
allen  Sinnesgebieten  läfst  sich  folgendes  beobachten.  Wenn 
man  aut  ein  Sinnesorgan  einen  äufseren  Beiz  in  sehr  geringer 
Stärke  und  ganz  aUmählich  einwirken  läfst,  so  merkt  man  im 
allgemeinen,  d.  h.  im  Durchschnitt  zahlreicher  Fälle,  nicht  gleich 
etwas  von  dem  Vorhandensein  eines  Objektiven,  sondern  erst, 
wenn  der  Beiz  einen  gewissen  geringen  Wert,  den  sogenannten 
Schwellenwert,  überschreitet.  Ebenso  umgekehrt:  wenn  man 
die  Einwirkung  eines  äufseren  Reizes  auf  ein  Sinnesorgan  all- 
mählich abschwächt,  so  geht  auch  die  Empfindung  allmählich 
zurück,  aber  sie  hört  yöllig  auf,  etwas  von  der  Wirkung  des 
Aufseren  zu  enthalten,  nicht  erst  dann,  wenn  der  Beiz  den 
Wert  0  erreicht,  sondern  schon  vorher,  wenn  er  noch  eine  ge- 
wisse kleine  Gröfse  hat.  Diese  richtige  und  in  gewissem  Malse 
auch  wichtige  Thatsache  hat  nun  für  Fbchnsb  eine  ganz  auiser- 
ordentliche  Bedeutung  gewonnen ;  ich  kann  nur  sagen,  unglück- 
licherweise und  teils  durch  Zufall,  teils  durch  Mifsverständnis. 
Er  untersucht  die  allgemeine  Abhängigkeit  der  Empfin- 
dungen e  von  der  Intensität  der  äufseren  Beize  r  und  findet  dabei, 
dafs  die  einen  annähernd  wachsen  wie  dieLogarithmen  der  anderen, 
dais  also  e  =  klogr.  Nun  hat  diese  Formel  in  der  That  die 
Eigenschaft,  dafs  nach  ihr  die  e  in  Abhängigkeit  von  kleinen 
r  ein,  wenn  man  so  will,  ähnliches  Verhalten  zeigen  wie  die 
Empfindungen  in  Abhängigkeit  von  schwachen  Beizen.  Nimmt 
r  ab,  so  nimmt  auch  e  ab,  aber  es  verschwindet  schon,  d.  h. 
es  erreicht  den  Wert  0,  ehe  r  ganz  verschwindet,  für  den  Wert 
r  =  1.  Dieses  blofs  ähnliche  Verhalten  aber  der  Empfindungen 
und  der  Formel  gestaltet  sich  in  Fechners  Geiste  wie  selbst- 
verständlich zu  einem  identischen.  Er  betrachtet  ohne  weiteres, 
und  es  wird  zunächst  wohl  jedem  so  gehen,  obwohl  es  falsch 
ist,  wie  ich  vorweg  bemerke,  er  betrachtet  das,  was  die  Empfin- 
dung wird  bei  dem  Verschwinden  oder  bei  dem  Schwellenwert 
des  Beizes,  als  ihren,  d.  h.  als  ihren  einzig  möglichen  Null- 
wert. Dann  besteht  allerdings  völlige  Übereinstimmung  zwischen 
der  Formel  und  den  von  schwachen  Beizen  erzeugten  Empfin- 
dungen:   in   beiden  Fällen    wird    einerseits    etwas  Null,    wenn 


über  negative  Empfindimgsioerie.  467 

andeferseitfl  das,  wovon  es  abh&ngt,  noch  eine  kleine  endliche 
Gröfse  hat.  Die  Fotmel  leistet  mithin  auf  solche  Weise  zweierlei : 
erstens  wird  sie  den  Beziehungen  zwischen  gröfseren  r  tmd  e 
annähernd  gerecht,  zweitens  deckt  sie  die  Thatsache  der 
Schwelle,  und  die  Freude  über  diese  vermeintliche  Doppelleistung 
hat  nun  Fbchnsr  völlig  gefangen  genommen.  Er  wird  nicht 
müde,  auf  sie  als  auf  etwas  ganz  Besonderes  aufmerksam  zu 
machen,  und  sieht  die  wichtigste  Bestätigung  seiner  logarith- 
mischen Formel  darin,  dafs  sie  und  eben  nur  sie  auch  der  That- 
sache der  Schwelle  Rechnung  zu  tragen  vermöge.  Ja,  er  findet, 
dafs  die  Herleitung  einer  Formel  für  die  Abhängigkeit  der 
Empfindungen  im  allgemeinen  von  ihren  Beizen  eigentlich 
illusorisch  sei,  wenn  nicht  die  Thatsache  der  Schwelle  bestünde 
und  man  diese  mit  heranziehe.  Soweit  dann  später  der  Gedanke, 
dafs  Empfindungswerte  Distanzempfindungen  sind,  bei  ihm  Baum 
findet,  betrachtet  er,  wie  wir  sahen,  den  Wert,  den  die  Empfin- 
dung bei  dem  Schwellenwert  des  Beizes  annimmt,  also  ihren 
sogenannten  Nullwert,  auch  als  den  gebotenen  Nullpunkt,  von 
dem  aus  die  Distanzen  zu  rechnen  sind.  Und  in  diesem  Zu- 
sammenhange ergeben  sich  denn  notwendigerweise  auch  die 
negativen  Empfindungen:  werden  die  r  in  der  logarithmischen 
Formel  kleiner  als  1 ,  so  werden  die  e  kleiner  als  0,  also  nega- 
tiv, und  zwar  den  absoluten  Werten  nach  um  so  gröfser,  je 
minimaler  die  r  sind;  was  alles  ich  hier,  samt  den  Versuchen 
Fbchnbrs,  sich  mit  diesen  negativen  Werten  abzufinden  und 
sie  zu  interpretieren,  als  bekannt  voraussetze. 

Da&  irgend  jemand  sich  mit  diesen  negativen  Empfin- 
dungen, die  da  bei  den  geringsten  Spuren  von  objektiven  Beizen 
die  ungeheuersten  Werte  bekommen,  dabei  aber  im  Bewufstsein 
stets  unterhalb  der  noch  gar  nicht  vorhandenen  Empfindungen 
verbleiben,  aus  voller  Überzeugung  befreundet  habe,  wage  ich 
zu  bezweifeln.  Was  ihnen  zu  einer  dreifsigjährigen  Existenz 
in  den  Büchern  verhelfen  hat  und  vermutlich  auch  noch  weiter 
verhelfen  wird,  ist  aufser  der  Autorität  Fechnbbs  der  Zusammen- 
hang, in  dem  sie  auftreten.  Denn  in  der  That  haben  die  Haupt- 
punkte dieses  Gedankenganges,  die  Hereinziehung  der  Schwelle 
in  die  logarithmische  Formel,  femer  die  Vorstellungen  über  den 
Nullwert  und  Nullpunkt  der  Empfindungen,  auf  den  ersten 
Blick  etwas  durchaus  Plausibeles  und  Bestechendes.  Dennoch 
aber,  wenn  man  sich  einmal  Überzeugt  hat,  was  negative  Empfin- 

Zelttcbrift  für  Psychologie.  31 


468  ^'  Ebhmgham. 

dtingswerte  vermöge  der  Natur  unseres  Empfindens  und  der 
Natur  der  Negativität  allein  sein  können,  nnd  dals  demnaoh  die 
FBGHNBRsclien  negativen  Empfindungen,  da  sie  etwas  anderes 
sind,  niclits  sind,  so  lässt  sich  die  Vermutung  nicht  mehr  ab- 
weisen, dafs  auch  jener  Zusammenhang,  aus  dem  sich  die 
FEOHSTBBschen  ünmöglichkeiteo  notwendig  ergeben,  nicht  ganz 
in  Ordnung  sein  könne,  und  das  ist  in  der  That  der  Fall. 
Die  ganzen  Ausführungen  über  Nullwert  und  Nullpunkt  der 
Empfindungen,  sowie  über  die  Zusammengehörigkeit  des  Wbber- 
schen  Gesetzes  und  der  Thatsache  der  Schwelle  sind  irrig  und 
desorientierend.  Es  ist  in  ihnen  allerlei  durcheinandergewirrt 
und  verzwimt,  was,  obwohl  auf  den  ersten  Blick  sich  beinahe 
selbstverständlich  gerade  so  zusammenfagend,  doch  nicht  zu- 
sammengehört und  wohl  auseinandergehalten  werden  mufs. 

Ich  versuche  zunächst,  die  falschen  Vorstellungen  über 
den  vermeintlichen  Nullwert  der  Empfindungen  zu  klären. 
Hat  in  der  That  die  Empfindung  ihren  Nullwert  da,  wo  von 
dem  Vorhandensein  eines  schwachen  objektiven  ßeizes  nichts 
mehr  gemerkt  wird?  Ich  behaupte,  dafs  die  allerdings  nahe- 
liegende Bejahung  dieser  Frage  auf  nichts  anderem  beruht,  als 
auf  einem  versteckten  Hineinschillem  des  Gedankens  an  den 
objektiven  Beiz.  Der  objektive  Beiz  hat  freilich  seinen  Null- 
wert oder  doch  beinahe  seinen  Null  wert  in  jenem  Falle,  für 
das  Bewufstsein  ist  er  jedenfalls  Nichts  und  Nichts  ist  doch 
gleich  Null.  Aus  diesem  Grunde  und  aus  keinem  anderen  ge- 
schieht es,  dais  auch  die  Bezeichnung  der  entsprechenden  Em- 
pfindung als  einer  Nullempfindung  so  bereitwillige  Annahme 
findet.  Aber  wenn  man  sich  jedes  Gedankens  an  die  objektiven 
Reize  entschlägt  m,d  sich  einzig  und  aUein  an  die  Empfin- 
düngen  selbst  hält,  wie  es  doch  notwendig  ist,  wenn  man  sie 
zu  diesen  Beizen  als  etwas  anderem  in  Beziehung  setzen  will, 
so  fallt  jede  Veranlassung  fort,  gerade  jener  Empfindung  vor 
allen  anderen  einen  Nullwert  zuzuschreiben. 

Numerischen  Wert  haben,  wie  wir  sahen,  ganz  allgemein  nicht 
die  elementarenEmpfindungen  an  sich,  sondern  die  zwischenihnen 
bestehenden  Verschiedenheiten  oder  Distanzen,  soweit  diese  be- 
wuGst  werden.  Das  heilst  doch  mit  anderen  Worten:  an  und 
für  sich  betrachtet  hat  nicht  eine  bestimmte,  sondern  jede 
beliebige  isolierte  Empfindung  in  quantitativer  Hinsicht 
den  Wert  0,   jede  ist  als  Gröfse   eine  Nullempfindung.     Ganz 


über  negoHne  Empfindungswerte,  469 

ebenso  wie  jeder  Ort  oder  Punkt  des  Baumes  quantitativ 
gleich  Null  ist,  so  auch  jede  Elementarempfindung;  beide  haben 
eben  keine  DimensMm,  und  Gröfse  oder  Zahl  sind  dimensionale 
Oebilde.  und  wie  die  Orte  im  Innern  der  Erde  nicht  mehr 
oder  weniger  Null  sind  als  diejenigen  auf  den  höchsten  Berg- 
spitzen, sondern  alle  in  gleichem  Mafse,  so  sind  auch  die  sozu- 
sagen tiefsten  Empfindtmgen  eines  Gebiets  als  Ghröfsen  nicht 
kleiner  und  der  Null  näher  als  die  höchsten.  Freilich  nimmt 
die  dem  Nullwert  oder,  wenn  man  lieber  will,  dem  Schwellen- 
wert des  Beizes  entsprechende  Empfindung  unter  allen  übrigen 
eine  ausgezeichnete  Stelle  ein.  Aber  das,  was  sie  aus- 
zeichnet, ist  nicht  ihr  Nullwert,  —  in  dem  stimmt  sie  mit  sämt- 
lichen anderen  überein  — ,  sondern  dies,  dals  sie  gewissermafsen 
die  tief stmö gliche  Empfindung  des  betreffenden  Oebietes  ist, 
dafs  sie  den  natürlichen  Ausgangs-  und  Anfangspunkt  der 
ganzen  Beihe  der  übrigen  bildet.  Diese  ihre  Eigentümlichkeit 
aber  und  ihr  Gröfsencharakter  sind  doch  zwei  verschiedene 
Dinge  und  müssen  streng  auseinander  gehalten  werden. 

Ebenso  schief  aber  wie  dieser  Gedanke  von  dem  specifischen 
Nullwert  der  Schwellenempfindung,  ist  der  weitere  Gedanke 
Fbchnbrs,  dafs  dieser  sogenannte  Nullwert  gleichzeitig  den 
gebotenen  Nullpunkt  bilde,  von  dem  aus  die  Verschieden- 
heiten, Distanzen  oder  Merklichkeitsgrade  der  übrigen  Em- 
pfindungen zu  rechnen  seien.  Auch  er  ist  viel  zu  eingeschränkt 
und  dadurch  irreleitend,  unter  einer  Mehrheit  von  Gebilden, 
die  in  irgend  einer  Beihe  aufeinander  folgen,  giebt  es  keines, 
welches  etwa  seiner  Natur  nach  dazu  prädestiniert  wäre,  als 
Nullpunkt  fOr  die  Abzahlung  oder  Entfernungsbestimmung  der 
übrigen  zu  dienen.  Sondern  die  Festsetzung  eines  solchen 
Nullpunktes  ist  etwas  völlig  Willkürliches  und  Konventionelles. 
Es  kann  sein  und  wird  meist  so  sein,  dafs  nicht  alle  Punkte 
gleich  zweckmäfsig  für  diese  Wahl  sind;  aus  praktischen 
Gründen  empfiehlt  es  sich  in  der  Begel,  den  natürlichen  Anfangs- 
oder Endpunkt  oder  einen  anderen  charakteristischen  Punkt 
der  Beihe  zu  nehmen.  Aber  wenn  man  absieht  von  solchen, 
der  Sache  selbst  doch  fremden  Bücksichten,  so  ist  jeder  be- 
liebige Punkt  zum  Nullpunkt  für  Mafsbestimmungen  gleich 
tauglich;  wie  man  auch  wählen  möge,  alle  sachlichen  Be- 
ziehungen zwischen  den  verschiedenen  Gliedern  der  Beih& 
bleiben  dadurch  völlig  unberührt. 

31* 


470  Ä 

Ich  mofs  2tit  Erlftüteiting  wieder  aiof  die  jedcMiattü  ge* 
Ifitdlge  rämnliehe  Amsk^hauung  rektutiei^eii.  Der  niiAütlielie  Att9- 
gangspunkt  fttr  alle  terfesirischen  Erhebungen  ist  dae  Meeres- 
nireau,  und  da  ZweckmftXsigkeitsgrtblde  hinzükenunen,  trikUt 
man  dieses  auch  meist  als  Nullpunkt  für  die  qüantitaären  Be^ 
stinunungen  der  Erhebungen.  Aber  unter  umständen  katm 
eine  andere  Wahl  ^weckmäüsiger  sein,  dann  nimmt  man  etwa 
den  Wasserspiegel  irgend  eines  Flusses  oder  die  Basis  eines 
Gebäudes,  und  man  könnte  prinzipiell  schlechterdings  nehmen, 
welchen  Punkt  man  wallte,  ohne  dafs  dadurch  an  den  Be- 
gehungen der  Höhen  zu  den  Tiefen  oder  an  den  Gesetzen,  in 
denen  Höhen  eine  Bolle  spielen,  das  AUermindestel  geändert 
würde.  Ja  den  eigentlichen  natürlichen  Ausgangspunkt  idler 
Höhen  bildet  dei^  Mittelpunkt  der  Ürde,  denn  hier  f&ngt  alles 
Oben  an  und  hört  alles  unten  auf.  Aber  diesen  fundamental- 
sten Anfangspunkt  wählt  man  gleichwohl  nicht  afa  Nullpunkt 
f^  numerisohe  Höhenbestimmungen,  weil  er  äufserst  un- 
praktisch wäre;  man  ist  also  in  Be^g  auf  diese  Wahl  völlig 
unabhängig. 

Oanz  ebenso  rerhält  es  sich  mit  den  Empfindungen.  Be- 
trachtet man  sie  isoliert,  so  haben  sie  alle  in  gleicher  Weise 
den  Wert  Null;  betrachtet  man  sie  in  Bessiehcmg  zu  einander, 
so  gewinnen  sie  Entfernung  und  damit  Gk^fse.  Aber  auf  welche 
einzelne  Nullempfindung  man  diese  G-röfsen  als  atf  ihren  Null- 
punkt bezieht,  ist  völlig  gleichgültig ;  im  Prinzip  kann  man  jede 
beliebige  nehmen.  Einen  natürlichen  Ausgangspunkt  haben  die 
Empfindungen  an  dem,  was  sie  sind  beim  Fehlen  äufserer  £in- 
wirkungen  auf  die  Sinnesorgane;  vielleicht  ist  es  zweckmäMg, 
diesen  natürlichen  Ausgangspunkt  auch  zum  Nullpunkt  zu 
machen.  Aber  mehr  und  etwas  anderes  als  zweckmäfidg  ist 
es  nicht;  als  selbstverständlich  oder  notwendig  kann  es  in 
keiner  Weise  gelten.  Und  ob  man  so  verfthrt  oder  cMtders, 
mufs  fiir  alle  inneren  Beziehungen  der  Empfindungen  zu  ein- 
ander ganz  einerlei  sein.  Was  man  bei  einer  bestimmten  Wahl 
des  Nullpunktes  etWa  in  Formeln  fafst,  mufs  auoh  naoh  eiler 
beliebigen  Verlegung  des  Nullpunktes  aus  den  entsprechend 
abgeänderten  Formeln  wieder  heraus  zu  interpretieren  scdn.  So 
verhält  es  sich  tn  der  That,  wie  sich  in  No.  IV  zeigen  W»d, 
auch  mit  dem  WEBfiRschen  Gesetz,  bei  einer  richtigen  Int^- 
pretation  der  betreffenden  Formel:   alle  Beziehtmgen  dter  Ebh 


über  negqiti^  fkH^ffiindttng^werte,  47  J^ 

p6xuivmgßip^^fffi  ^  einander  b)^iben  gen^u  diidselben,  ob  man 
clie90  QhPi^ü/m  &tif  ßie  SobwelleBemplwdnng  od^r  auf  i^end 
eine  andere  ab  ihren  Ifnllpnn^t  beeiehL 

In  diesem  Sinne  sind  also  die  FBOHNEBschen  YopniteUnngep 
von  4mB  "Svi^wßJ^  ^nd  Nullpnnk^  der  Empfindungen  zu  )corri- 
gieren.  Tbnt  ma|i  da«,  eo  verscbwinden  aucb  die  ni^atiyen 
SimpfindingeiBL  im  FlK^HNSBAchen  Sinne,  deren  Ansti^^iglpeit  Mf 
die  TTmebtigkeit  der  ijimen  z^.  Ghnmde  liegenden  YoTan^petzqji^ 
gen  anfmerbaam  maohau  mni^*  Denn  einen  anderen  Nollwfortt 
der  Empfindungen  oder  einen  apderen  Nnllpunkjfc  als  die  Sobw^ 
lenempfindnng  ki5nnen  sie  nicht  irf^rtoragen. 

Wie  steht  es  nun  aber  mit  der  Bedentang  der  Si^weU^ 
selhft,  d.  jb.  mit  ihrer  Wiehtigkeit  für  das  WsBSB^ohe  G-e^etz 
und  die  loga^hmisohe  Formel?  Im  (3hrunde  ißt  diese  Frage 
bereits  erledigt  durah  frOh^  Qesagtef.  In  Wahrh^t  hat  dee 
VerhaltoEi  der  Sknpfindungen  bei  aohwaoben  Reizen  qnd  das- 
jenige der  Ipgarithmiaohen  Fonnei  bei  kleinen  r  nur  eine  gejpf 
aufiierliohe  Ahnliphkeit  mitttn^nd^,  das  eine  ist  iiber  keiliee- 
wege  saehlioh  eine  wirkUehe  Spiegelnng  des  anderen,  D^ 
Jdentifieierung  beruht  auf  den  falschen  Vprstellnngen  über  den 
NnUwert  der  ümpfindungesi ;  korrigiert  man  diese,  eo  9e|gt 
sieh,  daie  die  logeiithmiscbe  Formel  gar  nichts  von  der  Thatr 
sadb#  Av  Schwelle  enthUt  und  gar  niohts  davon  enthalten 
kann.  Denn  w^in  die  Sohwellenempfindung  nicht  mehr  noch 
we^ger  den  Wert  0  hat  wie  jede  bfaliebige  andere  ispUe^to 
Empfindung,  so  kann  audi  die  Eigenschaft  der  logaritbmisphep 
Formel»,  Sirr;=sl  e=^0  mi  liefern,  m  keiner  beeondereoai  3^ 
ziehu3i^  EU  der  SohweUenemp&ndnng  etehen,  eondern  m^9 
etwas  sein,  was  «u  jeder  belielngen  anderen  Empfindung  i^ 
derselben  Sezi^ihang  stebt.  Wie  das  eJJeKdinge  und  auf  gfu^p 
ein£aehß  Weise  der  Fall  ist,  wird  in  No.  JY  au  aeigen  sein* 

leh  will  aber  anjser  dieser  einjb^en  Erledigung  deyr 
Sehwettei^&^e  die  Saohe  noeh  von  einer  anderen  Seite  dif^ 
kutier#n.  Wie  «xi^ipudjüeh  uimI  na^hdröoktich  auch  Fwuvwft 
behaupten  mOge,  dsJGs  die  aUgemeine  Abhängigkeit  der  Em^ 
pfindmgen  von  den  Seiastftrkw  m^  die  Thats«^^  4^  Sohwelle 
enge  auMmmen  gebi^ren,  ich  wag»  ebeneo  n^dTtt^kliph  die 
en^gengesetiste  J^auptnn^,  daJb  diese  beiden  ^  md  for  sßfih 
sehr  wichtigen  Djmge  gfr  nic)tte  ^nitcimander  ^n  ihun  hai>w 
und  jfdee  t(ix  das  fmß^m  bede?<tus||pd<oe  iet,  dafs  ihre  ^ueamip^n^ 


472  A  Ebbmghaus. 

Ziehung  gänzlich  verfehlt  ist  und  dafs  «ine  klare  Eiilsioht  in 
alle  hiermit  znaammenhängenden  Verhältnisse  schlechterdings 
unmöglich  ist,  so  lange  man  sich  von  dieser  Verwirrung  nicht 
freigemacht  hat. 

Worin  besteht  denn  eigentlich  die  l^atsache  der  Schwelle 
ihrem  ganzen  umfange  nach?  Fschhbr  thut,  als  ob  sie  etwas 
wäre,  was  ffir  jedes  Sinnesgebiet  nur  einmal  vorhanden  ist 
und  was  deshalb  auch  von  der  logarithmischen  Formel  für 
einen  bestimmten  Wert  der  Veränderlichen  wiedergegeben 
werden  kann.  Aber  sie  ist  doch  wahrhaftig  auf  jedem  Sinnes- 
gebiet etwas  himdert-  und  tausendmal  Existierendes.  Wie  für 
den  Nullwert  (bezw.  Schwellenwert)  des  Beizes,  so  gilt  für 
jeden  beliebigen  anderen  Wert,  den  er  haben  kann,  ganz 
dieselbe  Erscheinung:  bei  einer  allmählichen  Verstärkung 
(bezw.  Abschwächung)  des  jeweilig  einwirkenden  Beizes  verrät 
sich  in  der  Empfindung  davon  nicht  gleich  etwas,  sondern  erst 
wenn  die  Zunahme  (oder  Abnahme)  einen  gewissen  kleinen 
Wert  überschritten  hat.  Fbohnzb  unterscheidet  zwar  bei  diesem 
Phänomen  den  Fall,  dafs  der  Beiz  den  kleinstmöglichen  für  die 
Empfindung  merkbaren  Wert  hat,  als  Beizschwelle,  von 
allen  anderen  Fällen,  als  ünterschiedsschwellen,  aber  wie 
kann  man  nur,  wenn  man  die  Dinge  ohne  Hintergedanken  be- 
trachtet, ganz  und  gar  Zusammengehöriges  so  auseinander- 
reiisen?  Der  Fall,  dafs  der  Beiz  den  kleinstmöglichen  von 
Null  verschiedenen  Wert  erreicht,  ist  ja  eigentlich,  wie  nmn 
oft  genug  bemerkt  hat,  ein  rein  fiktiver  Grenzfall,  der  that- 
sächlich  nicht  verwirklicht  werden  kann,  weil  wir  schwache, 
aber  immer  noch  recht  bemerkliche  objektive  Beizungen  (aus 
organischen  Ursachen  stanmiend)  gar  nicht  loszuwerden  im 
Stande  sind.  Es  existiert  also  im  Grunde  nur  ein  einziges 
Phänomen,  nämlich  das  der  ünterschiedsschwelle,  welches  sich 
bei  allen  möglichen  Werten  der  objektiven  Beize  in  gleicher 
Weise  geltend  macht.  Aufserdem  aber  besitzt  far  die  Em- 
pfindung —  und  auf  die  konmit  es  doch  bei  dem  ganzen  Phä- 
nomen an  —  der  (angenäherte)  Nullwert  des  Beizes  gar  nichts 
besonders  Ausgezeichnetes  vor  anderen  Werten.  Wir  können 
bei  möglichstem  Fehlen  objektiver  Beize  (aus  äufseren  und 
inneren  Ursachen)  charakteristische  Empfindungen  haben 
(Schwarz,  Stille),  und  können  beim  Vorhandensein  relativ 
starker  Beize  unter  Umständen  nichts  empfinden,  wie  man  sich 


über  negative  Empfindungswerte.  473 

gewöhnlich  ausdrückt,  nachdem  nämlich  Adaptation  eingetreten 
ist.  Was  kann  es  nun  wohl  für  einen  Wert  und  für  einen 
Sinn  haben,  die  Abhängigkeit  der  Empfindungen  von  den  ob- 
jektiven Beizen  durch  eine  Formel  zu  beschreiben,  die  einer 
allgemeinen  Eigentümlichkeit  dieser  Abhängigkeit  für  einen 
einzigen,  nicht  einmal  besonders  ausgezeichneten  Spezialfall 
Bechnung  trägt,  fär  die  hundert  oder  tausend  übrigen  und 
gleichwertigen  Spezialfälle  dieser  Eigentümlichkeit  aber  stumm 
ist?  Ich  sollte  sagen,  es  hat  gar  keinen  Wert,  und  statt  mit 
Fechner  grofses  Gewicht  darauf  zu  legen,  dafs  die  Formel  dem 
Schwellenphänomen  in  jenem  einzigen  Falle  gerecht  werden 
kann,  mufs  man  vielmehr  über  eine  so  singulare  und  dadurch 
seltsame  Leistung  stutzig  werden. 

Man  könnte  nun  meinen  und  hat  in  der  That  gemeint,^  um 
die  Beziehungen  zwischen  objektiven  Beizen  und  Empfindungen 
ganz  und  voll  auszudrücken,  müsse  man  nach  einem  G-esetz 
bezw.  einer  Formel  suchen,  welche  der  Thatsache  der  unter* 
schiedsschwelle  durchweg  Bechnung  trage,  welche  also  für 
jede  allmähliche  Zunahme  des  objektiven  Beizes  zunächst  ein 
Gleichbleiben  und  dann  erst  ein  Wachsen  der  Empfindung  an- 
zeige, so  dafs  die  Kurve  der  Empfindungen  von  jedem  beliebigen 
Werte  des  Beizes  ausgehend,  gewissermafsen  einen  treppen- 
fÖrmigen  Verlauf  nehme.  Ich  glaube  aber  vielmehr,  dafs  mit 
der  AufsteUung  einer  solchen  Formel  nicht  etwas  besonder]^' 
Vollkommenes,  sondern  etwas  besonders  Verwirrendes  geleistet 
wäre,  und  meine,  dafs  sich  die  ganze  Falschheit  der  Durch- 
einanderwirrung  von  Schwelle  und  WEBBRschem  Gesetz  nicht 
besser  darthun  läfst  als  dadurch,  dafs  sie  zu  einer  so  unge- 
heuerlichen Eonsequenz  fährt. 

Wie  die  Dinge  nach  meiner  Ansicht  aufzufassen  und  aus- 
einander zu  halten  sind,  will  ich  an  einer  Analogie  zeigen. 
Analogien  beweisen  nichts,  aber  sie  orientieren.  Und  für  die 
Abwehr  eines  falschen  und  die  Empfehlung  eines  richtigen 
Standpunktes  kommt  es  nicht  sowohl  auf  eine  Kette  von  Be- 
weisen als  vielmehr  darauf  an,  dafs  der  richtige  Gesichtspunkt 
einfach  aufgezeigt  werde,  damit  Jedermann  sich  überzeuge,  wie 
sich  die  Verhältnisse  von  ihm  aus  klar  und  durchsichtig 
gestalten. 


*  Stadler:   Philo8.  Manatsh.,  XIV  (1878),  S.  230  u.  223. 


474  -B^  JSbbmghaus. 

Vau  denke  sicli,  die  Bezi^uug;,  welche  zwiBchen  der  Stärke 
elej^triscfaer  Ströiae  und  den  durch  ^e  hervorgebjraohten  Ab- 
lenkungen einer  Magnetnadel  besieht,  sei  nnbekannt,  sie  solle 
empirisch  ermittelt  und  durch  eine  Formel  dargestellt  werden. 
Bei  d^  Untersuchung  wird  sich  Folgendes  herausstellen.  Wählt 
man  sprungweise  wachsende  Stromstärken,  so  weicht  die  Nadel 
^Eunehmend  weiter  von  ihr^  ursprünglichen  Buhelage  ab,  aber  die 
Stellungen,  in  denen  sie  zur  Buhe  kommt  (welche  für  bestimmte 
Stromstärken  immer  sehr  annähernd  dieselben  sind)  differieren 
fOr  gleiche  unterschiede  der  Stromstärken  immer  weniger  vonr 
eÜM^der,  je  stärker  die  Ströme  bereits  sind,  und  eine  Au»- 
weidbung  von  90^  erreicht  die  Nadel  überhaupt  niemals.  Macht 
man  den  Bogen,  in  dem  der  Strom  die  Nadel  umkreist^  gro& 
im  Verhältnis  zu  den  Dimensionen  der  Nadel,  so  läist  mh  die 
gesuchte  Beziehung  in  einer  sehr  ein£Eu>hen  Formel  ai|sdr&cken, 
dieStroi^stärken  r  verhalten  sich  bekanntlich  wie  die  Tangenten 
der  Ausechlsgswinkel  e,  also  r=k  tan  e.  Man  kann  aber  die  Unter- 
suchmg  auch  9<>iders  anstellen,  indem  nvan  nämlich  stAtt  sprung- 
^eiser  Y^änderuQge^  der  Stromstärken  kontinuierliche  wählt. 
D§nn  ergiebt  sich  zwar  im  grolsen  und  ganzen  dieselfaie  Ab* 
Jbtagigkeit  der  Nadelaussohläge  von  d^n  Ströme^,  sie  wird 
aber  kompli^ert  und  eti^^as  getrübt  durch  ein  aodepres  Phänom^sKi. 
JtT^mlich  wenn  man,  von  ei^ier  beliebigen  Stellung  der  Nadel 
l^usgehend,  d^a  sie  umkreisenden  Strom  ganz  ^^U^iä^lich 
verstärkt,  so  rührt  sie  nch  j^unächst  i^cjit,  vsoji  der  Sat^,  dafs 
dfe  Tangente  ihres  A^sscJilagswinkeMi  der  Stärke  des  jeweiligcip 
Stromes  entspicj^t,  wird  ztmehmend  ungenau.  i&Iit  eine^  Maie 
aber^  bei  einer  j^ewisse^  Orölse  der  Stromversjitrkung,  geift 
die  Nadel  in  Bewegung  und  geht  nun  gleich  mit  einem  kleine^ 
lUi^k  in  die  neue  ihr  nadl  der  Stromstärke  zu^onuni^nde  Lage 
über.  Diese  ]5rsoheinui;ig  f^igt  sich^  wie  ges^t,  bei  jeder 
AüLSgfifigsstellimg  4er  Nadel,  bei  ihrer  ursprjängUchen  Buh^jllige 
ipich^  xoehr  noch  minder  als  bei  jeder  ^der^n.  Wenn  m^  sie 
genauer  ]l^lt6rsuphte,  so  wfirde  xm^  zwiBifjBlh>s  dje  jftllgeiff^'ne 
die  Nadelbe:^egungega  bekenr9(Qhe^4e  Geßetwjiiftfwgfe^it  fku^  hi^ 
Tötend  &id^n:  die  3<ilM^M  deß  für  glejjch^  l^w^gyngf^nfißlsoß^ 
er^jrd^jrli^en  Stron^iuwac^es  i^rird  ^  .ein^  d^foh  jene^  Ocpe^ 
bedingten  Beziehung  stehen  zu  dem  jeweilig  bereits  yor^a94(ei&en 
Strom ;  aber  doch  sind  die  Erscheinung  selbst  und  jene  Qegetz- 
mäfsigkeit  verscl^eden^  Din^e. 


über  negative  JSn^findmgswerte,  475 

WÄe  wird  sich  nun  der  Physijcer  bei  diefiier  zweiten  Yer- 
flOirmigaweiae  mit  der  formellia£te^  DarsteUimg  seiner  Besnltate 
yerlv^ltep?  Offeub^ir  besteht  d|U3  Qesa.mty  er  halten  der 
Nadel  gegenüber  den  elektrischen  Ströme  in  de^  beiden  Er- 
B^h^xmeen  gWch^eitig,  in  dw  Gxöfee  des  jeweiligeu  Ab- 
leipikungswinkels  u^d  in  den  ruckweißeiiL  VeräAdernngen  ihrer 
Ii9ge.  Aber  sollte  es  wohl  irgend  Jemandem  uil  den  Sinn 
kommen,  die  BeschreibT^ig  dieses  all^erdings  thatsacbhohen  Ge- 
samtverhaltens  dadurch  unrettbar  zu  yerwirren^  cUv(s  er  ^eine 
beiden  Züge  in  ein  einziges  Mon^iaum  von  Formel  sozusagen 
Eusanu](i,eppackte?  Die  Nadel  ist  ireilich  ein  einheitliches  Ding 
und  bewegt  sich  als  solches.  Aber  wir  glauben  doch  nicht| 
dsAß  sie  jene  beiden  ihre  Bewegung  charaktarisi^^nden  Fiige^T- 
tümlichkeiten  auf  Grund  derselben  iBigenachjafte^  entfalte, 
BajOi4ßT^  deshalb,  weil  sie  verschiedene  üigon^chaften  hat 
nad  m  yer^chiedenen  Weisw  vo»  ihrer  Wmg^ung  abhängt: 
soweit  sie  magnetisch  ist,  wird  sde  abgelenkt  durch  den  Strom, 
u^d  /soweit  sie  sich  nicht  ohne  Reibung  bew^egki  geschehen  die 
Ye^rS^derungen  ihrer  Abjt^ikung  ruipkweise.  Da  wir  aber  nw 
un^9^e  Beschreibungen  der  Phänomen  doch  nicht  liefern,  u^ 
die  ^linsicht  jn  deren  Zusavimenhang  und  Fundiernng  zu  ver- 
wizrep^  sondern  um  sie  hervorzutreten  zu  lassen  und  zu  ep- 
lepLcht^m,  so  ist  es  auch  notwendig,  jene  beiden  Seiten  in  dem 
Yerhajltjsn  der  Na4«il  anseinan49r  ^n  )^alten  und  sie  nicht  etwa 
in  ej^e  eiiizige  Formel  zusammen  ?u  werfen  (falls  eine  solche 
übeprhfti^pt  möglich  sein  sollte)  und  dadforch  beide  unVeyiT^tUch 
zu  m^^nhen. 

9m^  analog  verhält  es  sich  aber  nach  n^iner  4^f>^BWg 
miit  djsn  Empfindung^i-  Die  äufseren  Beize  si^id  gewissi^^ 
mi^bßß  die  auf  die  Bujxelage  de«  sich  selbst  übe^iasseneti 
^rgapaösmus  lainwiirke^^en  elektrisohen  Ströme,  d^e  £2n^^dnx\gw 
gilj^icjisam  die  Ausschlage,  mit  denen  der  Orgaxü^nuv  auf  jene 
reagiert.  Die  Beziehungen  der  einen  zu  de^  ^pder^,  ^tii^iert 
h(^  allinäMi<?h6r  Yerst^kung  der  äufaepen  Beize^  ^gen  gleich- 
fi^eitig  fswei  qharakteijistiache  Züge.  Die  /Jlpt^^une  der  Kia* 
pjSupuliju^en  unter  deogi  EinfluTs  wachsei^r  B€W8tftr!kep  ßT^oktl^ 
%  g^eicjbe  Zapna^mne^  de^  B^ize  mjxm  leif^ppmef^  j^  stf^^k^ 
diese  bereits  sind ;  über  einen  gewissen  Maximalwert  gehen  sie 
selbst  bei  gröfster  Steij^erung  der  Beize  nicbt  hinailLs;  in 
mittleren  Gegenden  verhalten  sie  sich  an^b^™^  geiollls  deiiPL 


476  B'  Ebbinghaus. 

WBBERsclien  Gesetz.    AuGserdem  aber  zeigt  ihre  Yeränderong, 
bei  jeder  beliebigen  gerade  bestehenden  Empfindnng,  das  Phä* 
nomen  der  Schwelle.     Beides   besteht  gleichzeitig  mid   unzer- 
trennlich   an    denselben    Empfindungen    und    gehört    also    in 
gewisser  Hinsicht  allerdings  äufserlich  zusammen.     Aber  wenn 
man  sich  das  Yerständnis  dieser  Dinge  nicht  geradezu  verbauen 
will,    so   darf  man  sich  nicht   vorstellen,    dals    es   dieselben 
Eigenschaften   der  empfindungvermittelnden  Substrate  sein 
könnten,  auf  denen  jene  Erscheinungen   beruhen;   sie   zeigen 
dieses  völlig  Verschiedene  vielmehr,  weil  sie  verschiedene  Seiten 
haben.     Wie   man  sich  diese    des   näheren   denken  will,    mag 
dahingestellt  bleiben.  Ich  selbst  bin  aufs  Festeste  davon  über- 
zeugt, das  WEBEBsche  G-esetz  hat  seinen  eigentlichen  Grund  in 
den  Eigentümlichkeiten   der  Umsetzungen,    welche    durch   die 
äufseren  Beize  in  den  Sinnesnerven  oder  auch  in  den  Einbet- 
tungssubstanzen   ihrer    Endapparate    ausgelöst    werden,^    die 
Erscheinung    der   Schwelle   aber  ist    als    ein    Analogen  der 
Beibung  aufzufassen,  sie  beruht  auf  einem  Trägheitswiderstand, 
welchen  die  nervöse  Substanz  irgendwo  jeder  Abänderung  der 
in  ihr  jeweilig  etablierten  Prozesse  entgegensetzt.  Jedenfalls  sind 
die  beiden  Erscheinungen  sachlich  völlig  auseinander  zu  halten. 
Jemand   der  nach   einer  beide    gleichzeitig  umfassenden  For- 
mulierung  sucht,    kommt  mir  vor  wie  ein  Physiker,  der  die 
Ausschläge  einer  Magnetnadel  unter  dem  EinfluTs  elektrischer 
Ströme  und   die  ruckweisen  Veränderungen  dieser  Ausschläge 
durch  ein  und  dieselbe  Formel  darzustellen  bestrebt  ist.  Fbohnbb 
aber  gleicht  einem  noch  viel   merkwürdigeren  Physiker.     Er 
will  gleichsam  eine  Formel  liefern,  die  im  allgemeinen  lediglich 
die  Gröfse  der  Nadelausschläge  darstellt,    ohne  von  den  ruck- 
weisen Bewegungen  Notiz  zu  nehmen.    Nur  fär  einen  einzigen 
Fall,  und  darauf  legt   er  das  gröfste  Gewicht,   soll  auch  das 
Letztere  der  Fall    sein,    nämlich   far   den  Fall,    dafs   sich    die 
Nadel  in  ihrer  ursprünglichen  Buhelage  befindet. 

Man  denke  sich  einmal ,  was  doch  sicher  dereinst  der  Fal^ 
sein  wird,  die  berühmte  logarithmische  Formel  sei  abgethan  und 
durch  eine  andere,  das  Verhalten  der  Empfindungen  besser  spie- 
gelnde, ersetzt.    Dafs  diese  auch  wieder  die  zufällige  Eigentüm- 


^  S.  m.  Abh.:  „Über  den  Grund  der  Abweichungen  von  dem  Weber  sehen 
Gesetz  u.s.w."    Pflügers  Archiv,   46,  8,  121. 


über  negathe  Empfindungswerte.  477 

liolikeit  haben  sollte ,  f&:  r  =  1  den  "Wert  c  =  0  zu  liefern,  ist 
mindestens  höchst  unwahrscheinlich,  jedenfalls  können  wir  uns 
ohne  jede  sachliche  Schwierigkeit  denken,  es  sei  nicht  der 
Fall.  An  der  Erscheinung  der  Beizsohwelle  im  FECHNEfisohen 
Sinne  kann  natürlich  dadurch  nicht  das  Mindeste  geändert 
werden,  sie  bleibt  in  alle  Zukunft  was  sie  jetzt  ist,  eine  eigen- 
tümliche Erfahrungsthatsache.  Nur  fällt  dann  künftig  jede, 
selbst  rein  äufserliche  Möglichkeit  fort,  dieses  Phänomen  in 
die  Empfindungsmafsformel  hineinzugeheimnissen,  und  es  muTs 
fax  Jedermann  ohne  weiteres  klar  sein,  was  jetzt  darzuthun 
so  viele  Worte  kostete,  dafs  die  FBCHNERsche  Verknüpfting 
der  beiden  Dinge  allein  durch  einen  irreleitenden  Zufall 
möglich  war. 

IV. 

« 

Es  bleibt  noch  eine  letzte  kurze  Erörterung,  auf  die  be- 
reits mehrfach  hingewiesen  wurde  und  die  in  der  Beantwortung 
zweier  naheliegender  Fragen  besteht. 

Nämlich  erstens.  Die  negativen  Empfindungswerte  in  dem 
unter  No.  n  dargelegten  Sinne  müssen,  so  behauptete  ich 
(S.  334),  in  jeder  beliebigen  Empfindungsmafsformel  darin- 
stecken  und  aus  ihr  herauszuinterpretieren  sein.  Die  logarith- 
mische Formel  kann  als  eine  wenigstens  annähernd  richtige 
Empfindungsmaisformel  gelten,  auf  welche  Weise  enthält  sie 
also  unsere  negativen  Empfindungswerte?  Und  auf  welche 
Weise  sind  diese  etwa  in  anderen  Formeln  enthalten? 

und  zweitens.  Wenn  die  FsoHNERschen  negativen  Em- 
pfindungswerte nichts  sind  und  die  Hereinziehung  der  Schwelle 
in  eine  Empfindungsmafsformel  irrig,  wie  läfst  es  sich  ver- 
meiden, diese  beiden  Dinge  aus  der  ja  doch  annähernd 
richtigen  logarithmischen  Formel  herauszuinterpretieren? 

Beides  beantwortet  sich  gleichzeitig  und  in  einfacher  Weise. 

Man  vergegenwärtige  sich  die  logarithmische  Formel  in 
ihrer  allgemeinsten  Gestalt 

e  =  h  log  -}-  c 

also  noch  ohne  die  FEOHNERsche  Bestimmung  der  Konstanten  c. 
Wie  man  zu  ihr  gelangt  ist,  soll  gleichgültig  sein.  Am  besten 
ist  es  jedenfalls,  sie  zunächst  nicht  aus  den  Beobachtungs- 
resultaten mit  ebenmerklichen,  sondern  mit  sog.  übermerklichen 
Unterschieden  abzuleiten,  etwa  so,  wie  es  im  Anschlufs  an  eine 


476  ^'  mbmgh^mr 

d^r  PMHVBBachen  Ablät^ngen  G.  E.  ICjOllbr  ^vJ^  {P^hffpkg^ 
S.  227).  Wie  ist  mm  die  wbetwi&te  j^omtjw^  C  Jütiuar  fax 
hestij9me^9  fiir  die  VMMSVß  «einB  9€äiz8ab.^6Uß  hßocntxzißbJ^? 
M«^  mnü  etwß.  Bo  sihgeoi. 

P^  die  Formel  nioht  von  iaalierten  l^lpipfiii^iuigjefi,  ßGu4^un 
von  Empfindung  8  wer  teil}  d.  k.  voii  Distieiyzempfindnjigei?,, 
etwibs  jbmiatgen  eoU,  90  müa^eiL  die  e  «af  ixgßB^  ^i«^,  a^  eicji 
völlig  willlcürliche,  ElefnfflifawiempfiTidn,i;ig  e^  ßia ilbfßn,  Aj99^ 
gMgsr  oder  YergleiohspunlEt  berogea  w:eitl«(a.  .0)^  eifie  8olo]iP49 
Aüfigiiiii^gsempfiiLdm^g  anedrüekjjich  gWMnt  i«|i  c^dw  lüobti  jü^ 
völlig  gl^bgüUig;  ^iiunigedaclut  mnTs  iquo  seini  epwt  bat  die 
Fonael  keine]!^  Sjtnn  (s.  S.  3^)^  die  e  bedeuieii  dMva  nicbjs 
Zählbares.  Für  die  r  gilt  ganz  dasselbe,  aber  hier  }ßb  obQfidie9 
keine  Gefahr  des  Irrtums;  Jedermann  interpretiert  ohne  weiteres 
eine  ihm  fOr  Baumstrecken,  Gewichtß  u.  dergl.  gejiapiite  Zahl 
in  richtiger  Weise.  Da  bei  Empfindungen  dies  noch  nicht 
Jedermann  von  selbst  thut,  empfiehlt  es  sich,  ihm  .die  Sache 
ausdrücklich  vorzuschreiben  und  deutiich  zu  sftgen,  der  eigent- 
liche 3inn   der  Empfindungsmafsformel  wird  dargestellt^  durch 

die  SynjjLbole 

e/e.  a=  Je  log  r  -}-  c. 

e«  ist  dabei,  wie  nicht  genug  wiederholt  weisen  kann,  vöttg 
willküx^ch ;  es  ist  der  Ausgangspunkt  der  Messungexi,  der  l^oä* 
ventionelle  Nullpunkt,  und  kann  als  sol<^er  in  d^  Skala  der 
Empfindungen  hoch  oder  tief  liegen,  ganz  wie  auch  4er  Aus- 
gangi^unkt  rftumlidher  Messungen  beliebig  hoch  oder  tief  ge- 
wäMt  werden  kiffin.  Der  dem  e.  entsprechende  ftulsere  Sei« 
sei  r. .  Nun  bestimmt  sich  c  ohne  weiteres  durch  £e  Bemerkung, 
dafs  jede  isolierte  Emj^dung  als  solche,  oder  was  4a8s^be 
ist,  jede  nicht  mit  einer  anderen,  sondern  allttn  misfc  Bieh  ^ielbst 
verglichene  Empfindimg  keine  Grö&e  hat,  dafs  also  ihr  numeri- 
scher Wert  BcO  ist.    Denn  i6h  habe  hiemach 

eje.  =  0  ==  Ä?  log  r,  +  c 
woriius       0  r==  -^  A;  l^g  r«. 

Pji^  m^gjßs^t?^  iji  die  aUjgemeine  Fprppiel  ^jgiebt  ^cb 

«/<?•  =  *  log-. 
^9 


über  negoHii^  EmpfinAmgswerU,  479 

Die  BesOimmting  der  Einheiten,  in  denen  die  Bc^i^gföfsiBn 
r  und  die  Empfiiidnngsgrdrsen  ele.  gemessen  weifden  sollen, 
bleibt  hier  noch  Vorbehalten;  die  Wahl  der  Reizeinheit  idt 
gleichgültig  für  die  Foiteel,  durch  die  Festsetzung  der  Empfin- 
dungseinheit  wird  Tc  bestimmt. 

Das  Kesoltat  sieht  ganz  ähnlich  ans,  wie  das  FsOHNBBsche, 
hat  aber  einen  völlig  anderen  Sinn,  da  6,  (bezw.  r«)  schlechter- 
dings hier  mit  der  Schwelle  nichts  zu  thun  hat,  sondern  ganz 
willkürlich  ist.  Wo  man  dieses  e^  auch  ansetzen  möge,  die 
Formel  ergiebt  stets  dasselbe  klare  und  widerspruchsfreie 
Besultat.  Jedes  e.  verglichen  mit  sich  selbst,  d.  h.  jede 
Empfindung  als  isolierte  und  an  und  für  sich  betrachtet,  hat 
den  Wert  0,  ganz  wie  es  nach  dem  Obigen  (S.  323  u.  468)  der 
Fall  sein  muTs.  Alle  e  ferner,  die  von  e^  aus  nach  einer 
Bichttmg  entfernt  liegen,  nach  einer  Seite  von  ihm  abstehen, 
haben,  verglichen  mit  jenem,  positive  Distanzen,  oder  sind, 
in  Bezug  auf^«)  positive  Empfindungswerte;  alle  e  dagegen, 
die  nach  der  entgegengesetzten  Richtung  liegen,  haben  negative 
Distanzen,  oder  sind,  immer  in  Bezug  auf  e«,  negative  Em- 
pfindungswerte* Welche  Sichtung  man  ursprünglich  als  die 
positive  festsetzt,  ist  ganz  gleichgültig;  das  hängt  von  dem 
Vorzeichen  von  i,  d.  h.  von  der  Wahl  der  Empfindungseinheit 
ab.  An  den  absoluten  Entfernungen  der  e  voneinander  aber 
(d.  h.  an  den  absoluten  Gröfsen  der  Empfindungswerte)  wird 
venndge  der  Struktur  der  Formel  durch  eiue  Verlegung  des 
Nullpunktes  nichts  geändert. 

Wem  noch  eine  Unklarheit  oder  Schwierigkeit  zurückge- 
blieb^i  ist,  der  wolle  sich  an  einem  Zahlenbeispiel  orientieren. 
Es  seiiMi 

^      U      U      U      ^6 

fünf  objektive  Beize  mit  den  numerisdien  Werten 

16   40  100  250  625. 

Da   die  Beizwerte  gleiche  Quotienten  miteinander  bilden,   so 
werden  die  Von  ihnen  hervorgerufenen  Empfindungen 


^1        ^%        ^8        ^4        ^6 


480  ^'  Ebbm^fiaus, 

(die  gleichzeitig,  wie  wir  annehmen  wollen,  der  mittleren  Ge- 
gend des  betreffenden  Empfindungsgebiets  angehören)  äqnidi- 
stant  sein.  Es  gelten  also  von  ihnen,  gem&fs  den  Erorteningen 
von  No.  n,  u.  a.  folgende  Beziehungen: 

eje^  =  2  .  e^/e^  oder  e^/e^  =  3 .  e^/e^ 
eje^  ==  —  ej/6j  =  —  eje^  u.  s.  f. 

Alle  diese  nnd  andere  ähnliche  Beziehungen  sind  nnn  aber 
bei  richtiger  Interpretation  in  unserer  Formel 

c/c.  =  ilog-- 

vollkommen  enthalten.  Wähle  ich  z.  B.  ab  willkürlichen  Null- 
punkt für  die  Bestimmung  der  Empfindungswerte  die  Elementar- 
empfindung ^,  so  resultiert  für  diese,  auf  sich  selbst  bezogen, 
ganz  wie  es  sein  muTs,  der  Wert  0. 

V6,  =  *logJ  =  0. 

Für  die  Empfindnngsdistanz  eje,  ergiebt  sich  ein  gewisser 
Wert  mit  negativem  Vorzeichen,  für  die  entgegengesetzt  ge- 
richteten Distanzen  eje^^  eje^  . . .  gleiche  bezw.  doppelt  so  grofse 
Werte  mit  positivem  Vorzeichen.  Nehme  ich  statt  6,  etwa  e^ 
als  Nullpunkt,  so  wird  an  dem  Wesen  dieser  Besultate  nichts 
geändert.  Der  Nullpunkt  e^  auf  sich  selbst  bezogen  liefert  wieder 
den  Wert  0;  alle  in  Bezug  auf  ihn  aufsteigenden  Distanzen 
erhalten  das  entgegengesetzte  Vorzeichen  von  den  in  Bezug 
auf  ihn  absteigenden  Distanzen.  An  den  absoluten  Ghrölsen- 
Verhältnissen  dieser  Distanzen  aber  wird  durch  die  Verlegung 
des  Nullpunktes  schlechterdings  nichts  geändert.  Bei  Beziehung 
auf  e^  findet  sich  z.  B. 

hl^%  =  *  log  2,5    eje^  =  h  log  (2,5)' 

=  2Alog2,6 
Also  eje^  =  2  .  e^/e^  oder  auch  =  2  .  eje^ 

Und  ebenso  bei  Beziehung  auf  e^ 

eje^  =  —  Ic  log  2,6    eje^  =  —  *  log  (2,5)* 

=  — 2.*log2,5 
Also  wieder     eje^  =  2  .  eje^ 


ji 


über  negative  Empfindungstcerte.  481 

• 
d.  h.,  ob  ich  die  zwischen  den  Empfindungen  e^  nnd  e^  be- 
stellende Yerscbiedenheit  in  der  einen  oder  in  der  anderen 
Sichtung  betrachten  möge,  ihr  numerischer  Wert  bleibt  immer 
das  Doppelte  der  zwischen  den  Empfindungen  e^  und  e^  be- 
stehenden Verschiedenheit. 

Auf  solche  Weise  stecken  also  die  negativen  Empfindungs- 
werte in  der  logarithmischen  Formel  und  sind  sie  aus  ihr 
herauszuinterpretieren.  Aber  nicht  nur  in  dieser  Formel  stecken 
sie,  sondern,  wie  soeben  wiederholt  behauptet,  sie  müssen  in 
jeder  anderen  Formel  enthalten  sein,  die  mit  dem  Anspruch, 
etwas  über  Empfindungs werte  auszusagen,  auftritt.  Denn 
Empfindungs  werte  besitzen,  vermöge  der  Natur  unseres  Em- 
pfindens, immer  das  Doppelgesicht  zweier  Bichtungen,  und  was 
man  von  ihren  sonstigen  Beziehungen  also  auch  finden  und  for- 
mulieren möge,  es  muTs  dieser  Grundeigentümlichkeit  stets  Bech- 
nung  tragen.  Auch  diese  Behauptung  willich  noch  kurz  illustrieren. 

Statt  der  logarithmischen  Formel  denke  man  sich  einmal 
eine  ganz  andere  als  Ausdruck  der  Beziehungen  zwischen 
Beizgröfsen  und  Empfindungsgröfsen.  Ich  benutzte  oben  zur 
schematischen  Erläuterung  dieser  Beziehungen  eine  von  elek- 
trischen Strömen  umkreiste  Galvanometemadel ;  man  fingiere 
vorübergehend,  dafs  das  Schema  Wahrheit  sei;  es  enthält  ja 
manche  Züge,  die  dem  wahren  Verhalten  noch  besser  ent- 
sprechen, als  das  logarithmische  Gesetz.  Die  äufseren  Beize 
sollen  sich  also  verhalten  wie  die  trigonometrischen  Tangenten 
der   Empfindungsgröfsen :    r=^k  tan  e.     Daraus    würde    folgen 

T 

ß  =  arctan-jr,  d.  h.  die  Empfindungen  wachsen  wie   die  Bögen 

zu  den  als  trigonometrische  Tangenten  betrachteten  Werten 
der  Beize.  Wie  wäre  diese  Formel  zu  verstehen?  Man  mülste 
sagen,  ganz  wie  oben  (S.  478) :  damit  sie  für  Empfindungs- 
werte überhaupt  einen  Sinn  hat,  müssen  die  e  bezogen  werden 
auf  irgend  einen  ganz  willkürlichen  Nullpunkt,  auf  eine  be- 
stimmte Ausgangsempfindung.  Ob  man  diese  ausdrücklich  nennt 
oder  nicht,  ist  gleichgiltig;  hinzugedacht  mufs  sie  sein,  sonst 
hat  es  keinen  Sinn,  von  Empfindungs  werten  zu  sprechen. 
Soll  sie  aber  ausdrücklich  in  der  Formel  genannt  sein  und  be- 
zeichnet man  sie  mit  e«,  den  sie  hervorbringenden  Beiz  mit 
r«,  so  ist  die  Formel  zu  schreiben,  wie  ich  im  einzelnen  nun 
nicht  weiter  ableite: 


482  ^*  Ebbinghaus, 

T  T 

e/e.  =  arctan  -r  —  arctan  ~ 

In  dieser  G-estalt  aber  liefert  die  wieder  dem  Wesen  nach  gfanz 
dieselben  Besultate  wie  oben  die  logaritbmisclie  Formel.  Jedes 
e,  auf  sich  selbst  bezogen  resultiert  mit  dem  Wert  0 ;  alle  in 
Bezug  auf  e,  aufsteigenden  Distanzempfindungen  erhalten  das 
entgegengesetzte  Vorzeichen  von  den  in  derselben  Beziehung 
absteigenden;  die  absoluten  Oröfsenverhältnisse  aber  der  ein- 
zelnen Distanzen  zu  einander  werden  von  der  Wahl  des  Nidl- 
punktes  schlechterdings  nicht  berührt. 

Soweit  die  Antwort  auf  die  vorhin  zuerst  gestellte  Frage 
nach  dem  Enthaltensein  der  negativen  Empfindungswerte  in  der 
logarithmischen  (oder  irgend  einer  anderen)  Empfindungsmafs* 
formel.  Die  zweite  Frage,  wie  maü  es  nämlich  vertüeiden 
könne,  die  negativen  Empfindungswerte  im  FECRKERschen  Sinne 
imd  die  Thatsache  der  Schwelle  aus  jener  Formel  herauözu- 
interpretieren,  ist  dadurch  gleich  mit  beantwortet.  Man  kommt 
gar  nicht  weiter  in  Verlegenheit  wegen  einer  solchen  Inter- 
pretation. Denn  die  Eigentümlichkeit  der  Formel,  für  r  =  1 
den  Wert  c  =  0  zu  Kefem,  an  welche  Fechnbr  seine  Beiz- 
schwelle und  seine  negativen  Empfindungen  anknüpft,  wird 
sozusagen  bereits  verbraucht,  um  zu  den  negativen  Empfindungs- 
werten im  richtigen  Sinne  zu  gelangen.  Es  fehlt  an  jeder 
Handhabe,  nun  aufserdem  auch  noch  die  Thatsache  der  Beiz- 
schwelle  in  die  Sache  hereinzuziehen.  Die  Formel  hat  eben, 
wie  bereits  oben  bemerkt  (S.  471),  zu  der  Schwellenempfindung 
gar  keine  anderen  und  engeren  Beziehungen  als  zu  jeder  be- 
liebigen anderen  Empfindung. 

Nur  für  einen  einzigen  Fall  könnte  man  vielleicht  einen 
Augenblick  zweifeln,  ob  nicht  doch  die  FscHNERsche  Inter- 
pretation unvermeidlich  sei.  Die  Wahl  des  Nullpunktes,  auf 
den  man  die  Empfindungen  beziehen  mufs,  damit  sie  Grölben 
werden,  soll,  wie  wiederholt  betont,  willkürlich  sein.  Wenn  man 
nun,  eben  wegen  dieser  Willkür,  einmal  festsetzte,  als  Nullpunkt 
solle  für  irgendwelche  Betrachtungen  die  Schwellenempfindung 
gelten?  Dann  würden  in  der  That  alle  Empfindungen  oberhalb 
der  Schwelle  positive  Distanz,  d.  h.  positiven  Wert  bekommen, 
dagegen  alle  Empfindungen  unterhalb  der  Schwelle  negaläven 
Wert,  und  s^war  dem  absoluten  Betrage  nach  um  so  grOfsere 
negative  Werte,  je  minimaler  die  sie  verursachenden  objektiven 


jj 


über  negative  EH^^findungswerte.  4g3 

Beize  wären,  Eiurz  es  w&re  Alles  gftnz  so  wie  bei  FiOHNn^  und 
alles  gegen  seine  negativen  EmpfindongsgrÖisen  G^agie  sckeäat 
damit  gerade  snm  guten  Schlafs  wieder  in  Verwirrung  zu  ge* 
raten.  Allein  es  bleibt  aum  Glück  Alles  völlig  in  Ordnung. 
Die  logaiithmisohe  Formel  ist  f&r  kleine  Werte  der  objektiven 
Beize  notorisch  ungiltig  und  längst,  ehe  die  Beize  dem 
sogoimnnten  Schwellenwert  nah^ommen,  hat  sie  aufgehört, 
auch  nur  annähernd  ein  Spiegel  des  sachlichen  Yerhaltens  zu 
seid.  Was  daher  fftr  kleine  Beizwerte  überhaupt  und  speaieU 
für  den  Beizschwellenwert  aus  ihr  folgt,  ist  sachlich  voll- 
kommen bedeutungslos,  es  ist  eine  rein  analytische 
Konsequenz.^ 

Eines  der  bekanntesten  Gesetze  der  Physik  sagt»  dals  das 
Volumen  eines  Gases  (bei  konstantem  Druck)  proportional  ist 
der  von  —  273^  C  ab  gemessenen  Temperatur.  Daraus  folgt 
ohne  weiteres,  dafs  das  Volumen  jedes  Gases,  bei  Abkühlung 
auf  —  273®  auf  Null  reduziert  sein  müsse;  ein  höchst  merk- 
würdiges Besultat.  Aber  man  wird  nicht  finden,  dafs  die 
Physiker  wegen  dieser  Merkwürdigkeit  sich  besonders  die 
Köpfe  zerbrochen  hätten.  Sondern,  da  es  ihnen  völlig  sicher 
ist,  dals  das  Verhalten  der  Gase,  längst  ehe  die  Abkühlung 
bei  —  273®  angelangt  ist,  aufgehört  hat,  jener  Formulierung 
zu  entsprechen,  so  ist  das^  was  sich  aus  dieser  für  so  niedere 
Temperaturen  mit  analytischer  Notwendigkeit  ergiebt,  sachlich 
irrelevant;  was  die  Gase  bei  —  273®  wirklich  machen,  steht 
dahin.  Ich  finde  nun  nicht,  dafs  die  Psychologen  Veranlassung 
hätten,  das  berühmte  logarithmische  Gesetz  mit  gröfserer  Ehr- 
furcht sozusagen  zu  betrachten  als  die  Physiker  das  eben 
genannte  GAT-LussACsche.  Beides  sind  Formulierungen,  welche 
in  überraschender  analytischer  Einfachheit  einen  an  sich  sehr 
verwickelten  Thatbestand  innerhalb  gewisser  Grenzen  und  auch 


*  Man  daxf  also  fireilich  den  Nullpunkt  dar  Empfindnngsrnsasiuigon 
ansetzen  wo  man  will,  aber  wenn  man  diese  Ansetziuig  in  einer  selur 
tiefen  Gegend  der  Empfindungsskala  beliebt,  so  darf  man  nickt  mehr 
die  logarithmische  Formel  benutaen,  um  daraus  Konse- 
quenzen au  aiehen,  denn  diese  gilt  dort  nicht  mehr.  Nur  wenn  man 
die  wirkliehe  Emi^ndungsmafsformel  bes&lse,  kannte  man  sicher  seia, 
auch  hk  einem  solchen  Falle  noch  ein  sinnvolles  Besultat  zu  erhalten^ 
bei  einer  unrichtigMi  FiMinel  wäre  dies  ein  Zufall,  dessen  Ausbleiben 
weiter  nichts  Verwunderliches  hat. 

Zettselirift  tfSüt  Pfjehologie.  32 


484  H,  Mbinghaus. 

da  nur  mit  einer  gewissen  Annäherang  wiedergeben.  Sie 
empfehlen  sich  aofserordentlich  zur  praktischen  Benutznngy 
denn  sie  enthalten,  isoweit  sie  überhaupt  gelten,  in  konzen- 
triertester  Gestalt  eine  Fülle  von  sachlichen  Beziehungen,  die 
bei  entsprechender  Interpretation  wieder  aus  ihnen  hervor- 
treten (wie  das  z.  B.  soeben  an  den  negativen  Empfindungs- 
werten gezeigt  wurde).  Was  aber  aus  ihnen  rechnungsmälsig 
folgt  für  Gebiete,  in  denen  sie  nachweislich  nicht  mehr  giltig 
sind,  braucht  in  Bezug  auf  seine  si&chliche  Bedeutuiig  nicht 
weiter  diskutiert  zu  werden;  es  hat  eben  keine.^ 

So  rundet  sich  die  dargelegte  Auffassung  der  positiven 
und  negativen  Empfindungs werte  von  allen  Seiten  ab  zu  einem 
klaren,  in  sich  geschlossenen  und  dem  realen  Verhalten  der 
Empfindungen  entsprechenden  Ganzen. 


Nachtrag. 

Ich  habe  leider  versäumt,  oben  (S.  321)  bei  Nennung 
Delboeüfs  zu  erwähnen,  dafs  auch  Preter  bereits  vor  Jahren 
einen  der  wesentlichsten  Punkte  in  Bezug  auf  Empfindungs- 
werte richtig  gesehen  hat,  dafs  es  sich  nämlich  bei  diesen  um 
einen  Gegensatz  der  Sichtung  handelt.  In  seiner  Schrift 
j^Elemente  der  reinen  Empfindungslehre''  (1877)  sagt  er  z.  B.  S.  20: 
„Die  einfache  intensive  Empfindungsgröfse  ist  diejenige  Gröfse, 
welche  durch  eine  in  derselben  Sichtung  erfolgende  Änderung 
des  erzeugenden  Elements  entsteht.^  Ferner  S.  43:  „Demnach 
wird    das    Empfinden    beim    Auftreten    oder    Entstehen    einer 

Empfindung als  ein  positives,  das  Empfinden  beim 

Verschwinden  oder  Bückgängigwerden als  ein  negatives 

Empfinden  zu  bezeichnen  sein^  (genau  ausgedrückt  wäre  aller- 
dings jenes  als  eine  Succession  positiver  Empfindungswerte, 

*  Das  obige  Argument  ist  die  einfachste  Weise,  mit  den  Pechher- 
schen  negativen  Empfindungswerten  fertig  zu  werden,  aber  an  sich  ganz 
ebenso  zwingend,  wie  das  früher  unter  11  und  m  aus  inneren  Gründen 
gegen  sie  Angefahrte.  Natürlich  ist  es  auch  von  Anderen  mehrfach 
geltend  gemacht  worden,  so  z.  B.  von  Pbeybr  in  seinem  kürzlich  veröffentr- 
lichten  Briefwechsel  mit  Fecrner  8.  9  ü.  a. 


über  negative  Empfindungswerte.  485 

dieses  als  eine  Succession  negativer  zn  bezeichnen).  Aber  wie 
stark  die  Fessel  der  FscHNERsclien  Auffassung  in  der  That 
war,  zeigt  sich  darin,  dafs  Prbybb  ihr  dann  doch  wieder  Kon- 
zessionen macht,  die,  sofern  ich  überhaupt  seine  äufserst  abstrakt 
gehaltenen  Ausfährungen  verstehe,  die  Sache  wieder  in  Ver- 
wirrung bringen.  Er  definiert  als  Intensitätsgrad  Null  einer 
Empfindung  das,  was  übrig  bleibt,  „wenn  von  einer  gegebenen 
positiven  Intensitätsempfindung  soviel  subtrahiert  wird,  als  sie 
selbst  beträgt"  (S.  45).  Im  wesentlichen  ist  das  der  FBOHNKRsche 
Empfindungsschwellenwert  und  in  ähnlicher  Auffassung  erklärt 
dann  auch  Pbeybr,  dafs  jener  Intensitätsgrad  Null  immer  dann 
vorhanden  sei,  „wenn  die  Intensität  ^ben  noch  nicht  oder 
eben  nicht  mehr  beurteilt  wird",  wie  z.  B.  im  Augenblick  nach 
dem  normalen  Einschlafen,  unterhalb  dieses  Nullpunktes 
aber,  „nach  Abwendung  der  Aufinerksamkeit  von  einem  Sinnes- 
gebiet" oder  „im  UnbewuXsten"  läüst  er  die  Empfindungs- 
intensitäten negativ  sein,  was  wesentlich  wieder  mit  der  hier 
bekämpften  FBCHNiRschen  Auffassung  zusammenfallt. 


Berichtigung. 
8.325  Z.ll  y.  u.  lies  Quantitätsbeätimmuiigen  statt  Qualitätsbestimmungen« 


82* 


ürteilstäuschuQgen  nach  Beseitigung  einseitiger 

Hftrtbörigkdt. 


Von 


Ab  ioh  noek  GTixmaiusfc  ww-  litt  iok  yhirehmg  am  hod^ 
gradiger  Hartkdriglmt  des  linken  Oiirea  and  svar  wie  flkk 
später  heranssteille,  infolge  eine«  BanmwellpfiropfMia^  der  Us 
mm  Trommelfell  vergedrungen  war,  und  si^  dort  veskirtek 
hatte.  Dieser  FGropfea  wnxde^  wenn  ich  midb  recht  ecinnerey 
war  es  im  Herbst  1856,  ab  ich  eben  im  Beg^ri£Ee  stand  auf  die 
Universität  überzugehen,  bei  G-elegenheit  einer  Ferienreise  nach 
Pranken  durch  Herrn  von  TbOltsch  in  Würzburg  entfernt. 

Gleich  darauf  machten  sich  eine  Seihe  von  ürteUs- 
täuschungen  bemerkbar,  die  mir  lebhaft  im  Gedächtnis  ge- 
blieben sind  und  deren  Beschreibung  vielleicht  nicht  ganz  ohne 
Interesse  sein  dürfte. 

Dals  unmittelbar  nach  der  Hebung  des  Übels  eine  Menge 
-von  Dingen  gehört  wurden,  von  denen  man  im  normaLen  Zu- 
stande nicht  weifs,  dajGs  sie  überhaupt  ein  Geräusch  hervor- 
bringen, braucht  kaum  erwähnt  zu  werden,  da  die  Ohrenärzte 
unzähligemale  Gelegenheit  haben,  derartige  Erfahrungen  zu 
machen. 

Immerhin  hat  es  etwas  sehr  Überraschendes  an  sich,  wenn 
man  z.  B.  bei  einer  leichten  Bewegung  des  Armes  die  Falten 
eines  Tuchrockes  rauschen  hört,  wie  es  das  normale  Ohr  kaum 
bei  schwerer  Seide  zu  vernehmen  pflegt,  oder  wenn  das  um- 
blättern eines  Buches  ein  Geräusch  hervorbringt,  das  man  nur 
mit  dem  eines  gewaltigen  Wasserfalles  vergleichen  kann  und 
das  sich  bis  zum  Schmerze  steigern  würde,  wenn  man  nicht 
durch  Verstopfen  des  Ohres  mit  Watte  den  Eindruck  ab- 
schwächen würde. 


Urteibiäu8€himgen  nach  BeteiHgung  tmseitiger  HarMrigieit        487 

Viel  merkwOrdiger  aber  waren  mir  die  Tänscliimgexi  in  der 
Lokalisation  der  Geränsclie,  die  sich,  wie  schon  bemerkt,  erst 
sehr  aUmählich  verloren  nnd  die  insbesondere  auch  fnr  die  Be- 
urteilung von  Experimenten  an  Tieren  von  Bedeutung  sein 
dürften.^ 

Die  Tänschongen  beruhten,  wie  unschwer  zu  ersehen  war, 
sämtlich  darauf,  daüs  sich  die  Eindrücke  auf  das  linke  Ohr, 
welches  durch  jahrelange  Nichtbenutzung,  vielleicht  auch  durch 
leichte  pathologische  Veränderungi  ungewöhnlich  reizbar  war, 
übermäfsig  stark  geltend  machten,  und  dafs  deshalb  die  Lo- 
kalisatioa  immer  zu  weit  nach  links,  hftuftg  sogar  in  ganz 
falschem  Sinne  vorgenommen  wurde. 

Wollte  ich  einem  Wagen  ausweichen,  der  von  rückwärts 
kommend  im  Begriffe  war,  redits  an  mir  vorüberzufahren,  so 
wich  ich  nach  rechts  aus,  d.  h.  ich  näherte  mich  dem  Wagen 
anstatt  mich  zu  entfernen,  eine  Täusohung,  die  so  häufig  statt- 
faadi  daijs  idi  mehrere  Wochen  lang  nur  mit  Unbehagen  eine 
StnJse  oder  besonders  einen  greiseren  Plata  übeiBckritt. 

lüef  mich  jemand  von  rechts  an^  so  wandte  ich  den  Kopf 
nach  links,  und  entfernte  ioh  mich  von  ihm  statt  auf  ihn  zu- 
zugehen,  sofern  ich  nicht  dnroh  das  Gesicht  eines  Besseren 
belehrt  wurde. 

So  erfolgten  ziemlich  lange  Zeit  hindurch  auf  Qehörs- 
eindrücke  ganz  zweckwidrige  Bewegungen,  und  vergingen 
reichlich  drei  Wochen  bis  ich  die  Lokalisation  nach  dem  Ge- 
höre wieder  so  weit  erlernt  hatte,  um  die  Mangelhaftigkeit 
derselben  nicht  mehr  stark  störend  zu  empfinden,  während  die 
letzten  Spuren  erst  nach  etwa  sechs  Wochen  zum  völligen 
Verschwinden  kamen. 


^  loh  denke  hierbei  z.  B.  an  die  Üntersuchimgen  des  Herrn  Muitk 
tkber  die  Folgen  von  SelistOrungen  bei  Kaninohen,  wie  sie  in  den  Stteungsber, 
d.  Bert  AhuL  f.  1889,  S.  630  mitgeteilt  sind,  nnd  deren  Beschreibung  mir 
erst  meine  alten  Erfahrungen  ins  Gedächtnis  zurückrief. 


Nachtrag  zu  der  Abhandlung 
„Über  das  Erkennen  der  Schallrichtung '^ 

Von 

Professor  J.  t.  Kribs. 

In  Ergänzung  meiner  Mitteilnng  über  das  Erkennen  der 
Schallriclitting  möchte  ich  erwähnen,  dafs  die  Möglichkeit  der 
richtigen  Lokalisation  zweier  gleichzeitig  gehörter  Töne  auch 
von  Stumpf  in  dem  kürzlich  erschienen  2.  Band  seiner  Tan- 
Psychologie  (S.  62  u.  58)  bereits  konstatiert  worden  ist;  auch 
knüpft  Stumpf  an  diese  Thatsache  bezüglich  der  Theorie  der 
Lokalisation  sehr  ähnliche  Folgerungen  wie  ich.  Dafs  diese 
Beobachtungen  in  meiner  Abhandlung  noch  nicht  berücksichtigt 
wurden,  darf,  wie  ich  hoffe,  auf  Entschuldigung  rechnen,  da 
mein  Manuskript  Mitte  Juli  der  Redaktion  eingesandt  wurde, 
als  das  Buch  Stumpfs  soeben  erschienen  und  mir  noch  nicht 
zu  Gesicht  gekommen  war. 


Yersammlungen. 


Z.  Internationaler  medisiniBelier  Koncreb  n  Berlin  1890. 

in. 

Sektion  für  Physiologie. 
Referiert  von  Dr.  HsTMAKS-Berlin. 

Schäfer  und  Mott  (London)  demonstrierten  beim  Affen  die  asso* 
ciierten  Augenbewegungen,  welche  1)  durch  unilaterale  faradische  Beizung 
der  frontalen  Begion  der  Hirnrinde,  2)  durch  bilaterale  Beizung  derselben 
Begion ,  3)  durch  bilaterale  Beiasung  der  occipitalen  Hirnrinde  und 
4)  durch  die  gleichzeitige  Beizung  der  frontalen  Binde  einerseits  und 
der  occipitalen  andererseits  hervorgerufen  werden.^  Es  zeigte  sich 
ad  1):  Die  Begion  der  konjugierten  Augenbewegungen  zerf&Ut  in 
drei  Teile :  a.  eine  mittlere  Zone ,  deren  Beizung  einfache  laterale 
Ablenkung  der  Augen  nach  der  entgegengesetzten  Seite  hervorruft; 
b.  eine  unmittelbar  darüber  gelegene  obere  Zone,  bei  deren  Beizung 
Inklination  der  Augen  nach  unten,  und  c.  eine  untere  Zone,  bei  deren 
Reizung  Hebung  der  Augen  erfolgt,  beides  in  der  Begel  verbunden  mit 
seitlicher  Ablenkung.  Gleichzeitig  mit  den  Augenbewegungen  und  in 
demselben  Sinne  wie  sie  zeigten  sich  jedesmal  deutliche  Bewegungen  des 
Kopfes.  Durchschneidung  des  Balkens  und  Zerstörung  der  der  gereizten 
Stelle  entsprechenden  Bindenpartie  der  anderen  Hemisphäre  änderte 
nichts  an  dem  Besultat ;  die  Association  der  Bewegungen  muls  also  durch 
niedere  Centren  vermittelt  werden.  Ad  2):  also  bei  bilateraler  Beizung 
der  Frontalregion  fand  sich,  dafs  nach  Aufsuchung  zweier  Beize,  die  für 
sich  möglichst  gleichstarke  Wirkung  hervorriefen,  deren  gleichzeitige 
Applikation  die  Augen  in  die  Primärstellung  brachte.  Dabei  gingen  sie 
bei  Beizung  der  oberen  Bindenpartie  gleichzeitig  nach  unten,  sowie  bei 
Beizung  der  unteren  Partie  nach  oben.  HOchst  bemerkenswert  war  ein 
Besultat,  welches  sich  häufig  einstellte,  wenn  nach  der  doppelseitigen 
Beizung  wieder  die  einseitige  vorgenommen  wurde.  Diese  hatte  dann 
nämlich  nicht  sofort  wieder  den  ihr  eigentümlichen  Effekt  einseitiger 
Ablenkung,  sondern  lieferte  dasselbe  Besultat  wie  die  vorangegangene 
bilaterale  Beizung.  „Es  ist,"  sagen  die  Autoren  in  ihrer  gedruckten 
Publikation,  „als  ob  die  niederen  Gentren  durch  die  doppelseitige  Beizung 


^  Für  eingehendere  Beschreibung  der  Experimente  s.  Brom,  Juli  1890. 


490  yenammkmgm. 

in  eine  bestimmte  Gewohnheit  des  Fnnktionierens  gebracht  wordes 
wären y  von  der  sie  nioht  ohne  weiteres  za  ihrem  Indifferenszostande 
xorückkehren."  Ad  8)  und  4)  ist  nur  zu  bemerken,  dafs  gleichzeitige 
Faradlsation  der  Hinterhanptslappen  ganz  analoge  Besaltate  ergab  wie 
diejenige  der  Stimregion,  nnd  dais  bei  gleichzeitiger  Beiznng  einer 
Hinterhauptsregion  imd  der  antagonistischen  Partie  der  Stimregion  der 
anderen  Hemisphäre  der  von  der  letzteren  ausgehende  Bewegungseffekt 
ganz  auiserordentlich  überwog. 

Dieselben  Autoren  demonstrierten  femer  die  faradische  Reizung  dea 
Balkens  beim  Affen  (s.  Anmerk.  vor.  S.}.  Beizung  der  vorderen  Teile  des- 
Balkens  ruft  Bewegungen  des  Kopfes  und  der  Augen  hervor ;  werden  die- 
Elektroden  weiter  nach  hinten  angelegt,  treten  Bewegungen  der  vorderen 
und  —  bei  noch  weiterer  Verschiebung  nach  hinten — der  hinteren  Extremi- 
täten  auf.  Nach  Zerstörung  der  motorischen  Centren  auf  einer  Seite  der 
Hirnrinde  werden  die  Bewegungen  unilateral,  und  zwar  zeigen  sie  sich 
auf  derselben  Seite  mit  der  Zerstörung.  Daraus  folgt,  dafs  die  Wirkung  der 
Balkenreizung  eine  mittelbare  ist.  Die  Nervenfasern  des  Balkens  gehen 
u.  a.  beiderseits  zu  den  motorischen  Centren  der  Binde,  und  ihre  fieizung- 
ruft  von  hier  aus  bilaterale  Bewegungen  hervor.  Werden  die  Binden- 
oentren  auf  einer  Seite  ausgeschaltet,  so  wirkt  der  Reiz  nur  noch  von 
der  intaktgebliebenen  Hemisphäre  aus  und  fahrt  zu  Bewegungen  der  ge* 
kreuzten  Körperseite. 

MoTT  hat  beim  Affen  die  Seitenstränge  des  Rückenmarks  durch- 
schnitten und  dabei  beobachtet,  dais  die  bilateralen  associierten  Bewe* 
gongen  nach  drei  Wochen  wieder  anfingen,  und  dais  die  Abnahme  der 
Sensibilität,  welche  an  beiden  Seiten  ungefähr  gleich  stark  gewesen 
war,  nach  einigen  Wochen  verschwand.  Auf  der  gelähmten  Seite  war  die 
Temperatur  etwas  niedriger.  Wurden  darnach  die  Seitenstränge  auch 
auf  der  anderen  Seite  durchschnitten,  so  trat  vollkommene  Lähmung  ein^ 
eine  geringe  Empfindlichkeit  blieb  aber  bestehen. 

B.  Danilevskt  (Charkow)  zeigte  anatomische  Befunde  beim  Frosch, 
welche  beweisen,  dafs  dessen  Gehirn  nach  Ablation  sich  fast  vollkommen 
regenerieren  kann. 

Untersuchungen  von  Aduoco  (Turin)  bezweckten  die  Wirkung  fest- 
zustellen, welche  eine  partielle  und  vorübergehende  Anämie  auf  die 
Snregbarkeit  der  nervösen  Centren  ausübt;  es  ergab  sich  als  Resultati. 
dala  ein  umgekehrtes  Verhältnis  besteht  zwischen  der  Intensität  des 
Blutstromes  und  der  Erregbarkeit  der  Nervencentren. 

S.  ExKza  (Wien)  teilt  neue  Versuche  am  Insektenauge  mit;  er  demon- 
striert die  interessante  photographische  Aufaahme  des  aufrechten  Retin»> 
bildes,  und  beschreibt  die  durch  das  Licht  bewirkte  Wanderung  des 
Pigmentes,  welche  im  Hellen  die  Schärfe  des  Bildes  verstärkt,  im  Dunkeln 
seine  Helligkeit. 

ZwAARDiMAKSB  (Utrccht)  gicbt  eine  Übersicht  der  mittelst  seines 
Olfaktometers  angestellten  üntexsuchungen. 

Mittelst  der  photographischen  Methode  ist  Bübdoh  Saxdibsov  zu 
dem  Resultat  gekommen,  dais  das  anatomische  imd  das  elektrische 
Latensstadium  bei  der  Muskelkontraktion  gleiohe  Daner  (ca.  0,008")  hat. 


VerMmwikMgen,  49  t 

m 

F.  B.  HATcnuvT  (Edinlrarg)  dttmonstriert ,  dais  di«  Muskelfiasem  res^ 
FSbiillfln  einen  ihrer  besohriebenen  Stmktnr  entsprechenden  Eindruck 
auf  einer  Kollodionschichte  hinterlassen,  und  yersnoht  ra  beweisen,  dals 
die  QnerstreifuBg  der  Muskeln  nieht  anf  inneren  Btrakturrerhültaedssen, 
sondern  auf  der  ftoTseren  Form  der  homogenen  Fibrillen  bemht. 

A.  Mosso  (Tarin)  besehreibt  Experimente,  welche  ergeben,  dais  die 
ermüdeten  menschlichen  Wadenmnskeln  sich  unter  demselben  Gewicht 
mehr  verilBgem  als  die  miermüdeten.  Der  ermtkdete  Mensch  würde 
also  deshalb  weniger  leistongsfilhig  sein,  weil  die  Muskeln  sich  leichter 
ansdeluMn  nnd  folglich,  nm  dasselbe  Gewicht  sa  heben,  sich  stärker 
k<mtrahieren  müssen. 


IV. 

Sekiioh  ßr  Neurologie  und  I^chiatrie, 
Beferiert  T<m  Dr.  BoanBUSB^Berlin. 

Maovav  (Paris)  spricht  über  Folie  intermittente.  Er  yereinigt 
unter  einer  Krankheitsgmppe  die  folie  intermittente,  pöriodique,  4 
double  forme,  circnlaire,  cydique,  die  folies  altemes,  kurz,  alle  die* 
jenigen  Formen  intermittierender  Geistesstörungen,  welche  in  klinischer 
Beziehung  gemeinsame  konstante  Charaktere  darbieten  in  Bezug  auf 
Entwickelung,  Beginn,  Verlauf  und  Ablauf  der  Anf&lle,  auf  Form  und 
Inhalt  des  Delirs,  auf  die  Beschaffenheit  der  die  einzelnen  Anfl&lle 
trennenden  Interyalle,  in  Bezug  darauf,  ob  die  AnfUle  als  einfache  oder 
kombinierte  verlaufen,  in  Bezug  endlich  auf  die  wechselseitigen  Be- 
ziehungen der  AnfUle  und  die  den  Ausbruch  des  einzelnen  Anfalls 
begleitenden  Modifikationen. 

Es  treten  dabei  yielfache  Beziehungen  auch  zu  anderen  Krankheits* 
gmppen  zu  Tage,  namentlich  zur  folie  h^r^ditaire. 

Alle  diese  gemeinsamen  Charaktere  sind  aus  einer  Beihe  von 
Beobachtungen  abgeleitet,  welche  sich  auf  eine  sehr  lange  Zeit  erstrecken 
und  eine  grofse  Anzahl  von  Anfällen  umfassen. 

Mit  Hufe  von  Kurven,  welche  Dauer,  Form,  Charakter  und  die 
beim  einzelnen  Anfall  zum  Ausdruck  kommenden  Modifikationen  —  ein* 
fache,  cyklische,  kombinierte  Anfälle  —  illustrieren,  gelingt  es  leicht, 
einen  Überblick  Über  den  Gesamtverlauf  zu  gewinnen.  Herr  M.  de- 
monstriert eine  Anzahl  solcher  Zeichnungen,  auf  welchen  der  normale 
Zustand  durch  eine  horizontale  gelbe  Linie  dargestellt  wird;  in  Vertikalen 
sind  die  einzelnen  Anfälle  (rot:  maniakalisch,  schwarz:  melancholisch} 
eingezeichnet;  Hohe  und  Dauer  des  einzelnen  Anfalls,  zeitlicher  Beginn 
und  Ablauf  desselben  sind  durch  entsprechende  Gradienmg  gekennzeichnet. 

Darnach  hat  man  unter  der  folie  intermittente  eine  Gruppe  von 
Krankheiten  zu  verstehen,  welche  sich  charakterisieren  par  la  r^p^tition 
ches  un  sujet,  ä  prMisposition  latente,  jusque-lA  sain  d'esprit,  d'accte 
maniaques  ou  m^lancoliques,  isol6s   ou  combin^s  de  diverses  mani^resr 


492  Versammlungen. 

mais  Präsentant  toujours  une  Evolution,  une  marche  et  des  caract^res 
g^n&TKux  oommuns  qui  les  r^unissent  et  les  diatinguent  de  tontes  lee 
autrea  esp^ces  de  folie. 

Besonderes  Gewicht  legt  Vortragender  auf  eine  genane  Charakteristik 
der  die  Anfälle  trennenden  Intervalle. 

Die  Intelligenz  bleibt  wenigstens  am  Anfang  und  oft  während  einer 
langen  Phase  des  Gesamtverlaofis  unbeeinträchtigt:  der  Kranke  geht 
seiner  Beschäftigung  nach  und  erscheint  vollkommen  gesund.  Später 
indes,  wenn  die  Anfälle  häufiger  eintreten  und  länger  andauern,  machen 
sich  in  den  Zwischenzeiten  gewisse  psychische  Störungen  geltend,  bei 
dem  einen  eine  erhöhte  Beizbarkeit,  bei  dem  andern  eine  gewisse 
Apathie,  die  früher  an  dem  Kranken  nicht  bemerkt  wurde;  schliefslich 
stellen  sich  Beeinträchtigungen  der  Intelligenz  ein.  Diese  letzteren  sind 
jedoch  nicht  lediglich  als  eine  Folge  gehäufter  und  länger  andauernder 
Anfälle  anzusehen,  sondern  auch  mit  dem  vorgeschrittenen  Alter  der 
Kranken  in  Zusammenhang  zu  bringen. 

An  der  Hand  von  6  ausführlich  wiedergegebenen  Krankenbeob- 
achtungen entwickelt  Vortragender  sodann  Anfang,  Verlauf  und  Ablauf 
der  Anfälle  der  folies  intermittentes  und  charakterisiert  diejenigen  Sym- 
ptome, welche  schon  beim  ersten  Anfall  mit  groijser  Wahrscheinlichkeit 
wenn  nicht  Sicherheit  auf  die  richtige  Diagnose  hinführen. 

HoRSLBT  und  B BEVOR  (London)  demonstrieren  die  Besultate  ihrer 
experimentellen  Untersuchungen  Ober  die  Bewegungscentren 
in  der  Binde  eines  Orang-Utang. 

Zunächst  wird  die  Methode  der  Untersuchung  beschrieben  unter 
Vorzeigung  einer  Photographie  von  einer  zur  Zeit  des  Experiments  ge- 
machten Zeichnung,  auf  welcher  die  Binde  behufs  genauer  Lokalisation 
in  viereckige  Gebiete  von  2  mm  Seite  geteilt  ist.  Das  Tier  wurde  mit 
Äther  anästhesiert,  und  die  Binde  vermittels  eines  gewöhnlichen  Du 
Boisschen  Induktions-Apparates  gereizt.  Als  Besultat  zeigte  sich,  da£s 
im  Vergleich  zu  den  Oentren  in  der  Binde  des  Bonnet- Affen  diejenigen 
in  der  Binde  des  Orang  noch  mehr  für  sich  abgeschlossen  und  schärfer 
gegeneinander  abgegrenzt  waren ;  während  man  beim  Bonnet-Affen  durch 
prolongierte  Beizung  einer  gewissen  Bindenstelle  aufeinanderfolgende 
Bewegungen  verschiedener  Körperabschnitte  auslösen  konnte,  veranlalste 
eine  verlängerte  Beizung  beim  Orang  in  den  meisten  Fällen  nur  eine 
einzige  Bewegung. 

Die  topographische  Aufeinanderfolge  der  einzelnen  Centren  war 
beim  Orang  und  Bonnet  dieselbe.  (Kleinere  Unterschiede  werden  in  der 
Original-Mitteilung  der  Boyal  society  1890  veröffentlicht  werden.)  Ein 
gröfserer  Unterschied  bestand  darin,  dafs  die  Centren  für  die  einzelnen 
Abschnitte  der  unteren  Extremität  beim  Orang  in  der  Beihenfolge  von 
unten  nach  oben,  beim  Bonnet  in  einer  solchen  von  vom  nach  hinten 
gelegen  sind. 

In  Übereinstimmung  damit,  dafs  die  Centren  beim  Orang  auf  einen . 
schärfer  begrenzten  Baum  beschränkt  liegen,  wurde  festgestellt,  dafs  es 
in  der  sogenannten  motorischen  Begion  desselben  viele  Inseln  gab,  deren 
Beizung  ganz  ohne  Effekt  blieb. 


Versammlungen,  49S 

Weiter  werden  6  Fälle  von  Bindenreizung  beim  Menschen  be- 
schrieben (epileptische  Konvulsionen).  Beim  Vergleich  der  hierbei  ge- 
wonnenen Resultate  mit  den  Ergebnissen  der  Bindenreizung  beim  Orang 
ergab  sich: 

I.  Je  höher  in  der  Tierreihe  wir  hinaufgehen,  eines  desto  stärkeren 
Stromes  bedarf  es,  um  eine  Bewegpnng  auszulösen. 

n.  Je  höher  wir  in  der  Tierreihe  hinaufgehen,  desto  fär  sich  ab- 
geschlossener und  schärfer  abgegrenzt  liegen  die  Oentren. 

m.  Die  topographische  Anordnung  der  Oentren  ist  beim  Menschen 
und  Orang  vermuüich  dieselbe. 

Beizung  der  Fasern  der  inneren  Kapsel  beim  Affen. 
Vortragende  geben  zunächst  eine  kurze  Übersicht  über  die  bis- 
herigen Forschungen  bezüglich  des  Faserverlaufs  in  der  inneren  Kapsel. 
Die  Methoden  waren  verschiedene:  Fiuvck  und  Pitrbs,  BiraDOir  SAVDEasoN 
suchten  durch  experimentelle  Beizung,  Tübok,  Brissaüd,  von  G-uddbv, 
MovAKow,  VüLPiAN,  LöWBNTHAL,  SghIfes,  Fzbribb  durch  den  Nachweis  von 
Entartung,  Vetbsi&rb,  Oarvillb  und  Dürbt  durch  Faserdurchtrennung, 
Flechsig  mit  Hilfe  der  Entwicklimgsgeschichte ,  Mbtkert,  Wernicke 
auf  anatomischem  Wege  zum  Ziele  zu  gelangen. 

Die  üntersuchungsmethode  der  Vortragenden  bestand  darin,  dafs 
das  Tier  durch  Äther  narkotisiert  und  dann  die  Fasern  vorsichtig  durch 
1  mm  Elektroden  systematisch  gereizt  wurden.  Die  Ergebnisse  wurden  in 
entsprechender  Weise  auf  mit  1  mm  Vierecken  liniiertes  Papier  übertragen. 
Im  ganzen  wurden  46  Versuche  angestellt.  Es  ergab  sich,  dafs  die 
Ganglien  auf  ihrer  Durchschnittsfläche  sowohl  wie  an  ihrer  ventrikulären 
Oberfläche  imreizbar  waren;  dasselbe  galt  von  den  laminae  medulläres. 
Die  innere  Kapsel  (welche  je  nach  der  Höhe  der  Schnittebene  einen 
bogenförmigen,  stumpfwinkligen  oder  rechtwinkligen  Verlauf  nimmt) 
erwies  sich,  je  nach  der  Höhe  des  Durchschnittes  und  je  nach  den  ein- 
zelnen Begionen  der  Kapsel  (vorderer,  hinterer  Schenkel,  Knie)  als  in 
verschiedener  Weise  reizbar.  Anordnung  und  Umfang  der  einzelnen 
Beizerg^bnisse  wurde  für  jede  Ebene  festgestellt.  Als  Durchschnitts- 
ordnung aller  Ebenen  ergab  sich  folgende  Beihenfolge: 

Augen  öffnen  sich, 
Augen  drehen  sich, 
Mund  öfEaet  sich, 
Kopf  dreht  sich, 
Zunge  bewegt  sich, 
Mundwinkel  werden  zurückgezogen, 
Bewegung  der  Schulter, 
„  des  Armes, 

„  der  Finger, 

„  des  Daumens, 

„  des  Bumpfes, 

„  der  Hüfte, 

„  des  Schenkels, 

„  der  grofsen  Zehen, 

•  -  „  der  kleinen  Zehen. 


494 

HÜamacli  etiauiit  die  «Bteio-posteriore  Aaordxraiig  der  erregbaren 
KepeelflMem  mit  deijenigen  der  Bindeneentren  flberrai.  Dies  giü  mch.% 
nicht  nur  ffSa  das  ganse  Glied,  eoadeni  auch  fOr  die  einaelneik  Abaelmitt» 
desselben. 

EjüLPSLor  (Dorpat)  weist  anf  die  Analogien  in  den  psjchiBchen 
Symptomen  bei  gewissen  Vergiftungen  nnd  bei  manchen  sonsiigeii  P^- 
«hosen  hin  nnd  berichtet  dann  ftber  eine  Beihe  Ton  Versuehen,  welch» 
eine  genauere  Analyse  der  dnroh  Alkohol  und  Theo  herbeige- 
führten Einwirkungen  auf  die  psychischen  Funktionen  sunt 
Zwecke  hatten.  Voraussetsend,  dafs  Beschleunigung  oder  Verlang- 
Bamnng  eines  psychischen  Aktes  auf  eine  Erleichterung  oder  Erschwerong 
desselben  surückzuführen  seien,  hat  KairsuH  bei  seinen  Untersnehongen 
den  seitlichen  Ablauf  Terschiedener  psychischer  Vorgänge  unter  dem. 
Einfiufs  der  genannten  Stofie  fostgestellt  und  aus  der  Zeitmessung  wei> 
tere  Schlüsse  auf  die  Mechanik  des  Seelenlebens  gesogen.  Im  Gegen- 
satce  zu  anderen  Forschem,  Sie  sich  auf  die  Untersuchung  des  einfa<fthen 
BeaktionsTOiganges  beschränkten  xmd  dabei  feststellten,  dals  sowohl 
durch  den  Alkohol  wie  durch  den  Theo  eine  yorübergehende  Beschleu- 
nigung desselben  erzielt  wurde,  zieht  KslrsLni  auch  kompliziertere 
psychische  Vorgänge  in  das  (Gebiet  seiner  Untersuchungen  und  gelangt 
so  zu  einer  feineren  Differenzierang  der  Wirkung  jener  beiden  Stofie» 
Er  kommt  zu  dem  Ergebnis,  dafs  Alkohol  ingroJben  Dosen  alle  peychisehen 
Vorgänge  in  erheblicher  Weise  verlangsamt,  in  kleineren  Dosen  dagegen 
(20->80  g)  zonächst  eine  früher  oder  später  vorübergehende  Verkürzung 
der  psychischen  Zeiten  herbeiführt,  die  vor  allem  beim  Wahlakt  snm 
Ausdruck  kommt,  während  Unterscheidung  und  Associationen  nur  in 
unbedeutendem  Malse  beeinflufst  werden.  Dabei  ist  die  Einwirkung  des. 
Alkohols  auf  die  verschiedenen  Arten  von  Associationen  eine  wesentlich 
verschiedene:  Subsumptionsurteile  werden  kaum  beschleunigt,  dagegen 
ist  die  Zeit,  welche  gebraucht  wird,  um  zu  einem  gegebenen  Wort  einen 
Beim  zu  finden,  eine  erheblich  kürzere,  und  die  Verkürzung  der  Zeit 
dauert  relativ  lange  an.  Damit  stimmt  überein,  dals  man  unter  der 
Einwirkung  des  Alkohols  alsbald  eine  Zunahme  der  rein  äufserlichen 
durch  die  Gewöhnung  aneinander  geknüpfter  Associationen  beobachtet, 
sobald  diese  nicht  absichtlich  in  eine  bestimmte  Bahn  gelenkt  werden. 
Besonders  gilt  dies  in  Bezug  auf  die  auffallend  hervortretenden  Klang- 
associationen ;  die  Association  vollzieht  sich  ausschlielslich  auf  deni 
Wege  der  Laut-  und  Bewegnngsvorstellung,  nicht  durch  Vermittelung  der 
Saohvorstellung.  Die  gleiche  Erscheinung  findet  man  bekanntlich  in 
der  Ideenflucht  des  Geisteskranken  wieder.  Andeutimgsweise  hat  Vor- 
tragender dieselbe  Erscheinung  auch  bei  der  normalen  Ermüdung  be- 
obachtet. 

In  einem  entgegengesetzten  Sinne  wirkt  der  Thee. 

Die  Dauer  des  Wahlaktes  beeinflufst  er  gar  nicht,  dagegen  be- 
schleunigt er  in  erheblichem  Mafse  Wort-  und  Associationsreaktion. 
Qualitative  Veränderungen  des  Associationsinhaltes  konnten  nicht  nach- 
gewiesen werden. 

Um  die  bisher  berichteten  Besultate   noch  einer  weiteren  Prüfung 


n 


VerMmmhmgm.  495 

m  tmtemehenf  sucht  Vortragender,  den  Verhältnissen  des  gewöhnlichen 
Lebens  Bechnnng  tragend,  das  Arbeitsquantum  festzustellen,  welches 
während  eines  bestimmten  Zeitraums  bei  fortlaufender  Lösung  ein* 
facher  und  gleichartiger  Aufgaben  (flOstemdes  Lesen ,  Addieren  ein- 
stelliger Zahlen,  Auswendiglernen  kürzerer  Zahlenreihen)  geleistet  wird. 
Auch  diese  Untersuchungen  führen  zur  Feststellung  eines  deutlichen 
Gegensatzes  in  der  Einwirkung  der  genannten  Stoffe  auf  die  psychischen 
Vorg^ftnge.  Alkohol  erschwert  das  Addieren,  erleichtert  das  Zahlenlemen, 
der  Thee  wirkt  im  umgekehrten  Sinne.  Das  Lesen  wird  sowohl  durch 
Alkohol  wie  durch  Thee  etwas  beschleunigt. 

Nach  alledem  muTs  die  Lokalisation  f&r  die  Wirkung  des  Alkohols 
und  Thees  im  Bereiche  des  Gentraineryensystems  eine  verschiedene  sein]: 
Der  Thee  erleichtert  diejenigen  Funktionen,  welche  die  Aufnahme  und 
Verarbeitung  Ton  Vorstellungen  Termittein;  der  AlkalM»!  besehleimigt 
die  Auslösung  von  motorischeB  Lnpolsen,  daher  die  Verküraung  der 
Wahlaeit,  das  Hervortreten  der  EüangassociatioBen  imd  die  Steigerung 
des  mechanischen  GMäohtaisses  beim  Zahlenlenien. 

Sehliefalich  wtiat  Vortragender  darauf  hin,  dafis  die  £rgebiiisfle 
dieser  Untersuchungen  mit  den  Erfahrungen  des  täglichen  Lebens  voJti- 
kommen  übereinstimmen.  Wir  bedienen  uns  des  Thees,  wenn  es  sich 
d»rum  handek,  unsre  Arbeitsleistuttg  zu  steigern,  die  Empfibagliehkeit 
fükt  geistige  GKenüsse  zu  vermehren,  Ermüdung  zu  verhüten;  dem  gegen- 
über steht  die  subjektive  Erleichterung  aller  Willenshaadlnngen,  die 
unvennittelte  Auslösung  impulsiver  Akte  während  das  leichten  Bausches, 
die  venuindearte  Auffassungsfllhigkeit,  ZnsawnnMihangBlosigkeit  der 
Baden,  die  mcnralische  Haltlosigkeit»  Beizbarkeit  und  Arbeitaunftb  igkeit 
4ae  cbronMchen  AlkcAolisten. 


Litteraturbericht. 


L.  Edivoer.  Bericht  ttber  die  Leitimigen  auf  dem  OeUete  der  Anatomie 
dee  OentralnerrensTstemes  im  Jahre  1889.  Schmidts  Jahrb.  der  ges, 
Medigm,  Bd.  228,  S.  78—103.    (Selbstanzeige.) 

Ich  gebe  im  Folgenden  (einer  Aufforderung  der  Bedaktion  folgend) 
einen  kurzen  Auszug  aus  meinem  soeben  erschienenen  fOnfben  Jahres- 
bericht, in  dem  ich  keineswegs  auf  alles  einzugehen,  sondern  nur  auf 
einige  wichtigere  und  namentlich  allgemein  interessierende  Arbeiten 
kurz  aufmerksam  zu  machen  beabsichtige. 

Noch  vor  wenig  Jahren  bildeten  die  Arbeiten,  welche  sich  mit  der 
feineren  Anatomie  der  nervösen  Centralorgane  beschäftigten,  nur  einen 
verschwindenden  Bruchteil  in  der  anatomischen  Litteratur.  Es  hat  sich 
aber  nicht  nur  das  Interesse  an  den  Fragen,  die  hier  aufgeworfen  werden, 
wesentlich  gesteigert,  sondern  es  sind  auch  neue  Methoden  denen  zu 
Hilfe  gekommen,  welche  hier  voranarbeiten  wollten.  So  sind  denn  die 
letzten  Jahre  immer  reicher  an  Beiträgen  zur  Anatomie  des  Gehirnes 
und  Bückenmarkes  geworden,  und  es  hat  die  Zahl  der  1889  erschienenen 
Schriften  die  Ziffer  127  erreicht. 

Im  allgemeinen  werden  die  älteren  Methoden  der  rein  anatomischen 
Untersuchung  ausgebildeter  menschlicher  Gehirne  mehr  und  mehr  ver- 
lassen und  man  bemüht  sich  auf  Umwegen  zur  Erklärung  der  dort  vor- 
handenen, noch  iinbekannten  Anordnungen  zu  kommen.  Frühe  Entwiche- 
lungsstadien,  einfachere  Gehirne  niederer  Tierformen,  auch  Gehirne,  an 
denen  durch  Erhrankung  oder  künstlich  gesetzte  Verletzung  ein  oder 
der  andere  Faserzug  degeneriert  und  dadurch  deutlicher  erkennbar  ge- 
worden ist,  bilden  im  wesentlichen  das  Material  der  Untersuchung,  soweit 
die  Erkenntnis  des  Faserverlaufes  angestrebt  wird.  Die  eigentliche 
Histologie  der  nervösen  Centralorgane  ist  in  den  letzten  Jahren  sehr 
wenig  gefördert  worden.  Erst  in  der  neuesten  Zeit  hat  auch  hier  die 
Entdeckung  neuer  technischer  Methoden  wieder  die  Arbeiter  angezog^en, 
und  es  scheint  sich  gerade  auf  diesem  Gebiete  eine  wichtige  Umwäbning 
vorzubereiten.  Schon  jetzt  haben  unsere  Anschauungen  von  der  Art,  wie 
ein  Nerv  central  entspringt,  in  wesentlichen  Dingen  eine  Erweiterung 
und  eine  Umgestaltung  erfahren. 

Die  Erkenntnis,  wie  weit  wir  in  diesen  Dingen  noch  zurück  sind, 
verbreitet  sich  immer  mehr  und  sie  hat  zur  Folge,  dafs  wir  mehr  und 
mehr  mit  „umfassenden  Theorien^'  zur  Erklärung  des  „Ganzen^  verschont 


Litteräturbericht  497 

bleiben.  Fleifsige  Einzelarbeit,  ein  Vorw&rtsstreben  auf  allen  offenen 
Wegen,  der  Versnch  neue  Wege  zu  erscbliefsen,  charakterisieren  die 
augenblickliche  Arbeit  auf  dem  Gebiete  der  Himanatomie. 

Von  Arbeiten,  die  das  Ganze  betreffen,  wäre  wesentlich  ein  Aufsatz 
▼on  Gaskell  in  Bramy  Bd.  12  (1889),  zu  erwähnen.  G.  ist  überzeugt,  dafs 
das  kompakte  Gehirn  der  Wirbeltiere  sich  ohne  grofse  Schwierigkeit 
von  dem  in  einzelne  Ganglienknoten  gegliederten  der  Wirbellosen  ab- 
leiten  läfst.  Die  bisher  in  dieser  Bichtung  unternommenen  Versuche 
haben  alle  einer  kritischen  Prüfung  nicht  Stand  gehalten  und  sind  ver- 
gessen. Bekanntlich  liegt  das  Bauchmark  der  Gliedertiere  ventral  von 
dem  Darme,  imd  nur  am  Mundpole  umfassen  von  ihm  ausgehende  Stränge 
und  Ganglien  den  Ösophagus.  Bei  den  Wirbeltieren  liegt  aber  das  Cen- 
tralnervensystem  dorsal  vom  Darmapparate.  Gaskbll  stellt  nun  die 
Hypothese  auf,  dafs  der  centrale  Hohlraum,  welcher  sich  durch  das 
ganze  Gehirn  und  Bückenmark  hindurch  bei  den  Vertebraten  nachweisen 
läfst,  eben  jener  alte  Darm  der  Gliedertiere  sei,  den  das  Nervensystem 
umwachsen  habe.  Bei  den  Wirbeltieren  hätte  sich  dann  ventral  ein  neuer 
Darm  ausgebildet.  Er  fuhrt  diesen  Gedanken  dann  aus,  indem  er  den 
Darmkanal  der  Krebse  speciell  zum  Vergleiche  heranzieht.  Der  Central- 
kanal  des  Bückenmarkes,  welcher  bei  den  frühen  Stadien  der  Wirbel- 
tierembryonen als  Canalis  neurentericus  in  den  wirklichen  Darmkanal 
mündet,  entspricht  dem  langgestreckten  Darme  der  Krebse,  die  Ventrikel 
des  Gehirnes  und  ihre  Bedachung  durch  den  Plexus  choroideus  ent- 
sprechen dem  gprofsen  Kopfmagen  dieser  Tiere.  Im  Infundibulum  wird 
der  Ösophagus  gefunden.  Seine  Ausbuchtungen,  Saccus  vasculosus,  sind 
noch  heute  nicht  von  Nervenmasse  umgeben.  Ausgehend  von  dieser 
Auffassimg,  sucht  G.  verschiedene  Teile  des  Vertebratengehimes  als 
Beste  von  Teilen  des  alten  „Kopfmagens**  zu  erklären.  Seine  Begrün- 
dung ist  teils  eine  morphologische,  teils  versucht  er  auch  das  Wenige, 
was  aus  der  vergleichenden  Physiologie  des  Gehirnes  bekannt  ist,  zur 
Bekräftigung  seiner  Hypothese  heranzuziehen. 

His  studiert  bekanntlich  seit  Jahren  an  Wachsrekonstruktionen  den 
Formaufbau  früher  menschlicher  Embryonen  und  hat  im  Laufe  dieser 
Studien  die  anatomische  Wissenschaft  vielfach  sehr  bereichert.  In  einer 
umfassenden  Arbeit  über  die  Formentwickelung  des  menschlichen  Vor- 
derhims  vom  Ende  des  ersten  bis  zum  Beginn  des  dritten  Monats^ 
schildert  er  in  genauerer  Weise,  als  es  bisher  möglich  war,  die  frühen 
Formen  des  Gehirns.  Von  allgemein  wichtigen  Gesichtspunkten  ist 
namentlich  der  Nachweis  hervorzuheben,  dafs  die  Betina  des  Auges  sich 
aus  der  Grundplatte  des  Vorderhirns  entwickelt,^  ganz  der  gleichen  Him- 
substanz,  welche  weiter  hinten  den  motorischen  Nervenkernen  Ursprung 
giebt.'  Der  Biechnerv  ist  nicht  ein  eigentlicher  Gehimteil,  sondern  seine 
Fasern  wachsen  aus  einer  getrennt  vom  Gehirn  liegenden  Platte,  der 
Biechplatte,  die  in  der  Decke  der  Nasenhöhle  liegt,  himwärts,  treten 
dann  in  das  Kopfgewebe  ein  und  verbinden  sich  dort  mit  dem  Biech- 


Ähhandlungen  der  Kgl,  sächs.  Gesellsch,,  No.  26,  S.  275. 


496  LiUgmtmherkkL 

ganglioxL    Dieaas  Gaaglimt  gebt  verh&ltnisimftfing  spftt  £•  VerlnadnBg 
mit  dem  Chehim  ein. 

Ein  fthnliehar  MkamdArer  Ansehlals  eines  GuglioBS  ma  das  Büm 
wird  mach  von  H»  jum.  im  Bereicli  des  Ao!ii«tieo4fuaafi»*Gebi0ie8  ge- 
schildert.^ Auch,  hier  steigt  ein  Zellkomplez  anm  Gehirn  anf ,  der  mm 
dessen  Oberfläche  Halt  macht  und  erst  sekund&r  verklebt. 

Es  ist  schon  in  der  Einleitung  hervorgehoban  worden,  dad  «■£ 
histologischem  Gebiete  die  leiste  Zeit  liele  nene  Kenntnisse  gebradit 
hat.  Den  wesentlichen  Anstofs  gaben  die  Untersoehnngeii  Ton  Oonai 
nnd  von  Bbla  Halles  in  den  Jahren  1885,  1886  und  1867.  Durch  diese 
ist  sichergestellt  worden,  dafs  es  zweierlei  Ursprnngsnrtea 
von  Nervenfasern  giebt.  Es  kdnnen  aus  einer  Ganglienselle  durch  den 
iütencylLnder  direkte  Nervenbahnen  entspringen  oder  es  verzweigt  sich 
der  AxencyUnder,  und  ans  dem  Netz,  das  durch  die  Veretnigong  mehrerer 
«einer  Verzweigungen  entsteht,  kOnnen  sich  Nervenbahnen  ableiteok 
GoLsi  hat  das  wesentlich  durch  Yersilberang  von  Zellen  des  S&ngergo- 
hims  erkannt.  Bbla  Halles  untersucht  seit  J«hren  das  Gentralnerven- 
«ystem  der  Mollusken  und  der  Würmer,  an  dem,  wie  es  scheint,  diese 
Verhältnisse  auJberordentlich  klar  zu  erkennen  sind.  Er  hat  im  letzten 
Jahre  uns  mit  einer  Arbeit  über  das  Oentralnerrsnsystecn  höherer 
Würmer*  beschenkt.  In  dieser  mit  Tafeln  reich  ausgestatteten  Schrift 
flnden  sich  zahlreiche  Beweise  für  den  doppelten  Ursprung  der  Nerven- 
fasern. Die  sogenannten  paarigen  Nerven  des  Begenwurms  enthalten 
Fasern  direkten  und  indirekten  Ursprungs.  Von  beiden  Arten  stammwi 
solche  aus  der  gleichen,  wie  aus  der  gekreuzten  Seite,  au&erdem  treten 
in  jeden  Nerven  Fasern  aus  dMn  vor  ihm  tmd  ans  dem  hinter  ihm  lie- 
genden Bauchganglion;  auch  hier  wieder  gleichseitige  und  gekreuxte. 
Diese  Verhältnisse  sind,  nach  den  Abbildung^  zu  urteilen,  bei  den 
Würmern  so  auTserordentlich  klar,  dais  es  Beferent  scheint,  als  seien 
hier  zum  ersten  Mal  alle  centralen  Beziehungen  eines  ein« 
zelnen  Nerven  aufgedeckt.  Da  alles  darauf  hinweist,  dafs  das 
Wesen  des  Nervenursprungs  in  der  ganzen  Tierreihe  ein  gleiches  ist,  so 
tritt  an  dieser  Stelle  die  Wichtigkeit  der  HALLssschen  Untersuchungen 
besonders  deutlich  hervor. 

Die  GoLoische  Methode  der  Versilberung  von  Nervenzellen  ist 
namentlich  von  Bamon  t  Cajal  verbessert  und  von  ihm  und  KosLLBna 
weiter  geübt  worden.  Sie  hat  für  die  Kenntnis  der  Kleinhimrinde, 
ebenso  wie  für  den  Aufbau  des  Bückenmarkes  vielfach  Neues  und  Wich- 
tiges gelehrt.  KosLUKza  namentlich  schüeikt  sich  auf  Grund  seiner 
Untersuchungen  der  von  Bakov  t  Öajal  und  His  angestellten  Annahme 
an,  dafs  wahrscheinlich  an  vielen  Orten  des  Gehirns  die  Ein- 
wirkung der  nervösen  Elemente  aufeinander  nicht  durch 
Kontinuität,  sondern  nur  durch  Aneinanderlagern  sta.tthnbe. 
Man  muis  nach  diesen  neuen  Untersuchungen  annehmen,  da&  z.  B.  die 
sensiblen  Wurzelfasem  des  Bückenmarkes  nicht  in  Verbindung  mit  ZMmtt 


*•  Areh.  f,  Anatomie  «.  Phys.,  anatom.  Abt.,  1889. 

'  Arbeiten  aus  dem  sioel.  Inttitat  der  ümo,  Wiem^   VUL.  Bd. 


LitUraHtfb9tiehi  499 

treten,  sondern  dvfs  sie  sicli  in  Mäste  Pinsel  «aflOM^n,  welche  nm  die 
Zellen  der  Hintcwbdiuier  Iiemmlii^en,.  NcttGrrlicli  stehctn'  ^i0le  Nerv%tf- 
fasern  avrcb  direkt  mit  Zellen  in  Terbindnng;  soielie'2rdllea[  lie|^  in  deir 
Vorderhamem  foat  die  vorderen  Wurzel,  in  den  Spliialgatrglieix^  ia:  äeff 
Binde  des  iprofsen  und  kleinen  Gehirns.  Hier  heJb  ror  drei  Jvhren  sehitni 
gezeigt,  daTs  die  hinteren  Wnx«zeln  entt^ckelung^gesehiohtlioh^  gar  nicht? 
im  BHiekenmark  entstehen,  sondern  dafs  die  Zellen  der  Spinalganglien 
Anslinfer  entsenden,  welche  in  das  Bttohenmark  hineinwachsen.  tAe 
vorderen  Wurzeln  aber  sind  nach  seinen  üntersuohnngett  divekt  als- Aus* 
läufer  von  Bückenmarkszellen  anzusehen.  Im  Lanli»  des  leti^en  Jahres 
hat  er  seine  Aufmerksamkeit  der  Gewebeentwiokehuii^  des  KOokenmafks 
besondei9  zugewandt.  Aus  dev  betrefibnden  Arbeit'  geht  hervor,  daC^ 
auf  sehr  fHUier  EntwickelTmgBStufe  die  Markplatte  des  BfIckennMRrkes 
den  Charakter  eines  emfiftch  geschichteten  Bpltfaels  hat.  Zwischen  den 
inneren  Abschnitten  der  Bpithelzellen  liegen  runde,  zum  groI^n  Teil  in 
Kernteilung  begriffene  Zellen,  die  Eieimsellen.  dpftter  wachseto  aus  diesen 
Keimsellen  Fort^Uase  aus,  welche  zu  Nervenfitöem  werden.  Die  Epithel- 
zelleii  aber  bilden  sich  unter  Verschiebung  ihrer  Kerne  und  unter  A^as- 
Scheidung*  einer  geibrmten,  fadenförmig  sich  anordnenden  Substanz  all« 
m&hüch  zum  MarkgerOst  um.  Die  Keimzellen  lagern*  sich  spftter'  in 
bestimmte  Zonen  des  Büokenmarkes,  innerhalb  der  Lücken  des  Hxtk' 
gerOstes.  Da  aus  ihnen  die  Nervenzellen  hervorgehen,  nennt  si«  Hts 
Neuroblasten.  Die  Abkömmlinge  der  Epithelzellen  besmichnet  er  als 
Spongioblasten.  Wichtig  erscheint,  daüi  alle  centralen  Nervenzellen 
sich  zunftchst  nur  nach  einer  Seite  hin  entwickeln;  erst  lange 
nach  dem  Auswachsen  des  Axencylinders  kommt  es  zum  Hervorsprossen 
von  neuen  Fortsätzen,  welche  sich  unter  Zunahme  der  Verzweigung^  in 
der  Umgebung  der  Zellen  ausbreiten.  So'  sind  die  Orondelemente  f&r 
die  ersten  Nervenfasern  schon  sehr  frühzeitig  angelegt.  Es  scheint  sogar, 
dafs  diese  Anlage  eine  definitive  ist,  dafs,  wenn  das  Gehirn  einmal  aus* 
gebildet  ist,  gar  keine  neuen  Ganglienzellen  mehr  auftreten;  Wenigstens 
hat  ScHiLLsn*  im  Nervus  oeulomotorius  erwachsener  Katzen  ungelNlhr 
ebensoviel  Nervenfasei-n  nachweisen  können,  als  er  in  dem  gleichen 
Nerven  neugeborener  Tiere  fand.  Forbl,  unter  dessen  Leitung:  die 
ScBn^LERSche  Arbeit  entstanden  ist,  m^nt,  da  auch  jede  Nervenfaser 
einer  Zelle  entspreche,  so  sei  es  sehr  wahrscheinUch,  dafs -die  Gang- 
lienzellen so  lange  dauern,  als  das  menschliche  Leben.  Alle 
Erfolge  der  GunnsKSchen  Methode  (Zerstörung  der  Nervenkerne  durch 
Ausreifsen  der  Fasern  bei  neugeborenmi  Tieren)  zeigten,  dafs  eine  Gang- 
lienzelle, einmal  zerstört,  nie  mehr  ersetzt  wird.  Ehr  hebt  die  Wichtig- 
keit dieser  Auffassung  fCkr  die  Erklärung  der  Phänomene  des  Ge- 
dächtnisses hervor. 

Die  Arbeiten,  welche  das  Jahr  1889  über  das  Vorderhim  gebracht 
hat,  beschäftigen  sich  alle  mit  den  Furchen  und  Windungen  desselben. 

^  W.  His:  Die  Neuroblastm  und  deren  Entetehun^.  Arek.  f.  Anat.  u. 
Phys.,  anat.  Abt.,  1889,  S.249  u.a.aO. 

*  Comfa.  rend,  hebd,  de  VAcad,  des  Sdencea  de  Paris,  OIX,  N6.  11, 
S.  530,  1889. 

Zeitsehrift  fOr  Psycholoslo.  83 


500  lAiUrainrbenehL 

Wir  haben  durch  Ebbbstaller*  eine  anaftUirliohe  Beschreibung  der  Ober- 
fläche des  menschlichen  Stimhims  und  der  dort  Torkommenden  Varia- 
tionen erhalten.  CmnmroHAx*  hat  die  Intraparietalspalte  in  ihren  Varia- 
tionen studiert,  und  es  haben  .uns  ZmwK  und  KOcuotbal'  mit  einem 
grolsen  Werk  .beschenkt,  welches  vom  Centralnervensystem  der  Wal- 
tiere handelt.  Ziehiv  und  Kückchtbal  geben  hier  auch  eine  genaue 
Studie  über  die  vergleichende  Anatomie  der  Gehirnoberflftche 
uud  untersuchen,  inwieweit  Furchen  und  Windungen  bei  den  einzelnen 
Tierarten  untereinander  Terglichen  werden   können. 

Aus  den  Arbeiten,  welche  sich  mit  der  Anatomie  des  Zwischen- 
und  Idttelhimes  beschäftigen,  sei  namentlich  eine  ausfllhrliche  Studie 
von  MoviKow^  erwähnt.  Movakow  beschäftigt  sich  schon  seit  Jahren 
mit  den  Degenerationsbildem,  welche  eintreten,  wenn  die  optischen  Cen- 
tren und  Bahnen  im  Gehirn  irgendwo  eine  Unterbrechung  erfahren«  Es 
liegt  gerade  für  diesen  Punkt  schon  ein  recht  beträchtliches  Material 
vor,  das  nicht  zum  wenigsten  durch  Mokakows  eigene  Arbeiten  geschaffen 
worden  ist.  Über  dieses  giebt  er  nun  eine  Übersicht.  Seine  Studien 
sind  soweit  zum  Abschluls  gekommen,  dafs  er  eine  Art  Schema  zu  geben 
vermag,  in  das  sich  alles  Gefundene  wohl  einfthgt,  ein  Schema,  das  den 
Ursprung  und  die  centralen  Verbindungen  des  Sehnerven  umfalst.  An 
dieser  Stelle  sei  nur  darauf  l^ngewiesen,  daXs  er  zu  der  Auffassung  ge- 
kommen ist,  dafs  im  Opticus  zweierlei  Nervenbahnen  verlaufen,  solche, 
die  aus  den  Zellen  der  Betina  stammen  und  sich  in  Anteilen  des  äulseren 
KniehOckers  pinselförmig  auflösen  und  solche,  die  aus  Zellen  des  Vier- 
httgels  stamniien,  um  sich  in  der  Betina  pinselförmig  aufisulösen.  Diese 
Zellen  des  Vierhflgels  sind  wieder  selbst  von  Pinseln  umgeben,  die  aus 
Ganglienzellen  der  Hirnrinde  des  Occipitallappens  stammen.  Ebenso 
liegen  im  äulseren  Kniehöcker  Zellen,  die  ihre  Ausläufer  mit  den  eben 
erwähnten  Fasern  zusammen  als  Sehstrahlung  zum  Hinterhauptlappen 
senden,  wo  sie  sich  pinselförmig  auflösen.  Zwischen  den  Pinseln  und 
den  Gkmglienzellen,  welche  direkt  Nervenfasern  Ursprung  geben,  li^^n 
wahrscheinlich  noch  Schaltzellen.  Es  geht  also  von  jedem  Opticus- 
centrum,  Betina,  Mittelhirn,  Ganglien, Hirnrinde  ein  Faser- 
system aus  und  in  jedem  endigt  ein  solches.  So  verlaufen  in 
dem  Sehnerven  sowohl  als  in  der  Sehstrahlung  parallel  je  zwei  Faser- 
systeme, deren  Bichtung  eine  entgegengesetzte  ist.  Präparate  vom 
Mittelhim  der  Vögel,  welche  Bamok  t  Cajal*  auf  dem  Anatomenkongrels 
demonstriert  hat,  lassen  Bilder  erkennen,  welche  völlig  in  Übereinstim- 
mung mit  dem  stehen,  was  Movakow  aus  seinen  Degenerationspräparaten 
geschlossen  hat.  —  Mehrere  Forscher  haben  sich  mit  dem  Ursprung  des 
Augenbewegungsnerven  beschäftigt  und  es  haben  Beferent  in  seinem 
Lehrbuche  und  Pebua'  ausführliche  Beschreibungen  der  dort  voiüegoiden 
Verhältnisse  gegeben.    Der  Hauptkem  besteht  aus  einer  ganzen  Gruppe 


*  Das  Stimhim.    Wien  u.  Leipzig,  1890. 

*  Jouim.  of  Anat  etc.,  1889.  —  *  Monogn^hie.    Jena,  1889. 

^  Arch.  f,  PwMatrie,  Bd.  20,  S.  714.  —  *  Anat  Anteiger,  1889. 

*  Areh.  f.  Ophmalm.,  XXXV,  S.  287. 


Litteraiurbmcht  501 

bisher  ungenügend  yoneinander  gescliiedenen  Kerne.  Es  hat  sich  auch 
herausgestellt,  dais,  was  früher  schon  Güddbn  behauptet  hatte,  ein  Teil 
der  Fasern  des  Oculomotorius  auf  der  gekreuzten  Seite  entspringt,  die 
Hauptmasse  der  Fasern  aber  aus  dem  gleichseitigen  Kern.  Aolserdem 
lassen  sich  im  Bereich  des  Oculoniotoriuskems  eine  Beihe  in  ihrem 
Wesen  bisher  noch  unbekannte  Nervenkeme  nachweisen.  Andere  Arbeiten 
über  den  Oculomotorius  stammen  von  Djlbkbchewitsch  ^  und  Mendel*;  der 
letztere  hat  neugeborenen  Kaninchen  die  Iris  entfernt  und  sp&ter  im 
Gehirn  der  herangewachsenen  eine  Atrophie  des  gleichseitigen  Ganglion 
habenulae  konstatiert.  Er  sieht  daher  in  diesem  Ganglion  ein  Centrum 
für  die  Pupillenbewegung. 

Das  laufende  Jahr  hat  uns  auch  eine  wichtige  Arbeit  über  die 
Pyramidenbahn  gebracht,  jene  Bahn  aus  der  GroXshirnrinde ,  welche 
beim  Menschen  aus  den  motorischen  Begionen  des  Vorderhimes  stammt 
imd  im  Bückenmark  zum  Teil  gekreuzt  endigt  Ihre  Fasern  fahren,  wie 
die  Ergebnisse  der  Pathologie  zeigen,  den  gröfsten  Teil  der  motorischen 
Leitung  vom  Vorderhim  zum  Bückenmark.  Da  dieselben  sich  nicht  nur 
beim  Menschen,  sondern  auch  bei  anderen  Säugetieren  sehr  spät  mit 
Mark  umgeben,  so  war  es  vov  Lbhhoss^k  '  möglich,  den  Querschnitt  der 
Pyramidenbahn  bei  verschiedenen  Tieren  untereinander  zu  vergleichen. 
Derselbe  beträgt  beim  Menschen  11,87%  des  ganzen  Bückenmarkquer- 
schnittes,  bei  der  Katze  nur  7,76%,  beim  Kaninchen  6,3%,  beim  Meer- 
schweinchen 3,0  7o  und  bei  der  Maus  gar  nur  1,14%.  Die  Pyramiden- 
bahn lagert  bei  den  meisten  Tieren  in  den  Seitensträngen,  bei  einigen 
aber  auch  in  den  Hintersträngen.  Überall  kreuzt  sie  vollständig,  auTser 
etwa  beim  Menschen,  wo  ein  Teil  bekazmtlich  in  den  Vorderseitensträngen 
ungekreuzt  verläuft. 

Von  den  Kernen  der  Oblongata  hat  das  Gebiet  des  Acustico-facialis 
durch  HiB  jr.  eine  entwickelungsgeschichtliche,  das  des  Acusticus  durch 
Baginbkt^  eine  experimentelle  Untersuchung  gefunden.  Durchschnei- 
dtmgsversuche  der  unteren  Schleife  von  Mokakow*  haben  gezeigt,  dafs 
aus  dem  ürsprungsgebiet  des  HOmerven  Fasern  stammen,  Striae  acusti- 
cae,  welche  in  die  gekreuzte  Schleife  eintreten  und  mit  dieser  in  die 
Vierhügel  gelangen.  Ähnliches  hatte  Beferent  schon  früher  aus  ver- 
gleichenden anatomischen  Thatsachen  folgern  zu  müssen  geglaubt.  Mo- 
nakows Versuche  gestatten  in  der  Schleife  verschiedene  Bestandtteile 
viel  besser  zu  unterscheiden,  als  es  bisher  möglich  war.  Eine  neue 
Darstellung  der  Acusticus-TJrspmngsverhältnisse  hat  Beferent  in  seinen 
„Zwölf  Vorlesungen*'  gegeben. 

Das  Bückenmark  ist  von  mehreren  Forschem  im  letzten  Jahre 
durchgearbeitet  worden.  Neben  einer  eingehenden  Monographie  des 
Gorillarückenmarkes  von  Waldbtbr*,  die  auch  die  Verhältnisse  beim 
Menschen  fortwährend  vergleichend  berücksichtigt,   steht  eine  Arbeit 


*  ArcT^  f,  Anat.  u.  Pkysiol,  anat.  Abt.,  1889. 

*  Deuteehe  med,  Wochensehr.,  1889,  No.  47. 

«  Anat.  Angeiger,  1889,  S.  208.  —  ^  Neural  CentreMait,  1889,  S.  687. 

*  Berieht  A6er  die  Heidelberger  naturforschende  Versammlung. 
»  Berlin,  1889,  4. 

33* 


508  LiUeraimbencht 

von  LnnM>uiCK^  über  das  BAckaiuiutrk  dar  Maos,  walcha  aiak  waseuÜiAh 
auf  die  MarkacheidenyQtwickelniig  bei  dieaevi  Tiere  grftaidai.  Beide 
Arbeiten  bringen  Tielfacb  SUaea  nnd  Inieceaaan^  aber  den  Faaerver- 
]an£.  Voi^  ganz  princi^ieller  Wichtigkeit  scheint  ein  Fond  Ton  IUmdv 
T  CäjaJs*  zu  sein.  Dieser  hat  i>fanlic*h  nachgewiesen,  nnd  seine  Angaben 
sind  seitdem  durch  Koslukss  best&tigt  w(»den,  dais  Ton  allen  Lftngs^ 
£aaem  der  Bückenmarksstrange  aahlloee  kleine  Seitensweige  im  rechten 
Winkel  abgehen.  Diese  ISIollateralen  dringen  oft  in  das  Bflckenmark 
nnd  endigen  zwischen  den  Zellen,  namentlich  der  B^terhOmer,  dnrch. 
eine  feine  nnd  sehr  variköse  VerSstelnng.  Der  Nenrenplexos ,  welcher 
oft  zwischen  den  Ganglienzellen  beschrieben  worden  ist,  wird  an  einem 
Teil  durch  die  Ansammlung  einer  unendlichen  Zahl  solcher  Bndver- 
zweigungen  gebildet.  Diese,  wie  die  Torgenannten  zwei  Arbeiten,  ent- 
halten zahlreiche  Angaben  über  die  Zellen  des  Bückenmarkes  nnd  ihre 
Anordnung,  Auüserdem  hat  Sass'  Slaidien  über  die  Topographie  der 
Nervenkeme  im  Bückenmark  veröffentlicht.  Er  hat  an  Tieren,  welchen  er 
gleich  nach  der  Geburt,  Monate  vor  der  ZShlung,  einzelne  Nerven  durch- 
schnitten hatte,  Zahlungen  der  atrophisch  gewordenen  Zellen  voi;ge- 
nommen  und  so  mehrfach  die  an  bestimmten  Nerven  gehörigen  Kerne 
ermittelt.  LsvEossicK^  hat  eine  gpenane  Beschreibung  des  Fasenrerlan£BS 
aus  der  hinteren  Wurzel  in  das  Bückenmark  veröffentliokt  und  die  ver- 
schiedenen Zfige^  in  welche  die  Wurzel  sich  dort  spaltet,  anf  rein  anar 
tomischem  und  auf  entwickelungsgeschichtUchem  Wege  studiert. 

Über  die  Fortsetzung  der  sensorischen  Bahn  zum  Gehirn  lagen 
bisher,  nur  imgenügende  Erfahrungen  vor.  Beferent*  hat  deshalb  diese 
Verhmtnisse  an  niederen  Tieren,  Fischen,  Amphibien  und  Beptilien,  bei 
denen  das  Bückenmark  noch  relativ  einfach  gebaut  ist,  nnd  spater  auch 
am  Menschen  studiert  Nach  den  Ergebnissen,  die  er  dabei  erhalten, 
sowie  unter  Berücksichtigung  des  bisher  über  die  Degenerationen  im 
Bückenmark  Bekannten  ist  er  zum  Schluis  gekommen,  dafs  sich  ein 
Teil  der  hinteren  Wurzel  durch  die  OLASKSche  Säule  in  die  Kleinhim- 
seitenstrangbahn  fortsetzt,  dafs  ein  zweiter  ungekreuzt  in  den  BLinter- 
strängen  zur  Oblongata  aufsteigt  imd  dort  unter  Zwischenschaltung  voü 
Kernen  in  die  gekreuzte  Schleife  tritt,  imd  dafs  ein  dritter  Teil  schon 
im  Bückenmark  in  Kerne  tritt;  aus  den  letzteren  entspringt  eine  Bahn, 
welche  im  gekreuzten  Vorderseitenstrang  aufw&rts  zieht.  So  kommen 
oben  in  der  Oblongata  beide  Anteile  in  der  Schleifenschicht  wieder  zu- 
sammen. Die  Ergebnisse  physiologischer  Versuche  und  d^  Beobachtung 
am  Krankenbette  bestätigen  die  auf  anatomischen  Wege  gewonnene 
Auffassung. 

Schliefslich  wäre  noch,  ein  ausführliches  Werk  von  KjinTi:  „0^ 
die  Blutgefäße  des  menachüchen  BOekenmarks'*  (Lemberg,  1889,  gr.  4*)  zu 
erwähnen. 


'  Arch,  f.  nUhraskop.  Jtuxtomie,  Bd.  33. 

'  Anat  Ameiger,  1889,  No.  3. 

»  Virehowa  Archiv,  Bd.  116. 

^  Arch.  /*.  mikroskop,  Anatomie,  Bd.  34. 

^  Anat  Anzeiger,  1889. 


DarstellBiigieii  des  Chesttihtbaues  sind  im  Berichtsjahre  zwei  er- 
schienen, eine  italienische  Ton  Mnroinm  und  eäie  deutsche  rotn  Befe- 
renten  nnter  dem  IHtel:  „AMf  V&rUnmgen  öder  dbi  B&a  äer  Herv^^sen 
CenOtälwytm^  (Leipcig,  1869). 


H.  H.  DoNALDsoy.  Aiuttomteal  0!Mier?ttlons  on  the  Brabi  and  SeiiM- 
oftatti  of  tb«  \XtiA  dtef-miits.  Lstuu  BridgmaB.  (1.  Mitteihmg.) 
Amer.  Jaamdl  of  Fsydkologyy  Okt.  1890. 

Das  Gehirn  der  bekannten  blinden  Taubstummen,  LAimA  Bainoki^r, 
wurde  im  neurologischen  Laboratorium  der  Clark  Uniyersitftt  in  Wor- 
cester,  Ü.  S.  A.,  einer  sorgfältigen  Untersuchung  unterworfen,  deren 
Ergebnisse  Professor  Dohaldsok  jetzt  mitteilt. 

L.  B.  wurde  am  21.  Dezember  1829  in  Hanöver,  New  Hampshire, 
geboren.  Dire  Eltern  waren  gesund,  aber  beide  etwas  nervOs.  Als  kleines 
Kind  war  sie  schwächlich  und  litt  an  Krämpfen,  doch  besserte  sich  ihre 
Gesundheit  mit  dem  zwanzigsten  Monat,  imd  sie  zeigte  sich  thätig  und 
yerstftndig.  Nachdem  sie  einige  Worte  sprechen  und  einen  oder  zwei  Buch- 
staben kennen  gelernt  hatte ,  erkrankte  sie  mit  ihren  beiden  Schwester  n 
als  sie  zwei  Jahre  alt  war,  am  Scharlachfieber.  Die  Schwestetn  starben, 
und  L.  wurde  so  krank,  dafs  beide  Augen  und  beide  Ohren  in  Eiterung 
gerieten  und  auch  Geruch  und  Geschmack  beeinträchtigt  wurden.  Das 
Gesicht  des  linken  Auges  wurde  gänzlich  zerstört;  mit  dem  rechten  hatte 
sie  einige  £m]^findung  ftlr  sehr  grofse  helle  Gegenstände  bis  zu  ihrem 
achten  Jahr,  Wo  sie  ganz  blind  wurde.  DA  die  Sprache  mit  dem  Gehth^ 
verloren  gegangen  war,  wurde  sie  zu  Hause  durch  willkürliche  Be- 
rllhrungezelchen  erzogen  und  lernte  Nähen,  Stricken  u.  s.  w. ,  bis  rie  am 
4.  Oktober  1887  in  die  Perkins  Ikistitution  fGlr  Blinde  zu  Bbston  über- 
geführt wurde.  Hier  wurde  sie  bis  zu  ihrem  zwanzigsten  Jahre  durch 
Dr.  8.  G.  Hows,  den  damaligen  Direktor  der  Anstalt,  erzogen  und  zwar 
auf  folgende  Weisd :  der  Name  eines  gewöhnlichen  Gegenstandes  würde 
in  erhabenen  Buchstaben  auf  den  Gegenstand  geklebt,  und  sie  lernte 
Naknen  und  Gegenstand  miteinander  assooiieren;  dann  lernte  sie  den 
Namen  aus  einzelnen  Buchstaben  bilden;  endlich  lernte  sie  nach  langer 
Zeit  die  Buchstaben  selbst.  Als  sie  zum  erstenmal  erkltnnte,  dafs  das 
Zeichen  für  eineü  Gegenstand  aus  einzelnen  Buchstaben  gebildet  werden 
konnte,  ging  ihr  die  Bedeutuüg  dessen,  was  sie  that,  plötzlich  auf;  von 
nun  an  muÄrte  sie  im  Lernen  zurückgehalten  werden,  damit  ihre  Ge- 
sundheit nicht  gefährdet  würde. 

Zur  Zcat,  wo  sie  in  die  Perkins  Institution  kam,  fehlte  ihr  deV 
GertKshssinn  ganz;  doch  konnte  sie  später  durch  den  Geruch  die  Bieh- 
tung  der  Kü6h6  erkennen.  Durch  Geschmack  konnte  sie  anfangs  Sauer 
besser  unterscheiden  als  Süft  und  Bitter.  Ihr  Tast-  und  Berührungssinn 
war  selbst  für  eine  Blinde  sehr  scha^;  a-uoh  war  sie  für  Erschütterungen 
sehr  empfindlich.  So  weit  man  entdeeken  konnte,  träumte  sie  nioht  in 
Gesichts-  oder  Gehörsvorstellungen.  Sie  hatte  über  fünfisig  Laute,  mit 
weleheü  sie  Bekitnnte  zu  bezeichneli  pflegte.  Übrigens  Wsr  sie  aulser- 
oifiAütlieh  reinlich,  ordnungsliebeüd  und  gesittet. 


504  LiUeraimheridU. 

Im  Jahre  1878  wurde  sie  durch  Professor  G.  Staitlbt  Hall  unter* 
sucht,  der  sie  f&r  Tollstftiidig  blind  und  taub  erklärte.  Durch  den  Er- 
schütterungssinn konnte  sie  die  Fuistapfen  und  bisweilen  auch  die 
Stimme  ihrer  Bekannten  erkennen;  sie  sagte,  dais  sie  „durch  ihre  Fülse'' 
hOrte.  Durch  den  Geruch  konnte  sie  jetzt  einige  stärker  duftende  Blumen 
erkenneo,  aber  kölnisches  Wasser,  Ammoniak  und  Zwiebeln  nur,  wenn 
dieselben  sehr  stark  waren.  Jetst  ¥rar  sie  ftkr  Bitter  und  Sauer  am 
wenigsten  und  fQr  SüTs  und  Salzig  am  meisten  empfindlich.  Ihr  BerCkh- 
rungssinn,  mit  den  Zirkelspitzen  gemessen,  zeigte  sich  zwei-  bis  dreimal 
so  fein  als  normal.  Als  Erwachsene  war  sie  1,596  m.  hoch  und  wog 
inklusive  Kleidung  44,45  Eilo.  Sie  starb  in  der  Perkins  Institution,  wo 
sie  beinahe  ihr  ganzes  Leben  zugebracht  hatte,  am  24.  Mai  1889  an  einer 
Lungenentzündung. 

Das  Gehirn  wurde  zuerst  in  MüLLsascher  Flfissigkeit,  dann  in  dop- 
peltchromsaurem  Kali  geh&rtet.  Sein  Volumen  ohne  Pia  war,  nach  der 
H&rtung,  1383  ccm;  also  vor  der  Härtung  etwa  1178  ccm.  Sein  Gewicht 
ohne  Pia  war,  nach  der  H&rtung,  1889  g;  also  vor  der  Härtung  etwa 
1204  g,  oder  etwas  unter  der  von  Schwalbe  angegebenen  Durchschnitts- 
zahl für  das  weibliche  Gehini,  1245  g.  Nach  linearen  Messungen  erschien 
das  Gehirn  ausgesprochen  brachycephal. 

Die  NN.  glossopharyngeus,  acusticus  imd  abducens  waren  etwas 
verkümmert  und  alle  Himnerven  waren  klein.  Die  Striae  acusticae  traten 
besonders  klar  hervor.  Das  hintere  Paar  der  corpora  quadrigemina  war 
etwas  klein,  aber  wohlgerundet,  und  die  brachia  traten  klar  hervor; 
dagegen  war  das  vordere  Paar,  und  besonders  das  linke  corpus,  stark 
gegen  die  Mittellinie  abgeplattet,  und  die  brachia  waren  nicht  zu  sehen. 
Das  rechte  pulvinar  war  leider  beschädigt,  aber  das  Unke  war  erhalten, 
und  erschien  verkümmert  und  wenig  gewölbt.  Die  commissurae  media 
und  posterior  waren  gut  entwickelt,  aber  die  commissura  anterior  war 
leider  nicht  erhalten.  Die  glandula  pinealis  zeigte  sich  unverhältnismäfsig 
vergrölsert,  wahrscheinlich  weil  der  Druck  der  umgebenden  Teile  be- 
seitigt war.  Das  infundibulum  war  auüserordentlich  verlängert,  und  der 
tractus  opticus  sehr  verkümmert.  Das  corpus  callosum  war  in  jeder  Be- 
ziehung gut  entwickelt. 

Die  Gesamtgestalt  der  Hemisphären  war  normal,  nur  waren  sie 
nach  hinten  etwas  abgeplattet.  Der  Schläfenlappen  war  verhältnismälsig 
klein,  seine  Spitze  dünn,  und  die  Entfernung  von  dieser  bis  zur  Spitze 
des  Frontallappens  daher  ungewöhnlich  grols.  Die  Windungen  waren 
im  allgemeinen  grols  und  lagen  weit  voneinander  getrennt,  besonders  im 
Frontal-  und  Parletallappen,  nur  im  Hinterhauptslappen  lagen  sie  eng 
aneinander.  Die  typische  Anordnung  derselben  lieis  sich  leicht  erkennen, 
und  die  beiden  Hemisphären  waren  ziemlich  symmetrisch  markiert.  Die 
Länge  der  fissura  Sylvii,  von  den  rami  anteriores  bis  zum  ramus  posterioi 
ascendens  gemessen,  war  52  mm  für  die  rechte  und  53  mm  für  die  linke 
Hemisphäre,  also  weniger  als  Ebbrstallbbs  Durchschnittszahl  für  das 
weibliche  Gehirn,  56,5  mm. 

Im  Frontallappen  gingen  der  sulcus  frontalis  inferior  und  der  sulcus 
fronto-marginalis  ineinander  über,   desgleichen  auch  der  sulcus  fronto- 


Litteratmheneht  505 

marginalis  and  der  ramus  anterior  horizontalis  fissarae  Sylvii.  Von  dem 
gyrua  frontalis  inferior  war  die  pars  triangularis  am  besten  entwickelt, 
und  besser  links  als  rechts;  die  pars  basilaris  war  links  viel  weniger 
entwickelt  und  besonders  in  ibren  ventralen  Teilen  verkümmert;  die 
pars  ascendens  war  links  durchweg  verkthmnert;  und  diese  beiden  partes 
waren  nicht  nur  kleiner,  sondern  lagen  auch  tiefer  als  die  umgebenden 
Windungen^  so  dals  der  gyrus  centralis  über  der  pars  basilaris  ein  leichtes 
operculum  bildete;  Die  insula  war  rechts  46  qmm,  links  sogar  128  qmm, 
oder  beinähe  dreimal  so  viel,  blofsgelegt.  Diese  Verhältnisse  entsprechen 
im  wesentlichen  den  Abweichungen,  die  von  Büdihokb  und  Zuckbbkakdl 
als  charakteristisch  für  Taubstumme  beschrieben  worden  sind. 

Der  Hinterhauptslappen  war  auf  der  rechten  Seite  kleiner  als  auf 
der  linken.  Der  sulcus  parieto-occipitalis  kam  auf  der  dorsalen  Flftohe 
der  rechten  Hemisphäre  nicht  zum  Vorschein,  obgleich  er  links  gut 
entwickelt  war.  Der  rechte  cuneus  war  viel  weniger  entwickelt  als  der 
linke.  Die  Verkümmerung  des  rechten  Hinterhauptslappens  erklärt  sich 
aus  der  Thatsache^  dafs  L.  seit  ihrem  zweiten  Jahre  im  linken  Auge 
vollständig  blind  war,  während  sie  im  rechten  einige  Lichtempfindung 
behielt  bis  zu  ihrem  achten  Jahre,  genug  jedenfalls,  um  die  Entwickelung 
der  linksseitigen  Centren  fortfahren  zu  lassen. 

Die  Centren  für  Finger-  und  Daumenbeweg^ungen  waren  auf  der 
linken  Seite  ziemlich  gut  entwickelt,  auf  der  rechten  aber  nicht  so  gut 
sonst  war  nichts  Ungewöhnliches  zu  bemerken. 

DovALDsoK  machte  den  Versuch,  den  Gesamtfiächeninhalt  des  G-ehims 
zu  bestimmen,  indem  er  zuerst  die  freie  Fläche  hiafs,  dann  die  Länge 
der  Furchen  und  die  durchschnittliche  Tiefe  derselben  bestimmte  und 
die  nötigen  Berechnungen  anstellte.    Er  fand: 

Links :  Hechts : 

Insula 1760.    qmm  2026.6  qmm 

Frontallappen 27624.5     „  29684.        „ 

Hinterhauptslappen 3824.6     „  3604.8      „ 

Übrige  Teile 61066.7     „  47452.        „ 

84265.7  qmm  82667.3  qmm 

Die  linke  insula  erscheint  hiemach  viel  weniger  entwickelt  als  die 
rechte ;  der  linke  Frontallappen  ist  viel  kleiner  als  der  rechte,  was  haupt- 
sächlich der  Verkümmenmg  des  gyrus  frontalis  inferior  zuzuschreiben 
ist.  Hingegen  ist  der  rechte  Hinterhauptslappen  viel  unentwickelter  als 
der  linke. 

Dieser  ersten  Mitteiltmg  ist  eine  ausführliche  Bibliographie  bei- 
gefügt. Stbovo  (Worcester,  U.  S.  A*) 

W.  JsBusALBM.    Laura  Bridgman.  Eniehimg  einer  Tanbetiunni-Blliiden. 

Eine  psychologische  Studie.   Wien.  1890.    A.  PichlersWitwe  &  Sohn. 

8*.  76  S. 
Mit  eingehender  Benutzung  der  über  L.  B.  vorliegenden  Litteratur 
wird  eine  ausführliche  Biographie  dieses  seltsamen,  von  der  Natur  so 
grausam  behandelten  Mädchens  gegeben  und  besonders  die  Methode  des 


{106  lAttarmtm^beneht 

jhF  Qxitf  Ite»  TJvA^vsAcbiw  heaprofkeak.  Zw^i  von  L.  B.  T0r£»£rt0  Qe- 
dkJütA:  »i^oly  Aoiüe''  und  «Xt^A^  IgmmZ  imiemea^  mertei  Im  WcarÜMite  nit- 
f^ejttiiU}.  £0  fiini  ^«ilieh  nur  reiia*  nad  Tby^AkmmhmB  Anrnnander- 
r«i}iiui99ii  ikurser  Sfttee,  aber  «ia  aeigen  doch,  ivle  rftich^Hag  der  Yor- 
BteUupgsinlKklt  ist^  In  der  genauen  geitocmtiramg  I4.  B.t  0u»b.t  J.  eine 
Beetftttgung  seiner  J^eiolit,  „if^b  -die  2ieü  dnreh  das  Inneirerden  der 
BewulfltseinflArfoeit  ^um  BewofstseMi  kommt  oder,  nm  mit  WbmaaBsa» 
zu  epreciien,  durch  dde  erst  bei  leibhafter  Aufinerkaamkeit  juerkÜAh  wer- 
denden Spanniwg8^nq[)finduo9Qn.^  Die  Aatbetiecben  OeflOile  L.  Bjb  aetaen 
s^  aiur  au8  Teat-  und  Bevegungsegaififindungen  auaammea.  Aueb  bier 
sind  Leicbtigheit  und  Bhytbmua  derBewegiing  Bedingungen  das  Aatke- 
tÄsabcga  Wohlgefallens:  ein  gjatter  ßtotk  gefial  ihr  atets  besser  §äß  ein 
rauher ,  und  Stöojb:e  mit  segelmAfsig  vartetlten  ISftoten  tAg  sie  aolchan 
Tor^  bei  denen  die  Knoten  in  ungleichen  gwiaehwirtomen  aufafaumder 
folgten. 

In  dem  ScbloTskspfttel  giebt  J.  knrae  Mitteilwngftn  (Kber  die  an 
andern  Taubstununblmden  bisher  eraielten  ünterrichtsoigohnisse.  Wir 
er£abren,  dafs  gegen vftrtig  abeimals  ein  lOüfihriges  taubatummbliades 
Mftdi&hen,  "Bsuass  EaLLsa,  naeh  derselben  Methode  wie  L.  B.  uaterwieaen 
wird  und  zwar,  wie  es  scheint,  mit  Biesultaten,  welehe  die  bei  dieser 
erlangten  noch  weit  übertreffen.  AiisBiirB  Könn. 


J.  LKjaaocK.  Dia  Steiu»  «nd  das  gelstlfe  Laiien  4er  IMera.  iaabaiottdera 
4er  Tnnfirtiffn  Übersetzt  von  W.  MAüsaAix.  (Iniemat.  wiasenseh. 
Bibliothek.  67.  Bd.)  Leipaig  1689.  F.  A.  Brocfchaus.  ^,  XYUI  und 
296  S. 
Wie  schon  der  Titel  anzeigt,  zerftUt  das  Werk  in  zwei  nur  lose 
zusammenhängende  Hälften.  Der  erste  Teil,  dem  zehn  Kapitel  ge- 
widmet sind,  behandelt  in  übersichtlicher,  durch  treffliche  JQlustratianen 
unterstützter  Darstellung  das  Vorkommen  und  die  Gestaltung  der  ver- 
schiedenen Sinnesorgane  bei  den  bisher  in  dieser  Beziehung  näher  unter- 
suchten Tierklassen  und  -Ordnungen.  Wie  der  Verfasser  in  den  ein- 
leitenden Bemerkungen  yorauasehickt,  ,4At  der  Gegenatand  freilich  ebenso 
umfangreich  wie  schwierig  und  nichts  liegt  ihm  femer,  ala  eine  voll- 
ständige Übersicht  über  das  ganze  Gebiet  der  Frsge  geben  au  wollen^. 
Seine  vdllige  Beherrschung  des  Tfaemaa  zeigt  er  vor  allem  darin,  dafs  er 
mit  groljsem  Geschick  diejenigen  Fälle  auswählt  und  näher  baapncht, 
welche  für  die  hier  beabsichtigte,  Wissansohafklichkeit  und  AUgemein- 
verständlichkeit  vereinigende  Art  der  Darstellung  die  lehrreichsten  aüid. 
Besonders  interessant  ist  das  achte  Kapitel  „über  die  problematischen 
Sinnesorgane''.  Die  vier  letaten,  den  zweiten  Teil  das  Buches  bildenden 
Kapitel  behandeln  das  Problem  des  tierischen  8eelealebenB  bei  dar  un- 
gemeinen Dürftigkeit  des  auf  diesem  Gebiete  vorliegenden  Materials 
nur  an  einzelnen,  eum  Teil  vom  Verfasser  selbst,  zum  Teil  von  anderen 
Beobachtern  angestellten  Versuchen. 

Gegenüber  der  Beiehhaltigkait  4ea  ganzen  Werkes  «ad  der  plan« 


607 

voUeA  Diucharbeitnug  des  Stoffen  wkd  «ba  über  unbedeutende  Mln^el 
ojDid  Hrriümer  ger&e  hinwegsehen.  Kern  an^Berksf^iner  Leser  wird  das 
Bock  phxke  rek^hen  Gewinn  aus  der  Hand  legen.  Aatsc«  Ki^w». 


H.  ÜjLinmuKY,   Xbe  earalttsl  «ortex  «ftd  Um  ipojk.    MM,  Apr.  1890. 

8.  1€1-^190. 

Die  T^liatsache,  dafs  Tiere,  welche  Iceine  Seanisf^AiKaa  besitzen,  vieler 
komplinexter  Bewegungen  iSihig  sind,  legt  die  Yermutnog  yuthe,  dafs 
auch  beim  Measohen  die  Orolshirnrinde  an  der  Ausführung  sok^er  Be*- 
wegungen  nicht  direikt  beteil%t  ist.  Wahfschekilieh  £&hren  keine  sen*- 
sorisehen  KerTenfasern  dii*ekt  zur  Binde  und  keine  motorischen  direkt 
von  ihr  zu '  den  Muskeln.  Wenn  also  die  Binde  Smpfindungen  und 
Bewegungen  nicht  direkt  vi^mittelt,  ir^^  sich,  worin  ihre  Zieistungen 
bestehen? 

Der  Gfundplan  des  N^rvensystams  ist  der  einer  einüeiehen  Reflex* 
bewegnng.  Die  einfachsten  Bieflexe  werden  durch  die  Nerr^ttusellen  des 
Bückenmarks  Ctbertni^on ;  zwischen  denjenigen  BttokenmarksAeltoi,  welche 
die  aensorisohen  Impulse  aufnehmen,  und  denjenigen,  welche  die  n&oto- 
risckien  Impulse  auesenden,  baut  sich  nun  aber  ein  BeAexsystem  höherer 
Ordnung  auf,  auf  diesem  ein  zweites  von  noch  h<^herer  Ordnui^  u.  s.  w ; 
und  diese  höheren  Systeme  dienen  ebenso  wie  die  niederen  der  Um- 
setzung von  Eindrücken  in  passende  Bewegungen.  Das  höchste  solche 
System  stellt  dch  in  der  G-roishimrinde  dar,  wo  ein  Nervenstrom  von 
ZieUeagruppe  zu  Zeilengruppe  lange  Zeit  herumwandem  kann,  ehe  er 
schließlich  hinabsteigt  und  zu  einer  ftuiseien  Bewegung  wird.  Jeder 
Durchgang  durch  eine  Ganglienzelle  ist  ein  Bindenreflex,  imd  jedem 
entspricht  auf  der  psychischen  Seite  ein  Gedanke.  Ein  Gedanke  ist 
also,  physiologisch  betrachtet,  ein  Bindenreflex. 

An  diesen  Bindenreflexen  bemerken  wir  dieselbe  Zweckm&fagkeit, 
die  fOr  die  niedersten  Beflexe  charakteristisch  ist;  und  dazugehört,  dafs 
unsere  Gh^danken  uns  nicht  jede  Einzelheit  der  wirklichen  Dinge  vor- 
führen, sondern  nur  solche  Seiten  derselben,  welche  für  unser  Leben 
praktisch  wissenswert  sind.  Unsere  Gedanken  sind  daher  eigentlich 
nur  Zeichen  für  die  Dinge,  und  in  der  Manipulation  solcher  2ielchen 
besteht  das  logische  Denken.  Nur  in  zwei  Beziehungen  unterscheidet 
sich  das  Denken  Yon  der  Beflexbewegung:  erstens  ist  es  sehr  viel  kom- 
plizierter, und  zweitens  ist  es  von  Bewufstsein  begleitet.  Dooh  ist 
Bewuistsein  nur  das  Licht,  welches  den  vernünftigen  Vorgang  begleitet, 
nicht  die  ELraft,  welche  ihn  bewirkt. 

Sraoxo  (Worcester,  U.  8.  A.). 

FOMTsa  (Breslau).  Über  Blndemblindkrtl.  Graf 4$  A^thw,  Bd.  XXXVKl) 

Bei  ein^u  i^ährigen  Postbeamten  stellte  sich  Ende  1884  ohne  liegend 
weleho  erheblichen  Begleiterscheinungen  pldtzlieh  ein  ToUstAndiger  AusfSall 
der  rechten  Hälfton  beider  Gesichtsfelder  ein.  Die  Grenzlinie  «wischen 
den  Defekten  und  den  funktionierenden  Teilen  umging  den  ilnations- 


508  Litteraturberiehi. 

punkt  derart,  dads  sie  in  seiner  unmittelbaren  Nfthe  eine  kleine  Aus- 
buchtung nach  rechts  machte,  w&hrend  sie  sonst  mit  dem  yertikalen 
Meridian  beider  Netzhäute  zusammenfiel.  Auf  der  funktionierenden  Hftlfie, 
d.  h.  in  dem  in  ihr  enthaltenen  Fixationspunkt,  war  die  Sehschärfe  Vt  be- 
stehen geblieben.  FQnf  Monate  sp&ter  war  sie  unter  geeigneter  Behandlung 
bis  zur  Norm  gestiegen,  w&hrend  die  Lage  der  Grenzlinie  ganz  unverändert 
geblieben  war.  Der  Patient  war  wieder  im  Stande  seinen  Dienst  zu  aber- 
nehmen. Im  Hochsommer  1889  trat  während  einer  Fulsreise  im  Gebirge 
eine  neue  Störung  des  Sehvermögens  ein,  welche  sich  in  wenigen  Tag^n 
so  steigerte,  dafs  der  Patient  wie  ein  Blinder  gefCQirt  werden  muüste. 
Als  er  sechs  Wochen  nach  diesem  zweiten  Anfall  in  die  Klinik  des  Ver- 
fassers gebracht  wurde,  stellte  sich  heraus,  dafs  nunmehr  das  Gesichts- 
feld auf  beiden  Augen  aus  einem  kleinen  Gebiet  von  2 — 3*  Durchmesser  be- 
stand, welches  aber  den  Fixationspunkt  enthielt.  In  diesem  Beste  war  die 
Sehschärfe  Vi  vorhanden,  die  sich  später  bis  auf  V<  hob.  Die  Farben 
wurden  alle  als  „grau^,  aber  von  verschiedener  Helligkeit  bezeichnet, 
nur  purpurrot  wurde  als  grau  mit  einem  Stich  ins  Bräunliche  beschrieben. 
Die  Augpenspiegeluntersuchung  ergab  bis  auf  eine  später  vorübergehende 
schwache  Bötung  der  Papulae  opt.  keinerlei  Abnormität.  Es  waren 
also  jetzt  auch  die  linken  Gesichtshälfben  fortgefallen,  aber  dadurch, 
dafs  nunmehr  die  Grenzlinie  des  neubetroffenen  Gebietes  eine  analoge 
Ausbuchtung  nach  links  gemacht  hatte,  der  Fixationspunkt  und  seine 
nächste  Umgebung  allein  erhalten  geblieben. 

Es  ist  aufser  allem  Zweifel,  dafs  beide  Anfälle  auf  thrombotische 
Prozesse  in  den  Gefäfsen  der  Hirnrinde  zurückzufahren  sind.  Die  auf- 
fallende l^hatsache,  dafs  auf  beiden  Augen  ein  centrales  Gebiet  mit  einer 
so  gprofsen  und  allmählich  zunehmenden  Sehschärfe  erhalten  bleibt,  erklärt 
der  Verfasser  unter  Berücksichtigung  der  von  Hiubnes,  Dübet  und  Dbbkk 
genauer  amtersuchten  Geft  fsvers  orgung  der  Bindensubstanz.  Während 
die  weiise  Substanz  und  die  g^ofsen  Himganglien  von  den  sechs  Haupt- 
arterien in  gesonderten  Gebieten  versorgt  werden,  tritt  hinsichtlich  der 
Binde  erst  eine  Anastomose  dieser  Gefäfse  in  einem  über  die  ganze  Pia 
verbreiteten  Netz  ein;  von  diesem  Netze  zweigen  dann  erst  die  kapillaren 
Gefö&e  ab,  welche  die  Binde  versorgen.  Des  Verfassers  Hypothese  geht 
nun  dahin,  dafs  diese  Art  der  Ernährung  besonders  derjenigen  Stelle  in 
den  Occipitallappen  zu  gute  kommt,  welche  der  schärfsten  Wahrnehmung, 
dem  direkten  Sehen  dient.  Wenn  nun  auch  das  Hauptg^fäfs,  welches 
den  einen  Hinterhauptslappen  versorgt,  thrombosiert,  so  wird  doch  die 
Stelle  des  schärfsten  Sehens  von  andern  Gefäfsen  aus  noch  genügend 
ernährt,  um  sie  einigermafsen  funktionsfähig  zu  erhalten.  Selbst  wenn 
beiden  Hinterhauptslappen  ihre  Hauptblutzufuhr  abgeschnitten  wird, 
kann  diese  bevorzug^  Stelle  doch  noch  durch  g^ünstige  Verzweigungs- 
verhältnisse des  Kapillametzes  versorgt  werden.  Die  Besserung  der  Seh- 
schärfe, welche  sich  allmählich  ausbildete,  würde  durch  die  vollkommenere 
Ausbildung  des  erhalten  gebliebenen  Kapillametzes  zu  erklären  sein.  Ist 
diese  Hypothese  richtig,  so  mufs  bei  einer  Hemianopsie,  deren  Abgren- 
zungslinie genau  durch  den  Fixati onspimkt  geht,  der  Sitz  des  Herdes  nicht 
in  der  Hirnrinde,  sondern  in  der  Bahn  des  Tractus  opticus  zu  suchen  sein. 


u 


509 

■ 

Von  besonderem  Interesse  sind  noch  die  Beobachtungen,  welche  der 
Verfasser  über  die  bei  dem  Patienten  vorhandenen  Störungen  in  den 
Geistesfunktionen  machte.  Es  ergab  sich,  dals  hinsichtlich  der  optischen 
Erinnerungsbilder  kein  Defekt  vorhanden  war,  wohl  aber,  daüs  das  Orts- 
gedftchtnis,  das  Lokalisationsvermögen,  also  die  Fähigkeit,  sich  die 
Dinge  in  bestimmter  Anordnung  nebeneinander  vorzustellen, in  hohem 
Grade  verloren  gegangen  war.  In  Verbindung  mit  dem  ungemein  kleinen 
Gesichtsfelde  erkl&rte  sich  hieraus,  dafs  der  Patient  in  allen  seinen  Be- 
wegungen viel  hilfloser  war,  als  ein  völlig  Erblindeter,  dessen  Geistes- 
fnnktionen  intakt  sind.  Arthub  König. 


O.  Katz.  Die  Angenlidllninde  des  Qmlenus.  Erster  (theoretischer)  TeiL- 
Über  Anatomie  und  Physiologie  des  Sehorgans.  Berlin  1890.  InaugunU- 
Dissertation.  124  S. 
Nach  einer  kurzen  Einleitimg,  in  welcher  der  Verfasser  eine 
Lebensgeschichte  von  Galbkus  bringt  und  den  Einfluls  bespricht,  den 
dieser  von  der  Gegenwart  sehr  undankbar  behandelte  gprofse  Arzt  des 
Altertums  bis  zu  den  Zeiten  von  Vbsal  und  Habtby  auf  die  medizinische 
Wissenschafk  ausgeübt  hat,  enthält  das  fleifsig  gearbeitete  Schriftchen 
eine  ziemlich  wortgetreue  und  doch  gut  lesbare  Übersetzung  des  im 
Titel  angeführten  GAUiKSchen  Werkes.  Auf  die  Handschriften  ist  zwar 
nicht  zurückgegangen,  sondern  es  ist  nur  die  KüHKSche  Ausgabe  zu 
Gnmde  gelegt,  aber  zahlreiche  kritische  Anmerkungen,  aus  denen  oftmals 
das  reichhaltige  philologpische  Wissen  von  Professor  Hibschbsbo,  mit 
dessen  Unterstützung  die  Übersetzung  angefertigt  wurde,  hervorleuchtet, 
werden  die  Arbeit  vielleicht  auch  dem  Fachphilologen  beachtenswert 
erscheinen  lassen.  Abthub  König. 

E.  WiBDBMAKir.  Zur  Oeschiehte  der  Lettre  vom  Sehen.  Wiedemanns  Ann. 
Bd.  XXXIX,  S.  470-474. 
Zwei  Hauptansichten  waren  es,  die  im  Altertum  über  den  Vorgang 
des  Sehens  bestanden:  die  eine,  von  Plato  vertretene,  läfst  von  den 
Augen  fühlf&denartige  Strahlen  ausgehen  und  die  gesehenen  Gegenstände 
gleichsam  von  ihnen  betasten,  die  andere,  von  Demokbit  und  Abistotbles 
verfochtene,  dagegen  von  den  Gegenständen  selbst  die  Lichtstrahlen  aus- 
gehen, welche  dann  das  Auge  treffen.  Es  siegte  im  Altertum  die  erstere 
Ansicht,  Euklid  und  PtolbmIub  nahmen  sie  an.  Nach  der  in  den  bisher 
erschienenen  Geschichten  der  Physik  gegebenen  Darstellung  ist  der 
Araber  Jbn  al  Haitam  (f  1088)  der  erste  gewesen,  der  wieder  die  richtige 
AaisTOTELische  Anschauung  vertrat.  Der  Verfasser,  dem  die  Geschichte 
der  Physik  schon  manchen  wertvollen  Beitrag  verdankt,  weist  nun  nach, 
dafs  Jbn  al  Haitam  unter  seinen  Landsleuten  bereits  Vorgänger  gehabt 
hat.  Sowohl  Al  Fababi  (870—950)  wie  Al  Bazi  (f  923  oder  932)  haben 
bereits  die  ABiSTOTBLische  Lehre  sich  zu  eigen  gemacht,  und  auch  in 
den  Schriften  der  lautern  Brüder  (L^wan  AJ  Safä  [10.  Jahrb.])  ist  die- 
selbe Ansicht  ausgesprochen.  Abthub  Kökio. 


510  LiUmümbetMt 

A.  SoHunnt.    BipMiiMBito  ^Ml  Lnrd  lltyliigti*t  ootoorbOK.  IVoa  of  ihe 
Lmdm  Bog.  8oc    VoL  48.  6.  1«0— 149. 

Lord  Batuetoh  md  B]^tor  DevDBBS  haben  Mierst  dwanf  hftaggf wiosn, 
daftB  .«ack  bei  trichromatiflcheii  Farbensysteaiaii  nebcm  4«a  gelingen 
individaellen  Yerechiedenbuten  miBdeBtens  mwti  grofee  19mpf«n  eeharf 
Tcmeinaflader  cn  «BteracbeidBn  fl&nd.  Das  MasohvogsvexMhms  cwSfieken 
Lithintnrot  nnd  TkaUiiw^gpiln  mr  Herstelhng  von.  Nstrim&gelb  bat  cicfa 
Bftch  DoKDBBB  als  das  beste  PrOlungsmittel  xxa  AafBBdong  dieser  tJnter- 
echiediB  eigeben.  SosrrsnB  steDt  mm  Ufanliche  Beobachtaiigeii  mit  ?6  Indi- 
viduen an,  benutzt  aber  leider,  wie  sieb  durch  efaw  erst  am  Solilusse 
der  Beobachtimgsreihen  ausgeführte  Bestimmung  ergieht,  nicht  Thallium- 
grün (Wellenlänge  =  585  fjifji)^  sondern  ein  gelbliches  Grün  (563  fAfA)^  wo- 
durch seine  Beobachtnngsresultate  nicht  mit  den  DeimcBSSchen  vergleich- 
bar werden.  Die  grofse  Zahl  der  Beobachter  (S7)  stellt  ein  Mischungs- 
verhältnis von  Bot  zu  Grün  ein,  welches  sich  von  0,92  nraht  viel  nach 
beiden  Seiten  hin  entfernt  und  innerhalb  der  voTkommmiden  Grenzen 
sich  einigermaTsen  nach  dem  Gesetae  der  Wahrscheinlichkeit  verteilt. 
Diese  Gruppe  bilden  die  „normalen  Trichromaten'^  (nach  KAlne  und 
DisTEEioi).  Für  vier  Beobachter  sind  die  Ifischungsvmrhältnlsee  0,10, 
0,17,  0,27  und  0,86  exforderlich.  Wahrscheinlich  haben  wir  in  ihnen 
„anomale  Trichromaten''  zu  sehen.  Ein  Beobachter  stellt  das  lOschungs- 
verhältais  2,75  her  und  bildet  somit  einen  besonderen  Typus,  der  vi^eicht 
mit  einem  von  Dovdbbs  und  Sulibb  beobachteten  Falle  zusammenzu- 
ordnen ist. 

Obsehon  die  über  diese  Frage  vorliegende  Litteratur  von  dem  Ver- 
fasser fast  gar  nicht  berftcksichtAgt  worden  ist  und  ihm  auch  nicht  be- 
kannt zu  sein  sckeint  -^  er  erwähnt  nur  Mazwbli.  und  IiOBD  Ratlstob  — 
haben  wir  doch  in  seiner  Mitteilung  eine  schätzenswerte  Bereicherung 
unserer  Kenntnisse  zu  begrüisen.  Abthub  Kövia. 

S.  P.  Lakout  and  F.  W.  Vbbt.  On  the  cheapest  form  of  Llgbt.  Sill 
Jüwm.  XL.  S.  97—118. 
Vermittelst  der  von  Lavolet  bisher  vielfach  benutzten  bolometrischen 
Methode  wurde  die  Energieverteilung  in  dem  Spektrum  des  von  Pyro- 
phorus  noctilucus  (dem  bekannten  auf  Cuba  vorkommenden  grofeen 
Leuchtkäfer,  Oucujo  der  Spanier)  ausgesandten  Lichtes  untersucht.  Es 
fand  sich,  dafs  hier  gar  keine  dunklen  Wärmestrahlen  vorhanden  sind, 
indem  das  Spektrum  sich  nur  von  450  /»/«  bis  050  fip,  erstreckt.  Die  ge- 
samte Von  dem  Käfer  ausstrahlende  Energie  kommt  also  (wenigstens  in 
Bezug  auf  das  menschliche  Auge)  als  Licht  zur  Geltimg.  Es  ist  dieses 
um  so  bemerkenswerter,  als  sonst  mit  abnehmender  Temperatur  der 
Lichtquelle  die  dunklen  Strahlen  immer  mehr  überwiegen;  bei  ehiem 
Argand-jGhuBbrenner  z.  B.  betragen  sie  mehr  als  99*/«  der  gesamten 
Energie.  Abthtb  KOvio. 

J.  HiBscBBBBo.    Diabetische  Knmichtlgktlt.     CtntroBbl  /*.  jpr.  A^iganhdOi 
14.  Jahrg.    S.  7-8. 
Der  Verfasser  berichtet   über  drei   von  ihm  beobachtete  Fälle  im 
hohem    Lebensalter   schnell   entstandener  Kurzsichtigkeit.     Es  gelang 


ihm,  hii^rbai  stetig  daftVorhaadeiiseiii  yasL  Zuekerhamvuhv  iiao]urawei06&> 
IH«  Kunsiohti^eit  ist  hieu  diueh  eine  in  der  oketmaoheii  ZiaammaBBLen, 
setsumf  der  linfle  emgeteetene  Verimdemiig  zu  erklAren. 

Arvhüb  Köirio. 
Hkuhhit  Spinork,  Xher  OnUrin  ef  Mneie.    Mmd,  Okt.  1890,  S.  44B*-4ß». 

SvBircKB  bekämpft  anerst  die  DABwivaehe  Lekre  vom  XJzspeuBg:  der 
Muflik  aufr  der  liebeawexbimg  der  Tiere.  YOgel  singen  «ucb  bei  anderen 
Gelegenbeiten  und  «us  anderen  Motiven.  Singen  und  liebeewesbung 
stehen  nicbt  im  KaaaalTerbältDis,  sondern  sind  Wirkungen  einer  gemein^ 
samen  Ursache,  des  Überschusses  an  Lebenskraft.  Die  den.  Mensohen 
zunächststehenden  höheren.  Tiere  singen^  nicht.  Unter  den  Liadem  der 
Wilden  finden  sich  verhältnionäüsig  wenige  Liebeslieder  und  keines^ 
welehes-  auf  den  Zweck  der  Liebeswerbung  von  Seiten  des  Mannes  zu 
deuten  wäre.  Die  Gründe  scheinen  mir  im  ganzen  treffend,  aber  niidht 
alle  neu.  Sodann  verteidigt  Sp.  seii^  eigene  bekannte  ('Ofbrigeas  auch 
kein«fifweg9  originale)  Theorio,  den  Ursprung  des  Singens  aus  ervegtem 
Sprechen,  gegen  GumraY,  dem  er  ungenügende  Kenntnis  der  allgemeiiieB 
Entwickelungegesetze  vorwirft.  Dai^  verstand  sich  aber  GmvsvT  besser 
auf  die  Musik.  Sr.  ignoriert  immer  nooh  den  Hauptpunkt,  dalk  Musik 
im  engeren  Sinne  auf  die  Verwandtschaftsverhältnisse  der  Tdne  ge«- 
gründet  istb  fiel  allen  Ähnlichkeiten  und  Wechselwirkungen  zwischen 
Singenr  und  Spreehen  bildet  dieser  Umstand  dne  scharfe  Grenze.  Dann 
geht  Sf.  auf  die  Gründe  des  musikalischen  Vergnügens  näher  ein  tmd 
findet  selbst,  daüa  wesentliche  Züge  der  entwickelten  Musik  aus  seiner 
Hypothese  nicht  ableitbaar  sind.  Was  er  hier  vorbringt,  hätte  er  bei 
SüLLT  (Sensation  and  Intuition)  viel  besser  durchgeführt  finden  kOnnen. 
Natürlich  kennt  er  um  so  weniger  meine  ausführliche  Studie  über  ihn 
selbst,  Dabwdt,  Süllt  und  Gubket.  Er  schlieist  mit  Citaten  begeisterter 
Schilderungen  der  Zigeunermusik,  welche,  wie  er  meint,  jedes  weitere 
Argument  für  seine  Theorie  überflüssig  machen,  n^ke  origin  of  music 
as  the  developed  language  of  emotion  seems  to  be  no  longer  an  inference 
but  simply  a  description  of  the  fact.^  Welcher  Schnitzer!  Language 
of  emotion  und  emotional  language  ist  doch  zweierlei.  Für  die  alte 
Trivialität,  dais  die  Musik  Sprache  des  Gefühls  ist,  bedurfte  es  keiner 
seitenlangen  Citate  aus  Beisewerken;  etwas  anderes  wird  aber  durch 
diese  wirklich  nicht  bewiesen.  C.  Stumpf  (München). 


HöFFDiKo.    Über  Wiederkepuieii,  AasodaUoiL  uski  isynhlnAe'  AktivitäJ». 

Vierteiiabrtfdw.  f.  urias,  FkiL  XIV.,  2,  S.  191—305:  XIV.,   3,  S.  293—31^. 

(Fortsetzung  des  Beferates  in  Heft  4  und  5,  S.  3&6  f.) 
Der  vierte  Abschnitt  beschäftigt  sich  mit  dem  Verhältnis  zwischen 
Vorstellungsassociation  und  vergleichender  Denkthätigkeit.  Verfasser 
unterscheidet  zwischen  einem  freien  unwillkürlichen  und  einem  freien 
willkürlichen  Vergleichen.  Wenn  man  zwei  Gegenstände  A  und  B,  die 
gleichzeitig  im  Gesichtsfelde  vorhanden  seien,  miteinander  vergleiche, 
so  bewege  sich  die  Aufmerksamkeit  zwischen  beiden  hin  und  her.  Das 
Besultat  dieses  Überganges  der  Aufruerksamkeit  sei  die  Auffassung  des 


512  IdUeratufbrnchU 

Untersohiedes  oder  der  Ähnlichkeit  xwieehen  A  und  B,  welche  im  Be- 
woTstsein  hervorspringe  als  etwas,  das  wir  allerdings  vorhereitet  hätten 
durch  das  Wechseln  der  Aufmerksamkeit,  dessen  Charakter  wir  jedoch 
nicht  beherrschen  konnten.  Das  Vergleichen  successiv  eintretender 
Empfindungen  lasse  sich  auf  das  Vergleichen  gleichseitiger  Empfindungen 
zurückführen,  da  die  zuerst  eingetretene  Empfindung  entweder  im  Be- 
wufstsein  bis  zum  Eintritt  der  zweiten  festgehalten  werde  oder  beim 
Eintritt  der  zweiten  wieder  in  das  BewuTstsein  zurückgerufen  werde. 
Aus  diesem  freien  und  unwillkürlichen  Vergleichen  soll  sich  dann  das 
freie  ¥rillkürliche  Vergleichen,  das  eigentliche  Denken  entwickeln, 
welches  die  F&higkeit  voraussetze,  sich  ein  Ziel  zu  stecken.  Durch  eine 
Analyse  dieses  eigentlichen  Denkens  wird  nachzuweisen  gesucht,  dafs 
kein  Ghrund  vorhanden  ist,  ein  von  dem  AssociationsvermOg^n  ganz  ver- 
schiedenes Denkvermögen  (BchätzungsvermOgen)  anzunehmen. 

Nachdem  Verfasser  schon  im  dritten  Abschnitte  mit  Hilfe  einer 
psychophysischen  Hypothese  über  die  Grundlagen  der  Vorstellungs- 
reproduktion nachzuweisen  gesucht  hat,  dals  die  Association  nur  eine 
Form  der  psychischen  Aktivit&t  sei,  beschäftigt  sich  derselbe  im  letzten 
Abschnitt  mit  der  Frage,  ob  wir  ein  immittelbares  Bewuistsein  davon  haben, 
die  Ursache  von  etwas  innerhalb  oder  aufserhalb  unseres  Selbst  zu 
sein.  Das  Besultat  der  Untersuchung  ist,  dals  wir  kein  unmittelbares 
BewuTstsein  der  Aktivität  haben,  dals  wir  vielmehr  Aktivität  und 
Kausalität  erst  aus  den  in  der  Wahrnehmung  gegebenen  Successions- 
Verhältnissen  erschliefsen.  Am  SchluTs  der  Abhandlung  sucht  dann 
der  Verfasser  noch  dem  Begriff  der  psychischen  Aktivität  eine  etwas 
gröfsere  Bestimmtheit  zu  geben,  als  er  bisher  hatte. 

ScHUMAXV  (Gottingen). 


Berichtigung  zu  der  Bibliographie  für  1889. 

S.  876:    Die  Überschrift  gehört  vor  No.  206. 
S.  897:    No.  617  SomsoHKAKOW  gehört  unter  VI  c  S.  894. 
S.  411:    Nachzutragen  ist   Mbtxbbt,  Th.,  AmetUia,  die  Verumriheit.    Jahr- 
bücher f.  Psychiatrie  IX  (1889)  S.  1--112. 


Sachregister. 


Abstand  419. 
Acnsticiis  352. 

m 

Adaptation  des  Auges  336. 

Ästhetische  Gefühle  161.  606. 

Agraphie  52.  151. 

Aktivität,  psychische  358.  511. 

Albino  336. 

Alexie  52. 

Alkohol  494. 

Amentia  227. 

Anftmie  490. 

Anatomie  des  Centralnervensystems 
496.  503. 

Aphasie  52.  150. 

Aphemie  52. 

Apperceptionstheorie  129. 

Arthropoden,  Centralnervensystem 
derselben  121. 

Association  99.  252.  358.  511. 

Ataxie  145.  149. 

Atmung  223. 

Atmnngslnft,  Weg  derselben  222. 

Aufinerksamkeit  130.  223. 

Auge  s.  Sehen. 

Augenbewegungen  47.  57.  489. 

Augenheilkunde,GeschiohtlicheB  509. 

Augenmals  131. 

Augenreizung  durch  einen  kon- 
stanten elektr.  Strom  218. 

B. 

Bewegungen  des  Kindes  359. 
Bewegungsmesser  223. 
Bewuistsein  150.  )51. 
Bikonische  Konvezlinse  339. 


Blindheit  508.  505.  507. 
Bogengänge  352. 
BohrmuBchel  344. 

0. 

Centralnervensystem,  Funktion  des- 
selben bei  wirbellosen  Tieren 
121. 

Chiasma  der  Sehnerven  216. 

Cuctgo  510. 

D. 

Diabetes  510. 

Differenztone  81. 

Diotische  Wahrnehmungen  300. 

Diplacusis  342. 

Distanz  419. 

DoppelhOren  842. 


Eigenlicht  der  Netzhaut  5. 
Elektrische  Augenreizung  218. 
Empfindlichkeit    der    Gelenkenden 

356. 
Empfindungswerte ,     negative     29. 

108.  320.  463. 
Energieverteilung  im  Spektrum  510. 
Enge  des  Bewulstseins  150. 
Erinuerungsurteil  270» 
Erkennen  264. 
Ermüdung.  187. 

P. 

Farbenblindheit  219.  336. 
Farbenlehre  510. 

Fasern,   markhaltige,  im   Frosch* 
rückenmark  213. 


514 


Sachregister. 


Fleckigkeit    des   Eigenlichtes    der 

Netzhaut  6. 
Folie  intennittente  491. 
Frage  310. 
Furcht  162. 

O. 

GangUenzelleu,  Beziehung  derselben 
zu  psychischen  Vorgängpen  216. 

Ged&chtnis  76.  224.  499.  611. 

Gefühle,  ästhetische  161.  606. 

Gehirn  122.  496.  608.  607. 

Gehimlokalisation  217.  488.  492. 
608.  607. 

Gehör  81.  188.  221.  236.  300.  342. 
362.  419.  486. 

GehOrseindruck  76. 

Geisteskrankheiten   s.   Psychiatrie. 

Gemütsbewegungen,  Ausdruck  der- 
selben 163. 

Geräusche  139. 

Geruch  490. 

Geruchssinn  der  Seesterne  366. 

Gesang,  Ursprung  desselben  611. 

Geschmackssinn  141. 

Gesete,  psychophysisches  6.  29. 106. 
127.  128.  320. 

Gesichtsfeld  220.  338.  607. 

Grund  260. 


Hallucination  209. 

Harthörigkeit  s.  Schwerhörigkeit. 

Heliotropismus  126.  220. 

Helligkeitsimterschiede  6. 

Hemeralopie  337. 

Hemiamblyopie,  homonyme  122. 

Hippus  226. 

Himbalken  122. 

Hirnrinde  607.. 

Hörprüfung  3%1. 

Hypnotismus  164.  209.  220. 

L 

Ideenassociation  99. 
Innerliche  Sprache  62.  160. 
Imekten,  Geistiges  Leben  derselboi 
606. 


Insektenauge  490. 
Intensität  der  Töne  864. 
Irrenheilkunde  s.  Psychiatrie. 


Kausalgesetz  289. 

Kausalität  262. 

Kind,  Bewegungen  desselben  369. 

Kindesseele  208. 

Klangfarbe  der  Vokale  363. 

Klänge  mit  ungleichförmigen  Wellen 

137. 
Kombinationstöne  81.  138. 
KongrelBberichte  208.  335:  489. 
Kontrast,  simultaner  18.  219. 
Konvezlinse,  bikomsche  339. 
Koran  232. 
Kurzsichtigkeit  610. 

L. 

Leuchtkäfer  610. 

Leuchtorg^ane  der  Bohrmuschel  344. 

Lichtempfindlichkeit  336.  344. 

Lokalisation  236.  300.  486.  488. 

Lokalisation  im  Gehirn  s.  Gehim- 
lokalisation. 

Lokalisation  der  Nachbilder  60. 

Lokalisation  von  Schwebungen  und 
Differenztönen  81. 


Magnetismus,  tierischer  s»  Hypno- 
tismus. 

Markhaltige  Fasern  im  Frosch- 
rückeninark  213. 

Mittelohr  342. 

Mollusken,CentralnerYensystem  der. 
selben  121. 

Musik  222.  346.  611. 

Muskelermüdung  187. 

Muskelfaser  491. 

Muskelkontraktion  490.  491. 

Muskelsinn  146.  209.  223. 

N. 

NachbUder  18.  47.  60. 
Nachtblindheit  836. 


Saehrtgiattr. 


515 


f:        » 


l^egative  Empfindungswerte  29. 106. 

320.  463.  , 

Netshaut,  Eigenlioht  derselben  5. 
Neurologie  491. 

0. 

Oculomotorius  123. 
Ohrmuecliel  341. 
Olfaktometer  490. 
01m  344. 

Ophthalmometrie  339.  840, , 
Optik,  OeschichÜiches  509. 
Optische  Täuschung  136. 


Phonograph  139. 

Phonismen  209. 

Photismen  209. 

Pigmentwanderung  im  Insekten- 
auge 490. 

Proteus  344. 

Protisten  123. 

Psychiatrie  225.  226.  230.  491. 

Psychische  Aktivität  358.  511. 

Psychologie,  Geschichtliches  234. 

Psychologie  der  Frage  310. 

Psychophysisches  Gesetz  5.  29. 108. 
127.  128.  320. 

Psychophysik  29.  108. 199.  320.  357. 
419.  463. 

Pupillenstarre  224. 

Pupillenunruhe  225. 

Pyrophorus  noctilucus  510. 


Baumschätzung  66.  131.  357. 
"Raumsinn  des  Ohres  132. 
Beflex  507. 
Befiraktion,  Beziehung  zur  Berufs- 

thätigkeit  338. 
Belief  , Wahrnehmung  desselben  136. 
Bindenblindheit  507. 
Bückenmark  des  Frosches  213. 

S. 

Schalleindruck  75. 
SchaUrichtung  235.  486.  488. 
Schielen  335. 

Zeltaclirift  IBr  Fftyoliologie. 


Schnecke  des  Ohres  189. 
Schwebungen  81. 
Schwerhörigkeit  221., 486. 
Seele  des  Kindes  208. 

Seelenleben  der  Tiere  506. 

......      • 

Seesteme  356. 

Sehen  5.  47.  57.  131.  218.  336.  338. 

489.  503.  505.  507.  509. 
Sehen,  Geschichtliches  509. 
Sehpurpur  337. 
Sehsclxärfp  134.,  }55.'  337. 
Sensibilitätsstörung  149. 
Simultankontrast  18.  219. 
Sinnesorgane  der  Tiere  506. 
Sinnliche  Erkenntnis  233. 
Sonnenbräunung  339. 
Sprache,  innerliche  52.  150. 
Sprache,  Entwicklung  derselben  zum 

Gesang  511. 
Staarextraktion  335. 
Stärke  der  Töne  352. 
Stereoskopie  136. 
Stofstöne  137. 
Subjektive     Gesichtserscheinungen 

47. 
Suggestion  209. 


Taubstumm  503.  505. 
l^uschung,  optische  136. 
Tenotomie    des   Muse,  tensor  tym- 

pani  340. 
Thee  494. 

Tierpsychologie  506. 
Tierischer  Magnetismus,  s.  Hypno- 

tismus. 
Tondistanz  140.  419. 
Tonkunst  222. 
Tonpsychologie  345. 
Tonstärke  352. 
Torusglas  340. 
Tractus  opticus  340. 

U. 

ünbewuTste  113. 
Ursache  260. 
Urteilen  264. 
Urteilstäuschung  136.  486. 

84 


i^ 


516 


Sachregiater. 


V. 

Vererbung  209. 
Verwirrtheit  227. 
Vokale  139.  353. 
Vokalsirene  139. 
Vorderhömer    des 
216. 


Bückenmarks 


W. 

Wadenmuskel  491. 
Wahrnehmungen,  diotische  300. 


WBBSRSches  Gesetz,  siehe  Psycho- 
physisches  Q-esetz. 

Wiedererkennen  868.  511. 

Wille  360. 

Wortblindheit  52.  151. 

Worttaubheit  151. 

Würmer,  Centraineryensystem  der- 
selben 122. 

Z. 

Zapfen  als  Sehelemente  155. 
Zeitsinn  66.  129.  506. 


Namenregister, 


517 


Addnoo  143.  490. 
Aristoteles  165  f.  176  f. 

186.  233  f.  346.  509. 
Arminski  338. 
Anbert,  H.   52  ff.    155. 

160. 
Auerbach,  F.  353  ff. 
Axmaim  83.  96  ff. 

B. 

Baader  239  ff. 
Babinski  210  f. 
Baginsky  54.  501. 
Ballauff  361. 
BaUet,  G.  52  ff.  150  f. 
Barth  342. 
Beaunis  195.  213. 
Bechterew,  W.  217  f. 
Beeyor  492  f. 
Bell,  Ch.  145. 
Benedikt  213. 
Bergmann,  C.  156. 
Bemard,  D.  53  ff. 
Bernheim  209  ff. 
Bemheimer  340. 
Bernstein  30. 
Bertrand  213. 
Bessarion  234. 
Bezold,  F.  221.  841. 
T.  Bezold,  W.  486  f. 
Biach,  A.  223  f. 
Biohat  145. 
Binet,  A.  150.  359  f. 
Birge  215. 
Bjerrum  338. 


Bliz  143.  189. 
Boas  199. 
Bockendahl  341. 
Boedeker  491  ff. ' 
du  Bois-Beymond,,  G. 

156.  335  ff. 
du  Bois-Beymond,   E. 

302  f. 
Bosanqnet  85.  96.  350. 
Brentano  18  f. 
Bridgman,    L.    503  ff. 

505f. 
Brie  219. 
Brissaud  493. 
Brodhun,  £.  6  ff.  135. 
Bruchmann,  K.  152. 
Bruns  234. 
Bürkner  221. 
Burckhardt    125.     344. 

345.  356.    . 

0. 

Oartesius  165. 

Carville  493. 

Oharcot  53  ff.  150.  154. 

209  ff.  490. 
Charpentier,  A.  352  f. 
Clark,  L.  219. 
Cohn,  H.  340. 
Comte  128. 
Cunningham  500. 

D. 

Damsch,  O.  225. 
Danilewsky,  B.  211  ff. 
490. 


Darksche witsch  501. 
Darwin  152.  213.  511. 
Deeke  5Ö8. 

Delboeuf ,  J.  30  ff.  110. 
112.  210  ff.  321.  48^. 
Delbrück,  A.  216. 
Demokrit  509. 
Donnert,  H.  139  f. 
Descartes  165. 
Dieterici  510. 
Dietze  75  ff. 
Döring,  A.  161  ff. 
Donaldson,H.  H.  503  ff. 
Donders  224.  353.  510. 
Dove,  ö.  92. 
Dreher,  E.  222. 
Dubois,  B.  344  f. 
Dubos,  J.  B.  165. 
Dufour  335. 
Duret  493.  508. 

B. 

Ebbinghau8,H.  101. 128. 

129. 137. 139. 150.  153. 

219.    220.    223.     224. 

320  ff.  463  ff. 
Eberstaller  500.  504. 
Edinger,  L.  496  ff. 
Eichhorn,  A.  139. 
Elsas  199. 
Espinas  213. 
Euküd  509. 
Ewald,  J.  B.  352. 
Ewing  355. 
Exner,  S.  47  ff.  56.  224. 

490. 

34* 


618 


NammrtgitUt. 


Falk,  M.  857. 
al  Farabi  509. 
de  Faria  154. 
Fechner ,  G.  Th.  5  ff.  29  ff. 

90.   94.   108  ff.    128  f. 

177.  206.  223.  229. 806. 

820ff.857.419ff.468ff. 
F6r6  835. 
Ferrari  218. 
Ferner  493. 
Fichte,  J.  Q.  .152. 
]^ok,A.48jr.  142..ia7ir. 
Fick,  £.  48  f. 
Fledisig  493. 
f  lügel,  O.  860  ff. 
FOrstcrr,  B.  .886  f.  .889. 

607  ff. 
Forel  128.  209  ff.  499. 
Franck  498. 
V.  Frey  194. 

O. 

Galenus  509. 
^kUuppi  128. 
Galton,  F.  55.  212  f. 
GaskeU  497. 
Gaule,  J.  218  ff.  217. 
Gay-Lussac  483. 
Gley  218. 
Görres  280. 
Goethe  50. 
Goldscheider,  A.  145  ff. 

149.  223.  356  f. 
Gölgi  498. 
Goltz  )22.  217. 
lOradenigo  221.  341. 
Gradle  835. 
Grashey  150. 
Graldtnann  139.  353  ff. 
Grimm  232. 
Groom,  Th.  T.  220  f. 
Grofsmann  886. 
Grote  212  f. 
Grubör  2l8. 
V.   Gudden    50.    224  f. 
'  493.  499.  501.  * 


GOntz,  Th.  225  f. 
Gttrber,  A.  48. 
Gumey  511. 


Habermann,  J.  221  f. 

Haidinger  49. 

al  Haitam,  Ihn  509. 

ÖalI.'G.  Stanley  ä)4. 

Haller,  Bela  498. 

Hartley,  D.  52  f. 

▼.  Hartmann,  £.  116  ff. 

167.       "'"  "  " 

Haryey  609. 
Haycraft,  ^.  B.  491. 
Heidenliaih  190.' 
Heinroth  230. 
y.  Helmholtz,  H.  5  ff. 

ite;  142.  156.    159  f. 

218.  840.  842.  346  ff. 

358  ff.  422.*  456.       " 
Hensen  ^1.  363  f. 
iBerbart  i^ll.  S60ff. 
Hering,  E.  18  ff.  66.  219. 
Hermann,  L.  50.  139. 

143.354.  ' 

Herzen  äl3. 
Henbner  506. 
Heymane  489  f. 
Hirschberg,  J.  609.  510. 
Hlrschmanli  156. 
His.  W.  497  ff. 
His  Jan.  498.  601. 
Höffding,  H.  Sil.  358  f. 

511  f. 

Holmgren  836. 

IJonegger ,  J.  f.  ^^.J. 

Hooke  155. 

Horsley  492  f. 

Howe,  S.  G.  503. 

Hneok  155. 

y.  Humboldt,  A.  1^. 

Hume  fib5.  264  f.  297  f. 

814. 

I. 

Jacobson  341.  343. 
James  212  f. 
Jayal  389. 


Jelgerma,  G.  122. 
Jenkin  355. 
Jerusalem,  W.  505  f. 
Itelson,  G.  127  f. 


Kadyi  502. 

Kant  128. 152. 165.  167. 

264  f. 
Katz,  O.  509. 
Eayser,  B.  222  f.  342  f. 
Keller,  H.  506. 
Kessel  87  f.  340. 
Kirchhoff,  Th.  280  f. 
Kimbergör  446. 
Knapp,  H.  .885.  341. 
KnoU  224. 

KoelUker  156.  498.  502. 
KOnigA.  6ff.  136.167ff. 

606. 507.^509.  510.511. 
König,  B.  137  f.  189. 354. 
y.  Koranyi,  A.  122. 
Kraepelin  857.  494  f. 
y.  Krafft-fibing,  227. 
Krakauer '8M 'ff. 
y.  Kries;  J.  199.  285  ff 

488. 
Kronecker,  H.  193. 
Kronthal,  P.  123.  149. 

216.  218.  225: 
Kückenthal  SOO. 
Külpe,  Ö.'  358.  860  ff. 
Kunkel  189i 
Kussmaul  53  ff. 


L. 

Lactanz  234. 
Lahr  1%9.  355. 
Landolt  '54. 
Lange,  N.'  130.  223. 
Langer  322'. 
Langley,  8.  P.  510. 
Lan^lois,  >.  2281 
Laycook  (ä>. 
Lehmann,  A.  359. 
y.  Lenhoss^k  501  f. 
Lewänäowiski,  A.  217 
Leyden  145.  149. 


Namenregister» 


519 


Lichtenberg  420. 
Lichtheim  B4.  151. 
Liepmann  122.  1^].  154. 

284. 
Lipps,  Th.  60  fr.  252  ff. 
toeü,  J.  57.   122.   125. 

220  f. 
Lochen,  A.  358. 
Löwe  49. 
Löwenthal  493. 
Lombard,  W.  T.  187  ff. 
Lombroso  211.' 213.  33b. 
Lorenz,  C.  140  f.  421  ff. 
Lotze,  H.  152. 228.  248  f. 
Labbock,  J.  506. 
Ludwig,  d.  215. 
Luü  44t). 
Lukjanow  194. 
Lmnmer,  O.  188. 
Luther  280. 


Mach,  E.   29.  57.  60  ff. 

81.  846  f. 
Maedler  155. 
Maggiora,  A.  187  ff. 
Magnan.  491  f. 
Magnus  341. 
Malebranche  128. 
Marl>ach,  £.  284. 
Marey  860. 
Marillier  212  f. 
Marshall.  W.  506. 
Martins,  Q.  207. 
Maudsley,  H.  507. 
Mauthner,  L.  155. 
Maxwell  49. 
Mayer,  T.  155. 
Mendel,  £.   154.  224  f. 

227.  229.  501. 
Messmer  209.  212. 
Meynert,  Th.  227  ff.  493. 
Mingazzini  503. 
Möbius,  P.  J.  231  f. 
Mohammed  232  f. 
T.  Monakow,   217.  493. 

500  f. 


Mosso,   A.   143.   152  f. 

187  ff.  491. 
Mott  489  f. 
Moravczik  220. 
Müller,  F.  A.  ,199. 
MoUer,   Q.  £.   78.  182. 

199.  228  f.  422.  478. 
Müller,  H^  156. 
Münsterberg,  H.   99  ff. 

129  ff.  199  ff.  213.  285 

ff.  321.  325.  862.  421. 

506. 
Munk,  H.  847.  487. 
Myers.  F.  210.  212  f. 

N. 

NawaJichin  190. 
NeigUck  213.' 
Noehden  157. 
Nothnagel  196. 


Ochorowic^  210  ff. 
öhrwall.  Hj.  141  ff. 
Oppenheim,  H.  220. 


Paneth,  J.  224. 
Paracelsus  230. 
Pascal  842. 
Paulhan  52. 
Paulsen  222  f. 
Pelman,    C.    226.    231. 

232.  233. 
Peretti    216.    220.   227. 

230.  852. 
Perlia  500. 
Pflüger,  £.  889. 
Pilzecker,  A.  223  f. 
Pipping,  H.  353  ff. 
Pitres  57.  493. 
Plateau  112. 
Plato  165.  233  f.  509. 
Platter  230. 
Ploucquet  128. 
Pollak  841. 


Preyer,  W.  29  ff.  84. 89. 

108  ff.  188.  208.  235  ff. 

802.305.35^.421.4ß4f. 
Pron^pt  186. 
Prouho  356. 
Ptolemäus  509. 
Purkinje  47  f.  30p. 


Quanten,  y.  358. 

B. 

Babl-Büokhard  216. 
Badako.yic,    M.   128  f. 

465. 
Bählmann  886. 
Bamon  y  Oajal     498. 

500  ff. 
Bayleigh  510. 
al  Bazi  509. 
Bibot  209.  218.  288. 
Bichet,  .Gh.  8O9  ff.  228. 
Biemann,  H.  ^. 
Bosenjbhal  148. 
Bothe,  B.  2^. 
Bousseau,  J.  J.  281  f. 
Büdinger  505. 
Bumpf  149. 

8. 

Sachs  145. 
Salzer,  F.  156. 
Sanderson,  Burdon  490. 

498. 
Sass  502. 
Schaefer ,   K.  L.  81  ff. 

187. 138.  189. 140. 222. 

300  ff.  852.  358.   856. 

857.  489.  493. 
Schefer,  L.  175. 
V.  Sohelling,  F.  W.  J. 

167. 
Schiele  220.  889. 
Schiff  145. 
y.  Schiller,  F.  165.  167. 

169.  185. 
Schiller,  H.  128.  499. 


620 


Namenregister. 


Schirmer  886  f. 
Schmidt,  H.  145. 
Schneebeli  858  ff. 
Scholz,  Fr.  226  f. 
Schopenhauer  167.  178. 
V.    Schrenck  -  Notzing, 

218. 
Schnitze,  M.  156. 
Schumaim,  F.  75  £P1 182. 

188.  224.  859.  512. 

Schuster,  A.  510. 
Schwabach  841. 
Schwalbe  504. 
Schwartze  221. 
Schwarz,  O.  218  f. 
Secchi  842. 
Seebeck  81. 
Sidgwick  210.  212  f. 
Spencer,  H.  152.  511. 
Sperling  218. 
Spiess  145. 
Sporoh,  A.  56. 
Sprenger,  A.  282  f. 
Stadler  199.  478. 
Steiner,  J.  121. 
Strasburger  221. 
Stricker  58  ff. 
Streng  505.  507. 
Stumpf,  0.   88.  90.  92. 

96. 141. 201. 821. 845  ff. 

419  ff.  488.  511. 


SuUy  511. 
Sulzer  889  f.  510. 

T. 

Tannery  821.  464. 
Taylor,  S.  349. 
Thompson,  S.  P.  81.  87. 

89.  92.  300  ff. 
Thomsen  220. 
Treitel  337. 
T.  Tröltsch  486. 
Trousseau  54. 
Türck  498. 

V. 

Uhthoff,  W.  184  ff.  155  ff. 

887. 
Urbantschitsch  89.  222. 

228.  801.  342. 

V. 

Valude  885.  840. 
Yerwom,  M.  122.   123. 

127.  221. 
Very,  F.  W.  510. 
Vesal  509. 
Veyssili^re  493. 
Vilmar  230. 
Virchow  229. 
Volkmann,  A.  W.  5  f. 

160. 
Vulpian  493. 


W. 

Wähle,  B.  310  ff. 
Waldeyer  216.  501. 
Weber,  E,  H.  132.  140. 

145.  155.  160.  203  ff. 

304.  808.  333.  346.  421. 

464  ff. 
Weber,  L.  336. 
Weber,  Th.  156. 
Welcker  156. 
Wemicke  54.  150.  493. 
Wertheim  156.  159. 
Weyer  230. 
Wheatstone  358. 
Widmark  339. 
Wiedemann,  E.  509. 
WUbrand  338  f. 
V.  Wittich  343. 
Wolf  341. 
Wolff,  J.  151  f. 
Wood  229. 
Wundt,  W.  75.  79  f.  129. 

140  f.  223  f.  847.  860. 

420  ff.  464. 

Z. 

Zeller,  E.  199. 
Ziehen  500. 
Zöllner  117. 
Zuckerkandl  505. 
Zwaardemaker  490l 


Verlag  von  Leopold  Voss  in  Hamburg,  Hohe  Bleichen  18. 


Soeben  erfc^ienen: 

ßetfenblafen. 

(Doberne  (Därd^cn  von  Xurb  X(a§n>t^. 

A  5.—,  tti  elegantem  <0ef(^enfeinbanb  A  ^.50. 

pf^antafteflficfe  ber  tanne,  in  meieren  ber  Perfoffer  ben  3*^^^^^ 
^er  f)entigen  natnnDiffenfd^aftltc^en  unb  pt)t(ofopl{tfc^en  <0ebanfenn)eIt  3n 
nnterl^altenben  Träumereien  oenoebt.  Balb  leben  n>ir  miOionenfac^  per*- 
fleineri  auf  einer  «^Seifenblafe",  balb  entbecfen  n>ir  eine  unbefannte  3nfel 
(w^Ipoifts"),  auf  welcher  fic^  bie  Schüler  platons  3U  einer  Kolonie  t^dl^eren 
iftenfc^tums  enhptcfelt  I^aben,  wir  folgen  ben  (Sriibeleien  einer  ^meife 
fiber  has  IPefen  ber  £iebe  („2Iu5  bem  ^agebuc^e  einer  ^Imeife"),  ober  n>ir 
feigen,  wie  fdf  ber  n>iebergefunbene  <5eift  von  „2IIabbin5  tPunberlampe" 
pergeblid^  mit  bem  (Sefe^e  pon  ber  (Erl^altnng  ber  Kraft  t^erumfc^Ifigt,  — 
immer  finben  mir  ben  IHenfc^en  pon  einem  öberrafc^enben  uni  fremb« 
artigen  Stanbpnnfte  betrachtet.  „IHufen  nnb  IDeife",  «^er  Craumfabrtfant", 
irPfT^otomie'',  „Stdubd^en",  „(Erdpfd^en"  zc.  2c.  führen  uns  n>eiter  ins 
moberne  inSrc^enlanb,  bis  ber  jierli^e,  l^nmortfHfcbe  €piIog  uns  in  bit 
mirriid^reit  3urfi(ffai)rt. 

Geschichte  der  Atomistik 

Tom  Mittelalter  bis  Newton. 

Von 

Enrd  Lasswitz. 

Band  I. 
Die  Erneuerung  der  Korpuskulartheorie. 

1890.    gr.  8^    Xn  u.  518  S.    Pr«is  A  20.—. 


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1890.    gr.  8^    Vm  u.  610  S.    Preis  M.  20.—. 


Lyrik  und  Lyriker. 

Eine  Untersuchung 


Ton 


Dr.  phil.  Bichard  Maria  Werner, 

o.  0.  Professor  an  der  k.  k.  Kaiser-Franzens-Üniversität 

in  Lemberg. 

Bildet  Band  I  der  Beltrftge  zur  Änthetlk, 

herausgegeben  von  Theodor  Llpps  nnd  B.  IL  Werner. 

JH.  12.—. 


Verlag  von  Leopold  TO88  in  flamburg,  Hohe  Bleioheii  18. 


WISSENSCHAFTLEHE  BRIEFE 

VON 

eüSTAY  TIBODOR  FEOHNSR 

üHb 

W.  PRETBR. 


msB^T'  msmi.*  BmkFVrI&CHSEL  zwischek  K:  tok  VlEBO&b'fr 
xmi>  Fec^eneb  sowie  neük  sEiLia^. 

HERAUSGEGEBEN 
VOR 

W.  PRBYER 

IN  BERLIN. 
MIT  DEM  BILimis'^  FBCHNEH8  ÜKI)  YIEB  HOLZSCHNITTEN. 

Ji.  7. — . 

Der  Torliegende  Briefireohael  beliandelt  hanptaSohlioh  einige  tchwierige  Fragea 
der  ICyophyrik,  der  Psychophysik,  der  ErkenntniBtheorie  und  der  BiogeneiBS. 

Ein  kleiner  Teil  des  Briefwechsels,  die  negatiyen  Empfiodangswerte  behandelnd, 
gelangte  im  1.  Heft  der  »Zeitschrift  für  Psychologie  und  Physiologie  der  Sinnesorganec 
som  Abdruck. 

Das  Büdhleln  vom  Leben  flach  dem  Todi: 

Von 

CNiBtaT  Theodor  Feclmer. 

Dritte  Auflage, 
kl.  8.    M,  1.50;  geb.  in  Leinwand  A  2.50. 

Die  Axiome  der  Geometrie. 

Eine  philosopliisohe  TJntersucliiuig 

der 
Riemann-Helmholtz'sohen  Ranmtheorie. 

yon 

Benno  Erdinann: 

gr.  8.    X  u.  174  S.    1877.    M,  4.80. 


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